Medizinische Strahlenkunde: Eine Einführung in die physikalischen, technischen und biologischen Grundlagen der medizinischen Strahlenanwendung für Mediziner und medizinisch-technische Assistentinnen [Reprint 2019 ed.] 9783111533377, 9783111165394

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Medizinische Strahlenkunde: Eine Einführung in die physikalischen, technischen und biologischen Grundlagen der medizinischen Strahlenanwendung für Mediziner und medizinisch-technische Assistentinnen [Reprint 2019 ed.]
 9783111533377, 9783111165394

Table of contents :
Geleitwort
Vorwort zur 1. Auflage
Vorwort zur 2. Auflage
Inhaltsübersicht
Abkürzungen, Bezeichnungen, Einheiten
Geschichtliches
I. Elektrizitätslehre
II. Allgemeine Strahlenkunde
III. Allgemeine Strahlenkunde
IV. Die Erzeugung sehr harter und ultraharter Strahlen
V. Medizinische Strahlenanwendungsgeräte, Zusatzgeräte und Zubehör
VI. Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen
Therapie mit energiearmen Strahlen
Rechtliche Grundlagen für die Ausbildung und Arbeit der medizinisch-technischen Assistentin
Sachregister

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W E R N E R SCHLUNGBAUM M E D I Z I N I S C H E STRAHLENKUNDE

MEDIZINISCHE STRAHLENKUNDE Eine Einführung in die physikalischen, technischen und biologischen Grundlagen der medizinischen Strahlenanwendung für Mediziner und medizinisch-technische Assistentinnen

2., n e u b e a r b e i t e t e A u f l a g e

von Priv. Doz. Dr. med. W E R N E R

SCHLUNGBAUM

Dirigierender Arzt der Röntgenabteilung des S t ä d t . K r a n k e n h a u s e s B e r l i n - S p a n d a u Mit e i n e m A n h a n g : Rechtliche Grundlagen f ü r Ausbildung u n d Arbeit der medizinisch-technischen Assistentinnen von Dr. med. G E O R G

FABIAN

L e i t e n d e r M e d i z i n a l d i r e k t o r a. D .

WALTER DE GRUYTER

& CO.

vormals G.J. Göschen'sche Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp.

B E R L I N 1963

Mit 148 Abbildungen und einer Farbtafel

© Copyright 1959, 1963 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — K a r l J. Trübner — Veit & Comp., Berlin 30, Genthiner Straße 13. — Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen

Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen und der

Übersetzung, vorbehalten. Printed in Germany. — Archiv-Nr. 518963 Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin 30. Einbandentwurf U. Hanisch

Geleitwort Die qualifizierte Röntgenassistentin ist das Aushängeschild des guten Radiologen! Der Arzt, insbesondere der Röntgenologe, bedarf ihrer Mithilfe bei der Anfertigung einwandfreier Röntgenaufnahmen. Der Strahlentherapeut verdankt einen Teil des Vertrauens seiner Patienten ihrer Mitarbeit. Der erfahrene Arzt zollt deshalb dem Wissen und dem Geschick der Röntgenassistentin Achtung und Anerkennung. Der beruflichen Ausbildung der Röntgenassistentin kommt also weitreichende Bedeutung zu. Verschiedene Lehranstalten und Lehrbücher vermitteln heute der medizinisch-technischen Assistentin die Kenntnisse. Herr Dr. W. SCHLUNGBAUM ist aus eigener Lehrtätigkeit mit dieser Aufgabe, aber auch mit den Mängeln bei der Unterrichtung der medizinischtechnischen Assistentinnen vertraut. Eine straffe Zusammenfassung des Unterrichtsstoffes wurde von ihm in diesem Buch angestrebt und geschaffen. Die gewählte Form eines Leitfadens soll dabei keinesfalls der heute gewünschten raschen — um nicht zu sagen: oberflächlichen Belehrung entgegenkommen, sie will nicht das Einarbeiten in das Wissensgebiet verdrängen, sondern dieses Buch möchte dem Lernenden helfen, zuerst den Überblick zu gewinnen und zuletzt bei auftauchenden Fragen schnell Antwort zu geben. Die Grundlagen der medizinischen Strahlenanwendung, die Erkenntnisse der Strahlenbiologie und die Richtlinien für den Strahlenschutz werden in präziser Form dargeboten. Mein Wunsch: Möge jeder Leser Nutzen von diesem Buch haben! Berlin, Juli 1959

Heinz Oeser

Vorwort zur 1. Auflage Langjährige Unterrichtserfahrungen an der technischen Abteilung des Lettevereins Berlin und eine Anregung des Verlages haben mich zur Arbeit an der vorliegenden Einführung in die Medizinische Strahlenkunde veranlaßt. Ich habe mich dabei bemüht, die Grundlagen der medizinischen Strahlenanwendung sowie deren praktische Bedeutung zu erläutern. Aus didaktischen Gründen war es mein Bestreben, auch äußerlich das Wesentliche hervorzuheben. Ich hoffe, daß damit der medizinischtechnischen Assistentin ein Leitfaden in die H a n d gegeben ist, der ihr das Einarbeiten in die meist völlig fremde Materie und die notwendige Mitarbeit beim Unterricht erleichtert. Auch dem jungen Mediziner möge er den ersten Einblick in das große Gebiet der Radiologie, die als besonderes Fach alle anderen Fachgebiete der Medizin ergänzt, ermöglichen. Daß eine kurze Einführung naturgemäß mit ausführlicheren Lehrbüchern nicht in Konkurrenz treten kann und soll, möchte ich hier ausdrücklich betonen. Herrn Dr. F A B I A N , leitendem Medizinaldirektor a. D., danke ich für die Bearbeitung des Abschnitts über die rechtliche Stellung der medizinisch-technischen Assistentin. Herrn Professor Dr. H. O E S E B danke ich für seinen R a t bei Abfassung und Durchsicht des Buches. Zu Dank bin ich weiterhin den Firmen C . F . H . M Ü L L E R , S I E M E N S R E I N I G E R , K O C H & S T E B Z E L , H O F M A N N und K O D A K verpflichtet, die mir einen großen Teil der Abbildungen zur Verfügung gestellt haben, ebenso den Verlagen Georg Thieme, Stuttgart, und Urban und Schwarzenberg, München, bzw. den Herren Dr. B U N D E , Prof. S C H O E N und Prof. W A C H S M A N N , die mir die Übernahme einiger Tabellen und Zeichnungen gestatteten. Ebenfalls danke ich Herrn K L A U S R Ä C H für die Anfertigung der meisten Zeichnungen und Frau J O H A N N A W I E N E B T , die mich unermüdlich beim Lesen der Korrekturen und bei Anfertigung des Registers unterstützt hat. Bezüglich der Ausstattung, besonders der Zahl der Abbildungen, ist mir der Verlag großzügig entgegengekommen. Auch hierfür sei gedankt. Berlin, Juli 1959

Werner Schiungbaum

Vorwort zur 2. Auflage Form und Aufbau der vorliegenden, knapp 3 Jahre nach Erscheinen der Erstauflage notwendig gewordenen 2. Auflage der eine Einführung in die physikalischen, technischen und biologischen Grundlagen der medizinischen Strahlenanwendung darstellenden „Medizinischen Strahlenkunde" blieben unverändert. Der technische Fortschritt der letzten J a h r e machte aber neben einer sorgfältigen Durchsicht eine eingehende Überarbeitung einzelner Abschnitte notwendig. So wurde das Kapitel Bildverstärkung und Röntgenfernsehen neu gefaßt und erweitert. Gleiches gilt für die Filmverarbeitung insbesondere die Entwicklungsmaschinen, die auch in Deutschland immer weitere Verbreitung finden. Völlig überarbeitet wurden auch die Abschnitte Röntgengeneratoren und -gerate. Hier wurde besonderer Wert darauf gelegt, die Nomenklatur den neuesten Deutschen Normen (DIN) anzupassen. Entsprechend der Bedeutung des Strahlenschutzes wurden die Strahlenschutzvorschriften noch ausführlicher behandelt. Zahlreiche Abbildungen wurden ausgewechselt, da sie bei Berücksichtigung der technischen Entwicklung nicht mehr dem neuesten Stand entsprachen. Neue Abbildungen und schematische Skizzen wurden dort hinzugefügt, wo zur besseren Verständlichkeit des Textes die bildmäßige Ergänzung erforderlich zu sein schien. Freundlicherweise hat Herr Dr. F A B I A N den Abschnitt über die rechtlichen Grundlagen ebenfalls überarbeitet und auf den neuesten Stand gebracht, wofür ich ihm hier meinen Dank ausspreche. Den Firmen Koch & Sterzel, C. H. F. Müller und Siemens-Reiniger habe ich wiederum zu danken, daß sie mir in zuvorkommender Weise ihr Bildmaterial zur Verfügung stellten. Ganz besonderen Dank für kritische Hinweise und Anregungen schulde ich den Herren Dr. G A J E W S K I (Erlangen), Priv. Doz. Di. R A U S C H (Giessen) und Oberingenieur S T A D T F E L D (Berlin). Auch dem Verlag sei gedankt, daß er bereitwilligst alle meine Wünsche bezüglich der Änderungen und Ergänzungen insbesondere der bildmäßigen Ausstattung berücksichtigt hat. Berlin, Sommer 1963

Werner Schiungbaum

Inhaltsübersicht

Seite

Vorwort Abkürzungen, Bezeichnungen, Einheiten Geschichtliches I. Elektrizitätslehre I I . Allgemeine Strahlenkunde

XII XIII XV 1 10

A. Elektromagnetische Wellen

10

B. Korpuskularstrahlen 1. Atomphysikalische Grundbegriffe 2. Radioaktivität a) Natürliche Radioaktivität b) Künstliche Radioaktivität Kernreaktoren

13 13 18 18 20 21

I I I . Die Erzeugung von Röntgenstrahlen A. Die Röntgenröhre 1. Arten und Eigenschaften der Röntgenröhren 2. Der Brennfleck 3. Hochspannungs- und Strahlenschutz 4. Besonderheiten von Therapieröhren

24 24 24 29 35 36

B. Der Röntgengenerator (Röntgenapparat) 1. Hochspannungstransformator und Gleichrichter a) Diagnostikgeneratoren b) Therapiegeneratoren 2. Heizstromerzeuger

40 40 40 45 47

C. Der Schalttisch 1. Schalttische f ü r Diagnostikgeneratoren a) Spannungsregulierung b) Stromstärkenregulierung c) Belichtungszeit 2. Schalttische f ü r Therapiegeneratoren

48 48 49 51 52 55

D. Automatisierung und Überlastungsschutz

55

X

Inhaltsübersicht Seite

IV. Die Erzeugung sehr harter und ultraharter Strahlen V. Medizinische Strahlenanwendungsgeräte, Zusatzgeräte und Zubehör. . . VI. Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen A. Verhalten energiereicher Strahlen beim Durchgang durch Materie . . Die Strahlenqualität der Quantenstrahlen

59 64 74 74 81

B. Allgemeine Eigenschaften (Beugung, Interferenz, Ablenkung) . . . .

83

C. Die Erregung derund Lumineszenz Durchleuchtung Durchleuchtungsgeräte Anhang: Der Röntgenbildverstärker und das Röntgenfernsehen .

84 84 93

D. Die Schwärzung der photographischen Schicht und ihre praktische Anwendung: Röntgenphotographie 100 1. Die Bildentstehung 100 2. Schwärzung und Gradation 101 3. Das photographische Material 105 a) Röntgenfilme 105 b) Röntgenpapier 107 c) Verstärkerfolien 107 4. Die Filmverarbeitung 111 a) Entwicklung 111 b) Fixierung 117 c) Wässern und Trocknen 121 d) Endverarbeitung 121 5. Die Dunkelkammer 123 6. Entwicklungsmaschinen 127 7. Das Polaroid-Verfahren 132 8. Filmfehler 134 a) Schleierbildung 134 b) Weißer Belag 136 c) Helle Flecken 136 d) Dunkle Flecken 136 e) Ungleichmäßige Schwärzung 136 f) Runzeln 136 g) Bakterienfraß 137 9. Bildgebung und Bildgüte 137 a) Größenrichtigkeit 137 b) Zeichenschärfe 139 c) Kontrast 142 Moderne Methoden zur Kontrast Verbesserung 150 d) Die Belichtung 152 Hartstrahltechnik 153 e) Praktische Gesichtspunkte bei Anfertigung von Röntgenaufnahmen 158 Lagerung 158

Inhaltsübersicht

XI Seite

Benennung und Bezeichnung der Aufnahmen Wahl des Aufnahmematerials f) Spezialuntersuchungen Kontakt- und Vergrößerungsaufnahmen Anhang: Mikroradiographie Stereoaufnahmen . . . Schichtuntersuchung Fremdkörperlokalisation Schirmbildphotographie Kymographie und Polygraphie Serienaufnahmen und Röntgenkinematographie Spezialuntersuchungen mit Hilfe von Kontrastmitteln . . . Untersuchungen des Verdauungstrakts Darstellung der Gallenwege Darstellung der Harnwege Darstellung des Uterus einschließlich der Eileiter . . . . Fisteldarstellung Gefäßdarstellung Kontrastmittelmethoden zur Diagnostik des Zentralnervensystems Darstellung des Bronchialbaumes Pneumoradiographie Darstellung der Gelenkhöhlen g) Anhang; Xeroradiographie E. und F . Dosimetrie, biologische Wirkung der energiereichen Strahlen und ihre praktische Anwendung: die Strahlentherapie 1. Dosismessung und Dosisbegriffe a) Dosimetrie b) Einheiten c) Meßgeräte 2. Die biologische Wirkung energiereicher Strahlen 3. Strahlengefährdung und Strahlenschutz Strahlengefährdung Zur Frage der beruflichen Strahlengefährdung Strahlenschutz 4. Die Strahlentherapie a) Vorbemerkungen und praktische Dosisbegriffe b) Strahlenarten Mittelharte und harte Röntgenstrahlen f ü r die sogenannte Halbtiefen- und Tiefentherapie Bewegungsbestrahlung Siebbestrahlung Weiche Strahlen f ü r Oberflächen- und Körperhöhlentherapie Die Strahlen der radioaktiven Substanzen Anwendung radioaktiver Isotope in Diagnostik und Forschung Sehr harte und ultraharte Röntgen- und Gammastrahlen . .

159 161 161 161 162 163 164 173 174 179 181 185 187 191 193 195 195 195 199 201 201 202 202 203 203 203 205 208 217 230 230 235 237 258 258 260 260 265 270 273 276 282 286

XII

Inhaltsübersicht Seite

Korpuskularstrahlen c) Die Indikation zur Strahlentherapie d) Bestrahlungsplan und Bestrahlungsprotokoll Therapie mit energiearmen Strahlen 1. Die Lichttherapie 2. Die Diathermie Elektrochirurgie 3. Die Kurzwellentherapie Rechtliche Grundlagen f ü r Ausbildung und Arbeit der medizinischtechnischen Assistentin

289 291 292 296 296 303 304 305 311

Erster Abschnitt Entwicklung des Berufs der medizinisch-technischen Assistentin und die Wandlungen seiner staatlichen Regelung 314 Zweiter Abschnitt Das Gesetz vom 21. Dezember 1958 Dritter Abschnitt Sonstige f ü r die Arbeit der medizinisch-technischen Assistentin wichtige Vorschriften Sachregister

319

351 357

Abkürzungen, Bezeichnungen, Einheiten Allgemein gebräuchliche Vorsilben Meg(a) Kilo

(M) Millionenfaches (mal 106) (k) Tausendfaches (mal 10 3 )

Milli

(m) Tausendstel

Mikro Nano Pico

(u)

(mal 10~ 3 bzw. mal 6

Millionstel

(mal 10~ bzw. mal (mal 10 - 9 ) (mal 10 - 1 2 )

—: Millimikro (m/i) Milliardstel = Mikromikro (jip) Billionstel

1000 1

)

1000 000

Längenmaße = 10 3 m

1 Kilometer

= 1 km = 1000 m 1 1 Zentimeter = 1 cm = m 100 1 1 Millimeter = 1 m m = m 1000 1 = l u = m 1 Mikron 1 000 000 1 Millimikron = 1 m u = 1 Ängström

= 1A

1 X-Einheit

= 1 XE =

=

1 000 000 000

= 10

1000

A

= 10« mm

m = 10 mm

= 10~ 3 m = 10~ 6 m = 10" 3 mm = 10~ 4 cm m

10 000 000 000 1

-2

= 10~ 9 m = 1 0 - 6 mm = 10~ 7 cm

m = 10~ 10 m = 10~7 mm = 10~8 cm

= 10" 1 3 m = lO" 1 0 mm = 10" 11 cm

Abkürzungen A A. A As

= = = =

Ampere = Einheit der elektrischen Stromstärke, s. S. 2 Arteria, Arterie Ängström, Längenmaß, s. o. Amperesekunde = Einheit der Elektrizitätsmenge. Viooo As = 1 mAs. 1 As = 1 C (Coulomb) Alpha( Kathode.

II. Allgemeine Strahlenkunde Strahlen sind eine besondere Energieform, die sich i m R a u m ausbreitet. Die uns b e k a n n t e n S t r a h l e n lassen sich in 2 große G r u p p e n e i n o r d n e n : 1. Elektromagnetische Wellen 2. Korpuskularstrahlen

A. Elektromagnetische Wellen Die elektromagnetischen Wellen bzw. Strahlen lassen sich, ähnlich wie der elektrische Wechselstrom, als sinusförmige K u r v e darstellen. Sie e n t s t e h e n bei Ä n d e r u n g elektrischer Felder, z. B. bei periodischer Bewegung (Schwingung) elektrischer L a d u n g e n . Sie breiten sich m i t einer Geschwindigkeit (c) von 300000 km/sec aus. Diese Geschwindigkeit ist seit langem als Lichtgeschwindigkeit b e k a n n t . Auch d a s sichtbare L i c h t h a t Wellennatur, wie NEWTON im Gegensatz zu HTTYGENS, der die k o r p u s k u l a r e N a t u r des Lichts a n n a h m , beweisen k o n n t e . Eine elektromagnetische Strahlung ist charakterisiert d u r c h die Wellenlänge (A), die Schwingungshöhe oder Amplitude, sowie die Zahl der P e r i o d e n in der Zeiteinheit (sec) oder Frequenz (v). Bei gleicher Geschwindigkeit (s. o.) sind Wellenlänge u n d F r e q u e n z reziproke W e r t e : A

cgn/se£L v(tiz)

o d e r c = A

.,

Die m o d e r n e P h y s i k h a t nachweisen können, d a ß die Ausstrahlung der elektromagnetischen Wellen n i c h t gleichmäßig erfolgt, sondern d a ß die Energie in kleinen Portionen, sogenannten E n e r g i e q u a n t e n , abgestrahlt wird. Man spricht deswegen a u c h von Quantenstrahlen. Träger der Lichtenergie sind die „Lichtquanten", der R ö n t g e n s t r a h l e n energie die „Röntgenquanten", der Gammastrahlenenergie die „Gammaquanten". Die Q u a n t e n werden auch als P h o t o n e n bezeichnet.

Elektromagnetische Wellen

11

Tab. 1. Das Spektrum der elektromagnetischen Wellen Energie des Einzelquants

Erzeugungsweise Nach weis mittel physikalisch

technisch

1,24 1 0 - 1 ' 1,24

io- 6

1,24 10~ 8 1,24

io-7

1,24 I O -

6

1,24 i o - 6 1,24 i o - 4 1,24 10 1,24 0,124 1,24 12,4

124 1,24 12,4 124 1,24 12,4 124

Periodische Bewegung elek-

Funkensender ;

trischer L a d u n g (elektrische

Röhrensender

Schwingungen)

Nachweis der in einem Leiter induzierten Ströme mittels Strommesser oder Glühlampe usw.; oder Nachweis des elektrischen Wechselfeldes mittels Spannungsmesser oder Glimmlampe usw.

3

io--2 E r h i t z u n g fester u n d flüsÜbergang ange- siger Körper (Wärmestrahregter A t o m e od. ler, Glühlampen usw.) Moleküle in den Grundzustand oder einen weniGlühlampen; Gasentladungs ger angeregten röhren; Lumineszenzstrahler Zustand, wobei nur äußere Elektronen beteiligt Elektrische E n t l a d u n g e n in sind Gasen (z. B. Quecksilberd a m p f l a m p e n ) ; Lichtbogen 1. Übergang angeregter Atome in den Grundzustand bei BeRöntgenröhren; teiligung innerer Elektronen: natürlich vorkommende Charakteristische Strahlung; und künstlich hergestellte 2. Abbremsung schneller Elekradioaktive Elemente; tronen an Atomkernen : Betatron Bremsstrahlung; 3. Zerfall von Atomkernen: Gammastrahlung

T e m p e r a t u r m e s s u n g mit Thermosäule od. Bolometer: Farbumschlag bestimmter Substanzen Auge; Photozelle; Film Photozelle; F i l m ; L e u c h t s c h i r m ; L i c h t z ä h l r o h r ; Eiweißzerfall; H a u t e r y t h e m ; Pigmentbildung ; Ozonbildung

Auge; F i l m ; Leuchtschirm; Ionisationskammer; Zählrohr ; Szintillationszähler; Leitfähigkeitsänderung in Kristallen; F a r b u m s c h l a g ; bestimmte Substanzen u. andere chemische Reaktionen ; H a u t e r y t h e m ; Abtötung von DrosophilaEiern; Auslösung von Mutationen u. andere biologische Reaktionen

Nach SCHOEN-BUNDE: Medizinische R ö n t g e n t e c h n i k , Band II, 2. Auflage, Georg-Thieme-Verlag S t u t t g a r t 1957

Allgemeine Strahlenkunde

12

Tab. 1. (Fortsetzung)

Verwendung

Benennung

Wellenlänge

Lange Wellen .1

Kurzwellentherapie

Mittelwellen

-500 300

Kurz-

-50 30

km = 1000

m = 10'

,100 m

=10«

.10

m

= 10 3

1

m = 1000mm = 10 s

wellen

Ultrakurzwellen

-0,5 0.3

-0,5 0,3

Infrarottherapie und -photographie

-a

Lichttherapie

Wärme(Infrarot-) Strahlen

Sichtb. Licht Ultraviolette Strahlen

Grenzstrahlen

-0,5 0,3 -50 30

Tiefentherapie Radiumtherapie und Therapie mit ultraharten Röntgenstrahlen

Röntgenstrahlen

Gammaund ultraharte Röntgenstrahlen

_1

mm = 1000^

_100

¡1

.10

-0,5 0,3

_1

A

.0,1 A -0,05 0,03 _0,01/i

-0,5 0,3

10'

=10-1

»

_1 ¡i -500 300 .100 mfi -50 30 .10 mn -50 30 _1 m//

Grenzstrahltherapie Röntgendiagnostik u. Oberflächentherapie

=

= 1000 m/x -1000A = 100

A

=

A

=

1 0 " '

= 11000

XE

=100

XE

=10

X E = 10-

= 1 0 "

_1

XE

= io-

_0,1

XE

= io-

Korpuskularstrahlen - Atomphysikalische Grundbegriffe N a c h der v o n PLANCK b e g r ü n d e t e n „ Q u a n t e n t h e o r i e " Energie (E) p r o p o r t i o n a l der F r e q u e n z (v): E =

13 ist

die

h.v

h ist dabei eine K o n s t a n t e (sogenannte PLANCKsche W i r k u n g s k o n s t a n t e ) . D a also auch die elektromagnetische Wellenstrahlung aus (Energie-) „Teilchen" besteht, k a n n die scharfe T r e n n u n g der klassischen P h y s i k in Wellenstrahlung u n d K o r p u s k u l a r s t r a h l u n g n i c h t ganz a u f r e c h t erh a l t e n werden. E i n e Übersicht über die elektromagnetischen Wellen gibt Tabelle 1. Z u m S p e k t r u m der elektromagnetischen Wellen gehören also vor allem die sichtbaren Lichtstrahlen m i t d e m U l t r a v i o l e t t u n d der ultrar o t e n W ä r m e s t r a h l u n g , die Röntgen- u n d G a m m a s t r a h l e n . E i n e außerordentlich wichtige Grenze bezüglich der biologischen W i r k u n g stellt die Energie von etwa 34 E l e k t r o n e n v o l t dar, d a Strahlen m i t dieser Mindestenergie Materie ionisieren können, d. h . d a ß die a u f t r e f f e n d e n Q u a n t e n E l e k t r o n e n aus den elektrisch ungeladenen A t o m e n herauslösen u n d diese d a m i t elektrisch geladen w e r d e n (bei Herauslösen eines E l e k t r o n s elektrisch positiv, bei Anlagerung eines E l e k t r o n s a n ein A t o m elektrisch negativ). Die aufgeladenen A t o m e heißen I o n e n .

B. Korpuskularstrahlen Die Korpuskularstrahlen (Materie- oder Teilchenstrahlen) bestehen aus kleinsten Teilchen, nämlich den Bauelementen der Atome.

1. Atomphysikalische Grundbegriffe Atome sind die Bausteine aller Stoffe, der „ M a t e r i e " . I m Gegensatz zur ursprünglichen Auffassung, n a c h der sie als unteilbar angesehen w u r d e n — A t o m , ein aus der altgriechischen Sprache abgeleitetes W o r t , b e d e u t e t unzerschneidbar = unteilbar —, bestehen sie aus E l e m e n t a r teilchen, deren q u a n t i t a t i v e Zusammensetzung ihre physikalischen u n d chemischen, also qualitativen E i g e n s c h a f t e n bedingt. N a c h der h e u t e noch gültigen Modellvorstellung, die in erster Linie auf den dänischen Physiker NIELS BOHR zurückgeht (BoHRsches Atommodell) bestehen sie aus einem Kern u n d einer Hülle, ähnlich wie unser P l a n e t e n s y s t e m aus der Sonne u n d den sie umkreisenden P l a n e t e n . Die Masse eines A t o m s

14

Allgemeine Strahlenkunde Tab. 2. Periodisches System der Elemente

\Gruppt

II a

Perioa\

b

III

a

b

0

1 H Wasserstoff 1,0

1

3 Li Lithium 6,9

4 Be Beryllium 9,0

2

11 N a Natrium 23,0

12 Mg Magnesium 24,3

19 K Kalium 39,1

20 Ca Calcium 40,1

3

4

5

6

Gruppenbenennung

29 Cu Kupfer 63,5

a

47 Ag Silber 107,9

79 Au Gold 197,2

a

13 AI Aluminium 27,0

14 Si Silicium 28,1

15 P Phosphor 31,0

31 Ga Gallium (¡9,7 39 Y Yttrium 88,9

56 Ba Barium 137,4

b

7 N Stickstoff 14,0

48 Cd Cadmium 112,4

55 Cs Caesium 132,9

a

6 C Kohlenstoff 12,0

21 Sc Scandium 45,1

38 Sr Strontium 87,6

V

b

5 B Bor 10,8

30 Zn Zink 65,4

37 E.b Rubidium 85,5

IV

b

22 Ti Titan 47,9

23 V Vanadium 51,0

32 Ge Germanium 72,6 40 Zr Zirkon 91,2

41 N b Niob 92,9

49 I n Indium 114,8 57-71 Seit. E r d e n

80 H g Quecksilber 200,6

33 As Arsen 74,9

50 Sn Zinn 118,7 72 Hf Hafnium 178,6

51 Sb Antimon 121,8 73 Ta Tantal 180,9

82 P b Blei 207,2

81 T1 Thallium 204,4

83 Bi "Wismut 209,0

87 Fr« Francium 223

88 R a Kadiurn 226,1

89 Ac Actinium 227

90 Th Thorium 232,1

91 P a Protactinium 231

Alkalimetalle Kupfergruppe

Erdalkalimetalle Zinkgruppe

Scandiumgruppe Aluminiumgruppe

Titangruppe Kohlenstoffgruppe

Vanadiumgruppe Stickstoffgruppe

Seltene E r d e n : 57 La Lanthan 138,9

58 Ce Cer 140,1

59 Pr Praseodym 140,9

60 Nd Neodym 144,3

61 P m * Promethium 146

62 Sm Samarium 150,4

63 E u Europium 152,0

Transurane**: 93 Np* Neptunium 237

94 P u Plutonium 239

95 Am* Americium 241

96 Cm* Curium 242

97 Bk* Berkelium 243

98 Cf* Californium 244

N a c h E Ü M P : E l e k t r o m e d i z i n u n d S t r a h l e n k u n d e , U r b a n u. Schwarzenberg, München-Berlin 1951

Korpuskularstrahlen - Atomphysikalische Grundbegriffe

15

Tab- 2. (Fortsetzung) VI

VII

b

b

a

a

Anzahl Name der 1 äußersten Elektronenschalen

0

VIII

2 He Helium 4,0

1

K-Schale

8 0 Sauerstoff 16,0

9 F Fluor 19,0

10 Ne Neon 20,2

2

L-Schale

16 S Schwefel 32,1

17 C1 Chlor 35,5

18 A Argon 39,9

3

M-Schale

4

N-Schale

5

O-Schale

6

P-Schale

7

Q-Schale

24 Cr Chrom 52,0

26 Fe Eisen 55,9

25 Mn Mangan 54,9 34 Se Selen 79,0

42 Mo Molybdän 96,0

43 Tc» Technetium 99

Chromgruppe Sauerstoffgruppe

64 Gd Gadolinium 156,9

36 Kr Krypton 83,7 44 R u 45 R h 46 Pd Ruthenium Rhodium Palladium 101,7 102,9 106,7 54 X Xenon 131,3

53 J Jod 126,9 75 Re Rhenium 186,3

84 Po Polonium 210 92 U Uran 238,1

28 Ni Nickel 58,7

35 Br Brom 79,9

52 Te Tellur 127,6 74 W Wolfram 183,9

27 Co Kobalt 58,9

76 Os Osmium 190,2

77 Ir Iridium 193,1

78 P t Platin 195,2

85 At» Astatin 211

86 R n Radon 222

93-98 Transurane Mangangruppe Halogene

65 Tb Terbium 159,2

a Hauptgruppe

Eirengruppe und Platingruppe

66 Dy Dysprosium 162,5

67 Ho Holmium 164,9

68 Er Erbium 167,2

Edelgase

69 Tm Thulium 169,4

70 Yb Ytterbium 173,0

71 Lu Lutetium 175

b Nebengruppe

* Künstlich hergestellt. ** Die Transurane zusammen mit den Elementen 89 bis 92 gehören wahrscheinlich als Actiniden in die Rubrik des Actiniums, ebenso wie die seltenen Erden als Lanthaniden in die Rubrik des Lanthans gehören.

16

Allgemeine Strahlenkunde

wird repräsentiert durch den Atomkern. Er ist positiv elektrisch geladen. Atomkerne bestehen im wesentlichen aus 2 Elementarteilchen, den Protonen (p) und den Neutronen (n). 1 Proton hat die Masse l,67-10~ 2 4 g und ist identisch mit dem Wasserstoffkern. Es ist Träger positiver elektrischer Ladung, die genau so groß ist wie die eines Elektrons (1,6 -10 -1 * Coulomb s. S. 1). In der Natur kommen Stoffe, „Elemente", vor, die in ihrem Kern 1 bis 92 Protonen enthalten. Die Protonenzahl, die auch der Zahl der elektrischen Elementar ladungen entspricht, wird als Kernladungszahl (Z) oder auch als Ordnungszahl bezeichnet. Nach diesei Zahl erfolgt die Ordnung im sogenannten periodischen System (Tab. 2) der Elemente ( M E N D E L E J E W und L O T H A B M E Y E R , 1869). Die Ordnungszahl charakterisiert die chemischen Eigenschaften eines Elements. Über die Kernladungszahl 92 (Uran) hinaus gibt es noch künstlich hergestellte, in der Natur nicht vorkommende Elemente, die sogenannten Transurane (Plutonium, Americium u. a.). Das zweite Elementarteilchen des Atomkernes ist elektrisch neutral. Es heißt deshalb auch Neutron (1930 B O T H E und B E C K E S , C H A D W I C K ) . Seine Masse entspricht der des Protons, seine Ladung ist 0. Die Atomkerne enthalten Neutronen verschiedener Zahl. Auch Atome gleicher Ordnungszahl können mehr oder weniger Neutronen enthalten. Trotzdem stehen sie an der gleichen Stelle des periodischen Systems, sie sind „Isotope" (isotop = altgriechisch am gleichen Ort stehend) und haben gleiche chemische Eigenschaften. So gibt es neben dem normalen Wasserstoff sein Isotop Deuterium (schwerer Wasserstoff), dessen Kern (Deuteron) 1 Proton und 1 Neutron enthält (in der Natur etwa 1:7000). Das Atomgewicht beruht auf der Anzahl der im Atomkern vorhandenen Protonen und Neutronen. Es entspricht also der Zahl, um die ein Atom schwerer ist als das Wasserstoffatom (als genauerer Bezugswert wird 1 116 des Sauerstoffatoms angenommen). Die nicht geradzahligen Atomgewichte ergeben sich infolge der Zusammensetzung der Elemente aus verschiedenen natürlichen Isotopen. Die Neutronenzahl entspricht bei den leichten Elementen etwa der Protonenzahl, bei den schweren Elementen überwiegt sie die Zahl der Protonen (z.B. beim Uran 92 Protonen und 144 bis 147 Neutronen). Das durch seine Ordnungszahl (Atomnummer) und das Atomgewicht (Massenzahl) sowie seinen Energiezustand bestimmte Atom wird auch Nuklid genannt. Der Durchmesser des Atomkernes beträgt etwa 10 -12 cm. Schwere Atomkerne sind etwas größer. Um den Kern kreisen Elektronen: negativ geladene elektrische Elementarteilchen. Der Durchmesser des Gesamtatoms ist etwa 10~8 cm ( = 1 Á). Die Masse der Elektronen ist gegenüber der der Kerne verschwindend gering (etwas mehr als 1 / 2000 ). Die Zahl der den Kern einhüllenden „Hüllenelektronen" entspricht bei den neutralen Atomen der Kernladungszahl. Die Elektronen kreisen in bestimmten Bahnen oder Schalen (von innen nach außen K, L, M, N, O, P, Q-Schale)

Korpuskularstrahlen - Atomphysikalisohe Grundbegriffe

17

um den Kern. Jede Schale kann nur eine bestimmte Elektronenzahl aufnehmen. Sind die Schalen von innen nach außen entsprechend der Kernladungszahl aufgefüllt, befindet sich das Atom in seinem Grundoder Ruhezustand. Wird durch von außen zugeführte Energie ein Elektron auf eine höhere Schale gehoben, entsteht ein Energiezuwachs, der unter bestimmten Bedingungen wieder abgegeben werden kann. Diesen Vorgang nennt man auch „Anregung". Die mit der Rückkehr in den Ruhezustand verbundene Energieabgabe erfolgt meist in Form einer elektromagnetischen Strahlung (s. S. 10). Umgekehrt kann die Energie einer elektromagnetischen Wellenstrahlung die Anregung eines Atoms verursachen. Bei Zufuhr höherer Energie besteht die Möglichkeit, daß ein Elektron aus einem Atomverband herausgelöst wird. Das Gleichgewicht zwischen Kernladung und Elektronenschale ist damit gestört, das Atom ist entsprechend dem Verlust einer negativen Elementar ladung einfach positiv geladen. Dieser Vorgang heißt Ionisation, das geladene Atom Ion. Die Mindestenergie, die einen Ionisationsvorgang auslösen kann, beträgt etwa 34 Elektronenvolt (s. S. 13). Wird der Ionisationsvorgang durch elektromagnetische Wellen ausgelöst (Absorption von 1 Photon) spricht man auch von Photoeffekt (s. S. 76). Die Elementarteilchen des Kernes können sich unter bestimmten Bedingungen ineinander umwandeln. Ein Neutron kann eine negative Ladung abgeben und ein Elektron (, ,Negatron"), ein sogenanntes Betateilchen (e~), abstrahlen. Bei diesem „Betazerfall" (s. S.20) wird es in ein Proton mit positiver Ladung umgewandelt (Verlust einer negativen Ladung!). Umgekehrt kann ein Proton eine positive Elementarladung als Positron (s. u.) abgeben, wodurch ein Neutron entsteht. Im ersten Fall resultiert ein Element, das bei gleichem Atomgewicht eine um 1 höhere Ordnungszahl hat und damit seine Stellung im periodischen System der Elemente ändert. Das Atom ist umgewandelt, ein Element ist in ein anderes Element überführt. I m zweiten Fall entsteht ein Element mit einer um 1 verminderten Ordnungszahl. Kernphysikalische Überlegungen und Untersuchungen führten zur Entdeckung weiterer Elementarteilchen: das positive elektrische Elementarteilchen, das sogenannte Positron (e+), mit der Masse eines Elektrons und einer elektrischen positiven Elementarladung wurde 1932 ( A n d e r s o n ) in der Höhenstrahlung entdeckt und später auch bei Kernzerfallsvorgängen nachgewiesen (s. S. 20). Untersuchungen der Höhenstrahlung durch Y t j k a w a führten 1938 zur Entdeckung des Mesons (/i). Es kann elektrisch negativ und positiv sein. Seine Masse entspricht der von 150 bis 200 Elektronen (schweres Elektron). Schließlich wurde noch auf Grund der Tatsache, daß beim Betazerfall eines Atoms ein Energiedefizit entsteht, das sogenannte Neutrino „errechnet". Es hat keine Ladung und sicher nur eine geringe Masse. S c h i u n g b a u m , Med. Strahlenkunde

2

18

Allgemeine Strahlenkunde

2. Radioaktivität Der gesetzmäßige, autonom ablaufende Zerfall von Atomkernen, bei dem es zur Aussendung von Strahlen kommt, heißt Radioaktivität. Radioaktive Stoffe kommen in der Natur vor (Entdeckung der natürlichen Radioaktivität des Urans durch BECQUEBEL 1896, des Radiums durch das Ehepaar CUBIE 1898). Sie können auch künstlich hergestellt werden (JOLIOT 1934). Beim Zerfall eines radioaktiven Atoms (Radionuklid) entsteht ein anderes, möglicherweise ebenfalls noch radioaktives Nuklid. Der Atomzerfall erfolgt gleichmäßig, so daß in der Zeiteinheit stets der gleiche Anteil der vorhandenen Atome umgewandelt wird. Die Aktivität, d. h. die pro Sekunde ausgesandte Strahlenmenge, wird langsam geringer, ohne daß je derWertO erreicht wird. Der Zerfallsrhythmus der radioaktiven Elemente wird charakterisiert durch die Halbwertzeit. Die (physikalische) Halbwertzeit (HWZ) ist die Zeit, in der die Aktivität eines radioaktiven Elements auf die Hälfte absinkt. Die Halbwertzeit kann errechnet werden aus der sogenannten Zerfallskonstante (A), d. h. dem pro Sekunde zerfallenden Anteil des radioaktiven Stoffes:

Die mittlere Lebensdauer ist die Zeit, in der ein Element bei gleichbleibender Strahlung vollkommen zerfallen wäre: HWZ Mittlere Lebensdauer = ——— = HWZ • 1,44 0,O93

Die gesamte Strahlenmenge, die ein Stoff ausstrahlt, ist gleich Aktivit ä t x mittlerer Lebensdauer. Die Halbwertzeiten radioaktiver Substanzen reichen von Bruchteilen von Sekunden bis zu mehreren tausend Jahren. a) N a t ü r l i c h e R a d i o a k t i v i t ä t Es gibt drei natürliche Zerfallsreihen, die Uran-Radium-, die Thorium- und die Aktiniumreihe, von denen die beiden ersten (s. Tab. 3) medizinische Bedeutung haben. Das Endprodukt der natürlichen Reihen

Korpuskularstrahlen - Radioaktivität

19

Tab. 3. Die radioaktiven Zerfallsreihen von Uran und Thorium (nach S C H O E N B U N D E : Medizinische Röntgentechnik, Band I I , 2. Auflage, Georg-Thieme-Verlag, Stuttgart 1957) A. U r a n - R a d i u m - R e i h e Uran I Uran X i Uran X 2 Uran I I Ionium Radium Radium-Emanation**).... Radium A Radium B Radium C /S Radium C'«" | a (0,03%) . 1 Radium C" Radium D

i• i .

tiger Bilder, wurde erst ermöglicht durch die Konstruktion von Anoden mit sehr kleinem Brennfleck (Feinstfokusröhren mit einem Durchmesser von etwa 0,3 mm, s. S. 32). Die Vergrößerung soll die Detailerkennbarkeit erhöhen. Ihr Anwendungsgebiet ist sicher begrenzt (manche Schädelspezialaufnahmen, z. B. des Felsenbeins, Differenzierung kleinfleckiger Lungenveränderungen). Da der Feinstfokus nur begrenzt belastbar ist (etwa 20 mA), wird meist mit Hartstrahltechnik gearbeitet, damit die Belichtungszeit (Gefahr der Bewegungsunschärfe!) nicht zu groß wird. Aus dem gleichen Grunde können nicht zu große Abstände gewählt werden. Der Vergrößerungsmaßstab richtet sich nach den Abständen Fokus—Objekt—Film. Bei in der Mitte befindlichem Objekt wird eine Vergrößerung auf das Doppelte erreicht (s. S. 138). Anhang: Mikroradiographie Die Mikroradiographie erlaubt die vergrößerte Abbildung dünnschichtiger Präparate. Sie wird angewandt in der Biologie, bzw. Medizin, sowie

163

Röntgenphotographie - Stereoaufnahmen

in der Technik (z. B. Untersuchungen von Metallfolien, Textilien u. a.). Es stehen 2 Methoden zur Verfügung: 1. Kontaktmikroradiographie. Das Präparat wird hier in unmittelbaren Kontakt mit dem Film gebracht. Die Aufnahme wird optisch nachvergrößert (bis zu 500fach). Hierfür sind sehr feinkörnige Spezialemulsionen erforderlich. Es werden überweiche Strahlen (bis 5 kV) verwandt. 2. Projektionsmikroradiographie. Hier handelt es sich um ein direktes Vergrößerungsverfahren. Durch Wahl entsprechender Abstände ist eine Vergrößerung auf das 1500fache möglich. Natürlich ist ein annähernd punktförmiger Brennfleck Voraussetzung derartiger Vergrößerungen. Die Aufnahmen werden mit weichen oder überweichen Strahlen (bis 20 kV) gemacht. Lit.: Schuon, H.: Mikroradiographie in Röntgen- und Laboratoriumspraxis XI, R 97—104 (1958).

Stcreoaufnahmen Das Röntgenbild als Schattenbild gibt keinen räumlichen Eindruck von den abgebildeten Objektdetails. Die Tiefenlage kann also nur indirekt beurteilt werden (rotierende Durchleuchtung, Aufnahmen in 2 Ebenen, s. S. 174). Auch Aufnahmen in 2 Ebenen können aber nicht immer genügenden Aufschluß über die Lagebeziehungen geben, besonders wenn es sich um gewölbte Körper handelt. So kann beispielsweise am Schädel ein Fremdkörper nicht genau lokalisiert werden. Ein räumlicher Eindruck wird gewonnen, wenn bei gleicher Objektlage 2 Bilder im Augenabstand (mittlerer Pupillenabstand 6,5 bis 7 cm) gemacht werden, entweder unter Verschiebung der Röhre oder mit Hilfe von 2 Röhren. Kassettenwechsel (u. U. unter Verwendung eines Kassettentunnels) und Röhrenverschiebung müssen erschütterungsfrei vorgenommen werden. Die Größe der Röhrenverschiebung heißt auch Basis. Nach entsprechender Einstellung des Zentralstrahls erfolgt die Röhrenverschiebung parallel zur Filmebene und senkrecht zur Längsachse des Objekts je um den halben Pupillenabstand. Wenn genaue Ausmessungen vorgesehen sind, sind die Fußpunkte des Zentralstrahls beider Aufnahmen zu markieren. Zweckmäßig ist zur Kennzeichnung der beiden Aufnahmen das Auflegen der Seitenbezeichnung (R, L) auf den Rand e i n e r Aufnahme, so daß der Buchstabe in Richtung des Strahlenganges richtig gelesen wird. Zur Auswertung der stereoskopischen Bilder sind besondere Hilfsbetrachtungsgeräte konstruiert worden ( H a s s e l w a n d e b ) . Für die einfache Betrachtung genügt ein Binokular. Sinn der Betrachtungsgeräte ist es, daß jedes Bild nur von einem Auge gesehen wird. Beide Bilder werden dann zu einem Raumbild kombiniert. Es gibt Betrachter, die auch ohne ein Gerät die Augen dementsprechend einstellen können. Der richtige Raumeindruck (orthomorphes Bild) entsteht nur, wenn die li*

164

Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

Bilder seitenrichtig betrachtet werden (deswegen Bezeichnung durch Buchstaben). Sind Aufnahmeabstand sowie Basis und Pupillenabstand genau .gleich, resultiert ein mit dem aufgenommenen Gegenstand genau übereinstimmendes, „tautomorphes" Bild. Bei nicht genauer Übereinstimmung der Basis entsteht ein ähnliches, „homoiomorphes" Bild. Verschiebungen der Bilder gegeneinander erzeugen einen falschen räumlichen Eindruck: ein „heteromorphes" Bild. Auch bei Austausch der Bilder erwecken sie einen räumlichen Eindruck. Das Bild heißt dann , ,pseudomorph''. ScMchtuntersuchung Das Röntgenbild projiziert die hintereinandergelegenen Details in eine Ebene. Einzelheiten können so erheblich entstellt werden, wie Abbildung 88 zeigt. Ziel der Schichtuntersuchung (Tomographie, Planigraphie, Stratigraphie) ist es, bestimmte einstellbare Körperschichten bzw. Details, die in dieser Schicht Hegen, scharf abzubilden, während alle Einzelheiten, die davor oder dahinter liegen, verwischt werden. Mit dieser Methode können Veränderungen in der bestimmten Schicht ohne Überlagerung durch schichtferne ObAbb. 88. Röntgenaufnahme eines jektdetails dargestellt werden. AußerGlases, das mit weißen Bohnen dem ist eine genaue Lokalisation durch gefüllt ist. Die Form der einzelnen Bestimmung der Schichttiefe möglich Bohnen ist durch Überlagerung (s. S. 174). entstellt Das Prinzip der Schichtuntersuchung ist die gekoppelte Bewegung entweder (gegenläufig) von Röhre und Film, wobei der Patient unbewegt bleibt, oder (gleichsinnig) von Patient und Film bei stehender Röhre. Es wird dadurch erreicht, daß ein bestimmter Punkt der darzustellenden Schicht immer auf die gloiche Stelle des Films projiziert wird, während jedes Objekdetail anderer Schichten durch die Bewegung auf ständig wechselnde Punkte projiziert wird (Abb. 89 s. S. 165, 90 s. S. 166). Der erstgenannte Gerätetyp dient der Darstellung von Körperlängsschichten. Die Untersuchungen werden je nach vorhandenem Gerät im Sitzen bzw. Stehen oder im Liegen vorgenommen, die Schichtung im Rumpfgebiet muß bei Atemstillstand durchgeführt werden. Der Strahlengang kann sagittal, frontal (also seitlich) oder auch schräg sein. Die Lagerung soll im allgemeinen so erfolgen, daß der Mittelpunkt des darzustellenden Objekts in dem senkrecht zum Film verlaufenden Zentralstrahl und die größte Ausdehnung des darzustellenden Objekts in

Röntgenphotographie - Schichtuntersuchung

165

einer Ebene liegt. So ist z. B. der Patient zur Schichtung des Aortenbogens annähernd seitlich zu lagern, zur Schichtung des rechten Mittellappenbronchus muß, da der Bronchus nach vorne läuft, die linke Seite angehoben werden, so daß der Bronchus dann in einer parallel zum Film verlaufenden Ebene liegt. Wichtig ist es weiterhin manchmal, daß in der Verwischungsrichtung liegende langgestreckte Verschattungen außerhalb der Verwischungsebene durch Schräglagerung (schräg zur Längsachse des Tisches!) ausgeschaltet werden. Am Gerät sind einstellbar: 1. die Schichttiefe, 2. der Pendelwinkel. Die Schichttiefe, die eingestellt werden soll, wird vielfach auf Grund anatomischer Kenntnisse festgelegt werden können. So liegt etwa der Lungenhilus etwas vor der Körpermitte; dadurch ist die zentrale Schichttiefe gegeben, um die dann im Abstand von 0,5 cm weitere Schichten gelegt werden müssen; bei Kehlkopfuntersuchungen ist es zweckmäßig, die Schichten 10, 20, 26 (25) und 32 (30) mm unter die in

der Medianlinie vor dem Kehlkopf liegende Haut zu legen. I n anderen Fällen wird die Schichttiefe auf Grand vorhegender Übersichtsaufnahmen festgelegt. Darüber hinaus gibt es noch spezielle Lokalisationsverfahren (Tiefenlotung s. S. 174). An manchen Geräten kann die Tiefenlage mittels einer Durchleuchtung in den beiden Endstellungen der Röhre (Abb. 91 s.S. 167) durchgeführt werden. Die Verschiebung des darzustellenden Objekts wird an einer Skala abgelesen. Die Skala ist so ge-

166

Eigenschaften u n d Anwendung energiereicher Strahlen

Abb. 90. Schematische Darstellung der Transversal (Körperquer-)schichtung a) Strahlengang, b) Lagerung (Bewegung von Patient und Film)

Röntgenphotographie - Schichtuntersuchung

167

Abb. 9 J . Bestimmung der Herdtiefe mittels Durchleuchtung in den Endstellungen der Röhre eines Schichtgeräts

Abb.

92.

Schichtzusatzgeräte a) Stratograph nach

WEBER

168

Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

eicht, daß sie gleichzeitig die Tiefenlage in Zentimeter angibt. Dem entspricht bei schlecht sichtbaren Objekten die Anfertigung von 2 Aufnahmen in den Endstellungen der Röhre. Die Verschiebung läßt dann ebenfalls mit Hilfe eines Kurvenblatts das Ablesen der Tiefe zu. Technisch erfolgt die Einstellung der Schichtebene durch Verstellung des Drehpunktes des Systems. An einer senkrecht zur Tischebene angebrachten Skala kann die Drehpunktlage, und damit die Bildebene, abgelesen werden. Wichtig ist, daß mit Hilfe der an der Röhre angebrachten Schlitzblende die notwendige Größe eingeblendet wird, damit ein optimaler Kontrast erreicht werden kann. Der Pendelwinkel (a) bestimmt die Schichtdicke, die scharf abgebildet wird. Sie ist formelmäßig zu errechnen: * 0,4 , ot /• x(mm) = _ • ctg - . V bedeutet dabei den durch die Entfernung der Schichtebene vom Film gegebenen Vergrößerungsmaßstab (Fokus-Film-Abstand: Fokus-Objekt-Abstand). Bei einem Pendelwinkel von 50°ist die Schichtdicke etwa 5 mm, bei 30° 9mm, wenn der Vergrößerungsmaßstab etwa bei 1,2 Hegt.

Abb. 92 b. Schichtgerät am Untersuchungs-(Laufraster-)tisch mit aufrichtbarer Stützwand (Hoffmann)

Röntgenphotographie - Schichtuntersuchung

169

Der durch den Pendelwinkel gegebene Weg der Röhre ist auch ein Maß für die Verwischung. Die meisten Schichtgeräte arbeiten nach dem Prinzip der eindimensionalen Verwischung, d. h. die Röhre bewegt sich in der Längsachse des Gerätes und beschreibt dabei entweder einen Kreisbogen oder läuft parallel zur Kassetten- (und damit auch der Schicht-)ebene. Vielfach werden Zusatzgeräte benutzt, die unter Verwendung des nor-

Abb. 93. Siemens-Universalplanigraph

malen Röhrenstativs an einem Lauf rastertisch angebracht werden können (Abb. 92a). Der Nachteil ist, daß die Untersuchung nur im Liegen vorgenommen werden kann. Neuerdings gibt es auch Schichtzusätze, die ein Aufrichten der Tischplatte ermöglichen (Abb. 92 b). Universalgeräte (Abb. 93) erlauben die Schichtuntersuchung in jeder Körperlage. Wichtig ist die aufrechte Lagerung besonders dann, wenn Flüssigkeitsspiegel, die sich nur in aufrechter Lage senkrecht zur Schichtebene darstellen, abgebildet werden sollen (Lungenkavernen, Eiterungen in den Nasennebenhöhlen u. a.).

170

Eigenschaften u n d Anwendung energiereicher Strahlen

Die eindimensionale Verwischung hat den Nachteil, daß der Weg der Röhre und damit auch das Ausmaß der Verwischung begrenzt sind. Auf die störenden, in der Verwischungsrichtung liegenden Längsschatten wurde schon hingewiesen. Diese Nachteile vermeidet ein Gerät mit mehrdimensionaler (Abb. 94) Verwischung (Ellipse, Kreis, Hypo-

Abb. 94a. Schichtgerät f ü r mehrdimensionale Verwischung: Polytom (Massiot) b) Multi-Planigraph (Siemens-Reiniger), auch f ü r normale Aufnahmen (Raster im Bucky-Tisch) einzusetzen, Röhre ausschwenkbar (vertikale Rasteraufnahmen)

zykloid). Die mehrdimensionale Verwischung hat besondere Bedeutung für die Schichtuntersuchung des Schädels (z. B. des Felsenbeines) mit seinen sich stark überlagernden Einzelheiten. Beim Abschalten von Schichtaufnahmen muß nach Einstellung der Schichttiefe und des Pendelwinkels die Röhre in die Ausgangsstellung gebracht werden. Bei gleicher Spannung ist das mAs-Produkt etwa % höher zu wählen als bei einer entsprechenden Übersichtsaufnahme. Bei zu hoher Röhrenbelastung (z.B. Wirbelsäulenschichten) ist der Ab-

Röntgenphotographie - Schichtuntersuchung

171

s t a n d u . U . zu verkleinern u n d entsprechend das m A s - P r o d u k t herabzusetzen. Die Schaltzeit ist d u r c h den Ablauf der R ö h r e bzw. d e n eingestellten Pendelwinkel gegeben. E r b e t r ä g t im allgemeinen mehrere Sekunden. Die Schaltzeit a m Schalttisch m u ß stets e t w a s länger sein. Die zweite Methode ermöglicht die Darstellung von Körperquerschichten (Transversalplanigraph). D a b e i rotieren P a t i e n t u n d K a s s e t t e gleichsinnig, w ä h r e n d die R ö h r e schräg zur Längsachse des K ö r p e r s

Abb. 94 b f i x i e r t bleibt. Der Z e n t r a l s t r a h l m u ß auf die K a s s e t t e n m i t t e gerichtet sein. Scharf abgebildet wird die parallel zur K a s s e t t e liegende Schicht, in der sich Zentralstrahl u n d Drehachse des K ö r p e r s schneiden (Abb. 90). Die S c h i c h t u n t e r s u c h u n g stellte lange Zeit eine wesentliche zeitliche B e l a s t u n g f ü r das Personal dar, d a immer zahlreiche A u f n a h m e n bei einem P a t i e n t e n abgeschaltet werden m u ß t e n . N o c h wichtiger ist die Tatsache, d a ß bei Anfertigung zahlreicher S c h i c h t a u f n a h m e n die Strahlenbelastung des P a t i e n t e n keineswegs vernachlässigt werden darf. Besonders wichtig ist dieser Gesichtspunkt bei K r a n k e n , bei denen h ä u f i g Kontrolluntersuchungen d u r c h g e f ü h r t werden müssen, vor allem also von Tuberkulosekranken.

172

Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

Einen großen Fortschritt brachte hier das Simultanschichtverfahren, bei dem bis zu 7 Körperschichten in Abständen von je etwa 0,5 bis 1 cm gleichzeitig, „simultan", geschichtet werden können. Abgesehen davon, daß die o. a. Nachteile der Arbeitsbelastung des Personals und der Strahlenbelastung des Patienten vermieden werden, besteht auch rein aufnahmetechnisch der Vorteil, daß die Aufnahmen in der gleichen Phase (z.B. Atemphase) gemacht werden; schließlich wird auch die Röhre geschont. In der Simultanschichtkassette (Abb. 95) sind bis zu 7 Folienkombinationen untergebracht, in die je 1 Film einzulegen ist. Der Verstärkungsfaktor der Folienpaare nimmt mit der Entfernung von der Röhre

Abb. 95. Siemens-Simultanschichtkassette und Folienkombination

zu, da ja die davor liegenden Folien einen Teil der Strahlung absorbieren. Die Folienkombinationen müssen so abgestimmt sein, daß sie eine etwa gleiche Schwärzung erzielen. Bei voller Ausnützung (7 Aufnahmen) ist der Spannungsbereich, in dem das möglich ist, begrenzt (unterschiedliche Bereiche verschiedener Folienfabrikate). Bei Verwendung nicht aller Folienpaare erhöht sich der Spielraum etwas. Auf dem obersten Film bildet sich die am Gerät eingestellte Schicht ab. Bei Bewegung der Röhre verschiebt sich für die darunter liegenden Filme der Drehpunkt scheinbar, so daß die darunter liegenden Schichten unverwischt abgebildet werden (Abb. 96). Bei der Simultanschichtung muß mit höherer Spannung gearbeitet werden. Die Verwendung eines Hartstrahlrasters ist erforderlich. Das mAs-Produkt ist ebenfalls höher zu wählen als bei einfacher Schichtung. Die Simultanschichtkassetten sind an allen Schichtgeräten anzubringen. Erwähnt seien noch Spezialkassetten, die in den üblichen

Röntgenphotographie - Fremdkörperlokalisation

173

Wagen am Untersuchungstisch eingeschoben werden können und in begrenztem Umfang (2 cm) ebenfalls Simultanschichtaufnahmen ermöglicht (z. B. Kehlkopfaufnahmen). Die Schichtuntersuchung ist früher fast ausschließlich in der Thoraxdiagnostik verwandt worden. Heute ist ihr Anwendungsgebiet sehr viel weiter. Neben Knochenuntersuchungen (Wirbelsäule, Schädel u. a.) sei besonders auch auf die Schichtaufnahmen der Nieren bzw. der Nebennieren (s. S. 202) der Gallenblase und der Gallenwege (s. S. 192) hingewiesen. Auch Kehlkopfund Nebenhöhlen-Schichtuntersuchungen sind unentbehrlich. Fremdkörperlokalisation Die Frage der genauen Lokalisation von Fremdkörpern, im weiteren Sinne von pathologischen Veränderungen überhaupt, wird oft an den Röntgenologen gestellt. Es sind folgende Methoden anwendbar: 1. Durchleuchtung. Die rotierende Durchleuchtung ermöglicht infolge der Parallaxe (s. S. 139f) die Beurteilung der Lage eines Fremdkörpers bzw. eines lokalisierten KrankeitsAbb. 96. Strahlengang prozesses. Der Punkt, an dem der bei Simultanschichtaufnahmen Fremdkörper am nächsten unter der Oberfläche hegt, kann mit einem Fettstift markiert werden. Unter Umständen können unter Durchleuchtungskontrolle Zielaufnahmen gemacht werden (z. B. tangentielle Schädelaufnahmen bei Fremdkörpern in der Kopfschwarte, wodurch eine Lage im Knochen oder in der Schädelhöhle ausgeschlossen werden kann). Unter Durchleuchtung kann in 2 üblichen Strahlengängen (sagittal und frontal) die Lage eines Fremdkörpers oder eines Prozesses (z. B. Ösophaguskarzinom für Einstellung bei der Pendelbestrahlung, s. S. 267) durch Aufkleben von Marken (Blei oder Gardinenringe oder ähnliches) markiert werden. Eine besondere Form der Tiefenlokalisation ist an Schichtgeräten möglich (s. Schichtuntersuchung S. 165). Unter Umständen lässt sich die Lage eines Fremdkörpers durch Einstechen von Nadeln (Kanülen in 2 verschiedenen Richtungen) markieren.

174

Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

Eine Durchleuchtungskontrolle von operativen Eingriffen zur F r e m d körperbeseitigung ist mit Hilfe des Bildverstärkers möglich (s. S. 93ff). 2. Zur Fremdkörperlokalisation können Aufnahmen in 2 Standard ebenen angefertigt werden. Infolge der Verzeichnung ist diese Methode nur groborientierend. Eine Sonderform, die in ihren optisch bedingten Grenzen e x a k t e Ergebnisse liefert, ist die Fremdkörperlokalisation am Auge nach COMBERG. Mit Hilfe einer m i t einem K r e u z markierten Schale, die der l ä c h e genau a n g e p a ß t ist, k a n n bei genauer Einstellung, die u n t e r B e n u t z u n g eines klei"I nen Spiegels u n d einer Taschenlampe vorgenommen wird, die i^k Lage eines F r e m d k ö r p e r s be,:• V ' „J^^^^^H s t i m m t u n d u n t e r Verwertung der bekannten anatomischen *' Masse eine Aussage g e m a c h t - V : w e r d e n , ob dieser im Augapfel liegt. Eine genauere TiefenlokaJ ^ ^ lisation m i t Hilfe v o n 2 A u f n a h JL. men ist auch möghch bei B e n u t , ^V 1 zung von Schichtgeräten (s.S.165) ^ki -r . u n d mit Verwendung des v o n B Ü C H N E R angegebenen sogenann^^V. v t e n Tiefenlots, eines Maßstabs, • ^ ^ Y ^ der röntgenschattengebende Marü** I kierungen t r ä g t u n d m i t p h o t o V ^^fl graphiert wird (Abb. 97). 3. D u r c h die Stereographie k a n n ein r ä u m ü c h e r E i n d r u c k der Abb. 97. Tiefenlot nach B Ü C H N E R Fremdkörpern und Lage VQn Krankheitsprozessen vermittelt werden (s. S. 163f). der Nachteil ist die Subjektivität der Methode, sowie bei Messung m i t dem Stereoskiagraphen (HASSELWANNER) der große Zeitaufwand. 4. Durch Schichtaufnahmen k a n n die Tiefenlage v o n pathologischen Einlagerungen u n d Veränderungen e x a k t b e s t i m m t werden. Zu beachten ist dabei allerdings die Möglichkeit einer Verlagerung bei verschiedener K ö r p e r h a l t u n g . ^



A

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Die Schirmbildphotographie I n der Schirmbildphotographie wird ein Leuchtschirmbild verkleinert auf einem Film abgebildet. Schirmbildgeräte werden vorwiegend für

Röntgenphotographie - Schirmbildphotographie

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Reihenuntersuchungen ( E n t d e c k u n g u n b e k a n n t e r Tuberkulosen, U n t e r s u c h u n g e n b e s t i m m t e r Bevölkerungsgruppen, z. B. in der Eisen- und Stahlindustrie, zur F r a g e der Tuberkulose, der S t a u b l u n g e n e r k r a n k u n g , möglicherweise a u c h z u r , ,Früh"-Diagnostik von Lungengeschwülsten) verw a n d t . D a s Schirmbild v e r f a h r e n wird aber auch in der m o d e r n e n Technik der S e r i e n a u f n a h m e n a n g e w a n d t (s. S. 181ff). Voraussetzung f ü r die praktische A n w e n d u n g der Schirmbildphotographie war die Herstellung v o n : 1. lichtstarken Objektiven m i t g u t e m Auflösungsvermögen, 2. scharfzeichnenden Leuchtschirmen m i t möglichst großer Helligkeit, 3. Photoemulsionen m i t großer Empfindlichkeit gegenüber d e m Leuchtschirmlicht, steiler G r a d a t i o n u n d guter Zeichenschärfe (nicht zu grobkörnig). D a sich die hier angegebenen F o r d e r u n g e n z. T . widersprechen, k o n n t e n u r eine K o m p r o m i ß l ö s u n g gefunden werden. N e b e n D E ABEEXT (Brasilien), h a b e n sich in D e u t s c h l a n d vor allem H O L F E L D E R u n d J A N K E B u m die Schirmbildphotographie verdient g e m a c h t . S c h i r m b i l d a u f n a h m e n erfordern wegen der geringen Leuchtschirmhelligkeit eine relativ lange Belichtung. Die Belichtungszeit k a n n herabgesetzt werden d u r c h 1. höhere S p a n n u n g (meist 70 bis 80 k V u n d mehr), 2. V e r k ü r z u n g des A b s t a n d e s (80 bis 100 cm Fokus-Schirm abstand). Die Belastung der R ö h r e ist verständlicherweise größer als bei normalen G r o ß a u f n a h m e n . A u c h die Strahlenbelastung des P a t i e n t e n übersteigt diejenige bei D i r e k t a u f n a h m e n . Der relativ große Streustrahlenanteil k a n n d u r c h eine stehende Feinrasterblende verringert werden. Als Leuchtschirme werden meist gelbgrün fluoreszierende Zinkkadmiumsulfid-Schirme v e r w a n d t . Bei Verwendung blauleuchtender Schirme wird die D u n k e l k a m m e r arbeit erleichtert, d a die bei Normalschirmen b e n u t z t e n ortho- oder p a n c h r o m a t i s c h e n Filme in der Dunkelheit entwickelt werden müssen. Als Objektive stehen zur V e r f ü g u n g : 1. die ursprünglich v e r w a n d t e n Linsenobjektive, wie sie a u c h in norm a l e n photographischen K a m e r a s g e b r a u c h t werden. I h r e Lichtstärke (Verhältnis D u r c h m e s s e r : Brennweite) m u ß mindestens 1 : 1 , 5 betragen, meist ist sie höher (1:0,95). 2. Die sogenannten Spiegelobjektive. Hierbei wird ein Hohlspiegelsystem v e r w a n d t , wie es seit langem in der Astronomie b e k a n n t ist. 1931 k o n n t e B . S C H M I D T d u r c h Einschaltung einer K o r r e k t i o n s p l a t t e („SCHMiDTsche P l a t t e " ) in den Strahlengang einen Ausgleich der so-

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Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

genannten sphärischen Aberration und damit eine verwertbare Abbildung erzielen. Das Prinzip des Spiegelobjektivs zeigt Abbildung 98. I n den Strahlengang ist zur Korrektur optischer Fehler ein „Korrektor", bei der Odelca eine Linse mit sphärischer Oberfläche, eingeschaltet. Die Strahlen fallen dann auf den sphärisch gekrümmten Hohlspiegel und werden von dort auf die Bildebene reflektiert. Diese, also auch der Film, liegt im abbildenden Strahlengang, wodurch die Lichtstärke (1:0,75) etwas verschlechtert wird. Die Bildebene ist ebenfalls gekrümmt, d. h. der Film muß auf eine sphärische Fläche gepreßt werden. Hierin besteht eine der technischen Schwierigkeiten. 2

Abb. 98. Prinzip der Spiegeloptik; 1. Korrektor, 2. Spiegel, 3. Bildebene

Der Hauptvorteil der Spiegelobjektive besteht in der größeren Lichtstärke. Linsenobjektive haben den Vorteil der Ergänzbarkeit durch Vorsatzlinsen; Abbildungsmaßstab und Bildgröße können bei Verwendung von Linsenobjektiven leicht variiert werden. Das Filmmaterial ist meist orthochromatisch (z. B. Agfa-Fluorapid, Gevaert Scopix). Die Entwicklung muß in Dunkelheit oder schwachem dunkelrotem Licht erfolgen. Es werden die üblichen kontrastreichen und klar arbeitenden Röntgenentwickler benutzt. Ursprünglich wurde das sogenannte Kleinformat mit der Bildgröße 24 mm X 24 mm verwandt. Durch Verwendung unperforierten Films (35 mm) konnte das Bildformat auf 31 mm X 31 mm vergrößert werden (Technikformat). Für Reihenuntersuchungen kann ein 50 m langer Film verwandt werden. Einen weiteren Fortschritt brachte die Einführung des sogenannten Mittelformats (70 mm Breite) mit einem Bildformat von 63 mm X 63 mm. Eine weitere Vergrößerung des Filmformats dient der Verbesserung der Detailerkennbarkeit (Filmbreite 100 mm, Bildgröße 91 mm X 91 mm). Das Schirmbildgerät Seriomat (Abb. 99) dient vor allem den Röntgenreihen-

Röntgenphotographie - Schirmbildphotographie

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Abb. 99. Schirmbildgerät Seriomat (Siemens)

Abb. 100. Schirmbildgerät Photalix (Müller) Schiungbaum,

Med. S t r a h l e n k u n d e

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Eigenschaften u n d A n w e n d u n g energiereicher Strahlen

Untersuchungen. Eine Strahlenschutzkabine schützt entsprechend den Strahlenschutzvorschriften (bei Aufnahmefrequenz über 200/Tag) das Personal vor der Einwirkung der ionisierenden Strahlen. Auch das Schirmbildgerät Photalix (Abb. 100) arbeitet mit einer Linsenkamera (Voigtländer). Im Mittelformat können hier Einzelaufnahmen gemacht werden. Für besonderen Einsatz gibt es motorisierte I Schirmbildeinheiten, mit deren Hilfe auch an I— entlegenen Stellen Reihenuntersuchungen durch° II geführt werden können. S M R Die Odelca-Kamera nach BOUWEBS (Abb. 101, \ M / 102) ist die am häufigsten gebrauchte Spiegel\ I \ I objektivkamera. Der Korrektor besteht hier

Abb. 101. Strahlengang einer geradlinigen u n d abgewinkelten Optik der Odelca

Abb. 102. Schirmbilduntersuchung m i t Odelca

Röntgenphotographie - Kymo- und Polygraphie

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aus einer Meniskuslinse mit sphärischer Krümmung. Der Krümmungsmittelpunkt beider Flächen fällt mit dem Krümmungsmittelpunkt des Hohlspiegels zusammen (konzentrisches System). Es gibt Typen für Einzelaufnahmen mit ebenem Leuchtschirm und einer sphärischen Bildebene sowie Seriengeräte mit zylindrisch gekrümmtem Leuchtschirm und torisch gekrümmter Bildebene (das Anpressen des Films wird so erleichtert). Durch einen Winkeltubus kann der Strahlengang mit Hilfe eines Ablenkspiegels um 90° gedreht werden. Die Möglichkeit, Serienaufnahmen anzufertigen, wird besonders bei Gefäßdarstellungen (Angiographie, Angiokardiographie benutzt (s. S. 184ff). Für die Auswertung von Schirmbildaufnahmen stehen besondere Projektions- bzw. Betrachtungsgeräte mit Lupenvergrößerungen zur Verfügung. Hauptnachteil der Schirmbildphotographie ist die im Vergleich zu Großaufnahmen verringerte Detailerkennbarkeit mit entsprechend geringerem Informationswert. Jedoch hat hier die Vergrößerung der Formate (s.S. 176) einen wesentlichen Fortschritt gebracht. Hervorzuheben ist allerdings, daß der Informationswert zwischen der Großaufnahme und der alleinigen Durchleuchtung steht, dieser also überlegen ist. Hauptvorteil ist neben der Billigkeit (durch Filmersparnis) die technisch einfache Handhabung und Personalersparnis bei Reihenuntersuchungen. Kymographie und Polygraphie Die Kymographie, die in Deutschland besonders durch S T U M P F und W E B E R (1930) methodisch begründet und ausgebaut worden ist, dient der Darstellung von Bewegungsvorgängen im Körper. Bei der Kymographie wird der Film nur durch schmale Spalte belichtet (etwa 0,5 mm breit), die

Abb. 103. Flächenkymogramm des linken Herzrandes mit typischer Nasenform der Herzkammerzacken

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Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

in bestimmten Abständen parallel zueinander geordnet sind (12 mm Abstand). Das Gesamtbild kommt so zustande, daß entweder der Film in der Belichtungszeit um einen Spaltabstand senkrecht zu den Spalten bewegt wird (Stufenkymographie) oder, wie es im allgemeinen üblich ist, der Schlitzraster diese Bewegung (senkrecht zur Spaltrichtung) übernimmt (Flächenkymographie). E s werden dadurch auf dem Film die Ausschläge der Randkonturen (Abb. 103) sich bewegender, mit der Umgebung kontrastierender Organe dargestellt. Naturgemäß stellen sich nur Bewegungen dar, die parallel zur Spaltrichtung verlaufen. Dementsprechend muß die Lagerung so erfolgen, daß die darzustellende Bewegung in dieser Richtung verläuft (Zwerchfellkymographie!). Die Ablaufgeschwindigkeit des Rasters ist teilweise fest gegeben, teilweise ist sie auch regulierbar. Die Belichtungszeit muß der Abiaufzeit des Rasters entsprechen, da bei zu kurzer Belichtung breite unbelichtete Streifen entstehen. Bei den oben genannten Bedingungen (Spaltbreite 0,5, Rasterabstand 12 mm) erhält jeder Bildpunkt einen Bruchteil von 0,5:12 = 1/24 der Gesamtbelichtung. Die Einstellung der notwendigen Spannung ist nach Erfahrung vorzunehmen. Der Kymograph (nach STUMPF) kann an einem Durchleuchtungsgerät angebracht werden (Filmformat 30/40). Neuerdings gibt es Kymo-Kassetten (Format 24/30), die bei speziellem Anschluß wie normale Kassetten in ein Zielgerät eingeschoben werden können (Abb. 104). Die Rasterbewegung erfolgt durch eine Feder. Der Federzug garantiert einen gleichmäßigen Ablauf auch bei Drehung der Kassette. Hauptanwendungsgebiet der Kymographie ist die Herzdiagnostik, aber auch Bewegungsvorgänge anderer Organe (Zwerchfell, Ösophagus, Kiefergelenk u. a.) können kymographisch erfaßt werden. Die Polygraphie ist eine sehr einfache Methode zur Darstellung von Bewegungsvorgängen besonders von Abdominalorganen. In einem Polygramm erfolgt eine mehrfache Belichtung bei gleichbleibender Einstellung des Patienten. Zur Darstellung der Peristaltik des Ösophagus und des Magens (Abb. 106) können so nacheinander 3 bis 4 Expositionen (jede Aufnahme mit dem entsprechenden Bruchteil der notwendigen Gesamtbelichtung) vorgenommen werden. E s kommt zu einer Darstellung der Verschiebung der Randkonturen, so daß pathologische Störungen des Bewegungsablaufs gut beurteilt werden können. Sowohl bei der Kymographie als auch der Polygraphie ist es unbedingt notwendig, andere Bewegungen (z. B . Atmung) auszuschalten. Alle Aufnahmen müssen also unbedingt in absolutem Atemstillstand gemacht werden, es sei denn, daß gerade die durch die Atmung bedingten Bewegungen dargestellt werden sollen, wie bei der Zwerchfellkymographie. Auf ein besonderes Betrachtungsgerät, das den Bewegungsablauf umkehrt (Kymoskop) wird im allgemeinen verzichtet.

Röntgenphotographie - Serienaufnahmen und Röntgenkinematographie

Kymo-Kassette

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Abb. 105. Polygramm des Magens

Serienaufnahmen und Röntgenkinematographie Die Darstellung von funktionellen Abläufen und Organbewegungen (s. auch Kymographie und Polygraphie S. 179f) wird ermöglicht durch die Anfertigung einer größeren Anzahl Aufnahmen in kurzen Abständen: Serienaufnahmen, oder aber durch die Röntgenkinematographie. So können der Kontrastmittelstrom in Gefäßen und im Herzen (Angiographie, Angiokardiographie s. S. 195ff), die Bewegungen und Funktionen im Verdauungstrakt, den Harnorganen usw. dargestellt werden. Die Kinematographie ist für die Anfertigung von Lehr- und Demonstrationsmaterial besonders geeignet. Geräte zur Herstellung von Serienaufnahmen arbeiten: 1. direkt, 2. indirekt mit Hilfe des Schirmbildverfahrens. Zu 1: Auch die Spezialkassetten für den Zielbetrieb am Durchleuchtungsgerät gehören hierher. Hier handelt es sich allerdings immer um Unterteilung üblicher Filmgrößen, z. B. die Herstellung von 4 Zielaufnahmen auf dem Format 1 8 x 2 4 in der Magen- und Duodenaldiagnostik. Die modernen Seriengeräte arbeiten unabhängig vom Durchleuchtungsgerät. Sie verwenden größere Formate, auf denen nur je 1 Belichtung vorgenommen wird. Die Schwierigkeit bei der Konstruktion entsprechender Hilfsgeräte hegt darin, daß die Filme ausreichend schnell und — zur Vermeidung einer störenden Bewegungsunschärfe — erschütterungsfrei gewechselt werden müssen.

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Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

Die sogenannten Kassettenwechsler gestatten einen relativ schnellen Wechsel von vor Beginn der Untersuchung gefüllten und in das Gerät eingelegten Kassetten. Ein Beispiel ist die Kassette nach W e n t z l i k (Filmformat 20x96) zur Extremitätenarteriographie (Abb. 106). Der Wechsler wird mit der Hand nach Anweisung des Arztes gedreht. Jeweils wird der der Röhre direkt zugekehrte Film belichtet. Entsprechende Einrichtungen gibt es für Serienaufnahmen am Rumpf, z. B. zur Aortographie. Es handelt sich hier um Schiebevorrichtungen oder Kas-

A b b . 106.

WENTZLiK-Kassette (Siemens) für periphere Angiographien settentunnel, die die Anfertigung von 3 bis 6 Aufnahmen (Format 30 X 30 oder 35 X 35) in Abständen von etwa 1 sec gestatten. Auch sie müssen mit der Hand bedient werden. Zur kombinierten Darstellung der Aorta und der Beinarterien wird heute vielfach mit einer in der Längsrichtung verschiebbaren Tischplatte gearbeitet. Eine höhere Frequenz und Anfertigung von mehr Aufnahmen ermöglichen die Filmwechsler, bei denen entweder Einzelfilme oder Filmrollen bewegt werden. Sie enthalten nur 1 Folienpaar, zwischen dem die Filme durchgezogen werden. Raster sind in die entsprechenden Geräte ein-

Röntgenphotographie - Serienaufnahmen und Röntgenkinematographie

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gebaut. In der neurochirurgischen Diagnostik hat sich der EinzelblattFilm Wechsler („AOT") der Firma Schönander bewährt (Karotis- und Vertebralisarteriographie s. S. 199), der die Anfertigung von bis zu 30 Aufnahmen (bis 6/sec) ermöglicht. Bei Kombination von 2 Wechslern können die Aufnahmen in 2 Ebenen simultan geschaltet werden (Abb. 107), wodurch eine mehrmalige Kontrastmittelinjektion vermieden und

Abb. 107. Schönander-Biplan-Einzelblatt-Filmwechsler f ü r Aufnahmen in 2 Ebenen, hier zur Angiokardiographie

die Strahlenbelastung herabgesetzt wird. Speziell für die Zwecke der Angiokardiographie ist der Rollfilmwechsler (Elema-Schönander) konstruiert. Bei einer Rollenlänge von 25 m arbeitet er mit einer Frequenz von maximal 12 Aufnahmen/sec. Als Einzelblattfilmwechsler besonders für neuroradiologische Zwecke diente der Angioseriograph nach B T J C H TALA. Mit einer Filmlänge von 20 m arbeitete die Rollfilmkassette nach JANKER.

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Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

Zu 2: Nach dem Schirmbildverfahren arbeitet die Odelca-Kamera (s. S. 178). Den Filmtransport ermöglicht die ,,Rapidix-Kassette'' (Frequenz bis 6/sec, insgesamt 40 Bilder). Die technische Schwierigkeit lag hier, wie schon erwähnt, hauptsächlich im Anpressen des Films an eine gekrümmte Fläche (s. S. 179). Die Röntgenkinematographie (JANKER) arbeitet mit wesentlich höheren Aufnahm efrequenzen (bis zu 50/sec). Ursprünglich wurde das Leuchtschirmbild direkt photographiert. Die Methode war auf wenige Spezialkliniken beschränkt und bedingte eine erhebliche Strahlenbelastung für den Patienten. Weite Verbreitung fand die Kinematographie erst, als der Bildverstärker und die Fernsehtechnik in ihren Dienst gestellt wurden (s. S. 93ff und Abb. 67), wodurch die Dosisbelastung erheblich herabgesetzt werden konnte. Eine zusätzliche Kino-Impulseinrichtung mit Einstellung von Kurzzeitimpulsen synchron mit der Belichtung der Kamera bringt im Gegensatz zu einer kontinuierlich strahlenden Röntgenröhre eine weitere Dosisentlastung und außerdem eine Verbesserung der Bildqualität. Bei Verwendung eines normalen Bildverstärkers wird ein runder Bildausschnitt abgebildet. Ein größeres, der Abbildung auf dem Leuchtschirm entsprechendes Bild kann mit Hilfe der Röntgen-Kino-Einrichtung Cinelix gewonnen werden. Hier wird das primäre Leuchtschirmbild über einen Umlenkspiegel und eine starke Spiegeloptik (Voroptik) verkleinert in eine Bildverstärkerröhre gelenkt. Das helligkeitsverstärkte Ausgangsleuchtschirmbild wird über eine lichtstarke „Nachoptik" auf dem Kinofilm abgebildet (s. auch S. 94). An die für die Röntgenkinematographie benutzten Spezialkameras wird eine Beobachtungsoptik mit schwenkbarem Einblick angeschlossen. Fast ausschließlich wird 35 mm-Film verwandt. Eine weitere Möglichkeit der Kinematographie liegt in der direkten Photographie des Fernsehbildes (Image-Orthikon-Kamera) auf dem Sichtgerät (Monitor). Der Vorteil der Kinematographie liegt in einer naturgetreuen Abbildung funktioneller Bewegungsabläufe, deren Reproduktion mittels eines Filmprojektors eine genaue Beobachtung des Gesamtablaufs und einzelner Phasen ermöglicht. Bei allen Serienaufnahmen muß dem Strahlenschutz des Personals (Bleigummiwände am Tisch, Schutzkleidung) und auch des Kranken besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, besonders bei den Schirmbildverfahren. Die Strahlenbelastung liegt hier wesentlich höher als bei den Direktverfahren. Auch die Belastung der Röhre ist bei Serienaufnahmen mit hoher Frequenz außerordentlich groß. Die Zahl der möglichen Aufnahmen ohne Überlastung der Röhre muß jeweils berücksichtigt werden (s.S.56). Sie ist abhängig von der Belichtungszeit und der Frequenz. Serienaufnahmen werden am besten mit Drehstromgeneratoren unter Anwendung der Hartstrahltechnik angefertigt, da bei

Röntgenphotographie - Kontrastmitteluntersuchungen

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niedrigerer Spannung die Belichtungszeit nicht genügend kurz gehalten werden kann. Serienaufnahmen erfordern im allgemeinen ein Zusatzgerät, den sogenannten Programmwähler, mit dessen Hilfe vor Beginn der Untersuchung der Filmablauf genau festgelegt werden kann (z. B. bei der Odelca: 10 Aufnahmen mit einer Frequenz von 5/sec, 15 Aufnahmen 3/sec, der Rest bis zu 40 Gesamtaufnahmen 1/sec). Spezialuntersuchungen mit Hilfe von Kontrastmitteln Die annähernd gleiche Zusammensetzung der Weichteilgewebe des Körpers (gleiche mittlere Ordnungszahl) und die relativ geringen Dichteunterschiede vieler Organe, besonders der Hohlorgane, geben keinen ausreichenden Kontrast und damit keine verwertbare röntgenologische Darstellung. Schon frühzeitig wurden deshalb Methoden entwickelt, mit guten kontrastgebenden Substanzen Organe und Organsystem darzustellen. Als Kontrastmittel kommen in Betracht: 1. Stoffe, die wesentlich stärker absorbieren als das umgebende Gewebe. Sie erzeugen einen positiven Kontrast: sogenannte „positive Kontrastmittel". Es werden hier Kontraste angestrebt, wie sie physiologischerweise der Knochen bietet. Geeignet sind dementsprechend Stoffe, die sich durch eine hohe Ordnungszahl auszeichnen. (Barium, J o d ; s.u.). 2. Stoffe, die wesentlich geringer absorbieren als Gewebe. Sie erzeugen einen negativen Kontrast: sogenannte „negative Kontrastmittel". Vergleichbar ist hier der physiologische Kontrast der Lunge oder gasgeblähter Abdominalorgane. Geeignet sind Stoffe, die infolge wesentlich geringerer Dichte kontrastgebend wirken: Gase. An die Kontrastmittel sind bestimmte Forderungen zu stellen: 1. Sie dürfen nicht toxisch (giftig) wirken. 2. Sie sollen möglichst schnell wieder aus dem Körper ausgeschieden werden (möglicherweise müssen sie auch künstlich entfernt werden). 3. Kontrastmittel zur Darstellung des Magendarmtrakts sollen im allgemeinen nicht resorbiert werden, also nicht erst in den Stoffwechsel hineingeraten (Ausnahme s. u. S. 187). 4. Sie dürfen keine wesentlichen lokalen Reizerscheinungen verursachen. I n der Mehrzahl der Kontrastmitteluntersuchungen werden Hohlorgane direkt gefüllt; in einigen Fällen, so bei der Darstellung der Gallenwege und des Urogenitaltrakts (s. S. 191ff) können sie auch oral und intravenös gegeben werden, wobei dann erst über Stoffwechselleistungen Konzentration und Ausscheidung des Kontrastmittels in Galle und Niere die röntgenologische Darstellung erlauben. Der Vorteil dieser Untersuchungen ist, daß sie nicht nur eine Beurteilung anatomischer Ver-

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Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

ä n d e r u n g e n ermöglichen, sondern a u c h Rückschlüsse auf die Organf u n k t i o n zulassen. Als positive Kontrastmittel werden f a s t ausschließlich S u b s t a n z e n v e r w a n d t , die Barium (Magen-Darmtrakt) u n d Jod enth a l t e n . D a s ursprünglich in der Magen-Darm-Diagnostik b e n u t z t e W i s m u t wurde stärker resorbiert, u n d k o n n t e so Nebenerscheinungen verursachen. D a s f r ü h e r besonders in der Gefäßdiagnostik (Hirngefäße) ben u t z t e radioaktive T h o r i u m darf keinesfalls m e h r a n g e w a n d t werden, d a es im retikuloendothelialen System gespeichert wird, u n d seine S t r a h l u n g hier schwerste gesundheitliche Schäden verursachen k a n n . Als negative Kontrastmittel dienen Luft u n d in m a n c h e n Fällen a u c h Sauerstoff u n d Lachgas ( N a 0 ) . Die l e t z t g e n a n n t e n Gase h a b e n d e n Vorteil, d a ß sie schneller resorbiert werden als der Stickstoff der L u f t , u n d d a ß —• beim Sauerstoff, der schnell a n den r o t e n B l u t f a r b s t o f f g e b u n d e n wird — die Gefahr der sogenannten Luftembolie (Eindringen v o n Gasen in d a s H e r z , wobei dieses d a n n leer a r b e i t e t u n d der Kreislauf zum Erliegen k o m m t ) , geringer ist. I n vielen Fällen ist eine Vorbereitung zu d e n geplanten U n t e r s u c h u n g e n notwendig. Die speziellen V o r b e r e i t u n g s m a ß n a h m e n sollen in den einzelnen Abschnitten besprochen werden. Bei A n w e n d u n g jodhaltiger K o n t r a s t m i t t e l ist es im allgemeinen zweckmäßig, die E m p findlichkeit bzw. evtl. Überempfindlichkeit des K r a n k e n zu testen. Man gibt dabei 1 ccm des K o n t r a s t m i t t e l s i. v . (nur bei wäßriger Lösung!). Bei Überempfindlichkeit k o m m t es z u m A u f t r e t e n v o n Juckreiz u n d evtl. Nesselfieber (Urticaria). N e b e n dieser harmlosen R e a k t i o n k ö n n e n aber auch Kreislaufreaktionen a u f t r e t e n , die die A n w e n d u n g größerer K o n t r a s t m i t t e l m e n g e n verbieten. Eine andere Methode der T e s t u n g ist das Einbringen eines Tropfens in den Bindehautsack. Bei Ü b e r e m p f i n d lichkeit k o m m t es n a c h einigen Minuten zu stärkeren, entzündungsähnlichen Veränderungen. Wichtig ist, d a ß die Überempfindlichkeit gegen K o n t r a s t m i t t e l keine „ J o d e m p f i n d l i c h k e i t " ist, sondern das ganze komplexe K o n t r a s t m o l e k ü l b e t r i f f t . E s k a n n also d u r c h a u s eine Überempfindlichkeit gegen J o d bestehen, w ä h r e n d K o n t r a s t m i t t e l einwandfrei v e r t r a g e n werden. Auch gibt es Überempfindlichkeiten gegen bes t i m m t e K o n t r a s t m i t t e l . E i n e F r a g e n a c h f r ü h e r e n Überempfindlichkeitsreaktionen, besonders einer Jodallergie, gibt also bestenfalls einen A n h a l t f ü r die Reaktionsbereitschaft. Leider h a t sich herausgestellt, d a ß die komplikationslos verlaufene T e s t u n g nicht m i t Sicherheit R e a k tionen bei der eigentlichen U n t e r s u c h u n g ausschließt (wesentlich größere Menge!). T r o t z d e m ist es sicher, allein schon aus juristischen Gründen, zweckmäßig, die V o r u n t e r s u c h u n g d u r c h f ü h r e n zu lassen, besonders w e n n es sich u m im ganzen n i c h t ungefährliche U n t e r s u c h u n g e n h a n d e l t (z. B . Angiokardiographie). Bei jeder K o n t r a s t m i t t e l u n t e r s u c h u n g m u ß ein Notfallbesteck bereit liegen. D a z u gehören mehrere Spritzen, d a n n einige Ampullen Kalzium, evtl. auch Stoffe m i t A n t i h i s t a m i n w i r k u n g . D u r c h I n j e k t i o n k ö n n e n a u f t r e t e n d e H a u t r e a k t i o n e n schnell k u p i e r t

Röntgenphotographie - Kontrastmitteluntersuchung des Verdauungstrakts 187 werden. Zu dem Notfallbesteck gehören weiter Kreislaufmittel. Als wirksamste Substanz bei schweren Schockerscheinungen hat sich das intravenös injizierbare Prednison (oder Prednisolon) herausgestellt, ein Präparat mit Nebenrrierenrindenhormonwirkung. Da schwere Zwischenfälle die Atmung beeinträchtigen, muß Sauerstoff, bzw. ein entsprechendes Beatmungsgerät einsatzbereit zur Verfügung stehen. Entscheidend ist, daß die technische Assistentin sofort bei Nebenerscheinungen und Zwischenfällen den Arzt holt, der dann die notwendigen Gegenmaßnahmen durchführen muß. Untersuchungen des Verdauungstrakts: Als Kontrastmittel dienen Aufschwemmungen von Bariumsulfat, als Barium sulfuricum oder als Handelspräparat, die teilweise geringe Zusätze enthalten (Geschmack, Wandhaftung). Die Konsistenz des Kontrastmittels kann durch den verschiedenen Wassergehalt modifiziert werden: von der dicken Paste, wie sie bei ösophagusuntersuchungen gebraucht wird, über etwas dickeren Brei, der als erster Schluck zur Darstellung der Magenschleimhaut zweckmäßig ist, dünneren Brei, der der Auffüllung des Magens dient, zur noch dünneren Aufschwemmung, wie sie bei der retrograden Auffüllung des Dickdarms gebraucht wird. Der Brei wird besser am Vorabend eingerührt, damit störende Luftblasen vermieden werden. Das Kontrastmittel soll körperwarm sein, in manchen Fällen ist auch die Untersuchung mit wärmerem Bariumbrei angezeigt (bis 45° z. B. bei spastischen Zuständen des Duodenums). In neuerer Zeit wird bei besonderer Indikation auch eine speziell für die Magen-Darm-Diagnostik konfektionierte jodhaltige Kontrastmittel (Gastrografin, Schering) verwandt (mit Geschmacks- und Viskositätszusatz). Kontrastgebende Substanz sind nierengängige Stoffe (wie zur Pyelographie). Zur Darstellung von Einzelheiten des Ösophagus, bei engen Stenosen, bei wesentlichen Passagehindernissen und bei Perforationsgefahr ist ihre Anwendung zweckmäßig. Im letzten Fall liegt der Hauptvorteil in der Resorbierbar keit. Das Kontrastmittel verschwindet schneller aus dem Magen-DarmTrakt, während das Barium möglicherweise lange Zeit verbleibt und eine bestehende Entleerungsstörung verschlimmern kann. Die Patienten müssen bei einer Untersuchung des Magens nüchtern sein, d. h. sie dürfen am Morgen der Untersuchung weder gegessen, noch getrunken oder geraucht haben. Besondere Abführmaßnahmen sind bei oraler Breigabe nicht notwendig. Bei Stenosen und Entleerungsbehinderungen des Magens muß u. U. vor der Untersuchung der Mageninhalt mit einer Sonde abgesaugt werden, u. U. inVerbindung mit einer Magenspülung. Die Untersuchung des Magen-Darm-Trakts wird im allgemeinen kombiniert als Durchleuchtung mit zusätzlich unter Sicht angefertigten Aufnahmen („Zielaufnahmen") durchgeführt. Der Vorteil dieser Me-

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Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

thode liegt darin, daß bestimmte funktionelle Abläufe erfaßt werden. Wichtig ist auch die Möglichkeit der gezielten dosierten Kompression, die nur bei Durchleuchtungskontrolle möglich ist, und der manuellen Palpation, die die Lokalisierung von Schmerzen und die Zuordnung von Tastbefunden (z. B. bei Geschwülsten) erlaubt. Auch die Einstellung in den schrägen Durchmessern erfordert, wenn sie zu zuverlässigen Ergebnissen führen soll, die direkte Sicht bei der Durchleuchtung. Zur Untersuchung des Ösophagus erhält der Patient einen Teelöffel Paste; bei zu langsamer Passage kann auch etwas dünneres Kontrastmittel gegeben werden. Wenn eine besonders sorgfältige Schleimhautuntersuchung notwendig ist, kann nach dem Kontrastmittel ein Löffel ö l gegeben werden, wobei es dann oft zu einem gut zu beurteilenden Benetzungsbild kommt. Die Darstellung der Ösophagusschleimhaut erfolgt am besten im Liegen, möglicherweise unter Preßatmung (sogenannter „Valsalva"), da sich so Krampfadern (Varizen) stärker füllen. Zur Untersuchung des Magens gibt man zunächst ein Gläschen mit etwas dickerem Brei (in die linke Hand), dann zur Prallfüllung einen Becher dünneren Brei. Meist kommt es zu einer beurteilbaren Darstellung des Magens und, nach Entleerung, des Duodenums. Eine bessere Darstellung des oberen Magenabschnitts (Fornix) kann manchmal erreicht werden, wenn man zusätzlich etwas Brausepulver gibt oder Selters trinken läßt. Besonders in Verbindung mit Lagewechsel kann man ein gutes Beschlagsbild der Fornix mit der Kardia erreichen (Doppelkontrastmethode). Der Bewegungsablauf der Peristaltik kann durch ein Polygramm (s. S. 180) erfaßt werden. Der Bulbus duodeni wird in verschiedenen Durchmessern untersucht. Die Entleerungs- bzw. Passagefunktion ist in gewissen Abständen zu kontrollieren. Im allgemeinen wird nach 1 bis 2 Stunden eine Kontrolluntersuchung durchgeführt; bei Entleerungsverzögerungen sind häufigere Kontrollen notwendig. Eine grobe Orientierung über den Dickdarm gibt eine Kontrolle nach 24 Stunden. Sie trägt auch zur Diagnostik von Funktionsstörungen bei (Beschleunigung oder Verlangsamung der Passage). Spastisch bedingte Veränderungen können durch Injektion krampflösender Medikamente (Spasmolytica) beseitigt werden. Durch Injektion von Morphin (0,005) wird die Peristaltik angeregt (Untersuchung etwa 5 bis 10 min nach Injektion) und, da sich der Pylorus schließt das Antrum besser dargestellt. Methoden, die sich dieser und anderer Pharmaka bedienen, werden unter dem Sammelbegriff Pharmakoradiographie zusammengefaßt (s. auch unter Cholangiographie S. 191f).Bei der Magenuntersuchung kann die besonders von französischen Radiologen geförderte Methode die Ergebnisse in der Differentialdiagnostik bösartiger Tumoren fördern, da eine Wandstarre und Veränderungen der Peristaltik besser dargestellt werden.

Röntgenphotographie - Kontrastmitteluntersuchung des Yerdauungstrakts 189

Der Gasfüllung bedient sich auch die sogenannte Parietographie, d. h. eine Darstellung der Magenwand. Der gasgeblähte Magen wird hier mit Hilfe von Schichtaufnahmen (s. S. 164ff) untersucht. Die Untersuchung des Dünndarms kann mit der normalen Magenuntersuchung kombiniert werden. Man läßt dann einen zweiten Becher Kontrastbrei schluckweise im Abstand von 10 Minuten austrinken und kontrolliert alle 20 bis 30Minuten den Füllungszustand. Im allgemeinen ist der gesamte Dünndarm nach 1 bis 3 Stunden dargestellt (Methode nach P A N S D O R F ). Nach W E L T Z trinkt der Patient von Anfang an einen Becher Brei nur schluckweise, Kontrollen dann wie oben. Eine Beurteilung der Absonderung bzw. Wirksamkeit von Verdauungsfermenten ist möglich, wenn man Kontrastmittel in kleinen Kapseln, deren Hülle durch bestimmte Fermente aufgelöst wird, verabfolgt. Bei der Durchleuchtung kann dann verfolgt werden, wie lange die Kapseln erhalten bleiben. Daraus ergibt sich, in welchem Darmabschnitt die betreffenden Fermente wirksam sind. Der Brei erreicht das Colon im allgemeinen nach 5 bis 12 Stunden. Die Passage kann beschleunigt werden, wenn man dem Brei etwas Bittersalz (Magnesium sulfuricum) beifügt oder aber das Kontrastmittel eisgekühlt trinken läßt. Auch durch Gabe von Sorbit, einem sechswertigen Alkohol, läßt sich die Passage beschleunigen. Bei guter Darstellung des Schleimhautreliefs des Dünndarms läßt sich so die Dünndarmuntersuchung erheblich abkürzen. Nach weniger als 1 Stunde ist meist schon das Colon ascendens gefüllt und damit auch eine Darstellung des Coecums bzw. der Appendix erreicht. Wie schon oben erwähnt, ist eine grobe Orientierung über die Dickdarmverhältnisse 24 Std. nach der Magenuntersuchung oft noch möglich. Soll der Dickdarm gezielt (oral) gefüllt werden, läßt man am Vorabend (22 bis 23 Uhr) einen Becher Brei trinken und untersucht dann am nächsten Morgen. Oft ist dann auch die Appendix gut dargestellt. Einzelheiten des Dickdarms sind aber meist mit der oralen Methode nicht zu beurteilen. Es ist dann die retrograde Füllung notwendig. Die retrograde (rückläufige) Darstellung des Dickdarms wird auch als Kontrasteinlauf (eigentlich Kontrastmitteleinlauf) bezeichnet. Sie wird als sogenannte Untertischdurchleuchtung (Trochoskopie) durchgeführt, d. h. die Röntgenröhre befindet sich unter dem Lagerungstisch. Zur Vorbereitung ist eine sorgfältige Reinigung des Darmes erforderlich, da andernfalls feinere Wandveränderungen nicht beurteilt werden können. Bei Verstopfung sollte mehrere Tage vor der Untersuchung durch Gabe von Abführmitteln eine Entleerung des Darmes herbeigeführt werden. Am Vorabend ist ein hoher Reinigungsablauf durchzuführen (evtl. ein subaquales Darmbad). Die letzte Mahlzeit (nur leichte, schlakkenarme Kost) soll am Spätnachmittag eingenommen werden. Am Mor-

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Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

gen der Untersuchung ist dann nochmals ein Reinigungseinlauf zweckmäßig. Zur Lösung des Darmschleims kann hier etwas Natriumbikarbonat zugesetzt werden. Die Untersuchung soll etwa 4 Stunden nach dem Einlauf durchgeführt werden. Auf sorgfältige Entleerung der Spülflüssigkeit ist vorher zu achten. Eine andere Form von Vorbereitung benutzt spezielle Abführmittel, sogenannte Kontaktlaxantien (z. B. Dulcolax), die oral und als Zäpfchen, evtl. in Kombination, verabfolgt werden. Die Durchführung einer Rektoskopie vor der retrograden Füllung mit Kontrastmittel ist unzweckmäßig, da der Darm dann stark luftgebläht ist. Zur Durchführung des Kontrasteinlaufs gehört ein Einlaufgerät mit Anschluß an ein Darmrohr. Zweckmäßig ist ein Rohr mit seitlichen Öffnungen und einem aufblasbaren Gummiballon, der ein Auslaufen des Kotrastmittels, zumindest teilweise, verhindern kann. Dem Kontrastmittel kann etwas Tannin (Gerbstoff) zugesetzt werden (1%), da sich so nach Entleerung die Schleimhaut vielfach besser und gleichmäßiger darstellt. Auch bei Zusatz des schon erwähnten Kontaktlaxans zum Bariumbrei können gute Schleimhautbilder gewonnen werden. Nach Einführung des Darmrohrs läßt man, unter Anweisung desArztes, das Kontrastmittel einlaufen. Die Untersuchung muß in verschiedener Lage, u. U. mit Zielaufnahmen, durchgeführt werden. H a t das Kontrastmittel das Coecum erreicht, ist die 1. Phase der Untersuchung abgeschlossen. Der Patient kann das Kontrastmittel entleeren. Eine Entleerung auf dem Tisch ist mit Hilfe der Einschaltung eines T-Stücks (aus Glas) möglich. Andernfalls muß ein Becken benutzt werden. Gehfähige Patienten können auf der Toilette entleeren. Nach etwa 30 Minuten wird eine Kontrolluntersuchung durchgeführt. Sie ermöglicht im allgemeinen eine Beurteilung der Schleimhaut. Feinere Wandveränderungen können dann noch mit der Doppelkontrastmethode nach A. W. F I S C H E R d. h. durch Einblasung von Luft sichtbar gemacht werden. Sie wird am besten vom Arzt selbst vorgenommen (Vorsicht bei Geschwüren und Divertikeln). Mit Hilfe des Kontrasteinlaufs kann vielfach auch die Appendix dargestellt werden, jedoch ist die orale Füllung (s. o.) als erste Methode vorzuziehen. Anhang: Darstellung der Speicheldrüsen. Die Ausführungsgänge der Speicheldrüsen können mit jodhaltigen Kontrastmitteln durch den Hauptausführungsgang vom Munde aus aufgefüllt und so röntgenologisch dargestellt werden. Als Kontrastmittel dienen jodhaltige Lösungen (z. B. Urografin, Endografin) in Konzentrationen von 40 bis 60%. Als Instrumentar müssen vorhanden sein steril:

1 Sonde 1 Dilatator mehrere Knopfkanülen Rekordspritzen

Röntgenphotographie - Kontrastmitteluntersuchung der Gallenwege

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u . U . ein Rekordeinsatz m i t angeschlossenem K u n s t s t o f f (Polyvinyl)schlauch, d u r c h den m a n das K o n t r a s t m i t t e l einlaufen lassen k a n n ; a u ß e r d e m : ausreichende Beleuchtung (Stirnlampe oder Stirnspiegel), Spatel, T u p f e r , Zellstoff, Schalen. A u f n a h m e n sind in mindestens 2, möglicherweise a u c h 3 (axial) E b e n e n zu m a c h e n . Darstellung der Gallenwege (Cholangiographie, Cholezystographie): N a c h d e m lange Zeit im wesentlichen allein die Darstellung der Gallenblase, n u r in Ausnahmefällen auch der Gallengänge, gelang, h a t die E i n f ü h r u n g neuer K o n t r a s t m i t t e l eine routinemäßige Darstellung a u c h der Gallengänge, besonders des D u c t u s choledochus, g e s t a t t e t . D e r P a t i e n t m u ß , wie auch bei der M a g e n - D a r m - U n t e r s u c h u n g , n ü c h t e r n sein. Besondere B e d e u t u n g k o m m t der „ R e i n i g u n g " des Abdomens zu. A m V o r t a g soll n u r leichte, n i c h t blähende K o s t eingenomm e n werden. A m Morgen k a n n ein K o n t a k t l a x a n s gegeben werden (z. B . Dulcolax-Zäpfchen, E n t l e e r u n g n a c h etwa 30 min). Auch ein Reinigungseinlauf m i t w a r m e m Wasser ist zweckmäßig (evtl. Zusatz v o n 2 m l 3 0 % i g e m Wasserstoffsuperoxyd auf 1 1 Flüssigkeit). Bei s t a r k störenden D a r m s c h a t t e n k a n n auch nach der ersten A u f n a h m e noch ein Zäpfchen gegeben werden. Bei Durchfällen soll n u r ein Reinigungseinlauf vorgenommen werden. Keine eisenhaltigen T a b l e t t e n ! Die K o n t r a s t d a r s t e l l u n g der Gallenblase ist auf oralem u n d intravenösem Wege möglich. Die orale Füllung birgt in sich die Fehlerquelle intestinaler Resorptionsstörungen. Als K o n t r a s t m i t t e l h a t t e lange Zeit das Biliselectan d e n Vorrang. J e t z t stehen einige trijodierte (3 J o d a t o m e a m Molekül) Mittel zur Verfügung, die m a n c h m a l auch eine Darstellung der Gallengänge ermöglichen (Biloptin, Orabilix, Osbil, Telepaque, Terid a x u . a.). Die Resorptionsfähigkeit der oralen K o n t r a s t m i t t e l ist ein wesentlicher F a k t o r ihrer Güte. Die Zeit der besten F ü l l u n g ist bei den K o n t r a s t m i t t e l n verschieden (Biliselectan etwa 1 4 S t u n d e n , bei den trijodierten Mitteln etwas kürzer). Die Darstellung der Gallenwege d u r c h intravenöse I n j e k t i o n von Biligrafin b r a c h t e f ü r die Diagnostik den wesentlichen F o r t s c h r i t t der besseren Gallengangsdiagnostik. F ü r die Darstellung der Gallenblase allein genügt die I n j e k t i o n von 20 ccm des 30%igen Biligrafins. Sollen die Gallengänge dargestellt werden (Cholangiographie), s t e h t das Bilig r a f i n f o r t e (50 %ig) zur Verfügung. E i n e bessere Darstellung der Gallenwege k a n n m a n c h m a l erreicht werden, w e n n m a n einen Spasmus des Sphinkter O D D I erzeugt (Injektion von 0,005 M o r p h i u m oder ententsprechend Dolantin). U m g e k e h r t k ö n n e n Spasmen d u r c h Gabe v o n 2 Nitroglyzerinkapseln beseitigt werden. Die A u f n a h m e n f ü r die Gallen-

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Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

gangsdarstellung sollen nach etwa 25, 50 und 75 Minuten gemacht werden. Alle Aufnahmen sind in leichter Drehung in den 2. schrägen Durchmesser anzufertigen (Boxerstellung), entweder auf dem Buckytisch oder auch stehend. Die Gallenblasendarstellung wird am besten am Zielgerät durchgeführt, an dem u. U. auch eine seitliche Aufnahme geschossen werden kann. Die optimale Füllung ist nach 100 bis 120 min erreicht. Nach der 1. Gallenblasenaufnahme wird eine „Reizmahlzeit" (Eigelb, öl, Magnesiumsulfat) gegeben, die normalerweise zu einer Entleerung der Gallenblase (Verkleinerung, Höhertreten des unteren Pols) führt. Auch der wegen seiner die Darmpassage beschleunigenden Wirkung erwähnte sechswertige Alkohol Sorbit hat einen „cholezystokinetischen" Effekt, verursacht also eine Entleerung, bzw. Verkleinerung der Gallenblase. Er ist wirksamer Bestandteil der manchen oralen Gallenkontrastmitteln (z. B. Osbil) beigegebenen Täfelchen sowie des Sorbosans. Die Beobachtung der reflektorischen Entleerung der Gallenblase („positiver Reflex") erlaubt eine Beurteilung der Gallenblasenfunktion. Die Reflexaufnahme wird 30 bis 45 min nach der Reizmahlzeit gemacht. Seit einigen Jahren steht das Cholezystokinin, ein gastrointestinales Horman mit spezifischer Wirkung auf die Gallenblase, als injizierbares Präparat (Handelsname Cecekin) zur Verfügung. Neben der sicheren Auslösung des Reflexes hat es den Vorteil, daß die Kontraktion schon 1 bis 3 min nach der i. v. Injektion ausgelöst wird. In vielen Fällen kann durch die Schichtuntersuchung ein noch besseres Ergebnis der Cholezystographie erzielt werden (Steindiagnostik!) Die Schichtaufnahmen sind in Bauchlage in leichter Drehung zu machen. Die vorderste Schicht liegt 4 bis 6 cm unter der Bauchhaut, bei Schichtung der Gallenwege noch etwas tiefer. Der Abstand der Schichtebenen (5 bis 8) hat 0,5 bis 1 cm zu betragen. Besonders wichtig kann die Schichtuntersuchung bei Steinverdacht im Ductus choledochus sein, in dem der starke Kontrast des Kontrastmittels, besonders, wenn er erweitert ist, leicht kleinere Konkrumente überdeckt. Alle Aufnahmen müssen in absolutem Atemstillstand gemacht werden (Exspirium), da sonst eine erhebliche Bewegungsunschärfe entsteht. Zugunsten des Kontrastes hat es sich bewährt, mit relativ niedriger Spannung (etwa 60 kV) und längerer Belichtung zu arbeiten (300 bis 400 mAs). Neben der bisher beschriebenen indirekten GallenwegsdarStellung, bei der die Kontrastmittel durch die Leber ausgeschieden und mit der rezernierten Galle die Gallengänge und die Gallenblase sichtbar gemacht werden, ist manchmal die direkte, intraoperative oder postoperative Cholangiographie notwendig. Die Frage ist hier die Durchgängigkeit des Ductus choledochus und des Sphinkters bzw. der Nachweis noch nicht

Röntgenphotographie - Kontrastmitteluntersuchung d. Pankreas u. Harnwege 193

entfernter Konkremente. Es werden dabei bis zu 20 com des Kontrastmittels in das eingelegte T-förmige Drain injiziert und dann sofort die notwendigen Aufnahmen gemacht (am Operationstisch mit stehendem Streustrahlenraster). Eine direkte Füllung und Darstellung der Gallenblase ist mittels direkter Punktion unter laparoskopischer Sicht möglich. Pankreatographie: Intraoperativ können auch die Pankreasausführungsgänge (Ductus Wirsungianus) mit Kontrastmitteln sichtbar gemacht werden ( D O U B I L E T 1951). Entweder wird nach Eröffnung des Duodenums die Papille sondiert und dann das Kontrastmittel injiziert (aszendierende, transpapillare P.) oder die Injektion erfolgt in einen tastbaren oder operativ eröffneten peripheren Pankreasgang (deszendierende P.). Die Methode hat Bedeutung für die Differentialdiagnose und die sich aus ihr ergebenden therapeutischen Konsequenzen (Indikation und Methode eines operativen Eingriffs). Darstellung der Harnwege: Die Darstellung der ableitenden Harnwege wird im allgemeinen Pyelographie (Pyelon: Nierenbecken) genannt (umfassendere Bezeichnung Urographie). Die Vorbereitung entspricht im wesentlichen der zur Cholezystographie. Am Morgen der Untersuchung kann etwas Brot gegessen, dagegen soll nicht getrunken werden. Wichtig ist, daß vor Beginn der Untersuchung die Harnblase entleert wird, da sonst möglicherweise die Ausscheidung reflektorisch gestört ist. Die ableitenden Harnwege können nach Injektion eines Kontrastmittels, das durch die Niere ausgeschieden wird, sichtbar gemacht werden: intravenöse Pyelographie (in Ausnahmefällen intramuskulär, s. u.). In jedem Fall ist vor der Injektion eine Leer aufnähme anzufertigen (bei richtiger Einstellung schneidet das Bild mit der Symphyse ab, so daß die Blase noch dargestellt ist). Bei starkem Meteorismus kann noch ein Kontaktlaxans gegeben werden (s. S. 190), nach Entleerung ist dann nochmals zu kontrollieren. Als Kontrastmittel werden fast ausschließlich trijodierte Substanzen in Konzentrationen bis zu 76% verwandt (z. B. Urografin). Die zu injizierende Menge beträgt beim Erwachsenen etwa 20 ccm, bei Kindern entsprechend weniger (Säuglinge 3 bis 5 ccm). Etwa 7 und 14 Minuten nach Beginn der Kontrastmittelinjektion werden dann die Füllungsaufnahmen gemacht. Bei Kleinkindern muß u. U. intramuskulär injiziert werden, es ist dann 1 Ampulle der resorptionsfördernden Hyaluronidase ( z . B . Kinetin) an der Injektionsstelle vorzuspritzen. Die Aufnahmen sind dann nach 15 und 30 Minuten zu machen. Die intravenöse (und intramuskuläre) Pyelographie erlaubt eine Beurteilung der Ausscheidungsfunktion. Die Anlage von den Harnabfluß in die Blase hemmenden Kompressorien (Gurt, aufblasbare Gummimanschette) ändert die physiologischen Verhältinsse. Sie führt zu einer stärkeren Füllung des Nierenhohlsystems. Zur besseren Darstellung von Formveränderungen (z.B. bei Verdacht auf Entzündungen oder Tumoren) kann das Kompressorium unmittelbar S c h i u n g b a u m , Med. Strahlenkunde

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nach der 1. Füllungsaufnahme angelegt werden. Die 2. Aufnahme, evtl. weitere Aufnahmen in leichter Drehung werden bei liegendem Kompressorium angefertigt. Es folgt dann eine weitere Aufnahme einige Minuten nach Lösung der Kompression. Die Anlage des Kompressoriums schon bei Beginn der Untersuchung ist nur in Ausnahmefällen angezeigt, z. B. bei sehr dicken Patienten, oder wenn eine Ausscheidungshemmung bzw. eine mangelnde Konzentrationsfähigkeit der Niere bekannt ist, so daß nur ein geringer Kontrast erwartet werden kann. Die 1. Aufnahme hat dann nach etwa 15 Minuten zu erfolgen. Danach ist das Kompressorium zu lösen und eine weitere Aufnahme (nach etwa 3 bis 4 Minuten) anzuschließen. Die Aufnahmen des Pyelogramms werden im allgemeinen im Liegen angefertigt. Bei Verdacht auf pathologische Beweglichkeit (Wanderniere) ist eine weitere Aufnahme im Stehen anzuschließen. Bei pathologischen Ausscheidungshemmungen oder Abflußbehinderungen sind — nach Anweisung des Arztes — weitere Aufnahmen in größeren Abständen anzuschließen. Alle Aufnahmen sind in Atemstillstand zu schalten (Exspirium). Beim sogenannten Veratmungspyelogramm wird derselbe Film doppelt belichtet, in extremer Inspiration und in Exspiration (halbe Belichtungszeit). So können u. U. Verwachsungen und Entzündungsprozesse in der Nierenumgebung sichtbar gemacht werden (normalerweise verschieben sich die Nieren mit der Atmung). Die retrograde Pyelographie wird mit Hilfe des Ureterenkatheterismus (Einführung unter zystoskopischer Sicht) durchgeführt. Ein entsprechender Untersuchungstisch ist erforderlich. Der Patient kann dann bei liegenden Ureterenkathetern, aber nach Entfernung des Zystoskops auf den Röntgentisch umgelagert werden (es sei denn, es steht eine spezielle urologische Röntgeneinrichtung zur Verfügung). Die Füllung erfolgt (besonders bei Störung der Nierenfunktion) oft nur einseitig. Kontrastmittel werden in geringerer Konzentration verwandt (etwa 30%ig) als bei der intravenösen Pyelographie. Das Kontrastmittel muß langsam, ohne besonderen Druck in Mengen von etwa 5 bis 7 ccm pro Seite bei doppelseitiger Darstellung gleichzeitig injiziert werden. Es können auch unter der Injektion Zielaufnahmen mit dem Zielgerät gemacht werden (Pyeloskopie). Andernfalls wird die Aufnahme nach Abschluß der Injektion bei noch hegender Spritze angefertigt. Eine Doppelkontrastdarstellung kann durch zusätzliches Einblasen von Luft erreicht werden. Nach Abschluß werden die Katheter herausgezogen. Die Pyelographie kann u. U. durch Schichtaufnahmen der Niere ergänzt werden. Entweder es wird beidseits geschichtet, oder die kranke Seite wird — bei einseitiger Schichtung —• etwas angehoben. Die Schichttiefen liegen etwa 7 bis 10 cm von der Rückenhaut entfernt. Weitere diagnostische Methoden bei Nierenkrankheiten sind die Angiographie (s. S. 198) und das Pneumoretroperitoneum (s. S. 202). Bei Abschluß der

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pyelographischen Untersuchung ist im allgemeinen auch die Blase gefüllt und grob zu beurteilen. Sie k a n n auch für sich dargestellt werden: Zystographie. Als Kontrastmittel sind d a n n wasserlösliche, jodhaltige Kontrastmittel zu verwenden, die bis zu einer Konzentration von etwa 15% verdünnt werden können. Die Injektion erfolgt durch die H a r n röhre mittels einer Spritze mit konischem Ansatz. Die Aufnahmen müssen d a n n in verschiedenen Aufnahmerichtungen durchgeführt werden (auch Schrägaufnahmen). Eine vorherige Entleerung des Darmes ist notwendig. Soll zusätzlich die männliche Harnröhre gefüllt werden (Urethrographie), ist ein Spezialinstrument mit einer Klemmvorrichtung zweckmäßig. Die Aufnahmen werden während der Füllung und bei Entleerung (Miktion) gemacht. Auch die weibliche Harnröhre läßt sich bei Anwendung einer speziellen Technik darstellen. (Lit.: Br aband, H.: Zur Technik der Urethrocystographie bei der Frau. Röntgenund Laboratoriumspraxis XIII, R 83—R 87 (1960).

Darstellung des Uterus (Hysterographie) einschließlich der Eileiter (Hysterosalpingographie): Zur Vorbereitung ist auch die Darmreinigung erforderlich. Die Kontrastmittelinjektion erfolgt mit Hilfe eines Spezialinstruments. Als Kontrastmittel können sowohl ölige als auch wasserlösliche jodhaltige Substanzen verwandt werden. Die Untersuchung wird im allgemeinen nach der Menstruation (postmenstruelle Phase) durchgeführt. Zur Vermeidung einer Infektion kann etwas Penicillin zugefügt werden. Die Untersuchung wird am besten auf dem Tisch eines Zielgeräts durchgeführt. Die Patientin befindet sich in Steinschnittlage bei Beckenhochlagerung. Unter Durchleuchtungskontrolle können d a n n während der Injektion die Aufnahmen gemacht werden. Wird die Kontrastmitteldarstellung durch ein Pneumoparametrium ergänzt (s. Pneumcradiographie S.201f) spricht man auch von Gynäkographie. Übersichtsaufnahmen werden hier durch Schichtaufnahmen vervollständigt. Fisteldarstellung (Fistulographie): E s werden wasserlösliche oder ölige Kontrastmittel mehr oder weniger großer Viskosität (je nach Durchmesser der Fistel) verwandt. Die Mündung der Fistel m u ß markiert werden (Bleiring). Die Injektion erfolgt am besten durch einen möglichst weit in die Fistel hineingeschobenen Ureterenkatheter, sonst auch durch eine Knopfkanüle, mit der u. U. eine bessere Abdichtung erreicht werden kann. Die Aufnahmen müssen (u. U. am Zielgerät) stets in mehreren Ebenen angefertigt werden. Gefäßdarstellung (Angiographie, Vasographie): Gefäßdarstellungen werden mit jodhaltigen, meist trijodierten Kontrastmitteln durchgeführt (z. B. Urografin 60 bis 76%ig). Die Menge des Kontrastmittels richtet sich nach der Art und Größe der darzustellenden Gefäße und dem Alter des Patienten. Sie ist in jedem Fall vom Arzt speziell festzulegen. Auf 13*

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die Bedeutung der Empfindlichkeitstestung wurde schon hingewiesen (s. S. 186). Die Injektion des Kontrastmittels kann in den meisten Fällen perkutan durch direkte Punktion erfolgen, nur selten ist die operative Freilegung der betreffenden Gefäße und ihrer Punktionsstellen erforderlich. I n Sonderfällen erfolgt die Injektion nicht durch die Kanüle, sondern durch einen in die Gefäße eingeschobenen Katheter (s. u. und S. 197). Es sind sowohl die Arterien darzustellen( Arteriographie) als auch die Venen (Veno- oder auch Phlebographie). Bei Darstellung der peripheren Gefäße (Extremitäten) spricht man auch von peripherer Arterio- bzw. Angiographie. Eine Sonderstellung im Rahmen der Angiographie nimmt die Darstellung der Schädelgefäße (Karotis- bzw. Vertebralisarteriographie) ein (s. S. 199). Große Fortschritte in der Herzdiagnostik brachte die Darstellung der Herzhöhlen und der benachbarten großen Gefäße (Angiokardiographie). Auch die großen Gefäße des Rumpfes sind direkt oder indirekt zugängig (Aortographie, Cavographie). In letzter Zeit ist besonders auch die Darstellung der Gefäß Versorgung der parenchymatösen Organe vervollkommnet worden (Lungengefäße: Angiopneumographie, der Nierengefäße: Renovasographic). I n den meisten Fällen ist bei den Gefäßdarstellungen infolge der Bildveränderung durch die Blutströmung die Anfertigung von Serienaufnahmen zweckmäßig (Geräte s. S. 181ff). Auf die Einzelheiten der Gefäßdarstellung kann hier nur kursorisch eingegangen werden. 1. Die periphere Arteriographie. Am häufigsten wird die A. femoralis mit ihren Verzweigungen dargestellt. Die Punktion erfolgt mittels einer Kanüle oder durch einen Katheter (nach S e l d i n g e r ) , der durch die Kanüle in die Arterie eingelegt wird. Die Injektion soll im allgemeinen gegen den Blutstrom erfolgen. Wenn die Arterie perkutan nicht zu punktieren ist (Verschluß, klinisch: keine tastbaren Pulsationen) muß sie freigelegt werden, oder aber die Darstellung erfolgt durch Injektion in ein höheres Gefäßgebiet (Aortographie). Für die Darstellung der peripheren Gefäße hat sich besonders die Spezialkassette nach W e n t z l i k (s. S. 182) bewährt. Steht die W e n t z l i k Kassette nicht zur Verfügung, können die Aufnahmen u. U. auf Normalkassetten mit Hilfe von 2 Röhren durchgeführt werden (je 1 Kassette und Röhre für Ober- und Unterschenkel). Die Füllung anderer peripherer Gefäße wird nur relativ selten durchgeführt. 2. Die Angiokardiographie. Die Injektion erfolgt im allgemeinen durch eine in der Ellbogenvene liegende Kanüle. Damit ein genügender Kontrast erzielt wird, muß das Kontrastmittel unter Druck injiziert werden. Hierfür ist ein Spezialbesteck (Druckspritze, Druckschlauch mit absolut sicherer Verbindung zu Spritze und Kanüle) erforderlich. Die Aufnahmen müssen serienmäßig durchgeführt werden (beispielsweise mit der Odelca, einer Großformatserieneinrichtung, z. B. der

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Firma Elema, (s.S. 183) oder auch einer Filmkamera: Kinematographie, (s.S. 184). Nach Injektion füllen sich zunächst die zuführenden Venen mit der oberen Hohlvene (V. cava sup.), d a n n der rechte Vorhof und die rechte K a m m e r (Dextrogramm). Anschließend sind die Lungengefäße dargestellt (zunächst die Arterien, d a n n über das Kapillargebiet die Venen), schließlich füllen sich der linke Vorhof und der linke Ventrikel (Lävogramm) und die Aorta mit ihren Verzweigungen. I n manchen Fällen ist es zweckmäßig, Aufnahmen in 2 Ebenen anzufertigen. Die Angiokardiographie erlaubt die Diagnose von Herzfehlern, besonders der angeborenen Vitien (Vitium cordis = Herzfehler), die durch Veränderung der Strömungen u n d Kurzschlüsse zwischen rechter und Unker Herzhälfte (sogenannte shunts) ausgezeichnet sind. I m allgemeinen wird eine Angiokardiographie zusammen mit dem Herzkatheterismus, bzw. nach dieser Untersuchung, durchgeführt. Der Herzkatheterismus k a n n abnorme Verbindungen der Herzhöhlen, falschen Verlauf von Gefäßen sowie pathologische Druck- u n d Sauerstoffverhältnisse aufklären. Wenn die Diagnose durch den Herzkatheterismus gesichert ist, wird im allgemeinen auf die nicht ungefährliche Kontrastmitteldarstellung verzichtet. Bei der sogenannten gezielten oder selektiven Kardiographie werden kleine Kontrastmittelmengen, evtl. wiederholt durch den liegenden K a t h e t e r , in bestimmte Herzabschnitte injiziert. I n Sonderfällen k a n n auch das linke Herz katheterisiert werden (von der A. carotis oder femoralis aus). Wegen des langen Weges des K a t h e t e r s m u ß das Kontrastmittel zur gezielten „Kardioangiographie" mit sehr hohem Druck injiziert werden (Spezialinjektionsmaschinen). Einen Sonderfall gezielter Angiographie stellt die 3. Angiopneumographie dar. Die Kontrastmittelinjektion erfolgt hier durch den in einer Lungenarterie oder sogar einer Lungenlappenarterie liegenden K a t h e t e r . Angebracht ist diese Untersuchung besonders bei der Frage, ob eine Geschwulst in der Lungenwurzel bereits zu Gefäßveränderungen geführt hat, die einen operativen Eingriff nicht mehr sinnvoll erseheinen lassen. 4. Darstellung der Aorta (Aortographie). Die thorakale Aorta k a n n direkt punktiert werden. Eine Füllung k a n n auch durch einen von der A. brachialis oder (technisch einfacher und deshalb meist angewandt) der A. femoralis bis in den Bereich des Aortenbogens oder der Aorta ascendens geschobenen Katheter vorgenommen werden. Zur Darstellung der abdominellen Aorta wird das Gefäß entweder direkt punktiert (Einstich links neben der Lendenwirbelsäule) oder es wird durch einen von der A. femoralis bis in die gewünschte Höhe geschobenen Katheter injiziert. Bei der direkten Punktion werden

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Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

eine hohe (oberhalb der Nierengefäße in H ö h e D 12/L1) u n d eine tiefe (unterhalb der Nierengefäße in H ö h e L 3 / L 4 ) Aortographie unterschieden. Eine P r o b e a u f n a h m e n a c h I n j e k t i o n einer kleinen Kont r a s t m i t t e l m e n g e soll die richtige Lage der K a n ü l e sichern, d a m i t die Gefahr einer I n j e k t i o n des gesamten K o n t r a s t m i t t e l s in einen kleinkalibrigen Ast der A o r t a vermieden wird (Gefahr schwerer Gewebsschäden besonders bei I n j e k t i o n in Darmgefäße). Bei Verwendung v o n K a t h e t e r n m i t g e k r ü m m t e r Spitze k ö n n e n gezielt — m i t relativ kleiner K o n t r a s t m i t t e l m e n g e — b e s t i m m t e Äste der A o r t a dargestellt werden (s. auch den folgenden Abschnitt). 5. Darstellung der Nierengefäße (Renovasographie). Die Nierenarterien stellen sich bei der hohen Aortographie dar. Gezielt (auch einseitig, m i t a n g e k r ü m m t e r K a t h e t e r spitze) k ö n n e n sie d u r c h einen von der A. femoralis bis in H ö h e des Nierenhilus geschobenen K a t h e t e r gefüllt werden (Methode nach Seidinger). Eine G e f ä ß a n f ä r b u n g der Niere k a n n auch d u r c h intravenöse I n j e k t i o n (Ellenbeuge) einer großen K o n t r a s t m i t t e l m e n g e (40 ccm) erreicht werden. Bei Schichta u f n a h m e n („Renovasotomogramm") e r k e n n t m a n normal, v e r s t ä r k t (Tumoren) u n d v e r m i n d e r t (Zysten) d u r c h b l u t e t e Bezirke. 6. Darstellung der Yenen (Venographie oder Phlebographie). D a s K o n t r a s t m i t t e l wird entweder in die Venen direkt injiziert (z. B . in die Ellbogenvene zur Darstellung der V. axillaris u n d brachialis oder in die Unterschenkel- bzw. F u ß v e n e n zur Füllung der V. femoralis bzw. ihrer Verzweigungen). I m allgemeinen empfiehlt es sich, die Aufn a h m e n in senkrechter Lage zu machen, d a es d a n n weniger zu störender Sedimentierung k o m m t . Eine andere Methode der Venendarstellung arbeitet m i t I n j e k t i o n in das K n o c h e n m a r k . E s werden d a n n die a b f ü h r e n d e n Blutgefäße gefüllt (intraossäre Venographie). So k ö n n e n z. B. die tiefen Beckenvenen d u r c h P u n k t i o n u n d I n j e k t i o n in den B e c k e n k a m m dargestellt werden, die t h o r a k a l e n Venen d u r c h I n j e k t i o n in die R i p p e n . Die V. cava caudalis k a n n d i r e k t p u n k t i e r t u n d gefüllt werden (ähnlich der lumbalen Aortenpunktion), oder aber durch Einschieben des K a t h e t e r s in die Vena femoralis ( P u n k t i o n am Leistenband). Besondere klinische B e d e u t u n g h a t noch die spezielle Darstellung der großen Venen des oberen Mediastinums (Vena cava sup.). Sie wird, ähnlich wie die Angiokardiographie, d u r c h I n j e k t i o n in die Ellbogenvene d u r c h g e f ü h r t ; meist wird dabei die H ä l f t e des K o n t r a s t m i t t e l s in je eine Ellbogenvene injiziert. Eine Sonderform der Venographie ist 7. die Füllung der Milzvene u n d ihres Abflußgebiets, vor P f o r t a d e r (lieno-portale Venographie, Splenoportographie). t r a s t m i t t e l wird hier entweder p e r k u t a n oder aber u n t e r Bauchspiegelung, der sogenannten Laparoskopie) in d a s

allem der Das KonSicht (bei Milzparen-

Röntgenphotographie - Kontrastmitteluntersuchung des ZNS

199

chym eingespritzt. E s füllen sich dann die zur Leber ziehenden Venen, besonders aber die Pfortader. Die Untersuchung ist wichtig bei Tumoren in diesem Bereich u n d bei Erkrankungen der Leber, die zu einer Durchblutungsstörung geführt haben (Leberzirrhose). Auch die angiographischen Aufnahmen im Bereich des Rumpfes (Aortographie, Renovasographie, Splenoportographie) werden am besten mit Hilfe von Geräten, die Serienaufnahmen ermöglichen, durchgef ü h r t (s. S. 181ff). 8. I n neuerer Zeit ist auch die röntgenologische Darstellung des Lymphgefäßsystems möglich geworden: Lymphangiographie. Durch Injektion geeigneter gewebsfreundlicher Farbstoffe, die mit dem Lymphstrom abtransportiert werden, in die Gewebe (z. B. Patentblau V in l l % i g e r wäßriger Lösung) lassen sich die Lymphgefäße anfärben. Nach operativer Freilegung kann dann durch eine feine Kanüle das Kontrastmittel (wie zur Angiographie, nur langsame Injektion) injiziert werden. So gelingt nicht nur die Darstellung der eigentlichen Lymphgefäße, sondern auch die der im zentripetalen Lymphstrom gelegenen L y m p h k n o t e n : Lymphadenographie. Kontrastmittelmethoden zur Diagnostik des Hier stehen zur Verfügung :

Zentralnervensystems.

1. Die Artériographie der Schädelarterien, 2. die Luftfüllung der Binnenräume des Gehirns, 3. die Darstellung des Rückenmarkskanals mit positiven oder negativen Kontrastmitteln. 1. Bei der Artériographie wird meist die A. carotis interna direkt perk u t a n von vorn punktiert; nur selten ist eine Freilegung erforderlich. Die notwendige Kontrastmittelmenge beträgt etwa 8 ccm. E s füllen sich die Verzweigungen der Hirnarterien, besonders die A. cerebri anterior und media. I n manchen Fällen soll auch die Arteria carotis externa mit ihren Verzweigungen gefüllt werden, besonders bei Erkrankungen in der Nähe der Schädelkapsel und der Hirnhäute. Bei der Karotisarteriographie ist die Aufnahme in mindestens 2 Ebenen, manchmal auch noch in einer dritten schrägen Ebene erforderlich. Die Aufnahmen sind als Serienaufnahmen anzufertigen (entweder auf Großfilm oder mit der Odelca, s. S. 184), damit nicht nur die arterielle, sondern auch die kapilläre und die venöse Phase der Hirndurchblutung sichtbar gemacht werden können. Eine Sonderform der Hirngefäßdarstellung ist die sogenannte Sinographie, bei der die großen venösen Blutabieiter (die Venensinus) direkt punktiert werden. Bei Erkrankungen im Bereich der hinteren Schädelgrube m u ß die A. vertebralis dargestellt werden. Sie k a n n von vorn und von hinten punktiert werden. Da sie in der Tiefe der Halsweichteile liegt, gelingt

200

Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

die Darstellung nicht immer. Eine Füllung k a n n auch durch einen von der A. femoralis in die A. vertebralis (sie hegt in gerader Verlängerung der Aorta!) vorgenommen werden. Auch bei Vertebralisfüllung sind Aufnahmen in mindestens 2 Ebenen anzufertigen. Als Kontrastmittel zur zerebralen Angiographie haben sich ebenfalls die trijodierten Kontrastmittel, wie das Urografin, bewährt. Es sei in diesem Zusammenhang nochmals darauf hingewiesen, daß das Thorotrast, das früher mit gutem Erfolg (guter Kontrast, keine direkten Reizerscheinungen) gerade bei der Karotisarteriographie verwandt wurde, wegen der Gefahr der Strahlenschädigung nicht mehr verwandt werden darf. 2. Die Darstellung der Binnenräume des Gehirns ist möglich durch Einblasung von L u f t a) mittels Lumbal- oder Subokzipitalpunktion. Man spricht d a n n von einer Enzephalographie (Füllungder „Zisternen" : Zisternographie). b) durch direkte Punktion der Hirnventrikel nach Trepanation der Schädelkalotte (Ausfräsung eines Loches): Yentrikulograpliie. Nach Ablassen einer entsprechenden Menge Liquor cerebro-spinalis wird die L u f t injiziert. Dann werden Aufnahmen in verschiedenen Ebenen u n d Lagen gemacht. Bei der sogenannten fraktionierten Enzephalographie werden kleine Mengen nach und nach injiziert. Die Aufnahmen werden in aufrechter Körperhaltung angefertigt, damit sich besonders die an den Rückenmarkskanal anschließenden Abschnitte der Hirnbinnenräume (4. Ventrikel, Aquädukt u n d 3. Ventrikel) gut darstellen. Die Untersuchung kann auch am Zielgerät unter Durchleuchtungskontrolle vorgenommen werden. 3. Darstellung des Rückenmarkskanals: Myelographie. Die Darstellung ist möglich a) durch Einblasen von L u f t nach Lumbalpunktion (in Sonderfällen auch Subokzipitalpunktion): Luftmyelographie. E s können L u f t oder Sauerstoff verwandt werden. Durch Lagerung ist das Gas an die Stelle zu bringen, an der die pathologischen Veränderungen erwartet werden. Schichtaufnahmen sind zweckmäßig. b) durch Verwendung positiver Kontrastmittel (lumbal oder subokzipital). Auch hier werden jodhaltige K o n t r a s t m i t t e l verwandt, entweder in wäßriger Lösung (z. B. Abrodil zur lumbalen Myelographie; vorher ist eine Betäubung des Lumbaikanals erforderlich) oder in öliger Lösung, wie z. B. Pantopaque. Abrodil wird schnell resorbiert, während die öligen K o n t r a s t m i t t e l nach Abschluß der Untersuchung nach Möglichkeit wieder abpunktiert werden sollen. Auch bei der Verwendung positiver K o n t r a s t m i t t e l

Röntgenphotographie - Kontrastmitteluntersuchungen - Pneumoradiographie 201 wird durch Lagerung die Darstellung des gewünschten Abschnitts erreicht. Am besten ist die Untersuchung am Zielgerät und die Anfertigung von Zielaufnahmen in verschiedenen Ebenen unter Durchleuchtungskontrolle. B e i Kopftieflagerung ist die Verwendung von Schulte^-stützen zweckmäßig, wenn nicht ein besonderes, universell bewegliches Gerät zur Verfügung steht. Bei Kopftieflagerung muß der Untersucher allerdings besonders darauf achten, daß das Kontrastmittel nicht in die Hohlräume des Gehirns (Zisternen, Ventrikel) hineinläuft, da hier Reizerscheinungen ausgelöst werden können. Die Darstellung des Bronchialbaums (Bronchographie): Wichtig ist hier die Vorbereitung. Der Patient soll mehrere Tage vorher flüssigkeitsarm leben. 2 Stunden vor der Untersuchung bekommt er Luminal oder ein dämpfendes Phenothiazinpräparat wie Megaphen, Pacatal o. ä., dann y 2 Stunde vor der Untersuchung Atropin zur Einschränkung der Sekretion. Zur technischen Vorbereitung gehört die Bereitstellung der notwendigen Instrumente und Medikamente für die Anästhesie der Luftwege, besonders des Kehlkopfes, sowie für die eigentliche Kontrastmittelapplikation. Als Kontrastmittel werden im allgemeinen wasserlösliche, jodhaltige Kontrastmittel verwandt, sie reizen mehr als die früher üblichen öligen Kontrastmittel. Diese können aber zii chronischen Schäden führen, da sie nicht vollständig resorbiert werden. Die Applikation wird meist „gezielt" mit Hilfe von halbstarren sogenannten MiTBASkathetern durchgeführt, d. h. es wird nur ein Lungenlappen oder ein Segment, selten ein ganzer Lungenflügel, gefüllt. Die Aufnahmen werden am Zielgerät unter Durchleuchtung gemacht. Aufnahmen in 2 Ebenen sind unbedingt erforderlich. Möglicherweise können auch stereoskopische Aufnahmen gemacht werden. I n einzelnen Kliniken wird die Bronchographie auch in Yollnarkose durchgeführt (Intubationsnarkose). Der Hauptvorteil ist die völlige Ruhigstellung insbesondere auch die Möglichkeit, die Atmung vollkommen auszuschalten. Die Vollnarkose ermöglicht eine ungestörte, von Hustenreaktionen unabhängige Durchführung der Bronchographie. Das Kontrastmittel kann nach Abschluß der Untersuchung abgesaugt werden. Nachteilig ist dagegen die erschwerte Umlagerung, es sei denn, daß ein Spezialgerät zur Verfügung steht (drehbare Wanne, U G X ) . Bei Lokalanästhesie ist es sicher auch vorteilhaft, daß die physiologischen Atembedingungen erhalten sind (Ansaugen des Kontrastmittels mit der Atmung, Beschlagbilder nach willkürlichen Hustenstößen u. a.). E s dürfte zweckmäßig sein, im Einzelfall zu entscheiden, ob die Untersuchung in Lokalanästhesie oder Vollnarkose gemacht werden soll. Die Darstellung von vorgebildeten Hohlräumen und Gewebsspalten durch Einblasung von Gasen (Pneumoradiographie): Hierzu gehört auch

202

Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

die aus Gründen einer sinnvollen Zusammenfassung schon besprochene Darstellung der Hirnbinnenräume und des Rückenmarks, letzten Endes auch die Doppelkontrastmethoden zur Untersuchung des Magen-DarmTrakts (s. S. 189,190). Die Pneumoradiographie kann prinzipiell mit L u f t oder mit anderen Gasen durchgeführt werden. Sauerstoff und Lachgas (Stickoxydul) haben, wie schon erwähnt (s. S. 186) den Vorteil schnellerer Resorption. Die Gefahr der Luftembolie ist auch bei entsprechend vorsichtigem Einblasen der L u f t (Kontrolle, ob die Kanüle nicht in einem Gefäß liegt!) nicht sehr groß. Die Einblasung kann mit einer speziellen Apparatur, an die bei Verwendung von Sauerstoff eine Sauerstoff-Flasche angeschlossen ist, oder aber mit einer einfachen Spritze mit Dreiwegehahn durchgeführt werden. Die wichtigsten Methoden sind: 1. Der (diagnostische) Pneumothorax, d. h. die Einblasung des Gases in den Thoraxraum, am besten mit Hilfe eines Pneumothoraxapparats, der eine Druckablesung ermöglicht. 2. D a s (diagnostische) Pneumoperitoneum mit Einblasung des Gases in die Bauchhöhle. 3. D a s Pneumoretroperitoneum mit Einblasung der L u f t in d a s hinter dem Bauchraum gelegene, retroperitoneale Gewebe. Die Punktion erfolgt hier in Knieellenbogenlage des Patienten. Die Einstichstelle liegt zwischen Anus und letztem Steißbeinwirbel. D a s eingeblasene Gas umfließt vor allem die Nieren und die Nebennieren, die dadurch einer besseren radiologischen Beurteilung zugängig werden. Die Untersuchung wird dann meist zusammen mit einer intravenösen Pyelographie und Schichtuntersuchung durchgeführt. Bei Einblasen genügender Gasmengen (etwa 1,51) kann das Pneumoretroperitoneum zum Pneumomediastinum erweitert werden, da bei aufrechter Körperlage das Gas durch die Zwerchfellspalten in den Thoraxraum gelangt. Geringere praktische Bedeutung h a t : 4. Das Pneumoparametrium, d. h. die Gasinsufflation in das Bindegewebe neben der Gebärmutter (s. S. 195). Darstellung der Gelenkhöhlen (Arthrographie): Sie wird mit Hilfe wasserlöslicher jodhaltiger Kontrastmittel, meist unter zusätzlicher Einblasung von Luft, durchgeführt (Doppelkontrastmethode). Größere Bedeutung hat sie nur für das Kniegelenk, besonders zur Diagnostik von Meniskusschäden. Anhang: Xeroradiographie Ein ursprünglich von Ch. C a r l s o n (1937) für die photographische Aufnahmetechnik angegebenes Verfahren wurde in neuerer Zeit auch für die Röntgenphotographie erprobt: Xeroradiographie ( M c M a s t e r , 1951). E s handelt sich dabei um ein trockenes (xeros = altgriechisch trocken), physikalisches Verfahren, bei dem dünne, elektrisch aufge-

Xeroradiographie - Dosimetrie

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ladene Selenfolien belichtet werden. Die dadurch bedingte Umordnung der Elektrizität kann durch Aufstäuben eines ebenfalls geladenen Puders (Talkum u. a.) sichtbar gemacht werden. Eine Direktbetrachtung ist dann möglich, auch kann das Bild (seitenverkehrt) auf gummiertes Papier übertragen werden. Eine photographische Wiedergabe ist möglich. Praktische Bedeutung könnte das Verfahren in allen Fällen, wenn eine sehr schnelle Untersuchung notwendig ist (verwertbares Bild nach 30sec!), gewinnen.

E . und F . Dosimetrie, biologische Wirkung der energiereichen Strahlen und ihre Anwendung (die Strahlentherapie) Die praktische Anwendung von Strahlen zur Behandlung von Krankheiten, besonders von bösartigen Geschwülsten, beruhte zunächst auf mehr oder weniger zufälligen Erfahrungen. Die Ergebnisse der Strahlentherapie konnten in Verbindung mit technischen und apparativen Fortschritten erst verbessert werden, als zuverlässige Dosierungsverfahren erarbeitet und die Kenntnisse von der biologischen Strahlenwirkung vervollkommnet worden waren. 1. Dosismessung (Dosimetrie) und Dosisbegrifie a) D o s i m e t r i e Der Bestimmung der „Dosis" kommt entscheidende Bedeutung in der Strahlentherapie, aber auch — unter Berücksichtigung der Probleme der Strahlengefährdung und des Strahlenschutzes — bei jeder anderen Anwendung energiereicher Strahlen zu. Die Dosis ist der wirksame, d. h. der in einem bestimmten Volumen absorbierte Strahlenanteil. Schon bald nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen bemühte man sich um eine Methode der Dosisbestimmung, vor allem dann, als man die biologische Wirkung der neuen Strahlen erkannt hatte. D a eine direkte Messung der absorbierten Strahlenmenge nicht möglich war, wurden die bekannten Wirkungen der Strahlen quantitativ untersucht und versucht, eine Beziehung zu der wirksamen Strahlenmenge herzustellen : 1. Die chemische Wirkung der Röntgenstrahlen war das erste so angewandte Bezugsverfahren: Das Chromoradiometer von HOLZKNECHT (1902) bestand aus K a liumsulfat, das unter Bestrahlung seine Farbe veränderte (ockergelbgrüngelb-oliv).

204

Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

Das Radiometer von S A B O U R A U D - N O I R E ( 1 9 0 4 ) und später das Chromoradiometer I I von H O L Z K N E C H T benutzten die Verfärbung von Bariumpiatinzyaniir (gelbgrün-gelbbraun). 2. Nach der photochemisehen Methode (Schwärzung der photographischen Schicht) arbeitete das Quantimeter von K I E N B Ö C K ( 1 9 0 5 bis 1 9 0 6 ) . Später wurde die Filmschwärzungsmethode von H O L T H U S E N und H A M A N N für die Radiumdosimetrie benutzt, wobei die Filme durch einen Hartholzwürfel belichtet wurden. Die Schwärzung durch ein bestimmtes Präparat wurde dann mit einem Standardpräparat verglichen. Eine Wiederbelebung hat die Methode in den Strahlenschutzmessungen mit Testfilmen gefunden (s. S. 255). 3. Die Änderung der Leitfähigkeit bestimmter Stoffe unter der Strahleneinwirkung wurde in dem FÜRSTENAU-Intensimeter (Selen) und im Dosimeter von T H A L L E R (Selen und Tellur) bestimmt. Auch diese Methode ist mit den Kristallzählern in ihrem Prinzip wieder aufgenommen worden (s. S. 216). 4. Die Helligkeit eines Leuchtschirmes, also die Fluoreszenzerregung der Strahlen, war die Grundlage des Röntgenphotometers von W I N T Z und R U M P sowie des Dosiskops (AUER). Neuerdings wird die Fluoreszenz als Meßprinzip wieder in den Szintillationszählern (s. S. 214f) benutzt. 5. Lange Zeit war die biologische Wirkung (Hauteinheitsdosis nach S E I T Z und W I N T Z ) Grundlage der Dosisbestimmungen (s. S . 225f). 6. Direkte kalorimetrische Verfahren, die also die Wärmeerzeugung maßen, haben bisher keine wesentliche praktische Bedeutung erlangt, obwohl sie als absolute Dosismessung, besonders nach Aufstellung der neuen Dosiseinheit „rad" (s.S.206) sinnvoll und erstrebenswert sind. 7. Einen entscheidenden Fortschritt bedeutete es, als die ionometrischc Methode ausgearbeitet und in die Praxis eingeführt wurde (erste Untersuchungen durch V I L L A R D schon 1 9 0 8 , dann B E H N K E N 1 9 2 4 ) . Untersucht und als Bezugswert benutzt wird hier die Ionisation von Gasen, in der Praxis von Luft. Die bei Bestrahlung entstehenden Ionen machen als elektrisch geladene Teilchen das untersuchte Luftvolumen leitfähig. Diese Leitfähigkeit kann gemessen werden. Luft ist als Bezugsstoff für Körpergewebe besonders geeignet, da ihre effektive Ordnungszahl (Zeff) die aus der prozentualen Zusammensetzung der verschiedenen Elemente errechnet werden kann, weitgehend mit der des Weichteilgewebes übereinstimmt (Zeff 7, 6). Daraus ergibt sich, daß die Ionisierung, der sogenannte „Elektronenumsatz", bei gleichen Bedingungen etwa gleich groß ist (bezogen auf die Masseneinheit).

Dosimetrie - Einheiten

205

b) E i n h e i t e n Die Dosiseinheit ist das „Röntgen", ursprünglich abgekürzt ,,R", d a n n international ,,r"*). Das r wurde 1928 auf dem I I . Internationalen Radiologenkongreß eingeführt, d a n n auf dem V. Kongreß in Chikago (1937) und dem V I I . Kongreß in Kopenhagen (1953) modifiziert. Die heutige Definition l a u t e t : Die Strahlendosis (auch Ionendosis genannt) bet r ä g t 1 r, wenn die durch Röntgen- oder Gammastrahlung pro 0,001293 g L u f t ( = 1 com trockener L u f t bei 0° u n d 760 m m H g Druck) hervorgerufene Elektronenemission so groß ist, daß die erzeugten Ionen die Elektrizitätsmenge von je 1 esE beider Vorzeichen transportieren. Die Einheit soll nur benutzt werden bis zu Energien von 3 MeV (s. u.). Die Zahl der so entstehenden Ionenpaare beträgt etwa 2,1 Milliarden. Bei einem Energieverbrauch von etwa 34 eV f ü r die Erzeugung eines Ionenpaares beträgt die gesamte Energieabsorption in 1 g L u f t etwa 88 erg (1 erg = 107 Joule, s. S. 4). I n Wasser und dementsprechend auch Weichteilgewebe ist sie etwas höher (93 erg/g). Der große Vorteil der ionometrischen Dosimetrie war es, daß die neu geschaffene Einheit: 1. physikalisch exakt meßbar, 2. in bestimmten Grenzen wellenlängenunabhängig war. Ihr Nachteil ist es, daß sie 1. nicht für alle Strahlenarten, besonders auch nicht f ü r ultrah a r t e Strahlen, anwendbar ist, 2. nicht die wahre Absorption (z. B. im Knochen), angibt. Als vergleichbare Dosiseinheit für andere Strahlenarten h a t m a n das „rep" (roentgen equivalent physical) in die Praxis eingeführt: 1 rep ist die Dosiseinheit f ü r eine beliebige ionisierende Strahlung. 1 rep = 1 r, wenn die physikalischen Wirkungen gleich sind, d. h. wenn die Energieabsorption in Wasser = 93 erg ist. *) Nach Empfehlung der internationalen Kommission für radiologische Einheiten und Messungen (ICRU), die auf dem X. internationalen Radiologenkongreß in Montreal (1962) angenommen wurde, soll die Einheit „Röntgen" als von einem Eigennamen abgeleitet wieder mit dem großen Buchstaben „R" bezeichnet werden.

Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

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Da zweifellos auch bei gleichen physikalischen Wirkungen biologische Wirkungsunterschiede bestehen, wurde der Begriff der „relativen biologischen Wirksamkeit" (RBW) geschaffen. Die R B W ist ein Bezugsfaktor, der angibt, wieviel wirksamer die gleiche Dosis einer bestimmten Strahlung ist als bei üblichen, „konventionellen" Röntgenstrahlen (180 bis 250 kV). Als Äquivalenzdosisbegriff, der die biologische Wirksamkeit der einzelnen Strahlenarten berücksichtigt, wird das „ r e m " (roentgen bzw. radiation équivalent man) benutzt: 1 rem entspricht der biologischen Wirkung von 1 r e p üblicher Röntgenstrahlen. rep X R B W = rem Als Einheit, die die wahre Energieabsorption in verschiedenen Geweben angibt, wurde 1953 in Kopenhagen die Einheit „ r a d " (radiation absorbed dose) festgelegt : Die Dosis 1 rad (auch Energiedosis genannt) bedeutet die Energieabsorption von 100 erg/g beliebigen Materials. Die Dosismessung in rad ist bisher auf direktem Wege k a u m möglich. I n der Praxis wird deshalb meist mit Umrechnungsfaktoren gearbeitet. Die Beziehung der Energiedosis zur Standardionendosis (Ionendosis bei Elektronengleichgewicht) f ü r bestimmte Strahlenqualitäten und Stoffe zeigt T a b e l l e l l : Tab. 11. Verhältnis der Energiedosis zur Standardionendosis Strahlenqualität

Quotient aus —, —-,—— ionendosis

Spannung kV

HWS mm Cu

Luft

Wasser Weichteil

Knochen

100 250 400

0,25 1,0 4,2

0,88 0,88 0,88

0,91 0,95 0,97

3,1 1.8 1,1

Daraus ergibt sich, d a ß mit zunehmender Spannung die Absorptionsunterschiede der Körpergewebe weitgehend einander angeglichen werden. F ü r die Umrechnung von Dosisangaben in rep und r a d (in wasser aquivalentem Gewebe) gilt die einfache Beziehung

Dosimetrie - Einheiten 1 rad = 1

l r e p =

öu

rep oder

93

T ö ö

207

r a d

A

Größere Schwierigkeiten bereitete lange Zeit die Dosimetrie der harten Gammastrahlen, wie sie bei der Anwendung radioaktiver Substanzen wirksam sind. Sie beruhen darauf, daß 1. die Reichweite der erzeugten Primärelektronen groß ist, 2. exakte Messungen in unmittelbarer P r ä p a r a t n ä h e wegen der räumlichen Ausdehnung des P r ä p a r a t s und des großen Einflusses des Abstandes sehr schwierig sind. Lange Zeit wurden deshalb bei Applikation radioaktiver Substanzen nur die verabfolgten Mengen von strahlenden Stoffen, bzw. Strahlenenergie, angegeben. Die Einheit der Radioaktivität ist das Curie (c). 1 Curie entspricht 3,7 • 1010 Zerfallsvorgängen/sec. Diese Einheit bzw. ihre Bruchteile (mc und //c) sind ursprünglich vom Radium abgeleitet und zwar wurde die Strahlung von 1 g R a d i u m mit 1 Curie gleichgesetzt. Technische Schwierigkeiten, besonders bez. der Gewinnung reiner Radiumpräparate, haben dazu geführt, daß die exakte physikalische Definition (s. o.) gewählt wurde, die auf alle radioaktiven Stoffe angewandt werden kann. Aus der praktischen Radiumanwendung s t a m m t auch die „Dosierung" nach Milligrammelementstunden (mgEh) oder — übertragen auf die Anwendung anderer geschlossener Strahler — Millicuriestunden (mch). Es wird hier das Prod u k t aus der Menge strahlender Substanzen (in mg oder mc) u n d der Applikationsdauer (z. B. bei Verwendung von 50 mg Radium und einer Dauer von 10 Stunden = 500 mgEh) angegeben. Ein weiterer Mengenbegriff wurde vom Radon (Radiumemanation) übernommen. 1 mc R a d o n sendet in 132 Stunden bis zu seinem völligen Zerfall dieselbe Menge Alphastrahlen aus wie 1 mc Radium. Die sich daraus ergebende Einheit von 132 m g E h Radium wurde später auch auf die Gammastrahlung des Radiums angewandt und als Millicurie détruit (med) bezeichnet. Sie wird heute noch vereinzelt bei Spickungen mit Radium (s. S. 278) angewandt und h a t insofern eine gewisse praktische Bedeutung, als pro ccm Tumor etwa 1 med verabfolgt werden soll, damit eine ausreichende Wirkung erzielt wird. F ü r die Radiumemanation wird die sogenannte Mache-Einheit v e r w a n d t : 1 Mache-Einheit (ME) entspricht einer Konzentration von 3,64 10 - 1 0 c/1.

208

Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

Mit den genannten Mengenbezeichnungen ist keine echte Dosisangabe möglich, da die räumliche Verteilung der radioaktiven Substanzen nicht berücksichtigt wird. Die Bemühungen um eine Dosierung führten zur Einführung des Begriffes „Dosiskonstante", die auf der Bestimmung der Dosisleistung (s. u.) beruht. Die Dosiskonstante von (punktförmigen) Gammastrahlen ist die Dosisleistung (gemessen in r/h) von 1 c (früher auch 1 mc) in 1 m (bzw. 1 cm) Entfernung. Die Dosiskonstante wird für ungefilterte Strahlung angegeben ( z . B . 1,35 für Co 60, bei Angabe der Dosisleistung von 1 mc in 1 cm 13,5). Nur beim Radium gilt die Dosiskonstante für eine Filterung von 0,5 mm Platin (0,84 bzw. 8,4; bei größerer Filterung wäre sie kleiner, bei geringerer dagegen größer). E s sei betont, daß die Dosiskonstante nur für die Gammastrahlung gilt. In gewissem Umfang können bei größeren Abständen die Dosen aus der Dosiskonstante berechnet werden. Bei kleinen Abständen und komplizierterer räumlicher Verteilung müssen sie gemessen werden (Isodosen s. S.264). Ein Dosierungsschema wurde für eine regelmäßige Anordnung der Präparate und Benutzung normierter Stärken v o n PATERSON u n d PARKER a n g e g e b e n .

Bei Verabfolgung von künstlich radioaktiven Isotopen wird, soweit es sich um offene Präparate handelt, meist nach mc oder mc/Gewichtseinheit des Körpers oder Gewebes dosiert. Eine echte Dosisangabe ist teilweise an Hand komplizierter Formeln möglich, so z. B . bei der Applikation von Radiojod bei Schilddrüsenerkrankungen (s. S. 281). Bei allen Berechnungen muß vor allem die (physikalische) Halbwertzeit (HWZ; s. S. 18) und der Ausscheidungsmodus berücksichtigt werden. Dieser wird durch die sogenannte biologische Halbwertzeit charakterisiert, die angibt, in welcher Zeit die Hälfte des verabfolgten Präparats ausgeschieden ist. Aus physikalischer und biologischer Halbwertzeit ergibt sich dann die sogenannte effektive Halbwertzeit als praktisch wichtigster Wert. E r bezeichnet die Zeitspanne nach der (nach Verabfolgung des Präparats) noch die Hälfte der Strahlung im Organismus wirksam ist.

III

HWZ e f f

=

=

HWZphyS • HWZ b i o l HWZ p h y s + HWZ bioi

c) M e ß g e r ä t e

Zu einem ionometrisch (s. S. 204) arbeitenden Dosimeter gehören: 1. Das Luftvolumen, dessen Ionisation bestimmt werden soll. 2. 2 Elektroden, die mit dem Meßvolumen in Verbindung stehen (1 und 2 bilden die Ionisationskammer).

Dosimetrie - Meßgeräte

209

3. Der Gleichspannungserzeuger, der eine genügend hohe Spannung, die sogenannte Sättigungsspannung liefert, d. h. eine Spannung, bei der sämtliche gebildeten Ionen erfaßt werden und eine Rekombination verhindert wird. 4. Ein empfindliches Meßinstrument. 5. Als Eichvorrichtung, das sogenannte Radium-Normal oder „StromNormal". 6. Zubehör wie Kabel u. a. Wichtigster Bestandteil der Ionometer ist die Ionisationskammer. Der Bau der Kammern ist von ihrem speziellen Verwendungszweck, besonders auch von der zu messenden Strahlenqualität abhängig. Für Standardmessungen werden sehr große Kammern mit relativ kleinem eigentlichem Meßvolumen gebaut, wobei das „Meßvolumen" von einem großen zusätzlichen „Ionisationsvolumen" umgeben ist, damit alle, auch die weiter fliegenden Teilchen, die Kammer nicht verlassen. In den üblichen Kleinkammern, z. B. der Fingerhutkammer, ist die Wandung der Kammer luftäquivalent: sogenanntes Luftwändematerial (gleiche effektive Ordnungszahl wie Luft, aber größere Dichte). Es genügt dann schon eine Wandstärke von 0,5 mm zur Erfassung sämtlicher Elektronen. Das notwendige Elektronengleichgewicht ist auch hier erreicht, wenn die Kammer ganz im Strahlenkegel liegt („ausgeleuchtet" wird). Unter Kondensatorkammern versteht man Kammern, die getrennt vom Meßinstrument benutzt werden, d. h. also, bei denen die Kammer erst nach der Bestrahlung an ein Meßinstrument angeschlossen wird. Für die Messung an Nahbestrahlungsröhren verwendet man sogenannte Phantomkammern, in denen ein flaches Luftvolumen in ein dem Weichteilgewebe äquivalentes Material eingebettet ist, wodurch bei der Messung auch die Streustrahlung der Umgebung mit erfaßt wird. Die Kammer ist durch eine Kunststoffplatte, auf die die Röhren aufgesetzt werden, verschlossen. Zur Messung sehr weicher Strahlungen gibt es „Topfkammern" mit einem Zellophanfenster, das nur eine ganz geringe Filterwirkung hat. Die Kammer ist mit luftäquivalentem Material ausgekleidet und mit Ausnahme des Eintrittsfensters durch Blei gegen Strahlen geschützt. Die Streustrahlung der Umgebung wird hier also nicht mitgemessen. Grenzstrahlkammcrn arbeiten mit flachem Luftvolumen ohne besonderes Eintrittsfenster. Die notwendige Spannung wird bei Anschluß an das Wechselstromnetz durch einen Transformator erzielt. Unter Benutzung einer Gleichrichterröhre wird ein Kondensator aufgeladen, an den die Kammerelektroden angeschlossen werden. Als Meßinstrument dienen empfindliche Elektrometer mit kontinuierlicher Anzeige oder auch Zählwerke, die bestimmte Einzeldosen zählen. S c h l a n g b a u m , Med. Strahlenkundc

14

210

Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

Bei Inbetriebnahme eines Dosimeters ist eine Eichung durch Vergleich mit einem Standardmeßgerät erforderlich. Insbesonders muß angegeben werden, in welchem Wellenlängenbereich die Anzeige übereinstimmt, d.h. also eine „Wellenlängenunabhängigkeit", gewährleistet ist. Für diesen, der z . B . bei der Finger hutkammer den Hauptanteil der mittelharten und harten Strahlung umfaßt, wird dann ein „mittlerer Eichwert" angenommen. Da Luftdruck und Feuchtigkeit die Ionisation beeinflussen, ist die Möglichkeit gegeben, die Empfindlichkeit des Meßinstrumentes in bestimmtem Rahmen zu verändern. Die Regulierung erfolgt durch Umstellung auf die Eichvorrichtung, das Radium- und Stromnormal. Dabei wird die Ionisation einer das radioaktive Präparat umgebenden, eingebauten Kammer gemessen, die von Temperatur, Luftfeuchtigkeit und -druck in gleicher Weise abhängig ist wie die eigentliche Meßkammer. Die Empfindlichkeit des Meßinstruments ist dann, da die Ionisation in der Eichvorrichtung konstant ist, auf einen festgelegten Skalenwert einzustellen. Das Siemensuniversaldosimeter (Abb. 108) ermöglicht wahlweise die Messung der Dosis (integrierende Messung) und der Dosisleistung. Die Dosisleistung ist die Dosis (gemessen in r) in der Zeiteinheit (r/s, r/min, r/h) Die Schaltung erfolgt entweder über Kondensatoren, dann wird die Dosis gemessen, das Gerät arbeitet also als Dosismesser, oder aber es wird ein Widerstand eingeschaltet, dann wird die Dosisleistung gemessen, das Gerät arbeitet als Dosisleistungsmesser (Abb. 108d). Die Anzeige erfolgt mit Hilfe eines Quadrantelektrometers. J e nach Schaltung über einen der KonAbb. 108. a) Siemens-Universaldosimeter, b) Fingerhutkammer (Wirkvolumen 5 ccm) und e) Spezialkammern, von oben nach unten: 1. Becherkammer (Wirkvolumen 30 ccm) 2. Phantomwürfel mit Fingerhutkammer (Messung der Dosis in 5 cm Tiefe) 3. Weichstrahlkammer 4. Phantomkammer (Messung der Oberflächendosis an Nahbestrahlungsröhren)

Dosimetrie - Meßgeräte

211

densatoren oder Widerstände sind je 2 Skalen für die Dosis und die Dosisleistung mit unterschiedlichen Empfindlichkeitsund Anzeigebereichen vorhanden. Das Radium-Normal befindet sich im Gehäuse. Unter Umständen kann ein zusätzliches „Strom-Normal" angeb) schlössen werden. Als Kammern stehen eine Fingerhutkammer sowie Kammern für die Messung weicher Strahlen zur Verfügung. Das Gerät ist gut beweglich, da die Kammern mit einem langen, biegsamen, gut isolierten Kabel mit dem Instrument verbunden sind. In Verbindung mit dem neuesten Typ können auch Kondensatorkammern verwandt werden. Das Gerät muß

c)

etwa 15 bis 20 Minuten vor Beginn der Messungen eingeschaltet werden. Dann werden Nullwert und der Anzeigewert des Radium-Normal (C r/min) kontrolliert. Das HAMMERdosimeter ermöglicht laufende Messungen während der Bestrahlung, z. B. als Durchgangsdosismessung bei der Bewegungsbestrahlung (s. S. 269). Durch Aufladung eines Metallplattenpaares wird auf einem zwischen den Platten angebrachten Metallblättchen ebenfalls 14*

212

Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

Ladung induziert. Bei einer bestimmten Ladungsmenge wird das Blättchen gedreht und durch einen K o n t a k t ein Zählwerk ausgelöst. Die Strahlenmenge, die am Zählwerk einen „Sprung" auslöst, m u ß durch Eichung festgelegt werden. Nach jedem Sprung entladen sich die Platten, so daß weitere Messungen durchgeführt werden können. I n Verbindung mit einer angeschlossenen Stoppuhr k a n n auch die Dosisleistung errechnet werden. Ähnlich ist das transportable Ionognom aufgebaut, das mit einer K a m m e r f ü r weiche (8 bis 100 kV) und h a r t e (40 bis 200 kV) Strahlen ausgestattet ist. Aus der für einen Sprung benötigten Zeit k a n n ebenfalls die Dosisleistung berechnet bzw. tabellarisch abgelesen werden. Die Anzeige eines Sprunges erfolgt elektrisch mit Hilfe Abb. 108 d. eines Signalkästchens. Schaltschema Das Mckapion arbeitet mit einer mit des Universaldosimeters einem Steuergitter versehenen Elektronen1. Quadranfcelektrometer röhre und Entladung eines Kondensators 2. Spiegel 3. Lichtquelle bei einer bestimmten Dosis, die auf einer 4. Lichtmarke Zähluhr durch einen Sprung angezeigt wird. 5. Umschalter für Dosis- bzw. Dosisleistungsmessung Neuere Dosimetertypen,die ebenfalls mit 6. Widerstand einer Elektronenröhre arbeiten, sind das 7. Kondensator 8. Ionisationskammer Duplex- (Dosis- und Dosisleistungsmesser) und Simplexdosimeter. Das Momentan-Dosimeter nach B O M K E war ursprünglich f ü r Messungen bei gynäkologischen Radiumapplikationen konstruiert worden, k a n n aber jetzt mit Hilfe von Zusatzeinrichtungen universal angewandt werden. E s zeigte ursprünglich die Dosisleistung a n ; mit Hilfe eines Integrators k a n n aber auch die Dosis bestimmt werden. Das Gerät, das mit kleinen K a m m e r n ausgestattet ist (Einführung in Blase, Darm, Ösophagus), ist besonders empfindlich. Auch das BoMKE-Dosimeter arbeitet mit einer Elektronenröhre. An das BOMKE-Dosimeter k a n n als Zusatzgerät ein Isodosenzeichengerät angeschlossen werden, das beim Ausmessen radioaktiver P r ä p a r a t e einen genügenden Abstand garantiert. Die Kondensatorkammern sind besonders für Strahlenschutzmessungen (kleiner Dosen) oder auch die Kontrolle von Tiefendosen in Körperhöhlen u . a . geeignet. Das Kondiometer wird in einem bestimmten Ladungszustand der Strahlung ausgesetzt. Später wird das Ausmaß der Entladung an einem Spezialgerät bestimmt und in die entsprechende Dosis umgerechnet.

Dosimetrie - Meßgeräte

213

Beim Yictoreen-Dosimeter wird die E n t l a d u n g der Kondensatorkammer mit Hilfe eines in ihr geeichten Fadenelektrometers abgelesen. Große Bedeutung haben in neuerer Zeit die f ü r Strahlenüberwachungszwecke gebauten, wegen ihrer Form auch „Füllhalterdosimeter" genannten Tascliendosimeter. Teilweise sind es im Prinzip Kondensatorkammern, die aufgeladen und nach Entladung durch die Strahlung abgelesen werden müssen. Teilweise befindet sich die Ablesevorrichtung mit Lupe in dem kleinen Gerät. Die Aufladung erfolgt entweder mit einem besonderen Spezialgerät oder durch Manipulation am Dosimeter selbst. Die direkte Anzeige der Entladung erfolgt auf einer nach mr oder r geeichten Skala mit Hilfe eines Elektrometerfadens, der durch Aufladung dann wieder in die Nullstellung gebracht werden kann. Die Geräte unterscheiden sich im einzelnen durch ihre Meßgenauigkeit (bis ± 15% Abweichung), ihre Selbstentladung (etwa 2 % in 24 Std.) u n d den Wellenlängenbereicli, f ü r den sie geeignet sind. Am wichtigsten ist sicher die Empfindlichkeit gegen harte Gammastrahlung, da diese die größte Gefährdung bedingt. Besondere Meßgeräte u n d Instrumente wurden zum Nachweis und der Messung der Radioaktivität konstruiert. Sie können sowohl Quantenais auch Teilchenstrahlen anzeigen. I m Prinzip bestehen sie aus 1. einem Empfänger, in dem die Strahlenenergie aufgenommen und umgewandelt wird, 2. einem Verstärkersystem, 3. einem Registrier- bzw. Anzeigegerät. Das Geiger-MUller-Zählrohr ist das älteste f ü r Radioaktivitätsmessungen verwandte Instrument. E s besteht aus einem Glas- oder Metallzylinder mit vermindertem Gas- (Edelgas-) bzw. Luftdruck bei Zusatz von etwas Alkohol. Die Zählrohrwand h a t gegenüber einem durch die Mitte des Zylinders gezogenen dünnen Draht, der über einen Widerstand geerdet ist, eine Spannung von etwas über 1000 V. Beim Eindringen von Strahlen werden Ionisationen ausgelöst. Negative Teilchen werden in der Umgebung des Drahtes stark beschleunigt u n d lösen hier eine lawinenartige „Stoßionisation" aus. Eine Aufladung des Drahtes k a n n auf einem Elektrometer als „Impuls" angezeigt werden. Meist wird über einen Verstärker ein Zählwerk betrieben. Nach E n t l a d u n g ist das Zählrohr wieder ansprechbar, Von der hierfür notwendigen Zeit, die durch den Alkoholzusatz verkürzt wird, hängt das sogenannte „Auflösungsvermögen" des Zählrohrs ab (sogenannte „Totzeit", im allgemeinen etwa 10~4 sec). Die „Arbeitsspannung" m u ß etwas höher hegen als die „Einsatzspannung", bei der das Zählrohr eben anspricht. I m Bereich des sogenannten Plateaus ist der Einfluß der Spannung auf die Zählung gering. Die Kennlinie (Abb. 109 a) charakterisiert ein Zählrohr. Zählrohre f ü r Betastrahlen haben ein dünnes Eintrittsfenster (ge-

Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

214

ringe „Flächendichte", gemessen in mg/cm 2 ) aus Glimmer oder Aluminium. Betazählrohre erfassen alle eindringenden Betateilchen (Wirkungsgrad 100%). Gammazählrohre haben ein relativ dickes Fenster, der Wirkungsgrad liegt um 1%. Es gibt Zählrohre verschiedener Größen und Längen. Befindet sich das Eintrittsfenster am Ende des Rohres, spricht man auch von Glocken- oder Endfensterzählrohr. Flüssigkeitszählrohre werden in die zu messende Flüssigkeit eingetaucht. Die Zählrohrschaltung zeigt schematisch Abb. 109 b. 6

10 3

1000

,

,

, .

1100

,

,

.

.

1200

.

.

.

Zäh/rohrspannung

.

1300

.

.

.

(Volt)

.

1U0O

1500

Abb. 109 a. Kennlinie eines GEiGBR-MÜLLEE-Rohres (nach S c h o e n - B d n d e Medizinische Röntgentechnik, B a n d I I , 2. Auflage, Georg Thieme-Verlag, Stuttgart 1958)

Die Impulsverstärkung wird meist mit Hilfe von mehreren hintereinandergeschalteten Elektronenröhren durchgeführt, bei manchen Typen auch mit Transistoren (Halbleiterkristalle). Die Messung kann weitgehend automatisiert werden. So kann ein automatischer Probenwechsler angeschlossen werden, dessenProben nacheinander unter das Zählrohr gebracht, gemessen und registriert werden. Auf dem Prinzip der Lumineszenzerregung (s. S. 84) beruht der Szintillationszähler. Durch die Strahlenenergie (einschließlich Sekundärelektronen) wird ein Kristall (vor anderen Natriumjodid mit Thalliumzusatz) angeregt. Es kommt dann (bei der Rückkehr des Atoms in seinen Ruhezustand) zur Aussendung eines Lichtblitzes (Szintillation), der, von einer Photokathode aufgenommen in ein Photoelektron umgewandelt

Dosimetrie - Meßgeräte

215

und in einem Sekundärelektronenvervielfacher (Photomultiplier) verstärkt wird (106 bis lO'fach). Nach weiterer Verstärkung können d a n n die Anzeigevorrichtungen (Zählwerk) ausgelöst werden. Das Prinzip des Szintillationszählers zeigt schematisch Abb. 109 b.

Geiger-Müller

Zählrohr

Der Wirkungsgrad für Gammastrahlen ist besser (50% u n d mehr) als bei GEIGBE-MÜLLEB-Zählern. Die „Empfindlichkeit" ist also größer. Der Vorteil des Szintillationszählers liegt in 1. der höheren Empfindlichkeit, die eine Messung auch kleinerer Aktivitäten erlaubt, 2. dem hohen Auflösungsvermögen (10~7 bis 1 0 - 8 sec), 3. der Haltbarkeit (das Gas der Zählrohre verbraucht sich). Speziell angefertigte kleine Kristalle können auch f ü r die Messung von Teilchenstrahlen benutzt werden. Bei Messung sehr kleiner Aktivit ä t e n wird das zu untersuchende Material in die Bohrung des Leuchtkristalls gebracht („Bohrlochkristall").

216

Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

Bei Kristallzählern wird die Änderung der elektrischen Leitfähigkeit gemessen. Der Kristall ist mit einer dünnen Silberschicht überzogen. Er wird unter elektrische Spannung gesetzt und mit einem Meßinstrument verbunden. Infolge des inneren Widerstandes des Kristalls fließt kein Strom. E r s t wenn der Kristall bestrahlt wird, werden Elektronen frei. Der Widerstand wird gering, ein meßbarer Strom beginnt zu fließen, der sich proportional zu der Strahlenwirkung verhält. Besonders geeignet sind Cadmiumsulfidki'istalle. I m „Gammameter" (Siemens-Reiniger) (Abb. 110) wird eine Taschenlampe als Spannungsquelle benutzt.

Abb. 110. Gammameter (Siemens)

Es werden nicht Impulse angezeigt, sondern der entstehende Elektronenstrom kontinuierlich gemessen, so daß also die Dosisleistung unmittelbar abgelesen werden kann. Der Kristall ist zur Abschirmung gegen weiche Strahlen in eine Goldkapsel eingeschlossen (0,4 mm). Zu beachten ist, daß der Kristall nur bei bestimmter Richtung der Eichung entsprechend anzeigt (Richtungsabhängigkeit). Der Kristall ist in eine dünne Sonde eingearbeitet, mit der besonders auch Messungen in Körperhöhlen durchgeführt werden können. Das Prinzip des Kristallzählers zeigt Abb. 109 b. Der Aufzeichnung der Verteilung radioaktiver Substanzen im Körper dienen die sogenannten Scanner (Abb. 111). I n Verbindung mit einem Meßgerät wird die zu untersuchende Körperregion von einem Szintillationszähler „abgetastet" u n d mit Hilfe eines Schreibers (Schreibtaste oder Lichtsignal) die Aktivitätsverteilung aufgezeichnet. Die Abtastung erfolgt motorisch-automatisch. Das Scannerbild wird durch eine Ausblendung der vom Objekt ausgehenden Strahlen mit Hilfe sogenannter Kolli-

Dosimetrie - Biologische Wirkung

217

matoren verbessert. J e dichter die Aufzeichnung ist, desto höher ist die Aktivität. Die eindimensionale Untersuchung liefert ein Strahlungsprofil. Vielfach wird die zweidimensionale Untersuchung bevorzugt (so zur Bestimmung der Schilddrüsengröße) mit deren Hilfe ein genaueres Aktivitätsbild gewonnen werden kann. Im Vergleich mit dem klinisch-anatomischen Befund ermöglicht die Scanneruntersuchung eine Beurteilung

Abb. 111. Siemens-Scanner: a) Gesamtansicht

von Größe und Lage der speichernden Organe. Darüber hinaus läßt eine umschriebene Aktivitätsvermehrung („heiße Knoten" in der Schilddrüse) oder -Verminderung („kalte Knoten"), die eine Abweichung der Funktion anzeigen, weitere diagnostische Rückschlüsse zu. Auch Leber und Milz können mit der Scanner-technik untersucht werden (s. S. 285). 2. Die biologische Wirkung energiereicher Strahlen Die biologische Wirkung der Röntgenstrahlen wurde sehr bald nach ihrer Entdeckung beobachtet und auch zu therapeutischen Zwecken verwandt. Als erster benutzte der Hautarzt Leopold F R E U N D in Wien 1896 die Röntgenstrahlen zur Beseitigung eines Pigmentmals. Schon 1900 konnte die Heilung eines Hautkrebses durch Röntenstrahlen

218

Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

Abb. 111. Siemens-Scanner : b) Einstellung am Patienten.

c) Scannerbild der Schilddrüse: der rechte Lappen speichert stärker

d) Scannerbild der Schilddrüse: links nicht speichernde Zyste

Biologische Wirkung

219

bekanntgegeben werden (SJÖGBEN und STENBECK). Die Kenntnisse der biologischen Effekte im einzelnen (Angriffspunkt und Wirkungsmechanismus der Strahlen) wurden dagegen nur langsam auf Grund experimenteller Untersuchungen und ärztlicher Erfahrungen vervollständigt. Auch heute noch sind die strahlenbiologischen Kenntnisse lückenhaft bzw. ergänzungsbedürftig. Der strahlenbiologischen Forschung kommt im Hinblick auf Strahlengefährdung und Strahlenschutz im Atomzeitalter ganz besondere Bedeutung zu. Auch im biologischen Bereich ist die Auslösung von Anregungen und Ionisationen die Grundlage der Strahlenwirkung. Lange Zeit wurde allein der Zellkern als strahlenempfindlich und seine Reaktion als ausschlaggebend für den biologischen Effekt angesehen. Nach der „Treffertheorie" ( D E S S A U E R U. a.) waren für die biologische Wirkung eine oder auch mehrere Ionisationen als sogenannte „Treffer" erforderlich, damit ein Effekt in der Zelle ausgelöst wurde. Im strahlensensiblen Zellkern wurden wieder nur bestimmte Abschnitte, der „strahlenempfindliche Bereich" oder das „strahlenempfindliche Volumen", als entscheidend angesehen. Zweifellos sind die Chromosomen, bzw. ihre Bestandteile als Träger der Erbanlagen, der Gene, besonders empfindlich. Bei Treffern kam es, wie tierexperimentell (besonders an der Taufhege Drosophila) nachgewiesen werden konnte, zu Änderungen des Erbgutes: „Mutationen" (s. S. 230). Mutationen beruhen auf Veränderungen eines Gens (also einer Erbanlage) : sogenannte Punktmutationen, eines Chromosoms, das auseinanderbrechen kann: Chromosomenbruch oder der Chromosomenzahl. Innerhalb des strahlenempfindlichen Bereichs sind große Moleküle, die Nukleoproteide, besonders strahlensensibel. Ihr Baustein, die Desoxyribonukleinsäure (DNS), wurde diesbezüglich eingehend untersucht. Wichtig erscheinen in diesem Zusammenhang auch schwefelhaltige Aminosäuren mit sogenannten Sulfhydril(SH)gruppen. In neuerer Zeit hat man, vor allem auf Grund von Forschungen in den angelsächsischen Ländern, dieser „direkten" Strahlenwirkung die „indirekte" gegenübergestellt. Man versteht hierunter die strahleninduzierten Reaktionen im Plasma, besonders seinem Lösungsmittel, dem Wasser. Im Wasser kommt es unter der Einwirkung ionisierender Strahlen zur Bildung von Spaltprodukten und Radikalen. Unter den entstehenden Stoffen sind Wasserstoffsuperoxyd (II 2 0 2 ) und das Radikal H 0 2 besonders wirksam. Diese nur flüchtig auftretenden Stoffe haben eine starke Oxydationswirkung und können so „indirekt" biologische Reaktionen auslösen. Die Forschungsrichtung, die sich mit den chemischen Effekten der ionisierenden, energiereichen Strahlen beschäftigt, heißt auch Radiochemie. Die Strahleneinwirkung in der lebenden Zelle, die möglicherweise nur ein einziges Molekül (DNS, s. o.) betrifft, kann sich in der ganzen Zelle auswirken, ja sie kann zum Zelltod führen. Diesen Effekt hat man auch als Verstärkereffekt bezeichnet.

220

Eigenschaften und Anwendung energiereioher Strahlen

Die energiereichen Strahlen unterscheiden sich bezüglich der biologischen Wirkung durch ihre sogenannte Ionisationsdichte, d. h. die Zahl der pro Wegstrecke ausgelösten Ionisationsvorgänge. Sie ist am dichtesten bei den aus relativ großen Teilchen bestehenden, nicht weit reichenden Alphastrahlen, am geringsten bei den ultraharten Röntgenoder Gammastrahlen. Die unterschiedliche Ionisationsdichte ist die Hauptursache der verschieden starken biologischen Wirksamkeit, für die der Begriff der R B W (relative biologische Wirksamkeit, s. S. 206) geprägt wurde. Neben der lokalen Wirkung der Strahlen gibt es zweifellos auch Reaktionen des Gesamtorganismus, die möglicherweise durch im Bestrahlungsbereich gebildete Stoffe, oder aber auch nervös unter Einschluß des ZNS ausgelöst werden. So reagiert der lebende Organismus mit einem „Zusammenspiel von örtlich auftretenden Reaktionen und z e n t r a l n e r v ö s e n V o r g ä n g e n " (LANGEND ORFF).

Untersuchungen über die Strahlenempfindlichkeit ergaben, daß Zellen und Zellsysteme (Organe) eine unterschiedliche Sensibilität aufweisen. Schon 1904 wurde das sogenannte BERGONiE-TitiBONDEAUsche Gesetz formuliert, nach dem ein Gewebe um so strahlenempfindlicher ist, je näher es dem Embryonalzustand (also dem frühesten Entwicklungszustand) steht, d. h. je weniger differenziert es ist und je öfter sich seine Zellen teilen. Die Erkenntnisse bezügüch der relativen Strahlenempfindlichkeit wurden durch Tierexperimente, besonders aber auch durch die Untersuchungen an der japanischen Bevölkerung, die 1945 der Strahlung der Atombomben ausgesetzt war, vervollständigt. F ü r die Strahlenempfindlichkeit der Gewebe und Zellen ließ sich danach etwa folgende Reihe, der Strahlensensibilität nach geordnet, aufstellen: Haut Augenlinse Lymphozytäre Zellen Knochen Erythroblasten Leber Hodenepithelien Pankreas Myeloblasten Niere Megakaryozyten Nervensystem Darmepithelien Muskeln Ovarien E s zeigt sich hier, daß die unreifen Blutzellen, d . h . also das Knochenmark, die Keimdrüsen, die Schleimhaut des Darmtrakts und die Haut als besonders empfindlich anzusehen sind. Dabei darf die Strahlenempfindlichkeit anderer Organe aber keineswegs vernachlässigt werden; h a t es sich doch gerade in neuerer Zeit gezeigt, daß z. B. auch das Nervensystem stärker reagiert u n d mehr geschädigt werden kann, als bisher angenommen wurde. E r h ö h t e r Flüssigkeitsgehalt —• unter physiologischen Bedingungen eine verstärkte Durchblutung — u n d eine Temperaturerhöhung (therapeutisch z. B. durch eine vorhergehende

Biologische Wirkung - Akutes Strahlensyndrom

221

Kurzwellenbestrahlung zu erzielen) erhöhen sicher die Strahlensensibilität, ebenso der Sauerstoffgehalt der Gewebe, was m a n therapeutisch auszunützen versucht h a t (Bestrahlungen unter erhöhtem 0 2 -Gehalt der Luft). Entscheidend für die Strahlenwirkung, die durch die Strahlen ausgelösten Reaktionen u n d die bleibenden Schäden ist neben der Dosis, d. h. also der wirksamen Strahlenmenge, die räumliche und zeitliche Verteilung. Räumliche Verteilung: Die Wirkung auf den Gesamtorganismus ist u m so größer, je größer das durchstrahlte Volumen, möglicherweise auch die Körper Oberfläche im Vergleich zur Gesamtgröße sind. Größte Wirkungen löst eine „Ganzbestrahlung", d. h. also eine Bestrahlung des ganzen Körpers, aus. Auch in J a p a n wurde ein großer Teil der Bevölkerung mit dem ganzen Körper der Kernbestrahlung ausgesetzt. Das Gesamtbild der krankhaften Reaktionen, die durch eine solche Ganzkörperbestrahlung oder eine Bestrahlung größerer Körperabschnitte mit höheren Dosen verursacht wird, nennen wir auch Strahlenkrankheit oder akutes Strahlensyndrom. Die zweite Bezeichnung zeigt schon, d a ß Krankheitserscheinungen (Symptome) in unmittelbarem Zusammenhang mit der Strahlenwirkung auftreten. Zeitliche Verteilung: Man unterscheidet hier die sogenannte Protrahierung, d. h. eine Bestrahlung mit langer Bestrahlungszeit bei kleiner Dosisleistung, und eine Fraktionierung, d. h. eine zeitliche Unterteilung der Dosis. Beide Möglichkeiten werden in der praktischen Strahlentherapie angewandt (s. S. 271 f). Besonders die Fraktionierung ist heute unentbehrlich. Ihre Bedeutung liegt darin, daß gesundes und krankes (Geschwulst-)Gewebe unterschiedliche Erholungszeiten nach der Bestrahlung aufweisen. Gesundes Gewebe erholt sich schneller, so daß nachfolgende Bestrahlungen eine geringere Wirkung haben, während sich bei Geschwülsten die Wirkung der einzelnen Dosen annähernd summiert (elektive Wirkung). Das akute Strahlensyndrom ist gekennzeichnet d u r c h : 1. Allgemeine Symptome (Schocksymptome, Übelkeit mit Erbrechen, Temperatur Steigerung, Ernährungsstörungen, Gewichtsverlust, u. a.) 2. Organ-oder Organsystemstörungen Der Verlauf des akuten Strahlensyndroms, der „Strahlenkrankheit", ist abhängig von der empfangenen Dosis. Die tödliche Dosis bezeichnet m a n auch als Letaldosis. Sie unterscheidet sich im Tierexperiment (z. B. bei R a t t e n höhere, bei Meerschweinchen niedrigere Werte) und beim Menschen. Beim Menschen findet sich eine nicht unerhebliche individuelle Schwankungsbreite. Als absolut tötliche Dosis können 600 bis 700 r (rep) bei einmaliger Ganzkörperbestrahlung angenommen werden. Eine Sterb-

222

Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

lichkeit von 50% verursacht eine Bestrahlung mit etwa 400 r (mittlere letale Dosis). Vereinzelte Todesfälle treten bereits bei 100 r (rep) auf („kritische Dosis"). Dosen von 20 bis 30 r (rep) führen nicht zu wesentlichen nachweisbaren Schäden. Der Zeitpunkt des Todes ist ebenfalls dosisabhängig. Bei hohen Dosen tritt er in der 2. Woche, bei mittleren in der 3. bis 5. Woche auf — etwas früher, wenn die Verarmung an weißen Blutkörperchen, später, wenn die Blutungsneigung (hämorrhagische Diathese) im Vordergrund steht. Im Tierexperiment wird meist die Dosis angegeben, die bei 50% der Tiere innerhalb von 30 Tagen zum Tode f ü h r t : LD 50 (30). Höchste Dosen (mehrere tausend r) führen bereits unter der Bestrahlung bzw. wenige Stunden danach zum Tode. Man muß hier annehmen, daß lebenswichtige Katalysatoren (Fermente, Enzyme) zerstört werden und daß damit der Gesamtorganismus lebensunfähig wird. Klinisch lassen sich 2 Stadien des Strahlensyndroms unterscheiden: 1. Stadium: Schocksymptome mit Blutdruckabfall. Störungen der Kapillardurchlässigkeit (Übertritt von roten Blutkörperchen in die Lymphe) mit Eindickung des strömenden Bluts, Erbrechen, Durchfall. Hämatologisch findet sich schon in den ersten Stunden eine Lymphopenie. Nach 2 bis 3 Stunden tritt (im Tierexperimerit) eine Leukozytose auf, die nach 12 Stunden wieder beseitigt ist und dann in eine Leukopenie übergeht. Bei einem Absinken unter 800/mm 3 ist die Erholung kaum zu erwarten. Die Regeneration beim Überlebenden beginnt in der 2. Woche. Sensible Störungen und Ödeme treten an den mit mehreren 1000 r belasteten Oberflächenregionen (Hände) auf. 2. Stadium: Die Leukopenie in schweren Fällen als Agranulozytose wirkt sichauchim 2. Stadium aus, das gekennzeichnet ist durch Blutungen (Hämorrhagien). Sie sind Folge eines Gefäß-Schadens und einer Gerinnungsstörung infolge einer Verminderung der Thrombozyten (unter 30000) bzw. einer Zerstörung der Megakaryozyten. Fraglich ist eine Vermehrung des die Blutgerinnung hemmenden Heparins. Weitere Symptome sind: Infektionen, die häufig von Ulzerationen in der Mundhöhle, dem Rachen und dem Darmtrakt ausgehen, Anämie, die sich zwischen der 2. und 3. Woche ausbildet und Folge der Erythrozytenzerstörung, der Blutungen und der gestörten Neubildung der Erythrozyten im Knochenmark ist, schließlich: Allgemeinsyptome wie Gesichtsverlust und Kräfteverfall mit Appetenz- und Ernährungsstörungen. Eine Übersicht über den klinischen Verlauf der Strahlenkrankheit gibt Tabelle 12.

Biologische Wirkung - Akutes Strahlensyndrom

223

Tab. 12. Klinischer Verlauf des akuten Strahlensyndroms Zeit der Bestrahlung 1. Woche

2. Woche

3. Woche 4. Woche

5. Woche

Letale Dosen um 700 r

Mittelletale Dosen um 400 r

am 1. Tag Übelkeit, Erbrechen nach 1 - 2 Std. Diarrhoen Lymphopenie und Leu] :openie (möglicherweise nach kurzer Leukozytose), Agranulozytose Schwere Ulzerationen an Mund- und Rachenschleimhäuten. Fieber, Kräfteverfall. bleibende LeukoTod bei (höheren Dopenie (Agranulozysen schon am 3 . - 4 . tose) Tag)

Subletale Dosen um 100 r

Leukopenie

Epilation, Krankh eitsgefühl, Appetitmangel stärker ausgreprägt; geringer und später E iarrhoen Wundes Gefühl in Ulzerationen an den Schleimhäuten Mundhöhle und Bachen Infektionen Blutungen Thrombozytopenie Gefäßschaden Anämie Schwerer Kräfte- Vereinzelt Kräfteverfall, Tod (50%) verfall und Tod

Bei höchsten Dosen bleibt jede Therapie erfolglos. Bei kritischen Dosen um und unter 500 r kann eine gezielte Therapie (Blutersatz, Antibiotika) mit Erfolg die das Leben gefährdenden Symptome bekämpfen. Aussichtsreiche Versuche mit Injektion von artgleichem Knochenmark wurden in letzter Zeit mitgeteilt. Bei Verkleinerung des durchstrahlten Volumens bzw. der Körperoberfläche werden sehr viel höhere Dosen vertragen. Höchste Dosen können bei sehr kleinen Bestrahlungsfeldern verabfolgt werden (10000 r und mehr bei Nah- oder Kleinraumbestrahlung, s. S. 273ff). Die Feldgröße bzw. das durchstrahlte Volumen sind also von ganz wesentlichem Einfluß auf die Verträglichkeit der Bestrahlung. Bei den Allgemeinerscheinungen sind die unspezifischen Reaktionen des Organismus von Bedeutung, die S E L Y E im Rahmen des sogenannten allgemeinen Anpassungssyndroms als Alarmreaktion (reaktive Funktionssteigerung der Nebennierenrinde und der Hypophyse als des übergeordneten Organs) beschrieben hat.

224

Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

Auch bei geringeren, in der strahlentherapeutischen Behandlung üblichen Dosen u n d räumlich begrenzter Strahleneinwirkung können Allgemeinerscheinungen auftreten, die bei Durchführung der Strahlentherapie f ü r den K r a n k e n beschwerlich sind u n d u. U. die F o r t f ü h r u n g der Therapie unmöglich machen. Die allgemeinen Symptome werden auch unter der Bezeichnung Strahlenintoxikation (Intoxikation bedeutet Vergiftung) oder auch Strahlenkater zusammengefaßt. Die Erscheinungen gleichen im einzelnen den Allgemeinsymptomen der Strahlenkrankheit, sind nur weniger stark ausgeprägt (Übelkeit, Kopfschmerz, Müdigkeit u. a.). Der symptomfreie Zeitabschnitt bis zum Auftreten lokaler u n d allgemeiner Symptome wird auch hier als Latenz bezeichnet. Meist handelt es sich dabei um eine scheinbare Latenz, auch als Intervall bezeichnet, d. h. daß zwar eine Strahlenwirkung vorhanden ist, die Nachweis- bzw. Untersuchungsmethoden aber nicht ausreichen. Der Gesamtprozeß läuft unaufhaltsam ab.Teilweise dürften primäre Schädigungen von Enzymen u n d Fermenten, den biologischen Katalysatoren, die sich d a n n erst später an den Zellen bzw. dem Gesamtorganismus auswirken, Ursache der Latenz sein. Bei Spätschäden sind die Veränderungen an den Chromosomen entscheidend. Unter der wahren Latenz versteht m a n die Tatsache, daß die biologische Strahlenwirkung, bzw. die durch sie verursachten Schäden erst manifest werden, wenn sich die allgemeinen Lebensbedingungen, bzw. die Stoffwechselaktivität ändern. Als Beispiel sei die Bestrahlung von trockenen Pflanzenkeimen (z. B. weiße Bohnen) genannt. Die Bestrahlung wirkt sich erst aus, wenn m a n die Bohnen keimen läßt. Beim Menschen ist eine zeitliche Verschiebung der manifesten Strahlenwirkung im Sinne der Latenz bei Bestrahlungen im Jugendalter nachweisbar. So wirkt sich eine Bestrahlung der Mammagegend im Kindesalter erst in der P u b e r t ä t aus. Die Manifestation von Strahlenschäden an den Knochenepiphysen erfolgt in Abhängigkeit vom physiologischen Längenwachstum. Die Frage der somatischen (somatisch altgr. = körperlich) Allgemeinschädigung bei Einwirkung auch kleiner Strahlenmengen auf den menschlichen Organismus h a t in den letzten J a h r e n zahlreiche Untersuchungen und statistische Erhebungen veranlaßt. Besonders diskutiert wurde die Frage, ob die Strahleneinwirkung die Alterung des Organismus beschleunigt und damit die Lebenszeit verkürzt. Nachdem amerikanische Untersucher anfänglich angenommen hatten, daß die Allgemeinbelastung durch 1 r die Lebenszeit u m 15 Tage verkürzt, wird heute nur noch von einem Tag gesprochen. Die statistische Signifikanz ist d a m i t nicht mehr nachweisbar. Noch wichtiger ist die Frage, ob die E r k r a n k u n g an bösartigen Geschwülsten durch die Strahleneinwirkung begünstigt wird. Die krebserzeugende Wirkung der ionisierenden Strahlen, die im Prinzip seit langem bekannt ist (Hautkrebs s. S. 227), d ü r f t e auf der

TAFEL 1

Abb. 5 Feuchte Epitheliolyse bei der Abb. 6 Narbiger Endzustand gleichen Patientin ( » 3300 r OD) Die Auf nahmen wurden auf KODACHROME Fi Im gemacht (Fotolabor der Freien Universität,Frau Holmberg}

TAFEL 2

Abb. 10 (links) Beginnendes Erythem bei Rasterbestrahlung (4000 r O D auf offenen Feldern)

fe

-

J

Abb. 11 Beginnende Epitheliolyse bei Siebbestrahlung ( « 8400 r O D auf offenen Feldern)

Abb. 12 Kombinierte Bestrahlung Abb. 13 Atrophie in offenen Feldern von offenem (2000 r OD) und Siebfeldern (10000 r OD) Pigmentierung in abgedeck(6000 r OD) ten Feldern Die Aufnahmen wurden auf KODACHROME Filmgemacht(Fotolaborder Freien Universität,Frau Holmberg)

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Die biologische Wirkung energiereicher Strahlen

mutativen Wirkung der Strahlen beruhen. Bekannt ist seit langem die Entstehung von Lungenkrebs nach Einatmung strahlender Substanzen (Schneeberger und Joachimsthaler Lungenkrebs). Auch bei Aufnahme von Thorium konnte ein gehäuftes Auftreten bösartiger Geschwülste (am Knochen) beobachtet werden, ebenso nach beruflich bedingter Inkorporation radiumhaltiger Leuchtfarben. Das brennendste Problem ist mit dem gehäuften Auftreten von Leukämien, die als bösartige geschwulstartige Erkrankungen des Blutes aufgefaßt werden können, gegeben. Die Zunahme der Erkrankungshäufigkeit wurde in der japanischen Bevölkerung, die den Atombombenstrahlen ausgesetzt war, und in England bei Kranken, die wegen einer Wirbelsäulenkrankheit (Morbus B e c h t e r e w ) bestrahlt worden waren, beobac'itst. In Japan bestand eine deutliche Abhängigkeit von der empfangenen Dosis. Unterhalb einer bestimmten Mindestdosis wurde keine Zunahme von Leukämieerkrankungen (im Vergleich mit nicht bestrahlten Bevölkerungsgruppen) mehr beobachtet. Leukämieerkrankungen wurden auch bei chronischer beruflicher Strahlenbelastung beobachtet (Ehepaar J o l i o t - C u r i e ) . Chronische Schäden des Knochenmarks, die sich auch auf das strömende Blut auswirken, wurden früher bei beruflicher Exposition beobachtet (aplastische Anämien als Todesursache z. B. von Mme. C u r i e ; s. auch S. 236). Das Ausmaß der lokalen Reaktionen ist von der Feldgröße und der zeitlichen und räumlichen Verteilung abhängig. Am wichtigsten ist bei der üblichen Röntgenbestrahlung die Reaktion der durchstrahlten Haut. Die Haut stand als sichtbares Organ anfangs im Zentrum der Studien über die biologische Strahlenwirkung. Die Tatsache, daß eine bestimmte Strahlendosis zur Rötung der Haut führt, wurde als Grundlage für das biologische Dosierungssystem benutzt. Als Maß galt hier die Hauteinheitsdosis (HED, S e i t z und W i n t z ) . Man verstand darunter die Strahlendosis, die bei einmaliger Bestrahlung zu einer Hautrötung (Erythem) und später zu einer Pigmentierung führte. Sie beträgt bei einer Spannung von 180 kV, einer Größe des Bestrahlungsfeldes von 6 x 8 und einem Fokushautabstand von 23 cm etwa 530 r. Sie ist niedriger bei größerem Feld und bei weicherer Strahlung, umgekehrt höher bei härterer Strahlung (z.B. des Radiums). Die H E D wurde als höchstzulässige Dosis bei einmaliger Bestrahlung angesehen. Als Maß der Dosierung hat sie durch Einführung der physikalischen Dosimetrie ihre ursprüngliche Bedeutung verloren. Als „Hauterythemdosis" gibt sie immer noch die Strahlenmenge an, die eine Hautrötung erzeugt. Als Ursache des Erythems ist die Bildung von Histamin oder histaminähnlichen Substanzen diskutiert worden, ohne daß im lebenden Organismus sichere Beweise hätten erbracht werden können. Das Hauterythem verläuft wellenförmig. Das sogenannte Früherythem beginnt 6 bis 8 Stunden nach der Bestrahlung, wird dann stärker und klingt nach 2 bis 3 Tagen wieder ab. S c h l u n g b a u m , Med. Strahlenkunde

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Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

Bei sehr hohen Dosen tritt schon ganz kurz nach der Bestrahlung eine Rötung (Soforterythem) auf. Das „Haupterythem" führt dann 8 bis 10 Tage nach Abklingen des Früherythems zu einer stärkeren Rötung, die sich langsam nach etwa 1 Woche zurückbildet und in eine bräunliche Pigmentierung übergeht. Bei zeitlicher Unterteilung der Dosis (Fraktionierung s. S. 272) ist der Erythemablauf weniger konstant. Das Erythem ist die einfachste Strahlenreaktion der Haut. Unter „Strahlenreaktion" sollen dabei diejenigen infolge einer Bestrahlung auftretenden Symptome verstanden werden, die sich zurückbilden, während die später zu besprechenden Strahlenschäden durch bleibende oder zumindest lange anhaltende Veränderungen charakterisiert sind. Bei höheren Dosen kommt es an der Haut zu Veränderungen, die dem Bild einer mehr oder weniger schweren Entzündung entsprechen. Man spricht deshalb auch von Strahlendermatitis. Der von Laien für die schwereren Strahlenreaktionen gebrauchte Ausdruck Verbrennung ist, obwohl die Symptome einer Verbrennung durchaus ähneln, unzweckmäßig, da damit meist unbewußt ein vermeidbares Verschulden des Therapeuten oder der Assistentin angenommen wird. Die Strahlendermatitis imponiert als tiefrote, manchmal auch mehr bläuliche Verfärbung der Haut, möglicherweise mit Abschilferung der oberen Zellschichten (trockene Strahlendermatitis), oder es kommt zur Abhebung der Epidermis mit Blasenbildung und Exsudation (Ausschwitzung von Gewebsflüssigkeit): feuchte Epitheliolyse, exsudative Strahlendermatitis. Entsprechende Erscheinungen finden sich auf bestrahlten Schleimhäuten als „fibrinöse Entzündung". Im Lauf von 2 bis 3 Wochen klingt die Reaktion im allgemeinen ab, wenn zusätzliche Schäden vermieden werden, worin das Hauptziel einer zweckmäßigen „Therapie" (s. u.) zu liegen hat. Bei noch höheren Dosen kommt es zur Entstehung von tiefen Geschwüren infolge einer Nekrosenbildung. Bei kleinen Bestrahlungsfeldern heilen derartige Defekte, die bei der Therapie von Hautkrebsen manchmal bewußt in Kauf genommen werden müssen (Röntgenkaustik), ebenfalls schnell ab. Ulzerationen in großen Bestrahlungsfeldern bedürfen dagegen oft einer sehr langwierigen Behandlung. Zu den „Reaktionen" einer Bestrahlung mit energiereichen Strahlen gehört auch die Epilation, der Haarausfall. Die „Epilationsdosis" liegt unter 400 rad (am Haarbalg). Im allgemeinen wachsen die Haare auch nach der therapeutischen Bestrahlung mit hohen Dosen wieder nach. Nach einer zweiten durch ionisierende Strahlen verursachten Epilation ist der Haarwuchs meist nur noch spärlich. Es finden sich dann im allgemeinen auch andere Hautveränderungen im Sinne eines Strahlenschadens (s. u.). Die nach Abklingen der akuten Reaktion bleibenden oder wenigstens lange anhaltenden Veränderungen werden als Strahlenschäden bezeichnet. Die einfachste, noch nicht eigentlich als „Schaden" anzusehende

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Veränderung der Haut ist die bleibende Pigmentierung. Die Pigmentverschiebung bleibt (abgesehen von einer flüchtigen „Frühpigmentierung") erhalten und ist ein Hinweis auf vorausgegangene Bestrahlungen. Auch weniger stark ausgeprägte Pigmentverschiebungen sind mit Hilfe einer Analysenlampe (UV-Licht) gut sichtbar zu machen. Bei höheren Dosierungen kommt es zu einer Ernährungsstörung der Haut (Atrophie). Sie wird dünner, weniger elastisch, wie pergamentartig. Ihre natürliche Widerstandskraft, auch gegen mechanische Läsionen, ist vermindert. In der atrophischen Haut werden oft erweiterte, tiefrote Gefäße sichtbar (sog. Teleangiektasien). Sie bedeuten keinesfalls, daß die bestrahlte Haut gut durchblutet ist, sondern im Gegenteil, daß die Versorgung und Ernährung des Gewebes infolge verlangsamter Blutströmung verschlechtert ist. In manchen Fällen steht eine Schuppung der Haut mit vermehrter Hornbildung (Hyperkeratose) im Vordergrund. Ein schwerwiegender Strahlenschaden der Haut, der aber bei manchen Bestrahlungen bösartiger Geschwülste doch noch in Kauf genommen werden muß, ist die Geschwürsbildung (Strahlenulkus). Sie tritt in der strahlengeschädigten Haut (oder auch Schleimhaut) nach Monaten oder noch später auf, besonders dann, wenn zusätzliche Noxen (Schäden) wirksam sind (Hitze, mechanische Verletzungen u. a.). Die Behandlung derartiger Geschwüre, die Folge eines lokalen Gewebstodes (Nekrose) sind, ist schwierig und langwierig. Der schwerste Strahlenschaden ist die Krebsentstehung, wie sie früher bei unkontrollierter beruflicher Exposition und auch nach therapeutischer Bestrahlungen beobachtet wurde. Sie dürfte heute unter Einhaltung der Strahlenschutzbestimmungen und bei physikalisch kontrollierter Dosierung vermeidbar sein. Es gibt jedoch immer noch Kranke, bei denen Jahre und Jahrzehnte nach der Bestrahlung im Bestrahlungsgebiet ein Hautkrebs entsteht. Die Verhütung und Therapie des Strahlenschadens der Haut ist zwar Aufgabe des Arztes, jedoch muß auch die technische Assistentin, die ja täglich mit den Bestrahlungspatienten Kontakt hat, über die wesentlichen Gesichtspunkte orientiert sein. Von größter Bedeutung ist schon die Hautpflege während der Bestrahlungsserie. Zusätzliche Schäden müssen in jedem Fall ausgeschaltet werden. Zur allgemeinen Hautpflege hat sich die Anwendung eines reizlosen Puders (z. B. Fissanpuder) bewährt. Eine entzündungswidrige Komponente hat der Azulonpuder. Auch entsprechende Salben (Fissanpaste, Azulonsalbe, Bepanthensalbe, Actihaemylgelee oder -salbe) werden vielfach angewandt und von den Kranken besonders dann angenehm empfunden, wenn die Strahlender matitis ein lästiges Spannungsgefühl und Schmerzen verursacht. Die Salbenanwendung hat andererseits den Nachteil, daß die Hautdecke erweicht wird und daß, damit ein Verschmieren der Salbe vermieden wird, ein Verband angelegt werden muß. Bewährt hat sich bei stärkeren Gra15*

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den der Strahlendermatitis die Anwendung von Cortisonpräparaten als Lotio oder in flüssiger Form als Spray. Wichtig ist, daß die Kranken nicht ständig auf der H a u t eines Bestrahlungsfeldes liegen (Rücken, Gesäß), also ihre Lage möglichst häufig wechseln, da durch den Druck die Durchblutung verschlechtert wird. Wasser und Seife sind nicht zu benutzen, auch sollen die Kranken in der Zeit der beginnenden bis zur abklingenden Strahlenreaktion nicht baden. Die Säuberung der H a u t kann durch Abtupfen mit Olivenöl vorgenommen werden. Ein verschmutztes Strahlengeschwür kann durch feuchte Verbände gesäubert werden. Fibrinbeläge lassen sich durch lokale Anwendung fibrinolytischer Substanzen lösen. Bei Sekundärinfektion sind antibiotisch wirksame Salben zweckmäßig (z. B. Aureomycinsalbe). Die lokale oder auch parenterale Anwendung gewebsaktivierender Stoffe (Actihaemyl) sowie von Vitaminen (B-Komplex) zur Förderung der Heilungstendenz wird vielfach empfohlen. Im Ausheilungsstadium, d. h. also nach Säuberung und Beseitigung der Sekundärinfektion können die Epithelbildung anregende Salben die Überhäutung beschleunigen. Bei sorgfältiger und geduldig durchgeführter Behandlung wird nur in schwersten Fällen eine chirurgische Exzision notwendig sein. (Reaktionen und Schäden auf der H a u t nach Röntgenbestrahlung s. Farbtafel hinter S. 224.) Den Strahlenreaktionen und -schaden der H a u t kam besonders deswegen Bedeutung zu, weil hier die Veränderungen deutlich sichtbar beobachtet werden konnten. Außerdem war es ja so, daß bei den alten Bestrahlungsmethoden die H a u t die höchste Dosis erhielt und daß infolgedessen die Hauttoleranz überhaupt das Maß der zu verabfolgenden Dosis war. Neue Bestrahlungsmethoden (Bewegungsbestrahlung, ultraharte Strahlen s. u.), die die Verabfolgung hoher Tiefendosen bei relativer Schonung der H a u t ermöglichen, haben die Aufmerksamkeit auf Strahlenreaktionen und -Schäden an den in der Tiefe liegenden Organen und Geweben gelenkt. Erwähnt seien in diesem Zusammenhang Lungenveränderungen, z. B. bei Bestrahlung von Speiseröhren- und Bronchuskrebsen (sogenannte Strahlenpneumonitis, Strahlenfibrose), Schäden an der Harnblase und dem Verdauungstrakt (Geschwüre, Nekrosen, wie sie in ähnlicher Form von der Radiumbestrahlung der Gebärmutterkrebse bekannt sind), sowie Schäden am Zentralnervensystem, das entgegen früheren Ansichten keineswegs als strahlenunempfindlich angesehen werden kann. Unter den lokalen Strahlenschäden ist weiterhin die strahleninduzierte Knochennekrose (Absterben des Knochengewebes) klinisch wichtig. Der Knochen ist bei üblicher Röntgenbestrahlung besonders gefährdet, weil er die Strahlung stärker absorbiert als das Weichteilgewebe (die Energiedosis (s. S. 178) ist also hoch). Der strahlengeschädigte nekrotische Knochen — man nennt diese Veränderungen pathologisch-anatomisch

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Osteoradionekrose — ist mechanisch nicht mehr voll belastungsfahig: Oft k o m m t es dann zu Knochenbrüchen. Am häufigsten werden derartige pathologische Frakturen nach gynäkologischen Bestrahlungen beobachtet: Schenkelhalsfrakturen. Wahrscheinlich ist eine gewisse Disposition oder aber das Zusammenwirken mit anderen schädlichen Einflüssen Vorbedingung f ü r das Auftreten von Osteoradionekrosen. Jedenfalls m u ß die Belastung des Knochens beim Aufstellen eines Bestrahlungsplanes besonders berücksichtigt werden. Strahlenempfindlich ist vor allem auch der wachsende Knochen bzw. die Wachstumszone des Knochens, die Epiphyse. Bei Bestrahlung jugendlicher Individuen ist deswegen die Belastung der Epiphysengebiete nach Möglichkeit zu vermeiden. Wachstumsstörungen können nach Bestrahlungen der vorderen Thoraxwand im Kindesalter auch an der Brustdrüse auftreten. Auch hier ist deshalb größte Vorsicht notwendig. Als weiterer lokaler Strahlenschaden ist der strahleninduzierte Linsenstar bzw. das Auftreten von Wachstumsstörungen der Augenlinse zu nennen. Die Dosis, die zur Entstehung eines Strahlenstars f ü h r t , ist vom Alter des Individuums abhängig: mit zunehmendem Alter wird die Augenlinse weniger empfindlich. Bei Bestrahlung jugendlicher Individuen k o m m t es auch zu einer Wachstumshemmung. Tierexperimentelle Untersuchungen nach Augenbestrahlungen ergaben, daß die Wirksamkeit auch kleiner Dosen (bei Bestrahlung jugendlicher Tiere) nicht ausgeschlossen werden kann. Die Annahme einer Null- oder Indifferenzdosis bzw. eines Schwellenwertes, wie er bisher f ü r den „somatischen Strahlenschaden" (somatisch Somatischer Strahlenschaden = körperlich, d. h. also Schädigung des Individuums im Gegensatz zum genetischen Strahlenschaden, s. u.) vielfach angenommen wurde, erscheint heute problematisch. Nach dieser heute nicht mehr sicher vertretbaren Hypothese t r i t t eine Dosis Wirkung erst auf, wenn eine bestimmte Dosis, der Schwellenwert, überschritten Genetischer Strahlenschaden wird. Bei graphischer Darstellung der Beziehung zwischen Dosis und Effekt der Strahlenwirkung wurde danach ein S-förmiger Verlauf der „Dosis-Effektkurve" angenommen (Abb. 112). Eine direkte lineare Beziehung zwischen Dosis und Effekt (Abb. 112 unten) besteht nach heutiger Ansicht für den „genetischen Strahlenschaden", d. h. die Schädigung der besonders strahlenempfindlichen

Abb. 112. Dosisabhängigkeit des somatischen ( t „Schwellenwert") und genetischen Strahlenschadens

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Keimdrüsen bzw. der Ei- und Samenzellen. Der genetische Strahlenschaden birgt infolge der strahleninduzierten Mutationen in sich die Gefahr einer Schädigung späterer Generationen. Viele strahlengenetische Probleme müssen allerdings auch heute noch als ungelöst angesehen werden. Vor allem ist auch zu betonen, daß tierexperimentelle Ergebnisse nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragen werden können. Untersuchungen an Mäusen zeigten, daß auch die Dosisleistung einen Einfluß auf die strahleninduzierten Mutationen hat (im Bereich mittlerer und höherer Strahlendosen wurden bei chronischer Bestrahlung weniger Mutationen ausgelöst). Es ist danach nicht gleichgültig, in welcher Zeit eine bestimmte Dosis verabfolgt wird. Eizellen schienen weniger mutationsbereit als Samenzellen. Bei unseren relativ geringen Kenntnissen der Dosisabhängigkeit der genetischen Strahlenwirkung beim Menschen wird von Seiten der Genetiker mit Recht die Forderung vertreten, die Strahlenbelastung auf das mögliche Minimum herabzusetzen (s. auch S. 231f. u. 236). Neben dem genetischen, auf einer Schädigung der Ei- oder Samenzellen beruhenden Strahlenschaden muß auf die Möglichkeit des sogenannten Fruchtschadens, d. h. einer Schädigung des sich in der Gebärmutter entwickelnden Foeten durch direkte Strahleneinwirkung hingewiesen werden. Eine erhöhte Gefährdung ist besonders in den ersten Schwangerschaftsmonaten anzunehmen. Durch die ionisierenden Strahlen können Entwicklungsstörungen, bzw. Mißbildungen verursacht werden. Als praktische Folgerung ergibt sich daraus, daß in der Schwangerschaft nur lebenswichtige Röntgenuntersuchungen, bzw. radiologische therapeutische Maßnahmen durchgeführt werden dürfen. Röntgenologische Untersuchungen der Abdominalorgane sollten bei fortpflanzungsfähigen Frauen nach Möglichkeit in der ersten Woche nach der Menstruation vorgenommen werden (wenn noch keine Schwangerschaft vorliegen kann). Die Frage, ob Kinder, deren Mütter in der Gravidität ionisierenden Strahlen ausgesetzt waren, vermehrt an Leukämie oder malignen Tumoren erkranken, läßt sich z. Z. noch nicht eindeutig beantworten. 3. Strahlengefährdung und Strahlenschutz Das Problem des Strahlenschadens, der Strahlengefährdung und des Strahlenschutzes ist heute stark in den Blickpunkt des Interesses gerückt. Die Anwendung von Atomenergie und Strahlen in der Medizin und Technik, aber besonders die drohende Anwendung in der Kriegstechnik, die eine ungeheure Gefährdung der Menschheit bedeutet, führte dazu, daß die Gesamtbelastung der Bevölkerung mit energiereichen Strahlen einer intensiven Prüfung unterzogen wurde. Mit zunehmenden Kenntnissen von der biologischen Strahlenwirkung wurden Überlegungen angestellt, welche Strahlendosis als „erträglich" anzusehen sei. Für diese Dosis

Strahlengefährdung und Strahlenschutz

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wurde der Begriff „Toleranzdosis" geprägt. Er wurde sowohl allgemein für die Strahlenexposition der entsprechenden Berufsgruppen als auch lokal für die Reaktionen und Schäden nach therapeutischen Röntgenbestrahlungen angewandt. Die ersten umfassenden Untersuchungen zur allgemeinen Toleranz wurden 1925/26 von dem Amerikaner MXJTSCHELLEB durchgeführt. Er untersuchte das Personal in Strahlenbetrieben und ermittelte die Dosis, bei deren Einwirkung er keinerlei pathologischen Befund erheben konnte (besonders bei hämatologischen Untersuchungen). Dieser Wert betrug 0,25 r/Tag oder 1,25 r/Woche und wurde auch als sogenannte MUTSCHELLEB-DOSIS bezeichnet. Die MUTSCHELLEB-Dosis ist so errechnet, daß nach etwa 7,5 Jahren die Erythemdosis erreicht wird. Die besondere Empfindlichkeit der Keimdrüsen wurde insofern berücksichtigt, als man den Begriff der „Keimschädigungsdosis" = 1 j 1 0 der (MTRTSCHELLEB-)Toleranzdosis einführte. Neuere Untersuchungen und Erkenntnisse über die biologische Strahlenwirkung lassen den Begriff der Toleranzdosis fragwürdig erscheinen. Sicher hängt der Nachweis pathologischer, durch Strahlen ausgelöster Veränderungen entscheidend von der Feinheit der Untersuchungsmethoden ab. Dosen, die keinerlei Reaktion verursachen, wären als Indifferenz- oder Nulldosis zu bezeichnen. Grundsätzlich hiervon zu unterscheiden sind die gesetzlich festgelegten Höchstdosen, bei deren Einwirkung nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft nur geringe biologische Reaktionen, aber kein eigentlicher Schaden zu erwarten sind (s. u.). Statt von Toleranzdosis sollte man hier nur von der „gesetzlich erlaubten Höchstdosis" sprechen. Entsprechend unseren Kenntnissen von der biologischen Strahlenwirkung sind bezüglich der Strahlenbelastung und Strahlengefährdung des Menschen zu unterscheiden: l. Die Gefährdung des Individuums, vorwiegend bei beruflicher Exposition

B

2. Die Gefährdung des Erbguts der Gesamtbevölkerung Bei der Gefährdung des Einzelindividuums sind zu diskutieren: 1. Die Verkürzung der Lebenszeit (s. S. 224) 2. Die Erzeugung bösartiger Geschwülste (s. S. 224 u. 227) 3. Der lokale Strahlenschaden (s. S. 226ff.), bzw. 4. die Schädigung von Organen und Organsystemen (z. B. des blutbildenden Organs).

Das Ausmaß der Gefährdung des Erbgutes infolge der mutativen Wirkung auf die Keimzellen (Samen und Eizellen) ist gegeben durch die sogenannte Gonadendosis, d. h. die an den Keimzellen wirksame Dosis, von der die Zahl der ausgelösten Mutationen abhängig ist. Mutationen, d. h. also Änderungen des Erbguts kommen auch „spontan" ohne Nachweis einer besonderen Ursache vor. Die spontane Mutations-

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rate ist bedingt durch die natürliche Instabilität der lebenden Substanz, durch die Einwirkung von Stoffwechselprodukten und natürlichen Umweltfaktoren, wie auch — wahrscheinlich nur zum kleinen Teil — der natürlichen Strahlenbelastung (s. u.). Künstlich erzeugt („induziert") werden Mutationen durch chemische Einflüsse (ihr Ausmaß ist weitgehend unbekannt) sowie durch die künstliche Strahlenbelastung (s. u.). Mutationen sind ungerichtet, meist führen sie zu einer Schädigung des Einzelindividuums oder der Nachkommenschaft. Nur selten dürften sie zu einer „Verbesserung" des Erbguts beitragen. Wichtig ist die Tatsache, daß die spontanen und die induzierten Mutationen nicht an denselben Genen angreifen. Ein Vergleich der Mutationsrate der spontanen und der induzierten Mutationen beim Menschen ist bei unseren bisherigen Kenntnissen kaum möglich, zumal im wesentlichen nur tierexperimentelle Ergebnisse zur Verfügung stehen. Der Begriff der sogenannten Verdopplungsdosis (Dosis künstlicher Strahlenbelastung, die zu einer Verdopplung der spontanen Mutationsrate führt) ist deswegen außerordentlich problematisch. Im Tierexperiment (Drosophila) ergaben Unterschiede der Umweltbedingungen und des Entwicklungszustandes der Keimzellen Differenzen um den Faktor 100. Gänzlich unbekannt ist die genetische Wirkung bestimmter Dosen inkorporierter radioaktiver Substanzen. Auch die unterschiedliche Wirksamkeit verschiedener Strahlenarten (RBW, s. S. 206) ist ungeklärt. Von genetischer Seite wird aus den genannten Gründen keine Grenzdosis angegeben, unterhalb derer keine schädliche Wirkung zu erwarten sei. Die künstliche genetische Strahleneinwirkung soll so gering wie möglich sein. Schrifttum: MARQUARDT, H . : Die höchstzulässigen Dosen aus der Sicht der Strahlengenetik. Atompraxis 6, 21 (1960).

Bei Errechnung der gesamten Strahlenbelastung sind zu unterscheiden: 1. Die natürliche Strahlenbelastung 2. Die künstliche Strahlenbelastung Zu 1: Die natürliche Strahlenbelastung (Abb. 113) setzt sich zusammen aus: Radioakt. Niederschläge« 1 % j f Schuhdurchleuchtung-OjlVo^Ä^ . ~ . Fernsehen-17^—^gäy ^ ^ o wale J'StraiiiUriv Leuchtzifferblätter-1%—V * Radon in Beruf 1. Belastung-1,6% 3a -èh • 2a Q o aHw « «-

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Therapie mit energiearmen Strahlen 1. Die Lichttherapie Die Strahlen des sichtbaren Lichts und die im Spektrum der elektromagnetischen Wellen angrenzenden infraroten (ultraroten) und ultravioletten Strahlen (s. S. 299) sind biologisch wirksam u n d können therapeutisch angewandt werden. Aus dem gesamten Gebiet der Wellenlängen zwischen etwa 0,3 mm und 10 sind die Wellenlängen von 5 fi bis 180 m/u praktisch wichtig. Lichtstrahlen im weiteren Sinne, d. h. mit Einschluß der infraroten (IR, UR)) und ultravioletten (UV) Strahlen entstehen 1. bei der Wärmebewegung der Moleküle, sie werden also von erhitzten Körpern ausgesandt. Man spricht auch von Temperaturstrahlern; 2. bei der Bewegung von Ionen im sogenannten Gasentladungsrohr, d. h. einer mit verdünntem Gas gefüllten Glasröhre, in die 2 Elektroden eingeschmolzen sind. Die Bewegung der Gasionen wird durch Anlegen einer elektrischen Spannung erzeugt. Derartige Strahlen heißen Lumineszenzstrahler. Zu 1: Die Temperaturstrahler senden ein kontinuierliches Spektrum aus, d. h. in einem bestimmten Spektralbereich sind alle Wellenlängen lückenlos vertreten (s. S. 29). Die Sonne ist ein Temperaturstrahler mit einer Oberflächentemperatur von etwa 6000°. Ihr Spektrum (Abb. 141) umfaßt vor allem das I R , zu einem geringen Anteil auch das UV. Die Ausdehnung des Sonnenspektrums ins I R hinein wurde 1800 v o n HEESCHEL, die ins U V 1801 von RITTEE e n t d e c k t . Als L i c h t -

und Wärmespender ermöglicht die Sonne das Leben auf der Erde. Das Sonnenlicht hat sein Maximum im Gelbgrünbereich (550 M/I). Außerhalb der Erdatmosphäre erzeugt die Sonnenstrahlung beim senkrechten Auftreffen auf 1 cm 2 etwa 2 cal/min (sogenannte Solarkonstante). I n der E-datmosphäre wird ein großer Teil der Strahlung absorbiert. Der Anteil des I R an der Gesamtenergie beträgt etwa 45%. Der Wasserdampf der L u f t absorbiert vor allem den langwelligen Anteil ( > 1400 mu). Die UV-Strahlung macht beim Eintritt in die Atmo-

Therapie mit energiearmen Strahlen — Liohttherapie

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Sphäre etwa 10% aus. Die Atmosphäre (besonders das Ozon) läßt davon nur knapp 2 0 % auf die Erdoberfläche gelangen und begrenzt das Spektrum bei etwa 290 m/i. Blaulicht und UV werden in der L u f t u n d den kleinen in der L u f t schwebenden Teilchen besonders stark gestreut (blaue F a r b e u n d hoher UV-Gehalt der diffusen Himmelsstrahlung). Künstliche Temperaturstrahler sind die Wärmestrahler, die aus einer erhitzten, rotglühenden Drahtspirale mit einem Reflektor bestehen.

Abb. 141. Kontinuierliches Spektrum der Sonne (8) und Linienspektrum (Q, senkrechte Linien) einer Quecksilberlampe (nach RUMP)

Auch Glühlampen höherer Leistungen erzeugen IR-Strahlung (Sollux-, Vitaluxlampe, Lichtkästen u n d Lichtboxen mit zahlreichen Glühlampen). Mit zunehmender Temperatur steigt die Lichtausbeute der Temperatur strahier, das Intensitätsmaximum verschiebt sich in den Bereich des sichtbaren Lichts. Zu 2: Der wichtigste Lumineszenzstrahler, als vorwiegender UVStrahler auch künstliche Höhensonne genannt, ist die Quecksilberdampflampe. Das Quecksilber v e r d a m p f t durch die Erwärmung. Das Rohr besteht zur Erhöhung der Durchlässigkeit f ü r UV-Licht aus Quarz. Die Zündung erfolgt durch Kippen des Rohres. E t w a s Quecksilber fließt d a n n von einer Elektrode zur anderen. Beim Abreißen des F a d e n s entsteht ein Lichtbogen. Mit dem Verdampfen des Quecksilbers setzt d a n n die Gasentladung ein. Ein anderer T y p der Quecksilberlampe ist mit einem Edelgas (z. B. Argon) gefüllt. Das Einschalten der Spannung f ü h r t zur E n t l a d u n g

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des Gases. Die Elektroden (Oxydelektroden) werden zum Glühen gebracht, wodurch dann die Quecksilberverdampfung und -entladung ausgelöst wird. Die Entladungslampen haben ein Linienspektrum (Abb. 141), d. h. einzelne Wellenlängen bestimmen mit ihrer Intensität die Zusammensetzung des Spektrums, mit einem kontinuierlichen bis ins I R reichenden Untergrund. Die Quecksilberlampen haben ein fahlgrünliches Licht. Die sogenannte K B O H M E Y E R - Lampe ist eine Quecksilberdampflampe . Eine andere Metallentladungslampe ist die Kadmiumlampe, die einen intensiveren sichtbaren Lichtanteil abstrahlt und ein mehr rötliches Licht aussendet. Um das durch künstliche Strahler erzeugte Licht dem Sonnenlicht ähnlicher zu machen, hat man vielfach Temperatur- und Lumineszenzstrahler kombiniert, z . B . Quecksilber brenner und Wolframglühdraht in der Osram-Ultra-Vitaluxlampe. (Zusatzkorrektur durch Glasfilter.) In Kohlenbogenlampen wirken die Kohleelektroden als Temperaturstrahler und erzeugen ein kontinuierliches Spektrum, während der Lichtbogen ein Linienspektrum erzeugt. In der FnsrSEN-Larape wird das Bogenlicht durch Quarzlinsen konzentriert. Eine zusätzliche Wasserschicht kühlt und filtert. Die biologische Wirkung der Lichtstrahlen: Die relativ kurzwelligen Anteile der IR-Strahlung dringen bis zu 30 mm in die Gewebe ein (700 bis 1400 m/i). Die angrenzenden längerwelligen Strahlen durchdringen ebenso wie das sichtbare Licht nur oberflächlicher gelegene Schichten (bis 1 cm). Bei künstlichen Strahlern können diese durch ein Rotfilter, jene durch eine Wasserschicht von etwa 1 cm Dicke abgefiltert werden. Damit erhöht sich die relative Tiefenwirkung. Die Temperaturerhöhung im Gewebe erweitert die zuführenden Gefäße: sie erzeugt eine aktive Hyperämie. Der Zellstoffwechsel wird angeregt. Durch den Einfluß auf die sensiblen Nerven können Schmerzen gelindert werden (Entzündungsprozesse, Rheumatismus u. a.). Die Resorption ausgeschwitzter Flüssigkeiten (Exsudate) wird gefördert. Die IRStrahlung erzeugt sofort ein fleckig-rotes, flüchtiges Erythem. Nach wiederholten Bestrahlungen tritt auch eine, ebenfalls fleckige, Pigmentierung auf. Bei Temperaturen über 42° besteht die Gefahr einer Hautverbrennung. Die Dosierung erfolgt meist nach dem subjektiven Empfinden (Vorsicht bei nervösen Störungen!). Das sichtbare Licht dringt nur mehrere Millimeter (bis zu 1 cm) in das Gewebe ein. Da die natürliche Lichtquelle, die Sonne, auch IR- und UVAnteile enthält, handelt es sich hier immer um eine Kombinationswirkung. Auch die künstlichen Strahler enthalten die verschiedenen Anteile. Durch Filterung können einzelne spektrale Anteile getrennt angewandt werden. Rotlicht hat noch eine gewisse Wärmewirkung und

Therapie mit energiearmen Strahlen — Lichttherapie

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wird bei Entzündungserscheinungen verwendet. Blaulicht hat eine sehr milde, beruhigende Wirkung. Es ist besonders bei Wärmeempfindlichkeit zweckmäßig. Nach WARBTJRG aktiviert das Blaulicht das gelbe Atemferment der Zellen. Im UV-Anteil nimmt dia Eindringtiefe ab (bis etwa 0,1 mm). Trotzdem ist das UV-Licht (zumindest bis zu einer Wellenlänge von etwa 200 NIII) infolge der von ihm ausgelösten spezifischen Reaktionen physiologisch außerordentlich wirksam. Das UV-Licht wird eingeteilt in UV A 400 bis 315 m// U V B 315 bis 280 mfi (sogenannte DORNO - S t r a h l u n g )

UV C 280 bis 180 RN/N. Die Quanten des UV-Lichts sind reicher an Energie. Ihre Wirkung beruht vor allem auch auf ihrer Fähigkeit, chemische Prozesse auszulösen, während die Wärmewirkung zurücktritt. In der therapeutischen Praxis ist das UV-Licht immer mit sichtbarem Licht kombiniert. Das UV-Licht hat folgende biologische Wirkungen: 1. Erythemerzeugung. Die Intensität der Hautrötung ist abhängig von der Wellenlänge sowie der Belichtungsstärke und -dauer. Die Rötung tritt erst nach einer Latenz (meist mehrere Stunden) auf. Starke Erytheme klingen im allgemeinen nach 3 bis 4 Tagen langsam ab. Im Vergleich zu dem durch die IR-Strahlung erzeugten Erythem ist das UV-Erythem mehr hellrot und gleichmäßig gefärbt. Besonders wirksam sind die Wellenlängen 300 und 250 m/u. Bei zu intensiver Bestrahlung — sowohl Sonnenbestrahlung als auch Bestrahlung mit künstlichen Strahlern — kommt es zu schweren Entzündungserscheinungen der Haut mit Blasenbildung: Symptomen, wie sie auch bei echten Verbrennungen beobachtet werden. Die Ursache des UVErythems beruht auf photochemischen Reaktionen. Wahrscheinlich entstehen Eiweißabbauprodukte (nach ELLINGER bildet sich aus Histidin H i s t a m i n ; gegen diese Histaminhypothese werden allerdings berechtigte Einwände erhoben) die eine Gefäßerweiterung verursachen. Bei mehrfacher Bestrahlung wird die Reaktion der Haut geringer (Ausbildung einer Lichtschwiele s. S. 300). Zur Erzeugung eines gleichen Erythems sind dann also höhere Intensitäten bzw. längere Bestrahlungszeiten notwendig. Bei Bestrahlung der Augenbindehaut kommt es zu einer starken Vermehrung der Durchblutung, wodurch das Bild einer Konjunktivitis (Bindehautentzündung) verursacht wird. Bei intensiver Bestrahlung müssen deswegen die Augen geschützt werden, d. h. es muß eine Schutzbrille getragen werden. 2. Pigmentierung. Nach dem Erythem, besonders wenn dieses durch eine Strahlung der Wellenlängen um 300 m/j, erzeugt wurde, kommt

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es zu einer Pigmentierung in der H a u t . Eine Pigmentierung ohne vorhergehendes Erythem t r i t t nach Bestrahlung mit UV-ALicht auf (400 bis 300 m/i). Der Grad der Pigmentbildung ist individuell verschieden. Die H a u t brünetter Typen pigmentiert leichter als die blonder. Albinos sind nicht in der Lage, Pigment zu bilden. Chemisch kommt dem Dioxyphenylalanin (DOPA), dessen Oxydationsprodukt gefärbt ist, besondere Bedeutung zu. Möglicherweise handelt es sich um komplizierte chemische Reaktionen, die durch die reduzierenden oxydierenden Potenzen (sogenanntes Redoxpotential) gesteuert werden. Hypothetisch ist in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Sulfhydril- (SH-) Gruppen (WELS). 3. Hyperkeratose: Lichtschwiele. Bei mehrfacher Bestrahlung kommt es zu einer Verdickung der obersten Hautschichten, der Bildung einer sogenannten Lichtschwiele. Sie stellt einen gewissen Schutz gegen weitere Bestrahlungen dar. Die Erythemschwelle, d. h. die Intensität, bei der eben ein Erythem auftritt, kann durch die Lichtschwielenbildung bis auf den lOfachen Wert erhöht werden. Die Lichtschwiele schützt auch in begrenztem Ausmaß gegen Überwärmung durch Wärmestrahler. 4. Allgemeinwirkungen. Zweifellos werden durch die Einwirkung des sichtbaren Lichts und besonders des UV-Lichts alle Lebensvorgänge stimuliert. Auch hier ist die Bedeutung des Redoxpotentials der SH-Substanzen (s. o.) zu diskutieren. I m Kindesalter wird über hormonelle Steuerungsmechanismen ein Wachstumreiz ausgeübt. Die Steigerung der zellulären Immunität erhöht die Abwehrbereitschaft des Organismus und vermindert die Infektionsanfälligkeit. Der gesamte Stoffwechsel wird angeregt, was zu einer Steigerung des Grundumsatzes f ü h r t . Dabei wird die Sauerstoffausnützung der Gewebe gesteigert. Eine Anregung der blutbildenden Organe macht sich in einer Normalisierung des peripheren Blutbildes bemerkbar. Nicht zu vernachlässigen ist die allgemeine psychische Wirkung des sichtbaren Lichts. Die Auswirkungen des Lichtmangels konnten besonders auch im Polarwinter studiert werden. Die psychische Wirkung von Farben wird heute auch im Wohnungsbau, besonders auch im Schulbau, berücksichtigt. 5 . Die antirachitische Wirkung. Sie wurde 1 9 1 9 von H U L D S C H I N S K Y entdeckt. Sie kommt sowohl dem Sonnenlicht als auch den künstlichen UV-Strahlern zu. Wirksam sind Strahlen mit Wellenlängen zwischen 250 und 300 mfj, mit dem Maximum im Bereich der D O R N O Strahlung bei etwa 280 rn«. Es handelt sich um einen photochemischen Prozeß, bei dem das Provitamin D (Ergosterin, Dehydrocholesterin) in das Vitamin D 2 bzw. D 3 umgewandelt wird. Es können auch Nahrungsmittel (Milch) vor bestrahlt und so „aktiviert" werden. Das

Therapie mit energiearmen Strahlen — Lichttherapie

301

V i t a m i n D steuertdenCalzium-Phosphor-Stoffwechsel und istentscheidend f ü r die Knochenbildung u n d das normale Knochenwachstum. 6. Die bakterizide Wirkung. Strahlen mit Wellenlängen zwischen 200 u n d 300 m/i mit einem Maximum bei 265 m/i sind in der Lage, Bakterien bei direkter Einwirkung zu töten (Eiweißdenaturierung). I m menschlichen Organismus k a n n dieser E f f e k t allenfalls bei oberflächlichen Wunden benutzt werden, da die Eindringtiefe dieser Strahlen zu gering ist. Hier ist allerdings wahrscheinlich der Allgemeineffekt (Steigerung der Abwehrkraft) zumindest zusätzlich wirksam. Versuchsweise sind UV-Lampen in Operationssälen u n d auf Säuglingsstationen zur „ E n t k e i m u n g " angewandt worden. 7. Die Photosynthese. Grüne Pflanzen (Chlorophyll) können mit Hilfe der Lichtenergie den Kohlenstoff der L u f t assimilieren, d. h. in ihren Organismus einbauen. Die „Photosynthese" ist eine der Grundlagen des Lebens überhaupt. 8. Fluoreszenzerregung. Das UV-Licht erregt Fluoreszenz auch auf der bestrahlten H a u t . Dieser E f f e k t k a n n zur Diagnostik von H a u t veränderungen (Narben, Pigmentierung, Zustand nach Röntgenbestrahlung) verwandt werden. Bei Bestrahlung mit einer „Analysenlampe" heben sich die betreffenden Partien deutlieh "v on der Umgebung ab. Den positiven Wirkungen des Lichts stehen andererseits Eigenschaften gegenüber, die Krankheiten erzeugen: 9. Die krebserzeugende Wirkung. Sie k o m m t vor allem der D O B N O Strahlung (Wellenlänge 290 m/i) zu. Der Lichtkrebs wird vor allem bei besonders exponierten Berufen (Seeleute, Landbevölkerung) beobachtet. Die Mehrzahl aller Hautkrebse entsteht an belichteten Körper regionen. 10. Die Erzeugung sogenannter Lichtdermatosen. Besonders empfindliche Personen reagieren mit starken k r a n k h a f t e n Reaktionen der H a u t . Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang vor allem Menschen mit einer Stoffwechselstörung, der sogenannten Porphyrie (die Porphyrine sind die Bausteine des roten Blutfarbstoffs). Die therapeutische Anwendung des UV-Lichts (einschließlich des sichtbaren Lichts). Die Hauptindikationen der Lichttherapie sind: a) Die Rachitis, b) die sich außerhalb der Lunge („extrapulmonal") manifestierende Tuberkulose. Zu a ) : Der Rachitisentstehung konnte durch die prophylaktische Gabe von Vitamin D bei Säuglingen sowie hygienische Maßnahmen (helle, sonnige Wohnungen u. a.) weitgehend vorgebeugt werden.

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Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

Zu b): Von FINSEN wurde die UV-Bestrahlung in die Therapie der Hauttuberkulose (sog. Lupus vulgaris) eingeführt. Die Therapie ist heute durch die Anwendung der Tuberkulostatika ersetzt oder zumindest ergänzt worden. Neben einer lokalen Wirkung (Hyperämie) spielt hier sicher auch die AllgemeinWirkung eine Rolle, da Heilungen auch bei Abdeckung der erkrankten H a u t p a r t i e n erzielt werden konnten. Die Lymphknotentuberkulose k a n n ebenfalls durch Lichteinwirkung günstig beeinflußt werden. Zu nennen ist auch die heute k a u m noch beobachtete Skrofulose der Kleinkinder. Am wichtigsten ist die Behandlung der Knochen- und (Jelenktuberkulose (vor allem der Wirbel: Spondylitis u n d des Hüftgelenks: Coxitis). Sie wurde in erster Linie von ROLLIER in der Schweiz ausgebaut. I n über 90% der Erkrankungen konnten Heilungen erzielt werden. Die Therapie ist nicht nur im Hochgebirge möglich, sondern auch im Tiefland, wie Erfahrungen an entsprechenden Heilstätten ergeben haben. Weiterhin sind manche H a u t k r a n k h e i t e n mit Lichtstrahlen zu behandeln, so vor allem die Akne vulgaris (Pickel im Gesicht). I m allgemeinen wird hier so dosiert, daß es zu einem Abschälen der oberen Hautschichten k o m m t . Auch die Schuppenflechte (Psoriasis) gehört zu den Indikationen. Vielfach können beschränkte Erfolge auch bei stärkerem Haarausfall erzielt werden. Ein positiver E f f e k t ist aber n u r möglich, wenn die Haarwurzeln noch vorhanden sind. Die Allgemeinwirkung des Lichts k a n n f ü r die Behandlung von Infektionen im Kindesalter (Pneumonien, Masern, Keuchhusten u. a.) nutzbar gemacht werden. Allergische Erkrankungen, besonders bei Großstadtkindern, sind ebenfalls eine Indikation. Nervöse Übererregbarkeitszustände, vor allem des vegetativen Nervensystems, sind durch milde Bestrahlungen ebenfalls günstig beeinflußt worden. Die stimulierende allgemeine Wirkung des Lichts wurde auch an entsprechenden Mangelerscheinungen (Großstadtbevölkerung, Bergleute) studiert. Die resultierenden „Schattenkrankheiten" machen sich durch eine Verminderung des Leistungsvermögens, allgemeine Müdigkeit, Stoffwechselstörungen u. a. bemerkbar. Zur Vorbeugung haben sich in großen Industriebetrieben Belichtungsanlagen mit künstlichen Bestrahlern bewährt, durch die das Personal durchgeschleust wird, wodurch der Lichtmangel zumindest zum Teil ersetzt werden k a n n . D a ß vielfach auch Bestrahlungen zu kosmetischen Zwecken (Hautbräunung) durchgeführt werden, ist allgemein bekannt. Sicher ist hier dem Sonnenlicht der Vorzug zu geben. Die Pigmentierung durch die künstlichen Strahler entspricht infolge ihrer spektralen Zusammensetzung nicht der durch das Sonnenlicht erzeugten Pigmentierung. Die Dosimetrie der Licht- bzw. UV-Strahlen ist schwierig. I m allgemeinen wird biologisch nach dem Auftreten des E r y t h e m s dosiert.

Therapie mit energiearmen Strahlen — Lichttherapie

303

Die Intensität der Strahlung läßt sich bei künstlichen Strahlern durch den Abstand (Abstandsgesetz s. S. 138) und die Bestrahlungszeit regulieren. I n manchen Fällen ist es zweckmäßig, den Erythemschwellenwert zu bestimmen (Bestrahlung der Abschnitte einer kleinen Hautpartie mit verschiedenen Zeiten). Objektive Dosierungsmöglichkeiten sind bei Ausnützung des photoelektrischen Effekts einer Photozelle (Selen oder Kadmium) möglich. Eine exakte Dosimetrie hat die spektrale Zerlegung des Lichts zur Voraussetzung. I n allen Fällen ist die Licht- bzw. UV-Therapie vom Arzt zu verordnen. E r h a t auch zu entscheiden, ob ein künstlicher UV-Strahler m i t r e l a t i v s t a r k e n I n t e n s i t ä t e n , wie die FINSEN- o d e r

KROHMEYER-

Lampe, verwendet werden soll oder ob ein Schwachstrahler, wie die dem Sonnenlicht nachgeahmte Ultravitalux, oder das Sonnenlicht selbst, mehr indiziert sind. 2. Die Diathermie Die Diathermie (gr. Durchwärmung) benutzt die elektrische Stromwärme (s. S. 5), die entsteht, wenn Elektrizität durch einen Körper (also auch den lebenden Organismus) fließt und hier einen gewissen Widerstand findet. Die erzeugte Wärme (JouLEsche Wärme) ist proportional dem Quadrat der Stromstärke, dem Widerstand und der EinWirkungsdauer: jp = o , 2 4 - / V B . i cal Die Idee der therapeutischen Anwendung der Diathermie zur Durchwärmung des Körpers bzw. tiefer Körper schichten stammt von V.ZEYNEK, einem Mitarbeiter des Physikers NERNST, der die Gefahrlosigkeit der Durchflutung mit hochfrequenten Strömen darauf zurückführte, daß sie keine Nervenreizung verursachen. Ein Diathermieapparat besteht aus einem elektrischen Schwingungskreis, dessen wesentliche Bestandteile eine Spei eher Vorrichtung für Elektrizität (Kapazität) und eine Selbstinduktionsspule sind. Der Strom wird aus dem Netz über einen Transformator entnommen. Die Schwingungen wurden ursprünglich durch eine sogenannte Löschfunkenstrecke, in der das System durch Funkenübergänge entladen wird, erzeugt. Später wurde diese durch Elektronenröhren ersetzt, Induktiv ist ein zweiter Kreis mit dem Schwingungskreis verbunden, in den mit Hilfe von anpassungsfähigen Metallelektroden der Patient eingeschaltet ist. Die Stromstärke im Patientenkreis ist durch Widerstände zu regulieren. Die Stromdichte auf der H a u t sollte nicht größer sein als 10 mA/cm 2 . Die Elektroden müssen gut anliegen, da sonst möglicherweise Funken überspringen und Verbrennungen verursachen können. Jeder Schwingungskreis ist durch eine sogenannte Eigenfrequenz charakterisiert, die durch das Produkt aus Kapazität und Selbstinduktion bestimmt ist. Bei Übereinstimmung der Eigenfrequenzen beider Kreise

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Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

herrscht „Resonanz". Die Abstimmung k a n n durch Änderung der K a p a zität erfolgen. Abgesehen von den hochfrequenten Strömen entstehen auch elektromagnetische Wellen. Sie werden therapeutisch aber nicht genutzt, entscheidend ist allein die Durchströmung mit der die Stromwärme erzeugenden Elektrizität! Die elektromagnetischen Wellen von Wellenlängen u m 300 m (entsprechend einer Frequenz von 1000000 Hz) können den R u n d f u n k e m p f a n g erheblich stören. Abschirmungsm a ß n a h m e n sind kompliziert und kostspielig. Die Diathermie, die vorwiegend eine E r w ä r m u n g der H a u t u n d des Unterhautgewebes sowie der Muskulatur erzielt, ist weitgehend durch die Kurzwellentherapie ersetzt. Die durch Diathermieströme erzielte Stromwärme wird aber noch in der Elektrochirurgie vielfältig benutzt. Das Prinzip der Elektrochirurgie besteht darin, daß durch Verkleinerung der einen (aktiven) Elektrode infolge einer Vergrößerung der Stromdichte sehr hohe Temperaturen erzeugt werden. Die Apparate (Abb. 142) arbeiten mit Elektronenröhren (s. S. 25 f) (früher auch Funkenstrecken wie bei Diathermieapparaten). Die inaktive Elektrode (Abb. 143a) ist relativ groß (500 cm 2 u n d mehr). Sie m u ß guten K o n t a k t m i t der Körperoberfläche haben. Vielfach wird sie in Form eines Kissens bei Lagerung auf den Operationstisch unter den Patienten geschoben. J e nach F o r m der aktiven Elektrode werden größere oder kleinere Gewebspartien verkocht: Elektrokoagulation oder die K o n t i n u i t ä t des Gewebes wird unterbrochen: Elektrotomie Zur Koagulation werden kugel- oder plattenförmige Elektroden (Abb. 143 b) mit Durchmessern von etwa 1 bis 10 m m verwandt. Die Koagulationszeit beträgt zur Erzielung ausgedehnterer Gewebszerstörungen bis zu 10 Sekunden (pro Feld). Die Stromstärke darf nicht zu hoch sein. Die Elektrokoagulation wird bei Operationen auch zur Verödung kleinerer Gefäße (Blutstillung!) angeAbb. 142. Siemens-Radiotom wendet unter Benutzung der Leitfähigkeit der die Gefäße verschließenden Klemmen. F ü r die Verödung kleiner Gefäßerweiterungen (Hämangiome) in der H a u t werden auch nadeiförmige Elektroden benutzt.

Therapie mit energiearmen Strahlen — Kurzwellentherapie

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Abb. 143 a. Siemens-Radiotom, indifferente Elektrode

Abb. 143 b. Siemens-Radiotom, differente Elektroden

Für die Elektrotomie stehen messer- oder auch band- bzw. schlingenförmige Elektroden (Abb. 141c) zur Verfügung. Sie ermöglichen eine scharfe Durchtrennung des Gewebes bei gleichzeitiger Verschorfung der Schnittflächen, wodurch größere Blutungen vermieden werdenkönnen. 3. Die Kurzwellentherapie Auch die Kurzwellen- bzw. Ultrakurzwellentherapie arbeitet — ebenso wie die Diathermie — mit den Körper durchdringenden Hochfrequenzströmen, mit Ausnahme der Dezimeterwellen (s. S. 308). Die entstehenden elektromagnetischen Wellen werden also im allgemeinen n i c h t benutzt. S c h i u n g b a u m , Med. Strahlenkunde

20

306

Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

Die Wärmeerzeugung im Körper wurden bei Personen beobachtet, die in der Nähe von Kurzwellensendern arbeiteten. In Zusammenarbeit des P h y s i k e r s ESAU u n d des A r z t e s SCHLIBPKAKE wurde die K u r z w e l l e n -

therapie in Deutschland in die praktische Medizin eingeführt. Kurzwellenapparate (Abb. 144) benutzen im Schwingungskreis statt der Funkenstrecke eine Elektronenröhre (s. S. 26). Statt gedämpfter, inhomogener Schwingungen im Diathermieapparat (Abb. 145) können so ungedämpfte, gleichmäßige Schwingungen erzeugt werden. Kurzwellenapparate entsprechen Rundfunksendern kleiner Leistung (150 bis 400 Watt). Die verwandten Elektronenröhren arbeiten mit 3 Elektroden, wovon die eine, das Gitter, den Röhrenstrom verstärkt oder schwächt. Durch Änderung der Kathodenheizung wird der Anodenstrom verändert, wodurch die Stromstärke zu regulieren ist. Abb. 144. Siemens-Kurzwellenapparat

Abb. 145. a) Gedämpfte (Funkenstrecke) und b) ungedämpfte (Elektronenröhre) Schwingungen

Bei der MEissNEitschen Rückkopplungsschaltung (Abb. 146) entstehen die Schwingungen folgendermaßen: Das Röhrengitter ist durch eine Spule mit dem Heizfaden verbunden. Der Schwingungskreis mit Kondensator und Selbstinduktionsspule ist in den Anodenstromkreis eingeschaltet. Kleine Änderungen des Anodenstroms wirken sich auf die Kondensatorladung und über die Spule des Gitterkreises auf die Gitterspannung aus. Der hierdurch veränderte Anodenstrom wirkt sich wieder auf den Kondensator aus, wodurch die Schwingung des Systems in Gang gehalten wird. Gesetzlich ist (Gesetz über den Betrieb von Hochfrequenzgeräten vom 9. 8. 49) die Einhaltung bestimmter Wellenlängen bzw. Frequenzen vor-

Therapie mit energiearmen Strahlen — Kurzwellentherapie

G

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o 1

C

T

Abb. 146. Schaltschema eines Kurzwellenapparats (nach RUMP)

geschrieben (vor allem unter dem Gesichtspunkt der Störung des Rundfunkempfangs). Erlaubt sind die Wellenlängen 7,38 und 11,5 m, wobei aus technischen Gründen meist die 11-m-Welle, entsprechend einer Frequenz von 27 Millionen Hz, bevorzugt wird. Bei Verwendung des hochfrequenten Stroms, der durch die Kurzwellenapparate erzeugt wird, können die Körpergewebe, besonders aber auch die den eigentlichen Leitungsstrom schlecht leitenden Organe, gleichmäßiger durchwärmt werden als mit geringeren Frequenzen. Ursache ist der von M A X W E L L angegebene sogenannte „Verschiebungsstrom", der bei hochfrequenten Strömen auch in Nichtleitern eine begrenzte Leitfähigkeit zur Folge hat. Die Beweglichkeit der Elektronen ist bei solchen hochfrequenten Strömen in Leitern und Nichtleitern weniger unterschiedlich als bei geringeren Frequenzen. Diese Form der Leitung heißt auch „kapazitive Leitfähigkeit". Der Verschiebungsstrom ist weiterhin abhängig von der Dielektrizitätskonstante, die angibt, wieviel höher die Kapazität, also die Aufnahmefähigkeit eines Kondensators ist, wenn statt Luft ein anderes Material (z. B. also das Körpergewebe) zwischen den Platten liegt. Die Dielektrizitätskonstante ist für den Körper etwa 200. Kapazitive Leitfähigkeit und Dielektrizitätskonstante sind in bestimmtem Ausmaß von der Frequenz abhängig. Die mit Kurzwellen erzeugten hochfrequenten Ströme können auch Luft überbrücken. Es ist also nicht erforderlich, daß —• wie bei Diathermieapparaten — die Elektroden der Körperoberfläche anliegen. Methodisch bestehen folgende Möglichkeiten: 1 . Die Kondensatorfeldmethode 2. Die Spulenfeldmethode 3. Die Strahlenfeldmethode 20»

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Eigenschaften und Anwendung energiereicher Strahlen

Zu 1 : Verwandt werden entweder die von S C H L I E P H A X E angegebenen Glaselektroden (Metallplatten in Glasschale), die unmittelbar aufgesetzt werden, oder aber anpassungsfähige Elektroden, die meist durch Filz oder Schaumgummi von der Körperoberfläche etwas distanziert werden. Die Einhaltung des Hautabstandes (1 bis 20 cm, meist etwa 2 bis 5 cm) wirkt sich so aus, daß die Stromdichte auf der H a u t infolge des tonnenförmigen Verlaufs der Feldlinien (Abb. 147) geringer und daß gleichzeitig die Durchwärmung homogener wird, d. h. daß die relative Tiefendosis zunimmt. Die Organe, z. B. die von einer Fettkapsel umgebene Niere, werden ebenso wie auch Lufteinschlüsse durchdrungen und gleichmäßig durchwärmt, während sie bei der Diathermie umflossen werden. Die Durchwärmung des Beckens ist bei der Kurzwellenbestrahlung etwa ömal stärker als bei der Diathermie. Zu 2 : Bei der Spulenfeldmethode wird der zu durchwärmende Körperabschnitt von einem isolierten Kabel spulenförmig umwickelt. Durch das Magnetfeld der Spule werden bei dem Durchfluß hochfrequenten Stromes Induktionsströme, sogenannte Wirbelströme, induziert, die das Gewebe erwärmen. Eine leichte Distanzierung h a t den gleichen E f f e k t wie bei der Kondensatorfeldmethode. Die Spulenfeldmethode, mit der besonders eine Erwärmung der oberen Muskelschichten erzielt werden kann, ist besonders an den E x t r e m i t ä t e n anwendbar. Zu 3: I m Gegensatz zu den beiden eben besprochenen Methoden ben u t z t die Strahlenfeldmethode nicht den elektrischen hochfrequenten Strom, sondern die gleichzeitig erzeugten elektromagnetischen Wellen. Die mit Hilfe besonderer Zweielektrodenröhren (Magnetron) erzeugten sogenannten Mikro- oder Dezimeterwellen (Wellenlänge der von der Industrie gelieferten Apparate 12,2 cm; Versuche mit anderen Wellenlängen, z. B. 69 und 100 cm, sind noch nicht abgeschlossen) können mit Hilfe eines kleinen, in einem Hohlspiegel angebrachten Strahlers (Abb. 148) gut gerichtet werden. Bei begrenzter Tiefenwirkung (bis höchstens 5 cm) k a n n die relativ hohe Absorption eine gleichmäßige Durchwärmung des Gewebes erzielen. Bei relativer Entlastung des Fettgewebes erwärmt die Strahlung vor allem die Muskulatur. Nach den bisherigen Erfahrungen bestehen aber keine entscheidenden qualitativen Wirkungsunterschiede (im Vergleich mit den Methoden, die auf der Wirkung der hochfrequenten Ströme beruhen). Die Dosierung h a t eine Resonanzabstimmung des primären Schwingungskreises u n d des Patientenkreises zu berücksichtigen. Wesentliche Richtschnur ist meist die subjektive Wärmeempfindung des Patienten. Übermäßige Tiefentemperaturen können Schmerzempfindungen auslösen (z. B. am Periost). Die Bestrahlungsdauer beträgt etwa 5 bis 20 Minuten. Besonders vorsichtig ist die Bestrahlung bei K r a n k e n mit Störungen der Sensibilität (Temperatur- u n d Schmerzempfindung)

Therapie mit energiearmen Strahlen — Kurzwellentherapie

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durchzuführen. Immer sind Metallgegenstände, an denen sich die Wärme konzentrieren kann (Schlüssel, Schmuck), aus dem Feld zu entiernen, da sonst oberflächliche Verbrennungen entstehen können. Die im Körper erzeugte Wärme vermehrt die Durchblutung (Hyperämie) und regt den Stoffwechsel an. Bei entzündlichen Erkrankungen wird häufig eine schnelle Schmerzlinderung erzielt. Zu den Indikations-

Abb. 1 4 7 .

Feldlinien eines Kondensatorfeldes (E Elektroden, O Oberfläche)

Abb. 148.

Bestrahlung mit Mikro wel lenapparat

gebieten gehören vor allem auch rheumatische Erkrankungen. Mit Hilfe der Kurzwellen kann auch bei Unterbinden der Wärmeableitung (Einpacken in Decken, besondere Bestrahlungskabinen) eine Erhöhung der Körpertemperatur: künstliches Fieber, erzeugt werden. Da die Fieberbehandlung eine erhebliche Kreislaufbelastung bedeutet, sind Indikation und Durchführung besonders sorgfältig zu überprüfen (Kreislaufüberwachung!). Bei Röntgenbestrahlung maligner Tumoren kann versucht werden, die Strahlensensibilität durch eine der Röntgentherapie unmittelbar vorausgehende Kurzwellendurchwärmung zu verstärken.

Rechtliche Grundlagen f ü r die Ausbildung und Arbeit der medizinisch-technischen Assistentin von Dr. med. Georg Fabian Leitender Medizinaldirektor a. D.

Abkürzungen BGB BGBl. GVB1. MGAV

= = = =

RAB1. RGBl. RMBliV. RMinBl. STGB VMB1.

= = = = = =

Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Gesetz- und Verordnungsblatt f ü r Berlin Verordnung über die Berufstätigkeit und die Ausbildung medizinisch' technischer Gehilfinnen und medizinisch-technischer Assistentinnen Reichsarbeitsblatt Reichsgesetzblatt Reichsministerialblatt f ü r die Innere Verwaltung Reichsministerialblatt Strafgesetzbuch Volkswohlfahrt, Amtsblatt des Preußischen Ministers f ü r Volkswohlfahrt

Erster Abschnitt Entwicklung des Berufs der medizinisch-technischen Assistentin und die Wandlungen seiner staatlichen Regelung Der Beruf der medizinisch-technischen Assistentin ist wie auch andere medizinische Hilfsberufe aus einem praktischen Bedürfnis heraus entstanden. Aus der Zunahme technischer Verrichtungen in der ärztlichen Diagnostik und Therapie ergab sich bereits in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg, vorwiegend in den Krankenhäusern, die Notwendigkeit, medizinisch-technische Hilfskräfte zu beschäftigen. Es waren besonders Frauen, die sich dieser Tätigkeit zuwandten; sie waren es auch, die sie ausbauten und allmählich ein eigenes Berufsbild entwickelten. Ihren aktivsten und erfahrensten Vertretern ist es zu verdanken, daß das Interesse der staatlichen Stellen an dieser neuen Tätigkeit geweckt und von diesen die staatliche Regelung in Angriff genommen wurde. Preußen ging dabei den anderen deutschen Ländern voran. Im Jahre 1921 erließ der Preußische Minister für Volkswohlfahrt im Einvernehmen mit den Ministern für Handel und Gewerbe sowie für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung auf dem damals üblichen Wege eines Ministerialerlasses „Vorschriften für die staatliche Prüfung von Technischen Assistentinnen an medizinischen Instituten" nebst einem Ausbildungsplan (Erlaß vom 26. 8. 1921 — Amtsblatt des Preuß. Ministeriums für Volkswohlfahrt [VMB1.] S. 405/06 und 422ff.). Aus der damaligen Regelung ist das Folgende bemerkenswert: Das Bestehen der Prüfung führte zur „Anerkennung als staatlich geprüfte Technische Assistentin an medizinischen Instituten", worüber ein Ausweis erteilt wurde. Wer diesen Ausweis besaß, bewies damit nicht nur seine fachliche Qualifikation als Hilfskraft auf medizinisch-technischem Gebiet sondern auch, daß er die zur Ausübung des Berufs als Technische Assistentin erforderlichen Eigenschaften besitzt. Eine Beschränkung der medizinisch-technischen Berufstätigkeit auf Ausweisinhaber war damit jedoch nicht verbunden, was im Hinblick auf die spätere Entwicklung besonders hervorgehoben sei.

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Rechtliche Grundlagen für Ausbildung und Arbeit

Die Zulassung zur Prüfung hatte außer dem Nachweis der Vollendung des 20. Lebensjahres, einer erfolgreich zum Abschluß gebrachten Ausbildung an einem staatlich anerkannten Lyzeum und noch einiger anderer in diesem Zusammenhang weniger wichtiger Bedingungen zur Voraussetzung, daß die Bewerberin wenigstens zwei Jahre lang an den Lehrgängen in staatlichen oder staatlich anerkannten Lehranstalten und dabei an dem Unterricht in allen Hauptfächern ordnungsgemäß und erfolgreich teilgenommen hatte. Die Ausbildung erstreckte sich also auf das gesamte medizinisch-technische Gebiet, auf die Laboratoriumsfächer wie auf die Röntgenkunde mit gleichem Gewicht. Als Hauptfächer waren in dem Ausbildungsplan verzeichnet: Chemie und Physik, Physiologie und Biologie und mikroskopisch-anatomische Technik, Parasitologie und Serologie, klinische Chemie und Mikroskopie, photographische Technik, Röntgenologie, als Wahlfächer: Makro-, Mikro- und Farbenphotographie, Zeichnen, Schreibmaschine und Stenographie.

Für jedes Fach war die Gesamtstundenzahl während der Ausbildung genau festgelegt. Die Wahlfächer wurden bei der Gesamtwertung der Prüfung nicht berücksichtigt, jedoch erschienen ihre Einzelwertungen ebenso in dem „Ausweis" wie die Hauptfächer. Die Prüfung fand unter staatlichem Vorsitz statt. Diese erste staatliche Regelung hat in den folgenden Jahrzehnten mehrfach grundlegende Wandlungen erfahren, wofür außer den gewonnenen Erfahrungen die inzwischen entstandenen praktischen Bedürfnisse und auch neuere rechtliche Erkenntnisse maßgebend waren. Zunächst erließ im Jahre 1929 der Preußische Minister für Volkswohlfahrt nach Anhörung des Landesgesundheitsrates im Einvernehmen mit den Ministern für Handel und Gewerbe, Wissenschaft, Kunst und Volksbildung sowie für Landwirtschaft, Domänen und Forsten neue „Vorschriften für die staatliche Prüfung von Technischen Assistentinnen an medizinischen Instituten" nebst einem ebenfalls neuen Ausbildungsplan (Runderlaß vom 15.2.1929 — VMB1. Sp. 163/64; 193—203; 207/08). Als bemerkenswerteste Änderungen gegenüber den Vorschriften von 1921 brachte dieser Runderlaß die Aufteilung der Ausbildung, Prüfung und staatlichen Anerkennung der Bewerberinnen in zwei „Berufsarten", die der „Laboratoriumsassistentin für klinische, histologische und parasitologisch-serologische Laboratorien" und der „Röntgenassistentin", sowie die Einführung eines praktischen Halbjahres nach bestandener Prüfung. Es wurde damit ein Weg beschritten, der im Jahre 1950 in ähnlicher Weise von den sowjetzonalen Behörden wieder eingeschlagen worden ist. Die Dauer der Ausbildung betrug in jeder Berufsart nur noch i y 2 Jahre. Die sechsmonatige praktische Tätigkeit mußte in der gewählten Berufsart an einem „medizinischen, zahnärztlichen oder tierärzt-

Entwicklung des Berufs der medizinisch-technischen Assistentin

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liehen Institut" abgeleistet werden und erfolgreich gewesen sein. Es bestand jedoch auch die Möglichkeit, die staatliche Anerkennung in beiden Berufsarten zu erlangen. In diesen Fällen mußte für die Zulassung zur Prüfung der Nachweis einer mindestens 2% jährigen Ausbildung in allen Hauptfächern beider Berufsarten erbracht werden. Hauptfächer waren für b e i d e Berufsarten: Chemie und Physik, Anatomie und Physiologie (nicht wie bisher Physiologie/Biologie). Wahlfächer: Mikro- und Farbenphotographie, Zeichnen, Schreibmaschine und Stenographie. Als weitere Hauptfächer traten hinzu für die Berufsart „Laboriumsassistentin": mikroskopisch-anatomische Technik, Parasitologie und Serologie, klinische Chemie und Mikroskopie. Als weiteres Wahlfach: photographische Technik; für die Berufsart „Röntgenassistentin" entsprechend: photographische Technik und Röntgenologie bzw. wahlweise: mikroskopisch-anatomische Technik, Parasitologie und Serologie, klinische Chemie und Mikroskopie.

Im übrigen stimmten die neuen Vorschriften im wesentlichen mit denen des Jahres 1921 überein. Insbesondere enthielt der Ausweis über die staatliche Anerkennung auch weiterhin die Bezeichnung „Technische Assistentin an medizinischen Instituten". Von entscheidender Bedeutung für den medizinisch-technischen Hilfsberuf war sodann die staatliche Regelung vom Jahre 1940. Ihr lagen folgende Erwägungen zugrunde: 1. die Unterschiedlichkeit der Ausbildungs- und Prüfungsvorschriften in den einzelnen deutschen Ländern drängte zu einer Vereinheitlichung. Die damaligen innerpolitischen, auf „Reichseinheitlichkeit" gerichteten Tendenzen legten deren Verwirklichung besonders nahe; 2. es war die Erkenntnis gewonnen worden, daß die berufsmäßige Ausübung bestimmter medizinisch-technischer Verrichtungen mit einem so hohen Grad von Verantwortung verbunden ist, daß sie nur Personen gestattet werden könnte, die eine staatliche Erlaubnis dafür besitzen1); 3. die Zweiteilung des medizinisch-technischen Berufs in die Berufsarten „Laboratoriumsassistentin" und „Röntgenassistentin", die im Jahre 1929 eingeführt worden war, hatte sich nicht bewährt. ENGEL1) weist auf die arbeitseinsatzmäßig höchst bedenklichen Folgen dieser Zweiteilung mit folgenden Worten hin: Überangebot an Laboratoriumsassistentinnen, unzureichendes Angebot von Röntgenassistentinnen bei zunehmender Nachfrage nach solchen Hilfskräften, nicht zu deckender Bedarf der zahlenmäßig weitaus L ) ENGEL: Die ärztlichen Hilfskräfte; Handbücherei für den öffentlichen Gesundheitsdienst, Carl Heymanns Verlag Berlin 1941, Bd. 4a, S. 211, 161.

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Rechtliche Grundlagen für Ausbildung und Arbeit

überwiegenden Stellen, die einer sowohl röntgenologisch wie klinisch-chemisch geschulten K r a f t bedürfen. Die Ausbildung sollte daher wieder einheitlich gestaltet werden, so wie sie die Vorschriften von 1921 vorgesehen hatten. 4. für eine große Anzahl von Stellen wird eine medizinisch-technische Hilfskraft mit der umfassenden Ausbildung einer Assistentin nicht benötigt. Insbesondere hatte die Schaffung von Gesundheitsämtern in den Stadt- und Landkreisen durch das am 1. April 1935 in K r a f t getretene Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens vom 3. Juli 1934 (RGBl. T e ü l S. 531, 794) den Gedanken nahegelegt, für diese und ähnliche Einrichtungen — auch für den großen Bedarf der Wehrmacht — eine medizinisch-technische Berufsgruppe einzuführen, die zwar auf beiden Gebieten (Laboratoriumstechnik und Röntgenologie) ausgebildet ist, aber nur eine kürzere „Grundausbildung" 1 ) genossen hat. Statt der vertikalen Aufspaltung der Ausbildung wie sie die preußischen Vorschriften von 1929 vorgesehen hatten, hoffte man, durch diese horizontale Teilung den praktischen Bedürfnissen besser gerecht werden zu können. Diese Grundsätze fanden ihre Verwirklichung in der „Ersten Verordnung des Reichsministers des Innern über die Berufstätigkeit und die Ausbildung medizinisch-technischer Gehilfinnen und medizinisch-technischer Assistentinnen (Erste MGAV)" vom 17. Februar 1940 (RGBl. Teil I S. 371), zu deren Ausführung am gleichen Tage die „Zweite MGAV" (RGBl. I S. 378) erlassen und späterhin auch eine Reihe von Runderlassen bekanntgegeben wurden. Gestützt wurden diese Verordnungen und Erlasse auf das Gesetz zur Ordnung der Krankenpflege vom 28. September 1938 (RGBl. I S. 1309), das den Reichsminister des Innern u. a. ermächtigte, anzuordnen, daß in der Krankenpflege oder als Hilfskräfte in der Gesundheitspflege nur Personen berufsmäßig tätig sein dürfen, die eine Erlaubnis zur Ausübung dieses Berufs haben, Bestimmungen über die Ausbildung, die Ausbildungsstätten, die Berufsausübung, die Berufsbezeichnungen und die Berufstrachten dieser Personen zu treffen und die zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen. Durch diese neue reichseinheitliche Regelung wurden die zwei Berufssparten der „medizinisch-technischen Gehilfin" und der „medizinischtechnischen Assistentin" geschaffen, deren Ausbildung einheitlich war und sich nur der Dauer und dem Grade nach unterschied. Die Tätigkeit war für beide Sparten genau definiert, und wer sie berufsmäßig ausüben wollte, bedurfte dazu der Erlaubnis. Durch diese Bestimmung wurde die Berufsfreiheit bewußt eingeschränkt. Allerdings setzte der Verord') ENGEL: ebenda S. 162.

Entwicklung des Berufs der medizinisch-technischen Assistentin

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nungsgeber die einschlägigen §§ 1 und 12 mit Rücksicht auf die Kriegsverhältnisse nicht sogleich mit der Verordnung in Kraft sondern behielt es sich für einen späteren, nicht näher bezeichneten Zeitpunkt vor. Da aber die Inkraftsetzung weder vor 1945 noch später (außer im Lande Bremen im Jahre 1948) vorgenommen worden ist, haben die Verordnungen des Jahres 1940 praktisch insoweit keine andere Bedeutung erlangt als die Regelungen der Jahre 1921 und 1929 d. h. der erteilte Ausweis stellte eine staatliche Anerkennung seiner Inhaberin als medizinischtechnische Gehilfin oder Assistentin dar und wies sie damit in fachlicher und sonstiger Hinsicht als für die medizinisch-technische Berufsausübung geeignet aus. Daneben aber war es keiner anderen Person verwehrt, die in §§ 1 und 12 der Ersten MGAV definierten Tätigkeiten ebenfalls auszuüben. Zur Führung der Bezeichnung „medizinischtechnische Gehilfin" oder „medizinisch-technische Assistentin" war sie jedoch nicht berechtigt. Für Verstöße hiergegen drohte die Erste MGAV Strafe an. Obwohl das wesentlichste Element der in der Ersten MGAV getroffenen Regelung, die Einschränkung der freien Berufswahl, somit nicht wirksam geworden ist, darf wohl gesagt werden, daß die Erste MGAV sich nebst den zu ihrer Ausführung erlassenen Vorschriften im allgemeinen praktisch bewährt hat. Trotzdem blieb der Zustand unbefriedigend. Einmal beeinträchtigte das Vorgehen Bremens die Einheitlichkeit der Handhabung in den Bundesländern, ferner war es auf die Dauer nicht zu rechtfertigen, daß — außer in Bremen — auch die besonders verantwortungsvollen medizinisch-technischen Verrichtungen von nicht staatlich anerkannten Personen ausgeführt werden durften und schließlich hatte sich die neu geschaffene Berufssparte „medizinisch-technische Gehilfin" in der Praxis nicht durchsetzen können. Es mußte deshalb ein besonderes Anliegen des Gesetzgebers sein, klare Verhältnisse zu schaffen. Er hat in diesem Bestreben das „Gesetz über die Ausübung des Berufs der medizinisch-technischen Assistentin" vom 21. Dezember 1958 — BGBl. Teil I S. 90 — erlassen. Gegen das Gesetz wurden, nachdem es vom Bundestag am 17. Oktober 1958 beschlossen worden war, vom Bundesrat (Ländervertretung) insoweit Bedenken geltend gemacht, als darin auch Materien geregelt waren, für die nicht der Bundesgesetzgeber zuständig, sondern die Kompetenz der Länder gegeben ist. Zur Bereinigung der gegenteiligen Auffassungen wurde der „Vermittlungsausschuß" angerufen, dessen Abänderungsbeschlüssen der Bundestag am 12. und der Bundesrat am 19. Dezember 1958 zugestimmt hat. Es wirkt sich dies u. a. dahin aus, daß bestimmte Teile der Ersten und Zweiten MGAV sowie der Runderlasse des Reichsministers des Innern vom 26. Juni 1940 (Reichsministerialblatt für die Innere Verwaltung [RMBliV.] S. 1292) und vom 6. Januar 1941 (RMBliV. S. 84) in Kraft bleiben (hierzu § 21 Abs. 1 Nrn. 1, 2, 3, 4 des Gesetzes), soweit

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Rechtliche Grundlagen für Ausbildung und Arbeit

sie nicht aus anderen Gründen bereits außer K r a f t oder nicht mehr anwendbar sind. Die letztgenannten außer K r a f t gesetzten oder nicht mehr anwendbaren Bestimmungen sind der Übersicht halber im folgenden zweiten Abschnitt mit abgedruckt aber in Kleinst-Druck gesetzt. Schon kurze Zeit nach Verkündung des Gesetzes erwies sich seine Ergänzung als notwendig. Es stellte sich nämlich heraus, daß eine nicht geringe Zahl von Personen in Medizinaluntersuchungsämtern und ähnlichen Einrichtungen Arbeiten auf dem Gebiet der Mikrobiologie einschließlich der Serologie (§11 Abs. 1 Nr. 5) ausführen, ohne den Status einer medizinisch-technischen Assistentin, der sie allein zu diesen Arbeiten berechtigte, zu besitzen. Da man diesen Personen, die zum Teil bereits viele Jahre auf dem genannten Gebiet tätig waren, nicht zumuten wollte, diesen Status durch Absolvierung des Lehrgangs, Ablegen der Prüfung und Ableistung der praktischen Tätigkeit noch zu erwerben, beschloß der Gesetzgeber mit der Gesetzesnovelle vom 18. Juli 1961 (BGBl. I. S. 1011) eine entsprechende Ergänzung des § 18 des Gesetzes. In dieser neuen Fassung ist das Gesetz vom 21. Dezember 1958 im zweiten Abschnitt abgedruckt. Die in § 9 des Gesetzes vorgesehene Ausbildungs- und Prüfungsordnung für medizinisch-technische Assistentinnen ist vom Bundesminister des Inneren mit Zustimmung des Bundesrates am 7. Dezember 1960 erlassen worden und am 11. Dezember 1960 in Kraft getreten. Sie ist ebenfalls im zweiten Abschnitt wörtlich abgedruckt.

Zweiter Abschnitt I. Das Gesetz vom 21. Dezember 1958 (BGBl. I. S. 981) in der Fassung des Gesetzes vom 18. Juli 1961 (BGBl. I. S. 1011) In dem nachstehenden wörtlichen Abdruck sind an der einschlägigen Stelle diejenigen Teile der Ersten und Zweiten MGAV und der am Schluß des ersten Abschnitts bezeichneten Runderlasse angefügt, die durch § 21 des Gesetzes nicht mit aufgehoben worden sind: Gesetz über die Ausübung des Berufs der medizinisch-technischen Assistentin Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen: I. Die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung

§1 Wer eine Tätigkeit unter der Berufsbezeichnung „medizinisch-technische Assistentin" ausüben will, bedarf der Erlaubnis.

§2 (1) Die Erlaubnis wird Personen erteilt, die nachweisen, daß sie 1. an dem Lehrgang (§8) teilgenommen, 2. die Prüfung (§ 9) bestanden und 3. die praktische Tätigkeit (§ 10) abgeleistet haben. (2) Die Erlaubnis kann auch Personen erteilt werden, die eine außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes erworbene gleichwertige Ausbildung nachweisen.

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Rechtliche Grundlagen für Ausbildung und Arbeit

§3 (1) Die Erlaubnis ist zu versagen, wenn die Bewerberin 1. nicht im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte ist, 2. sich schwerer Verfehlungen schuldig gemacht hat, aus denen sich ihre Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufes ergibt, oder 3. wegen eines körperlichen Gebrechens, wegen Schwäche ihrer geistigen oder körperlichen Kräfte oder wegen einer Sucht die für die Ausübung dieses Berufs erforderliche Eignung nicht besitzt. (2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 und 3 ist die Bewerberin vorher zu hören. Ist die Bewerberin nicht voll geschäftsfähig, so ist auch der gesetzliche Vertreter zu hören. §4 (1) Die Erlaubnis ist zurückzunehmen, wenn 1. eine Voraussetzung für die Erteilung der Erlaubnis irrtümlich als gegeben angenommen worden ist, oder 2. nachträglich Tatsachen eingetreten sind, die die Versagung der Erlaubnis nach § 3 rechtfertigen würden, oder 3. die medizinisch-technische Assistentin den für die Ausübung des Berufs erlassenen Rechtsvorschriften wiederholt zuwidergehandelt oder unbefugt die Heilkunde ausgeübt hat. (2) Die Inhaberin der Erlaubnis ist vorher zu hören. Ist die Inhaberin der Erlaubnis nicht voll geschäftsfähig, so ist auch der gesetzliche Vertreter zu hören. §5 Eine Erlaubnis, die auf Grund des § 4 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 zurückgenommen wurde, kann wiedererteilt werden, wenn Tatsachen eingetreten sind, die eine Wiedererteilung unbedenklich erscheinen lassen. §6

Die Bestimmungen dieses Gesetzes gelten für medizinisch-technische Assistenten entsprechend. II. Die Lehranstalten

§7 Die nach § 2 Abs. 1 vorgeschriebene Ausbildung erfolgt in Lehranstalten für medizinisch-technische Assistentinnen, die als zur Ausbildung geeignet staatlich anerkannt sind und in Anstalten, die zur Ausbildung ermächtigt sind (§ 10).

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Das Gesetz vom 21. Dezember 1958 H i e r z u aus der E r s t e n MGAV § 4 Abs. 3 in Verbindung mit § 14 Abs. 3.

Die Anerkennung setzt voraus, daß 1. die Lehranstalt von einem Arzt geleitet wird, 2. auf je 12 Schülerinnen eine medizinisch-technische Assistentin als hauptamtliche Lehrkraft vorhanden ist, 3. die Lehranstalt einem geeigneten Krankenhaus angegliedert ist. § 5 in Verbindung mit § 14 Abs. 3. (1) Die staatliche Anerkennung ist zu versagen, wenn 1. dem Leiter der Lehranstalt die politische oder sittliche Zuverlässigkeit fehlt, 2. der Leiter der Lehranstalt wegen seiner oder seines Ehegatten Abstammung nicht Beamter werden könnte,

3. die Lehranstalt oder das zugehörige Krankenhaus nach ihrer Beschaffenheit nicht die Gewähr f ü r eine vollwertige Ausbildung bietet. (2) Die staatliche Anerkennung kann versagt werden, wenn kein öffentliches Bedürfnis vorliegt.

(3) Die staatliche Anerkennung kann vom Reichsminister des Innern 1 ) widerrufen werden, wenn eine der in den Absätzen 1 und 2 genannten Tatsachen eintritt. § 6 in Verbindung mit § 15. (1) Die Zulassung zum Besuch der Lehranstalt erfolgt durch deren Leiter. (2) Die Zulassung setzt voraus, daß die Bewerberin nicht politisch unzuverlässig ist. (3) Betrifft „deutschblütige Abstammung".

(4) Die Bewerberin h a t nachzuweisen: 1. die Vollendung des 18. Lebensjahres, 2. ihren guten Leumund durch ein polizeiliches Führungszeugnis, 3. eine allgemeine Vorbildung nach den Vorschriften des § 26 der Verordnung über die Vorbildung und die Laufbahnen der deutschen Beamten vom 28. Februar 1939 (RGBl. I S. 371), 4. die gesundheitliche Eignung für den Beruf auf Grund eines ärztlichen Zeugnisses, 5. eine einjährige hauswirtschaftliche Tätigkeit in einer Familie oder in Anstalten oder Schulen,

6. die erfolgreiche Teilnahme an einem Schwesternhelferinnenkursus des Deutschen Roten Kreuzes oder eine gleichwertige Ausbildung am Krankenbett, 7. Übung in Kurzschrift und Maschinenschreiben. (5) Bewerberinnen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, aber innerhalb eines Jahres nach Beginn des Lehrgangs das 18. Lebensjahr vollenden, können mit Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde zum Besuch der Lehranstalt zugelassen werden, wenn sie das Pfliehtjahr für Mädchen abgeleistet haben und der Leiter der Schule die notwendige Reife f ü r gegeben hält. 1 ) J e t z t die von der zuständigen Landesregierung bestimmte Verwaltungsbe. hörde.

S c h i u n g b a u m , Med. Strahlenkunde

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Rechtliche Grundlagen für Ausbildung und Arbeit

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(6) Die höhere Verwaltungsbehörde kann Ausnahmen von den Vorschriften des A b s . 4 N r . 3 u n d N r n . 5 bis 7 sowie im Einvernehmen mit der vom Stellvertreter des Führers

bezeichneten Dienststelle von der des Abs. 3 genehmigen. Sie kann bei Ausländern ihre Genehmigung von der Verpflichtung abhängig machen, den Beruf nicht im Reichsgebiet auszuüben.

H i e r z u aus der Z w e i t e n MGAV. § 3 in Verbindung mit § 10. (1) Die Lehranstalt muß über die Räume, Einrichtungen und Lehrkräfte verfügen, die erforderlich sind, den Lehrplan unter Zuhilfenahme des Untersuchungsmaterials und der Einrichtungen der zugehörigen Krankenanstalt in der vorgesehenen Zeit einwandfrei durchzuführen. (2) Die Ausbildung in der Röntgenkunde muß an Röntgeneinrichtungen erfolgen, die dem Stande der Technik entsprechen. Sie sind so einzurichten, auszustatten, zu erhalten und zu betreiben, daß die an ihnen beschäftigten Personen gegen Unfälle und Gesundheitsschädigungen geschützt sind. Die Lehranstalt muß im Besitz einer nicht mehr als drei Jahre zurückliegenden Bescheinigung eines von der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst u. Wohlfahrtspflege benannten Röntgensachverständigen sein, in der dieser auf Grund einer Besichtigung und Besprechung an Ort und Stelle bescheinigt, daß an den Röntgeneinrichtungen der Lehranstalt keine Abweichungen von den gesetzlichen Vorschriften über die Einrichtung und den Betrieb von Röntgenanlagen und von den gültigen Unfallverhütungsvorschriften bestehen. (3) Betrifft ,,deutschblütige Abstammung" der Lehrkräfte.

Ihre Bestellung bedarf der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde. Medizinisch-technische Assistentinnen können als Lehrkräfte nur bestellt werden, wenn sie sich in ihrem Beruf bereits mindestens fünf Jahre hindurch hervorragend bewährt haben. (4) Der Leiter der Lehranstalt ist verpflichtet, selbst Unterricht mindestens in dem Umfang zu erteilen, daß er ein eigenes Urteil über die Leistungen und die sonstige Eignung jeder Schülerin gewinnt. (5) Die Krankenanstalt muß die Gewähr bieten, daß die Schülerinnen der Lehranstalt einen nachhaltigen Eindruck von den wichtigsten Krankheitsbildern erhalten und in ihrer praktischen Ausbildung in der Röntgenkunde an Kranken und Verletzten zu arbeiten sowie Untersuchungsmaterial in dem im Lehrplan vorgesehenen Umfang vom Kranken selbst zu entnehmen und bei sonstiger Entnahme Hilfe zu leisten lernen. (6) Die höhere Verwaltungsbehörde kann genehmigen, daß eine Lehranstalt mehreren geeigneten Krankenanstalten angegliedert wird. (7) Die höhere Verwaltungsbehörde bestimmt nach der Einrichtung der Anstalt und im Benehmen mit dem zuständigen Landesarbeitsamt nach dem jeweiligen öffentlichen Bedürfnis die Höchstzahl der auszubildenden Schülerinnen. § 4 in Verbindung mit § 10. (1) und (2) betreffen Verfahren zur Feststellung, daß die Bewerberin nicht politisch unzuverlässig ist.

Das Gesetz vom 21. Dezember 1958

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(3) Der Vorschrift des § 6 Abs. 4 Nr. 5 der Ersten Verordnung ist durch die Ableistung des Pflichtjahrs für Mädchen genügt.

(4) Zu §6 Abs. 4 Nr. 7 der Ersten Verordnung soll die Bewerberin nachweisen, daß sie ein einfaches Diktat von 200 Silben in fünf Minuten aufnehmen und in 45 Minuten auf die Schreibmaschine übertragen kann. (5) Die Vorschriften des § 6 Abs. 4 Nr. 5 bis 7 der Ersten Verordnung gelten nicht für Personen, die vordem 1. Oktober 1940 die Ausbildung in einer Lehranstalt für medizinisch-technische Gehilfinnen begonnen haben.

H i e r z u aus dem R u n d e r l a ß des R e i c h s m i n i s t e r s 26. J u n i 1940 Nr. 2. Zu § 6 Abs. 4 Nr. 3 Erste MGAV.

des I n n e r n

vom

Schülerinnen höherer Lehranstalten haben die Versetzung von der 6. nach der 7. Klasse nachzuweisen. Nr. 3. Zu § 6 Abs. 4 Nr. 5 Erste MGAV. a) Auf die einjährige hauswirtschaftliche Tätigkeit ist auch der Besuch der Oberstufe einer Oberschule für Mädchen (hauswirtschaftliche Form) anzurechnen. b) Durch die Forderung des Nachweises einer einjährigen hauswirtschaftlichen Tätigkeit werden, unbeschadet der Bestimmung des § 4 Abs. 3 Zweite MGAV, die Vorschriften über die Ableistung des Pflichtjahres für Mädchen und des Arbeitsdienstes für die weibliche Jugend nicht berührt. c) I m Interesse einer geschlossenen Berufsausbildung ist es erwünscht, daß die Schülerinnen das Pflichtjahr bzw. den Arbeitsdienst für die weibliche Jugend, soweit sie hierzu verpflichtet sind, bei der Zulassung zur Lehranstalt abgeleistet haben.

Hierzu aus dem Runderlaß 6. J a n u a r 1941.

des R e i c h s m i n i s t e r s

des I n n e r n

vom

Nr. 1. Zu § 4 Abs. 3 Nr. 3 Erste MGAV. Die Lehranstalt kann statt an ein Krankenhaus auch an geeignete größere Einrichtungen zur ambulaten Untersuchung und Behandlung Kranker wie z. B. Untersuchungsstellen des vertrauensärztlichen Dienstes oder anderer Versicherungsträger angegliedert werden. Nr. 2. Zu § 6 Abs. 4 Nr. 3 Erste MGAV. Der erfolgreiche Besuch einer vielklassigen Hauptschule oder Bürgerschule entspricht nicht der für die Zulassung zur Lehranstalt geforderten allgemeinen Vorbildung. III. Der Lehrgang

§8 Der Lehrgang zur Ausbildung der medizinisch-technischen Assistentin dauert mindestens zwei Jahre. 21

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Rechtliche Grundlagen für Ausbildung und Arbeit

§9 (1) Die erfolgreiche Teilnahme an dem Lehrgang ist durch eine Prüfung vor einem staatlichen Prüfungsausschuß für medizinisch-technische Assistentinnen nachzuweisen. (2) Der Bundesminister des Innern wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere für die Ausbildung und Prüfung zu regeln. IV. Praktische Tätigkeit

§ 10 (1) Die praktische Tätigkeit dauert ein halbes Jahr. Sie ist an Krankenanstalten oder an Instituten abzuleisten, die zur Annahme von Praktikantinnen ermächtigt sind. (2) Die praktische Tätigkeit ist nach Wahl der Praktikantin auf einem der nachstehend genannten Gebiete abzuleisten: 1. Medizinische Strahlenkunde, 2. Histologie, 3. medizinische Mikrobiologie einschließlich der Serologie oder 4. klinische Chemie und Hämatologie. (3) Wird die praktische Tätigkeit länger als drei Wochen unterbrochen, so muß die hierüber hinausgehende Zeit nachgeholt werden. V. Vorbehaltene Tätigkeiten

§11 (1) Zur Ausübung einer der nachstehenden Tätigkeiten in der Humanmedizin sind nur Personen zugelassen, die eine Erlaubnis nach § 1 besitzen : 1. Hilfeleistung bei der Anwendung ionisierender Strahlen, 2. Hilfeleistung bei der Untersuchung von Körpergeweben, 3. Arbeiten auf dem Gebiet der klinischen Chemie mit Ausnahme der Untersuchungen des Harns, des Magensaftes, des Stuhls, der Rückenmarkflüssigkeit auf Zellzahl und der Blutzuckerbestimmung nach C r e c e l i t j s - S e i f e r t , 4. Arbeiten auf dem Gebiet der Hämatologie mit Ausnahme der Färbung von Blutausstrichen, der Zählung der roten und weißen Blutkörperchen und der Bestimmung des Hämoglobins, 5. Arbeiten auf dem Gebiet der Mikrobiologie einschließlich der Serologie.

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(2) Die in Absatz 1 Nr. 1, 2 und 5 bezeichneten Tätigkeiten dürfen von den in Absatz 1 genannten Personen nicht in selbständiger Berufstätigkeit ausgeübt werden. (3) Die in Absatz 1 genannten Personen dürfen ferner 1. die in Absatz 1 Nr. 1 bezeichneten Tätigkeiten nur im Auftrage eines Arztes oder Zahnarztes, 2. die in Absatz 1 Nr. 2 bis 5 bezeichneten Tätigkeiten nur im Auftrage eines Arztes, Zahnarztes oder Tierarztes ausüben. § 12 (1) § 11 Abs. 1 findet keine Anwendung auf 1. Ärzte, Zahnärzte und, mit Ausnahme des § 11 Abs. 1 Nr. 1, auf Tierärzte sowie Apotheker und Personen mit abgeschlossener naturwissenschaftlicher Hochschulbildung, die über die erforderlichen Fachkenntnisse verfügen, 2. Personen, die sich in der Ausbildung für einen der in Nummer 1 genannten Berufe oder in der nach diesem Gesetz vorgeschriebenen Ausbildung für den Beruf der medizinisch-technischen Assistentin befinden, soweit sie Arbeiten ausführen, die ihnen im Rahmen ihrer Ausbildung übertragen sind. (2) § 11 Abs. 1 findet ferner keine Anwendung auf 1. Personen, die die in § 11 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 bezeichneten Tätigkeiten unter ständiger Aufsicht und ausschließlicher Verantwortung eines Arztes oder Zahnarztes, 2. Personen, die die in § 11 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 bezeichneten Tätigkeiten unter ständiger Aufsicht und ausschließlicher Veranwortung eines Tierarztes ausüben. VI. Zuständigkeiten

§13 Zuständig ist für die Entscheidung 1. nach § 2 Abs. 1 die Verwaltungsbehörde, in deren Bereich die Prüfung abgelegt wurde, 2. nach § 2 Abs. 2 und § 4 Abs. 1 die für den Wohnsitz der medizinisch-technischen Assistentin zuständige Verwaltungsbehörde, 3. nach § 5 die Verwaltungsbehörde, die die Erlaubnis zurückgenommen hat, 4. nach § 7 und § 10 Abs. 1 Satz 2 die Verwaltungsbehörde, in deren Bereich die Anstalt liegt.

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Rechtliche Grundlagen f ü r Ausbildung und Arbeit VII. Ordnungswidrigkeiten

§14 (1) Ordnungswidrig handelt, wer 1. ohne die Erlaubnis nach § 1 zu besitzen, die Berufsbezeichnung „medizinisch-technische Assistentin" führt, 2. entgegen den Vorschriften dieses Gesetzes die in § 11 Abs. 1 bezeichneten Tätigkeiten ausübt, 3. eine Person, die nicht die Erlaubnis nach § 1 besitzt, entgegen den Vorschriften dieses Gesetzes mit der Ausübung einer der in § 11 Abs. 1 bezeichneten Tätigkeiten beauftragt, oder duldet, daß eine solche Person eine dieser Tätigkeiten für ihn ausübt, 4. gegen die Vorschriften des § 11 Abs. 2 oder 3 verstößt. (2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu fünftausend Deutsche Mark geahndet werden. VIII. Übergangsbestimmungen

§ 15 (1) Eine staatliche Anerkennung als medizinisch-technische Assistentin, die auf Grund der in § 21 bezeichneten Bestimmungen erteilt worden ist, gilt als Erlaubnis nach § 1. (2) Eine Ausbildung als medizinisch-technische Assistentin, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes auf Grund der in § 21 bezeichneten Bestimmungen begonnen worden ist, wird nach diesen Bestimmungen abgeschlossen. Nach Abschluß der Ausbildung erhält die Bewerberin die Erlaubnis nach § 1. §16 (1) Eine Erlaubnis zur berufsmäßigen Ausübung der Tätigkeit als medizinisch-technische Gehilfin, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes auf Grund der in § 21 bezeichneten Bestimmungen erteilt worden ist, gilt im bisherigen Umfange weiter. (2) Eine Ausbildung als medizinisch-technische Gehilfin, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes auf Grund der in § 21 bezeichneten Bestimmungen begonnen worden ist, wird nach diesen Bestimmungen abgeschlossen. (3) Für medizinisch-technische Gehilfinnen, die die Erlaubnis nach § 1 erlangen wollen, verkürzt sich die Dauer des Lehrgangs (§ 8) um ein Jahr. Haben sie ihre Berufstätigkeit vor Inkrafttreten dieses Gesetzes mindestens ein Jahr ausgeübt, so gilt die praktische Tätigkeit (§ 10) als abgeleistet.

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(4) Medizinisch-technische Gehilfinnen, die mindestens zehn Berufsjahre nachweisen, werden ohne Teilnahme am Lehrgang zur P r ü f u n g zugelassen u n d erhalten nach bestandener P r ü f u n g die Erlaubnis nach § 1. §17 (1) Lehranstalten f ü r medizinisch-technische Assistentinnen, die vor I n k r a f t t r e t e n dieses Gesetzes die staatliche Anerkennung erhalten haben, gelten weiter als staatlich anerkannt nach § 7, falls die Anerkennung nicht zurückgenommen wird. (2) Eine nach den bisher geltenden Vorschriften erteilte Anerkennung als Lehranstalt f ü r die Ausbildung von medizinisch-technischen Gehilfinnen erlischt zwei J a h r e nach I n k r a f t t r e t e n dieses Gesetzes. §18 § 11 Abs. 2 gilt nicht für Personen, die bei I n k r a f t t r e t e n dieses Gesetzes befugt in der in § 11 Abs. 2 bezeichneten Weise tätig sind, ohne Arzt, Zahnarzt oder Tierarzt zu sein. §19 (1) Wer die staatliche Anerkennung (Erlaubnis) als technische Assistentin an veterinärmedizinischen Instituten besitzt, erhält auf Antrag die Erlaubnis nach § 1, wenn 1. die Ableistung einer vierteljährigen pflegerischen Tätigkeit in einem Krankenhaus oder die erfolgreiche Teilnahme a n einem Schwesterhelferinnenkursus des Deutschen Roten Kreuzes, 2. die Teilnahme an einem Ergänzungslehrgang von sechs Monaten in einer anerkannten Lehranstalt auf dem Gebiet der medizinischen Strahlenkunde u n d die Ablegung einer P r ü f u n g sowie 3. die Ableistung der in § 10 vorgeschriebenen praktischen Tätigkeit nachgewiesen wird. (2) Der Nachweis der Tätigkeit nach Absatz 1 Nr. 3 entfällt f ü r Personen, die die staatliche Anerkennung als technische Assistentin a n veterinärmedizinischen Instituten besitzen u n d mindestens zehn Berufsjahre nachweisen. IX. Schlußbestimmungen

§20 Dieses Gesetz gilt nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 des Dritten Überleitungsgesetzes vom 4. J a n u a r 1952 (Bundesgesetzbl. I S. 1) auch im L a n d Berlin. Verordnungen, die auf Grund dieses Gesetzes erlassen werden, gelten im Land Berlin nach § 14 des Dritten Überleitungsgesetzes.

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Rechtliche Grundlagen f ü r Ausbildung und Arbeit

§21 (1) Dieses Gesetz t r i t t mit Ausnahme des § 11 Abs. 1 u n d 3 u n d des § 12 am 1. J u l i 1959 in K r a f t . Gleichzeitig t r e t e n die folgenden Vorschriften, soweit sie zu diesem Zeitpunkt noch fortgelten, außer K r a f t : 1. die Erste Verordnung über die Berufstätigkeit u n d die Ausbildung medizinisch-technischer Assistentinnen (Erste MGAV) v o m 17. Februar 1940 (Reichsgesetzbl. I S. 371) mit Ausnahme von § 4 Abs. 3, §§ 5, 6, 14 Abs. 3, soweit er die entsprechende Anwendung von § 4 Abs. 3 und § 5 bestimmt, §§ 15 u n d 34 Abs. 1, 2. die Zweite Verordnung über die Berufstätigkeit u n d die Ausbildung medizinisch-technischer Gehilfinnen u n d medizinisch-technischer Assistentinnen (Zweite MGAV) vom 17. Februar 1940 (Reichsgesetzbl. I S. 378) mit Ausnahme von §§ 3, 4, 10 u n d 22, 3. der Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 26. J u n i 1940 (Ministerialblatt des Reichs- u n d Preußischen Ministeriums des Innern S. 1292), betreffend Durchführung der Ersten u n d Zweiten Verordnung über die Berufstätigkeit u n d die Ausbildung medizinisch-technischer Gehilfinnen u n d medizinisch-technischer Assistentinnen mit Ausnahme von Nummern 2 und 3 sowie die dazu ergangenen Änderungserlasse vom 1. Dezember 1941 (Ministerialblatt des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Innern S. 2182), vom 28. J a n u a r 1942 (Ministerialblatt des Reichsund Preußischen Ministeriums des Innern S. 288) und v o m 8. Juli 1942 (Ministerialblatt des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Innern S. 1465), 4. der Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 6. J a n u a r 1941 (Ministerialblatt des Reichs- u n d Preußischen Ministeriums des Innern S. 84), betreffend Durchführung der Ersten Verordnung über die Berufstätigkeit u n d die Ausbildung medizinisch-technischer Gehilfinnen u n d medizinisch-technischer Assistentinnen mit Ausnahme von N u m m e r n 1 u n d 2, 5. der Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 3. Dezember 1941 (Ministerialblatt des Reichs- u n d Preußischen Ministeriums des Innern S. 2183), betreffend Erteilung der Berufserlaubnis f ü r medizinisch-technische Gehilfinnen u n d Assistentinnen, 6. die Verordnung des Senats der Freien Hansestadt Bremen zur Ergänzung der E r s t e n Verordnung über die Berufstätigkeit u n d Ausbildung medizinisch-technischer Gehilfinnen u n d Assistentinnen vom 18. August 1948 (Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen S. 146).

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§§ 15 und 16 Abs. 2 bleiben unberührt. (2) § 11 Abs. 1 und 3 und § 12 treten am 1. Januar 1962 in K r a f t .

II. Ausbildungs- und Prüfungsordnung für medizinisch-technische Assistentinnen Vom 7. Dezember 1960 BGBl. I S. 874 Auf Grund des § 9 Abs. 2 des Gesetzes über die Ausübung des Berufs der medizinisch-technischen Assistentin vom 21. Dezember 1958 (Bundesgesetzbl. I S. 981) wird mit Zustimmung des Bundesrates verordnet: I. Ausbildungsvorschriften §1

(1) Der Lehrgang zur Ausbildung der medizinisch-technischen Assistentin (§ 8 des Gesetzes) dauert zwei Jahre. Er umfaßt jährlich mindestens 1500 Stunden theoretischen und praktischen Unterricht. Die Zahl der Unterrichtsstunden soll in der Woche nicht mehr als 35 betragen. (2) Der Lehrgang umfaßt folgende Lehrfächer mit folgenden Mindeststundenzahlen : Theoretischer Unterricht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

Physik Chemie Anatomie und Physiologie Histologie Allgemeine Hygiene Medizinische Mikrobiologie einschließlich Serologie Klinische Chemie und Hämatologie . Medizinische Strahlenkunde . . . . Technik der physikalischen Diagnostik und Therapie Fotografie Berufslehre (gesetzliche Vorschriften, Umgang mit Kranken, Berufskrankheiten, Unfallschutz)

30 120 100 60 40

Praktischer Unterricht —

200 —

220 —

100 80 150

340 360 900

10 30

30 200

30



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Rechtliche Grundlagen für Ausbildung und Arbeit

§2 Der Ergänzungslehrgang für technische Assistentinnen an veterinärmedizinischen Instituten (§ 19 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes) umfaßt mindestens 125 Stunden theoretischen und 625 Stunden praktischen Unterricht in dem Lehrfach „Medizinische Strahlenkunde". Die Zahl der Unterrichtsstunden soll in der Woche nicht mehr als 35 betragen. §3 (1) Auf die Dauer des Lehrgangs (§ 8 des Gesetzes) werden angerechnet 1. Ferien bis zu sechs Wochen jährlich, 2. Erkrankungszeiten bis zur Gesamtdauer von zehn Wochen. (2) Auf die Dauer des Ergänzungslehrgangs (§ 19 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes) werden angerechnet 1. Ferien bis zu drei Wochen, 2. Erkrankungszeiten bis zur Gesamtdauer von drei Wochen. §4 Die für die Erteilung der Erlaubnis zuständige Verwaltungsbehörde kann eine außerhalb des Geltungsbereichs dieser Verordnung begonnene oder abgeschlossene Ausbildung als medizinisch-technische Assistentin, die nicht den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 des Gesetzes entspricht, wie folgt anrechnen: 1. die Teilnahme an einem Lehrgang bis zur Dauer von 18 Monaten, in Ausnahmefällen zur Vermeidung von Härten auch bis zur Dauer von 24 Monaten, 2. gleichwertige Prüfungen in einzelnen Fächern, die Bestandteil einer vollständig bestandenen Prüfung waren, 3. eine praktische Tätigkeit ganz oder teilweise. II. PrüfungSYorschriften §5 Für die Ablegung der Prüfungen nach § 9 Abs. 1, § 16 Abs. 4 und § 19 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes sind die nachstehenden Vorschriften maßgebend. §6 (1) Bei jeder Lehranstalt für medizinisch-technische Assistentinnen (Lehranstalt) ist für die Ablegung der Prüfung (§ 9 Abs. 1 und § 16 Abs. 4 des Gesetzes) ein Prüfungsausschuß zu bilden. Der Prüfungsausschuß besteht aus 1. einem Medizinalbeamten als Vorsitzenden,

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2. einem an der Lehranstalt unterrichtenden Arzt, 3. einer an der Lehranstalt als ständige Lehrkraft tätigen medizinischtechnischen Assistentin sowie 4. sonstigen an der Lehranstalt tätigen Lehrkräften. (2) Bei jeder Lehranstalt, an der Ergänzungslehrgänge für technische Assistentinnen an veterinär-medizinischen Instituten (§ 19 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes) durchgeführt werden, ist ein Prüfungsausschuß zu bilden. Der Prüfungsausschuß besteht aus 1. einem Medizinalbeamten als Vorsitzendem, 2. mindestens einer an der Lehranstalt in dem Lehrfach „Medizinische Strahlenkunde" unterrichtenden Lehrkraft. (3) Die zuständige Verwaltungsbehörde bestellt widerruflich den Vorsitzenden und auf Vorschlag des Leiters der Lehranstalt die übrigen Mitglieder des Prüfungsausschusses. Für den Vorsitzenden und die übrigen Mitglieder des Prüfungsausschusses sind Stellvertreter zu bestellen. §7 (1) Die Prüfung ist vor dem Prüfungsausschuß der Lehranstalt abzulegen, an der der Lehrgang beendet wurde. (2) In den Fällen des § 16 Abs. 4 des Gesetzes ist die Prüfung vor dem Prüfungsausschuß der dem Wohnsitz des Prüflings nächstgelegenen Lehranstalt abzulegen. Der Vorsitzende dieses Prüfungsausschusses kann Ausnahmen zulassen. §8

Der Prüfling hat das Gesuch um Zulassung zur Prüfung an den Vorsitzenden des Prüfungsausschusses zu richten. Er soll das Gesuch acht Wochen vor Beendigung des der Prüfung vorausgehenden Lehrgangs bei dem Leiter der Lehranstalt einreichen. Der Leiter der Lehranstalt fügt dem Gesuch nach Anhörung der ständigen Lehrkräfte eine Beurteilung über die Eignung des Prüflings für den Beruf der medizinisch-technischen Assistentin bei. §9 (1) Dem Gesuch um Zulassung zur Prüfung sind beizufügen 1. eine Geburtsurkunde, 2. der Nachweis a) einer abgeschlossenen Mittelschulbildung oder einer mindestens gleichwertigen Schulbildung, b) der Fähigkeit, ein Diktat von mindestens 750 Silben in 10 Minuten in Kurzschrift aufzunehmen und es in höchstens 50 Minuten in Maschinenschrift zu übertragen,

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c) einer vierteljährigen pflegerischen Tätigkeit in einer Krankenanstalt vor Beginn des Lehrgangs, d) der körperlichen Eignung zur Ausübung des Berufs durch Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses, das nicht älter als drei Monate sein darf, 3. ein selbstverfaßter, eigenhändig geschriebener Lebenslauf, 4. eine Bescheinigung des Leiters der Lehranstalt über die Teilnahme an dem Lehrgang, 5. ein polizeiliches oder entsprechendes amtliches Führungszeugnis. (2) Dem Gesuch um Zulassung zur Prüfung nach Teilnahme an einem verkürzten Lehrgang (§ 16 Abs. 3 des Gesetzes) oder an einem Ergänzungslehrgang (§ 19 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes) sind beizufügen 1. der Nachweis, daß in diesen Vorschriften die genannten Voraussetzungen vorliegen, 2. die in Absatz 1 Nr. 1, 2 Buchstabe d und Nr. 3 bis 5 genannten Unterlagen. (3) Dem Gesuch um Zulassung zur Prüfung ohne Teilnahme an einem Lehrgang (§ 16 Abs. 4 des Gesetzes) sind beizufügen 1. der Nachweis, daß die in diesen Vorschriften genannten Voraussetzungen vorliegen, 2. die in Absatz 1 Nr. 1, 2 Buchstabe d und Nr. 3 bis 5 genannten Unterlagen. (4) Liegen die Voraussetzungen des § 4 vor, so ist neben den in Absatz 1 genannten Unterlagen der Nachweis der Anrechnung der früheren Ausbildung beizufügen. (5) Beantragt der Prüfling die Zulassung zu einer Wiederholungsprüfung, so hat er gegebenenfalls außerdem nachzuweisen, daß er die nach § 19 Abs. 4 festgesetzten Voraussetzungen erfüllt hat. (6) Die für die Zulassung zur Prüfung geforderten Nachweise sind in Urschrift vorzulegen. Der Vorsitzende des Prüfungsausschusses kann Ausnahmen zulassen. §10 (1) Über die Zulassung zur Prüfung entscheidet der Vorsitzende des Prüfungsausschusses, soweit in Absatz 4 nichts anderes bestimmt ist. (2) Die Zulassung ist zu versagen, wenn 1. der Prüfling die vorgeschriebenen Unterlagen nicht oder nicht vollständig eingereicht hat, 2. ein Grund für die Versagung der Erlaubnis nach § 3 des Gesetzes vorliegt, 3. der Prüfling die Wiederholungsprüfung endgültig nicht bestanden hat oder

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4. im Falle der Wiederholungsprüfung der Prüfling die Zulassung nicht rechtzeitig beantragt hat (§ 20 Abs. 1 und 2). (3) Die Zulassung ist zu widerrufen, wenn ihre Voraussetzungen zu Unrecht als gegeben angenommen worden oder wenn nachträglich Tatsachen eingetreten sind, die die Versagung der Erlaubnis nach § 3 des Gesetzes rechtfertigen würden. (4) Die Entscheidungen nach Absatz 2 Nr. 2 und Absatz 3 trifft die zuständige Verwaltungsbehörde. §11 (1) Die Gebühr beträgt für die Prüfung nach § 9 Abs. 1 des Gesetzes und ihre Wiederholung als Ganzes je 50 Deutsche Mark, für die Prüfung nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes und ihre Wiederholung je 10 Deutsche Mark. Die Gebühr beträgt für die Wiederholung der Prüfung in einzelnen Fächern je Fach 10 Deutsche Mark, insgesamt jedoch höchstens 50 Deutsche Mark. Dasselbe gilt für eine Prüfung, bei der die Voraussetzungen des § 4 vorliegen. (2) Die Prüfungsgebühr ist vor der Prüfung an die Kasse der zuständigen Verwaltungsbehörde zu entrichten (3) Wer spätestens zwei Tage vor Beginn der Prüfung oder mit genügender Entschuldigung zu einem späteren Zeitpunkt vor Beginn der Prüfung zurücktritt, erhält die Prüfungsgebühr mit Ausnahme eines Anteils für sächliche Kosten und Verwaltungskosten zurück. §12 (1) Der Vorsitzende des Prüfungsausschusses setzt im Benehmen mit dem Leiter der Lehranstalt den Tag des Beginns der Prüfung fest und fordert den Prüfling spätestens zwei Wochen vor ihrem Beginn schriftlich auf, an ihr teilzunehmen. (2) Der Vorsitzende leitet die Prüfung. Er ist berechtigt, sich in allen Fächern an der Prüfung zu beteiligen. §13 (1) Die Prüfung besteht aus einem praktischen und einem theoretischen Teil. (2) Prüfungsfächer sind 1. im praktischen Teil die in § 1 Abs. 2 Nr. 4, 6 bis 8 und 10 bezeichneten Fächer, 2. im theoretischen Teil die in § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 11 bezeichneten Fächer. (3) Der theoretische Teil der Prüfung ist nach dem praktischen Teil an mindestens zwei aufeinanderfolgenden Tagen durchzuführen. Dabei sollen an einem Tag nicht mehr als vier Gruppen zu je vier Prüflingen ge-

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prüft werden. Zwischen dem praktischen und dem theoretischen Teil der Prüfung muß mindestens ein prüfungsfreier Tag liegen. (4) Bei grob ordnungswidrigem Verhalten während der Prüfung, insbesondere Täuschungsversuchen, kann der Vorsitzende des Prüfungsausschusses den Prüfling von der weiteren Teilnahme an der Prüfung ausschließen. Die Prüfung gilt als in allen Fächern nicht bestanden. §14 (1) Über die Prüfung eines jeden Prüflings ist eine Niederschrift aufzunehmen, in der die Namen der Prüfer, die Prüfungsfächer, die Prüfungstage, die Noten in den einzelnen Fächern und das Gesamtergebnis anzugeben sind. Die Niederschrift ist von den Prüfern zu unterzeichnen. (2) Vor der Prüfung ist in die Niederschrift eine von der Leitung der Lehranstalt im Benehmen mit den Lehrkräften auf Grund der Leistungen des Prüflings während des Lehrgangs erteilte Vorzensur für jedes Prüfungsfach einzutragen. §15 Die Leistung des Prüflings in jedem Fach des praktischen und des theoretischen Teils der Prüfung ist vom Prüfer unter Berücksichtigung der Vorzensur mit einer der Noten „sehr gut" (1), „gut" (2), „befriedigend" (3), „ausreichend" (4), „mangelhaft" (5), „ungenügend" (6) zu beurteilen. § 16 (1) Nimmt ein Prüfling, der vor Beginn der gesamten Prüfung nicht von ihr zurückgetreten ist, an der Prüfung in einem Fach ohne genügende Entschuldigung nicht teil, so gilt die Prüfung in diesem Fach als mit der Note „ungenügend" abgelegt. (2) Nimmt der Prüfling mit genügender Entschuldigung an der Prüfung in einem Fach nicht teil, so ist die Prüfung in diesem Fach nachzuholen. (3) Die Entscheidung, ob eine Entschuldigung genügend ist, trifft der Vorsitzende des Prüfungsausschusses. §17 Die Prüfung ist bestanden, wenn der Prüfling in allen Fächern des praktischen und theoretischen Teils der Prüfung mindestens die Note „ausreichend" erhalten hat. §18 (1) Das Gesamtergebnis der bestandenen Prüfung ermittelt der Vorsitzende des Prüfungsausschusses durch Zusammenzählen der Noten für die einzelnen Fächer. Dabei zählen

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1. die Fächer des praktischen Teils der Prüfung: Medizinische Mikrobiologie einschließlich Serologie, Klinische Chemie und Hämatologie, Medizinische Strahlenkunde, Histologie —• je sechsfach —; Fotografie — vierfach —, 2. die Fächer des theoretischen Teils der Prüfung: Physik, Chemie, Anatomie und Physiologie — je vierfach —; Medizinische Mikrobiologie einschließlich Serologie, Klinische Chemie und Hämatologie, Medizinische Strahlenkunde, Histologie — je dreifach —; Hygiene, Technik der physikalischen Diagnostik und Therapie, Fotografie, Berufslehre — je zweifach —. (2) Das Gesamtergebnis lautet bei Summen bis 85 „sehr gut", von 86 bis 149 „gut", von 150 bis 209 „befriedigend" und von 210 ab „ausreichend". (3) Bei Prüfungen nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes, lautet das Gesamtergebnis bei Summen bis 13 „sehr gut", von 14 bis 22 „gut", von 23 bis 31 „befriedigend" und von 32 ab „ausreichend". (4) Muß der Prüfling in einem Fach eine Wiederholungsprüfung ablegen, so kann das Gesamtergebnis höchstens „gut" lauten. (5) Bei Anrechnungen von Prüfungen nach § 4 wird kein Gesamtergebnis ermittelt. §19 (1) Die Prüfung ist in den Fächern des praktischen oder des theoretischen Teils, die mit der Note „mangelhaft" oder „ungenügend" beurteilt wurden, zu wiederholen. (2) Die Prüfung ist als Ganzes zu wiederholen, wenn der Prüfling im praktischen Teil der Prüfung in zwei der in § 1 Abs. 2 Nr. 4 und 6 bis 8 bezeichneten Fächern die Note „ungenügend" erhalten hat. Sobald feststeht, daß die Prüfung als Ganzes zu wiederholen ist, wird sie nicht mehr fortgesetzt.

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(3) Die Prüfung als Ganzes und die Prüfung im praktischen Teil in den in § 1 Abs. 2 Nr. 4 und 6 bis 8 bezeichneten Fächern kann einmal, die Prüfung in den übrigen Fächern zweimal wiederholt werden. Wurde die Prüfung als Ganzes wiederholt, so kann eine nochmalige Prüfung nur in den Fächern des theoretischen Teils und im praktischen Teil in dem in § 1 Abs. 2 Nr. 10 bezeichneten Fach (Fotografie) erfolgen. (4) Der Vorsitzende des Prüfungsausschusses kann die Zulassung zu einer Wiederholungsprüfung von einer bestimmten Art der Vorbereitung abhängig machen. Dies gilt nicht für Prüfungen in den Fällen des § 16 Abs. 4 des Gesetzes. §20 (1) Der Antrag auf Zulassung zur Wiederholung der Prüfung 1. in einzelnen Fächern kann nur innerhalb eines Jahres und frühestens drei Monate nach Beginn der nicht bestandenen Prüfung, 2. als Ganzes nur innerhalb eines Jahres und frühestens sechs Monate nach Beginn der nicht bestandenen Prüfung gestellt werden. (2) Die zuständige Verwaltungsbehörde kann die Fristen aus zwingenden Gründen verlängern. (3) Die Prüfung kann als Ganzes oder in einzelnen Fächern nur vor demselben Prüfungsausschuß wiederholt werden. Ausnahmen können durch die zuständige Verwaltungsbehörde, in deren Bereich die Prüfung wiederholt werden soll, zugelassen werden. Die Vorsitzenden der beteiligten Prüfungsausschüsse sind vorher zu hören. §21 (1) Der Prüfling erhält nach bestandener Prüfung ein von dem Vorsitzenden des Prüfungsausschusses ausgefertigtes Zeugnis, das die Noten in den einzelnen Fächern und das Gesamtergebnis enthält. Bei Anrechnung von Prüfungen nach § 4 enthält das Zeugnis keine Noten für die angerechneten Prüfungen und kein Gesamtergebnis. (2) Ist die Prüfung nicht bestanden, so hat der Vorsitzende dies dem Prüfling schriftlich mitzuteilen. (3) Die eingereichten Unterlagen sind dem Prüfling nach bestandener Prüfung und nach endgültig nicht bestandener Wiederholungsprüfung zurückzugeben. III. Schlußbestimmungen §22 (1) Liegen die Voraussetzungen für die Erteilung der Erlaubnis nach § 2 Abs. 1, § 16 Abs. 3 oder Abs. 4, oder § 19 des Gesetzes vor, so stellt die

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zuständige Verwaltungsbehörde die Erlaubnisurkunde nach dem Muster der Anlage 1, 2 oder 3 aus. (2) Bei Anrechnung einer früheren Ausbildung nach § 4 stellt die zuständige Verwaltungsbehörde die Erlaubnisurkunde nach dem Muster der Anlage 4 aus. (3) Die Urkunde ist mit Geltung vom Tage der Beendigung der Ausbildung auszustellen. (4) Die eingereichten Nachweise sind dem Prüfling zurückzugeben. §23 Diese Verordnung gilt nach § 14 des Dritten Überleitungsgesetzes vom 4. Januar 1952 (Bundesgesetzbl. I S. 1) in Verbindung mit § 20 des Gesetzes über die Ausübung des Berufs der medizinisch-technischen Assistentin vom 21. Dezember 1958 (Bundesgesetzbl. I S. 981) auch im Land Berlin. §24 Die Verordnung tritt am Tage nach ihrer Verkündung in Kraft. III. Erläuterungen Das Gesetz ist, wie sich aus der im ersten Abschnitt gegebenen Darstellung unschwer erkennen läßt, gewissermaßen das Ergebnis der Möglichkeiten, die seit dem Jahre 1921 zur staatlichen Regelung des medizinisch-technischen Hilfsberufs erprobt worden sind. In ihm finden sich mannigfache Elemente aus den früheren Regelungen, so die einheitliche Ausbildung für Laboratorium und Röntgenkunde, das praktische Berufshalb jähr nach bestandener Prüfung, die Berufsbezeichnung „medizinisch-technische Assistentin", während andere Elemente, die einstmals entscheidend waren, nicht übernommen worden sind, weder die zwei Berufsarten für Laboratorium oder für Röntgenkunde noch die zwei Berufssparten „medizinisch-technische Gehilfin" und „medizinisch-technische Assistentin", vor allem aber nicht die Bindung der berufsmäßigen Ausübung der Tätigkeit einer „medizinisch-technischen Assistentin" an eine Erlaubnis. Nach dem Gesetz wird zwar auch künftig eine Erlaubnis erteilt, aber nicht für die Berufsausübung schlechthin sondern nur für die Ausübung medizinisch-technischer Tätigkeiten unter der Berufsbezeichnung „medizinisch-technische Assistentin". Niemand ist also daran gehindert, auch ohne „medizinisch-technische Assistentin" zu sein, die Tätigkeit einer solchen auszuüben. Er verstößt in diesem Falle nur gegen das Gesetz, wenn er diese Berufsbezeichnung führt oder auch die sogenannten „vorbehaltenen Tätigkeiten" (§ 11 Abs. 1) verrichtet, für die allein der Gesetzgeber die Berufsfreiheit eingeschränkt S c h l u n g b a u m , Med. Strahlenkunde

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