Mensch und Schwan: Kulturhistorische Perspektiven zur Wahrnehmung von Tieren [1. Aufl.] 9783839428771

Inspiring swans - this volume draws up a cultural history of the swan and reconstructs the ideas and perceptions that we

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German Pages 332 Year 2014

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Mensch und Schwan: Kulturhistorische Perspektiven zur Wahrnehmung von Tieren [1. Aufl.]
 9783839428771

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Brage Bei der Wieden Mensch und Schwan

Edition Kulturwissenschaft | Band 52

2014-07-29 10-24-40 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 03c0373038513694|(S.

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Brage Bei der Wieden (Dr. phil.) ist leitender Direktor am Niedersächsischen Landesarchiv. Er beschäftigt sich mit Themen der Kultur- und Landesgeschichte.

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Brage Bei der Wieden

Mensch und Schwan Kulturhistorische Perspektiven zur Wahrnehmung von Tieren

2014-07-29 10-24-41 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 03c0373038513694|(S.

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Inhalt Einleitung | 7 I. Kontakte 1. Benennungen | 20 2. Jagd | 27 3. Nutzungen | 41 4. Haltung | 61 II. Deutungen 1. Mythologie | 121 2. Theologie | 164 3. Kunst | 183 4. Literatur | 222 5. Empirische Wissenschaft | 251 III. Differenzen, Muster, Veränderungen 1. Farbe | 265 2. Gestalt | 272 3. Positionen im Raum | 276 4. Bewegung | 279 5. Charakter | 283 6. Erotik | 286 IV. Schlussfolgerungen | 293 Quellen und Literatur 1. Archivalien | 297 2. Gedruckte Quellen | 297 3. Nachschlagewerke | 304 4. Literatur | 305 Index der Orte und Personen | 317

Einleitung

Historische Mensch-Tierbeziehungen. Problemabriss Der hl. Franziscus betrachtete die Vögel als seine Geschwister, als Kreaturen Gottes, die, wie er selbst, ihren Schöpfer priesen. Als er einst in Aviano predigte, konnte man ihn wegen des Gezwischers der Schwalben, die eben ihre Nester bauten, nicht verstehen. Da sprach er zu ihnen: „Ihr Schwalben, meine Schwestern, ihr habt jetzt genug geredet. Es ist an der Zeit, dass ich spreche“ und bat sie zu schweigen. Der hl. Dominicus, der während eines Gebets von einem Spatzen gestört wurde, hielt diesen für einen Boten der Hölle, fing ihn ein und riss ihm die Federn einzeln aus. Franziscus und Dominicus lebten zur selben Zeit, waren heilige Männer und Ordensgründer. Schwalben und Spatzen, nehmen wir an, folgen ihren Instinkten. Nur die Menschen interpretierten die Aktionen der Vögel mit den Schablonen ihrer Vorstellung und fügten sie so in ihre Deutungssysteme ein. Dieses Buch will sich der Frage nähern, wie sich Vorstellungen von Tieren bildeten, wie sie tradiert wurden und sich veränderten. Es folgte dabei keiner bewussten Vorannahme, nur von Fall zu Fall werden Thesen auf ihre Anwendbarkeit hin geprüft. Der Text bietet mithin keine Gesamterklärung, bestenfalls Aspekte von Teilerklärungen. Angesichts der Komplexität des Themas scheint das nicht unangemessen zu sein. Möglicherweise ergeben sich aber aus dem Material Anregungen, wie einzelne Fragestellungen zu operationalisieren seien. Für die Menschen in vorindustrieller Zeit hatten die Beziehungen zu Tieren eine entscheidende Bedeutung. Tiere konnten Beute sein, Nutzungsobjekte, aber auch Feinde, Konkurrenten, Behinderungen. Tiere und ihre Eigenschaften prägten die Lebensbedingungen der Menschen und in hohem Maße auch ihre Vorstellungswelt. Dennoch gibt es dazu, von einigen generalisierenden Versuchen abgesehen, nur wenige wirklich einschlägige Untersuchungen. Das hat seine Gründe. Ein Grund ist sicher der schon in der Formulierung „Mensch-Tier-

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Verhältnis“ sich offenbarende Dualismus. Eine abstrakte Dichotomie eben zwischen Mensch und Tier, wie die rationalistische Philosophie sie bei ihren Versuchen, die Welt zu ordnen, angenommen hat. Am bekanntesten vielleicht ist in dieser Hinsicht René Descartes, der in seiner „Abhandlung über die Methode, die Vernunft richtig zu gebrauchen und die Wahrheit in den Wissenschaften“ zu suchen (1637), die Tiere den Menschen entgegensetzte und ihnen jeden Verstand und die Seele absprach.1 Diese Sicht, die natürlich ihren Sinn und ihre historische Berechtigung hatte, ignoriert die überwältigende Fülle der Perspektiven, die sich auftun, sobald nicht die Tierheit den Blick gefangen nimmt, sondern die unterschiedlichen Arten für sich betrachtet werden. So wenig es die Erkenntnis fördert, anthropologische Determinanten ohne die notwendige Kritik über Kulturkreise und Zeiten hin zu postulieren, so wenig kann es auch befriedigen, Tiere wie Kriebelmücke und Adler und Rind nur als Gestaltungen einer einzigen Idee gelten zu lassen. Der Einfluss, den Tiere auf den Gang der menschlichen Geschichte genommen haben, war bedeutend, aber wechselnd und je nach Art höchst verschieden. Die Art scheint eine stabile Größe zu sein, die hinreichend abgegrenzt ist und so zum Gegenstand von Untersuchungen gemacht werden kann. In Einzelfällen können auch individuelle Tiere in den Blick genommen werden, doch fehlt es für historische Forschungen gewöhnlich an hinreichendem Material, um ein einigermaßend deutliches Bild zu zeichnen. Wie der Gegenstand so müsste ebenfalls das wahrnehmende Gegenüber konkretisiert werden. Gehen wir von Menschen als einer Art, von der Menschheit als Kommunikationssystem, unterschiedlichen kulturell oder sozial abgegrenzten Gruppen aus oder von Individuen, deren Bewusstsein als je eignes autopoietisches Systeme abgekapselt ist? Nach der Art der Beziehungen wäre ferner zu fragen. Sollen Wahrnehmungen, Kommunikation, Handlungen analysiert werden? In welche Richtungen, in welchen Vernetzungen? Braucht man dazu eine Handlungstheorie oder kann man die Handlungen ganz in die Kommunikation verschieben (Luhmann) bzw. den Akteur als eine Quelle der Unbestimmtheit so weit auflösen, dass keine Vorwegerklärungen bleiben (Latour)? Und falls man Aktionen von Tieren beschreibt: Wie sinnvoll ist es, das als emanzipatorischen Akt zu begreifen?

1

Fünfter Abschnitt. Vgl. Ursula Pia Jauch: ‚Les animaux plus que machines‘? Von Maschinentieren, Tierautomaten und anderen bestialischen Träumereien. Einige Anmerkungen aus philosophischer Sicht. In: Tiere. Eine andere Anthropologie. Hrsg. von Hartmut Böhme u. a.. Köln 2004 (Schriften des Deutschen Hygiene-Museums Dresden 3), S. 237-249.

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In diachroner, historischer Perspektive muss ein wesentliches Augenmerk auf Traditionen gerichtet werden. Traditionen im geschichtswissenschaftlichen Sinne, als bewusst geformten Schriftquellen. Aber auch weiter gefasst: als gezielt verbreitete und geteilte Erinnerungen. Welche Gestalt haben erinnerte Vorstellungen? Und wenn Vorstellungen sich ändern (als Funktion der mens oder des Bewusseins) – wie geschieht das? Als Teil eines evolutionären Prozesses mit physiologischer Grundlage,2 in Fortbildung des kollektiven Unbewussten,3 im Wechselspiel des Bewusstseins mit Literatur4 oder als autonomer Wettbewerb von Memen?5 Ein Kollektivgedächtnis, das lediglich darin besteht, „dass Bewusstseinssysteme, wenn sie gleichen sozialen Bedingungen ausgesetzt sind, im Großen und Ganzen dieselben Sachverhalte erinnen“,6 erklärt noch keine Traditionen. An dieser Stelle könnten die Überlegungen Evolutionsbiologie, Kognitionswissenschaften und Psychologie einbeziehen. Ich breche ab. Diese Fragen werden sich mit der hier gewählten Fokussierung nicht klären lassen. Wege der Forschung Eine kontinuierliche geisteswissenschaftliche Forschung, die Tiere in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen stellt, setzte mit der Formierung des ökologischen Bewusstseins in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts ein. Zunächst wurde das Verhältnis des Menschen zu seiner (natürlichen) Umwelt thematisiert.7 Den

2

Julian Jaynes:The Origin of Consciousness in the Breakdown oft he Bicameral Mind. Dt: Der Ursprung des Bewußtseins durch den Zusammenbruch der bikameralen Psyche. Reinbek 1988.

3

C. G. Jung: Der Begriff des kollektiven Unbewußten. In: ders.: Archetyp und Unbewußtes. Zürich 1998, S. 114-125.

4 5

Heinz D. Kittsteiner: Die Entstehung des modernen Gewissens. Frankfurt/M. 1991. Richard Dawkins: Das egoistische Gen. Berlin 1978. Vgl. Susan Blackmore: The meme machine. Oxford 1999. Dt.: Die Macht der Meme oder die Evolution von Kultur und Geist. Heidelberg 2000.

6 7

Niklas Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt/M. 1997, S. 583. Für die Umweltgeschichte werden verschiedene Ursprünge konstruiert. Aus meiner Wahrnehmung setzte der Sammelband von Bernd Herrmann (Hrsg.): Mensch und Umwelt im Mittelalter. Stuttgart 1986 einen deutlichen Akzent, gleichzeitig erschien – ebenfalls recht erfolgreich – Alfred W. Crosby: Ecological Imperialism. The Biological Expansion of Europe 900-1900. Cambridge 1986. Eine wichtige mentalitätshistorische Studie war Keith Thomas: Man and the Natural World. Changing Attitudes in England 1500-1800. London 1983.

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Blick speziell auf Tiere lenkte die kulturalistisch neu ausgerichtete Volkskunde, und zwar gleich mit einer großartigen enzyklopädischen Synthese: den drei Bänden „folk og fauna“ des dänischen „Ethnobiologen“ Vagn J. Brødegaard.8 Leider beschränkte sich die Rezeption und Verbreitung dieses Werkes auf Skandinavien. Die Hessischen Blätter für Volks- und Kulturforschung positionierten das Thema „Mensch und Tier“ 1991 in Deutschland und stehen damit am Anfang einer inzwischen längeren Reihe von Sammelbänden. Daneben entstanden literatur- und kunsthistorischen Studien. Die Ansätze waren sozialwissenschaftlich funktionalistisch geprägt oder folgten den Perspektiven einer postmodernen Symbolforschung. Der Beitrag der Geschichtswissenschaft blieb zunächst überschaubar. Robert Delort argumentierte schon 1984 für eine Geschichte der Tiere, eine historische Zoologie. Er lieferte eine systematische Einführung und Studien zu einzelnen Arten. Das Buch feierte Erfolge in den Feuilletons, konnte aber die historische Forschung kaum beeinflussen – weil die Relevanz nicht anerkannt wurde, aber auch wegen der These, die der Titel prokolamierte: L’animaux ont une histoire. Dem kann man nur widersprechen: Geschichte ist an Tradition durch Sprache gebunden. Delorts eigentliches Anliegen, Tiere als Akteure und Faktoren der (menschlichen) Geschichte zu begreifen, ist heute unter anderen Vorzeichen wieder aktuell. Die englische Historikerin Harriet Ritvo öffnete 1987 eine neue Perspektive auf das viktorianische Zeitalter, indem sie die Rolle von Tiere in Alltag und Denken des 19. Jahrhunderts analysierte.9 Diese wichtige Pionierstudie blieb jedoch wenigstens in Deutschland ganz unbeachtet.10 Das Handbuch zu den Ergebnissen der Archäozoologie, das Norbert Benecke 1994 vorlegte, erwies sich als nützliches und nachgefragtes Hilfsmittel. Paul Münch publizierte 1998 einen Sammelband „Tiere und Menschen. Geschichte und Aktualität eines prekären Verhältnisses“, der von ethischen Fragestellungen ausging; Peter Dinzelbacher wagte zusammen mit ausgewiesenen Experten im Jahr 2000 eine Synthese des Mensch-Tier-Verhältnisses nach Epochen gegliedert. Neue Forschungen stießen beide Bände, die bereits etwas wie eine abschließende Behandlung zu bieten schienen, nicht an.

8

Folk og fauna. Bd. 1-3. Kopenhagen 1985-1986.

9

The animal estate. The English and other creatures in the Victorian age. Cambridge 1987.

10 Eine Paralleluntersuchung der Volkskundlerin Jutta Buchner: Kultur mit Tieren. Zur Formierung des bürgerlichen Tierverständnisses im 19. Jahrhundert. Münster 1996 hat auf Ritvo nicht Bezug nehmen können.

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Gleichwohl hat das Thema auch die Geschichtswissenschaft seitdem nicht mehr losgelassen. Doch waren es eher anthropologische und ethische als eigentlich historische Fragen, die den Diskurs vorantrieben. Harriet Ritvo begründete 2002 eine Monografienreihe „Animals, History and Culture“. Der Begriff „Animal studies“ bzw. „Human-Animal Studies“ subsumiert inzwischen heterogene, weit verzweigte Untersuchungsgebiete.11 Nur einen Teil dieses Spektrums erfasst die immerhin sechsbändige Kulturgeschichte der Tiere, die die Soziologin Linda Kalof gemeinsam mit der Mittelalterhistorikerin Brigitte Resl 2007 herausgab.12 Gewöhnlich dominieren die Human-Animal Studies tierschützerische und emanzipatorische Strömungen, deren historische Argumentationen nicht selten auf schwach begründeten Generalsierungen beruhen.13 Die gegenwärtig für die Geschichtswissenschaft produktivsten Ansätze leiten sich von der Akteur-Netzwerk-Theorie ab. Tiere werden hier als Akteure bzw. Aktanten in die Beschreibung von Assoziationen und Wirkungszusammenhängen einbezogen. Mit Latour: Jedes Ding, dessen Existenz in einer gegebene Situation eine Änderung bewirkt, ist ein Akteur oder (wenn es noch keine Figuration hat) ein Aktant. Nicht-menschliche Wesen müssen Akteuere sein und nicht nur „glücklose Träger symbolischer Projektion“.14 Daraus resultieren Fragestellungen wie die nach den Praktiken des Umgangs von Menschen und Tieren, die sich mit historischen Quellen operationalisieren lassen.15

11 Auswahlbibliografien: http://human-animal-studies.de/publikationen/literatur/, http:// www.animalstudies.msu.edu/bibliography.php (8.1.2014). 12 A Cultural History of Animals. Bd. 1-6. Oxford 2007. 13 Vgl. Nik Taylor: Humans, Animals, and Society. An Introduction to Human-AnimalStudies. New York 2013. 14 Bruno Latour: Reassembling the Social. An introduction to Actor-Network-Theory. Dt.: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die AkteurNetzwerk-Theorie. Frankfurt/M. 2007, S. 25, 123. Zur Kritik an der ANT im Hinblick auf Mensch-Tier-Beziehungen vgl. Rainer Pöppinghege: Einleitung: Mensch und Tier in der Geschichte. In: Westfälische Forschungen 62 (2012), S. 1-8. 15 Vgl. Mieke Roscher: Where is the animal in this text? Chancen und Grenzen einer Tiergeschichtsschreibung. In: Chimaira – Arbeitskreis für Human-Animal Studies: Über die gesellschaftliche Natur von Mensch-Tier-Verhältnissen. Bielefeld 2011, S. 121-150; Aline Steinbrecher: Auf Spurensuche. Die Geschichtswissenschaft und ihre Auseinandersetzung mit den Tieren. In: Westfälische Forschungen 62 (2012), S. 9-29.

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Schwäne als Gegenstand Warum soll hier nun ausgerechnet über Schwäne einiges mitgeteilt werden? Schwäne sind wegen ihrer Größe, Gestalt und blendend weißen Farbe immer eine ausgezeichnete Projektionsfläche menschlicher Vorstellungen gewesen. Sie wurden wahrgenommen. Andererseits hatten sie nur einen beschränkten Nutzen. In Hinsicht auf Fleisch, Federn und Eiern füllten das Spektrum, das sie unter den Haustieren hätten einnehmen können, die Gänse völlig aus. Es fehlt fast gänzlich an Versuchen, Schwäne zu domestizieren, d. h. durch Zuchtwahl Einfluss auf Aussehen und Eigenschaften zu nehmen. Die Vorstellungen von Schwänen konnten infolgedessen freier schweben als beispielsweise die Vorstellungen von Schweinen oder Enten. Schwäne sind – auch mit historischer Perspektive – schon häufiger behandelt worden. Dabei lassen sich zwei hauptsächliche Richtungen unterscheiden: eine mythologische und eine ornithologische. Der evangelische Prediger Paulus Cassel war als Sekretär der Akademie in Erfurt auf die Symbolgeschichte von Schwänen aufmerksam geworden und verarbeitete seine ausgedehnten Lektüren, die auch orientalische Texte einbezogen, in einem Buch über den Schwan, das er nicht zuletzt als ein Bekenntnis zur Mission des Hauses Hohenzollern auffasste. Die mythologischen und etymologischen Spekulationen verwirren sich in einer Weise, dass der Leser der Argumentation kaum folgen kann. Der Wert der Studie beruht heute im Wesentlichen auf dem Material der ausufernden Anmerkungen. Mythologische Ansätze zu Schwänen und Sonnenkult, zum Schwanenritter und den Schwanenjungfrauen pflanzten sich, von einigen spekulativen Elementen befreit, in der Volkskunde und der Literaturwissenschaft fort. Der Volkskundler Friedrich Goethe, der im Hauptamt das Institut für Vogelforschung in Wilhelmshaven leitete, führte zahlreiche Erwähnungen und Belege zusammen. Das Wesen eines überzeitlichen Mensch-Tier-Verhältnisses versuchte er mit dem unglücklichen Begriff vom „Sympathietier“ Schwan zu fassen. Sein bleibendes Verdienst besteht in der Untersuchung der Kirchturmschwäne in Ostfriesland und angrenzenden Regionen. Alice Lindsay Price, Malerin und Poetin in Tulsa/Oklahoma, und bekennende Schwanenliebhaberin, veröffentlichte 1994 ein Buch „Swans oft the World in Nature, History, Myth and Art“. Das ist kein wissenschaftliches Werk. „Wenn immer wir Schwäne auf einem stillen Wasser dahingleiten sehen“, schreibt sie, „schauen uns Geschichten über die Schulter.“ Diese Geschichten stellt sie mit weitem Blick zusammen.

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In den Zusammenhang der Erzählforschung gehört das Buch, das Barbara Fass Leavy, eine amerikanischen Literaturhistorikern mit psychiatrischem Interesse, „In Search of the Swan Maiden“ schrieb (1994). Sie wertet eine umfangreiche Sammlung zu Schwanen- und Meerjungfrauen aus feministischer Sicht aus. 1999 legte Eleni Chalatsi seine Dissertation über „Schwan und Schwanengesang in der griechischen Antike“ vor, in der er die klassischen Quellen neu durchmusterte. Ornithologische Monografien, die sich gewöhnlich an einen größeren Leserkreis wenden, verzichten selten auf eine kulturhistorische Einleitung. Originäre historische Forschung leistete einer der führenden britischen Ornithologen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der Mediziner Norman Frederick Ticehurst, der sich seit den 20er Jahren mit Populationsentwicklungen in historischer Perspektive beschäftigt hatte. Sein Opus „The Mute Swan in England. Its History, and the Ancient Custom of Swan Keeping“ von 1957 fasst eingehende und umfangreiche Untersuchungen zusammen. Ticehurst interessierte sich für die Frage nach dem Ursprung der Höckerschwanpopulationen in England und versuchte alle einschlägigen Informationen, insbesondere zur mittelalterlichen Schwanenhaltung, zu erheben. Er schuf so eine unverzichtbare Grundlage für jeden, der sich zum Verhältnis von Menschen und Schwänen äußern will. Davon angeregt erarbeitete der friesische Vogelforscher Tjeerd Geerts de Vries „It boek fan de swan. Swannjacht en swannemerken yn Fryslân“ (1959). Dieser Band erschließt nicht nur die Quellen zur mittelalterlichen Schwanenhaltung in Friesland, sondern auch in Holland und den übrigen Niederlanden. Durch die Verwendung der friesischen Sprache ist der Text etwas hermetisch, aber nicht unbenutzbar. Die meisten der Quellen, die de Vries ausführlich zitiert, sind ohnehin niederländisch. In der ornithologischen Literatur finden sich daneben immer wieder interessante Hinweise zur Geschichte der Schwäne. Aus der Literaturwissenschaft müssen zwei Werke hervorgehoben werden. Cramers fundamentale Lohengrin-Edition und Michael Jakobs komparatistische Habilitationsschrift „Schwanengefahr. Das lyrische Ich im Zeichen des Schwans“. Der Altgermanist Thomas Cramer edierte 1971 nicht nur das mittelhochdeutsche Epos, sondern stellte umfangreiche Forschungen zu den Quellen und zur Geschichte des Stoffes an. Jakobs interpretiert Paul Celans Gedicht „Schwanengefahr“ vor dem Hintergrund der Tradition exemplarischer Schwanendichtungen, die er mit Platon beginnen lässt und über Horaz, Petrarca, Hölderlin und Baudelaire bis eben zu Celan führt. Er ordnet die Lyrik in weitge-

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spannte philosophische und ikonografische Kontexte ein. Für den Historiker sind seine Verknüpfungen anregend, wiewohl mitunter etwas lose. Eine intelligente Sammlung von Textausschnitten zu Schwänen stellen anlässlich der IX. Documenta 1992 Dorlies Handt und Adelheid Weiß zusammen. Zur Biologie der europäsichen Schwäne gibt es vier neuere monografische Darstellungen: von Alfred Hilprecht knapp und konzise in der Neuen BrehmBücherei „Höckerschwan, Singschwan, Zwergschwan“ (2. Aufl. 1970, Nachdruck 1995), von Peter Scott und seinen Mitarbeitern, üppig ausgestattet, „The Swans“ (1972), von Mike Birkhead und Christopher Perrins eine Darstellung „The Mute Swan“ (1986), die durch ihre Forschungen zu den Bleivergiftungen veranlasst wurde, schließlich – gegenwärtig maßgebend – Erich Rutschke: „Die Wildschwäne Europas. Biologie, Ökologie, Verhalten“ (1992). Die vorliegende Arbeit war weitgehend abgeschlossen, als 2008 in der wunderbaren Reihe „Animal“ des Redaktion Books-Verlags in London der Band „Swan“ erschien. Peter Young, Vorsitzender des Kunstrats in Crawley und freier Autor, gibt einen kenntnisreichen Überblick über Natur- und Kulturgeschichte der Schwäne in England, jedoch ohne explizite Fragestellung. Für mich war diese Veröffentlichung sehr hilfreich, um Aspekte und Details abzugleichen und das Gesamtbild zu ergänzen. Wie leicht zu erkennen, wurden Schwänen vor allem in deutschen und angloamerikanischen Veröffentlichungen untersucht. Französische Verhältnisse sind in einigen verstreuten Zeitschriftenaufsätzen behandelt worden. Für Skandinavien gibt es ausgezeichnete Nachschlagewerke wie das Nordisk kulturhistorisk leksikon oder Folk og fauna. Leider fehlt es an zusammenfassenden Darstellungen aus der Kernlandschaft der Schwanenhaltung und der Schwanenmythen, dem heute niederländisch-belgischen Raum. Ziele und Methoden der Arbeit Geschichtswissenschaftliche Ansätze sind im Hinblick auf die Wahrnehmung von Tieren eher weniger verfolgt worden.16 Sie sollten die Historisierung solcher

16 Monografien zu einzelnen Vogelarten sind – sofern nicht ohnehin populär – meistens literaturhistorisch-symbolisch ausgerichtet oder tierschützerisch inspiriert. Ich nenne Christian Wilhelm Hünemörder: „Phasianus“. Studien zur Kulturgeschichte des Fasans. Diss. phil. Bonn 1970 (eine kommentierte Sammlung aller antiken und mittelalterlichen Quellen aus Literatur, Diätetik und Rechtsetzung), Ernst Thomas Reimbold: Der Pfau. Mythologie und Symbolik. München 1983, Reiner Weick: Der Habicht in der deutschen Dichtung des 12. bis 16. Jahrhunderts. Göppingen 1993 (Göppinger

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Wahrnehmungen untersuchen, Entwicklungslinien und -brüche aufzeichnen. Es geht darum, Veränderungen aufzuspüren. Vorstellungen im hier verfolgten Sinne sind keine bloßen Projektionsflächen für Bilder von Menschen von sich selbst. Sie können dies sein, ebenso ganz von jeder Empirie abgelöste literarische oder künstlerische Traditionen. Sie können sich jedoch auch auf Wirklichkeiten beziehen, auf Kontakten und Auseinandersetzungen mit realen Tieren. Allerdings ist es nicht das Ziel dieser Arbeit, Praktiken eines Miteinanders zu beschreiben. Dazu könnte – wie von Aline Steinbrecher gesprächsweise vorgeschlagen – das Füttern/Gefüttertwerden von Schwänen dargestellt werden. Das wäre ein anderes Projekt. Angesichts der nur vereinzelten und geografisch wie zeitlich gestreuten Belegen wäre ein lesbarer Text dazu jedoch kaum ohne Vorannahmen zu schreiben. Ich möchte hingegen auf Erklärungen, die nur Bestätigungen des schon Gewussten bieten, weitgehend verzichten. Grundsätzlich teile ich die Skepsis gegenüber dem Knüpfen von Kausalkonnexen in unübersichtlich komplexen Zusammenhängen, die ganz unterschiedliche Denker in der jüngeren Vergangenheit formuliert haben17 und die auch in die aktuelle Geschichtsschreibung hin und wieder einfließt, wenn das „Wie?“ dem „Warum?“ vorangestellt wird. Es geht um eine Beschreibung der historisch überlieferten Erwähnungen von Schwänen. Das umfassend und holistisch. Die wahrgenommene Entität ist also die biologische Art, die freilich im untersuchten Zeitraum zur Gattung erhoben und in drei oder vier europäische Arten ausdifferenziert wurde. Die Erwähnungen beruhen auf realen oder medial vermittelten Kontakten die in den Köpfen menschlicher Individuen Vorstellungen evoziert haben; diese Vorstellungen konnten, in Sprache oder Kunst übersetzt, anderen menschlichen Individuen kommuniziert werden. Diese kommunikativen Akte kann ein Historiker nachzuvollziehen versuchen.

Arbeiten zu Germanistik 589), Klaus Lindemann: Der Papagei. Seine Geschichte in der Deutschen Literatur. Bonn 1994 (Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft 395), Wolfgang Epple: Rabenvögel: Göttervogel – Galgenvogel. Ein Plädoyer im „Rabenstreit“. Karlsruhe 1997, Daniel Haag-Wackernagel: Die Taube. Vom heiligen Vogel der Liebesgöttin zur Straßentaube. Basel 1998. 17 Latour, S. 70, 102.

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Traditionen sollen aufgezeigt, Veränderungen und Differenzen notiert werden.18 Das geschieht durch eine Ordnung des Materials in verschiedenen Koordinatensystemen. Dazu ist es natürlich erforderlich, zu den authentischen Quellen vorzustoßen: die Informationen zu datieren, ihre Herkunft zu ermitteln, die Kontexte herzustellen: Quellenkritik zu betreiben. Das gehört zum Werkzeug des Historikers. Zummindest in dieser Hinsicht hat diese Arbeit sicher ihren Wert, weil doch dieses oder jenes, was in der ornithologischen oder ethnologischen Literatur tradiert worden ist, einer Überprüfung an den Quellen nicht standhielt. Selbstredend gilt für historische Untersuchungen wie geisteswissenschaftliche allgemein, dass die Beobachtungen nicht vom Beobachter zu lösen sind und die Antworten nicht von den Fragen.19 Schon rein materiell schränken Perspektiven des Autors die Perzeptionsmöglichenkeiten ein. Der Fokus richtet sich auf die Zeiten und Räumen, die ihm vertraut sind. Sicher hätte ich durch die Beherrschung slawischer, baltischer, finno-ugrischer Sprachen zusätzliches Erkenntnisterrain gewinnen können. Die nordwesteuropäische, die deutsche, die norddeutsche Perspektive dominieren. Ausgeblendet blieb ferner die Diskussion musikalischer Werke.20 Die hier vorgelegte Untersuchung habe ich vor gut 20 Jahren begonnen. Ich konnte sie nur in Nebenstunden und im Urlaub befördern. Das hatte gewisse Vorteile, aber auch entscheidende Nachteile. Zu den Vorteilen zählte die Chance, die Quellenbasis ständig zu verbreitern. Das Internet ist erst in dieser Zeit zu einem geisteswissenschaftlichen Rechercheinstrument geworden. Als z. B. die Bibliothèque nationale in Paris 1997 das Projekt „Gallica“ initiierte, öffneten sich fast schlagartig Zugänge zu französischer Literatur, die in Stade oder Hannover kaum zu beschaffen gewesen war. Über die Nachteile will ich hier nicht klagen. Für Unterstützung und Hinweise danke ich besonders Dr. Wolfgang Henninger (Oldenburg), Prof. Dr. Malte Prietzel (Konstanz), Dr. Ruth Slenczka (Berlin), Prof. Dr. em. Klaus Düwel (Göttingen) – und Nané Lénard (Bückeburg) für ein lyrisches Triptychon:

18 Ein Gespür für die Wahrnehmung von Aktionen im Raum hatte August Nitschke zu entwickeln versucht. Seine Anregungen erkenne ich gerne an. Vgl. z. B. Historische Verhaltensforschung. Analysen gesellschaftlicher Verhaltensweisen. Stuttgart 1981. 19 Luhmann, S. 34. 20 Dazu gibt Bruggisser-Lanker einige Hinweise.

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Vorstellungen von Schwänen III

I

II

ein milder grund

der spiegel zeigt

aus wellentälern

den

ruhigen

ein greiser neben schweren

schmiegt sich auf den see

schlag

der schlafend noch

verneigt sich

aus weißen schwingen

ganz ruhig in seinem ur-

vor dem kleid aus luft

der langsam werdend

sprung

umschlossener geborgen-

übergeht

liegt

heit

in sanftes gleiten

bis tausendfach der schall

und nickt dem rücken zu

bis voll genuss

schnabellieder

in dessen schwinden er

der bauch den spiegel bricht

kitzelkräuselwellen sendet

sich

und sich verleiten lässt

neu und heil zusammen-

noch tiefer einzudringen

der

da regt er sich und streckt sich auf sen ufer

fügt die lust

aus wo leises rot bereits in alle

die lust, das nass so zwi-

dinge kriecht

schen all die federn ein zu lassen

und ist in ihm für eine weile

wo luft die warme haut als

und in dem schwanenflaum

schutz

aus dem sich – golden jetzt –

umspült

ein endlos langer hals erhebt

und bald den ganzen körper

und der verwandlung trotzt

hebt da wird das treiben köstlich frei und ausgefüllt bereit im neuen medium dahinzuschweben

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Gewidmet ist dieses Buch meiner Mutter, die schon immer gerne geisteswissenschaftliches und biologisches Denken verbunden hat.

I. Kontakte

Zoologische Prämissen In Eurasien leben drei Schwanenarten. Das Brutgebiet des bekanntesten, des Höckerschwanes (Cygnus olor), erstreckt sich auf das europäische Tiefland zwischen ungefähr dem 50. und dem 60. Grad nördlicher Breite. Lokal begrenzte Brutvorkommen gibt es auf dem Balkan, in der südlichen Ukraine und am Kaukasus.1 Östlich an die Hauptbrutgebiete des Höckerschwans anschließend, brütet der Singschwan: in Nord- und Zentralasien. In Europa bewohnt er das nördliche Skandinavien. Im Winter zieht er in südlicher gelegene Gegenden: nach Irland und Schottland, in die Niederlande, in das dänisch-deutsche Ostseegebiet und mischt sich dort unter die Höckerschwäne. Die Jungen der dritten Art, des Zwergschwans, wachsen in Nordsibirien auf; der Herbstzug führt die Zwergschwäne an die südliche Ost- und Nordsee. Diese Verteilung dürfte der entsprechen, die sich vor der menschlichen Einflussnahme gezeigt hat. Die in der indischen Mythologie häufig begegnenden Schwäne bezeichnen ursprünglich die Streifengans (anser indicus), einen recht dekorativen Vogel, der im Innern Asiens brütet und im Winter nach Süden zieht. Die Streifengans wird durch zwei schwarze Streifen über den Hinterkopf charakterisiert; sie hat sonst ein hellgraues Gefieder, einen weißen Kopf und Bauch. Schwäne finden nur selten, in extrem kalten Wintern, den Weg auf den indischen Subkontinent. In den letzten hundert Jahren sind südlich des Himalayas nicht mehr als zwölf Beobachtungen von Höckerschwänen und vier von Singschwänen gemeldet worden.2 Soweit aber Vorstellungen von Schwänen gefasst werden konnten, überdeckten sie das Bild der Gans oder vermischten sich mit diesem: Auf populären indi-

1 2

Rutschke, S. 16f. Asad R. Rahmani, M. Zafar-ul Islam: Ducks, Geese and Swans of India. Their Status und Distribution. Bombay 2008, S. 39, 42.

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schen Götterdarstellungen erscheint die Gans (hamsa) in aller Regel schwanenweiß.

1. B ENENNUNGEN Etymologien „Und Gott der Herr machte aus Erde alle die Tiere auf dem Felde und alle die Vögel unter dem Himmel und brachte sie zu dem Menschen, dass er sähe, wie er sie nennte; denn wie der Mensch jedes Tier nennen würde, so sollte es heißen. Und der Mensch gab einem jeden Vieh und Vogel unter dem Himmel und Tier auf dem Felde seinen Namen ...“ So berichtet die Bibel (Gen. 2, 19) über die Weise, wie Adam als erster Mensch sich zur Tierwelt in Beziehung setzte. Und das ist kein Akt von einiger Beliebigkeit, wie man vermuten möchte, wenn man die Veränderlichkeiten der Sprachen kennt. Denn die Namen erfassen nach alter Vorstellung das Wesen des Benannten, bannen es im neu entstehenden Raum sprachlicher Repräsentationen, neuer Welten, die Menschen und Menschengruppen sich selbst erschaffen. Die richtige Namengebung ist verbindlich und hat metaphysische Kraft.3 Kinder überfällt in jüngeren Jahren mitunter ein Zweifel, ob es denn sein könne, dass ein Ding in einer anderen Sprache anders bezeichnet wird. Es könne doch nur einen richtigen Namen geben. Noch die klassischer Antike und ihr nachfolgend das Mittelalter betrachteten die Namen als Hinweise auf das Wesen der Dinge. Durch Namensgebung setzen sich also Menschen zu ihrer Umwelt in Beziehung, ergreifen Besitz von ihr. Wir stoßen in den Namen auf älteste Schichten der Wahrnehmung. Was können uns da die Bezeichnungen der Schwäne verraten? Im Deutschen wie in anderen germanischen Sprachen gab es – konkurrierend – zwei Bezeichnungen für Schwäne.4 Der Schweizer Naturforscher Konrad Ges-

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Vgl. Oskar Dähnhardt: Natursagen. Eine Sammlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden. Band III. Erster Teil. Leipzig 1910, S. 186-189; Xénia Muratova: « Adam donne leurs noms aux animaux ». L’iconographie de la scène dans l’art du Moyen Âge : les manuscrits des bestiaires enluminés du XIIe et XIIIe siècles. In: Studi medievali. 3. Ser. 18 (1977, 2), S. 367-394.

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Hugo Suolahti: Die deutschen Vogelnamen. Eine wortgeschichtliche Untersuchung. Straßburg 1909, S. 406-410; Trübners Deutsches Wörterbuch. Hrsg. von Walther Mit-

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ner, der wichtigste Zoologe des 16. Jahrhunderts, bemerkte: Deutsch heiße der Vogel „Schwan“. Bei den Sachsen und den Alemannen werde er auch „Ölb“, „Elbs“ oder „Ölbsch“ genannt.5 Im Althochdeutschen, der oberdeutschfränkischen Schreibsprache der Zeit zwischen dem 8. und 11. Jahrhundert, sind die Formen „Elbiz“ und „Albiz“ belegt, was nachher zu „Elbs“ und „Ilbs“ kontrahiert wurde. Das Wort geht auf ein urgermanisches *albit zurück; es hat Parallelen im Westsächsischen und im Altnordischen.6 Da es mit altgriechisch *alphos: weißer Hautausschlag, lateinisch albus: weiß zusammenstimmt, kann als indogermanische Wurzel *albho(s): weiß angesetzt werden.7 Der Elbiz hat seinen Namen folglich nach seinem auffallend weißen Gefieder erhalten. Urverwandt erscheinen die Bezeichnungen der slawischen und baltischen Sprachen, z. B. russisch lebed, polnisch labedz bzw. litauisch gulbe und lettisch gulbis. Wahrscheinlich lassen sich hier auch lateinisch olor und die keltischen Namen – walisisch/bretonisch alarch, gälisch ela, eala – anschließen, wenn man bedenkt, dass im Keltischen das indogermanische p ausgestoßen worden ist und keltische Sprachen direkt oder auf Umwegen das Lateinische beeinflusst haben. Die Kontraktion eines keltischen Wortes bietet auch das englische „elk“ für den Singschwan, das im Laufe des 18. Jahrhunderts verklungen ist. Im Deutschen hat sich aber „Elbs“ gegen „Schwan“ so wenig behaupten können wie „olor“ gegen „cygnus“ im Lateinischen. Das Wort „Schwan“, altsächsisch und englisch „swan“, altnordisch „svanr“, lässt sich auf die indoger-

zka. Sechster Band. Berlin 1955, S. 255-256; Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Siebenundzwanzigster Band. Berlin 2004, S. 410-411. 5

Gesneri Redivivi, aucti & emendati Tomus III. Oder Vollkommenes Vogel-Buch / Zweyter Theil ...verbessert ... durch Georgium Horstium. Frankfurt 1669. ND Hannover 1981, S. 79.

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Albert L. Lloyd, Rosemarie Lühr, Otto Springer: Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Band II. Göttingen 1998, Sp. 1032-1036; Jan de Vries: Altnordisches etymologisches Wörterbuch. Zweite Auflage. Leiden 1977, S. 100.

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Hjalmar Frisk: Griechisches etymologisches Wörterbuch. Band II. Heidelberg 1970, S. 44-45; Julius Pokorny: Indogermanisches etymologisches Wörterbuch. I. Band. Bern 1989, S. 30-31. Eine andere Auffassung vertrat Karl Christ: Beiträge zur vergleichenden Mythologie. In: Jahrbücher des Vereins von Alterthumsfreunden im Rheinlande 75 (1883), S. 38-50, hier S. 46-47, der eine idg. Wurzel *arbh: wild, ungestüm, reißend ansetzte und eine Brücke über Wassergeister und Schwanenjungfrauen zu den Vögeln schlug.

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manische Wurzel *swen-: tönen zurückführen, wie lateinisch sonare8 oder – näher verwandt – slawisch swon: Schall, Glocke bezeugen. „Schwan“ hat – im Altnordischen wie im Westgermanischen – konkurrierende Bezeichnungen ganz verdrängen können. Der Vorgang ist keineswegs klar, erlaubt aber immerhin Vermutungen. Die althochdeutschen und angelsächsischen Quellen, die den Schwan bald „swana“, bald „elbiz“ nennen, können kaum in eine zeitliche Abfolge gebracht werden. Dennoch bleibt das Faktum bemerkenswert, dass das Wort „Schwan“ sich, nachdem es zuerst auf einen kleinen Raum beschränkt war, über den ganzen germanischen Sprachraum ausgebreitet hat. Wenn zwei Wörter für eine Sache existieren, besteht entweder eine Bedeutungsdifferenz oder es bildet sich eine solche aus. „Der Tönende“ wäre kein Name, mit dem der in großen Teilen Europas beheimatete Höckerschwan sinnvoll bezeichnet werden könnte. Höckerschwäne singen nicht; Laute geben sie kaum von sich, und sicherlich keine melodischen. Im Englischen heißt der Höckerschwan „mute swan“: stummer Schwan. Das Wort „Schwan“ kann daher ursprünglich nur den Singschwan meinen, die nordische, laut trompetende Art, vielleicht den nahe verwandten Zwergschwan.9 Der Singschwan brütet hoch im Nordosten und auf Island; nur im Herbst zieht er nach Süden: von Island auf die Britischen Inseln; von Lappland und Russland über Schweden an die südliche Ostsee und die Nordsee. Ein Blick in den englisch-dänischen Kontaktraum der Zeit um das Jahr 1000 kann die Verhältnisse wenigstens etwas aufhellen. Das altenglische Epos „Beowulf“ berichtet eine Geschichte aus Skandinavien. Der Held Beowulf legt mit seinem hochseetauglichen Schiff in Gautland (Schonen? Gotland?) ab, um in Dänemark dem Ungeheuer Grendel zu begegnen. Einen Tag lang segelt er über die Ostsee, und es heißt, er reiste „ofer swanrade“.10 Den Kommentaren zufolge ist swanrade: Schwanenstraße ein austauschbarer Kenning für „Meer“. Nun fahren Schwäne für gewöhnlich nicht übers Meer; sie halten sich lieber in den Küstengewässern auf. Die See kreuzen sie nur, wenn sie ihre Winterquartiere aufsuchen, im Flug. Da der skandinavische Schwanenzug von Lappland über Schwe-

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Suolathi; Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 22. Auflage, bearb. von Elmar Seebold. Berlin 1989, S. 658; Günther Drosdowski: Duden. Etymologie. Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache. 2. Aufl. Mannheim 1989, S. 656.

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So bereits Herman Hirt: Etymologie der neuhochdeutschen Sprache. Darstellung des deutschen Wortschatzes in seiner geschichtlichen Entwicklung. Zweite Auflage München 1921, S. 181.

10 Z 200. Dieter Bähr: Einführung in das Altenglische. München 2001, S. 72, vgl. S. 56.

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den nach Dänemark genau zur geschilderten Topografie passt, besteht Grund zur Annahme, hier bilde sich ein konkreter Bezug ab. Das wäre ein weiteres Indiz dafür, dass „Schwan“ zunächst „Singschwan“ bedeutete. Ferner könnte man daraus folgern, dass diese Bezeichnung ihren Ursprung im Nordosten hatte und sich von da aus ins Westgermanische – ins Deutsche und Englische – verbreitete. Eine weitere Konsequenz wäre, dass „Schwan“ als die jüngere Bezeichnung zu gelten hätte, die sich herausbildete und durchsetzte, als die Nordgermanen ein stärkeres Benennungsmotiv für den großen weißen Vogel erkannten als die Farbe, deren Auffälligkeit sich im Norden auch relativiert. Dieses stärkere Benennungsmotiv war der laute, unverkennbare Ruf, den allerdings nur der Singschwan erzeugt. Personennamen Wie ließen sich die hier angedeuteten Prozesse weiter erhellen? Rascherem Wandel als Gattungsnamen unterliegen naturgemäß Personennamen.11 Frauennamen mit dem Erstglied Swana- kennen wir aus dem Kontinentalgermanischen; aus dem Nordischen wird auch die einfache Form – Swan, Swon, Swane – überliefert. Die Gefährtin des letzten Königs der Angelsachsen, Edith, führten den Beinamen „Swanneska“: süßer Schwan. Die beliebtesten Kombinationen für Eigennamen waren Swanhilt und Swanburg.12 Diese kriegerischen Namen verbinden sich mit der Vorstellung von schwanengestaltigen Walküren der nordischen Mythologie, Wesen, die im Flug mahnende oder klagende Laute von sich geben können. Saxo Grammaticus z. B., ein dänischer Geschichtsschreiber der Zeit um 1200, berichtet, wie der sagenhafte König Fridlev nachts einen Ton vernahm, der die Luft durchschnitt. Er blieb stehen und hörte das Lied dreier Schwäne, die klingend einen Wahrspruch verkündeten.13 Auch die Inselkelten kannten ähnliche Motive.14

11 Gunter Müller: Studien zu den theriophoren Personennamen der Germanen. Köln 1970, S. 61-63, 158-159. 12 Ernst Förstemann: Altdeutsches Namenbuch. Erster Band. Zweite Auflage Bonn 1900, Sp. 1376-1378. Ergänzungsband von Henning Kaufmann. München 1968, S. 334f.; Wilhelm Schlaug: Die altsächsischen Personennamen vor dem Jahre 1000. Lund 1962 (Lunder germanistische Forschungen 34), S. 154. 13 Saxo, S. 178. Vgl. Wolfgang Golther: Handbuch der germanischen Mythologe. 2. Aufl. Wiesbaden 2004, S. 152; Übers. von Hans-Jürgen Hube, S. 328f. 14 Erinn, S. 242.

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Jordanes berichtet in seiner Gotengeschichte aus dem Jahr 551 von Sunilda, der Fürstin der Rosmonen. Der Ostgotenkönig Ermanarich habe diese gegen Ende des 4. Jahrhunderts von wilden Rossen zerstampfen lassen, um ein Vergehen ihres Ehemannes zu sühnen.15 Dieser grausamen, überharten Bestrafung bemächtigte sich die Heldensage, wodurch der Name in das Namensreservoir der westgermanischen Fürstengeschlechter überging. Leider wissen wir über die Rosmonen gar nichts Näheres. Es ist höchst unsicher, ob dieser Name (wie gewöhnlich behauptet) mit Schwanhilde gleichgesetzt werden kann; selbst wenn er germanischen Ursprungs sein sollte, wäre auch eine andere Deutung, Sühnehilde (zu althochdeutsch „suona“), denkbar.16 Mit der bairischen Prinzessin Sonihilde gelangte deren Name 719 ins Frankenreich. Er fand Eingang in den fränkischen Adel und wurde dort jedenfalls als Schwanhilde verstanden.17 Die Namen Alpiz, Elpiz, die im 9.-11. Jahrhundert Hörige des Klosters Freising führten,18 lebten hingegen nicht fort. – Die Chronik der Klosters Reinhardsbrunn erwähnt zum Jahr 1074 ein charaktervolles Pferd, das „Swane“ hieß.19 Ortsnamen Aus den Ortsnamen können in dieser Hinsicht kaum Erkenntnisse gezogen werden, weil die deutschen, niederländischen oder englischen Ortsnamen mit dem Bestimmungswort Schwan-, Swan- oder Zwaan fast nie eindeutig auf das Appellativum des Vogelnamens zurückzuführen sind. Schwandorf (anno 1006 Suainicon) oder Schwanheim (anno 880 Sueinheim) gehören zu Swein: Schweinehirt, Diener, junger Mann.20 Genauso können altenglische Ortsnamen nur speku-

15 Jordanes, Getica XXIV (MGH AA 5), S. 91. (In der Völsunga-Saga aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts erscheint Svanhild als Tochter Sigurds und Gudruns.) 16 Schwanahild, Gattin Karl Martells, Tochter des Bayernherzogs Odilo, erwähnt 741 (MGH SS I, S. 135, 327) Karl führt sie 719 gefangen aus Bayern (Sonihilde: MHG SS I, S. 325). Der Name Swanehild soll aus dem gotischen Sagenkreis stammen und aus diesem in den sächsischen Stammesadel gelangt sein (um 800). Wenskus, S. 397. Ein Wort für Schwan ist aber im Gotischen nicht belegt. 17 Wilhelm Schlaug: Studien zu den altsächsischen Personennamen des 11. und 12. Jahrhunderts. Lund 1955 (Lunder germanistische Forschungen 30), S. 150f., 225. Vgl. den Ortsnamen Suanahiltadorf in der Diözese Freising anno 908. 18 Schröder, Namenkunde, S. 45; vgl. Förstemann, Sp. 66. 19 MGH SS XXX,1, S. 524. 20 Ernst Förstemann: Altdeutsches namenbuch. Zweiter band. Zweite hälfte. Dritte auflage. Hrsg. von Hermann Jellinghaus. Bonn 1916, Sp. 962-964; Maurits Gysseling:

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lativ entweder swan (Schwan) oder swān (Swein) zugeordnet werden: Swanbourne (anno 792 Suanaburna) und Swanmore (anno 1205 Suanemere) gelten allein deshalb als Schwanennamen, weil die Grundworte (bourne, mere) Gewässer bezeichnen.21 Aber auch das ist keineswegs zwingend, wenn man gerade für Gewässernamen ein verschollenes Klangwort zur indogermanischen Wurzel *swen: tönen, klingen, annimmt, Rauschewasser also.22 Swansea in Wales, ca. 1165 Sweynesse, wird als Svens Eiland gedeutet. Schwanenstadt in Oberösterreich heißt so seit 1627 (wird allerdings schon 788 als Suanaseo erwähnt). Eine Gegend Islands erhielt bei der Landnahme norwegischer Wikinger, um 900, die Bezeichnung Alptaver (Schwanenwerder). Hier sind die Zusammenhänge klar, die Landnámábók erklärt: Es war dort ein großer See, auf dem man Schwäne jagen konnte.23 Wie im nördlichen Europa so überlagerte auch in Italien ein neues Wort, das den Schwan als Sänger kennzeichnete, das ältere, auf die Färbung zielende „olor“. Die griechische Benennung kyknos, lateinisch cygnus, drang von Osten ein. Der Begriff kann mit dem Geschrei des Singschwans verbunden werden, dem russischen Wort kuk; der Ursprung wäre so onomatopoetisch: lautmalerisch.24 Der Ruf des Singschwans lautet im Flug und in Erregung – so

Toponymisch Woordenboek van Belgïe, Nederland, Luxemburg, Noord-Frankrijk en West-Duitsland (vóór 1226). Deel II. O. O. 1960, S. 903, 949, 1107. 21 Eilert Ekwall: The concise Oxford dictionary of English place-names. 4. Aufl. Oxford 1964, S. 455-456. 22 Jürgen Udolph: Ortsnamen um Halberstadt – Zeugen der Geschichte. In: Geschichte und Kultur des Bistums Halberstadt 804-1648. Hrsg. von Adolf Siebrecht. Halberstadt 2006, S. 63-89, hier S. 87f. In anderen Gegenden können auch Einflüsse aus Substratsprachen nicht ausgeschlossen werden, namentlich im Alpengebiet, wo zur Zeit des Augustus das Volk der Suanetes lebte (Inschrift des Tropaeum Alpium, Plin. hist. Nat. III, 137). 23 Islands Besiedlung und älteste Geschichte. Übertragen von Walter Baetke. Jena 1928 (Thule. Altnordische Dichtung und Prosa [Reihe 2] 23), S. 140. 24 Paulus Cassel: Der Schwan in Sage und Leben. Eine Abhandlung. Dritte vermehrte Ausgabe. Berlin 1872, S. IX (Vorwort), XLIX (Anmerkungen); Hjalmar Frisk: Griechisches etymologisches Wörterbuch. Band II. Heidelberg 1970, S. 45f. Die andere Möglichkeit, kyknos mit altindisch sukra (licht, hell, weiß) zu verbinden – so Pokorny, S. 597 –, scheint mir etwas gezwungen zu sein. Prévost, S. 96, 105 folgt Pokorny. René Prévost : Un oiseau sacré dans le domaine indo-européen : le cygne (Inde-Gréce). In : Etudes Indo-Européennes 11 (1992), S. 91-112: http://documentos. morula.com.mx/wp-content/uploads/2012/04/R.E.I.E.1992.pdf (19.1.2014).

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Aufzeichnungen moderner Ornithologen – „göckgöckgöck“ oder, anders notiert, „küuck“; in ungestörter Kommunikation kann man auch „kuck“ hören. Das mythologisch stark aufgeladene cygnus verbreitete sich im Lateinischen durch die Dichtung25 und ging in alle romanischen Nachfolgesprachen über.26 Bemerkenswert ist natürlich, dass es keine begriffliche Unterscheidung zwischen den beiden Schwanenarten gab. Singschwäne wurden in Norddeutschland wie in England und Skandinavien im Gegensatz zu den Höckerschwänen gewöhnlich als „wilde Schwäne“ bezeichnet, so schon im 13. Jahrhundert von Bartholomaeus Anglicus.27 In hagiographischen Mitteilungen zum Leben des heiligen Hugo von Lincoln legte Giraldus Cambrensis – um 1200 – dem ankommenden Singschwan konsequent die Bezeichnung „olor“ zu, während die heimischen Höckerschwäne „cygni“ heißen.28 Dieser Wortgebrauch blieb aber singulär. Wenngleich seit dem 16. Jahrhundert im Englischen das Wort whooper/hooper bzw. im Niederdeutsch des Nordwestens Huler/Hulerswan bezeugt ist, betrachtete noch Carl von Linné Sing- und Höckerschwan als Varietäten einer Art. Erst in der 13. Auflage von Linnés Systema naturae, 1788, klassifizierte Johann Friedrich Gmelin den Höckerschwan als eigene Art. Die englische Bezeichnung „Mute Swan“ führte der Naturforscher Thomas Pennant 1785 ein.29 Das deutsche „Höckerschwan“ ist – wie niederländisch Knobbelzwaan, dänisch Knopsvane usw. – eine Übersetzung des wissenschaftlichen Namens Cygnus gibbus, den Johann Matthäus Bechstein 1803 vorgeschlagen hatte, ohne sich jedoch auf Dauer damit durchsetzen zu können. Der Besitzer der „Schwanen-Apotheke“ am Alten Markt in Offenbach, der Arzt und Orni-

25 Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Neue Bearbeitung begonnen von Georg Wissowa. Zweite Reihe, dritter Halbband. Stuttgart 1921, S. 788. 26 Frühe Nebenformen zu cygnus wie cecinus, cicinus möchte Eugène Rolland: Faune populaire de la France. Tome II. Paris 1879, S. 390 wegen des Schnabelhöckers von „cicer“ (Kichererbse, Erbse) ableiten. Das ist sprachlich wie sachlich unwahrscheinlich. 27 De proprietatibus rerum, S. 532. 28 Giraldi Cambrensis opera. Vol. VII: Vita s. Remigii et Vita s. Hugonis. Ed. James F. Dimock. London 1877 (Rerum Britannicarum medii aevii scriptores … Rolls Series 21, 7), S. 73-76, 109-110. Vgl. A[lice] Lindsay Price: Swans of the World in Nature, History, Myth and Art. Tulsa 1994, S. 98f. 29 Thomas Pennant: Artic Zoology. Vol. II. London 1785, S. 543: The Mute Swan never frequents the Padus ... Vgl. Young, S. 21.

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thologe Bernhard Meyer, prägte das deutsche Wort 1810 (den Singschwan nannte er „schwarzschnabeliger Schwan“).30

2. J AGD Jagdmethoden Alle drei in Eurasien beheimateten Schwanenarten sind über das ganze Gebiet ihrer Verbreitung hin bejagt worden. Nur in einigen Teilen Sibiriens und in Karelien galten sie als heilig;31 in Irland bewirkte die Vorstellung, dass sich Frauen und Mädchen in Schwäne verwandelten, eine Tabuisierung.32 (Allerdings ist aus Irland auch die Legende des heiligen Comgallus überliefert, der bewirkte, dass Schwäne vom Feabhail seinen Gefährten als Nahrung zuflogen.33) Sonst sparte man nirgendwo an Einfallsreichtum, um Schwäne zu erlegen; besonders während der Zeit der Mauser, im August, wurde die Vögel mit Hunden gejagt oder mit Knüppeln erschlagen. Außerhalb der Mauser erforderte die Jagd stärker ausgearbeitete Techniken. Ende des 16. Jahrhunderts berichtete z. B. der mecklenburgische Pastor und ökonomische Schriftsteller Johann Colerus: Die Jäger ziehen weiße Hemden oder Laken um und nähern sich den Schwänen vorsichtig auf Flößen; am einfachsten gelingt der Schuss, wenn der Schwan den Kopf unter Wasser hält, wo er den Knall nicht hört; hört er den Schuss jedoch, so fliegt er

30 [ Bernhard] Meyer: Taschenbuch der deutschen Vögelkunde ...Zweiter Theil. Frankfurt/M. 1810, S. 497ff. 31 Die Jakuten aßen keinen Schwan, weil Kubäi chotun, die Göttin ihrer Vorfahren, als Schwan erschien. Cassel, S. XXIX, Anm. 133. Die Buriaten hielten Schwäne für so heilig, dass niemand auch nur mit dem Finger auf sie zu deuten wagten. Price, S. 18f. Zu Karelien s. Kokko. 32 Erinn, S. 270: „Bitterlich trauerten die Männer von Erinn um Lirs Kinder und erließen ein Gesetz durch das Ganze Land, daß niemand hinfort einen Schwan töten dürfte, so leichte Beute er für den Jäger auch sein mag.“ Dazu Dähnhardt, Bd. 3, S. 481, Anm.: „In der [westir.] Grafschaft Mayo glaubte man, die Seelen der Jungfrauen, die ein besonders reines und tugendhaftes Leben geführt hätten, würden nach dem Tode in Schwäne verwandelt ... Darum wurden sie nie verfolgt.“ 33 De Sancto Comgallo abbate Benchorensi in Hibernia, cap. III: Acta Sanctorum, Mai II (http://acta.chadwyck.co-uk.proxy.nationallizenzen.de).

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auf und, so Coler, „kommet in den nehesten vier oder fünff Jahren nicht wider dahin.“ 34 Die Jagd auf Zugschwäne betrieben Jäger an der südlichen Ostsee im Winter, wenn die Tiere sich an offenen Wasserflächen sammelten, aus Hütten von Strauchwerken oder von Booten aus. Andere Methoden besaßen sicher eine geringere Bedeutung: die Verwendung von Haken, Netzen, Leimruten (1463 auf der Themse verboten) 35 oder Harpunen. Anschaulich erklärte der schwedische Geschichtsschreiber Olaus Magnus im 16. Jahrhundert: Der Jäger verberge sich hinter einem Pferd oder Ochsen, treibe diesen als Sichtschutz auf die Schwäne zu und werfe, nahe genug heran gekommen, eine Harpune, um den Vogel, falls nötig, leicht aus dem Wasser ziehen zu können. Auch von Netzen hört man, die an Gewässern aufgespannt, im richtigen Moment herabgezogen werden konnten.36 Schließlich sollen Schwäne (noch im 19. Jahrhundert) auf dem schwedischen Gut Lärkesholm mit Angeln gefangen worden sein: Wenn der Vogel einen in einer Pflaume verborgenen Angelhaken verschluckte, riss ihm ein schwerer Stein, der lose auf einem Pfahl auflag und mit dem Haken verbunden war, den Kopf ins Wasser, so dass er ertrank.37 Das Interesse der Jäger richtete sich auf das Fleisch, in der Neuzeit aber vornehmlich die Federn. Beizjagd auf Schwäne Eine höchst artifizielle Form des Vögeltötens war die Beizjagd auf Schwäne. Die ältesten Zeugnisse dafür stammen aus der höfischen Literatur des Mittelalters. In der Karlamagnússaga, einer nordischen Erzählung aus dem 13. Jahrhundert, ruft Kaiser Karl seine Gefolge auf, mit Hunden und Habichten ins Sachsenland zu ziehen, um Kraniche und Schwäne, wilde Gänse und andere Vögel zu fangen.38

34 Johannes Colerus: Oeconomia ruralis et domestica … Mainz 1645, S. 484. 35 Norman F. Ticehurst: The Mute Swan in England. Its History, and the Ancient Custom of Swan Keeping, London 1957, S. 19. 36 19. B., Cap. 9 nach Kurt Lindner: Geschichte des deutschen Weidwerks II: Die Jagd im frühen Mittelalter, Berlin 1940, S. 382. 37 Buhle, S. 52. 38 C. R. Unger (Hrsg.): Karlamagnus saga ok kappa hans. Fortælinger om keiser Karl Magnus og hans jævninger. I norsk bearbeidelse fra det trettende aarhundrede. Christiania 1860, S. 372. Vgl. Gisela Hofmann: Falkenjagd und Falkenhandel in den nordischen Ländern während des Mittelalters. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 88, 1957/58, S. 115-149.

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Der Text geht auf eine nicht überlieferte Chanson de geste zurück, die wir auch in späterer französischer Bearbeitung kennen, in der aber eine nähere Bezeichnung des Wildes fehlt.39 Eine ungefähr gleichzeitige deutsche Quelle, das Heldenlied von Biterolf und Dietrich führt die herrschenden Standards deutlicher aus. Ein hervorragender Gast des Königshofes in Worms soll durch ein exklusives Geschenk geehrt werden: einen Hund, der Beizwild aufstöbert, und zwei Habichte, die diese Beute ohne Zögern schlagen.40 Das wäre wenig verwunderlich, wenn nicht der Dichter die größten Vögel benannt hätte, die man in Europa kannte: Kraniche, Schwäne, Großtrappen und Fasane. Was hier als eine dichterische Übertreibung erscheinen mag, bestätigt die Fachliteratur. Albertus Magnus schreibt über den kleinsten der Jagdfalken, den Merlin: „Die Merline ... fliegen gemeinsam auf Raub, und zuweilen werden vier von ihnen so abgerichtet, dass sie – in der Hoffnung auf menschliche Unterstützung – auf einen Schwan stoßen. Einer setzt sich dann auf den Kopf, zwei auf die Flügel, der vierte stürzt sich auf die Brust. So überraschen sie ihn und werfen ihn nieder, damit der Jäger ihn fangen kann.“ 41 Der Merlinfalke galt als außerordentlich kühn. In seinem Verhalten spiegelt sich die ritterliche Zentraltugend: die Tapferkeit. In der mittelhochdeutschen Literatur wird der besondere Mut eines Ritter häufig mit der Angriffslust von Falken verglichen; 42 den Merlin zitiert z. B. Gottfried von Straßburg in seinem Tristan-Roman: „beidiu ros unde man/ kamen ... vliegende an/ noch balder danne ein smirlin.“43 Das wichtigste mittelalterliche Werk zur Falknerei, bemerkenswert, weil es meistens auf Erfahrungen beruht, ist das Buch De arte venandi cum avibus Kaiser Friedrichs II. Darin finden sich Beobachtungen zu Schwänen, die der Kaiser oder seine Falkner nur beim Versuch der Beize gemacht haben können, etwa, wenn es heißt, der Schwan verteidige sich im Flug durch Bisse und suche, an ein

39 Jehan Bodel: La chanson des Saisnes. Edition critique par Annette Brasseur. Bd. 1-2. Genf 1989. 40 Biterolf und Dietleib. Hrsg. von Oskar Jänicke. Berlin 1866 (Deutsches Heldenbuch 1), Z. 6978ff. 41 Albertus, S. 1502f. S. a. Gesner, S. 44, der sich außerdem auf Isidor bezieht. Das scheint ein Irrtum zu sein. Die für Isidor reklamierte Stelle finde ich dort nicht, sondern zuerst bei Thomas Cantimpratensis. Ders.: Liber de natura rerum ed. H. Boese, Berlin u. New York 1973, S. 215. 42 Vgl. Otto Batereau: Die Tiere in der mittelhochdeutschen Literatur, Diss. Leipzig 1909, S. 50. 43 Trist. 6859.

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Gewässer zu fliehen.44 Außer in seltenen Fällen der Seeadler greifen wildlebende Vögel keine Schwäne an. In der „älteren deutschen Habichtlehre“, einem Traktat aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, bemerkt der anonyme Autor, man fange, um dessen Mut zu erproben, mit dem Habicht Adler und Falken, Schwäne und Störche.45 Gleichlautend ging das in Eberhard Tappes Lehrbuch „Waidwerck vnd Federspiel“ ein, das 1542 in Straßburg erschien. Beachtenswert der Hinweis, man fange Schwäne und Störche jedoch nicht gerne, denn sie seien unbewehrt und zu zahm. Die Habichtlehre war auch eine hauptsächliche Quelle für das in der ältesten Handschrift auf 1409 datierte „Beizbüchlein“, das mehrere Drucke seit 1480 verbreiteten. Darin findet sich der Passus von der Kühnheit des Habichts, doch mit anderer Einschränkung. Man fange wie den Adler und den Falken auch den Schwan, den Storch aber nicht gern mit kleineren Tieren.46 Der Schwanenbeize war also, wenn überhaupt, nur eine recht kurze Blüte beschieden. Die Jagd mit dem Merlin erwähnt Coler,47 wahrscheinlich eine literarische Reminiszenz; das umfassende Buch von „Falcknerey/ Beyssen vnd Federspiel“, das Sigmund Feyerabendt 1582 verlegte, führt zum letzten Mal die Bemerkung der älteren Habichtlehre an;48 spätere Handbücher kennen diese Jagdform nicht mehr, ebensowenig der englische Experte Samuel Latham. Nur aus Russland kommt noch (Anfang des 16. Jahrhunderts) die Nachricht, es würden Schwäne, Kraniche und andere Großvögel mit Gerfalken gebeizt.49

44 F. 41v, 42v. I, 105: Kaiser Friedrich der Zweite: Über die Kunst mit Vögeln zu jagen. Hrsg. von Carl Arnold Willemsen. Bd. 1. Frankfurt/M. 1964, S. 117; I, 116: S. 129. 45 Die deutsche Habichtlehre. Das Beizbüchlein und seine Quellen. Hrsg. von Kurt Lindner. Berlin 1955 (Quellen und Studien zur Geschichte der Jagd 2), S. 119. 46 Ebd., S. 181. 47 Colerus, S. 632: „[Der] Aelaso Smerbo oder Schmierlein ... ist so freudig/ das er auch die Kraniche stösset ... vnd wenn ihm ein Falconier trewlich beystehet/ so dörffe er sich wol an die Schwannen machen.“. 48 F. 41v: „Mit dem Habich fahet man offtermahln Arn/ auch Schwanen/ vnd Störche/ wie wol man die Schwanen vnnd Störche vngern beysset.“ 49 Sigmund von Herberstein: Das alte Rußland. In Anlehnung an die älteste deutsche Ausgabe aus dem Lateinischen übertragen von Wolfram von den Steinen. Mit einem Nachwort von Walter Leitsch. Zürich 1984, S. 331.

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Reglementierung der Schwanenjagd Wo das Wild ein knappes Gut war, kam es jedoch schon früh zu Reglementierungen der Jagd: des klassischen Herrenrechtes. Schwäne gerieten durch ihre auffällige Erscheinung in den Blick, und zwar besonders dort, wo es an eigentlichem Hochwild mangelte: in England und den Tiefländern an der westlichen Nordsee. Dort bildeten sich aus dem exklusiven Recht der Jagd auf Schwäne Besitzrechte heraus. Die Verfügung über Schwäne demonstrierte Herrschaft und Herrschaftsansprüche. Wenn sich in die Herrschaft mehrere teilten, musste das, um die gegenseitigen Interessen nicht zu lädieren, zu einer strengen Ritualisierung führen. Das erklärt die Gebräuche, die sich in verschiedenen Städten Flanderns und der Picardie an das Einfangen und Markieren der Jungschwäne knüpften. Dieses Einfangen wurde als feierliche Form der Jagd begriffen, als Chasse solomnelle. Im Juli, wenn die Jungschwäne noch nicht im Stande waren, sich in die Luft zu erheben, brachten Gilden und Bruderschaften der Stadt ihre Boote zu Wasser, um die Jungtiere zu greifen und mit Besitzzeichen zu versehen Auf dem Kontinent endeten diese Jagden in den Kriegen des 17. Jahrhunderts. Nur in Amiens lebte der Begriff „chasse aux cignes“ weiter fort; er bezeichnete freilich im 18. Jahrhundert lediglich einen Ausflug, den reiche Bürger in gedeckten Schiffen auf den Kanälen der Somme unternahmen.50 Das für Frankreich geschilderte Verfahren kann heute noch in England beobachtet werden. Alljährlich fangen die privilegierten Korporationen auf der Themse ihre Schwäne ein, um deren Zahl zu ermitteln und die Jungtiere zu markieren – Swan-upping heißt das. Diese Parallele gibt einen Hinweis darauf, dass auch in England der exklusive Besitz von Schwänen seinen Ursprung im Jagdrecht hatte. Die Tatsache, dass man in Friesland das Recht an Schwänen eines bestimmten Bezirks „Swanne-Jacht“, also Schwanenjagd, nannte, fügt sich diesem Befund an. „Houden ende jagen“: halten und jagen lautete dort im 16. Jahrhundert die stehende Besitzformel.51 In England erscheint allerdings zuerst – den gleichberechtigten Anspruch eines abgegrenzten Personenkreises überdeckend – das Gegenmodell: die königliche Alleinherrschaft, das Schwanenregal. Die Verhältnisse auf der Insel wiesen

50 Selincourt: Le parfait Chasseur ..., Paris 1683, S. 161f.; [Pierre Jean-Baptiste] Legrand d’Aussy: Histoire de la vie privée des francais depuis l’origine de la nation jusqu’à nos jours. Première partie. Tome second. Paris 1782, S. 17f. 51 Gs. de Vries: It boek fan de swan. Swannejacht en swannemerken yn Fryslân. Drachten 1959, S. 20; Belege häufig z. B. S. 35.

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schon in der Zeit, aus der die ersten Nachrichten überliefert sind, dem 13. Jahrhundert, eine stark rechtlich ausgebildete Struktur auf. Besser lässt sich die in den Grundzügen ähnliche, aber spätere Entwicklung im Reich und in Skandinavien verfolgen. Das Jagdregal Seit dem 16. Jahrhundert beanspruchten die deutschen Landesherren die Großvogeljagd als Exklusivrecht. Die Lehre von der Regalität der Jagd, auf die sie sich bezogen, war ein schlecht begründetes Postulat; die Argumentationsgrundlage scheint Mitte des 14. Jahrhunderts die Kanzlei Kaiser Karls IV. geschaffen zu haben. Erst der schwäbische Jurist Noe Meurer versuchte zu Ende des 16. Jahrhunderts die Deduktion des Postulats aus dem römischen Recht. Die Durchsetzung des Jagdregals provozierte heftige Widerstände besonders des Adels, die sich in rechtlichen Auseinandersetzungen mit der Landesherrschaft äußerten, die sich bis zu den Revolutionskriegen hinziehen konnten.52 Der Streit um die Regalität der Jagd zeitigte zwei Ergebnisse. Die Fürsten benutzten ihre Macht, um das Regal, wo sie konnten, faktisch durchzusetzen. Nicht nur die Fürsten übrigens, sondern z. B. auch der Senat der freien Stadt Hamburg. Dabei bot es sich vielfach als Kompromiss an, die Jagd zu teilen: in eine hohe, die nur den Fürsten, und eine niedere, die den sonst Privilegierten zustand. Schwäne zählten in der Regel zur hohen Jagd. Eine erste Verordnung, die sich vor diesem Hintergrund auf die Schwanenjagd bezog, war ein Edikt des Markgrafen von Brandenburg aus dem Jahr 1582, dass niemand nach Schwänen, wilden Gänsen, Enten oder anderm Federwildpret schießen solle. Die angedrohte Strafe von 10 Talern erhöhte die nachfolgende Verordnung von 1622 auf 75 Taler für das Schießen eines Schwans, zum Vergleich: Ein Hase kostete 50 Taler, ein Reh 100 Taler. 1662 zählen Schwäne im Kurfürstentum Sachsen zur Hohen Jagd; weitere Beispiele lassen sich beibringen. Eine umfassende gesetzliche Fixierung absolutistischer Herrschaft ermöglichten die spezifischen Umstände in Dänemark. 1660 zog der König, Friedrich

52 Die Literatur weist Kurt Lindner: Bibliographie der deutschen und niederländischen Jagdliteratur von 1480 bis 1850. Berlin 1976 nach. Der wichtigste Titel: Christoph Lorenz von Bilderbeck: Gründliche Deduction gegen die vermeyntliche Regalität der Jagden. Celle 1723. Auch Leibniz ließ sich zu einer Stellungnahme bewegen: Gerd van den Heuvel: Adlige Jagd und fürstliche Souveränität. Eine Leibniz-Denkschrift zur Geschichte des Jagdrechts. In: Niedersächsisches Jahrbuch 67 (1995), S. 217-236.

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III., alle Jagdrechte an sich und begründete so das Jagdregal in seinem Reich.53 1662 erließ er eine Verordnung, die für das Töten von jagdbarem Wild, auch Schwänen, hohe Strafen androhte. Hofjagden/Jagdfeste Schon früher hatten die dänischen Könige Schwanenjagden veranstaltet. Im Barock erfolgten jedoch aufwändige Inszenierungen. Auf einer Schwanenjagd in Gegenwart König Christians V. sollen 1692 bei Falster 420 Schwäne erlegt worden sein.54 Bis ungefähr 1730 wiederholten sich fast jeden Sommer, Ende Juli, wenn die Vögel mauserten, „abgeschlagen" waren, derartige Königsjagden. Besonders eignete sich dafür die Fahrrinne vor den Inseln Amager und Saltholm, in Sichtweite der Residenzstadt Kopenhagen, wo sich vor allem junge, ein- und zweijährige Vögel, die noch nicht brüteten, sammelten. Gewöhnlich ließen 200300 Schwäne ihr Leben.55 In einer Beschreibung aus der Zeit Friedrichs V. (1746-1766) liest man, dass die Hofgesellschaft in 37 Schaluppen heranruderte, welche die Schwäne in Form eines Halbmondes einschlossen, während sich am Ufer Reiter aufbauten, die eine Flucht der Schwäne in diese Richtung verhindern sollten. Die vergoldete Schaluppe des Königs wurde von 20 Ruderern, die in rot gestreifte Seide gekleidet waren, vorangetrieben; die übrigen Boote hatten nur zehn Ruderer. Sobald der König den ersten Schuss abgegeben hatte, begann ein Feuern aus allen Rohren, das anhielt, solange sich noch Ziele boten. Anschließend sprangen Bedienstete ins Wasser und fischten die erlegten Vögel heraus.56 Die Verhältnisse lagen in Dänemark günstiger als anderswo in Europa. Dennoch konnte sich etwa auch der Berliner Hof ein entsprechendes Vergnügen verschaffen. 1704 beschloss König Friedrich I. in Preußen, eine Schwanenpflege oder -jagd auf der Ucker zu halten. Am 9. August traf er in Gesellschaft des Kronprinzen, der Markgrafen und eines ansehnlichen Hofstaats in Prenzlau ein. Am Neustädtischen Tor empfingen ihn die Ritter- und die Bürgerschaft. Von da

53 Arne Hoff: Jagtrettigheder og Jagtvaaben i historisk Tid. In: Den danske Jagt i Fortid og Nutid. Hrsg. von Henning Scheel. Kopenhagen 1947, S. 69-99. 54 N. D. Riegels: Versuch einer Geschichte Christians des Fünften ... Kopenhagen 1795, z. B. S. 17, 307, 451. 55 Henning Scheel: Vildtet og dets Kaar i historisk Tid. In: ders., S. 100-114, hier S. 112f. 56 C. Weismann: Vildtets og Jagtens Historie i Danmark. Kopenhagen 1931, S. 293.

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zog er durch eine Allee von frischem Grün in seine Unterkunft, während die Glocken läuteten und vom Rathaus her Trompeten und Pauken erschallten. Am 10. August feierte der Hof den dritten Sonntag nach Trinitatis. Am 11. August, morgens gegen fünf Uhr, fuhr der König mit seinem Gefolge in verschiedenen Jagdschiffen die Ucker aufwärts, um die „in ihrer Art seltene“ große Schwanenjagad zu veranstalten. Sie fiel zum höchsten Vergnügen des Königs so glücklich aus, dass 34 Schwäne geschossen und etliche lebend gefangen werden konnte. Mittags kehrte die hohe Jagdgesellschaft zurück nach Prenzlau. Nach Einbruch der Dämmerung erhellten Illuminationen den Marktplatz. An einem zwischen zwei Pyramiden aufgeführten Gerüst sah man erleuchtete Sinnbilder, u. a. die mit Schwänen bedeckte Ucker, dazu das Motto „Pacis alumni“, sowie die königliche Jagdgesellschaft in drei Gondeln mit der Erklärung „Deliciae regiae“. Instrumente erklangen, und eine Ode des Pastors loci wurde musikalisch dargeboten. Die erste Strophe: „Schwanen, weltgepriesner Held, Sollen Dir zu Füssen liegen, Königlich Dich zu vergnügen, Weil es Dir also gefällt, Auf der Ucker sanften Wellen Schwanen Jagden anzustellen.“57

Ein Jahr danach erbaten Bürgermeister und Rat der Stadt Prenzlau – in perpetuam rei memoriam: zum ewigen Gedächtnis an dieses Ereignis – vom König die Vergünstigung, das Stadtwappen um einen Schwan vermehren zu dürfen. Im Namen des Königs wurde der Wappenbrief ausgestellt und die Wappenvermehrung damit begründet, dass „Wir daselbst zu Unserem besonderen Vergnügen eine Schwaanen-Pflege und Jacht gehalten, bey welcher Unß der dortige Magistrat durch die Unserer recreation und sonsten gemachte gute Veranstaltung ihre allerunterthänigste devotion verspühren zu lassen eyffertigst bemühet gewesen ...“ 58 Was war der Sinn dieser Hofjagden? Die Recreation, das Divertissement des Herrschers? Sicherlich auch. Vor allem jedoch: Es manifestierte sich Herrschaft, und diese Herrschaft unterschied sich nach Anspruch und Erwartung erkennbar

57 Johann Samuel Seckt: Versuch einer Geschichte der Uckermärkischen Hauptstadt Prenzlau. Zweiter Theil. Prenzlau 1787, S. 130-132, 199. 58 Ernst Friedlaender: Das Wappen der Stadt Prenzlau. In: Märkische Forschungen 20 (1887), S. 82-88.

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von früheren Vorstellungen. Der Fürst des ausgebildeten Territorialstaates musste es auf sich nehmen, für die Wohlfahrt und Sicherheit aller seiner Untertanen in geistlicher wie weltlicher Hinsicht Sorge zu tragen. Das überforderte den tapfersten Ritter ebenso wie den gerechtesten Richter. Der Herrscher musste daher zur Idee, transpersonal werden. Die Idee des Herrschers beanspruchte Omnipotenz, Sakralität. Sie erwuchs aus der Staatsräson. Der Herrscher (als Idee) durfte nicht sterben; er erzwang eine auf sich geordnete Hierarchie aller Untertanen. Und weil eine Idee nur geschichtsmächtig werden kann, wenn sie einen angemessenen Ausdruck findet, drängte diese Herrschaft zur Inszenierung. „Du bist unsers Landes Schild, Sichrer als die Irmen-Seule, Die vor langer Zeit und Weile Diß Land heilig abgebild't, Denn man kann die reinen Lehren Unter dir im Lande hören.“

So heißt es weiter in dem oben zitierten Gedicht. Die ganze schwere Verantwortung des Herrscherberufs klingt an. Wollte der Herrscher ihr genügen, brauchte er vollkommene Gewalt und breite Unterstützung durch fähige Kräfte; seine persönlichen Tugenden traten in den Hintergrund, die Idee seiner Amtstugenden überhöhte die Person. All das spiegelte sich in den geschilderten Jagden. Dem König exklusiv ist die Bejagung der Schwäne vorbehalten. Aber er erscheint nicht allein, sondern in seinem Hofstaat. Der Hofstaat hat eine mehrfache Bedeutung. Er versinnbildlicht erstens die Hierarchie, an deren Spitze der Monarch steht. Da der Landesfürst zweitens das Staatswesen nicht alleine steuern und verwalten kann, braucht er Berater und Diener, die ihm Hilfe leisten. Schließlich können Zahl und Qualität der Diener die Gloire des Fürsten, Ansehen und Prestige an fremden Höfen wie bei den eigenen Untertanen erhöhen. Der Fürst feuert den ersten Schuss ab. Damit ordnet er die Jagd an; er befiehlt. Ob sein Schuss trifft, bleibt ohne Bedeutung; er handelt nur symbolisch. Er hat seine Jagdbediensteten. Diese Jagd hat nicht den Sinn, den eine Jagd gemeinhin hatte: Beute zu machen, um einen Bedarf zu befriedigen. Das Verhältnis zum Wild als Objekt schillert. Die Schwäne wurden auf der Ucker teils geschossen, teils eingefangen; ob das Wildpret Verwendung fand oder nur die Daunen, bleibt ungewiss. Die Schwäne werden in dieser Inszenierung des Herrschers, seiner Persona publica, zu Attributen seiner Majestät. „Schwanen, weltgepriesner Held/ Sollen Dir zu Füssen liegen,/ Königlich Dich zu vergnügen.“ Der Sinnspruch „Deliciae regis“

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reflektiert dieses Vergnügen. Das Motto jedoch „Pacis alumni“: Zöglinge des Friedens setzt den König, dessen primäre Aufgabe es ist, den Frieden zu wahren, und die Schwäne, deren weiße Farbe an diese Aufgabe erinnert, in eine Beziehung zu einander. Die Jagd erscheint nur als Anlass, um das Bild des Friedensfürsten zu evozieren. Die Interpretation soll nicht allein auf dieses Bild zulaufen. Antriebe und Aspekte der barocken Schwanenjagd sind vielschichtig, mitunter widersprüchlich. Der Schwan erscheint weder als Gegner noch als begehrte Beute. Er trägt seine Bedeutung nicht in sich; sie wird ihm auferlegt. Die Übergänge von den inszenierten Jagden zu den eingestellten Jagden auf Rotwild, denen ein staunendes Publikum beiwohnte, zu den Prunkjagden, Schaukämpfen und bloßen Belustigungen mit wilden Tieren verschwimmen.59 In jedem Fall aber dienten die Inszenierungen neben der Zerstreuung dazu, Herrschaft zu demonstrieren. Die Festlichkeiten, die der kaiserliche Feldmarschall Prinz Joseph Friedrich von Sachsen-Hildburghausen 1754 veranstaltete, als er auf seinem Landsitz in Niederösterreich den Kaiser empfing, können das verdeutlichen. Aus Anlass des hohen Besuchs reihten sich Feste, Feuerwerke und Jagden aneinander. Besonders blieb das Wasserkarussell in Erinnerung. In einen flachen Teich des Schlossparks waren acht Postamente gestellt worden, die, steinfarben angestrichen, mit Fratzengesichtern aus dem Wasser ragten. Auf diesen Postamenten standen lebende Tiere: zwei Bären, als Pantalons verkleidet, zwei Wildschweine als Kolumbinen, zwei Ziegenböcke als Harlekins. Auf dem letzten Sockelpaar kauerten zwei ungewöhnlich große Bullenbeißer. Auf den umgebenden Hügeln hatten sich einige tausend Menschen versammelt und verfolgten das Schauspiel. Vom Ufer her ertönte Musik. Die Aktionen setzten ein, indem Gondeln zu Wasser gelassen wurden, die Ritter zu einem Turnier fuhren. Die Gondeln umkreisten die Postamente, dass es wie ein Karussell wirkte, und die Ritter stießen mit ihren Lanzen nach einander. Endlich schlug jeder der Ritter auf eins der Fratzengesichter der Postamente, Falltüren öffneten sich und entließen eine große Anzahl weißer Enten und Gänse und je einen Schwan. Die Vögel strebten dem Wasser zu und trugen auf den Rücken verschiedene Figuren, kleine Reiter, die Pantalons, Harlekine, Anselmos, Dottores, Leanders und weitere Gestalten der Commedia dell'arte darstellten. Die Ritter fingen an, sich und die Tiere zu bespritzen; die Musik glitt in Disharmonische; die Tiere brüllten und jaulten; die Enten und Gänse, von den Gondeln hin-

59 S. z. B. Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg. Die Lust am Jagen. Jagdsitten und Jagdfeste am kurpfälzischen Hof im 18. Jahrhundert. Ubstadt-Weiher 1999.

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und hergedrängt, quietschten und schnatterten. Und die Zuschauer schütteten sich aus vor Lachen. „Ich will den Hypochondristen sehen“, meinte der Komponist Karl Ditters, „der nicht über dieses in seiner Art einzige Spektakel laut auflachen soll.“ Der Gastgeber durfte es wagen, scheinbar das Chaos herauf zu beschwören, den chthonischen Kräften der Natur ihren Lauf zu lassen. Die Bären hielten Ketten fest, und das Wassergeflügel konnte, mit gelähmten Schwingen, nicht davon fliegen. Mit einem Wink beschwor der Prinz nun eine neue Illusion: den Triumph der Ordnung. Eine Galerie, auf die während des Spritzvergnügens niemand Acht hatte, hatte sich in einen harmonisch regulierten Garten verwandelt. Ein Gärtner lud die hohen Gäste ein, denselben zu betreten und Blumen zu pflücken. Der Kaiser, die Kaiserin, die Erzherzöge und die Erzherzoginnen folgten dieser Einladung und demonstrierten, in welchem Maße die Natur ihrer Majestät unterworfen war.60 Sportjagden Noch im 18. Jahrhundert setzte die Gegenbewegung ein.61 Natur wurde zur moralischen Kategorie, das Natürliche zur Form einer höheren Vernunft. Die Publizisten forderten ein naturgemäßes Leben, eine naturgemäße Erziehung. Ferner: Die Idee des Staates, die anfangs ganz in der Stärkung der landesherrlichen Gewalt aufging, verselbständigte sich nach und nach völlig. Ja, sie begann, sich gegen den Herrscher zu wenden, indem sie, um immer weitere Machtressourcen erschließen zu können, den Legitimationsgrund veränderte: Volkssouveränität statt von Gott verliehener Majestät.62 Die landesherrliche Handlungsfreiheit beschränkte sie durch Verfassungen. An die Stelle eines Königs als Amtmann Gottes tritt der Staat selbst: als „erscheinender Gott“ (Hegel). Mit der Unterwerfung sogar der königlichen Person unter die Herrschaft der Staatsidee verlor die Ex-

60 Karl Ditters von Dittersdorf: Lebensbeschreibung. Seinem Sohne in die Feder diktiert. Hrsg. von Norbert Miller. München 1967 (Lebensläufe: Biographien, Erinnerungen, Briefe 12), S. 75-80; nach Dittersdorf Max von Boehn: Deutschland im 18. Jahrhundert. Das Heil. Römische Reich Deutscher Nation. Berlin 1921, S. 274. 61 Thomas, S. 173-191. 62 Vgl. Wolfgang Reinhard: Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart. München 1999, S. 406ff. Zu Hegels Staatsauffassung s. Walter Pauly: Hegel und die Frage nach dem Staat. In: Der Staat. Zeitschrift für Staatslehre, öffentliches Recht und Verfassungsgeschichte 39 (2000), S. 381-396.

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klusivität königlicher Handlungen ihren Sinn. Die deutsche Nationalversammlung hob 1848 das Jagdrecht auf fremdem Grund und Boden auf, die Bundesstaaten folgten ihr darin. Die alte Nahrungs- und Erwerbsjagd an der Ostseeküste hatte ihre Bedeutung bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts eingebüßt, nachdem die Schwanenmuffs und -pelze, auch die frisierten Köpfe, welche eine große Menge Puderquasten aus Schwanenfedern erforderten, aus der Mode gekommen waren. Rückschauend heißt es 1819: Die Schwanenfelle standen gewöhnlich mit den Fuchsbälgen in gleichem Preise, die Schwungfedern wurden sehr gesucht, das Fleisch gebraten, eingesalzen oder geräuchert, die breiten Fuße ausgespannt und getrocknet, um zu Lampen verarbeitet werden zu können.63 Das jägerische Ethos bildete sich neu: nicht handlungs-, sondern erlebnisorientiert, und zwar nach festen Regeln, die weidgerechtes Verhalten, sportliche Fairness forderten.64 Wenn der Jagdschriftsteller Dietrich aus dem Winckell zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch meinte, über die Schwanenjagd lasse sich wenig Merkwürdiges sagen, sie sei mit nur geringen Schwierigkeiten verbunden,65 änderte sich das seit den 1870er Jahren. Statt zur Schrotflinte für die Nahdistanz (Schwanenschrot hatte in England einen Durchmesser von 5 mm) griffen die Jäger jetzt zur Büchse.66 Die Schwanenjagd gewann neue Anhänger. Es fehlt nicht an begeisterten Berichten über die winterliche Jagd auf Wildschwäne. Die Schwierigkeit der Umstände werden hervorgehoben und die Schläue und Vorsicht der Tiere, die nur mit List und Ausdauer gemeistert werden können. Das Anpirschen galt als anspruchsvoll; der Anstand im Schirm oder in sonstiger Deckung an Stellen, die auf Schwäne im Zug hoffen ließen, belohnte den geduldigen Jäger nur, wenn der Zufall es wollte. „Weit fröhlicher, lebhafter und aufregender als der Ansitz ist aber die Jagd auf offnem Wasser im Segelboot ... ,“ berichtete ein Jagdenthusiast: „Fünf Mal halte ich in den Klumpen hinein; da senkt sich ein Schwan aus der Masse zu Wasser, immer schräger wird seine Bahn, immer schneller sinkt er; – jetzt verliert er jeden Halt, und aus einer Höhe von vielleicht 50 m kommt er leblos herunter. Ein lautes Hurra der Bootsleute, dann nehmen wir Kurs auf den Gestürzten, und binnen kurzem haben wir ihn an Bord. Das ist unstreitig die schönste Jagdart auf den Wildschwan, würdig des stolzen

63 August von Wehrs: Der Darß und der Zingst, ein Beitrag zur Kenntniß von Neuvorpommern. Hannover 1819, S. 126-132. 64 Vgl. Buchner, S. 171-173. 65 George Dietrich aus dem Winckell: Handbuch für Jäger, Jagdberechtigte und Jagdliebhaber. Erster Theil. 2. Aufl. Leipzig 1820, S. 169. 66 Young, S. 125f.

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Vogels, würdig des Weidmanns.“67 Den Stellenwert dieser Jagd sollte man jedoch nicht überschätzen. Kaiser Wilhelm II. konnte Ende Oktober 1902 auf 30 Jahre aktiven Jagens zurückblicken. In diesem Zeitraum hatte er 47.443 Stück Wild von 437 verschiedenen Arten erlegt, darunter befanden sich aber lediglich zwei Schwäne.68 Im 20. Jahrhundert begann die Heimat- und Naturschutzbewegung die Bejagung von Schwänen wieder zu kriminalisieren. Die Jäger gerieten in den Zwang, die Notwendigkeit der Jagd begründen zu müssen.69 Die öffentliche Meinung bestimmte nun die Aktionen der Staatsgewalt. Nachdem der Schwan 1921 in Preußen, 1922 in Bremen, 1927 in Oldenburg unter Schutz gestellt worden war, betrachteten es die Bremer Jagd- und Tierschutzvereine als ihre Aufgabe, „Schießertum und Heimatschändern“ das Handwerk zu legen. Sie setzten 1929 eine Belohnung von 20 Mark für jeden aus, der eine Schwanenjagd zur Anzeige brachte.70 Als im November 1931 zwei Jäger in Ostfriesland Schwäne schossen, verfolgte diese nicht nur die Polizei. Der Dachverband der nordwestdeutschen Heimatvereine, der Niedersächsische Ausschuss für Heimatschutz, wandte sich an die Provinzialbehörden und versuchte deutlich zu machen, dass in solchen Fällen des „Naturraubs“ die gesetzliche Höchststrafe keine hinreichende Sühne sei, sondern auch die Entziehung der Jagderlaubnis angeordnet werden müsse. Dieses Begehren zeigte Wirkung: Das Amtsgericht Wittmund verurteilte die Jäger zu je 40 Mark Strafe, der Landrat verfügte die Einziehung der Jagdscheine, und die Regierung in Aurich veröffentlichte in den Tageszeitungen den Hinweis, dass die Schonvorschriften schärfstens zu beachten seien.71 In Dänemark war längere Zeit noch die Jagd mit Schwanenattrappen als Lockvögeln üblich. Svend Fleuron beschrieb sie: „Die Schwanenjagd hat begonnen! Alle berufsmäßigen Schwanenjäger sind draußen und sitzen zu dreien neben ihren Lockvögeln in zur Hälfte eingegrabenen Tonnen.“ Die hölzernen Lockvögel erschienen im Schmuck echter Federn fast lebendig und beruhigten

67 F. von Raesfeld-Born. In: Die Hohe Jagd. Hrsg. von C. Alberti u. a. 4. Aufl. Berlin 1920. ND Augsburg 1997, S. 606. 68 Schaumburg-lippische Landes-Zeitung, 1.11.1902. 69 S. allgemein Paul Müller: Jagd. In: Lexikon der Bioethik. Bd. 2. Gütersloh 1998, S. 327-332. 70 Niedersachsen. Norddeutsche Monatshefte für Heimat und Volkstum 34 (1929), S. 142. 71 Niedersachsen. Norddeutsche Monatshefte für Heimat und Volkstum 36 (1931), S. 39, 134.

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das Misstrauen der wilden Schwäne, die im Anflug dann mit großen Schrotkugeln abgeschossen wurden.72 Als ein Gesetz den Höckerschwan 1926 ganzjährig unter Naturschutz stellte, sollen in Dänemark kaum noch drei Brutpaare gelebt haben. Die aktuelle Situation in Großbritannien zeigt der Fall des königlichen Hofkomponisten Sir Peter Maxwell. Im Frühjahr 2005 entdeckte er in der Nähe seines Hauses auf den Orkneys einen verendeten Singschwan, der gegen eine Hochspannungsleitung geflogen war. Er nahm den Kadaver mit und beschloss, aus den besten Teilen, der Brust und den Keulen, eine Schwanenterrine zu bereiten. Seine Vorbereitungen unterbrach aber ein Besuch der Polizei, die mit Hinweis auf den Wildlife and Countryside Act von 1981 den Schwan beschlagnahmte. Strafbar hatte sich der Musiker aber nicht gemacht, da er keine Verantwortung für den Tod dieses unter Artenschutz stehenden Vogels trug.73 Herrschaft manifestierte sich so nicht mehr in der Schwanenjagd, sondern in ihrer Verhinderung. Heutigentags rechnet der Höckerschwan in Deutschland zu den jagdbaren Vögeln,74 eine Bejagung wird aber nur mit Unbehagen durchgeführt: aus „jagdethischen Gründen“. Die Geschichte der Schwanenjagd schien ihr Ende erreicht zu haben. Möglicherweise segmentiert sich gerade aber die herrschende Meinung wieder. An einer renaturierten Wasserfläche in Braunschweig schossen im Januar 2011 zwei Jäger mit Schrot in einen Schwarm fliegender Schwäne. Zwei Tiere wurden getötet, ein dritter Vogel landete blutend auf dem Wasser und erhob sich wieder in die Luft. Der zufällig anwesende städtische Naturschutzbeauftragte rief die Polizei. Er und die Umweltschutzorganisation „Pro Wabe“ („Wabe“ heißt das Gewässer) bezweifelten die „Sinnhaftigkeit“ der Schwanenjagd. Außerdem hätten die Jäger das verwundete Tier nicht sich selbst überlassen dürfen. Die herbei gerufene Polizei verzichtete auf Ermittlungen, weil das Jagdschutzgesetz das Schießen auf Schwäne gestattet und kein verletzter Vogel zurück gelassen worden sei. Einer der Jäger erklärte, die Nachsuche nach dem verletzten Schwan nach Ende der Jagd durchgeführt zu haben. Sie hätten ihn südlich der Bundesstraße 1 entdeckt und ihm einen Fangschuss mit einer Kugel versetzt. Es habe sich um eine einmalige Jagd gehandelt, weil die Schwäne in größerer Zahl eine relativ kleine Wasserfläche bevölkerten. „Wir haben 25 Schwäne gezählt.

72 Svend Fleuron: Die Schwäne vom Wildsee. Jena 1925, S. 106-112. 73 Young, S. 137f. 74 Wildschwäne (d. h. Sing- und Zwergschwäne) unterliegen seit dem 1.4.1977 nicht mehr dem Jagdrecht. BJAgdG § 2, dazu Kommentar von Albert Lorz, Ernst Metzger u. Heinz Stöckel. 3. Aufl. 1998 (Beck’sche Kurzkommentare 38), S. 29.

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Wenn es dort mehr werden, kann es zu Komplikationen kommen. Um das Gleichgewicht zu halten, haben wir drei Tiere geschossen.“ Brust und Keule werden zum Verzehr zubereitet. Der Jäger bezeichnete das Fleisch als Delikatesse.75 Ein Leserbriefschreiber der Braunschweiger Zeitung erkannte eine Fehlinterpretation des Gesetzes, und eine Leserin schrieb: „Ich kann mir nicht vorstellen, wie Menschen in der Lage sind, überhaupt Tiere zu töten. Aber wie verwerflich ist es, in eine Gruppe Schwäne zu schießen und ein Tier elendig verenden zu lassen? Jetzt muss es endlich an der Zeit sein, den Jägern genauer auf die Finger zu schauen und ich hoffe, dass diese entsetzliche Geschichte ein Nachspiel für die betreffenden Lusttöter vorsieht. Man muss ihnen die Jagdlizenz entziehen.“76

3. N UTZUNGEN Fleischnutzung Den Anlass zu dieser Studie gab vor vielen Jahren angesichts der zahlreichen Schwäne, die die Seenlandschaft der Havel bewohnen, die Frage, ob diese großen kalorienreichen Vögel nicht der menschlichen Ernährung gedient haben. Als der Söldnerführer Iphikrates, ein Athener, im Jahre 386 v. Chr. die Tochter des Königs von Thrakien heiratete, erfährt man, gab es Schwanenbraten.77 Aus der römischen Antike sind immerhin zwei Zeugnisse überliefert, eine beiläufige Erwähnung von Schwanenbraten aus dem Anfang des 3. Jahrhunderts,78 und eine Stelle bei Plutarch, um das Jahr 100, wo es heißt: „Will man durchaus Fleisch essen, so misshandele man wenigstens die Tiere nicht vorher, sondern töte sie mit Bedauern. Es gibt Leute, welche Kranichen und Schwänen die Augenlider zusammen nähen und sie dann im Dunkeln mästen."79 Dadurch muss nicht die Wertschätzung des Fleisches zum Ausdruck kommen; schon Horaz hatte in einer Satire bemerkt, dass der üppig-lüsterne Römer bei Tisch lieber nach einem Pfau

75 Braunschweiger Zeitung, 4.1.2011. 76 Braunschweiger Zeitung,7. und 8.1.2011. 77 Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaften.Hrsg. von Georg Wissowa. 2. Reihe, 3. Halbbd. Stuttgart 1921, Sp. 790. 78 Athenaeus, Deipnosiphistae 9, 49. Vgl. Lenz, S. 401. 79 Plut. De esu carnium 2. Zit. Nach Lenz, S. 398.

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greife als nach einem Huhn, nicht weil der Pfau gut schmecke, sondern wegen des Geldwertes des seltenen Vogels und seines prächtigen Gefieders.80 Das Fleisch des adulten Höckerschwans hat man auch im Mittelalter wenig geschätzt. „Das Fleisch ist schwarz ... und hart wie das aller großen Wasservögel", schreibt Albertus Magnus, der Kölner Gelehrte.81 Der Jungschwan galt dagegen als schmackhaft; an einen solchen dachte jener Prälat, vom dem Chaucer schreibt: A fat swan loved he best of any roast;82 einen Jungschwan (cygnet) rühmte der normannische Edelmann Gilles de Gouberville 1566 als fett und zart.83 Cygnet heißen die Schwäne nur im ersten Jahr, wenn sie, als hässliche Entlein, noch graue Federn tragen. Um 1600 meinte der italienische Zoologe Aldrovandi, die Schwanenjungen dienten nicht wegen ihrer Seltenheit, sondern ihrer Vorzüglichkeit wegen als Festessen.84 Ein englisches Kochbuch gibt noch 1678 eine Anleitung zur Schwanenmast: Füttere deine Cygnets ganz so wie du junge Gänse fütterst, und sie werden in sieben oder acht Wochen fett genug sein. Wenn du sie rascher mästen willst, so füttere sie in einem umzäunten Teich. Aus England kommt auch der Rat, Schwäne bevorzugt mit Hafer zu füttern: Das reduziere den tranigen Geschmack.85 Man könnte versucht sein, an den Schwanengesang des verbrannten Vogels aus den Carmina Burana zu denken. Das Lied, nach 1150 in Nordfrankreich gedichtet, lässt die Klage eines Schwans am Spieß ertönen, ist aber geistlich zu deuten, als Entsetzen des Heuchlers angesichts des Höllenschlundes.86 Für die Küchengeschichte und Realienkunde lässt sich daraus wenig ableiten.

80 Sat. 2, 2, 23. 81 Albertus Magnus: De animalibus libri XXVI. Nach der Cölner Urschrift hrsg. von Hermann Stadler. Band 2. Münster 1916 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters 15), S. 1447. 82 A Variorum Edition of the Works of Geoffrey Chaucer. Tom. 2: The Canterbury Tales. The General Proloque. Norman 1993, S. 147. 83 Vgl. Madeleine Foisil: Le Sire de Gouberville. Un gentilhomme normand en XVIe siècle. Paris 1986. 84 Ulysses Aldrovandi: Ornithologiae Tomus Tertius ac postremus. Bologna 1637, S. 40. 85 Robert May: The Accomplisht Cook, or The Art and Mystery of Cookery. London 1678 nach Young, S. 140. 86 Brage Bei der Wieden: Der Schwanengesang aus den Carmina Burana. In: Stupor Saxoniae inferioris. Ernst Schubert zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Wiard Hinrichs, Siegfried Schütz und Jürgen Wilke. Göttingen 2001, S. 13-19.

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Rezepte Im späten 12. und im 13. Jahrhundert finden sich in der französischen Literatur einige Erwähnungen von Schwänen, die neben Pfauen ein außerordentlich prächtiges Mahl andeuten.87 Gewöhnlich handelte es sich um Schwäne in Pfeffersoße oder gepfeffert (cignes enpeures).88 Offenkundig waren weitere Details, z. B. lange Speisepläne, ohne Bedeutung, denn es ging darum, Vorstellungen einer Ordnung zu beschwören. Und da gehörte das kostbare Wild auf die Tafes des hohen Herrn. Auch der russische Großfürst ließ sich – nach einem Bericht aus dem 16. Jahrhundert – an Fleischtagen jederzeit gebratene Schwäne servieren, die bei Tisch mit Pfeffer, Essig und Salz gewürzt wurden.89 Der Pfeffer förderte die Verdauung des fetten Fleisches, seine Schärfe überdeckte den tranigen Geschmack. Da Pfeffer aus Indien eingeführt werden musste und lange Zeit so begehrt war, dass einige Pfund als fürstliches Geschenk galten, verstärkte seine Verwendung den Rang der so gewürzten Speise. Die einfachere Variante einer Sauce für Schwanenfleisch ließ sich aus klein gehackten Innereien, die mit Ingwer, Galgant, Brot und Blut vermischt wurden, herstellten. Rezepte sind aus England seit dem 14. Jahrhundert überliefert.90 Diese Sauce diente der Zubereitung eines im Ofen gebratenen Schwanenbraten.

87 May Plouzeau: La Vengeance Raguidel: Edition ctitique, Z. 754-755: Li autres en une escüele/ aporte i cisne bien rosti … (um 1200): http://www.uottawa.ca/academic/arts/ lfa/activites/trextes/Vengeance/ed1000.htm (6.7.2007), Z. 754-755. 88 Renaus de Montauban oder die Haimonskinder, Altfranzösisches Gedicht, nach den Handschriften zum erstenmal hrsg. von Henri Victor Michelant. Stuttgart 1862 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 67), S. 168, S. 168, 320 (Ende 12. Jh.); La Mort Aymeri de Narbonne. Chanson de Geste. Hrsg. von J. Couraye du Parc. Paris 1884, S. 107, 126 (Anfang 13. Jh.); Aiol et Mirabel und Élie de Saint Gille. Zwei Altfranzösische Heldengedichte. Hrsg. von Wendelin Foerster. Heilbronn 1876-1882, S. 349: un cisne enpeure; La Chanson d’Antioche. Hrsg. von Jan. A. Nelson. Tuscaloosa 2003, S. 317: cisnes enpevrés (Ende 12. Jh.); Adolf Tobler: Mitteilungen aus altfranzösischen Handschriften. I: Aus der Chanson des Geste von Auberi. Leipzig 1870, S. 62: Il noit porter ces cignes enpeures. Vgl. Alwin Schultz: Das höfische Leben zur Zeit der Minnesänger. Bd. 1. 2. Aufl. Leipzig 1889, S. 388. 89 Herberstein, S. 319. 90 Vgl. http://oldcookery.com/trans/tfoc.html#r147; http://oldcookery.com/trans/msblslo ane468.html#r11 (23.12.2012). Die Übersetzung eines Rezepts gibt Frank Schweizer: Kuchen nur versehentlich gesendet! Kulinarische Anekdoten und Kuriositäten. Stuttgart 2009, S. 77.

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Gegen Ende des 13. Jahrhunderts genügte es nicht mehr, durch Zeichen bestimmte Standards anzudeuten. Jetzt setzte eine Konkurrenz des Besonderen ein, der Originalität und der künstlerischen Gestaltung. Das entspricht der Entwicklung des abendländischen Denkens: Die Menschen begannen, die Dinge weniger als Verweise auf eine höhere Ordnung denn als konkrete Formen von Materie zu begreifen. Schon König Ludwig IX. von Frankreich (1226-1270), der Heilige, ließ sich Fasane, Pfauen und Schwäne im Gefieder servieren; als Zierat waren natürliche Blumen und goldenes Geschmeide eingeflochten, mit Perlen und Edelsteinen besetzt. Ein „Pectoiral“ oder goldenes Halsband, das den mit Nudeln gefüllten Schwänen um den Hals gehängt wurde, gehörte zum Inventar des Schlosses in Vincennes.91 Vielleicht kann hier das Gelübde angeschlossen werden, das König Eduard I. von England und seine Ritterschaft anlässlich der Schwertleite seines ältesten Sohnes im Jahre 1306 ablegten. Der Königssohn wie auch die anderen, die an diesem Tag zu Rittern geschlagen worden waren, 240 an der Zahl, wurden öffentlich aufgefordert, vor dem Schwan (coram signo) eine Waffentat zu geloben. Der König selbst gab das Beispiel und schwor, gegen Robert Bruce Krieg zu führen und anschließend ins heilige Land zu ziehen.92 Nach einem anderen Bericht wurden „in üppiger Herrlichkeit zwei Schwäne, behängt mit goldenen Fäden und Bändern“, aufgetragen, um den Eid zu bekräftigen.93 Zum Fasanenfest in Lille 1454 heißt es, eine alte Sitte verlange, einen „Pfau oder irgendeinen anderen edlen Vogel zu präsentieren“, vor welchem die anwesenden Fürsten und

91 C. E. von Malortie: Zur Geschichte des Küchen- und Tafel-Wesens, besonders bei den Höfen. In: Beiträge zur Geschichte des Braunschweig-Lüneburgischen Hauses und Hofes. Drittes Heft. Hannover 1862, S. 143-177, S. 151. Leider habe ich diese Angabe nicht verifizieren können. Möglicherweise ist sie erfunden. Dass Malortie vor Fiktionen nicht zurückschreckte, belegt Georg Schnath: Geschichte Hannovers im Zeitalter der neunten Kur und der englischen Sukzession 1674-1714. Bd. II. Hildesheim 1976 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 18, 2), S. 5, Anm. 9. Zu Schwänen in der französischen Küche dieser Zeit s. Edmond Faral: La vie quotidienne au temps de Saint Louis. Paris 1938, S.167, 169. 92 F. Nicholai Triveti, de ordine frat. Praedicatorum annales ... recensuit Thomas Hog. London 1845, S. 408f. 93 Flores historiarum. Vol. 3. Hrsg. von Henry Richards Luard. London 1890 (Rolls series 95), S. 131f. Vgl. Maurice Keen: Chivalry. Dt.: Das Rittertum. Düsseldorf 2002, S. 326-329.

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Herren schickliche und bindenen Eide ablegen konnten.94 Für jede der bei solchen Gelegenheiten genannten Vogelarten – meistens Pfauen, jedoch ebenfalls Reiher, Schwäne wie hier oder Fasane – ließe sich eine symbolische Deutung versuchen. Offensichtlich ist jedoch das Gemeinschaft stiftende Mahl von Bedeutung: Eid wie Mahlzeit können der Konstituierung wie der Intensivierung von Gemeinschaft dienen.95 Deswegen schwor man – wie Odysseus – auf den Tisch der Gastfreundschaft oder aber auf das für die Betroffenen wie die Zeugen einprägsamste, am Besten zu erinnernde Gericht. Das Festessen, das Erzbischof Albert von Bremen 1376 gab, um seine Prälaten und Ritter zu beeindrucken und für sich zu gewinnen, wird so geschildert: Viele der Gerichte waren vergoldet und versilbert: Schachbretter sah man, ganz übergoldet, silberne Lachse, große wehrhafte Burgen, in deren Gräben Fische zappelten, aus deren Fenstern lebende Vögel flatterten, auch mancherlei Getier und Großvögel wie Schwäne, Kraniche, Pfauen usw., oftmals vergoldet und versilbert. Diese Bewirtung habe 500 lübische Mark gekostet.96 Der Preis: Im folgenden Jahr musste der Erzbischof für 200 Mark Schloss und Herrschaft Stotel verpfänden. König Karl V. von Frankreich beschäftigte zur gleichen Zeit den berühmten Koch Taillevent, der geröstete Schwäne und Pfauen im Federkleid und mit vergoldeten Schnäbeln in einer Miniaturlandschaft anrichtete, die aus Zuckerwerk gemacht war.97 Im Küchentraktat des Meisters – Viandier genannt – kann man lesen: „Den Schwan wie eine Gans rupfen. Mit heißem Wasser überbrühen, zusammenbinden, ohne die Füße zu entfernen auf den Spieß stecken und braten. Wenn der Vogel gar ist, wird er mit Blattgold belegt. Bis zu den Schulterblättern aufschneiden, zerteilen und würzen.“98 Der Hofkoch des Herzogs von Savoyen, Chiquart, empfahl 1420, ein mit Alkohol getränktes Tuch dem präparierten

94 Vgl. S. 192. 95 Hans-Werner Genischen: Eid I. Religionsgeschichtlich. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. IX. Berlin 1982, S. 373-376. 96 Die Chroniken der niedersächsischen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert. 37. Band. Bearb. von Hermann Meinert. Bremen 1968, S. 169-171; Johann Renner: Chronica der Stadt Bremen. Transkription von Lieselotte Klink. Bremen 1995, S. 315f. 97 Barbara Tuchman: A Distant Mirror: The Calamitous Fourteenth Century. Dt.: Der ferne Spiegel. Das dramatische 14. Jahrhundert. Düsseldorf 1980, S. 221. 98 Jeanne Bourin: Cuisine médiévale pour table d’aujourd’hui. Dt.: Rupfen Sie den Schwan wie eine Gans. Rezepte aus der französischen Küche des Mittelalters. München 1991, S. 215.

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Schwan in den Schnabel zu stecken und anzuzünden: ein Spezialeffekt für die Präsentation. Üblicher wurde es, statt des Alkohols Kampfer zu benutzen. 1393/94 stellte ein nicht genannter Pariser Bürger eine Sammlung hauswirtschaftlicher Anleitungen zusammen, mit der er seine junge Frau informieren wollte, den „Ménagier de Paris“. Schwanenbraten führt er in verschiedenen Speisefolgen auf. Unter den eigentlichen Rezepten findet sich ein einfacheres zur Präparation eines Schwans und eins aus der großen Küche. Das erstere: Nehmt ihn und trennt ihn zwischen den Schultern auf und schneidet längs des Bauches. Dann zieht die Haut vom Hals, dem Einschnitt zwischen den Schultern, herab und haltet dabei den Körper an den Füßen fest. Dann steckt ihn an den Spieß und wendet ihn und vergoldet ihn. Und wenn er gar ist, muss er wieder mit seiner Haut bekleidet werden. Achtet darauf, dass der Hals gerade und aufrecht steht; er soll mit gelbem Pfeffer gegessen werden. „Vergoldet ihn“ (le dorez): vielleicht eher: lasst ihn goldbraun werden, denn eine eigentliche Vergoldung wäre ja nicht mehr zu sehen, wenn der Pelz wieder übergestülpt ist. Das aufwändigere Rezept: Nehmt einen Schwan und bereitet ihn vor und legt ihn auf den Rost, bis er gar ist. Dann bereitet eine Masse aus Eiern, hell wie Papier, die streicht auf den besagten Schwan, und dreht den Schwan am Spieß, bis die Masse fest wird, und sorgt, dass keine Flügel oder Schenkel brechen, und richtet den Hals des Schwans so auf, als schwimme er auf dem Wasser. Um ihn in dieser Stelle zu halten, steckt einen Stab in seinen Kopf, der, durch alles andere hindurch, zwischen beiden Flügeln endet und so dem Hals Halt gibt, und einen Draht unter die Flügel und einen weiteren zwischen die Schenkel und einen an die Füße und in jeden Fuß drei, um die Füße zu spreizen. Und wenn er ganz gar ist und schön golden von der Masse, zieht die Drähte heraus, nur den im Hals nicht. Dann macht einen Sockel aus Brotteig, der fest sei und stark, einen Daumen hoch, mit schönen Rändern ringsherum; der Sockel sei zwei Fuß lang und anderthalb oder mehr Fuß breit, erhitzt ihn, ohne zu kochen, und lasst ihn grün anmalen wie eine Graswiese und lasst euren Schwan von Silberhaut vergolden (faictes dorer votre cigne de peau d’argent?!), außer ungefähr zwei Finger breit am Hals, welcher ebenso wie Schnabel und Füße vergoldet werden müssen. Dann legt einen wehenden Mantel an, der sei inwändig von Sandel rot, und außen verseht den Mantel mit Wappen, wie Ihr wollt, und stellt das Ganze auf eine Platte in der Form des Sockels und tragt es auf, wem Ihr wollt.99 Dieser Text ist nicht in allen seinen Einzelheiten ganz klar, aber er zeigt, wie ein Nahrungsmittel in ein heraldisches Kunstwerk verwandelt wird. Die Vorstellung gleicht in der distinktiven Farbwahl einem Wappen: eine goldene Figur in

99 Ebd., S. 220.

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Grün mit roten Fahnen. Über Geschmack des Fleisches, seine Würzung, fehlt jedes Wort. Der Schwan wirkt durch seine imposante Erscheinung und den gestreckten Hals, das Weiß des Gefieders dient nur als Untergrund für die Vergoldung. Eine Epoche der Tafelkultur hatte begonnen, die auf Überfluß und Übersteigerung setzte, auf Erstaunen und Farbigkeit, und bis ins 17. Jahrhundert reichte. Der Bezug zum Wappenwesen findet sich immer wieder, so bei den mit Wappen staffierten Schwänen, die im 16. Jahrhundert häufig erwähnt werden. Nicht selten trugen sie einen Wappenschild vor der Brust, so bei einem Festessen des Lübecker Rates, als 1502 ein Schwan mit dem Kaiserwappen auf die Tafel kam.100 Der Rat betonte damit Lübecks Charakter als freie Reichsstadt. Einiger Beliebtheit im deutschsprachigen Raum erfreute sich das Rezept, das der Hofkoch des Mainzer Erzbischofs, Marx Rumpolt, 1581 publizierte; noch die „curieuse Köchin“ von 1706101 nahm‘s in ihre Sammlung auf: Richte den Schwan zu und rupf ihn – bis auf die Flügel, Schwanz und Hals. Zieh ihm die Haut ab, füll sie aus und lass sie trocken werden im Ofen. Nimm den Schwan und steck ihn an einen Spieß. Nimm Instrumente, geschmeidig von Eisen, steck sie durch die zwei Beine und schau, dass die Instrumente an den Sohlen fein breit sind. Und wenn der Schwan gebraten ist, so kannst du ihn auf ein sauberes, rundes Brett stellen, fein rein gedrechselt. Nagel ihn an mit sauberen weißen Nägeln und lass in so, bis er kalt wird. Wenn er kalt ist, so wird er steif und fest, das machen die Instrumente. Füge ihm wiederum den Kopf, Hals, Flügel und Schwanz an, und wenn er zugerichtet ist, so setz ihn in eine Schüssel oder Silber, gieß eine Gallert-Brühe, die von lautern Füßen gesotten ist, darüber und achte darauf, dass du nichts weiter dazu nimmst als Zimt und Safran, genug, dass es stark schmeckt und es wohl süß macht, damit keine andere Materie dazu kommt als Essig und Wein. Denn wenn du es läuterst, so wird es gut und wohlschmeckend. Gieß (die Brühe) danach in die Schüssel, in welcher der Schwan steht, lass sie erkalten, so wird es eine schöne Gallerte sein, gibt dem gebratenen Schwan eine schöne Zier – „ist lieblich vnd schön für ein Schawessen“. „Du magst jn darnach vbergülden/ versilbern/ oder zieren wie du wilt.“102

100 Sonja Dünnebeil: Die Lübecker Zirkelgesellschaft. Formen der Selbstdarstellung einer städtischen Oberschicht. Lübeck 1996 (Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck B 27), S. 86. 101 Stefan Bursche: Tafelzier des Barock. München 1974, S. 117. 102 Marx Rumpolt: Ein new Kochbuch … Frankfurt/M. 1581. ND Leipzig 1976: „Vom Schwan …“

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Festmähler Das Übergolden, Versilbern oder Zieren war eine Aufgabe für einen Maler. In einem Rezept für einen Feuer speienden Keilerkopf heißt es 1420, man müsse Sorge dafür tragen, dass auch Maler zur Verfügung stehen, um den Kopf mit Blattgold zu belegen.103 Graf Froben von Zimmern konnte es zu Beginn des 16. Jahrhunderts als ein gewöhnliches Bild verwenden, wenn er eine reich geschmückte Gräfin von Tengen, die sich um die Neigung eines Edelmannes bemühte, einen goldenen Schwan nennt, mit edlem Gestein versetzt, der aber einen widerlichen Braten abgab.104 Anlässlich des Hochzeit Herzog Johann Albrechts II. zu Mecklenburg 1626 kamen zwei Schwäne auf den Tisch, jeder mit dem fürstlichen Wappen in Ölfabe staffiert und einer goldenen Krone.105 Der gesteigerte Luxus zeigte sich nicht allein in der größeren Kunst, mit der die Mahlzeiten gestaltet wurden, sondern auch in der Vielfalt und schieren Menge der Gerichte. Nur einige Zahlen: Mehr als 125 Schwäne ließ König Heinrich II. von England 1251 einfangen, um das Weihnachtsfest feierlich zu begehen.106 Der Introduktion des Erzbischofs von York 1467 verliehen, zum Festmahl aufgetragen, 400 Schwäne Glanz.107 Zur Hochzeitsfeier Philipps von Burgund lieferte der Kastellan von St. Omer 1447 sogar tausend Schwäne nach Brügge. Eigens für Zwecke dieser Art verwaltete er ein ausgedehntes Schwanereservat, das rechtlich als Jagdbezirk (garenne) galt.108 Karl von Burgund wurden, als er 1468 Margarete von England heimführte, ebenfalls in Brügge 200 Schwäne serviert.

103 Chiquart: Du fait de cuysine. Engl. Übersetzung: http://www.daviddfriedman. com/ Medieval/Cookbooks/Du_Fait_de_Cuisine/du_fait_de_c_contents.html (24.7.2013). 104 Zimmerische Chronik. Band II. Hrsg. von Karl August Barack. Freiburg 1881, S. 172. 105 Steffen Stuth: Höfe und Residenzen. Untersuchungen zu den Höfen der Herzöge von Mecklenburg im 16. und 17. Jahrhundert. Bremen 2001 (Quellen und Studien aus den Landesarchiven Mecklenburg-Vorpommerns 4), S. 333, Anm. 221. 106 Ticehurst, S. 17. 107 William E. Mead: The English Medieval Feast. London 1931, S. 32-35; Derek Brewer: Feasts in England and English Literature in the Fourteenth Century. In: Feste und Feiern im Mittelalter. Paderborner Symposion des Mediävistenverbandes. Hrsg. von Detlef Altenburg, Jörg Jarnut und Hans-Hugo Steinhoff. Sigmaringen 1991, S. 13-26. 108 Christoph Niedermann: Das Jagdwesen am Hofe Herzog Philipps des Guten von Burgund. Brüssel 1995 (Archives et Bibliothèques de Belgique, Numéro spécial 48), S. 263.

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(Was nach Abschluss dieser Epoche der Kulturgeschichte das Zedlersche Universallexikon sub verbo „Verschwender“ buchte). Auch wenn die runden Zahlen eher symbolisch zu verstehen sind, so beweisen sie doch enormen Verbrauch und in dieser Hinsicht hohe Erwartungen. Wir haben die Beschreibung eines Festmahls, das Herzog Friedrich von Württemberg veranstaltete, als ihm 1603 durch einen englischen Gesandten der Hosenbandorden überreicht wurde. Im großen Rittersaal des Stuttgarter Schlosses trugen die Diener dem nur in der Imagination anwesenden König eine Schüssel nach der anderen auf, 90 Speisen insgesamt. Die Augen ergötzten zwei Arten von Schauessen: eine, die zugleich als Speise diente, die andere bloß zum Anschauen. Zur ersten Gattung gehörten Pasteten der unterschiedlichsten Gestalt und in vielen Farben, vergoldet, versilbert, mit allem, was Erde, Luft und Wasser an Fleisch hervorbringen, gefüllt. Hier sah man verschiedene Vögel: Schwäne und Kraniche, die auf ihren Füßen standen und mit gestrecktem Hals die Köpfe reckten, bunt schillernde Pfauen, die ein Rad zu schlagen schienen usw. Die Fische wurden teils in ihrer natürlichen Gestalt aufgetischt, teils vergoldet, versilbert und durch mannigfache Färbungen geschmückt und in Pasteten gefasst. „Diese Gerichte dienten nicht so sehr den Augen als dem Gaumen durch ihre Vorzüglichkeit und Zubereitung.“109 Die Schauessen im eigentlichen Sinne, allegorische Darstellungen, waren meistens aus Mehlkleister und Wachs verfertigt. Als am selben Hof 1609 die Hochzeit Herzog Johann Friedrichs mit der Markgräfin Barbara Sophia begangen wurde, gab es Wildpret jeder Art, „selbst Gemsenfleisch, Auerhahnen, Fasanen, Pfauen, Schwanen, Lamperten, lachse, Salmen usw.“, wie auch künstliche Schaugerichte.110 1616 schließlich feierte man in Stuttgart Taufe. Schwäne werden nicht eigens erwähnt, aber „etliche außbalgte Vögel stuenden auch auf den Speisen, unnd waren sonderlich schöne gezierte Pilder ...“ 111 Eine Bildinvention des holländischen Malers Jan van Bijlert von 1635 zeigt ein Festmahl Alexanders des Großen: In einem antikischen Innenraum sitzt der König mit seinen Generälen und schönen Frauen, alle in Kostümen des 17. Jahr-

109 M. J. Schmidt: Neuere Geschichte der Deutschen. Band 7. Frankenthal 1789, S. 170175; Johannes Janssen: Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters. Achter Band. Freiburg/Br. 1894, S. 169. 110 Ebd., S. 168f.; K. Pfaff: Das Hochzeitsfest des Herzogs Johann Friedrich von Württemberg. In: Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte 4 (1859), S. 266-272. 111 Ludwig Krapf, Christian Wagenknecht: Stuttgarter Hoffeste. Texte und Materialien zur höfischen Repräsentation im frühen 17. Jahrhundert. Tübingen 1979 (Neudrucke deutscher Literatur NF 27), S. 329f.

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hunderts; ein Diener gießt Wein in ein brunnengroßes Gefäß, auf dem Tisch steht eine Pastetenform mit einem im Gefieder aufgerichteten Schwan. Rechts im Fensterbogen sieht man die Fortsetzung der Geschichte: Alexander durchstößt mit einer Lanze seinen General Kleitos. Der Schwan deutet auf Kleitos' Schuldlosigkeit wie auf Alexanders Maßlosigkeit der Weinbrunnen.112 Die höfische Sphäre spiegelte sich in der bürgerlichen. Der Lübecker Rat, wie gelesen, oder städtische Korporationen werteten ihre Feste gleichfalls durch Prunkgerichte auf. Die Brauergilde in London, so erfahren wir z. B., legte 1419 einem Zunftbruder als Buße auf, zum Gildemahl einen Schwan beizusteuern, der, um die Harmonie unter den Brüdern zu festigen, an Martini gemeinsam verzehrt wurde.113 Nichts Besonderes, so scheint es, denn gerade zwei Monate zuvor war Schwanenbraten mit Kaldaunen von 21 Vögeln gereicht worden, und die Brauer trafen sich schon seit 30 oder 40 Jahren zu Schwanenessen. Dem Bürgermeister von London allerdings, dem legendären Dick Whittington, missfiel solcher Luxus. Er vermutete einen überteuerten Verkauf des Bieres und schickte seine Büttel aus, um Preise und Qualität des Angebots zu kontrollieren. Schließlich erwirkte er beim Gemeinen Rat ein Reglement zum Bierverkauf. Er zitierte die Vertreter der Zunft zu sich, hielt ihnen ihre Prunksucht vor: die Schwäne und andere Kostbarkeiten, die sie gegessen und getrunken hatten, die pelzverbrämten Kleider und mutmaßlichen Schätze. Deutliche Anzeichen dafür, so der Bürgermeister, dass die Brauer sich auf Kosten der Allgemeinheit unrechtmäßig bereichert hatten. „Kaldaunen“ meinen hier wahrscheinlich „Chadwyn“, dessen Zubereitung ein englisches Rezept aus dem 15. Jahrhundert beschreibt: Nimm Mägen, Leber und Herzen von Schwänen oder wilden Gänsen und schneide fettes Gedärm dazu; das koche in Wasser. Zerkleinere die festen Bestandteile und würze die Suppe mit gemahlenem Pfeffer und Zimt, Salz und Essig und lass' sie wieder aufkochen und füge Schwanenblut und Brühe hinzu, ziehe sie durch ein Sieb und gib gemahlenen Ingwer hinzu, bis es genug ist.114

112 Gemäldegalerie Berlin. Vgl. Paul Huys Janssen: Jan van Bijlert (1597/98-1671). Schilder in Utrecht. Diss. Utrecht 1994, S. 125-127 und Abb. 14. 113 Frank Rexroth: Das Milieu der Nachtr. Obrigkeit und Randgruppen im spätmittelalterlichen London. Göttingen 1999 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 153), S. 257f. 114 http://quod.lib.umich.edu/c/cme/CookBk/1:8.2?rgn=div2;view=fulltext (24.7.2013). Vgl. Gerd Unverfehrt: Wein statt Wasser. Essen und Trinken bei Jheronimus Bosch. Göttingen 2003, S. 100f.

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In der Kunstgeschichte ist die Liebfrauen-Bruderschaft in 's-Hertogenbosch bekannt, eine exklusive Vereinigung angesehener Handwerker, deren Zweck in Werken der Nächstenliebe bestand. In der Literatur findet sich, weil bei den jährlichen Feiern ein Schwan verzehrt wurde, zuweilen auch der Name „Zwanenbroederschap“. Der Maler Hieronymus Bosch gehörte dieser Bruderschaft an; er lud die geschworenen Miglieder am 28. Dezember 1498 zum rituellen Festmahl ein und bot dabei zwei Schwäne dar, einen, den der Rentmeister des Herzogs von Brabant der Bruderschaft gestiftet hatte, und einen zugekauften. Diese oder eine ähnliche Szene hatte der Künstler vor Augen, als er eine Hochzeit zu Kana malte. Das Original ging verloren. Eine Kopie von frühestens 1553 zeigt, wie Diener zwei Platten auftragen, eine mit einem Schwan im Federkleid, aus dessen Schnabel eine Flamme schlägt, und einen Keilerkopf, der ebenfalls Feuer sprüht – ein Effekt, den man erzielte, indem man dem Tier mit Kampfer getränkte Wolle ins Maul stopfte und entzündete.115 Das Fischeramt in Rostock pflegte am Pantaleonstag, dem 28. Juli, Schwan zu essen, was zuerst für 1533 belegt ist.116 Einen Blick in eine großbürgerliche Küche in Antwerpen lässt uns 1644 der Maler David Terniers d. J. tun: Auf seinem Gemälde sitzt eine Frau und schält Äpfel, befreit die Dinge also von ihrer glänzenden Hülle; ihre Augen richten sich auf Kopf und Hals und erhobene Schwingen eines Schwans, die kunstreich auf eine Pastetenform gesetzt sind.117 Ein spätes Beispiel der Schätzung einer solchen Speise im städtischen Bereich gibt der englische Dichter Matthew Prior 1718, übertreibend jedoch (woher wäre eine Großtrappe zu beschaffen gewesen?), in seinem humoristischen Gedicht „Alma; or The Progress of the Mind“: Thus, if you dine with my lord mayor, Roast-beef and venison is your fare: Thence you proceed to swan and bustard, And preservere in tart and custard ... (Wenn Ihr also mit meinem Bürgermeister speist, sind Rinderbraten und Wildpret Eure Kost; Ihr schreitet fort zu Schwan und Großtrappe und sauer und in Eiermilch Eingemachtem.)118

115 Unverfehrt, S. 31-38. 116 Friedr. Crull: Der Schütting und die Festlichkeiten des Amtes der Bruchfischer. In: Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock 3 (1893), S. 93-108. 117 Den Haag, Königliche Gemäldegalerie Mauritshuis. 118 Matthew Prior: Selected Poems. Hrsg. von Austin Dobson. London 1889, S. 143.

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Das Ende der Schaugerichte Das Ende der Schaugerichte und des demonstrativen Nahrungskonsums kam seit Mitte des 17. Jahrhunderts. Zuerst begann sich der Geschmack in französischen Hofkreisen zu ändern. Barbara K. Wheaton lässt mit dem Kochbuch von Pierre François de la Varenne (1651) die französische Haute cuisine ihren Anfang nehmen, ein Regelwerk, das mit einem definierten Sortiment von Zutaten und Gewürzen den Eigengeschmack der Nahrungsmittel zur Geltung bringen wollte. Die Portionen wurden kleiner; die Gerichte sollten nicht länger als Ereignisse verstanden, sondern zu Genüssen werden. Mit Störchen und Kranichen verschwanden auch die Pfauen und Schwäne von den Tafeln.119 Die Mahlzeiten, die neben Aufzügen, Tanz, Theater und Musikdarbietungen, an Bedeutung eingebüßt hatten, erfuhren in der Regierungszeit Ludwigs XIV. wieder eine Aufwertung. Das alte Moment der Gemeinschaftsstiftung verlor sich indes. Man zelebrierte – auch durch die Unterscheidung von Haute cuisine und Cuisine bourgeoise – den guten Geschmack in den Stufungen der gesellschaftlichen Hierarchie. Sowieso kam das Auftragen ganzer Tiere oder größerer Teile derselben im 17. Jahrhundert außer Gebrauch, was Elias als Fortgang des Zivilisationsprozesses: als Zurückdrängen des „tierischen Charakters“ des Menschen deutete. Heute, schreibt er, würde es bei vielen Menschen ein ziemlich unbehagliches Gefühl erwecken, wenn andere oder sie selbst bei Tisch halbe Kälber und Schweine zerlegen oder von einem mit Federn geschmückten Fasan das Fleisch aufschneiden müssten.120 Vielleicht flossen jedoch in Hinsicht auf den Schwan auch andere Empfindungen ein. Der Lübecker Poet Konrad von Hövelen gab 1667 die Meinung wider: Man schlachte nicht gerne einen Schwan und brate ihn – ebenso wenig vergreife man sich leichten Herzens an einem Dichter.121

119 „In den Küchenrechnungen sind zwar Pfau, Schwan, Kranich und Trappe noch aufgeführt, aber bei allen heißt es: nichts.“ Franz Schmidt: „wie kuchen und keller die herrn reich und arm machen.“ Nahrungsmittelversorgung und Nahrungsmittelkonsum am Heidelberber Hof Kurfürst Karl Ludwigs [1648-1680]. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 159 (2011), S. 389-424, hier S. 415. 120 Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Erster Band. Frankfurt/M. 1976, S. 161. Hier ist nicht der Ort, um die Diskussion um Elias' Theorie zu erneuern. 121 Hövelen, S. 132 nennt als Quelle „Franzius S. 368“. In Franzius’ Historia Animalium Sacra findet sich diese Stelle aber weder in der ersten, dritten, fünften noch

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In gewisser Weise löste das Tafelservice aus Porzellan die Schaugerichte in ihrer dekorativen Wirkung ab. In der Mitte des 18. Jahrhunderts produzierten einige Porzellan- und Fayencefabriken Deckelschüsseln in Form von Tieren, besonders von Vögeln. Das berühmte Schwanenservice, das die Porzellanmanufaktur in Meißen 1737-1742 für den sächsischen Kabinettsminister Heinrich Grafen Brühl herstellte, zählte 2200 Teile. Wenn man jetzt in Reiseberichten aus Russland las, dort würden Schwäne als Luxusgerichte geschätzt und mit Essig, saurer Milch, eingelegtem Gemüse und Backpflaumen zubereitet,122 fing das an zu befremden. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war Schwanenfleisch an der Ostseeküste ein eher einfaches Essen. Es wurde in Essig mürbe gekocht und soll sich von sauer eingekochtem Gänsefleisch nur durch den geringeren Fettanteil und die festere Konsistenz unterschieden haben. „Von Leuten, deren Gaumen nicht verwöhnt ist, wird es gerne gegessen.“ Gut gewässert und gepökelt sei es, mit Kohl und Kartoffeln serviert, „gewöhnlichen Zungen gar nicht widerlich“. Die gesalzenen und geräucherten Schwanenbrüste schmeckten fast wie geräucherte Gänsebrüste. Scheiben kalten Bratens genoß man in Senf getunkt.123 Der gewöhnliche Vergleich mit Gänsebraten als nicht erreichtem Maßstab zeigt indes eine deutlich geringere Wertschätzung des Schwanenfleisches. In Westeuropa bewahrte man allein im traditionsbewussten England den Brauch, zu Weihnachten einen Schwan aufzutragen. Theodor Fontane schrieb in seinem Roman „Cécile“: „Ich habe noch nie von Storchbraten gehört, und die gastrosophischen Versuche mit dem ebenfalls gefeiten Schwan sind bis dato regelmäßig gescheitert. Aber Bekassinen und Krammetsvögel! Sie schmecken viel zu gut, als dass man Veranlassung gehabt hätte, sie heilig zu sprechen.“ Die Diversifizierung der gastronomischen Vorlieben im 21. Jahrhundert veranlasste freilich Gewissensfragen wie diese: „Vor Kurzem waren mein Mann und ich zu einer Hochzeit eingeladen. Als Festessen wurde Schwan serviert – als Vorspeise und als Hauptgang. Der Gastgeber verriet zunächst nicht, was es war, die Gesellschaft durfte raten. Als ich hörte, dass es Schwan war, verging mir der

sechsten Auflage. Höveln hat anscheinend die fünfte Auflage von 1642 benutzt, denn in dieser beginnt der Abschnitt über den Schwan auf S. 368. 122 Solomon H. Katz (Hrsg.): Encyclopedia of Food and Culture. Volume 3. New York 2003, S. 217. 123 Die Schwanenjagd im Amt Cismar. In: Vaterländische Waldeberichte nebst Blikken in die allgemeine Wälderkunde und in die Geschichte und Literatur der Forstwirthschaft. Hrsg. von August Niemann. Zweiten Bandes erstes Stück. Altona 1821, S. 816, hier S. 15; Wehrs, S. 127f.

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Appetit, ich brachte kaum etwas hinunter. Ein anderes Gericht gab es nicht. Offen gestanden empfand ich das als Zumutung. Ich wollte dem Brautpaar aber nicht den Abend verderben. Hätte ich trotzdem etwas anderes verlangen können?“ Welche vor allem das weiterhin vorherrschende Befremden unterstreicht, Schwäne zu essen.124 Medizinische Verwendungen Nach der antiken Vier-Säfte-Lehre, die im Mittelalter fortgebildet wurde, galt es, einen im Kranken destabilisierten Ausgleich der Säfte bzw. der durch diese bewirkten Temperamente herzustellen. Die Zuordnungen folgten äußeren Eigenschaften, da man annahm, dass ähnliche Signaturen auf Verwandtschaften und gemeinsame Ursachen deuteten. Es gab daher in der vormodernen Wissenschaft keinen Partikel der Schöpfung, der nicht medizinisch nutzbar gewesen wäre. Der Schwan hebt sich auf diesem Hintergrund nicht besonders hervor. Die Klosterfrau Hildegard von Bingen nannte den Schwan Mitte des 12. Jahrhunderts kalt und feucht;125 sein Fleisch sei für Gesunde gut zu essen, tauge jedoch nicht für Kranke. Ein Mensch, der an Kurzatmigkeit leide, koche Schwanenleber und esse sie. Wer Schmerzen in der Milz spüre, esse häufig Schwanenlunge und er werde geheilt. „Und wer Ausschlag an seinem Körper hat, der mäste einen Schwan, und wenn er ihn getötet hat, nehme er das Schmalz und zerlasse es zuerst in einer Schüssel, und er gebe Beifuß und dem Schmalz Eichenasche in gleichem Gewicht bei, so dass zwei Mal soviel Fett sei. Und er koche es wieder gleichzeitig in der Schüssel, und davon mache er eine Salbe, und er salbe sich oft damit. Aber seine Haut, wo er sich zuerst salbt, wird voller Pusteln, und dann wird er rasch geheilt werden.“126 Gegen Ende des 17. Jahrhunderts postulierte der Barockgelehrte Johann Joachim Becher: Junge Schwäne lebendig in Öl kochen, etwas Hirschmark dazu, das Fleisch auspressen und den Saft erwärmen: So erhält man eine Salbe gegen Gicht. Das Schwanenfell mit seinen zarten und weichen Federn dämpft das Bauchgrimmen, wärmt den Magen und stärkt die Verdauung. Schwanenfett, erweicht und erwärmt, nutzt gegen Hämorrhoiden und Scheidenverhärtung. Es rei-

124 Süddeutsche Zeitung Magazin 48, 3.12.2010, S. 12. 125 Thomas Cantimpratensis (S. 188) und die ihm nachschrieben behaupteten hingegen eine cholerische Komplexion der Schwäne. 126 Patrologia latina 197, 1289C-1290A. Übersetzung: Hildegard von Bingen: Heilkraft der Natur. Pysica. Das Buch von dem inneren Wesen der verschiedenen Naturen der Geschöpfe. Übersetzt von Marie-Louise Portmann. 2. Aufl. Augsburg 1997, S. 389f.

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nigt die Augen. Wer es mit Wein vermischt und auf die Haut reibt, säubert sich von Sommerflecken.127 Zwei Rezepte Hildegards haben sich also verloren, das dritte, das gegen Hautunreinheiten, hat die Tradition aber über 500 Jahre lang bewahrt. Knochen, Häute, Federn „Ein ausgewachsener junger Schwan“, teilte 1821 der Hegereiter Daniel aus Holstein mit, „wiegt mit den Federn achtzehn bis vier und zwanzig Pfund. Fünf und zwanzig Stük von verschiedener Grösse geben wenigstens fünf Pfund der schönsten Duhnen, die den Eiderduhnen nur wenig nachstehen. Sie liefern ferner elf Pfund feine Bettfedern, sechs Pfund ordinäre, dreissig Pfund gutes, zum Brennen und Schmieren brauchbares Fett und hundert und funfzig Federposen für die Klaviermacher und zum Schreiben. Selbst das Fleisch, wohl abgewaschen, in Wasser halb gar und, nach vorher abgefülltem nicht wohlschmekkenden Fett, in Essig mürbe gekocht, kann zur Speise benuzt werden.“128 Und sonst? Geflügelknochen haben keinen hohen Wert als Werkmaterial besessen. Merkwürdigerweise jedoch sind die ältesten, bisher bekannten Musikinstrumente aus Schwanenknochen gefertigt worden. Es handelt sich um zwei Flöten, die 1990 in der Geißenklösterle-Höhle im Schwäbischen Jura gefunden wurden. Die Fundschicht lässt sich auf ein Alter zwischen 30.000 und 37.000 Jahren datieren. Die Singularität des Fundes und der Fundzusammenhang, zu welchem auch ein Instrument aus Elfenbein des Mammuts gehörte, machen einen kultischen Zusammenhang wahrscheinlich.129 Wie Kunst ja überhaupt im Kult ihren Ursprung hat. Nummer 28 der Grimmschen Kinder- und Hausmärchen erzählt, wie ein Hirte zufällig einen Knochen fand und sich ein Mundstück für sein Horn daraus schnitzte. Und als er zum ersten Mal darauf geblasen hatte, begann das Knöchelein zu seiner großen Verwunderung an zu singen: „Ach, du liebes Hirtelein,/ du bläst auf meinem Knöchelein,/ mein Bruder hat mich erschlagen …“ So konnte durch die Reanimation eines Teiles des Toten eine Mordtat aufgedeckt

127 Johann Joachim Becher: Parnassus Medicinalis Illustratus. Oder: Ein neues ... ThierKräuter- und Berg-Buch ... Pars prima: Zoologia. Ulm 1663, S. 69. 128 Die Schwanenjagd im Amt Cismar, S. 15. 129 Joachim Hahn, Susanne Münzel: Knochenflöten aus dem Aurignacien des Geißenklösterle bei Blaubeuren. In: Fundberichte aus Baden-Württemberg 20 (1995), S. 1-12.

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und gesühnt werden. Eine Untersuchung der unterschiedlichen Varianten des Motivs lässt sich mit dem Umstand verbinden, dass die steinzeitlichen Kulturen in Mittel- und Westeuropa Knochenflöten kannten, die aber seit der Bronzezeit durch Flöten (Pfeifen) aus Holz oder Rohr ersetzt wurden. In der Volkskunde hat die These Anklang gefunden, dass die aus Osten einwandernden Indogermanen auf Steinzeithorden trafen, die sich magischer Knochenflöten bedienten; die Indogermanen fügten dieses Element in ihre Geschichten vom Weiterleben der Anima Verstorbener in Bäumen und Blumen, den Metamorphosen der Gestalten, die eine Seele umschließen, ein – eine Requisitverschiebung also in einer Erzählung von hohem Alter.130 Dieser These kann man sich anschließen oder Kritik daran üben: Außer Frage steht freilich die magische Qualität, die seit unvordenklichen Zeiten Musikinstrumenten aus Totenbein zugemessen wurde. Genauer: die Qualität, in der Musik eine Seele oder ein Seelenvermögen zu artikulieren. In einer schamanistisch geprägten Gesellschaft, die keine scharfe Scheidung zwischen Mensch und Tier, zwischen beseelter und unbeseelter Natur, kannte, müssen Töne aus einer Schwanenknochenpfeife eine Beziehung zum Schwan, dessen Knochen die Töne hervorbrachte, oder zu Schwänen überhaupt hergestellt haben. Diese Knochenverwendung kündet mithin von eiszeitlichen Glaubensvorstellungen, die sich Rekonstruktionsversuchen entziehen. Größere Bedeutung besaßen durch die Jahrhunderte hindurch das Pelzwerk, die Daunen und Federn. Schwanenhaut, die man von den Deckfedern befreit, so dass nur noch der zarte Flaum sie bedeckt, trocknet und entfettet oder auch gerbt, hat ein leichtes, elegantes Aussehen und die Eigenschaft, die eingehüllten Körperteile warm zu halten. Schon im 16. Jahrhundert erwähnt Gesner ein Brusttuch aus diesem Material und meint, es stärke die Verdauung. Später brauchte man Schwanenhaut, dicht mit Flaumfeldern bedeckt, gerne gegen Rheumatismus, weil sie eine leichte Transpiration bewirkte. Im 16. Jahrhundert auch kamen Muffs auf. Das Nachlassinventar der Gräfin Elisabeth zu Holstein-Schaumburg aus dem Jahr 1630 verzeichnet z. B. „ein perdürte Muffe aus Schwanenfell“131. Die Muffs blieben in Wertschätzung. 1789, wenige Wochen vor dem Beginn der Französischen Revolution, berichtete das Journal des Luxus und der Mode aus Paris: Anlässlich der Hoftrauer für den

130 Walter Scherf: Lexikon der Zaubermärchen. Stuttgart 1982, S. 356. 131 NLA Bückeburg L 1 Nr. 2156, fol. 187.

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verstorbenen König von Spanien habe „ein ungeheurer Muff von Schwanenfell, schwarz und weiß beynahe Handbreit gestreifft“ für Aufsehen gesorgt.132 Mit Schwanenpelz gefütterte Joppen sieht man häufig auf niederländischen Gemälden des Goldenen Zeitalters. Besonders gehören sie zu dem Bildtypus, der den Besuch eines Arztes bei einer jungen Frau behandelt. Frans van Mieris d. Ä. hat z. B. 1657 ein solches Bild geschaffen. Man erkennt darauf eine anscheinend kranke junge Frau, der ein etwas ratloser Mediziner gerade den Puls fühlt.133 Den Zustand der Patientin verdeutlichen eine bleiche Gesichtsfärbung, ein leidender Gesichtsausdruck und eben die wärmende Schwanenjacke; ein Stück Schwanenfell, das sie sich auf die Brust gelegt hat, kann den Eindruck einer schweren Krankheit noch verstärken. Dieses Motiv gehört allerdings zum humoristischen Genre, denn die Frau leidet – psychosomatisch – am Liebesschmerz. Die Straßburger Polizeiordnung von 1628 wies die Mägde an, keine Schwanenfelle um den Hals zu tragen.134 Das deutet schon auf die Palatinen, Kleidungsstücke, die sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts vom französischen Hof aus verbreitetet, nachdem angeblich Lieselotte von der Pfalz, Pfalzgräfin bei Rhein oder – französisch – comtesse Palatine, sie in Versailles eingeführt hatte. Es handelte sich um einen langen schmalen Pelzkragen, die die Trägerin sie um den Hals legen konnte. Dieses Modeaccessoir, das im Winter über dem Kleid getragen wurde, gehörte zu den charakteristischen Kleidungsstücken der französischen Mode des 17. Jahrhunderts und darüber hinaus. Gegen 1700 scheint Schwanenpelz dafür sehr beliebt gewesen zu sein, doch kamen Palatinen mit weißen oder schwarzen Federn auch bald wieder aus der Mode. Ein Gemälde des französischen Malers Charles Hutin (1715-1776) zeigt ein bürgerliches Mädchen in einem privaten Innenraum – es hat gerade einen Brief erhalten – mit

132 Wien, Kunsthistorisches Museum Inv.-Nr. 590. Abb. Leselust, S. 251. Ähnlich: Jan Stehen: Die Liebeskranke im Staatlichen Museum Schwerin. Abb. Harald Olbrich, Helga Möbius: Holländische Malerei des 17. Jahrhunderts. Leipzig 1990, Tafel 49. 133 Wien, Kunsthistorisches Museum. Abb.: Leselust. Niederländische Malerei von Rembrandt bis Vermeer. [Katalog der Ausstellung] Schirn Kunsthalle Frankfurt 1993. Hrsg. von Sabine Schulze. Stuttgart 1993, S. 251, vgl. ebd. S. 217 (Bartholomeus van der Helst: Frau am Fenster, um 1652, Museum der Bildenden Künste Leipzig), S. 289 (Jan Steen: Der Arztbesuch, um 1665, The Taft Museum Cincinnati). 134 Der Statt Straßburg Policey Ordnung. Straßburg 1628, S. 46. Vgl. Deutsches Wörterbuch. Bd 15, Sp. 2213.

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einer an den Rändern dunkel eingefärbten Schwanenpelzpalatine.135 Als Kragen mit nach vorn herunter hängenden schmalen Enden erhielt die Palatine 1820/22 den neuen Namen „Stola“; auch die schmalere Boa kann als Abkömmling der Palatine gelten.136 „Wenn dem todten Schwan das Konturgefieder sorgfältig abgepflückt ist, so dass allein die Daunen noch auf der Haut bleiben, die dann abgezogen und gegerbt wird, so erhält man ein Pelzwerk, das an Zartheit, Sauberheit und erwärmender Beschaffenheit von keinem andern übertroffen wird, nur leider nicht sehr dauerhaft ist, daher meistens nur zu einem so eleganten und feinen wie erwärmenden Putz für Damen, nämlich zu Halskragen, Palatinen, Müffen und dergl., weniger zu Unterfutter verarbeitet, sehr hoch geschätzt und theuer bezahlt wird, und seine Vortrefflichkeit wegen, sich auch fortwährend in Mode erhalten hat. Auf erkältete Glieder gelegt, erwärmt es diese schneller und besser, als alles andere Pelzwerk. Auch zu feinen Puderquasten wurde es sonst sehr häufig verwendet.“137 Flügel- und Schwanzfedern verarbeitete man zu Federhüten und zur Verbrämung von Sultanen. Ganze Flügel fanden in Holland als Gerät zum Abkehren Verwendung.138 Das Pelzwerk lieferten zu dieser Zeit in aller Regel Zuchtschwäne aus Holland. Ein Jäger auf Wildschwäne gab seinen Lesern den Rat: „Wer im Binnenlande das Glück hat, den edlen Vogel zu erlegen, lassen den Balg von einem geschickten Kürschner zu einem Ballumhang mit silberner Agraffe verarbeiten.“ Eine geeignete Trägerin werde er sicher zu finden wissen.139 Nicht vom Schwan ist der Schwanenboy, ein feiner Wollstoff, ein etwas gröberer Flanell; ein feiner geköperter englischer Flanell hieß auch „swanskin“: Schwanenhaut. Schwanendaunen als Füllmaterial für Kissen kannte man schon in der römischen Antike. Bei Martial liest man: „Bist du müde, so ruhe sanft auf Schwanenflaum“.140 In Ovids Metamorphosen singt ein verliebter Zyklop von der begehr-

135 Dresden Gemäldegalerie. Abb. Ursula Fehlig, Harald Brost: Kostümkunde. Mode im Wandel der Zeiten. Leipzig 1986, S. 121. 136 Ingrid Loschek: Mode- und Kostümlexikon. Revidierte und erweiterte Auflage. Frankfurt/M. 1994, S. 367, 436. 137 Naumann, S. 495. 138 Buhle, S. 44. 139 Ernst Schlotfeldt: Wildschwäne an der Nordseeküste. In: Altsachsenland 1912, S. 148-151, hier S. 151. 140 Martial 1, 54.

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ten Seenymphe: „Weicher bist du als Schwanenflaum.“141 Über die Interessen der königlich preußischen Bettenkammer wird noch zu handeln sein; auch die dänischen Könige leisteten sich von altersher den Luxus, auf Schwanendaunen zu ruhen. Herzog Heinrich zu Schlesien (Liegnitz) wurde 1586 in Warschau ein „herrlich furstlich Bett von Schwan- und FlaumFedern“ bereitet.142 Norddeutschen Bürgerwohlstand zu Ende des 18. Jahrhunderts führte Johann Heinrich Voß in den Hexametern seines Idyllenkranzes „Luise“ vor Augen: „Auf nun schloß sie die Lad' und enthob das köstliche Bettzeug, Lange gespart für die Braut, das die Magd mit Bewunderung ansah; Untergebett und Pfühle, gestopft mit lebenden Federn; Auch feinbarchene Kissen mit Schwanflaum; dann auch die Decke, Die von elastischen Dunen des polarnistenden Eiders Lustig empor aus der Enge sich blähete ...“143

Schwanendaunen kamen im 18. und 19. Jahrhundert aus dem südlichen Russland und aus Polen in großen Mengen auf den deutschen Markt, viele hundert Zentner jährlich auf die Messe in Frankfurt an der Oder,144 und erzielten hohe Preise. Schließlich die Verwendung von Schwanenfedern zum Schreiben: In einem flämisch-französischen Gesprächsbuch aus dem 14. Jahrhundert ist von swannepennen oder pennes de chisne die Rede; sie dienten fraglos als Schreibgeräte.145 „Pfauenfedern hatte ich mir gewünscht, wie ich dir beiläufig einmal schrieb – und du hast mir Schwanenfedern geschenkt, die noch besser sind, und triebst deine Freundschaft so weit, auch noch gut zum Schreiben geeignetes ägyptisches oder knidisches Rohr sowie Federmesser beizufügen“, schrieb 1520 der Humanist Johannes Reuchlin an seinen Freund Willibald Pirckheimer.146 Das Schrei-

141 Ovid met. XIII, 796. 142 Zeitung vom 9.1.1586: Herzog Hans der Grausame von Sagan im Jahre 1488 und Hans Schweinichens Leben Herzog Heinrichs XI. von Liegnitz. [Hrsg. von Marcus Knytsch]. Breslau 1850 (Scriptores rerum Silesiacarum Oder Sammlung Schlesischer Geschichtsschreiber 4), S. 291. 143 2. Idylle. 144 Aus dem Winckell, S. 168. 145 Wilhelm Wattenbach: Das Schriftwesen im Mittealter. 4. Aufl. Granz 1958, S. 119. Vgl. auch E. Verwijs, J. Verdam: Middelnederlandsch Woordenboek. Zevende Deel. ’s-Gravenhage 1912, Sp. 2489. 146 Bilibaldi Pirkheimeri opera politica, historica, philologica et epistologica … Frankfurt/M. 1610, S. 259. Vgl. Lenz, S. 409.

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ben mit Schwanenfedern als von einer Aura umgeben: ein Akt der Repräsentation. Auf Gemälden ist nicht immer gut zu unterscheiden, ob eine Schwanen- oder ein Gänsekiel gemeint ist – eine Schwanenfeder misst ungefähr ein Drittel oder ein Viertel mehr in der Länge –, zuweilen erlaubt aber der Kontext eine eindeutige Zuordnung. Frans Hals hat z. B. 1633 Pieter de Bor, den Geschichtsschreiber des niederländischen Aufstandes, mit einer Schwanenfeder in der Hand porträtiert.147 Die holländische Malerei dieser Zeit verfolgte die Absicht, über das realistische Abbild hinaus weitere Sinnebene zu vermitteln. Und de Bor führte seine Feder für die Sache der Generalstaaten gegen Spanien, verfasste nicht allein Literatur, was für sich schon eine Schwanenfeder als Poetensignum erlaubt hätte, sondern nahm Teil an der Auseinandersetzung, die auch als Kampf des aquatischen holländischen Schwans gegen angreifende Hunde symbolisiert worden ist. Tatsächlich ließen sich die langen Schwanenfedern, sie maßen gut 40 Zentimeter, nur schlecht in der Hand führen. „Die Federkiele sind sehr hart. Man kann sie zu Schreibfedern gebrauchen; doch gewinnt die Hand nicht an Leichtigkeit dabei“, erklärte der Jagdschriftsteller Dietrich aus dem Winckell 1820.148 Sie taugten für die gemalte Frakturschrift eher als für rasche Notizen, eigneten sich für große Schwünge auf Pergament oder gröberem Papier. Was gut auch Georg Weerth in seinen „Humoristischen Skizzen aus dem deutschen Handelsleben“ zum Ausdruck bringt. Der Ehrfurcht gebietende Handelsherr, der sich unter seiner Würde ächzend bedachtsam niederlässt, um, was selten geschieht, vor den Blicken seiner Schreiber, eigenhändig einen Brief an einen Geschäftsfreund aufzusetzen, greift zur Schwanenfeder: „Jetzt drückt er auch den Steiß in den knarrenden Comptoirstuhl, und weit hinauslangend, griff mit der linken Hand nach einem Bogen Postpapier, während die rechte den Kiel einer Schwanenfeder fasste, um ihn tief hinabzutauchen in den mystischen Schlund eines riesigen Tintenfasses.“149 Gegenüber Gänsekielen zeichneten sich Schwanenkiele durch größere Dauerhaftigkeit aus. Die Qualität bemaß sich nach Größe und Gewicht, und Kiele von neun Lot oder schwerer galten als geeignet zum Schreiben. Schwanenfedern, die in Bündeln von 1200 aus Nordeuropa und Kanada nach England impotiert und zu 25 oder 100 Stück verkauft wurden, wogen zwischen 12 und 26 Lot. Königin Viktoria bevorzugte solche von 25 Lot.150

147 Aachen, Suermondt-Ludwig-Museum Inv.-Nr. GK 0181. Abb. Leselust, S. 209. 148 Aus dem Winckell, S. 169. 149 Sämtliche Werke. Bd. 2. Berlin 1956, S. 388. 150 Young, S. 130.

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Seit etwa 1830 verdrängten maschinell gefertigte Stahlfedern die Gänse- und Schwanenspulen; nur Liebhaber alten Brauchtums hielten daran fest. Theodor Fontane z. B. fuhr mit der geliebten Schwanenfeder übers Papier bis zur Sehnenscheidenentzündung. Er erhielt dieses Schreibgerät vom Königlichen Hofjagdamt151 und deutet in seinen Erzählungen zuweilen an, wie hörbar die Feder übers Papier kratzte. Um die Jahrhundertwende endete jedoch das Zeitalter der echten Schreibfedern. Ein traditionsbewusstes Haus wie die Bank von England bezog das letzte batch of quills im Jahre 1900.

4. H ALTUNG Besitzrechte Am Anfang der Quellen, die ein Besitzrecht an Schwänen dokumentieren, stehen die germanischen Volksrechte; am wichtigsten unter diesen ist der Pactus legis Salicae. In der Recensio Guntchramna, 567/93 wahrscheinlich in Sens abgefasst, heißt es, wer einen Habicht vom Baum stehle, sei schuldig, drei Solidi zu zahlen; gerichtlich handele es sich um „Ortfocla“. Wer einen Habicht von der Stange stehle, einen, der also schon abgerichtet war, sei schuldig, 15 Solidi zu zahlen; gerichtlich handele es sich um „uueiape ortfocla“. Wer aber einen eingeschlossenen Habicht stehle, sei schuldig, 45 Solidi zu zahlen. Wer einen Sperber stehle, sei schuldig, drei Solidi zu zahlen. Wer einen Hahn stehle: desgleichen drei Solidi, ein Huhn: drei Solidi; einen zum Haus gehörigen Kranich oder Schwan (cicenum domesticum), gerichtlich „ortfocla“: drei Solidi, eine zum Haus gehörige Gans oder Ente: drei Solidi; eine Taube, eine junge Trappgans (aucellum de trappa)152: drei Solidi.153 Diese Bestimmungen tradieren sich im Kern unverändert bis zur Recensio Pippina 763/64.154 Lassen wir die Frage bei Seite, ob hier wirklich eine Trappe gemeint sei oder nicht z. B. ein Rabe: Eindeutig zählen Schwäne und Kraniche

151 Theodor Fontane und Martha Fontane. Ein Familienbriefnetz. Hrsg. von Regina Dieterle. Berlin 2002, S. 686; Helmuth Nürnberger, Dietmar Storch: FontaneLexikon. Namen – Stoffe – Zeitgeschichte. München 2007, S. 405. 152 Über die Aufzucht junger Trappen handelt A. E. Brehm: Ilustrirtes Thierleben. Eine allgemeine Kunde des Thierreichs. Vierter Band. Hildburghausen 1867, S. 564f. 153 Pactus legis Salicae 7,1-10: MGH LL Nat. Germ. 4.1, S. 39-40. 154 Die Gesetze des Karolingerreiches 714-911. Bd. 2. Hrsg. von Karl August Eckhardt. 2. Aufl. Weimar 1953 (Germanenrechte 2), S. 30.

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als aves domesticae, als „Ortfocla“, zu den Tieren, an denen Besitzrechte proklamiert werden. Kraniche wurden auch später gern als aufmerksame Wächter auf den Hühnerhöfen gehalten; wo wir die Wohnplätze der Schwäne zu lokalisieren haben, kann nur gemutmaßt werden. „Ortfocla“ wird gewöhnlich als „Gartenvögel“ gedeutet, zu lateinisch hortus: Garten. Sprachlich erscheint das nicht zwingend, da es sich um ein fränkisches Wort handelt und also die fränkische Form zu erwarten wäre, die eher „gart-“ als „ort-“ gelautet haben dürfte. Denn Hehn kann kaum beigepflichtet werden, der meint, die Rechtsetzung konserviere den vorgefundenen Stand römischer Landhäuser, was erkläre, dass merkwürdige Vögel zum Hausgeflügel gerechnet werden.155 Sonst wäre die Verwendung eines lateinischen Wortes eher zu begründen. Aber Hehn hat eben deswegen nicht Recht, weil die genannten Vögel alle im germanischen Raum auch in späteren Jahrhunderten Bedeutung besaßen und andere Vögel, die zum festen Inventar römischer Villen gehörten, wie Pfauen oder Fasane, fehlen. „Ort“ ist ein gut bezeugtes germanisches Wort, das „Rand, Kante, Klinge“ 156 bedeutet und hier anscheinend, wo es lateinisch „domesticus“ parallelisiert wird, als „eingefriedeter Bezirk“ verstanden werden kann. Habichte wird man kaum als „Gartenvögel“ bezeichnen können. Das langobardische Recht hat im Edictus Rothari aus dem Jahre 643 eine Parallele, die indes wie eine verkürzte Übernahme aus der Lex Salica wirkt: „Wer einem anderen einen Habicht, einen Kranich oder einen zahmen Schwan entwendet, sei sechs Solidi schuldig.“ 157 Ob nun gerade in Oberitalien der Habicht als besonders wichtiger Beizvogel galt, während der Falke gar keine Erwähnung fand, kann füglich bezweifelt werden und zieht den Realitätsbezug dieser Stelle ins Zwielicht. Wie auch immer: Im Herrschaftsbereich der Salfranken, d. h. im Gebiet des Rheindeltas, waren ciceni domestici seit dem 6. Jahrhundert je bestimmten Orten zuzuweisen. Die Lex Salica erhellt so eine dunkle Passage im Capitulare de villis, der Ordnung, die Karl der Große vor dem Jahr 800 für die Fronhöfe erließ. Darin heißt es, jeder Richter über Fronhöfe solle zur Demonstration seiner Autorität (per dignitatis causa) ständig einige „etlehas“, Pfauen, Fasane, Enten, Tauben, Rebhühner und Turteltauben halten.158 Das Capitulare de villis ist in nur ei-

155 Hehn, S. 373. 156 E. G. Graff: Althochdeutscher Sprachschatz … Erster Teil. Berlin 1834, Sp. 469470. 157 Cap. 317: MGH LL 3, S. 73. 158 Cap. 40: MGH Capit. 1, S. 86. Die ältere Edition MGH LL 1, S. 184 bemerkt Anm. 19: Quod … sententiam attinet, etlehas ab interpretibus pro cygnis habitum … Zum

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ner Abschrift überliefert, und es bereitet keine Schwierigkeiten, sich zu vergegenwärtigen, wie leicht ein kleines c mit verschnörkelter Oberlänge verlesen werden konnte, wenn der Schreiber die nicht-klassische Form des Wortes nicht zu deuten wusste. Da nun Schwäne im Frankenreich – so wird man die Lex Salica verstehen müssen – Herrensitzen zugeordnet werden konnten, und Schwäne mehr als anderes Geflügel geeignet waren, die Autorität des Hausherrn zu steigern, kann „etlehas“ getrost in „cicenos“ verbessert werden. In der Champagne scheinen gegen Ende des 11. Jahrhunderts gehalten worden zu sein. Die Vita des heiligen Theobald berichtet: Es waren Fischer des Erzbischofs Reinald von Reims (1083-1096), die fischten auf dem Fluss Vesle. Da sah einer von ihnen wilde und ungezähmte Schwäne fliegen (cygnos silvestres et indomitos). Er rief den heiligen Theobald an, er möge ihm helfen, die Schwäne zu fangen, denn er wollte sie im Kloster Gott und dem Heiligen als Opfer darbringen. Auf der Heimfahrt steuerten zwei der erwähnten Schwäne auf das Fischerboot zu. Sie näherten sich wie domestiziert, die Köpfe geneigt, die Flügel gesenkt, und begleiteten das Boot rechts und links. Die Fischer ergriffen die Vögel und übergaben sie dem Erzbischof.159 Aus der zweimaligen, ausdrücklichen Charakterisierung „wild und ungezähmt“ lässt sich wohl schließen, dass man auch zahmen Schwänen kannte. Danach versiegen die Quellen bis an die Grenze zum 13. Jahrhundert.160 1235/59 systematisierte Heinrich von Bracton die englischen Gesetze und Gewohnheiten und bemerkte, wilde Tiere, die gezähmt worden seien und gewohnheitsgemäß in ihre Reviere zurückkehrten wie Hirsche, Schwäne, Seevögel und Tauben, müssten solange als Eigentum betrachtet werden, wie sie die Gewohnheit zurückzukehren beibehielten.161 Er bezog sich damit auf römisches Recht (Digesten 11,1,1) und scheint Kulturfolge oder Zähmung der Tiere im Blick ge-

Capitulare de villis: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Bd. 1. Berlin 1971, Sp. 587-588 (C. Brühl). 159 De S. Theobaldo preb. Eremita dioecesis Vincentinae in Italia, cap. III. In: Acta Sanctorum Iun. V. 160 Die Mitteilung einiger neuerer englischer Publikationen, König Edgar von England habe 966 der Abtei Crowland (Croyland) das Recht auf durchziehende Schwäne verliehen, beruht auf einem Missverständnis. In der entsprechenden Urkunde (S 741) ist lediglich von regalibus maneriis de Estrey in bestimmten Wäldern die Rede, nicht von Schwänen (http://ascharters.net/charters/741?q=&page- (16.4.2012)); die Abtei hat die Urkunde allerdings im 15. Jahrhundert so ausgelegt. Vgl. Ticehurst, S. 11. 161 Nach Ticehurst, S. 3f.

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habt zu haben, keine Gefangenhaltung; mit seiner Auslegung bestimmte er die Rechtswissenschaft in dieser Frage bis in das 18. Jahrhundert hinein.162 Die Gefangenhaltung muss aber in Betracht gezogen werden: Albertus Magnus teilt nach eigenen Beobachtungen in Deutschland oder Frankreich mit, dass Schwänen, um sie am Entkommen zu hindern, die Flügel gestutzt wurden: Der Schwan werde „durch das Beschneiden des Vordergelenks seiner Schwinge gezähmt.“163 Ein Besitzrecht an Schwänen, die außerhalb des engeren Hofbezirks, auf Seen und Flüssen, lebten, lässt sich zuerst für England belegen. Schon um 1200 war anscheinend in ganz England, von Lancashire im Westen bis Norfolk im Osten, der Schwanenbesitz geregelt. Die naturräumlichen Gegebenheiten begünstigten die Schwanenhaltung besonders auf der Themse, in den Fenlands, den Grafschaften Cambridge und Norfolk. Als Königsrecht erscheint die Schwanenhaltung in einer Urkunde König Johanns, der von 1199 bis 1216 regierte. Er lastete der Abtei Cockersand in Lancashire eine Reihe von Verpflichtungen auf, darunter eine Abgabe für das Recht, Schwäne zu halten.164 Auch andere geistliche Institutionen und weltliche Grundbesitzer verfügten zu dieser Zeit über frei lebende Schwäne, über Rechte an bestimmten Gewässerabschnitten, die sie verkaufen oder vertauschen konnten. Konkurrierende Ansprüche konnten auch den König selbst betreffen, so im Jahre 1246, als dem Sergeant von Kennington – heute im Süden Londons – sieben Jungschwäne zur Aufbewahrung übergeben wurden. Es handelte sich um die Brut zweier Schwäne, von denen einer dem König, der andere dem Hospital in Hampton gehörte, weshalb die Eigentumsverhältnisse erst zu klären waren. Auch später mussten immer wieder Kommissionen eingesetzt werden, um Ansprüche zu überprüfen, lokale Verhältnisse zu untersuchen und Strafverfolgungen aufzunehmen. 1314 z. B. beklagte sich der Bischof von Bath und Wells darüber, dass ihm aus seinem freien „warren“ bei Wodhill zwei Brutschwäne und aus Langeford fünf andere Schwäne im Wert von fünf Pfund entwendet worden seien.165 Das bedeutet, dass hier – nicht anders als auf dem Kontinent, wovon noch ausführlicher die Rede sein wird – Schwanenrechte auf bestimmte Jagdbezirke (garennes) bezogen werden. Ebenso 1365: Während der Abwesenheit des Earls of Arundel waren Übeltäter in seine Parks, freien Reviere und

162 William Blackstone: Commentaries on the Laws of England. Band 2. 10. Aufl. London 1787, S. 392. 163 Albertus Magnus, S. 1447. 164 Cockersand Charutulary, Chetham Soc, vol. 57; Ticehurst, S. 5. 165 Ticehurst, S. 18.

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„warrens“ eingebrochen und hatten hundert Brutschwäne und andere Schwäne, zusammen 100 Pfund wert, gestohlen, ferner Rotwild aus den Parks und Jagden, Hasen, Kaninchen, Rebhühner und Fasane aus den „warrens“.166 1463 regulierten zwei Kommissionen die Schwanenhaltung auf der Themse und in den Fenlands und untersuchten Fälle, in denen Schwäne mit Haken, Netzen oder Leimruten gefangen und Gelege zerstört worden waren, um die Verbrecher festzunehmen und sicher zu verwahren.167 Seine Fixierung erfuhr das englische Schwanenrecht durch das Schwanengesetz von 1482. Danach durfte niemand eine Schwanenmarke führen, sofern er nicht wenigstens fünf Mark jährlich aus Grundeigentum bezog, denn es sollten keine Bauern oder Personen von geringem Ansehen Schwäne besitzen. Eine Ausnahme wurde im Folgejahr allein den Einwohnern von Crowland eingeräumt, die nachweisen konnten, dass sie seit unvordenklichen Zeiten Schwäne genutzt hatten und auf das Einkommen aus dieser Nutzung angewiesen waren.168 Die lokalen und regionalen Besitzrechte und Gewohnheiten wurden durch Schwanengerichte (Courts of Swanmote) fortentwickelt und fallweise niedergeschrieben. Überliefert sind die Bestimmungen, die ein vom König eingesetztes Gericht im Jahre 1524 für die Schwäne des Flusses Witham traf. Daraus lässt sich ablesen, was wahrscheinlich auch sonst im Lande galt: Niemand durfte ohne die Genehmigung des königlichen Schwanenaufsehers oder seines Beauftragten Schwäne halten. Das Lähmen der Jungschwäne sollte ausschließlich zwischen dem 25. Juni und dem 1. Juli eines jeden Jahres vorgenommen werden; den genauen Tag für die Markierung gab der königliche Schwanenaufseher an. Die Schwanenmarken (lateinisch cigninota), die mit einem scharfen Messer in die Haut des Schnabels geschnitten wurden, verzeichnete der königliche Schwanenaufseher in einem besonderen Buch. Neue Marken mussten so gewählt werden, dass keine Verwechselungen zu befürchten waren. Ferner sollten Listen zu jedem Schwanenhalter geführt werden, in die jeder einzelne Schwan einzutragen war. Die Jungschwäne, die nicht gleich bestimmten Schwanenhaltern zugesprochen werden konnten, erhielten die Marke der Elterntiere (after the sire and dam); kein Schwanenaufseher durfte eine Marke anbringen, wenn nicht der königliche Schwanenaufseher oder einer seiner Beauftragten seine Zustimmung erteilt hatte.169

166 Ticehurst, S. 19. 167 Ticehurst, S. 18f. 168 22 Ed. IV, c. 6. Vgl. Ticehurst, S. 19f. 169 Ticehurst, S. 21-25.

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Diesen englischen Belegen korrespondieren solche des gegenüberliegenden Festlandes. Eine Beschreibung der Stadt Ypern, wohl im 16. Jahrhundert verfasst, berichtet, 1307 sei in Ypern ein Schwan erlegt worden, der um den Hals ein goldenes Band mit der Inschrift: „Dieses Halsband ist diesem Schwane umgelegt worden durch Ludwig VI., König von Frankreich, zu Zeiten des Todes Karls des Guten zu Ypern im Jahre 1127“ trug.170 Die Nachricht verliert durch das hohe Alter, das dem Schwan so zugemessen wird,171 einiges an Glaubwürdigkeit; einen hier nicht näher zu bestimmenden realen Anlass kann man allerdings ohne Bedenken annehmen. Wichtiger erscheinen einige normative Quellen: In einer Rechtsfindung für Zeeland hielt Florens der Vogt 1256 fest: Wer ein Schwanenei stehle, sei dem Herrn des Eis mit zehn Solidi verhaftet; wer einen Schwan stehle, müsse ein Pfund zahlen.172 Jan Persijn, Herr des Waterlandes, kam 1273 bzw. 1275 mit den Eingesessenen des Landes überein, dass, wer einen Schwan totschlage und dessen überführt werde, fünf Solidi, keinesfalls mehr, erlegen müsse.173 Um das Jahr 1306 schließlich sprach ein Weistum für Holland alle Schwäne, wild oder zahm, auf gräflichen oder öffentlichen Gewässern dem Grafen zu.174 Da in Weistümern nicht Recht gesetzt, sondern Gewohnheitsrecht festgehalten wurde, kann dessen allgemeine Geltung wenigstens eine Generation zurückdatiert werden.

170 Johann Wilhelm Wolf: Deutsche Märchen und Sagen. Gesammelt und mit Anmerkungen begleitet. Leipzig 1845, S. 419-420. 171 Was das nachgewiesene Alter von Schwänen angeht, zieht Hilprecht sich S. 103 auf die Bemerkung zurück: „Ohne Zweifel kann beim Höckerschwan ein hohes Alter angenommen werden, ob es allerdings ein Menschenalter übertrifft, ist heute noch nicht sicher zu sagen.“ Rutschke nennt S. 190 das Beispiel eines Schwans, der 25 Jahre erreichte, und erklärt: „Berichte aus früherer Zeit, nach denen Höckerschwäne 50 oder sogar 100 Jahre alt geworden sein sollen, sind wohl durchweg in das Reich der Fabel zu verweisen.“ 172 De keuren van Zeeland. Uitgeven door R. Fruin. `s Gravenhage 1920 (Werken der Vereenigung tot uitgaaf der bronnen van het oud-vaderlandsche Recht gevestigd te Utrecht. Tweede Reeks No. 20), S. 40. 173 Orkondenboek van Holland en Zeeland tot 1299. Bd. 3. Bearb. von J. G. Kruisheer. Assen 1992, Nr. 1647 (S. 741), Nr. 1708 (S. 821). 174 „Voirt al de suanen, syn si wilt of tam, die voeden in des Graven vri wateringhe, jof in ghemene wateringhe, wissen wi den Graven toe.“ Groot Charterboek der Graaven van Holland, van Zeeland en Heeren van Vriesland … door Frans van Mieris. Tweede Deel. Leyden 1754, S. 61-63.

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Die Entwicklung in Flandern lässt sich aus den Urkunden des Klosters St. Bertin bei Saint-Omer, einer reichen und altberühmten Abtei, erschließen. Auch dort war die Schwanenhaltung kein Jedermannsrecht: Cygnos habendi ius non omnibus erat.175 Aus einer Urkunde vom Juli 1239 erhellt, dass der Burgvogt (châtelain) von Saint-Omer das Recht erlangt hatte, Schwäne auf der Moere zu halten und Netze für den Vogelfang auszuspannen. Der Konvent des Klosters war um seine Fischgründe besorgt und ließ sich zusichern, diese würden nicht gestört.176 Dem so schließlich zu Stande gekommenen Vergleich erteilte der Bruder des Kastellans seine Zustimmung; das Schwanenrecht scheint mithin als Familienbesitz betrachtet worden zu sein. Ob sich dieses Recht aus einer gräflichen Verleihung oder einer Usurpation herleitete? Wahrscheinlich hatten sich die Burgvögte in ihrem Machtbereich ebenso Rechte angemaßt, gerade Jagdrechte, wie die Könige und Grafen, die solche Rechte im ganzen Land beanspruchten. Der französische König Philipp II. August (1180-1223) hatte entscheidenden Einfluss auf Flandern gewonnen, und er überzog seinen Machtbereich mit neuen Verwaltungseinrichtungen, den Ämtern (baillages), die die alten Vogteien ersetzen sollten. Die Baillis (Amtmänner) waren keine Lehnsleute; sie waren direkte Repräsentanten des Königs, ausführende Organe seines Willens. Ein eigener Amtmann für Saint-Omer erscheint erstmals im Todesjahr des Königs, 1223. Mit seinem Auftreten wurden die Burgvögte als Funktionsträgern bei Seite geschoben; ihr Amt verblasste zum bloßen Titel, an den sich allerdings gewissen Vorrechte knüpften.177 Die Schwanenhaltung wird so zum umkämpften Recht und zum Indikator der politischen wie gesellschaftlichen Veränderungen, denn die genannten Ereignisse fielen in eine Zeit, als Flandern in Folge der Schlacht von Bouvines 1214, als der Graf in Gefangenschaft geriet, unmittelbares Handlungsfeld der französischen Könige war, die Verwaltungsstrukturen und personale Abhängigkeiten gänzlich neu ordneten.

175 Du Cange: Glossarium mediae et infimae latinitatis. Tomus II. Niort 1883, Sp. 686b. 176 Aubertus Miraeus, Joannes Franciscus Foppens : Opera diplomatica et historica ... Editio secunda ... Tomus primus. Brüssel 1723, S. 756; Les chartes de Saint-Bertin d’après le Grand Cartulaire de Dom Charles-Joseph Dewitte ... publiées ... par M. L’Abbé Daniel Haingeré. Tome I: 648-1240. Saint-Omer 1886, Nr. 856 (S. 386). Vgl. hierzu und zum Folgenden auch [Albert] Pagart d’Hermansart: Les cygnes de Saint-Omer. In: Société académique des antiquaires de la Morinie. Bulletin historique trimestriel 8 (1891), S. 16-34. 177 L. Deschamps de Pas: Histoire de la Ville de Saint-Omer depuis son Origine jusqu’en 1870. Arras 1880, S. 25, 62.

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Eben dieses zeigte sich auch anderthalb Jahrhunderte später. 1384 fiel die Grafschaft Flandern im Erbgang an das Haus Burgund. Im Oktober 1385 klagte der Amtmann (Bailli) in Amiens den Burgvogt von Saint-Omer der unrechtmäßigen Schwanenzucht an. Der hielt Schwäne auf den Wassergräben seines Herrenhauses und beteuerte, das schon immer getan zu haben. 1386 bestätigte das Parlement in Paris, hier als Appellationsinstanz angerufen, dem Kastellan dieses Recht.178 Was war der Hintergrund? Der neue Herrscher, Philipp der Kühne, bemühte sich, auch Reste früherer Institutionen zu beseitigen, die seine Herrschaftsausübung hätten behindern können. Er setzte den Burgvogt von SaintOmer unter Druck, bis dieser ihm die Vogtei 1386 abtrat.179 Einige Jahre danach wies der Herzog von Burgund seinen Amtmann (Bailli) in Saint-Omer an, die Konventualen von St. Bertin im ruhigen Genuss des Rechtes der Schwanenzucht – begrenzt auf die Gräben des Klosterhauses Salperwick – zu lassen: Diese seien gewöhnt, ein Paar Schwäne zu haben und über die Jungvögel selbst zu verfügen. Damit wollte der Vogt (châtelain) sich aber nicht zufrieden geben: Er behauptete, der Herzog allein habe die „Garenne des cines“ im ganzen Amte; nur er dürfe, von vier besonders belehnten Grundherren abgesehen, Schwäne halten und fangen. Eine neue Qualität, mit der die landesherrliche Gewalt den Raum durchdrang? Schwanenreviere und -gehege Im heutigen Französisch bezeichnet der Begriff „garenne“ ein Kaninchengehege. Darunter kann man sich einen Wildpark vorstellen, dessen Mauern einige Fuß in die Erde eingegraben waren, um ein Entweichen der Kaninchen zu verhindern.180 Ein solches Gehege konnte Schwanenteiche einschließen: 1314 hatten sich Einbrecher gewaltsam Zutritt in den freien „warren“ des Bischofs von Bath verschafft, darin ohne Erlaubnis gejagt, Bäume gefällt und fortgeschleppt, außerdem zwei Brutschwäne, fünf weitere Schwäne, Hasen und Kaninchen entwendet.181 Ein paralleler Fall ereignete sich 1365; aus der Anklage können wir ablesen, dass neben Hasen, Kaninchen, Rebhühnern und Fasanen einhundert Schwä-

178 Les Chartes de Saint-Bertin … Tome III. Saint-Omer 1892, Nr. 1959 (S. 22-23), Nr. 1965 (S. 24); vgl. Nr. 2084 (S. 63), Nr. 2386 (S. 163). 179 Deschamps, S. 61, 63. 180 Vgl. Robert Delort: L’Animaux ont une histoire. Dt. : Der Elefant, die Biene und der heilige Wolf. Die wahre Geschichte der Tiere. München 1987, S. 312, 320f. 181 Ticehurst, S. 18.

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ne geraubt worden waren.182 Es konnte jedoch auch ein Gewässer oder der Abschnitt eines Gewässers eine Garenne abgeben.183 Das Ius garennae bildete sich durch Rechtsprechung des Pariser Parlements im 13. Jahrhundert heraus, als Forstrecht sozusagen für Niederwildreviere, das von umhegten auf nur zu umschreibende Landschaftsteile ausgedehnt wurde.184 Nach dem Vorbild des französischen Königs beanspruchte der Herzog von Burgund also ein exklusives Recht, das sich auf bestimmte Tiere bestimmter Bezirke innerhalb seines Herrschaftsraumes bezog.185 Dieses Recht wahrte entsprechendes Aufsichtspersonal. Ein herzoglicher Schwanenhüter wird 1395 erwähnt. Er hatte den Mönchen von St. Bertin 1395 drei Jungschwäne aus der jüngsten Brut weggefangen und musste dafür, da es diesen inzwischen gelungen war, ihr Schwanenrecht auf den Gräben des Hauses Salperwick nachzuweisen, in zeremonieller Weise Buße tun: Er fiel vor dem Abt in dessen Hause auf die Knie, entblößte sein Haupt und bot ihm einen großen, fetten, noch jungen Schwan als Entschädigung dar.186 Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wird die Garenne anscheinend auf einen enger umgrenzten Ort bezogen; Jehan Queys, der sie gepachtet hatte, erwirkte 1520 einen Strafkatalog für Personen, die sich an Schwänen oder Gelegen vergingen. Dieser Katalog, den Kaiser Karl V. 1540 bestätigte, sah Strafen zwischen zehn und 30 Karolusgulden vor. In die Garenne durften auch andere Schwaneneigentümer, wenn sie besonders privilegiert waren, ihre Schwäne setzen. Der Graf von Houchain etwa besaß als königliches Lehen, das an seinem Schlosse in SaintOmer hing, das Recht, ein Schwanenpaar in der Garenne zu halten, unter der Bedingung allerdings, dass alljährlich die Jungschwäne entfernt würden.187 Eine neue Landesherrschaft – eine neue Situation: 1508 sprach Kaiser Maximilian I. als Herzog von Burgund gemeinsam mit dem Grafen von Flandern dem Abt von St. Bertin das Recht zu, auf der Moere – also im landesherrlichen Bezirk – Schwäne zu halten, nur auf Lebenszeit des Abtes allerdings, nur zwei Paare und nur, wenn diese Schwäne hinreichend kenntlich markiert waren, um

182 Ticehurst, S. 19. 183 Jean Baptiste La Curne de Sainte-Palaye: Dictionaire historique de l’ancien langage Francois ou Glossaire de la langue Francoise. Tome Sixième. Paris 1879, S. 373. 184 Josephus Petrus Wilhelmus Antonius Smit: Het Brabantsche jachtrecht vóór de regeering van Karel den Stouten. Diss. jur. Amsterdam 1911, S. 95-99. 185 Les Chartes de Saint-Bertin ... Tome III. Saint-Omer 1892, Nr. 2023 (S. 43-44), Nr. 2037 (S. 48). 186 Les Chartes de Saint-Bertin ... Tome III. Saint-Omer 1892, Nr. 2071 (S. 59). 187 Deschamps de Pas, S. 174.

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sie von den landesherrlichen Schwänen unterscheiden zu können.188 Gegen Mitte des 16. Jahrhunderts schließlich konnte der Konvent seine Schwanenzucht auch auf die Gewässer des Herrn von St. Aldegonde ausweiten, worüber beide Seiten einen schriftlichen Vertrag aufsetzten.189 Es scheint allerdings, als wenn der Staat Schwäne nicht länger als Herrschaftszeichen nutzen wollte und Regelungen wie die genannten dem Privatrecht überließ. Wenn auch aus den wenigen Belegen nur mit größter Vorsicht allgemeine Einschätzungen abgeleitet werden dürfen, so lässt sich dies doch feststellen: Das Privileg, Schwäne zu halten (und zu fangen), erscheint seit dem 13. Jahrhundert als Begünstigung durch den Landesherrn, als Lehen. In einem Rechtsstreit spricht es ein Diener des Wassergrafen von Flandern klar aus: Sein Herr, ein herzoglicher Funktionsträger, habe das Recht der szwanerien in ganz Flandern, denn dies sei ein landesherrliches Recht. Ob garenne des cines und szwanerie tatsächlich als Synonyme gelten können? Zu Beginn des 16. Jahrhunderts immerhin scheinen beide Begriffe synonym verwendet worden zu sein.190 Zwischen Holland im Norden und Flandern im Westen schob sich, für beide Grafschaften das Hinterland bildend, das Herzogtum Brabant. Der Blick auf Brabant kann helfen, die Organisation der landesherrlichen Schwanenverwaltung an Rhein und Schelde zu erhellen. Die Forschung geht davon aus, dass der Herzog ein Ius garennae seit Ende des 13. Jahrhunderts durchzusetzen versuchte; 1312 konnte man nicht mehr als vier herzogliche Waranden benennen; im weiteren Verlauf des 14. Jahrhunderts wuchs diese Zahl aber ständig an.191 Der Warandmeester von Brabant, französisch Maître des garennes, auch Gruyer, 1356 erstmals erwähnt, beaufsichtigte die herzoglichen Wälder und Waranden, Tierparks im älteren Sinne, in der Nähe von Brüssel.192 In anderen Gebieten stützte sich er sich auf Lokalbeamten, villici, die ganz unterschiedliche Namen trugen.193 Neben den genannten erscheint aber noch ein weiterer Beamter, der für Waranden eigener Art zuständig war: der Wasser- oder Flaumgraf (water- en pluymgraaf). Er vereinte wasserpolizeiliche Aufgaben mit der Aufsicht über das

188 Les Chartes de Saint-Bertin ... publiées ... par M. L’Abbé Bled. Tome IV. : 14741779. Saint-Omer 1899, Nr. 3803 (S. 161-162). 189 Les Chartes de Saint-Bertin … Tome IV. Saint-Omer 1899, Nr. 4061 (S. 245). 190 Pagart, S. 18. 191 Smit, S. 99, 101. 192 Smit, S. 179. 193 André Uyttebrouck: Le gouvernement du duché de Brabant au bas moyen âge (1355-1430). Volume 1. Brüssel 1975, S. 265.

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Wassergeflügel. Dieses Amt findet erst 1456 Erwähnung (in Flandern schon 1367)194; ein Reglement von 1529/34 führt aus: Der Wassergraf habe die Zuständigkeit („kennisse“) für Wasserwild – die Schwäne, wilden Gänse und andere Entenvögel –, die niemand ohne seine Zustimmung erlegen dürfe.195 Der Amtsbezirk des Wassergrafen erstreckte sich indes nicht über alle Gewässer Brabants, sondern auf bestimmte Stromabschnitte: die Zenne von Brüssel bis Weerde bei Vilvoorden; die Dyle von Mechelen bis Leuwen; die Geete und Demer von Haelen bis Aarschot; die Schelde von Antwerpen bis Bergen-opZoom. Die großen, prosperierenden, häufig aufrührerischen Städte Flanderns hatten sich jedoch schon früher von landesherrlichen Verleihungen freigemacht und übten Macht und Gewalt auch ihrem Landesherrn gegenüber aus. Eine Anekdote nur: Bevor Maximilian, der Erbe Burgunds, 1488 von den gegen ihn aufgehetzten Bürgern seiner Stadt Brügge gefangen genommen wurde, hatte sein Hofnarr, Kunz von der Rosen, das herzogliche Gefolge verlassen. Er hatte die Rebellion erahnt und sann nun auf Wege, um seinen Herrn zu befreien. Er kam auf den Gedanken, sich zwei Schwimmgürtel fertigen zu lassen; den einen legte er an und wollte heimlich den Stadtgraben durchschwimmen, den zweiten seinem Herrn bringen und ihm so die Flucht ermöglichen. Als er aber das Ufer erreichte, fielen ihn unter großem Geschrei die Brügger Schwäne an, so dass er kaum entrinnen konnte.196 Deutlicher als in dieser Anekdote ließ sich der Anspruch auf Autonomie und Selbstbestimmung, der die Bürgerschaften der großen flandrischen Städte beseelte, kaum zum Ausdruck bringen: Die herrschaftlichen, königlichen Vögel wenden sich gegen den König selbst. Schwäne spielten auch eine Rolle, als Maximilian sich seines Verfügungsrechtes über die Grafschaft Friesland vergewissern wollte. Sein Statthalter in den Niederlanden, Albrecht der Beherzte, Herzog zu Sachsen, knüpfte Kontakte, denn er brauchte die doppelte Legitimation: des Kaisers wie der Friesen. 1498 erschien eine Partei friesischer Häuptlinge bei ihm und trug ihm die Schutzherrschaft über ihr Land an. Albrecht befand sich, den Kaiser im Rücken und die Parteiungen der Friesen klar erkennend, in einer günstigen Position. Er stellte Forderungen, die er – mit zwei Ausnahmen – auch durchsetzen konnte. Die Ausnahmen: Er sollte weder die Priesterlehen ausgeben noch die Schwäne für

194 Middelnederlandsch Woordenboek 9 (1929), Sp. 1816. 195 Smit, S. 192. 196 Johann Jakob Fugger, Sigmund von Birken: Spiegel der Ehren des Hoechtsloeblichen Kayser- und Königlichen Erzhauses Oesterreich ... Nürnberg 1668, S. 995.

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sich beanspruchen dürfen.197 Die Schwanenhaltung war für die Häuptlinge – so scheint’s – ein unabdingbares Zeichen der eigenen Würde geworden. Bemerkenswert andererseits, dass Albrecht diese Forderung stellte; er muss den Symbolwert des Schwanenregals, das er aus Holland kannte, hoch geschätzt haben. In der Neuzeit verlor sich mit dem Interesse an der Schwanennutzung auch das Recht der Schwanenhaltung. Eine gewisse Ausnahme bildeten die Schwanenanstalten auf Havel und Spree, die noch eigens behandelt werden. In England überdauerten einige Traditionen bis heute. Bekannt ist die bereits erwähnte, alljährlich praktizierte Zeremonie des Swan-uppings auf der Themse. Einem königlichen Privileg aus dem 15. Jahrhundert zufolge haben zwei Londoner Koporationen, die Gilden der Weinhändler und der Färber, Rechte an den Themseschwänen. In der dritten Juliwoche werden Ruderboote zu Wasser gelassen, um die Schwäne aufzunehmen, zu untersuchen und zu markieren. Die Schwäne der Königin bleiben ohne Markierung, die der Färber werden an einem Bein beringt, die der Weinhändler an beiden Beinen. Das ist eine tierfreundlichere Variante als die frühere der Schnabeleinschnitte. Zu Ende eines jeden Jahres veranstalten die Färber ein Festessen, dessen Hauptgang „Dyers’ Cygnet“ heißt, heutzutage aber aus Gänsebraten besteht. Einen Hinweis darauf, dass das Swan-upping früher nicht nur dazu diente, das Eigentum an den Jungvögeln festzustellen und diese zu markieren, kann man der Geschichte des Großen Hospitals in Norwich entnehmen. Beim Swan-upping im August wurde eine bestimmte Anzahl von Schwänen ausgewählt, um sie zu mästen. Zum Hospital gehört noch heute ein Schwanenteich, der in der 1793 erneuerten Form 22 x 10 m (30 x 12 yards) misst; ein Graben verbindet ihn mit dem nahen Fluss Wensum. Hier mästete man die Schwäne bis Weihnachten mit Grasschnitt und Gerste. Erst der Getreidemangel während des 2. Weltkriegs ließ diese Tradition abbrechen.198 Der Wild Creatures and Forest Laws Act von 1971 schaffte alle königlichen Vorrechte an wilden Tieren in Großbritannien ab: ausgenommen solche an königlichen Fischen und Schwänen.199

197 Eggerik Beninga: Cronica der Fresen. Bearb. von Louis Hahn, hrsg. von Heinz Ramm. Bd. 1. Aurich 1961 (Quellen zur Geschichte Ostfrieslands 4), S. 403-408. Zum Hintergrund: Günther Wartenberg: Die Albertiner in Friesland. In: Bernhard Sicken (Hrsg.): Herrschaft und Verfassungsstrukturen im Nordwesten des Reiches. Beiträge zum Zeitalter Karls V. Köln 1994 (Städteforschung A 35), S. 105-112. 198 History of the Great Hospital Norwich. Norwich 1949, S. 24f. Vgl. http://en. wikipedia.org/wiki/Swan_pit (1.11.2012). 199 http://www.legislation.gov.uk/ukpga/1971/47/contents (28.4.2012).

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Am 20. Juli 2009 nahm Königin Elisabeth II. als „Seigneur of the Swans“ zum ersten Mal in ihrer Regierungszeit an einem Swan-upping teil. Eine gleiche Prozedur wird übrigens auch auf dem Rideau Canal in Ottawa durchgeführt, offenbar, um die Beziehung dieser Gegend zu Monarchin zu demonstrieren. Das Lähmen und Markieren der Schwäne In der Konkurrenz um möglichst viele Schwäne wurde es notwendig, die Vögel nicht allein an den Menschen zu gewöhnen, sondern auch, ihre Reviere zu fixieren und sie als Eigentum zu kennzeichnen. Nach der Meinung Ticehursts, eines britischen Ornithologen, verlief das so: Die Grundherren ließen wilde Jungschwäne fangen, solang sie noch klein waren, um sie von Hand aufzuziehen. Sobald die Kleinen das Erwachsenenalter erreicht hatten, wurden sie, nachdem man ihnen die Schwungfedern beschnitten hatte, auf dem Grund ihres Herrn ausgesetzt. Pflanzten diese Schwäne sich fort, so mussten die Küken der nächsten Generationen in gleicher Weise aufgezogen und gestutzt werden. Da alle benachbarten Grundherren so handelten, gelang es, ganze Populationen von Schwänen an den Menschen zu binden.200 Diese Ansicht oszilliert zwischen Zähmung und Gefangenhaltung, denn das Beschneiden der Flügel bedeutet eben nichts anderes als Gefangenhaltung und lässt die Aufzucht per Hand überflüssig erscheinen. Mit anderen Worten: Die Bindung an den Menschen muss nicht doppelt motiviert werden. Von Albertus Magnus haben wir erfahren, dass das Flügelstutzen im 13. Jahrhundert bekannt war und praktiziert wurde. In der Neuzeit machte man den Schwan durch die Amputation einer Hand zeitlebens flugunfähig.201 In England pflegte man dieses Verfahren: Der Operateur führte in das Gelenk des „falschen Flügels“, den gewöhnlich fünf Schwungfedern bilden, ein scharfes Messer ein und trennte diesen ganz ab. Fehlte es an der Kraft, das Messer schwungvoll zu gebrauchen, so dienten Hammer und Meißel demselben Zweck.202 In den Schwanenanstalten auf Havel und Spree war es zu Anfang des 19. Jahrhunderts üblich, den jungen Schwänen sechs Wochen nach dem Ausschlüpfen mit einem scharfen Instrument zwei Schwunggelenke des rechten Flügels abzuschneiden.203 Das Lähmen der

200 Ticehurst, S. 9, 80. 201 Hilprecht, S. 19 (mit Zeichnung). 202 Heinrich Gauß: Der Hühner- oder Geflügelhof in seinem weitesten Umfange, sowohl zum Nutzen als zur Zierde … Weimar 1860, S. 132 nach dem englischen Werke des Herrn Nolan. 203 Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz BPH Rep. 118 Nr. 616.

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beschriebenen Art konnte Knochenbrüche und Entzündungen bewirken, an denen manches Tier verendete. Es spricht nichts für die Annahme, das Mittelalter sei freundlicher mit den Tieren umgegangen. Das Eigentum an Schwänen hätte danach folgenden Grund: Um jederzeit Schwäne in ausreichender Zahl verfügbar zu haben, ließen die Grundherren Schwäne eines bestimmten Bezirks in der Mauser fangen und lähmen; da diesen so die Chance genommen war, im Winter davonzuziehen, um Nahrung und eisfreie Gewässer zu suchen, mussten sie wenigstens in dieser Zeit gefüttert werden, was ihre Zutraulichkeit vermehrte. Ein wichtiger Faktor für die Schwanenhaltung musste schließlich die Fütterung sein, erstens um die Population zu verdichten, zweitens aber, um nach Ende der Vegetationsperiode ein Verhungern der Schwäne zu verhindern. Höckerschwäne verlassen gewöhnlich im Oktober ihre Brutgebiete und streichen in Gegenden, die ihnen auch im Winter Nahrung bietet können. Schwanenmarken verwendete das Kloster Coxford in der Grafschaft Norfolk schon 1230. Markierungen durch Einschnitte in den Schnabel waren in England im Spätmittelalter weithin üblich; die Besitzrechte und Eigentümermarken wurden in amtlich geführte Bücher eingetragen. Die Eintragungen mussten dem je aktuellen Stand entsprechen. Markierungen dieser Art sind auf dem Kontinent – in Flandern und Friesland – seit dem 16. Jahrhundert bezeugt.204 Viele Nutztiere, die wenigstens temporär halbwild in Rudeln oder Schwärmen leben, werden von ihren Eigentümern markiert: Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen z. B. durch Schnitte in die Ohren oder (neuer) durch Brandzeichen. Vom Geflügel sind Enten, Gänse und Schwäne gekennzeichnet worden; Enten in England schon im 16. Jahrhundert205 und in manchen Gegenden Nordwestdeutschlands bis in das 20. Jahrhundert hinein. Zum besseren Verständnis des Vorgangs empfiehlt es sich, einen Bericht über das „Entenmärken“ im Bremer Blockland, wie es zu Beginn des 20. Jahrhunderts praktiziert wurde, einzurücken: „Ich wünschte,“ schreibt Heinrich Hoops, Pastor und Geschichtsschreiber des Bemer Blocklandes, „die Operation des Märkens selbst zu sehen und kehrte daher bei einem der Entenbesitzer ein, der mir alle seine Vorrichtungen zeigte und sich mit mir auch bald, ein scharfes Messer in der Hand und ein glattes Brett auf dem Knie, vor einem Entenbauer niedersetzte, wo noch in der letzten Nacht einige Eier ausgebrütet waren. Er holte eines der kleinen zappelnden und schreienden Wesen nach dem andern hervor, legte sie auf das

204 Pargart d’Hermansart, S. 18 (Ypern 1535); Jules Dewez: Histoire de l’abbaye de St. Pierre d’Hasnon. Lille 1890, S. 572f. (Hasnon 1547) (frdl. Hinweis von Herrn Prof. Malte Prietzel). 205 Ticehurst, S. 81.

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Schlachtbrett und schnitt ihnen mit großer Geschwindigkeit die seinem Eigentum gebührenden Figuren in den Fuß. Viel Grausamkeit scheint nicht dabei obzuwalten. Denn so wie sie wieder frei gelassen waren, hörten die Dingerchen auf zu schreien, schüttelten sich den Federpelz und krochen gemütlich, als wenn nichts passiert wäre, unter den Schoß der Mutter zurück.“ 206

Zum Markieren von Schwänen boten sich verschiedene Körperstellen und Methoden an: Der Oberschnabel konnte gezeichnet werden oder der Unterschnabel, die Schwimmhäute, Klauen oder Flügel Markierungen erhalten. Außerdem kennen wir Schwanenhalsbänder und die moderne Beringung. Wenngleich alle Formen Anwendung fanden, zum Teil auch in Kombination, so war doch das Bezeichnen des Oberschnabels am weitesten verbreitet, weil – anders als am Flügel – stark differenzierende Zeichen angebracht werden konnten und die Marke – anders als am Unterschnabel oder am Fuß – auch aus einiger Entfernung erkennbar blieb. Enten konnten zur Zeichenprüfung leicht aufgehoben werden, Schwäne nicht. Schwanenhalsbänder Eine weitere Möglichkeit, Besitzrechte an lebenden Schwänen zu dokumentieren, bot das Umlegen eines Halsbandes: eine für die Vögel sicher unangenehme Form. Ein goldenes Halsband, das Schwäne, die für Schauessen hergerichtet werden sollten, umgehängt werden konnte, soll im Spätmittelalter im Schloss Vincennes verwahrt worden sein.207 In Ypern soll 1307 ein Schwan verendet sein, der ein goldenes Halsband mit der Aufschrift: „Diese Halsband ist diesem Schwane umgelegt worden durch Ludwig VI., König von Frankreich, zu Zeiten des Todes Karls des Guten zu Ypern im Jahre 1127“ trug.208 In den nördlichen Niederlanden, namentlich in der Provinz Friesland, scheinen Schwanenhalsbänder im 16. Jahrhundert die Einschnitte in Schnäbel und Schwimmhäute abgelöst zu haben. 1672 sei, heißt es, in Nordholland ein Schwan tot aufgefunden worden, auf dessen Halsband die Jahreszahl 1573 zu lesen war. Man meinte, daraus auf ein Alter von 100 Jahren schließen zu können, doch wäre es nicht unrealistisch, eine Zweitverwendung des Halsbandes anzunehmen.

206 Heinrich Hoops: Geschichte des Bremer Blocklandes. Bremen 1927, S. 60; vgl. auch W. Lüpkes: Ostfriesische Volkskunde. 2. Aufl. Emden 1925, S. 37. 207 Malortie, S. 151. Vgl. S. 46, Anm. 91. 208 Johann Wilhelm Wolf: Deutsche Märchen und Sagen. Gesammelt und mit Anmerkungen begleitet. Leipzig 1845, S. 419-420.

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Die ältesten erhaltene Halsbänder stammen aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Bei der Burg Piloersema in der Nähe von Groningen wurde 1993 ein Schwanenhalsband entdeckt, das auf Grund des eingeschnittenen Wappens und des Namens in die Jahre zwischen 1633 und 1652 datiert werden kann. Es handelt sich um gebogene, mit Scharnieren verbundene Messingbleche von 5 cm Höhe, die zusammengefügt einen Durchmesser von oben 6,6 cm, unten 7 cm haben. Es sind sieben entsprechende Stücke bekannt, das jüngste, aus Wierum, von 1872.209 Solche Halsbänder aus Messing, literarisch ist auch Silber bezeugt, wurden den Tieren umgelegt, wenn sie ausgewachsen waren. Schwäne mit Halsbändern finden sich häufig in heraldischen Darstellungen. Darin spiegelt sich die Realität der Schwanenhalsbänder ebenso wie die Mythologie: die Geschlechtersagen, in denen mythologische Schwanenringe auf eine Abkunft von Schwanenjungfrauen hindeuten. Die Schwanenanstalten auf Havel und Spree Bei den Schwanenanstalten auf der Havel handelte es sich um eine ganz eigene Entwicklung, die Repräsentationsstreben und landesherrliche Rechte ins Ökonomische zuspitzte. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts genügten die Kurfürsten von Brandenburg nur den Repräsentationsstandards der Zeit, wenn sie die Gewässer um das Berliner Schloss mit Schwänen bevölkerten. Den ersten Beleg dafür bietet eine Ansicht von 1539.210 Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wollte ein Schriftsteller wegen der großen Schwanenzahl die Spree schon mit dem Eurotas vergleichen, ohne freilich dass deutlich würde, welche Stelle der antiken Literatur ihn dazu reizte.211 Im 17. und 18. Jahrhundert machten sich dann aber Faktoren geltend, die gemeinsam eine einzigartige Wirkung entfalteten. Zunächst wäre auf das Gewässersystem zu verweisen. Berlin liegt an der Spree, einem bedeutenden Tieflandfluss, der bei Spandau in die Havel mündet. Die Havel ist weniger ein Fluss als eine eigene Landschaft; sie schiebt ihr Wasser durch eine Kette von Rinnseen und dehnt sich so weit in die Umgebung. Eine mäßige Strömung, flache Seepartien und grüne, kaum gestörte Uferzonen lassen das Gewässer als ideales Schwanenrevier erscheinen.

209 J. Jeltema: Een zwanehalsband van de borg Piloersema. In: Stad en Lande: cultuurhistorisch tijdschriift voor Groningen 5 (1994), S. 13-19. 210 Abb. in Wolfgang Ribbe (Hrsg.): Geschichte Berlin. Bd. 1. München 1987, S. 329. 211 Carl Bolle: Der Schwan in der Mark. In: Brandenburgia. Monatsblatt der Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg 1 (1802/93), S. 42-60, hier S. 47.

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Spree und Havel wurden von Fischern genutzt, die in Gemeinden, Kietzen, organisiert, bestimmten Schlössern zugehörten. Sie mussten eine fast unbeschränkte Dienstbarkeit tragen: ein Servitut ihrer Fischereiberechtigung.212 Diese Dienstbarkeit ermöglichte es der Landesherrschaft später, die Schwäne im großen Maßstab auch wirtschaftlich zu nutzen, ohne Kosten und Leistungen bilanzieren zu müssen. Zunächst aber zielte das Bestreben lediglich dahin, das Wassergeflügel zu schützen und dem Landesherrn zu reservieren. Die Fischerordnung von 1574 bestimmte daher, Enten, Gänse, Schwäne und alle anderen Vögel, die am Wasser und auf den Brücken nisteten, seien zu schonen; das Ausnehmen der Nester sei bei ernster Strafe verboten.213 Es ist häufig behauptet worden, die Schwanenanstalten auf Havel und Spree hätten ihre rechtliche Begründung im Stromregal, im Nutznießungsrecht des Staates an öffentlichen Strömen, gehabt; die Autoren beziehen sich dabei gern auf das Stromregal, wie es 1794 das Allgemeine Preußische Landrecht (§ 21 II.14, § 38 II.15) formuliert hat. Im Rückblick auf das 18. und 19. Jahrhundert, als die Schwäne Eigentum im bürgerlich-rechtlichen Sinne geworden waren, besitzt diese Einschätzung eine gewisse Plausibilität. Für die ältere Zeit aber kann nur auf das Jagdrecht verwiesen werden. Ein kurfürstliches Edikt vom 6.3.1582 bestimmte, dass niemand „in und an unsern Wiltbanen, Höltzern, Felder und Wassern“ Schwäne, wilde Gänse, Enten oder anderes Federwildbret schießen dürfe.214 Die angedrohte Buße von zehn Talern für das Erlegen eines Schwans erhöhte ein Mandat von 1620, wiederholt durch die Holzordnung von 1622, auf 75 Taler.215 1668 folgte ein Patent, nach keine Trappen und Schwäne schießen solle, wer das Recht der hohen Jagd nicht besaß; dieses wurde mit einem Hinweis auf „Violirung des Jagd-Regals“ 1683 erneuert.216 Ob für das 17. Jahrhundert schon mit Anfängen der späteren Schwanenanstalten zu rechnen ist, geht aus den Quellen nicht hervor. Sicher aber existierten in und um Berlin Schwäne in großer Zahl. Dass man die Spree bereits wie selbstverständlich mit Schwänen assoziierte, beweisen – ein kleiner Fingerzeig nur – die Gelegenheitsgedichte des brandenburgischen Rats und späteren Zeremonienmeisters Johann von Besser. Als Markgraf Ludwig sich vermählt hatte

212 Friedrich Bestehorn: Die geschichtliche Entwicklung des märkischen Fischereiwesens. Ein Beitrag zur Kultur- und Wirtschaftsgeschichte der Mark Brandenburg. In: Archiv für Fischereigeschichte 1 (1913), S. 1-199, hier S. 116. 213 Bestehorn, S. 146. 214 Corpus Constitutionum Marchicarum. 2. Theil, 3. Abth., Sp. 7f. 215 Rabe’sche Sammlung I, S. 27, 125 (Anm.). 216 Corpus Constitutionum Marchicarum. 4. Theil, 1. Abth., Sp. 555f., 579f.

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und mit seiner Gemahlin 1681 seinen Einzug in Berlin hielt, ließ Besser die Schwäne auf der Spree dem Paar huldigen: „Solang in unser Spree ein Tropfen noch wird fließen,/ Der Nachen ihren Schoß befährt/ Und deren Ufer Schwanen nährt,/ Soll man von Eurer Liebe wissen.“217 Oder als die verwitwete Markgräfin Eleonora 1691 nach Ansbach reisen wollte: „Will Sie heim? warumb so weit?/ Dieser Venus Lieblichkeit,/ Findet hier auch ihre Schwanen.“218 Diese und ähnliche Verse verwenden das Bild von den Schwänen als Begleitern der Venus, von Liebesvögeln; sie reflektieren aber auf einen realen Bezug, hier das Wassergeflügel der Spree, um ihre Wirkung zu entfalten. Neben der Symbolik der barocken Poesie bahnte sich in Brandenburg sehr stark der Nützlichkeitsgedanke Raum. Die Sachakten zum Thema Schwanenhaltung reichen nicht weiter als bis 1714 zurück, was nichts beweist, aber zum nüchternen Sinn des Soldatenkönigs passen könnte.219 Damals tauchte die Frage auf, zu welchem Preis ein Paar lebender Schwäne, wie sie wiederholt verlangt worden waren, abzugeben seien. Eine Marginalverfügung antwortete: Zwölf Taler pro Paar. Es schwammen demnach Schwäne in großer Zahl auf der Spree. Dass dieser Bestand aber nur durch Zufuhr von außen gehalten bzw. erhöht werden konnte, zeigen die nächsten Vorgänge.220 1746 mussten 28, 1750: 15 und so fast jedes Jahr aus dem Cottbusischen Revier, aus Peitz und aus dem Spreewald, Vögel importiert werden mussten. Eine Auflistung für die Jahre 17691781 kommt auf die Summe 333. Diese Schwäne wurden bereits gelähmt an den Jägerhof in Berlin geliefert und auf der Spree ausgesetzt. 1757, so liest man, waren 50 Stück junger Schwäne, in der Gegend von Cottbus eingefangen, an den Hofjäger zu übermitteln. Den Transport mussten unentgeltlich Schulze und Gemeinde zu Ragow leisten, die in diesem Jahr acht Wagen mit je vier Pferden bespannten, um Schwäne und Futter in die Hauptstadt zu bringen. Noch andere Hindernisse erschwerten die Beförderung; so stellte die Regierung in Dresden 1771 einen Pass aus, damit die Schwäne, von Peitz kommend, ungehindert sächsisches Gebiet passieren konnten. Die Sorge für die Schwäne auf Spree und Havel oblag den Fischerkommunen, über welche die königlichen Ämter Spandau, Potsdam und Mühlenhof in

217 Des Herrn von Bessers Schrifften, Beydes in gebundner und ungebundener Rede … Leipzig 1711, S. 383f. 218 Ebd., S. 425. 219 Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz HA Rep. 36 Nr. 2322. 220 Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz HA Rep. 36 Nr. 2322/1.

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Berlin221 die Aufsicht führten. Die Fischer waren durch ihre Dienstbarkeit verpflichtet, im Sommer die Jungschwäne zu fangen und zu lähmen und, sobald es anfing zu frieren, alle Schwäne zu den offenen Futterstellen zu fahren und zu treiben. Diese Fürsorgemaßnahme mag erst 1751 eingeführt worden sein, als viele importierte Schwäne ausgesetzt worden waren und die Befürchtung bestand, sie konnten sich, statt die Futterplätze aufzusuchen, spreeaufwärts orientieren. Damals erging eine Verfügung an die Fischer, die vom Festfrieren bedrohten Schwäne an die richtigen Orte zu schaffen.222 Zunächst nur im Herbst, später zusätzlich auch im Frühjahr mussten die Fischer die Schwäne „pflücken“ bzw. – im 19. Jahrhundert – zum „Pflücken“ bringen.223 So wurde das Ausrupfen der Federn und Daunen genannt, die danach der königlichen Bettenkammer zukamen. Ein Verfahren, das übrigens schon im 16. Jahrhundert auf der Themse praktiziert wurde.224 Die Zuständigkeiten hatte man genauesten geregelt: Im Bezirk des Amtes Spandau besorgten die Fischer in Henningsdorf die Schwanenpflege von jenseits Henningsdorf bis Spandau; die Fischer in Damm von Neuendorf bis in den Bereich der Zitadelle; die Fischer in Kietz und Burgwall von Unterbaum, Mühlendamm und der Schleuse zu Berlin bis Spandau; die Fischer in Pichelsdorf von Klein Glienicke und Sacrow bis Spandau; die Verpflichtung der Potsdamer Fischer in Neustadt und Burgstraße bezog sich auf den Potsdamer Distrikt, sie endete jenseits von Baumgartenbrück; den Bereich des Amtes Mühlenhof mussten die Fischer der Ämter Spandau und Köpenick mitbetreuen. Das gesamte Revier dehnte sich also von Hennigsdorf im Nordwesten bis Caputh im Südwesten und im Osten bis zum Müggelsee.225 Zum Pflücken mussten die Schwäne mit langen, mit Haken versehenen Stangen eingefangen und zu den vorgesehenen Plätzen, dem Depothof bei Potsdam bzw. dem Pichelswerder, später dem Schildhorn, geschafft werden. Dies geschah zwei Mal im Jahr, nach Walpurgis, im Mai, und im August um Bartholomäi. Das

221 Der Mühlenhof stand am Ende des Mühlendamms. Das königliche Amt gleichen Namens übte die Gerichtsbarkeit über den Mühlendamm, die Fischerbrücke, einen Teil der Spree sowie sieben Dörfer und zwei Vorwerke außerhalb Berlins aus. Friedrich Nicolai: Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam … Bd. 1. Dritte Auflage Berlin 1786, S. 129f., 414f. 222 Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz HA Rep. 36 Nr. 322/1. 223 Vgl. auch Bestehorn, S. 123f. 224 Stephen Greenblatt: Will in the World. How Shakespeare became Shakespeare. London 2004, S. 172. Vgl. Young, S. 127. 225 Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz BPH Rep. 113 Nr. 2275.

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Rupfen selbst besorgten Frauen und Mädchen, die sogenannten „Rupfweiber“, die gewöhnlich aus den Familien der Kietzfischer stammten. Sie saßen – wenigstens im 19. Jahrhundert – in einem mächtigen, eigens für diesen Zweck gezimmerten Schuppen und bedienten sich einer „Rupfbank“, eines langen Tisches, auf den Schwanenknechte des zuständigen Amtes Stück für Stück die Schwäne schoben. Die Frauen packten zu und klemmten den Hals der Vögel zwischen die Beine, während der Knecht den sich auf dem Tisch windenden Körper festhielt. Es wurden zuerst die Federn, dann die Daunen von der Unterseite gezupft, ohne die Haut allzu sichtbar freizulegen. Nach dieser Prozedur nahm der Schwanenknecht den Schwan wieder auf seine Arme, trug ihn ans Ufer zurück und warf ihn mit Macht ins Wasser. Der Vogel bemühte sich dann eiligst, vom Ort des Geschehens fortzustreben.226 Nach 1786 zog das gerade neu errichtete Hofmarschallamt die Kontrolle über das Bettenwesen an sich. Umgehend erschien der Bettenmeister klagend bei der neuen Behörde und berichtete, wie die königlichen Ämter nur unregelmäßig und im Ganzen zu wenig Schwanendaunen und –federn ablieferten. Er machte folgende Rechnung auf. Eingeliefert worden seien: Jahr

Amt Spandau Pfund Daunen

Amt Potsdam Pfund Federn

1779

7,00

37,00

1780

6,25

57,75

1781

5,25

1782

4,00

25,00

1783

4,25

44,75

1784

3,75

38,00

1785

2,00

16,50

1786

2,75

17,00

Pfund Dauenen

Pfund Federn

3,00

26,00

3,00

43,00

2,00

27,00

1787 hätte er für seine Majestät den König ein Bett gestopft und dafür 9,50 Pfund Daunen und 11 Pfund Federn gebraucht. Für drei Kammerdiener- und Domestiken-Betten seien 63 Pfund Federn verstopft worden; für den König habe er außerdem auf Anordnung des Kammerdieners ein Kopfkissen mit 2,38 Pfund Daunen gefüllt usw. Das Hofmarschallamt setzte es sich daher immer wieder

226 Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Dritter Band: Havelland. Köln 1997, S. 184; Bolle, S. 51.

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zum Ziel, die Zahl der Schwäne zu vermehren, konnte aber das Missverhältnis von Angebot und Nachfrage nie bewältigen.227 Das Hofmarschallamt, das keine Weisungsbefugnis für die Domänenämter besaß, konnte, um den Klagen der Bettenkammer abzuhelfen, nur eine Verordnung der Kurmärkischen Kriegs- und Domänenkammer erwirken. Diese erging am 17. September 1787 und erneuerte die Bestimmungen der Forstordnung von 1720; außerdem meinte die Kammer (oder das Hofmarschallamt) erkannt zu haben, dass die Abnahme der Schwäne vor allem vom Eierdiebstahl herrühre, und legte daher für das Ausnehmen von Schwaneneiern eine Strafe von 20 Talern fest.228 Die Schwanenanstalten auf Havel und Spree stellten sich bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts also als Daunenproduktionsbetriebe auf feudaler Grundlage dar. Wilde, d. h. flugfähige Schwäne, die sich auf der Havel niederließen, erschienen als Eindringlinge und Nahrungskonkurrenten; das Jagdpersonal war gehalten, sie möglichst rasch abzuschießen. Das Unternehmen hat zwar nach heutigen Maßstäben nicht rationell wirtschaften können; angesichts des hohen Prestiges, das Schwanendaunen genossen, bemühte sich der Staat dennoch, die Schwanenzucht auch in anderen Provinzen zu befördern. Sehr anschaulich setzt ein Reskript von 1779 für Ostfriesland Möglichkeiten und Motive auseinander, die sonst nur indirekt erschlossen werden können: „Von Gottes Gnaden Friedrich, König von Preußen, Marggraf zu Brandenburg, des heil. Röm. Reichs Ertz-Cämmerer und Churfürst pp. Unsern gnädigen Gruß zuvor, Hochgelahrter, lieber Getreuer! Es sind hier einige Vorschläge und Observationen über die Nützlichkeit der Anlegung von Schwanen-Triften vorgekommen, welche hier in Ostfriesland mit Vorteil würden angeleget werden können, indem hieselbst Tiefen, Wieken, Meere und Dobben genug vorhanden, worauf sie sich nähren könnten, im Sommer gingen sie überall herum, hielten zugleich Tiefen und Schlöte rein, und brauchte man ihnen nicht nachzugehen noch zu füttern, wenn nur der linke Flügel durch Abkürzung der 4 vordersten großen Federn in Zeiten gelähmt würde, wie denn selbige im Winter ihr Haus, wo sie jung ihr Futter genossen, von selbst wieder aufsuchten und alsdann mit etwa einer halben Tonne Gerste oder Haber per Stück zu unterhalten wären. Ein Schwan brütete zu 6-8 Jungen aus, im ersten Jahre wären sie gut zu essen, lieferten 20 Schlag-Federn, die das erste Jahr zehn Stüber holl. gelten, das zweite Jahr brächten sie einen Gulden, alte Schwäne aber für zwei Gulden holl. an Federn aus, und ihrer wären zweierlei Art, dünne und dicke. Sie werden anfangs Mai gerupft und die weichen Federn teuer bezahlt; sie werden aber auch so ge-

227 Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz BPH Rep. 113 Nr. 2275. 228 Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz Rep. 113 Nr. 2276.

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pflückt, daß die wolligte Dünen auf dem Fell bleiben, diese Haut wird nach dem Schlachten abgelöset, gegerbet und getrocknet, alsdann für vieles Geld verkaufet, per Stück zu 3 Gulden, 5 Stüber und die jungen zum Essen zu 5 ¼ Gulden holl. Im Gröninger Lande kriegt derjenige, auf dessen Land die Schwäne ausgebrütet werden, für das Nest vom Eigner des Schwanen 1 Gulden holl. oder einen jungen Schwan. Ihr habt also diesen gut erscheinenden Nahrungs-Zweig bestens anzupreisen und Euch zu bemühen, Liebhaber zu dieser vorteilhaften Entreprise aufzusuchen, auch ihnen bekannt zu machen, daß man durch Strafgesetze Schutz für die Schwäne verschaffen werde; und wenn sich welche finden lassen, erwarten Wir deshalb nur die Anzeige mit nachrichtlicher Beifügung, wie viel Schwäne, die im Gröningschen leicht aufzukaufen sind, angeschaffet worden. Sind Euch mit Gnaden gewogen. Gegeben Aurich, den 29. Oktober 1779. An Statt und von wegen Seiner Königlichen Majestät: Olffen, Boden, Rademacher.“229

Zu Anfang des 19. Jahrhunderts begannen sich die Rahmenbedingungen für die Schwanenanstalten zu verschieben. Die Verwaltungsreformen nach 1806/7, durch die militärische Niederlage und den drohenden Staatsbankerott erzwungen, bewirkten Veränderungen in verschiedener Hinsicht. Zunächst sollte die Haushaltsführung transparenter werden; nicht nur die Einnahmen, auch die Ausgaben, Geldausgaben wie geldwerte Leistungen, mussten einer bestimmten Rechnungsstelle zugeordnet werden. Es ging also nicht länger an, dass das Hofmarschallamt bzw. die Bettenkammer zwar die Einnahme der Daunen und Feder verbuchen konnte, die dafür zu erbringenden Leistungen aber in den Rechnungen der Ämter erschienen.230 Die Verwaltungsreformen folgten aus dem Zwang heraus, die Staatsschulden zu begrenzen. Dazu gehörte es auch, Domänenämter zu veräußern, die Behörden und Wirtschaftsbetriebe gleichermaßen gewesen waren. Nicht nur konnten auf diese Weise Barmittel mobilisiert werden, sondern es bot sich ein Ansatz, der Verwaltung liberal-aufklärerischen Grundsätzen gemäß ganz die feudale Grundlage zu entziehen. Da das Amt Spandau, die für die Schwanenzucht wichtigste Behörde, 1809, das Amt Mühlenhof einige Jahre später aufgehoben wurden, ergab sich auch daraus die Notwendigkeit, die Zuständigkeiten neu zu regeln. Schließlich: Der Schwanenbestand auf Havel und Spree hatte in den napoleonischen Kriegen ganz nachhaltig gelitten. Besonders der Schießwut der Franzosen und ihrer Freude an Wasserjagden, die auch, wo sie nicht den Schwäne galten, die Vögel aufschreckten und die Brut störten, gaben die preußischen Behör-

229 Nach der Edition in: Ostfriesenwart 1931/33, S. 85-87. 230 Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz BPH Rep. 113 Nr. 2275.

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den Schuld daran.231 Im Herbst 1813 wurden nicht mehr als 89 Schwäne gepflückt und, so heißt es, mehr seien wirklich nicht vorhanden gewesen. Die Kurmärkische Regierung empfahl sogar, die Schwanenhaltung ganz aufzuheben. Soweit freilich mochte man mit Rücksicht auf die königlichen Betten doch nicht gehen. Die Oberaufsicht über die Spandauer Schwanenzucht übertrug man einem Oberförster, unter dessen Anteilung der Pritzstabel oder Wasservogt als Aufseher der Kietzfischer amten sollte. Der Oberförster und Jagdzeugmeister Schröder, mit der Aufsicht betraut, unterbreitete 1819 Vorschläge, wie die Schwanenzucht zu verbessern sei. Er riet namentlich dazu, die Oberaufsicht über die Schwäne zu zentralisieren. Ferner sei ein schwimmendes Gehege geeignet, die Vögel im Winter zusammenzutreiben und am Platze zu halten; um das Pflücken zu erleichtern, erscheine es zweckmäßig, einen Schuppen zu errichten; endlich wären die Schutzedikte einzuschärfen.232 Nicht in allem wollte die vorgesetzte Behörde willfahren; die Entscheidung aber, die Schwanenhaltung der Jagdverwaltung zuzuschlagen, erwies sich als endgültig. Am 11. April 1822 übernahm das neugegründete Hofjagdamt diese Aufgabe.233 Damit bereitete man, unbewusst zunächst, einer neuen Einschätzung die Bahn; die Schwäne erscheinen so, anders als die Rösser oder Pfauen, über die das Hofmarschallamt wachte, als Wildtiere in der ihnen gemäßen Umgebung. Gleichwohl musste sich auch das Hofjagdamt mit den Forderungen der Bettenkammer auseinandersetzen, die wie in der Vergangenheit auf eine Erhöhung der Produktion drängte. Sie bezifferte 1823 den Bedarf an Daunen auf 50 Pfund, an Federn auf 300 Pfund im Jahr.234 Daraus ließ sich ein Sollbestand von ca. 600 Schwänen errechnen. Das Ziel war somit hoch gesteckt. Das Jagdamt versuchte im Gegenzug, die Bettenkammer bzw. das vorgesetzte Hofmarschallamt zu einer Kostenübernahme zu bewegen; das hätte der Budgetkontrolle der neuen Finanzgrundsätze entsprochen, doch konnte es damit beim Finanzministerium noch nicht durchdringen. Das Hofjagdamt bewältigte seine neue Aufgabe sehr erfolgreich. Die Bestandsentwicklung ging steil nach oben: 1822 zählte man 382 Schwäne, 1833 schon gegen 1100;235 für Ende des 19. Jahrhunderst kann mit 2000 Tieren ge-

231 Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz BPH Rep. 113 Nr. 2275. 232 Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz BPH Rep. 118 Nr. 601. 233 Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz BPH Rep. 113 Nr. 2275, 2276. 234 Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz BPH Rep. 113 Nr. 2275; Rep. 118 Nr. 601. 235 Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz BPH Rep. 113 Nr. 2276.

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rechnet werden. Die Gründe dafür liegen sicher in der verbesserten Aufsicht, die die Jagdbehörden wirkungsvoller leisten konnten als zuvor die Ämter, in der Erneuerung der Schutzbestimmungen236 und Verbesserungen der Art, wie sie der Oberförster Schröder 1819 vorgeschlagen hatte, der Einrichtung von Rupfschuppen z. B. Vor allem jedoch gewannen die Fischerkommunen ein neues und ganz eigenes Interesse an der Bestandsvermehrung der Schwäne. Was bisher eine Last gewesen und wie jeder Herrendienst nur widerwillig, häufig obstruktiv geleistet worden war, denn jeder weitere Schwan bedeutete zukünftige Mehrarbeit, bot sich jetzt als neuer Erwerbszweig dar. Die Reformgesetzgebung der Jahre 18071810 hatte die grund- und leibherrlichen Bindungen der Bauern weitgehend aufgehoben, um Eigeninitiativen freizusetzen und Investitionshemmnisse abzubauen. Das kam auch den Fischern zugute. Das Hofjagdamt schloss 1822 mit den Fischergemeinden Tiefwerder und Pichelsdorf Verträge ab, die die Leistungen spezifizierten und eine Bezahlung festlegten, nämlich neun Groschen pro Tag; der Pritzstabel erhielt eine auf die Menge der Schwäne bezogene Entschädigung. Dadurch konnte in kürzester Frist die Ablieferung der Daunen um zwei Drittel, die der Federn um ein Drittel gesteigert werden. Verträge mit den anderen Fischergemeinden folgten.237 Um absolute Zahlen anzufügen, die den Umschwung augenscheinlich machen:238 Jahr

Daunen

Federn

Pfund

Lot

Pfund

Lot

1796

9

96

1797

8

90

1798

4

1799

7

8

102

1800

5

24

66

1801

4

24

58

1802

5

24

71

16

63 24 8

1803

8

121

8

1804

12

8

129

16

1805

8

16

86

1806

2

16

34

236 Erlasse der Kurmärkischen Regierung vom 8.2.1816 (Amtsbl., S. 62), vom 4.5.1853 (Amtsbl., S. 185), vom 28.5.1870 (Amtsbl., S. 148) . 237 Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz BPH Rep. 113 Nr. 2275. 238 Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz BPH Rep. 113 Nr. 2276.

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Jahr

Daunen

Federn

Pfund 1807-

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Lot

Pfund

Lot

43

4

263

1816

4

26

63

1817

4

1818

8

8

100

16

1819

12

4

135

24

1820

13

142

24

1822

9

16

1823

17

10

1824

26

1825

27

1826

26

258

8

1827

26

282

21

1828

28

17

261

28

1829

30

25

342

11

1830

33

31

258

8

1831

23

17

291

11

1832

36

22

410

1

1815 12

68

11

177 236

28

238

24

245

16

Das Anwachsen der Population bot dem preußischen Staat Gelegenheit, Schwäne zu verkaufen oder großzügig zu verschenken. Die Nachfrage spiegelt dabei sehr deutlich den Wandel der Einstellungen; niemand erbat Schwäne, um Fleisch oder Daunen zu produzieren. Wo Motive genannt werden, bekunden sie ästhetische Absichten. Es ging um die „Verschönerung“, um die „Belebung und Verschönerung“ natürlicher oder der Natur nachgeahmter Gewässer. Nicht selten ergriffen Verschönerungsvereine die Initiative, so der Neuruppiner 1835, der Prenzlauer 1836, der Ruppiner 1845. Auch die Wasserzüge der Landschaftsgärten, mit denen Lenné die königlichen Schlösser einfasste, brauchten den zeittypischen Schmuck. Besonders verdient ferner ein Schreiben von 1837, datiert aus Hohenschwangau, hervorgehoben zu werden: Maximilian, Erbprinz von Baiern, dankt für das Geschenk von zwölf (an anderer Stelle: 14) Schwänen, die also den bayrischen Schwanenkult beförderten.239 Für die Havel selbst hat Theodor Fontane den ästhetischen Aspekt der Schwanenzier geschildert. Wie mächtige weiße Blumen, schreibt er, blühen sie über die blaue Fläche hin; ein Bild stolzer Freiheit. Und bemerkt: 239 Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz BPH Rep. 118 Nr. 616.

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„Zu der Havelschönheit tragen die Schwäne ein sehr erhebliches bei. Sie geben dem Strom auf seiner breiten Fläche eine königliche Pracht … In neuerer Zeit hat man diesen Zauber dadurch noch gesteigert, dass man, durch Unterlassung der Flügellähmung, den Wildschwan wieder hergestellt hat. Man wurde dazu durch verschiedene Rücksichten bestimmt. Das Nächstbestimmende war die größere Schönheit des wilden Schwans; er ziert die Fläche mehr, die er durchschwimmt, und sein Flug durch die Luft, den er wenigstens gelegentlich macht, gewährt einen imposanten Anblick. Was aber mehr als diese Schönheitsrücksicht den Ausschlag gab, was der Wunsch, einen neuen jagdbaren Vogel, einen neuen Sport zu schaffen. Es werden jetzt von Zeit zu Zeit Wildschwanen-Jagden abgehalten.“

Von diesem kurzzeitig neu aufflammenden Interesse für die Schwanenjagd war oben bereits die Rede. Für die Havelschwäne hatte es kaum eine Auswirkung, denn wenn zu Ende des 19. Jahrhunderts ungefähr ein Drittel der Jungschwäne nicht mehr gelähmt wurde, so hatte das auch mit der sinkenden Bedeutung der Federproduktion zu tun. Einen ganz anderen Einschnitt, definitiv Traditionen beendend, setzte der 1. Weltkrieg. Die Kriegszeit, in der jeder sich selbst der nächste war, Schwäne und Eier gewildert wurden, den Jagdbehörden das Aufsichtspersonal fehlte und Proteste der königlichen Bettenkammer kein Gehör findet konnten, überlebten von ehemals 2000 Schwänen nur 20 Vögel, besonders solche, die sich auf ihre Schwingen hatten verlassen können. Das Programm „Wiedereinbürgerung des Höckerschwans auf der Havel“ folgte dann Bedingungen, die mit der früheren Schwanenzucht zur Daunenproduktion nichts mehr gemein hatte. Der Biologe Oskar Heinroth betrieb dieses Programm aus Gründen des Natur- und Artenschutzes; eine Lähmung der Tiere kam nicht mehr in Frage. Mit diesen Maßgaben gelang es Heinroth, Havel und Spree recht rasch wieder mit Schwänen zu bevölkern.240 Städtische Schwanenzuchten Schwäne spiegeln in einem stratifikatorischen Gesellschaftssystem die Würde ihrer Herren und repräsentierten ein davon abgeleitetes Herrschaftsrecht. So ist es kein Zufall, dass die Schwanenhaltung auch für städtische Obrigkeiten interessant wurde. Die Städte, deren Zahl seit dem 13. Jahrhundert stark zunahm, bildeten im Gefüge der mittelalterlichen Gesellschaft eigene Rechtsräume.

240 Hilprecht, S. 172; Rutschke, S. 202.

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Gleichwohl handelte es sich um Herrschaftsträger von wachsendem Einfluss, deren Regierungen sich an den Repräsentationsformen der feudalen Umwelt orientierten. Die Städte, durch Bürgermeister und Rat vertretene Körperschaften, besaßen eigene Wappen und Siegel, luden zu Empfängen, Festen und Turnieren, führten Fehden und errichteten eindrucksvolle Bauwerke, um Besucher einzuschüchtern und zu blenden. In militärischer Hinsicht stellten sie einen Sonderfall der Burg dar, wie diese umwehrt und befestigt, mit Wachen besetzt und mit Toren versehen, die nachts geschlossen wurden. Es kann deshalb nicht erstaunen, wenn Stadtregierungen die Kultur benachbarter Höfe nachahmten und nach Möglichkeit zu übertreffen suchten; nur so erzwangen sie die Anerkennung ihrer Umwelt und stärkten das eigene Selbstbewusstsein. Dies gilt wie für alle anderen Repräsentationsformen auch für die Schwanenhaltung. Die Städte des Tieflandes, deren Herrschaft sich über mäßig fließende, sich weitende, flache Gewässer ausdehnte, waren durch ihre natürliche Lage bevorzugt; nicht selten schufen aber erst größere Wasserbaumaßnahmen angemessene Lebensräume für ganze Schwanenpopulationen. Die stark verrechtlichen Verhältnisse der Schwanenhaltung in England, Holland, Flandern, der Picardie und auch Brabant radizierten den Besitz von Schwänen auf Herrensitze, wie bemerkt, oder Korporationen wie z. B. einzelne Zünfte. In Deutschland sind es meistens die Stadträte, die Schwanenrecht beanspruchten und notfalls gegen die Landesherrschaft behaupten. Die ältesten Nachrichten überhaupt finden wir in Rechnungen der Stadt Braunschweig. Braunschweig, „eyne krone unde eyn speygel des landes to Sassen“ – Sachsen im alten Sinne der Raumeinheit Niedersachsen und Westfalen –, zählte um 1400 ca. 18.000 Einwohner241 und war nach Lübeck die größte Stadt im Norden des Reiches, auf gleicher Höhe mit Nürnberg, Ulm oder Wien.242 Die Kämmereiregister verzeichnen seit 1398 Ausgaben für das Einfangen von Schwänen, die zu bestimmten Anlässen als Prunkgerichte auf die Tafel gebracht werden konnten. 1430 erlegte z. B. ein Bürger im städtischen Auftrag zwei Schwäne zum Osterfest. Dass der Rat diese Schwäne unterhalten und pflegen ließ, erhellt aus Rechnungen der Braunschweiger Altstadt: 1466 zahlt der Kämmerer den Wächtern einen Schilling dafür aus, dass sie die Schwäne vom Eis nehmen, um ein Festfrieren zu verhindern. Ein Hinweis darauf, dass den Vögeln die Schwingen gelähmt waren und sie also nicht andere Gefilde aufsuchen konn-

241 Richard Moderhack: Braunschweiger Stadtgeschichte. Braunschweig 1997, S. 68. 242 Ernst Schubert: Einführung in die Grundprobleme der deutschen Geschichte im Spätmittelalter. Darmstadt 1992, S. 97.

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ten. 1449 musste ein städtischer Bedienter die Nester in Ordnung bringen. 1480 rechnete eine Fischersfrau mit dem Rat ab, die, so scheint es, Schwaneneier von einer Gans ausbrüten ließ: „Acht Pfennig für die Gans, die beim Schwane saß.“243 Die Schwäne brüteten gewöhnlich an einem bestimmten Ort in der Nähe des Okerdammes: das „Schwanennest“ heißt er im 17. Jahrhundert. Eine große Zahl von Gelegen wird man dort kaum vermuten können; zwar staute der Damm das anfließende Wasser, kaum aber in der Weise, dass sich weite Wasserflächen bilden konnten, weswegen die Ansiedlung von Schwänen, obwohl vom Rat so nachhaltig befördert, nur an wenigen Orten möglich war. Bessere Bedingungen für eine größere Schwanenpopulation boten sich andernorts, und der Braunschweiger Rat sah sich z. B. 1569 veranlasst, Schwäne aus Hamburg zu importieren, um den eigenen Bestand zu ergänzen. Das Schreiben, mit dem die Braunschweiger sich für ein Schwanenpaar aus Hamburg bedankten, gilt als erste sichere Nachricht von der Schwanenhaltung der Stadt Hamburg.244 Hamburg und das Revier der Alster mit den Schwänen, die sich darauf wiegen, verschmolzen später zu einer assoziativen Einheit: zu einem literarischen Topos. Nach der Themse und der Havel erweckt vor allem die Alster die Vorstellung von Schwanenkörpern, die sich auf blauem Wasser drängen. Die Voraussetzung dafür bildeten aber – wie in Braunschweig – Wasserbaumaßnahmen, die einen eher schmalen Wasserlauf zum See aufstauten.245 Sichere Zeugnisse über mittelalterliche Verhältnisse fehlen wie bemerkt; das hat seinen Grund darin, dass 1842 mit der Stadt Hamburg auch wesentliche Teile ihres Stadtarchivs abbrannten. Dass Schwäne aber in Hamburg gut bekannt waren, zeigt der frühere Hauptaltar der Hamburger St. Petri-Kirche: Meister Bertram stellte gegen 1380 neben Elster, Buntspecht, Pfau und Hahn einen naturnah abgebildeten Höckerschwan dar, um dem Betrachter die Geschöpfe des 5. Tages zu veranschaulichen. Was wir aus Schriftquellen wissen: Bei den Ratsconvivien Ende Februar diente gewöhnlich ein Hauptschwan mit ausgebreiteten, zuweilen vergoldeten Flügeln entweder als Tafelaufsatz und Schaugericht oder als Prunkdeckel für ei-

243 Karl Wilhelm Sack: Schwäne und Schwaneninsel. In: Braunschweigisches Magazin 29 (1863), S. 308-309. 244 Staatsarchiv Hamburg Cl VII Lit. Fd. Nr. 5 Vol 11d: Archivalienbericht betreffend die Schwäne auf der Alster, deren Beaufsichtigung, Erhaltung und Veraußerung abseiten des Staates, vom 31. August 1868; Harald Nieß: Hamburgs Alsterschwäne. Hamburg 1997, S. 14. 245 Nieß, S. 9.

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ne darunter verborgene Pastetenfüllung. Aus den ältesten erhaltenen Rechnungen der Convivien, jenen von 1611 und 1612, geht hervor, dass ein benannter Fischer Geld für Pulver und Blei erhielt, um etliche Schwäne für der Herren PetriMahlzeit zu schießen. Noch hundert Jahre danach, als solche Schauessen an den großen europäischen Höfen schon abgekommen waren, scheint dieser Ausgabeposten in den Rechnungen auf.246 Die besondere Bedeutung, die man in Hamburg den Schwänen zumaß, verlangte nach Schutzbestimmungen. Der erste Passus des Alstermandats von 1664 verordnet, dass niemand die Schwäne auf der Alster beleidigen dürfe.247 Die Alsterschwäne werden unter die zahmen, nicht unter die wilden, nach Jagdrecht zu behandelnden Vögel gerechnet; und weil, so heißt es weiter, das Halten von Schwänen auf offenen, freien Wassern häufig als Regal betrachtet werde, sei, wer sich an diesen vergreife, als Gewalttäter gegen die Obrigkeit zu strafen. Dieses ist die einzige öffentliche Verlautbarung, die in Deutschland Schwanenhaltung zum Regal erklärt, begründet in der Situation, dass eine freie Stadt wie Hamburg nach 1648 Staatsrechte beanspruchen konnte. So sei festgehalten: Ein Schwanenregal existierte in England, Holland und Hamburg. Das genannte Alstermandat wurde den Bewohnern der Hansestadt durch Kanzelabkündigung bekannt gemacht. Trotz solcher Mahnungen gelang es der Obrigkeit nicht, die Jungen, die das Ufer nach Eiern absuchten, ganz abzuschrecken. Eine Untersuchung, die der Senat im April 1674 veranlasst hatte, ergab, dass zu dieser Zeit nur zwei junge Schwäne ausgeschlüpft waren. Die Kämmerei wurde deshalb ersucht, einen Aufseher anzustellen, um dem Mandat wirkungsvoll Nachdruck zu verleihen. Durch Schutzmaßnahmen dieser Art und die regelmäßige Fütterung und Pflege, für die der fürs Mühlenwesen zuständige Senator, der Mühlenherr, die Verantwortung trug, bewegte sich die Zahl der Hamburger Schwäne im 18. Jahrhundert zwischen 100 und 150 Exemplaren. Während der Franzosenzeit, besonders nachdem Davout die Stadt 1813 wieder eingenommen und ihr Umland verwüstet hatte, brach die Schwanenpopulation zusammen. Kriegseinwirkungen, ein ungehindertes Einfangen und Eiersammeln, schließlich das Ende der Fütterung und Pflege vernichteten den Bestand gänzlich; dieser wie spätere Kriege, zuletzt der Zweite Weltkrieg, erwiesen, wie sehr es vom Menschen abhing, das künstlich geschaffene Alsterbassin mit Schwänen zu bevölkern.

246 Archivalienbericht. 247 Mandatensammlung, Bd. 1, S. 213.

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Da die Vögel Teil des Stadtbildes geworden waren, bemühte sich die Regierung bald darum, Ersatz zu schaffen. Im Jahre 1817 kaufte die Kämmerei in Holland elf Schwanenpaare, die einschließlich des Transports 1074 Mark, acht Schilling kosteten; diese Tiere wurden auf der Alster ausgesetzt, und die Polizeibehörde bedrohte – mit Bezug auf die alten Mandate – jede Störung der Schwäne mit harten Strafen. Der Mühlenherr ließ (wie sicher schon vor dem Krieg) des Winters Hafer austeilen, und dass man den Vögeln die Schwingen lähmte, berichtet im Zuge einer dichterischen Projektion Heinrich Heine: „Das Bassin der Alster“, so teilt er mit, „war zugefroren, nur nahe am Ufer war ein großes, breites Viereck in der Eisdecke ausgehauen … Ach! Die schönen weißen Schwäne, man hatte ihnen die Flügel gebrochen, damit sie im Herbst nicht auswandern konnten nach dem warmen Süden …“248 Die Zahl der Schwäne stieg bald an, und Mitte des Jahrhunderts konnten wieder Exemplare abgegeben werden, so z. B. 1860 ein Paar an Dr. Cordes für seine Anlagen in Travemünde, ein Paar an die fürstlich schwarzenbergische Sekundogenitur in Worlik (Böhmen), sechs Paare an die Stadt New York für einen neu eingerichteten Park. Zu Ende des 19. Jahrhunderts bevölkerten bis zu 400 Schwanenvögel die Alster, eine so große Zahl, dass eine Zufütterung auch im Sommer nötig wurde. Die Stadt ließ zu diesem Zweck ein Futterhäuschen als Palast im Miniaturformat entwerfen, der 1904 auf der Binnenalster verankert wurde.249 Der Zweite Weltkrieg und der folgende harte Winter des Jahres 1946 dezimierten die Schwäne wieder vollständig. 1949 bemühte sich die Senatsverwaltung darum, neue Schwäne zu erwerben und beauftragte die in Hamburg ansässige Firma Carl Hagenbeck, die Vögel in der gewünschten Anzahl aus Holland importierte. Wie seit Jahrhunderten so zieren also auch heute Schwäne die Alster. Und jedes Jahr, wenn die Alsterschwäne im November eingefangen und in ihr Winterquartier, den Eppendorfer Mühlenteich, geschafft werden, oder wenn der Schwanenvater sie im Frühjahr wieder auf die Alster entlässt, gelangen Bilder und Berichte davon in die Medien. Den alte Charakter als Hoheitszeichen lässt zuweilen der Bezug auf eine Prophezeiung ungewissen Alters durchschimmern: Solange Schwäne auf der Alster schwimmen, bleibe Hamburg freie Hansestadt. Zur Ergänzung der Geschichte der Alsterschwäne sei ein Blick in die Hamburg benachbarte Stadt Buxtehude geworfen. Auch Buxtehude kann auf eine

248 Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski (1834): Heines Werke in fünf Bänden. Zweiter Band. Berlin 1978, S. 297f. 249 Nieß, S. 13.

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längere Tradition der Schwanenhaltung verweisen und besitzt Hamburg gegenüber den Vorzug, ein wohlbewahrtes Stadtarchiv zu besitzen, so dass hier manche Details, die für Hamburg eher zu interpolieren wären, genauer zu erkennen sind. Die Stadt Buxtehude wurde Ende des 13. Jahrhunderts als erzbischöflichbremische Festung zwischen Geest und Marsch im Moor gegründet. Holländische Wasserbauer, die der Bremer Erzbischof zu der Zeit beschäftigte, führten die Este, einen Nebenfluss der Elbe, in zwei Armen um den Ort herum und schufen, durch ein Sperrtor gesichert, ein tideabhängiges Rückstaubecken, das Fleth, das als erster rational geplanter Hafen dieser Gegenden gilt. Nach holländisch(romanischem) Sprachgebrauch heißen die den Ort umfassenden Flussarme bis heute „Viver“.250 Diese Viver, durch einen Mühlendamm oberhalb der Stadt breit aufgestaut, boten dem Wassergeflügel bessere Lebensbedingungen als die meisten anderen Stadtgraben, die enger waren und häufig austrockneten. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts zählten die städtischen Schwäne zu Buxtehudes gerühmten Besitztümern. Die älteste Ansicht der Stadt, von 1674, zeigt acht Schwäne, die auf dem Ostviver schwimmen.251 Ein Geschichtsschreiber bedichtete 1706 die Viver als „höchst angenehme Orte für lydische Schwäne“;252 „lydisch“ nannte er sie, um von seinen Versen die Brücke zur klassischen Dichtung, zu Vergil, zu schlagen. Über die Anfänge der Buxtehuder Schwanenzucht ist nicht sicheres bekannt. Der zu Beginn des 19. Jahrhunderts tradierten Behauptung, die Unterhaltung der Schwäne geschehe aus dem Vermächtnis einer alten Matrone, fehlt jede Grundlage.253 Für Hamburg gibt es eine ähnliche Legende, die der Erzähler mit einem „wenn ich nicht irre“ relativiert und die vielleicht als eine nachträgliche Motivierung des alten Brauchs der Schwanenhaltung zu interpretieren wäre.254

250 Vgl. Margarete Schindler: Blick in Buxtehudes Vergangenheit. Geschichte der Stadt. 2. Aufl. Buxtehude 1993, S. 69f. 251 Vgl. Gerhard Großkopf, Dieter Klaehn: Die Vogelwelt des Landkreises Stade. Seetaucher (Gaviiformes) bis Spechte (Piciformes). Stade 1983, S. 134. 252 Luneberg Mushard: Chronicon Buxtehudense: Stadtarchiv Buxtehude; NLA Stade Ms. K 460, Bd. 1, S. IIIa. 253 U. F. C. Manecke: Topographisch-Historische Beschreibung der Städte, Aemter und Gerichte in dem Herzogthum Bremen und Fürstenthum Verden: NLA Stade Ms. K 704, S. 20. 254 Theodor von Kobbe, Wilhelm Cornelius: Nordsee und Ostsee. ND München o. J. (Das malerische und romantische Deutschland), S. 106.

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Wie stellt sich die Schwanenhaltung nun in der archivischen Überlieferung dar? In der Reihe der Kämmereiregister werden erstmals 1633/34 Ausgaben „vor die swanen“ verbucht: vier Himten Hafer.255 Seit 1635 notierte der Stadtschreiber Jahr für Jahr acht Schilling „fur auffsicht der schwanen“.256 Der Band für das Jahr 1700 lässt erkennen, dass diese Aufgabe dem Wächter am Buxtehuder Geesttor oblag; er enthält ferner den Eintrag: „Ernst Moor, wie er einen Schwan vom Krantz hereingebracht, Biergeld geben 2 Schilling“257; der Schwan kam also vom Fährhafen Crantz an der Elbe und war für Buxtehude bestimmt. 1749/50 heißt es, der Geesttorwächter habe „von Hinrich Hofsteden Witwe den Habern für die Schwäne geholet“ und dafür sechs Mark, zwölf Schilling bezahlt.258 Eine eingehende Dienstanweisung erhielt der seinerzeitige Tor- und Schwanwärter Bartolt Heinsen im Jahre 1755: Er solle dahin sehen, dass die Schwäne, die nisten wollten, taugliche Nester bekämen, nicht zu klein und etwas erhoben, gegen Nord- und Ostwind hinreichend mit Stroh geschützt. Er solle den Schwänen zur Nistzeit nicht die Federn ausziehen oder dieses anderen gestatten. Er solle in der Brutzeit bei Tag und Nacht auf die Jungen achten. Er solle die jungen Schwäne am dritten Tag nach dem Ausschlüpfen mit der vorhandenen Schere lähmen.

255 Stadtarchiv Buxtehude RB F. 1 Nr. 176. Über den Anlass, in Buxtehude eine Schwanenhaltung zu beginnen, kann man nur spekulieren. Mushard (wie Anm. 252, S. 313, 320) vermerkt für den 11. Oktober 1634 eine hohe Flut, so dass vielleicht Schwäne von der Este die regulierten städtischen Gewässer aufgesucht haben. Es liegt auch nahe, an eine Einflussnahme des damaligen Stadtsyndikus Christoph Schwanmann zu denken, der zahlreiche Dichtungen veröffentlichte, in denen er sich selbst, auf seinen Namen wie seine poetischen Gaben anspielend, „Buxtehudischer Schwaan“, „Este-Schwaan“, „Cygnus“, „Cygnander“ usw. nannte, z. B. in seinen Epigrammata cygneo-sacra, Latino Germanica: Christliche Schwanen Gesänge/ Lateinisch vnd Teutsch … (Hamburg 1627) oder seinen Melodesia … (Arnstadt 1648). Zu Schwanmann zuletzt: Bernd Utermöhlen in: Lebensläufe zwischen Elbe und Weser. Ein biographisches Lexikon. Band 1. Hrsg. von Brage Bei der Wieden, Jan Lokers. Stade 2002, S. 299-302. 256 Stadtarchiv Buxtehude RB F. 1 Nr. 177. 257 Stadtarchiv Buxtehude RB F. 1 Nr. 225. 258 Stadtarchiv Buxtehude RB F. 1 Nr. 278.

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Falle es ihm allein zu schwer, die Nester zu beobachten, so sollen ihn die Torwächter vom Marsch- und Moortor unterstützen und festgelegte Strecken überwachen. Sobald die Torwächter Beschädigungen an den Nestern feststellen, sollen sie nach den Tätern forschen und diese dem ältesten Bürgermeister anzeigen. Der Schwanwärter soll zweimal jährlich – Ostern und Michaelis – die Schwäne zählen und das Ergebnis melden. Er soll die ausfallenden Spulen gegen Quittung dem Kopisten aushändigen. Er soll, wenn ein Schwan sterbe, diesen sofort dem ältesten Bürgermeister überbringen. Die Torwächter und Träger sollen darauf achten, dass niemand sich unterstehe, mit einem Schießgewehr oder Hunden den Nestern nahe zu kommen. Die sehr kundigen und genau gefassten Regelungen zeigen, welchen Wert die Stadt Buxtehude ihren Schwänen, deren Nestern, Federn und Kadavern beimaß.

Nachdem 1865 das Buxtehuder Geesttor abgebrochen worden war, wurde der Torwächter, der bisher Sorge für die Schwäne getragen hatte, entbehrlich; diese Aufgabe fiel an das städtische Bauamt. Die Vögel, gewöhnlich ungefähr zehn, erhielten regelmäßig ihren Hafer, nur im Inflationsjahr 1923 fütterte man, um die Kosten des Hafers zu sparen, altes Brot.259 Nicht anders als in Hamburg ließ der Rat ein fantasievoll gestaltetes Futterhaus errichten, um die Fütterung als Schauspiel zu zelebrieren und die Schwäne im Bereich der Innenstadt zu halten, wo sie gut zu beobachten waren. Eine 1907 abgestempelte Ansichtskarte zeigt dieses Futterhaus; 1926 musste es renoviert werden.260 Der jetzige Schwanenhaus, nach alten Plänen gefertigt, stiftete der lokale Rotary Club. Es hat aber seine Funktion weitgehend verloren, weil die Schwäne nach Neugestaltung der Viver ihre Wohnplätze lieber außerhalb der Stadt suchen. Zum Schutz der Schwäne ließ der Rat Mandate ergehen. Schon das erste, das überliefert ist, von 1704, verweist auf „in vorigen Zeiten mehrmalen“ eingeschärfte Interdikte. Dieses erneuerte Vorbot hat – im Auftrag des Rates – der Stadtsekretär unterschrieben, mit einem Papiersiegel beglaubigt und, wovon die Löcher im Papier zeugen, an einem öffentlichen Ort ausgehängt. 1729 schlug der Obergerichtsdiener ein entsprechendes Mandat am 18. Mai an und nahm es am 19. Juni wieder ab. Die Daten des Aushangs geben über die Brutzeiten Auskunft: 1704 Mai 27, 1729 Mai 18, 1740 März 10, 1770 Mai 8, 1772 April 27, 1841 Mai 3.

259 Stadtarchiv Buxtehude StV XXX, 85. 260 Ansichtskarte im Stadtarchiv; vgl. ferner Martin Jank: Das Viver-Schwanenhaus. Die zehn Schwanengebote. In: Allg. Haushaltungskalender 145 (1993), S. 79-83.

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1704 verlautbart, den Verordnungen sei von „boßhafften undt gottlosen leutten gantz frevelmüthig“ zuwider gehandelt worden. Man habe neulich verschiedene Schwäne tot aufgefunden, „welche von leichtfertigen und muhtwilligen Buben erschlagen und erstochen“ worden seien, die auch die Nester zerstörten. Die Täter sollen, wie früher geschehen, mit peinlicher Strafe belegt werden. Wer sachdienliche Hinweise geben könne, um diese Tat aufzuklären, solle zehn Reichstaler Belohnung erhalten und sein Name verschwiegen bleiben; wer aber die Täter decke werde gleich diesen abgestraft werden. Eine Verordnung von 1729 führte genauer aus: Als Strafe sei eine schwere Geldbuße zu erlegen.Wer sie nicht zahlen könne, müsse bei Wasser und Brot ins Gefängnis und werde an den Strafpfahl angeschlossen. Später galt das besondere Augenmerk den Hunden, namentliche denen der Außenbürger, die angebundene Knüppel mitschleifen sollten, um keinen Schaden stiften zu können. 1740 wird verboten, in der Nähe der Gärten, Grasstücke und Wiesen, auf denen Schwäne nisten, Schusswaffen zu tragen. Bestimmungen des Jahres 1772 wollen den Eierdiebstahl und das Ausreißen der Federn („Posen“) geahndet wissen; die Buße für einen totgeschlagenen Schwan soll zehn Reichstaler betragen oder aber der Täter – „dem Befinden nach“ – mit vierwöchigem Gefängnis bei Wasser und Brot gestraft werden. Für die Anzeige eines Täters zahle die Stadtkasse zwei Pistoletten aus. Ein letztes Mandat dieser Art datiert von 1841.261 Danach wandelte sich die Strafe für das Schwanentöten von der Züchtigung zum Schadensersatz: Als 1926 der Schäferhund des bekannten Kaufmannes Ernst Stackmann einem Schwan den Flügel zeriss, musste Stackmann 20 Mark bezahlen, was etwa dem Wert des Schwans entsprach.262 Im Winter 1788 auf 1789 fror es so stark, dass die Stadt Buxtehude ihre Schwäne nach außerhalb gab, um sie an geeigneten Orten überwintern zu lassen. Zwei Schwäne nahm der Papiermüller in Appelbeck, wo der Mühlenteich weitgehend frei von Eis geblieben war. Bald danach musste dieser jedoch nach Buxtehude berichten, die Schwäne seien erschossen worden; der Amtmann in Moisburg, für Appelbeck zuständig, habe deswegen eine Untersuchung eingeleitet. Der Rat wandte sich darauf an den Amtmann und bat um Rechtshilfe: Der Täter solle, wie von der Stadt in öffentlichen Mandaten verordnet, zu einer Strafe von zehn Talern für jeden getöteten Schwan verurteilt werden. Der Amtmann aber replizierte kühl und ablehnend: Man halte sich amtsseitig nicht ermächtig, eine solche Strafe anzusetzen, da ein Ratsgebot der Stadt Buxtehude die Moisburger Amtsuntertanen nicht binde.

261 Stadtarchiv Buxtehude StV IX 15. 262 Stadtarchiv Buxtehude StV XXX, 85.

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Die Untersuchung des Amtes ergab Folgendes: Ein Kötner aus dem benachbarten Dorf Emmen, Mencke Tödter, 36 Jahre alt, wohnhaft bei seinem Vater, hatte sich nach dem Kirchgang am Neujahrstag mit dem Häusling Christian Hoppe zur Schwanenjagd verabredet. Wer diesen Gedanken zuerst gefasst hatte, blieb strittig. Tödter beschuldigte Hoppe. Hoppe erklärte, Tödters Vater habe gesagt, es wäre was zu schießen. Es hätten sich Schwäne auf seinem Kamp niedergelassen, ihm fehle nur das Pulver, sie zu erlegen. Sie wären danach mit einer Flinte losgezogen. Am ersten Bach, den sie kreuzten, fanden sie kein Wild; sie gingen daher auf den Fluss zu, die Este. Dort trafen sie tatsächlich Schwäne an, griffen sie mit den Händen, schlugen sie tot und schleppten sie in Tödters Scheune. Sie erklärten, nicht gewusst zu haben, dass es sich um zahme Schwäne handelte. Hoppe hatte geglaubt, „solches würde so groß nicht geachtet werden, da es nur ein wilder Vogel wäre.“263 Tödter und Hoppe wurden dazu verurteilt, vier Stunden am Halseisen zu stehen. Aber wofür wurden sie verurteilt? Nicht, weil sie ein Gebot der Stadt Buxtehude übertreten hatten. Auch nicht, weil sie Schwäne gejagt hatten. Denn im Fürstentum Lüneburg fehlte es an Rechtsvorschriften, die sich eigens auf Schwäne bezogen. Das verdient hervorgehoben zu werden, weil in anderen Provinzen des Kurstaates Braunschweig-Lüneburg solche Bestimmungen durchaus existierten. In dieser Hinsicht hatten die Appelbecker Schwanenjäger ausgesprochen Glück. Ihr Vergehen bestand darin, abseits der öffentlichen Wege mit einem Gewehr angetroffen worden zu sein.264 Die Schwäne litten nicht allein, sie verursachten auch Schaden. Sie fielen auf Haferland ein und fraßen Weichgetreide, wo sich die Möglichkeit bot. Die Stadtkasse kam gewöhnlich, wenn die Forderungen berechtigt waren, für den Schaden auf. Zu Mitte des 19. Jahrhunderts summierten sich Ausgaben dieser Art auf durchschnittlich einen Taler im Jahr; einmal zerstörte zudem ein aufgebrachter Schwan ein Fenster. Wie der Hamburger Senat so nutzte auch das Ratskollegium in Buxtehude den Schwanenbestand, um Repräsentationsgeschenke zu machen und Handel zu treiben. Die Stadt beschenkte die zoologischen Gärten in Hamburg und Hannover und verkaufte z. B. 1874 einen Schwan an Ole Bull, den Paganini seiner Zeit. Im November 1929 fragte ein Gutsbesitzer aus dem benachbarten Horneburg an, ob es möglich sei, einen Schwan zu erwerben; auf äußere Schönheit komme es ihm nicht an, er suche, um seine Gäste festlich zu bewirten, einen

263 Stadtarchiv Buxtehude StV XXX, 13. 264 Chur-Braunschweig-Lüneburgische Landes-Ordnungen [Zellischen Theils] Caput Octavum … Lüneburg 1744, S. 173.

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„Schlachtschwan“. Diesem Ersuchen konnte jedoch nicht stattgegeben werden, da nach Auskunft des Schleusenwärters nicht mehr als acht Schwäne vorhanden waren. Soweit der Blick in die Vergangenheit der Buxtehuder Schwanenhaltung, der Aufschluss über die näheren Umstände einer städtischen Schwanenzucht in der Frühen Neuzeit verschaffen konnte. Die Stadt Buxtehude zeichnet sich vor anderen durch eine günstige Quellenlage aus und die Tatsache, dass hier die Traditionen erst im 20. Jahrhundert abrissen: der ältere Zustand der Schwanenhaltung auf Stadtgräben also bis in die Gegenwart konserviert blieb. Gleichwohl bietet Buxtehude nur ein Beispiel. Die meisten der größeren Städte in Küstennähe hielten Schwäne. Für Bremen wird bereits zum Jahre 1305 ein Schwanengatt: ein Teich am Ansgaritor erwähnt.265 Einen Johann Swanenmester nennt die Stralsunder Überlieferung zum Jahr 1342.266 Der Rat der Stadt Lübeck konnte 1502 einen Schwan, die Brust ausstaffiert mit dem kaiserlichen Wappen, auftischen,267 und wird den Braten sicherlich nicht aus der Ferne importiert haben. Die Stadt Stralsund erließ 1578 eine erste Verordnung zum Schutz der Schwäne; die dort unterhaltene Population dürfte nach ihrer Größe dem Hamburger Bestand entsprochen haben.268 Wismar ließ sich 1579 die Schwäne auf den Gewässern der Umgebung reservieren.269 Die Schwäne auf der Warnow beanspruchte die Stadt Rostock; der Rat verfügte 1606 eine Schonzeit und ließ jedes Jahr das Verbot, Wasserwild zu schießen, in Warnemünde verlesen.270 Auf dem mecklenburgischen Landtag 1621 musste sich der Herzog zu der Erklärung verstehen, dass er keineswegs ein

265 Franz Buchenau: Die freie Hansestadt Bremen und ihr Gebiet. Bremen 1900, S. 84, 100. 266 Hans Bahlow: Die Stralsunder Bürgernamen um 1300. Stettin 1934, S. 44. 267 Anton Hagedorn: Ein Gastmahl des Rathes von Lübeck im Jahre 1502. In: Zeitschrift des Vereines für Lübeckische Geschichte 4 (1881), S. 112-118. 268 Christoph Langner: Die Stralsunder Schwanenzucht. In: Enno und Hinrich Bernzen (Hrsg.): Mein Mecklenburg, mein Vorpommern. Erlebnisse – Erfahrungen – Emotionen. Ein Lesebuch. Wolfsheim 1998, S. 149-153. 269 Friedrich Techen: Die Rechte der Stadt Wismar an Bucht und Hafen. In: Mecklenburgische Jahrbücher 93 (1929), S. 267-282, hier S. 276. 270 K. Koppmann: Mandate und Verträge in Betreff der Jagd von 1554-1680. In: Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock 2 (1899), S. 49-60, hier S. 58.

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Recht der Schwanenjagd auf der Warnow behaupten wolle, sondern nur eine Belustigung „in transitu“ gesucht habe.271 Der Magistrat der Stadt Kiel wandte sich 1670 an ihren Herzog und teilte mit, es seien von der Stadt einige Schwäne Fremden und Einheimischen zur Ergötzung und um einen Teich, den kleinen Kiel, stetig zu säubern, „eine Zeitlang“ gehalten worden. Der Bestand sei jedoch durch die Zerstörung von Nestern und anderen Mutwillen gefährden; sie bitten den Landesherrn, ein Verbot zu erlassen, das vor allem Angehörige der Universität zügeln solle.272 Wahrscheinlich konnte auch die Stadt Anklam über Schwäne verfügen. Jedenfalls gibt es die Anekdote, dass der Herzog von Pommern zwei Schwäne von der Stadt forderte, diese das Ansinnen aber missverstand und zwei Schweine sandte, weshalb die Anklamer den Spottnamen „Swinetrecker“ erhielten.273 Eine besondere Bedeutung besaß im 16. Jahrhundert die Schwanenzucht der Stadt Erfurt. In der Niederung der Gera ließ sich Wassergeflügel aller Art nieder, auf das die Erfurter ihre Aufmerksamkeit richteten. Im dortigen Dom ist eine großflächige, auf 1499 datierte Wandmalerei zu sehen, die den heiligen Christophorus zeigt, wie er das Christuskind durch einen Sumpf voller Ungeheuer trägt. Auf der Wasseroberfläche schwimmen als Zeichen der Unschuld und der Auferstehung zwei realistisch gezeichnete Höckerschwäne. Erfurt lieferte Schwäne an zahlreiche Fürsten und Städte.274 Als es z. B. dem Rat der Stadt Zwickau 1603 an Schwänen mangelte, wandte er sich hilfesuchend nach Erfurt: Dort seien bekanntlich Schwäne „die Menge zu bekommen“; er wünsche wenigstens ein Paar zu kaufen.275 Der Erfurter Rat bestallte einen eigenen Schwanenwärter, der sich um die Vögel und ihre Vermehrung zu kümmern hatte. Ende des 17. Jahrhunderts scheint das Interesse an der Schwanenpflege indes nachgelassen zu haben. Eine Chronik hält fest: „Den 24. May 1660 ist der letzte Schwan zu Erfurt auf der Gehren gestorben und also die Stadt entschwahnet und ihrer Zierde beraubet

271 Joachim Heinrich Spalding: Mecklenburgische öffentliche Landes-Verhandlungen … [Bd. 1]. Rostock 1792, S. 540, 552. 272 Landesarchiv Schleswig-Holstein Abt. 7 Nr. 5804 (freundlich mitgeteilt von Dr. Malte Bischoff, Schleswig). 273 Baltische Studien 3 (1835, 1), S. 236 (D. Zober). 274 G. Landau: Beiträge zur Geschichte der Jagd und der Falknerei in beiden Hessen. Kassel 1849, S. 297. 275 Cassel: Schwan, S. XXVIII.

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worden.“276 Spätere Bemühungen, wilde Schwäne einzufangen, sie zu lähmen und auf der Gera auszusetzen, scheiterten. Schließlich darf unter den deutschen Schwanenstädten Zwickau nicht unerwähnt bleiben, weil hier nicht landschaftliche Voraussetzungen, sondern humanistische Interessen die Haltung dieses Repräsentationsgeflügels bewirkten. Die Stadt Zwickau führte drei Schwäne im Wappen, zuerst 1430 als Beizeichen, seit 1566 auf dem Schild. 1473 soll der Rat von Kaiser Friedrich III. mit dem Recht begnadet worden sein, in rotem Wachs zu siegeln und um das Wappen den Vers zu legen: Haec est Cygneae candida et alma fides: Dies ist Zwickaus blendend reine und ehrwürdige Treue.277 Ein ideologisches Konzept knüpfte an diese etymologische Ausdeutung erst der Humanist Erasmus Stüler (Stella). Er hatte in Bologna bei Giovanno Garzo studierte, der selbst zur sächsischen Geschichte veröffentlichte, so dass die geistigen Leistungen von Lehrer und Schüler zusammenfließen. Nach Georg Agricolas Zeugnis verdankt Zwickau den Namen „Schwanenstadt“ jedoch allein Stella. Ganz sicher beförderte dieser den Schwanenkult entscheidend: 1512-1516 versah er das Bürgermeisteramt und ließ zu dieser Zeit das Rathaus renovieren, das er mit folgendem Vers schmückte: „Schwanhildis geherrscht an diesem Ort, Nach ihr Schwanfeld genennet ward“278

Die Beziehung zwischen der Seherin Schwanhildis, der Landschaft Schwanenfeld und der Stadt Zwickaus erklärte eine Bleiplatte, die kurz vor 1515 ein Bauer angeblich entdeckt hatte, als er sich bemühte, einen Baumstumpf auszuroden. Darauf fand sich in Großbuchstaben Ermahnungen der Schwanhildis: „Svvanhildis Cygnei Herculis Graii ultimae sobolis filia ex Ulba matre genita“ usw.279: „Swanhildis, Tochter des Cygneus, des Schwanengleichen, letzte Nachkommin des griechischen Herkules, geboren von ihrer Mutter Ulba“.

276 Paulus Cassel: Erfurter Bilder und Bräuche. Ein akademisches Programm. Erfurt 1859, S. 64 (Anm. 206). 277 M. Z.: Topographia Superioris Saxoniae Thüringiae/ Misniae Lusatiae etc. … Frankfurt/M. 1650, S. 207; Curt Vogel: Vom Wandel des Stadtwappens. In: Zwickauer Kulturbilder aus 8 Jahrhunderten. Zwickau 1939, S. 43-47. 278 Zedler. Bd. 64, Sp. 1462. 279 Pauli Langhii … Chronicon Citizense … ad annum MDXV. In: Rerum Germanicarum Scriptores … collectore Joanne Pistorio … Editione tertia … curante Burcardo Gotthelff. Stuvio. Band 3. Regensburg 1726, S. 1165.

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Die Assoziationen des folgenden wortreichen Textes berühren Swanahilde, eine bairische Prinzessin, die Ehefrau Karl Martells280 – ihr Sohn Grifo scheint in verfremdeter Weise auf – und die verschiedenen antiken Sagen, die Verwandlungen in Schwäne zum Thema haben oder sich nur an den Namen Cycnus (Schwan) knüpfen. Ein Sohn des Kriegsgottes trug diesen Namen; Herkules tötete ihn, so dass sich die Verbindung zwischen beiden ganz anders darstellt, als die zitierte Intitulatio glauben machen möchte. Sicher hat darüber hinaus die Bezeichnung „Schwanenfeld“ Stülers Gedanken angeregt. Selbst das Sternbild Schwan (Cycnus, Cygneus), der Sage nach ein ligurischer Königssohn, der an den Nachthimmel versetzt wurde, verwob er in seine Fantasien. „Im hellen Stern des Cygneus werdet ihr meinen Schatten sehen“, so lässt er Schwanhildis sagen. Man könnte auch übersetzen: „Zwickauer, durch den ausgezeichneten Stella werdet ihr meinen Schatten erkennen“ (Ablativus instrumenti).281 Über weite Strecken reiht der Text rätselhafte und banale Handlungsanweisungen aneinander: „Jagt die Geier weg, die von Schwänen angefeindet werden! Sorgt dafür, dass, was Lehm war, zu Stein werde! Erleuchtet die Nacht mit Feuer! Löscht die brennende Kleidung mit Öl! Verachtet nicht die Tracht der Väter! Übertretet nicht die elterlichen Gesetze! Bewahrt sorgfältig den Glanz meiner Schwäne! Denkt daran, dass Silberquellen Unheil mit sich führen! Verletzt nicht die Mutter mit Kochlöffeln! Dies gebe ich euch, meine Kinder, o Schwäne, weiter, wie ich es von weissagenden Vätern empfangen habe. Glücklich, wer es befolgt!“ Die Versuche, durch wildes Etymologisieren und historiografische Fiktionen Alter und Bedeutung von Orten oder Familien herauszustreichen, blühte auf, als der Frühhumanismus neue Quellen erschloss. Gleichzeitig entwickelte der Humanismus aber auch eine Quellenkritik, die solche Spekulationen unterband. Noch im 16. Jahrhundert wurden Zweifel an Schwanhildis Historizität geäußert. Andere Fiktionen Stellas löste Lessing auf, der den Fabulator einen „vergesslichen Lügner“ nannte: „Denn leider ist es nur zu gewiß, dass Stella nicht allein seine wahren Quellen so wunderseltsam gebraucht, dass es ihm nicht schwer werden konnte, aus allem alles zu machen: sondern dass er, ohne Bedenken und Scham, auch deren mehr als eine gänzlich erdichtet hat.“ Was er, so fährt Les-

280 Vgl. Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte. Band 1. Hrsg. von Reinhold Rau. Darmstadt 1961 (Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 5), S. 10. 281 Stella fulgente umbram meam videbitis Cygnei!

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sing fort, ohne Zweifel in Italien erlernt habe.282 In Zwickau gelang es Stella und seinem Bemühen, dauerhaft einen Schwanenkult zu etablieren. Aus der Kämmereirechnung von 1520/21 ergibt sich, dass „Silberbrenners Knecht zwene Schwannen, die dem Rat geschankt, von Altenburg geführt“ hatte; ein Knabe, „der der Schwannen im Stadtgraben gewartet“, erhielt drei Groschen.283 Wenn am Barbaratag 1521 städtische Büchsenschützen acht Schwäne auf dem großen Teich erlegten, handelte es sich hingegen um Wildschwäne. Die Anfänge der Schwanenhaltung in Zwickau, die sich nachher weit ausdehnte, gehen also in das frühe 16. Jahrhundert zurück. Erasmus Stella führte das Symbol der Schwäne ein, die, positiv besetzt, an eine reiche Tradition der Stadt erinnern sollten. Ob er darauf abzielte, den Gemeinsinn zu stärken, wie es die Absicht heutiger Strategien dieser Art ist, wäre näher zu untersuchen. 1603 schrieb der Rat von Zwickau an den von Erfurt, „dass von undenklichen Jahren her bei dieser Stadt, die von den Schwänen den Namen hat, von unsern lieben Vorfahren und uns bis dato Schwäne gehalten worden. Es sind aber neulicher Weise uns dieselben von deswegen, dass wir deren bisweilen verschicken müssen und dass auch die zum Theil umgekommen, also abgegangen, dass wir denn jetzo nicht mehr denn einen einzigen haben.“284 Ein undatierter Brief an den Kurfürsten von Sachsen, der sich im Konzeptbuch des Rates findet, gehört anscheinend ins Jahr 1605: „Ew. Churfüstlichen Gnaden Befehlich zum unterthänigsten Gehorsam erkannten wir uns schuldig, für Deroselben Hofküche die begehrten Schwanen zu überschicken. Wir sollen aber Ew. Churfüstlichen Gnaden unterthänigst zu berichtigen nicht unterlassen, dass wir deren nicht mehr denn nur noch einen, so ziemlich alt, bei gemeiner Stadt itzo haben; und ob wir nun wohl 2 Jahr her fast bemüht gewesen und nach Erfurt und anderer Orte deshalb geschrieben, so haben wir doch bisher keinen bekommen können, wüssten auch nicht, wo wir sie sonst itziger Zeit erlangen möchten. Sind aber unterthänigst erbötig, den einzigen, so wir noch alhier haben, Ew. Churfüstlichen Gnaden, wofern derselbe in Ew. Churfürstlichen Hofküche zu gebrauchen, zu

282 Gotthold Ephraim Lessings sämtliche Schriften. Hrsg. von Karl Lachmann. Zwölfter Band. Dritte Aufl. Leipzig 1897, S. 154, 152. 283 Reinhold Hofmann: Bilder aus einer sächsischen Stadt im Reformationszeitalter. Aus den Kämmerei-Rechnungen der Stadt Zwickau. In: Neues Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde 25 (1904), S. 31-67, hier S. 51. 284 Cassel, S. XXXVIII.

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schuldigem Gehorsam folgen zu lassen.“285 1650 wird zwar berichtet, auf dem Graben um die Stadt könne man zur Sommerszeit Schwäne erblicken,286 doch musste ein Lexikonartikel 100 Jahre später das Präteritum verwenden: Auf dem Graben seien „vor diesen“ Schwäne gehalten worden.287 Die Tradition der Schwanenhaltung in Zwickau, im 18. Jahrhundert allem Anschein nach abgebrochen, erfuhr unter anderen Auspizien eine Wiederbelebung im 19. Jahrhundert. In die Parkanlagen, die die Stadt seit 1850 gestalten ließ, bezog man auch den Großen Teich ein, der früher schon Wildschwänen als Rastplatz gedient hatte. 1908 zierten 37 weiße und zehn schwarze Schwäne das Gewässer, das nun allgemein „Schwanenteich“ genannt wurde. Wie in vielen anderen Kommunen brach jedoch auch in Zwickau die Population zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein, ein Folge nicht nur des 1. Weltkrieges, sondern auch der starken Umweltverschmutzung. Ein Zeitzeuge analysierte: „Das kommt daher: Im Jahr 1909 wurde eine Nachzucht nicht erzielt, da das Wasser in den Brutmonaten wegen der bereits erwähnten umfassenden Uferbauten vollständig abgelassen werden musste, – sodann war die Nachzucht in den folgenden Jahren infolge ungünstigerer Witterung … sehr gering, – weiter verendeten mehrere Schwäne wegen des durch die nahen Kohlenbergwerksabwässer unbrauchbar gewordenen Teichwassers sowie wegen mangelhafter Fütterung in der Kriegszeit, – endlich verschwanden auch in der Kriegszeit viele Tiere, die, wie sich herausstellte, das Opfer von Leuten geworden waren, die sich infolge des Gänsemangels mit Schwanenbraten zu trösten versuchten.“288 Die Stadt sorgte später dafür, dass der Bestand wieder aufgefrischt wurde. Dass endlich die Zwickauer im Hinblick auf ihre Schwäne die Fähigkeit, Legenden auszuspinnen, auch im Sozialismus nicht verloren haben, beweist der Bericht über eine antifaschistische Aktion, die am 1. Mai 1936 stattgefunden haben soll: „Die Faschisten versuchten, wie schon in den vorhergegangenen Jahren, den Internationalen Kampftag der Arbeiterklasse durch nazistischen Mairummel zu entwürdigen … In Zwickau liegt inmitten der Stadt ein Teich. Als die Arbeiter am Morgen des 1. Mai dort vorüberkamen, schwammen wie jeden Tag einige Schwäne auf dem Wasser. Doch eigen-

285 Geyer: Der Zwickauer Stadtpark mit Schwanenteich und Schwanenschloß. In: Zwickauer Tageblatt, 21.6.1923. (Frdl. Hinweis des Stadtarchivs Zwickau, das auch eine Kopie des Artikels bereitstellte). 286 M. Z.: Topographiae Saxoniae … Frankfurt/M. 1650, S. 207. 287 Zedler, Sp. 1575. 288 Geyer (wie Anm. 285).

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artig – die mussten den Kalender genau kennen. Denn über Nacht war aus ihrem weißen Federkleid ein leuchtend rotes geworden …“289

Die Schwäne können hier Bedeutung tragen, weil ihnen allgemein eine Funktion als Hoheitszeichen, als Symbol der Stadt Zwickau, zugemessen wurde. Eine Namen deutende Tradition, ähnlich wie in Zwickau, gab es für die französische Stadt Valenciennes. Ihr Name wurde als als Schwanental (Val des cygnes) verstanden. Eine kurze, das Stadtwappen erklärende Sage berichtet, Julius Cäsar sei auf seinen Zügen in ein liebliches Tal gelangt, wo ein Bächlein floss, auf dem viele Schwäne sich niedergelassen hatten. Deshalb habe er die Stelle Schwanental, französisch Val des cygnes oder Valenciennes genannt.290 Die Stadt führe noch heute einen Schwan im Schilde. Dies mag der Keim einer längeren Erzählung gewesen sein, die der Geschichtsschreiber und Poet Jehan Lemaire (1473-1524)291 aus Bavay, nahe Valenciennes, in seinen häufig aufgelegten „Illustrations de Gaule“ mitteilt: Ein Sohn des Königs von Tongern, Charles Inach, hatte wegen einer Gewalttat nach Rom fliehen müssen. Dort gewann er eine Halbschwester Cäsars, Germaine, für sich und überredete diese, heimlich als seine Gemahlin nach Tongern zu ziehen. Auf ihrer Reise gelangten sie in ein Tal, das ein von Schwänen bedeckter Fluss durcheilte. Ein Begleiter griff zum Bogen und wollte einen der Vögel erlegen, der aber rettete sich in Germaines Schoß. Erfreut über das Omen, weil der Schwan der Vogel der Venus war, ihrer Ahnherrin von Aeneas her, fragte sie ihren Gemahl, wie dieser Vogel in der Landessprache heiße. Er antwortete: „Swane“ (en langue thioise). „So will

289 Rotes Lachen. Nach Klaus Tippmann: Historische Stätten Zwickaus (X.): Der große Teich, der Schwanenteich. In: Pulsschlag 7 (1977), S. 11-15, hier S. 13 (Hinweis und Kopien aus dem Stadtarchiv Zwickau). 290 Johann Wilhelm Wolf: Niederländische Sagen. Leipzig 1843, S. 165 (Nr. 109) nach Marc van Vaernewyck: De Historie van Belgis of kronige der nederlandsche oudheyd, fol. 72 (welche Ausgabe?). Die Erstausgabe erschien unter dem Titel Den Spieghel der nederlandschen audheyt 1568 in Gent: F. Jos. van den Branden, J. G. Frederiks: Biographisch woordenboek der Noord- en Zuidnederlandsche letterkunde. Amsterdam [1888-1891], S. 799-800. 291 Er stand in Diensten erst der Statthalterin Margarete von Österreich, danach der Königinwitwe Anna von Frankreich und suchte darzutun, dass Deutsche wie Franzosen aus Troja stammten, die französischen Könige im Besonderen sich auf Francus, einen Sohn Hektors, zurückführen könnten. Biographie universelle, ancienne et moderne ... Tome Vingt-quatrième. Paris 1819, S. 33-36; Biographie national ... de Belgique. Tome onzième. Brüssel 1890, Sp. 769-778.

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ich zukünftig denselben Namen führen und nicht mehr Germaine heißen“, sagte sie, denn sie fürchtete Verfolger aus Rom und wollte ihre wahre Identität verbergen. Der Ort der geschilderten Begebenheit aber wurde wegen der Menge der Schwäne Val des cignes: Valenciennes genannt.292 Im 18. Jahrhundert erfuhr der Stadtname eine rationalistischere Deutung – nach Zedler: „Weil die Stadt aus einem Schlosse, in dessen Graben viele Schwäne sich aufgehalten, zu einer so grossen Stadt hernachmahls erwachsen...“293 Immerhin heißt es zum Jahr 1600, in Valenciennes gebe es Schwäne in überreicher Zahl,294 doch fehlt es an näheren Nachrichten über Zucht und Haltung. Schließlich ist an die Schwäne der Stadt Brügge zu erinnern, von denen oben schon die Rede war. Über diese gibt es verschiedene Sagen. Die bekannteste steht freilich in einem Spannungsverhältnis zur mitgeteilten Anekdote, nach welcher die Brügger Stadtschwäne 1488 die Befreiung Maximilians aus seiner Haft vereitelten (s. S. 71). Einem Vertrauter Maximilians, Pieter Lanchals (Langhals), soll, als er zum Ritter geschlagen wurde, wegen der langen Schwanenhälse ein Schwan als redendes Wappen verliehen worden sein. Im Aufstand der flandrischen Städte nahmen die Brüggelinge den herzoglichen Rat Lanchals, ihren Mitbürger, gefangen und ließen ihn am 22.3.1488 öffentlich hinrichten. Um diese Untat zu sühnen, gab Maximilian, nachdem er wieder die Oberhand gewonnen hatte, dem Rat der Stadt Brügge auf, auf ewige Zeiten eine bestimmte Anzahl von Schwänen auf ihren Gewässern zu halten. Sicher ist indessen, dass die Stadt Brügge über Jahrhunderte hin Schwäne auf den städtischen Gräben gepflegt und vor kalten Wintern beschirmt hat, die in Brügge wie in ganz Westflandern als die „Stadtschwäne“ bezeichnet werden.295

292 Jehan Lemaire de Belges: Les Illustrations de Gaule et singularitez de Troye. [Paris 1528], Le tiers livre, fol. 17. Nacherzählungen geben Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsche Sagen Nr. 533 und Wolf: Niederländische Sagen, S. 68-76 (Nr. 51). 293 Bd. 46, Sp. 192. 294 De Serres, Théâtre d’Agriculture, S. 380. 295 I. Strobbe: Over de Brugsche Zwanen. Steenbrugge 1924. Vgl. Luc Duerloo: De zwaan (cygnus). Van trotse totem tot poëtisch plaatje. In: De Brabantse folklore en geschiedenis 282 (1994), S. 223-236, hier S. 225f. Zum Hintergrund: Hermann Wiesflecker: Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit. Band I. München 1971, S. 207-218.

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Schwäne als Gartenzier 296 Der Mönch Johannes von Alta Silva (Haute-Seille) in Lothringen schrieb – um 1200 – in seiner Erzählung von den Schwanenkindern: „Zufällig wandte der Schlossherr ... seinen Blick aus dem Fenster. Da sah er die bisher an diesem Ort ganz unbekannte Art Vögel. Durch ihre Schönheit und die Süße ihrer Laute erfreut, befahl er seinem sämtlichen Gesinde, keiner solle es wagen, diese zu erschrecken; ihnen sollten vielmehr täglich die Tafelreste vorgeworfen werden, bis sie – daran gewöhnt – gerne auf dem Teich blieben.“297 Hier werden Motive für die Schwanenhaltung genannt, die auch heute ihre Bedeutung besitzen: die Schönheit der Vögel und das Vergnügen, das es bereitet, sie durch Fütterung in Bewegung zu versetzen. Hinzufügen kann man die Causa dignitatis, die schon in der Karolingerzeit als Grund genannt wird.298 Nicht immer blieben die Schwäne freiwillig; man trennte ihnen daher die Handschwingen ab. Wo man sie hielt? An die Pfalz Kaiser Friedrichs I. in Kaiserslautern stieß ein Fischteich, groß wie ein See, der Fische und Geflügel darbot: ein Genuss, sowohl anzusehen wie zu essen.299 Spätestens seit dem 12. Jahrhundert setzte man mithin Schwäne und Burgen zueinander in Beziehung, selbst in Landschaften, in denen kaum Wildschwäne brüten. Die Erzbischöfe von Bremen z. B. unterhielten im 14. Jahrhundert an ihrem Palast in Stade eine Schwanenkuhle;300 bei den Schlössern des Herzogs Johann von Berry lagen Teiche, auf denen eine größere Quantität von Schwänen versammelt werden konnte.301 Verschiedene Gemälde aus dem 15. Jahrhundert lassen, auch wenn sie religiösen Themen gewidmet sind, erkennen, wie sehr die

296 Dieser Abschnitt ist ein überarbeiteter Abdruck meines gleichnamigen Beitrags in: Träume vom Paradies. Historische Parks und Gärten in Schaumburg. Hrsg. von Hubert Höing. Melle 1999 (Schaumburger Studien 58), S. 335-348. 297 Historia septem sapientum II: Iohannis de Alta Silva Dolopathos sive De rege et septem sapientibus. Hrsg. von Alfons Hilka. Heidelberg 1913 (Sammlung mittellateinischer Texte), S. 80-88. Nacherzählt in: Die sieben Schwäne. Märchen des Mittelalters. Hrsg. von Erich Ackermann. Frankfurt/M. 1986, S. 17-23. 298 MGH LL II, 1, S. 86: Capitulare de villis, Nr. 40. Vgl. oben S. 62. 299 Ottonis episcopi Frisingensis et Rahewini Gesta Frederici seu rectius Chronica. Ed. Franz-Josef Schmale u. übersetzt von Adolf Schmidt. Darmstadt 1965 (Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 17), S. 712 (IV, 86). 300 Johannis Rode Archiepiscopi Registrum Bonorum et Iurium Ecclesie Bremensis. Hrsg. von R. Capelle. Bremerhaven 1926, S. 191f. 301 Guiffrey, S. 70; Hablot, Emblématique et mythologie médiévale, S. 63, Anm. 35.

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Vorstellung Schlösser und Schwäne schon zusammen fügte. Als plastisches Beispiel sei eine Zeichnung des Hausbuchmeisters vorgeführt, eines nicht mit Namen bekannten, hochbedeutenden Grafikers vom Niederrhein.302 Sie zeigt verschiedene ritterliche Vergnügungen im und am Wasser; und wie selbstverständlich gehören in diese Szenerie zwei Schwäne. Diese oder eine sehr ähnliche Zeichnung des Hausbuchmeisters hat offensichtlich Albrecht Dürer für die Schwäne seiner „Muttergottes mit den vielen Tieren“ benutzt. Und eine Anekdote noch: Pfalzgraf Otto zu Neumarkt ließ sich im Jahre 1473 die Gefangenschaft Herzog Christophs in Bayern so zu Herzen gehen, dass er einen Plan fasste, um ihn zu befreien. Er kam des Nachts mit hundert Pferden vor die Festung in München, in welcher der Herzog gefangen lag, überwand den Graben auf einem eigens konstruierten Steg und stand endlich vor der Mauer. Als er aber versuchte, das Tor zu öffenen oder eine Steigleiter anzulegen, fingen die Schwäne im Schlossgraben an zu schreien und machten die Wachen aufmerksam. Also musste Otto sein Vorhaben aufgeben.303 Im 16. Jahrhundert verbreitete sich die Schwanenhaltung immer weiter. Ihren Höhepunkt erreichte sie zu Anfang des 17. Jahrhunderts. Das hatte mit dem steigenden Luxus zu tun, aber auch mit der Gestaltung der Gärten. Renaissancegärten, die verschiedene Funktionsgärten vereinten, dienten nicht zuletzt der Meditation, der Erbauung. Und das hieß: in der Vielfalt der Natur ihren Schöpfer zu loben. Besonders sollten auffallende und merkwürdige Erscheinungen die Gedanken erheben; sie gaben zum Nachdenken Anlass. Nicht allein mit der Prämisse, dass Gott ein Wohlgefallen an seinen Werken habe (Ps. 104, 31; Weish. 11, 25): Erasmus von Rotterdam rühmt eine Anzahl unterschiedlicher Vögel vor allem, weil sie selten sind und sich durch besondere Auffälligkeiten auszeichnen. „Denn was lohnt es sich, Gänse, Hühner und Enten zu schildern?“304 Die Gärten wurden auf diese Weise zu Sammlungen seltener Pflanzen und Tiere. Damit förderten sie die Erkenntnis. Das Verlangen danach war groß, denn

302 Johannes Graf zu Waldburg-Wolfegg: Das mittelalterliche Hausbuch. Betrachtungen vor einer Bilderhandschrift. München 1957 (Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg zur deutschen Kunst- und Kulturgeschichte 8), Abb. 22-23 (pag. 19v-20r); Christoph Graf zu Waldburg-Wolfegg: Venus und Mars. Das mittelalterliche Hausbuch aus der Sammlung der Fürsten zu Waldburg-Wolfegg. München 1997, S. 48f. 303 Fugger/Birken, S. 764. 304 Desiderii Erasmi Roterodami Colloquia, Convivium religiosa. Ders.: Ausgewählte Schriften. Ausgabe in acht Bänden. Lat. u. Dt. Hrsg. von Werner Welzig. Band 6. Darmstadt 1967, S. 44.

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nachdem das theoretische Wissen nicht allein von der kirchliche Lehrmeinung abzuleiten war, musste jede Erkenntnis auch erfahrbar sein. Und die genaue Bekanntschaft mit der Natur sollte Einblicke in die Zusammenhänge von Mikrokosmos und Makrokosmos eröffnen, um aus ihnen Gottes, von den Theologen so verhüllte Absichten kennen zu lernen. Die Meditation verband sich im Garten mit einer Erquickung des Gemütes. „Daneben höret man“, schrieb der TheologoHistoricus Johannes Letzner über seinen Besuch auf Schloss Breitenburg in Holstein, „... die vogel und schwanen [!] lieblich singen, die fische sihet man in wasser und deichen schwimmen, die rosse in der weide rennen. Summa: Ein bemühtes und beschwertes hertz bekompt dieses orts eine liebliche ergetzung und kan sich recreiren und erholen.“305 Schließlich gewährten die Renaissancegärten neue Möglichkeiten der Repräsentation. „Wegen seiner Schönheit“, schreibt Aldrovandi über den Schwan, „durch welche er die Blicke auf sich zieht, stand er immer in hohen Ehren; nicht minder heute, da er von Fürsten und Magnaten, namentlich in den Niederlanden, Frankreich und England, wo er in stehenden Gewässern wie auch in Flüsschen, die Häuser und Paläste bespülen, gefüttert wird ...“306 Die Repräsentation hatte, Aldrovandi wusste das, schon früher eine Rolle gespielt; jetzt konnte die Wirkung der Schwäne in Verbindung mit anderen Elementen, mit exotischen Pflanzen, mit Truthähnen und Pfauen, noch gesteigert werden. Das anschauliche Beispiel einer solchen Kollektion bietet Hondecoeters Darstellung des Landhauses Driemond westlich von Amsterdam aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts:307 Von der Villa im Palladio-Stil führen Stufen in einen Hof hinab, den ein Wassergraben abschließt. Den Hof beleben zwei Pfauen, ein Kronenkranich, ein Flamingo. Am Graben findet sich Wassergeflügel solcher Art, wie man es damals mit dem Begriff „fremde Enten" fasste: eine Brandente, zwei Pfeifenten, ein Mittelsäger, ein Säbelschnäbler. Den Vordergrund aber beherrscht ein majestätischer Höckerschwan, über dem fliegend eine Elster zu sehen ist. Das bezeugt eine eindeutige Wertschätzung. Wenn man sich, wie angesichts eines solchen

305 Brage Bei der Wieden: Außenwelt und Anschauungen Ludolf von Münchhausens (1570-1640). Hannover 1993 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen XXXII, 5), S. 242. 306 Ulysses Aldrovandus: Ornithologiae tomus tertius et ultimus, in quo aves aquaticae ... describuntur. Frankfurt/M. 1634, S. 1. 307 Alte Pinakothek München, Inventarnr. 1710. Vgl. Bauen nach der Natur – Palladio. Die Erben Palladios in Nordeuropa. Begleitband zur Sonderausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte. Hrsg. von Jörgen Bracker. Ostfildern 1997, S. 89, vgl. S. 139.

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Gemäldes ratsam, nach der emblematischen Bedeutung fragt, so scheinen der wehrhafte Schwan und die wachsame Elster den Besitz vor Neidern und Dieben zu schützen.308 Es nimmt nicht wunder, dass Schwäne am Ende des 16. Jahrhunderts zur gewöhnlichen Ausstattung norddeutscher Residenzen und Gutshäuser gehörten. Ungefähr zehn Schwäne schwammen im letzten Viertel des Jahrhunderts vor dem Celler Schloss. In Wolfenbüttel ließ Herzog Julius zwei Schwanenhäuser am Mühlentorgarten errichten; Graf Christoph von Oldenburg erhielt 1573 ein Paar „Heuler Schwanen“ aus Groningen. In Jever rechnete man das Getreide für die Schwäne 1588 zusammen mit dem Pferdefutter ab. Die beiden Schwäne auf dem Graben des lippischen Residenzschlosses Brake wurden 1592 – anlässlich einer Taufe – erlegt und aufgetischt. Als der Administrator des Erzstifts Bremen 1605 sein Schloss in Beverstedtermühlen einrichtete, ordnete er die Lieferung von vier Schwänen an. Der Beispiele wären noch mehr. Um auch eins aus der Sphäre des niederen Adels zu nennen: Ludolf von Münchhausen ließ sich 1612 zwei junge Schwäne aus dem Osnabrückischen nach Remeringhausen in der Grafschaft Schaumburg schicken.309 Aber nicht allein in Norddeutschland sah man vor den Schlössern großer Herren Schwäne schwimmen. In der Region Angoulême soll König Franz I. von Frankreich, 1547 verstorben, Schwäne angesetzt haben.310 Einem niederländischen Buch über den Feldbau (einer erweiterten Bearbeitung von Charles Estiennes Werk über das Landgut) entnimmt man: Geeignete Wohnplätze für Schwäne gebe es in der Gegend von Tours und Namur, auch in Flandern und Valenciennes, wo sie zahm gemacht und auf Gräben und Teichen gehalten wer-

308 Einen Gegensatz zwischen stummen Schwänen und geschwätzigen Elstern macht freilich der englische Poet Philip Sydney (1554-1586) auf. Young, S. 20f. 309 Porträt Herzog Wilhelms in der Celler Schlosskapelle. Abb. bei Albert Neukirch: Niedersächsische Adelskultur der Renaissance. Hannover 1939 (Renaissanceschlösser Niedersachsens, Textbd. 2. H.), S. 222; Thomas Scheliga: A Renaissance Garden in Wolfenbüttel, North Germany. In: Journal of Garden History 25 (1997, 1), S. 127, hier S. 18; NLA Oldenburg Best. 90-35 Nr. 22; A. Falkmann: Graf Simon VI. zur Lippe und seine Zeit. Zweite Periode. Detmold 1887 (Beiträge zur Geschichte des Fürstenthums Lippe aus archivalischen Quellen 5), S. 323, Anm. **; NLA Stade Rep. 5b F. 162 Nr. 5, Bd. 1, vgl. Christian Kammann: Renaissancegärten in BremenVerden. Stade 2012 (Schriftenreihe des Landschaftsverbandes der ehemaligen Herzogtümer Bremen und Verden 38), S. 166; NLA Bückeburg Dep. 3 GR 90 Nr. 1. 310 Ioannes Bruyerinus (Jean-Baptiste La Bruyère): De re cibaria libri XXII … Lyon 1560, S. 820.

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den. Für einen breiten Graben reiche ein Paar hin, ein einziger für einen Pfuhl. Zur Ernährung steuere man eingeweichtes Brot und Fischstückchen bei. Gefäßig sei der Vogel und koste viel in der Unterhaltung, an sich aber sei er schön und bereite Freude.311 Aus Südfrankreich, dem Languedoc, berichtete der bekannte Agrarschriftsteller Olivier de Serres, Herr von Pradel (wie alle Autoren der Hausväterliteratur übrigens ein Protestant): Wenige Schwäne finde man in den Gebieten ihres natürlichen Vorkommens. Mit großem Aufwand ziehe man sie in kleiner Zahl auf, und das stehe nur großen Herren zu, sonst würde jeder adlige Hauswirt seinen Geflügelhof – pour l’ honneur de sa volaille – mit Schwänen bereichern. Doch benötige man große Wasserfläche, um sie zu unterhalten. Schwäne verursachen große Kosten; auf der Suche nach Fischen, die sie mehr als anderes Futter lieben, verschmutzen sie die Teiche. An manchen Orten Frankreichs halte man sie in gewöhnlichen Hühnerhöfen und füttere sie mit Getreide, Brot, Gräsern und Küchenabfällen.312 Selbst königlicher Glanz konnte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ohne Schwäne nicht angemessen ausstrahlen. Philipp II. von Spanien ließ 1563 ein Dutzend Schwäne aus Flandern kommen und verteilte sie – zur Zierde der Weiher – auf seine Residenzen Aranjuez, La Casa de Campo und El Pardo. Der Primas der niederländischen Bischöfe, der Kardinal Granvella, musste für ihren sicheren Transport sorgen, und der König drohte Übeltätern, die sich an den Schwänen vergreifen sollten, harte Strafen an.313 Auch der Neffe Papst Pauls V., der Kardinal Scipione Borghese, der sogar Kirchen beraubte, um seine berühmten Kunstsammlungen zu vervollständigen, mochte da nicht zurückstehen. 1617 schrieb er an den päpstlichen Nuntius in Flandern, es verlange ihn, um seine Gärten zu schmücken, nach Schwänen, von denen es in Flandern eine große Zahl geben solle. Den Nuntius forderte er auf, ihm Schwäne zu schicken, die größten und schönsten, so viel, wie ein Pferd in Kisten tragen könne. In einem Schreiben von 1622 klagte er dann, er sei seiner Schwäne beraubt worden. Ein Hund habe sie getötet. Während er beim ersten Mal sechs Exemplare erhalten hatte, wünscht er jetzt zwölf zu bekommen, sechs

311 Karel Stevens, Ian Liebault (Charles Estienne, Jean Liébaut): De Veltbouw ofte Lantwinninghe … nu vermeerdert door … Melchior Sebizius Silesius. Amsterdam 1594, S. 34. 312 Olivier de Serres: [Le] Théâtre d’Agriculture … Paris 1600, S. 380. 313 Gärten und Höfe der Rubenszeit im Spiegel der Malerfamilie Breughel und der Künstler um Peter Paul Rubens. Hrsg. von Ursula Härting. [Katalog zur Ausstellung Hamm 15.10.2000-14.1.2011, Mainz 4.3.-24.6.2001]. München 2000, S. 264.

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Männchen und sechs Weibchen, die schönsten, die sich finden lassen, und so jung, das sie sich in Italien leicht akklimatisieren können. Ein Vivarium mit Straußen, Pfauen, Schwänen und Kranichen in der Villa Borghese in Rom sah noch 1644 der englische Reisende John Evelyn.314 Die Stiche in den Merianschen Topographien geben weitere Hinweise auf die Verbreitung. Mitte des 17. Jahrhunderts mochte man in kaum einer fürstlichen Residenz auf diesen Schmuck verzichten. Schwerin, Kleve, Köthen, Weimar, Schillingsfürst seien genannt, Stuttgart, wo ohnehin ein bedeutender Schwanenluxus getrieben wurde, München; und selbstverständlich erhöhten Schwäne den Glanz des Kaiserhofes. Auf der Ansicht des Schlosses Neugebäu bei Wien sieht man, den Blumengärten vorgelagert, ein eigenes Bassin.315 Sein Anblick nimmt den Besucher in Empfang; die Schwäne und „fremden Enten“ deuten an, welche Repräsentationsstandards zu erwarten waren. Ein wichtiges Beispiel der Gartenkunst an der Wende zum 18. Jahrhundert bietet der kurfürstliche Große Garten in Hannover-Herrenhausen. Breite Kanäle, die moderne Form des Burggrabens, fassen die Anlage ein. Eine Gesamtansicht von 1714 zeigt auf dem westlichen Kanal vier Schwäne, auf dem östlichen eine Gondel.316 Einige dieser Schwäne oder ihre Verwandten hatte 1701 die Gräfin Johanna Sophie von Schaumburg-Lippe geschickt, im Gegenzug auch ein Paar erhalten, das also auf der Schlossgraft in Bückeburg schwamm.317 Und die Herrin des Herrenhäuser Gartens, die Kurfürstin Sophie, schrieb an Leibniz: „Ich habe genug damit zu tun, meine Enten und Schwäne zu füttern, für die ich ein Logement im Garten habe machen lassen.“318 Nachdem die Herrenhäuser Gärten zu Beginn des 18. Jahrhunderts für das allgemeine Publikum geöffnet worden waren, kam es vor, dass Handwerksburschen Unfug verübten und die Anweisungen des Schwanenwärters und Gartenvogts missachteten. Deshalb hängt seit 1777 an einer Mauer neben dem Haupt-

314 Tracy L. Ehrlich: The Flemish Swans of the Villa Borghese in Rome. A Patron and his Garden. In: Die Gartenkunst 6 (1994, 2), S. 227-236. 315 Topographia Provinciarum Austriacarum: Austriae, Styriae/ Carinthiae, Carniolae/ Tyrolis etc. … Verlegt durch Matthaeum Merian. Frankfurt/M. 1649. 316 Abb. bei Udo von Alvensleben, Hans Reuther: Herrenhausen. Die Sommerresidenz der Welfen. Hannover 1966, S. 36f. 317 NLA Bückeburg F 1 A XXXV 9a Nr. 11. 318 Sophie an Leibniz,12.6.1700. Gottfried Wilhelm Leibniz: Allgemeiner politischer und historischer Briefwechsel. 18. Band. Berlin 2005, S. 119. Vgl. Alvensleben/Reuther (wie Anm. 316), S. 63.

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eingang eine Tafel, die verbietet, „nach den schwänen zu werfen oder solche auf ihren brüte-teichen zu beunruhigen.“319 Schwäne evozierten im Barock bestimmte Vorstellungen. Der hamburgische Amtmann in Ritzebüttel, Barthold Hinrich Brockes, lässt sie erkennen, wenn er in seinem Gedicht auf ein Schwanenpaar u. a. ausführt: „Von allen Vögeln wird kein einziger gefunden, In dessen Gliedern sich so ein' erhabne Pracht, Mit einer Art von Majestät verbunden. Er ist mit solcher Richtigkeit, Mit solchem Ebenmaß gebildet und gemacht, Mit solcher zierlichen Vollkommenheit Ist aller Fügungen Zusammenhang formiert, Daß man was prächtiges in allen Zügen spührt.“

In diesem physikotheologischen Poem muss die Natur sich bereits an bestimmten ästhetischen Normen messen lassen. Der Schwan kann dabei bestehen. Allerdings verwendet Brockes Begriffe – Majestät, Pracht (Magnifizenz) – die im Zeichen des Absolutismus eine staatsrechtlich-technische Bedeutung erhalten und dann nur noch einem zukommen: der höchsten Staatsgewalt, dem Souverän. Da kann keine autonome Vollkommenheit existieren. Gleichzeitig löst sich ein lange bestimmender Weltentwurf ab. Die transzendentalen und moralischen Bezüge aller Dinge, von der Physikotheologe noch einmal, reduziert, erneuert, verlieren ihre Selbstverständlichkeit. Die Signaturen und Verweise überzeugen nicht länger. Weshalb soll der Schwan Eigenschaften Gottes, eines allmächtigen Geistes bezeichnen können? Parallel dazu büßte auch die Herrscherallegorie ihre Bedeutung ein. Der absolutistische Fürst repräsentiert im 18. Jahrhundert mehr durch sein Bildnis: durch Büsten, Medaillen, Denkmäler, als per allegoriam. Sinnbilder und Allegorien wurden in ihrer Verwendung eingeschränkt; sie mussten klassisch sein und sich gewissermaßen aufdrängen. Das gilt für den Schwan jedoch nur sehr bedingt. Nicht allein deswegen: Die Schwanenhaltung geht im 18. Jahrhundert nach und nach zurück. Das hatte verschiedene, sogar sehr praktische Gründe. Zum einen muss der Wertverfall bedacht werden, dem jedes Luxusgut unterliegt; dann sind die Veränderungen in Rechnung zu stellen, die der Luxus im gesellschaftli-

319 NLA Hannover Dep. 103 XXIV Nr. 4762. Vgl. Georg Schnath: Gartenfreude und Politik in Herrenhausen 1666-1866. In: Hannoversche Geschichtsblätter 20 (1966), S. 253-267, hier S. 259.

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chen Prozess außerdem durchlebte: seine Privatisierung, seine Versachlichung, seine Verfeinerung.320 Ferner, nicht unwesentlich und damit im Zusammenhang: Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts verschwand der Schwan von den Speisezetteln. In dieser Zeit nahm – wie S. 52 beschrieben – die französische Haute cuisine ihren Anfang. Die Zutaten sollen ihren Eigengeschmack behalten und in raffinierter Kombination, durch bindende Soßen unterstützt, mehr dem Gaumen als dem Auge gefallen. Der Schwan, der, jedenfalls ausgewachsen, immer ein Schaugericht gewesen war, kam da nicht länger in Betracht. Und schließlich die angedeutete absolutistische Ratio: Der differenzierende, reglementierende, hierarchisierende Geist, der sich in der Haute cuisine manifestiert, wirkte sich nicht weniger in der Gartenkunst aus. Die Gestaltung der Gärten wurde nun einem ästhetischen Einheitsplan unterworfen, die Fülle der Erscheinungen reduziert, dafür ein Gartentyp der Renaissance, der Lustgarten, in einen größeren Maßstab übersetzt. Das erforderte eine Segmentierung und eine Hierarchisierung der Bestandteile und führte dazu, die Tiere, deren unvorhersehbaren Bewegungen den Gesamteindruck störten, an die Peripherie abzudrängen. „Es war“, schrieb der Herzog von Saint-Simon angesichts des Gartens von Versailles, „dem König ein Vergnügen, die Natur zu tyrannisieren und sie mit dem Aufgebot von Kunst und Geld zu bändigen.“321 Die Flusslandschaft der Seine wünschte Ludwig mit tausenden von Schwänen bevölkert sehen. Colbert wies 1672 den französischen Botschafter in Kopenhagen an, 200-300 Schwäne zu beschaffen; der Botschafter konnte jedoch nur einige 40 besorgen, die er zusammen mit 100 Eiern per Schiff von Lübeck nach Rouen schickte. Vier Jahre später – die Eier waren in Versailles ausgebrütet worden – erklärte der König, wie die Kanäle entlang der königlichen Schlösser so auch die Seine verschönern zu wollen, und bestimmte einen Werder im Fluss, dem er den Namen Île des cygnes: Schwanenwerder verlieh, zum Aufenthaltsort der Tiere. In einer Verordnung vom 16. Oktober 1676 verlautete: „Seine Majestät haben eine sehr große Anzahl Schwäne aus fremden Ländern kommen lassen, um auf den Kanälen der Königlichen Häuser zum Schmuck zu dienen, und wollen mit diesen auch den Fluss Seine auf dem Abschnitt unter- und oberhalb Ihrer guten Stadt Paris verschönen.“ Die Schwäne wurden unter strengen Schutz gestellt und Zuwiderhandlungen mit einer Strafe von 300 Livre bewehrt.

320 Werner Sombart: Luxus und Kapitalismus. München 1913 (Studien zur Entwicklungsgeschichte des modernen Kapitalismus 1), S. 111-115. 321 Zit. nach Norbert Elias: Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie. Frankfurt/M. 1983, S. 338.

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Ein Conservateur des cygnes beschnitt den Vögeln alljährlich die Fittiche. Dieser Schwanenwärter hatte die Schwäne außerdem vor Verfolgungen zu schützen und durch den Winter zu bringen. Zunächst vermehrten sich die Schwäne stark und verbreiteten sich über die Oise, die Epte, Eure und Andelle. Nachdem der König aber das Interesse an der Sache verloren hatte, verschwanden die Vögel nach und nach wieder von den französischen Flüssen.322 Anders als in der Szenerie der umgebenden Landschaft duldete der herrscherliche Wille in den königlichen Gärten jedoch keine Tiere mehr. Wo unter Ludwig XIII. in Versailles noch ein Schwanenteich (bassin de cygnes) gelegen hatte, ordnete Le Nôtre 1667 flache Becken mit figuralem Steinschmuck an – wie das Bassin du Dragon: Einen schrecklichen Python umspielen Delfine und Amouretten, die auf Schwänen reiten. Alle aus Stein gehauen, unbeweglich, in immer dieselbe Komposition gebannt.323 Weitere Beispiele von Gartenplastiken dieser Art, denen außerdem Kreationen aus Buchsbaum an die Seite gestellt werden können,324 werden im Abschnitt über Schwäne in der Kunst behandelt. Ferner lagen die Gärten nicht mehr diesseits oder jenseits eines Schlossgrabens; im Gegenteil: Gegen tiefe, halbnatürliche Gewässer begann sich ein Widerwille zu regen, den vielleicht zuerst Francis Bacon artikulierte, als er bemerkte, Teiche verdürben alles und machten den Garten ungesund und voller Fliegen und Frösche.325 Oder, wie es im Standardwerk der französischen Gärtnerei, bei Dezaillier d'Argenville, heißt: „Die schlaffende oder stehende Wasser sind die unangenehmsten unter allen, indem sie trüb, grün und völlig mit Moos und Unreinigkeit bedeckt werden ...“326 In gerade solchen Gewässern aber sucht der Schwan seine Nahrung und verschmutzt sie dabei selbst.

322 A. Longnon: De l’origine du nom de l’île des cygnes. In: Bulletin de la Société de l’histoire de Paris det de l’Île-de-France A 5 (1878), S. 47-49; W. Jonathan Carpett: Les cygnes de la Seine sous Louis XIV. In: Bulletin de la Société de l’histoire de Paris det de l’Île-de-France A 6 (1879), S. 111-114; Georges Dubosc: Les Cygnes de la Seine sous Louis XIV. In : Journal de Rouen, 20.4.1919. Online: http:// www.bmlisieux.com/normandie/dubosc39.htm (2.11.2012). 323 Vgl. S. 209. 324 Einen Schwan mit Krone aus Buxbaum belegt Scheliga, S. 178, 210. 325 Bacon: Essayes or Consels, civill and morall. London 1625, zit. nach Clemens Alexander Wimmer: Geschichte der Gartentheorie. Darmstadt 1989, S. 90. 326 In der Übersetzung von Franz Anton Danreitter: Die Gärtnerey/ so wohl/ In der Theorie oder Betrachtung/ Als Praxi oder Übung ... Augsburg 1731. ND Leipzig 1986, S. 350f.

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Die Schlossgräben kamen ganz ab, nicht zuletzt deswegen, weil man Feuchtigkeitsschäden für das Mauerwerk befürchtete und sich vom Quaken der Frösche gestört fühlte.327 Die künstlichen Bassins und Kanäle, die in den Barockgarten gehörten, hielten meist eine nur geringe Wassertiefe und waren mit Mörtel oder gar mit Blei ausgekleidet.328 Außerdem störten die Fontänen die Schwanenhaltung. Schwanenteiche, wie sie im 17. und frühen 18. Jahrhundert – z. B. im Garten von Schloss Neugebäu oder in Nymphenburg – die Mittelachse akzentuierten, verschwanden. In den Geflügelhöfen, abseits der Lustgärten, entbehrte der Schwan des Wassers und fühlte sich unwohl. Für die Wasservögel blieben nur – wie in Herrenhausen329 – Umfassungsgräben oder Verbindungskanäle; die „erhabne Pracht“ der Schwäne sollte nicht mehr den ersten Eindruck prägen, sie konnte höchstens ein Herrschaftssymbol zweiter Ordnung abgeben. Zwei Generationen später, mit dem Raumgreifen präromantischer, dann romantischer Vorstellungen verloren die rationalen Prinzipien ihre Überzeugungskraft. Eine größere Expressivität drückte sich auch in der Gartenkunst aus. Mit ihr kehrten die Schwäne wieder. Nicht ohne Bedeutung war es, dass der Landschaftsgarten seinen Ursprung in England hatte. Hier besaß der Schwan einen höheren Prestigewert und die Schwanenhaltung eine reichere Tradition als anderswo; wenn also der Blick in die Landschaft gelenkt wurde, musste er sich notwendig auf Flüsse und Seen richten, auf denen Schwäne lebten. Mehr und mehr erscheinen sie als Repoussoirs, als Vordergrundfiguren, um den Tiefeneindruck zu verstärken, vor den Landhäusern und Schlössern. In den englischen Gärten spiegelt sich eine neue Ästhetik. Sie leitet sich nicht mehr von abstrakten Prämissen, z. B. geometrischen, ab. Sondern sie verlangt ein zusätzliches Vermögen des Bewusstseins: die Empfindung. Eine Sache ist damit nicht mehr per definitionem schön; sie ist schön, weil sie bestimmte Empfindungen weckt. „Das Schöne kann nicht erkannt, es muss empfunden oder hervorgebracht werden“, meinte Goethe.330 Und Hirschfeld, der wichtigste Propagandist des englischen Gartens in Deutschland, nannte es das erste Gesetz der Gartenkunst, dass der Gartenkünstler solche Gegenstände der schönen Natur

327 Ebd., S. 352. 328 Ebd., S. 354. 329 Anna Wendland: Die Gärten an der Herrenhäuser Allee. In: Hannoversche Geschichtsblätter 30 (1927), S. 1-66, hier S. 16. 1776 sollten allerdings auch die verschlammten vier Schwanenteiche im Königlichen Garten wieder hergestellt werden. NLA Hannover Dep. 103 XXIV Nr. 4842. 330 Berliner Ausgabe. Bd. 19. Berlin 1965, S. 89.

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auswähle, die eine „vorzügliche Einwirkung auf das Empfindungsvermögen und die Empfindungskraft“ haben.331 Wie sich das auswirken konnte, sei an Eichendorffs spätromantischer Erzählung „Aus dem Leben eines Taugenichts“ verdeutlicht, die über weite Strecken in Gärten spielt: Die Schwäne auf dem Teich des gräflichen Gartens sind Teil einer idealen Traumwelt, die der Held der Erzählung sich in der Wirklichkeit zu eigen machen will. Einmal, er glaubt seine Angebetete verloren zu haben und fühlt sich von der Welt ausgestoßen, heißt es: „Ich aber saß wie eine Rohrdommel im Schilfe eines einsamen Weihers im Garten und schaukelte mich auf dem Kahne, der dort angebunden war, während die Vesperglocken aus der Stadt über den Garten herüberschallten und die Schwäne auf dem Wasser langsam neben mir hin und her zogen. Mir war zum Sterben bange.“332 Die Schwäne also ziehen über das Wasser; er aber vergleicht sich, im Schilf verborgen, einer Rohrdommel, einem Vogel, der durch klagende Laute seine Verlassenheit kundtut. An anderer Stelle glaubt er, der Erfüllung nahe zu sein: „Ich ging voller fröhlicher Gedanken bei dem schönen Mondschein durch die stillen, reinlich mit Sand bestreuten Gänge über die kleinen weißen Brücken, unter denen die Schwäne eingeschlafen auf dem Wasser saßen, an den zierlichen Lauben und Lusthäusern vorüber.“333 Hier lässt sich ein symbolisches Wächteramt der schlafenden Vögel ahnen, aber entscheidend: Sie gehören zu einem wohlgeordneten Arrangement, wie er es auch in seinem Inneren vorzufinden meint. – Am Ende der Erzählung schließlich, es schien ihm wie eine Verzauberung, fand er das gesuchte Ideal am Schwanenteich, und die Schwäne drehte nun Kreise, zum Zeichen, dass eine Bewegung sich an ihrem Zentrum ausgerichtet habe. Angedeutet schwingt mit, dass die Antike sich Schwäne als Begleiter der Venus dachte. Solche Empfindungen und Assoziationen riefen nicht nur die Arrangements in fiktionaler Literatur hervor. Ein Reisender berichtete 1792 aus der Gartenlandschaft von Wörlitz: „Wandelt man hier in dämmernder grüner Nacht“ – Romantik und Nacht! Zwanglos schließen sich Caspar David Friedrichs Schwäne im Mondlicht an! – „unter dem Dufte blühender Stauden und den Harzgerüchen der Nadelhölzer umher; so lacht dort die den Abglanz des Horizonts wiederschimmernde freundliche Spiegelfläche eines grossen Teiches entgegen, auf

331 Christian Cay Hirschfeld: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig 1779, Abschnitt 4. Hier zit. nach der verkürzten Edition von Franz Ehmke. Berlin 1990, S. 56. 332 Joseph von Eichendorff: Werke. Hrsg. von Ansgar Hillach. Bd. 2. München 1970, S. 571. 333 Ebd., S. 579.

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welchem plätschernd stolze Schwäne sich brüsten ...“334 Alle Sinne wecken Empfindungen, die gefühlvoll das Herz durchfluten. Deutlich spiegelt sich die neue Konjunktur in den Akten zu den Schwanenanstalten in Spandau und Potsdam. Seit den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts äußert sich bei Kommunen und Privaten ein starkes Bedürfnis danach, Schwäne zu besitzen. Bemerkt sei z. B., dass 1838 sechs Schwäne zur Belebung der Wasserzüge in den neuen Anlagen des Berliner Tiergartens abgegeben wurden.335 Ihrem Schöpfer, Peter Joseph Lenné, kam viel darauf an, Wasserlandschaften mit immer wechselnden Bildern zu zeigen.336 Auf einer Bleistiftzeichnung, die der englische Reisende Robert Batty 1825 von der Westseite des Schlosses in Bückeburg entwarf, fehlen Schwäne. Auf den Holzstichen dagegen, die nach dieser Zeichnung 1829 aufgelegt wurden, ist die Ansicht um ein dekoratives Schwanenpaar vermehrt.337 Ein augenfälliger Beweis dafür, wie selbstverständlich Schwäne wieder in Parklandschaften gehörten. Die theoretische Begründung gab, dass sie als Element der Belebung erschienen. Eine leichte Bewegung konnte die Einbildung verstärken und die Empfindung fördern. Der Gartendirektor der Stadt Berlin, Gustav Meyer, ein Schüler Lennés, erklärte: „Die Belebung giebt der Landschaft ... einen erhöhten Reiz; sie muss aber stets dem Geiste derselben entsprechen. Ein See in einer aufgeschmückten Landschaft dürfte z. B. nicht mit Fischerkähnen und Netzen, sondern mit Lustfahrzeugen; nicht mit Gänsen und Enten, sondern mit einigen die Fluth stolz durchfurchenden Schwänen u. s. w. belebt sein."338 Daneben entdeckte man einen neuen Nutzen der Schwäne; sie fräßen, meinte man, schädliche Wassertiere und hielten Reiher und Raubvögel ab, die nach den Fischen schielten. Die ästhetischen Forderungen des englischen Gartens wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts nicht aufgegeben. Man betrachtete Anlagen und ihre Elemente

334 Meine Reise im Wonne u. Brach Mond 1792. Berlin 1796, S. 32. 335 Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz BPH Rep. 118 Nr. 616. 336 Vgl. Klaus von Kosigk: Peter Joseph Lennés Verschönerung des Tiergartens 18331839. Die Plan-Unterlagen im Landesarchiv Berlin. In: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesachivs Berlin 1989, S. 7-20. 337 Brage Bei der Wieden: Ein Schwanenpaar: Bückeburg 1825/29. In: Historische Ortsansichten. Perspektiven eines Projekts der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen. Red. Brage Bei der Wieden, Uwe Ohainski. Hannover 2002, S. 43-46. 338 G. Meyer: Lehrbuch der schönen Gartenkunst. Mit besonderer Rücksicht auf die praktische Ausführung von Gärten und Parkanlagen. 3. Aufl. Berlin 1895, Sp. 110.

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als schön, wenn sie ansprechende Gedanken oder Vorstellungen erweckten. Nur erweiterte sich die Palette. Die Verwendung historischer Formen und Stile, die Entfaltung des historischen Bewusstseins förderte die Schwanenhaltung, wie sie in der Renaissance gepflegt worden war, oder die Oper sie mythologisierte. Die alte Assoziation von Schlössern und Schwänen trat wieder ins Bewusstsein. 1837 ließ sich Maximilian, Erbprinz von Bayern, vom preußischen König seinen Wunsch nach zwölf Schwänen für sein Schloss Hohenschwangau erfüllen. Ästhetische Variationen erzielte man durch das Einsetzen schwarzer Schwäne, australische Trauerschwäne, die zuerst in England heimisch wurden. In Deutschland sorgte namentlich der Direktor des Zoologischen Gartens in Köln, Dr. Heinrich Bodinus, 1859-1869 für ihre Zucht und Verbreitung.339 In der schaumburg-lippischen Residenz Bückeburg hatte man schon länger Schwäne gehalten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts sann man auf größere Prachtentfaltung und setzte schwarze Schwäne neben die weißen, auch exotische Enten erfreuten sich wieder, wie dreihundert Jahre zuvor, großer Beliebtheit.340 1913 lieferte Hagenbeck Schwäne für den Schlosspark in Stadthagen, in dem diese Zierde bisher gefehlt hatte. Der Schlossgärtner fragte daher an, womit die Schwäne zu füttern seien; er erhielt zur Antwort, er solle auf jeden Schwan zwei große Handvoll eines Gemischs aus Gerste, Hafer, Bohnen und Wicken rechnen. Das Schwanenpaar brütete sogar im gleichen Jahr, aber nur ein Jungschwan schlüpfte, der schon im Herbst verendete. Und solche Aufmerksamkeit erregte dies, dass er zur Obduktion einem Tierarzt in Bückeburg überbracht wurde. Allerdings verursachte nicht der Historismus allein die Ausweitung der Schwanenzucht. Einen sicher eben so großen Anteil hatte daran die Nachfrage der Kommunen. Das Anwachsen der Städte führt zur Notwendigkeit, Freiflächen zu schaffen und zu gestalten, Volksparks und Bürgergärten einzurichten. Um ihren psychischen wie ökologischen Nutzen zu steigern, mussten Teiche und Seen angelegt werden. Und der Blick auf das Wasser sollte eine lebendige Teilhabe an der Natur vermitteln. Da konnte auf Wassergeflügel nicht verzichtet werden. Hinzu kam ein drittes Moment. Der Schwan wurde zu einem Lieblingsmotiv der Kunst um 1900. Das gründete sich auf die Identifikationsmöglichkeiten, die dieser Vogel den Dichtern, gerade den Großstadtdichtern, bot, mehr noch auf seine Erscheinung, die sich so einfach ornamentalisieren lässt. Der Jugendstil verbindet sich aufs engste mit der Vorstellung von Schilf und Schwänen. Ein Beispiel für literarischen Jugendstil, für die Reduktion auf das Bild, seine Stili-

339 A. E. Brehm: Illustrirtes Thierleben. Eine allgemeine Kunde des Thierreichs. Vierter Band. Hildburghausen 1867. ND Stuttgart 1985, S. 787. 340 NLA Bückeburg K 6 Nr. 1048, vgl. Nr. 522.

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sierung, wäre dies: „Das Wasser schoss zischend über das Wehr, ein Schwan steuerte leise über die metallisch schimmernde Flut." So fasste Ludwig Bäte 1922 einen Eindruck aus dem Bückeburger Schlosspark, und es entsteht eine fast heraldische Vorstellung.341 Die Frage der Domestikation Beobachtung und Jagd bauen nur kurzzeitig, punktuell einen Kontakt zum Tier auf. Eine dauerhaftere Beziehung prägen andere Kontaktmuster aus: Kulturfolge, Gefangenhaltung, Zähmung, Domestikation. Natürlich ergeben sich zwischen diesen Mustern Kombinationen, Übergänge und Abfolgen in jeder denkbaren Weise; dennoch empfiehlt es sich, von idealtypischen Unterscheidungen auszugehen, um das jeweils Spezifische der Beziehung erfassen zu können. Eine eigentliche Domestikation von Schwänen, eine Haustierwerdung, ist kaum versucht worden. Haustiere seien, so der Mainzer Zoologe Helmut Hemmer, Tiere, die der Mensch im Umfeld seiner Behausung hält und züchtet, um in ständigem Gebrauch Nutzen aus ihnen zu ziehen. Zu Bedingungen der Haustierwerdung erklärt er (auf die Art bezogen) die erfolgreiche Zucht bei Gemeinschaftshaltung unter eingeengten Gefangenschaftsbedingungen.342 Auf Einzeltiere bezogen, scheint es, dass eine geringe relative Hirngröße und bestimmte Fellbzw. Gefiederfarben die Domestikation begünstigen.343 Entscheidend ist es, den Stress der Gefangenhaltung so zu minimieren, dass die Tiere zu eine stabile psychischen Situation gelangen können. Deshalb eignen sich besonders solche Arten für die Domestikation, die in Sozialverbänden, in Herden, Rudeln, Schwärmen, leben, die also Enge und ständige soziale Interaktion gewöhnt sind. Die Position, die Schwäne im europäischen Haustierspektrum hätten einnehmen können, füllten weit besser die Gänse aus. Sie ließen sich leichter in größeren Gruppen halten und ihr Fleisch ist einfacher zu verdauen. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird man die Höckerschwäne Mitteleuropas in erster Linie als Kulturfolger anzusprechen haben: als Wildtiere, die in der Nähe der Menschen günstige Lebensbedingungen finden und sich deshalb an seine Anwesenheit gewöhnt haben. Eine Zähmung kann hier ansetzen, bedeutet aber menschliches Handeln; das Tier erleidet die Zähmung, wenigstens grammatikalisch: Es wird gezähmt. Der

341 Ludwig Bäte: Das ewige Vaterland. Geschichten und Bilder. Rudolstadt 1922, S. 85. 342 Helmut Hemmer: Domestikation. Verarmung der Merkwelt. Braunschweig 1983, S. 1. 343 Ebd., S. 132.

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Mensch beobachtet die Verhaltensweisen des Tieres; er bietet Schutz und Futter an, und so gelingt es ihm, nach und nach die Fluchtdistanz des Tieres zu vermindern. Die Zähmung kann mit der Absicht verbunden sein, sich Eigenschaften des Tieres zunutze zu machen: die Schnelligkeit des Pferdes, die Scharfsicht des Falken, den Spürsinn des Hundes; dann führt sie zur Dressur. Sie kann genauso gut einem Spieltrieb folgen. Wie sich eine Zähmung von Schwänen anbahnen konnte, veranschaulicht die oben schon zitierte Erzählung des Zisterziensers Johannes de Alta Silva (Haute-Seille, Lothringen) vom Ende des 12. Jahrhunderts: durch regelmäßige Fütterungen, durch die die Tiere sich an Menschen gewöhnten.344 Giraldus Cambrensis erzählt in seiner Vita des heiligen Remigius: Am selben Tag des Jahres 1186, als dieser zum Bischof von Lincoln geweiht wurde, erschien auf seinem Landsitz Stowe ein fremder Schwan. Giraldus, der den Vogel selbst kennen lernte, beschreibt ihn als Singschwan, der die heimischen Höckerschwäne rasch unterdrückte.345 Als jedoch der heilige Hugo in Stowe eintraf, wurde der Schwan freiwillig und ohne Schwierigkeiten zahm. In die Kammer des Bischofs geführt, nahm er aus dessen Hand das Brot entgegen und fraß es und hing an ihm wie ein Familienmitglied. Die ganze Wildheit seines Wesens schien er abgelegt zu haben. Von den umstehenden Zuschauern ließ er sich nicht irritieren. Gewöhnlich streckte er bald, wenn er vom Bischof gefüttert wurde, Kopf und Hals durch dessen Ärmel. Die Magna vita S. Hugonis, wenig später abgefasst, ergänzte: Der Schwan begleitete den Bischof durch das Kloster, stieg sogar Stufen und bezeigte, Flügel schlagend und wohl klingende Laute ausstoßend, seine Freude. Er rastete in seiner Nähe und war nur mit Gewalt fort zu bewegen. Der Bischof fütterte ihn mit Brotstreifen. Dieser Schwan verhielt sich jedoch nur dem Bischof gegenüber friedlich und zutraulich. Alle anderen, auch den Diener, der ihn in Abwesenheit des Bischofs fütterte, attackierte er wütend. Zur Fütterung schwamm er an Ufer, wandte sich aber immer sofort, wenn er genug gefressen hatte, wieder ab. Den Tod des Heiligen im Jahre 1200 ahnte er voraus. Er überlebte seinen Herrn allerdings eine geraume Zeit.346 Beide Texte haben eine Erfahrungsgrundlage, wollen aber eine andere als die Alltagswirklichkeit abbilden; sie beschreiben Möglichkeiten in einem transzendental gefassten Rahmen: Johannes leitet eine Wundergeschichte ein, während

344 Historia septem sapientum, S. 80-88; Ackermann, S. 17-23. 345 Verhaltensbiologisch zutreffend, s. S. 258. 346 Giraldus, S. 74; Magna vita s. Hugonis, S. 106, 108. Vgl. Ticehurst, S. 6.

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Giraldus aus dem Leben eines Heiligen erzählt und den Schwan als Zeichen für dessen Sehnsucht nach dem Himmelreich begreift. Quellen, die in empirischer Hinsicht eine höhere Authentizität besitzen, Überreste, nicht literarisch geformt, lassen allerdings nur sehr eingeschränkte Aspekte erkennen und fokussieren keine zoologischen Fragen. Selbst diese zahmen und literarischen Schwäne erhielten keine individuellen Namen, wie sie für Haustiere kennzeichnend sind. Im 19. Jahrhundert wurden als Rufname für die Gattung „Godard“ (französisch) oder „Frank“ (deusch) empfohlen.347 Pferde hingegen konnten den individuellen Namen „Schwan“ tragen;348 Heidis Geißen hießen „Schwänli“ und „Bärli“. Schwäne wurden durch das Beschneiden der Schwingen am Entkommen gehindert. Sie gehören also in eine Kategorie mit den Kaninchen, über deren Gehege oben berichtet worden ist, und heute das Damwild, das in umzäunten Waldrevieren gehalten wird. Erst als sich mit dem Interesse an der Schwanennutzung auch das Recht der Schwanenhaltung verloren hatte, ließ man die Schwäne auf geeigneten Gewässern ungestört leben oder setzte sie – aus ästhetischen Gründen – in entsprechenden Gewässern aus. Der Inspektor des Zoologischen Museums in Halle riet 1842 eine Zähmung auf diese Weise an: Die Jungen werden an Land getrieben und eingefangen. Dann knickt man ihnen das vordere Gelenk eines Flügels und lässt sich wieder ins Wasser. Dort bleiben sie, bis der Teich vollständig zugefroren ist. Nun werden die alten wie die jungen Schwäne in ihre Winterquartiere gebracht und die jungen durch die Fütterung bald zahm.349 Die Belebung natürlicher oder naturnah gestalteter Landschaften mit Schwänen erfuhr mit den englischen Gärten und durch die Romantik verstärkt eine Konjunktur, die bis heute anhält.

347 Buhle, S. 41. 348 So schon die Chronik des Klosters Reinhardsbrunn zum Jahr 1074: MGH SS XXX,1, S. 524. 349 Buhle, S. 41.

II. Deutungen

1. M YTHOLOGIE Der Gott in Schwanengestalt Theriomorphe Götter erscheinen im europäischen Raum, anders als z. B. in der indischen oder ägyptischen Mythologie, selten. Die olympischen Götter verwandelten eher Menschen in Tiere, um sie zu bestrafen, als dass sie selbst Tiergestalt annähmen. Nur der Göttervater Zeus machte hiervon Ausnahmen, um sich Frauen seines Interesses leichter nähern zu können: Danae überraschte er als goldener Regenschauer, Antiope als Satyr, Leda als Schwan, Europa als Stier, Aegina als Feuerflamme. Diese Erscheinungen bewahren das Wesen des Gottes; auch der Wettergott der Hethiter konnte Stiergestalt annehmen und Pan als Widder auftreten. Die Geschichte von Leda und dem Schwan ist in ihren Ursprüngen freilich einigermaßen verwickelt. Das älteste Zeugnis bietet der Epenzyklus der Kyprien aus vorhomerischer Zeit, dem 6. oder 7. Jahrhundert vor Christi Geburt. Die entsprechende Passage wird aber lediglich als Zitat in einem weit später, ungefähr 200 nach Christus abgefassten Text, dem Gelehrtenmahl des Athenaios, überliefert. Zeus hatte danach seine Begierde auf die blond gelockte Nemesis gerichtet. Schamhaft und aus Furcht vor Vergeltung wollte sie ihm zu Lande und über das dunkle Meer entfliehen. Aber Zeus ließ nicht von ihr ab, denn er wünschte sie zu besitzen und trieb sie durch tosende Fluten in der Gestalt eines Fisches und wühlte die Wogen des Meeres empor, doch verwandelte sich Nemesis, um ihm zu entkommen, in ein bedrohliches Landtier. Doch half ihr das nichts; von Zeus überwältigt gebar sie die schöne Helena. Das hier fehlende Zwischenglied referiert eine (fälschlich) dem Apollodor zugeschriebene mythologische Bibliothek aus dem ersten oder zweiten nachchristlichen Jahrhundert: Einige behaupten, Helena sei die Tochter des Zeus und

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der Nemesis; diese nämlich habe sich, um den Zudringlichkeiten des Göttervaters zu entgehen, in eine Gans verwandelt, Zeus habe sich ihrer darauf als Schwan bemächtigt. Es handelt sich also um eine magische Flucht mit Verwandlungswettkampf oder Wettverwandeln, ein bekanntes Zaubermärchenmotiv. Die Behauptung, Zeus habe sich mit Nemesis vereinigt, um Helena zu zeugen, passt allerdings nicht zur später herrschenden Meinung, Leda habe Helena geboren. So erzählen Ilias und Odyssee. Schon die antiken Erklärer haben versucht, die verschiedenen Traditionen zu harmonisieren, indem sie Leda als Helenas Amme betrachteten. Pseudo-Apollodor berichtet: Nemesis habe, von Zeus befruchtet, ein Ei gelegt, welches ein Hirte auf den Wiesen gefunden und Leda gebracht habe. Diese habe es in einem Kästchen aufbewahrt und die nach angemessener Zeit geschlüpfte Helena wie ihre eigene Tochter erzogen.1 Vermutlich aber ist Nemesis, eine Göttin, die ohnehin kaum Kontur gewinnt, durch Leda, die Mutter des Dioskuren, substituiert worden. Für unseren Zusammenhang besitzt aber die Frage nach der Schwanengestalt des Zeus die entscheidende Bedeutung. Warum Nemesis sich in eine Gans verwandelte, beantwortete der Mythologe Karl Kerényi so: „Die Verbindung mit der Gans ist bräutlich. In der mythologischen Urhochzeit des Zeus und der Nemesis nahm die Braut die Gestalt dieses Vogels an. Ähnlich werden Bräute auf unteritalisch-griechischen Vasenbildern gekennzeichnet (etwa durch einen Schwan im Korb).“ Dem könnte man anfügen, dass Plinius Zunge und Mark der Gans als Aphrodisiakum angibt und, wichtiger, bemerkt, die Gans gelte als schamhaft (verecundus). Denn als „Urhochzeit“ zu bezeichnen, was eine Verwaltigung war, befriedigt wenig; folgerichtiger schiene es, auf Eigenschaften der Wildgans zu verweisen: ihr Scheu und ihre Vorsicht. Wahrscheinlich verwandelte sich Zeus in das männliche Pendant: einen Ganter, woraus erst die spätere Dichtung einen Schwan machte, der besser die Majestät des Gottes repräsentierte. Die Version, nach der Leda selbst von Zeus in Gestalt eines Schwans begattet wird, begegnet erstmals bei dem attischen Dramatiker Euripides in dessen Tragödie „Helena“ (412 v. Chr.). „... Doch geht auch die Sage, daß Zeus in meiner Mutter Leda Schoß geflogen, in eines Schwans Gestalt, der sich vor einem Adler

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III, 127. Übers. S. 131.

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zu retten suchte, und mit dieser List an ihr das Liebeswerk vollzog – sofern die Sage stimmt!“2

In einem anderen Drama des Euripides, Iphigenie auf Aulis, wendet sich der Chor an die schöne Helena mit den Worten: „Du trägst die Schuld, du, die Tochter des langhalsigen Schwanes – mag es wahr sein, was man erzählt: Daß Leda sich in Liebe verbunden dem Vogel, der zu ihr flog, damals, als Zeus sich verwandelt – mögen Fabeln pierischer Schriften nur das Gerücht in die Welt gesetzt haben zur Unzeit, zu Unrecht.“3

Euripides maß der Mythe keine weitere Bedeutung zu als die, Helena mit dem Schimmer des Besonderen zu umgeben. In der Folgezeit begann das erotische Motiv der Vereinigung von Frau und Tier die Vorstellung zu beherrschen. Die Fantasie der Künstler ließ sich davon immer wieder anregen. Schon Arachne webte – nach Ovid – ein Bild der Leda, wie sie unter den Flügeln des Schwans lag. Berühmt war die Leda-Statue des Timotheos (370/360 v. Chr.), die in der erhobenen linken Hand einen Zipfel ihres Kleides hält, während sie mit dem rechten Arm den Schwan an sich drückt, um ihn vor dem Angriff des Adlers zu schützen.4 Spätere Künstler arbeiteten das Erotische der Situation noch stärker heraus. Die ästhetische Vorzüge dieser Erfindung, die Möglichkeiten der Bildkomposition, ihr sodomitischer Kitzel und die Vorzüge der Entenartigen anderen Vögel gegenüber, deren Männchen keinen Penis haben, sollen später noch erör-

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Eur. Hel. 17-21. Übersetzung: Euripides: Tragödien. Vierter Teil. Griechisch und deutsch von Dietrich Ebener. 2. Aufl. Berlin 1990, S. 122/123.

3

Eur. Iph. Aul. 794-800. Euripides: Tragödien. Sechster Teil. Griechisch und deutsch von Dietrich Ebener. 2. Aufl. Berlin 1990, S. 56/57. Vgl. Eur. Or. 1385-1387. Die Begegnung von Zeus und Leda findet nach Anth. Pal. (Anthologia Palatina) 5, 307 am Ufer des Eurotas statt.

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Moormann/Uitterhoeve, S. 414.

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tert werden.5 Entscheidend ist in unserem Zusammenhang, dass der Schwan zwar eine Erscheinungsform des Göttervaters darstellte, aber doch situationsgebunden. Die Repräsentation des göttlichen Willens spaltete sich sogar, indem er auch den Adler (vielleicht Aphrodite) lenkte, der den Schwan in Ledas Schoß scheuchte. Nur einmal nahm Zeus – für kurze Zeit – die Gestalt eines Schwans an: eine Erscheinung, die allerdings nur wenig von seiner Göttlichkeit widerspiegelt. Parallelisieren lassen sich der Weltlenker-Gott der Wogulen, eines ugrischen Volkes östlich des Urals, der seiner Braut im Innern des Glasberges in Gestalt eines Gänserichs oder Schwanes beiwohnte,6 und in gewisser Weise auch Brahma, der als Gans (Hamsa) erfolglos versuchte, an das Ende von Shivas unendlich langem Phallus zu gelangen: eine sexualisierte Vorstellung, die den Gott nicht eben im höchsten Glanze erscheinen lässt.7 Schwäne im göttlichen Gefolge Als Apollon geboren worden war, übergab Zeus ihm eine goldene Mitra, eine Leier und einen Wagen zum Fahren, der ihn zum Ort seiner Bestimmung, nach Delphi, bringen sollte. Vor den Wagen waren Schwäne gespannt. Apoll aber, den Wagen besteigend, befahl den Schwänen, zu den Hyperboreern zu fliegen. Die Leute in Delphi fertigten Loblieder und Gesänge an und stellten Knabenchöre um den Dreifuß, welche den Gott anflehten, von den Hyperboreern zu ihnen zu kommen. Dennoch blieb der Gott ein Jahr lang bei den Hyperboreern und erließ dort Gesetze. Erst danach wünschte er, weiter nach Delphi zu ziehen, und befahl seinen Schwänen, das Land der Hyperboreern zu verlassen.8 So erfahren

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Dazu 66 Leda-Bilder aus der Sammlung Wolfram Körner. Mit einem Vorwort von Rainer Kirsch und einem Nachwort von Wolfram Körner. Berlin (Ost) 1987; Dekker, S. 13-15.

6

Michael de Ferdinandy: Die Mythologie der Ungarn. In: Wörterbuch der Mythologie. Erste Abteilung. Band II. Stuttgart 1973, S. 209-259, hier S. 246.

7

Volker Moeller: Die Mythologie der vedischen Religion und des Hinduismus. In: Wörterbuch der Mythologie. Hrsg. von Hans Wilhelm Haussig. Erste Abteilung, Band V. Stuttgart 1984, S. 1-203, hier S. 21, 130.

8

Alk. I, 20. Diese und andere auf Schwäne bezüglichen Stellen der antiken griechischen Literatur finden sich in Übersetzung bei Heinrich Böttger: Sonnencult der Indogermanen (Indoeuropäer) insbesondere der Indoteutonen aus einhundertfünfundzwanzig hebräischen, griechischen, lateinischen und altnordischen Original- und zweihundertachtundsiebenzig sonstigen Quellen geschöpft und erweisen. Breslau 1890, S.

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wir aus einem Hymnus, den Alkaios von Mytilene auf der Insel Lesbos um das Jahr 600 vor Christi Geburt dichtete. Kallimachos von Kyrene, Direktor der berühmten Bibliothek in Alexandria, fügte 250 Jahre später an: „Dienstfertige Schwäne kamen, als der Gott geboren werden sollte, vom Paktolos her und umkreisten Delos sieben Mal, und sie kamen herbei zu seiner Geburt, die Vögel der Musen, die gesangreichsten unter den Geflügelten. Darum spannte der Knabe später sieben Saiten auf seine Leyer, weil so oft die Schwäne bei seiner Geburt ihren Gesang angestimmt hatten.“ Und an anderer Stelle: „Heilige Schwäne kommen gezogen und ziehen ihre Kreise sieben Mal umd die Insel Delos. Da wird Apollon geboren, das Kind der sieben Monate. Da war alles golden auf Delos, der ganze Boden und alle die heiligen Stätten. Dann strahlte die ganze Natur im Glanze der Sonne, es reifen die Früchte, es klingt die Leier, es singen die Nachtigallen, die Schwalben, die Zikaden, alle nicht ihr eigenes Lied, sondern die Lieder des Gottes, und es singen die Schwäne aus dem Norden.“9 Im zweiten nachchristlichen Jahrhundert fügte Claudius Aelianus diesen Bericht seinem Buch über das Wesen der Tiere ein: Wenn die Hyperboreer Gottesdienst feiern, fliegen die Schwäne in großen Zügen vom Rhipaia-Gebirge herab und umkreisen den Tempel; anschließend lassen sie sich im Tempelbezirk nieder. Sobald der Chor der Sänger sein Lied anstimmt und Saitenspiel ihn begleitet, fallen die Schwäne mit ein. Nach beendigtem Hymnus kehren sie in ihre Berge zurück.10 Über den Sonnenkult der Indogermanen und Apollon als seine Verkörperung ist von den Mythologen des 19. Jahrhunderts viel Spekulatives geschrieben worden. Wichtig hier: Den Gott als Inbegriff des aufgehenden Lichtes und der Musik begleiten singende Schwäne. Die Herkunft der Schwäne bezeichnen der Fluss Paktolos, heute Sart Çayi, und das mythische Rhipaia-Gebirge hoch im Norden, hinter welchem verborgen die Sonne in der Nacht ihren Lauf nach Osten nimmt, um am anderen Morgen wieder sichtbar dort aufzugehen. Am Fuß des Gebirges, weit im Norden, dachten die Griechen sich das Land der Hyperboreer, die Heimat des Nordwindes Boreas, denn nach antiker Etymologie bedeutet der Name: jenseits des Boreas. Der Paktolos fließt in den heutigen Gediz, der nördlich von Izmir in das Ägäische Meer mündet; in der Antike führte dieser Elektron; nach Ovids Metamorphosen ging die Gold erzeugende Kraft des Königs Midas in sein Wasser über.11

54-55. Vgl. ferner Eleni Chalatsi: Kyknos melodos. Schwan und Schwanengesang in der griechischen Antike. Diss. Phil. FU Berlin 1999/2000 (Mikrofiche-Ausg.). 9

Kall. h. in Delum 249. Übersetzung von Böttger.

10 Ail. nat. XI, 1. 11 Ov. met. XI, 140ff.

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Paktolos und Land der Hyperboreer: Orte besonderer Begnadung, die der Winterzug der Singschwäne aus Mittelsibirien in die Ägäis in Beziehung setzte. Es ist allerdings zweifelhaft, ob die Schwäne ursprünglich Apollon angehörten. Aus mykenischer Zeit sind Siegelsteine überliefert, die eine Herrin der Tiere (Potnia theron) darstellen, die zwei langhalsige Wasservögel ergreift. Die Vermutung liegt nahe, dass die Verehrung Apolls, die um das Jahr 1000 vor Christi Geburt auf seiner Geburtsinsel Delos einsetzte, Elemente der Verehrung einer älteren Tierherrin aufnahm.12 Nicht zuletzt lebte diese in Apolls Schwester, der Jagdgöttin Artemis, fort, die ebenfalls mit Schwänen abgebildet wird. Ein ähnliches Schicksal wie die kretomykenische Potnia theron erfuhr der Heros von Amyklai bei Sparta: Hyakinthos. Nachdem sein eigener Kult in der Verehrung Apollons aufgegangen war, erschien er als dessen Liebling und als Schwanenreiter.13 Mit dem griechischen Apollon kann die indische Göttin Saraswati verglichen werden: die Göttin der Rede, Emanation und Gemahlin Brahmas und ausgezeichnet durch die Klarheit ihres Geistes. Auf Abbildungen hält sie häufig ein Saiteninstrument in den Händen, ganz wie Apoll die Leier, und reitet auf einem weißen Wasservogel oder lässt sich von diesem begleiten.14 Auch Brahma selbst benutzt Hamsa, eine Gans, dichterisch später: einen Schwan15 als fliegendes Reittier oder lenkt einen Streitwagen, den sieben Schwänen, die auf die sieben Weltteile deuten, ziehen. Überhaupt ist der von Schwänen gezogene Himmelswagen in der indischen Mythologie ganz geläufig. Im Ramayana, dem Heldengedicht vom Prinzen Rama und der schönen Sita, die der Dämonenherrscher entführt hatte, ist davon an verschiedenen Stellen die Rede. Eine Dämonin sah im Traum Rama als Gott: als Verkörperung Vishnus: „Ich erblickte einen himmlischen Wagen aus Elfenbein, den hundert Schwäne durch den Äther zogen. Darauf stand Rama in der Begleitung von Lakshmana [seinem Bruder], gekleidet in strahlende Gewänder, girlandengeschmückt. Und ich sah Sita in reinstes Weiß gehüllt, und sie stand auf einem schneeweißen, meerumgebenen Berg, und sie war mit Rama vereinigt wie das Licht mit der Sonne.“16 Das Gedicht erhielt sei-

12 Chalatsi, S. 46-47, 67, 69, 70, 96, 144f. 13 Ebd., S. 68f, 147f. 14 David Kinsley: Hindu Goddesses. Dt.: Die indischen Göttinnen. Frankfurt/M. 2000, S. 91f. 15 Moeller: Mythologie der vedischen Religion, S. 82. Wie Sarasvati hat auch Varuna als Wassergottheit? eine besondere Beziehung zum Hamsa. 16 Kapitel 27. The Ramayana of Valmiki. Dt.: Ramayana. Die Geschichte vom Prinzen Rama, der schönen Sita und dem Affen Hanuman. München 1996, S. 204.

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ne heutige Fassung ungefähr im zweiten nachchristlichen Jahrhundert, und etwas kann man die alten Naturmythologen schon verstehen, die den Sonnengott als beherrschende Gestalt eines arischen Pantheons betrachteten. In der griechischen Kleinplastik und Vasenmalerei, dann in der lateinischen Literatur werden Schwäne auch der Liebesgöttin zugeordnet: „Venus fuhr auf leichtem Wagen durch die Lüfte dahin und hatte mit ihrem Schwanenpaar Zypern noch nicht erreicht“, als sie das Ächzen des sterbenden Adonis vernahm.17 Allem Anschein nach wurde die Vorstellung des heiteren Gottes Apollon, in dessen Gefolge der Frühling mitzog, auf Aphrodite-Venus übertragen, deren Schwanengefährt so nur ein ein geborgtes wäre. Außerdem können Interferenzen zu Artemis als Tierherrin eine Rolle gespielt haben.18 Von seiner Mutter Venus wiederum schreibt sich die Vorliebe des Cupidus für Schwäne her: Apuleius erzählt von einem Traum, den Sokrates hatte: wie ein junger Schwan, welcher in der Akademie dem Cupidus geweiht war, aufgeflattert sei und sich in seinem Schoß niedergelassen habe, nachher aber fortflog, um mit harmonischem Gesang die Ohren der Götter und Menschen zu erfreuen. Dieser Traum wurde auf Platon hin ausgelegt. Festgehalten sei jedoch auch die beiläufige Mitteilung, dass in der Akademie in Athen dem Cupidus/Eros geweihte Schwäne gehalten wurden. Eine Idee von einem schwanengezogenen Himmelsgefährt hatte auch die altirische Heldensage: Nachdem Cuchulinn seine Feinde besiegt hatte, fing er zwei Hirsche ein und band sie an seinen Kampfwagen; acht Schwäne erjagte er lebend und befestigte sie mit Seilen und Riemen ebenfalls an seinem Gefährt. Es war heller Morgen, als er dem Königshof nahte: ein Wagenlenker, der schrecklich daherkam. Drei blutüberströmte Köpfe seiner Feinde hingen am Wagen, Hirsche trabten an seiner Seite und Schwäne flogen über seinem Kopf. Entsetzt vor der Raserei des Helden, schickte man ihm zur Besänftigung drei Mal fünfzig nackte Frauen entgegen.19 Was ursprünglich ein Opfer für den Gott gewesen sein mag, hatte sich in eine Besänftigungsgeste für den Helden gewandelt. Schwäne als göttliche Begleiter eines Gottes und seinem Willen unterworfen kommen in der nordischen Mythologie ebenfalls vor. Ein färingisches Lied aus

17 Ov. met. X, 708. Übersetzung: Ovid: Metamorphosen. Das Buch der Mythen und Verwandlungen. Übers. von Gerhard Fink. Frankfurt/M. 1992, S. 258. 18 Geoffrey Grigson: The Goddess of Love. London 1976. Dt.: Aphrodite. Die Biographie. München 2008, S. 206; Chalatsi, S. 146, die Aphrodite – wie Artemis – in der Nachfolge der Herrin der Tiere sieht und auf die zahlreichen Darstellung Aphrodites mit Schwan in der klassischen griechischen Kunst verweist. 19 Erinn, S. 221.

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dem 19. Jahrhundert, das Inhalte einer alten Sage tradiert, erzählt, wie drei Götter, Odin, Hönir und Loki nacheinander einen Bauernjungen verstecken, den sein Vater beim Brettspiel an einen Riesen verloren hatte. „Hönir gieng in den grünen Grund, Sieben Schwäne flogen da über den Sund. Da ließen schneeweiß von Gefieder Drei Schwäne sich vor Hönir nieder. An eines Schwanen Hals alsbald Barg Hönir den Knaben in Flaumgestalt.“20

Der Riese fing den ersten Schwan mit den Händen und biss ihm den Kopf ab; Hönir rettete den Jungen und brachte ihn seinen Eltern zurück. Erst Loki löste die Situation endgültig, indem er den Riesen in eine Falle lockte und erschlug. Hönir gewinnt in der Überlieferung kaum Konturen. Manche Interpreten legen ihm neben der Gewalt über Schwäne auch eine weitere apollinische Eigenschaft, die Sangeskunst, bei. Antik-griechische Verwandlungen in Schwäne In der griechischen Mythologie begegnen vier Personen mit dem Namen Kyknos, lateinisch Cycnus (Schwan):21 1. Ein Sohn des Ares und der Pelopia trug diesen Namen. Er überfiel Vorüberreisende, um Apollon aus ihren Schädeln einen Tempel zu errichten. Herakles gelang es, diesen Kyknos zu besiegen und zu töten. Von seiner Metamorphose in einen Vogel berichtet lediglich – um 200 n. Chr. – Athenaios in seinem Symposion.22 2. Ein weißhäuptiger Sohn Poseidons, den Achill tötete. Nach Athenaios hatten Schwäne diesen Kyknos aufgezogen. Ovid erzählt in den Metamorphosen: Auf einen Sohn des Poseidon, den seine Mutter am Strand ausgesetzt hatte, wurden

20 Karl Simrock: Handbuch der Deutschen Mythologie mit Einschluß der nordischen. 3. Aufl. Bonn 1869, S. 104f. Vgl. Golther, S. 477-481. 21 Neben den einschlägigen Lexika s. Christian Zgoll: Phänomenologie der Metamorphose. Verwandlungen und Verwandtes in der augusteischen Dichtung. Tübingen 2004 (Classica Monacensia 28), S. 103-105. 22 9, 393e.

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Fischer deshalb aufmerksam, weil ein Schwan über ihm schwebte. Im Trojanischen Krieg kämpfte dieser Kyknos sieghaft gegen die Griechen, denn schneidende Waffen konnten ihm nichts anhaben; erst Achilles erwies sich als stärker und erwürgte den Gottessohn mit dem Helmriemen oder erschlug ihn – so hellenistische Darstellungen – mit einem Stein. Als er die Leiche aber plündern will, findet er nur noch die leere Rüstung vor. Poseidon hatte seinen Sohn in einen Schwan verwandelt.23 3. Der Sohn des Sthenelos, Königs von Lygurien, betrauerte den Tod seines Freundes Phaeton so tief, dass er die Gestade des Eridanos mit seinen Klagen erfüllte und Gewässer aufsuchend, weil ihm das Feuer verhasst war, zum Schwan wurde.24 Nach Hyginus stieß er auch sterbend Klagerufe aus.25 Die Verbindung einer Lyguriers zur Musik konnte leicht geknüpft werden, weil griechisch ligys „laut tönend“ oder „hell klingend“ bedeutete; außerdem lag Lygurien weit im Westen, wo der Eridanos seinen Ursprung hatte.26 Der Grammatiker Servius, um 400 n. Chr., erklärte in seinem Vergil-Kommentar (zu Aen. 10, 189), dieser Kyknos sei unter die Sterne versetzt worden. Das Sternbild des Schwans bringt Eratosthenes von Kyrene hingegen mit Zeus, als er sich Nemesis näherte, in Verbindung.27 4. Ein Sohn Apollons und der Nymphe Thyria, der sich, weil sein Geliebter Phylios ihm einen Stier verweigerte, in einen See stürzte und verschwand. Seine Mutter warf sich in dasselbe Gewässer und Apollon verwandelte beide in Vögel. Der See hieß von da an Kygneia und trug, wie Antoninus Liberalis im 2. oder 3. Jahrhundert nach Christi Geburt berichtete, eine Reihe von Schwänen.28 An Phylios erinnerte ein Grabmal ganz in der Nähe. Bei Ovid heißt die Nymphe Hyrie, und nur Kyknos, der sich in einen Abgrund stürzte, schwebte als Schwan davon. Seine Mutter, die von der Rettung nichts wusste, zerfloss in Tränen, die einen See zu bilden begannen.29

23 Vgl. Melanie Möller: Der staunende Achill: Eine poetologische Lektüre der CygnusEpisode (Ov. Met. 12,64-167). In: Göttinger Forum für Altertumswissenschaft 6 (2003), S. 51-66. 24 Ov. Met. 2,367ff. 25 Fab. 154. 26 Irving, S. 259. 27 Cataster. 25. 28 Anton. Lib. 12. Vgl. Irving, S. 257. 29 Ov. met. 7, 371.

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Orpheus, der von thrakischen Frauen oder Maenaden zerissen worden war, wünschte nicht, als Mensch wiedergeboren zu werden, um sein neues Leben nicht einer Frau verdanken zu müssen; er erhielt die Gunst, in einen Schwan einzugehen: „Denn dies Schauspiel sei wert gewesen, es zu sehen, wie die Seelen jede für sich ihre Lebensweise wählten; denn es sei jämmerlich zu sehen gewesen und lächerlich und wunderbar. Die meisten nämlich hätten der Erfahrung ihres früheren Lebens gemäß gewählt. So habe er gesehen, daß die Seele, die einmal Orpheus gewesen, ein Schwanenleben gewählt, indem sie aus Haß gegen das weibliche Geschlecht, wegen des von ihm erlittenen Todes, nicht habe vom Weibe geboren werden wollen; und die des Thamyris habe eine Nachtigall gewählt. So habe auch ein Schwan sich durch seine Wahl zum menschlichen Leben umgewendet, und ebenso andere tonkünstlerische Tiere.“30

Lukianos spricht davon, dass in der Po-Gegend musikalisch begabte Menschen in Schwäne und Begleiter Apolls verwandelt worden seien (wofür ihn die dort ansässigen Fischer freilich auslachen).31 Die Verwandlungen von Menschen gerade in Vögel waren in der Antike sehr geläufig. Rund 120 Metamorphosen dieser Art lassen sich in Dichtung und mythologischer Literatur nachweisen, gewöhnlich erst in der hellenistischen Epoche, die großes Interesse an aitiolischen Sagen hatte. Schwänen kommt hierbei als Zielhüllen keine irgendwie herausgehobene Bedeutung zu.32 Zu konstatieren ist zweierlei: Die Metamorphose in Schwäne erfolgt durch göttliche Einwirkung: als Gnade. Und: Die Schwäne verkörperten oder bezeichneten in aller Regel männliche Protagonisten oder deren Seelen. Armstrong unterstellte daher grundsätzlich Bezüge zu Apollon als dem Gott des männlichen, solaren Prinzips.33 Das muss aber wegen der ganz anderen Begründungen, die sich aus Verwandtschaften der dahinscheidenden Heroen zu Poseidon oder Ares ergeben, zweifelhaft erschienen. Es deuten sich Beziehungen zum Himmel wie auch zum Wasser an. Schwanenritter Der Schwanenritter spiegelt in gewisser Wiese das Schicksal der Schwanenjungfrauen. Während diese leiden und zu Opfern werden, zu Opfern eines Raubes, ist

30 Plat. Rep. 10,602a. 31 Lukian. De electro seu cygnis. 32 Zgoll, S. 101, 330-334. 33 Armstrong: Folklore of Birds; vgl. Prévost, S. 94.

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es der Schwanenritter selbst, der in Aktion tritt. Er erscheint, er rettet die bedrängte Prinzessin, er verschwindet. Die Frage, ob er eigenverantwortlich entscheidet oder einem höheren Willen folgt, besitzt ursprünglich keinerlei Bedeutung; sie erlangte erst dann Relevanz, als die Interpreten versuchten, das Wesen des Schwanenritters mit theologisch-wissenschaftlichen Kategorien zu fassen, zu erklären, zu entmythologisieren. Die Geschichte des Schwanenritters führt die Chanson du Chevalier au Cygne aus, deren nicht erhaltene Ursprungsfassung wahrscheinlich Mitte des 12. Jahrhunderts entstanden ist. Daneben finden sich einige chronikalische Zeugnisse für die Sage. Die deutschen Bearbeitungen des Stoffes, Wolframs Parzival, der Schwanenritter Konrads von Würzburg und der anonym überlieferte Lohengrin setzten je eigene Akzente. Eine Analyse der unübersichtlichen Zusammenhänge muss hier nicht geleistet werden.34 Das entscheidende Ereignis für unsere Darstellung ist das Erscheinen des Schwanes. Der älteste Bericht, überliefert durch einen Apokalypsekommentar Geoffroys von Auxerre von 1187/88, lautet so: „In der Diözese Köln erhebt sich am Rhein ein weit berühmter und weit ausgedehnter Palast, der Nimwegen (Nimmaim) heißt. In Gegenwart vieler dort versammelter Fürsten und – wie manche erzählen – sogar des Kaisers legte, von einem Schwan an silberner Kette gezogen, ein Nachen am Gestade an, eine Sensation, welche die Anwesenden erstaunen und sich erheben ließ. Ein neuer Ritter, den niemand kannte, entstieg; der Schwan zog den Nachen ebenso, wie er ihn hergezogen hatte, an der Kette zurück. Der Ritter erwies sich im Folgenden als mannhaft, erfolgreich bei Verhandlungen, den Befehlshabern gegenüber gehorsam, schrecklich für die Feinde, seinen Mitstreiter gefällig und scherzhaft unter Freunden. Er vermählte sich mit einer edlen Frau aus wohlhabendem und angesehenem Haus. Mit ihr zeugte er Kinder, doch verging nur wenig Zeit, dass er, als er sich im oben genannten Palast aufhielt, seines Schwanes gewahr wurde, der mit Nachen und Kette von fern herankam. Ohne zu zögern erhob er sich, eilte zum Gestade, bestieg das Boot und wurde nicht mehr gesehen. Seine Kinder hatten nicht wenige Nachkommen, und bis heute hat sich das Geschlecht zahlreich erhalten und vermehrt sich.“

Fast gleichzeitig – vor 1218 – verknüpfte die Chanson Le Chevalier au cygne diese Geschichte mit dem Haus Bouillon. Zum Erscheinen des Schwanenritters heißt es darin: „Sie [der Kaiser und sein Umstand] sahen den Rhein herauf einen

34 Das Material wird umsichtig aufbereitet von Thomas Cramer: Lohengrin. Edition und Untersuchungen. München 1971; vgl. ferner Enzyklopädie des Märchens. Bd. 12. Berlin 2007, Sp. 296-307 (Otfrid Ehrismann).

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weißen Vogel schwimmen, eine Kette um den Hals, und ein Schifflein ziehen und sahen in dem Schiff einen Ritter liegen.“35 Nimwegen (Nijmegen, Niomagus) war der letzte feste Punkt am Rhein, hoch genug gelegen, um eine sichere Überquerung des Flusses zu gewährleisten. Vor Nimwegen breitet sich bis zur Nordsee hin die Tiefebene des Rheindeltas aus. Schon Karl der Große hat die strategische Bedeutung des Ortes durch eine ausgedehnte Pfalz auf dem Lindenberg, unmittelbar am Fluss, verstärkt; dass sich von hier aus auch die Maas kontrollieren ließ, erweckte in sächsischer Zeit ein erneutes kaiserliches Interesse an Nimwegen. Kaiser Heinrich II. befriedete hier 1018 in zweimonatigen Verhandlungen Lothringen und hielt Gericht über die Grafen Balderich von Drenthe und Dietrich von Holland. Konrad II. hielt sich häufig in Nimwegen auf, wo er 1036 die Vermählung seines Sohnes, König Heinrichs III., mit einer dänischen Prinzessin feierte. Nachdem der Herzog von Lothringen die Burg 1047 zerstört hatte, bemühte sich namentlich Friedrich Barbarossa um den Wiederaufbau. Noch kurz vor seinem Tod, von Griechenland aus, erkundigte er sich eindringlich nach dem Stand der Arbeiten. Und das war, fast aufs Jahr genau, die Zeit, in der Geoffroy von Auxerre seinen Bericht abgab. Diese historisch-geografische Schilderung soll deutlich machen, dass Nimwegen nicht zufällig erscheint. Nimwegen kombiniert zwei für die Erzählung konstitutive Elemente: die Pfalz eines Kaisers und eine Schwanenlandschaft. Vom Lindenberg aus konnte man weit in die Ebene blicken und den Schiffsverkehr beobachten, die im Wind geblähten Segel oder, wenn die Ruder benutzt werden mussten, wenigstens die Masten erkennen. Falls man, Lecouteux folgend, die Schwanenrittersage von der genealogischen Anknüpfung an das Haus Bouillon löst, reduziert sich alles auf das Erscheinen des Schwans. Der Schwanenritter ist eine Erscheinung, eine halluzinierte Gestalt. In der wasserreichen Gegend von Nimwegen, einer traditionsreichen Schwanenlandschaft, kann leicht ein natürlicher Schwan die Halluzination bewirkt haben. Denn der in einem Nachen stehende Ritter ist weiter nichts als eine Verdoppelung des Schwanes. Der Ritter kam kampfbereit und d. h. in hell glänzender Rüstung; seinen Nachen band eine silberne Kette an den weißen Schwan. Eine Lichterscheinung also. Der stehende Ritter im Bug des horizontal liegenden Nachens dupliziert – im größeren Maßstab – die Schwanengestalt. Spätere Erzähler haben das Silber der Kette (wie in der Geschichte der Schwanenkinder) zu Gold veredelt; den Ritter ohne Brünne reisen lassen, in ei-

35 Virent amont le Rin un blanc oisel noant,/ El col une caine et i batel traiant;/ Et virent en la nef i cevalier gisant. Le Chevalier au cygne and La Fin d'Elias. Hrsg. von Jan A. Nelson. Alabama 1985 (The Old French Crusade cycle 2), S. 5 (Z. 135-137).

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ner Redaktion immerhin mit weißem Seidenhemd, und im Schiff schlafend. Aber die weiße Farbe trägt Bedeutung, und weiß gekleidet waren übrigens auch die Gralsritter. Für das Motiv des schlafenden Helden im treibenden Boot gibt es andere Beispiele, die hier vorbildhaft gewirkt haben mögen. Einen düsteren Gegenentwurf bietet z. B. Tristan, als er mit vergifteten Wunden in einem Boot nach Dublin trieb und dabei seine Harfe erklingen ließ.36 Eine stimmige Anschauung der Nimwegener Szene vermittelt nur, wie auf jeder Opernbühne zu sehen, die Wagners „Lohengrin“ darbietet, ein stehender Ritter. Auch die ältesten bildlichen Darstellungen zeigen den Schwanenritter in aufgerichteter Haltung. Erscheinungen dieser Art, als außersinnliche Wahrnehmungen gedeutet, haben auch sonst den Kern von Erzählungen gebildet. Gut vergleichbar berichtet eine Sage vom Ursprung der Merowinger: Clodio, Faramunds Sohn, saß eines Tages mit der Königin am Strand. Da stieg ein Ungeheuer in Gestalt eines Stieres aus den Wogen und überwältigte die Königin. Diese gebar nachher einen Sohn von seltsamen Aussehen, der deshalb Merovig, das heißt „meerfarben“ genannt wurden; von ihm stammen die Merowinger ab. Auch wenn man die Erscheinung des Schwanenritters als ein spirituelles Erleben begreift, muss trotzdem eine Geschichte erzählt werden, um das Erlebnis kommunizieren zu können. Daraus ergeben sich von selbst die Fragen: Wieso ist der Schwanenritter erschienen? Was war seine Mission? Und: Woher ist er gekommen? In den Quellen finden wir lediglich Antworten, die genealogische Zusammenhänge darlegen wollen; darauf sei nur ein kurzer Blick geworfen. Als Chevalier de cygne erscheint in dem gleichnamigen Roman ein Schwanenkind königlicher Abkunft, Elyas, der von seinem aus der Schwanengestalt nicht erlösten Bruder in einem Nachen nach Nimwegen gezogen wird, um in einem Gottesurteil der Herzogin von Bouillon gegen den Herzog von Sachsen beizustehen. Er ehelichte nach siegreichem Kampf die Tochter der Herzogin, Beatrix, und entschwindet, nachdem diese das Frageverbot gebrochen hat. Die gemeinsame Tochter Ydain (Ida) heiratet den Grafen Eustach von Boulogne; aus dieser Ehe

36 Trist. 7425-7429, 7490-7691. Ausgabe: Gottfried von Straßburg: Tristan und Isold. Hrsg. von Walter Haug und Manfred Günter Scholz. Berlin 2011 (Bibliothek des Mittelalters 10).

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geht Gottfried von Bouillon, der spätere Verteidiger des Heiligen Grabes, hervor.37 Die genealogische Anbindung an eine Fee und ein Feenreich begegnete im 13. Jahrhundert großen Schwierigkeiten, weil die christliche Theologie in ihrem dualistischen Weltverständnis bestrebt war, alle Wesen früherer Zwischenreiche entweder als Engel zu verstehen oder zu dämonisieren. In einer englischen Version der Sage wird die Mutter der Schwanenkinder, die „nimpha“, eben deshalb von ihrer Schwiegermutter verfolgt, weil sie dem höllischen Sathanas anhing.38 Wie muss sich nicht Konrad von Würzburg bemühen, in seiner Schwanenritterdichtung die christliche Weltsicht mit der Sage zu harmonisieren. An die Stelle des theologisch anstößigen Gottesurteils setzt Konrad die Bekämpfung eines Gewalttäters. Der Gegner im Zweikampf, ein Herzog von Sachsen, wirft dem Schwanenritter vor, sich fremden Zaubers zu bedienen. Der antwortet: „Dass Ihr mich Zaubers geziehen habt, das will ich nach Kräften rächen. Gott weiß, dass ich nie Zauberei getrieben habe.“ Und am Ende erklärt der Autor: Gott habe viele Wunder getan, die noch unmöglicher erschienen; Gottfried sei sein Werkzeug gewesen, und drei Mal sandte er Gottfried die himmlischen Heerscharen zur Hilfe. Er bewirkte, dass der Ritter mit dem Schwan erschien, und Konrad bittet den Leser, dieses Wunder nicht für Lüge zu halten.39 Die großen Familien hatten sich von heidnisch-mythologischen Bezügen, wie wir sie aus der Völkerwanderungszeit kennen, längst abgewandt und führten ihre Genealogien auf Gestalten der griechisch-römischen Antike zurück, was sich durch das Vier-Reiche-Schema leicht in die christliche Heilsgeschichte einpassen ließ. Für die Schwanenritterabstammung gibt es lediglich eine Parallele, nämlich die Abstammungssage der Grafen von Lusignan, die eine Fee Melusine (mit Schlangen- oder Fischschwanz) als Spitzenahnin benennt. Wahrscheinlich wird in dieser Hinsicht aber nur das erfolgreiche Beispiel der Schwanenrittersage nachgebildet, denn zwischen beiden besteht ein historisch-soziologischer Zusammenhang: Im einen wie im anderen Fall soll für Grafenfamilien aus der

37 Vgl. Cramer, S. 53-68. Zum historischen Hintergrund s. Walter Mohr: Geschichte des Herzogtums Lothringen. Teil II: Niederlothringen bis zu seinem Aufgehen im Herzogtum Brabant (11.-13. Jahrhundert). Saarbrücken 1976, S. 63-73. 38 Vgl. Lecouteux, Entstehung der Schwanenrittersage, S. 22, Anm. 21. 39 Konrad von Würzburg: Kleinere Dichtungen II: Der Schwanenritter. Das Turnier von Nantes. Hrsg. von Edward Schröder. Dublin 1959. ND Hildesheim 1998, Z 702ff., 947-953, 1612-1635.

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zweiten Reihe des europäischen Hochadels die Idoneität für eine Würde von besonderer mythischer Qualität begründet werde: die des Königs von Jerusalem.40 Der Name des Schwanenritters, Elyas, erinnert an den Propheten, der die Baal-Priester erschlug und schließlich in einem Feuerwagen, von feurigen Rossen gezogen, den Blicken entschwand. Aber sicher spielt auch der römische Name Aelia Capitolina für Jerusalem hinein, den arabische Schriftsteller der Kreuzzugszeit in der Form „Ilija“ verwendeten. Elyas Heimat, das Reich seines Vaters Orians (ex oriente) lag an unbestimmtem Orte im Meer oder jenseits des Meeres im Osten. Nach dem exegetischen Schema von Verheißung und Erfüllung, Typus und Antitypus, verweist die Geschichte des mythischen Schwanenritters auf dessen Enkel, Gottfried von Bouillon, dem das Kreuzfahrerheer nach der Eroberung Jerusalems im Jahre 1099 die Herrschaft über die Stadt in die Hände legte. Er selbst nannte sich nur „Verteidiger des Heiligen Grabes“ (advocatus sancti sepulchri), eine Rücksichtnahme auf die Leidensgeschichte Christi, die Gottfrieds Nachfolger nicht übten. Nach ihm regierte seine Verwandtschaft das Königreich – von 1131-1143 Königin Melisenda41 –, bis 1183 ein Graf von Lusignan, Guido, die Herrschaft an sich riss und 1187 an den ägyptischen Sultan Saladin verlor. Die Fiktion einer Abstammung der Grafen von Bouillon von übermenschlichen Wesen erwies sich als ein attraktiver literarischer Stoff, der die unterschiedlichsten Erzählungen und Motive anzog und verarbeitete. Besonders wichtig wurde die Verbindung mit der Gralsthematik, weil hierdurch die Präfiguration eines geistlichen Königtums, das sich auf das Blut Christi gründete, integriert werden konnte. Das alles geschah durchaus nicht zielgerichtet oder durch das Haus Bouillon gesteuert, entfaltete aber eine solche Wirkung, dass andere Geschlechter ihrerseits daran anknüpfen wollten.

40 Reiffenberg, Ad. Borgnet: Le chevalier au cygne et Godefroid de Bouillon. Poëme historique publié pour la première fois … T. 1. Brüssel 1848, S. 12 meinten, durch die Einführung des Schwanenritter habe eine Lücke in der Genealogie der Lotharier überdeckt werden sollen. Tatsächlich können wir auch heute Gottfrieds Genealogie nicht über den Großvater hinaus zurückverfolgen, und es ist fraglich, ob die Kreuzfahrer das konnten. Europäische Stammtafeln. Stammtafeln zur Geschichte der europäischen Staaten. Neue Folge. Hrsg. von Detlev Schwennicke. Band III. Teilbd. 4. Marburg 1989, Tafel 621. 41 Den Gedanken eines Zusammenhangs zwischen jener Melisenda und der Fee Melusine, der hier insinuiert wird, äußert auch Sax, S. 90. Wenn sich die Grafen von Anjou (Plantagenet) (wie Sax, S. 82 angedeutet) ebenfalls auf eine Fee zurückgeführt haben sollten, hätten wir in der Folge der Könige von Jerusalem das interessante Beispiel einer mehrfachen Übertragung einer Legitimationskonstruktion.

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Ein Zweig der Überlieferung reichte nach England, was die Attraktivität des literarischen Stoffes ebenso wie die internationale Rezeption der Kreuzzugsdichtung belegt. Namentlich die de Tony und de Bohun (die Earls von Hereford) beriefen sich auf die Abstammung vom Schwanenritter und konnten tatsächlich an verwandtschaftliche Beziehungen zu den Grafen von Boulogne anknüpfen, die ins 11. Jahrhundert zurückreichten. In einem Gedicht auf die Belagerung der schottischen Burg Gaerlavorek im Jahre 1300 heißt es über Robert de Tony, der ganz weiß gerüstet erschien, mit weißem Banner in der Hand, er sei vom Schwanenritter (ein Mann? ein Abkömmling?). Eine Geschichte der Earls von Warwick, zwischen 1477 und 1485 verfasst, berichtet, dass die Earls von Warwick, Hereford und Stafford von Eneas, dem Schwanenritter, abstammten und deshalb einen Schwan als Helmzier führten, auch besäßen die von Warwick einen Kelch aus dem Gold der Kette, die der Schwan trug, und die von Stafford einen Deckel. Edward Stafford, Herzog von Buckingham, ließ 1512 die Erzählung „vom edlen Helyas, dem Ritter mit dem Schwan“ ins Englische übersetzen.42 Im Herzogtum Lothringen ging die Schwanenrittertradition schon im 12. Jahrhundert auf das Haus Brabant über, von dort aus durch die Töchter Herzog Heinrichs I. an die Grafen von Geldern, Looz-Rieneck und Kleve. Zum Ruhm dieser Familien dichtete Konrad von Würzburg vor 1257/58 ein Schwanenritterepos.43 Darin schreibt er, vom Schwanenritter seien zahlreiche Nachkommen aufgewachsen und geboren: die von Geldern und von Kleve und der Rienecker aus ihrem Geschlecht. Ihre Verwandtschaft verteilte sich über die Lande und sei

42 Anthony R. Wagner: The Swan Badge and the Swan Knight. In: Archaeologia or miscellaneous tracts relating to antiquity 97 (1959), S. 127-138. Vgl. Hablot. 43 Horst Brunner: Genealogische Phantasien. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 110 (1981), S. 274-299 sieht die Initiative bei den Rienckern und datiert den Text auf „vor 1257/58“. Argumente, die eher auf eine Verbindung zu den Habsburgern und eine Spätdatierung (1282) deuten, führt Heinz Thomas an. Ders.: Konrad von Würzburg und die Habsburger. In: Deutsches Achiv für Erforschung des Mittelalters 52 (1996), S. 509-545. Stephanie Cain van d’Elden hielt den genealogischen Kontext für nachrangig und meinte, Konrads Thema sei die Rationalisierung der Rechtsfindung gewesen: Does Might make Right? The Schwanritter by Konrad von Würzburg. In: Courtly Literature. Culture and Context. Selected papers from the 5th Triennial Congress of the International Courtly Literature Society, Dalfsen, The Netherlands, 9-16 August, 1986. Hrsg. von Keith Busby u. Erik Kooper. Amsterdam 1990, S. 549-559. Unstreitig ist die Anknüpfung an die Geschichte der genannten Familien. Die Datierung konnten weder Brunner noch Thomas abschließend klären.

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noch am Schwan zu erkennen, den sie im Streite führe.44 Das Ganze leitet somit über in das Genre der Wappendichtung. Eine eigentliche Wappensage kennen wir von der Herren van Arkel, deren Besitz im südlichen Holland lag: Ein schöner Schwan flog Johann van Arkels Schiff voran und führte den Ritter und seine Mannschaft zum verheißenen Ort, an welchem sie sich niederließen. Von dieser Zeit an, so zwei um 1600 aufgezeichnete Fassungen der Sage, nahm Herr Johann als Helmzeichen zwei weiße Schwanenflügel, und so hielten es auch alle seine Nachkommen.45 Wenngleich die Dichtungen um den Schwanenritter weit auswucherten, blieben die Eigenschaft des Schwans blass: Die weiße Farbe charakterisiert ihn ausreichend; er schwimmt auf dem Fluss, die silberne (goldene) Kette deutet seine Verwandlung an. Schwanenjungfrauen Über den ganzen Norden Eurasiens hin war die Vorstellung von Schwanenjungfrauen verbreitet, weiblichen Wesen, die in Schwanen- wie in Menschengestalt erscheinen konnten. Die Traditionen, in denen derartige Vorstellungen zum Ausdruck kommen, können nach Erscheinungsformen und Erzählmotiven typologisiert werden. Ethnologie und Religionswissenschaft haben verschiedene Erklärungsmodelle formuliert, die in eine, gleichwohl keineswegs zwingende Abfolge gebracht werden können: Animismus, Totemismus, Schamanismus und Totenkult. Als Animismus wäre eine Bewusstseinskonstruktion zu bezeichnen, die keine unüberbrückbarer Gegensätze zwischen Menschen und Tieren annahm und Übergänge zwischen dem Ich und dem anderen zuließ. Psychologisch gefasst: eine Projektion des eigenen Gefühls- und Antriebsinstrumentariums auf nichtmenschliche Objekte. Eine noch unvollständige Scheidung zwischen Selbst und Außenwelt hat der Schweizer Psychologe Jean Piaget (1896-1980) als Aspekt einer kindlichen Entwicklungsstufe beschrieben: des von ihm so genannten präoperativen Stadiums. Kinder im Alter von etwa zwei bis sieben Jahren kommunizieren mit Tieren. Ich frage meine fünfjährige Tochter Luise: „Hast du schon einmal mit Tieren gesprochen?“ „Ja, manchmal“. „Mit Enten hast du gesprochen“, fällt ihre Schwester Gesa, neun Jahr alt, ein. „Ja, das stimmt!“ bestätigt Luise. Animistische Ideen können also aus tieferen, phylogenetisch abge-

44 Z 1604-1611. 45 J. F. D. Blöte: Die Arkelsche Schwanrittersage. In: Zeitschrift für deutsches Alterthum 48 (1906), S. 371-399. Vgl. Duerloo, S. 229.

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sunkenen Bewusstseinsschichten stammen oder sich aus kindlichen Bewusstseinsformen immer wieder erneuern. Sie befördern Totemismus wie Schamanismus. Den Totemismus als elementare Glaubensvorstellung wollte der französische Soziologe Émile Durkheim (1858-1917) zur Grundlage der Religion erklären. „Totem“ hieß in einer nordamerikanischen Indianersprache ein heiliges Zeichen, das auf ein Tier, eine Pflanze oder eine Naturgewalt hindeutete. Die Verwendung bestimmter Totems band sich ist an bestimmte Familienverbände. Diese begriffen sich als Abstammungsgemeinschaften, die weiter zurückreichend das Totemtier und einen größeren Teil der belebten Umwelt einschließen. Neben dem Familientotem kannte man Individualtotems, die erworben wurden, nicht selten in ritueller Ekstase, durch Halluzinationen, die Bilder eines Tieres oder einer Pflanze aufsteigen ließen. Der Schamanismus kann als Professionalisierung einer Bewusstseinserweitung durch Halluzination, wie sie in totemistischen Initiationsriten jeder Mann (jeder Jäger oder Krieger) erfahren musste, betrachtet werden. Das Totem erfährt eine Tabuisierung – es darf nicht getötet und nicht verzehrt werden, besitzt also den ambivalenten Charakter eines geistigen Wesens, das leiten und schützen kann, und gleichzeitig in seiner Leiblichkeit dem Mann (dem Jäger oder Krieger) verfügbar wäre, wenn nicht die Tabuisierung es schützte. Die Vorstellungen assoziieren sich mit dem Inzesttabu. Schwierig wäre es und sicher nicht notwendig, eine Kollektivierung des Individualtotems durch Vererbung abzuleiten, wie dies zuweilen geschieht. Die Verehrung eines göttlich gedachten Ahnen mit übermenschlich-tierischen Fähigkeiten wäre etwas anderes und leichter vorstellbar. Die Frage, ob es Schwanenclans in Europa gegeben habe, ist diskutiert worden.46 Nicht näher bestimmte Vögel, die in die Saaten einfielen, haben Cuchulinns Geburt als Königsneffe veranlasst. Totemtiere seiner Sippe? Die Tabuisierung des Schwanenfleischs in der inselkeltischen Mythologie, in Karelien und einigen Gegenden Sibiriens könnte als Hinweis auf einen früheren Totemismus verstanden werden.47 Doch mag das als bloße Spekulation auf sich beruhen; ein-

46 Helmut Birkhan: C. Iulius Caesar und die Schwäne. In: Ad fontes! Festschrift für Gerhard Dobesch zum fünfundsechzigsten Geburtstag am 15. September 2004. Hrsg. von Herbert Heftner und Kurt Tomaschitz. Wien 2004, S. 875-891, hier S. 884-887. 47 Vgl. Edith Vértes: Die Mythologie der Uralier Sibiriens. In: Wörterbuch der Mythologie. Hrsg. von Egidius Schmalzriedt und Hans Wilhelm Haussig. Erste Abteilung. Band VII. Teil 1. Stuttgart 1999, S. 387-700, hier S. 524, vgl. S. 529, 542.

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deutige Indizien dafür, dass Tiere bei den Kelten oder Germanen als Familientotem gegolten haben, fehlen. Schamanistische Praktiken hingegen waren weit verbreitet. Sie begegnen in Sibirien, lassen sich aber auch aus alteuropäischen Mythen ablesen. Ob sie über die Skythen aus den Steppen Zentralasiens nach Europa vermitteln worden sind, wie man gemeint hat, mag dahin gestellt bleiben.48 Es gehörte zu den elementaren Techniken der eurasischen Schamanen, sich in Ekstase in Tiere verwandeln zu können, um sich deren Fähigkeiten zu eigen zu machen: in Bären und Hirsche und besonders in Vögel. Dabei befördert es die Verwandlung, wenn sich die Schamanen künstlicher Hilfsmittel bedienen, zu denen Flügelgerüste, Federkleider und Vogelmasken zählten. Manchmal heißt es geradezu, das Vogelkostüm sei für den Flug in die Andere Welt unentbehrlich, und es charakterisiert die Schamanen, dass sie an der Anderen Welt teilhatten. Die nordische Mythologie zeigt deutlich schamanistische Züge, die vor allem der Gestalt Odins anhaften, der neun Tage und neun Nächte leblos an einem Baum hing, um die Runenkunst zu erwerben: ein schamanischer Initiationsritus. So jedenfalls ist diese Handlung einleuchtender zu interpretieren als mit dem Verweis auf Christi Kreuzigung und Auferstehung, die, wie behauptet wurde, auf diese Weise in ein nordisches Gewand gekleidet worden sei. Auch die Sage von Wieland dem Schmied kann aus schamanistischen Elementen gedeutet werden, allerdings literarisch gebrochen und stark rationalisiert, denn Wieland wird – wie Dädalus – zum Erfinder, zum Konstrukteur eines Fluggerüstes, das ihm die Flucht ermöglicht. Diese Rationalität der mechanischen Konstruktion birgt das Schmiedsein ebenfalls, das aber zugleich als zauberisch erscheint, da dem Schmied als Herrn des Feuers schamanische Fähigkeiten von Berufs wegen zukommen. Magische Flüge und Tierverwandlungen sind jedoch keineswegs an schamanische Traditionen gebunden, sondern gehören ebenso zum Motivschatz der Religionen wie der Volkserzählungen. Loki konnte ein Falkengewand anlegen und zu den Riesen fliegen; er konnte sich aber auch in eine Fliege verwandeln und in dieser Gestalt unerkannt Freyja besuchten und berauben. Solche Hinweise überdehnen jedoch die Interpretation des Schwanjungfrauenmotivs und führen von den Vorstellungen ab, die speziell Schwäne erwecken konnten.

48 Als Historiker hat sich Carlo Ginzburg dieser Frage angenommen. Ders.: Storia notturna. Una decifrazione del sabba. Dt.: Hexensabbat. Entzifferung einer nächtlichen Geschichte. Frankfurt/M. 1993, S. 219-234.

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Geschichten von Schwanenjungfrauen sollen überall verbreitet sein, wo man schamanistische Praktiken gepflegt hat;49 Erzählmotive wanderten jedoch über diesen Bereich noch hinaus, und da die ältesten Anklänge an Geschichten dieser Art sich in Indien finden, werden die Austauschbeziehungen nur schwer zu klären sein. Immerhin scheint die Vorstellung von übermenschlichen weiblichen Wesen, die an Gewässern anzutreffen sind und als Frauen wie als Schwäne erscheinen, ein hohes Alter zu besitzen. Im Shatapatha-Brahmana, im Jahrtausend vor Christi Geburt entstanden, wird erzählt: Die Nymphe Urvasî liebte Pururavas. Bei ihrer Eheschließung sagte sie: „Drei Mal am Tag sollst du micht umarmen, aber schlafe nicht mit mir gegen meinen Willen und zeige dich nicht nackt vor mir; denn das ist die Art wie man sich Frauen gegenüber benimmt.“ Die himmlischen Gandharvas, missgünstig wegen dieses Glückes, raubten eines Nachts ein Lamm. Da rief Urvasî Pururavas um Hilfe und stachelte seine Ehre an. Nackt sprang er vom Lager auf, ein Blitz der Gandharvas erleuchtete ihn – Urvasî sah es und verschwand. Betrübt suchte Pururavas nach ihr im ganzen Land, bis er an einen mit Lotus bewachsenen See kam, auf dem Nymphen in Schwanengestalt schwammen. Als diese seiner angesichtig wurden, wandelten sie sich in Frauen, so dass er Urvasî unter ihnen erkannte. Sie erklärte ihm, es könne keine Gemeinschaft mit Frauen (Nymphen) geben, er solle nach Hause gehen. Auf sein Klagen hin gewährte sie ihm noch eine Nacht, in welcher ein Sohn gezeugt wurde. Pururavas brachte später das Feuer vom Himmel und fand mit seinem Sohn Aufnahme unter den Himmlischen.50 Ebenfalls von der Verbindung eines übermenschlichen Wesens mit einem Menschen, aber aus einer anderen Perspektive, berichtet eine chinesische Geistergeschichte aus dem 4. Jahrhundert. Danach erblickte ein junger Mann auf einem Feld sechs oder sieben junge Frauen in Federkleidern. Er raubte eins der abgelegten Federkleider und versteckte es; die Frau, der es gehörte, musste zurückbleiben. Er heiratete sie, und sie schenkte ihm drei Töchter. Eine von ihnen verriet der Mutter, wo der Vater das Gefieder aufbewahrt hatte; sie griff sofort danach und flog davon. Später holte sie ihre Töchter nach.51

49 Joseph Campell: The Masks of God. Vol. I: Primitive Mythology. London 1959, S. 258; A. T. Hatto: Essays on Medieval German and Other Poetry. Cambridge 1980, S. 267-297: the Swan-Maiden: a Folk-Tale of North-Eurasian Origin?, hier S. 258. 50 The Śatapatha-Brâhmana according to the Mâdhyandina school. Part V. Übers. von Julius Eggeling. Oxford 1900 (Sacred Books of the East, Vol. 44), S. 70-74. 51 Enzyklopädie des Märchens. Bd. 12. Berlin 2007, Sp. 311-318 (Jörg Bäcker).

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Die Schwanenjungfrau wählt hier also nicht – wie Urvasî – ihren Gatten, sondern wird zur Vereinigung mit einem Menschen gezwungen. Wir erkennen zwei Erzähleinheiten, die in vielen Märchen aufscheinen. Erstens: Der Held raubt einer badenden Schwanenjungfrau ihr Federgewand und gewinnt sie zur Frau. Zweitens: Die Frau findet das versteckte Gewand und entflieht in ihre Heimat. Diese Struktur verband sich häufig mit der in der Geschichte von Urvasî und Pururavas angedeuteten Erweiterung: Der Held folgt der entschwundenen Gattin, findet ihre Spur und muss verschiedene Aufgaben lösen, bevor das Paar sich wieder vereint. Die Stammessage der Mandschu lässt sich zwanglos anschließen: Drei Himmelsfeen stiegen in Schwanengestalt zum Langen weißen Gebirge herab, um im Bulhôri-See zu baden. Eine Elster flog über den See und ließ eine rote Frucht fallen, die das jüngste Mädchen, Fekulen, schluckte. Davon schwanger, konnte sie sich nicht mehr in den Himmel aufschwingen und gebar einen Sohn, der nachher zum Stammvater des mandschurischen Kaisergeschlechts wurde.52 Ganz Ähnliches hörte man bei den Mongolen: Xoridoi mergen sah auf der Jagd drei himmlische Jungfrauen, die als Schwäne vom Himmel herabschwebten und sich auf dem Baikal-See niederließen. Er versteckte das Gewand einer von ihnen, die ohne Flughemd nicht fortfliegen konnte und als Xoridoi mergens Gattin elf Söhne und sechs Töchter gebar; von den Söhnen stammen die KhoriBurjaten ab.53 Bei den Germanen gestalteten Schwanenjungfrauen wirkend und webend die Schicksale der Krieger. Im Wölundlied der Edda, das, aufgezeichnet um 1270, Motive aus der Völkerwanderungszeit verarbeitet, die über sächsische und angelsächsische Zwischenstufen in die altnordische Literatur eingingen, heißt es: „Mädchen von Süden durch den Myrkwid flogen, die schmucke Alwit, Schicksal zu wirken.

52 Käthe Uray-Kölhalmi: Die Mythologie der mandschu-tungusischen Völker. In: Wörterbuch der Mythologie. Hrsg. von Egidius Schmalzriedt und Hans Wilhelm Haussig. Erste Abteilung. Band VII. Teil 1. Stuttgart 1999, S. 1-170, hier S. 100, vgl. S. 127f. 53 Ágnes Birtalen: Die Mythologie der mongolischen Volksreligion. In: Wörterbuch der Mythologie. Hrsg. von Egidius Schmalzriedt und Hans Wilhelm Haussig. Erste Abteilung. Band VII. Teil 2. Stuttgart 2004, S. 877-1097, hier S. 994, vgl. S. 1037. Auch türkische Erzählungen kennen das Motiv vom Schwanensee. Pertev N. Boratav: Die türkische Mythologie. Ebd. Teil 1. Stuttgart 1999, S. 240, 362, 364.

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Zu säumen am Seestrand saßen sie nieder, des Südens Kinder, spannen kostbares Linnen. Eine von ihnen Egil herzte, die schöne Maid, an schneeiger Brust. Die andre war Schwanweiß, trug Schwanenfedern; (sie schlagen um Schlagfider schimmernde Arme). Doch die dritte, deren Schwester, umwand Wölunds weißen Hals. So saßen sie sieben Winter, aber im achten immer in Sehnsucht, aber im neunten schied sie die Not: Die Mädchen trieb es durch den Myrkwid fort, die schmucke Alwit, Schicksal zu wirken.“54

„Schicksal wirken“ übersetzt Genzmar, eigentlich heißt ørlog drýgja: Krieg führen. Der weitere Verlauf der Handlung: König Nidud lässt Wölund, der ein kunstreicher und Schätze hortender Schmied ist, gefangen setzen und ihm die Sehnen durchschneiden, um seine Flucht zu verhindern. Wölund rächt sich grausam: ermordet die Söhne des Königs und schändet seine Tochter. Mit Flügeln, die er sich zugerichtet hat, erhebt er sich in die Luft und entkommt. In gewisser

54 Die Edda. Götterdichtung, Spruchweisheit und Heldengesänge der Germanen. Ins Deutsche übertragen von Felix Genzmer. München 1996, S. 231. Vgl. Golther, S. 152.

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Weise deutet sich so die Wiedervereinigung an mit der ebenfalls davon geflogenen Walküre. Dass die Walküren Glück im Kampf verliehen oder den Tod bestimmten, sich auch selbst am Kampf beteiligten, erhellt aus einer Reihe von Sagen. Walkürenbilder im Widerstreit heidnischer und christlicher Deutungen lässt die Saga von Hromund Gripsson erkennen, die in der überlieferten Form zum ersten Mal 1119 auf einer Hochzeit in Island vorgetragen worden sein soll. Die älteste Handschrift datiert freilich erst aus der Zeit 1690/1710. Der Held Hromund gerät in der Schlacht an Helgi den Kühnen, einen berühmten Kämpfer, dessen Bruder er getötet hatte. Von seiner Geliebten mit dem Walkürennamen Svanhvít (Schwanweiß) hatte Hromund einen Schild mit einem Strumpfband erhalten, der ihn vor Verletzungen schützte. Helgi nahm daran Anstoß und höhnte: „Hromund, du hast um deine Hand das Strumpfband eines Mädchens gebunden. Wisse, dass es dich schützt, solange du es trägst; du bleibst unverwundet und musst dem Mädchen immer treu bleiben!“ Hromund konnte diese Worte nicht ertragen und warf den Schild zu Boden. Über Helgi aber schwebte als Schwan die Zauberin Kara, die zuvor laut singend über die Feinde fliegend viele von diesen verwirrt hatte; Helgi hatte sie erschlagen können. Jetzt holte Helgi mit seinem Schwert so hoch aus, dass er Kara ein Bein abhieb. Die Waffe fuhr bis zum Griff in den Boden, und Helgi sagte: „Nun ist mein Heil dahin, es geht schlecht für mich aus.“ Kara fiel tot zu Boden. Hromund entgegnete: „Du bist besiegt. Es war ein böses Schicksal, dass du deine Geliebte trafst, dein Heil ist dahin.“ Helgi stieß ihm sein Schwert in den Bauch; Hromund spaltete ihm hingegen mit dem Schwert Mistiltein Helm und Schädel, stopfte die eigenen Eingeweide wieder in den Bauch, fixierte sie mit seinem Messer und zog mit dem Strumpfband seine Kleidung zusammen und konnte so weiter kämpfen.55 Zum Schluss heiratete er die Königstochter Svanhít, die christianisierte Walküre, während die andere, dämonisiert, ihr Leben verlieren musste. Denn Helgi und Kara bedienten sich heidnischer Zauberei, die Hromund allerdings nicht allein durch die weiße Magie seiner Geliebten überwinden konnte, sondern auch, weil er das Schwert Mistiltein (Mistelzweig) führte, denn die Mistel widersteht der Zauberei. So changieren die Vorstellungen zwischen christlicher Rationalität und heidnischer Mystik, auch wenn König Sverre von Norwegen (1145/51-1202) die Geschichte, als er sie hörte, für fantastisch erklärte.

55 Der isländische Text ist im Internet verfügbar unter www.snerpa.is/net/forn/hrom.htm (12.4.2014). Eine englische Übersetzung bietet N[ora] Kershaw: Stories and ballads of the far past. Translated from the Norse. Cambridge 1921, S. 58-78.

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Die Vorstellung von Walküren überschneidet sich mit der von Fylgien: persönlichen Folge- und Schutzgeistern. In der Saga von Gunnlaug Schlangenzunge, die sich auf isländische Begebenheiten um das Jahr 1000 bezieht, erzählt Thorstein einen Traum: „Es träumte mir, ich wäre zu Hause in Borg draußen vor der Nebenthür. Ich sah zum Himmel hinauf und erblickte auf der Dachkante einen schönen, prächtigen Schwan. Und es war mir, als gehörte derselbe mir. Da sah ich von den Bergen herab einen großen Adler geflogen kommen. Er flog auf das Haus zu, setzte sich neben den Schwan und plauderte freundlich mit ihm. Dieser schien es ganz gut aufzunehmen. Da erst bemerkte ich, daß der Adler schwarze Augen und eiserne Klauen hatte. Außerdem sah ich einen zweiten Vogel von Süden her kommen. Derselbe flog ebenfalls nach Borg, setzte sich gleichfalls auf den First neben den Schwan und suchte ihn für sich zu gewinnen. Er war auch ein mächtiger Adler. Der erste Adler aber geriet plötzlich gewaltig in Zorn, als jener kam. Beide kämpften lange heftig miteinander, da gewahrte ich, daß beide bluteten. Das Ende ihres Streites war, daß der eine auf dieser, der andere auf jener Seite vom Hausdach herunterfiel und auf der Stelle tot war. Der Schwan aber saß sehr betrübt oben. Da sah ich einen neuen Vogel von Westen geflogen kommen, das war ein Habicht. Er setzte sich neben den Schwan und that freundlich mit ihm. Dann flogen beide nach derselben Richtung fort; da erwachte ich.“56

Thorstein wollte dem Traum keine große Bedeutung beilegen, aber ein Gast aus Norwegen deutete ihn als prophetisch: Die Greifvögel seien Fyglien von Männern, die um Thorsteins Tochter werben.57 Damit ist, wie im Nibelungenlied durch Krimhilds Traum, der Kern der Handlung bereits umrissen und in einen Warntraum projiziert, was einmal ein Kampf der Geister gewesen ist. Numinose Wesen, die als Frauen wie als Schwäne erscheinen konnten, kannten auch die Kelten als Frauen des Hügelvolks (aes sidhe). Das älteste in irischer Sprache überlieferte Buch, das Book of the Dun cow, aus dem 12. Jahrhundert berichtet die Begebnisse vom Krankenlager des Helden Cuchulinn und der Eifersucht seiner Frau Emer. Cuchulinn versprach seiner Frau, zwei auffallend schöne Vögel für sie zu fangen. Nicht lange danach flogen zwei weiße Schwäne heran und ließen sich auf dem Wasser eines nahen Sees nieder. Sie waren an ihren Hälsen durch eine

56 Die Saga von Gunnlaug Schlangenzunge. Aus dem Altisländischen übersetzt von Alexander Tille. Leipzig [1890], S. 17-18. Vgl. http://www.sagadb.org/gunnlaugs_ saga_ormstungu.on (19.1.2014). 57 Karl Sälzle: Tier und Mensch, Gottheit und Dämon. München 1965, S. 209.

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kunstreiche goldene Kette von rotem Golde miteinander verbunden und stimmten ein schwermütiges Lied an, das Cuchulinns Leute in Schlaf versinken ließ. Cuchulinn spannte seine Schleuder, zielte und verfehlte. Noch nie hatte sein Stein das Ziel verfehlt. Er versuchte einen zweiten Schuss. Aber wieder konnte er keinen der Schwäne treffen. Der Tod komme über mich, stammelte er bedrückt. Er ergriff einen kurzen Speer und warf den nach den Schwänen; der Speer streifte einen der Vögel am Flügel, aber im gleichen Augenblick tauchten die Schwäne und verschwanden vor seinen Augen. Missmutig verließ Cuchulinn den Ort, legte sich nieder und bettete sein Haupt auf einen Stein. Verdrossen schaute er auf die Wolken am Himmel, und darüber schlief er ein. Da erschienen ihm im Traum zwei wunderschöne Frauen, die eine mit einem grünen Mantel bekleidet, die andere in Purpur. Die Grüne trat auf ihn zu, lachte ihn an und sprach: „Ich will dich besser treffen, du Herrlicher!“ Damit hob sie einen Pferdestachel und stach auf ihn ein, dass das Blut floss. Die Purpurrote aber zückte eine kupferne Gerte und schlug ihn, bis ihm die Sinne vergingen. Dann verschwanden plötzlich beide Frauen und nur ihr Gelächter klang ihm noch im Ohr. Mühsam erwachte Cuchulinn aus diesem Zauberschlaf und lag anschließend ein Jahr lang krank darnieder und ohne seine Zunge bewegen zu können.58 Bei den Traumerscheinungen handelte es sich um Wesen der Anderen Welt, um Frauen der Sidhe, um Feen. Sie verfolgten eine doppelte Mission: Sie wollen Cuchulinn strafen, weil er sich an Schwänen vergangen hatte, ihn zugleich aber durch die Demonstration ihrer Macht als Kämpfer für die eigene Sache gewinnen. So geben sie die Ursache für das Krankenlager des Helden wie auch für die Eifersucht seiner Frau ab. Die Geschichte der unter Menschen wiedergeborenen Fee Étaín, überliefert in einem Codex aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts, aber Zustände des 8. oder 9. Jahrhunderts schildernd, erzählt, wie Midir aus dem Feenreich kam, um Étaín zurückzuholen. Das Recht hierzu erwarb er sich durch ein Wettspiel. „Er nahm seine Waffen in die linke Hand und nahm die Frau unter seinen rechten Arm und trug sie hinweg durch das Rauchloch des Hauses.59 Die Gefolgleute um den Kö-

58 Text: www.ucc.ie/celt/published/G301015 (19.1.2014). Deutsche Übersetzung: Erinn. Keltische Sagen aus Irland. Hrsg. und übersetzt von Martin Löpelmann. München 1996, S. 234-245. 59 Eine Parallele aus der mongolischen Glaubenswelt: „Die Rauchöffnung gilt als der Weg der Seelen und Geister, das Wegfliegen der Schwanenmutter durch sie bedeutet die Verwandlung in ihre frühere Seelengestalt.“ Birtalen, S. 994.

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nig herum sprangen beschämt auf. Zwei Schwäne sahen sie im Flug um Tara. Und der Weg, den sie nahmen, führte nach Sídar Temuin.“60 Bei den Slawen erzählte man sich Geschichten von Wassergeistern, die als schöne Mädchen mit durchsichtigen Körpern, weißen Kleider, langen goldenen oder rötlich blonden Haaren, bezaubernd singen und tanzen konnten: den Vilen (Víly). Sie nehmen nach Bedarf die Gestalt von Tieren an, vorzugsweise von Schwänen. Zuweilen befreundet sich eine Víla mit einem Menschen, einem jungen Krieger, dem sie – wie eine Walküre – im Kampf hilft, oder einem Mädchen, dem sie ihre wunderbaren Eigenschaften leiht. Auch das Element, das ein Mann ihr die Schwanenflügel raubt und sie sich ihm vermählen muss, bis sie diese zurückerlangt oder ihr die langen Haare abgeschnitten werden, was die Ehe auflöst, findet sich.61 Im Laufe des europäischen Mittelalters beginnen sich, menschliche und numinose Aspekte, die ursprünglich wesensgemäß zusammen gehören, zu scheiden. Die Christianisierung bewirkte eine Rationalisierung oder aber Dämonisierung heidnischer Glaubensinhalte. Der dänische Geschichtsschreiber Saxo Grammaticus (ca. 1150-nach 1221) nähert Swanwitha, von der er berichtet, der menschlichen Natur an. Diese, die ebenso heißt wie eine der Schwanenjungfrauen in der Wieland-Sage, nimmt sich schützend des jungen Helden Ragnar an. Nach einem ersten Zwiegespräch bewundert sie die Entschlossenheit des Helden und entfernt Wolkendunst und Dunkel von ihrem lichten Antlitz. Sie verspricht ihm ein siegreiches Schwert und enthüllt ihm schließlich ihr wunderbare jungfräuliche Schönheit und den Glanz ihrer Glieder. Im weiteren Verlauf der Sage heiraten beide; Ragnar erlang-

60 The Wooing of Étaíne. In: Érin. Hrsg. und übersetzt von Osborn Bering u. R. I. Best. Band 12. Dublin 1938, S. 137-196, hier S. 185. Online: http://celt.ucc.ie/published/ T300012/index.html (19.1.2014). Eine deutsche Übersetzung gibt Fredrik Hetmann: Die Reise in die Anderswelt. Feengeschichten und Feenglaube in Irland. München 1996, S. 38-49. Vgl. Armstrong: Folklore of birds, S. 50. 61 Váňa Zdeněk: Svět slovanských bohů a démonů. Prag 1990. Dt. Übers. des Autors: Mythologie und Götterwelt der slawischen Völker. Die geistigen Impulse OstEuropas. Stuttgart 1992, S. 111-112. Eine gewisse Verwandtschaft besteht zu den griechisch-antiken Graien, den Töchtern des Meergottes Phorkys, die Aischylos im 5. vorchristlichen Jahrhundert als schwanengestaltig beschrieb. Aischyl. Prom. 794ff. Später erscheinen sie aber als unterweltliche Schreckgestalten, die sich zu dritt ein Auge und einen Zahn teilten. Apollod. 2,37.

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te in Schweden die Königsmacht, und als er gestorben war, verschied auch Swanwitha bald aus übergroßer Trauer.62 Häufiger begegnet die Dämonisierung: die Strafverwandlung in Schwäne. Ein frühes Beispiel bietet der Märchenroman Friedrich von Schwaben (nach 1314), der Motive unterschiedlicher Gattungen mischt. Eine Hindin lockte den Fürstensohn durch einen Irrwald in ein scheinbar unbewohntes Schloss; als er sich dort schlafen legt, naht sich ihm eine im Dunklen verborgene Gestalt und erzählt, sie sei eine Prinzessin, Angelburg mit Namen, und von ihrer bösen Stiefmutter unschuldig verleumdet und mit einem Fluch belegt worden. Seither durchstreife sie als Hindin die Wälder und könne nur erlöst werden, wenn ein Fürstensohn 30 Nächte bei ihr, in ihrer menschlichen Gestalt, liege, ohne ihr Gesicht zu sehen oder sie zu berühren. Falls ihm das nicht gelinge, werde sie samt ihren Gefährtinnen in weiße Tauben (statt weißer Schwäne)63 verwandelt. Genauso geschieht es, und Friedrich irrt auf der Suche nach der verlorenen Liebe durch eine Welt von Abenteuern, bis er erfährt, er könne Angelburg dadurch erlösen und seinen Fehler gutmachen, dass er ihr Federgewand raube. Eine Zauberwurzel, die er sich aufs Haupt setzt, macht ihn unsichtbar und er besteigt den Berg und findet die Quelle, die mittags die weißen Tauben besuchen, um sich darin zu baden. Er entwendet das Gewand und bringt die Geschichte so zunächst zu Ende. Die Brüder Grimm erzählen das Märchen vom Trommler, der an einem See drei Stückchen weiße Leinwand liegen sah. „Was für feines Leinen“, sprach er und steckte eins davon in die Tasche. Er ging heim, dachte nicht weiter an seinen Fund und legte sich zu Bett. Als er eben einschlafen wollte, war es ihm, als riefe jemand seinen Namen. Er konnte, da es finstere Nacht war, niemanden sehen, aber es kam ihm vor, als schwebte eine Gestalt vor seinem Bett auf und ab. „Was willst du?“ fragte er. „Gib mir mein Hemdchen zurück“, antwortete die Stimme, „das du mir gestern abend am See weggenommen hast“ und erklärte: „Ich bin die Tochter eines mächtigen Königs, aber ich bin in die Gewalt einer Hexe geraten und bin auf den Glasberg gebannt. Jeden Tag muss ich mich mit meinen zwei

62 Saxo, S. 42-45, 52. 63 Die alte Identifikation von Mädchen und Tauben wurde durch die Liebessymbolik aus dem Mittelmeerraum nach Norden vermittelt. Vgl. nur das Hohelied Salomos 2, 14; 4, 1. In ganz Nordafrika und in Indien galten Turteltauben noch im 19. Jahrhundert als heilige Vögel, die, von den Jägern verschont, vertraut mit den Menschen in Ortschaften und Gärten lebten.

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Schwestern im See baden, aber ohne mein Hemdchen kann ich nicht fortfliegen ...“64 Eine walisische Geschichte erzählt: Ein Mädchen Grassi (Grace) hütete einen Brunnen. Sie öffnete das Tor zum Brunnen und schloss es, wenn die Leute genug Wasser geholt hatten. Eines Tages vergaß sie, das Tor zu schließen, und das Wasser floss über und bildete einen See. Zur Strafe für ihre Nachlässigkeit wurde sie in einen Schwan verwandelt. Seit dreihundert Jahren kommt sie nicht zur Ruhe, schwimmt auf dem See und stößt in den frühen Morgenstunden klagende Laute aus. Heutzutage (als man die Sage aufzeichnete) bietet der einsame See zahlreichen Schwänen ein Heim; der Geist des Mädchens aber, gekleidet in ein weißes Seidengewand, spukt in einem benachbarten Herrenhaus fort.65 In einfacher Form erzählt das eine Sage der Nanai (Golden) im Amurgebiet: Der Schwan war früher ein Mädchen, dem die Mutter die Bitte um Wasser abgeschlagen hatte. Das Mädchen verließ darum das Haus und weinte bitterlich. Endlich flog es als Schwan davon. Weiter ausgearbeitet ist die Geschichte aus Estland überliefert. Die Mutter war hart und ungerecht zur ältesten ihrer Töchter und befahl ihr schwere Arbeiten. Als diese einmal die Kirchenglocken läuten höre, konnte sie ihr Verlangen, in die Kirche zu gehen, nicht unterdrücken. Und als sie die Kirche verließ und einen Vogel vorüberfliegen sah, seufzte sie: „Wenn ich doch nur ein Vogel wäre und frei davonschweben könnte!“ Da hob sie ein starker Luftzug in die Höhe und sie wurde zum Schwan.66 Schwäne als Seelenvögel Die erste christliche Interpretation eines Schwans als Seelenvogel67 gab ein angelsächsischer Mönch. In seiner Vita Gregors der Großen, geschrieben wahrscheinlich 704/14, nennt er Bischof Paulinus von York, den Gott in auffälliger

64 Kinder- und Hausmärchen Nr. 193 (von einem Lumpensammler aus dem Eichsfeld). Vgl., S. 387-392, Literatur: S. 240-241. Eine russische Parallele bietet in dieser Hinsicht das Märchen von der weißen Ente. Märchen der europäischen Völker. Hrsg. von Karl Rauch. Band 6. Hamburg 1964, S. 78-82. 65 Young, S. 82. 66 Dähnhardt III, S. 402-402. Vgl. auch die Sage vom Herrn von Bokisch im Elsass, nach dessem Tod ein Schwan das Heil des Hauses verbürgte, bis die Witwe ihn vertrieb. Knortz, S. 60-61. 67 Wie die Beispiele zeigen, herrschte kein allgemeiner Glaube daran, dass die entweichende Seele immer Vogelgestalt annehme, wie Georg Weicker das für die griechische Antike proklamiert hatte. Vgl. Irving, S. 2, 13-14.

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Weise auszeichnete. Denn solche die es gesehen haben, berichteten, dass, als Paulinus starb, seine Seele in Gestalt eines großen weißen Vogels – wie ein Schwan – und sehr schön, in den Himmel aufstieg.68 Zum Tod der heiligen Modwenna berichtete im 13. oder 14. Jahrhundert ein irischer Mönch, Concubran: Vor Anbruch der Morgendämmerung kamen ein paar Laienschwestern in ihre Zelle. Als sie eintraten, erblickten sie, wie zwei silberne Schwäne sich in die Höhe erhoben, die sie für zwei Engel hielten, die Modwennas Seele in den Himmel begleiteten.69 Legendarisch liest man an anderer Stelle: Im Jahre 1459 wurde in Ypern in Belgien ein wiederkehrender Geist erlöst: Ein Mädchen hatte Geld gespart, um durch die Stiftung zweier silberner Leuchter, einer silbernen Krone und eines Messgewandes die Genesung ihres Vaters zu bewirken. Jedoch starb sie, bevor sie ihren Vorsatz ausführen konnte. Dem Finder des Geldes erschien sie als Geist und bat ihn, das Gelübde zu erfüllen. Er übermachte das Geld dem Altar Unser lieben Frau, und als der Priester danach die erste Messe gelesen hatte, erhob sich ein Rauschen in der Kirche, wie von einem starken Wind, und man sah einen großen schneeweißen Vogel, einem Schwane gleich, vor dem Altar fliegen und wieder verschwinden, woraus man schloss, dass der Geist nun erlöst sein müsse.70 Etwa gleichzeitig schrieb Jan Gerlach die Vita der heiligen Lidwina aus Schiedam in Holland (1380-1433). Er berichtet, wie Lidwina, von einem Engel geleitet, die Seele eines Schiedamer Priesters, der nicht eben vorbildlich gelebt hatte, aus dem Purgatorium erlöste. Sie musste einen ungeheuren Fluss durchqueren und einen Wasserfall, der sich in diesen ergoss. Da sah sie, wie sich die Seele des Sünders – „glänzendweiß wie ein Schwan“ (candidam ad modum cygni) – aus dem Wasser emporschwang.71 In seinem moralisierten Ovidius – ca. 1340 – deutete der französische Benediktiner Pierre Bersuire die Verwandlung des Cygnus in einen Schwan als Be-

68 The earliest Life of Gregory the Great. By an Anonymous Monk of Whitby. Text, Translation und Notes by Bertram Colgrave. Cambridge 1985, S. 100. 69 Sabine Baring-Gould: The Vicar of Morwenstow. A Life of Robert Stephen Hawker. London 1876, cap. 2: http://anglicanhistory.org/england/rshawker/vicar/02.html (6.5.2012). 70 Wolf: Niederländische Sagen, S. 175-176. 71 De B. Lidwige sive Lidwina virgine Schidami in Hollandia, prior vita ex Theutonico M. S. Ioannis Gerlaci, Cap. X: Acta Sanctorum, Apr. II.

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weis seines tugendhaften Lebens.72 Der Humanist Raffael Volaterranus schließlich konnte – als Neuplatoniker und als Christ – erklären, der Schwan bedeute allegorisch die Seele eines guten Menschen, der heiter dem Tod entgegen gehe.73 In der irischen Grafschaft Mayo glaubte man noch im 19. Jahrhundert, die Seelen der Jungfrauen, die ein besonders reines und tugendhaftes Leben geführt hätten, würden nach ihrem Tod in Schwäne verwandelt werden.74 In gewisser Weise schließt die christianisierte Form der Seelenvögel wieder den Kreis zum Geistkörper, der den Schamenen seiner Trance verlässt. Schwäne als Seelenvögel und Totenbegleiter können mit dem Außersichsein der Schamanen erklärt werden, dem rituellen Tod, der eine zeitweise Trennung von Körper und Seele bewirkt. Diese ist aber in vielen Kulturzusammenhängen überliefert und reicht tiefer als die schamanistische Technik und über diese hinaus. Schon das Erlebnis des Traumes kann die Vorstellung einer vom Körper unabhängig agierenden Seele bewirken, deren Existenz der leibliche Tod nicht beenden muss. Fast alle Tierarten wurden seit früher Zeit entweder als Seelenführer aufgefasst, welche die Seelen ins Jenseits begleiten, oder als die neue Gestalt des Abgeschiedenen. Besonders aber die Vögel erscheinen als solche Seelenführer oder als Seelen, da sie den Aufstieg, die Himmelsfahrt, bezeichnen. In einer indischen Dichtung aus der Zeit ungefähr 400-200 Jahre vor Christi Geburt, dem Shvetashvatara Upanishad, ist der Schwan das Sinnbild der Seele auf dem Weg, den Einklang mit dem Bestimmer und so ihre Bestimmung zu finden.75 Warum Frauen? Ein konsequent feministischer Ansatz lautet etwa so: In den Geschichten von Schwanjungfrauen manifestiert sich durch alle Zeiten und Gesellschaften hindurch ein Gleiches: die Ausbruchsfantasie unterdrückter Frauen, die, in die Ehe geknechtet, den häuslichen Zwängen und ihrem weitgehend fremdbestimmten Leben entfliehen wollen. Sich aufschwingen wollen über den Alltag in eine bessere Welt, die Welt, aus der sie kamen. Ein emanzipativer Akt also. Nicht zufäl-

72 Nach Christel Meier, Rudolf Suntrup: Lexikon der Farbenbedeutungen. Teil 2. CDROM. Kön 2011, S. 307, 526. 73 R. Volaterranus: Commentariorum Urbanorum Liber ... Rom 1506, S. CCCLXVIII: http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN661230260 (21.10.2012). 74 Dähnhardt. Band III, S. 481, Anm. 1, vgl. Armstrong: Folklore, S. 46-49. 75 I, 6. Vgl. Moeller: Mythologie der vedischen Religion, S. 82.

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lig beziehe sich Ibsens Schauspiel „Nora oder ein Puppenheim“, diese Inkunabel der Frauenbewegung, auf den Mythos von den Schwanjungfrauen.76 Nun wird niemand bezweifeln, dass ein solche Vorstellung hier und da mitschwingen, ja die Erzählung mitunter sogar prägen kann. Besonders dann, wenn sie in den Kontext von Entfremdungserfahrungen des 19. Jahrhunderts eingepasst wird. Eine solche Deutung vernachlässigt jedoch andere, tiefere Schichten – und sie setzt voraus, dass zwei Erzählelemente verknüpft werden, die nicht notwendigerweise zusammen gehören. Die Vorstellung, Flügel zu schwingen, um einer überlegenen Macht zu entkommen, beschreibt schon der Psalmist im Hinblick auf Gott: „Wo soll ich hingehen vor deinem Geist, und wo soll ich hinfliehen vor deinem Angesicht? … Nähme ich die Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde mich doch deine Hand daselbst führen …“ (Ps. 139,8). Für das nördliche Eurasien bietet – wie dargelegt – auch der Schamanismus Anknüpfungspunkte für Erklärungen Das andere Element kann in zwei Sequenzen zerlegt werden: die Beobachtung von badenden (fremden) Frauen und die gewaltsame Aneignung des Gewandes. Beide Sequenzen bieten ohne Zweifel eine männliche Perspektive; sie schildern erotische Fantasien von Jägern und Kriegern, die eine undeutliche Wahrnehmung angekitzelt hatte.77 In wirkliche Taten umgesetzt wären das dem heutigen Rechtsempfinden nach kriminelle Akte: voyeuristische Blicke und Vergewaltigungen. Erotische Fantasien der Jäger und Krieger formten die Vorstellungen von Schwanenjungfrauen,78 diejenigen von Seeleuten bevölkerten das Meer mit Nixen und Seejungfrauen. Auf Island, den Færøern und den Shetlands erzählte man sich Geschichten von Meermaiden, denen das Seehundsfell geraubt wurde.79 In

76 So durchaus überzeugend Leavy, S. 295-302. Explizit wird das allerdings nicht. Im 3. Akt, 3. Auftritt sagt Helmer: „Und wenn wir dann gehen und ich lege den Schal um deine zarten jugendlichen Schultern – um den wundervoll gebogenen Nacken –, dann stell`ich mir vor, du seist meine junge Braut ...“ 77 The garment-stealing incident suggests that this motif ... was contributed in a patriarchal society. It is a man's wish-fulfilment story, as Cinderella is a woman's ... Armstrong: Folklore of Birds, S. 55. 78 Bei Grillparzer („Des Meeres und der Liebe Wellen“), S. 46 liest man: „Ein wallend Meere, mit Häuptern, weißen Schultern/ Und runden Hüften an der Wellen Staat./ Nun frag ihn aber einer, was er sah,/ Obs Mädchen waren oder wilde Schwäne;/ Er weiß es nicht, er ging nur eben hin.“ 79 Leavy, S. 409.

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einer irischen Erzählung erscheint das Fell nur noch als Mantel: Da entstieg dem Wasser eine wunderschöne Frau; sie ging zu einem flachen Felsen, legte ihren Mantel ab und ließ ihn auf dem Stein liegen. Eoin beobachtete sie eine ganze Zeit und schließlich glitt sie ins Wasser (wieso, da sie doch gerade dem Wasser entstiegen war?). In diesem Augenblick ergriff er den Mantel und rannte fort. Daheim versteckte Eoin den Mantel und zwang die Frau aus dem Meer so, bei ihm zu bleiben. Und so weiter. Eindeutiger lässt sich das Fänomen eingepasst in eine konkrete Wirklichkeit erklären, denn so erspart man es sich, ebenso soziale wie psychologische Determinaten konstruieren zu müssen. Schwanenkinder Die Kinder des irischen Kleinkönigs Lir aus dem Hause Finacaid werden von der Stiefmutter, die sich ihrer entledigen will, durch den Schlag einer Zaubergerte in Schwäne verwandelt: „Aife ging mit den Kindern zum Rand des Sees hinab und lud sie ein, mit ihr zu baden. Sie warfen alle die Kleider ab und schwammen mit der Stiefmutter auf den See hinaus. Doch da nahm Aife plötzlich die Zaubergerte, die sie verborgen gehalten hatte, schlug damit auf die Kinder und verwandelte sie in prächtige, leuchtend weiße Schwäne.“80 In dieser Gestalt, so ihr Fluch, sollten die Kinder 900 Jahre auf ihre Erlösung warten. Der trauernde Vater kann dieses Schicksal nicht wenden, sondern ihnen nur die Gabe verleihen, durch die Süße ihrer Stimmen die Menschen in seligen Schlummer zu singen. Die Schwester unter den vier Geschwistern ist es im Folgenden, die versucht, ihre Brüder gegen die Unbilden der Witterung unter ihrem Gefieder zu bergen. Erst der Sieg des Christentums bringt den Schwänen die schließliche Erlösung. Das Motiv der magisch begabten Stiefmutter, die ihre Stiefkinder durch die Verwandlung in Schwäne verschwinden lässt, findet sich gleichfalls in dem Märchen „Die sieben Schwäne“, das in einem Band anonymer Feenmärchen 1801 in Braunschweig erschien. Dort begründet pikanterweise die Weigerung der ältesten Bruders, den Vater mit dessen eigener Frau zu betrügen, den Hass der Stiefmutter. „‚Halt!' rief die Zauberinn, als er ihr Vorwürfe machte, „‚nicht weiter in Deinen Schmähungen! Und damit du Deine Tugend immer so rein und unsträflich erhaltest, so werde sofort zu einem weißen Schwan, und flattere in

80 Erinn, S. 263.

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die fernste Wildniß, auf den einsamsten mit Schilf bewachsenen See!'“81 Die Brüder erleiden das gleiche Schicksal und werden durch die Schwester erlöst, die ihnen in sieben Jahren sieben Hemden näht, ohne ein Wort zu sprechen oder eine Träne zu vergießen. Ganz ähnlich, wenngleich ohne erotische Inszenierung, erzählen die Brüder Grimm die Geschichte (KHM 49). Etwas anders, aber doch auch verwandt, ist die Historia des Johannes de Alta Silva: Ein Graf entdeckt an einer Quelle eine Nymphe, der er die goldene Kette raubt, und macht sie sich so gefügig. Er nimmt sich mit sich auf sein Schloss, ehelicht sie, und sie gebiert ihm sieben Söhne und eine Tochter. Die Eifersucht aber trieb die Schwiegermutter an, sie wollte die Kinder ermorden lassen und die junge Frau kompromittieren, indem sie ihr junge Hunde ins Kindbett legen ließ. Die Kinder, die im Wald ausgesetzt werden, wo ein frommer Einsiedler sie aufzieht, besitzen die Fähigkeit, Schwanengestalt anzunehmen. Als ein Knecht der bösen Schwiegermutter, ihrer Großmutter also, sie aufspürt, in Schwanengestalt überrascht und ihnen die goldenen Ketten entwendet, büßen sie das Vermögen als Menschen zu erscheinen ein.82 Der Erzähler verwebt so die Sage von der Schwanenjungfrau mit jener von den Schwanenkindern. Die genealogische Anknüpfung an die Schwanenrittersage dürfte sekundär sein, denn es geht deutlich um diese Elemente: Die menschliche Existenz der unschuldigen Kinder wird durch eine böse Frau ausgelöscht; nur der Schwester gelingt es, dieses Schicksal zu lösen oder wenigstens zu lindern. Die Schwäne können den Seelen der Ermordeten eine Hülle geben; andererseits bewirkt im korrespondierenden Märchen vom Typ der sieben Raben oder der zwölf Brüder (KHM 9, 25) der Vater als Verfolger die Rabenwerdung seiner Söhne – die Schwanenmetamorphose bedeutet dementgegen ein Hinüberziehen in den Bereich der Mutter. Die Symbolik kann aber auch in andere Bedeutungsebenen hinabreichen: In einem finnischen Märchen werden ein Rabe und ein Schwan, die an einem Leichnam picken wollten, gefangen und gezwungen, Wasser des Todes und Wasser des Lebens herbeizubringen, um den Toten wiederzubeleben. Tasächlich fliegen sie zum Lebensquell und holen das Gewünsch-

81 Feen-Mährchen. Zur Unterhaltung für Freunde und Freundinnen der Feenwelt. Textkritischer Neudruck der anonymen Ausgabe Braunschweig 1801. Hrsg. von Ulrich Marzolph. Hildesheim 2000 (Volkskundliche Quellen 3), S. 279-280. 82 Johannes von Alta Silva. Vgl. auch Beate Kellner: Schwanenkinder – Schwanritter – Lohengrin. Wege mythischer Erzählungen. In: Präsenz des Mythos. Konfigurationen einer Denkform in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Udo Friedrich und Bruno Quast. Berlin 2004 (Trends in Medieval Philology 2), S. 131-154.

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te herbei.83 Das erinnert an Urd und Kalevala und lässt die Vorstellung reifen, dass Schwäne eher mit dem Leben, Raben mit dem Tod assoziiert werden konnten, was im Falle der verstoßenen oder ermordeten Kinder nur unterschiedliche Perspektiven auf die selbe Situation bietet. Wieder – wie bei den Schwanenjungfrauen – bewirkte das Christentum eine Umdeutung heidnischer Glaubensinhalte, eine Rationalisierung oder eine Dämonisierung. Vor der Christianisierung wurden Tiere als Zielhüllen für Menschen imaginiert, die sich verwandelten, um mit neuen Fähigkeiten schwierige Aufgaben oder Tätigkeiten verrichten zu können. Die Sage der Kinder von Lir zeigt deutliche Spuren der erfolgreichen Christianisierung: das zerstörte und verlassene Haus von Lir, die Glocken, die Taufe; die Schwäne werden zu Trägern der Seele. So fruchtbar das Schwanenkindermotiv für die Märchen der Völker auch wurde: Letztlich handelt es sich um eine Ableitung von Erzählungen, die das Schicksal einer Schwanenjungfrau schildern. Zusätzlich können die weiße Unschuldfarbe und das Motiv der unerlösten Seelen die Schwanengestalt der Kinder erklären. Schwanengesang Zu keinem anderen Phänomen, das mit Schwänen in Zusammenhang zu bringen ist, wurde mehr geschrieben als zu diesem. Dies aber vorausgeschickt: Vögel singen nicht. Einige geben Laute in scheinbar melodischer Folge von sich. Der in Mitteleuropa weit verbreitete Höckerschwan gehört nicht dazu; er trägt in England den bezeichnenden Namen Mute swan: stummer Schwan. Der nordische Singschwan hingegen stößt Rufe aus, deren Frequenzen in ihrem abgestuften Wechsel in menschlichen Ohren angenehm ertönen.84 Nordische Sagen berichten von Schwänen, die durch zauberischen Gesang Menschen betören und in Schlaf versetzen konnten. Die singende Kara verwirrte auf dem Schlachtfeld Helgis Gegner. „Der Wölfe Heulen dünkte mir widrig gegen der Schwäne Singen“, merkte – in der Edda – Niödr an.85 Ebenso in der keltischen Mythologie: In der Sage von Cuchulinn singen die Schwäne ein schwermütiges Lied, und als die

83 Märchen der europäischen Völker. Hrsg. von Karl Rauch. Band 5: Finnland, Baltikum. Hamburg 1964, S. 30. 84 Ein Hörbeispiel: http://www.br-online.de/kinder/fragen-verstehen/wissen/2011/03207/ (27.9.2011). 85 Simrock, S. 267, vgl. – zum Wikingerkönig Hjord – Brøndegard, S. 73.

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Leute ihre süße Weise hörten, versanken sie in Schlummer.86 Den Kindern Lirs, die in Schwäne verwandelt worden waren, verlieh ihr Vater die Gabe, mit süßer Stimmer Menschen in den Schlaf singen zu können.87 In der Dichtung von der Raserei des verrückten Sweeney, einer Bearbeitung älterer Lieder aus dem 13. Jahrhundert, singt der Held, als er nachts blutend durchs Holz läuft: „Ich sah die großen Schwäne, hörte ihre Rufe, die angenehm-süß Krieg und Schlachten tadelten.“88 Die Griechen haben den Schwanengesang seit altersher gerühmt. Zeugnisse dafür reichen bis in 7. vorchristliche Jahrhundert zurück. Alkman (ca. 650-600) lässt einen Mädchenchor seine Führerin preisen: „Sie singt wie der Schwan auf Xanthos' Fluten;/ und sie singt mit den begehrenswerten blonden Haaren.“89 Pseudo-Heisod erwähnt bei seiner Beschreibung des Schildes des Herakles einen Ozean, auf dessen Wogen laut singend Schwäne schaukelten.90 Und in einem unter dem Namen Homers überlieferten Hymnus heißt es: „O Phoebus, dir sing der Schwan am Ufer des Flusses Peneios laut ein Loblieb ...“ Schwäne flogen herbei, als Apoll geboren wurde; die „gesangreichsten unter den Geflügelten“ nennt sie Kallimachos aus Kyrene im 3. Jahrhundert vor Christi Geburt und berichtet, deswegen spannte der Gott später sieben Saiten auf seine Leier, weil er den Schwanengesang so oft gehört hatte. Nicht jeder empfand diesen Gesang als abwechslungsreich. Im Schauspiel „Die Vögel“ des Aristophanes stoßen die Schwäne Laute wie „tio, tio, tio, tio, tinx; tio, tio, tio, tinx; tio, tio, tio, tio; toto, toto, toto, toto, tinx“ aus.91 Keine Melodie also, sondern eine Folge gleichartiger Töne, was naturhistorisch auch ganz richtig ist. Ein einprägsames Bild, einen literarischen Topos, ergab aber erst die Kombination mit prophetischen Gaben des Schwans, besonders der Vorstellung, der Vogel erahne seinen eigenen Tod und lasse seinen Gesang nur von dieser Ahnung erfüllt verströmen. Die Wendung hin zur Todesprophezeiung vollzog im 5. Jahrhundert vor Christi Geburt der Tragödiendichter Aischylos: „Der Schwan singt sein eigenes Leichenlied“, heißt es im „Agamemnon“.92 Dass der Schwan nur in der Stundes seines Todes singe, behauptete Artemidor in seiner Traum-

86 Erinn, S. 234. 87 Erinn, S. 263. 88 Nach Cartmill, S. 57-58. 89 Chalatsi, S. 58, 181. 90 Aspis 314. Vgl. zu dieser und den folgenden Stellen Lenz, S. 303-401. 91 Aristoph. Av. 768ff. 92 Ag. 1444.

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kunst (2, 20): „Der Schwan bedeutet einen Musiker und die Musik selbst, auch bringt er wegen seines weißen Gefieders Verborgenes ans Licht. Wenn Kranke von ihm träumen, prophezeit er Genesung, aber wenn er singt, den Tod; denn er singt erst in seiner Todesstunde.“ Für den Athener Platon (427-387 v. Chr.) klangen die Laute der Schwäne so süß, dass er Sokrates die Vermutung äußern lässt, die Musen könnten ihren Beinamen „Die Silberstimmigen“ von den ligischen Schwänen erhalten haben. An anderer Stelle parallelisiert er Schwäne der beschwingten Seele – wie auch die Chaldäer das Niedersinken der Seelen in Körper dem Verlust des Gefieders zuschrieben; da die Seelen sich ihre Lebensweise wählen können, gäbe es Beispiele, dass gerade die Seelen hochbegabter Sänger in Vögel schlüpfen wollten. So habe die Seele des Orpheus das Leben eines Schwans gewählt, weil sie nicht von einem Weib wiedergeboren werden wollte, und die Seele des Thamyris die Existenz einer Nachtigall. Andererseits habe man auch einen Schwan beobachtet, der sich umgestaltete, indem er das Leben eines Menschen erkor. Diese Seelen, deren Verwandtschaft mit den Seelenvögeln durchschimmert, die an den Fähigkeiten des Sonnengottes Apollon teilhaben,93 wissen, dass der Tod nicht das Ende bedeutet, sondern eine Brücke in eine andere Existenz schlägt; deshalb singen sie angesichts des Todes in freudiger Erwartung auf das Kommende: „... wie es scheint,“ sagte Sokrates, „haltet ihr mich in der Wahrsagung für schlechter als die Schwäne, welche, wenn sie merken, dass sie sterben sollen, wie sie schon sonst immer gesungen haben, dann am meisten und vorzüglichsten singen, weil sie sich freuen, dass sie zu dem Gott gehen sollen, dessen Diener sie sind. Die Menschen aber wegen ihrer eigenen Furcht vor dem Tode lügen auf die Schwäne, und sagen, dass sie über den Tod jammernd aus Traurigkeit sängen, und bedenken nicht, dass kein Vogel singt, wenn ihn hungert oder friert oder ihm sonst irgendetwas fehlt, weder die Nachtigall selbst, noch die Schwalbe, noch der Wiedehopf, von dem sie sagen, dass er aus Unlust klgend singe; aber weder diese, glaube ich, singen aus Traurigkeit noch die Schwäne; sondern weil sie, meine ich dem Apollon angehören, sind sie wahrsagerisch; und da sie das Gute in der Unterwelt voraus erkennen, so singen sie und sind fröhlich an jenem Tage ausgezeichnet, und mehr als sonst vorher.“94 Hier zeigt sich die Überwindung einer älteren Vorstellung, wonach sich Seelenvögel bei der Trauer um geliebte Menschen aus den Körpern der Trauernden aufschwingen, wie dieses bei den Meleagriden oder bei Aedon der Fall war.

93 Jacob, S. 60. 94 Phaid. 84-85. Übersetzung: Platons Werke von F. Schleichermacher, zweiten Theils dritter Band. Berlin 1809, S. 68f.

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Das Wort Schwanengesang in der Bedeutung „letzter Auftritt“ prägte Cicero: Lucius Crassus habe in einer Invektive gegen den Konsul Philippus das Höchste erreicht, was die Beredsamkeit leisten könne. Aber diese herrliche Rede war sein Schwanengesang (cycnea vox et oratio). Durch die Rede geriet Crassus in solche Aufregung, dass ihn ein Fieber befiel, an dem er bald danach starb. Das ereignete sich im Jahre 91 vor Christus.95 Die verschiedenen Elemente verschmolz schließlich Horaz in seiner Selbstapotheose, der Vision einer Verwandlung des sterblichen Menschen in einen unsterblichen Sänger: Non usitata nec tenui ferar

Nicht gewöhnlicher Art, nicht schwach ist,

Penna biformis per liquidum aethera

auf der ich emporschwebe,

Vates, neque in terris morabor

die Schwinge, zwiefachen Wesens hin

Longius invidiaque maior

durch den klarflüssigen Äther, der Sänger. Nicht will auf Erden ich weilen

Urbes relinquam. Non ego, pauperum

länger, über den Neid erhaben

Sanguis parentum, non ego, quem vocas, Dilecte Maecenas, obibo

will ich die Städte hinter mir lassen. Nicht

Nec Stygia cohibebor unda.

werde ich, armer Eltern Spross, nicht werde ich, dem dein

Iam iam residunt cruribus asperae

Ruf gilt,

Pelles et album mutor in alitem

geliebter Maecen, vergehen,

Superne nascunturque leves

nimmer gefangen sein von stygischer Wo-

Per digitos umerosque plumae.

ge.

Iam Daedaleo tutior Icaro

Da, schon erscheint an meinen Beinen raue

Visam gementis litora Bosphori

Haut, ich wandle mich zum weißen Vogel

Syrtesque Gaetulas canorus

Oben, es wachsen glatt

Ales Hyperboreosque campos.

Über Finger und Schultern die Federn.

Me Colchus et, qui dissimulat metum

Schon will ich, berühmter als der daidali-

Marsae cohortis, Dacus et ultimi

scher Ikaros,

Noscent Geloni, me peritus

besuchen die Gestade des tosenden Bospo-

Discet Hiber Rhodanique potor.

ros, die Syrten auch Gaetuliens als singender

Absint inani funere neniae Luctusque turpes et querimoniae;

95 Cic. Orat. 3, 6.

Vogel, die hyperboreischen Gefilde.

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Compesce clamorem ac sepulcri

Mich wird der Kolcher und der da verhehlt

Mitte supervacuos honores.

seine Furcht vor Marserkohorten, der Daker, und am fernsten Ende kennen der Gelone, mich wird der Gebildete erlernen in Spanien und er, der da trinkt aus der Rhone. Fort von meiner leeren Gruft die Totenlieder, schmähliches Trauern und Jammern! Stille den Klageruf! An meinem Grabmal spare unnütze Ehrung! 96

Da hatte sich die deutende Sinngebung nahezu vollständig von der konkreten Tiervorstellung gelöst. Schon die antiken Naturforscher bemühten sich allerdings, die Wirklichkeit von der Metapher zu unterscheiden. Aristoteles meinte: Schwäne können gut singen, was sie vor allem vor ihrem Ende tun. Sie fliegen dann nämlich aufs offene Meer hinaus, und Schiffer haben an der afrikanischen Küste viele von ihnen angetroffen, die eine klagende Stimme hören ließen.97 Die also hungersschwach vor der afrikanischen Küste verendeten. Das stimmt zusammen mit der Mitteilung Wilhelm Schillings (1790-1874), des Konservators am Zoologischen Museum in Greifswald: „Dieser eigenthümliche Gesang verwirklicht in Wahrheit die für Dichtung gehaltene Sage vom Schwanengesange, und er ist oftmals auch in der That der Grabgesang dieser schönen Thiere; denn da diese in dem tiefen Wasser ihre Nahrung nicht zu ergründen vermögen, so werden sie vom Hunger derart ermattet, daß sie zum Weiterziehen nach milderen Gegenden die Kraft nicht mehr besitzen und dann oft, auf dem Eise angefroren und verhungert, dem Tode nah oder bereits todt gefunden werden. Aber bis an ihr Ende lassen sie ihre melancholischen, hellen Laute hören.“98

96 Hor. Car. II, 20. Übersetzung: Quintus Horatius Flaccus: Sämtliche Gedichte. Lateinisch/Deutsch. Hrsg. von Bernhard Kytzler. Stuttgart 1992, S. 123f. 97 Hist. anim. IX 12, 615b, 2. Übersetzung: Aristoteles: Tierkunde. Hrsg. und übertragen von Paul Gohlke. 2. Aufl. Paderborn 1957, S. 397. 98 Nach Brehm. Bd. 4, S. 783.

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Die aus Mittelsibirien stammenden Singschwäne ziehen zunächst östlich des Urals und gelangen dann auf Südwestkurs bis nach Südosteuropa. Mittelsibirische Singschwäne überwintern in der Region Schwarzes/Kaspisches Meer. Wenn es dort zu kalt wird, ziehen die Schwäne südwärts weiter. Das Motiv vom sterbenden Schwan fand literatisch häufige Verwendung. Ovid schreibt, der weiße Schwan lege sich zum Sterben ins Gras am Ufer des Mäanders (Büyük Menderes) und beginne zu singen.99 Und an anderer Stelle: Auf dem Fluss Kaystros (Küçük Menderes) singen die Schwäne.100 Die singenden Schwäne gehörten für ihn also in den kleinasiatischen Raum. Plinius der Ältere merkt in seiner Naturgeschichte an: Es werde von einem kläglichen Gesang der Schwäne angesichts des Todes berichtet, fälschlich, wie er aus eigenen Erfahrungen wisse.101 Die Sache verkomplizierte sich also dadurch, dass man in Italien – wie in Gallien und im römischen Germanien – keine Singschwäne, aber die zoologisch nicht als eigene Art begriffenen Höckerschwäne kannte. Der Satiriker Lukianos (um 120-189 n. Chr.) gibt vor, am Eridanus (und meinte wohl den Po) Schiffer gefragt zu haben: „Wie verhält es sich mit den Schwänen? Wann singen sie, an diesem oder jenem Ufer hintereinander aufgereiht, so melodiös? Es heißt doch, sie seien Begleiter Apolls, Männer mit der Gabe des Gesangs, die irgendwo in diesen Gegenden in Vögel verwandelt worden seien und die Musik nicht vergessen haben, sondern weiter praktizieren.“ Die Schiffer brachen in Gelächter aus und antworteten: „Mann, willst du nicht endlich aufhören, Unwahrheiten über unser Land und unseren Fluss zu erzählen? Wir sind immer auf dem Wasser und kennen den Fluss, seitdem wir klein waren; ab und zu haben wir auf den Sümpfen nahe dem Fluss einige Schwäne gesehen; sie haben sehr unmusikalisch kläglich gekrächzt, Krähen oder Dohlen klingen damit verglichen betörend. Den süßen Gesang, von dem du redest, haben wir nie gehört oder auch nur von ihm geträumt. Wir können uns nur wundern, wie solche Geschichten über uns in die Welt gekommen sind.“102

Das Bild vom Dichter als Schwan – merkwürdigerweise vom Dichter, nicht vom Sänger, aber das erklärt sich wohl daraus, dass Dichter Literatur und literarische Topoi überliefern, nicht Musiker –, das Bild vom Dichter als Schwan erwies sich als außerordentlich einprägsam. Horaz bezeichnet Pindar, den berühmtesten

99

Heroides 7, 1.

100 Met. 2, 253; 5, 386. 101 Plin. hist. Nat. X, 63. 102 Lukian. De electro seu cygnis.

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griechischen Lyriker, als Dircaeus cycnus: Schwan von Theben, und die große, um 900 am byzantinischen Kaiserhof veranstaltete Sammlung hellenistischer Epigramme, die heute als Anthologia Palatina bekannt ist, nennt Anakreon als Schwan von Teos, Alkman als Dichterschwan, Pindar als helikonischen Schwan.103 Bei Vergil stehen Schwäne für die höhere Dichtart (cantantes sublime ferent ad sidera cycni).104 Den späteren Systematisierungen seiner Stillagen entsprechend (Rota Vergilii) wären Schwäne somit – wie Pferde, Burgen und Schwerter – dem Stylus gravis zuzurechnen. Der Name „Cycnus“ sei von canere (singen) abgeleitet, erklärte Isidor von Sevilla in seinen Etymologien.105 So wurde diese Vorstellung als literarischer Topos dem Mittelalter überliefert. In der mittellateinischen Dichtung verwendeten ihn im 12. Jahrhundert die französische Schriftsteller Matthaeus von Vendôme106 und Bernardus Silvestris107 und der Engländer Alexander Neckam. Von der Mythologie hatten sich die singenden Schwäne längst abgelöst, weiteres zu diesem Thema gehört daher in die Untersuchung zur Literatur. Schwanenprophetie Wenn der Schwan seinen eigenen Tod ahnen kann, wie der literarische Topos will, so besitzt er die Gabe der Prophetie. Platon hatte ihn, da dem Apollon angehörend, als wahrsagend bezeichnet. Pausanias benutzte diese bekannte Funktion, um den Schwan zum Symbol für einen Musiker, für Platon und für die Akademie zu erklären: „Nicht weit von der Akademie ist das Grabmal des Platon, dem prophezeit worden war, er werde der Fürst der Philosophen. Das geschah auf diese Weisen: Eines Nachts, bevor er der Schüler des Sokrates werden sollte, sah er im Traum einen Schwan in seine Brust fliegen …“108 Schwäne galten als glückliches Omen: Seefahrer verließen sich auf die gute Vorbedeutung ziehender Schwäne, wie Aemilius Macer sagt:

103 Vgl. Chalatsi, S. 173-178; Möller, Cygnus-Episode, S. 64. 104 Verg. Ecl. IX, 29; vgl. VIII, 55. 105 XII, 7, 18. 106 Mathei Vindocinensis Opera. Ed. Franco Munari. Vol. II. Rom 1982 (Storia e letteratura 152), S. 107. 107 Bernardus Silvestris Cosmographia. Ed. Peter Dronke. Leiden 1978, S. 116. 108 I, 30 (Übersetzung von E. Meyer). Vgl. Jakob, S. 24-25.

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„Der Schwan ist unter allen Vorzeichen immer ein Glück verheißender Vogel, ihn wünschen die Seeleute, weil er nie [ganz] in die Wellen eintaucht.“109

Ein Spruch, der früher auch zuweilen Ovid zugeschrieben worden ist und in der Neuzeit z. B. von Agrippa von Nettesheim beifällig zitiert wird.110 Cesare Ripa bezog sich auf Vergil und ordnete einen Schwan dem Stichwort „Augurio buono“ zu. Bei Saxo Grammaticus, dem dänischen Geschichtsschreiber aus der Zeit um 1200, lassen singende Schwäne dem Dänenkönig Fridlev einen Gürtel mit einer Runeninschrift vor die Füße fallen, die ein Geheimnis enthüllt. Auch in der deutschen Heldenepik liest man vom Wahrsagen der Schwäne. Im Nibelungenlied raubt Hagen weisen Frauen, die in einer Quellen badeten, die Kleider. „Wie Vögel schwebten sie auf dem Wasser“: Schwanenjungfrauen, die ihn bitten, die Gewänder zurückzugeben und versprechen, ihm dafür die Zukunft zu enthüllen.111 Das berührt sich mit dem Wirken des Schicksals, das die Walküren vermochten. In der Kudrun-Sage, einer Dichtung aus dem 13. Jahrhundert, muss die entführte Königstochter am Strand die Wäsche waschen, Jahr für Jahr, bis zu einem Tag in den Fasten, als in der Mittagszeit ein Vogel heran geschwommen kam. „O du armer Vogel“, sprach Kudrun, „du dauerst mich sehr, dass du so von den Wellen getrieben wirst!“ Da klingt die Idee aus dem Planctus cygni von der bedrängten Seele an, die sich auf dem wogenden Meer behaupten muss. In diesem Fall aber trügte der Schein. Es handelte sich um einen Boten Gottes, der ihr das Ende ihrer Leiden verkündete: „Dir soll große Freude widerfahren“,112 und ein „Ave Maria, gratia plena, Dominus tecum“ schwingt mit. Der wahrsagende Vogel hat als Engel seine Christianisierung vollzogen. Aldrovandus behauptet, die Schwäne zeigten Regen an, wenn sie Tropfen auf das Wasser spritzten oder tief mit den Schultern in dasselbe eintauchten.113

109 Frgm. 4. Vgl. Isidor XII, 7, 19. 110 Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim: Die geheime Philosophie oder Magie. Buch 1. Kap. 55: Die magischen Werke. Wiesbaden 1982, S. 128. 111 NL 1569-1586. Ausgabe: Das Nibelungenlied nach der Handschrift C. Hrsg. von Ursula Hennig. Tübingen 1977 (Altdeutsche Textbibiothek 83), S. 243-245. 112 Kudrun Str. 1167-1169. Ausgabe: Kudrun. Nach der Ausgabe von Karl Bartsch hrsg. von Karl Stackmann. Tübingen 2000 (Altdeutsche Textbibliothek 115), S. 234f. 113 Ulysses Aldrovandus: Ornithologiae Tomus Tertius ac postremus. Bologna 1637, S. 26. So auch noch – wenngleich distanziert – Buhle, S. 45: „Wenn sie sich z. B. über

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Paullinis „Bauern-Physik“ von 1706 betrachtete Schwäne, die sich auf Seen des Binnenlandes niederließen, als Zeichen für anhaltende Kälte.114 Als Wetterpropheten galten Schwäne auch in Pommern: Kamen sie früh ins Land, so deutete das auf „harten Winter und Krieg“.115 Eine rationale Erklärung für die Vorahnung von Schwänen versuchte zu Beginn des 13. Jahrhunderts der walisische Kleriker Giraldus Cambrensis. Er berichtet in der Vita des heiligen Bischofs Hugo von Lincoln, dass ein Schwan, der dem Heiligen besonders zugetan war, dessen Ankunft durch unruhiges Verhalten drei oder vier Tage im Voraus anzeigte. Giraldus vermutete, das habe seinen Grund im feinen Gefühl der Vögel, die ihrem Wesen nach am Element der Luft partizipieren.116 Dieser Erklärungsansatz, der auf die heutige Annahmen, dass Vögel Luftdruckveränderungen genau registrieren können, verweist, ist nachher aber nicht weiter verfolgt worden. Zweifellos wirkten Vorstellungen von prophetischen Schwänen auf die Wendung „mir schwant“: ich ahne ein. Allerdings wuchs die etymologische Forschung hier zu einem Gestrüpp von Irrtümern und Fehlern. Die weitverbreitete Behauptung, das lateinische „mihi olet“: ich wittere sei scherzhaft mit „olor“: Schwan in Verbindung gebracht worden, entbehrt jeder Wahrscheinlichkeit. Auch der in den Wörterbüchern zitierte Erstbeleg hält einer Überprüfung nicht Stand. Im Braunschweiger „Schichtbuch“ (dem Buch von den aufrührerischen Umstürzen in Braunschweig) aus dem Jahre 1514 sollen sich die Zeilen finden: „To einer tyt dat geschach/ Dat men den mit der tasche to velde sach. Ome hedde so etwes geswanet.“117 Tatsächlich gehören diese (von dem Literaturwissenschaftlicher Karl Scheller aus dem Hochdeutschen ins Mittelnieder-

die Hälfte ins Wasser tauchen, so hält man solches für ein Zeichen von gutem Wetter, dagegen soll es Regen verkündigen, wenn sie das Wasser dergestalt über sich werfen, daß es eine Art Staubregen um sie macht.“ 114 Gattiker, S. 521. 115 Ernst Moritz Arndts Schriften für und an seine lieben Deutschen. Teil 1. Leipzig 1845, S. 104. 116 Giraldus, S. 75, Magna vita s. Hugonis, S. 106. 117 Schiller-Lübben. Daraus direkt oder indirekt vielfach übernommen. Trübners Deutsches Wörterbuch. Hrsg. von Walther Mitzka. Sechster Band. Berlin 1955, S. 256f. Die Behauptung „... den Kreisen und der Zeit, in denen unser Wort wurzelt, war der Schwanengesang, das Lied des Schwans, der seinen Tod vorausahnt, nicht geläufig“ befremdet.

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deutsche rückübersetzten) Zeilen118 nicht zur Erzählung des „Schichtbuchs“, sondern erscheinen in einem allegorischen Lied, das Ereignisse der Jahre 14881491 behandelt und in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts von dem Chronisten Hermann Schoppe (Schoppius) seiner Paraphrase des „Schichtbuchs“ eingefügt worden ist. Bei Schoppius kann man lesen: „Ihme hette [oder: hatte] ja etwas gewahnet ...“119 „Geswanet“ beruht auf einer Konjektur Schellers. Das Verbum „schwanen“ benutzte nachweislich zum ersten Mal Jacobus Micyllus in seiner Tacitus-Übersetzung von 1535.120 Die Szene, als Agrippina ihre Mörder erwartet (Ann. XIV, 8, 3), schildert Tacitus durch Ellipsen atemlos gesteigert: magis ac magis anxia Agrippina ... aliam fore laetae rei faciem; nunc solitudinem ac repentinos strepitus et extremi mali indicia. Micyllus versuchte das nicht nachzubilden, sondern wollte in vollständigen Sätzen den Sinn herausarbeiten: „Und dieweil es an dem meer vnd auff dem gestad also plötzlichen vnd unuersehen still worden/ vnd das volck also bald verschwunden/ vnd sie sonst eyn eilend groß gedöß vnd rauschens vernam vnd höret/ hub jr an zů schwanen/ vnnd wolt sie nichts guts bedüncken.“ Da Agrippina ihren (schon vor Jahren prophezeiten) Tod ahnte, entspricht es durchaus antiker Metaphorik, die „Anzeichen äußersten Unheils“ auf Schwäne zu beziehen, die wissen, wann sie sterben müssen. Micyllos kann das Verbum „schwanen“ für die Übersetzung dieser schwierigen Stelle erfunden haben. Alles Weitere ist bloße Spekulation. Im Englischen sagt man zuweilen „I swan“ und meint: ich erkläre feierlich oder „I swan to man“: Ich schwöre bei Gott.121 Der Ausdruck „es schwant mir“ ließ sich metaphorisch ausbauen: „Obgleich der Antrag von acht Dukaten Handgeld Schwansfedern bei mir erregte, so folgte

118 Shigt-Bôk der Stad Brunswyk. Hrsg. von Karl F. A. Scheller. Braunschweig1829, S. 132. 119 Rochus von Liliencron: Die historische Volkslieder der Deutschen vom 13. bis 16. Jahrhundert. Bd. 2. Leipzig 1866, S. 217, der auch eine rekonstruierte niederdeutsche Fassung gibt. Das Staatsarchiv Wolfenbüttel besitzt drei Handschriften der Schoppe-Chronik aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, die sämtlich „gewahnet“ haben. VII D Hs 45, f. 127v., VII D Hs 46, f. 121v, VII D Hs 47, f. 164v. 120 Cornelius Tacitus: Der Römischen Keyser Historien: von dem abgang Augusti an: biß auff Titum vnd Vespasianum ... Mainz 1535, f. 221r. Vgl. zuletzt: Willy Krogmann: Nhd. Schwanen, nnd. Swanen. In: Indogermanische Forschungen 64 (1959), S. 34-38 (dessen These, die Redewendung habe vom Sträuben der Schwanenfedern ihren Ausgang genommen, der Chronologie der Belege so sehr widerspricht, dass sie nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden kann.). 121 Knortz, S. 57; Young, S. 49.

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ich ihm doch ohne weiteres, um nur zu sehen, wo das hinaus wollte“, schrieb z. B. Johann Christoph Sachse in seinen Erinnerungen.122 Der Aufklärungsphilosoph Giovanni Battista Vico meinte, dass Singen (canere oder cantare) der mythologischen Schwäne habe bei den Lateinern vorhersagen (divinare) bedeutet.123

2. T HEOLOGIE Exegesen der Kirchenväter Die Bibel nennt in der Vulgata und ebenso in Luthers Übersetzung den Schwan an zwei Stellen: „Und dies sollt ihr scheuen unter den Vögeln: … das Käuzlein, den Schwan, den Huhu …“ (Lev. 11, 17) und „Das aber sind, die ihr nicht essen sollt: … die Rohrdommel, der Storch, der Schwan.“ (Deut. 14,17). Tatsächlich gehörten Schwäne nicht zur Tierwelt der Bibel. Die Einheitsübersetzung versucht sich dem hebräischen Original durch die Neuprägung „Fischeule“ anzunähern; gemeint waren wahrscheinlich Kormoran bzw. Graureiher.124 Wenn der heilige Hieronymus mit seiner Übersetzung also nicht den rechten Sinn getroffen hat, so blieb seine Bibelübersetzung das Mittelalter hindurch maßgeblich; die Erwähnung des Schwanes gab der Exegese Anknüpfungspunkte. Im griechischen Physiologos allerdings, der für andere Tiere die Vorstellungen bestimmte, fehlt er. Dieses Werk (der Naturkundige oder –deuter), das ein unbekannter Verfasser gegen Ende des 2. Jahrhunderts zusammenstellte, behandelt eine Reihe von Tieren, die die Bibel nennt; 125 ganz schriftbezogen bietet es einen Kommentar zu diesen. Dabei wendet der Verfasser die Kunst der Allegorese an, um die Eigenschaften der Tiere geistlich auslegen zu können. Den Schwan fand er aber

122 Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses. Mit Einführung und Nachruf von Johann Wolfgang von Goethe. Eisenach 1951. 123 Giovanni Batista Vico: Principi di una scienza nuova d'intorno alle communa natura delle nazioni. Dt.: Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker. Band. 2. Hamburg 1990 (Philosophische Bibliothek 418b), Abschnitt 512 (S. 261), 534 (S. 282). 124 Adriaan Schouten van der Velden: Dieren uit de Bijbel. Dt.: Tierwelt der Bibel. Stuttgart 1992, S. 18, 122. 125 Nur den Phönix zog er aus Herodot heran, um einen Vergleich für die Auferstehung zu finden, und den Biber aus unbekannter Quelle, um die Keuschheit zu illustrieren.

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nicht in dem ihm vorliegenden Text, wie es überhaupt eine der größten Schwierigkeiten der Bibelübersetzung blieb, die hebräisch bezeichneten Tierarten des vorderasiatischen Raumes richtig zu identifizieren. Basilius von Caesarea – der Große – Theologe, Kirchenpolitiker und Vater des griechischen Mönchtums flocht in seine Hexaëmeron-Homilien (wohl 378) einige naturkundliche Beobachtungen ein, die ihm Anlass zur Meditation gegeben hatten. So bemerkt er an einer Stelle, Gott habe nichts geschaffen, was unnötig sei; und nichts, was nötig sei, fehle an dem Geschaffenen. Wenn du z. B., erklärt er, den Schwan ansiehst, wie er, den Hals ins tiefe Wasser getaucht, sich das Futter vom Grund hole, so werdest du der Weisheit des Schöpfers inne. Denn dieser gab ihm einen längeren Hals als Füße, damit er ihn wie eine Angelschnur in die Tiefe lasse, um Nahrung zu finden.126 Bald danach benutzte der heilige Ambrosius, Bischof von Mailand, diese Homilie für seinen Genesiskommentar: Warum der Schwan einen längeren Hals brauche, sei offensichtlich. Weil sein Leib ein wenig träger sei, könne er nicht so leicht in die Tiefe tauchen. Er strecke seinen Hals nach der Beute, der, sozusagen ein Vorläufer des übrigen Körpers, die Nahrung, wenn er sie gefunden habe, herausziehen und aus der Tiefe reißen solle. Und er fügt hinzu, dass der lange Hals dem Schwan ermögliche, süßere und angenehmer klingende Töne zu artikulieren, die durch längere Bewegung noch weit reiner klängen.127 Ambrosius hat, wenngleich in dieser Passage davon nichts zu spüren ist, die Kunst der Allegorese in die lateinische Theologie eingeführt; als Zoologen, wie auch schon behauptet worden ist, kann man ihn wohl kaum betrachten.128 Eusebius Hieronymus (gest. 419/20) bemerkte in seiner Auslegung des Propheten Sophonia, ein gutes Werk, nicht eine hohe Würde sei anzustreben: Schnell sei, so illustriert er, der Turm von Siloah eingestürzt, schlage der Blitz in die Wipfeln der Zedern, müsse sich ein stolzer Nacken beugen, und auch der Schwan, der seinen gestreckten Hals in die Höhe richte, werde unter die unreinen Tiere gerechnet.129 Extento collo (mit gestrecktem Hals) schrieb er und dachte vielleicht an die stolzen Töchter Zions, die ebenfalls extento collo wandelten. Gott verurteilt ihre Hoffahrt Is. 3, 16. Eine andere Wendung fand Hesychios von Jerusalem (gest. nach 451), als er Lev. 11 ausdeutete. Man sage, der Ibis, der Pophyrion, der Pelikan, der Schwan

126 Patrologia graeca 29, Sp. 123/124, vgl. Patrologia latina 53, Sp. 954. 127 Patrologia latina 14, Sp. 252. 128 Frank Meier: Mensch und Tier im Mittelalter. Ostfildern 2008, S. 21, 23 zitiert die Stelle vom Schwan und scheint Ambrosius als einen Vorgänger Cuviers anzusehen. 129 Patrologia latina 25, Sp. 1377.

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usw. hätten einen langen Hals und zögen die Nahrung von oben herab. Das verdiene nachgeahmt zu werden: dass sie ihre Speise nicht aus der Tiefe, sondern vom Himmel holten. Hier bleibt der Anschauung manches unklar. Der Schwan hätte gerade zum umgekehrten Bild getaugt, da er, wie Basilius und Ambrosius wussten, seine Nahrung aus der Tiefe zieht. Betrachtet man die Vorstellungen, die in der Patristik vom Schwan herrschen, insgesamt, so fällt auf, dass sie sich auf ein Merkmal konzentrieren: den langen Hals. Basilius und Ambrosius legen die Schöpfungsgeschichte in Anlehnung an Cicero aus. Schon in dessen Schrift De natura deorum findet sich der Kernsatz, nichts in der Natur sei überflüssig, aber auch nichts entbehrlich. Auch er sucht darin den weisen Plan der Schöpfung. Zur Verdeutlichung führt er an, wie die Tiere ihre Nahrung ergreifen und verarbeiten. Einige sind so niedrig gebaut, das sie ihre Nahrung leicht vom Boden aufnehmen können; andere dagegen, von höherer Gestalt (quae … altiora sunt) – wie die Gänse, Schwäne, Kraniche und Kamele – helfen sich durch die Länge ihres Halses.130 Ambrosius bezieht als einziger Kirchenvater den Topos vom Schwanengesang mit ein; er nutzt ihn zur Überleitung auf den Gesang der Wirbellosen, der Zikaden und Bienen. Im Kopf dürfte ihm Vergils Formulierung aus der Aeneis gewesen sein: Cycni … longa canoros/ Dant per colla modos.131 Eine ästhetische, eine moralische Betrachtung (quid agas: was sollst du tun?), eine Allegorese ruft der Schwan nicht hervor. Eine Systematisierung des antiken Wissens, des christlichen wie des paganen, unternahm zu Beginn des 7. Jahrhunderts Isidor, Bischof von Sevilla, das damals unter der Herrschaft der Westgoten stand. Deren König, Sisbut, forderte Isidor auf, eine Enzyklopädie zu verfassen: die Etymologiae. Der Titel verweist schon auf eine Eigentümlichkeit, die Schule machte. Isidor beginnt die Artikel, die er abhandelt, jeweils mit einer etymologischen Deutung: „Olor ist der Vogel, den die Griechen ‚kyknos’ nennen. Olor heißt er, weil ganz weiß von Federn ist. Niemand nämlich weiß von einem schwarzen Schwan. Denn ‚holos’ bedeutet auf Griechisch ‚ganz’. Cygnus aber wird er vom Singen (a canendo) genannt, weil er in melodischen Tönen die Süße des Gesangs verbreitet.“ Die Stoiker vor allem hatten die Anschauung gepflegt, dass eine sinnvolle Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem bestehe, zwischen einem Wesen und seinem Namen. Dieselbe Ansicht findet sich in der Bibel, wen z. B. Gott zu David sagt: „Der Sohn, der dir geboren soll werden … soll Salomo heißen, denn

130 Cic. De nat. deor. II, 123. 131 Verg. Aen. VII, 700.

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ich will Frieden (Schalom) und Ruhe geben über Israel sein Leben lang.“132 Und dass gerade die Namen der Tiere nicht willkürlich waren, zeigt der Bericht, wie Adam (noch im Stande der Unschuld) im Auftrag Gottes die Geschöpfe bezeichnete: „… denn wie der Mensch allerlei lebendige Tiere nennen würde, so sollten sie heißen.“133 In der Exegese herrschte einig die Meinung, Adam habe dabei die Natur und die aus ihr fließenden Eigenschaften in jedem Fall genau getroffen. Verschiedene Sinne treten in verschiedenen Sprachen zutage; sie alle aber sind bezeichneten Wesen immanent, und zwar in einer Weise, die eine Deutung sogar über Sprachgrenzen hinweg macht. Das lateinische Wort (‚olor’) erklärt Isidor mit einem griechischen (‚holos’); das griechische (‚kyknos-cygnus’) mit einem lateinischen (‚canere’). Er fährt fort mit dem, was bereits Ambrosius mitteilt: „Deswegen singt er so süß, weil er einen langen und gebogenen Hals hat und man eine deutliche Stimme und einen langen Weg mit Krümmungen braucht, um verschiedene wohlklingende Töne hervorzubringen.“ Dann etwas neues, das er anscheinend vom Hörensagen – vielleicht der Goten – kannte: „In den nördlichen Gegenden sollen viele Schwäne fliegen, die sich wie Zitherbegleitung hören lassen.“ Und er schließt mit dem Zitat aus Aemilius Macer, dass der Schwan unter allen Vorzeichen das glücklichste sei, weil er nicht in die Wellen eintauche.134 Da der Schwan zwar den Kopf ins Wasser streckt, nie jedoch den ganzen Körper unters Wasser zwingt, hält er sich also immer über Wasser, wie man das auch von einem Schiff erwartet. Vorzeichen konnten Isidor nicht gleichgültig sein, denn ihn selbst soll, um seine hohe Bestimmung zu weissagen, in jungen Jahren ein Bienenschwarm umhüllt haben. Ganz so wie in der Aeneis, wo ein Bienenschwarm die Ankunft des Helden verhieß.135 Im 9. Jahrhundert – gegen 845 – schrieb der Abt von Fulda, Hrabanus Maurus, Isidor ab (karolingische Renaissance!): Wort für Wort.136 Am Schluss aber fügt er einen Satz hinzu, eine allegorische Auslegung: Der Schwan mit seinem hoch erhobenen Kopf drückt den Hochmut (superbia) aus.

132 1. Chron. 22, 9. Vgl. Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 3, 1995, Sp. 943f. 133 Gen. 2, 19f. 134 Servius ad Verg. Aen. I, 393 (Frgm. 4), vgl. Anm. 109. 135 Verg. Aen. VII, 75. 136 Vgl. Elisabeth Heyse: Hrabanus Maurus’ Enzyklopädie ‚De rerum naturis’. Untersuchungen zu den Quellen und zur Methode der Kompilation. München 1969 (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 4), S. 100.

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Die Superbia ist die schlimmste, die luziferische Todsünde. Indem er einen geistlichen Sinn aufspürte, folgte Hrabanus einem Programm, das Kaiser Karl der Große einem seiner Vorgänger, dem Abt Baugulf, aufgegeben hatte, als er ihn aufgefordert hatte, in die Geheimnisse der heiligen Schriften einzudringen. Das Studium der Wissenschaften sollte die Schüler befähigen, die Schemata, Tropen und dergleichen Bilder, die in diesen Schriften gefunden werden, zu verstehen.137 In einer Lebensbeschreibung Kaiser Ludwigs des Frommen, um 837 verfasst, heißt es zum Lob dieses Herrschers: In allen Schriften erkannte er einen geistlichen und moralischen und sogar anagogischen Sinn.138 Hier beginnt nicht alleine die mittelalterliche Theologisierung des Wissens; Eigenschaft und Begriff und Wesen verweisen eins aufs andere und ergeben in immer neuen Kombinationen immer neue Erkenntnisse. Wohl zu Unrecht wurde Hraban eine Allegoria in sacram scripturam zugeschrieben, die gleichwohl den von ihm geschaffenen Ausgangspunkt benutzt, um die Bibel zu interpretieren: „Der Schwan ist der Hochmut: Wie im Gesetz verboten wird, dass jemand Schwan esse, das ist: sich nicht stolz gebärde.“139 Die exegetischen Texte erhielten ihre Entsprechung in den Illustrationen. Schwäne finden sich – nicht in großer Zahl, doch immer wieder – auf Darstellungen der Schöpfung.140 Eine eindrucksvolle Miniatur aus dem 13. Jahrhundert, wahrscheinlich nordwestdeutscher (sächsischer) Provenienz, illustriert den Ruf der Vögel aus der Apokalypse: Und ich sah einen Engel in der Sonne stehen; und er schrie mit großer Stimme und sprach zu allen Vögeln, die unter dem Himmel fliegen: „Kommt und versammelt euch zu dem Abendmahl des großen Gottes, dass ihr esset das Fleisch der Könige …“ (Apc. 19,17). Die Vögel bedeuten hier, so die Bildunterschrift, die Gerechten, die in der Höhe schweben. Be-

137 MGH LL II, 1, S. 79. 138 Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte. Erster Teil. Bearb. von Reinhold Rau. Darmstadt 1955 (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 5), S. 226. Anzufügen ist vielleicht auch eine Stelle bei Adam von Bremen (III c. 20), wo es heißt, der Slawenfürst Gottschalk habe dem Volk, was die Priester mystice sagten, einfach mit slawischen Worten wiedergegeben. Quellen des 9. und 11. Jahrhunderts zur Geschichte der hamburgischen Kirche und des Reiches. Bearb. von Werner Trillmich, Rudolf Buchner. Darmstadt 1961 (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 11), S. 352. Vgl. ferner Arnold von Lübeck: Legem Dei audiunt, eloquia mystica intelligunt (MGH SS 21, S. 163). 139 Patrologia latina 112, Sp. 894. 140 Yapp, S. 24f.

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merkenswert nun der Schwan, der schreitet und, mit roten Haarborsten versehen, eher an den Hochmut als an die Gerechtigkeit denken lässt. Schwarz-weiß-Allegorien Im 12. Jahrhundert ließen sich neue Einsichten und Erfahrungen in dieses Bild einweben. Wie bei Hrabanus vorgeprägt, flossen Physiologus-Tradition und Isidors Etymologien in die neue Gattung der Bestiarien ein, die aus England und Frankreich in großer Zahl überliefert sind. Sie machten in den Eigenschaften der Tiere Universalien sichtbar und regten die Bilder der beginnenden Gotik an. Nicht zufällig hat das wichtigste Werk dieser Art einen Baumeister und Maler zum Autor: den Augustinerchorherrn Hugo de Folieto, Prior von St. Laurent au Bois in der Picardie. Der wollte, schrieb er im Prolog zu seinem Vogelbuch (zwischen 1132 und 1152), die Flügel der Tauben malen, die wie Gold und Silber schimmern (Ps. 67, 14) und durch dieses Bild die Gemüter seiner einfachen Zuhörer bilden, dass sie sinnlich aufnähmen, was ihr Verstand nicht fassen konnte. „Nicht nur wollte ich die Taube bildnerisch wiedergeben, sondern auch mit Worten beschreiben, damit durch das Geschriebene das Bild vorgeführt [und erläutert] werde.“141 Hugo gibt die Schwanenpassage aus Isidors Etymologien wieder und fügt an: „Der Schwan hat weiße Federn, aber schwarzes Fleisch. In moralischer Hinsicht bezeichnet der Schwan in seinem weißen Gefieder den Effekt der Heuchelei, durch welche schwarzes Fleisch verdeckt wird, weil die Sünde des Fleisches durch Heuchelei verhüllt wird. Auf dem Fluss schwimmend hält der Schwan den Hals gestreckt, weil der Hoffärtige, selbst wenn schon das Ende naht, sich seiner irdischen Güter brüstet.142 ‚In den nördlichen Gegenden sollen viele Schwäne fliegen, die sich wie Zitherbegleitung hören lassen’, weil jene, die nach der Befriedigung ihrer Lüste lechzen, ihren Begierden sozusagen zufliegen. Aber auch am Ende, wenn sie sterben, sollen die Schwäne ausgesprochen süß singen. Ebenso: Wenn der Hoffärtige aus dem Leben scheidet, freut er sich noch immer an gegenwärtigem Genuss, bis ihm, was er Übles getan hat, während des Sterbens in Erinnerung gebracht wird. Wenn aber der Schwan seines weißen Gefieders entkleidet worden ist, wird er, an den Spieß gesteckt, am Feuer geröstet. Ebenso: Wenn der hoffärtige reiche Mann sterbend des

141 Willene B. Clark: The Medieval Book of Birds: Hugh of Fouilloy’s Aviarium. Edition, Translation and Commentary. Binghamton 1992 (Medieval and Renaissance Texts and Studies 80), S. 116. 142 Hier ist Patrologia latina 177, Sp. 51 deutlicher als die Edition von Clark.

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irdischen Ruhms entkleidet worden ist und in die höllischen Flammen hinabsteigen muss, wird er mit Qualen gestraft werden; und der gewohnt ist, seine Nahrung in der Tiefe zu suchen, steigt in den Höllenschlund hinunter und wird eine Nahrung des Feuers.“

Vor diesem Hintergrund ist der bekannte Schwanengesang aus den Carmina Burana („Olim lacus colueram“) vor allem geistlich zu verstehen. Der Text gehört zu einer Liedersammlung, die um 1230 am Hof des Bischofs von Seckau in der Steiermark zusammengestellt wurde. Ein Schwan am Spieß singt: „Einst wohnte ich auf dem See, einst erschien ich schön, als ich Schwan noch war. Ich Armer, armer! – Jetzt bin ich schwarz und stark angesengt. Hin und her dreht mich der Küchenknecht. Jetzt trägt der Truchsess mich auf. Der Rost brennt heftig. Ich Armer, armer … Lieber schwebte ich auf dem Wasser, immer unter freiem Himmel, als in diesen Pfeffer getaucht zu werden. Ich Armer, armer… Ich war weißer als Schnee, von schönerer Gestalt als jeder andere Vogel. Ich Armer, armer … Nun liege ich in der Schüssel und kann nicht fliegen, Zähne, die knirschen, sehe ich. Ich Armer, armer …“143

Daneben handelt es sich selbstredend um einen Schwanengesang, d. h. das letzte Lied eines sterbenden Schwans und damit um eine literarische Parodie. Wegen der Bezugnahme auf Hugo de Folieto kann man davon ausgehen, das „Olim lacus colueram“ nach 1150 wahrscheinlich in Nordfrankreich gedichtet worden ist.144 Das prominenteste theologische Werk, das die Hypokrasis-Deutung in die Neuzeit tradierte, ist die Summa theologica des Thomas von Aquin, der Leviticus 11 auslegt und im Hinblick auf den Schwan zur figuralis ratio erklärt: Der Schwan aber sei von weißer Farbe und habe einen langen Hals, mit welchem er vom Grund des Bodens oder des Wassers Nahrung aufnehme; er könne daher die Menschen bezeichnen, die durch äußerlichen Glanz von Gerechtigkeit irdische Vorteile suchten.145

143 Carmina Burana. Hrsg. von Benedikt Konrad Vollmann. Frankfurt/M. 1987 (Bibliothek des Mittelalters 13), S. 460. 144 Brage Bei der Wieden: Der Schwanengesang aus den Carmina Burana. In: Stupor Saxoniae inferioris. Ernst Schubert zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Wiard Hinrichs, Siegfried Schütz und Jürgen Wilke. Göttingen 2001, S. 13-19. 145 Prima secundae, quaestio CII, articulus VI, argumentum primum. Ausgabe: S. Thomae Aquinatis Summa theologica … Editio altera. Tomus secundus. Ed. Guiseppe Pecci. Paris o. J., S. 505f.

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Die englisch-französische Bestiarien-Tradition verzweigte sich in andere Richtungen.146 Von der zweiten Redaktion an, den „second family Bestiaries“ nach M. R. James, behandeln fast alle Bestiarien, wenigstens alle englischen, auch Schwäne; das älteste Beispiel datiert von etwa 1180, beschränkt sich jedoch darauf, den Text aus Isidors Etymologien ohne geistliche Auslegung widerzugeben.147 Die Bestiarien-Tradition entwickelte keine neuen Inhalte und muss deshalb hier nicht weiter verfolgt werden; Interesse können allein die nicht selten lebensvollen Illustrationen erwecken. Der weiße Schwan mit schwarzem Fleisch blieb noch bis ins 17. und 18. Jahrhundert gegenwärtig. Andere Exegesen: Als Symbol der Trinität erscheinen Schwäne in der Gründungslegende des Klosters Selby, südlich von York, die 1184 aufgezeichnet worden sein soll. Der heilige Germanus, heißt es, erschien einem Mönch in Auxerre im Traum und forderte ihn auf, nach Britannien zu ziehen und in Selby ein Kloster zu gründen. Dieser brach nachts auf und nahm den Mittelfinger von der rechten Hand des Heiligen auf seine Mission mit. Die Ouse aufwärts segelnd, erkannte er den bestimmten Ort, vor dem drei Schwäne auf dem Wasser schwebten. Er errichtete ein hölzernes Kreuz, und Wilhelm der Eroberer zeigte sich von der Frömmigkeit des Mönchs und seiner Geschichte so beeindruckt, dass er um das Jahr 1069 in Selby ein Kloster errichten ließ.148 Als einen Prälaten, der in den Gewässern der heiligen Schriften nach Nahrung suche, bezeichnete der Benediktiner Pierre Bersuire († 1362) den Schwan.149 Das Motiv des Schwanengesangs und das Element der Klage verwendete im 9. Jahrhundert ein Dichter für die Sequenz „Planctus Cygni“. Die Mönche der Abtei St. Martial in Limoges sangen den Text in Doppelstrophen im Anschluss an das Halleluja im Graduale der Messe, auch aus Winchester ist der Text über-

146 Zu den Bestiarien: Ron Baxter: Bestiaries and their Users in the Middle Ages. Phoenix Mill 1998; Gaston Duchet Suchaux, Michel Pastoureau: Le Bestiaire médiéval. Dictionnaire historique et bibliographique. Paris 2002; Marie-Hélène Tesnière: Bestiare medieval. Enluminures. Paris 2005. 147 Edition: Willene B. Clark: A Medieval Book of Beasts. The Second-Family Bestiary. Commentary, Art, Text and Translations. Woodbridge 2006, zum Schwan S. 171f. 148 Historia Selebiensis Monasterii, quod fundatum in Anglia. In: Philipp Labbé: Novae Bibliothecae Manuscriptorum librorum. Tomus Primus. Paris 1657, S. 594-626. Vgl. Young, S. 94f. 149 Petri Berchorii ... Reductorium morale sive Tomus secundus de rerum propietatibus ... Köln 1731, S. 190.

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liefert. Der Schwan (ales cygni) als Seelenvogel verdeutlicht die Bedrängnis der Seele, die sich zu selbstsicher auf ihre eigene Kraft verlassen hat, in der Prüfung aber ihre Ohnmacht erkennt und gerettet wird. Oder – nach einer alten heilsgeschichtlichen Deutung – Adams Fall (und die Erlösung der Menschen durch die Gnade Gottes).150 Der Text ist in verschiedener Hinsicht merkwürdig, in seiner sprachlichen Gestaltung ebenso wie den undeutlichen Traditionshintergründen.151 Gattungstypologisch vereint er Planctus und Iubilus. In zoologischer Hinsicht kann irritieren, dass der erschöpfte Vogel als beste Nahrung, ihm allerdings unerreichbar, Fische betrachtet. Mitte des 12. Jahrhunderts fließt stärker – wie bei Hugo – eine christologische Deutung des Schwanengesangs ein. So in dem kunstreichen, exakt 1000 Verse zählenden Marienlob, das Konrad von Würzburg etwa 1275 dichtete: Man sage, dass der Schwan singe, wenn er sterben solle, ebenso tat es, Maria, dein Sohn. Denn: „Eli“ habe Christus am Kreuz geschrieen und gesungen (Eli, Eli, lama asabtani: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?); seine heilige Marter kämpfte den Teufel und die Höllenglut nieder und machte, dass die Seele die Furt des ewigen Heils durchwatete.152 Das Westportal des Doms von Pisa zeigte im Mittelalter über Christi Einzug in Jerusalem einen Schwan. Der (singende) Schwan illustrierte vermutlich das Hosianna, die Heilrufe des Volkes, „das vorging und nachfolgte“.153 Deutlich auf Passion und Auferstehung Christi bezieht sich auch ein bemerkenswertes textiles Kunstwerk, eine Kasel aus italienischem Seidenlampas mit

150 Analecta Hymnica Medii Aevi. VII. Prosarium Lemovicense. Die Prosen der Abtei St. Martial in Limoges. Hrsg. von Guido Maria Dreves. Leipzig 1889. Nachdruck Frankfurt/M. 1961, S. 253. Vgl. Ricarda Liver: Der singende Schwan. Motivgeschichtliches zu einer Sequenz des 9. Jahrhunderts. In: Museum Helveticum 39 (1982), S. 146-156; Peter Godman: Poetry of the Carolingian Renaissance. London 1985, S. 69-71, Text (mit englischer Übersetzung) S. 322-324. Eine deutsche Übersetzung bietet Brugisser-Lanker. 151 Liver bezieht den Text auf Prudentius (gestorben nach 402/3), der die Gefangenschaft der Seele im Körper beschrieben hatte. Bruggisser-Lanker meint, dass noch stark antike Vorstellungen mitschwängen, und nennt den Planctus „seltsam unkirchlich“. Bruggisser-Lanker, S. 309-317. 152 Die Goldene Schmiede des Konrad von Würzburg. Hrsg. von Edward Schröder. 2. Aufl. Göttingen 1969, Zeile 976-989, 1974-1977 (das Semikolon Zeile 1975 verdunkelt nur den Sinn). Vgl. Matt. 27, 46; Marc. 15, 34. 153 Lexikon der christlichen Ikonographie. Hrsg. von Engelbert Kirchbaum. Vierter Band. Freiburg/Br. 1990, Sp. 133. Vgl. Matt. 21, 9.

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einem großen applizierten Kruzifix. Die Stickereien wurde um 1500 wahrscheinlich in einem niedersächsischen Kloster ausgeführt, in Gold auf Hellgrün, und sie zeigen einen immer wiederkehrenden, symmetrischen Symbolzusammenhang: ein bewegtes Wasser, von einem Zaun umfasst, worauf ein einander zugewandtes Schwanenpaar schwimmt; zwischen den Hälsen ragt eine fünfblättrige Blume auf, über der ein Dreikugelsymbol im Strahlenkranz schwebt. Die Zwischenräume füllt rechts und links je ein Löwe.154 Auf das Kugelsymbol stoßen von oben zwei Greifvögel zu. Diese Darstellung muss nicht als Allegorie begriffen werden, aber bekanntermaßen kann die fünfblättrige Rose auf die Christi Wundmale hin ausgelegt werden, sind Löwen und Adler, die zur Sonne aufsteigen, Christussymbole, so dass die Schwäne sich in einen Kontext einfügen, der es kaum erlaubt, sie nicht ebenfalls christologisch zu deuten. Diese Zusammenhänge können vielleicht erklären, warum Schwäne im Spätmittelalter zuweilen als Tugendattribute erscheinen, in einer Tugendprozession z. B. als Helmzier der Geduld, die auf einem Elefanten einreitet, mit einem Löwentöter (leontophonos) im Wappen und einem Lammbanner.155 Schwäne als Marienattribute Ein unter dem Namen Gottfrieds von Straßburg in der Großen Heidelberger Liederhandschrift (1305-1340) überliefertes Marienlob sagt: Du bist „wîz als ein snê, blanc als ein swan“.156 Aber nicht die Exegesen und die Verbalallegorie entwickelten im Spätmittelalter die Schwanenvorstellung im sakralen Kontext weiter, sondern die bildliche Darstellungen, die selbstständig Kompositionselemente ausprägen und von den geistlichen Texten unabhängige Traditionen begründen. Eine Dynamisierung der Bildwelten und die Abkehr von den Universalien, die Hinwendung zum Nomi-

154 Leonie von Wilckens: Die mittelalterlichen Textilien. Katalog der Sammlungen [des Herzog-Anton-Ulrich-Museums Braunschweig]. Braunschweig 1994, S. 33-35 (Inv. Nr. MA 22). Wilckens deutet die drei Kugeln als Granatäpfel, ganz offenbar handelt es sich aber um ein Zeichen der Trinität, für das Granatäpfel nicht ganz passend erscheinen. 155 Etymachie-Traktat. Ein Todsündentraktat in der katechetisch-erbaulichen Sammelhandschrift Augsburg, Staats- und Stadtbibliothek 2° Cod. 160. FarbmikroficheEdition. Einführungen von Nigel Harris und Werner Williams-Krapp. München 1995 (Codices illuminati medii aevi), S. 33, 40; Lexikon der christlichen Ikonographie. Bd. 4, Sp. 375. 156 Gottesminne 23.9. Vgl. Cassel, S. 31.

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nalismus, die realistischen Züge der Kunst wirken sich auch in der kirchlichen Kunst aus. Im Hinblick auf Schwanendarstellungen zunächst in der innovativen französischen Buchmalerei zu Beginn des 15. Jahrhunderts. Der Meister des Stundenbuchs des Marschalls von Boucicaut, zwischen 1405 und 1408, heißt in der Forschung auch der „Meister mit den Schwänen“.157 In seiner Verkündigung an die Hirten umfließt die Szene ein Wasser, auf welchem, die Komposition schließend, unten ein Schwan schwimmt. Dieser Schwan kann Christus versinnbildlichen – wie auf der Christophorus-Darstellung im Erfurter Dom (s. S. 97). Er kann aber auch auf Maria deuten. Die Illustrationen zur Flucht nach Ägypten und zu Marias Heimsuchung ordnen jeweils einen Schwan der heiligen Jungfrau zu. Mit der Komposition der Heimsuchung Mariens begründete der BoucicautMeister anscheinend eine ikonografische Tradition. Marias Besuch bei der schwangeren Elisabeth (Luc. 1, 39-56) hatte Papst Bonifaz IX. im Jahre 1389 in den Festkalender eingefügt hatte, es handelte sich also um ein recht neues Kirchenjahrsereignis. Der Meister stellte dar, wie Maria und Elisabeth sich begrüßten und malte im Hintergrund ein Wasser, worauf – auf Marias Seite – ein Schwan zu sehen ist. In der Werkstatt Robert Campins in Tournai muss diese Miniatur bekannt gewesen sein, denn gleich zwei Schüler Campins überführten die Gestaltung des Motives aus der freieren Buchmalerei in die neue, perspektivische Tafelmalerei. Früher wohl ist das Gemälde Jaques Darets` zu datieren – 1434/35 –; größere Qualität und eine reichere Erfindung zeichnet Rogier van der Weydens Darstellung aus. Der Betrachter erkennt Maria und Elisabeth, im Hintergrund eine Burg mit Teichanlage; auf dem Wasser schwebt, Maria zugewandt, ein Schwan; das Pendant auf Elisabeths Seite bildete eine Gestalt mit pelzbesetztem Mantel und weißem Windspiel vor dem geöffneten Burgtor. Weiter zurück steht ein Schimmel mit Reiter. Den Turm umkreisen schwarze Krähen.158 Über das Weiß der Tiere ergibt sich zwanglos die Bedeutung „Unschuld“, „conceptio immaculata“. Augenscheinlich ist also im Laufe des 15. Jahrhunderts ein Christussymbol in den Bereich der Marienverehrung hinüber geglitten. Dafür gibt es auch andere

157 Vgl. zuletzt Albert Châtelet: L’Âge d’Or du Manuscrit à peintures en France au temps de Charles VI et Les Heures du Maréchal Boucicaut. Dijon 2000. 158 Dirk de Vos: Rogier van der Weyden. Het volledige Œuvre. Dt.: Rogier van der Weyden. Das Gesamtwerk. München 1999, S. 196, 207; Stephan Kemperdick: Rogier van der Weyden. 1399/1400-1464. [Potsdam] 2007, S. 18, 44. Vgl. LCI 2, 1970, Sp. 229-235.

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Beispiele, etwa das des Morgensterns159, und schon Ende des 14. Jahrhunderts bedachte ein Liederdichter, der Mönch von Salzburg, die Gottesmutter mit einer ganzen Kaskade von Christussymbolen: „Ruf uns recht, als der leo tut,/ speis uns mit pelicanes plut,/ jung als der fenix in der glut,/ sih uns recht als der strauz dy prut,/ stell plik gar hoch in adlars mut,/ maid, das ainhoren vah in gut,/ gib elphants sterk fur sunden flut,/ du wolgeplüt Aarons rut!“ 160 Den Hintergrund bildete die Intensivierung der Marienverehrung im Spätmittelalter, und theologisch könnten in den Bildern der Reinheit Positionen im Streit um die unbefleckte Empfängnis, um die Frage, wie die Gottesmutter von der Erbsünde frei ins irdische Sein kommen konnte, ihren Ausdruck gefunden haben. Die Franziskaner waren die engagiertesten Verteidiger einer Conceptio immaculata, der Bewahrung Marias vor der Erbsünde schon vor ihrer Zeugung, während die Dominikaner mit dem hl. Thomas die Auffassung vertraten, Christus habe – wie alle Menschen – durch seinen Opfertod auch seine Mutter erlöst. Die franziskanische Argumentation entwickelte Duns Scotus (1266-1308) dialektisch fort, und schließlich führte ein ehemaliger Franziskaner-General, nachdem er als Sixtus IV. zum Papst geweiht worden war, 1476 das Kirchenfest der Unbefleckten Empfängnis ein.161 1440 gründete Markgraf Friedrich II. von Brandenburg einen Ritterorden, die Gesellschaft Unserer Lieben Frau, um die heilige Jungfrau zu loben und zu ehren. Die Mitglieder trugen als Abzeichen an einer Kette eine Mondsichelmadonna mit Kind im Strahlenkranz, an welchem ein weiterer Kranz befestigt war, der einen aufgerichteten, Flügel schlagenden (singenden) Schwan umschloss und von welchem ein weißes Hand- oder Wischtuch (dwele) herabhing. Über den Schwan heißt es in den Statuten: „dat wy ok unnse ende, wenn wy van dusser werlde scheiden, tovorne glicke dem swannen bedencken schollen und uns darto richten, also dat wy in der dwelen der unschuld gefunden werden.“ Der Schwan wird so Maria assoziiert, ohne indes ihr Symbol zu sein; er trägt eine eigene Bedeutung, die in den späteren Statuten von 1483, die den Schwan als Zeichen der Freiheit nehmen, denn der Markgraf und seine Vorfahren seien edle freie

159 Brage Bei der Wieden: Über Pentagramme und andere Sterne. Zur Ikonografie des Marktkirchenturms. In: Hannoversche Geschichtsblätter NF 59 (2005), S. 115-133. 160 Zitiert nach: Gedichte 1300-1500. Nach den Handschriften und Frühdrucken in zeitlicher Folge hrsg. von Eva Willms und Hansjürgen Kiepe. München 2001 (Deutsche Lyrik von den Anfängen bis zur Gegenwart 2), S. 153f. 161 Schubert, S. 274f.; Theologische Realenzyklopädie. Bd. 22. Berlin 1992, S. 126f. (Heiner Grote).

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Sachsen und Franken, und der Schwan heiße seiner Freiheit wegen auch „Frank“, neu bestimmt wird.162

Die Verknüpfung zwischen dem fröhlich sein irdisches Ende besingenden Schwan und der heiligen Jungfrau leistete erst ein Barockdichter, Jakob Balde, der 1643 in wunderbaren lateinischen Versen, die sich aus der Klingelpoesie antiker Versatzstücke zu christlicher Gottesverehrung aufschwingen, seine Schwan gewordene Leier aufruft, der Gottesmutter ein Loblied zu singen. Nach diesem Gesang „taucht er hinein sich in die Wellen, schläget dreimal noch die Flügel, singet dreimal noch ‚Maria!’ und erhebt sich im Triumphe auf zu seinem Sternenbruder und verschwindet meinem Blick.“163 Eine Schwanenkirche, die der Jungfrau Maria geweiht war, stand seit 1473 und bis zu ihrer Zerstörung 1944 bei Roes in der Eifel. Auf dem Dachreiter drehte sich statt eines Wetterhahns ein Schwan. Den Namen versuchte folgende Sage zu erklären: Ein Kreuzritter, der in die Gefangenschaft der Ungläubigen geraten war, träumte nach einem inbrünstigen Gebet zur heiligen Jungfrau, er werde von einem Schwan übers Meer in die Heimat geflogen. Aus tiefem Schlaf erwachend, fand er sich auf heimatlichem Boden wieder. Zum Dank ließ er eine Kapelle errichten, die bald Wallfahrer anzog.164 Der Schwan als Attribut der Maria wird sonst erst im 17. Jahrhundert wieder von der schriftlichen Tradition eingefangen, nicht zuletzt durch den großen Prediger Abraham von Sancta Clara: „Seind doch die Schwanenvögel, welche die Livrei der Unschuld in ihren weißen Federn tragen, seynd sie doch Vögel, welche sich meistens aufhalten im Wasser, welches Element gleich vom Anbeginn der Welt von dem Schatten des emporschwebenden Gottes ist geweihet worden; seyn sie doch Vögel, so mitten im Wasser nit naß werden und dergestalt

162 Holger Kruse, Werner Paravicini, Andreas Ranft (Hrsg.): Ritterorden und Adelsgesellschaften im spätmittelalterlichen Deutschland. Ein systematisches Verzeichnis. Frankfurt/M. 1991 (Kieler Werkstücke D 1), S. 324-346.; Malte Prietzel: Hosenband und Halbmond, Schwan und Hermelin. Zur Ikonographie weltlicher Ritterorden im späten Mittelalter. In: Herold-Jahrbuch NF 4 (1999), S. 119-134, hier S. 128f. 163 Übertragung von Johann Gottfried Herder. Herder’s Werke. Dritter Theil. Hrsg. von Heinrich Düntzer. Berlin o. J., S. 280-283. 164 A. Reichensperger: Die Schwanenkirche bei Forst auf dem Maifelde. In: Jarhbücher des Vereins von Alterthumsfreunden im Rheinlande 19 (1855), S. 107-124.

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ein lebendiges Sinnbild der seligsten Mutter Gottes, welche in Mitten der Adamskinder empfangen und geboren worden, doch unbefleckt und ohne einigen Makel.“165

Bald wurden auch Assoziationen dieser Art in Marienprogrammen systematisiert, so bei Cölestin Sfondrati und Joseph Zoller, nach deren Beschreibungen verschiedene Wandmalereien in Sakralräumen ausgeführt worden sind.166 Protestantische Theologie Das Ende der mittelalterlichen Schwanenexegesen bildet ein Text, der merkwürdiger Weise gerade in Luthers Tischreden überliefert ist. Der Schwan wird darin als Allegorie der Kirche vorgestellt: Die Kirche stehe wahrlich fest auf breiten Füßen, auf einem festen Fundament, das von keinem Höllengeist umgerissen werden könne. Der Schwan lebe an Seen und Sümpfen, d. h. er strebe nicht nach Herrschaft und Zutritt zu den hochmütigen Großen. Welcher Teil der Menschheit sei besser und besser eingerichtet? Welcher nähre sich von Nesseln, d. h. fliehe Laster und zügele Lüste und führe sich fromm und züchtig auf? Er erziehe weiterhin viele Kinder, aus Geist und Wasser erzeugt, aufs liebevollste erziehe und erhalte er sie in gutem Gewissen, weil dieses, so Pindar [richtiger: Platon], die Amme eines zufriedenen Alters ist. Er schlage, obgleich er Tyrannen nicht beleidige oder reize, im Vertrauen auf die Stärke seiner Schwingen, in welchen seine Kraft vor allem sitzt, durch die Hilfe des Wortes und inbrünstiges Gebet die blutrünstigen Feinde aus dem Feld. Mit diesen Waffen wurden Sennacherib, Iulianus und unzählige andere besiegt und vernichtet. Viele Eigenschaften der Schwäne sind rühmenswert, ganz besonders, dass sie freudig und mit Gesang sterben. So töne auch die Kirche, wenn das Leben ans Ende kommt, höchst angenehm, das heißt: Sie rufe den Sohn Gottes an und von ihm habe sie die Kraft und führe die Seele.167 – Wir wissen nicht, ob und wie Luther diese Allegorese kommentierte. Sicher ist, dass er Auslegungen dieser Art keinen Beifall zollte. Die allegorische Auslegung von Texten war ursprünglich erfunden worden, um Homers Dichtungen mit den Fakten zu harmonisieren. Die mittelalterliche Theologie hatte von dieser Methode ausgiebigst Gebrauch gemacht, um in heiligen und profanen Schriften Willen und Wirkung Gottes nachzuspüren. Da Spekulation und Willkür nicht zu vermeiden waren, wenn nicht Gott selbst die In-

165 Judas der Erzschelm. Passau 1835, S. 298. Vgl. Cassel, S. XXXf. 166 Marienlexikon. Hrsg. im Auftrag des Institutum Marianum Regensburg e. V. von Remigius Bäumer und Leo Scheffczyk. Band 6. St. Ottilien 1994, S. 87 f. (G. Nitz). 167 Luthers Werke. Tischreden 5. Weimar 1919, S. 560.

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terpreten inspirierte, kritisierte Martin Luther diese Praxis heftig. Seiner Meinung nach hatten die Allegorien, sofern sie sich nicht auf die Autorität des göttlichen Wortes stützen konnten, große Finsternis und Irrtum im Verständnis der heiligen Schrift bewirkt. So geriet auch die theologisch-moralische Ausdeutung des Buches der Natur in Misskredit. Dennoch erlebten geistliche Tierbücher zwei Generationen nach Luther im protestanischen Bereich eine Renaissance. 1595 ließ Hermann Heinrich Frey, lutherischer Pastor in Schweinfurt, seine Therobiblia, ein „biblisch Thier- Vogelund Fischbuch“ ausgehen. Frey behandelte die Tierarten, die in der Bibel erwähnt werden. Zunächst verweist er auf die entsprechenden Stellen der Heiligen Schrift. Danach fügt er Zitate aus den Kirchenvätern, Luther und Brenz an, geordnet nach ihren Bezügen zu den drei Ständen der lutherischen Soziallehre: dem geistlichen, dem weltlichen und dem Hausstand. Zum Schwan gibt er Textstellen aus Basilius, Ambrosius, Hesychius, Hieronymus und Hugo von St. Viktor und erkärt: Die Patres wollten durch den Schwan die Weisheit Gottes andeuten, dass er ihm einen langen Hals verliehen habe, um seine Nahrung zu suchen und gleichzeitig umso lieblicher singen zu können.168 Erfolgreicher waren die Werke von Wolfgang Franzius und Samuel Bochart. Wolfgang Franz, Theologe an der Universität Wittenberg und Propst der dortigen Schlosskirche, hatte 1609 schon ein Werk zu Fragen der Textexegese herausgebracht, bevor er 1612 seine „Historia animalium“ veröffentlichte, die bis 1712 in wenigstens neun Auflagen und zahlreichen Nachdrucken erschien. In der Zuschrift an den Leser bemerkt er, das Buch sei nicht für Mediziner, sondern für Beflissene der Gottesgelahrtheit, besonders Pastoren, bestimmt. Es sollten keine Allegorien gegeben werden, wie sie im Papismus verwendet wurden, um alle Textstellen historisch, tropologisch, analogisch, allegorisch auszulegen, meist lächerlich und abgeschmackt, wogegen Luther sich zu Recht deutlich ausgesprochen habe. Sein Anliegen richte sich darauf, Lehrinhalte in Bilder zu fassen, damit das einfache Volk sie sich leichter einprägen könne: auf Gleichnisse nach dem Beispiel Jesu. Über den Schwan weiß er allerhand mitzuteilen. Dieser Vogel sei ein schönes Bild der Literaten, nicht zuletzt der Theologen, einerseits, der Kirche andererseits – und nimmt damit die zitierte Allegorie aus Luthers Tischgesprächen wieder auf. Denn erstens sei der Schwan sanftmütig und friedlich: Milde und menschliche Sitten zeichneten auch die Kirche aus. Zweitens habe er breite Füße: Auch die Kirche stütze sich auf ein festes Fundament. Drittens bevorzuge er

168 Hermann Heinrich Frey: Therobiblia. Biblisch Thierbuch (Leipzig 1595). Mit Vorwort und Registern hrsg. von Heimo Reinitzer. Graz 1978, III, fol.122v-123r.

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angenehme Gegenden in der Nähe von Flüssen: Auch die Kirche suche keine strahlenden Plätze, sondern lasse es sich an der Heiligen Schrift, Frieden und einfacher Kost genügen. Viertens führe er ein anständiges und unschuldiges Leben: wie auch die Kirche richtig und angemessen handele und Zöglinge im reinen Glauben erziehe. Fünftes sei er vorsichtig: so auch die Kirche, denn „wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um“ (Sir. 3, 27). Sechstens liege seine Stärke vor allem in seinen beiden Flügeln: Auch die Kirche vertraue auf zwei Stärken, das Wort und das Gebet. Siebtens verschlinge er Nesseln: Durch die Versenkung in das Wort Gottes ringen die Kirchendiener aufflammende Begierden nieder. Achtens halte er Frieden mit allen Vögeln, nur mit dem Adler begebe er sich in den Kampf: Die Kirche kämpft gegen Tyrannen, ohne ihre Gegner indes zu reizen. Neuntens töte und verschlinge er seinesgleichen, was auch gut auf Literaten passe. Endlich: Wie der Schwan süß singe vor seinem Tod, so fürchte auch die Kirche den Tod nicht, denn der Tod ist der „Weg zum Leben“ (Ps. 16, 11). Endlich führt Franz den Vergleich Luthers mit dem Schwan, der bei Frey bemerkenswerterweise noch fehlt, eingehend aus.169 Der reformierte Theologe Samuel Bochart, Pfarrer im französischen Caen, veröffentlichte 1663 ein „Hierozoicon“, das im Laufe des 17. Jahrhunderts vier Auflagen erlebte und in einer Neubearbeitung 1784/86 noch einmal erschien. Ihm ging es aber nicht um Predigthilfen, sondern ausschließlich um Bibelphilologie. Da er bezweifelte, dass das hebräische Wort „racham“ „Schwan“ bedeuten könne, denn der Schwan sei kein mitleidiger Vogel, wie der Sinn des hebräischen Begriffs es nahe lege, beließ er es bei der Mitteilung weniger Stellen aus den antiken Klassikern.170 Die Wirkungen der protestantischen Tierallegoresen, wie Franzius sie bot, beschränkten sich auf die Barockliteratur; sie konkurrierten mit der moderneren, sich auf Anschauungen, auf Bilder, beziehenden Emblematik und konnten im 18. Jahrhundert weder den Vorstellungen der rationalistischen noch denen der pietistischen Theologie genügen. Die Physikotheologie harmonisierte Theologie und Naturerkenntnis, indem sie die zweckmäßige Einrichtung der Schöpfung pries. Der englische Pfarrer William Derham (1657-1735) verarbeitete in seiner zentralen „Physico-

169 Wolfgang Franzius: Historia Animalium Sacra... Wittenberg 1612, S. 374-381: http://digital.staatsbibliothek-berlin.de/dms/werkansicht/?PPN=581986059

(25.7.

2011); verglichen mit der fünften Auflage, Wittenberg 1642, S. 368-376 und der sechsten Auflage, Wittenberg 1659, S. 430-439. 170 Samuel Bochart: HIEROZOICI Sive bipartitis operis de ANIMALIBUS Scripturae. Pars posterior. London 1663, Sp. 300.

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Theology“ die neuesten naturwissenschaftlichen Veröffentlichungen, zum Schwan z. B. Bartholinis Kopenhagener Dissertation. An einer Stelle führt er aus, die Körper der Tiere seien kunstvoll ausbalanciert. Die Köpfe und Hälse großer Wasservögel, der Schwäne z. B., scheinen jedoch zu schwer für den Rest des Körpers zu sein. Aber anstatt dieses als Argument gegen die göttliche Kunst und Vorsehung zu verstehen, muss man es als ein bewunderswertes Beispiel dafür betrachten: denn es handelt sich um ausgezeichnete Anpassungen an die Lebensweise.171 Den beredtsten Ausdruck im Hinblick auf Schwäne verlieh dieser Richtung der Hamburger Ratsherr und Dichter Barthold Hinrich Brockes. Dazu ist das Kapitel über Literatur zu vergleichen. Das Wort vom Schwanengesang (Cygnea cantio) wurde im 17. Jahrhundert zu einem geläufigen Topos der Sepulkralliteratur, weil er die lutherische Zuversicht illustrierte, durch die Gnade und den Glauben allein das ewige Leben schon verdient zu haben.172 Die Pastoren führten gerne den „Schwanengesang Simeonis“ – „Herr, nun lässest du deinen Diener im Frieden fahren ...“ (Luk. 2,29) an – und legten ihn Nachrufen, Leichenpredigten und Funeralkompositionen zu Grunde. Die Anleitung zum vergnügten und gelassenen Sterben, die Brockes 1747 verfasste, publizierten Freunde und Verehrer als „Des Seligen Herrn Barthold Hinrich Brockes‘ Schwanen-Gesang“. Luther und der Schwan Luthers historische Gestalt selbst und seine Mission erfuhren eine geistliche Ausdeutung. Als zweiten Elias, als anderen Johannes verstanden ihn in typologischer Manier seine Anhänger und ordneten ihm als Attribut einen Schwan zu.173 Das ging auf eine Prophezeiung des tschechischen Kirchenreformators Johannes

171 W. Derham: Physico-Theology: or, a Demonstration oft he Being and Attributes of GOD, from his Works of Creation … Sixth Edition. London 1723, S. 165. 172 Gregory S. Johnston: Der Schwanengesang als christlicher Begriff in der deutschen protestantischen Begräbnismusik des 17. Jahrhunderts. In: Tod und Musik im 17. und 18. Jahrhundert. Hrsg. von Günter Fleischhauer u. a. Michaelstein 2001 (Michaelsteiner Konferenzbericht 59), S. 177-188. 173 J. K. Schendelaar: Luther, de Lutheranen en de Zwaan. Aalsmeer 1993; Luther mit dem Schwan – Tod und Verklärung eines großen Mannes. Katalog zur Ausstellung in der Lutherhalle Wittenberg vom 21. Februar bis 10. November 1996. Redaktion Jutta Strehle. Berlin 1996; Andreas Lange: Luther mit dem Schwan. In: Werkstatt für Liturgie und Predigt 8 (2005).

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Hus zurück. Auf dem Konstanzer Konzil 1415 als Ketzer zum Feuertod verurteilt, hatte Hus sich als zahme Gans (Husa heißt auf tschechisch Gans) bezeichnet; andere Vögel, die höher flögen, kämen nach, um die Fallstricke der Feinde zu zerreißen. Und sein Gefährte Hieronymus von Prag rief seinen Richtern zu: „In hundert Jahren werdet ihr von einem höheren Richter zur Rechenschaft gezogen werden!“ Luther kannte diese Weissagungen, nur ist es unklar, welche Fassung er kannte und was er vielleicht selbst hinzufügte. Sankt Johannes Hus, bemerkte er 1531, habe von ihm, Martin Luther geweissagt: Sie werden jetzt eine Gans braten, aber über hundert Jahren werden sie einen Schwan singen hören, den müssen sie ertragen. Luther hat hier seine eigene Propaganda betrieben. Gut möglich, dass ihn der Anklang des Wortes olor an seinen Namen (Luder < Lothar) zu der Gleichsetzung animierte. Es würde jedenfalls zu seiner Freude an Wortspielen dieser Art passen. Entscheidend für die Verbreitung des Topos wurde die Leichenpredigt, die Johannes Bugenhagen 1546 für den Reformator hielt. Er bezeichnete Luther als den Engel, von dem es Off. 14,6 heißt: „Und ich sah einen andern Engel fliegen mitten durch den Himmel, der hatte ein ewiges Evangelium zu verkündigen ...“ und knüpfte daran die Legende von Hus’ Prophezeiung.174 Die Predigt endete mit einer Wahrsagung Luthers: Pestis eram vivus, moriens tua mors ero Papa. Den bildlichen Zusammenhang stellte ein Einblattholzschnitt her, den Hans Guldenmund (Jan Guldenmundt) – ohne Datum – in Nürnberg druckte.175 Begleitet von 46 Zeilen eines tschechischen Textes steht Jan Hus – nach rechts gewandt – im Talar, in der rechten Hand eine Schriftrolle, die linke Hand wagrecht mit abgespreiztem Daumen nach vorn gestreckt. Dieses Abbild entspricht dem hergebrachten Typ von Hus-Porträts. Bemerkenswert nun ist, dass in der Fußzone sich links, mit angehobenen Flügeln, eine kleiner Schwan aufrichtet, während rechts eine Gans vom Feuer verzehrt wird. Die Anordnung der Attribute und die Handhaltung stimmen augenscheinlich nicht. Die weisende Hand müsste die rechte sein, und wenn man das Bild wie ein Buch von links nach rechts liest – und das wäre die allgemein europäische Erwartung – müsste der die Zukunft bezeichnende Schwan auf der rechte Seite zu finden sein. Davon abgesehen: Der Künstler vollzog einen für die Luther-Ikonografie wichtigen Schritt. Wer er war (Guldenmund selbst?) wissen wir nicht. Zu datieren wäre das Blatt auf ungefähr

174 Johannes Bugenhagen: Ein Christliche Predigt/ vber der Leych vnd begrebnis ... D. Martini Luthers ... Wittenberg 1546. Digitale Edition: http://daten.digitale-samm lungen.de (24.7.2010). 175 Das einzige bekannte Exemplar befindet sich im Schloss-Museum in Gotha.

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1540, als die Böhmischen Brüder sich dem Luthertum näherten und auch die tschechische Bibel in Nürnberg erschien.176 Die Verbindung eines Luther-Bildes mit dem Schwanensymbol leistet zuerst die Ahnenreihe der lutherisch-orthodoxen Glaubenszeugen, mit der 1597 die Brüdernkirche in Braunschweig geschmückt wurde. An 37. Stelle steht Johannes Hus mit einer Gans, an 39. Martin Luther mit dem Schwan. Da offenbar der Nürnberger Holzschnitt als Vorlage für das Hus-Bildnis diente, wurde der Schwan fälschlich als Gans gedeutet (die eigentliche Gans im Scheiterhaufen fiel weg). Das hatte zu Folge, dass der Lutherschwan, um sich von dieser Gans zu unterscheiden, einen viel zu langen und übertrieben gebogenen Hals erhielt. Dass der Lutherschwan seine bildliche Darstellung gerade in Braunschweig erfuhr, war kein Zufall. Die Geistlichkeit der Stadt (in der Bugenhagen selbst die Reformation durchgeführt hatte) kämpfte für ein fundamentalistisches Luthertum und schärfte so den Konflikt der Stadt mit ihrem Landesherrn, der an seiner Universität Helmstedt auch andere, eher irenische Richtungen gelten ließ. Der Konflikt, der zunächst wirtschaftlicher und machtpolitischer Natur war und immer wieder – 1605, 1615, 1671 – zu militärischen Auseinandersetzungen führte, zu Belagerungen der Stadt, die wenigstens die politische Stellung der Eliten existentiell bedrohten, wirkte sich naturgemäß auch auf deren Mentalität aus.177 Luthers Theologie wurde so zu einem Besitzstand, der verteidigt werden musste; seine Person zu einem Symbol. Gerade die Theologen, die man in Braunschweig wegen ihrer orthodoxen Haltung am meisten schätzte, kannten und zitierten gern die auf Luther zielende Prophezeiung des Johannes Hus. Schon Matthias Flacius verwendte sie nachdrücklich in seinem Katalog der Wahrzeitszeugen (Catalogus testium veritatis), durch welchen er den lutherischen Positionen eine breite kirchenhistorische Legitimation verschaffte; sein

176 Ebenfalls bei Guldenmund erschien 1546 ein Sterbebild Luthers, dessen Text Luther als weißen Schwan bezeichnet, der (in Hussens Geist) lieblich Gottes Wort gesungen habe. Vgl. Knolle, S. 238f. 177 Vgl. Ruth Slenczka: Städtische Repräsentation und Bekenntnisinszenierung. Die Braunschweiger Kirchenordnung von 1528 und die reformatorische Ausstattung der Brüdernkirche. In: Kommunikation und Transfer im Christentum der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Irene Dingel und Wolf-Friedrich-Schäufele. Mainz 2007 (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Abteilung für abendländische Religionsgeschichte, Beiheft 74), S. 229. Bugenhagens Leichenpredigt wandte sich übrigens auch explizit gegen Luthers Gegner: den Papst, Kardinal Albrecht von Mainz – und Herzog Heinrich d. J. zu Braunschweig-Lüneburg (1489-1568), den katholischen Herrn der Stadt Braunschweig.

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Catalogus wurde entsprechend gern rezipiert und auch ins Deutsche übersetzt. Flacius schreibt: Kurz vor seinem Ende habe Hus eine Prophezeigung getan und gesagt: „Jetzundt brattet jr ein Gans (dann Hus heist in Behmischer sprach ein Gans) aber es wird ein Schwan hernach kommen/ der wird euch besser singen/ aber jr werdet ihn nit braten können.“ Und das nahm er als Prophezeiung von Luthers herrlichem Geschenk, dessen Neufundierung der Kirche und Zerstörung des Antichristentums. Eine eigene Symbolisierung erfuhren Luther und der Schwan in der konfessionellen Konkurrenz, die in Ostfriesland und den Niederlanden herrschte. Auf gut 80 Kirchen in Ostfriesland und den angrenzenden oldenburgischen Gebieten und 35 Kirchen in den Niederlanden sieht man noch heute statt eines Hahns einen Schwan als Wetterfahne. Die lutherischen Gemeinden setzten sich damit von den reformierten ab. Die heute reformierte Kirche in Groothusen bei Pewsum trug lange einen Schwan auf ihrem Dach, weil eine lutherischer Kirchenpatronin oder ihr Prediger ihn um 1600 stiftete. Dieser Schwan hat sich, vielfach restauriert, noch erhalten. Der Schwan auf der runden lutherischen Kirche in Amsterdam kann auf das Baujahr 1672 datiert werden; auch sonst gehen die Lutherschwäne in aller Regel auf das 17. und 18. Jahrhundert zurück.178 Lutherschwäne zieren ferner Gemeindesiegel, Giebelornamente, Orgeln, Kanzeln und Kirchengeräte aller Art.

3. K UNST Kunst hat im Kult ihren Ursprung. Visuelle Repräsentationen von langhalsigen Wasservögeln zeigen schon prähistorische Kunstwerke. Teilweise lassen sie sich mit Mythologien in Verbindung bringen: keltischen, germanischen, besonders griechisch-antiken Göttern. Im Folgenden soll es nicht primär um die Würdigung herausragender Kunstwerke gehen, sondern um die Entwicklung bestimmter Vorstellungen und Traditionen.

178 Friedrich Goethe: Der Schwan auf Kirchen Ostfrieslands und Oldenburgs. In: Ostfriesland 1971, S. 7-19; ders.: Schwäne als Wetterfahnen auf lutherischen Kirchen in Ostfriesland, Oldenburg und anderswo. In: Luther mit dem Schwan. Tod und Verklärung eines großen Mannes. Katalog zur Ausstellung in der Lutherhalle Wittenberg anläßllich des 450. Todestages von Martin Luther. Berlin 1996, S. 70-79; J. K. Schendelaar: Luther, de Lutheranen en de Zwaan. Aalsmeer 1993.

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Antike Kunst Die antike Kunst ist nur trümmerhaft überliefert. Dennoch kennen wir mehr als tausend Tongefäße und Scherben griechischer Provenienz, auf denen Schwäne dargestellt werden: paarig oder gereiht im geometrischen Stil seit dem achten Jahrhundert vor Christi Geburt, in klassischer Zeit dann in mythologischen Szenen.179 Hier mögen einige Andeutungen genügen: Im geometrischen Stil erscheinen die Schwäne stehend, mit geschwungenem Hals, mitunter mögen auch andere Wasservogelarten, z. B. Ibisse oder Flamingos gemeint sein. Ein attischer Vasenmaler hat wegen seiner charakteristisch ausgeführten Schwäne sogar den Notnamen „Swan painter“ erhalten.180 Ebenso lässt sich unter den boötischen Fibelgraveueren des 8. Jahrhunderts ein Künstler identifizieren, der in der Literatur als „Swan engraver“ geführt wird.181 Keramik unteritalienischer Produktion aus dem 4. vorchristlichen Jahrhundert zeigt je einen stehenden Schwan mit lang gezogenem Schnabel, dadurch an einen Ibis erinnernd, im Blätterkranz. Die Forschung hat nach diesem Merkmal eine „Red Swan Group“ gebildet. Schon diese Bezeichnung lässt erkennen, dass eine realistische Farbfassung weder möglich noch beabsichtigt war. Die Vasenmalerei des schwarzfigurigen und (seit ungefähr 530 vor Christus) rotfigurigen Stils zeigt Schwäne in den unterschiedlichsten Stellungen in Verbindung mit Göttern und Heroen. Häufiger sieht man Apollon oder Aphrodite auf einem Schwan reitend; Aphrodite oder Eros auch in einem Gefährt von Schwänen gezogen. Hyakinthos kommt als Schwanenreiter vor.182 Überraschenderweise wurde im überlieferten Material, Plastiken und Mosaike eingeschlossen, Aphrodite öfter als Apollon zusammen mit Schwänen abgebildet. Eine Terrakotta-Statuette des frühen 5. Jahrhunderts zeigt sie hieratisch wie eine Herrin der Tiere auf einem Schwan stehend, der seine Flügel ausgebreitet hat.183 Hundert Jahre später sitzt sie, sich den Biegungen des Tieres anpas-

179 Vgl. www.beazley.ox.ac.uk (19.1.2014). 180 Johan Nicolas Coldstream: Greek Geometric Pottery. London 1968, S. 70f. 181 J. N. Coldstream: Geometric Greece 900-700 B. C. 2. Aufl. London 2003, S. 204. 182 Vgl. Salmon Reinach: Répertoire des Vases peints Grecs et Étrusques. Tome I-II. Paris 1899-1900. Reprint Nedeln 1979 und – zu den entsprechenden Göttinnen und Göttern – das Lexicon Iconographicum Mythologiae classicae. 183 Lexicon Iconographicum Mythologiae classicae. II/1. Zürich 1984, S. 96-98, Nr. 905. Abb. II/2. Zürich 1984, S. 89.

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send, im Damensitz.184 In Vasenmalerei sehen wir sie auf fliegenden Schwäne (440 v. Chr.) und über einem Liebespaar schwebend (340 v. Chr.).185 Leda und der Schwan lassen sich in sehr differierenden Posen und Konstellationen finden. Schwäne in natürlicher Größe oder kleiner trägt Leda unter dem Arm, um sie zu schützen. Aber auch die Vergewaltigung wird inszeniert, so in einem Marmorrelief aus dem 2. Jahrhundert nach Christus: Ein übergroßer Schwan beißt Leda in den Nacken und drückt sie nieder. Daneben gibt es liegende Leden, die ihre Schwäne den Schnabel küssend zwischen den Schenkeln empfangen, oder eine Leda in Rückenansicht, der ein eher unbeteiligter Schwan zugeordnet ist. Dieses eines der wenigen Mosaike zum Thema, um 200 nach Christus auf Zypern entstanden.186 Der Bildhauer Timotheos von Athen schuf 360/370 eine Statue der Leda mit dem Schwan. Das Original ist verloren gegangen, es existieren aber mehr als 20 Kopien davon, als beste gilt die im Kapitolinischen Museum in Rom.187 Leda hält den Schwan mit der rechten Hand auf ihrem Oberschenkel fest, den linken Arm hat sie mit dem Umhang schützend erhoben; ihr Blick wendet sich, offenbar noch ganz von der Erscheinung des Adlers gefangen genommen, nach oben. Die Fragmente römischer Malerei, namentlich aus augusteischer Zeit, verwenden Schwanendekor in erstaunlich grazilen Gestaltungen. Einen halbplastischen, fliegenden Schwan, auf dem sich eine Personifikation der Luft niedergelassen hat, meißelte ein griechischer Bildhauer für das Tellus-Relief der Ara pacis Augustae (9 vor Chr.). Die auf uns gekommene Kunst der Antike erlaubt keine einigermaßen vollständigen Überblicke. Das meiste Material stammt aus Grabungen der letzten Jahrhunderte. Was sich immerhin feststellen lässt: Die griechischen Künstler hatten konkrete Vorstellungen von Schwänen, die sie vielfach verwendeten, wobei sie besonderen Wert auf den geschwungenen Hals legten. Diese Schwäne stehen, schreiten oder fliegen, schwimmende Vögel kommen nicht vor. Die

184 Ebd. Nr. 909. 185 Ebd. Nr. 909, 917. 186 Johannes Overbeck: Griechische Kunstmythologie. Erster Band. Erstes Buch: Zeus. Leipzig 1871, S. 489-514; Lexicon Iconographicum Mythologiae classicae. VI/2. Zürich 1992, S. 231-248, dazu die Abb. VI/2. 187 Ebd. Nr. 6a, 6b, 73 b, c, d. Vgl. Johan Boardman u. a.: Die griechische Kunst. Aufnahmen von Max Hiemer. München 1992, S. 171-173 und Abb. 230; Steffen Schneider: Leda. In: Maria Moog-Grünewald (Hrsg.): Mythenrezeption. Die antike Mythologie in Literatur, Musik und Kunst von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart 2008 (Der Neue Pauly. Supplemente Band 5), S. 408-412.

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Farbgebung wurde von technischen Möglichkeiten und Vorlieben bestimmt und erst in der römischen Wandmalerei realen Gegebenheiten angenähert. Die Proportionen änderten sich mit dem Stilempfinden; namentlich die römische Wandmalerei neigte dazu, die Gliedmaßen dekorativ zu verlängern und zu überdehnen. Mittelalterliche Buchmalerei In der mittelalterlichen Buchmalerei erscheinen Schwäne unter den Vögel, die den fünften Schöpfungstag illustrieren.188 In der Tafelmalerei führte der Hamburger Meister Bertram dieses Motiv um 1380 zu ihrem Höhepunkt – jedenfalls im Hinblick auf den dargestellten Höckerschwan. Andere Szenen werden nur vereinzelt durch Schwäne charakterisiert, apokalyptische Szenen wie im Kommentar Alexanders von Bremen der Ruf der Vögel (Apk. 19,17): Ein Schwan mit roten Haarborsten verbildlicht die Vögel, die das Fleisch der Könige und Starken essen. Zeichnungen wehrhafter Schwäne in fast heraldischer Manier finden sich in den Bestiarien, z. B. im Aberdeener Bestiarium (England, 12. Jahrhundert?),189 oder im Vorlagenbuch des französischen Baumeisters Villard de Honnecourt (1230/50). Einen verwundeten Schwan erkor Johann von Valois, Herzog von Berry (1340-1416), zu seinem Zeichen. Die kostbaren Stundenbücher, die er anfertigen ließ, markieren einen Einschnitt in der Geschichte der Malerei, weil sich hier realistische Szenerien als Hintergründe öffnen: Identifizierbare Schlösser ragen aus natürlich gestalteten Landschaften auf, die von Menschen und Tieren bevölkert werden. Die Monatsbilder der Très Riches Heures des Herzogs zählen zu den bekanntesten Miniaturen der Kunstgeschichte. Nicht weniger bedeutend und zeitlich früher, ab 1404, anzusetzen sind die Très Belles Heures. Dieses Werk, das nicht nur Stundenbuch war, sondern auch Meß- und Gebetbuch ließ schon der Herzog in zwei Hälften teilen; die eine liegt in Paris (Très Belles Heures de Nôtre-Dame), die zweite Hälfte wurde noch eine Generation später überarbeitet und gelangte, wiederum geteilt, nach Savoyen.

188 Aelfric's Metrical Paraphrase of the Pentateuch (engl., 2. V. 11. Jh., British Library), fol. 3v (Yapp, Birds in medieval manuscripts, S. 95); Bibel von Lobbes (Ende 11. Jh.) (Smeyers, S. 90); Holkham Bible Picture Book (engl., Anf. 14. Jh., British Library), f. 2V (Yapp, S. 99). 189 Fol. 58v. Http://www.abdn.ac.uk/bestiary/ (16.5.2010).

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Schwäne finden sich darin als Bestandteile der Landschaften und als allegorische Besitzzeichen des Herzogs. Der erste Teil, das eigentliche Stundenbuch, zeigt in einer zerklüfteten Landschaft die Auferstehung der Toten und im Basde-page Firmungsszenen. Der Text wiederholt den Anfang von Psalm 69 (70): Deus in adiutorium meum intende ... („Eile, Gott, mich zu erretten“). Die Landschaft des Hauptbildes durchfließt ein Wasser, auf dem zwei Schwäne schwimmen: zwei durchscheinende, nicht weiß gefasste Schwäne, so dass man nicht weiß, ob hier ein Entwurf nicht ausgeführt ist oder Materie der Seelen dargestellt werden sollte. Die Szene kann stilistisch in die Zeit vor 1409 eingeordnet werden.190 Da der Realismus der Gotik ein spiritueller ist, ein theologischer Realismus, weisen die Landschaften über bloße Naturdarstellungen hinaus. Im zweiten Teil, dem Turiner Gebetbuch, gab es das Bild einer Kreuztragung, in deren Hintergrund auf dem Stadtgraben ein Schwan zu dahingleitet. Typologisch erläutert die Opferung Isaaks die Szene, dazwischen liest man wieder den Text des oben genannten Psalms. Der dritte Teil, das Missale, enthält eine großartige Dreifaltigkeit, Christus nur an der Wunde in seiner Seite vom Vater zu unterscheiden, der in das gleiche rosenfarbene Gewand wie der Sohn gekleidet ist. Die Dreifaltigkeit anbetend, kniet am Bildrand der Herzog. Auf dem Lilien-Wappen, das ihn kennzeichnet, sitzt ein verwundeter Schwan, dessen blutende Wunde die Wunde des Heilands spiegelt.191 Wir kennen auch Siegel Berrys von 1370 und 1410, auf dem zur Linken des Herzogs ein Schwan seinen Schild hält und einen Kontrast zu dem (dunklen) Bären auf der anderen Seite bildet.192 Die spirituelle Deutung ist hier übrigens deutlich von ihrer materiellen Grundlage zu unterscheiden. Auch der Herzog von Berry verschmähte es nicht, sich Schwäne in großer Quantität in seine Küche liefern zu lassen.193 Als ein Schlüsselwerk für die Verbreitung von Schwänen in der bildenden Kunst kann das Stundenbuch des französischen Ritters Johann Le Maingre von Boucicaut (1366-1421) gelten. Immer kampfbereit war dieser bis zum Marschall von Frankreich aufgestiegen und konnte sich ein solches Kunstwerk von höchs-

190 Vgl. Eberhard König: Die Très Belles Heures von Jean de France, Duc de Berry. Ein Meisterwerk an der Schwelle zur Neuzeit. Wiesbaden [2005], S. 46f. 191 Ebd., S. 192, vgl. S. 151. 192 Millard Meiss: French Painting in the Time of Jean de Berry. Text Volume. Second Edition London 1969, S. 95f. 193 Guiffrey, S. 70, 80f.

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ter Qualität leisten, das (die Datierung ist umstritten) zur gleichen Zeit wie die Très Belles Heures des Herzogs von Berry oder nur wenig später entstand. Die Miniaturen des zweiten Teils öffnen Landschaftsräume, wie man sie bis dahin noch nicht dargestellt hatte. Und das hat nicht zuletzt mit der Positionierung von Schwänen zu tun. Eine Ahnung dieser Möglichkeiten vermittelt im ersten Teil bereits das Bild, wie der hl. Michael den Teufel besiegt: Im Hintergrund trennt unter einer strahlenden Sonne ein Wasser zwei Burgen oder Städte, und auf diesem Wasser schwimmen zwei Höckerschwäne und ein Ente, während eine zweite Ente fortfliegt. Dadurch erhält das Bild nicht allein Tiefe, sondern deutet typologische Zusammenhänge an, die, weil es sich um eine Szene aus der Apokalypse handelt (Apc. 12, 7), nur schwierig zu deuten sind. Ein christologischer Bezug immerhin kann als sicher angenommen werden, da der Text angibt, es sei das Blut des Lammes gewesen, das den Drachen überwand. Auf der Heimsuchung Mariens und der Flucht nach Ägypten können die Schwäne im Hintergrund ebenso Maria wie ihrem Sohn zugeordnet werden. Ungewöhnlich erscheint die Darstellung der Verkündigung an die Hirten: Um den Weideplatz herum fließt, mit Weiden bestanden, ein Wasser, auf dem im Vordergrund, vor der Herde weißer Schafe, ein Wasservogel schwimmt. Dieser Vogel verrät eine andere Hand als die genannten Schwäne, er erinnert eher an eine Gans; der Künstler kann kaum einen Höckerschwan vor Augen gehabt haben, dennoch lässt der Kontext auf einen Schwan schließen, der wiederum auf Christus deuten würde. Wegen der Vielzahl der Schwäne hieß der Boucicaut-Meister in der Kunstgeschichtsschreibung früher auch der „Meister mit den Schwänen“, und schon allein wegen dieser besonderen Beziehung zu Schwänen müsste man seine Heimat in Flandern, nicht im Pariser Becker, suchen. Den plumpen Schwan der Verkündigung an die Hirten allerdings dürfte ein Schüler, dem die eigene Anschauung fehlte, eingefügt haben.194

194 Paris, Musée Jaquemart-André, ms. 2, fol. 11v, 65v, 79v, 90v. Vgl. Millard Meiss: French painting in the time of Jean de Berry. The Boucicaut Master. London 1968. (National Gallery of Art. Kress Foundation Studies in the history of European art 3), Abb. 2, 30, 32, 35; Albert Châtelet: L'Âge d'Or du Manuscrit à peintures en France au temps de Charles VI et Les Heures du Maréchal Boucicaut. Dijon 2000, S. 226, 227, 290f., 294f., 200f.

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Wappenwesen Das Wappenwesen entwickelte sich seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts aus der Notwendigkeit heraus, die Ritter in ihren Rüstungen während des Kampfes kenntlich zu machen und bildete in den großen Turnieren Formen und Regeln aus. In der Verserzählung von König Rother (um 1160) wird ein Sattelbogen beschreiben, der mit goldenen Schwänen besetzt war.195 Als Wappenbild erscheint der Schwan zuerst gegen 1200 auf einem Siegel des bayerischen Ministerialen Heinrich von Schwangau;196 das war sicher als redendes Wappen gemeint, auch wenn die Etymologie nicht stimmt: Schwangau kommt von Schwan: Schwein, Schweinehirt. Das Schwangauer Wappen zeigt einen stehenden silbernen Schwan in Rot. Auf einer Darstellung der Manessischen Handschrift aus dem ersten Viertel des 14. Jahrhunderts führt es der Minnesänger Hiltpolt von Schwangau, dem ein ebensolcher Schwan den Helm ziert. Das gleiche Wappen hatten – 1240 bezeugt – die von Krasikov in Böhmen. Das Siegel des Merseburger Dompropsts Heinrich zeigte 1226 einen schreitenden Schwan: ein offenbar persönliches Symbol.197 Seit 1245 kennen wir den roten Schwan in Gold der westfälischen Herren von Steinfurt. Drei Schwanenhälse bzw. zwei Schwanenhälse und im Schildfuß einen steigenden Bären führten 1283/98 Angehörige der mecklenburgischen Familie Behr.198 Dass die Semantik der Darstellungen im 13. Jahrhundert meistens eher einfach gehalten war, lassen die Dichter erkennen, die in aller Regel Wappen beschreiben, ohne Ausdeutungen zu versuchen. Wo das Wappenbild eine Botschaft übermitteln soll, erschließt sich das ohne viele Worte. Im „Willeham“ Wolframs von Eschenbach (1209/1220) veranschaulicht der Dichter (wie am schwarzweißen Feirefiz im „Parzival“) die Überwindung heidnisch-maurischerschwarzer Elemente durch das weiße Licht des europäischen Christentums, indem er dem heidnischen Minnesänger Josweiz einen weißen Schwan mit schwarzer Bewehrung zum Wappen gibt.199

195 Z. 4951. Vgl. Batereau, S. 53. 196 Heinz Waldner: Die ältesten Wappenbilder. Eine internationale Übersicht. Berlin 1992 (Herold-Studien 2), S. 43. 197 Siegel des Propstes Heinrich. UB Hochstift Merseburg, Tafel XIV, Nr. 13, Beschreibung S. LXXVII. 198 Mecklenburgisches Urkundenbuch. Bd. 4. Schwerin 1867, S. 550. 199 Vgl. Heiko Hartmann: Tiere in der historischen und literarischen Heraldik des Mittelalters. Ein Aufriss. In: Obermaier, S. 147-179. Vgl. ferner Georg Scheibelreiter:

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Einen Überblick über die Beliebheit dieses Wappentieres und die ungefähre Verteilung in Mittel- und Westeuropa erlaubt das umfangreiche Wappenbuch eines Herolds Gelre (Geldern, Claes Heinen?), der, offenbar aus dem Rhein-MaasGebiet stammend, zwischen 1370 und 1395 gegen 1800 Wappen zusammenstellte. Er nennt sechs oder sieben Fälle, in denen ein silberner Schwan als Helmzier diente (Grafen von Rieneck, Grafen von Blois, Grafen von Boulogne, Herren von Baume, Heren von Haemstede, Jan van de Woerdt, Coldewyc, Bastard von Flandern?), daneben auch finden sich Schwanenhälse und -köpfe in eben dieser Funktion (von Wevelinghofen, Herren von Born, von Zypern); einen Schwan als Wappenfigur hatten lediglich der schlesische Ritter Bernhard von Wiltberg (in Grün einen schreitenden weißen Schwan mit aufgesperrtem Schnabel) und die Herren von Steinfurt.200 Die einzige Wappensage, die in diesem Zusammenhang angeführt werden kann, erklärt die Helmzier der Herren van Arkel (zwei Schwanenflügel) und scheint erst im 16. Jahrhundert geformt worden zu sein (s. S. 137). Die Wappenbücher des Reichsherold Caspar Sturm aus den Jahren 15271538 bringen wenig an Schwanendarstellungen, konkret drei Wappenschilde der Grafen von Rieneck mit einem flügelschlagenden, angreifenden silbernen Schwan.201 Die Rienecker betrachteten sich als Nachkommen des Schwanenritters und hatten ja auch den Anlass zur Schwanenritter-Dichtung Konrads von Würzburg gegeben, der den Schwanenritter mit einem weißen Schwan im Schild in den Kampf reiten ließ und Schwanenhaupt und -hals als Helmzier. Tatsächlich führten die vornehmsten Familien des Reiches aber den imperialen Adler oder – häufiger – den königlichen Löwen im Wappen; Schwäne finden sich als Helmzier oder Zubehör. Ein ähnliches Bild ergibt sich für England und Frankreich. Eine weitere Verbreitung von Schwanenbildern setzte an der Wende vom 13. Jahrhundert ein, mit dem Aufkommen der Bilddevisen, Impresen, Hoftrachten und Parteiabzeichen, die eine variablere Verwendung von Bildern und Zeichen erlaubten als die streng geregelte Wappenkunst. Ein Siegel Humphreys de Bohun, Grafen von Hereford und Essex, zeigt 1299 einen auf dem Wappenschild sitzenden Schwan, der mit diesem durch ein über seinen Rücken geführten Riemen verbunden ist. Keine eigentliche Helmzier (in England ohnehin kaum in

Tiernamen und Wappenwesen. Wien 1992 (Veröffentlichungen des Insituts für österreichische Geschichtsforschung 24) (wenig Konkretes zum Schwan). 200 Bequem aufbereitet: www.heraldique-europeenne.org/Armoriaux/Gelre/index.html (26.4.2010). 201 Das Wappenbuch des Reichsherolds Caspar Sturm. Bearb. von Jürgen Arndt. Neustadt a. d. Aich 1984 (Wappenbücher des Mittelalters 1), S. 212, 261, 270.

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Gebrauch gekommen), sondern ein persönliches Beizeichen. Auf einem Siegel Robert de Tonys von 1301 rahmen Löwen und Schwäne den Wappenschild, die Umschrift lautet: CHEVALER AU CING: Ritter vom Schwan. Durch zwei Hochzeiten zu Ende des 14. Jahrhunderts gelangten die Schwanenabzeichen der Bohun in das emblematische Repertoire des königlichen Hauses Lancaster. Thomas de Woodstock, der fünfte Sohn König Eduards III. von England und verheiratet mit Eleonore de Bohun, benutzte den Schwan gerne als Bilddevise und verschenkte 1388 eine Schwanenbrosche an die Abtei St. Alban. Manchmal wird diese Brosche mit einem entzückenden Beispiel spätmittelalterlicher Goldschmiedekunst in Verbindung gebracht: dem sog. Dunstable-Schwan. Dieses Kleinod wurde 1965 bei Ausgrabungen auf dem Gelände des früheren Dominikanerklosters in Dunstable entdeckt. Es handelt sich um eine gut 3 cm hohe, 2,5 cm lange Schwanenfigur aus Gold, deren gesträubtes Gefieder mit weißem Email überzogen ist. An der flachen Rückseite ist ein eine Anstecknadel befestigt. Den Hals des Schwans umschließt eine goldene Krone, an der eine Goldkette von über 8 cm Länge hängt. Nach Technik und Stil kann die Brosche in die Zeit nach 1380 datiert werden (Anfang des 15. Jahrhunderts?) und gehört wahrscheinlich in den Zusammenhang des Dekors, das die Bohun-Töchter verwendeten. Die Technik, Goldschmiedearbeiten mit Glasflüssen zu überschmelzen, zu emaillieren, deutet auf franko-flämische Provenienz.202 Der Herzog von Berry besaß Schaustücke, die ebenfalls mit einem petit cigne esmaillié de blanc verziert waren.203 Schwäne aus Edelmetall werden seit dem 14. Jahrhundert häufiger als Schmuck erwähnt, auch in bürgerlichen Haushalten;204 der Luxus der vergoldeten Schwäne auf den Tafeln korrespondiert damit. Da um diese Zeit Hoftrachten und Parteiabzeichen aufkamen, hat die Forschung Schmuckstücke, die leicht an der Kleidung zu befestigen waren, als Kennzeichen der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Gefolge betrachtet. Man weiß, dass Königin Margarete von England 1459 an alle Edelleute des Landes „a

202 Abb. Wagner, Swan Badge, Tafel XXXVII. Vgl. im Übrigen John Cherry: The Dunstable Swan Jewel. In: The Journal of the British Archaeological Association 32 (1969), S. 38-53; Francis Klingender: Animals in art and thought to the end of the Middle Ages. London 1971, S. 460; Das Goldene Rössl. Ein Meisterwerk der Pariser Hofkunst um 1400. Hrsg. von Reinhold Baumstark. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung des Bayerischen Nationalmuseums. München 1995, S. 256-259. 203 Vgl. Renate Eikelmann: Goldemail vom 1400. In: Das Goldene Rössl, S. 106-130, hier S. 125. 204 1466 in Braunschweig. Vgl. Sack 1863, S. 309.

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lyvery of Swannys“ austeilen ließ, und das muss nicht „Livree“ bedeuten, sondern meint wahrscheinlich nur „Imprese“: eine am Hut oder am Gewand befestigte Medaille. Eine ähnliche Funktion wie die Impresen hatten die Insignien der Ritterorden. Auf den 1440 vom Kurfürsten Friedrich II. von Brandenburg gestifteten Marienorden wies ein Gehänge aus einem zum Ring gewundenen Handtuch, in welchem aufgerichtet ein Schwan stand, hin. Die Deutung veränderte sich (s. S. 175); wichtig scheint gewesen zu sein, dass sich die Ordensgemeinschaft über den jeweils aktuellen Sinn eines Zeichens im Klaren gewesen ist, der sich Außenstehenden nicht ohne Weiteres erschließen musste.205 Das älteste Beispiel für einen Schwan in der Grabplastik (cygne navré) bietet die um 1330 angefertigte Tumba für das Doppelgrab des Grafen Arnold von Kleve und seiner Gemahlin Ida von Brabant: Während Ida ihre Füße auf zwei Löwen setzt, steht Arnold auf einem Schwan, der einen Flügel hebt, den Hals aber nach unten beugt.206 Besonders eindrucksvoll sind zwei voll plastische trauernde Schwäne, die am Grabmal Margarete de Bohuns ihre geketteten Hälse ineinander verschlungen zu Boden biegen, dass die Schnäbel aufliegen und beide Tiere das Ewigkeitssymbol bilden. Dieses Kunstwerk in der Kathedarale von Essex entstand wohl 1391, in Margaretes Todesjahr. Im Zusammenhang des berühmten Fasanenfests von Lille, das wegen seines elaborierten Zeremoniells und verschwenderischen Reichtums die in dieser Hinsicht führende Stellung des burgundischen Hofes dartat, ließ Adolf von Kleve 1454 ein Turnier ausrufen. Der Ausruf durch einen Herold an der Spitze einer Gruppe aus Schwan, Bogenschützen, die diesen verteidigten, einem Schwanenritter und zwei begleitenden Engeln207 lautete: Der Schwanenritter fordere Fürsten, Herren und Ritter zum Lanzenstechen in die Schranken. Der Sieger gewann „einen kostbaren Schwan aus Gold, gekettet mit einer Kette aus Gold, an deren Ende ein kostbarer Rubin hing“.208 Auf dem anschließenden Bankett erregte als kunstvoll gefertigter Tafelschmuck ein Schiff mit gerefftem Segel, in dem ein

205 Prietzel, S. 134. 206 In der Stiftskirche in Kleve. Abb.: www.bildindex.de (13.5.2010, in der Beschriftung mit dem Grabmal des Grafen Adolf verwechselt). 207 Vgl. Martina Neumeyer: Vom Kriegshandwerk zum ritterlichen Theater. Das Turnier im mittelalterlichen Frankreich. Bonn 1998 (Abhandlungen zur Sprache und Literatur 89), S. 434-436. 208 Un riche signe d'or enchainé d'une chaine d'or, et au bout de celle chaine ung riche rubiz ... Mémoires d'Olivier de la Marche ... Publiées ... par Henri Beaune et J. D'Arbaunont. Tome deuxième. Paris 1884, S. 340-342.

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bewaffneter Ritter mit dem Wappen der Herzöge von Kleve stand, die Aufmerksamkeit; ein silberner Schwan mit goldenen Collier schien dieses Schiff an einer langen goldenen Kette nach sich zu ziehen. Diese Schwäne aus höfischen Kontexten gehören in der Regel zum Typus Schwan mit Halskette, die auch als Halskrone ausgestaltet sein kann (cygne enchaîné).209 Dieser Typus des geketteten Schwans wurde auch in der Heraldik üblich; später missdeute man die Kette mitunter als Halsband oder Federkranz210 oder gestaltete sie zur Halskrone um. Während, wie angedeutet, Schwäne und Schwanenhäupter erst im Laufe des 14. Jahrhunderts als Helmzieren und Zubehör in die Wappen einiger der großen Familien aufgenommen wurden, nicht selten, um angeheiratete Ansprüche kund zu tun, gewann der Schwan Beliebtheit für neukreierte Wappen. Die Wappenschilde zeigen gewöhnlich einen schreitenden, nach heraldisch rechts gewandten (angreifenden) Vogel mit aufgerichteten oder angelegten Schwingen, farblich silbern oder golden gefasst, die Bewehrung schwarz oder rot.211 In neueren Blasonierungen liest man manchmal von einem „flugbereiten“ Schwan, was aber nicht nur unnatürlich wäre (ein Schwan braucht eine lange Wasserbahn, um sich aufzuschwingen), sondern auch der Bildidee widerspräche. Selten lassen sich Schilde mit drei Schwänen, 2 : 1 gestellt, finden.212 Zu erwähnen, wiewohl eingermaßen rätselhaft ist in diesem Zusammenhang die Vorgeschichte des Zwickauer Stadtwappens. Die drei Schwäne erscheinen zuerst auf einer Grabplatte für vier städtische Schöffen (?), die der Landesherr 1407 hatte hinrichten lassen, weil die Stadt sich in provozierender Weise Gerichtsrechte an-

209 Hablot. 210 Z. B. Martin Wiarda: Das Wiarda-Wappen. In: Siegfried Wiarda: Wiarda 13691969. Bolsward 1970, S. 84-94. Frdl. Hinweis von Dr. Wolfgang Henninger, Aurich. 211 Lange Listen von Schwanenwappen, geordnet nach Figuren und Familien, bietet Théodore Comte de Renesse: Dictionnaire des figures héraldiques. Brüssel 1892, S. 347-359. 212 Einige Grabplatten des 14. Jahrhunderts im Kloster Arnsburg und eine in Wetzlar haben dieses Wappen, das mit den Halber von Cleeberg und verwandten Familien in Verbindung gebracht wird. Den Hinweis auf Arnsburg verdanke ich Professor Dr. Holger Gräf, Marburg. Vgl. Die Kunstdenkmäler des Kreises Gießen. Band II: Kloster Arnsburg mit Altenberg. Bearb. Von Heinrich Walbe. Darmstadt 1919, S. 174 (besonders Anm. 20), 176, 177.

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gemaßt hatte.213 Die Grabplatte zeigt vier Männer, einem – dem gewesenen Bürgermeister Peter Mergenthal214 – wird ein Wappenschild mit drei Schwänen beigegeben. Der zugehörige Helm mit einem weiteren Schwan als Helmzier steht links daneben. Das Wappen kann kaum als Stadtwappen begriffen werden. Kommunen und ihre Wappen brauchten keinen Helm. Soweit wir wissen, handelt es sich jedoch auch nicht um das Wappen des Bürgermeisters Mergenthal, sondern um eine neue Bildidee215, die sich so einprägte, dass sie später ins Stadtwappen übernommen wurde. Zu größerer Extravaganz entwickelten sich die Helmzieren. Merkwürdig sind z. B. die seit Mitte des 14. Jahrhunderts von mehreren süddeutschen Geschlechtern geführten Schwanenhälse, die mit Federn besteckt, mit Kugeln besetzt oder – im Falle Sickingens – mit Kugeln geschmückt werden, aus denen Hahnenfedern ragen.216 Diese nach vorn gereckten Schwanenhälse, die durch Federn überhöht werden, spiegeln eindeutig die Aggressivität der Helmträger. In einem Gespräch über das Sterben (Funus, 1518) behandelte Erasmus von Rotterdam solchen Schmuck kritisch. Einen der Gesprächspartner lässt er eine Marmortumba mit Helm und Helmzier beschreiben; die Helmzier war der Hals eines Pelikans. Erasmus merkte an, der Pelikan gleiche einem Schwan, habe aber eine scheußliche Stimme wie ein Esel.217 Überhaupt entsprach übergroßer Leichenpomp nicht seinen Vorstellungen von christlicher Einfalt und Demut.

213 Ausführlich dokumentiert in: 1407. Rat kontra Landesherr? Tagungsband des Wissenschaftlichen Kolloquiums am 28. September 2007 in Zwickau. Red. Wilfried Stoye, Silva Teichert und Angelika Winter. Zwickau 2011. 214 … fuerat magister civium heißt es in der leider stark zerstörten Umschrift der Grabplatte. 215 Über die Bedeutung kann man nur spekulieren. Entweder bezog sich das Wappen auf den Bürgermeister Mergenthal oder auf alle vier Dargestellten. Für letztere Annahme spricht die Abbildung von vier Schwänen. Eine Verbindung zur Schwanenrittersage kann ausgeschlossen werden, weil es an genealogischen Anknüpfungen fehlt. Bleiben die mythologischen Assoziationen Schwanengesang, Todesahnung, unschuldiges Weiß oder reine Treue (s. S. 98, 227, 267, 284). 216 http://commons.wikimedia.org/wiki/Scheibler_Armorial (20.1.2014); Wappenbuch des Herzogs Albrechts VI. von Österreich: Torer, Falkenstein, Grafen von Lupfen usw. 217 Desiderius Erasmus Roterodamus: Colloquia familiaria et Encomium moriae. Tomus II. Leipzig 1829, S 64.

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Das Wappen des Landes Stormarn, das seit 1446 nachweisbar ist, ein attackierender silberner Schwan mit goldener Halskrone in Rot, kann als redend verstanden werden. Mittelniederdeutsch „stormen“ heißt „anstürmen“.218 Tafelmalerei des 15. Jahrhunderts Wie schon S. 174 angedeutet: Mit der Komposition der Heimsuchung Mariens begründete der Boucicaut-Meister allem Anschein nach eine ikonografische Tradition, die zwei Schüler Robert Campins in die Tafelmalerei überführten: Jaques Darets in Tournai 1434/35 und Rogier van der Weyden in Brüssel 1440/45.219 Schwäne lassen sich seither in der flämischen und Kölner Malerei als Hintergrundfiguren häufiger finden: auf Darstellungen der Madonna mit Kind z. B. von Hans Memling (ca. 1467 und 1480/90), eines unbekannten Kölner Meisters (1475/80), aus der Schule des Hugo van der Goes (1475/1500), von Quentin Massys (1475/1500), Gerard David (1510/15) bis hin zu Joan de Burgunya (1520) und Joos van Cleve (ca. 1525).220 Aber das Spektrum der Motive entfaltete sich weiter, gewöhnlich erscheinen Schwäne paarweise auf Burg- und Stadtgräben, auch in Visionen und apokalyptischen Zusammenhängen. Einen schönen

218 Walther Stephan: Die historischen Wappen Schleswig-Holsteins und seiner Landschaften. Neumünster 1953, S. 21-26; freundliche Mitteilungen des Kreisarchivars Stefan Watzlawzik. 219 Jacques Daret: Heimsuchung Marias (Staatliche Museen Berlin, Gemäldegalerie); Rogier van der Weyden: Heimsuchung Marias ( Leipzig, Museum der Bildenden Künste). Vgl. de Vos, S. 207; Kemperdick, S. 18, 44. 220 Hans Memling: Jungfrau und Kind (Brüssel, Königliches Museum und Gemäldegalerie Berlin), Schule Hugo van der Goes: Jungfrau und Kind (Brüssel, Königliches Museum), vgl. Cyriel Stroo u. a.: The Flemish Primitives. Catalogue of the Early Netherlandish Painting in the Royal Museums of Fine Arts in Belgium. II. Brepols 1999, S. 25, 33, Mutter Gottes mit der Nuss (Köln, Wallraff-Richartz-Museum). Abb. 119, Quentin Massys: Thronenden Jungfrau mit Kind (Schloss Hradec bei Opava, Polen), vgl. Friedländer, Quentin Massys, Pl. 114, Jungfrau mit der Milchsuppe (New York, Aurora Trust, Inc.), vgl. Memling und seine Zeit. Brügge und die Renaissance. Hrsg. von Maximiliaan P. J. Martens. Stuttgart 1998, S. 92, Gerard David: Madonna mit Joan de Burgunya: Muttergottes (Barcelona, Museum Nacional d'Art de Catalunya), Werkstatt des Joos van Cleve: Die Madonna mit den Kirschen (Berlin, Gemäldegalerie).

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Schwan als Attribut des Heiligen Hugo von Lincoln kann man auf der Kölner „Mutter Gottes als Schutzherrin der Karthäuser“ (1475/80) sehen.221 Hans Memling verwendete als erster Schwäne in der profanen Porträtmale222 rei. Den Typus finden wir bei Rogier van der Weyden vorgebildet, in dessen Werkstatt um 1450 ein heiliger Ivo? entstand. Der Heilige sinnt über einen Brief nach, der die Bekanntmachung oder Aufforderung eines Mächtigen enthält. Durch das geöffnete Fenster sieht der Betrachter eine zweigeteiligte Landschaft: links eine Handelsstadt und eine Gesellschaft in einem Lustgarten, dazwischen eine gerade Straße, auf der Reiter auf schwarzen bzw. fahlen Pferden ihres Weges ziehen; rechts ein Teich mit zwei Schwänen und eine gekrümmte, ansteigende Straße, auf welcher ein Reiter auf einem weißen Pferd einer weißen Burg zustrebt.223 Der Porträtierte auf Memlings „Bildnis eines Mannes mit einer römischen Münze“ (ca. 1480) ist kein Heiliger. Er hält eine Münze Kaiser Neros, der personifizierten Ungerechtigkeit, in der linken Hand; im Hintergrund korrespondiert dieser ein Palmbaum, an Psalm 91 (92), 13 erinnernd: Der Gerechte wird grünen wie ein Palmbaum. Dahinter trägt ein Wasser zwei Schwäne, und am Ufer reitet ein Mann auf einem Schimmel. Hauszeichen und -namen Bei Memling in Brügge arbeitete zeitweise auch Martin Schongauer. Von Schongauer kennen wir keine Gemälde, die Schwäne zeigen, wohl aber eine Schwanendarstellung in seiner aenigmatischen Serie von „Wappenbildern“. In dieser Folge von Kupferstichen präsentieren ein Engel, Frauen, wilde Leute, ein Türke je einen Wappenschild, dessen Bild zu der Person der Schildhalterin, des Schildhalters in Beziehung gesetzt werden muss. Das Ganze ist weniger heraldisch aufgefasst, auch wenn Teilungen und Spaltungen der Schilde vorkommen, sondern eher emblematisch: Der Betrachter soll zu eigener Gedankenarbeit, zur Synthese des Dargestellten angeregt werden. Den Schild mit einem angrei-

221 Den hl. Hugo mit Schwan haben z. B. auch Hans Baldung (1512/17, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, früher Kartause Freiburg/Br.) und Jan Baegert (Museum Kunsthaus Kleve) dargestellt. 222 Bildnis eines Mannes mit einer römischen Münze (Antwerpen, Koninklijk Museum voor schone Kunste), Niccolo Spinelli? (Florenz, Galerie Cornini). Vgl. Karl Voll: Memling. Des Meisters Gemälde in 197 Abbildungen. Stuttgart 1909 (Klassiker der Kunst), Tafel 19; Norbert Schneider: Porträtmalerei. Hauptwerke der europäischen Bildniskunst 1420-1670. Köln 1994, S. 44f., Martens, S. 75. 223 London, The National Gallery. Vgl. Kemperdick, S. 76.

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fenden Schwan hält eine wohlgestaltete Jungfrau, den reichen Zopf zu einem Haarkranz gewunden, auf ihrem rechten Knie; sie sitzt auf einer Wiese, Klee sprießt und ein Krokus blüht.224 Da die litterale Bedeutungsebene eines Kunstwerks mitunter durch ganz alltägliche Umstände veranlasst sein kann, sei darauf hingewiesen, dass Schongauer 1477 ein Haus „Zum Schwanen“ in Colmar erworben hatte, ein größeres Anwesen, bei dessen Kauf er drei andere Häuser zum Pfand setzte.225 Wenn dieses Haus den Namen „Zum Schwanen“ trug, so kann angenommen werden, dass es durch ein Schild nach Art von Wirtshausschildern, eine Stuckverzierung oder ein Steinrelief bezeichnet war. Solche Hauszeichen kennen wir heute noch an Wirtshäusern und Apotheken; im Mittelalter stellten sie die Namen der Häuser bildlich dar oder veranlassten erst die Namengebung. Der Gebrauch, Häuser in größeren Städten zu benennen, nahm im 12. Jahrhundert seinen Ausgang. Schwäne erscheinen als gut identifizierbare Motive recht häufig: Das erste Haus, das im 13. Jahrhundert in Den Haag stand, soll eine Herberge „De Zwaan“ gewesen sein. Nachher trug das Gebäude auch andere Namen und wurde 1697, nun „de Oude Zwaan“ genannt, abgerissen.226 Häuser „Zum Schwan“ sind in Mainz 1344 und 1380, in Frankfurt 1378, in Assel 1431, in Aachen 1438, in Würzburg 1440, in Braunschweig 1443 belegt.227 Von dem einfachen Namen „Zum Schwan“ bildeten sich Ableitungen, besonders frequent: „Zum goldenen Schwan“, „Zum weißen Schwan“ und „Zu den drei Schwänen“. Das Erfurter Zinsbuch von 1350 notiert die Zinszahlung eines

224 Vgl. Ulrike Heinrichs: Martin Schongauer. Maler und Kupferstecher. Kunst und Wissenschaft unter dem Primat des Sehens. München 2007, S. 361-388. Sie bringt die Wappenbilder als „komischen Bilderreigen“ mit Spielkarten in Verbindung, was sicher insofern seine Berechtigung hat, als Spielkarten in ihrer Kombination von Zahl und Bild ebenfalls Interpretationen veranlassen können, die von der bloßen Funktion abführen und gerne zu Meditationen und sogar zur Zukunftsdeutung benutzt werden. 225 Eugen Waldner: Urkundliches über Colmarer Maler des 15. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 53 (1899), S. 66-77. 226 J. van Lennep, J. ter Gouw: De Uithangteekens. Tweede deel. Amsterdam 1868, S. 349. 227 Die Urkunden des Stadtarchivs Mainz. Regesten von Richard Dertsch. Teil 2. Mainz 1963, S. 142, Teil 3. Mainz 1965, S. 130, Teil 4. Mainz 1967, S. 175; Johann Georg Battonn: Oertliche Beschreibung der Stadt Frankfurt. Hrsg. von L. H. Euler. Heft 4. Frankfurt/M. 1860, S. 188f. (domus dicta zum Schwan, a. 1378), 315f. (Goldener Schwan, a. 1405); Niedermann, S. 108; Sack, S. 308.

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Albert Swanring von seinem Steinhaus „czu dem golden swane“ und offenbart so punktuell ein mögliches Benennungsmotiv, nämlich die Übertragung eines Familiennamens auf das Haus.228 Auch die umgekehrte Beziehung, dass Häusernamen zu Familiennamen werden, lässt sich nachweisen: Zum Jahr 1300 wird in Lübeck ein Hermannus de Cigno erwähnt, der nach seinem Haus benannt worden zu sein scheint. Häuser „Zum goldenen Schwan“ gab es an vielen Orten; heute noch findet man in Halle am Haus Kleine Klausstraße 2 einen Bildstein von 1658 mit der Inschrift: „Diß Haus stehet In Gottes/ Handt, Zum Guldenen/ Schwan Ist Es genand“. Ein Haus „Zum weißen Schwan“ stand 1460 in Freiburg; der Name war ebenfalls nicht selten. Eine kleinere Gruppe bildeten die Häuser „Zu den drei Schwanen“, für die ich aus Deutschland lediglich Nachweise für Leipzig (1580), Bamberg (um 1600), Erfurt (1613) und Weißenfels (1692) beibringen kann. Die regionale Verbreitung könnte auf einen Zusammenhang mit dem Wappen der Stadt Zwickau hindeuten, wenn nicht auch in England der Wirtshausname „The Three Swans“ recht populär wäre. In holländischen Zaandam gab es zwei Herbergen „De Twee Zwanen“ und „De drie Zwanen“. Dass ferner die Namen nicht immer so scharf zu fassen waren und wechseln konnten, belegt der Fall eines Gasthofes in Leipzig, der 1578 „Zum weißen Schwanen“, 1580 „Zu den drei Schwanen“ und 1593 „zu den drei weißen Schwanen“ hieß.229 Mehrere Häuser des gleichen Namens mussten unter Umständen durch Namenszusätze von einander unterschieden werden, weshalb 1559 in Worms ein Wirt „zum hindern Schwanen“ erwähnt wird.230 Eine englische Besonderheit scheinen zweihälsige und schwarze Schwäne zu sein; sie sind seit dem 16. Jahrhundert nachzuweisen. John Taylor benannte in seinem Handbuch der Gasthäuser, Unterkünfte und Poststationen in und um London aus dem Jahr 1637: The Swan am Strand und nahe Holborn Bridge; The Four Swans in Bishopgate street; The Two-necked Swan am Sommers Key und in Land Lane; The Black Swan in Holborn.231

228 Paulus Cassel: Erfurter Bilder und Bräuche. Ein akademisches Programm. Erfurt 1859, S. 25, 63f.. 229 Ernst Müller: Die Häusernamen von Alt-Leipzig vom 15.-20. Jahrhundert mit Quellenbelegen und geschichtlichen Erläuterungen. Leipzig 1931 (Schriften des Vereins für die Geschichte Leipzigs 15), S. 3. 230 Hans Wilhelm Kirchhof: Wendunmuth. I. Tübingen 1869 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 95), S. 99. 231 John Taylor: The Carriers’ Cosmography: or A Brief Relation of The Inns, ordinaries, Hostelries, and other lodgings in and near London ... London 1637.

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Ein Wirtshausschild mit weißem Schwan malte Hieronymus Bosch auf seiner Darstellung eines Fahrenden, der Abschied nimmt (des verlorenen Sohnes nach Luk. 15, 11-32 auf dem Weg zum Vater). Bei dem Wirtshaus handelt es sich um eine heruntergekommene Spelunke und ein Bordell, das wie höhnend den weißen Schwan herausstreckt. Auf den Schwan bezieht sich, über dem Fahrenden im Geäst verborgen, ein Käuzchen, das, wie die Unterzeichnung verrät, befürchten muss, von den Tagvögeln attackiert zu werden.232 Wenn dieses Wirtshauszeichen gern allegorisch gedeutet wird, so bietet dafür das Bild des Aachener Marktplatzes, das (mit einiger Freiheit) Hendrik van Steenwijck 1598 malte, keine Veranlassung. Der linke Bildrand schneidet das hohe Bauwerk des 1438 erwähnten Gasthauses „Zum Schwan“, den ein verdoppeltes Schwanenschild kennzeichnet: das Bild eines goldenen Schwans, auf dem ein zweiter goldener Schwan sitzt.233 Auch an englischen Gasthäusern war (wie schon John Taylors oben genannte Nachweise zeigen) der Schwan ein ganz gewöhnliches Zeichen. Im Book for a Rainy day des Kunsthistorikers John Thomas Smith (1846) liest man die Aufforderung eines Herrn an seinen Diener: „‚Zähl’ die Schwanenzeichen am Flussufer zwischen London und Battersea Bridge (das war 1829)’ ‚Wollen sehn, Herr, – da ist das Old Swan an der Londoner Brücke, eins – da ist das Swan in Arundel Street, zwei – dann unser hier (Hungerford Stairs), drei – das Swan in Lambeth; soweit flussab. Gut, dann das Old Swan in Chelsea, aber das ist schon lange ein Brauhaus; da ruderten früher unsere Leute hin ... heute rudern sie zum Zeichen des New Swan, jenseits von Physick Garden. Sagen wir: vier. Und dann die beiden Schwanenzeichen in Battersea, sechs.’“234 Antike Themen: Venus und Leda Neue Bildmotive erschloss die italienische Renaissance der Malerei. Die Wiederbelebung antiker Sujets bedeutete eine Ausweitung der Kunst auf mythologische Themen, die eine neoplatonische Philosophie mit den herrschenden theologischen Ansätzen in Einklang brachte. 1469/70 malte Francesco de Cossa in Ferrara den Palazzo Schifanoia mit einem astrologisch gedeuteten Jahreslauf aus.

232 Rotterdam, Museum Boijmans van Beuningen. 233 Markt auf dem Aachener Rathausplatz. Braunschweig, Herzog-Anton-UlrichMuseum. Vgl. Kein Tag wie jeder andere. Fest und Vergnügen in der niederländischen Kunst, ca. 1520-1630. Braunschweig 2002, S. 36, 85-87. 234 S. 280. Zitiert nach Jacob Larwood, John Camden Hotten: The History of Signboards. London 1866, S. 213.

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Über dem Tierkreiszeichen für den April, den Stier, ordnete er Venus als Planetenherrscherin an: Die Göttin kommt auf einem geschmückten Podest angefahren; ihr Thron ruht auf einem roten Sockel, an den ein knieender Ritter angekettet ist; sie hält ihm Meeresschnecken vor. Den ganzen Aufbau mit der Dame und dem Ritter ziehen zwei Höckerschwäne, die Flügel aufgerichtet, die Schnäbel aufgesperrt, über ein Gewässer dem Ufer zu, an dem weiße Kaninchen spielen. Dieser Bildtypus der triumphierenden Göttin auf einem Gefährt, das Schwäne bewegen, konnte nachher in immer wieder neue Kontexte übersetzt werden. Der Triumph der Venus: des Frühlings, der Liebe, neoplatonisch gefasst, belebte auch andere erotische Idole der klassischen Antike. Francesco Colonna ließ in seiner „Hypnerotomachia Poliphili“ (Venedig 1499) die menschlichen Geliebten Jupiters abbilden, darunter Leda, die, ihr Kleid geschürzt, den Schwan im Schoß hält, auf einem von sechs Elefanten gezogenen Triumphwagen.235 Kurz nach 1500 werden Leda und der Schwan eines der beliebtesten Themen der italienischen Malerei.236 Die größten Wirkungen entfalteten dabei die recht unterschiedlichen (und heute verschollenen) Darstellungen Leonardos und Michelangelos. Leonardo da Vinci hat das Thema in zwei Varianten gestaltet: einer knienden und einer stehenden Leda. Beide Originale (vor 1515) gelten als verschollen; die stehende Leda wurde aber häufig kopiert, das Motiv gehörte zum Vorrat der geläufigen Motive der Renaissancemalerei. Leider weichen die Kopien in den Attributen und nicht zuletzt in den Details des Götterschwans deutlich von einander ab, während in der Wiedergabe des weiblichen Körpers eine größere Vorlagentreue beobachtet wurde. Leda steht im Kontraposte, den rechten Arm um den Hals des andrängenden Schwans gelegt, den Kopf jedoch von dem sich schlangenartig auf stark gebogenem Hals heranschiebenden Schwanenkopf abgewendet. Der Schwan hat die Höhe eines Menschen und erscheint wenig naturnah, dunkel, in einer Fassung gar schiefergrau und mit einer Halskrause, so dass er eher an einen Reiher erinnert. Anregungen durch antike Plastiken, z. B. die Ledastatue des Timotheos, kann man annehmen, Leonardo scheint das Motiv aber selbst fortentwickelt zu haben. Die ungewöhnlich dunklen Schwäne erklärt die Kunstgeschichte als körperlich-tierische Art der Liebe, als amor ferinus nach Marsilio Ficino, während Leda die menschliche Liebe (amor humanus) darstelle,

235 Vgl. Romano Nanni, Maria Chiara Monaco: Leda. Storia di un mito dalle origini a Leonardo. Florenz 2007, S. 112-117 236 Eine Auflistung bei Jane Davidson Reid: The Oxford Guide to Classical Mythology in the Arts, 1300-1990s. Volume 2. New York 1993, S. 629-635.

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die wiederum von der himmlischen Liebe (amor coelestis) unterschieden sei, wie sie die Dioskuren verkörpern.237 Michelangelo hatte 1529 dem Herzog Alfons I. von Este für dessen Palast in Ferrara eine Leda versprochen. Als ein Bote des Herzogs das Gemälde 1530 abholen wollte, beleidigte er den reizbaren Künstler, der die Herausgabe verweigerte und das Bild und den vorbereitenden Karton einem Gesellen schenkte. Über diesen gelangte das Werk an den König von Frankreich. Die Geliebte König Ludwigs XIV., Françoise, Madame de Maintenon (1635-1719), soll es der Legende nach aus der königlichen Gemäldegalerie verbannt haben, weil ihr die Schamlosigkeit der Darstellung anstößig erschien. Wir kennen die Bildkomposition aus zahlreichen Kopien, darunter eine von Rubens; dem Original soll am meisten ein Kupferstich von Cornelis Bos (nach 1537) entsprechen, der im Vorgriff auf das Ergebnis der Vereinigung von Frau und Schwan die Zwillinge Kastor und Pollux zeigt. Die Beschriftung sagt: Formosa haec Leda est. Cignus fit Juppiter illam/ Comprimit, hoc geminum quis credat parturit ovum ... (reizend ist diese Leda. Zum Schwan wird Jupiter, überwältigt sie, und sie gebiert (wer will es glauben?) dies Zwillingsei ...). Leda liegt halb aufgerichtet an einer von einem Überwurf bedeckten Lehne, den Schwan, der seinen Schnabel ihrem Mund nähert, so zwischen den Beinen, dass sie das rechte über den linken Flügel des Vogels legt. Eine recht unverhüllte Darstellung der Kopulation, zu der den Künstler offenbar eine antike Kleinplastik inspiriert hatte.238 Die augenscheinliche Verwandtschaft mit der weiblichen Gestalt der „Nacht“, Michelangelos berühmter Marmorskulptur in der MediciKapelle in Florenz, kann die Interpretation leiten. Eule und Mohnkapseln, die in und an der Kniebeuge angeordnet sind, feiern den Schlaf, vielleicht den Todesschlaf, der von den Neuplatonikern als Liebesvereinigung mit einem Gott verstanden wurde. Dass neben dieser geistigen Idee die offensive Erotik die Verbreitung des Bildmotivs beförderte, liegt allerdings auch zutage. Den Schwan zeichnen in der verschlungenen Stellung beider Körper die Zielrichtung und das mattweiße Kolorit der erhobenen, leicht aufgefächerten Schwingen aus. Andere Akzente setzte ein Gemälde des Florentiners Michele di Ridolfo in der Galeria Borghese in Rom (ca. 1565): Die völlig bekeidete Leda blickt über ihre rechte Schulter den Betrachter an; vom Schwan sieht man nur den Kopf, der Zeus gemäß die Physiognomie eines Adlers hat. Ein Hinweis darauf, dass Schwäne im mittleren Italien eher mythologische als reale Vögel waren (auch

237 Nanni/Monaco, S. 246. 238 Elfriede R. Knauer: Leda. In: Jahrbuch der Berliner Museen 11 (1969), S. 5-35.

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heute leben nur wenige hundert Brutpaare des Höckerschwans im äußersten Nordosten der Apenninhalbinsel). Der Triumph der Venus als Allegorie des Frühlings erfreute sich in der Renaissance, vor allem aber in der manieristischen Kunst zu Ende des 16. Jahrhunderts einiger Beliebtheit. In jüngerer Zeit hat die Forschung sich z. B. vermehrt mit dem Werk des französischen Hofmalers Antoine Caron (1521-1599) beschäftigt, zu dessen Jahreszeitenzyklus ein „Triumph des Frühlings“ von ungefähr 1580 gehört. Der Göttin Venus folgt darauf ein von zwei bekränzten Schwänen gezogener, von einem Putto gelenkter goldener Frühlingswagen.239 In der populären Druckgrafik erfuhr dieses Motiv auch eine moralische Exegese: Die schönen weißen Schwäne, welche den Wagen des Venus zogen, bedeuten Zierlichkeit und Reinlichkeit. Da Zierlichkeit, Schönheit und Schmuck Liebe erwecken und erhalten können, ermahnen diese Schwäne Eheleuten, besonders Frauen, und sind zugleich Ausdruck eines unbesudelten und unbefleckten Lebenswandels.240 Emblematischer Realismus, Embleme Ihren Höhepunkt erreichte die Kunst der Schwanendarstellung in der Malerei des Goldenen Zeitalters der Niederlande. Schwäne wurden im 17. Jahrhundert häufig, mit hoher Kunst wirklichkeitsgetreu und mit verschiedenen Bedeutungen dargestellt. Doch handelt es sich nicht mehr, wie im 15. Jahrhundert, um einen theologischen, sondern um einen emblematischen Realismus. Gemälde dieser Epoche sind schon in verschiedenen Zusammenhängen für die Argumentation herangezogen und besprochen worden, besonders ausführlich die Küchenstücke, weshalb hier nur drei Beispiele eingehender vorgestellt seien. Eine in jeder Hinsicht großartige Komposition bildet ein Wildstillleben von Frans Snyders aus dem Jahr 1614 (Köln, Wallraf-Richartz-Museum). Ein modisch gekleideter Mann, der sich einer Frau nähert, im Hintergrund und Hahn und Henne im Vordergrund deuten moralische Sinnebenen des Werkes an. Eine rotbespannte Platte teilt das Bild. Erlegte Vögel sind darauf drapiert: ein Storch, ein Graureiher, eine Rohrdommel, ein Pfau, ein Adler und – in Bild beherrschener Stellung, den Hals nach unten gebogen – ein Höckerschwan. Hinter ihm er-

239 Vgl. Werner Hofmann: Zauber der Medusa. Europäische Manierismen. Wien 1987, S. 113, 143. Ein wenig bekanntes spätes Beispiel ist das Gemälde „Venus und Cupido“ von Ferdinand Bol (1611-1681) im Georgian House in Edinburgh. 240 Johannes Pomarius: Chronica Der Sachsen vnd Niedersachsen ... Wittenberg 1588, S. 33, 36.

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hebt sich ein metallener Zuber, aus dem Artischocken ragen; auf einem Brett, das darüber gelegt ist, ruht ein mächtiger, blutender Keilerkopf. Kleinere Vögel und ein Korb mit Weintrauben runden das Arrangement ab. Natürlich kann man die Bildgegenstände mit gutem Recht als Symbole der Begierde begreifen oder anderen Todsünden zuordnen.241 Aber darin erschöpft sich der emblematische Sinn nicht. Der Betrachter muss sich vielmehr aufgefordert fühlen, seine eigenen Gedanken und Empfindungen zu entwickeln, die sich ebenso an dem Kontrast zwischen dem dunklen Keilerkopf und dem weißen Schwan entzünden können und den Schwan als unterlegen, aber makellos wahrnehmen. Keine Interpretation kann alleinige Geltung beanspruchen – und genauso wenig wird die Realität einer Vorratskammer abgebildet. Der Flame Snyders variierte das Thema verschiedentlich;242 produktiver als Maler von Wildstillleben mit Schwänen und besonders auf die Wiedergabe von Daunengefieder spezialisiert waren aber der Holländer Jan Baptist Weenix (1621-um 1660)243 und sein Sohn Jan Weenix (1640/42-1719). Neben dem älteren Weenix und dem Landschafter Jan Both gehörte Jan Asselijn (um 1610-1652) zu den wichtigsten niederländischen „Italianisaten“, den Künstlern, die entscheidende Prägungen in Italien erfuhren. Asselijn schuf um 1650 ein eindrucksvolles Bildnis: Der bedrohte Schwan.244 Ein überlebensgroßer Höckerschwan zischt mit erhobenen Schwingen, die starken Beine fest auf den Boden gestellt, einen schwarzen Hund an, der sich schwimmend von links nähert. Hinter dem Schwan ist das Nest mit den Eiern zu erkennen. Durch das glei-

241 Vgl. Sigrid und Lothar Dittrich: Lexikon der Tiersymbole. Tiere als Sinnbilder in der Malerei des 14.-17. Jahrhunderts. Petersberg 2004 (Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte 22), S. 411, 480, 561f. 242 Eindrucksvoll nicht zuletzt durch seine Größe ist z. B. Snyders Gemälde „Der Wildbrethändler“ im Museum für Kunst und Kulturgeschichte in Dortmund: In der Komposition geht es darum, die vertikalen und die horizontalen Linien auszubalancieren, was vor allem dadurch gelingt, dass der Schwan mit ausgebreiteten Schwingen daliegt, während sein Hals senkrecht herab hängt. 243 Scott A. Sullivan: The Dutch Gamepiece. Totowa 1984, Abb. 60, 67, 126; Ingvar Bergström: Studier in Holländske Sillebenmalerei under 1600-Talet. Göteborg 1947, S. 262; Paul Gammelbo: Dutch Sill-Life Painting from the 16th to the 18th Centuries in Danish Collections. Amsterdam 1910, Nr. 236. 244 Reichsmuseum Amsterdam. Vgl. http://www.rijksmuseum.nl/aria/aria_assets/SK-A4?lang=nl&context_space=&context_id= (7.6.2010). Wie eine Vorstudie wirkt Asselijns „Landschaft mit Schwänen und heranschwimmendem Hund“ in der Gemäldegalerie Berlin, auf welchem ein Schwanenpaar das Nest verteidigt.

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ßende Gegenlicht, das den Vogel anstrahlt, und vor einer von der untergehenden Sonne golden gefärbten Wolke erscheint das Tier unüberwindlich. Von späterer Hand sind die Bildgegenstände bezeichnet: der Hund als „DE VIJAND VAN DE STAAT“, der Schwan als „DE RAAD-PENSIONARIS“, das Ei als „HOLLAND“. Wenn Kindlers Malereilexikon erklärt: „Dies Werk wurde lange Zeit irrtümlich für eine Allegorie gehalten, ist in Wahrheit aber nichts als ein Tierporträt“,245 so offenbart das eine Geschichte von Missverständnissen. Weder handelt es sich um eine Allegorie, die jedes Teil in eine fest bestimmte Beziehung zum andern setzte, noch um ein bloßes Tierporträt. Der sein Nest verteidigende strahlend-weiße Schwan musste im 17. Jahrhundert Assoziationen hervorrufen, die zwar nicht notwendigerweise auf Johann de Witt, den Ratspensionär, den Verteidiger der Republik im Seekrieg gegen England, zielten, eine solche Deutung aber zuließen. Der Schwan als Verteidiger des Hauses jedenfalls war, wie S. 106 bemerkt, ein gängiges emblematisches Motiv. Wie das Thema als Jagdszene hätte gestaltet werden können, zeigten übrigens Abraham Hondius und – im 18. Jahrhundert – Jean-Baptiste Oudry auf verschiedenen Bildern, die den Hund als ernstzunehmenden Gegner darstellen (z. B. in dem Bild „Schwan, von einem Hund angegriffen“ im Northcarolina Museum of Art). Beide Bildmotive (Schwan als Wildstillleben und im Kampf begriffen) führte 1630/40 der Brüsseler Hofmaler Pieter Snayers zusammen. Er schilderte den Überfall spanischer Truppen auf ein Dorf in Flandern. Im Vordergrund wird, als Blickfang, ein Pferd fortgezogen, das neben anderer Beute einen erschlagenen Schwan trägt.246 Embleme Wenn hier von emblematischem Realismus die Rede war, so muss – nicht nur zur Erläuterung dieses Begriffs – auch von Emblemen im eigentlichen Sinne gehandelt werden. Unter einem Emblem verstand man im 16. und 17. Jahrhundert eine Komposition aus Inscriptio (Überschrift), Pictura (Bild) und Subscriptio (Unterschrift). Die Inscriptio gab das Thema an, eine Sentenz oder einen Wahlspruch, das Bild fasste das Motto in eine Darstellung, die Subscriptio führte es in einem Epigramm zur näheren Erläuterung aus. Wenn man das Emblem wegen

245 Kindlers Malerei Lexikon. Tb.-Ausg. Band 1. München 1982, S. 143. 246 Dieses Gemälde habe ich 1994 im Schlossmuseum Gotha gesehen; mittlerweile ist es jedoch an die Alteigentümer restituiert worden. (Schreiben des Schlossmuseums Gotha vom 29.6.2010). Den derzeitigen Verbleib kenne ich nicht.

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dieser wechselseitigen Erklärungen in die Nähe der Allegorie rückt, so verkennt man zweierlei: 1. geht der Sinngehalt des Bildes nie völlig in den Formulierungen von Inscriptio und Subscriptio auf und 2. gilt die Bilderfindung immer nur für ein Emblem, das zwar Traditionen aufgreift, aber als autonomes Kunstwerk zu verstehen ist. Schließlich muss auch nach der Funktion der Emblemata gefragt werden: Ein Emblem ist weder ein Wappenschild noch eine Motivvorlage für die Kunst. Emblembücher regten ihre Leser an, sich in die Betrachtung der Bilder zu versenken, durch die Texte geleitet die Gedanken schweifen zu lassen, um zu einer vertieften Welterkenntnis zu gelangen. Wie der Holländer Jacob Cats in seinen „Emblemata moralia et oeconomica“ 1627 bemerkte: In den Emblemen lese man allezeit mehr, als da stehe, und denke mehr, als man sehe.247 Daraus ergibt sich die Nähe zur Erbauungsliteratur und ein nicht selten aenigmatischer Charakter. Embleme mit Schwänen knüpfen meistens an antik-poetische Überlieferungen an. Von den elf Emblemen im Handbuch zur Sinnbildkunst des 16. und 17. Jahrhunderts, die einen Schwan als Motiv verwenden, beziehen sich fünf auf den Schwanengesang, allerdings in je eigener Weise. Der Schwan bezeichnet die Poeten, singt nur von angenehmen Umständen befördert, preist seinen Tod. Drei Embleme legen das Weiß des Gefieders aus: auf die Aufrichtigkeit eines wahren Freundes, den Mut des reinen Herzens. In einem Fall verbinden sich die Bedeutungen: Die Dichter werden als Menschen reinen Herzens begrüßt. Ein Emblem zeigt einen Schwan im Kampf mit einem Adler.248 Gewöhnlich werden die Vögel in eine Landschaft gesetzt, die eine zusätzliche Dimension auch der Deutung öffnen kann. „Insignia poetarum“ (Wahrzeichen der Dichter) heißt eine Inscriptio; die Subscriptio legt dar, dass zu den Dichtern nicht Löwen oder Drachen als Zeichen passen, dass Gelehrte den schönen Schwan im Wappen führen sollen, den Vogel des Königs Phoebus, der seine alten Ansprüche noch behauptet. Die grammatischen wie mythologischen Bezüge des Epigramms sind nicht ganz eindeutig und fordern die Kenntnisse und Assoziationen des Lesers heraus. Auf dem Bild sieht man einen starken Laubbaum, an den eine Kartusche eher als ein Wappenschild lehnt. Der darauf abgebildete Schwan wendet sich gegen die Regeln der Wappenkunst nach (heraldisch) links. Im Hintergrund schwimmen Schwäne auf einem schilfbestandenen Gewässer.

247 Nach Albrecht Schöne: Emblematik und Drame im Zeitalter des Barock. 3. Aufl. München 1993, S. 61, Anm. 2. 248 Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Hrsg. von Arthur Henkel und Albrecht Schöne. Taschenausgabe. Stuttgart 1996, Sp. 814818.

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Fast wichtiger als der Sinngehalt des Emblems werden in Daniel Meisners „Politischem Schätzkästlein“ die Landschaften. Da findet sich eine Ansicht der Stadt Kleve mit einem Schwan, der, eine Schreibfeder im linken Fuß, Eintragungen in ein Buch vornimmt, einem Poetensignum. In- und Subscriptio fordern Poeten und andere Skribenten auf, mit Sorgfalt und Fleiß zu arbeiten. Nun könnte man der Meinung sein, dass Schwäne in Kleve ein Heimatrecht besäßen und geradezu notwendigerweise hier zu platzieren wären. Aber wie verhält es sich mit der Ansicht von Hessisch Lichtenau, auf der ein in seinen Proportionen missglückter Schwan schwimmt, der versinnbildlichen soll, dass die Guten den Tod nicht fürchten müssen? Eine Darstellung von Landskrona in Schweden zeigt einen Schwan und eine Gans, die je nach ihrer eigenen Art singen.249 Da kreuzen sich verschiedene Intentionen eher, als dass sie sich verstärkten, und es bleibt dem Leser überlassen, das für ihn Wesentliche zu bestimmen. Die emblematische Struktur eines Gemäldes kann Jacob Jacobs' Lutherporträt von 1603 verdeutlichen. Es hängt in der Hauptkirche Sankt Petri in Hamburg und zeigt den Reformator stehend in der Tradition der Cranach-Darstellungen, in der linken Hand die aufgeschlagene Bibel; die rechte deutet auf den abgebildeten Text Joh. 3, 14: „Also hadt Godt die Welt gelibt[,] das er seinen einigen geborn sone gab[,] auf das alle die an im geleuben nicht vorlorn werden[,] sondern das ewig liben haben.“ Hinter dem Mann, an seinem linken Bein steht ein Höckerschwan, der sich – wie Luther – nach links wendet. Das die Pictura. Die Inscriptio lautet: „D. Martinus Lutther“, und als Subscriptio kann man die in eine Kartusche gesetzten Worte auffassen, die heißen: „Pestis eram vivus / moriens tua mors ero papa“ (Lebendig war ich, Papst, für dich die Pest, sterbend werde ich dein Tod sein). Die Interpretation muss mehrere Deutungstraditionen für den Schwan berücksichtigen, die nicht explizit gemacht werden. Der Schwan bestärkt, was der Titel sagt: dass es sich um Martin Luther handelt (s. S. 182). Der Bibeltext versichert, dass Luther durch Christus vor Gott Rechtfertigung und das ewige Leben erlangt habe. „Pestis eram ...“ hat er selbst zu seinem Epitaphium bestimmt,250 seinem Schwanengesang, der eine Prophezeiung aussprach: Das Papsttum werde durch Luthers Lehre endgültig überwunden werden. Der Lutherschwan dient mithin nicht allein als Attribut, sondern erklärt die Situation (Luthers Sterben)

249 Daniel Meisner: Thesauri Philo-Politici Pars Altera. Frankfurt/M. 1624. Pars Sexta. 1625. 250 Vgl. Bugenhagen (oben S. 181) und Theodor Knolle: Der Prototyp des Lutherbildes mit dem Schwan. In: Forschungen zur Kirchengeschichte und zur christlichen Kunst. Hrsg. von Walter Elliger. Leipzig 1931, S. 222-242.

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und garantiert die Zukunftswirkung der letzten Worte des Reformators (als Prophezeiung). Emblematisch, als Sinn, der aus der Verbindung von Bild und Text entsteht, ist auch eine holländische Anekdote aus dem 17. Jahrhundert zu verstehen: Ein Poet sitzt in einer Herberge, sieht das Schild mit dem Schwan aushängen und dichtet (quasi als Subscriptio) das Epigramm: De Swaen voert ieder kroeg, zo wel in dorp als stad, omdat hij altijt graeg is met de bek in ’t nat. (Den Schwan führt jeder Krug, im Dorf wie in der Stadt, weil er immer gern den Schnabel ins Nasse steckt.)251

Ein Spruch, der ähnlich übrigens aus Irland überliefert wird. Die Emblematik fügte sich in Bestrebungen der Welterkenntnis und Weltdeutung ein, die sich auch in der Heraldik manifestierten. In der einschlägigen Literatur des 17. Jahrhunderts wurden den heraldischen Figuren Bedeutungen beigelegt, die häufig aus der Emblematik, aber auch aus anderen Traditionen stammten. Marcus Vulson bezeichnete den Schwan in alter theologischer Manier als Sinnbild des Heuchlers. Als ehrenhafter sahen Upton und Johannes de Bardoaureo Schwäne an – wegen ihrer Schönheit, wobei letzter besonders die Anmut des langen Halses hervorhob. Philipp Jakob Spener, Theologe und Vater des Pietismus, meinte in seinem großen Opus heraldicum, der Schwan werde gemeinhin als Symbol für Weiße, Eintracht, feste Gemeinschaft, glückliche Schiffer, Herzhaftigkeit, Unerschrockenheit angesichts des Todes, rühmliches Alter, Liebe zu den Künsten, besonders der Musik (deren eifriger Jünger Cycnus, König von Ligurien, gewesen war) und der Poesie betrachtet. Und Spener zitiert die Subscriptio eines von dem Mailänder Juristen Andrea Alciati entworfenen Emblems: „Wappenschilde gibt es, die Adler zeigen, Drachen oder Löwen. Diese wilden Tiere sollen aber nicht die Abbilder von Dichtern und Denkern zieren, sondern ein schöner Schwan. Dieser war Apoll geweiht und einst König unserer Gegenden [nämlich Liguriens]; noch führt er die alten Titel.“252 Gewöhnlich, so Spener weiter, werden Schwäne mit aufgesperrtem Schnabel, in einer Krümmung gebeugtem, aufwärts gerichtetem Hals dargestellt; nicht

251 Van Lennep/ter Gouw, S. 348. 252 Philipp Jakob Spener: Insignium Theoria seu Operis Heraldici Pars generalis. Editio secunda. Frankfurt/M. 1717, S. 218f. Ganz ähnlich schon Theodor Höping: De insignium sive armorum prisco et novo jure tractatus juridico-historico-philologicus ... Nürnberg 1642, S. 621.

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selten mit ausgebreiteten Flügeln, zuweilen aber auch mit angelegten; außerdem nennt er Beispiele für verschiedene Tingierungen, Wappen mit Schwanenhälsen usw. Die systematisierten und so verbindlicher werdenden Deutungen verlangten Beachtung: Die Familie des größten französischen Tragödiendichters, Jean de Racines, führte in hergebrachter Manier als einfaches redendes Wappen eine Ratte und einen Schwan (rat-cygne wie Racine). Racine schrieb 1697 an seine Schwester: „Ich weiß, dass das Wappen unserer Familie eine Ratte und einen Schwan zeigt. Ich habe aber nur den Schwan behalten, weil die Ratte mir anstößig erschien.“253 Günter Grass hat das im Hinblick auf die Abgründe des Racine’schen Werkes interpretiert,254 dem Dichter selbst dürfte an einer höfischfrommen Glättung gelegen haben. Der Kanon der Bedeutungen erweiterte sich übrigens ständig, und die Verwendungsmöglichkeiten reichten weit ins Kunstgewerbe hinein. Genannt sei nur eine Ofenkachel im Universitätsmuseum in Marburg: die Darstellung eines Schwans mit Halskrone, dem Motto „Candide et constanter“ und dem Monogramm des Landgrafen Karl von Hessen-Kassel (1680/90). Die enzyklopädische Emblematik, die Bedeutungsvarianten bis zur Beliebigkeit aneinander reihte, verlor sich im Laufe des 18. Jahrhunderts vollständig. Zu gesucht und zu willkürlich, zur sehr kontextabhängig erschien diese Kunst, als empirische Naturwahrnehmung und griechische Antike begannen, das ästhetische Empfinden zu bestimmen. Gartenplastik und Porzellan Die wichtigsten Schwanendarstellungen im ausgehenden Barock und im Rokoko erscheinen figural gestaltet: als Skulpturen. Die Leda-Plastiken von Corneille van Cleve, Thierry und Falconet gehören hierher255 – Werke von halber Lebensgröße oder kleiner, aus französischen oder italienischen Werkstätten, die einen mehr intimen Charakter besitzen. Die Schwäne wirken wie Gespielen der Königin, nichs erinnert an die überwältigende Gottheit. Im Kapitel über die Erotik soll davon ausführlicher die Rede sein. Überlebensgroß ist hingegen die Leda, die Michel Anguier 1654 für die Göttergalerie des Schlosses Saint-Mandé schuf;

253 Racine: Œuvre complètes. Paris 1962, S. 537 (Brief an die Schwester vom 1.1.1697). 254 „Racine läßt sein Wappen ändern“. Z. B. in: Günter Grass: Die Deutschen und ihre Dichter. Hrsg. von Daniela Hermes. 2. Aufl. München 1999, S. 7f. 255 Vgl. den Überblick bei Röthlisberger und unten S. 289.

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der Schwan charakterisiert die mythologische Szene. Ähnliche Statuen schmückten die Parks und Gärten dieser Epoche. Die erste Teichanlage im Park von Versailles hieß das „Schwanenbecken“ (Bassin des Cygnes); Le Nôtre setzte eine Fontäne ein, was den Schwänen schon wenig behagt haben dürfte; 1668 ordnete König Ludwig XIV. eine Umgestaltung an, und Tuby entwarf eine Figurengruppe, welche die aufgehende Sonne symbolisieren sollte: Apolls Sonnenwagen, von vier Rössern gezogen, taucht aus dem Wasser auf. Während hier Schwäne keine Berücksichtigung mehr fanden, erscheinen sie im etwa gleichzeitig fertiggestellten Bassin du Dragon: Die Statue des schrecklichen Python umgeben Delfine und vier Schwäne, auf denen je ein Amor reitet, von den Brüdern Marsy. In einer zeitgenössischen Beschreibung: „In der Mitte des Beckens erblickt man einen Drachen aus Bronze, der, von einem Pfeil durchbohrt, aus dem Rachen Blut zu speien scheint, indem er einen Wasserschwall in die Luft presst; dieser zerstiebt in Tropfen, die im ganzen Bassin niederfallen. Um den Drachen herum finden sich vier kleine Cupidos auf Schwänen, die jeder einen großen Wasserstrahl ausspritzen und dem Rand zustreben wie um sich zu retten. Zwei dieser Cupidos im Blickfeld des Drachen bedecken ihr Gesicht mit der Hand, um ihn nicht ansehen zu müssen. Ihr Gesichtsausdruck zeigt in vollkommener Darstellung alle Anzeichen der Furcht. Die beiden anderen, kühner, weil sich das Ungeheuer von ihnen abwendet, attackieren es mit Hilfe ihrer Waffen. Zwischen den Cupidos sind Delfine aus Bronze, die aus ihren geöffneten Mäulern starke Wassergüsse ausstoßen.“256 Die bewegte Szenerie musste auf den Absender des tödlichen Pfeils, den Gott Apollo, nicht eigens hinweisen. Diesen, als dessen Verkörperung Ludwig XIV. sich feiern ließ, zeigte der erwähnte Apollo-Brunnen. Die kleinen Liebesgötter und die sie begleitenden Tiere gehören zum göttlichen Gefolge. Eine Unzahl kleinerer Wasserspiele verzierte auch das Labyrinth. Die Szenen stellten meistens antike Fabeln dar, weniger ernst als die großen mythologischen Erzählungen und in der Absicht, dem Betrachter Vergnügen zu betrachten. Da standen z. B. – aus Blei geformt und naturalistisch bemalt – ein Schwan und ein Kranich zusammen: Der Kranich fragte (so die Erklärung) den Schwan, warum er singe. „Weil ich sterbe“, antwortete dieser, „und alle meine Leiden en-

256 [André Félibien]: Relation de la Feste de Versailles du dix-huitième Iuillet mil six cens soixante-huite. Paris 1668, S. 6. Vgl. La Description du Chasteau de Versailles. Paris 1685, S. 57-59 und Ian Thompson: The Sun King’s Garden. Louis XIV, André Le Nôtre and the Creation of the Gardens of Versailles. Bloomsbury 2006, S. 147.

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den.“257 Aber häufiger begegnete man im Labyrinth Füchsen, Affen, Raben und anderen aus Äsop bekannten Tieren. Nicht auf uns gekommen ist die Florafontäne im Gartenparterre des Nymphenburger Schlosses, die Guillielmus de Grof, ein in Paris ausgebildeter Bildhauer 1717/22, gestaltet hatte: Aus der Mitte eines achteckigen Beckens erhob sich ein Felsen mit einem Springbrunnen, auf dem, dem aufsteigenden Wasser nachblickend, ein aus Blei gearbeitete Flora saß. Diese Szene ergänzten neben reichem Blumenschmuck ein schwebender Zephir, ein Affe, ein Hunde, ein Löwe, drei Schwäne und zwei Störche.258 Für den polnischen Titularkönig Stanislaus I., den Schwiegervater König Ludwigs XV. von Frankreich, schuf der lothringische Bildhauer Barthelémy Guibal Gartenplastiken, die nach 1766 in den Schlosspark von Schwetzingen überführt wurden. Hier von Interesse ist ein Arion auf einem Delfin, aus Blei geformt, der im großen Bassin in der Mitte des Parterres seinen Platz erhielt. Diese Figur umspielen vier Putten auf Schwänen bzw. Reihern. Ein Putto etwa hängt in abwehrender Haltung auf einem Schwan, der seinen Hals nach einer Windung senkrecht in die Höhe streckt und aus dem Schnabel einen Wasserstrahl entlässt. Verwandte Gruppen findet man im kleinen Bassin.259 Die große Kaskade im Schlosspark von Ludwigslust (Mecklenburg) akzentuieren rechts und links neben der Hauptgruppe mit Flussgöttern je zwei Kinder, die einen Schwan herzen. Geschaffen hat sie Rudolf Kaplunger 1775. Ein mythologischer Bezug ist nicht mehr zu erkennen.260 Das wichtigste, Schwäne darstellende Kunstwerk des 18. Jahrhunderts bildete aber das große Schwanenservice aus der Meißner Porzellanmanufaktur. Als „das künstlerisch bedeutendste Porzellanservice, das jemals hergestellt wurde“

257 [Charles Perrault:] Recueil de divers ouvrages en prose et en vers. Paris 1675, S. 225-268, hier S. 265. Vgl. La Description du Chasteau de Versailles. Paris 1685, S. 81-88. 258 Peter Volk: Barocke Gartenskulptur der Schlösser der bayerischen Kurfürsten. In: Studien zur barocken Gartenskulptur. Hrsg. von Konstanty Kalinowski. Poznań 1999, S. 45-61. 259 Die Kunstdenkmäler des Amtsbezirks Mannheim. Stadt Schwetzingen. Bearb. von Kurt Martin. Karlsruhe 1933 (Die Kunstdenkmäler Badens 10.2), S. 370f., Abb. 335, 336. 260 Die Kunst- und Geschichtsdenkmäler des Grossherzoghtums MecklenburgSchwerin. III. Band. Bearb. von Friedrich Schlie. Schwerin 1899, S. 256f.

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hat man es bezeichnet.261 Es entstand in den Jahren 1737 bis 1742 für den kursächsischen Minister, seit 1738 Premierminister, Heinrich Grafen von Brühl. Einen Eindruck von der Wirkung vermittelt der Bericht eines englischen Gesandten, den Brühl 1742 zu einer Festtafel für 206 Personen geladen hatte. Er notierte: „Als das Dessert aufgetragen wurde, empfand ich das als das Wunderbarste, das mir je begegnet war. Ich fühlte mich in einem Garten oder wie in eine Oper versetzt und dachte gar nicht ans Essen. In der Mitte der Tafel stand der Brunnen der Piazza Navona in Rom, acht Fuß hoch, aus dem Rosenwasser floss, und man sagt, allein dieses Stück koste 6000 Taler.“262 Das Dessin gab ein Teller vor, den der Modellmeister, Johann J. Kaendler, so beschrieb: „In einer Teller Forme, welche in Gestalt einer See Muschel war, 2 schwimmende Schwäne nebst zwei anderen Wasser Vögeln und Schilf flach hineingeschnitten.“ Etwas akzentuiert: Auf bewegtem Wasser schweben die beiden Schwäne, die Körper parallel, doch in der Höhe versetzt, während sich die Köpfe einander zuwenden. Das ist eine raffiniertere, durch die Nutzung der Perspektive natürlicher wirkende Komposition als die bekannte Herzform der sich zuneigenden Schwanenhälse, die gleichwohl anklingt. Da das Relief die Tellerböden ziert, muss es nur durch die Bewegungen des weißen Porzellans wirken, ohne farbige Fassung. Das beschriebene Schwanenmotiv kehrt auf allen Flachgeschirren und ebenso an vielen Hohlgefäßen des Services, das schließlich mehr als 2000 Einzelteile umfasste, wieder.263 Alle Teile sind dem Wasser und den mythologischen Szenerien, die sich daraus entwickeln lassen, gewidmet. Schwäne tauchen immer wieder auf: als Dekor und ohne tiefere Bedeutungen aufscheinen zu lassen. Das Weiß des Porzellans, das an reinen Schauobjekten mit dem Schwarz der Füße, der Augenpartien und des Schnabelhökers kontrastieren konnte, ordnete sich den Flügelbewegungen und besonders den Biegungen des Halses, der so viele, die Aufmerksamkeit erregende Stellungen erlaubte, unter. Das galt in ähnlicher Weise für Schlangen und die stilisierten Delfine aus der antiken Tradition, und wie Schlangenhenkel

261 Günter Reinheckel: Prachvolle Service aus Meißner Porzellan. Leipzig 1989, S. 88. Danach auch das Folgende. Zu grafischen Vorbildern s. Peter Mediger: Zur Entstehungsgeschichte des Schwanenservices. In: Keramikfreunde der Schweiz. Mitteilungsblatt 78 (1969), S. 8-9. 262 Earl of Ilchester: A notable Service of Meißen Porcelain. In: Burlington Magazin 55 (1929), S. 188-190. 263 Der größte Teil der Stücke wurde zerstört, als 1945 sowjetische Soldaten den Keller des Schlosses Pförten (heute Brody) aufsprengten, in dem das Service verwahrt lag. Reste und Mehrfachexemplare gehören zu unterschiedlichen Sammlungen.

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so verwendete man in Meißen seit ungefähr 1790 auch Schwanenhenkel, die so gestaltet waren, dass der Schwanenhals den Henkel bildetet und oben mit dem Schnabel, der das Gefäß berührte, abschloss. Wenn der englische Gesandte die verkleinerte Nachbildung eines Brunnens bestaunte, so deutet das die Zusammenhänge zwischen der Großplastik und Kaendlers Modellierungen in Porzellan an. Weitere Anregungen zog dieser aus Vorlagebüchern und Mustertafeln. Dem wäre freilich noch näher nachzugehen. Schwanengiebelzieren Gegen Ende des 18. Jahrhunderts erfreute sich das Dekor geschlungener Schwanenhälse einer großen Beliebtheit, was an Möbeln wie Musterbüchern zu erkennen ist. Zeichen von Schwänen, die einander den Rücken zuwenden, wobei sie sich an ein verbindendes Element (eine Lyra?) lehnen, verliehen, auf die Dächer gesetzt, manchen Häusern in Westfriesland besonderes Ansehen.264 Aus derselben Zeit stammen die ältesten Schwanengiebel in der Elbmarsch zwischen Hamburg und Stade: dem Alten Land.265 Dort hatten sich neben den gewöhnlichen Giebelpfählen und gekreuzten Pferdeköpfen schwanengestaltige Verlängerungen der Windfedern herausgebildet, paarig angeordnete Vögel an einer Blume, die sich von Meile zu Meile der Marsch im Grad der Abstraktion unterscheiden. Früher hatte man diese Giebelformen gerne auf alte Stammeseigentümlichkeiten zurückführen wollen, was heute freilich nur noch wissenschaftshistorisches Interesse beanspruchen kann. Gleichwohl bleiben die Giebelzieren des Alten Landes bemerkenswerte Beispiele repräsentativer Volkskunst. Schwanenromantik In der Romantik erscheinen Schwäne wieder auf bedeutenden Werken der Malerei. Philipp Otto Runge gestaltete in einer großen aquarellierten Zeichnung „Arions Meerfahrt“266, das gleichen Thema also wie Guibal in seiner Gartenplastik.

264 H. Halbertsma: Zwanenjachten en Zwanenteken in Friesland. In: Nieuws-bulletin van de Nederlands Oudheidkundige 9 (1956), Sp. 93-106. 265 Brage Bei der Wieden: Die Schwanengiebel des Alten Landes im wissenschaftlichen Paradigmenwechsel (1860-1960). In: Stader Jahrbuch 2005/2006 (Festschrift zum 150-jährigen Jubiläum des Stader Geschichts- und Heimatvereins), S. 535-552. 266 Kunsthalle Hamburg (1809). Vgl. Jörg Traeger: Philipp Otto Runge oder Die Geburt einer neuen Kunst. München 1977, S. 144-148, vgl. ferner Runges Schwanenzeichnung aus demselben Jahr (S. 54).

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Die Szene taucht aber in eine ganz andere Stimmung ein. Der Vollmond bescheint ein friedliches Meer; seine Lichtbahn kreuzt ein Delfin, auf welchem, die Zither in der Hand, Arion reitet. Vier Schwäne umgeben Defin und Sänger. Im Vordergrund schwimmen zwei aus übergroßen Mohnpflanzen gebildete Inseln, die je zwei Schwäne ziehen. Sie dienen musizierenden Knaben als Sitz. Die Schwäne lösen das Starre der streng symmetrischen Komposition. Sie deuten einen Zug nach links an, ohne die Harmonie der nächtlich-zauberischen Stimmung zu stören. Runges Zeichnung hätte, wenn sie bekannter geworden wäre, einen Brückenpfosten zwischen Rokoko und Jugendstil bilden können; so aber verband sich lange die Vorstellung von romantischen Schwanendarstellungen in erster Linie mit Caspar David Friedrich und seinen Epigonen. Friedrich malte vier oder fünf Mal ein Schwanenpaar im Schilf. Das früheste und bekannteste Beispiel hängt im Goethemuseum in Frankfurt am Main (1819/20). Es zeigt einen tiefen Horizont, den fast ganz düster aufragendes Schilf einnimmt, lediglich in der Bildmitte öffnet sich eine Lücke, durch die, leicht nach links oben versetzt, eine dünne Mondsichel schwaches Licht ausstrahlt. Im Vordergrund wenden sich zwei Höckerschwäne einander zu. Eine weniger geheimnisvolle und gedrückte Stimmung vermittelt das letzte Bild dieser Art, ein stärker symmetrisches Schwanenpaar, auch im dunklen Schilf verborgen, aber vor einem Sonnenaufgang (um 1832).267 Mit der Romantik erscheinen Schwäne, die sich einander zuneigen, als Repräsentanten von Liebespaare. Runge, Friedrich und Beispielen aus der Gebrauchsgrafik lässt sich ferner ein Blatt des englischen Dichters, Zeichners und Visionärs William Blake von ungefähr 1795 anfügen, auf welchem er dieser Komposition perspektivisch Tiefe verleiht.268 Im Allgäu, am Alpenrand, ließ Kronprinz Maximilian von Bayern eine verfallene Burgstätte der Herren von Schwangau 1832-1836 im Geist der Romantik rekonstruieren: das Schloss Hohenschwangau.269 Mit diesem Bau begann die

267 St. Petersburg, Eremitage. Vgl. Helmut Börsch-Supan, Karl Wilhelm Jähnig: Caspar David Friedrich. Gemälde. Druckgraphik und bildmäßige Zeichnungen. München 1973, S. 360f., 376, 431, 453, 481. Von Friedrich abhängig ist Carl Gustav Carus mit seiner Allegorie auf Goethes Tod. 268 Two Swans (Federzeichnung: Rosenbach Museum, Philadelphia). Vgl. Martin Butlin: The Paintings and Drawings of William Blake. Text. New Haven 1981, S. 252; Plates, Nr. 425. 269 Auf den Namen wurde wenig rekurriert, auch das Schwanenwappen der Herren von Schwangau erscheint zunächst nur beiläufig. Vgl. Joseph Frhr. von Hormayr-

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zweite Phase der romantischen Schlossschöpfungen, zu denen auch die nah verwandte Burg Stolzenfels am Rhein (1836-1842/45), Lichtenstein bei Reutlingen (nach Hauffs gleichnamigem Roman, 1840-1841), die Restaurierung und Ausmalung der Wartburg (seit 1847), Pierrefonds bei Compiègne (1848-1870), die Burg Hohenzollern (1850-1867) und die welfische Marienburg (1858-1867) zählen. Die Ausmalungen der Säle sind der Geschichte und der Sage gewidmet; dabei wirkten Künstler wie Moritz von Schwind und Dominik Quaglio mit. Die Wände des Speisesaals schmücken, von Christian Ruben entworfen und Michael Neher bzw. Lorenz Qualgio 1835 ausgeführt, Szenen aus der Schwanenrittersage mit Erläuterungen. Auf der Längsseite erscheint z. B. in bewegt historisierender Darstellung der Abschied des Schwanritters: „Des Schwan Ritters Abschied vom Königshaus/ und Fahrt auf dem Rhein mit dem Schwan-Schiff“. Der Ritter in Goldrüstung weist mit der rechten Hand auf den Schwan, der an einer goldenen Kette den Nachen heranbringt. Der Blick öffnet sich über den mehr metaphorisch als ornithologisch gefassten Schwan hinweg auf das Wasser, die im Hintergrund verschwimmenden Berge und die Wolken. Die ledernen Sitzflächen und Lehnen der Stühle zeigen heraldische Schwäne und auch sonst findet sich manches Ausstattungsstück in Schwanengestalt. Maximilians Sohn, König Ludwig II., empfing in Hohenschwangau 1865 den von ihm hochverehrten Komponisten Richard Wagner. Am Tag nach Wagners Abreise, am 21. November, ließ Ludwig auf dem Alpsee vor dem Schloss Lohengrins Ankunft inszenieren. Ein künstlicher Schwan zog den Kahn mit dem Ritter, den der Flügeladjutant Paul von Thurn und Taxis darstellte, über das Wasser. Elektrisches Licht leuchtete die Szene aus. Am folgenden Tag befahl der König, das Schauspiel zu wiederholen.270 Eine Übersteigerung erfuhr der romantische Burgenbau durch das Schloss, das eben dieser König, Ludwig II. von Bayern, in Sichtweite von Hohenschwangau errichten ließ: sein Munsalvaesche, das neue Hohenschwangau, das nach seinem Tod den Namen „Neuschwanstein“ erhielt.271 Die Bauzeit währte

Hortenburg: Die goldene Chronik von Hohenschwangau der Burg der Welfen, der Hohenstauffen und der Scheyren. München 1842. 270 Ludwig Hüttl: König Ludwig II. In: Schwangau. Dorf der Königsschlösser. Hrsg. von Wilhelm Liebhart. Sigmaringen 1996, S. 287-319, hier S. 296. 271 Vgl. Michael Petzet: Die Gralswelt König Ludwigs II.: Neuschwanstein als Gralsburg und die Idee des Gralstempels. In: Der Gral. Artusromantik in der Kunst des 19. Jahrhunderts. Hrsg. von Reinhold Baumstark und Michael Koch. Katalog zur Ausstellung des Bayerischen Nationalmuseums. München 1995, S. 63-86.

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von 1869 bis zu Ludwigs Tod 1886, zu welchem Zeitpunkt aber erst ein Teil der Räume ausgestaltet worden war und das zweite Geschoss gar nicht. Der Schwan erscheint als Leitmotiv an vielen Stellen. Das überaus prachtvolle Schlafzimmer, im Farbton dunkler Eiche und bayrisch Blau gehalten, verziert mit Schnitzereien von überbordendem Reichtum, schmücken textile Wappenschwäne ebenso wie Bronzeplastiken auf dem Aufsatz des Waschschranks und ein silbernes Gießgefäß in Schwanengestalt. Im Wohnzimmer ist eine kleinere Sitzecke abgeteilt, das sog. Schwaneneck. Die Wandgemälde (von August von Heckel und Wilhelm Hauschild) stellen Szenen der Lohengrin-Sage dar, des mittelalterlichen Stoffes, nicht der Wagner-Oper. Im große Festsaal endet die Umsetzung der spätromantischen Erfindungen mit Parzivalmotiven, und der Betrachter blickt abschließend in einen wilden Wald: das Bühnenbild „Klingsors Zaubergarten“ von Christian Jank.272 Einen weniger mystischen Blickfang bilden die großen Majolika-Schwäne von Villeroy und Boch, die, Luftbefeuchter und Blumenbehälter, mit kämpferisch gebogenem Kopf, doch dabei gesammelt, einen sehr schönen Effekt machen. In Neuschwanstein wird der Vogel Logo, Sammlungsmerkmal und Medium der Transzendierung. Die ganze Burganlage scheint eine Verheißung aussprechen zu wollen, ohne konkret werden zu können. Die Darstellung der Schwäne orientiert sich an den unterschiedlichsten Vorbildern: dem Wappen der Herren von Schwangau, barocker Plastik, romantischer Malerei und naturalistischen Schöpfungen des späten 19. Jahrhunderts. Symbolismus und Jugendstil Während in der Romantik Schwanendarstellungen Empfindungen der Betrachter spiegeln sollten, erfuhren sie zwei Generationen später, im Symbolismus, wieder eine starke mythische Aufladung. Für Gustave Moreau waren Schwäne Emanationen oder Abbilder der Musen. Auf einem Bild „Hesiod und die Musen“, ab 1858 gemalt, wird Hesiod, der Dichter und besondere Liebling der Musen von diesen eingerahmt; die Eckpunkte eines zweiten Rahmens, der auch einen Pegasus en face einschließt, bilden lebhaft bewegte Schwäne. „Die Schwäne tummeln sich verliebt ...“, so der Maler selbst. Moreau malte gleichfalls eine Leda in allegorischer Verklärung (um 1875). Die Jungfrau ruht und zeigt träumend ihr Profil. Dahinter steht vor einem strahlenden Stern der Schwan. Zwei Genien tragen schwebend ein Diadem heran, um

272 Ebd.

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die Schlafende zu krönen. „Den Kopf auf das Haupt der erwählten Frau gelegt,“ beschreibt Moreau, „lässt der Schwanenkönig in seiner souveränen Haltung sein Weiß und seine Göttlichkeit in ihr Fleisch werden. Sie hält in dieser göttlichen Verzauberung aufmerksam, ihrem Traum hingegeben, reglos still. Dies ist der erlauchte Schlummer, der den Verklärungen vorausgeht.“ Es handele sich um eine „Verherrlichung der ewigen Schönheit“.273 Ganz andere Assoziationen erweckte, obwohl auch er mythologische Motive verwendete, Arnold Böcklin. Auf seinem Gemälde „Die Lebensinsel“ von 1888 ziehen paarweise oder allein Seekentauren und Nereïden um die Insel, begleitet von Schwänen in gleicher Anzahl; ein einzelner Schwan beschließt den Zug. Eine der Nereïden fasst den ihr zugeordneten Schwan um den Hals. Die bekannteren „Toteninseln“ desselben Künstlers liegen hingegen ungestört im Wasser, das keine Lebewesen aufwühlen.274 Hans Thoma lässt auf seinem Selbstbildnis in Dürer-Manier (1880) im Hintergrund den Styx erkennen, über welchen Charon die Seelen ins Totenreich schifft. Neben dem Kahn schwimmen zwei Schwäne. Gewissermaßen eine Inversion dieser Komposition bietet das Gemälde „Der Schwan“ von 1883.275 Im Vordergrund gleitet auf einer glatten Wasserfläche eine Schwan dahin, während hinten, am Ufer, ein dunkler Reiter in die entgegen gesetzte Richtung reitet. Ein Gemälde des englischen Präraffaelisten und Illustrators Walter Crane zeigt „Swans Maidens“ (1894) in einer Spiralbewegung unterschiedlicher Stadien eines Bades. Die erste streift gerade das Schwanengewand ab, die zweite sitzt am Ufer des Teiches, die dritte schwimmt im Wasser, die vierte ruht nach dem Bade am Ufer, die fünfte schwingt sich empor, die sechst fliegt aufwärts, die siebente blickt aus der Luft auf die Szene zurück. Das Ganze ist in Weiß-Gelb, Blau und Grün gehalten. Nackte Menschenleiber und weiße Schwäne wirkte der Belgier Léon Frédéric in seinem Gemälde „Le lac, l’eau dormante“ (1897/98) in einander: Auf

273 Pierre-Louis Mathieu: Gustave Moreau. Leben und Werk mit Œuvre-Katalog. Stuttgart 1976, S. 103f., 108, 121, 125. Beide Bilder verwahrt das Gustave-MoreauMuseum in Paris. 274 Arnold Böcklin. Red. Bernd Wolfgang Lindemann u. Katharina Schmidt. Heidelberg 2001, S. 294. 275 Thoma. Des Meisters Gemälde in 874 Abbildungen. Hrsg. von Henry Thode. Stuttgart 1909; Hans Thoma 1839-1924. Gemälde und Zeichnungen aus der Sammlung Georg Schäfer Schweinfurt. Schweinfurt 1989/90, S. 73 (Selbstbildnis).

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der Oberfläche eines Gebirgssees, aus dem Nebel aufsteigen, bewegen sich zwei Dutzend Schwäne durch angehäuft treibende, schlummernde Kinder.276 Der Russe Michail Wrubel malte 1900 ein Bild „Die Schwanenprinzessin“ oder „Die Schwanenkönigin“. Eine schwarzhaarige Schöne mit einem fantastischen, kristallartigen Diadem blickt, den Kopf über die linke Schulter zurückwendend, zum Betrachter. Drei Viertel der Leinwand nimmt ihr weißes Schwanenkleid oder -gefieder ein.277 Als Gegenentwurf wenigstens erwähnt sei Anna Anchers „Mädchen, einen Schwan rupfend“ (1900), ein eher demythologisierend-naturalistisches Thema, das sie aber nach Art der Leidener Feinmaler in fein abgestimmter Farbharmonie behandelt, wobei sie den großen toten Singschwan dem Betrachter als Projektionsfläche anbietet. Die Skagen-Malerin wird gewöhnlich dem Impressionismus zugerechnet.278 Die Bildthemen wie die Darstellungsweisen fächern sich also weit aus und leiten über in den Jugendstil, der eine Stilisierung, Reduktion der Farben und der Linien bedeutet. Wenn der Schwan als „Emblem des Symbolismus“ bezeichnet worden ist,279 so sind Äußerungen, die ihn mit dem Jugendstil in Verbindung bringen, noch weit häufiger. „Liebstes Tiersymbol des Jugendstils“ sei der Schwan, meinte – als einer von vielen – der Kunsthistoriker Hans H. Hofstätter.280 Zur Begründung werden aber in der Regel nicht Bilder, sondern Bedeutungsverbalisierungen, Gedichtzeilen, herangezogen. Tatsächlich lassen sich zahlreiche Schwäne und Schwanenornamente in der Jugendstilgrafik finden. Sie beeindrucken allerdings mehr durch ihre Menge, die dekorative Wirkung namentlich der Holzschnitte zur Illustration von Büchern und Zeitschriften, die Popularisierung in der kunstgewerblichen Verwendung mithin, als durch die Inkarnation einer Idee in einem maßgebenden Kunstwerk. Walter Cranes bekanntes Tapetenfries „Swan, Rush and Iris“ (1875) wies die Richtung. Um 1900 waren der Schweizer Félix Valotton, der Hamburger Otto Eckmann, beide Jahrgang 1865, und der sieben Jahre jüngere und früh verstorbene Engländer Aubrey Beardsley die wichtigsten Meister grafischer Schwäne. Valottons Holzschnitte betonen mehr den Farbkontrast zwischen Schwarz und Weiß, Eckmann beschäftigt sich stärker mit der Variation der Linien; beide je-

276 Brüssel, Königliches Museum der Schönen Künste. 277 Moskau, Trejakow-Galerie. 278 Skagen Museum. 279 Jakob, S. 330. 280 Hans H. Hofstätter: Symbolismus und die Kunst der Jahrhundertwende. Köln 1978, S. 207.

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doch stilisieren auf dem Wasser schwimmende Schwäne zu Kunstmetaphern. Nach einem Entwurf Eckmanns von 1896/97 entstand der „Schwanenteppich“, auf dem fünf Schwäne einen schmalen Bachlauf hinabschwimmen. Von diesem immer wieder abgebildeten textilen Wandbehang wurden etwa hundert Exemplare gewebt. Er gilt als „Ikone des Jugendstils“ und erfreut sich, wie die auf Auktionen erzielten Preise beweisen, anhaltender Beliebtheit. Beardsleys ganz auf die geschwungene Linie konzentrierte, häufig erotische, zuweilen satirische Kunst zeigt nicht selten Schwäne. 1906 wurde seine Illustration zu Juvenals VI. Satire „Bathyllus in the Swan dance“ publiziert. Beardsley zeichnet den sich windenden, die Pantomine „Leda“ tanzenden Bathyllus als nackten Schönling mit schwarzen Locken, die über den Rücken hinfallen. Kokett wendet dieser sich von dem aus einem Kreis entwickelten kleinen Schwan ab, dessen Angriff auf den Genitalbereich er mit seinen Händen abwehren will. Der Schwan ist nur Requisit – aber seine Darstellung perfekt. Als charakteristisches Gemälde kann Émile Bernards „Brunnen“ von 1895 angesehen werden: In einem barocken Park wenden sich zwei höfische Damen rückblickend zwei auf sie zuschwimmenden Schwänen zu, in den hinteren Bildecken stehen zwei Statuen; zwischen der linken Statue und den Schwänen erhebt sich ein Brunnen aus dem Wasser und lässt den Wasserschwall einer Fontäne herunter fallen.281 Eine manirierte Komposition, aus dessen Mitte die weißen Schwäne leuchten. Werbegrafik Die Kunst des Jugendstils fließt unmittelbar in die Werbegrafik ein.282 Die neuen Flachdruckverfahren – Lithografie und Lichtdruck – erlaubten eine fast unbegrenzte Verbreitung einmal gefundener Formen. Außerdem entsprachen die Stilisierungen des Jugendstils den Anforderungen der Werbung, die einfache, wiedererkennbare und skalierbare Markenzeichen brauchte, die gleichzeitig eine ästhetische Wirkung ausübten. Die Registerauskunft des Deutschen Patent- und Markenamtes wies 2010 für die Kategorie 03.07.06 (Enten, Gänse, Schwäne) der 1973 eingeführten „Wiener Klassifikation“ 831 Treffer nach. Ein gutes Viertel davon entfiel auf Schwäne (etwas mehr auf Gänse, ein Drittel auf Enten, zu wel-

281 Folkwang-Museum Essen. Vgl. www.bildindex.de. 282 Vgl. Sylvia Meffert: Werbung und Kunst: über ihre phasenweise Konvergenz in Deutschland von 1895 bis zur Gegenwart. Wiesbaden 2001.

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chen alle Ableitungen von Comic-Enten rechneten; der Rest verteilte sich auf Pelikane, Kormorane, Taucher und nicht definierbare Arten).283 Grundsätzlich erscheinen Schwäne als Bildmarken einer Vielzahl von Branchen. Eine gewisse Häufung ergeben sich in den Bereichen Reinigungen/Reinigungsmittel, Brauereien und hochwertiges Dekor. Die Gestaltung wirkt in aller Regel relativ uniform: Die Silhouette eines schwimmenden, nach links gewandten Schwans herrscht vor, die sich nur nach dem Grad der Stilisierung unterscheidet. Das bekannteste Beispiel bietet die Blei- und Farbstiftfirma Schwan-Stabilo. 1865 hatte der Handlungsgehilfe Gustav Adam Schwanhäußer (sein Vater hatte in Schweinfurt den Gasthof „Zum goldenen Schwan“ betrieben) die überschuldete Nürnberger Bleistiftfabrik Großberger & Kurz erworben, deren Geschäfte er als „Schwan Bleistiftfabrik“ erfolgreich ausweiten konnte. Durch verschiedene Innovationen – Kopierstifte, Schminkstifte, Textmarker – gelang der Aufstieg zu einem weltweit agierenden Unternehmen. Seit 1976 heißt die Firma „SchwanStabilo“.284 Gegen 1875 warb die Fabrik mit einem zunächst sehr naturalistisch gezeichneten Schwan, der 1895 als Markenzeichen eingetragen wurde. Eine stärkere Stilisierung erfuhr das Tier in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts. In einem aufgerichteten schwarzen Quadrat erschien der nach links schwimmende weiße Schwan seit 1928 als eingetragene Bildmarke auf Bleistiften. Das Design veränderte sich nachher nur wenig: Zwischen 1950 und 1960 rückte der Schwan in einen von einem Achteck umschlossenen Kreis statt des Quadrates, auch verschwand die vorher angedeutete Wasserlinie. Die Umrisslinie, die Schnabel und Auge separiert, stammt von 1980. Über die Grafiker und Motivierungen der Bildmarke ließ sich nichts in Erfahrungen bringen;285 sicher ist allein, dass der Schwan vom Familiennamen der Unternehmerfamilie abgeleitet wurde. Ob ein früheres Wirtshausschild die Inspiration zur Schwanenmarke abgab, eine Traditionslinie also von vormodernen Werbemaßnahmen zum aktuellen Marketing zu ziehen wäre, kann nur gemutmaßt werden. Nicht durchsetzen konnte sich hingegen die intensiv beworbene Spitzenmagarine „Schwan im Blauband“, die Van den Bergh 1924 einführte. Das Mar-

283 http://register.dpma.de/DPMAregister/marke/uebersicht (21.10.2010). 284 Zur Firmengeschichte: 150 years of Schwan-Stabilo. Eine Unternehmensgeschichte im Zeichen des Schwans. Redaktion Mechthild Hempe. Heroldsberg [2005]. 285 Vgl. auch Paul Ibou: Famous animal symbols. A marvelous designbook with symbols and trademarks of international companies, designed by leading artists and graphic designers. Volume 2. Zandhoven 1982, Nr. 275.

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kenzeichen – ein flügelschlagender weißer Schwan im schwarzen Kreis auf bewegtem Wasser – zielte wie die ganze Werbung darauf, Magarine als hochwertige und moderne Butteralternative zu präsentieren. Nach dem Zusammenschluss der Magarinehersteller Van den Bergh und Jurgens & Prinzen zur Union Deutsche Lebensmittelwerke 1929 konzentrierte man sich auf die gemeinsam Premiummarke „Rama im Blauband“, für die mit dem Slogan „doppelt so gut“ geworben wurde. Wenn also der Schwan in der Magarinewerbung nicht überlebte, so verdient es doch Beachtung, dass das Motiv in die Kunst einging. Auf einem Gemälde Gustav Wunderwalds, eines Berliner Malers der Neuen Sachlichkeit, von 1927 sieht man zwei Hochhausklötze großflächig mit Werbeplakaten beklebt. Die Hauptwandfläche nimmt diese Reklame ein: auf unregelmäßigem dunklen Hintergrund (der das Unheimliche des Bildes verstärkt) ein Magarinepaket mit dem Schwanensiegel, der Textmarke „Schwan im Blauband“ und der Unterschrift „frisch gekirnt“.286 Gegenwärtig macht besonders der Schmuckproduzent Swarovski mit einem Schwanenlogo auf sich aufmerksam. Das Unternehmen, das seit 1895 in Wattens/Tirol den Schliff und die Erscheinung von Kristallen perfektioniert, wählte den Schwan 1989 zum Symbol. Das bis dahin verwendete Edelweiß war in vielen Gegenden der Welt nicht bekannt, manche Australier hielten es für einen Seestern. Das „schönste und edelste Tier der Tierwelt“, heißt es, stehe für die Schönheit der Swarovski-Produkte.287 Der Swarovski-Schwan konzentriert die Vogelgestalt auf den gebogenen Hals und einen aufgerichteten Flügel, dessen Federn als parallele Striche schräg aufsteigen. In einer aktuellen Unternehmensmitteilung heißt es: „Das weltbekannte Swarovski Logo, der Schwan, versinnbildlicht Eleganz, Anmut, Reinheit, Erhabenheit und Wandelbarkeit. Der Schwan spiegelt so die ästhetischen und symbolischen Qualitäten des Kristalls wider. Schwan und Kristall vereint die Fähigkeit, sich ständig in neuer Form zu präsentieren, um so ihr Umfeld immer wieder zu erfreuen.“288 Eine Fortentwicklung von Nathalie Colin-Roblique, Creative Director bei Swarovski, interpretierte den Schwan 2008 für die WortBildmarke „Swanflower TM“: zwei Schwäne seitenverkehrt gespiegelt, so dass die Form einer Blüte oder eines Schmetterlings entsteht.

286 Birgit Pelzer, Reinhold Reith: Magarine. Die Karriere der Kunstbutter. Berlin 2001, S. 64, 68, 73. 287 Stephanie Bonsack: Historische Werbequellen in der Luxuswelt – das Beispiel Swarovski. In: Archiv und Wirtschaft 46 (2013, 4), S. 182-186. 288 Diese Informationen verdanke ich der der Abteilung Corporate Branding and Communication bei Swarovski.

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Einen Versuch, Kunst und Werbung zusammen zu führen, unternahm 1990 der Documenta-Macher Jan Hoet. Für die weltgrößte Schau der Gegenwartskunst ließ er dieses Logo entwickeln: einen angreifenden schwarzen Schwan mit gestrecktem Hals, den eine angedeutete Wasserlinie von seinem Spiegelbild trennt: dem Umriss eines erhaben dahin gleitenden weißen Schwans. Darüber die Beschriftung: DOCUMENTA IX, darunter Ort und Zeit: Kassel 13.6.-20.9.’92. Die Geschichte dazu: Als der Chef und seine Helfer in ihrer Diskussion über das Logo feststeckten, in einem Restaurant in Kassel, landete vor ihren Augen ein Schwan auf der Fulda. Das Tier mit dem gestreckten Hals und den schlagenden Flügeln brachte die Inspiration für ein Schwanenlogo.289 Die Ausdeutung erging sich im Spiel der Gegensätze: „Stille und Bewegung, Weiblichkeit und Männlichkeit, das Gute und das Böse“. Oder: „Die Polarität der Welt und der Kunst ist in diesem Logo zusammengefasst ...“ Mit einiger Berechtigung kann man die Beliebigkeit kritisieren, die daraus resultiert, einen möglichst großen Nenner zu finden. Vom „Tod des Symbols im Logo“ war die Rede.290 Und als Kunstwerk hat das Logo der Kunstausstellung niemand bezeichnet. Dennoch hat sich kein Documenta-Signet dem kollektiven Bewusstsein tiefer eingeprägt als dieses. Kitsch Wie die Massenwerbung hat auch der Kitsch seine Ursprünge in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Kitsch hat mit Klischee zu tun: der unendlichen Reproduktion gängiger Vorstellungen. Der Wettbewerb um Aufmerksamkeit bewirkte eine Übersteigerung und eine Akkumulation von Reizen, von denen einer genügt hätte, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Sentimentaler Kitsch stellt „keinerlei geistige Anforderungen an den Beschauer“, um von ihm mühelos aufgenommen werden zu können. „Das Mittel dazu ist, mit Vorstellungen zu arbeiten, die allen geläufig sind.“291 In diese Kategorie gehören die lebensgroß naturalistisch gestalteten Schwäne der amerikanischen Keramikerin Helen Boehm: die Schwänin, die sich zärtlich ihren Küken zuwendet, und der mit drohender Gebärde das Nest verteidigende Schwan aus Porzellan, um sie herum bunt blühende Seerosen. Als „Birds of

289 Hessisch-Niedersächsische Allgemeine, 13.6.1992: www.dirkschwarze.net/2010/04/ 19/lieber-schwan/ (2.12.2010). 290 Maria Porrmann: Cygne, Signe, Signet. Der Schwan – vom Symbol zum Warenzeichen. In: Kunstforum International 119 (1992), S. 94-99. 291 Johannes Jahn: Wörterbuch der Kunst. Elfte Auflage Stuttgart 1989, S. 429.

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peace“ wurde diese Gruppe vertrieben. Der amerikanische Präsident schenkte eine solche Schwanenfamilie auf seiner historischen Chinareise im Jahre 1972 dem Vorsitzenden der kommunistischen Partei und mächtigen Mann Chinas. Mao Tse-Tung soll, zu einem Begleiter gewandt, geäußert haben: „Warum bringt der Präsident mir ausgestopfte Schwäne mit?“292 Was die BoehmWerbung als Beweis für die gelungene Imitation anführt, zeigt auch, dass sich die überladene Symbolik in China auf keine „geläufigen Vorstellungen“ beziehen konnte. Ein gleiches Schwanenpaar mit Jungen verehrte die Erzdiözese New York 1976 Papst Paul VI.; es wird heute in den Vatikanischen Museen ausgestellt. Schwanenkitsch mündet in Prinzessinnen- und Hochzeits-Blüten-Träume. Das alte Hoheitssymbol, dessen makellose Weiße einen distinguierten Effekt hat, findet sich häufig auf Hochzeitstorten aus Buttercreme und Fondant, die statt des gewöhnlicheren Brautpaares ein Schwanenpaar krönt. Ein mustergültiges Beispiel bietet auch das Kleinmädchen-Heft „Prinzessin Lillifee“, kreiiert, um mit billigen Effekten den Kindern das Geld ihrer Eltern aus der Tasche zu ziehen. Wir lesen: „Zauberhafte Schwäne. Prinzessin Lillifee ist mit dem Schwanen-Königspaar am See verabredet. Sie bringen ihr den Tanz [!] der Schwäne bei.“ Wir sehen: weiß gerahmt einen blauen See, worauf zwei Höckerschwäne montiert sind, die in strenger Symmetrie Kopf und Kopf und Brust und Brust gegeneinander lehnen, so dass die Hälse ein Herz bilden. Ein Bogen von blühenden rosa Heckenrosen überwölbt diese Komposition.293

4. L ITERATUR Die Tradition antiker Topoi und Motive Eine Ablösung der Dichtung von der Mythologie zeigte sich schon bei Ovid, völlig aber bei Horaz (s. S. 157). – Unter den antiken Fabeln finden sich nur wenige, die Schwäne und deren Eigenschaften zum Gegenstand haben. Die Milane versuchten, zuerst den Gesang der Schwäne zu imitieren und nachher wie Pferde zu wiehern, und der Rabe wollte sein Gefieder so hell waschen, dass schwanenweiß glänzte. Ein Mann wollte einen Schwan anlässlich eines Festmahles singen lassen; der Schwan aber schwieg. Erst als er später seinen Tod nahen sah, hub er

292 People, 7.12.1981: http://www.people.com/people/archive/article/0,,20080871,00. html (23.7.2011). 293 Prinzessin Lillifee. Dein zauberhaftes Magazin 7 (2010), S. 14.

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zu singen an. Da sagte der Mann: „Da du nur im Sterben singst, war es dumm von mir, dich zum Singen aufzufordern. Besser wäre es gewesen, dich zu schlachten.“ Und schließlich die einzige der antiken Schwanenfabeln, die in der Neuzeit wieder aufgegriffen worden ist: Ein reicher Mann hielt eine Gans, die er verspeisen wollte, und einen Schwan des Gesanges wegen. Als er daran ging, die Gans zu schlachten, war es dunkel und nicht möglich, die Vögel zu unterscheiden. Versehentlich fasste er nach dem Schwan. Der fing zu singen an und rettete mit seinem Sterbelied sein Leben. Die Moral: Oftmals kann Musik helfen, den Tod aufzuschieben.294 Seit dem hohen Mittelalter erscheinen Schwäne als Wahrzeichen in genealogisch-fiktionaler Literatur: ein Einfluss mythologischer Elemente, die Schwäne als weiß und numinose Begleiter kennzeichneten. Darüber ist S. 130ff. gehandelt worden. Sonst dient in der fiktionalen Literatur des Mittelalters der Schwan meistens nur zum Vergleich: „Weiz alsam ein swân“ liest man häufiger mit Bezug auf Stoffe, Pferden, glänzende Rüstungen oder Wappendarstellungen. „Ich tuon sam der swan, der singet, swenne er stirbet“, heißt es zuweilen im Minnesang. Im „Herzog Ernst“, dem Versroman eines rheinischen Dichters von ca. 1180, verwickelt der Held sich in Kämpfe mit Kranichleuten, deren Hals und Haupt wie bei Schwänen gestaltet waren. Ein anderes Fabelvolk hatte schwanenartig breite Füße.295 Der Frühumanismus verband dann antike Motive mit theologischer Allegorese: Francesco Petrarca feilte an seinem Canzoniere beinah sein ganzes Leben. Den letzten Grad der Perfektion erreichte er 1374. In der ersten Kanzone der Sammlung berichtet der Dichter, wie Amor und eine mächtige Herrin Gewalt über ihn erlangten und seine Verwandlungen in einen Lorbeerbaum, einen Schwan, einen Fels, eine Quelle, ein Echo und schließlich einen Hirsch bewirkten, den noch immer die Hunde jagen. Über die Verwandlung in einen Schwan heißt es: Bald, zu nicht minderm Schrecken, Sah ich mit weißen Federn mich umzogen,

294 Antike Fabeln. Griechische Anfänge, Äsop, Fabeln in römischer Literatur, Phaedrus, Babrios, Romulus, Avian, Ignatios Diakonos. Hrsg. von Johannes Irmscher. 3. Aufl. Berlin 1991, Nr. 247, 256, 277; Aesop’s Fables, translated by Laura Gibbs, Nr. 49 (bei Irmscher richtiger: Kraniche), 284, 303, 335, 506: http:/mythfolklore. net/aesopica/oxford.htm (5.10.2010). 295 Vgl. Batereau, S. 53-54.

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Als meine Hoffnung, wie vom Blitz erschlagen, Dahinsank, weil zu hoch sie sich geschwungen. Denn ich, unwissend, wo und wann sie wieder Zu finden, wankte weinend auf und nieder Bei Tag und Nacht, wo sie mir ward entrungen, Um sie im Strom, am Ufer zu erfragen; Und nie vergaß mein Mund seitdem, zu klagen, So lang’ er konnte, was ich ach! verloren. Drum ward mir Schwanes Farb’ und Stimm’ (col suon color d’ un cigno) erkoren.296

Inspiriert hatten den Dichter die Verwandlungen Unglücklicher in Ovids Metamorphosen. Die Schwanenverwandlung findet sich in der Kyknos-Episode II, 343-370 vorgebildet: Phaetons Ende und die Baumwerdung seiner Schwestern ließen Kyknos verzweifeln. Die grünen Gestade des Eridanos erfüllten seine Klagen, als weißes Gefieder sein Haar zu bedecken und sein Hals sich in die Länge zu strecken begann. Als Schwan floh er das Feuer und suchte Flüsse, Seen und Teiche auf. Bei Petrarca erscheint der Schwan deutlicher noch als Trauernder, wodurch er den mythischen Sterbegesang umdeutete und ein neues Symbol kreierte: das des Trauerschwans. Ein Interpret nennt das larmoyant und meint, Petrarca zeichne den Schwan in ambivalent-negativer Färbung, als falschen: heuchlerischen Gestus. Späteren italienischen Dichtern sei es dadurch unmöglich geworden, sich und andere mit der gleichen Unbekümmertheit als Schwäne zu bezeichnen, wie es sonst bis in die Barockdichtung hinein ganz gewöhnlich blieb.297 In Frankreich, Deutschland und England erfreute sich die Schwanensymbolik hingegen anhaltend großer Beliebtheit. Die Renaissance machte die ganze antike Metaphorik wieder verfügbar, nicht zuletzt durch Kompendien wie die Adiagorum chiliades: die Tausenden von Sprichwörtern des Erasmus von Rotterdam (Paris 1500); Erasmus gibt darin Erläuterungen z. B. zum Ausdruck Cygnea Cantio (Schwanengesang) und zitiert aus einem eigenen Gedicht, das er auf den als Mäzen verehrten Erzbischof Wilhelm von Canterbury verfasst hatte:

296 Rerum vulgarium fragmenta, prima parte XXIII: Nel dolce tempo de la prima etade. Ausgabe: Francesco Petrarca: Canzoniere. Zweisprachige Auswahl (ItalienischDeutsch) aufgrund der Übertragung von Karl Förster … von Gerhard Ruge. 2. Aufl. Mainz 2001, S. 66/67f. 297 Jakob, S. 89-125.

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Vates videbis exoriri candidos Adeo canoros atque vocaleis, uti In alta fundant astra cygneum melos, Quod ipsa et aetas posterorum exaudiat.298

Das Adagium “Tunc canent cygni, cum tacebunt graculi“ (Dann werden die Schwäne singen, wenn die Krähen schweigen) findet sich ebenfalls in dieser Sammlung. Die klassischen Topoi ließen sich mit eigenen Erfahrungen verbinden: mit Schwänen auf der Themse wie bei Mellin de Saint-Gelais und in der englischen Flussdichtung. Bekannt ist das Hochzeitsgedicht (Prothalamion), das Edmund Spenser 1596 anlässlich der Doppelhochzeit verfasste, die der Earl von Worcester für seine Töchter ausrichtete. Das Lyrische Ich imaginiert Nymphen, die für die Hochzeit Blüten sammeln, und zwei Schwäne: With that, I saw two swans of goodly hue Come softly swimming down along the Lee; Two fairer birds I yet did never see; The snow which doth the top of Pindus strew, Did never whiter shew, Nor Jove himself, when he a swan would be, For love of Leda, whiter did appear; Yet Leda was (they say) as white as he, Yet not so white as these, nor nothing near; So purely white they were, That even the gentle stream, the which them bare, Seem'd foul to them, and bade his billows spare To wet their silken feathers, lest they might Soil their fair plumes with water not so fair, And mar their beauties bright, That shone as heaven's light, Against their bridal day, which was not long: Sweet Thames run softly, till I end my song.

298 „Erstehen werden Sänger, die so herrlich ziert/ Der Weisen Fülle und der Stimme Wohlklang, dass/ Empor bis zu den Sternen dringt ihr Schwanenlied,/ Und es mit Staunen auch die Nachwelt noch vernimmt.“ Erasmus von Rotterdam: Ausgewählte Schriften. Ausgabe in acht Bänden. Lateinisch und Deutsch. Siebenter Band. Übersetzt und eingeleitet von Theresia Payr. Darmstadt 1972, S. 378/379.

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Die beiden Schwäne schwimmen die Themse aufwärts, nach London. Sie deuten auf die jungfräulichen Bräute hin und das Ereignis der Vermählung. Der mythologische Vergleich mit Jupiter und der bleichen Leda wird in der folgenden Strophe gesteigert: Geschöpfe des Himmels seien die silbernen Schwäne, die das Gefährt der Venus ziehen, eher noch: Engel oder von englischer Abstammung, was die heidnische Metaphorik christlich auffängt. „Ye gentle birds, the world’s fair ornament,/ And Heaven’s glory“, heißt es im Lied der Nymphen. Nachher werden London und der Brautvater und die beiden Bräutigame gepriesen. Im Gedächtnis bleibt das reine Weiß: that shone as heavens light. Das kreative Spiel mit mythologischen Assoziationen und ihre Neudeutung beherrschte der Münchner Hofprediger aus der Gesellschaft Jesu, Jakob Balde, in so hohem Grade, dass Johann Gottfried Herder sich zu metrischen Übersetzungen animiert fühlte. 1643 dichtete Balde für Barthold Niehus (Nihusius), den er mit dem römischen Poeten Gaius Memmius vergleicht: wie ihm die Zither aus den Händen ins Wasser glitt – und Terpsichore wie eine Taube über den Strom hinstrich, um die Saiten zu küssen. Als Schwan hob sich das Instrument empor: Was ihr Hals gewesen, woran mit himmlischen Händen die Muse mir den Druck gezeigt, beugte zum Halse des Schwans Sich hinüber; das Haupt, das einst die Saiten befestigt, zum Schwanenhaupte wand es sich, ohne gespitzten Stolz. Weiche Feder umhüllten die Brust des göttlichen Kleinods; die Saiten waren Fittige. Also begann er ein Lied; Was die Cither gesungen, das sang ein blendender Schwan jetzt: „Europens Nestor, Memmius, lebe nestorische Zeit!”299

Baldes lateinische Lyrik wirkte auf den Dichterorden der Pegnitzschäfer ein. Eine Sprachgesellschaft, die den Schwan sogar im Namen führte, war der Elbschwanenorden, den Johann Rist, heute noch als Kirchenlieddichter berühmt

299 Silvae lyricae. München 1643, IX 28. Übertragung von Johann Gottfried Herder. Herder’s Werke. Dritter Theil. Hrsg. von Heinrich Düntzer. Berlin o. J., S. 130-132.

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(„O Ewigkeit, du Donnerwort, das mir meine Brust durchbohrt“), 1658 gründete.300 Sie setzte sich das „Aufnämen und die Fortpflanzung“ der deutschen Sprache und die Beförderung nützlicher Wissenschaften zum Ziel. Da sie vor allem gekrönte Dichter vereinte und die meisten Mitglieder im Raum Hamburg wohnten – Rist selbst versah das Pastorat in nahen Wedel, ergab sich der Name wie von selbst (außerdem führte Rist den Schwan bereits im eigenen Wappen).301 Eines der Mitglieder, der eifrige Lübecker Poet Konrad von Hövelen, publizierte 1666/67 eine Propaganda- und Rechtfertigungsschrift, „Deutscher Zimber Swan“, auf deren Titelblatt steht: Candore, virtute, honore. „Candor“ bezeichnet dabei nicht nur eine Farbe – glänzendes Weiß – sondern im übertragenden Sinne auch die Aufrichtigkeit. Hövelen erläuterte weiter: Der Schwan sei ein Zeichen der Treue, der Liebe, der Dichte-, Singe- und Spielkunst, der Weisheit, Wissenschaft, Beredsamkeit, Sanftmut, Verteidigung, Einigkeit; er bedeute einer Gesellschaft festes Verbündnis. Dieses und anderes zieht er aus der emblematischen Literatur und führt es weiter aus.302 Am Ordensband, das die Mitglieder trugen, hing als Ehrenzeichen ein güldenes Schwänlein. Mit dem Tod des Gründers Johann Rist (1667) oder bald danach ging der Elbschwanenorden ein. Sicher nicht zufällig lebte die Tradition der barocken Schwanendichtung gerade in Hamburg fort. Ausgestaltet zum Gottesbeweis malt großartig und in allen Aspekten der Hamburger Bürgermeister Barthold Hinrich Brockes einen Schwan ab, der in jedem Detail die Rationalität des Schöpfergeistes erkennen lässt: Der Schwan als Sinnbild der Schöpfung im Zeichen der Physiko-Theologie. Trotz der Länge des Textes lohnt sich der komplette Abdruck, weil das Wissen über Schwäne und ihre Wahrnehmung im Zeichen der theologisch bestimmten Frühaufklärung vollständig dargelegt werden.

300 L. Neubauer: Zur Geschichte des Elbschwanen-Ordens. In: Altpreußische Monatsschrift 47 (1910), S. 113-183; Christoph Stoll: Sprachgesellschaften im Deutschland des 17. Jahrhunderts. München 1973, S. 12, 153, 171; Eberhard Mannack: Hamburg und der Elbschwanenorden. In: Sprachgesellschaften, Sozietäten, Dichtergruppen. Hamburg 1978 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 7), S. 163-179. 301 Vgl. Johann Neukrantz: Auf den von dem Römischen Adeler selbst/ Edel gekröneten/ Elbe-Schwahn/ und dessen süesse und liebliche/ Schwahnen-Gesänge. In: Johann Rist: Neuer Teutscher Parnass ... Lüneburg 1652. ND Hildesheim 1978, S. 880-882. 302 Candorins Deutscher Zimber Swan ... Lübeck 1667: http://digital.lb-oldenburg. de/sb/ content/pageview/125865 (23.7.2011), S. 130-132.

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Der Schwahn303 An eines breiten Wasser-Grabens dem Spiegel gleichen glatten Fluht, Die, zwischen Bäumen, Schilf und Stauden, in ungestörter Stille, ruht, Beschäftigt’ ich mich jüngst, um von den schönen Bildern, Die, durch den holden Wiederschein, Verschönert und verdoppelt seyn, Den Schmuck, zu Gottes Ruhm, in Versen abzuschildern; Da denn mein fröhlicher Gesang, Bey diesem Gegenwurf, wie folgt, erklang: In dem beschatteten Gebüsche Hör ich vom scharfen Schilf ein lispelndes Gezische, Und recht als wie ein Flüstern Schwätzen. Ich seh die theils gerad- und theils gebogne Spitzen Im Strahl der Sonnen schimmernd blitzen, Und ihren Fuß das klare Wasser netzen, Auf dessen Fläche die Figur Der zierlichen Structur Vom schwanken Rohr so deutlich schwimmt, Im holden Wiederschein, daß, in der glatten Klarheit, Der Schein und die Copie fast von der Wahrheit, Und dem Original, das Wesen an sich nimmt. Es ist fürwahr nicht auszudrücken, Wie alles das so wunderschön, (Wenn wir mit Menschen-Augen sehn) Was wir an solchem Ort erblicken, Den selbst der Himmel scheint zu schmücken, Im hellen Glanz, mit seinem eigenen Bilde. Man sieht hier, wie sogar der Wolken Zier, Auch auf dem Wasser, sich vergülde. Wobey ich das sapphirne Blau, Auf dieser flach- und kalten Fluht, Fast recht als eine blaue Gluht, Sich ebenfalls verdoppeln schau. Bald sah ich bräunlich-gelb, bald röhtlich-braun sich gatten.

303 B. H. Brockes: Land-Leben in Ritzebüttel, als des Irdischen Vergnügens in GOTT Siebender Theil. Hamburg 1743, S. 393-398.

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Auf Wasser-Linsen schwammen Schatten, Und da, woselbst das Wasser rein, Durchsichtig, glatt, und als ein Spiegel war, Schwamm wunderschön ein bunter Wiederschein Von Bluhmen, Kräutern, Klee und Gras. Das allerreinste Spiegel-Glas Kann den so holden Schmuck von Kräutern und von Zweigen So zierlich, deutlich, rein, so schön gefärbt nicht zeigen. Ein grüner Glanz, der recht smaragden-grün, Ja recht wie eine grüne Gluht, Voll Glätte, Licht und Schimmer schien, Bedeckte mehrentheils die unbewegte Fluht. Man sahe recht in licht- und dunkel-grünen Bildern Des grünen Ufers Schmuck, wie Grün in Grün, sich schildern. Der ganze Graben schien an Glätte, Fläch’ und Schein Ein grosses Spiegel-Glas zu seyn, Als nur, wo hie und da ein Fisch sich etwan regte, Da denn ein Cirkelchen von Silber sich bewegte, Und, sich verbreitend, allgemach, Mit noch vermehrtem Schmuck, die Schönheit unterbrach. Indem ich nun die frohen Blicke Auf dieser dunkel-grünen See, Durchs schöne Grün’ gestärket, vorwerts schicke; Sah ich, wie schnell, viel weisser als der Schnee, Ein unverhoftes weisses Licht Die dunkle Schönheit unterbricht. In einer majestätschen Stellung floß auf der dunkel-grünen Bahn, In sanfter Still’, ein schöner Schwahn, Der noch von einem seinesgleichen, der ja so schön, gefolget war. Ich sahe diesem edlen Paar In ihrer regen Ruh, Samt ihren prächtigen, jedoch nicht stolzen, Mienen, Und ihrer Unschuld Farbe, zu. Die Silber-farbne Federn schienen Noch eins so weiß auf ihrem dunklen Grunde, Da sich hingegen, durch ihr Licht, Das schöne Dunkelgrün noch schön- und dunkler funde. Durch welchen Gegensatz das schöne Paar,

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Im Wiederschein so deutlich und so klar Gebildet, fast verdoppelt war. Von allen Vögeln wird kein einziger gefunden, In dessen Gliedern sich so ein’ erhabne Pracht, Mit einer Art von Majestät, verbunden. Er ist mit solcher Richtigkeit, Mit solchem Ebenmaß gebildet und gemacht, Mit solcher zierlichen Vollkommenheit Ist aller Fügungen Zusammenhang formiert, Daß man was prächtiges in allen Zügen spührt. Der Bildung Regel-recht’ und holde Harmonie, Des Cörpers netten Bau, der Glieder Symmetrie, Die diesen schönen Vogel schmücken, Kann man, ohn’ Anmuht, nicht erblicken. Kein zierlicher Oval erzeuget die Natur, Als seines Cörpers recht symmetrische Figur, Worauf sein schlanker Hals, von dreymahl sechs Gelenken, Sich auf unzähliche Manieren weiß zu schränken. Ein’ Art von Majestät scheint dieses schöne Thier, Mit einer holden Pracht und Anstands-vollen Zier, Wohin es sich begiebt, an allen Seiten Beständig zu begleiten. Zu welchem Ernst das Schwarz, das seinen Schnabel deckt, Und um die Augen sich, im richt’gen Dreyeck, streckt, Das meiste beyzutragen schiene. Ein’ herrscherische, fast gebieterische Miene Läßt er in seines Kopfs und schlanken Halses Drehn, Ja, fast in jeder Handlung, sehn. Wenn wir, auf seine Art zu schwimmen, Achtung geben, So scheint er weniger zu schwimmen, als zu schweben. Er gleitet recht von dem zu jenem Ort, Selbst unbewegt, in reger Stille, fort. Die Fluht stellt dieses schöne Thier So eigentlich gedoppelt für, Daß, wenn es seinen Schnabel senkte,

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Der untre Hals sich aufwerts lenkte, Und er sich selbst zu küssen schien. Wer kann der Federn Glanz, wer kann ihr blendend Weiß, Nach ihrer wahren Art, wodurch er allen Preis Den weissen Farben raubt, die auf der Welt zu finden, Beschreiben, da beym Schwan selbst Schnee und Silber schwinden? Es ist nicht etwas leicht so schön, Als wenn auf einer klaren Fluht, Bestrahlet von der Sonnen-Gluht, Die zwischen Schilf und Büschen glimmet, Ein glänzend Heer von Schwahnen schwimmet. So prächtig ist der Schwahn, dass seiner Glieder Pracht Zum Schau-Gericht ihn oft gemacht Stellt man ihn denn nun todt, zur Pracht, uns vor die Augen; Soll er denn, da ihn in der Welt Der Schöpfer uns zur Schau gestellt, Im Leben noch vielmehr, zu seines Schöpfers Ehren, Nicht unsre Lust, in der Betrachtung, mehren, Und uns sein Schmuck nicht zu vergnügen taugen? Mich rühret wenigstens von diesem schönen Thier Der Anstand, seine Pracht und Zier, Da ich es hier aufmerksam in der Nähe, Und im beschilften Lust-Revier, Mit einiger Erwegung, sehe. Es läßt der Schwahn, im Reiche der Natur, Durch seiner Glieder Bau, uns eine neue Spur Von einer weisen Macht, die ihn formieret, sehn. Könnt’ eine solche Nichtigkeit Der unbeschreiblich schön gefügten Glieder, Die reizende Beschaffenheit Von seinen Wendungen, sein glänzendes Gefieder Wohl von sich selbst, von ohngefehr, entstehn? Der Unschuld weisser Schmuck, in welchen er sich kleidet, Verschränkt in ihm auch einen sanften Geist, Da er kein anders Thier, wie die Erfahrung weist,

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Verletzet noch beneidet; Ja, da er uns nicht nur ergötzet, Und stets, wenn man ihn sieht, uns in Verwundrung setzet, Nein, noch dazu uns, zur Bequemlichkeit, Durch seine Pflaum- und sanfte Federn, nützet, Die Brust für Kälte mehr, als sonsten etwas kann, Auch ebenfalls für Flüss’ uns schützet; So seh ich ihn als ein Geschenke Von einem gütigen und weisen Wesen an, Dem ich, zu Ehren, folgends denke: Holder Schwahn! Dein prächtigs Wesen Scheint vom Schöpfer recht erlesen, Uns zum Nutzen, und zur Lust Sonder Regung unsrer Brust, Um den Schöpfer zu erhöhen, Sollte man dich nimmer sehen. Mir soll noch vor andern allen Dein so schöner Bau gefallen, Da dein Bild mein Wappen304 ziert: GOTT, Der dich so schön formiert, Und sich auch in dir gewiesen, Sey denn auch, in dir, gepriesen!

Mythologische Rückbezüge zu Ende des 18. Jahrhunderts Gegen Ende des 18. Jahrhunderts erschienen mythologische Stoffe im Gewand von Feenmärchen. In seiner galanten Erzählung „Der geraubte Schleier“ (1783) lässt Musäus die Vorstellung von Feen-Stammlinien lebendig werden, die sich im weiblichen Geschlecht fortpflanzten. Frauen, die sich auf Feen zurückführen, können, so Musäus‘ Imagination, durch regelmäßige Bäder in einer von drei geheimen Quellen ihre Jugend und Schönheit ewig erhalten. Um diese Quellen, von denen eine den Teich im Schwanenfeld bei Zwickau speist, erreichen zu können, besitzen sie die Gabe, sich in Schwäne zu verwandeln. Beim Bad legen

304 Der geteile Wappenschild der Familie Brockes zeigt unten in Rot zwei nach rechts schwimmende Schwäne auf einer Welle.

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sie ihren Schleier ab. Wer sich des Schleiers bemächtigt, hindert sie daran, in Schwanengestalt den Rückflug anzutreten. Musäus entwickelt entlang des bekannten Märchenstoffes eine nicht sehr moralische, antiklerikale Geschichte, die er um das Jahr 1307 spielten lässt. Ein Ritter, dem es nicht gelingt, durch Schleierraub eine Fee an sich zu binden, gibt seine Kenntnisse an einen bürgerlichen Schwaben weiter, der eine Schwanenfee durch Betrug für sich gewinnt, sie wieder verliert, als sie ihren Schleier findet, und ihr auf die Kykladen nachreist, wo er durch listige Intrigen ein gutes Ende bewirkt. Über das Schwanenkleid heißt es, es bedecke die Feen schon bei ihrer Geburt und sei aus verdichteten Lichtstrahlen des Äthers gewebt. Wenn sie es anlegen, verwandeln sie sich in Schwäne, die sich von gewöhnlichen Vögeln dieser Art nur durch eine Federkrone auf dem Haupt unterscheiden. Im menschlichen Zustand zeichnen diese Frauen sich durch schwanenweiße Glieder aus.305 Das Motiv von den Schwanenkindern belebten die 1801 anonym erschienenen „Feen-Mährchen“ neu (s. S. 153). Antoine François Le Paige präsidierte dem Kolleg von Mechelen an der Universität Löwen. Unter dem Titel eines Grafen von Bar ließ er im Jahre 1780 eine „Histoire de l’Ordre heréditaire du Cigne …“ erscheinen. Darin legte er dar, wie anlässlich der Eheschließung des Grafen Dietrich von Kleve mit der Tochter des römischen Königs Rudolf 1290 ein erblicher Schwanenorden des Hauses Kleve gestiftet worden sei, dem jeweils zwölf Ritter angehörten, die ihre Abkunft auf den Schwanenritter Helias zurückführen konnten. Und er nannte die Landgrafen von Hessen, die Grafen von Looz und Teisterbant, die Edlen von Altenau, von Bar (zu deren Nachkommen sich der Autor selbst rechnete), von Heusden etc.306 Später gehörten dieser illustren Gesellschaft die Könige von Preußen und Dänemark, Landgrafen von Hessen, Herzöge zu Sachsen an, welche die verschiedenen Privilegien des Ordens genossen.307 Eine fantasievolle genealogische Fiktion, die jedoch keine literarische Wirkung entfaltete und hier nur wegen der ungewöhnlichen Verquickung von Ahnensuche, der Faszination für Geheimgesellschaften und Romantik erwähnt wird.

305 J. K. A. Musäus: Volksmärchen der Deutschen. Vollständige Ausgabe nach dem Text der Erstausgabe von 1782-86. München 1961, S. 393-454. 306 Histoire ... Basel 1780, S. 31, 33, 43. 307 Duerloo, S. 229f.

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Romantische Perspektiven In der Romantik werden Schwäne häufig mit Gärten assoziiert. Das ist oben schon am Beispiel von Eichendorffs „Taugenichts“ ausgeführt worden (S. 114). Sonst wurden auch Traditionstrümmer zusammen zu kindlich-kitschigen Vorstellungen zusammen gefügt, so von E. T. A. Hoffmann in seiner Erzählung „Nußknacker und Mausekönig“, wenn das Mädchen Marie erklärt: „Pate Drosselmeier hat mir von einem schönen Garten erzählt, darin ist ein großer See, auf dem schwimmen sehr herrliche Schwäne mit goldenen Halsbändern herum und singen die hübschesten Lieder. Dann kommt ein kleines Mädchen heran und füttert sie mit süßem Marzipan ...“ Eine Illusion, die der Autor aber sogleich aufbricht: „’Schwäne fressen kein Marzipan’, fiel Fritz etwas rauh ein ...“308 Den (neben Arnims „Kronenwächtern“) bedeutendsten Roman der deutschen Romantik schuf E. T. A. Hoffmann in seinen „Lebensansichten des Katers Murr“, die 1819/21 erschienen. Mit der mehr satirischen Geschichte des Katers verflocht Hoffmann abgerissene Fragmente der Biografie des Kapellmeisters Johannes Kreisler. Dessen weibliches Ideal, Julia Benzon, findet mit ihm in einem Duett zusammen, schüchtern erst – „bald erhoben sich aber beide Stimmen auf den Wellen des Gesangs wie schimmernde Schwäne und wollten bald mit rauschendem Flügelschlag emporsteigen zu dem goldenen strahlenden Gewölk, bald in süßer Liebesumarmung sterbend untergehen in dem brausenden Strom der Akkorde, bis tief aufatmende Seufzer den nahen Tod verkündeten und das letzte Addio in dem Schrei des wilden Schmerzes wie ein blutiger Springquell herausstürzte aus der zerissenen Brust.“309 Ein zahmer Schwan, der, den schönen Hals stolz emporgehoben, auf einem See im Schlosspark schwimmt, wird zu Julias Bild. Blanche heißt er: weiß (aber auch: halbe Taktnote). „’Blanche, Blanche’, rief Kreisler laut, indem er beide Arme weit ausstreckte, ‚singe dein schönstes Lied, glaube ja nicht, dass du dann sterben musst!’“ Da hörte er Julia singen – „und ein unendliches süßes Weh durchbebte sein Inneres.“310 Der Schwan – die Liebe – soll den Kapellmeister aus der geistigen Verwirrung reißen, seinem schizophrenen Wahn: „Meister – Meister, lockt den Schwan

308 E. T. A. Hoffmann: Sämtliche Werke. Hrsg. von Hartmut Steinecke und Wulf Segebrecht. Bd. 4. Frankfurt/M. 2001, S. 242.. 309 E. T. A. Hoffmann: Lebensansichten des Katers Murr nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler in zufälligen Makulaturblättern. Berlin 1981 (Gesammelte Werke in Einzelausgaben 6), S. 149. 310 S. 178.

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herbei – er soll singen – erstarrt ist mein Gesang, denn der Ich hat seine weiße kalte Totenhand auf meine Brust gelegt, die muß er wegziehen, wenn der Schwan singt ...“311 Fast leitmotivisch durchzieht der zahme Schwan die weitere Erzählung. Julia füttert singend den Schwan; als der Schurke, der sie verführen will, dem Schwan einige Brocken hinwirft, verschmäht der Vogel das Futter und bricht in lautes unmelodisches Geschrei aus.312 Die Erfüllung der hier angelegten Liebessymbolik, das Schwanenpaar, führt uns Achim von Arnim in seiner Ballade „Getrennte Liebe“ vor Augen, einer Variante des Liedes von den zwei Königskindern: Das trennende Wasser wollen der Knabe und das Mädchen überwinden, als die Strudel sie hinfort reißen. „Die Eltern hören singen Und schaun aus hohem Haus, Zwei Schwäne im Sternenschein ringen Zum Dampfe des Falls hinaus; Diesseit und jenseit am Wasserfall Hören sie Echo mit lautem Schall. Die Schwäne herrlich sangen Ihr letztes schönstes Lied Und leuchtende Wölkchen hangen, Manch Engelein niedersieht; Diesseit und jenseit am Wasserfall Schwebet wie Blüte ein süßer Schall.“313

Die Höhepunkte der Schwanenpaarlyrik schufen Hölderlin (1804) und Hebbel (1841). Friedrich Hölderlin: Hälfte des Lebens Mit gelben Birnen hänget Und voll mit wilden Rosen

311 S. 180. 312 S. 227, 231, 345. 313 Ludwig Achim von Arnim: Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores. Eine wahre Geschichte zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein. Berlin 1991, S. 472-474.

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Das Land in den See, Ihr holden Schwäne, Und trunken von Küssen Tunkt ihr das Haupt Ins heilignüchterne Wasser ...314

Dem Früchte bringenden Garten und den liebenden Schwänen kontrastiert Hölderlin in der folgenden Strophe von kalten Winden umwehte Mauern und die Einsamkeit des lyrischen Ichs. Verse, die Clemens Brentano 1813 in einem Epigramm in die Apotheose des Dichters münden ließ: „Aber es tauchet der Schwan ins heilignüchterne Wasser/ Trunken das Haupt und singt sterbend dem Sternbild den Gruß.“315 Friedrich Hebbel: Sie seh‘n sich nicht wieder Von dunkelnden Wogen Hinuntergezogen, Zwei schimmernde Schwäne, sie schiffen daher, Die Winde, sie schwellen Allmählich die Wellen, Die Nebel, sie senken sich finster und schwer. Die Schwäne, sie meiden Einander und leiden, Nun tun sie es nicht mehr, sie können die Glut Nicht länger verschließen, Sie wollen genießen, Verhüllt von den Nebeln, gewiegt von der Flut. Sie schmeicheln, sie kosen, Sie trotzen dem Tosen Der Wellen, die zwei in eines verschränkt, Wie die sich auch bäumen, Sie glühen und träumen, In Liebe und Wonne zum Sterben versenkt.

314 Hölderlin: Sämtliche Werke. Hrsg. von Friedrich Beißner. Zweiter Band. Stuttgart 1953, S. 121. 315 Ebd., S. 423.

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Nach innigem Gatten Ein süßes Ermatten, Da trennt sie die Woge, bevor sie’s gedacht. Lasst ruhn das Gefieder! Ihr seht euch nicht wieder, der Tag ist vorüber, es dämmert die Nacht.

Hugo von Hofmannsthal stellte an diesem Beispiel grundsätzliche Betrachtungen über lyrischen Symbole an: Das Gedicht drücke einen Zustand aus, nichts weiter, einen tiefen Zustand des Gemüts, voll banger Wollust, voll trauervoller Kühnheit. Und die Schwäne? „Sie bedeuten hier nichts als sich selber: Schwäne. Schwäne, aber freilich gesehen mit den Augen der Poesie, die jedes Ding jedesmal zum erstenmal sieht, die jedes Ding mit allen Wundern seines Daseins umgibt: dieses hier mit der Majestät seiner königlichen Flüge; mit der lautlosen Einsamkeit seines strahlenden weißen Leibes, auf schwarzem Wasser trauervoll, verachtungsvoll kreisend; mit der wunderbaren Fabel seiner Sterbestunde ...“ Es handle sich um Chiffren, welche aufzulösen die Sprache nicht vermöchte.316 Fortfliegende Schwäne Die romantische Wendung – von Einzelschwan zum Schwanenpaar – vollzieht sich auch im Volkslied, wenngleich absolute Datierungen hier schwierig sind. Das alte Lied von der Rheinbraut erzählt, wie ein Mädchen an einen mächtigen Freier (einen König, einen Ritter oder den Wassermann) verheiratet werden soll. Um zum Bräutigam zu gelangen, muss sie ein tiefes Wasser überqueren (den Rhein); da überkommen sie düstere Ahnungen. Auf dem Weg zum Wasser begegnet ihr ein Schwan, dem sie zuruft „Schwane, du fliegst aus, wo deine Freude ist,/ Und ich muss hin, wo mein Elend ist!“ (Elend erinnert an die alte Wortbedeutung: außer Landes, in der Fremde). Nur mit großen Anstrengungen bewegt der Bräutigam sie dazu, die Brücke zu betreten; ein Brettlein bricht, und sie versinkt im Wasser. Diese Transition kann man mythologisch oder psychologisch deuten; der ominöse Schwan mag als Seelenvogel, als Symbol der Freiheit, der Unschuld oder bloße Warnung betrachtet werden. In unserem Zusammenhang ist entscheidend, dass die älteren Fassungen – erzählfunktional hinreichend – von einem

316 Das Gespräch über Gedichte. In: Hugo von Hofmannsthal: Sämtliche Werke. XXXI. Hrsg. von Ellen Ritter. Frankfurt/M. 1991, S. 74-86.

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Schwan berichten, während eine brandenburgische Variante von 1840 (die Vorsängerin wollte das Lied in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts erlernt haben) und in einer aus der Ostprignitz von 1852 zwei Schwäne kennen. Motivisch rundet sich das in den späteren Fassungen der „Christinchen-Gruppe“, in welchen der Bräutigam sich verzweifelt ersticht oder erschießt. Als Symbol für die Vereinigung zweier Liebenden über den Tod hinaus werden die Schwäne jetzt allerdings meist durch „zwei Röselein rot“ ersetzt.317 Die untergründig sexuellen Konnotationen stellen dieses Lied neben Elizabeth B. Browings „Romance of the Swan’s Nest“. Darin träumt Little Ellie von einem Liebhaber, der auf einem roten Streitross herangeprescht kommt, sie zu lieben ohne Falsch: „And to him I will discover“, meint Ellie, „the swan’s nest among the reeds.“ Als sie aber eines Tages wieder in das Nest schauen will, ist der wilde Schwan entflohen, und eine Ratte hat das Schilf zernagt. Traurig erkennt sie, dass sie ihrem Liebsten das Schwanennest im Ried nie mehr wird zeigen können.318 Lohengrinrezeption Das mittelhochdeutsche Versepos „Lohengrin“ machte Ferdinand Glöckle (mit einer Einleitung von Friedrich Görres) 1813 verfügbar.319 1846-1859 gab der belgische Literaturhistoriker Frédéric Baron de Reiffenberg mit eingehenden Erläuterungen unterschiedliche Branchen des mittelalterlichen Versromans „Le chevalier au cygne“ heraus. 1850 erfuhr Richard Wagners romantische Oper „Lohengrin“ ihre Uraufführung. Die Handlung, soweit sie hier Interesse beanspruchen kann: Die heidnische Zauberin Ortrud versucht, durch den Grafen Friedrich von Telramund der Herrschaft über Brabant an sich zu reißen. Dem rechtmäßigen Erben – Herzog Gottfried – legt sie eine goldene Kette um, wodurch er sich in einen Schwan verwandelte. Gottfrieds Schwester Elsa wird von Friedrich des Mordes an ihrem Bruder angeklagt. Statt eines Beweises ver-

317 Ludwig Erk, Franz W. Böhme: Deutscher Liederhort. Auswahl der vorzüglichsten Volkslieder nach Wort und Weise aus der Vorzeit und Gegenwart. Band 1. Leipzig 1853. ND Hildesheim 1963, S. 12f. (Nr. 2c); Deutsche Volkslieder. Balladen. Hrsg. von John Meier. Zweiter Teil. Berlin 1939 (Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien 2), S. 170-191 (Nr. 47). 318 Elizabeth Barret Browning: Poetical Works. Twelfth Edition. Vol. II. London 1880, S. 83-87. 319 Ferdinand Gloekle: Lohengrin, ein altteutsches Gedicht, nach der Abschrift des Vaticanischen Manuscripts. Hrsg. von J. Görres. Heidelberg 1813.

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langt er einen Zweikampf. Niemand wagt es, für die so schwer Beschuldigte in die Schranken zu treten. Da wird in der Ferne auf dem Fluss ein Nachen sichtbar, Lohengrin steht in glänzender Silberrüstung darin; ein Schwan zieht das Boot heran. Die umstehenden Männer rufen: „Seht! Seht! Welch ein seltsam Wunder! Wie? Ein Schwan? Ein Schwan zieht einen Nachen dort heran! Ein Ritter drin hochaufgerichtet steht! Wie glänzt sein Waffenschmuck! Das Aug’ vergeht vor solchem Glanz! – Seht, näher kommt er schon heran! An einer goldnen Kette zieht der Schwan!“320

Lohengrin verspricht Elsa, den Kampf für sie zu wagen, wenn sie ihm eins geloben wolle: „Nie sollst du mich befragen, noch Wissens Sorge tragen, woher ich kam der Fahrt, noch wie mein Nam’ und Art!“321

Elsa gelobt das und Lohengrin besteht den Kampf. Die Vermählung der beiden wird angesetzt. Elsa aber will von Lohengrin, dessen übernatürliche Erscheinung ihn so deutlich von allen anderen abhebt, ins Vertrauen gezogen werden; sie stellt die verhängnisvolle Frage. Lohengrin bekennt seine Herkunft aus dem Geschlecht der Gralskönige. Vom Hintergrund her verbreitet sich der Ruf: „Der Schwan! Der Schwan!“ Man sieht den Schwan, den leeren Nachen hiner sich ziehend, auf dem Fluss herankommen. Als der Schwan das Ufer erreicht hat, beugt sich Lohengrin wehmütig zu ihm herab und singt: „Mein lieber Schwan! – Ach, diese letzte, traur’ge Fahrt, wie gern hätt’ ich sie dir erspart! In einem Jahr, wenn deine Zeit Im Dienst zu Ende sollte gehen –

320 1. Aufzug, 2. Szene: Richard Wagner: Lohengrin. Romantische Oper in drei Aufzügen. Vollständiges Buch. Hrsg. von Wilhelm Zentner. Stuttgart 1999, S. 18f. 321 1. Aufzug, 3. Szene (S. 21).

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Dann durch des Grales Macht befreit, wollt’ ich dich anders wieder sehn!“

Ortrud ruft ihre Götter an und erzwingt ein zweites Gottesurteil: „Lohengrin, bereits am Ufer angelangt, hat Ortrud genau vernommen und sinkt jetzt zu einem stummen Gebet feierlich auf die Knie. Aller Blicke richten sich in gespannter Erwartung auf ihn. – Die weiße Gralstaube schwebt über den Nachen herab. Lohengrin erblickt sie; mit einem dankenden Blicke springt er auf und löst dem Schwan die Kette, worauf dieser sogleich untertaucht. An seiner Stelle hebt Lohengrin einen schönen Knaben in glänzendem Silbergewande – Gottfried – aus dem Flusse ans Ufer.“322 Er selbst springt in den Kahn, dessen Kette statt des Schwans die Taube erfasst und fortzieht. Zentrales Thema des Dramas ist die verfolgte Unschuld, die tugendhafte Reinheit. Nur Gottfried bewahrt sie, während Elsa ihr Gelöbnis bricht, weshalb Gottfried mit Recht nach seiner Erlösung zur Herrschaft gelangt. In der Aufführungspraxis der Oper wurde der Schwan – was verschiedene Theateranekdoten zeigen – hauptsächlich als merkwürdige Requisite wahrgenommen. Die bekannteste: Der Operntenor Leo Slezak war eben im Begriff als Lohengrin in das Boot zu steigen, das ihn auf die Bühne bringen sollte. Ein Bühnenarbeiter hatte aber die Zeichen missverstanden, der Schwan war ohne den Sänger abgefahren. Da wandte Slezak sich um und fragte: „Wann geht der nächste Schwan?“323 Da war es dann nicht mehr weit zu den Swan Boats, der Tretbootflotte mit überdimensionierter Schwanenplastiken, die seit 1877 im Public Garden von Boston betrieben werden.324 Weitere spät- und neuromantische Stoffe Alexander Puschkins Versmärchen „Vom Zaren Saltan, von seinem Sohne, dem berühmten und mächtigen Recken Fürst Gwidon Saltanowitsch und von der schönen Schwanenprinzessin“ erschien 1831. Er soll es nach dem Diktat seiner alten Kinderfrau geschrieben haben und es gehört in den selben Strang von Erzählungen wie z. B. das Märchen „Die drei Vögel“ in der Sammlung der Brüder Grimm (KHM 96), verbindet sich aber mit dem Motiv der Schwanenprinzessin: Durch Betrug werden die Frau des Zaren Saltan und sein neugeborener Sohn in einem Fass dem Meer überantwortet. An das Ufer einer unbekannten Insel ge-

322 3. Aufzug, 3. Szene (S. 62). 323 Walter Slezak: Wann geht der nächste Schwan? 8. Aufl. München 1989, S. 299f. 324 http://en.wikipedia.org/wiki/Swan_Boats_(Boston,_Massachusetts) (10.9.2011).

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schwemmt, rettet der rasch gereifte Sohn einen Schwan, den ein böser Geier bedrängt. Immer wieder heißt es im Fortgang der Geschichte: „Siehe: durch die blauen Wogen/ Kommt der weiße Schwan gezogen“, wenn der Sohn einen Wunsch äußern möchte. Sein letzter Wunsch zielt dahin, eine überirdisch schöne Frau, von der er gehört hatte, zu heiraten. Seufzt der Schwan tief auf und spricht: „Weit zu gehen brauchst du nicht, Sieh, dein Schicksal ist dir nah, Ich bin selbst die Zarin ja!“ Sprach’s und schwang sich aus den Wogen, Kam zum Uferland geflogen, Ließ sich im Gebüsche nieder Und erschien als Zarin wieder. Unter ihres Haares Kranz Schien ein Mond in vollem Glanz, Und auf ihrer weißen Stirn, Blitzt’ ein strahlendes Gestirn. Majestätisch war die Frau, Stolz ging sie, gleichwie ein Pfau; Ihre Stimme glich dem hellen Murmeln frischer Bergesquellen.325

Auf der Geschichte vom Zaren Saltan beruht Rimski-Korsakows gleichnamige Oper (1899/1900), aus der besonders der „Hummelflug“ berühmt wurde. Der dänische Dichter Hans Christian Andersen publizierte sein Märchen (eventyr) „Den grimme Ælling“ (Das hässliche Entlein) 1843 und nahm es 1844 in seine Sammlung „Nye Eventyr“ auf, die Kunst- wie Volksmärchen enthielt. Das hässliche Entlein schlüpft bei einem Herrenhaus aus einem viel zu großen Ei. In den Augen der Enten erscheint es ungestalt; es wird gebissen und gequält. Es flieht vom Geflügelhof, sucht Anschluss bei den Wildenten, den wilden Gänsen, nirgends kann es bleiben oder wird gelitten; es gerät in das verfallene Haus einer alten Frau, in der Katze und Huhn es belehren, und sucht sein Heil wieder in der weiten Welt. Da beginnt der Herbst.

325 Übersetzung von Friedrich von Bodenstedt. Zitiert nach A. S. Puschkin: Märchen vom Zaren Saltan ... Zeichnungen von K. Kusnezow. Berlin 1948.

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„Eines Abends, die Sonne ging so schön unter, kam ein ganzer Schwarm herrlicher großer Vögel aus dem Busche, das Entlein hatte solche nie so schön gesehen, sie waren ganz blendend weiß mit langen, geschmeidigen Hälsen; es waren Schwäne, sie stießen einen ganz eigenthümlichen Ton aus, breiteten ihre prächtigen, langen Flügel aus, und flogen von der kalten Gegend fort nach wärmeren Ländern, nach offenen Seen! sie stiegen so hoch, so hoch, und dem hässlichen kleinen Entlein wurde so sonderbar zu Muthe ...“

Das Entlein durchlebt einen harten entsetzlichen Winter. Im Frühjahr kamen die Schwäne wieder. „Ich will zu ihnen hinfliegen, zu den königlichen Vögeln! Und sie werden mich todtschlagen, weil ich, da ich so hässlich bin, mich ihnen zu nähern wage ...“ Und es näherte sich den Schwänen und neigte den Kopf und erwartete den Tod. „Aber was erblickte es in dem klaren Wasser? Es sah sein eigenes Bild unter sich, das kein plumper, schwarzgrauer Vogel mehr, hässlich und garstig, sondern selbst ein Schwan war. – Es schadet nichts, in einem Entenhofe geboten zu sein, wenn man nur in einem Schwanenei gelegen hat!“ Die hier zitierte erste deutsche Übersetzung erschien schon 1845, eine englische 1846, eine französische 1848, eine spanische 1879; sogar eine schwedische im selben Jahr wie die dänische Ausgabe, was zeigt welch starke Verbreitung das Märchen nicht nur in den gebildeten Schichten fand.326 Die so schlichte und bald klassische Formulierung einer Entpuppung fand unzählige Auslegungen,327 das hässliche Entlein wurde zum geflügelten Wort, jedenfalls in Deutschen und im Englischen: an ugly duckling is a member of a family who first lacks beauty, cleverness etc. but later becomes the most beautiful or successful.328 Wie auch sonst bei den Romantiker gehören die Schwäne zur herrschaftlichen Sphäre, zum Schloss. Sie zeichnen sich durch ihre Schönheit aus, ihre scheinende Weiße, ihre langen, geschmeidigen Hälse und ihren hohen Flug, der sie in alle Wunschländer führen kann. Nicht zufällig bemerkt das Entlein seine Verwandlung im Spiegelbild: als Projektion auf einen Hintergrund und vergleicht sein neues Leben mit einem Traum.

326 H. C. Andersen’s eventyr „Den grimme Ælling“ på syv sprog. Kopenhagen 1975 (danach zitiert). 327 Die Erzählung vom hässlichen jungen Entlein schildere im Grunde nichts anderes als das Schicksal und den Entwicklungsgang des Genies, meinte z. B. Egon Friedell: Kulturgeschichte der Neuzeit. Die Krisis der europäischen Seele von der schwarzen Pest bis zum Ersten Weltkrieg. München o. J., S. 1110. 328 The Wordsworth Dictionary of Idioms. Edited by E. M. Kirkpatrick and C. M. Schwarz. Cumberland House 1993, S. 403.

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Ihren Höhepunkt erreichte die Schwanenromantik mit dem Opus 20 des russischen Komponisten Peter Tschaikowski: dem Ballett Schwanensee (Lebedinoje osero). Die Verschmelzung von Musik und Gebärde feierte die große Liebe und bewies die Anziehungskraft der Identifikation von Frauen und Schwänen. Das Libretto schrieben Wladimir P. Begitschew und Wassili Geltzer. Die Uraufführung fand 1877 in Moskau statt, allerdings dauerte es zwanzig Jahre, bis das Stück sich durchsetzte. Die Schwanenbezüge der Handlung: Prinz Siegfried sieht auf einem See im Mondlicht wilde Schwäne schwimmen. Er legt seine Armbrust an, doch bevor er den Bolzen abschießen kann, öffnet sich der See und scheint die Schwäne zu verschlucken. Darauf steigen, wo die Schwäne versunken waren, anmutige Mädchen aus dem Wasser. Eine von ihnen löst sich aus der Gruppe; sie ist noch schöner als die anderen: hochgewachsen, porzellanweiß, fragil. In ihrem Haar schimmert eine Perlenkrone. Diese erklärt dem staunenden Prinzen: „Man nennt mich Odette, die Verzauberte, die Triefende, die Unbekannte, die Verängstigte. Des Nachts bin ich Mädchen, Frau, Weib, doch tags bin ich Schwan, im Federgewand, mit Vogelleib.“ Unsterbliche Liebe zur Schwanenkönigin ergreift den Prinzen. In der Morgendämmerung verschwindet Odette; Siegfried reißt sich los und eilt zurück zum Schloss. Für den Abend ist ein großer Festball angesetzt, auf dem er seine Braut auswählen soll. Keine der anwesenden Schönheiten kann, so sehr sie sich auch bemühen, vor seinen Augen Gnade finden. Da erscheint ein verspäteter Gast: die Gräfin Odile, deren Antlitz Odette vollständig gleicht, ein schwarzer Schwan jedoch, die Tochter des bösen Zauberers Rotbart. Dessen Kunst hatte die Ähnlichkeit bewirkt. Erst als Siegfried durch das hohe Fenster einen weißen Schwan fliegen sieht, auf dessem Kopf eine Krone schimmert, erkennt er die Täuschung. Er stürzt aus dem Palast und eilt an den See. Ein Schwanenmädchen sieht er noch am Ufer stehen, eben im Begriff, wieder zum Schwan zu werden. Der Prinz umarmt den Vogel und bekennt: „Was auch geschieht, Odette, geliebte Prinzessin der Nacht, welche Gestalt du auch trägst, mein Herz gehört dir, meine Liebe gehört dir, sie ist stärker als jedwede Zauberei. Sie ist das Band, das Unendlichkeit und Ewigkeit für uns knüpfen.“ Auf Geheiß des bösen Zauberers rollt eine Flutwelle heran und verschlingt das Paar. Endlich legt sich der Sturm. Auf dem beruhigten See sieht man wilde Schwäne schweben. Mit einem Mal breiten sie ihre Schwingen aus und erheben sich in die Höhe, bis sie in der Unendlichkeit des Himmels verschwinden. Das Stück erfuhr auf den Ballettbühnen der ganzen Welt immer neue Interpretationen; zuletzt bewegte der amerikanische Filmdrama „Black Swan“, in

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dem eine Tänzerin, von eigenen wie fremden Erwartungen getrieben als sterbender Schwan den Tod suchte, ein breites Publikum.329 Das Märchenspiel „Svanevit“ (Schwanenweiß) von 1901 war sicherlich nicht August Strindbergs wichtigstes Drama. Immerhin wurde es 1909 ins Englische, 1927 ins Italienische – und drei Mal ins Deutsche übersetzt: 1903 von Emil Schering, 1919 von Pauline Klaiber-Gottschau und 1973 von H. C. Artmann. Außerdem inspirierte der Stoff Jean Sibelius zu einer Orchestersuite und Julius Weismann komponierte sogar eine Oper „Schwanenweiß“. Das Stück handelt von verfolgter Unschuld und sieghafter Liebe und verarbeitet eine Reihe literatischer Reminiszenzen, besonders jedoch Märchenmotive. Die Liebe der Herzogstocher Schwanenweiß und des namenlosen Prinzen begründen ihre verstorbenen Mütter, die als Schwäne – Seelenvögel wie Schwanenjungfrauen – auftreten. „Jetzt fliegt ein Schwan draußen über den Rosengarten. Man hört einen Akkord von Trompetentönen, wie wenn Schwäne ziehen. Darauf erscheint Schwanenweiß’ Mutter vor dem Pforten, weißgekleidet. Sie trägt einen Schwanenbalg auf dem einen Arm und auf dem anderen eine kleine goldene Harfe. Sie hängt den Schwanenbalg auf die Pforte, welche sich von selbst öffnet und schließt. ... Da zieht ein weißer Schwan draußen vorbei; man hört denselben Akkord wie vorhin. Gleich darauf sieht man die Mutter des Prinzen, weißgekleidet, zur Pforte hereinkommen, auf die sie ihren Schwanenbalg hängt. Schwanenweiß’ Mutter: ‚Das trifft sich gut, Schwester; ist es lange bis zum Hahnenschrei?’“330 Die Liebe des Prinzen und Schwanenweiß’ überwindet alle Hindernisse; sie bezwingt sogar das Herz der bösen Stiefmutter und den Tod. Aus Wagners „Lohengrin“ ist das Frageverbot genommen – Schwanenweiß darf nicht den Namen des Prinzen erfragen – und das Motiv der Reinheit. „Der Herzog: ‚Meine Tochter, halt dich inwendig rein und das Auswendige wird rein. Weißt du, heilige Männer die aus Pönitenz das reinigende Wasser nicht benutzen dürfen, werden weiß wie Schwäne, aber unheilige schwarz wie Raben!’“331 Selbst ein Gottesurteil, zum Blumenorakel stilisiert, fehlt nicht. In gewisser Weise verarbeitet das Drama auf symbolische Weise die ganze mythologisch-märchenhafte Tradition des 19. Jahrhunderts. Bemerkenswert sind die Trompetentöne, die die Schwanenjungfrauen im Flug ausstoßen; sie verweisen also auf Singschwäne.

329 USA 2010. Regie: Darren Aronofsky. 330 3. Akt, 1. Szene: August Strindbergs Schriften. Deutsche Gesamtausgabe. Unter Mitwirkung von Emil Schering vom Verfasser selbst veranstaltet. I. Abteilung, 9. Band. Leipzig 1903, S. 107f. 331 1. Akt, 3. Szene (S. 88).

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Beide Motive – die Ausgrenzung anderer Arten wie im „Hässlichen Entlein“ und die temporäre Verwandlung der Schwanenjungfrau – verwendete der ungarische Dramatiker Ferenc Molnár in seiner sehr erfolgreichen Tragikomödie „A hattý“ (Der Schwan) von 1920. Dabei veränderte er allerdings die Perspektiven und überließ die moralische Beurteilung dem Zuschauer. Die Handlung: Prinzessin Alexandra aus einer depossedierten Familie des europäischen Hochadels soll, so der sehnliche Wunsch ihrer Mutter, an einen königlichen Kronprinzen und zukünftigen Regenten verheiratet werden. Dieser, Prinz Albert, scheint bei einem Besuch jedoch bar jeden Interesses zu sein. Die Prinzessinnenmutter versucht das Interesse zu stimulieren, indem sie Alexandra dazu veranlasst, ihre Aufmerksamkeit dem Hauslehrer zuzuwenden. Im Hauslehrer, der die Prinzessin heimlich liebt, regen sich Hoffnungen. Die Prinzessin erkennt im Hauslehrer den Menschen und vielfach begabten Mann von edler Gesinnung; von unwiderstehlicher Zuneigung ergriffen, küsst sie ihn. Ein Skandal und das Zerstieben jeglicher Hoffnung, in ein regierendes Haus einheiraten zu können, scheinen unabweislich zu sein. Anderntags triumphieren jedoch die im Stück gesetzten gesellschaftlichen Verhältnisse: Man einigt sich auf eine Interpretations des Vorfalls, die der Eifersucht des Prinzen Albert die Schuld zuschiebt. Die verwirrte Prinzessin beugt sich und heiratet den Prinzen, der auf diese Weise zu siegen scheint. Vielleicht hatte er die Prinzessin schon vorher geliebt, das aber nicht zu offenbaren gewagt, solang der elterliche Konsens fehlte. Der Hauslehrer quittiert seinen Dienst. Der Schwan, der dem Stück den Namen gibt, ist Prinzessin Alexandra. Ihr Vater hatte sie als „stolzen, weißen Schwan“ bezeichnet, und die ehrgeizige Mutter greift den Vergleich auf. Alexandra sei majestätisch, schweigsam, ernsthaft, halte ihren Kopf hoch, führe sich stets untadelig auf.332 Die spätere Schwiegermutter bestätigt diesen Eindruck: „Sie ist ernst, majestätisch und auf Distanz bedacht ...“333 Und zum Schluss nimmt diese die Prinzessin mit folgenden Worten in die königliche Familie auf: „Erinnere dich immer daran, dass dein verewigter Vater dich seinen Schwan zu nennen pflegte. Sei dir bewusst, was es bedeutet, ein Schwan zu sein: stolz dahin zu gleiten, majestätisch, wo der Schimmer des Mondes sich im Wasser spiegelt ... immer in diesem purpurnen Glanz zu gleiten – und nie ans Ufer zu kommen. Denn wenn ein Schwan geht, wenn er an den Strand watschelt, dann erinnert er schmerzlich an eine andere Vogelart ... Aus der Naturgeschichte erfahren wir, dass ein Schwan nicht anderes sei als eine

332 Fashions for Men, and The Swan. Two Plays by Franz Molnar. English Texts by Benjamin Glazer. New York 1922, S. 183. 333 Ebd., S. 277.

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aristokratische Ente. Aus diesem Grunde muss er auf dem Spiegel des Wassers bleiben. Er weiß zu singen, muss seinen Gesang aber bis zu seinem Tode zurückhalten. Ja, meine Liebe, gleite auf dem Wasser dahin ... Kopf hoch ... in würdevoller Ruhe ... und kein Lied, niemals!“334 Das Stück erschien 1921 auf Deutsch, 1922 auf Englisch, ohne Jahresangabe (vielleicht schon 1922) auf Italienisch, 1927 auf Französisch, 1934 auf Spanisch. Auf der englischen Fassung basierten us-amerikanische Verfilmungen 1925 und 1930 und besonders 1956, als Charles Vidor den Stoff in die Kinos brachte (The Swan, deutsch: Liebesromanze einer Prinzessin). Die Hauptrolle spielte Grace Kelly, und der Film erhielt eine unerwartete Relevanz, als die Schauspielerin, Tochter eines Maurers, den Fürsten Rainier von Monaco heiratete. Die Produktionsfirma ließ den Film erst nach der Hochzeit in den Kinos starten, der nicht zuletzt durch das öffentliche Interesse an dieser Eheschließung das usamerikanische Publikum stark anzog. Der entfremdete Schwan Der Schwan am falschen Ort: Kunst und Literatur wiesen dem Schwan traditionell eine bestimmte Position im Raum, in der Landschaft, zu: auf dem Wasser schwimmend, gleitend, schwebend. Eine Tendenz der modernen Lyrik reißt den Schwan aus seinem landschaftlichen Zusammenhang, entfremdet ihn seiner Umgebung und gestaltet ihn zum Bild eines entwurzelten lyrischen Ichs aus. Eine Ahnung davon bietet schon Gottfried Keller, der 1850 eine Momenterfahrung festhält: Der Dichter beobachtet den unruhig sich regenden, sich streckenden, lauschenden Wasservögel, da wills ihn wie ein Traum erfassen: „Als obs meine Seele wäre,/ Die verwundert über das Leben,/ Über das Hin- und Wiederschweben,/ Lugt’ und lauschte hin und her.“335 Eine konsequente Ausformung gelang Charles Baudelaire in seinem Fanal des Symbolismus: dem Gedichtband „Les Fleurs du Mal“. Das Gedicht „Le Cygne“ lässt bereits durch die Widmung an Victor Hugo, der damals in der Verbannung lebte, das Thema anklingen: die Heimatlosigkeit, die Entfremdung des Subjekts von seiner Umwelt. In elegischen Pentametern knüpft Baudelaire an die antike Tradition an und beschwört das Bild der Andromache, der Witwe Hektors, die, als Kriegsbeute der Griechen auf den Balkan verschlagen, das Schicksal ihres Mannes und das

334 Ebd., S. 309. 335 Gottfried Keller: Stiller Augenblick. In: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. von Walter Morgenthaler. Bd. 9. Zürich 2009, S. 66.

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eigene beklagt. Die Assoziationen gleiteten über auf die Großbaustelle des neuen Paris und zu dem zentralen Bild des Schwans: Ich sehe „einen Schwan, der aus dem Käfig entwichen war und, mit dem Schwimmfuß das trockene Pflaster scharrend, über den holprigen Boden sein weißes Gefieder schleifte. An einem wasserlosen Rinnstein riss das Tier den Schnabel auf – und badete mit fahriger Gebärde die Fittiche im Staube, und sprach, im Herzen seines schönen Heimatsees gedenkend: ‚Wasser, wann endlich wirst du niederregenen? Wann wirst du donnern, Wetterstrahl?’“ Und im zweiten Teil des Gedichtes, das die Empfindungen des Dichters weiter ausdehnt: „Ich denke an meinen großen Schwan, mit seinen närrischen Gebärden, lächerlich wie die Verbannten und wie sie erhaben, und zerfressen von unaufhörlichem Verlagen!“336 Kürzer, emblematischer, erscheint ein ähnliches Motiv in einem anderen Vogelgedicht dieser Sammlung, L’albatros. Der König der blauen Lüfte wirkt auf den Planken des Schiffes unbeholfen, hässlich gar und lächerlich, die langen Flügelspitzen schleifen am Boden. Der Dichter, so die Auslegung, gleiche dem Fürsten der Wolken, dem Sturmgefährten; auf den Boden verbannt – exilé sur le sol – gibt er sich schadenfrohem Gelächter preis. Hermetischer, in der strengen Form des Sonnetts, scheint der Schwan bei Stéphane Mallarmé auf: mit der täuschenden Hoffnung, dass er, der Reine, Lebenskräftige, Schöne, mit inspiriertem Flügelschlag das Eis brechen könne, das ihn festhält.337 Doch ist seine Zeit vorüber. Der Schwan im Eis: ein Schatten früherer Erinnerungen nur an diesem Ort, an dem kalte Missachtung den Ausgestoßenen umfängt. Auf die Positionierung des Vogels kommt es in unserem Zusammenhang an, nicht darauf, zusätzlich Sinnebenen aufzuspüren. Eine Interpretation des Werkes müsste dort erst ansetzen, wo wir schon enden können. Rainer Maria Rilke schließlich deutet den deplatzierten Schwimmvogel, die Entfremdung mit tötlicher Konsequenz, um zu einem Sinnbild der Erlösung:

336 Charles Baudelaire: Sämtliche Werke/Briefe in acht Bänden. Hrsg. von Friedhelm Kemp und Claude Pichois. Band 3. München 1975, S. 226-231, Erläuterungen S. 398-400. 337 Naturschutzverbände teilen im Winter gewöhnlich mit, dass gesunde Schwäne und Enten auf dem Eis nicht festfrieren können, weil es ihnen durch eine entsprechende Blutzirkulation keine Schwierigkeiten bereitet, die Temperatur der Füße konstant zu halten.

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Der Schwan Diese Mühlsal, durch noch Ungetanes schwer und wie gebunden hinzugehn, gleicht dem ungeschaffnen Gang des Schwans. Und das Sterben, dieses Nichtmehrfassen jenes Grundes, auf dem wir täglich stehn, seinem ängstlichen Sich-Niederlassen –: in die Wasser, die ihn sanft empfangen und die sich, wie glücklich und vergangen, unter ihm zurückziehn, Flut um Flut; während er unendlich still und sicher immer mündiger und königlicher und gelassener zu ziehn geruht.

Gereihte und ziehende Schwäne So verwoben um die Wende zum 20. Jahrhundert alte Topoi von Schwan und Tod mit Vorstellungen von Individuum, Natur, Schicksal. Wenig später setzte – wie in der Grafik – eine Reihung von Schwänen ein und es bildete sich das Motiv des Schwanenzugs: so bei William Butler Yeats, dem ahnt, dass die wilden Schwäne von Coole eines Tages fortgeflogen sein werden und ihn einsam zurücklassen. Oder als Nora-Anklang bei Richard Schaukal: Fluchtgedanken der jungen Frau am Arm des müden, hochbetagten Schlossherrn, angeregt von weißen Schwänen, die ihre stillen Kreise ziehen („Abend“). Im Lied von den fünf Schwänen prägte sich das Motiv dem Kollektivbewusstsein ein: „Zogen einst fünf wilde Schwäne, leuchtend weiß und schön. ‚Sing, sing, was geschah?’ Keiner ward mehr gesehn. ‚Ja, sing, sing, was geschat?’ Keiner ward mehr gesehn.“

Zu Anfang des 20. Jahrhunderts wurde dieses Lied im Bereich der Danziger Bucht aufgezeichnet – zuerst 1908 von Johannes Patock im Kreis Putzig – und verbreitete sich nach dem Ersten Weltkrieg als nachdenkliche Kriegskritik mit den Liedern des Wandervogels. Denn das Lied parallelisiert den Schwänen fünf junge Burschen, die zum Kampf hinausziehen: „Keiner kehrt mehr nach Haus.“

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Entsprechend wachsen fünf junge Birken, ohne zur Blüte zu gelangen, und fünf Mädchen, von denen keines den Brautkranz winden kann.338 Noch düsterer wird es bei Emil Rudolf Weiss, der verloren zusieht, wie seine sieben schwarzen Schwäne sinnlos schweigende Kreise ziehen auf umhülltem Teich.339 Ein Trauerklage, die ebenso Georg Trakl anstimmt, der das Gefühl völliger Verlassenheit und Depression beschreibt: „Schwäne ziehen durch die glänzenden Fluten, langsam, unbeweglich, starr ihre schlanken Hälse empor richtend. Sie ziehen dahin! Rund um das erstorbene Schloss! Tagein, tagaus!“340

Die lange festgefügte Topik wie die symbolistische Aufladung des Schwanenmotivs provozierten natürlich auch eine ironische Brechung oder parodistische Desillusionierung. Drei Beispiele ohne Kommentar: Heinrich Heine: Mythologie Ja, Europa ist erlegen – Wer kann Ochsen widerstehen? Wir verzeihen auch Danäen – Sie erlag dem goldnen Regen! Semele ließ sich verführen – Denn sie dachte: eine Wolke, ideale Himmelswolke, kann uns nicht kompromittieren. Aber tief muss uns empören, was wir von der Leda lesen – welche Gans bist du gewesen, dass ein Schwan dich konnt betören!341

338 Nach Frauke Schmitz-Gropengießer: http://www.liederlexikon.de/lieder/zogen_ einst_fuenf_wilde_schwaene (10.7.2011). 339 Lyrik des Jugenstils, S. 43. 340 Georg Trakl: Dichtungen und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. von Walther Killy und Hans Szklenar. 2. Aufl. Salzburg 1987, S. 200.

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Jules Renard: Der Schwan Er gleitet über den Teich wie ein weißer Schlitten, von Wolke zu Wolke. Denn ihn hungert’s nur nach jenen flockigen Wölckchen, die er auftauchen, sich bewegen und im Wasser zergehen sieht. Eines von ihnen möchte er haben. Er zielt mit dem Schnabel danach und versenkt plötzlich seinen in Schnee gekleideten Hals. Dann, wie einen Frauenarm, der dem Ärmel entschlüpft, zieht er ihn wieder zurück. Er hat nichts. Er schaut umher: die verscheuchten Wolken sind verschwunden. Doch nur einen Augenblick bleibt er enttäuscht, denn es dauert nicht lange, bis die Wolken zurückkehren, und dort drüben, wo das Gewelle des Wassers erstirbt, nimmt eine von ihnen schon wieder Gestalt an. Ruhig rudert der Schwan auf seinem leichten Flaumkissen und ist schon ganz nahe ... Er wird nicht müde, nach eitel Spiegelbildern zu fischen; und vielleicht wird er, ein Opfer dieses Gaukelspiels, sterben, ehe er auch nur ein Flöcklein einer Wolke gefangen hat. Aber was rede ich da? Jedesmal, wenn er taucht, durchwühlt sein Schnabel den nahrhaften Schlamm und bringt einen Wurm zutage. Er wird fett wie eine Gans.342 Robert Gernhardt: Schwanengesang Was wollen die Schwäne uns sagen? Wir leben und schweben Wir kreisen und weisen Wir finden und binden Wir ketten und retten Wir halten und walten Wir schlichten und richten Wir sind überhaupt ganz tolle Vögel – Das wollen die Schwäne uns sagen.343

341 Heinrich Heine: Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. Hrsg. von Manfred Windfuhr. Bd. 3/1. Hamburg 1992, S. 99. Wenn – wie der Kommentar Bd. 3/2. Hamburg 1992, S. 780 nahelegen will – das Gedicht die politischen Ereignisse des Jahres 1849 verschlüsselt, dann wäre die Gans Deutschland und der preußische König Friedrich Wilhelm IV. der Schwan. 342 Übersetzung von Kuno Weber: Vögel in der Weltliteratur. Eine Auswahl. Hrsg. von Federico Hindermann. 2. Aufl. Zürich 1987, S. 352-253.

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Kinderbücher In der Kinderbuchliteratur, die häufig abgesunkene literarische Traditionen adaptiert, konserviert und fortentwickelt, spielen Schwäne keine große Rolle. Von wenigen Bilderbücher abgesehen („Evi fliegt nach Afrika“) wäre einzig der Roman „The Trumpet of the Swan“ des amerikanischen Journalisten und Kinderbuchautors Elwyn Brooks White (1899-1985) zu nennen. Das Buch erschien zuerst 1970 und erzählt davon, wie Louis, ein Trompeterschwan, der ohne Stimme geboren worden war, mit Hilfe einer Trompete seine Behinderung überwinden konnte. Die Trompete hatte ihm sein Vater aus einem Musikgeschäft geraubt, und Louis empfand das als Gewissenslast, die er erst ablegen konnte, als er durch sein Trompetenspiel genug Geld verdient hatte, um die Schulden seines Vaters zu bezahlen. Danach heiratete er und führte ein weitgehend normales Leben als Wildvogel. Dieses in Besetzung (Trompeterschwäne, die großen Verwandten der Singschwäne, leben nur in Nordamerika), Naturdarstellung und Moral ganz amerikanische Werk wurde 1984 ins Französische, 1996 ins Deutsche und 2010 ins Japanische übersetzt. Ferner gibt es einen Animationsfilm und (naheliegend bei dem Thema) einige musikalische Adaptionen.

5. E MPIRISCHE W ISSENSCHAFT Anatomische Argumente für den Schwanengesang Den Angaben, die Aristoteles bietet, konnte erst Albertus Magnus neue Erkenntnisse aus eigenen Anschauungen hinzufügen (s. S. 64). Bartholomaeus Anglicus konnte (wie Giraldus Cambrensis) Schwäne, die bei menschlichen Wohnsitzen gefüttert werden, Höckerschwäne, von wilden Singschwänen unterscheiden. Die eigentliche empirische Forschung setzt im 16. Jahrhundert ein. Konrad Gesner systematisierte und ergänzte den überlieferten Kenntnisstand. Die Neufundierung der Anatomie, die durch die Rezeption von Galens Werk „Vom Gebrauch der menschlichen Körperteile“ erfolgte, führte zu neuen Einsichten. Pierre Belon, der im Auftrag des Königs von Frankreich naturhistorische Erkenntisse gewann, bildete in seinen „Portraits d’oyseaux“ das Skelett eines Vogels ab, um dessen Ähnlichkeit mit dem menschlichen Knochengerüst zu zeigen.344 Der frie-

343 Robert Gernhardt: Gedicht 1954-1994. Frankfurt/M. 1998, S. 72. 344 Pierre Belon: Portraits d’oyseaux ... Paris 1557, S. 4.

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sische Naturforscher Volcher Coiter, Stadtarzt in Nürnberg, lässt in seinen Veröffentlichungen erkennen, dass er Schwanenkörper geöffnet hatte. Einmal schreibt er vom weiten Brustkorb der großen Wasservögel, der Möwen, Schwäne, Enten usw, die den Lungen Platz gewährten, um sich auszudehnen.345 Weiteres Erkenntnispotenzial schien die Vogelsektion zunächst nicht zu bieten. Anatomische Befunde zum Schwan, die Aufsehen erregten, lieferte in einer breit angelegten zoologischen Kompilation der in Bologna lehrende Mediziner Ulisse Aldrovandi. Große Holzschnitte im dritten Teil seiner Ornithologia (1603) zeigen Skelette und häufig auch den Atemapparat der behandelten Vögel. Die Anatomie erläutert er im Text: Obwohl Aristoteles vom Darm des Schwans schreibe,346 erklärt Aldrovandi, scheine er den Vogel nie seziert zu haben. Sonst hätte ihm die wunderbare Gestaltung der Luftröhre auffallen müssen. Auch Aldrovandi interessieren keineswegs alle Eingeweide gleichermaßen, sondern eben das auffällige Organ, das einen Zusammenhang mit der mythologisch bezeugten Stimmbildung besitzt. Er beschreibt die lange, gewundene Form der Luftröhre, die nicht, wie bei anderen Vögeln gerade in die Lunge führe, sondern erst von einer Kapsel oder einem Behältnis des Brustbeins aufgenommen werde, aus dem sie sich wie eine Schlange zurück in die Brust biege, den unteren Kehlkopf bilde und schließlich in zwei Ästen in die Lunge senke. Die Art der Windungen erinnerte ihn an eine Tuba.347 Aldrovandis Ornithologia fand in mehreren Auflagen eine weite Verbreitung. Die Frankfurter Ausgabe von 1610-1613 ist dadurch merkwürdig, dass die sieben Illustrationen zum Artikel „Schwan“ auf einem Blatt, einer Radierung von Johannes Thaller, zusammengefasst sind, das neben den lateinischen auch deutsche Beschriftungen aufweist und – wenn das Datum 1601 auf dem Titelblatt stimmt – früher gefertigt worden ist als die Bologneser Erstausgabe der Ornithologia.348

345 Volcher Coiter: Externarum et internarum principalium humani corporis partium tabulae ... Nürnberg 1573, S. 131; Gabriele Falloppio: Lectiones ... de partibus ... humani corporis, ex diversis exemplaribus a Volchero Coiter summa cum diligentia collectae. Nürnberg 1575, De avibus, cap. Octavum. 346 Hist. an. 509. 347 Ulysses Aldrovandus: ORNITHOLOGIAE Tomus tertius ac postremus. Bologna 1603, S. 12: http://imgbase-scd-ulp.u-strasbg.fr/displayimage.php?pos=-101636 (13.10.2011). Vgl. Übersetzung von Lenz, S. 387f. 348 Aldrovandus: ORNITHOLOGIAE Tomus tertius et ultimus. Frankfurt/M. 1613, S. 5.

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Aldrovandis Befund wurde in der wissenschaftlichen Literatur der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts intensiv diskutiert. Jan Jonston, ein polnischer Gelehrter englischer Abkunft, verbreitete diese Erkenntnisse in seiner Historia naturalis 1650: Federigo Pendasio habe den Gesang der Schwäne auf dem Mantuaner See gehört; mit festlichen Gesängen ziehen Flotten von Schwänen die Themse entlang. Die Form der Luftröhre, die er nach Aldrovandi beschreibt, erklärt für ihn, dass die Stimme, durch die Rückbiegung verstärkt, mit großen Schall ausgestoßen werden könne.349 Der naturgelehrte Jesuit Athanasius Kircher mochte sich 1662 dieser Deutung nicht anschließen: Wir sagen, diese Formung sei den Schwänen nicht eigen, um Musik zu machen. Denn als gute Taucher durchpflügen die Schwäne das Wasser nach Nahrung. Dazu brauchen sie lange Hälse und lange Luftröhren. Deshalb auch habe die Natur ihnen einen hohlen Luftgang in die untere Brust eingepflanzt, in welchen sie wie in einem Sack den nötigen Atem sammeln können, um im Schwimmen unter Wasser zu grasen. – „Diesem nach halten wir den Schwanengesang für eine blosse Fabel/ von den Poeten erdacht/ aus Anlaß der Nymphen/ welche sie wegen ihrer Weisse Schwanen genennet ...“350 In Kopenhagen durchmusterte der Mediziner Thomas Bartholini nicht nur die antike und spätere Literatur. Er untersuchte auch die Schwäne auf der Graft des Schlosses Frederiksborg. Eingehend beschreibt er das präparierte Schwanenskelett, das der Leibarzt des dänischen Königs, Simon Pauli, der Kopenhagener Universität 1656 geschenkt hatte, und scheint selbst auch Schwanensektionen beigewohnt zu haben. Die von Aldrovandi entdeckte Kapsel des Brustbeins konnte er nicht überall feststellen, was er mit Anomalien oder dem Alter der Vögel erklärte. Dass Schwäne singen war ihm angesichts der zahlreichen Zeugnisse, nicht zuletzt neuerer aus Norwegen und Island, nicht zweifelhaft. Mit dem anatomischen Befund bringt er das nicht zusammen. Die Behauptung, Schwäne sängen angesichts ihres Todes, weist er allerdings entschieden zurück.351 Der Theologe Gottfried Voigt, Rektor der Domschule in Güstrow, ließ 1668 über den Schwanengesang disputieren. Das Argument, die gewundene Luftröhre deute darauf, dass Schwäne singen könnten, lässt er nicht gelten. Zwar habe alles in der Natur seinen Grund. Aber a posse ad esse zu schließen, sei nicht beweis-

349 Jan Jonston: Historia Naturalis De Avibus Libri VI. Frankfurt/M. 1650, S. 137. 350 [Athanasius] Kircher: Artis Magnae Consono & Dissono Ars Minor ... Hrsg. von Andreas Hirsch. Schwäbisch Hall 1662, S. 54. 351 Thomas Bartholinus: Dissertation de Cygni Antaome ejusq. Cantu a Johanne Jacobo Bewerlino in Academia Hafniensi olim subjecta, nunc Notulis qvibusdam auctios edita ex schedis paternis a Casparo Bartholinio. Kopenhagen 1668.

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kräftig. Die Luftröhre diene nicht dem Zweck der Musikausübung, sondern der Atmung. Dasselbe gelte für den lang gestreckten Hals: Andere Vögel mit langen Hälsen wie Storch, Pelikan oder Reiher singen nicht, während Vögel mit kurzen Hälsen süße Töne von sich geben können.352 Der Wittenberger Professor Georg Ludwig Glatthorn pflichtete in einer Dissertation, die er 1670 verteidigen ließ, Kircher und Voigt bei. Der lange Hals könne ebenso wenig als Beweis gewertet werden wie die ägyptische Hieroglyphe für Musik, die als Schwan gedeutet werden, oder alte Sprichwörter über singende Schwäne. Ab Hieroglyphicis et Proverbis in rebus Physicis ad rei veritatem N. V. C. Der Schwan ist stumm.353 Aldrovandi hatte allerdings nicht gewusst, dass nur beim Singschwan die Luftröhre in solcher Weise gebildet ist. Das stellte John Ray fest, der 1676 Francis Willughbys „Ornithologia“ herausgab. Zum zahmen Schwan, dem Höckerschwan also, merkte er an: Bei der Art führe die Luftröhre nicht ins Brustbein. Dieses sei dem wilden Schwan eigentümlich, nicht dem ganzen Geschlecht der Schwäne.354 Der Schwanengesang beschäftigte auch die Philologen. Eine anonyme Abhandlung, die 1750 in den Hannoverischen Gelehrten Anzeigen erschien, legte dar, der sterbende Schwan sei als Bild zu verstehen. Da Seelen schon in der Antike als hellglänzende, lichte Körper vorgestellt wurden, schloss der Autor, der sterbende Schwan bedeute den gereinigten Geist eines Priesters oder Wahrsagers kurz vor seiner Auflösung. Dessen letzte Worte könnten wohl tiefere Einblicke erwarten lassen als jene gewöhnlicher Menschen. Den Schwanengesang als Naturphänomen negierte er.355 Die Naturforscher führten ihren eigenen Diskurs. 1784 berichtete das „Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte“: „Vor einiger Zeit ließen sich in den Gewässern zu Chantilly in Frankreich einige wilde und durchziehende Schwäne nieder, die vermuthlich von den dort sehr häufig sich aufhal-

352 Gottfried Voigt: Curiositates Physicae de Rebus jucundis raris et novis ... Rostock 1668, S. 82-118, hier S. 116f. 353 Georg Ludwig Glatthorn (Praes.), Georg Leonhard Rücker (Resp.): Exercitium Academicum De Cygno ... Wittenberg 1670. N. V. C.: non videtur correctum? 354 Francis Willughby: Ornithologia libri tres ... Totum opus recognovit, digessit, supplevit Joannes Raius. London 1676, S. 271. 355 P.: Von dem Schwanengesange. In: Hannoverische Gelehrte Anzeigen auf das Jahr 17560, 34. Stück, S. 133-136. Nachgedruckt in: Neues Hamburgisches Magazin 18 (1777), 108 Stück, S. 371-379.

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tenden zahmen Schwänen waren angelockt worden. Man war so glücklich einige zu fangen und zahm zu machen, und diese sind nachher in dieser angenehmen Gegend so gut wie einheimisch geworden, indem sie sich ordentlich begatteten, Eyer legten u. s. w. Ihre Stimme war zwar von der zahmen ihrer ganz verschieden, aber überaus angenehm, diß erregte den Gedanken, daß doch die alten Dichter nicht so sehr Unrecht möchten gehabt haben, wenn sie die Schwäne des Meanders so gepriesen; und um sie im Ernst wegen der Ungerechtigkeit zu rächen, die wir an ihnen begehen, wenn wir sie in diesem Punkte für Betrüger halten, wurde die Sache an die Akademie der Innschriften berichtet und von ihr verlangt, daß sie einige Abgeordnete nach Chatilly schicken möchte, um sich selbst von der gar nicht unangenehmen Stimme dieser Schwäne zu überzeugen. Es kamen auch wirklich vier Mitglieder von ihr, und die Schwäne sangen in ihrer Gegenwart; einige Töne waren allerdings von einer solchen Annehmlichkeit, daß die zahmen nichts ähnliches davon hervorbringen konnten; da indeß eben ihre Legezeit war und man sie allemal aufjagen mußte, wenn sie sich sollten hören lassen, so konnten diese Herren sie doch nicht in ihrer ganzen Schönheit hören, sondern hätten dazu das nächste Frühjahr abwarten müssen. Also wär es gar wohl möglich, daß die Schwäne an den Ufern des Meanders viel vorzüglicher gewesen wären, als die, welche man aus den nördlichsten Gegenden gekommen zu seyn glaubt.“356

Die Frage des Schwanengesangs entschied sich schließlich durch Berichte aus Island und Russland, die darlegten, dass es tatsächlich eine Schwanenart gab, die laut vernehmbare Tone von sich gab: den Singschwan nämlich.357 Die weiteren Erörterungen kreisten deshalb um die aus der Antike überlieferte Behauptung, der Schwan singe im Angesicht des Todes. Der große Naturforscher und Sibirienreisende Peter Pallas bemerkte dazu 1811: „Auch was vom Gesang des sterbenden Schwans erzählt wird, entbehrt nicht ganz des Fundaments, denn der tötlich getroffene Singschwan bringt einen letzten Hauch, mit dem er Luft aus der Luftröhre ausstößt, wie einen Klang hervor.“358 Spätestens mit Brehms Thierleben bot diese Erklärung wenigstens für das gebildete Publikum in Deutschland die Lösung eines lange diskutierten mythologischen Problems. Brehm schrieb:

356 Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte 1 (1784), S. 196-197. 357 Vgl. Lenz, S. 390-393. 358 Peter Pallas: Zoographia Rosso-Asiatica, sitens omnium animalium in extenso Imperio Rossico … Tomus II. St. Petersburg 1811, S. 214. http://books.google.com/ books/about/Zoographia_Rosso_Asiatica.html?id=beLRAAAAMAAJ (22.10.2011).

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„Eigentliche Lieder hat auch der sterbene Schwan nicht mehr; aber sein letztes Aufröcheln noch ist klangvoll, wie jeder Ton, welchen er von sich gibt.“359 Fragen der Klassifikation Klassifikationsprobleme: Linné unterschied Höcker- und Singschwan noch nicht als eigene Arten. Unter der Bezeichnung Anas cygnus fasste er den wilden wie den zahmen Schwan, auch wenn er ein distinktives Merkmal anführte: Mansvetus distinguitur cera nodosa nigra utrisque rostrum versus basim rubrum.360 Seine Beschreibung von 1758 wird als Basisbeschreibung für den Singschwan anerkannt. Erst Johann Friedrich Gmelin legte in seiner Ausgabe von Linnés Systema naturae, die er als 13. Auflage zählte, dem Singschwan die Bezeichnung Cygnus, dem Höckerschwan die Bezeichnung Olor bei.361 Auf den Zwergschwan wies Peter Pallas die Fachwelt hin, klassifizierte ihn jedoch als Rasse der Singschwäne (Anas cygnus minor). Als eigene Gattung trennte 1810 Bernhard Meyer die Schwäne von der Familie Anas ab.362 Den Zwergschwan als besondere, vom Singschwan zu unterscheidende Art beschrieb zuerst William Yarrell 1830.363 Seitdem war ein Erkenntnisstand erreicht, der zwar im Hinblick auf die nordischen Schwäne – Singschwan, Zwergschwan, Pfeifschwan, Trompeterschwan – gelegentlich neu bewertet wird, im Ganzen aber konstant geblieben ist. Was zur Biologie der Schwanenvögel – ohne weiterführende Fragestellungen und mit manchen Mutmaßungen – durch Beobachtung ermittelt werden konnte,

359 A. E. Brehm: Illustrirtes Thierleben. Eine allgemeine Kunde des Thierreichs. Vierter Band. Hildburghausen 1867. ND Stuttgart 1979, S. 782. 360 Systema Naturae per Regna tria Naturae, secundum Classes, Ordines, Genera, Species. Tomus I. Editio Duodecima. Stockholm 1766, S. 194: http://gdz.sub.unigoettingen.de/dms/load/img/?PPN=PPN362053367 (18.10.2011). 361 Karl von Linné: Systema Naturae. Tom I. Editio decima tertia. Cura Jo. Frid. Gmelin. Leipzig 1788, S. 501-502: http://www.biodiversitylibrary.org/bibliography/545 (18.10.2011). 362 [Bernhard] Meyer: Taschenbuch der deutschen Vögelkunde ...Zweiter Theil. Frankfurt/M. 1810, S. 499. 363 Willam Yarrell: On a new species of Wild Swan taken in England, and hiterhto confounded with the Hooper. In: Transactions of the Linnean Society of London 16 (1833), S. 445-454: http://www.biodiversitylibrary.org/item/19440#page/528/mode/ 1up (26.4.2014).

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breitete Johann Friedrich Naumann in solcher Vollständigkeit aus,364 das Brehm auf eine Behandlung des Höckerschwans in seinem „Thierleben“ glaubte verzichten zu können. Die Fragen der Systematik schienen Mitte des 19. Jahrhunderts geklärt zu sein, ebenso die mythologischen Fragen, die nur noch die Geisteswissenschaften bewegten. Als Objekt der empirischen Naturwissenschaften erregten die Schwäne kein Interesse mehr. Schwäne als Gegenstand der Verhaltensforschung Gerade der Umstand aber, dass sie gut bekannt und zu beobachten waren, ohne domestiziert zu sein, ließ die Schwäne aber (wie Graugänse und Krähen) zu bevorzugten Gegenständen der Verhaltensforschung: der Ethologie werden. Den Begriff hatte der Ornithologe (und erste Leiter des Berliner Aquariums) Oskar Heinroth geprägt. Nach einer kleineren Arbeit über die Brautente legte er auf dem Internationalen Ornithologen-Kongress 1910 in Berlin eine eingehende Untersuchung über das Verhalten der Entenvögel vor, durch die er einen neuen Wissenschaftszweig begründen wollte.365 Von Konrad Lorenz und Heinroths zweiter Frau Katharina wurde dieser Beitrag später als Geburtsurkunde der vergleichenden Verhaltensforschung angesehen; Lorenz sprach sogar vom „Geburtsakt“.366 Heinroth knüpfte an Fragen der Systematik und Klassifikation der Arten an. Er glaubte, in den arteigenen Triebhandlungen neue und sichere Anhaltspunkte für den Verwandtschaftsgrad von Arten, Gattungen und Unterfamilien gefunden zu haben. Gerade die für die betreffenden Arten nicht lebenswichtigen Dinge, schreibt er, konnten sich in vielen Fällen besser unverändert erhalten als äußere

364 Johann Andreas Naumann’s Naturgeschichte der Vögel Deutschlands, nach eigenen Erfahrungen entworfen ... hrsg. von ... Johann Friedrich Naumann. Elfter Theil. Leipzig 1842, S. 429-509. 365 Oskar Heinroth: Beiträge zur Biologie, namentlich Ethologie und Psychologie der Anatiden. In: Proceedings of the International Ornithological Congress 5 (1910), S. 589-702. 366 Katharina Heinroth: Die Geschichte der Verhaltensforschung. In: Grzimeks Tierleben. Enzyklopädie des Tierreichs. Sonderband „Verhaltensforschung“. Hrsg. von Klaus Immelmann. Zürich 1974, S. 1-15, hier S. 5-7; Ilse Jahn, Ulrich Sucker: Die Herausbildung der Verhaltensbiologie. In: Ilse Jahn (Hrsg.): Geschichte der Biologie. 3. Aufl. Berlin 2000 (Sonderausg. Hamburg 2004), S. 580-600, hier S. 593f.

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und innere für unsere Bestimmungs-Systematik wichtige Merkmale, die durch den Kampf mit der Außenwelt in ewigem Fluß begriffen waren.367 Er begann seine Darlegungen mit der Gruppe der Schwäne, zuerst dem der „Beobachtung am leichtesten zugänglichen“ Höckerschwan, und stellte fest, dass sich das Verhalten dieser Art durch die Pflege des Menschen in keiner Weise verändert habe. Besonders auffallend erschien ihm das „Flügelstellen“ der Höckerschwäne: „Sobald der Höckerschwan einen Gegner vertreiben, sich also ein Furcht erregendes Äußere geben will, hebt er die Ellenbogen nebst den Armschwingen und legt schließlich auch den Hals mehr oder weniger zurück.“368 Er deutete das Anheben der Armschwingen als „Imponierstellung“. Die Singschwäne übrigens zeigten diese Imponierstellung nicht. Heinroth bemerkte: „Da sie sich nicht erst lange auf Droh- und Imponierstellungen einlassen, so haben sie gewöhnlich auch bald über den Höckerschwan die Oberhand: bis dieser sich in Positur gesetzt hat, beißen und schlagen sie gleich zu, und der Angegriffene zieht erschrocken den kürzeren ...“369 Die „psychischen Fähigkeiten“ des Höckerschwans schätzte Heinroth – mit Vergleich mit Gänsen und Enten – eher gering ein. Spuren von überlegtem Handeln oder eine flexible Anpassung an veränderte Situationen konnte er nicht nachweisen. Die Unbeholfenheit, die der Schwan an Land zeigt, die ganz an das Wasser angepasste Lebensweise beschrieb er eindrücklich: „Kommt er [der Schwan] an eine Pfütze, in der das Wasser auch nur wenige Millimeter hoch steht, so legt er sich ... schon vor der kleinen Wasserfläche nieder und müht sich unter großer Anstrengung, Schwimmbewegungen ausführend, ab, durch das ganz flache Wasser zu schwimmen, statt einfach hindurchzugehen.“370 Heinroth breitete eine Fülle von Beobachtungen aus und suchte nach artspezifischen funktionalen Erklärungen. Seinen Ansatz verfolgten andere weiter. Der holländische Zoologe Frits Portielje beschrieb 1936, wie ein männlicher Schwan, als ein Rivale in sein Revier eindrang und gleichzeitige Angriffs- und Fluchtreflexe einander blockierten, den Erregungsstau durch Nestbauaktivitäten abreagierte: eine sogenannte Übersprungbewegung. Damit stieß er auf komplexe Zusammenhänge, die in der ethologischen Forschung lange diskutiert wurden.371

367 Heinroth, S. 701. 368 Ebd., S. 593; vgl. Ruschke, S. 109. 369 Heinroth, S. 607. 370 S. 602. 371 A. F. J. Portielje: Ein bemerkenswerter Grenzfall von Polygamie bzw. accessorischer Promiskuität beim Höckerschwan, zugleich ein Beitrag zur Ethologie bzw.

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Heinroths Einsichten zum Revierverhalten männlicher Höckerschwäne, seine Behauptung, dass die Imponierstellung dem Zweck diene, das Brutgebiet gegen Feinde zu verteidigen, untersuchte Anfang der 1980er Jahre Josef Reichholf.372 Schwäne beanspruchen ein Territorium, dessen Nahrungsangebot vier oder fünf Mal größer ist als der Bedarf eines Schwanenpaares und seiner Jungen. Das übergroße Revier erklärt den hohen Grad an Aggressivität, der nötig wird, um das Territorium gegen Artgenossen zu behaupten. Den soziobiologischen Sinn dieses Verhaltens erkannte Reichholf in der Notwendigkeit, dem Reproduktionserfolg eines Schwanenpaares Nachhaltigkeit zu verleihen: die hohen Winterverluste der Jungschwäne bis zu deren eigener Fortpflanzung zu minimieren. Und das gelingt am besten dadurch, dass die Konkurrenz klein gehalten wird. Natur- und Artenschutz Seit Ende des 19. Jahrhunderts erhielten die biologischen Wissenschaften Unterstützung durch die – ganz eigenen Antrieben folgende – Naturschutzbewegung. Diese hatte ihren Ausgang im Vogelschutz genommen und wurde vor allem von Laien getragen. Auf die Wissenschaft wirkte sie durch tierbiografische Ansätze ein und erweiterte den Blick auf Lebensräume, förderte also eine ökologische Sichtweise. Im Hinblick auf die Kenntnisse über Schwäne und deren Popularisierung verdient vor allem der schwedische Tierschriftsteller Bengt Berg (18851967) erwähnt zu werden. Berg war kein studierter Zoologe, hatte aber durch seine Beschäftigung am Museum Koenig in Bonn wissenschaftliches Arbeiten kennen gelernt. Seine mit eindrucksvollen Fotografien illustrierten Bücher, mit Empathie anschaulich geschrieben, weckten das Interesse an bestimmten Tierarten und ihren Lebenszusammenhängen. 1913 erschien sein Buch über den Tåkern, einen zehn Kilometer langen und fünf Kilometer breiten See in Östergötland, der durch anthropogene Einflussnahme zu einem außerordentlich wichtigen Brutgebiet für Wasservögel

Psychologie von Cygnus olor (Gm.). In: Journal für Ornithologie 84 (1936), S. 140158. Vgl. Peter Sevenster: Die Übersprungbewegung. In: Grzimeks Tierleben. Enzyklopädie des Tierreichs. Sonderband „Verhaltensforschung“. Hrsg. von Klaus Immelmann. Zürich 1974, S. 224-233. 372 Josef Reichholf: Über die Funktion des Reviers beim Höckerschwan Cygnus olor. In: Verhandlungen der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern 24 (1984), S. 125136; ders.: Das Comeback der Biber. Ökologische Überraschungen. Tb.-Ausg. München 1996, S. 64-88; ders.: Der Ursprung der Schönheit. Darwins größtes Dilemma. München 2011, S. 42-47.

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geworden war. 1842-1844 hatte man versucht, den See trocken zu legen, um Ackerland zu gewinnen. Das Vorhaben scheiterte im Wesentlichen: Der Wasserspiegel konnte nur auf ca. 80 Zentimeter abgesenkt werden. So entstandt ein flacher Landsee und ein ganz ungewöhnliches Biotop. Bergs „Tåkern. En bok om fåglarnas sjö“ erschien 1913. Schon im Untertitel sprach es den Tieren ihr eigenes Recht zu: der See der Vögel, eben keine Nutzfläche, über welche Menschen disponieren konnte. Berg stellt darin den Lebensraum dieses Sees und seine Bewohner vor. Das Buch erfuhr 1928 eine Übersetzung ins Dänische und ins Deutsche. Die deutsche Übersetzung („Tookern. Der See der wilden Schwäne“) erreichte bis 1942 acht Auflagen (43.000 Exemplare). Die Aufmerksamkeit seiner Leser lenkt Berg besonders auf die Schwäne, nicht auf die Singschwäne, die auf dem Tåkern überwintern, sondern die tausend Höckerschwäne, die im Frühjahr herbei kamen, um hier zu brüten. Die Revierverteidigung und das Paarungsverhalten beschreibt er ebenso genau und detailliert wie Heinroth373 (dessen Ausführungen er nicht kennt), seine Intention zielt aber darauf, die Vögel kennen zu lernen und dieser Kenntnis zu vermitteln. Er analysiert das Verhalten nicht durch ethologische Vergleiche. Stattdessen schildert er auf breitem Raum seine Fotojagd: wie es ihm gelang, sich – getarnt auf einem Brett über das Eis schiebend oder auf einem Kahn im Schilf verborgen – den Vögeln oder dem Nest zu nähern, um die Fotos zu schießen, die einen guten Teil der Attraktion des Werkes ausmachen. Wenn er sich auch um biologische Exaktheit bemüht, will Berg doch seine Assoziationen nicht unterdrücken und deutet das Tierverhalten aus menschlicher Perspektive. „Er ist stolz und sich seiner Schönheit bewusst, als ob er wüsste, dass er der königliche Schwan unserer Kindermärchen ist, der auf dem Haupt eine Krone trug und ein verzauberter Prinz war.“374 Oder über die Schwänin: „Für mich ist es eine Königin. Sie regiert über ein wildes Reich von Vögeln und Schilf und Wasser. Sie braucht keine andere Krone mehr, als den schweren Helmhöcker, den sie an der Stirn trägt. Ihre Haltung, ihr blendend weißes Gefieder und ihr königlich stolzes Gemüt machen sie zur Königin.“375 An einer Stelle beschreibt er eine Übersprungbewegung, missdeutet sie aber in bezeichnender Weise: Das Schwanenweibchen bemerkt das Kameraobjektiv, durch das Berg es beobachtet. Es wird unruhig. Berg begriff nicht, was es wollte,

373 Revierverteididung: Heinroth, S. 595, Bent Berg: Tookern. Der See der wilden Schwäne. Aus dem Schwedischen von Edmund Herms. 11.-16. Tausend. Berlin 1929, S. 30; Paarungsverhalten: Heinroth, S. 599; Berg, S. 26. 374 Berg, S. 20. 375 Ebd., S. 68.

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bis es den langen Hals über die Nestkante reckte. „Da wurde mir klar – es will an seinem Nest bauen. ... Es ließ sich nach vornwärts fallen und nahm die Halme aus dem Wasser. Mit seinem breiten Schnabel nahm es mehrere zugleich, hob sie über das Nest und schleuderte sie so heftig von sich, als ob es böse wäre. Nachdem es so mehrere Minuten gebaut und sich einen kleinen Schirm von Stroh zurechtgelegt hatte, merkte ich erst, daß es die Halme nur auf die Seite des Nestes brachte, die mir zugewendet war.“ Und Berg überlegte, dass es einen Schirm zwischen den Eiern und dem Kameraauge errichten wollte. „Du sonderbarer, feiner Vogel!“ schloss er gerührt.376 Ein Fotograf und Tierschriftsteller wie Bengt Berg, doch von sehr eigener Prägung, war der finnische Tierarzt Yrjö Kokko (1903-1977). Der frühe Tod seiner Eltern zwang ihn dazu, als Schiffsjunge und Landarbeiter das Geld zu verdienen, das er für seinen Schulabschluss brauchte. Nach Beschäftigungen als Seehundjäger, Lehrer und Journalist studierte er an der Tierärztlichen Hochschule in Hannover, an den Universitäten Tartu und Wien. Im finnisch-sowjetischen Krieg diente er als Soldat. Sein Buch „Laulujoutsen. Ultima Thulen Lintu“ erschien 1950 und hatte buchhändlerisch Erfolg – fünf Auflagen in finnischer Sprache, Übersetzungen ins Deutsche, Französische und Schwedische – und Erfolg für den Artenschutz des Singschwans. Die Population der Singschwäne war im Norden Fenno-Skandinaviens weitgehend zusammengebrochen. Fünf Sommer lang suchte Kokko in Lappland vergeblich nach belegten Brutplätzen. Im sechsten Sommer fand er, von dem Samen Sulo Rovan begleitet, ein besetztes Nest und beobachtete die scheuen Vögel aus einem Birkenast-Gestell, das, mit Rentierfellen überspannt, an ein Weidetier erinnerte, heraus. Sein Bericht ist stark literarisch geformt und mündet in einen Hymnus auf den Singschwan: den finnischen Schicksalsvogel. Die Begegnung mit den Wildschwänen wurde ihm zu einem mythischen Erlebnis, im welchem sich nationale Identitätssuche, Erklärungen des eigenen Familienschicksals und Motive aus dem finnischen Nationalepos überlagerten. Ein Zeichen der Möglichkeit einer Versöhnung von Mensch und Natur. Als die brütende Schwänin ihn als Menschen erkennt und dennoch auf dem Nest sitzen bleibt, hat seine Reise ihr Ziel erreicht. In metaphysisch überhöhter Stimmung bricht er sein Lager ab, ohne den weiteren Brutverlauf und die Aufzucht der Jungen zu dokumentieren.377 Ein wissenschaftliches Interesse leitete ihn nur am Rande.

376 Ebd. S. 74. 377 Yrjö Kokko: Singschwan, der Schicksalsvogel. Das Wunder von Ultima Thule. Aus dem Finnischen von Wolfgang Schlachter. Wiesbaden 1952, S. 180f.

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Kokkos Buch und einer Kampagne des Jagdverbandes und der Vogelschützer gelang es, die Verhältnisse für die Schwäne grundlegend zu ändern. Seit 1959 nahm die Zahl der Brutschwäne in Finnland wieder zu. Heute gibt es in Finnland mehr Schwäne als im 19. Jahrhundert.378 Der Kenntnisse über Schwäne, durch wissenschaftliche Dokumentationen abgesichert, vermehrten sich im 20. Jahrhundert entscheidend und 1956 erschien die erste ornithologische Monografie, welche die Gattung Schwäne behandelte. Der Verfasser, Alfred Hilprecht (1901-1985), war der Gründungsdirektor des Zoos in Magdeburg, hatte dieses Amt jedoch niederlegen müssen, da seine politischen Ansichten nicht der in der DDR herrschenden Ideologie entsprachen.379 Über Schwäne, namentlich ihre Bestandsentwicklung, hatte er verschiedentlich publiziert und trug nun umfassend zusammen, was man wusste. Sein Buch widmete er dem Gedenken an Oskar Heinroth. Es erfuhr 1970 eine zweite und 1995 eine (unveränderte) dritte Auflage. In England zählte der Maler, Ornithologe und Sportsman Peter Markham Scott zu den erfolgreichsten Förderern des Naturschutzgedankens. 1946 gründete er in Slimbridge, einem Dorf halbwegs zwischen Bristol und Gloucestershire den heutigen Wildfowl and Wetland Trust, eine Stiftung, die sich dem Schutz von Feuchtgebieten verschrieben hat. Das Logo der Stiftung zeigt zwei fliegende Schwäne, ganz ähnlich wie der Buchschmuck von Bergs Tookernbuch. Das Naturschutzgebiet von Slimbridge ist für seine Gänse- und Entenvögel und nicht zuletzt seine Schwäne bekannt. Als besonderes Merkmal dieses Reservats gilt die große Zahl der Zwergschwäne, die sich dort im Winter einfindet. Den Zwergschwan erklärte Scott zu seinem Lieblingsvogel. 1948 hatte sich ein erster Schwan dieser Art nach Slimbridge verirrt. Scott ließ ihn einfangen, um seine Sammlung gefangen gehaltener Wasservögel zu komplettieren, und besorgte aus Holland einen Partner. 1956 gelang die erste Brut von Zwergschwänen in Gefangenschaft. Die gefangenen Schwäne lockten wilde Artgenossen an, die regelmäßig von See her einflogen. Die Fütterung mit Weizenkörnern etablierte einen festen Aufenthalt auf einem Teich, der durch die Fensterfront einer Arbeitsstation unmittelbar eingesehen werden konnte. Dort versammelten sich im Winter 1970/71 bis zu 411 Zwergschwänen am Tag. Die Mitarbeiter der Vogelstation lernten, die Vögel am Muster ihrer Schnäbel zu unterscheiden, gaben ihnen Namen und markierten sie farbig, um ihre Züge nach Holland und Dänemark zu verfolgen.

378 Hilprecht, S. 14; Rutschke, S. 63. 379 http://www.uni-magdeburg.de/mbl/Biografien/0231.htm (4.3.2012).

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1972 gab Scott als Publikation des Wildfowl Trusts ein Buch heraus, das für die Schwäne und den Trust gleichermaßen werben sollte. Es wandte sich an Fachleute wie an Laien und bot den aktuellen Wissensstand in einer anspruchsvollen Ausstattung: großzügig auf schwerem Papier gesetzt und mit zahlreichen Abbildungen und 48 Kunstdrucktafeln.380 Im Klappentext heißt es, das Werk enthalte eine Fülle neuer Informationen, die nur mit Hilfe der einzigartigen Ressourcen des Wildfowl Trusts gewonnen werden konnten. Und in der Tat handelt es sich um ein eindrucksvolles Gemeinschaftswerk von neun Wissenschaftlern. Der Höckerschwan erfuhr 1986 durch die beiden englischen Biologen Mike Birkhead und Christopher Perrins eine umfassende Behandlung.381 Nur wenige Menschen, so führen sie in ihr Buch ein, wollten bestreiten, dass der Höckerschwan einen der schönsten Anblicke in der englischen Landschaft biete. Obwohl Schwäne auch leicht zu beobachten seien, wisse man doch wenig über ihren Lebenszyklus und ihre Populationsbiologie. Dem helfen sie ab. Vor allem interessiert sie die deutliche Abnahme des Bestandes in England, wofür sie (neben der Zerstörung der Lebensräume) besonders die Vergiftung durch Blei verantwortlich machen. Außer Bleischroten seien auch die Senkbleie an Angeln zu beachten. Letztlich stärkten Birkhead und Perrins – nicht anders als Berg, Kokko und Scott – den Natur- und Artenschutz, für den sie empirisch belegte Argumente liefern. Nicht zufällig sind Schwäne Untersuchungsobjekte und Symbole einer intakten Umwelt. Birkhead schlug übrigens nach diesen Forschungen eine Karriere als Filmemacher ein und produzierte eine Reihe erfolgreicher Naturfilme. Sogar Erich Rutschke, dem wir die neueste biologische Monografie über Schwäne („Die Wildschwäne Europas“) verdanken, beginnt damit, die optischen Reize und positiv belegten Verhaltensmuster der Vögel herauszustreichen, um eine emotionale Verbindung zum Leser herzustellen: „Die Anmut des schwimmenden Vogels, das blendende Weiß des Gefieders und die Fürsorge, mit der Schwaneneltern ihre Jungenschar betreuen und notfalls verteidigen, sprechen jeden an, der sich ein offenes Auge für die Natur bewahrt hat.“ Seine Darstellung gibt knapp, aber umfassend den aktuellen Wissensstand wider.382 Rutschke (1926-1999) hatte Tierphysiologie an der Pädagogischen Hochschule Potsdam gelehrt und war als Forscher mit Untersuchungen von Federn hervorgetreten.

380 Peter Scott and the Wildfowl Trust: The Swans. London 1972. 381 Mike Birkhead, Christopher Perrins: The Mute Swan. London 1986. 382 Erich Rutschke: Die Wildschwäne Europas. Biologie, Ökologie, Verhalten. Berlin 1992.

III. Differenzen, Muster, Veränderungen

1. F ARBE Die europäischen Schwanenarten haben ein blendend weißes Gefieder. Dieser Wahrnehmungseffekt entsteht durch die Brechung des Lichtes in den Luftkammern der Federkiele. Die Intensität der Wahrnehmung hängt von der Intensität des Lichtes, in aller Regel des Sonnenlichtes, und der Lichtfarbe – der Verteilung nach Wellenlängen – ab. Licht wirkt auf die menschlichen Körperfunktionen ein. Weißes Licht unterdrückt die Ausschüttung von Melatonin, das müde macht und depressiv. Menschen sind Tagtiere, Helligkeit wird schon deshalb positiv konnotiert.1 Eine rein weiße Fläche bildet einen starken Farbreiz in einer bunten Umgebung. Anders verhält es sich in Schneelandschaften, wie etwa die Brutgebiete des Singschwans sie noch im Frühjahr darbieten. Die Küken und Jungschwäne tragen ein durch Pigmente gefärbtes graues oder bräunliches Federkleid. Die Verhaltensbiologie erklärt das weithin leuchtende Weiß mit der abschreckenden Wirkung auf Artgenossen. Schon aus der Ferne soll es erkennen lassen, dass das Revier bereits besetzt ist.2 Ob diese Erklärung hinreicht, muss hier nicht diskutiert werden. Allein, dass die Farbgestalt erklärungsbedürftig zu sein scheint, gilt es zu konstatieren. In den germanischen, slawischen und keltischen Sprachen, ferner im Lateinischen, hat man Schwäne zunächst nach dem Weiß ihres Gefieders benannt: Elbiz, lebed, ela oder olor etc. Der laute Ruf, der im Speziellen den Singschwan kennzeichnet, erwies sich jedoch als ein stärkeres Benennungsmotiv. Die Bezeichnungen „Swan/Schwan“ bzw. „Kyknos/cygnus“ glitten auch auf die Höckerschwäne über. Das wurde durch Literatur vermittelt, aber ganz allgemein

1

Eibl-Eibesfeldt, S. 736f., 918.

2

Reichholf: Schönheit, S. 45.

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leiten sich die alten Vogelnamen gewöhnlich von den Rufen ab, nicht von Farben. In der griechischen Mythologie wird Apollon als Inbegriff des aufgehenden Lichts von Schwänen begleitet. Der Traumdeuter Artemidoros erklärte im 2. Jahrhundert nach Christi Geburt: Der Schwan bringt wegen seines weißen Gefieders Verborgenes ans Licht. Die weiße Farbe erscheint als Funktion der Sonnenstrahlung, und der Leser fühlt sich an das literarische Motiv „Die Sonne bringt es an den Tag“ erinnert. Da irritiert es weniger, wenn Horaz schreibt, Venus werde mit den Schwingen purpurfarbener Schwäne (purpureis ales oloribus) einziehen,3 denn ganz offenbar lassen die Strahlen der aufgehenden Sonne die Federn erleuchten.4 Trotz rotfiguriger Schwäne in der Keramikmalerei gab es in der Antike kein Zweifel daran, dass Schwäne weiß waren, wie denn z. B. Aristoteles in seinen logischen Schriften mehrfach „Schwan“ und „weiß“ zueinander in Beziehung setzte. Schnee und Schwan, schreibt er an einer Stelle, entsprechen sich im Hinblick auf ihr Weiß.5 Artemidor hatte ferner gemeint, wenn Kranke von einem Schwan träumten, verhieße dieses Genesung. Auch das kann von der Heilkraft der Sonnenstrahlung abgeleitet werden. Ein weißer oder weißlicher Vogel, der dem Kranken die Krankheit abnehmen und davontragen sollte, war der wunderbare Charadrius, der gewöhnlich mit dem Regenpfeifer identifiziert wird, in der mittelalterlichen Überlieferung aber mitunter Interferenzen zum Schwan aufweist. Die Kirchenväter und Theologen des Mittelalters machten bis ins 12. Jahrhundert hinein die Farbe der Schwäne nicht zum Gegenstand ihrer Exegesen. Das änderte Hugo de Folieto, den besonders das weiße Gefieder interessierte und der Kontrast zum schwarzen Fleisch, weshalb er das Bild des Heuchlers fand. „Wenn eure Sünde auch blutrot ist, soll sie doch schneeweiß werden ...“: quasi nix dealbabuntur, spricht der Herr Jes. 1, 18. Der Schwanengesang aus den Carmina Burana steigert das noch: „weißer als Schnee“. Hier vollzog sich eine Differenzierung im Code der Moral. Zur gleichen Zeit verfestigten sich die liturgischen Farben. Papst Innozenz III. erklärte 1195/97, helles Leinen deute auf den Glanz des Ruhmes (vgl. Apc.

3

Od. 4, 1, 9.

4

Fontane, S. 318 zu den Schwänen in Ütz: „… wo ein Schwan durch diesen glühenden Streifen [der untergehenden Sonne] hindurchfuhr, da überzog es sein Gefieder wie eine flüchtige Röte …“ Vgl. Handt/Weiß, S. 76f.

5

Aristoteles: Sophistische Widerlegungen. Übersetzt und erläutert von J. H. Kindermann. Heidelberg 1883 (Philosophische Bibliothek 91), S. 14.

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19, 14) und weiße Stoffe seien für die Feste der Märtyrer und heiligen Jungfrauen zu wählen – wegen ihrer Reinheit und Unschuld (propter integritatem et innocentiam).6 Ebenfalls zu Ende des 12. Jahrhunderts wurden z. B. die Wunder aufgezeichnet, welche die heilige Frideswide nach ihrem Tode bewirkte: Nachdem ein wahnsinniger Tuchwalker in der Marienkirche in Oxford einen Anfall von Raserei erlitten hatte, fragte er die Umstehenden, wohin die beiden Schwäne entschwunden seien, die er in auffälliger Größe und von unsagbar hellem Glanz auf dem Sarkophag der Heiligen hatte sitzen sehen. Niemand außer ihm aber hatte sie wahrgenommen.7 Dante lässt im Purgatorio seiner Göttlichen Komödie (1313/21) einen Engel erscheinen, „mit offenen Flügeln,/ denen gleich des Schwanes“, der regte die Schwingen und versicherte, selig seien die Trauernden. Denn gute Seelen werde Trost zuteil.8 Engel, Schwäne und erlöste Seelen beginnen sich zu überlagern. Trotz der mittelalterlichen „Freude an Farbe und Licht“9, der Symbolisierung der Farben und der eindeutigen liturgischen Festlegungen konnte auch im Spätmittelalter das Schwanenweiß überdeckt werden. Schon 1245 zeigt das Wappen der Herren von Steinfurt einen roten – aggressiven (zornigen) – Schwan in Gold, allerdings wurden Schwäne sonst in aller Regel weiß (silbern) tingiert. Eine französische Exegese von ca. 1340 erklärt: Der Schwan habe einen roten Kopf und schwarze Füße – so wie viele, die in der Jugend züchtig erröten, am Ende ihres Leben aber schwarz geworden sind von Sünde und Verfehlungen.10 Ein Kontrast also, der ganz auf die Farbe weiß verzichtet. Zu spätmittelalterlichen Schauessen trug man vergoldete Schwäne auf: „Du magst jn vbergülden/ versilbern/ oder zieren wie du wilt,“ schrieb Rumpolt noch

6

Johannes Cochlaeus (Hrsg.): Innocentii Papae, Hoc Nomine Tertii, Libri sex de sacro Altaris mysterio … Leipzig 1534, f. 10r, 17v. Online: http://www.mdz-nbnresolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10165445-7 (9.11.2012).

7

De Sancta Frideswida virgine, patrona Oxoniensi in Anglia auctore Philippo Priore: Acta Sanctorum, Oct. VIII (http://acta.chadwyck.co-uk.proxy.nationallizenzen.de).

8

Die Göttliche Kömodie von Dante. II. Das Fegefeuer. Übers. von Karl Eitner. Leipzig o. J., S. 71 (Purgatorio 19, 46). Vgl. Bettina Bosold-DasGupta: Schweben, kreisen, gleiten, flattern ... Zur Semantik der Vögel in Dantes Divina Comedia. In: Obermaier, S. 281-306, hier S. 300.

9

Umberto Eco: Arte e bellezza nell’estetica medievale. Dt.: Kunst und Schönheit im Mittelalter. 4. Aufl. München 1998, S. 67. Vgl. Jacques Le Goff: La civilisation de l’occident médiéval. Dt.: Kultur des europäischen Mittelalters. München 1970, S. 556.

10 Berchorius, S. 189.

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1581. Das kostbare Material und die künstliche Verzierung galten mehr als die Natur. In der Kunst aber triumphierte das lyrische Schwanenweiß, hymnisch gefeiert in Spensers „Prothalamion“: So purely white they were That even the gentle stream, the which them bare, Seemed foul to them, and bade his billows spare To wet their silken feathers, lest they might Soil their fair plumes with water not so fair, An mar their beauties bright, That schone as Heaven’s light …

Die Maler haben im 16. und 17. Jahrhundert nie goldene oder rote Schwäne dargestellt, sondern die Lichtwirkung des weißen Gefieders genutzt, auf niederländischen Stillleben im Kontrast zu dunklem Wildpret oder im Angriff auf einen Hund. Das war ein dankbares Sujet der Hell-Dunkel-Malerei. Zuletzt setzt Oudry 1740 die Wirkung von Licht und Schatten in einem Schwanenbild in Szene. Diese Differenz besaß ihre Berechtigung, solange eine illusionistische Wirkung beabsichtigt war. Der englische Rationalist John Locke nannte, als er 1690 die Wahrnehmungen beschrieb, die sich an die Substanz „Schwan“ knüpfen, besonders die Kombination von Farben: „So ist die mit dem Worte ‚Schwan’ bezeichnete Vorstellung die weiße Farbe, der lange Hals, der rothe Schnabel, die schwarzen Beine und verbundenen Zehen; und zwar Alles dies von einer gewissen Größe, mit dem Vermögen, im Wasser zu schwimmen und eine Art Geräusch zu machen ...“11 Niemand habe jemals, so der Mediziner Bartholini 1668, eines schwarzen Schwanes gedacht.12 Das Weiß der Schwäne verlor seit dem späten 17. Jahrhundert an Bedeutung. In der anschließenden Epoche, bis zum Ende des Rokoko, zog eher die Farbenpracht der Papageien die Aufmerksamkeit auf sich.13 Die Ästhetik der Aufklärung sah in alter Tradition einen Zusammenhang zwischen Wesen und Schein: Der Körper sei nicht anderes als die sichtbar gemachte Seele – und die Gestalt der Tiere könne, wenn sie abstoßend sei, den

11 John Locke: Versuch über den menschlichen Verstand in vier Büchern. Übersetzt und erläutert von J. H. Kirchmann. Berlin 1872 (Philosophische Bibliothek 51), S. 321. 12 Bartholini, S. 18. 13 Klaus Lindemann: Der Papagei. Seine Geschichte in der Deutschen Literatur. Bonn 1994, S. 16 und passim.

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Menschen vor dem Wesen dieser Tiere warnen.14 Entsprechend verwandelt in einem Märchen der Brüder Grimm die Hexe einen bösen Hofbedienten in einen roten Schwan; er schwimmt auf dem Schlossteich und hindert die Kinder daran, aus der Gefangenschaft zu entfliehen.15 Der Klassizismus betonte in seinem Bezug auf antike Skulpturen, die man nur ohne farbige Fassung kannte, die Führung der Linien und vernachlässigte die Farben. Die Betonung der Zeichnung führte dazu, dass das Wort „Kolorist“ in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fast als Schimpfwort galt.16 Goethe beobachtete: „Gebildete Menschen haben einige Abneigung vor Farben. Es kann dies teils aus Schwäche des Organs teils aus Unsicherheit des Geschmacks geschehen, die sich gern in das völlige Nichts flüchtet. Die Frauen gehen nunmehr fast durchgängig weiß und die Männer schwarz.“17 In der romantischen Kunst lässt das Mondlicht die Schwäne weniger hell leuchten; sie glänzen eher bleich-silbern. Wenn die Intensität der weißen Farbe bemüht wird, dann um aus dem Kontrast ein Bild zu erzeugen, so bei Arnim und Brentano im „Frühlingskranz“: „Ach, die Schwäne fallen mir hier ein, die ihr schneeweiß Gefieder im eigenen Blute mussten baden, die Helden der Gironde!“ In Hebbels „Genoveva“ sagt Maragetha: „Weißt du nicht,/ Warum ein Schwan so weiß ist? Daß man ihn/ Mit Kot bewirft. Dann dient der Flügelschnee/ Dazu, dass dunkler ihm die Flecken stehn,/ Wie der gemeinen Gans!“18 Der Ästhetiker Friedrich Theodor Vischer meinte, dass einem nur lichten Charakter ohne Schatten die positive Individualität fehle. Er nannte Weiß die Farbe der Unschuld und der Reinheit, aber auch ein Bild des Langweiligen und Ungesalzenen.19 Der Schwan, den Hans Christian Andersen bedichtete, erhielt dadurch Tiefe, dass er sich aus einem schmutzig-grauen Jungvogel entwickelte. Schwarze Schwäne erscheinen seit Mitte des 19. Jahrhunderts in den Parks und in der Literatur. Sie wirken exotisch, depressiv oder böse. Die Prinzessin in

14 Johann George Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste … Bd. 2. Leipzig 1774, S. 1042. 15 Der Soldat und der Schreiner (KHM 130a). 16 Brockhaus’ Konversations-Lexikon. Vierzehnte Auflage. Sechster Band. Leipzig 1893, S. 568. 17 J. W. Goethe: Naturwissenschaftliche Schriften. Hrsg. von Rudolf Steiner. Dritter Band. Dornach 1982, S. 306. 18 Friedrich Hebbel: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Besorgt von Richard Maria Werner. Erster Band. Berlin 1904, S. 137. 19 S. 43.

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Andersens „Rejsekammeraten“20 und Odile in „Schwanensee“ gehören zu ihnen. Unheimlicher noch zischt der schwarze Schwan in Thomas Manns Erzählung „Die Betrogene“ von 1953. Dieser habe, so glaubt die Protagonistin, ihr die tödliche Krankheit angezischt, den Krebs, der alle ihre Liebeshoffnungen jäh beendet. „Des Schwans aber gedachte sie noch öfter in den folgenden paar Wochen, seines blutroten Schnabels, des schwarzen Schlags seiner Schwingen.“21 In Martin Walsers Schauspiel „Der schwarze Schwan“ – Uraufführung 1964 – rufen die Kinder „schwarzer Mann, schwarzer Mann!“ hinter dem SS-Mann her und fragen: „Was heißt das: SS?“ „Schwarzer Schwan“, antwortet der.22 Die Ausweglosigkeit aus düstersten Gedanken, die in einem depressiv gestimmten Gemüt unaufhörlich kreisen, beschreibt Emil Rudolf Weiss (!) in seinem Gedicht „Pedal“ (1896): „Sieben schwarze Schwäne schweigen auf meinem Teich, den ich mir umhüllt habe mit den Augen der tiefen Stille. Sieben schwarze Schwäne ziehen langsam ihre schweigenden Kreise. Doch Das Wasser ist schwarz und schwer und unbeweglich. Ein Brücke, eine feine, leichte weiß ich. Aber sie trägt mich nicht, die Weiße, feine, leichte Brücke. Man müsste lachend darüber gehen. Und ich bin stumm und sehe verloren, wie sieben schwarze Schwäne Schweigende Kreise ziehen auf meinem umhüllten Teich. Sieben schwarze Schwäne.“23

20 Hans Christian Andersen: Rejsekammeraten (1835). Die verwünschte Prinzessin, die nachts mit schwarzen Flügeln zum Trollkönig unterwegs ist, wird zur Läuterung drei Mal in einem Wasserbottich untergetaucht, nach dem ersten Mal ist sie ein „großer kohlschwarzer Schwan mit funkelnden Augen“, nach dem zweiten Mal ein weißer Schwan mit einem schwarzen Ring um den Hals, nach dem dritten Mal eine schönere Prinzessin als zuvor. Andersen: Eventyr. Dt.: Sämtliche Märchen in zwei Bänden. Aus dem Dänischen von Thyra Dohrenburg. Erster Band. München 1959, S. 57-80. In der Fassung, die August Ey: Harzmärchenbuch oder Sagen und Märchen aus dem Oberharze. Stade 1862, S. 64-74 erzählt, verwandelt sich die Prinzessin erst in einen Raben, dann in eine Taube. Vgl. auch Scherf, S. 310-312. 21 Thomas Mann: Späte Erzählungen. Frankfurt/M. 1981, S. 407-481, hier S. 472, 481. 22 Nach Handt/Weiß, S. 81. 23 Lyrik des Jugendstils, S. 43.

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Auch in Reaktion auf die unübersehbaren Möglichkeiten der Anilinfarbenindustrie reduzierte die Jugendstil-Grafik alles auf Flächen und Linien. Da entstanden schwarze und weiße Schwäne wie von selbst. Eigene Zusammenhänge fand der finnische Schriftsteller Kokko: „Tiiti sah während des finnischen Freiheitskrieges einen Schwarm Schwäne nachts über Viborg fliegen. Die Flammen der Feuersbrünst in der heimgesuchten Stadt färbten die weißen Schwäne rot. Aber trotzdem war ihm nie in den Sinn gekommen, dass ein Schwan auch bei Sonnenuntergang rot sein könne. Auch diesmal erscheint ihm das seltsam.“ Da erinnerte er sich an das Gemälde „Lemminkäinens Mutter“ des finnischen Malers Akseli Gallen-Kallela (1897): Lemminkäinens Mutter hat die Stücke vom Leichnam ihres Sohnes aus dem Totenfluss gefischt und zusammen genäht; jetzt sitzt sie, den Blick zum Himmel gewandt, um die Biene zu suchen, die ihr den heiligen Honig bringen soll, der allein Lemminkäinen wieder zum Leben erwecken kann, am steinigen Ufer des Totenflusses. In der linken oberen Ecke des schwarzen Flusses schwimmt ein rotes Schwan. Kokko interpretiert die Farbsymbolik: „Der rote Schwan bedeutet Sonnenuntergang.“24 Im 20. Jahrhundert nutzten Wäschereien und Hersteller von Reinigungsmitteln die blendende Wirkung des Schwanenweiß. Produkte, die durch die Assoziation des Edlen und Reinen aufgewertet werden sollen, spielen farblich auch ins Silberne und kristallisch Glänzende. Eine Erklärung des schneeweißen Schwanengefieders versuchte aus soziobiologischer Sicht 2011 der Zoologe Josef Reichholf: Das Weiß ist nicht – wie bei Polartieren – der Umgebung angepasst; dafür fehle die Notwendigkeit, denn Schwäne haben keine natürlichen Feinde. Stattdessen soll die weithin leuchtende Farbe Artgenossen abschrecken und ihnen signalisieren, dass das Revier schon besetzt sei.25 Reichholf sieht also die Konkurrenz innerhalb der Art als Movens der Evolution der Schwäne an. Auf jeden Fall war das Weiß auffallend genug, um auch die Aufmerksamkeit auf die Schwäne zu ziehen und nach Erklärungen zu verlangen.

24 Kokko, S. 109f. 25 Reichholf, Schönheit, S. 45. Stellt sich natürlich die Frage, weshalb nicht – wie gerade bei Vögeln verbreitet – wenigstens die Weibchen eine Tarnfarbe haben.

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2. G ESTALT Höckerschwäne werden 150 cm lang, Singschwäne 130 cm; ungefähr die Hälfte davon entfällt auf Kopf und Hals. Den Hals biegen Höckerschwänen, wenn sie schwimmen, in S-Form. Singschwäne strecken auch schwimmend den Hals gerade durch. Die Füße von Schwänen sind mit 10-12 cm recht kurz. Männliche Höckerschwäne können ein Gewicht bis gegen 20 kg erreichen, gewöhnlich wiegen sie 10-12 kg; Weibchen im Schnitt ein Viertel weniger. Singschwäne sind – ihrer geringeren Länge entsprechend – etwas leichter. Zum Vergleich: Eine Großtrappe wiegt bis zu 16 kg, ein Kranich, Auerhahn oder Seeadler bringt es auf 5-6 kg. In Europa leben keine Vögel, die nach Gewicht und Körpermaßen mächtiger wären als männliche Höckerschwäne. Proportionen werden in unterschiedlichen Kulturen recht unterschiedlich wahrgenommen. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts glaubte man im Goldenen Schnitt – dem Verhältnis 1 : 1,618 ... – eine anthropologische Konstante der Ästhetik entdeckt zu haben, die sich von Idealmaßen des menschlichen Körpers (Länge : Taillenmaß) ableitete. Diese Proportion ergibt sich aus der Teilung einer Strecke in zwei Teile, die sich zueinander verhalten wie der größere Teil zur Gesamtstrecke. In ganzen Zahlen lässt sie sich nicht ausdrücken, aber näherungsweise in den Verhältnissen 3 : 5, 5 : 8, 8 : 13 usw. Experimente mit Mitteleuropäern im 20. Jahrhundert zeigten, dass Rechtecke in der Proportion des Goldenen Schnitts als besonders harmonisch empfunden wurden.26 Die universelle Gültigkeit ist allerdings stets bestritten worden. Das Verhältnis 1 : 1,6 entspricht ungefähr dem zwischen Rumpflänge und Kopfhöhe des schwimmenden Höckerschwans. Der Schwan trägt den Kopf hoch. Der S-förmige Hals erinnert an die doppelte Krümmung der menschlichen Wirbelsäule. Durch Übertragung können damit Begriffe wie Anmut und Würde assoziiert werden. Die Einfarbigkeit lässt Form und Größe der Vögel deutlicher zur Geltung kommen. Die Kirchenväter konzentrieren ihre Exegese auf den langen Hals, der von der Spätantike bis ins 12. Jahrhundert hinein als hervor stechende Attribut dieses Vogels galt. Der hl. Ambrosius (339-397) hatte den langen Hals zur Voraussetzung für den aus der Mythologie bekannten, melodischen Gesang erklärt. Durch die Etymologien Isidors von Sevilla erlangte diese Deutung in der Christenheit allgemeine Verbreitung.

26 Vgl. Eibl-Eibesfeldt, S. 907f.

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Hrabanus Maurus legte den langen Hals allegorice negativ aus: Der Schwan mit seinem hoch erhobenen Kopf deute auf Hochmut (superbia). Seine Exegese wirkte im Funktionssystem Religion, im moralischen Code, bis ins 17. Jahrhundert nach. Den Hals betonen auch verletzte und Sepulkralschwäne im Spätmittelalter: durch die Halswunde, durch einen Pfeil, der im Emblem der Anne de Bretagne den Schwanenhals durchbohrt, letztlich auch durch die vielen Halskronen und – ketten. Das eindrucksvolle Beispiel der Trauerschwäne am Grabmal der Margarete de Bohun (wohl 1391), die ihre geketteten Hälse ineinander verschlingen, ist oben beschrieben worden. Das im 16. Jahrhundert erwachende zoologisch-empirische Interesse erzielte seine bedeutendsten Erkenntnisse durch die Untersuchung der Luftröhre. Natürlich trieb der mythologische Schwanengesang solche Forschungen an. Im Wissenschaftssystem gilt aber „Wahrheit“ als Kommunikationsmedium und nicht „Wert“ wie im Religonssystem. Gleichwohl beschäftigten diese Forschungen sich eben mit dem Schwanenhals. Im 18. Jahrhundert setzt eine Ästhetisierung des Schwanenkörpers im Ganzen ein. Seine Proportionen werden als Ausdruck allgemeingültiger harmonischer Prinzipien – göttlichen oder natürlichen Ursprungs – betrachtet. So wurden Schwänen ein beliebtes Element der Gartenskulptur oder des Dekors allgemein, z. B. im berühmten Schwanenservice der Meißener Porzellanmanufaktur oder in den Altländer Giebelzieren. So gemessene wie eingehende Worte fand dafür der Hamburger Dichter Barthold Hinrich Brockes: „Von allen Vögeln wird kein einziger gefunden/ In dessen Gliedern sich so ein’ erhabne Pracht/ Mit einer Art von Majestät verbunden.“ Und er erläutert diesen Gesamteindruck mit der Richtigkeit, dem Ebenmaß, der zierlichen Vollkommenheit, die in allen Fügungen einen Zusammenhang formiert und so in allen Zügen eine prächtige Wirkung vermittle. Nett sei der Körper gebaut („nett“ in der alten Bedeutung: mit Wohlgefallen anzusehen), die Glieder symmetrisch gestaltet. „Kein zierlicher Oval erzeuget die Natur/ Als seines Cörpers recht symmetrische Figur“. Darauf bewege sich gelenkig der schlanke Hals. Lessing schreibt 1759 von einer Gans: Das Weiß ihres Gefieders beschämte den Neuschnee. Da sonderte sie sich von ihresgleichen ab und versuchte ihrem Hals die „prächtige Bügung“ zu geben, welche dem Schwan „das würdigste An-

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sehen eines Vogels des Apollo“ verleiht. Doch vergebens. Sie blieb eine Gans und machte sich lächerlich.27 In der wissenschaftlichen Literatur erreichte die bewundernde Schwanenbeschreibung mit Buffon ihren Gipfel. Der Intendant des königlichen Garten und des Naturalienkabinetts in Paris, Georges-Louis Leclerc, Graf von Buffon, bemerkt in seiner vielfach aufgelegten und auch wegen des rhetorischen Stils gern gelesenen Histoire naturelle: Die edle Anmut und richtige Zier, welche die Natur im Schwan offenbare, erinnere uns an die Idee ihrer reizendsten Schöpfungen: „Der elegante Körperbau, die abgerundeten Formen, die graziösen Umrisse, das glänzende und reine Weiß ... alles am Schwan atmet die Wonne, die Freude, die Anmut und Schönheit uns empfinden lassen.“28 Während Brockes in allen Schöpfungen Gottes weise Ratschlüsse bewunderte, trennte Buffon – 40 Jahre später – Religion und Naturerkenntnis von einander ab. In der ästhetischen Wahrnehmung unterscheiden sie sich kaum, nur dadurch, dass in ganz anderer Weise Sinn konstruiert wird. Eine eigene Position bezog der britische Sensualismus. Der irische Politiker und Philosoph Edmund Burke begründete die These, dass Proportionen nur einen geringen Anteil an der Wahrnehmung des Schönen haben, mit einem Beispiel: Der Schwan, erklärt er, ohne Frage ein schöner Vogel, hat einen Hals, der länger ist als der Rest seines Körpers, aber einen nur kurzen Schwanz. Könne man das als Ebenmaß bezeichnen? Und dennoch müssen wir zugeben, dass ein Schwan als schön wahrgenommen werde.29 Die Differenz schön/unschön ist hier eine rein ästhetische, nicht länger moralisch codiert. In der Romantik trat die Bedeutung der Proportionen gegenüber der Paarkonstellation zurück. Der Tübinger Philosoph Friedrich Theodor Vischer behandelte in seiner umfassenden „Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen“ 1847 auch die „Lehre vom Naturschönen“. In herkömmlicher Weise nimmt er den Menschen zum Maßstab und geht von einer Stufenfolge aus, die zum Menschen aufsteigt. Alle Tiere, meinte Vischer, sehen aus wie „ein lebendig gewordener Schnapp- und Freß-Zweck“. Dabei jedoch gebe es Abstufungen. Das Tier stehe umso höher, je weniger der Kopf mit dem Rumpfe in horizontaler Linie fortgehe

27 Gotthold Ephraim Lessing: Werke und Briefe in zwölf Bänden. Hrsg. von Wilfried Barner. Bd. 4. Frankfurt 1997, S. 308. 28 Georges-Louis Leclerc, Comte de Buffon: Histoire naturelle, générale et particulière … Tome Vingt-quatrième. Paris 1783, S. 4f. Vgl. Krünitz 150, S. 184. 29 Edmund Burke: On Taste. On the Sublime and Beautiful. Reflections on the French Revolution. New York 1909-14 (The Harvard Classics 24), S. 81.

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und je mehr der Kiefer zurücktrete, die Stirn sich hervorwölbe. Ganz aber werde das Gedrückte der Tiergestalt erst im aufrechten Gang des Menschen überwunden.30 Schwimmvögel scheinen wegen ihres watschelnden Ganges – ihre Füße stehen weit hinten – dumm zu sein. „Aber wie zierlich ist die buntschillernde Ente im kühlen Teich, der schneeweiße Schwan mit dem Wellenhals, den herrlich aufgetriebenen Schwingen, wenn er majestätisch hinrudert!“31 Der dänische Physiker Hans Christian Ørsted unterstützte diese Einschätzung, indem er auf die Wirkungen der Einbildungskraft hinwies und die Bedeutung der richtigen Position eines jeden Tieres. Ein Schwan im Hühnerhof lasse das Missverhältnis zwischen dem langen Hals und dem Rumpf, den kurzen Beinen und breiten Füßen, die zu einem schwankenden Gang führen, hervortreten. Der Eindruck überlagere den positiven Eindruck, den die hübsche Biegung des Hales und der rote Schnabel bewirken. Ganz anders hingegen erscheine der Schwan in seiner „rechten Naturstellung“: auf dem Wasser schwimmend.32 Das Unbeholfene eines schweren Leibes beschrieben um die Wende zum 20. Jahrhunderts Lyriker wie Baudelaire und Rilke und Wissenschaftler wie Heinroth. „Ein auf dem Lande stehender Schwan macht mit seinem langen Halse, dem kurzen Beine gegenüber stehen, keinen schönen Endruck,“ befand der Berliner Zoologe Karl Möbius in seiner „Ästhetik der Tierwelt“.33 Andererseits lobte er den aufrechte Haltung: „In dem hochgetragenen Kopfe haben die Augen einen weitreichenden Blick. Die aufrechte Haltung gibt den Vögeln ein intelligentes Ansehen.“34 Der Jugendstil und ihm folgend die Werbegrafik reduzierten den Schwan auf den Schwung einer Kontur. Dabei kommen besonders die Biegungen des Halses wie der gewölbte Rücken zur Geltung. Gewissermaßen ein Enkelschüler Vischers war – über Rudolf Steiner – der niederländische Waldorfpädagoge Frits H. Julius (1902-1970). Das Wesen drückt sich in der Gestalt aus und lässt sich aus dieser deuten. Bei einem schwimmenden Schwan falle, so Julius, vor allem das weiße Federkleid auf, das ein herrliches Spiel von Licht und Farbe entfalte. „Dann sehen wir den elegant

30 Friedrich Theodor Vischer: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen. Zweiter Theil. Erste Abtheilung. Reutlingen 1847, S. 106. 31 Ebd., S. 140. 32 Hans Christian Ørsted: Neue Beiträge zu dem Geist in der Natur. Deutsch von K. L. Kannegießer. Leipzig 1851, S. 135. 33 Jena 1908, S. 103. 34 Ebd. S. 106f.

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geschwungenen Hals und hoch erhobenen, schwarz gezeichneten Kopf. Dem steht die Haltung des Leibes entgegen, der ungewöhnlich flach im Wasser ruht. Erhebt sich das Tier nun mit mächtigem Flügelschlag, dann reißt es sich los aus dem Wasser, platscht mit den Füßen noch etwas nach und verschwindet in der Ferne mit weit vorgestrecktem Hals. Die Oberseite trägt den Glanz des Himmels, die Unterseite antwortet der dunklen Erdenfarbe. Durch die große Bewegung der Flügel entsteht ein geheimnisvolles Spiel von Licht und Dunkel. Wie anders ist dieses Tier, wenn es das Ufer besteigt! Dann ist es ganz und gar Plumpheit, zeigt uns einen schwerfälligen, ungeschickten Gang auf kurzen Beinen, den Hals zurückgekrümmt.“ Für ihn ist der Schwan ein Vogel, das in seinem Wesen Extreme zusammenbindet: ein „Bote des Lichtes im Reich der Schwere“. Daraus resultieren bedeutende Spannungen, die sich in aufbrausender Streitlust entladen und das Fehlen jeglichen Dranges, sich selbst zu schützen oder zu verbergen, erklären können.35

3. P OSITIONEN IM R AUM Die menschliche Vorstellung arbeitet mit Schablonen. Dazu zählen Standardpositionierungen der verschiedenen Tierarten im Raum. In diesen Zuweisungen fließen Kenntnisse über Habitate und Verhalten der Tiere mit literarischen Traditionen zusammen, die sich von einer Wahrnehmung der Außenwelt ganz gelöst haben. Dem Hirsch begegnet man im Hochwald oder auf die Lichtung tretend; der Rabe sitzt auf dem Baum; der Salamander lebt – rein literarisch vermittelt – im Feuer. Für den Schwan kann man in der menschlichen Vorstellung vier Standardpositionen mit je verschiedenen Modi feststellen: 1. den fliegenden Schwan, üblicherweise im Modus „davonfliegend“, 2. den auf einem abgegrenzten Gewässer schwimmenden Schwan, 3. den Schwan auf beiden Füßen an Land im Modus „Wasser suchend“ oder „Gegner angreifend“ und 4. den präparierten Schwan. Was für die Einzelzahl gilt, gilt ebenso für Gruppen von Schwänen. Die Position im Raum bestimmte auch ein oben oder unten, rechts oder links und nah oder fern. Den drei Dimensionen unserer Wahrnehmung entsprechen symbolische Koordinaten. Oben bedeutete immer: höher, dem Göttlichen näher. In der Heraldik z. B. haben oben und unten, rechts und links eigene eigene Wer-

35 Frits H. Julius: Das Tier zwischen Mensch und Kosmos. Stuttgart 1981 (Menschenkunde und Erziehung 23), S. 42.

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tigkeiten und Bedeutungen. Und allgemein verrät die Distanz, wie vertraut der Betrachter mit dem Tier eigentlich ist. In den Texten der griechisch-römischen Antike finden sich Schwäne an Ufern von Gewässern, auf Wogen schwebend, fliegend in der Luft, auf Flüssen, dem Kaystros, Eurotas, Mäander oder Eridanus. Die Dichter des augusteischen Zeitalter – um Christi Geburt – : Vergil, Horaz, Ovid verfestigten jedoch die Vorstellung von fliegenden, himmelwärts strebenden Schwänen. In der nordischen wie in der keltischen Mythologie fliegen Schwäne und lassen sich aus der Luft hören. Schamanistische Praktiken zielen darauf, sich über die Erde zu erheben: auf den Flug. Im Mittelalter lokalisierte man Schwäne auf Burggräben, Teichanlagen, Grachten und Flüssen. Lohengrins Schwan zog den Nachen durch den Rhein. Die Schwanenjungfrauen ließen sich auf dem Wasser nieder und konnten so ihrer Flughemden beraubt werden. Auch eigentliche Schwäne wurden auf dem Wasser gejagt. Das Zusammentreiben und Markieren der privaten Schwäne, zunächst mehr eine Notwendigkeit als ein Ritual, nahm als Swan-upping und Chasse aux cignes die Form von öffentlichen Bootspartien an. Im 13. und 14. Jahrhundert sandte man Greifvögel in die Luft, um Schwäne zu beizen. Fast parallel dazu entschwinden fliegende Schwäne in die Mythologie, erscheinen in Märchen oder als Seelenvögel in der Legende. Die heraldischen Schwäne, keine Beute, sondern selbst angreifend, hatten zur gleichen Zeit einen festen Stand auf dem Erdboden. Im ritterlich-militärischen Kontext liegt der Gedanke an eine Differenz zwischen Platz behaupten, Angriff aus sicherer Deckung und Flucht nicht fern. Die in Westeuropa vielfach übliche Lähmung der Flügel hingegen verhinderte ein Aufsteigen der Vögel, die auf Burggräben gebannt blieben, um bei Bedarf als Schauessen aufgetragen zu werden. Hier überwand also der Mensch die Fluchtdistanz – und vollends wenn der Schwan als Schaugericht auf der Tafel stand, dann freilich war jedes Leben aus der Kreatur entwichen. Das ein ganz anderes Funktions- und Deutungssystem, das den Vögeln keine eigenen Aktionsmöglichkeiten zuschrieb. In der hohen Zeit der Schaugerichte, im 16. Jahrhundert, begegnet man auch erstmals dem präparierten Schwan im eigentlichen Sinne: dem skelettierten Schwan, wie er in den großen zoologischen Tafelwerken abgebildet wird. Ebenso wie die Operateure nah rückten die holländischen Maler des Goldenen Zeitalters dem Schwan, nicht nur im Stillleben, sondern ebenso in der Identifikation durch Heroisierung. Der durch Nahsicht in Wirkung gesetzte Gemäldeschwan streift das Dekorative: wie in den barocken Jagden, die den Fürsten als

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Überwinder der Natur zeigen wollten. Die hilflosen Vögel wurden auf den Gewässern belassen, aber verfügbar gemacht. Die Positionierung – auf abgegrenzten Gewässern – blieb dieselbe, jedoch änderte sich in den gestalteten Landschaften und Parks seit dem späten 18. Jahrhundert die Distanz. Die Schwäne zogen auf den Teichen der Landschaftsparks wieder unbehelligt ihre Kreise. Das entsprach der romantischen Gartendekorierung. Der dänische Naturphilosoph Hans Christian Ørsted hat eingehend die Bedeutung der Position, der „rechten Naturstellung“, für die ästhetische Wirkung dargelegt. Jeder Gegenstand, jedes Tier, wirke außerhalb seiner Naturstellung unschön. Ein Schwan an Land, in einem Hühnerhof, würde nicht als schön empfunden. Ganz anders aber auf dem Wasser schwimmend: „Wir betrachten ihn gewöhnlich nur dann nahe genug, wenn er sich auf einer ruhigen Wasserfläche befindet, wo er im Wasser abgespiegelt wird und im Verein mit seinem Spiegelbilde eine ausgezeichnet schöne symmetrische Figur giebt. … Der Hals, der in seiner gebogenen Stellung schon selbst schön ist, trägt in dieser Stellung zum Gleichgewicht bei, während der Schwan majestätisch über die Wasserfläche hingleitet. Die Einbildungskraft fügt zu diesem fast unmittelbaren Schönheitseindruck noch etwas hinzu. Durch die Weiße wird die Vorstellung von Reinheit erweckt, und da Weiße und Reinheit uns ein Sinnbild geistiger Eigenschaften sind, so empfinden wir unvermerkt diesen Eindruck mit. … Noch von einer anderen Seite fügt die Einbildungskraft neue Vorstellungen hinzu: Während wir des Schwanes halberhobene Flügel sehen, denken wir gleichzeitig an dessen Aehnlichkeit mit einem fernen Schiffe und an sein Vermögen zu fliegen. Der Eindruck, den wir von der ganzen Erscheinung empfangen, hat etwas von dem Erhabenen, von dem Kraftvollen, von dem Reinen, von dem Harmonischen, das oft noch durch die Umgebung erhöht wird, z. B. durch den blauen Himmel, der sich im Wasser spiegelt, des Wassers eigenen Glanz, einen Hintergrund von grünen Bäumen.“36

Seit Ende des 19. Jahrhunderts deckt sich die Differenz der Positionen mit der ästhetischen Unterscheidung schön/unschön. Bald wurde sie durch Sinngebung vertieft. Unbeholfen erschien der Schwan an Land. Baudelaire beschreibt den entfremdeten Schwan, dessen Schwimmfüßen auf dem trockenen Asphalt scharren; Mallarmé den im Eis festgefrorenen Schwan; Rilkes Schwan erhält erst, indem er ins Wasser gleitet, seine Würde wieder.

36 Ørsted, S. 134-136.

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Fast gleichzeitig werden Schwäne – wilde Schwäne – wieder im ersten Modus wahrgenommen. Sportjagende erblicken ihr Wild von Booten aus: die Schwäne werden auffliegend abgeschossen: „Sein Flug durch die Luft gewährt einen imposanten Anblick ...“ Dominat blieb aber die Vorstellung der romantischen Park- und Teichschwäne, die im Jugendstil eine Aktualisierung erfahren hatte.

4. B EWEGUNG Gehen von Schwänen Aktionen aus? Wenn ja: welcher Art, mit welcher Richtung, welcher Reichweite? Gibt es Phasen der Beschleunigung und solche der Entschleunigung? Welche Unterschiede, welche Entwicklungen lassen sich im Gitternetz von Zeit und Raum erkennen? Der Schwan, der eine Frau bedrängt, veranschaulicht die Potenz des Göttervaters Zeus. Der Impuls geht aber vom Adler aus; der Schwan ist nur das Medium des göttlichen Verlangens. Sonst orientieren sich die Bewegungen der Schwäne in der antiken Mythologie auf den Gott oder den Helden. Schwäne kreisten über Delos, als Apoll geboren wurde; sie zogen den Rennwagen des Gottes durch Lüfte.37 Schwäne begleiteten ihn wie die römische Venus. Selbst die nordischen Walküren agieren nur im Hinblick auf ausgewählte Krieger. Kara kreiste in Schwanengestalt über Helgi, der sie mit dem Schwert traf und so sein Glück zerstörte. Noch passiver erscheinen die Schwäne, die ein Gott (Brahma oder Amor) bzw. eine Göttin (Saraswati) reitet. Im Lohengrin zieht der Schwan den Nachen mit dem Ritter, seinem Bruder: dem Helden. Dieser Schwan ist das Urbild aller angeketteten Schwäne. Cuchulin fing wilde Schwäne, band sie an seinen Wagen und ließ sich von den davon strebenden Vögeln ziehen. Ins Technische gewendet, lebte diese Vorstellung zuletzt im 17. Jahrhundert auf: in dem utopischen Roman „The Man in the Moone“ des anglikanischen Geistlichen Francis Godwin. Ein Spanier, Domino Gonsales, entdeckt im Jahre 1596 auf St. Helena „ein Art wilder Schwäne“, die auf ihren Zügen dort im Februar und März rasten. Diese Vögel hießen gansa, Plural gansas – was an deutsch/niederländisch Gans, altindisch hamsa erinnert – und hatten Füße, deren einer wie gewöhnlich mit Schwimmhäuten versehen war, während der andere in Adlerklauen endete. Gonsales fing etliche dieser Schwäne und richtete sie ab, bis

37 Irving, S. 119.

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sie schließlich den kleinen Spanier in einem leichten Gefährt in die Lüfte heben konnten. Gonsales stieg so bis zum Mond auf und erforschte die Mondwelt.38 Die Flucht in Schwanengestalt ist das Hauptthema der Schwanenepisoden in Ovids Metamorphosen. Kyknos, der Sohn der Nymphe Hyrie, stürzte sich von einem Felsen. „Jedermann glaubte, er sei in den Abgrund gefallen, allein, in einen Schwan verwandelt, schwebte er auf weißen Schwingen im Luftraum.“39 Horaz sieht sich sterbend Federn wachsen, ein Schwan, der seinen Ruhm bedeutet, erhebt sich und schwebt über dem Imperium: berühmter als Ikarus. Das Aufschwingen, das Überwinden der Schwerkraft: die Lösung von der Erde beschreibt auch ein altenglisches Rätsel ca. 960/990. Zu erraten ist, wer die Wellen durchpflüge und sich dann aufschwinge mit glänzenden Flügeln, die zu sirren beginnen, wenn das Wesen Fluten und Erde unter sich gelassen hat: „ein ziehender Geist“ oder „fremder Gast“.40 Die Schwanenjungfrauen nutzen die Schwanengestalt, die Schwanenhemden, zur Flucht. Die Fluchtbewegung in der Mythologie lief im Mittelalter in den Realitäten der Domestizierung aus. Die Schwäne werden auf den Lebensraum eines Weihers oder Teiches beschränkt und dem feudalen Besitzrecht unterworfen: durch Gewöhnung oder Gewaltmaßnahmen wie das Beschneiden der Schwingen. Damit tritt ein Moment der Entschleunigung ein. Die Schwanenjungfrauen, deren Geschichten in einer christianisierten Gesellschaft in Märchen nachklangen, können die Ambivalenz dieses Übergangs aufzeigen. In Menschengestalt fehlt ihnen die Möglichkeit zu entweichen; nur mit dem Schwanenhemd gewinnen sie wieder die Freiheit, sich nach ihren Wünschen fortzubewegen. Für eine ungefähre Datierung des Prozesses, in welchem die Fluchtdynamik sich vom Bild des Schwans ablöste, kann das Nibelungenlied – um 1200 – herangezogen werden, die Episode Hagens mit den Wasserfrauen, denen er eben nicht mehr Schwanenhemden, sondern nur ein unbestimmtes „gewaete“ raubte. Mitte des 13. Jahrhunderts erklärte der englische Franziskaner Bartholomaeus Anglicus in seiner Enzyklopädie De proprietatibus rerum: Schwäne fliegen nicht gerne, sie ruhen lieber auf den Teichen. Die zahmen werden gefüttert; nur die

38 EA 1629. Benutzte Ausgabe: The Strange Voyage and Adventures of Domingo Gonsales to the World in the Moon … 2. Aufl. London 1768, S. 12f., 14. 39 Met. 358ff. Übersetzung: Ovid. Metamorphosen. Das Buch der Mythen und Verwandlungen. In Prosa neu übersetzt von Gerhard Fink. Zürich 1989, S. 167. 40 Hans Pinsker, Waltraud Ziegler: Die altenglischen Rätsel des Exeterbuchs. Text mit deutscher Übersetzung und Kommentar. Heidelberg 1985 (Anglistische Forschungen 183), S. 28f., 158f.; www2.kenyon.edu/AngloSaxonRiddles/Riddles/Riddle5.htm (17.1.2010).

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wilden Schwäne (cygni sylvestres), die kleiner sind und weniger fett, fliegen mit gestrecktem Hals davon.41 In der höfischen Sphäre des späteren Mittelalters entwickelt der Schwan wieder eine gewissen Dynamik, allerdings ins Bild gebannt und innerhalb des ihm gesetzten Radius’. Es erscheint der angreifende oder sich verteidigende, in der Heraldik: der schreitende Schwan. Dieses Bildmotiv mag an ältere Vorstellung anknüpfen – wofür die angelsächsische Buchmalerei, besonders die erwähnte Schwanenzeichnung mit den roten Borsten, ein Indiz sein kann – es fand seine umfassende Ausgestaltung in der emblematischen Malerei des Goldenen Zeitalters in Holland. Das Gelege oder sein Revier gegen Hunde verteidigend, symbolisierte da Schwäne den moralisch gerechtfertigten Kampf – nicht zuletzt den Kampf der niederländischen Republik gegen Aggressoren von außen. Diese Bewegung geht aber nicht in die Eroberung eines fremden Reviers über, sie bleibt auf die Defensive beschränkt. Im 17. Jahrhundert begegnet man allenthalben fixierten Schwänen. In den Gärten dekorieren sie flache Bassins, bevor sie durch Skulpturen ersetzt wurden. Auf die festlichen Tafeln kamen ausgesteifte Schwäne; die Stilllebenmalerei ließ das Gefieder lebloser Vögel erglänzen. Leblos waren auch die präparierten Skelette in den anatomischen Theatern. Im Barock sind die Schwäne erstarrt. 1773 zeigte der Schausteller James Cox in seinem mechanischen Museum einen Schwan aus Silber, der, von Uhrwerken angetrieben, nach einem silbernen Fisch schnappte und ihn verschluckte.42 Eine Belebung der Natur nur durch den menschlichen Geist. Ein gewisses Eigenrecht, wenngleich nicht unbeschränkt, erhielt die Natur in den Landschaftsgärten. Die Romantik belebte die Wasserflächen wieder mit Geflügel. Die Schwäne blieben allerdings auf die Teiche gebannt und drehten ihre Kreise. In einer nächsten Stufe wendeten sie sich als Paare einander zu. Damit erweiterte sich nicht der Aktionsradius, aber die Aktion veränderte sich. Die Bewegungen erscheinen langsam und gemessen, „fast immer einförmig“.43 Außerdem reagierten die Teichschwäne auf menschliche Handlungen. Wenngleich schon Johann von Alta Silva und um 1700 die Kurfürstin Sophie von Hannover den Zeitvertreib beschreiben, den es bedeutete, Wasservögeln einzelne Brocken zuzuwerfen, so kann man seit Beginn des 19. Jahrhunderts geradezu von einer Mode des Schwänefütterns sprechen. Keine Torwächter oder Gartenknechte, sondern gewöhnlich junge Frauen sind es, welche die Tiere mit

41 De proprietatibus rerum, S. 532. Danach Berchorius, S. 189. 42 http://www.bowesmuseum.org.uk/collections/the-silver-swan/history/ (31.7.2013). 43 Titius, S. 584.

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Brot anlocken.44 Auf einem Gemälde von Jean-Richard Goubie – L'Après-midi du dimanche au jardin d'Acclimatation (1882) – zeigt eine solche Szene: 18 Höcker- und Singschwäne und einige Enten drängen auf drei schwarz gekleidete Frauen und Mädchen zu, die ihnen Brot reichen.45 Eine Tochter des Bischofs Arthur Hervey von Bath und Wells richtete die Schwäne auf dem Schlossgraben in Wells ab. Die Vögel lernten in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts, mit dem Schnabel an einem Glockseil zu ziehen, um nach Futter zu verlangen.46 Eine Beschleunigung setzt wieder Mitte des 19. Jahrhunderts ein. Das hässliche Entlein als Schwan auf der Suche, die zurückkehrenden Schwanenjungfrauen, die tanzenden Schwäne haben Bewegungsspielräume, die sie nutzen. Gegen 1900 ziehen Schwäne unbekannten Zielen zu. Das hässliche Entlein: der Schwan auf der Suche. Wilde, fliegende Schwäne. Die Furcht, die Schwäne könnten davon fliegen, äußerte Yeats 1919. Fluchtfantasien, die auf Schwäne übertragen werden, halten Ibsen und Richard Schaukal („Abend“) fest; sie schreiben sich fort bis hin zu Vicky Leandros’ Schlager „Wie die wilden Schwäne ziehn“ von 1970. Heinrich von Salisch meinte in seiner „Forstästhetik“ – erste Ausgabe 1885, dritte Auflage 1911 –: „Einzelne fliegende Schwäne erwecken keinen besonderen Eindruck. Aber mehrere, die sich bei hellem Sonnenschein am Himmel abzeichnen, wirken imponierend, was das Geräusch der Schwingen noch verstärkt, die wie Schellengeläut klingen.“47 Auf diese Weise, durch die größere Zahl und die geräuschvolle Untermalung, verstärkte sich die Dynamik der Erscheinung.

44 Buhle berichtete 1842 (S. 38): Auf den Teichen am Tulerien-Palast in Paris seien die Schwäne äußerst zahm, selbst Kinder fütterten sie zum Vergnügen mit Brot, Semmeln und Kuchen. Ein kleiner Junge machte sich einmal den Spaß, einem Schwan, immer wenn er nach dem Kuchen schnappen wollte, einen Hut hinzuhalten. Der Schwan fasste schließlich den Hut und trug ihn im Schnabel über das Wasser in sein Schwanenhaus. „Hieraus geht hervor, daß man Kindern das Spiel am Schwanenteiche nicht unbedingt erlauben darf.“ 45 2011 bei Sotheby’s in New York versteigert. 46 Young, S. 176. Ein entsprechendes Video auf youtube: http://www.youtube.com/ watch?v=0EphM9sgnwg (2.1.2014). Schön und anachronistisch ist das Schwänefüttern auf einem Gemälde von Theobald von Oer aus dem Jahre 1858 in Schloss Sanssouci zu sehen: Bootspartie des Kronprinzen 1739. In barocker Manier gemalt, schaukeln zwei Damen in einem Boot und füttern zwei Schwäne. Damit gab von Oer die romantische Interpretation eines historischen Themas. 47 Heinrich von Salisch: Forstästhetik. Dritte Auflage. Berlin 1911, S. 171.

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Wie jedoch bereits im Hinblick auf die Positionierung festgestellt: Vorherrschend blieb auch im 20. Jahrhundert das Bild der Romantik: die auf das Rund eines Teiches beschränkte Bewegung.

5. C HARAKTER Der Begriff „Charakter“, auf Tiere angewandt, unterstellt den Tieren psychologische Dispositionen, wie Menschen sie besitzen. Eine solche Sicht hat die Wissenschaft längst überholt. Jedoch gehört sie zu einer primären Form der Weltdeutung: des Von-sich-auf-andere-Schließens, das die Voraussetzung jeder Kommunikation bildet. Im Hinblick auf den Charakter kommt die moralische Wertung hinzu, die sich im Wandel der Tugendsysteme verändert. Gerade an Charaktereigenschaften wie „Stolz“ oder „Unschuld“, die Schwänen zugeschrieben wurden, kann man das studieren. Aristoteles berichtete, Schwäne seien genügsam und einfältig und gut zu ihren Jungen. Andererseits kämpfe der Schwan gegen den Adler. „Am meisten von allen Vögeln fressen sich die Schwäne gegenseitig.“48 Gegen 200 nach Christi Geburt bezog sich Aelian auf diese Stelle und erklärte den Schwan für jähzornig (ὀργὴν: orgen).49 Weder in der Antike noch im Mittelalter wurden die Schwäne aber so eindeutig auf bestimmte soziale Eigenschaften festgelegt, dass sich ein moralischer Typ bildete, der in Fabeln oder Exempeln hätte Verwendung finden können. Die Bibelexegese (Hrabanus Maurus) sprach dem Schwan die Todsünde der Superbia: des Hochmuts zu. Stolz erhebe er sich über die übrigen Geschöpfe. Ende des 12. Jahrhunderts verschob sich diese Deutung hin zu Heuchelei. Während aber der Stolz als Ausdruck einer aktiven Bewegung aufgefasst werden konnte, des gestreckten Halses, der weitgehenden Missachtung des anderen Wassergeflügels, fand sich für die Heuchelei kein Impetus, kein Grund, konnte diese Eigenschaft nicht in Bilder, Exempel oder Geschichten eingehen. Ausgenommen allein den Schwan am Spieß aus den Carmina Burana: Die existenzielle Notlage, der drohende zahnbewehrte Maul sind allerdings keine moralische Folge der Sünde. Vielmehr bietet die Klage nur eine Realisierung des Schwanengesangs. Es hängt vom Charakter des je einzelnen Schwans ab, ob sein Todesgesang das Ende beklagt oder in Vorfreude auf die Seligkeit jubiliert.

48 610a, 615a. Übersetzung: Aristoteles: Tierkunde. Hrsg., übertragen und erläutert von Paul Gohlke. 2. Aufl. Paderborn 1957, S. 381, 397. 49 Var. hist. I, 14. Vgl. Lenz, S. 400.

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Im Spätmittelalter lernen wir den wehrhaft angreifenden Schwan kennen. Diese Möglichkeit hatte sich schon in der Malerei angekündigt, erinnert sei an jenen angelsächsischen Schwan mit den roten Haarborsten, der eine Aggression ausstrahlt wie nur je ein heraldischer Kampfschwan. Im System der Temperament- und Säftelehre setzt sich gegenüber Hildegard von Bingen, die dem Schwan eine kalte und feuchte Natur zusprach, die Auffassung durch, dass der Schwan von heißer Natur sei und zornig.50 Das Spektrum der Interpretationen fächerte sich im Spätmittelalter auf. Die reinen Schwäne können eine moralische Höherwertigkeit beanspruchen, die sich in der Treue manifestiert, die Lohengrins Bruder bewies, oder im Exemplum vom Ehegericht der Schwäne: Gervasius von Tilbury berichtet in seinem Welterklärungs-Sachbuch für Kaiser Otto IV., den Otia imperialia von 1215, dass auch Vögel eheliche Treue bewiesen und Ehebruch straften. Der Justiziar des Königs von England habe bei Ongar Castle in der Grafschaft Essex beobachtet, wie sich Schwäne in großer Menge auf der Wiese vor der Burg versammelten. Nach einer längeren Beratung wurde eine Schwänin vorgeführt. Nach dem Spruch der Richter fielen die anderen über sie her und straften sie für ihren Ehebruch, indem sie ihr die Federn ausrissen. So erlitt sie, der Kälte ausgesetzt, die Todesstrafe.51 Ein solches Exemplum wird sonst von Schwänen nicht erzählt; es passt eher zum Verhalten der Störche, die schon bei Plinius Artgenossen hinrichten, auch Gervasius berichtet von einem Urteil der Störche, ein Verfahren wegen Ehebruchs unter Störchen schildert Alexander Neckam. Wenngleich vermutlich also eine Verwechselung der ähnlichen lateinischen Wörter ciconia und cignus anzunehmen ist, so klingen hier die Motive der Keuschheit und Gattentreue an, die nachher immer wieder aufgegriffen worden sind – ohne dass ein Bezug auf Gervasius wahrscheinlich wäre. Jungfrauen, die ein besonders reines und tugendhaftes – unschuldiges – Leben geführt hatten, nehmen in Legenden des 14. und 15. Jahrhunderts mit ihrem Tod die Gestalt von Schwänen an. „Damit du deine Tugend immer so rein und unsträflich erhaltest, so werde sofort zu einem weißen Schwan!“ Die römische Tradition, die – vor allem in der bildenden Kunst – die Schwäne taubengleich als verspielte Begleiter der Venus ansah, hatte im Mittelalter keine Rolle gespielt. Sie kam in der Renaissance wieder auf – zugleich mit dem lüsternen Göttervater in Schwanengestalt, der zu Beginn des 16. Jahrhunderts von Leonardo und von Michelangelo gemalt wurde.

50 Zuerst bei Thomas Cantimpratensis, S. 188. 51 Nr. 96. Scriptores rerum Brunsvicensium … T. I. Hrsg. von Gottfried Wilhelm Leibniz. Hannover 1707, S. 993.

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Als sanftmütig und friedlich apostrophieren den Vogel Aristoteles, Luthers Tischgespräch und Wolfgang Franzius. Diese Überlieferung wird jedoch nur wenig genutzt. Die barocke Allegorik sammelte und vermehrte die Eigenschaften in enzyklopädischer Manier: Eintracht, feste Gemeinschaft, Herzhaftigkeit, Unerschrockenheit, um aus Speners „Opus Heraldicum“ nur einige zu nennen. Es fehlen im Kanon noch Eleganz und Anmut, die freilich nicht eigentlich einen Charakter veranschaulichen. Bestimmend bleibt der Stolz, die negative theologische Konnotation verliert sich im 17. Jahrhundert: Der stolz die Fluten durchfurchende Schwan erheischt Ehrerbietung wie der absolutistische Herrscher, er wirkt majestätisch und ist sich dieser Wirkung bewusst. Das erfordert Selbstbeherrschung. „Das ganze Ansehen dieses Schwans verräth Stolz, der Blick Tücke. Auch behält der männliche vorzüglich, wenn er auch noch so zahm zu seyn scheint, fast immer etwas Boshaftes, weshalb sich Kinder vor ihm zu hüten haben.“ So zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Jagdschriftsteller Dietrich aus dem Winckell. „Der weibliche Schwan hingegen wendet seinen Muth und seine Kraft zu weit edlern Zwecken an. Mit zärtlicher Sorgfalt vertheidigt er ... seine Jungen nicht nur gegen den erzürnten Vater, sondern auch gegen Raubthiere und Raubvögel, so daß der Fuchs, der Adler und der Geier meistentheils unverrichteter Sache abziehen müssen.“52 Die Gattentreue wandelt sich um 1800 in romantische Liebe. Bereits Buffon schwärmt: Gewöhnlich seien alle Empfindungen der Schwäne von der Liebe bestimmt. Schwäne erscheinen jetzt als Paare und symbolisieren zärtliche Zuneigung, was als gesunkenes Kulturgut bis heute tradiert wird. Selbst ein um naturnahe Schilderung bemühter Schriftsteller wie Svend Fleuron konnte sich davon nicht freimachen: „Sie haben einander zugenickt, die Hälse zärtlich aneinander gerückt, sich gegenseitig betrachtet – mit dem rechten Augen, mit dem linken und sich alsdann gepaart; mit gebreiteten Schwingen sich Brust gegen Brust in die Luft erhoben, während sie in sonderbaren, schlangenhaften Windungen die langen Hälse zu einem Kegel formten, jetzt liebkost Lilie nun ihr erstes Ei.“53 Als stolz und herrsüchtig charakterisierte Bengt Berg den männlichen Schwan. Seine Landsfrau Selma Lagerlöf lässt in „Nils Holgerson“ die stolzen Schwäne ihre Contenance verlieren: Voller Wut stürzen sie sich auf den Gänserich Martin, weil sie dessen weißes Gefieder als empörende Anmaßung empfin-

52 Aus dem Winckell, S. 164f. 53 Fleuron, S. 16.

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den.54 Von der majestätischen Aura des Herrschersymbols bleibt nicht mehr als Selbstüberhebung zurück. Immerhin: Die moralische Codierung des hoch aufgerichteten Halses erweist sich trotz leichter interpretativer Schwankungen als erstaunlich stabil. „So ein Angeber! Mit rauschender Bugwelle und hochgefächerten Schwingen schwimmt der Höckerschwan heran und demonstriert dem Menschen, dass das hier sein Revier ist.“55 So Josef Reichholf, der dem Verhalten des Schwans wie alle Generationen vor ihm menschliche Empfindungen unterlegte, es dann aber als Verhaltensforscher erklären wollte: mit der Superterritorialität und den egoistischen Genen des Revierverteidigers. Daneben wirkt die in der Romantik unterstellte Liebesfähigkeit der Schwäne weiter. Als 2006-2008 eine einzelne Trauerschwänin auf dem Aasee in Münster ständig ein Tretboot in Schwanengestalt begleitete, mit dem sie sogar ins Winterquartier umzog, hieß es: „Petra tritt den Beweis an: Zwei Schwäne, die sich lieben, gehören zusammen – auch wenn der eine davon nur aus Plastik ist!“56 In aller Regel erscheinen Schwäne nicht individualisiert. Die Charakteristik der Art gilt immer auch für das Individuum, das sich nicht vom artgemäßen Verhalten absetzt. Selbst die genannte Petra war kein Schwan neuen Typs, sondern übersteigerte lediglich die an die Art gerichteten Erwartungen (die für Trauerschwäne allerdings nur eingeschränkt gelten).57

6. E ROTIK Schwäne sind nicht nur groß, auffallend und von weißer Farbe. Sie besitzen auch einen lange, biegsamen Hals und, sofern männlichen Geschlechts, einen nach links weisenden, korkenzieherförmigen Penis, der erigiert 12 cm Länge erreichen soll.58 Das biologische Geschlecht lässt sich aus der Distanz nicht anhand

54 Selma Lagerlöf: Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgerson mit den Wildgänsen. München o. J., S. 292-295. 55 Josef. H. Reichholf: Comeback der Biber. Ökologische Überraschungen. München 1996, S. 64. 56 Nach: http://www.tierchenwelt.de/tierisch-komisch/503-schwan-petra-verliebt-in-eintretboot.html (24.11.2012). 57 http://de.wikipedia.org/wiki/Petra_(Schwan) (5.11.2012). 58 Rainer Kirsch: Leda. In: Die Schöne und der Schwan. 66 Leda-Bilder aus der Sammlung Wolfram Körner. Hanau 1987, S. 5-14, hier S. 12; Midas Dekkers: Lief dier. O-

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äußerer Merkmale, sondern nur aus der Relation der Vögel und ihrem Verhalten bestimmen. Das grammatische Geschlecht, in der Regel männlich, changiert mitunter. Im Altnordischen, Isländischen wie auf den Færøern hat sich das ältere alft (okn) als Bezeichnung für das Weibchen erhalten; das Männchen heißt svanur. Mitunter wechselt das Geschlecht zwischen nah verwandten Sprachen: lettisch gulbis, slowakisch labut‘ ist maskulin, litauisch gulbe, slowenisch labod feminin: ebenso irisch eala (f.) bzw. walisisch alarch (m.). Im Niederländischen kann zwaan männlich und weiblich verwendet werden. Der Paarung geht das Balzen mit ritualisierten Posen voraus: Die Vögel nähern sich soweit, dass sich die Schnäbel fast berühren; sie tauchen die Schnäbel ins Wasser; strecken beide plötzlich, gegeneinander gewandt, den Kopf in die Höhe und drehen den Kopf. Sie beginnen sich zu putzen, das Männchen nimmt mit dem Schnabel Wasser auf und verspritzt es. Für den Akt der Begattung legt das Weibchen sich mit gestrecktem Hals flach aufs Wasser und wird vom Männchen bestiegen, das sich dabei mit dem Schnabel am Hals des Weibchens festhält. Der Akt dauert drei bis fünf Sekunden.59 Anschließend richten beide Schwäne sich Brust an Brust gegeneinander auf und strecken die Schnäbel empor. Diese Haltung hat früher zu der Annahme verleitet, die Schwäne paarten sich von vorne. Von Zoophilie, die bis zu Sexualkontakten zwischen Menschen und Schwänen getrieben worden wäre, weiß man nichts. Dass ein Mann seinen erigierten Penis in die Kloake eines Schwanenweibchens drückt, ist denkbar. Allerdings müsste er den Flügel schlagenden Vogel auch festhalten können. Angeblich hat man Hühner, Enten und Gänse schon auf dieser Weise missbraucht.60 Der umgekehrte Fall einer Begattung einer Frau durch einen Schwan, die Leda-Variante also, ist praktisch kaum vorstellbar. Bei den Leda-Darstellungen handelt es sich primär um die Darstellung nackter Frauen, deren Wirkung durch die auf sie gerichtete Aufmerksamkeit des Schwans gesteigert wird. Insofern handelt es sich auch nicht um erotische Schwäne, sondern um Schwäne in einem erotischen Kontext. Die stehenden Leden, die den Schwan gegen den anfliegenden Adler zu schützen versuchen, haben einen vergleichsweise keuschen Charakter. Anders verhält es sich mit den Schwänen im Zeugungsakt, der als Vergewaltigung ge-

ver bestialiteit. Dt.: Geliebtes Tier. Die Geschichte einer innigen Beziehung. München 1994, S. 13f. 59 Nach Rutschke, S. 151f. 60 Dekker, S. 96f., 182. Vgl. Bilder-Lexikon der Erotik. Hrsg. vom Institut für Sexualforschung in Wien. Bd. 4. Wien 1931, S. 854ff.

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staltet wird oder als einvernehmliche Paarung. Namentlich Leden, die sich dem Schwan liegend hingeben, bieten Ansichten unterschiedlichster Stellungen, die dem Ganzen den Anschein eines erotischen Spiels verleihen. In der archaischen Kunst findet man solche Szenen noch nicht, in hellenistischer und römischer Zeit hingegen recht häufig. Wie dergleichen rezipiert wurde, kann man bei Terenz nachlesen. In seiner Komödie „Der Eunuch“ (161 v. Chr.) verschafft sich ein junger Mann als Eunuch verkleidet Zugang zum Frauengemach. Da sitzt ein Mädchen und betrachtet ein Wandgemälde, das die Szene zeigt, wie Jupiter den goldenen Regen in Danaes Schoß träufeln lässt. Der Mann sieht sich das an und denkt bei sich, wenn der Gott, der durch seinen Donner den Himmel erzittern macht, sich einer Frau durch solche Listen nähert – warum sollte nicht auch ein Menschlein so handeln. Als das Mädchen eingeschlafen ist, verriegelte er die Tür und nutzt die sich bietende Gelegenheit. Er sei, vertraut er nachher einem Freund an, ja nicht der, den er spielte (ein Eunuch).61 Mit der Renaissance werden Leda und der Schwan erneut zum Thema der Kunst. Besonders im Manierismus imaginierten die Künster Frau und Vogel in lebhafter Bewegung. Michelangelos Gemälde hat möglicherweise den französischen Hofpoeten Ronsard inspiriert. In dessen Ode „La Defloration de Lede“ (1550) schlängelt der Schwanenhals sich an den Brüsten der Jungfrau empor und Jupiter steckt als Schwan seinen Schnabel in Ledas roten Mund. Dann richtete er sich auf und drückte die Widerstrebende zu Boden. Sie wehrt sich vergebens: In den Anstrengungen des Kampfes fühlt sie, wie ihr die Jungfräulichkeit geraubt wird.62 Die Schilderung einer Vergewaltigung, drastischer als in Ovids literarischem Vorbild.63 Direkt auf einen Stich nach Michelangelos Leda dichtete 1644 Joost van den Vondel: „O, zieh den Vorhang zu, aus Scham, Eh schamlos Jupiter als Schwan Ins rundlich weiche Alabast‘ Der mutternackten Leda fasst.

61 Ter. Eun. 580-606. Übersetzung: Terenz. Werke in einem Band. Aus dem Lateinischen von Dietrich Ebener. Berlin 1988, S. 150f. 62 Pierre de Ronsard: Œuvres complètes II: Odes det Bocage de 1550. Hrsg. von Paul Laumonier. Paris 1973, S. 67-79. 63 Ov. Met. 2, 430-436.

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Hier Marmor man wie Haut und Federn spürt. Die Kunst zum Ehebruch verführt.“64

Offen sexualisiert, obwohl durch spätere Retouchen abgemildet, ist ein Gemälde von Antonio da Correggio von ungefähr 1532. Es zeigt eine sitzende Leda mit dem Schwan zwischen den geöffneten Beinen; Hals und Schnabel reckt dieser in Richtung ihres Mundes. Rechts lässt sie sich ein Kleidungsstück reichen und blickt dem davon fliegenden Vogel beglückt nach.65 Von Georg Pencz gibt es aus ungefähr der gleichen Zeit ein erstaunliche, völlig entkleidete Leda, die auf eine rote Draperie gestützt, den Schwan, der über ihre linke Schulter sieht, mit dem rechten Arm an sich heranzieht. Der französische Barockbildhauer Michel Anguier schuf 1654 eine überlebensgroße Leda aus Kalkstein, die, bis auf die Brüste noch ganz verhüllt, dem Schwan prüfend den Hals zurückbiegt.66 Die Plastik gehörte zur Galerie der Götter und Göttinnen im Schloss Saint-Mandé. Jean Thierry zeigte in einer Marmorskulptur von 1717, 81 cm hoch, Leda und Schwan im liebkosenden Vorspiel; Leda hat, den interessierten Blick auf den lüstern schräg gelegten Kopf des Vogels gerichtet, ihre Hüllen schon fallen lassen.67 Beide erscheinen hier annähernd gleichberechtigt. In einer Komposition, die man Étienne Falconet zuschreibt, dient der Schwan einer liegenden Leda als Werkzeug zur Selbstbefriedigung.68 Bei aller Meisterschaft nur als offen pornografisch kann eine Leda François Bouchers, des berühmten französischen Rokokomalers, bezeichnet werden: Leda, auf dem Rücken liegend, bieten dem Betrachter und dem interessierten Schwan ihre Scheide dar (ca. 1740).69 Ein anderes Gemälde Bouchers inszeniert Leda, dem Bade entstiegen, in den Armen einer ebenfalls nackten Begleiterin,

64 Of Marmerbeelden. J. v. Vondels Poezy of verscheide Gedichten. Leewarden 1651, S. 278. Übersetzung: Gedichte auf Bilder. Anthologie und Galerie. Hrsg. von Gisbert Kranz. 2. Aufl. München 1976, S. 155. Dort auch die Angabe, dass das Gedicht sich (trotz des Titels) auf Michelangelo beziehe. Vgl. Handt/Weiß, S. 97. 65 Gemäldegalerie Berlin. Das Bild gehörte zu einem Zyklus von Geliebten Jupiters, das der Herzog von Mantua in Auftrag gegeben hatte. Die Bilder waren als Geschenke für Kaiser Karl V. gedacht. 66 New York, The Metropolitan Museum of Art. 67 Paris, Louvre. Vgl. Marcel G. Röthlisberger: Le thème de Léda en sculpture. In: Genava. Revue des Muséees d’Art et d’Histoire de Genève 35 (1987), S. 65-89, hier S. 72. 68 Ebd., S. 76f. 69 Privatbesitz.

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die beide erstaunt, aber nicht abwehrend den Schwan ansehen, der mit seinem Kopf schon Ledas Oberschenkel erreicht hat.70 Nach diesem Bild hat ÉtienneMaurice Falconet 1764/66 eine Gruppe aus Sèvres-Porzellan geschaffen, die häufiger kopiert worden ist. Eine weibliche „Schwanenbrust“ verherrlichte schon Hoffmann von Hoffmannswaldau in seinem Lob der „Wollust“. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts werden zur Beschreibung von Frauen „Schwanenhälse“, „Schwanennacken“, „Schwanenarme“ beliebt, um weiße Haut anzudeuten. „Schwanenbusen“ bewegten die Fantasie, z. B. bei Friedrich von Stolberg: „Sieh diese mit den schönen Augen an! Sie hüpfte gestern wie ein Reh im Tanz, Und Lycidas entbrannte schnell für sie, Dem Edelmut in jeder Ader schlägt, Für welchen sie der braunen Locke Glanz Auf ihrem Schwanenbusen schmachtend wiegt.“71

Besondere Freunde dieser Wortschöpfung waren Jean Paul und Carl Gottlieb Samuel Heun. Heun erreichte mit seinen Romanen, die er unter dem Pseudonym „H. Clauren“ publizierte, weite Leserkreise und kitzelte die Vorstellung mit pikanten Schilderungen. In „Des Lebens höchstes ist die Liebe“ liest man: „Es ward ihr im Wagen zu heiß, sie ließ die Scheiben herab, sie lüftete die köstliche Bärenhülle, und die Strahlen der Frühsonne küßten den Lilienhals und den Schwanenbusen, der im liebenden Verlangen immer höher wogte, je näher sie dem fürstlichen Garten kam.“72 Oder in der „Gräfin Cherubim“: „Gräfin Lieschen aber konnte nicht sprechen, ein unnennbar süßes Gefühl drängte ihr die klaren Perlen in die Augen, sie lächelte mit der jungfräulichsten Anmuth still vor sich hin, der Schwanenbusen hob und senkte sich, vom Sturme lang verhaltener Empfindungen tief bewegt, auf und nieder …“73

70 1742, Nationalmuseum Stockholm. 71 Friedrich Leopold Graf zu Stolberg: Jamben. Karlsruhe 1785, S. 58. 72 Des Lebens höchstes ist die Liebe. Schriften von H. Clauren. Sechs und dreißigstes Bändchen. Stuttgart 1827, S. 45. 73 H. Clauren: Die Gräfin Cherubim. Reproduktion des Originals. Paderborn 2011, S. 136.

D IFFERENZEN , M USTER , V ERÄNDERUNGEN

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Im Englischen notierte der schottische Dichter Robert Burns aus einem Volkslied (The Maid of Selma): Her breasts were white as the bosom of a swan,/ Trembling on swift rolling waves.74 Die Romantik formte das Bild des Schwanenpaares als Liebessymbol. Wenn aber die Paarbildung unharmonisch zu sein schien, drohte die Tragödie der verlorenen Unschuld: wie in den um 1800 aufgezeichneten Liedern von der Rheinbraut. Hebbel feiert den Koitus natürlicher Schwäne: „Die Schwäne, sie meiden/ einander und leiden,/ Nun tun sie es nicht mehr, sie können die Glut/ nicht länger verschließen,/ sie wollen genießen …“ Und zum ersten Mal – wenngleich in freier Interpretation – kommt eine tierische Perspektive zur Geltung: „Nach innigem Gatten/ ein süßes Ermatten,/ Da trennt sie die Woge, bevor sie’s gedacht./ Laßt ruhn das Gefieder!/ Ihr seht euch nicht wieder …“ Die Schwanenjungfrauen, die als Jungfrauen im Stande der Unschuld schwebten, besaßen nur eine latent erotische Ausstrahlung.75 Es fehlte die Vitalität, die in aggressiver Sexualität kulminiert. Diese dunkle Seite bringen schwarze Schwäne zum Ausdruck, namentlich im Ballett „Schwanensee“ Odile. Den Höhepunkt bildet das Pas-de-deux des schwarzen Schwans mit Prinz Siegfried im dritten Akt. Der filmischen Adaption „Black Swan“ hat die Kritik sogar den Charakter eines „Sex-Schockers“ attestiert. Erotik beseelte um die Wende zum 20. Jahrhundert Beardsleys Zeichnungen und jene des österreichischen Grafikers Franz von Bayros. Bayros hat das Thema „Leda und der Schwan“ in der intimen Form des Exlibis durchgespielt, exzessiv, in allen Varianten, vom Kostümstück bis zu reiner Pornografie. Ledas Vergewaltigung, vielleicht von Michelangelo inspiriert, bedichtete William Butler Yeats. Die Gewalt des Geschlechtsakts wird überhöht durch die Gewalt der kommenden Geschlechter: A shudder in the loins engenders there/ The broken wall, the burning roof and tower/ And Agamemnon dead …“ Grace Kelly spielt die Prinzessin Alexandra im Film „The Swan“ in der Tradition der Schwanenjungfrauen: unnahbar und rein.

74 The Scot’s Musical Museum. Vol. II. Edinburgh 1853, S. 119. 75 Schwanenweiß ist bei Strindberg die Tochter einer als Seele verklärten Schwanenjungfrau; der Prinz legt sich zu ihr ins Bett und wird beschuldigt, sie entehrt zu haben.

IV. Schlussfolgerungen

Die Identität der Gattung „Schwäne“ ist in der Vergangenheit nicht zweifelhaft gewesen. Zwar regte sich kaum das Bedürfnis, die einzelnen Arten – Höckerschwan, Singschwan, Zwergschwan – zu unterscheiden; das leisteten erst die zoologischen Klassifikationen seit Linné. Dennoch gab es durch Gesellschaften und Zeitschichten hindurch eine Vorstellung von Schwänen, welche die Eigenschaften „großer Wasservogel“, „glänzendes Weiß“, „langer Hals“ und „Flugvermögen“ kombinierte. Objekte dieser Art gehörten und gehörten zur menschlichen Umwelt. Die Gewichtung der Eigenschaften verschiebt sich allerdings relativ wie absolut. Die Größe scheint ein relativ stabiler Faktor des Gesamtbildes zu sein, die weiße Farbe hingegen affizierte im Mittelalter mehr als in der Antike oder im Barock. Im 19. Jahrhundert kamen Irritationen durch reale schwarze Schwäne auf. Die Wahrnehmung kann nicht aus ihrer Verarbeitung, aus dem Deutungssystem, gelöst werden. Gerade der lange Hals wurde – je nach Epoche und gesellschaftlichem Funktionssystem – mit menschlichen Verhaltensweisen erklärt. Das Flugvermögen konnte ganz zurücktreten oder durch menschliche Eingriffe gezielt beseitigt werden: durch den Raub des Gefieders (mythologisch oder zur Federnutzung) bzw. das Lähmen der Schwingen. Die vergleichweise stabile Identität äußerer Wahrnehmungen erlaubt jedoch keine Rückschlüsse auf eine definierte Wesenheit, durch die der Schwan als ein in der menschlichen Umwelt gegebenes Objekt vollkommen erfasst werden könnte. Im Gegenteil: Die Darstellung hat differierende Formen, Brüche und Traditionen aufgezeigt. Eine Tradition wie die Geschichte vom Schwanengesang konnte sich ganz von Umweltwahrnehmungen lösen, nachdem sie in Bedeutungssysteme eingepasst worden war – und wurde als Trope sowohl im theologisch-moralischen wie auch im poetisch-allegorischen System benutzt. Mit diesen Feststellungen sind noch keine Aussagen über Emotionen getroffen worden. Positive oder negative Empfindungen können Wahrnehmungen ver-

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stärken, strukturieren und ihnen durch aktualisierte Erinnerungen Dauer verleihen. Frühere Forschungen haben nicht nur konstante Wahrnehmungen fester Wesenheiten, sondern ebenso konstante emotionale Reaktionen darauf unterstellt. In der Tat scheint es Tiere zu geben, die in unserer Gesellschaft unmittelbare psychische Reaktionen hervorrufen.1 In negativer Hinsicht gilt das für bedrohliche Tiere oder Tiere, deren zu große Nähe als unangenehm empfunden wird, für Wölfe, Ratten, Spinnen. Positive Reize können aus dem Kindchen-Schema – große Köpfe, runde Augen, runde Formen, flache Gesichter – abgeleitet werden. Schwäne lassen sich hier nicht einfügen. Trotzdem können sie fallweise positiv oder negativ konnotiert werden – und Konnotationen dieser Art können Traditionen bilden. Sie dürfen aber nicht als anthropologisch oder auch nur gesellschaftsimmanent konstant angesehen werden. Für den Schwan ist eine Halbdistanz charakteristisch, die ihn gut erkennen lässt, ohne psychische Reaktionen aus Berührungserwartungen (wie bei Streicheltieren oder Ungeziefer) auszulösen. Andererseits erlaubt die relative Vertrautheit mit dieser Gattung von Vögeln kein gänzlich freies Fantasieren, das Wesen aus Ängsten oder Wunschvorstellungen erwachsen lässt wie Ungeheuer, Drachen oder Einhörner. Die Vorstellungen, die in diesem Buch wiedergegeben und beschrieben worden sind, korrepondierten mit den Wünschen, Intentionen, Absichten,2 einen Vogel oder bestimmte seiner Eigenschaften verfügbar zu machen. Die Traditionsbrüche und die Dichte der überlieferten Quellen können andeuten, wie aus-

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Den Versuch, empirische Ergebnisse zu schematisieren, unternimmt Barbara Woods: Beauty and the Beast: Preferences for animals in Australia. In: The Journal of Tourism Studies 11 (2000, 2), S. 25-35. Schwäne gehören nicht zu ihrem Sample. Goethes Formulierung „Sympathie-Tier Schwan“ wird der in den Vorstellungen von Schwänen gewöhnlich impliziten Distanz nicht gerecht. Was geschehen kann, wenn diese Distanz aufgegeben wird, schildert Sax, S. 15f. Dem widerspricht nicht, dass es starke Identifikationen mit Schwänen gibt, die über bestimmte Eigenschaften vermittelt werden. Der Höckerschwan ist z. B. in einer Abstimmung der Zuschauer von Danmarks Radio 1984 zum dänischen Nationalvogel gewählt worden – was fraglos auch mit Hans Christian Andersen und dessen Metapher von Dänemark als Schwanennest zu tun hatte, aus dem die berühmten Dänen in die Welt ausgeflogen seien.

2

Dabei spielt es keine Rolle und muss hier nicht diskutiert werden, ob es sich um Manifestationen des Willens als Dinges an sich (Schopenhauer) oder um plug-ins handelt, die Akteure dazu bringen, etwas zu tun (Latour).

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geprägt, stark und anhaltend solche Wünsche waren, ob sie nur ein Individuum bewegten oder größere Gruppen, kurz oder über einen längeren Zeitraum hin. Bei Platon und Horaz zielten die Wünsche auf eine Teilhabe an divinen und divinatorischen Fähigkeiten der Schwäne, dem mythologischen Gesang und dem Flugvermögen. Diese Teilhabe ermöglichte nur die Imagination. Durch den Flug, das Emporstreben in den Äther, konnte – so die Imagination – ein irdisches Wesen in die Sphäre der Götter aufsteigen. Die Fährnisse und Problematik vollständiger Metamorphosen illustrierte Ovid. Aber das Flugvermögen beschäftigte die Schamanen und wirkte in weiten Teilen Eurasiens auf die Vorstellung von Schwanenjungfrauen ein. In der sich hierarchisierenden Gesellschaft des europäischen Mittelalters wurden Schwäne sehr viel direkter, materiell, verfügbar gemacht: der majestätische Anblick, den ihre Haltung vermittelt, das Fleisch, die Federn. Diese Aneignung erfolgte punktuell in der Jagd und langfristig durch Jagd- und Besitzrechte, die in der Neuzeit meistens abrissen, in England jedoch bis in die Gegenwart hin aktualisiert werden. Der Wunsch, an der leuchtenden Farbe der Schwäne zu partizipieren, erscheint deutlich in der theologischen Reaktion des 13. Jahrhundert, die dem Schwanenweiß ein dunkeles Inneres kontrastiert. Gleichwohl nutzten Maler, Köche und Herolde bis ins 17. Jahrhundert hinein das helle Gefieder, vereinnahmten diesen Aspekt des Vogels, um Ansprüche und Wünsche zu formulieren. Empfindsamkeit und Romantik steigerten um 1800 die Wünsche nach Harmonie und seelischer Vereinigung, zwischen bestimmten Menschen, aber auch zwischen Mensch und Natur, die später in den Monismus überleiten. Schwäne dienten diesen Wünschen als Medium. Während des 19. Jahrhunderts blätterten die Bezüge auf die tierische Materialität ab; sie konnte in mancher Hinsicht durch Industrieprodukte substituiert werden. Die weiße Farbe wurde zur chemischen Komponente – Bleiweiß, Barytweiß, Wismutweiß, Lenzin – und billig, in großer Reinheit und in großen Mengen hergestellt. Den Flug entmythologisierten Mongolfieren und andere Flugapparate (und die göttliche Sphäre die Erkundung und Vermessung mittels Fernrohren und Formeln). Die moralischen Eigenschaften reduzierte im 20. Jahrhundert die Verhaltensforschung auf Triebe und Instinkte. Es blieb der Schwung der Linien, die Kontur, die Maler und Grafiker bis zum Überdruss interpretierten und durch neue Techniken reproduzierten. Dennoch wirkten ältere Vorstellungen natürlich weiter – und Wünsche, sich Schwäne oder ihre Fähigkeiten verfügbar zu machen, enspringen nicht nur (und entsprangen nie nur) der begreifbaren Umwelt, sondern eben auch Traditionen, Kommunikationen, geistigen Verknüpfungen.

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Den einzelnen Bewusstseinsträgern, ihren Erfahrungswelten, Anschauungen und Kommunikationen nachzuspüren, war hier nicht der Ort. Auch über die Vergemeinschaftung von Bewusstseinsinhalten musste nicht gehandelt werden. Es ging lediglich um das Phänomen der Wahrnehmung von Vögeln und die Beschreibung ihrer Deutungen. Für menschlichen Populationen haben diese Vögel nur eine geringe Bedeutung gehabt, am ehesten noch vom 13. bis ins 17. Jahrhundert hinein als Rechtsund Repräsentationssymbole in England, Flandern, Holland und Friesland. Schwäne haben die Entwicklung menschlicher Gesellschaften nicht irritieren können. Auf der anderen Seiten haben Menschen auch keinen Einfluss auf die Evolution von Schwänen genommen, jedenfalls nicht durch Domestikation, Züchtung oder übermäßige Bejagung. Die Aussiedlung von Teichschwänen hat im 20. Jahrhundert ökologische Auswirkungen gezeitigt, jedoch weder Verhalten noch Aussehen der Schwäne verändert. Die hier abzuschließende Untersuchung beschäftigte sich mit Traditionssplittern, Bildern und Differenzen aus Umweltwahrnehmungen, die immer wieder erneuert werden mussten, um eine konstante Überlieferung bilden zu können. Notwendig dafür, Motive und Bilder auszuarbeiten und zu erinnern, waren Umweltkontakte freilich nicht. Merkwürdigerweise war gerade die Idee vom Schwanengesang besonders erfolgreich – und ist in unserer Zeit das romantische Symbol der liebenden Schwäne recht präsent. Groß wäre die Versuchung, die Befunden, die Formen und Differenzen, deren erstmaliges Aufscheinen sich datieren lässt, aus gesellschaftlichen Formationen und Geisteshaltungen zu erklären. Zahlreiche geistreiche Anknüpfungen wären denkbar: Kombinationen aus Spekulationen und Einsichten. Ganz abgesehen von der geringen Tiefe, die Kausalerklärungen in komplexen gesellschaftlichen Systemen erreichen können: Es fehlt am geeignetem Vergleichsmaterial, um auf einigermaßen gesichertem Terrain neue Elemente in eine Sozialgeschichte der Vorstellungen einzuschmelzen. Deshalb sei die Hoffnung geäußert, dass es zukünftig historisch fundierte Untersuchungen auch zu anderen Tiervorstellungen, namentlich – der Differenzen wegen – zu Raben, Kranichen oder Störchen geben möge. Dann ließe sich vielleicht eine Matrix für die Evolution von Vorstellungen entwerfen.

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3. N ACHSCHLAGEWERKE (Auswahl) Davidson Reid, Jane: The Oxford Guide to classical mythology in the arts: 13001900. Vol. 2: Leda-Zeus. New York 1993. Deutsches Wörterbuch. Begründet von Jacob und Wilhelm Grimm. Bd. 1-16 (17). Leipzig 1854-1954 (1971): http://woerterbuchnetz.de/DWB/ Du Cange: Glossarium mediae et infimae latinitatis. Tomus I-X. Niort 18831887: http://ducange.enc.sorbonne.fr/ Encyclopaedia Britannica. 11. Aufl. Tom. 1-29. London 1910-1911: http://encyclopedia.jrank.org/ Encyclopédie, ou Dictionnaire raisoné des Sciences, des Arts et des Métiers. Tome 1-28. Paris 1751-1772: http://www.encyclopédie.eu/. Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Begründet von Kurt Ranke. Hrsg. von Rolf Wilhelm Brednich. Bd. 1-14. Berlin 1975-2013 (wird fortgesetzt). Förstemann, Ernst: Altdeutsches namenbuch. 1. Bd. 2. Aufl. Bonn 1900. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Hrsg. von Hanns BächtoldStäubli. Bd. 1-10. Berlin 1927-1941. Katz, Solomon H. (Hrsg.): Encyclopedia of Food and Culture. Volume 3. New York 2003. Krünitz, Johann Georg: Oekonomische Encyklopädie, oder allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- u. Landwirthschaft. Bd. 1-242. Berlin 1773-1858: http://www.kruenitz1.uni-trier.de/ Kulturhistorisk leksikon for nordisk middelalder. Bind 1-22. Kopenhagen 19561978. La Curne de Sainte-Palaye, Jean Baptiste: Dictionaire historique de l’ancien langage François ou Glossaire de la langue Françoise. Tome 1-10. Paris 18751882. Lexicon Iconographicum Mythologiae classicae. I-XIX. Zürich 1981-2009. Lexikon der christlichen Ikonographie. Hrsg. von Engelbert Kirschbaum. Bd. 18. Freiburg/Br. 1968-1976. Sonderausg. 1990. Lexikon des Mittelalters. Bd. 1-9. München 1980-1998. Reg.-Bd. 1999. Lindner, Karl: Bibliographie der deutschen und der niederländischen Jagdliteratur von 1480 bis 1850. Berlin 1976. Marienlexikon. Hrsg. im Auftrag des Institutum Marianum Regensburg e. V. von Remigius Bäumer und Leo Scheffczyk. Band 6. St. Ottilien 1994. Meier, Christel; Rudolf Suntrup: Lexikon der Farbenbedeutungen. Teil 2. CDROM. Köln 2011.

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4. L ITERATUR (mehrfach zitierte oder andere besonders einschlägige Titel) Animali. Tiere und Fabelwesen von der Antike bis zur Neuzeit. Eine Ausstellung des Schweizerischen Nationalmuseums im Landesmuseum Zürich. Red. Luca Tori, Rebecca Sanders, Aline Steinbrecher. Genf 2012. Armstrong, Edward A.: The Folklore of Birds. An Enquiry into the Origin and Distribution of some Magico-Religious Traditions. 2. Aufl. London 1970.

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Q UELLEN

UND

L ITERATUR

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Index der Orte und Personen

(keine mythologischen der fiktiven Personen; keine Namen von aktuellen Forscherinnen und Forschern) Aachen 197, 199 Aarschot 71 Aberdeen 186 Adolf, Herzog von Kleve 192 Aelianus, Claudius 125, 283 Aemilius Macer 160, 167 Agricola, Georg 98 Agrippa von Nettesheim 161 Ägypten 254 Aischylos 155 Albert, Erzbischof von Bremen 45 Albertus Magnus 29, 42, 64, 73, 251 Albrecht der Beherzte, Herzog zu Sachsen 71 Alciati, Andrea 207 Aldrovandi, Ulysse 42, 106, 161, 252-254 Alexander Neckam 160, 284 Alexander von Bremen 186 Alexandria 125 Alfons I., Herzog von Este 201 Alkaios von Mytilene 125 Alkman 155, 160 Alster (Fluss) 88-90

Altenau, Herren von 233 Altenburg 100 Altes Land 212, 273 Amager 33 Ambrosius 165-167, 178, 272 Amiens 31, 68 Amsterdam 106, 183 Amur (Fluss) 148 Anakreon 160 Ancher, Anna 217 Andelle (Fluss) 112 Andersen, Hans Christian 241, 269, 270 Angoulême 107 Anguier, Michel 208, 289 Anklam 97 Ansbach 78 Antoninus Liberalis 129 Antwerpen 51, 71 Apollodor 121-122 Appelbeck 94-95 Apuleius 127 Aranjuez 108 Aristoteles 158, 252, 266, 283, 285 Arkel, Herren van 190

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Arnim, Achim von 234-235, 269 Arnold, Graf von Kleve 192 Artemidoros 155, 266 Artmann, H. C. 244 Arundel 64 Assel 197 Asselijn, Jan 203 Athen 127, 184 Athenaios 128 Aurich 39, 82 Auxerre 171 Aviano 7 Bacon, Francis 112 Balde, Jakob 176, 226 Balderich, Graf von Drenthe 132 Balkan 19, 246 Bamberg 198 Bar, Herren von 233 Barbara Sophia, Markgräfin zu Brandenburg 49 Bardoaureo, Johannes de 207 Bartholini, Thomas 180, 253, 268 Bartholomaeus Anglicus 26, 251, 280 Basilius von Caesarea 165, 166, 178 Bäte, Ludwig 117 Bath 68, 282 Battersea 199 Batty, Robert 115 Baudelaire, Charles 246, 275, 278 Baugulf 168 Baume, Herren von 190 Bayros, Franz von 291 Beardsley, Aubrey 217-218, 291 Becher, Johann Joachim 54 Bechstein, Johann Matthäus 26 Begitschew, Wladimir P. 243 Belon, Pierre 251

Berg, Bengt 259-261, 263, 285 Bergen-op-Zoom 71 Berlin 76-79, 116, 115, 220, 257, 275 Bernard, Émile 218 Bernardus Silvestris 160 Besser, Johann von 77 Beverstedtermühlen 107 Bijlert, Jan van 49 Birkhead, Mike 14, 263 Blake, William 213 Blois, Grafen von 190 Bochart, Samuel 178-179 Böcklin, Arnold 216 Bodinus, Heinrich 116 Boehm, Helen 221 Böhmen 189 Bohun, Eleonore von 191 Bohun, Herren von 136 Bohun, Humphrey von 190 Bohun, Margarete von 192, 273 Bologna 98, 252 Bonifaz IX., Papst 174 Bonn 259 Bor, Pieter de 60 Borg 144 Borghese, Scipione 108 Born, Herren von 190 Bos, Cornelis 201 Bosch, Hieronymus 51, 199 Boston 240 Both, Jan 203 Boucher, François 289 Boucicaut, Johann Le Maingre von 187 Boucicaut-Meister 174, 188, 195 Boulogne, Grafen von 190 Bouvines 67 Brabant 70, 87, 238

I NDEX

Brandenburg 32, 77-78, 238 Braunschweig 40, 87-88, 152, 162, 197 Brehm, Alfred 255, 257 Bremen 39, 96 Bremer Blockland 74 Brentano, Clemens 269 Brenz, Johann 178 Bretagne, Anne de 273 Brockes, Barthold Hinrich 110, 180, 227, 273 Browing, Elizabeth B. 238 Brügge 48, 71, 103, 196 Brühl, Heinrich Graf von 53, 211 Brüssel 70-71, 195 Bückeburg 110, 115-117 Buffon, Georges-Louis Leclerc, Graf von 274, 285 Bugenhagen, Johannes 181-182 Buhle, Christoph Adolf 28, 119, 161, 282 Bull, Ole 95 Burgund 69, 192 Burgunya, Joan de 195 Burgwall 79 Burke, Edmund 274 Burns, Robert 291 Buxtehude 90-91, 93-96 Caen 179 Cambridge 64 Campin, Robert 174, 195 Caputh 79 Caron, Antoine 202 Cats, Jacob 205 Celle 107 Chantilly 252 Chaucer, Geoffrey 44 China 140, 222 Chiquart (Koch) 45

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Christian II., Kurfürst von Sachsen 100 Christian IV, König von Dänemark 33 Christoph, Graf von Oldenburg 107 Christoph, Herzog in Bayern 105 Cicero, M. Tullius 157, 166 Clauren, H. 290 Cleve, Corneille van 208 Cleve, Joos van 195 Cockersand 64 Coiter, Volcher 252 Colbert, Jean Baptiste 111 Coldewyc 190 Colerus, Johannes 27, 30 Colin-Roblique, Nathalie 220 Colmar 197 Colonna, Francesco 200 Comgallus (Heiliger) 27 Concubran 149 Cordes, Emil 90 Correggio, Antonio da 289 Cossa, Francesco de 199 Cottbus 78 Cox, James 281 Coxford 74 Crane, Walter 216-217 Crantz 92 Crassus, Lucius 157 Crowland 65 Damm 79 Dänemark 23, 32-33, 39, 262 Daniel (Hegereiter) 55 Danreitter, Franz Anton 112 Dante Alighieri 267 Danzig 248 Darets, Jaques 174, 195 David, Gerard 195

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Davout, Louis Nicolas, Herzog von Auerstädt 89 Delos 125-126, 279 Delphi 124 Demer (Fluss) 71 Den Haag 197 Derham, William 179 Descartes, René 8 Deutschland 10, 40, 64, 87, 89, 113, 116, 198, 224, 255 Dezaillier d'Argenville, Antoine Joseph 112 Dietrich, Graf von Holland 132 Dietrich, Graf von Kleve 233 Ditters, Karl 37 Dominicus (Heiliger) 7 Dresden 78 Driemond 106 Dublin 133 Duns Scotus 175 Dunstable 191 Dürer, Albrecht 105, 216 Durkheim, Émile 138 Dyle (Fluss) 71 Eckmann, Otto 217 Edith Swanneska 23 Eduard I., König von England 46 Eduard III., König von England 191 Edward Stafford, Herzog von Buckingham 136 Eichendorff, Joseph von 114, 234 El Pardo 108 Eleonora, Markgräfin zu Brandenburg 78 Elisabeth II., Königin von Großbritannien 73 Elisabeth, Gräfin zu Holstein und Schaumburg 56

Emmen 95 England 13, 14, 26, 31, 42-43, 53, 60, 64, 72, 87, 89, 148, 154, 169, 191, 198-199, 201, 204, 211, 224, 262, 280, 284, 295296 Epte (Fluss) 112 Erasmus von Rotterdam 105, 194, 224 Erfurt 12, 97, 100, 174, 197-198 Eridanos (Fluss) 129, 159, 224 Ermanarich, König der Ostgoten 24 Essex 190, 192, 284 Estienne, Charles 107 Estland 148 Eure (Fluss) 112 Euripides 122-123 Eurotas (Fluss) 76, 123 Eusebius Hieronymus 165 Eustach, Graf von Boulogne 133 Evelyn, John 109 Færøer 127, 151, 287 Falconet, Étienne Maurice 208, 289, 290 Falster 33 Feabhail 27 Fenlands 64-65 Ferrara 199, 201 Feyerabendt, Sigmund 30 Ficino, Marsilio 200 Finnland 153, 261-252, 271 Flacius, Matthias 182 Flandern 31, 67-68, 70-71, 74, 87, 107-108, 188, 190, 204, 296 Fleuron, Svend 39, 285 Florens, Vogt von Zeeland 66 Fontane, Theodor 53, 61, 85 Frankfurt am Main 197, 213, 252

I NDEX

Frankfurt an der Oder 59 Frankreich 64, 169-170, 187, 224, 254 Franz I., König von Frankreich 107 Franz I., Kaiser 36 Franziscus (Heiliger) 7 Franzius, Wolfgang 178-179, 285 Frédéric, Léon 216 Frederiksborg 253 Freiburg 198 Freising 24 Frey, Hermann Heinrich 178 Frideswide (Heilige) 267 Friedrich I., Kaiser 10, 132 Friedrich I., König in Preußen 33 Friedrich II., König von Preußen 81 Friedrich II., Kurfürst von Brandenburg 192 Friedrich II., Markgraf von Brandenburg 175 Friedrich II., Kaiser 29 Friedrich III., Kaiser 98 Friedrich III., König von Dänemark 32 Friedrich V., König von Dänemark 33 Friedrich Wilhelm I., König in Preußen 78 Friedrich, Caspar David 113, 214 Friedrich, Herzog von Württemberg 49 Friesland 13, 31, 71, 74, 75, 212, 296 Gaerlavorek 136 Galen (Claudius Galenus) 251 Garzo, Giovanno 98 Gediz (Fluss) 125

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Geete (Fluss) 71 Geißenklösterle 55 Geldern, Grafen von 136 Gelre (Geldern, Claes Heinen?) 190 Geltzer, Wassili 243 Geoffroy von Auxerre 131-132 Gera (Fluss) 97-98 Germanus (Heiliger) 171 Gernhardt, Robert 250 Gervasius von Tilbury 284 Gesner, Konrad 21, 56, 251 Giraldus Cambrensis 26, 118-119, 162, 251 Glatthorn, Georg Ludwig 254 Glöckle, Ferdinand 238 Gmelin, Johann Friedrich 26, 256 Godwin, Francis 279 Goes, Hugo van der 195 Goethe, Johann Wolfgang von 113, 269 Gotha 204 Gotland 22 Götland 261 Gottfried von Straßburg 29, 173 Gottfried, Graf von Bouillon 134135 Gouberville, Gilles de 42 Goubie, Jean-Richard 282 Granvelle, Nicolas Perrenot von 108 Grass, Günter 208 Gregor der Große 148 Grimm, Jakob und Wilhelm 179, 153, 269 Grof, Guillielmus de 210 Groningen 76, 82, 107 Groothusen bei Pewsum 183 Guibal, Barthelémy 210, 212

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Guido, Graf von Lusignan 135 Guldenmund, Hans 181 Güstrow 253 Haelen 71 Haemstede, Herren von 190 Hagenbeck, Carl 90 Halle 119, 198 Hals, Frans 60 Hamburg 32, 88-91, 93, 95, 186, 206, 227 Hannover 95, 109, 261 Hasnon 74 Hausbuchmeister 105 Hauschild, Wilhelm 215 Haute-Seille 104 Havel (Fluss) 41, 72-73, 76-77, 81-82, 85-86 Hebbel, Friedrich 235-236, 291 Heckel, August von 215 Heine, Heinrich 90, 249 Heinrich I., Herzog von Brabant 136 Heinrich II., Kaiser 132 Heinrich II., König von England 48 Heinrich von Bracton 63 Heinrich, Herzog zu Schlesien (Liegnitz) 59 Heinroth, Katharina 257 Heinroth, Oskar 88,6, 257-260, 262, 275 Heinsen, Bartolt 92 Helmstedt 182 Hemmer, Helmut 117 Henningsdorf 79 Hermannus de Cigno 198 Herrenhausen 109, 113 Hervey, Arthur 282 Hessen, Landgrafen von 233

Hessisch Lichtenau 206 Hesychios von Jerusalem 165, 178 Heun, Carl Gottlieb Samuel 290 Heusden, Herren von 233 Hieronymus 164, 178 Hieronymus von Prag 181 Hildegard von Bingen 54, 284 Hilprecht, Alfred 262 Hirschfeld, Christian Cay 113 Hoet, Jan 221 Hoffmann von Hoffmannswaldau, Christian 290 Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus 234 Hofmannsthal, Hugo von 237 Hofstede, Hinrich 92 Hohenschwangau 116, 213 Holborn 198 Hölderlin, Friedrich 235 Holland 13, 58, 66, 72, 75, 87, 8990, 149, 207, 262, 281, 296 Holstein 55, 106 Homer 155, 177 Hondecoeter, Melchior de 106 Hondius, Abraham 204 Hoops, Heinrich 74 Hoppe, Christian 95 Horatius Flaccus, Q. 41, 157, 159, 222, 266, 277, 280, 295 Horneburg 95 Hövelen, Konrad von 52, 227 Hrabanus Maurus 167-169, 273, 283 Hugo de Folieto 169-170, 172, 266 Hugo von Lincoln (Heiliger) 26, 118, 162, 196 Hugo von St. Viktor 178 Hus, Johannes 181-182 Hutin, Charles 57

I NDEX

Ibsen, Hendrik 151, 282 Ida, Herzogin von Brabant 192 Île des cygnes 111 Indien 19, 126, 140, 150 Innozenz III., Papst 266 Iphikrates 41 Irland 19, 27, 127, 144, 149-150, 152, 155, 207 Isidor von Sevilla 160, 166-167, 169, 272 Island 22, 25, 143-144, 151, 253, 255 Italien 25, 62, 100, 159, 184 Izmir 125 Jacobs, Jacob 206 Jan Gerlach 149 Jan Persijn 66 Jank, Christian 215 Jerusalem 135, 172 Jever 107 Johann Albrecht II., Herzog zu Mecklenburg 48 Johann Friedrich, Herzog von Württemberg 49 Johann van Arkel 137 Johann, Herzog von Berry 104, 186-187, 191 Johann, König von England 64 Johanna Sophie, Gräfin von Schaumburg-Lippe 109 Johannes von Alta Silva 104, 118, 153, 281 Jonston, Jan 253 Jordanes 24 Joseph Friedrich, Herzog zu Sachsen (Hildburghausen) 36 Julius Cäsar 102 Julius, Frits H. 275

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Julius, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg 107 Juvenalis, Dec. Junius 218 Kaendler, Johann Joachim 211212 Kaiserslautern 104 Kallimachos von Kyrene 125 Kanada 60 Kaplunger, Rudolf 210 Karelien 27 Karl der Große, Kaiser 62, 132, 168 Karl der Gute, Herzog von Burgund 66, 75 Karl IV., Kaiser 32 Karl Martell 99 Karl V., Kaiser 69 Karl V., König von Frankreich 45 Karl, Herzog von Burgund 48 Karl, Landgraf zu Hessen 208 Kassel 221 Kaukasus 19 Kaystros (Küçük Menderes, Fluss) 159, 277 Keller, Gottfried 246 Kelly, Grace 246, 291 Kennington 64 Kerényi, Karl 122 Kiel 97 Kietz 79 Kircher, Athanasius 253 Klaiber-Gottschau, Pauline 244 Kleve 109, 206 Kleve, Grafen von 136, 233 Kleve, Herzöge von 193 Kokko, Yrjö 261-263, 271 Köln 116, 195-196, 202 Konrad II., Kaiser 132

324 | VORSTELLUNGEN VON S CHWÄNEN

Konrad von Würzburg 131, 134, 136, 172, 190 Kopenhagen 33, 111, 180, 253 Köpenick 79 Köthen 109 Krasikov, Herren von 189 Kunz von der Rosen 71 Kykladen 233 La Casa de Campo 108 Lagerlöf, Selma 285 Lancashire 64 Lancaster 191 Lanchals, Pieter 103 Landskrona 206 Lappland 22 Lärkesholm 28 Latham, Samuel 30 Le Nôtre, André 112, 209 Le Paige, Antoine François 233 Leandros, Vicky 282 Leibniz, Gottfried Wilhelm 109 Leipzig 198 Lemaire, Jehan 102 Lenné, Peter Joseph 115 Leonardo da Vinci 200, 284 Lesbos 125 Lessing, Gotthold Ephraim 99, 273 Letzner, Johannes 106 Leuwen (Löwen) 71, 233 Lidwina (Heilige) 149 Lieselotte, Herzogin von Orleans, Pfalzgräfin bei Rhein 57 Lille 44, 192 Limoges 171 Lincoln 118 Linné, Carl von 26, 256, 293 Locke, John 268 London 50, 64, 198-199, 226 Looz, Grafen von 233

Looz-Rieneck, Grafen von 136 Lorenz, Konrad 257 Lothringen 104, 132, 136 Lübeck 47, 50, 96, 111, 198, 227 Ludwig der Fromme, Kaiser 168 Ludwig II., König von Bayern 214 Ludwig IX., König von Frankreich 44 Ludwig VI., König von Frankreich 66, 75 Ludwig XIII., König von Frankreich 112 Ludwig XIV., König von Frankreich 52, 111, 201, 209 Ludwig XV., König von Frankreich 210 Ludwigslust 210 Lukianos 130, 159 Luther, Martin 164, 178, 180-183, 206, 285 Lygurien 129 Mäander (Büyük Menderes, Fluss) 255, 259 Maas (Fluss) 132 Magdeburg 262 Magnus, Olaus 28 Maintenon, Françoise de 201 Mainz 47, 197 Mallarmé, Stéphane 247 Malortie, Carl Ernst von 44, 75 Mandschurei 141 Mann, Thomas 270 Mantua 253 Mao Tse-Tung 222 Marburg 208 Margarete, Königin von England 191 Margarete, Prinzessin von England 48

I NDEX

Martialis, M. Valerius 58 Massys, Quentin 195 Matthaeus von Vendôme 160 Maximilian I., Kaiser 69, 71 103 Maximilian II., König von Bayern 85, 116, 213 Maxwell, Peter 40 Mayo 27, 150 Mechelen 71 Meisner, Daniel 206 Meißen 53, 210, 212, 273 Meister Bertram 88, 186 Melisenda, Königin von Jerusalem 135 Memling, Hans 195-196 Memmius, Gaius 226 Mergenthal, Peter 194 Merseburg 189 Meurer, Noe 32 Meyer, Bernhard 27, 256 Meyer, Gustav 115 Michelangelo Buonarroti 200-201, 284, 288, 291 Micyllus, Jacobus 163 Mieris, Frans d. Ä. van 57 Möbius, Karl 275 Modwenna (Heilige) 149 Moere (Fluss) 67, 69 Moisburg 94 Molnár, Ferenc 245 Mönch von Salzburg 175 Mongolei 141, 145 Moor, Ernst 92 Moreau, Gustave 215 Moskau 243 Mühlenhof 79, 82 München 105, 109, 226 Münchhausen, Ludolf von 107 Münster 286

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Musäus, Johann Karl August 232233 Namur 107 Naumann, Johann Friedrich 257 Neher, Michael 214 Neuendorf 79 Neugebäu 109, 113 Neuruppin 85 Neuschwanstein 214-215 New York 222 Niederlande 13, 71, 75, 106, 183, 202, 281 Niehus (Nihusius), Barthold 226 Nimwegen 131-133 Norddeutschland 26, 74, 107 Nordfrankreich 42 Norfolk 64 Norwegen 144, 253 Norwich 72 Nürnberg 182, 219, 252 Nymphenburg 113, 210 Offenbach 26 Oise (Fluss) 112 Oldenburg 39 Ongar Castle 284 Orkneys 40 Ørsted, Hans Christian 275, 278 Osnabrück 107 Ostfriesland 12, 39, 81, 183 Ottawa 73 Otto IV., Kaiser 284 Otto, Pfalzgraf bei Rhein (Neumarkt) 105 Oudry, Jean-Baptiste 204, 268 Ovidius Naso, P. 58, 129, 161, 222, 224, 277, 280, 288, 295 Oxford 267 Paktolos (Fluss) 125, 277 Pallas, Peter 255-256

326 | VORSTELLUNGEN VON S CHWÄNEN

Paris 46, 56, 68-69, 111, 186, 210, 274 Paul VI., Papst 222 Paul, Jean 290 Pauli, Simon 253 Paulinus, Bischof von York 148 Paullini, Christian Franz 162 Pausanias 160 Peitz 78 Pencz, Georg 289 Pendasio, Federigo 253 Pennant, Thomas 26 Perrins, Christopher 263 Petrarca, Francesco 223-224 Philipp II. August, König von Frankreich 67 Philipp II., Herzog von Burgund 68 Philipp II., König von Spanien 108 Philipp III., Herzog von Burgund 48 Piaget, Jean 137 Picardie 31, 87, 169 Pichelsdorf 79, 84 Pierre Bersuire 149, 171 Piloersema 76 Pindar 159-160, 177 Pirckheimer, Willibald 59 Pisa 172 Platon 127, 156, 160, 177, 295 Plinius Secundus, C. 122, 159, 284 Plutarch 41 Po (Fluss) 130, 159 Polen 59 Pommern 97, 162 Portielje, Anton Frederik Johan 258 Potsdam 78-79, 115, 263 Prenzlau 33-34, 85

Preußen 39 Prignitz 238 Prior, Matthew 51 Pseudo-Apollodor 122 Pseudo-Heisod 155 Puschkin, Alexander 240 Quaglio, Dominik 214 Qualgio, Lorenz 214 Queys, Jehan 69 Racine, Jean de 208 Raesfeld-Born, Ferdinand von 39 Rainier, Fürst von Monaco 246 Ray, John 254 Reichholf, Josef 259, 271, 286 Reiffenberg, Frédéric de 238 Reinald, Erzbischof von Reims 63 Reinhardsbrunn 24, 119 Remeringhausen 107 Remigius (Heiliger) 118 Renard, Jules 250 Reuchlin, Johannes 59 Rhein (Fluss) 70, 105, 131-132, 214, 237, 277 Rideau Canal 73 Ridolfo, Michele di 201 Rieneck, Grafen von 190 Rilke, Rainer Maria 247, 275, 278 Rimski-Korsakow, Nikolai Andrejewitsch 241 Ripa, Cesare 161 Rist, Johann 226-227 Robert Bruce 44 Robert de Tony 136 Roes in der Eifel 176 Rom 102, 109, 185, 201, 222 Ronsard, Pierre de 288 Rostock 51, 96 Rouen 111 Rovan, Sulo 261

I NDEX

Ruben, Christian 214 Rubens, Peter Paul 201 Rudolf, römischer König 233 Rumpolt, Marcus 47, 267 Runge, Philipp Otto 212 Ruppin 85 Russland 22, 30, 43, 59, 255 Rutschke, Erich 263 Sachse, Johann Christoph 164 Sachsen 21, 32 Saint Albans 191 Saint Helena 279 Saint-Bertin 67-69 Saint-Gelais, Mellin de 225 Saint-Mandé 208, 289 Saint-Omer 48, 67-69 Saint-Simon, Louis de Rouvroy, Herzog von 111 Saladin, Sultan von Syrien 135 Salisch, Heinrich von 282 Salperwick 68-69 Saltholm 33 Sancta Clara, Abraham a 176 Sart Çayi (Fluss) 125 Savoyen 186 Saxo Grammaticus 23, 146, 161 Schaukal, Richard 248, 282 Schelde (Fluss) 70-71 Schering, Emil 244 Schiedam 149 Schilling, Wilhelm 158 Schillingsfürst 109 Schlotfeldt, Ernst 58 Schonen 22 Schongauer, Martin 196 Schoppe, Hermann 163 Schottland 19 Schröder (Oberförster) 84 Schwandorf 24

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Schwanenfeld 98 Schwanenstadt 25 Schwangau, Heinrich von 189 Schwangau, Herren von 215 Schwangau, Hilpolt von 189 Schwanhäußer, Gustav Adam 219 Schwanheim 24 Schweden 23, 147, 206 Schweinfurt 219 Schwerin 109 Schwetzingen 210 Schwind, Moritz 214 Scott, Peter Markham 262-263 Seckau 170 Seckt, Johann Samuel 34 Seine (Fluss) 111 Selby 171 Sens 61 Serres, Olivier de 108 Servius 129, 167 Sfondrati, Cölestin 177 's-Hertogenbosch 51 Shetlands 151 Sibelius, Jean 244 Sibirien 19, 27, 138-139, 159 Sickingen, Herren von 194 Sisbut, König der Westgoten 166 Sixtus IV., Papst 175 Skandinavien 14, 19, 22, 26, 32 Slezak, Leo 240 Slimbridge 262 Smith, John Thomas 199 Snayers, Pieter 204 Snyders, Frans 202 Sokrates 127, 156, 160 Sonihilde, bairische Prinzessin 24 Sophie, Kurfürstin von Hannover 109, 281 Spandau 76, 78-79, 82, 115

328 | VORSTELLUNGEN VON S CHWÄNEN

Spener, Philipp Jakob 207, 285 Spenser, Edmund 225, 268 Spree (Fluss) 72-73, 76-78, 81-82, 86 Stackmann, Ernst 94 Stadthagen 116 Stanislaus I., König von Polen 210 Steenwijck, Hendrik van 199 Steiner, Rudolf 275 Steinfurt, Herren von 189-190, 267 Stolberg, Friedrich von 290 Stormarn 195 Stotel 45 Stowe 118 Stralsund 96 Straßburg 30, 57 Strindberg, August 244 Stüler (Stella), Erasmus 98-100 Sturm, Caspar 190 Stuttgart 49, 109 Sunilda, Fürstin der Rosmonen 24 Sverre, König von Norwegen 143 Swan painter 184 Swanahilde (Sonihilde) 24, 99 Swanbourne 25 Swanenmester, Johann 96 Swanmore 25 Swanring, Albert 198 Swansea 25 Tacitus, P. Cornelius 163 Taillevent (Koch) 47 Tappe, Eberhard 30 Tartu 261 Taylor, John 198 Teisterbant, Grafen von 233 Teos 160 Terentius Afer, P. 288 Terniers, David d. J 51 Thaller, Johannes 252

Theben 160 Themse (Fluss) 28, 31, 64-65, 72, 79, 225-226, 253 Theobald (Heiliger) 63 Thierry, Jean 208, 289 Thoma, Hans 216 Thomas von Aquin 170, 175 Thrakien 41 Thurn und Taxis, Paul von 214 Tiefwerder 84 Timotheos 123, 200 Timotheos von Athen 185 Tödter, Mencke 95 Tongern 102 Tournai 195 Tours 107 Trakl, Georg 249 Travemünde 90 Tschaikowski, Peter 243 Tuby, Jean-Baptiste 209 Turin 187 Ucker (Fluss) 33-35 Ukraine 19 Upton, Nicholas 207 Ural 124 Valenciennes 102-103, 107 Valotton, Félix 217 Varenne, Pierre François de la 52 Vergilius Maro, P. 160-161, 166, 277 Versailles 57, 111-112, 209 Vesle (Fluss) 63 Viborg 271 Vico, Giovanni Batista 164 Vidor, Charles 246 Viktoria, Königin von Großbritannien 60 Vincennes 44, 75

I NDEX

Vischer, Friedrich Theodor 269, 274-275 Voigt, Gottfried 253 Volaterranus, Raffael 150 Vondel, Joost van den 288 Voß, Johann Heinrich 59 Vulson, Marcus 207 Wabe (Fluss) 40 Wagner, Richard 133, 214, 238, 244 Wales 148 Walser, Martin 270 Warnemünde 96 Warnow 96 Warschau 59 Waterland 66 Wedel 227 Weenix, Jan 203 Weenix, Jan Baptist 203 Weerde bei Vilvoorden 71 Weerth, Georg 60 Weimar 109 Weismann, Julius 244 Weiss, Emil Rudolf 249, 270 Weißenfels 198 Wells 64, 282 Wensum (Fluss) 72 Wevelinghofen, Herren von 190 Weyden, Rogier van der 174, 195196 White, Elwyn Brooks 251 Whittington, Dick 50 Wien 261 Wierum 76 Wilhelm der Eroberer, König von England 171

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Wilhelm II., Deutscher Kaiser 39 Wilhelm, Erzbischof von Canterbury 224 Willughby, Francis 254 Wiltberg, Bernhard von 190 Winchester 171 Winckell, Dietrich aus dem 38, 60, 285 Wismar 96 Witham (Fluss) 65 Witt, Johann de 204 Wittenberg 178, 254 Wittmund 39 Wodhill 64 Woerdt, Jan van de 190 Wolfenbüttel 107 Wolfram von Eschenbach 131, 189 Woodstock, Thomas von 191 Worlik (Orlík) 90 Wrubel, Michail 217 Wunderwald, Gustav 220 Würzburg 197 Xanthos (Fluss) 155 Yarrell, William 256 Yeats, William Butler 248, 282, 291 York 48 Ypern 66, 74-75, 149 Zaandam 198 Zeeland 66 Zenne (Fluss) 71 Zimmern, Froben Graf von 48 Zoller, Joseph 177 Zwickau 97-102, 193, 198, 232 Zypern 127, 185, 190

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