Das Ende des Paulus: Historische, theologische und literaturgeschichtliche Aspekte [Reprint 2012 ed.] 3110170019, 9783110170016

Über das Ende des Apostels Paulus bieten die neutestamentlichen und frühchristlichen Quellen unterschiedliche Informatio

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Das Ende des Paulus: Historische, theologische und literaturgeschichtliche Aspekte [Reprint 2012 ed.]
 3110170019, 9783110170016

Table of contents :
Vorwort
Einführung
Die letzte Jerusalemreise des Paulus
Die Miletrede – ein Literaturbericht
Von Caesarea nach Malta. Literarischer Charakter und historische Glaubwürdigkeit von Act 27
Paulus – ein homo honestus et iustus. Das lukanische Paulusportrait von Act 27-28 im Lichte ausgewählter antiker Parallelen
Das Ende des Paulus und die syrische Texttradition Act 28,17-31 in der Überlieferung der Peschitto
Das Schweigen des Lukas. Überlegungen zum offenen Ende der Apostelgeschichte
Von Korinth nach Rom. Die Chronologie der letzten Jahre des Paulus
Warum wollte Paulus nach Spanien? Ein forschungs- und motivgeschichtlicher Überblick
Zur Paulus-Notiz in 1 Clem 5,5-7
Das Verhältnis der Acta Pauli zur Apostelgeschichte des Lukas. Darstellung und Kritik der Forschungsgeschichte
Pseudepigraphie und Paulusschule. Gedanken zur Verfasserschaft der Deuteropaulinen, insbesondere der Pastoralbriefe
Ist der Tod der Apostel der Rede nicht wert? Vorstellungen von Tod und Sterben in der Apostelgeschichte
Reflexionen über Sterben und Tod bei Paulus
Register in Auswahl
Stellenregister
Sachregister
Namensregister
Ortsregister
Register der Autorinnen und Autoren
Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

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Das Ende des Paulus

Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche

In Verbindung mit

James D. G. Dunn · Richard B. Hays Hermann Lichtenberger herausgegeben von

Michael Wolter

Band 106

W G DE

Walter de Gruyter · Berlin · New York 2001

Das Ende des Paulus Historische, theologische und literaturgeschichtliche Aspekte Herausgegeben von Friedrich Wilhelm Horn

W DE

Walter de Gruyter · Berlin · New York 2001

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek — ClP-Hinheitsaufnahme

Horn, Friedrich Wilhelm: Das Ende des Paulus : historische, theologische und literaturgeschichdiche Aspekte / hrsg. von Friedrich Wilhelm Horn. — Berlin ; New York : de Gruyter, 2001 (Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche ; Bd. 106) ISBN 3-11-017001-9

© Copyright 2001 by Walter de Gruyter G m b H & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Umschlaggestaltung·. Christopher Schneider, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort

Im Wintersemester 1999/2000 und im Sommersemester 2000 wurden in der Neutestamentlichen Sozietät am Fachbereich Evangelische Theologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Vorträge zum Thema Das Ende des Paulus gehalten. Fast alle Vorträge und ein weiterer, nur schriftlich vorgelegter Beitrag sind in diesem Band gesammelt und publiziert worden. Über den wissenschaftlichen Stellenwert des Themas informiert die Einführung in diesem Buch. In dieser Sozietät, die mit meiner Berufung nach Mainz im Jahr 1996 gegründet wurde, treffen sich in zweiwöchentlichem Turnus Professoren, Privatdozenten, Habilitandinnen und Habilitanden, Doktorandinnen und Doktoranden sowie Studentinnen und Studenten. Die Mehrzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gehört zum Fachbereich Evangelische Theologie. Sodann kommen einige Neutestamentlerinnen und Neutestamentier aus dem Fachbereich Katholische Theologie sowie ein Kollege aus dem Fachbereich Philologie III (Abt.: Religionswissenschaft des Hellenismus) hinzu, außerdem befreundete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von anderen Universitäten. Auch haben stets auswärtige Kollegen als Gäste an einzelnen Sitzungen teilgenommen, so in den Semestern, in denen zum Ende des Paulus gearbeitet wurde, Prof. Dr. M. Eugene Boring, Fort Worth (Tx), und Prof. Dr. Ulrich Luz, Bern (Ch). Da die Zusammenarbeit in der Sozietät also fachbereichs- und konfessionsübergreifend angelegt ist und bewußt auf den Austausch aller oben genannten Gruppen abzielt, war es das Ziel der Arbeit zum Thema Das Ende des Paulus, daß hier auch möglichst vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern ein Raum für ihren Beitrag zum Thema eröffnet wird. Es finden sich neben den Vorträgen von Fachleuten, die seit längerem im Kontext von Forschungsvorhaben zum Thema im weiteren Sinn gearbeitet haben, auch solche Beiträge, die von der Themenstellung her notwendig waren und kurzfristig übernommen worden sind. Alle Vorträge sind für diese Publikation überarbeitet und ausgeweitet worden. An dieser Stelle danke ich vor allem meiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin Heike Omerzu fur ihre Hilfe bei den Korrekturarbeiten und bei der Fertigstellung der einzelnen Beiträge am Computer für die Druckvorlage des Bandes. Eine erste Durchsicht der Manuskripte hat stud, theol. Ute Hülsemann, Mainz/Prag, vorgenommen. Das Register fertigte stud, theol. Tobias

VI

Vorwort

Kaspari, Mainz, an. Auch ihnen beiden gilt ein herzlicher Dank. Schließlich danke ich Prof. Dr. Michael Wolter, Bonn. Er hat als Herausgeber der BZNW die Publikation des vorliegenden Bandes umgehend befürwortet.

Mainz, im März 2001

Friedrich W. Horn

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

V

FRIEDRICH WILHELM HORN (Mainz) Einfuhrung

1

FRIEDRICH WILHELM HORN (Mainz) Die letzte Jerusalemreise des Paulus

15

GEESKE BALLHORN (Mainz) Die Miletrede - ein Literaturbericht

37

MARIUS REISER (Mainz) Von Caesarea nach Malta Literarischer Charakter und historische Glaubwürdigkeit von Act 27

49

MICHAEL LABAHN (Halle) Paulus - ein homo honestus et iustus Das lukanische Paulusportrait von Act 27-28 im Lichte ausgewählter antiker Parallelen

75

MICHAEL TILLY (Mainz) Das Ende des Paulus und die syrische Texttradition Act 28,17-31 in der Überlieferung der Peschitto

107

HEIKE OMERZU (Mainz) Das Schweigen des Lukas Überlegungen zum offenen Ende der Apostelgeschichte

127

ALBRECHT SCRIBA (Mainz) Von Korinth nach Rom Die Chronologie der letzten Jahre des Paulus

157

Vili

Inhaltsverzeichnis

BERND WANDER (Köln) Warum wollte Paulus nach Spanien? Ein forschungs- und motivgeschichtlicher Überblick

175

HERMUT LOHR (Bonn) Zur Paulus-Notiz in 1 Clem 5,5-7

197

CLAUDIA BÜLLESBACH (Mainz) Das Verhältnis der Acta Pauli zur Apostelgeschichte des Lukas Darstellung und Kritik der Forschungsgeschichte

215

MARCO FRENSCHKOWSKI (Mainz) Pseudepigraphie und Paulusschule Gedanken zur Verfasserschaft der Deuteropaulinen, insbesondere der Pastoralbriefe

239

GUDRUN GUTTENBERGER (Mainz/Hannover) Ist der Tod der Apostel der Rede nicht wert? Vorstellungen von Tod und Sterben in der Apostelgeschichte

273

LUKAS BORMANN (Braunschweig) Reflexionen über Sterben und Tod bei Paulus

307

Register in Auswahl zusammengestellt von TOBIAS KASPARI (Mainz) Stellenregister

333

Sachregister

346

Namensregister

350

Ortsregister

352

Register der Autorinnen und Autoren

354

Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

357

Friedrich Wilhelm Horn

Einfuhrung

Das der gemeinsamen Arbeit zugrunde gelegte Thema Das Ende des Paulus hat sich im Laufe der vergangenen Semester als ein vielschichtiges Gebilde erwiesen. Um allein den wesentlichen Aspekten gerecht zu werden, wurden für den vorliegenden Band die Untertitel Historie, Theologie und Literaturgeschichte gewählt. Sowohl in diesen drei Bereichen, aber auch in anderer Hinsicht ist das Thema auch jetzt noch nicht vollständig und erschöpfend behandelt worden. Dies wurde in den einzelnen Beiträgen gelegentlich vermerkt, und so ist der weitere Forschungsbedarf angezeigt und festgehalten worden. Gleichwohl muß die Zusammenstellung der in diesem Band vereinigten Aufsätze als eine wesentliche Bestandsaufnahme und als ein Versuch angesehen werden, das Thema aus verschiedenen Perspektiven und unter Verwendung unterschiedlicher methodischer Ansätze zu betrachten, um so über den bisherigen Forschungsstand hinausgehen zu können. Obwohl die einzelnen Beiträge innerhalb der Sozietät mündlich vorgetragen wurden und sich daran eine Diskussion der vorgelegten Forschungsergebnisse anschloß, sind in Einzelfragen voneinander abweichende Positionen bestehen geblieben.1 Der Ausgangspunkt war zunächst durch das historische Interesse bestimmt. Es galt, über eine offensichtliche Spannung in der Apostelgeschichte des Lukas hinauszukommen. Ihr Verfasser deutet einerseits den nahe bevorstehenden Tod des Paulus in der Abschiedsrede vor den ephesinischen Presbytern an (Act 20,17-35). Zugleich läßt er Christen aus Tyrus (Act 21,4) und den judäischen Propheten Agabus an Paulus gerichtete Warnungen aussprechen, nämlich nicht nach Jerusalem zu gehen. Dort werde er, so Agabus, von Juden gefangengenommen und an die Römer ausgeliefert werden (Act 21,1 Oí). Lukas beendet andererseits sein Werk mit einem offenen Schluß, welcher Paulus in zweijähriger römischer Haft ungehindert predigen läßt (Act 28,30f). Was hat sich an diese Zeit angeschlossen? War seine in Caesarea 1

Durch die Schlußredaktion wurden Angleichungen in der Zitierweise, den Belegen und der Bibliographie vorgenommen. Es blieb den Verfasserinnen und Verfassern freigestellt, die alte oder neue Rechtschreibung zu verwenden.

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Friedrich Wilhelm Horn

ausgesprochene Appellation an den römischen Kaiser erfolgreich (Act 25,11)? Ist eine Freilassung aus der Haft in Rom verfügt worden, oder ist Paulus hier, möglicherweise nach Ablauf der zwei Jahre, hingerichtet worden? Die neutestamentliche und die frühchristliche Quellenlage kennt beide Möglichkeiten, versteht sie aber nicht notwendig als Alternative. Sie weiß zum einen um die erneute Aufnahme der Missionstätigkeit und sieht Paulus entweder am Endpunkt des Westens (1 Clem 5,5-7), deutlicher noch Actus Vere 1-3 und Can Mur 38 in Spanien, oder gar wieder im Osten des römischen Reichs (2 Tim 4,16f; Euseb, hist eccl II 22,2). Die Quellen kennen zum anderen die Hinrichtung durch das Schwert (Act Paul 11,5; Tert, praescr 36,3; Euseb, hist eccl II 25,5; dem ev III 5,65), teilweise nach Abschluß einer erneut aufgenommenen Mission. Sie sprechen vom Tod des Paulus in der Regierungszeit Neros (ebd. und Orígenes bei Euseb, hist eccl II 1,3; Clem Alex, ström VII 106,3; Tert, scorp 15,3; Lact, inst IV 21; mort pers 2), stellen aber nur einen vagen Zusammenhang mit der neronischen Verfolgung der stadtrömischen Christen her. Hierbei wird die Todesart Enthauptung durch Schwert in Act Paul 11,3; Euseb, hist eccl II 25,5; Lact, mort pers 2 bewußt von der Kreuzesstrafe, die Petrus erlitten hat, abgehoben. Unlösbar mit der vermuteten Freilassung aus der ersten römischen Gefangenschaft wird also bald die These eines zweiten Romaufenthalts mit erneuter Haftsituation und Hinrichtung verbunden, die sich an die neuerliche Mission im Westen und/oder im Osten angeschlossen haben sollen. Sowohl die älteste ausdrückliche Nachricht über den Tod des Paulus in 1 Clem 5,5-7 als auch das Martyrium Pauli in den Apostelakten wissen nichts von einem zweiten Rombesuch. 1 Clem deutet allein auf eine Hinrichtung im Westen des römischen Reichs aufgrund eines Konfliktes mit staatlichen Autoritäten. Nur eine unmittelbar im Anschluß an die erste römische Haft erfolgte Verurteilung zum Tod durch Schwert in Rom ist in den Quellen nicht bezeugt. Es handelt sich, will man dennoch dieser Sicht folgen, hierbei also um eine aus der Zusammenfugung verschiedener Textbeobachtungen und Argumente erschlossene These, die freilich eine große Wahrscheinlichkeit für sich in Anspruch nehmen kann. Aus den ältesten und wohl voneinander unabhängigen Quellen, die beide dem Ausgang des 1. Jahrhunderts n.Chr. zugerechnet werden, Act 20-28 und 1 Clem 5,5-7, geht deutlich das Faktum des Todes des Apostels hervor. Allerdings lassen sich keine präzisen Angaben über den vermutlichen Ort, den Zeitpunkt und die näheren Umstände gewinnen. Die angesprochenen weiteren frühchristlichen Quellen scheinen über disparate Informationen zu verfügen, die nicht oder nur schwer auszugleichen sind. Nicht auszuschließen ist die Möglichkeit, daß in ihnen eine in hagiographischer Sicht bedrängende Lücke gefüllt wurde, indem der offene Schluß der

Einführung

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Apostelgeschichte des Lukas und der in Rom 15,24.28 angesprochene Plan einer Mission in Spanien zu Ende gedacht wurden, sofern diese neutestamentlichen Texte bekannt waren. Es ist dann aber eine bedenkenswerte Hypothese, daß wir allenfalls im Martyriumsbericht der Paulusakten, ansonsten aber in keiner von Act, Rom und 1 Clem unabhängigen Quelle Informationen besitzen, die über das offene Ende der Act und den Plan der Mission in Spanien hinaus verläßliche Nachrichten enthalten. Die Quellenlage läßt es nicht zu, ein eindeutiges historisches Urteil zu den Ereignissen nach der Ankunft in Rom zu fallen. Gleichwohl erscheint es mir recht wahrscheinlich, daß der Hinrichtungsort Pauli Rom war und nicht, wie 1 Clem als möglich erscheinen läßt, ein anderer Ort westlich von Rom. Alle frühchristlichen Zeugnisse nennen, sofern sie den Hinrichtungsort ansprechen, ausschließlich Rom. Es gibt keine lokale Alternative. Das Martyrium Pauli kann sogar auf Lokal- und Personaltraditionen zurückblicken, die unlöslich mit Rom in Verbindung stehen. Die spezifische Hinrichtungsart wird diejenige der Enthauptung gewesen sein, wie gelegentlich in den Quellen angesprochen und in Abhebung von der Kreuzigungsstrafe des Petrus festgehalten wird. Der Zeitpunkt der Hinrichtung wird wohl im Anschluß an die von Lukas angesprochene Frist der zwei Jahre in Rom zu fixieren sein. Dafür spricht nicht nur, daß Lukas voraussetzt, daß der Zustand der ungehinderten Predigt zeitlich limitiert war, sondern auch die bereits angesprochene Absetzung dieses Todesurteils an Paulus von demjenigen an Petrus, erst recht noch die Abhebung von der Christenverfolgung unter Nero im Jahr 64 n.Chr. Dies läßt an eine Hinrichtung im Jahr 62 n.Chr, also zwei Jahre nach der vermuteten Ankunft in Rom, nach der es wohl diese von Lukas genannte Zwischenzeit gegeben hat, denken. Gegen eine Freilassung und erneut aufgenommene Missionstätigkeit im Westen oder Osten des römischen Reichs mit erneuter Rückkehr nach Rom sprechen folgende Überlegungen. Zunächst fehlt für eine Mission in Spanien jeglicher Hinweis, etwa in einer frühchristlichen Quelle, die von Rom 15 unabhängig ist, oder durch Lokaltraditionen, die unstrittig mit Paulus in Verbindung zu bringen sind. Wir wissen nur um den Wunsch des Apostels, Spanien zu besuchen. Wenn es wirklich zu einer Freilassung in Rom gekommen wäre, weshalb sollte Paulus dann plötzlich die Reisepläne wieder umgeworfen haben, um in denjenigen Teil des römischen Reichs zurückzukehren, von dem er in Rom 15,23 gesagt hat, er habe hier keinen Raum mehr. Vor allem aber wird in den Quellen nie eine Veranlassung oder Begründung genannt, die den zweiten Rombesuch Pauli motiviert hätte. Wesentlich fur die historische Fragestellung war die umfassende Aufarbeitung des zur Verfügung stehenden Quellenmaterials aus der Frühzeit des Christentums. Freilich wird es im Ausgang des 1. Jahrhunderts n.Chr. auch

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eine lebendige Gemeindeüberlieferung, etwa in den in Act 28 angesprochenen christlichen Gemeinden in Puteoli und Rom, zu den bedeutenden Aposteln und ihrem Geschick gegeben haben, welche allenfalls ausschnittweise in den uns zugänglichen Quellen festgehalten ist. An das Martyrium des Paulus, welches in die Paulusakten aufgenommen worden ist, jedoch eine von ihnen unabhängige, eigenständige Vorgeschichte hat, ist die Frage zu richten, ob in es ein Grundstock stadtrömischer Überlieferung eingeflossen ist. Zu den historischen Fragen gehören auch alle Aspekte, die in einem weiteren Umfeld des Endes des Paulus zu bedenken sind: Angefangen von der letzten Jerusalemreise, die zur Verhaftung des Apostels führt, über die Seereise als Gefangener nach Rom und ihren Verlauf, über das Verständnis des lukanischen Seefahrtberichts auf dem Hintergrund der antiken paganen Quellen zu Seereisen, bis hin zu den chronologischen Fragen der Datierung der einzelnen Geschehnisse. Am Horizont der letzten Jahre paulinischer Wirksamkeit stand der erstmals in Rom 15,24.28 explizit ausgesprochene Wunsch einer Mission in Spanien (eine erste positive Andeutung des Westens sehr allgemein in 2 Kor 10,16). Dieser Plan scheint das Bild des Heidenmissionars in topographischer Hinsicht willkommen abzurunden, da nach unserer Kenntnis in Spanien noch keine christlichen Gemeinden existierten und sich Paulus somit, nachdem er seine Arbeit im Osten als abgeschlossen ansieht (Rom 15,23), im Westen des römischen Reichs ein neuer Raum eröffnet und er an eine letzte Grenze käme. Weshalb aber ging er nicht nach Ägypten, in die Cyrenaica oder nach Bithynien-Pontus innerhalb des griechischen Sprachraums? Was führte den Apostel zu dem Plan, in den lateinischen Sprachraum einzudringen, den er allenfalls an der Grenze zu Illyrien erstmals tangiert, nicht aber betreten hatte (Rom 15,19)? War es ein Missionskonzept, dessen Stationen aus dem Studium der biblischen Schriften, aus Offenbarungen, Träumen und Erscheinungen gewonnen wurde? Hielt Paulus sich streng an den Grundsatz, nur da zu predigen, wo nicht bereits ein anderer Apostel wirkte (Rom 15,20)? Gestaltete dessen Berücksichtigung seine Reisepläne? War möglicherweise ein Antipaulinismus, der Paulus aus dem Gebiet der von ihm gegründeten Gemeinden zunehmend verdrängte, für diesen Schritt verantwortlich? Oder ist diese Orientierung in Richtung Westen des römischen Reichs aus Notwendigkeiten und Möglichkeiten des Alltags wie Arbeits- und Reisebedingungen, Ausstattung zur Missionsarbeit, Vorhandensein von Mitarbeitern, Wissen um mögliche Anknüpfungspunkte vor Ort gewonnen worden? Nicht behandelt wurde im Zusammenhang des Themas die archäologische Frage des historischen Wertes des vermuteten Paulusgrabes unter S. Paolo fuori le Mura. Unter der Kirche befand sich eine pagane Nekropole. Euseb, hist eccl II 25,5-7 berichtet, die Namen Petrus und Paulus seien in römischen

Einführung

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Zömeterien bis heute erhalten. Die paulinische Grabstätte an der Straße nach Ostia wird mit der genannten Kirche in Verbindung gebracht. Die altkirchlichen Aussagen zum Tod des Paulus sind in den beiden Semestern ausfuhrlich in einem Vortrag angesprochen worden. Dieser konnte allerdings leider nicht für diesen Band zur Verfügung gestellt werden. In theologischer Hinsicht ist einerseits zu klären, inwiefern der Tod des Apostels Paulus zu einer Klärung des christlichen Todesverständnisses fuhrt. In den frühchristlichen Quellen findet sich eine erhebliche Bandbreite an Interpretationsmöglichkeiten sowohl im Blick auf den faktischen Tod des Apostels als auch auf dessen Bedeutung für die christliche Gemeinde. Stirbt Paulus triumphierend als Märtyrer oder erniedrigt als vom heidnischen Staat Gerichteter; ist sein Tod die Krone seiner Christusgemeinschaft oder ist er sub contrario die tiefste Stelle seiner Christusnachfolge? Wird sein Tod so dargestellt, daß Christinnen und Christen in Zeiten der anfänglichen Verfolgung durch den römischen Staat wegen ihres Christusbekenntnisses Orientierung an Paulus finden können? Schließlich ist zu fragen, ob die Darstellung seines Todes in eine übergeordnete apologetische Zielsetzung eingeordnet wird, weil im Mittelpunkt der Darstellung der Act ein Angeklagter steht, der sich auf das Recht des römischen Staates berufen kann. Andererseits führt der Tod des Apostels zu der Frage, ob christliche Theologie in der durch Paulus angezeigten Richtung bei Einführung gewisser Modifikationen fortgeschrieben werden kann, oder ob jetzt dem bereits zu Lebzeiten des Paulus wirksamen Antipaulinismus stärkere Berücksichtigung, etwa durch völlige Verdrängung der Person des Apostels, zukommen soll. Eine Neuorientierung nach dem Tod des Paulus ist sowohl in der Paulusschule als auch im antipaulinischen Judenchristentum angezeigt. Der Tod des Paulus ist in literarischer Hinsicht die Geburtsstunde der Pseudepigraphie, innerhalb der Deuteropaulinen in positiver Aufnahme, im Jakobusbrief in kritischer Aufnahme des Paulinismus. Die literaturgeschichtlichen Fragen beziehen sich zunächst auf die Gestaltung des offenen Schlusses der Apostelgeschichte. Ob Lukas möglicherweise ein drittes Werk geplant hatte, ob der Text der Act hier abrupt abgebrochen sei, ob Lukas gar zu Lebzeiten des Paulus vor der Hinrichtung unter Nero geschrieben habe, ist gefragt worden. Jedoch ist der Abschluß seines Werkes ernst zu nehmen als bewußt gewählter Schlußpunkt. Hat das Schweigen des Lukas rhetorische oder theologische Gründe, oder ist es einfach in dem Sachverhalt begründet, daß Lukas keine Informationen über die zwei Jahre in Rom hinaus besaß? Welche Absicht verbindet der Autor mit diesem Ende, und an welche literaturgeschichtliche Konvention schließt Lukas sich dabei an?

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Literaturgeschichtliche Fragen stellen sich sodann bei etlichen nachpaulinischen, zum Teil frühchristlichen Schriften ein. Beziehen sie sich auf die neutestamentlichen Texte, vor allem Rom 15 und die Apostelgeschichte des Lukas und deren Schlußkapitel zurück? Intertextualität, relecture, readerresponse, revision sind die Stichworte der hier geführten Debatte. Literaturgeschichtlich brisant ist der Blick in die Paulusschule. Dies haben Stichworte wie Pseudepigraphie oder Pseudepistolographie längst angezeigt. Hier sind die Bedingungen theologischer Arbeit zu Lebzeiten des Apostels und nach seinem Tod innerhalb der Paulusschule darzustellen sowie die literaturgeschichtliche Bewältigung seines Todes zu klären. In einem weiteren Sinn gehört zur literaturgeschichtlichen Aufarbeitung des gestellten Themas ein Blick in die Rezeptionsgeschichte, wie sie in der frühchristlichen Kommentierung neutestamentlicher Schriften und deren Übersetzung aus dem Griechischen zum Ausdruck kommt.

Die zweisemestrige Arbeit zum Thema wurde eröffnet durch meinen Vortrag zur letzten Jerusalemreise des Paulus. Das einleitende Kapitel fuhrt in historischer Perspektive in das Gesamtthema ein. Mit der in Rom 15 ausgesprochenen Absicht, die seit dem Apostelkonvent gesammelte Kollekte für die Jerusalemer Urgemeinde nun endlich abzuliefern, begibt Paulus sich wissentlich in größte Gefahr, die ihm von jüdischer und judenchristlicher Seite in Judäa und Jerusalem droht. Ob die Kollekte dem ursprünglich angedachten Zweck überhaupt noch zugeführt werden konnte, muß fraglich bleiben. Der Jerusalemer Aufenthalt mündet, so der Bericht der Act, aufgrund der Verdächtigung, den Jerusalemer Tempel entweiht zu haben, in einen Übergriff auf Paulus von jüdischer Seite. Der Schutz der römischen Soldaten bewahrt Paulus mehrfach vor Angriffen. Von diesem Zeitpunkt an ist Paulus in römischer Schutzhaft bzw. ist er römischer Gefangener. Weshalb liegt Paulus daran, die Kollekte abzuliefern, wo er doch um die bevorstehenden Konflikte weiß? Weshalb der Umweg über Jerusalem, obwohl sein Missionsziel Spanien vor Augen steht? Mir will scheinen, als sei einerseits die Einlösung der Kollektenverpflichtung die Voraussetzung jeglicher weiteren Missionsarbeit, andererseits aber die im Römerbrief ausformulierte Israeltheologie zugleich vorsichtige Hoffnung, daß eine Begegnung mit Juden und Judenchristen in Judäa und Jerusalem noch möglich ist. Geeske Ballhorn bietet einen Literaturbericht zur sogenannten Miletrede in Act 20,17-35. In ihr kündigt Paulus vor den ephesinischen Ältesten an, sie werden sein Angesicht nicht mehr sehen. Es ist dies eine Todesansage, die Lukas der bevorstehenden Jerusalemreise und dem sich anschließenden Prozeß voranstellt. Auch die Einbindung dieser Worte in die Gattung Abschieds-

Einführung

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rede bzw. Vermächtnis oder Testament unterstützen diejenige Auslegung, welche hier einen klaren Hinweis des Redaktors Lukas auf den Tod des Paulus erkennt, da Abschiedsreden in biblischer, frühjüdischer und christlicher Literatur notwendig den zurückliegenden Tod der sprechenden Person voraussetzen. Damit ist ausgeschlossen, daß der offene Schluß der Act so zu erklären ist, daß Paulus zur Zeit der Abfassung des Werkes noch lebt. Geeske Ballhorn konzentriert sich in ihrem Literaturbericht auf die neueren Kommentare zur Apostelgeschichte. Hier ist zu erwähnen, daß der Kommentar von Ben Witherington III dem oben umrissenen, auch gegenwärtig noch vertretenen breiten Konsens, die Miletrede setze den Tod des Paulus voraus, widerspricht, vielmehr von einem begrenzten Abschied von den ephesinischen Ältesten, nicht aber der Kirche insgesamt, ausgeht und das offene Ende der Act als Indiz für die Freilassung des Paulus wertet. Des weiteren informiert dieser Beitrag neben den formgeschichtlichen Fragen über die Möglichkeiten, einen paulinischen Anteil in der Miletrede zu entdecken. Das Ergebnis ist ernüchternd negativ. Zwischen dem Gefangnisaufenthalt in Caesarea und demjenigen in Rom liegt die Seereise, die bei Malta durch einen Schiffbruch unterbrochen wird. Der Bericht in Act 27 ist in der zurückliegenden Forschung häufig als eine mit Elementen des antiken Romans, speziell mit Anleihen aus Schiffbrucherzählungen durchsetzte, von Lukas weitgehend erfundene und gestaltete Geschichte angesehen worden. Zu diesen form- oder literaturgeschichtlichen Problemen kommt noch die von Heinz Warnecke unlängst dargelegte Theorie, bei Μελίτη (Act 28,1) sei nicht an Malta, sondern an Kefalinia, genauer an die Landzunge von Argostoli zu denken, hinzu. Marius Reiser bietet eine eingehende Untersuchung literarischer Seefahrt- und Schiffbrucherzählungen und vergleicht sie mit der lukanischen Darstellung. Sein erstes Ergebnis widerspricht der eingangs angesprochenen Einschätzung dieses Kapitels grundlegend: Die Darstellung in Act 27 hat nichts Romanhaftes an sich; literarische Topoi aus der Tradition der Seesturm-Ekphrasis seit Homer fehlen vollständig. Vielmehr steht der lukanische Bericht hinsichtlich der Fülle und Exaktheit nautischer Angaben einzigartig da. Marius Reiser stellt grundlegende Sachverhalte bezüglich der Windverhältnisse dar und bezieht sie auf die Analyse des in Act 27,14 angesprochenen Sturmwindes, des Εύρακύλων. Es handelt sich um einen Ostnordost-Wind. Damit erübrigt sich die These, Paulus sei nicht auf Malta gelandet, da dieser Wind, wenn er ein Schiff südlich von Kreta erfaßt, es wohl nach Malta, nicht aber an die dalmatinische Küste treibt. Marius Reiser zögert daher nicht, sich das Wort Eduard Meyers zu eigen zu machen und im Blick auf Act 27 von einem Glanzstück in sachlicher Korrektheit zu sprechen.

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Michael Labahns materialreicher Beitrag nimmt Ergebnisse der Recherche zum Act-Teil des Neuen Wettstein auf. Er fragt nach dem literarischen Paulus-Portrait in Act 27-28 im Licht der antiken Quellen. Die davon zu unterscheidende Frage, welchen Anhalt dieses Portrait am historischen Paulus hat, steht außerhalb der Betrachtung. Lukas läßt den gefangenen Paulus die Freiheit eines von seiner Mitwelt anerkannten Ehrenmannes, eines homo honestas et iustus genießen. Als solcher tritt er unschuldig die Reise an, bleibt ein autonom Handelnder und wird auch in der Gefangenschaftssituation noch seiner sozialen Rolle, nämlich einem am Gemeinwohl orientierten Verhalten gerecht. Der Begriff des homo iustus ist nicht technisch oder spezifisch einzuengen. Er vereinigt unterschiedliche Aspekte in sich, mit denen Lukas Paulus als einen auch gesellschaftlich anerkannten Vertreter des frühen Christentums darstellt. Dieses Bild des Apostels bestimmt die Darstellung der beiden Schlußkapitel der Act. Damit ist auch gesagt, daß der plot von Act 27f keinen Raum für eine Märtyrertheologie läßt. Dies würde geradezu der narrativen Strategie des Lukas widerstreiten. Im Gegenteil: Im Licht der ausgewählten antiken Parallelen gelangt Paulus als homo iustus et honestus nach Rom. Michael Labahn stellt damit einen wesentlichen Baustein der lukanischen politischen Ethik und Apologetik dar. Michael Tilly behandelt das Ende des Paulus in der syrischen Texttradition, indem er Act 28,17-31 in der Überlieferung der Peschitto analysiert. Dankbar wird man zunächst seine beiden einleitenden Abschnitte zur Kenntnis nehmen, die einerseits den gegenwärtigen Stand der Forschung am syrischen Text darlegen und andererseits in einem Vergleich zwischen dem griechischen und dem syrischen Text auf Charakteristika der Peschitto aufmerksam machen. Die Analyse des Schlußabschnitts der Act geht von den sprachlichen und grammatikalischen Eigenheiten der Übersetzung aus, in der bereits kräftig interpretierende Stimmen zu vernehmen sind. So ist deutlich zu erkennen, daß die Übersetzung auf ein rein heidenchristliches Umfeld verweist, in dem der Anteil von Judenchristen verschwindend gering war und Christen und Juden sich in klarer Abgrenzung einander gegenüberstanden. In der Darstellung der letzten Jahre des Paulus in Rom deutet die Peschitto in keiner Weise ein über die Act hinausgehendes Wissen, etwa um die näheren Umstände seines Todes, an. Heike Omerzu widmet sich dem Schweigen des Lukas zum Ausgang des Appellationsverfahrens am Schluß der Act. Auffällig ist der Befund und verlangt eine Erklärung, daß Lukas von der Gefangennahme in Jerusalem bis zur Seereise nach Rom über mehrere Kapitel seines Werkes hinweg zum Teil präzise Detailinformationen bietet, so daß die These eines ihm in Act 21-26 vorgelegenen Prozeßberichtes nicht abwegig erscheint, dann aber doch unvermittelt nach der Abreise aus Caesarea und mit der Schilderung der zwei

Einführung

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Jahre in Rom, für die er nur wenige Informationen beibringen kann, abbricht. Heike Omerzu stellt die wesentlichen Erklärungsmodelle des offenen ActaEndes vor und ordnet sie einer historischen, einer theologisch-programmatischen und einer literarisch-rhetorischen Sicht zu. Ihre Untersuchung von Act 28,16-31 unter rechtshistorischer Perspektive kommt zu dem nüchternen Ergebnis, daß die Angaben zur Haft in Rom allgemeiner Art sind und nicht auf spezifische Kenntnisse der Haftumstände deuten. Dieser Traditionsmangel für den Romaufenthalt bedarf einer Erklärung. Heike Omerzu verweist neben etlichen Seitenaspekten, die den angesprochenen Befund nicht hinreichend erklären können, auf den grundlegenden Informationsabbruch seit der Abreise aus Caesarea. Dies bedeutet, daß Lukas nicht mehr wußte, als daß Paulus in erleichterter Haftform in einer angemieteten Unterkunft zwei Jahre lang gelebt hat und daß diese Zeit - wie Lukas in seinem Werk mehrfach als Leseleitung hat anklingen lassen - mit dem Tod des Apostels geendet hat. Bernd Wander fragt: Warum wollte Paulus nach Spanien? In Rom 15,24.28 hat Paulus erstmals über diese Reiseabsicht gesprochen und sie in die präzise Abfolge folgender Stationen gebracht: Ablieferung der Kollekte in Jerusalem - Zwischenbesuch in Rom - Reise nach Spanien. Daß es sich um eine Reise in missionarischer Absicht handelt, wird durchweg vorausgesetzt, was aber hat diesen Plan begründet? Die Darstellung der Tendenzen sowohl der älteren als auch der neueren Forschung eröffnet eine bunte Palette von Vermutungen. Unter ihnen verdient besondere Berücksichtigung, daß Paulus sich missionsstrategisch durch alttestamentliche Landschaftsverzeichnisse leiten ließ und sie im Sinne einer Missionsweissagung aufnahm, so jedenfalls die Position von Rainer Riesner mit Blick auf Jes 66,18-21. James M. Scott hingegen verweist auf die Vorgabe der Völkertafeln in Gen 10 und 1 Chr 1,22,2. Zusätzlich zur Vorgabe alttestamentlicher Aussagen und ihrer frühjüdisch-christlichen Interpretation verweisen Martin Hengel und Anna Maria Schwemer auf Einflüsse, die pneumatisch vermittelt waren und die über die ursprünglichen missionarischen Zielsetzungen hinaus führten, sowie auf den zeitlichen Faktor der erwarteten Parusie des Kyrios. Diese ist nach Rom 11,25 an eine zuvor erfolgte Heidenmission und an ein bestimmtes Maß von Konversionen gebunden. Bernd Wander würdigt in seinem Beitrag die Forschungsgeschichte kritisch und stellt in umfassender Weise all diejenigen Argumente zusammen, die für oder gegen die Möglichkeit einer Spanienmission sprechen. Hierbei kann er zeigen, daß etwa der Verweis auf die fehlenden Sprachkenntnisse kein wirkliches Hindernis ausmacht, da ein Vulgärgriechisch für Spanien in dieser Zeit vorauszusetzen ist. Sein eigener Vorschlag, das Missionsziel Spanien aus der paulinischen Theologie und Biographie heraus verständlich zu machen, verweist auf die Angabe in Rom 1,14, gemäß der Paulus sich zu Griechen und Barbaren, die der griechischen Sprache nicht

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mächtig sind, gesandt weiß. Es sei daher nicht auszuschließen, daß Paulus nicht erst in den Schlußkapiteln, sondern bereits zu Beginn des Römerbriefs Spanien als Missionsziel im Blick habe. Albrecht Scriba behandelt die Chronologie der letzten Jahre des Paulus, also die Zeit zwischen Beginn der Kollektenreise und der Ankunft in Rom. Hier sind nicht nur die Angaben der Act mit denjenigen der paulinischen Briefe zu vergleichen, sondern auch die Ausführungen der Pastoralbriefe und weiterer frühchristlicher Quellen zu bedenken. Albrecht Scriba schätzt den Quellenwert der Act recht hoch ein und zeichnet über weite Strecken die vorhandenen Angaben in ihr chronologisches und geographisches Gerüst ein. Für die von ihm vorgelegte Rekonstruktion ist die aufgrund palästinischer Münzfunde vorgenommene Ansetzung des Wechsels im Amt des Prokurators von Felix zu Festus im Jahr 59 n.Chr. und nicht in den Jahren 55 n.Chr. oder 58 n.Chr. wesentlich. Die Überfahrt von Caesarea nach Rom fand demnach wohl in den Jahren 59/60 n.Chr. statt. Bezieht man die in Act 27,8-10 von Paulus ausgesprochene Warnung, nicht nach dem Versöhnungstag am 10. Tischri den Winterhafen in Kreta zu verlassen, und den vermuteten Aufenthalt von drei Monaten auf Malta auf die absolute Chronologie, dann ergäbe sich ein geschätztes Aufbruchsdatum von Malta am 5. Februar und eine Ankunft in Rom am 20. Februar 60 n.Chr. Albrecht Scriba erachtet es als wahrscheinlich, daß Paulus dann nach einem ordentlichen Gerichtsverfahren noch vor dem Winter des Jahres 62 n.Chr. hingerichtet worden ist. Die erste ausdrückliche Nachricht über den Tod des Paulus findet sich in 1 Clem 5,5-7, einem Schreiben der römischen Gemeinde aus dem Ausgang des 1. Jahrhunderts n.Chr., für welches eine Kenntnis der lukanischen Act wie auch umgekehrt in keiner Weise zwingend angezeigt ist. Hermut Lohr analysiert diesen Textabschnitt, dessen Interesse es ist - durchaus im Einklang mit anderen Abschnitten des Schreibens - , die Motive Agon, Ausdauer, eschatologischen Lohn und Vorbildfunktion für die Gegenwart der bedrängten Gemeinde zu verbinden. Wenn man den angezeigten Textabschnitt auf seinen geschichtlichen Wert hin befragt, trifft man nicht das eigentliche Interesse des Autors. Woran aber ist gedacht, wenn es heißt, Paulus sei zum Endpunkt des Westens gekommen, habe vor den Führenden Zeugnis abgelegt und sei so aus der Welt geschieden? Die erste Wendung ist, so Hermut Lohr, zwar doppeldeutig, aber am wahrscheinlichsten auf einen Punkt westlich von Rom zu beziehen. Das Ablegen des Zeugnisses wird, abgestützt durch eine präzise Textanalyse, auf einen vom Sterben der Apostel unterschiedenen Akt bezogen, welcher nicht per se den Tod impliziert. Da aber die weitere Aussage auf einen tödlichen Konflikt mit Machthabern, die nicht näher spezifiziert sind, zu beziehen ist, ist es im Sinne des Textes, das Ablegen des Zeugnisses mit dem Tod des Apostels in Verbindung zu bringen. Hermut Lohr hält es für

Einführung

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wahrscheinlich, daß 1 Clem um eine Tätigkeit des Paulus im Westen über Rom hinaus durch eine Überlieferung oder Tradition wußte. Nach seiner Analyse bietet die Notiz in 1 Clem 5,5-7 dem Historiker ein gutes Indiz für die Vermutung, Paulus sei über Rom hinausgelangt und durch einen Konflikt mit staatlichen Autoritäten zu Tode gekommen. In dieser Hinsicht bleibt also in diesem Band eine Differenz etwa zu den Beiträgen von Claudia Büllesbach, Heike Omerzu und Albrecht Scriba sowie zu meiner Einführung. Neben der kurzen Notiz in 1 Clem 5,5-7 und den Berichten, die Euseb in dem zweiten und dritten Buch seiner Kirchengeschichte zum Ende des Paulus bietet, konzentriert sich die Erforschung des außerneutestamentlichen Materials zum Thema auf das Martyrium Pauli in den Paulusakten. Claudia Büllesbach bietet eine Darstellung und Kritik der Forschungsgeschichte zum Verhältnis der Acta Pauli zur Apostelgeschichte des Lukas. Erhebliche Differenzen beider Berichte fallen sofort ins Auge, wie aber sind sie zu erklären? Bieten die Acta Pauli Spuren historischer Erinnerung, die über den lukanischen Bericht hinausfuhren? Oder sind sie als planvolle Revision, relecture oder gar Fortsetzung der lukanischen Act zu verstehen? Die Darstellung der Forschungsgeschichte, die bei der These Carl Schmidts einsetzt, derzufolge die Acta Pauli eine bewußte Fälschung der lukanischen Act sind, macht bald schmerzlich deutlich, daß die Arbeit zu den Apostelakten seit Jahrzehnten in Deutschland abgebrochen ist und gegenwärtig im frankophonen und amerikanischen Raum stattfindet. Claudia Büllesbach verweist auf den sich abzeichnenden Konsens, daß die Acta Pauli in die Rezeptionsgeschichte der lukanischen Act gehören. Die Intertextualität beider Werke ist als relecture der lukanischen Act durch die Acta Pauli zu verstehen. Sie zeichnen in einem veränderten historischen Kontext nicht das Bild Pauli als eines staatstreuen römischen Bürgers, sondern dasjenige eines Märtyrers, der als Teil der militia Dei gegen Nero und Rom kämpft. Gleichwohl kann man die bereits angesprochene Frage, ob die Acta Pauli möglicherweise einen Beitrag zur historischen Frage bieten, stellen. Hier ist der Negativbefund wesentlich, daß nach ihrer Aussage Paulus die erste römische Gefangenschaft nicht verlassen hat, sondern in der Zeit Neros als Märtyrer hingerichtet wird. Das macht nach Claudia Büllesbach deutlich, wie wenig die Theorie der zweimaligen Gefangenschaft mit einer sie unterbrechenden Spanienmission im Paulus-Bild des 2. Jahrhunderts n.Chr. verankert war. Marco Frenschkowski stellt seine Gedanken zur Verfasserschaft der Deuteropaulinen, insbesondere der Pastoralbriefe unter den Titel Pseudepigraphie und Paulusschule. Der Bezug zum Thema ist in einem engeren Sinn natürlich durch die Frage gegeben, was es mit der in den Pastoralbriefen vorausgesetzten Freilassung aus der ersten Gefangenschaft und der erneuten Mission im Osten auf sich hat. Wahrscheinlich aber sind die knappen, scheinbar histo-

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risch verwertbare Traditionssplitter enthaltenden diesbezüglichen Aussagen nur in dem übergeordneten Thema Pseudepigraphie und Paulusschule, d.h. in dem literaturgeschichtlichen und theologischen Kontext sachgemäß aufzunehmen und auszulegen. Marco Frenschkowski widmet sich zunächst dem Phänomen der frühchristlichen und altkirchlichen Pseudepigraphie, ihren Bedingungen und Zielsetzungen, ihren Ursachen und ihrem Geschichtsverständnis sowie den Trägergruppen pseudepigrapher Literatur. Diese stellt fur ihn eine bewußte und planmäßig durchgeführte Täuschung dar, deren Aufdekkung gelegentlich drastisch geahndet wurde. In Verbindung mit der These pseudepigrapher, d.h. hier deuteropaulinischer Schriften stellt sich die Frage nach der Verfasserschaft. Sie wird seit Jahren mit Verweisen auf die Paulusschule beantwortet. Gab es eine Paulusschule und wenn ja, wie muß man sich deren Wesen vorstellen? Marco Frenschkowski kritisiert die Annahme einer Institution, die von einem festen topographischen Zentrum her prägt, kritisiert also die geläufige Ephesus-Hypothese als Sitz der Paulusschule. Vielmehr sei an einen inhaltlich profilierbaren Traditionszusammenhang oder an eine primär in personalen Bezügen bestehende Gemeinschaft zu denken. Insofern wird der Begriff der Paulusschule präzisiert zu demjenigen des Missionsteams, dessen "foundational man" Paulus war und ist. Schließlich werden diese Überlegungen angewendet auf die Verfasserfrage der Pastoralbriefe. Hier wird der Vorschlag unterbreitet, in Timotheus den alleinigen Verfasser zu sehen, so daß - in ihrer Fiktionalität durchaus raffiniert - Verfasser und zumindest partiell auch Adressat identisch seien. Ist der Tod der Apostel der Rede nicht wert? Gudrun Guttenberger geht von einem breiten Schweigen zum Tod des Paulus angefangen von der Apostelgeschichte über die Pastoralbriefe bis hin zu altkirchlichen Zeugnissen aus und will es zum Reden bringen. Es wird zunächst grundsätzlich nach der Aufnahme des Themas Tod und Sterben in den Act gefragt und es werden die Vorkommnisse in den Act in einen kulturanthropologischen Rahmen gestellt. Die zahlreichen Belege - immerhin kommen insgesamt dreizehn Todesfalle in den Act zur Sprache - lassen sich unterschiedlichen Kategorien zuordnen: natürlicher Tod, Fluchtod, Martyriumstod. Auffallend ist, wie detailreich in körperlicher Hinsicht der Fluchtod beschrieben wird. Martyriums- und Fluchtod stehen in engster Beziehung zum Fortgang der Heilsgeschichte, in ihnen offenbart sich Gottes letztlich schützende Macht oder aber sein vergeltendes Handeln. Die Darstellung des vorchristlichen Saulus, seiner Verfolgung der christlichen Gemeinde und seines körperlichen Zusammenbruchs hat eine Nähe zu Darstellungen des Fluchtodes. Der Weg des Heidenmissionars trägt ab der Miletrede vor den ephesinischen Presbytern (Act 20,17-35) durchweg Züge des Martyriumstodes, nämlich in der wiederholt angesprochenen Bereitschaft zu sterben und in den Erwähnungen der Anschläge auf

Einführung

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sein Leben. Gudrun Guttenberger fragt, ob das offene Ende nicht eine vorsichtige Anfrage des Redaktors Lukas an diejenigen, die für das Martyrium des Apostels verantwortlich sind, ist, ob sie sich wirklich zu Feinden Gottes machen und einer Vergeltung entgegengehen wollen. Lukas Bormann sucht nach Reflexionen über Sterben und Tod bei Paulus und stellt mit seinem Beitrag den Abschluß des Bandes her. Er blickt hierbei nicht auf die grundsätzlichen Erwägungen, die etwa in 1 Kor 15 oder Rom 5 dokumentiert sind, sondern auf diejenigen Aussagen, in denen sich Todesnähe oder gar Todeserfahrungen des Paulus spiegeln. Bereits im ältesten Paulusbrief, dem ersten Schreiben an die Gemeinde in Thessalonich, werden bedrängende Erfahrungen sowohl für die Gemeinde als auch für Paulus akzeptiert und als angemessene Formen der Mimesis Christi interpretiert. Damit wird auf ein Motiv der hellenistischen Literatur und des antiken Theaters aufmerksam gemacht, dem ein kreativer, ein imaginativer und ein aktiver Gehalt zukommt. Schon im 1 Thess wird die Erwartung erkennbar, daß die Gemeinde sich sowohl die Existenz des Apostels als auch diejenige des Kyrios kreativ aneignen und dramatisch inszenieren soll. Diese angesprochene Mimetik wird in den jüngeren Briefen des Paulus aufgenommen und bisweilen erheblich ausgebaut. Hier werden von Lukas Bormann Phil 3,9f, vor allem aber die Peristasenkataloge des 2 Kor ausführlich bedacht. Die Bewertung der Niedrigkeits- und Todeserfahrungen im Sinne der mimetischen Zuordnung zu Christus stellt eine sich in allen paulinischen Briefen durchhaltende, ja sich insgesamt ausweitende und zunehmend präzisierende theologische Bewertung christlicher Existenz dar.

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Einführung

Die jüngere Paulus-Forschung hat die Interdependenz von Biographie und Theologie betont und über deren möglichst präzise Wahrnehmung einen neuen Zugang zu Paulus gesucht.1 Hier ist etwa zu erinnern an etliche Arbeiten zum vorchristlichen Paulus, die sich um eine detailreiche Verortung der jüdischen Existenz des Apostels und ihrer bleibenden Bedeutung für die christliche Theologie bemühen.2 Es ist zu verweisen auf Untersuchungen über die Anfänge der apostolischen Wirksamkeit zwischen der Zeit in Damaskus und dem Wechsel nach Antiochia, in denen der Einfluß der frühchristlichen

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H. Hübner, Art. Paulus I, TRE 26 (1996) 133-153 rät, „die weithin übliche Darstellungsweise der Einteilung in einen biographischen und einen theologischen Teil aufzugeben" (134). Durchgeführt hat Hübner diese Vorgabe in ders., Biblische Theologie des Neuen Testaments, Bd. 2: Die Theologie des Paulus, Göttingen 1993. Die forschungsgeschichtlichen Voraussetzungen dieser Fragestellung sind hier nicht nachzuzeichnen. Freilich ist dieser Ansatz keineswegs Allgemeingut der Paulus-Forschung geworden. J. D. G. Dunn, Prolegomena to a Theology of Paul, NTS 40 (1994) 407-432, bes. 432; ders., The Theology of Paul the Apostle, Grand Rapids/Cambridge 1998 entwirft eine Darstellung, die recht unbeeindruckt von den biographischen Bedingtheiten argumentiert und einer Orientierung an der Vorgabe des Römerbriefs wieder das Wort redet; vgl. die Besprechung von H. Löhr in VuF 44 (1999) 78-83. M. Hengel, Der vorchristliche Paulus, ThBeitr 21 (1990) 174-195; ders., Der vorchristliche Paulus, in: M. Hengel und U. Heckel (Hg.), Paulus und das antike Judentum, WUNT 58, Tübingen 1991, 177-291; K.-W. Niebuhr, Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, Tübingen 1992; zu beiden Werken: F. W. Horn, Saulus. Neuere Arbeiten zum vorchristlichen Paulus, ZRGG 46 (1994) 65-69. Außerdem jetzt: K. Haacker, Paulus. Der Werdegang eines Apostels, SBS 171, Stuttgart 1997 (Lit.!); ders., Zum Werdegang des Apostels Paulus. Biographische Daten und ihre theologische Relevanz, ANRW II 26/2, Berlin/New York 1995, 815-938 und 1924-1933. Eine erste Skizze findet sich in ders., Die Berufung des Verfolgers und die Rechtfertigung des Gottlosen. Erwägungen zum Zusammenhang zwischen Biographie und Theologie des Apostels Paulus, ThBeitr 6 (1975) 1-19.

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Theologie auf Paulus erarbeitet wird.3 Sodann liegen eine Reihe hervorragender Arbeiten zu den Stätten der paulinischen Missionsarbeit, ihren jeweiligen Bedingungen und Möglichkeiten vor.4 Schließlich nenne ich die Aufmerksamkeit für alle Fragen zur Chronologie des Paulus als die Voraussetzung zum Verständnis der Theologie.5 Während aber bislang vornehmlich die Anfänge der paulinischen Wirksamkeit dieser Fragestellung, theologische Positionen von ihrem biographischen Hintergrund her zu erhellen, ausgesetzt wurden, werden Arbeiten zum Ende des Paulus auf einem entsprechenden Niveau vermißt.6 Dieser Sachverhalt ist nicht der Quellenlage anzulasten. Während fur die Zeit des vorchristlichen Paulus und fur die Zeit seiner Wirksamkeit vor der ersten Missionsreise nur wenige Quellen zur Verfugung stehen, wird das Ende des Paulus - der Tod des Paulus und die auf ihn hinfuhrenden und ihn verursachenden Faktoren - in etlichen neutestamentlichen und frühchristlichen Texten angesprochen, zumindest aber reflektiert. Unter ihnen wiederum befinden sich mehrere Selbstzeugnisse des Paulus. Allerdings kulminieren 3

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M. Hengel und A. M. Schwemer, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien. Die unbekannten Jahre des Apostels, mit einem Beitrag von E. A. Knauf, WUNT 108, Tübingen 1998; R. Riesner, Die Frühzeit des Apostels Paulus. Studien zur Chronologie, Missionsstrategie und Theologie, WUNT 71, Tübingen 1994. Exemplarisch seien genannt die Arbeiten zu Philippi: L. Bormann, Philippi. Stadt und Christengemeinde zur Zeit des Paulus, NT.S 78, Leiden u.a. 1995; P. Pilhofer, Philippi I. Die erste christliche Gemeinde Europas, WUNT 87, Tübingen 1995. Ebenso die Arbeiten zu Ephesus: W. Thiessen, Christen in Ephesus. Die historische und theologische Situation in vorpaulinischer und paulinischer Zeit und zur Zeit der Apostelgeschichte und der Pastoralbriefe, TANZ 12, Tübingen/Basel 1995; M. Günther, Die Frühgeschichte des Christentums in Ephesus, ARGU I, Frankfurt a.M. u.a. 1995; R. Strelan, Paul, Artemis and Jews in Ephesus, BZNW 80, Berlin/New York 1996. Es gibt weitere Untersuchungen zum Thema. Sie werden von E. J. Schnabel, Die ersten Christen in Ephesus. Neuerscheinungen zur frühchristlichen Missionsgeschichte, NT 41 (1999) 349382 besprochen. G. Lüdemann, Paulus, der Heidenapostel I. Studien zur Chronologie, FRLANT 123, Göttingen 1980, 6 kündigte eine Darlegung der paulinischen Theologie an, die sich an der Rekonstruktion der Chronologie des Paulus orientiert. U. Schnelle, Wandlungen im paulinischen Denken, SBS 139, Stuttgart 1989, 91 betont: „Die Wandlungen im paulinischen Denken verdeutlichen, daß die Theologie des Apostels nicht auf einmal 'da' war." Der TRE-Artikel von Hübner, Paulus, der der bereits angesprochenen Interdependenz grundsätzlichen Charakter zum Verständnis Pauli zuweist, bedenkt diese Zusammenhänge im Kontext des Endes des Apostels an keiner Stelle. Symptomatisch scheint die Auskunft bei G. Bornkamm, Paulus, Stuttgart 1969, 120: „So verlieren sich die Schicksale seiner letzten Lebensjahre bis zu seinem Ende im Dunkel." Eine Ausnahme stellt der die Quellenlage referierende und die historischen Wahrscheinlichkeiten sauber abwägende Abschnitt bei K. H. Schelkle, Paulus. Leben - Briefe - Theologie, EdF 152, Darmstadt 1981, 69-71 dar.

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hier die historischen und theologischen Probleme, die je für sich wohl öfters angesprochen worden sind, einer wirklich gründlichen Zusammenschau aber noch entbehren. Nach Rom 15,22-33 tritt Paulus eine Jerusalemreise an, die der Übergabe der in den heidenchristlichen Gemeinden gesammelten Kollekte an die Jerusalemer Urgemeinde dient, jedoch mit der Befürchtung, diese Kollekte werde von der judenchristlichen Gemeinde nicht angenommen, und der Angst vor der Feindschaft der jüdischen Gemeinde. Der Bericht der Apostelgeschichte benennt wohl die Umstände, die nach der Ankunft in Jerusalem zur Festnahme des Paulus gefuhrt haben, verschweigt dem Leser aber den Ausgang des langwierigen und in allen Sachfragen (Anklagegrund, Zuständigkeit der Behörden, Appellationsrecht) ungenau beschriebenen Prozesses gegen Paulus, obwohl im Handlungsgang der Apostelgeschichte bereits in Act 20,25 ein deutlicher Hinweis auf das Ende des Paulus gegeben worden ist. Dieses relativ offene Ende der Apostelgeschichte läßt Fragen aufkommen: Hat Paulus in Rom noch wirksam sein können? Hat er hier möglicherweise den Philemon-7 und Philipperbrief8, oder zumindest Teile des letzteren Schreibens, und auch den 2. Timotheusbrief9 diktieren können? Ist 2 Tim 4,16f, selbst wenn der Brief kein authentisches Schreiben des Paulus sein sollte, „ein uraltes Zeugnis für die Befreiung des P. aus seiner sonst bekannten römischen Gefangen7

Während fast alle neueren Kommentare (Stuhlmacher, Lohse, Gnilka, Wolter, Binder, Lampe) für eine Abfassung in Ephesus votieren, ordnet U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 3 1999,159f (und Anm. 440) den Philemonbrief dem Philipperbrief nach, aber beide in die römische Gefangenschaft. Es ist im Fall einer Abfassung des Philipperbriefs in römischer Gefangenschaft ein nicht unwichtiger Aspekt für die weitere paulinische Chronologie und also für das Thema Das Ende des Paulus mitzubedenken. Da Paulus in Phil 2,24 die Zuversicht ausspricht, „er werde bald nach Philippi kommen", wäre folglich ein positiver Ausgang der Haftsituation und ein Freispruch durch kaiserliches Urteil erwartet. Es wäre aber zugleich der noch in Korinth bei der Abfassung des Römerbriefs ausgesprochene Wunsch, über Rom nach Spanien zu reisen (Röm 15,28), aufgegeben, zumindest aber „verschoben" worden (so Schnelle, Einleitung 147).

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Lüdemann, Paulus I, 142 Anm. 180 erwägt die Abfassung in römischer Gefangenschaft, auch weil die Kollekte - sie scheint vor der letzten Jerusalemreise beendet worden zu sein - keine Erwähnung mehr findet. Ausführlich jetzt wieder zur römischen Gefangenschaft als dem Abfassungsort des Phil: Schnelle, Einleitung, 146-148; P. Wiek, Der Philipperbrief. Der formale Aufbau des Briefs als Schlüssel zum Verständnis des Inhalts, BWANT 135, Stuttgart 1994, 182-185. Allerdings wird die ephesinische Abfassung des Phil weitaus häufiger vertreten: vgl. nur den Überblick bei H. Balz, Art. Philipperbrief, TRE 26 (1996) 504-513, 508. M. Prior, Paul the Letter-Writer and the Second Letter to Timothy, JSNTS 23, Sheffield 1989, 61-90 nimmt eine Freilassung aus der römischen Gefangenschaft und Abfassung des 2 Tim in Rom an.

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schaft und eine erfolgreiche Wiederaufnahme seiner Missionsthätigkeit im Occident"10? Wie wäre der Philipperbrief aufzunehmen und auszulegen, wenn man ihn konsequent als Brief eines Gefangenen in Rom versteht, der mit der Möglichkeit des Todesurteils rechnen muß? Hat Paulus die römische Gefangenschaft verlassen können, wie Euseb, hist eccl II 22,2 berichtet, um mit Bezug auf 2 Tim - nochmals auf Missionsreise in den Osten, oder aber nach Actus Vercellenses 1-311 und Canon Muratori 38 12 hingegen eben nach Spanien13, zu gehen und im Anschluß an diese Reise in Rom bei einem zweiten Aufenthalt das Martyrium zu erleiden. Kann die Auskunft, Paulus sei mit seiner Predigt bis an die Grenze des Westens gelangt (1 Clem 5,5-7)14, auf Spanien bezogen werden und aus welchem Wissen oder aus welcher Überlieferung leitet sich diese Notiz ab? Weshalb fehlen Berichte über diese Spanienmission? Was soll einen zweiten Romaufenthalt motiviert haben, will Paulus doch nach Rom 15 Rom nur aufsuchen, um mit der Hilfe der römischen Gemeinde die Spanienmission antreten zu können? Schließlich ist die Frage zu stellen: Hat es neben Act 21-28 einen weiteren Reflex in den neutestamentlichen Schriften auf die Überfuhrung des Paulus als Gefangener nach Rom gegeben? Martin Hengel hat vorgeschlagen, den So Th. Zahn, Art. Paulus, der Apostel, RE 15 (31904) 61-88, 86. Ohne die Diskussion hier vorwegnehmen oder gar abschließen zu wollen, sei doch auf folgende Literatur hingewiesen: Die wesentlichen Textbelege und Argumente, die für die Fixierung der Abfassungssituation des 2 Tim heranzuziehen sind, hat M. Dibelius, Die Pastoralbriefe, 4. ergänzte Aufl. von H. Conzelmann, HNT 13, 1966 in zwei Exkursen (94-97) zusammengestellt und hierbei die Wahrscheinlichkeiten einer zweiten römischen Gefangenschaft ausfuhrlich, in der Sache freilich ablehnend, diskutiert; außerdem in entsprechender Zielsetzung P. Trümmer, Die Paulustradition der Pastoralbriefe, BET 8, Frankfurt a.M. u.a. 1978. Nach Michael Wolter, Die Pastoralbriefe als Paulustradition, FRLANT 146, Göttingen 1988, 17 lassen sich die „z.T. äußerst detaillierten 'auto'biographischen Angaben und persönlichen Notizen der Pastoralbriefe ohne Mühe als geläufiges pseudepigraphisches Stilmittel erweisen, das dazu dient, dem Leser den Eindruck der Authentizität der Briefe zu vermitteln." In diesem Sinn argumentiert auch M. Frenschkowski in seinem Beitrag in diesem Band. 11 Die Textausgabe findet sich bei R. A. Lipsius und M. Bonnet, Acta Apostolorum Apocrypha I, Darmstadt 1959 (Nachdruck); eine deutsche Übersetzung bei W. Schneemelcher, Petrusakten, in: ders. (Hg.), Neutestamentliche Apokryphen II, Tübingen 5 1989,258-261. 12 Der Text findet sich bei H. Lietzmann, Das Muratorische Fragment und die monarchianischen Prologe zu den Evangelien, KIT 1, Bonn 1921; eine deutsche Übersetzung bei W. Schneemelcher (Hg.), Neutestamentliche Apokryphen I, Tübingen 6 1990, 27-29. 13 Vgl. zu den ältesten Zeugnissen für eine Spanienmission: A. Lindemann, Die Clemensbriefe. Die Apostolischen Väter I, HNT 17, Tübingen 1992, 39. Vgl. hierzu den Beitrag von B. Wander in diesem Band. 14 Vgl. zur Auswertung von 1 Clem 5 den Beitrag von H. Löhr in diesem Band. 10

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Jakobusbrief als antipaulinische Polemik zu verstehen, genauer „... als Rundschreiben an die außerhalb Palästinas liegenden, ganz überwiegend heidenchristlichen Gemeinden einige Zeit nach der Verhaftung des Paulus bzw. seiner Überführung als Angeklagter nach Rom zwischen 58 und 62 ..."15. Die vorgeschlagene Frühdatierung des Jakobusbriefs und Zuweisung der Autorschaft an den Herrenbruder Jakobus, der im Jahr 62 n.Chr. hingerichtet wurde (Jos, ant 20,197-203), erfreut sich gegenwärtig wieder etlicher Zustimmung, teilweise allerdings in Verbindung mit Sekretärshypothesen. Ob der Herrenbruder Jakobus in solch hohem Maße in einen Gegensatz zu Paulus gestellt werden darf, erscheint doch von den Aussagen der Act wie von denjenigen des Jak her problematisch. Nach der Quellenlage der Act einerseits sind es doch Jakobus und die bei ihm versammelten Ältesten, die Paulus vor einer judenchristlichen, deutlich antipaulinisch eingestellten Gruppierung warnen (Act 21,18-26). Für die Auslegung des Jakobusbriefs andererseits ist an das Votum des neuen Kommentars von Christoph Burchard zu erinnern: „... die Mindermeinung wächst, daß Jak ... sich weder mit dem Apostel direkt oder in Gestalt von Paulusbriefen... auseinandersetzt."16 Solange die kritische Zusammenschau der Quellen, die den jeweiligen historischen, theologischen und literaturgeschichtlichen Aspekten Rechnung trägt, unterbleibt, gedeihen Spekulationen, die an den Texten oft einen geringen, gelegentlich aber auch keinen Anhalt haben. Überwiegend wird der Tod des Paulus in der Regierungszeit Neros angesetzt, ohne dies mit der neronischen Verfolgung der Christen und den bei Tacitus, ann XV 44 genannten Strafen zu verbinden. Die Paulusakten; Tertullian, praescr 36,3; Euseb, hist eccl II 25,5; dem ev III 5,65; Hippolyt, comm in Dan II 36 u.a. sprechen recht einmütig von der Enthauptung durch das Schwert als Todesart des Paulus.17 Hier ist auch die Überlieferung der römischen Gemeinde zu bedenken, in der allerdings eine Angleichung der Martyrien des Petrus und des Paulus anein-

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M. Hengel, Der Jakobusbrief als antipaulinische Polemik, in: G. F. Hawthorne and O. Betz (ed.), Tradition and Interpretation in the New Testament. FS E. Earle Ellis, Grand Rapids/Tübingen 1987, 248-278,252. Ch. Burchard, Der Jakobusbrief, HNT 15/1, Tübingen 2000, 18f. Texte bei W. Bauer, Das Apostelbild in der altchristlichen Überlieferung, in: W. Schneemelcher (Hg.), Neutestamentliche Apokryphen II, Tübingen 4 1971,11 -41,39-41. Darüber hinaus sind die Ausführungen von Th. Zahn, Einleitung in das Neue Testament. Mit einer Einführung von R. Riesner, Wuppertal/Zürich 1994 (Nachdruck der dritten Auflage, Leipzig 1906/1907, 439-462) in § 36 (Der Lebensausgang des Paulus) hinsichtlich des altkirchlichen Materials unverzichtbar. Gelegentlich wird Hippolyt, comm in Dan III 29 als Beleg für die Todesart "Tierkampf herangezogen. Hippolyt bezieht sich hier allerdings auf den in den Paulusakten geschilderten Löwenkampf in Ephesus.

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ander stattgefunden hat.18 Aus der gegenwärtigen Forschung zähle ich zu den problematischen Mutmaßungen, Paulus sei als freier Mann nach Rom gereist.19 Hierfür muß der Apostelgeschichte-Bericht gegen seine Aussagen herhalten. Das Martyrium des Paulus in Rom wird häufig ohne präzise Verknüpfung mit den Konflikten, welche die paulinische Mission begleitet haben, und ohne Berücksichtigung der näheren Umstände, die zur Festnahme in Jerusalem geführt haben, betrachtet. Es wird sodann isoliert von dieser Vorgeschichte im Umkreis der neronischen Christenverfolgung angesiedelt.20 Häufig werden der "relativ offene Schluß der Apostelgeschichte" und die Angaben erneuter missionarischer Wirksamkeit des Paulus in den Pastoralbriefen als Hinweise auf die Möglichkeit einer erfolgten Spanienmission nach der Freilassung aus römischer Gefangenschaft betrachtet. 1 Mit dieser Möglich-

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Ich verweise hierzu auf die soeben erschienene Studie von H.-G. Thümmel, Die Memorien filr Petrus und Paulus in Rom. Die archäologischen Denkmäler und ihre literarische Tradition, AKG 76, Berlin 1999, welche die grundlegende Arbeit von H. Lietzmann, Petrus und Paulus in Rom. Liturgische und archäologische Studien, AKG 1, Berlin/Leipzig 2 1927 ergänzt. Wichtige frühe Belege für die Zusammenstellung von Petrus und Paulus in frühchristlicher Literatur: IgnRöm 4,3; 1 Clem 5; Dionys von Korinth bei Euseb, hist eccl II 25,8; Iren, adv haer III 1,1. 19 Diese These ist von W. Schmithals mehrfach vorgelegt worden: ders., Der Römerbrief. Ein Kommentar, Gütersloh 1988, 540; ders., Die Apostelgeschichte des Lukas, ZBK.NT 3/2, Zürich 1982, 112f.219f.235 u.ö. 20 So etwa bei C. Clemen, Paulus. Sein Leben und Wirken, I. Teil: Untersuchung, Gießen 1904, 410. Zuletzt hat sich O. Böcher, Art. Petrus I, TRE 26 (1996) 263-273 dafür ausgesprochen, mit Blick auf 1 Clem 5,4-7 von einem Märtyrertod des Petrus und des Paulus in Rom unter Nero (um 65 n.Chr.) auszugehen. R. E. Brown, An Introduction to the New Testament. The Anchor Bible Reference Library, New York 1997, 436 hält eine Hinrichtung gleichzeitig mit Petrus im Jahr 64 oder unabhängig davon im Jahr 67 für wahrscheinlich. Diese letztere Spätdatierung findet sich auch bei Zahn, Einleitung 447. Die über 1 Clem 5 hinausgehenden Nachrichten im Zusammenhang der Neroverfolgung hat P. Lampe, Die stadtrömischen Christen in den ersten beiden Jahrhunderten. Untersuchungen zur Sozialgeschichte, WUNT11/18, Tübingen 21989, 65-67 zusammengestellt. 21 In der älteren Literatur ist diese Sicht häufig und bei Forschern unterschiedlicher Provenienz anzutreffen. Nach Th. Zahn, Die Apostelgeschichte des Lucas, KNT V/2, Leipzig/Erlangen 1921, 861 hat Lukas schon bei der Abfassung der Apostelgeschichte den Plan gehabt, ein drittes Buch folgen zu lassen, in dem er den abrupt fallen gelassenen Faden des Schlusses der Apostelgeschichte aufiiehmen und zu Ende führen wollte. In der Einleitung in das Neue Testament behandelt Zahn in Kap. VI die Briefe aus der ersten römischen Gefangenschaft. Kritisch zu dieser These seinerzeit A. von Harnack, Beiträge zur Einleitung in das Neue Testament III. Die Apostelgeschichte, Leipzig 1908, 47-50, der allerdings gleichfalls die Meinung vertritt, daß zwischen dem Ende der zwei Jahre in Rom und dem Tod des Paulus noch eine längere Wirksamkeit des Apostels gelegen habe, die aber für den Gang der Missionsgeschichte nicht mehr von großer Bedeutung gewesen sei (50). O. Holtzmann, Neutestamentliche Zeitgeschichte, Gießen

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keit rechnen auch Martin Hengel und Anna Maria Schwemer, wenn sie in der beigefügten Zeittafel ihres gemeinsamen Werks auf die Romreise im Jahr 59/60 n.Chr. die Spanienreise im Jahr 62 n.Chr. (mit Fragezeichen versehen) folgen lassen und das Martyrium nach einer Rückkehr nach Rom im Jahr 64 n.Chr. ansetzen.22 Deutlicher ist die Einleitung von Donald A. Carson u.a., die auf den ersten Rombesuch eine Mission im Osten und sodann eine erneute Verhaftung und Hinrichtung in der Zeit Neros annehmen.23 Schließlich bedarf das frühchristliche, außerneutestamentliche Quellenmaterial einer kritischen, aber unvoreingenommenen und gründlichen Sichtung.24

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Die Kollektenreise des Paulus nach Jerusalem 2.1 Die Absicht der Reise

Um die Ereignisse, die das Ende des Paulus - nämlich seinen Tod und die auf ihn hinführenden und ihn verursachenden Faktoren - bewirken, angemessen aufzunehmen und verstehen zu können, ist mit der letzten Jerusalemreise des Paulus einzusetzen. Sie erfolgt ausschließlich in der Absicht, die in den paulinischen Gemeinden gesammelte Kollekte für die judenchristliche Gemeinde Jerusalems zu überbringen und wird mehrheitlich in das Jahr 56/57 n.Chr.

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1903, 145-147 rekonstruiert aufgrund der Angaben der Pastoralbriefe den möglichen weiteren Missionsverlauf nach der ersten Freilassung in Rom. G. Stählin, Die Apostelgeschichte, NTD 5, Göttingen 4 1970, 329 beschließt seinen Kommentar mit der Bemerkung, das Ende des Buches lasse sowohl die Möglichkeit des Martyriums in Rom wie auch diejenige einer Freilassung und erneuten Mission offen. Diese Annahme wird gelegentlich sogar mit einer Frühdatierung der Apostelgeschichte verbunden. Lukas besitze demnach Informationen ausschließlich bis zur Ankunft in Rom. Vgl. zu den unterschiedlichen Erklärungen des offenen Endes der Act den Beitrag von H. Omerzu in diesem Band. Hengel/Schwemer, Paulus 475. D. A. Carson, D. J. Moo and L. Morris, An Introduction to the New Testament, Grand Rapids 1992, 231. Einen ersten Überblick Uber das zu berücksichtigende Material bietet Bauer, Apostelbild 39-41. Grundsätzlich skeptisch begegnet Haacker, Paulus, 16 den apokryphen Quellen: „Mit größter Skepsis sind Paulus-Überlieferungen in apokryphen Apostelakten zu betrachten, zumal wenn sie aus der Ecke einer judenchristlichen Randgruppe der Alten Kirche stammen."

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datiert.25 Der letzte veritable Jerusalembesuch Pauli anläßlich des Apostelkonvents (49 n.Chr.) liegt mittlerweile gut sieben Jahre zurück. Über weitere Besuche der Heiligen Stadt in der Zwischenzeit schweigt Paulus sich aus. Nach Act 18,22 hat es einen Kurzaufenthalt in Jerusalem zwischen der zweiten und der dritten Missionsreise gegeben, der allerdings nach der Quellenlage im Zusammenhang mit dem Abschluß des Nasiräats steht und eben nicht einen besonderen Kontakt mit der Urgemeinde erwähnt.26 Der Einsatzpunkt bei dieser Reise für die Behandlung des Themas ergibt sich sowohl von Act 20,1-21,40 als auch von Rom 15,22-33 her. Steht nach Lukas diese letzte Reise schon vor der Ankunft in Jerusalem von Seiten der judenchristlichen Gemeinde her unter dem Apostasieverdacht des Apostels (Act 21,21) und führt sie kurz nach der Ankunft zu einem Konflikt im Tempelbereich (Act 21,30), der letztlich zum Prozeß des Paulus fuhrt, so äußert Paulus in Rom 15,30f Befürchtungen, die den von Lukas geschilderten Ereignissen durchaus zuzuordnen sind. Beide in Rom 15,30f vor Beginn der Jerusalemreise angesprochenen Themen - die Angst vor den „Ungläubigen", d.h. der jüdischen Gemeinde in Judäa, und die Sorge um die Annahme der Kollekte durch die Judenchristen in Jerusalem - werden nach dem Bericht aus Act 20f den Untergrund der Ereignisse um die Festnahme in Jerusalem darstellen. Allein die Vorgänge um Trophimus, einen Christen aus der Provinz Asia und nach Act 20,4 ein Mitglied der Kollektendelegation27, stellen eine Begebenheit dar, welche nach den Ausführungen des Römerbriefs nicht voraussehbar war.28 25

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Vgl. etwa die Angaben bei J. Becker, Paulus. Der Apostel der Völker, Tübingen 1989, 32; Hengel/Schwemer, Paulus, 475; R. Jewett, A Chronology of Paul's Life, Philadelphia 1979 (Graph of Dates and Time-Spans). Vgl. zu den näheren Umständen dieser Reise: F. W. Horn, Paulus, das Nasiräat und die Nasiräer, NT 39 (1997) 117-137. Bekanntlich erwähnt Lukas die Kollekte in Act 15 nicht und schweigt auch in Act 20f über sie, obwohl nach Röm 15,25-31 die Überbringung der Kollekte der einzige Anlaß der letzten Jerusalemreise war. Bedenkenswert ist der Vorschlag von D.-A. Koch, Kollektenbericht, 'Wir'-Bericht und Itinerar. Neue (?) Überlegungen zu einem alten Problem, NTS 45 (1999) 367-390, in Act 20,4-21,18 (mit Ausnahme von 20,18-35 und möglicher weiterer Einschübe) einen Bericht der Kollektendelegation zu finden. Allerdings fehlen in der Liste Act 20,4 Namen von Delegationsmitgliedem aus Korinth und Philippi (dazu Koch, Kollektenbericht 376f). Die Ereignisse um Trophimus sind nicht wirklich durchsichtig. Das Auftreten von Trophimus in Jerusalem ist mit der Aussage aus 2 Tim 4,20, Paulus habe Trophimus in Milet krank zurückgelassen, nicht zu vereinbaren. Oder sollte Trophimus nach der Genesung Paulus gefolgt sein? Weitere Versuche, die Angaben in 2 Tim 4,20 und Act 20,4; 21,29 abzugleichen, erwähnt J. Paulien, Art. Trophimus, ABD 6 (1992) 667-668. Nach Act 21,28 lautet der Vorwurf der asiatischen Juden grundsätzlich: Paulus habe Heiden (Plural!) in den Tempel geführt und somit die Heiligkeit der Stätte aufgehoben. Dies kann nur bedeuten, daß Paulus, dem als Jude der Zugang zum inneren Vorhof gestattet

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2.1.1 Die Aussagen in Rom 15,22-33 Die Absicht der letzten Jerusalemreise Rom 15 zufolge ist es, die Kollekte, die Paulus in Makedonien und Achaia fur die Armen unter den Heiligen in Jerusalem (Röm 15,26) gesammelt hat, zu überbringen. Zu dieser Kollekte unter den heidenchristlichen Gemeinden hat Paulus sich nach Gal 2,10 auf dem Apostelkonvent verpflichtet. Er hat diese Sammlung in Galatien durchgeführt (1 Kor 16,1) und in Korinth angeordnet (1 Kor 16,2). 2 Kor 8 und 9 sind von Hans Dieter Betz, einem Vorschlag Günther Bornkamms folgend29, mit gewichtigen Argumenten als zwei ursprünglich selbständige Schreiben angesehen worden, nämlich 2 Kor 8 als Fragment eines Verwaltungsbriefes an die Korinther, 2 Kor 9 als Fragment eines solchen Schreibens an die Achaier, in denen die Kollektenthematik für diese Gemeinden dargelegt wird.30 In Röm 15,26 erwähnt Paulus ausschließlich die geplante Übergabe der Kollekten der Gemeinden in Achaia und in Makedonien. Über das Schicksal der in Galatien gesammelten Kollekte erfahren wir in 1 Kor 16, in 2 Kor 8-9 und in Röm 15 nichts.31 Es verwundert in zweifacher Hinsicht, daß

war, Heiden vom äußeren Vorhof in den Vorhof der Juden im Tempelbereich geführt hat. Da die Grenze zwischen beiden Bereichen im Wissen streng verankert war und sie auch durch Steintafeln in Erinnerung gerufen wurde, wäre ein solcher Akt unverständlich, zumal Paulus nach Röm 15,31 die Reise nach Jerusalem in vollem Bewußtsein um die bestehenden Spannungen zur jüdischen Gemeinde antritt und nach Act 21,15-26 unmittelbar nach der Ankunft in Jerusalem durch die Auslösung der Nasiräer einen Beweis für seine Gesetzestreue liefert. Die Verletzung der Heiligkeit des Tempels stand unter der Ankündigung der Todesstrafe (Jos, bell 5,193f; 6,124-126; ant 15,417; Philo, leg Gai 212; OGIS 598; dazu Ch. Κ. Barrett und C. J. Thornton, Texte zur Umwelt des Neuen Testaments, Tübingen 2 1991, 60). Nach Act 21,29 nun erkennen Juden aus der Asia den ephesinischen Christen Trophimus in Begleitung des Paulus in der Stadt Jerusalem. Nach der lukanischen Darstellung meinen die asiatischen Juden, Paulus habe Trophimus auch in den Tempel geführt. Der Ausdruck το ϊερόν muß sich hierbei auf den ausschließlich Juden vorbehaltenen Tempelbereich beziehen. Die lukanische Darstellung läßt offen, ob Paulus Trophimus wirklich in den Tempelbereich geführt hat. Die Meinung der asiatischen Juden wird weder zurückgewiesen noch korrigiert. Hat Paulus, nachdem die Übergabe der Kollekte möglicherweise gescheitert war, einen letzten demonstrativen Akt gesucht (so dann die Anklage des jüdischen Anwalts Tertullus in Act 24,6a), der durchaus in der Linie seiner frühen tempelkritischen Aussagen lag (1 Kor 3,16; 6,19)? 29 30 31

Bornkamm, Paulus 247f. H. D. Betz, 2. Korinther 8 und 9. Ein Kommentar zu zwei Verwaltungsbriefen des Apostels Paulus, Gütersloh 1993. Ausführlich zur Auswertung dieses Sachverhalts Lüdemann, Paulus I, 114-119: Die Fortführung der Kollekte sei im Zusammenhang mit der gegnerischen Agitation gegen Paulus zum Erliegen gekommen.

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Paulus nach Rom 15,28 selbst die Kollekte überbringen will. Einerseits blickt Paulus von Korinth aus, wo er den Rom diktiert, bereits auf sein nächstes Missionsziel Spanien (Rom 15,24), das er, nachdem er Rom besucht hat, ansteuern möchte. Für diese Planung ist die Jerusalemreise eine langfristige Unterbrechung bzw. ein Umweg. Andererseits hatte Paulus wenige Jahre zuvor in 1 Kor 16,3f die Überbringung der Kollekte durch eine von ihm mit Empfehlungsbriefen ausgestattete Delegation vorgesehen, der er nicht unbedingt angehören wollte. Aber bereits nach 2 Kor 8,19f spricht er die Absicht aus, die Kollekte gemeinsam mit Titus zu überbringen. Was begründet jetzt, wenige Jahre später, seine Teilnahme an dieser Delegation? Weshalb lohnt die Mühe jetzt und zur Zeit der Abfassung des 1 Kor noch nicht? Schließlich ist zu bedenken, daß die Überbringung der Kollekte unter einem gewissen zeitlichen Druck zu stehen scheint. Nach 2 Kor 9,5 sendet Paulus Boten nach Achaia voraus, deren Aufgabe es ist, die Kollekte bis zur Ankunft des Paulus zum Abschluß zu bringen. Nach Act 20,16 fahrt Paulus auf dem Weg nach Jerusalem an Ephesus vorbei, um keine Zeit zu verlieren. Was begründet diese Hast? Seit dem Apostelkonzil und dem auf ihm gefaßten Beschluß über die Kollekte sind gut sieben Jahre vergangen. Wird die Gabe des Paulus, deren Einsammlung nicht nur in Galatien, sondern wohl auch in Korinth zwischenzeitlich zum Erliegen gekommen ist32, noch als das anerkannt werden, als was sie ursprünglich angesehen war?

2.1.2 Die Aussagen in Act 20,1 -21,14 Die Absicht der letzten Jerusalemreise nach Act 20,1-21,14 bleibt relativ unbestimmt33, auf jeden Fall wird die Kollekte nicht erwähnt.34 Dies verwun-

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Vgl. hierzu die Ausführungen von Betz, 2. Korinther 8, 251-256, die das zwischenzeitliche Erliegen der Kollekte mit dem in Korinth gegenüber Paulus erhobenen und im Zusammenhang der Kollekte thematisierten Vorwurf der Selbstbereicherung verbinden. Auffällig ist jedoch die literarische Gestaltung, insofern durch vielfache Angleichung an das Geschick Jesu (vgl. etwa Act 19,22 mit Lk 9,52) und durch verdeckte Leidensaussagen (Act 20,23.25; 21,11.13) die Reise als Weg zum Martyrium (vgl. Act 19,21 mit Lk 9,51) erkennbar wird. Haacker hat (in einem mündlichen Hinweis, auf den sich Koch, Kollektenbericht 380 bezieht) das Verschweigen der Kollekte durch Lukas damit erklären wollen, daß Lukas die politische Problematik der unerlaubten Geldausfuhr aus römischen Provinzen aus apologetischen Erwägungen umgehen wolle. Allerdings sind die von Haacker herangezogenen Texte (vor allem Cic, Flacc 66-69) nicht beweiskräftig. Von dem Senatsbeschluß waren die Zahlungen jüdischer Gemeinden für den Jerusalemer Tempel ausgenommen. Außerdem wäre diese Geldbewegung innerhalb des römischen Reichs

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dert, wenn Lukas wirklich, wie Dietrich-Alex Koch erwogen hat, in diesem Textkomplex einen Bericht der Kollektendelegation verarbeitet hat.35 Es muß noch mehr verwundern, wenn Lukas wirklich, wie Martin Hengel dargelegt hat, Augenzeuge des letzten Jerusalembesuches des Paulus gewesen wäre. In Act 20,3 wird erstmals die Absicht, in die Provinz Syrien auf dem Seeweg zu reisen, erwähnt. Wegen der feindlichen Einstellung der örtlichen Juden nimmt Paulus, in Begleitung einer Delegation, allerdings zunächst den Landweg und geht erst in Philippi an Bord. Nach Act 20,16 will Paulus in der Provinz Asia keine Zeit verlieren, um am Pfingstfest in Jerusalem zu sein, was ihn jedoch nicht hindert, sich in Milet mit den ephesinischen Presbytern zu treffen. Wer Rom 15 gelesen hat, fragt sich unwillkürlich, weshalb Lukas jegliche Erwähnung der Kollekte im Zusammenhang seiner Schilderung der letzten Jerusalemreise vermeidet, obwohl Act 24,17 eine Kenntnis des Vorgangs andeutet. Gerd Lüdemann hielt, ebenso wie viele andere Exegeten der Apostelgeschichte, nur eine Schlußfolgerung für möglich: „Lukas meidet in Apg 21 absichtlich das Kollektenthema, weil die von ihm benutzte Quelle von einem Scheitern ihrer Übergabe bzw. von ihrer Ablehnung berichtete."37 Auf jeden Fall wird man, gerade weil die Kollektenthematik in der Apostelgeschichte ausgeblendet wird, die wenigen Aussagen aus Rom 15,30i sehr viel gründlicher lesen müssen, um die Ereignisse in Jerusalem verstehen zu können. Welchen Ausdruck und welche sprachliche Form finden die von Paulus ausgesprochene Sorge um die Annahme der Kollekte und die Angst vor der jüdischen Gemeinde, und wie sind sie begründet?

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verblieben, denn Palästina war eine römische Provinz; vgl. zur Kritik ausführlich: Koch, Kollektenbericht 380 Anm. 41 und 42. Koch, Kollektenbericht 376-381. M. Hengel, Jakobus der Herrenbruder - der erste 'Papst'?, in: E. Gräßer und O. Merk (Hg.), Glaube und Eschatologie, FS Werner Georg Kümmel, Tübingen 1985, 71-104. Erneut vorgetragen in: Hengel/Schwemer, Paulus, 219 Anm. 886. G. LUdemann, Das frühe Christentum nach den Traditionen der Apostelgeschichte. Ein Kommentar, Göttingen 1987,245. Es sei nur nebenbei darauf verwiesen, daß sich mit der Betonung von Röm 15,30f der sogenannte kirchenpolitische Ansatz der Auslegung des Römerbriefs verbindet; vgl. etwa die Ausführungen von U. Wilckens, Der Brief an die Römer, EKK VI/1, Zürich u.a. 1978, 43-46. Eine grundsätzliche Würdigung von Röm 15,14-33 für die Auslegung des Römerbriefs insgesamt bietet P. Müller, Grundlinien paulinischer Theologie (Röm 15,14-33). KuD 35 (1989) 212-234. W. Schmithals, Der Römerbrief als historisches Problem, StNT 9, Gütersloh 1975 rechnet Röm 15,14ff zu einem zweiten Brief an die Römer. Die literarkritische Scheidung bezieht sich auf Differenzen in Sachaussagen im Römerbrief und ordnet sie unterschiedlichen Situationen zu. Die Abfassungszeit des sogenannten Römerbriefs Β wird von Schmithals vor den Aufbruch nach Jerusalem gelegt, wenn auch der präzise Abfassungsort offen bleiben muß ( 182f).

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2.2 Die Aufforderung zur Fürbitte und die Situation des Paulus Übergeordnet ist die Aufforderung an die römischen Christen, zusammen mit Paulus fur ihn zu kämpfen vor Gott durch Gebete. Ulrich Wilckens nennt diese Bitte angesichts der Situation, in der Paulus sich befindet, einen kirchenpolitisch-diplomatischen Akt.39 Der Inhalt der Gebete soll sein, daß Paulus vor den Ungläubigen errettet und daß die Kollekte angenommen werde.40 Die Aufforderung zum Gebet wird begründet und motiviert δια του κυρίου ήμών Ίησου Χρίστου καί δια της άγάπης του πνεύματος. Dieser Satzteil hat in der Verbindung von stellvertretendem Gemeindegebet und Wissen um den Beistand des Geistes bzw. den Beistand Jesu Christi eine gewisse Nähe zu Phil 1,19. Paulus spricht hier die Erwartung aus, daß die Gefangenschaftssituation sich wenden wird zum Heil δια της ύμών δεήσεως καί έπιχορηγίας του πνεύματος Ίησου Χρίστου. Auch ist an die Verbindung von Gemeindegebet, Gabe des Geistes und Freimut zum Zeugnis in Act 4,2931 bzw. an den Beistand des Geistes bei den Bekennern vor feindlichen Behörden (Mk 13,11; Mt 10,20) und an die Errettung aus Todesnot durch das Gemeindegebet (2 Kor 1,1 Of41) zu erinnern. Es scheint sich hierbei um einen relativ festen Motivbereich zu handeln, auf den im Angesicht äußerster Bedrängnis zurückgegriffen wird; in Phil 1,19 und 2 Kor 1,11 in Todesbedrängnis. In Phil 1,20-24 wird das erwartete Heil, die Christusgemeinschaft, durch 39 40

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U. Wilckens, Über Abfassungszweck und Aufbau des Römerbriefs, in: ders., Rechtfertigung als Freiheit. Paulusstudien, Neukirchen-Vluyn 1974, 110-170, 128. Gelegentlich wird gefragt, ob die Aufforderung zum Gebet sich auf beide Anliegen oder ausschließlich auf die Errettung vor den Ungläubigen bezieht; vgl. O. Michel, Der Brief an die Römer, KEK IV, Göttingen "1966, 373. W. Schmithals, Paulus und Jakobus, FRLANT 85, Göttingen 1963, 67 hat darauf aufinerksam gemacht, daß in 15,31 zwischen κ α ί und ή διακονία kein ί ν α zu lesen sei (so aber etliche HSS). Daher gelte, daß „Paulus von einer Furcht bewegt wird und die Bedrohung durch die Juden mit der möglichen Ablehnung der Kollekte einen Zusammenhang bildet". Betrachtet man allerdings die faktische Feindschaft, die Paulus in Jerusalem gemäß Act 21,15 ff widerfährt, so wird man die in Röm 15,31 ausgesprochene Sorge nicht allein durch die Verweigerung der Kollekte begründet sein lassen können. Paulus verwendet in Röm 15,30 (συναγωνίζειν) und in 2 Kor 1,11 (συνυπουργεΐν) für die Unterstützung durch das Gemeindegebet Komposita mit συν. Κ. Haacker, Der Brief des Paulus an die Römer, ThHK 6, Leipzig 1999, 313 Anm. 61 verweist auf den gelegentlich belegten Gebrauch von συναγωνίζειν für die Unterstützung von Gesandten in diplomatischen Verhandlungen. Blickt man noch auf das weitere Kompositum mit συν in Röm 15,32 (συναναπαύσωμαι ύμΐν), gewinnt man den Eindruck, daß Paulus die römische Gemeinde eng in seinen bedrohlichen Weg einbeziehen will. W. Wuellner, Paul's Rhetoric of Argumentation, in: Κ. P. Donfried (ed.), The Romans Debate, Peabody 1995, 128-146 verweist auf die rhetorische Gestaltung der „intercessory prayer in epistles" (138).

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den Tod, speziell wohl erst im Tod des Märtyrers, erreicht.42 Ob das Bewußtsein, die Jerusalemreise als Märtyrerreise anzutreten, für Paulus in Rom 15,30f vorauszusetzen ist, mag einstweilen noch offen bleiben. Der in Rom 15,30f verwendete Motivbereich steht hierzu in großer Nähe und hält auf jeden Fall fest, daß diese Reise in die Situation äußerster Bedrohung fuhren wird.43 Es ist nun den beiden Gebetsinhalten nachzugehen, in denen die römische Gemeinde sich mit Paulus zusammenschließen soll. Möglicherweise kommt in der zuerst genannten Bitte, vor den Ungläubigen in Judäa gerettet zu werden, auch eine stärkere Gewichtung, d.h. eine deutlichere Sorge gegenüber der zweiten Bitte um die Annahme der Kollekte zum Ausdruck.44 In ihr thematisiert Paulus ja sein persönliches Schicksal angesichts der Reise nach Jerusalem, von Klaus Haacker mit einem „Himmelfahrtskommando"45 verglichen. Das Verb ρύεσθαι wird von Paulus ausschließlich in solchen Zusammenhängen gebraucht, wo es, wie in Rom 15,31, um Errettung aus Todesgefahr (2 Kor 1,10; Rom 7,24; auch 2 Thess 3,2) oder um eschatologische Rettung (Rom 11,30; 1 Thess 1,10) geht. Dieses ρύεσθαι άπό των άπειθούντων bezieht sich auf die Juden (vgl. das Verb άπειθεϊν exklusiv in bezug auf die Juden auch in Röm 10,21 [Jes 65,2 LXX], 11,31; in bezug auf Juden und Heiden in Röm 2,8; vgl. auch 11,32). Die lokale Bestimmung έν τη Ίουδαίςι läßt zudem an keine andere Gruppe denken. Allerdings ist der Unterschied zu der zweiten lokalen Bestimmung in Röm 15,31 εις 'Ιερουσαλήμ nicht zu mißachten. Die Gegnerschaft in der jüdischen Gemeinde erstreckt sich auf ganz Judäa (solcher Sprachgebrauch in extensivem Sinn auch in Gal 1,22; 2 Kor 1,16; 1 Thess 2,14) und ist nicht auf Jerusalem begrenzt. Was begründet diese Feindschaft? Haacker hat in der jüdischen Nachstellung, die in Act 20,3 erwähnt wird, und die sodann zur Umstellung des Reisewegs nach Jerusalem fuhrt, den konkreten Anlaß für die Fürbitte in Röm 15,3Of gesehen.46 Doch ist nicht sicher, wie hoch der redaktionelle Anteil an 42

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Daß Paulus in Phil 1,18-26 eine persönliche Heilshoñhung, die sich von dem Sondergeschick jüdischer Märtyrer herleitet, zur Sprache bringt, hat U. B. Müller, Der Brief des Paulus an die Philipper, ThHK 11/1, Leipzig 1993, 56-71 wieder ins Gespräch gebracht. Darauf deutet auch die Genitiwerbindung δια της αγάπης του πνεύματος, die im Angesicht der Feindschaft die Liebe stiftende Funktion des Geistes (Gal 5,22) betont. Hengel/Schwemer, Paulus 219 Anm. 886: „Die Gefährdung durch die Volksgenossen nennt er immer zuerst: dies ist keine Marotte und Erfindung des Lukas." So K. Haacker, Der Römerbrief als Friedensmemorandum, NTS 36 (1990) 25-41, 28. Haacker, Römerbrief 313, der das weitere Umfeld der Auseinandersetzungen mit Juden freilich auch nennt.

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der Verursachung der Änderung der Reiseroute durch jüdische Intervention ist.47 Daher wird man einen weiteren Kontext zu beachten haben. Paulus hat sich und seine Gemeinden mehrfach einer Feindschaft ausgesetzt gesehen, die von den örtlichen Synagogen und wohl auch von den Gemeinden in Judäa und Jerusalem ausging: 2 Kor 11,22-26; Gal 6,12; Phil 3,2; 1 Thess 2,15; von Lukas in der Abschiedsrede Act 20,19 zentral verankert.48 Nach paulinischem Selbstzeugnis kursieren Gerüchte über seine Person in den christlichen Gemeinden in ganz Judäa: „Der uns früher verfolgte, der predigt jetzt den Glauben" (Gal 1,23). Die Verbreitung solcher Personaltraditionen kann nicht auf den Kreis christlicher Gemeinden eingegrenzt werden, sondern wird ihn zu den jüdischen Synagogalgemeinden hin überschritten haben. Eine Abgrenzung der christlichen zur jüdischen Gemeinde kann vor 70 n.Chr. ohnehin nur schwer vollzogen werden. Nach Act 21,21 bezieht sich der Herrenbruder Jakobus gleichfalls auf Gerüchte über Paulus, die nun etlichen tausend Juden, die zum Glauben gekommen und zugleich Eiferer fur das Gesetz geblieben sind, zugetragen wurden: Paulus lehre alle Juden, die unter den Heiden wohnen, den Abfall von Mose und sage, sie sollen ihre Kinder nicht beschneiden und auch nicht nach den Sitten leben 49 Hans Conzelmann hat bei der Auslegung von Act 21,21 m.E. mit Recht die jüdischen Vorwürfe wie folgt kommentiert: „... Paulus ist sich darüber im klaren: Rom 153i."50 In der Interpretation dieser ersten Bitte liegt in dem neuen Kommentar von Haacker eine Verzerrung der Aussagen vor. Paulus bittet die römischen Christen, ihm in Gebeten zu Gott beizustehen, damit er vor den Juden gerettet wird. Des weiteren legt Paulus in Rom 15,22-33 detaillierte Reisepläne dar. Dies schließt m.E. aus, daß Paulus, wie Haacker erwägt, mit der Reise nach Jerusalem „seine in 9,3 geäußerte Opferbereitschaft für Israel unter Beweis stellen wollte"51. Zudem sei historisch nicht auszuschließen, „daß Paulus mit seiner letzten Reise nach Jerusalem ein dortiges Martyrium bewußt in Kauf genommen, wenn nicht geradezu gesucht hat"52, was Haacker anschließend

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A. Weiser, Die Apostelgeschichte, ÖTK 5/2, Gütersloh 1985, 558 erkennt in dem Topos der Juden als Initiatoren eines Anschlags eine redaktionelle Aussage; ebd. ausführliche Diskussion der Belege. Nach Act 20,22f; 21,4.11-14 warnen unterschiedliche Propheten Paulus vor der bevorstehenden Gefahr in Jerusalem. Nach Lüdemann, Christentum 242f spricht für Tradition, daß solche Vorwürfe gegen Paulus nach dem bislang in der Apostelgeschichte vorgetragenen Apostelbild nicht zu erwarten gewesen waren. H. Conzelmann, Die Apostelgeschichte, HNT 7, Tübingen 2 1972, 131. Haacker, Römerbrief 313. Haacker, Römerbrief 182.

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im Licht von Rom 9,3 als „Martyrium für Israel"53 interpretiert. Es ist nicht zu bestreiten, daß Paulus in Rom 9,3 seine Bereitschaft bekundet, in einer dem Sühnetod Christi vergleichbaren Handlung für sein Volk, ihm zugute, hingeopfert zu werden. Doch handelt es sich bei dem einleitenden ηύχόμην wohl um einen Irrealis54, der nicht an eine beabsichtigte wirkliche Selbstopferung denken läßt.55 Vielmehr wird nach Zeller (Luther zitierend) der Irrealis so aufzunehmen sein: Unter dem Zeichen des höchsten Hasses gegen sich selbst macht Paulus die höchste Liebe zum anderen offenbar.56 Die zweite Bitte, es möge sein Dienst für Jerusalem von den Heiligen freundlich angenommen werden, lenkt nun den Blick von der jüdischen Gegnerschaft in Judäa hin zur judenchristlichen Gemeinde in Jerusalem. Mit διακονία spricht Paulus die Kollekte an, deren Einsammlung in den heidenchristlichen Gemeinden für die Urgemeinde, speziell wohl fur die Armen (Gal 2,10; Rom 15,26) in ihr, er nach Gal 2,10 auf dem Apostelkonzil übernommen hatte. Ich übergehe hier die präzise Rekonstruktion des Kollektenwerks, wie es sich aus den paulinischen Aussagen und aus dem (relativen Negativ-)befund der Apostelgeschichte ergibt. Über den unmittelbaren Anlaß der Kollekte herrscht in der Forschung keine Einigkeit. Denkbar ist ein rein wirtschaftlicher Ausgangspunkt, der mit der Verarmung der Jerusalemer Urgemeinde gegeben ist. Ich halte es für wahrscheinlich, daß es in der Frühzeit mehrere Unterstützungsaktionen für Jerusalem gegeben hat, die im wesentlichen von Antiochia ausgingen.57 Als unmittelbarer Ursache für die Kollektenvereinbarung auf dem Apostelkonzil wird die Hungersnot in Palästina im Jahr 47/48 n.Chr. wie auch allgemeine Fürsorge für die Niedrigstehenden in der Urgemeinde genannt.58 Allerdings hält die Zeitform des Präsens in der Kollektenverpflichtung μόνον των πτωχών ι'να μνημονεύωμεν (Gal 2,10) fest, daß es sich keinesfalls um eine einmalige, sondern um eine fortwährende Aktion handeln soll. Freilich steht mit dem auf längere Zeit angelegten Werk die Kollekte auch unterschiedlichen Interpretationen offen. Paulus beschreibt

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Haacker, Römerbrief 182. Ausführlich begründet bei D. J. Moo, The Epistle to the Romans, NICNT, Grand Rapids 1996, 558. Ob der Gesamtrahmen paulinischer Theologie dieses von Haacker erwogene "Martyrium fllr Israel", welches ja einen weiteren "Sonderweg Israels zum Heil" an Christus vorbei darstellt, zuläßt, scheint mir zweifelhaft zu sein (vgl. allerdings Kol 1,24). D. Zeller, Der Brief an die Römer, RNT, Regensburg 1985, 172. Zeller verweist auch darauf, daß der Gebetswunsch in Röm 9,3 mit Röm 8,35-39 nicht abzugleichen ist. Vgl. dazu: F. W. Horn, Die Gütergemeinschaft der Urgemeinde, EvTh 58 (1998) 370383. Dazu Lüdemann, Paulus 1,108f.

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sie in Rom 15,26-27 als einen gerechten Ausgleich auf der Basis einer gegenseitigen Schuldigkeit. Die Heidenchristen erhalten Anteil an den geistlichen Gütern der Judenchristen, diese wiederum Anteil an den materiellen Gütern der Heidenchristen.59 Welche Interpretationen sich bei den Judenchristen in Jerusalem einstellten, entzieht sich unserer Kenntnis.60 Paulus erwähnt in Rom 15,26 ausschließlich die Kollekte aus Makedonien und Achaia, über mögliche Gaben aus Galatien, die er nach 1 Kor 16,1 in einer Kollekte angeordnet hatte, schweigt er.61 Aber auch die Kollekte aus der Achaia und aus Makedonien scheint nicht reibungslos verlaufen zu sein. Nach einer ersten Anordnung muß Paulus in 1 Kor 16,1-4 die Modalitäten der Kollekte erneut ansprechen und schließlich in 2 Kor 8-9 dringlich den Abschluß anmahnen. Nach Rom 15,25 ist das Kollektenwerk jedoch abgeschlossen worden. Was begründet nun die Sorge, die Kollekte werde in Jerusalem möglicherweise abgelehnt werden? Weshalb scheint Paulus nach 2 Kor 9,3-5 plötzlich unter großem Zeitdruck zu stehen, da er eine Delegation zur Einsammlung vorausschickt? Kann man der Einschätzung von Betz folgen: „... es könnte mit der Eskalation der Spannungen in Jerusalem zusammenhängen. In Rom 15,30-31 scheint Paulus die Befürchtung zu äußern, daß es bereits zu spät sei, was tatsächlich der Fall war."62 Oder werden andere, nicht mit dem Kollektenwerk und auch nicht mit möglichen Spannungen im

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Vgl. die Zusammenstellung weiterer theologischer Interpretationen der Kollekte durch Paulus bei Ch. Wolff, Der zweite Brief des Paulus an die Korinther, ThHK 8, Berlin 1989, 165. Vgl. aber den gedrängten Überblick über Interpretationsmöglichkeiten bei G. Klein, Die Verleugnung des Petrus, in: ders., Rekonstruktion und Interpretation. Gesammelte Aufsätze zum Neuen Testament, München 1969, 49-90, 82. Dieses Schweigen (und auch dasjenige über die Sammlung in der Asia nach Act 20,4) kann kaum zufriedenstellend erklärt werden. J. D. J. Dunn, Romans 9-16, WBC 38B, Dallas 1988, 875 vermutet, daß Paulus nur diejenigen Gemeinden erwähne, die in lokaler Hinsicht Rom am nächsten liegen. Demgegenüber hat E. Käsemann, An die Römer, HNT 8a, Tübingen 4 1980, 384 zunächst darauf aufmerksam gemacht, daß Paulus mit Makedonia und Achaia die römischen Provinzbezeichnungen wiedergibt und nicht die konkreten Namen der Gemeinden. Stilisiert Paulus sein Wirken im Sinne einer Vermittlungstätigkeit zwischen Kirchenprovinzen (vgl. ähnlich Th. Zahn, Der Brief des Paulus an die Römer, KNT VI, Leipzig 1910, 602)? Zugleich sei das Schweigen über die Sammlung in Galatien der Versuch, den Charakter der Sammlung als Auflage für das Missionswerk zu verhüllen. Demgegenüber hat Wilckens, Römerbrief 1, 46 die Vermutung ausgesprochen, daß die Gemeinde in Galatien nach dem Auftreten der Judaisten ihre Beteiligung zurückgezogen habe. Betz, 2. Korinther 8 und 9, 175. Schmithals, Paulus 68 Anm. 2 vermutet, daß έάν δέ άξιον η (1 Kor 16,1) bereits anzeige, „daß er wegen der Lage in Jerusalem unschlüssig ist, ob er persönlich nach dort reisen soll."

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Urchristentum zusammenhängende Aspekte ausschlaggebend für die paulinische Sorge sein? Haacker hat in seinem Kommentar zum Römerbrief, in dem er den kirchenpolitischen Ansatz einer Auslegung des Römerbriefs ins allgemeinpolitische ausweiten möchte63, erneut auf den Beschluß der Aufständischen unter dem Tempelhauptmann Eleazar im Jahr 66 n.Chr. verwiesen, von Fremden keine Gaben oder Opfer mehr für den Jerusalemer Tempel anzunehmen. Haacker vermutet: „... diesem Beschluß müssen längere Diskussionen vorausgegangen sein, von denen auch Paulus Kenntnis haben konnte, und er scheint nicht auszuschließen, daß die Gemeinde in Jerusalem die Spenden der Heidenchristen ausschlagen könnte, sei es aus Rücksicht auf die Stimmung in der Bevölkerung oder sogar unter dem Einfluß dieser Abgrenzungsparolen."64 Die von Haacker angesprochene Situation soll kurz beleuchtet werden.65 Nach Jos, bell 2,408f überredet der Tempelhauptmann Eleazar, Sohn des Hohenpriesters Ananias, nachdem die Aufständischen die von den Römern besetzte Burg Masada eingenommen haben, die im Tempel diensttuenden Hohenpriester, sie sollten von Nichtjuden keine Gaben oder Opfer mehr annehmen (μηδενός άλλοτρίου δώρον ή θυσίαν προσδέχεσθαι). Josephus wertet im Rückblick dieses Ereignis als Auslöser des Kriegs gegen die Römer. Obwohl sich nach 2,411 die einflußreichsten Bürger mit den Hohenpriestern und den bedeutenden Pharisäern für die Beibehaltung der seit langem überkommenen Praxis, Geld für den Tempelbau und Weihegeschenke von Nichtjuden anzunehmen (2,413) aussprechen, gelingt es den Aufständischen, die neue Ordnung durchzusetzen. Dies muß ein sehr provokativer Akt gewesen sein.66 Einerseits, weil der sich widersetzende Teil der Jerusalemer je eine Gesandtschaft an Florus und an Agrippa schickt, mit der Bitte, den Aufstand niederzuschlagen. Andererseits kann das jüdische Volk auf eine lange Tradition heidnischer Unterstützung zurückblicken: Jos, ant 18,81f

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Haacker, Römerbrief als Friedensmemorandum 37; vgl. auch 33: Überlagerung von innerkirchlichen und allgemeinpolitischen Spannungen. Haacker, Römerbrief 314f; vgl. auch ders., Exegetische Probleme des Römerbriefs, NT 20 (1978) 1-21; ders., Römerbrief als Friedensmemorandum 33f. Die Vorgänge im einzelnen und der politische Hintergrund der sogenannten Kaiseropfer-Episode sind bei P. Egger, »Crucifixus sub Pontio Pilato«. Das »crimen« Jesu von Nazareth im Spannungsfeld römischer und jüdischer Verwaltungs- und Rechtsstrukturen, NTA 32, Münster 1997, 115f dargestellt. Nach M. Hengel, Die Zeloten, AGJU 1, Tübingen 2 1976, 204-211 kann der 15. Punkt der 18 Halachot, die nach jSchab 3c 34ff Bar im Lehrhaus Rabbi Schammais mit dem Ziel des Abbruchs aller Kontakte zu den Heiden beschlossen worden sind, diesem Ereignis zugeordnet werden.

32

Friedrich Wilhelm Horn

(jüdische Missionare werben bei Heiden um Spenden für Jerusalem); Esr 1,4; 6,8-10; 7,15-22; 2 Makk 3,2 etc.67 Die Vermutung Haackers hat in dieser Zuspitzung m.E. wenig Plausibilität. Auch wenn dem Beschluß der Aufständischen möglicherweise längere Diskussionen vorausgingen68, würden sie über zehn Jahre, also bis in die Zeit der Abfassung des Römerbriefs, zurückreichen? Weshalb hält Paulus an der Sammlung der Kollekte fest, wenn er, wie Haacker vermutet, Kenntnis von dem Beschluß der Aufständischen hatte? Woher weiß Haacker, daß die Jerusalemer Gemeinde, wenn sie die Spenden ausschlägt, gegebenenfalls schon unter dem Einfluß derjenigen Zeloten steht, die doch erst zehn Jahre später einen klaren Beschluß fassen? Das ganze Kollektenwerk und die Abmachung auf dem Konvent werden unverständlich, wenn die Vorbehalte gegenüber heidnischen Geldern schon Jahrzehnte vor Ausbruch des Aufstandes im allgemeinen Bewußtsein waren. Überhaupt wird deutlicher zu unterscheiden sein zwischen heidnischem Geld für den Jerusalemer Tempel (kultischer Aspekt) und heidnischem Geld für Bedürftige unter den Jerusalemer Judenchristen (sozialer Aspekt).69

3

Folgerungen

Die von Paulus ausgesprochene Angst vor der jüdischen Gemeinde in Judäa ist eine präzise Wahrnehmung der eigenen Situation, für die folgende Faktoren bestimmend sind: a) Seit dem antiochenischen Konflikt wird die paulinische Mission in Jerusalem und in den Gemeindegründungen im Westen neben jüdischen Inter67

68

69

Vgl. hierzu den Appendix bei E. Schürer, The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ (175 B.C.-A.D. 135). A New English Version Revised and Edited by G. Vermes, F. Millar and M. Black, Vol. II, Edinburgh 1979, 309-313 (Gentile Participation in Worship at Jerusalem). Die Einschätzung bei Haacker, Römerbrief als Friedensmemorandum 33, der Aufstand sei .jahrzehntelang ideologisch vorbereitet worden", halte ich für überzogen. Es ist deutlich zu unterscheiden zwischen politischen, sozialen bzw. religiösen Motiven der einzelnen Gruppierungen unter den Aufständischen. Es hat unter ihnen bis in die letzte Zeit der Kämpfe in Jerusalem keine einheitliche Ideologie gegeben. Die These der Anbindung eines Teils der frühen Jesusbewegung an zelotische Strömungen kann aus verschiedenen Überlegungen nachvollzogen werden, sie scheidet m.E. aber für die Urgemeinde im Vorfeld des jüdischen Krieges aus, da in dieser Hinsicht die Quellenlage nichts hergibt. Diese Kritik findet sich auch bei U. Wilckens, Der Brief an die Römer, EKK VI/3, Zürich u.a. 1982, 129 Anm. 625; Becker, Paulus 483.

Die letzte Jerusalemreise des Paulus

33

ventionen begleitet von judenchristlichen Missionaren, fur die eine stärkere Bindung an die Jerusalemer Gemeinde und an den von Paulus weithin nicht mehr geteilten jüdischen Rahmen christlicher Theologie bestimmend ist (Act 13,50; 14,2.19; 15,2; 17,5.13; 18,12; 20,3; 2 Kor 11,5.22; Gal 6,12f u.ö.).70 Dieser Antipaulinismus hat sich im Lauf der Zeit verstärkt. Er tritt in Philippi präventiv (Phil 3,2) bereits vor Eintreffen des Apostels auf und erwartet ihn ebenso bereits in Jerusalem (Act 21,20). b) Oftmals hat Paulus den massiven, gelegentlich sogar für ihn lebensbedrohlichen Gegensatz der jüdischen Synagogalgemeinden erfahren (2 Kor 11,24-26). Diese Verfolgungen in der Diaspora dürften den jüdischen Gemeinden in Judäa nicht unbekannt geblieben sein, möglicherweise sogar ihre Unterstützung gefunden haben.71 c) Im weiteren Vorfeld des jüdischen Kriegs ist in Judäa eine zunehmende Distanzierung gegenüber römischem Einfluß zu beobachten. Man kann annehmen, daß innerhalb der Urgemeinde aufgrund ihrer Scharnierstellung zwischen jüdischer Tempelgemeinde und heidenchristlichen Gemeinden in der Diaspora Kontakte zu letzteren sehr sorgsam geprüft wurden, um die eigene Stellung nicht zu gefährden.72 d) Die Verpflichtung für das Kollektenwerk liegt mittlerweile sieben Jahre zurück. Zwischenzeitlich hat Paulus allenfalls ein einziges Mal Jerusalem besucht (Act 18,22), allerdings dann nicht, um die Kollekte abzuliefern. Über den Verbleib der Sammlung in Galatien erfahren wir nichts.73 Die nach Jerusalem mitgefuhrte Kollekte stammt, wie oben erwähnt, aus den Gemeinden in Makedonien und der Achaia. Sie scheint nicht das Ergebnis einer langjährigen Sammlung zu sein, sondern wurde wohl kurz vor der Abreise in Eile fertiggestellt.74

70

71 72

73 74

Käsemann, Römerbrief 392: „... wenn die Konflikte mit der Muttergemeinde seit dem Zwischenfall in Antiochien weitergegangen sind und die Grenze des Abbruchs der gegenseitigen Beziehungen erreicht haben ...". Nach Käsemann „... scheinen die getroffenen Vereinbarungen (des Konzils) gegenstandslos geworden zu sein." Hier wäre etwa an die von Lukas vorausgesetzten Verbindungen der Tempelgemeinde zu Verfolgungen der Christen in der Diaspora zu erinnern (Act 9,lf). Gegenüber Haacker, Römer (s.o.) möchte ich also diese zelotische Stimmung in Jerusalem und den auf sie Bezug nehmenden allgemeinpolitischen Auslegungsansatz nicht überbewerten, als allgemeinen Untergrund der politischen Situation aber auch nicht vernachlässigen; ebenso Dunn, Romans 9-16, 883; Becker, Paulus 483. Wilckens, Abfassungszweck 135 vermutet, daß die galatischen Gemeinden das bei ihnen gesammelte Geld nicht in die paulinische Kollekte haben einfließen lassen. Röm 15,26f bindet die Kollekte nicht mehr an den Beschluß des Apostelkonvents und eine ihm korrespondierende Aufforderung des Apostels, sondern an einen Beschluß der Gemeinden in Makedonien und in der Achaia.

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Friedrich Wilhelm Horn

e) Der Stellenwert von Geldgaben innerhalb der antiken Gesellschaft läßt häufig eine soziale und politische Brisanz erkennen. Paulus spielt in Rom 15,26f bewußt auf den mit der Geldgabe verbundenen Aspekt der Anerkennung des Gebers durch den Empfangenden an und genauso umgekehrt75. Er stellt aber die Kollekte nicht mehr als Lastenausgleich zwischen Armen und Reichen im Sinne von 2 Kor 8,13f dar. Paulus setzt mithin die Kollektenthematik als Mittel für die Anerkennung seiner Mission ein.76 f) Die Darlegung dieser Thematik im Römerbrief kann kaum anders verstanden werden, als daß Paulus darauf baut, daß die römische christliche Gemeinde, möglicherweise auch mit Hilfe der Kontakte zu den römischen Synagogen, sich fìir ihn in Jerusalem bei der Tempelgemeinde und bei der Urgemeinde einsetzt.77 Über den Verbleib der Kollekte kann man nur spekulieren. Die häufig aufgemachte Alternative "Annahme oder Ablehnung" ist möglicherweise zu einfach.78 Das Schweigen der Apostelgeschichte deutet doch wohl an, daß sich die Übergabe nicht reibungslos, auf jeden Fall aber nicht im Sinne ihrer ursprünglichen Intention vollzog. Ich halte es fìir möglich, daß die Aktion zur Auslösung der Nasiräer im Kontext der Kollektenabgabe interpretiert werden kann. Es müßte dies zugleich - und so stellt Act 21,24 es ja auch dar - in der Absicht des Paulus ein letzter Versuch gewesen sein, in Jerusalem seinen rechtgläubigen Standort unter Beweis zu stellen.79 Es ist abschließend die Frage zu stellen: Weshalb entschließt sich Paulus in Abänderung seiner früheren Überlegung (1 Kor 16,1-4) die Kollekte jetzt persönlich nach Jerusalem zu bringen, obwohl er um die Gefahren dieser Reise weiß und obwohl sein Missionsplan ihn nach Spanien führt? Wäre „Paulus nicht besser bei seinem ursprünglichen Plan geblieben ..., die Reise nach Je75 76

77 78 79

J. A. Fitzmyer, Romans, AncB 33, New York 1993, 721 betont für Röm 15 den Sinn der Kollekte als Zeichen der Anerkennung der Muttergemeinde durch die Heidenchristen. Spekuliert Paulus mit der Kollekte auf eine weitreichende Amnestie seiner Person? E. Lohse, Summa Evangelii - zu Veranlassung und Thematik des Römerbriefs, NGWG.PH Göttingen 1993,102: „Darüber war man sich ohne Zweifel auch in Jerusalem im klaren, daß mit einer Ausnahme (sie!) des Geldes zugleich auch eine Anerkennung seiner Geber ... verbunden sein würde." So etwa auch P. Stuhlmacher, Der Brief an die Römer, NTD 6, Göttingen 1989, 215; Fitzmyer, Romans 726. So jetzt wieder Fitzmyer, Romans 726 gegen Dunn, Romans 9-16, 881. Ich habe diesen Vorschlag in Horn, Paulus, das Nasiräat, unterbreitet und freue mich jetzt über Zustimmung durch Koch, Kollektenbericht 380 und Wolter bei Koch ebd., kann aber gegen K. Berger, Theologiegeschichte des Urchristentums. Theologie des Neuen Testaments, Tübingen/Basel 1994, 164 nicht sehen, daß nach „... überwiegender Meinung der Forschung ... Paulus die Kollektengelder in Jerusalem für die in Act 21,16 berichtete Ausweihung der Nasiräer eingesetzt..." hat.

Die letzte Jerusalemreise des Paulus

35

rusalem nicht selbst zu unternehmen ..."80? Weshalb kann die Spanienmission nicht angetreten werden, ohne zuvor persönlich nach Jerusalem gegangen zu sein? Es will scheinen, als hinge die Zukunft der paulinischen Mission an dieser Jerusalemreise. Bei der Beantwortung dieser Frage sind vielleicht „mannigfache Auskünfte von gleicher Wahrscheinlichkeit und Unsicherheit"81 möglich. Meine Vermutung geht dahin, daß einerseits der Verweis auf die Notwendigkeit der Beendigung der Kollekte82 und ihrer „versiegelten" Übergabe83 in Rom 15,28 vor jeglicher weiterer Missionsarbeit anzeigt, daß für Paulus die Einlösung der Kollektenverpflichtung zu diesem Zeitpunkt unabdingbare Voraussetzung jeglicher weiteren Missionsarbeit war. Andererseits aber sucht derjenige Paulus, der den Römerbrief immer mit Blick auf Judäa und Jerusalem geschrieben zu haben scheint84, der vor allem in Rom 911 eine Antwort auf die für ihn sich als Aporie darstellende Rolle Israels angesichts der Verkündigung des Evangeliums gesucht und gefunden hat, nun auch - nach Jahren - die offene Begegnung mit Israel in Judäa und der Urgemeinde in Jerusalem. Er hat die Hoffnung, daß die Gebete der römischen Gemeinde und die Botschaft des Römerbriefs ihm vorausgehen, dennoch wissend, daß diese letzte Reise unter todesbedrohlichen Vorzeichen steht.

80 81 82 83

84

Betz, 2. Korinther 8 und 9, 252. · So O. Kuss, Paulus. Die Rolle des Apostels in der theologischen Entwicklung der Urkirche, Regensburg 1971,204. Έπιτελεω wie in 2 Kor 8,6.11 auf das zu Ende bringen der Kollekte bezogen. Mit Recht vermutet Fitzmyer, Romans 723, daß Paulus mit dem Bild der versiegelten Frucht, welches zweifelsfrei für die Kollekte und den gleichsam mit dem Namen des Paulus versiegelten vollen Betrag stehen soll, Verdächtigungen in Jerusalem gegenüber seinem Kollektenwerk voraussetzt; zustimmend auch Dunn, Romans 9-16, 877. Diese Einsicht von G. Bornkamm, Der Römerbrief als Testament des Paulus, in: ders., Geschichte und Glaube II, BEvTh 53, München 1971, 120-139 ist m.E. fundamental für das Verständnis des Römerbriefs, auch wenn sie nicht einseitig als einziger Abfassungszweck angesehen werden sollte; aufgenommen wurde diese These etwa von Wilckens, Römerbrief I, 46; ders., Abfassungszweck 150; J. Jervell, The Letter to Jerusalem, in: Donfried, Debate 53-64.

Geeske Ballhorn

Die Miletrede - ein Literaturbericht 1

Einleitung

Am Ende der Apostelgeschichte schweigt Lukas über den Tod des Paulus. Daher wurde in der Forschung wiederholt die Frage gestellt, ob er vom Tod des Paulus und vielleicht auch von den näheren Umständen gewusst hat. Zur Beantwortung dieser Frage wurde die Apostelgeschichte auf direkte oder indirekte Anzeichen auf den Tod des Paulus hin untersucht. Die meisten Hinweise scheinen sich in der Miletrede (Act 20,17-35) zu finden. Dieser Literaturbericht geht der Beantwortung der Frage in der neueren Literatur, hauptsächlich der Kommentarliteratur,1 nach: Wusste Lukas um den Tod des Paulus, und spiegelt sich dieses Wissen in der Miletrede wider? Verschiedene Aspekte werden zur Beantwortung herangezogen. An erster Stelle soll die Reiseroute betrachtet werden, die Paulus nach Milet und von dort weg gefuhrt hat. Hier stellt sich die Frage, warum Milet als Ort der Rede an die Ältesten von Ephesus gewählt wurde. In einem zweiten Schritt sollen die Differenzen der diversen Gliederungsvorschläge aufgezeigt werden. Außerdem verdient die Frage nach der Gattung besondere Beachtung: Ist die Miletrede eine Abschiedsrede oder nicht? Des Weiteren ist das Verhältnis von Tradition und Redaktion anhand des verwendeten Voka1

Es werden ausgewählte Kommentare seit den großen redaktionsgeschichtlichen Werken von E. Haenchen, Die Apostelgeschichte, KEK III, Göttingen 7 1977 und H. Conzelmann, Die Apostelgeschichte, HNT 7, Tübingen 2 1972 betrachtet: J. Roloff, Die Apostelgeschichte, NTD 5, Göttingen/Zürich 1981; W. Schmithals, Die Apostelgeschichte des Lukas, ZBK.NT 3/2, Zürich 1982; G. Schneider, Die Apostelgeschichte. II. Teil. Kommentar zu Kap. 9,1-28,31, HThK V/2, Freiburg u.a. 1982; G. Schille, Die Apostelgeschichte des Lukas, ThHK 5, Berlin 1983; A. Weiser, Die Apostelgeschichte (Kap. 13-28), ÖTK 5/2, Gütersloh/Würzburg 1985; R. Pesch, Die Apostelgeschichte, 2. Teilband (Apg 13-28), EKK V/2, Zürich u.a. 1986; J. Zmijewski, Die Apostelgeschichte, RNT, Regensburg 1994; J. Jervell, Die Apostelgeschichte, KEK III, Göttingen 1998 sowie die neueren englischen Kommentare von F. F. Bruce, The Book of the Acts, NICNT 5, Grand Rapids 1988; Ch. Κ. Barrett, The Acts of the Apostles II. Introduction and Commentary on Acts XV-XXVIII, ICC, Edinburgh 1998; J. A. Fitzmyer, The Acts of the Apostles, AncB 31, New York 1998; Ben Witherington III, The Acts of the Apostles. A Socio-Rhetorical Commentary, Grand Rapids/Cambridge 1998.

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Geeske Ballhorn

bulars zu klären: Läßt sich in dieser Rede noch originär paulinisches Gut erkennen, oder ist sie ein rein lukanisches Werk? Die Schlussbetrachtung widmet sich den Konsequenzen, die die betrachteten Kommentare aus den Ergebnissen der diskutierten Fragen zur Miletrede ziehen.

2

Die Reiseroute des Paulus

Die Rede von Milet steht im weiteren Zusammenhang der Reise des Paulus von Griechenland über Makedonien und Jerusalem nach Rom. Die Stationen der Reise werden in den "Wir"-Abschnitten vor und nach der Rede genau aufgelistet: Von Troas (20,5ff) begab sich Paulus zu Fuß nach Assos (20,13ff), wo er mit seinen Mitarbeitern zusammentraf. Gemeinsam segelten sie nach Mitylene (20,14), Chios (20,15), an Ephesus vorbei nach Samos (20,15) und trafen schließlich in Milet (20,15), das südlich von Ephesus liegt, ein. Die Kürze der Aufenthalte in den zuletzt genannten Städten wird mit Pauli Eile begründet, da er zum Pfingstfest in Jerusalem sein wollte (20,16). Von Milet aus ruft er die Ältesten von Ephesus zu sich. Die Strecke von Ephesus nach Milet beträgt etwa 70 km. Die Ältesten von Ephesus brauchten also etwa fünf Tage, um in Milet zu sein. Dies steht in Widerspruch zur Eile des Paulus. Wollte Paulus seine Autorität demonstrieren, indem er die Ephesiner zu sich rief und nicht zu ihnen ging? Vielleicht gab es andere Gründe, die Stadt zu meiden, wie Hans Conzelmann vermutet: „Deutlich ist, daß Paulus Ephesus nicht mehr betreten konnte, was Lk aber nicht sagen kann."2 Jacob Jervell merkt an, dass Paulus, um Zeit zu gewinnen, eigentlich „Samos als Treffpunkt (...) [hätte] wählen müssen. So, wie es ist, spart er mindestens dadurch Zeit, dass er nicht nach Ephesus und wieder zurück muss. Die Reiserouten in der Apg werden nicht von praktischen Gründen bestimmt."3 Den Aufenthalt in Milet hält Jervell für historisch, ebenso die dortige Begegnung mit den Ältesten aus Ephesus, denn: „falls Lukas dies frei erfunden haben sollte, warum ist diese dann nicht nach Ephesus verlegt, statt in das anonyme Milet?"4. Ähnlich argumentieren Charles K. Barrett5, Rudolf Pesch6 und Jürgen Roloff 7 . Letzterer hält es für möglich, dass Paulus in Milet

2 3

Conzelmann, Apostelgeschichte 125. Jervell, Apostelgeschichte 506.

4

Ebd. 516.

5 6 7

Barrett, Acts II, 963. Pesch, Apostelgeschichte 2, 198. Roloff, Apostelgeschichte 301.

Die Miletrede - ein Literatlirbericht

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festsaß und die Zeit für eine Kontaktaufnahme mit Ephesus genutzt hat. Alfons Weiser nimmt ein vorgegebenes Stationenverzeichnis an, in dem Ephesus schlicht nicht enthalten war. Milet als Treffpunkt erklärt er mit der Fahrtroute des Schiffes, mit dem Paulus reiste und auf die dieser keinen Einfluss hatte.8 Walter Schmithals führt die Unklarheiten auf die Lukas vorliegende Quelle zurück. Sie seien bereits in der „legendarisch-erbaulichen Erweiterung des paulinischen Itinerars"9 enthalten. Zur Bedeutung von Milet schreibt Gottfried Schiller „Milet galt in deuteropaulinischer Zeit als Knotenpunkt (2. Tim. 4,20), dessen tiefere Bedeutung (Missionszentrum?) wir nicht mehr kennen."10 Milet als Ort der Rede scheint eine Lukas bereits vorgegebene Information gewesen zu sein.

3

Gliederungsvorschläge

Die Rede von Milet weist mehrere Besonderheiten auf: Es ist die einzige an Christen gerichtete Rede; sie reagiert nicht auf ein besonderes Ereignis, sondern stellt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Kirche und besonders die Person und das Wirken des Paulus in den Mittelpunkt. Mit dieser Rede ist gleichzeitig das Missionswerk des Paulus in der Ägäis abgeschlossen. Ein Wendepunkt ist erreicht, ehe Paulus seine Reise nach Jerusalem antritt. Bereits die Gliederung der Rede ist jedoch umstritten. Conzelmann gliedert sie nach inhaltlichen Gesichtspunkten in Rückblick (18-21), Vorblick (22-27), Vermächtnis (28-31) und Segenswunsch (32-35).11 In jedem Abschnitt wird auf die Vorbildlichkeit des Paulus hingewiesen. Schneider greift diese Gliederung wieder auf.12 Pesch schlägt eine Gliederung vor, die sich primär am Wechsel von Rückblick und Vorblick orientiert.13 Rückblick I: Pauli Wirken in der Asia (18b-21); Vorblick I: Fesseln und Drangsale in Jerusalem (22-24b); Rückblick II: Pauli Amt (24cd); Vorblick II: Paulus wird nicht zurückkehren (25ab); Rückblick III: Predigt des Reiches (25c); Unschuldsbeteuerung: Reinheitsbezeugung (26); Rückblick IV: Vollständigkeit der Verkündigung (27); Mahnung I: Achtgeben auf sich und die Gemeinde (28); Vorblick III: Bedrohung der Gemeinde durch Irrlehrer von außen und

8 9 10 11 12 13

Weiser, Apostelgeschichte 2, 570. Schmithals, Apostelgeschichte 186. Schille, Apostelgeschichte 401. Conzelmann, Apostelgeschichte 126. Schneider, Apostelgeschichte 2,293. Pesch, Apostelgeschichte 2, 199-201.

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Geeske Ballhom

innen (29f); Mahnung II: Wachsamkeit (31a); Rückblick V: dreijähriger Aufenthalt in Ephesus (31b); Verabschiedung: Segenswunsch (32); Rückblick VI: Umgang mit Reichtum, Wort Jesu. Pesch konstatiert also sechs Rückblicke, drei Vorblicke sowie eine Unschuldsbeteuerung, zwei Mahnungen und eine Verabschiedung. Seine Gliederung kommentiert Barrett mit den Worten: „What this list means is that the speech is really incapable of analysis. In fact it is not really quite as bad as this"14. Eine geringfügig einfachere Gliederung als Pesch, die sich aber ebenfalls an der Rückblick-Vorblick-Struktur orientiert, bietet Jervell.15 Er teilt die Rede ein in Rückblick: Die Legitimierung des Paulus als Missionar und seine Verkündigung (18-21); Vorblick I: Jerusalemreise (22-24); Vorblick II: Todesankündigung (25-27); Paränese: Vermächtnis an die Gemeindeleiter (28); Vorblick III: Auftreten der Irrlehrer (29f); Mahnung: Wachsamkeit, Vorbildfunktion des Paulus (31); Vermächtnis: Segnung, Abschied, Selbstdarstellung als Vorbild und Jesuswort (32-35). Eine andere Gliederung stellt dagegen Roloff16 auf: Er teilt die Rede in einen vorwiegend persönlichen (18-27) und einen vorwiegend paränetischen Teil (28-35) ein, in denen die Themenabfolge jeweils parallel läuft: Dienst an der Gemeinde (18f und 28), Zeugnis des Wortes (20f und 29-31), Unverfügbarkeit des Wortes (22-25 und 32). Die Verse 26 und 27 bilden die „Mitte der Rede (...) [,] das feierliche Zeugnis der Schuldlosigkeit"17. Roloffs Strukturierung des Textes geht im Wesentlichen bereits auf Michel18 zurück. Joseph A. Fitzmyer19 übernimmt die Gliederung von Ernst Haenchen20: Blick auf die Vergangenheit (18-21); Blick auf die Gegenwart (22-24); Blick auf die Zukunft (25-31); Mahnung zur Fürsorge (32-35). Ähnlich gliedern auch Weiser21 und Josef Zmijewski22 die Rede. Entscheidend bei diesem Vorschlag sind die sprachlichen Neueinsätze in der Rede mit Ihr wisst... (18b) und Und nun... (22.25.32) sowie ein Verkündigungswort jeweils am

14 15 16 17 18 19 20 21 22

Barrett, Acts II, 963. Jervell, Apostelgeschichte 509-514. Roloff, Apostelgeschichte 302. Roloff, Apostelgeschichte 304. H.-J. Michel, Die Abschiedsrede des Paulus an die Kirche Apg 20,17-38. Motivgeschichte und theologische Bedeutung, StANT 35, München 1973, 27. Fitzmyer, Acts 675. Haenchen, Apostelgeschichte 570f. Weiser, Apostelgeschichte 2, 568. Zmijewski, Apostelgeschichte 735-737.

Die Miletrede - ein Literaturbericht

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Ende des Abschnitts. Werner Thiessen23 gliedert genauso, benennt die Abschnitte aber anders: Erinnerung an Pauli Wirken in Ephesus und Rechenschaft über seine Lehre (18b-21); Paulus als Geistträger und die Vollendung seines Dienstes (22-24); Bewahren des paulinischen Erbes (25-31); die Entlassung der Bischöfe, Pauli Selbstempfehlung und abschließende Paränese (32-35). Ben Witherington bietet einen neuen Vorschlag zur Gliederung der Rede:24 Erinnerung an das Wirken des Paulus in Ephesus (18-21); die Zukunft des Paulus (22-25); Abschied und Selbstverantwortlichkeit der Gemeinde (26-30), Paulus als Vorbild und Autorisierung seines Verhaltens durch Jesus (31-35).

4

Die Gattung der Abschiedsrede

Die Bestimmung der formalen Merkmale der Gattung Abschiedsrede und ihre Anwendung auf die Miletrede gehen im Wesentlichen bereits auf Michel25 zurück. Die Motive, die Act 20 enthält, sind folgende: Der besondere Zuhörerkreis, eigens von Paulus berufen (17); Rechenschaft über die eigene Tätigkeit (besonders die vollständige Verkündigung des Evangeliums, 1821.31.33-35); Unschuldsbeteuerung (26); Paränese (28.31.35); Prophezeiungen (29f); Segenswunsch (32); gemeinsames Gebet (36); Abschiedsgesten: Weinen, Umarmen, Kuss (37). Mit Einschränkungen ist auch das Motiv der Amtsnachfolge vorhanden (28): nicht Paulus selbst, sondern der Geist setzt zu Amtsträgern ein. Außerdem liegt die Amtseinsetzung bereits zurück26. Umstritten ist das Motiv der Konstatierung der Todesnähe: Andeutungen können den Versen 23-25 und 29 entnommen und entweder als Leidens- und Todesweissagung oder als Abschied von der ephesinischen Gemeinde gedeutet werden (s.u.). Weitere Merkmale von Abschiedsreden, die in der Miletrede fehlen, sind Bestattungsanweisungen, Versprechen und Schwur der Nachfolger, Bericht des Todes bzw. der Entrückung. Als Beispiele einer Abschiedsrede aus dem Alten Testament und frühjüdischer Literatur gelten: Gen 47 u. 49 (Jakob);

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W. Thiessen, Christen in Ephesus. Die historische und theologische Situation in vorpaulinischer und paulinischer Zeit und zur Zeit der Apostelgeschichte und der Pastoralbriefe, TANZ 12, Tübingen/Basel 1995, 147-156. Witherington, Acts 613f. Michel, Abschiedsrede 68-71. Vgl. auch Thiessen, Christen 201.

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Dtn 1-34 (Mose); Jos 23 u. 24 (Josua); 1 Sam 12 (Samuel); Tob 14 (Tobit); 1 Makk 2 (Mattatias); Jub 19-22 (Abraham); Jub 36 (Isaak); Test XII; 4 Esr 14; syrBar 44-46; slHen 58-66; Jos, ant 4,309-326 (Mose). Neutestamentliche Beispiele sind etwa: Mt 28,16-20; Mk 16,14-19; Lk 22,24-30; 24,44-52; Joh 14-17; 2 Tim; 2 Petr. Die Zuordnung der Miletrede zur Gattung Abschiedsrede wird von den meisten Forschern bejaht. Als Sitz im Leben der Gattung Abschiedsrede gilt die Paränese, die eine Ortsbestimmung der Kirche trifft und den Umgang mit der Tradition festlegen will.28 Konkret steht hier vielleicht im Hintergrund, verschiedene Konzeptionen einer Gemeindeleitung (Ältestenverfassung und Episkopalverfassung) in Einklang zu bringen, so Thiessen29 und Roloff: „Die paulinische Episkopenverfassung (Phil 1,1) verschmolz um jene Zeit mit der den paulinischen Gemeinden ursprünglich fremden palästinischen Ältestenverfassung"30. Anderer Meinung ist Witherington, fur den die Miletrede keinen „last will and testament character"31 hat, da Paulus dem Tode ferner ist als diejenigen Personen, die sonst eine Abschiedsrede halten. Gegen die Gattung der Abschiedsrede spricht für ihn außerdem der Ort Milet, der weder eine herausragende Stellung in der Asia besitzt, noch eine Stadt ist, die Paulus nach unserer Kenntnis besucht oder missioniert hat. Als weitere Einwände werden von Witherington angeführt, dass Lukas kein Interesse an „things like apostolic succession, or the passing on of ecclesial 'offices' from Paul to the leaders" zeigt. Die Adressaten der Rede seien keineswegs implizit die Christenheit oder die gesamte Kirche (gegen Jervell u.a.), sondern die christlichen Gemeindeleiter. Witherington nimmt daher an, dass die Miletrede ein „Lukan summary of the Pauline message to Christians"32 ist.

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Conzelmann, Apostelgeschichte 126; Roloff, Apostelgeschichte 302; Schmithals, Apostelgeschichte 189; Schneider, Apostelgeschichte 2, 293; Schille, Apostelgeschichte 401; Weiser, Apostelgeschichte 2, 567; Pesch, Apostelgeschichte 2, 198; Zmijewski, Apostelgeschichte 734f; Jervell, Apostelgeschichte 509; Bruce, Acts 387f; Barrett, Acts II, 963; Fitzmyer, Acts 674. Roloff, Apostelgeschichte 302. Thiessen, Christen 223. Roloff, Apostelgeschichte 303. Vgl. auch Conzelmann, Apostelgeschichte 127 und G. Schneider, Tradition, Kontinuität und Sukzession in der Sicht der Apostelgeschichte, in: Schrift und Tradition. FS für Josef Ernst, hg. von K. Backhaus und F. G. Untergaßmair, Paderborn u.a. 1996, 31 Of. Witherington, Acts 612. Beide Zitate ebd. 615.

Die Miletrede - ein Literaturbericht

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Redaktion und Tradition

Zweifelsohne enthält die Rede - mehr als jede andere Paulusrede in Act paulinisches33 Vokabular. Als Beispiele können gelten: dem Herrn dienen ... (Act 20,19; Rom 1,1; 7,6; 12,11; 14,18; Phil 2,22); ... unter Tränen (Act 20,19.31; 2 Kor 2,4; 2 Tim 1,4); Pauli Verkündigung richtet sich an Juden und Griechen (Act 20,21; Rom 1,16; 10,12; 1 Kor 1,24; 12,13; Gal 3,28); der Inhalt der Verkündigung ist das Evangelium (Act 20,24; Rom 1,1; 15,16; 2 Kor 11,7); Gottes Gnade (Act 20,24; Rom 5,2.15; 1 Kor 1,4; 3,10 u.ö.)34; Erlösung durch das Blut Christi (Act 20,28; Rom 3,25); Ermahnung der Christen (Act 20,31; Rom 15,14; 1 Kor 4,14; 1 Thess 5, 12.14). Ein weiterer Aspekt, den besonders Barrett hervorhebt, ist die sprachliche Nähe zu den Pastoralbriefen:35 Paulus hat seine Aufgabe vollbracht (Act 20,18-21; 25f; 2 Tim 4,6f); den Lauf vollenden (Act 20,24; 2 Tim 4,7); Bedrohung der Gemeinde durch Häresie von außen und innen (Act 20,29f; 1 Tim l,3f; 3,lf; 6,20f; 2 Tim 2,14f; 3,lf); Pauli Leiden für das Evangelium (Act 20,19-24; 2 Tim 1,1 lf; 2,3; 3,11); Warnung vor Geldgier (Act 20,33-35; 1 Tim 6,9f; Tit 1,11); Anbefehlen der Ältesten an Gott und seine Gnade (Act 20,32; 2 Tim 4,22). Barrett schließt aus diesem Befund, dass die Pastoralbriefe und die Act „in similar circumstances and at times not very remote from one another"36 geschrieben wurden. Er hält auch eine Kenntnis von Paulusbriefen für möglich; allerdings ist die Miletrede die einzige Stelle der Apostelgeschichte, an der sich für diese Annahme Anhaltspunkte ergeben. Witherington sieht jedoch eine größere Nähe zu den Paulusbriefen als zu den Pastoralbriefen.37 Die Prägung der Rede durch paulinische Wendungen einerseits und lukanische Wendungen andererseits veranlasst viele Forscher, eine mündliche Tradition anzunehmen, in der sich paulinische Einzelelemente erhalten haben, die hier formelhaft von Lukas zusammengetragen und zu einer Rede verbunden wurden.38 Neben dieser Erklärung hält Stanley E. Porter es für möglich (wenn auch eher unwahrscheinlich), dass Lukas direkt auf paulini-

33 34 35 36 37 38

Damit sind sowohl originär paulinische als auch in paulinischer Tradition stehende Sprache und Wendungen gemeint. Die Zusammenstellung „Evangelium der Gnade Gottes" (V.24) ist sonst jedoch nicht belegt. Barrett, Acts II, 964f; vgl. auch Schmithals, Apostelgeschichte 190; Bruce, Acts 387f. Ebd. 965. Witherington, Acts 611. So Roloff, Apostelgeschichte 301; Weiser, Apostelgeschichte 2, 571; Zmijewski, Apostelgeschichte 737-739; Jervell, Apostelgeschichte 516; Barrett, Acts II, 964; Fitzmyer, Acts 675.

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Geeske Ballhorn

sches Vokabular zurückgegriffen hat.39 Authentisches Paulusmaterial habe Lukas dann zur Verfügung gestanden, wenn er entweder einen oder mehrere Paulusbriefe gekannt und hier demnach auch benutzt hat, oder Paulus persönlich bzw. einen engen Vertrauten gekannt hat. Es könne jedoch nicht eindeutig gezeigt werden, dass die Miletrede direkt die Rhetorik des Paulus reflektiere. Thiessen weist auf die Zusammenhänge hin, in denen Lukas paulinisches Vokabular verwendet:40 in der Paränese, im Kontext der Schilderung der paulinischen Missionspraxis und bei den Ausführungen zur Ekklesiologie. Seine These lautet: „Lukas ist also von seinen Themen ausgegangen (...) und nicht von paulinischer Theologie (...). Er hat die paulinische Terminologie funktional verwendet"41. Insgesamt könne eine genauere Kenntnis des Apostels durch Lukas nicht vorausgesetzt werden.42 Einen anderen Weg geht Pesch,43 für den die Paulinismen darauf hinweisen, dass „Lukas eine vorgegebene Rede bearbeitet hat"44. Seiner Analyse nach ist zwischen einer ursprünglichen Rede gemäß der Rahmung (17f; 3638; also Paulus in Milet an die Ältesten von Ephesus) und der ,,gestaltende[n] Hand des Lukas"45 zu unterscheiden. Im Sinne seiner Gliederung (sechs Rückblicke, drei Vorblicke, zwei Mahnungen) trifft er eine Quellenscheidung und rekonstruiert eine Redevorlage, welche die Verse 18b-19.21.24-32 enthält. Alles Übrige weist er der lukanischen Redaktion zu. Aus Peschs Rückblick-Vorblick-Struktur fallen somit die Rückblicke VI und Rückblick I teilweise als „überflüssig"46 bei der Rekonstruktion heraus, ebenso Vorblick I. Unschuldsbeteuerung, testamentarische Verabschiedung und die beiden Mahnungen „wird man einer Vorlage zurechnen dürfen"4 . Daraus ergibt sich folgende Gliederung der gesamten Rede: Rückblick auf das missionarische Wirken des Paulus (18b-21); Vorblick auf Gefangenschaft und Tod (22-24); Unschuldsbeteuerung (25-27); Mahnung für die Zukunft (28-31); Abschied und Vermächtnis (32-35). Auch Schmithals rechnet mit einer Paulusrede als Vorlage, die Lukas bearbeitet habe. Die ursprüngliche Fassung enthielt die Elemente: Rückblick auf die Zeit in der Asia (18b. 19a), Endgültigkeit des Abschieds (25a), Vermächtnis (26-31), Abschiedswort (32). Er sieht in der 39 40 41 42 43 44 45 46 47

St. E. Porter, The Paul of Acts. Essays in Literary Criticism, Rhetoric, and Theology, WUNT 115, Tübingen 1999, 118. Thiessen, Christen 220f. Ebd. 221. Ebd. 218. Pesch, Apostelgeschichte 2, 198-201. Ebd. 198. Ebd. 198. Ebd. 199. Ebd. 200.

Die Miletrede - ein Literaturbericht

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Miletrede die einzige in der Lukas vorliegenden Paulus-Quelle enthaltene Rede.

6

Der Tod des Paulus in Act 20

Die Miletrede spricht an keiner Stelle direkt vom Tod des Paulus. V.24 bezieht sich auf die Gefangenschaft, die Paulus in Jerusalem zu erwarten hat. Ähnlich auch die Warnung der Jünger in Tyrus, Paulus solle nicht nach Jerusalem gehen (21,4), und die Zeichenhandlung und der Spruch des Agabus (21,10 u. 11). Die Formulierungen ihr werdet mein Angesicht nicht mehr sehen (25) und nach meinem Weggang (29) können sich nicht nur auf den Tod, sondern auch auf einen endgültigen Abschied von den Ältesten aus Ephesus beziehen: die Mission in der Provinz Asien ist abgeschlossen. Etwas deutlicher wird V.24, insofern Paulus sein Leben nicht als wertvoll erachtet, wenn er nur seinen Lauf vollendet. Sicher kann der Ausdruck als Metapher für das Sterben dienen, aber ist das hier gemeint? Oder bezieht er sich auf den Abschluss der Missionsarbeit des Paulus in Jerusalem und Rom (vielleicht die Kollekte, die bei Lukas hier mit keinem Wort erwähnt wird)? Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Lukas hat vom Tod des Paulus nichts gewusst, oder er war ihm bekannt. Für die erste Möglichkeit spricht sich vor allem Witherington aus: Er hält die Andeutungen in der Miletrede für nicht ausreichend, um eine Kenntnis vom Tod des Paulus sowohl bei Lukas als auch bei seinen Hörern und Lesern voraussetzen zu können, besonders nicht die Kenntnis von einem Martyrium. Denn Paulus selbst stellt in 28,17f fest, dass ein Verhör durch die Römer ergebnislos verlaufen sei.48 Nach Witherington gibt es keine eindeutige zeitliche Bestimmung vom Tod des Paulus,49 im Gegenteil: aus Phil 1,24-26 spreche die Zuversicht des Paulus, aus der Haft entlassen zu werden50. Witherington nimmt daher an, dass Paulus nach zwei Jahren aus der Haft freikam. Da Lukas von weiteren Predigten und Diskussionen in Rom berichtet, hält er auch die Rede von Milet nicht für ein Testament des Paulus: „Paul's farewell address at Miletus is probably not to be seen as a (...) last will and testament"51. Die Adressaten der Rede sind aus48 49 50 51

Witherington, Acts 620. Act 28,17f bezieht sich jedoch auf das Verhör in Jerusalem. Eine sichere Aussage Uber ein Verhör in Rom ist deshalb noch nicht möglich. Witherington nimmt an, dass Phil in römischer Gefangenschaft geschrieben wurde. Ebd. 618 u. 815. Ebd. 620.

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Geeske Ballhorn

schließlich die Gemeindeleiter, nicht etwa die ganze Kirche. Der zeitliche Abstand der Rede zum Ende der Haft in Rom ist mit vier Jahren zu groß, um einen direkten Zusammenhang zwischen Voraussage und Eintreten des Todes herstellen zu können. Für die andere Möglichkeit, dass Lukas um den Tod des Paulus gewusst hat, entscheidet sich die Mehrheit der Forschung: Jervell (ebenso Conzelmann, Haenchen, Roloff, Schille, Weiser, Zmijewski, Barrett, Fitzmyer) ist der Ansicht, dass die Andeutungen des Lukas ein Wissen um den Tod des Paulus voraussetzen, was besonders in V.25 deutlich wird: „Es ist eine Todesankündigung. Paulus trennt sich nämlich nicht nur von einer einzelnen Gemeinde, sondern von allen, bei denen er gewesen ist, und denen er das Reich verkündigt hat. (...) Es steht hier als eine prophetische Aussage, die zeigt, dass Lukas nicht mit einer Freilassung aus der Gefangenschaft in Rom rechnet. Es ist also der endgültige Abschied"52. Die paränetischen Formulierungen der Rede sind als Vermächtnis aufzufassen. Insgesamt ist die Miletrede „Nachbildung einer paulinischen Rede. Das ist erstens daraus zu ersehen, dass die Rede den Tod des Paulus voraussetzt. Der testamentarische Charakter der Rede ist deutlich auf das Ganze der Geschichte des Paulus hin geformt, besagt also mehr, als in der aktuellen Situation möglich war, und ist nach dem Tod des Paulus abgefasst."53 Auch die im Anschluss an die Rede geschilderte Abschiedsszene unterstreicht den Vermächtnischarakter.54 Den Abschied, den Witherington nur auf die Gemeinden der Provinz Asien bezieht, wird hier auf die Wirksamkeit des Paulus insgesamt bezogen. Zeitlich ist die Apostelgeschichte deutlich nach Markus anzusetzen: „Zu dieser Zeit war Paulus nicht nur schon seit langem tot, im letzten Jahrzehnt des ersten Jahrhunderts wußte auch jeder Christ um sein Ende!"55, so Schille. Dann muss jedoch begründet werden, warum Lukas nicht vom Tod des Paulus berichtet.56 Eine Erklärung liefert vielleicht die Annahme, der Apostelgeschichte liege ein Konzept zugrunde, in dem für einen Bericht vom Tod des Paulus kein Platz war57. Lukas wollte die Act mit einem „optimistischen Bild"58 abschließen. Nach Haenchen „entsteht aber jene Siegesstimmung der Schlußkapitel nicht aus dem Wissen um eine irdische Befreiung des Paulus,

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Jervell, Apostelgeschichte 511. Ebd. 515. Vgl. Schneider, Apostelgeschichte 2,300. Schille, Apostelgeschichte 405. Vgl. zu dieser Frage die Beiträge von G. Guttenberger und H. Omerzu in diesem Band. So H. W. Tajra, The Martyrdom of St. Paul. Historical and Judicial Context, Traditions, and Legends, WUNT11/67, Tübingen 1994, 37ff. Zmijewski, Apostelgeschichte 889.

Die Miletrede - ein Literaturbericht

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sondern aus der Vorwegnahme seines Todes"59 in den Leidensweissagungen der Miletrede. Ziel der lukanischen Darstellung sei es gewesen, von der Verkündigung des Evangeliums in der ganzen Welt zu berichten und nicht eine Biographie des Paulus zu schreiben. Fraglich ist dann jedoch, wieso sich Lukas über die zweite Hälfte der Apostelgeschichte derart ausführlich mit Paulus beschäftigt, wenn er dann nicht dessen Lebensende berichtet. Würde ein Martyrium nicht das Ansehen des Paulus mehren und damit auch ein entsprechender Bericht die Apostelgeschichte aufwerten? Im Rahmen dieser Argumentation bleibt nur die eine Lösung, dass Pauli Tod eben kein Martyrium war, sondern vielleicht schmachvoll und demjenigen Paulus nicht würdig, den Lukas schildert.

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Haenchen, Apostelgeschichte 572.

Marius Reiser

Von Caesarea nach Malta Literarischer Charakter und historische Glaubwürdigkeit von Act 271

„Als ein Glanzstück in sachlicher Korrektheit ist der Bericht in cap. 27 über die Seefahrt von Sidon über Kreta bis zum Schiffbruch bei Malta allgemein anerkannt: daß all die zahlreichen, knapp sachlich, aber liebevoll geschilderten Einzelzüge sowohl geographisch wie seetechnisch jeder Prüfimg standhalten und von einem sorgfältig und gut beobachtenden Augenzeugen stammen müssen, ist von sachverständiger Seite so eingehend nachgewiesen worden, daß es sich erübrigt, das nochmals weiter auszuführen."2 So konnte der große Althistoriker Eduard Meyer 1923 den Forschungsstand zusammenfassen. Heute sieht die Forschungssituation ganz anders aus. Alles ist in Frage gestellt: die sachliche Korrektheit des Berichts ebenso wie seine Herkunft von einem Augenzeugen, zumindest dem Augenzeugen Lukas. Im Jahr 1987 veröffentlichte ein Autodidakt, Heinz Warnecke, ein Büchlein, in dem er nachweisen will, daß Paulus nicht auf Malta, sondern auf Kefalinia ankam. Das Büchlein erschien in einer angesehenen exegetischen Reihe.3 Im Geleitwort schreibt der Neutestamentier Alfred Suhl dazu: „Ich kann mir nicht vorstellen, daß jetzt die Malta-Theorie noch eine Wiederbelebung erfahren wird."4 In der Tat zweifeln seither auch Neutestamentier wie Jürgen Becker, 1

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4

Ich widme diese Ausführungen den Teilnehmern und Teilnehmerinnen an dem im Sommersemester 1998 abgehaltenen Seminar „Paulus als Seefahrer". Der lebhafte Zuspruch, den das Seminar fand, und die gute Mitarbeit haben mein Interesse am Thema wachgehalten. Für fachmännische Hinweise danke ich Herrn Dr. Ronald Bockius vom Museum für Antike Schiffahrt, Mainz. E. Meyer, Ursprünge und Anfänge des Christentums Bd. 3, Stuttgart/Berlin 1923,28f. H. Wamecke, Die tatsächliche Romfahrt des Apostels Paulus, SBS 127, Stuttgart 1987. Vgl. H. Warnecke und Th. Schirrmacher, War Paulus wirklich auf Malta?, Neuhausen/Stuttgart 1992. Schirrmacher preist Warnecke als Verteidiger der historischen Zuverlässigkeit des lukanischen Berichts gegen den Skeptizismus der Exegeten. Was diesen Skeptizismus angeht, hat er leider nicht unrecht. Vgl. Geleitwort Warnecke, Romfahrt 14. Er verteidigt Warnecke auch gegen die Angriffe von J. Wehnert (vgl. Anm. 85): A. Suhl, Gestrandet! Bemerkungen zum Streit über die Romfahrt des Paulus, ZThK 88 (1991) 1-28.

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Marius Reiser

Joachim Gnilka, ja selbst Claus-Jürgen Thornton ernsthaft daran, daß das Μελίτη von Act 28,1 mit Malta zu identifizieren ist;5 Jacob Jervell meint sogar, Heinz Warnecke habe „tatsächlich gezeigt, dass die Gleichsetzung von Melite ... mit Malta nicht mehr aufrechtzuerhalten ist"6. Herders Großer Bibelatlas und das Große Bibellexikon von Brockhaus zeichneten prompt Kefalinia als Alternative zur Malta-Version ein.7 Selbst ein Kenner der antiken Schiffahrtsverhältnisse ließ sich durch Warnecke irritieren.8 Neben der sachlichen Kritik ist es die literarische Kritik, die die historische Glaubwürdigkeit und den Berichtcharakter von Act 27 in Frage gestellt hat. In der exegetischen Literatur zu unserem Kapitel ist es heute üblich, auf die literarische Tradition von Schiffbrucherzählungen seit Homer zu verweisen. Oft wird vermutet, daß Lukas seine nautischen Kenntnisse daher bezog und mit Hilfe solcher Vorbilder seine Geschichte komponierte. „Formally, chapter 27 is a typical episode from a religious novel", meint Richard I. Pervo.9 Daran, daß Lukas zumindest die Paulus-Szenen mehr oder weniger frei erfunden hat, zweifelt heute eigentlich kaum ein historisch-kritisch arbeitender Exeget. Alfons Weiser schließt sich nur der Mehrheitsmeinung der Ausleger an, wenn er schreibt, Lukas habe wahrscheinlich „eine mit Elementen des antiken Romans durchsetzte und im Wir-Stil abgefaßte literarische Seefahrt- und Schiffbruchschilderung verwendet"; diese Vorlage stamme wohl nicht einmal von einem Reisebegleiter des Paulus, sondern sei profaner Herkunft. Der lukanischen Darstellung lasse sich dann an historischen Ein-

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J. Becker, Paulus. Der Apostel der Völker, Tübingen 1989, 504; J. Gnilka, Paulus von Tarsus. Apostel und Zeuge, Freiburg u.a. 1996, 306; C.-J. Thornton, Der Zeuge des Zeugen. Lukas als Historiker der Paulusreisen, WUNT 56, Tübingen 1991, 325. Letzterer, der die Argumente Warneckes im übrigen sehr kritisch sieht, sucht die Insel Melite jetzt vor der afrikanischen Küste westlich von Kyrene. Da wird er lange suchen müssen. J. Jervell, Die Apostelgeschichte, KEK III, Göttingen 1998, 610 Anm. 491. Ebd. 615 zu Act 28,1 läßt er es offen, welche Insel gemeint ist. Herders Großer Bibelatlas, hg. von J. B. Pritchard. Deutsche Ausgabe hg. und bearb. von O. Keel und M. Küchler, Freiburg u.a. 1989, 172f; Das Große Bibellexikon, hg. von H. Burkhardt, F. Grünzweig, F. Laubach und G. Maier, Bd. 3, Wuppertal 1989, 1149: Auf der Karte ist hier nur die Kefalinia-Version eingezeichnet, während im Artikel von Malta die Rede ist (ebd. 1140). Vgl. F. Gelsdorf, Antike Schiffahrtsrouten im Mittelmeer, in: Das Wrack. Der antike Schiffsfund von Mahdia, Kataloge des Rheinischen Landesmuseums, hg. von G. Hellenkemper Salies II, Köln 1994, 751-758, hier 755f. R. I. Pervo, Profit with Delight. The Literary Genre of the Acts of the Apostles, Philadelphia 1987, 53. Es erstaunt, wie wenig Mühe sich der Autor gibt, eine solche Behauptung durch literarische Vergleiche zu begründen. Zur Kritik vgl. Ben Witherington III, The Acts of the Apostles. A Socio-Rhetorical Commentary, Grand Rapids 1998, 376-381.

Von Caesarea nach Malta

51

zelheiten „nur die Tatsache entnehmen, daß Paulus als Gefangener von Cäsarea nach Rom transportiert worden ist"10. „Ein schlichter Erlebnisbericht mit der Reiseroute und Andeutungen der nautischen Maßnahmen, das ist alles, was sich fur die Vorlage vermuten läßt", meinte 1964 Ernst Haenchen.11 Immerhin ging er davon aus, daß dieser „schlichte Erlebnisbericht"12 von einem Paulusbegleiter stammte. Halten solche Auffassungen der historischen und literarischen Kritik stand? Müssen, oder genauer: Mußten wir wirklich von Eduard Meyers Auffassung abrücken? Prüfen wir zunächst die literarische Seite.

1

Literarische Seefahrt- und

Schiffbrucherzählungen

Der Überblick über antike Seefahrt- und Schiffbrucherzählungen läßt schnell einen schlichten Befund erkennen: Es gibt keine wirkliche Parallele zu Act 27. In diesem Kapitel liegt uns der bei weitem genaueste und umfangreichste Bericht über eine Seereise aus der Antike vor. Insofern ist Act 27 einzigartig. Forscher, die literarische Parallelen suchen, verweisen mit Vorliebe auf Homers Odyssee und die Romane des 1./2. Jahrhunderts n.Chr.13 Die neueste Untersuchung über „The Shipwrecks of Odysseus and Paul" behauptet, Lukas imitiere Homer.14 Dabei ist die einzige irgendwie auffällige Parallele, auf die der Autor verweisen kann, die Erscheinung eines überirdischen Wesens, das Rettung verheißt.15 Dazu kommt eine homerische Reminiszenz in der Formulierung von Act 27,41 έπεκειλαν τήν ναυν. Wie sie Lukas vermittelt wurde, wissen wir nicht. Auch den Gebrauch der 1. Person Plural will der Autor aus diesem Vorbild erklären. Aber zu dem unvermittelten Wechsel von der 3. Person zur 1. Person, der das eigentlich Rätselhafte der Wir-Berichte in

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11 12 13 14 15

Beide Zitate bei A. Weiser, Die Apostelgeschichte. Kapitel 13-28, ÖTK 5/2, Gütersloh/Würzburg 1985, 659f. Vgl. ebd. 391. So im wesentlichen schon J. Wellhausen, Kritische Analyse der Apostelgeschichte, AGWG.PH 15,2, Berlin 1914, 53f. E. Haenchen, Acta 27, in: E. Dinkier (Hg.), Zeit und Geschichte. FS Rudolf Bultmann, Tübingen 1964,235-254, hier 254. Ebd. 252. Dagegen wendet Weiser ein: Dann wäre in diesem Bericht doch etwas von Paulus gestanden! (Apostelgeschichte 2, 391). Selbst Thornton meint: „Die Nähe der lukanischen Erzählung zu vergleichbaren Partien in der Romanliteratur ist nicht von der Hand zu weisen" (Zeuge 352). D. R. Macdonald, The Shipwrecks of Odysseus and Paul, NTS 45 (1999) 88-107. Horn, Od 5,333-353. Vgl. Act 27,23f.

52

Marius Reiser

der Apostelgeschichte ausmacht, bietet Homer so wenig eine Parallele wie sonst ein antiker Autor.16 Wie eine tatsächliche Benutzung Homers und der von ihm ausgehenden literarischen Tradition aussieht, zeigen die Seesturmschilderungen bei Petron, Achilleus Tatios und im Herpyllis-Roman.17 Hier finden wir umfangreiche rhetorisch stilisierte Schilderungen von Meereswogen, die sich türmen wie Berge, von Blitz und Donner,18 von der Panik der Passagiere und der Resignation der Besatzung nach vergeblichen Manövern und Maßnahmen. So liest man in Petrons Satyrika: „Während solcher und ähnlicher Gespräche wurde die See rauh, Wolken ballten sich überall und verfinsterten das Tageslicht. Voller Hast liefen die Matrosen auf ihre Posten und refften die Segel vor dem Sturm. Doch trieb der Wind die Wogen nicht in einer bestimmten Richtung, und der Steuermann wußte nicht, welchen Kurs er halten solle. Bald wehte der Wind Sizilien zu, immer wieder aber warf der Nordsturm, Herr über Italiens Küste, das wehrlose Schiff (obnoxia rates) hierhin und dorthin, und, was gefährlicher war als alle Stürme, plötzlich hatte so dicke Nacht das Licht verjagt, daß der Steuermann nicht einmal das Vorschiff ganz überblicken konnte."19

In der langen Schilderung eines Seesturms im Roman des Achilleus Tatios liest man Sätze wie folgende: „Feuer zuckte herab, donnernd brüllte der Himmel, die Luft war erfüllt vom Getöse, und von unten toste der Aufruhr der Wellen dagegen; zwischen Himmel und Meer erscholl das Pfeifen der verschiedenen Winde."20 Hier ist der völlig unrealistische homerische Topos vom Kampf gegensätzlicher Winde aufgenommen.21 Lukas bietet nichts Vergleichbares. Sein Bericht wird zwar gern "dramatisch" genannt, aber er ist eigentlich ganz nüchtern und sachlich; der Schilderung in Act 27,13-20 fehlt 16

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18 19 20 21

Vgl. M. Reiser, Sprache und literarische Formen des Neuen Testaments. Eine Einführung, Paderborn 2001, 113f; C. J. Hemer, First Person Narrative in Acts 27-28, TynB 36 (1985) 79-109, hier 79-86; Witherington, Acts 480-486; St. E. Porter, The Paul of Acts. Essays in Literary Criticism, Rhetoric, and Theology, WUNT 115, Tübingen 1999, 10-46. Vgl. J. Rougé, Romans grecs et navigation: Le voyage de Leucippé et Clitophon de Beyrouth en Egypte, Archaeonautica 2 (1978) 265-280. Zur Seesturmschilderung des Herpyllis-Romans vgl. den ausführlichen Kommentar bei R. Kussl, Papyrusfragmente griechischer Romane. Ausgewählte Untersuchungen, Classica Monacensia 2, Tübingen 1991, 105-140. Selbst Chariton III 3,10 enthält diesen Topos, der in der lateinischen Epik geläufig ist, bei Homer jedoch fehlt. Vgl. Kussl, Romane 115f. Petron 114,1-3. Übers.: Petronius, Satyrgeschichten, lateinisch und deutsch von O. Schönberger, Berlin 1992. Ach Tat III 2,2. Vgl. ebd. III 2,8: „Es war ein Kampf der Winde und Wogen." Vgl. Horn, II 16,765f; Od 5,295f.330f. Dazu die Hinweise bei Kussl, Romane 121-123.

Von Caesarea nach Malta

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jede Dramatisierung oder rhetorische Stilisierung. Da lesen wir nichts vom Kampf der Winde, dem „wehrlosen Schiff, „der dicken Nacht, die das Licht verjagt", dem „Aufruhr der Wellen" u.ä. Nautische Details und Termini sind nicht rhetorischer Aufputz wie bei den Verfassern der genannten Romane, sondern stehen ganz sachlich da, wo sie hingehören. Parallelen beschränken sich auf Elemente wie Sturm, Dunkel, Wellen und Schiff sowie das Versagen nautischer Manöver. Solche Elemente wird man kaum als literarische Topoi bezeichnen wollen, da man ohne sie keinen Schiffbruch schildern kann. Unter den Romanen kommt der lakonischen Art der Schilderung in Act 27 die des Xenophon von Ephesus am nächsten: „Die Kaufleute nahmen Anthia ins Schiff und fuhren ab. Bei einbrechender Nacht kamen sie auf die Höhe von Kilikien. Doch ein widriger Wind hielt sie auf, das Schiff brach auseinander und nur mit Mühe retteten sich einige auf Planken ans Ufer; sie hatten auch Anthia bei sich."22 Diese Darstellung ist zwar so nüchtern wie Act 27,39-44, aber nicht so genau. Jedenfalls könnte sie auch bei einem trockenen Historiker stehen. Wenn die Romane also etwas zum Verständnis von Act 27 beitragen, dann ist es die klare Erkenntnis, daß dieses Kapitel nichts spezifisch Romanhaftes an sich hat.23 Merkwürdigerweise haben literarische Schilderungen wirklicher Seereisen bei den Neutestamentlern weit weniger Interesse gefunden als die romanhaften. Am ehesten bekannt ist noch die Irrfahrt der "Isis", über die wir durch Lukians Dialog Navigium wissen.24 Lukian gibt den Bericht des Kapitäns wieder. Nach diesem Bericht verließ die Isis, ein alexandrinischer Kornfrachter, wohl im Frühherbst, Alexandria mit dem Ziel Rom. Wegen der in dieser Zeit vorherrschenden Nordwestwinde nimmt das Schiff zunächst ganz regulär Kurs auf Zypern. Widrige Windverhältnisse zwingen zu einer Lan22 23

24

Xen Eph II 11,10. Nicht erzählfreudiger ist die Schilderung in III 2,12. Etwas zurückhaltend, aber doch in diesem Sinn äußert sich auch S. M. Praeder, Acts 27:1-28:16: Sea Voyages in Ancient Literature and the Theology of Luke-Acts, CBQ 46 (1984) 683-706, hier 693-695.705. Dasselbe hat schon E. Haenchen bemerkt: Acta 27, 240. Vgl. u. Anm. 47. Lukian, nav 7-9. Eine deutsche Übersetzung bei Ch. M. Wieland, Lucían von Samosata, Sämtliche Werke Bd. 1, 1. Teil, Leipzig 1788.1789 (Nachdruck Darmstadt 1971), 290292. Die klassische Untersuchung dazu ist: L. Casson, The Isis and Her Voyage, TPAPA 81 (1950) 43-56. Einen gründlichen Kommentar dazu bietet G. Husson, Lucien: Le Navire ou les Souhaits. Introduction, texte et traduction, 2 Bde., Paris 1970, hier Bd. 2, 12-25. Sie weist detailliert die grundsätzliche Realistik der Erzählung nach. Dagegen sieht G. W. Houston das Ganze als Fiktion an: Die Dimensionen des Schiffes seien übertrieben, die ganze Geschichte aus Klischees und literarischen Topoi zusammengewebt (Lucian's Navigium and the Dimensions of the Isis, AJP 108 [1987] 444-450). Historischen Hyperskeptizismus und die Neigung, alles der Phantasie zuzuschreiben, gibt es also nicht nur unter Bibelwissenschaftlern.

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Marius Reiser

dung in Sidon. Darauf verfolgt der Kapitän denselben Kurs wie das Schiff, auf dem Paulus mitgeführt wird: Er segelt östlich an Zypern vorbei und dann mit Hilfe der Küstenwinde und der Küstenströmung westwärts entlang der kleinasiatischen Küste. Nach einem nur mit Mühe verhinderten Schiffbruch bei den Chelidonen25 wird die Isis von einem Südwestwind in die Ägäis getrieben und muß schließlich in Athen Station machen. Seit der Abreise sind 70 Tage vergangen. Der Südwestwind hatte den ursprünglich beabsichtigten Kurs verhindert; dieser wäre gemäß den Angaben Lukians bzw. des Kapitäns derselbe gewesen, den das Schiff mit Paulus etwa 100 Jahre früher tatsächlich genommen hatte: im Windschatten entlang der Südküste von Kreta. Wie wäre es von dort weitergegangen? Nach Lionel Casson ließ der vorherrschende Nordwestwind keine große Wahl: „After traversing the south shore of Crete the ships would head west for Malta."26 Im günstigsten Fall konnte Syrakus erreicht werden.27 Hier schließt sich eine Episode aus Plutarchs Biographie Dions gut an.28 Anfang September des Jahres 357 v.Chr. sticht Dion mit einer kleinen Kriegsflotte von der westgriechischen Insel Zakynthos in die offene See; das Ziel ist Sizilien. Nach einer Fahrt von zwölf Tagen mit einem schwachen, sanften Winde waren sie am dreizehnten Tage auf der Höhe des Pachynos, des Südkaps Siziliens. Der Steuermann Protos gab den Rat, schleunigst zu landen, weil sie, wenn sie vom Lande abgetrieben würden oder mit Willen sich von dem Kap entfernten, viele Tage und Nächte auf dem offenen Meer treiben und jetzt, im Sommer, auf einen Südwind würden warten müssen. Dion trug jedoch Bedenken, so nahe den Feinden an Land zu gehen und ließ, in der Absicht, lieber weiter entfernt zu landen, am Pachynos vorbeifahren. Alsbald begann ein heftiger Nordwind zu wehen, der bei hochgehender See die Schiffe von Sizilien abtrieb, Blitze zuckten, Donner krachten, und verbunden mit dem Aufgang des Arktur folgte starker Sturm und heftiger Platzregen. Während dadurch die Schiffer noch in Bestürzung und Ungewißheit waren, sahen sie plötzlich, wie die Schiffe von den Wellen auf die der libyschen Küste vorgelagerte Insel Kerkina zugetrieben wurden, und gerade da, wo den Anfahrenden ein felsiges und klippenreiches Ufer entgegenstand. Um ein Haar wären sie gegen die Felsen geworfen und die Schiffe zertrümmert worden, doch konnten sie noch eben mit vieler Mühe und mit Hilfe von Stangen vorbeikommen, bis der Sturm nachließ und sie von einem ihnen begegnenden Fahrzeug erfuhren, daß sie sich bei den sogenannten Köpfen der großen Syrte befanden. Während sie nun bei eintretender Windstille mutlos waren und ziellos herumtrieben,

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„Das Gewässer um dieselben war wegen der Untiefen und Brandungen an den steilen Felsen, sowie wegen der wechselnden Stürme den Schiffenden sehr gefährlich" (W. Ruge, Art. Χελιδονίδες νήσοι, PRE 3,2 [1899] 2227f). Casson, Isis 49. Nach Xen Eph V 1,1 will Habrokomas nach Italien fahren, erreicht aber nur Syrakus. Plut, Dio 25,1-11.

Von Caesarea nach Malta

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entsandte plötzlich das Land einen Hauch von Süden her, ohne daß sie schon einen Südwind erwarteten und Zutrauen zu dem Umschlag hatten. Aber da der Wind allmählich zunahm und alsbald kräftig wurde, setzten sie alles, was sie von Segeln hatten, beteten zu den Göttern und nahmen quer über die offene See von Libyen ab Kurs auf Sizilien. Nach leichter Fahrt gingen sie am fünften Tag bei Minoa vor Anker, einem sizilischen Städtchen im karthagischen Herrschaftsgebiet.29

Der Aufgang des Arktur - Vegetius nennt ihn vehementissimum sidus - ist am 14. September; bis dahin reicht die Zeit, die als sicher für die Seefahrt gilt.30 Plutarch erwähnt dieses Gestirn also nicht von ungefähr. In der Darstellungsart steht seine Erzählung Act 27 näher als alles, was in den Romanen zu finden ist. Nur bei der Schilderung des Seesturms benutzt er vielleicht einen literarischen Topos: Blitz und Donner. Im übrigen schreitet die Erzählung zügig, mit wenigen Adjektiven, aber einigen anschaulichen Details voran (z.B. die Stangen, um an den Klippen vorbeizukommen; das entgegenkommende Schiff, von dem man erfährt, wo man sich befindet). Dions Flotte geschieht genau das, was die Besatzung auf dem Schiff mit Paulus furchtet (Act 27,17): Sie wird vom Sturm in die Syrten getrieben, die in der antiken Seefahrt wegen ihrer unberechenbaren Strömungen und wandernden Sandbänke als besonders gefährlich galten.31 Aufkommender Südwind bringt die Rettung. Wie realistisch Plutarchs Darstellung ist, zeigt das 1907 vor der Ostküste Tunesiens von Schwammfischern entdeckte Wrack eines antiken Schiffes. Es handelt sich um einen fast 40 Meter langen Frachtsegler, der, wahrscheinlich im 1. Jahrhundert v.Chr. und vermutlich auf dem Weg von Athen nach Rom, durch einen Sturm in die Kleine Syrte abgetrieben wurde und dort sank.32 Merkwürdigerweise so gut wie unbeachtet geblieben sind in der Exegese die ausfuhrlichsten authentischen Seereise- und Seesturmberichte, die wir neben Act 27 aus der Antike besitzen: die entsprechenden Abschnitte in den

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31 32

Plut, Dio 25,3-11. Übersetzung: Plutarch, Grosse Griechen und Römer, eingeleitet und übersetzt von K. Ziegler Bd. IV, Zürich 1957,29f. Veg, mil 4,39. Eine zweisprachige Ausgabe der die Seefahrt betreffenden Teile bei D. Baatz und R. Bockius, Vegetius und die römische Flotte, Römisch-Germanisches Zentralmuseum. Monographien 39, Mainz 1997. Hör, carm I 22,5; II 6,3; Jos, bell 2,381. Vgl. C. J. Hemer, The Book of Acts in the Setting of Hellenistic History, WUNT 49, Tübingen 1989, 144. Näheres bei H. Hellenkemper, Der Weg in die Katastrophe. Mutmaßungen über die letzte Fahrt des Mahdia-Schiffes, in: Das Wrack I, 153-164. Als Rekonstruktionshilfe zitiert und kommentiert der Autor Act 27 („der genaueste und umfangreichste Bericht über eine Schiffskatastrophe" aus der Antike; ebd. 159-161).

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Marius Reiser

autobiographischen Aufzeichnungen des 117 n.Chr. geborenen Sophisten Aelius Aristides; es sind die „Heiligen Berichte" (ίεροί λόγοι). 33 Im Spätsommer 144 n.Chr. reist Aristides schwerkrank zu Schiff von Rom nach Milet. Das Schiff nimmt die normale Route durch den korinthischen Meerbusen.34 Aber die Fahrt beginnt schlecht: Und nun begann eine Odyssee: sofort im Tyrrhenischen Meer Platzregen und Finsternis, Südweststurm und unbändig tobende See. Der Steuermann ließ das Steuer aus den Händen, der Kapitän und die Matrosen streuten Asche auf ihre Häupter und bejammerten sich selbst und das Schiff. Die See aber brach mit mächtigem Schwall über den Bug und das Heck herein, und ich wurde von Wind und Wellen überflutet. Das ging Tag und Nacht so fort. Es war ungefähr gegen Mitternacht, als wir gegen das Pelorische Vorgebirge Siziliens [Nordostkap] getrieben wurden. Dann in der Meerenge verworrenes Hasten, teils nach vorwärts, teils nach rückwärts. Das Adriatische Meer durchführen wir in zwei Nächten und einem Tag, geräuschlos von der Strömung geleitet. Als wir auf Kephallenia zuhalten mußten, ließen das wieder der hohe Seegang und der Wind nicht zu, sondern wir wurden hin und her getrieben. Körperliche Anstrengung jeder Art und völlige Erschöpfimg. Was aber dann aufs neue in der Achaischen Meerenge uns begegnete, als unmittelbar vor der Tag- und Nachtgleiche die sauberen Schiffsleute aus Patrai ausliefen, gegen meinen Willen und von Anfang an erhobenen Widerspruch, das könnte man wohl nicht mit Worten beschreiben, während bei all dem mein Brustleiden und die anderen Übel sich noch verschlimmerten. Ähnlich war es mit den Dingen, die im Ägäischen Meer vorkamen durch Unfähigkeit des Steuermanns und der Matrosen, die sich herausnahmen, gegen den Wind zu segeln, und nicht auf mich hören wollten. Das gab dann noch einmal vier stürmische Tage und Nächte zu den (vorherigen) zehn, die wir ringsum durch das ganze Meer getrieben wurden. In dieser Frist nicht wenige Fastenzeiten. Mit Mühe erreichten wir endlich Milet.35

Aristides gibt eine anschauliche und dramatische Schilderung, aber ohne rhetorischen Aufputz und literarische Topoi. Wir haben es mit einem echten Bericht zu tun, der sehr genaue Angaben enthält („gegen Mitternacht", „in zwei Nächten und einem Tag", „unmittelbar vor der Tag- und Nachtgleiche" usw.), obwohl er ungefähr 30 Jahre nach den Ereignissen abgefaßt ist.36 Solche Erlebnisse vergißt man nicht leicht; man erzählt sie immer wieder. Frei33

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Griech. Text ed. B. Keil Bd. 2, Berlin 1958 (1898), 376-467. Die folgenden Zitate nach: Publius Aelius Aristides, Heilige Berichte. Einleitung, deutsche Übersetzung und Kommentar von H. O. Schröder, Heidelberg 1986. Vgl. Gelsdorf, Schiffahrtsrouten 751-758. Dort S. 753 auch eine bequeme Übersicht antiker Schiffahrtsrouten auf einer Karte. Ael Arist, HL 2,65-68 (Schröder 59f). Das halten Theologen merkwürdigerweise immer wieder für eine unglaubliche Leistung. Vgl. dagegen die Bemerkungen von H. Botennann in der Besprechung von Thornton, Zeuge: Gnomon 65 (1993) 506-509, hier 507f.

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lieh paßt der Wind aus Südwest schlecht zu der Aussage, sie seien gegen das Nordostkap Siziliens getrieben worden; doch darf man die Strömungsverhältnisse in der Straße von Messina nicht vergessen. Für den Weg bis zum Isthmus benötigt das Schiff zehn Tage; rechnet man vom Herbstbeginn zurück, muß die Abreise von Rom um den 12./13. September gewesen sein. Den Isthmus überquert die Reisegesellschaft wohl zu Fuß und schifft sich dann in Kenchreä neu ein.37 Nach weiteren vier Tagen, Ende September, ist man endlich in Milet. Ahnlich wie Paulus in Act 27,9f hatte Aristides vor einem Auslaufen unmittelbar vor dem Herbstaequinoktium (23. September) gewarnt; nach Vegetius pflegt diesem „ein heftiger Äquinoktiaisturm" zu folgen.38 Genau wie Lukas (Act 27,27), Josephus (vit 15) und andere antike Autoren bezeichnet Aristides das Ionische Meer als Adria (2,66). Von den Geschehnissen in der Ägäis, die er hier im 2. Buch nur beiläufig erwähnt, trägt er im 4. Buch seiner Aufzeichnungen eine interessante Episode nach: Als wir nun von Griechenland aus nach Hause gebracht wurden und ein Sturmwetter eintrat, kamen wir sicherlich durch eine göttliche Fügung heil zuerst nach Delos, dann nach Milet, beides heilige Stätten des Apollon. Es geziemt sich aber, auch folgendes dem Apollon, dem Delier und dem Heiland, zuzuschreiben, da wir nun einmal in unserem Bericht zu diesem Punkt gekommen sind. Als ich nämlich in Delos an Land ging, voll Zorn über den Steuermann, der den Verstand verloren hatte, gegen den Wind segelte und gleichsam das Meer pflügte, verpflichtete ich mich sofort durch einen Eid, während zweier Tage gewiß nicht abzusegeln. „Doch wenn es ihm Vergnügen macht, dann soll er segeln", sagte ich, „auf eigene Faust." Ich opferte dann dem Gott und hielt mich so lange wie möglich im Heiligtum auf. Dann ging ich auf mein Zimmer, gab den Dienern zuvor Weisung, wenn jemand vom Schiff komme, so sollten sie ihn abweisen, und ruhte mich so im Hafen von Delos aus. „Schwer bezecht erschienen indes"40 die Schiffer, fast um die Zeit des ersten Schlafes, traten heran, klopften an die Tür und hießen mich herauskommen und die (günstige) Fahrgelegenheit nutzen, denn das Wetter sei geradezu wunderbar. Auf die Entgegnung meiner Diener, das sei dummes Zeug und ich würde mich unter keinen Umständen von der Stelle rühren, zogen sie zomig ab, als wäre ihnen ein reicher Gewinn entgangen. Schon war der Hahnenschrei nahe, da brach ein gewaltiger Orkan los. Das Meer wurde von einer wilden Bö gepeitscht, und alles wurde überflutet. Die kleinen Fahrzeuge im Hafen wurden teils aufs Land geworfen, teils stießen sie gegeneinander und wurden zertrümmert. Das

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Vgl. L. Friedländer, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms, Bd. 1, Leipzig 1922, 33 8f. Veg, mil 4,39. Vgl. H. Treidler, Das Ionische Meer im Altertum. Geschichte und Ursprung seines Namens, Klio 22 (1928) 86-94, hier 91. Der Geograph Ptolemäus unterscheidet die „Adria" oder das „adriatische Meer" vom „adriatischen Busen". Vgl. Hemer, Acts 145f. Eine Fülle von Belegen bietet J. J. Wettstein, Novum Testamentum Graecum, 2 Bde., Amsterdam 1752 (Nachdruck Graz 1962). Horn, Od 3,139.

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Marius Reiser Frachtschiff, das uns beförderte, wurde mit zerrissenen Haltetauen hinauf- und hinabgeschleudert und nur mit Mühe unter viel Geschrei und Verwirrung der Schiffsleute gerettet. Dazu kam noch ein schwerer heftiger Regenguß, und auf der Insel herrschte dasselbe Durcheinander wie auf einem Schiff. Mit Tagesanbruch erschienen in aller Eile meine Freunde, die ich auf meine Kosten an Bord genommen hatte. Sie nannten mich ihren Wohltäter und Retter und freuten sich mit mir über die Vorsehung der Götter. Auch die Schiffsleute kamen, und jetzt waren sie dankbar und staunten darüber, aus was für drohenden Gefahren sie gerettet worden waren.41

Aristides ist wütend auf den Steuermann, der „gegen den Wind segelte und gleichsam das Meer pflügte" (4,33). Damit beweist er nur seinen eigenen nautischen Unverstand. Der Steuermann tut genau das Richtige, nämlich das, was das Schiff mit Paulus gern getan hätte: άντοφθαλμεΐν τω άνέμφ (Act 27,15). „Wenn man von einem schweren Sturme überfallen wird, so muß man... entweder beiliegen oder lenzen. Jenes geschieht dadurch, daß man den Kopf des Schiffes so nahe wie möglich an oder in den Wind bringt, dieses indem man vor dem Winde segelt, beides also, indem man dem Kiele die Richtung des Windes giebt."42 Kommt die Woge von der Seite, kann sie alles zertrümmern und das Schiff, wenn es schwer beladen ist, vielleicht sofort versenken. Legt man aber „das Schiff mit dem Kopf gegen die See, so daß es den Kamm der Wellen rechtwinklig durchschneidet ['gleichsam das Meer pflügt', wie Aristides sehr schön sagt], so wird das Wasser vom Vorsteven gespalten und von den beiden Bugen zur Seite geschoben, und sollte trotzdem eine hohe Woge über das Schiff stürzen, so wird das überkommende Wasser doch nicht mehr als die Breite des Schiffes betragen"43. Der Autor von Act 27 zeigt also mehr nautischen Verstand als Aristides, der den guten Steuermann ziemlich genervt haben dürfte. Das in Delos gefaßte Gelübde, in den nächsten beiden Tagen nicht zu reisen, erspart der Reisegesellschaft eine stürmische Seefahrt. Aristides tritt mit dem Wissen einer göttlichen Eingebung auf, als Prophet, der gegen die Absicht der Zuständigen das Richtige rät. Die Rettung aus der Gefahr schreibt er Apollon zu als Lohn fur einen Paian, den er dem Gott auf ein Traumgeheiß hin gedichtet hatte.44 Und er sieht noch einen besonderen Vorzug darin, daß er nicht allein gerettet wurde wie in einem ähnlichen Fall der Dichter Simonides, sondern mit ihm auch seine Freunde.45 Hier haben wir eine bemer-

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AelArist, HL 4,32-36 (Schröder 93f). A. Breusing, Die Nautik der Alten, Bremen 1886,167. Ebd. AelArist,HL4,31. Ebd. 4,37. Zu der Geschichte mit Simonides vgl. die Hinweise in der deutschen Übersetzung von Schröder 94 Anm. 90. Großzügig stellt Aristides es dem Leser im nächsten

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kenswerte und zweifellos authentische Parallele zum prophetischen Auftreten des Paulus, wie es in Act 27 geschildert wird. Nicht lange nach der Rückkehr von der Seereise beginnen die Offenbarungen, die Aristides von Asklepios empfangt. Dieser schickt ihn nach Chios. Mitten im Winter, im Dezember 144 oder Januar 145 n.Chr., will die Reisegesellschaft über den Golf von Smyrna setzen: Nachdem wir Klazomenai erreicht hatten, meinten wir, wir müßten geradewegs nach Phokaia hinüberfahren. Als wir bei den Inseln Drymussa und Pele waren, setzte ein leichter Hauch des Südostwindes ein, und als wir weiter vorwärts kamen, war es schon steifer Südost, und schließlich brach ein gewaltiger Sturm los. Das Schiff hob sich am Bug und senkte sich auf das Heck und wäre beinahe untergegangen. Dann schlugen von beiden Seiten die Wellen darüber, und es wurde hinausgetrieben gegen die offene See. Schweiß und Tumult der Matrosen und alle möglichen Rufe der Passagiere, denn auch von meinen Freunden machten mehrere die Seereise mit, mir aber genügte das eine Wort „O Asklepios!". Nachdem wir viele wechselnde Gefahren überstanden und schließlich an der Landungsstelle tausendmal gewendet hatten und nachdem wir zurückgeworfen den Zuschauern ein sehr beängstigendes Schauspiel (πολλήν άγωνίαν) geboten hatten, durften wir froh sein, mit knapper Not noch davonzukommen.46

Diese Schilderung eines Seesturms ist wiederum dramatischer als die in Act 27,14-20, verzichtet jedoch auf rhetorische Stilisierung und literarische Topoi, wie wir sie in zeitgenössischen Romanen gefunden haben. Das letzte Beispiel betrifft eine Seereise, die wenige Jahre vor der des Aelius Aristides stattfand. Im Sommer 131 oder 132 n.Chr. unternahm Arrian als Statthalter der Provinz Kappadokien mit einer kleinen Flotte eine Inspektionsreise in die östlich von Trapezunt am Schwarzen Meer gelegenen Küstengebiete. Die Schiffe sind mit Rudern ausgestattet. Seinem Rechenschaftsbericht an Kaiser Hadrian gibt Arrian die Form eines Briefes.47 Der Bericht muß auf der Reise selbst oder kurz danach verfaßt worden sein.48 Schon nach der ersten Station gerät des Schiff in einen Sturm, den Arrian - gegen die Gewohnheiten der Gattung des Periplus - ausfuhrlicher schildert:

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Satz anheim, ob er an den Lohn ftlr das Lied glauben will oder lediglich die göttliche Vorsehung und Vorwarnung. Ael Arist, HL 2,12 (Schröder 44). Hier und im folgenden stütze ich mich auf die Ausgabe mit Einleitung und Kommentar von A. Silbermann, Arrien, Périple du Pont-Euxin, CB, Paris 1995. Auf diese Schrift Arrians hat Haenchen hingewiesen (Acta 27). An diesen Inspektionsbericht erinnert der erste Teil von Act 27 seines Erachtens viel mehr als an einen Roman (ebd. 240). Aber Haenchen selbst zieht keine Folgerungen aus dieser Feststellung, und niemand scheint seither dem Hinweis nachgegangen zu sein. Silbermann, Arrien VIII.

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Marius Reiser Ένθένδε έπλέομεν τα μεν πρώτα ταΐς αυραις ταΐς έκ των ποταμών πνεούσαις εωθεν καί άμα ταΐς κώπαις διαχρώμενον ψυχραί μεν γαρ ήσαν αί αυραι, ώς λέγει και "Ομηρος, ούχ ίκαναί δέ τοις ταχυναυτεΐν βουλομένοις. είτα γαλήνη έπελαβεν, ώστε και ήμεΐς τη είρεσίςι μόνη έχρώμεθα. έπειτα δέ αφνω νεφέλη έπαναστασα έξερράγη κατ' ευρον μάλιστα, καί έπήνεγκεν πνεύμα έξαίσιον καί τούτο άκριβώς εναντίον, οπερ καί μόνον ώνησεν ήμας- κοίλην μεν γαρ δι' ολίγου τήν θάλατταν έποίησεν, ώς μή κατά τάς κώπας μόνον άλλα καί ΰπέρ τάς παρεξειρεσίας έπεισρεΐν ήμίν εκατέρωθεν άφθόνως του ύδατος, τούτο δη το τραγικόν, „καί την μέν έξηντλοΰμεν, ή δ' έπεισέρρει", άλλ' ού πλάγιόν γε ήν το κλυδώνιον. ταύτη και ήνύτομεν μόγις καί χαλεπώς τη έρεσίςι, και μέντοι πολλά παθόντες ήκομεν εις τάς 'Αθήνας. Von dort segelten wir zunächst mit den Winden, die von den Flüssen her nach Osten wehen, und nahmen auch die Ruder zu Hilfe. Denn die Winde waren zwar frisch, wie auch Homer sagt,49 aber sie reichten nicht aus für Leute, die schnell fahren wollen. Dann gerieten wir in eine Windstille, so daß auch wir ganz auf das Rudern angewiesen waren. Darauf bildete sich plötzlich eine Wolke, zerriß genau im Osten und schickte uns einen starken Wind entgegen, genau von vorn, was unser einziges Glück war. Denn er höhlte das Meer beinahe aus, so daß uns das Wasser in großen Mengen von beiden Seiten eindrang, nicht nur bei den Riemen, sondern auch über die Ausleger50 ganz wie es in der Tragödie heißt: „Wir schöpften aus, aber ständig flöß es nach";51 doch kam die Woge wenigstens nicht von der Seite. So kamen wir nur langsam und mühselig mit Rudern vorwärts, gelangten aber doch, nachdem wir viel mitgemacht hatten, nach Athen (am Schwarzen Meer).52

Arrian gibt eine nüchterne, nautisch exakte Schilderung, die nicht ohne Dramatik ist. Durch das Drehen des Windes aus West nach Ost baut sich ein Sturm auf; Arrian geht offenbar davon aus, daß sich der Wind in der Wolke bildet und diese explosionsartig zerreißt. 53 Die Wogen kommen zum Glück von vorne und nicht von der Seite, das Wasser aber dringt durch die Riemenpforten in den Schiffsraum. Sieht man von den unvermeidlichen Dichterzitaten des gebildeten Literaten ab, liegt hier nach Darstellungsart und Ausführlichkeit die genaueste Analogie zu Act 27,13-20 vor. Arrian schildert dann im folgenden die weiteren Vorkehrungen gegen den Sturm, der sie zwei Tage lang festhält. Die Bucht, die als Ankerplatz dient, gewährt Schutz vor dem

49 Horn, Od 5,469. 50 Der Ausleger ist ein Seitenüberhang am Schiff filr eine weitere Riemenreihe. Vgl. R. Bockius, Vegetius und die Klassifizierung römischer Kriegsschiffe in der kaiserzeitlichen Flotte, in: Baatz/Bockius, Vegetius 41-64, hier 58-60. 51 Vers unbekannter Herkunft. Vgl. B. Snell und R. Kannicht (Hg.), Tragicorum graecorum fragmenta, Bd. 2, Göttingen 1981, Nr. 89. 52 Arr, peripl m Eux 3,2-4. 53 Zu dieser antiken Theorie vgl. R. Böker, Art. Winde. Die geophysischen Windtheorien im Altertum, PRE II 8 A,2 (1958) 2215-2265, 2225f.

Von Caesarea nach Malta

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Notos (Südwind) und selbst dem Euros (Südostwind), dazu vor dem Boreas (Nordostwind), „aber nicht vor dem Aparkias (Nordwind) und auch nicht vor dem Wind, den man in Pontus den Thraskios nennt, in Griechenland den Skiron (Nordwestwind)"54. Als der Wind auf Süd und Südwest dreht, werden die meisten Schiffe der kleinen Flotte auf den Strand gezogen und so gerettet; eines wird jedoch von einer Woge erfaßt, gegen das Ufer geworfen und zertrümmert.55 Mir ist kein anderer Seereisebericht aus der Antike bekannt, der Act 27 so nahe käme wie dieser Abschnitt aus dem Rechenschaftsbericht Arrians. Der Vergleich mit literarischen Seereise- und Seesturmschilderungen zeigt also: 1. Die Darstellung in Act 27 hat nichts Romanhaftes an sich; literarische Topoi aus der Tradition der Seesturm-Ekphrasis seit Homer fehlen vollständig. 2. Die Seesturmbeschreibung in Act 27,13-20 zeigt selbst im Vergleich mit Plutarchs Schilderung und den authentischen Berichten Arrians und des Aelius Aristides eine große Nüchternheit; jeder Versuch einer Dramatisierung fehlt. Die vielgerühmte "Dramatik" des Berichts besteht in der genauen Beobachtung und einer sachlich knappen Darstellung, die in der überlieferten antiken Literatur ohne wirkliche Parallele dasteht. 3. Die Realistik der Reiseroute von Act 27 und einiger nautischer Details hat sich bereits an mehreren Stellen gezeigt. Auf weitere Einzelheiten kommen wir im Folgenden.

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Winde und eine windige Theorie

Um die Schiffsrouten und die in Act 27 geschilderten Ereignisse zu verstehen, muß man sich zunächst einige grundlegende Sachverhalte hinsichtlich der Windverhältnisse im Mittelmeerraum klar machen. In den Sommermonaten von Juli bis September herrschen nördliche Winde, die sogenannten Etesien, vor. Diese sehr beständigen Winde können auch im Herbst noch auftreten bis in den Oktober hinein. Im Ionischen Meer haben die Etesien eher Nordwestrichtung, während sie im Seeraum östlich und südlich von

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Arrian hat offensichtlich eine achtteilige Windrose vor Augen; die Windnamen entsprechen dem System des Timosthenes (Turm der Winde in Athen) bis auf den Thraskios oder Skiron, der dort Kauros heißt. Arr, peripl m Eux 4,1 -5,2.

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Kreta aus Nordwest bis West blasen.56 Deshalb kommt ein Schiff normalerweise leicht und schnell von Rom nach Alexandria, aber nur auf Umwegen und mit viel Ankreuzen gegen den Wind von Alexandria nach Rom. Ungefähr von Oktober bis Mai überwiegen zyklonale Wetterlagen mit reichlichen Niederschlägen. Dabei „wechseln ... die Winde sehr oft ihre Richtung, und nur wenn eine Störung über Tage hin an einer Stelle liegen bleibt, wie es des öfteren im Tyrrhenischen, Ionischen und Ägäischen Meer sowie im Seeraum südlich Kretas der Fall ist, herrschen längere Zeit gleichbleibende [Luft-] Strömungsverhältnisse. Durch Ausbildung zahlreicher Teiltiefs und Randwirbel im Gefolge der Hauptstörungen wird das Bild sehr mannigfaltig und kompliziert."57 Diese Windverhältnisse erklären den Kurs, den das Schiff mit Paulus an Bord genau wie die "Isis", von der Lukian berichtet, von Sidon aus nimmt. Sie erklären weiter, warum Segelschiffe niemals nördlich von Kreta nach Westen fahren, sondern stets südlich davon. Und sie erklären schließlich, was dem Schiff mit Paulus an Bord nach dem Verlassen von Καλοί Λιμένες geschieht. Das "Fasten", d.h. der Große Versöhnungstag, war schon vorbei (Act 27,9). Dieser Tag fiel im Jahr 59, als Paulus nach Rom unterwegs war, ungefähr auf den 5. Oktober.58 Das fünf Tage danach gefeierte Laubhüttenfest gilt in der rabbinischen Tradition als das Ende der für Seereisen günstigen Periode.59 Nach Vegetius ist die Schiffahrt bereits von Mitte September an „riskant und gefahrvoll"; denn am 14. September geht der Arkturus auf, am 24. September tritt „ein heftiger Äquinoktiaisturm" auf, „am 7. Oktober gehen die regnerischen Haeduli auf (Sterne im Fuhrmann) und am 11. Oktober der Stier. Vom November an unterbricht der winterliche Untergang der Vergilien (Plejaden) die Schiffahrt häufig mit Stürmen. Daher sind die Meere vom 11. November bis zum 10. März geschlossen."60 So ist es kein Wunder, wenn das Schiff mit Paulus an Bord, wahrscheinlich nach der Umrandung

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Vgl. G. Schmidt, Art. Winde. Allgemeine Windverhältnisse des östlichen Mittelmeergebietes, PRE II 8 A,2 (1958) 2211-2215, 2212f. Ebd. 2214. Vgl. F. F. Bruce, The Acts of the Apostles, London 2 1952, 455. Die Datierung der Romfahrt in das Jahr 59 läßt sich jetzt mit numismatischen Argumenten belegen; sie zeigen, daß der Wechsel von Felix auf Festus als Statthalter Judäas nicht in das Jahr 60 fällt, wie oft angenommen, sondern in das Jahr 59. Vgl. M. Reiser, Numismatik und Neues Testament, Bib. 81 (2000) 457-488,472. Belege bei H. L. Strack und P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, Bd. 2, München 7 1978, 771 f. Veg, mil 4,39. Übersetzung Baatz. Es geht hier natürlich nicht um meteorologische Gesetzmäßigkeiten, sondern um Erfahrungswerte.

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von Kap Maiala in der offenen Bucht, von einem Sturm erfaßt wird; es ist ein άνεμος τυφωνικός ό καλούμενος Εύρακύλων (Act 27,14). Diese Angabe ist entscheidend für das Verständnis der weiteren Ereignisse; an ihr entscheiden sich auch alle Theorien über den Verlauf der Reise und die Identifikation der Insel Μελίτη, vor deren Strand schließlich der Schiffbruch erfolgt. Darum müssen wir ausführlicher darauf eingehen. Das Substantiv τυφών bezeichnet einen Wirbelwind mit vertikaler Achse;61 dasselbe dürfte auch mit dem άνεμος τυφωνικός gemeint sein. Die Windrichtung gibt Lukas durch den genauen Namen des Windes an: Εύρακύλων. 62 Dieser Windname ist in den literarischen Quellen nirgends belegt, sowenig wie die lateinische Entsprechung Euroaquilo, die die Vulgata bietet. Das ist angesichts der Vielfalt antiker Windnamen nicht verwunderlich; offiziell normierte Windnamen gab es ja nicht, und so ist z.B. auch der Windname Eurocircius nur bei Vitruv (I 6,10) belegt.63 In modernen Kommentaren kann man nun immer noch lesen, daß es sich bei Εύρακύλων um eine Mischbildung handle, die in sich widersprüchlich sei,64 oder daß sie einen Orkan bezeichne, „bei dem die Windrichtungen wechseln"65. Ernst Haenchen schreibt, es handle sich um „eine sehr merkwürdige Form", und vermutet, ebenso wie bei der Verbindung άνεμος τυφωνικός, es handle sich um eine lukanische Bildung.66 Dabei hat bereits Richard Bentley (1662-1742) - Rudolf Pfeiffer nennt ihn „den größten klassischen Philologen"67 - von philologischer Seite das Nötige zu diesem Kompositum gesagt. Das Wort ist eine zo

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Böker, Art. Windtheorien 2254f; ders., Art. Winde. Windnamen, PRE II 8 A,2 (1958) 2288-2325,2322. Die Lesart εύροκλύδων - ein sonst nirgends belegtes Wort - kommt, wie bereits R. Bentley gesehen hat (s. Anm. 68), schon aus inneren Gründen nicht in Frage: Die Zusammensetzung eines Windnamens εύρος „Ostwind" mit κλύδων „Wogen" ist unsinnig. Vgl. Böker, Art. Windnamen 2296. K. Lake and H. J. Cadbury (ed.), The Beginnings of Christianity, vol. 5, London 1933, 344; J. Roloff, Die Apostelgeschichte, NTD 5, Göttingen/Ztlrich 1981, 362. R. Pesch, Die Apostelgeschichte. 2. Teilband (Apg 13-28), EKK V/2, Zürich u.a. 1986, 290. Ebd. verweist Pesch auf Hemer mit der Bemerkung, danach könne der Eurakylon der ONO sein. Haenchen, Acta 27, Zitat 243, vgl. auch 248. R. Pfeiffer, Die Klassische Philologie von Petrarca bis Mommsen, München 1982, 181. Vgl. ebd. 179-197. Vgl. R. Bentley, Remarks upon a Late Discourse of Free-Thinking (1743), in: ders., The Works, edited by A. Dyce, vol. 3, London 1838. Nachdruck: Anglistica et Americana 131, Hildesheim 1971, hier 353-355. Seine Ausführungen sind zitiert im Appendix bei J. Smith, The Voyage and Shipwreck of St. Paul, London 1848. 2 1856, 263-265, und bei Breusing, Nautik 165f. Warum selbst Lake/Cadbury, Beginnings sie unbeachtet ließen, ist mir rätselhaft.

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durchaus nicht ungewöhnliche griechisch-lateinische Hybridbildung, zusammengesetzt aus zwei Windnamen: εύρος „Ost" und aquilo „Nord". 9 Es handelt sich offenkundig um die Transliteration eines Terminus technicus der lateinischen Seemannssprache. Wie nun der euronotus ein Wind ist, der zwischen eurus „Ost" und notus „Süd" bläst, also ein Südost, so ist der euroaquilo ein Wind, der zwischen eurus „Ost" und aquilo „Nord" bläst, also ein Nordost. Daß es ein Nordostwind sein muß, geht im übrigen schon aus der Furcht der Seeleute hervor, in die „Syrte" (gemeint ist wohl die Große Syrte) zu geraten (Act 27,17). Bentley konnte den Wind aber noch genauer bestimmen. In der zwölfteiligen Windrose erscheinen nämlich zwischen Nord und Ost zwei Winde; für den einen der beiden, der bei den Griechen gewöhnlich Καικίας heißt, hatten die Römer keinen eigenen Namen, wie noch Seneca ausdrücklich bezeugt.70 Aus diesem Befund Schloß Bentley, daß Euroaquilo eine römische Bezeichnung für diesen sonst namenlosen Wind sein dürfte und mithin als Ostnordost (ONO) zu gelten habe. Colin J. Hemer faßt den Befund richtig zusammen, wenn er schreibt, „that euraquilo is an unusual, but logically formed, nautical term which a traveller is likely to have heard from sailors speaking a Latin or mixed jargon, and precisely apposite to the circumstances of Paul's voyage"71. All das war bereits im 18. Jahrhundert klar und bekannt; Anfang des 20. Jahrhunderts aber hat die Archäologie diese Schlüsse glänzend bestätigt. Bei den Ausgrabungen der nordafrikanischen Stadt Thugga (Dougga) fand man auf dem Platz zwischen Markt und Merkur-Tempel eine große, zwölfteilige Windrose aus dem 3. Jahrhundert n.Chr. Nach dieser Windrose heißt heute der ganze Platz "Platz der Windrose".72 Die Windrose ist in die Kalksteinplatten eingraviert und hat einen Durchmesser von knapp 8 m. Die zwölf Winde sind mit Namen versehen; unter den Namen ist auch die Bezeichnung Euroaquilo.73

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C. J. Hemer hat 1975 auf die analoge Mischform euroauster neben der rein 'griechischen' Form euronotus hingewiesen: Euraquilo and Melita, JThS 26 (1975) 100111, hier 102; ders., Acts 141f. Sen, nat V 16,4. Näheres bei A. Rehm, Art. Kaikias, PRE 10,2 (1919) 1497-1500. Hemer, Acts 142. Für reichhaltige Informationen zu dieser Windrose danke ich Herrn Prof. Dr. V. M. Strocka und Herrn Dr. Ch. Leschke vom Archäologischen Institut der Universität Freiburg. Sie haben auch das Foto mit dem Windnamen Euroaquilo zur Verfügung gestellt. So auch die Lesung von CIL Vili Suppl. IV Nr. 26652. Die falsche Lesart „Euraquilo" entstand durch einen Druckfehler bei C. Poinssot, Les ruines de Dougga, Tunis 1958 (Nachdruck 1983), 33. Näheres zu dieser Windrose und den Windnamen bei C. Poinssot, Les inscriptions de Dougga, Nouvelles archives des missions scientifiques et littéraires 13 (1906) 297-304 (Nr. 158).

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Dieser Windname steht genau an der erwarteten Stelle, nämlich dort, wo in anderen zwölfteiligen Windrosen der Καικίας oder euroborus steht.74 Das Schema dieser Windrose sieht wie folgt aus:75

NORD Septentrio Circius

Aquilo

Argestes

Euroaquilo

. Vulturnus OST

WEST Favonius ·

Africus '

' Eurus

Libonotus

Leuconotus Auster SÜD

74

75

Die Windrose nach Vegetius (mil 4,38) mit lateinischen und griechischen Windnamen (an unserer Stelle Euroborus/Caecias) findet man bei Baatz/Bockius, Vegetius 16. Vgl. im übrigen Rehm, Art. Kaikias 1497-1500. Dort ist auch schon auf Thugga und Act 27,14 verwiesen. Ausführlich informiert über Windrosen Böker, Art. Windnamen 23252381. Dort Sp. 2295.2355 auch zu Thugga und Euroaquilo. Vgl. auch F. Lasserre, Art. Winde. Windrosen, KP 5 (1975) 1375-1380. Der Name für den Ost ist heute verschwunden, „Vulturnus" eine mehr oder weniger geratene Lesart. Statt „Favonius" hat die Inschrift „Faoni".

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Marius Reiser

Merkwürdigerweise hat diese Entdeckung in die Kommentare zur Apostelgeschichte bis zum heutigen Tag keinen Eingang gefunden.76 Ja, die Kommentare zu Act 27,14 sind im 20. Jahrhundert fast durchweg dürftig zu nennen und fallen weit hinter die Erkenntnisse Richard Bentleys zurück. Nicht einmal Colin J. Hemers Beiträge, die auf diese Windrose hinweisen, werden ausgewertet; auf sie wird bestenfalls bibliographisch verwiesen.77 Auch ist es offenbar noch keinem Kommentator eingefallen, den PRE-Artikel „Winde" zu konsultieren, der 1958 erschien, geschweige denn den Artikel Kaikias aus dem Jahr 1919. Nur so ist die beschämende Affäre um Heinz Warnecke zu erklären und die Tatsache, daß seine absurde These von Exegeten nicht nur ernst genommen, sondern zumindest teilweise auch geglaubt wurde.78 Wie begründet nun Warnecke seine Behauptung, die Insel Μελίτη von Act 28,1 sei nicht mit Malta zu identifizieren, sondern mit Kefalinia,79 das niemals den Namen Μελίτη trug? Er nimmt einige Argumente auf, die früher im Zusammenhang mit der uralten und längst widerlegten These vorgebracht wurden, mit dem Μελίτη der Apostelgeschichte sei das heutige Mljet vor der dalmatischen Küste gemeint. 0 Es sind hauptsächlich drei: Malta liege nicht in der Adria (vgl. Act 27,27), sei damals nicht von Barbaren bewohnt gewesen (vgl. Act 28,2.4) und es gebe dort keine Giftschlangen (vgl. Act 28,3-6). Die Benennung des Ionischen Meeres als Adria ist, wie wir schon gesehen haben, gerade für das 1. und 2. Jahrhundert n.Chr. gut belegt. Wie punische Inschriften beweisen, dürfte die Landbevölkerung Maltas eine semitische Sprache gesprochen haben; das genügte, um sie aus griechisch-römischer Sicht als Bar76

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Eine Ausnahme bildet meines Wissens nur der Kommentar von Witherington, der diesen Wind allerdings fälschlich als NNO (statt ONO) bestimmt (Acts 765 mit Verweis auf Hemer). Man kann auch auf Hemer verweisen und trotzdem schreiben: „Die Windbezeichnung Eurakylon kommt nur hier vor" (Weiser, Apostelgeschichte 2, 662). Anders Thornton, Zeuge 318. Jervell macht zum Stichwort „Eurakylon" nur folgende Anmerkung: „Dazu Warnecke, Romfahrt 37-39; vgl. auch Hemer, Euraquilo 100-111" (Apostelgeschichte 606 Anm. 447). Die Hauptautorität ist demnach der Dilettant, der Unsinn schreibt; mit diesem soll man "auch" den Experten vergleichen, dessen Ausführungen den Unsinn richtigstellen! S.o. Daß die Medien lieber sensationelle Absurditäten verbreiten als altbekannte Tatsachen, ist nicht weiter verwunderlich. Genauer: mit der Landzunge von Argostoli. Diese Identifikation, die in keiner Quelle belegt ist, wird mit Hilfe einer abenteuerlichen Argumentation vorgenommen (Warnecke, Romfahrt 59-69). Vgl. Hemer, Euraquilo; P. Guillaumier, New Perspectives on the Historicity of St. Paul's Shipwreck on Melite, in: M. Galea and C. J. Ciarlò (ed.), St. Paul in Malta. A Compendium of Pauline Studies, Malta 1992,53-94.

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baren zu bezeichnen. Die Tatsache, daß es heute auf Malta keine Giftschlangen gibt, schließt nicht aus, daß es solche in der Antike dort gab. Im übrigen hält selbst der Verfasser der Naturalis Historia unterschiedslos alle Schlangen fur giftig.81 Aber das alles ist altbekannt. Neu ist dagegen Warneckes Hauptargument, das er Act 27,14 entnimmt, und zwar mit Hilfe einer wahrhaft haarsträubenden "Philologie": Seiner Ansicht nach ist hier nämlich nicht von einem, sondern von zwei Winden die Rede: 1. dem άνεμος τυφωνικός und 2. dem Εύρακύλων. Den ersten deutet er als Schirokko, den zweiten als „einen dynamischen, sich von Nordost auf Ost drehenden Wind"82. Zuerst wird das Schiff mit Paulus an Bord von dem Euroaquilo erfaßt, gelangt „zügig während des ersten Tages in den Seeraum westlich von Kreta und ... dann zu/

SI

nehmend in die Gewalt des τιχρωνικος" . Dieser dreht langsam „von Ost und Südost über Süd und Südwest"84 und fuhrt das Schiff auf diese Weise geradewegs an seinen Bestimmungsort vor der griechischen Festlandküste. Warnecke läßt die Winde wehen wie der Windgott selber. Daß das alles pure Phantasie ist und der Grammatik und dem philologischen Befund von Act 27,14 einfach Hohn spricht, das müßte jeder sehen, der ein bißchen Griechisch kann. Und dennoch ist diese absurde "Analyse" offenbar allzu vielen entgangen, sonst wäre es schon gar nicht zu einer Publikation in einer wissenschaftlichen Reihe gekommen. Es ist wohl kaum nötig, noch auf weitere Argumente und Gedankengänge dieses Autors einzugehen.85 Sie sind von ähnlicher Güte.

81

Plin, nat hist VIII 35,85. Zu den letzten beiden Punkten sagt alles Nötige Hemer, Acts 152f. Dort auch zu den punischen Inschriften. 82 Warnecke, Romfahrt 39. Daß es sich um einen sich drehenden Wind handelt, schließt Warnecke aus der Tatsache des zusammengesetzten Namens! In seinem zweiten Beitrag geht Warnecke auf den Eurakylon gar nicht mehr ein und redet nur noch von dem „typhonikos" oder „Thyphonikos" (er hält das Wort offensichtlich für ein Substantiv). Vgl. Warnecke/Schirrmacher, Paulus 56-58.152 Anm. 3. 83 Warnecke, Romfahrt 49. 84 Warnecke, Romfahrt 50. 85 Das ist auch schon vielfach geschehen; leider hat die Polemik aber oft den Hauptpunkt übersehen oder nicht klar herausgestellt. Vgl. J. Wehnert, Gestrandet. Zu einer neuen These über den Schiffbruch des Apostels Paulus auf dem Wege nach Rom (Apg 27-28), ZThK 87 (1990) 67-99; ders., „... und da erfuhren wir, daß die Insel Kephallenia heißt": Zur neuesten Auslegung von Act 27-28 und ihrer Methode, ZThK 88 (1991) 169-180; B. Schwank, Als wir schon die vierzehnte Nacht auf der Adria trieben (Apg 27,27), EuA 66 (1990) 44-49; Β. M. Rapske, Acts, Travel and Shipwreck, in: D. W. J. Gill and C. Gempf (ed.), The Book of Acts in Its Graeco-Roman Setting, The Book of Acts in its First Century Setting 2, Grand Rapids/Carlisle 1994,1-47, hier 37-43.

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Die nautischen Maßnahmen und Manöver bis zum Schiffbruch will und kann ich hier nicht behandeln; das haben Fachleute zur Genüge getan, die sowohl in der Seefahrt mit Segelschiffen als auch in antiker Nautik und ihren Quellen bewandert sind.86 Einzelheiten werden wie immer bei historischen Fragen unklar und offen bleiben müssen (z.B.: In welcher Weise erfolgte die „Untergürtung" des Schiffes, und was ist gemeint mit dem Niederlassen des σκεύος in Act 27,17?); aber die Hauptsache ist sonnenklar: Es gibt nur eine Insel namens Μελίτη im Mittelmeer, zu der ein Schiff gelangen kann, wenn es von einem länger anhaltenden stürmischen ONO südlich von Kreta erfaßt wird: Malta. Malta ist auch die Insel, an die jeder Zeitgenosse dachte, wenn er von einer Insel namens Μελίτη im Mittelmeer hörte; neben Malta trug nur noch das heutige Mljet vor der dalmatischen Küste diesen Namen.87 Dabei muß man durchaus nicht wie James Smith annehmen, daß der Wind die ganzen 14 Tage über liegen blieb und seine Richtung nicht mehr änderte;88 die Manöver vor dem Schiffbruch setzen im Gegenteil voraus, daß der Sturm nachgelassen hatte. Die Angabe von 14 Tagen (Act 27,27) für die Strecke von Kreta bis Malta, rund 900 km, ist unter den genannten Umständen ganz realistisch.89 Sie entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von rund 1,5 Knoten - genau dieselbe, die Lionel Casson fur die Fahrt der Isis errechnet hat; es ist der niedrigste Wert, den er für antike Seefahrten unter widrigen Umständen fand.90 Jede Alternative zu Malta ist Phantasterei.

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Literarkritik und das historisch Wahrscheinliche

Die Literarkritiker sind sich seit Julius Wellhausen und Martin Dibelius einig, daß es sich bei jenen Passagen in Act 27, die Paulus als autoritativ und prophetisch redend darstellen, um lukanische Einfügungen in eine Quellenschrift

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Zu nennen sind vor allem das Werk von Smith (s. Anm. 68) und das des damaligen Direktors der Bremer Seefahrtschule Breusing (s. Anm. 42), sowie die schon mehrfach zitierten Werke von Hemer. Wirr und phantastisch ist G. Kettenbach, Das Logbuch des Lukas. Das antike Schiff in Fahrt und vor Anker, Frankfurt a.M. 2 1997. Gute Hinweise gibt A. Göttlicher, Die Schiffe im Neuen Testament, Berlin 1999, 226-249; er verläßt sich aber zu sehr auf G. Kettenbach. Vgl. E. Honigmann und W. Ruge (u.a.), Art. Melite, PRE 15,1 (1931) 540-548. So Smith, Voyage 59. Vgl. Breusing, Nautik 83-87. Vgl. L. Casson, Ships and Seamanship in the Ancient World, Princeton 1971, 282-291, hier 289.

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handelt.91 Diese Quellenschrift glaubt man zurückzugewinnen, indem man die drei Abschnitte in den Versen 9-11, 21-26 und 33-36 (dazu Act 28,2-10) sowie V.31 und teilweise V.43 ausscheidet. Zur Rechtfertigung dieser Operation werden hauptsächlich vier Gründe angeführt:92 1. der lukanische Sprachstil dieser Stellen; 2. ihre typisch lukanische Darstellungsabsicht (z.B. die zuvorkommende Behandlung des Paulus durch die Römer); 3. die inhaltlichen Spannungen, die sich durch ihre Ausscheidung lösen, und 4. der geschlossene Erzählzusammenhang, der sich ohne sie ergibt. Wie stichhaltig sind diese Argumente? Niemand zweifelt daran, daß die zur Diskussion stehenden Verse von Lukas formuliert wurden. Die Frage ist nur, ob man stilistische Gründe für ihre literarkritische Ausscheidimg finden kann. Ich sehe keine. Die Wortzählerei der Stilstatistiker ohne Rücksicht auf das Thema und die jeweilige Darstellungsart grenzt ans Lächerliche. Man müßte nachweisen können, daß der Rest des Kapitels signifikant weniger lukanischen Sprachstil aufweist als die beanstandeten Paulusstellen. Aber das nachzuweisen ist unmöglich.93 Deutlich ist nur eines: In der Darstellungsweise unterscheiden sich die drei Paulusszenen markant vom Rest der Erzählung; nur in ihnen kommt wörtliche Rede vor. Daß hier schriftstellerische Absicht und Stilisierung am Werk war, ist keine Frage. Das ist aber noch kein Anlaß fur eine literarkritische Operation. Ebenfalls klar ist, daß zur Stilisierung das Herausstreichen der Rolle des Paulus gehört und der Achtung, die ihm von den römischen Autoritäten entgegengebracht wird. Die Frage ist nur: Hat Lukas hier eine historische Tatsache herausgestrichen oder ist das Erzählte frei erfunden? Enthält seine Darstellung sachlich Unwahrscheinliches? Die zuvorkommende Behandlung des Paulus durch die Römer hat m.E. nichts Unwahrscheinliches an sich. Im Gegenteil: Da Paulus römischer Bürger war und nicht als verurteilter Verbrecher, sondern als Appellant an den Kaiser mitgefuhrt wurde, war Höflichkeit zu erwarten. Die Vorstellung einiger Exegeten, Paulus müsse in Wirklichkeit angekettet unter Deck transportiert worden sein,94 ist historisch absurd.95 Dagegen ist nichts Unwahrscheinliches daran, daß eine Persönlichkeit mit Rei91

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Vgl. Wellhausen, Analyse 53f; M. Dibelius, Die Apostelgeschichte im Rahmen der urchristlichen Literaturgeschichte, in: ders., Aufsätze zur Apostelgeschichte, hg. von H. Greeven, FRLANT 60, Göttingen 1961, 163-174, hier 172-174. Ich orientiere mich im folgenden an Weiser, Apostelgeschichte 2, 387-392, bes. 391. Seine Analyse erklärt auch U. Schnelle für „überzeugend" (Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 1994, 315). Zur Stilstatistik vgl. die Hinweise bei Reiser, Sprache 82f. So z.B. Roloff, Apostelgeschichte 358; R. J. Dillon, Acts of the Apostles, NJBC (1989) 722-767. 764. Ähnlich schon Haenchen, Acta 27, 252. Vgl. Thornton, Zeuge 336 Anm. 316.

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seerfahrung wie Paulus in einer gefahrlichen Situation ihren Rat geben konnte (Act 27,9-11).96 Die Einschätzung dieser Szene als „völlig irreal"97 ist unbegründet. Immerhin kann ein Kenner der Antike wie Arthur Darby Nock zu Act 27,11 bemerken: „Personally, I regard this as an authentic transcript of the recollections of an eyewitness, with the confusion and coloring which so easily attach themselves to recollections."98 Zwischen der anfänglichen Prophezeiung des Paulus, die Fahrt werde nicht ohne Schaden und Verlust an Menschenleben verlaufen, und seinen späteren Äußerungen, die eine Rettung aller intendieren, sehen viele eine gravierende inhaltliche Spannung. Sollte sich dafür keine andere Erklärung geben lassen als die literarkritische? Was besagt schließlich das Argument, ohne die ausgeschiedenen Teile ergebe sich ein geschlossener Erzählzusammenhang? Die ausgesonderten Teile wurden ja vorher so gewählt, daß die Erzählung auch ohne sie bestehen könnte! Das Argument ist also eine petitio principii. Und was bliebe von einem beliebigen Werk der Literatur noch übrig, wenn wir alles herausnähmen, was zur Not (oder ohne Not) auch fehlen könnte? Mit solchen Begründungen offenbart sich die Literarkritik als reines Spiel der Willkür.99 Das entscheidende Argument der Literarkritiker war jedoch schon immer ein historisches Urteil: Paulus könne die Rolle nicht gespielt haben, die ihn Lukas spielen läßt. „Das Bild, das von der Rolle des Paulus während der Seereise gezeichnet wird, ist in jeder Hinsicht historisch undenkbar ... Die Wirklichkeit sah sicher anders aus", meint Jürgen Roloff.100 Woher weiß er das so gewiß? Ein angesehener Historiker wie Eduard Meyer kann über dieses Urteil nur den Kopf schütteln und wird dafür von den Literarkritikern mit Nichtbeachtung gestraft.101 Daß selbst nautische Laien sich in Fragen der Seefahrt 96 97 98

Vgl. Hemer, Acts 138f; Thornton, Zeuge 326f. Haenchen, Acta 27,250. A. D. Nock, The Book of Acts, in: ders., Essays on Religion and the Ancient World, Vol. 2, Oxford 1972, 821-832, hier 823. 99 Weitere Gesichtspunkte und Argumente, die gegen eine literarkritische Operation sprechen, bietet Witherington, Acts 757f. 100 Roloff, Apostelgeschichte 358. Auch Pesch meint, die Pauluspassagen zeichneten „ein historisch fragwürdiges Bild vom Gefangenen" (Apostelgeschichte 2,285). 101 Vgl. Meyer, Ursprung 27-36. Dort argumentiert Meyer auch ausführlich gegen Wellhausens literarkritische Analyse. In der von mir eingesehenen Literatur habe ich kaum einen Hinweis auf ihn und seine Argumente gefunden. E. Haenchen tut ihn, zusammen mit Th. Zahn und W. M. Ramsay, mit der Bemerkung ab, diese Forscher hätten „nicht gemerkt, mit welchem Scharfsinn und welcher konstruktiven Phantasie der Verfasser [d.h. Lukas] sein Ziel erreicht" (Die Apostelgeschichte, KEK III, Göttingen 4 1961, 634). Haenchen hat offenbar nicht gemerkt, wieviel konstruktive Phantasie in seinen eigenen Hypothesen steckt und wie wenig historische Wahrscheinlichkeit. Wenig rühmlich für Haenchen sind

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einmischen konnten und im Bewußtsein göttlicher Eingebungen Entscheidungen herbeiführten, haben wir bereits am Beispiel des Aelius Aristides gesehen. Aber auch die neuere Seefahrtgeschichte kann vergleichbare Fälle liefern. So hat Eduard Meyer auf ein Erlebnis Johann Wolfgang Goethes verwiesen, das dieser in der „Italienischen Reise" ausführlich und dramatisch erzählt (14. Mai 1787). Auf der Fahrt von Messina nach Neapel gerät sein Schiff bei Windstille in eine Strömung, die es langsam, aber unaufhaltsam auf die steile Felsküste der Landzunge von Sorrent zutreibt, wo ein Zerschellen droht. Kapitän und Steuermann müssen Vorwürfe hören und unter den Passagieren droht Panik auszubrechen. Da tritt Goethe, „dem von Jugend auf Anarchie verdrießlicher gewesen als der Tod selbst"102, vor sie hin und redet ihnen zu: „Was euch betrifft", rief ich aus, „kehrt in euch selbst zurück und dann wendet euer brünstiges Gebet zur Mutter Gottes, auf die es ganz allein ankommt, ob sie sich bei ihrem Sohne verwenden mag, daß er für euch tue, was er damals für seine Apostel getan, als auf dem stürmenden See Tiberias die Wellen schon in das Schiff schlugen, der Herr aber schlief, der jedoch, als ihn die Trost- und Hülflosen aufweckten, sogleich dem Winde zu ruhen gebot, wie er jetzt der Luft gebieten kann, sich zu regen, wenn es anders sein heiliger Wille ist."103

Diese kleine Rede - es ist ein einziger Satz! - , die Goethe auf Italienisch gehalten haben müßte, ist zweifellos nicht weniger stilisiert als die Reden des Apostels in Act 27. Dennoch besteht kein Grund, daran zu zweifeln, daß Goethe tatsächlich eingegriffen und den Rat gegeben hat, Maria anzurufen, was dann auch geschah.1 4 Goethe beschreibt noch einige Manöver der Seeleute, darunter das Bereitlegen großer Stangen, „um das Fahrzeug, wenn es zum Äußersten käme, damit von den Felsen abzuhalten"105. Schließlich bringt das Aufkommen eines Landwinds die Rettung.106 Hier sei noch ein drittes Beispiel angeführt: George Fox, der Gründer der Society of Friends (Quäker). Auf der Überfahrt von England nach Amerika,

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auch Hemers Beobachtungen über seinen Umgang mit dem historischen Material, besonders mit den einschlägigen Inschriften; vgl. Hemer, First Person Narrative 104f. Goethes Werke, Hamburger Ausgabe, München 1981, Bd. 11, 318. Ebd. 318. Ein ähnliches Vorkommnis vier Jahre später, bei dem Goethe durch sein Dazwischentreten einen Mann vor der Lynchjustiz rettete, erzählt er in der „Belagerung von Mainz" (25. Juli); wieder gibt er die Begründung: „Es liegt nun einmal in meiner Natur, ich will lieber eine Ungerechtigkeit begehen, als Unordnung ertragen" (Goethes Werke, Hamburger Ausgabe, München 1981, Bd. 10, 388-391). Ebd. Bd. 11,319. Goethes Werke, Hamburger Ausgabe, München 1981, Bd. 11, 316-321.

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am 2. September 1671, wurde das Schiff, mit dem er fuhr, von Piraten verfolgt. Georg Fox erzählt in einem Brief, wie der Kapitän und zwei erfahrene Seeleute „came to ask my advice what they should do. And I told them I was no mariner ... And I told them ... the Lord's power and spirit was placed betwixt us and him." Schließlich, als es Nacht ist, rät er, alle unnötigen Lichter zu löschen und Ruhe zu bewahren. Das Piratenschiff fahrt vorbei.107 Nur wer nicht weiß, welche Autorität charismatisch begabte Persönlichkeiten ausüben, kann die Paulus in Act 27 zugeschriebene Rolle unwahrscheinlich finden. Es ergibt sich somit, daß in Act 27 nicht der geringste Anlaß für literarkritische Operationen besteht. Damit erübrigt sich auch die Frage einer schriftlichen Quelle und ihrer Provenienz. Ob Lukas schriftliche Aufzeichnungen benutzen konnte, die z.B. auf Malta kurz nach den Erlebnissen gemacht wurden, wissen wir nicht. Zur Erklärung der genauen Einzelheiten, die dieser ganz außergewöhnliche Bericht einer antiken Seereise gibt, genügt das gute Gedächtnis des Autors, der durch das "Wir" seine eigene Teilnahme anzeigt.108

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Schluß

Die Untersuchung bestätigt das eingangs zitierte Urteil Eduard Meyers in allen Punkten. Für literarkritische Operationen bietet der Text von Act 27 keinen Anhaltspunkt. Romanhafte Motive und Topoi aus der literarischen Tradition der Seesturmschilderungen fehlen ganz; der Vergleich mit literarischen Darstellungen von Seereisen läßt nur den Berichtcharakter noch deutlicher hervortreten. Hinsichtlich der Fülle und Exaktheit nautischer Angaben und Einzelheiten steht dieser Bericht in der Antike einzigartig da. Die Kommentierung dieses Kapitels durch Neutestamentier läßt einige beschämende Befunde erkennen. Aufs Ganze gesehen hat die Exegese des 20. Jahrhunderts nämlich nicht nur die neuen Erkenntnisse wie den Nachweis des Euroaquilo auf der Windrose von Thugga nicht rezipiert, sie hat auch alte Erkenntnisse wieder vergessen, wichtige Forschungsbeiträge hervorragender Fachleute ignoriert und ist in der Kommentierung der entscheidenden Angabe in Act 27,14 weit hinter den Wissensstand des 18. Jahrhunderts zurückgefallen. Dabei lagen die Erkenntnisquellen wahrhaftig nicht fern; ein Blick in die einschlägigen Artikel der PRE hätte genügt. Im Verein mit einem fast dogma-

107 Vgl. The Journal of George Fox. A Revised Edition by J. L. Nickalls, London 1975, 586.592-594. Die Zitate ebd. 592f. 108 Vgl. Botermann, Besprechung Thornton 506-509. Eine bessere oder wahrscheinlichere Erklärung der Wir-Berichte hat bisher niemand gegeben. S.o. Anm. 16.

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tisch gewordenen Skeptizismus ist dieser Wissensverlust der Grund für die Irritationen, die ein Dilettant unter den Exegeten anrichten konnte. Die Exegese sollte statt historisch-skeptizistisch wieder historisch-kritisch - auch selbstkritisch - werden. Lukas war kein Thukydides; aber mit Act 27 braucht er sich auch vor einem Thukydides nicht zu verstecken.

Die folgende Karte ist dem Buch von Arthur Breusing, Die Nautik der Alten, Wiesbaden 1886 (Nachdruck 1970), Anhang entnommen:

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S M JJa w

Michael Labahn

Paulus - ein homo honestus et iustus Das lukanische Paulusportrait von Act 27-28 im Lichte ausgewählter antiker Parallelen 1

Einführung

Die exegetische Analyse der Überstellung des Paulus nach Rom und seines zweijährigen Aufenthalts im politischen Zentrum der antiken Welt ist geprägt Dieser Beitrag nimmt Ergebnisse der Recherche zum Acta-Teil des Neuen Wettsteins auf, die am 2.12.1999 in der Neutestamentlichen Sozietät in Mainz vorgetragen wurden. Mein Dank gilt Prof. Dr. F. W. Horn für die Einladung sowie den Teilnehmer(inne)n für ihre Anregungen. Johann Jakob Wettstein hatte 1751/52 eine Textausgabe des NT vorgelegt, die in einem zweiten Apparat Parallelbelege aus der Profanantike, dem hellenistisch-jüdischen und rabbinischen Schrifttum sowie den Kirchenvätern enthielt. Das gesammelte Material bestand vor allem aus sprachlich-grammatikalischen Analogien (vgl. G. Seelig, Vom 'Alten Wertstem' zum 'Neuen Wettstein'. Zur Geschichte und Methode des religionsgeschichtlichen Vergleichs in der neutestamentlichen Wissenschaft, Diss, theol. Halle/Saale 2000), einen Aspekt, den etwa Konstantin von Tischendorf weiter fruchtbar machen wollte (vgl. Tischendorf-Lesebuch. Bibelforschung in Reiseabenteuern, hg. u. eingeh von Ch. Böttrich, Leipzig 1999, 63). Der "Neue Wettstein" ist eine Neubearbeitung des "Alten Wettsteins", die der veränderten Forschungslage und den gegenwärtigen Nutzerprofilen Rechnung trägt: Neuer Wettstein. Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus, Bd. II. Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse, hg. von G. Strecker und U. Schnelle unter Mitarbeit von G. Seelig, Berlin/New York 1996; Band 1/2. Texte zum Johannesevangelium, hg. von U. Schnelle unter Mitarbeit von M. Labahn und M. Lang, Berlin/New York 2001. Verzichtet wird weithin auf rein sprachliche Parallelen, da hierfür andere Hilfsmittel vorhanden sind. Andererseits sind neue Quellen erschlossen und andere Parallelen stehen im Forschungsinteresse. Berücksichtigt werden neben der hellenistischen auch die klassische griechische Literatur sowie die dem Neuen Testament zeitgenössische griechische und lateinische Literatur und nachneutestamentliche Texte, da sie ältere Vorstellungen und Ideen enthalten können. Neben den genannten Maßstäben gelten folgende innere Kriterien: inhaltliche Übereinstimmungen - Erklärung von Realien - Beleuchtung seltener Wörter und Begriffe - fest geprägte Wortverbindungen. Zur Methodik vgl. G. Strecker, Das Göttinger Projekt „Neuer Wettstein", ZNW 83 (1992) 245-252; G. Seelig, Einführung, in: Neuer Wettstein II, IX-XXIII. Eine kritische Würdigung bietet H.-J. Klauck, Wettstein, alt und neu. Zur Neuausgabe eines Standardwerks, BZ 41 (1997) 89-95; vgl. zum Projekt http://anu.theologie.uni-halle.de/NT/CorpusHellenisticum/Wettstein.

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durch historische bzw. literarhistorische Fragestellungen. Kann die lukanische Reisedarstellung im Wir-Stil historisch zutreffende Nachrichten enthalten und ist die Darstellung des Romaufenthalts nach antikem Recht historisch glaubhaft?1 Hält man diese Frage nicht schon aufgrund der Bestreitung des 1

Diese Fragestellung prägt die Kommentare bis in die Gegenwart hinein; so neuerdings wieder J. Jervell, Die Apostelgeschichte, KEK III, Göttingen 1998. Auch von R. Pesch, Die Apostelgeschichte. 2. Teilband (Apg 13-28), EKK V/2, Zürich u.a. 1986, 286 werden neben ,,konkrete[n] Details ... das (für eine Reise von Cäsarea nach Rom) plausible Stationenverzeichnis mit den durch Wetter, Unwetter und Schifibruch erzwungenen Umwegen" als Zeichen der Authentizität des Wir-Berichts gewertet. Er verweist auf „individuelle Züge" der Erzählung mit dem Schluss: „Eine antike Seegeschichte vergleichbarer Thematik ist uns jedoch nicht bekannt" (ebd. mit Zitat von J. Roloff, Die Apostelgeschichte, NTD 5, Göttingen/Zürich 1981, 359). Er findet Zustimmung im Blick auf die Darstellung des Schiffbruchs durch den Archäologen H. Hellenkemper, demzufolge Act 27 der „genaueste und umfangreichste Bericht über eine Schiffskatastrophe" sei, die als Vorbild für den Untergang des berühmten Mahdia-Schiffes gelten kann: Der Weg in die Katastrophe. Mutmaßungen über die letzte Fahrt des MahdiaSchiffes, in: Das Wrack. Der antike Schiffsfund von Mahdia, hg. v. G. Hellenkemper Salies, Kataloge des Rheinischen Landesmuseums I, Köln 1994, 153-164, 159. Auch die von H. Wamecke, Die tatsächliche Romfahrt des Apostels Paulus, SBS 127, Stuttgart 2

1989 ausgelöste Debatte um den Ort des paulinischen Schiffbruchs (vgl. z.B. J. Wehnert, Gestrandet. Zu einer neuen These über den Schiffbruch des Apostels Paulus auf dem Wege nach Rom [Apg 27-28], ZThK 87 [1990] 67-99; A. Suhl, Gestrandet! Bemerkungen zum Streit über die Romfahrt des Paulus, ZThK 88 [1991] 1-28; J. Wehnert, „... und da erfuhren wir, daß die Insel Kephallenia heißt". Zur neuesten Auslegung von Act 27-28 und ihrer Methode, ZThK 88 [1991] 169-180) zeigt exemplarisch die hohe Konzentration auf historische Fragestellungen für Act 27f. Vgl. aus der jüngeren Literatur z.B. B. M. Rapske, Acts, Travel and Shipwreck, in: D. W. J. Gill and C. Gempf (ed.), The Book of Acts in Its Graeco-Roman Setting, The Book of Acts in Its First Century Setting 2, Grand Rapids/Carlisle 1994, 1-47; J. M. Gilchrist, The Historicity of Paul's Shipwreck, JSNT 61 (1996) 29-51. Vgl. zu dieser Frage auch den Beitrag von M. Reiser in diesem Band. Mit dem historischen Problem hängt das literarhistorische zusammen, das vor allem um die Frage nach einer Wir-Quelle kreist, bei der es sich um einen Augenzeugenbericht handeln könnte. Für E. Haenchen handelt es sich bei Act 27 um einen locus classicus: Das "Wir" ist ein „literarisches Mittel" (Acta 27, in: E. Dinkier [Hg.], Zeit und Geschichte. FS Rudolf Bultmann, Tübingen 1964, 235-254, 235; vgl. auch aus einer längeren Reihe M. Dibelius, Die Apostelgeschichte im Rahmen der urchristlichen Literaturgeschichte, hg. von H. Greeven, FRLANT 60, Göttingen 31968, 163-174; V. K. Robbins, By Land and By Sea: The We-Passages and Ancient Sea Voyages, in: Ch. H. Talbert [ed.], Perspectives on Luke-Acts, Perspectives in Religious Studies, Danville/Edinburgh 1978, 215-242. D. R. MacDonald, The Shipwrecks of Odysseus and Paul, NTS 45 [1999] 88-107 meint nachweisen zu können, dass Homers Odyssee das ausschließliche Modell von Act 27f sei). Doch die Frage nach dem "Wir" scheint damit nicht endgültig entschieden, wie die Studie von St. E. Porter zeigt; er rechnet wieder mit dem Bericht eines Augenzeugen (The Paul of Acts. Essays in Literary Criticism, Rheto-

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römischen Bürgerrechts des Paulus für obsolet,2 so werden antike Paralleltexte - vor allem im Kontext der Seereise3 - als Belege gegen die Historizität der Ereignisse eingebracht. Zudem stört man sich häufig an der Darstellung des Paulus, die diesen souverän handelnd zeigt, was nicht seiner Position als römischer Gefangener entspreche. Demgegenüber ist die Aufgabe dieses Beitrages wesentlich bescheidener. Es geht nicht um den Ausweis oder die Bestreitung der Glaubwürdigkeit der lukanischen Darstellung, sondern um die Frage nach dem literarischen Paulus-Portrait im Licht der antiken Quellen. Somit hebt diese Untersuchung nicht auf die viel diskutierte Frage nach dem Verhältnis des Lukas zu Paulus und danach, ob dieser „paulinische Theologumena sachlich adäquat zur Sprache bringt"4 ab. Unabhängig von der Frage nach dem sozialen Status des hiric, and Theology, WUNT 115, Tübingen 1999, 10-66, bes. 39f; ders., The 'We' Passages, in: Gill/Gempf, Book of Acts 2, 545-574; vgl. z.B. C. J. Hemer, The Book of Acts in the Setting of Hellenistic History, ed. by Ch. H. Gempf, WUNT 49, Tübingen 1989, 312-334; Gilchrist, Historicity 30-38; s.a. C.-J. Thornton, Der Zeuge des Zeugen. Lukas als Historiker der Paulusreisen, WUNT 56, Tübingen 1991, 313-341: Act 27 als Reisebericht eines Augenzeugen, der möglicherweise „aus dem Gedächtnis formuliert wurde"). Literarische Konvention, die Vorbilder in der alttestamentlich-jüdischen Literatur hat, erkennt J. Wehnert, Die Wir-Passagen der Apostelgeschichte. Ein lukanisches Stilmittel aus jüdischer Tradition, GTA 40, Göttingen 1989, passim, bes. 188-200; ders., Gestrandet 89-99; diese Passagen beruhen auf historischen Erinnerungen vermittelt durch Silas - eine schwer begründbare Hypothese. Zur Diskussion der literarkritischen Problemstellungen vgl. z.B. E. Plümacher, Acta-Forschung 1974-1982, ThR 48 (1983) 1-56; 49 (1984) 105-169, hier 123-128; U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 31999, 285-287, der annimmt, hinter Act 27,1-28,16 liege ein „profan-antiker Seefahrtsbericht" (mit A. Weiser, Die Apostelgeschichte. Kapitel 13-28, ÖTK 5/2, Gütersloh/Wtlrzburg 1985, 390-392.659Í). 2 3

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Vgl. hierzu u. S. 98. Auflistungen der Parallelen bieten z.B. J. J. Wettstein, Novum Testamentum Graecum II, Amsterdam 1752 (Nachdruck Graz 1962), 636-649 (zu Act 27); E. Norden, AGNOSTOS THEOS. Untersuchungen zur Formengeschichte religiöser Rede, Darmstadt 4 1956, 313; E. Plümacher, Lukas als hellenistischer Schriftsteller. Studien zur Apostelgeschichte, StUNT 9, Göttingen 1972, 14f Anm. 43; S. M. Praeder, Acts 27:1-28:16: Sea Voyages in Ancient Literature and the Theology of Luke-Acts, CBQ 46 (1984) 683706; vgl. nunmehr die instruktive Zusammenstellung bei Ch. H. Talbert and J. H. Hayes, A Theology of Sea Storms in Luke-Acts, in: D. P. Moessner (ed.), Jesus and the Heritage of Israel. Luke's Narrative Claim upon Israel's Legacy. Luke the Interpreter of Israel 1, Harrisburg 2000, 267-283, 268-270. D. Sänger, Von Paulus zu Lukas. Erwägungen zur lukanischen Paulusrezeption im Kontext einer Biblischen Theologie des Neuen Testaments, in: W. Kurz, R. Lächele und G. Schmalenberg (Hg.), Krisen und Umbrüche in der Geschichte des Christentums, GSTR 9, Gießen 1994, 269-292, 281. Zum Problem vgl. jeweils mit Diskussion der wesentlichen Literatur P.-G. Müller, Der „Paulinismus" in der Apostelgeschichte. Ein for-

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storischen Paulus, über den wir in der Apostelgeschichte nur begrenzte Informationen erhalten,5 soll dem Problem nachgegangen werden, wie der Erzähler des letzten Weges und Wirkens des Paulus dessen sozialen Stand6 in der Textwelt darstellt, die nicht unmittelbar mit der historischen Umwelt und Realität des Autors oder seines Helden übereinstimmen muss. Bedeutet Gefangenschaft eines Menschen im antiken Verständnis seinen massiven Würdeverlust,8 so belastet dies im Fall des Verkündigers Paulus die Ausbreitung des Evangeliums. Wie geht Lukas mit diesem Problem um? Um diese Frage zu beantworten werden Texte aus dem antiken literarischen Repertoire aufgenommen, das der Verfasser mit seinen Lesern und Leserinnen teilt und in das er sein Werk hineinschreibt; die Kenntnis der Parallelen illustriert, ohne dass literarische Abhängigkeit behauptet wird, die lukanische Textwelt und hilft die narrative und theologische Pragmatik von Act 27f zu verstehen. Die Gesellschaft des römischen Reiches ist bekanntlich hierarchisch gegliedert,9 auch wenn im Einzelnen umstritten ist, wie fixiert dieses Modell der sozialen Pyramide vorzustellen ist und wie der Aufbau sich jeweils im römischen Reich außerhalb Roms konkret gestaltet.10 Lukas lässt den gefangenen Paulus

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schungsgeschichtlicher Überblick, in: K. Kertelge (Hg.), Paulus in den neutestamentlichen Spätschriften, QD 89, Freiburg u.a. 1981,157-201 und Sänger, Paulus 274-281. Z.B. Act 18,3 (vgl. auch Act 20,33-35): Beruf als Zeltmacher (σκηνοποιός; vgl. die autobiographischen Bemerkungen des Paulus: 1 Thess 2,9; 1 Kor 4,12; 2 Kor 11,27); diese selbständige Ausübung eines Berufes lässt an die Zugehörigkeit des Paulus zu dem inzwischen verstärkt beachteten MittelstandsbUrgertum des römischen Reiches denken (vgl. hierzu die Bemerkungen von K. Christ, Grundfragen der römischen Sozialstruktur, in: W. Eck, H. Galsterer und H. Wolff (Hg.), Studien zur antiken Sozialgeschichte. FS Friedrich Vittinghoff, KHAb 28, Köln u.a. 1980,197-228,216f.220). Zur Definition und Analyse des sozialen Status vgl. J. C. Lentz Jr., Luke's Portrait of Paul, MSSNTS 77, Cambridge 1993, 7-14 mit Lit. Der Frage nach der sozialen Stellung des Paulus in der lukanischen Darstellung widmet sich auch Lentz, Portrait mit der These „that Luke portrayed Paul as a man of high social status and moral virtue" (3). Ob die besondere Gewichtung der Kardinaltugenden (94f; zu Act 27) oder die weitreichenden historischen Schlüsse zur Person des Paulus überzeugen können, ist eine eigene Frage. Ungeachtet verschiedener Berührungen werden im Folgenden weitere Erzählelemente von Act 27f diskutiert und die theologischpragmatische Zielrichtung anders als bei Lentz akzentuiert. Vgl. B. Rapske, Paul in Roman Custody, The Book of Acts in its First Century Setting 3, Grand Rapids/Carlisle 1994, 284-298. Vgl. E. W. Stegemann und W. Stegemann, Urchristliche Sozialgeschichte. Die Anfänge im Judentum und die Christusgemeinde in der mediterranen Welt, Stuttgart u.a. 2 1997, 58-94 sowie D. W. J. Gill, The Roman Empire as a Context for the New Testament, in: St. E. Porter (ed.), Handbook to Exegesis of the New Testament, NTTS 25, Leiden u.a. 1997, 389-406, 392.

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die Freiheit eines einflussreichen und von seiner Mitwelt anerkannten Ehrenmannes, eines homo honestus11 genießen, im Verkehr mit Freunden, in der Diskussion mit dem Schiffsführer und in der römischen Gefangenschaft. In diesem sozialen Portrait findet sich zugleich erzählte Sinngebung und theologische Deutung, mit der Lukas seine Interpretation des paulinischen Schicksals verbindet. Welchen Anhalt dieses Portrait am historischen Paulus hat, steht außerhalb der Fragestellung dieses Beitrages.12

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Aufsicht und Behandlung des Gefangenen

Nach Act 27,1 wird Paulus einem Centurio der Kaiserlichen Cohorte13 namens Julius übergeben. Er wird mit anderen römischen Gefangenen gemeinsam an Bord eines Schiffes gebracht. Das "Wir" setzt voraus, dass Paulus von Freunden oder "Brüdern" begleitet wird; einer dieser Begleiter ist Aristarch (Act 27,2), der schon aus 19,29 und 20,4 bekannt ist (ein Aristarch wird auch in Phlm 24; Kol 4,10 erwähnt). Da der jeweilige soziale Status für die juristische Behandlung einer Person bedeutend ist,14 verdient diese Bemerkung für die lukanische Paulusdarstel10 Vgl. die kritischen Bemerkungen von Christ, Grundfragen 213-215, bes. 214, zu G. Alföldy, Römische Sozialgeschichte, Wissenschaftliche Paperbacks 8, Wiesbaden 1975, 131 (jetzt'1984, 125). 11 Den Begriff entnehme ich Cic, fam XVI12 (s.u.). Er ist in diesem Beitrag nicht in einem engen technischen Sinne gebraucht, sondern vereinigt die unterschiedlichen Aspekte des Paulusportraits, mit denen Lukas den gesellschaftlich gediegenen Vertreter des Evangeliums Gottes beschreibt. Ähnlich Lentz, Portrait 4: „It is as if Luke intentionally pre-

sented Paul as one of the splendidiores personae." 12 Narrative Sinnbildung bedeutet nicht unmittelbar den Verzicht auf historische Grundlagen; diese zu prüfen und die literarische Gestaltung mit den rezipierten Informationen und Quellen zu vergleichen, ist eine weitere Aufgabe. 13 Scheinbar ein offizieller Titel römischer Auxiliartruppen; vgl. verschiedene inschriftliche Belege: ILS 1,2683 (Syrien zur Zeit des Quirinius; 6 n.Chr.); OGIS 421 (Batanaea während der Herrschaft des Herodes Agrippa II. [50-100 n.Chr.; s.a. CIL 6,3508]); vgl. auch Rapske, Paul 268f; die bei Josephus erwähnten Σεβαστηνοί (bell 2,52.58.63.74. 236) gehören auf die Seite der königstreuen jüdischen Truppen. 14 Vgl. Rapske, Paul 38f.46-62; Lentz, Portrait 108-177; L. Bormann, Die Verrechtlichung der frühesten christlichen Überlieferung im Manischen Schrifttum, in: L. Bormann, K. del Tredici and Α. Standhartinger (ed.), Religious Propaganda and Missionary Competition in the New Testament World. FS Dieter Georgi, NT.S 74, Leiden u.a. 1994, 283311, 310; zum Problem vgl. P. Garnsey, Social Status and Legal Privilege in the Roman Empire, Oxford 1970; AlfÖldy, Sozialgeschichte 96f (fllr das 2. Jahrhundert n.Chr.). Auch die folgende Bemerkung aus den Digesten (Dig 48,19,28,16) unterstreicht dies:

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lung Beachtung. Die Begleitung eines Gefangenen ist juristisch möglich, muss aber von den Behörden genehmigt werden.15 Bereits zu Beginn der Abschlussepisode ist also ein besonderes Entgegenkommen der römischen Behörden und seiner Repräsentanten zu erkennen, das Rückschlüsse auf die juristische Sachlage wie den gesellschaftlichen Status in der Darstellung erlaubt:16 Paulus ist so einflussreich und anerkannt, dass ihm eine persönliche Begleitung zugestanden wird. So wird es in Act 27,3 fortgesetzt: Der Centurio erlaubt seinem Gefangenen, zu seinen Freunden zu gehen (προς τους φίλους πορευθέντι), 17 um sich versorgen zu lassen (επιμελείας τυχεΐν). Dies entspricht den praktischen Notwendigkeiten der Seereise und unterstreicht - wie der Erzähler hervorhebt - die Menschenfreundlichkeit18 des römischen Offiziers.19 Diese „Unsere Vorfahren haben bei jeder Strafe Sklaven härter als Freie und Ehrlose schwerer als Leute unbescholtenen Rufs bestraft" (L. Huchthausen, Römisches Recht, Bibliothek der Antike. RR, Berlin u.a. 4 1991, 276; vgl. auch Dig 22,5,3; zu Datierungsproblemen der im 6. Jahrhundert kompilierten Sammlung Lentz, Portrait 112). Auch Cic, de orat II 143 stellt als Aufgabe der Rede fest, dass die soziale Integrität des Angeklagten herauszustellen ist; vgl. z.B. Quint, inst IV 1,7; V 10,23-31. Diese Auffassung scheint sich verselbständigt zu haben, wenn die Bemerkungen von Epiktet, die Johannes Stobaios in seiner Anthologie aufnimmt (III 9,40), dass weder die Person des Anklägers noch die des sich Verteidigenden, sondern die Rechtssache selbst Gegenstand der gerichtlichen Ausforschung sein müsse, auf dieses Problem gehen. 15 Vgl. H. W. Tajra, The Trial of St. Paul. A Juridical Exegesis of the Second Half of the Acts of the Apostles, WUNT 11/35, Tübingen 1989, 173. Die Ablehnung einer solchen Bitte berichtet Plin, epist III 16,7-9: Die Gattin Arria bittet darum, ihren Mann Caecina Paetus, der an dem Aufstand des Konsuls L. Amintius Camillus Scribonianus (Konsul im Jahr 32 n.Chr.) gegen Claudius beteiligt war, nach Rom zum Prozess begleiten zu dürfen; sie argumentiert mit der sozialen und politischen Stellung ihres Mannes: „Er wollte eben das Schiff besteigen, da bat Arria die Soldaten, sie mitfahren zu lassen (Arria milites orabat, ut simul imponeretur): 'Ihr wollt dem Konsular doch gewiß ein paar Sklaven beigeben, aus deren Hand er Nahrung empfangen kann, die ihm in die Kleider und die Schuhe helfen können; das alles werde ich allein besorgen' sagte sie. Sie fand kein Gehör, mietete ein Fischerboot und folgte dem großen Schiffe in dem kleinen Nachen" (H. Kasten, C.Plini Caecilii Secundi, Epistularum libri decern, München 1968, 173.175). 16 Vgl. auch Lentz, Portrait 115. 17 Nach G. Schille, Die Apostelgeschichte des Lukas, ThHK 5, Berlin 3 1989, 460 historisch nicht vorstellbar. Besuche bei Gefangenen sind Ausdruck eines besonderen Entgegenkommens, selbst bei einem Gefangenen wie Agrippa I. (Jos, ant 18,203 aufgrund des Eingreifens der Antonia). 18 Vgl. Jos, ant 18,203: Als Gefälligkeit für Agrippa I. wird die Auswahl maßvoller Wachen genannt. Dies korrespondiert dem Rang und Ansehen des Agrippa bei Antonia, der Gattin des Drusus. 19 Rapske, Paul 223 f.

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Charakterisierung ist eine Einleitung für sein Verhalten auf der gesamten Reise;20 vgl. bes. Act 27,43. Zugleich wiederholt sich die Semantik in Act 28,221 und insbesondere in 28,7; Paulus pflegt kontinuierlich Kontakte mit menschenfreundlichen Personen, was auch einen Rückschluss auf ihn selbst (und seine Begleiter) nahelegt; in der Tat erweist sich Paulus auf der gesamten Reise als Mensch mit Sozialverantwortung und somit als menschenfreundlich und als homo politicus.22 Die appellatio an den Kaiser geschieht zu finanziellen Lasten des Betreibers dieser Intervention und zieht damit die Reise- und Verpflegungskosten nach sich.23 Einerseits muss es der literarischen Darstellung zufolge Paulus finanziell möglich sein, seine Berufung zu realisieren, und er ist damit als wohlhabend von der breiten Masse der Bevölkerung unterschieden.24 Andererseits kann sich Paulus bei diesem Unterfangen der Unterstützung der christlichen Gemeinden sicher sein,25 worauf auch der Empfang am Zielhafen der Reise hinweist (Act 28,14; s.u.). Diese Bemerkungen lassen sich als eine Art Rahmen verstehen, in dem Lukas ein harmonisches Bild des Verhältnisses zwischen dem Apostel und den Gemeinden zeichnet; unklar bleibt freilich, ob dies - vor allem im Blick auf das Ergehen des Paulus in Rom - der historischen Realität entspricht. Die Gefangenschaft stellt nach Lukas keinen Ehrverlust des Paulus in den Augen der christlichen Gemeinden dar; der wichtige Einheitsgedanke bleibt 20 21

So Praeder, Acts 27:1-28:16, 686. Dazu steht in gewissem Kontrast der Vorwurf, dass der Schlangenbiss Paulus als Mörder ausweise: V.3fF. 22 Dieser Fragenkreis ist in der Auseinandersetzung um Epikur von großer Bedeutung, wie sie Plutarch in seiner Schrift De rede dictum sit latenter vivendum führt; vgl. hierzu U. Berner, Plutarch und Epikur, in: Plutarch, EI ΚΑΛΩΣ EIPHTAI TO ΛΑΘΕ ΒΙΩΣΑΣ. Ist „Lebe im Verborgenen" eine gute Lebensregel? Eingel., übers, u. mit interpretierendem Essay versehen von U. Berner, R. Feldmeier, B. Heininger und R. Hirsch-Luipold, SAPERE 1, Darmstadt 2000, 117-139, 120-122; zur Gemeinschaftsorientierung des Menschen nach Plutarch: R. Feldmeier, Der Mensch als Wesen der Öffentlichkeit. De latenter vivendo als Auseinandersetzung um die menschliche Daseins- und Handlungsorientierung, in: Plutarch 79-98, 82-84. Im Blick auf das Paulusportrait interessiert vor allem die Betonung der sozialen Zuwendung zum Mitmenschen und dem Gemeinwesen. 23 Vgl. Tajra, Trial 173; Rapske, Paul 55; Lentz, Portrait 153-155. 24 Vgl. auch Lentz, Portrait 154; zu den Rahmenbedingungen der Paulusreisen an Land vgl. S. R. Llewelyn, § 4 The Provision of Transport for Persons, in: ders. (with the collaboration of R. A. Horsley), New Documents Illustrating Early Christianity 7, Marrickville 1994, 58-102, 87-92. 25 So bleibt auch der Gefangene der Unterstützung seiner Freunde sicher, was dem Ideal antiker Freundschaftsethik entspricht (z.B. Sen, epist 9,8f; Lukian, Tox 27-34), nicht aber der üblichen Erfahrung, die um einen Verlust gesellschaftlicher Anerkennung von Gefangenen weiß (z.B. Lukian, Tox 28).

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gewahrt. Vielmehr erhält Paulus jede notwendige geschwisterliche Unterstützung und die ihm gebührende Ehrerbietung; diese erfolgt auch, wie Act 27,13 implizit zeigt, von den römischen Behörden, etwa in der Auswahl eines menschenfreundlichen Offiziers, der offensichtlich berechtigt ist, Paulus eine Reihe - durchaus möglicher - Erleichterungen der Gefangenschaft zuzugestehen. Auf die Motivation fur dieses Portrait werden wir im Blick auf die lesersteuernden Signalstellen Act 27,24 und 28,31 zurückkommen.

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Die Einflussnahme des Paulus zugunsten eines sicheren Winterquartiers (Act 27,9-12)

In Act 27,10 ergreift der sich an Deck befindliche26 Paulus auf eigene Initiative gegenüber den Seeleuten das Wort und erklärt, dass die Weiterfahrt für Schiff und Mannschaft mit Gefahren verbunden ist. Dieser Abschnitt ist ein literarhistorisch schwieriger Text. Sehen wir zunächst einmal von der Frage ab, ob das Verhalten des Paulus, indem er sich in die Diskussion um den Reisefortgang einmischt, seinem Status an Bord des Schiffes als Gefangener angemessen ist oder nicht,27 so fällt vor allem eine Spannung zwischen V. lOf und 12 auf. Paulus warnt vor der Fortsetzung der Reise mit recht allgemein gehaltenen Drohungen (άνδρες, θεωρώ δτι μετά ύβρεως καί πολλής ζημίας ού μόνον του φορτίου κ α ί του πλοίου ά λ λ α καί των ψυχών ήμών μελλειν έ'σεσθαι τον πλουν; V.10). Doch macht bereits die Zeitangabe in V.9a deutlich, dass es sich um die Witterungsgefahren handelt, die mit antiken Schififahrtstheorien überein gehen.28 V.12 begründet

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Gefangene werden jedoch auch unter Deck gehalten wie z.B. 3 Makk 4,10 zeigt. Dieses Problem wird vielfach beklagt: z.B. Haenchen, Acta 27,251. Der Erzähler spielt in Act 27,9 auf die Zeit im Herbst an, zu der die Seefahrt unsicher und deshalb eingestellt wird (L. Casson, Ships and Seamanship in the Ancient World, Nachdruck Baltimore/London 1995, 270-273). Dies korrespondiert mit der Wiederaufnahme der Reise nach dem glücklich ausgegangenen Schiffbruch von Malta aus (Act 28,11) mit einem alexandrinischen Schiff nach dessen Überwinterung. Einen engen Zeitraum für die sichere Schifffahrt gibt der um 700 v.Chr. schreibende Dichter Hesiod mit einem sehr lebendigen Bild der Seefahrt in seinen Werken und Tage: op 663ff; er rechnet vor allem den Juli und August der sicheren Zeit zu. Die nautische Konzeption, die der lukanische Seefahrtsbericht aufnimmt, entspricht der des Vegetius, die zwischen einer sicheren Zeit vom 27.5. bis 14.9. und den äußersten Grenzen vom 10.3. bis zum 10.11. ausgeht; eine Periode, an die sich die Schifffahrt noch im 11. Jahrhundert n.Chr. hält (vgl. die allgemeinen Angaben beim byzantinischen Historiker Theophyllaktos Simokattes, epist 61 [7. Jahrhundert n.Chr.]): Casson, Ships 270; vgl. auch Rapske, Acts 22-29, mit weitere Belegen. Ausnahmen zwingen zu besonderen Sicherungssystemen, so werden die möglichen Kosten für den Schaden durch die Staatskasse gedeckt: Suet,

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nun die Weiterfahrt damit, dass der Hafen zur Überwinterung des Schiffes ungeeignet sei. Letzteres aber macht die Warnung des Paulus hinfällig; weshalb dieser Hafen ungeeignet ist, wird nicht gesagt.29 Entscheidend ist, dass die Reise weitergeht und das Schiff damit auf die spätere Katastrophe zusteuert. Schließt sich in V . l l der Hauptmann dem Expertenurteil an, so spricht V.12 schließlich von einer Art Mehrheitsbeschluss (οί πλείονες εθεντο βουλήν ά ν α χ θ η ν α ι έκεΐθεν). Die Weiterfahrt führt schließlich in die vorhergesagte Katastrophe, aber sie ist letztlich auf den Verlust der Ladung, nicht aber des Lebens, beschränkt (Act 27,22.24.34.44!). Aufgrund der genannten Spannungen wird die vorausschauende Mahnung des Paulus seit langem als lukanischer Einschub gedeutet.30

In V . l l werden die Autoritäten an Bord genannt, denen Paulus mit seinen Worten in V.9f gegenübertritt. Sie lassen sich nicht von seinen Argumenten überzeugen.31 Der ihm freundlich gesonnene Centurio folgt in der Entschei-

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Claud 18 (vgl. Tac, hist IV 52,2); auch wichtige Nachrichten oder Begebenheiten fordern eine Fahrt im Winter: Tac, hist IV 51,1 (Tod des Vitellius); diese Fahrten können zum Tode führen: Anth Graec VII 263. Die Winterpause und der erneute Beginn der Schifffahrt sind Allgemeingut, so dass nur ein Schwätzer damit langweilt: Theophr, Char 1(3). Überlegungen hierzu bei Ch. Κ. Barrett, A Critical and Exegetical Commentary on The Acts of the Apostles II. Introduction and Commentary on Acts XV-XXVIII, ICC, Edinburgh 1998, 1191. Z.B. Dibelius, Apostelgeschichte 173; H. Conzelmann, Die Apostelgeschichte, HNT 7, Tübingen 21972, 151; Haenchen, Acta 27, 251; G. Lüdemann, Das frühe Christentum nach den Traditionen der Apostelgeschichte. Ein Kommentar, Göttingen 1987, 266f; Pesch, Apostelgeschichte 2,285. Anders Schille, Apostelgeschichte 461. Die Spannung zwischen der Schädigung des Lebens und der Rettung besteht innerhalb der paulinischen Redenabschnitte und lässt sich nicht literarkritisch oder traditionsgeschichtlich stimmig auflösen (vgl. Act 27,22.24.34). Der abgewiesene Rat vor einem Schiffbruch ist in der antiken Literatur nicht singulär; der Historiker Polybius beschreibt, wie die römische Seemacht nach dem Sieg gegen die karthagische Flotte im Jahre 254 v.Chr. in ein gewaltiges Unwetter gerät. Die Verantwortung weist er dem römischen Starrsinn zu, der zu dieser Katastrophe führt; dies geschieht allein, weil die Konsuln nicht dem Rat der Steuerleute (Polyb I 37,5f) folgen („Denn obwohl die Steuerleute sie dringend beschworen hatten, nicht an der äußeren Seite Siziliens, die dem Libyschen Meer zugekehrt ist, entlangzufahren, weil die Küste dort felsig [?] sei und keine Ankerplätze biete, zugleich aber von zwei unglückverheißenden Sternbildern das eine noch nicht verschwunden, das andere im Aufgang begriffen war ... so hörten doch die Konsuln auf keine dieser Vorstellungen, sondern liefen auf hoher See der Küste entlang ..." [H. Drexler, Polybius. Geschichte, BA W.GR, Zürich u.a. 1961/1963, 46]). Anders als in Act 27 handelt es sich bei diesen Schiffen um einen militärischen Flottenverband, bei dem eine andere Befehlsstruktur herrscht. - Bei Lucan V 539-559 wird der Befehl Caesars durch den Bootsführer Amyclas erfolglos hinterfragt, und nur durch eine wundersame Welle wird der Imperator aus schwerer See gerettet (672fï). Auch in Plut, Caes 35 setzt Caesar gegen den Bootsführer die Weiterfahrt durch, muss sich aber schliesslich dem Gegenwind geschlagen geben.

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dung dem Kapitän und dem Eigentümer des Schiffes.32 Dadurch aber, dass Paulus das Wort ergreift, wird ihm vom Erzähler eine exponierte Rolle zugewiesen, die der Rolle eines Gefangenen kaum entspricht oder bestenfalls mit der eines Gefangenen aus höchsten sozialen Kreisen zusammengeht.33 Sein Eingreifen lässt Paulus allerdings als Person von Autorität erkennen, auch wenn er sich schlussendlich nicht durchsetzen kann. Dass ein Passagier sich gegen den Schiffer ein Mitspracherecht nehmen kann, sollte kein Befremden auslösen, wie neben Aristeid, or 48,67f 34 die Mahnung des Cicero an seinen Vertrauten M. Tullius Tiro (fam XVI12) zeigt: 32

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Nach Plut, mor 807b sind drei unterschiedliche Ränge an Bord eines Schiffes zu unterscheiden: der Steuermann/Kapitän (κυβερνήτης), seine Mannschaft (ναύται) und der Schiffseigner (ναύκληρος); zur Auflistung des leitenden Schiffspersonals vgl. Athen V 209a. Beim nauclerus kann es sich auch um den Charterer des Bootes handeln (anders G. Schneider, Die Apostelgeschichte II. Teil. Kommentar zu Kap. 9,1-28,31, HThK V/2, Freiburg u.a. 1982, 389f mit Anm. 26, der an den Kapitän denkt). Er selbst oder sein Repräsentant (ein Pronaukleros) ist in der Regel dann an Bord, wenn eigene Ware geladen ist (Casson, Ships 314f); vgl. die Parallele Luc, nav 7 und 9. Die Entscheidungsautorität liegt beim anwesenden Schiffseigner. Der Centuno hat, da es sich um ein Handelsschiff handelt, keine Entscheidungshoheit, und wenn er sich dem Urteil des Schiffseigners und des Kapitäns anschließt, so entspricht dies der Hierarchie an Bord. Barrett, Acts II, 1187 weist - im Blick auf die historischen Möglichkeiten - daraufhin, dass Paulus „was in a sense a privileged person, who must be delivered to the Emperor." Dies wird von Tajra, Trial 173 unterstützt, der den zur Appellation überstellten Paulus als privilegierten Gefangenen betrachtet. Diese versuchte Einflussnahme bleibt jedoch ebenso erfolglos wie die des Paulus: „Was aber dann aufs neue in der Achaischen Meerenge uns begegnete, als unmittelbar vor der Tag- und Nachtgleiche die sauberen Schiffsleute aus Patrai ausliefen, gegen meinen Willen und von Anfang an erhobenen Widerspruch (άκοντος έμου και άντιλέγοντος έξ άρχης), das könnte man wohl nicht mit Worten beschreiben, während bei all dem mein Brustleiden und die anderen Übel sich noch verschlimmerten. Ähnlich war es mit den Dingen, die im Ägäischen Meer vorkamen (s.u.) durch Unfähigkeit des Steuermanns und der Matrosen, die sich herausnahmen, gegen den Wind zu segeln, und nicht auf mich hören wollten (καν μηδέν άκούειν εθελοντών έμοϋ)" (Η. Ο. Schröder, Publius Aelius Aristides. Heilige Berichte, WKGLS, Heidelberg 1986, 60). An der zweiten Stelle, die auf diese Überfahrt anspielt, berichtet Aristides weiter, dass er sich in Delos dem Ansinnen der Schiffer aufzubrechen durch seine Diener verweigert: „'Schwer bezecht erschienen indes' (Horn, Od 3,139) die Schiffer, fast um die Zeit des ersten Schlafes, traten heran, klopften an die Tür und hießen mich herauskommen und die (günstige) Fahrgelegenheit nutzen, denn das Wetter sei geradezu wunderbar. Auf die Entgegnung meiner Diener, das sei dummes Zeug und ich würde mich unter keinen Umständen von der Stelle rühren, zogen sie zornig ab, als wäre ihnen ein reicher Gewinn entgangen" (or 50,34; Schröder, Aristides 93). Diese Weigerung rettet Schiff, Schiffer und Passagiere vor einem großen Unwetter (or 50,35). Nach Sen, epist 14,8 konsultiert ein vorsichtiger Seemann einen Ortskundigen (cautior peritos locorum rogat) hinsichtlich der Strömungen und der Zeichen der Wolken, um so die Gefahren zu meiden - auch dies belegt, dass

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„Nun möchte ich Dich nur noch dringend bitten, nicht aufs Geratewohl loszufahren die Schiffer sind nur auf ihren Verdienst aus und haben's deshalb immer eilig. Sei vorsichtig, mein Tiro! Du hast ein großes, gefährliches Meer vor Dir; wenn möglich, fahre mit Mescinius - er reist immer mit der nötigen Vorsicht; wenn nicht, mit irgendeinem angesehenen Menschen, von dessen Autorität sich der Schiffer imponieren läßt (cum honesto aliquo homine, cuius auctoritate navicularius moveatur). Wenn Du darauf alle Sorgfalt verwendest und Dich dann wohlbehalten bei uns einstellst, gibst Du mir alles, was ich verlange."35

Wer ist nach Cicero so ein angesehener bzw. ehrenvoller Mann? Nach Cic, fin V 65f sind für solche Ehrbarkeit das Streben für das Gemeinwesen und die Menschenliebe von zentraler Bedeutung. Solche Ehrenhaftigkeit zeigt sich im politischen Wirken in 'freier Meinungsäusserung' und in 'Abstimmungen' und zieht zu Recht Ehre nach sich (Cic, Brut 281). Das Verhalten des Paulus in der Schifffahrtskatastrophe zeigt solche Verantwortlichkeit für die Allgemeinheit und Menschenliebe, indem er Sorge für das Schiff und die Mitreisenden trägt, aber auch offene Äußerung und Verantwortungsbereitschaft, so dass er als ein homo honestus gelten kann.

Indem der Erzähler Paulus wie einen homo honestus darstellt, geht es ihm auch darum, das Urteil über Paulus, der längst von römischer wie jüdischer Seite als unschuldig erkannt wurde, zu unterstreichen: Festus für Rom und Agrippa II. auf Seiten der jüdischen Administration stellten fest: ούδέν θανάτου ή δεσμών άξνόν [τι] πράσσει ό άνθρωπος ούτος (Dieser Mensch hat nichts getan, was den Tod oder das Gefängnis verdient hätte; Act 26,31). Dieses Votum entspricht dem Urteil des Statthalters Felix in Act 23,29 (weitere Unschuldsbekundungen in 18,14f; 20,26; 23,3.9; 24,12f; 25,18.25). 36 Die edle Gesinnung des Paulus zeichnet sich darin aus, dass er am Gemeinwesen, selbst an Ladung und Schiff Anteil nimmt. Als Geistgeleiteter (Act 9,17; 13,2ff; 15,8; 16,6f; 20,22f; 21,4)37 schaut er voraus und dies durchaus in mirakulösem Sinn:38 Gegenüber dem aus nautischer Sicht zu

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Paulus seine Stimme erheben kann, wobei die Frage nach der Autorität hierfür, dem peritus-Sein, zu stellen ist. Weitere Belege nennt Praeder, Acts 27:1-28:16,690. H. Kasten, M. Tulli Ciceronis, Epistularum ad familiares libri XVI, Darmstadt 2 1976, 909.911. D. Marguerat, The End of Acts (28.16-31) and the Rhetoric of Silence, in: St. E. Porter and Th. H. Olbricht (ed.), Rhetoric and the New Testament. Essays from the 1992 Heidelberg Conference, JSNTS 90, Sheffield 1993, 74-89, 83 spricht von einem „Leitmotiv". Zur Leitung des Paulus durch den Geist vgl. z.B. Porter, Paul 67-97. Auch Odysseus warnt die Seinen vor Gefahren einer Insel mit Hinweis auf Orakelsprüche (Horn, Od 12,271-276), was ihm jedoch feindselige Reaktionen einbringt. -

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vertretenden Urteil der Seefahrtsexperten weist Paulus auf eine Katastrophe hin, die mit Lebensgefahr verbunden ist; hier ergeben sich narrative Spannungslinien, da dem Leser deutlich sein muss, dass der geistgeleitete Verkündiger das Ziel seiner Verkündigung erreichen wird und muss. Dies wird im Hinweis auf eine Anglophanie expliziert (Act 27,24f), die die Rettung aller an Bord mit dem Ziel der Verkündigung des Evangeliums in Rom verbindet. Wird hier einerseits eine narrative Spannung erzeugt, so wird andererseits die soziale Mitverantwortung unterstrichen, die besonders sichtbar wird, wenn nicht der eine Verkündiger allein, sondern auch seine Begleiter gerettet werden (V.44). Die Mehrheitsentscheidung wird auf den Schiffseigner, den Kapitän und den sich ihnen anschließenden Centuno bezogen. Der Überstimmte hat das Seine getan, er ist gehört worden, doch eine andere Entscheidung wurde gefallt; nun wird der Leser/die Leserin sehen, wie die drohende Katastrophe ausgeht.

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Die Rede (Act 27,21-26) und das Mahl auf See (Act 27,33-38)

Die Bedrohung durch Unwetter, Sturm, Dunkelheit und die Angst vor dem Abdriften in die Syrte fuhren dazu, dass Paulus das Wort ergreift und den Mitfahrern Mut zuspricht (V.22: καν τα νυν παραινώ υμάς εύθυμεΐν); dies geschieht an einer fur antike Seesturmberichte typischen Stelle. 9 Die Rede macht Paulus nicht allein als überlegten Helden und als herausragende Persönlichkeit kenntlich, sondern zeichnet ihn aus als jemanden, der für das Gemeinwesen Verantwortung übernimmt. Paulus berichtet von einer Anglophanie (Act 27,24f), die die Rettung ausdrücklich in den Horizont seines Auftritts vor dem Kaiser stellt: μή φοβοΰ, Παύλε, Καίσαρί σε δεΐ παραστηναι (V.24). Die paulinische Mahnung zum εύθυμεΐν ist begründet im göttlichen δει, das wiederum das μή φοβου des Gottesboten begründet. 27,25 ist ein wichtiger Fingerzeig der Lesersteuerung; der Vers vermittelt dem Leser/der Leserin ein Deutungsangebot für die folgende Rettung;40 es

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Nach D. Peterson, The Motif of Fulfilment and the Purpose of Luke-Acts, in: B. W. Winter and A. D. Clarke (ed.), The Book of Acts in Its Ancient Literary Setting, The Book of Acts in Its First Century Setting 1, Grand Rapids/Carlisle 1993, 83-104, 100 wird Paulus durch diese Voraussage als Prophet dargestellt; die Erfüllung der Prophetie soll die Zuversicht gegen die Treue Gottes stärken (vgl. 100-104). Anders Warnecke, Romfahrt 53 und Rapske, Acts 29 Anm. 129, die die nautische Einsicht des Paulus betonen. Vgl. Praeder, Acts 27:1-28:16, 696. Rapske, Paul 421 spricht von einem „hermeneutic tool" fllr die folgenden Rettungen.

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geht um die Ankunft und die Verkündigung des Evangeliums in Rom. Vor allzu weitreichenden Schlüssen aufgrund der verwendeten Sprache, den Derivaten vom Stamm σωτ-, 41 muss man wohl Abstand nehmen. Auch die profane Graezität weiß, dass der Hafen von den Gefahren der Witterung 'Rettung' bietet.42 Das folgende Paulusstück, die Speisung in Act 27,34-38, ist mit der Rede insofern verbunden, als das παρακαλεΤν des Paulus (V.33) seine dringliche Bitte von V.22 (παραινώ; vgl. V.9) wieder aufnimmt.43 Gelegentlich wurde die Danksagung (V.35) auf die Reaktion der Seeleute nach überstandener Schifffahrt gedeutet.44 Gegenüber diesem anregenden Gedanken muss der prägende Einfluss der neutestamentlichen Eucharistie- und Massenspeisungsberichte eingerechnet werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass ein eucharistisches Mahl aller45 oder auch nur einiger46 berichtet wird. Vielmehr dringt die hohe Sprache der frühchristlichen Sakramentspraxis in den Bericht ein, da ein besonderes Mahl berichtet wird. Spuren der synoptischen Massenspeisungen 41

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Solche Schlüsse zieht K. Löning, Das Gottesbild der Apostelgeschichte im Spannungsfeld von Frühjudentum und Fremdreligionen, in: H.-J. Klauck (Hg.), Monotheismus und Christologie. Zur Gottesfrage im hellenistischen Judentum und im Urchristentum, QD 138, Freiburg u.a. 1992,88-117,90: Der Begriff entwirft als "Modell" für die christliche Verkündigung „das Bild einer mit Sicherheit bevorstehenden kosmischen Katastrophe und die Rettung daraus, möglich für jeden, der an die Kraft und den Willen Gottes glaubt, Menschen aus dem Tod zu retten"; kritisch Praeder, Acts 27:1-28:16, 693, obgleich sie ihrerseits behauptet, dass die Rettungsgeschichte „of significance in the Christian story of salvation in Luke-Acts" sei. Z.B. Theophyllaktos Simokattes, epist 61: „Nun entwich aus dem Norden die Sonne, der Herbst verging, und der Winter kam über die Erde. Das zerbrach die Bande der Ruhe, die Schiffer grüßten die Häfen als ihre Rettung (οί πλωτηρες τους λιμένας ώς σωτήρας όντας ή σ π ά ξ ο ν τ ο ) . . . " (Β. Kytzler, Erotische Briefe der griechischen Antike, München 1967, 259); vgl. z.B. Chariton 3,3,18; 3,4,9. Praeder, Acts 27:1-28:16, 693 Anm. 23 weist auf die Bezeichnung rettender Gottheiten hin und schließt, dass dieser Wortstamm „characteristic of sea voyages in ancient literature" (693) ist. Vgl. Praeder, Acts 27:1-28:16, 697. Erwogen von Schneider, Apostelgeschichte 2, 396 Anm. 111 unter Rückgriff auf Casson, Ships 182 (vgl. fig. 146). Da eine Schifffahrt ein erhöhtes Risiko für Leib und Leben des antiken Menschen bedeutete, war sie schon zu Beginn durch Gebete begleitet; vgl. z.B. Hör, carm 1,3,7. Zum Gebet in Seenot vgl. Ovid, trist I 2,1-11 oder den Vergleich in Aischyl, Choeph 201 f. P. Pokorny, Die Romfahrt des Paulus und der antike Roman, ZNW 64 (1973) 233-244, 242; Schille, Apostelgeschichte 467f. So der Vermittlungsversuch durch H.-J. Klauck, Magie und Heidentum in der Apostelgeschichte des Lukas, SBS 167, Stuttgart 1996, 127-135, 128f. Ähnlich Ch. Κ. Barrett, Paul Shipwrecked, in: Β. P. Thompson (ed.), Scripture: Method and Meaning. FS Anthony T. Hanson, Hull 1987, 51-64, 62. Praeder, Acts 27:1-28:16, 699 meint hingegen aufgrund der Danksagung „a Christian meal of some sort" erkennen zu können.

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könnten sich auch in der Sättigungsnotiz 27,38 finden (κορεσθέντες δέ τροφής; vgl. Joh 6,12 ένεπλήσθησαν), ohne dass eine mirakulöse Speisung berichtet wird. Das erzählte Verhalten charakterisiert den Apostel einerseits in seiner Sozialverantwortung und andererseits als jemand, der die verängstigte Mannschaft und die Passagiere beeinflussen kann. Stehen in der antiken Gesellschaft üppige Speisungen für den Reichtum einzelner,47 so ist die Sorge um Nahrung der Massen ein besonderer Zug der gesellschaftlichen Notabeln.48 Die Mahlszene selbst ist in romanhaften Seefahrtsschilderungen nicht ohne Parallele; so wird nach der Flucht des Kleitophon und der Leukippe auf das Schiff nach Alexandrien berichtet, wie die kleine Gruppe (ohne Leukippe) mit einem Nachbarn in ein Gespräch über die Vorzüge von Homo- und Heterosexualität verfällt; dies geschieht angesichts einer gemeinsamen Mahlzeit: Achilles Tat II 33,1. Die lukanische Paulusdarstellung nimmt antike Erzählgewohnheiten auf und beschreibt damit den Helden. Nicht die eucharistische Semantik, sondern die Wahrnehmung sozialer Verantwortung, gerade im Blick auf die Nahrungsaufnahme, dürfte das entscheidende Moment der Darstellung sein.49 Anders als das idyllische Mahl bei Achilleus Tatios, das dort der Schiffskatastrophe vorausgeht, ist das Mahl in Act 27,33-38 während der Katastrophe lebensnotwendig und nur Paulus erfasst das Notwendige und ist der, der dies auch wirklich durchsetzen kann. Alle anderen Verantwortungsträger, der Kapitän oder der Centurio, fallen demgegenüber ab. Nicht das historisch Mögliche ist im Blickpunkt (hier mögen Zweifel mehr als angebracht sein), sondern das soziale Portrait des Apostels - seine Pro-Existenz (vgl. 27,24) -, 5 0 das eine beachtenswerte Geschlossenheit aufweist.

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Vgl. Stegemann/Stegemann, Sozialgeschichte 79f. Z.B. Isokr, or X (Panegyricus) 38; Augustus, res gestae 5; vgl. M. Labahn, Offenbarung in Zeichen und Wort. Untersuchungen zur Vorgeschichte von Joh 6,1-25a und seiner Rezeption in der Brotrede, WUNT 11/117, Tübingen 2000, 150f. Zu den sozialen Verpflichtungen der Oberschicht und wohlhabender Kreise AlfÖldy, Sozialgeschichte 3111 113. Rapske, Paul 340: „pacifying and encouraging quality of the prayer". Die Nähe des Paulus und sein Einsatz für Mannschaft und Passagiere, der getragen ist von seinem Verkündigungsauftrag, unterscheidet sich damit elementar von dem Schiffbruch in Horn, Od 14,299ff; rettet hier Zeus allein den Helden Odysseus, so erhält Gott in Act 27f den Helden Paulus mitsamt seinen Begleitern. Wie stark im gegenwärtigen Text die soteriologische Bindung an die Person des Paulus ist, stellt mit Hinweis auf das Kappen des Beibootes (Act 27,32) Wehnert, Gestrandet, 92 heraus (er verweist auf G. Kettenbach, Das Logbuch des Lukas, EHS.T 276, Frankfurt a.M. u.a. 1986, 30f[f]).

Paulus - ein homo honestus et iustus 5

Die Rettung aus Seenot (Act

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27,44)

Seit den Arbeiten von Gary B. Miles, Garry Trompf und David Ladouceur ist deutlich, dass die Errettung des Paulus eine religiös-ethische Komponente hat. Ihre Pointe wurde vor allem als narratives Argument fur die Unschuld des Paulus gesehen: so Miles/Trompf mit Hinweis auf den Athener Rhetor Antiphon (5. Jahrhundert v.Chr.) fur Act 27,44. 5 1 Charles H. Talbert und John H. Hayes weisen jetzt auf eine weitere Parallele hin: Sen, contr 7,1. 5 2 Daraus ergäbe sich: „In the first century C.E. the assumption that divine justice sometimes acts through the sea is common enough that it can be used in the teaching of declamation" 53 . D o c h fugt sich diese Interpretation nicht glatt in das lukanische Paulusportrait ein. Wenn in der Verteidigungsrede des Antiphon die Unschuld des Angeklagten dadurch erwiesen wird, dass er an Seereisen teilnahm, und durch ihn nicht, wie es bei religiös unreinen Personen geschieht, Schiffbruch ausgelöst wurde, so erleiden Paulus und seine Begleiter doch Gefahr und sogar den Schiffbruch. 54 Die Rettung aus der Seenot gilt allein dem Leben, nicht dem Gut, 55 so dass der Ausgang aus der Gefahr im Sinne des Erzählers zwar

51 G. B. Miles and G. Trompf, Luke and Antiphon: The Theology of Acts 27-28 in the Light of Pagan Beliefs about Divine Retribution, Pollution, and Shipwreck, HThK 69 (1976) 260-267; diese These wurde von D. Ladouceur, Hellenistic Preconceptions of Shipwreck and Pollution as a Context for Acts 27-28, HThR 73 (1980) 435-449 ausgebaut und durch weitere Textbelege, die Act 27 näher kommen, indem sie auch die Rettung aus Seenot in den Blick nehmen, erweitert. Zustimmung erhalten diese Überlegungen z.B. durch Schneider, Apostelgeschichte 2,393. 52 Auch Theron behauptet im Roman Chaireas und Kallirhoe des Chariton aus Aphrodisias (1./2. Jahrhundert n.Chr.), dass er allein deshalb aus Seegefahren (Verdursten während einer Windstille) gerettet wurde, weil er nie ein Unrecht getan habe: Chariton 3,4,9; der Erzähler stellt klar, dass dies nicht zutrifft und für Theron eine größere Strafe vorgesehen war; dazu unten S. 94 Anm. 75. Ein weiteres Beispiel findet sich in Babrios, fab 117: „Im Sturm ging einst ein Schiff mit Mann und Maus unter. / 'Wie können nur', sprach jemand, 'Götter so richten? / Wenn wirklich ein Verbrecher auf dem Schiff mitfuhr, / Daß dann so viele schuldlos mußten mitsterben?' / Indem er noch so sprach - wie das ja oft vorkommt - , / Da wimmelt' um ihn her ein Volk voll Ameisen, / Die alle eifrig hinter Weizenstreu her sind. / Und eine biß ihn. Da zertrat er fast alle. / Drauf nahte Hermes, und ihn mit dem Stab treffend, / Sprach er zu ihm: 'Soll denn der Götter Spruch anders / Sein über euch als deiner über Ameisen?'" (L. Mader, Antike Fabeln, BAW, Zürich 1951,254). 53 Talbert/Hayes, Theology 271. 54 Vgl. Ladouceur, Preconceptions 436. 55 Hesiod empfiehlt deshalb, nur einen Teil des Eigentums auf einen Schiffstransport zu geben: op 688f. Bei Petronius 117,7 beklagt Eumolpus den Verlust von zwei Millionen Sesterzen durch Schiffsbruch, und für das Mahdia-Schiff wurde ein Verkehrswert der

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positiv ist, aber nicht die Pointe trifft, wie sie in Antiphons Verteidigung vorliegt: die unversehrte Seefahrt. Zudem weisen auch Talbert/Hayes zu Recht darauf hin, dass nicht die Ursache des Sturmes bei Gott liegt, dafür aber der gute Ausgang, den das Unglück nimmt.56 Im narrativen Fluss der Apostelgeschichte sind Voraussetzung und Ziel also gegenüber den genannten Parallelen umgekehrt. Dass Paulus gerecht ist, muss der Erzähler nicht mehr narrativ erweisen; es ist dem Leser/der Leserin der bisherigen Prozessgeschichte deutlich. Allerdings kann diese Erklärung in der Bewahrung des Paulus im Schiffbruch narrativ unterstrichen werden. Der homo honestus ist als ein homo iustus beschrieben. Dieser Gerechte bzw. Unschuldige hat eine gewichtige Funktion wahrzunehmen, den Weg zum Kaiser zu gehen, um das Evangelium in Rom zu verkünden. Wie Gerhard Schneider zu Recht angemerkt hat, ist dies das ausdrückliche Lesesignal des Erzählers und damit die Motivation der Rettung.57 Die Rettung „is part of the divine plan to carry the gospel to Rome by means of the innocent man" 58 . Ein weiteres Detail, das das Interesse der Exegeten auf sich gezogen hat, sucht David Ladouceur für die Unschuldsbezeugung der Erzählung auszuwerten. Das alexandrinische Schiff für die letzte Reise-Etappe nach der Winterpause trägt, wahrscheinlich aufgemalt, das Bild der Dioskuren. Diese Bemerkung ist überraschend, weil sonst keine derartigen Details in der lukanischen Erzählung Erwähnung finden. Dass antike Schiffe über derartige dedizierende Malereien verfügen, ist literarisch belegt (Luc, nav 5: Bild der Namenspatronin Isis). Die Dioskuren mit ihrer Schutzfunktion eignen sich besonders für die Schifffahrt.59 Doch kann damit kaum, wie Ladouceur meint, auch auf ihre kritische Funktion angespielt sein, die aus Eur, El 1347-1355 bekannt ist und damit das Unschuldsmotiv unterstreiche.60

Neben den Wunderberichten in Act 28 sind auch die mantischen Fähigkeiten des Paulus zu beachten. Zweimal während des Seereiseberichts sagt er die Zukunft an; er sagt zunächst den Schiffbruch voraus, um schließlich auch die Rettung voraus zu wissen.61 In der Paulusrede 27,22-25 gibt es gegenüber der Anglophanie einen erzählerischen Überschuss in V.26; Paulus weissagt,62

56 57 58 59 60 61 62

Ladung von 857.000 Sesterzen berechnet (Hellenkemper, Weg 157). Einen ideellen Verlust durch Schiffbruch beklagt Lucan, Zeux 3: Ein am Kap Malea untergegangenes Schiff Sullas transportierte ein Tafelbild des Malers Zeuxis. Talbert/Hayes, Theology 271 f. Vgl. Schneider, Apostelgeschichte 2, 382. Talbert/Hayes, Theology 272. Vgl. die Belege bei Labahn, Offenbarung 202f Anm. 30. Ladouceur, Preconceptions 445f; vgl. auch Lentz, Portrait 166. Vgl. Schille, Apostelgeschichte 465f. Mit Schneider, Apostelgeschichte 2, 394.

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dass alle gerettet werden, indem sie auf eine Insel verschlagen werden. Hierzu mag man auch V.34 rechnen, auch wenn dieser Vers lediglich den Inhalt der Paulusrede in 27,22-26 aktualisiert.

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Das Geschehen auf der Insel Melite (Act 28,1-10)

Nach dem Schiffbruch landen die Gefangenen, Act 27,42ff, mit den Aufsehern und Seeleuten auf der Insel Malta. Der Bericht selbst gibt keine Hinweise darauf, dass es sich bei den Gestrandeten um Gefangene handelt. Betrachten wir das Material hinsichtlich der diachronen Schichtung und unter formkritischem Blickwinkel, so werden Unterschiede deutlich. Da ist zunächst der Biss der Viper, den Paulus unbeschadet übersteht: 28,3-6. Dies ist eine ausgeführte Wundererzählung. Sie wird gemeinhin auf eine Tradition zurückgeführt,63 wobei zweifelhaft ist, ob diese ursprünglich mit dem vorlukanischen Seefahrtsbericht verbunden war.64 Jedenfalls fällt sie als Erzählung in der dritten Person aus dem Wir-Rahmen heraus.65 Daran schließt sich die Heilung des an Ruhr leidenden Vaters des Publius in 28,7f an. Diese Geschichte wird aber nicht narrativ ausgeführt, wenngleich wesentliche Elemente von Wundergeschichten vorliegen. Da sie mit Lokalkolorit gefärbt ist, wird oft eine traditionelle Notiz angenommen.66 Die Fieberheilung verklammert das Ende des lukanischen Doppelwerkes mit seinem Anfang, der Fieberheilung der Schwiegermutter des Petrus (Lk 4,38f). 67 Handauflegung und Gebet werden als Heilungsmittel genannt; das Gebet kommentiert die Akklamation der Inselbewohner: Paulus steht im Dienst Gottes - soweit ist ihr Horizont zutreffend - , aber er selbst ist nicht Gott. Das anschließende Summarium Uber die paulinische Sammelheilung in 28,9 ist zu verglei-

63

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W. Kirchschläger, Fieberheilung in Apg 28 und Lk 4, in: J. Kremer (ed.), Les Actes des Apôtres. Traditions, rédaction, théologie, BEThL 48, Leuven 1979, 509-521, bes. 510516.521; anders Weiser, Apostelgeschichte 2, 667f; vgl. auch B. Kollmann, Paulus als Wundertäter, in: U. Schnelle und T. Söding (Hg.), in Verb, mit M. Labahn, Paulinische Christologie. Exegetische Beiträge. FS Hans Hübner, Göttingen 2000, 76-96, 94. Vgl. Schille, Apostelgeschichte 437; vgl. auch Weiser, Apostelgeschichte 2, 667: lukanische Einfügung. Helden wie Pythagoras verscheuchen tödliche Schlangen (Jambl, vit Pyth 142) oder überstehen tödliche Bisse beim Gebet (Hanina ben Dosa; vgl. hierzu Anm. 78). Z.B. Kollmann, Paulus 94; anders etwa J. Roloff, Die Paulus-Darstellung des Lukas. Ihre geschichtlichen Voraussetzungen und ihr theologisches Ziel, in: ders., Exegetische Verantwortung in der Kirche. Aufsätze, hg. von M. Karrer, Göttingen 1990, 255-278, 264. Vgl. Klauck, Magie 131.

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Michael Labahn chen mit Lk 5,15; 6,18; Act 5,16; 19,1 If 68 und stammt damit wahrscheinlich vom Erzähler selbst.69

Das Themenfeld Schuld/Unschuld im Zusammenhang mit dem Schiffbruch wird auch als kultureller Hintergrund der Episode Act 28,1-10 angenommen. Dies Thema ist in Act 28,4 durch die Inselbewohner angesprochen: προς αλλήλους ε λ ε γ ο ν πάντως φονεύς έστιν ό άνθρωπος ούτος öv διασωθέντα έκ της θ α λ ά σ σ η ς ή δίκη ζ η ν ουκ ε'ίασεν {...untereinander sprachen sie: gewiß ist dieser Mensch ein Mörder. Den, der aus dem Meer gerettet wurde, läßt Dike nicht leben). Das Stichwort Mörder geht darauf, dass der aus dem Meer Gerettete seinem ihm zugedachten Schicksal, dem Tod, nicht entkommt. Solches Einholen des Menschen durch sein Schicksal aber unterstreicht, dass der Schiffbruch eine göttliche Strafe für zuvor getanes Unrecht ist. 70 Die Götter treiben diese Strafe ein. Hierzu ist das Epigramm Anth Graec VII 290 eine schon im "Alten Wettstein" angeführte Parallele: Als ein Gescheiterter einst, dem Sturm und dem Rasen des grausen / Meeres entronnen, nicht fern von dem Gestade der See / nackt im libyschen Sand lag und dumpfer Schlaf ihn beschwerte, / da ihm des Schiffbruchs Not furchtbar die Kräfte erschöpft, / stach ihn die giftige Natter ... Da rang er nun gegen die Wogen, / nur um zu Land in den Tod, der ihm verhängt war, zu gehn. 7 '

Der Schiffbrüchige wird in diesem Epigramm durch eine Schlange von seinem Schicksal, dem Tod, heimgesucht. Nicht der strafende Tun-ErgehenZusammenhang, sondern die Unbedingtheit des von den Göttern ihm zugedachten Schicksals wird thematisiert. Auf übles Tun geht ein anderes Epigramm (Anth Graec IX 269), das Hans-Josef Klauck in die Diskussion einbringt, ein: Krachend zerbarst auf dem Meere ein Schiff. Da rangen der Männer / zwei um ein Brett; nur eins bot sich den Streitenden dar. / Und Antagoras schlug den Peisistratos. Will man es tadeln? / Lief nicht sein Leben Gefahr? Dennoch, die Strafe war wach: / Heil schwamm dieser davon, doch jenen erfasste ein Seehund. - / Rächend auf Meeren sogar führen die Keren ihr Amt.72

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Vgl. auch die Darstellung der Wunder der urchristlichen Verkündiger (Hinweis schon bei E. Zeller, Die Apostelgeschichte nach ihrem Inhalt und Ursprung kritisch untersucht, Stuttgart 1854, 291): Act 2,43; 5,15f; 19,1 lf. Z.B. Schneider, Apostelgeschichte 2,401; Weiser, Apostelgeschichte 2, 667. Vgl. auch das Material, das Ladouceur, Preconceptions 442 ausbreitet. H. Beckby, Anthologia Graeca. Buch VII-VIII, München 1957, 173.

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Diese Grabinschrift enthält keine ethische Reflexion, sondern formuliert die tragische Auslieferung an das Schicksal: Die Schuld, zu der es im Kampf ums Überleben, wie ausdrücklich festgestellt wird, keine Alternative gibt, wird unbarmherzig vom Schicksal eingeklagt. Der, der sich im Kampf ums Überleben auf Kosten des anderen durchsetzt, kommt durch die Götter zu Tode, das Opfer bleibt am Leben. Den Überlebenden trifft, wie im anderen Epigramm und anders als bei Lukas, doch der Tod; es scheint, dass gerade die gefahrvolle Seefahrt für den antiken Menschen die Auslieferung an die Götter mit dem Todesgeschick besonders verbindet.73 Das Begründungsschema fur den eintretenden Tod ist jedoch in den beiden zitierten Epigrammen verschieden. Geht es einmal darum, dem Schicksal nicht entfliehen zu können, so beklagt das andere Epigramm, den tragischen Verstrickungen des Lebens nachspürend, menschliche Rücksichtslosigkeit im Kampf ums Überleben. Das Bestreben, sich selbst - rücksichtslos - vor den Gefahren der See in Schutz zu begeben, finden wir auch in der lukanischen Schilderung des Schiffbruchs (27,30) und es ist darin mit anderen antiken Parallelen verbunden.74

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H. Beckby, Anthologie Graeca. Buch IX-XI, München 1958, 167. Vgl. Hes, op 666-668 und 681-690. Um zum Thema der Nichtigkeit menschlichen Strebens überzuleiten, beschreibt Lukrez, wie Menschen von sicherer Warte aus andere in Gefahr und täglichem Geschäft beobachten, sich selbst im Schutz wissend. Hier steht die Seenot (Lucr II 1-5) neben dem Krieg. Auch dies unterstreicht den typisierenden Zug der Seenot in antiker Literatur. Mit Befriedigung betreibt der Briefschreiber in Aelianos, epist 18 trotz geringeren Gewinns Landwirtschaft, da er sich so den Gefahren der Seefahrten entnommen weiß: „Wir freilich haben nur geringen Gewinn, obwohl wir hart arbeiten müssen. Aber das Land ist so viel fester gegründet als die See" (Kytzler, Briefe 182); entsprechend sind die an Land gezogenen Schiffe am sichersten: Diog Laert I 104 (Anadiareis). Auch kann beispielsweise Ausweglosigkeit (Aischyl, Choeph 201-203) mit der Gefahr auf See verglichen werden (vgl. Robbins, Land 220f).

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Vgl. Ach Tat III 3,2-5: „Hier entstand nun ein neues Übel; denn man wurde bald handgemein. Die herabgestiegen waren, schnitten das Tau ab, durch welches das Boot mit dem Schiffe verbunden war, und ein jeder von den Schiffern eilte, dem Steuermann, wohin der das Tau zog, nachzuspringen. Die sich aber auf dem Boote befanden, ließen sie nicht hineinsteigen; ja sie drohten denen, die herabsteigen würden, mit Beilen und Messern. Die meisten auf dem Schiffe rüsteten sich, womit sie konnten; der eine ergriff ein Stück von einem alten Ruder, der andere von einer Ruderbank und verteidigte sich damit: denn das Meer machte die Gewalt zum Gesetze. Es war eine neue Art von Seeschlacht: die auf dem Boote schlugen, weil sie besorgten, es möchte durch den Haufen der Hineinsteigenden untersinken, mit Beilen und Schwertern nach den Herabspringenden; und diese hieben zugleich im Herabspringen mit Keulen und Rudern auf sie. Einige berührten kaum den Rand des Schiffs und glitten heraus; andere kämpften, auch da sie noch in das Boot stiegen, mit denen, die sich schon darin befanden; denn es band sie keine Freundschaft, keine Achtung mehr, sondern ein jeder war nur auf seine eigene Si-

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Bei den Inselbewohnern ist der durch den Schlangenbiss drohende Tod ein Hinweis auf die dahinter stehende Mordtat, die ihre Strafe findet. Dieser Zusammenhang zwischen Tat und göttlicher Strafe ist ein religionsgeschichtlich breit gefacherter Vorstellungskomplex. So entgeht Caesar durch eine hohe Welle, die ihn an Land spült, dem tödlichen Schiffbruch, wird aber damit für eine andere Strafe aufbewahrt.75 Es kann gefragt werden, ob solche Vorstellungen von der später eintretenden Strafe, in der sich das Schicksal erfüllt, ein Kriterium dafür sind, dass Lukas nicht den ihm bekannten Tod des Paulus (Act 20,17-35; vgl. 20,38; 21,11) am Ende der Apostelgeschichte berichtet; zu leicht könnte das Urteil unbedarfter Leser lauten, Paulus sei doch ein homo iniustus, aufgespart für die Verurteilung in Rom - so oder so, die Schilderung des paulinischen Todes widerspräche dem plot des lukanischen Werkes. Der Sichtweise der Inselbewohner steht die des Lesers/der Leserin des lukanischen Doppelwerkes gegenüber, der/die weiß, dass Jesus den ausgesandten Jüngern versichert hat, dass ihnen von Schlangen und Skorpionen keine Gefahr droht (Lk 10,19).76 Paulus kann nichts passieren, da er zur Verkündigung in Rom vom Geist geleitet und von Gott bestimmt ist77 - so belegte es schon die Rettung aus Seenot. In Act 28,5 bleibt zudem der Gerechte vom Schlangenbiss körperlich unbeschädigt.78 Dies führt zur Meinungsänderung der Barbaren, die an das ¿Verhalten der Menschen in Lystra erinnert: Act 14,11-13. Aus dieser Darstellung zu schließen, dass „das Heidentum der

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cherheit bedacht; und auf Menschlichkeit nahm man keine Rücksicht. So lösen große Gefahren auch die Bande der Freundschaft" (F. Ast, Achilleus Tatios. Leukippe und Kleitophon, F. Jacobs und F. Ast, Longus/Achilleus Tatios, Daphnis und Chloë/Leukippe und Kleitophon, München 1990, 161). Lucan 5,654-677: Hinweis bei Talbert/Hayes, Theology, 273 Anm. 13. Theron, der Anführer der Grabräuber und Entführer der Kallirhoe, behauptet, er sei um seiner Frömmigkeit willen aus der Seenot gerettet worden; doch der Erzähler klärt auf, dass er „wegen seiner Gottlosigkeit als einziger gerettet worden ist", um „um so schwerer bestraft" zu werden: Chariton 3,3,18; 3,4,9-10 (Κ. Plepelitz, Chariton. Kallirhoe, BGrL 6, Stuttgart 1976, 77). Vgl. auch Klauck, Magie 131 ; Kollmann, Paulus 94. Auch die - ebenfalls nur bei Lukas überlieferte - Zusicherung der Unversehrtheit, Lk 21,18, findet hier eine wichtige Erfüllung im Erzählgefälle des lukanischen Doppelwerkes; vgl. Rapske, Paul 401. Allerdings legt Lk 21,16 eine eschatologische Interpretation dieser Zusage nahe. Vgl. J. C. O'Neill, The Theology of Acts in Its Historical Setting, London 1961, 63. Talbert/Hayes, Theology 274: „So Paul is declared innocent by God!" Mit Hinweis auf jBer 9a par bBer 33a: Hanina ben Dosa (vgl. hierzu auch G. Vermes, Hanina ben Dosa. A Controversial Galilean Saint from the first Century of the Christian Era, JJS 23 [1972] 28-50, 35-37); vgl. auch tSanh 8,3.

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β ά ρ β α ρ ο ι als 'extrem' falsch urteilend dargestellt" sei, 79 scheint mir an der Pointe des Stückes vorbeizugehen, da es nicht als theologischer Traktat über die maltesischen Barbaren, sondern über Paulus zu lesen ist. 80 Möglicherweise ist die unkorrigierte Reaktion mit der Leseanweisung von 14,17f im Hintergrund so zu verstehen, dass die positiv dargestellten Barbaren anerkennen, dass dieser Paulus unter Gottes Schutz steht und in seinem Auftrag handelt. 81 Der Schlangenbiss thematisiert also sein ihm zustehendes Schicksal. Er wird als vor Gott Gerechter dargestellt. Auch das zweite Wunder des Paulus (Act 28,7-10) auf der Insel Malta trägt deutlich zur Charakterisierung des Paulus bei. 82 Der Inselerste83 nimmt Paulus und seine Gefolgsleute auf. 84 Paulus, der eigentlich ein Gefangener ist, hat Umgang mit der administrativen Elite. In diesem Umgang wird mit der Fieberheilung die Fürsorge des Paulus herausgestellt. 85 Gegenüber dem im ersten Wunder nach dem Schiffbruch geschilderten barbarischen Ansinnen, Paulus selbst sei ein Gott, betet er zu Gott um Heilung und erweist sich hier-

79 Schneider, Apostelgeschichte 2, 403. Etwas anders Löning, Gottesbild 91, der von 'Fehlurteilen' spricht; das, was „in der christlichen Mission auf Seiten der 'Heiden' überwunden werden muß: die αγνοία bezüglich Gottes und seiner Gerechtigkeit". 80 P. E. Satterthwaite, Acts Against the Background of Classical Rhetoric, in: Winter/Clarke, Book of Acts 1, 337-379, 365f macht hinter dieser Darstellung das Stilmittel der Ironie aus, da beide Statements Missverständnisse sind. Es liegt im Wesen der Ironie, Leser und Leserinnen zu tieferer Einsicht als die Charaktere zu führen. 81 So möchte ich die Überlegung von Klauck, Magie 131 aufnehmen und nuancieren. Auch Marguerat, End 83f urteilt differenziert: „the Barbarians are allowed to voice in an aberrant form a verdict which is substantially correct". 82 Insofern kann ich nicht erkennen, dass beide Wunder erzählt werden, „to show that the salvation of God has been sent to the Gentiles and that the Gentiles of Malta have some potential... for Christian faith" (Praeder, Acts 27:1-28:16, 702; vgl. auch dies., Miracle Worker and Missionary: Paul in the Acts of the Apostles, in: SBL.SP 22 (1983) 107129, 128 U.Ö.). Eine noch andere Orientierung auf die christliche Mission behauptet Robbins, Land 238-242, der der Meinung ist, dass die Wir-Passagen eine „mission by sea" entfalten. 83 Vgl. CIL X 7495; IG XIV 601; vgl. zu den Inschriften auch A. Wikenhauser, Die Apostelgeschichte und ihr Geschichtswert, NTA VIII 3-5, Münster 1921, 345f. 84 Hier ist einmal mehr deutlich, wie sehr die Erzählung auf Paulus selbst konzentriert ist; wo kommen die anderen Gefangenen unter oder sollen sie etwa auch in das Haus des Inseloberen aufgenommen werden? 85 Pointiert S. Schreiber, Die theologische Signifikanz der Pauluswunder in der Apostelgeschichte, SNTU 24 (1999) 119-134, 129: „Der eben selbst aus der tödlichen Gefahr eines Schlangenbisses gerettete und so als von Gott beschützter Zeuge erwiesene Paulus wendet nun seinerseits Gottes Heil einem Fieberkranken zu, dessen vom Gebet des Paulus getragene Heilung die Überfülle und Ungeschuldetheit des göttlichen Heilswirkens symbolisiert".

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durch weder als Gott noch als Magier.86 So ist der als homo honestus Aufgenommene zugleich ein homo iustus, da ihn Gott erhört. Wegen der Wunder des Paulus werden ihm und seinen Begleitern viele Ehrungen (28,10) zuteil. Die juristische Handhabung wird in dieser Passage nicht reflektiert. Die Darstellung zielt eher darauf, dass die „letzten Kilometer des Märtyrers vor dem Ort seines Zeugnisses ... von den ständig gesteigerten Ehrungen der Gläubigen begleitet" sind. „Der Todesmarsch gerät in das Licht einer vorweggenommenen Ehrenrunde des Siegers"87. Dieser Sieger aber siegt nicht um seiner selbst willen, wie seit Act 27,24 mitgedacht werden muss; sein Sieg ist der Sieg Gottes, dessen Evangelium schließlich ungehindert und frei im Zentrum antiker Macht ausgerichtet wird.

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Der Empfang in Puteoli und der Einzug nach Rom (Act 28,13/.15)

Die letzte Etappe führt Paulus in den Hafen von Puteoli vor Rom. Eine interessante Parallele im "Alten Wettstein" ist die Schilderung des Einlaufens alexandrinischer Schiffe in Kampanien bei Puteoli: „[1] Plötzlich liefen uns heute Schiffe aus Alexandria ein ... Willkommen ist ihr Anblick in Kampanien; die ganze Bevölkerung von Puteoli steht auf der Mole und macht unmittelbar an der Takelage die Schiffe aus Alexandria in einer noch so großen Menge von Schiffen aus: allein sie nämlich dürfen das Bramsegel setzen, das auf hoher See alle Schiffe führen. [2] Nichts nämlich hilft ebenso der Fahrt wie der höchste Teil der Takelage: dort wird am meisten das Schiff beschleunigt. Sooft daher der Wind auffrischt und stärker ist als dienlich, wird die Bramstenge herabgelassen: weniger Kraft hat die Brise weiter unten. Sobald die Schiffe Capri erreicht haben und das Vorgebirge, von wo in der Höhe ausschaut auf sturmumbrausten Gipfel Pallas, erhalten die übrigen Schiffe Befehl, mit dem normalen Segel sich zu begnügen: das Bramsegel ist der Alexandrier besonderes Kennzeichen." (Sen, epist 77, Ii). 88 Die Schilderung unterstreicht das in Act 27,6 und 28,13 vorhandene Lokalkolorit. Das Urteil von Charles Kingsley Barrett trifft zu: „There can be no doubt that whoever was responsible for the substance of this chapter

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Vgl. den Verweis auf sein Gebet zu Herakles Apotropaios in der fiktiven Verteidigungsrede des Apollonius vor Kaiser Domitian: Philostr, vit Ap 7,9; hierzu M. Labahn, Jesus als Lebensspender. Untersuchungen zu einer Geschichte der johanneischen Tradition anhand ihrer Wundergeschichten, BZNW 98, Berlin/New York 1999, 202 Anm. 218; vgl. auch Talbert/Hayes, Theology 274; Schreiber, Signifikanz 120. Zur Interpretation von Act 28,8 vgl. Klauck, Magie 132; zum Gestus der Handauflegung Kollmann, Paulus 94. Schille, Apostelgeschichte 473. M. Rosenbach, Seneca. Philosophische Schriften, Bd. 4, Nachdruck Darmstadt 1995, 115.117.

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was familiar ... with conditions and places in the Mediterranean and the Adriatic"89. Puteoli als Zielort der Getreidefrachter neben dem später bedeutenderen römischen Hafen Ostia belegen weitere Quellentexte: OGIS 594; POxy 2191; Strabo XVII 793; Suet, Aug 98,2.90 Auch Titus eilt nach dem Palästinafeldzug, um den Gerüchten über seine Okkupation der kaiserlichen Macht entgegenzutreten, über Rhegium und Puteoli nach Italien: Suet, Tit 5,3. Josephus nennt Puteoli als italienischen Zielhafen des vor Augustus drängenden Doppelgängers des Alexander, des von Herodes 7 v.Chr. zum Tode verurteilten Sohnes: bell 2,104: „Nach der Landung in Dikaiarchaia nahm er von den dortigen Juden Geschenke in großer Zahl entgegen (καταχθείς δέ είς Δικαιάρχειαν δώρά τε παμπληθη π α ρ ά των έκεΐ 'Ιουδαίων λαμβάνει) und wurde von den Freunden seines angeblichen Vaters wie ein König geleitet."91 Die dortige jüdische Gemeinde scheint somit finanziell gut situiert gewesen zu sein.

Die jüdische Gemeinde, von der wir bei Josephus erfahren, kann ein Hinweis für die Existenz auch einer christlichen Gemeinde sein, die der lukanischen Darstellung zufolge Paulus empfängt. Auffällig ist einerseits, dass sich Paulus frei in der Hafenstadt bewegen kann, indem er ungehindert die christliche Gemeinde aufsucht, und andererseits, dass ein recht langer Aufenthalt (immerhin sieben Tage) kurz vor Ende der Reise stattfindet. Der Aufenthalt stellt Paulus auch auf seiner letzten Reise als seelsorgerlich Tätigen dar; so wird man das μένειν des Paulus verstehen dürfen: vgl. Act 9,43 (Petrus); 16,15; 18,3.20 (das Bleiben wird abgelehnt); 21,7.8. Die letzte Etappe des Verkündigers ist der Triumphzug des zum Ziel kommenden Evangeliums; so belegt es auch der Empfang des Paulus durch die römischen Christen (Act 28,15). 92 Nach John Clayton Lentz spielen die 89

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Barrett, Acts II, 1178. Dass Puteoli das Ziel der paulinischen Verbringung nach Rom ist, sagt nicht mehr als das, was allgemein antik bekannt war, und wir kommen auf der historischen Ebene nicht darüber hinaus zu sagen, dass der Weg von Myra nach Puteoli mit einem alexandrinischen Getreideschiff (27,38) eine mögliche Option für die Verbringung des Paulus nach Rom ist; vgl. auch so allgemeine Notizen wie die der Rückkehr des Titus aus Alexandria nach Rom mit einem Handelsschiff (Suet, Tit 5,3-6,1). Auch das Schiff aus dem Fund von Mahdia könnte diesen italienischen Hafen als Ziel gehabt haben, bevor es durch die Stürme nach Nordafrika abgetrieben worden ist; vgl. Hellenkemper, Weg 157. O. Michel und O. Bauernfeind, Flavius Josephus. De Bello Judaico I, Darmstadt 1959, 201. Zum Brauch des Einholens hochgestellter Persönlichkeiten (άπάντησις/ύπάντησις) durch die Bevölkerung vgl. die Materialsammlung und Auswertung bei E. Peterson, Die Einholung des Kyrios, ZSTh 7 (1929) 682-702; vgl. Schille, Apostelgeschichte 475f. Beispiele solchen Entgegenziehens bietet die antike Literatur für würdige und unwürdige Personen; zu den letzteren zählt der ehemalige Sklave Athenion (Tyrann v. Athen: 88 v.Chr.), der die Athener gegen Rom aufwiegelt und dafür ehrenvoll nach Athen geholt wird: Athen V 212b-c. Vgl. auch Augustus, res gestae 12: „Auf Anordnung des Senats ist mir ein Teil der Prätoren und Volkstribunen mit dem Konsul Q. Lucretius und den

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begleitenden Soldaten nicht die Rolle von Wachen, sondern dienen vielmehr „to escort an arriving dignitary"93. Allerdings werden die Soldaten in 28,1115 nicht explizit erwähnt, obgleich sie unterwegs natürlich nicht verloren gegangen sind. Es handelt es sich bei Paulus jedenfalls nicht um einen gewöhnlichen Gefangenen, da er mit außergewöhnlicher Achtung behandelt wird.

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Die Haft in Rom (Act 28,16-31)

Wichtig für das Verständnis der letzten Etappe der Paulus-Darstellung sind die Prüfung der bei Lukas geschilderten rechtlichen Verhältnisse des Gefangenentransportes und des Hausarrestes des Paulus in Rom. Die lukanische Darstellung setzt das römische Rechtssystem voraus, wenngleich nur wenige direkte Hinweise auf juristische Aspekte der paulinischen Gefangenschaft zu finden sind: V. 16.20.30. Der jeweilige soziale Status ist - wie gezeigt94 - für die juristische Behandlung einer Person bedeutend, so dass diese Bemerkungen bedeutsame Signale für das lukanische Paulusportrait enthalten. Eine wichtige Vorfrage, deren Entscheidungen und Deutungen sich außerhalb von Act 27f abspielen, ist die nach dem römischen Bürgerrecht des Paulus (Act 16,38; 22,25.28; 23,27; 25,10-12) 95 und damit die nach der Historizität der Appellation an den Kaiser (25,11).96 Wer das römische Bürgerrecht für den Juden Paulus bestreitet, wird auf die juristisch-historischen Überlegungen zum Gefangenentransport, zur Haft und zur Verkündigungsmöglichkeit des Paulus in Rom kein Gewicht legen. Es finden sich viele Züge in der Darstellung des Lukas, die Paulus weniger als Gefangenen,

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angesehensten Männern nach Campanien entgegengesandt worden (μοι ύπαντήσοντες μέχρι Καμπανίας), eine Ehrung, die bis auf den heutigen Tag außer für mich noch für niemanden beschlossen wurde" (E. Weber, Augustus. Meine Taten, München 1970, 21). Lentz, Portrait 157. Vgl. oben S. 79. Für die Bestreitung des römischen Bürgerrechts sind gegenwärtig vor allem W. Schmithals, Die Apostelgeschichte des Lukas, ZBK.NT 3/2, Zürich 1982, 89.200.219; W. Stegemann, War der Apostel Paulus römischer Bürger?, ZNW 78 (1987) 200-229; Lentz, Portrait 23-61, bes. 43-51.59f und D. A. Cineira, Die Religionspolitik des Kaisers Claudius und die paulinische Mission, HBS 19, Freiburg u.a. 1999, 348-370 zu nennen. Verteidigt wird das römische Bürgerrecht des Paulus in neueren Arbeiten z.B. durch Rapske, Paul 83-90 et passim (mit Harmonisierungstendenz zwischen den Angaben der paulinischen Briefe und den Act); J. Gnilka, Paulus von Tarsus. Apostel und Zeuge, Freiburg u.a. 1997, 25f; jeweils vorsichtig urteilend J. Becker, Paulus. Der Apostel der Völker, Tübingen 1989, 35f; E. Lohse, Paulus. Eine Biographie, München 1996, 19f. Cineira, Religionspolitik 355-357.362f.

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denn in großer Freiheit agierend darstellen.97 Diese Züge karikiert David Alvarez Cineira: „Die lukanische Darstellung der Fahrt nach Rom ist schließlich undenkbar für damalige politische Gefangene, die ja keine Touristen oder Pilger mit Begleitung nach Rom waren."9' Cineira nimmt demgegenüber Jos, vita 13-16 als literarisches Vorbild für die lukanische Schilderung der paulinischen Überstellung nach Rom an. Diese Episode spräche dafür, dass „Lukas also ältere Erzählungen oder vorgeprägte Topoi und dazu historische Informationen, die in Verbindung mit römischen Persönlichkeiten (Prokuratoren) standen"99, aufnahm. Cineira muss zwei Handlungsfiguren der Episode bei Josephus auf Paulus vereinigen: die Überstellung der jüdischen Priester in Ketten und die Gestalt des Josephus mit dem Schiffbruch. Aufgrund zahlreicher Differenzen im Detail und der großen Verbreitung von Schiffbrucherzählungen in der antiken Literatur bleibt die Parallele zu schmal, um die ihr aufgebürdete Beweislast zu tragen. Die entscheidende lukanische Motivation für die Überstellung, die Appellation an den Kaiser, bleibt unerklärt. Wenn Cineira zudem zeigt, dass Personen ohne römisches Bürgerrecht nach Rom überstellt werden,100 so bleibt zu fragen, ob dies das wesentliche lukanische Motiv für die Darstellung des Paulus auf seiner letzten Reise als Gefangener wirklich erklären kann. Das römische Bürgerrecht ist Teil des lukanischen Paulusportraits, aber dem Urteil, dass es für dieses Portrait hinzugedichtet wurde, vermag ich gegenwärtig nicht zuzustimmen. Unabhängig v o m historischen Urteil bleibt die lukanische Darstellung, die die Überstellung des Paulus berichtet, vor dem Milieu seiner Leserschaft zu interpretieren und vor den zeitgenössischen juristischen Verfahrensabläufen zu verstehen. Welche Züge der Darstellung bereiten Anstoß und wie sind sie vor den antiken Parallelen und im Blick auf die literarische Darstellung des Lukas zu bewerten? 101 V o n besonderem Interesse ist die Notiz Act 28,16, die von Lukas Bormann zu den Gerichtsszenen gerechnet wird, die „ein im antiken Roman häufig eingesetztes Mittel zur Erzeugung von Spannung" 102 sind. Hier wird lapidar festgestellt: Als wir aber nach Rom hineingekommen waren, war es Paulus gestattet für sich zu bleiben, mit einem Soldaten, der ihn bewachte. Mit diesem ist Paulus durch eine Kette verbunden (Act 28,20). 1 0 3

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So bewertet Conzelmann, Apostelgeschichte 151 z.B. die Rolle des Paulus als Gefangener in Act 27,9-11 als „undenkbar". Cineira, Religionspolitik 364. Cineira, Religionspolitik 367-369, Zitat 369. Vgl. auch Lentz, Portrait 156. Eine juristische Interpretation mit großem historischen Vertrauen bietet Tajra, Trial 172196, der leider zu oft auf eine Darlegung der antiken Primärquellen verzichtet. Dieser Aufgabenstellung hat sich inzwischen Rapske, Paul mit einer beeindruckenden Quellenrezeption gestellt; auch er entwickelt ein großes historisches Zutrauen in den lukanischen Bericht. Bormann, Verrechtlichung 303, Zitat 304. Wettstein, Novum Testamentum II, 655 nennt Sen, epist 5,7: Dieser Beleg findet den Gefangenen mit dem Soldaten mit derselben Kette verbunden, wie auch Hoffnung und

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Textkritisch ist dieser Vers diffizil. Handschriften des Mehrheitstextes ergänzen zu folgender Lesart: ό έκατόνταρχος παρέδωκεν τους δέσμιους τφ στρατοπεδάρχω τω δέ Π α ύ λ φ επετράπη ... (Der Centurie übergab die Gefangenen dem Militärkommandanten, aber Paulus wurde erlaubt ...). NA 27 lesen zu Recht den kürzeren Text;104 immerhin bleibt es eine lohnenswerte Aufgabe, den westlichen Text nach Lokalkolorit und nautischen wie juristischen Kenntnissen zu überprüfen.

Die Erlaubnis, mit einem Wachsoldaten für sich zu bleiben - außerhalb der Kaserne, wie westliche Varianten ergänzen - , wird in den modernen Kommentaren zumeist paraphrasiert; so schreibt Joseph A. Fitzmyer „... Paul is put under house arrest. He has to be detained because his case has not yet been decided, but is accorded restricted freedom, because Roman authorities did not consider him a risk for public order."105 Das entspricht sicherlich auch dem lukanischen Anliegen, Paulus als unschuldig und unverdächtig einzustufen,106 und zugleich präpariert es den Zielpunkt seiner Darstellung: die freie Furcht verbunden sind. Diese kurze Notiz ist insofern von wenig Gewicht, als sie nicht erklärt, in welchem juristischen Kontext diese Verbindung steht: geht es um Verhaftung, Untersuchungshaft oder Strafe? In Sen, tranq An X 3 finden wir als eine Art Erläuterung das Bild von dem Zusammengebunden-Sein durch eine Kette (catena) mit dem Schicksal (fortuna). Beide Parallelen bieten das Stichwort catena und stimmen damit mit Act 28,20 überein, wo Paulus von sich selbst sagt, dass er um Israel willen diese Kette trägt (την α λ υ σ ι ν ταύτην περίκειμαι). Sen, tranq An Χ 3 fährt fort: „Dieselbe Haft hält alle Menschen gefangen, und gebunden sind auch, die gebunden haben, es müßtest denn du für leichter die Kette in der Linken ansehen (alligatique sunt etiam qui alligauerunt, nisi forte tu leuiorem in sinistra catenam putas)" (Rosenbach, Schriften 2, 143). Der Aufseher trägt an seiner linken Hand die Kette, mit der der Gefangene an ihn gebunden ist (vgl. auch die Erläuterung in Rosenbach, Schriften 2, 364 Anm. 21; Rapske, Paul 31). Doch was meint custodia juristisch? In der römischen Praxis bildet die Dauerverwahrung im Gefängnis jedoch eine Ausnahme, da das römische Rechtssystem lediglich vorübergehende Verwahrungen kannte, bspw. als Untersuchungshaft. Vgl. J.-U. Krause, Gefängnisse im Römischen Reich, Heidelberger althistorische Beiträge und epigraphische Studien 23, Stuttgart 1996 (Hinweis H. Omerzu). Der Kontext bei Seneca spricht für eine abgeurteilte Gefangenschaft; anders die Belege für Agrippa I. bei Jos, ant 18,189f.203.233.237. 104 Vgl. die Diskussionen zum Stratopedarchen bei Tajra, Trial 177-179; Schille, Apostelgeschichte 476. Rapske, Paul 174-177 hält die Variante für eine authentische Tradition; er denkt an einen Untergebenen des praefectus praetorii, wie er bei Tac, ann 11,1,3 genannt wird. 105 J. A. Fitzmyer, The Acts of the Apostles. A New Translation with Introduction and Commentary, AncB 31, New York u.a. 1998, 788. 106 Vgl. auch Tajra, Trial 179. Nach Rapske, Paul 2 zielen sämtliche gerichtlichen Auseinandersetzungen in der lukanischen Darstellung primär darauf, „to defend or justify the prisoner missionary Paul to the reader". Rapske geht allerdings davon aus, dass die Darstellung die spätere, nicht mehr geschilderte Freilassung des Paulus vermitteln will (z.B. 191), was aber nicht mit der testamentarischen Rede des Paulus in Act 20,17-35 zusam-

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Verkündigung vom Reich Gottes in Rom. Das Phänomen der leichten Haft wird bei Ulpian als militi tradendo (48,3,1) beschrieben,107 einem Text, der bereits bei Johann Jakob Wettstein zitiert wird.108 Die Entscheidung über die Art der Haft fällt der Prokonsul, und zwar unter Erwägung der potentiellen Schuld und der Beachtung der sozialen Stellung.109 Diese custodia militar is repräsentiert unterschiedlich schwere Verwahrungsformen, wobei die Verwahrung außerhalb eines Militärlagers wie bei der verstoßenen Gattin des Nero, Octavia, zu den leichteren Formen gehört.110 Der gesellschaftliche Status ist für die Härte der militärischen Bewachung von großer Bedeu-

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mengeht. Eine Gefangenschaft im römischen Staatsgefängnis ist nach Dig (Ulpian) 26,10,3,16f, Männern von gesellschaftlichem Rang nicht zuzumuten („Uebrigens bin ich der Meinung, dass Leute von einigem Range [qui sunt in aliqua dignitate positi] nicht im Öffentlichen Gefängnisse behalten werden dürfen" [C. E. Otto, B. Schilling und C. F. F. Sintenis, Das Corpus Juris Civilis in's Deutsche übersetzt II, Leipzig 1831, 924]; solche Strafe kommt nur den humiliores zu; zur Gefängnisstrafe vgl. Rapske, Paul 20-28. Nicht gemeint ist somit die custodia libera (so aber Lentz, Portrait 167). Beispiele aus unterschiedlichen Epochen: Liv XXXIX 14; Sali, Cat 42,3-4; Dio Cass 20,66,4; Cic, Verr II 5,68.76.77; Tac, ann VI 3,3; Dio Cass 58,3,5; vgl. auch Rapske, Paul 32-34; diese Haft wird durch die Überstellung an den Magistrat, einen prominenten Bürger oder gar an die eigene Familie vollzogen (Suet, Vit 2,3: von Publius Vitellius, dem Onkel des Kaisers Vitellius, heißt es: in custodiam fratri datus). Wettstein, Novum Testamentum II, 655. Vgl. auch klassisch Th. Mommsen, Römisches Strafrecht, Systematisches Handbuch der deutschen Rechtswissenschaft 1/4, Leipzig 1899, 317 Anm. 5. Als Beispiel verweist Mommsen auf Tac, ann XIII 15,4, wo allerdings eine verurteilte Giftmischerin unter der Obhut des Tribunen einer Prätorianerkohorte, Pollio Iulius, festgehalten wird. Dig (Ulpian) 48,3,1: „Im Hinblick auf die Bewachung des Angeschuldigten verfügt in der Regel der Prokonsul, ob die betreffende Person in einen Kerker gebracht werden oder einem Soldaten oder Bürgen übergeben werden soll oder auch sich selbst überlassen bleibt. Dies bestimmt er gewöhnlich nach der Art des dem Betreffenden zur Last gelegten Verbrechens, nach seiner Würde oder seinen Vermögensverhältnissen, nach der größeren oder geringeren Wahrscheinlichkeit seiner Schuld und nach dem Range des Angeklagten {hoc autem vel pro criminis quod obicitur, qualitate vel propter honorem aut propter amplissimas facúltales vel pro innocentia personae vel pro dignitate eius qui accusatur facere solet)" (Huchthausen, Recht 251); vgl. Dig 48,3,3; hierzu Rapske, Paul 39f; vgl. auch 56-62 (57: Erörterung der juristischen Bedeutung des Terminus honestus für die Rechtsprechung); Lentz, Portrait 158f. Tac, ann XIV 60,2. Zu den unterschiedlichen Varianten der militärischen Obhut eines Gefangenen vgl. Rapske, Paul 28f. Belege für die Bewachungen im eigenen Haus sind neben Tac, ann XIV 60,2 z.B. Jos, ant 18,235.237 (ausdrücklich als Erleichterung der Gefangenschaft des Agrippa I. dargestellt). Für die Bewachung im Militärlager vgl. Jos, ant 18,203f.235.237. Aufgrund der Nachricht vom Tode des Tiberius speist der wachhabende Offizier mit Agrippa, wobei er ihm die Fesseln abgenommen haben soll (Ant 18,232f; vgl. Act 28,20).

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tung,111 ohne dass eine einheitliche Handhabung der freieren Verwahrungsformen den antiken Quellen entnommen werden kann.112 Freiere Haftbedingungen mit Besuchen für einen prominenten Gefangenen, die allerdings hinter Act 28,16 zurückstehen, berichtet Jos, ant 18,203f (Agrippa I.), doch wird in antiken Quellen auch das Gegenteil - wohl eher als Ausnahme - über Gallus berichtet: Dio Cass 58,3,5f. Vor diesen Zeugnissen hat die recht lasche Gefangenschaft des Paulus nicht nur Parallelen, sondern repräsentiert auch ein soziales und juristisches Bewertungsangebot für die impliziten Leser; zugleich aber setzt dies eine gewisse Kenntnis der juristischen Gepflogenheiten voraus: Die Unschuldsbetonung aus Act 26,31 spiegelt sich in der freien Gefangenschaft ebenso wie die respektable gesellschaftliche Stellung.113 In der lukanischen Darstellung stehen hingegen die Freiheit des Paulus zur Verkündigung und die soziale Würde im Vordergrund, die der Erzähler seinem Helden zumißt.114 Paulus wird also als Träger christlicher Verkündigung in besonderer Weise sozial qualifiziert. Die relativ leichte Haft unter militärischer Bewachung erlaubt es Paulus auch, die Führer (πρώτοι) der römischen Juden zusammenzurufen (Act 28,17); hiermit ergeht es Paulus in seiner custodia besser als dem oben erwähnten Gallus. Paulus bestellt die jüdischen Führer in seine Mietwohnung,115 wie der römische Kaiser vorlädt, wenn er Gericht hält;116 zu Recht

111 Rapske, Paul 30 mit Hinweis auf Tac, hist III 12,3. Lucilius Bassus, der Kommandant der ravennatischen Flotte, wird in h onorata custodia genommen und Atria überstellt; hier wird er zunächst in Fesseln gelegt, die aber später gelöst werden. 112 Vgl. Rapske, Paul 34. 113 Anders Rapske, Paul 173, der nicht das literarische Portrait, sondern die historische Ebene beleuchtet und so der Unschuldserklärung des Felix alles Gewicht für die Gefangenschaft zuschreibt. 114 Allerdings durchbricht die Erwähnung des Wachsoldaten das Bild ein wenig; der militärische Rang der Wachen steigert sich mit der Bedeutung des Gefangenen. Will man dies nicht als Inkonsequenz der Darstellung bewerten, so könnte man dies als Hinweis auf die Unschuld des Paulus werten, ohne dass es für ein mit Act 26,31 einhergehendes Dossier des Festus oder eine Bewertung des Lysias (Act 23,29) ausgewertet werden kann (zu Rapske, Paul 183). 115 Vgl. Rapske, Paul 177-180 zu Act 28,16.30 (nach D. L. Mealand, The Close of Acts and Its Hellenistic Greek Vocabulary, NTS 36 [1990] 583-597 benutzt Lukas einen zivilrechtlichen Begriff für Mietzinsen, wie er in Inschriften nachweisbar ist; sachlich weist auch dies auf eine Mietwohnung). Über den Charakter dieser Mietwohnung erfährt der Leser nichts genaues (vgl. auch 28,23: die Vulgata übersetzt ξενία mit hospitium); zu den Wohnbedingungen in Rom vgl. Rapske, Paul 228-236; J. E. Stambaugh, The Ancient Roman City, Ancient Society and History, Baltimore u.a. 1988, 168-178, bes. 175178; A. G. McKay, Römische Häuser, Villen und Paläste. Deut. Ausg. Bearb. u. erw. v. R. Fellmann, Edition Antike Welt 2, Feldmeilen 1980, 61f; zu italischen Mehrfamilien-

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bemerkt Gerhard Schneider: „Die Autorität des Paulus wird so hervorgehoben, daß man den Eindruck gewinnt, er habe die jüdische Prominenz einfach herbeizitieren können" 117 . Der zum gerichtlichen Verhör Bestellte gibt vor der Versammlung der jüdischen Vornehmen eine Rechenschaft, die ausdrücklich nicht als Anklage des jüdischen Volkes ( ο ύ χ ώς τ ο υ έ θ ν ο υ ς μ ο υ ε χ ω ν τι κ α τ η γ ο ρ ε ν ν ) vorgestellt wird. Paulus entfaltet seine Lehre, so dass er auch in der Gefangenschaft seiner Botschaft verpflichtet bleibt. Zwar dichtet er keine Paiane wie es Sokrates zugeschrieben wird, 118 noch fuhrt er philosophische Dialoge (Sokrates 119 und Apollonius 1 2 0 ), aber er richtet während seiner Gefangenschaft Gottes Evangelium aus, zunächst der jüdischen Synagoge, 1 2 1 dann universell (28,30f). Die letzte Vokabel der Apostelgeschichte, ά κ ω λ ύ τ ω ς (28,31), ist ein viel diskutiertes neutestamentliches Hapaxlegomenon.122 Die paulinische ReichGottes-Verkündigung geschieht ungehindert. Es wurde bisweilen auf die rechtliche Bedeutung dieses Wortes hingewiesen - es begegnet als juristischer Terminus in Papyri des 2. Jahrhunderts n.Chr. 123 - , so dass Lukas eine Unbedenklichkeitserklärung der christlichen Verkündigung durch die römi-

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häusem 76-94). Die syrische Überlieferung unterstreicht, dass Paulus in Rom für seinen Lebensunterhalt selbst sorgt; vgl. hierzu den Beitrag von M. Tilly in diesem Band. Eine solche Szene berichtet Jos, bell 2,80-82. Schneider, Apostelgeschichte 2,414. Vgl. L. C. A. Alexander, Acts and Ancient Intellectual Biography, in: Winter/Clarke, Book of Acts 1, 31-63, 61f mit Hinweis auf Epikt, diss II 6,25-27. Vgl. Plat, Phaid 61ab; vgl. auch Cn. Naevius nach Gell 3.3.15 (Abfassung zweier Dramen im Gefängnis); Philostr, vit Ap 4,46 (Dialog zwischen Apollonius und Musonius durch Emissäre). Über das Verbot der Rede und der Unterhaltung als besondere Grausamkeit gegen Gefangene unter Tiberius informiert Suet, Tib 61,4. Neben dem Dialog Phaidon vgl. den Bericht, dass Sokrates bis zuletzt „viele vortreffliche Gespräche" geführt habe (Diog Laert 2,42). Philostr, vit Ap 7,26-42. Anders Rapske, Paul 330, der einen juristischen Akt der paulinischen Verteidigung erkennt, indem dieser die Juden Roms für seine Sache zu gewinnen sucht. Vgl. z.B. G. Delling, Das letzte Wort der Apostelgeschichte, NT 15 (1973) 193-204, 196-204; Mealand, Close 589-595; Rapske, Paul 182. POxy III 502.31; VIII 1127.16. Einen andersartigen, zivilrechtlichen Hintergrund betont Mealand, Close 590-593, der meint, dass 28,30f auf Tradition zurückgreife (591), die sich mit den paulinischen Mietgeschäften in Rom befasse. Das Adverb άκωλύτως beziehe sich damit auf die freie Verfügung über die Mietwohnung. M.E. stellt das zivilrechtliche Interpretationsmodell einen sehr gezwungenen Zusammenhang zwischen drei zu unterscheidenden Themen her: der Mietwohnung, der Prozessdauer und der freien Verkündigung. Mealand nennt selbst zu Recht auch andere Motive, auf die der lukanische Text eingeht.

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sehe Autorität gäbe.124 Doch weniger die römische Führung als die christliche Gemeinde ist Zielpunkt; die Verkündigung wird fortwirken - sie ist nicht zu begrenzen und zu behindern; hier steht der Text offen und zwar offen für Generationen. Damit aber ist schlussendlich nicht der Verkündiger Paulus entscheidend.125 So verändert sich die Perspektive des Erzählers weg von dem einzelnen hin zur Sache. Die Sache, also die Verkündigung des Reiches Gottes, ist - getrieben durch den Geist - und mit Hilfe der Appellation an den Kaiser zum Zielpunkt gekommen; der in Act vorausgesetzte Tod des Paulus ist kein Widerspruch gegen die geistgeleitete und gottgefällige Führung der verkündigenden Kirche, da diese das angestrebte Ziel in Gottes Schutz erreicht. Der Tod des Verkündigers ist aufgehoben in den höheren Zweck seines Wirkens, der letztlich erreicht ist: die fortlaufende Verkündigung des Evangeliums.126 Das Adverb άκωλύτως kann sogar eine theologische Implikation enthalten, die die Urheberschaft dieser Verkündigung in Gott selbst findet: „Acts 28.31 at a literary level may also contain an allusion to the unstoppable sovereign action of God"127.

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Zusammenfassung

Das Paulusportrait des Lukas in Act 27f verbindet unterschiedliche Aspekte. Für Lukas ist Paulus ein homo honestus. Er tritt seine Reise nach Rom als Unschuldiger an, um dort nach dem göttlichen Willen das Evangelium zu verkünden. Daher ist Paulus als Gefangener ein relativ freier Mann und - in menschlicher Hinsicht - ein autonom Handelnder, weil er ehrenhaft und von respektierter gesellschaftlicher Stellung ist. So kann er mit dem Schiffsfuhrer diskutieren und so verkehrt er mit dem Inseloberen. In Rom erfährt er lediglich eine leichte Haft, bei der er die Führer der jüdischen Gemeinden geradezu vor sich hin bestellt. Ein interessanter und nicht zu vernachlässigender Aspekt der Darstellung ist es, dass Paulus auch seiner Verantwortung gegen124 Vgl. Delling, Wort 203f; Tajra, Trial 193. 125 Vgl. auch Pokorny, Romfahrt 233: Paulus „steht im Schatten seiner Verkündigung des Reiches Gottes und des Herrn Jesus Christus". Mealand, Close 589 macht darauf aufmerksam, dass diese Freiheit der Rede durchaus auch etwas über den Status des Verkündigers aussage. 126 So betont beispielsweise V. Stolle, Der Zeuge als Angeklagter. Untersuchungen zum Paulusbild des Lukas, BWANT 102, Stuttgart u.a. 1973, 89, dass Act 28,17-31 „eine Ausgangssituation für die weitere Entwicklung (der Verkündigung der Herrschaft Gottes; M. L.)" schaffen will. 127 Mealand, Close 594f mit Hinweis auf Ps-Aristot, mund 401b; Alex Aphr, an 2 183,10.

Paulus - ein homo honestus et iustus

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über dem Gemeinwesen gerecht wird. Als Gefangener ist er in der lukanischen Darstellung zugleich der Freie, der seinen Einfluss zum Wohl der Mitreisenden einsetzt. Neben seiner Sorge für die Sicherheit und das Leben der Mitreisenden heilt er den Vater des Inseloberen. Hierin bewährt er in positiver Weise seinen gesellschaftlichen Status und seine erzählerische Rolle als homo honestus. Aber auch dies hat nach dem lukanischen Impetus nicht allein eine soziale, sondern ebenfalls eine theologische Funktion.128 Als Bote des Evangeliums ist Paulus homo honestus, um seinetwillen werden seine Begleiter gerettet (Act 27,24: καί ίδου κεχάρισταί σοι ό θεός πάντας τους πλέοντας μετά σου); so kann von einer Art Pro-Existenz des Verkündigers gesprochen werden.129 Der Bote tritt für die ein, die mit ihm im Sozialkontakt stehen. So ist das Portrait der letzten Paulusreise auch offen für die lukanische Vorstellung frühchristlicher Sozialethik. Zugleich wird Pauli Unschuld in der Schifffahrtsgeschichte illustriert (27,1-28,10). Der homo honestus ist ein homo iustus, wie Gott durch seinen Schutz und seine Gebetserhörung dokumentiert. Der Seesturm dient nicht der Bestrafung eines Schuldigen, sondern unterstreicht die Richtigkeit der Urteile von Felix, Festus und Agrippa II. Auch die theologische Motivation dieses Portraits kann aufgezeigt werden. Gott lässt sein Evangelium durch diesen homo honestus et iustus nach Rom bringen und dort in aller Freiheit ausrichten - eine Freiheit, die in Spannung zur berichteten Gefangenschaft steht. Doch Paulus ist einer anderen Macht unterworfen, der Macht Gottes, der ihn zur Verkündigung des Evangeliums beauftragt hat. Der homo honestus ist in gewissem Sinne auch bei Lukas der servus dei bzw. servus domini (vgl. Rom 1,1; Gal 1,10; Phil 1,1). Doch die Leiden130 tragen bei Lukas Züge des Triumphzuges und zeichnen Paulus so aus, dass damit zugleich der Inhalt, für den er diesen Weg geht, das Evangelium Gottes, gewürdigt ist. Act 27f wird auch deshalb als Schiffbruchepisode begonnen, weil dies dem Erzähler Gelegenheit gibt, dem Boten und vor allem der Botschaft göttliche Legitimität zuzuweisen.131 Der plot von Act 27f lässt

128 Insofern ist es m.E. nicht hinreichend, die letzten Kapitel der Apostelgeschichte als encomium zu verstehen, in dem Paulus vor allem der „model Christian" ist, der als „example for his readers to respect and imitate" vorgestellt werde (so Lentz, Portrait 63). Hier werden wichtige theologische Lesesignale außer acht gelassen; vor allem Act 24,27. 129 Vgl. o. S. 88. 130 Betont bei Roloff, Paulus-Darstellung 276-278. 131 So weist z.B. Satterthwaite, Acts 352 daraufhin, dass die verschiedenen Erzählelemente, die die Reise nach Rom unterbrechen, eine Spannung erzeugen, deren Auflösung auch einem theologischen Ziel dient: „The obstacles, and the length at which they are nar-

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keinen Raum fur eine Märtyrertheologie, die das bisherige Portrait oder die narrative Strategie vor dem Hintergrund des kulturellen Inventars in Frage stellen würde. Wird in Act 28,31 das Ziel der Apostelgeschichte erreicht, die freie Verkündigung des Evangeliums durch seinen würdigen und von Gott ausgezeichneten Boten, so ist sein weiteres Ergehen für den Erzähler zu vernachI

lässigen. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass die christliche Verkündigung bereits vor Paulus in Rom angelangt ist (Act 28,15).133 Diese Notiz bleibt aber unausgeführt, so dass gefragt werden kann, warum keine weiteren Kontakte mit der römischen Gemeinde berichtet werden. Ob man dahinter die Kenntnis innergemeindlicher Konflikte vermuten kann,134 die letztlich um die Isolation des Verkündigers Paulus am Ende seines Lebens auch von den christlichen Brüdern und Schwestern weiß,135 sei dahin gestellt. Richtet Paulus sein Evangelium zunächst gegenüber der Synagoge aus, so erinnert dies an das lukanische Missionsschema,136 und damit relativiert die Notiz Act 28,15 fur den Verfasser der Apostelgeschichte nicht den besonderen Charakter der Evangeliumsverkündigung in Rom (28,30f). Die Appellation an den Kaiser findet ihr Ziel in der Verkündigung in der Stadt des Kaisers, in Rom, und diese Verkündigung erfolgt frei und ungehindert. Sie ist zugleich offen für die weitere Verkündigung des Evangeliums durch die auf Paulus folgende Kirche.

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rated, create a suspense in the narrative, and reinforce our sense of God's purposes reaching fulfilment when Paul finally does arrive in Rome". Insofern lässt sich mit P. Pokorny, Theologie der lukanischen Schriften, FRLANT 174, Göttingen 1998, 27 fragen, wer in der Apostelgeschichte der eigentliche Held ist; nach Pokorny der auferstandene Kyrios, dessen Evangelium in Rom verkündigt wird. Z.B. D. Marguerat, The Enigma of the Silent Closing of Acts (28:16-31), in: Moessner, Jesus 284-304, 287; Stolle, Zeuge 82. Z.B. Roloff, Paulus-Darstellung 269f. So Prof. Dr. U. Schnelle, Halle, mündlich. Vgl. z.B. Satterthwaite, Acts 350.

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Das Ende des Paulus und die syrische Texttradition Act 28,17-31 in der Überlieferung der Peschitto

Das Thema dieses Beitrags scheint auf den ersten Blick nicht zur neutestamentlichen Wissenschaft zu gehören, sondern zur „Kunde der älteren Kirche", bearbeitet zumal von einem Judaisten. Doch ist im folgenden zu zeigen, daß sich sowohl die judaistische als auch die neutestamentliche und patristische Forschung bei der Untersuchung des lukanischen Berichts vom Wirken des Paulus im Zentrum der antiken Macht in Act 28,17-31 wechselseitig befruchten können, um gemeinsam einen Beitrag zum Verständnis dieses mit zahlreichen Problemen behafteten Textes zu leisten. So soll zunächst in Abschnitt 1 der gegenwärtige Stand der Forschung am syrischen Text der Apostelgeschichte beleuchtet werden, bevor in Abschnitt 2 anhand des Vergleichs zwischen dem griechischen und dem syrischen Text die Charakteristika dieser Übersetzung eine ausführliche Darstellung erfahren. Auf dieser Grundlage sind im abschließenden Abschnitt 3 einige Entwicklungslinien zwischen der Abfassung der Apostelgeschichte und ihrer Verständnistradition in der syrischen Bibel zu skizzieren, die ihrerseits einen kleinen Beitrag zur Erhellung der Intention des untersuchten Textes im Gesamtzusammenhang des lukanischen Doppelwerks von einer Seite her leisten könnten, die bislang noch nicht hinreichend beleuchtet wurde.

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Der syrische Text der Apostelgeschichte

Die Geschichte des Textes der Apostelgeschichte zeigt, daß die Überlieferung mit ihm eine Zeitlang weitaus freier umgegangen ist als mit dem der paulinischen Briefe und der Evangelien, deren kanonische Geltung bereits früher feststand.1 Erst gegen Anfang des 3. Jahrhunderts n.Chr. gilt die Apostelgeschichte der Kirche als kanonische Schrift, so in der Epistola Apostolorum 1

Vgl. E. Pltlmacher, Art. Apostelgeschichte, TRE 3 (1978) 483-528, 488; R. Pesch, Die Apostelgeschichte, 1. Teilband (Apg 1-12), EKK V/1, Zürich u.a. 1986, 54.

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31-33, im Kanon Muratori 2, bei Irenäus von Lyon (adv haer II 12,5,9) und vor allem bei Marcion nach dem Zeugnis des Tertullian (adv Marc V 2,7; de praescr haer 22,1 Of). Besonders augenfällig wird diese Uneinheitlichkeit - besser: Vielfalt - der handschriftlichen griechischen Überlieferung darin, daß der alexandrinische bzw. ägyptische Texttypus und der sogenannte "westliche" Text in der Apostelgeschichte erheblich stärker voneinander abweichen als in allen anderen Schriften des Neuen Testaments.2 Von den Hauptzeugen des "neutralen", traditionellen Textes der Apostelgeschichte, den Majuskeln Β (Codex Vaticanus) und Κ (Sinaiticus) aus dem 4. Jahrhundert n.Chr. sowie A (Alexandrinus) und C (Ephraemi Syri rescriptus) aus dem 5. Jahrhundert n.Chr., unterscheidet sich der "westliche" Texttypus, bezeugt vor allem durch die in Ägypten entdeckten Papyri p 3 8 (enthält Act 18,27-19,6.12-16) und p 4 8 (enthält Act 23,11-17.23-29) aus dem frühen 4. Jahrhundert n.Chr.3 und die Majuskel D (Codex Bezae Cantabrigiensis) aus dem 5. Jahrhundert n.Chr., zunächst dadurch, daß sein Umfang um ca. 9 % größer ist als derjenige der anderen Zeugen. Formale und inhaltliche Kennzeichen des "westlichen" Texttypus, der ungeachtet seines Namens auch im Osten, in Syrien, Kleinasien und Mesopotamien anzutreffen ist, und der kaum eine von Rom ausgehende eigenständige Texttradition repräsentiert,4 sind zahlreiche Paraphrasen, sprachliche und stilistische Glättungen, Verdeutlichungen, Präzisierungen und Erklärungen, bemerkenswerte geographische Kenntnisse, an nicht wenigen Stellen auch eine bewußte literarische Reflexion und deutliche theologische Akzentuierungen. Bereits hier stellt sich die Frage, ob die textgeschichtliche Problemstellung auf die Alternative beschränkt werden kann, ob der längere Text der Apostelgeschichte im Codex Bezae einen älteren Text erweitert, oder ob der "neutrale" Text einen älteren, durch die westliche Texttradition repräsentierten, gekürzt hat.5 Eine eindeutige Entscheidung in diesem Punkt wagt kaum jemand, zumal der Abstand zwischen der Abfassung der Apostelgeschichte gegen Ende des 1. Jahrhunderts n.Chr. und den ältesten Zeugen nicht unerheblich ist, wenn auch gegenwärtig mehrheitlich die "sekundäre" Bedeutung des "westlichen" Textes für die Rekonstruktion der "ursprünglichen" Apostelgeschichte vertreten wird. Bereits Martin Dibe-

2 3 4 5

Vgl. A. C. Clark, The Acts of the Apostles, Oxford 1933; W. Α. Strange, The Problem of the Text of Acts, MSSNTS 71, Cambridge 1992. Zu den Papyri vgl. P. W. Comfort, Early Manuscripts and Modern Translations of the New Testament, Wheaton 1990, 46.53. Vgl. Κ. Aland und Β. Aland, Der Text des Neuen Testaments, Stuttgart 1982, 63f. Vgl. H. J. Hauser, Strukturen der Abschlußerzählung der Apostelgeschichte, AnBib 86, Roma 1979, 6f.

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lius6 machte den anfanglichen Charakter der Apostelgeschichte nicht als „kirchlicher Leseschrift", sondern als für ein „literarisches Lesepublikum" bestimmten Werkes, das auf dem „Büchermarkt" den „wechselvollen Schicksalen eines literarischen Textes ausgesetzt" war, für die uneinheitliche Textüberlieferung verantwortlich. Es ist ebenso zu erwägen, ob die unterschiedlichen Textformen der Apostelgeschichte nicht auch verschiedene bald nach ihrer Entstehung und Verbreitung im kleinasiatischen Urchristentum entstandene Texttraditionen und als solche verschieden strukturierte und unterschiedlich orientierte Gemeinden repräsentieren. Eine solche schon allein aufgrund der sprachlichen Voraussetzungen eigenständige Texttradition verkörpern auch die syrischen Übersetzungen der Apostelgeschichte, deren Ursprung in der Anfangszeit der Kirche von Edessa im 3. Jahrhundert n.Chr. zu suchen ist. Bereits Eusebius von Caesarea (260340 n.Chr.) gibt in seiner Kirchengeschichte (I 13; II 1) die Legende von der Gründung der Kirche von Edessa durch Thaddaeus, von ihm als einer der Lk 10,1 erwähnten (namentlich nicht genannten) 70 bzw. 72 Jünger identifiziert, wieder.7 Dieser Thaddaeus bzw. Addai habe, so spätere syrische Quellen, in Edessa angeordnet, neben „Gesetz und Propheten" auch „das Evangelium" und die Apostelgeschichte in den kirchlichen Gottesdiensten zu verlesen. Die Legende ist nicht ohne geschichtlichen Anhalt. Tatsächlich existierten gegen Ende des 2. Jahrhunderts n.Chr. in Antiochia am Orantes (heute Antakya, Türkei), der Hauptstadt der römischen Provinz Syrien, das nach Rom, Konstantinopel und Karthago zu den bedeutendsten Städten im römischen Reich gezählt wurde, wo bereits im 1. Jahrhundert n.Chr. Christen begegnen (Act ll,19ff), vor allem aber in der seit 250 n.Chr. zum römischen Reich gehörenden Stadt Edessa im nördlichen Mesopotamien östlich des Euphrats (heute Urfa, Türkei) und in Arbela in der Adiabene östlich des Tigris (heute Erbil, Irak) bedeutende syrische christliche Gemeinden mit eigenständigem kulturellen und religiösen Leben.8 Auf römischem, später byzantinischem 6

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8

M. Dibelius, Der Text der Apostelgeschichte, in: ders., Aufsätze zur Apostelgeschichte, hg. von H. Greeven, FRLANT 60, Göttingen 2 1953, 76-83, 81. Vgl. noch R. I. Pervo, Profit with Delight, Philadelphia 1987, 136-138; H. J. Gamble, Books and Readers in the Early Church, New Haven/London 1995, 37f. Vgl. W. Pratscher, Geschichte des syrischen Christentums bis zum Beginn des 7. Jahrhunderts, in: P. W. Haider, M. Hutter und S. Kreuzer (Hg.), Religionsgeschichte Syriens, Stuttgart u.a. 1996, 273-299, 282. Vgl. A. F. J. Klijn, Edessa. Die Stadt des Apostels Thomas, Neukirchen-Vluyn 1965; F. Heiler, Die Ostkirchen, München/Basel 1971; H. G. Thümmel, Die Kirche des Ostens im 3. und 4. Jahrhundert, KGE 1/4, Berlin 1988; W. St. McCullough, A Short History of Syriac Christianity to the Rise of Islam, SP General Series 4, Chico 1982; H. Aydin, Die syrisch-orthodoxe Kirche von Antiochien, Glane-Losser 1990.

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Gebiet, wo der christliche Glaube zur privilegierten Religion wurde, wuchs der Anteil der syrischen Christen an der Gesamtbevölkerung rasch, während die Christen auf persischem Gebiet stets eine Minderheit blieben. Etwa seit dem Ende des 3. Jahrhunderts n.Chr. unternahmen die syrischen Kirchen ausgedehnte Missionsarbeit bis nach Armenien, Georgien und Indien. Syrisch ist, ebenso wie die Sprache des babylonischen Talmuds und das Mandäische, ein ostaramäischer Dialekt, zu dessen Charakteristika bestimmte syntaktische Strukturen und Präformativformen des Verbs gehören.9 Sein Ursprungsgebiet ist mit großer Sicherheit die Gegend um Edessa. Syrische Dichtung unterscheidet sich von der hebräischen, zu deren Hauptmerkmalen der Parallelismus membrorum gehört, und der griechischen durch das Versmaß bestimmten Dichtung durch die übereinstimmende Silbenzahl und den Endreim der Verse. Während christliche Schriftsteller des 2. Jahrhunderts n.Chr. wie Ignatius von Antiochien in griechischer Sprache schrieben, war das Syrische bereits in vorhellenistischer Zeit Umgangssprache und als solche von zunehmender Bedeutung auch in den gottesdienstlichen Versammlungen der Mehrzahl der christlichen Gemeinden Edessas. William St. McCullough bemerkt hierzu: „It appears that the farther people were away from the Mediterranean, the more likely they were to retain their native speech."10 Die älteste erhaltene syrische Inschrift in der Stadt Edessa stammt aus dem Jahr 6 n.Chr. Das allgemeine Bedürfnis breiterer Bevölkerungsschichten nach einer Übersetzung der Bibel in die Volkssprache führte - ähnlich wie bei der LXX - zu einer Übersetzung der Schriften des Alten und des Neuen Testaments ins Syrische. Vielleicht kam in der Herausbildung einer eigenen Kirchensprache auch „nationalchristlicher Stolz"11 gegenüber der griechischsprechenden und -schreibenden Umwelt zum Ausdruck. In christlichen Schulen12 kam es nach und nach zur Herausbildung fixierter sprachlicher und orthographischer Traditionen, nicht unbeeinflußt von griechischem Wortschatz und Wortgebrauch.13 Auf der Basis einer von der aramäischen Quadratschrift abgeleiteten Kursiven (Estrangelo [von στρογγύλη „Kursive"]) entstanden mit der Zeit zwei unterschiedliche Schrifttypen: im Osten die nestorianische Schrift und im Westen die jakobitische Schrift (Serto [„Schrift, Linie"]). Etwa im 3. Jahrhundert n.Chr. hatte das Syrische das 9 10

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Vgl. G. Bergsträßer, Einführung in die semitischen Sprachen, München 1928, 59ff. McCullough, History 9. Vgl. noch C. Brockelmann, Die syrische und die christlicharabische Litteratur, in: ders. u.a. (Hg.), Geschichte der christlichen Litteraturen des Orients, Leipzig 1909, 1-74; A. Baumstark, Geschichte der syrischen Literatur, Bonn 1922. So C. Schneider, Geistesgeschichte des Antiken Christentums 1, München 1954, 572f. Vgl. McCullough, History 61 f. Vgl. Bergsträßer, Einführung 71.

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Griechische als Sprache der christlichen religiösen Schriftsteller des Orients ersetzt. Es wurde die Sprache der wichtigsten Literatur der orientalischen Christen, bis es im 7. Jahrhundert n.Chr. seinerseits durch das Arabische verdrängt wurde. Als Kirchensprache der syrisch-orthodoxen Kirchen ist die literarisch reich entwickelte syrische Sprache vor allem in liturgischem Kontext bis heute erhalten. Es existieren noch vereinzelte christliche Gemeinden im nördlichen Irak und in Kurdistan, die sich als „Assyrer" bezeichnen und die aufgrund ihrer "insularen" Lage auch im Alltag eigenständige neuostaramäische Dialekte sprechen.14 Als Ausgangspunkt der syrischen Bibelübersetzung gilt das Diatessaron, die wohl aus dem Griechischen übersetzte Evangelienharmonie des hellenistisch gebildeten syrischen Apologeten Tatian, entstanden gegen Ende des 2. Jahrhunderts n.Chr. Das Diatessaron kann als eine Art Basistext für die Evangelienübersetzung in der Vetus Syra gelten, der ältesten syrischen Übersetzung des Neuen Testaments. Allein Zitate der syrischen Kirchenväter zeigen, daß zum Umfang der Vetus Syra, vertreten vor allem durch den sogenannten Sinaisyrer, eine Palimpsesthandschrift aus dem Ende des 4. Jahrhunderts n.Chr., auch eine syrische Übersetzung der Apostelgeschichte gehörte. Kein Zeuge der Vetus Syra enthält den Text der Apostelgeschichte, jedoch kann dieser - zumindest bruchstückhaft - anhand besagter Zitate rekonstruiert werden. Im Rahmen dieses Beitrags von besonderem Interesse sind der - nur in einer armenischen Version erhaltene - Actakommentar des syrischen Kirchenschriftstellers Ephraem (ca. 310-373 n.Chr.) und Auszüge aus seinem Werk in alten armenischen Katenen, die hinsichtlich Wortwahl und Übersetzungstechnik den erhaltenen Fragmenten der Vetus Syra zu entsprechen scheinen.15 Die Zitate16 und Bezugnahmen Ephraems auf einen vollständigen syrischen Text der Apostelgeschichte sind aufgrund der recht "lockeren" Zitationsweise zwar keine eindeutige Grundlage textkritischer Entscheidungen, zeigen jedoch, daß die syrische Apostelgeschichte bereits im 4. Jahrhundert n.Chr., also nur wenige Jahrzehnte nach Entstehen ihrer ältesten erhaltenen griechischen Zeugen, existierte und bekannt war. 14

Vgl. Y. Hajjar und U. Schoen, Religionen und Konfessionen im heutigen Syrien, in: Haider u.a., Religionsgeschichte Syriens 351-358 (insb. 353f). 15 Vgl. J. Kerschensteiner, Beobachtungen zum altsyrischen Actatext, Bib. 45 (1964) 6374. 16 „Ephraem seldom quotes the text verbatim; and perhaps it is well for us that he does not, since Armenian translators regularly reproduced text from Scripture in the current form familiar to them after the year 430" (F. C. Conybeare, The Commentary of Ephrem on Acts, in: J. H. Ropes, The Text of Acts, The Beginnings of Christianity 1/3, London 1926, 373-453, 377). Vgl. Brockelmann, Litteratur 16ff.

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Gegen Anfang des 5. Jahrhunderts n.Chr. entstand die Peschitto, keine neue Übersetzung, sondern eine Revision der Vetus Syra, die deren Text mit der vorherrschenden griechischen Texttradition harmonisieren wollte. Die syrisch-orthodoxe kirchliche Überlieferung verknüpft ihre Entstehung mit Rabbuia, dem Bischof von Edessa (411-435 n.Chr.). Der Begriff .τ „Peschitto" ist als Partizip passiv pe'al von \ , r „ausbreiten" abgeleitet und bedeutet „die Einfache, Klare", was lateinisch Vulgata zu entsprechen scheint. Das Wort ist jedoch nicht die ursprüngliche Bezeichnung dieser Bibelübersetzung, sondern wurde erst am Anfang des 9. Jahrhunderts n.Chr. von dem jakobitischen Bischof Moses bar Kepha als Bezeichnung der zur Zeit Rabbulas entstandenen syrischen Übersetzungen des Alten Testaments angewandt und von hier aus nachträglich auf die gesamte Bibel ausgeweitet. Tatsächlich führte zu dieser Zeit das Bemühen um die Durchsetzung einer standardisierten Form des Bibeltextes zu einer allmählichen Vereinheitlichung der Texttraditionen.17 Diese Entwicklung mündete in den bis heute von der syrisch-orthodoxen Kirche verwendeten Standardtext der Peschitto. Jüngere syrische Übersetzungen, die Philoxenia, entstanden ca. im Jahre 507/8 n.Chr. im Auftrag des monophysitischen Bischofs von Mabbug (Hierapolis), Philoxenius (485-523 n.Chr.), und die Harcleana (oder Harclensis), angefertigt von dem Mönch Thomas von Harkel im Jahre 616 n.Chr. im Kloster Enaton bei Alexandrien, zeichnen sich gegenüber der Peschitto vor allem dadurch aus, daß sie deren Text der im Bereich der syrischen Christenheit mittlerweile bestimmend gewordenen griechischen Texttradition, dem "westlichen" Text, anglichen. Gegen Ende des 5. Jahrhunderts n.Chr. liegen 22 neutestamentliche Schriften in syrischer Übersetzung vor; nicht zum Umfang der Peschitto gehören der 2. und 3. Johannesbrief, der 2. Petrusbrief, der Judasbrief und die Offenbarung des Johannes. Ebenso fehlen in sämtlichen Zeugen der Peschitto die Abschnitte Mt 27,35b; Lk 22,17f; Joh 7,53-8,11; Act 8,37 und 15,34. Der Hauptteil der Revision der alten syrischen Übersetzung unter Heranziehung der bekannten griechischen Texttradition wird bereits früher abgeschlossen worden sein, denn die Tatsache, daß sowohl die westsyrische jakobitische monophysitische Kirche auf byzantinischem Gebiet als auch die ostsyrische nestorianische Kirche auf persischem Gebiet, welche die Trennung der göttlichen und menschlichen Natur Christi betonte und den Jakobiten Rabbuia als „Tyrannen von Edessa" schmähte, diesen Text gebrauchten und tradierten, läßt den Schluß zu, daß die Peschitto spätestens zwischen dem 3. ökumeni-

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Vgl. Th. Zahn, Die Urausgabe der Apostelgeschichte des Lucas, FGNK 9, Leipzig 1916, 219.

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sehen Konzil von Ephesus (431 n.Chr.) und dem 4. ökumenischen Konzil von Chalcedon (451 n.Chr.) vorlag. Die wichtigsten Textzeugen der Peschitto, etwa 60 Handschriften, entstammen dem 5. und 6. Jahrhundert n.Chr. Der bis heute in der syrischorthodoxen Kirche tradierte und in verschiedenen Druckausgaben erhältliche Bibeltext repräsentiert dagegen eine spätere Überlieferungsstufe. Der Text der Peschitto wurde bemerkenswert stabil überliefert; die Abweichungen der einzelnen Zeugen voneinander (es gibt im Durchschnitt kaum mehr als eine größere Abweichung pro Kapitel) sind weitaus geringer als dies beim Großteil der griechischen Handschriften der Fall ist.18 Ebenso wie die LXX ist auch die Peschitto nicht die homogene Arbeit eines Einzelnen, sondern besteht aus Werken verschiedener Übersetzer bzw. Rezensenten der Vetus Syra19 mit unterschiedlichem Stil und unterschiedlichen Übersetzungstechniken. Die syrische Übersetzung der Apostelgeschichte kann zunächst dadurch charakterisiert werden, daß sie einerseits an manchen Stellen näher am griechischen Text ist als an den entsprechenden Fragmenten der Vetus Syra, und andererseits gegenüber den späteren, bewußt am Griechischen orientierten Rezensionen sich eine „volkstümliche Natürlichkeit der Sprache recht im Gegensatz zu der sklavischen Wörtlichkeit und gelehrten Steifheit der folgenden (...) Stufe"20 bewahrt hat. Auffällig ist auch, daß die Peschitto nicht selten zwischen den beiden bestimmenden griechischen Texttraditionen der Apostelgeschichte, den ägyptischen Zeugen und dem "westlichen" Text, zu vermitteln scheint, wohingegen jüngere Übersetzungen (Philoxenia und Harcleana) eindeutig an dem letzteren orientiert sind. So lesen Nestle-Aland27 mit der großen Mehrheit der griechischen Textzeugen in Act 15,32: Ιούδας τε καί Σίλας καί αυτοί προφήται δντες δια λόγου πολλού παρεκάλεσαν τους αδελφούς καί έπεστήριξαν. , Judas und Silas, die selbst Propheten waren, ermahnten die Brüder mit vielen Reden und stärkten sie." Codex Bezae bietet hingegen: , Judas und Silas, die selbst Propheten waren, angefüllt vom heiligen Geist (πλήρεις πνεύματος αγίου), ermahnten die Brüder durch das Wort (ohne πολλού) und stärkten sie." Die Peschitto übersetzt: „Und durch das reiche Wort stärkten Judas und Silas die Brüder und ermahnten sie, da sie auch selbst Propheten waren.li Deutlich ist hier die Ähnlichkeit des syrischen Textes mit der "westlichen" Lesart, wobei r C ^ v . ^ „durch das reiche Wort den Wörtern δια λόγου und πλήρεις entspricht. Andererseits stimmt der Text der Peschitto in Act 15,29, wo der "westliche Text" im sogenannten 18 Vgl. Ropes, Text CXLIX; Brockelmann, Litteratur 8f; Baumstark, Geschichte 18f. 19 Vgl. Ropes, Text CXLIX. 20 Zahn, Urausgabe 211 f.

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Aposteldekret anstelle der auch Heidenchristen auferlegten Observanz zentraler Reinheitsbestimmungen der Tora die sogenannte Goldene Regel bietet, gegen diesen mit dem griechischen Textus receptus überein. Jüngere syrische Übersetzungen entsprechen hier durchgängig Codex D. Der Interpretationsvorschlag Theodor Zahns, an Stellen wie dieser zeige sich das Bemühen der Peschitto, die Annahme einer doppelten Ausgabe der Apostelgeschichte durch Lukas zu entkräften,21 sollte m.E. dadurch präzisiert werden, daß man entgegen seiner These die Existenz von "Mischtexten" voraussetzt, die zwischen den beiden dominierenden Texttypen einzuordnen sind. Vor allem ermöglicht der vermittelnde Charakter der Peschitto einen Vergleich sowohl mit der zur Zeit dieser syrischen Übersetzung vorherrschenden griechischen Texttradition auf der Basis des bei Nestle-Aland27 abgedruckten rekonstruierten "neutralen" Textes als auch mit den Varianten in der Majuskel D als Zeuge des "westlichen" Textes. Bei der Übersetzung aus dem Griechischen ins Syrische hatte der Übersetzer der griechischen Apostelgeschichte generell die Alternative, den zugrundeliegenden Text entweder wortwörtlich zu übertragen, oder ihn so zu gestalten, daß sein Inhalt - bzw. dessen Interpretation - seinen Adressaten möglichst verständlich war. Die Schwierigkeit der Übersetzung, aber auch die Möglichkeit der Gestaltung, bestand in der Eigenständigkeit der beiden unterschiedlichen Familien angehörenden - Sprachen. Die syrische Sprache besitzt ein anderes Tempussystem als das Griechische. Zwar entspricht dem griechischen Präsens in der Peschitto zumeist das syrische Partizip, dem griechischen Futur das syrische Imperfekt, und dem Aorist und dem Perfekt das syrische Perfekt, doch kann die griechische Zeitenfolge hier nicht analog dargestellt werden. Substantive werden im Syrischen nicht durch Kasus, sondern durch den Status constructus und durch Präpositionen flektiert. Das syrische Substantiv im Status determinatus hat andere syntaktische Funktionen als das griechische Substantiv mit Artikel. Die in der Koine beliebten und häufigen Komposita müssen in Nebensätze aufgelöst werden, wenn ihre Bedeutung von der Grundbedeutung des Wortes abweicht. Ein kunstvoller hypotaktischer Satzbau muß in parataktische Satzreihen umgewandelt werden.22 Die einzelnen Wörter eines Satzes werden dabei nicht selten umgestellt. So heißt es beispielsweise in Lk 4,28 im griechischen Text: καί έπλήσθησαν πάντες θυμου έν τη συναγωγή άκούοντες ταύτα „Und sie wurden von Zorn erfüllt alle, die in der Synagoge waren, als sie es hörten". In der Peschitto werden die beiden Verben umgestellt, da der Übersetzer die 21 22

Zahn, Urausgabe 219. Vgl. S. P. Brock, Towards a History of Syriac Translation Technique, OCA 221, Roma 1983,1-14.

Das Ende des Paulus und die syrische Texttradition

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griechische Partizipialkonstruktion nicht nachvollziehen konnte, was auch dazu beitrug, daß die Wortfolge nun dem logischen Ablauf des erzählten Geschehens besser zu entsprechen schien. Solche Umstellungen, Zusätze, Auslassungen und Paraphrasen ermöglichen ebenso wie die Wortwahl und der Gebrauch der Tempora in der Peschitto die "Anpassung" an die theologischen Intentionen der Übersetzer und deren sprachlichen, kulturellen und religiösen Horizont. Ortsnamen erhalten dabei oft ihre semitische Form; Schriftzitate werden an die syrische Texttradition des Alten Testaments angeglichen, auch wenn diese merklich vom Text des Neuen Testaments abweicht. Der Grund hierfür liegt darin, daß man zunächst dem Alten Testament eine höhere Autorität beimaß als den urchristlichen Schriften. Später kehrte sich dies um. Bezogen auf Act 28,17-31 soll nun im folgenden Abschnitt auf der Grundlage der hier knapp skizzierten Bedingungen und Möglichkeiten der syrischen Übersetzung in der Peschitto und nach einer kurzen Rekapitulation des griechischen Textes den Fragen nachgegangen werden, welche Differenzen zwischen dem griechischen und dem syrischen Text bestehen, dessen Gestalt hinsichtlich Übersetzungstechnik, Wortwahl, Satzbau und Textveränderung als einheitlich und absichtsvoll verstanden werden kann. Es ist zu fragen, was diese Differenzen im syrischen Bibeltext inhaltlich bewirken und ob sich durch ihre Untersuchung ein bestimmtes Profil der hierin zum Ausdruck kommenden Verständnistradition von Act 28,17-31 erkennen läßt. Speziell sind vier Problemfelder anzusprechen, die in der Forschung am griechischen Text der Apostelgeschichte bis heute keine einhellige Beantwortung gefunden haben: 1. Welche Gemeindestruktur wird in der Peschitto vorausgesetzt? 2. Gibt es Beziehungen zwischen den syrischen Christen und Juden in ihrer Umgebung? 3. Wie stellt sich die syrische Überlieferung die Wirksamkeit des Heidenapostels während seines zweijährigen Aufenthalts in Rom vor? 4. Ist die Apostelgeschichte in der Peschitto als mit 28,31 abgeschlossen vorgestellt?

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Act 28,17-31 in griechischer und syrischer Textüberlieferung

Die Darstellung der zweijährigen christlichen Verkündigung des Paulus in Rom in Act 28,17-31 markiert im Rahmen des lukanischen Doppelwerks das Ende der Epoche der Mission unter den Juden und die Wendung hin zur Heidenmission. Der Abschnitt wurde zumeist dahingehend interpretiert, daß der

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dritte Evangelist hier die - heilsplanmäßige23 (vgl. vor allem das sogenannte "Verstockungszitat" Jes 6,9f in Act 28,26f) - Ablehnung des in der paulinischen Predigt dargebotenen Angebotes Gottes zeigen wolle.24 Diese Ablehnung der Heilsbotschaft durch die Juden führe dazu, daß sie von nun an allein den Heiden zukomme. Die Annahme, die Heilsperspektive für Israel sei mit Act 28,28 zu einem definitiven Ende gekommen, birgt schwerwiegende theologische Probleme. In der jüngeren Actaforschung mehren sich die Stimmen derer, die in Act 28,17-31 die lukanische Erwartung einer zukünftigen Universalisierung des Heils erkennen, die auch Israel einschließt.25 Der zu untersuchende Text läßt sich wie folgt gliedern: In V. 17-28 stellt der lukanische Paulus seinen Standpunkt gegenüber den römischen Juden dar; der Abschnitt läßt sich wiederum untergliedern in die beiden Teilszenen V. 17-22 und V.23-28. Die V.30 und 31 bilden den Epilog der Apostelgeschichte. In V.17 ruft Paulus die führenden Vertreter der jüdischen Gemeinden Roms zusammen, um ihnen mitzuteilen, daß er von Jerusalem in die Hände der Römer ausgeliefert wurde, obwohl er sich nicht gegen sein Volk gestellt und in keiner Weise gegen die Gebote der Tora verstoßen habe. Die Vorstellung, daß hier των 'Ιουδαίων πρώτοι (vgl. Act 19,47) zum Heidenapostel kommen, betont dessen Autorität. V.18f lenkt die Verantwortung für seine Situation von den Römern, die ihrerseits keine Schuld an Paulus fanden (vgl. Act 23,29; 25,18.27; 26,32), hin zu den Autoritäten der Juden Jerusalems, deren Widerspruch (vgl. Act 22,5; 25,2) ihn schließlich zu der Appellation an den Kaiser gezwungen habe (die römische Obrigkeit tritt in Kap. 28 an keiner Stelle aktiv in Erscheinung). Zwar betont der Heidenapostel, daß er nichts gegen die Juden vorzubringen habe, doch tatsächlich beschuldigt er sie implizit einer Verschwörung mit dem Ziel, ihn zu ermorden. Paulus endet seine erste Rede in V.20 mit dem Hinweis, seine Verkündigung habe ihn in Ketten nach Rom geführt έ'νεκεν γαρ της ελπίδος του 'Ισραήλ „wegen der Hoffnung Israels", was hier offenbar messianisch-eschatologisch zu verstehen ist (vgl. Eph 2,12).26

23

24 25

26

Vgl. Hauser, Strukturen 240-242; R. Pesch, Die Apostelgeschichte, 2. Teilband (Apg 13-28), EKK V/2, Zürich u.a. 1986, 310; J. T. Sanders, The Jews in Luke-Acts, Philadelphia 1987, 296-299. Vgl. z.B. H. Conzelmann, Die Mitte der Zeit. Studien zur Theologie des Lukas, BHTh 17, Tübingen 5 1964, 152. Vgl. R. von Bendemann, Paulus und Israel in der Apostelgeschichte des Lukas, in: K. Wengst u.a. (Hg.), Christliche Theologie im Angesicht Israels. FS Wolfgang Schräge, Neukirchen-Vluyn 1998,291-303 (insb. 297-301). Zum Ausdruck vgl. Hauser, Strukturen 88-92.

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Die V.21f bringen nun die Reaktion der jüdischen Zuhörer des Paulus auf diese Rede zu Gehör: Sie hätten bislang noch nichts - zumal schlechtes über ihn gehört, außer, daß er „zw dieser Sekte" (αϊρεσις) gehöre. Angesichts des hier erwähnten und (tatsächlich existenten) Briefverkehrs zwischen den jüdischen Gemeinden in verschiedenen Städten im römischen Reich27 und vor dem Hintergrund von Act 24,5, wo es heißt, daß Paulus Aufruhr erregt unter allen Juden auf dem ganzen Erdkreis", scheint dies ein erzählerischer Kunstgriff des Autors der Apostelgeschichte zu sein, der die angebliche Unkenntnis der römischen Juden als Ausgangspunkt der folgenden Explikation verwendet.28 Ein erneutes Treffen im Quartier des Paulus wird festgesetzt (V.23). Der lukanische Paulus predigt seinem an Zahl gewachsenen (πλείονες) jüdischen Publikum die βασιλεία του θεου und versucht es durch Schriftbeweise anhand der Tora und der Propheten von der Messianität Jesu zu überzeugen mit dem Erfolg, daß sich ein Teil seiner Zuhörer überzeugen läßt, ein Teil ungläubig bleibt (V.24). Als allgemeine Wendung, die Lukas benutzt, um den zentralen Inhalt christlicher Verkündigung zum Ausdruck zu bringen29 (vgl. Act 1,3; 8,12; 19,8), bleibt der Begriff βασιλεία του θεου hier zwar ohne inhaltliche Füllung, doch gewinnt die Wendung Kontur durch den Vergleich mit Act 26,22f: ούδέν έκτος λέγων ων τε oí προφήται έλάλησαν μελλόντων γίνεσθαι καί Μωϋσής, εί παθητός ό χριστός, ει πρώτος έξ αναστάσεως νεκρών φώς μέλλει καταγγέλλειν τω τε λ α φ καί τοις έ'θνεσιν. „und ich sage nichts, als was die Propheten und Mose vorausgesagt haben: daß Christus müsse leiden und als erster auferstehen von den Toten und verkündigen das Licht seinem Volk und den Heiden." In den V.23f schafft Lukas eine die Spaltung Israels repräsentierende ambivalente Situation; man vergleiche aber auch die unterschiedlichen Reaktionen der Heiden auf Paulus in Athen (Act 17,32-34). Beim Aufbruch der römischen Juden, die nun den verstockten ungläubigen Teil Israels repräsentieren, läßt Lukas den Heidenapostel ihnen zunächst das sogenannte Verstockungszitat Jes 6,9f zu Gehör bringen (V.26f): „Geh zu diesem Volk und sprich: Ihr werdet deutlich hören und nicht verstehen und ihr werdet deutlich sehen und nicht erkennen. Denn das Herz dieses Volkes wurde ihm hart und mit den Ohren hören sie schwer und ihre Augen haben sie verschlossen, damit sie nicht sehen mit ihren Augen und mit ihren Ohren nicht hören und in ihrem Herzen nicht erkennen und umkehren und ich sie 27 28 29

Vgl. L. Casson, Travel in the Ancient World, Baltimore/London 2 1994,219-225. Vgl. Ch. Κ. Barrett, The End of Acts, in: H. Cancik u.a. (Hg.), Geschichte - Tradition Reflexion. FS Martin Hengel, Bd. 3, Tübingen 1996, 545-555, 551. Vgl. Barrett, End 552.

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erneuere." Das Prophetenwort, das an einer Reihe von Stellen im Neuen Testament (Mk 4,12; Mt 13,14f; Lk 8,10; Joh 12,40) als Interpretation der erfahrenen Abweisung des Evangeliums durch Israel Verwendung findet, mündet in V.28 in die spezifisch lukanische Interpretation, nämlich die Ankündigung, das Heil Gottes werde nun zu den Völkern gesandt, die es wahrlich hören werden. Die V.30 und 31 (die sekundäre Uberleitung in V.29 30 findet sich weder in alten griechischen Texten noch in den handschriftlichen Zeugen der Peschitto; erst in der Harklensis wird auf sie verwiesen) berichten schließlich davon, daß Paulus zwei volle Jahre in Rom wohnte, alle empfing, die zu ihm kamen, das Reich Gottes und die christliche Botschaft verkündete μετά πάσης παρρησίας άκωλύτως „mit vollem Freimut ungehindert'. Der Text der Peschitto weist (anders als der Codex Bezae Cantabrigiensis) in Act 28,17-31 eine Reihe von Abweichungen vom griechischen Text auf. Betrachten wir den abgedruckten Text des Nestle-Aland27 als der Übersetzung zugrundeliegende bestimmende Texttradition (die abweichenden Lesarten der Peschitto sind dort kaum zur Kenntnis genommen), lassen sich diese Abweichungen als Ergänzungen, Auslassungen, Kommentierungen, Präzisierungen und Interpretationen beschreiben. Act 28,17-31 in der Peschitto kann wie folgt übersetzt werden (die Abweichungen von Nestle-Aland27 sind durch Kursivdruck kenntlich gemacht): (17) Nach drei Tagen sandte Paulus hin und rief die Obersten der Juden. Und als sie zusammengekommen waren, sprach er zu ihnen: „Ich, Männer und Brüder, der ich mich in keiner Weise gegen das Volk und das Gesetz meiner Väter gestellt habe, wurde in Fesseln von Jerusalem in die Hand der Römer ausgeliefert. (18) Und nachdem jene mich befragt hatten, wollten sie mich freilassen, weil sie gegen mich überhaupt keinen Anklagepunkt fanden, der den Tod wert wäre. (19) Und als die Juden gegen mich aufstanden, war ich gezwungen, einen Appell an den Kaiser zu richten, aber ich hatte überhaupt nichts gegen die Angehörigen meines Volkes vorzubringen. (20) Deswegen erbat ich von euch, daß ihr kommt und ich euch sehe und euch dies darlege, denn wegen der Hoffnung Israels bin ich mit dieser Kette gefesselt." (21) Sie sagten zu ihm: „Einen Brief über dich haben wir aus Judäa nicht empfangen, und keiner von den Brüdern, die aus Jerusalem kamen, sagte uns irgendetwas Uber dich, das schlecht war. (22) Wir wünschen aber von dir zu hören das, was du denkst, weil wir von dieser Lehre wissen, daß sie von niemandem31 akzeptiert wird." (23) Und sie setzten ihm einen Tag fest und versammelten sich und es kamen viele zu ihm dorthin, wo er wohnte. Und er machte ihnen das Reich Gottes bekannt, indem er ihnen bezeugte und sie überzeugte von Jesus aus dem Gesetz des Mose und aus den Propheten vom Morgen bis zum Abend. (24) Und einige von ihnen wurden von seinen Worten überzeugt, andere aber wurden nicht überzeugt. (25) Und sie brachen von ihm auf und waren untereinander nicht einig. Und Paulus sprach zu ihnen dieses Wort: „Wohl sprach der Heilige 30 31

Vgl. Hauser, Strukturen 42f. Vgl. Th. Nöldeke, Kurzgefasste Syrische Grammatik, Leipzig 2 1898,187.

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Geist durch Jesaja den Propheten zu euren Vätern, indem er sagte: (26) Geh zu diesem Volk und sprich zu ihnen·. Ihr werdet deutlich hören und nicht verstehen. Und ihr werdet sehen und nicht erkennen. (27) Denn das Herz dieses Volkes wurde ihm hart und sie machten ihr Gehör stumpf und sie schlossen ihre Augen, damit sie mit ihren Augen nicht sehen und mit ihren Ohren nicht hören und mit ihrem Herzen nicht erkennen. Sie sollen umkehren zu mir und ich will ihnen vergeben." (28) Es soll euch nun dies bekannt werden: Zu den Völkern wurde diese Erlösung Gottes gesandt, denn sie hören es auch. (30) Und Paulus mietete sich auf eigene Kosten ein Haus und war in ihm zwei Jahre. Und er empfing dort alle, die zu ihm kamen. (31) Und er predigte über das Reich Gottes und lehrte öffentlich über unseren Herrn Jesus, den Messias, ungehindert.

In V.17 wird Paulus namentlich genannt, was man als Ausgestaltung des mit dem Vers neu einsetzenden erzählten Geschehens interpretieren kann. Eine Verdeutlichung ist die Ergänzung des Possesivpronomens der 1. Person Singular in dem Ausdruck ,πταπΛ rtocunj „das Gesetz meiner Väter", das die in der paulinischen Apologie intendierte Vereinbarkeit seiner Predigt mit dem Judentum akzentuiert. V.18 fugt das im Griechischen nicht notwendige Objektsuffix an und konkretisiert das unbestimmte αίτίαν (vgl. Act 22,24; 28,20) durch i f i . r i „der Anklage", das die Peschitto oft im Kontext von aus christlicher Sicht tadelnswertem Verhalten gebraucht (vgl. 1 Thess 2,10; 3,13; 5,7; Phil 3,6; Hebr 8,7 u.ö.). In V.19 wird griechisch άντιλεγόντων verstärkt durch ,\-mnV nnm .^. η was in Act 27,15 fur άντοφθαλμεϊν „sich gegen jemanden richten" und in 28,17 fur εναντίον πονεΐν „sich gegen etwas stellen" steht. Auch läßt sich die Übersetzung von του έθνους μου mit „die Angehörigen ( ^ a ) meines Volkes" als eine Konkretisierung verstehen. Die Hinzufügung von „daß ihr kommt' in V.20 betont die Vorstellung, daß Paulus die Vertreter der römischen Juden zu sich rufen läßt, unterstreicht dadurch die Tatsache, daß er sich in Rom nicht frei bewegen kann, und akzentuiert möglicherweise sogar seine - ihm von den zu ihm Kommenden zuerkannte - Autorität. V.21 fugt die Herkunftsangabe „aus Jerusalem" ein, was man als inhaltlichen Rückbezug auf Kap. 23 verstehen kann. V.22 versteht das Abstraktum αϊρεσις nicht im Sinne von Act 5,17; 15,5; 26,5 und besonders 24,5 als „Schule, Partei", sondern als „Lehrmeinung" (vgl. Act 24,14), und betont dabei den Widerstand, auf den deren Verbreitung stößt. Ob die Peschitto in V.23 die Anzahl der jüdischen Zuhörer des Heidenapostels betont, ist unsicher, denn der Komparativ im neutestamentlichen Griechisch ist oft mehrdeutig (vgl. 1 Kor 13,13), so daß nTr^.yn in der Apostelgeschichte die Steigerungsformen von πολύς ohne Vergleich sowohl als Komparativ („einige") als auch als Elativ („viele") zum Ausdruck bringt (vgl.

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Act 19,32; 27,12).32 In V.24 läßt sich beobachten, daß das durative Imperfekt ήπίστουν „sie blieben ungläubig" durch das die Vollendung der Handlung ausdrückende Partizip passiv33 nd „sie wurden nicht überzeugt wiedergegeben wird. Die Übersetzung von V.25 entspricht dem griechischen Text. V.26 fugt in dem Schriftzitat aus Jes 6,9 das Objekt „zw ihnen" hinter dem Imperativ είπόν hinzu, was sachlich dem hebräischen sowie dem griechischen Bibeltext entspricht. Daß dem Zitat hier jedoch nicht der hebräische sondern der griechische Text zugrunde liegt, wird dadurch wahrscheinlich, daß die (dem Ausdruck der Emphase dienende) Figura etymologica, im Hebräischen gebildet aus dem Infinitivus absolutas und einer finiten Form desselben Verbs, im syrischen Text nicht in analoger Weise dargestellt wird. Tatsächlich wird sie in dem Vers (ähnlich wie in der LXX, wo die hebräische Konstruktion häufig durch Kombination einer finiten Verbform mit dem Dativ des dazugehörigen Verbalsubstantivs nachgeahmt wird)34 mit dem Verbalsubstantiv rC^TLj. und dem finiten Verb wiedergegeben bzw. überhaupt nicht übersetzt ( f i n i t a ) . In V.27 bietet die Peschitto gegen den griechischen Text, aber auch gegen MT und LXX om\ xmnxrfo „und ich will ihnen vergeben" anstelle von καί ίάσομαι αυτούς; „und ich will sie heilen, wiederherstellen". Auffallig ist die Übereinstimmung mit dem Prophetentargum, der am Ende von Jes 6,10 ebenfalls Τ)Γ0 ρ ^ Π ί Π „und es soll ihnen vergeben werden" liest.35 Die wichtigste Differenz im Text von V.28 betrifft die Futurform άκούσονται „und sie werden hören". Die Peschitto liest das Partizip ν ·\ ~nx „sie hören ei". Auf den ersten Blick scheint hierin eine retrospektive Deutung der von Paulus angekündigten Heidenmission als im Bereich der syrischen Christenheit gegenwärtig zum Ausdruck zu kommen. Die syrische Textüberlieferung würde dann eine positive Auffassung von Jesajas Verstockungsauftrag bezeugen - Israel solle umkehren und Vergebung erfahren.36 Einschränkend ist jedoch zu berücksichtigen, daß das Partizip aktiv im Syrischen (insb. im Kontext eschatologischer Schilderungen [vgl. 1 Kor 3,13; Joh 11,26]) nicht selten fur das Futur eintritt.37 Das Fehlen von V.29 zeigt, daß die Peschitto eine alte Texttradition repräsentiert. Das in seiner Bedeutung nicht eindeutig 32 33 34 35 36 37

Vgl. F. Blass, A. Debrunner und F. Rehkopf, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, Göttingen 161984, § 244. Vgl. Nöldeke, Grammatik 209. Vgl. BDR § 198 mit Anm. 8. Zur Interpretation von Jes 6,10 in TJon vgl. B. D. Chilton, The Isaiah Targum, The Aramaic Bible 11, Edinburgh 1987, 15. Brieflicher Hinweis von Prof. Dr. M. Karrer, Wuppertal. Vgl. auch von Bendemann, Paulus 299f. Vgl. Nöldeke, Grammatik 202-204.

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zu bestimmende38 griechische Hapax legomenon μίσθωμα „Mietzins" oder „Mietwohnung" in V.30 erklärt die Peschitto ausführlich: „er mietete sich auf eigene Kosten ein Haus". Dies stellt eine deutliche Akzentuierung der Auffassung dar, Paulus selbst habe die Kosten fur seinen Lebensunterhalt in Rom bestritten. Der die Apostelgeschichte abschließende V.31 zeigt als Auffälligkeit im syrischen Text die Hinzufügung des Possessivpronomens der 1. Person Plural „unser Herr Jesus Christus". Dem griechischen Hapax legomenon άκωλύτως als letztem Wort der Apostelgeschichte entspricht r ù J b ebenfalls ein Hapax legomenon im syrischen Neuen Testament.

3

Kennzeichen der syrischen Verständnistradition

Unter der Voraussetzung einer bewußten einheitlichen Planung und Durchführung der Revision des Textes der Apostelgeschichte in der Peschitto lassen sich die sprachlichen und grammatikalischen Eigentümlichkeiten der Übersetzung zur Ermittlung der literarischen und theologischen Absicht der Träger dieser Verständnistradition heranziehen. Die erste Frage an den Text betrifft die hier vorausgesetzte Gemeindestruktur. Bestehen die syrischen Gemeinden, in deren Umfeld die Übersetzung entstand, mehrheitlich aus Heidenchristen, oder gibt es auch Hinweise auf eine erkennbare judenchristliche Präsenz? Als deutliches Beispiel für einen Text aus dem griechischen Traditionsbereich, dessen ausnahmslos heidenchristliche Adressaten Fragen der Bedrohung bzw. Durchsetzung bestimmter jüdischer Reinheitsbestimmungen bzw. der Toraobservanz als unerheblich, vielleicht sogar als unverständlich empfanden, kann das oben bereits erwähnte Aposteldekret (Act 15,29) nach dem Zeugnis des Codex Bezae Cantabrigiensis gelten: καί δσα μή θέλετε έαυτοΐς γίνεσθαι έτέρω μή ποιενν „und was ihr nicht wollt, daß es euch selbst geschehe, keinem anderen anzutun" An drei Stellen des syrischen Textes von Act 28,17-31 bestehen ebenfalls Anhaltspunkte für die Vermutung, daß seine Adressaten mehrheitlich Heidenchristen waren. Zunächst muß der in der Apostelgeschichte nur an dieser Stelle begegnende Ausdruck τα έ'θη τα πατρφα „die Sitten der Väter" (vgl. Act 21,21; 22,3), das ist hier die Halacha, dem impliziten Leser in V.17 durch den Bezug auf Paulus erläutert werden. Weiterhin betont V.19 die feindselige Haltung der Juden gegenüber dem Heidenapostel. Schließlich deutet die Wortwahl von V.22 auf die Existenz einer formulierten, jüdischen 38

Vgl. B. Rapske, The Book of Acts and Paul in Roman Custody, The Book of Acts in Its First Century Setting 3, Grand Rapids/Carlisle 1994, 178f.

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Glaubensaussagen auf der Basis der zentralen Heilsbedeutung der Tora gegenüberstehenden christlichen Lehre hin. Eine klare Trennung zwischen Judentum und Christentum befürwortete bereits Ignatius von Antiochien (f ca. 117 n.Chr.), der in seinen Briefen wiederholt davor warnt, jüdischen Ritus und christliche Frömmigkeit miteinander zu vermischen.3 Die Peschitto scheint auch der mit ihr etwa zeitgleichen Doctrina Addaei, die im Rahmen einer Kirchenordnung für die syrische Kirche Edessas die Judenmission vehement ablehnt, zu entsprechen. Man wird nicht fehlgehen, wenn man vermutet, daß sowohl die Zahl von "Judenchristen", die - zumindest partiell immer noch dem religiösen und kulturellen Erbe ihrer alten Religion verhaftet waren, als auch die Zahl neuer Mitglieder aus den Reihen der die Gemeinden umgebenden Synagogen verschwindend gering war. Dies wäre Ausdruck einer zunehmenden Entfernung der syrischen Kirchen vom Standpunkt des Lukas, der die Judenmission in seinem Werk offenkundig noch nicht ganz abgeschrieben hat oder gar erwartete, Israel werde eines Tages von sich aus umkehren (vgl. Act 13,46; 18,6).40 Die zweite Frage betrifft die (trotz unterschiedlicher theologischer Interessenlage) bestehenden Beziehungen zwischen den syrischen Christen und jüdischen Gemeinden bzw. Schulen. Ob V.24 die allgemeine Erfahrung spiegelt, daß es im Umfeld der syrischen Christen jüdische Gemeinden gab, oder ob der Vers als Beleg für deren gänzliches Fehlen zu verstehen ist, bleibt zunächst offen. Das Jesajazitat in V.28 kann allerdings als ein deutlicher Hinweis auf einen Kontakt zwischen den rabbinischen Schulen, in denen der Prophetentargum entstand und tradiert wurde, und den christlichen Übersetzern der Peschitto verstanden werden.41 Der Einwand, die sprachliche Affinität zwischen den beiden Übersetzungen erkläre diese Übereinstimmung hinreichend, hat im Textbefimd keinen Anhalt, denn zum einen ist der JesajaTargum in einem westaramäischen, die Peschitto hingegen in einem ostaramäischen Dialekt geschrieben, und zum anderen zeigt allein die Wiedergabe der Figura etymologica im syrischen Text von V.27, daß hier keine direkte literarische Abhängigkeit vorliegt. Vielmehr teilen die Übersetzer von Targum und Peschitto eine gemeinsame exegetische Tradition auf der Basis allgemein verbreiteter Prinzipien der Schriftauslegung, offenbar begünstigt durch ihre räumliche und zeitliche Nähe und die daraus resultierende kulturelle Verwandtschaft. So ist Willem F. Smelik zuzustimmen, der generell bemerkt: „The exegetical milieu of the Syriac translators underwent a more

39 40 41

IgnMagn 8,1; IgnPhld 6,1. Vgl. hierzu J. M. Lieu, Image and Reality, Edinburgh 1996, 23-56. Vgl. Barrett, End 553; von Bendemann, Paulus 303. Vgl. McCullough, History 26.

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than oblique influence from Jewish exegetical tradition."42 Unter dieser Voraussetzung legt auch der Tempusgebrauch bzw. der resultative Charakter von . .ο,γ^^η ΓΔ in V.24 den Gedanken nahe, daß man nun nicht mehr daran dachte, diese Juden zu missionieren. Die Ansiedlung von Juden ist in Edessa bereits durch Grabinschriften aus dem 1. Jahrhundert n.Chr. nachgewiesen.43 Von Juden in der hellenistischen Metropole Antiochia berichten die Apostelgeschichte (6,5; ll,19ff; 14,19 u.ö.) und Josephus Flavius (ant 12,119; Ap 2,39).44 Kontakte zwischen Juden und Christen in Edessa und Antiochia sind von beiden Seiten belegt, so etwa im Werk des syrischen Kirchenschriftstellers Ephraem, das (trotz seiner generell judenfeindlichen Tendenz) eine Reihe von Übereinstimmungen mit der rabbinischen Exegese aufweist und einige haggadische Traditionen übernimmt,45 und im Midrasch Genesis rabba (vgl. jBer 12d,58-13a,16)46, der von einem Disput zwischen jüdischen und christlichen Gelehrten in Antiochia berichtet. Man kann davon ausgehen, daß unser Text das Verhältnis zwischen christlichen und jüdischen Bevölkerungsteilen in diesem Kulturzentrum der antiken Welt spiegelt, bei dem sich schließlich zwei segregierte und jeweils konsolidierte Gemeinschaften gegenüberstanden, die zwar zahlreiche kulturelle Gemeinsamkeiten aufwiesen, deren Kontakte jedoch punktuell verliefen. Durch die merkliche Verschiebung der sozialen Struktur zugunsten des stetig wachsenden und zunehmend privilegierten christlichen Bevölkerungsteils wurden die in ihrem Umfeld lebenden Juden immer mehr isoliert. Auch dies ist ein Unterschied zur Situation in der Umgebung des Verfassers der Apostelgeschichte, in der sich die Abgrenzung des Christentums als einer von einer verschwindenden Minderheit getragenen religiösen Bewegung von dem - in der gesamten römischen Welt präsenten - Judentum offenbar noch nicht vollzogen hatte.47

42 43 44

45

46 47

W. F. Smelik, The Targum of Judges, OTS 36, Leiden u.a. 1995, 289. Vgl. Baumstark, Geschichte 18. Vgl. J. B. Segal, Edessa „the blessed city", Oxford 1970, 42; McCullough, History 15. Vgl. W. A. Meeks and R. L. Wilken, Jews and Christians in Antioch in the First Four Centuries of the Common Era, SBL. Sources for Biblical Study 13, Ann Arbor 1978; G. Langer, Das Judentum in Syrien von den Hasmonäern bis um 700 n.Chr., in: Haider u.a., Religionsgeschichte Syriens 242-256, 253-256. Vgl. S. Dubnow, Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Bd. 3, Berlin 1926, 287 mit Anm. 1; G. Stemberger, Das klassische Judentum, München 1979, 204; McCullough, History 105-108. J. Theodor und Ch. Albeck (ed.), Midrash Bereshit Rabba, Vol. 1, Jerusalem 2 1965, 172, 9ff. Vgl. Barrett, End 555: „What we see in Acts 28 is a Gentile church asserting its existence as the fulfilment of the Jewish Bible."

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Hinsichtlich der Darstellung des zweijährigen Aufenthalts des Paulus in Rom in der syrischen Überlieferung ist auffallig, daß die Bestreitung des Lebensunterhalts aus eigenen Mitteln bzw. durch eigene Arbeit in V.31 eine besondere Betonung erfährt. Diese Akzentuierung findet sich bereits im Actakommentar des Ephraem, wo es heißt: dedit mercedem biennio aedis de labore manuum suarum „und er zahlte Miete für ein Haus während zweier Jahre von der Arbeit seiner Hände."48 Hingegen weist in Act 28,17-31 nichts auf die Vorstellung vom Tod des Paulus in Rom hin. Andeutungen im griechischen Text, daß Paulus in Rom hingerichtet wurde, etwa in Act 9,16 und insbesondere in der Abschiedsrede in Milet (Act 20,24f)49, werden in der Peschitto nicht dahingehend verstanden, daß in der Übersetzung die Überzeugung vom Tod des Heidenapostels in Rom durchscheint. Vielmehr gibt der syrische Text den komplexiven Aorist50 ένέμεινεν in V.30, der den Endpunkt des Wirkens des Apostels zu markieren scheint,51 nicht analog wieder. Die Peschitto liest hier die Perfektform rComo, die ohne vorangehendes Partizip und mit der folgenden Präposition D das Tempus historicum darstellt, ohne zwingend das abgeschlossene Resultat zu bezeichnen.52 Wurde Act 28,31 in der Peschitto als Abschluß der Apostelgeschichte interpretiert? Hierfür ließe sich zunächst ins Feld führen, daß der Übersetzer bemüht ist, das Buch ebenso wie im Griechischen mit einem Wort enden zu lassen, das im syrischen Neuen Testament sonst an keiner Stelle begegnet, wohl um auf literarischer Ebene den Buchschluß zu markieren. Vor allem aber deutet die sowohl in Act 1,1 als auch in 28,31 in identischer Weise begegnende Formulierung ri« . τ -η ^ ¿ Ä „unser Herr Jesus Christus" auf eine vom Übersetzer intendierte Klammerfunktion für die gesamte Apostelgeschichte hin. Der griechische Bibeltext bietet in Act 28,31 κύριος Ίησοϋς Χριστός, in 1,1 hingegen allein ό Ίησοϋς. Die Inclusio scheint anzuzeigen, daß Act 28,31 in der Peschitto als planvoll gestalteter Buchschluß53 verstanden wurde.

48 49 50 51 52 53

Conybeare, Commentary 384. Vgl. hierzu den Beitrag von G. Ballhorn in diesem Band. Vgl. B D R § 3 3 2 . Barrett, End 549. Vgl. Nöldeke, Grammatik 193. Vgl. Pesch, Apostelgeschichte 2, 312; J. D. G. Dunn, ΚΥΡΙΟΣ in Acts, in: Chr. Landmesser u.a. (Hg.), Jesus Christus als die Mitte der Schrift. FS Ottfried Hofius, BZNW 86, Berlin/New York 1997, 363-378.

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4 Ausblick: Die Frage nach der "Urschrift" der Apostelgeschichte Auf der Grundlage der bisher getätigten exegetischen Einzelbeobachtungen zu Act 28,17-31 in der Peschitto seien als Abschluß dieses Beitrags einige methodische Erwägungen gestattet: Die eigentliche Aufgabe der Textkritik ist die Rekonstruktion des ursprünglichen Textes auf der Grundlage aller verfugbaren Textzeugen. Im Hinblick auf Autorenliteratur wie die paulinischen Briefe ist die Berechtigung dieser Aufgabenstellung unbestritten. Jedoch darf bei der textkritischen Untersuchung der Apostelgeschichte, die anderen Überlieferungsbedingungen unterworfen war als jene,54 nie aus dem Auge verloren werden, daß in den Zeugen bestimmte eigenständige Verständnistraditionen der zugrundeliegenden "Urschrift" zum Ausdruck kommen; zumal dort, wo deren Textüberlieferung noch nicht durch frühen Gebrauch als "Gemeindeliteratur" und einen fortgeschrittenen Kanonisierungsprozeß eingegrenzt wurde. Unter der Voraussetzung, daß die Peschitto eine Rezension älterer syrischer Übersetzungen auf der Basis des griechischen Textus receptos ist, gewinnt sie durch die Unterschiede zu diesem ein klares Profil. Die Entwicklung der syrischen Kirche und die Struktur ihrer Gemeinden sind in der syrischen Übersetzung von Act 28,17-31 deutlich zu erkennen. Wenn nun nicht nur die Peschitto als „Produkt der großen geistigen Bewegung des Christlichen Hellenismus"55, sondern auch der "westliche" und der "neutrale" Text ebenfalls nicht frei sind von solchen Veränderungen der den Tradenten vorliegenden Überlieferung, dann stellt sich die Frage, ob das Editionsprinzip einer kritischen Textausgabe der Apostelgeschichte, das mittels eines von der Edition der klassischen Autorenliteratur übernommenen Systems ihren "ursprünglichen" Text aus der Hand des Lukas zu eruieren versucht, nicht zu kurz greift.

54 55

Vgl. Dibelius, Text 76. P. Kawerau, Das Christentum des Ostens, RdM 30, Stuttgart u.a. 1972, 21.

Heike Omerzu

Das Schweigen des Lukas Überlegungen zum offenen Ende der Apostelgeschichte 1

Einführung

Das Ende der Apostelgeschichte, das uns scheinbar völlig im Unklaren läßt über das Schicksal des Apostels Paulus nach Ablauf der vollen zwei Jahre, in denen er - zwar unter Hausarrest stehend - frei und ungehindert das Evangelium predigen konnte (28,30f), hat immer wieder Fragen nach den Beweggründen des Lukas1 fur diese Darstellungsweise aufgeworfen. Der offene Schluß erscheint im Blick auf Paulus gerade deshalb so unverständlich, weil Lukas dessen Wirken zuvor mehr als die Hälfte seines zweiten Buches gewidmet und den Prozeß mit zahlreichen Anklage- und Verteidigungsreden breit in den Kap. 21-26 entfaltet hat. Die Ereignisse in Caesarea laufen auf die Berufung an den Kaiser und die Überführung nach Rom hinaus (25,9-12), doch über den Fortgang des Prozesses in der Hauptstadt erfahren die Leser und Leserinnen nichts - zumindest nicht explizit. Grundsätzlich sind verschiedene Szenarien im Hinblick auf das weitere Schicksal des Paulus denkbar: Das Kaisergericht könnte ihn fur schuldig befunden und zum Tode verurteilt haben. Es ist auch möglich, daß Paulus nach Ablauf der zwei Jahre freigekommen ist, entweder durch einen regelrechten Freispruch oder aber, weil das Verfahren eingestellt wurde. Die Frage nach dem historischen Prozeßausgang wird im folgenden jedoch nur indirekt angeschnitten, im Vordergrund soll die Überlegung stehen, warum Lukas den Schluß der Apostelgeschichte so offen gestaltet hat. Angesichts der zahlreichen Beiträge zu diesem Thema hat Charles Kingsley Barrett in einer der jüngsten Untersuchungen zum Acta-Schluß bemerkt: „The questions raised by Acts 28 are no new discovery; every student of Acts has encountered them and made some contribution ... to their solution. But

1

Der Verfasser des Doppelwerkes wird im folgenden der exegetischen Konvention entsprechend als Lukas bezeichnet, ohne daß damit bereits eine Aussage Uber seine tatsächliche Identität getroffen werden soll.

128

Heike Omerzu

they constantly call for re-examination"2. Meine Ausführungen zum Ende der Apostelgeschichte setzen daher auch bei einem forschungsgeschichtlichen Überblick ein, um so die verschiedenen vorgetragenen Hypothesen zu bündeln und kritisch zu diskutieren. Dabei soll gezeigt werden, daß die meisten Erklärungen des Acta-Schlusses das Ungleichgewicht zwischen dem ausführlichen Prozeßbericht in Kap. 21-26 und der knappen Romerzählung in 28,16-31 zu wenig berücksichtigen. Der Gefangenenstatus des Paulus tritt von der Abreise aus Caesarea an stark in den Hintergrund: Paulus agiert auf der Seereise wie ein freier Mann und kann in Rom ungehindert predigen; dennoch ist er die ganze Zeit über Gefangener und steht weiterhin unter Anklage. Daher sind die wenigen Angaben, die Lukas zur Unterbringung und Behandlung des Paulus in Rom macht, unter rechtshistorischer Perspektive zu untersuchen und in Beziehung zu Kap. 21-26 zu setzen. Dieser Aspekt wird nicht unbedingt ein neues Licht auf das Wie des Endes des Paulus werfen, kann jedoch näheren Aufschluß über das Warum der so und nicht anders gewählten lukanischen Darstellungsweise gewähren.

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Forschungsgeschichte - Kritische Anfragen

Es lassen sich drei grundsätzliche Zugänge zur Erklärung des abrupten und offenen Acta-Schlusses ausmachen.3 Dabei handelt es sich um historische (2.1), theologisch-programmatische (2.2) und literarisch-rhetorische (2.3) Erklärungsmodelle, die sich allerdings nicht immer scharf voneinander trennen lassen.

2.1 Historische Erklärungen Unter einer historischen Erklärung verstehe ich im folgenden solche Theorien, die äußere Umstände bzw. Zufälle für das uns vorliegende Ende der Apostelgeschichte verantwortlich machen und nur in zweiter oder dritter Linie eine theologische oder literarische Intention ihres Verfassers annehmen.

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Ch. Κ. Barrett, The End of Acts, in: H. Cancik u.a. (Hg.), Geschichte - Tradition - Reflexion, Bd. 3: Frühes Christentum. FS Martin Hengel zum 70. Geburtstag, Tübingen 1996, 545(-555). Vgl. für eine ähnliche Dreiteilung, allerdings mit weniger Beispielen, Ch. H. Talbert, Reading Acts. A Literary and Theological Commentary on the Acts of the Apostles, New York 1997, 234-236.

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Die früheste Deutung dieser Art findet sich im Canon Muratori (Zeilen 3439): Die Taten aller Apostel aber sind in einem Buche geschrieben. Lukas faßt für den 'besten Theophilus' zusammen, was in seiner Gegenwart im einzelnen geschehen ist, wie er das auch durch Fortlassen des Leidens des Petrus einsichtig klar macht, ebenso durch (das Weglassen) der Reise des Paulus, der sich von der Stadt (Rom) nach Spanien begab. 4

Aus der Nichterwähnung bestimmter Nachrichten in der Apostelgeschichte, die dem Verfasser des Canon Muratori wahrscheinlich aus anderen Traditionen bekannt waren, etwa dem Petrusmartyrium oder der Spanienreise des Paulus (vgl. Rom 15,24; 1 Clem 5,7), hat er offensichtlich den Rückschluß gezogen, daß Lukas in der Apostelgeschichte ausschließlich persönliche Erfahrungen und Erlebnisse geschildert hat. Von dieser Voraussetzung geht auch Stephanus Bihel aus, der annimmt, daß Lukas nach seiner Trennung von Paulus nichts über dessen weiteres Schicksal wußte, weshalb er seinen Bericht abbrach.5 Eine ähnliche Möglichkeit deutet neuerdings auch Paul Walaskay an: „Perhaps it is the case that Luke, writing in the eighties or nineties, simply had no further reliable information about Paul. The apostle has disappeared into the mists of the Spanish moors."6 Diese Theorie ist jedoch wegen der Andeutungen der Kenntnis vom Tod des Paulus (20,25.38) und seines Prozesses vor dem Kaiser (23,11; 27,24) unwahrscheinlich. Der Zweijahreszeitraum ist in V.30 außerdem klar als abgeschlossen beschrieben, was zeigt, daß Lukas wußte, was danach folgte.7 Auch Adolf von Harnack geht von der Unkenntnis des Lukas über den Prozeßausgang aus, begründet sie jedoch damit, daß dieser die Apostelgeschichte noch vor Abschluß des Paulusprozesses, also bereits Anfang der 60er Jahre des 1. Jahrhunderts n.Chr. verfaßt habe.8 Somit hätten sich in Act

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Zitiert nach: W. Schneemelcher (Hg.), Neutestamentliche Apokryphen I, Tübingen 6 1990, 28. Die erhaltene lateinische Übersetzung des griechischen Originals ist um 200 n.Chr. entstanden; vgl. a.a.O. 27. Vgl. St. Bihel, 'Notae de Tempore Compositionis Libri Actuum Apostolorum', Anton. 5 (1930)293-300, 299f. P. W. Walaskay, „And so we came to Rome". The Political Perspective of St. Luke, MSSNTS 49, Cambridge 1983, 76f Anm. 19, der diese Meinung nicht selbst vertritt. Vgl. dazu U.S. 147. Vgl. A. von Harnack, Neue Untersuchungen zur Apostelgeschichte und zur Abfassungszeit der synoptischen Evangelien, Beiträge zur Einleitung in das Neue Testament 4, Leipzig 1911, 65-69. Vgl. auch J. Munck, The Acts of the Apostles, AncB 31, Garden City 1967, 260; J. A. T. Robinson, Wann entstand das Neue Testament?, aus dem Engl.

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28,30f Erzählzeit und erzählte Zeit getroffen, und Lukas hätte bei dem aktuellen Stand der Ereignisse ausgesetzt. Gegen diese These sind zunächst ebenfalls die Todesankündigungen in der Miletrede (20,25.38)9 sowie der Rückblick auf den abgeschlossenen Zweijahreszeitraum in V.30 vorzubringen. Des weiteren lassen die Vorworte zum Evangelium und zur Apostelgeschichte einen gewissen zeitlichen Abstand zu den erzählten Ereignissen erkennen. Schließlich sprechen gegen die These von Harnacks auch alle Argumente gegen eine Frühdatierung der Apostelgeschichte. Dazu gehört z.B., daß die Apostelgeschichte das Lukasevangelium voraussetzt, das seinerseits wiederum das Markusevangelium zur Quelle hatte und auf die Zerstörung des Tempels10 zurückblickt. Eine frühe Abfassung der Apostelgeschichte setzen auch jene Vertreter voraus, die meinen, sie hätte als Verteidigungsschrift oder als Information für die römischen Beamten gedient und könnte daher folgerichtig nur bis zum Beginn des Hauptprozesses berichtet haben.11 Abgesehen von den o.g. Argumenten entspricht dieser Abfassungszweck nicht der formalen Gestalt der Apostelgeschichte. Damit wäre z.B. deren ganzer Anfangsteil überflüssig, und selbst der Prozeßbericht Kap. 21-26 ist nicht an einer juristischen Be1Ύ

weisführung im eigentlichen Sinne interessiert. Die Annahme, Lukas sei aus rein pragmatischen Gründen gezwungen gewesen, sein Werk zu beenden, weil etwa seine Papyrusrolle zu Ende war,13 erscheint ebenso zweifelhaft. Diese Theorie unterschätzt nicht nur die sorg-

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tlbersetzt von J. Madey, Wuppertal 1986, 101. Diese Deutung findet sich bereits bei Hieronymus, vir ili VII. Dieses Problem erkennt von Harnack durchaus und nimmt daher an, daß Lukas zur Zeit der Abfassung von einem negativen Ende des Prozesses ausgegangen ist, dieser sich dann jedoch tatsächlich zum Guten gewendet habe; vgl. von Harnack, Untersuchungen 72. Vgl. Lk 21,24. So z.B. Munck, Acts LIII; A. Wikenhauser, Die Apostelgeschichte und ihr Geschichtswert, NTA VIII 3-5, Münster 1921,45f. Auch die Annahme einer solchen Verteidigungsschrift als von Lukas bearbeiteter Quelle löst die Probleme nicht, da er in diesem Fall einen Abschluß hätte schaffen können. Nach H. S ahlin, Der Messias und das Gottesvolk, ASNU 12, Uppsala 1945, 1-62 (bes. 27f) diente das gesamte Doppelwerk als Apologie des Paulus. Dazu habe Lukas ein älteres, von Lk 1,1 bis Act 15,35 reichendes Proto-Lukasevangelium durch den Rest der Apostelgeschichte erweitert, um so in den noch laufenden Prozeß des Paulus einzugreifen. Zur Kritik an Sahlin vgl. W. Michaelis, Einleitung in das Neue Testament, Bern 2 1954, 15.71f.141. Vgl. die Kritik bei von Harnack, Untersuchungen 67 Anm. 2 sowie C. J. Hemer, The Book of Acts in the Setting of Hellenistic History, ed. by C. H. Gempf, WUNT 49, Tübingen 1989, 386.

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faltige literarische Arbeit des Lukas, vielmehr wäre in diesem Fall zu erwarten, daß Lukas mindestens die Schlußkapitel anders gestaltet hätte, indem er z.B. den Reisebericht verkürzt oder nur eine Begegnung mit den römischen Juden geschildert hätte. Da aber gerade die Schlußverse (28,17-31) äußerst planvoll angelegt sind, entfallt gleichzeitig die Möglichkeit, daß Lukas vor Vollendung des Acta-Schlusses gestorben ist, ohne noch einen letzten erklärenden Satz schreiben zu können.14 Colin J. Hemer bezeichnet diese Annahme zu Recht als „a counsel of despair"15. Friedrich Pfister hingegen nimmt eine ursprünglich längere Version der Apostelgeschichte an, die auch das Martyrium des Paulus enthielt.16 Dieses sei jedoch später entfernt worden, um den apokryphen Actus Vercellenses, der mit der Spanienreise des Apostels beginnt, ohne Wiederholungen anschließen zu können. Freilich fehlt für eine solche Annahme jeder textkritische Anhalt. Außerdem ist wiederum einzuwenden, daß der Buchschluß nicht fragmentarisch ist, sondern als mit großer Sorgfalt erdacht erscheint, und die fast identische Länge von Lukasevangelium und Apostelgeschichte gegen eine nachträgliche Kürzung spricht.

2.2 Theologisch-programmatische Erklärungen Die im folgenden dargestellten Theorien gehen davon aus, daß Lukas alles gesagt hat, was er sagen wollte bzw. gerade soviel, wie er sagen konnte, ohne seiner sonstigen Tendenz entgegenzuwirken. Es ist eine gängige Auffassung, daß es Lukas nicht darum ging, biographische Nachrichten über Paulus zu vermitteln, sondern daß die Verkündigung des Evangeliums im Zentrum des römischen Reiches den Höhepunkt seiner Erzählung und gleichzeitig die Erfüllung des Programms von Act 1,8 darstellt:17 „Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der heilige Geist über euch 14

So z.B. J. de Zwaan, Was the Book of Acts a Posthumous Edition?, HThR 17 (1924) 95-153, 98f: „our Acts is (sic!) a sketch left unfinished by Luke and afterwards edited by some friend or friends. He left it... roughly outlined in his preface ... a skeleton-history filled in with extracts and notes in various states of redaction, some gaps being left, and the whole by no means ready for the scriptorium. The last part of it, if outlined at all, was dropped by the editors, who had to mutilate the prefaces accordingly." 15 Hemer, Book 386. 16 Vgl. F. Pfister, Die zweimalige römische Gefangenschaft und die spanische Reise des Apostels Paulus und der Schluß der Apostelgeschichte, ZNW 14 (1913) 216-221, 219-

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So z.B. G. Stählin, Die Apostelgeschichte, NTD 5, Göttingen 5 1975, 18: „Das Ende der Erde [ist] hier ... die Welthauptstadt: wer die Herrschaft in der Hauptstadt des Reiches

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kommt, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde." Mit der Ankunft in Rom habe Lukas somit sein Doppelwerk schließen können, da das Evangelium sein Ziel erreicht hat.18 Allerdings ist - entgegen der nahezu einhelligen communis opinio - aus verschiedenen Gründen anzuzweifeln, daß mit dem Ausdruck εως εσχάτου της γης tatsächlich Rom gemeint ist, nur weil die Apostelgeschichte hier endet.19 Da Rom für Lukas positiv konnotiert war, stellte die Stadt für ihn eher den Mittelpunkt der bewohnten Welt als deren äußerstes Ende dar,20 wofür εσχατον της γης sowohl im paganen als auch im alttestamentlich-jüdischen Sprachgebrauch immer steht.21 Dabei bildet auch die häufig auf Rom gedeutete Stelle PsSal 8,15, an der von Pompeius gesagt wird, ήγαγεν τον άπ έσχατου της γης, τον παίοντα κραταιώς,

erlangt, der hat sie grundsätzlich bis an seine äußersten Grenzen. Für Lukas fiel wie für die meisten seiner Zeitgenossen das römische Reich mit der Ökumene (...) zusammen (...). Mit Apg. 28,31 (...) ist das Programm von 1,8 also erfüllt." E. Haenchen, Die Apostelgeschichte, KEK III, Göttingen ? 1977, 150f mit Anm. 6 spricht vom „Aufriß der Apg"; H. Conzelmann, Die Apostelgeschichte, HNT 7, Tübingen, 2 1972, 27 erkennt in Act 1,8 das „Programm und Dispositionsschema des Buches". 18 Vgl. bereits J. A. Bengel, Gnomon Novi Testamenti, Tübingen 3 1773 (Nachdruck 1860), 522: „Victoria Verbi Dei. Paulus Romae, apex evangelii, Actorum finis [...] Hierosolymis coepit: Romae desinit. [...] Habes, Ecclesia, formam tuam. tuum est, servare earn, et depositimi custodire." 19 So zu Recht bes. W. C. van Unnik, Der Ausdruck 'ΕΩΣ ΈΣΧΑΤΟΥ ΤΗΣ ΓΗΣ (Apostelgeschichte I 8) und sein alttestamentlicher Hintergrund, in: ders., Sparsa Collecta. The collected essays of W. C. van Unnik, Part I: Evangelia - Paulina - Acta, NT.S 29, Leiden 1973, 386-401, der den zugrundeliegenden Zirkelschluß aufdeckt (392): „Man darf nicht folgendermaßen argumentieren: 1) Lukas hat in diesem Vers sein Programm entfaltet; 2) sein Buch endet in Rom; 3) also ist 'das Ende der Welt' gleich Rom; quod erat demonstrandum! Denn damit hat man schon von vornherein angenommen, daß Lukas hier ein Programm für sein Buch gibt, aber das sagt er nicht und es wird auch durch den Kontext nicht direkt nahegelegt." Eine Weiterführung der Untersuchung van Unniks im Hinblick auf griechisch-römische Autoren bietet E. E. Ellis, „Das Ende der Erde" (Apg 1,8), in: C. Bussmann und W. Radi (Hg.), Der Treue Gottes trauen. Beiträge zum Werk des Lukas. FS Gerhard Schneider, Freiburg u.a. 1991, 277-287. Vgl. außerdem G. Schneider, Die Apostelgeschichte. 1. Teil: Einleitung. Kommentar zu Kap. 1,18,40, HThK V/1, Freiburg u.a. 1980, 203 Anm. 41; M. Hengel, Der Historiker Lukas und die Geographie Palästinas in der Apostelgeschichte, ZDPV 99 (1983) 147-183, 153; R. Pesch, Die Apostelgeschichte. 1. Teilband (Apg 1-12), EKK V/1, Zürich u.a. 1986, 70; J. Winandy, La Finale des Actes: Histoire ou Théologie, EThL 23 (1997) 103-106. 20 Ebenso L. C. A. Alexander, Reading Luke-Acts from Back to Front, in: J. Verheyden (ed.), The Unity of Luke-Acts, BEThL 142, Leuven 1999, 419-446,427; anders Winandy, Finale 104f, der Jerusalem als das Zentrum des lukanischen Weltbildes ansieht. 21 Vgl. van Unnik, Ausdruck 391-399.

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vermutlich keine Ausnahme.22 Für die Deutung von Act 1,8 ist es am wahrscheinlichsten, daß Lukas auf eine geläufige Septuagintawendung (vgl. bes. Jes 8,9; 48,20; 49,6; 62,11)23 zurückgegriffen hat, die er erneut in Act 13,47 - hier offensichtlich als Zitat aus Jes 49,6 LXX24 - verwendet hat. An dieser Stelle geht es nicht darum, ein bestimmtes Ziel anzugeben, sondern die Ausbreitung des Evangeliums zu beschreiben.25 „Hier werden jetzt wieder die gleichen Worte laut als Auftrag des Herrn, die man auch in i 8 findet. Jetzt sind sie auch auf Paulus bezogen, der natürlich bei dem Auftrag im I. Kapitel nicht anwesend war. Also gilt für ihn derselbe Befehl 'bis zum Ende der Welt' wie für die anderen Apostel."26

Wenn allerdings 1,8 nicht mehr als Programm der Apostelgeschichte mit Ausrichtung auf Rom angesehen werden kann, muß man eine andere Erklärung für das abrupte Ende in 28,31 finden. Dazu wird die Schlußperikope häufig zum hermeneutischen Schlüssel fur das Verständnis der gesamten Apostelgeschichte oder auch des Doppelwerkes insgesamt erhoben.28 Dies gilt insbesondere für die Haltung des lukanischen Paulus zu den Juden. Bedingt durch seine Gefangenschaft empfängt Paulus sie in Act 28,17-24 in Variation des Anknüpfungsschemas in seiner Wohnung. Er richtet sich ein letz22

Van Unnik, Ausdruck 399 bezieht PsSal 8,15 auf Spanien, wo Pompeius, „bevor er 66 v. Chr. nach dem Osten kam und 63 v. Chr. Jerusalem eroberte, viele Jahre (von 77-72 v. Chr.) mit großem Erfolg ... gegen Sertorius gekämpft hatte". Zustimmend Hengel, Historiker 153 mit Anm. 38. 23 Nur an diesen vier Jesajastellen sowie 1 Makk 3,9 und PsSal 1,4 steht ebenfalls der gesamte Ausdruck εως εσχάτου της γης. Häufiger finden sich Verbindungen mit anderen Präpositionen bzw. die Wendungen ¿ίκρα (της) γης oder πέρατα της γης. 24 Act 13,47: Ούτως γαρ έντεταλται ή μ ΐ ν ό κύριος· ,,τέθεικά σε είς φως έθνών του ε ΐ ν α ί σε είς σωτηρίαν εως εσχάτου της γης." 25 Vgl. Winandy, Finale 104. 26 Van Unnik, Ausdruck 393; vgl. auch R. L. Brawley, Luke-Acts and the Jews. Conflict, Apology, and Conciliation, SBL.MS 33, Atlanta 1987,28-50. 27 Nach Ellis, Ende 283 „spielt die Wendung in Apg 1,8 so gut wie sicher auf die Ausbreitung des Evangeliums bis nach Spanien an, ja dürfte sogar noch spezifischer das Gebiet von Gades meinen". Das Schweigen der Apostelgeschichte über dieses Unternehmen erklärt Ellis damit, daß - der Paulusbegleiter - Lukas entweder noch vor Abschluß dieser Reise oder aber „nach Vollendung der paulinischen Mission in Spanien, aber noch während der Neronischen Verfolgung (65-68 n.Chr.) schrieb" (284) und „keine Aufmerksamkeit auf die Freilassung hat lenken wollen, um Paulus oder die römische Behörde, die ihn freigelassen hatte, zu schützen" (284 Anm. 44 mit Hinweis auf ders., Pauline Theology: Ministry and Society, Grand Rapids/Exeter 1989, 107-111). Einwänden gegen eine Frühdatierung der Apostelgeschichte kommt Ellis zuvor, indem er seine These als weiteren Beleg für eine solche versteht. Insgesamt erscheint seine Argumentation zu sehr vom Ergebnis her geleitet, so daß auch seine Belegstellen eher für eine allgemeine Konnotation des Begriffs εσχατον της γης sprechen. 28 F. Mußner, Die Erzählintention des Lukas in der Apostelgeschichte, in: Bussmann/Radl, Treue Gottes 29-41.

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tes Mal an das gesamte Volk Israel, bevor er sich endgültig vom ungläubigen Teil ab- und der universalen Völkermission zuwendet (vgl. 28,25-28). Hier ist die Programmatik des Lukas deutlich zu erkennen, da er damit ein Leitmotiv der Apostelgeschichte (vgl. bes. 13,46f; 18,6) wieder aufnimmt.29 Doch erklärt auch dieser Hinweis m.E. nicht hinreichend die Diskrepanz zwischen dem deutlichen biographischen Interesse des Lukas am Schicksal des Paulus in der bisherigen Erzählung und der allgemeinen theologischen Ausrichtung am Schluß. Seit Kap. 13 hat sich Lukas ganz auf den Apostel konzentriert, in den Kap. 21-26 wird ausführlich seine Gefangenschaftssituation geschildert.30 Warum sollte er dann ausgerechnet kurz vor dem lange erwarteten Auftritt vor dem Kaiser sein Interesse an Paulus verlieren? Andere Deutungen konzentrieren sich stärker darauf zu begründen, weshalb Lukas das Martyrium des Paulus, um das er wohl wußte (vgl. Act 20,25.38), nicht offen geschildert hat. Eine Erklärung dafür ist, daß er keine (vollständige) Parallele zur Passion (und Auferstehung!) Jesu herstellen konnte.31 Nach Ernst Haenchen sah Lukas es „nicht als seine Aufgabe an, die Märtyrerfrömmigkeit zu beleben", weshalb er auch das Martyrium des Zebedaiden Jakobus „nur ganz unbetont" und das des Herrenbruders gar nicht erwähnt habe. „Er wollte nicht... die Christen für das Martyrium rüsten, sondern der Kirche nach Möglichkeit das Martyrium ersparen."32 Angesichts dieser Überlegungen bleiben jedoch wiederum die Todesankündigungen des Paulus unverständlich, insbesondere aber die starke frühere Angleichung des 29

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Nach Conzelmann, Apostelgeschichte 159f ist diese „dritte Erklärung der Abwendung von den Juden und Hinwendung zu den Heiden ... endgültig", während andere betonen, daß die Bekehrung einzelner Juden (vgl. 28,30: πάντες) weiterhin angestrebt werde. So z.B. Brawley, Luke-Acts 77f; B.-J. Koet, Paul in Rome (Acts 28,16-31): A Farewell to Judaism?, Bijdr. 48 (1987) 397-415; J. Jervell, Die Apostelgeschichte, KEK III, Göttingen 1998, 631. M. Rese, The Jews in Luke-Acts. Some second thoughts, in: Verheyden, Unity 185-201, 201 kommt hingegen zu dem nüchternen Schluß: „While in Romans 911 Paul himself thinks and writes about God's salvation for the unbelieving Jews ... in the last chapter of Acts there is not the slightest tract of an interest in the fate of the unbelieving Jews." Ähnlich G. Wasserberg, Aus Israels Mitte - Heil für die Welt. Eine narrativ-exegetische Studie zur Theologie des Lukas, BZNW 92, Berlin/New York 1998, 114f. Diese Beobachtung ist unabhängig davon, ob man die Kap. 21-28 als politische Apologie versteht oder nicht; gegen Jervell, Apostelgeschichte 631 mit Anm. 626. So z.B. A. Jülicher und E. Fascher, Einleitung in das Neue Testament, GThW 3/1, Tübingen 7 1931, 433: „Den Tod des P[aulus] zu erzählen unterläßt der Verf., nicht weil er nichts davon wußte, sondern weil er nicht wie bei Christus von der nachfolgenden Auferstehung erzählen konnte." Alle Zitate bei Haenchen, Apostelgeschichte 700. Auch nach R. C. Tannehill, The Narrative Unity of Luke-Acts. A Literary Interpretation, Vol. 2: The Acts of the Apostles, Minneapolis 1990, 356 wollte Lukas das Martyrium des Paulus übergehen.

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Leidensweges des Apostels an die Passion Christi.33 Im übrigen hielt dieses Motiv Lukas auch nicht davon ab, das Stephanusmartyrium zu schildern.34 Unbefriedigend ist auch die Annahme, Lukas habe einen negativen Ausgang des Prozesses aufgrund seiner pro-römischen Apologetik verschwiegen bzw. verschweigen müssen.35 Dazu sind einerseits die vorangehenden Anspielungen auf einen negativen Prozeßausgang zu deutlich. Andererseits zeigt Lukas auch vorher Schwächen auf Seiten der römischen Behörden. So ist z.B. Gallio völlig desinteressiert am Schicksal des Paulus (18,14-17); der Statthalter Felix verschleppt seinen Prozeß und wird als korrupt dargestellt (24,26f). Schließlich hätte Lukas gerade einen Tod unter Nero als Ausnahmefall der ansonsten korrekten und gegenüber Christen toleranten Römer stilisieren können.36 Mit dem vorliegenden Ende jedoch hat Lukas seinen Lesern und Leserinnen durchaus Raum für eine negative Einschätzung des römischen Staates gelassen. Kirsopp Lake geht nicht von einem - von Lukas verschwiegenen Schuldspruch, sondern von einer Einstellung des Verfahrens wegen Nichterscheinens der Kläger und der anschließenden Freilassung des Paulus aus.37 Ein solcher Prozeßausgang sei „disappointing to Luke from the point of view of Christian apologetic"38. Allerdings scheut sich Lukas auch vorher nicht, 33

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Vgl. hierzu bes. W. Radi, Paulus und Jesus im lukanischen Doppelwerk. Untersuchungen zu Parallelmotiven im Lukasevangelium und in der Apostelgeschichte, EHS.T 49, Bern/Frankfurt a.M. 1975. Nach Haenchen, Apostelgeschichte 700 konnte Lukas das Stephanusmartyrium wegen der Verantwortung der „gottlosen Sadduzäer" für dessen Tod berichten. Vgl. Haenchen, Apostelgeschichte 699f; Conzelmann, Apostelgeschichte 160. Nach J. Roloff, Die Apostelgeschichte, NTD 5, Göttingen/Zürich 1981, 372 wollte Lukas „das positive Bild Roms als eines Raumes der Freiheit ftlr das Evangelium und seine Boten nicht... beeinträchtigen". Walaskay, Rome 64.67 u.ö. hält zwar die Apostelgeschichte insgesamt für eine „apologia pro imperio" für die Kirche, äußert sich zu ihrem Schluß jedoch nur vorsichtig (22): „The one certain truth about the ending of Acts is that it cannot be construed as anti-Roman." Jervell, Apostelgeschichte 700 Anm. 620 stellt angesichts der gängigen Prämisse, „Lukas hätte die politische Apologetik ad absurdum geführt, falls er von einem Todesurteil vor dem Kaisergericht erzählen wollte; der Leser von Apg 28 könne sich aber vorstellen, dass es durch Versagen des Kaisergerichts zur Hinrichtung des Paulus kam", zu Recht die Frage: „Wie steht es dann mit der Apologetik?" Vgl. für die Annahme, „daß die Theologie des Lukas eine Rom-kritische Pointe hat", jetzt auch C. Burfeind, Paulus muß nach Rom. Zur politischen Dimension der Apostelgeschichte, NTS 46 (2000) 75(-91). So auch Walaskay, Rome 21 unter Hinweis auf R. P. C. Hanson, The Acts, NCB.NT, Oxford 1967,33. Zu den prozeßrechtlichen Aspekten dieser Theorie vgl. u. S. 148. K. Lake, The End of Paul's Trial in Rome, ThT 47 (1913) 356-365, zit. nach H. J. Cadbury, Roman Law and the Trial of Paul, in: Κ. Lake and H. J. Cadbury (ed.), The Acts

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die römischen Behörden als unparteiisch oder desinteressiert darzustellen (s.o.). Eine wie auch immer veranlaßte Freilassung des Apostels wäre immerhin ein Triumph über die jüdischen Kläger gewesen. Die Begründung für diese Maßnahme hätte Lukas seiner vermeintlichen Tendenz entsprechend darstellen können. Insgesamt ist es gewiß unwahrscheinlicher, daß Lukas eine Freilassung verschwiegen hat als eine Hinrichtung. Die Verlegenheit des Lukas angesichts des Prozeßverlaufs hat auch Oscar Cullmann für den vorliegenden Abschluß der Apostelgeschichte verantwortlich gemacht. Er versteht den 1. Clemensbrief dahingehend, daß die römische Gemeinde entweder aktiv oder wenigstens passiv eine Mitschuld am Tod des Paulus (und des Petrus) getragen hat, was Lukas durch das offene Ende der Apostelgeschichte vertuschen wollte.39 Dabei ist insbesondere auf 1 Clem 5,5-7 zu verweisen: (5) Wegen Eifersucht und Streit zeigte Paulus den Siegespreis der Ausdauer. (6) Siebenmal in Fesseln, vertrieben, gesteinigt, ein Herold im Osten wie im Westen, empfing er den edlen Ruhm für seinen Glauben. (7) Nachdem er die ganze Welt Gerechtigkeit gelehrt hatte und bis an die Grenzen des Westens gekommen war und vor den Herrschern Zeugnis abgelegt hatte, schied er so aus der Welt und gelangte an den heiligen Ort - das größte Vorbild für Ausdauer.40

Allerdings ist der Anlaß für den im 1. Clemensbrief wiederholt erwähnten Streit und Neid nicht unstrittig. Es werden sowohl jüdische oder römische Feindseligkeiten in Betracht gezogen als auch jede „historische Reminiszenz"41 abgestritten. Dennoch geht Barrett unter zusätzlicher Berufung auf 2 Tim 4,16 davon aus, „that a tradition existed that accused Paul's fellow Christians of deserting him. (...) If Paul's life came to such a lonely and abandoned end we can understand why Luke did not see fit to tell the story of it. Paul's relation with the Roman church may have been stormy and in the end non-existent."42 Daß das Verhältnis des Paulus zur römischen Gemeinde

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of the Apostles, The Beginnings of Christianity 1, Vol. V: Additional Notes to the Commentary, London 1933 (= reprint Grand Rapids 1979), 297-387, 331; so auch H. W. Tajra, The Trial of St. Paul. A Juridical Exegesis of the Second Half of the Acts of the Apostles, WUNT 11/35, Tübingen 1989, 196. Vgl. O. Cullmann, Petrus: Jünger, Apostel, Märtyrer. Das historische und das theologische Petrusproblem, Zürich 31985, 101-123 (bes. 115-117); er sieht seine These u.a. durch die Paulusbriefe bestätigt. Übersetzung nach H. E. Lona, Der erste Clemensbrief, KAV 2, Göttingen 1998, 156. Lona, Erster Clemensbrief 158f Anm. 8, dort auch eine knappe Übersicht über die verschiedenen Thesen. Barrett, End 549f; vgl. auch bereits ders., Pauline Controversies in the Post-Pauline Period, NTS 20 (1974) 229-245,234.

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nicht ohne Probleme war, läßt der Römerbrief an vielen Stellen erkennen. Wo sind allerdings während seines Aufenthalts in Rom all jene, die er in Rom 16 grüßen läßt und zu denen er z.T. in einem sehr engen Verhältnis zu stehen scheint?43 Haben sie ihn ebenfalls im Stich gelassen? Walaskay vermutet die für den Tod des Paulus verantwortlichen Gegner aufgrund von 2 Tim 1,15; 4,9f.l6 nicht in Rom, sondern in Kleinasien.44 „It could well be that Luke did not continue his story of Paul because he was embarrassed by the ending. Luke's emphasis - one could say overemphasis - on the treachery of the Jews leads one to think that perhaps 'he protests too much.' (sic!)... Perhaps Luke, embarrassed by what he knows to be the truth about Paul's demise - that Jewish-Christians from Asia had a hand in Paul's arrest, trial, and execution has glossed this over by implicating only 'Jews from Asia.' (sic!)" Abgesehen davon, daß Walaskay bei dieser Theorie die Pastoralbriefe mit einem hohen Grad authentischer Erinnerung an den historischen Paulus belasten muß, bleibt unklar, warum Lukas die Verantwortung der kleinasiatischen Juden nicht konsequent bis nach Rom verlängert, sondern hier plötzlich Raum für Spekulationen geschaffen hat. Denkbar ist freilich auch, daß Lukas seinen Lesern und Leserinnen gar nichts verschweigen wollte, sondern das Ende des Paulus ausgelassen hat, weil es ihnen bereits bekannt war.45 Konsequenterweise hätte er dann aber seine Erzählung bereits nach V.16 abbrechen müssen. Eine solche Vertrautheit mit dem Ende des Paulus legt außerdem nahe, daß Lukas fur die dortigen Gemeinden schreibt. Unter diesen Umständen wäre jedoch zu erwarten, daß ihm insbesondere römische Lokaltraditionen zur Verfügung gestanden hätten. Gute Lokal- und Ortskenntnis besaß Lukas hingegen im östlichen Mittelmeerraum. Daß er außerdem nicht zu viel Wissen bei den Lesern und Leserinnen voraussetzen konnte, zeigt bereits Lk 1,1-4, wo der Verfasser explizit darauf hinweist, daß es gerade seine Absicht ist zu informieren. Dem entspricht, daß Lukas - selbst wenn er, was ich für unwahrscheinlich halte, in Rom geschrieben haben sollte - sicher eine weitere Verbreitung seiner Apostelgeschichte angestrebt hat.

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Vgl. z.B. die Formulierungen ό συνεργός μου (16,3.9) und ό αγαπητός μου (16,5.8f.l2). Vgl. Walaskay, Rome 21. Vgl. Hanson, Acts 34.

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2.3 Literarisch-rhetorische Erklärungen Die im folgenden aufzuführenden Vertreter und Vertreterinnen erkennen in dem jetzigen Abschluß der Apostelgeschichte die literarische Intention ihres Verfassers. Zum Teil wird hier die These vertreten, daß Lukas nach Evangelium und Apostelgeschichte noch ein drittes Werk anfertigen wollte, welches u.a. das weitere Schicksal des Paulus geschildert hätte. Im deutschsprachigen Raum hat vor allem Theodor Zahn46 das offene Ende der Apostelgeschichte durch eine solche geplante Fortsetzung begründet, während William Mitchell Ramsay47 der Hauptvertreter dieser Theorie im anglophonen Bereich ist. Ihr Hauptargument beruht auf der Bezeichnung des Lukasevangeliums in Act 1,1 als πρώτος λόγος statt als πρότερος λόγος, was darauf hindeute, daß hier bereits ein τρίτος λόγος anvisiert sei. Doch kann πρώτος hellenistisch auch „der erste (von zweien)" neben dem klassischen Gebrauch „der erste (von mehreren)" bedeuten.48 Schließlich wird πρότερος auch sonst von Lukas nie und im übrigen Neuen Testament (außer Eph 4,22) lediglich als Adverb verwendet; πρώτος hingegen steht häufig bei einer temporalen Abfolge.49 Abgesehen von der Zweifelhaftigkeit des philologischen Arguments spricht auch die Gesamtanlage der Apostelgeschichte gegen die Hypothese eines dritten Bandes. So wäre zum einen an ihrem Ende eine Andeutung auf den Prozeßausgang zu erwarten, wie Lukas auch im Evangelium bereits die Himmelfahrt Jesu erwähnt hat (Lk 24,50-53), die er dann in der Apostelgeschichte wieder aufgegriffen und weiter ausgeführt hat (Act 1,4-11). Zum anderen bestünde eine grundsätzliche Schieflage in der Gewichtung der Erzählung. Lukas hat dem Apostel bereits über die Hälfte der Apostelgeschichte gewidmet; wenn nun ein drittes Werk mit dem Schicksal des Paulus in Rom - und evtl. in Spanien sowie während einer zweiten Gefangenschaft - folgte, wäre ihm mehr Raum gegeben als Jesus im Evangelium.5 Gleichzeitig würde er in die46

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Vgl. Th. Zahn, Das dritte Buch des Lukas, NKZ 28 (1917) 373-395; ders., Die Apostelgeschichte des Lucas. Erste Hälfte Kap. 1-12, KNT V, Leipzig 31922, 16-18; ders., Einleitung in das Neue Testament II, Leipzig 1924, 374-377; vgl. aber auch bereits F. Spitta, Die Apostelgeschichte. Ihre Quellen und deren geschichtlicher Wert, Halle 1891, 318f; ders., Zur Geschichte und Litteratur des Urchristentums I, Göttingen 1893, 14-16. Vgl. W. M. Ramsay, St. Paul the Traveller and the Roman Citizen, London 6 1902, 23.27f.309. Vgl. BDR § 62,1. So auch Mt 21,28; Act 12,10; Offb 20,5f; 21,1. Vgl. W. Bauer, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, hg. von K. und B. Aland, Berlin, 6., völlig neu bearbeitete Auflage 1988, s.v. πρώτος la, 1452. Vgl. auch W. F. Brosend II, The Means of Absent Ends, in: Β. Witherington III (ed.), History, Literature, and Society in the Book of Acts, Cambridge 1996, 348-363, 361: „Paul, for all his heroism, for all the focus upon him in Acts 13-28, is not the central

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sem dritten Band einen viel kürzeren Zeitraum behandeln als in der Apostelgeschichte. Während Zahn und Ramsay davon ausgehen, daß Lukas den dritten Band lediglich geplant, aber nicht umgesetzt hat,51 wird in neuerer Zeit verschiedentlich angenommen, daß die Pastoralbriefe die nicht nur beabsichtigte, sondern tatsächlich vollendete Fortsetzung des Doppelwerkes durch Lukas darstellen.52 Bei aller Ähnlichkeit in Sprache und Stil und ungeachtet der zahlreichen Probleme bei der Annahme der lukanischen Verfasserschaft der Pastoralbriefe, erklärt diese ebenfalls nicht das Ende der Apostelgeschichte, da die Leser und Leserinnen auch hier über den weiteren Prozeßverlauf im Unklaren bleiben. In literaturwissenschaftlich ausgerichteten Ansätzen wie dem sogenannten literary oder reader-response criticism wird - wie dies bereits bei den oben als „theologisch-programmatisch" bezeichneten Modellen der Fall war - versucht, textimmanente Erklärungen fur das vorliegende Acta-Ende zu finden.53 So meint z.B. Garry W. Trompf: „It is precisely because Luke was aware that Jewish and Greco-Roman readers shared common general presuppositions about a 'moral order' in human affairs that he handled the issue of death very

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character of Luke-Acts; Jesus is." G. Wasserberg, Lk-Apg als Paulusapologie, in: Verheyden, Unity 723-729, 728 hingegen versteht „das lukanische Doppelwerk insgesamt als Paulusapologie mit ausführlicher Einleitung"; vgl. auch bereits o. S. 130 zu Sahlin, Messias. Vgl. Zahn, Einleitung 377: „Es ist schmerzlich, sich zu vergegenwärtigen, was alles uns dadurch entgangen ist, daß das dritte Buch des Lc entweder nie geschrieben wurde oder, was weniger wahrscheinlich ist, sofort wieder verloren ging." Anders S. Grandjean, La dernière page du livre des Actes, La liberté chrétienne 9 (1906) 336-349, 341, der mit dem Hinweis auf andere verlorene urchristliche Schriften einen nachtraglichen Textverlust nicht ausschließt. So z.B. J. D. Quinn, The Last Volume of Luke: The Relation of Luke-Acts to the Pastoral Epistles, in: Ch. H. Talbert (ed.), Perspectives in Luke-Acts, Edinburgh 1978, 6275; St. G. Wilson, Luke and the Pastoral Epistles, London 1979. Vgl. die Kritik von Walaskay, Rome 74-76 Anm. 18: „Wilson, in particular, has provided us with a careful linguistic, political, ecclesiological, christological and theological comparison of LukeActs and the Pastorals. In many respects the two sets of works are very much alike, yet when we ask what this 'third volume' adds to our knowledge about the fate of Paul, one is compelled to conclude, not very much. The kind and quantity of information presented in this continuation of the life of Paul is as disappointing as the ending of Acts itself. (...) Perhaps the Pastorals are, as Quinn maintains, an epistolary appendix for Luke-Acts, complementing and supplementing the narrative of Acts while rehabilitating the Pauline apostolate and teaching." Vgl. Wasserberg, Mitte 71: „Die Daten, die zur Erhebung der lk Erzählintention herangezogen werden, sind allein dem vorliegenden Text zu entnehmen, und in Sonderheit ist darauf zu achten, wie sich der literarische Schluß zu den übrigen Erzählteilen verhält."

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carefully in his two volumes. How a person died, it was held in both cultural complexes, would tell something significant about the quality of that person's life."54 Da der Tod des Paulus - vermutlich durch Enthauptung55 - unrühmlich gewesen sei und auch nicht wie bei Jesus durch die Auferstehung vollendet wurde, habe Lukas ihn ausgelassen, zumal er die römischen Behörden in ein schlechtes Licht gestellt hätte. Statt dessen habe er die Unschuld des Paulus - nach antiken literarischen Vorbildern - vorab durch dessen Errettung aus dem Schiffbruch erwiesen.56 Doch diese These kann vielleicht die Ausführlichkeit des Seefahrtberichts erklären, nicht aber den abrupten Abbruch der Erzählung im Anschluß an die Predigt vor den römischen Juden, die zur Entlastung des Paulus nichts mehr beiträgt. Im übrigen kann Trompf die Tatsache, daß Lukas z.B. das Martyrium des Stephanus nicht ebenfalls übergangen hat, nur ungenügend erklären.57 Angesichts dieser Aporie wurde in neuerer Zeit wiederholt darauf hingewiesen, daß es grundsätzlich zu bedenken gilt, daß das, was wir heute als unvollständiges oder plötzliches Ende ansehen, nicht im gleichen Maße von den antiken Lesern und Leserinnen so empfunden worden sein muß.58 Während literaturwissenschaftliche Untersuchungen bislang verstärkt die Anfänge einzelner Werke in den Blick genommen haben, wird erst seit kurzem auch die planvolle Gestaltung von Schlußsequenzen diskutiert. In der Acta-Forschung zeigt sich das daran, daß zu den Vorworten von Evangelium und Apostel-

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G. W. Trompf, On Why Luke Declined to Recount the Death of Paul: Acts 27-28 and Beyond, in: Ch. H. Talbert (ed.), Luke Acts: New Perspectives from the Society of Biblical Literature Seminar, New York 1984, 225-239, 228f. Eine ausführliche Diskussion der Wahrnehmung von Tod und Sterben bei Lukas findet sich in dem Beitrag von G. Guttenberger in diesem Band. Vgl. Trompf, Luke 234: „considerations counted against yet another description of an ugly execution". So zuerst G. Β. Miles und G. W. Trompf, Luke and Antiphon. The Theology of Acts 2728 in the Light of Pagan Beliefs About Divine Retribution, Pollution and Shipwreck, HThR 69 (1976) 259-268; in einen weiteren Kontext gestellt bei Trompf, Luke 232f; vgl. auch R. Kratz, Rettungswunder. Motiv-, traditions- und formkritische Aufarbeitung einer biblischen Gattung, EHS.T 123, Frankflirt a.M. u.a. 1979, 341-350. Kritisch gegenüber dieser Deutung ist B. Witherington III, The Acts of the Apostles. A SocioRhetorical Commentary, Grand Rapids/Cambridge 1998, 810 Anm. 111. Radi, Paulus 222-251 versteht Act 27f sogar „sinnbildlich als Auferstehung und Tod" (249) des Paulus. Nach Trompf, Luke 231 stellen Jesus und Stephanus Ausnahmen dar, die zeigen ,,[t]hat the innocent could experience unmerited suffering and even murder". Aber in den Augen des Lukas ist schließlich auch Paulus unschuldig verurteilt. So z.B. Brosend, Means 348Í359: „the hubris of assuming that our notions of adequate endings are the only ones that matter".

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geschichte etliche Untersuchungen vorliegen,59 während sich die Erforschung des Acta-Endes unter rhetorischen Gesichtspunkten - vor allem im deutschsprachigen Raum - noch in den Anfängen befindet. Den Ausgangspunkt dieser Fragestellung bilden Untersuchungen zum Schluß des Markusevangeliums, das - nach modernem Empfinden - 6 0 ebenfalls abrupt endet; hier ist vor allem auf J. Lee Magness zu verweisen.61 William Frank Brosend II geht davon aus, daß der Schluß des Markusevangeliums Lukas als Vorbild für den Abschluß des gesamten Doppelwerkes, also nicht nur der Apostelgeschichte gedient hat: „Luke chooses to turn attention back to Jesus by refusing to recount Paul's execution. Paul's absent martyrdom ... will return the reader to the passion of Jesus. And ... so the absent ending of Acts sends the reader back to the beginning, that is, to the beginning of the Gospel of Luke."62 Dieser Schluß erscheint insofern unplausibel, als Lukas gerade in den VV. 17-31 auf die paulinische Mission und sein Schicksal als Gefangener rekurriert, auch wenn in Act 28,23.31 die Predigt vom Reich Gottes und von Jesus erwähnt wird. Loveday C. A. Alexander versteht Lk 1,1-4,30 und Act 27,128,31 als „narrative frame, providing a prologue and epilogue to the whole two-volume work"63. Dieser Paratext sollte den Lesern und Leserinnen die Übergänge in die Erzählwelt hinein und aus ihr heraus erleichtern:64 ,,[T]he epilogue to Acts functions as a bridge back into the mundane realities of the readers' world: no angels, no heavenly voice, just the ongoing task of teaching and proclamation"65. Alexander geht leider nicht darauf ein, weshalb die

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Vgl. in neuerer Zeit bes. L. C. A. Alexander, The Preface to Luke's Gospel. Literary Convention and Social Context in Luke 1.1-4 and Acts 1.1, MSSNTS 78, Cambridge 1993; dies., Luke's Preface in the Context of Greek Preface-Writing, NT 28 (1986) 4874; dies., The Preface to Acts and the Historians, in: Witherington, History 73-103. Vgl. o. Anm. 58. Es ist allerdings zu beachten, daß das Markusevangelium vor allem deshalb als unvollständig erscheint, weil wir die Erscheinungsberichte der Seitenreferenten kennen, aus denen auch die verschiedenen sekundären Markus-Schlüsse "aufgefüllt" wurden. Anders verhält es sich beim Abschluß der Apostelgeschichte, zu dem es keine neutestamentlichen Parallelen gibt. Hier wirft das Ende von sich aus die diskutierten Fragen auf. Vgl. J. L. Magness, Sense and Absence. Structure and Suspension in the Ending of Mark's Gospel, SBL Semeia Studies [15], Atlanta 1986. Brosend, Means 361. Er weist zu Recht daraufhin, daß die hier diskutierte Frage nicht ohne Berücksichtigung der Gattung der Apostelgeschichte behandelt werden kann (vgl. 353-357). L. C. A. Alexander, Reading Luke-Acts from Back to Front, in: Verheyden, Unity 419446, 439. Vgl. Alexander, Reading 421. Alexander, Reading 445; vgl. auch J. Β. Tyson, Images of Judaism in Luke-Acts, Columbia 1992,188; Rese, Jews 199.

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realistische Nachricht vom Tod des Paulus in einer Zeit, in der die Kirche die ersten Konflikte mit den Behörden ausstehen mußte, für diese Funktion hinderlich gewesen sein sollte.66 Daniel Marguerat beschränkt seine Untersuchung auf die Apostelgeschichte und geht davon aus, daß Lukas seinen Abschluß im Dienste einer „suspension narrative" oder „rhétorique du silence"67, die zur literarischen Konvention seiner Zeit gehörte, offen gestaltete, damit seine Leser und Leserinnen selbst aktiv werden mußten, indem sie das weitere Schicksal des Paulus rekonstruierten. Marguerat verdeutlicht seine These in Weiterführung der Untersuchung von Mag' ness68 am Werk von Homer, der wiederum großen Einfluß auf die nachfolgende Literatur hatte,69 und am Beispiel hellenistischer Historiographie70. Idealerweise werde hier am Ende nochmals das Leitmotiv oder -thema aufgegriffen - so in der Apostelgeschichte die Israelthematik - , während der eigentliche Ausgang der Ereignisse nicht erzählt werde. Das habe den Effekt, 71 daß die Leser und Leserinnen nicht einen vorgegebenen Abschluß der Erzählwelt übernehmen könnten. Vielmehr müßten sie ihn - in Übereinstimmung mit dem bisherigen Handlungsverlauf - selbst schaffen. Offene Erzählungen schließen nach Marguerat häufig mit einer Szene oder einer Rede, die wie eine Metapher das unausgesprochene Ende andeutet.72 Die Hinweise, die Lukas seinen Lesern und Leserinnen im Hinblick auf das weitere Schicksal des Paulus gegeben hat, sind bis Kap. 26 eindeutig: Vor allem die Todesahnungen (20,25.38; 21,11) lassen einen negativen Prozeßausgang vermuten. Diese Erwartungshaltung verschiebe sich jedoch bei der Lektüre der beiden Abschlußkapitel der Apostelgeschichte.73 Insbesonde66

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Diese Frage bleibt auch in ihrer früheren Studie, Acts and Ancient Intellectual Biography, in: Β. W. Winter and A. D. Clarke (ed.), The Book of Acts in its Ancient Literary Setting, The Book of Acts in its First Century Setting 1, Grand Rapids/Carlisle 1993, 31-63, in der Alexander u.a. hinter der Todesbereitschaft des Paulus ein „Socratic Paradigm" (62f) erkennt, unberücksichtigt, obwohl gerade die Umstände von dessen Tod gut bezeugt sind. Dies kritisiert zu Recht Brosend, Means 355. Vgl. D. Marguerat, „Et quand nous sommes entrés dans Rome". L'énigme de la fin du Livre des Actes (28,16-31), RHPhR 73 (1993) 1-21, 1; außerdem die gekürzte englische Fassung dieses Beitrags: The End of Acts (28.16-31) and the Rhetoric of Silence, in: St. E. Porter and Th. H. Olbricht (ed.), Rhetoric in the New Testament, JSNTS 90, Sheffield 1993, 74-89. Vgl. Magness, Sense 25-47 sowie Marguerat, L'énigme 6-11; ders., End 75-82. Vgl. Horn, II 22,405-515; Od 23,248-296; Verg, Aen 12,952. Vgl. Hdt 9,121f. Entgegen seiner eigenen Behauptung (vgl. L'énigme 8.10; End 78.81) bringt Marguerat keine Beispiele aus der Poesie oder der Romanliteratur bei. Er verweist jedoch auf die theoretischen Erwägungen von Ps-Long, sublim 9,2; Quint, inst 2,13,12f sowie die Kritik von Dion Hal an Thucydides, Pomp 3,771. Vgl. zum folgenden Marguerat, L'énigme 10; ders., End 81. Weshalb Marguerat diese im Falle der Apostelgeschichte in 28,30f sieht, bleibt m.E. undeutlich (vgl. L'énigme 18f; ders., End 87f). Vgl. Marguerat, L'énigme 11-15; ders., End 82-86.

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re für die heidnischen Leser und Leserinnen diene die Errettung des Apostels aus verschiedensten Gefahren während seiner Seereise nach Rom als göttlicher Unschuldserweis.74 Diese Erzählsequenz bereite zugleich auf den Rollenwechsel vor, der sich vollständig während des Romaufenthalts vollziehe: Der Angeklagte Paulus wird zum Richter über Israel. Die VV.30f hätten darüber hinaus eine paradigmatische Funktion.75 Sie kennzeichneten Paulus als den idealen Prediger, der ein Vorbild für die lukanische Gemeinde darstellt, so daß durch diese das Programm von Act 1,8 erfüllt werden kann: „La composition de ce portrait du pasteur idéal pointe en direction des hommes et des femmes qui, avec Luc ou près de lui, perpétuaient par leur engagement missionnaire le mémoire de l'apôtre des Gentils. Ils étaient ainsi associés au témoignage du Ressuscité 'jusqu'à l'extrémité de la terre' (1,8) - un programme toujours ouvert, dont le sommaire conclusif offre comme l'anticipation, et qui attend de se recomposer dans la vie du lecteur au moment où celui-ci achève la lecture du livre."76

Auch wenn die Überlegungen Marguerats in sich stimmig sind, ist die Textbasis, auf der er seine Theorie einer „convention littéraire" aufbaut, zu schmal.77 Sie müßte insbesondere für die zeitgenössische Literatur untermauert werden. Auch wäre die alttestamentliche Analogie des offenen Schlusses des 2. Königsbuches, die Marguerat nur am Rande erwähnt,78 genauer zu untersuchen.79 Die Erzählungen 2 Kön 25,27-30 und Act 28,16-31 stimmen nicht nur äußerlich darin überein, daß sie überraschend und offen enden; vielmehr leben beide Hauptfiguren, Joj achin und Paulus, als Gefangene unter Hausarrest, fern von ihrer Heimat, genießen aber gewisse Vorzüge; beide stehen in Verbindung zum fremden Königs- bzw. Kaiserhaus; Paulus verkündigt Jesus, den Davidsohn, während Joj achin selbst ein Repräsentant des davidischen Königtums ist.80 Daß die Interpretation Marguerats grundsätzlich der Wahrnehmung antiker Leser und Leserinnen nahekommt, zeigt die Kommentierung der Stelle in der Acta-Homilie des Johannes Chrysostomos: Der Verfasser führt seine Erzählung bis zu diesem Punkt fort und läßt den Hörer durstig, so daß er sich das übrige selbst erschließt. So machen es auch die Außenstehenden [d.h. die Nichtchristen], denn alles zu wissen, macht träge und kraftlos. Er [d.h. Lukas; H.O.] geht so vor und erzählt nicht, was folgt, da er es für die Leser der

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Hier greift Marguerat die oben dargestellten Beobachtungen von Miles und Trompf auf (vgl. o. S. 140 mit Anm. 56). Alexander, Reading 445 versteht Act 27 als Gegenpol zur biblischen Jonaerzählung. Vgl. Marguerat, L'énigme 18-20; ders., End 87-89. Marguerat, L'énigme 21. Er beruft sich hauptsächlich auf Homer und Herodot; vgl. o. Anm. 69f. Vgl. Marguerat, L'énigme 10 Anm. 26; ders., End 81 Anm. 12. Vgl. Ph. Davies, The Ending of Acts, ET 94 (1982/83) 334f; Trompf, Luke 227. Vgl. Davies, Ending.

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Schriften für überflüssig hält; von ihnen lernen sie, die Erzählung zu ergänzen. Denn ganz wie zuvor, verhält es sich auch mit dem Nachfolgenden.81

Bereits die abweichende (ältere) Erklärung des Canon Muratori82 zeigt allerdings, daß das Ende der Apostelgeschichte für verschiedene Deutungen offen ist. Viele der diskutierten theologischen und literarischen Ansätze greifen zwar wichtige Aspekte der Anlage des Doppelwerkes auf. Sie können jedoch das Ungleichgewicht zwischen dem langen Prozeßbericht und den knappen juristischen Angaben in der Romerzählung nicht hinreichend erklären.

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Textbeobachtungen unter rechtshistorischer Perspektive

Auch wenn seit der Abreise aus Caesarea das Interesse des Lukas an forensischen Fragen ganz in den Hintergrund gerückt zu sein scheint, ist es fur das Verständnis der Schlußperikope wichtig zu beachten, daß die Appellation an den Kaiser überhaupt erst die Romreise des Paulus ermöglicht hat. Daher soll im folgenden der Schlußabschnitt der Apostelgeschichte auf juristische Aspekte hin untersucht werden. Schlüsselverse für die Beurteilung der rechtlichen Situation des Paulus in Rom sind VV.16.23.30f. Also interessiert der zweimalige Empfang einer jüdischen Delegation und die damit verbundene Israelthematik in diesem Zusammenhang nur am Rande; es zeigt sich vielmehr, daß die entsprechenden Verse diese Besuche rahmen. Zunächst fällt auf, daß Lukas an drei Stellen innerhalb der relativ kurzen Passage Act 28,16-31 auf die Unterbringung des Paulus hingewiesen hat, und zwar in VV. 16.23.30. In V.16 wird berichtet, daß es Paulus erlaubt wird, μένειν καθ' έαυτόν συν τω φυλάσσοντι αύτόν στρατιώτη. Hiermit ist wohl verkürzt auf eine - im römischen Rechtswesen seit dem Prinzipat praktizierte - custodia militaris als erleichterte Form gegenüber der sonst zur Untersuchungshaft angeordneten custodia publica im carcer hingewiesen.83 Bei der militärischen Haft stand der Angeklagte unter Hausarrest und wurde durch einen oder mehrere (meist zwei) Soldaten bewacht, die dafür verant81 82 83

Horn in Act 55, ed. J.-P. Migne, PG 60, Paris 1862, 382ß. Vgl. o. S. 129. Vgl. S. Arbandt und W. Macheiner, Art. Gefangenschaft, RAC IX (1976) 318-345, 327; H. F. Hitzig, Art. Custodia 2, PRE IV 2 (1901) 1897-1899; Tajra, Trial 180. Einige "westliche" Textzeugen heben die leichte Haft des Paulus noch deutlicher hervor, indem sie hinter καθ' έαυτόν noch εξω της παρεμβολής einfügen, so die Minuskeln 614, 2147 sowie wenige weitere des Mehrheitstextes, die Itala und - mit Asterisk - die Harklensis.

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wortlich waren, daß er jederzeit vor Gericht geführt werden konnte. Vermutlich verdankt Paulus diese privilegierte Haftform seinem römischen Bürgerrecht.84 In V.23, also im Anschluß an das erste Gespräch des Paulus mit den römischen Juden, heißt es, viele kämen zu ihm εις την ξενίαν. Das Wort ξενία steht im klassischen Griechisch hauptsächlich für Gastfreundschaft, seit hellenistischer Zeit nimmt es jedoch auch verschiedene konkrete Bedeutungen an, u.a. Herberge oder Unterkunft.85 So dürfte es sowohl hier als auch bei dem einzigen weiteren neutestamentlichen Vorkommen, Phlm 22, zu verstehen sein. Für eine lokale Deutung in V.23 spricht auch der Kontext, wie Hermann J. Hauser gezeigt hat: „Es ist fraglich, ob έλθεΐν, gefolgt von einer personalpronominalen Ortsbezeichnung, προς αύτόν, mit einem Abstraktum, ξενία, verbunden werden kann. Natürlicher ist doch in der mit Artikel (aber ohne Possessivpronomen) versehenen ξενία eine Verstärkung des lokalen Sinns in προς αύτόν zu sehen: der Ort, wo sich Paulus aufhält, wird hier näher bezeichnet, nachdem in V. 16b eine substantivische Ortsbezeichnung unterlassen worden ist."86

Hinzu kommt, daß der Predigtraum meistens von Lukas erwähnt wird, während die Gastfreundschaft des Paulus sonst kein Thema bei ihm ist (vielmehr aber dessen eigene freundliche Aufnahme in den Häusern anderer Christen), so daß insgesamt eine konkrete Deutung der ξενία die lukanische Intention am besten zu treffen scheint. Was Lukas bereits durch die Erwähnung der custodia militaris angedeutet hat, wird hier noch verstärkt: Paulus erscheint nicht wie ein Gefangener, sondern wie ein freier Mann. Deshalb ist Lukas auch nicht an einer näheren Beschreibung der Unterkunft interessiert.

84 Insbesondere bei vornehmen Häftlingen wurde als noch mildere Maßnahme die custodia libera verhängt, bei der der Gefangene im Privathaus eines Magistrats untergebracht wurde, der für ihn bürgte; vgl. zu den verschiedenen Hañarten Arbandt/Macheiner, Art. Gefangenschaft 326; Tajra, Trial 180. Β. Rapske, The Book of Acts and Paul in Roman Custody, The Book of Acts in its First Century Setting 3, Grand Rapids/Carlisle 1994, 182f bringt die leichte Haft nicht mit dem Bürgerrecht, sondern mit dem Anklagegrund in Verbindung, denn „Paul was not deemed as .important' in the status context of the capital of the Empire as he was Judea ... the only other rationale for such a light custody must be found in the weakness of the case against Paul as indicated in the documentation sent with him to Rome". 85 Vgl. G. Stählin, Art. ξένος κτλ., ThWNT V (1954) 1-36, 18 Anm. 137; Bauer, Wörterbuch 1109; H. J. Cadbury, Lexical Notes on Luke-Acts III. Luke's Interest in Lodging, JBL 19 (1926) 305-322, 320f. 86 H. J. Hauser, Strukturen der Abschlußerzählung der Apostelgeschichte (Apg 28,16-31), AnBib 86, Roma 1979, 134f.

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Auch für έν ίδίφ μισθώματι in V.30 ist eine lokale Deutung im Sinne von Mietwohnung wahrscheinlich, wenngleich eine solche außerhalb der Apostelgeschichte nicht belegt ist. David L. Mealand hat überzeugend nachgewiesen, daß der Begriff jedenfalls nicht mit „er lebte von eigenen Einkünften" oder „er lebte auf eigene Kosten" zu übersetzen ist,87 wie etwa Ernst Hansack es vorgeschlagen hat88 bzw. die Revised English Bible liest („at his own expense")89, sondern auf ein Mietverhältnis hindeutet.90 Zwar ist die Bedeutung Mietwohnung fur μίσθωμα ohne Parallele, doch findet sich in Inschriften häufig die Verwendung im Sinne von Miet- oder Pachtzins,91 die in der Literatur ebenfalls fehlt. Daß Paulus seine Miete aus eigenen Einkünften bestritten hat, ist zwar wahrscheinlich,92 jedoch nicht aus dem Text zu erheben und keine eigenständige Intention des Lukas. Auf ein räumliches Verständnis von μίσθωμα deutet schließlich auch der Kontext: Bei Formen des Stammes μένω verwendet Lukas oft eine Zeit-, Orts- oder Personenangabe. „Ergänzungen, die dem hypothetischen 'auf eigene Kosten' nahe kämen, fehlen völlig."93 Somit verdeutlicht der Vers - nach VV.16 und 23 zum dritten Mal - , daß Paulus nicht in einem öffentlichen Gefängnis untergebracht war, sondern für sich allein, in einer angemieteten Wohnung lebte, in der er ungehindert predigen konnte (vgl. V.31 : μετά πάσης παρρησίας άκωλύτως). Daß der ihn ständig bewachende Soldat in VV.23 und 30 nicht mehr erwähnt wird, ist ausschließlich darauf zurückzufuhren, daß Lukas ein Bild von Paulus als frei-

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Vgl. D. L. Mealand, The Close of Acts and its Hellenistic Greek Vocabulary, NTS 36 (1990) 583-597, 583-586. Vgl. E. Hansack, „Er lebte ... von seinem eigenen Einkommen" (Apg 28,30), BZ 19 (1975) 249-253; ders., Nochmals zu Apostelgeschichte 28,30. Erwiderung auf F. Saums kritische Anmerkungen, BZ 21 (1977) 118-121 sowie die Einwände von F. Saum, „Er lebte ... von seinem eigenen Einkommen" (Apg 28,30), BZ 20 (1976) 226-229. Ebenso F. F. Bruce, The Acts of the Apostles. The Greek Text with Introduction and Commentary, Grand Rapids 31990, 542 (alternativ: „on his own earnings"); Tajra, Trial 191; Hemer, Book 158. Ebenso Rapske, Paul 178f, der S. 236-239 außerdem über die genaue Art der Unterkunft spekuliert. Vgl. Mealand, Close 584-586. Saum, Einkommen 227 erklärt die Wortwahl damit, daß die üblichen griechischen Bezeichnungen für eine Wohnung aus Zeiten stammen, „in denen man eben beinahe ausschließlich Eigenheime im Familienverband bewohnte; eine Mietwohnung in der Weltstadt Rom wäre damit irreführend bezeichnet worden". In einer custodia militaris war es in bestimmten Fällen möglich, seinem Beruf nachzugehen; vgl. Arbandt/Macheiner, Gefangenschaft 327. Rapske, Paul 325f schließt dies jedoch für den Fall des Paulus aus. Hauser, Abschlußerzählung 156. Dort auch Belege für die lukanische Verwendung von μένω.

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em Mann schaffen wollte. Es ist hier nicht etwa als weitere Erleichterung der Haftform von römischer Seite zu werten. Die zweijährige Haft in Rom ist ein abgeschlossener Zeitraum, auf den Lukas bereits zurückgeblickt hat, was auch von denjenigen Vertretern zugestanden wird, die die Abfassung der Apostelgeschichte noch zu Lebzeiten des Paulus ansetzen.94 Darauf weisen sowohl der Aorist ένέμεινεν 95 als auch die Formulierung διετίαν δλην hin. Im Doppelwerk ist ολος meistens vor- (Lk 12mal; Act 16mal) und nur selten nachgestellt (Lk 9,25; 11,36; Act 11,26; 21,30; 28,30), um das Substantiv besonders hervorzuheben.96 Der Ausdruck διετία ist zwar innerhalb des Neuen Testaments nur in der Apostelgeschichte belegt, in der griechisch-römischen sowie jüdischen Umwelt jedoch geläufig.97 Es besteht allerdings keine Parallele zu der Verwendung in 24,27, wo mit διετία vermutlich die Amtszeit des Felix und nicht die Haftdauer des Paulus bezeichnet wird.98 Wie in Korinth (18,11) und Ephesus (19,10; 20,31) verbrachte Paulus - wenn auch durch äußere Umstände gezwungen - somit eine recht lange Zeit in Rom; es ist wohl auch hier (vgl. 18,11; 19,10) mit dem Beginn der zwei Jahre an einen Einschnitt in der Predigttätigkeit zu denken: Fortan empfing Paulus alle, die zu ihm kamen; er wandte sich nicht

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Vgl. z.B. von Hamack, Untersuchungen 66. Vgl. BDR § 332,1; Ch. Κ. Barrett, A Critical and Exegetical Commentary on The Acts of the Apostles, Vol. II: Introduction and Commentary on Acts XV-XXVIII, ICC, Edinburgh 1998, 1251. Vgl. Hauser, Abschlußerzählung 151. Die Fülle wird ähnlich ausgedrückt in Act 11,26: ένιαυτόν δλον συναχθήναι έν τη έκκλησίςι καί διδάξαι δχλον ίκανόν. Vgl. auch Hansack, Apostelgeschichte 28,30, 119: „διετία ist der 'Zeitraum von zwei Jahren' und nicht einfach ,zwei Jahre lang', letzteres würde mit δύο ετη ausgedrückt, διετία bezeichnet einen abgeschlossenen Zeiträum, nicht den Verlauf der Zeit." Allerdings ist seine Übersetzung „die ganzen zwei Jahre" (ebd.; Hervorhebung H.O.) falsch, wie Hauser, Abschlußerzählung 151 zu Recht betont. Dies suggeriert, daß „es sich um eine dem Leser wohlbekannte Zeitspanne handle". Vgl. Bauer, Wörterbuch 392; H. G. Liddell and R. Scott, A Greek-English Lexicon, 9th ed., rev. and augmented throughout by H. S. Jones, with a rev. supplement, Oxford 1996, 426. Die Mehrheit der Forschung bezieht die διετία allerdings auch in 24,27 auf die Gefangenschaft des Paulus. Nach Haenchen, Apostelgeschichte 632 hat erst Lukas die Angabe seiner Quelle über die zweijährige Amtszeit des Felix auf die Haftdauer des Paulus in Caesarea bezogen. Ihm schließt sich V. Stolle, Der Zeuge als Angeklagter. Untersuchungen zum Paulusbild des Lukas, BWANT 2, Stuttgart u.a. 1975, 48 an. Barrett, Acts II, 1118 betont, daß grammatisch sowohl der Bezug auf die Amtszeit als auch auf die Haftdauer möglich ist. Auf Felix deutet die Angabe K. Lake, The Chronology of Acts, in: F. J. Foakes Jackson and K. Lake (ed.), The Acts of the Apostles, The Beginnings of Christianity 1, Vol. V: Additional Notes to the Commentary, Grand Rapids 1933 (= reprint 1979), 445-474,471 Anm. 1.

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mehr ausschließlich, aber doch wohl auch an die Juden." Nach diesen zwei Jahren trat eine Veränderung ein, deren Anlaß wir nicht kennen. In keinem Fall handelt es sich bei dem Zeitraum allerdings um eine prozeßrechtliche Frist, wie besonders in der älteren Forschung angenommen wurde.100 Man vermutete, daß das Verfahren gegen Paulus nach zwei Jahren wegen Nichterscheinens der Klager eingestellt werden mußte. Dazu verwies man zum einen auf die Praxis der Kaiser Claudius und Nero, gegen ausbleibende Parteien vorzugehen,101 zum anderen auf ein kaiserliches Edikt, das man in die Zeit Neros datierte und in dem. das späteste Erscheinen der Parteien in Strafrechtsangelegenheiten, die auf dem Weg der Berufung (provocatici oder remissio) vor das Kaisergericht kamen, innerhalb Italiens auf neun Monate, transalpin oder von Übersee auf achtzehn Monate festgelegt wurde.102 In der Forschung wurde angenommen, daß vor Inkrafttreten dieses Edikts die Frist für Ankläger aus Übersee zwei Jahre betragen haben könnte und der Paulusprozeß noch unter diese Regelung gefallen sei.103 Da es für eine solche frühere Regelung keine amtlichen Belege gibt, erkannte man in dem von Philo berichteten Fall des Lampón,104 dessen Prozeß in Alexandrien sich επί διετίαν hinzog, eine Parallele zur zweijährigen Haft des Paulus. Der Vergleich ist jedoch unzulässig, da hier der Präfekt das Verfahren in die Länge zog und es unklar bleibt, ob zwei Jahre die längstmögliche Frist darstellten. Unter Trajan gewährte der Senat nach der Aufhebung der Urteile des abgesetzten Statthalters Bassus allen Verurteilten ein neues Verfahren, wenn es

99 Vgl. o. S. 134. 100 So zuerst O. Eger, Rechtsgeschichtliches zum Neuen Testament, Basel 1919, 20-23; im Anschluß daran Cadbury, Law 330-336; jetzt wieder bekräftigt durch Tajra, Trial 193196; dagegen bereits Th. Mommsen, Römisches Strafrecht, Graz 1955 (Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1899), 472; W. M. Ramsay, Suggestions on the History and Letters of Paul II. The Imprisonment and Supposed Trial of St. Paul in Rome: Acts XXVIII, Exp. 8/5 (1913) 264-284, 279-281; A. N. Sherwin-White, Roman Society and Roman Law in the New Testament, Oxford 1963, 115-119 sowie Rapske, Paul 322f, der die zweijährige Verzögerung des Prozesses auf die Überlastung der römischen Gerichte zurückführt. 101 Vgl. Suet, Claud 15,2; Dio Cass 60,28,6. Die Verfahrensänderung unter Claudius ist in das SC Turpilianum eingegangen, das im Jahr 61 n.Chr. durch Nero in Kraft gesetzt wurde (vgl. für die Mitschrift einer Rede des Claudius BGU 611). Darin wird eine zeitliche Begrenzung für die Verfolgung von Strafsachen sowie eine Strafe für nichterscheinende Kläger verfügt (destitutio); vgl. dazu Sherwin-White, Society 112f; Tajra, Trial 193 f. 102 Vgl. BGU 628; Text und Übersetzung bei Conzelmann, Apostelgeschichte 167 als Anhang 11. 103 So Cadbury, Law 335 Anm. 1. 104 Vgl. Philo, Flacc 128f.

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binnen zwei Jahren beantragt wurde. Allerdings handelte es sich hierbei einerseits um eine einmalige Sonderregelung, andererseits nicht um Berufungen.105 Grundsätzlich zielten die prozeßrechtlichen Maßnahmen des Claudius und Nero darauf, Kläger zur Durchführung ihrer Klage zu verpflichten, nicht die Angeklagten zu schützen; es sollte lediglich das Delikt der calumnia, der ungerechtfertigten Klage eingedämmt werden.106 Das angeführte Edikt stammt außerdem wahrscheinlich nicht aus dem 1. Jahrhundert, sondern erst aus dem 3. Jahrhundert n.Chr. und spiegelt damit ein späteres Rechtsverständnis wider.107 Davon abgesehen beträgt die dort festgelegte Frist maximal achtzehn Monate, so daß alle Versuche, auf diese Weise die 24monatige Haft des Paulus zu begründen, auf Sekundärhypothesen zurückgreifen müssen. Der Bericht von den durch Josephus ausgelösten jüdischen Priestern vit 13-16 zeigt sogar im Gegenteil, daß eine Gefangenschaft zur Zeit des Paulus viel länger dauern konnte.108 Bernard Orchard identifiziert diese anonym bleibenden Männer mit Paulus und seinen Begleitern, so daß diese ihre Freilassung dem Josephus zu verdanken hätten, was freilich nicht haltbar ist.109 Auch das letzte Wort der Apostelgeschichte wird in juristischer Hinsicht gedeutet. Doch das neutestamentliche Hapaxlegomenon άκωλύτως ist nicht, wie James H. Moulton und George Milligan meinen, „legal to the last"110, sondern charakterisiert die „Freiheit des Handelns in der im Kontext bezeich105 Vgl. Plin, epist X 56f. 106 Hemer, Book 392 erscheint der Fall des Paulus „on Luke's presentation of it, like a textbook example of calumnior". Er geht daher auch von einer Freilassung des Paulus aus. 107 Vgl. Ramsay, Suggestions 279; Sherwin-White, Society 115f. 108 Die exakte Haftdauer hängt von der Datierung des Amtsendes des Prokurators Felix, der filr die Verhaftung der Priester verantwortlich war, sowie von dem Beginn der Romieise des Josephus ab. Felix war längstens bis 60 n.Chr. im Amt, Josephus trat seine Reise frühestens im Jahr 63 n.Chr. an, so daß es sich mindestens um eine dreijährige Haft gehandelt hat. Rapske, Paul 323 geht sogar von einer vier- bis fünfjährigen Haft aus; vgl. auch H. Lichtenberger, Josephus und Paulus in Rom. Juden und Christen in Rom zur Zeit Neros, in: D.-A. Koch und H. Lichtenberger (Hg.), unter Mitarbeit von K. und Th. Lehnardt, Begegnungen zwischen Christentum und Judentum in Antike und Mittelalter. FS Heinz Schreckenberg, SIJD 1, Göttingen 1993, 245-261, 252f. Für weitere Beispiele einer mehrjährigen Gefangenschaft vgl. Rapske, Paul 316-320. 109 Vgl. B. Orchard, Josephus and the Unnamed Priests of his Roman Mission, DR 113 (1995) 248-270. „Luke, even though he must have known about Josephus's help and the role of Poppaea, would have had to maintain strict silence in order to safeguard their respective interests, perhaps expecting Josephus himself to put the record straight one day" (265). Die UnWahrscheinlichkeiten dieser Hypothese liegen auf der Hand und müssen hier nicht weiter diskutiert werden. 110 J. H. Moulton and G. Milligan, The Vocabulary of the Greek Testament Illustrated from the Papyri and Other Non-Literary Sources, London 1930, 20.

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neten Hinsicht"111. Daher ist es weder auf die besondere Behandlung des Gefangenen Paulus zu beziehen112 noch auf den Anspruch der Christen auf ungehinderte Religionsausübung von Seiten Roms113. Mealand hat gezeigt, daß der Terminus zivilrechtlich in Verbindung mit Mietverträgen gebraucht wurde, wenn einem Mieter ungehinderter Zugang zu der gemieteten Sache zustand.114 Da er außerdem διετία fur einen üblichen Zeitraum für ein Mietoder Pachtverhältnis hält, weil die entsprechenden Verträge jeweils jahresweise abgeschlossen wurden, und μίσθωμα zu dem gleichen semantischen Bereich gehört, nimmt er an, daß Lukas mit diesen drei Angaben eine historische Erinnerung an die Unterbringung des Paulus in Rom bewahrt hat. Er habe sie allerdings seinen literarischen und theologischen Zielen dienstbar gemacht, so daß sie heute z.T. in einem anderen Kontext erschienen.115 Daß es sich auch um eine zufällige Koinzidenz handeln könnte, erwähnt Mealand nur am Rande: „The conjunction of these three words is probably no accident. One of them requires reference to rental, another is very commonly used in that context, and the third (διετία) is also regularly so used."116 Wenn diese Deutung zuträfe, wäre überraschend, daß Lukas zwar über die Wohnverhältnisse des Paulus, nicht aber über dessen eigentliches Wirken informiert war. Am wahrscheinlichsten scheint es daher, daß άκωλύτως hier auf die freie Ausbreitung der christlichen Botschaft in Rom zu beziehen ist, an der Paulus trotz seiner Gefangenschaft nicht gehindert wurde.117 Die Untersuchung der (vermeintlich) juristischen Angaben in Act 28,1631 kommt somit zu dem nüchternen Ergebnis, daß die Andeutungen auf die Haft des Paulus weitestgehend allgemeiner Art sind. Weder der Zeitraum von zwei Jahren noch der Begriff άκωλύτως umschreiben einen juristischen Sachverhalt. Allenfalls der wiederholte Hinweis auf die milde Verwahrung des Paulus unter Hausarrest könnte auf eine Kenntnis des Lukas über die näheren Haftumstände deuten. Indem er den Paulus bewachenden Soldaten nur eingangs erwähnt hat, hat er den Eindruck der Inhaftierung noch weiter abgeschwächt. Freilich ist es auch denkbar, daß Lukas die custodia militaris entsprechend den Haftbedingungen, unter denen Paulus in Caesarea verwahrt 111 G. Delling, Das letzte Wort der Apostelgeschichte, NT 15 (1973) 193-204, 198. 112 So z.B. Bruce, Acts 543; Tajra, Trial 193. Hauser, Abschlußerzählung 146 weist zu Recht darauf hin, daß im Kontext jeglicher Hinweis auf den Gefangenenstatus des Paulus fehlt. 113 So z.B. Delling, Wort 204. Diese Lösung hat die bereits oben diskutierten Anfragen an eine apologetische Tendenz des Lukas gegen sich; vgl. o. S. 135. 114 Vgl. Mealand, Close 589f. 115 Vgl. Mealand, Close 590f. 116 Mealand, Close 590. 117 Vgl. Hauser, Abschlußerzählung 147.

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wurde, für Rom vorausgesetzt hat und er nicht einmal darüber Angaben besaß. Gegen diese Annahme spricht allerdings das ungebräuchliche Vokabular, das er zur Beschreibung der Haftsituation des Paulus verwendet (ξενία, μίσθωμα).

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Schlußfolgerungen

Viele der oben aufgeführten Erklärungen treffen sicher Richtiges in der Deutung des Acta-Schlusses, der von Lukas ebenso bewußt theologisch wie literarisch gestaltet worden ist. Die theologisch-programmatischen Modelle berücksichtigen die Gesamtanlage der Apostelgeschichte, die rhetorischen Ansätze sind vor allem für die Deutung der Kap. 27f hilfreich. Doch beide erklären m.E. nicht die Diskrepanz zwischen dem ausführlichen Prozeßbericht in Kap. 21-26, der neben den zahlreichen, sicher lukanisch gebildeten Reden auch etliche juristische Details liefert und auf eine schriftliche Quelle118 zurückgehen dürfte, und der Schlußperikope, in der die Haftsituation

118 Die Haupteinwände gegen die Annahme eines zusammenhängenden Prozeß- oder Haftberichts als Kern von Act 21,27-26,32 sind - wie bei allen anderen Quellenhypothesen zu den Act auch - einerseits ein Mangel an sicheren literarkritischen Kriterien, da die Apostelgeschichte durchgehend von lukanischer Sprache und lukanischem Stil gekennzeichnet ist, andererseits das Fehlen formkritischer Analogien zu einer entsprechenden Aufzeichnung. Auch wenn eine saubere Scheidung von Tradition und Redaktion kaum möglich sein dürfte, weisen die Kap. 21-26 im Vergleich zum Vorangehenden einen so deutlich anderen Erzählduktus auf, daß allein aufgrund struktureller Beobachtungen die Annahme einer zusammenhängenden vorlukanischen Quelle naheliegt: Die Erzählung wird nicht nur ausführlicher als zuvor, sondern die einzelnen Szenen gehen nahtlos ineinander über, bauen aufeinander auf und sind durch wiederkehrende Stichwörter und Motive verknüpft (vgl. im Gegensatz dazu etwa die nachträgliche Einfügung der Paulusabschnitte in eine ältere Vorlage in Act 27). Gleichzeitig spiegelt sich in dem Bericht durchweg, häufig auch in Details, eine juristische Kenntnis (z.B. Schutzbereich des römischen Bürgerrechts, Appellation), die nicht auf den "Redaktor" Lukas zurückzuführen ist. Letzteres zeigt sich etwa daran, daß er den an sich korrekten Sachverhalt, daß es nicht erlaubt ist, römische Bürger άκατάκριτος, also unverurteilt, zu geißeln (lex Iulia de vi publica-, Paul, sent V 26, If), im Prozeßbericht vorgefunden (Act 22,25) und in Act 16,37 an einer verfahrenstechnisch sinnlosen Stelle - nach der Mißhandlung, als die Freilassung schon angeordnet war - aus redaktionellen Gründen nochmals angebracht hat. Im Blick auf die formkritische Anfrage ist auf die in ihrer Existenz wohl kaum zu bestreitende, in den Gemeinden umlaufende mündliche Pauluslegende zu verweisen (vgl. z.B. 1 Thess 2,2; Gal 1,23; Phil 1,12; Kol 4,7; Eph 6,21), die vornehmlich an biographischen Details interessiert war. Eine schriftliche Ausbildung derselben ist z.B. im Umfeld

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ganz in den Hintergrund rückt. Vom Romaufenthalt des Paulus berichtet Lukas lediglich einige wenige Eckdaten, etwa die Art der Unterbringung, die ständige Bewachung durch einen Soldaten oder die Haftdauer, während das Detailreichtum, aber auch die öffentlichen Auftritte der vorherigen Kapitel fehlen. Vor diesem Hintergrund scheint die planvolle rhetorische Anlage der Apostelgeschichte, die den Lesern und Leserinnen die nötigen Informationen zur Rekonstruktion der nachfolgenden Ereignisse an die Hand gibt (Marguerat), durch den Mangel des Lukas an weiteren Informationen über den Romaufenthalt begründet zu sein und nicht von dessen eigentlichen literarischen Intentionen herzurühren.119 Statt die letzten Verse erzählerisch blaß mit den wenigen Fakten, die ihm bekannt waren, ausklingen zu lassen (zwei Jahre Hausarrest, danach Verhandlung bzw. Tod), hat Lukas den Abschluß seines Werkes zu einem Höhepunkt gestaltet. Die Lesehinweise zur richtigen der Paulusschule anzunehmen. Für die vorlukanische Quelle ist hingegen kaum an offizielle Prozeßaufzeichnungen zu denken, wie neuerdings wieder für Act 23,26-26,23 von B. W. Winter, Official Proceedings and the Forensic Speeches in Acts 24-26, in: Winter/Clarke, Book of Acts 1, 305-336, 308033-335 (dort mit Hinweis auf ältere Vertreter) angenommen wird. Solche Dokumente hätten einerseits andere, offiziellere Nachrichten bewahrt als die Act erkennen lassen, andererseits ist es nicht wahrscheinlich, daß Lukas zu den Archiven in Rom oder Caesarea, in denen die Unterlagen verwahrt wurden, Zugang hatte. Auch wenn ein vollständiger und systematischer Nachweis eines durchlaufenden vorlukanischen Haftberichts noch aussteht (vgl. Jervell, Apostelgeschichte 63: „Nun sind diese Kapitel in der Forschung recht stiefmütterlich behandelt worden, und man hat sich auch wenig für eventuelle Quellen interessiert."), rechnen mindestens als Vorlage der Abschnitte 21,27-36; 22,24-29; 23,12-35; 24,l-23.26f; 25,112 - mit einem solchen: Stolle, Zeuge 260-267; Roloff, Apostelgeschichte 316; R. Pesch, Die Apostelgeschichte. 2. Teilband (Apg 13-28), EKK V/2, Zürich u.a. 1986, 224; G. Lüdemann, Das frühe Christentum nach den Traditionen der Apostelgeschichte. Ein Kommentar, Göttingen 1987, 28; J. Zmijewski, Die Apostelgeschichte, RNT, Regensburg 1994, 21.771 u.ö.; Jervell, Apostelgeschichte 63f.537 u.ö. (er nimmt zusätzlich noch an, daß Lukas „private Informationen, nämlich als Mitarbeiter des Paulus" [537], zugänglich waren); W. Eckey, Die Apostelgeschichte. Der Weg des Evangeliums von Jerusalem nach Rom, Teilband 1: 1,1-15,35; Teilband 2: 15,36-28,31, NeukirchenVluyn 2000, Bd. 1,18; Bd. 2, 492 u.ö. A. Weiser, Die Apostelgeschichte. Kapitel 1328, ÖTK 5/2, Gütersloh/Würzburg 1985, 390.601 weist die Existenz eines zusammenhängenden Prozeßberichts zurück und geht statt dessen von Einzelnachrichten aus, die erst in Folge massiver redaktioneller Bearbeitung durch Lukas zu dem vorliegenden Gesamtbericht zusammengestellt wurden; so implizit auch Haenchen, Apostelgeschichte 588-664; Conzelmann, Apostelgeschichte 132-150; G. Schneider, Die Apostelgeschichte. II. Teil: Kommentar zu Kap. 9,1-28,31 HThK V/2, Freiburg u.a. 1982, 311379. 119 Auch H. J. Cadbury, The Making of Luke-Acts, London 1958, 321 erwägt, daß die lukanische Quelle zu einem Ende gekommen ist. Diese Möglichkeit wird verworfen von Walaskay, Rome 76f Anm. 19 sowie Stolle, Zeuge 35f mit Anm. 11.

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Deutung des weiteren paulinischen Schicksals hat er bereits ab Kap. 20 in positiver wie negativer Weise gegeben, durch Todesahnungen, durch die Ankündigung des Auftretens vor dem Kaiser (25,11; 27,24), aber auch durch wiederholte Unschuldsbezeugungen und Errettungen aus Notlagen. Da ihm jedoch fur den Romaufenthalt selbst keine Informationen mehr vorlagen, verzichtete er auf eine selbständige Darstellung etwa einer Verhandlung vor dem Kaiser. Grundsätzlich bestätigt sich damit wieder, was auch sonst fur Lukas gilt: Er hat zwar vorhandene Nachrichten ausgebaut oder sie redaktionell umgestaltet, jedoch selten ganze Szenen erfunden.120 Eine gewisse Ausnahme stellt in dieser Hinsicht Act 27 dar, da die Erzählung wohl auf der Vorlage eines antiken Seefahrtberichts beruht,121 dem freilich die übliche Route von Palästina nach Italien zugrunde liegt, weshalb sich im Sinne des Lukas die Reise des Paulus durchaus so ereignet haben könnte. Die These eines Traditionsmangels fur den Romaufenthalt läßt sich ebenfalls anhand der bislang nicht berücksichtigten knappen Prozeßzusammenfassung gegenüber den römischen Juden in 28,17b-20 abstützen. Der Abschnitt ist eine lukanische Bildung122 und weist inhaltlich große Differenzen zu dem ausfuhrlichen Bericht in Act 21-26 auf.123 Nach 28,17b haben die Juden Paulus festgenommen und den Römern übergeben (δέσμιος έξ Ιεροσολύμων παρεδόθην εις τάς χείρας των 'Ρωμαίων), während nach 21,27-36 römische Soldaten Paulus durch eine Festnahme vor der Lynchjustiz der Juden errettet haben. Im ausfuhrlichen Prozeßbericht zeigt sich trotz aller Unschuldserklärungen (23,29; 24,22; 25,18.25; 26,31) an keiner Stelle der in 28,18 behauptete Wille der Römer, Paulus freizulassen.124 Auch der Anlaß für die Appellation an den Kaiser wird in 28,19 durch den Hinweis 120 Vgl. Conzelmann, Apostelgeschichte 121. 121 Mit M. Dibelius, Paulus in der Apostelgeschichte, in: ders., Aufsätze zur Apostelgeschichte, hg. von Heinrich Greeven, FRLANT 60, Göttingen, 5 1968, (175-)180 gehe ich also davon aus, daß Lukas in eine Vorlage nichtchristlicher Herkunft lediglich „ein paar Paulus-Episoden hineingestellt" hat; ebenso Conzelmann, Apostelgeschichte 156f; Ph. Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur. Einleitung in das Neue Testament, die Apokryphen und die Apostolischen Väter, Berlin/New York 1975, 392. Anders als diese halte ich die lukanische Quelle nicht notwendig für eine fiktive, an literarischer Konvention orientierte Vorgabe, vielmehr ist wohl an einen authentischen Augenzeugenbericht einer Seefahrt zu denken, der Lukas zugänglich war. Vgl. zur Exaktheit von Act 27 hinsichtlich der nautischen Aspekte den Beitrag von M. Reiser in diesem Band, der allerdings davon ausgeht, daß es sich um die Beschreibung der tatsächlichen Romreise des Paulus handelt. 122 Vgl. Radi, Paulus 252-254 für die sprachlichen Belege der lukanischen Redaktion. 123 Vgl. zum folgenden ausführlich Radi, Paulus 254-258. 124 In 26,32 deutet der jüdische König Agrippa die Möglichkeit der Freilassung - wenn Paulus nicht an den Kaiser appelliert hätte - an.

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auf den Widerspruch der Juden verzerrt wiedergegeben, da Paulus nach 25,9f aufgrund der von Festus vorgeschlagenen Verlagerung des Prozesses von Caesarea nach Jerusalem den Kaiser anruft.125 Damit werden in der Schlußperikope der Apostelgeschichte die „römischen Beamten am Schicksal des Paulus völlig unschuldig, die Juden dagegen alleinig und direkt schuldig"126 gesprochen. Hinzu kommt, daß abgesehen von dem Hinweis auf die Berufung des Paulus (V.19b) alle Angaben, die sich vom ausführlichen Prozeßbericht in Kap. 21-26 unterscheiden, eine Analogie zur Passion Jesu bilden.127 Das betrifft die Verhaftung durch die Juden (Lk 22,54), die anschließende Auslieferung an die Heiden (vgl. Lk 9,44; 18,32; 20,20; 24,7.20; auch 23,1), die Freilassungsabsicht der Römer (Lk 23,16.20.22) und den Widerspruch der Juden (Lk 23,18-25). Eine vergleichbar deutliche Anspielung auf die Passion Jesu hat Lukas bereits in der Agabusprophezeiung 21,11 (vgl. auch 20,22-25; 21,4) kurz vor der Verhaftung des Paulus gemacht. Somit bilden diese beiden Szenen eine Inklusion um den ausfuhrlichen Haft- und Prozeßbericht. Sie lassen nicht nur das gesamte Schicksal des Paulus im Lichte der Passion Jesu erscheinen, vielmehr hat Lukas an entscheidenden Punkten die "angemessene" Interpretation des Paulusprozesses sichergestellt,128 indem er im Vorfeld die Verantwortung der Juden für die Verhaftung und Auslieferung betont und damit den römischen Anteil herunterspielt; im Rückblick tritt noch die Versicherung hinzu, daß die Römer die Freilassung des Paulus wünschten, die lediglich durch den Widerstand der Juden scheiterte. Da Lukas in der ausführli125 Vgl. auch die Hoffiiung auf Bestechung in 24,26. 126 Radi, Paulus 258. 127 Das hat vor allem Radi, Paulus 258-265 nachgewiesen. Auf die Differenzen von Act 28,17-20 zu Kap. 21-26 (und die Angleichung an den Prozeß Jesu mindestens im Punkt der Auslieferung) weisen auch die meisten Kommentare hin, so z.B. Stählin, Apostelgeschichte 326; Haenchen, Apostelgeschichte 689f; Schneider, Apostelgeschichte 2, 414f mit Anm.; Pesch, Apostelgeschichte 2, 308; Zmijewski, Apostelgeschichte 883; Barrett, Acts II, 1238f. Nach Conzelmann, Apostelgeschichte 159 ist Act 28,17-19 sachgemäßer als die ausführliche Darstellung: „Denn hier kommt doch heraus, was oben verschwiegen wurde, die Rolle 'der Juden'". Ähnlich Witherington, Acts 798: „The speech thus far is seeking to give a rather different perspective or interpretation of the proceedings against Paul, placing ultimate blame for Paul's predicament on the Jerusalem Jewish authorities. Historically this is likely to be correct". Roloff, Apostelgeschichte 373 hält den Prozeßabriß für sehr „summarisch" und von Lukas „vereinfacht", wohingegen nach Weiser, Apostelgeschichte 2, 677 die „VV 17-22 ... den Prozeßbericht Kap. 21-26" rekapitulieren. An den „Akzentuierungen war Lukas schon vorher gelegen ... In der Romerzählung werden sie ein letztes mal (sie!) dem Gedächtnis der Leser eingeprägt." An anderer Stelle spricht er allerdings von einer „etwas abweichende[n] Darstellung" (681). Jervell, Apostelgeschichte 624 meint hingegen: „Lukas hat verschiedene Überlieferungen, aber die Sache bleibt dieselbe". 128 Vgl. auch Radi, Paulus 254f.

Das Schweigen des Lukas

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chen Prozeßdarstellung aufgrund seiner Quellenanbindung vielfach eine abweichende Darstellung der Ereignisse bietet, hat er die Prozeßzusammenfassung in 28,17b-19 als letzte Leserlenkung zum richtigen Verständnis des Paulusprozesses eingesetzt, die zeigen soll, daß Paulus dem Weg Jesu bis in das Leiden folgt. Der entscheidende Unterschied bleibt die Berufung an den Kaiser, die Lukas daher auch hier nicht verschweigen kann. Der Informationsabbruch nach der Abreise aus Caesarea bedarf freilich einer Erklärung. Er scheint nicht nur darin begründet zu sein, daß Lukas in geographischer Entfernung zur Hauptstadt des Reiches seine Apostelgeschichte verfaßt hat, da auffallig ist, daß wir - auch von ihrem offenen Schluß abgesehen - kaum konkrete und unabhängige Nachrichten über das Ende des Paulus besitzen.129 1 Clem 5,7 beruht vermutlich weitestgehend auf Rom 15,24.28 und scheint keine selbständige Paulustradition zu verwenden; die apokryphen Petrus- und Paulusakten sind größtenteils legendarisch, und die Angaben im Canon Muratori verdanken sich vermutlich einer Kombination anderer Quellen, u.a. der kanonischen Apostelgeschichte und der Paulusakten. Als gesichert kann mehr oder weniger nur gelten, daß Paulus in Rom unter Nero das Martyrium erlitten hat; vermutlich ist er durch das Schwert gestorben.130 Daß nichts über das römische Schicksal des Paulus bekannt ist, verwundert gerade dann, wenn er wirklich in offener Haft verwahrt wurde, was andererseits angesichts der mehrfachen Andeutungen und der unlukanischen Wortwahl glaubwürdig erscheint. Auch der Hinweis auf das schwierige Verhältnis des Paulus zur römischen Gemeinde liefert keine befriedigende Antwort fur einen völligen Traditionsabbruch, da immerhin ein Kontakt zu ehemaligen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen wie z.B. Priska und Aquila zu erwarten wäre. Allerdings ist auch zu bedenken, daß Paulus wegen eines politischen Delikts (seditio) in Haft war, weshalb seine Besucher schnell selbst in Verdacht geraten konnten.131 Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Lukas für den Romaufenthalt des Paulus nicht mehr als das in den VV.16.23.30f verarbeitete Material vorgele129 Vgl. auch G. Schille, Die Apostelgeschichte des Lukas, ThHK 5, Berlin 21984, 418: „Wie das Schweigen der deuteropaulinischen Literatur über das Ende des Apostels zeigt, dürfte die Offenheit über den Prozeßausgang [in den Act; H.O.] Gründe im Paulus-Bild haben. Man wußte nichts über die Einzelheiten des Endes." 130 Zu beiden Angaben existieren keine konkurrierenden Überlieferungen. Auch diejenigen, die wie Euseb, hist eccl II 22,lf; 25,5-8 annehmen, daß Paulus erst nach einer zweiten Gefangenschaft umgekommen ist, verlagern diese nach Rom. 131 Vgl. B. M. Rapske,,The Importance of Helpers to the Imprisoned Paul in the Book of Acts, TynB 42 (1991) 3-30; ders., Paul 369-392, der die antiken Möglichkeiten und Grenzen der Unterstützung Gefangener darlegt. 2 Tim 4,16 könnte ein Reflex dieser Situation sein.

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gen haben wird, also eine Notiz über eine erleichterte Haftform in einer angemieteten Unterkunft für die Dauer von zwei Jahren. Er hat hingegen keine Kenntnis über eine Spanienreise und eine erneute Gefangenschaft besessen; vielmehr wußte er von der Hinrichtung des Paulus nach Ablauf der erwähnten zwei Jahre. Da sich allerdings dessen Spuren für ihn bereits viel früher nämlich mit der Abreise aus Caesarea - im dunkeln verlaufen haben, hat Lukas auf eine entsprechende Nachricht vom Tod des Paulus ganz verzichtet.

Albrecht Scriba

Von Korinth nach Rom Die Chronologie der letzten Jahre des Paulus 1

Fragestellung

Die Chronologie der letzten Lebens- und Wirkjahre des Paulus scheint auf den ersten Blick wahrhaft kein Thema zu sein, das in welcher Weise auch immer im Blickpunkt gegenwärtigen Interesses an einer gelingenden christlichen Existenz stehen könnte. Wo spielt etwa das exakte Todesdatum oder die Art der Hinrichtung des Paulus in der vergangenen oder aktuellen protestantischen Theologie eine Rolle? Anders als im Falle Jesu, wo sehr bald, nämlich schon im frühesten Christentum, am schmählichen Kreuzestod Jesu die eigentlich undenkbare Übernahme des entsetzlichen irdischen Schicksals durch den Gottessohn bis zum Äußersten sich offenbaren sollte, läßt sich in der Alten Kirche lediglich beobachten, daß das Martyrium des Paulus als krönender Lebensabschluß des großen Apostels angesehen wurde - ein verbreitetes altkirchliches Interesse, das die Problematik der Tendenzverzerrung durch die Quellen wachruft. Der vorliegende Aufsatz wird aber in deqenigen Hinsicht auch theologisch interessant, wenn er nicht nur im Blick auf seine Datierungsfragen zu Paulus gelesen wird, sondern wenn an seinem Thema der Quellenwert des wichtigsten Zeugen der letzten Lebensjahre des Paulus, der Apostelgeschichte, exemplifiziert werden kann mit, wie ich meine, doch recht deutlichem Ergebnis. An dieser chronologischen Verläßlichkeit der Apostelgeschichte hängt wesentlich unsere Einschätzung der theologischen Frühgeschichte des Christentums und damit eben auch ein tieferes Verstehen des frühchristlichen Ringens um die Wahrheit Gottes.

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Albrecht Scriba

2

Die Quellen und ihr chronologischer

Wert

Chronologisch auswertbare Quellen über die letzten Jahre des Paulus sind, ungefähr nach Entstehungszeit geordnet: die echten Paulusbriefe mit durchschnittlich höchster Priorität, die Apostelgeschichte, 1 Clem 5,5-7, die Pastoralbriefe (vor allem 2 Tim), Acta Petri II 1-3.40, Acta Pauli 9-11, Euseb und einige weitere, an Ort und Stelle zu nennende. Bezüglich des Wertes der echten Paulinen gilt zwar zu beachten, daß Paulus als interessegeleiteter Briefschreiber nicht unbedingt korrekt informieren muß, speziell im Galaterbrief.1 Doch sollte bedacht werden, daß Paulus hier in einer heftig umstrittenen Situation erstens kaum sinnvoll mit überprüfbaren Fehlinformationen Erfolg erwarten konnte und zweitens seine Darstellung mit einem Schwur bei Gott bekräftigt (Gal 1,20). Nun liefert der Galaterbrief zwar keine Informationen für den hier in Frage stehenden Zeitraum, an ihm läßt sich aber unter anderen Quellen der historische und speziell der chronologische Wert der Apostelgeschichte prüfen. Denn die Apostelgeschichte bietet nicht nur reiches Material für eine relative, sondern auch wichtige Hinweise fur deren Verankerung in der absoluten Chronologie.

2.1

Der relativ-chronologische Wert der Apostelgeschichte

Bei der sogenannten zweiten Missionsreise des Paulus lassen sich die Angaben der Apostelgeschichte mit denen der Paulusbriefe im wesentlichen in Einklang bringen. Kaum auszuräumende Differenzen gibt es lediglich beim Ort des Zusammentreffens zwischen Paulus und seinem Mitarbeiter Silas/Silvanus im Anschluß an Thessaloniki.2 Diese Übereinstimmung läßt sich allerdings nicht für den chronologischen Bereich durchführen, weil hier in den Paulusbriefen die nötigen Informationen fehlen. Prinzipiell ist daher denkbar, daß die Reisestationen des Paulus in diesem Wirkabschnitt weitge1

2

Auf die polemische Funktion des Gal hat beispielsweise G. Lüdemann, Paulus, der Heidenapostel, Bd. 1. Studien zur Chronologie, FRLANT 123, Göttingen 1980, 58-110, unter Rückgriff auf H. D. Betz, The Literary Composition and Function of Paul's Letter to the Galatians, NTS 21 (1975) 353-379, hingewiesen und in Gal 2 eine rhetorisch bedingte Umstellung zwischen dem Jerusalemer Apostelkonvent und dem antiochenischen Streit postuliert (dagegen z.B. S. Légasse, Paul apôtre. Essai de biographie critique, Paris 1991, 91f). Nach Act 17,14 bleiben Silas und Timotheus in Beröa zurück und stoßen erst in Korinth wieder zu Paulus hinzu (18,5). Dagegen hat nach 1 Thess 3 Timotheus Paulus bis nach Athen begleitet, während Silas/Silvanus nicht erwähnt wird (s. A. Suhl, Paulus und seine Briefe, StNT 11, Gütersloh 1975, 96-102; Lüdemann, Paulus I, 35f.

Von Korinth nach Rom

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hend korrekt wiedergegeben werden, die chronologischen Angaben jedoch von Lukas frei erfunden worden sind. Im Sinne der Formulierung eines hypothetischen Erwartungshorizontes kann aber zunächst von einer vergleichbaren Brauchbarkeit ausgegangen werden. Weiterhin muß beachtet werden, daß eine recht große Verläßlichkeit der Informationen zu dieser Etappe der zweiten Missionsreise des Paulus nicht automatisch bedeutet, daß in allen Schilderungen der Apostelgeschichte die gleiche historische Sorgfalt waltete: Informationen zu anderen Wirkphasen könnten Lukas gefehlt haben, und interessenbedingte Verzerrungen, Auslassungen oder Erfindungen müssen als Möglichkeit in Rechnung gestellt werden (s.u.). Im Hinblick auf unsere chronologische Fragestellung steht speziell der Zeitrahmen der Apostelgeschichte zwischen Apostelkonvent in Jerusalem und dem Eintreffen des Paulus in Korinth (Act 15,30-18,1) seit Robert Jewett im Verdacht, eine durch Lukas geschaffene unrealistische Übertreibung der Wirkmächtigkeit des Paulus zu enthalten.3 Zwecks Kontrolle gebe ich zunächst eine gekürzte Übersicht über den von Jewett veranschlagten Zeitrahmen wieder, in dem antike Reisegeschwindigkeit und aus den Paulusbriefen direkt erhebbare Missionspraktiken des Paulus Berücksichtigung fanden: Stationen des Paulus

ActaQuelle

Dauer nach Jewett

1 von Jerusalem nach Antiochia

15,30

2 Aufenthalt in Antiochia

15,33.36

3 Wirken in Syrien und Kilikien

15,41-16,5

26 Wochen

4 Wirken in Phrygien und Galatien

16,6

54 Wochen

5 an Mysien vorbei nach Troas

16,7f

8 Wochen

6 über Samothrake, Neapolis nach Philippi

16,1 lf

7 über Amphipolis, Apollonia 17,1 f. 10 nach Thessaloniki

3

Zeitangaben in Act

4 Wochen ποιήσαντες δέ χρόνον μετά δε τινας ήμερας

18 Wochen

ήμερας τινάς

53 Wochen

έπί σάββατα τρία

18 Wochen (sie!)

R. Jewett, Dating Paul's Life, London 1979, 57-62. „It would be the picture of a man with the constitution of a marathon runner ...; in short a man more divine than human." (ebd. 61f). Légasse, Paul 83-93 geht von einer galatischen Mission schon vor dem antiochenischen Zwischenfall aus.

160

Albrecht Scriba

8 nach Beröa

17,10-14

9 Wochen

9 nach Athen

17,15

6 Wochen

10 nach Korinth

18,1

1 Woche (3 Tage)

Summe insgesamt

197 Wochen

Die Zeitangaben von Jewett sind in manchen Punkten natürlich nur grobe Schätzungen, vor allem bei den Aufenthalten in Antiochia, Galatien und Philippi. Doch selbst wenn diese ungenauen Daten unberücksichtigt bleiben, ergibt sich immer noch aus den übrigen, insgesamt realistisch abschätzbaren Fristen folgende Summe: Summe der recht wahrscheinlichen Annahmen 4

65 Wochen

Differenz zu den üblicherweise veranschlagten 18 Monaten verbleiben

5

13 Wochen

für Antiochia (Punkt 2)

statt 4 Monaten

für Galatien

(Punkt 4)

statt 1 Jahr

6 Wochen

für Philippi

(Punkt 6)

statt 1 Jahr

6 Wochen

1 Woche

Aus dieser Berechnung läßt sich schließen, daß in der Tat die von Lukas vorgestellte Wirksamkeit des Paulus zwischen Apostelkonvent in Jerusalem und Ankunft in Korinth sich kaum in 18 Monaten unterbringen läßt. An dieser Beurteilung ändert sich angesichts des knappen Verkündigungsaufenthaltes von jeweils sechs Wochen in Galatien und Philippi wohl auch nichts, wenn berücksichtigt wird, daß Paulus nicht allein, sondern mit einem MitarbeiterTeam unterwegs war. Besitzen also die chronologischen Angaben oder Voraussetzungen der Apostelgeschichte keinen historischen Wert? Für eine Antwort müssen die Voraussetzungen, mit denen Jewett und der überwiegende Teil der neutestamentlichen Forschung diese Chronologie beurteilen, hinterfragt werden. Der zweite Fixpunkt des Zeitraums, die Ankunft des Paulus in Korinth, steht mit 4

5

Beim Wirken in Phrygien und Galatien (Punkt 4) werden sechs Wochen reine Reisezeit berechnet, entsprechend bei Philippi (Punkt 6) eine Woche. Für Thessaloniki steht Jewetts Annahme von vier Monaten Wirkdauer in klarem Widerspruch zu den drei Sabbaten in Act 17,2 und wohl auch den Voraussetzungen des 1 Thess. Ich berechne daher, pro bono Lucae, einen dreiwöchigen Aufenthalt in Thessaloniki. So z.B. E. Lohse, Paulus. Eine Biographie, München 1996, 55. Die Ankunft des Paulus in Korinth läßt sich recht verläßlich auf den Frühling 50 n.Chr. datieren (s.u.).

Von Korinth nach Rom

161

dem Frühjahr 50 n.Chr. ziemlich sicher fest (s.u.). Worin liegen die Gründe, den Apostelkonvent auf das Frühjahr und den antiochenischen Zwischenfall auf Sommer oder Herbst 48 n.Chr. zu datieren? Es gibt nur einen Grund: Zwischen der Kreuzigung Jesu und der Berufung des Paulus müssen mindestens ein oder zwei Jahre vergangen sein, damit Paulus in den frühen Gemeinden eine ernsthafte Bedrohung der Thora-Treue erkennen und eine umfangreichere Verfolgungstätigkeit aufnehmen konnte. Aus Gal If folgt, daß zwischen Berufung des Paulus und dem Apostelkonvent 16-17 Jahre lagen. Da die Mehrheit die Kreuzigung Jesu auf das Frühjahr 30 n.Chr. datiert, bleibt als realistisches Datum für den Apostelkonvent nur noch das Frühjahr 48 n.Chr. übrig. Doch gibt es ernste, kaum beachtete Gründe, die Hinrichtung Jesu auf das Passa-Fest, präziser auf den 30. April 28 n.Chr. anzusetzen: Die durchgehende Ausblendung von 28 n.Chr. als mögliches Todesjahr Jesu beruht auf einem astronomischen Rechenfehler. Dieses Passa-Fest lag in einem SabbatJahr, an dessen Passa besonders mit dem endzeitlichen Eingreifen Gottes gerechnet wurde, und mehrere altkirchliche Zeugnisse bestätigen es als Todesdatum Jesu.6 Unter dieser Voraussetzung läßt sich der Apostelkonvent problemlos auf das Jahr 46 oder 47 n.Chr. verlegen, und die Schwierigkeiten mit den in Act 15,30-18,1 vorgelegten Reiserouten und Missionsaktivitäten des Paulus entfallen; die Darstellung des Lukas erscheint in diesen Punkten realistisch.

2.2

Der absolut-chronologische Wert der Apostelgeschichte

Lukas berichtet mehrfach im Zusammenhang des paulinischen Wirkens von politischen Ereignissen oder dem Auftreten von Personen des öffentlichen Lebens, die mit Hilfe anderer Quellen absolut datiert werden können. Für die Zeit der Gemeindegründung in Korinth durch Paulus stehen gleich zwei Hinweise zur Verfügung. Erstens trifft Paulus nach Act 18,2 bei seiner Ankunft in Korinth auf das Ehepaar Aquila und Priskilla, die wegen des Claudius-Ediktes Rom verlassen mußten.7 Der christliche Historiograph Orosius aus dem 5. Jahrhundert n.Chr.

6 7

S. dazu A. Scriba, Echtheitskriterien der Jesus-Forschung. Kritische Revision und konstruktiver Neuansatz, Habil. Mainz 1998, Teil B.6 (erscheint 2001). Das Claudius-Edikt in Act 18,2 wird von Sueton, Claud 25,4, folgendermaßen wiedergegeben: Iudaeos impulsore Chresto assidue tumultuantis Roma expulit „Er [sc. Claudius] vertrieb die Juden aus Rom, weil sie, von Chrestus angestachelt, ständig Aufruhr stifteten".

162

Albrecht Scriba

datiert diese Vorkommnisse auf das neunte Regierungsjahr des Claudius, d.h. auf 49 n.Chr. Die erste Ankunft des Paulus in Korinth soll nun nach Act 18,2 kurze Zeit (προσφάτως) nach derjenigen von Aquila und Priskilla stattgefunden haben.8 Zweitens erwähnt Act 18,12 während des ersten paulinischen Wirkens in Korinth den römischen Prokonsul der Provinz Achaia, Lucius Gallio. Dessen wohl einjährige Amtszeit läßt sich durch einen inschriftlich erhaltenen Brief des Kaisers Claudius an Gallios Nachfolger in die Zeit der 26. Ausrufung zum Imperator datieren: Frühsommer (1. Juli?) 51 bis Frühsommer 52 n.Chr. Nach Act 18,12-17 haben korinthische Juden den Amtsantritt des Gallio als Anlaß genommen, Paulus anzuklagen. Die Schilderung selbst läßt zwar Zweifel an der pauschalen historischen Glaubwürdigkeit dieser Episode aufkommen, beispielsweise in der Formulierung der Anklage.9 Wenn man aber die bloße Tatsache einer gerichtlichen Begegnung des Paulus mit Gallio und die 18 Monate Korinth-Aufenthalt nach V. 11 fur historisch korrekt hält, ergibt sich als absoluter Fixpunkt der relativen Chronologie für den KorinthAufenthalt ca. Frühling 50 bis Herbst 51 n.Chr.

8

Die Frühdatierung des Claudius-Ediktes durch Ltldemann, Paulus I, 183-195 auf das Jahr 41 überzeugt mich aus mehreren Gründen nicht. Zwar geht Lüdemanns Argumentation von dem verständlichen Postulat aus, daß auf dem Apostelkonvent über das Zusammenleben von nichtjüdischen und (ehemals) jüdischen Christen gesprochen worden sein muß und daher der antiochenische Konflikt zwischen Paulus einerseits und Petrus, Jakobus, Barnabas u.a. andererseits nur vor dem Apostelkonvent denkbar sei. Lüdemann muß flir diese Hypothese allerdings eine rhetorisch bedingte Umstellung der historischen Ereignisse in Gal If annehmen, Orosius (hist VIII 6,15) eine Fehldatierung und Dio Cass (60,6,6) eine Verfälschung der Tatsachen unterstellen (die unterbliebene Vertreibung von 60,6,6 bezieht sich auf die in 57,18,5 berichtete Judenvertreibung). Lüdemanns Hypothese bringt erhebliche Erklärungsnöte mit sich: Warum wird im 1 Thess nicht Barnabas als Mitverfasser genannt? Warum hat Paulus in Gal If nicht diese frühe Europareise als Zeichen seiner Unabhängigkeit von Jerusalem erwähnt? Das gewichtige Argument Lüdemanns, auf diese Weise 1 Thess 4,13-18 besser in eine theologische Wandlung des Paulus unterbringen zu können, entfällt bei genauerer Betrachtung (s. A. Scriba, Wandlungen in der Enderwartung des Paulus? [erscheint demnächst]; zu Lüdemanns Position s. beispielsweise auch J. Becker, Paulus. Der Apostel der Völker, Tübingen 1989, 132).

9

In seinem Doppelwerk führt Lukas oft Juden als Aufrührer gegen Paulus und andere ein, und zwar auch an solchen Stellen, wo der historische Sachverhalt oder die Lukas vorliegende Quelle anderes vorgab (z.B. das gesteigerte Rechtverhalten des Pilatus und des Herodes Antipas beim Prozeß Jesu Lk 23,1-12). Der angebliche jüdische Vorwurf in Act 18,12-17, Paulus verführe dazu, eher Gott als den Gesetzen zu dienen, ist offensichtlich in der Wertung und Formulierung propaulinisch und daher wahrscheinlich erfunden. Verdacht erweckt auch die Behauptung des einmütigen jüdischen Aufruhrs (ομοθυμαδόν V.12).

Von Korinth nach Rom

163

Jewett hat als weiteren Fixpunkt für die relative Chronologie die Flucht des Paulus vor dem Ethnarchen der Nabatäer in Damaskus zur Zeit des Nabatäer-Königs Aretas vorgeschlagen (2 Kor 1 l,32f; vgl. Act 9,23-25).10 Seine Theorie, die eine Datierung der Flucht aus Damaskus zwischen August und Oktober 37 n.Chr. vorsieht und dadurch den Apostelkonvent auf Oktober 51 statt wie üblich auf 48 bzw. nach meiner Datierung auf 46 oder 47 n.Chr. (s.o.) datiert, scheitert jedoch an der Bedeutung von εθνάρχης, überstrapaziert Münzfund-Statistiken und setzt durchgehend rechtlich einwandfreies Verhalten des mächtigen Nabatäer-Ethnarchen voraus.11 In jedem Fall besteht zwischen der Aussage des Paulus in 2 Kor ll,32f, dem Primärzeugnis, und dem Bericht in Act 9,23-25 inhaltlich ein Widerspruch: hier Verfolgung durch den nabatäischen Ethnarchen, dort durch die damaszenischen Juden. Auch zeitlich dürfte diese Verfolgung eher nach dem von Lukas nicht berichteten dreijährigen Wirken des Paulus in der Arabia als direkt im Anschluß an die Berufung anzusetzen sein, weil sonst die Verfolgung nicht recht verständlich wäre. Ein fur das Thema dieses Aufsatzes wesentlicher Fixpunkt ist in der neutestamentlichen Forschung bislang zu wenig zur Kenntnis genommen worden. Nach Act 24f fand nach zweijähriger Gefangenschaft des Paulus in Caesarea ein Wechsel im Amt des Prokurators statt: Auf Felix folgte Festus. Gelegentlich wird in der neutestamentlichen Forschung angenommen, dieser Wechsel könne spätestens 54 oder 55 n.Chr. datiert werden. Denn nach Josephus hat Pallas, der Bruder des Felix, diesen nach dessen Amtsende vor Repressionen schützen können.12 Aus einer Notiz bei Tacitus wird sodann gefolgert, Pallas sei im Februar 55 n.Chr. bei Nero in Ungnade gefallen,13 seine Intervention zugunsten des Felix müsse also früher stattgefunden haben. Doch reicht der Wortlaut an der entsprechenden Tacitus-Stelle fur die Annahme eines Zerwürfnisses nicht aus, dafür kommt eher das Jahr 62 n.Chr. in Frage.14 Außerdem macht die Fülle des von Josephus über Felix zur Zeit Neros, also ab Oktober 54 n.Chr. Berichteten diese Frühdatierung unwahrscheinlich. Palästinische Münzfunde erlauben aufgrund einer Wandlung in den Motiven der Prägung, diesen Wechsel im Amt des Prokurators von Felix zu Festus 10 11

Jewett, Dating 30-33. Damaskus, im östlichen Grenzgebiet liegend, war eine wichtige römische Bastion gegen die Parther. Die Römer mußten aus diesem Grund an guten Verhältnissen zu der mächtigen Volksgruppe der Nabatäer in Damaskus interessiert sein, d.h. der Nabatäer-Ethnarch durfte sich wohl einige Freiheiten herausnehmen. 12 Jos, ant 20,128. 13 Tac, ann 13,14f. 14 Tac, ann 14,65; Dio Cass 62,14. So auch Légasse, Paul 218.

164

Albrecht Scriba

recht verläßlich auf das Jahr 59 n.Chr. zu datieren.15 Hiermit ist ein wesentlicher Fixpunkt für die Kontrolle der Zeitangaben der Apostelgeschichte sowie für die Übertragung ihrer relativen in eine absolute Chronologie für die letzten Jahre des Paulus gegeben.

2.3

Ergebnis zur Apostelgeschichte

Daß Lukas gewisse Lieblingsideen in der Darstellung gegen die historische Realität durchsetzt, läßt sich kaum bestreiten. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit verweise ich auf die regelmäßige Rückbindung des Paulus an die Jerusalemer Gemeinde sofort nach seiner Berufung (Act 9,26 gegen Gal 1,17), fur eine Kollektenübergabe vor der sogenannten ersten Missionsreise zwecks Anbindung von Antiochia an Jerusalem (Act 11,30; 12,25 gegen Gal 1,17), wahrscheinlich auch in der Erwähnung, daß Paulus Schüler Gamaliels II. (Act 22,3) und bei der Steinigung des Stephanus persönlich anwesend war (Act 7,57; 8,1).16 Verdächtig erscheinen mir in der Darstellung des Lukas auch die starke Bindung an die Synagoge im missionarischen Wirken des Paulus (vgl. dagegen 1 Thess l,9f; 2,15f) und die auffallend häufigen Hetzkampagnen von Seiten jüdischer Gemeinden (vgl. 1 Thess 2,14 gegen Act 17,5). Folgt man der üblichen Datierung des Apostelkonvents auf das Jahr 48 n.Chr., so müßte der Zufall unerklärt hingenommen werden, daß bei der sogenannten zweiten Missionsreise des Paulus in der Darstellung der Apostelgeschichte zu den mit den Paulusbriefen überprüfbaren Daten nur geringe Spannungen bestehen, aber beim Wirken des Paulus in Kleinasien Lukas von recht phantastischen Zeitvorstellungen ausgegangen sein müßte. Wenn jedoch, wie oben vorgeschlagen, die Hinrichtung Jesu statt auf 30 n.Chr. auf den 30. April 28 n.Chr. zu datieren ist, entfällt dieses Problem. Die bisherige knappe Untersuchung zur sogenannten zweiten Missionsreise von Jerusalem bis Korinth ergab, daß im Blick auf Reisestationen und Chronologie jenseits gewisser Lieblingsideen des Lukas die Angaben der Apostelgeschichte von recht hohem Wert sind. Für die weitere Untersuchung über die Zeit nach Ko15

16

Y. Meshorer, Jewish Coins of the Second Temple Period, Tel Aviv 1967, 103; ders., Ancient Jewish Coinage, 2 vol., New York 1982, II 183; akzeptiert von Jewett, Dating 44; B. Schwank, Das Neue Testament und seine Münzen, EuA 75 (1999) 214-233, 224226; M. Reiser, Numismatik und Neues Testament, Bib. 81 (2000) 457-488, 472; übersehen z.B. von Légasse, Paul 217-220; U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 2 1996, 31-45; Lohse, Paulus 55f. Zur Frage, ob Paulus wirklich das Nasiräatsgelübde abgelegt und entsprechend in Jerusalem ausgelöst hat (Act 18,18-22; 21,24-26), s. F. W. Horn, Paulus, das Nasiräat und die Nasiräer, N T 39 (1997) 117-137.

165

Von Korinth nach Rom

rinth kann also jetzt die Erwartungshaltung (nicht die Voraussetzung!) formuliert werden, daß auch für diesen Zeitraum die Apostelgeschichte überwiegend vertrauenswürdige Informationen liefern wird. Abschließend sei die Chronologie bis Korinth tabellarisch dargestellt: Etappen / Ereignisse Hinrichtung Jesu

Datierung 30. April 28

Berufung des Paulus

ca. 30

erster Jerusalem-Besuch des Paulus

ca. 33

Apostelkonvent

ca. Frühling 47

antiochenischer Zwischenfall

ca. Sommer 47

„zweite" Missionsreise bis Korinth

3

Paulus-Chronologie

ca. Herbst 47 bis Frühjahr 50

seit Korinth

Nach dem Bisherigen erscheint es im Blick auf die Paulus-Chronologie für die Zeit nach dem ersten Korinth-Besuch sinnvoll, zunächst den chronologischen Rahmen der Apostelgeschichte vorzustellen und erst dann zu fragen, ob es stützende oder widersprechende Quellen dazu gibt.

3.1

Die Chronologie nach der Apostelgeschichte

Wie sieht das chronologische Gerüst der Apostelgeschichte ab Korinth aus? In der folgenden Tabelle werden die bisherigen Ergebnisse, speziell die Datierung des Prokuratorenwechsels von Felix zu Festus, bereits integriert, wobei einiges natürlich nur Schätzung bleibt. Das größte Problem bildet die Dauer der in Act 18,23b nur knapp erwähnten Reise durch Galatien und Phrygien. Deren Anfang läßt sich noch recht verläßlich aus dem ersten Wirken in Korinth mit anschließendem Winteraufenthalt in Antiochia auf ungefähr April 52 n.Chr. datieren. Ihr Ende muß aus dem Prokuratorenwechsel von Felix zu Festus im Sommer 59 n.Chr. über die relativ-chronologischen Angaben der Apostelgeschichte rückgerechnet werden auf ungefähr September 54 n.Chr. Eine ca. zweieinhalbjährige Dauer fur diese kleinasiatische

166

Albrecht Scriba

Mission ist, verglichen mit der üblichen Praxis des Paulus, durchaus realistisch.17 Stationen des Paulus

Quelle

Zeitangaben in Act

erster Korinth-Aufenthalt

18,1-18

Ephesus

18,19-21

kurz

über Caesarea und Jerusalem nach Antiochia

18,22

kurz

Aufenthalt in Antiochia

18,23a

χρόνον τινά

Zug durch Galatien und Phrygien

18,23b

über τα άνωτερικά μέρη nach Ephesus

19,1

als Apollos in Korinth war

Aufenthalt in Ephesus, Predigt in der Synagoge

19,8

3 Monate

Ephesus, Predigt in der Schule des Tyrannos

19, lOf

2 Jahre

Plan, über Makedonien und die Achaia nach Jerusalem zu reisen, später Rom

19,21

in der Asia, Timotheus und Erastos geschickt

19,22

Reise nach Makedonien

20, lf

Verbleib in Hellas

20,3

Rückkehr über Makedonien

20,4

Troas

20,6

über Assos, Mitylene, Chios, Samos nach Milet

20,13-16

Plan, an Pfingsten in Jerusalem zu sein

20,16

gesamtes Wirken in Ephesus

20,31

17

Datierung 4/50 bis 9/51

4/52 bis 9/54

χρόνον

3 Monate

5 Tage nach Passa, 7 Tage lang

Winter 56/57

4/57

(s.u.) 3 Jahre

Warum besaß Lukas fllr diesen Zeitraum keine präziseren Daten? Auffällig ist generell, daß Lukas gute Informationen im wesentlichen nur für Küstengebiete, speziell für Küstenstädte liefert. Ist Lukas bei seinen Recherchen mit dem Schiff gereist und hat daher nicht das jeweilige Hinterland besucht?

Von Korinth nach Rom über Kos, Rhodos, Patara nach Tyros

21,1-3

Aufenthalt in Tyros

21,4

7 Tage

über Ptolemais

21,7

1 Tag

nach Caesarea

21,10

ήμερας πλείους

nach Jerusalem

21,15

Pfingsten

Reinigung

21,27

7 Tage

Gefangenschaft in Jerusalem

22,23-23,22

einige Tage

Gefangenschaft in Caesarea bis zum Verhör

23,23-24,1

5 Tage

Verhör vor Felix

24.10 24.11

Felix έκ πολλών έτών Richter 12 Tage seit Jerusalem

24,27

2 Jahre

leichte Haft unter Felix

Verhör vor Nachfolger Festus 25,1.6

ca. 10 Tage nach Wechsel

Predigt vor Herodes Agrippa II. u.a.

25,13f

ήμερων ... τινών, πλείους ήμερας

Schiffahrt über Sidon, Zypern, Myra, Kreta

27,9

langsam, bis nach Versöhnungstag

Treiben über die Syrte bis Malta

27,27

2 Wochen

Überwinterung auf Malta

28,11

3 Monate

Fahrt nach Syrakus

28,12a

Aufenthalt in Syrakus

28,12b

3 Tage

über Rhegium nach Puetoli

28,13

unbestimmt + 2 Tage

Aufenthalt in Puetoli

28,14

7 Tage

Hausarrest in Rom

28,30

2 volle Jahre

3.2

167

6/57

7/57 bis 6/59 7/59

10/59

11/59 bis 2/60

2/60 bis 2/62

Indizien in den Paulusbriefen

Direkte stützende oder widerlegende Hinweise in den erhaltenen Paulusbriefen zu diesem chronologischen Gerüst fehlen bis auf die Bestätigung, daß Paulus selbst wohl schon ab 55 n.Chr. (s.u.) vorhatte, auch Rom einen Be-

168

Albrecht Scriba

such (von Anfang an zwecks Spanienmission?) abzustatten (2 Kor 10,16; Rom 15,22-24; vgl. Act 19,21). Die Korinther-Korrespondenz ist ein in der neutestamentlichen Forschung stark umstrittenes Thema.18 Ich möchte im Rahmen dieses Aufsatzes nur die wesentlichen Argumente19 und tabellarisch das Ergebnis meiner Rekonstruktion vorstellen und dabei zugleich den Versuch unternehmen, diese Korrespondenz in das von der Apostelgeschichte vorgezeichnete chronologische und geographische Gerüst einzuordnen. Dabei zeigt sich, daß aufgrund der literarkritisch begründeten Teilung der Korinther-Korrespondenz kein Widerspruch zur Apostelgeschichte entsteht, mithin die lukanische Chronologie für diesen Zeitraum nicht widerlegt wird. Gemeindegründung in Korinth

Frühling 50 bis Herbst 51 n. Chr.

Brief A: Über Unzucht: verloren (oder Teil in 1 Kor 6,1-20?) Wirken des Apollos in Korinth

Herbst 54 n. Chr.

Briefliche Anfrage der Korinther bei Paulus

Besuch des Timotheus in Korinth (Überbringer des 1 Kor?)

1 Kor 5,9 1 Kor 1,12; Act 18,2419,1; vgl. 1 Kor 16,12 περί in 1 Kor 7,1.25; 8,1; 12,1; 16,1

Nachrichten aus Korinth über Leute der Chloe und des Stephanas Brief Β: 1 Kor (ohne 1 Kor 6,1-20?)

1 Thess 3,1-6; 2 Kor 1,19; Act 18,1 -17

1 Kor 1,11; 16,17

Ostern 55 n.Chr. 1 Kor 4,17; 2 Kor 1,1

18

Siehe G. Bomkamm, Die Vorgeschichte des sogenannten zweiten Korintherbriefes, SHAW.PH, Heidelberg 1961, 7-35; erweitert in: ders., Geschichte und Glaube, Bd. 1, BEvTh 53, München 1971, 162-194; Ph. Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur. Einleitung in das Neue Testament, die Apokryphen und die apostolischen Väter, Berlin/New York 1975, 150-155; für die Einheitlichkeit z.B. Schnelle, Einleitung 101-

19

Ich identifiziere den Tränenbrief (2 Kor 2,4) nicht mit Kap. 10-13, weil weder die Übeltat des Gemeindegliedes darin Erwähnung findet, noch die Situation von Kap. 1013 mit den Hinweisen in 2,3-11; 7,8-12 übereinstimmt. Vor allem wurde der Tränenbrief direkt nach einer überstürzten Abreise aus Korinth geschrieben, während bei der Abfassung von Kap. 10-13 der dritte Korinthbesuch bevorstand. Wahrscheinlich ist auch ein Brief über geänderte Reisepläne des Paulus verlorengegangen. Denn nach 2 Kor 1,13-17 wurde Paulus von den Korinthem vorgeworfen, wieder einmal seine Reisepläne umgestoßen zu haben. Diese verworfenen Reisepläne stimmen nun nicht mit denen von 1 Kor 16,5-12 überein (vgl. W. Schmithals, Die Gnosis in Korinth. Eine Untersuchung zu den Korintherbriefen, FRLANT 66, Güttingen 2 1965, 26).

111.

Von Korinth nach Rom Wanderapostel in Korinth

169 2 Kor insgesamt, vor allem 3,1; 5,12

BriefC: Apologie I: 2 Kor 2,14-6,13; 7,2-4 Verschärfung der paulinischen Gegnerschaft in Korinth

(2 Kor 10-13)

Zwischenbesuch des Paulus, Unrecht durch Gemeindeglied, überstürzte Abreise Brief D: Tränenbrief: verloren

2 Kor 2,3-11; 7,8-12 2 Kor 2,3-11; 7,8-12; 12,18 gegen 8,6.16-18; 3. Besuch steht nicht bevor

Brief E: Apologie II: 2 Kor 10,1-13,10

3. Besuch steht bevor

Besuch des Titus erfolgreich

2 Kor 7,6-16

Paulus trifft Titus in Makedonien

2 Kor 7,6-16

Brief F: Versöhnungsbrief: 2 Kor 1,1-2,13; 7,5-16; 13,11-13

Brief G: Über geänderte Reisepläne verloren

2 Kor 1,13 mit 1,15-17 gegen 1 Kor 16,51 f; Act 19,21 f?

Titus reist (mit zwei Brüdern?) in die Achaia und nach Korinth

2 Kor 9 + 8

Brief H: Kollektenbrief für die Achaia: 2 Kor 9

Brief I: Kollektenbrief für Korinth: 2 Kor 8 Paulus in Korinth

Winter 56/57 n.Chr.

Röm 15,22-24

späterer Zusatz: 2 Kor 6,14-7,1

Eine schon alte Lokalisierung der Abfassung der echten Gefangenschaftsbriefe an die Philipper und an Philemon in die römische Haft gewinnt gegenwärtig, besonders unter dem Eindruck von Wandlungstheorien zum theologischen Denken des Paulus, wieder mehr Befürworter. Mir erscheinen die Argumente für eine Abfassung während einer Gefangenschaft in Ephesus (vgl. 2 Kor l,8f; 6,5; 11,23) plausibler.20 Eine solche Gefangenschaft (als Untersu20

Gegen eine Abfassung des Phil in römischer Gefangenschaft spricht, daß Paulus nach Röm 15,22-29 sich von Rom aus der Spanienmission widmen wollte, nach Phil 2,24 er aber auf einen Besuch in Philippi hofft (2,19-30 scheint überhaupt eine räumliche Nähe zu Philippi vorauszusetzen). Die Argumente fur Rom als Abfassungsort lassen sich leicht widerlegen: Ein Prätorium (1,13) und eine kaiserliche Garde (4,22) gab es nicht nur in Rom. Kollektennotizen könnten im Zuge der Kompilation des Phil verlorengegangen sein oder generell gefehlt haben, weil die Sammlung in Philippi problemlos ver-

170

Albrecht Scriba

chungshaft, wie in der Antike üblich, nicht als Haftstrafe) läßt sich problemlos in die zwei- bis insgesamt dreijährige Wirksamkeit des Paulus in Ephesus integrieren (Act 19,1 Of; 20,31).

3.3

Weitere Zeugnisse

Zwei von Lukas mit Paulus in Verbindung gebrachte Personen erlauben zwar aufgrund ihrer Erwähnung bei Josephus keine genauere Datierung der Ereignisse, sie stehen aber auch nicht im Widerspruch zu der bisher vorgestellten Chronologie. Nach Act 21,38 vermutete der römische Tribun in Jerusalem, daß Paulus identisch sei mit einem Ägypter, der vor kurzem einen Aufstand angeführt habe.21 Josephus erwähnt diesen Anführer nach dem Tod des Claudius im Oktober 54 n.Chr., so daß frühestens Pfingsten 55 n. Chr. (Act 20,16) als Ankunft des Paulus in Jerusalem in Frage kommt, aufgrund der zahlreichen Taten, die Josephus zwischen dem Tod des Claudius und dem Auftreten des Ägypters berichtet, jedoch eher Pfingsten 56 n.Chr. oder, in Übereinstimmung mit der Chronologie der Apostelgeschichte, Pfingsten 57 n.Chr. Während seiner Gefangenschaft in Jerusalem und Caesarea, jedenfalls vor der zweijährigen Gefangenschaft unter Felix und vor dem Prokuratorenwechsel von Felix zu Festus im Sommer 59 n.Chr., trifft Paulus zweimal mit dem amtierenden Hohenpriester Ananias zusammen (Act 23,1-5; 24,1). Dessen letzte ununterbrochene Amtszeit währte laut Josephus von Anfang 53 bis 59 n.Chr.22 Erstaunlich ist die lediglich dreimonatige Überwinterung des Schiffes in Malta, das Paulus nach Rom bringen soll. Denn üblicherweise galt das Mittelmeer nur in der Zeit vom 27. Mai bis 14. September als für die Schiffahrt ungefährlich. Mare clausum „geschlossenes Meer" bezeichnet jedoch nur die Zeit vom 11. November bis 5. März, in der das Mittelmeer als nicht schiffbar galt, nicht nur wegen der Stürme, sondern auch wegen des kurzen Tageslichtes und der Nebelgefahr.23 Paulus warnt nach Act 27,8-10 vergeblich davor, noch nach dem Versöhnungstag am 10. Tischri den sicheren Winterhafen Kaloi Limenes an der Südküste Kretas zu verlassen.

21 22 23

lief (vgl. 4,10-18). Wandlungstheorien zur Eschatologie des Paulus (speziell zu 1,23) verkennen die stellenweise unsystematische und situationsspezifische Denkweise des Paulus (vgl. Scriba, Wandlungen). Jos, bell 2,261-263; ant 20,169-172. Jos, ant 20,134-137.179. Veg, mil 4,39. Vgl. J. Rouge, La Navigation hivernale sous l'Empire Romain, REA 54 (1952)316-325.

Von Korinth nach Rom

171

Wie läßt sich der 10. Tischri in den Julianischen Kalender umrechnen? Im Gegensatz zu letzterem, der ein reiner Sonnenkalender war, stellt der offizielle jüdische Kalender eine Kombination aus Sonnen- und Mondkalender dar. Zwar bestimmt sich die durchschnittliche Jahreslänge nach der Sonne, doch die Monatslänge orientiert sich zwingend an der Dauer von Neumond zu Neumond, und das sind durchschnittlich 29,5 Tage. Zwölf Mondmonate ergeben also eine "Jahres"-Länge von ungefähr 354 Tagen. Der jüdische Kalender gleicht die mehr als elftägige Differenz zum Sonnenjahr durch Schaltmonate aus, und zwar wahrscheinlich in Orientierung am babylonischen und makedonischen System durch sieben Schaltmonate pro 19 Jahren. Folglich wechselt das dem 10. Tischri entsprechende Datum im Julianischen Kalender von Jahr zu Jahr. Für 59/60 n.Chr. als dem wahrscheinlichsten Winter der Überfahrt des Paulus nach Rom entspricht der 10. Tischri dem 5. Oktober - ein sehr spätes Datum für den Versöhnungstag.24 Einige Tage nach dem Versöhnungstag, zwei Wochen unkontrolliertes Treiben in der Syrte und eine dreimonatige Überwinterung in Malta ergeben dann ein geschätztes Aufbruchsdatum von Malta am 5. Februar und eine Ankunft in Rom um den 20. Februar 60 n.Chr. In diesem wahrscheinlichsten Falle wäre die Schiffahrtsperiode also bis an die äußersten Extreme ausgedehnt worden (allerdings oft in Küstennähe), wofür offensichtlich erheblicher Zeitdruck ursächlich war. Hätte beispielsweise die Überfahrt des Paulus im Winter 58/59 n.Chr. stattgefunden, würden erheblich größere Probleme auftreten: Dem 10. Tischri 58 n.Chr. entsprach der 16. September. Dann wäre das Schiff des Paulus ungefähr am 17. Januar 59 schon aus Malta aufgebrochen - kaum noch wahrscheinlich. Fast zeitgleich mit der Apostelgeschichte erwähnt 1 Clem 5,5-7 knapp die Spanienmission und den Märtyrertod des Paulus. Für eine Datierung dieser Ereignisse im Leben des Paulus fehlen allerdings jegliche Hinweise. Und ob die Spanienmission überhaupt stattgefunden hat oder nicht doch eher vom Verfasser des ersten Clemensbriefes aus Rom 15,22-29 heraus konstruiert wurde, erscheint angesichts des Schweigens der übrigen frühen Quellen und aufgrund der Tatsache, daß nicht eine einzige spanische christliche Gemeinde sich später auf Paulus als Gemeindegründer beruft, recht unwahrscheinlich.25 Aus diesem Zeitraum stammt auch der zweite Timotheusbrief, der als Abfassungssituation die oder eine römische Haft des Paulus fingiert (2 Tim 1,16f). "Paulus" rechnet mit seiner baldigen Hinrichtung (4,6) und erbittet das Kommen des Timotheus noch vor dem Winter. Kombiniert man diese Hinweise mit der Apostelgeschichte, dann stünde aufgrund der erwarteten Hin24 25

So auch Jewett, Dating 50-52. Vgl. hierzu die Beiträge von H. Löhr und B. Wander in diesem Band.

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Albrecht Scriba

richtung nicht der zweijährige Hausarrest im Blick, sondern eher eine verschärfte Haft direkt vor dem entscheidenden Prozeß. Wenn Timotheus noch vor dem Winter kommen soll, dann dürfte, wenn hierin überhaupt historisch verwertbare Informationen vorliegen, wohl der Sommer 62 n.Chr. als fingierte Abfassungszeit in Frage kommen. Wesentlich später, nämlich um 180 n.Chr., berichten die Petrusakten nach Actus Vercellenses 1-3, daß Paulus nach seinem Hausarrest in Rom noch einmal freikam und fur ein Jahr in Spanien missionieren konnte. Nach seiner Rückkehr nach Rom (Kap. 40) soll er dann unter Nero hingerichtet worden sein. Diese Chronologie setzt in Verbindung mit der Apostelgeschichte die Hinrichtung des Paulus ungefähr auf das Jahr 64 n.Chr., also in die Zeit der Neronischen Christenverfolgung. Die Paulusakten aus dem Ende des 2. Jahrhunderts n.Chr. schildern offensichtlich nur eine einzige große Reise des Paulus von Damaskus über Jerusalem, Antiochia, Kleinasien, Philippi und Korinth nach Rom, wobei aufgrund der Herkunft des Verfassers aus Kleinasien das Wirken des Paulus in dieser Region den breitesten Raum einnimmt. Auch chronologisch gibt es klare Widersprüche zur Apostelgeschichte, so der in Papyrus Hamburg 6 erwähnte 40tägige Aufenthalt in Korinth gegen die 18 Monate in Act 18. In Rom bleibt Paulus ein freier Mann und wird während der allgemeinen Christenverfolgung unter Nero, d.h. 64 n.Chr. hingerichtet (Pap. Hamb 11).26 Unter Berücksichtigung weiterer Informationen27 läßt sich für ca. 200 n.Chr. folgende Form einer römischen Bischofsliste rekonstruieren: Paulus soll 55 n.Chr. nach Rom gekommen sein und Linus als Bischof eingesetzt haben (56-67 n.Chr.). Vor seinem Martyrium 67 n.Chr. habe Petrus als Nachfolger des Linus Clemens bestimmt (68-76). Diesem seien als Bischöfe Cletus (76-83) und Anacletus (84-95) gefolgt. Die Rückdatierung der Ankunft des Paulus in Rom ergab einen Raum von zwölf Jahren, in welchem Paulus seine Spanienmission durchführen konnte, wie es wohl auch der Canon Mu28 raton voraussetzt.

26 27

28

Vgl. zu dieser Frage den Beitrag von C. Büllesbach in diesem Band. Iren, haer III 3,3; Hegesipp bei Euseb, hist eccl IV 22,1-3. Zum Folgenden vgl. C. Erbes, Die Todestage der Apostel Paulus und Petrus und ihre römischen Denkmäler, TU 19,1, Berlin 1899, speziell 1-16; Th. Klauser, Die Anfänge der römischen Bischofsliste, BZThS 8 (1931) 193-213; N. Brox, Das Papsttum in den ersten drei Jahrhunderten, GK 11 (1985) 25-42. Zu Lukas als dem Verfasser der Apostelgeschichte heißt es hier: „ebenso durch (das Weglassen) der Reise des Paulus, der sich von der Stadt (Rom) nach Spanien begab" (Übers, nach W. Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen I, Tübingen 5 1987, 28).

Von Korinth nach Rom

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Euseb überliefert zwei widersprüchliche zeitliche Festsetzungen des Todes von Paulus. In einem Fall setzt er den Tod des Petrus und des Paulus zwar in die allgemeine Christenverfolgung unter Nero, datiert diese jedoch in das 13. Jahr des Nero, d.h. auf 67 n.Chr. Nach Tacitus fand die Neronische Christenverfolgung aber nach dem Rom-Brand im Jahr 64 n.Chr. statt. Euseb kannte offenbar aber auch eine dieser Datierung der Christenverfolgung entsprechende Chronologie: Petrus wurde im dritten Jahr des Gaius, d.h. 39 n.Chr., Bischof in Rom und blieb es 25 Jahre lang bis zu seinem Martyrium, d.h. er wurde 64 n.Chr. hingerichtet. Auch römische Bischofslisten ab dem Ende des 2. Jahrhunderts datieren den Beginn der Amtszeit des ersten nachpetrinischen Bischofs Linus auf das Jahr 65 n.Chr. Die Fehlerquelle könnte in einer antiochenischen Bischofsliste bei Euseb zu finden sein, deren Jahresangaben sich offenbar mangels eigenen Materials einfach an der römischen Liste orientiert haben. Eine weitere Quelle, der sogenannte Chronograph der römischen Gemeinde aus dem Jahr 354 n.Chr., kennt eine weitere Datierung: Petrus soll von 30 bis 55 n.Chr. Bischof in Rom gewesen und in diesem letzten Jahr mit Paulus zusammen den Märtyrertod gestorben sein, während an anderer Stelle Petrus und Paulus erst 33 n.Chr. in Rom angekommen sein sollen. All diesen römischen Bischofslisten ist jedoch mit Skepsis hinsichtlich ihrer historischen Vertrauenswürdigkeit zu begegnen. Denn der erste Clemensbrief setzt für Rom am Ende des 1. Jahrhunderts n.Chr. noch eine presbyteriale Gemeindeleitung voraus, während der monarchische Episkopat in Kleinasien bereits etabliert war.29 Kann also das Jahr 64 n.Chr. mit der Christenverfolgung unter Nero als Todesjahr des Paulus gelten? Wenn ich recht sehe, ist diese Tradition erst ab 180 n.Chr. belegt (Acta Petri) und verschaffte dem Paulus einen nach damaliger Mentalität ruhmvollen Tod. Ungefähr ab dieser Zeit sind auch unterschiedlichste Chronologien zum Wirken des Paulus und des Petrus in Rom überliefert, die teilweise, vor allem im Falle der extremen Frühdatierung, ganz unwahrscheinlich sind und im Widerspruch zur Chronologie der Apostelgeschichte stehen. Das Schweigen der Apostelgeschichte und die unscharfen Bemerkungen im 1. Clemens- und im 2. Timotheusbrief, die eher nicht auf eine Verfolgung im Zusammenhang einer allgemeinen Christenverfolgung deutbar sind, sprechen doch wohl dagegen. Vielleicht wurde Paulus erst nach zweijährigem Hausarrest, was damals bei weit entfernten Anklägern nicht unüblich war, streng inhaftiert und in einem ordentlichen Gerichtsverfahren noch vor dem Winter 62 n.Chr. hingerichtet. Darauf könnten die Pastoralbriefe mit ihrer testamentarischen Funktion, speziell in 2 Tim 4,16, hinweisen. 29

W. Wiefel, Art. Rom II, TRE 29, 1998, 354-357, 356.

Bernd Wander

Warum wollte Paulus nach Spanien? Ein forschungs- und motivgeschichtlicher Überblick

„Wie immotivirt ist hier alles!"1 ,Die Historie bleibt jedoch das Feld von Rekonstruktionen, und deren Recht ergibt sich daraus, wie weit sie Probleme zu überwinden vermögen"2.

1

Einleitung

Wer dem Satz zustimmen kann, ein Bild sagt mehr als tausend Worte, wird sich dem Duktus nach auch auf die Aussage einlassen können, daß eine Zeittafel zum Neuen Testament mehr Aussagegehalt hat als eine überbordende Kommentierung. Wer also einen Blick in verschiedene Zeittafeln zur neutestamentlichen Zeitgeschichte wirft, muß sich im Hinblick auf das Ende des Paulus auf unterschiedlich akzentuierte Angaben gefaßt machen. Während die Bibelübersetzung Martin Luthers im Anhang fur das Jahr 62 n.Chr. lapidar festhält „62 (58) n.Chr. Ende des lukanischen Berichts (Apg 28,30)"3, weist die Einheitsübersetzung schon folgenden Informationsstand aus: „63/4 oder 65/67 Reise des Apostels Paulus nach Osten (Pastoralbriefe) und nach Westen (Spanien)? 64 Brand Roms. Christenverfolgung unter Nero - 64 oder 67 Hinrichtung des Petrus und Paulus in Rom"4. Obwohl solche Angaben lediglich der allgemeinen Orientierung der Leserschaft dienen sollen und die 1

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F. C. Baurs Urteil über die Spanienmission des Paulus in: ders., Paulus, der Apostel Jesu Christi. Sein Leben und Wirken, seine Briefe und seine Lehre. Ein Beitrag zu einer kritischen Geschichte des Urchristenthums, Erster Theil, 2. Aufl., nach dem Tode des Verfassers besorgt von E. Zeller, Leipzig 1866,401. E. Käsemann, An die Römer, HNT 8a, Tübingen 2 1974, 3 87. Stuttgart 1972, Anhang 25. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Das Neue Testament, hg. im Auftrag der Bischöfe Deutschlands, Österreichs, der Schweiz ..., 7. Aufl. der Endfassung Stuttgart 1988, 659.

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Herausgeber ihre jeweilige Einschätzung nicht gesondert kommentieren können, ist damit doch von vornherein ein historisches wie theologisches Urteil impliziert, wie neutestamentliche Angaben eingeordnet und bewertet werden können und welchen Wahrheitsgehalt sie besitzen. Aber auch bei den Fachautoren, wo angefugte Zeittafeln das jeweilige wissenschaftliche Werk belegen und kommentieren, setzen sich die oben angeführten unterschiedlichen Bewertungen fort. Jürgen Becker etwa notiert zu den „Lebensdaten des Paulus" in seiner chronologischen Übersicht: „Reise des Gefangenen Paulus nach Rom 58-60 (?) und Aufenthalt in Rom und Märtyrertod 60-62 (?)"5 und bringt sie auf diese Weise zum Abschluß. Demgegenüber enthält die von Martin Hengel und Anna Maria Schwemer ihrem Paulusbuch beigegebene Zeittafel folgende bemerkenswerte Notizen: „Herbst/Frühjahr 59/60 Romreise - 60/61 Phil? - 62 Spanienreise? - (62 oder) 64 Martyrium des Paulus in Rom"6. Aus diesen divergierenden Angaben läßt sich leicht ersehen, daß Uneinigkeit darüber besteht, ob die in der Apostelgeschichte dokumentierte Gefangenschaft mit seinem darauffolgenden Tod (62 oder 64 n.Chr.) verbunden ist, oder ob Paulus aus dieser Gefangenschaft noch einmal freigekommen ist und seine in Rom 15,24 und 28 dokumentierten Absichten einer Reise nach Spanien vor seinem Tod unter Nero in Rom realisieren konnte. Diese auf den ersten Blick rein historisch orientierten Problempunkte sind mit weitreichenden Implikationen verbunden.7 Denn forschungsgeschichtlich wie methodisch gesehen müssen von vornherein zwei Fragen voneinander unterschieden, wenn auch nicht getrennt werden. Die Frage nämlich einerseits, ob Paulus tatsächlich in Spanien gewesen sein kann und welche Quellenangaben und weiterreichenden Hinweise sich dafür heranziehen lassen, und andererseits die Frage, warum Paulus nach Spanien wollte und welche Quellen über seine Motivation hinreichend Zeugnis ablegen kann. Diese beiden Schritte sollen im folgenden getrennt vorgestellt werden, wobei die Schwerpunkte innerhalb der Forschungsgeschichte sich von vornherein präzisieren lassen. Während gerade die ältere Forschung sehr kontrovers die Historizität der Spanienmission diskutiert hat, ist in der neueren Forschung viel genauer und intensiver über die Hintergründe derselben nachgedacht worden. Darüber hinaus müssen die theologischen Implikationen dieser Reiseabsich-

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J. Becker, Paulus. Der Apostel der Völker, Tübingen 1989, 32. M. Hengel und Α. M. Schwemer, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien. Die unbekannten Jahre des Apostels, WUNT 108, Tübingen 1998, 475. Zu weiteren Differenzen innerhalb der Chronologie der paulinischen Missionstätigkeit vgl. R. Riesner, Die Frühzeit des Paulus. Studien zur Chronologie, Missionsstrategie und Theologie, WUNT 71, Tübingen 1994, bes. 1-26, wo der Stand der Forschung und die damit verbundenen Aporien aufgezeigt sind.

Warum wollte Paulus nach Spanien?

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ten einer genaueren Reflexion unterzogen werden, um sich von dort aus der Frage der Realisierung der Spanienreise in historischer Perspektive zu nähern. Dabei kann es sich zunächst einmal nur um die Darstellung und Nachzeichnung eines Stücks älterer wie neuerer Forschungsgeschichte handeln, weil das vorhandene Quellenmaterial nahezu erschöpfend behandelt und ausgereizt worden ist. Neuere Perspektiven lassen sich zur Zeit kaum noch ermitteln. Trotzdem soll der Versuch unternommen werden, die vorhandene Auslegung einer kritischen Sichtung zu unterziehen und dann nach einem Resümee auf Aspekte hinzuweisen, welche einer Revision unterzogen werden sollten, um Nichthaltbarkeit und Haltbarkeit der exegetischen Positionen zu dokumentieren und zu erhärten.

2

Tendenzen der älteren Forschung

In welchem Maße den lukanischen und paulinischen Angaben im Hinblick auf das Lebensende des Apostels Zutrauen zu schenken ist, wird seit Beginn der historisch-kritischen Erforschung des Neuen Testaments heftig diskutiert. In aller Schärfe hatte Ferdinand Christian Baur in seinem Paulusbuch einen Trend vorgegeben, dem sich in der Folgezeit viele anschließen sollten: „Die Reise des Apostels nach Spanien gehört in der That zum Unglaublichsten, was aus dem Leben des Apostels gemeldet wird. Es weiss sonst Niemand etwas von ihr, und wenn somit diese Stelle das einzige Zeugniss für sie ist, so kann nichts zweifelhafter sein, als die Vermuthung, dass der Apostel auch nur den Gedanken an eine solche Reise gehabt hat." Rahmen und Inhalt dieser „unglaublichen" Begebenheit werden in der Folgezeit inhaltlich präziser gefüllt und variiert. So konstatiert Heinrich Julius Holtzmann, daß Paulus „höchstens in rhetorischer Weise ... schon in die als Scheide des Morgen- und Abendlandes geltende Provinz des Reiches gelangt sein" könnte und urteilt abschließend: „... ein Plan, von dessen Ausführung die beglaubigte Geschichte so wenig weiß, als von dem Aufenthalt in Illyrien"9. Adolf Hausrath wiederum läßt eine Spanienreise des Paulus unerwähnt und unkommentiert und geht vielmehr von einer Gefangenschaft in Rom und damit verbundenem Martyrium aus.10 Derartige Bewertungen lassen sich in leichter Variation öf-

8 9 10

Baur, Paulus 401. H. J. Holtzmann, Lehrbuch der Historisch-kritischen Einleitung in das Neue Testament, SThL, Freiburg 1885, 259. A. Hausrath, Neutestamentliche Zeitgeschichte, Bd. III. Die Zeit der Märtyrer und das nachapostolische Zeitalter, Heidelberg 1874, 65-108.

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ter beobachten.11 Schließlich sind diejenigen Angaben noch gesondert hervorzuheben, welche die Nichthistorizität der Spanienmission des Paulus mit recht gewagten Hypothesen nachweisen wollen. Otto Pfleiderer meint nämlich keinen Grund sehen zu können, „warum Paulus eine dauernde Wirksamkeit, statt in dem wichtigen Mittelpunkt des Reiches, vielmehr im äussersten Westen beabsichtigt haben sollte. Viel leichter läßt es sich begreifen, daß man später, als der Name des Petrus in Rom den des Paulus zu überstrahlen begann, ein Interesse daran haben mochte, die römische Gemeinde als einen für Paulus fremden Boden darzustellen, den er nur als durchzureisender Gast zu bemühen gewagt habe". Diese Bewertungen lassen für ihn nur eine einzige Schlußfolgerung zu: Rom 15,19-24 und 28b können unmöglich von Paulus selber verfaßt sein, sondern entstammen einer späteren Einschaltung oder Überarbeitung.12 Auch Ernst Barnikol hat später ähnlich argumentiert und die Absichten einer Reise nach Spanien für eine „geographische Fiktion"13 gehalten und jegliche Gegenargumente wie Vollendung seines Wirkens in ökumenischer Weite, Naherwartung oder Stärkung durch die römische Gemeinde bei seiner Durchreise als unhaltbar abgeschmettert. Vergleichbar mit Pfleiderer zieht Barnikol die Verse Rom 15,24 und 28 heran, welche er für interpoliert hält und an deren Stelle einst Jerusalem (24) und Italia (28) gestanden hätten. Pfister wiederum glaubte belegen zu können, daß analog zu den antiken Wanderungs- und Missionslegenden von Odysseus, Aeneas, Herakles u.a. im christlichen Bereich mit wachsendem Missionserfolg auch die Legenden über die Apostel erweitert wurden. „So kam ... Paulus nach Spanien"; nicht zuletzt auch, weil nach Pfister eine belegbare Tradition existierte, welche auch Alexander den Großen über Rom bis zum Westen nach Cádiz kommen läßt.14 Abschließend sei Eduard Meyer angeführt, den die Spanienreise des Paulus ebenfalls nicht überzeugen konnte. Für ihn sind die belegbaren Reiseabsichten von Paulus zwar geäußert worden, aber der Ernst dieser

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Vgl. etwa C. Weizsäcker, Das apostolische Zeitalter der christlichen Kirche, Tübingen u.a. 3 1902, 194; P. Wendland, Die hellenistisch-römische Kultur in ihren Beziehungen zu Judentum und Christentum. Die urchristlichen Literarturformen, HNT 1/2 und 3, Tübingen 2 u '1912, 366; A. Jülicher, Einleitung in das Neue Testament, GThW III/l, 5. und 6. neu bearb. Aufl., Tübingen 1921, 95; E. von Dobschütz, Der Apostel Paulus. Seine weltgeschichtliche Bedeutung, Halle 1926, 17f. O. Pfleiderer, Das Urchristentum, seine Schriften und Lehren in geschichtlichem Zusammenhang, Bd. I., 2. neu bearb. und erw. Aufl., Berlin 1902, 174f. E. Barnikol, Römer 15. Letzte Reiseziele des Paulus. Jerusalem, Rom und Antiochien. Eine Voruntersuchung zur Entstehung des sogenannten Römerbriefes, FEUC IV, Kiel 1931, 13f.l9-21, Zitat 13. F. Pfister, Die zweimalige römische Gefangenschaft und die spanische Reise des Apostels Paulus und der Schluß der Apostelgeschichte, ZNW 14 (1913) 216-221, 218.

Warum wollte Paulus nach Spanien?

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Absichten leuchtet Meyer nicht ein. Für ihn stellen sie eine Art Ausrede des Paulus dar, weil ihm alles darauf angekommen sei, „in Rom festen Fuß zu fassen und die dortige Gemeinde fìir sein Evangelium ... zu gewinnen."15 Gegenüber diesen ablehnenden Einschätzungen sind im folgenden die Stimmen zu sammeln, welche sich einer Realisierung der Spanienpläne des Paulus weniger widersetzten und sie als eine historische Begebenheit in Erwägung zogen. Auch hier sind wie oben manche gewöhnungsbedürftige Hypothesen aufgestellt und entfaltet worden. Friedrich Spitta geht von einer doppelten Gefangenschaft des Paulus in Rom ebenso aus wie von einer Zweiteilung des Römerbriefes. Der erste Teil des Rom beziehe sich demnach auf eine frühere Phase des Wirkens des Paulus in Gefangenschaft, während der zweite Teil mit den Reiseplänen auf eine spätere Phase blicke, in welcher er nach Spanien gelangt sei.1 Als kühn ist demgegenüber der Versuch von J. Frey zu bewerten, der zum Beweis eines Spanienaufenthaltes gleich mehrere nicht haltbare Argumente anfuhrt. So sei Paulus etwa von Griechenland aus direkt nach Spanien gereist, ohne seinen in Rom angekündigten Besuch zu realisieren. Darüber hinaus sprächen Fakten, etwa die Tatsache, daß spanische Städte sich auf Paulus als ihren Patron beriefen, ebenso für die Realisierung der Spanienmission wie eine Inschrift aus der Zeit Neros, welche sich mit dem neuen Aberglauben auseinandersetze, was nach Johannes Frey die Existenz von christlichen Gemeinden zur Zeit des Paulus in Spanien belege.17 Rudolf Steinmetz hatte die genannte Inschrift bereits 1897 erwähnt und aus ihr ebenfalls in Kombination mit altkirchlichen Notizen vergleichbare Schlüsse gezogen.18 Ältere wie neuere Untersuchungen haben jedoch gezeigt, daß sich weder über die Patronatslinie noch aufgrund der Inschrift irgend etwas historisch Zuverlässiges über den Spanienaufenthalt belegen läßt.19 Viel be-

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E. Meyer, Ursprung und Anfänge des Christentums, Bd. 3: Die Apostelgeschichte und die Anfänge des Christentums, Stuttgart/Berlin 1923 (Nachdruck Stuttgart 1962), 131. F. Spitta, Zur Geschichte und Litteratur des Urchristentums I, Göttingen 1893, 107: „So sicher wie die doppelte Gefangenschaft selbst steht mir die Reise nach Spanien und die daran sich anschließende Rückkehr in die Gebiete, von denen namentlich der zweite Timotheusbrief berichtet." Th. Zahn, Einleitung in das Neue Testament 1/2, vielf. ber. Aufl., Leipzig 1900,441-445 hat an dieser Stelle zwar differenzierter argumentiert, liegt aber insgesamt gesehen mit Spitta auf einer Linie. J. Frey, Die letzten Lebensjahre des Paulus. Eine Studie zur Geschichte des apostolischen Zeitalters, BZSF, Berlin 1910, bes. 47-50. R. Steinmetz, Die zweite römische Gefangenschaft des Apostels Paulus. Eine kirchenhistorische und neutestamentliche Untersuchung, Leipzig 1897, bes. 81-95. J. M. Laboa, Art. Spanien, TRE 31 (2000) 610-635, 610f (Zitat 610) urteilt unmißverständlich: „Keine spanische Gemeinde betrachtet sich als unmittelbar paulinische Gründung, und es gibt keine Überlieferungen oder Spuren seiner Verkündigung." Für das 7. Jahrhundert n.Chr. weist die Überlieferung den Apostel Jakobus d.Ä. eigenartigerweise

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hutsamer hat demgegenüber Johannes Weiss mit Hilfe der Notiz aus 1 Clem 5 (um 96 n.Chr.) argumentiert, nach welcher Paulus den Westen wie den Osten des Reiches bereist habe. „Wer so schrieb, war der Meinung, daß Paulus seine geplante spanische Missionsreise ausgeführt habe. Mag sie nun richtig oder falsch sein - am Ende des Jahrhunderts, etwa 40 Jahre nach dem mutmaßlichen Todes-Datum des Paulus, bestand diese Tradition, die doch bereits so fest geworden war, daß der Verfasser mit rednerischen Anspielungen sie nur zu berühren brauchte, um auch in Korinth verstanden zu werden". Jedoch werden diese Angaben von Weiss nicht überstrapaziert, sondern zu dem vorsichtigen Urteil zusammengefaßt: „... das Lebensende des Paulus verläuft, geschichtlich gesehen, im Dunkel"20. Nur wenige Repräsentanten der älteren Forschung lassen sich anfuhren, welche die existierenden Fakten einer nüchternen Bewertung unterzogen und der Frage eines Spanienaufenthaltes des Paulus die wohl einzig mögliche Beantwortung zumuteten, sie nämlich offen zu lassen. In diesem Zusammenhang sei Hans Lietzmann zitiert: „Zunächst lebt er in Rom zwei Jahre lang in relativer Freiheit unter Polizeiaufsicht und kann ungehindert mit der Gemeinde verkehren und predigen. Was dann gekommen ist, wissen wir nicht. Möglicherweise ist er freigesprochen worden und hat wieder reisen und wirken

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für die Evangelisierung Spaniens aus, während durch Cyprian (ep 67) das Jahr 254 n.Chr. als erstes sicheres Zeugnis für christliche Gemeinden belegt ist. Zu der von J. Frey und R. Steinmetz erwähnten Inschrift aus der Zeit Neros ist zu sagen, daß P. B. Garns sie schon 1862 als eine plumpe Fälschung ausgewiesen hatte (Die Kirchengeschichte von Spanien I, Regensburg 1862, photomech. Nachdr. Graz 1956, 387): „Von all' den Inschriften, welche herumgetragen und Jahrhunderte lang als Quellen für die spanische Kirchengeschichte benützt wurden, ist nicht eine unzweifelhaft ächt". Schade, denn sie wäre für unsere Fragestellung besonders interessant gewesen: „Neroni Claudio Caesari Aug. Pont. Max. ob Provinciam La tronibus et his Qui novam Generi Humano Superstitionem inculcabant Purgatam" (Dem Claudius Nero Caesar Augustas, dem obersten Priester, zum Danke der Befreiung der Provinz von den Räubem, und von denjenigen, welche dem menschlichen Geschlechte einen neuen Aberglauben aufdrängen wollten). Vgl. zur Problematik insgesamt das fünfzehnte Kapitel des genannten Werkes: Die Inschriften - Keine Quelle für die Geschichte der ersten Jahrhunderte der Kirche Spaniens, 387-392. J. Weiss, Das Urchristentum, hg. von R. Knopf, Göttingen 1917, Zitate 299 u. 300. Vgl. mit ähnlicher Tendenz, die Spanienmission des Paulus bejahend, A. von Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten I. Die Mission in Wort und Tat, 4. verb, und verm. Aufl., Leipzig 1924, 83: „... bis Rom, ja wahrscheinlich bis Spanien als Missionar gekommen ist..." und A. Deissmann, Paulus. Eine kultur- und religionsgeschichtliche Skizze, 2. völlig neubearb. und verm. Aufl., Tübingen 1925, 192: „Die Frage, ob Paulus nach den zwei Jahren seiner dortigen Wirksamkeit die geplante spanische Reise noch ausgeführt hat, bleibt offen, ich rechne aber mit ihrer Bejahung".

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können, hat Spanien besucht und auch den Osten wiedergesehen. Aber das kann Legende sein - sicher ist, daß er unter Nero in Rom den Märtyrertod gestorben ist und an der Straße nach Ostia begraben wurde"21. Diese Tendenz zu einer offenen Beantwortung und Behandlung der Spanienmission des Paulus leitet über zu Arbeiten aus der neueren Forschung, wo neben der Frage der Historizität inzwischen verstärkt nach der Motivation des Heidenapostels gefragt wird. Dazu sollen im folgenden wenigstens vier neuere Auslegungsversuche vorgestellt werden, welche die Realisierung der Spanienmission aufgrund der vorhandenen Quellenlage auch nicht letztgültig beantworten, wohl aber den Erfahrungshorizont des frühen Christentums wie den des Paulus einer intensiven Befragung aussetzen, um so etwas über die Pläne des Paulus zu erfahren. Dabei wird eine chronologische Reihenfolge gewählt, um den sukzessiven Erkenntniszuwachs dokumentieren zu können.

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Tendenzen der neueren Forschung

3.1 Die am lukanischen Werk orientierte Konzeption von E. Earle Ellis22 Im Hinblick auf eine tatsächliche Durchführung der Spanienmission des Paulus nimmt E. Earle Ellis Bezug auf Angaben aus der Apostelgeschichte, obwohl dort an keiner Stelle explizit davon die Rede ist. Dreh- und Angelpunkt seiner Argumentation ist Act 1,8, wo der Verlauf der gesamtapostolischen Mission bis an das „Ende der Erde" vorausgesetzt wird, was nach Ellis durch die Gottesknecht-Prophetie von Jes 49,6 inspiriert ist (278). Bei der Bestimmung, welcher Ort mit der Formulierung „Ende der Erde" in antiken Texten assoziiert wurde, legt der Verfasser sich eindeutig auf Spanien, näher noch auf die Gegend um Gades (westlich von Gibraltar) fest, während sowohl

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H. Lietzmann, Geschichte der Alten Kirche I. Die Anfänge, Berlin u.a 1932, 111. Vgl. auch ders., Petrus und Paulus in Rom. Liturgische und archäologische Studien, AKG 1, Berlin u.a. 2 1927, 238-247, wo Lietzmann sich intensiv mit der Spanienreise des Paulus beschäftigt, ihre Realisierung aber mit einem „non liquet" offen beantwortet (244). Mit ähnlicher Tendenz A. D. Nock, Paulus, übers, von H. Schaeder, Zürich u.a. 1940, 113: „Auch hier können wir die Wahrheit nicht feststellen: die Behauptung, Paulus sei nach Spanien gegangen, konnte leicht auf Grund von Röm 15,24 entstehen, wo eine solche Reise als ein alter Plan des Paulus beschrieben wird". E. E. Ellis, „Das Ende der Erde" (Apg 1,8), in: C. Bussmann und W. Radi (Hg.), Der Treue Gottes trauen. Beiträge zum Werk des Lukas, FS Gerhard Schneider, Freiburg u.a. 1991, 277-286. Seitenzahlen in Klammem beziehen sich im folgenden jeweils auf die herangezogene Literatur.

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Rom als auch Äthiopien ausgeschlossen werden. Durch eine computergestützte Analyse kann Ellis zur Untermauerung •yi seiner These eine beeindrukkende Anzahl von Quellen anfuhren (279-282). Zur Stützung seiner Beobachtungen nennt er 1 Clem 5,7, wo sich eine vergleichbare Formulierung zum „Ende der Erde" findet, welche ebenfalls auf die Gegend von Gades hinweise und sich auch durch verschiedene Belege stützen lasse. Nach Act 13,47 sei diese Formulierung ausdrücklich für die paulinische Mission vorgesehen (282f). Für Ellis ergibt sich aus diesen Angaben, daß Lukas in den Act eine erste römische Gefangenschaft als ein „historisches Grunddatum" (285) voraussetze, von der Paulus dann später zu einer tatsächlichen Spanienmission (Gades) aufgebrochen sei. Um seine Ausführungen historisch wirklich abzusichern, muß Ellis mit mindestens zwei fragwürdigen Hilfskonstruktionen arbeiten, indem er nämlich einerseits „die beste Evidenz für eine jüdische Präsenz in Spanien" lediglich durch „die erklärte Absicht des Paulus in Rom 15,24.28", dorthin reisen zu wollen, erklärt und andererseits die Abfassung der Act in die Mitte der sechziger Jahre datiert (286). Bleiben die abschließenden Ausführungen gegenüber der sonstigen Argumentation auch stark zurück, sollte seine Hauptthese doch im Auge behalten werden. Scheinbar gab es sowohl bei Paulus selber wie in der paulinischen Schule eine Art Selbstverständnis, daß das Evangelium bis nach Spanien gebracht werden müsse, wenn nicht sogar gebracht worden sei. Angemerkt sei noch, daß dieser Beitrag von Riesner ins Deutsche übersetzt wurde und diesen auch beeinflußte, was im folgenden bei der Besprechung seines Entwurfes gezeigt werden soll.

3.2 Die missionsstrategisch begründete Position Rainer Riesners24 Rainer Riesner stellt bei seinen Überlegungen die zentrale Aussage des Paulus aus Gal 1,16f in den Vordergrund und leitet aus ihr die generelle Beauftragung zur Heidenmission ab (208). Diese ganz allgemein gehaltene Aussage sei von vornherein gegen zwei Mißverständnisse in Schutz zu nehmen. Denn einerseits sei mit Gal 1,16f wohl keine direkte Beauftragung verbunden, was wohl als Hinweis darauf zu werten sei, daß Paulus eben nicht beim Erlebnis vor Damaskus seine Missionsziele offenbart worden sind. Andererseits ak23

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Vgl. aber auch Gams, Kirchengeschichte I, 6-16, welcher schon 130 Jahre früher und ganz ohne elektronische Hilfsmittel die entscheidenden Quellen zu dieser Fragestellung zusammengetragen hat. Riesner, Frtlhzeit.

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zentuiert Riesner besonders, es sei nicht auszuschließen, daß es sich bei „der Aufnahme der Heidenmission um eine etwas später aus der Christusoffenbarung erwachsene Erkenntnis des Apostels" gehandelt habe (208). Der in Gal 1,17 festgehaltene Aufenthalt in Arabien unterstütze diese Beobachtung, weil sich darin gerade die Unabhängigkeit des Paulus von Jerusalem spiegele. Damit will Riesner wohl zum Ausdruck bringen: Trotz aller JerusalemVerbundenheit des Paulus und der Jerusalem-Zentriertheit seiner Mission hat die von ihm verfolgte Strategie in der Anfangszeit nichts mit Weisungen von dort, etwa in Form von Missionszielen zu tun. Im Hinblick auf die Missionsstrategie des Paulus stellt Riesner einen starken Bezug zu bestimmten Passagen des Buches Deuterojesaja fest25, erwägt dann weiterhin, ob nicht Judenchristen essenischer Prägung aus dem Bereich von Damaskus ihm den Blick für die ,,endzeitliche[n] Sammlung der Heiden" geöffnet hätten (211) und formuliert daraus die für seinen Ansatz leitende Frage, ob Paulus seine Missionspläne nicht vielleicht in der Bibel, dem Alten Testament, vorgezeichnet fand (216). Diesen Aspekt entfaltet er näher durch eine gezielte Untersuchung von Jes 66,18-21, wobei der Bezug zu Paulus insbesondere durch Rom 15,19f (vgl. 11,25-27) hergestellt wird (219). Anhand der Ortsangaben von Jes 66,19 meint Riesner das von Jerusalem „in einem nordwestlichen Halbkreis bis zum äußersten Westen" reichende Wirkungsfeld des Paulus erblicken zu können, welches Tarsus, Kilikien, Lydien, Mysien, Bithynien, Makedonien und den fernsten Westen (Spanien) umfaßte (223). Riesner möchte dabei weder behaupten, daß sich Paulus in dieser Weise von vornherein leiten ließ, noch, daß in der Prophetie Tritojesajas der einzige Grund für seine Reisepläne lag, sondern er will prüfen, „ob Paulus an entscheidenden Stationen seines Weges auch von dieser alttestamentlichen Missionsweissagung beeinflußt wurde" (225). Im Hinblick auf die Spanienpläne des Paulus bemerkt Riesner, daß Gallien aufgrund der Präsenz von namhaften jüdischen Gemeinden als Missionsziel für ihn viel näher gelegen habe. Die explizite Auslassung von Gallien sei jedoch durch Jes 66,19 bedingt, welches ihm ein Vordringen nach Spanien geradezu diktiert habe. Denn Spanien bildete nach zeitgenössischem Verständnis die „Grenzen der Welt"2 , und dort wäre dann in der Tat die Mission des Apostels im Westen abgeschlossen gewesen (27 lf). Leitend wäre für diese Absicht die von Paulus in unmittelbarer Zukunft erwartete Parusie, die von der Erfüllung der Heidenmission (Rom 11,25-27; 13,1 lf) abhängig war

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Vgl. Gal 1,15 mit Jes 49,1 ; Röm 15,20 mit Jes 52,15; 2 Kor 6,2 mit Jes 49,8. In Anlehnung an Ellis, Ende zitiert Riesner, Frühzeit 27lf Lucan, Phars III 454; Juv, sat X lf; Strabo II 5,9; Sil, punica XVII 637.

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(219). Gerade die letztgenannte Textstelle schließt nach Riesner aus, daß der Spanienplan des Paulus rein missionsstrategische Motive gehabt habe (272). Zusammenfassend läßt sich also feststellen, daß die Absichten der Reise nach Spanien fur Riesner auf der Prophetie Tritojesajas beruhen und dabei das Eingehen der Vollzahl der Heiden (Rom 11,25) und die damit verbundene Parusie wichtige Einflußgrößen bildeten. Jerusalem spielt als Ausgangsund Endpunkt seiner Sendung eine entscheidende Rolle. Offen bleibt allerdings in diesem Entwurf die Beantwortung der Frage, ob Paulus sein Ziel erreicht hat. Der Schwerpunkt der Fragestellung liegt eindeutig auf der Suche nach Hintergründen, nicht in der Nachzeichnung von vollzogenen Fakten.27 Daß Riesners Einschätzung von Jes 66 viel zu optimistisch ist, hat der nun vorzustellende Entwurf von Scott gezeigt.

3.3 Das an der Völkertafel (Gen 10) orientierte Schema ΛΟ von James M. Scott James M. Scott legt in seiner Untersuchung die geographische Orientierung des antiken Menschen als höchst bedeutend zugrunde und fragt von dorther, welche innere Landkarte Paulus vor Augen stand und welche weiteren Aussagenkreise eine derartige Verortung implizieren würde. Ausgangspunkt für Scotts Beobachtungen sind die Angaben der Völkertafeln in Gen 10 und 1 Chr 1,1-2,2 sowie deren Rezeption und Interpretation in alttestamentlich-jüdischen Texten (z.B. Jos, ant 1,122-147; Jub 8-9, Jes 66,18-20; vgl. auch die frühchristlichen Texte), welche als Schlüssel zur Bestimmung der Reiserouten des Paulus entdeckt und ausgewertet werden. Diese Angaben werden dann in verschiedene Richtungen entfaltet und mit vielerlei Implikationen versehen (45f; 46f; 148f). Die Hochschätzung von Gen 10 habe in der jüdischen Überlieferung nach Scott als eigentliche Mitte und Ziel die eschatologische Wiederherstellung Israels und die Wallfahrt der Völker zum Zion, was die paulinische Theologie (Rom 11,25; 15,10) ebenfalls stark geprägt habe (72f). Dabei hätte Paulus die universalistische Konzeption in der Tradition von Jer 4,2 und Gen 12,3 (vgl. Jes 66,18-20) im Blick gehabt, während er die ebenfalls existierende partiku27

Erwähnt sei an dieser Stelle die Arbeit von R. D. Aus, Paul's Travel Plans to Spain and the „Full Number of the Gentiles" of Rom. X I 25, N T 21 (1979) 232-262, welcher zu einem weithin ähnlichen Ergebnis wie Riesner gekommen ist, seine Überlegungen aber auf eine breitere Textbasis gestellt hat.

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J. M. Scott, Paul and the Nations. The Old Testament and Jewish Background of Paul's Mission to the Nations with Special Reference to the Destination of Galatians, W U N T 84, Tubingen 1995.

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lare Möglichkeit nach Ez 38 und 39; 30,329 nicht rezipierte, welche mit der Wiederherstellung Israels die Vernichtung der Völker assoziiere (74). Jerusalem spiele bei dieser Konzeption als „Nabel der Welt" eine herausragende Rolle. Denn die paulinische Mission werde von hier aus als in einem Kreis (Rom 15,19) sich vollziehend vorausgesetzt, wobei Teilbereiche dieses Kreises als unter den Söhnen Noahs aufgeteilt gedacht werden. Die in Rom 15,19 vorgestellte geographische Linie der paulinischen Mission korrespondiere besonders mit der in 1 Chr 1,1,-2,3 überlieferten Völkertafel (142). Die Reiseroute des Paulus in Richtung Westen entspreche der Richtung, welche die Japhetiten von Jerusalem als Zentrum des Kreises aus genommen hätten: von Tarsus in Kilikien nach Cádiz in Spanien (155.179f). Der von Riesner vorgetragenen Position kann Scott nur partiell folgen; sie wird deshalb auch entsprechend kritisiert. So stellt Scott etwa fest, daß Jes 66,18-20 an keiner Stelle im NT explizit zitiert30 werde (146f) und folglich nicht die Bedeutung für Paulus gehabt haben könne, welche Riesner ihr zumesse. Weiterhin stellt Scott heraus, daß Jes 66 die für Paulus entscheidenden Koordinaten Jerusalem und Spanien nicht enthalte. Schließlich missioniere Paulus auch nicht alle Nationen, welche in Jes 66 aufbewahrt seien (147 mit weiteren Kritikpunkten). Im Hinblick auf die Spanienmission des Paulus sollte nach Scott festgehalten werden, daß Spanien als westlichster Teil des Gebietes von Japhet und als das „Ende der Erde" gelte (142). Auf der Völkertafel, der Verheißung an Abraham (vgl. Gal 3,8 mit Gen 12,3 und 18,8) und dem Bundesgeschehen fußend, beginne Paulus seit dem Apostelkonzil 48 n.Chr. seine Pioniermission von Jerusalem aus gesehen in einem Zirkel (Ez 5,5) über Kleinasien nach Europa bis Rom und Spanien, wobei letzteres Japhets Gebiet entspreche (155f). Würden so die Reiserouten einsichtig, so sei doch die entscheidende Motivation hinter allem, daß nicht etwa Individuen, sondern die Heiden in der Fülle der Nationen zu ihrer Rettung eingehen müßten (Rom 11,25 und 15,10), um so die Parusie zu ermöglichen (217). Scott zeigt in diesem Zusammenhang auf, daß das paulinische und lukanische Konzept vom „Ende der Erde" bis nach Spanien reiche und Lukas sich für den paulinischen Wunsch offen gezeigt habe (175f).

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Vgl. auch die vielen jüdischen Texte aus der griechisch-römischen Periode bei Scott, Paul 74-121. Vgl. dazu besonders die Arbeit von F. Wilk, Die Bedeutung des Jesajabuches für Paulus, FRLANT 179, Göttingen 1998, der bezeichnenderweise in seiner Übersicht „Verzeichnis der untersuchten Zitate und Anspielungen" weder Jes 66 noch Röm 15 anführt (443-446).

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Wenn Scott auch die Frage unbeantwortet läßt, ob Paulus bis nach Spanien gekommen ist, so haben wir doch seiner Untersuchung Entscheidendes zu verdanken, nämlich eine Beantwortung der Frage, warum Paulus ausgerechnet bis nach Spanien wollte. Im folgenden sei abschließend die Monographie von Hengel und Schwemer vorgestellt, die weitgehend die drei besprochenenen Entwürfe fur ihre Einschätzung berücksichtigt und um einen eigenen Akzent erweitert haben.

3.4 Die pneumatisch begründete Missionsstrategie nach Martin Hengel und Anna Maria Schwemer31 Martin Hengel und Anna Maria Schwemer setzen bei ihren grundlegenden Überlegungen zur Theologie des Paulus für die Anfange seiner Mission „realisierbare missionarische Nahziele" (157) voraus. Diese seien „vom Geist angeleitet" und durch die „kurze Frist" motiviert gewesen und hätten keine Spanien- oder Rompläne enthalten (158). Beide unterscheiden so - ausgehend von Gal 1,16f - „zwischen dem Verkündigungsauftrag gegenüber 'Heiden'" und der „späteren Strategie einer 'weltweiten' Völkermission, die von Provinz zu Provinz fortschreitet" (158), wobei Jerusalem, beeinflußt durch Jes 66,18-20, immer im Zentrum bleibe, weil hier die Parusie stattfinde (159). Die beiden Stichworte Geistwirkung und Parusie bleiben auch für die Spätphase des Paulus für die Auslegung leitend. Denn nun seien, nicht zuletzt durch die positiven Entscheidungen des Apostelkonzils, Rom und Spanien Ziele der Mission des Paulus geworden. „Wenn dort mit der Predigt des Evangeliums der rettende Herrschaftsanspruch Christi proklamiert worden war, stand der Parusie des Kyrios nichts mehr im Wege" (392). Daß Paulus überhaupt diese und andere Reiserouten einschlug, ginge einerseits auf „Weisungen des Geistes" (393) zurück, was sowohl bei Paulus als auch bei Lukas zu belegen sei (401), und andererseits auf das alttestamentliche Verbot, nach Ägypten zu gehen (393). Hier rezipieren die Autoren das bei Scott vorgestellte Schema: Missionsziele nicht im Bereich Hams, sondern zuerst in demjenigen Sems und dann mit Zurückhaltung in demjenigen Japhets (Griechenland, Rom und Spanien, basierend auf Jub 8-9)32 (393).Wenn Paulus also zum Ende seines Wirkens Rom und dann das Ende der Welt, Spani-

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Hengel/Schwemer, Paulus. Vgl. zur geographischen Orientierung nochmals Scott, Paul bes. 15ff und den Stuttgarter Bibelatlas. Historische Karten der biblischen Welt, 3. neubearb. Aufl., Stuttgart 1998, 27 Nr. 26: „Die biblische Völkertafel in hellenistischer Zeit".

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en, bereisen wollte, dann seien als Einflußgrößen neben dem Apostelkonzil (403) die geistgewirkte Sendung wie die bevorstehende Parusie Jesu in Jerusalem zu nennen.33 Ob Paulus seine Spanienreise tatsächlich realisieren konnte, lassen die Autoren mit einem „non liquet" (403 Anm. 160)34 offen. Dennoch: „Die Notiz 1 Clem 5,7, eine gute Generation später in Rom verfaßt, spricht eher dafür." Das Verdienst der Autoren besteht auf jeden Fall in der theologisch konsequenten Durchdringung der Reisepläne und -routen des Paulus, welche die Spanienmission für ihn als zwingend notwendig erscheinen lassen. Fraglich bleibt aber dennoch, wie mit der Notiz in 1 Clem 5,7 umzugehen ist und ob sie mehr als nur einen Reflex darstellt.

3.5 Resümee Alle angeführten neueren Entwürfe zeichnen sich dadurch aus, daß sie Evidenzen für eine Spanienmission des Paulus aufzeigen wollen, dabei ihre Realisierung aber entweder methodisch vernachlässigen (Scott) oder eben offen lassen (Hengel/Schwemer). Trotzdem wird eine Fülle verschiedenster Aspekte angeführt, welche die Hintergründe eines geplanten Spanienbesuches durch Paulus näher beleuchten. Herauszuheben ist, daß sich die Autoren bemühen, über rein strategische und pragmatische Gründe des Heidenapostels hinaus nach theologischen Implikationen zu suchen, um diese auch auf ein breiteres Fundament der Geschichte und Theologie des frühen Christentums zu stellen. Im folgenden sollen einige bereits angesprochene Punkte aufgegriffen und für die hier verfolgte Fragestellung einer Problematisierung unterzogen werden, wobei eine Perspektive anvisiert wird, welche die Klarheiten und die Unklarheiten benennt und letztere einer möglichen Überwindung zufuhren will.

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Vgl. P. Stuhlmacher, Der Brief an die Römer, NTD 6, Göttingen/Zürich 1989, 212: „Paulus will als der von Gott durch Christus berufene Apostel der Heiden nach Spanien vordringen, um auf diese Weise der Erlösung ganz Israels und der Parusie des Christus vom Zion her den Weg zu bereiten (vgl. 11,13ff.)". Vgl. nochmals Aus, Travel 234, dessen These ist, „that the 'fall number of the Gentiles' in Rom. XI 25 will only 'come in' when Paul has brought Christian representatives from Spain to Jerusalem as a part of his collection enterprise". Vgl. dazu auch D. Zeller, Der Brief an die Römer, RNT, Regensburg 1985, 243: „... ist nicht mehr auszumachen...".

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Konsequenzen und Perspektiven

Zunächst soll noch einmal der Blick auf den Komplex geworfen werden, welcher sich mit der Motivation des Paulus beschäftigt, überhaupt Spanien als Ziel seiner Heidenmission in Betracht zu ziehen. Dabei sollen (1.) die inneren Beweggründe des Paulus eruiert werden, welche sein Selbstverständnis und seine theologischen Grundanliegen berühren. Sodann werden (2.) Gründe angeführt, die seine Handlungsabsichten unter einer anderen Perspektive zu durchdringen versuchen. Schließlich sollen (3.) die unverfugbaren Größen und Umstände reflektiert werden, welche die Spanienpläne nachhaltig beeinflußten. Danach sollen (4.) Sachverhalte benannt werden, die seinen Reiseabsichten möglicherweise entgegenstanden, und abschließend soll (5.) über das Gelingen der Spanienmission spekuliert werden. 1. Riesner hat mit seinen Ausführungen gezeigt, daß Paulus mehr als eine simple Missionsstrategie verfolgte. Zum einen war es die erwartete Parusie Jesu, welche ihm vor Augen stand und die seinem unermüdlichen Wirken Sinn und Mitte gab. Dabei drücken Schriftstellen wie Rom 11,25 und 15,10 die israeltheologische Komponente dieser Erwartung aus, mit der Wiederkunft Jesu sei die Rettung Israels verbunden. Aber nicht nur das: Wie Gal 3,8 unter Rezeption von Gen 12,3 und 18,8 zeigt, ist mit dem universalistischen jüdischen Konzept auch das Eingehen der Heiden verbunden, und dazu mußten die Heiden bis nach Spanien mit dieser Botschaft bekannt gemacht werden. Daß die endzeitliche Wiederherstellung Israels und das Kommen der Völker zum Zion in Jerusalem stattfinden würden, hat Paulus wohl nie bezweifelt. So ist die Formulierung in Rom 15,19 „von Jerusalem aus" zwar "rätselhaft", wenn diese rein missionstechnisch aufgefaßt wird, weil Paulus sich im Bereich Jerusalem/Judäa nur eingeschränkt aufhielt (vgl. Gal 1,17-23 mit Act 9,28-30). Doch will sie wohl mehr zum Ausdruck bringen, und Rom 15,19 ist dann eher „rein geographisch und nicht zugleich chronologisch ('angefangen mit Jerusalem') [zu] verstehen: Jerusalem als der eine geographische Eckpunkt des Missionswerkes des Paulus"35. Jerusalem ist aber nicht nur Eckpunkt, sondern auch Ausgangs- und Endpunkt seines Bemühens gewesen, und das Schloß fur ihn eine Mission bis ans Ende der Erde (Rom 10,18) selbstverständlich mit ein.36

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K. Haacker, Der Brief an die Römer, ThHK 6, Leipzig 1999, 307. Vgl. O. Michel, Der Brief an die Römer, KEK IV, Göttingen 4 1966, 369; Stuhlmacher, Römerbrief 369. Müßig ist nach diesem universalistischen Konzept deshalb auch die Frage, was gewesen wäre, wenn Paulus sich eher nach dem Osten als nach dem Westen des Römischen Reiches orientiert hätte. So der Titel eines Aufsatzes von R. Bauckham,

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Paulus selber hat in Rom 15,19b von der Selbstverpflichtung gesprochen, „das Evangelium erfüllen"37 zu wollen und zu müssen. Die in diesem Zusammenhang genannten Gebiete und Grenzen werden von ihm zwar erwähnt, einige bleiben dabei jedoch auch „unbearbeitet liegen"38. Aber die Gesamtrichtung seiner Pläne wird dadurch doch deutlich, nämlich, „daß das Heil für die ganze Welt bestimmt ist, also auch für die zivilisatorisch und wirtschaftlich unterentwickelten und benachteiligten Völker"39. Der Notiz aus Rom 1,14 wird in diesem Kontext meist nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt. Denn Paulus fühlte sich eben nicht nur Juden und Griechen, sondern auch Barbaren verpflichtet, also dem Teil der Menschheit, welcher der griechischen Sprache nicht mächtig war und deshalb von den anderen verachtet wurde. So sprechen schon die inneren Beweggründe des Paulus dafür, daß er in Erwartung des kommenden Jesus Christus zur Wiederherstellung Israels einschließlich des Hinzukommens der Völkerwelt das Evangelium mit dieser Ausrichtung „überall", und deshalb auch in Spanien, dem „Ende der Erde" verkünden mußte. 2. Zu diesen theologischen Grundkomponenten, welche das Denken und das Selbstverständnis des Paulus nachhaltig prägten, traten auch äußere Gründe, die den Westen des Reiches für ihn als Missionsziel attraktiv machten. In Rom 15,28 deutet Paulus durch die futurische Formulierung das endgültige Verlassen der östlichen Gebiete an. Die Beurteilungen dieses Phänomens fallen divergierend aus, zumeist unter Rezeption neuzeitlicher Kategorien. So wird davon gesprochen, daß Paulus im Osten „arbeitslos"40 geworden sei oder eine Art „Berufsverbot"41 erhalten habe. Vorsichtiger formuliert wird auch davon gesprochen, es seien Hindernisse bei seinen

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What if Paul Had Travelled East rather than West?, Biblical Interpretations. A Journal of Contemporary Approaches VIII (2000) 171-184. Der Irrealis der Formulierung verletzt darüber hinaus in wissenschaftstheoretischer Hinsicht den common sense der historischen Forschung, der sich stets mit gegebenem, aber nicht mit dem, was hätte sein können, beschäftigt. Vgl. zu dieser Formulierung Kol 1,25; Act 12,25; 14,26; 19,21. Vgl. Zeller, Römerbrief 239-243, 242. Vgl. Zeller, Römerbrief 243. U. Wilckens, Der Brief an die Römer. Teilband 3. Rom 12-16, EKK VI/3, Zürich u.a. 1982, 124. Haacker, Römerbrief 309 interpretiert hier Äußerungen von Ph. Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur. Einleitung in das Neue Testament, die Apokryphen und die apostolischen Väter, Berlin/New York 1975, 124. Vgl. in diesem Zusammenhang auch A. J. Dewey, Social-historical Observations on Romans 15,23:24, in: P. L. Reddit (ed.), Proceedings. Eastern Great Lakes and Midwest Biblical Societies 7 (1987) 49-57.

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„vielfältigen Aufgaben" eingetreten oder Paulus hätte „keinen Raum mehr für die ihm aufgetragene Erstlingsmission unter den Heiden"42 gesehen. Die Bewertung der paulinischen Angaben und ihrer Auslegung ist wesentlich von dem Ereignis und den Abmachungen auf dem Apostelkonzil 48 n.Chr. abhängig. So wertete Ernst Käsemann den Konflikt mit Petrus und anderen Aposteln auf der Jerusalemer Versammlung als wesentlich für die Neuorientierung des Paulus zum Westen des Reiches hin.43 Völlig anders schätzen demgegenüber Martin Hengel und Anna Maria Schwemer die damals getroffenen Entscheidungen ein. Dort sei Paulus nämlich endgültig „grünes Licht"44 für die universale Heidenmission gegeben worden. Ob dies tatsächlich der Fall gewesen ist, wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Unklar ist zumindest, welche Dimension der in Act 15,36-39 dokumentierte Streit mit Barnabas hatte und mit welchen Folgen und Implikationen er verbunden war. Unklar ist auch, was in Gal 2,9 tatsächlich ausgesagt wird und welche Perspektiven sich daraus ergeben 45 Für wahrscheinlicher halte ich, daß Paulus sich analog zu seiner Mission in Arabien und auf der ersten Missionsreise, als er Jerusalem zur Absicherung nachträglich aufsuchte (Gal l,17f und 2,2: „nicht vergeblich gelaufen bin"), ebenfalls nach Rom 15,31 rückwirkend seiner eigenverantworteten Heidenmission versichern will, um sich dann so den neuen Aufgaben in Spanien widmen zu können. Grundsätzlich nehme ich in diesem Zusammenhang an, daß Paulus seinen Aufgabenbereich in theologischer Hinsicht immer unabhängig verstanden und er sich in seinen Entscheidungen frei gefühlt hat. Weil aber Freiheit immer nur in Bindung gelebt werden kann, bindet Paulus seinen Aufgabenbereich auch immer zurück an Jerusalem. Schließlich ist im Bereich der äußeren Gründe abschließend zu fragen, weshalb Paulus neben dem Aspekt des „Endes der Erde" eine Veranlassung gefunden hatte, Spanien als missionarisches Ziel zu wählen. Hier wäre besonders anzuführen, daß Spanien über zahlreiche Rohstoffe verfügte,46 die Reichshauptstadt Rom intensive Handelskontakte mit dem Land

42 43 44 45

46

Stuhlmacher, Römerbrief 211. Käsemann, Römerbrief 379. Hengel/Schwemer, Paulus 403. Die Problemstellungen werden hier nur in aller Kürze angerissen, ausführlicher habe ich mich damit beschäftigt in: Trennungsprozesse zwischen Frühem Christentum und Judentum im 1. Jahrhundert n.Chr. Datierbare Abfolgen zwischen der Hinrichtung Jesu und der Zerstörung des Jerusalemer Tempels, TANZ 16, Tübingen/Basel 2 1997, 202206. Pomponius Mela (1. Jh. n.Chr.), Kreuzfahrt durch die Alte Welt, zweispr. Ausg. hg. von K. Brodersen, Darmstadt 1994 gibt an, Spanien habe „Überfluß an Männern, Pferden, Eisen, Zinn, Erz, Silber und sogar Gold..." (Buch II 86).

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unterhielt47 und Spanien auch schon in der Antike als touristisches Ziel galt48. Durch Priszilla und Aquila, mit denen Paulus nach ihrer Vertreibung aus Rom in Korinth längere Zeit zusammen gewesen war (Act 18), werden ihm Informationen über dieses Land zu Ohren gekommen sein, wodurch es sich bei ihm als lohnenswertes Ziel verfestigt haben könnte.49 Daß damit auch Probleme im Hinblick auf die jüdische Präsenz in Spanien und auf sprachliche Gegebenheiten verbunden waren, soll eigens noch unter 4. thematisiert werden. 3. Bei der Aufzählung der Faktoren, welche Paulus zu einer Spanienreise motiviert haben könnten, müssen auch unverfügbare Erfahrungen berücksichtigt werden. Hier wäre an die Gesamtkonzeption der paulinischen Reiserouten in den Act zu denken, die durchgängig und besonders an kritischen Stationen (Europa 16,9f) als vom Heiligen Geist gewirkt bewertet werden. Die Anfänge der Mission überhaupt (Act 2), der Beginn der Samaritanermission (Act 8) und die folgenschwere Entwicklung zur Heidenmission hin (Act lOff) sind nicht ohne die pneumatischen Erfahrungen ganz besonders des hellenistischen Judenchristentums (z.B. Act 7,55; 8,39) zu denken. Wenn Paulus in Rom 15,19 in der Rückschau ebenfalls auf die „Kraft des Geistes Gottes" rekurriert, kann sicher davon ausgegangen werden, daß dies auf Erfahrungen beruht, die von der Paulusschule später großflächig konzeptionell verarbeitet wurden. So bleibt jenseits aller Strategien, Überlegungen und Planungen ein Stück unverfügbaren Wirkens, welches nicht nur das frühe Christentum als Fügung des Heiligen Geistes begriffen hat. 4. Bei der Suche nach äußeren Gründen für eine geplante Spanienmission des Paulus war schon angedeutet worden, daß sowohl die jüdische Präsenz wie sprachliche Schwierigkeiten einer Realisierung massiv im Weg gestanden haben können. Diesen beiden Einwänden muß nähere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Besonders für die älteren Ausleger stand fest, daß in Spanien zahlreiche Synagogengemeinden belegt seien und Paulus mit ihnen als Anknüpfungspunkt, wie etwa auch in Kleinasien oder Griechenland, fest rechnen konnte.50 Vorsichtige Einschränkungen dieser doch recht optimistischen Einschätzung wurden jedoch aufgrund fehlender literarischer Quellen von Simon Apple47

48 49 50

Besonders die begehrten Pferde für die Zirkusspiele kamen aus Spanien; vgl dazu L. Friedlaender, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms in der Zeit von Augustus bis zum Ausgang der Antonine, Bd. 2, Leipzig 1922 (Nachdruck Aalen 1964), 41f Vgl. Käsemann, Römerbrief 380; Michel, Römerbrief 369 Anm. 2. Vgl. Gams, Kirchengeschichte I, 3; Michel, Römerbrief 369. Vgl. etwa Michel, Römerbrief 369; Käsemann, Römerbrief 380; M. E. Smallwood, The Jews under Roman Rule. From Pompey to Diocletian, SJLA 20, Leiden 1976, 122; H. Schlier, Der Römerbrief, HThK VI, Freiburg u.a. 1977, 435.

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bäum geltend gemacht, der Angaben aus Josephus, ant 12,150 entsprechend auswertete: „Our only information connected with Jewish occupations in Spain in the first century C.E. is the tradition that a weaver of the Temple tapestries migrated to Spain after the Destruction"51. Dieser wohl richtig bewertete Befund veranlaßte Robert Jewett deshalb zu der Vermutung, daß Paulus die in Rom 16,1 erwähnte Phöbe aufgrund ihrer hohen sozialen Stellung in Anspruch nehmen wollte, um ihm die entsprechenden kompensatorischen Rahmenbedingungen und eine logistische Basis für seine Spanienmission zu schaffen.52 Zu Recht hat Klaus Haacker dieser Beurteilung jedoch widersprochen, weil Paulus in Rom 16,1 nicht für seine Zwecke argumentiere, sondern im Gegenteil „die Phöbe ja gerade als (in Rom) hilfsbedürftig, also selbst auf Patronage angewiesen hinstellt"53. Schon T. C. G. Thorton hatte in seiner Kurzanzeige zur Spanienmission des Paulus auf die seines Erachtens gesicherte fehlende jüdische Präsenz in Spanien hingewiesen.54 Nach der großen Untersuchung von Heikki Solin sollte an dieser Einschätzung nicht mehr gezweifelt werden. Er hat nachgewiesen, daß vor dem 4. Jahrhundert n.Chr. keine Juden in Spanien zu belegen sind.55 Solin vermerkte darüber hinaus, daß die Inschriften alle in lateinischer Sprache abgefaßt sind, was die Aufmerksamkeit auf einen weiteren Aspekt lenkt. So hatte Ferdinand Hielscher schon 1925 höhnisch gefragt: „In welcher Sprache gedachte er wohl zu predigen? Aramäisch? Ausgeschlossen. Griechisch? Wie viele hätten ihn da wohl verstanden?! Also lateinisch? Aber das Lateinische verstand er selbst nicht. Oder wollte er vielleicht seinen Aufenthalt in Rom zur Erlernung der lateinischen Sprache benutzen?"56. Die lateini51

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S. Applebaum, The Social and Economic Status of the Jews in the Diaspora, in: The Jewish People in the First Century. Historical Geography, Political History, Social, Cultural and Religious Life and Institutions, CRI 1/2, Assen 1976, 701-727, 723. R. Jewett, Paul, Phoebe and the Spanish Mission, in: J. Neusner u.a. (ed.), The Social World of Formative Christianity and Judaism. Essays in Tribute to Howard C. Kee, Philadelphia 1988, 142-161. Haacker, Römerbrief 318. T. C. G. Thorton, St. Paul's Missionary Intentions in Spain, ET 86 (1974/1975) 120. H. Solin, Juden und Syrer im westlichen Teil der römischen Welt. Eine ethnischdemographische Studie mit besonderer Berücksichtigung der sprachlichen Zustände, ANRW II 29/2, Berlin/New York 1983, 587-789, 749-752. Die Vermutung Riesners, Frühzeit 271 Anm. 136, daß die harschen Urteile des aus Cordoba gebürtigen Seneca über Juden auf dessen Herkunft beruhten, ist durch nichts beweisbar und auch abwegig. Auch Martial stammte aus Spanien, auch er spottete über Juden oder verurteilte sie. Aber sein Urteil wird sich erst in der Konfrontation mit jüdischen Sitten und ganz besonders mit ihren Nachahmern auf heidnischer Seite in Rom gebildet haben, und mit Seneca wird es nicht anders gewesen sein. F. Hielscher, Forschungen zur Geschichte des Apostels Paulus I, Cottbus 1925, 25.

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sehe Sprache als Haupthindernis fur die Spanienmission ist zwar ein beliebtes Argument, entspricht aber weder dem neueren Forschungsstand noch der nötigen Differenzierung. So urteilt Sebastián Mariné Bigorra in einer neueren sprachgeschichtlichen Untersuchung, daß die Auffassung, in Spanien werde nur die lateinische Sprache gesprochen, ein viel zu allgemeines und pauschales Urteil sei. Nach seiner sehr differenzierten Analyse der verhältnismäßig häufig belegten Graffiti in griechischer Sprache urteilt er: „Sie zeigen, daß die griechische Sprache unter den vertriebenen Orientalen in Gebrauch war. Diese finden sich vor allem unter Sklaven und Freigelassenen, wie die Onomastik beweist, besonders die Nach- und Spitznamen, man findet sie vor allem in den großen Stadtzentren, in der Baetica und an der levantischen Küste ... Die erste Verbreitung des Christentums erreichte größtenteils diese niedrigen Schichten, wie dies besonders die christlichen Grabinschriften in griechischer Sprache nicht nur durch die Namen der Verstorbenen, der Verwandten und der Widmenden, sondern auch durch den Zustand der Sprache selbst bezeugen: Wegen der häufigen Fehler ... könnte man es als 'Vulgärgriechisch' bezeichnen"57.

Trifft dieses Untersuchungsergebnis zu, dann wäre ein Hauptargument gegen eine paulinische Mission in Spanien ausgeräumt. Demnach hätte Paulus auch ohne elaborierte lateinische Sprachkenntnisse dorthin reisen können. Fällt von dieser Beobachtung her ein neues Licht auf das andere Argument, das Hindernis der fehlenden jüdischen Präsenz in Spanien? An dieser Stelle kommt noch einmal der bereits oben erwähnten Notiz aus Rom 1,14 eine Bedeutung zu. Wenn Paulus seinen Auftrag auch als an die Barbaren gesendet auffaßte, dann konnte ihn die Absenz jüdischer Gemeinden in Spanien wohl kaum von seinem Vorhaben abbringen. Denn Paulus verstand sein Auftreten auf fremden Grund jeweils als eine Art „Pioniermission"58, was einerseits im Sinne von Rom 15,20 verstanden werden konnte, nicht dort zu verkündigen, wo der Name Jesu schon bekannt war, was ihn aber auch andererseits in Gebiete treiben mußte, in denen er sich auf seine vertrauten Anknüpfungspunkte wie jüdische Synagogen und Gebetsstätten nicht verlassen konnte. Wenn Paulus also Impulse als Pioniermissionar geben wollte in Gebieten, wo bisher die Christusbotschaft nicht vernommen worden war, ließe das möglicherweise doch Rückschlüsse auf eine Spanienmission zu. Dazu sollen nun im letzten und abschließenden Punkt Überlegungen angestellt werden. 57 58

S. Mariné Bigorra, Hispanische Latinität und sprachliche Kontakte im römischen Imperium, ANRW II 29/2, Berlin 1983, 819-852, 842f. Zum Ausdruck Stuhlmacher, Römerbrief 211; Haacker, Römerbrief 310; vgl zum Phänomen auch D. Zeller, Theologie der Mission bei Paulus, in: K. Kertelge (Hg.), Mission im Neuen Testament, QD 93, Freiburg u.a. 1982, 164-189, 182.

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5. Durch Quellenangaben wie 1 Clem 5,6f; Can Mur 2,35-37, Act Vere 1,159 scheint der Erfolg einer Spanienmission des Paulus gewährleistet zu sein. Jedoch muß in Rechnung gestellt werden, daß es nicht sicher ist, ob es sich bei diesen Angaben um einen Reflex auf die erfolgte Durchführung oder eben nur auf die Absichtserklärung nach Rom 15,24 und 28 handelt. Auch Datierungsfragen der betreffenden Quellen helfen an dieser Stelle nicht weiter, so daß es bei dem non liquet der Beantwortung bleiben muß.60 Dennoch sollten die unter 4. erwähnten Faktoren hier noch einmal zur Sprache und mit einer Teilaussage aus 1 Clem 5,6f in Verbindung gebracht werden. Klaus Haacker kommentiert: Wenn Paulus nach dieser Notiz „'siebenmal in Ketten' gewesen sei, so ist das um so leichter historisch vorstellbar, wenn der Prozeß, der den Apostel nach Rom brachte, nicht der letzte in seinem Leben war"61. Dieser Angabe kann allein deshalb mehr Zutrauen geschenkt werden, weil sie nicht auf eine im Neuen Testament enthaltene Notiz Bezug nimmt, obwohl wir natürlich über Gefangenschaften und Fesseln des Paulus informiert sind.62 Ist also die mit Polizeiaufsicht und Hausarrest verbundene Gefangenschaft in Rom nach den Act nicht das letzte Wort oder die letzte Nachricht über Paulus gewesen, sondern möglicherweise die vorletzte Haft vor seinem Martyrium unter Nero, dann ließe das die Hypothese zu, daß Paulus wegen der auch für Spanien belegbaren Griechischkenntnisse trotz fehlender jüdischer Präsenz einen letzten offensiven Vorstoß zu einer Pioniermission nach Spanien gewagt hat, um seinem in Rom 1,14 zum Ausdruck gebrachten Auftrag Folge zu leisten und ihn zu erfüllen. Es ist denkbar, daß Paulus auf dieser für ihn in vielerlei Hinsicht neuartigen Pioniermission nur ein kläglicher Erfolg beschieden gewesen ist, und daß sie vielleicht sogar mit einer erneuten Verhaftung und Überstellung als römischer Bürger nach Rom endete. Vielleicht hat Lukas deshalb auch das Ende der Apostelgeschichte derart offen gelassen. Daß Paulus in geschilderter Weise Spanien erreicht hatte, bringt Lukas vielleicht in Act 13,47 zum Ausdruck, wo das „Ende der Erde" als Endpunkt der paulinischen Mission anvisiert wird. Trotzdem kann dies alles nur in hypothetischer Form erwogen und

59 60

61 62

Vgl. Lietzmann, Petrus 242-245 und Gams, Kirchengeschichte I, 5-75. Der allzu unkritischen Schlußfolgerung von G. D. Papathomas in seiner leider nur in neugriechischer Sprache abgefaßten Untersuchung „Begab sich der Apostel Paulus nach Spanien?", Theol 60 (1989) 754-774 kann deshalb auch in dieser Form nicht zugestimmt werden. Für ihn steht fest, daß die Spanienmission „eine wahre Begebenheit und nicht nur eine Vermutung seitens der Forscher sei" (Zitat nach IZBG 37 [1990-1991] Nr. 1187). Haacker, Römerbrief 311. 2 Kor 6,5; 11,23; Phil 1,7; Phlm 1,1.10.13; vgl. Eph 3,1; 4,1; 6,20; Kol 4,2.10.18; 2 Tim 1,8.16; 2,9.

Warum wollte Paulus nach Spanien?

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nachgezeichnet werden. Letztlich bleibt es also dabei, daß der Weg der Forschung in Zukunft schwerpunktmäßig den neueren Ansatz nach dem "Warum" einschlagen und die Frage der älteren Forschung nach der Realisierung hinter sich, oder besser, offen lassen sollte.

Hermut Lohr

Zur Paulus-Notiz in 1 Clem 5,5-7 Die erste ausdrückliche Nachricht über den Tod des Apostels Paulus findet sich im traditionell 1 Clem genannten Schreiben der römischen an die korinthische Christengemeinde. Anlass und Anliegen des langen Schreibens sind Missstände in der korinthischen Gemeinde. Einige der bewährten Presbyter scheinen abgesetzt worden zu sein. Die römische Gemeinde ergreift in diesem Konflikt eindeutig Partei für die Wiederherstellung der alten Ordnung. Wenn auch dieses Thema im ganzen Brief präsent ist, so gehen die Darlegungen weit über die aktuelle Frage hinaus. Die Datierung des Schreibens - es handelt sich um einen echten Brief - ist nicht gesichert. Terminus ante quem für die Abfassung des Schreibens ist ein Testimonium des Bischofs Dionysios von Korinth bei Euseb, hist eccl IV 23,11, das man auf die Zeit um 170 n.Chr. datieren kann. Diesem Zeugnis zufolge ist 1 Clem nicht in allerjüngster Vergangenheit entstanden.1 Der Versuch, vor Dionysios deutliche Bezugnahmen auf 1 Clem zu finden - vorgeschlagen wurden insbesondere der Römerbrief des Ignatius von Antiochien und der Polykarpbrief - überzeugen nur bedingt und bilden keine verlässliche Basis zur Datierung. Sicherer terminus post quem ist die Abfassung von 1 Kor, den 1 Clem in 47,1-3 ausdrücklich zitiert. Das Verhältnis zu weiteren neutestamentlichen Schriften wie Joh oder Hebr ist unsicherer und erlaubt keine genauere Datierung. Gleiches gilt für andere Erwägungen, so zur Einordnung der in 1 Clem sichtbar werdenden Ämterstruktur der Kirche. Euseb, hist eccl III 16 datiert das Schreiben in die Zeit Domitians. Dieses Testimonium ist zu beachten, auch wenn die Deutung von 1 Clem 1,1 auf Christenverfolgungen unter dem Flavier unsicher ist, weil insgesamt eine solche Verfolgertätigkeit zunehmend in Frage gestellt wird. So wird 1 Clem überwiegend in die 90er Jahre des ersten Jahrhunderts n.Chr. datiert, auch wenn abweichende Meinungen durchaus vertreten werden, seien es Frühdatierungen

1

Vgl. Euseb, hist eccl IV 23,11: ώς καί την προτέραν ήμΐν δια Κλήμεντος γραφεΐσαν.

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Hermut Löhr

in die Zeit um 70 n.Chr., oder extreme Spätdatierungen weit in das zweite Jahrhundert hinein. Das für die uns beschäftigende Frage nach dem Ende des Paulus relevante Zeugnis in 1 Clem 5,5-7 findet sich im Kontext eines ausgedehnten Paradigmenkataloges, der in 3,4 stichwortartig angekündigt wird und sich dann von 4,1 bis 6,4 erstreckt. Den Anlass zu diesem erinnernd und warnend gemeinten Katalog bildet die Schilderung des Aufruhrs in der korinthischen Gemeinde in 3,1-4, welche im scharfen Kontrast zur Schilderung der früheren, vorbildlichen Zustände in Korinth (1,2-2,8) steht. Der Umschwung im Verhalten der Gemeinde wird in 3,1 mit einem (im ursprünglichen Kontext auf Jakob/Israel bezogenen) Schriftzitat aus Dtn 32,15 begründet: εφαγεν καί επιεν, καί έπλατύνθη καί έπαχύνθη, καί άπελάκτισεν ήγαπημένος.

ό

Er aß und trank, und er wurde breit und dick, und es schlug aus mit dem Fuß der Geliebte. Der Konflikt wird aus dem „Sattsein", dem guten Zustand der Gemeinde selbst erklärt. Die Verschlechterung der Lage wird in 3,2-4 in düsteren Farben geschildert: έκ τούτου ζήλος καί φθόνος, έ'ρις καί στάσις, διωγμός καί ακαταστασία, πόλεμος καί αιχμαλωσία, ούτως έπηγέρθησαν οί άτιμοι επί τους έντιμους, οί άδοξοι επί τους ένδοξους, οί άφρονες έπί τούς φρονίμους, οί νέοι έπί τους πρεσβυτέρους, δια τούτο πόρρω άπεστιν ή δικαιοσύνη καί ειρήνη, έν τφ άπολιπειν εκαστον τον φόβον του θεοΰ καί έν τη πίστει αύτου άμβλυωπήσαι, μηδέ έν τοις νομίμοις των προσταγμάτων αύτου πορεύεσθαι μηδέ πολιτεύεσθαι κατά το καθήκον τφ Χριστφ, άλλα έκαστον βαδίζειν κατά τάς έπιθυμίας της καρδίας αύτου της πονηρας, ζήλον άδικον καί άσεβή άνειληφότας, δι ου καί θάνατος είσήλθεν εις τον κόσμον. Daraus entstanden Eifersucht und Neid, Streit und Aufruhr, Verfolgung und Unordnung, Krieg und Gefangenschaft. So erhoben sich die nicht Geachteten gegen die in Ehre Stehenden, die Unwürdigen gegen die Berühmten, die Unverständigen gegen die Verständigen, die Jungen gegen die Älteren. Daher sind Gerechtigkeit und Friede weit entfernt, indem jeder die Furcht Gottes verlassen und im Glauben an ihn den klaren Blick verloren hat, und nicht in den Satzungen seiner Vorschriften wandelt und nicht sein Leben führt, wie es Christus entspricht, sondern jeder nach den Begierden seines bösen Herzens wandelt, ungerechte und gottlose Eifersucht tragend, durch welche auch der Tod in die Welt kam.

Zur Paulus-Notiz in 1 Clem 5,5-7

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Deutlich wird, dass das aktuelle Problem der Adressaten ein innergemeindlicher Konflikt ist. Wie aus anderen Passagen ersichtlich ist, handelt es sich nicht, wie es hier scheint, nur um einen Generationenkonflikt; vielmehr sind offenbar Amtsträger aus ihren Positionen entfernt worden, ohne dass über die Gründe Näheres zu erfahren wäre.2 Die klimaktisch angeordnete Reihe von vier Substantivpaaren bis hin zu „Krieg und Gefangenschaft" ist auf rhetorische Wirkung berechnet und trägt neben dem tadelnden einen mahnenden Ton. Insbesondere die beiden letzten Beschreibungen scheinen begrifflich in den politisch-staatlichen Bereich hinüberzuspielen, was Analogien in anderen Passagen von 1 Clem hat, auch wenn es semantisch möglich ist, πόλεμος "unpolitisch" zu interpretieren und mit „Kampf oder „Streit" wiederzugeben. Dass in den Augen des Verfassers der Konflikt ernste Folgen hatte, geht aber auch aus der abschließenden Formulierung hervor. Sie ist zwar Zitat (aus Sap 2,24; dort ist der Neid des Teufels der Verursacher), drückt aber doch wohl zugleich die Befürchtung des Autors aus, der korinthische Konflikt könne tödliche Folgen haben. Dass es um Leben und Tod geht, wird weiter aus den Beispielen deutlich, die der Text im Folgenden bietet. 1 Clem 4,1-6,4 ist durch die Nennung von Ursachen, welche auf die zitierte Aufzählung in 3,2 Bezug nimmt, klar gegliedert. Allein im ersten Beispiel, dem Brudermord von Kain an Abel, das besonders ausführlich und betont mit einem Schriftzitat einsetzt, wird die Nennung der Gründe nachgestellt, ansonsten steht sie voran. Es ergibt sich folgende Abfolge: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Beispiel Beispiel Beispiel Beispiel Beispiel Beispiel Beispiel

(4,1-7): (4,8): (4,9): (4,10) (4,11) (4,12) (4,13)

Kain und Abel (ζήλος und φθόνος); Jakobs Flucht vor Esaù (ζήλος); Joseph (ζήλος); Mose (ζήλος); Aaron und Miriam (ζήλος); Dathan und Abiram (ζήλος; auch δια τό στασιάσαι); David (ζήλος; auch φθόνος).

Nach dieser ersten Reihe wird ein Einschnitt signalisiert (5,1): nach den zeitlich zurückliegenden Beispielen sollen diejenigen der jüngsten Vergangenheit erwähnt werden (ελθωμεν έπί τους εγγιστα γενομένους άθλητάς); mit

2

Spekulation bleiben Versuche, aus 1 Clem einen Konflikt zwischen Juden- und Heidenchristen oder Amtskirche und Charismatikern herauszulesen.

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Hermut Löhr

dem Ausdruck άθλητάς klingt das Agon-Motiv an. Genauer gesagt geht es um Beispiele „unserer Generation" (της γενεάς ήμών) 3 . In der nun folgenden Reihung fällt die Abgrenzung etwas schwerer. So kann das erste Beispiel, die Nennung der „Säulen", als programmatische Überschrift über den folgenden Einzelbeispielen verstanden werden. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.

Beispiel Beispiel Beispiel Beispiel Beispiel Beispiel Beispiel

(5,2): (5,4): (5,5-7): (6,1): (6,2): (6,3): (6,4):

die „Säulen" (ζήλος und φθόνος); Petrus (ζήλος); Paulus (ζήλος und ερις); viele Auserwählte (ζήλος); Danaiden und Dirken (ζήλος); Ehefrauen (ζήλος); Städte und Völker (ζήλος und ερις).

Ohne große Mühe ergibt sich ein Diptychon von je sieben Beispielen der älteren Zeit und der Gegenwart des Autors, ein Indiz für eine durchaus planvolle Komposition. Allen Beispielen gemeinsam ist der Hinweis auf den ζήλος, ein Stichwort, das der Text außerhalb unseres Zusammenhanges noch mehrfach einsetzt4. Dass damit ein zentrales Anliegen des Schreibens genannt ist, wird nicht nur aus dem wiederholten Gebrauch in direkten Paränesen deutlich (9,1; 14,1), sondern auch besonders durch die Erwähnung im Rückblick in Kap. 63. Mit unserer Paradigmenreihe verbunden sind die anderen Vorkommen auch dadurch, dass der ζήλος als lebensgefährlich bezeichnet wird (9,1: τό εις θάνατον άγον ζήλος; 39,7, im Zitat von Hi 5,2: πεπλανημένον δε θανατοΐ ζήλος). Im ersten, siebten und achten Beispiel wird zusätzlich das Stichwort φθόνος verwendet, das uns schon in der Einleitung zur Schilderung der korinthischen Missstände in 3,2 begegnet war, sonst aber nicht mehr gebraucht wird. Mit dem Verb στασιάζειν 5 spielt auch das sechste Beispiel auf das korinthische Problem an; στάσις ist seit dem ersten Vers des Briefes der Ausdruck, der den Konflikt in der angeschriebenen Gemeinde bezeichnet6.

3 4 5

Dass der Ausdruck sich auf das "Geschlecht" der Christen beziehe, scheint mir im Kontext von 1 Clem unwahrscheinlich. Vgl. 9,1 ; 14,1 ; 39,7; 43,2; 45,7; 63,2. In 1 Clem sonst noch 43,2, 46,7; 47,6; 49,5; 51,3; 55,1. In allen diesen Passagen ist der aktuelle Bezug deutlich. O. Cullmann, Petrus. Jünger. Apostel. Märtyrer. Das historische und das theologische Petrusproblem, München/Hamburg 1967 (Nachdruck der 2. Aufl.

Zur Paulus-Notiz in 1 Clem 5,5-7

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Interessant ist, dass sich außerhalb unseres Textzusammenhanges mit στάσις verbunden dreimal ερις findet; neben dem schon genannten Vers 3,2 noch in 14,2 sowie in 54,2. Wird in 14,2 eine direkte Warnung in Bezug auf den Gemeindekonflikt ausgesprochen, so legt der Autor in 54,2 einem möglichen Urheber des Konfliktes die Worte zum Auswanderungsentschluss in den Mund: „Wenn es wegen mir Aufruhr und Streit und Spaltungen gibt, wandere ich aus, gehe ich fort". 7 Mit ζήλος kombiniert begegnet ερις in den Beispielen 10 und 14 unseres Paradigmenkatalogs, zum ersten Mal im Zeugnis über das Ende des Paulus, sowie dann in dem paränetischen Resümee in 9,1 (zusätzlich ist hier die ματαιοπονία genannt).8 Diese Hinweise mögen genügen um zu zeigen, wie der Autor ein recht dichtes semantisches Netz zur Beschreibung, rhetorischen Abwertung und Abwehr der Zustände in der korinthischen Gemeinde webt, wenn auch nicht von pedantischer Gleichmäßigkeit. Das Grundmotiv des beschriebenen Paradigmenkatalogs ist also ζήλος; hinzu treten im Einzelfall weitere beschreibende Termini. Die einzelnen Beispiele sind darüber hinaus nach Struktur und Umfang unterschiedlich gestaltet. Während das erste Beispiel mit einem ausführlichen Schriftzitat aus Gen 4,3-8 einsetzt und in 4,7 dann ein Resümee zieht, bestehen die folgenden drei Beispiele jeweils nur aus kurzen Erinnerungen an das biblische Geschehen. In Bezug auf Mose wird wieder die Schrift herangezogen (Ex 2,14), bevor erneut knappe Auflistungen die erste Tafel der Komposition abschließen. Die Beispiele des Petrus und Paulus sind durch die vorausgehende überschriftartige Bemerkung zu den „Säulen" sowie die Hinweise auf weitere (doch wohl christliche) Märtyrer in 6,1 zusammengeschlossen, bilden jedoch ein nach Inhalt und Umfang ungleiches Paar9; das PaulusBeispiel ist ausführlicher. Im vorletzten Beispiel in 6,3 wird wieder ein Schriftzitat (diesmal Gen 2,23) bemüht. Wir erwähnten bereits das verbindende Motiv der Todesgefahr bzw. des eingetretenen Todes durch Eifersucht. Mehrfach weist der Text ausdrücklich darauf hin: Kain tötet Abel. Josef wurde μέχρι θανάτου (4,9) verfolgt.

6 7 8

9

Zürich/Stuttgart 1960), 108 hat überzeugend dargelegt, dass die philologisch mögliche Übersetzung mit „Hass" fìir den Zusammenhang von 1 Clem nicht passt. Vgl. neben 1,1 noch in 2,6; 3,2; 14,2; 46,9; 51,1; 54,2; 57,1 und in der abschließenden Mahnung 63,1. εί δι' έμε στάσις κ α ί ερις και σχίσματα, εκχωρώ, απειμι. ερις sonst in 1 Clem noch in 35,5 (im Rahmen eines Lasterkatalogs); 44,1 (die Apostel sahen Streit um das Amt der Aufsicht voraus); 46,5 (bezogen auf die Korinther, neben θυμοί, διχοστασίαι und σχίσματα). Nicht geglückt ist m.E. der Versuch von Η. E. Lona, Der erste Clemensbrief, KAV 2, Göttingen 1998, 159, eine durchgängig parallele Konstruktion der beiden Exempla zu erweisen.

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Dathan und Abiram fahren in den Hades hinab. Die „Säulen" haben εως θανάτου gekämpft. Petrus ist an den „Ort der Herrlichkeit" (τόπος της δόξης), Paulus an den „heiligen Ort" gelangt, nachdem er aus der Welt geschieden ist. Die verfolgten Frauen haben das Ziel des Glaubenswettlaufes erlangt und das Ehrengeschenk empfangen. Städte sind zerstört worden, Völker ausgerottet. Ein positiver Ausblick über die Todesgrenze hinaus ist nur fur Beispiele der zweiten Tafel - aber auch dort nicht durchgängig - eröffnet; genauer gesagt fur Petrus, Paulus und die verfolgten Frauen.10 Darüber hinaus fällt als unterscheidendes Moment auf, dass auf das agonistische Motiv nur im zweiten Teil angespielt wird; vergleiche nach der thematischen Einleitung in 5,1 noch 5,2 (ήθλησαν), 5,5 (βραβεΐον εδειξεν) sowie das schon erwähnte Beispiel der Frauen in 6,2. Das Agon-Motiv ist dann in der paränetischen Bezugnahme auf den Paradigmenkatalog in 7,1" ebenfalls präsent. Die Warnung vor dem todbringenden ζήλος etc. ist hier also durch das Motiv des Glaubenskampfes und der Vorbilder darin stark überlagert. Parallel dazu tritt die Erwähnung derjenigen, die den Streit etc. auslösen, hier ganz zurück: Wurden in 4,Iff. die Urheber überwiegend mitgenannt (Kain; Esaù; Pharao; Dathan und Abiram; Saul), so bleibt die Schilderung in 5,Iff. meist beim zurückhaltenden Passiv. Diese Beobachtungen zeigen tendenzielle Unterschiede zwischen den beiden Hälften der Beispielreihe auf, jedoch keine strikt trennenden Momente. Ausreichende Gründe für eine diachrone Auswertung des Befundes, d.h. für literarkritische Scheidungen im Text bieten sie jedenfalls m.E. nicht. Wenden wir uns nun genauer dem Paulus-Beispiel zu. In 5,5-7 heißt es: δια ζ ή λ ο ν καί εριν Π α ύ λ ο ς υπομονής β ρ α β ε ΐ ο ν εδειξεν, έπτάκις δεσμά φορέσας, φυγαδευθείς, λιθασθείς, κήρυξ γενόμενος ε ν τε τη α ν α τ ο λ ή καί έ ν τη δύσει, το γ ε ν ν α ΐ ο ν της πίστεως αύτοδ κλέος έ'λαβεν, δικαιοσύνης διδάξας ο λ ο ν τον κόσμον, καί έπί το τέρμα της δύσεως έλθών καί μαρτυρήσας έπί των ήγουμένων, οϋτως α π η λ λ ά γ η του κόσμου καί εις το αγιον τόπον άνελήμφθη 1 2 , υπομονής γενόμενος μέγιστος ύπογραμμός. Wegen Eifersucht und Neid zeigte Paulus den Siegpreis der Ausdauer auf, siebenmal Fesseln tragend, des Landes verwiesen, gesteinigt, ein Botschafter geworden im Osten

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In 26,2f sind wohl der Psalmist und Hiob Zeugen der sicheren Hoffnung auf Auferstehung. Die Auferstehung ist in 1 Clem pointiert als künftige gefasst; vgl. 24,1: τήν μ έ λ λ ο υ σ α ν ά ν ά σ τ α σ ι ν ; ferner 28,1 : ά π ό των μελλόντων κριμάτων. Es fällt schwer, in dieser Aussage nur eine - sehr massive - Aufnahme des AgonMotives zu erblicken; spielt 1 Clem nicht doch auf Verfolgungen von außen an? Varia lectio: έπορεύθη; eine textkritische Entscheidung ist kaum möglich.

Zur Paulus-Notiz in 1 Clem 5,5-7

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und im Westen, hat er den edlen Ruhm seines Glaubens empfangen. Gerechtigkeit hat er die ganze Welt gelehrt, und zum Endpunkt des Westens ist er gekommen und hat vor den Führenden Zeugnis abgelegt, so ist er aus der Welt geschieden und wurde in den heiligen Ort aufgenommen - zum größten Beispiel der Ausdauer geworden. Wird durch die Erwähnung von „Eifersucht und Neid" das Paulus-Beispiel in den Paradigmenkatalog eingefügt und zugleich ein Bezug auf die Situation in Korinth (vgl. 3,2) hergestellt, so prägen mit den Stichwörtern β ρ α β ε ΐ ο ν und, zweimal und so eine inclusio bildend, υ π ο μ ο ν ή zwei weitere Motive die Darstellung, das Agon-Motiv und die Vorstellung der beispielhaften Ausdauer. Das Motiv der Ausdauer begegnet in 1 Clem noch mehrfach. Zwar wird das Substantiv υ π ο μ ο ν ή nur noch zweimal, in 62,2 und im abschließenden Gebetswunsch 64,1 verwendet. Doch gerade das Vorkommen in 62,2 zeigt, dass die „Ausdauer" für den Verfasser zu den wesentlichen Themen des Briefes gehört: περί μεν των άνηκόντων τη θρησκείςι ήμών και των ώφελιμωτάτων εις ένάρετον βίον τοις θέλουσιν εύσεβώς καί δικαίως διευθύνειν, ίκανώς έπεστείλαμεν ύμΐν, άνδρες αδελφοί, περί γαρ πίστεως και μετανοίας καί γνησίας αγάπης καί έγκρατείας και σωφροσύνης καί υπομονής πάντα τόπον έψηλαφήσαμεν, ύπομιμνήσκοντες δεΐν ύμάς έν δικαιοσύνη καί αληθείς* καί μακροθυμίςι τω παντοκράτορι θεφ όσίως εύαρεστεΐν. Über das, was unserer Gottesverehrung angemessen ist, und was in allererster Linie notwendig ist zu einem tugendsamen Lebenswandel für die, die (ihr Leben) fromm und gerecht führen wollen, haben wir euch hinreichend brieflich unterrichtet, Männer, Brüder. Denn über Glaube und Umkehr und echte Liebe und Enthaltsamkeit und Besonnenheit und Beharrlichkeit haben wir jedes Thema berührt, daran erinnernd, dass ihr in Gerechtigkeit und Wahrheit und Langmut dem allmächtigen Gott fromm gefallen müsst. Die neben υ π ο μ ο ν ή genannten Stichwörter πίστις, μ ε τ ά ν ο ι α , ά γ ά π η , ε γ κ ρ ά τ ε ι α und σ ω φ ρ ο σ ύ ν η begegnen auch sonst in 1 Clem 1 3 , allerdings in sehr unterschiedlicher Häufigkeit, σ ω φ ρ ο σ ύ ν η zudem nicht vor der zitierten Passage. Während das Vorkommen von ε γ κ ρ ά τ ε ι α und σ ω φ ρ ο σ ύ ν η nicht auffallig ist und auch keine besonderen Schwerpunkte erkennen lässt, begeg13 πίστις: 1,2; 3,4; 5,6; 6,2; 10,7; 12,1.8; 22,1; 26,1; 27,3; 31,2; 32,4; 35,2.5; 42,5; 55,6 58,2; 60,4; 64,1; μετάνοια: 7,4.5.6; 8,1.2.5; 57,1; άγάπη: 21,7.8; 33,1; 47,6 49,1.2.4.5(neunmal).6; 50,1.2.3.5(zweimal); 51,2; έγκράτεια: 35,2; 38,2; 64,1 σωφροσύνη: 64,1. Zu vergleichen ist auch die Verteilung der stammgleichen Verben πιστεύειv: 10,6; 12,7; 16,3; 34,4; 39,4; 42,4; 43,1; μετανοεΐν: 7,7; 8,3; αγαπάν: 3,1 15,4; 18,6; 22,2; 29,1; 34,8; 56,4; 59,2; 59,3(zweimal); έγκρατεύειν: 30,3 σωφρονεΐν: 1,3; zu ύπομενειν s. sogleich.

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nen πίστις, μετάνοια und άγάπη sehr viel öfter. Hier ergeben sich thematische Schwerpunkte, durch die Paradigmenkataloge zur πίστις in 9,3-12,8, zur μετάνοια in 7,5-8,5, zur άγάπη durch ihren Lobpreis in Kap. 49f und eben zur υπομονή in 5,5.7 im Rahmen von Kap. 4 bis 6. Die Nennung der thematischen Stichwörter in Kap. 62 ist also insgesamt durch den Inhalt der vorausgehenden Ausführungen gedeckt, doch gibt die Formulierung kein präzises Abbild der tatsächlichen Abfolge und der Wichtigkeit der genannten Themen14. Die Stichwörter πίστις, εγκράτεια, σωφροσύνη, υπομονή, μακροθυμία und ειρήνη sind dadurch hervorgehoben, dass sie sowohl in der zitierten Zusammenfassung des Briefinhaltes in Kap. 62 wie auch im abschließenden Gebetswunsch Kap. 6415 erscheinen. Die partielle Varianz der Begrifflichkeit zeigt zum einen, dass man beim Verfasser eine allzu strikte Konstruktion der intratextuellen Verweise nicht erwarten darf. Zum anderen aber lässt sich aufgrund des Befundes vermuten, dass er das Paulus-Beispiel als wesentliches Element seiner praktisch-ethisch ausgerichteten und weit über den konkreten Anlass hinausgehenden Unterweisung verstanden hat. Hier wird bedeutsam, dass der Text selbst in 5,7 das Leben und Ende des Paulus als „größtes Beispiel der Geduld" bezeichnet.16 Diese Vermutung erfahrt eine Bestätigung, wenn wir nun eigens noch den Gebrauch des Verbums ύπομένειν beachten. Es wird viermal in 1 Clem verwendet, nämlich in 34,8; 35,3.4 und 45,8. Besonders die Vorkommen in Kap. 35 und 45 tragen Wesentliches zum Verständnis auch unserer Passage bei. Denn nachdem in 35,3 der Lohn des Ausharrens in Aussicht gestellt wird, mahnt der folgende Vers: ή μ ε ΐ ς ο ύ ν άγωνισώμεθα εύρεθηναι έ ν τω αριθμώ των υπομενόντων αύτόν, δπως μεταλάβωμεν των έπηγγελμένων δωρεών. Wir nun wollen kämpfen erfunden zu werden in der Zahl der auf ihn Harrenden, auf dass wir der verheißenen Geschenke teilhaftig werden.

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Diesen Tatbestand wertet Ch. Eggenberger, Die Quellen der politischen Ethik des 1. Klemensbriefes, Zürich 1951, 17f fur seine Annahme aus, die Äußerung beziehe sich auf ein früheres Schreiben von Rom nach Korinth. Doch wird damit die Formulierung selbst erheblich überfrachtet. Daneben sind dort φόβος und ά γ ν ε ί α genannt. Den Zusammenhang übersieht A. Lindemann, Paulus im ältesten Christentum. Das Bild des Apostels und die Rezeption der paulinischen Theologie in der frühchristlichen Literatur bis Marcion, BHTh 58, Tübingen 1979, 79, wenn er υπομονή in Kap. 62 und 64 als „eine einzelne christliche Tugend" versteht und von ihrer umfassenderen Bedeutung in Kap. 5 unterscheidet.

Zur Paulus-Notiz in 1 Clem 5,5-7

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Deutlich ist die Verknüpfung des Motivs des Ausharrens mit agonistischer Sprache sowie mit dem Blick auf eschatologische Güter als dessen Lohn. Was in Kap. 5 am Beispiel des Paulus als schon erfüllt beschrieben war, wird hier den Adressaten als künftige und anzustrebende Möglichkeit in Aussicht gestellt. Der gedankliche Zusammenhang wird vollends deutlich, wenn wir nun noch auf Kap. 45 blicken, eine Art Parallele zum Paradigmenkatalog in Kap. 4-6. Denn auch in Kap. 45 werden Beispiele für die Unrechte Verfolgung bis hin zum Tode gegeben; namentlich genannt werden in 45,5 Daniel und in 45,7 Ananias, Asarja und Misael. Das Thema ist nun ausdrücklich die Verfolgung Gerechter, vergleiche die programmatische Äußerung in 45,4. Deutlich ist auch der Bezug auf den Konflikt in Korinth, einerseits durch die Darlegungen von Kap. 44 (vergleiche vor allem 44,3; die Absetzung der Presbyter ist aus römischer Sicht ού δικαίως geschehen; d.h. das Thema der Gerechtigkeit klingt hier schon an), andererseits durch die Wiederaufnahme der Paränese in Kap. 46. Leise scheint jedoch auch die frühere Paradigmenreihe anzuklingen, wenn der Text in 45,1 die Adressaten auffordert, φιλόνεικοι καί ζηλωταί fur dasjenige zu sein, was zur Rettung dient. Man erinnert sich an die anaphorische, fast penetrante Verwendung von ζήλος in den Kapiteln 4 bis 6. Die Verbindung der Motive von Agon, Ausdauer, eschatologischem Lohn und der Vorbildfunktion für die Gegenwart der bedrängten Gemeinde ist also keineswegs auf die Paulus-Notiz beschränkt, sondern verbindet die beiden genannten Paradigmenkataloge und erweist ihren Bezug auf das aktuelle Problem in Korinth. Zudem ist nun besser verstehbar, wie der Verfasser beides, die Warnung vor der Eifersucht etc. und die durch die Beschreibung von Vorbildern indirekt ausgedrückte Mahnung zum Ausharren zusammenstellen kann. Das Ausharren ist vor dem Hintergrund des aktuellen Anlasses primär als Dulden im innergemeindlichen Zwist zu verstehen. Dass dahinter Bedrängung von außen - oder zumindest die Gefahr einer solchen - steht, ist nicht auszuschließen, aber aus unserem Text auch nicht sicher zu erweisen. Das auffallige Fehlen der Motivkombination in der ersten Tafel unseres Paradigmenkataloges ist so kaum zum traditions- oder literarkritischen Argument in Bezug auf den zweiten Teil zu wenden, der viel stärker in den Kontext von 1 Clem integriert erscheint als der erste. Wenn hier etwas eingefügt oder passend gemacht wurde, dann der erste Teil. Kehren wir zu der Paulus-Notiz zurück und halten einen Augenblick inne. Die bisherigen Bemerkungen haben deutlich gemacht, in welcher Absicht der Autor das Beispiel bringt. Abgekürzt gesagt geht es um Paränese aus aktuellem Anlass. Ein besonderes Interesse an traditio oder Geschichte ist nicht er-

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kennbar. Wenn wir also die Paulus-Notiz auf ihren geschichtlichen Wert hin befragen, treffen wir nicht das eigentliche Interesse des Autors in diesem Textabschnitt. Das muss kein Nachteil sein. Denn Versuche, eine Ortstradition zu begründen oder zu legitimieren, einander widersprechende geschichtliche Überlieferungen miteinander auszugleichen o.ä. müssten in viel höherem Maße dem Verdacht nicht so sehr der literarischen Gestaltung, als vielmehr des Zurechtbiegens des wirklich Geschehenen unterliegen als eine Notiz wie die vorliegende, die vielleicht Neues mitteilt, vielleicht auf längst Bekanntes rekurriert, jedenfalls in irgendeiner Weise auf einen Wissenskonsens ausgerichtet ist, um ihr eigentliches, paränetisches Ziel zu erreichen. Das als Beispiel Gewählte kann, ja muss gestaltet werden, um dem übergreifenden Zweck dienen zu können17, doch muss m.E. der historische Sachgehalt der Aussage zumindest in den Augen des Autors ziemlich selbstverständlich und unbestritten gewesen sein, damit er überhaupt persuasiv eingesetzt werden konnte. Im Sinne historischer Methodologie gesprochen, welche die Quellen nach ihrer Intention ordnet, halte ich die Notiz in 1 Clem 5 daher für einen "Überrest", nicht für Tradition. Nachdem in V.5 gewissermaßen als Rezeptionsanweisungen fur das ganze Beispiel die drei Motive von ζήλος und ερις, υπομονή und Agon-Motiv miteinander genannt wurden, bieten Verse 6 und 7, die semantisch teilweise parallel, teilweise chiastisch konstruiert sind, gleichsam in zwei Bewegungen die Schilderung von Leben und Werk des Paulus. Beide berichten vom Tun, der Konfrontation und dem Ende des Paulus. V.6 setzt ein mit drei Peristasen (Gefangenschaften, Vertreibung, Steinigung), nennt dann stichwortartig die Bedeutung von Pauli Wirken und deutet zuletzt das Ende des Paulus an. V.7 kennzeichnet zunächst das Wirken des Paulus als universales Lehren der Ge-

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Dass der Text z.B. auf martyrologische Sprache rekurriert, wie vor allem K. Beyschlag, Clemens Romanus und der Frühkatholizismus. Untersuchungen zu I Clemens 1-7, BHTh 35, Tübingen 1966, 207ff ausführlich gezeigt hat (für nicht überzeugend halte ich jedoch seinen Versuch, eine ganz feste, vielleicht schon vor 1 Clem schriftlich fixierte Tradition nachzuweisen; zu den Grenzen der Analogie etwa zu 4 Makk vgl. auch den Exkurs bei A. Lindemann, Die Clemensbriefe, HNT 17, Die Apostolischen Väter I, Tübingen 1992, 40; vorsichtig abwägend argumentiert J. W. van Henten, Zum Einfluß jüdischer Martyrien auf die Literatur des frühen Christentums II. Die Apostolischen Väter, ANRW II 27/1, 700-723, 705-711, ders., The Martyrs as Heroes of the Christian People. Some Remarks on the Continuity between Jewish and Christian Martyrology, with Pagan Analogies, in: M. Lamberigts and P. van Deun [ed.], Martyrium in Multidisciplinary Perspective. Memorial Louis Reekmans, BEThL 117, Leuven 1995, 303-322, 318-322), sagt somit weder in der einen noch der anderen Richtung etwas über den historischen Wert der Notiz. Historiographie ist immer von Menschen gestaltete, auch subjektiv gefärbte Erzählung, aber deshalb nicht sogleich rein fiktiv.

Zur Paulus-Notiz in 1 Clem 5,5-7

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rechtigkeit bis zu den Grenzen des Westens, führt dann die Schilderung seines Tuns fort zur Konfrontation mit den ήγούμενοι und umschreibt schließlich sein Ende mit den Wendungen „aus der Welt scheiden" und „an den heiligen Ort gelangen". In ihrer Interpretation umstritten sind vor allem die Wendungen επί τό τέρμα της δύσεως έλθών und μαρτυρήσας επί των ηγουμένων, die durch καί einander syntaktisch gleichgeordnet sind, was inhaltlich übrigens nicht heißen muss, dass die berichteten Ereignisse zu gleicher Zeit stattgefunden haben. Mit der Interpretation des erstgenannten Syntagmas entscheidet sich die Frage, ob die Paulus-Notiz in 1 Clem von einer Spanien-Reise des Apostels ausgeht. Bekanntlich steht durch des Paulus eigene Worte in Rom 15,24.28 die Absicht des Apostels, über Rom nach Spanien weiterzureisen und so im Westen seine Mission fortzusetzen, außer Frage.18 Es bedarf allein einer Klärung, ob diese Absicht verwirklicht wurde. Die nach der gängigen Datierung frühesten literarischen Zeugnisse für eine tatsächlich stattgefundene Reise stammen vom Ende des 2. Jahrhunderts und finden sich im Canon Muratori, der auch eine Erklärung dafür findet, wieso die Act über diese Ereignisse kein Wort verlieren (und damit seinen Bezugstext deutlich anzeigt), sowie der Actus Petri cum Simone (Lipsius/Bonnet I, 45 Z.10; 51 Z.26)19. Eine Bezugnahme auf die Notiz in 1 Clem wird in den drei Texten nicht erkennbar. Weniger klar als des Paulus geographisch einigermaßen deutliches Σπανία ist des Clemens vages τό τέρμα της δύσεως, das innerhalb wie außerhalb des Briefes keine exakte Parallele hat und so Raum ließ für allerlei Spekulationen20. Die Konsoziation beider Begriffe führt zu der Übersetzung „im äußersten Westen", was aus römischer Perspektive eine Interpretation auf Rom selbst ausschließt21. Dass die Tatsache, dass der Text Spanien nicht ausdrücklich nenne, auch eine Deutung auf Spanien unwahrscheinlich mache22, 18 19

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Weniger deutlich ist, inwieweit Act eine solche Absicht oder ihre Verwirklichung implizieren. Vgl. zu dieser Frage den Beitrag von B. Wander in diesem Band. R. A. Lipsius und M. Bonnet, Acta Apostolorum Apocrypha. 2 Teile in 3 Bänden, Bd. 1, Leipzig 1891. Auch hier ist im Kontext der Bezug auf die Act deutlich; vgl. die Anmerkungen von Gérard Poupon in der französischen Ausgabe der neutestamentlichen Apokryphen von F. Bovon et P. Geoltrain (ed.), Écrits apocryphes chrétiens I. Index établis par Server J. Voicu, Bibliothèque de la Pléiade, Paris 1997, 1054f. Eine knappe Übersicht gibt Lindemann, Paulus 78 Anm. 40. Vgl. R. Knopf, Die Apostolischen Väter I. Die Lehre der zwölf Apostel. Die zwei Clemensbriefe, HNT Erg.-Band, Tübingen 1920, 52. So Lindemann, 1 Clemensbrief 39. Noch weiter geht ders., Paulus 78: 1 Clem vermeide den Namen vielleicht bewusst, um den Widerspruch zwischen den Ankündigungen des Apostels und den tatsächlichen Ereignissen nicht habe hervortreten lassen wollen.

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überzeugt als Argument nicht; ebenso wenig spricht der Autor ja von den Stätten des Todes Petri oder Pauli23. Er verwendet in dem Paradigmenkatalog insgesamt eher eine anspielende als ausfuhrende Sprache; ein pragmatisch sinnvolles und geschicktes literarisches Vorgehen vor allem dann, wenn er bei seinen Leserinnen und Lesern mit entsprechendem Hintergrundwissen rechnen kann. Dass mit der Reise des Helden in den äußersten Westen der bewohnten Welt ein Topos der antiken Heldenliteratur (besonders in Bezug auf Herakles und Alexander d. Großen; vergleiche auch die von Philostrat verfasste Vita des Apollonius von Tyana) bemüht wird, wurde seit den Hinweisen von Friedrich Pfister24 wiederholt herausgestellt. Neben der Märtyrertopik ist damit ein zweiter Motivbereich berührt, den der Autor in seine Darstellung einfließen lässt. Auch in diesem Fall ist es nicht statthaft, die literarische Topik gegen den historischen Informationswert der Notiz auszuspielen25. In Bezug auf die Interpretation von το τέρμα της δύσεως ist zusätzlich darauf hinzuweisen, dass die Wendung auch semantische Bezüge zu der in unserem Textabschnitt seit 5,1 präsenten Agon-Motivik aufweist: τό τέρμα meint nämlich auch die Ziel- oder Wendemarke im Wagenrennen und im Wettlauf26. Von daher scheint mir die Annahme möglich, der Verfasser von 1 Clem habe mit dem in Frage stehenden Ausdruck nicht nur eine - zudem im strengen Sinne analogielose - geographische Bezeichnung geben, sondern mit der allgemeinen topographischen Angabe δύσις das Bild des Wettlaufes kombinieren wollen. Interpretiert man die Wendung so, ist die geographische Deutung offen; die Aussage würde sich allgemein auf den Endpunkt der Missionstätigkeit des Paulus beziehen, der auch in Rom gelegen haben könnte. Als verlässlicher Zeuge für die stattgefundene SpanienReise des Paulus fiele 1 Clem damit aus, wenn andererseits auch eine solche

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έ ν ή μ ΐ ν in 6,1 kann m.E. nicht als Angabe zur Lokalisierung des Geschehens verstanden werden; gegen Cullmann, Petrus 105. Vgl. F. Pfister, Die zweimalige römische Gefangenschaft und die spanische Reise des Apostels Paulus und der Schluß der Apostelgeschichte, ZNW 14 (1913) 216-221, 217f. Weitere Literatur nennt Beyschlag, Clemens Romanus 299 Anm. 3. Dies ist jedoch die Tendenz der Ausführungen bei Beyschlag, Clemens Romanus 298f. Dass es dem Autor von 1 Clem um „katholische Weltmission" und nicht um Paulus gehe, wie Beyschlag meint, kann ich mit Lona, 1 Clemensbrief 165 Anm. 3 aus dem Kontext nicht erkennen. Vgl. die Belege bei H. G. Liddell and R. Scott, A Greek-English Lexicon, 9th ed., rev. and augmented throughout by H. S. Jones, with a rev. supplement, Oxford 1996, 1776. In das Bild integrierbar - aber nicht zwingend damit verbunden - wäre so auch eine Rückkehr des Paulus aus Spanien nach Rom; gegen Lindemann, Paulus 78f. E. T. Merrill, Essays in Early Christian History, London 1924, 29 l f vermutet hingegen, Paulus sei in Spanien gestorben.

Zur Paulus-Notiz in 1 Clem 5,5-7

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Deutung keinesfalls ausgeschlossen wäre. Wägt man die Deutungsmöglichkeiten ab, vermutet man hinter der Wendung vielleicht sogar eine bewusste semantische Doppeldeutigkeit, bleibt aber die wahrscheinlichere Interpretation diejenige auf einen Punkt westlich von Rom, bis zu dem Paulus nach Auffassung des Textes gekommen sein dürfte. Inhaltlich weniger konsequenzenreich ist die Entscheidung in der Frage, ob der Ausdruck μαρτυρήσας έπί των ήγουμένων im technischen Sinne auf das Martyrium zu deuten ist. Das Verb μαρτυρειν wird in unserem Paradigmenkatalog noch in dem unmittelbar vorausgehenden Beispiel des Petrus verwendet (5,4), ansonsten in 17,lf; 19,1; 38,2; 44,3 und 47,4(bis). Im Unterschied zu diesen Vorkommen ist μαρτυρεΐν in der vorliegenden Passage aktivisch gebraucht; es geht in den Beispielen des Petrus und Paulus nicht um das "Bezeugt-Werden" oder "Bezeugt-Sein", sondern um das "ZeugnisAblegen". In beiden Beispielen des fünften Kapitels wird μαρτυρεΐν verknüpft mit einer Wendung, welche das Sterben euphemistisch umschreibt (5,4: έπορεύθη εις τον όφειλόμενον τόπον της δόξης; 5,7: ούτως άπηλλάγη του κόσμου καί εις τον αγιον τόπον άνελήμφθη). Während jedoch im Petrus-Beispiel die Zeugenschaft des Apostels in die mit οΰτω eingeleitete abschließende Phrase des Beispiels einbezogen ist27, ist sie im Paulus-Beispiel davon deutlich getrennt. Doch wird aus beiden Beispielen deutlich, dass die mit οΰτω bzw. οΰτως eingeleiteten Teilsätze beide nicht als resultierender Rückblick auf die ganze Wirksamkeit der Apostel zu interpretieren sind, sondern jeweils einen neuen Teilaspekt beschreiben.28 Von daher scheint mir μαρτυρεΐν selbst einen vom Sterben der Apostel unterschiedenen Akt zu bezeichnen und nicht per se den Tod zu implizieren29. Das μαρτυρεΐν könnte sich auch auf das Ablegen des christlichen Bekenntnisses vor den Herrschenden mit Worten beziehen. Doch ist der Tod Petri und Pauli natürlich in den Aussagen über die beiden Apostel insgesamt deutlich vorausgesetzt. Die Aussage in 5,2, die gewissermaßen als programmatische Überschrift des zweiten Teils des Paradigmenkataloges u.a. auch auf Petrus und Paulus zu beziehen ist, trägt historisch nicht mehr aus: εως θανάτου ήθλησαν steht innerhalb des Bildes vom Agon und will keine Angabe über die Todesart einzelner im Nachfolgenden genannter Personen machen.

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Vgl. zu den Interpretationsmöglichkeiten dieser Konstrukton Lona, 1 Clemensbrief 160. Ausführlich sind die Stellen bei Beyschlag, Clemens Romanus 306-319 diskutiert, der jedoch auch in diesem Zusammenhang an dem Nachweis eines älteren römischen Märtyrerberichtes interessiert ist. Vgl. auch die unbefangene Art, in der 1 Clem 63,3 das Lexem μαρτύς einsetzen kann. Näher zum technischen Gebrauch ist 1 Tim 6,13.

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Hermut Löhr

Der recht neutrale Ausdruck ήγούμενοι findet sich in 1 Clem noch öfter und kann neben den Gemeindeleitern (1,3) auch politisch Regierende (32,3; 37,2f.; 51,5; 55,1; 60,4) bezeichnen. Wenn man aufgrund der letztgenannten Belege Genaueres über die Stellung und Funktion der ήγούμενοι sagen will, wird man eher dazu neigen, sie nicht für die höchste politische Autorität zu halten. Doch ist die Ausdrucksweise insgesamt zu vage, um aus der Bemerkung historische Schlüsse (etwa über ein über Paulus urteilendes Tribunal o.ä.) ziehen zu können. Die Wendung insgesamt steht am Ende der zweiten Reihe mit Stichwörtern zum Leben des Paulus, danach folgt sogleich der Hinweis auf den Tod des Apostels. Von dieser Stellung her liegt es nahe, das Auftreten vor den Vorstehenden mit dem Abscheiden aus der Welt in Zusammenhang zu bringen. Auf Konflikte auch mit staatlichen Autoritäten deuten ebenfalls die zuvor gemachten Bemerkungen. Wenn dieser Konflikt noch einmal eigens thematisiert wird, ist damit nicht nur die universale Verkündigung unter einem speziellen Aspekt erneut hervorgehoben; vielmehr dürfte der Text auch darauf anspielen wollen, dass hier ein letztlich tödlicher Konflikt stattgefunden hat. D.h. es ist im Sinne des Textes, wenn wir die Wendung μαρτυρήσας έπί των ηγουμένων direkt mit dem Tod des Paulus in Zusammenhang bringen. Allerdings liegt dem Text nicht daran, eine besondere Verantwortlichkeit der ηγούμενοι dafür herauszuarbeiten. Diese Zurückhaltung des Textes erklärt sich vielleicht daraus, dass hier längst Bekanntes in Erinnerung gerufen wird, wahrscheinlich aus Vorsicht gegenüber nicht-christlichen Mitlesern des Textes, sicher nicht aus einer insgesamt unkritischen Haltung gegenüber den staatlichen Autoritäten. Die weiteren Aussagen des Testimoniums sind in ihrer Deutung weniger umstritten. Die Reihe von drei unterschiedlichen Peristasen in 5,6 (έπτάκις 30 δεσμά φορέσας, φυγαδευθείς, λιθασθείς), die den in 5,5 eingeführten Begriff der υπομονή entfalten, erinnert an die sehr viel ausführlichere Reihe im Selbstzeugnis des Paulus in 2 Kor 11,23-28, ohne mit ihr strukturell oder sachlich identisch zu sein31.

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Eine symbolische Deutung dieser Zahl liegt nahe (vgl. etwa die Überlegungen von J. D. Quinn, „Seven Times he Wore Chains" [I Clem 5,6], JBL 97 [1978] 574-576), ist aber sonst durch nichts in 1 Clem gesichert. Auch Paulus macht Zahlenangaben über wiederholte Gefahren, doch erwähnt er keine í/eóertmalige Gefahr. Die Aussage in 2 Kor 11,23 deutet auf mehrmalige Gefangenschaft hin. Davon, einmal gesteinigt worden zu sein, spricht Paulus selbst in 2 Kor 11,25 (απαξ έλιθάσθην). Ausweisung oder Vertreibung erwähnt Paulus in diesem Zusammenhang nicht; vgl. aber 2 Kor 11,33 und Act 9,24f.

Zur Paulus-Notiz in 1 Clem 5,5-7

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Die eigentliche Tätigkeit des Paulus wird in unserer Notiz zweimal ausgedrückt, zum einen in 5,6 mit der Wendung κήρυξ32 γενόμενος εν τε τη ανατολή καί εν τή δύσει und, gleichsam ergänzend, in 5,7: δικαιοσύνην έδίδαξεν ολον τον κόσμον33. Der universale Horizont des paulinischen Wirkens wird also betont; und seine Botschaft wird als Lehre (das Verb διδάσκειν findet Verwendung) der Gerechtigkeit abgekürzt gekennzeichnet34. Dass im gleichen Atemzug von der πίστις gesprochen wird, ist vielleicht kein Zufall, sondern könnte darauf verweisen, auf welche Schlagworte paulinische Theologie auch im ersten Jahrhundert n.Chr. schon gebracht werden konnte; eventuell ein indirektes Indiz dafür, dass sich auch Jak 2 tatsächlich mit einer für paulinisch gehaltenen Theologie auseinandersetzt, auch wenn diese - wie wohl auch in 1 Clem - dadurch missverstanden ist, dass aus der Polemik gegen die „Werke des Gesetzes" diejenige gegen die „Werke" in soteriologischer Hinsicht geworden ist. Das Beispiel des Paulus dient, so erkannten wir, in seinem Kontext einem doppelten Zweck. Zum einen sollen die gefährlichen, ja tödlichen Folgen von ζήλος u.a. dargestellt werden; zum anderen soll der Apostel den Adressaten des Schreibens als mahnendes Beispiel des Ausharrens vor Augen gestellt werden, wobei es in erster Linie um die Intervention in innergemeindliche Konflikte, daneben vielleicht aber auch um die drohende Gefahr eines Eingreifens von außen geht. Gerade die Beispiele der ersten Tafel heben deutlich auf interne Konflikte ab; den Streit zwischen Brüdern (Kain und Abel; Jakob und Esaù) oder Volksgenossen (Mose; Datan und Abiram; David und Saul). Dass daher der Text auch die Beispiele der jüngsten Zeit in dieser Linie zu verstehen geben möchte, liegt nahe. Inwieweit hier tatsächliche historische Erinnerung vorliegt, derzufolge innergemeindliche Streitigkeiten einen Anlass zum Eingreifen von außen boten35, ist kaum sicher anzugeben. Denn dem Autor geht es ja auch nicht um eine ggf. selbstkritische Rechenschaft über die

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Lindemann, Paulus 76 hält es fur erwiesen, dass 1 Clem den Peristasenkatalog nicht gekannt habe. Diese Frage kann nicht isoliert geklärt werden, sondern ist im weiteren Horizont der Frage nach der Kenntnis von 2 Kor zu erörtern. Auch zum Begriff des Herolds wurde auf das antike Heraklesideal hingewiesen, vgl. z.B. L. Sanders, L'hellénisme de Saint Clément de Rome et le paulinisme, StHell 2, Louvain 1943, 30f; Beyschlag, Clemens Romanus 297. 20,8 spricht von den „Welten hinter dem Ozean" und setzt damit eine andere Vorstellung vom κόσμος voraus (vgl. dazu Lona, 1 Clemensbrief 261 mit Anm. 3 und 4) als in Kap. 5. In diesem Zusammenhang ist hinzuweisen auf die Ausführungen zum Thema der Gerechtigkeit nicht aus Werken, sondern aus Glauben in 32,3f. Vgl. das berühmte impulsore Chresto bei Sueton, Claud 25; s. ferner Phil 1,15; ActPauli 12,3.

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Vergangenheit der eigenen Gemeinde, sondern um Paränese für die Gegenwart, in der Eifersucht und Streit die frühere Eintracht und den Frieden abgelöst haben. Zudem taucht das Stichwort ερις, wie wir sahen, noch einmal im Paradigmenkatalog (6,4) und mehrfach sonst in 1 Clem auf; seine Verwendung im Paulus-Beispiel setzt also keinen singulären Akzent. Die Stilisierung darf daher historisch nicht überfrachtet werden. Aufgrund der Formulierungen erscheint es wahrscheinlich, dass 1 Clem um eine Tätigkeit des Apostels im Westen über Rom hinaus wusste. Details bleiben jedoch im Dunkeln. Woher der Autor sein Wissen hat - aus eigenen Erinnerungen und Informationen oder aus der Tradition der römischen Gemeinde - kann nicht gesagt werden36. Die anspielende Art der Formulierung deutet daraufhin, dass der Autor hier ein mit seinen Adressaten geteiltes Wissen zur paränetischen Anwendung bringt. Um historische Information, um memorabilia des Apostels, geht es nicht. Gerade das macht das Zeugnis m.E. aber recht unverdächtig, ein besonderes Interesse, dieses oder jenes Faktum aus des Paulus Leben zu erfinden, kann ich nicht erkennen, so sicher der Text unter Aufnahme jüdisch-martyrologischer Motive und paganer Heldentopoi gestaltet wurde. Ein weiterer Aspekt ist abschließend kurz anzusprechen: Um 1 Clem als Zeugen einer über Rom hinausführenden Tätigkeit des Apostels Paulus zu eliminieren, wurde immer wieder vermutet, er habe die Absichtserklärungen des paulinischen Römerbriefes sowie die Andeutungen der Act37 einfach ausgeschrieben. Zu solchen Überlegungen ist zu sagen: 1. Der Bezug auf das Zeugnis der Act ist insofern problematisch, als er voraussetzt, das lukanische Doppelwerk sei vor 1 Clem entstanden. Auf die Beziehungen zwischen Lk und 1 Clem kann hier nicht eingegangen werden. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass es berechtigte Zweifel an der chronologischen Abfolge Lk-1 Clem gibt, welche in Bezug auf sich hierauf stützende weiterreichende Thesen zur Vorsicht raten lassen. 1 Clem zitiert hingegen ausdrücklich - in der zweiten Erwähnung des Apostels Paulus - 1 Kor (1 Clem 47,1); von daher sowie von manchen Entlehnungen kann man eine Bekanntschaft auch mit Rom voraussetzen.

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Die Annahme einer schriftlichen Quelle durch Beyschlag, Clemens Romanus, zusammenfassend 343f, ist nicht durch textinterne Signale gedeckt; sie bleibt reine Vermutung. Zudem bezieht sich Beyschlags Untersuchung vielfach auf spätere Zeugnisse, die möglicherweise ihrerseits schon auf die Notiz in 1 Clem anspielen. Vgl. besonders Act 1,8: Die Jünger werden Zeugen Christi sein καί εως ε σ χ ά τ ο υ της γης. S. ferner den Bericht über die Abschiedsrede in Milet Act 20,17-38 sowie den erhaltenen Schluss der Act in 28,30f; Texte, die m.E. deutlich den Tod des Paulus voraussetzen. Vgl. den Beitrag von G. Ballhorn in diesem Band.

Zur Paulus-Notiz in 1 Clem 5,5-7

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2. Wer die Paulus-Notiz in 1 Clem aus den erwähnten neutestamentlichen Stücken entstanden sein lässt, muss zugleich ihre freie Verwendung und Weiterentwicklung konstatieren. Denn eine direkte wörtliche Beziehung ist nicht herzustellen. D.h. der über den Verdacht hinausgehende Erweis einer solchen Entlehnung ist nicht zu führen. 3. Einfacher erscheint mir aus solchen Erwägungen - und weil ich auch sonst in 1 Clem keine Indizien für die Tendenz zur historischen Ausmalung und legendarischen Fortschreibung entdecke - , dass der Verfasser in der Paulus-Notiz auf vorhandene Informationen über das Wirken und das Ende des Paulus im Westen zurückgreift, ohne dass aus seiner knappen und anspielenden Art die Details noch erkennbar wären. Dass 1 Clem auch sonst Zugang zu im Neuen Testament nicht erhaltenen frühchristlichen Traditionen hatte, wissen wir z.B. aus seiner Aufnahme der Jesus-Tradition oder auch seinem Rekurs auf die liturgische Sprache der ersten Christen. Die PaulusNotiz in 1 Clem bietet dem Historiker ein gutes Indiz für die Vermutung, Paulus sei über Rom hinausgelangt und durch einen Konflikt mit staatlichen Autoritäten zu Tode gekommen.

Claudia Büllesbach

Das Verhältnis der Acta Pauli zur Apostelgeschichte des Lukas Darstellung und Kritik der Forschungsgeschichte 1 Einleitung Während Lukas den Tod des Paulus nicht explizit erwähnt und den Abschluss seines Werkes in Act 28,31 so positiv wie möglich gestaltet,1 ist das Thema seines Martyriums in den Acta Pauli2 von zentraler Bedeutung. Ihr Verfasser, ein Presbyter aus Kleinasien,3 beschreibt den Weg des Paulus bis nach Rom, wo er während der ersten Christenverfolgung enthauptet wird. Der Unterschied zur lukanischen Apostelgeschichte liegt nicht nur in der herausgehobenen Schilderung des Martyriums des Paulus, auch die letzten Stationen seines Wirkens unterscheiden sich von der lukanischen Darstellung: Nicht als Gefangener, der als römischer Bürger an das Kaisergericht in Rom appelliert

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Zur Frage nach dem Schluss der Apostelgeschichte des Lukas siehe den Beitrag von H. Omerzu und zur Miletrede denjenigen von G. Ballhorn in diesem Sammelband. Für den Text des Μαρτύριον του άγίου αποστόλου Παύλου siehe R. Α. Lipsius (ed.), Acta Apostolorum Apocrypha I: Acta Petri, Acta Pauli, Acta Petri et Pauli, Acta Pauli et Theclae, Darmstadt 1959 (Nachdruck der Erstauflage Leipzig 1891), 104-117. Für die koptischen und griechischen Papyrusfragmente siehe C. Schmidt, Acta Pauli aus der Heidelberger koptischen Papyrushandschrift Nr. 1, Leipzig 2 1905 (Reprographischer Nachdruck der zweiten erweiterten Ausgabe, Hildesheim 1965), (p. 53-58); C. Schmidt, Πράξεις Παύλου. Acta Pauli nach dem Papyrus der Hamburger Staats- und Universitäts-Bibliothek unter der Mitarbeit von W. Schubart, Glückstadt/Hamburg 1936, 60-72 (p. 9-11). Für einen kleinen Ausschnitt des Martyriums auf Papyrus siehe auch A. López García, PLit.Palau Rib 18: Martyrium Pauli 1,18-22, ZPE 110 (1996) 132. Deutsche Übersetzung des Martyrium Pauli von W. Schneemelcher in: ders. (Hg.), Neutestamentliche Apokryphen II, Tübingen 51989, 238-241. Französische Übersetzung von W. Rordorf, in: F. Bovon et P. Geoltrain (ed.), Écrits apocryphes chrétiens I, Gallimard 1997, 1172-1177. Eine kritische Gesamtedition der Acta Pauli wird von W. Rordorf fur das Corpus Christianorum Series Apocryphorum vorbereitet. Vgl. Tert, de bapt 17,5. Vgl. dazu W. Rordorf, Tertullien et les Actes de Paul (à propos de bapt. 17,5), in: ders., Lex orandi, lex credendi. Gesammelte Aufsätze zum 60. Geburtstag, Fribourg 1993, 475-484; A. Hilhorst, Tertullian on the Acts of Paul, in: J. N. Bremmer (ed.), The Apocryphal Acts of Paul. Studies on the Apocryphal Acts of Paul and Thecla, Kampen 1996, 150-163.

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Claudia Büllesbach

hat (Act 25,11), sondern als freier Mann reist der Apostel nach Rom und wird als Anführer der Märtyrer unter Nero ermordet. Die von der lukanischen Darstellung auf den ersten Blick so unterschiedliche Schilderung des Endes des Paulus hat die Frage aufgeworfen, ob in den Acta Pauli Traditionen greifbar sind, die möglicherweise noch Spuren historischer Erinnerungen für das Ende des Paulus bieten (zweite Romreise des Apostels; Märtyrertod unter Nero während der Christenverfolgung), von denen Lukas nichts berichtet. Im Mittelpunkt des folgenden Beitrags steht die Frage, wie das Verhältnis der Acta Pauli zur Apostelgeschichte des Lukas zu bestimmen ist: Sind die Paulus-Akten von Lukas beeinflusst oder beruhen die Gemeinsamkeiten in beiden Texten auf unabhängigen mündlichen Traditionen? Wie lässt sich ihr intertextuelles Verhältnis näher erfassen? Handelt es sich um eine Revision, um eine "relecture" oder sogar um eine Fortsetzung der Apostelgeschichte, die von der Mission des Paulus in Kleinasien nach seiner Freilassung aus der ersten römischen Haft berichtet? Anhand der Forschungsgeschichte sollen diese verschiedenen Theorien im Folgenden dargestellt, kritisch untersucht und dahingehend befragt werden, ob sie geeignet sind, das Rätsel um die näheren Todesumstände des Paulus zu lösen.4

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Forschungsgeschichte

2.1 Die Acta Pauli als Fälschung (Carl Schmidt) Carl Schmidt zufolge kannte der Verfasser der Paulus-Akten die lukanische Apostelgeschichte ebenso wie alle anderen neutestamentlichen Schriften. Er kommt zu dem Ergebnis, „daß der Verfasser der Paulusakten die Ntlichen

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Der folgende Forschungsüberblick konzentriert sich insbesondere auf diejenigen Ansätze der Acta Pauli-Forschung, die für das Verhältnis zur Apostelgeschichte des Lukas und im weiteren Sinn für das Ende des Paulus von Bedeutung sind. Ein umfassender Überblick über die Forschung kann an dieser Stelle nicht geboten werden, da das Thema zu vielschichtig ist. Kontrovers diskutiert werden u.a. der theologische Ort und das Genre der Paulus-Akten, das Verhältnis zu den Pastoralbriefen und zu den Acta Petri sowie die Bedeutung der Thekla-Gestalt. Einen Gesamtüberblick über die neuere Forschung zu den Acta Pauli mit ausfuhrlicher Bibliographie bietet der Sammelband von Bremmer, Apocryphal Acts. Kennzeichnend für die gegenwärtige Diskussion über die Acta Pauli ist, dass sich die deutschsprachige neutestamentliche Forschung seit Schneemelcher an dem Diskurs nicht mehr beteiligt hat, während die Acta Pauli-Forschung in der Schweiz, Ungarn, England, den Vereinigten Staaten und den Niederlanden einen größeren Stellenwert einnimmt.

Das Verhältnis der Acta Pauli zur Apostelgeschichte des Lukas

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Schriften geplündert und für seine Zwecke nach Gutdünken verwendet hat. Angesichts dieser Arbeit kann man unmöglich dem Presbyter das Zeugnis der Harmlosigkeit ausstellen, denn das Ganze ist so kunstvoll entworfen und das gestohlene Gut so geschickt verwoben und verborgen, daß hier nur noch von einer großen mit Raffinement entworfenen Fälschung gesprochen werden kann." 5 Als Beispiel „für die ganze Mache" 6 nennt Schmidt die Komposition des Werkes, die zeige, dass der Verfasser „die Ntlichen Schriften vor dem Entwurf seines Romans mit großem Bedacht studiert und sich die ihm passenden Personen und Situationen ausgesucht hat, um sie bei gegebener Gelegenheit verwenden zu können." 7 So wird der geographische Aufriss der lukanischen Apostelgeschichte insofern beibehalten, als der Apostel nicht in völlig unbekannten Gebieten auftritt. Dadurch werde der Anschein einer historischen Erzählung nicht von vornherein zerstört.8 Auch nach der Entdekkung des Hamburger Papyrus hat Schmidt an seiner grundsätzlichen Meinung festgehalten, wenn auch seine Kritik insgesamt moderater ausfällt. 9 Schmidts Darstellung der Acta Pauli ist deutlich bestimmt von dem Gegensatz einer apokryphen Schrift zu den neutestamentlichen Traditionen, denen theologisch und historisch eine größere Dignität zugeschrieben wird. Da er die Acta Pauli allein auf ihre historische Zuverlässigkeit hin befragt, erklärt er weder ihren Entstehungszusammenhang noch ihre Bedeutung im Rahmen des Christentums des 2. Jahrhunderts n.Chr. Ob dem Verfasser die neutestamentlichen Schriften in Form einer Kanonsammlung vorlagen, ist außerdem zweifelhaft. Auch der Einfluss von mündlichen Traditionen wird von Schmidt zu Unrecht unterschätzt. Dennoch sind zahlreiche seiner Beobachtungen zur Komposition des Werkes nach wie vor weiterführend und werden - wenn

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Schmidt, Acta Pauli 215. Auch L. de Vouaux, Les Actes de Paul et ses lettres apocryphes. Introduction, traduction, et commentaire, Paris 1913, 113-123 übernimmt die Position Schmidts, dass der Autor der Acta Pauli die lukanischen Acta kannte und benutzte.

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Schmidt, Acta Pauli 207. Schmidt, Acta Pauli 202f. Vgl. Schmidt, Acta Pauli 207f. Vgl. Schmidt, Πράξεις Π α ύ λ ο υ 109-112. Schmidt beruft sich auf das Urteil von W. Schubart, dem Mitherausgeber des Hamburger Papyrus der Paulus-Akten, der ebenso von einer Abhängigkeit der Acta Pauli von den neutestamentlichen Schriften ausgeht, zugleich jedoch - im Gegensatz zu Schmidt - mit mündlichen Paulus-Legenden rechnet. Schmidt hingegen versteht die gesamte Komposition der Paulus-Akten als Mischung aus dichterischer Phantasie und freier Verwendung neutestamenlicher Traditionen und zieht den Schluss, „daß der Verfasser seinen Roman ohne irgendwelche selbständige Nachrichten auf einer schmalen geschichtlichen Basis, die ihm die Apostelgeschichte und die Paulusbriefe lieferten, aufgebaut hat. Ich habe nicht den Eindruck, als ob zur Zeit der Abfassung bereits legendarische Nachrichten über Paulus umliefen" (111).

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auch unter anderer Fragestellung - in der neueren Forschung ebenso wieder aufgegriffen wie seine grundlegende These, dass die Acta Pauli die lukanische Apostelgeschichte voraussetzen.

2.2 Die Acta Pauli zwischen Kenntnis und Unabhängigkeit von der lukanischen Apostelgeschichte (Wilhelm Schneemelcher) Eine andere Position zu den Acta Pauli nimmt Wilhelm Schneemelcher ein, der auf die Differenzen zu den lukanischen Acta im Aufbau, in der Struktur und in der Sprache aufmerksam macht.10 Ihr unterschiedlicher Stil und literarisches Genus weise eher darauf hin, dass die Acta Pauli unabhängig vom lukanischen Werk entstanden seien. Im Einzelnen werden von Schneemelcher folgende Unterschiede herausgestellt: 1. Im Gegensatz zur lukanischen Darstellung berichten die Acta Pauli nur von einer Missionsreise des Paulus, deren Route folgendermaßen verläuft: Damaskus - Antiochia (pisidisches?) - Ikonium - Antochien (syrisches?) - Myra - Sidon - Tyros. Nach einer Textlücke folgen Smyrna - Ephesus Philippi - Korinth und Rom.11 2. Die Missionssituation ist in den Acta Pauli an die Verhältnisse eines christlichen Missionars um die Mitte des 2. Jahrhunderts n.Chr. angepasst. Im Unterschied zu den lukanischen Acta gründet Paulus keine Gemeinden mehr, sondern findet bereits organisierte Ortsgemeinden vor.12 3. Während der lukanische Paulus in erster Linie vor den Juden predigt, wendet Paulus sich iri den Paulus-Akten in erster Linie an Heiden, bekehrt insbesondere Frauen und wird wegen seiner Predigt von der Enthaltsamkeit verfolgt.13 Schneemelcher zieht aus den Unterschieden den Schluss, dass keine direkte Abhängigkeit zwischen den Acta Pauli und der lukanischen Apostelgeschichte besteht. Auch die sprachlichen Parallelen entstammen seiner Ansicht nach primär einer allgemein verbreiteten christlichen Erbauungssprache, die

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Vgl. W. Schneemelcher, Die Apostelgeschichte des Lukas und die Acta Pauli, in: W. Eltester (Hg.), Apophoreta, FS Ernst Haenchen, BZNW 30, Berlin 1964, 236-250; vgl. ders., Die Acta Pauli - Neue Funde und neue Aufgaben, ThLZ 89 (1964) 242-252. Schneemelcher, Paulusakten 198 hat diese Position - zum Teil unter Diskussion der neueren Forschung - auch in der Folgezeit vertreten. Vgl. Schneemelcher, Apostelgeschichte 245f. Vgl. Schneemelcher, Apostelgeschichte 247. Vgl. Schneemelcher, Apostelgeschichte 246. Lediglich in der Antiochia-Episode in API 2/PH scheint die Auseinandersetzung mit Juden eine Rolle gespielt zu haben.

Das Verhältnis der Acta Pauli zur Apostelgeschichte des Lukas

219

der Verfasser benutzt habe.14 „Es ist nicht so, daß der Verfasser der AP die Apg. vor sich gehabt hat und nun bewußt versuchte, sein Machwerk in Anlehnung, aber möglichst ohne Zitate niederzuschreiben."15 Dennoch setzt Schneemelcher für den Autor eine Kenntnis der kanonischen Apostelgeschichte voraus, da sie zumindest bereits seit Justin dem Märtyrer in der Alten Kirche rezipiert wurde.16 „Man wird annehmen dürfen, daß der Verfasser die Apg. gekannt hat. Aber sein Werk ist nicht von der Apg. abhängig, sondern von der umlaufenden Tradition über Paulus und sein Wirken."17 Schneemelchers Position zu den Acta Pauli ist aus verschiedenen Gründen zu kritisieren: Kannte der Presbyter das lukanische Werk, wie Schneemelcher selbst voraussetzt, so ist doch mehr als zweifelhaft, dass er es nicht in irgendeiner Form als literarisches Vorbild benutzte. Zu fragen ist vor allem, ob die Differenzen zwischen der Paulus-Rezeption in den kanonischen Acta und in den Acta Pauli tatsächlich für eine unabhängige Gestaltung sprechen. Die Veränderungen gegenüber Lukas lassen sich dadurch erklären, dass das Paulus-Bild in den Acta Pauli aktualisiert wird, da sich die historische und theologische Situation verändert hat und den Presbyter ganz andere Fragen bewegen als Lukas.18 Welche Motive den Anstoß gaben, ein weiteres Werk über Paulus zu schreiben, bleibt bei Schneemelcher ungeklärt, zumal es sich bei den Acta Pauli immerhin um eine konkurrierende Darstellung zur lukanischen Apostelgeschichte handelt. Den Grund für die Abfassung wird man kaum damit erklären können, es handele sich bei den Acta Pauli - im Gegen-

14

Vgl. Schneemelcher, Apostelgeschichte 242-244. Zu den neutestamentlichen Parallelen der Acta Pauli vgl. auch: P. Herczeg, New Testament Parallels to the Apocryphal Acta Pauli documents, in: Bremmer, Apocryphal Acts 142-149. Nach einer Durchsicht der Parallelen kommt er zu dem Ergebnis, dass die neutestamentlichen Texte nicht die Basis der Acta Pauli waren: „We need to be careful before turning to definite ideas and assertions about the widespread usage from the end of the first century of those documents which later became canonized and about how they were read and copied. It is quite certain (...) that the most important parts, like creeds and substantial conclusions, were quoted verbatim" (149). 15 Schneemelcher, Acta Pauli 244. 16 Zur Rezeption der Apostelgeschichte bei frühchristlichen Schriftstellern: E. Haenchen, Die Apostelgeschichte, KEK III, Göttingen 71977, 17-29. Der erste explizite Beleg findet sich nach Haenchen, Apostelgeschichte 22f bei Justin in seiner Apologie und seinem Dialog mit Tryphon (um 150-160): apol I 39,3 nimmt vermutlich Bezug auf Act 4,13; apol I 49,5 könnte auf Act 13,48 verweisen, apol II 10,6 auf Act 17,23. Deutlich ist nach Haenchen der Bezug von apol I 50,12 auf Act 1,8. Ausgiebige Zitationen der Acta des Lukas seien dann um 180 n.Chr. bei Iren, adv haer III 12, 1-15 festzustellen. 17 Schneemelcher, Acta Pauli 250. 18 Vgl. dazu Kap. 2.6 in diesem Aufsatz.

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satz zu Lukas - um eine Erbauungsschrift, da auch Lukas erbauen und unterhalten wollte.19

2.3 Die Unabhängigkeit der Acta Pauli und ihr Quellenwert für das Ende des Paulus (Willy Rordorf) Während Schneemelcher von der unabhängigen Gestaltung der Acta Pauli ausgeht, gleichzeitig jedoch ihre Kenntnis voraussetzt, geht Willy Rordorf noch einen Schritt weiter: Die Acta Pauli seien unabhängig von Lukas entstanden.20 Er rechnet mit einer mündlichen Paulus-Legende, die dem Presbyter völlig unabhängig von der lukanischen Darstellung als Hauptquelle diente.21 Auf mündliche Überlieferungen sind nach Rordorf auch die gemeinsamen Berührungspunkte zwischen beiden Werken zurückzuführen, zumal Kontext und Stil in den Acta Pauli so unterschiedlich seien, dass von Abhängigkeit keine Rede sein könne. Vielmehr „kann man das Phänomen nicht gut anders erklären, als durch die Annahme einer gemeinsamen hinter beiden Stücken liegenden Tradition, die sich aber schon in zwei verschiedene Überlieferungsstränge gespalten hat."22 Rordorf ist nicht nur der profilierteste Vertreter der Unabhängigkeitshypothese, sondern schätzt zugleich - im Gegensatz zu Schmidt und 19

Vgl. dazu R. I. Pervo, Profit with Delight. The Literary Genre of the Acts of the Apostles, Philadelphia 1987, der die Gemeinsamkeiten zwischen den Paulus-Akten und den lukanischen Acta betont. Um den Gegensatz zwischen den beiden Werken herauszustellen, übernimmt Schneemelcher, Acta Pauli 241 die These von R. Söder, Die apokryphen Apostelgeschichten und die romanhafte Literatur der Antike, Würzburg 1932, 187. Sie bestimmt die apokryphen Apostelakten als „literarisch ... fixierte Zeugen alter im Volke lebender Erzählungen von den Abenteuern, Wundertaten und Liebesaffaren großer Männer". Gegenwärtig wird das Verhältnis der apokryphen Apostelakten zum griechischen Roman wieder stärker thematisiert; ein wichtiger Aspekt ist vor allem die Frage nach den Rezipienten und Rezipientinnen (vgl. dazu J. N. Bremmer, Magic, Martyrdom and Women's liberation, in: ders., Apocryphal Acts 36-59, hier 57f).

20

Zum Folgenden vgl. W. Rordorf, In welchem Verhältnis stehen die apokryphen Paulusakten zur kanonischen Apostelgeschichte und zu den Pastoralbriefen?, in: T. Baarda et al. (ed.), Text and Testimony. Essays in Honour of Α. F. J. Klijn, Kampen 1988, 225241. Rordorf, Verhältnis 229-235 vergleicht Episoden in den Acta Pauli, bei denen am ehesten der Eindruck entsteht, dass hier auf Ereignisse aus der lukanischen Erzählung Bezug genommen wird: 1. die Geschehnisse in Antiochia/Ikonium (Act 13,49-51/AP1 2); 2. Paulus in Philippi, Korinth und seine Italienreise; 3. Ephesus und Troja (Act 19,2326.29f.5-37/APl 7) und 4. die Wundererzählung von dem Jüngling, der zu Tode stürzt (Act 20,9-12/APl 11,1). Rordorf, Verhältnis 236.

21

22

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221

Schneemelcher - den Quellenwert der Acta Pauli hoch ein. Er verbindet das Zeugnis der Pastoralbriefe mit den Paulus-Akten, hinter denen - jeweils unabhängig voneinander - glaubwürdige biographische Traditionen stehen.23 Dabei greift er auf die These zurück, dass die Pastoralbriefe authentische Paulus-Traditionen enthalten und auf Ereignisse im Leben des Paulus Bezug nehmen, die auf Act 28,31 folgten.24 Die Gefangenschaft des Paulus, wie sie in 2 Tim 4,16 vorausgesetzt ist, hat nichts mit der leichten Haft in Act 28 gemeinsam, da Paulus in Ketten ist und wie ein Schwerverbrecher behandelt wird.25 „So bleibt - wenn man auf das biographische Material der Pastoralbriefe nicht verzichten will - nur der Ausweg übrig, anzunehmen, dass Paulus aus seiner ersten Gefangenschaft in Rom nochmals freigekommen ist."26 Da Paulus in den Acta Pauli als freier Mann nach Rom reist, könnten die Acta Pauli auf die zweite Romreise des Apostels Bezug nehmen. Rordorf versucht, seine These anhand der Textlücke in PHamb zwischen den Seiten 1-5 und 611 zu belegen.27 Die Seiten 1-5 nehmen nach Rordorf auf die sog. 3. Missionsreise Bezug (Act 19-20), die Seiten 6-11 auf den Lebensabschnitt des Paulus, der nach seiner Befreiung aus der Gefangenschaft in Rom folgte. Doch sind genau diejenigen Passagen nicht überliefert, die von der ersten Gefangenschaft in Rom und seiner Freilassung berichtet haben sollen, so dass es mehr als hypothetisch ist, die Acta Pauli als Quelle für eine zweite Romreise heranzuziehen. Vielmehr haben auch die Acta Pauli nur von der ersten und 23

24

25 26 27

Vgl. W. Rordorf, Nochmals: Paulusakten und Pastoralbriefe, in: G. F. Hawthorne and O. Betz (ed.), Tradition and Interpretation in the New Testament, FS E. Earle Ellis, Grand Rapids/Tübingen 1987, 319-327. Eine ähnliche Position wird vertreten von W. Michaelis, Die Apokryphen Schriften zum Neuen Testament, Bremen 21958, 272-282. Vgl. A. Strobel, Schreiben des Lukas? Zum sprachlichen Problem der Pastoralbriefe, NTS 15 (1969) 191-210; E. Delebecque, Les Deux Actes des Apôtres, EB N.S 6, Paris 1986; J. D. Quinn, The Last Volume of Luke: The Relation of Luke-Acts to the Pastoral Epistles, in: C. H. Talbert (ed.), Perspectives in Luke-Acts, Edinburgh 1978; C. Spicq, Les Epîtres pastorales I-II, Paris 21969. Spicqs These, dass der Apostel nach seiner Freilassung zunächst nach Spanien gereist sei (129-138), wird von Rordorf allerdings kritisiert, da die Paulus-Akten von einer Reise nach Spanien nichts wissen. Die Spanienmission hat keinen historischen Anhalt, da auch die Acta Petri lediglich von der Abreise des Apostels nach Spanien erzählen (ActVerc 1-3). In der gesamten frühkirchlichen Überlieferung gibt es keine Legende über die Wirksamkeit des Apostels in Spanien. Dass die Acta Pauli älter sind als der in dem Actus Vercellenses überlieferte Bericht über die Spanienreise des Paulus, hat G. Poupon, Les Actes de Pierre et leur remaniement, ANRW II 25/6, Berlin/New York 1988, 4363-4383 mit überzeugenden Argumenten nachgewiesen. Bei der Paulus-Erzählung in ActVerc 1-3 handelt es sich vielmehr um eine spätere Interpolation aus dem 3. Jahrhundert n.Chr. Rordorf, Nochmals: Paulusakten 322. Rordorf, Nochmals: Paulusakten 322. Zum Folgenden Rordorf, Nochmals: Paulusakten 323f.

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einzigen Romreise des Paulus berichtet.28 Dass Paulus im Gegensatz zur lukanischen Darstellung nicht als Gefangener nach Rom reist, lässt sich im Rahmen des Gesamtaufbaus und des Paulus-Bildes der Acta Pauli gut erklären: Zum einen soll Paulus als dynamischer Apostel gezeichnet werden, der auch in Rom zunächst souverän auftritt. Vor dem Martyrium ist seine Ankunft in Rom der Höhepunkt seines Wirkens. Zum anderen übergehen die Paulus-Akten die Appellation an den römischen Kaiser (Act 25,11), da ein sich auf sein Bürgerrecht berufender Apostel nicht in das Bild passt, das die Acta Pauli von Paulus zeichnen. Denn im Gegensatz zur Entlastung der Römer, die sich durch den gesamten Prozess des Paulus zieht, sind Rom und insbesondere Nero die Feinde des Paulus.29 Der Presbyter verschweigt die Appellation an das Kaisergericht einerseits, um das lukanische Bild von Paulus als loyalem Bürger zu korrigieren, andererseits, um ihn zu einem vorbildlichen Märtyrer stilisieren zu können. Diese Zielsetzung wird nicht zuletzt darin deutlich, dass Paulus zum Anführer der Märtyrer unter Nero wird. Einen historischen Anhalt hat der Tod des Paulus im Rahmen der Christenverfolgung im Jahre 64 n.Chr. nicht.30 Vielmehr ist davon auszugehen, dass

28

29

30

Vgl. dazu Schmidt, Acta Pauli 169: ,,[D]aß Paulus den Boden in Rom bisher noch nicht betreten hat, lehrt (...) die aus Act. 28,30 entlehnte Notiz, daß Paulus sich eine Mietwohnung genommen - hier genauer bestimmt als eine Scheune außerhalb Roms - um dort das Wort der Wahrheit mit den Brüdern, d.h. Titus und Lukas, zu lehren." Wie aus API 11 hervorgeht, ist Paulus der römischen Gemeinde völlig unbekannt. Zur Interpretation des Martyriums des Paulus vgl. H. W. Tajra, The Martyrdom of St. Paul. Historical and Judicial Context, Traditions and Legends, WUNT 11/67, Tübingen 1994, 121f; J. Bolyki, Events after the Martyrdom. Missionary Transformation of an Apocalyptic Metaphor in Martyrium Pauli, in: Bremmer, Apocryphal Acts 92-106. Die Acta Pauli sind Rordorf zufolge nicht nur ein authentisches Zeugnis für den Tod des Paulus während der neronischen Christenverfolgung, sie sind für ihn auch eine wichtige Quelle für die historischen Hintergründe der Verfolgung (vgl. W. Rordorf, Die neronische Christenverfolgung im Spiegel der apokryphen Paulusakten, NTS 28 (1981) 365374). Die Paulus-Akten sind die erste Quelle, die explizit von einem Edikt des Nero gegen die Christen spricht (API 11,2). Vermutlich hat Tertullian seine Anspielung auf ein „institutum Neronianum" (ad nat I 7,9) aus den ihm bekannten Paulus-Akten bezogen. Ein Grund für die Verfolgung unter Nero könnte nach Rordorf die anti-römische politische Eschatologie gewesen sein, die - vermittelt über die frühjüdische Apokalyptik - in den Acta Pauli eine zentrale Rolle spielt und „als Ausdruck des christlichen Gemeindebewußtseins am Ende des 2. Jahrhunderts" kaum mehr denkbar sei (368). Nach Rordorf spiegeln die Paulus-Akten daher die eschatologische Stimmung der römischen Christen zur Zeit der Verfolgung unter Nero wider. Der Hauptkritikpunkt gegen Rordorf ist jedoch, dass seine These nicht erklären kann, warum Nero ausgerechnet gegen die Christen vorging, während die Juden nicht verfolgt wurden. Gegen seine These ist ferner einzuwenden, dass es neben einer romfreundlicheren Perspektive im 2. Jahrhundert n.Chr. nach wie vor eine feindliche Sicht auf Rom gab. Auch die in API 11 bezeugten Vorstel-

Das Verhältnis der Acta Pauli zur Apostelgeschichte des Lukas

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Paulus - wie es die lukanische Apostelgeschichte voraussetzt - bereits Anfang der 60er Jahre hingerichtet wurde.31 Auch wenn Rordorf darin zuzustimmen ist, dass die Grenzen zwischen kanonischer und apokrypher Literatur als historische Quellen nicht so eng gezogen werden dürfen und die Paulus-Akten nicht a priori als legendarisch charakterisiert werden können,32 gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Acta Pauli die Notizen der Pastoralbriefe ergänzen können. Der früheste explizite Beleg für eine zweimalige römische Gefangenschaft stammt erst von Euseb, der den 2 Tim in diese Zeit datiert.33 Rordorf hat seine These mittlerweile selbst revidiert,34 an der Unabhängigkeit der Acta Pauli von der lukanischen Apostelgeschichte jedoch festgehalten.

31 32

33

34

lungen des Weltbrandes und die apokalyptischen Endzeiterwartungen waren im 2. Jahrhundert n.Chr. weit verbreitet, so dass sich aus den Paulus-Akten nichts Spezifisches über die Hintergründe der ersten Christenverfolgung entnehmen lässt. Analysiert man die Schilderung der Verfolgung in API 11 genauer, so wird zudem deutlich, dass der Verfasser der Paulus-Akten keine näheren Informationen über die Verfolgung unter Nero besaß, außer, dass Nero eine Verfolgung inszeniert hat und die Christen verbrannt wurden. Zur Paulus-Chronologie vgl. den Beitrag von A. Scriba in diesem Band. Dies unterscheidet Rordorf sowohl von Schmidt als auch von Schneemelcher, die beide davon ausgehen, dass den Acta Pauli als apokryphes Dokument keinerlei Quellenwert zukommt. Vgl. Euseb, hist eccl II 22,2. Von einer zweiten Gefangenschaft in Rom wissen auch frühere Quellen nichts zu berichten: Aus dem 2 Tim selbst geht nicht hervor, dass es sich um die zweite Gefangenschaft des Paulus in Rom handelt und dass Paulus zuvor schon einmal freigelassen wurde. Auch die Acta Petri berichten lediglich über die Spanienreise des Apostels (ActVerc 1-3), aber nichts von einer vorhergehenden Haft und Freilassung in Rom. Der Kanon Muratori erwähnt die Spanienreise im Zusammenhang mit der Apostelgeschichte des Lukas und zieht daraus den Schluss, Lukas habe nur das berichtet, was er selbst miterlebte. Von einer zweimaligen römischen Gefangenschaft berichtet auch er nicht. Der Versuch, die Pastoralbriefe in die terra incognita nach Act 28,30f zu verweisen, erweist sich somit als Postulat, das wenig Anhalt in der frühkirchlichen Überlieferung hat. In seiner Einleitung für die französische Übersetzung bemerkt er: „Nous ne retenons plus l'hypothèse que nous avions avoncée (...), selon laquelle les Actes de Paul supposeraient deux séjours de l'apôtre à Rome" (Actes de Paul 1119 Anm. 5). Seine Rekonstruktion des Itinerars ftlr die französische Übersetzung der Paulus-Akten verläuft entsprechend folgendermaßen (vgl. Rordorf, Actes de Paul 1119): Damaskus - Antiochia (syrisches) - Ikonium - Antiochia (pisidisches) - Myra - Sidon - Tyros - Jerusalem Ephesus und Makedonien - Philippi (und Griechenland) - Philippi - Korinth - Italien Rom.

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2.4 Neuere Ansätze zur Intertextualität der Apostelgeschichte des Lukas und der Acta Pauli Während Rordorf fur die Unabhängigkeit von den lukanischen Acta eintritt, besteht in weiten Teilen der neueren Forschung die Tendenz, die Kenntnis der lukanischen Apostelgeschichte für den Verfasser der Acta Pauli vorauszusetzen. Im Gegensatz zu Schneemelcher und Schmidt werden jedoch stärker literaturtheoretische, "intertextuelle" Ansätze berücksichtigt.35 Der Begriff der Intertextualität versucht zu erfassen, dass es zum Wesen von Texten gehört, stets andere Texte ins Gedächtnis zu rufen, sie zu benutzen, abzuwandeln und selbst im Widerspruch noch gegenwärtig zu halten.36 Bezogen auf die Paulus-Akten heißt dies, dass das Verhältnis zu den lukanischen Acta nicht allein mit den Mitteln der klassischen Literarkritik zu klären ist, sondern dass vielmehr in Ereignismustern, Namen, Strukturparallelen und Motiven Spuren von Beziehungen zwischen den Texten deutlich werden, die sich herauskristallisieren lassen. Auch die Widersprüche und Differenzen erweisen sich vor dem Hintergrund eines intertextuellen Modells keineswegs als Indizien für eine unabhängige Gestaltung, sie sind vielmehr bewusste Veränderungen, die zu einer kompletten Umformung der lukanischen Acta geführt haben. Zur Erklärung dieser Phänomene greift Daniel Marguerat auf das Konzept der Hypertextualität des Linguisten Gérard Genette zurück.37 Für die Acta Pauli als Hypertext ist die lukanische Apostelgeschichte der Hypotext, der das Grundmodell bildet und nun zu einer "relecture" der paulinischen Biographie fuhrt. Die Gefahr besteht allerdings, dass das Konzept der Inter- bzw. Hypertextualität zu einer unbewiesenen Prämisse wird, insofern die Kenntnis der lukanischen Apostelgeschichte einfach vorausgesetzt ist, ohne ihre tatsächliche Benutzung zu beweisen. Um die Diskussion über den Gebrauch bzw. NichtGebrauch der Apostelgeschichte des Lukas weiterzuführen, müssen daher verschiedene Fragen geklärt werden38: 35

36 37 38

Der profilierteste Vertreter ist D. Marguerat, Actes de Paul et Actes canoniques: un phénomène de relecture, Apocrypha 8 (1997) 207-224; ders., L'héritage de Paul en débat: Actes des Apôtres et Actes de Paul, FV 94 (1995) 87-97. Das Konzept der Intertextualität geht zurück auf M. Bachtin, Die Ästhetik des Wortes, Frankfurt a.M. 1979; J. Kristeva, Probleme der Textstrukturation, Köln 1972. Vgl. G. Genette, Palimpsestes. La littérature au second degré, Paris 1982, 7-12. (deutsch: Palimpsestes. Die Literatur auf zweiter Stufe, Frankfurt a.M. 1993). Vgl. zu diesen Kriterien J. V. Hills, The Acts of Paul and the Legacy of the Lukan Acts, Semeia 80 (1999) 145-158, 145f. Es handelt sich um einen überarbeiteten Vortrag anlässlich des SBL-Seminars über Intertextualität in christlichen Apokryphen aus dem Jahr 1994.

Das Verhältnis der Acta Pauli zur Apostelgeschichte des Lukas

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1. Ist überhaupt eine Kenntnis der lukanischen Acta zur Zeit der Abfassung der Acta Pauli vorauszusetzen? 2. Gibt es sprachliche Indizien für die Benutzung? 3. Wie verhält es sich mit gemeinsamen Traditionen, Ereignismustern und Strukturanalogien zwischen beiden Texten? Ad 1 : Kenntnis und Verbreitung der lukanischen Acta: Für das 2. Jahrhundert n.Chr. ist es charakteristisch, dass eine umfassende Rezeption der lukanischen Apostelgeschichte nicht nachgewiesen werden kann. In der Mitte des 2. Jahrhunderts n.Chr. zeigt Justin Vertrautheit mit den lukanischen Acta, doch werden sie erst um 180 n.Chr. ausgiebig rezipiert.39 Die These der Kenntnis des lukanischen Werkes hängt zudem davon ab, wie man die Paulus-Akten datiert.40 Terminus ante quem ist ca. 200 n.Chr., da Tertullian die Acta Pauli in de bapt 17,5 erwähnt. Setzt man jedoch voraus, dass das Werk zu diesem Zeitpunkt bereits in Nordafrika im Umlauf war, wird man seine Entstehung früher ansetzen müssen. Allerdings macht der Bericht Tertullians über den Presbyter, der von seinem Amt zurückgetreten war,

39 40

Siehe dazu Anm. 16. Die Kenntnis des lukanischen Werkes wird von Schneemelcher, Apostelgeschichte 242 damit begründet, dass die Apostelgeschichte gegen Ende des 2. Jahrhunderts n.Chr. ein gern gelesenes Buch gewesen sei. Er datiert die Paulus-Akten daher in die Zeit zwischen 185-195 n.Chr. Rordorf, Verhältnis 236 hingegen setzt für die Abfassung der PaulusAkten die Mitte des 2. Jahrhunderts n.Chr. an; aufgrund der postulierten Nichtbenutzung der lukanischen Acta zieht er auch Konsequenzen für die Datierung des lukanischen Werkes, das in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts n.Chr. entstanden sei: „Denn es ist wenig glaubwürdig, daß die Paulusakten die Apostelgeschichte nicht gekannt haben, falls sie fast 100 Jahre nach der Apostelgeschichte entstanden sind" (236). Rordorf verweist auf H. Köster, Einführung in das Neue Testament, Berlin/New York 1980, 742766, der die These vertritt, dass die Acta Pauli kurz nach der Apostelgeschichte des Lukas verfasst wurden. Doch lässt sich dieses Problem nicht mit einer Spätdatierung des lukanischen Werkes und einer Frühdatierung der Acta Pauli lösen. Gegen eine späte Datierung der lukanischen Apostelgeschichte spricht eine Reihe von Gründen: In der Apostelgeschichte spiegeln sich die typischen Probleme der dritten Generation wider. „Die Vorstellung einer dritten Generation, die sich in bewußter Kontinuität zu den Anfängen sieht und dadurch ihren Ort in der Gegenwart bestimmt, ist auch in den Pastoralbriefen vorausgesetzt und in 1 Klem 42 entfaltet. Ein deutlicher Hinweis, daß auch die Apg in die Zeit des ausgehenden ersten christlichen Jahrhunderts gehört" (U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 31999, 276). Gegen eine Spätdatierung spricht außerdem zum einen, dass die Amtsthematik in den lukanischen Acta weitestgehend fehlt, zum anderen, dass Lukas noch nicht auf eine Paulus-Briefsammlung zurückgreifen konnte. Darüber hinaus scheint Lukas noch keine Kenntnis von der Verfolgung unter Domitian (81-96 n.Chr.) in Rom und Kleinasien zu haben, so dass R. Pesch, Die Apostelgeschichte. 1. Teilband (Apg 1-12), EKK V/1, Zürich u.a. 2 1995, 28 sie zwischen 80 und den Anfang der 90er Jahre datiert.

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nicht den Eindruck, als ob er hier auf Ereignisse zurückblickt, die sehr weit zurückliegen. Datiert man die Acta Pauli in den Zeitraum um ca. 180 n.Chr., so lässt sich insgesamt nur sagen, dass eine Kenntnis der lukanischen Acta durchaus möglich und wahrscheinlich war. Ad 2: Sprachliche Indizien für die Benutzung der lukanischen Apostelgeschichte: Die Sprache der Acta Pauli lässt auf eine Kenntnis der lukanischen Acta schließen, wie Julian V. Hills anhand der sprachlichen Parallelen zwischen den lukanischen Acta und den Acta Pauli gezeigt hat.41 Auch wenn die Benutzung etwas vorsichtiger zu beurteilen ist, als Hills meint, hat er aufgezeigt, dass dem Verfasser das lukanische Werk bekannt war. Was Schneemelcher als typisch christliche Erbauungssprache bezeichnet und somit als Indiz für die Unabhängigkeit der Acta Pauli ansieht,42 erweist sich beim näheren Hinsehen als typisch lukanische Sprache. Auch wenn einzelne Ausdrücke und Formeln, die in den Acta Pauli an lukanische Erbauungssprache erinnern, sicherlich Gemeingut frühchristlicher Sprache und über die LXX vermittelt waren, so lassen sich nicht alle Anspielungen auf eine völlig unabhängige, nur mündlich vermittelte Tradition zurückführen.43 Im Einzelnen gibt es folgende Indizien für lukanischen Sprachgebrauch in den Acta Pauli:

41 42 43

Zum Folgenden vgl. Hills, Acts of Paul 145-158. Vgl. Schneemelcher, Apostelgeschichte 242-244. Herczeg, Parallels 145 bemerkt zu den folgenden Parallelen: „These instances are in my view simple usages which occurred often in both the popular language and Scriptures", so dass die Benutzung der lukanischen Acta - und auch weiterer neutestamentlicher Traditionen - nicht zu beweisen sei. Doch wäre eine solche Behauptung erst einmal durch eine Traditions- und Kontextanalyse zu belegen. Leider setzt sich Herczeg nicht mit den Thesen von Hills auseinander, der nicht nur eine umfassende Traditionsanalyse vorgelegt, sondern ebenso den gemeinsamen Kontext der Parallelen zwischen Lukas und den Acta Pauli herausgearbeitet hat. Herczeg stellt selbst fest, dass die lukanischen Acta mit 16 Parallelen (ohne Berücksichtigung von Ortsangaben, Ereignissen und Personen) überrepräsentiert sind. Im Vergleich dazu entfallen von den insgesamt 55 Parallelen auf die anderen neutestamentlichen Schriften: Matthäus (8), Markus (6), Lukas (2), 1 Kor (4), 2 Kor (2), Gal (2), 1 Tim (3), 2 Tim (5) und jeweils 1 auf Rom, Phlm, Eph, 1 und 2 Thess, 2 Petr und Offb. Vor diesem Hintergrund ist es verwunderlich, dass Herczeg die Kenntnis der lukanischen Acta nicht voraussetzt. Dass gerade zur lukanischen Apostelgeschichte relativ viele Parallelen bestehen, lässt sich kaum damit erklären, dass sie hellenistische Merkmale aufweist, denn dies gilt für alle anderen neutestamentlichen Schriften ebenso. Grundsätzlich zuzustimmen ist Herczeg allerdings in seiner Schlussfolgerung, dass dem Verfasser der Acta Pauli sicherlich das Neue Testament nicht in Form unserer Kanonsammlung vorlag und viele neutestamentliche Traditionen mündlich zitiert wurden.

Das Verhältnis der Acta Pauli zur Apostelgeschichte des Lukas

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- τα μεγαλεία in API 3,1.18 (vgl. Act 2,11). Der Ausdruck begegnet bereits in der LXX (vgl. Dtn 11,2; Tob 11,15; 3 Makk 7,22; Ps 70,19; Sir 17,10; 18,4), so dass er für die Frage nach der Benutzung des lukanischen Werkes wenig austrägt. Außer in Act 2,11 ist der Begriff allerdings in der frühchristlichen Überlieferung im 1./2. Jahrhundert n.Chr. nur zweimal belegt. - αγγέλου πρόσωπον in API 3,9 (vgl. Act 6,15). Dass hier Lukas als Vorbild dient, wird durch den Kontext deutlich: Onesiphorus erwartet Paulus, der ihm von Titus als „Mann klein von Gestalt, mit kahlem Kopf und krummen Beinen (...)"; d.h. mit auschließlich menschlichen Eigenschaften beschrieben wird. Die physiognomische Beschreibung endet mit dem Satz „denn bald erschien er wie ein Mensch, bald hatte er eines Engels Angesicht". ,,[T]he last part of the description is difficult in context, since it would require more time for its observation than the narrative seems to allow." - ό ποιήσας τον ούρανόν και την γήν in API 3,24 und API 8 (vgl. Act 4,24; 14,15). Obwohl gegen Hills einschränkend zu sagen ist, dass dieses Epitheton wörtlich in der LXX verwendet wird und somit auch über sie vermittelt sein könnte, ist es auffällig, dass diese Gottesbezeichnung ansonsten im Neuen Testament nicht aufgenommen wird. - Θεέ καρδιογνώστα in API 3,24 (vgl. Act 1,24: κύριε, καρδιογνωστα πάντων; 15,8: ό καρδιογνώστης). Dieses Epitheton ist typisch lukanisch und findet sich weder in der LXX noch in den sonstigen Schriften des NT. Dass es sich - wie Haenchen meint - um einen „Lieblingsausdruck des nachapostolischen Christentums" handelt, lässt sich angesichts der spärlichen Bezeugung nicht sagen. - έν τφ ονόματι Ίησου Χρίστου in API 3,34 (vgl. Act 3,6; 4,10; 10,48; vgl. dazu auch die Äquivalente in Act 8,12.16; 16,18 und 19,5). Die Formel begegnet sowohl in API 3,34 als auch in Act 8,12, 8,16; 10,48 und 19,5 in Verbindung mit der Taufe, so dass es sehr wahrscheinlich ist, dass der Verfasser hier auf Lukas zurückgreift. - επεσεν εις το έδαφος in API 3,42 (vgl. Act 22,7: 'έπεσα τε εις το έδαφος). In Act 22,7 fällt Paulus als Reaktion auf seine Damaskus-Vision auf den Boden, in API 3,42 ist es Thekla, die sich im Hause des Onesiphorus auf den Boden wirft, „wo Paulus gesessen und die Worte Gottes gelehrt hatte", und anschließend in einem Gebet auf ihre Bekehrung zurückblickt. An beiden Stellen begegnet der Ausdruck im Zusammenhang der Bekehrung. - επιδε επί τάς άπειλάς αύτών in Act 4,29 (vgl. API 5/PH: „blicke herab auf ihre Drohungen [άπειλαί]"). Zwar gibt es weitere Belege für άπειλή in der frühchristlichen Überlieferung (vgl. ζ. B. Eph 6,9 und 1 Clem 58,1), doch spricht der ähnliche

44 Vgl. Herrn, vis IV 2,5 ; sim IX 18,2. 45 Hills, Acts of Paul 153. Auch Bauckham, Sequel 112 Anm. 17 hält diese Formulierung für eine Reminiszenz der lukanischen Apostelgeschichte. 46 In der LXX wird das Epitheton insgesamt sechsmal benutzt (2 Kön 19,15; Est 4,17; Ps 133,3; OdSal 12,2; Jes 37,16 und Jer 39,17); vgl. dazu auch Herczeg, Parallels 145, der allerdings nicht berücksichtigt, dass dieses Epitheton ansonsten in der neutestamentlichen Tradition nicht aufgenommen wird. 47 Zur Kritik an Haenchen, Apostelgeschichte 165: Hills, Acts of Paul 151. 48 Vgl. Hills, Acts of Paul 148. 49 Hills, Acts of Paul 153 verweist zusätzlich darauf, dass der Ausdruck lediglich in 4 Makk 6,7 und TestAbr 9 Rez A belegt ist.

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Kontext in API 5 und Act 4,29 für lukanischen Einfluss. 50 in API 5 bittet Paulus, der in Sidon eingesperrt ist, dass Gott die Drohungen der Gegner vereiteln möge; in gleicher Weise betet die Gemeinde in Jerusalem in Act 4,29. - εδίδου το μαρτύρων in API 7 (vgl. Act 4,33: άπεδίδουν το μαρτύριον). - "Ανδρες Έφέσιοι in API 7 (vgl. Act 19,35). Diese Form der Anrede ist allerdings bereits in der antiken Literatur nicht untypisch (vgl. ζ. B. Plat, apol 29D), so dass sich schwer entscheiden lässt, ob hier das lukanische Vorbild prägend war. Auch in den Johannesakten findet sich die gleiche Formulierung (vgl. 33,1; 36,10; 39,1; 38,10; 43,5). - έν φ δει σωθήναι in API 7 (vgl. Act 4,12). Die Verwendung lukanischer Sprache wird darin deutlich, dass es für die Verbindung von δει mit σωθήναι in der gesamten antiken Literatur nur einen weiteren Beleg gibt und die Formel in der frühchristlichen Überlieferung des 1./2. Jahrhunderts n.Chr. ansonsten nicht belegt ist. Deutlich wird der lukanische Einfluss auch in der grammatikalischen Stellung von έν φ, das in API 7 direkt an das Femininum υιοθεσία anschließt (ό θεός μένει καί ή δι' αύτου διδομένη υιοθεσία, έν ω δει σωθήναι), so dass die Formulierung ein weiteres Zeugnis für den Gebrauch lukanischer Sprache ist. - άνδρες άδελφοί in API 9; 10; 11,1 (vgl. Act 1,16; 2,34; 7,26; 15,23 u.ö.^. Mit Ausnahme von 4 Makk 8,19 gibt es keinen Beleg für die Wendung vor Lukas. - πλησθείς πνεύματος αγίου in API 9 und 11,3. Die gleiche Formulierung findet sich in Act 4,8; 7,55; 9,17; 11,24 und 13,9 (vgl. auch Lk 1,41; 1,67 und 4,1), während sich aus dem Umfeld des Neuen Testaments ansonsten keine Belege beibringen lassen. - έκ καρπού τής όσφύος in API 10 (vgl. Act 2,30). Der Ausdruck ist typisch lukanisch; die LXX hingegen benutzt immer καρπός in Verbindung mit κοιλία (έκ καρπού τής κοιλίας Ps 131,11; vgl. Gen 30,2; Mi 6,7). - καί πολλαί ψυχαί προσετίθεντο τφ κυρίφ in API 11,1 (vgl. Act 2,41: προσετέθησαν έν τή ήμέρςι έκείνη ψ υ χ α ί ώσεί τρισχίλιαι sowie Act 11,24: καί προσετέθη όχλος ικανός τω κυρίφ). Innerhalb der frühchristlichen Literatur finden sich nur in der lukanischen Apostelgeschichte Belege für προστιθέναι in Verbindung mit ψ υ χ ή und mit τφ κυρίφ.

50 51 52 53 54

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Vgl. Hills, Acts of Paul 153. Vgl. Antiph, de Caede Herodis 2,3. Eine etwas andere Begründung bei Hills, Acts of Paul 151: Sie stellt noch einen engeren Zusammenhang zu Act 4,12 her, indem sie das έν φ wie in Act 4,12 auf Jesus bezieht. Vgl. dazu Hills, Acts of Paul 154; Bauckham, Sequel 112 Anm. 17. Anders jedoch Schneemelcher, Apostelgeschichte 243, der den Ausdruck in API 11,3 nicht auf die Kenntnis des lukanischen Werkes zurückführt: „Vielmehr ist es einfach eine geläufige Vorstellung, daß der Märtyrer in der entscheidenden Phase vom Geist erfüllt wird." Zwar ist in paganen, frühjüdischen und christlichen Schriften oft von Geisterfüllung die Rede, aber eben nicht von der Erfüllung mit dem heiligen Geist. Diese Formulierung ist vermutlich über Lukas vermittelt worden, da sie erstmalig im lukanischen Werk belegt ist und gerade dort häufig benutzt wird. Dass der Verfasser eine Anleihe bei Lukas gemacht hat, wird zudem noch dadurch bestätigt, dass sich nach dem Ausweis des Thesaurus Linguae Graecae in der frühchristlichen Literatur des 1. und 2. Jahrhunderts n.Chr. wenig Parallelen finden. Vgl. dazu ausführlich Hills, Acts of Paul 154.

Das Verhältnis der Acta Pauli zur Apostelgeschichte des Lukas

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- την οίκουμένην κρΐναι in API 11,3 (vgl. Act 17,31). - ού μετά πολλάς ήμερας ταύτας in API 11,6 (vgl. Act 1,5). Dass dieser Ausdruck aus Act entlehnt ist, ergibt sich daraus, dass die Formulierung ungewöhnlich und für das 1.12. Jahrhundert n.Chr. außerhalb des lukanischen Werkes nicht belegt ist. Hills macht zudem darauf aufmerksam, dass auch inhaltlich eine Verbindung zur lukanischen Apostelgeschichte besteht. Am Anfang des lukanischen Werkes wird in Act 1,5 der Empfang der Taufe mit dem heiligen Geist „nicht lange nach diesen Tagen" verheißen; in API 11,6 warnt Paulus Nero vor seinem Martyrium und somit kurz vor dem Ende der Acta Pauli: „Dir aber wird viel Übles und schwere Strafe widerfahren, du Elender, weil du der Gerechten Blut ungerechterweise vergossen hast, nicht lange nach diesen Tagen!" „Just as Acts begins with the promise of the gift of the Holy Spirit, so now the Acts of Paul is about to end (...) with a promise: the death of Nero, the man widely regarded by later generations as the proto-persecutor."

Was die sprachlichen Wendungen anbelangt, so weisen die Paulus-Akten durchaus auf eine Kenntnis des lukanischen Werkes hin. Allerdings findet sich nirgendwo ein ausdrückliches Zitat, und die Benutzung lukanischer Wendungen ist äußerst eklektisch, so dass sich das intertextuelle Verhältnis zwischen beiden Werken nicht mit der Weiterentwicklung des MarkusStoffes in der synoptischen Tradition vergleichen lässt. Bereits daran wird deutlich, dass es dem Verfasser nicht darum ging, die Apostelgeschichte des Lukas zu kopieren und zu imitieren, sondern ein eigenständiges Bild des Paulus zu zeichnen. Ad 3 : Analogien in Ereignismustern, im Aufbau und in der Struktur: Deutlicher noch als in der Verwendung lukanischer Sprache ist die Kenntnis der lukanischen Acta in der Struktur der Acta Pauli zu erkennen. Das strukturelle Grundmodell, auf das die Acta Pauli für die Darstellung der paulinischen Mission rekurrieren, ist an Act 13-28 angelehnt: Paulus reist in eine Stadt, predigt, wird verfolgt, tut Wunder und verlässt die Stadt.57 Der Unterschied zu Lukas besteht jedoch darin, dass der "lukanische" Paulus zunächst immer vor Juden predigt (Act 13,42-52; 14,1-7; 17,1-14; 18,1-10; 19,8-10), während er sich in den Paulus-Akten an Heiden wendet. Des Weiteren ist die Rolle des Paulus als Wundertäter gesteigert. Auch wenn der Aufbau der paulinischen Missionsreise ein anderer ist als der lukanische, besteht eine auffallende Analogie in den Reisestationen, da der Apostel in keiner Stadt auftritt, die nicht auch in den lukanischen Acta erwähnt wird. 58 Auch die Ereignisse in den Missionsgebieten weisen ähnliche Muster auf: 59 Die Vertreibung aus 56 57 58 59

Hills, Acts of Pauli 54. Vgl. zu dieser schematischen Darstellung R. Kasser, Acta Pauli 1959, RHPhR 40 ( 1960) 45-57,48 Anm. 31. Vgl. Schmidt, Acta Pauli 207-214. Vgl. dazu vor allem Marguerat, Actes des Paul 213f.

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Antiochia (API 2/Act 13,50), der Konflikt mit den Silberschmieden in Ephesus (API 7/Act 19,23-40), die Gefangenschaft des Apostels in Philippi (API 8/III Kor/Act 16,16-40) und seine Ankunft in Rom, wo er eine Unterkunft mietet (API 11/Act 28,16.30). Auch Einzelepisoden hat der Presbyter den lukanischen Acta entnommen: die Bekehrung des Paulus, die Abschiedsszene vor der Reise nach Jerusalem bzw. Rom (Act 20,17-21/API 9) sowie die Erzählung vom Fenstersturz des Eutychus (Act 20,7-12/APl 11,1). Diese Gemeinsamkeiten in der Struktur, in Motiven und Ereignismustern lassen sich nicht allein aus einer mündlichen Paulus-Legende erklären; sie sind vielmehr Indizien für eine Kenntnis der lukanischen Acta. Der Autor der Acta Pauli nutzt das lukanische Werk in so kreativer Weise, dass eine völlig andere Darstellung des paulinischen Wirkens entsteht und - wie man hinzufügen kann auch entstehen sollte. Dieser kreative Umgang ist ein typisches "intertextuelles" Phänomen, das auch in der Rezeption biblischer Texte in den sog. Pseudepigraphen deutlich wird. Als Beispiele können der Mose-Roman des Artapanos, die Josephsgeschichte in Joseph und Aseneth oder die "relecture" der hebräischen Bibel im Liber Antiquitatum genannt werden.60 Auch die Rezeption von Teilen der synoptischen Tradition im Johannes-Evangelium ist eine Analogie dafür, wie originell der Presbyter den Stoff des Lukas neu gestaltet hat. Insgesamt sprechen die oben genannten Indizien für eine Kenntnis des lukanischen Werkes, auch wenn die Diskussion noch keineswegs abgeschlossen ist.61 Bei der Frage, ob die Acta Pauli die lukanische Apostelgeschichte voraussetzen, geht es insbesondere darum, den Hintergrund des Paulus-Bildes in den Acta Pauli besser zu verstehen. Für eine genaue Bestimmung des Charakters der Schrift stellt Julian Hills zu Recht fest: ,,[I]t remains of more than passing interest to know if the author of Acts of Paul knew Luke's Acts whether he or she had inherited that legacy, and what difference it has made."62 Während die Forschung mit guten Gründen Rordorfs Unabhängig-

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Zu den Beispielen aus der Tradition der "rewritten Bible" vgl. R. Bauckham, The Acts of Paul as a Sequel to Acts, in: B. W. Winter and A. D. Clarke (ed.), The Book of Acts in its Ancient Literary Setting, The Book of Acts in Its First Century Setting 1, Grand Rapids/Carlisle 1993, 105-152, hier 132-134, 145. Zu erwarten ist eine erneute Stellungnahme Rordorfs zu den neueren Ansätzen in seiner kritischen Gesamtedition der Acta Pauli. Auf dem SBL-Kongress von 1994 hat Rordorf bereits in einem bisher nicht publizierten Manuskript auf die neuere Forschung geantwortet: „Response to the Seminar Papers of Richard I. Pervo and Julian V. Hills, Unpublished MS, distributed at the SBL Seminar on Intertextuality in Early Christian Apocrypha, 19. November 1994". Hills, Acts of Paul 158. Dass Hills allerdings mit einer Verfasserin der Paulus-Akten rechnet, ist angesichts der Notiz Tertullians in de bapt 17,5 mehr als befremdlich. Es be-

Das Verhältnis der Acta Pauli zur Apostelgeschichte des Lukas

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keitshypothese in Zweifel zieht und ein zunehmender Konsens über die Kenntnis der lukanischen Apostelgeschichte besteht, hat die Diskussion über das Verhältnis der Acta Pauli zur Apostelgeschichte des Lukas in den intertextuellen Ansätzen gerade erst begonnen. Umstritten ist vor allem, welchen Zweck die Acta Pauli verfolgen und wie sie literarisch und historisch im Vergleich zu Lukas einzuordnen sind. Sind sie eine Fortsetzung der lukanischen Acta oder eine Revision des Paulusbildes, das Lukas und die Pastoralbriefe vermitteln, oder eine Form von "relecture" der Acta des Lukas? Diese verschiedenen Deutungen sollen im Folgenden vorgestellt und kritisch hinterfragt werden.

2.5 Die Acta Pauli als Fortsetzung von Act 28,31 (Richard Bauckham) Einen intertextuellen Beitrag, der insbesondere für die Frage nach dem Ende des Paulus von Bedeutung ist, hat Richard Bauckham in seiner detaillierten und materialreichen Studie vorgelegt.63 Die Acta Pauli sind nach Bauckham eine Erzählung, die als Fortsetzung von Act 28,31 gestaltet ist. Der Verfasser benutzte 2 Tim, 1 Clem 5,5-7 und 1 und 2 Kor, um die letzte Phase der Vita Pauli bis zu seinem Martyrium zu beschreiben. Die Paulus-Akten wären damit die früheste Quelle für die Freilassung des Paulus aus römischer Haft nach zwei Jahren, für sein Weiterwirken im Osten und für seine erneute Gefangenschaft in Rom. Bauckham macht - im Gegensatz zu Rordorf - seine Hypothese in erster Linie nicht für eine historische Rekonstruktion fruchtbar, sein Ziel ist vielmehr, das Genre der Acta Pauli zu bestimmen. Der Unterschied zur lukanischen Apostelgeschichte besteht nach Bauckham nicht in einem Gegensatz von Historiographie und Fiktion. Auch die Acta Pauli beruhen auf historischen Quellen, aber ihren Verfasser zeichnet eine große Freiheit und historische Imagination im Umgang mit seinen Quellen aus. Als novellistische Biographie sind die Acta Pauli sowohl biographischer als auch fiktionaler als die lukanische Paulus-Erzählung, so dass er sie als „novellistic biography" charakterisiert.64 Im Gegensatz zu Rordorf, der von mündlichen, von Lukas unabhängigen Traditionen ausgeht, setzt Bauckham die Kenntnis der lukanischen Apostel-

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steht kein Grund, an der männlichen Autorenschaft der Paulus-Akten zu zweifeln, da Tertullian offensichtlich gut über den Presbyter informiert war. Vgl. dazu Bremmer, Magic 57. Zum Folgenden vgl. Bauckham, Sequel 105-152. Vgl. Bauckham, Sequel 139-152. Seine Kritik richtet sich vor allem gegen Pervo, Profit, der die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Texten im Genre betont.

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geschichte voraus, erklärt jedoch die Unterschiede im Aufbau und in der Darstellung der paulinischen Mission folgendermaßen: „The author of the Acts of Paul knew the Acts of the Apostles and the Pauline letters, and from his reading of the latter he concluded that the story was incomplete, not only because it did not record his martyrdom, but also because, after the events recorded in Acts, Paul engaged in further missionary travels in the eastern Mediterranean before returning to Rome and suffering martyrdom." 65 Bauckham übernimmt insgesamt eine Position, die erst über Euseb in die Wirkungsgeschichte der Acta Pauli eingegangen ist. Euseb kombiniert den lukanischen Bericht sowohl mit den Acta Pauli als auch mit dem 2. Timotheusbrief und schließt daraus, dass die Paulus-Akten eine Fortsetzung der lukanischen Apostelgeschichte sind: „Lukas, der Verfasser der Apostelgeschichte, Schloß diesselbe ab mit dem Bemerken, Paulus habe zwei volle Jahre in Rom frei gelebt und ungehindert das Wort Gottes verkündet. Nachdem der Apostel seine Sache vor Gericht verteidigt hatte, soll er wiederum auf Missionsreisen gegangen sein, um dann noch ein zweites Mal in die gleiche Stadt zurückzukehren und im Martyrium sein Leben zu beschließen. Damals nun schrieb er in Ketten den zweiten Brief an Timotheus, indem er sowohl auf seine frühere Verteidigungsrede als auch auf sein baldiges Lebensende hinwies."66

Die Quelle, auf die sich Euseb für den zweiten Romaufenthalt und fur das Martyrium des Paulus bezieht, sind die Paulus-Akten. 67 Sie haben für ihn wie auch für andere Kirchenväter - eine quasi-kanonische Autorität 68 , so dass er die verschiedenen Berichte harmonisiert. Ursprünglich als Parallelüberlieferung zur lukanischen Apostelgeschichte konzipiert, wurden die Acta Pauli angesichts der unterschiedlichen Darstellung des Wirkens des Paulus als Fortsetzung von Act 28,31 angesehen. Da Paulus in API 11 als freier Mann nach Rom kommt, hat Euseb seine dortige Ankunft auf den zweiten Aufenthalt des Apostels bezogen. Mit Ausnahme von Euseb ist jedoch keine frühchristliche Quelle, die über eine zweite Gefangenschaft in Rom berichtet, bekannt.

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Bauckham, Sequel 131. Euseb, hist eccl II 22,2. Übersetzung nach P. Haeuser, Des Eusebius von Caesarea ausgewählte Schriften aus dem Griechischen übersetzt, BKV II/l, München 1932, 90. Vgl. F. Pfister, Die zweimalige römische Gefangenschaft und die spanische Reise des Apostels Paulus und der Schluß der Apostelgeschichte, ZNW 14(1913) 216-221, 219f. Zur Bedeutung und Hochschätzung der Paulus-Akten in der altkirchlichen Literatur: Schmidt, Acta Pauli 108-116.

Das Verhältnis der Acta Pauli zur Apostelgeschichte des Lukas

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Dass die Acta Pauli eine Fortsetzung von Act 28,31 sind, lässt sich auch aus weiteren Gründen nicht halten:69 Der Hauptkritikpunkt bezieht sich auf den Aufbau und die Struktur der Paulus-Akten, die deutlich zeigen, dass hier keine Fortsetzung von Act 28,31 intendiert ist, sondern in veränderter Form eine "Gesamtvita" des Paulus vorliegt. Ihr Modell ist die lukanische Apostelgeschichte. Die Komposition des Werkes zeigt außerdem, dass der Verfasser nur von der ersten Reise bis zum Martyrium in Rom berichten wollte. An keiner Stelle wird erwähnt, dass Paulus bereits früher in den Gemeinden aufgetreten ist und seine Besuche sich wiederholt haben. 70 Dass Paulus vorher nicht in Rom gewesen ist, wird vor allem durch die an Act 28,30 angelehnte Bemerkung deutlich, dass der Apostel sich in Rom eine Wohnung mietet. Wäre Paulus zu einer ihm bekannten Gemeinde zurückgekehrt, so hätte der Verfasser auch geschildert, dass die Christen in Rom ihn nach seiner Abwesenheit begrüßt hätten. „Statt dessen erscheint Paulus aber als ein ganz Unbekannter." 71 Zudem erweist sich die Damaskus-Episode über die Berufung des Paulus in einer Fortsetzung als "Fremdkörper".72 Ferner ist von einer Freilassung aus der ersten römischen Haft in den überlieferten Fragmenten der Acta Pauli nicht die Rede. Da ihr Anfang verloren ist, bleibt es ein hypothetisches Postulat, dass sie - wie in einem zweiten Band zu erwarten wäre - von der Freilassung aus der ersten römischen Haft berichtet haben. 73 Insgesamt sind weder die Motive für die Abfassung eines "zweiten Bandes" der Apostelgeschichte des Lukas ersichtlich, noch lässt die Komposition der Acta Pauli

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Zu einer detaillierten Kritik vgl. R. I. Pervo, A Hard Act to Follow. The Acts of Paul and the Canonical Acts, JHC 2 (1995) 3-32, insbesondere 17-32; vgl. auch Marguerat, Actes de Paul 211. Bauckham, Sequel 107-116 greift die Beobachtung von Schneemelcher auf, dass Paulus bereits organisierte Ortsgemeinden vorfindet, und wertet dies als Indiz fur eine Fortsetzung der lukanischen Acta, wo Paulus die Gemeinden oft erst gründet. Paulus ist in den Acta Pauli ein Wandermissionar und Lehrer, kein Kirchengründer. Doch lässt sich der Unterschied damit erklären, dass sich die Missionssituation zur Zeit der Abfassung der Acta Pauli verändert hat und das Paulus-Bild an die wandelnden Bedürfnisse angepasst ist. Schmidt, Acta Pauli 170. Vgl. dazu die detaillierte Analyse von Pervo, A Hard Act 21 f. Marguerat, Actes de Paul 211 macht darauf aufmerksam, dass die Paulus-Akten vermutlich mit der Berufung des Paulus begonnen haben. Auch wenn der Anfang aller Apostelakten des 2. Jahrhunderts n.Chr. mit Ausnahme der Thomasakten verloren ist, zeigt der Vergleich mit den Thomasakten und den späteren apokryphen Apostelakten, dass die Berufung vermutlich am Beginn der Missionsschilderung stand. Zum Motiv der Berufung in den apokryphen Apostelakten vgl. J.-D. Kaestli, Les scènes d'attribution des champs de mission et le départ de l'apôtre dans les Actes apocryphes, in: Bovon, Les Actes apocryphes 249-264.

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darauf schließen, dass es ihr Ziel war, eine Ergänzung der nach Act 28,31 folgenden Ereignisse bieten zu wollen.

2.6 Die Acta Pauli als "revision" und "counter-blast" (Richard I. Pervo) Richard I. Pervo geht im Gegensatz zu Bauckham davon aus, dass die PaulusAkten eine bewusste Revision der lukanischen Darstellung sind. „Rather than compose a respectful sequel, API seeks to correct, possibly to supplant, the canonical work, as well as at least two of the Pastoral Epistles."74 Pervo schliesst nicht aus, dass der Presbyter gerade für das Ende des Paulus auch historische Informationen aufgegriffen hat: ,,[A]lthough it is highly probable that Acts 'correctly' relates Paul's (final) arrest to events in Jerusalem, this construction is also quite congenial to the purposes of the book. For API the enemy is Rome and its rulers. This text displays none of Acts 'apologetic' interests, but seeks rather to pit the Apostle against the Emperor in the imperial capital. (...) Fictitious API may well be (in large part or small) but the final quarter of Acts is not without problems of its own."75 Für den Verfasser der Acta Pauli war die Apostelgeschichte nach Pervo weder ein autoritatives Dokument noch eine genaue historische Darstellung, sondern „a tendentious and often dubious construction"76. Im Gegensatz zu Lukas sind die Paulus-Akten bestimmt von apokalyptischen Vorstellungen, setzen der lukanischen Apologetik gerade die Opposition zu Rom entgegen, betonen das Martyrium und etablieren in der Gestalt der Thekla ein Gegenmodell beispielsweise zur frauenverdrängenden Tendenz der Pastoralbriefe. Allerdings deutet Pervo die Punkte, die den Gegensatz zu Lukas markieren, nur an, ohne sie genau zu analysieren. Gegen Pervo ist kritisch vor allem anzumerken, dass der lukanische Entwurf nicht in allen Punkten radikal zurückgewiesen, sondern aktualisiert und auf die spezifischen Bedürfnisse seiner kleinasiatischen Gemeinde zugeschnitten wird. Inwiefern eine bewusste Opposition und radikale Kritik seitens des kleinasiatischen Presbyters an der gesamten lukanischen Darstellung überhaupt vorliegt,77 muss noch eingehend geprüft werden. 74 75 76 77

Pervo, A Hard Act 4. Pervo, A Hard Act 26f. Pervo, A Hard Act 4. Zu hinterfragen sind die impliziten Voraussetzungen, die Pervos Darstellung der Acta Pauli bestimmen. Während Bauckham dem Presbyter eine kritiklose Akzeptanz der kanonischen Apostelgeschichte unterstellt, sieht Pervo die Intertextualität zwischen den Acta des Lukas und den Paulus-Akten in erster Linie als Opposition und Gegenidentität. Pervo, A Hard Act 21 kritisiert an Bauckham, dass er von einem anachronistischen Ka-

Das Verhältnis der Acta Pauli zur Apostelgeschichte des Lukas

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2.7 Die Acta Pauli als "relecture" der Apostelgeschichte des Lukas (Daniel Marguerat) Mit einem stärker literaturtheoretisch orientierten Ansatz arbeitet Daniel Marguerat, um die intertextuelle Beziehung zwischen den Paulus-Akten und den kanonischen Akten näher zu bestimmen.78 Im Gegensatz zur klassischen Literarkritik geht es ihm nicht um die bloße Feststellung von literarischen Abhängigkeiten, sondern um eine Deutung des Phänomens, dass die Acta Pauli zwar einerseits Ähnlichkeiten mit der kanonischen Apostelgeschichte aufweisen, andererseits aber eine große Differenz, ja sogar Ignoranz, deutlich wird. Im Rückgriff auf die Theorie der "Hypertextualität"79 versteht er die Acta Pauli als "relecture" der kanonischen Apostelgeschichte. Bedingt ist diese Aktualisierung des Paulus-Bildes nach Marguerat durch verschiedene Faktoren:80 Ein Motiv für die "relecture" liegt in der Paulus-Rezeption seit der Mitte des 2. Jahrhunderts n.Chr. Im Vergleich zu Lukas sind die PaulusAkten hagiographischer. „Paul apparaît constamment dans le récit comme le héros solitaire, admirable, infaillible, persécuté pour son courage à annoncer le Christ."81 Ein weiterer Grund fìir die Aktualisierung des Paulus-Stoffs ist die Veränderung der historischen Situation: Während für Lukas Jerusalem der Ursprungsort des Glaubens ist, spielt es in den Acta Pauli keine entscheidende Rolle mehr. Nicht der Beginn des Christentums ist für die Acta Pauli von Interesse, sondern vielmehr seine Ausbreitung. Paulus hat entsprechend in den Gemeinden der Acta Pauli eine konsolidierende Funktion, er handelt als Pastor und als die verbindliche apostolische Autorität. Auch die unterschiedlichen Gegnerschaften in den Acta Pauli und in den lukanischen Acta erklären sich aus der veränderten Lage: Gegner der paulinischen Mission sind - im Gegensatz zu Lukas - nicht die Juden, sondern der römische Staat, was insbesondere im Martyrium des Paulus deutlich wird. Ein dritter Grund für eine "relecture" liegt in der Verehrung des Paulus, dem Funktionen übertragen werden, die er in der lukanischen Paulus-Deutung noch nicht gehabt hat. Marguerat macht dies anhand der Thekla-Gestalt deutlich, die als ideale Schülerin des Paulus gezeichnet wird (vgl. vor allem API 3,7; 3,10; 3,18; 3,21). Paulus ist in den Acta Pauli kein Schüler - wie etwa in Act 22,3 Schü-

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nonverständnis ausgeht, doch erweist sich seine Sichtweise als ebenso abhängig von dem Gegensatz zwischen "Kanon" und "Apokryphen", wenn auch unter anderen Vorzeichen. Auf Kosten des Lukas werden die Acta Pauli rehabilitiert, und der Presbyter wird quasi zu einem Vorläufer tendenzkritischer Acta-Forschung. Vgl. Marguerat, Actes de Paul 207-224; ders., L'héritage 87-98. Zum Konzept der Hypertextualität vgl. Genette, Palimpsestes 7-12. Zum Folgenden vgl. Marguerat, Actes de Paul 220-223. Marguerat, Actes de Paul 220.

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1er des Gamaliel - und auch nicht von anderen Aposteln abhängig. Thekla übernimmt die Rolle des Paulus bei Lukas, während der Apostel selbst immer christusähnlicher wird. „Les API s'inscrivent ici sur une trajectoire où l'on repère d'autres Actes apocryphes: par glissements successifs, le Christ se rapproche du divin, l'apôtre tend à s'identifier avec le Sauveur, et de nouvelles figures endossent le rôle du témoin." 82 Das Hauptmotiv für die "relecture" der Apostelgeschichte des Lukas war insbesondere, dass der Verfasser die Biographie des Paulus vervollständigen wollte. 83 Da gerade Paulus in der frühchristlichen Wirkungsgeschichte als vorbildlicher Märtyrer galt (vgl. 1 Clem 5,5-7), wurde das Schweigen des Lukas über den Tod des Paulus in der Folgezeit als unbefriedigend empfunden. Zudem gehörten die Martyrien in den apokryphen Apostelakten des 2. Jahrhundert n.Chr. zu den zentralen Bestandteilen der Vita eines Apostels. Die Acta Pauli schließen daher die Lücke nach Act 28,31 und ergänzen das Martyrium des Paulus. Ein ähnliches Phänomen zeigt sich bereits in Mk 16,9-20: Da Mk 16,8 abrupt abbricht, wurde der Schluss im 2. Jahrhundert n.Chr. durch Erscheinungstraditionen erweitert.

3 Zusammenfassung und Ausblick Überblickt man die Forschungsgeschichte zum Verhältnis der Acta Pauli zur kanonischen Apostelgeschichte, so besteht in der neueren Forschung - mit Ausnahme von Rordorf - ein zunehmender Konsens darüber, dass die Acta Pauli auch und in besonderer Weise in die Rezeptionsgeschichte der lukanischen Apostelgeschichte gehören. Für die Kenntnis des lukanischen Werkes spricht zum einen, dass der Autor der Paulus-Akten sprachlich von der Apostelgeschichte des Lukas beeinflusst ist, zum anderen, dass er sich im Aufbau seines Paulus-Romans an Act 13-28 anlehnt. Die lukanische Apostelgeschichte diente als literarisches Vorbild, als Modell und als Inspiration, doch war es nicht das Ziel der Paulus-Akten, sie zu kopieren, sondern ein eigenes Paulus-Bild zu entwerfen. Der Autor der Acta Pauli verfolgt einen selbständigen Plan und stellt aus einem Mosaik von mündlichen und schriftlichen Traditionen sein Werk zusammen. Von den vorgestellten Ansätzen zur Inter-

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Marguerat, Actes de Paul 223. Die Vervollständigung der lukanischen Acta wird auch deutlich im sog. 3. Korintherbrief. Während Lukas die Briefe des Paulus nicht erwähnt, hat der Verfasser der Acta Pauli einen Brief des Apostels in sein Werk eingebaut. Ebenso zeigt sich ein besonderes Interesse an dem Aussehen des Paulus (vgl. API 3), das ñir das Paulus-Bild des Lukas noch keine Rolle spielte.

Das Verhältnis der Acta Pauli zur Apostelgeschichte des Lukas

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textualität der lukanischen Apostelgeschichte und der Acta Pauli ist der Ansatz von Marguerat daher der weiterführendste. Marguerat versteht die Acta Pauli als "relecture" der Paulus-Rezeption des Lukas und erklärt den Wandel durch den veränderten historischen Kontext, durch die Verehrung des Paulus und insbesondere dadurch, dass die Acta Pauli die Biographie vervollständigen wollten. Während Lukas den Tod und das Martyrium des Paulus aus theologischen und apologetischen Gründen nicht erwähnt, hat der Verfasser der Paulus-Akten gerade dem Märtyrerapostel ein Denkmal gesetzt. Für ihn ist das Vorbild des Märtyrers Paulus wichtiger als der Nachweis, dass das Christentum keine staatsfeindliche Religion ist. Paulus ist entsprechend nicht mehr ein loyaler römischer Bürger, sondern kämpft als Teil der militia dei gegen Nero und Rom. Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, warum der Verfasser den in der Apostelgeschichte geschilderten Prozess des Paulus (Act 21,17-28,31) und seine Appellation an den römischen Kaiser (Act 25,11) nicht berichtet. Das römische Bürgerrecht wird zwar implizit vorausgesetzt,84 aber nicht eigens thematisiert, da der Gegensatz zwischen dem irdischen Machthaber Nero und Christus, dem König der Äonen (API 11), herausgestellt wird. Fragt man abschließend nach dem historischen Wert der Acta Pauli für das Ende des Paulus, so ist deutlich geworden, dass die Paulus-Akten nicht als Fortsetzung der lukanischen Apostelgeschichte komponiert wurden, wie von Euseb und in der Forschung - in unterschiedlicher Nuancierung - von Rordorf und Bauckham postuliert. Vielmehr handelt es sich um eine parallele Überlieferung, die ebenso wie die Apostelgeschichte des Lukas nur von einer Romreise und einer einzigen Gefangenschaft in Rom wusste. Dass die Paulus-Akten nichts von einer zweimaligen römischen Gefangenschaft bzw. von einer erneuten Mission im Anschluss an seine erste Haft berichten, zeigt zugleich, wie wenig diese Tradition tatsächlich im Paulus-Bild des 2. Jahrhunderts n.Chr. verankert war. Trotz seiner Kenntnis von 1 Clem 5,5-7 hat der Presbyter auch die Spanientradition nicht aufgenommen. Obwohl die Acta Pauli ansonsten das "Ende" des Paulus so unterschiedlich von der Apostelgeschichte des Lukas erzählen, bestätigen beide Quellen, dass Paulus nur einmal in Rom war und nicht freigelassen wurde.

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Auch der Verfasser der Paulus-Akten weiß von dem römischen Bürgerrecht des Paulus. Dies wird zum einen in der Bemerkung deutlich, dass Paulus als römischer Bürger nach dem Gesetz der Römer enthauptet wurde (API 11), zum anderen in seiner priviligierten Position in API 3,20, wo Paulus vor den Statthalter geführt und der Magie angeklagt wird. Während Thekla zum Tode durch Feuer verurteilt wird, wird Paulus gegeißelt und aus der Stadt vertrieben. Vgl. dazu Bremmer, Magic 48.

Marco Frenschkowski

Pseudepigraphie und Paulusschule Gedanken zur Verfasserschaft der Deuteropaulinen, insbesondere der Pastoralbriefe

Nachdem über Existenz und Umfang frühchristlicher Pseudepigraphie zwar kein völliger Konsens, aber doch ein stabiler "Status quo" der Forschung erreicht wurde, ist es um das Umfeld des Themas erstaunlich ruhig geworden. Die Exkurse zum Thema Pseudepigraphie in den neutestamentlichen Einleitungen1 und Kommentarwerken2 sind weithin austauschbar: Man hat den Eindruck, die grundsätzlichen historischen Probleme des Fragenkreises seien sozusagen forschungsgeschichtlich "erledigt" und abgeschlossen. Ich halte diesen "Frieden" für trügerisch3 und meine, daß einerseits in den rein geschichtlichen Fragen Detailfortschritte möglich sind (vor allem durch eine Perspektivenverlagerung des literaturgeschichtlichen Blickes), und daß andererseits auch grundsätzlich noch manche Frage zur Hermeneutik antiker falscher Verfasserangaben auf neue und vorurteilsfreie Analysen wartet.

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Beispiele: U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 3 1999,293-297; A. Wikenhauser und J. Schmid, Einleitung in das Neue Testament, Leipzig 6 1973 (= Freiburg 6 1973), 538-541 ; W. Marxsen, Einleitung in das Neue Testament, Gütersloh 4 1978, 174-176; B. Ehrman, The New Testament. A Historical Introduction to the Early Christian Writings, New York/Oxford 1997, 320-323; R. E. Brown, An Introduction to the New Testament, The Anchor Bible Reference Library, New York u.a. 1997, 585-589. Vgl. z.B. E. Reinmuth, Zur neutestamentlichen Paulus-Pseudepigraphie, in: N. Walter, E. Reinmuth und P. Lampe, Die Briefe an die Philipper, Thessalonicher und an Philemon, NTD 8/2, Göttingen 1998, 190-200; Κ. Η. Schelkle, Die Petrusbriefe. Der Judasbrief, HThK XIII/2, Freiburg u.a. 6 1988, 245-248. Ideologische Vorentscheidungen und das allgemeine Bild der frühen Christen spielen eine entscheidende Rolle. J. Murphy-O'Connor z.B., der 2 Tim für echt hält, schreibt: „it should not be assumed that Christians of the first two centuries were characterized by credulity and naivety. (...) Realistically, the only scenario capable of explaining the acceptance of the Pastorals, is the authenticity of one of the three letters" (Paul. A Critical Life, Oxford 1996, 357). Bedenkt man die große Zahl literarischer Unmöglichkeiten, welche in der Alten Kirche akzeptiert wurden, ist der zweite Satz fragwürdig. Im ersten Satz verdrängt die theologische Apologetik jeden historischen Blick.

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Die folgenden Erwägungen beabsichtigen ein Dreifaches. Einmal sollen ohne Anspruch auf historische Durchdringung des Phänomens im kritischen Gespräch mit der jüngeren Forschung eine Reihe von allgemeinen Beobachtungen zur frühchristlichen und altkirchlichen Pseudepigraphie zur Sprache kommen, die - obwohl nicht grundsätzlich neu - doch m.E. zu wenig Beachtung finden. Zweitens soll der beliebte Begriff einer "Paulusschule" problematisiert und präzisiert werden. Drittens wird zu fragen sein, ob wir über die Verfasser der Deuteropaulinen zwar nicht mehr wissen, aber doch mehr begründet vermuten können, als es gewöhnlich geschieht. Als bekannt vorausgesetzt werden dabei die Argumente, die dazu führen, Texte für pseudepigraph zu halten. In Verfasserschaftsfragen fällt, um Walter Bauer zu zitieren, „die sichere Entscheidung nur dem Ignoranten leicht" 4 . Wir bleiben also weithin im Bereich von Plausibilitätsabwägungen, allerdings solchen, in denen mittlerweile doch ein sehr weitgehender Konsens möglich geworden ist. Es wird eine spekulative Konkretion zur Frage nach der Verfasserschaft der Pastoralbriefe vorgestellt werden, zu der die unmittelbar folgenden Überlegungen den Charakter einer Einleitung haben. Dabei werden sowohl offene Fragen als auch spekulative Weiterführungen zu formulieren sein.

1

Allgemeine Erwägungen zum Wesen der

Pseudepigraphie

Die unbestreitbare Tatsache, daß es im frühen Christentum - und zwar offenbar in reichem Umfang - Texte gegeben hat, welche sich einer falschen Verfasserangabe bedienen, ist mit mancherlei Peinlichkeiten verbunden. Gegenüber der kirchlichen Öffentlichkeit (auch gegenüber Studierenden) pflegt sich die exegetische Zunft dieses Problems im allgemeinen rasch dadurch zu entledigen, daß man sagt: Die Antike hatte andere Vorstellungen von geistigem Eigentum als wir - man drückte geradezu seinen Respekt dem geliebten Apostel oder Propheten gegenüber dadurch aus, daß man sich seinen Namen lieh. Diese rasche und bequeme Auskunft hat zwei (meist stillschweigende) Voraussetzungen: - Wenn Pseudepigraphie wirklich ein unproblematisches Stilmittel gewesen wäre, hätte es keine große Verärgerung geben dürfen, wenn man sich ihrer bewußt wurde, d.h. wenn sie entlarvt wurde. Deckt sich dies mit den beobachtbaren Fällen, d.h. mit den Reaktionen der Alten Kirche, wenn ihr Pseudepigraphie zum Bewußtsein kam?

4

W. Bauer, Aufsätze und kleine Schriften, hg. von G. Strecker, Tübingen 1967, 308.

Pseudepigraphie und Paulusschule

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- Eine zweite Schwierigkeit liegt in der auf den ersten Blick sehr schlichten Frage: Wie wurde das Stilmittel Pseudepigraphie tradiert? Der Einsatz eines so komplexen Stilmittels setzt ohne Frage voraus, daß ich mir als Autor seiner bewußt bin. Ich muß also, wenn ich tatsächlich ein tradierungsfähiges Mittel fiktionaler Einkleidung benutze, wissen, daß andere vor mir das gleiche getan haben. Anders gesagt: Ich muß ältere Pseudepigraphen als das durchschauen, was sie sind: eben Pseudepigraphen. Sonst wäre die Pseudepigraphie jedesmal neu erfunden worden, was a priori unwahrscheinlich ist. Dieses ist ein einfaches logisches Problem, welches freilich beträchtliche Schwierigkeiten mit sich bringt. Im folgenden stehen also vier Vorfragen im Mittelpunkt: War Pseudepigraphie im frühen Christentum als solche durchschaubar? Und wenn ja: von wem? Wie wurde sie bewertet? Wie verhält sie sich zu modernen Konzepten von geistigem Eigentum und literarischer Fälschung? Gesprächspartner sind dabei außer den im engeren Sinn neutestamentlichen Arbeiten jüngst etwa Petr Pokorny und Michael Wolter zum Thema - vor allem die einschlägigen großen Studien des klassischen Philologen Wolfgang Speyer und des auch neutestamentlich tätigen Kirchengeschichtlers Norbert Brox. Alle neueren Arbeiten stehen im Schatten dieser klassischen Studien. Blicken wir zum Einsteig auf Udo Schnelles Exkurs über Pseudepigraphie als historisches und theologisches Phänomen in der dritten Auflage seiner „Einleitung in das Neue Testament". Er beginnt mit einer Beschreibung der historischen Sachverhalte, die weithin den Konsens benennt: „Weil es keine Persönlichkeiten mehr gab, die eine gesamtkirchliche Autorität besaßen, griffen die Verfasser pseudepigraphischer Schreiben auf die Autoritäten der Vergangenheit zurück, um ihren jeweiligen Zielen ... einen adäquaten Ausdruck zu verleihen." 5 Eine Engfuhrung des Blicks auf die kanonische Literatur fuhrt dann freilich rasch zu problematischen Behauptungen: „Die ntl. Pseudepigraphie ist zeitlich deutlich eingrenzbar, die meisten pseudepigraphischen Schriften entstanden zwischen 60 und 100 n.Chr., wobei die Protopaulinen und die Ignatius-Briefe die jeweilige Grenze bilden. Der genannte Zeitraum stellt innerhalb der Geschichte des Urchristentums eine Epoche des Umbruchs und der Neuorientierung dar." 6 Das Groteske hieran ist, daß neutestamentliche Pseudepigraphie natürlich nur in neutestamentlicher Zeit entstanden sein kann. Blickt man auf das Ganze frühchristlichen und altkirchlichen Schrifttums, dann steigert sich die Produktion pseudepigrapher Literatur genau ab dem Zeitpunkt ins Unermeßliche, wo Schnelle das angebliche Ende der "neutestamentlichen Pseudepigraphie" konstatiert. Man denke - um bei 5 6

Schnelle, Einleitung 296. Schnelle, Einleitung 295.

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den deuteropaulinischen Schriften zu bleiben - nur an die Laodizener- und Alexandrinerbriefe, welche der Canon Muratori erwähnt, den 3. Korintherbrief, der in die Acta Pauli integriert war, aber auch separat überliefert und sogar Teil einiger lateinischer und armenischer Bibeln wurde, im weiteren Sinn die Acta Pauli selbst in ihren verschiedenen Fassungen, den fiktiven Briefwechsel Paulus-Seneca, ein Werk von so stümperhafter Art, daß man es für eine rhetorische Schülerübung gehalten hat, die großkirchliche PaulusApokalypse (Visio Pauli), deren Nachwirkungen bis zu Dante zu verfolgen sind, die diversen gnostischen Paulus-Pseudepigraphen, die wir aus Nag Hammadi (NHC 1,1; V,2), aber auch aus altkirchlichen Nachrichten („Aufstieg des Paulus", Epiphan, pan 38,2,5) kennen usw.7 Bei Schnelle ist die Konstatierung eines auf 60-100 n.Chr. begrenzten Zeitfensters pseudepigrapher Produktion nur eine Gedankenlosigkeit, wenn sie auch für eine derart auf den Kanon fixierte Sichtweise aufschlußreich ist. Noch massiver wird Schnelle, wenn er das Phänomen Pseudepigraphie für uns theologisch schmackhaft zu machen unternimmt: „Die ntl. Pseudepigraphie (...) muß als gelungener Versuch der Bewältigung zentraler Probleme der dritten urchristlichen Generation gesehen werden."8 Man beachte: nicht etwa kann, sondern muß gesehen werden! Später kann Schnelle sogar schreiben: „Die sekundären Verfasserangaben zeugen somit immer auch von der Bedeutung des Primären"9 und etwas weiter: „Dabei ist die gesamtkirchliche Perspektive für die pseudepigraphischen Schriften charakteristisch, sie entstanden aus ökumenischer Verantwortung."10 Gar ökumenischer Verantwortung soll sich die Pseudepigraphie also verdanken. In eine gefahrliche Nähe binnentheologischer Schönfärberei gerät eine solche Sicht (für die Schnelle hier nur exemplarisch zitiert wird) vor allem deshalb, weil sie in ihrer Anwendung auf den Kanon begrenzt bleibt. M.E. wird die Pseudepigraphie hier zu schnell gerechtfertigt, ehe die Aufgabe des geschichtlichen Verstehens abgeschlossen ist. Man beruft sich gerne auf die gemeinantike Verbreitung des Phänomens.11 In der Tat stammen z.B. von den etwa 60 Schriften des Corpus Hippo7 8 9 10

11

Vgl. die Übersicht von W. Rordorf, A. des Santos Otero, C. Schölten und M. Stark, Art. Paulus VII. Apokryphe Schriften, LThK 7 ( 3 1998) 1510-1513. Schnelle, Einleitung 296. Schnelle, Einleitung 296. Schnelle, Einleitung 297. Schnelle folgt hier einer Anregung von K. M. Fischer, Anmerkungen zur Pseudepigraphie im Neuen Testament, NTS 23 (1976/77) 76-81. Zustimmend zu Fischer auch Marxsen, Einleitung 176. Grundlegende Materialsammlung: W. Speyer, Die literarische Fälschung im heidnischen und christlichen Altertum. Ein Versuch ihrer Deutung, HAW 1/2, München 1971, passim. Vgl. ders., Art. Fälschung, literarische, RAC 7 (1969) 236-277; ders., Art. Pseud-

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craticum nur etwa vier bis fünf, vielleicht keine einzige von dem berühmten Arzt aus Kos. Echtheitskritik an ihnen übte schon Galen im 2. Jahrhundert n.Chr. Das gleiche (weitgehende oder sogar durchgehende Pseudepigraphie) gilt für die platonischen Briefe, die kynischen Sokratikerbriefe usw. An die immense Bedeutung des Phänomens im antiken Judentum namentlich griechischer Sprache muß nicht erinnert werden. Mit der Verbreitung des Phänomens ist aber noch nichts über seine antike Wahrnehmung und Wertung gesagt. Galen z.B. hat die von ihm erkannten Fälschungen scharf verurteilt.12 Ein anderes Beispiel für eine moderne, m.E. verharmlosende Formulierung bietet Klaus Berger: „Nur für einen kryptomodern argumentierenden Fundamentalismus ergeben sich hier Probleme. Daher war es in der Phase des Autoritätsvakuums nach dem Tod der Apostel eine Geste der Ehrung, Anerkennung und Selbstverpflichtung auf ihr Erbe, wenn man ihnen Schriften unterschob"13. Das ist eine ansprechende Formulierung. Trifft sie aber die geschichtliche Wirklichkeit? Man sieht auf den ersten Blick, daß Berger hier wie Schnelle primär an die kanonischen Pseudepigraphen denkt. Sollte das gleiche - Selbstverpflichtung auf das edle Erbe des Meisters - auch für die gnostischen Deuteropaulinen gelten? Sind diese also für uns als authentische Zeignisse einer Paulusschule, als legitime, vielleicht sogar notwendige Weiterführungen des Paulus unter veränderten Bedingungen zu rezipieren? Nur wenige werden eine solche Konsequenz ziehen wollen. Berger denkt an die Autorenseite. Wie sah es auf der Rezipientenseite aus? Gibt es Belege fur eine sozusagen unproblematische Wertung der Pseudepigraphie? Und war sie durchschaubar? Harald Hegermann14 meinte das und versuchte zu zeigen, die Pseudepigraphie (insbesondere der Pastoralbriefe) sei ein stillschweigendes, leicht durchschaubares, spielerisches Einverständnis zwischen Autor und Lesern gewesen. Norbert Brox und andere haben dem widersprochen15, und in der Tat wird diese These schon dadurch widerlegt, daß die Pastoralbriefe überall dort, wo sie bekannt waren, ungebrochen als echte Paulinen zitiert wurden16. Wie sind frühe Christen damit umgegangen,

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13 14 15

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epigraphie I. Terminologie u. IV. Echtheitskritik, LThK 8 ( 3 1999) 706f u. 707f. Vgl. Corpus medicorum Graecorum 5,9,1 p.7,15-8,18 und dazu J. Mewaldt, Galen über echte und unechte Hippocratica, Hermes 44 (1909) 111-134 sowie - Mewaldt berichtigend - Speyer, Literarische Fälschung 120 mit Anm. 7. K. Berger, Art. Pseudepigraphie II. Biblisch, LThK 8 ( 3 1999) 707. H. Hegermann, Der geschichtliche Ort der Pastoralbriefe, ThV 2 (1970) 47-64. N. Brox, Falsche Verfasserangaben. Zur Erklärung der frühchristlichen Pseudepigraphie, SB S 79, Stuttgart 1975, 63f. Gegen Hegermann auch J. Roloff, Der erste Brief an Timotheus, EKK XV, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1988, 37 Anm. 88. Zum altkirchlichen Konsens vgl. Th. Zahn, Einleitung in das Neue Testament, 2 Bde., Leipzig 3 1906-1907 (Nachdruck Wuppertal/Zürich 1994, hier Bd. 1, 462-465). Unklar

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wenn ihnen bewußt wurde, daß eine Schrift nicht das ist, was sie zu sein vorgibt? Bekanntlich warnt schon 2 Thess 2,2 vor gefälschten Paulusbriefen, was deshalb besonders pikant ist, da nach dem sich immer mehr durchsetzenden Konsens 2 Thess selbst eine Fälschung sein könnte. Deutlich ist schon hier in neutestamentlicher Zeit: Man wußte von Deuteropaulinen und empfand sie keineswegs als unproblematisch. Das wird durch den vielleicht berühmtesten Beleg zur Sache bestätigt, der sich gut hundert Jahre später bei Tertullian, de bapt 17,5 findet: Quodsi quae Acta Pauli quae perperam scripta sunt (exemplum Theclae) ad licentiam mulierum docendi tinguendique defendunt, sciant in Asia presbyterum qui earn scripturam construxit quasi titulo Pauli de suo cumulane conuictum atque confessimi id se amore Pauli fecisse loco decesisse.17 Aber wenn die Schriften, welche fälschlich unter des Paulus Namen umlaufen, Theklas Beispiel für die Freiheit der Frau, zu lehren und zu taufen, gebrauchen, so mögen sie wissen, daß der Presbyter, welcher sie verfaßte, als ob er dem Ruhm des Paulus aus seinem eigenen etwas hinzufügen wollte, aus seinem Amt entfernt wurde, nachdem er die Sache zugegeben hatte als etwas, was er aus Liebe zu Paulus getan habe.

Die Folge entlarvter Pseudepigraphie eines kleinasiatischen Presbyters ist hier also zumindest Amtsenthebung, vor der auch die durchaus nicht "häretische"

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ist, ob Markion die Pastoralbriefe noch nicht kannte (so die meisten) oder aus inhaltlichen Gründe ablehnte (so Th. Zahn, Geschichte des neutestamentlichen Kanons, 2 Bde. in 4 Teilen, Erlangen/Leipzig 1888-1892 (Nachdruck Hildesheim 1975, hier Bd. 1, 634f) unter Berufung auf Tertul, adv Marc V 21. U. Schmid, Marcion und sein Apostólos, ANTT 25, Berlin/New York 1995 diskutiert diese Frage leider nicht. Die alte These (zuerst F. C. Baur), die Pastoralbriefe hätten sich überhaupt gegen Markion gerichtet (vgl. 1 Tim 6,20), hat m.W. zuletzt R. J. Hoffmann, Marcion. On the Restitution of Christianity, AAA Academy Series 46, Chico 1984, 281-305 zu begründen versucht. Sie scheitert am Charakter der in den Pastoralbriefen angegriffenen Häresie, die mit derjenigen Markions keine Ähnlichkeit hat. Falsch ist die Behauptung, Tertullian setze de praescr haer 6 gnostische Bestreiter der apostolischen Verfasserschaft der Pastoralbriefe voraus. So leider E. H. Pageis, The Gnostic Paul. Gnostic Exegesis of the Pauline Letters, Philadelphia 1975, 4f. Intensiv benutzt werden die Pastoralbriefe in den apokryphen Paulusakten (vgl. W. Rordorf, Nochmals: Paulusakten und Pastoralbriefe, in: G. F. Hawthorne and O. Betz (ed.), Tradition and Interpretation in the New Testament. FS E. Earle Ellis, Grand Rapids/Tübingen 1987, 319-327). Material zur altkirchlichen Auslegungsgeschichte sammelt P. Gorday, Colossians, 1-2 Thessalonians, 1-2 Timothy, Titus, Philemon, Ancient Christian Commentary on Scripture 9, Downers Grove 2000, 129308. CChr I, 292. Der eingeklammerte Ausdruck wird von Borleffs, der den Text für das Corpus Christianorum ediert hat, als Glosse gestrichen.

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Begründung den Verfasser nicht schützen konnte. Wir werden für die von Tertullian erzählten Vorgänge die Zeit 160-180 n.Chr. anzunehmen haben. Das zweite, nicht minder berühmte Beispiel entlarvter Pseudepigraphie in der Alten Kirche ist Salvian von Marseille18, der um 435 n.Chr. unter dem Namen Timotheus vier Bücher an die Kirche über Fragen der Askese schrieb. Als die Sache ruchbar wurde und der zuständige Bischof Salonius ihn scharf zur Rede stellte, schrieb Salvian einen langen Verteidigungsbrief 19 , welcher das einzige Dokument aus der antiken Literatur überhaupt ist, in dem sich ein pseudepigrapher Autor ausführlicher über seine Motive äußert. Den Namen Timotheus wollte er als Pseudonym, nicht als falsche Autorenangabe verstanden wissen, was für die Leser indes nicht einsichtig war. Wieder werden wir darauf gestoßen, daß eine entlarvte Pseudepigraphie bzw. Entstehungsfiktion keineswegs als unproblematisch angesehen wurde, sondern erregte Diskussionen nach sich zog (zum Streit um das Petrusevangelium s.u.). Haben wir überhaupt Belege dafür, daß ein Text positiv tradiert, gelesen und geschätzt wurde, dessen Pseudepigraphie bekannt war? Nicht in Frage kommt dabei z.B. der Streit um die paulinische Autorschaft des Hebräerbriefs, der anonym ist. Immerhin gibt es verstreute Indizien auch für eine gelegentliche positive Wertung von Pseudepigraphen. Das vielleicht älteste Zeugnis - das etwas ausführlicher zur Sprache kommen soll - findet sich im Canon Muratori, den ich, trotz der Einwände von Albert Sundberg und vor allem von Geoffrey Hahnemann, nicht für ein Werk des 4., sondern des späten 2. Jahrhunderts n.Chr. halte, was ja auch nach wie vor die Mehrheitsmeinung ist.20 Diese dann immer noch älteste christliche Kanonliste neutestamentlicher Bücher bietet Zeile 69-71 folgenden Text: Et sapi entia ab amicis salomonis in honoré ipsius scripta

18 19 20

Über ihn vgl. etwa M. P. McHugh, Art. Salvian of Marseilles 2, Encyclopedia of Early Christianity 2 ( 2 1997) 1025f. Deutsche Übersetzung bei Brox, Falsche Verfasserangaben 101-104. Vgl. auch ders., Quis ille auctor?, Pseudonymität und Anonymität bei Salvian, VC 40 (1986) 55-65. Vgl. demnächst meinen Artikel „Muratorisches Fragment", RGG4 mit der neueren Literatur. Text: Zahn, Geschichte 2/1, 4-8 (mit unentbehrlichem Kommentar 1-143); E. Preuschen, Analecta II. Zur Kanongeschichte, SQS 1/8, 2, Tübingen 1910 (Nachdruck Frankfurt a.M. 1968, 27-35) sowie zuletzt G. Hahneman, The Muratorian Fragment and the Development of the Canon, Oxford 1992, 6f.

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Wilhelm Schneemelcher übersetzt: „und die Weisheit, die von Freunden Salomos zu dessen Ehre geschrieben ist"21. Das Latein des Canon Muratori ist barbarisch; tatsächlich hatte der Erstherausgeber Ludovico Antonio Muratori 1740 diesen Text nicht etwa wegen seines intrinsischen Interesses seiner Sammlung italienischer Altertümer einverleibt, sondern als extremes Beispiel dafür, wie korrupt das Lateinische in ungebildeten Händen werden könne. Man beachte immerhin, daß hier also die Weisheit Salomos (unzweifelhaft ist diese gemeint) klar als Pseudepigraphon durchschaut und dennoch nicht etwa abgelehnt wird, sondern zwischen kanonischen neutestamentlichen (!) Büchern ganz positiv aufgelistet bleibt. Davor ist von den katholischen Briefen die Rede, danach von den Apokalypsen des Johannes und Petrus, während der Hirt des Hermas als fast noch zeitgenössisches Werk der römischen Gemeinde bezeichnet wird (ein Hauptargument für die Frühdatierung). Man beachte das Stichwort „amici" „Freunde", das eigentümlich an den „amor Pauli" des kleinasiatischen Presbyters erinnert, von dem uns Tertullian Kunde gibt. Allerdings existiert eine genialische und sachlich bemerkenswerte Konjektur, welche die „amici" beseitigen würde. Ohne Frage ist der Canon Muratori eine wenig geschickte Übersetzung aus dem Griechischen, welche aufgrund sprachlicher Indizien wahrscheinlich dem späten 4. Jahrhundert n.Chr. zuzuordnen ist22. Nach Samuel Prideaux Tregelles23 könnte hier nun im verlorenen griechischen Original gestanden haben ύπό Φίλωνος statt ύπό φίλων. Das hätte dann ein ungeschickter Übersetzer mißverstanden, vor allem, wenn er von der Tradition nichts wußte, welche in Philon den Verfasser der Sapientia sah. Der jüdische Religionsphilosoph Philon galt in altkirchlicher Zeit öfters als Autor dieser Schrift. Zitiert zuerst im 1. Clemensbrief, dann von Irenäus und vor allem sehr häufig von Clemens Alexandrinus benutzt, gilt die Weisheit als philonisch z.B. für Hieronymus (Praefatio in libros Salomonis, PL 28, 1308A), der dies als schon ältere Auffassung behauptet, und auch für Julian von Eclanum, der daneben an Sirach als potentiellen Autor denkt (bei Augustin, opus imperfectum contra Iulianum IV, 123; PL 45, 1420). Augustin hielt zuerst Jesus Sirach für den Verfasser, meinte aber später,

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W. Schneemelcher (Hg.), Neutestamentliche Apokryphen I, Tübingen 5 1987, 29. Über die Datierung der lateinischen Fassung s. grundlegend J. Campos, Época del Fragmento Muratoriano, Helmantica: Revista de Humanidades Clásicas 11 (1960) 485496. Vgl. auch Hahneman, Muratorian Fragment 10-17, der ebenfalls mit einem griechischen Original rechnet. Eine Rückübersetzung ins Griechische versuchte Zahn, Geschichte 2/1, 140-143. S. T. Tregelles, Canon Muratorianus. The Earliest Catalogue of the New Testament, Oxford 1867, 5 I f (ein bis heute wichtiges Buch, welches auch ein Faksimile der Handschrift enthält).

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die Frage sei nicht zu entscheiden. 24 Daß die Weisheit nicht von Salomo stammen könne, „war damals allgemeine Überzeugung der Leute von einiger gelehrter Bildung geworden"25. Cassiodor (inst div litter)26 und Isidor v. Sevilla (etym. VI, 2, 30) 27 sind Hieronymus gefolgt. Noch im Mittelalter wird Philon regelmäßig als Autor der Weisheit Salomos gesehen (auch noch bei Luther), was zwar falsch ist, aber einen gesunden kritischen Sinn an einer Stelle verrät, wo wir ihn meist nicht erwarten.

Im Canon Muratori hat diese Konjektur viel für sich; tatsächlich wäre sonst der Plural „amici" im überlieferten Text sinnlos: Warum sollte die Weisheit mehrere Verfasser haben? Daß Schneemelcher diese deutliche Verbesserung - die zum Beispiel auch Hans von Campenhausen fur genial und ganz fraglos richtig gehalten hat 28 - nicht einmal erwähnt, ist sehr merkwürdig. Richtig bleibt, daß der Canon Muratori ein als solches durchschautes Pseudepigraphon fur eine lesenswerte Schrift hält. Bei den Paulusbriefen freilich verfahrt er anders, wobei er den Laodizenerbrief und den Alexandrinerbrief fur markionitische Fälschungen hält. Ob er recht hat, wissen wir nicht, denn der uns erhaltene, aus Pauluszitaten anspruchslos "zusammengestoppelte" und in vielen Vulgatahandschriften überlieferte Laodizenerbrief ist wohl nicht der vom Canon Muratori gemeinte. Dazu kommt die Komplikation, daß nach Tertullian und wohl auch Epiphanius der markionitische Laodizenerbrief in Wahrheit unser Epheserbrief gewesen ist.29 Es ist gelegentlich erwogen worden, ob der Alexandrinerbrief nicht tatsächlich der Hebräerbrief sei, den der Canon Muratori nicht nennt und der meist als Paulusbrief galt. Leider gibt es über den deuteropaulinischen Alexandrinerbrief anscheinend keine weiteren Nachrichten. Andere positive Erklärungen und Würdigungen von Pseudepigraphie finden wir in antiker Literatur fast ausschließlich in philosophischen Schulzusammenhängen, und zwar weithin nur in solchen der neupythagoreischen

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Über die fälschliche Zuweisung der Weisheit Salomons an Philon und ihre breite Rezeption s. schon L. Allatius, De Philonibus, in: A. Mai (Hg.), Nova patrum bibliotheca 6, 2, Rom 1853, 48-50 (Allatius war jener Custos der Vaticana, der 1622/23 für den Transport der Palatina nach Rom verantwortlich zu machen ist). Zahn, Geschichte 2/1,101 (vgl. 257f. Anm. 1). PL 70, 1117A. Isidori Hispalensis Episcopi Etymologiarum sive originum I, ed. W. M. Lindsay, Oxford 1989. H. von Campenhausen, Die Entstehung der christlichen Bibel, BHTh 39, Tübingen 1968, 284f Anm. 199; 287 mit Anm. 207. Ähnlich E. Schürer, The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ, revised and edited by G. Vermes, F. Millar and M. Goodman. Organizing Editor M. Black, 3/1, Edinburgh 1986, 574; C. Larcher, Études sur le Livre de la Sagesse, Paris 1969, 40. Vgl. zum Ganzen H.-J. Findeis, Art. Laodicenerbrief, LThK 6 ( 3 1997) 648f.

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und neuplatonischen Richtungen. Die Pythagoreer besaßen eine reiche Produktion pseudepigrapher Literatur. Porphyrios 30 - der auch die Unechtheit des Danielbuches entdeckte - hat diese durchschaut und historisch differenziert dargestellt: Neben zahlreichen gefälschten Pythagorica gebe es auch ungefähr 280 echte Schriften, von denen aber nur etwa 80 von Pythagoras persönlich niedergeschrieben seien. Der Rest stamme von „reifen Männern, welche zur Gefolgschaft des Pythagoras, zu seiner Partei und zu den Erben seines Wissens gehörten". Dieser Text ist in christlicher Tradition nicht erhalten; wie ein beträchtlicher Teil der bedeutenden kritischen neuplatonischen (und sonstigen wissenschaftlichen) Literatur wurde er nur von den Moslems, in arabischer Fassung überliefert, in diesem Fall bei Ibn Abï Usaybi a, in seiner Ärztebiographie. Diese ist unsere Hauptquelle für arabische Medizingeschichte (abgeschlossen wohl 1242, aber später noch leicht ergänzt)31, die auch sonst wertvolle Nachrichten aus der Antike bewahrt hat. Ähnliche Gedanken wie Porphyrios äußern später die Neuplatoniker Jamblich und David, der erst in byzantinischer Zeit schreibt. Man beachte, daß diese Schülerschriften hier den echten Pythagorica zugerechnet werden. Später, im 6. Jahrhundert n.Chr., weiß der Neuplatoniker Olympiodor sogar, daß alle Schriften, die den Namen des Pythagoras tragen, gefälscht sind. Die ältere Überlieferung war, daß Pythagoras gar nichts geschrieben habe. 32 Darüber sind wir auch heute nicht hinausgekommen. Schulzugehörigkeit verursacht und rechtfertigt hier ein Stück weit Pseudepigraphie. Man beachte, daß dies nicht die reguläre Meinung der Philosophenschulen war, sondern diese verständnisvollen Stimmen aus einer einzigen der großen Schulen kommen, der neuplatonischen, welche die pythagoreische längst aufgesogen hatte. Gedanken wie diese waren in der Alten Kirche immerhin auch möglich. Tertullian schreibt adv Marc IV 5,4 „capit autem magistrorum videri quae discipuli promulgarint" 33 . „Es darf als Werk des Lehrers angesehen werden,

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Vgl. meinen Artikel Porphyrios, BBKL 7 (1994) 839-848. Brox, Falsche Verfasserangaben 73 f diskutiert diesen Text ohne Angabe der arabischen Quelle. Der Text des arabischen Fragmentes der Pythagoras vita des Porphyrios ist ediert von A. Müller (Hg.), Ibn Abi Usaibia, Königsberg 1884, 1, S. 38, 18-41, 4. Ein Referat mit Übersetzung des folgenden Zitates findet sich auch bei B. L. van der Waerden, Art. Pythagoras IV. Nachtrag, PRE.S X (1965) 862f. Bei A. Smith (Hg.), Porphyrius. Fragmenta, BT, Stuttgart und Leipzig 1993 fehlt der Text aus mir nicht bekannten Gründen (doch vgl. 207aT). Über die reiche arabische Porphyriosüberlieferung vgl. schon M. Steinschneider, Die arabischen Übersetzungen aus dem Griechischen, Graz 1960 (zuerst 1889-1896 in Form verstreuter Aufsätze), 135-137 und R. Walzer, Art. Furffiriyüs, EI2 2 ( 1 9 6 5 ) 948f. Vgl. Brox, Falsche Verfasserangaben 72-74. CChr 1,551.

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was seine Schüler publiziert haben." Er denkt dabei freilich an das Markusund Lukasevangelium, hinter denen er die Autorität des Petrus und Paulus sieht. Um eine theologische Legitimierung etwa von Deuteropaulinen geht es nicht. Der Regelfall sind auch solche Stimmen nicht. Natürlich hat es in dem Maße, in welchem die Alte Kirche antike Philologie rezipierte, auch christliche Echtheitskritik gegeben. Man darf etwa an den Briefwechsel zwischen Julius Africanus und Orígenes über die Danielanhänge denken 34 oder an die Diskussion mit den „Alogern" (bzw. Gaius) über das johanneische Schrifttum. 35 Wie Wolfgang Speyer in umfassender Materialsichtung gezeigt hat - nach Norbert Brox überhaupt das zentrale Ergebnis seiner Arbeit - wurde Pseudepigraphie in der antiken griechischen und römischen Literatur gegen die theologische Schutzbehauptung keineswegs als verzeihliches Kavaliersdelikt gehandelt, sondern galt als schwerwiegender, moralisch verwerflicher Betrug. Den wenigen frühchristlichen Stellen, die mit positivem Verständnis über Pseudepigraphie schreiben - sie sind schon alle aufgezählt - stehen von 2 Thess 2,2 an zahlreiche andere entgegen, welche falsche Verfasserangaben auf das schärfste verurteilen. Darum benutzt Speyer auch durchgehend den von Theologen so gerne umgangenen Begriff der Fälschung, der auch in der Tat der in der Antike übliche war.36 Die wenigen Fälle, in denen lebende Fälscher als solche entlarvt wurden, haben zu gerichtlicher Verfolgung, Verbannung, ja zu barbarischen Strafen wie dem Abschlagen der Hände geführt, letzteres freilich nur, wo der Betrug den Charakter einer Urkundenfälschung annahm. Die moralische Frage ist natürlich vielschichtig; vor allem Brox hat sie ausführlich behandelt. Diese Gesichtspunkte müssen an dieser Stelle nicht vertieft werden, da alles Nötige bei Speyer und Brox gesagt und umfassend dokumentiert ist. Es ist in jedem Fall nachdrücklich festzuhalten, daß antike Christen auf die Erkenntnis, daß diverse angebliche Paulusbriefe ohne Frage unecht sind, genauso verunsichert reagiert hätten, wie es fundamentalistische Christen heute zu tun pflegen. Man darf sich den Blick dafür nicht dadurch trüben, daß Echtheitskritik in der Alten Kirche fast immer Inhaltskritik war. Alles Orthodoxe gilt als echt, alles Häretische als unecht. Athanasius z.B. kann schreiben: „Die Häretiker teilen ihren Erzeugnissen gerne alte Zeiten zu,

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S. jetzt N. de Lange (ed.), Origène, Lettre à Africanus sur l'histoire de Suzanne, Paris 1983. Zur eben diskutierten Weisheit Salomos war die Haltung des Orígenes offenbar gespalten; vgl. die Stellen bei Schürer, History 3/1, 574f. Vgl. St. G. Hall, Art. Aloger, TRE 2 (1978) 290-295. Speyer, Literarische Fälschung 13-21 u.ö. (bes. 16f zur antiken Begrifflichkeit, die durchweg massiven Betrug impliziert). Vgl. aber Brox, Falsche Verfasserangaben 6, der den Begriff „Fälschung" erst einmal „neutral" verstanden wissen will, dann aber in der Beurteilung der antiken Angaben ganz mit Speyer übereinstimmt.

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damit sie jene als alt ausgeben können und einen Vorwand haben, die Einfältigen zu täuschen" (epist 39)37. Neutestamentliche Pseudepigraphie freilich hat er nicht durchschaut. Die Echtheitskritik ist vorkritisch-defizitär. Hierher gehört der bekannte Streit um das Petrusevangelium mit Bischof Serapion (Euseb, hist eccl VI 12). Eine Ausnahme macht allenfalls der wohl subtilste Literarkritiker der Alten Kirche, Dionysius der Große von Alexandrien (Euseb, hist eccl VII 25). Die Kategorien der Bewertung sind im allgemeinen durchaus theologisch, nicht literarisch. Man darf das aber nun nicht umdrehen und vermuten, Pseudepigraphie hätte als solche als unproblematisch gegolten. Wie steht es überhaupt mit der Wahrheitsliebe der frühen Christen? Man pflegt gerne zu sagen, wir dürften nicht anachronistisch moderne Maßstäbe anlegen. Von Campenhausen bringt das Problem auf den Punkt: „Leider ist Wahrhaftigkeit in diesem Sinne keine Grundtugend der alten Kirche"38. In der Tat hat eine ganze Reihe von Kirchenschriftstellern so offenkundig und schamlos gegen besseres Wissen gelogen, daß darin ein Problem liegt. Von -IQ

Hieronymus war dieses immer schon bekannt . Ich meine das gleiche kürzlich auch für Irenäus verdeutlicht zu haben, und zwar in bezug auf seine Selbstlegitimation als angeblicher Enkelschüler des Apostels Johannes.40 Ein solcher ist er nicht nur nicht gewesen, sondern er hat m.E. auch sehr klar gewußt, daß die Legitimationsdiadoche Zebedaide Johannes - Polykarp Irenäus faktisch nicht zutrifft. Diese Beobachtungen verstehen sich vor allem als Problemanzeige. Wir kommen zu einem anderen Punkt. Eine raffiniertere moderne Erklärung für die Psychologie der Pseudepigraphie rechnet mit einer ekstatischen Identifikation der Autoren mit legitimierenden Persönlichkeiten der Vergangenheit. Das ist etwa von Frederik Torm, Die Psychologie der Pseudonymität im Hinblick auf die Literatur des Urchristentums (1932) vertreten worden und spielt v.a. in der Apokalyptikforschung eine Rolle. Pokorny nennt dies eine „innere Identifizierung"41 und bringt ebenfalls das ekstatische Element ins Spiel. Der apokalyptische Visionär oder sonstige pseudepigraphe Autor hätte sich dann in nur schwer präzisierbarer Weise mit einer Legitimationsfigur aus der Zeit der Väter identifiziert. Das klingt interessant und einigerma37 38 39

40 41

MPG 26, 1440A. Von Campenhausen, ThLZ 94 ( 1969) 43. Vgl. Zahn, Geschichte 2/2, 648-655.685 etc.; G. Bardy, Saint Jérôme et l'évangile selon les Hébreux, MSR 3 (1946) 5-36; J. Ν. D. Kelly, Jerome. His Life, Writings, and Controversies, London 2 1998, 65. M. Frenschkowski, Τά β α ί α των φοινίκων (Joh 12,13) und andere Indizien für einen ägyptischen Ursprung des Johannesevangeliums, ZNW 91 (2000) 212-229, hier 215f. P. Pokorny, Art. Pseudepigraphie I. Altes und Neues Testament, TRE 27 (1997) 645655, 647 (vgl. aber auch 652).

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ßen mystisch; wir besitzen aber keinerlei Evidenz für eine solche ekstatischvisionäre Identifikation im Kontext der literarischen Genese deuteropaulinischer Pseudepigraphie.42 Es bleibt dabei, daß Pseudepigraphie eine bewußte und planmäßig durchgeführte Täuschung ist, welche - wenn sie erkannt worden wäre - damalige Leser im allgemeinen ebenso vor den Kopf gestoßen hätte wie heutige. Nur die Arglosigkeit und Naivität christlicher Leser hat meist ihre Erkenntnis verhindert. Hätte es in der Alten Kirche Männer vom intellektuellen Niveau eines Porphyrios oder Jamblich gegeben, wäre hierüber eine profiliertere Diskussion möglich gewesen. Die Behauptung, es habe keinen Begriff des geistigen Eigentums, der individuellen Autorenpersönlichkeit im Umfeld des Neuen Testamentes gegeben, ist verfehlt (so richtig z.B. Brox, Pokorny und auch schon Speyer gegen romantisierende apologetische Behauptungen)43, wenn es auch Unterschiede etwa zwischen palästinisch-jüdischer, alexandrinisch-jüdischer, pagan-hellenistischer Literatur usw. gegeben hat, und auch die jeweiligen literarischen Makrogattungen zu beachten sind. Über diese Differenzen hat ausfuhrlich Martin Hengel gehandelt44, dessen Beobachtungen als bekannt vorausgesetzt werden dürfen. Die Ursachen der Pseudepigraphie sind vielfältig. Neben der Angst, das Werk könne unter eigenem Namen keine Beachtung finden, neben einer gewissen Ratlosigkeit in bezug auf angemessene Autorisierung von Aussagen ist vor allem ein Grundzug spätantiker Auffassung von Geschichte zu bedenken. Die Norm liegt immer in der Vergangenheit. Man kann dies epigonales Bewußtsein nennen45. Die Liebe zu allem Alten treibt schon in neutestamentlicher Zeit wunderliche Früchte; wir haben Nachrichten darüber, daß man Handschriften chemisch behandelte, damit sie älter aussahen, als sie waren (Dion Chrys, or 21,12; vgl. Hör, epist II 1,20-27 etc.). Vor allem sucht man Wahrheit, Belehrung, Orientierung bei den großen Namen der Vergan-

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43 44

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Vgl. die Skepsis von Brox, Falsche Verfasserangaben 55f. Allgemein über die Psychologie der Vision in der Religionsgeschichte, im Judentum, im NT und in der Kirchengeschichte vgl. demnächst meine Übersicht in: Art. Vision I.-V., TRE. Brox, Falsche Verfasserangaben 68-70; Speyer, Literarische Fälschung 15-18.175f; Pokorny, Art. Pseudepigraphie I, 652. M. Hengel, Anonymität, Pseudepigraphie und 'Literarische Fälschung' in der jüdischhellenistischen Literatur, in: K. von Fritz (ed.), Pseudepigrapha I. Pseudopythagorica Lettres de Platon. Littérature pseudépigraphe juive, EnAC 18, Vandoeuvres-Genève 1972, 229-308, passim. Vgl. meine zusammenfassende Darstellung zu den Interpretamenten und mythologischen Veranschaulichungen eines solchen epigonalen Bewußtseins in: Offenbarung und Epiphanie 1, WUNT11/79, Tübingen 1995, 15-246.

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genheit.46 Der berühmte Name ist aber nicht einfach „nobilitatis auctoritatisque perfugium" (wie Gellius in den noctes atticae X 12,8 sagt), sondern hat eine spezifische Verweisfunktion. Das ist etwa für die pseudepigraphen Apokalypsen zu bedenken und gerade an jüdischen Pseudepigraphen deutlich zu sehen. Salomos Name stand für andere Inhalte als der des Urvaters Henoch. A priori möchte man annehmen, daß z.B. Adam eher Symbolfigur einer universalgeschichtlichen Perspektive ist, Abraham die einer Theologie, welche die heilvolle Zuwendung Gottes zu seinem Volk und den Kontrast zur heidnischen Umwelt herausstellt, wohingegen die Namen der Exilszeit (Hesekiel, Daniel, Sedrach, auch Esra) die grübelnde Auseinandersetzung um die Kontinuität des göttlichen Heilswillens evozieren.47 Das läßt sich dann an den Pseudepigraphen unter ihren Namen auch tatsächlich plausibel machen. Es ist logisch zwingend notwendig, daß diese apokalyptischen Autoren die Pseudepigraphie durchschauten, sonst hätten sich hier keine Traditionszusammenhänge an bestimmte Namen binden können. Man muß also sicher doch in irgendeiner Weise mit speziellen abgegrenzten apokalyptischen Zirkeln rechnen, in denen solche Tradierungsprozesse möglich waren. Die Christen, hier wie auch sonst eher naive Leser, haben das meist nicht gewußt. Sowohl der Judasbrief als auch z.B. Tertullian haben das Henochbuch für ein authentisches Produkt aus den Tagen vor der Sintflut gehalten, welches Noah in einem Exemplar in der Arche bei sich gehabt haben müsse, sonst wäre es nicht erhalten geblieben (so tatsächlich Tertullian, de idol 4,15; vgl. de cult fem 1,3)48. 4 Esr 12,1 Iff scheint das Buch Daniel für ein Werk des historischen Daniel zu halten, aber das könnte Teil der Pia fraus apokalyptischer Fiktion sein. Solche symbolischen Identifikationsnamen hat es auch im paganen Raum gegeben: allerlei Fabeln laufen unter dem Namen des Äsop, Okkultes unter dem des Demokrit, Medizinisches unter dem des Hippokrates usw. um. Für die Deuteropaulinen hilft uns das wenig: ihre Pseudepigraphie ist doch 46 47 48

Vgl. auch P. Pilhofer, ΠΡΕΣΒΥΤΕΡΩΝ KPEITTON, WUNT 11/39, Tübingen 1990, passim. Vgl. weiter Frenschkowski, Offenbarung 1, 136-138. Über Henoch in der Alten Kirche vgl. immer noch Zahn, Geschichte 1, 120f; 2/2, 797801. Seitdem sind v.a. die manichäischen Zeugnisse für Henochrezeption hinzugetreten (z.B. CMC 58, 6-60, 7), die wohl auf elchesaitisch-täuferische Quellen zurückgehen. Vgl. die Sammlung der griech. Henochfragmente durch M. Black, Apocalypsis Henochi Graece, PsVTGr III, Leiden 1970, 19-44 (die manichäischen Texte sind hier noch nicht berücksichtigt) und die der Testimonien bei Schürer, History 3/1, 260-264. Über die manichäische Rezeption vgl. etwa H. J. Klimkeit, Der Buddha Henoch: Qumran und Turfan, ZRGG 32 (1980) 367-375; J. C. Reeves, Jewish Lore in Manichaean Cosmogony. Studies in the Book of Giants Traditions, MHUC 14, Cincinnati 1992. Über die mit Jud 14-16 verbundenen Fragen vgl. vor allem R. J. Bauckham, Jude, 2 Peter, WBC 50, Waco 1983,93-101.

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spezifischerer Art. Man wird wohl auch unterscheiden müssen, ob der pseudepigraphe Autor einen Namen der fernen Vergangenheit wählt, oder unter der Maske einer Persönlichkeit der jüngeren Zeit schreibt, welche noch in unmittelbare personale Legitimationszusammenhänge eingebunden ist. Allenfalls kann man sehr allgemein sagen (mit Brox und vielen anderen), daß die apostolische Herkunft so etwas wie eine Chiffre für den apostolischen Inhalt ist. Wer die Autoren waren, wissen wir damit aber noch nicht, weder im allgemeinen Sinn einer Trägergruppe noch im konkreten einer Vermutung über den tatsächlichen Autor.

2

Gab es eine Paulusschule?

Betrachten wir die Deuteropaulinen ohne Engführung unseres Blickes auf den Kanon, können wir sie typologisch in drei Gruppen teilen: A. Schriften, die inhaltlich, sprachlich und formal (etwa im Briefaufbau) sehr dicht an Paulus bleiben, aber gewisse Akzentverschiebungen vornehmen, die wir uns für Paulus schwer vorstellen können. Das gilt für den Kolosserbrief und den 2. Thessalonicherbrief. B. Schriften, die sich unter reichlicher Verwendung paulinischer Zitate und Floskeln um eine Auffüllung der Freiräume bemühen, welche in unserer Phantasie durch die paulinische Erwähnung weiterer Briefe entstehen. Hierher gehören der 3. Korintherbrief, der erhaltene Laodizenerbrief, auch der Briefwechsel Paulus-Seneca, da man sich nicht denken konnte, Paulus hätte in Rom nie Kontakt mit dem berühmtesten Philosophen seiner Zeit gehabt. C. Drittens besitzen wir unter dem Namen des Paulus Texte, die sprachlich nur wenig Nähe zu Paulus aufweisen, ihn auch nicht oder kaum zitieren, dafür aber mit sehr bestimmten Absichten und einer sehr individuellen, ausgereiften Theologie eigene Sachanliegen unter seinem Namen vorbringen. Hierher gehören der Epheserbrief, die Pastoralbriefe, die koptische Paulusapokalypse etc., in gewisser Hinsicht auch die Paulusreden der Act. Der Sammelbegriff Pseudepigraphie meint hier je etwas ganz Verschiedenes, was auch Konsequenzen für die Beurteilung der Herkunft dieser Texte haben muß. Eine analoge Unterscheidung gilt natürlich auch für Fälschungen in anderen Briefcorpora, z.B. im Corpus der Ignatianen. Diese existieren in mehreren Rezensionen mit beträchtlichen Unterschieden. Speziell die Langversion fügt neue Briefe hinzu, ergänzt das Vorhandene und weitet das wenige echte Material soweit aus, daß es ein ganzes Buch füllt (mittlerweile wird die Echtheit des gesamten Ignatius-Corpus kontrovers diskutiert). Diese Texte sind wenig untersucht, obwohl man an ihnen gut sehen kann, was in

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Sachen Nachbearbeitung von Briefen möglich war und was nicht.49 Für die Untersuchung deuteropaulinischer Briefproduktion sollte der Vergleich mit dem Ignatiuscorpus eine größere Rolle spielen. Oft wird die Frage nach den Autoren der Deuteropaulinen faktisch als gleichgültig angesehen. Jerome Quinn und William Wacker halten in ihrem weitausholenden Kommentar zu 1/2 Tim (Eerdmans Critical Commentary) Echtheit und Pseudepigraphie als Denkmöglichkeiten jeweils im Gespräch miteineinander, ohne das Problem abschließend zu diskutieren50. Auch Lorenz Oberlinner (HThK), dem wir die umfassendste Kommentierung der Pastoralbriefe im deutschen Sprachraum verdanken, ist im Verhältnis nicht sehr ausfuhrlich bei diesen Fragen. Das Wichtigste scheint nach wie vor die Feststellung der Pseudepigraphie selbst zu sein. In einem Großteil der neueren Literatur zu diesem Thema werden allenfalls alte Hypothesen (s.u.) im Kleingedruckten erwähnt, oder neuerdings die leider kaum beweisbare, wenn auch sehr spannende Frage gestellt, ob sich hinter einem Pseudepigraphon auch einmal eine weibliche Autorin verborgen haben könnte (was für die Pastoralbriefe freilich aus auf der Hand liegenden Gründen noch niemand vermutet hat). Meist begnügt man sich zur Identität des Verfassers der Pastoralbriefe mit einem ignoramus et ignorabimus (so Schnelle in seiner Einleitung oder Oberlinner und Roloff in ihren Kommentaren)51, wenn man nicht wie in vielen neueren amerikanischen Auslegungen die Unechtheit zu relativieren versucht (dazu s.u.). Vielleicht können wir für die Frage der Identität aber doch weiterkommen (zu älteren Vorschlägen s.u.) und dabei auch den beliebten Begriff der Paulusschule52 präzisieren. Dazu ist mit einer natürlich nicht neuen, aber doch 49

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Vgl. die Ausgabe von F. X. Funk und F. Diekamp, Patres Apostolici II, Tübingen 1913. Neuere Ausgaben enthalten nur die "echten" Ignatianen und vermitteln keine rechte Vorstellung vom überlieferten Umfang des Corpus Ignatianum. J. D. Quinn and W. Wacker, The First and Second Letters to Timothy, Eerdmans Critical Commentary, Grand Rapids 2000, 18-21; weithin übernommen aus J. D. Quinn, The Letter to Titus, AncB 35, New York u.a. 1990, 17-20. Quinn hat eine spezifischere Lösung vorgelegt in: The Last Volume of Luke: The Relation of Luke-Acts and the Pastoral Epistles, in: Ch. H. Talbert (ed.), Perspectives on Luke-Acts, Mason 1978, 6275. Danach seien die Pastoralbriefe als Ergänzung zu Act zu sehen und stammten von demselben Autor. Aber warum gibt es dann keine intertextuellen Verweise wie zwischen Lukasevangelium und Apostelgeschichte? Schnelle, Einleitung 346 („ein unbekanntes Mitglied der Paulusschule"); L. Oberlinner, Die Pastoralbriefe. Erste Folge. Kommentar zur Ersten Timotheusbrief, HThK XI/2, Freiburg u.a. 1994, XXXIII-XLVI; Roloff, Erster Timotheusbrief 33-39. Von einer Paulusschule speziell im Zusammenhang der Pastoralbriefe sprechen z.B. Schnelle, Einleitung 346; Roloff, Erster Timotheusbrief 38 u.ö. sowie als erster vielleicht H. J. Holtzmann, Die Pastoralbriefe, kritisch und exegetisch behandelt, Leipzig

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keineswegs banalen Beobachtung zu beginnen. Auch die unbestrittenen Paulinen geben sich öfters und explizit als Produkt einer Mehrheit von Autoren, eines Teams. Schon 1 Thess nennt Paulus und Silvanus und Timotheus - in dieser Reihenfolge - als Absender. 2 Thess, der zur Zeit zumeist als Pseudepigraphon gilt, wiederholt präzise diese Angabe. 1 Kor nennt Paulus und Sosthenes als Autoren, 2 Kor - in der uns vorliegenden Form - Paulus und Timotheus. Gal nennt pointiert nur Paulus: das ist sofort verständlich, da es hier gerade um die von anderen nicht abgeleitete apostolische Autorität und Eigenständigkeit des Paulus geht. Auch Gal ist freilich diktiert worden, wie der in seiner Echtheit unbestrittene Hinweis auf eigenhändige Unterschrift in Gal 6,11 beweist. Gerne wüßten wir genauer, was die πηλίκα γράμματα an dieser Stelle über Paulus besagen. Adolf Deissmann sah hierin einen selbstironischen Zug: der schwer arbeitende Handwerker Paulus habe eben nur mit ungelenken Buchstaben schreiben können.53 Aber das Korrelativpronomen πηλίκος heißt „wie groß" und nicht „ungelenk". Eher soll die Wichtigkeit unterstrichen werden. Plutarch erzählt vom älteren Cato, dieser habe eigen-

1880, 117. Einflußreich für die weite Verbreitung des Konzeptes einer Paulusschule war Hans Conzelmann, Paulus und die Weisheit (zuerst 1965), in: ders., Theologie als Schriftauslegung, BEvTh 65, München 1974, 177-190, 179 („ein von Paulus bewußt organisierter Schulbetrieb, eine 'Schule des Paulus'"), später weitergeführt in: ders., Die Schule des Paulus, in: Theologia Crucis. Signum Crucis. FS für Erich Dinkier zum 70. Geburtstag, hg. von C. Andresen und G. Klein, Tübingen 1979, 85-96. P. Müller, Anfänge der Paulusschule. Dargestellt am zweiten Thessalonicherbrief und am Kolosserbrief, AThANT 74, Zürich 1988, 321 definiert: „Die Paulusschule überliefert und aktualisiert das Erbe des Paulus", doch wird die Idee eines organisierten Schulbetriebs abgelehnt. Woran hat man dann konkret zu denken? Vgl. jetzt auch K. Scholtissek (Hg.), Christologie in der Paulus-Schule. Zur Rezeptionsgeschichte des paulinischen Evangeliums, SBS 181, Stuttgart 2000 (in den sieben in diesem Band versammelten Studien von K. Scholtissek, K. Kertelge, K. Backhaus, A. de Oliveira, R. Kampling, G. Hotze und Th. Söding wird "Paulusschule" als heuristischer Zentralbegriff für den Tradierungsprozeß paulinischer Gedanken verwendet und vor allem an christologischen Themen inhaltlich profiliert. "Paulusschule" ist also hier im Prinzip die lebendige Tradition und Weiterentwicklung paulinischen Denkens). Kritisch zum Konzept einer Paulusschule W.-H. Ollrog, Paulus und seine Mitarbeiter. Untersuchungen zu Theorie und Praxis der paulinischen Mission, WMANT 50, Neukirchen-Vluyn 1979, 114-118.235 (der vor allem betont, daß Paulus niemals als auf längere Zukunft hin planender Schulgründer auftritt) und A. Lindemann, Paulus im ältesten Christentum, BHTh 58, Tübingen 1979, 37f (keine Indizien für einen „institutionellen Charakter" der Paulusrezeption). F. Young, The Theology of the Pastoral Letters, New Testament Theology, Cambridge 1994, 123 erklärt die Pastoralbriefe allgemeiner aus dem Nachwirken paulinischen Denkens in den paulinischen Gemeinden. 53

A. Deissmann, Paulus. Eine kultur- und religionsgeschichtliche Skizze, Tübingen 21925, 41.

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händig die Geschichte Roms mit besonders großen Buchstaben niedergeschrieben, damit seine Kinder sie gut lesen könnten (20,5); das ist eine leider nur entfernte Parallele.54 Auch der Römerbrief nennt nur Paulus als Verfasser, aber bekanntlich einen Sekretär mit dem typischen Sklavennamen Tertius. Sehr wichtig scheint mir die Beobachtung, daß sich dieser Sekretär, der 16,22 selbst in der 1. Person spricht, ausdrücklich als einen Christen bezeichnet: „im Herrn" sendet er seine Grüße. Auffallig ist weiter, daß Timotheus, der sonst als Mitautor erscheint, als solcher im Römerbrief nicht genannt ist, aber sehr wohl Grüße sendet (16,21); ganz gedankenlos oder bloße Höflichkeitsfloskel kann die Erwähnung im Präskript anderer Briefe also nicht sein. Über Tertius, den einzigen namentlich bekannten Sekretär des Paulus, besitzen wir sonst keine weiteren Nachrichten; ob er der römischen Gemeinde bekannt war und darum selbst das Wort ergreift?55 Hinzu tritt, daß Rom 16 noch eigene einleitungswissenschaftliche Probleme hat. In den (wohl relativ späten) Subscriptiones des Corpus Paulinum werden dann noch andere Sekretäre genannt, wobei vor allem Tychikus von Bedeutung ist, der nach Act 20,4 mit Paulus reist, mehrfach als Gesandter auftritt und im Kolosser- und Epheserbrief mit der gleichen Charakterisierung Erwähnung findet. In den Pastoralbriefen wird er 2 Tim 4,12; Tit 3,12 genannt und gehört damit zu den vielen etwas enigmatischen Personen, über die wir so gerne mehr wüßten. Nach kaum alten Subscriptiones schrieb Paulus durch ihn Eph und gemeinsam mit Onesimus Kol. 2 Kor ist nach einer ähnlichen Subscriptio durch Titus und Lukas geschrieben, Phil durch Epaphroditos usw. Eine zusammenfassende Untersuchung dieser Subscriptiones könnte lohnen; leider sind sie schwerlich älteren Datums, zumal die Nennung von Sekretären einem späteren Stadium im Wachstum der Subscriptiones anzugehören scheint. Paulus und Timotheus als gemeinsame Absender nennt im Haupttext auch Phil 1,1, ebenso Phlm 1 und der nach vielen pseudepigraphe Kolosserbrief (Kol 1,1). Die Pastoralbriefe nennen alle drei jeweils nur Paulus als Absender, was vor dem Hintergrund der echten Paulinen auffällig ist. Zum Kolosserbrief ist schon lange im Blick, daß seine Grußliste partiell mit derjenigen des Philemonbriefes übereinstimmt und im Fall der Pseudepigraphie geradezu aus diesem genommen sein könnte. Sie wäre dann ein die Authentizität untermauernder genuiner Zug. Andererseits sind die zahlreichen Grüße in Kol 54

55

Vgl. etwa H. D. Betz, Der Galaterbrief, München 1988, 532f (zuerst engl. 1979) und ausführlich J. A. D. Weima, Neglected Endings. The Significance of the Pauline Letter Closings, JSNT.S 101, Sheffield 1994, 127-129. Vgl. E. R. Richards, The Secretary in the Letters of Paul, WUNT II 42, Tübingen 1991, 170-172; C. E. B. Cranfield, A Critical and Exegetical Commentary on the Epistle to the Romans 1, ICC, Edinburgh 1975 (reprint 1998), 2-5; D. Moo, The Epistle to the Romans, NICNT, Grand Rapids/Cambridge 1996, 935.

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an meist auch anderweitig bekannte Personen eines der stärksten Argumente gegen völlige Pseudepigraphie. Diese Beobachtung hat immer wieder zu Variationen der Sekretärshypothese speziell für Kol geführt.56 Solche Erwägungen geraten leicht in den Geruch der Apologetik, entsprechen aber den antiken und auch modernen Realitäten, vor allem wenn ein Autor im Gefängnis sitzt. Ein modernes Beispiel für Pseudepigraphie aufgrund eines Gefängnisaufenthaltes ist das Werk des chinesischen Missionars und Gemeindegründers Watchman Nee (chinesisch Nga Schu-jeo, genannt To-Scheng „die Sturmglocke", englisch etwas harmloser „Watchman")57. Dieser zwar in manchem fundamentalistische, aber doch auch theologisch interessante Autor (geb. 1903), der in jedem Fall für seine Überzeugungen einen hohen Preis bezahlen mußte, saß ab 1952 bis zu seinem Tod um 1972 in kommunistischer Gefangenschaft. Dennoch erschienen erst in Hongkong, später in der ganzen englischsprachigen Welt diverse Bücher unter seinem Namen. Die meisten dieser Titel gaben sich als Mit- und Nachschriften früherer Vorträge aus. 1967 hatte Nee Gelegenheit, die genannten Bücher zu sehen, als über eine mögliche Entlassung aus der Haft verhandelt wurde. Die chinesische Regierung forderte damals für die Freilassung Nees von den christlichen Gemeinden eine derart phantastische Geldsumme, daß Nee selbst eine Entlassung ablehnte, weil er ein solches Opfer den chinesischen Gemeinden nicht zumuten wollte. Bei dieser Gelegenheit hat er sich von den Schriften unter seinem Namen, deren Text er nicht redigiert hatte, distanziert. Wir haben hier also aufgrund einer Gefangenschaft des Autors den Fall partieller Pseudepigraphie, mit der dieser Autor theologisch nicht einverstanden war. Wenn man die Haftbedingungen in antiken Gefängnissen bedenkt, ist der Gedanke, daß Paulus Mitarbeiter mit der konkreten Abfassung von fälligen Schreiben beauftragt hat, nicht von der Hand zu weisen.

In der neutestamentlichen Wissenschaft wird eine Gefangenschaftsthese meist mit einer Sekretärshypothese verbunden. Über Sekretäre im antiken Literaturbetrieb hat umfassend E. Randolph Richards gehandelt.58 Die Beispiele entstammen natürlich sozialgeschichtlich fast alle der Oberschicht. Vor allem der Vielschreiber Cicero ist eine ergiebige Quelle, aber auch sonst gewinnen wir in vielen Fällen recht deutliche Vorstellungen vom Anteil der Sekretäre. Speziell für Kol ist eine solche Annahme ansprechend. Formal entspricht dieser durchaus den echten Paulinen. In 4,18 ist von eigenhändiger Unterschrift die Rede, wie 1 Kor 16,21; Gal 6,11 und Phlm 19. Zu solchen

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57 58

Z.B. E. Schweizer, Der Brief an die Kolosser, EKK, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1976, 26f; ähnlich Ollrog, Paulus 232 (beide denken an Timotheus als Verfasser). Vgl. dazu kritisch M. Wolter, Der Brief an die Kolosser. Der Brief an Philemon, ÖTK 12, Gütersloh/Würzburg 1993, 30f. Vgl. allgemein J. Georg, Art. Nee, Watchman, BBKL 6 (1993) 551-561 (mit Lit.). Richards, Secretary 15-127. Vgl. auch A. N. Sherwin-White, The Letters of Pliny, Oxford 1966, 536-546.

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Beglaubigungen gibt es aber auch pseudepigraphe Parallelen59. Die bekannten theologischen Akzentverschiebungen, etwa zur präsentischen Auferstehung, entsprechen im Umfang - wenn auch nicht im Charakter - dem, was auch sonst an Variabilität innerhalb paulinischer Theologie möglich ist. Schwerer wiegt der Passus über die Leiden des Paulus, welche den Christusleiden hinzufügen, was diesen fehlt (Kol 1,24). Noch unpaulinischer klingt 2,17: das Gesetz als Schatten des Zukünftigen, was eher an die Theologie des Hebr erinnert als an Paulus. Aber gegen nachpaulinische Verfasserschaft spricht z.B., daß Kolossä 61 n.Chr. durch ein Erdbeben zerstört wurde und wir lange nichts mehr von dem Ort hören. Vor allem die lange Grußliste 4,7-18 wäre in einem Pseudepigraphon kaum denkbar: In Kolossä hätte man diese Personen kennen müssen. Eine Deutung erklärt diese Beobachtungen so, daß der Kolosserbrief eigentlich an die Gemeinde in Laodizea gerichtet gewesen sei. Beide Gemeinden sollen ja nach Kol 4,16 ihre Briefe untereinander austauschen. Wir haben hier alles in allem einen Fall, für den die Sekretärshypothese ansprechend ist. Davon kann aber in bezug auf die Pastoralbriefe keine Rede sein. 60 Die eigentümliche Inkompatibilität der Personalnotizen dieser Briefe mit dem, was wir sonst von Paulus wissen, ist allein schon ein Argument gegen diese Sicht. Es ist auch kaum vorstellbar, daß Paulus einen ekklesiologischen Entwurf legitimiert haben sollte, der mit seinem eigenen so schlechterdings unvereinbar ist. Wenn die Sekretärshypothese also für 1 Tim, 2 Tim und Tit wenig hilfreich sein dürfte, müssen wir weiter in nachpaulinischer Zeit Umschau halten, ob sich die Pseudepigraphie dieser Briefe genauer verstehen läßt. Dabei greifen wir noch einmal auf eine Beobachtung zu den echten Paulinen zurück. Wenn man allein nach den Präskripten urteilt, sind die genuinen Paulusbriefe nach ihrem eigenen Zeugnis zumindest teilweise Produkte eines Teams. Dagegen hat man freilich geltend gemacht, daß Paulus immer wieder von sich selbst in der 1. Person spricht und die anderen im Präskript genannten Mitabsender in der 3. Person erscheinen. So Timotheus, der 1 Kor 16,10 den Korinthern empfohlen wird, und von dem in 2 Kor mehrfach die Rede ist. Dennoch ist das Problem damit nicht erledigt. Man hat gerne an Traditionsstücke, vor allem stabile argumentative und exegetische Zusammenhänge gedacht, die kontextunabhängig entstanden sind und deren Urheberschaft aus dem Umfeld des Paulus stammen könnte. Ohne Frage war Paulus die herausgeho-

59 60

Vgl. Speyer, Literarische Fälschung 45f.82.86f. Dennoch wird eine allgemeine (nicht spezifizierte) Sekretärshypothese nach wie vor als Lösung der Probleme der Pastoralbriefe angeboten, neuerdings (in den Fußstapfen von J. Jeremias) z.B. wieder von E. E. Ellis, The Making of the New Testament Documents, Biblical Interpretation Series 39, Leiden u.a. 1999, 420f.

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bene Persönlichkeit eines Missionsteams. Er war aber dabei nicht die einzige profilierte Persönlichkeit, und schon die Lystra-Anekdote Act 14,6-20 zeigt, daß es durchaus nicht immer ausgemacht ist, wer in einem Missionsteam welche Stellung innehat. Die Lykaonier sind der Meinung, Paulus sei eine Epiphanie des Hermes, Barnabas aber eine solche des Götterkönigs Zeus, weil dieser das Wort führe, jener aber nicht.61 In modernen Missionsteams ist es im allgemeinen so, daß es sehr wohl einen Starprediger gibt, der von der Öffentlichkeit wahrgenommen und auch von dem Team als solcher gewissermaßen exponiert wird, was aber nicht heißt, daß dieser bei internen Gruppenentscheidungen oder auch in der theologischen Standortbestimmung das letzte Wort hat. Wie alle erfolgreiche Mission war auch die paulinische ohne Frage wohlgeplant, straff organisiert, klar zielgruppenorientiert und vor allem von einem Team getragen, dessen Exponent Paulus war. Das ist gegen den Einwand zu bedenken, die Nennung der Mitverfasser oder Mitabsender der Protopaulinen besage nicht viel, da Paulus alsbald von sich in 1. Person spricht und Männer wie Timotheus in 3. Person nennt. Aber wie mögen die in den Präskripten erwähnten Mitarbeiter selbst diese Sache aufgefaßt haben, vor allem nach dem Tod des Paulus? Was besagt die explizite Mitverantwortung dieser Männer für das Werk des Paulus für ihr menschliches, theologisches und - schriftstellerisches Selbstbewußtsein? Was wurde aus diesem Team nach dem Tod des Paulus? Vor allem: Was wurde aus der starken Identifikation der Mitarbeiter des Apostels mit dessen Interpretation des Evangeliums nach seinem Tod? Die hier vertretene (nicht neue, aber gleich zu spezifizierende) These heißt nun: Das, was man gerne vage die Schule des Paulus nennt, ist nichts anderes als das ehemalige Missionsteam des Apostels. Man wird sich von allen idyllischen Bildern des freien, ungebundenen Predigers auf Plätzen und Straßen freimachen müssen, um den sich die Massen sammeln. Leider sind die Angaben des lukanischen Geschichtswerkes in hohem Maße stilisiert, aber Paulus selbst bietet genug Material, um etwas von der straffen Organisiertheit seiner Mission erahnen zu können. Ohne Frage spielt das Team des Apostels, in wechselnder Besetzung, hierbei eine tragende Rolle62. Alle Menschen, die jemals in einem Missionsteam gearbeitet haben, wissen, daß dies für ein ganzes Leben schlechterdings prägend ist. Kaum eine Erfahrung stärkt die Identifikation mit einem Anliegen so wie das öffentliche, noch dazu von Repressalien durch die Umwelt und persönlichen Opfern begleitete Auftreten für dieses. Teil dieser identifikatorischen Haft61 62

Vgl. zu den Details (auch zur Frage historischer Bestandteile der Episode) meine Auslegung in Offenbarung und Epiphanie 2, WUNT 11/80, Tübingen 1997, 125-140. Die grundlegende Studie bleibt Ollrog, Paulus.

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punkte ist nun ohne Frage Paulus selbst als der exemplarische „Sklave Jesu Christi". Seine apostolischen Leiden spielen denn auch im Kolosserbrief, aber auch in den Pastoralbriefen eine große Rolle (Kol l,24f; Eph 3,1; 4,1; 2 Tim 1,8.12.16; 2,9f). Übrigens betonen auch die Pseudo-Ignatianen (ad Heronem 2,2) die Leiden des Ignatius noch stärker, als dieser selbst es tut, ähnlich 1 Petr 5,1. Der Begriff "Schule" kann ganz Verschiedenes bedeuten und ist daher an und für sich schon problematisch oder zumindest präzisierungsbedürftig. Leicht kommt es zu Verwischungen dieser verschiedenen Bedeutungen. Schnelle z.B. profiliert inhaltlich einiges, was Grundzüge eines paulinischen Traditionsstromes sein könnten, um dann fortzufahren: „Als Sitz der Paulusschule bietet sich Ephesus an" 63 . Es wird dann die wohlbekannte vielfache lebensgeschichtliche Verflochtenheit des Paulus mit Ephesus vorgeführt, die dort (ohne Frage) ihre Spuren hinterlassen hat. Man beachte hier nun die Argumentationsstruktur. Eine "Schule" kann sein: 1. ein inhaltlich profilierbarer Traditionszusammenhang, der durch Lehrer-Schüler-Verhältnisse vermittelt ist, aber auch nach dem Abbruch der persönlichen Beziehungen weiterbesteht, 2. eine primär in personalen Bezügen bestehende Gemeinschaft, die aber inhaltlich für durchaus heterogene Ideen stehen kann oder 3. eine Institution, die von einem festen topographischen Zentrum her Menschen prägt, die mit ihr verbunden waren und sind. Ein Beispiel für die erste Bedeutung sind die medizinischen Schulen der Antike (Empiriker, Dogmatiker, Methodiker usw., was hier ganz spezifische medizinische Lehrgebäude sind). Diese hatten nicht nur jeweils einen festen Sitz, sondern besaßen Ausbilder und Anhänger in vielen großen Städten. Ein Beispiel für den zweiten Schulbegriff wäre die quasi private Akademie, die sich in dem kleinen Städtchen Chaironeia im 1. Jahrhundert n.Chr. um den vielseitigen Schriftsteller Plutarch sammelte und in der Menschen ganz unterschiedlicher philosophischer Überzeugung doch persönlich eng verbunden waren 64 . Für den dritten Schulbegriff wird man sofort an die traditionellen Zentren der organisierten Philosophenschulen denken: Akademie, Peripatos, Stoa poikile, Garten, obwohl sich diese Richtungen im Prinzipat auch gegenüber ihren alten Zentren partiell verselbständigt hatten. Ein besseres Beispiel wäre die berühmte Rechtsschule in Berytos, dem heutigen Beirut, für Jahrhunderte Zentrum der Juristenausbildung im östlichen Teil des Imperiums und Sprachinsel des Lateinischen inmitten einer griechischen Umgebung. 65

63 64 65

Schnelle, Einleitung 47. Vgl. meinen Art. Plutarch, BBKL 14 (1998) 1362-1372. Eine soziologisch differenziertere Typologie dessen, was man als "Schule" bezeichnen kann, findet sich bei R. A. Culpepper, The Johannine School, SBL.DS 26, Missoula

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Als Rudolf Bultmann noch lebte, konnte man davon sprechen, daß die "Bultmannschule" zwar nicht direkt ihren Sitz, aber ihr symbolisches Zentrum in Marburg hatte. Aber nach seinem Tod? Wo hat die Bultmannschule heute ihren "Sitz"? Die Frage ist offenbar unsinnig, weil sie zwei unterschiedliche Bedeutungen des Wortes Schule verwechselt. Genau das geschieht auch bei Schnelle (und anderen Autoren), wenn er die Paulusschule als Traditionszusammenhang (die personalen Zusammenhänge, um die es mir später gehen wird, sind kaum im Blick) profiliert, dann sofort nach dem Ort ihres „Sitzes" fragt, um eben diesen dann alsbald zuversichtlich in Ephesus ausfindig zu machen. Schnelle hat hier unter der Hand die Bedeutung des Wortes Schule von dem angesprochenen ersten auf den dritten Gebrauch verschoben. Wir besitzen m.E. schlechterdings keine Indizien für die Existenz einer Paulusschule im 3. Sinn. "Schulen" als zumindest ansatzweise institutionalisierte Einrichtungen - sei es als Rahmen öffentlicher Vorträge, wie sie die Stoiker pflegten, sei es als arkane Unterweisungsstätten nach pythagoreischer Manier - hat es wohl in den ersten zwei Jahrhunderten der Kirche überhaupt nicht gegeben. Auch die früher gerne so genannte alexandrinische Katechetenschule hat sich für die Zeit des Clemens Alexandrinus als Rückprojektion erwiesen. 66 Klar greifen können wir einen organisierten Schulbetrieb im Grunde zuerst in Caesarea für die Jahre, als Orígenes dort lehrte, wovon uns die Dankrede Gregors des Thaumaturgen zu einer deutlichen Vorstellung verhilft. Wolf-Henning Ollrog u. a. haben daher den Begriff der Paulusschule überhaupt abgelehnt und sprechen nur von den Mitarbeitern des Apostels. Wir haben aber sehr wohl deutliche Indizien für ein Weiterbestehen paulinischer Gedanken, und auch die Mitarbeiter werden nach dem Tod des Apostels zumindest zum Teil noch gelebt haben. Kol, Eph, 2 Thess, aber auch die Pastoralbriefe sind "paulinisch" in dem Sinn, daß sie Gedanken des Paulus unter veränderten Bedingungen adaptieren und die Autorität des Apostels da-

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1975 (auch Ann Arbor 1980), der neun typische Merkmale der Schulbildung benennt. Vgl. auch die Erwägungen bei G. Strecker, Die Johannesbriefe, KEK 14, Göttingen 1989, 19-28 zu einer "johanneischen Schule". Vgl. M. Hornschuh, Das Leben des Orígenes und die Entstehung der alexandrinischen Schule, ZKG 71 (1960) 1-25.193-214; F. P. Ridolfini, Le origini della scuola di Alessandria, RSO 37 (1962) 211-230; A. Le Boulluec, L'école d'Alexandrie, in: Alexandrina. Hellénisme, judaïsme et christianisme à Alexandrie. Mélanges C. Mondésert, Paris 1987, 403-417; W. A. Bienert, Dionysius von Alexandrien. Zur Frage des Origenismus im dritten Jahrhundert, PTS 21, Berlin/New York 1978, 81-87 (er betont, daß die Schule auch in späterer Zeit niemals eine offizielle Einrichtung der Gemeinde war) sowie grundlegend C. Schölten, Die alexandrinische Katechetenschule, JAC 38 (1995) 16-37. Weitere Literatur z. S. s. in meinem Artikel Pantänus, BBKL 16 (1999) 1186-1189.

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für geltend machen.67 Das wäre ein Schulzusammenhang im ersten Sinn (Schule als autoritatives Traditionsgeflecht). Wie steht es aber mit dem zweiten Sinn? Eine Schule als personaler, deswegen aber noch keineswegs institutioneller Zusammenhang? Einen Sitz hat eine solche Schule nicht, wohl aber klar benennbare Persönlichkeiten als Zugehörige. Diese sind Träger eigener Gedanken und Theologien; ihre Zusammengehörigkeit mit dem Meister und ihre Loyalität diesem gegenüber sind biographisch bedingt. Soziologisch kommt hierfür m.E. nur das ehemalige Team des Paulus als Trägerkreis in Frage. Läßt sich von hier aus in begründeter Spekulation eine Linie zu den unbekannten Verfassern deuteropaulinischer Literatur ziehen? Dabei soll die auf der Hand liegende Beobachtung im Mittelpunkt stehen, daß sich die Pastoralbriefe (bzw. das Corpus Pastorale) als an Paulusmitarbeiter adressiert geben (bzw. gibt). Um sie wird es im folgenden ausschließlich gehen. Keines Beweises bedürftig scheint mir, daß sie pseudepigraph und auch in hohem Maße fiktional sind. Die persönlichen Notizen (der vergessene Mantel, die vergessenen Bücher) - zu denen es Parallelen in anderen Pseudepigraphen gibt sollen die vorgetäuschte Authentizität untermauern. In diesem Sinn sind die Pastoralbriefe ohne Frage geplante und raffinierte Fälschungen. Sie haben darin andererseits deutliche Affinitäten zum antiken Briefroman (etwa zu Chion von Herakleia oder den Sokratikerbriefen), wie Richard I. Pervo68 plausibel und ausführlich gezeigt hat. Die Grenze zwischen Fiktion und Fälschung ist hier wie sonst fließend. Aber historisch erklärt ist damit noch nicht viel. Wir müssen begründen, 1. wie die Pastoralbriefe offenbar Jahre nach dem Tod des Apostels allgemein und unwidersprochen als genuin paulinisch rezipiert werden konnten, und 2. wie und warum gerade ihr Autor, oder ihre Autoren, sich dazu legitimiert gesehen haben, im Namen des Paulus zu schreiben.

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Für die Pastoralbriefe, deren Abstand zum "echten" Paulus größer ist als im Falle des Kol, hat dies M. Wolter, Die Pastoralbriefe als Paulustradition, FRLANT 146, Güttingen 1988 umfassend dokumentiert. Eine solche traditionsgeschichtliche Analyse ist selbstverständlich streng von der kaum noch vertretenen Auffassung zu trennen, die Pastoralbriefe benutzten Fragmente echter Paulusbriefe als Grundstock (so neben vielen anderen z.B. ehemals A. von Hamack, Geschichte der altchristlichen Literatur bis Eusebius, 1/1, Leipzig 1897, 480-485). R. I. Pervo, Romancing an Oft-Neglected Stone: The Pastoral Epistles and the Epistolary Novel, The Journal of Higher Criticism 1 (1994) 25-47.

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Der oder die Verfasser der Pastor albriefe

Was aber nun, wenn die vorgeblichen Adressaten in Wahrheit die Verfasser gewesen wären? Damit würden sich schlagartig beide zuletzt genannten Probleme lösen. Gerade 2 Tim gibt sich als eine Art Testament des Paulus. Wie, wenn hier nun derjenige, der zu Lebzeiten des Paulus von diesem selbst als Mitverfasser von Briefen genannt wurde, der öfters in heiklen Fragen Sprachrohr des Apostels in Gemeinden war - das ist in den Briefen ja gut bezeugt - , wenn also Timotheus einige Jahre nach dem Tod seines Meisters dessen Erbe für eine veränderte Gemeindesituation, im Disput mit neuen Gegnern, aufbereitet hätte, wie er es verstand? Man könnte sich auch Timotheus und Titus gemeinsam sozusagen als einen minimalisierten Rest des alten Paulusteams denken, welche fur dieses Vorgehen zusammen die Verantwortung übernehmen. Oder eine von beiden Referenzen (am ehesten die in bezug auf Titus) ist vollständig fiktiv und soll die Botschaft der Briefe über die persönliche Kommunikation zwischen "Paulus" und Timotheus hinaus entgrenzen. Dann wäre Timotheus allein Verfasser des Corpus Pastorale gewesen. Dieser Gedanke ist m.W. zuerst ganz beiläufig und mit einer fehlerhaften Begründung von Richard Bauckham ausgesprochen worden69, wird aber im folgenden ausführlicher profiliert werden. Alle anderen konkreten Vorschläge, welche es für die Autorschaft der Pastoralbriefe gibt, sind recht unbefriedigend. Das gilt insbesondere auch für Lukas und Polykarp. An Lukas hat man natürlich wegen 2 Tim 4,11 gedacht70. Die Berührungen mit lukanischer Sprache sind aber gering, obwohl auch neuerdings wieder (wie viele vor ihm) George W. Knight III in seinem 69

70

R. Bauckham, Pseudo-Apostolic Letters, JBL 107 (1988) 469-494, 494. Bauckham will plausibel machen, daß Timotheus für die in der Irrlehrerpolemik in den Pastoralbriefen anvisierte Zeit als noch lebend gedacht ist (unsicher), ja daß mit seinem Überleben bis zur Parusie gerechnet werde. Aber das ist eine Überinterpretation von 1 Tim 6,14. „If the Pastorals were written after Paul's death but within Timothy's lifetime, then most probably they were written by Timothy himself. This could also perhaps explain the difference between the letters to Timothy, where we learn a good deal about Timothy, and the letter to Titus, where we learn next to nothing about Titus" (494). Über die genannte m.E. noch ungenügende Begründung hinaus bietet Bauckham keine weitere Diskussion dieser Denkmöglichkeit. I. H. Marshall, der Bauckhams Idee en passant referiert, meint dazu „All of this is highly speculative, even if it cannot be regarded as impossible" (The Pastoral Epistles, ICC, Edinburgh 1999, 88). Merkwürdig ist, daß zwei Personen, unter deren Namen Evangelien überliefert sind (Markus und Lukas), hier so dicht beieinander stehen und beide ausdrücklich gelobt werden. Kenntnis der Synoptiker ist für die Pastoralbriefe nicht nachweisbar, obwohl es gelegentliche Rezeption von Jesustradition gibt. Sagt 2 Tim 4,11 zwischen den Zeilen mehr, als es auf den ersten Blick scheinen möchte?

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großen Kommentar (New International Greek Testament Commentary) von 1992 mit Lukas als Mitverantwortlichem rechnet, aber in Paulus selbst den Hauptautor sieht71. Die These lukanischer Verfasserschaft ist schon 1830 von Heinrich August Schott vertreten worden. 72 Auch Variationen 73 können die Schwierigkeiten nicht beseitigen. Für Tychikus (2 Tim 4,12; Tit 3,12) als Mit- oder alleinigen Autor gibt es keine Argumente, abgesehen davon, daß er angeblich zur Zeit der Abfassung bei Paulus war. Eine wiederum andere These - Polykarp als Verfasser - hat bekanntlich von Campenhausen vorgeschlagen. Diesen Ideen (Lukas, Tychikus, Polykarp) stehen starke Bedenken gegenüber74, die hier nicht wiederholt werden müssen. 75 Auch der Verfasser der Apostelgeschichte, der Paulus hochverehrt, ist Vertreter einer durchaus eigenständigen Theologie, die nur partielle Berührung mit diesem hat. Warum sollte sich also ein anderer eigenständiger ehemaliger Paulusmitarbeiter, den dieser als voll verantwortlichen Gesandten verwendet hatte, dessen Eigenständigkeit aber außer Frage steht, und den Paulus unter Namensnennung in Präskripten seiner Briefe als Mitverantwortlichen eben dieser Briefe autorisiert hatte, nicht legitimiert fühlen, das Erbe dieses seines Meisters einige Jahre nach dessen Tod in eine neue Situation hinein zu formulieren? Dabei ist in erster Linie an Timotheus zu denken. (Auch Titus war von Paulus mit wichtigen Aufträgen bedacht worden, obwohl er nicht in den erhaltenen Absenderlisten der Protopaulinen erscheint). Wir würden mit dieser These beide Probleme der Pseudepigraphie der Pastoralbriefe lösen: woher ihr Autor für sich selbst, also subjektiv, das Recht bezog, im Namen des Apostels zu schreiben, und zweitens - genauso wichtig wie die Briefe rasch und widerspruchslos rezipiert werden konnten. Trotz bewußter Pseudepigraphie bemüht sich der Autor nicht, Sprache und Stil des Paulus nachzuahmen - sehr im Unterschied etwa zu 2 Thess oder noch mas71 72 73

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75

G. W. Knight, Commentary on the Pastoral Epistles, NIGTC, Grand Rapids/Carlisle 1992, 50-52. H. A. Schott, Isagoge Historico-critica in Libros Novi Foederis Sacros, Jena 1830, 35. So wollte S. G. Wilson, Luke and the Pastoral Epistles, London 1979 plausibel machen, daß der Verfasser von Lk und Act (nach ihm nicht der Paulusmitarbeiter Lukas) die Pastoralbriefe erst lange nach diesen geschrieben habe. Vgl. Roloff, Erster Timotheusbrief 33-35; W. G. Kümmel, Einleitung in das Neue Testament, Heidelberg 21 1983, 330; N. Brox, Lukas als Verfasser der Pastoralbriefe?, JAC 13 (1970) 62-77, passim; Marshall, Pastoral Epistles 87f. Vgl. noch J.-D. Kaestli, LukeActs and the Pastoral Epistles: The Thesis of a Common Authorship, in: Ch. M. Tuckett (ed.), Luke's Literary Achievement: Collected Essays, JSNT.S 116, Sheffield 1995, 110-126. Auch an Silas-Silvanus hat man als Verfasser bzw. Sekretär des Paulus und Mitautor gedacht: W. Hartke, Die Sammlung und die ältesten Ausgaben der Paulusbriefe, Diss. Bonn 1917.

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siver zum 3 Kor, welcher durch viele kleine eingestreute Pauluszitate Echtheit vorzutäuschen versucht76. Der Verfasser der Pastoralbriefe ist hierin souveräner, also von seiner eigenen Autorität überzeugter. Alle postume Pseudepigraphie muß erklären, warum ein Text erst jetzt in Erscheinung tritt. Die einflußreiche Visio Pauli z.B. bietet zu diesem Zweck eine komplizierte Fiktion, eine Auffindungslegende: „Unter dem Consulat des Theodosius Augustus des Jüngeren und des Cynegius offenbarte einem angesehenen Manne, der damals in Tarsus, in dem Hause, das dem heiligen Paulus gehört hatte, wohnte, ein Engel, ihm nachts erscheinend, und sagte, er solle die Fundamente des Hauses aufbrechen und was er gefunden hätte, veröffentlichen" 77 . Der Auffinder hält dies zuerst für eine Halluzination. Da der Engel nicht nachgab und dreimal erschien, wurde der vornehme Mann gezwungen, das Fundament seines Hauses aufzubrechen. Er grub und fand einen marmornen Kasten mit der neuen Apokalypse. Er nahm sie und zeigte sie dem Archon der Stadt. Der Kasten wird dann zu Theodosius gebracht, der ihn öffnen läßt, Abschriften herzustellen befiehlt und das Original nach Jerusalem bringen läßt. Ähnliche Auffindungserzählungen sind in der ganzen Religionsgeschichte außerordentlich verbreitet - von den Legenden über das Deuteronomium bis zu denen über das Buch Mormon. 78 Am berühmtesten im römischen Imperium ist natürlich die Legende über die Bücher des Numa Pompilius, des zweiten römischen Königs und exemplarischen Kultgründers, die z.B. bei Livius XL 29,3-14, Plutarch, Num 22 oder Plinius, nat hist XIII 84-87 (nach Varrò; daraus auch Augustinus, civ VI 34,1-15) in je etwas abweichender Fassung berichtet wird 79 . In das 13. Jahr des Nero fällt die angebliche Auffindung des Buches des Diktys, welches den trojanischen Krieg OA

ohne alles supranaturale Beiwerk neu erzählt. Eine solche elaborierte Fiktion haben die Pastoralbriefe nicht nötig. Bei einem oder zwei Paulusmitarbeitern als Verfassern wäre eine Verbreitung auf dem christlichen Buchmarkt ohne Komplikationen denkbar. Wenn der Verfasser, etwa am Ende seines Lebens, als sein eigenes Vermächtnis, unter dem Mantel eines von Hause aus persönlichen Briefes des Apostels an ihn selbst, der Kirche übergibt, was er ihr mitteilen möchte, kann das rasch und problemlos rezipiert werden. Es würde gut zu dem „amor Pauli" des kleinasiatischen Presbyters passen, müßte aber kaum mit peinlicher Entlarvung rechnen. 76 77 78 79 80

Darauf hat schon Zahn, Einleitung 2, 485 den Finger gelegt, aber die falschen Schlüsse gezogen. H. Duensing und A. de Santos Otero, ΝΤΑρο 5 2 ( 1987), 648. Vgl. die Übersicht von W. Speyer, Bücherfiinde in der Glaubenswerbung der Antike. Mit einem Ausblick auf Mittelalter und Neuzeit, Hyp. 24, Göttingen 1970. Vgl. Speyer, Bücherfiinde 51-55. Vgl. meine Hinweise in Offenbarung 1, 32 mit Anm. 38.

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Die zahlreichen persönlichen Notizen der Pastoralbriefe81 dienen der Profilierung der paulinischen Herkunft und transportieren offenbar zudem zwischen den Zeilen die unterschiedlichsten Botschaften82. Inwiefern sie Zeitgenössisches (etwa unter Decknamen) aufnehmen und in die Lebensjahre des Paulus zurückprojizieren, wissen wir nicht im Detail, obwohl es a priori wahrscheinlich ist. Damit würde sich auch der so stark griechisch-hellenistische Duktus der Briefe erklären, die ja weit stärker als Paulus selbst das Vokabular des religiösen Hellenismus aufnehmen („Epiphanie", „Soter", die Pflichtenlehre, das Amtsdenken, der philosophische Terminus αύτάρκεια 1 Tim 6,6, der aber auch 2 Kor 9,8 steht, usw.). Timotheus war nach Act 16,1 Sohn eines griechischen Vaters und einer jüdischen Mutter und ist in Lystra, im Süden der Provinz Galatien, aufgewachsen. Es ist dieses genau das Milieu, zu dem die Sprache der Pastoralbriefe paßt. Den Korinthern gegenüber bezeichnet ihn Paulus als einen, der „das Werk des Herren tut wie ich" (1 Kor 16,10). 1 Kor 4,17 nennt ihn der Apostel „geliebtes und zuverlässiges Kind im Herrn". Wie Roloff gezeigt hat, heben diese Wendungen nicht nur das Vertrauensverhältnis hervor, sondern machen Timotheus in der Gemeinde zum offiziellen Stellvertreter des Apostels, der bevollmächtigt ist, den an der Anwesenheit gehinderten Apostel vollgültig zu vertreten.83 Die Apostelgeschichte erwähnt ihn zuletzt auf der Jerusalemreise Act 20,4. Sollte die Notiz Hebr 13,23 eine reale Basis haben - wogegen nichts spricht - wäre Timotheus auch noch Jahre nach dem Tod des Paulus84 als Missionar tätig gewesen. Titus wird von

81

Allein 2 Tim nennt 20 Namen. Von den in 1 Tim, 2 Tim und Tit genannten Personen sind fünfzehn sonst unbekannt, über drei (Tychicus, Erastus und Trophimus) haben wir Nachrichten in Act bzw. anderen Deuteropaulinen (Kol 4,7; Eph 6,21 ; auch Röm 16,23). Sieben Personen nennt Paulus in genuinen Briefen (davon drei in Phlm 24). Nur Titus erscheint außer bei Paulus nur in den Pastoralbriefen. Vgl. Lindemann, Paulus 48.

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Vgl. N. Brox, Zu den persönlichen Notizen der Pastoralbriefe, BZ 13 (1969) 76-94; L. Oberlinner, Die Pastoralbriefe. Zweite Folge. Kommentar zum zweiten Timotheusbrief, HThK XI/2, Freiburg u.a. 1995, 166-182; Stellen wie 2 Tim 4,13 sind bereits Paulushagiographie. Das gilt auch für die bemerkenswerten Eintragungen aus der späteren Pauluslegende in den Text der Pastoralbriefe an Stellen wie 2 Tim 3,11 (Codex Κ am Rand und Codex 181 etc. aus der Theklalegende); 2 Tim 4,19 (Codex 181 pc deutlich aus den Acta Pauli et Theclae); 2 Tim 4,10 (v.l. Γ ά λ λ ι α ν in diversen Zeugen); im Titusbrief ist an die Einschübe in Codex 460 (Tit 1,9.11) zu denken (freilich erst aus dem 13. Jahrhundert). Roloif, Erster Timotheusbrief 21. Die Datierung des Hebr ist freilich umstritten und hängt u.a. davon ab, ob dieser 1 Clem 36,2-5 schon benutzt ist. Dazu jetzt (m.E. zu) skeptisch Η. E. Lona, Der erste Clemensbrief, KAV 2, Göttingen 1998, 52-55, der an gemeinsam benutzte Tradition denken will. Die Art des distanziert-typologischen Bezuges auf den alttestamentlichen Kult ist kaum

83 84

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allen Paulusmitarbeitern am zweithäufigsten erwähnt, nach Timotheus (12mal bzw. 1 Omal in den Protopaulinen). Anders als Timotheus war er ein reiner Heidenchrist, den Paulus besonders mit der Organisation der großen Kollekte betraut hatte. In diesem Kontext ist er als Bevollmächtigter des Paulus zweimal nach Korinth gereist, wo er auch jeweils Briefe zu überbringen und sicher auch fur ihren Inhalt einzustehen hatte. Daß Act ihn übergehen, wird mit dem Scheitern der Kollekte zusammenhängen, von der Lukas sicher wußte, die er jedoch bis auf eine vage Anspielung verschweigt und die sehr stark mit Titus verbunden war.85 Die Überlieferung macht ihn gerne zum ersten Bischof Kretas (Euseb, hist eccl III 4,5; Apostol Const VII 46,IO86 etc.), hat aber dafür wahrscheinlich nur den Titusbrief (1,5) als Anhalt. Auch späte Pseudepigraphen unter seinem Namen sind erhalten. Nennen wir einen letzten Gesichtspunkt, der mit der These einer Verfasserschaft durch Timotheus schlagartig erhellt wird. Es ist eine alte crux interpretum, wen oder was die Pastoralbriefe in der Person des "Timotheus" (bzw. Titus) eigentlich legitimieren, wenn diese einerseits längst tot sind, andererseits aber auch nicht stellvertretend für eines der Ämter stehen, die in den Pastoralbriefen eine so erhebliche Rolle spielen. Weder Timotheus noch Titus werden uns vor Augen geführt als Bischöfe, Presbyter oder Diakonen. „Wenn der Verfasser der Pastoralbriefe (...) ein konkretes Leitungsamt in seiner Gemeinde, wie etwa das des Bischofs, im Auge hat, warum nennt er sie dann nicht, zumal sonst immer deutlich gesagt wird, wem die jeweiligen apostolischen Weisungen gelten?" 87 Das konkrete Interesse an der starken Autorisierung des Adressaten (1 Tim 1,18; 4,6.11; 2 Tim 1,13f; 2,1-7; Tit l,4f; 2,2) steht eigentümlich neben den kirchlichen Ämtern und wird durch den Ordinations- und Sukzessionsgedanken (am deutlichsten 2 Tim 2,1-7) nicht allein erklärt. Dieser wird ja niemals konkret (wir wissen nicht einmal, welche Geim unmittelbaren Kontext der Katastrophe von 70 n.Chr. denkbar. M.E. ist Hebr (weniger wahrscheinlich) vor 66 n.Chr. oder (plausibler) deutlich nach 70 n.Chr. geschrieben. Dann hätten wir eine stabile Stütze für die Annahme, daß Timotheus auch zehn oder zwanzig Jahre nach dem Tode des Paulus noch in Gemeinden aktiv und bekannt war. Vgl. auch Ollrog, Paulus 24 Anm. 87. 85 86

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So etwa Roloff, Erster Timotheusbrief 23; ders., Die Apostelgeschichte, NTD 5, Göttingen/Zürich 1988,311-313. SC 336, hg. von M. Metzger, Paris 1987, 110. Eine späte hagiographische Vita Titi ist unter dem Namen des Juristen Zenas (vgl. Tit 3,13) erhalten; vgl. J. Schmid, Art. Zenas, LThK 10 ( 2 1965) 1345. Wolter, Pastoralbriefe 201. Wolter sieht das Problem sehr deutlich, um Timotheus und Titus dann als „apostolische Delegaten" zu erklären. Aber gibt es solche zur Zeit der Pastoralbriefe noch? Wenn sie aber nur historische Fiktion sind (so Wolter), bleibt das Problem, auf wen die Legitimationsaussagen über Timotheus und Titus eigentlich in der Gegenwart zielen.

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meinde die Pastoralbriefe im Blick haben). Man sieht in den Adressaten dann gerne Chiffren des paulinischen Traditums. Aber dazu scheinen mir viele Angaben nicht recht zu passen, etwa zur Leidensgemeinschaft zwischen Paulus und Timotheus (2 Tim 3,1 Of). Wie, wenn die energischen Angaben zur Autorisierung der Adressaten Selbstlegitimationen des Verfassers sind, also letztlich das pseudepigraphische Unternehmen autorisieren? Der Apostel selbst hatte Timotheus doch zum Garanten seiner Botschaft eingesetzt. Dann stehen die Namen Timotheus und Titus nicht für ein uns unbekanntes und nirgends benanntes kirchliches Amt und sind auch nicht reine Chiffren für das paulinische Traditum, sondern erschließen in der Tat ein Autorisierungsgeschehen. Nach dem Tod des Apostels (der 2 Tim 4,7 deutlich vorausgesetzt ist) steht Timotheus für seinen Meister ein, dessen Anliegen er weiterführt. Der ganze Abschnitt 2 Tim 4,1-8 gewinnt unter diesem Blickwinkel einen neuen Sinn: Timotheus wird aufgefordert, umso eifriger zu predigen („zur Zeit oder zur Unzeit"), da Paulus „nicht greifbar" ist. Wie, wenn die Abfassung der Pastoralbriefe sich selbst gerade als Erfüllung dieses Auftrages gesehen hätte? Wenn diese Hypothese zutreffen sollte, haben sich Timotheus und/oder Titus dabei ohne Frage in direkter Fortsetzung ihrer alten Aufgaben für den Apostel und im Dienst seines Lebenswerkes gesehen. Damit ist keineswegs gesagt, daß die persönlichen Notizen in den drei Briefen auf authentischen Erinnerungen beruhen. Sie gehören primär zum pseudepigraphen Stil. Die Nachricht von der Vereinsamung des Paulus gegen Ende seines Lebens 2 Tim 4,9-18 wird irgendwie eine historische Erinnerung hinter sich haben; sie würde auch gut zum Psychogramm des Paulus passen, der sich regelmäßig mit seinen Mitarbeitern verstritten hat. Timotheus muß über das Ende des Apostels nicht mehr gewußt haben als wir. 1 Tim 4,12 ist dann immerhin eine persönliche Erinnerung des Autors an die Ermutigung, die ihm einst Paulus hatte zukommen lassen (vgl. 1 Kor 16,1 Of). Wenn Timotheus Chiffre für die reine Lehre wäre, machten solche Passagen keinen Sinn. An Stellen wie 1 Tim 1,8 („Wir wissen aber, daß das Gesetz gut ist...") spricht noch das alte Paulusteam als Kollektiv (nicht die Gemeinde als Ganze, die ja vielmehr angesprochen ist). Die von Schnelle und unzähligen anderen vertretene Auffassung, die Pastoralbriefe stammten aus Ephesus, kommt m.E. kaum in Frage. Hier hätte sich ja sofort nach ihrer Publikation die Frage gestellt, warum sie nicht schon früher bekannt geworden sind. Man darf die pseudepigraphe Binnenwelt des Textes (1 Tim 1,3; 3,14; 4,13; 2 Tim 1,18; 4,12) nicht plötzlich geradlinig in die reale Welt übertragen. Wenn sich die fiktiven Adressaten aber als reale Personen an einem etwas entlegeneren Ort befanden (z.B. Kreta), wäre die Rezeption der drei Brief in Ephesus in den Kreisen, die Timotheus und Titus

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kannten, auch Jahre nach dem Tod des Paulus denkbar. Diese Frage bedarf aber einer eigenen Untersuchung, die hier nicht geleistet werden kann. Ich fasse zusammen: 1. Die Paulusschule war in Wahrheit das Missionsteam des Paulus. Dieses Team hat nicht nur an der Arbeit, sondern auch an seiner Autorität partizipiert, wie Paulus durch die namentliche Nennung von Mitabsendern in seinen Briefen geradezu unterstreicht. 2. Nach dem Tod des Paulus muß die Identifikation dieser Mitarbeiter mit Paulus weitergewirkt haben und könnte sie dazu gebracht haben, pseudepigraph im Namen ihres ehemaligen "foundational man" zu schreiben. 3. Das gilt insbesondere fur die Pastoralbriefe, die - obwohl in ihrer Fiktionalität durchaus raffiniert - sich als an die beiden wichtigsten Paulusmitarbeiter adressiert geben, vielleicht aber in Wahrheit den Versuch eben dieser oder wahrscheinlicher in erster Linie des Timotheus - darstellen, das paulinische Evangelium gegenüber den Irrlehren ihrer Zeit und in einer auch sozial veränderten Gemeidesituation neu zu formulieren. Die Qualität einer Verfasserschaftshypothese hängt im wesentlichen daran, ob sie die Textbeobachtungen erklären kann, ohne komplizierte Zusatzannahmen zu produzieren bzw. in Spannung zu bekannten Sachverhalten zu geraten. Daran wird auch die hier vorgeschlagene These zu prüfen sein. Die ganze Frage der Legitimität des pseudepigraphischen Unternehmens ist damit noch nicht beantwortet. 88 Beliebt ist unter Theologen die grundsätzliche Diffamierung jener, die hier nach wie vor ein Problem sehen. Berger haben wir bereits zitiert: „Nur für einen kryptomodern argumentierenden Fundamentalismus ergeben sich hier Probleme". Vielmehr „war es in der Phase des Autoritätsvakuums nach dem Tod der Apostel eine Geste der Ehrung, Anerkennung u. Selbstverpflichtung auf ihr Erbe, wenn man ihnen Schriften unterschob" 89 . Daß solche Verharmlosungen m.E. schon den geschichtlichen Wirklichkeiten nicht gerecht werden, wird nach dem Gesagten deutlich geworden sein. Die jüngste mir bekannt gewordene biblische Legitimation falscher Verfasserangaben stammt von Pokorny: „Nach der Entdek-

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Speziell zu den Pastoralbriefen schreibt B. L. Mack nicht unpassend: „Thus the author created a marvelous fiction in order to place a church manual of discipline from the midsecond century at the very beginning of the apostolic tradition. One wonders whether Paul would have been pleased by this honor." (Who Wrote the New Testament? The Making of the Christian Myth, San Francisco 1995, 207). Die Frage, ob es Paulus sozusagen recht gewesen wäre, daß sich andere nach seinem Tod seines Namens bedienen, bewegt sich zwar am Rande des geschichtswissenschaftlichen Diskurses, ist aber doch nicht illegitim. Nach allem, was wir über antike Verfasserschafts- und Echtheitskritik wissen, ist sie zu verneinen. Berger, Art. Pseudepigraphie II., 707.

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kung der Tendenzfälschungen sehen wir deutlicher als früher, daß auch der biblische Kanon in der Kirche - theologisch beurteilt - aus Gottes Gnade und nicht durch das Werk der Menschen als apostolisches Zeugnis wirkt. Gott hat sich auch zu den fiktiven Pseudepigraphen bekannt, ähnlich wie er sich zu Jakob in Bethel bekannte - zu Jakob, der Recht und Segen des Erstgeborenen im Kleid seines älteren Bruders und mit Fellen um seine glatten Arme und den Hals gewonnen hatte, als ob er der Ältere wäre"90. Ob eine solche Analogie mit dem betrügerischen Jakob theologisch das Phänomen Pseudepigraphie trägt, bleibt zu diskutieren. Ich halte es eher für zweifelhaft.

Verzeichnis weiterer einschlägiger Literatur, sofern in den Anmerkungen nicht bereits genannt: Brox, N., Historische und theologische Probleme der Pastoralbriefe des Neuen Testaments, Kairos 11 (1969) 81-94. Brox, N. (Hg.), Pseudepigraphie in der heidnischen und jüdisch-christlichen Antike, WdF 484, Darmstadt 1977. Campenhausen, H. von, Polykarp von Smyrna und die Pastoralbriefe, SHAW.PH 1951, Heidelberg 1951, 5-51, auch in: ders., Aus der Frühzeit des Christentums. Studien zur Kirchengeschichte des ersten und zweiten Jahrhunderts, Tübingen 1963, 197-252. Collins, R. F., The Image of Paul in the Pastorals, LTP 31 (1975) 147-173. Dassmann, E., Der Stachel im Fleisch. Paulus in der frühchristlichen Literatur bis Irenäus, Münster 1979, 158-173. Dibelius, M. und H. Conzelmann, Die Pastoralbriefe, HNT 13, Tübingen 4 1966. Donelson, L. R., Pseudepigraphy and Ethical Argument in the Pastoral Epistles, HUTh 22, Tübingen 1986. Gerlitz, P., Art. Pseudonymität I. Religionsgeschichtlich, TRE 27 (1997) 659662.

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Pseudepigraphie und Paulusschule

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Gudrun Guttenberger

Ist der Tod der Apostel der Rede nicht wert? Vorstellungen von Tod und Sterben in den lukanischen Acta 1

Das Schweigen der Quellen

Die Beschäftigung mit dem Ende des Paulus stößt immer wieder auf das Schweigen der Quellen. Die Apostelgeschichte endet mit der Notiz über die Gefangenschaft des Paulus in Rom. Sie schweigt über den Ausgang des Prozesses und sein weiteres Schicksal; sie berichtet auch nichts von über Rom hinausgehenden Reiseplänen des Paulus: Act 19,21 nennt Rom als ultimatives Reiseziel. 1 Clem 5,5-7 spricht davon, dass Paulus „den äußersten Westen" erreicht, vor den Machthabern Zeugnis abgelegt hat und so aus der Welt geschieden ist. Die Angaben sind wenig konkret. Ob Clemens über mehr Informationen verfügte als aus den Paulusbriefen herausgelesen werden konnten, ist zweifelhaft.1 2 Tim versteht sich als Brief aus der römischen Gefangenschaft. Paulus wird als vereinsamt geschildert (2 Tim 1,15; 4,11-16). Der Brief scheint davon auszugehen, dass der Tod des Apostels unmittelbar bevorsteht.2 Die fiktive Entstehungssituation des Briefes zeigt zugleich die Funktion der Nachrichten über Paulus: 2 Tim ist ein Testament. Die Isolationsnotizen heben - wie eine elitäre Unterweisung - die Legitimität der "Timotheusschule" hervor.3 Diese drei Zeugnisse gehören in das ausgehende 1. Jahrhundert n.Chr.4 1 2

Vgl. den Beitrag von H. Lohr in diesem Band. Die Diskussion wird an 2 Tim 4,6 geführt und mit der Behauptung einer paulinischen Verfasserschaft verbunden. Einen Überblick bietet L. Oberlinner, Die Pastoralbriefe. Zweite Folge: Kommentar zum Zweiten Timotheusbrief, HThK XI/2, Freiburg u.a. 1995, 158-161; M. Prior, Paul the Letter-Writer and the Second Letter to Timothy, JSNTS 23, Sheffield 1989, 92-103 vertritt die Auffassung, dass das Verb σπένδομαι (vgl. Phil 2,17) ebenso wenig wie das Substantiv ά ν ά λ υ σ ι ς (vgl. Phil 1,23) auf den Tod des Paulus hinweise.

3 4

Vgl. den Beitrag von M. Frenschkowski in diesem Band. 2 Tim und 1 Clem sind voneinander unabhängig. 2 Tim kennt vermutlich Phil und vielleicht Act. Oberlinner, Zweiter Timotheusbrief spricht sich für literarische Abhängigkeit von Phil (160) und mit M. Wolter, Die Pastoralbriefe als Paulustradition, FRLANT 146, Göttingen 1988, 223-225 gegen eine literarische Abhängigkeit von Act aus (152). M.E.

274

Gudrun Guttenberger

In den nächsten Jahrzehnten haben wir keine Hinweise auf die Entwicklung der Tradition. IgnRöm 4,3 scheint die Tradition vom Märtyrertod des Paulus zu kennen, nennt jedoch keine Einzelheiten. Polyc 9 soll vom Märtyrertod aller Apostel wissen.5 Neue Nachrichten erhalten wir erst nach der Mitte des 2. Jahrhunderts n.Chr. durch die Paulusakten: Sie erzählen vom Martyrium des Paulus.6 Dieser Sachverhalt ist in den Kontext der entstehenden Märtyrerakten zu stellen.7 Das Martyrium des Polycarp ist (nach dem Martyrium des Stephanus in Act 7) der erste uns erhaltene Martyriumsbericht und wird - abhängig von der Festsetzung des Todesjahrs Polykarps8- in die zweite Hälfte der 50er Jahre des 2. Jahrhunderts n.Chr. datiert. Unter Marc Aurel stieg die Anzahl der Martyrien und damit auch die der Martyriumsberichte. Zunehmend werden die Märtyrer zu exempla für die Gemeindemitglieder.9 Bereits für das MartPol ist eine Märtyrerverehrung vorauszusetzen. Herrn,

5

6

7

8

9

wäre jedoch zwischen Kenntnis und literarischer Abhängigkeit zu unterscheiden. 1 Clem kennt vielleicht Lk und Act; vgl. Die Apostolischen Väter. Eingeleitet, herausgegeben, übertragen und erläutert von J. A. Fischer, SUC I, Darmstadt l01993, 8. Polyc 9 wird, unter der Voraussetzung, dass der Polycarp-Brief aus zwei Briefen besteht, entweder um 135 n.Chr. (P. N. Harrison Polycarp's two Epistles to the Philippians, Cambridge 1936) oder um 112 n.Chr. (Fischer, Apostolische Väter 235.237) datiert. Die früheste Bezeugung der ActaPauli findet sich um 200 n.Chr. bei Tertullian, der sie (de bapt 17) als Fälschung entlarvt. Hippolyt, Dan III 29,4 und Orígenes, princ I 2,3; comm in Joh XX 12 hingegen kennen und benutzen das Werk. Diese stehen wiederum im Zusammenhang mit den zeitgeschichtlichen Veränderungen seit Marc Aurel, mit dessen Amtszeit eine neue Phase kriegerischer Auseinandersetzungen - überwiegend defensiver Art (Partherkrieg, Markomannenkriege) - begann und eine große Seuche den Mittelmeerraum heimsuchte. Gefährdung von Leben und Sicherheit sowie eine größere Präsenz des Todes bestimmten das allgemeine Lebensgefühl. Vgl. E. R. Dodds, Heiden und Christen im Zeitalter der Angst. Aspekte religiöser Erfahrung von Marc Aurel bis Konstantin, Frankfurt a.M. 1985. MartPol 18,3: Der erste Jahrestag des Martyriums steht noch aus. G. Buschmann, Das Martyrium des Polykarp, KAV 6, Göttingen 1998, 39f, stellt die Datierungsvorschläge vor und votiert für eine frühe Festsetzung auf die Jahre 155/156 n.Chr., jedenfalls vor 160 n.Chr.; vgl. auch J. W. van Henten, Zum Einfluß jüdischer Martyrien auf die Literatur des frühen Christentums II. Die Apostolischen Väter, ANRW II 27/1, Berlin/New York 1993, 700-723, 703. Ob das auch für die Acta Pauli gilt, lässt sich wegen der fragmentarischen Textüberlieferung nicht sicher sagen. Direkte Aufforderungen finden wir nicht. Es ist aber festzuhalten, dass Thekla Paulus nachahmt, ihm in der Martyriumsbereitschaft sogar vorangeht, und Paulus in der Masse der Gefangenen als Vorbild und "Befehlshaber" wirkt (ActPaul 11,3).

Vorstellungen von Tod und Sterben in den Acta

275

vis III 9,1 platziert diejenigen, die „um des Namens willen" gelitten haben, zur rechten Seite, also auf die Ehrenplätze der personifizierten Ekklesia.10

Der Canon Muratori erwähnt - um 250 n.Chr. - die Spanienreise des Paulus, nicht aber seinen Tod. Euseb berichtet hist eccl II 22,1-8; 25,5f und III 1,3 vom Ende des Paulus, verfugt aber offenbar über keine weiteren Nachrichten als wir. Das spricht dafür, dass das Schweigen der Quellen nicht auf die Zufälligkeit der Überlieferung zurückgeht, sondern der tatsächlichen Quellenlage entspricht. Entweder lagen keine Nachrichten über das Ende des Paulus vor oder die urchristlichen Tradenten hatten ihre Gründe dafür, sie zu verschweigen. Beim Nachdenken über das Ende des Paulus ist demnach die Erklärung des Schweigens darüber konstitutiv. Dieses Schweigen müsste zum Sprechen gebracht werden. Mein Vorhaben will dazu einen Beitrag leisten, indem ich diachron redaktionskritisch nach dem Darstellungsinteresse des Verfassers der Act und synchron nach der Funktion des Motivs "Tod und Sterben" für die Erzählung frage. Beide Fragestellungen können das kulturelle Verständnis von Tod und Sterben in der Antike nicht unberücksichtigt lassen. Diese Untersuchung beschränkt sich auf die lukanischen Act.

2

Vorstellungen von Tod und Sterben in Act: der Befund

Der Verfasser der Acta hat sich - darauf weist besonders das Proömium hin - als Historiker verstanden." Auch wenn diese Bestimmung sicher nicht alle Merkmale beschreibt, ist die Geschichtsschreibung doch ein vorzügliches Interesse des Lukas. Für die diachrone Fragestellung nach der Bedeutung von Sterben und Tod in den Act be10 11

Allerdings ehrt schon Offb 2,13 den Märtyrer Antipas und weist den Märtyrern eine besondere Rolle im Eschaton zu (Offb 20,4). Vgl. Ph. Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur. Einleitung in das Neue Testament, die Apokryphen und die apostolischen Väter, Berlin/New York 21978, 399; G. Schneider, Die Apostelgeschichte. I. Teil: Einleitung. Kommentar zu Kap. 1,1-8,40, HThK V/1, Freiburg u.a. 1980, 122f; E. Pliimacher, Die Apostelgeschichte als historische Monographie, in: J. Kremer (ed.), Les Actes des Apôtres. Traditions, rédaction, théologie, BEThL XLVIII, Leuven 1979, 457-466; ders., TEPATEIA. Fiktion und Wunder in der hellenistisch-römischen Geschichtsschreibung und in der Apostelgeschichte, ZNW 89 (1998) 66-90, 88 bestimmt Lukas präziser als „mimetischen Historiographen", der sich ungewöhnlicher, unwahrscheinlicher und wunderhafter Züge bediene, um in seinen Lesem Gefühle hervorzurufen, wobei ihm die Paraklese, die Tröstung und Bestärkung (vgl. Act 20,12) ein besonderes Anliegen gewesen sei. Die direkten Eingriffe Gottes in die Geschichte sowie die Wunder der Apostel stehen demnach nicht im Widerspruch zur Klassifizierung als Historiker.

276

Gudrun Guttenberger

deutet das, dass sowohl die Arbeitsweise, der Umgang mit Quellen, als auch die Regeln der Gattung Beachtung verdienen. Wo Lukas über Todesfälle berichtet, hatte er Quellen vorliegen. Deren Vorstellung von Tod und Sterben zu untersuchen, ist eine eigene Aufgabe. Die lukanische Absicht lässt sich eher kompositionskritisch bestimmen. Schwieriger ist es zu entscheiden, ob sein Schweigen über natürliche Tode und Martyriumstode programmatisch ist oder darauf zurückgeht, dass er keine Quellen vorliegen hatte. Lukas greift gerade in der Darstellung der Fluchtode Topoi auf. Die Darstellung von "Tod und Sterben" in vergleichbaren zeitgenössischen historischen Texten zu untersuchen und mit der lukanischen zu vergleichen, ist ebenfalls eine noch ausstehende Aufgabe.

Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über Erwähnungen von tatsächlichem Sterben und tatsächlichem Tod. Die Angaben sind bereits in drei Gruppen zusammengeordnet.12 Es lassen sich "natürliche Tode", Fluchtode und Märtyrertode unterscheiden.13 natürlicher Tod

Fluchtod

Martyriumstod

2,27-29

David

1,18

Judas

2,23

Jesus

7,15

Jakob

5,1-11

Hananias, Saphira

7,58

Stephanus

9,37

Tab ita

12,18-25

Agrippa I.

12,1.2

Jakobus

13,36

David

13,27-29

Jesus

20,9-12

Eutychos

2.1 Natürliche Todesfalle Die Acta kennen die Vorstellung eines "natürlichen Todes". Ein derartiger Tod tritt in der Folge von Unfall, Krankheit oder Alter ein, hat keine signifikante Bedeutung und ist nicht erklärungsbedürftig. Diese Vorstellung begegnet in 2,27-29; 7,15; 9,37; 13,36 und 20,9-12. Drei dieser Belege befinden sich in Reden und beziehen sich auf die Vergangenheit, zwei davon auf David (2,29; 13,36). In seiner Rede spricht Stephanus über das Todesschicksal des Jakob und seiner Brüder (Act 7,15f). Sie alle sterben in Ägypten und 12 Zwei weitere Erwähnungen lassen sich nicht eindeutig zuordnen. Act 7,24 führt den gewaltsamen Tod des Ägypters durch Mose an, Act 22,4f nennt die Todesopfer der Verfolgung u.a. durch Paulus in Jerusalem und Damaskus. 13 Die antike Klassifikation unterscheidet zwischen dem Tod κατά φύσιν und dem gewaltsamen Tod βιαθάνατος. Vgl. A. J. L. van Hooff, Art. Tod. Manuskript.

Vorstellungen von Tod und Sterben in den Acta

277

werden in Sichern begraben.14 Der Sterbevorgang wird mit τελευτάω beschrieben. Die Begräbnisstätte in Sichern ist positiv bewertet. Die beiden Hinweise auf David finden sich je in einer Petrus- und der Pauluspredigt, die Ps 16,10 als Schriftbeweis für die Auferstehung Jesu verwenden. Die Wortpaare Hades/Verwesung und Gott/Erwählter stehen einander kontrastiv gegenüber. Die Aussage von Ps 16,10 wird von David - der begraben ist und die Verwesung tatsächlich doch gesehen hat - auf Jesus übertragen. Als Verb ist ebenfalls τελευτάω verwendet. Zwei Belege beziehen sich auf die urchristliche Zeit. Es handelt sich um die zwei Totenerweckungen durch Petrus und Paulus. In Act 9,36-43 wird von der Erkrankung der Tabita, ihrem Tod und der anschließenden Erwekkung durch Petrus erzählt. Petrus wird auf der Reise nach Caesarea dargestellt. Für seine Aufenthalte in Lydda und Joppe werden Wunder (Therapien) berichtet; der Heilung eines Gelähmten in Lydda folgt die Erweckung der Tabita in Joppe. In der Einleitung (V.36Í) wird die Hilfsbedürftige vorgestellt, die Not geschildert und der Wundertäter herbei gebeten. Tabita wird als Jüngerin gekennzeichnet (μαθήτρια) und durch ihre guten Werke (Armenfursorge) charakterisiert.15 Ihre Erkrankung und ihr Tod werden mit den Verben άσθενέω (Aor.) und άποθνήσκω (Aor.) beschrieben. Über die Art ihrer Krankheit erfahren wir nichts. Nach ihrem Tod wird sie, wie es üblich war, gewaschen und im Obergeschoss ihres Hauses aufgebahrt. Eine Salbung unterbleibt ebenso wie die Vorbereitungen zur Bestattung. Der Hauptteil beginnt mit dem Auftreten des Wundertäters und der Menge (V.39). Nach der Vertreibung der Menge (V.40a), kommt es zum Wundergeschehen durch Gebet (V.40b). Anschließend wird das Wunder konstatiert (V.40C.41). Die Erzählung schließt mit einer Notiz über die glaubenswirkenden Folgen ab (V.42). Orientiert ist sie an der Elia/Elischa-Tradition16, nimmt aber auch Züge aus der Erzählung von der Erweckung der Jairustochter auf (Mk 5,21-43par). Tabitas Tod hat keine eigenständige Bedeutung, die Darstellung ist vollständig auf ihre Wiedererweckung hin angelegt. Kompositorisch kommt ihr keine besondere Funktion zu. Die Erweckungserzählung stellt jedoch den Höhepunkt der Wundertätigkeit des Petrus dar, dessen Wirksamkeit sich mit der nun folgenden Korneliusepisode ihrem Zielpunkt nähert.

Act 20,6-12 zeigt Paulus auf dem Weg nach Jerusalem. Am letzten Abend seines siebentägigen Aufenthalts in Troas kommt es am Sonntag zu dem 14

15 16

Die Ausweitung der biblischen Tradition vom Tod Jakobs und seinem Begräbnis in der Höhle Machpela (Gen 50) auf seine Söhne findet sich auch in Jos, ant 2,198f; Jub 46,8 und TestXII. Anders als dort ist hier jedoch von einer Begräbnisstätte in Sichern die Rede. Das Josephsgrab wurde in Sichern gesucht. Vgl. E. Haenchen, Die Apostelgeschichte, KEK III, Göttingen 6 1968, 231. Dieser Zug wird redaktionell sein; vgl. G. Lüdemann, Das frühe Christentum nach den Traditionen der Apostelgeschichte. Ein Kommentar, Göttingen 1987, 126. Vgl. z.B. Haenchen, Apostelgeschichte 285f.

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Gudrun Guttenberger

Sturz eines jungen Mannes aus einem Fenster im dritten Stock des Versammlungshauses. Die Beschreibung der Versammlung ist mit der Wundererzählung verschränkt. V.7f schildern die Versammlung, V.9 den Unfall mit Todesfolge 17 , V.10 das Eingreifen des Paulus. V. 11 kommt auf die Versammlung zurück und schließt eine Notiz über seine Abreise an. V.12 erst konstatiert das Wunder. Wieder begegnen Züge aus der Elia-Tradition. Im Vergleich zu Act 9,36ff wird die Totenerweckung jedoch geradezu beiläufig erzählt.18 Dieser Eindruck entsteht vor allem durch die Verschränkung mit der Beschreibung der Versammlung und der Abreise. Das Wunder wirkt Tröstung19, richtet sich also nicht an Außenstehende, sondern an die Mitglieder der Gemeinde. Ob die Tröstung über die Erleichterung angesichts des persönlichen Schicksals des Eutychos hinausgeht und eine Bedeutung für das Verständnis von Tod und Sterben überhaupt hat, ist leider nicht zu erkennen. Der junge Mann wird über die Nennung des Namens hinaus als individuelle Person nicht charakterisiert; sein Unfall und sein Tod haben keine eigenständige Bedeutung.20 Wie im Fall der Erweckung der Tabita platziert Lukas das Wunder an das Ende der Wirksamkeit des Apostels.

Zusammenfassend lässt sich sagen: 1. Die Vorstellung vom natürlichen Tod spielt in den Act keine wichtige Rolle. Sie ist nur viermal (zählt man die doppelte Nennung Davids einfach) belegt und nimmt in der Komposition keine bedeutende Funktion wahr. 2. Die Vorstellung lässt sich in die Heilsgeschichte einordnen: In der Vergangenheit gehörten Tod und Verwesung zum "normalen" Leben. Die Väter und David sind gestorben, begraben und verwest; das ist ein Bestandteil der Heilsgeschichte Gottes. Mit Jesus jedoch hat sich das verändert. Er selbst ist von der Verwesving ausgenommen. Die beiden natürlichen Todesfälle, die aus der Zeit nach Jesu Tod erzählt werden, werden durch Wunder zurückgenommen. In der Zeit der Gemeinde gibt es in der Darstellung der Acta keinen natürlichen Tod.

17

18 19 20

Lukas will keinen Scheintod, sondern einen tatsächlichen Tod darstellen. Vgl. Ch. Κ. Barrett, The Acts of the Apostles II. Introduction and Commentary on Acts XV-XXVIII, ICC, Edinburgh 1998, 954; Haenchen, Apostelgeschichte 51, Α. Weiser, Die Apostelgeschichte. Kapitel 13-28, ÖTK 5/2, Gütersloh/Würzburg 1985, 561; Plümacher, TERATEIA 87. Lukas beschreibe das Wunder, „as if it were an everyday occurrence"; Barrett, Acts II, 956. Π α ρ α κ α λ έ ω ist sonst in Act mit „ermahnen", hier aber wohl mit „trösten" zu übersetzen; Barrett, Acts II, 956. „Eutychos' accident provides the occasion for a miracle by Paul and serves no other purpose." Barrett, Acts II, 954.

Vorstellungen von Tod und Sterben in den Acta

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3. Totenerweckungen galten in der Antike als unmöglich.21 Dass Lukas gleich zweimal eine solche wiedergibt, ist auffällig. Dass er keinen natürlichen Tod schildert, ohne ihn durch eine Totenerweckung zurückzunehmen, ist noch weit sonderbarer. Der natürliche Tod konnte fur die frühen christlichen Gemeinden ein Problem sein; das zeigt 1 Thess 4,13-18.22 Diese Schwierigkeiten können jedoch am Ende der 80er Jahre des 1. Jahrhunderts n.Chr. nicht mehr virulent gewesen sein. Als Erklärung fur diese Auffälligkeit bieten sich drei Möglichkeiten an: (a) Lukas hatte keine Nachrichten über natürliche Todesfälle. Das ist gerade wegen 1 Thess 4,13-18 unwahrscheinlich. Natürliche Todesfälle waren in der frühen Zeit ein Problem.23 Wenn man nicht eine totale Verdrängung des Problems annehmen will, sind sie gerade deswegen überliefert worden, (b) Lukas ist an der Darstellung natürlicher Todesfalle nicht interessiert. Sie sind zu unspektakulär. Sein historisches und biographische Interesse reicht nicht hin, sie darzustellen, (c) Lukas will zwar nicht seine, aber die apostolische Zeit als eine Epoche schildern, in der die Macht des Todes durch die Wunderkraft der Apostel begrenzt war.

2.2 Der Fluchtod 2.2.1 Der Topos vom Tod des Gottesverächters Der Topos vom Tod des Gottesverächters schildert ein Bündel von körperlichen Krankheitssymptomen, typischen Unglücks- und Todesfällen, die diejenigen ereilen, die sich gegen eine Gottheit vergangen haben. Wilhelm Nestle hat die Belege zusammengestellt und den Topos beschrieben.24 Die Schrift de mortibus persecutorum, die unter den Werken des Lactanz überliefert ist, sammelt, mit Nero beginnend, die Todesarten der Verfolger der Kirche. 21 22

23 24

Pliimacher, TERATEIA 85; St. M. Fischbach, Totenerweckungen. Zur Geschichte einer Gattung, fzb 69, Würzburg 1991, 113-154. Act 5,1-11 kann ebenfalls in diesem Zusammenhang interpretiert werden, wie es P.-H. Menoud, La mort d'Ananias et Saphira, in: Aux sources de la tradition chrétienne. Mélanges offerts à Maurice Goguel, Neuchâtel/Paris 1950, 146-154 vorgeschlagen hat. Für das 2. Jahrhundert n.Chr. berichtet Tertullian, de anim 50, über Menander, dass er eine Taufe vollzogen habe, die seine Anhänger vom leiblichen Tod verschone. Im Hintergrund stehen jüdische Vorstellungen, die das Leben im Eschaton als vom Tod unberührt ausmalen. Vgl. LibAnt 3,10; 19,12; PsSal 3,12. Vgl. noch Joh21,23. W. Nestle, Legenden vom Tod der Gottesverächter, ARW 33 (1936) 246-269. Das Material findet sich auch bei H.-J. Klauck, Judas - ein Jünger des Herrn, QD 111, Freiburg u.a. 1987 und O. W. Allen, The Death of Herod. The Narrative and Theological Function of Retribution in Luke-Acts, SBL.DS 158, Atlanta 1997.

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Gudrun Guttenberger

Nestle hat dargestellt, dass damit ein paganes Muster aufgenommen worden ist, das sich in den Sagen ebenso wie bei Historikern, etwa bei Herodot25 oder Plutarch26, der eine Liste derjenigen überliefert, die von der „Läusekrankheit" befallen worden waren, findet. Typischerweise erfolgt der Tod durch Würmer- oder Läusebefall und faulende Geschwüre. Dies wird als Vorwegnahme des Verwesungsprozesses verstanden. Die Erkrankungen selbst galten als normale, medizinisch beschreibbare Fälle28, ihr Auftreten weist jedoch auf göttliches Einwirken. Weitere typische Todesarten sind Schiffbruch, das Zerreißen durch wilde Tiere und die Erblindung. Als vergleichbare Todesdarstellung in biblischer Tradition ist der Tod des Antiochus Epiphanes (2 Makk 9,5-12) zu nennen, der nach dieser Darstellung29 unter Schmerzen in den Eingeweiden, in Folge eines Sturzes unter Verrenkungen, schließlich unter Wurmbefall und verfaulendem Fleisch gelitten habe. Ihn ereilt diese göttliche Strafe aufgrund der Verfolgung der Juden und seiner Hybris.

2.2.2 Zur Komposition Die Vorstellung vom Fluchtod begegnet in den Acta an drei Stellen: 1,18f; 5,1-11; 12,18-25. Betroffen sind Judas, Hananias und Saphira sowie Herodes Agrippa I. Der Tod des Judas wird Act 1,18f innerhalb der ersten Petrusrede berichtet. Es ist also ein Rückblick. Lukas hat eine ältere Tradition aufgenommen, die auch innerhalb dieser Rede ein eigenes Gewicht behält. Die Überlieferung vom Ende des Judas steht an einer wichtigen Stelle in den Act. Sie gehört in die Zeit zwischen Himmelfahrt und Pfingsten und setzt die Neukonstituierung des Zwölferkreises in Gang, die ihrerseits als Voraussetzung für das Pfingstwunder gelten kann.30 Act 5,1-11 und 12,18-25 sind aus25 26

27 28 29 30

Hdt, hist IV 165-167.200-205. Plut, Sull 36,3f: Λέγεται δέ των μεν πάνυ παλαιών "Ακαστον φθειριάσαντα τον Πελίου τελευτησαι, των δέ ύστερων 'Αλκμάνα τον μελοποιόν καί Φερεκύδην τον θεολόγον και Καλλισθένη τον Όλύνθιον έν είρκτη φρουρούμενον, ετι δέ Μούκιον τον νομικόν. εί δέ δει καί των απ' ούδενός μέν χρηστού γνωρίμων δέ άλλως έπιμνησθηναι, λέγεται τον αρξαντα του δουλικού πολέμου περί Σικελίαν δραπέτην, Εΰνουν δνομα, μετά την αλωσιν εις 'Ρώμην άγόμενον υπό φθειριάσεως άποθανεΐν (Plutarch's Lives, Vol. 4, ed. Β. Perrin, Cambridge/Mass. 1916). Nestle, Legenden 258. Aristot, hist an V 31, p.556b, 16ff; Plin, nat hist 36,138. Polyb III 11 und App, Syr 66 berichten von einer gewöhnlichen Erkrankung und einem unauffälligen Tod. Vgl. Haenchen, Apostelgeschichte 129.

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geführte Erzählungen, für die Lukas auf Vorlagen zurückgriff und die er an wichtigen Punkten seiner Komposition einfugte: Act 5,1-11 steht zwischen den Summarien über die Gütergemeinschaft und über die Wundertaten der Apostel. Mit dem Vergehen des Ehepaares endet die ideale Sünden- und konfliktfreie erste Zeit der Urgemeinde. Die Erzählung wird abgeschlossen mit einer Notiz über die wachsende Verbreitung der christlichen Botschaft. Act 12,18-25 schließt den ersten Teil der Acta ab. Der Tod des Herodes Agrippa I. beendet die erste Verfolgungswelle, durch die die Gemeinde Jakobus, der enthauptet wurde, verlor und ebenso Petrus, der sich - nach seiner wunderbaren Befreiung - versteckt halten musste. Der Zwölferkreis wurde nun nicht mehr ergänzt und die Aufmerksamkeit von Jerusalem abgezogen. Die neue Hauptfigur ist Paulus. Es beginnt eine neue Epoche, die durch die weitere Ausbreitung der christlichen Botschaft (12,24) und die beginnende Heidenmission bestimmt ist. Das Ende des Herodes ist auch das Ende der großen Zeit Jerusalems und der Anfang der Heidenmission. Im zweiten Teil der Act begegnet kein Fluchtod mehr.31 Zu erwähnen ist jedoch, dass Paulus auf Zypern Barjesus mit Blindheit schlägt (Act 13,11). Diese Einzelbeobachtungen ergeben ein Muster: Reinhard Kratz 32 hat darauf aufmerksam gemacht, dass Straf- und Rettungswunder in biblischen Erzählmustern verbunden sind. O. Wesley Allan 33 hat diese Beobachtung für den Aufbau der Acta fruchtbar gemacht: Orientiert an dem "Exodus-Muster" (Rettung Israels aus Ägypten und Tod des Pharao), folgen dem Tod Jesu die Vergeltung an Judas, dem Tod des Stephanus die Bekehrung des Paulus, die Züge einer Bestrafung trägt, und dem Tod des Jakobus sowie der Gefangennahme des Petrus die Bestrafung des Herodes Agrippa I.34 Mit dem Tod des Verfolgers beginnt jeweils eine neue Phase für die Kirche. 31

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Im zweiten Teil der Act tritt das Thema ohnehin zurück. Außer in Kap. 26 finden sich auch keine Hinweise mehr auf die Passion Jesu. Vgl. E. Richard, Jesus' Passion and Death in Acts, in: D. D. Sylva (ed.), Reimaging the Death of the Lukan Jesus, BBB 73, Frankfurt a.M. 1990, 125-152, 138. R. Kratz, Rettungswunder. Motiv-, traditions- und formkritische Aufarbeitung einer biblischen Gattung, EHS.T 123 Frankfurt a.M. u.a. 1979. Das Muster findet sich auch in der Märtyrertradition: Bedrohung, Tod und Errettung durch Gott gehören zusammen. Vgl. U. Kellermann, Das Danielbuch und die Märtyrertheologie der Auferstehung, in: J. W. van Henten (ed.), Die Entstehung der jüdischen Martyrologie, StPB 38, Leiden 1989,51-75, 58f. Allen, Death 93-108.200. St. Alkier, Hinrichtungen und Befreiungen: Wahn - Vision - Wirklichkeit in Apg 12. Skizzen eines semiotischen Lektüreverfahrens und seiner theoretischen Grundlagen, in: ders. und Ralph Brucker (Hg.), Exegese und Methodendiskussion, TANZ 23, Tübingen 1998, 111-133, 122 ist bei seiner syntagmatischen Analyse von Act 12 zu ähnlichen Ergebnissen gekommen: „Apg 12 erzählt, wie eine Mangelsituation ... - die Bedrohung der

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Im Vergleich mit den Darstellungen eines natürlichen Todes nehmen die der Fluchtode einen erheblich größeren Raum ein. Das gilt sowohl für die Funktion der Erzählungen für das Ganze als auch für das Gewicht der einzelnen Traditionen, die jetzt betrachtet werden sollen.

2.2.3 Der Tod des Judas Die Petrusrede, die die Nachwahl des Matthias vorbereitet, hat Lukas aus zwei älteren Traditionen kombiniert, die in den V. 18-20 zum Tod des Judas35 und in den V.23.25f zur Wahl des Matthias zu suchen sind.36 Die Perikope lässt sich in drei Teile gliedern:37 V.15 leitet die Petrusrede ein. Dem folgt in V.16.17 die Einführung des Judasthemas. Lukas stellt das Geschick des Judas als Teil des göttlichen Heilsplans dar und weist auf das in V.20 folgende Schriftzitat voraus. Auf seine Schuld wird mit dem Stichwort οδηγός, das an Lk 22,47 erinnert, verwiesen. V.18 berichtet vom Geschick des Judas in drei

/Gemeinde/... - durch eine Reihe von Transformationen behoben wird ... Als Bestätigung ... der Aufhebung des Mangels wird abschließend die Fortsetzung der durch die Bedrohung der /Gemeinde/ behinderten Ausbreitung des /Wortes Gottes/ notiert ..." M.E. verschleiert diese Analyse, die sich allerdings bewusst auf Act 12 beschränkt, die Dynamik der lukanischen Komposition. (1) Act 12 steht in einer längeren Reihe. Der Mangel zu Beginn des Kapitels weist auf die vorigen Bedrohungen zurück und steigert sie. (2) Der Mangel wird nicht einfach behoben. Die Ausbreitungsnotiz am Ende setzt nicht eine unterbrochene Bewegung fort, sondern zeigt einen qualitativen Sprung an. Petrus verschwindet am Ende von Kap. 12 aus der Erzählung; Jerusalem verliert seine zentrale Rolle. Die in Act 12 geschilderte Bedrohung wird nicht zurückgenommen; es geht nicht weiter, als sei nichts geschehen. Die Verfolgung durch Herodes hat einen nicht wieder gutzumachenden Schaden angerichtet. Er dient aber wiederum der weiteren Ausbreitung des Wortes. Die Vorstellung erinnert eher an die Theologie der Josephsnovelle (vgl. Gen 50,20). Die Analyse Alkiers entspricht vielmehr der Vorstellung von 2 Makk. Hier erscheint die Verfolgung als Unterbrechung eines idealen Zustands. Vgl. J. W. van Henten, Das jüdische Selbstverständnis in den ältesten Martyrien, in: ders., Entstehung 127-161, 133. 35

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Dass ein Traditionsstück vorliegt, ist alleine schon wegen der unabhängigen Überlieferung in Mt 27,3-10 plausibel. Stilistische Besonderheiten sowie die Übersetzung des aramäischen Ortsnamens durch Petrus vor dem Apostelkreis unterstützen diese These. Vgl. Klauck, Judas 101. M. Wilcox, „The Judas Tradition in Acts 1.15-26.", NTS 19 (1972/73) rekonstruiert für die Verse 17.18a. I9b eine aramäische Vorlage, die Lukas bereits auf Griechisch vorgelegen und um die herum er die Petrusrede konstruiert habe. Diese Rekonstruktion betrifft jedoch nicht 18b, die Beschreibung des Todes des Judas, die keinerlei Nähe zu einem biblisch geprägten Griechisch zeigt. Vgl. Klauck, Judas 101.

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Schritten: Er kauft ein Grundstück38, stürzt vornüber, zerbricht in der Mitte und sein Inneres wird ausgeschüttet. Dass er in der Folge dieses Unfalls stirbt, wird nicht eigens erwähnt. Es folgt die Ätiologie eines Jerusalemer Grundstücknamens, Hakeldamah, als Blutacker. Der Name wird volksetymologisch auf den Tod des Judas zurückgeführt. Der Abschnitt schließt mit zwei Schriftzitaten. Das erste, Ps 69,29 formuliert eine Verwünschung der Feinde des Verfolgten. Ps 69 wurde zur Deutung der Passion Jesu (Mk 15,36) herangezogen; Judas konnte folglich leicht als Feind dieses Verfolgten identifiziert werden. Das zweite Schriftzitat (Ps 109,8 LXX) ist von Lukas angefügt und hat die Funktion, den Übergang zur Nachwahl des Matthias vorzubereiten. Die Darstellung des Judastodes ist seltsam. Das Geschehen ist rätselhaft und die Wortwahl ungewöhnlich.40 Das betrifft den Ausdruck πρηνής γενόμενος. Πρηνής ist Hapaxlegomenon im NT. Das Wort bedeutet „vornüber, kopfüber". 41 In der LXX ist das Wort ebenfalls selten: Es begegnet viermal, davon dreimal in 3 Makk und einmal in SapSal. In 3 Makk bezieht es sich auf den Plan, den Jerusalemer Tempel zu zerstören, der anscheinend „vornüber" kippen soll (3 Makk 5,43), und auf Menschen, die sich in Erwartung ihres Todes bzw. der wunderbaren Errettung auf den Boden (offenbar auf den Bauch, da Säuglinge vorher von der Brust genommen werden) geworfen haben (3 Makk 5,50; 6,23). SapSal 4,19 beschreibt das Schicksal der Ungerechten und der Feinde Gottes. Gott wird die zum Schweigen Gebrachten vornüber stürzen (ρήγνυμι). Auffallend ist, dass beide Bücher in das Ägypten des 1. Jahrhunderts v.Chr. gehören (und wohl nicht auf eine semitische Vorlage zurückgehen). Im paganen Sprachgebrauch ist das Wort

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V.18 verwendet χωρίον; das bezeichnet ein Grundstück und nicht ein Landgut. Klauck, Judas 102 gegen Haenchen, Apostelgeschichte 125. Die Textform entspricht weder der LXX noch dem MT. Vermutlich gehört das Zitat noch zur vorlukanischen Tradition. Klauck, Judas 107. Die Darstellung bei Papias Frgm 6 und in der weiteren legendarischen Überlieferung (ActPetr 8; ActJoh 96; ActThom 32.84; Pilatusakten 1 [K. v. Tischendorf (ed.), Evangelia Apocrypha, Hildesheim 1966, 290] und die mittelalterlichen Judaslegenden in der legenda aurea [zusammengestellt bei P. F. Baum, The Mediaeval Legend of Judas Iscariot, PMLA 31, 1916, 481-632] nimmt den Topos vom Gottesverächter verstärkt auf. In Act 1,18 ist das m.E. jedoch nur angedeutet und weniger deutlich als H. Conzelmann, Die Apostelgeschichte, HNT 7, Tübingen 21972, 28; J. Jervell, The Theology of the Acts of the Apostles, New Testament Theology, Cambridge u.a. 1996, 125; R. Pesch, Die Apostelgeschichte. 1. Teilband (Apg 1-12), EKK V/1, Zürich u.a. 1986, 214 meinen. Die typischen Todesarten sind hier eben noch nicht genannt. Als Parallele kommt allenfalls das Ende des Neffen des Ahiqar, des Nadan, in Frage. (Diskutiert bei Klauck, Judas 117.) Einzuwenden ist, dass Nadans Tod nur in der jüngeren (nachchristlichen) Fassung der Ahiqarlegende erhalten ist, so dass der Tod des Judas die Darstellung des Endes des Nadan beeinflusst haben könnte. Etymologisch erklärt es sich aus προ und α ν η ς - „vor" und „Gesicht" (Mund, Nase); ähnliche Worte sind προσανής „freundlich; zugewandt" und άπανής „abweisend".

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dagegen verbreitet. Die Verbindung mit γίγνομαι 42 begegnet zumindest nicht regelmäßig. (Josephus konstruiert mit πίπτω). Für die Vorstellung, Judas fiele vom Dach43 oder von einem Felsen44, findet man m.E. im Text keine Anhaltspunkte. Hans-Josef Klauck45 hat vorgeschlagen, die Wendung vor dem Hintergrund von SapSal 4,19 zu verstehen und als Bild das Vornüberfallen einer Götterstatue anzunehmen. Dem steht entgegen, dass die beiden folgenden Beschreibungen organische Vorstellungen voraussetzen, wie sie zu einer Götterstatue aus Metall oder Holz schlecht passen. Hinzu kommt, dass 1 Sam 5 das Vornüberfallen Dagons mit πίπτειν εις πρόσωπον beschreibt.46 In der älteren Forschung wurde die Meinung vertreten, πρηνής sei ein medizinischer Terminus, der πρησθείς (von πίμπρημι) nahe stehe.47 Auch der Ausdruck έλάκησεν μέσος ist eigenartig. Auch λ α κ ά ω ist ein Hapaxlegomenon im NT. Die Normalform λ ά σ κ ω ist als „mit Getöse platzen, krachen" zu übersetzen. In ActThom 23 platzt (λάσκω) der Drache,48 nachdem er sein eigenes Gift einsaugen musste. Aristoph, nub 408-410 platzt eine Wurst.49 In beiden Fällen

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F. H. Ely, On ΠΡΗΝΗΣ ΓΕΝΟΜΕΝΟΣ in Acts 1 18, JThS 13 (1912) 278-285, 279 nennt den Ausdruck „wofully feeble" (sic!). Haenchen, Apostelgeschichte 125. Conzelmann, Apostelgeschichte 29. Klauck, Judas 103. Auch in der von Klauck angegebenen Stelle Jes 8,14f ist die Terminologie anders. M.E. betrifft das auch die Vorstellung von den körperlichen Geschehnissen. Die Argumente bringt Ely zur Geltung: (1) πίμπρημι und πρήθω seien synonym und bedeuteten „anschwellen, anfachen, verbrennen". Lukas kenne πίμπρημι (Act 28,6), πρήθω verwende Num 5,21f.27. Es bezeichne in medizinischer Terminologie die Entzündung. Πρηνής könne zum Wortfeld gehören, auch wenn es als medizinischer Terminus nicht nachgewiesen sei. (2) Die Konstruktion mit γίγνομαι sei - wenn πρηνής ein medizinischer Terminus sei - normal. (3) Dazu würde das folgende Verb mit Verweis auf Aristoph, nub 410 und ActThom 33 gut passen. (4) Die armenische Version der Act, von der Ely meint, sie ginge auf die alte syrische zurück, liest: „er schwoll an". (5) Πρηνής in SapSal 4,19 ist in der Vulgata mit „inflato" übersetzt wie Num 5,27. Die Armenische Version übersetzt ebenfalls mit „angeschwollen". (6) ActThom 33 beschreibt das Geschehen, das dem Platzen des Drachens vorangeht, mit φυσασθαι. Das entspreche der Vorstellung in Pap, Fragm 6 und Act 1,18; dass ActThom 33 an Act 1,18 orientiert sei, sei an den Verben λ ά σ κ ω und έκχέω erkennbar. Die Auslegungsgeschichte zeige überdies, dass in der Antike der Vers im o.g. Sinn verstanden worden sei. Vgl. das Geschick des Drachens in ZusDan, Bei 27: Nachdem der Drache den Kuchen aus Pech, Fett und Haaren gefressen hat, platzt er (διαρρήγνυμι). Lukas verwendet das Verb in Lk 8,29, um das Zerreißen der Fesseln, mit denen der Gerasener gehalten wird, zu beschreiben. Auch hier ist die Vorstellung dämonisch konnotiert. Aristoph, nub 408-410: νή Δί' έγώ γουν άτεχνώς επαθον τουτί ποτε Διασίοισιν. όπτών γαστέρα τοις συγγένεσιν κςϊτ' ούκ εσχων άμελήσας, ή δ' ο.ρ' έφυσατ', εΐτ' εξαίφνης δ ι α λ α κ ή σ α σ α προς αύτώ τώφθαλμώ μου προσετίλησεν και κατέκαυσεν το πρόσωπον. „I had the same experience myself at Zeus' festival, roasting a sausage for my kinsmen: I forgot to make a slit; suddenly it bloated up and bam! went off just like a bomb, singeing both my eyebrows off and covering my face

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geschieht das aufgrund eines großen inneren Drucks. Für den Tod des Judas bedeutet das, dass das Zerplatzen nicht als Folge seines Fallens verstanden werden soll; das wäre übrigens auch medizinisch nicht vorstellbar.50 Ebenfalls eigenartig ist der Ausdruck έξεχύθη πάντα τά σ π λ ά γ χ ν α αύτου. Έ κ χ έ ω bezeichnet im biblischen Gebrauch in der Regel das Ausschütten von Flüssigem (Blut und Wasser) oder von Pneuma und Pneumaartigem wie Zorn und andere Gefühle (Act 2,17 [= Joel 3,1 LXX]; Offb 16,1), nicht jedoch das von Festem." Τά σ π λ ά γ χ ν α ist in der Bedeutung Eingeweide für den biblischen Sprachgebrauch ebenfalls ungewöhnlich und filr das NT einmalig, im paganen Griechisch jedoch üblich.52 In Verbindung mit der Vorstellung des Gießens ist wohl anzunehmen, dass die Eingeweide nicht nur herausgetreten, sondern ebenfalls zerplatzt sind, so dass sich der Darminhalt ergoss.

Die Aufmerksamkeit für die körperlichen Vorgänge beim Tod des Judas ist ausgeprägt. Auch wenn sich kein medizinisch konsistentes Krankheitsbild ergibt, gilt doch, dass die Tradenten und Tradentinnen53 sich ein zusammenhängendes Bild des Geschehens gemacht haben.54 Zu dieser Vorstellung könnte gehört haben, dass Judas zu Boden fällt, sein Bauch aufgrund eines inneren Druckes, etwa einer Schwellung55, aufplatzt und sich der Inhalt seiner

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with guts." Griechischer Text nach K. J. Dover, Aristophanes, Clouds, Oxford 1968; englischer Text nach J. Henderson, Aristophanes, Clouds, Cambridge/Mass. 1998. Vgl. aber Η. Strack und P. Billerbeck, Das Evangelium nach Markus, Lukas und Johannes und die Apostelgeschichte. Erläutert aus Talmud und Midrasch, München 1924, 595: Chullin 56b. Hier fallt der betroffene jedoch vom Dach des Hauses und erfährt anschließend eine Wunderheilung. Der Bericht ist deswegen besonders ungewöhnlich, weil Bauchöfihungen in der Antike wegen des hohen Infektionsrisikos als tödlich galten. Ausnahmen sind Lev 4,12, wo das Objekt Asche ist, und Lev 14,41, wo es Lehm ist. In beiden Fällen ist von amorphen Festkörpern die Rede. Vgl. H. Köster, Art. σ π λ ά γ χ ν ο ν κ τ λ , ThWNT VII (1964) 548-559. Der Sprachgebrauch des Verses ist für die neutestamentliche und darüber hinaus für die biblische Sprache so ungewöhnlich, dass ich eine Urfassung in Aramäisch und überhaupt die Entstehung in jüdischen Kreisen für unwahrscheinlich halte. Wie sich diese Beobachtungen dazu verhalten, dass diese Ausdrücke gerahmt sind von Hinweisen auf ein Jerusalemer Grundstück, dessen Namen überdies auf Aramäisch wiedergegeben wird, ist mir rätselhaft, zumal die Beziehung zum Blutacker dunkel bleibt; gerade von Blut ist beim Tod des Judas keine Rede. In den Katakomben unter der Via Latina in Rom fmdet sich ein Fresko, das in die 1. Hälfte des 4. Jahrhunderts n.Chr. datiert wird und vielleicht Act 1,18 und die dort geschilderte Verletzung darstellt. Dafür spricht sich (vorsichtig) E. R. Goodenough, Catacomb Art, JBL 81 (1962) 113-142, 129 aus. Zu den möglichen Deutungen vgl. L. Kötzsche-Breitenbruch, Die neue Katakombe an der Via Latina. Untersuchungen zur Ikonographie der alttestamentlichen Wandmalereien, JAC.E IV (1976) 45 Anm. 267f. Für den Hinweis auf dieses Fresko danke ich Herrn Prof. Dr. Werner F. Kümmel, Medizin-Historisches Institut, Mainz. Wegen der Verbindung mit λ ά σ κ ω halte ich die Position der älteren Forschung für

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ebenfalls geplatzten Därme ergießt. Die Vorstellung lässt sich m.E. am besten als vorgezogener Verwesungsprozess verstehen. Zwar kommt es auch dabei tatsächlich - trotz vehementer Aufblähung gerade der Bauchhöhle - nicht zum Zerplatzen, befurchtet werden kann dies aber. Dass der noch lebende Mensch in Verwesung übergeht, gehört zum Topos vom Tod des Gottesverächters. Der Tod des Judas wird als Gericht Gottes wahrgenommen und dargestellt.56 Dass er als durch die Schrift vorhergesagt gilt, bestärkt diese Deutung.57 Der Tod des Judas wird in Mt 27,3-10 und bei Papias, Frgm 6 ebenfalls überliefert. Matthäus berichtet von dem Selbstmord des Judas. Wie in Act 1,19 wird der Blutacker erwähnt und mit dem Tod des Judas (anders allerdings als bei Lukas) ätiologisch in Verbindung gebracht. Bei Papias wird die Erkrankung des Judas ausführlich geschildert. Die wichtigsten Merkmale dieser Überlieferung sind eine starke Anschwellung58 besonders des Kopfes, daraus folgend Erblindung, Geschwüre und Wurmbefall59, begleitet von einem starken Gestank. Judas wird begraben, sein Grab jedoch gemieden, weil seine Leiche den Boden verseucht und Gestank verbreitet. Diese Überlieferungen sind nicht direkt voneinander abhängig.60 Allen gemeinsam sind die Rückbezüge auf

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plausibel und meine, dass πρηνής eine Form der Entzündung oder Anschwellung bezeichnen könnte. Dann ist vorgestellt, dass der Körper des Judas anschwillt und er anschließend zerplatzt; von einem Sturz wäre gar nicht die Rede. J. A. Fitzmyer, The Acts of the Apostles, AncB 31, New York u.a. 1998, 218 meint, dass es Lukas nicht auf Judas und die Art seines Sterbens ankäme; er berichte davon lediglich, um die Nachwahl des Matthias vorzubereiten, der sein eigentliches Augenmerk gelte und worauf auch das δεΐ zu beziehen sei. Der Leser solle lernen, dass auch Leitungsfiguren ein böses Ende nehmen können und das Gebet der Gemeinde die schlimmen Folgen eines solchen Geschehens wieder gutmachen könnte. W. Schmithals, Die Apostelgeschichte des Lukas, ZBK.NT 3/2, Zürich 1982, 26 denkt ähnlich. Dem ist entgegenzuhalten, dass (1) die Figur des Judas keineswegs nur als Leitungsfigur begegnet, sondern als diejenige, die die Passion Jesu verschuldet hat und zudem von Satan besessen war; Judas ist damit die Verkörperung des Gegenspielers Gottes und für das Evangelium eine wichtige Figur. Hinzu kommt, dass (2) für die Act die Vorstellung vom strafenden Handeln Gottes wichtig ist und wieder begegnet (Act 12,23; 5,1-11). Dass Lukas die Legende vom Tod des Verräters in den Bericht von der Nachwahl des Matthias eingearbeitet hat - wenn nicht Wilcox, Judas Tradition, Recht zu geben ist und die Verräterperikope die ältere ist, um die sich die anderen Notizen gelegt haben - , widerlegt das nicht. Sie zeigt vielmehr, dass der Jüngerkreis weiterlebt, so wie Jesus weiterlebt - trotz Satans Macht. Hier begegnet der erste Schrifthinweis in den Act. Vgl. Jervell, Apostelgeschichte 123. Im Hintergrund steht das Fluchwasserritual Num 5, 11-31. Papias hebt den starken Befall des Genitalbereiches hervor. Das könnte an eine Bedeutungsnuance von τα σ π λ ά γ χ ν α anknüpfen, das in besonderer Weise auch den weiblichen Uterus bzw. den Sitz der männlichen „Zeugungskraft" (Köster, Art. σ π λ ά γ χ ν ο ν 548) bezeichnen kann. Die Verbindung mit den Ps 109,19 und 69,23 könnte jedoch erklären, wie Papias die

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die Schrift, die Verbindung mit einem Grundstück und Topoi aus der Gattung vom Tod des Gottesverächters.

Mit dem Gericht über Judas erweist sich Gott wieder als alleiniger Herr über die Geschehnisse in der entstehenden Kirche. Lk 22,3 hatte davon erzählt, wie Satan in Judas fuhr und damit das Passionsgeschehen eröffnet. Nun verliert Satan seinen Agenten. Es folgt eine Zeit, in der Satan keine Macht hat. Die erste Zeit der Urgemeinde - die mit dem Pfingstereignis beginnt - ist eine von satanischen Einflüssen freie Epoche, eine "goldene Zeit". Darin gleicht sie der Zeit von Jesu Wirksamkeit, die, nachdem Jesus Satan widerstanden hatte (Lk 4,13), bis zum Beginn der Passion ebenfalls als frei vom Wirken des Bösen dargestellt wird.

2.2.4 Der Tod von Hananias und Saphira Der Tod von Hananias und Saphira wird zwischen die Summarien über die Besitzverhältnisse in der Gemeinde (Act 4,32-37) und über die Wundertaten der Apostel (Act 5,12-16) eingefugt. Die Legende ist in beide Themenbereiche hinein verwoben: Das Delikt, das Hananias und Saphira zur Last gelegt wird, hat mit Besitz - einem fur Lukas bekanntlich wichtigen Thema - zu tun; das Ehepaar wird als negatives Beispiel im Kontrast zu Barnabas (Act 4,36f) gezeichnet.61 In Act 5,1-11 wird wie Act 5,12-16 von der Wunderkraft der Apostel, hier des Petrus erzählt. Daniel Marguerat hat darauf aufmerksam gemacht, dass in 5,11 erstmals von der ε κ κ λ η σ ί α die Rede ist. „Ac 5.1-11 raconte comment la communauté des croyants, jusqu'ici rangée sous le terme indéterminé πλήθος (4.32; cf. 5.14; 6.2), acquiert le statut d'assemblée du peuple de Dieu (εκκλησία); elle l'acquiert par l'action du jugement de Dieu, qui exclut du milieu d'elle ceux qui ne sont pas 'un seul cœur et une seule en âme' (5.32)." 62

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Symptome der Erkrankung des Judas konstruierte: Anschwellen und Erblinden werden dort erwähnt. Die Verbindung von Judaslegende und Psalmen ist dann als vorlukanisch anzusehen; vgl. Lüdemann, Christentum 40. Dass Papias, Frgm 6 und Act 1,18 unabhängig voneinander sind, ist mir nicht plausibel. Die Vorstellung der Verwesung und die Konzentration auf den Bauchraum und die Geschlechtsorgane ist beiden gemeinsam. Was bei Lukas angedeutet ist, führt Papias aus. Ch. Κ. Barrett, The Acts of the Apostles I, ICC, Edinburgh 1994, 261; Fitzmyer, Acts 315; M. Dibelius, Stilkritisches zur Apostelgeschichte, in: ders., Aufsätze zur Apostelgeschichte, hg. von H. Greeven, FRLANT 60, Göttingen 1961, 9-28, 21. D. Marguerat, La Mort d'Ananias et Saphira (Ac 5.1-11) dans la Stratégie narrative de Luc, NTS 39 (1993) 209-226, 217.

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Act 5,1-1163 gliedert sich in zwei Szenen.64 Die Verse 3-6 erzählen von Hananias, die Verse 7-10 von Saphira. Die Verse 1.2 leiten die Erzählung ein, indem sie die Personen vorstellen und ihr Handeln schildern.65 V. 11 schließt mit einer Bemerkung über die Reaktion der Gemeindemitglieder und der Außenstehenden ab. Die erste Szene gibt die Rede des Petrus wieder (V.3f) und schildert den Tod des Hananias (V.5); es kommt nicht zu einem Dialog. Petrus erkennt den wahren Sachverhalt, deutet ihn theologisch („Satan hat dein Herz erfüllt") und moralisch („warum hast du ...?") und spricht schließlich ein Urteil („du hast Gott belogen"). V.4 wiederholt und modifiziert die Aussagen von V.3. Es könnte sich um eine vorhikanische oder lukanische66 redaktionelle Erweiterung handeln. V.3 erkennt das Vergehen in der mangelhaften Normerfullung: Das Ehepaar hätte vollständig auf seinen Besitz verzichten müssen; das haben sie jedoch unterlassen. Die Lüge wird erwähnt, steht aber nicht im Mittelpunkt.67 Das ist in V.4 anders. Hier wird ausdrücklich festgehalten, dass Hananias frei war im Umgang mit seinem Besitz. Das Vergehen besteht ausschließlich in der Lüge über den wahren Sachverhalt. In beiden Versen geht es um den Grad der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft, um die vollständige Hingabe. Das betrifft entweder das Äußere, die Hingabe des Besitzes, oder das Innere, die vollständige Aufrichtigkeit. Die zweite Szene gibt den Dialog zwischen Petrus und Saphira wieder; die Deutung von V.4 wird aufgenommen und ausgestaltet. In der ersten Szene wird das kritisierte Verhalten mit ψεύδομαι, in der zweiten mit πειράζω formuliert. Belogen wird το πνεύμα αγιον (V.3), θεός (V.4) und το πνεύμα κυρίου (V.9). Der Tod tritt bei beiden plötzlich ein (V.5: άκούων - πέσων - έξέψυχεν; V.IO: επεσεν παραχρήμα - κ α ί έξέψυχεν). Έ κ ψ ύ χ ω ist auch in Act 12,23 verwendet und schildert dort einen Straftod. Darüber hinaus wird das Wort im NT nicht gebraucht. Die Funktion des Petrus ist schillernd: Hananias gegenüber ist von Strafe und Tod nicht die Rede. Der Tod des Hananias tritt ein, ohne dass - über die zeitliche Folge hinaus - eine ursächliche Beziehung ausgedrückt wird. Saphira gegenüber kündigt Petrus den Tod an. Auch hier wird kein Fluchwort o.ä. überliefert. Petrus sieht also einerseits nur das Kommende voraus, weil er die Herzen erkennt, andererseits aber erfolgt der Tod auf sein Wort hin.68

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Marguerat, Mort 21 Of hat fünf Auslegungstypen fur die Perikope rekonstruiert und damit die Forschung übersichtlich zusammengefasst. Fitzmyer, Acts 318 hat Marguerats Typisierung aufgenommen und als sechstes Modell dessen eigene Auslegung ergänzt. Fitzmyer, Acts 316; R. F. O'Toole, You did not lie to us (Human Beings) but to God? (Acts 5,4c), Bib. 79 (1995) 182-209, 185f. Die Lesenden erhalten also Kenntnisse, die über das hinausgehen, was den Figuren in der Erzählung bekannt ist. Was Petrus auf übernatürlichem Wege erkennt, wird ihnen mitgeteilt. Vgl. Lüdemann, Christentum 69. In diesem Fall steht die Erweiterung in Spannung zu Act 4,32. Die Deutung der Erzählung von Jos 7,1-26 her, wo das Vergehen des Achan mit νοσφίζομαι ausgedrückt wird, nimmt die Vorstellung aus V.3 auf. Das Motiv der Lüge spielt in Jos 7 keine Rolle. Achan gesteht sein Vergehen, sobald er befragt wird. Er wird freilich auch mit dem Tod (durch Steinigung) bestraft. Schmithals, Apostelgeschichte 56 deutet das Vergehen des Ehepaars als den Versuch, sich Unterstützung aus der Armenkasse (Act 4,34f), also aus dem Eigentum Gottes, zu erschleichen, und findet so die Analogie zu Jos 7.

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Act 5,1-11 gehört zur Gattung der bestrafenden Normenwunder.69 Henriette Havelaar70 hat darauf aufmerksam gemacht, dass Einzelzüge ungewöhnlich für die Gattung sind: Das Fehlen von Angaben über die Todesart, die Plötzlichkeit des Todes und der Verzicht auf eine Möglichkeit zur Buße. Sie schlägt erneut vor, diese Merkmale als Kennzeichen einer Exkommunikationserzählung71 zu verstehen. Obgleich ihr das nicht überzeugend gelingt,72 ist daran festzuhalten, dass Act 5,1-11 die Grenzen der Gruppe thematisiert. Erstmals werden Menschen ausgeschlossen. Dadurch erhält die Gruppe erkennbare Grenzen, die beschrieben und verteidigt werden können. Aus einer Ansammlung von Gleichgesinnten wird eine sozial fassbare Gruppe, aus einem Gemeinschaftsgefühl wird eine Gruppenidentität, aus πλήθος wird εκκλησία. Möglicherweise lässt sich von dieser Deutung her verstehen, warum über das Ehepaar eine derart drastische Strafe verhängt wird.73 Die Gruppenidentität wird in den Kategorien von Reinheit und Unreinheit sowie in denen von Gut und Böse ausgedrückt. 68

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Von Paulus wird in Act 13,6-12 ein vergleichbares Strafwunder berichtet; Paulus straft dort den „Zauberer und falschen Propheten" Barjesus mit zeitweiliger Blindheit. Wie in der Papiasdarstellung des Judastodes begegnet auch hier Blindheit als ein dem Fluchtod benachbartes Phänomen. Z.B. G. Theißen, Urchristliche Wundergeschichten. Ein Beitrag zur formgeschichtlichen Erforschung der synoptischen Evangelien, StNT 8, Gütersloh 1974, 117; O'Toole, You did not 183; Lüdemann, Christentum 70f. H. Havelaar, Hellenistic Parallels to Acts 5.1-11 and the Problem of Conflicting Interpretations, JSNT 67 (1997) 63-82, 77. Sie greift damit auf die Auslegungstradition zurück, die z.B. auch Schille, Apostelgeschichte und Lüdemann, Christentum vertreten. Traditionell wird auf 1 Kor 5,1-5 und Mt 18,15-20 und als außerbiblischen Beleg auf 1QS VI 24-27 verwiesen. Sie verweist als Parallele auf den Bericht des Jamblichos über die Pythagoräer (vit Pyth 17,73,1-2), die abgewiesenen Bewerbern einen Grabstein aufstellten und diese wie Tote nicht mehr zur Kenntnis nahmen. Indem sie zudem das Delikt des Ehepaars als „crime against god" (79) in die Nähe der Blasphemie rückt, findet sie in dem Bericht des Jos, bell 2,145f eine Parallele, wonach bei den Essenern Blasphemie mit der Todesstrafe geahndet wurde. Die einschlägigen Qumrantexte (1 QS VI 26-7,2; VIII 22-24) erwähnen zwar den Ausschluss, nicht jedoch die Todesstrafe. Jos, bell nennt als Grund für die Todesstrafe Blasphemie gegen den Gesetzgeber, womit Mose gemeint ist. M.E. tragen diese Stellen nichts dafllr aus, die Rigorosität der Bestrafung in Act 5,1-11 besser zu verstehen. Der Jamblichtext gebraucht die Rede von Ausgeschlossenen als Toten metaphorisch. Die Qumrantexte selbst sprechen nicht vom Tod, wenngleich dieser für die Ausgeschlossenen bei Aufrechterhaltung der Reinheitsanforderungen eine bedrohliche Möglichkeit war. Josephus spricht anscheinend von der Todesstrafe bei Gebotsübertretungen. Ungewöhnlich daran ist nur die Mutmaßung, die Essener hätten dazu unter römischer Herrschaft das Recht besessen. Es hat zahlreiche Versuche gegeben, das Missverhältnis zwischen Vergehen und Strafe zu deuten. Einen Überblick darüber z.B. bei Weiser, Apostelgeschichte 1, 138.

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Mit den Kategorien von Reinheit und Unreinheit wird die soziale Wirklichkeit geordnet.74 Mit der Lüge von Hananias und Saphira ist das Thema innere Reinheit angesprochen. Die Vorstellung der inneren Reinheit entstand im griechisch-römischen Raum im 4. Jahrhundert v.Chr. im Zusammenhang des Asklepioskultes.75 Von Beginn an war sie hier mit Krankheit und Heilung verbunden.76 Eine Inschrift eines privaten Kultvereins in Philadelphia77 zeigt eine enge Parallele zu den Vorstellungen in Act 5,1-11. Dort heißt es: „... άποστερουντες δέ μηδέν εύνοεΐν τώι οϊκωι τώιδε, καί έάν τις τούτων τι ποιήι ή έπιβουλεύη, μήτε έπιτρέψειν μήτε παρασιωπήσειν, άλλ' έμφανιεΐν καί άμυνεΐσθαι .,."78 Als strafwürdig gelten und kultunfähig machen nicht nur Taten, sondern auch Gedanken und deren Verheimlichung. „Verurteilt wird hier nicht bloß die böswillige Tat und die böswillige Absicht, sondern vor allem die böswillige Verheimlichung der bösen Intention, die Inkonsequenz zwischen Wort und Tat."79 Die Gruppe toleriert keine differenzierte Mitgliedschaft; sie fordert die totale Zugehörigkeit, die keine geheimen Gedanken, keine Distanz, keinen inneren Privatraum zulässt. Der private Kultverein in Philadelphia zählte - wie die christlichen Gemeinden - Männer und Frauen, Sklaven und Freie zu seinen Mitgliedern (Zeile 5f). In beiden Fällen korrespondiert also der Überschreitung der sozialen Grenzen, die traditionell durch Reinheitsvorschriften geschützt waren, eine Radikalisierung der Reinheitsvorstellung nach innen. Damit Gruppen, die althergebrachte soziale Grenzen missachten, überhaupt Abgrenzungen vornehmen und damit Identität beschreiben können, greifen sie auf die Vorstellung des Inneren, der ΟΛ

Gedanken, Gefühle und Absichten zurück. Diese Radikalisierung erfolgt als Moralisierung.81 Das führt zur Kategorie von Gut und Böse. Act 5,1-11 stellt 74

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Vgl. M. Douglas, Reinheit und Gefährdung. Eine Studie zur Vorstellung von Verunreinigung und Tabu, Frankfurt a.M. 1988, passim; Β. J. Malina, Die Welt des Neues Testaments. Kulturanthropologische Einsichten, Stuttgart u.a. 1993, 148-154. Auch die griechisch-römischen Parallelen für das Strafwunder weisen auf das Asklepiosheiligtum nach Epidauros. Vgl. Weiser, Apostelgeschichte 1, 14lf. Natürlich hat die Vorstellung von der inneren Reinheit auch eine alttestamentliche Vorgeschichte. Diese ist an dem Motiv des „reinen Herzens" festzumachen, das aber m.W. nicht mit Strafwundern oder Exkommunikationen verbunden worden. Vgl. A. Chaniotis, Reinheit des Körpers - Reinheit des Sinnes in den griechischen Kultgesetzen, in: J. Assmann und Th. Sundermeier (Hg.), unter Mitarbeit von Henning Wrogemann, Gewissen und Person, StVR9, Gütersloh 1997, 142-179, 152f. Der Text ist bei S. C. Barton and G. H. R. Horsley, A Hellenistic Group and the New Testament Churches, JAC 24 (1981) 6-41 neu veröffentlicht und kommentiert. Zeilen 23b-25, Barton/Horsley, Group 8. Chaniotis, Reinheit 161. Vgl. die Angaben zum Umgang mit Verrätern, ebd. 156. Insofern bereitet Act 5,1-11 hier Act 10 vor. Vgl. Chaniotis, Reinheit 158.163f.

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mit Petrus und dem Ehepaar Gott und Satan einander gegenüber. Darauf haben Marguerat und O'Toole aufmerksam gemacht. Marguerat versteht die Erzählung als Midrasch zu Gen 3 82 und sieht in der Bestrafung die Vorwegnahme des eschatologischen Gerichts.83 O'Toole deutet die Erzählung als Parallele zur Versuchung Jesu. So wie Jesus vom Satan nicht betrogen werden konnte, widersteht auch die Kirche in Gestalt des Petrus dessen Betrug.84 Act 5,1-11 ordnet die Gemeinde in das Kräftespiel von Gott und Satan ein. Diese bleibt dabei dem satansfreien Raum zugeordnet. Die Haltung verrät dualistische Ansichten. Das frühe Christentum erscheint in der Darstellung der Act als eine Religion, die nicht bereit ist, das Übel als Bestandteil der Wirklichkeit hinzunehmen, sondern davon ausgeht, dass es ausgeschieden werden kann.85 Die geringe Aufmerksamkeit, die der natürliche Tod in den Act findet, entspricht dem: Der Tod, das Übel und die Unreinheit par excellence, werden als Bestandteil der alltäglichen Wirklichkeit nicht wahrgenommen; sie gehören vielmehr in den Bereich des Bösen und können zurückgedrängt werden.86 Mit der Erzählung vom Ende des Judas hat Act 5,1-11 die Rede vom Einwirken des Satans, die Bedeutung des Themas Besitz und die Vorstellung von Unreinheit gemeinsam.

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Marguerat, Mort 222f. Dass Marguerat, Mort 221 zwischen ethischen und religiösen Delikten scharf trennen will, ist m.E. unangemessen. Die Kategorie der Reinheit verbindet beide Aspekte zu einem Komplex. O'Toole, You did not 182.209. Vgl. Douglas, Reinheit 213215 zu William Tylors Unterscheidung von "schmutzbejahenden und schmutzverneinenden" Philosophien. Von hier aus erschließt sich kulturanthropologisch die geringe Bedeutung des Sühnegedankens für die lukanische Theologie. Die Märtyrertheologie wie sie in den Makkabäerbüchern begegnet, verbindet die Themen Tod, Sünde und Sühne signifikant anders: Die Märtyrer sterben aufgrund des Zornes Gottes über das sündige Volk und sie hoffen, dass dieser Tod Sühne für die Sünden des Volkes bewirkt. Vgl. van Henten, Selbstverständnis 142. Der Tod hat in dieser Konzeption eine die Sünder integrierende Funktion, er ermöglicht, dass sie in der Gemeinschaft bleiben können. Sollte Act 5,1-11 in Verbindung mit Vorstellungen, wie sie in 1 Thess 4,13-18 formuliert sind, entstanden sein, verstärkt das diese Beobachtung. Weil der natürliche Tod zweier Gemeindemitglieder unverständlich und in der frühchristlichen Konzeption von Wirklichkeit "nicht vorgesehen" ist, wird er in Act 5,1-11 in einen Fluchtod umgewandelt.

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2.2.5 Der Tod des Herodes Agrippa I. Die Perikope Act 12,18-25 trennt den ersten vom zweiten Teil der Act und schließt an die Hinrichtung des Jakobus sowie die Verhaftung und wunderbare Errettung des Petrus an. V.19b leitet mit einer Ortsangabe ein; V.20 schildert das angespannte Verhältnis zu Sidon und Tyros und die damit verbundenen Verhandlungen; V.21 nennt den Anlass und die Umstände des Geschehens, das mit dem Tod des Königs endet; V.22 ergänzt den Grund dafür: die göttliche Verehrung durch das Volk; V.23a formuliert das Eingreifen Gottes durch einen Engel und begründet dies in V.23b; V.23c schließt die Einheit mit der Nennung von Erkrankung und Tod ab. Zumeist wird davon ausgegangen, dass Lukas eine ausführlichere Vorlage gekürzt hat.87 Die Beschreibung hat Jos, ant 19,342-350 eine Parallele. Auch die Darstellung des Josephus ist vom Topos vom Tod des Gottesverächters bestimmt.88 Dort werden Beziehungen zu Tyros und Sidon nicht erwähnt. Wie hier wird jedoch die fehlende Zurückweisung der gottgleichen Verehrung als Grund für die folgende tödliche Erkrankung angegeben. In beiden Berichten wird die Rolle des Gewandes hervorgehoben.

Die Annahme göttlicher Verehrung durch den jüdischen König steht im Kontrast zu dem Verhalten der Mitglieder und Leiter der christlichen Gemeinde: Petrus (Act 10,25f), ebenso wie Paulus und Barnabas (Act 14,11-15), weisen ihnen entgegengebrachte göttliche Verehrung scharf zurück. Damit ahmen sie das Verhalten Jesu nach, wie es in der Versuchungserzählung (Lk 4,1-13, bes. 7f) verdichtet dargestellt ist. Im Kontext der Acta kann die Erkrankung auch als Strafe für die unmittelbar vorhergehende Verfolgung der christlichen Gemeinde verstanden werden.89 Allen hat darin das Muster der Exoduserzählung wiederentdeckt: Nachdem die Kirche in der Gestalt des Petrus gerettet worden ist, wird der Verfolger bestraft.90 Herodes erkennt und anerkennt Gottes Handeln nicht, verfolgt die Schützlinge Gottes und wird damit als θεομάχος (Act 5,39) offenbar. Die Beschreibung seiner Erkrankung nimmt Vorstellungen aus dem Topos vom Tod des Gottesverächters auf. Die Lesart des Codex D hebt diesen Akzent sogar noch deutlicher hervor.91 Agrippa I. stirbt als Feind Gottes durch dessen strafendes Eingreifen, 87 88

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Conzelmann, Apostelgeschichte 79; Lüdemann, Christentum 150. Im Fall des Josephus ist das ungewöhnlich, weil er Agrippa I. - anders als Herodes den Großen, dessen Tod er ebenfalls mit Hilfe dieses Topos schildert - positiv charakterisiert. Barrett, Acts I, 572 meint, Lukas aktualisiere eben diesen Gedanken nicht. Der Kontext und die Verbreitungsnotiz in V.24 sprechen jedoch dafür, dass für Lukas auch das Verfolgungsmotiv eine Rolle spielte. Allen, Death 108. Zu V.23 bietet D: καί καταβάς άπό τοΰ βήματος γενόμενος σκωληκόβρωτος ετι

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weil er die Grenzen zwischen Gott und Mensch verletzt und die Gemeinde verfolgt hat. Die beiden Begründungen interpretieren einander: Wer die Gemeinde verfolgt, macht sich zum Konkurrenten Gottes, kämpft gegen Gott an und wird zum θεομάχος. Ob sich die Richtung auch umkehren lässt? Wer göttliche Verehrung fordert oder auch nur zulässt, wird auch die Gemeinde verfolgen? Agrippa I. repräsentiert das Verhalten und das Schicksal des Königs, des Inhabers politischer Macht, als negativer Typos. Innerhalb der Act weist diese Begebenheit auf das nächste Auftreten eines jüdischen Königs, ebenfalls in Caesarea, voraus: Act 25,13-26,32 schildert ausführlich die Begegnung des Vertreters der römischen Behörden, Festus, mit den Repräsentanten des jüdischen Königshauses, Agrippa II. und Berenike, sowie mit dem Exponenten des Christentums, Paulus. Agrippa II. wird dabei - im Kontrast zu seinem Vater - beinahe als Sympathisant des Christentums geschildert.

2.2.6 Zusammenfassende Beobachtungen Der Fluch- oder Straftod erfolgt zweimal mit Vorstellungen, die an Verwesung erinnern.92 In den Kategorien von Reinheit und Unreinheit heißt das, dass die Verteidigungslinie gegen einen der fundamentalen Bereiche der Unreinheit, denjenigen des Todes, zusammengebrochen ist, Unreinheit das Leben überschwemmt und alle Grenzen, deren Achtung das Leben erst ermöglicht, auflöst. Vor dem Hintergrund der Vorstellung, dass die Verwesung des Körpers die Abwesenheit der Seele anzeigt,93 bedeutet es, dass diese den noch Lebenden bereits verlassen hat. Wenn Gott mit dem Tod straft, geschieht es dadurch, dass er den Schutz für das Leben zurückzieht und dem Tod Macht gibt. Im dritten Fall spielen Reinheitsvorstellungen ebenfalls eine Rolle: Durch den Tod von Hananias und Saphira wird die Reinheit der Gemeinde wiederhergestellt und deren soziale Identität durch Bestimmung von Grenzen ermöglicht. Der Fluchtod trifft zweimal Personen, die zur christlichen Gemeinde gehören. In beiden Fällen ist ihr Verhalten für das Bestehen der Gruppe eine Bedrohung, insofern sie Grenzverletzungen begehen: Der Verräter wird mit den Feinden der Gruppe solidarisch, die Lügner schützen ein größeres Maß an Zugehörigkeit vor, als ihnen tatsächlich zukommt. Der Verräter geht zu den

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ζ ώ ν καί ούτως έξέψυχεν. Vgl. Nestle, Gottesverächter 258. Tert, de anim 51. Dass die Seele einen unverwesten Körper als Wohnstatt braucht, ist nicht nur eine griechische, sondern auch eine ägyptische Vorstellung, wie die Sitte der Mumifzierung zeigt.

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Feinden über (dynamisch), der Lügner gehört zu ihnen (habituell). Herodes schließlich trifft die Strafe als einen Verfolger und hybriden Menschen. Er verletzt die Grenze zwischen Gott und Mensch, indem er Huldigung annimmt und seine Macht mit der Gottes messen will.

2.3 Der Martyriumstod Den Ausführungen ist ein kurzer Exkurs zur Vorstellung des Martyriums und zur Darstellung des Todes Jesu in den Act voranzustellen. Die wichtigsten Texte für die Beschreibung der Märtyrervorstellung sind 2 Makk 7; 3 Makk und 4 Makk 5-18. Dan 3 und 6 sind für die Entstehung der Vorstellung bedeutsam, schildern jedoch die Todesbereitschaft und die Errettung aus dem Tod, keine Martyrien.94 Als die frühesten Texte gelten Dan 12,1-3 und Dan 7,13f.95 Typische Elemente sind (1) das Dekret eines feindlichen, zumeist heidnischen Herrschers, das (2) die jüdische Identität bedroht und dessen Übertretung (3) mit der Todesstrafe sanktioniert ist. Der Märtyrer gerät (4) in eine Entscheidungssituation und begründet seine Bereitschaft zu sterben. Dies und sein Sterben werden beschrieben.96 Die Hochschätzung der Tora, die Achtung vor den Sitten der Väter sowie der Wille, ein Vorbild zu sein, sind die wesentlichen Motive fllr die Märtyrer.97 Zum Märtyrertod entschließen sich Menschen im Rahmen eines dualistischen Weltbildes. Jeder Herrscher, der Juden an der Ausübung ihrer Religion hindert, setzt sich in einen Gegensatz zum παντοκράτωρ und stellt sich unter den Zorn und die Vergeltung Gottes (vgl. 2 Makk 9).98 Untrennbar mit der Martyriumsvorstellung verbunden ist die Hoffnung auf Errettung durch Gott - sei es irdisch (Dan 3; 6) oder postmortal.99 Der Tod Jesu wird im Lukasevangelium mit Hilfe der Märtyrervorstellung dargestellt, wohingegen die Sühnetodvorstellung zurücktritt.100 Das gilt auch für die Darstellung des Todes Jesu in den Act. In den Kap. 1-10 wird der Tod Jesu regelmäßig, danach nur noch in Kap. 26 erwähnt.101 Verantwortlich für den Tod Jesu sind nach

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Van Henten, Selbstverständnis 131. Kellermann, Danielbuch 59-65. Die Auslegung von Dan 7,13f ist bekanntlich außerordentlich umstritten. Kellermann deutet den Menschensohn als Märtyrer und die Szene als postmortale Verherrlichung (64). Zu ergänzen ist das MartJes, das an das Ende des 1. Jahrhunderts n.Chr. zu datieren ist. Vgl. E. Hammershaimb, Das Martyrium Jesajas, JSHRZ II/l, Gütersloh 2 1977, 19. 96 Diese Kennzeichen hat van Henten, Selbstverständnis 130 zusammengestellt. 97 Van Henten, Selbstverständnis 128.137f. Vergleichbare Motive gelten auch in der römischen Welt als ehrenwert wie z.B. die Hochschätzung des mos maiorum zeigt. 98 Vgl. van Henten, Selbstverständnis 141. 99 Kellermann, Danielbuch 59. 100 Richard, Passion 125f. 101 Das entspricht auffällig der Verteilung der Belege zum Tod überhaupt. Als soteriologisch relevant wird das Sterben Jesu nur in Act 20,28 dargestellt.

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den Act die Jerusalemer Juden; an sie ergeht der Bußruf der apostolischen Predigt;102 er fehlt in petrinischen (Act 10,39f) und paulinischen Reden (Act 13,27f) an Heiden. Israel, die Jerusalemer Juden ebenso wie die aus der Diaspora, trennen sich an ihrer Haltung zu Jesus.103 Obwohl die Hinrichtung Jesu durch die Römer erfolgte, werden sie nicht filr den Tod Jesu verantwortlich gemacht. Dass der Tod Jesu nach der Konzeption der Act Bestandteil des Planes Gottes zur Errettung der Menschheit sei und auch die Widerstände, wie z.B. die Person des Judas, dem untergeordnet seien104, ist natürlich nicht falsch, verkennt in seiner Harmlosigkeit aber die große Bedeutung des Strafhandelns Gottes und damit verbunden das dramatische Element eines dualistischen Entwurfes.

Die Acta berichten vom Martyriumstod des Stephanus (Act 7,54-60) und des Jakobus Zebedäus (Act 12,lf). Hervorzuheben ist, dass wir nichts über den Tod des Petrus und des Jakobus, des Gerechten105, erfahren.

2.3.1 Der Tod des Stephanus Der Bericht über den Tod des Stephanus ist recht ausfuhrlich. Der Ton liegt auf der langen und wichtigen Rede in Act 7,2-53. Hieran schließt Lukas eine Notiz über einen „διωγμός μέγας" an, der mit der Zerstreuung der Gemeinde zur Mission außerhalb Jerusalems fuhrt.106 Lukas nimmt den Tod des Stephanus darüber hinaus zum Anlass, die Person des Paulus einzuführen. Er schildert ihn als einen Mann, der bei der Verfolgung eine zunehmend aktive Rolle einnimmt: Er leistet zuerst Hilfsdienste (Act 7,58), findet dann Gefallen am Geschehen (Act 8,1) und beteiligt sich schließlich aktiv und initiativ an der Verfolgung (Act 8,3). Mit beiden Verknüpfungen sind wichtige lukanische Anliegen bezeichnet. Rede und Tod des Stephanus stehen nicht umsonst in der Mitte des ersten Teils der Act.107 Der Tod des Stephanus hat also eine für die Ausbreitung des Wortes wichtige Funktion. Darin gleicht er der Bedeutung der Fluchtode.

102 Vgl. F. J. Matera, Responsibility for the Death of Jesus According to the Acts of the Apostles, JSNT 39 (1990) 77-93, 79f. 103 Matera, Responsibility 87f. 104 Richard, Passion 150. 105 Er ist bei Jos, ant 20,199-203 bezeugt; vgl. Euseb, hist eccl II 23. Sein Tod fällt noch in den Berichtzeitraum der Act. 106 Matera, Responsibility 84 hat daraufhingewiesen, dass das Martyrium des Stephanus einen wichtigen Einschnitt fllr die Missionsgeschichte auch deswegen darstellt, weil danach die Jerusalemer Juden nicht mehr Adressaten der Mission sind. 107 Pesch, Apostelgeschichte 1,266.

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Stephanus wird durch Steinigung108 hingerichtet. Im Text gibt es sowohl Hinweise darauf, dass diese Steinigung als ordentliches Verfahren nach dem Recht der Mischna109 vorgestellt wird,110 als auch darauf, dass ein affektgeladenes Verhalten, ein Tumult mit Lynchjustiz geschildert wird.111 Das kann entweder darauf zurückzufuhren sein, dass Lukas zwei Quellen vorliegen hatte, die er nebeneinander stellte, oder darauf, dass er eine Quelle, die das Ende des Stephanus als Tumult darstellte, mit dem Ziel bearbeitete, ein ordentliches Verfahren zu schildern.112 Die Anklage gegen Stephanus hat seine Haltung zu Tora und Tempel zum Gegenstand (Act 6,11-13) und ergeht durch Diasporajuden an den Hohen Rat. Im Vergleich mit den jüdischen Martyrien also steht eine jüdische Behörde an der Stelle der heidnischen Verfolger und ihre Toraauslegung an der Stelle des identitätsbedrohenden Dekrets. Juden, die Christen verfolgen, machen sich nach dieser Logik zu Heiden. Dass sich Herodes Agrippa I., Repräsentant des jüdischen Volkes, von Heiden als Gott verehren lässt, ist da nur folgerichtig. Die Steinigung wird als Reaktion auf die Beschreibung der Vision des an der Seite Gottes stehenden Menschensohnes (Act 7,56) dargestellt, die als Gotteslästerung verstanden wird.113 Das Sterben wird mit dem Wort κοιμάομαι beschrieben. Zwar ist das ein gewöhnliches Verb für die Beschreibung von Sterben im NT, nicht aber für den gewaltsamen Tod. M.W. wird auch in der LXX das Verb nie für den gewaltsamen Tod verwendet.114 108 Lukas verwendet hier λιθοβολεω, wie es für die LXX typisch ist. Das Wort wird jedoch auch im profanen Griechisch neben λιθάζω (vgl. Act 5,26; 14,19) u.a. fur die Steinigungsstrafe verwendet. Dass λιθάζω die rechtmäßige, λιθοβολεω die unrechtmäßige Steinigung beschreibe, ist im Blick auf Act 5,26 nicht plausibel. Vgl. W. Michaelis, Art. λιθάζω κτλ., ThWNT IV (1938) 27If. 109 Die Steinigung erfolgte nach dem Recht der Mischna (Sanh 6,1) dadurch, dass der Verurteilte eine Klippe hinabgestürzt und anschließend, wenn er den Sturz überlebte, durch den Wurf eines großen Steins auf den Brustkorb getötet wurde. 110 Dafür könnte die Erwähnung der Zeugen sprechen sowie der Bericht vom Ablegen der Kleider, was sich in der Mischna allerdings auf den Verurteilten bezieht und nicht auf die Zeugen. 111 V.57 schildert heftige Gefühlsregungen und schließt die Steinigung direkt an, ohne einen Urteilsspruch zu erwähnen. Haenchen, Apostelgeschichte 243. 112 Lüdemann, Christentum 95 und Conzelmann, Apostelgeschichte 52f. 113 Haenchen, Apostelgeschichte 243. 114 Dan 12,3 benennt die in der Verfolgung unter Antiochus IV. Umgekommenen als die, die in der Erde schlafen (καθεύδω). Kellermann, Danielbuch 52, deutet die Stelle vor dem Hintergrund des metaphorischen Gebrauchs dieses Ausdrucks im Hiobbuch und Jes 26,19 als Beleg für das Entstehen einer neuen Todesvorstellung, die die Auferweckung der treuen Märtyrer als möglich und zu erwarten proklamiert. Die Metapher vom Schlaf habe dabei die Vorstellung einer Auferstehung als eines Wiedererwachens aus dem Todesschlaf erst möglich gemacht. Im Unterschied zu Act 7 ist hier nicht der Akt des Ster-

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Die letzten Worte des Stephanus (Act 7,59f) erinnern an Jesu letzte Worte. 115 Die Darstellung des Todes des Stephanus ist an der Darstellung des Sterbens Jesu orientiert." 6 Die Aufmerksamkeit für die körperlichen Vorgänge ist bei der ersten und einzigen Schilderung eines Märtyrertodes in den Act weitaus geringer als bei der Schilderung der Fluchtode. Die Wahl des Verbs steht sogar in einer deutlich spürbaren Spannung zum Geschehen. Dieses Verb stellt einen gewaltsamen Tod als ein friedliches Entschlafen dar. Dem entspricht die Interpretation des Zusammenbrechens unter den Steinen als ein „auf die Knie fallen", also ein kontrolliertes Verhalten. Der Märtyrer wird der Gewalt sozusagen nur in vermindertem Maß ausgesetzt. Gemeinsam mit der Schilderung des Märtyrertodes des Jesaja in der AscJes ist die Hervorhebung der Vision, die bei Jesaja noch weit deutlicher zu einer Unberührbarkeit durch die Schmerzen der Tötung führen. Das wird bei AscJes zumindest ausgesprochen, bei Act gar nicht erst erwähnt.

2.3.2 Der Tod des Jakobus und das Verschwinden des Petrus Die Notiz über den Tod des Jakobus Zebedäus ist sehr kurz 117 und beschränkt sich auf die Nennung der Todesart, die Enthauptung, und den Verantwortlichen, Herodes Agrippa I. Dies deutet darauf hin, dass die Verfolgung nun eine neue Qualität gewonnen hat: Sie erfolgt durch den König, eine weitaus machtvollere Gestalt als es die Mitglieder des Synhedriums oder gar einfache Bewohner der Stadt sind. Die Todesart lässt möglicherweise darauf schließen, dass Agrippa I. in der christlichen Gemeinde eine politische Bedrohung sieht.118 Die Notiz steht zu Beginn des 12. Kapitels, das mit der Gefangennahme und Befreiung des Petrus und dem Tod des Herodes weitergeführt wird. Sie hat kein eigenes Gewicht. Nimmt man an, dass Lukas eine längere Tradition vorlag, die er gekürzt hat, 119 wird diese Beobachtung noch signifikanter: Lukas geht es in Kap. 12 um Gottes Eingreifen, wodurch Petrus gerettet und Herodes bestraft werden. Ein ausführlicher Bericht über den Tod des Jakobus hätte diese Fokussierung undeutlicher gemacht. Lukas „möchte den totalen Sieg, den Triumph der guten Sache sichtbar machen. So hat er das

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bens, sondern der Zustand vor der Auferweckung beschrieben, so dass der Kontrast zwischen Verb und gewaltsamem Tod weit weniger ausgeprägt ist. Conzelmann, Apostelgeschichte 60; Barrett, Acts I, 387. Jesu Sterben wird bei Lukas mit εκπνέω (Lk 23,46) beschrieben. Vgl. auch die Darstellung der Verhandlung und der dort erhobenen Vorwürfe (Lk 23,1-5). Vermutlich haben Lukas keine weiteren Informationen vorgelegen. Barrett, Acts I, 574. Vgl. Sanh 7,1; 9,1; vgl. Billerbeck, Kommentar 706. Haenchen, Apostelgeschichte 332.

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Kreuz, das sich im Martyrium des Zebedaiden ankündigte, zwar nicht ganz verschwiegen. Aber das Licht fällt nicht darauf, sondern auf den greifbaren Erweis der Gottesmacht und Gotteshilfe."120 Petrus scheidet nach seiner wunderbaren Befreiung aus der Gefangenschaft de facto aus den Act aus.121 Act 12,17 berichtet, wie Petrus, nachdem er die im Haus der Maria versammelte Gemeinde von seiner Rettung unterrichtet hat, aus der Erzählung verschwindet: ,,έξελθών έπορεύθη εις ετερον τόπον." „He has gone into hiding, even from the reader."12 Ob dieser „andere Ort"123 einfach Zeichen für den legendarischen Charakter der Nachricht ist, die Übersiedlung in ein anderes Haus oder eine andere Stadt meint oder andeutet, dass Petrus nun zu seinen Missionsreisen oder gar nach Rom aufbreche, ist umstritten. Angesichts der Kürze der Notiz erscheint mir all dies unwahrscheinlich. Entweder hat Lukas nichts über das weitere Geschick des Petrus herausfinden können, oder er hat es nicht für wichtig gehalten, vorhandene Informationen einzufügen. Festzuhalten ist: Über die Missionsreisen des Petrus, der ersten Hauptfigur der Act, seinen Aufenthalt in Rom und seinen Tod berichtet uns Lukas nichts. Wie bei Paulus bricht er seinen Bericht ab, nachdem er seine Errettung aus Lebensgefahr durch die jüdische Obrigkeit berichtet hat.124 Das betrifft auch Jakobus, den Gerechten, auch wenn seine Person in den Act nur eine untergeordnete Rolle spielt, das Schweigen über ihn also weniger signifikant ist.

2.3.3 Zur Komposition Betrachten wir die Reihenfolge der Verfolgungen, die über die Gemeinde kommen. Die erste verfolgende Instanz ist der Hohe Rat. Seine Feindschaft den Christen gegenüber steigert sich: Nach einem ersten Kontakt verwarnt

120 Haenchen, Apostelgeschichte 332. 121 Sein unvermitteltes Auftreten in Act 15,7 stellt ihn als die wichtige Leiterfigur der ersten Zeit neben Jakobus, der in 12,17 als der Nachfolger des Petrus von diesem selbst eingeführt und gewissermaßen vorgeschlagen wird und den zweiten Redebeitrag beim Apostelkonzil leistet. Inhaltlich verweist der Redebeitrag des Petrus auf Kap. 10, Petrus gewinnt in Kap. 15 keine neue Kontur. 122 Allen, Death 84. 123 Eine Übersicht über die Möglichkeiten, diesen „anderen Ort" zu lokalisieren, findet sich bei O. Cullmann, Petrus. Jünger. Apostel. Märtyrer. Das historische und das theologische Petrusproblem, München 2 1967, 40-45. 124 Dass Lukas über das Ende seiner beiden Hauptfiguren schweigt, ist m.E. ein Argument gegen die Vermutung, er habe im Fall des Paulus Geschehnisse verschweigen wollen, die mit Besonderheiten von dessen Schicksal zusammenhingen.

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der Hohe Rat die Apostel (Act 4,21), nach dem zweiten Kontakt empfinden seine Mitglieder einen Tötungswunsch (Act 5,33) und lassen die Apostel geißeln (Act 5,40). Der dritte Kontakt endet mit der Tötung des Stephanus (Act 7,57f). Das Motiv des bei Gott weilenden Menschensohns verbindet diese Szene mit dem Verhör Jesu vor dem Hohen Rat (Lk 22, 69). Die zweite verfolgende Instanz ist Herodes Agrippa I. Seine Macht reicht weiter als die des Hohen Rats. Als König repräsentiert er in höherem Maß politische Macht; er wendet gegen Jakobus Zebedäus eine Strafe an, die in den politischen Kontext gehört. Sein eigener Tod weckt über das Motiv der Herrscherverehrung Assoziationen zu paganen Herrschern, in erster Linie natürlich zum römischen Kaiser. Im Passionsbericht des Evangeliums entspricht dieser zweiten verfolgenden Instanz das Verhör Jesu vor Herodes (Lk 23,6-12). Im Evangelium sind die Römer die dritte verfolgende Instanz, die bei Lukas bekanntlich von der Verantwortung fur den Tod Jesu entlastet werden. In den Act spielen sie erst bei der Verfolgung und Verhaftung des Paulus eine Rolle.

2.4 Zusammenfassung Das Phänomen des Sterbens kommt in den Acta in erster Linie beim Fluchtod in den Blick. Hier finden wir die ausführlichsten Beschreibungen zum körperlichen Vorgang. Sowohl beim natürlichen Tod als auch beim Martyriumstod treten die körperlichen Vorgänge zurück. Bei der Beschreibung des Todes des Stephanus steht die Darstellung des Sterbevorganges sogar in Spannung zum tatsächlichen Geschehen. Stephanus stirbt keinen schmerzhaften Märtyrertod. Alle Schilderungen von Tod und Sterben dienen einer darüber hinausgehenden Aussageabsicht des Lukas. Der natürliche Tod hebt die Wunderkraft der Apostel hervor, die Martyrien und Fluchtode stehen im Dienst der Ausbreitung der christlichen Botschaft, des Schutzes der christlichen Gemeinden vor inneren und äußeren Gefahren und des Erweises der Handlungsmacht Gottes als eines vergeltenden, schützenden und nicht aufzuhaltenden Retters. Lukas hat kein eigenständiges Interesse an Tod und Sterben. Das betrifft auch den Marytriumstod. Von den sieben Todesfällen, die in den Act erzählt werden, ist nur der Tod des Jakobus nicht mit übernatürlichen Erscheinungen verbunden. Die geringe Aufmerksamkeit gegenüber dem Phänomen von Tod und Sterben an sich, die ausgesprochen nebensächliche Rolle, die die Wahrnehmung des natürlichen Todes einnimmt, zusammen mit dem relativ großen Interesse am Fluchtod, weisen in kulturanthropologischer Perspektive auf eine eher dualistische Sicht der Wirklichkeit hin. Das Böse wird als etwas vor-

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gestellt, das nicht notwendig zur Wirklichkeit gehört und aus ihr getilgt werden kann, so wie Judas und Hananias/Saphira aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und getilgt werden. Im Fall von Act 5,1-11 erfolgt diese Reinigung von Übel sogar unter Einschluss der Wirksamkeit der Menschen. Das Verhältnis zur umgebenden Gesellschaft ist also eher aggressiv und offensiv. Man rechnet mit der Bestrafung der Gegner. Der Homogenitätsdruck nach innen ist relativ groß. Die Innengruppe wird tendenziell als rein, die Außengruppe - sofern sie sich ablehnend verhält - tendenziell als unrein wahrgenommen.

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Die Vorstellungen von Tod und Sterben in den Act und das Ende des Paulus

Zeichnet man die Darstellung des Paulus in diese kulturelle Landkarte ein, ergibt sich ein Muster. Paulus hat Anteil an den Motivkreisen vom Fluchtod und vom Märtyrertod.

3.1 Paulus als Verfolger Paulus wird als Verfolger eingeführt. Das geschieht ausgerechnet anlässlich der einzigen ausführlichen Darstellung eines Martyriums, in das der Bericht über die zunehmende Feindschaft des Paulus geradezu hineingewoben ist. Eine gewisse Nähe zur Gestalt des Stephanus und die Rolle als Verfolger bleiben kontinuierliche Merkmale der Paulusfigur in den Act. -

Stephanus wird gesteinigt. Die Gefahrdungen auf der ersten Missionsreise nehmen dieses Motiv auf: In Ikonion flieht Paulus vor dem Versuch ihn zu steinigen (Act 14,5f), in Lystra überlebt er eine Steinigung (Act 14,19).

-

Stephanus wird als großer Redner geschildert und bringt so seine Gegner gegen sich auf (Act 6,10). Paulus widerfährt das Gleiche in Damaskus (Act 9,22f). 125

-

Stephanus gerät mit Diasporajuden in Streit (Act 6,9). 126 Paulus wird von Juden aus der Asia (Act 21,27) angeklagt.

-

Beide werden wegen ihrer Haltung zu Tempel und Gesetz angegriffen (Act 6,13; 21,28). 127

125 Wie von Stephanus (Act 6,8) werden auch von Paulus Wundertaten (Act 13,9-11; 16,18; 20,9-12) berichtet. 126 Wie in Act 21,27 sind die Juden aus der Asia eigens erwähnt.

Vorstellungen von Tod und Sterben in den Acta

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Der Täter bleibt an sein erstes Opfer gebunden. Er wird geradezu zu dessen Nachfolger, trägt dessen Programm (allerdings erfolgreicher) weiter und muss, wie zur Aufrechterhaltung einer Balance, erleiden, was sein erstes Opfer erlitt. Paulus wird als der Verfolger geschildert, der als erster die Grenzen Jerusalems mit dem sich ausbreitenden Wort überschreitet. Bevor Paulus Heidenapostel wird, ist er Verfolger der Mission außerhalb Palästinas. In der Logik der Act ist mit einem vergeltenden Eingreifen Gottes zu rechnen. Das geschieht m.E. in Act 9.128 Folgende Argumente will ich dafür anführen: -

Das Motiv der Erblindung: In Act 9 tritt sie im Zusammenhang mit einer Epiphanie auf und kann als Reaktion darauf verstanden werden.129 Blindheit gehört in den Motivkreis des Fluchtodes. Als Strafe Gottes ist sie im AT und in der antiken jüdischen Literatur häufig belegt.130 Lukas kennt und benutzt diese Vorstellung: Act 13,11 belegt Paulus den Barjesus zur Strafe mit einer Blindheit, die ebenfalls zeitweise wirksam ist und dadurch ausgedrückt ist, dass er an der Hand geführt werden muss (vgl. Act 9,8).

-

Das Fasten während der Blindheit spricht für deren Verständnis als Strafe. Fasten ist hier ein Bußritus.131 Fasten kann zwar auch auf die Begegnung mit Gott vorbereiten, dann hätte es aber auch vorher stattfinden müssen.

-

Act 9 ist mit der Heliodorlegende (2 Makk 3) verwandt. Heliodor, der Beamte (ό έπί των πραγμάτων) des Königs Demetrius, erhält den Auftrag, den Schatz des Jerusalemer Tempels zu beschlagnahmen (2 Makk 3,7f), und stößt mit seiner Absicht verständlicherweise auf den Widerstand des Hohenpriesters Onias III. (2 Makk 3,9-12). Als Heliodor auf seinem Vorhaben besteht, kommt es zu einer großen Gebetsoffensive des ganzen Volkes, die schließlich dazu führt, dass Gott

127 Alle Elemente der Charakterisierung des Stephanus haben somit bei Paulus Parallelen. 128 Nestle, Gottesverächter 264 versteht das Geschehen von Act 9 ebenfalls als Strafe. Conzelmann, Apostelgeschichte 58 und Barrett, Acts I, 452 lehnen die Deutung als Strafe ab, heben aber zugleich hervor, dass die Erblindung auf den völligen Machtverlust des vermeintlich mächtigen Verfolgers abhebe. Vgl. auch Haenchen, Apostelgeschichte 271. Damit sind aber Strafelemente genannt. 129 So scheint es Act 22,11 zu verstehen. Erblindungen als Folge von Epiphanien sind m.W. jedoch nicht bezeugt; Erblindung erfolgt aufgrund eines unerlaubten Sehens einer Gottheit oder im Fall eines hybriden Wettstreits mit der Gottheit. Vgl. E. Lesky, Art. Blindheit, RAC 2 (1954) 434-446, 439; vgl. auch W. Schräge, Art. τυφλός κτλ., ThWNT VIII (1967) 270-294, 271. 130 Vgl. Schräge, Art. τυφλός 280.283; vgl. auch Lesky, Art. Blindheit 43 8f. 131 J. Behm, Art. νηστις κτλ., ThWNT IV (1938) 925-935, 928f. Wenn das Fasten als Vorbereitung verstanden werden soll, muss es auf Act 9,17 bezogen werden, wo die Taufe und Erfüllung mit dem Geist angekündigt wird. Gerade die Geisterfüllung wird jedoch nicht als vollzogen berichtet. Sie tritt in den Hintergrund. In Act 9,9 steht Fasten parallel zur Erblindung und gehört m.E. als Bußritus zur Blindheit als Strafe. Hinweise auf Act 9,17 finden sich hier nicht.

302

Gudrun Guttenberger eingreift. Heliodor hat in der Schatzkammer des Tempels eine Vision: Ein Pferd mit Reiter greift ihn an, zwei junge und starke Männer geißeln ihn (2 Makk 3,2527). Heliodor bricht ohnmächtig zusammen und muss in einer Sänfte weggetragen werden. Er bleibt stumm. Der Kontrast zwischen dem machtvollen Auftreten des Beamten vor der Vision und seiner Ohnmacht danach wird hervorgehoben. Der Tod des Heliodor wird nur verhindert durch das Opfer des Onias (2 Makk 3,32). In einer erneuten Vision wird Heliodor durch die beiden jungen Männer auf das Opfer des Onias als Ursache seiner Errettung hingewiesen und mit einem Verkündigungsauftrag betraut (2 Makk 3,33f). Diesen erfüllt Heliodor dem König gegenüber (2 Makk 3,38f). Die Ähnlichkeiten mit Act 9 sind gut erkennbar:132 Wie in Act 9 wird eine drohende Gefahr durch eine Vision vereitelt; der Verfolger wird zum Zeugen und Verkündiger. Die Vision zerstört die Macht des Verfolgers und wird für ihn lebensbedrohlich. Die Wiederherstellung erfolgt in einer zweiten Phase. Epiphanie und Strafelemente sind miteinander verwoben.

In den beiden späteren Schilderungen des Bekehrungsgeschehens in Kap. 22 und 26 tritt der Strafcharakter immer stärker zurück: Act 22,1 lf lässt das Fasten und die Drei-Tages-Frist aus. In 26,12-18 fehlen auch Sturz und Blindheit. Dafür nimmt das Gespräch zwischen Jesus und Paulus einen immer größeren Raum ein. Beide Reden leitet Paulus jedoch mit dem Bekenntnis seiner früheren Verfolgertätigkeit ein. Er bleibt für Lukas der bekehrte Verfolger.

3.2 Paulus als Märtyrer Wie sehr Paulus mit dem Motivkreis des Märtyrertodes verbunden ist, wird deutlich, wenn man sich die Belege der Vorstellungen von Tod und Sterben für die Gestalt des Paulus ansieht. Diese Belege wurden bislang noch nicht aufgeführt, weil sie nicht von tatsächlichem Sterben und tatsächlichem Tod, sondern von der Bereitschaft zu sterben und der Errettung vom Tod sprechen. Dreimal bekräftigt Paulus seine Bereitschaft zu sterben: Act 20,24 vor den Altesten aus Ephesus,133 Act 21,13 in Caesarea im Haus des Philippus im 132 Die Unterschiede sind instruktiv: Heliodor wird im Tempel gestraft, in den er von außen eingreifen will. Die Struktur ist also defensiv. Paulus wird auf dem Weg von Jerusalem nach Damaskus aufgehalten. Hier wird nicht das Zentrum verteidigt, sondern die Ausbreitung ermöglicht. Die Struktur ist also offensiv. Gegenstand der Erscheinung vor Heliodor ist eine kriegerische Szene: ein sich aufbäumendes Pferd, starke Gestalten, die ihn schlagen. Paulus dagegen erscheint mit Jesus jemand, der selbst Opfer von Gewalt geworden ist. Die Audition (Act 9,5) verstärkt diesen Akzent. Heliodor trifft auf den Stärkeren. Paulus trifft auf den Schwächeren, der ihm dennoch überlegen ist, so dass er geführt werden muss. 133 Ob der Satz voraussetzt, dass Paulus nach der Meinung des Lukas tatsächlich gestorben ist, und ob Paulus nach dessen Absicht die Erwartung seines Todes damit ausdrückt, ist

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Hinblick auf seinen Besuch in Jerusalem und in Act 25,11, ebenfalls in Caesarea, vor Festus in Bezug auf seinen römischen Prozess. Von den sieben Belegen für die Errettung aus Todesgefahr beziehen sich sechs auf Paulus. 134 Er und Barnabas werden in Ikonion vor der geplanten Steinigung gerettet (Act 14,5), in Lystra überlebt Paulus die Steinigung (Act 14,19).135 Als in Jerusalem im Zusammenhang seines Tempelbesuches ein Tumult entsteht und Paulus von der aufgebrachten jüdischen Bevölkerung getötet zu werden droht, retten ihn die Römer (21,3 lf). Wenig später wird er durch die Römer von einem Anschlag durch 40 Verschwörer in Jerusalem bewahrt (Act 23,1222). 136 Schließlich rettet ihn Gott aus Seenot (Act 27) und vor dem Tod durch den Biss einer Giftschlange auf Malta (Act 28,3). Paulus wird als jemand geschildert, der „viel leiden muss" (Act 9,16); von keinem anderen Menschen werden derartig regelmäßig Verfolgungen berichtet wie von ihm. So wie er die Strafe der Steinigung, der Stephanus zum Opfer fiel, überlebte, so erleidet er auch die Strafe, die für Petrus Todesgefahr ausdrückte, den Gefangnisaufenthalt (Act 16,23-40), und wird wie dieser daraus errettet. Für diese Errettung ist allerdings das himmlische Zeichen, auf das Petrus angewiesen war, ein Erdbeben, gar nicht nötig. Paulus wird aufgrund seiner Rechtsposition befreit. Er braucht (noch) kein Wunder. Dass Paulus aus allen diesen Gefahren errettet wird, die schließlich mit Seesturm und Schlangenbiss nicht mehr von Menschen auszugehen scheinen,137 ist über die Maßen auffallig. Gott rettet ihn fortwährend. Paulus hat keine Chance, zum Märtyrer zu werden. Die Nachstellungen gehen nach Lukas von den Juden in der Diaspora aus. Der geographische Mittelpunkt der Feindschaft ist jedoch Jerusalem. Die umstritten. Vgl. dazu den Beitrag von G. Ballhorn in diesem Band. 134 Act 12,11 berichtet Petrus von seiner Errettung aus dem Gefängnis, die wegen des unmittelbar vorhergehenden Todes von Jakobus Zebedäus als eine Rettung aus Todesgefahr verstanden werden kann. 135 Auf seiner sogenannten zweiten Missionsreise muss Paulus zwar viele Gefahren bestehen, Todesgefahren sind jedoch nicht darunter. 136 In Act 23,9 ergänzt die byzantinische Koine μή θεομαχώμεν. Die pharisäischen Mitglieder des Hohen Rates erwägen also nach dieser Verständnistradition, dass eine Gegnerschaft gegen Paulus eine gegen Gott bedeuten könnte. Damit wird Act 5,39 wieder aufgenommen. Anders als dort wird die Situation hier jedoch durch das Eingreifen der römischen Behörde entschärft. 137 Seenot zählt zu den typischen Fluchtoden, der Schlangenbiss nach überstandenem Sturm erinnert an Am 5,19. In beiden Fällen werden der Leser und die Leserin dazu gebracht, probeweise an einen Fluchtod zu denken und Gott als Urheber der Gefahren anzusehen. Der Fortgang der Erzählung zeigt dem Leser und der Leserin, dass dies nicht nur eine irrige Meinung ist, sondern sogar das Gegenteil der Fall ist. Paulus steht unter dem ganz besonderen Schutz Gottes.

304

Gudrun Guttenberger

Leidensbereitschaft des Paulus bezieht sich auch auf Jerusalem. In Milet (Act 20,19f) und in Caesarea (Act 21,13) bekräftigt er das. Tatsächlich aber verhält er sich anders. Paulus entzieht sich der Gefahr in Jerusalem durch seine Berufung auf den Kaiser. Seine Bereitschaft, sich einem römischen Todesurteil zu beugen, drückt dabei die Zuversicht aus, nicht verurteilt zu werden (Act 25,11). 138 Dass man bereit ist zu sterben, wenn man von einem römischen Gericht verurteilt ist, kann nun ohnehin nicht als übermäßige Bereitschaft zum Martyrium gedeutet werden. Natürlich ist dieses Verhalten des Paulus durch eine Audition legitimiert (Act 23,11). Wieder gilt: Paulus soll nicht Märtyrer werden.

4

Das offene Ende der Acta

Die Bestimmung Jerusalems als Zentrum der Feindschaft gegen Paulus, lässt in der Logik der Act eine Vergeltung Gottes gegen Jerusalem erwarten. In den Auseinandersetzungen in Jerusalem wiederholt Paulus die Phasen des Kontaktes, die wir aus dem Prozess Jesu und Act 2-7 kennen. Er spricht zum Volk (Act 22,1-21) und vor dem Hohen Rat (Act 23,1-10). Beide Reden auch vor dem Hohen Rat wird er nicht verhört - enden im Tumult, vor dem ihn der römische Chiliarch schützt. Nach zwei Kontakten mit den römischen Statthaltern Felix und Festus und der Berufung auf den Kaiser, kommt es zum Gespräch mit dem König Agrippa II. Dieser spricht sich dem römischen Statthalter gegenüber für eine Freilassung des Paulus aus (Act 26,32). Er bestätigt damit die Deutung des Paulus, wonach die Verfolgung durch die Jerusalemer religiös motiviert sei und keine politische Gefahr anzeige. Die politische Instanz, die das Vertrauen der Römer genoss, unterstützt Paulus. Agrippa II. hat aus dem Tod Agrippas I. "gelernt". Nun liegt die Entscheidung in den Händen der Römer. Bislang hatten die Act sie ambivalent dargestellt. Mit der Frage, wie diese sich Paulus und mit ihm den christlichen Gemeinden gegenüber verhalten werden, enden die Act offen. Die Leser der Act blickten auf die Zerstörung Jerusalems zurück, die als Vergeltung für die Ablehnung Jesu und der Missionspredigt sowie die Feind138 Die Formulierung ο ύ π α ρ α ι τ ο ύ μ α ι τ ο ά π ο θ α ν ε ϊ ν ist formelhaft. Sie findet sich ähnlich Jos, vit 141. Es ist eine Beschwichtigungsformel, die dazu auffordert, rechtmäßig zu handeln und nicht dem Zorn zu folgen. Die unausgesprochene Voraussetzung dafür ist, dass eine todeswürdige Schuld nicht vorliegt. Die ausgesprochene Bereitschaft, sich der Todesstrafe zu unterziehen, meint also eigentlich die Zuversicht, ihr zu entkommen. Da die Berufung auf den Kaiser die Funktion hat, Paulus vor den Anschlägen der Juden zu schützen, wird deren Handeln zugleich als unrechtmäßig gekennzeichnet.

Vorstellungen von Tod und Sterben in den Acta

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schaft der Jerusalemer gegen die christlichen Gemeinden verstanden werden sollte. Wenn die Vorstellung von der Vergeltung für Jesu Ablehnung und die Verfolgung der Christen - vermittelt über die Märtyrertheologie und grundlegende biblische Erzählmuster - für die Konzeption der Act von Bedeutung ist, dann könnte es sein, dass Lukas seinen Bericht vom Ende des Paulus abbricht, um den römischen Behörden seiner Zeit noch Raum zu geben für die Antwort auf die Frage, ob sie sich zu Feinden Gottes machen wollen, zu θεομάχοι, wie der Hohe Rat der Stadt, die in Trümmern liegt, oder Herodes Agrippa I., der einen schrecklichen Tod starb oder ob sie die Rolle, die Lukas ihnen anbietet, Werkzeug Gottes zur Errettung zu sein, annehmen wollen. Dass Lukas diese Frage mit dem Schicksal des Paulus verknüpft, also mit jemandem, der selber Verfolger gewesen ist und dessen Bekehrung an die des Heliodor erinnert, könnte Ausdruck seines Einfühlungsvermögens sein und entspräche der differenzierten Haltung des Lukas zu den Römern.139

139 Damit wären heidnische Leser, die römische Öffentlichkeit, Adressaten der Act. Die damit verbundenen Probleme sind bekannt. Vgl G. Schneider, Die Apostelgeschichte. II. Teil: Kommentar zu Kap. 9,1-28,31, HThK V/2, Freiburg u.a. 1982, 145f. Insbesondere sind das Verhältnis der Act zum Evangelium, das sich an eine innerkirchliche Öffentlichkeit zu richten scheint, und der breite Raum, den die Auseinandersetzung mit den Juden einnimmt, gegen diese These, die in verschiedener Zuspitzung von Haenchen, Apostelgeschichte und Conzelmann, Apostelgeschichte vertreten wurde, als Einwände vorgebracht worden. Gegen die Vermutung, dass Evangelium und Act von Beginn an als ein Werk konzipiert wurden, sprechen die Spannungen zwischen Lk 24,36-50 und Act 1,2-14. Die Zusammengehörigkeit der beiden Bücher kann auch so vorgestellt werden, dass ein größerer Spielraum bleibt. Darüber hinaus ist zu fragen, ob der Abfassungszweck ein einziger sein muss. Gerade ein Erbauungsschriftsteller wie Lukas kann einen ganzen Komplex von Zielen verfolgen, die zudem unsystematisch nebeneinander bestehen können. Die Auseinandersetzung mit den Juden muss sich nicht aus einer innerkirchlichen Ausrichtung erklären. Sie kann auch - und dass sie dazu dient, lässt sich in den Act vielfach belegen - erklären, wieso von christlichen Gemeinden Unruhe auszugehen pflegt, wieso sie also die Aufmerksamkeit von Behörden auf sich ziehen und wer dafür verantwortlich ist. Die These könnte sein: Dass Christen immer wieder der Unruhestiftung bezichtigt werden und deswegen von den politischen Behörden verdächtigt werden, ist nicht ihnen, sondern den jüdischen Gegnern anzulasten. Vgl. Act 21,37f, einem redaktionellen Stück, das genau dieses Missverständnis bei einem Römer abwehrt.

Lukas Bormann

Reflexionen über Sterben und Tod bei Paulus 1

Einführung

Im Judentum des zweiten Tempels wird ein Diskurs um die Bedeutsamkeit des Todes geführt. Er bahnt sich in den Psalmen an, die in ihren Aussagen über die Errettung aus dem Tode „nicht an den Tod als die allem Lebenden gesetzte Grenze, sondern an den Tod in seiner Eigenschaft als letzte Gefahrdung und Bedrohung des Menschen"1 denken. Sie unterscheiden zwischen einem unheilvollen, bösen Tod, der das Leben des einzelnen bedrängt, und einem friedvollen Tod, von dem keine Beunruhigung ausgeht.2 Erst der Prediger Salomo thematisiert die Relevanz der Begrenzung des Lebens durch den faktischen Tod. Er hält als Traditionalist am Todesrealismus der hebräischen Anthropologie fest,3 bedenkt aber dessen Konsequenzen für die menschliche Lebensführung: Wer weiß von dem Odem des Menschen, ob er nach oben steigt, und von dem Odem des Viehes, ob er hinunter in die Erde fährt. Da sah ich, daß es nichts Besseres gibt, als daß der Mensch bei seinem Tun fröhlich sei, denn das ist sein Teil.4

Diese Position nimmt grundsätzlich auch Jesus Sirach ein.5 Das vom Prediger aufgeworfene Problem der Bewährung des guten Lebens angesichts des 1

2 3

4

C. Barth, Die Errettung vom Tode, neu hg. von B. Janowski, Stuttgart 2 1997, 131. Zur Vorgeschichte des Todesverständnisses im Alten Israel und in Ägypten: H. Niehr (Hg.), Der Umgang mit dem Tod in Israel und Juda, ThQ 177,2 (1997) 81-133; M. Krieg, Todesbilder im Alten Testament, AThANT 73, Zürich 1987; J. Assmann, Der Tod als Thema der Kulturtheorie, Frankfurt a.M. 2000. Barth, Errettung 121-132. G. Barth, Umstrittener Auferstehungsglaube, in: L. Bormann, K. Del Tredici u. A. Standhartinger (ed.), Religious Propaganda and Missionary Competition in the New Testament World, NT.S 74, Leiden/New York/Köln 1994, 117-132, hier 119f. Koh 3,21f. Übers. A. Lauha, Kohelet, BK XIX, Neukirchen-Vluyn 1978, 72.

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Lukas Bormann

Todes beantwortet er mit Aussagen, die am bleibenden Wert eines ethisch ausgezeichneten Lebensvollzugs festhalten. Es gibt Menschen, deren Leben von Anfang an nichtig ist. Ihr Leben und das ihrer Nachkommen ist, gemessen an den Kriterien eines qualitativen Lebens, als wäre es nie gewesen.6 Der Siracide spricht den Vätern Israels und den ausgezeichneten Männern des Gottesvolkes Anteil an der Ewigkeit zu, ohne die Grenze des Todesrealismus zu überschreiten: Ihre Körper sind in Frieden begraben, ihre Namen leben in Ewigkeit.7

Sapientia Salomonis schließlich proklamiert, daß es ein Leben gebe, das unvergänglich sei, und einen Tod, der gar kein Tod sei8: Jedoch der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand, und keine Marter wird sie anrühren. Sie hatten in den Augen der Toren den Anschein, als seien sie tot, und ihr Lebensende wurde für ein Übel gehalten, und ihre Abreise von uns für ein Untergang. Aber sie sind im Frieden.9

Sapientia bezieht mit dieser konsequenten Loslösung von einem biologischen Todesverständnis die Gegenposition zum Prediger, den sie unter diejenigen zu zählen scheint, die nicht richtig Bescheid wissen (λογισάμενοι ουκ όρθώς)10. Diese Unverständigen sind nämlich der Ansicht, daß „keiner bekannt ist, der vom Hades erlöst"11, obwohl doch gilt: Denn Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit geschaffen, und er hat ihn zum Ebenbild seiner eigenen Ewigkeit gemacht.12

5

6 7 8 9 10 11 12

Barth, Auferstehungsglaube 120-122; J. J. Collins, The Root of Immortality. Death in the Context of Jewish Wisdom, in: J. J. Collins (ed.), Seers, Sybils and Sages in Hellenistic-Roman Judaism, JSJ.S 54, Leiden/New York/Köln 1997, 351-367, hier 353-360. Sir 44,9. Sir 40,14; dazu Sir 39,11; 40,12f; 44,8-15; zum Todesrealismus: Sir 14,16-19; 40,1-4; 41,1-4 u.ö. Barth, Auferstehungsglaube 122f; Collins, Immortality 360-367; D. Georgi, Weisheit Salomos, JSHRZIII/4, Gütersloh 1980, 410. Weish 3,1-3; Übers. Georgi, Weisheit Salomos 410. Weish 2,1. Weish 2,1. Übers. Georgi, Weisheit Salomos 406. Vgl. Weish 2,1 -9.21 -24. Weish 2,23. Übers. Georgi, Weisheit Salomos 409.

Reflexionen über Sterben und Tod bei Paulus

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Sapientia bereitet sachlich die Position vor, die das christlich-gnostische Philippusevangelium im Rahmen seiner Entfaltung der sakramentalen Vorwegnahme der Todesüberwindung einnimmt: Ein heidnischer Mensch stirbt nicht. Denn er hat niemals gelebt, so daß er sterben könnte. Wer zum Glauben an die Wahrheit gekommen ist, der hat das Leben gefunden. Und ein solcher schwebt in der Gefahr zu sterben. Denn: er lebt, seit Christus gekommen ist.13

Den Rahmen dieser knapp skizzierten Diskussion bildet ein Konzept von Leben und Tod, nach dem es ein "Leben" gibt, das durch den biologischen Tod nicht zerstört werden kann, und einen "Tod", der bereits in den Grenzen des biologischen Lebens "sterben" läßt.14 Die verschiedenen Positionen lassen sich danach unterscheiden, wie sie die Realität des Todes und die ethische, d.h. eine dem Willen Gottes entsprechende Lebensführung aufeinander beziehen. Während die Psalmen zwischen einem bösen, drohenden Tod und einem guten, friedvollen Tod unterscheiden, nimmt der Prediger die Infragestellung der menschlichen Existenz durch das Faktum des Todes ernst und beantwortet sie mit weisheitlicher Skepsis. Jesus Sirach meint die skeptische Position vermeiden zu können, indem er von einem Leben spricht, das nur in empirischer Hinsicht begrenzt ist, in seinem weisheitlichen Gehalt aber unvergänglich bleibt. Er überschreitet rhetorisch die Grenze des Todesrealismus. Sapientia bestimmt das Verhältnis von empirischer Begrenztheit des Lebens und weisheitlicher Lebensführung, indem sie der definitorischen Macht der Empirie eine Absage erteilt. Wenn Paulus von Sterben und Tod spricht, kann er die Unterscheidung des empirischen Todes von einem wie immer gearteten qualitativen Tod voraussetzen. Diese Unterscheidung ist von fundamentaler Bedeutung für das Verständnis der aus dem Judentum hervorgegangenen Religionen und wird deswegen zu Recht in der neuesten philosophischen Debatte um das Todesverständnis als Jüdisch-christlich-islamische Erfahrung mit dem Tode" 15 bezeichnet. So unterschiedlich die Positionen sind, die im Judentum des zweiten Tempels eingenommen werden, wenn es um die Bewährung eines richtigen Lebens angesichts des Todes geht, so sehr teilen sie die Überzeugung, daß Leben und Tod in einem unaufgebbaren Verhältnis zueinander stehen. Das führt 13 14 15

PhEv 4. Übers. H.-M. Schenke, Das Philippus-Evangelium, TU 143, Berlin 1997, 15. Collins, Immortality 367. J. Derrida, Aporien: Sterben - Auf die Grenzen der Wahrheit gefasst sein, München 1998, 128; B.-C. Han, Todesarten. Philosophische Untersuchungen zum Tod, München 1998.

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Lukas Bormann

dazu, daß man vom Leben mit dem Vokabular des Todes und vom Tod im Vokabular des Lebens spricht. Wer falsch lebt, ist "im Tode" oder "bereits gestorben", und wer richtig lebt, wird den "Tod nicht schauen". In dieser Hinsicht führt Paulus weiter, was als gemeinsame Problemstellung verstanden wird. In den Paulusbriefen finden wir diesen Diskurs um Leben und Tod in einer besonderen Intensität. Wir haben hier Zeugnisse in der Hand, die nicht nur Vorstellungen von Tod, sondern individuelle Erfahrungen von Todesnähe reflektieren. Paulus ist in vielen Situationen seines Lebens dem Tode nahe gewesen. Er stand immer wieder vor der Frage, wie sich sein Lebensvollzug als Apostel Jesu Christi angesichts seines nahen individuellen Todes bewährt. Mit dieser Frage wurde er aber auch durch die Gemeinden konfrontiert (1 Thess 4,13; 1 Kor 11,30; 15,18), und schließlich stellte das Schicksal Jesu selbst in radikaler Weise vor die Frage nach der Bewährung des Lebens angesichts des Todes. Im folgenden sollen nun Texte in den Paulusbriefen untersucht werden, die von Erfahrungen mit Sterben und Tod berichten. Es bilden also nicht die grundsätzlichen Erwägungen, etwa in Rom 5,12 oder 1 Kor 15, den Ausgangspunkt,16 sondern die Texte, die Todesnähe und Todeserfahrungen reflektieren. Die Einstellung des Paulus zu seinem unverwechselbaren, individuellen Tod beleuchtet seine Haltung zur Kollektenübergabe in Jerusalem, die ihm als ein Weg in die Nähe des Todes bewußt war (Rom 15,3032).17 Es ist sinnvoll, die Texte, in denen Paulus Erfahrungen mit Sterben und Tod mitteilt, in ihrer historischen Abfolge zu behandeln. Die Reihenfolge, die hier zugrundegelegt ist, entspricht weitgehend der Sicht von Jürgen Becker u.a.18: 1 Thess, 1 Kor, Gal, Phlm, Phil A (4,10-23), Phil Β (1,1-3,1+4,2-7), die im 2 Kor gesammelte Korrespondenz und Rom. Phil C (3,2-4,1+4,8f) ist nicht sicher einzuordnen. 2 Kor ist am ehesten eine Kompilation aus fünf Briefen.19 Die häufig vorgeschlagene Zweiteilung überzeugt nicht.20 Im vorliegenden Zusammenhang haben die Teilungshypothesen nur Folgen für das Verhältnis der Apologie in 2 Kor A (2,14-7,3) zum Versöhnungsbrief 2 Kor 16 17 18 19

20

R. Bultmann, Art. θάνατος κτλ., ThWNT III (1938) 7-25, hier 15; W. Bieder, Art. θ ά ν α τ ο ς , EWNT 2 ( 2 1991) 319-329, hier 320. Vgl. hierzu den Beitrag von F. W. Horn in diesem Band. J. Becker, Paulus. Der Apostel der Völker, Tübingen 3 1998. H. D. Betz, 2. Korinther 8 und 9. Ein Kommentar zu zwei Verwaltungsbriefen des Apostels Paulus, München 1993, 25-77; D. Georgi, The Opponents of Paul in Second Corinthians, Philadelphia 1986, 1-18.333-335. J. Gnilka, Paulus von Tarsus, HThK.S VI, Freiburg u.a. 1996, 313; F. Lang, Die Briefe an die Korinther, NTD 7, Göttingen 1994, 13f; H.-J. Klauck, 2. Korintherbrief, EB.NT 8, Würzburg 3 1994, 9; fllr die literarische Einheit (mit Abfassungspause): Ch. Wolff, Der zweite Brief des Paulus an die Korinther, ThHK 8, Berlin 1989, 2.

Reflexionen über Sterben und Tod bei Paulus

311

C (1,1-2,13. 7,5-16), so daß auf eine eingehende Erörterung verzichtet werden kann.

2

Grundlegung: 1.

Thessalonicherbrief

Als Paulus den 1 Thess in Korinth abfaßt, blickt er auf bewegte Ereignisse zurück, die seine Erstmission in Philippi und Thessalonich geprägt haben. Er berichtet in 2,2 von Leiden und Mißhandlungen (προπαθόντες καί ύβρισθέντες), die er in Philippi erdulden mußte, und auch die Erstmission in Thessalonich vollzog sich unter „schwerem Kampf (έν πολλω άγω vi). 2,14f macht dann deutlich, daß es hier um Erfahrungen geht, die die Gemeinde und die Apostel teilen. Das in 2,2 Geschilderte läßt sich mit Act 16,22-24 veranschaulichen. Dort wird von Mißhandlung und Folter des Paulus durch die dortige römische Behörde (ραβδίζειν, πολλάς τε πληγάς) berichtet. Die Situation der thessalonischen Gemeinde wird in 1 Thess 2,14f mit derjenigen der Gemeinden in Judäa gleichgesetzt und mit τα αύτά έπάθετε charakterisiert. Die in Act 4-12 berichteten Maßnahmen gegen die Jerusalemer Gemeinde (Gefängnis: 4,3; 5,18; 8,3; 12,3; Steinigung: 7,59; Verfolgung: 8,1; 9,lf.23f; Hinrichtung: 12,2) können auch hier wieder Anschauungsmaterial liefern. Die mit πάσχειν beschriebene Lage der Apostel und der Gemeinde konfrontiert immer wieder mit Sterben und Tod. Es lassen sich vor diesem Hintergrund im 1 Thess drei Bereiche faktischer Todeserfahrung unterscheiden, die auch in den anderen Briefen wieder begegnen: 1) Die Rede vom Tod Christi (1 Thess 1,10; 2,15; 4,14; 5,9f), 2) die Todeserfahrung der Gemeinde (1 Thess 2,14f; 4,13-18) und 3) die Todeserfahrung, in die der apostolische Dienst führt (1 Thess 2,2f.l4f). Diese drei Bereiche werden nicht in ihrer je eigenen Faktizität belassen, sondern von Paulus begrifflich miteinander verbunden. Alle diese Todeserfahrungen werden als Ausdruck einer „Bedrängnis" (θλνψις: 1 Thess 1,6; 3,3.7; θλίβειν: 3,4) verstanden. Die Bedrängnis wird gleichzeitig als reale Erfahrung und als grundsätzliche Weise des In-derWelt-Seins der Christen gedeutet, ohne daß das eine vom anderen zu trennen wäre.21 1 Thess l,6f und 2,14 geben näheren Aufschluß: l,6f: Ihr seid unsere Nachahmer und die des Herrn geworden (μιμηταί ήμών έγενήθητε καί του κυρίου), indem ihr die Botschaft in starker Bedrängnis (έν

21

T. Holtz, Der erste Brief an die Thessalonicher, EKK XIII, Zürich u.a. 1986, 13.

312

Lukas Bormann

θλίψει πολλή) mit Freude des heiligen Geistes angenommen habt, so seid ihr zum Vorbild (τύπον) für alle Glaubenden in Makedonien und Achaja geworden. 2,14: Ihr, Brüder, seid Nachahmer der Gemeinden Gottes in Judäa (μιμηταί έγενήθητε ... των εκκλησιών του θεού) in Christus Jesus geworden, denn ihr erleidet das Gleiche von euren eigenen Landsleuten wie auch sie von den Juden.

Es ist nicht die Bedrängnis als solche, die Christus, die Apostel und die Gemeinden miteinander verbindet. Der gemeinsamen äußeren Not entspricht eine innere Gestaltung durch die Glaubenden. Die Gemeinden in Thessalonich, Makedonien und Achaja stehen zueinander, zu den Aposteln und zu Christus im Verhältnis der Mimesis (1 Thess 1,6; 2,14; vgl. noch Phil 3,17; 1 Kor 4,16; 11,1) und werden so zum Vorbild (1 Thess 1,7: τύπος). Der Lebensvollzug Christi, der Apostel und der Gemeinden wird als Nachahmungsverhältnis verstanden. Was meint nun in diesem Zusammenhang "Nachahmung"? Michaelis akzentuiert die paulinische Rede von der Mimesis, indem er den Gedanken des Gehorsams herausstellt: „'Nachahmung' also nicht als Wiederholung des Vorbilds, sondern als Ausdruck des Gehorsams."22 Betz sieht die paulinische Rede von der Mimesis in den Mysterienreligionen beheimatet.23 Merk24 und Söding hingegen betonen zu Recht die christologische Dimension des paulinischen "Mimesis-Motivs": „Nachahmung Christi bedeutet also nicht Orientierung am ethischen Beispiel des irdischen, sondern hingegebenes Sich-Bestimmen-Lassen vom auferweckten Kyrios der freilich niemand anderes ist als der am Kreuz gestorbene Jesus. Nachahmung Jesu Christi ist eine intensive Weise der aus dem Glauben fließenden personalen Bindung an den Kyrios, geprägt von der Bereitschaft, seinen Willen zu tun."25

Diese aus einer theologisch integrativen Gesamtperspektive formulierte Bestimmung des "Mimesis-Motivs" durch Söding wird der Dynamik der paulinischen Formulierungen nicht ganz gerecht. Weder Paulus noch die Gemeinden interpretieren ihre faktische Existenz aus der Perspektive eines fertigen, vorgegebenen theologischen System, sondern sie verstehen ihren Lebensvollzug als Teil eines offenen dynamischen Prozesses, an dem göttliche und irdische Welt in gleicher Weise beteiligt sind. Um diese Dynamik genauer zu 22 23 24 25

W. Michaelis, Art. μιμέομαι κτλ., ThWNT IV (1942) 661-678, hier 670. H. D. Betz, Nachfolge und Nachahmung Jesu Christi im NT, BHTh 37, Tübingen 1967, 138. O. Merk, Nachahmung Christi, in: ders., Wissenschaftsgeschichte und Exegese, BZNW 96, Berlin/New York 1998, 302-336. Th. Söding, Das Liebesgebot bei Paulus. Die Mahnung zur Agape im Rahmen der paulinischen Ethik, NTA XXVI, Münster 1995, 121-124.

Reflexionen über Sterben und Tod bei Paulus

313

fassen, sind einige Bemerkungen zum hellenistischen Bedeutungshintergrund des Wortes hilfreich. In der Septuaginta kommt dem Wortfeld kaum eine Bedeutung zu.26 Im griechisch-hellenistischen Denken gilt Mimesis als das Grundprinzip menschlicher Kultur- und Kunstentwicklung. Die Leistungen menschlichen Kulturschaffens beruhen auf der Nachahmung natürlicher Vorbilder.27 Schauspielkunst, bildende Kunst, Musik, Tanz und Dichtung sind μιμητικά! τέχναι. 28 Aristoteles beginnt seine Poetik mit der Definition: Die Epik und die tragische Dichtung, ferner die Komödie und die Dithyrambendichtung sowie - größtenteils - das Flöten- und Zitherspiel: sie alle sind, als Ganzes betrachtet, Nachahmungen (μιμήσεις). 29

Drei Konkretionen für das hellenistische Verständnis von Mimesis können den kreativen, imaginativen und aktiven Gehalt des Begriffs verdeutlichen: a) Polybios kritisiert eine Weise der hellenistischen Lokalgeschichtsschreibung, die auf Effekt setzt, nicht aber an der Freilegung der geschichtlichen Wirkungszusammenhänge interessiert ist.30 Sie ist geprägt durch eine die historischen Tatsachen ignorierende, tragische oder dramatische Nacherzählung der Geschichte, die wie die Tragödie nach dem Grundprinzip der Mimesis arbeitet.31 b) In der Nachdichtung der attischen Komödie durch die römischen Komödiendichter des 3. und 2. vorchristlichen Jahrhunderts meint Mimesis die „kreative Aneignung".32 Die bekanntesten dieser "Nachahmer", Plautus und Terenz, sind weit davon entfernt, einfach nur Menander zu kopieren. Sie schreiben seine Texte neu. Imitatio bzw. Mimesis meint „die freie Nachahmung, den schöpferischen Wettstreit"33.

26 27 28 29 30

31 32

33

Weish 4,2; 9,8; 15,9; 4 Makk 9,23; 13,9. Aristot, poet 1448b. Michaelis, Art. μιμεομαι 661 f. Aristot, poet 1447a. Übers. M. Fuhrmann, Aristoteles: Poetik, Stuttgart 1994, 5. Polyb II 56: ούχ ύποτιθείς αίτίαν κ α ι τρόπον τοις γινομένοις. Κ. Meister, Die griechische Geschichtsschreibung. Von den Anfängen bis zum Ende des Hellenismus, Stuttgart/Berlin/Köln 1990. P. Funke, Χρονικαί συντάξεις κ α ί ίστορίαι. Die rhodische Historiographie in hellenistischer Zeit, Klio 76 (1994) 255-262. C. Riedweg, Menander in Rom - Beobachtungen zu Caecilius Statius Plocium fr. 1, in: N. W. Slater u. B. Zimmermann (Hg.), Intertextualität in der griechisch-römischen Komödie, Stuttgart 1993, 133-159. Riedweg, Menander 154.

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c) Im frühen Prinzipat wird der Mimus populär.34 Er wird seinem Wesen nach von den Grammatikern definiert als die Nachahmung des Lebens, das deswegen Schickliches und Unschickliches gleichermaßen zu enthalten habe: Μίμος έστιν μίμησις βίου τα τε συγκεχωρημενα καί ασυγχώρητα περίεχων. 35

Seiner Form nach handelt es sich um eine szenische Darbietung. Zwischen den Akten und als Nachspiel zu Komödien und Tragödien tritt der Mime auf. Sulla, Caesar und Antonius fördern die Mimographen und Mimenspieler. Sie bieten populäre, politische und Götterkritik. Betz begründet seine Zurückhaltung gegenüber dem Einfluß des Mimus auf die paulinische Narrenrede damit, daß dem Mimus der „tiefe Ernst" fehle und Paulus sich selbst spiele.36 Der Fall des Laberius zeigt aber, daß beides auch im Mimus seinen Platz hat.37 Der Mimus steht in besonderer Nähe zum paulinischen Verständnis von Mimesis.38 Dabei sind Erwägungen, ob Paulus den „lasziven Mimus" gesehen habe oder nicht,39 ebenso wenig hilfreich, wie die Vermutung, er habe den Mimus wegen „seiner oft obszönen Szenen" abgelehnt.40 Das theatralische Motiv begegnet deutlich in 1 Kor 4,9 (θέατρον) und 2 Kor 2,14 (θριαμβεύω), und auch die sog. Narrenrede in 2 Kor ll,21b-12,10 läßt sich schwerlich alleine auf die Traditionen der jüdischen Weisheit zurückfuhren.41 Die paulinische Rede von der Mimesis ist mit einem „hingegebenen SichBestimmen-Lassen vom auferweckten Kyrios" (Söding) ebensowenig erfaßt wie mit „Gehorsam" (Michaelis). Die Herleitung des Mimesis-Motivs aus den Mysterienreligionen42 (Betz) wird dem öffentlichen Charakter der apostolischen und der gemeindlichen Existenz nicht gerecht, wie sie in 1 Thess 1,7; 2,1 f u.ö. zum Ausdruck kommt. Mimesis meint bei Paulus in hellenistischer Tradition die imaginativ-emphatische Neuinszenierung, die selbst Wir34 35 36 37 38

39 40 41 42

H. Reich, Der Mimus, Hildesheim 1974; H. Wiemken, Der griechische Mimus, Bremen 1972; E. Wüst, Art. Mimus, RECA XV (1932) 1727-1764. Grammatici Latini, Bd. 1, hg. von Η. Keil, Hildesheim 1961, 491. H. D. Betz, Der Apostel Paulus und die sokratische Tradition. Eine exegetische Untersuchung zu seiner „Apologie" 2 Korinther 10-13, BHTh 45, Tübingen 1972, 80. W. A. Krenkel, Caesar und der Mimus des Laberius, Hamburg 1994. Vgl. M. Hengel, Der vorchristliche Paulus, in: ders. und U. Heckel (Hg.), Paulus und das antike Judentum, WUNT 58, Tübingen 1991, 177-291, hier 184f; L. L. Welborn, The Runaway Paul, HThR 92 (1999) 115-163, 126-128. Hengel, Paulus 184. U. Heckel, Kraft in Schwachheit. Untersuchungen zu 2. Kor 10-13, WUNT 11/56, Tübingen 1993,21. So Heckel, Kraft 30-39. Betz, Nachfolge 48-136.

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kungen hat. Sie stärkt den Glauben der eigenen (1 Thess 2,13f) und der anderen Gemeinden (1 Thess l,6f). Sie vertieft die Beziehung zwischen Gemeinde und Apostel (1 Kor 4,16) und eröffnet missionarische Kompetenz (1 Kor

11,1).

In diesem Sinn können die Thessalonicher sich die Existenz der Apostel und des Kyrios in ihrem eigenen Lebensvollzug mit der Offenheit für das Neue und mit dem Ziel der Wirkung kreativ aneignen und dramatisch inszenieren. Und so (ώστε) werden sie zum Vorbild/τύπος fur die anderen Gemeinden in Makedonien und der Achaia.43 Die drei Bereiche faktischer Todeserfahrung, der Tod Christi, die Todesnähe der Apostel und die Todeserfahrung in der Gemeinde, werden zueinander in Beziehung gesetzt durch θλΐψις, μιμέομαι und τύπος. Die Situation des Christen ist grundsätzlich die der Bedrängnis. In dieser orientiert er sich an dem Vorbild des Apostels und des Herrn selbst.44 Auf die anthropologisch bedeutsame Komponente des Mimesis-Motivs hat Reinmuth hingewiesen. Er bestimmt "mimetische Kompetenz" als das Vermögen, das Allgemeine, das Menschliche zur Sprache zu bringen.45 In der Mimesis der Gemeinde und der Apostel käme dann das "allgemein Christliche" zum Vorschein, das sich an dem christologischen Kriterium messen lassen muß: der imitatio Christi. Der Lebensvollzug der gemeindlichen Existenz wird zur Mimesis der apostolischen Existenz und des Schicksals Jesu als unverwechselbare individuelle Neuinszenierung. Die Kriterien für die Angemessenheit der Form der Mimesis Christi, die die Gemeinde wählt, bleiben im 1 Thess freilich noch recht vage.

3

Entfaltung: 1. Korintherbrief, Galaterbrief, Philipperbrief 3.1 1. Korintherbrief

Im 1. Korintherbrief sind für unsere Fragestellung 1 Kor 4,9-13; 9,15f und 15,30-32 von Bedeutung. Es begegnen erneut die drei Zusammenhänge faktischer Todeserfahrung, die wir aus dem 1 Thess kennen: Tod Christi, Todes-

43 44 45

J. Ware, The Thessalonians as a Missionary Congregation, ZNW 83 (1992) 126-131. Κ. Backhaus, Mitteilhaber des Evangeliums (1 Kor 9,23), in: K. Scholtissek (Hg.), Christologie in der Paulus-Schule, SBS 181, Stuttgart 2000, 46-71, hier 55-69. E. Reinmuth, Narratio und argumentatio - zur Auslegung der Jesus-Christus-Geschichte im Ersten Korintherbrief: ein Beitrag zur mimetischen Kompetenz des Paulus, ZThK 92 (1995) 13-27.

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nähe der Apostel und Todeserfahrung in den Gemeinden. Die Begrifflichkeit der Mimesis erscheint noch in 1 Kor 4,16 und 11,1. Sie wirkt hier gegenüber 1 Thess farblos. Die mit der Begrifflichkeit angesprochene Sache hingegen, die Gestaltung der gemeindlichen und apostolischen Existenz in nachgestaltender Analogie zum Schicksal Christi, wird weit profilierter vorgetragen. 1 Kor 4,9-13 gehört in den größeren Zusammenhang von 1 Kor 1-4, der nach Sellin „eine in sich geschlossene Einheit ohne Verklammerungen zu den übrigen Teilen des 1 Kor"46 bildet. Die Apologetik und Polemik reiche an die des 2 Kor heran. Der Tod Christi wird hier (l,17f.23; 2,2.8) in seiner geschichtlichen Faktizität als Kreuzestod pointiert herausgestellt. In 4,9-13 steht der apostolische Dienst im Mittelpunkt. Die Beziehung zur Christologie wird nach dem in 1 Kor 1 und 2 Gesagten in 4,10 nur noch angedeutet. Die Todesnähe der Apostel wird als die Signatur ihres In-der-Welt-Seins verstanden (4,9). Als zum Tode Geweihter (επιθανάτιος) stellt er ein Schauspiel vor der himmlischen und irdischen Welt dar: 4,9: Gott hat uns, die Apostel, als Letzte eingesetzt, wie Todeskandidaten (ώς έπιθανατίους), denn zum Schauspiel (θεατρον) sind wir der Welt, den Engeln und den Menschen geworden.

Mit επιθανάτιος „todgeweiht" oder „zum Tode verurteilt" haben wir weder eine tatsächliche noch eine metaphorische,47 sondern eine metonyme Aussage.48 Der apostolische Dienst steht in einem realen Verhältnis zum Tod. Das fährt der in 4,11-13 folgende Peristasenkatalog aus.49 Die faktische Verfolgung wird konkretisiert als Hunger, Durst, Kleiderlosigkeit, Schläge und Heimatlosigkeit (4,11) und in V. 12b. 13 als Schmähung, Verfolgung, Verleumdung. Der Dienst der Apostel ist grundsätzlich und tatsächlich ein Dienst zum Tode. Der Blick fällt von der eigenen apostolischen Existenz auf das Schicksal Jesu und versteht sich in ihm als Mimesis. Weder beschreibt den Sachverhalt unter Begrenzung auf die „geschichtliche Existenz Jesu": „Die weltliche, konkrete Existenz des Apostels in Schwachheit wird im Licht der weltlichen, konkreten Existenz des Gottessohnes erkennbar als Gefäß der Macht Got-

46

47 48

49

G. Sellin, Das 'Geheimnis' der Weisheit und das Rätsel der 'Christuspartei' (zu 1 Kor 14), ZNW 73 (1982) 69-96, hier 72; W. Schräge, Der Erste Brief an die Korinther, EKK VII/1, Zürich u.a. 1991, 63-71, bes. 65f. Schräge, Erster Korintherbrief 1,341. H. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, München 2 1973, 292-297; 292: „Die Metonymie verwendet also ein Wort in der Bedeutung eines anderen Wortes, das semantisch mit dem verwendeten Wort in einer realen Beziehung steht." Schräge, Erster Korintherbrief 1, 33 lf.

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tes. Das Wie der geschichtlichen Existenz Jesu verweist den Apostel an das Wie seiner eigenen Existenz. Das Kreuz wird zur Signatur seines Lebens."50

In 1 Kor 9,15f faßt Paulus seine Sicht des Unterhaltsrechts der Apostel zusammen, das er in 9,1-14 ausführlich diskutiert hat. Die Evangeliumsverkündigung ist fur den Apostel Zwang (9,16: α ν ά γ κ η μοι επίκειται). Individuell zurechenbarer Ruhm entsteht aus Leistungen, die über den Zwang zur Verkündigung hinausgehen. Paulus weist Unterhalt zurück, obwohl er zuvor grundsätzlich das Recht der Verkündiger betont, aus dem Evangelium zu leben. Die Annahme von Unterhalt würde aber seinen Ruhm zunichte machen. Der „schwer verständliche Satz"51 1 Kor 9,15 endet mit einem Anakoluth: καλόν γάρ μοι μάλλον άποθανεΐν ή - τό καύχημα μου ουδείς κενώσει. Die Vergleichspartikel ή verweist auf 9,15b: δέ ταύτα ϊ ν α ούτως γένηται έν έμοί. Vollständig würde er in etwa lauten: „Es wäre mir ehrenvoller zu sterben, als daß so mit mir verfahren würde." Paulus verzichtet so radikal auf Unterhalt, daß er eher den Tod in Kauf nähme, als sein καύχημα zu gefährden. Die Nötigung zu der von Paulus fur unabweislich gedachten Weise des apostolischen Dienstes, die ihm selbst im Unterschied zu den anderen Aposteln auferlegt ist, ist durch nichts, nicht einmal durch den Tod, begrenzt. Der apostolische Dienst des Paulus mißt sich an dem erlangten und dem zu erlangenden eschatologischen Ruhm, der selbst durch den Tod nicht in Frage gestellt werden kann. In 1 Kor 15,30-32 wird die Todesnähe außerordentlich konkret angesprochen: (30) Warum nehmen wir stündlich Gefahren auf uns? (31) Täglich sterbe ich! Ja bei eurem Ruhm, (Brüder,) den ich in Christus Jesus unserem Herrn habe. (32) Wenn ich in Ephesus nach Menschenweise mit Bestien gekämpft habe, was nützt es mir? Wenn die Toten nicht auferstehen, (dann) laßt uns essen und trinken, denn morgen werden wir tot sein.

Θηριομαχεΐν ist terminus technicus fur die Strafe des ad bestias pugnare: „zur Strafe mit wilden Tieren kämpfen". Sachlich ist es unwahrscheinlich, daß Paulus tatsächlich einen Tierkampf bestritten und überstanden haben sollte. Erst ActPl 7 berichten von einem solchen, während IgnRöm 5,1 den übertragenen Gebrauch von θηριομαχεΐν belegt. Paulus geht es offensichtlich um eine sprachliche Aussage, die die Realität der Todesnähe in voller Schärfe zum Ausdruck bringt. Er spricht ihr gleichzeitig jegliche Bedeutung 50 51

H. Weder, Das Kreuz Jesu bei Paulus. Ein Versuch, über den Geschichtsbezug des christlichen Glaubens nachzudenken, FRLANT 125, Göttingen 1981, 238f. Schräge, Erster Korintherbrief 1, 320.

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für seinen Lebensvollzug ab, falls die Toten auferstehen. Die Totenauferstehung als solche, so wichtig sie für den Kontext 1 Kor 15 ist, bleibt funktional dem καύχημα, dem eschatologischen Ruhm zugeordnet. So wie in 1 Kor 9,15 ist es der eschatologische Ruhm, der durch die vom Tod gesetzte Grenze nicht betroffen ist.

3.2 Galaterbrief Im Galaterbrief ringt Paulus um die Anerkennung seines Evangeliums (1,11). Die enge Verbindung des Schicksals Christi mit der apostolischen Existenz und der Situation der Gemeinde, die wir im 1 Thess und 1 Kor beobachten konnten, wird hier in den Kontext des Ringens um den Gehalt des Evangeliums gestellt. Die paulinische Mission unter den Galatern beginnt nach Gal 4,13f mit einer Krankheit:52 (13) Ihr wißt doch, daß ich euch in Schwachheit des Leibes das Evangelium gepredigt habe beim erstenmal. (14) Und obwohl meine leibliche Schwäche euch ein Anstoß war, habt ihr mich nicht verachtet oder vor mir ausgespuckt (έξουθενήσατε ούδέ έξεπτύσατε), sondern wie einen Engel Gottes nahmt ihr mich auf, ja, wie Christus Jesus.

Diese Schwäche bindet er nicht so direkt christologisch zurück wie in 2 Kor 12,8f, aber seine Schilderung der Aufnahme durch die Galater setzt er deutlich in kontrastierende Beziehung zur Passion Jesu.53 4,13f bereitet so den erstaunlichen Gedanken von 6,17 vor:54 In Zukunft mache mir keiner mehr Mühe, denn ich trage die Malzeichen Jesu an meinem Leib.

Die Gegenmission in den galatischen Gemeinden scheint ein Evangelium zu verkündigen, das die Rückbindung der Gemeinde an das Kreuz Christi vermeidet. Paulus wirft ihr vor, sie wolle Verfolgungen umgehen (Gal 5,11; 6,12). Dieser Vorwurf hat seine theologische Begründung in dem Grundgedanken, der die Argumentationslinie des Paulus bildet. In der Gemeinde soll Christus Gestalt gewinnen (4,19; vgl. 5,24), so wie im Apostel selbst das 52 53 54

U. Heckel, Der Dorn im Fleisch. Die Krankheit des Paulus in 2Kor 12,7 und Gal 4,13f, ZNW 84(1993) 63-92. Lk 23,11. Gnilka, Paulus 211.

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Geschick Jesu Gestalt gewinnt. Im Rahmen der Polemik gehen die differenzierenden und dialektischen Momente der Beziehung zwischen Christus, Apostel und Gemeinde verloren. Es drängen Formulierungen in den Vordergrund, die wie 6,17 von der Identität von Apostel und Christus sprechen: 2,19f: Ich bin mit Christus gekreuzigt. Ich lebe, aber nicht mehr ich, sondern in mir lebt Christus. 6,14: Ich werde mich nichts mehr rühmen außer des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus, durch das mir die Welt gekreuzigt ist und auch ich der Welt.

Paulus definiert die Gemeinschaft mit Christus als gemeinsame Kreuzeserfahrung. Er spricht den Gegnern aufgrund ihrer Vorbehalte gegenüber dem Kreuz die Christusgemeinschaft ab. Es gelingt ihm aber nicht, die galatische Gemeinde in diese Beziehung zu integrieren. Im Gegensatz zu 1 Kor 4,16 und 11,1 bleibt die Aufforderung μιμηταί μου γίνεσθε aus. Paulus rechnet wohl damit, daß für seine Vorstellung einer christusförmigen Existenz der Gemeinde, die auch das Kreuz integriert, in den galatischen Gemeinden die elementarsten Voraussetzungen fehlen (Gal 3,1).

3.3 Philipperbrief Der Philipperbrief des Paulus ist in einer Situation entstanden, die von Gefangenschaft und Todesnähe geprägt ist.55 Phil A ist ein knappes Dankschreiben für eine Unterstützung, die Paulus von den Philippern in der Bedrängnis (4,14 θλΐψις) erhält. Phil Β reflektiert noch deutlicher die Situation der Haft (Phil 1,7.12-17). Es muß Verhöre und einen regelrechten Prozeß gegeben haben, denn Paulus spricht von „der Verteidigung des Evangeliums" (1,7.16). In Phil l,29f erwähnt Paulus die Leiden der Gemeinde fur Christus und stellt fest, daß sie in demselben Kampf stehe, den auch er kämpfe. In diesem Kontext stellt Paulus Überlegungen zu seinem eigenen Tod an (1,21-24; 2,17). Er reflektiert das Schicksal des von einer lebensbedrohlichen Erkrankung genesenen Epaphroditus (2,25-30) und definiert die glaubende Existenz als Gleichgestaltung zu Tod und Auferstehung Christi (3,9f), die deswegen in ihrem Leben und Sterben Christus verherrlicht. In Phil 1,21-24 äußert sich Paulus ebenfalls zu seinem individuellen Tod. Vollenweider hat gezeigt, daß man diese Verse „nicht einfach als unmittelba55

N. Walter, Der Brief an die Philipper, in: ders., E. Reinmuth u. P. Lampe, Die Briefe an die Philipper, Thessalonicher und an Philemon, NTD 8/2, Göttingen 1998, 13-17; U. B. Müller, Der Brief des Paulus an die Philipper, ThHK 11/1, Leipzig 1993, 15-21; J. Gnilka, Der Philipperbrief, HThK X/3, Freiburg/Basel/Wien "1987, 11-13.

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re Äußerung der aufgewühlten Apostelseele"56 interpretieren könne. Es handele sich vielmehr um eine „souveräne rhetorische Gestaltung"57. Inhaltlich ist der in Form einer Synkrisis gestaltete Vergleich von „Gutem mit Gutem",58 nämlich von Sterben und Leben, durch die „alttestamentlich-jüdische Komponente" bestimmt.59 Den Ausschlag in der Abwägung gibt nicht die rationale Argumentation für das κρεΐσσον (23), sondern die Erwartung einer positiven Zukunft (25: εις την ύμών προκοπήν καί χαράν της πίστεως). Paulus entscheidet sich fur das Bleiben, weil nur so die Dynamik des το καύχημα ύμών περισσεύη (26) aufrechterhalten wird. In der paulinischen Vorstellung des καύχημα begegnet erneut die von der Zukunft bestimmte eschatologische Komponente, die auf die positive Gestaltung der Gegenwart zurückwirkt (1 Kor 9,15; 15,30). Leben und Sterben sind keine Werte an sich, sondern ihre Bedeutsamkeit mißt sich an der Einbindung in den Prozeß der gegenseitigen Mehrung des καύχημα, des eschatologischen Ruhms. Das Stichwort „Ruhm" wird in 2,16 wieder aufgenommen und in der Weiterfuhrung des Gedankens in 2,17f erneut in Beziehung zum Tod gebracht. Paulus nennt sein Sterben hypothetisch ein „Opfer" und stellt erneut den Tod in einen Wirkzusammenhang. Der begründende Kontext nennt in 2,16 wieder den Ruhm und dessen Gefährdung („umsonst gelaufen"). Um die Gefährdung des Ruhmes zu verhindern, ist Paulus zum wirksamen Sterben, zum Opfer bereit. In 2,25-30 äußert er sich ausführlich zu Krankheit und Gesundung des Epaphroditus, „der krank bis zum Tod" war. Der rechtfertigende Ton des Abschnitts ist oft aufgefallen. Gab es Vorwürfe gegen Epaphroditus?60 Paulus stellt die Todesnähe des Epaphroditus heraus (2,26.30) und interpretiert sie als Folge des Bemühens des Epaphroditus, den Dienst der Gemeinde zu erfüllen und am Werk Christ mitzuwirken. Bedurfte vielleicht die Krankheit selbst der Rechtfertigung? Angesichts des Umgangs des Paulus mit seinem eigenen chronischen Leiden in Gal 4,13f und 2 Kor 12,7 ist der Gedanke nicht abwegig. Paulus verzichtet hier auf eine christologische Interpretation. Die faktische Todesnähe des Epaphroditus stellt ihn vor den Schöpfergott, der sich seiner Werke erbarmt (Ps 144,8f LXX). Tod und Sterben als solche sind nicht Teil der Dynamik des Christusgeschehens, sondern die glaubende Existenz bildet das Schicksal Christi ab.

56 57 58 59 60

S. Vollenweider, Die Waagschalen von Leben und Tod. Zum antiken Hintergrund von Phil 1,21-26, ZNW 85 (1994) 93-115, hier 100. Vollenweider, Waagschalen 100. Vollenweider, Waagschalen 100. Vollenweider, Waagschalen 114. Müller, Philipperbrief 127 u. 129.

Reflexionen über Sterben und Tod bei Paulus

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Das führt Paulus im Briefteil C aus, der von der Polemik gegen „Feinde des Kreuzes Christi" (3,18) geprägt ist und damit in der Nähe zum Gal steht. Phil 3,9-11 bringen die Vorstellung des Paulus am klarsten zum Ausdruck. Die Satzkonstruktion ist nicht ganz leicht zu entschlüsseln. Zunächst ist die Ausführung über die δικαιοσύνη im vom μή εχων abhängigen Partizipialsatz als Parenthese zu werten.61 Obgleich der Inhalt theologisch bedeutsam ist, kann der Einschub hier undiskutiert bleiben. ... damit ich Christus gewinne (9) und in ihm erfunden werde, - ohne eine eigene Gerechtigkeit zu haben, die aus dem Gesetz, sondern die durch den Glauben Christi, die Gerechtigkeit von Gott her im Glauben — (10) um ihn zu erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft mit seinem Leiden, gleichgestaltet mit seinem Tode, (11) auf daß ich wohl zur Auferstehung von den Toten gelange.

Paulus möchte „Christus gewinnen und in ihm erfunden" werden. Er stellt seine Existenz ganz in den Horizont des Christusereignisses, um die Kraft, die in der Auferstehung Christi wirkt, zu erkennen. An dieser Kraft, die natürlich Kraft Gottes ist, hat er in der Gegenwart nur Anteil über die Gemeinschaft mit den Leiden Christi. Dennoch ist es die gleiche Kraft, die Christus von den Toten auferweckt hat und die in der allgemeinen Totenauferstehung wirken wird. So gibt ihm das Gleichgestaltet-Werden seiner geschichtlichen Existenz mit dem Tode Christi die Gewißheit, auch an seiner Auferstehung teil zu haben. Der sakramentale Gedanke von Rom 6,3-5 wird hier aufgenommen und auf die gesamte Existenz des Glaubenden ausgeweitet. Die Aufforderung zur Mimesis in Phil 3,17 (συμμιμηταί μου γίνεσθε) blickt auf diese Entfaltung der christusförmigen Existenz zurück. Der Existenzvollzug der Apostel wird zum Vorbild (τύπος), weil in ihm die Kraft Gottes, die in Leiden und Auferstehungshoffnung gleichermaßen wirkt, faßbar wird.

4

Ziel: 2.

Korintherbrief

Im 2. Korintherbrief finden wir die differenzierteste Auseinandersetzung mit faktischer Todeserfahrung und mit der Gleichgestaltung der christlichen Existenz mit Sterben und Auferstehen Christi. In keinem anderen Paulusbrief wird die in Phil 3,9f formulierte Grundüberzeugung von der christusförmigen Existenz so variantenreich mit der Realität der Apostel und der Gemeinde konfrontiert. Die Verbindung von θλΐψις als Grundmodus des In-der-Welt-

61

Müller, Philipperbrief 154f; Gnilka, Philipperbrief 195f.

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Seins mit den Schicksalen und Lebenserfahrungen Christi, der Apostel und der Gemeinden wird im 2 Kor spannungsreich entfaltet. Die Gemeinde will nach Ansicht des Paulus aus dieser Grundbeziehung heraustreten bzw. wird durch Falschapostel, die sich zwischen Christus und Gemeinde stellen, aus ihr herausgedrängt.62 In seinen verschiedenen rhetorischen Anläufen variiert er deswegen die Bereiche, in denen er die Verbindung zwischen Leben und Sterben Christi, der Apostel und der Gemeinden verdeutlicht. Als Abfolge der im 2 Kor gesammelten Korrespondenz wird angenommen: Brief A „Apologie" (2,14-6,13 und 7,2-4), Β „Vier-Kapitel-Brief' (10-13), C „Versöhnungsbrief' (1,1-2,13 und 7,5-16), „zwei Kollektenschreiben" D (8), E (9).63 Der Briefabschnitt 2,14-7,4 ist eine Apologie des Paulus. Er gehört in die Anfangsphase des sich zuspitzenden Konfliktes mit den Korinthern.64 Es begegnen Redefiguren und Argumentationszusammenhänge, die eine weit stärkere Intensität der Auseinandersetzung mit der Gemeinde widerspiegeln als in 1,1-2,13. In 2,14-17 wird der Dienst der Apostel in einer starken, sonst nicht wieder aufgenommenen sinnlichen Metaphorik beschrieben. Gott führt die Apostel und Christus wie Gefangene im Triumphzug, also öffentlich vor der spottenden Masse, jederzeit (πάντοτε) umher. Der starke visuelle Eindruck, den das von Paulus gewählte Bild hervorruft, wird noch intensiviert durch die Rede von όσμή, εύωδία. 65 Der Dienst der Apostel, der bereits in 1 Kor 4,9 als öffentliches Schauspiel der Todgeweihten vor Engeln und Menschen vorgestellt wird, erscheint hier als der Triumphzug Gottes, durch den der Geruch seiner Erkenntnis an jedem Ort offenbar wird. Dieser Triumphzug, in dem die Apostel als Gefangene oder Sklaven mitgefühlt werden,66 scheidet die Zuschauer in zwei Gruppen, die Geretteten und die Verlorenen. Den einen dient der Dienst der Apostel zum „Tod", den anderen zum „Leben". Das meint vor dem Hintergrund der frühjüdisch-weisheitlichen Unterscheidung von qualitativem und biologischem Leben, daß denen, die verlorengehen, durch die apostolische Predigt ihre Situation im 62

Vgl. J. Schröter, Der versöhnte Versöhner. Paulus als unentbehrlicher Mittler im Heilsvorgang zwischen Gott und Gemeinde nach 2 Kor 2,14-7,4, TANZ 10, Tübingen/Basel 1993.

63 64

Vgl. die Literatur in Anm. 19. Das berücksichtigt auch R. Bultmann, Der zweite Brief an die Korinther, KEK.S, Göttingen 1976, 22f: Brief C: 2,14-7,4;9; 10-13; BriefD: 1,1-2,13; 7,5-16; 8. Vgl. Phil 4,18: όσμήν εύωδίας, θ υ σ ί α ν δεκτήν. J. Kügler, Paulus und der Duft des triumphierenden Christus. Zum kulturellen Basisbild von 2 Kor 2,14-16, in: R. Hoppe u. U. Busse (Hg.), Von Jesus zu Christus. Christologische Studien, BZNW 93, Berlin/New York 1998, 155-173.

65 66

Reflexionen über Sterben und Tod bei Paulus

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„Tode" (έκ θανάτου εις θάνατον) und denen, die gerettet werden, ihre Existenz im „Leben" (έκ ζωής εις ζωήν) gefestigt wird. Die christologische Dimension bleibt hier im Hintergrund. Auch 2 Kor 4,7-15 bieten wieder die Argumentationsschritte von der θλΐψις (4,8.17) als Modus des In-der-Welt-Seins der Apostel, über die Konkretionen im faktischen Lebensvollzug, hier rhetorisch pointiert als Peristasenkatalog in den Versen 8f.67 Die negative Antithese zwischen Bedrängnis (θλΐψις) und Doch-nicht-Vernichtung (άλλ' ούκ άπολλύμενοι) wird in die dialektische Synthese zwischen dem Offenbarwerden des Lebens Jesu an den Körpern der das Sterben Jesu umhertragenden Apostel überführt. Der apostolische Dienst ist ein In-den-Tod-gegeben-Werden um Jesu willen, um in diesem Leben als Sterben das "Leben Jesu" zu offenbaren, was hier die in der Auferstehung Jesu wirksame Kraft meint.68 Erst nachdem Paulus die christologische Fundierung des apostolischen Dienstes deutlich gemacht hat, integriert er in dieses dialektisch-dynamische Geschehen die Gemeinde. V.12 benennt den Wirksinn dieses Geschehens mit einer problematischen Aussage: „So wirkt der Tod in uns, das Leben aber in Euch." Eine positive Wertung des Todes kennen wir nur als Tod Christi, insofern bereits im Sterben Christi die Kraft wirkt, die durch die Auferstehung Christi zur Hoffnung der Glaubenden wird. Der Blick auf 4,7 zeigt, daß es eben die „Kraft Gottes" ist, von der Paulus her argumentiert. Sie ist es, die "Tod" bei den Aposteln und "Leben" in der Gemeinde wirkt. In 2 Kor 6,4-10 fuhrt Paulus noch einmal die Bedrängnisse des apostolischen Dienstes aus. Die Grundsituation wird durch θλΐψις und άνάγκη markiert (6,4) und durch konkrete Leidenserfahrungen veranschaulicht (z.B.: έν πληγαΐς, έν φυλακαΐς). Die konkretisierende Reihung wird ab V.6 mit positiven Begriffen weitergeführt, die mit έν angeführten Begriffe schließen mit der δύναμις θεου. Sie ist es, die die Antithetik der abschließenden, durch ώς eingeleiteten Partizipialsätze zusammenhält. Todesnähe und Überleben werden durch die in beiden Bewegungen wirkende Kraft Gottes zur Grunderfahrung der Apostel: „...als Sterbende und siehe, wir leben, als Gezüchtigte, und doch nicht getötet" (6,9). Paulus schwächt den mit der Todeserfahrung erreichten sachlichen Extrempunkt der Antithetik ab, indem er ihn nicht an das Ende der Reihung stellt, sondern durch positive Aussagen über die Dialektik von Trauer und Freude, Armut und Reichtum und Besitz und Besitzlosigkeit rahmt.

67 68

M. Ebner, Leidenslisten und Apostelbrief. Untersuchungen zu Form, Motivik und Funktion der Peristasenkataloge bei Paulus, fzb 66, Würzburg 1991. Müller, Philipperbrief 160.

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Im „Vier-Kapitel-Brief ' 2 Kor 10-13 setzt Paulus mit seiner Argumentation neu ein.69 Formgeschichtlich gesehen sind die wichtigsten der hier behandelten Texte Peristasenkataloge.70 Ebner unterscheidet fünf Formen von Leidenslisten und nennt 2 Kor ll,23b-29 einen „persönlichen Peristasenkatalog"71. Er ist neben 12,10 der einzige Peristasenkatalog, der im "Ich-Stil" formuliert ist.72 In ihm kommt die individuelle Lebensgeschichte des Paulus am konkretesten zum Zuge. Hotze zählt 28 Notsituationen.73 Wie in 2 Kor 6,4 geht Paulus von der Beschreibung des apostolischen Dienstes aus (dort διάκονοι θεου hier διάκονοι Χρίστου), gestaltet aber die Veranschaulichungen der Attribute dieses Dienstes neu. In 2 Kor 6,5-7 haben wir die Bewegung vom Schlimmsten zum Besten, von den Schlägen, Gefangenschaften, Mühen über Heiligkeit, Erkennntis usw. zur Kraft Gottes, die den Aposteln Waffen der Gerechtigkeit in die Hand gibt: (5) έν πληγακ. νηστείαις, (6) πνεύματι άγίφ, δια των οπλών

έν φυλακακ. έν άκαταστασίαις, εν κόποις. έν άγρυπνίαις, έν έν άγνότητι, έν γνώσει, έν μακροθυμίςχ, έν χρηστότητι, έν έν αγάπη άνυποκρίτφ, (7) έν λόγω αληθείας, έν δυνάμει θεοσ της δικαιοσύνης των δεξιών και αριστερών

2 Kor 11,23 greift die Begrifflichkeit teilweise auf, kehrt sie aber um und fuhrt den Gedanken vom Schlimmen zum Lebensbedrohlichen, von den Mühen, über die Gefangenschaften und Schläge bis zur Todesnähe: διάκονοι Χρίστου είσιν; παραφρόνων λαλώ, ύπερ έγώ' έν κόποις περισσοτέρως, έν φυλακαΐς περισσοτέρως, έν πληγαΐς ύπερβαλλόντως, έν θανάτοις πολλάκις·

Diese innere Verschärfung wird begleitet durch eine entsprechende verdeutlichende Attribuierung: „mehr", „im Übermaß", „oft". Diese Steigerung geschieht kommunikativ gegenüber den Gegnern, intertextuell interpretiert gegenüber den Aussagen in 2 Kor 6,4-7. Nun kommen in ll,24f die bekannten biographischen Ereignisse: die jüdische Synagogalstrafe fünfmal, die römische Geißelung dreimal, Steinigung einmal, dreimal Schiffbruch und über Tag und Nacht im Meer getrieben. Die 69 70 71 72 73

Heckel, Kraft 6-51. R. Bultmann, Der Stil der paulinischen Predigt und die kynisch-stoische Diatribe, hg. von H. Hübner, FRLANT 13, Göttingen 1984, 19. Ebner, Leidenslisten 391. S. Byrskog, Co-Senders, Co-Authors and Paul's Use of the First Person Plural, ZNW 87 (1996) 230-250, hier 249: „The plurals are mostly real plurals." G. Hotze, Paradoxien bei Paulus. Untersuchungen zu einer elementaren Denkform in seiner Theologie, NTA XXXIII, Münster 1997, 178f.

Reflexionen über Sterben und Tod bei Paulus

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Zahlenfolge und das πολλάκις sind im Stil der antiken Ruhmeschroniken gehalten.74 Der wichtigste erhaltene Text dieser Gattung sind die res gestae divi Augusti, deren Original vor dem Mausoleum des Augustus in Rom angebracht war.75 Zahlreiche Abschriften wurden an den Tempeln für Roma und Augustus aufgestellt, die in Kleinasien sehr verbreitet waren.76 Die Inschriftenfunde stammen aus Ancyra, dem pisidischen Antiochien und Apollonia.77 Es ist kaum vorstellbar, daß dieser Text Paulus unbekannt geblieben sein könnte. Die wichtigsten sprachlichen Argumente für die Anlehnung an eine "Ruhmeschronik" findet Fridrichsen a) im viermaligen πολλάκις, b) in den Zahlenangaben überhaupt, c) im epischen Chronikstil in ll,32f. 78 Formgeschichtlich sieht Fridrichsen die Ruhmeschronik zwischen der Biographie und dem cursus honorum. Gegenüber der Biographie beschränke sich die Ruhmeschronik auf die öffentlichen Taten, anders als der cursus honorum biete sie aber nicht nur eine Aufzählung der öffentlichen Ämter und Ehrungen. Vor diesem Hintergrund ergänzt Fridrichsen nun weitere Formmerkmale, die 2 Kor 1 l,23ff und den res gestae gemeinsam seien: a) die Ich-Form, b) die Aufzählung der Taten im Stil der σύγκρισις, c) die Aufzählung überhaupt, d) die "epische Tendenz", d.h. narrative Elemente, die die reine Aufzählung durchbrechen (2 Kor 1 l,32f), e) den Hymnenstil (11,29).79 Wenn Paulus sich in 11,23-25 an diesen Stil anschließt, dann in der Form einer ironisch-sarkastischen Parodie auf die Ruhmeschroniken der hellenistischen Herrscher, wenn nicht gar auf die des Augustus selbst. Die Verse 26-31 geben in der Summe ein recht anschauliches Bild der Tätigkeit des Apostels, berichten aber nicht von konkreten Einzelerlebnissen. Auch hier läßt sich ein gewisses Vorbild in den öffentlichen Dokumenten der römisch-hellenistischen Welt finden. Vielleicht stand der junge Paulus vor der Kopie der Bürgerrechtsverleihung des Augustus an den Kapitän Seleukos 74

75

76 77 78 79

Hotze, Paradoxien 179; Ebner, Leidenslisten 122-133; Bultmann, Zweiter Korintherbrief 218; A. Fridrichsen, Peristasenkatalog und res gestae, SO 8 (1929) 78-82; ders., Zum Stil des paulinischen Peristasenkatalogs 2 Cor 1 l,23ff, SO 7 (1928) 25-29. W. Eck, Augustus und seine Zeit, München 1998, 7-10; J. Bleicken, Augustus, Berlin 3 1999, 509-511; H. von Hesberg u. S. Panciera, Das Mausoleum des Augustus. Der Bau und seine Inschriften, ABAW.PH 108, München 1994; B. Simon, Die Selbstdarstellung des Augustus in der Münzprägung und in den Res Gestae, Ant. 4, Hamburg 1993; E. S. Ramage, The nature and purpose of Augustus' 'res gestae', Hist.E. 54, Wiesbaden/Stuttgart 1987. S. R. F. Price, Rituals and Power. The Roman Imperial Cult in Asia Minor, Cambridge 1984. E. Weber, Vorwort, Augustus: meine Taten, Darmstadt 61999, 6-9. Fridrichsen, Stil 26-28. Fridrichsen, Peristasenkatalog 78-82.

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aus dem Jahr 35 v.Chr. 80 Eine Kopie der epistula Augusti, die die Bürgerrechtsverleihung dokumentiert, sollte auch in Tarsus, Antiochien und Seleukia aufgestellt werden. 81 In dem in Rhosus gefundenen Exemplar heißt es in der Begründung der Bürgerrechtsverleihung (II 12): Έπεί Σέλευκος Θεοδότου 'Ρωσεύς συνεστρατεύσατο ήμεΐν έν τοΐς κατά την ..., όντων αυτοκρατόρων ήμών, πολλά καί μεγάλα περί ήμών έκακοπάθησεν έκινδύνευσέν τε ούδενός φεισάμενος των προς ύπομονήν δεινών καί πάσαν προαίρεσιν πίστιν τε παρέσχετο τοις δημοσίοις πράγμασιν, τους τε [ιδίους καιρ]ους τηι ήμετέραι σωτη[ρίαι] συνέζευξεν πασάν τε βλάβην περί των [δημοσίων πρ]γμάτων του δήμ[ου τ]ο[υ 'Ρωμ]αίων ύπέμεινε, παρουσιν καί άπουσιν [τε ήμεΐν χρη]στός έγένετο. Da Seleukos der Rhosier, Sohn des Theodotus, mit uns gekämpft hat in den (Kriegen) gegen ... als wir Imperator waren, erlitt er viel und große Not und stürzte sich in Gefahren, wobei er keines der zu ertragenden Schrecknisse aussparte, sowohl jegliche Neigung als auch Treue erwies er der res publica, sein eigenes Schicksal band er mit unserem Heil zusammen, auch jeden Schaden für die res publica des römischen Volkes ertrug er, während unserer Anwesenheit und Abwesenheit erwies er sich als wakker. Wie in 2 Kor 11,26-31 wird in der Begründung der Bürgerrechtsverleihung das Schicksal summarisch zusammengefaßt und eine Art kumulative Ehrenliste gebildet. Die intendierte Assoziation ist erneut der Vergleich mit den öffentlich belobigten und vom Staat belohnten Verhaltensweisen. Die Wendung in l l , 3 2 f soll dem Mißverständnis vorbeugen, Paulus wolle hier tatsächlich für eine Art Tapferkeitsmedaille werben. Die wenig rühmliche Flucht aus Damaskus ist das Gegenteil der υ π ο μ ο ν ή und πίστις, die Seleukos bewiesen hat. Paulus bleibt konsequent in der Schilderung von Schwachheiten. 82 12,10 faßt dann den biographischen Rückblick zusammen: Deswegen gefalle ich mir in Schwachheiten, in Mißhandlungen, in Zwängen, in Verfolgungen und Bedrängnissen für Christus; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark (δυνατός). Die Antithetik zwischen der Herrlichkeit des apostolischen Dienstes und der Schwachheit der Apostel fuhrt Paulus in 2 Kor 11,23ff bis zu seiner letzten 80 R. K. Sherk, Roman Documents from the Greek East, Baltimore 1969, 300; E. Schönbauer, Die Inschrift von Rhosos und die constitutio Antoniniana, APF 13 (1939) 177209, bes. 19Iff. 81 Sherk, Roman Documents, Nr. 58, Z. 6-8. 82 Lang, Korintherbriefe 345; Heckel, Kraft 38f; L. L. Welborn, Primum tirocinium Pauli (2 Cor 11,32-33), BZ 43 (1999) 49-71.

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Konsequenz, die besagt, daß in der empirischen Schwachheit die Kraft Christi bzw. Gottes (12,9f) wirksam ist. Die δύναμις θεου wirkt in der Schwachheit des Apostels so, daß er von sich sagen kann: δυνατός είμι. Diese Dialektik von Kraft und Schwachheit bindet er zurück an das Schicksal Jesu, um von dort her sofort ihr Wirken in der christusförmigen Existenz zu begründen. 13,4: Denn er wurde zwar gekreuzigt in Schwachheit, aber er lebt aus der Kraft Gottes. Auch wir sind schwach in ihm, aber wir werden uns mit ihm lebendig erweisen an euch aus der Kraft Gottes.

Nach dieser riskanten Argumentation wendet sich der Apostel nun, da der Zweifel am Wirken der Kraft Gottes bzw. Christi in ihm als Apostel ausgeräumt ist, seinem eigentlichen Ziel zu. Die Rechtfertigung seiner apostolischen Existenz zielt auf die Neubelebung der christusförmigen Existenz der korinthischen Gemeinde. Auch in ihr soll die Kraft Gottes so wirken, daß die Gemeinde durch sie stark wird. 13,9: Wir freuen uns, wenn wir schwach sind, ihr aber stark (δυνατοί) seid. Dafür beten wir auch: für eure Wiederherstellung.

Diese Haltung hat sich Paulus erst im Verlauf der Auseinandersetzungen mit der Korinthergemeinde erworben. Sie ist keine Taktik, sondern konsequente Interpretation des Christusgeschehens, aus dem heraus sich die Kennzeichen des apostolischen Dienstes und der Existenz der Gemeinde bestimmen. Der die Korintherkorrespondenz abschließende Versöhnungsbrief fuhrt aus der engagierten Diskussion der Kriterien der christusförmigen Gestalt der Gemeinde und der Apostel wieder in die Konfrontation mit den Realitäten der Todesnähe. In 2 Kor 1,8f spricht Paulus von einer Situation, die durch ein άπόκριμα του θανάτου geprägt ist. Es handelt sich um den terminus technicus für das Todesurteil. 3 Wie so oft, sind die konkreten historischen Umstände jedoch nicht sicher zu bestimmen. Das έν έαυτοχς ... έσχήκαμεν meint etwa „in unseren Gedanken" oder „für uns hatten wir bereits das Todesurteil empfangen". Paulus reflektiert eine Situation, in der er mit dem Tod fest gerechnet hat. Er stellt sie ungeschönt als aporetische Erfahrung dar: ώστε έξαπορηθήναι ημάς καί του ζην. Die Vorsilbe έξ- steigert das einfache, aber selbst schon gewichtige άπορεΐσθαι (2 Kor 4,8).84 Das Erlebnis der Todesnähe wird ohne rhetorische Bemäntelung artikuliert als Verzweiflung, die über menschliches Vermögen geht. 83 84

Ch. Wolff, Der erste Brief des Paulus an die Korinther, ThHK 7, Leipzig 2 1999,26. Wolff, Erster Korintherbrief 26.

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Eine ähnlich direkte Konfrontation mit dem faktischen Tod findet sich so nur noch in Phil 2,25-30. In beiden Fällen wendet sich die erste Versprachlichung der Todeserfahrung Gott selbst zu. Der Gott, der die Toten auferweckt (2 Kor 1,9), ist der barmherzige Schöpfergott, der sich des Epaphroditus erbarmte (Phil 2,27), und der Gott, der seine Getreuen aus dem Tod rettet.85 2 Kor 1,10 zeigt mit dem Wechsel der Tempora vom Aorist (έρρύσατο) zum Futur (ρύσεται) an, daß Paulus auch dieses geschichtliche Rettungshandeln Gottes in Kontinuität zu seinem endzeitlichen Wollen sieht.86 Der letzte Brief der Korintherkorrespondenz ist geprägt von einer versöhnlichen Stimmung. Die Stichworte „Betrübnis/betrüben" (2,1-7; 7,8-11) und „Trost/trösten" (1,3-7; 7,6-13) sind aber nicht nur im Blick auf den Konflikt mit den Korinthern zu verstehen, sondern spiegeln den noch nicht überwundenen Schrecken wider, der immer noch von der erfahrenen Todesnähe ausgeht.

5

Schluß: Rom 15,30-32

Die im 2 Kor gesammelte Korrespondenz ist kurz vor dem Römerbrief geschrieben. Paulus versteht seinen Existenzvollzug als Teil der in Tod und Auferstehung Jesu in Gang gebrachten Bewegung von Gott zum Menschen, deren Wirkmacht er „Kraft Gottes" oder „Kraft Christi" nennt. Sein Leben im apostolischen Dienst vollzieht er als kreative Mimesis des Todes Christi, nicht um des Todes selbst willen, sondern um die im Kreuzesgeschehen wirksame Kraft, die sich in der Auferstehung Jesu als „Kraft Gottes" erwiesen hat, in sich selbst und in seinen Gemeinden zur Wirkung kommen zu lassen. Der dynamische Prozeß ist kein geschlossenes System, sondern setzt einen Überschuß frei, den Paulus vor allem καύχημα, aber auch δόξα, καρπός und χαρά nennt. Paulus hat eine eindrucksvolle Konzeption der christusförmigen Existenz entworfen, die Erfahrungen von Niederlagen, Verfolgungen und Angst wie Erfahrungen der Freude, des Ruhms und der Herrlichkeit kritisch auf das Christusgeschehen zu beziehen weiß. In der Explikation dieses Konzepts greift er häufig auf die Gegensätze von "Leben/leben" und "Tod/sterben" zurück, wie wir gesehen haben. Diese zahlreichen Formulierungen sind nicht einfach metaphorisch oder gar im schlechten Sinne rhetorisch, sondern eher

85 86

Ps 33,19; 56,14; 116,8. 1 Thess 1,10.

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metonym zu nennen. In ihnen gibt es jeweils eine reale Beziehung zu Erfahrungen der Todesnähe. Daneben stehen die wenigen Texte, in denen die Erfahrungen von Todesnähe noch mit einer gewissen Unmittelbarkeit nachwirken (Phil 2,25-30 und 2 Kor l,8f). In ihnen steht der „Gott der beiden Testamente"87 im Vordergrund, an den sich Paulus in der Sprache der Psalmen, dem Frömmigkeitsbuch von Juden und Christen im ersten Jahrhundert,88 wendet. In Rom 15,30-32 verbinden sich nun das persönliche Schicksal des Apostels und das Gestaltwerden Christi in den Gemeinden in besonderer Weise. Paulus blickt auf eine ihm bevorstehende Gefahr, in die er in Ausübung seines apostolischen Dienstes als Mitüberbringer der Kollekte geraten wird:89 (30) Ich fordere euch auf [, Brüder,] bei unserem Herrn Jesus Christus und bei der Liebe des Geistes: Kämpft mit mir zusammen in den Gebeten für mich an Gott, (31) auf daß ich gerettet werde vor den Ungehorsamen in Judäa und mein Dienst für Jerusalem den Heiligen willkommen sei, (32) damit ich, wenn ich in Freude zu euch komme nach dem Willen Gottes, mich bei euch ausruhen werde.

Die Interpretation dieser Todesgefahr im Konzept der Mimesis Christi bleibt aus, obwohl bei der Erörterung der Kollekte die christologische Dimension anklingt (V.29) und die Dynamik des christusförmigen Lebensvollzugs in ihren Wirkungen für die Gemeinde in Rom benannt wird: „Fülle des Segens Christi" (V.29) und „Freude" (V.32) wird Paulus nach Rom bringen. Die feierlich-liturgische Gebetsaufforderung in V.30 erweitert ein Formular, das auch in Rom 12,1, 1 Kor 1,10 und 2 Kor 10,1 begegnet und das für die "dringende Bitte" steht.90 Das ntl. Hapaxlegomenon συναγωνίζεσθαι (vgl. 1 Kor 9,25) erinnert an die Schilderung der Evangeliumsverkündigung έν πολλφ άγώνι (1 Thess 2,1; vgl. Phil 1,30) und an die Aufforderung an die Philipper zum συναθλειν (Phil 1,27; 4,3). Die römischen Gemeinden sollen durch Gebete an Gott Paulus „Kampfeshilfe leisten".91 Der Adressat des Gebetes ist auch das logische Subjekt des biblisch-theologisch bedeutsamen ρυσθώ in V.31, das durch den Singular die Aussage auf Paulus

87 88 89

90 91

B. Janowski, Der Gott der beiden Testamente: Grundfragen einer Biblischen Theologie, ZThK 95 (1998) 1-35. E. Zenger, 'Daß alles Fleisch den Namen seiner Heiligung segne' (Ps 145,21), BZ 41 (1997) 1-27. K. Haacker, Der Brief des Paulus an die Römer, ThHK 6, Leipzig 1998, 313; D. Georgi, Remembering the Poor: The History of Paul's Collection for Jerusalem, Nashville 1992, 120. B D R § 223,5. E. Käsemann, An die Römer, HNT 8a, Tübingen 4 1980, 391.

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beschränkt, obwohl er doch Teil einer Gesandtschaft ist.92 Die in Judäa zu erwartenden Gegner nennt er άπειθούντες. Der Bedeutungshintergrund ist weniger in den "Feinden" des Psalters zu suchen,93 als in der kulturellreligiösen Polemik zwischen Judentum und Hellenismus,94 die selbst wiederum auf die biblische Vorstellung vom "widerspenstigen" Volk zurückgreift.95 Das noch unsichere Gelingen des gemeinsamen Vorhabens wird in V.32 nochmals dem Willen Gottes anheim gestellt. Die paulinische Reflexion der zu erwartenden Krise in Jerusalem wird im Stil der konkreten Todeserfahrungen in Phil 2,25-30 und 2 Kor 1,8-10 reflektiert. Angesichts der Gefahr für Leib und Leben, bringt Paulus seine Lage in Wendungen biblischer Frömmigkeit zur Sprache, die Leben und Sterben des Menschen in die Hand Gottes legen. Je realer die Todesnähe erfahren wird, desto klarer dringt bei Paulus das Vertrauen auf das barmherzige Rettungshandeln Gottes durch, das im „Bekenntnis zu Jahwes Verschonungswillen" festgehalten ist und „durchgehend im Kontext von Gebeten um Errettung aus Not und um Vergebung"96 begegnet. Die paulinischen Reflexionen über Sterben und Tod bestätigen die in Rom 11,18 formulierte Einsicht: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich!"

92 93 94 95 96

Ps 32,19; 55,14 LXX; 2 Kor 1,10; 1 Thess 1,10. Nur Ps 67,19 LXX. Vgl. O. Michel, Der Brief an die Römer, KEK IV, Göttingen 5 1978, 336. Vgl. 4 Makk 8,6.9.11.21; 9,10. Das hebr. ¡"HD (= widerspenstig sein) wird in der LXX häufig mit ά π ε ι θ ε ΐ ν κτλ. übersetzt: Num 14,43; 20,10; Dtn 9,7.24; 21,18.20; Jes 1,23.25; 3,8; 7,16; 8,11 u.ö. J. Jeremias, Die Reue Gottes. Aspekte alttestamentlicher Gottesvorstellung, NeukirchenVluyn 2 1997, 95. Vgl. Ex 34,6; Dtn 4,31; Joel 2,13; Neh 9,17.[31]; 2 Chr 30,9; Sir 50,19; Jon 4,2; Ps 86,15; 103,8; 145,8.

Register in Auswahl zusammengestellt von Tobias Kaspari Die kursiv gedruckten Seitenzahlen beziehen sich auf die Anmerkungen.

Stellenregister I. Altes Testament Genesis 2,23 4,3-8 10 12,3 18,8 47 49

201 201 184 184f; 188 185; 188 41 41

Exodus 2,14

201

Numeri 22

265

Deuteronomium 1-34 42 198 32,15 Josua 7,1-26

283 283 320

Kohelet 3,21f

307

Jesaja 6,9f 6,10 8,9LXX 48,20LXX 49,1 49.6LXX 49,8 52,15 62,11LXX 65.2LXX 66 66,18-20

166f 120 133 133 183 133; 181 183 183 133 27 184f 184f; 186

288

1. Samuel 5 12

284 42

1. Chronik 1,1-2,2

184

Esra 1,4 6,8-10 7,15-22

32 32 32

Hiob 5,2

200

Psalmen 16,10

69,29 109,8LXX 144,8fLXX

277

Jeremía 4,2 Ezechiel 5,5 30,3 38 39

185 185 185 185

Daniel 3 6 12,1-3 7,13f

294 294 294 294

Joel 3,1LXX

285

184

334

Stellenregister

II. Apokryphen und Pseudepigraphen zum Alten Testament syrischer Baruch 42 44-46 4. Esra 12,11 ff 14

252 42

slavischer Henoch 42 58-66 Jesus Sirach 40,14

308

3,25-27 3,32 3,33f 3,38f 7 9,5-12

302 302 302 302 294 280

3. Makkabäer 5,43 5,50

283 283

4. Makkabäer 5-18

294

Jubiläen 5-18 8-9 36

42 184;186 42

Psalmen Salomes 133 1,4 2,24 199 8,15 132; 133

1. Makkabäer 2 3,9

42 133

2. Makkabäer 3 3,2 3,7f 3,9-12

Sapientia Salomonis 308 2,1 2,23 308 4,19 283f

301 32 301 301

Tobit 14

42

III. Neues Testament Matthäus 11,20 13,14f 27,3-10 28,16-20

26 118 112 42

Markus 4,12 5,21-43 13,11 15,36 16,8 16,9-20 16,14-19

118 277 26 283 236 236 42

Lukas 1,1-4 1,1-4,30 4,1-3 4,13 4,38f 5,15 6,18 8,10 9,44 9,52 10,1 10,19 11,36 18,32 20,20

137 141 292 287 91 92 92 181 154 24 109 94 147 154 154

Stellenregister 22,3 22,17f 22,24-30 22,47 22,69 23,1 23,6-12 23,16.20.22 23,18-24 24,7.20 24,44-52

287 112 42 282 299 154 299 154 154 154 42

Johannes 7,53-8,11 11,26 12,40 14-17

112 120 118 42

Apostelgeschichte/A cta 138 1,1 l,lsyr 124 117 1,3 138 1,4-11 1,8 131; 133; 143;181 282 1,15 l,16f 282 276; 280 1,18 1,20 282 l,23.25f 282 191 2 2,17 285 2,23 276 276 2,27-29 311 4,3 4,21 299 4,32 287 4,32-37 287 4,36f 287 5,7-10 288 5,16 288 119 5,17 5,18 311 5,32 287 292 5,39 6,2 287 6,5 123 6,9 300 6,11-13 296

6,13 7 7,2-53 7,15 7,54-60 7,55 7,56 7,57 7,58 7,59 7,59f 8 8-9 8-10 8,1 8,3 8,12 8,37 9 9,8 9,11 9,16 9,17 9,22f 9,23-25 9,26 9,28-30 9,36-43 9,37 9,43 10,39f ll,1 9 ff 11,26 11,30 12, lf 12,2 12,3 12,17 12,18-25 12,23 12,24 12,25 13,2ff 13,11 13,27f 13,27-29 13,36

335 300 274 295 276 295 191 296 164; 299 276; 295; 299 311 297 191 127f; 130; 134; 151; 153f 18 164; 295; 311 295;311 117 112 301 301 33; 311 303 85 300 163 164 188 277 276 97 295 109; 123 147 164 276; 295 311 311 298 276; 280;292 288 281 164 85 281; 301 295 276 276

336 13,46 13,46f 13,47 15,2 15,3b-39 15,5 15,8 15,29 15,30-18,1 15,32syr 15,34 16,1 16,5 16,9f 16,16-40 16,23-40 16,38 17,5 17,13 17,32-34 18 18,2 18,3 18,3 18,6 18,11 18,12 18,14-17 18,16 18,20 18,22 18,23b 18,30 19,8 19,10 19,11 19,21 19,22 19,23-40 19,29 19,32 20 20,1-21,14 20,1-21,40 20,3 20,4 20,4-21,18 20,5f

Stellenregister 122 134 133;182; 194 33 190 119 85 113; 121 159, 161 113 112 266 97 191 230 303 98 33; 164 33 117 191 161f 78 97 122;134 147; 162 33; 162 135 98 97f 22; 33 165f 98 117 147; 166;170 92 168;273 24 230 79 120 22; 41 24 22 25; 27; 33; 166 22; 79; 256; 266 22 38

20,6-12 20,9-12 20,13f 20,14 20,15 20,16 20,17-35 20,19 20,22f 20,22-25 20,24 20,24f 20,25 20,29 20,31 20,38 21 21,4 21,4.11-14 21,10f 21,11 21,13 21,16 21,17-28,31 21,20 21,21 21,24 21,27 21,28 21,30 21,31 21,38 22,1-21 22,3 22,5 22,1 lf 22,25.28 23,1-5 23,1-10 23,11 23,12-22 23,27 23,29 24,5 24,14 24,22 24,26 24,27

277 276 38; 304 38 38 38; 165 38; 94; 100 28; 304 28; 85 154 45; 302 124 17; 45f; 129f; 134; 142 45 147; 166;170 94; 129f; 134; 142 15;22 45; 85; 154; 167 28 45 94; 142;154 302 34 237 33 22; 28; 121 34 300 300 22;147 302 170 304 121; 164; 235 116 302 98 170 304 129;304 303 98 85; 116; 153 117 119 153 135 147; 167

Stellenregister 25,2 25,9 25,10-12 25,11 25,18 25,18.27 26,5 26,12-18 26,22f 26,31 26,32 27 27f 27,1 27,1-3 27,1-28,31 27,2 27,3 27,6 27,8-10 27,9 27,9f 27,9-11 27,10 27,11 27,12 27,13-20 27,14 27,15 27,17 27,22 27,22-25 27,24 27,24f 27,25 27,26 27,27 27,30 27,34 27,34-38 27,38 27,41 27,42ff 27,43 27,44 28

116 154 98 98; 153; 216; 222; 237; 303f 153 116 119 302 117 85; 102;153 116;/55;304 49; 50f; 55; 58f;61;68; 71f; 153; 302 105 79 82 141 79 80 96 170 57; 62; 167 83 70 82 83 82f; 120 52; 60f 63; 66f; 72 119 55; 64; 68 87 90f 82; 96; 129; 153 86;88 86 90 57; 66; 68; 167 93; 129 91 87f 88 51 91 81 86 221

28,1 28,1-10 28,2 28,3 28,3-6 28,4 28,5 28,7f 28,7-10 28,9 28,11-15 28,13 28,14 28,15 28,16 28,16-31 28,17 28,17syr 28,17-24 28,17-31 28,17-3 lsyr 28,17b-19 28,17b-20 28,18f 28,18ffsyr 28,19 28,19syr 28,20 28,20syr 28,2 lf 28,21fsyr 28,22syr 28,23 28,23syr 28,24 28,24f 28,25syr 28,25-28 28,26syr 28,26f 28,27syr 28,28 28,28syr 28,29 28,29syr

337 50 92 81 303 66; 91 92 94 81; 91 95 91 98 96 81; 167 97; 106 99; 102; 137; 144f; 146; 155; 230 128; 143f; 150 45; 102;116;153 119-121 133 107; 115f; 131; 141 118; 121; 124f 155 153 116 119 153 121 99f; 101; 116 119 116 119 119; 121 102; 116; 144-146; 155 119 116 120; 122f 120 134 120 116 122 116;118 120;122 118 118

338 28,30f

28,30fsyr 28,31

28,3 lsyr

Stellenregister 103; 106; 118; 127; 130; 143f; 146f; 155; 167; 175; 230; 233 121; 124 82; 103f; 106; 133; 215; 221; 223; 23 lf; 233f; 236 115; 121

Römer 1,1 1,14 2,8 5,12 6,3-5 7,24 9-11 9,3 10,18 10,21 11,18 11,25 11,25-27 11,30 11,31 11,32 12,1 13,1 l f 15 15,10 15,14-33 15,19 15,19f 15,19-24 15,20 15,22 15,22-29 15,22-33 15,24 15,24-28 15,25 15,26 15,26f 15,28 15,30 15,30f

105 189;193f 27 310 321 27 35 28f 188 27 330 184f; 188 183 27 27 27 329 183 18;23 184f; 188 25 185;188f 183 178 183; 193 168 171 17; 23; 28 24; 129; 174; 178; 182; 207 155 30 23;29f 30; 33f 77; 24; 174; 178; 182; 189; 194; 207 22; 25; 26 27; 30

15,30-32 15,31 15,32 16 16,1 16,21

310; 329 23; 27; 190 26; 330 137 192 256

I. Korinther 1,10 3,13 4,9 4,9-13 4,10 4,11-13 4,12 4,16 4,17 9,1-14 9,15 9,15f 9,25 11,1 11,30 13,13 15 15,18 15,30 15,30-32 16 16,1 16,1-4 16,2 16,3f

329 120 314; 316 315f 316 316 78 315f; 319 266 317 320 315; 317f 329 315f 310 119 310; 318 310 320 315f 23 23; 30 30; 34 23 24

2. Korinther 1,1-2,13 1,3-7 l,8f 1,9 1,10 l,10f 1,16 2,1-7 2,14-17 2,14-7,3 4,7-15 4,8 6,2

322 328 169; 327; 329 328 27; 328 26 27 328 322 169; 310; 322 323 327 183

Stellenregister 6,4 6,4-7 6,4-10 6,5 7,6-13 7,8-11 8-9 8,13f 8,19f 9,3-5 9,5f 9,8 10,1 10-13 10,16 11,5 11,22 11,22-26 11,23 11,23-25 11,23-28 ll,23b-29 ll,24f 11,24-26 11,27 ll,32f 12,7 12,9f 12,10 13,4 13,9

324 324 323 169 328 328 23; 30; 35 34 24 30 24 266 329 169; 322; 324 168 33 33 28 169; 324 325 210 324; 325f 324 33 78 163;325f 320 327 324 327 327

Galater lf 1,10 1,11 1,15 l,16f 1,17 l,17f 1,20 1,22 1,23 2 2,2 2,10 2,19f 3,1

161 105 318 183 182;186 164; 183 190 158 27 28; 151 158 190 29 319 319

3,8 4,13f 4,19 5,11 5,24 6,11 6,12 6,14 6,17 12,8f

185;188 318; 320 318 318 318 255; 257 28; 33; 318 319 318f 318

Epheser 2,12 3,1 4,1 4,22 6,21

116 260 260 138 151

Philipper 1,1 1,7 1,12 1,12-17 1,16 1,18-26 1,19 1,20-24 1,21-24 1,24-26 1,27 l,29f 1,30 2,16 2,17 2,24 2,25-30 2,27 3,2 3,6 3,9f 3,9-11 3,17 3,18 4,3 4,14

42; 105; 256 319 151 319 319 27 26 26 319f 45 329 319 329 320 319f 17 319f; 327; 330 328 28; 33 119 319 321 312;321 321 329 319

Kolosser 1,1

256

340 1,24 2,17 4,7 4,7-18 4,10 4,16 4,18

Stellenregister 29; 258; 260 258 151 258 79 258 257

I. Thessalonicher 311f; 315 1,6 l,6f 31 lf 312; 314f 1,7 164 l,9f 1,10 27; 311 329 2,1 2,lf 314 2,2f 311 2,9 78 2,10 119 2,13f 315 2,14 27; 164; 31 lf 2,15 28; 311 2,15f 164 311 3,3 3,4 311 3,13 119 4,13 310 4,13-18 162; 279; 311 4,14 311 4,16 312 5,7 119 5,9f 311 11,1 312 2. Thessalonicher 2,2 244;249 3,2 27 /. Timotheus 1,3 1,8 1,18 3,14 4,6 4,11 4,12 4,13

268 268 267 268 267 267 268 268

2. Timotheus 1,8 1,12 l,13f 1,15 1,16 l,16f 1,18 2,1-7 2,9f 4,1-8 4,6 4,7 4,9f 4,11 4,11-16 4,12 4,16 4,16f 4,20

260 260 267 137;273 260 171 268 267 260 268 171 268 137 263 273 256; 268 136f; 155; 173; 221 17 22

Titus l,4f 1,5 2,2 3,12

257 257 257 256

Philemon 1 19 22 24

256 257 145 79

1. Petrus 5,1

260

Hebräer 8,7 13,23

119 266

Jakobus 2

211

Offenbarung 2,13 16,1 20,4

275 285 275

Stellenregister IV. Apokryphen Acta Pauli 2 3,1 3,7 3,9 3,10 3,18 3,21 3,24 3,34 3,42 5 7 8 9 9-11 10 11 11,1 11,3 11,6

zum Neuen

107f

Actus Vercellenses 1,1 193 1-3 18;172 Actus Petri cum Simone 145,10 207 151,26 207 Acta Thomae 23

284

Epistola Apostolorum 31-33 107f Philippus-Evangelium 4 309

Väter 5,5-7

196 197 210 197 197 199f; 201 197 197 204f 202 199 197 197; 201 199; 201 180; 206 199; 202 200; 202; 209 200; 209 20 206; 210

Testament

Acta Petri II 1-3.40

230 227 235 227 235 227; 235 235 227 227 227 227f 228; 317 227;230 228; 230 158 228 230; 232; 237 228; 230 228f 229 V. Apostolische

1. Clemens 1,1 1,2-2,8 1,3 3,1 3,1-4 3,2 3,2-4 3,4 4-6 4,Iff 4,1-13 4,1-6,4 4,7 4,9 5 5,1 5,2 5,4 5,4-7 5,5

341

5,6 5,6f 5,7 6,1 6,2 6,1-4 6,3 7,1 7,5-8,5 9,1 9,3-12,8 14,1 14,2 17,lf 19,1 32,3 34,8 35,3f

18; 129; 136; 158; 171; 197; 200; 202; 231; 236f 210f 194; 206 155; 182; 187; 204; 206; 209; 211 200f 200; 202 200 200f 202 204 200 204 200 201 209 209 210 204 204

342 35,5 37,2f 38,2 39,7 44 44,3 45 45,4f 45,7 46 45,8 47,1 47,1-3 47,4 49 51,5 54,2 55,1

Stellenregister 60,4 62,2 64,1

201 210 209 200 205 209 205 205f 205 204f 204 212 196 209 204 210 201 210

Hirt des Hermas vis III 9,1 274f Ignatius an die Römer 274 4,3 317 5,1

VI. Josephus Antiquitates Judaicae 1,122-147 184 4,309-326 42 12,119 123 12,150 192 15,417 23 18,81f 31 80; 102 18,203 18,203f 101 18,232f 101 18,235-237 101

284; 286; 287

Polykarp 9

274

Flavius 97 31 31 31 23 23

Contra Apionem 2,39 123 Vita 13-16 15

VII. Rabbinische

Jerusalemer Talmud Ber 9a 94 Ber 12d, 5813a,16 123

Papias Frgm 6

2,104 2,408f 2,411 2,413 5,193f 6,124-126

De Bello Judaico 2,80-82 103

Babylonischer Talmud Ber 33a 94

210 203 203

99; 57

Literatur Schab 3c,34ff

31

Tosefta Sanh 8,3

94

Stellenregister

Vili. Pagane antike Literatur Achilleus Tatios III 2,2 52

Homer Ilias 16,765f 22,405-515

52 742

Aelius Aristides Hieroi Logoi 2,12 2,65-68 2,66 4,31 4,32-36 4,33 4,37

59 56 57 58 57f 58 58

Odyssee 3,139 5,295f 5,330f 5,469 14,299ff 23,248-296

57; W 52 52 60 88 142

Orationes 48,67f

84

Horaz Epistola II 1,20-27

251

Anthologie Graeca VII 290 92 IX 269 92 Aristophanes Nubes 408-410

Lukian von Samosta Navigium 7-9 55 Petronius Satirica 114,1-3

52

Plutarch Dio 25,1-11 25,3-11

54 55

Sulla 36,3f

280

Seneca d. Ä. Controversiae 7,1

89

pro L. Valerio Fiacco 66-69 24

Seneca d. J. Epistulae 5,7 77, lf

98 96

Dio Chrysostomos Orationes 21,12 251

Sueton Augustus 98,2

97

284

Arrian Periplus Maris Euxini 3,2-4 60 4,1-5,2 61 Cicero Brutus 281

85

Epistulae ad Familiares XVI12 84f de Finibus V 65f

85

344

Stellenregister

Titus 5,3

97

XIII 15,4 XIV 60,2 XV 44

Claudius 25,4

161;211

Tacitus Annales IX. Kirchenväter/Christliche Apostolische Constitutionen VII 46,10 267 Athanasius Epistulae Festivae 39 250 Canon Muratori 2 2,35-37 2,69-71 34-39 38

108 194 245 129 18

Epiphanius von Salamis Panarion 38,2.5 242

101 101 19

Vegetius Epitoma Rei Militaris 4,39 55; 57; 60; 170

Schriftsteller IV 23,11 VI 12 VII 25

196 250 250

Hippolyt Commentarius in Danielem II 36 19 Irenäus von Lyon adversus Haereses 12,5.9 108 Tertullian adversus Marcionem V 2,7 108 V 21 244

Eusebius von Caesarea Demonstratio Evangelica III 5,65 19

de Baptismo 17 17,5

Historia Ecclesiastica 109 I 13 109 II 1 275 1122,1-8 II 22,2 18; 223; 232 II 25,5 19 275 II 25,5f 275 1113,1 1114,5 267 196 III 16

de Cultu Feminarum 1,3 252 de Idolatria 4,15

274 224;230;244

252

de Praescriptione Haereticorum 22,1 Of 108 36,3 19

Stellenregister X. Inschriften OG/5594

97

Oxyrhynchus Papyri 111502.31 103 VIII 1127.16 103 XVIII2191 97

und

Papyri

Papyrus Hamburg 1-5 221 6 172 6-11 221 11 172

Sachregister Abschiedsreden - im AT 41f - in den Apokryphen 42 - im NT 42 Acta Pauli 215f;242; 274 - Datierung 225f - Itinerar 218; 223; 229 - Missionsschema 229; 233 - als "relecture" 230f; 235-237 - sprachliche Parallelen zu Act 226229 άγνοια 95 Agon-Motiv 200; 202f; 205f; 208f άκωλύτως 103f; 118; 149f Älteste 37f; 42-45; 302 Alexandrinerbrief 242; 247 Angelophanie 86; 90 Antiochenischer Konflikt/Zwischenfall 32; 33; 159; 161; 165 Antipaulinismus 33 Apokalyptik 222; 234; 252 Aposteldekret 113; 121 Apostelgeschichte/Acta - Adressaten 305 - Chronologie 158; 160; 165 - Ende/Schluß 127; 131; 137f; 139; 142;151 - Itinerar 38; 159f - Textüberlieferung 107f; 109 - Textüberlieferung, syrische 111 ; 112f; 114f; 120 - Todesarten - natürlicher Tod 276-279; 299 - Fluchtod 267; 279-294; 295f; 299; 303 - Martyriumstod 276; 294-300 - Urschrift 125 - Verhältnis zu API 215ff - "westlicher" Text 108; 112-114 - Wir-Berichte/-Passagen 51; 72; 76; 79; 92; 95 Apostolischer Dienst/Existenz 313 ; 317; 322-324; 327; 329

Apostelkonvent/-konzil 22-24; 29; 32; 158; 159-161; 163f; 165; 185-187; 190 Auferstehung 202; 318; 321 Barbaren/βάρβαροι 95; 189 βασιλεία του θεοΰ 117 Bischofsliste, römische 173 Christenverfolgung 20; 133; 172f; 175; 196; 216; 222 Christologie 316 Christus, siehe Jesus Claudius-Edikt 161 1. Clemensbrief - Adressaten 199; 205; 211 - Datierung 196f - Lasterkatalog 201 - Paradigmenkatalog 198; 201f; 205; 208f; 212 - Verhältnis zu Lk 212f Corpus Paulinum, subscriptiones 256 Danielbuch 248f; 252 Deuterojesaja 183 Deuteropaulinen 240; 243f; 249; 253f διακονία 29 Diatessaron 111 διετία 147f; 150 Doctrina Addaei 122 εκκλησία 287; 289 Epheserbrief 247; 253; 256; 261 Episkopenverfassung 42 ερις 199f; 201; 206 εσχατον της γής/Ende der Erde 132; 181; 185; 188-190; 194; 212 Etesien 61 Εύρακύλων/Euroaquilo 63 f; 66; 67; 72 Exodus-Muster 281 Galaterbrief 158; 318 Gefangenschaftsbriefe 169

Sachregister Gemeinde - heidenchristliche 19; 33 - jüdische 25; 27f; 33; 97; 164; 182 - judenchristliche 21f - syrisch-christliche 109f; 120; 122 Goldene Regel 114 Häresie 244 Hebräerbrief 245; 247; 258; 266f Heidenchristen 30; 121 Hellenismus 266; 330 Henochbuch 252 Himmelfahrt 280 Hoher Rat 296; 298f; 303f; 305 Hypertextualität 224; 235 Intertextualität 224; 230; 235f imitatio, siehe μίμησις Israel 35; 116f; 118; 120; 184 Jakobusbrief 19 Jesus/Christus - Auferstehung 134; 277; 319; 321; 323;327 - Kreuzigung/Tod/Hinrichtung 161; 164f; 294; 316; 322f; 327 - Passion 134f; 154; 281 ; 287; 318 - Versuchung 29 lf Johanneische Schule 261 Judasbrief 252 Judenchristen 30 Καικίας 64f Kalender, Julianischer 171 καύχημα 317f;320;327 Koine 114 Kolosserbrief 256; 260f - Grußliste 258 - Sekretärshypothese 257f Konzile, ökumenische 113f 3. Korintherbrief 242; 253 Korinther-Korrespondenz 168f - Apologie 169; 309; 322 - Kollektenbrief 169; 322 - Teilungshypothesen 310; 322; 327f - Tränenbrief 168; 169

347

- Versöhnungsbrief 169; 309; 322; 327 κύριος 26; 312; 314f Laodizenerbrief 242; 247; 253 Laubhüttenfest 62 legenda aurea 283 Liber Antiquitatum 230 Markusevangelium 46; 249 - Ende 141; 236 μαρτυρεΐν 207; 209f Martyrium 294f Menschensohn 296; 299 μίμησις/Mimesis/mimetisch 2 75; 312 ; 315f; 319; 321; 327; 329 "Neuer Wettstein" 75 Normenwunder 289 Parusie 183f; 185f; 187 Paulus - Apostasieverdacht 22 - Appellation/Berufung an Kaiser 69; 81; 98f; 104; 116; 127; 144; 151; 153; 155; 215; 222; 237; 304 - Beruf 78 - Berufung 233; 281; 302 - Biographie und Theologie 15 - Bürger, röm. 69; 77; 98f; 145; 151; 194; 215; 222; 237 - Chronologie 16; 157; 165 - Ekklesiologie 44 - Ende/Tod 16f; 19; 37; 45; 47; 94; 124; 127f; 129; 136; 140; 152; 175; 196; 201; 204; 206f; 210; 213; 215; 222; 236f; 259; 266; 268f; 273; 275; 319; 330 - Fürbitte/Gebet 26f; 28f; 95; 329 - Gefangenschaft(en) 26; 45; 78; 81; 84; 92; 95; 98; 138; 141; 143; 156; 163; 169f; 194; 230; 303; 319 - Gefangenschaft, röm. 17f;46;51; 77; 98f; 101-105; 116; 127f; 136; 144-146; 148-150; 167; 170; 172; 177; 179f; 182; 194; 215; 221; 231; 233f; 237; 273 -Gegner 27-29; 137; 169; 235

Sachregister als Geistgeleiteter 85f Heidenmission 190f; 281 homo honestus 85; 90; 96; 104f homo iniustus 94 homo iustus 90; 96; 105 homo politicus 81 Jerusalem(reise) 17; 20-24; 27; 34; 39; 90; 164; 170; 303 Kollekte 17; 21 f; 22; 23f; 26f; 29f; 32-35; 45; 164; 267; 310; 329 auf Malta 49; 82-86; 91-96; 303 mantische Fähigkeiten 90 Martyrium/Märtyrer 18; 20f; 27f; 45; 96; 131; 134; 155; 157; 171; 175; 177; 194; 209; 215f; 222; 231; 233f; 236; 274; 300 Mietwohnung 102; 103; 121; 146; 151; 230; 233 Miletrede/Abschiedsrede 37; 39f; 41f; 44f; 124; 130; 212 Missionsarbeit/-ziel 16; 18; 39; 44f; 106; 141; 165; 183; 189; 208; 259; 311 1. Missionsreise 164; 190; 300 2. Missionsreise 158f; 164f; 303 3. Missionsreise 22; 221 Missionsteam 259; 262; 268f Narrenrede 314 Nasiräat 22; 34; 164 und Petrus 19; 20; 173; 181; 201f; 208f; 277 als Prediger 143; 147 Pro-Existenz 88; 105 Prozeß 17; 22; 127; 129f; 135f; 138; 142; 148; 172; 194; 237; 273; 303 Psychogramm 268 inRom 17; 19-21; 75f; 81; 87; 90; 94; 97; 104; 115; 124; 136-138; 143f; 152; 155;171 Spanien(mission) 18; 20; 24; 34; 129; 131; 133; 138; 156; 168f; 169f; 171 f; 174; 176-182; 185; 187f; 190; 192f; 207; 221 Sühnetod 29 und Stephanus 300

- Todesart/Hinrichtung 19; 21; 47; 156; 172f; 223 - als Verfolger 300-302 - Vokabular 43 - vorchristlich 15f Paulusakten 172 Pauluslegende 151 Paulusschule 152; 182; 191; 240; 254; 255; 259; 260-262; 269 Peristasen(katalog) 206; 210; 316; 323f Peschitto, siehe Syrisch Petrusevangelium 245; 250 Pfingstfest/-ereignis 38; 280; 287 Philemonbrief 17; 169 Philipperbrief 17; 169; 310; 319-321 πίστις 203f; 211; 326 πνεύμα 26; 27; 285; 288 Polykarpbrief 196 πρηνης 283 f; 286 Pseudepigraphie 239-241; 243; 247; 249 - Auffmdungslegenden 265f - Gefangenschaftsthese 257f - Psychologie der Ps. 250f - Sekretärshypothese 257f - in der Umwelt des NT 242f; 247f - Ursachen 25 lf Pythagoreer 248 Reinheit/Unreinheit 289f; 293 Römisches Reich, Gesellschaft 78 Rom, siehe auch Ortsregister - Gemeinde, christliche in Rom 19; 26; 28; 196 - Gemeinde, jüdische in Rom 104; 116 "Säulen" 200f Samaritanermission 191 Satan 287f; 291 Schiffbruch 49; 68; 82; 89f; 92f; 140; 280;324 SchiffbrucherzählungenZ-schilderungen 50-61; 99; 105; 140; 153 Schirokko 67 στάσις 200f Sukzession, apostolische 42; 267 συναγωνίζειν 26

349

Sachregister Synhedrium 297 Syrisch 11 Of - Estrangelo 110 - Peschitto 112-115; 118; 121; 125 - Harcleana 112f - Philoxenia 112f - Serto 110 - Sinaisyrer 111 - VetusSyra 111; 113

Tora 122 Totenerweckungen 277-279 Tritojesaja 183f Tun-Ergehen-Zusammenhang τύπος 312;315;321

Tempel, herodianischer 22f; 31 f; 283 ; 300f; 307; 309 Therapie 277 1. Thessalonicherbrief 255; 311-315 2. Thessalonicherbrief 253; 255; 261; 264 θλίβειν/θλΐψις 311f; 315; 319; 321; 323 2. Timotheusbrief 17; 42; 263 ; 273 "Timotheusschule" 273 Tod/Sterben im AT 307-310

Versöhnungstag 62; 170 Visio Pauli 242; 262

92; 94

Urgemeinde, Jerusalemer 17; 29; SSSS; 281; 287 υπομονή 202-204; 206; 210; 326

Windverhältnisse im Mittelmeer 61 f Windrose von Thugga 64-66; 72 ξενία 145; 151 Zion, Völkerwallfahrt 184; 188 ζήλος 199f-202; 205f; 211 Zwölferkreis 280f

Namensregister Aaron 199 Abel 199; 201; 211 Abiram 199; 202; 211 Abraham 185; 252 Achan 288 Adam 252 Agabus 45; 154 Agrippa I. 31; 102; 276; 280f; 292f; 295; 297-299; 304 Agrippa II. 85; 105; 167; 293; 304 Alexander der Große 178; 208 Ananias 205 Ananias (Hoherpriester) 31 ; 170 Apollos 168 Aquila 155; 161; 191 Arbela 109 Aretas 163 Aristarch 79 Asarja 205 Asklepios 59 Barjesus 281; 289; 301 Barnabas 287; 292; 303 Caesar 94; 314 Chloe 168 Claudius 148f; 161f; 170 Clemens Alexandrinus 246; 261 Daniel 205; 252 Dathan 199; 202; 211 David 199; 211; 276f; 278 Domitian 196 Eleazar 31 Elia und Elischa 277 Epaphroditus 256; 319f; 327 Ephraem 111; 123 Erastos 166 Esaù 199; 202;211 Esra 252 Eutychus/Eutychos 230; 276; 278

Felix 62; 105; 135; 147; 149; 163; 165; 167; 170; 304 Festus 62; 85; 105; 163; 165; 167; 170; 293;303f Florus 31 Gaius 173 Gallio 162 Gamaliel II. 164; 236 v. Goethe, J. W. 71 Hadrian 59 Ham 186 Hananias 276; 280; 287-291 Henoch 252 Hesekiel 252 Hieronymus 247; 250 Ignatius von Antiochien 196; 260 Irenäus von Lyon250

109; 122;

Jakob/Israel 41; 197; 199; 211; 270; 276 Jakobus (Herrenbruder) 19; 28 Jakobus Zebedäus 134; 276; 281 ; 292; 295; 297-299 Japhet/Japhetiten 185f Jesus 276; 278 Johannes Zebedäus 250 Joj achin 143 Joseph 199; 201 Judas 276; 280-283; 285 Julius 79 Justin der Märtyrer 219; 224 Kain 199; 201f; 211 Kornelius 277 Linus 172f Maria 298 Markion 244 Matthias 282f

Namensregister Miriam 199 Misael 205 Mose 28; 199; 201; 211 Nero 21; 101; 135; 148f; 155; 163; 172; 175f; 179; 181; 194; 216; 222; 265; 279 Noah 185; 252 Onesimus

351

Salomo 252 Saul 202; 211 Saphira 276; 280; 287-291 Sem 186 Silas/Silvanus 158; 255; 264 Sokrates 103 Stephanas 168 Stephanus 135; 140; 164; 274; 276; 281; 295f; 299; 303; siehe auch Sachregister Paulus

256

Pallas 163 Paulus, siehe Sachregister Petrus 136; 163; 190; 277; 281f; 288; 298; 303; siehe auch Sachregister Paulus Philippus 302 Philon 46f Pilatus 162 Priska/Priskilla/Priszilla 155; 161 f; 191 Publius 91

Tabita 277 Tatian 111 Tertius 256 Thekla 234f; 236; 244 Timotheus 166; 168; 171; 255f; 258; 263f; 266; 269 Titus 169; 256; 263 Trajan 148 Trophimus 22 Tychikus 256; 264 Tyrannos 166

Ortsregister Achaia 23f; 30; 33; 162; 169; 312; 315 Äthiopien 182 Alexandria 62 Amphipolis 159 Antiochia 29; 109; 123; 159; 164-166; 230 Apollonia 159 Arabia 163; 183 Asia 22; 25; 42; 166; 300 Assos 166 Athen 54; 158; 161 Beröa 158; 160 Bithynien 183 Caesarea 127f; 144; 150; 152; 155; 166; 170; 261; 293; 302; 304 Chalcedon 113 Chios 59; 166 Damaskus Delos 58

163; 182f; 218; 300

Kolossä

258

Korinth

22; 22f; 160f; 165; 168f; 218

Kreta 49; 62; 67f; 167; 170; 268 Laodizea 258 Lydda 277 Lydien 183 Lystra 94; 266 Makedonien 23; 30; 33; 166; 169; 312; 183;315 Malta/Μελίτη 50; 54; 63; 66; 68; 72; 82 Masada 31 Mesopotamien 108f Milet 25; 37f; 57; 166; 304 Mitylene 166 Myra 97; 218 Mysien 159; 183 Neapolis 159

Ephesus Edessa

37f; 113; 166; 218; 260f; 268 109f; 123

Gades 180f Galatien 23; 30; 33; 159f; 165f Gallien 183 Hellas

166

Ostia 181 Patara

167

Philippi 25; 33; 160; 218; 230 Phrygien 159; 165f Ptolemais 167 Puteoli 96f; 167

Ikonion 300; 303; 318 Illyrien 177 Israel, siehe Sachregister Isthmus 57

Rhegium 167 Rhodos 167 Rom 62; 106; 108f; 152; 182; 191; 218; siehe auch Sachregister Paulus

Jerusalem 27f; 30; 32; 34; 35; 159; 166; 183; 185; 188; 235; 304 Joppe 277 Judäa 28f; 33; 35

Samos 38 Samothrake 159 Sichern 277 Sidon 54; 167; 218; 292 Sizilien 54; 57 Smyrna 218 Spanien siehe Sachregister Paulus Syrakus 54; 167

Kefalinia 49; 66 Kenchreä 57 Kilikien 159; 183

Ortsregister Syrien 25; 108f; 159 Syrte 55; 65; 86; 167; 171 Tarsus 185;326 Thessaloniki 158f Troas 166; 277

Tyros 167; 218; 292 Zakynthos 54 Zypern 54; 167; 281

Register der Autorinnen und Autoren Alexander, L. C. A. 141 Allan, O.W. 281 Applebaum, S. 192 Bamikol, E. 178 Barrett, Ch. Κ. 23; 38; 40; 43; 96; 127; 136 Bauer, W. 240 Bauckham, R. 231 f; 234; 237; 263 Baur.F.C. 177 Becker, J. 22; 49; 176; 310 Bentley, R. 63f; 66 Berger, K. 243; 269 Betz, H. D. 23; 38; 40; 43; 96; 127; 136 Bigorra, S. M. 193 Bihel, St. 129 Breusing, A. 74f Brosend, F. 141 Brox, N. 241; 243; 249; 251; 253 Böcher, O. 20 Bormann, L. 16; 79; 99 Campenhausen, H. v. 247; 250; 264 Carson, D. A. 21 Casson, L. 68 Cineira, D. A. 98 Conzelmann, H. 28; 39 Cullmann, O. 136 Deissmann, A. 255 Dibelius, M. 68; 69; 108 Ebner, M. Ellis, E. E.

324 181f

Fitzmyer, J. A. 34f; 40; 100 Fox, G. 71 Frenschkowski, M. 250f; 259-261; 265 Fridrichsen, A. 325 Frey, J. 179 Genette, G. 224 Gnilka, J. 50 Günther, M. 16

Haacker, K. 15; 21; 24; 26; 27; 29; 3 lf; 33; 192; 194 Haenchen, E. 40; 46; 51 ; 63 ; 70; 134 Hahnemann, G. 245 Hansack, E. 146 Harnack, A. v. 20; 129 Hanser, H. J. 145 Hausrath, A. 177 Havelaar, H. 289 Hayes, J. H. 89f Hegermann, H. 243 Hemer, C. J. 64; 66; 131 Hengel, M. 15f; 18; 21; 25; 27; 31; 176; 186f; 190; 251 Hielscher, F. 192 Hills, J. V 225; 230 Holtzmann, H. J. 177 Hotze, G. 324 Horn, F. W. 15; 22; 29; 34; 164 Jervell, J. 35; 38; 40; 46 Jewett, R. 159f; 163; 192 Käsemann, E. 30; 33; 190 Klauck, H. J. 91; 92; 96; 284 Knight, G. W. 263 Koch, D. A. 24; 25 Kratz, R. 281 Labahn, M. 88; 90 Ladouceur, D. 89f Lake, Κ. 135 Lentz, J. C. 97; 101 Lietzmann, H. 20; 180 Lüdemann, G. 25; 28f; 162 Magness, J. L. 141 Marguerat, D. 142f; 152; 224; 235; 237; 287; 291 McCullough, W. 87; 109 Mealand, D. L. 146; 150 Merk, O. 312 Michaelis, W.312;314 Michel, H. J. 40f

Register der Autorinnen und Autoren Miles, G.B. 89 Milligan, G. 149 Moulton, J. H. 149 Müller, U. B. 27; 319-321; 323 Nestle, W. Nock, A. D

279f 70

Oberlinner, L. 254 Ollrog, W.-H. 261 Orchard, Β. 149 Pervo, R. I. 50; 234; 262 Pesch, R. 38f; 44 Pfeiffer, R. 63 Pfister, F. 131; 178; 208 Pfleiderer, O. 178 Pokorny, P. 241; 250f; 269 Porter, St. E. 43 Quinn, J. 254 Ramsay, W. M. 138f Reinmuth, E. 315 Reiser, M.52; 62; 69; 153; 164 Richards, E. R. 257 Riesner, R. 182f; 184; 188 Roloff, J. 38; 40; 42; 70; 254; 266 Rordorf, W. 220f; 223f; 230f; 236f Schille, G. 39 Schmidt, C. 216f; 220; 224 Schmithals, W. 20; 26; 39; 44 Schneemelcher, W. 218f; 220f; 224f; 246 Schneider, G. 39; 90; 103 Schnelle, U. 241-243; 254; 260f; 268 Schott, H. A. 264

Schwemer, A.M. 16; 21; 22; 176; 186f; 190 Scott, J. M. 184f; 186f Scriba, A. 161f Sellin, G. 316 Smelik, W. F. 122 Smith, J. 68 Söding, Th. 312; 314 Solin, H. 192 Speyer, W. 241; 249; 251 Spitta, F. 179 Steinmetz, R. 179 Suhl, A. 49 Sundberg, A. 245 Talbert, Ch. H. 89f Thiessen, W. 41f; 44 Thornton, C.-J. 50 Torrn, F. 250 Tregelles, S. P. 246 Trompf, G. 89; 139f Vollenweider, S. 319 Wacker, W. 254 Walaskay, Ρ 129; 137 Wander, B. 190 Warnecke, H. 49f; 66f Weder, H. 317 Weiser, A. 28; 39f; 50 Wellhausen, J. 68; 69 Weiss, J. 180 Wettstein, J. J. 75; 101 Wilckens, U. 25; 26; 30; 35 Witherington, B. 41f; 45 Wolter, M. 34; 241 Zahn, Th. 30; 138f Zeller, D. 29 Zmijewski, J. 40

355

Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Geeske Ballhorn geb. 1976, seit 1995 Studium der Evangelischen Theologie in Kiel, Mainz und Marburg, Gutenberg-Stipendium 2000 der Stadt Mainz. Lukas Bormann geb. 1962, Studium der Evangelischen Theologie in Frankfurt, Mainz, Marburg und Heidelberg, 1987-1989 Vikariat, 1990-1994 wiss. Mitarbeiter in Frankfurt, 1993 Promotion in Frankfurt, 1994-2000 Akademischer Rat in Hildesheim, 2000 Habilitation in Frankfurt, seit WS 2000/01 Professur für Evangelische Theologie an der TU Braunschweig, Forschungsschwerpunkte: Rechts- und Sozialgeschichte des frühen Christentums. Claudia Büllesbach geb. 1966, Studium der Geschichte und der Evangelischen Theologie in Essen und Duisburg, seit 1998 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit/Registerband" in Mainz, Dissertationsprojekt über Maria von Magdala in der frühchristlichen Überlieferung, Forschungsschwerpunkte: antikes Judentum, Frauen im frühen Christentum. Gudrun Guttenberger geb. 1962, Studium der Evangelischen Theologie in Bonn, Tübingen, Heidelberg und Mainz, Vikariat und Pfarramt, 1998 Promotion in Heidelberg, bis 2001 Abordnung als Pfarrerin an die Universität Mainz (Habilitationsprojekt NT/Lehrauftrag für feministische Theologie und Frauenforschung), seit SS 2001 Professur für Biblische Theologie an der Evangelischen Fachhochschule Hannover, Forschungsschwerpunkt: Markusevangelium. Marco Frenschkowski geb. 1960, Studium der Evangelischen Theologie und der Gräzistik in Mainz und Tübingen, 1983-1988 Vikariat und Pfarramt, 1988-1994 wiss. Mitarbeiter in Mainz, 1994 Promotion in Mainz, 1994-2000 wiss. Assistent in Mainz,

358

Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Habilitationsverfahren 2001 in Mainz eröffnet, Forschungsschwerpunkte: Neues Testament, antike Religionsgeschichte, Neue Religiöse Bewegungen. Friedrich Wilhelm Horn geb. 1953, Studium der Evangelischen Theologie in Wuppertal und Göttingen, 1978-1981 Repetent, 1982 Promotion in Göttingen, 1981-1985 Vikariat und Pfarramt, 1985-1991 Akademischer Rat in Göttingen, 1990 Habilitation in Göttingen, 1991 Stipendiat der Heisenberg-Stiftung, 1992-1996 Professur für Neues Testament an der Universität Duisburg, seit 1996 Professur für Neues Testament an der Universität Mainz, Forschungsschwerpunkte: Römerbrief, Neutestamentliche Zeitgeschichte. Tobias Kaspari geb. 1978, seit 1997 Studium der Evangelischen Theologie in Saarbrücken und Mainz. Michael Labahn geb. 1964, Studium der Evangelischen Theologie in Oberursel/Ts., Tübingen und Göttingen, 1992-1995 Repetent, seit 1995 wiss. Assistent in HalleWittenberg, Mitarbeiter am Projekt Neuer Wettstein in Halle, 1998 Promotion in Göttingen, 1996-1998 berufsbegleitendes Vikariat, Forschungsschwerpunkte: Johannesevangelium, frühchristliche Wundergeschichten, Verhältnis des Neuen Testaments zu seiner Umwelt, Logienquelle, Rezeption des Alten Testaments im Neuen Testament. Hermut Lohr geb. 1963, Studium der Evangelischen Theologie und der Geschichte in Bonn, Tübingen, Heidelberg und Straßburg, 1993 Promotion, 1992-1996 wiss. Assistent in Duisburg, 1996-1999 wiss. Assistent in Bonn, seitdem wiss. Mitarbeiter am Sonderforschungsbereich „Judentum-Christentum" in Bonn, 2001 Habilitation in Bonn, Forschungsschwerpunkte: Die Tora im antiken Judentum und frühen Christentum, Hebräerbrief, antikes Gebet. Heike Omerzu geb. 1970, Studium der Evangelischen Theologie und Anglistik in Duisburg, 1996-1998 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit/Registerband", seit 1996 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fach Neues Testament, zunächst in Duisburg, seit 1997 in Mainz, Dissertationsprojekt zum Prozeß des Paulus, Forschungsschwerpunkte: Apostelgeschichte, Römische Rechtsgeschichte.

Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

359

Marius Reiser geb. 1954, Studium der Katholischen Theologie und der Klassischen Philologie in Tübingen, 1983 Promotion in Tübingen, 1989 Habilitation in Tübingen, seit 1991 Professur für Neues Testament an der Universität Mainz, Forschungsschwerpunkte: Philologie des Neuen Testaments, frühes Christentum und Antike, Hermeneutik. Albrecht Scriba geb. 1961, Studium der Evangelischen Theologie und der Mathematik in Mainz und Heidelberg, 1986-1992 wiss. Mitarbeiter in Mainz, 1991 Promotion in Mainz, 1992-1998 wiss. Assistent in Mainz, 1998 Habilitation in Mainz, seit 1999 Trainer und Schulungsleiter für Großrechenzentren unter UNIX/Solaris und Veritas, Forschungsschwerpunkte: synoptische Traditionen, Religions- und Traditionsgeschichte. Michael Tilly geb. 1963, Studium der Evangelischen Theologie in Mainz und Heidelberg, 1993 Promotion in Mainz, 1991-1997 wiss. Mitarbeiter in Mainz, seit 1997 wiss. Assistent in Mainz, Habilitationsverfahren 2001 in Mainz eröffnet, Forschungsschwerpunkte: antikes Judentum, Judentum im 19. und 20. Jahrhundert. Bernd Wander geb. 1960, Studium der Evangelischen Theologie in Wuppertal und Heidelberg, 1992 Promotion in Heidelberg, 1997 Habilitation in Heidelberg, 19972001 Lehrstuhlvertretungen in Frankfurt und Duisburg, Forschungsschwerpunkt: Geschichte und Theologie des frühen Christentums im Kontext seiner jüdisch-hellenistischen Umwelt.

Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche

STEVENSON, GREGORY: P o w e r a n d P l a c e .

WANKE, DANIEL: D a s K r e u z C h r i s t i b e i

Temple and Identity in the Book of Reve-

Irenaus von Lyon. 2000. X, 500 S.

lation. XVII, 368 S. 2001. Band 107

Band 99

SCHREIBER, STEFAN: G e s a l b t e r u n d K ö n i g .

LABAHN, MICHAEL: J e s u s a l s L e b e n s -

Titel und Konzeptionen der königlichen

spender. Untersuchungen zu einer Ge-

Gesalbtenerwartung in früh-jüdischen und

schichte der johanneischen Tradition

urchristlichen Schriften. XII, 635 S. 2000.

anhand ihrer Wundergeschichten.

Band 105

X, 559 S. 1999. Band 98

HALDIMANN, KONRAD: R e k o n s t r u k t i o n

Antikes Judentum und Frühes Christen-

und Entfaltung. Exegetische Untersu-

tum. Festschrift für Hartmut Stegemann

chungen zu Joh 15 und 16. IX, 444 S.

zum 65. Geburtstag. Hrsg. v. Kollmann,

2000. Band 104

Bernd / Reinbold, Wolfgang / Steudel,

Die Gleichnisreden Jesu 1 8 9 9 - 1 9 9 9 .

Annette. IX, 528 S. 1999. Band 97

Beiträge zum Dialog mit Adolf Jülicher.

M E I S E R , MARTIN: D i e R e a k t i o n d e s

Hrsg. v. Meli, Ulrich. XV, 293 S. 1999.

Volkes auf Jesus. Eine redaktionskritische

Band 103

Untersuchung zu den synoptischen Evan-

LIEBENBERG, JACOBUS: T h e L a n g u a g e o f

gelien. XII, 437 S. 1998. Band 96

the K i n g d o m and Jesus. Parable, Aphor-

MERK, OTTO: W i s s e n s c h a f t s g e s c h i c h t e

ism and Metaphor in the Sayings Material

und Exegese. Gesammelte Aufsätze zum

Common to the Synoptic Tradition and

65. Geburtstag. Hrsg. v. Gebauer, Roland /

the Gospel of Thomas. XIV, 547 S. 2001.

Karrer, Martin / Meiser, Martin.

Band 102

VIII, 467 S. 1998. Band 95

BENDEMANN, REINHARD VON: Z w i s c h e n

KERNER, JÜRGEN: D i e E t h i k d e r J o h a n n e s -

„ D o x a " und „Stayros". Eine exegetische

Apokalypse im Vergleich mit der des

Untersuchung der Texte des sogenannten

4. Esra. Ein Beitrag zum Verhältnis von

Reiseberichts im Lukasevangelium.

Apokalyptik und Ethik. IX, 316 S. 1998.

XVI, 512 S. 2001. Band 101

Band 94

Das Urchristentum in seiner literari-

Von Jesus zum Christus. Christologische

schen Geschichte. Festschrift für Jürgen

Studien. Festgabe für Paul Hoffmann zum

Becker zum 65. Geburtstag. Hrsg. v. Meli,

65. Geburtstag. Hrsg. v. Hoppe, Rudolf /

Ulrich / Müller, Ulrich. XII, 576 S. 1999.

Busse, Ulrich. XII, 640 S. 1998. Band 93

Band 100

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