Meditationen: Mit sämtlichen Einwänden und Erwiderungen 9783787318889, 3787318887

In den Meditationes de prima philosophia (1641) erweist Descartes die Tauglichkeit der von ihm gefundenen erkenntnistheo

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Meditationen: Mit sämtlichen Einwänden und Erwiderungen
 9783787318889, 3787318887

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RENÉ DESCARTES

Meditationen Mit sämtlichen Einwänden und Erwiderungen

Übersetzt und herausgegeben von christian wohlers

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 598

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-1888-9

www.meiner.de © Felix Meiner Verlag Hamburg 2009. Alle Rechte vorbehalten.

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Vision und Illusion des Neuanfangs. Von Christian Wohlers . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Die Entstehung der Meditationes de prima philosophia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . vii 2. Die Meditationes de prima philosophia als epochemachendes Werk . . . . . . . . . . . . xxxii 3. Zu dieser Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . lv Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Meditationen über die Erste Philosophie des René Descartes sc hr e i be n a n d ie s o r bo nne . . . . . . . . . . . .

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vo rwo r t a n d e n l es e r . . . . . . . . . . . . . . . .

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ü b er s i c h t ü b e r d i e s e ch s f o lge nden me d i tati o n e n . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 er st e m e d i tat i o n . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Über das, was in Zweifel gezogen werden kann. z we i t e m e d itat io n . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Über die Natur des menschlichen Geistes : daß er bekannter ist als der Körper. d rit t e m e d i tat i o n . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Über Gott, daß er existiert. v i e r te m e d i tat io n . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Über das Wahre und Falsche. f ünf t e m e d i tat i o n . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Über das Wesen der materiellen Dinge ; und erneut über Gott, daß er existiert.

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se c hs t e m e d i tat i o n . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Über die Existenz materieller Dinge und die reale Unterscheidung des Geistes vom Körper. Einwände einiger Gelehrter gegen die vorangegangenen Meditationen mitsamt den Antworten des Autoren. e r s t e e i n wä n d e . . . . . . . . . . . . . e r s t e e rw i d e ru n g e n . . . . . . . . . z w e i te e in wä n d e . . . . . . . . . . . . z w e i te e rw i d e ru n ge n . . . . . . . . . üb e r le g u n g en mo re ge o m etri co . dr i tt e e in wä n d e u nd erw ide runge n vi e r t e e i n wä n d e . . . . . . . . . . . . vi e r t e e rw id e ru n g en . . . . . . . . . fü n f t e ei n wä n d e . . . . . . . . . . . . fü n f t e e rw i d e ru n g en . . . . . . . . . s e c h s t e e in wä n d e . . . . . . . . . . . s e c h s t e e rw i d e ru n gen . . . . . . . . s i eb t e ei n wä n d e u n d anm erkunge n

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Analytische Synopsis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569

VI SI O N U ND I L LU S ION D ES NEUA NFA N G S

1. Die Entstehung der Meditationes de prima philosophia Zu Beginn der Adventszeit 1628 verläßt René Descartes Paris und reist in die Niederlande. Zuvor betraut er seinen Freund Picot mit der Verwaltung seiner häuslichen Angelegenheiten und installiert Marin Mersenne als Schaltzentrale der Korrespondenz. Es wird Mersenne nicht schwergefallen sein, der Bitte des Philosophen um Verschwiegenheit bezüglich seines Aufenthaltes in den Niederlanden (Baillet I, 168) zu entsprechen, denn über seinen ersten Zufluchtsort schweigt Descartes sich auch ihm gegenüber aus, und noch heute herrscht Unklarheit darüber, ob er den Jahreswechsel 1628/29 noch in Nordfrankreich oder bereits in den Niederlanden verbracht hat (Baillet I, 169). Einmal dort angekommen, wechselt Descartes seinen Aufenthaltsort jedoch so oft, daß Mersenne ihn selbst bei bestem Willen kaum hätte verraten können. Anfang 1629 finden wir ihn in Amsterdam, von wo aus er noch im selben Jahr in die Nähe von Franeker und wieder zurück nach Amsterdam zieht. 1633 geht er nach Deventer und nach Amsterdam zurück, wo er einen Teil des Jahres 1634 verbringt. Mit seinem Pariser Freund Villebressieu unternimmt er 1634/35 eine Reise nach Dänemark, kehrt nach Amsterdam zurück, wechselt für einige Monate nach Dortrecht, wieder nach Amsterdam und übersiedelt zum zweiten Mal nach Deventer. Schließlich geht er nach Leeuwarden, der Hauptstadt Westfrieslands, verbringt dort den Winter 1635/36 und kehrt wieder nach Amsterdam zurück. 1636 finden wir ihn in Leiden, wo er Verhandlungen bezüglich des Drucks seines Discours führt. In dieser Zeit wohnt er in Santpoort in der Nähe von Utrecht ; doch auch dort hält es ihn nicht lange : Egmond de Binnen in Holland ist seine nächste Station, die er verläßt, um wieder nach Utrecht zurückzukeh-

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ren, das er seinerseits verläßt, um sich 1639 nach Harderwijk zurückzuziehen, von wo aus er in einen Landsitz in der Nähe von Utrecht wechselt. Anfang 1640 finden wir ihn wieder in Leiden, schon sechs Monate später in Ammersfoort, 1641 wieder in Leiden, einige Monate des Jahres 1642 in Endegeest, wo er bis zum Winter 1643 bleibt. Von dort geht es nach Egmond de Hoef in der Nähe von Alkmaar, wo er vom Mai 1643 bis zum Mai 1644 bleibt. Danach wieder Leiden. Er unternimmt seine erste Reise nach Frankreich, eine zweite folgt 1647, eine dritte 1648. Im November 1644 siedelt er sich wieder in Egmond de Binnen an, wo er bis zu seiner Übersiedelung nach Haarlem, die sich nicht genau datieren läßt, bleibt. 1649 tritt er die Reise nach Stockholm an, an den Hof der Königin Christine, von der manche behaupten, sie habe ihn 1650 ermorden lassen.1 Vereinfachend läßt sich sagen : Abgesehen von den Reisen nach Dänemark, Frankreich und zuletzt nach Schweden hielt sich Descartes in den Niederlanden auf : und zwar so gut wie überall. Überall : Das sind die Vereinigten Niederlande, also jene 1581 aus dem Kampf gegen das habsburgische Spanien hervorgegangene Republik, deren äußerer Frieden nur durch einen 1609 geschlossenen Waffenstillstand gefestigt war, der erst 1648, am Ende des Dreißigjährigen Krieges, im Westfälischen Frieden bestätigt wurde. Der Katholik Descartes siedelte damit in ein stark calvinistisch geprägtes Land über, und eben nicht in die dem Katholizismus näherstehenden spanischen Niederlande. Der Streit Descartes’ mit dem Leidener Theologen Voëtius, den dieser in den 1640er Jahren stellvertretend für Descartes mit dessen Adepten Henricus Regius anzettelte und der letztlich zum Zerwürfnis Descartes’ mit seinem berühmtesten Schüler führte, ihm die Niederlande verleidete und zu seinem Entschluß, nach Schweden zu gehen, nicht unerheblich beitrug – 1

So z. B. Peter Godman : Die geheime Inquisition. übers. v. Monika Noll u. Ulrich Enderwitz. München : List 2001, 170 ; zum Durcheinander der Aufenthaltsorte Descartes’ vgl. Baillet I, 175–177 ; Geneviève Rodis-Lewis : L’Oeuvre de Descartes. Paris : Vrin 1971, Bd. 1, 141–143.

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dieser Streit legt Zeugnis davon ab, daß die Niederlande alles andere als ein Land waren, in dem ein katholischer Philosoph, der sich mit den Grundlagen der Metaphysik beschäftigte, unbehelligt leben konnte. Sollte also jene Flucht in die Einsamkeit, die man einem gängigen Klischeebild zufolge einem Philosophen zuschreibt – nämlich, sich irgendwo im Nirgendwo niederzulassen, um die Welt zu erklären, die man beharrlich ignoriert – tatsächlich Descartes getrieben haben, Frankreich zu verlassen, so könnte man dieses Vorhaben getrost als gescheitert bezeichnen. Was Descartes sich erhoffte, war indes nicht Abgeschiedenheit, sondern Unabhängigkeit, es war weniger Einsamkeit als die Freiheit, nach eigenem Ermessen mit den Menschen umzugehen, mit denen er Umgang haben wollte. Seinen Freund Guez de Balzac fordert er am 5. Mai 1631 auf, nicht auf einen Landsitz oder in ein Kloster zu gehen, sondern ihm nach Amsterdam zu folgen : »Sie müssen es sogar meinem Eifer verzeihen, wenn ich Sie dazu auffordere, Amsterdam zu Ihrem Zufluchtsort zu wählen und es, möchte ich sagen, nicht nur allen Kapuziner- und Kartäuserklöstern vorzuziehen, wohin sich sehr viele rechtschaffene Leute zurückziehen, sondern auch allen den schönsten Sitzen Frankreichs und Italiens, selbst jener berühmten Einsiedelei, in der Sie im vergangenen Jahr waren. Wie vollkommen auch ein Landsitz sein kann, es fehlt dort immer eine Unzahl von Bequemlichkeiten, die sich nur in den Städten finden ; und selbst die Einsamkeit, die man davon erhofft, trifft man dort niemals ganz vollständig an. Ich möchte wohl, daß Sie ein Flüßchen fänden, das die größten Schwätzer zum Träumen veranlaßt, und ein derart einsames Tal, daß es Ihnen Entzücken und Freude einflößen kann ; mißlicherweise kann es aber geschehen, daß Sie ebenso eine Menge kleiner Nachbarn haben, die Sie zuweilen belästigen werden, und deren Besuche noch unbequemer sind, als die, die Sie in Paris empfangen ; statt dessen ist in dieser großen Stadt, in der ich mich befinde, da es in ihr außer mir keinen Menschen gibt, der nicht Han-

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del triebe, jeder derart auf seinen Nutzen bedacht, daß ich mein ganzes Leben hier bleiben könnte, ohne je von jemandem aufgesucht zu werden. Ich gehe jeden Tag mitten im Wirrwarr einer großen Bevölkerung mit ebenso viel Freiheit und Ruhe spazieren, wie Sie es in Ihren Alleen tun würden, und betrachte die Menschen, die ich dabei sehe, nicht anders als die Bäume, auf die man in Ihren Wäldern trifft, oder die Tiere, die dort grasen. Selbst das Geräusch ihres Gewerbes unterbricht meine Träumereien nicht mehr, als es das irgendeines Baches tun würde« (AT I, 202–203 = Bense 57–58).

Amsterdam ist keine Berghütte in den Alpen, und Descartes war nicht der Mensch, sich durch Einsamkeit in den Wahnsinn treiben zu lassen. Ganz im Gegenteil. Erst durch den Umzug in die Niederlande wurde der umfangreiche Briefwechsel möglich, in dem Descartes Teile seiner Metaphysik darlegte und ein Gutteil seines mathematischen Wirkens Gestalt annahm, Gestalt also stets in Auseinandersetzung wenigstens mit einem Zuhörer, wenn nicht mit einem Diskussionspartner oder Widerpart. Descartes war, dank Mersennes unermüdlicher Vermittlung, nicht nur nicht von Frankreich abgekoppelt, sondern er war auch in den Niederlanden selbst alles andere als isoliert. Er schrieb sich an der Universität von Franeker als Philosoph und in Leiden als Mathematiker ein. Die Fleischer seiner Wohnorte werden sich womöglich über den Appetit des Franzosen gewundert haben, der bei ihnen weit öfter innere Organe als Fleisch erstand ; Descartes jedoch war alles andere als ein französischer Gourmet, der Rinderherz in Schweinskaldaunen verzehrte, sondern ein unermüdlicher Anatom, der die Funktionsweise des Körpers studieren wollte. Er war, diese Einschätzung vertritt schon Adrien Baillet, weit davon entfernt, ein Melancholiker und Misanthrop zu sein (Baillet I, 174), der sich von der Welt abwenden wollte.2 2

Freilich ist dies das Urteil eines Menschen, der Descartes weder je gesehen haben kann – Baillet wurde 1649 geboren, ein Jahr vor Des-

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Descartes’ Ruf gründete sich zu dem Zeitpunkt seiner Übersiedelung in die Niederlande allein auf sein persönliches Wirken in Gesprächen, Diskussionen und Korrespondenz. Bislang hatte Descartes nur zwei Werke verfaßt, jedoch keines von beiden veröffentlicht, nämlich 1618 das Compendium musicae, das erst 1650 erschien, und die erst lange nach Descartes’ Tod im Jahre 1701 erschienenen Regulae ad directionem ingenii. Auch wenn das Datum der Abfassung der einzelnen Teile der Fragment gebliebenen Regulae unklar ist, so herrscht doch Einigkeit darüber, daß die Abkehr von diesem Projekt mit dem Datum der Übersiedelung in die Niederlande zusammenfällt (LG : Regulae, XXI–XXX). Bereits am 18. Juli 1629 berichtet Descartes Gibieuf jedoch von einer kleinen Abhandlung, die er begonnen habe und deren Vollendung er in zwei oder drei Jahren erwarcartes’ Tod, und schrieb seine große Biographie 1691, einundvierzig Jahre später –, noch der sich moderner Psychologie bedienen konnte, sondern der sein Objekt, den Philosophen Descartes, gegen banale und ungerechte Vorwürfe in Schutz nehmen wollte. Aus heutiger Sicht müßte ein sehr viel differenzierteres Urteil gefällt werden. Eine gewisse Angst – ob berechtigt oder unberechtigt, sei hier dahingestellt – ist bei Descartes nicht von der Hand zu weisen ; so fordert Descartes am 15. Mai 1634 Mersenne auf, in seinen Briefen nur solche Dinge zu schreiben, bei denen er keine Bedenken trage, wenn sie bekannt würden. Descartes bezieht sich auf den Verlust mehrerer im November 1633 geschriebener Briefe, die Mersenne nicht erreicht hatten ; er vermutet, jemand habe davon Kenntnis erhalten, daß Descartes Mersenne Le Monde habe schicken wollen, und dieser jemand habe versucht, die Abhandlung abzufangen (AT I, 292). Seine Gegner hält Descartes sogar für so geschickt, ihre Gegnerschaft in Lob und Anerkennung zu verpacken. So äußert er gegenüber Mersenne im Zusammenhanng mit seinem Plan, einen Abriß der jesuitisch-scholastischen Philosophie zu verfassen, die Befürchtung, man werde, wenn man von seinem Plan erfahre, ihn durch die Betrauung mit anderen Aufgaben von dieser Arbeit abzuhalten versuchen, und das »könnte auch vielleicht die Genehmigung der Sorbonne verhindern, die ich wünsche und die, wie mir scheint, meinen Absichten äußerst nützen kann : denn ich will Ihnen sagen, daß dieses bißchen Metaphysik, das ich Ihnen schicke, alle Prinzipien meiner Physik enthält« (AT III, 233 = Bense 209).

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te ; dann werde er Gibieuf an sein Versprechen erinnern, diese Abhandlung zu korrigieren und letzte Hand an sie zu legen ; vielleicht werde er sie auch verbrennen, jedenfalls aber werde er sie nicht aus den Händen geben, »sans être bien consideré« (AT I, 17). Nun, woran arbeitet Descartes im Jahre 1629? Am 25. November 1630 (AT I, 181–182) spricht er von einem Traité de Metaphysique, den er begonnen habe, während er sich in Friesland aufhielt – also 1629 in Franeker – und in dem ihm sowohl ein ihn völlig befriedigender Beweis der Existenz Gottes gelungen sei, der an Sicherheit den Beweisen der Geometrie in nichts nachstehe, als auch ein Beweis der Verschiedenheit der menschlichen Seele vom Körper, woraus sich die Unsterblichkeit der Seele ergebe. Jedoch wisse er noch nicht, ob er in der Lage sein würde, diesen Beweis allen verständlich zu machen, und er glaube, daß es besser sei, diesen Gegenstand lieber gar nicht anzurühren als ihn schlecht zu behandeln. Dem entspricht seine Äußerung gegenüber Mersenne vom März 1637, er habe »vor ungefähr acht Jahren [. . . ] einen Anfang der Metaphysik auf lateinisch geschrieben, wo das alles umständlich genug dargelegt ist« (AT I, 350 = Bense, 78). Am 8. Oktober 1629 (AT I, 22–32) spricht Descartes in einem Brief an Mersenne über das Phänomen der Parhelien (Nebensonnen), die am 20. März desselben Jahres in Rom sichtbar gewesen waren ; am 13. November 1629 (AT I, 69–75) spricht er von einem kleinen Traité, den er über dieses Phänomen zu schreiben beabsichtige, und dankt Mersenne für dessen Bereitschaft, sich für die Veröffentlichung dieses Aufsatzes stark zu machen. Freilich werde dieser Aufsatz nicht vor einem Jahr fertig werden ; denn er habe sich entschlossen, anstatt bloß ein Phänomen zu erklären, alle Erscheinungen der Natur zu erklären, »c’est-àdire toute la physique« (AT I, 70). Genau das aber : Im Ausgang von einem optischen Phänomen die gesamte Physik zu erklären, ist das Leitmotiv des 1633 liegengelassenen naturphilosophischen Fragments Le Monde ou Traité de la Lumière. Freilich enthält gerade dieses Fragment keine Abhandlung über

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die Parhelien, sie fand aber Eingang in den zweiten jener Essais, die Descartes als Proben von der Brauchbarkeit seiner Methode seinem 1637 anonym erschienenen Discours de la Méthode pour bien conduire sa Raison et chercher la Vérité en Sciences (AT VI) anfügte, nämlich als zehntes Kapitel von Les Météores (AT VI, 354–366). Von der Forschung der Jahre 1629/30 geht also eine direkte Linie zum Fragment Le Monde über die Essais Dioptrique und Météores bis zu Descartes’ umfassendstem Werk, den Principia philosophiae von 1644. Dasselbe gilt für die Gnoseologie der Regulae, denn die deutliche, sich schon im Titel ausdrückende methodische Ausrichtung des Cartesischen Denkens und Forschens bildet gerade das Leitmotiv des späteren Discours, und stellt damit einen sich durchhaltenden Grundzug dar, auch wenn Descartes die einundzwanzig überlieferten, mehr oder weniger ausgeführten Regeln des Frühwerks auf vier hauptsächliche reduziert (AT VI, 18–20 = LG, 31–35). Der Gesamtentwurf der Cartesischen Philosophie – das scheint mir offensichtlich zu sein – ist durch zwei äußere Merkmale gekennzeichnet, nämlich 1. Er verändert sich seit der Übersiedelung in die Niederlande nur in den Einzelheiten ; und 2. Er ist in keinem der Werke Descartes’ vollständig ausgearbeitet, sondern ist eine Sache der Rekonstruktion oder zumindest der Kombination der vorliegenden Werke. Auf der Basis dieser Thesen läßt sich die obige Frage erneut stellen : Woran arbeitet Descartes 1629, als er Gibieuf eine kleine Abhandlung ankündigt, deren Vollendung erst im Verlauf der nächsten zwei bis drei Jahre erfolgen werde? Oder, anders gefragt : Ist dies dieselbe Abhandlung, die er Mersenne gegenüber erwähnt? Möglich, aber nicht notwendig. Denn ebenso wie sich die Abhandlung über die Parhelien bis zu den Essais von 1637 weiterverfolgen läßt, lassen sich die Ausführungen Descartes’ über Metaphysik im Discours bis in das Jahr 1629 zurückverfolgen. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Metaphysik, wie sie später in den Meditationes de prima philosophia von 1641 Gestalt annimmt, sachlich bereits 1637 im Discours vorliegt, denn die

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Übereinstimmungen zwischen dem Abriß der Metaphysik im Discours IV (AT VI, 31–40 = LG, 51–67) und den Meditationes sind so offensichtlich, daß man den Discours IV als Vorwort zu den Meditationes lesen kann. Was hier indes sehr viel interessanter ist, aber auch sehr viel größere Schwierigkeiten bereitet, ist die Tatsache, daß Descartes im Discours IV vorgibt, nicht den Inhalt einer zukünftigen, sondern den einer bereits vorliegenden Schrift darzustellen. In Discours II nennt Descartes als Zeitpunkt der Initialzündung seiner methodischen Überlegungen, aus denen dann zunächst die ersten Entwürfe und Partien der Regulae hervorgingen, 1619/20, also den Zeitpunkt seiner Stationierung als Söldner in Deutschland (AT VI, 11 = LG, 19). Auch wenn Descartes’ autobiographischen Angaben im Discours nicht unbesehen geglaubt werden darf – Monsieur neigen bekanntlich zum Flunkern –, so kann nicht von der Hand gewiesen werden, daß Descartes selbst keineswegs jenen harten Bruch zwischen seinen frühen Überlegungen zur Methode und seiner späteren, reifen Metaphysik, wie sie in den Meditationes vorliegt, anerkennt, den zu konstatieren in der Forschung eine zeitlang gang und gäbe war. Ganz im Gegenteil pointiert Descartes die Kontinuität, die es ihm nämlich sogar erlaubt habe, den Aufschub durchzuhalten, den er für nötig gehalten habe, weil er sich noch für zu unreif hielt, neue Grundlagen in der Philosophie zu legen.3 Wenn Descartes die Erkenntnis der vier im Discours formulierten methodischen Regeln auf das Jahr 1619 zurückdatiert, so ist dies nun entweder 3

Am Ende von Discours II führt Descartes aus, er habe sich damals nicht getraut, »gleich anfangs die Prüfung jeder sich darbietenden Schwierigkeit zu unternehmen, denn gerade das wäre gegen die Ordnung gewesen, die [die Methode] vorschreibt. Sondern ich hatte ja beobachtet, daß ihre [der Methode] Prinzipien alle der Philosophie entlehnt sein müssen, in der ich noch keine gewissen Grundlagen fand ; daher meinte ich, ich müsse vor allem danach trachten, in ihr solche aufzustellen und dürfe [. . . ] nicht versuchen, damit fertig zu werden, bevor ich nicht ein viel reiferes Alter erreicht hätte als meine damaligen dreiundzwanzig Jahre« (AT VI, 21–22 = LG, 37).

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tatsächlich eine bloße Projektion, oder das Fragment der Regulae – das er ja erst in der Folge beginnt – stellt gerade umgekehrt den Versuch einer genaueren Ausführung dieser Regeln dar. Wie dem auch sei : Am Ende von Discours III spricht er von den seitdem verflossenen »neun Jahren«, während derer er sich nicht in Streitigkeiten der Gelehrten eingemischt habe ; dann jedoch habe man das unzutreffende Gerücht verbreitet, »daß ich damit zum Ziele gekommen sei«, und deshalb habe er sich in die Niederlande zurückgezogen, um dieses Ziel tatsächlich zu erreichen (AT VI, 30–31 = LG, 49–51). Die Überlegungen, die er daraufhin seinem eigenen Bericht zufolge in den Niederlanden anstellte, legt Descartes in den Abschnitten IV und V des Discours dar, und diese beiden Abschnitte beinhalten sowohl die Grundlagen der Metaphysik als auch die der Physik. Zu Beginn von Discours VI heißt es : »Vor nun gerade drei Jahren war ich mit der Abhandlung, die dies alles enthält, zu Ende gekommen und fing an, sie wieder durchzusehen, um sie zum Druck zu geben« (AT VI, 60 = LG, 99). Das Datum, auf das Descartes hier anspielt, ist das Jahr 1633, das Jahr der Verurteilung Galileis, die ihn erklärtermaßen bewogen hat, Le Monde liegenzulassen und physikalische Themen erst später in den Essais wieder auszuarbeiten. Nimmt man Descartes’ Bericht ernst, so bedeutet das aber auch, daß die 1633 liegengelassene Abhandlung, deren Reste heute unter dem Titel Le Monde bekannt sind, Teil eines Gesamtentwurfes ist, der Metaphysik und Physik umfaßt, und damit Teil eben jenes Gesamtentwurfes, dessen umfangreichste, wenn auch keineswegs vollständige Ausführung die Principia philosophiae sind. Die Antwort auf die Frage, womit Descartes sich 1629 beschäftigte und worüber er zuerst Gibieuf und dann Mersenne berichtete, kann demnach, wenn man sie auf die Alternative zwischen Metaphysik und Physik zuspitzt, nur lauten : mit beidem. Wenn also Descartes in Discours VI mit dem Plan kokettiert, die »Grundlagen meiner Physik« (AT VI, 68 = LG, 111) zu veröffentlichen, so ist es demnach einigermaßen müßig, sich zu überlegen, ob er damit auf Le Monde, die späteren Principia oder die Meditationes anspielt ; denn sachlich

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gesehen sind alle drei genannten Werke Teile desselben, Metaphysik und Physik verbindenden Gesamtentwurfs. Was jedoch bindet Physik und Metaphysik so eng aneinander? Ganz sicherlich mehr als die Descartes historisch vorfindliche Situation, daß sich die Physik als eine von der Philosophie unabhängige Wissenschaft gerade erst auszubilden beginnt. Im Brief vom 18. Dezember 1629 (AT I, 82–104) dankt Descartes Mersenne für dessen Bereitschaft, sich für die Veröffentlichung der kleinen Abhandlung einzusetzen, die anonym geschehen solle, weil man die Theologie so eng an Aristoteles gebunden habe, daß es fast unmöglich sei, eine andersgeartete Philosophie zu entwickeln, ohne sogleich den Eindruck zu erwecken, diese widerspreche dem Glauben (AT I, 85–86). Die spätere Aussage, die Meditationes enthielten die Grundlage der gesamten Physik (AT III, 233 = Bense, 209), scheint hier von der anderen Seite aufgerollt zu sein : Neue Ansichten in der Physik verweisen auf Grundlagen in der Metaphysik, Grundlagen, die weder gelegt sind, noch deren Grundlegung gestattet ist ; deshalb motiviert die Notwendigkeit, eine neue Physik zu betreiben, auch die Notwendigkeit einer neuen Metaphysik, die wiederum die Grundlage legt, auf der als einer festen Basis die Physik betrieben werden kann. Wenn jedoch, wie es dann 1633 durch die Verurteilung Galileis geschieht – ist es ein Zufall, daß Descartes am 15. April 1630 gegenüber Mersenne die Fertigstellung der Abhandlung gerade für dieses Jahr ankündigt? (AT I, 137 = Bense, 43) – wenn nun jedoch neue Ansätze in der Physik verboten werden, dann ist gerade dann, wenn sie das Fundament dieser Physik bildet, offenbar auch die Metaphysik falsch. Wenn Descartes von den »Schwierigkeiten der Physik« spricht, so liegen diese Schwierigkeiten zwar vorderhand darin, daß die physikalischen Erscheinungen miteinander verkettet sind und so stark voneinander abhängen, »daß es mir unmöglich sein würde, eine zu erklären, ohne sie alle zusammen zu erläutern ; was ich nicht früher und bündiger als in der Abhandlung machen könnte, die ich vorbereite« (AT I, 140–141 = Bense, 45) ; aber es ist umwillen der Möglichkeit einer Physik eben auch nötig, der Physik ihre

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Bedrohung für die Theologie zu nehmen. Das wiederum aber ist nur nötig, weil die Physik immer auch metaphysische Implikationen hat ; deshalb kann die Physik in ihr Recht gesetzt und die Theologie in ihrem Recht belassen werden, nicht indem man die theologische Irrelevanz physikalischer Theoreme behauptet und etwa oberflächlich die Behauptung, die Erde drehe sich um die Sonne, bloß als Hypothese hinstellt, mit der sich astronomische oder kalendarische Berechnungen bequemer anstellen ließen, sondern auf einem grundsätzlicheren Wege, nämlich indem man die Aufgabenfelder der Theologie und der Metaphysik voneinander abgrenzt. Dies tut Descartes in demselben Brief an Mersenne vom 15. April 1630 : Theologie ist »das von der Offenbarung Abhängige« (AT I, 144 = Bense, 48) im Gegensatz zur Metaphysik, die Descartes methodisch und gerade nicht gegenständlich bestimmt als Prüfung von Fragen durch die menschliche Vernunft : »Nun schätze ich aber, daß alle, denen Gott den Gebrauch dieser Vernunft gegeben, verpflichtet sind, sie hauptsächlich zu dem Versuch zu verwenden, ihn und sich selbst zu erkennen. Damit jedenfalls habe ich versucht, meine Studien zu beginnen ; und ich sage Ihnen, daß ich niemals die Grundlagen der Physik zu finden verstanden haben würde, wenn ich sie nicht auf diesem Wege gesucht hätte. Diesen Gegenstand aber habe ich am meisten von allen studiert, und in ihm habe ich mir dank Gott irgendwie Genugtuung verschafft ; wenigstens glaube ich, gefunden zu haben, wie man die metaphysischen Wahrheiten beweisen kann, und zwar auf eine Art, die augenscheinlicher als die geometrischen Beweise ist ; ich sage dies gemäß meinem Urteil, denn ich weiß nicht, ob ich die anderen davon werde überzeugen können. Die in diesem Lande verbrachten ersten neun Monate habe ich an nichts anderem gearbeitet, und ich glaube, Sie haben mich schon früher davon sprechen hören, daß ich den Plan gefaßt hatte, etwas davon schriftlich niederzulegen ; aber ich halte es nicht für ratsam, dieses zu tun, ehe ich nicht zuerst gelesen habe, wie die Physik aufgenommen werden wird« (AT I, 144 = Bense, 48).

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1630 ist also das Jahr, in dem Descartes aus äußerer Motivation heraus das metaphysische Vorhaben aus dem Verbund mit der physikalischen Abhandlung trennt, die er bis über die Veröffentlichung der Meditationes 1641/42 hinaus seine Welt nennt (zuerst am 4. November 1630 an Mersenne : AT I, 176). Bereits im November 1630 trennt Descartes die Dioptrique von Le Monde (AT I, 179) ab ; die Dioptrique werde »quasi une physique toute entière« (AT I, 179) enthalten, sei bereits zur Hälfte fertiggestellt und werde zumindest dazu dienen können, das Versprechen einzulösen, »d’avoir achevé mon Monde dans trois ans, car c’en sera quasi un abregé« (AT I, 179). Offenbar hat Descartes beide Abhandlungen parallel bearbeitet und dafür die Abhandlung über Metaphysik liegengelassen. Im Juni 1632 schreibt Descartes aus Deventer an Mersenne, er wolle diesen Ort nicht verlassen, bis die Dioptrique vollendet sei (AT I, 254), während er die »fable de mon Monde« (AT I, 179), deren Kerngedanke darin bestehe, »das Chaos zu entwirren, um aus ihm das Licht entspringen zu lassen, was einer der größten und schwierigsten Gegenstände ist, den ich jemals angegangen bin, weil fast die gesamte Physik darin enthalten ist« (an Mersenne, 23. Dezember 1630 : AT I, 194), erst am 5. April 1632 an Mersenne als »fast fertig« (AT I, 242) meldet ; er wolle diese Abhandlung aber noch einige Monate zurückhalten, um sie erneut durchzusehen, ins reine zu schreiben und die Abbildungen hinzuzufügen. Descartes gibt eine Inhaltsübersicht, die ziemlich dem Inhalt der späteren Principia entspricht. Bezüglich des Programms von Le Monde fügt er hinzu, er habe sich entschlossen, nichts über die belebte Natur in das Buch hineinzunehmen, sondern es bei der Beschreibung der unbelebten zu belassen, weil ersteres ihn zu lange aufhalten würde (AT I, 254) ; lediglich über den Menschen wolle er einiges hinzufügen, nämlich »toutes ses principales fonctions«.4 Ende November 4

»J’ai déjà écrit celles qui appartiennent à la vie, comme la digestion de l’aliment &c., & les cinq sens. J’anatomise maintenant les têtes de divers animaux, pour expliquer en quoi consistent l’imagination, la memoire

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1633 schreibt Descartes dann den berühmten Brief, in dem er Mersenne mitteilt, Le Monde nicht zu veröffentlichen. Wenn die Bewegung der Erde falsch ist, sind »alle Grundlagen meiner Philosophie es ebenfalls, denn jene wird durch diese klar bewiesen« (AT I, 271 = Bense, 64). Die Grundlagen der Philosophie – und eben nicht bloß die Grundlagen der Physik. 1630 also trennt Descartes Physik und Metaphysik literarisch, ohne dadurch ihr gegenseitiges Bezogensein aufzuheben. Die Metaphysik steht zugunsten der Physik zurück ; für die Annahme, bei dem Traité de Metaphysique handele es sich um ein sachlich von den späteren Meditationes abweichendes, fallengelassenes und verlorengegangenes Werk, gibt es m. E. keine hinreichenden Beweise. Es ist Baillets Einschätzung zuzustimmen, es sei eben dieser Traité, den Descartes später nach zehn Jahren wieder hervorhole, um ihn in seine endgültige Fassung, nämlich die Meditationes, zu bringen (Baillet I, 181 ; II, 181). Tatsächlich ruht der Traité de Metaphysique offenbar bis in das Jahr 1639 ; Descartes ist mit den Einwänden gegen den Discours und die Essais beschäftigt, ein Gutteil seiner Korrespondenz ist mathematischen Problemen gewidmet, den teilweise heftig geführten Auseinandersetzungen mit Plempius, Fermat und Roberval. Im Sommer 1639 sendet Mersenne Descartes die französische Fassung von De veritate von Her&c. J’ai vû le livre De motu cordis [Harvey] dont vous m’aviez autrefois parlé, & me suis trouvé un peu different de son opinion, quoi que je ne l’aie vû qu’après avoir achevé d’écrire de cette matière« (im November oder Dezember 1632 an Mersenne : AT I, 263). Auch die Konzeption, nicht alle Erscheinungen der Physik ein-für-allemal zu beschreiben, sondern vielmehr Grundlagen zu liefern, auf deren Basis andere die Forschung weiterführen könnten, ist bereits im April 1632 vorhanden, wenn auch freilich noch in der Weise, daß die Behandlung der »substantiellen Formen« veranlassen solle, »que par succession de temps on les puisse connaître toutes, en adjoutant l’experience à la ratiocination. Et c’est ce qui m’a diverti tous ces jours passé : car je me suis occupé à faire diverses experiences, pour connaître les differences essentielles qui sont entre les huiles, les esprits ou eaux de vie, les eaux communes, & les eaux fortes, les sels, &c.« (AT I, 243).

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bert von Cherbury. Am 27. August antwortet er Mersenne, derzeit keine Muße zu einer Lektüre zu haben, fügt jedoch an, es zuvor bereits auf Lateinisch gelesen zu haben. Er moniert die Vermengung der Religion mit der Philosophie (AT II, 570 = Bense, 169). Am 16. Oktober 1639 äußert er sich detaillierter. Dieses Buch, so führt er aus, behandele einen Gegenstand, über den er sein ganzes Leben lang gearbeitet habe (AT II, 596 = Bense, 173).5 Am 13. November 1639 schreibt Descartes 5

In der Auseinandersetzung mit Herbert entstehen Formulierungen, die in den Meditationes wiederkehren. So will Descartes die Wahrheit den Prädikabilien oder Kategorien zugeordnet wissen, also zu Gestalt, Größe, Bewegung, Ort, Zeit usw., »so daß man diese Dinge verdunkelt und sich verwirrt, wenn man sie definieren will. Denn derjenige zum Beispiel, der in einem Saal spazieren geht, bringt das, was Bewegung ist, sehr viel besser zum Verständnis als der, der sagt : est actus entis in potentia prout in potentia« (AT II, 596 = Bense, 174). Die Regel der Wahrheit ist demnach nicht die »allgemeine Übereinstimmung [consentement universel]« (AT II, 597 = Bense, 174), sondern das natürliche Licht, was insofern der allgemeinen Übereinstimmung entspricht, als, weil »alle Menschen ein und dasselbe Natürliche Licht haben, [. . . ] sie alle dieselben Begriffe haben müssen. Es besteht aber darin eine große Verschiedenheit, daß fast niemand sich dieses Lichtes richtig bedient, woher es kommt, daß mehrere (zum Beispiel alle, die wir kennen) einem gleichen Irrtum zustimmen, und daß es eine Menge von Dingen gibt, die durch das Natürliche Licht erkannt werden können, über die noch niemals irgendwer Überlegungen angestellt hat« (AT II, 597–598 = Bense, 174). Herbert »will, daß in uns ebensoviele Fähigkeiten sind, wie es Verschiedenheiten des Erkennens gibt, was ich nicht anders verstehen kann, als wenn man sagte, daß das Wachs, weil es eine Unzahl von Gestalten annehmen kann, eine Unzahl von Fähigkeiten, diese anzunehmen, in sich enthielte« (AT II, 598 = Bense, 174), was man wohl so sagen kann, aber völlig nutzlos ist. »Deshalb ziehe ich die Auffassung vor, daß das Wachs allein durch seine Biegsamkeit alle Arten von Gestalten annimmt, und daß die Seele alle ihre Kenntnisse durch die Überlegung erwirbt, die sie anstellt, und zwar bezüglich der intellektuellen Dinge über sich selbst oder bezüglich der körperlichen Dinge über die verschiedenen Veranlagungen des Gehirns, mit dem sie verbunden ist, sei es daß diese Veranlagungen von den Sinnen oder von anderen Ursachen abhängen« (AT II, 598 = Bense, 175).

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an Mersenne, er habe »jetzt einen Discours in Arbeit«, der nur »fünf oder sechs Druckbogen umfassen« werde ; »ich hoffe aber, daß er einen guten Teil der Metaphysik enthalten wird. Zu seiner Verbesserung habe ich die Absicht, nur zwanzig oder dreißig Exemplare davon drucken zu lassen, um sie den zwanzig oder dreißig gelehrtesten Theologen zu schicken, von denen ich Kenntnis erlangen könnte, damit ich ihr Urteil darüber erhalte und von ihnen erfahre, was gut zu ändern, zu verbessern oder hinzuzufügen sein würde, bevor ich es veröffentliche« (AT II, 622 = Bense, 179–180). Ein leicht zu übersehendes Detail ist hier von Bedeutung, nämlich daß Descartes von 5 oder 6 Druckbögen spricht, nicht etwa von 5 oder 6 Seiten. Im Format der späteren Meditationes gerechnet entspricht ein Druckbogen 16 Seiten, Descartes’ Manuskript umfaßt also etwa 80 bis 96 Seiten. Zum Vergleich : Die erste Auflage der Meditationes umfaßt im Druck 116, die zweite 96 Seiten. Welche andere Schlußfolgerung läßt sich daraus ziehen, als daß die Meditationes spätestens 1640 weitestgehend Gestalt angenommen hatten? Spätestens am 11. März 1640 zieht Descartes einen Druck in Betracht,6 und dem enstpricht die Aussage vom 30. Juli 1640 gegenüber Mersenne, er habe seine fünf oder sechs »feuilles« Metaphysik noch nicht drucken lassen, »obgleich sie seit langem fertig sind« (AT III, 126 = Bense, 195). Huygens gegenüber bezeichnet er ebenfalls im Juli 1640 diese Abhandlung als »Erläuterung dessen [. . . ], was ich im vierten Teil der Methode [ = des Discours] geschrieben habe« (AT III, 102 = Bense, 188), und er hebt hervor, seiner Ansicht nach »die Existenz Gottes und die Unkörperlichkeit der menschlichen Seele vollständig bewiesen zu haben« (AT III, 102–103 = Bense, 189). Die Äußerungen Descartes’ seit November 1639 lassen folgende Schlüsse zu : 1. Descartes benutzt für die Abfassung der Meditationes bzw. die Neuredaktion des Traité de Metaphysique so gut wie keine Literatur. (Darüber scheint sich sogar Marin Mersenne gewundert zu haben ; denn Descartes hält es am 6 AT III,

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25. Dezember 1639 für nötig, seinen Freund diesbezüglich zu beruhigen : »Du reste, je ne suis point si depourvû de livres que vous pensez, & j’ai ici une Somme de S. Thomas, & une Bible que j’ai apportée de France« (AT II, 630)). Aus der Auseinandersetzung mit Herbert von Cherbury gewinnt er keine grundlegenden neuen Erkenntnisse, sondern beurteilt Herberts Werk souverän auf der Basis bereits erlangter Erkenntnisse. 2. Spätestens im März 1640 sind die Meditationes fertiggestellt. 3. Descartes verfolgt spätestens seit November 1639 den Plan, von den Meditationes nur zwanzig bis dreißig Exemplare drucken zu lassen, um sie ausgesuchten Theologen zur Prüfung vorzulegen.7 Dieser allgemeine Plan hat sich spätestens am 30. Juli 1640 dahingehend verwandelt, daß Descartes die Meditationes den Doktoren der Sorbonne vorzulegen gedenkt.8 Descartes hatte es sich inzwischen seiner eigenen Einschätzung nach durch seinen Streit mit Pater Bourdin mit den Jesuiten insgesamt verdorben – was ihn freilich nicht hinderte, Kontakt zu Vatier, einem seiner Lehrer am Jesuitenkolleg von La Flèche, aufzunehmen, dessen Reaktion Descartes ermutigte.9 Am 30. September 1640 kommt Descartes gegenüber Mersenne auf sein bereits am 18. Juli 1629 geäußerstes Vorhaben zurück, Gibieuf die Abhandlung vorzulegen (AT III, 183–184). Im selben Brief an Mersenne bittet er um die Namen von Jesuiten, »qui ont écrit des cours de Philosophie & qui sont les plus suivis par eux, & s’ils en ont quelques nouveaux depuis 20 ans ; je ne me souviens plus que les Conimbres, Toletus & Rubius. Je voudrais 7 8 9

An Mersenne am 13. November 1639 : AT II, 622 = Bense, 179–180 ; an Huygens im Juli 1640 : AT III, 102–103 = Bense, 188–189. An Mersenne AT III, 126–127 = Bense, 195. Descartes schreibt an Vatier am 22. Februar 1638 (AT I, 558–565 = Bense, 98–104), und bereits zu diesem Zeitpunkt antwortet er offenbar auf eine dementsprechende Anregung Vatiers, er wünsche die Veröffentlichung seiner Physik und Metaphysik, halte die Bedingungen dafür aber für nicht gegeben. Zu Vatier vgl. auch : an Mersenne, 1. März 1638 : AT II, 28 = Bense 107 ; an Huygens im März 1638 : AT II 48–50 = Bense 121–122.

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bien aussi savoir s’il y a quelqu’un qui ait fait un abregé de toute la Philosophie de l’École, & qui soit suivi ; car cela m’épargnerait le temps de lire leurs gros livres. Il y avait, ce me semble, un Chartreux ou Feuillant qui l’avait fait ; mais je ne me souviens plus de son nom« (AT III, 185).

Diese Bitte geschieht also zu einem Zeitpunkt, an dem die Meditationes nach dem bisher Gesagten bereits vollendet sind, denn bereits im Mai 1640, so berichtet Baillet, hatte Descartes das Manuskript Regius und Emilius gezeigt, die einige Korrekturen am Latein vornahmen (Baillet II, 103 ; Adam 289). Und tatsächlich bezieht sich die Lektüre der Schulphilosophie, die Descartes dann vornimmt,10 bereits auf die ersten Überlegungen hinsichtlich der Principia, die er schreiben wolle, bevor er das Land verlasse, und binnen eines Jahres zu veröffentlichen gedenke.11 »In demselben Buch will ich einen Lehrgang der üblichen Philosophie drucken lassen, wie etwa den des Bruders Eustache, mit meinen Bemerkungen zum Schluß jeder Frage, wo ich die verschiedenen Meinungen der anderen hinzufügen werde und was man von allen glauben muß ; und vielleicht werde ich am Ende einen Vergleich dieser beiden Philosophien ziehen. Ich flehe Sie aber an, noch niemandem etwas von dieser Absicht zu sagen, besonders nicht, ehe meine Metaphysik gedruckt ist«.12

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Und zwar anhand von Eustache de Saint-Paul (= Feuillant) : Summa philosophica quadripartita, de rebus Dialecticis, Moralibus, Physicis et Metaphysicis. Paris 1609 von deren Erwerb er Mersenne am 11. November 1640 berichtet (AT III, 232 = Bense, 208). AT III, 233 = Bense, 209 ; vgl. auch den Brief an Mersenne am 3. Dezember 1640 : AT III, 251, aus dem hervorgeht, daß Descartes die Commentarii Collegii Conimbricensis wohl schlicht überhaupt nicht gelesen hat. AT III, 232–233 = Bense, 209 ; vgl. auch den Brief vom Dezember 1640 an Mersenne : AT III, 259–260 = Bense, 219–220 ; die Bitte um Verschwiegenheit wiederholt Descartes in diesem Brief weiter unten : AT III, 234 = Bense, 210.

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Die restliche Geschichte ist schnell erzählt. Am 28. Oktober 1640 kündigt Descartes Mersenne an, die Metaphysik in acht bis vierzehn Tagen zu schicken.13 Am 11. November 1640 teilt er Mersenne mit, er habe sie »gestern« an Huygens verschickt (AT III, 235 = Bense, 210 ; Baillet II, 104) ; allerdings ist der entsprechende Brief an Huygens ebenfalls auf den 11. November datiert (AT III, 229–230). Am selben Tag schreibt Descartes an Gibieuf und bittet ihn, sich an der Sorbonne für die Meditationes einzusetzen (AT III, 236–238 = Bense, 211–212) ; in einem zweiten Brief an Mersenne kündigt Descartes das Schreiben an die Sorbonne an (AT III, 239 = Bense, 213). Entgegen dieser Angaben ist das Paket mit diesen Briefen, den Meditationes, dem Schreiben an die Sorbonne sowie den Ersten Einwänden (Baillet II, 104–105) dann erst am 16. November nach Paris abgegangen.14 Die Synopsis, am 24. Dezember 1640 Mersenne angekündigt (AT III, 268 = Bense, 225), scheint er am 31. Dezember geschickt zu haben (AT III, 271 ; Baillet II, 108), mitsamt etlicher Korrekturen am Manuskript der Meditationes.15 Descartes’ eigene Bezeichnungen seines Werkes schwanken zwischen Traité, Metaphysique, Meditationes und sogar Rêveries,16 und tatsächlich scheint das Manuskript keinen Titel aufgewiesen zu haben, denn Descartes schreibt im ersten Brief an Mersenne vom 11. November 1640, er habe keinen Titel genannt, als geeignetster erscheine ihm aber Renati Descartes Meditationes de Prima Philosophia (AT III, 235 = Bense, 210–211), und ebenso äußert er sich im zweiten Brief desselben Tages (AT III, 239 = Bense, 212). Der lange Untertitel in qua Dei existentia et Animae immortalitas demonstrantur der ersten Auflage Paris : Soly 1641 stammt daher nicht von Descartes und wurde von ihm bekannt13 AT III, 216 = Bense, 207. 14 An Mersenne am 18. November 15 16

1640 : AT III, 243. Weitere Korrekturen sendet er am 4. März 1641 : AT III, 329–330 und am 18. März 1641 : AT III, 334–337 an Mersenne. An Huygens am 12. November 1640 : AT III, 241 ; vgl. auch den Brief vom März 1637, in dem Descartes bereits von »méditation/méditer« spricht : AT I, 352–354 = Bense 79–80.

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lich bereits in der zweiten Auflage Amsterdam : Elzevier 1642 in In quibus Dei existentia, & animae humanae a corpore distinctio, demonstrantur verändert. Dem entspricht die Aussage Descartes’ im Brief an Mersenne vom 24. Dezember 1640, er habe die Unsterblichkeit der Seele gar nicht beweisen können.17 Konkretere Vorschläge für die Titel der einzelnen Meditationen macht Descartes am 28. Januar 1641.18 Die erste Auflage der 17

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»Was Ihre Behauptung betrifft, daß ich kein Wort über die Unsterblichkeit der Seele gesagt habe, so dürfen Sie darüber nicht erstaunt sein. Denn ich könnte ja nicht beweisen, daß Gott sie nicht vernichten kann, sondern nur, daß sie eine von der des Körpers gänzlich verschiedene Natur hat, und daß sie folglich nicht auf natürliche Weise dem Zwang unterworfen ist, mit dem Körper zusammen zu sterben, was alles ist, das für die Setzung der Religion erfordert wird. Und das ist auch alles, was ich mir zu beweisen vorgenommen habe. Sie dürfen es ebenfalls nicht seltsam finden, daß ich in meiner zweiten Meditation nicht beweise, daß die Seele wirklich vom Körper unterschieden ist, und daß ich mich damit begnüge, sie ohne den Körper begreiflich zu machen, weil ich an dieser Stelle noch nicht die Prämissen habe, aus denen man jenen Schluß ziehen kann ; man findet ihn aber nachher in der sechsten Meditation« (an Mersenne, 24. Dezember 1640 : AT III, 265–266 = Bense, 223 ; vgl. auch an Mersenne am 31. Dezember 1640 : AT III, 272). »Ich sehe aber, daß man mehr auf die in den Büchern befindlichen Titel achtet als auf alles Übrige. Das läßt mich daran denken, daß man zum Titel der zweiten Meditation, über Mente humana, hinzufügen kann quod ipsa sit notior quam corpus, damit man nicht glaubt, daß ich dort seine Unsterblichkeit habe beweisen wollen. Und danach bei der dritten, de Deo, – quod existat. Bei der fünften, de Essentia rerum materialium, – et iterum de Deo, quod existat. Bei der sechsten, de Existentia rerum materialium, – et reali mentis a corpore distinctione. Denn das sind die Dinge, auf die man, wie ich wünsche, am meisten achten soll. Ich glaube aber, noch sehr viele andere Dinge dort vorgebracht zu haben ; und ich will Ihnen unter uns sagen, daß diese sechs Meditationen alle Grundlagen meiner Physik enthalten. Man darf es aber bitte nicht sagen ; denn diejenigen, die Aristoteles begünstigen, würden dann vielleicht mehr Schwierigkeiten machen, sie zu billigen ; und ich hoffe, daß diejenigen, die sie lesen, sich unmerklich an meine Prinzipien gewöhnen und ihre Wahrheit einsehen werden, ehe sie bemerken, daß sie die des Aristoteles zerstören« (AT III, 297–298 = Bense, 232–233).

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Meditationes erschien dann am 28. August 1641 (Baillet II, 137) mitsamt den ersten sechs Objectiones und den jeweiligen Responsiones Descartes’, die zweite ein Jahr später, 1642, erweitert um die siebten Objectiones und den Brief an Pater Dinet (Baillet II, 165). Bereits am 17. November 1641 schreibt Descartes an Mersenne, er habe seit dem Tag, an dem er die Antwort auf den sich Hyperaspistes19 nennenden Gassend-Adepten abgeschickt habe – also seit August 1641 – nicht mehr an Metaphysik gedacht (AT III, 436). Es kann keine Rede davon sein, daß der Rückzug in die Niederlande Descartes jenes ruhige, von Belästigungen freie Leben bescherte, das er sich erhofft hatte. Tatsächlich war gerade die Zeit der Redaktion der Meditationes von vielerlei Querelen überschattet, von denen die Auseinandersetzungen mit Gisbert Voëtius und mit Pater Bourdin ihn am stärksten beanspruchten. Descartes hatte damit ausgesprochene Feinde sowohl auf der fundamentalistisch-protestantischen als auch der katholisch-jesuitischen Seite ; und es wäre durchaus unangebracht, eine der Seiten für gefährlicher als die andere zu halten. Descartes versuchte, sich in dreierlei Hinsicht politisch abzusichern : Durch die Kontaktaufnahme mit Jacques Dinet, Provincial de France der Jesuiten und damit jemand, der Bourdin in Schranken weisen konnte ; durch die Unterstützung von Henricus Regius (Henry le Roy), Professor in Leiden und erklärtem Cartesianer, mit dem er zu diesem Zeitpunkt noch in Verbindung stand und der im Streit mit Voëtius – nicht zuletzt auch aus dessen Sicht – die Stelle Descartes’ einnahm ; vor allem aber auch durch den Versuch einer Annäherung an die Doktoren der Sorbonne, denen Descartes nicht von ungefähr die Meditationes widmete und auf deren Unterstützung er hoffte. Aus dieser Perspektive betrachtet stellt sich die zunächst überraschende Tatsache als politisch notwendig dar, daß Descartes, dessen Fähigkeit, Kritik mit Gelassenheit aufzunehmen, gelinde gesagt ein wenig unterentwickelt war, vor der Veröffentlichung der Meditationes 19

Responsio ad Hyperaspistem : AT III, 421–435.

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Einwände abfragte und diese sogar veröffentlichte, anstatt auf die Kraft seiner Argumente zu vertrauen oder Kritik schlicht in den Wind zu schlagen. Als Erfolg konnte er in dieser Hinsicht freilich nur die vierten Einwände verbuchen. Ihr Verfasser war der damals erst 29 Jahre alte Antoine Arnauld (1612–1694), gerade promovierter Doktor der Theologie an der Sorbonne und späterer Miverfasser der Logik von Port-Royal (L’art de penser, 1662). Allerdings war Arnauld der einzige Gelehrte der Sorbonne, der Descartes antwortete, trotz der ohne Zweifel großen Bemühungen Marin Mersennes, weitere Mitglieder der Universität dazu zu bewegen (Baillet II, 124–125). Umgekehrt war Arnauld der einzige, der Descartes zu Änderungen im Kerntext der Meditationes bewegen konnte (Baillet II, 127) – Zeugnis vielleicht eben nicht nur der sicherlich zurecht bestehenden inhaltlich hohen Wertschätzung dieser Einwände durch Descartes, sondern auch der politischen Bedeutung eines Verbündeten an der Sorbonne. Die anderen beiden namhaften Kommentatoren aus dem von Mersenne vermittelten Pariser Zirkel waren der Brite Thomas Hobbes (dritte Einwände) und Pierre Gassend (fünfte Einwände). Thomas Hobbes (1588–1679) war 1640 nach Paris geflohen und suchte seitdem den Kontakt mit Descartes. Hobbes verfaßte Einwände gegen die Dioptrique, mit denen Descartes sich im Februar 1641 auseinandersetzte und die ihn sogleich gegen Hobbes einnahmen. Er hielt die Einwände von Hobbes gegen die Meditationes für flach und antwortete stellenweise lakonisch. Zu einer persönlichen Begegnung beider Philosophen kam es nie. 1642, ein Jahr später, äußerte Descartes sich zu Hobbes’ De Cive in dem Sinne, daß Hobbes’ Fähigkeiten auf dem Gebiet der Moralphilosophie immerhin besser seien als diejenigen in der Metaphysik und Physik ; wobei Descartes letztere für so schlecht hielt, daß er auch die Prinzipien und Maximen der in De Cive vertretenen Politologie für »sehr schlecht und überaus gefährlich« hielt (Baillet II, 174). Als Descartes dann 1643 einige Manuskripte aus der Feder von Hobbes zugesandt wurden, äußerte er sich Mersenne gegenüber, er sei nicht erpicht

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darauf, Schriften des Engländers anzusehen (Baillet II, 202) – in der Tat blieb Hobbes für Descartes stets bloß »der Engländer«, obwohl ihm bereits im Zusammenhang mit dessen Kritik an der Dioptrique klar gewesen war, mit wem er es zu tun hatte. 1641 siedelte Pierre Gassend (1592–1655) nach Paris über und erhielt sogleich von Mersenne das Mauskript der Meditationes. Zu diesem Zeitpunkt bestand die Feindschaft zwischen Gassend und Descartes bereits, die schon Baillet auf den Umstand zurückführte, daß Descartes es unterlassen hatte, in seinem Abschnitt über die Parhelien in den Météores Gassend zu erwähnen. Freilich hatte Descartes für seine Ausführungen nicht Gassends Aufsatz benutzt, sondern eine Abschrift des Originalberichtes von Christoph Scheiner. Aber wie dem auch sei : Gassend verstand die Nichtnennung seines Namens bei Descartes nicht nur als Mißachtung seiner Person und als schlichtes Plagiat, sondern wird ohne Zweifel auch seine Vorbehalte in methodischer Hinsicht bestätigt gefunden haben. In der Tat waren Descartes und Gassend diesbezüglich inkompatibel : Gassends stark von den Kommentatoren der Scholastik geprägtes Verfahren, zu einem Thema sämtliche Belegstellen zusammenzusuchen und so lange zu ventilieren, bis die Wahrheit herausgefunden ist, stand unvereinbar dem Verfahren Descartes’ gegenüber, genau das zu unterlassen, d. h. ohne Belege und Zitate nur das für das jeweilige Argument Benötigte zu benutzen. So wird Descartes in Gassends Werken nichts anderes gesehen haben als aufgeblähte Kompendien streckenweise ohne erkennbaren Eigenanteil, während für Gassend Descartes’ vergleichsweise kurze Abhandlungen, die im Falle der Meditationes völlig ohne irgendwelche Belegstellen operierten, arrogant die Verdienste anderer unterschlugen und so indirekt die des Auoren hervorhoben. Gassend überarbeitete seine Einwände aufgrund der Replik von Descartes und veröffentlichte sie 1644 unter dem Titel Disquisitio metaphysica seu Dubitationes (anstelle von Objectiones) & Instantiae erneut, was Descartes dazu veranlaßte, in den weiteren Auflagen der Meditationes die 5. Einwände fortzulassen ; bereits bei der französischen Über-

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setzung der Meditationes durch Clerselier hatte Descartes die 5. Einwände unterdrückt (Adam, 299). Der einzige Verbündete neben Marin Mersenne, den Descartes in Paris gewann, war damit Antoine Arnauld. Marin Mersenne vermittelte die 2. und 6. Einwände ; die Verfasser der 6. Einwände sind unbekannt,20 die 2. Einwände hat wohl Mersenne selbst verfaßt, wie er später in einem Brief ausgerechnet an Gisbert Voëtius zugegeben hat (Adam, 295). Mersenne erhielt nach der Drucklegung der 1. Auflage der Meditationes weitere Einwände, die jedoch auch in der 2. Auflage nicht veröffentlicht wurden, nämlich zum einen aus London von Hübner (AT III, 438–439), vom Pater Duval de Rouen (AT III, 547–549) und insbesondere diejenigen unter dem Pseudonym Hyperaspistes (»der letzte Kämpfer«) (Baillet II, 138 ; Adam 302 ; AT III, 397 ff.). Der niederländische Priester Johan deKater (Johannes Caterus, gest. 1656) übte wohlwollende Kritik, die als erste Einwände veröffentlicht wurden und die die einzigen waren, die nicht durch die Vermittlung von Mersenne zustande kamen, sondern umgekehrt von Descartes am 10. November 1640 an Mersenne geschickt wurden (Baillet II, 104–105). Indes stammten sie von einem Verfasser, der schlicht zu unbedeutend war, um als politischer Verbündeter relevant zu sein und mit dem Descartes darüber hinaus persönlich gar nicht bekannt war. Die Bitte Descartes’ um Unterstützung durch die Herren Doktoren der Sorbonne bliebt unerhört, und damit blieb es Descartes verwehrt, in seinen Auseinandersetzungen mit Voëtius und Bourdin die Autorität der Sorbonne hinter sich zu wissen und auf sie verweisen zu können. In der Tat liegt es nahe, das Cartesische Diktum aus dem Schreiben an die Sorbonne, daß Atheisten »gewöhnlich eher halbwissende als geistreiche oder gelehrte Menschen sind« (AT VII, 6, 7–8), als einen nur halbherzig kaschierten Seitenhieb auf Voëtius zu zu verstehen, der 1639 Thesen zum Atheismus veröffentlicht hatte, die offenkundig gegen Descartes gerichtet waren, den er als Atheisten hin20

Charles Adam nennt den Pater de la Borde als einen der Autoren (300).

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stellen wollte (Baillet II, 32). Descartes blieb bekanntlich in den Anfängen dieser Auseinandersetzung im Hintergrund und überließ Henricus Regius das Feld, der allerdings dadurch als (wohlwollender) Kommentator der Meditationes ausfiel, weil ihm die politische Unabhängigkeit fehlte, die Descartes benötigte. Ebenfalls politisch zu erklären ist die Ausführlichkeit, mit der Descartes auf die bizarren Einwände des Jesuitenpaters Bourdin (1595–1653), Professor für Mathematik am Collège de Clermont der Jesuiten in Paris, antwortete, die erst in der zweiten Auflage veröffentlicht wurden. Die sachlich ganz unangemessene Beachtung dieser Einwände durch Descartes beruht auf einem Mißverständnis, das Descartes selbst in den Erwiderungen auf die siebten Einwände wiederholt, offenbar ohne seine Einschätzung als Fehleinschätzung erkannt zu haben : Nämlich die Unterstellung, daß die Einwände unter dem Namen Pierre Bourdins die Ansicht des gesamten Jesuitenkollegs darstellen (AT VII, 452, 13 ff.). Descartes berichtet dort, daß er 1640 einen Seitenhieb Bourdins – gemeint sind dessen Einwände gegen die Dioptrique – zu Gesicht bekommen und sich nur deshalb entschlossen habe, Bourdins Einwände gegen die Meditationes nicht schlicht zu ignorieren, weil Jesuiten eigentlich nie irgendetwas öffentlich sagen würden, was nicht die Meinung des gesamten Ordens wäre. Auch wenn dies generell richtig gewesen sein mag, so war dies doch im Falle Bourdins unzutreffend. Descartes waren die Jesuiten durch seine Erziehung in La Flèche und durch die nicht abreißenden Gerüchte, es seien die Jesuiten gewesen, die den Prozeß gegen Galileo Galilei betrieben hätten (ein Vorgang, der Descartes immerhin bewogen hatte, Le Monde nicht zu veröffentlichen), ebenso vertraut wie unheimlich. Als er 1640 davon hörte, der Jesuitenpater Bourdin, immerhin Mathematiker am Jesuitenkolleg in Paris, habe Einwände gegen die Dioptrique verfaßt, wandte er sich an den Rektor des Collège de Clermont, um die offizielle Meinung der Jesuiten zu erfahren (Baillet II, 75). Descartes sandte diesen Brief an Claude Mydorge, der ihn aber nicht weiterreichte, sondern statt dessen Mersenne gab (Baillet II, 78), weil er ei-

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nen »Sturm« (der Entrüstung) fürchtete. Erst sehr viel später erreichte Descartes’ Schreiben dann den Rektor, der Bourdin veranlaßte, persönlich Descartes zu schreiben (Baillet II, 80). Descartes verstand aufgrund seines Schreibens an den Rektor und der verzögerten Antwort darauf den Brief Bourdins als offizielle Verlautbarung des gesamten Ordens. Bourdin versprach in dem Brief, Descartes seine Schriften zuzusenden, was indes nie geschah ; aus der Sicht Descartes’ war also die Befürchtung angebracht, entweder der gesamte Orden oder zumindest entscheidende Teile von ihm würden im Verborgenen gegen ihn agitieren. Im Falle der Einwände Bourdins gegen die Meditationes war es folgerichtig dann auch wiederum Descartes, der, diesesmal über Dinet, Bourdin dazu brachte, ihm seine Einwände überhaupt zur Kenntnis zu bringen (Baillet II, 163). Die zunächst befremdliche und von Descartes denn auch prompt zurückgewiesene Behauptung Bourdins, Descartes habe ihm Fragen gestellt, die er (Bourdin) nunmehr beantworte, reflektieren dieses für Descartes ganz untypische Verhalten und erklären letztlich auch die Akribie, mit der Descartes die Einwände Bourdins zu widerlegen sucht.

2. Die Meditationes de prima philosophia als epochemachendes Werk Die philosophische Geschichtsschreibung hat es sich angewöhnt, den Strom des philosophischen Denkens in Abschnitte vor und nach bestimmten Denkern einzuteilen. Gegen ein solches Verfahren ist zunächst nichts einzuwenden, erlaubt das Erstellen solcher zeitlicher Abteilungen immerhin eine vorläufige grobe Kategorisierung der zunächst unüberschaubaren Fülle philosophischer Entwürfe und Konzepte. So herrscht Einigkeit darüber, eine Philosophie vor von einer nach Sokrates zu unterscheiden – wobei Sokrates der Titel eines epochemachendes Denkers stellvertretend für das Dreigestirn Sokrates, Plato und Aristoteles verliehen wird. Einigkeit herrscht auch darüber, die

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Geschichte der Philosophie in eine solche vor und nach Immanuel Kant einzuteilen, der die Philosophie der Neuzeit zu einem solchen Abschluß und Höhepunkt führt, daß man sagen kann, mit ihm beginne die Moderne. Was den Übergang von der antiken Philosophie zur mittelalterlichen betrifft, so herrscht bereits weniger Einigkeit, vielleicht auch einfach weniger Beachtung, weil man sich angewöhnt hat, mit Hegel in der mittelalterlichen Philosophie bloß eine Art von philosophierender Theologie21 zu sehen, so daß die Frage nach dem Beginn und den Akzenten innerhalb der Scholastik erst möglich wird, wenn man sich von diesem Vorurteil befreit hat. Selbstverständlich nimmt die Einigkeit ab, je näher man der Gegenwart kommt. Eines indes scheint mir klar zu sein : Solange es Philosophie gibt, wird niemand an der epochemachenden Leistung René Descartes’ zweifeln, mit dem die Philosophie des Mittelalters endet und die der Neuzeit beginnt, und es wird auch immer Einigkeit bestehen, daß es in allererster Linie ein Werk ist, anhand dessen man ihm diesen Status zubilligt : Die Meditationes de prima philosophia. Wer sich der Fülle philosophischer Konzepte, Lehrmeinungen und Ansichten gegenübersieht, tut gut daran, mit René Descartes zu beginnen. Unsinnig der Versuch, sich durch die Geschichte der Philosophie bis zur Gegenwart hindurchlesen zu wollen ; unsinnig aber auch, die Philosophie der Gegenwart verstehen zu wollen ohne Perspektive auf die Tradition – übrigens auch ungerecht, denn nicht immer steht der Denker der Gegenwart, den man leichter versteht, weil vielleicht seine Sprache gefälliger und seine Beispiele geläufiger sind, auch systematisch über seinen Vorgängern. Sinnvoller ist es da schon, bei einem Denker zu beginnen, der am Scheidepunkt zweier Epochen steht, zweier Epochen zudem, von denen die eine uns wenigstens insofern vertraut ist, als wir bislang noch nicht auf21

Georg Wilhelm Friedrich Hegel : Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III. = Hegel : Werke 20. Frankfurt a. M. : Suhrkamp 1971/ 1986, 121.

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gehört haben, sie die unsrige zu nennen, und der anderen der Ruf des Abgeschlossenen, Längst-Vergangenen anhaftet. Wenn dieser Ruf zudem noch auf das Wirken eben dieses Denkers zurückgeführt werden darf, dann ist dies noch ein weiterer Grund, gerade mit ihm zu beginnen. Trifft es sich darüber hinaus, daß sich der Ruf dieses Denkers auf ein zentrales, nicht zu umfangreiches Werk gründet, dann wird die pragmatische Überlegung, mit diesem Werk zu beginnen, fast schon zur logischen Notwendigkeit. In René Descartes findet man einen Denker, der wohl wie kaum ein anderer sich den Neubeginn auf die Fahnen geschrieben hat und dem ein solcher Neuanfang wie kaum einem anderen auch gelungen ist. Descartes aber propagiert diesen Neuanfang nicht nur, er vollzieht ihn in seinem Denken – mehr noch : sein Denken ist nichts anderes als eben dieser Vollzug eines Neuanfangs im Denken. Wer deshalb dieses Denken nachvollzieht, hat in weit größerem Maße als es bei anderen Philosophen der Fall ist, die Fähigkeit erlernt, sich durch das Denken im Denken zu orientieren. Descartes bedroht den Leser also nicht nur nicht mit der Forderung, er müsse, bevor er zu den Geheimnissen der Wissenschaft vordringen dürfe, erst einmal akademische Erxerzitien über sich ergehen lassen, sondern ganz im Gegenteil ist die Abkehr gerade von allem Akademischen ein Grundzug der Cartesischen Philosophie selbst. Descartes verfaßt unabhängig vom akademischen Betrieb und in bewußter Absetzung davon ein Werk, das diese Abkehr insofern selbst zum Thema macht, als die in ihm dargelegten Inhalte offensichtlich unabhängig von diesem akademischen Betrieb gewonnen und verständlich gemacht werden können. Weil dies so ist, können die Meditationes de prima philosophia von jederman gelesen und ihre Inhalte verstanden werden. Die langatmigen Summen des Mittelalters und der Renaissance, etwa die Disputationes metaphysicae des Franciscus Suárez, mit denen Descartes am Jesuitenkolleg von La Flèche traktiert wurde, benutzt Descartes weder für die Abfassung der Meditationes, noch nimmt er in ihnen auf sie Bezug. Er verlangt auch

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von keinem Leser, einen solchen Bezug herzustellen, noch ist dies nötig, um die Inhalte zu verstehen. Descartes verfaßt ein Werk von etwa einhundert Seiten, in dem es nicht einen einzigen Quellennachweis, Verweis oder irgendeine Erläuterung gibt, die Geschichte der Philosophie nicht aufgearbeitet wird und es keine Auseinandersetzung mit seinen Zeitgenossen gibt. Descartes verfaßt dabei aber auch keine Abhandlung, in der er die Ergebnisse seiner Forschung bloß darstellte, sondern einen Text, der den Leser in den Prozeß des Philosophierens hineinzieht, oder ihm doch zumindest kaum eine Chance läßt, sich nicht einbezogen zu fühlen : Hätte Descartes Kriminalromane geschrieben, so wäre ihm wohl die Überwindung des Paradoxons gelungen, einen Kriminalroman zu schreiben, in dem der Leser der Mörder ist. Dieser grundsätzlich einleitende Charakter des Cartesischen Denkens und Schreibens macht einen Gutteil der Faszination aus, die von den Meditationes de prima philosophia ausgeht. Es ist dies auch der Grund, weshalb die von Descartes selbst verfaßte Inhaltsübersicht, die Synopsis, aber auch das Vorwort an den Leser, und allemal das Widmungsschreiben an die Lehrer an der Sorbonne Zutaten sind, die man beim ersten Lesen getrost übergehen kann. Descartes hatte das eigentliche Vorwort bereits 1637 vorausgeschickt, den anonym publizierten Discours de la Méthode. Anders als die hinter seinen veröffentlichten Werken an Qualität kaum zurückstehenden Briefe wirken die von Descartes verfaßten Präliminaria seltsam fremd. Das von Picot für die französische Übersetzung der Principia philosophiae eingeforderte Vorwort verbleibt sogar ganz in der Form eines durchweg im Optativ gehaltenen Lettre-Préface : Vorworte »sind nicht Descartes’ Ding«, weil die Werke selbst Einleitung genug sind. »Bücher machen« ist ohnehin alles andere als Descartes’ Lieblingsbeschäftigung,22 ebensowenig wie akademische Titel, Ämter, Macht und Ruhm23 Ziel seiner Lebensfüh22 23

Disc. : AT VI, 60 = LG, 99. Disc. : AT VI, 9 = LG, 15 ; Disc. : AT VI, 74 = LG, 121.

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rung sind, sondern das sind gerade die Dinge, die er verachtet und denen überläßt, die dergleichen nötig haben. Die Philosophie der »Schulen«, die Scholastik, die wir heute noch mit diesem Namen nennen, weil Descartes sie so genannt hat, ist der Hort all dieser Eitelkeiten. Dort, wo er, wie im Lettre-Préface, sich zu Philosophiegeschichte äußern muß, spricht er über Sokrates, Plato und Aristoteles – alle anderen werden namentlich nicht genannt ; Descartes will das Hin-und-Her bloßer Meinungen hinter sich lassen und sich den Fragen selbst zuwenden ; um dies zu tun, muß man zu den Quellen des Wissens vordringen, und diese Quellen sind vor allem das Denken selbst, das es anzuleiten gilt – zuerst durch einundzwanzig Regulae ad directionem ingenii, besser noch, wie im Discours, durch bloß vier komprimierte methodische Anleitungen. Den Geist anzuleiten : Das heißt, dem Geist jene Unbefangenheit zurückzugeben, die die Schulen ihm geraubt haben. Deshalb hat Descartes, so sagt er in einem Brief an Huygens vom März 1638, »Achtung« für alle, die »beim Ausprobieren neuer Wege wenigstens von der breiten Straße abgehen, die nirgendwohin führt und nur dazu dient, die ihr Folgenden zu ermüden und zu verwirren« (AT II, 52 = Bense 123) – dies hier stellvertretend für alle Stellen, an denen Descartes die »Schulen« kritisiert und die zu zahlreich sind, um hier angeführt zu werden. Gelingt es, den Einfluß der Schulen zurückzudrängen, so wird der »bon sens«, die unverdorbene Urteilskraft, nicht nur potentiell, sondern tatsächlich wieder, wie der erste Satz des Discours behauptet, die »bestverteilte Sache der Welt« (AT VI, 1 = LG, 3) sein. Um dies zu erreichen, muß man für eine Begegnung der wahren Philosophen mit Leuten sorgen, die durch die Schulen noch nicht verbildet sind, also mit Menschen, die glücklicherweise nicht studiert haben ; wahre Philosophen findet man, wenn man schon dieses systematische Problem durch einen historischen Zugriff angehen will, in der Antike, eben in Sokrates, Plato und Aristoteles. Das Allerbeste aber ist, alle Anflüge von Jäger-und-Sammlertum hinter sich zu lassen und durch Meditation die Probleme zu lösen. Wer das nicht selbst kann, dem gibt Descartes mit den Meditationes ein

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Hilfsmittel an die Hand, und im späteren Lettre-Préface gibt er die Gebrauchsanweisung, wie man mit einem solchen Hilfsmittel umgehen sollte, noch dazu : »Ich hätte ebenfalls gern eine kurze Anleitung hinzugefügt über die Art und Weise, dieses Buch [= die Principia philosophiae !] zu lesen, die den Wunsch enthielte, daß man es zuerst insgesamt wie einen Roman überfliegen, und weder seine Aufmerksamkeit überanstrengen, noch sich bei Schwierigkeiten aufhalten möge, auf die man dort vielleicht trifft, mit dem Ziel, lediglich im großen und ganzen zu wissen, was die Inhalte sind, die ich behandelt habe. Und erst danach, sofern man findet, daß sie es verdienen, untersucht zu werden, und man die Wißbegierde aufbringt, ihre Ursachen zu erfahren, kann man es ein zweites Mal lesen, um sich die Kette meiner Begründungen bewußt zu machen, freilich ohne sich von neuem abschrecken zu lassen, wenn man die Kette nicht insgesamt überblickt, oder wenn man nicht alle Begründungen versteht, sondern man muß nur mit einem Stift die Stellen markieren, wo man auf Schwierigkeiten gestoßen ist, und ohne Unterbrechung bis zum Ende weiterlesen. Wenn man dann das Buch ein drittes Mal wieder zur Hand nimmt, so wage ich die Behauptung, daß sich die Lösung des weitaus größten Teils der zuvor markierten Schwierigkeiten finden wird, und daß, wenn dabei wiederum einige ungelöst zurückbleiben, man deren Lösung beim erneuten Lesen finden wird« (AT IX–2, 11–12 – eig. Übers.).

Die laienhafte Vorstellung vom Philosophen als einem Menschen, der sich von der Welt absondert, um seinen eigenen Gedanken nachzugehen, deren Steigerung die Vorstellung von einem Menschen ist, der aus einer solchen Weltfremdheit heraus die Welt zu erklären versucht – dieses Zerrbild kann Descartes, wie wir gesehen haben, nicht treffen. Seltsam ist freilich, daß man Kant später vorgeworfen hat, die gesamte Metaphysik zermalmt zu haben, während man Descartes die Eigenständigkeit zubilligt, Philosophie und insbesondere Metaphysik ganz neu begonnen und alles Vorherige hinter sich gelassen zu haben.

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Sollte Descartes es darauf abgesehen gehabt haben, in diesen Ruf zu geraten, so kann man ihm nur vollen Erfolg bescheinigen. Es ist allerdings ein und derselbe Descartes, der – sympathisch – gegen die Schulen und die Eitelkeiten des akademischen Betriebs wettert und das selbstdenkende, freie Individuum in sein Recht setzen will ; und der Descartes, der – schon weniger sympathisch – ausgesprochen gereizt reagiert, wenn er zugeben müßte, anderen Menschen intellektuelle Anregungen oder gar Erkenntnisse zu verdanken (Beeckman), oder wenn er bemerkt, daß die von ihm Befreiten ihre Freiheit dann auch tatsächlich gebrauchen (Regius). Descartes jedenfalls hat nichts unversucht gelassen, sich den Ruf völliger Eigenständigkeit zu verschaffen, den er heute genießt. Aber auch das Bild des Descartes, der nie zuerst Philosophie zu lernen gehabt hätte, bevor er so philosophieren konnte, wie er es in den Meditationes tat, der Bücher immer nur geschrieben und nie gelesen, kurz und gut : der die Metaphysik neu erfunden hätte, ist ein Zerrbild. Gleichwohl klebt ihm dieser Ruf so unablösbar an, daß man hartnäckig auch heute noch jede Buchausgabe der Meditationes allein mit seinem Namen versieht – und dabei geflissentlich darüber hinwegsieht, daß die rund einhundert Seiten lateinischen Textes der Meditationen 1–6 nur ein Sechstel desjenigen Werkes ausmachen, das 1642 in Amsterdam erschien, und das eigentlich die Namen von Antoine Arnauld, Pierre Bourdin, Caterus, Pierre Gassend, Thomas Hobbes und Marin Mersenne ebenfalls mit auf dem Titel nennen müßte. So radikal Descartes’ Abkehr von der Summa-Tradition, durch die Rezeption möglichst sämtlicher Belegstellen ein Thema zu traktieren und dies nach Möglichkeit noch mit Bibelbelegen zu bestärken, die eigene Haltung des Autoren jedoch dahinter eher zu verbergen als kundzutun – so radikal Descartes’ Abkehr von dieser Art des Philosophierens ist, die ihm durch Denker wie Thomas, Toletus und Suárez von La Flèche her geläufig war und der noch sein hartnäckigster Gegner, Pierre Gassend, verpflichtet war, so radikal neu ist auch der Zug, ein fundamental andersgeartetes Werk der Philosophie als Sammelband mehrerer Au-

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toren herauszugeben. Nicht daß irgendein Zweifel darüber aufkommen könnte, wer in diesem Sammelband den Platzhirsch macht, zwingt Descartes seine Gegner doch, sich mit seinem Text auseinanderzusetzen und damit zu einer eigenartig zwiespältigen Arbeitsweise, nämlich sich einerseits, wie sonst auch, einer Autorität zu unterwerfen, nur eben diesmal »der richtigen«, nämlich Descartes ; anderseits aber seine Position nicht mehr verstecken zu können, weil sonst keine Einwände möglich wären, also das autoritätsgläubige Versteckspiel selbst ad absurdum zu führen. Trotz einer gewissen Perfidität eines solchen Vorgehens ist dieser Zug bemerkenswert und meines Wissens einmalig. Keine Rede also davon, Descartes habe seine Zeitgenossen links liegen gelassen. Dasselbe gilt für die Positionen der Philosophiegeschichte. Die Kehrseite der oben anhand der Ausführungen Descartes’ im Lettre-Préface sichtbar gewordenen Notwendigkeit, auf der Suche nach »wahren Philosophen« außer Descartes selbst auf Plato und Aristoteles zurückzugreifen, ist, daß die philosophischen Fragestellungen, die durch diesen Rückgriff beantwortet werden sollen, eben schon in der Antike vorhanden gewesen sind. Keine Rede davon, daß Descartes die Metaphysik neu erfindet. Ganz im Gegenteil : Es gibt kein Thema oder Motiv in den Meditationes, das nicht bereits seit der Antike besprochen worden war. Ganze Bände füllen die Untersuchungen zu den historischen Vorläufern des Ich denke, also bin ich und zu den Gottesbeweisen, ganz zu schweigen davon, daß sich keine der Fragen nach der Seele, nach der Welt und nach Gott aus der Metaphysik heraustrennen ließe, ohne die Metaphysik insgesamt aufzuheben, und die deshalb zentrale Bestandteile des menschlichen Denkens sind, seit die griechische Philosophie sich von der Naturphilosophie in die Metaphysik weiterentwickelt hat.24 Dies gilt aber nicht weniger auch für die Bestimmung der Metaphysik als Grundlagenwissenschaft 24

Die historischen Vorläufer der angegebenen Themenkomplexe sind Gegenstand einschlägiger Literatur, und bleiben daher in dieser Ausgabe

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der Einzelwissenschaften, die oft als genuin Cartesische Leistung angesehen und gegen ihn gewendet wird, die sich aber bei Aristoteles ebenso findet.25 Keine Rede übrigens auch davon, daß Descartes die banale Tatsache seiner Verbundenheit mit der Tradition und insbesondere Aristoteles hätte vertuschen wollen. Mitunter spricht er Originalton Aristoteles, wie etwa, wenn er aus dessen rhetorischer Floskel, »die erste Philosophie schien über alles nur stammelnd zu reden (wie ein Kind), da sie noch jung war und am Beginn stand« (Metaphysik I, 10 = 993a = Seidl, 69) den ersten Satz der Principia philosophiae (AT VIII, 5 = CW, 11) gewinnt, oder wenn er die Frage des Aristoteles, »ob die Seele auf diese Art Vollendung für den Körper ist, wie der Schiffer für das Schiff« (De anima II, 1 = 413a = Seidl, 65) – bei Suárez besprochen in Disp. XXVI, sec. VI, 15 – für die Behauptung nutzbar macht, »daß ich zu meinem Körper nicht etwa nur so hinzugefügt bin, wie ein Seemann sich auf einem Schiff aufhält, sondern daß ich mit ihm aufs engste verbunden und gewisserma-

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unkommentiert – dies gilt insbesondere für die Gottesbeweise. Die Frage nach historischen Vorläufern des »Je pense, donc je suis« erhebt sich natürlich schon in bezug auf den Discours (Brief vom November 1640 : AT III, 247–248 = Bense, 214–215), in dem dieser Satz zuerst auftritt, dessen Grundform deshalb übrigens französisch, nicht lateinisch ist, weswegen das »ergo« eine schwächere Bedeutung zukommt als man ihm vom Lateinischen allein her zubilligen würde. Im Brief an Mersenne vom Dezember 1640 kommt die Sprache auf Anselm von Canterbury (»Ich werde St. Anselm bei erster Gelegenheit durchsehen« : AT III, 261 = Bense, 220), und Augustinus ; diesmal ist es offenbar Descartes, der Mersenne eine Textstelle kenntlich macht, nämlich De civitate Dei, XI, 26 (ebd.). Aristoteles spricht ganz offen von einer Wissenschaft, die noch über der Physik steht : »Die Physik ist zwar auch eine Weisheit, aber nicht die erste« (MPh IV, 3 = 1005a/b = Seidl, 135). Wer jetzt meint, wenigstens der transzendentalphilosophische Zug sei eine Neuerung, irrt jedoch nicht weniger : »Denn ein Prinzip, welches jeder notwendig besitzen muß, der irgend etwas von dem Seienden erkennen soll, ist nicht Annahme (Hypothese), und was jeder erkannt haben muß, der irgend etwas erkennen soll, das muß er schon zum Erkennen mitbringen« (MPh IV, 3 = 1005b = Seidl, 137).

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ßen vermischt bin, so daß ich mit ihm ein einziges Etwas bilde« (Med. VI : AT VII, 81 = hier 165 ; bereits im Discours V : AT VI, 59 = LG, 97). Wie wenn die Descartes zugeschriebene Eitelkeit, anderen Beispiele und Zitate zu entlehnen, ohne darüber Rechenschaft abzulegen, vielmehr ein Problem des heutigen Lesers ist, dem die Quellen Descartes’ im Gegensatz zu dessen Zeitgenossen nicht mehr geläufig sind und deshalb Descartes bei einer vermeintlichen Unredlichkeit ertappt zu haben meint, die damals gar nicht als solche wahrgenommen wurde? Richtig ist, daß Descartes’ Kenntnis der scholastischen und antiken Philosophie weit in seine Jugend zurückreicht und damit einen Grundstock seines Denkens bildete, dessen Quellen er höchstwahrscheinlich vergessen hatte. Wenn Descartes am 30. September 1640 Mersenne um die Namen aktueller Philosophen der Jesuiten bittet und anfügt, er erinnere sich nur dunkel an die Conimbricenser, an Toletus und an Rubius, so ist dies weniger Koketterie als ein Zeichen dafür, daß die von ihm so heftig kritisierte scholastische Ausbildung letztlich dann doch erfolgreicher war als er zuzugeben bereit ist, hat sie ihn doch in die Lage versetzt, mit den Themen, aber eben auch den Mitteln der Scholastik und der Antike zu operieren, ohne sich das dafür notwendige Wissen erneut aus Büchern aneignen zu müssen. Die Ordnung der Meditationes, wie er später in der Antwort auf die zweiten Einwände sagen wird, »besteht allein darin, daß die zuerst vorgebrachten Gegenstände ohne die Hilfe der folgenden erkannt werden müssen und alles Folgende dann derart anzuordnen ist, daß es allein durch das Vorhergehende bewiesen wird« (AT VII, 155 = Buchenau, 140). Diese Charakterisierung ist nicht nachgeschoben, sie ist Plan, nicht Ausrede. Bereits am 24. Dezember 1640 schreibt er an Mersenne :

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»Es ist bei allem, was ich schreibe, zu beachten, daß ich nicht der Ordnung der Gegenstände (l’ordre des matières) folge, sondern allein der der Vernunftgründe (raisons) : das heißt, daß ich es nicht unternehme, an einer Stelle alles zu sagen, was zu einem Gegenstand gehört, weil es mir unmöglich sein würde, es richtig zu beweisen, da es Gründe gibt, die von sehr viel weiter hergeholt werden müssen als andere. Indem ich aber in der Ordnung a facilioribus ad difficiliora überlege, leite ich daraus ab, was ich bald für den einen Gegenstand, bald für einen anderen vermag. Das ist nach meiner Meinung der wahre Weg, um die Wahrheit richtig zu finden und zu erklären«(AT III, 266 = Bense 223–224).

Aber : Auch das ist nicht neu. Aristoteles hat den Fortgang von dem für uns Einfachen (aber an sich Komplizierten) zu dem an sich Einfachen (aber für uns Komplizierten) zum methodischen Programm erhoben (Physik 184a = Zekl, 3). Für Descartes sind diese Bezüge geläufig. Er gewinnt daraus nicht nur den Aufbau der Meditationes, sondern inhaltlich auch die heute im ersten Zugriff eher befremdliche, Descartes aber ganz selbstverständliche Rede davon, die Seele sei notior = bekannter als der menschliche Körper – so, als könne es Grade der Bekanntheit geben, während damit doch gemeint ist, daß auf dem Wege des geregelten Denkens die Seele zuerst auftritt und der Erkenntnis leichter zugänglich ist.26 Wenn die Lehre von dieser der Erkenntnis leichter zugänglichen Seele dann ein zentrales Geschäft der Metaphysik ist, so liegt darin ein Kontrapunkt zu einer Rede, die Metaphysik als das bestimmt, was jenseits der Physik liegt (und sei es auch nur in der Form einer Bandzählung innerhalb einer Werkausgabe, z. B. der der Werke des Aristoteles). Descartes liebt solche klammheimlichen Umbiegungen, die uns heute gar nicht mehr auffallen : Denn daß die Lehre von 26

Das soll selbstredend keine vollständige Interpretation dieser Behauptung sein. – Wenn vielleicht auch nicht direkt von Aristoteles entlehnt, so wird Descartes möglicherweise mit Suárez’ Interpretation vertraut gewesen sein (Disp. I, sec. V, 17).

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der Seele eine Frage der Metaphysik und nicht der Physik ist, ist keineswegs selbstverständlich.27 Die Weigerung Descartes’, die beiläufigeren Begriffe der Metaphysik zu definieren oder auch nur zu erläutern (Prin. I, 10 : AT VIII, 8 = CW, 17), erscheint vor dem Hintergrund der Vertrautheit Descartes’ mit der scholastischen Terminologie in einem anderen Licht. Gerade weil nämlich die Neuartigkeit seiner Philosophie in einer Neuordnung der bisherigen begrifflichen Bezüge besteht, kann die hergebrachte Terminologie bestehen bleiben ; anderseits ist es dann auch unausweichlich, daß hergebrachte Bedeutungen in den Begriffen gelegen sind, die dem heutigen Leser entgehen. Diese Bedeutungen werden mitunter gerade dadurch verschleiert, daß diese Begriffe in die Umgangssprache eingegangen sind und dort eine Abnutzung erfahren haben, dergegenüber es ihren philosophischen Gehalt zu betonen gilt, und zwar insbesondere im Falle einer Übersetzung, die ihrerseits in einer Tradition des Übersetzens steht, die sie weder leugnen will noch kann. Das betrifft Fälle, in denen Descartes an scholastischen Bedeutungen festhält, die heute verloren gegangen sind, etwa beim Adjektiv subjectivus : subjektiv ist für uns das, was bloß einer Privatmeinung nach sich auf eine bestimmte Weise verhält, im Gegensatz zu der objektiven Bestimmung eines Gegenstandes, worin der wahre Sachverhalt getroffen ist. Deshalb gilt eine subjektive Behauptung als eine bloße Meinung, eine 27

Für Suárez ist die Wissenschaft, die sich mit der Seele beschäftigt, nicht automatisch Metaphysik. Insofern nämlich die Seele als mit dem Körper verbunden betrachtet wird, ist sie Gegenstand der Physik : »Non est ergo dubium quin cognitio animae, quantum ad substantiam eius, et proprietates per se illi convenientes, et modum seu statum existendi vel operandi quem habet in corpore, ad physicum pertineat. De statu vero animae separatae, et modo operandi quem in eo habet, considerare, putant aliqui ad metaphysicum per se pertinere« (Disp. I, sec. II, 20). Eine physikalische Erklärung reicht deshalb für die niederen Lebewesen völlig aus, d. h. alle jene Lebewesen, die lediglich über eine anima vegetativa oder anima nutritiva verfügen ; die anima rationale jedoch entzieht sich physikalischer Erklärbarkeit und verweist über die Metaphysik hinaus auf die Theologie.

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objektive als Wissen. Anders Descartes. Subjekt ist das, was dem Geist unterworfen (subjicere) ist, was also Gegenstand des Geistes ist, nach unserem heutigen Sprachverständnis also ein Objekt des Geistes, während das Subjekt der Geist selbst wäre. Für Descartes dagegen ist das, was dem Geist Objekt seiner Beschäftigung ist, stets subjektiv = Gegenstand im Geist. Jede Idee ist also Idee des Geistes und ist insofern subjective. Jede Idee ist aber auch sowohl Gegenstand des Geistes und insofern objective, als auch ein Produkt des Geistes, und als solche ist sie formaliter vorhanden, sie ist idea formalis,28 insofern an ihr pointiert wird, daß der Geist sie stets – sei sie ansonsten (in Kantischer Terminologie) empirisch oder transzendental – bildet, formt ; ganz entsprechend der Aristotelischen Vorstellung, ein Gegenstand (in diesem Falle also eine Idee) entstehe durch die Aufprägung einer Form auf eine rohe Materie. Die Ausdrücke subjective und objective beinhalten also im Gegensatz zu unserem heutigen Gebrauch keine Behauptungen bezüglich des außergeistigen Vorhandenseins des in der Idee Vorgestellten. Descartes stellt diese Frage bekanntlich, indem er nach den Ursachen der Ideen fragt, die er in sich findet. Diese Frage richtet sich dann aber nicht mehr auf die Tatsache des Vorhandenseins der Ideen im Geist, sondern auf den Inhalt der Ideen, den Descartes in scholastischer Redeweise realitas = Sachgehalt (und eben nicht die Realität = Wirklichkeit in unserem heutigen Sinne) nennt. Ideen haben Ursachen. Eine Ursache erzeugt entweder etwas, was in dieselbe Gattung fällt, der sie selbst angehört, dann ist sie univoce Ursache ; oder sie kann Dinge erzeugen, die einer anderen Gattung angehören, dann ist sie aequivoce Ursache.29 Alles, was die Ursache hervorbringt, muß in ihr gelegen sein. Sie ist causa formalis, wenn sie das von ihr Hervorgebrachte, also die Idee, zu dem 28 29

Vgl. Suárez Disp. II, sec I, 1. Zu den Begriffen univoce vs. aequivoce vgl. Disp. XVII, sec II, 21 = Freddoso, 32 ; Disp. XXI, sec 3, 9 = Freddoso, 136 ; Disp. XXVI, sec VI, 11 ; Disp. XLVIII, sec III, 13.

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macht, was sie ist, sie formt, und deshalb genau jene realitas in sich enthält, die in der Idee vorliegt ; oder sie ist causa eminens, eine Ursache, die mehr erzeugen kann, als in dieser konkreten Idee vorliegt. Die causa eminens par excellence ist Gott.30 Die Lehre von dem »Realitätsgehalt« einer Ursache, d. h. die Behauptung, in einer Ursache müsse das, was sich in ihrer Wirkung verwirklicht, bereits enthalten sein, ist von zentraler Bedeutung für den ideologischen Gottesbeweis, weil er ohne sie hinfällig ist.31 Übrigens ist auch die Trennung von ideologischem und ontologischem Gottesbeweis bei Suárez zumindest angelegt.32 Die Cartesische Bestimmung einer Erkenntnis als clare et distincte ist zum Gemeingut der Alltagssprache geworden und hat dementsprechend seine präzise Bedeutung längst eingebüßt. Descartes schärft diese Bedeutung, aber es handelt sich bei diesem Begriffspaar keinswegs um eine Schöpfung Descartes.33 Übersetzt wird es traditionell mit klar und deutlich, und auch die vorliegende Übersetzung folgt dieser Tradition. Dies zu tun, hat seinen Grund in der sich durchhaltenden Orientierung des Cartesischen Sprechens an Lichtmetaphern : Wer etwas erkennt, sieht es ein (intelligere), indem er sich dabei des 30 31

32 33

Dazu gibt es unzählige Textbelege bei Suárez, z. B. : Disp. XXX, sec I, 9 ; Disp. XXX, sec I, 10. Zu dem Themenkomplex »Kausalität bei Descartes« vgl. meine Einleitung zu den Principia philosophiae (CW, XXXII-XLIII) sowie die dort angegebenen Belegstellen. – Darüber hinaus vgl. z. B. Suárez, Disp. XII, sec III, 9 ; Disp. XIII, sec V, 14 ; Disp. XXVI, sec I, 2 ; sec I, 5. – Übrigens hat bereits Suárez gesehen, daß gerade diese Lehre eine Reduktion der vier Aristotelischen Ursachen auf zwei – nämlich causa efficiens und causa finalis – geradezu herausfordert : “Not every cause is nobler than its effect. To the objection given at the beginning, I respond by simply denying the major. For it is not necessary that every cause be nobler than its effect, but only in the case of some efficient and final causes. But it is not the case in the material cause, as all agree, nor even in the formal cause for almost the same reason” (Disp. XV, sec VII, 10 = Kronen, 95). Vgl. Disp. XXIX, sec 3, 2 = Doyle, 114–115. Z. B. Disp. XV, sec I, 7 = Kronen, 21 ; sec II, 10 = Kronen 51.

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Natürlichen Lichtes (lumen naturale) bedient. Descartes’ erster Entwurf zur Physik ist ein Traité de la Lumière, anhand dessen er die gesamte physische Welt erklären will und dessen Haupttitel deshalb auch Le Monde ist. Das lumen naturale ist der bon sens, die unverdorbene Urteilskraft. Der Ausdruck findet sich bei Descartes bereits in den Regulae I (AT X, 361 = LG, 5), kann sich dort finden, weil er Descartes von Suárez her geläufig gewesen ist,34 und ihm sicherlich auch nicht unbekannt war, daß er bis auf Cicero35 zurückgeht und zudem der im Christentum gelegenen und schon längst von der Philosophie aufgenommenen Lichtmetaphorik entspricht.36 Wer sich des so verstandenen lumen naturale bedient, ist in der Lage, Dinge clare et distincte zu erkennen, klar und deutlich ; clarus meint aber eben nicht nur, daß vor etwas kein Schleier oder Nebel liegt, wie wenn keine Wolke den Anblick des Himmels trübt, sondern auch, daß es von sich aus leuchtet. Der poeta clara, mit dem wir im Lateinunterricht gequält wurden, weil er trotz seiner weiblichen Endung in der Regel männlich ist, ist der berühmte Dichter eben nicht nur, weil Ruhm auf ihn gekippt wird, sondern weil er von sich aus etwas mitbringt, was ihm Ruhm verschafft : er leuchtet, d. h. er zeichnet sich vor anderen irgendwie aus, und sei es durch die Erbärmlichkeit seiner Verse, die er, wie Kaiser Nero, vom Palatin herableiert. Wenn demnach etwas clare erkannt wird, so liegt das nicht nur daran, daß wir das Licht unserer Erkenntnis auf es werfen, sondern auch daran, daß es selbst leuchtet, also unsere Aufmerksamkeit erregt. Dann fragt es sich immer noch, was es denn ist, das uns durch sein Leuchten veranlaßt, ein näheres Licht auf es zu werfen. Wenn wir erkennen, worum es sich handelt, dann erkennen wir es deutlich, etwa wenn wir feststellen, daß es kein sterbender Schwan ist, der dort singt, sondern 34 35 36

Z. B. Disp. XXXI, sec. XIV, 7 = Wells, 236. Gespräche in Tusculum III, 2. Übers. v. Olof Gigon. München : Heimeran 1970, 173/175. Vgl. Prin. I, 11 : AT VIII, 8–9 = CW, 19–21, sowie die Anmerkung dazu (CW, 639).

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Kaiser Nero. Damit hängt die Rede von Evidenz zusammen (evidens, evidentia) : Was evident ist, wird nicht nur unzweifelhaft eingesehen, weil die Einsicht unzweifelhaft ist, sondern auch, weil das so Eingesehene eine solche Einsicht möglich macht, obwohl es ohne unsere Fähigkeit, es so zu erkennen, unbekannt bliebe. Neben dieser Lichtmetaphorik aber hat die Kennzeichnung eines erkannten Dinges als distincte erkannt auch eine logische Konnotation, nämlich die, innerhalb eines logisch-dihäretischen Verfahrens aus einer übergeordneten Gattung oder Art ausdifferenziert worden zu sein. Was distincte erkannt ist, ist im Hinblick auf die über und unter ihm stehenden Gattungen, Arten und Exemplare deutlich erkannt. Es ist distincte = unterschieden erkannt, indem es einer anderen Art oder Gattung zugeordnet wird als etwas anderes.37 Es gilt, sich zu klarzumachen, daß es sich bei dem Verfahren der logischen Dihärese keineswegs um eine nebensächliche Praxis handelt, sondern um die zentrale Technik der Metaphysik und das zentrale Geschäft der Physik vor der Neuzeit. Die neuzeitliche Wissenschaft hat in Teilbereichen wie der Systematik der Lebewesen dieses Verfahren beibehalten, und niemand, der Systematik der Tiere oder Pflanzen betreibt, würde behaupten, er bediene sich eines beliebigen Verfahrens oder die Ergebnisse, die sich aus ihm ergäben, seien bloß marginaler Natur, sondern er wird die Landkarte – und sei es bloß eines Teilbereiches der Lebewesen – aus obersten Gattungen, über untergordnete Gattungen und Arten letztlich bis zum Exemplar für einen nach menschlichem Ermessen vollständig beschriebenen Bereich der Realität halten ; wobei sich die Vollständigkeit mißt an der zugrundeliegenden Fragestellung, etwa : einen Teil37

Zu der Verwendung von »distinctus« bei Suárez vgl. Disp. I, sec. V, 48 ; Disp. II, sec I, 4. Die Scholastik verbindet die Lehre von genus– differentia mit der von materia–forma : »Fundamentum esse potest, primo, quia genus sumitur a materia, et differentia a forma ; ergo ubi non est materia ac forma, non erit genus et differentia« (Disp. XXXV, sec III, 34). Freilich verwirft Suárez diese Ansicht in Disp. XXXV, sec III, 36.

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bereich der mitteleuropäischen Insekten in Gattungen, Arten und Familien einzuteilen, d. h. die nicht-mitteleuropäischen auszuklammern und von anderen Lebewesen zu unterscheiden. Die Pointe ist, daß die nach dem Vorbild der Aristotelischen Physik und Biologie agierende mittelalterliche Naturwissenschaft, so detailliert experimentell sie entgegen einem weitverbreiteten Irrglauben gewesen ist, stets vor dem Hintergrund der Grundannahme agiert, daß die Realität letzlich vollständig beschreibbar ist, und zwar beschreibbar, indem die vorfindlichen Exemplare in die Landkarte der logischen Dihärese eingeschrieben werden, die dann letztlich ein Abbild der gesamten, sich historisch (naturgeschichtlich) selbstredend nicht verändernden Natur darstellt. Spätere enzyklopädische Ansätze sind abgeschwächte Formen dieser Grundannahme. Physik (= Naturwissenschaft) vollzieht sich damit nur marginal im Aufweis von Naturgesetzlichkeiten, sondern zentral in dem gerade beschriebenen logisch-dihäretischen Verfahren, und genau das bildet das Unterscheidungsmerkmal einer Ontologie von einer Physik im neuzeitlichen Sinne. Das ist bei Descartes auch noch so : Naturgesetzlichkeiten, wie er sie versteht, sind keine mathematischen Naturgesetze, sondern ontologische Grundsätze von der Art Aus nichts kann nichts entstehen, und diese ontologischen und im Cartesischen Verständnis physikalischen Gesetze gehören nach unserem heutigen Verständnis fast ausnahmslos in die Metaphysik, will sagen : Sie sind allesamt Grundsätze, die kein heutiger Physiker zu beweisen sich anheischig machen würde, sondern solche, die er bei seiner Arbeit stillschweigend voraussetzt. Darin liegt ein besonderes Verhältnis von Metaphysik und Physik, das zu dem weitverbreiteten Irrtum führt, Descartes konzipiere seine Physik in einem solchen »deduktiven« Abhängigkeitsverhältnis von der Metaphysik, daß die Gesetze der Physik – warum dann nicht gleich die physis, die Natur selbst? – aus der Metaphysik gezogen (»deduziert«) werden könne wie das Kaninchen aus dem Hut eines Zauberers, ein offenbarer Unsinn, gegen den zu argumentieren sich nicht lohnt. Vor diesem

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Hintergrund erhält die Cartesische Lehre von den Unterscheidungen, die er dann in Aufnahme der extensiven Diskussionen u. a. von Franciscus Suárez38 in den Principia ausarbeitet (Prin. I, 60–62 : AT VIII, 28–30 = CW, 65–71) eine besondere Relevanz. Kann Physik (Naturwissenschaft) zugespitzt als der Vollzug einer logischen Dihärese in bezug auf einen vorliegenden Gegenstandsbereich – also Teile der Natur oder sie insgesamt – bezeichnet werden, so ist Metaphysik derselbe Vollzug in bezug auf das vollziehende Subjekt. Metaphysik kann zugespitzt bestimmt werden als methodisches Bewußtsein, als das Bewußtsein, daß alles, was erkannt wird, in seinem Andersein in bezug auf ein Anderes bestimmt wird. Erkenntnis ist damit stets und unausweichlich beides : Das Feststellen von am Gegenstand vorfindlichen Unterschiedlichkeiten wie auch das Setzen dieser Unterschiedlichkeiten. Insofern das Setzen einer Unterschiedlichkeit kein Akt bloßer Beliebigkeit ist, liegt im Erkennen immer ein reflexiver Zug, nämlich der der Erkenntnis, eine Unterschiedlichkeit erkannt zu haben, bzw. sie gerade eben zu erkennen. Daß Metaphysik keine naive Ontologie der äußeren Dinge ist, die wie in einem Krämerladen herumliegen und die man sich in die Tasche packen mag – wie etwa, böswillig überspitzt, im Orbis sensualium pictus des Pädagogen Johann Amos Comenius –, sondern immer auch Fragen nach der menschlichen Erkenntnis aufwirft, versteht sich vor dem Hintergrund der methodologischen Herangehensweise Descartes’ von selbst, bleibt aber natürlich auch nicht ohne Folgen für die Terminologie, in der die Metaphysik sich vollzieht, nämlich dahingehend, daß in allen Termini des Unterscheidens die angedeutete Ambivalenz liegt. Eine Übersetzung kann davon einiges sichtbar machen. Das ist hier geschehen, indem der tätige Anteil an diesen Ausdrücken hervorgehoben wurde. Demnach ist, ge38

Suárez hat seine gesamte VII. Disputation der distinctio gewidmet. Vgl. insbesondere Disp. VII, sec I, 7 = Vollert, 20 ; sec I, 21 = Vollert, 32 ; sec III, 6 = Vollert, 65.

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ordnet auf einer Skala, die von der Subjektseite allmählich auf die Objektseite überwechselt distinctio Unterscheidung, differentia Unterschied, discrimen Nichtübereinstimmung, diversitas Verschiedenheit. In allen diesen Begriffen findet sich die Subjektseite aber stets mit der Objektseite verbunden. Die korrespondierenden Verben sind : distinguere = unterscheiden, differre = verschieden sein ; die Adjektive sind : diversus = verschieden und, ganz auf der Objektseite, separatus = getrennt (von separare = abtrennen). Distinctus wird jenseits des Begriffspaares clare et distincte = klar und deutlich mit unterschieden übersetzt ; umgekehrt habe ich bei allen anderen lateinischen Floskeln wie z. B. perspicue cognoscere, wo das deutsche Sprachgefühl ebenfalls klar erkennen erwartet, stets andere Lösungen gesucht – was möglicherweise zu einigen seltsamen Schnörkeln geführt haben mag. Ich habe mich – diese Bemerkung sei bereits an dieser Stelle gemacht – bemüht, diese Festlegungen nach Möglichkeit durchzuhalten, also auch dort, wo man umwillen des Schönklanges des deutschen Textes andere Ausdrücke erwarten würde. Der Schönklang einer Übersetzung ist jedoch bei einem philosophischen Text, der im wesentlichen ein begriffliches System darstellt, von untergeordneter Bedeutung. Frühere Übersetzungen haben es – ich kann es leider nicht anders ausdrücken – daran etwas mangeln lassen, und ich nehme es in kauf, daß der Leser vielleicht an der einen oder anderen Stelle stocken wird, weil mir der Gewinn an terminologischer Transparenz diesen möglichen Nachteil bei weitem aufzuwiegen scheint. Der Leser wird sich jedoch darauf verlassen können, daß dort, wo er Seele findet, im Lateinischen anima, wo Gemüt animus, und wo Geist mens steht – wobei dies stilistisch keine Schwierigkeiten aufwirft. Dies ist schon eher der Fall bei experientia = Erfahrung und experimentum = Experiment, die der deutsche Sprachgebrauch anders verteilt. Es kann in einer Übersetzung aber auch nicht darum zu tun sein, wirkliche oder vermeintliche Befremdlichkeiten zu glätten – denn ob diese sachlich oder bloß sprachlich sind, dies zu beurteilen muß dem Leser überlassen

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bleiben. Ich habe deshalb auch natura einheitlich mit Natur übersetzt, und zwar auch dort, wo man vielleicht Wesen erwarten würde ; denn das ist essentia. Gerade hierin bedient sich Descartes genuin scholastischer Terminologie, nämlich einer Rede, die existentia (die Existenz von etw.) von ens (das Seiende), diese ihrerseits von der essentia (Wesen) und letztere wiederum terminologisch genau von natura unterscheidet.39 Eineindeutig übersetzbar sind Ausdrücke wie res oder ratio natürlich nicht, dafür ist ihre Bedeutungsvielfalt zu groß. Auffällig ist, daß ratio bei Descartes weitaus öfter in der Bedeutung von Grund oder Begründung auftritt als in der von Vernunft, was mir ein starker Hinweis auf das instrumentelle Verständnis gnoseologischer Begriffe zu sein scheint. Res bildet in aller Regel so etwas wie den Gegenpol zu ratio und bezeichnet das dem in Aktivität versetzten Geist (mens) gegenüberstehende zunächst undifferenzierte Etwas, das Ding, das in einem Fluß des Denkens (ratio) zu erkennen der Geist sich anschickt. Sowohl die Terminologie als auch die Topoi der Metaphysik entnimmt Descartes allesamt der Tradition, vor allem Aristoteles ; deshalb bestreitet Descartes auch nicht, daß Metaphysik die Wissenschaft von dem Seienden ist – auch wenn er die Aristotelische Formulierung, Metaphysik untersuche »das Seiende als Seiendes« (z. B. Metaphysik IV, 1 = 1003a = Seidl, 123) wohl eher als mißlungenen Schüttelreim denn als tiefe Weisheit aufgefaßt haben mag. Metaphysik ist keine historische Wissenschaft : In diesen einen Satz läßt sich die Ambivalenz des philosophischen Ansatzes von René Descartes zusammenfassen. Metaphysik ist keine historische Wissenschaft, weil ihr Geschäft nicht der Nachvollzug historischer Positionen ist. Sie sucht keine Antwort auf die Frage, wie andere Denker zentrale Begriffe verstanden und wie sie sie zu einem mehr oder weniger einheitlichen Gebäude zusammengefügt haben. Metaphysik ist nicht der Nachvollzug, sondern die Einnahme von Positionen. Sie versucht, Fragen zu beantworten, die sich nicht etwa deswegen stellen, weil ande39

Disp. XV, sec. 11, 4-6 = Kronen, 179–180 ; sec 11, 11 = Kronen, 183.

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re sie bereits gestellt haben, sondern weil sie sachlich relevant sind. Ihr erstes Geschäft ist daher, zu bestimmen, »was Sache ist«, also welche Fragen es sind, die überhaupt beantwortet werden müssen. Auf der Grundlage dieses Fundaments nimmt sie eine Bestimmung der Begriffe vor, die im Hinblick auf die Sache relevant sind, trennt ab, was irrelevant ist, und fügt die so bestimmten Begriffe zu einem Gesamtentwurf zusammen. Der Neuanfang in der Philosophie, den Descartes wie wohl kaum ein anderer propagiert und durchführt, hat einen konservativen Zug : Gerade Descartes besteht darauf, daß seine Philosophie die älteste ist, die es überhaupt geben kann, und eine solche Aussage hat nur Sinn, wenn Metaphysik als Rekonstruktion der ursprünglichen Fragen verstanden wird, die anfänglich das philosophische und insbesondere metaphysische Geschäft überhaupt ins Rollen gebracht hatten. Descartes setzt einem philosophischen Diskurs ein Ende, der nach seinem Eindruck die Fragen, die er lösen wollte, vergessen hat, ganz wie jemand, der zu einer Diskussion hinzukommt und die Redner an ihr ursprüngliches Thema erinnert. Darin liegt dann anderseits aber auch, daß Descartes und die in der Geschichte der Philosophie vorfindlichen Positionen im Kern dieselbe Sache verfolgen, und deshalb kann Descartes sich mit dem Material, das er vorfindet, nicht nur auseinandersetzen, sondern es auch für seinen eigenen Entwurf verwenden. Mit Descartes beginnt deshalb nicht etwa nur jenes systematische Philosophieren, dem es um die Beantwortung der Fragen selbst, nicht um den Nachvollzug bisherigen Redens darüber geht, sondern auch ein Philosophieren, das die Behandlung der Fragen selbst in der Auseinandersetzung und mit dem Material jener Positionen vollzieht, die es zu überwinden versucht. Es ist gerade der starke systematische Ansatz, der einen Zugriff auf das vorfindliche Material ermöglicht, nach dessen Durchführung der Rezipient des neuen Entwurfes so gut wie völlig überzeugt ist, nicht nur einen neuen Entwurf, sondern auch einem aus völlig neuem Material gebildeten Entwurf gegenüberzustehen. Die zentrale Innovation der Meditationes liegt also weder in der bloß scheinbaren Unabhän-

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gigkeit von aller vorherigen Metaphysik, noch in einer neuen Terminologie, sondern in der völligen Neuordnung des vorhandenen Materials. Descartes agiert souverän in der Terminologie des Aristoteles und der scholastischen Metaphysik, greift nicht weniger souverän die Themen dieser Tradition auf und fügt sie zu einem völlig neuen Gebäude zusammen. Descartes bedient sich der scholastischen Philosophie wie in einem Steinbruch, er bricht heraus, was ihm gelegen kommt, und baut ein neues Haus, von dem derjenige, der es zuerst betritt, sehr gerne glaubt, es sei ein völlig neues, und deshalb gar nicht auf die Idee kommt, es handele sich um ein aus alten Steinen errichtetes, weil es Descartes gelingt, die Erinnerung an das vorherige Haus zu tilgen.40 Das Neue an Descartes’ Metaphysik ist, daß er mit der hergebrachten Metaphysik agiert, nicht in ihr. Dies gelingt Descartes, indem er das Geschäft der Metaphysik, die »Sache, um die es zu tun ist«, auf die Grundkonstellation reduziert, die integraler Bestandteil jeder Metaphysik ist : Die Bestimmung des Verhältnisses von Ich, Welt und Gott. Metaphysik beinhaltet deshalb die Grundlagen der Psychologie, der Physik und der Theologie – daher Descartes’ Bemühen, zumindest glaubhaft den Eindruck zu erwecken, letzterer, die nicht einfach eine Wissenschaft ist, sondern hinter der machtvolle Institutionen stehen, »nicht ins Handwerk zu pfuschen«. Metaphysik steht damit jenseits von Einzelwissenschaften wie Psychologie, Ethik und Politik, die Einzelaspekte der Seele, bzw. ihres Zusammenhanges mit der Welt thematisieren ; sie steht auch jenseits der Physik – also, daran sei hier erinnert, der Naturwissenschaft überhaupt einschließlich der Medizin –, die ihre Grundlage in der Metaphysik hat ; und sie steht auch jenseits der Theologie und zwar über ihr, da die Theologie allein jene Themen zu traktieren hat, die sich aus dem von Gott Geoffenbarten erge40

Dies betrifft nicht nur die inhaltliche Seite, sondern eben auch den selbstreflexiven Zug der Metaphysik. Aristoteles dagegen hält es für »unstatthaft, [. . . ] zugleich die Wissenschaft und die Weise ihrer Behandlung zu suchen, da (auch) jedes von diesen beiden für sich zu finden nicht leicht ist« (MPh II, 3 = 995a = Seidl, 81).

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ben. Metaphysik bestimmt das Verhältnis also genau jener drei zentralen Begriffe, in denen alle Bereiche angesprochen sind, in denen menschliches wissenschaftliches Agieren überhaupt stattfinden kann. Darin liegt, daß Metaphysik sich ihre Grundlagen selbst schaffen muß. Sie darf sich deshalb nicht beliebig auf irgendeinen dieser Bereiche stürzen, der vielleicht gerade en vogue ist, sondern muß zunächst die Möglichkeit menschlichen Wissens überhaupt thematisieren. Die beiden Bereiche der Metaphysik selbst sind deshalb Gnoseologie, die Wissenschaft von den Möglichkeiten des menschlichen Wissens, und Ontologie, die Wissenschaft von den Grundlagen des Seienden. Metaphysik, das liegt damit in der Natur der Sache, beginnt beim Ich. Dieses Ich sieht sich einer Welt gegenüber, die es verstehen und in der es agieren will. Verständnis und Orientierung kann das Ich aber nur erlangen, wenn Ich und Welt auf eine solche Weise vermittelt sind, daß die Wahrheit der Erkenntnisse, die das Ich von der Welt erkennt, unzweifelhaft sind und deshalb das Agieren des Ich in der Welt auf einem sicheren Fundament steht. Der Garant dieser Vermittlung ist Gott. Deshalb gilt es, Gott zu erkennen und seine Existenz unzweifelhaft zu machen. Dies muß wiederum im Ausgang vom Ich geschehen. Deshalb wird eine Thematisierung der Ideen nötig, die der Mensch in sich findet ; diese Thematisierung aber ist erst sinnvoll, wenn der Wald aller jener Gedanken, die der Mensch in sich hat, gelichtet und nur dasjenige übriggelassen wird, was das Ich ohne die Welt, um deren Erkenntnis es ja erst zu tun ist, in sich findet. Diese Idee ist Gott. Gelingt es, die reale Existenz dessen, was in dieser Idee gedacht wird, zu versichern, und gelingt es gleichzeitig, die Abhängigkeit des Ich selbst davon zu beweisen, also die Abhängigkeit des Ich von Gott, dann wird es auch gelingen, die Erkenntnismittel, die das Ich anwendet, um die Welt zu erkennen, mit dem Verweis auf die Wahrhaftigkeit Gottes selbst als wahrhaftig zu erweisen. Wenn aber die Erkenntnis der Wahrhaftigkeit der Erkenntnismittel gelingt, dann ist eben nicht nur die Wahrheit der Erkenntnis von der Welt, sondern auch die Existenz einer äußeren Welt gesichert und eine siche-

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re Grundlage gelegt, in dieser Welt – nicht zuletzt wiederum wissenschaftlich, nämlich in der ganzen Bandbreite der Einzelwissenschaften – zu agieren. Es muß deshalb der menschliche Irrtum thematisiert werden und es muß das menschliche Erkennen thematisiert werden, insofern es nicht bloß rational ist, sondern selbst ein weltliches Geschehen, also ein mechanisches, es muß, mit anderen Worten, der menschliche Körper beschrieben und alles gesagt werden, was sich überhaupt über die Verbindung der menschlichen Seele mit dem Körper sagen läßt – was nicht viel ist, weil sich diese Verbindung der Erkenntnis – auch der philosophischen – entzieht.

3. Zu dieser Ausgabe Die hier vorliegende Ausgabe ersetzt die bisherige Ausgabe der Meditationen über die Grundlagen der Philosophie mit den sämtlichen Einwänden und Erwiderungen unter der Nummer 27 der Philosophischen Bibliothek, Leipzig : Meiner 1915 (unv. Nachdrucke Hamburg : Meiner ab 1954). Die Übersetzung wurde völlig neu erstellt. Sie übernimmt die Absatzeinteilung von AT, die nicht von Descartes stammt, inzwischen aber zum Standard geworden ist. Aufgrund des ohnehin schon großen Umfangs des Bandes war es unumgänglich, das Register auf einige zentrale Schlagworte zu beschränken. Für ein vollständiges Register (freilich nur der Meditationen selbst) sei auf Jean-Luc Marion u. a. : Index des »Meditationes de prima philosophia« de René Descartes. Besançon 1996 verwiesen. Auf Sachanmerkungen wird in dieser Ausgabe verzichtet. Die Fußnoten verweisen auf Parallelstellen und Zitate zwischen den Meditationen und den Einwänden, jedoch nur dort, wo eine Passage ausdrücklich (wenn auch nie in einem modernen philologischen Sinne wörtlich) herangezogen wird. Zur klaren Differenzierung sind Textanteile Descartes stets – auch in nicht-wörtlichen Zitaten – in Antiqua (Serifenschrift) gesetzt, jene anderer Autoren in einer leichten, serifenlosen

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Schrift. Die Formatierung von Zitaten Dritter (Augustinus, Thomas von Aquin) erfolgt im Kontext desjenigen Autoren, der sie zitiert. Die Seitenangaben in den Verweisen beziehen sich auf die Paginierung von Band VII der maßgeblichen Descartes-Gesamtausgabe von Charles Adam und Paul Tannery : Œuvres de Descartes. Paris : Cerf 1897–1913 in der vom Centre National du Livre besorgten Neuausgabe Paris : Vrin 1996. Die Seitenzahlen von AT befinden sich mit Zeilenangaben entsprechend der Absatzeinteilung bei AT jeweils an deren Rand. Hamburg, im Januar 2009

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A. Ausgaben 1. Erste Ausgaben und Referenzausgabe Erstausgabe : r e nat i d e s- ca r te s me d itat io n es d e p r im a p h i l o so p h ia , i n q ua de i ex ist e nt ia e t a n ima e i m mo r ta l i tas de mo n st rat ur. Paris : Soly 1641. Zweite Auflage : r e nat i d es- ca r te s med itatio n e s de pr im a p h i l o s o p hi a, in quibus Dei existentia, & animae humanae a corpore distinctio demonstrantur. Amsterdam : Elzevier 1642. Referenzausgabe : Meditationes de Prima Philosophia. in : Œuvres de Descartes. hrsg. v. Charles Adam und Paul Tannery. Band VII. Paris : Cerf 1897–1913 ; Paris : Vrin 1964–1967/1969 f./1974 f./ 1996.

2. Deutsche Übersetzungen Betrachtungen über die Metaphysik. Das Dasein Gottes und der Unterschied zwischen Seele und Körper. in : René Descartes’ Hauptschriften zur Grundlegung seiner Philosophie. übers. v. Kuno Fischer (1863). Heidelberg : Winter 1930. Untersuchungen über die Grundlagen der Philosophie. in : René Descartes’ philosophische Werke. Zweite Abteilung. übers. v. Julius Hermann von Kirchmann. (PhB 25) Berlin : Heimann 1870 ; weitere Auflagen : Heidelberg : Weiss 1882. Meditationen über die Grundlagen der Philosophie. in : René Descartes’ philosophische Werke. Zweite Abteilung. übers. v. Artur Buchenau. (= PhB 27) Leipzig : Dürr 1882 ; 27 ; Leipzig : Dürr 1902 ; Leipzig : Dürr 1904 ; Leipzig : Meiner 1913 ; unter

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Nummer 27/1 nachgedruckt : Hamburg : Meiner 1953, 1955, 1958. Neubearbeitungen dieser Ausgabe von Lüder Gäbe. Hamburg 1960 (PhB 271) ; durchgesehen von Hans Günter Zekl 1976. Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, mit sämtlichen Einwänden und Erwiderungen. übers. v. Artur Buchenau (= PhB 27). Leipzig : Meiner 1915. Nachdrucke 1954, 1965, 1972. Enthält die Einwände und Erwiderungen 1–7. Meditationen über die erste Philosophie. übers. v. Gerhart Schmidt. Stuttgart : Reclam 1971 (= Universal-Bibliothek 2887/7732).

3. Lateinisch-Deutsche Ausgaben Meditationen über die erste Philosophie. Auf Grund der Ausgaben von Artur Buchenau neu herausgegeben von Erich Christian Schröder (= PhB 250). Hamburg : Meiner 1956. Meditationen über die Grundlagen der Philosophie. Auf Grund der Ausgaben von Artur Buchenau neu herausgegeben von Lüder Gäbe (PhB 250a). Hamburg : Meiner 1959. Neubearbeitung dieser Ausgabe von Hans Günter Zekl. Hamburg : Meiner 1977. Meditationes de Prima Philosophia/Meditationen über die Erste Philosophie. übers. v. Gerhart Schmidt. Stuttgart : Reclam 1986 (= Universal-Bibliothek Nr. 2888). Andreas Schmidt : Meditationen. Dreisprachige Parallelausgabe. Göttingen : Vandenhoek & Ruprecht 2004.

4. Französische Ausgaben Meditationes de Prima Philosophia. Méditations Métaphysiques. Texte latin et traduction du Duc de Luynes. hrsg. v. Geneviève Rodis-Lewis. Paris : Vrin 1978. (französischer Text von Duc de Luynes in modernisierter Orthographie).

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Méditations métaphysiques. Texte, Traduction, Objections et Réponses par Florence Khodoss. Paris : Quadrige/PUF 1956. 3. Aufl. 1992 (Les Grands Textes). Französische Übersetzung in modernisierter Orthographie von Duc de Luynes, nur Ausschnitte aus den Einwänden und Erwiderungen. Méditations métaphysiques. Meditationes de Prima Philosophia. Méditations de Philosophie Première. hrsg. v. Michelle Beyssade. Librairie Générale Française 1990 (Le Livre de Poche. Classiques de la Philosophie). Bringt neben der Übersetzung von Duc de Luynes eine moderne französische von Michelle Beyssade. Méditations métaphysiques. in : Œuvres Philosophiques de Descartes. Band 2 (1638–1642). hrsg. v. Ferdinand Alquié. Paris : Garnier 1967. Französische Übersetzung von Duc de Luynes in modernisierter Orthographie.

5. Englische Ausgaben The Method, Meditations and Selections from the Principles of Descartes. übers. v. J. Veitch. Edinburgh/London 1907. Meditations on First Philosophy. Objections Against the Meditations, and Replies. in : The Philosophical Works of Descartes. übers. v. Elisabeth Haldane und G. R. T. Ross. Cambridge 1911–12. Nachdruck 1931–34, 1967. New York, 1955. Außerdem in : Great Books of the Western World. hrsg. v. Maynard Hutchins. Band 31 : Descartes/Spinoza. Chicago/London/Toronto : Encylopaedia Britannica/William Benton 1952. Meditations on First Philosophy. in : Descartes’ Philosophical Writings. übers. v. Norman Kemp Smith. London / New York 1952. Meditations on First Philosophy. Objections and Replies, the Third Set. in : Philosophical Writings. übers. v. Elizabeth Anscombe und Peter Thomas Geach. Upper Saddle River (New York) : Prentice Hall 1954. überarbeitete Auflage 1970. Nachdruck 1971.

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Meditations on First Philosophy. in : John Cottingham / Robert Stoothoff / Dugald Murdoch : The Philosophical Writings of Descartes. Bd. 2. Cambridge : University Press 1984. Meditations and other Metaphysical Writings. übers. v. Desmond M. Clarke. Penguin 1998. überarbeitete Aufl. 2000. erneut überarbeitet 2003.

B. Nachweise Die in der Einleitung und den Anmerkungen verwendeten Kürzel beziehen sich auf folgende Literatur : AT : s. o.

Baillet : Adrien Baillet : La Vie de Monsieur Des-Cartes. Paris 1691. Repr. Genf : Slatkine 1970 (2 Bände in 1). Bense : Briefe. Hrsg. v. Max Bense, übers. v. Fritz Baumgart. Köln : Staufen 1949.

Buchenau : s. o. LG : Regulae ad directionem ingenii/Regeln zur Ausrichtung der Erkenntniskraft. hsrg. v. Heinrich Springmeyer, Lüder Gäbe und Hans Günter Zekl. Hamburg : Meiner 1973 ; Discours de la méthode pour bien conduire sa raison et chercher la verité en sciences / Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung. hrsg. v. Lüder Gäbe, durchgesehen v. George Heffernan. Hamburg : Meiner 1997. Seidl : Aristoteles : Metaphysik. Neubearbeitung der Übersetzung von Hermann Bonitz. hrsg. v. Horst Seidl. Hamburg : Meiner 1989 ; Über die Seele. hrsg. von Horst Seidl. Hamburg : Meiner 1995. CW : René Descartes : Die Prinzipien der Philosophie. übers. v. Christian Wohlers. Hamburg : Meiner 2005. Zekl : Aristoteles : Physik. Vorlesung über Natur. übers. v. Hans Günter Zekl. Hamburg : Meiner 1987.

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Zittel : René Descartes : Les Météores / Die Meteore. hrsg. u. übers. von Claus Zittel. Frankfurt a. M. : Klostermann 2006 (= Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit, Bd. 10 (2006), Heft 1/2). Die Disputationes metaphysicae werden angeführt nach : Franciscus Suárez : Disputationes metaphysicae. in : Opera Omnia Bd. 25/26. Paris : Vivès 1866. Nachdruck : Hildesheim : Olms 1965. sowie in folgenden Übersetzungen (Angabe des Übersetzers, Seite) : Disp. V = Über die Individualität und das Individuationsprinzip. übers. v. Rainer Specht. Hamburg : Meiner 1976. Disp. VI = On Formal and Universal Unity. übers. v. Tr. James F. Ross. Milwaukee : Marquette University Press 1964. Disp. VII = On the Various Kinds of Distinctions. übers. v. Tr. Cyril Vollert. Milwaukee : Marquette University Press 1947, 1976. Disp. X, XI = The Metaphysics of Good and Evil according to Suárez : Metaphysical Disputations X and XI and Selected Passages form Disputation XXII and Other Works. übers. v. Jorge J. E. Garcia/Douglas Davis. München : Philosophia Verlag 1989. Disp. XV = On the Formal Cause of Substance. Metaphysical Disputation XV. übers. v. John Kronen u. Jeremiah Reedy. Milwaukee, Wisconsin : Marquette University Press (= Mediaeval Philosophical Texts in Translation Nr. 36) 2000. Disp. XVII, XVIII, IXX = On Efficient Causality. Metaphysical Disputations 17, 18, and 19. übers. v. Alfred J. Freddoso. New Haven & London : Yale University Press 1994. Disp. XX, XXI, XXII = On Creation, Conservation, & Concurrence. Metaphysical Disputations 20–22. übers. v. Alfred J. Freddoso. South Bend (Indiana) : St. Augustine’s Press 2002. Disp. XXVIII–IXX = The Metaphysical Demonstration of the Existence of God. Metaphysical Disputations 28–29. übers. v. John P. Doyle. South Bend (Indiana) : St. Augustine’s Press 2004.

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Disp. XXXI = On the Essence of Finite Being as Such, on the Existence of that Essence and their Distinction. übers. v. Norman J. Wells. Milwaukee : Marquette University Press 1983. Disp. LIV = On Beings of Reason (De Entibus Rationis). Metaphysical Disputation LIV. übers. v. John P. Doyle. Milwaukee, Wisconsin : Marquette University Press (= Mediaeval Philosophical Texts in Translation Nr. 33) 1995. Index locuplentissimus in Metaphysicam Aristotelis = A Commentary on Aristotle’s Metaphysics or »A Most Ample Index to the Metaphysics of Aristotle«. übers. v. John P. Doyle. Milwaukee, Wisconsin : Marquette University Press (= Mediaeval Philosophical Texts in Translation Nr. 40) 2004.

C. Sonstige Literatur Charles Adam : La Vie de Descartes. Paris : Cerf 1910. Aurelius Augustinus : De libero arbitrio / Der freie Wille. übers. v. Johannes Brachtendorf. Paderborn/München/Wien/Zürich : Schöningh 2006. (= Augustinus : Opera – Werke, Bd. 9). Selbstgespräche. übers. v. Hanspeter Müller. München/Zürich : Artemis 1986. De utilitate credendi / Über den Nutzen des Glaubens. übers. v. Andreas Hoffmann. Freiburg u. a. : Herder 1992 (= Fontes Christiani Bd. 9). Anicius Malius Severinus Boëthius : Die Theologischen Traktate. übers. v. Michael Elsässer. Hamburg : Meiner 1988. Joannis Damascenus : Opera Omnia quae exstant. Paris : Migne 1864 (= Patrologiae Cursus Completus series Graeca, Bd. 94). Pierre Gassend : Opera Omnia in sex tomos divisa. Lugduni : Anisson & Devent 1658 ; reprint Stuttgart/Bad Cannstatt : Frommann 1964. P. Lombardus : Magistri Sententiarum [. . . ] Opera Omnia. Paris : Garnier 1880 (= Patrologiae Cursus Completus Series Latina, Bd. 192).

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Lukrez : De rerum natura / Von der Natur. übers. von Hermann Diels. München : Artemis & Winkler 1993. T. Maccius Plautus : Miles gloriosus / Der glorreiche Hauptmann. übers. v. Peter Rau. Stuttgart : Reclam 1984. Thomas von Aquin : Summa Theologica. Deutsche Thomas Ausgabe Bd. 1. Salzburg/Leipzig : Pustet 1934. (DTA 1) Tridentiner Konzil : Dekrete der Ökumenischen Konzilien. Herausgegeben vom Istituto per le scienze religiose Bologna. Paderborn et al. : Schöningh 2002. Band 3 : Konzilien der Neuzeit. übers. v. Josef Wohlmuth.

d i e me ditati one n ü b e r di e e r s te p h il o s o ph ie d es re né de s car tes , in d e n e n di e ex is te nz got tes u n d d ie u n t e rs ch eidung zw is ch en d er m e n s c h li c he n see le und dem körper b e wi es en w ird. d ie s en s in d v ie lfält ige e inwände g e l eh r te r m ä n n er gegen die b ew ei se in bezug au f g ot t u n d die se ele hi nzuge f ügt ; m i t d e n e rw ide runge n des autoren. zw e i t e, um die si eb ten, b i s l a n g u n v e rö f f entl ich t en e inwände v e rm e h r te auf l age . 1

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Titel der 2. Auflage. 1. Auflage nach Descartes] wo r in d ie e xistenz gottes und d i e u n s t er b li c h k ei t d e r s e el e be w i esen wi rd.

r e n é des car t es e n t bi e t e t de n ho ch gele hr t en u n d h o c hb e rüh m te n männe rn, d e m d e k an u n d de n do kto ren de r fa k u ltät d e r he i ligen th e ol ogie zu paris s ei ne n grus s ! Mich drängt eine so gerechtfertigte Ursache, Ihnen diese Schrift vorzulegen, und ich bin zuversichtlich, daß Sie, nachdem Sie die in meinem Vorhaben liegende Absicht eingesehen haben, es für nicht weniger gerechtfertigt halten werden, ihre Verteidigung auf sich zu nehmen, daß ich meine Schrift hier am besten empfehlen kann, indem ich kurz umreiße, was ich in ihr verfolgt habe. Ich bin schon immer der Ansicht gewesen, daß die beiden Fragen nach Gott und der Seele die wichtigsten von jenen Fragen sind, deren Beweis eher mit Hilfe der Philosophie als der Theologie geführt werden muß. Denn obwohl es für uns Gläubige ausreichend ist, aus dem Glauben heraus zu glauben, daß die menschliche Seele nicht mit dem Körper untergeht und Gott existiert, so scheint es, daß man die Ungläubigen ganz gewiß von keiner Religion und fast ebensowenig von irgendeiner moralischen Tugend überzeugen kann, wenn man ihnen diese zwei Fragen nicht zuvor durch die natürliche Vernunft nachweist. Denn da in diesem Leben oft den Lastern eine größere Belohnung als den Tugenden winkt, würden nur wenige dem Rechten den Vorzug vor dem Nützlichen einräumen, wenn sie Gott nicht fürchteten und kein anderes Leben erwarteten. Es ist ganz und gar wahr, daß die Existenz Gottes geglaubt werden muß, weil dies ja in den Heiligen Schriften gelehrt wird, und umgekehrt den Heiligen Schriften zu glauben ist, weil Gott sie uns gegeben hat : denn weil der Glaube eine Gottesgabe ist, kann derselbe, der die Gnade gewährt, an alles andere zu glauben, auch geben, daß wir an seine Existenz glauben ; trotzdem kann man den Ungläubigen damit nicht kommen, weil sie das als Zirkelschluß beurteilen würden. Ich habe sehr wohl bemerkt, daß Sie,

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wie alle anderen Theologen auch, nicht nur behaupten, die Existenz Gottes könne durch die natürliche Vernunft nachgewiesen werden, sondern auch, es könne aus der Heiligen Schrift sogar hergeleitet werden, daß die Erkenntnis dieser Existenz verglichen mit den Erkenntnissen, die wir von den geschaffenen Dingen besitzen, leichter zu erlangen ist, und zwar sogar so leicht, daß diejenigen, die sie nicht besitzen, dafür verantwortlich gemacht werden müssen. Das ergibt sich nämlich aus folgenden Worten Weisheit 13, 8–9 : »Dies vermag sie nicht zu entschuldigen. Wenn sie nämlich so vieles haben wissen können, daß sie sich über die zeitlichen Dinge Rechenschaft ablegen konnten, wieso haben sie deren Herrn nicht leichter angetroffen ?« Und im Römerbrief, Kapitel 1, 20, heißt es, jene seien »nicht zu entschuldigen«. Und ebenso wird dies auch durch jene Worte ersichtlich : »Was von Gott bekannt ist, ist in jenen offenbar« ; denn durch diese Worte werden wir darauf hingewiesen, daß all das, was wir über Gott wissen können, durch Überlegungen gezeigt werden kann, die wir allein unserem eigenen Geist entnehmen. Deshalb habe ich es für angebracht gehalten, zu erforschen, wie dies geschehen mag und auf welchem Weg Gott leichter und sicherer erkannt wird als die zeitlich gebundenen Dinge. Was die Seele betrifft, so haben viele Leute geurteilt, es sei schwer, ihre Natur zu untersuchen. Aber einige haben sogar zu sagen gewagt, alles menschliche Ermessen überzeuge davon, daß sie zugleich mit dem Körper vergeht, und daß nur der Glaube das Gegenteil behauptet. Dennoch habe ich nicht gezögert, dagegen anzugehen, insbesondere weil das unter Leo X. abgehaltene Lateranische Konzil in seiner 8. Sitzung diese Ansicht verurteilt und ausdrücklich befohlen hat, die Christlichen Philosophen sollten die Argumente dieser Leute entkräften und die Wahrheit nach Kräften nachweisen. Weil ich außerdem weiß, daß die einzige Ursache, weshalb einige Gottlose nicht haben glauben wollen, daß es einen Gott gibt und sich der menschliche Geist vom Körper unterscheidet, darin liegt, daß, wie sie sagen, diese zwei Dinge bislang noch von niemandem haben bewiesen werden können ; und obwohl

schr ei be n a n d i e s o r b o n n e

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ich diesen Leuten keineswegs zustimmen will, sondern ganz im Gegenteil fast allen Begründungen, die in bezug auf diese beiden Fragen von großen Männern beigebracht worden sind, Beweiskraft zugestehe – vorausgesetzt, man sieht sie hinreichend ein – ; und ich mir auch keineswegs einbilde, irgendwelche Begründungen geben zu können, die nicht bereits zuvor von irgendjemand anderem herausgefunden worden sind : deshalb bin ich der Ansicht, daß in der Philosophie keine nutzbringendere Aufgabe ansteht, als einmal sorgfältig alle besten Begründungen zu befragen und sie so bedacht und transparent zu entfalten, daß künftig allgemeine Einigkeit darüber herrscht, daß sie Beweise sind. Und weil schließlich einige Leute mich sehr gedrängt haben, mir diese Aufgabe zuzumuten, habe ich es für meine Pflicht gehalten, in dieser Sache etwas zu versuchen. Denn diesen Leuten ist sehr wohl bekannt, daß ich bei anderen Gelegenheiten einige Male durchaus erfolgreich eine Methode verwendet habe, von der ihnen bekannt war, daß ich sie ausgearbeitet hatte, um beliebige Schwierigkeiten in den Wissenschaften zu lösen – obwohl diese Methode keine neue ist, denn nichts ist älter als die Wahrheit. Alles, was ich leisten konnte, ist vollständig in diesem Traktat enthalten. Ich habe nicht versucht, in ihm alle verschiedenen Begründungen zusammenzustellen, die man beibringen kann, um diese Dinge nachzuweisen – das lohnt sich, wie mir scheint, auch nicht, es sei denn dort, wo es noch überhaupt keine hinreichend sichere Begründung gibt –, sondern ich bin nur den ersten und wichtigsten nachgegangen, so daß ich diese schon jetzt als die sichersten und evidentesten Beweise ankündigen möchte. Und ich füge hinzu : Diese Beweise sind derart, daß meiner Meinung nach der menschlichen Geisteskraft kein Weg offensteht, auf dem sie jemals bessere herausfinden könnte. Sowohl die Notwendigkeit der Sache als auch der Ruhm Gottes, auf den all dies gerichtet ist, zwingen mich, hier sehr viel freier von meinen Bemühungen zu sprechen als es meine Gewohnheit ist. Denn obwohl ich diese Beweise als uneingeschränkt sicher und evident ansehe, bin ich deswegen noch keineswegs schon

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sch r ei b e n a n d ie s o r bo n n e

überzeugt, daß sie geeignet sind, von allen Leuten verstanden zu werden. Auch in der Geometrie sind ja von Archimedes, Apollonius, Pappus und anderen viele Beweise zu Papier gebracht worden, die zwar einerseits von allen als evident und sicher angesehen werden, weil sie überhaupt nichts enthalten, was für sich allein betrachtet nicht ganz leicht zu erkennen wäre, und nichts, worin das Folgende nicht mit dem Vorangegangenen genau zusammenhinge ; anderseits aber werden diese Beweise dennoch nur von recht wenigen eingesehen, weil sie doch ziemlich lang sind und einen äußerst aufmerksamen Leser verlangen. Obgleich ich der Ansicht bin, daß die Beweise, die ich hier verwende, an Gewißheit und Evidenz den geometrischen entsprechen oder sie sogar übertreffen, befürchte ich, daß auch sie von vielen nicht hinreichend erfaßt werden können ; denn sie sind ebenfalls nicht nur ziemlich lang und hängen voneinander ab, sondern erfordern insbesondere auch einen Geist, der nicht nur von Vorurteilen völlig befreit ist, sondern sich auch leicht aus der Verstrickung in die Sinne lösen läßt. Außerdem trifft man in der Welt sicherlich nicht mehr Menschen an, die zu metaphysischen, als solche, die zu geometrischen Studien geeignet sind. Auch besteht ein Unterschied darin, daß Ahnungslose in der Geometrie öfter dadurch fehlgehen, daß sie Falsches billigen, als darin, daß sie Wahres zurückweisen. Denn alle sind davon überzeugt, daß man gewöhnlich nichts aufschreibt, wovon man nicht einen sicheren Beweis besitzt, die Ahnungslosen wollen aber darüber hinaus noch zur Schau stellen, daß sie es einsehen. Anders in der Philosophie. Weil man glaubt, daß es in ihr nichts gebe, worüber sich nicht für und wider disputieren ließe, untersuchen nur wenige die Wahrheit, während sehr viel mehr Leute sich den Ruf großer Geisteskraft erschleichen, indem sie sich erdreisten, gerade das Beste zu bekämpfen. Wie sicher und evident meine Begründungen auch sein mögen : Weil sie nun einmal in die Philosophie gehören, kann ich nicht hoffen, mit ihrer Hilfe große Verdienste zu erwerben, wenn Sie mir nicht mit Ihrem Schutz zur Seite stehen. Ihre Fakultät aber genießt bei allen Geistern einen solchen Ruhm und

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der Name Sorbonne besitzt eine solche Autorität, daß nach allgemeiner Ansicht nicht nur in Dingen des Glaubens keine Körperschaft unterhalb der Heiligen Konzilien eine solche Glaubwürdigkeit hat wie die Ihrige, sondern sich auch in der menschlichen Philosophie nirgendwo eine weitblickendere und eine von größerer Beständigkeit und auch keine von größerer Integrität und Weisheit im Fällen der Urteile findet. Ich zweifle nicht, daß, wenn Sie diese Schrift einer solchen Obhut für würdig halten wollen, daß sie erstens von Ihnen korrigiert wird – denn angesichts nicht nur meines Menschseins, sondern mehr noch meiner Unwissenheit behaupte ich nicht, in ihr seien keine Irrtümer – ; sodann, daß, wenn das, was entweder fehlt oder nicht vollständig genug ist oder auch weitergehende Erklärung benötigt, entweder von Ihnen selbst, oder, nachdem Sie mich dazu aufgefordert haben, zumindest von mir hinzugefügt, vervollständigt und erläutert wird ; und schließlich daß, wenn Sie, nachdem die in dieser Schrift enthaltenen Begründungen, denen zufolge es einen Gott gibt und der Geist etwas anderes als der Körper ist, nachgewiesen und zu jener Transparenz gebracht sein werden, zu der sie gebracht werden können – und ich bin zuversichtlich : einer solchen, daß sie als höchst sorgfältig ausgearbeitete Beweise gelten müssen –, genau dies erklären und öffentlich bezeugen wollen : dann, sage ich, zweifle ich nicht, daß alle Irrtümer, die jemals in bezug auf diese Fragen bestanden haben, in Kürze aus den Geistern der Menschen verschwinden werden. Die Wahrheit selbst wird nämlich leicht bewirken, daß die übrigen geistreichen und gelehrten Menschen Ihrem Urteil zustimmen. Und die Autorität wird bewirken, daß die Atheisten, die gewöhnlich eher halbwissende als geistreiche oder gelehrte Menschen sind, sich nicht mehr trauen, zu widersprechen, und sie die Begründungen, die, wie sie dann wissen werden, von allen mit Geisteskraft begabten Menschen für Beweise gehalten werden, vielleicht sogar selbst verteidigen, damit nicht der Eindruck entsteht, sie würden sie nicht einsehen. Und schließlich werden alle übrigen Menschen so vielen Zeugnissen glauben, und es wird niemanden mehr in der Welt geben, der

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sch r ei b e n a n d ie s o r bo n n e

es wagen wird, die Existenz Gottes, oder die reale Unterscheidung der menschlichen Seele vom Körper in Zweifel zu ziehen. Wie groß der Vorteil dieses Unternehmens wäre, können Sie angesichts Ihrer einzigartigen Weisheit von allen Menschen selbst am besten einschätzen ; und ganz ungehörig wäre es, wenn ich Ihnen, die Sie stets die stärkste Stütze der Katholischen Kirche gewesen sind, die Sache Gottes und der Religion hier mit weiteren Worten empfehlen würde.

V O RWO RT AN D EN LESER

Die Fragen nach Gott und dem menschlichen Geist habe ich bereits kurz in dem 1637 auf französisch erschienenen Discours de la Méthode pour bien conduire sa Raison et chercher la Vérité dans les Sciences berührt. Dabei war es weniger meine Absicht, diese Fragen dort sorgfältig abzuhandeln, als lediglich, sie zur Diskussion zu stellen und aus den Urteilen der Leser zu entnehmen, in welcher Weise sie später abgehandelt werden müßten. Diese Fragen schienen mir nämlich von einer solchen Wichtigkeit zu sein, daß ich urteilte, sie müßten mehr als einmal thematisiert werden ; außerdem ist der Weg, den ich einschlage, um sie zu erklären, erst so wenig begangen und liegt so weit ab von der gewöhnlichen Praxis, daß ich es nicht für angebracht gehalten habe, diese Fragen in einer auf französisch geschriebenen und allen Leuten allgemein zugänglichen Schrift eingehender zu behandeln : denn schwächere Geister sollen nicht glauben, auch sie könnten ihn einschlagen. Auf meine Bitte hin, jeder, der in meinen Schriften irgendetwas finden würde, was eines Einwandes würdig wäre, möge mich davon in Kenntnis setzen, sind freilich gegen das, was ich in bezug auf diese Fragen berührt hatte, nur zwei beachtliche Einwände gemacht worden, auf die ich hier nur kurz antworten will, bevor ich mich der genaueren Erklärung dieser Fragen zuwende. Der erste Einwand lautet : Daraus, daß sich der menschliche Geist allein als ein denkendes Ding erfaßt, wenn er auf sich selbst zurückgezogen ist, folgt nicht, daß seine Natur bzw. sein Wesen allein darin besteht, ein denkendes Ding zu sein, in dem Sinne, daß der Ausdruck allein alles übrige ausschließt, von dem vielleicht ebenso gesagt werden kann, es gehöre zur Natur der Seele. Auf diesen Einwand erwidere ich : Das wollte ich damals gemäß der Ordnung der eigentlichen Wahrheit des Sach-

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vo rwo r t

verhalts auch nicht ausschließen (das thematisierte ich damals nämlich nicht), sondern lediglich gemäß der Ordnung meiner Erfassung. Demnach ging der Sinn dieser Aussage dahin : Ich erkannte überhaupt nichts, von dem ich wußte, daß es zu meinem Wesen gehört, außer daß ich ein denkendes Ding bin,1 bzw. ein Ding, das in sich Denkvermögen besitzt. Im Folgenden aber werde ich zeigen, wie daraus, daß ich erkenne, daß nichts anderes zu meinem Wesen gehört, folgt, daß auch tatsächlich nichts anderes zu meinem Wesen gehört.2 Der zweite Einwand lautet : Daraus, daß ich die Idee eines Dinges in mir habe, das vollkommener ist als ich, folgt nicht, daß diese Idee vollkommener als ich ist,und es folgt daraus noch sehr viel weniger, daß das existiert, was durch diese Idee repräsentiert wird. Aber ich erwidere, daß hier im Ausdruck der Idee eine Äquivokation vorliegt : Dieser Ausdruck kann nämlich entweder materiell aufgefaßt werden, d. h. als Operation des Verstandes, und in diesem Sinne kann man nicht sagen, er sei vollkommener als ich ; oder objektiv, d. h. als das durch diese Operation repräsentierte Ding, und dieses Ding kann im Hinblick auf sein Wesen vollkommener sein als ich, auch wenn man gar nicht einmal voraussetzt, daß es außerhalb des Verstandes existiert. Wie aber allein daraus, daß die Idee eines Dinges in mir ist, das vollkommener ist als ich, folgt, daß dieses Ding tatsächlich existiert, wird im Folgenden ausführlich dargelegt werden. Zwar habe ich mir außerdem zwei ziemlich umfangreiche Schriften angesehen, aber in ihnen wurden weniger meine Überlegungen in bezug auf diese Dinge, als vielmehr die Schlüsse gewisser, aus Allgemeinplätzen der Atheisten entlehnter Argumente bekämpft. Weil ja nun aber solche Argumente bei denen, die meine Begründungen einsehen, sowieso keine Überzeugungskraft haben können, anderseits jedoch die Urteile vieler Leute derartig verkehrt und unselbständig sind, daß sie mehr von den Meinungen überzeugt werden, die sie zuerst übernommen haben – und seien sie noch so falsch und der Vernunft 1

Obj. IV : 199, 3–7.

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Obj. IV : 199, 10–12 ; Resp. IV, 219, 11–14.

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fremd –, als von der wahren und verläßlichen Zurückweisung dieser Ansichten, die sie später gehört haben : deshalb will ich an dieser Stelle nicht darauf antworten, um sie gar nicht erst zu Gehör bringen zu müssen. Ich möchte nur ganz allgemein anführen, daß alles, was von den Atheisten vorgebracht wird, um die Existenz Gottes zu bestreiten, stets davon abhängt, daß man entweder Gott menschliche Affekte andichtet oder unserem Geist eine solche Kraft und Weisheit zutraut, daß wir versuchen könnten, alles zu bestimmen und zu verstehen, was Gott tun könnte und müßte. Deshalb wird nichts von dem uns Schwierigkeiten bereiten, wenn wir uns nur daran erinnern, daß unser Geist als endlich, Gott aber als unergründlich und unendlich betrachtet werden muß. Nun aber, nachdem ich die Urteile der Menschen einmal so gut es ging erfahren habe, möchte ich die Fragen bezüglich Gottes und des menschlichen Geistes hier erneut angehen und zugleich die Anfänge der gesamten Ersten Philosophie abhandeln. Freilich will ich dies tun, ohne den Beifall der Alltagsmenschen und eine große Leserschaft zu erwarten. Vielmehr will ich allein diejenigen zum Lesen veranlassen, die ernsthaft mit mir meditieren1 und ihren Geist den Sinnen und zugleich den Vorurteilen entziehen können und wollen. Ich weiß sehr wohl, daß man nur sehr wenige solche Leute antrifft. Was aber diejenigen betrifft, die sich gar nicht darum kümmern, die Abfolge und die Verkettung meiner Begründungen zu verstehen, sondern, wie es bei vielen in Mode ist, darauf bedacht sind, nur gegen einzelne Textpassagen anzuschwatzen, so werden sie aus der Lektüre dieser Schrift keinen großen Gewinn ziehen.2 Und selbst wenn sie vielleicht bei vielem Gelegenheit zum Spott vorfinden mögen, so werden sie gleichwohl nur schwer irgendetwas einwenden, was mich in die Enge triebe oder einer Erwiderung wert wäre.

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Resp. VII : 475, 12–14.

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Resp. V : 378, 28–379, 2.

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Weil ich aber noch nicht einmal den ernsthaft interessierten Lesern garantieren kann, sie bereits im ersten Zugriff in allem zufriedenzustellen, und ich auch nicht so arrogant bin, mich blind darauf zu verlassen, ich könne alles voraussehen, was dem einen oder anderen Schwierigkeiten bereiten wird, möchte ich im Haupttext der Meditationen zunächst die Gedanken selbst vorstellen, mit deren Hilfe ich, wie mir scheint, zu der sicheren und evidenten Erkenntnis der Wahrheit gelangt bin, um zu erfahren, ob ich nicht vielleicht durch dieselben Begründungen, durch die ich überzeugt wurde, auch andere zu überzeugen vermag. Danach jedoch werde ich auf einige Einwände von Männern von herausragender Geistekraft und außerordentlicher Gelehrsamkeit antworten, denen diese Meditationen zur Prüfung gesandt worden sind, bevor sie in den Druck gegeben wurden. Es sind nämlich von ihnen so viele und vielfältige Einwände gemacht worden, daß ich zu hoffen wage, anderen Leuten werden nur schwerlich irgendwelche anderen Einwände einfallen, zumindest solche von einem gewissen Wert, die jene noch nicht berührt haben. Ich bitte deshalb den Leser inständig, auch die Einwände und deren Auflösung einer Lektüre für würdig zu erachten, und erst dann über die Meditationen ein Urteil zu fällen.

Ü BE R SIC HT Ü BER D I E S EC HS FO LG END EN M ED ITATION E N

In der ersten Meditation werden die Ursachen auseinandergesetzt, aufgrund derer wir an allen Dingen, insbesondere den materiellen, zweifeln können – zumindest, solange wir keine anderen Fundamente unseres Wissens besitzen als die, die wir früher besessen haben. Auch wenn der Vorteil eines solchen Zweifels zunächst noch nicht zutage tritt, so liegt sein größter freilich gerade darin, daß er uns von allen Vorurteilen befreit und den Weg ebnet, den Geist den Sinnen zu entziehen, und so letztendlich bewirkt, daß wir das, wovon wir später erfahren werden, daß es wahr ist, nicht länger bezweifeln können. In der zweiten Meditation verwendet der Geist die ihm eigene Freiheit und setzt voraus, daß all das nicht existiert, an dessen Existenz er auch nur im geringsten zweifeln kann, und bemerkt, daß das unmöglich ist, wenn er selbst dabei nicht existiert. Auch das ist von größtem Vorteil, weil er so leicht unterscheidet, was zu ihm, d. h. zu seiner intellektuellen Natur, und was zum Körper gehört. Weil aber vielleicht einige Leute an dieser Stelle Überlegungen bezüglich der Unsterblichkeit der Seele erwarten werden, meine ich hier darauf hinweisen zu müssen, daß ich versuche, nur etwas zu schreiben, wenn ich es stichhaltig beweisen kann. Ich konnte daher keiner anderen Ordnung folgen als jener, die bei den Geometrikern in Gebrauch ist, nämlich alles vorauszuschicken, von dem die fragliche Proposition abhängt, bevor ich aus dieser wiederum irgendetwas schließe. Das erste und wichtigste aber, das im Vorwege erforderlich ist, um die Unsterblichkeit der Seele zu erkennen, ist, daß wir uns von ihr einen möglichst so transparenten Begriff bilden, daß er von jedem Begriff des Körpers ganz unterschieden ist. Dies ist in der zweiten Meditation geschehen. Außerdem aber ist es auch erforderlich, zu wissen, daß alles,

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ü be r s ic h t

was wir klar und deutlich einsehen, in eben der Weise wahr ist, in der wir es einsehen. Das aber konnte vor der vierten Meditation nicht nachgewiesen werden. Außerdem muß man über einen deutlichen Begriff der körperlichen Natur verfügen, und dieser Begriff wird teilweise in der zweiten, teilweise auch in der fünften und sechsten Meditation gebildet. Daraus muß geschlossen werden, daß alle Substanzen, die klar und deutlich als verschieden begriffen werden, – so wie zum Beispiel Geist und Körper begriffen werden – tatsächlich real voneinander unterschiedene Substanzen sind. Dies wird in der Sechsten Meditation geschlossen. Dasselbe wird dort auch dadurch bestärkt, daß wir einen Körper nur als teilbar, einen Geist dagegen nur als unteilbar einsehen können : Denn die Hälfte eines Geistes können wir nicht begreifen, wie wir es doch bei jedem beliebig kleinen Körper können ; so daß wir ihre Naturen nicht nur als verschieden, sondern sogar als gewissermaßen entgegengesetzt erkennen. Ich habe diesen Sachverhalt in dieser Schrift nicht ausführlicher thematisiert,1 weil zum einen das Gesagte ausreicht, um zu zeigen, daß aus der Zerstörung des Körpers nicht die Vernichtung des Geistes folgt, und es demgemäß auch ausreicht, den Sterblichen Hoffnung auf ein jenseitiges Leben zu machen ; und zum anderen, weil die Prämissen, aus denen die Unsterblichkeit der Seele geschlossen werden kann, von der Erklärung der gesamten Physik abhängen. Denn erstens ist es dafür nötig, zu wissen, daß überhaupt alle Substanzen, bzw. Dinge, die von Gott geschaffen werden müssen, um zu existieren, von ihrer Natur her unzerstörbar sind, und sie niemals enden können, außer indem sie durch den Entzug der Unterstützung Gottes vernichtet werden. Außerdem ist zu beachten, daß der Körper zwar im allgemeinen aufgefaßt eine Substanz ist, und daher ebenfalls niemals vergeht, daß der menschliche Körper sich aber insofern von den übrigen Körpern unterscheidet, als er lediglich aus einer bestimmten Konfiguration der Körperteile und anderen solchen Akzidenzien zusammengesetzt ist. 1

Resp. II : 153, 1–2.

ü be r s i c h t

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Der menschliche Geist dagegen besteht nicht ebenso aus irgendwelchen Akzidenzien, sondern ist eine reine Substanz. Auch wenn nämlich alle seine Akzidenzien sich verändern – wie wenn er andere Dinge einsieht, andere will, andere sinnlich wahrnimmt usw. – so wird deswegen doch der Geist selbst noch nicht zu einem anderen. Der menschliche Körper aber wird allein dadurch schon ein anderer, daß die Gestalt einiger seiner Bestandteile sich verändert : woraus folgt, daß zwar der Körper sehr leicht untergeht, der Geist aber von seiner Natur her unsterblich ist. In der dritten Meditation habe ich mein Hauptargument, um die Existenz Gottes nachzuweisen, in, wie mir scheint, hinreichender Ausführlichkeit erklärt. Weil ich dabei aber keine von den körperlichen Dingen entnommenen Vergleiche verwenden wollte – nämlich um die Gemüter der Leser so weit wie möglich den Sinnen zu entziehen –, ist vielleicht vieles Unverständliche stehengeblieben, das aber, wie ich hoffe, später in den Antworten auf die Einwände völlig aufgehoben werden wird, wie unter anderem : Wie kann die Idee eines höchstvollkommenen Seienden, die in uns ist, eine solche objektive Realität haben, daß sie gar keine andere als eine höchstvollkommene Ursache haben kann ? Das wird dort durch den Vergleich mit einer sehr vollkommenen Maschine erläutert, deren Idee sich im Geist eines Technikers befindet : Ebenso, wie nämlich der objektive Gehalt dieser Idee irgendeine Ursache haben muß, nämlich das Wissen dieses oder eines anderen Technikers, von dem er sie übernommen hat, kann die Idee Gottes, die in uns ist, allein Gott selbst zur Ursache haben. In der vierten Meditation wird nachgewiesen, daß alles, was wir klar und deutlich erfassen, wahr ist, und zugleich wird erklärt, worin der Grund der Falschheit besteht. Das zu wissen ist einerseits notwendig, um das Vorhergehende zu bekräftigen, und anderseits, um das Übrige einzusehen. (Es ist dabei jedoch vorderhand zu beachten, daß ich in keiner Weise die Verfehlung oder den Irrtum thematisiere, der in der Verfolgung des Guten und Schlechten begangen wird, sondern lediglich den Irrtum,

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der in der Abgrenzung des Wahren und Falschen passiert. Auch habe ich nicht das betrachtet, was sich auf den Glauben oder die Lebensführung bezieht, sondern nur die spekulativen und allein mit Hilfe des Natürlichen Lichts erkannten Wahrheiten.)1 In der fünften Meditation wird – abgesehen davon, daß die körperliche Natur, allgemein aufgefaßt, erklärt wird – auch die Existenz Gottes durch eine neue Begründung bewiesen, in der sich jedoch vielleicht erneut einige Schwierigkeiten finden werden, die aber später in den Antworten auf die Einwände aufgelöst werden. Und schließlich wird gezeigt, inwiefern es wahr ist, daß sogar die Gewißheit der geometrischen Beweise von der Erkenntnis Gottes abhängt. Schließlich wird in der sechsten Meditation die Einsicht von der Anschauung getrennt. Die Merkmale dieser Unterscheidung werden beschrieben. Es wird nachgewiesen, daß der Geist real vom Körper unterschieden ist. Es wird gezeigt, daß der Geist gleichwohl so eng mit dem Körper verbunden ist, daß er sich mit ihm zu einem einheitlichen Etwas zusammensetzt. Alle Irrtümer, die gemeinhin aus den sinnlichen Wahrnehmungen entstehen, werden durchgegangen, und es werden Regeln aufgestellt, durch die sie vermieden werden können, und schließlich werden alle Begründungen dargelegt, aus denen die Existenz der materiellen Dinge geschlossen werden kann. Ich halte diese Begründungen nun nicht etwa deshalb für äußerst nützlich, weil sie gerade das nachweisen, was sie nachweisen, nämlich daß es tatsächlich eine Welt gibt und die Menschen Körper besitzen, und dergleichen, woran niemals irgendjemand von gesundem Geist ernsthaft gezweifelt hat,2 sondern weil man, wenn man sie betrachtet, erkennt, daß sie weder so verläßlich noch so transparent sind wie die, durch die wir zur Erkenntnis unseres Geistes und Gottes gelangen, so daß diese Begründungen die sichersten und evidentesten sind, die von der menschlichen Geisteskraft gewußt werden können. Den Nachweis dieser einen Sache habe 1

Spätere Ergänzung und Einklammerung von Descartes (an Mersenne, 18. März 1641 : AT III, 334–335) ; Resp. IV, 248, 8. 2 Resp. V : 351, 5–6.

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ich mir in diesen Meditationen zum Ziel gesetzt ; und deswegen gehe ich hier die vielfältigen anderen Fragen nicht durch, die in ihnen gelegentlich ebenfalls abgehandelt werden.

D I E E R ST E DER M ED ITATION EN Ü BE R D I E E R STE PHILO SOP HIE, I N D EN E N D I E EX ISTENZ G OTTES UN D DI E U NTERS CHEID U NG Z W I SCH EN D ER MENS CHLIC HEN S EEL E UN D D E M KÖ R PER BEWIES EN WIRD .

Über das, was in Zweifel gezogen werden kann.

Bereits vor einigen Jahren habe ich bemerkt, wie viel Falsches ich von Jugend an als wahr habe gelten lassen und wie zweifelhaft alles ist, was ich später darauf aufgebaut habe, so daß einmal im Leben alles von Grund auf umgeworfen und von den ersten Fundamenten her erneut begonnen werden müsse, wenn ich irgendwann einmal das Verlangen haben würde, etwas Festes und Bleibendes in den Wissenschaften zu errichten. Indessen schien mir das eine ungeheure Arbeit zu sein, und ich sehnte jenes Alter herbei, dem keines mehr folgen würde, das geeigneter sein würde, um sich der wissenschaftlichen Forschung zuzuwenden. Aus diesem Grund zögerte ich dann so lange, daß ich mir nunmehr zu große Verantwortung aufladen würde, wenn ich die Zeit, die mir zum Ausführen dieser Arbeit noch übrig bleibt, mit Bedenklichkeiten verplempern würde. Deshalb habe ich heute die Gelegenheit ergriffen und den Geist von allen Alltagspflichten freigemacht, habe alle Termine abgesagt, ziehe mich einsam zurück, und werde mich endlich ernsthaft und frei diesem allgemeinen Umsturz meiner Meinungen widmen. Dafür wird es indessen nicht notwendig sein, zu zeigen, daß meine Meinungen allesamt falsch sind, denn das könnte ich wohl auch niemals erreichen ; sondern weil schon allein die Vernunft dazu rät, daß dem nicht völlig Sicheren und Unzweifelhaften die Zustimmung nicht weniger gründlich entzogen werden muß als dem offenbar Falschen, wird es schon ausreichen, alles zurückzuweisen, worin ich auch nur irgendeinen Grund zum Zweifeln antreffe. Deshalb wird es auch gar nicht nötig sein,

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alles einzeln durchzugehen, was eine unendliche Arbeit wäre, sondern ich will unverzüglich auf die Prinzipien selbst losgehen, auf die sich alles stützte, das ich einst geglaubt habe ; denn wenn die Fundamente untergraben sind, fällt alles, was auf ihnen errichtet ist, von selbst zusammen. Nun habe ich alles, was ich bislang als ganz wahr habe gelten lassen, entweder von den Sinnen oder vermittelt durch die Sinne erhalten. Aber ich habe entdeckt, daß die Sinne zuweilen täuschen, und Klugheit verlangt, sich niemals blind auf jene zu verlassen, die uns auch nur einmal betrogen haben.1 Aber obwohl uns die Sinne zuweilen bei winzigen und weit entfernten Dingen täuschen, so gibt es gleichwohl doch manches andere, an dem schlichtweg nicht gezweifelt werden kann, obwohl es aus ihnen geschöpft wird : wie etwa, daß ich jetzt hier bin, beim Feuer sitze, mit einem Wintermantel bekleidet bin, dieses Papier mit meinen Händen berühre und dergleichen. Mit welcher Begründung nämlich könnte bestritten werden, daß diese Hände und der gesamte Körper der meinige ist ? Es sei denn, ich wollte mich mit ich weiß nicht welchen Kranken vergleichen, deren Gehirne ein solch durchdringender Dampf aus schwarzer Galle zermürbt, daß sie hartnäckig versichern, sie seien Könige, während sie doch ganz arme Schlucker sind, oder in Purpur gewandet, während sie doch nackt sind, oder sie hätten einen Kopf aus Ton, oder sie seien allesamt Kürbisse, oder sie bestünden aus Glas. Aber das sind Geisteskranke, und ich erschiene mir selbst als nicht weniger verrückt, wenn ich irgendetwas von diesen als Vorbild auf mich übertragen würde. Na großartig ! Als ob ich nicht ein Mensch wäre, der gewöhnlich nachts schläft, und dem in Träumen dasselbe widerfährt wie jenen wachenden Geisteskranken, oder zuweilen sogar noch weniger Wahrscheinliches ! Wie oft nämlich bin ich nachts im Schlaf von eben solchen Alltäglichkeiten überzeugt, wie etwa, daß ich hier bin, einen Mantel trage, beim Feuer sitze – wäh-

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Obj. VII : 456, 28–457, 1.

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rend ich doch entkleidet im Bett liege ! Jetzt hingegen erblicke ich dieses Papier gewiß mit wachenden Augen, dieser Kopf, den ich schüttele, ist nicht eingeschlafen, diese Hand strecke ich absichtlich und wissentlich aus und nehme es sinnlich wahr. Einem Schlafenden würde dies nicht so deutlich passieren. Fast ist es so, als ob ich mich nicht erinnern möchte, daß ich durch vergleichbare Gedanken in Träumen sonst irregeführt worden bin. Wenn ich aufmerksamer daran denke, sehe ich so unverhohlen, daß der Wachzustand niemals aufgrund sicherer Anzeichen vom Traum unterschieden werden kann, daß ich erstaune ; und dieses Erstaunen bestärkt mich fast sogar noch in meiner Meinung, zu träumen. Meinetwegen, dann träumen wir also, und es mögen weder diese Besonderheiten wahr sein – daß wir unsere Augen öffnen, den Kopf bewegen, die Hände ausstrecken –, noch vielleicht sogar, daß wir solche Hände und einen solchen Körper haben. Aber es muß doch wohl eingeräumt werden, daß die Erscheinungen im Schlaf so etwas wie abgemalte Bilder sind, die nur als Abbilder wahrer Dinge konstruiert worden sein können, und daß daher zumindest diese Allgemeinheiten – Augen, Kopf, Hände und der gesamte Körper – nicht bloß als irgendwelche vorgestellten, sondern als wahre Dinge existieren. Denn selbst die Maler können sogar nicht einmal dann, wenn sie darauf bedacht sind, Sirenen und Satyre von äußerst ungewöhnlicher Form zu konstruieren, diesen völlig neue Naturen zuweisen, sondern sie vermischen doch nur die Körperteile verschiedener Tiere. Sollten sie sich aber tatsächlich irgendetwas derartig Neues, noch nie Gesehenes ausdenken, das demnach ganz fiktiv und falsch ist : so müssen dann doch sicherlich zumindest die Farben, aus denen sie es zusammensetzen, wahre Farben sein. Auch wenn also diese bestimmten Allgemeinheiten – Augen, Kopf, Hände und dergleichen – bloß vorgestellt sein könnten, muß aus derselben Überlegung heraus eingeräumt werden, daß notwendig zumindest doch bestimmte andere äußerst einfache und universelle Allgemeinheiten wahr sein müssen, aus denen, ganz wie bei den wahren Farben, alle diese Bilder der Dinge, die in

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unserem Denken sind, nachgebildet sind, gleichgültig, ob sie wahr oder falsch sind. Von dieser Art scheinen die körperliche Natur im allgemeinen und deren Ausdehnung zu sein ; ebenso die Gestalt der ausgedehnten Dinge ; genauso die Quantität, bzw. deren Größe und (An-)Zahl ; und nicht weniger der Ort, an dem sie existieren, und die Zeit, während der sie andauern, und dergleichen. Deswegen schließen wir daraus wohl nicht ganz zu Unrecht, daß zwar die Physik, die Astronomie, die Medizin und alle anderen Disziplinen zweifelhaft sind, die von der Betrachtung zusammengesetzter Dinge abhängen, daß jedoch die Arithmetik, die Geometrie und die anderen derartigen Disziplinen, die einige der einfachsten und allgemeinsten Dinge abhandeln, etwas Sicheres und Unzweifelhaftes enthalten, und zwar ganz gleichgültig, ob diese allgemeinsten Dinge in der dinglichen Natur nun vorkommen oder nicht. Denn ob ich nun wache oder schlafe : zwei und drei miteinander addiert ergeben fünf, und das Quadrat besitzt nicht mehr als vier Seiten ; und es scheint ganz unmöglich zu sein, daß so transparente Wahrheiten in den Verdacht der Falschheit geraten. Jedoch ist in meinem Geist eine bestimmte althergebrachte Meinung verankert, nämlich daß es einen Gott gibt, der alles vermag, und von dem ich gerade so geschaffen bin, wie ich existiere. Woher weiß ich aber, daß er nicht veranlaßt hat, daß es überhaupt keine Erde, keinen Himmel, kein ausgedehntes Ding, keine Gestalt, keine Größe, keinen Ort gibt – und all dies mir trotzdem genau so wie jetzt zu existieren scheint ? Urteile ich doch auch, daß andere Leute sich zuweilen in bezug auf das irren, was sie vollkommen zu wissen meinen ; ebenso kann ich selbst mich doch immer dann täuschen, wenn ich zwei und drei miteinander addiere, oder die Seiten eines Quadrats zähle, oder in irgendetwas anderem noch leichterem, falls man sich so etwas überhaupt konstruieren kann. Vielleicht aber hat Gott nicht gewollt, mich so zu betrügen, es wird nämlich gesagt, er sei äußerst gut. Wenn es aber seiner Güte widerspricht, mich in einer solchen Weise geschaffen zu haben, daß ich mich stets täusche,

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so scheint es doch dieser Güte genauso fernzuliegen, zu erlauben, daß ich mich zuweilen täusche ; das letztere aber kann man nicht behaupten. Freilich mag es Leute geben, die lieber einen so mächtigen Gott bestreiten würden, als zu glauben, alle anderen Dinge seien ungewiß. Diesen Leuten wollen wir aber nicht widersprechen und alles über Gott Gesagte für bloß fiktiv erklären. Indessen, mögen sie voraussetzen, ich sei aus Schicksal oder durch Zufall oder die Verkettung der Umstände oder auf irgendeine andere Weise zu dem geworden, was ich bin, so wird es um so glaubhafter sein, daß ich so unvollkommen bin, mich ständig zu täuschen, je weniger mächtig der Urheber ist, dem sie meine Entstehung zuweisen ; denn sich zu täuschen und zu irren scheint ja eine gewisse Unvollkommenheit zu sein.1 Diesen Argumenten habe ich freilich nichts zu entgegnen, und ich bin zuletzt gezwungen, einzuräumen, daß es unter dem, was ich seit langem für wahr gehalten habe, nichts gibt, das nicht bezweifelt werden dürfte, und zwar nicht aus Unbesonnenheit oder Leichtsinn, sondern aufgrund triftiger und wohlüberlegter Gründe.2 Wenn ich irgendetwas Sicheres herausfinden will, muß ich deshalb vorsichtshalber bis auf weiteres auch diesem nicht weniger als dem offenbar Falschen die Zustimmung entziehen.3 Es reicht aber noch nicht aus, dies festgestellt zu haben, sondern man muß sich darum kümmern, sich daran zu erinnern. Unablässig nämlich kehren die gewohnten Meinungen zurück, und nehmen fast sogar gegen meinen Willen meine Leichtgläubigkeit in Beschlag, gleichsam als hätten sie aufgrund langer Praxis und Vertrautheit ein Recht dazu. Und niemals werde ich es mir abgewöhnen, diesen Meinungen zuzustimmen und mich blind auf sie zu verlassen, solange ich einfach voraussetze, daß sie so beschaffen sind, wie sie es tatsächlich sind, nämlich als zwar irgendwie zweifelhafte, wie gerade eben aufgezeigt wurde, aber nichtsdestoweniger sehr glaubhafte Ansichten, die zu glau1 2

Obj. II : 125, 6–7 ; Resp. II : 141, 3 ; Obj. VI : 414, 24 ff. ; Resp. VI : 4281 ff. Resp. VII : 460, 1–2. 3 Obj. VII : 468, 2–8.

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ben sehr viel besser der Vernunft entspricht als sie zu bestreiten. Deswegen handele ich, wie ich vermute, nicht verkehrt, wenn ich mich eine zeitlang selbst täusche und, indem ich meinen Willen in das glatte Gegenteil verkehre,1 konstruiere, daß diese Ansichten insgesamt falsch und vorgestellt seien, bis schließlich gleichsam die Gewichte der Vorurteile auf beiden Seiten ausgeglichen sind2 und keine verkehrte Gewohnheit länger mein Urteil von der richtigen Erfassung der Dinge abwendet.3 Denn ich weiß, daß einstweilen daraus keine Gefahren oder Fehler folgen werden,4 und ich dem Widerspruchsgeist gar nicht übermäßig nachgeben kann,5 da ich ja jetzt nicht auf die Angelegenheiten des Handelns, sondern des Erkennens aus bin.6 Ich will daher voraussetzen, nicht der wohlmeinendste Gott, die Quelle der Wahrheit, sondern irgendein boshafter Genius, ebenso allmächtig wie verschlagen, setze all seine Hartnäckigkeit darein, mich zu täuschen : ich werde meinen, der Himmel, die Luft, die Erde, die Farben, die Gestalten, die Töne und die Gesamtheit alles Äußeren seien nichts anderes als Gaukeleien der Träume, durch die er meiner Leichtgläubigkeit eine Falle gestellt hat.7 Ich werde mich selbst betrachten als ob ich keine Hände, keine Augen, kein Fleisch, kein Blut, noch irgendeinen Sinn hätte, sondern als ob ich nur fälschlich vermutete, dies alles zu besitzen. Ich werde hartnäckig in dieser Meditation verharren, und wenn es dann auch außerhalb meines Einflusses liegt, irgendetwas Wahres zu erkennen, so liegt es anderseits doch wohl innerhalb meines Einflusses, dem Falschen nicht zuzustimmen, und wenn ich mich mit standhaftem Geist davor hüte, kann mir jener Betrüger nichts eingeben, und sei er noch so mächtig und verschlagen. Aber dieses Vorhaben ist beschwerlich, und eine gewisse Trägheit zieht mich in das Alltagsleben zurück. Ich bin wie ein Gefangener, der im Traum eine Frei1

Obj. VII : 456, 12 ; 523, 19/23 ; 527, 23 ; 529, 31 ; Resp. VII : 541, 27 ; 545, 18. 2 Resp. VII : 465, 21. 3 Obj. VII : 468, 8–13 ; Resp. VII : 523, 8–24. 4 Obj. VII : 471, 10–11. 5 Obj. VII : 456, 25–26 ; 471, 9–10. 6 Resp. II : 149, 19–21 ; Resp. VII : 475, 21–22. 7 Obj. VII : 468, 23–26.

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heit lebt, die freilich bloß vorgestellt ist, und der, wenn er später den Verdacht zu hegen beginnt, daß er schläft, der schmeichlerischen Illusionen wegen die Augen geschlossen hält ; ebenso kehre ich von selbst wieder zu den alten Meinungen zurück, und scheue mich, aufgeweckt zu werden, damit nicht auf eine solche behagliche Ruhe ein beschwerlicher Wachzustand folge, der bis auf weiteres alles andere als im Licht, sondern inmitten der unentwirrbaren Schatten der aufgerührten Schwierigkeiten zugebracht werden muß.

Z W EI T E M ED ITATION

Über die Natur des menschlichen Geistes : daß er bekannter ist als der Körper.

Ich bin durch die gestrige Meditation in Zweifel gestürzt worden, die ich nicht vergessen kann ; außerdem sehe ich nicht, durch welche Überlegungen man sie auflösen kann, sondern ich bin derartig verwirrt, daß ich, gleichsam als wäre ich unvermutet in einen tiefen Strudel hineingezogen worden, weder auf dem Grund Fuß fassen, noch zur Oberfläche emporschwimmen kann. Aber ich will mich herausarbeiten und es erneut auf dem Wege versuchen, den ich gestern eingeschlagen hatte : Ich will alles beseitigen, das auch nur den geringsten Zweifel zuläßt, gerade so, als ob ich sicher erfahren hätte, daß es insgesamt falsch ist. Auch will ich solange weiter vorangehen, bis ich irgendetwas Sicheres erkannt habe, oder wenigstens dies als sicher, daß es nicht Sicheres gibt. Nichts außer einem festen und unbeweglichen Punkt verlangte Archimedes, um die gesamte Erde von ihrem Ort fortzubewegen, und es ist Großes zu erhoffen, wenn ich auch nur das Geringste herausfinden werde, das sicher und unerschütterlich ist. Ich setze daher voraus, daß alles, was ich sehe, falsch ist ;1 ich glaube, nichts von dem habe jemals existiert, was mir das trügerische Gedächtnis repräsentiert. Ich besitze überhaupt keine Sinne. Körper, Gestalt, Ausdehnung, Bewegung und Ort sind Chimären. Was wird demnach noch wahr sein ? Vielleicht nur dieses eine, daß nichts sicher ist. Aber woher weiß ich denn, daß es nicht doch noch irgendetwas gibt, das von all dem verschieden ist, das ich bereits durchgegangen bin, und das nicht den geringsten Anlaß zum Zweifeln bietet ? Gibt es etwa irgendeinen Gott, oder welchen Namen auch immer ich demjenigen geben mag, der mir diese Gedan1

Resp. V : 350, 17–18.

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ken eingibt ? Weswegen aber sollte ich dies meinen, wenn ich selbst vielleicht der Urheber dieser Gedanken sein kann ? Bin ich selbst also etwa irgendetwas ? Aber ich habe bereits bestritten, daß ich irgendwelche Sinne und irgendeinen Körper habe. Doch ich stutze ; denn was weiter ? Bin ich nicht derartig mit dem Körper und den Sinnen verbunden, daß ich ohne sie nicht sein kann ? Aber ich habe mich überredet, daß es überhaupt nichts in der Welt gibt, keinen Himmel, keine Erde, keine Geister, keine Körper – und daß demnach auch ich nicht bin ? Keineswegs : Wenn ich mich zu etwas überredet habe, bin ich selbst sicherlich gewesen. Aber es gibt einen, ich weiß nicht welchen, allmächtigen und äußerst verschlagenen Betrüger, der mich ständig mit äußerster Hartnäckigkeit täuscht. Zweifelsohne bin ich selbst also, wenn er mich täuscht ;1 und er möge mich täuschen, soviel er kann, niemals wird er bewirken, daß ich nichts bin, solange ich denken werde, daß ich etwas bin ; so daß schließlich, nachdem ich es zur Genüge überlegt habe, festgestellt werden muß, daß dieser Grundsatz Ich bin, ich existiere, sooft er von mir ausgesprochen oder durch den Geist begriffen wird, notwendig wahr ist.2 Noch sehe ich aber nicht hinreichend ein, wer ich denn nun bin,3 jenes Ich, der ich nunmehr notwendig bin. Ich muß mich von nun an vorsehen, damit ich nicht vielleicht unabsichtlich irgendetwas anderes anstelle meiner selbst annehme, und so auch in der Erkenntnis abirre, von der ich behaupte, sie sei die sicherste und evidenteste von allen. Deshalb werde ich jetzt erneut darüber meditieren, was ich einst zu sein geglaubt habe, bevor ich auf diese Gedanken verfallen bin. Davon will ich dann alles abziehen, was durch die angeführten Gründe auch nur im geringsten erschüttert werden konnte, so daß zuletzt ganz genau nur das übrig bleibt, was sicher und unerschütterlich ist.4

1

Obj. IV : 198, 6–8. 2 Obj. V : 258, 26–259, 1 ; Obj. VI : 413, 1 ff. Obj. VII : 477, 27–478, 2. 3 Obj. V : 259, 6 ; Resp. V : 351, 12–13. 4 Obj. V : 259, 10–12 ; Obj. VII : 478, 13–18.

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Was also habe ich zuvor zu sein gemeint ? Selbstverständlich ein Mensch.1 Was aber ist ein Mensch ?2 Soll ich sagen ein vernünftiges Tier ? Nein, weil sogleich gefragt werden würde, was denn ein Tier sei und was vernünftig, und so würde ich von einer Frage in mehrere und zudem schwierigere geraten, und ich will meine freie Zeit nicht mit solchen Spitzfindigkeiten vergeuden. Statt dessen möchte ich lieber das berücksichtigen, was sich meinem Denken früher von selbst und von der Natur geleitet darbot, wenn ich betrachtete, was ich sei. Erstens bot sich dar, daß ich ein Gesicht, Hände, Arme und die gesamte Maschine der Körperteile habe, wie sie sich auch an einem Leichnam zeigt, und die ich mit dem Namen Körper betitelte. Außerdem bot sich dar, daß ich mich ernähre, gehe, sinnlich wahrnehme und denke, Aktionen, die ich auf die Seele bezog.3 Was aber diese Seele wäre, beachtete ich entweder nicht, oder ich stellte mir ich weiß nicht irgendetwas Winziges vor, das in meine gröberen Bestandteile eingeflossen war, vergleichbar dem Wind oder dem Feuer oder dem Äther.4 Was aber den Körper angeht, so zweifelte ich keineswegs, sondern meinte, seine Natur deutlich zu kennen, die, wenn ich vielleicht versucht hätte, sie zu beschreiben, wie ich sie durch meinen Geist begriff, so erklärt hätte : »Unter einem Körper verstehe ich alles, was fähig ist, durch irgendeine Gestalt eingeschränkt zu werden, das durch einen Ort umrissen wird und einen Raum so einnimmt, daß es aus ihm jeden anderen Körper ausschließt ; was durch den Tastsinn, das Sehvermögen, das Gehör, den Geschmacksinn oder Geruchssinn erfaßt wird, sowie auf verschiedene Weise bewegt werden kann5 – wenn auch vielleicht nicht von selbst, so doch von irgendetwas anderem, von dem es berührt wird«6 – denn ich urteilte, daß der Besitz der Kraft, sich selbst zu bewegen,7 wie ebenso die Kraft, sinnlich wahrzunehmen oder zu denken, über1

Obj. VII : 479, 5–6. 2 Obj. V : 259, 14 ; Obj. VII : 479, 17. 3 Obj. V : 259, 15–18 ; Obj. VII : 485, 5–7. 4 Obj. V : 259, 20–23 ; Obj. VII : 485, 3–5. 5 Obj. V : 259, 23–260, 2. 6 Obj. VII : 482, 18–22. 7 Obj. V : 260, 7 ; 341, 20–21.

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haupt nicht zur Natur des Körpers gehört,1 sondern ich war vielmehr geradezu überrascht, solche Vermögen in bestimmten Körpern anzutreffen. Was aber meine ich jetzt, wo ich voraussetze, irgendein äußerst mächtiger, und, wenn es gestattet ist, sich so auszudrücken, boshafter Betrüger habe mich absichtlich in allem irregeführt, soweit er kann ? Kann ich noch behaupten, ich besäße auch nur das Geringste von alldem, von dem ich zuvor gesagt habe, es gehöre zur Natur des Körpers ?2 Ich bin ganz aufmerksam, ich denke nach, überdenke es erneut – aber es findet sich nichts. Ich bin es leid, dasselbe immer wieder vergeblich zu wiederholen.3 Wie steht es aber mit dem, was ich der Seele beilegte ? Sich-Ernähren oder Gehen ?4 Da ich aber ja nun einmal keinen Körper mehr habe, sind dies auch nichts anderes als Erdichtungen.5 Sinnlich Wahrnehmen ? Allerdings geschieht auch dies nicht ohne Körper, und sehr vieles ist mir in Träumen erschienen, als ob ich es sinnlich wahrnähme, wovon ich später bemerkt habe, daß dem gar nicht so gewesen war.6 Denken ?7 Hier werde ich fündig : Das Denken ist es ; es allein kann nicht von mir getrennt werden.8 Ich bin, ich existiere ; das ist sicher. Wie lange aber ? Nun, solange ich denke ; denn vielleicht könnte es auch geschehen, daß ich, wenn ich alles Denken unterließe, sogleich völlig aufhörte zu sein. Ich lasse jetzt nichts gelten, außer dem, was notwendig wahr ist : demnach bin ich genaugenommen nur ein denkendes Ding, das heißt : Geist, bzw. Gemüt, bzw. Verstand, bzw. Vernunft9 – Ausdrücke, deren Bedeutung mir zuvor unbekannt waren.10 Ich bin ein wahres und wahrhaftig existierendes Ding ; welcher Art Ding aber ? Ich sagte es bereits, ein denkendes. Was weiter ? Ich werde mir vorstellen : Ich bin nicht das Gefüge jener Körperteile, das menschlicher Körper genannt wird ;11 1

Obj. VII : 483, 18–20. 2 Obj. V : 260, 12–14. 3 Obj. VII : 488, 14–15. 4 Obj. V : 261, 18–19. 5 Obj. V : 261, 28–29. 6 Obj. V : 262, 5–11. 7 Obj. V : 262, 17. 8 Obj. V : 264, 2. 9 Obj. III : 172, 12–17 ; Resp. III : 174, 4. 10 Resp. VII : 491, 22–23. 11 Obj. V : 264, 20–21.

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ich bin auch nicht irgendeine feine, diese Körperteile durchströmende Luft, kein Wind, kein Feuer, kein Dampf, kein Hauch,1 noch irgendetwas anderes, das ich mir konstruiere : ich habe nämlich vorausgesetzt, all dies sei nichts.2 Diese Setzung bleibt bestehen :3 und dennoch bin ich doch wohl irgendetwas. Vielleicht aber verhält es sich ja so, daß sich das, von dem ich voraussetze, es sei nichts – nämlich weil es mir unbekannt ist –, gleichwohl der Wahrheit der Sache nach gar nicht von diesem Ich – das mir bekannt ist – unterscheidet ? Ich weiß es nicht, darüber disputiere ich jetzt nicht :4 ich kann nur über das, was mir bekannt ist, ein Urteil abgeben. Mir ist bekannt, daß ich existiere ; ich frage, was ich bin, jenes Ich, das mir bekannt ist. Ganz sicher hängt die Kenntnis des genau so verstandenen Ichs nicht von dem ab, von dem mir noch unbekannt ist, ob es existiert ;5 und demnach hängt sie von nichts ab, das ich in der Anschauung ausbilde. Dieses Wort ausbilden aber erinnert mich an meinen Irrtum : denn tatsächlich würde ich bloß etwas konstruieren, wenn ich mir vorstellte, was ich sei. Denn sich etwas vorzustellen ist nichts anderes als sich in die Gestalt, bzw. in das Bild eines körperlichen Dinges zu vertiefen.6 Ich weiß aber bereits sicher, daß ich bin, und ich weiß zugleich um die Möglichkeit, daß alle diese Bilder und allgemein alles, was sich auf die Natur des Körpers bezieht, bloße Traumbilder sein können. Nachdem ich das aber bemerkt habe, scheint es mir nicht weniger albern, zu sagen : »Ich werde vorstellen, damit ich deutlicher erkenne, was ich bin«, als wenn ich sagen würde : »Ich bin zwar bereits erwacht und sehe etwas vom Wahren, weil ich es aber noch nicht evident genug sehe, möchte ich absichtlich wieder einschlafen, weil die Träume es mir wahrer und evidenter repräsentieren«. Und so erkenne ich, daß nichts von dem, was ich 1

Obj. V : 337, 1–3. 2 Resp. V : 352, 25–28 ; 386, 22–23. 3 Obj. V : 264, 23–265, 1. 4 Resp. II : 129, 11–14 ; Obj. V : 265, 6–9 ; 337, 5 ; Resp. V : 357, 7–10 ; Resp. VII : 491, 8–10. 5 Obj. III : 173, 6–8 ; Obj. IV : 198, 22–28 ; Obj. V : 265, 10–12 ; Obj. VII : 501, 17–29 ; Resp. VII : 514, 24–26 ; 521, 17–21. 6 Obj. V : 265, 15–16 ; 267, 6–7 ; 329, 11–12 ; Resp. V : 357, 21.

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mir mit Hilfe der Anschauung verständlich machen kann, die Kenntnis betrifft, die ich von mir habe,1 und daß der Geist äußerst sorgfältig davon ferngehalten werden muß, damit er seine eigene Natur möglichst deutlich erfaßt.2 Was aber bin ich demnach ? Ein denkendes Ding. Was ist das ? Nun – ein denkendes, einsehendes, behauptendes, bestreitendes, wollendes, nicht wollendes, und auch etwas sich vorstellendes und sinnlich wahrnehmendes Ding.3 Das ist in der Tat nicht wenig, wenn alles das insgesamt zu mir gehören sollte. Warum aber sollte es nicht zu mir gehören ? Bin nicht ich selbst es, der ich jetzt an fast allem zweifle, der ich gleichwohl etwas einsehe, der ich behaupte, dieses eine sei wahr, der ich das übrige bestreite, der ich das Verlangen habe, weiteres zu kennen, der ich nicht betrogen werden will, der ich mir vieles gegen meinen Willen vorstelle und der vieles bemerkt, gleichsam als komme es von den Sinnen ? Was von diesem wäre etwa nicht ebenso wahr wie, daß ich bin, selbst wenn ich ununterbrochen schlafe, und sogar wenn der, der mich erschaffen hat, mich irreführt, soweit er nur kann ? Was ist es, das man von meinem Denken unterscheiden mag ? Was ist es, von dem gesagt werden könnte, es sei von mir selbst abgetrennt ?4 Denn daß ich selbst es bin, der ich zweifle, der ich einsehe, der ich will : das ist so offenkundig, daß sich nichts findet, durch das es noch evidenter erklärt werden kann. Ich selbst bin aber auch derselbe, der vorstellt ; denn obwohl vielleicht, wie ich vorausgesetzt habe, schlicht überhaupt kein vorgestelltes Ding wahr ist, existiert die Kraft, vorzustellen tatsächlich und macht einen Teil meines Denkens aus. Und außerdem bin ich dasselbe Ich, der ich sinnlich wahrnehme, bzw. der körperliche Dinge gleichsam durch die Sinne bemerkt : ich sehe nämlich jetzt das Licht, höre das Geräusch, empfinde die Wärme. Zwar ist das falsch, ich schlafe nämlich. Sicherlich aber scheine ich zu sehen, zu hören, warm zu werden. Es ist nicht möglich, daß dies falsch ist ; dies 1

Obj. V. 265, 26–266, 1. 4 Obj. III : 177, 2–3.

2

Obj. V : 266, 5–7.

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Obj. V : 268, 17–19.

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ist in eigentlichem Sinne das, was in mir Sinnliches Wahrnehmen genannt wird ; und dies genau so aufgefaßt ist nichts anderes als Denken. Hieraus beginne ich schon sehr viel bessere Kenntnis zu erlangen, wer ich bin. Bislang aber scheint es gleichwohl – und ich kann nicht umhin, das zu meinen –, daß die körperlichen Dinge, deren Bilder durch mein Denken gebildet werden, und die die Sinne allein erkunden, sehr viel deutlicher erkannt werden als jenes ich weiß nicht welches Etwas von mir,1 das nicht unter die Anschauung fällt – obgleich es in der Tat seltsam ist, daß Dinge, die ich als zweifelhaft, unbekannt und mir fremd bemerke, deutlicher von mir verstanden werden2 als das, was wahr ist, was erkannt ist, mit einem Wort : als ich selbst. Aber ich sehe wohl, was hier vor sich geht : es bereitet meinem Geist Vergnügen, abzuirren, und noch erträgt er es nicht, in den Grenzen der Wahrheit gehalten zu werden. Meinetwegen ! Lassen wir ihm noch einmal die Zügel ganz locker, damit, wenn sie bei späterer Gelegenheit wieder angezogen werden, er es leichter erträgt, gelenkt zu werden. Betrachten wir jene Dinge, von denen man gemeinhin meint, sie insgesamt am deutlichsten zu verstehen, nämlich die Körper, die wir berühren, die wir sehen ; und zwar nicht die Körper überhaupt, denn solche allgemeinen Erfassungen sind gewöhnlich ziemlich verworren, sondern einen Körper im besonderen. Nehmen wir zum Beispiel dieses Wachs :3 Gerade eben ist es aus dem Bienenstock herausgezogen worden ; noch hat es nicht allen Geschmack seines Honigs verloren ; es behält ein wenig von dem Geruch der Blumen, aus denen es gesammelt worden ist ; seine Farbe, Gestalt, Größe sind offenkundig ; es ist hart, es ist kalt, es läßt sich leicht berühren, und es gibt einen Ton von sich, wenn Du mit dem Knöchel auf es schlägst ; mit einem Wort, alles ist vorhanden, was erforderlich zu sein scheint, damit es äußerst deutlich als ein bestimmter Körper erkannt werden kann. 1

Obj. V : 275, 9. 271, 16 ff.

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Obj. V : 267, 11–16.

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Obj. III : 173, 18–21 ; Obj. V :

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Aber während ich das sage, wird es dem Feuer ausgesetzt : Der verbliebene Geschmack geht verloren, der Geruch verfliegt, die Farbe wechselt, die Gestalt verschwindet, die Größe nimmt zu, es wird flüssig, es wird warm, man kann es kaum noch berühren, und nun gibt es keinen Ton mehr von sich, wenn Du es anstößt. Bleibt es dann immer noch dasselbe Wachs ? Es muß eingeräumt werden : Es bleibt. Niemand bestreitet es, niemand meint etwas anderes. Was also war in ihm, das so deutlich verstanden worden ist ? Sicherlich nichts von dem, was ich durch die Sinne berührte ; denn alles, was unter den Geschmackssinn oder den Geruchssinn oder das Sehvermögen oder den Tastsinn oder das Gehör fiel, ist jetzt verändert : und doch bleibt es das Wachs. Vielleicht war es das, was ich nun denke : daß nämlich das Wachs selbst eben weder jene Süßigkeit des Honigs, noch der betörende Geruch der Blumen, noch die weiße Farbe, noch die Gestalt, noch der Ton gewesen ist, sondern ein Körper, der mir kurz zuvor mit jenen hervorstechenden Eigenschaften erschien, und nun mit davon verschiedenen. Was genau aber ist das, was ich mir so vorstelle ? Berücksichtigen wir das genau und schauen wir, was übrigbleibt, wenn wir alles entfernen, was nicht zum Wachs gehört : nämlich nichts anderes als ein ausgedehntes Etwas, biegsam und veränderlich. Was aber ist dieses Biegsame, Veränderliche ? Etwa das, was ich mir vorstelle, nämlich daß das Wachs sich von einer runden Gestalt in eine quadratische, oder aus dieser in eine dreieckige verändern kann ? Keineswegs ! Denn ich verstehe, daß es zu unzählig vielen solchen Veränderungen fähig ist, und ich kann wohl kaum Unzähliges vorstellend durchlaufen ; und demnach wird das Verständnis des Wachses nicht durch das Vorstellungsvermögen zustande gebracht. Was ist das Ausgedehnte ? Ist etwa auch die Ausdehnung des Wachses unbekannt ? Denn beim schmelzenden Wachs wird sie größer, noch größer beim heißen, und wiederum größer, wenn die Wärme noch weiter zunimmt. Und ich würde nicht richtig beurteilen, was das Wachs ist, wenn ich nicht zugäbe, daß es auch in bezug auf die Ausdehnung eine größere Vielfalt zuläßt,

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als ich jemals vorstellend umfaßt habe. Es bleibt mir demnach nur, zuzugeben, daß ich mir gar nicht vorstellen kann, was dieses Wachs ist, sondern es allein mit dem Geist erfasse1 – ich betone : dieses besondere Stück Wachs, denn in bezug auf das Wachs überhaupt ist das noch klarer. Was aber ist dieses Wachs, das allein mit dem Geist erfaßt wird ? Freilich dasselbe, das ich sehe, das ich berühre, das ich vorstelle, zu guter Letzt dasselbe, was ich von Anfang an meinte, daß es sei. Und doch ist seine Erfassung – darauf muß hingewiesen werden – kein Anblicken, keine Berührung, keine Anschauung, noch ist sie es jemals gewesen, obwohl es mir zuvor so erschien, sondern allein ein Einblick des Geistes,2 der unvollkommen und verworren wie am Anfang, oder klar und deutlich wie jetzt sein kann, je nachdem, ob ich weniger oder mehr berücksichtige, woraus es besteht.3 Indessen erstaune ich, wie sehr mein Geist zu Irrtümern neigt. Denn obwohl ich dies schweigend und ohne ein Wort auszusprechen betrachtet habe, klammere ich mich dennoch an die Wörter selbst und werde fast von alltäglichen Redensarten betrogen. Wir sagen nämlich : »Wir sehen das Wachs selbst«, wenn es da ist, und nicht : »Wir urteilen aufgrund der Farbe oder der Gestalt, daß es da ist«. Daraus wäre sogleich zu schließen, das Wachs werde also durch das Anblicken mit den Augen, nicht durch den Einblick des Geistes allein erkannt – wenn ich nicht zufällig gerade aus dem Fenster geblickt und Menschen die Straße hätte überqueren sehen, von denen ich nicht weniger als beim Wachs zu sagen gewohnt bin, daß ich sie sehe. Was aber sehe ich außer Hüten und Mänteln, unter denen sich Automaten verstecken könnten ?4 Ich urteile aber, daß es Menschen sind. Und so verstehe ich das, von dem ich meinte, es mit den Augen zu sehen, allein aufgrund des Urteilsvermögens, das in meinem Geist ist. Aber ich, der ich doch das Verlangen habe, mein Wissen über das gewöhnliche Maß zu erheben, sollte mich schämen, 1

Obj. III : 177, 23–24. 4 Obj. V : 272, 20 ff.

2

Obj. V : 273, 5–7.

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Obj. V : 273, 8–11.

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aus alltäglichen Redensarten, die beim Volk im Umlauf sind, Zweifel gezogen zu haben. Wir wollen also den Faden unserer Gedanken wieder aufnehmen, indem wir unsere Aufmerksamkeit darauf lenken, ob ich damals, als ich es zuerst angesehen und geglaubt habe, das Wachs durch den äußeren Sinn selbst zu erkennen – oder zumindest durch das, was Gemeinsinn genannt wird, d. h. durch die Anschauungskraft –, oder ob ich nicht vielmehr jetzt vollkommener und evidenter erfasse, was das Wachs ist, nachdem ich nicht nur eingehender untersucht habe, was es ist, sondern auch, wie es erkannt wird. Sicherlich wäre es albern, darüber in Zweifel zu geraten : denn was ist in der ersten Erfassung deutlich gewesen ? Was war darin, das nicht irgendein anderes Tier sich ebenfalls hätte verschaffen können ? Wenn ich das Wachs von den äußeren Formen unterscheide, und es gleichsam der Kleider beraubt nackt betrachte, kann ich es tatsächlich nicht ohne den menschlichen Geist erfassen, auch wenn immer noch ein Irrtum in meinem Urteil verbleiben kann. Was aber kann ich über diesen Geist selbst, bzw. über mich selbst sagen ? Noch lasse ich nämlich nicht gelten, daß irgendetwas anderes in mir ist außer Geist. Was, sage ich, bin ich selbst, der ich dieses Wachs so deutlich zu erfassen scheine ? Sollte ich mich selbst nicht nur viel wahrer, viel sicherer, sondern auch viel deutlicher und evidenter erkennen ? Denn wenn ich aufgrund dessen, daß ich das Wachs sehe, urteile, daß es existiert, ergibt sich doch wohl sicherlich daraus, daß ich es sehe, noch viel evidenter, daß ich selbst existiere. Es mag nämlich sein, daß das, was ich sehe, nicht wirklich Wachs ist ; es mag auch sein, daß ich nicht einmal Augen habe, durch die mir irgendetwas erscheint ; aber es kann schlicht überhaupt nicht sein, daß, wenn ich sehe, bzw. (was ich jetzt nicht unterscheide) wenn ich denke, daß ich sehe, ich selbst, der Denkende, nicht irgendetwas bin. Aus einer vergleichbaren Überlegung heraus ergibt sich wiederum dasselbe. Denn wenn ich aufgrund dessen, daß ich es berühre, urteile, daß es Wachs ist, ergibt sich ebenso, daß ich bin ; und genau dasselbe daraus, daß ich es vorstelle, oder aus irgendeiner anderen Ursache. Dasselbe, was ich in bezug auf das Wachs

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bemerke, kann aber auf alles andere angewendet werden, das außerhalb von mir vorhanden ist.1 Wenn nun die Erfassung des Wachses viel deutlicher zu sein scheint, nachdem es mir nicht durch das Sehvermögen oder den Tastsinn allein, sondern noch aus mehreren anderen Ursachen heraus bekannt geworden ist, muß eingeräumt werden, daß ich dann noch viel deutlicher mich selbst erkennen werde ; denn alle Erkenntnisgründe, die zur Erfassung entweder des Wachses oder auch irgendeines anderen Körpers beitragen können, weisen ja ohne Ausnahme zugleich auch um so besser die Natur meines Geistes nach !2 Aber es gibt im Geist selbst überdies so viele andere Erkenntnisgründe, aufgrund derer seine Kenntnis deutlicher dargetan werden kann, daß diejenigen, die vom Körper her zu ihm gelangen, im Vergleich dazu kaum ins Gewicht zu fallen scheinen. Und so bin ich letztendlich von selbst dort angelangt, wohin ich wollte. Denn da mir nunmehr bekannt ist, daß die Körper selbst nicht eigentlich durch die Sinne oder durch das Vorstellungsvermögen, sondern durch den Verstand allein erfaßt werden,3 und daß sie nicht dadurch erfaßt werden, daß sie berührt oder gesehen werden, sondern allein dadurch, daß sie eingesehen werden, so erkenne ich sehr genau, daß nichts leichter oder auch evidenter von mir erfaßt werden kann als mein Geist.4 Aber weil die Gewohnheit einer alten Meinung nicht so schnell abgelegt werden kann, ist es angebracht, hier innezuhalten, damit dieser neue Gedanke sich durch längeres Verweilen bei dieser Meditation meinem Gedächtnis tiefer einprägt.

1

Obj. V : 273, 20–274, 8. 2 Obj. V : 274, 23–275, 2. 15–16. 4 Obj. V : 275, 10–16.

3

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Über Gott, daß er existiert.

Ich will nun die Augen schließen, die Ohren zustopfen, alle Sinne abschalten und auch alle Bilder körperlicher Dinge entweder aus meinem Denken löschen, oder, weil dies kaum möglich sein wird, sie zumindest als bedeutungslos und falsch für nichts erachten. Ich werde, indem ich allein mit mir spreche und tief in mich hineinblicke, versuchen, mich mit mir selbst nach und nach bekannter und vertrauter zu machen. Ich bin ein denkendes Ding, das heißt ein Ding, das zweifelt, behauptet, bestreitet, weniges einsieht, dem vieles unbekannt ist, das will, nicht will, das auch vorstellt und sinnlich wahrnimmt. Denn wie ich zuvor bemerkt habe, bin ich mir sicher, daß alle Dinge, die ich sinnlich wahrnehme oder vorstelle, auch dann, wenn sie unabhängig von mir vielleicht nichts sind, als gedankliche Zugriffe (modi cogitandi), die ich sinnliche Wahrnehmungen und Anschauungen nenne, insofern in mir sind, als sie lediglich gedankliche Zugriffe sind. In diesem wenigen bin ich alles durchgegangen, was ich wahrhaftig weiß, oder zumindest das, von dem ich bislang bemerkt habe, daß ich es weiß. Ich will nun sorgfältiger Ausschau halten, ob es nicht vielleicht außerdem noch anderes in meinem Umkreis gibt, das ich noch nicht berücksichtigt habe. Ich bin sicher, daß ich ein denkendes Ding bin. Weiß ich also etwa auch, was erforderlich ist, damit ich irgendeines anderen Dinges sicher sei ? Denn in dieser ersten Erkenntnis ist nichts anderes enthalten als eine gewisse klare und deutliche Erfassung dessen, was ich behaupte ; und das würde freilich nicht ausreichen, mich der Wahrheit eines Dinges zu versichern, wenn es auch nur einmal irgendwann passieren könnte, daß irgendetwas falsch wäre, das ich so klar und deutlich erfassen würde. Demnach scheint es mir möglich, als allgemeine Regel aufzu-

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stellen, daß alles das wahr ist, das ich äußerst klar und deutlich erfasse.1 Aber früher habe ich doch vieles als ganz und gar sicher und offenkundig gelten lassen, von dem ich dennoch später entdeckt habe, daß es zweifelhaft ist.2 Welche Art Dinge waren das ? Nun – die Erde, der Himmel, die Gestirne und alles übrige, was ich mir durch die Sinne aneignete. Was aber erfaßte ich an diesen Dingen klar ? Nun – daß sie als Ideen solcher Dinge, bzw. als Gedanken meinem Geist vorlagen. Aber ich stelle auch jetzt gar nicht in Abrede, daß diese Ideen in mir sind. Etwas bestimmtes anderes aber gab es, das ich behauptete, und von dem ich überdies aus der Gewohnheit heraus, es so zu glauben, meinte, es klar zu erfassen, das ich tatsächlich aber nicht erfaßte : nämlich daß es bestimmte Dinge außerhalb von mir gebe, von denen diese Ideen herrühren, und denen sie ganz ähnlich waren. Dies aber war es, worin ich mich täuschte ; wenn ich aber wahr urteilte, passierte es zumindest nicht aus der Kraft meiner Erfassung heraus. Wie verhielt es sich aber, wenn ich irgendeinen äußerst einfachen und leichten der arithmetrischen oder geometrischen Sachverhalte betrachtete, wie etwa Zwei und drei miteinander addiert ergeben fünf, oder dergleichen :3 erblickte ich zumindest dies transparent genug, um behaupten zu können, es sei wahr ? Tatsächlich habe ich ja allein deshalb später geurteilt, daß solche Sachverhalte bezweifelt werden müßten, weil mir einfiel, es könne vielleicht irgendein Gott mir eine solche Natur verliehen haben, daß ich auch in bezug auf das betrogen würde, was mir das Offenkundigste zu sein schien. Immer wenn sich mir diese vorgefaßte Meinung über die Allmacht Gottes darbietet, kann ich nicht umhin, einzuräumen, daß, wenn er es denn will, es ihm ein leichtes wäre, zu bewirken, daß ich mich auch in dem irre, von dem ich meine, es mit den Augen des Geistes am evidentesten zu erblicken. Immer wenn ich mich jedoch den 1

Obj. I : 95, 29–30 ; Resp. I : 116, 7 ; Obj. V : 277, 14–16. 2–3. 3 Obj. V : 279, 8–10.

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Obj. V : 279,

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Dingen selbst zuwende, die ich äußerst klar zu erfassen meine, bin ich so sehr von ihnen überzeugt, daß mir von selbst diese Worte entfahren : »Täusche mich, wer immer es wolle und soviel er kann, niemals wird er bewirken, daß ich nichts bin, solange ich denken werde, ich sei irgendetwas ; oder daß es zu irgendeinem Zeitpunkt wahr ist, daß ich niemals gewesen bin, wenn es doch jetzt wahr ist, daß ich bin ; oder vielleicht auch, daß zwei und drei miteinander addiert mehr oder weniger als fünf ergeben, oder dergleichen« – denn darin erkenne ich einen offenkundigen Widerspruch. Da ich nun sicherlich keinen Anlaß zu der Ansicht habe, daß Gott ein Betrüger ist, und bislang noch nicht einmal zur Genüge weiß, ob es Gott gibt oder nicht, ist der Grund des Zweifelns, der nur von dieser vorgefaßten Meinung abhängt, sehr dünn und, ich will einmal so sagen, metaphysisch. Um aber auch diesen Grund noch bei nächster Gelegenheit aufzuheben, muß ich prüfen, ob es Gott gibt, und, wenn es ihn gibt, ob es möglich ist, daß er ein Betrüger ist. Es scheint mir nämlich, daß ich niemals irgendeines anderen Dinges völlig sicher sein kann, solange mir dies unbekannt ist. Nun aber scheint die Ordnung zu erfordern, daß ich zuerst alle meine Gedanken in bestimmte Arten einteile und erforsche, in welchen von ihnen eigentlich Wahrheit oder Falschheit vorkommt. Einige meiner Gedanken sind gewissermaßen Bilder der Dinge, denen allein eigentlich der Name der Idee zusteht : wie wenn ich Mensch, Chimäre, Himmel, Engel oder auch Gott denke.1 Andere aber haben außerdem eine bestimmte Form : wie etwa, wenn ich will, wenn ich mich fürchte, wenn ich behaupte, wenn ich bestreite ; denn dann fasse ich zwar stets irgendein Ding als Subjekt2 auf, aber mein Denken beinhaltet auch etwas über das bloße Abbild eines Dinges Hinausgehendes ; und von diesen Gedanken werden die einen Willensakte, bzw. Affekte, die anderen aber Urteile genannt.3 1

Obj. III : 179, 12–15. 2 Subjectum ist bei Descartes nicht das Subjekt = das denkende Ich, sondern das, was dem Denken unterworfen ist, also in unserer heutigen Sprache das Objekt. 3 Obj. III : 181, 20–26.

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38,11

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Was die Ideen betrifft, so können sie nicht im eigentlichen Sinne falsch sein, wenn sie allein für sich betrachtet werden, und ich sie nicht auf irgendetwas anderes beziehe ; denn ob ich mir nun eine Ziege oder eine Chimäre vorstelle, so ist es nicht weniger wahr, daß ich mir das eine vorstelle als das andere. Auch im Willen für sich selbst genommen oder den Affekten ist keine Falschheit zu befürchten ; denn ich kann noch so Schlechtes wünschen oder sogar auch irgendetwas, das es nirgends gibt, so wird es deswegen doch nicht unwahr, daß ich es wünsche. Demnach bleiben nur die Urteile übrig, bei denen ich mich vorsehen muß, mich nicht zu täuschen. Der eigentliche und häufigste Irrtum aber, der in ihnen angetroffen werden kann, besteht darin, zu urteilen, daß die Ideen, die in mir sind, bestimmten außerhalb von mir befindlichen Dingen gleich, bzw. nachgebildet seien ; denn wenn ich die Ideen selbst lediglich als bestimmte Modi meines Denkens betrachten und sie nicht auf irgendetwas anderes beziehen würde, könnten sie mir jedenfalls kaum irgendein Material zum Irren geben. Von diesen Ideen aber scheinen mir die einen angeboren, die anderen erworben und wieder andere von mir selbst erzeugt zu sein : denn daß ich einsehe, was Ding, was Wahrheit, was Denken ist, das scheine ich von nirgendwo anders her zu haben als aus meiner eigenen Natur selbst ;1 höre ich jedoch jetzt ein Geräusch, sehe ich die Sonne, empfinde ein Feuer, so habe ich bislang geurteilt, daß dies von bestimmten außerhalb von mir befindlichen Dingen herrühre ; und schließlich sind Sirenen, Hippogryphe und dergleichen von mir selbst konstruiert. Oder vielleicht kann ich auch meinen, alle seien erworben, oder alle angeboren, oder alle erzeugt : noch habe ich nämlich ihre wahre Entstehung nicht klar durchschaut.2 Freilich gilt es, an dieser Stelle zuallererst nach denjenigen Ideen zu fragen, die ich so betrachte, als seien sie gleichsam von außer mir existierenden Dingen entlehnt. Mit welcher Begründung lasse ich mich eigentlich zu der Ansicht bewegen, diese 1

Obj. V : 280, 22–23 ; 281, 12–13 ; 26–27.

2

Obj. V : 279, 18–26.

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43

Ideen seien jenen Dingen ähnlich ? Freilich scheine ich dies von der Natur so gelernt zu haben. Und außerdem erfahre ich, daß sie nicht von meinem Willen und demnach auch nicht von mir selbst abhängen, zeigen sie sich doch oft sogar gegen meinen Willen :1 so empfinde ich jetzt Wärme, ob ich will oder nicht, und daher meine ich, daß diese sinnliche Wahrnehmung, bzw. die Idee der Wärme, von einem von mir verschiedenen Ding zu mir gelangt, nämlich von der Wärme des Feuers, bei dem ich sitze. Und nichts liegt näher, als zu urteilen, jenes Ding sende mir eher ein Abbild seiner selbst als etwas ganz anders Geartetes zu. Ich will jetzt sehen, ob diese Begründungen ausreichend verläßlich sind. Wenn ich hier sage, ich hätte es so von der Natur gelernt, dann verstehe ich darunter, daß ein gewisser spontaner Antrieb mich dazu bringt, dies zu glauben, und nicht, daß es mir auch nur durch das geringste Natürliche Licht als wahr gezeigt worden wäre. Das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge. Denn alles, was mir durch das Natürliche Licht gezeigt wird – wie etwa, daß daraus, daß ich zweifle, folgt, daß ich bin, und dergleichen –, kann in keiner Weise zweifelhaft sein. Denn es kann kein anderes Vermögen geben, dem ich ähnlich vertrauen könnte wie diesem Licht, und das lehren könnte, daß dies nicht wahr sei ; was aber die natürlichen Antriebe betrifft, so bin ich längst schon zu dem Urteil gelangt, von ihnen in eine falsche Richtung gedrängt worden zu sein, wenn es sich darum handelte, das Gute zu wählen, und ich sehe nicht, weshalb ich ihnen in irgendeiner anderen Sache mehr vertrauen sollte. Außerdem : Obwohl diese Ideen nicht von meinem Willen abhängen, so ist deshalb noch keineswegs ausgemacht, daß sie notwendig von Dingen herrühren, die sich außer mir befinden. Ebenso nämlich wie jene Antriebe, von denen ich gerade sprach, von meinem Willen unabhängig zu sein scheinen, obwohl sie in mir sind, befindet sich vielleicht in mir ein noch nicht hinreichend erkanntes Vermögen als Schöpferin dieser Ideen, was sich bislang bereits daran gezeigt haben mag, daß sich jene Ideen 1

Obj. V : 283, 1–4.

38,23

39,6

44

39,15

39,30

40,5

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ohne die Hilfe irgendwelcher äußerer Dinge in mir bilden, wenn ich träume. Und schließlich : Selbst wenn die Ideen von Dingen herrühren würden, die von mir verschieden sind, so folgt daraus noch nicht, daß sie diesen Dingen ähnlich sein müssen. Es scheint mir sogar, wiederholt bei vielen einen großen Kontrast zwischen beiden entdeckt zu haben. So finde ich zum Beispiel zwei verschiedene Ideen der Sonne in mir vor, eine gleichsam aus den Sinnen geschöpfte, die nach meiner Ansicht eindeutig zu den erworbenen gezählt werden muß, durch die die Sonne mir als sehr klein erscheint, und eine andere, den Berechnungen der Astronomie entlehnte, will sagen : aus bestimmten mir angeborenen Grundbegriffen entwickelte,1 oder auf irgendeine andere Weise von mir erzeugte, durch die sie sich als viele Male größer als die Erde darstellt. Beide Ideen können jedoch nicht derselben, außer mir existierenden Sonne gleich sein, und die Vernunft überzeugt mich, daß diejenige ihr am unähnlichsten ist, die am unmittelbarsten von ihr auszugehen scheint.2 All dies beweist zur Genüge, daß ich bislang nicht aufgrund eines sicheren Urteils, sondern lediglich aus irgendeinem geheimen Impuls heraus geglaubt habe, es existierten bestimmte von mir verschiedene Dinge, die ihre Ideen, bzw. Bilder durch die Sinnesorgane oder sonst irgendwie in mich senden. Aber es bietet sich mir noch ein anderer Weg, um zu erforschen, ob irgendwelche von den Dingen, deren Ideen in mir sind, außer mir existieren. Insofern nämlich diese Ideen lediglich bestimmte gedankliche Zugriffe sind, erkenne ich unter ihnen keine Ungleichheit, und es scheint mir, daß alle auf dieselbe Weise von mir herrühren. Insofern aber die eine das eine Ding, die andere ein anderes repräsentiert, sind sie offensichtlich sehr verschieden voneinander. Denn zweifelsohne sind diejenigen, die mir Substanzen darstellen, irgendetwas Größeres, und enthalten, um es einmal so auszudrücken, in sich mehr objektive Realität als diejenigen, die nur Modi, bzw. Akzidenzen reprä1

Obj. III : 184, 2–4.

2

Obj. V : 283, 11–16.

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sentieren. Und sicherlich hat diejenige, durch die ich mir einen höchsten Gott – ewig, unendlich, allwissend, omnipotent und Schöpfer aller Dinge, die außer ihm sind1 – einsichtig mache, wiederum mehr objektive Realität in sich, als die, durch die endliche Substanzen dargestellt werden.2 Aber es ist durch das Natürliche Licht offenkundig, daß in einer bewirkenden und hinreichenden Ursache zumindest ebensoviel enthalten sein muß wie in der Wirkung ebenderselben Ursache.3 Denn von woher könnte bitte die Wirkung ihre Realität erlangen, wenn nicht von der Ursache ? Und wie könnte die Ursache sie ihr geben, wenn sie sie nicht ebenso hätte ? Daraus aber folgt, daß weder aus dem Nichts irgendetwas entstehen kann,4 noch daß das, was vollkommener ist, das heißt : was mehr Realität in sich enthält, durch etwas entstehen kann, das weniger Realität in sich enthält. Dies ist nun nicht nur transparent wahr in bezug auf diejenigen Wirkungen, deren Realität aktuell, bzw. formal ist, sondern auch in bezug auf die Ideen, in denen lediglich eine objektive Realität betrachtet wird. Will sagen : Es ist nicht nur unmöglich, daß zum Beispiel ein Stein, der vorher nicht gewesen ist, jetzt zu sein beginnt, wenn er nicht von irgendeinem Ding produziert wird, in dem in vollem Umfang alles das entweder formal oder eminent ist, das im Stein gesetzt wird ;5 und Wärme kann nicht in ein Subjekt eintreten, das vorher nicht warm war, es sei denn durch ein Ding, das zumindest der Ordnung nach ebenso vollkommen ist wie die Wärme, und ebenso bei dem Übrigen ; sondern insbesondere auch kann die Idee der Wärme oder des Steins nicht in mir sein, wenn sie nicht von irgendeiner Ursache in mich gesetzt worden ist, in der ich zumindest ebensoviel Realität als vorhanden begreife wie in der Wärme oder im Stein. Denn auch wenn diese Ursache nichts von ihrer aktuellen, bzw. formalen Realität auf meine Idee überträgt, so darf man diese Ursache deswegen doch nicht für weniger 1

Obj. V : 286, 14–15. 2 Obj. III : 184, 19–185, 4 ; Obj. V : 284, 26–285, 3 Resp. II : 135, 11–12 ; 19–21 ; Obj. V : 288, 8–10. 3 ; 286, 21–22. 4 Resp. II : 135, 13–14. 5 Obj. V : 288, 28–289, 1.

40,21

46

41,30

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real halten, denn die Natur der Idee selbst muß man für eine solche halten, daß sie von sich aus keine andere formale Realität erfordert außer derjenigen, die sie meinem Denken entlehnt, dessen Modus sie ist. Daß aber diese Idee die eine oder andere objektive Realität mehr enthält als eine andere Idee, das muß sie in der Tat von irgendeiner Ursache haben,1 in der zumindest ebensoviel formale Realität vorliegt, wie sie selbst an objektiver Realität enthält.2 Gesetzt nämlich, es würde in irgendeiner Idee irgendetwas angetroffen, das in ihrer Ursache nicht gewesen ist, so hätte sie dies aus dem Nichts. Wie unvollkommen nun auch immer jener Modus des Seins sein mag, in dem das Ding vermittelt durch die Idee im Verstand objektiv ist, so ist er doch in der Tat nicht einfach nichts, und kann demnach nicht durch das Nichts sein.3 Wenn nun die Realität, die ich in meinen Ideen betrachte, lediglich objektiv ist, so darf ich deswegen nicht den Verdacht hegen, es sei nicht nötig, daß dieselbe Realität formal in den Ursachen dieser Ideen sei, sondern es reiche aus, wenn sie in ihnen ebenfalls nur objektiv ist. Denn ebenso, wie dieser objektive Modus des Seins den Ideen von ihrer Natur her entspricht, so entspricht von deren Natur her der formale Modus des Seins den Ursachen dieser Ideen, zumindest den ersten und hauptsächlichen. Und auch wenn vielleicht eine Idee aus einer anderen geboren werden kann, ergibt sich hier gleichwohl kein Fortgang in das Unendliche, sondern man muß letztlich zu irgendeiner ersten Idee gelangen, deren Ursache wie ein Archetyp ist, in dem alle Realität formal enthalten ist, die in der Idee lediglich objektiv ist – so daß mir durch das Natürliche Licht transparent ist, daß die Ideen gleichsam als bestimmte Bilder in mir sind, die zwar leicht hinter der Vollkommenheit der Dinge zurückbleiben, von denen sie entlehnt sind, keinesfalls jedoch irgendetwas Größeres oder Vollkommeneres enthalten.

1

Obj. I : 92, 23–26. 22–25.

2

Obj. V : 288, 11–12 ; 290, 28–291, 1.

3

Obj. I : 93,

47

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Je länger und sorgfältiger ich nun all dies prüfe, desto klarer und deutlicher erkenne ich, daß es wahr ist. Was aber schließe ich letztendlich daraus ? Nun, wenn die objektive Realität irgendeiner meiner Ideen so groß sein sollte, daß ich sicher sein könnte, daß sie weder formal noch eminent in mir ist, und ich selbst demnach nicht die Ursache dieser Idee sein kann, so würde daraus notwendig folgen, daß ich nicht allein auf der Welt wäre, sondern irgendein anderes Ding, das Ursache dieser Idee ist, ebenfalls existieren würde. Wenn dagegen keine solche Idee in mir angetroffen würde, dann würde ich überhaupt kein Argument besitzen, das mich der Existenz irgendeines von mir verschiedenen Dinges versichern könnte ;1 ich habe nämlich alles äußerst sorgfältig durchgesehen und bislang nichts anderes antreffen können. Abgesehen von der Idee, die mir mich selbst darstellt, und die hier keine Schwierigkeit bereiten kann, gibt es unter meinen Ideen eine, die Gott, und andere, die körperliche und leblose Dinge, wieder andere die Engel, noch andere die Tiere, und schließlich andere, die die mir ähnlichen anderen Menschen repräsentieren. Was die Ideen betrifft, die andere Menschen, Tiere oder Engel darstellen, so sehe ich leicht ein, daß sie selbst dann aus den Ideen zusammengesetzt werden können, die ich von mir selbst, von den körperlichen Dingen und Gott besitze, wenn es außer mir weder irgendwelche Menschen, noch Tiere, noch Engel auf der Welt geben sollte.2 Was die Ideen körperlicher Dinge betrifft, so findet sich in ihnen nichts, das so groß wäre, daß es nicht von mir selbst hervorgebracht worden sein könnte.3 Denn wenn ich genauer in diese Ideen hineinblicke und die einzelnen in derselben Weise prüfe, wie ich gestern die Idee des Wachses geprüft habe, bemerke ich, daß es nur sehr wenig gibt, was ich klar und deutlich in ihnen erfasse : nämlich die Größe, bzw. die Ausdehnung in Länge, Breite und Tiefe ; die Gestalt, die aus der Einschränkung 1

Obj. V : 291, 3–8.

2

Resp. II : 138, 27–139, 4.

3

Obj. V : 291, 17–24.

42,16

42,29

43,5

43,10

48

44,9

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dieser Ausdehnung entspringt ; die Lage, die die verschiedenen Gestaltungen zueinander einnehmen ; und die Bewegung, bzw. die Veränderung dieser Lagen ; wozu man noch die Substanz, die (An-)Dauer und die (An-)Zahl hinzufügen kann. Das Übrige aber – wie Licht und Farben, Töne, Gerüche, Geschmäcke, Wärme und Kälte, und die anderen taktilen Qualitäten – wird von mir nur äußerst verworren und dunkel gedacht, so daß mir auch unbekannt ist, ob es wahr oder falsch ist, will sagen : ob die Ideen, die ich von ihnen habe, Ideen irgendwelcher Dinge oder Undinge sind. Obwohl nämlich die Falschheit im eigentlichen Sinne, bzw. die formale Falschheit, nur in Urteilen angetroffen werden kann,1 worauf ich zuvor hingewiesen habe, so liegt gleichwohl sicherlich eine gewisse andere materielle Falschheit in den Ideen,2 wenn sie ein Unding gleichsam als Ding repräsentieren. So sind zum Beispiel die Ideen, die ich von der Wärme und der Kälte habe, so wenig klar und deutlich, daß ich aus ihnen weder lernen kann, ob die Kälte lediglich die Privation der Wärme, oder die Wärme die Privation der Kälte ist, noch ob beide reale Qualitäten sind, oder keine der beiden. Weil nun jede Idee nur darin besteht, Idee eines Dinges zu sein, würde diejenige Idee, die mir die Kälte gewissermaßen als ein reales und bestehendes Etwas repräsentiert, doch nicht zu Unrecht falsch genannt werden, wenn es wahr wäre, daß die Kälte nichts anderes als die Privation der Wärme ist ; und ebenso bei dem Übrigen.3 Es ist wirklich nicht nötig, diesen Ideen irgendeinen von mir verschiedenen Urheber zuzuweisen. Denn wenn sie falsch sind, also kein Ding repräsentieren, dann rühren sie aus dem Nichts her, wie mir durch das Natürliche Licht bekannt ist, das heißt, sie sind allein deshalb in mir, weil meiner Natur irgendetwas fehlt und sie nicht völlig vollkommen ist. Sind sie aber wahr, sehe ich nicht, weshalb sie nicht aus mir selbst sollten stammen können ; denn sie stellen mir so wenig Realität dar, daß ich dieses Wenige kaum vom Unding unterscheiden kann. 1

Obj. IV : 206, 7–8. 3 Obj. IV : 206, 12–15.

2

Obj. IV : 206, 8–9 ; Resp. IV : 231, 18–19.

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Von dem aber, das bei den Ideen der körperlichen Dinge klar und deutlich ist, scheint mir einiges von der Idee meiner selbst entlehnt werden zu können, nämlich Substanz, (An-)Dauer, (An-)Zahl und anderes dergleichen, falls es so etwas geben sollte. Denn wenn ich denke, daß der Stein eine Substanz ist – d. h. daß der Stein ein Ding ist, das fähig ist, durch sich selbst zu existieren –, und ich denke, daß ich selbst eine Substanz bin, dann begreife ich zwar, daß ich ein denkendes und nicht ausgedehntes Ding bin, daß jedoch der Stein ein ausgedehntes und nicht denkendes Ding ist, und daß demnach zwischen beiden Begriffen eine Verschiedenheit besteht ; gleichwohl aber scheinen beide in der Hinsicht übereinzukommen, daß sie Substanzen sind. Ebenso : Wenn ich erfasse, daß ich jetzt bin, und ich mich erinnere, auch vorher eine Zeitlang gewesen zu sein, und wenn ich vielfältige Gedanken habe, deren (An-)Zahl ich einsehe : dann erwerbe ich die Ideen der (An-)Dauer und der (An-)Zahl, die ich sodann auf beliebige andere Dinge übertragen kann. Alles übrige aber, woraus die Ideen der körperlichen Dinge zusammengesetzt sind, nämlich Ausdehnung, Gestalt, Lage und Bewegung,1 ist in mir nicht formal enthalten, weil ich nichts anderes als ein denkendes Ding bin. Weil sie jedoch nur bestimmte Modi einer Substanz sind, ich selbst aber eine Substanz bin, scheinen sie in mir eminent enthalten sein zu können. So bleibt also allein die Idee Gottes übrig, in bezug auf die betrachtet werden muß, ob sie irgendetwas ist, das nicht von mir selbst hervorgebracht worden sein kann. Unter dem Namen Gott verstehe ich eine bestimmte unendliche, unabhängige, höchster Einsicht fähige, allmächtige Substanz, von der sowohl ich selbst, als auch alles andere, was es auch sei, geschaffen ist, falls irgendetwas anderes vorhanden sein sollte. Dies alles ist in der Tat so viel, daß es, je sorgfältiger ich es berücksichtige, desto weniger von mir allein hervorgebracht worden sein zu können

1

Obj. V : 293, 26–27.

44,18

45,9

50

45,19

45,23

46,5

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scheint. Und daher muß aus dem zuvor Gesagten geschlossen werden, daß Gott notwendig existiert.1 Denn obwohl zwar die Idee der Substanz allein deshalb in mir ist, weil ich eine Substanz bin, wäre, weil ich endlich bin, die Idee einer unendlichen Substanz deshalb doch noch nicht in mir, wenn sie nicht von irgendeiner Substanz, die tatsächlich unendlich ist, herrühren würde.2 Nun darf ich nicht etwa meinen, ich erfaßte das Unendliche nicht durch eine wahre Idee,3 sondern lediglich durch die Negation des Endlichen, so wie ich die Ruhe und den Schatten durch die Negation der Bewegung und des Lichts erfasse ; denn im Gegenteil sehe ich ganz offenkundig ein, daß in der unendlichen Substanz mehr Realität als in der endlichen ist,4 und daß demnach die Erfassung des Unendlichen gewissermaßen früher in mir ist als die des Endlichen, das heißt : die Erfassung Gottes früher als die meiner selbst. Im Rückgriff auf welchen Erkenntnisgrund nämlich würde ich einsehen, daß ich zweifle, daß ich ein Verlangen habe, das heißt : daß mir irgendetwas fehlt und daß ich nicht völlig vollkommen bin, wäre nicht die Idee eines vollkommeneren Seienden in mir, im Vergleich mit der ich meinen Mangel erkennen würde ?5 Ebensowenig kann man sagen, die Idee Gottes sei vielleicht materiell falsch und daher aus dem Nichts hervorgegangen, so, wie ich es gerade eben bei den Ideen der Wärme und der Kälte bemerkt habe. Denn da sie ganz im Gegenteil ganz klar und deutlich ist und mehr objektive Realität als irgendeine andere enthält, gibt es keine, die aus sich selbst heraus wahrer ist, und die auf einen geringeren Verdacht der Falschheit trifft. Nun sage ich : Diese Idee eines höchst vollkommenen und unendlichen Seienden ist in höchstem Maße wahr. Denn obwohl man vielleicht noch so tun könnte, als ob ein solches Seiendes nicht existiert, kann man doch wohl nicht so tun, als ob mir dessen 1

Obj. II : 123, 7–10 ; Obj. III : 186, 2–10 ; Obj. V : 294, 2–11. 2 Obj. V : 295, 13–15. 3 Obj. V : 295, 28–29. 4 Obj. V : 296, 7–8. 5 Obj. V : 297, 25–29.

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Idee nichts Reales darstellt, so wie ich es zuvor über die Idee der Kälte gesagt habe.1 Diese Idee ist auch äußerst klar und deutlich. Denn in ihr ist alles enthalten, was ich klar und deutlich erfasse, alles, was real und wahr ist, und alles, was ein gewisses Maß an Vollkommenheit enthält. Dem widerspricht auch nicht, daß ich das Unendliche nicht begreife, oder daß unzähliges andere in Gott ist, das ich in keiner Weise verstehen, noch vielleicht mit dem Denken berühren kann, liegt es doch im Wesen des Unendlichen, daß es von mir, der ich endlich bin, nicht verstanden werden kann.2 Aber damit die Idee, die ich von Gott habe, von allen, die in mir sind, die wahrste und die klarste und deutlichste ist, ist es völlig ausreichend, daß ich eben dies einsehe3 – und vielleicht auch unzähliges andere, das mir unbekannt ist – und urteile, alles das sei entweder formal oder eminent in Gott, was ich klar erfasse, und von dem ich weiß, daß es irgendeine Vollkommenheit enthält. Doch möglicherweise bin ich irgendetwas Größeres als ich selbst einsehe, und alle jene Vollkommenheiten, die ich Gott beilege, sind irgendwie der Möglichkeit nach in mir, auch wenn sie sich noch nicht entfaltet haben und nicht zur Aktualität gelangen. Ich erfahre nämlich bereits, daß meine Erkenntnis sich allmählich erweitert ; und weder sehe ich, was dem entgegenstehen sollte, daß sie sich in derselben Weise mehr und mehr bis ins Unendliche vergrößert, noch, weshalb ich nicht mit ihrer Hilfe, bei einer derartig erweiteren Erkenntnis alle übrigen Vollkommenheiten Gottes erlangen sollte ; und zu guter Letzt auch nicht, weshalb, wenn die Möglichkeit zu solchen Vollkommenheiten bereits in mir ist, sie nicht ausreichen sollte, um die Idee dieser Vollkommenheiten zu produzieren. Indessen kann nichts davon sein. Denn erstens : Wenn es wahr ist, daß sich meine Erkenntnis allmählich vergrößert, und vieles der Möglichkeit nach in mir ist, was noch nicht aktuell ist, so betrifft nichts davon die Idee Gottes, in der nämlich überhaupt nichts potentiell ist. Denn gerade dies, daß meine Er1

Resp. I : 114, 20–24.

2

Obj. V : 297, 7–9.

3

Obj. V : 296, 21–24.

46,29

47,9

52

47,24

48,3

48,7

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kenntnis sich allmählich vergrößert, ist das sicherste Argument für ihre Unvollkommenheit.1 Außerdem : Auch wenn sich meine Erkenntnis beständig mehr und mehr vergrößert,2 so sehe ich demungeachtet ein, daß sie deshalb doch niemals aktuell unendlich sein wird,3 weil sie niemals einen Grad erreichen wird, in dem sie etwa keiner weiteren Zunahme fähig wäre. Ich urteile aber so, daß Gott aktuell unendlich ist, so daß zu seiner Vollkommenheit nichts hinzugetan werden kann.4 Und schließlich : Ich erfasse, daß das objektive Sein einer Idee nicht von einem nur potentiellen Sein, das im eigentlichen Sinne gesprochen nichts ist, sondern nur von einem aktuellen bzw. formalen produziert werden kann.5 In all diesem gibt es wirklich nichts, was dem, der es sorgfältig berücksichtigt, durch das Natürliche Licht nicht offenkundig wäre. Weil ich mich aber, sobald ich auch nur etwas weniger aufmerksam bin und die Bilder sinnlicher Dinge die Schärfe des Geistes abstumpfen, nicht so leicht erinnere, weshalb die Idee eines im Vergleich mit mir vollkommeneren Seienden notwendig von einem Seienden herrühren muß, das tatsächlich vollkommener ist, kann auch jetzt noch gefragt werden, ob ich selbst diese Idee besitzen könnte, wenn kein solches Seiendes existierte.6 Nun – wodurch sollte ich sein ? Doch wohl durch mich selbst, durch meine Eltern, oder durch irgendetwas weniger Vollkommenes als Gott ;7 denn man kann nichts vollkommeneres als ihn, ja noch nicht einmal etwas ebenso vollkommenes denken oder konstruieren. Wenn ich nun aber durch mich selbst wäre, würde ich weder zweifeln, noch wünschen, noch würde mir überhaupt irgendetwas fehlen, denn ich hätte mir alle Vollkommenheiten verliehen, von denen auch nur die geringste Idee in mir ist, und

1

Obj. V : 299, 2–7. 2 Obj. V : 298, 27–299, 1. 3 Obj. V : 299, 18–19. 4 Obj. V : 299, 28–300, 1. 5 Obj. V : 300, 5–6. 6 Obj. I : 94, 5–6 ; Resp. I, 106, 2–3. 7 Obj. I : 94, 8–9 ; Obj. IV : 207, 26–208, 1 ; Obj. V : 300, 11–15.

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wäre so Gott selbst.1 Auch darf ich nicht meinen, daß vielleicht das, was mir fehlt, schwerer zu erwerben sei als das, was bereits in mir ist, ist es doch ganz im Gegenteil offenkundig, daß es weitaus schwieriger gewesen wäre, daß ich aus dem Nichts auftauche, als daß ich, der ich ein denkendes Ding, bzw. eine denkende Substanz bin, Erkenntnisse2 über die vielen Dinge erlange, die mir unbekannt sind, Erkenntnisse, die doch nur Akzidenzen dieser Substanz sind. Hätte ich aber jenes Größere durch mich selbst, so hätte ich mir doch sicherlich weder das verweigert, was leichter zu erlangen ist, noch irgendetwas anderes von dem, was ich als in der Idee Gottes enthalten erfasse ; denn das scheint mir nicht schwieriger zu bewerkstelligen zu sein. Wenn es aber schwieriger zu Bewerkstellendes gäbe, würde mir das auch als schwieriger erscheinen, denn weil ich ja das andere, das ich habe, durch mich selbst hätte, würde ich erfahren, daß durch das schwieriger zu Bewerkstellende meine Macht eingeschränkt wird.3 Der Überzeugungskraft dieser Überlegungen entfliehe ich auch nicht, wenn ich voraussetze, ich sei vielleicht immer so gewesen, wie ich jetzt bin – gleichsam als ob daraus folgte, daß nicht nach einem Urheber meiner Existenz gefragt werden müßte.4 Denn weil ja die gesamte Zeit des Lebens in unzählige Teile geteilt werden kann, deren einzelne von den übrigen in keiner Weise abhängen,5 folgt daraus, daß ich kurz zuvor gewesen bin, nicht, daß ich jetzt sein muß,6 es sei denn, irgendeine Ursache erschafft mich gewissermaßen in diesem Moment erneut,7 will sagen : erhält mich. Es ist nämlich für jeden transparent, der die Natur der Zeit sorgfältig berücksichtigt, daß dieselbe Kraft und Aktion nötig ist, um ein beliebiges Ding in den einzelnen Momenten zu erhalten, während derer es andauert, die auch nötig wäre, um dasselbe Ding erneut zu erschaffen, wenn es noch nicht existierte ; und demnach gehört es zu dem, was durch das 1

Obj. I : 94, 9–13 ; Obj. IV : 208, 2–4 ; Resp. IV : 240, 27–29. Erkenntnisse] 1. Auflage Gedanken 3 Obj. V : 300, 15. 4 Obj. V : 300, 16–22. 5 Obj. V : 301, 5–6. 6 Obj. V : 301, 17–18. 7 Obj. IV : 209, 4–6. 2

48,25

54

49,12

49,21

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Natürliche Licht offenkundig ist, daß sich die Erhaltung allein in der Vernunft von der Erschaffung unterscheidet.1 Demnach muß ich nun mich selbst befragen, ob ich über irgendeine Kraft verfüge, durch die ich bewirken könnte, daß jenes Ich, das ich jetzt bin, auch eine Weile später noch sein werde. Denn da ich nichts anderes bin als ein denkendes Ding, oder da ich zumindest jetzt genau nur denjenigen Teil von mir thematisiere, der ein denkendes Ding ist, wäre ich mir einer solchen Kraft zweifelsohne bewußt, wenn sie in mir wäre.2 Da ich nun aber keine erfahre, erkenne ich daraus äußerst evident, daß ich von einem von mir verschieden Seienden abhänge.3 Vielleicht aber ist dieses Seiende nicht Gott, und ich bin entweder von den Eltern4 produziert oder von einer beliebigen anderen Ursache, die weniger vollkommen als Gott ist. Wie ich indessen vorher bereits gesagt habe, ist es transparent, daß zumindest ebensoviel in der Ursache sein muß, wie in der Wirkung ist.5 Da ich ein denkendes Ding bin, das eine bestimmte Idee Gottes in sich hat,6 muß eingeräumt werden, daß demnach das, was auch immer es letztlich ist, dem man meine Ursache zuweist, ebenfalls ein denkendes Ding ist und die Idee aller Vollkommenheiten besitzt, die ich Gott beilege. In bezug auf diese Ursache kann nun wiederum gefragt werden, ob sie durch sich selbst ist oder durch etwas anderes. Denn wenn sie durch sich selbst ist, so ergibt sich aus dem zuvor Gesagten, daß sie selbst Gott ist, weil sie nämlich, da sie ja die Kraft hat, durch sich selbst zu existieren, zweifelsohne auch die Kraft hat, aktuell alle Vollkommenheiten zu besitzen, deren Idee sie in sich hat, will sagen : alles, von dem ich begreife, daß es in Gott ist. Wenn sie aber durch etwas anderes ist, so fragt es sich auf dieselbe Weise erneut in bezug auf dieses andere, ob es durch sich selbst ist, oder durch etwas anderes – bis man letztendlich zu einer letzten Ursache gelangt, die Gott sein wird.7 1

Obj. IV : 210, 21–22 ; Obj. V : 301, 23–24. 2 Obj. IV : 214, 16–17 ; Resp. IV : 232, 5–6 ; 246, 10–11 ; Obj. V : 301, 26–28. 3 Obj. V : 302, 6–7. 4 Obj. V : 302, 9–10. 5 Obj. V : 302, 16–18. 6 Obj. V : 302, 12–13. 7 Obj. I : 94, 13–15.

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Denn es ist ganz offenbar, daß es hierbei keinen Fortgang in das Unendliche geben kann,1 insbesondere weil ich hier nicht nur die Ursache thematisiere, die mich einst produziert hat, sondern mehr noch die, die mich in der Gegenwart erhält. Auch kann man nicht so tun, als hätten vielleicht mehrere Teilursachen zusammengewirkt, um mich zu bewirken, und ich hätte von der einen Teilursache die Idee der einen, von einer anderen aber die Idee einer der anderen Vollkommenheiten erhalten, die ich Gott beilege, so daß zwar alle Vollkommenheiten irgendwo im Universum angetroffen würden, aber nicht alle miteinander verbunden in irgendeinem Einen, das Gott ist.2 Denn im Gegenteil ist Einheit, Einfachheit, bzw. Unabtrennbarkeit alles dessen, was in Gott ist, eine der hauptsächlichsten Vollkommenheiten, von denen ich einsehe, daß sie in Gott sind.3 Sicherlich aber konnte die Idee der Einheit aller seiner Vollkommenheiten nicht durch eine Ursache in mich gelegt werden, durch die ich nicht auch die Ideen der anderen Vollkommenheiten erhalten hätte ; denn diese Ursache hätte wohl kaum bewirken können, daß ich diese Vollkommenheiten als miteinander verbunden und unabtrennbar eingesehen hätte, ohne daß sie zugleich auch bewirkt hätte, daß ich erkannt hätte, was die anderen Vollkommenheiten sind. Was schließlich die Eltern anbelangt, so mag ja alles wahr sein, was ich jemals über sie gemeint habe, gleichwohl erhalten sie mich doch nicht eigentlich, und haben mich auch in keiner Weise bewirkt, insofern ich ein denkendes Ding bin, sondern sie haben nur gewisse Anlagen in diejenige Materie hineingelegt, von der ich geurteilt habe, daß ich in ihr sei, das heißt : der Geist, den allein ich jetzt als Ich akzeptiere. Demnach kann es hier keine Schwierigkeit geben. Insgesamt ist also zu schließen, daß allein daraus, daß ich existiere und die bestimmte Idee eines äußerst vollkommenen Seienden, will sagen : die Idee Got-

1

Obj. V : 302, 18–22 ; 303, 8–9. 16.

2

Obj. V : 303, 11–15.

3

Obj. V : 304,

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56

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51,15

d r i tt e m ed itat io n

tes, in mir ist, sich ganz evident beweisen läßt, daß auch Gott existiert.1 Es steht nun noch aus, zu prüfen, auf welchem Weg ich von Gott diese Idee erhalten habe. Ich habe sie nicht aus den Sinnen geschöpft ; niemals ist sie mir unerwartet erschienen, wie es die Ideen der sinnlichen Dinge zu tun pflegen, wenn solche Dinge sich den äußerem Sinnesorganen darbieten oder darzubieten scheinen. Ich habe sie auch nicht selbst ausgebildet, denn ich kann überhaupt nichts von ihr abziehen und ihr nichts hinzutun.2 Demnach bleibt nur übrig, daß sie mir angeboren ist, so wie mir auch die Idee meiner selbst angeboren ist.3 Außerdem ist es überhaupt nicht verwunderlich, daß Gott, als er mich schuf, mir diese Idee eingegeben hat, gleichsam als ein seinem Werk aufgedrucktes Kennzeichen des Technikers.4 Auch ist es nicht nötig, daß dieses Kennzeichen irgendein von dem Werk selbst verschiedenes Ding sei. Sondern es ist allein deshalb, weil Gott mich geschaffen hat, äußerst glaubhaft, daß ich gewissermaßen nach seinem Bild und als sein Abbild gemacht bin, und daß dieses Abbild, in dem die Idee Gottes enthalten ist, von mir durch dasselbe Vermögen erfaßt wird, durch das ich mich selbst erfassen kann. Solange ich also die Schärfe des Geistes auf mich selbst ausrichte, sehe ich nicht nur ein, daß ich ein unvollständiges und von einem anderen abhängiges Ding bin, und zwar ein Ding, das unbegrenzt zu immer Größerem und noch Größerem, bzw. Besseren zu gelangen versucht ; sondern ich sehe zugleich auch ein, daß der, von dem ich abhänge, alles dies Größere nicht nur unbegrenzt und der Möglichkeit nach, sondern tatsächlich unendlich in sich hat, und demnach Gott ist.5 Die gesamte Überzeugungskraft des Arguments besteht in Folgendem :6 Ich erkenne, daß ich unmöglich als die Natur existieren könnte, die ich bin – nämlich als jemand, der die Idee Gottes in sich trägt –, wenn Gott nicht auch tatsäch1

Obj. V : 304, 23–25. 2 Resp. V : 371, 8–9. Obj. III : 183, 4–12 ; Obj. V : 304, 29–305, 3. 5 Obj. V : 305, 17–306, 1 ; Resp. V : 373, 21–25.

3

Resp. II : 133, 20–21 ; Resp. II : 137, 18–19. 6 Resp. II : 133, 24–26. 4

dr i tt e m e d i tat io n

57

lich existierte, Gott, sage ich, eben derselbe, dessen Idee in mir ist1 – will sagen : der alle jene Vollkommenheiten besitzt, die ich selbst nicht verstehen, sondern nur irgendwie mit dem Denken berühren kann –, und der durch keinerlei Mängel verdunkelt ist. Damit liegt auch zutage, daß Gott kein Schwindler sein kann ; denn daß aller Schwindel und Betrug von irgendeinem Mangel abhängt, ist durch das Natürliche Licht offenkundig. Aber bevor ich dies eingehender prüfe, und zugleich die anderen Wahrheiten erforsche, die daraus gezogen werden können, ist es angebracht, an dieser Stelle eine Zeitlang in der Kontemplation Gottes selbst zu verweilen, seine Attribute bei mir zu erwägen, und die Schönheit seines unermeßlichen Lichtes zu erblicken, zu bewundern und zu verehren, so weit die Schärfe meiner vernebelten Geisteskraft es erlaubt. Denn so, wie wir aus dem Glauben heraus glauben, daß allein in der Kontemplation der göttlichen Majestät das höchste Glück des jenseitigen Lebens besteht, ebenso erfahren wir schon jetzt, daß aus derselben Kontemplation, sei sie auch sehr viel weniger vollkommen, die größte Lust gewonnen werden kann, derer wir in diesem Leben fähig sind.

1

Obj. III : 189, 6–10.

52,10

V IE RT E MED ITATION

Über das Wahre und Falsche.

Ich habe mich in diesen Tagen so daran gewöhnt, den Geist den Sinnen zu entziehen, und habe so eindringlich bemerkt, wie überaus wenig von den körperlichen Dingen wahr erfaßt, wie viel mehr jedoch vom menschlichen Geist, und sogar noch viel mehr von Gott erkannt wird, daß ich das Denken jetzt ohne irgendeine Schwierigkeit von den in der Anschauung vorstellbaren zu den nur mit dem Verstand einsehbaren und von aller Materie getrennten Dingen hinlenken kann. Und tatsächlich besitze ich eine viel deutlichere Idee des menschlichen Geistes, insofern er ein denkendes Ding und weder in Länge, Breite und Tiefe ausgedehnt ist, noch sonst irgendetwas vom Körper an sich hat, als eine Idee irgendeines körperlichen Dinges. Wenn ich jedoch berücksichtige, daß ich zweifle, also ein unvollständiges und abhängiges Ding bin, bietet sich mir eine so klare und deutliche Idee eines unabhängigen und vollständigen Seienden, will sagen : Gottes, daß ich allein aus der Tatsache, daß eine solche Idee in mir ist, bzw. ich als ein diese Idee besitzendes Ich existiere, so offenkundig schließe, daß auch Gott existiert und meine gesamte Existenz in jedem einzelnen Moment von ihm abhängt, daß ich mich ganz darauf verlasse, von der menschlichen Geisteskraft könne nichts evidenter, nichts sicherer erkannt werden. Und ich scheine bereits einen Weg zu sehen, auf dem man von dieser Kontemplation des wahren Gottes, in dem nämlich alle Schätze der Wissenschaften und der Weisheit verborgen sind, zur Erkenntnis der übrigen Dinge gelangen kann. Erstens nämlich erkenne ich es als unmöglich, daß Gott mich jemals täuscht.1 In aller Täuschung oder Betrug wird nämlich irgendeine Unvollkommenheit angetroffen, und obwohl täu1

Obj. V : 308, 1.

52,23

53,23

60

53,30

54,4

vi e r te m e d i tat i o n

schen zu können ein Argument für Scharfsinn oder Macht zu sein scheint, bezeugt täuschen zu wollen zweifelsohne entweder Schlechtigkeit oder Schwäche, und kann demnach in Gott nicht stattfinden. Außerdem erfahre ich, daß es in mir ein gewisses Urteilsvermögen gibt, das ich sicherlich von Gott erhalten habe, wie alles übrige auch, das in mir ist ; und da er mich nicht täuschen will, hat er es mir demnach als ein solches gegeben, daß ich mich niemals irren kann, solange ich es richtig verwende. Über diesen Sachverhalt bestände nicht der geringste Zweifel, wenn daraus nicht zu folgen schiene, daß ich mich demnach niemals irren kann ; denn wenn ich alles, was in mir ist, von Gott habe, und er mir keinerlei Vermögen zu irren gegeben hat, scheine ich niemals irren zu können. Dementsprechend entdecke ich auch keine Ursache des Irrtums oder der Falschheit, solange ich nur an Gott denke und ich mich völlig ihm zuwende. Sobald ich mich aber wieder mir selbst zuwende, erfahre ich, daß ich dennoch unzähliger Irrtümer ausgesetzt bin ; und wenn ich deren Ursache erforsche, bemerke ich, daß mir nicht nur die reale und positive Idee Gottes, also die Idee eines allervollkommensten Seienden, vorschwebt, sondern auch die, um es einmal so auszudrücken, gewissermaßen negative Idee des Nichts, also die Idee dessen, was von aller Vollkommenheit am weitesten entfernt ist. Ich erfahre also, daß ich gleichsam als ein mittleres Etwas so zwischen Gott und das Nichts, bzw. zwischen das höchste Seiende und das Nicht-Seiende gesetzt bin,1 daß zwar, insofern ich vom höchsten Seienden geschaffen bin, nichts in mir ist, durch das ich getäuscht oder zum Irrtum verleitet werden könnte, es aber nicht besonders verwunderlich ist, daß ich mich täusche, insofern ich gewissermaßen auch am Nichts, bzw. am Nicht-Seienden teilhabe, will sagen : insofern ich nicht selbst ein höchstes Seiendes bin, und mir außerordentlich viel mangelt.2 Und so sehe ich sicher ein, daß der Irrtum, insofern er ein Irrtum ist, kein reales Etwas ist, das von Gott abhinge, sondern 1

Obj. V : 308, 3–5.

2

Resp. V : 374, 10–14.

vi e r t e m e d i tat i o n

61

nur ein Mangel. Demnach benötige ich zum Irren kein zu diesem Zweck von Gott beigelegtes Vermögen,1 sondern weil das von ihm erhaltene Vermögen, das Wahre zu beurteilen, in mir nicht unendlich ist, passiert es, daß ich mich irre. Indessen ist dies noch nicht völlig überzeugend. Der Irrtum ist nämlich keine reine Negation, sondern eine Privation, bzw. die Unverfügbarkeit einer Erkenntnis, die in irgendeiner Weise in mir sein müßte ; wenn man außerdem die Natur Gottes berücksichtigt, dann scheint es unmöglich zu sein, daß er irgendein Vermögen in mich hineingelegt hat, das nicht in seiner Art vollkommen wäre, bzw. das irgendeiner unabdingbaren Vollkommenheit beraubt wäre. Denn wenn ein Techniker um so vollkommenere Werke hervorbringt, je erfahrener er ist : was könnte von jenem höchsten Begründer aller Dinge stammen, das nicht in jeder Hinsicht vollendet wäre ? Und es besteht kein Zweifel, daß Gott mich so hätte erschaffen können, daß ich mich niemals täuschen würde ; und es besteht auch kein Zweifel, daß er stets das will, was das beste ist : Ist es demnach etwa besser, daß ich mich täusche, als daß ich mich nicht täusche ? Wenn ich dies aufmerksamer abwäge, findet sich erstens, daß es nicht verwunderlich ist, wenn durch Gott etwas geschieht, dessen Gründe ich nicht einsehe,2 und daß ich nicht deshalb an seiner Existenz zweifeln darf, weil ich vielleicht erfahre, daß es noch manches andere gibt, von dem ich nicht verstehe, weshalb oder auf welche Weise es von ihm gemacht worden ist. Denn ich weiß ja bereits, daß meine Natur sehr unzulänglich und begrenzt ist, die Natur Gottes hingegen unermeßlich, unergründlich, unendlich, und deshalb weiß ich auch bereits, daß er Unzähliges vermag, dessen Ursachen mir unbekannt sind. Ich bin aus diesem einen Grund der Ansicht, daß die gesamte Gattung der Ursachen, die aus dem Zweck entnommen werden, in der Physik unbrauchbar ist.3 Denn es gehört ein gewisser

1

Obj. III : 190, 2–5.

2

Obj. V : 308, 15–16.

3

Obj. V : 308, 25–26.

54,31

55,14

62

55,27

56,9

vi e r te m e d i tat i o n

Übermut dazu, zu meinen, die Zwecke Gottes untersuchen zu können.1 Es findet sich auch, daß immer dann, wenn wir erforschen, ob die Werke Gottes vollkommen sind, nicht irgendein einzelnes Geschöpf abgetrennt von den anderen, sondern die Gesamtheit der Dinge insgesamt betrachtet werden muß ; was nämlich vielleicht nicht ganz zu unrecht als sehr unvollkommen erscheinen würde, wenn es allein wäre, ist ganz vollkommen, insofern es in der Welt nur die Funktion eines Teiles hat.2 Obwohl ich nun deshalb, weil ich alles bezweifeln wollte, bis jetzt nichts als sicher erkannt habe, außer daß ich und Gott existieren, kann ich gleichwohl deshalb, weil ich die unermeßliche Macht Gottes bemerkt habe, nicht bestreiten, daß vieles andere von ihm erzeugt worden ist, oder zumindest erzeugt werden kann, so daß ich selbst die Funktion eines Teiles innerhalb der Gesamtheit der Dinge innehabe. Außerdem : Wenn ich mich näher mit mir befasse und untersuche, wie meine Irrtümer beschaffen sind (die eine Unvollkommenheit offenbaren, die allein in mir liegt), dann stelle ich fest, daß sie von zwei gleichzeitig zusammenwirkenden Ursachen abhängen, nämlich vom Erkenntnisvermögen, das in mir ist, und von dem Vermögen zu wählen,3 bzw. von der Freiheit der Willkür,4 will sagen : vom Verstand und zugleich vom Willen. Denn durch den bloßen Verstand erfasse ich nur die Ideen, über die ich ein Urteil fällen kann, und in ihm genau so aufgefaßt werden keinerlei Irrtümer im eigentlichen Sinne angetroffen. Auch wenn nämlich vielleicht unzählige Dinge existieren mögen, von denen keine Ideen in mir sind, darf ich gleichwohl nicht sagen, ich sei ihrer im eigentlichen Sinne beraubt, sondern nur negativ, ich sei ihrer ledig, weil ich nämlich keine Begründung beibringen kann, durch die ich nachweisen könnte, daß Gott mir ein größeres Erkenntnisvermögen hätte verleihen müssen, als er mir verliehen hat. Und obwohl ich einsehe, daß er ein unglaublich 1

Obj. V : 310, 2. 2 Obj. V : 310, 29–311, 1. 3 Fähigkeit, zu wählen] 1. Auflage Fähigkeit, einzusehen 4 Obj. III : 190, 15–18.

63

vi e r t e m e d i tat i o n

erfahrener Techniker ist, so meine ich deswegen doch nicht, daß er in jedes einzelne seiner Werke alle Vollkommenheiten hätte hineinlegen müssen, die er in einige hineinlegen kann.1 Auch kann ich mich nicht beklagen, daß ich von Gott keinen ausreichend umfassenden und vollkommenen Willen, bzw. eine etwa nur eingeschränkte Freiheit der Willkür erhalten hätte, erfahre ich doch, daß diese Freiheit, bzw. der Wille durch überhaupt keine Grenzen eingeschränkt wird.2 Worauf aber, wie mir scheint, nachdrücklich hingewiesen werden muß, ist die Tatsache, daß nur der Wille in mir so vollkommen ist und ein solches Ausmaß besitzt. Es gibt nichts anderes in mir, von dem ich nicht einsähe, daß es noch vollkommener bzw. größer sein könnte. Denn betrachte ich zum Beispiel das Einsichtsvermögen, so erkenne ich sofort, daß es in mir äußerst gering und nur endlich ist, und zugleich bilde ich die Idee eines anderen, viel größeren, ja sogar eines größten und unendlichen,3 und erfasse allein dadurch, daß ich die Idee dieses Vermögens bilden kann, daß diese Idee der Natur Gottes zukommt. Wenn ich nun auf demselben Weg das Erinnerungsvermögen oder das Vorstellungsvermögen oder irgendein beliebiges anderes Vermögen prüfe, so finde ich schlicht keines vor, von dem ich nicht einsähe, daß es in mir schwach und eingeschränkt, in Gott aber unermeßlich ist. Es ist allein der Wille, bzw. die Freiheit der Willkür, die ich in mir als so groß erfahre, daß ich die Idee keines größeren Dinges auffassen kann – so daß es in erster Linie diese Idee ist, im Hinblick worauf ich mich gewissermaßen als Bild und Abbild Gottes verstehe. Denn obwohl dieses Vermögen in Gott unvergleichlich größer als in mir ist, sowohl im Hinblick auf die Erkenntnis und die Macht, die mit ihm verbunden sind und es sehr fest und wirksam machen, als auch im Hinblick auf das Objekt, weil es sich ja auf vieles erstreckt, scheint es gleichwohl in sich formal und genau betrachtet nicht größer zu sein.4 Denn es besteht ja lediglich darin, daß wir dasselbe tun oder lassen können (will 1

Obj. 312, 13–18. 315, 11–13.

2

Obj. VI : 416, 24 ff.

3

Obj. V : 315, 6–8.

4

Obj. V :

64

58,14

vi e r te m e d i tat i o n

sagen : es behaupten oder bestreiten, es anstreben oder vermeiden können), oder vielmehr : es besteht lediglich darin, daß wir uns zu dem, was uns vom Verstand vorgelegt wird, um es zu behaupten oder zu bestreiten, bzw. anzustreben oder zu vermeiden, so verhalten können, daß wir empfinden, keine äußere Kraft bestimme uns zur Entscheidung. Um frei zu sein, ist es nämlich nicht nötig, daß ich mich nach beiden Seiten hin tatsächlich gleich verhalten kann, sondern im Gegenteil : Je mehr ich zu der einen Seite neige – entweder weil ich auf dieser Seite den Grund des Wahren und Guten evident einsehe, oder weil Gott mein innerstes Denken so angelegt hat – desto freier wähle ich sie. Und tatsächlich vermindern weder die göttliche Gnade noch die natürliche Erkenntnis jemals die Freiheit, sondern vergrößern und kräftigen sie vielmehr.1 Jene Indifferenz aber, die ich erfahre, wenn kein Grund mich mehr zu der einen Seite als zu der anderen drängt, ist der niedrigste Grad der Freiheit, und in ihr bezeugt sich keine Vollkommenheit, sondern lediglich ein Mangel an Erkenntnis, bzw. eine bestimmte Negation. Wenn ich nämlich immer klar sähe, was das Wahre und das Gute ist, müßte ich niemals über das, was zu beurteilen oder zu wählen wäre, einen Entschluß fassen, und könnte so niemals indifferent, obwohl doch völlig frei sein. Aufgrund dessen erfasse ich, daß weder die Kraft, zu wollen, die ich von Gott habe, für sich genommen die Ursache meiner Irrtümer ist, denn sie ist äußerst umfassend und in ihrer Art vollkommen, noch die Kraft, einzusehen ; denn alles, was ich einsehe, sehe ich zweifelsohne richtig ein, da ich es ja von Gott habe, daß ich einsehe, und es insofern unmöglich ist, daß ich mich täusche. Woraus also werden meine Irrtümer geboren ?2 Nun – allein daraus, daß ich, weil der Wille weiter auslangt als der Verstand, ihn nicht in denselben Grenzen halte, sondern auch auf das ausweite, was ich nicht einsehe ;3 da er diesbezüglich indifferent ist, weicht er leicht vom Wahren und Guten ab, und so täusche ich mich und gehe fehl. 1

Resp. II : 149, 1–2.

2

Obj. V : 314, 13–14.

3

Obj. V : 315, 18–20.

65

vi e r t e m e d i tat i o n

Als ich1 zum Beispiel in diesen Tagen prüfte, ob irgendetwas in der Welt existierte, und feststellte, daß allein daraus, daß ich dies prüfe, evident folge, daß ich existiere, konnte ich gar nicht umhin, zu urteilen, daß das, was ich so klar einsah, wahr sei ; und zwar nicht, weil ich von irgendeiner äußeren Kraft dazu getrieben worden war, sondern weil sich aus dem großen Licht im Verstand eine starke Neigung im Willen ergeben hat, habe ich dies von selbst und frei um so mehr geglaubt, je weniger indifferent ich in bezug darauf gewesen bin.2 Jetzt aber weiß ich nicht nur, daß ich existiere, insofern ich ein gewisses denkendes Ding bin, sondern ich sehe mich auch der Idee einer gewissen körperlichen Natur gegenüber, und so passiert es, daß ich zweifle, ob die denkende Natur, die in mir ist, oder vielmehr : die ich selbst bin, eine von dieser körperlichen Natur verschiedene ist, oder ob beide ein und dasselbe sind. Setze ich nun voraus, daß sich bislang meinem Verstand keine Begründung dargeboten hat, die mich mehr von dem einen als von dem anderen überzeugt hätte,3 so bin ich sicherlich schon allein deswegen indifferent, das eine oder das andere zu behaupten oder zu bestreiten, oder auch nichts über diese Sache zu urteilen. Diese Indifferenz erstreckt sich ja sogar über das hinaus, von dem der Verstand schlicht überhaupt nichts erkennt, allgemein auch auf alles, was von ihm zu derselben Zeit, zu der der Wille darüber einen Entschluß faßt, nicht hinreichend transparent erkannt wird. Denn auch wenn beliebig glaubhafte Vermutungen mich auf die eine Seite ziehen, so reicht doch allein die Erkenntnis aus, daß es lediglich Vermutungen, nicht aber sichere und unbezweifelbare Überlegungen sind, um meine Zustimmung zum Gegenteil zu drängen.4 Das habe ich in diesen Tagen zur Genüge erfahren, als ich alles das, was ich zuvor als äußerst wahr geglaubt hatte,5 allein deshalb als schlicht falsch vorausgesetzt habe, weil ich entdeckt hatte, daß es in irgendeiner Weise bezweifelt werden könne. 1

Obj. V : 316, 1 ff. 2 Obj. III : 191, 16–24. 316, 15–19. 5 Obj. V : 316, 26–317, 1.

3

Obj. V : 316, 8–9.

4

Obj. V :

58,26

59,15

66 59,28

60,11

60,20

60,26

vi e r te m e d i tat i o n

Wenn ich aber nicht ausreichend klar und deutlich erfasse, was das Wahre ist, ist es klar, daß ich richtig handele und mich nicht täusche, wenn ich nur davon absehe, ein Urteil zu fällen. Behaupte oder bestreite ich aber, dann verwende ich die Freiheit der Willkür nicht richtig, und ich täusche mich völlig, wenn ich mich auf die Seite dessen schlage, was falsch ist ; vertrete ich indes die andere, treffe ich zwar durch Zufall die Wahrheit, werde deshalb aber noch nicht der Verantwortung dafür entbunden sein : Denn es ist durch das Natürliche Licht offenkundig, daß stets die Erfassung des Verstandes der Bestimmung des Willens vorhergehen muß. In dieser nicht richtigen Ausübung der freien Willkür ist jene Privation enthalten, die die Form des Irrtums ausmacht.1 Ich behaupte : diese Privation liegt in der Operation selbst, insofern sie von mir selbst herrührt, jedoch weder in dem Vermögen, das ich von Gott erhalten habe, noch in der Operation, insofern sie von Gott abhängt.2 Ich habe nämlich keine Ursache, mich zu beklagen, daß Gott mir keine größere Kraft, einzusehen, bzw. kein größeres Natürliches Licht gegeben hat als er es getan hat. Denn es liegt in der Beschaffenheit des endlichen Verstandes, daß er vieles nicht einsieht, und in der Beschaffenheit des geschaffenen Verstandes, daß er endlich ist. Statt dessen sollte ich ihm, der mir niemals irgendetwas schuldig geblieben ist, für das danken, was mir geschenkt wurde,3 und nicht vermeinen, er habe mich dessen beraubt, bzw. mir weggenommen, was er mir nicht gegeben hat. Ich habe auch keine Ursache, mich zu beklagen, daß er mir einen Willen gegeben hat, der weiter reicht als der Verstand. Da der Wille nämlich nur in einem einzigen Ding, und gewissermaßen im Unteilbaren besteht, scheint seine Natur es nicht zu erlauben, daß irgendetwas von ihm weggenommen werden könnte. Und wirklich schulde ich seinem Spender um so größeren Dank, je umfassender der Wille ist. Zu guter Letzt darf ich mich auch nicht beklagen, daß Gott 1

Obj. III : 192, 14–15 ; Obj. V : 317, 6–7. 313, 10–12.

2

Obj. V : 313, 4–7.

3

Obj. V :

67

vi e r t e m e d i tat i o n

mit mir zusammenwirkt, um jene Akte des Willens zu entwickeln, bzw. bei jenen Urteilen, in denen ich mich täusche : diese Akte sind nämlich insgesamt wahr und gut, insofern sie von Gott abhängen, und es ist dadurch in mir gewissermaßen eine größere Vollkommenheit, daß ich sie entwickeln kann, als wenn ich es nicht könnte. Die Privation aber, in der allein der formale Grund der Falschheit und der Verantwortung besteht, bedarf keiner Unterstützung Gottes, weil sie kein Ding ist, und deshalb darf man sie auf Gott als Ursache bezogen auch nicht als Privation, sondern lediglich als Negation bezeichnen.1 Denn tatsächlich ist es keine Unvollkommenheit in Gott, daß er mir die Freiheit gegeben hat, Dingen zuzustimmen oder nicht zuzustimmen, deren klare und deutliche Erfassung er meinem Verstand versagt hat, sondern es ist zweifelsohne eine Unvollkommenheit in mir, daß ich diese Freiheit nicht gut verwende, und über das ein Urteil fälle, das ich nicht richtig einsehe. Gleichwohl sehe ich, daß es Gott leicht möglich gewesen wäre, zu bewirken, daß ich mich niemals irrte, auch wenn ich frei und von endlicher Erkenntnis bliebe : nämlich indem er entweder meinem Verstand eine klare und deutliche Erfassung alles dessen verliehen hätte, worüber ich jemals einen Entschluß zu fassen hätte, oder einfach indem er meinem Gedächtnis so fest, daß ich es niemals vergessen könnte, eingeprägt hätte, niemals über irgendein Ding zu urteilen, das ich nicht klar und deutlich einsähe. Leicht sehe ich ein, daß ich, wenn ich als ein solcher von Gott erzeugt worden wäre, im Hinblick auf mich als Ganzes vollkommener geworden wäre als ich jetzt bin ; aber deswegen kann ich doch nicht bestreiten, daß in gewisser Hinsicht dadurch eine größere Vollkommenheit in der Gesamtheit der Dinge insgesamt liegt, weil bestimmte Teile von ihr gegen Irrtümer nicht gefeit sind, andere aber sehr wohl, als wenn alle völlig gleich wären.2 Kein Recht aber habe ich, mich zu beklagen, daß Gott mir in der Welt eine Rolle zuzuweisen gewillt war, die weder die vorzüglichste noch die vollkommenste von allen ist.3 1

Obj. V : 313, 15–21.

2

Obj. V : 311, 11–14.

3

Obj. V : 312, 3–5.

68 61,27

62,8

vi e r te m e d i tat i o n

Außerdem : Auch wenn ich mich nicht in der Weise vor Irrtümern bewahren kann, die von der evidenten Erfassung alles dessen abhängt, worüber ein Entschluß gefaßt werden muß, so kann ich es gleichwohl in der anderen, allein davon abhängenden Weise, indem ich mich erinnere, daß man sich eines Urteils enthalten muß, solange die Wahrheit eines Dinges nicht offen zutage liegt.1 Denn obwohl ich die Unzulänglichkeit in mir erfahre, mich nicht unausgesetzt auf ein und dieselbe Erkenntnis konzentrieren zu können, so kann ich doch durch aufmerksame und oft wiederholte Meditation bewirken, daß ich mich dessen erinnere, sobald es erfordlich ist, und kann auf diese Weise so etwas wie eine Gesinnung erwerben, mich nicht zu irren. Da in dieser Sache die größte und vorzüglichste Vollkommenheit des Menschen besteht, bin ich der Ansicht, dadurch nicht wenig gewonnen zu haben, daß ich in der heutigen Meditation die Ursache des Irrtums und der Falschheit untersucht habe. Und tatsächlich kann es keine Ursache geben, die verschieden von der wäre, die ich erklärt habe. Denn solange ich den Willen beim Fällen der Urteile so im Zaum halte, daß er sich nur auf das erstreckt, was ihm vom Verstand klar und deutlich dargestellt wird, ist es unmöglich, daß ich mich irre. Denn jede klare und deutliche Erfassung ist zweifelsohne etwas, und kann demnach nicht aus dem Nichts entstanden sein, sondern hat notwendig Gott zum Urheber – jener höchst vollkommene Gott, sage ich, dem es widerspricht, ein Schwindler zu sein –, und ist daher zweifelsohne wahr. Heute habe ich nicht nur gelernt, was ich vermeiden muß, damit ich mich niemals täusche, sondern zugleich auch, was ich tun muß, damit ich die Wahrheit erlange. Denn ich werde tatsächlich die Wahrheit erlangen, wenn ich nur das, was ich vollkommen einsehe, genügend berücksichtige und es von allem übrigen trenne, das ich verworrener und dunkler auffasse.2 Genau um diese Sache werde ich mich künftig bemühen.

1

Obj. V : 312, 25–28.

2

Obj. V : 317, 25–29.

F Ü N F TE M EDITATION

Über das Wesen der materiellen Dinge ; und erneut über Gott, daß er existiert.

Mir bleiben noch viele Attribute Gottes übrig, vieles gilt es noch in bezug auf die Natur meiner selbst, bzw. meines Geistes zu untersuchen, aber das will ich vielleicht ein anderes Mal wieder aufnehmen. Jetzt aber (nachdem ich bemerkt habe, was vermieden und getan werden muß, um die Wahrheit zu erlangen) scheint mir nichts vordringlicher zu sein, als zu versuchen, mich aus den Zweifeln wieder herauszuarbeiten, in die ich in den vorangegangenen Tagen hineingeraten bin, und nachzusehen, ob sich in bezug auf die materiellen Dinge irgendetwas Sicheres gewinnen läßt. Bevor ich nun erforsche, ob irgendwelche solchen Dinge außerhalb von mir existieren, muß ich ihre Ideen betrachten, insofern sie in meinem Denken sind, und nachsehen, welche von ihnen deutlich und welche verworren sind. Nun – deutlich stelle ich mir vor : die Quantität, die die Philosophen gemeinhin kontinuierlich nennen, bzw. die Ausdehnung dieser Quantität, oder vielmehr : die Ausdehnung des so und so großen Dinges in Länge, Breite und Tiefe. In dieser Ausdehnung zähle ich vielfältige Teile, und ich weise jedem dieser Teile Größen, Gestalten, Lagen und örtliche Bewegungen, und diesen Bewegungen bestimmte (An-)Dauern zu.1 Diese Dinge sind mir aber nicht nur so im allgemeinen betrachtet völlig bekannt und durchschaut, sondern wenn ich sie berücksichtige, erfasse ich darüber hinaus auch unzählige Besonderheiten über die Gestalten, über die (An-)Zahl, über die Bewegung und dergleichen, deren Wahrheit derartig offenkundig ist und meiner Natur entspricht, daß ich, während ich sie das erste Mal aufdecke, weniger etwas Neues hinzuzulernen als 1

Obj. V : 318, 17–19.

63,4

63,12

63,16

63,22

70

64,6

64,25

fü n f t e m ed itati o n

mich vielmehr dessen zu besinnen scheine, was ich zuvor bereits wußte, bzw. zum ersten Mal etwas zu beachten scheine, was zwar schon längst in mir war, freilich ohne daß ich vorher den Blick des Geistes auf es gerichtet hätte. Was hierbei meiner Meinung nach vor allem betrachtet werden muß, ist Folgendes : Ich finde in mir unzählige Ideen irgendwelcher Dinge vor, von denen auch dann nicht gesagt werden kann, daß sie nichts sind, wenn sie außerhalb von mir vielleicht nirgends existieren. Und obwohl ich sie gewissermaßen nach Willkür denke, bilde ich sie gleichwohl nicht ein, sondern sie haben ihre wahren und unveränderlichen Naturen. Wenn ich mir zum Beispiel ein Dreieck vorstelle, so ist seine Natur, bzw. sein Wesen oder auch seine Form sicherlich eine ganz bestimmte, unveränderliche und ewige,1 die weder von mir selbst ausgebildet ist, noch von meinem Geist abhängt, auch wenn vielleicht eine solche Figur nirgendwo außerhalb meines Denkens existiert, und auch niemals existiert hat. Dies wird daran offenkundig, daß vielfältige Eigenschaften dieses Dreiecks bewiesen werden können :2 Seine drei Winkel sind zwei rechten Winkeln gleich, seinem größten Winkel liegt die größte Seite gegenüber, und dergleichen, das ich, ob ich nun will oder nicht, jetzt klar erkenne, auch wenn ich vorher daran überhaupt nicht gedacht hatte, wenn ich mir ein Dreieck vorgestellt habe. Demnach habe ich diese Eigenschaften auch nicht selbst ausgebildet.3 Außerdem ist es für die Sache ohne Belang, wenn ich sage, diese Idee des Dreiecks sei vielleicht von äußeren Dingen durch die Sinnesorgane zu mir gelangt, etwa weil ich zuweilen Körper gesehen habe, die eine dreieckige Gestalt besitzen. Ich kann mir nämlich unzählige andere Figuren ausdenken, in bezug auf die kein Verdacht bestehen kann, daß sie jemals durch die Sinne in mich eingedrungen wären – und doch kann ich vielfältige ihrer Eigenschaften nicht weniger beweisen als die des Dreiecks, und zwar solche, die alle wahr sind, da sie ja von mir klar er1

Obj. I : 93, 10–13 ; Resp. I : 104, 20–23. 318, 21–319, 7.

2

Obj. III : 193, 2–9.

3

Obj. V :

fü n f te me d i tati o n

71

kannt werden. Demnach sind diese Figuren etwas, und nicht ein bloßes Nichts ; denn es ist offenkundig, daß alles, was wahr ist, etwas ist. Außerdem habe ich bereits ausführlich bewiesen, daß alles, was ich klar erkenne, wahr ist. Aber selbst wenn ich das nicht bewiesen hätte, so ist die Natur meines Geistes doch sicherlich so, daß ich gleichwohl gar nicht umhin könnte, ihnen zuzustimmen, zumindest, solange ich sie klar erfasse. Auch erinnere ich mich, daß ich immer, auch schon zu der Zeit, als ich in die Objekte der Sinne verstrickt war, solcherlei Wahrheiten evident erkannte, die Figuren oder Zahlen betrafen, oder in den Bereich der Arithmetik oder Geometrie oder im allgemeinen der reinen und abstrakten Erkenntnis (mathesis pura atque abstracta) gehörten, und sie für die sichersten von allen gehalten habe. Wenn nun aber allein daraus, daß ich die Idee irgendeines Dinges aus meinem Denken hervorholen kann, folgt, daß tatsächlich alles das dem Ding zukommt, von dem ich klar und deutlich erfasse, daß es ihm zukommt – kann daraus etwa auch ein Argument gewonnen werden, durch das die Existenz Gottes nachgewiesen würde ? Sicherlich finde ich die Idee Gottes, nämlich die eines höchstvollkommenen Seienden, nicht weniger in mir vor als die Idee irgendeiner beliebigen Figur oder Zahl. Auch sehe ich nicht weniger klar und deutlich ein, daß es zu seiner Natur gehört, immer zu existieren,1 als ich klar und deutlich einsehe, daß das, was ich in bezug auf irgendeine Figur oder Zahl beweise, auch zur Natur dieser Figur oder Zahl gehört.2 Auch wenn nicht alles wahr wäre, was ich in den vergangenen Tage meditiert habe, so müßte demnach die Existenz Gottes in mir zumindest in demselben Maße Gewißheit besitzen, wie bislang die Wahrheiten der Mathematik.3 Indessen ist dies auf den ersten Blick nicht völlig transparent, sondern erweckt einen gewissen Anflug (species) von Sophismus. Da ich nämlich gewöhnt bin, bei allen anderen Dingen die 1

existieren] 1. Auflage : aktuell zu existieren. 3 Obj. I : 97, 20–22.

2

Resp. I : 114, 24–115, 2.

65,16

66,2

72

66,16

66,26

fü n f t e m ed itati o n

Existenz vom Wesen zu unterscheiden,1 rede ich mir leicht ein, daß auch die Existenz vom Wesen Gottes abgesondert werden und auf diese Weise Gott als nicht-existierend gedacht werden könne. Doch jedem, der es sorgfältiger berücksichtigt, wird offenkundig, daß die Existenz vom Wesen Gottes genausowenig abgetrennt werden kann wie die Tatsache, daß die Größe der drei Winkel eines Dreiecks zwei rechten entspricht, von dem Wesen des Dreiecks, oder wie die Idee des Tales von der Idee des Berges abgetrennt werden kann. Demnach ist es ebenso widersprüchlich, einen Gott (also ein höchstvollkommenes Seiendes) zu denken, dem die Existenz fehlt (dem also eine Vollkommenheit fehlt), als einen Berg zu denken, dem das Tal fehlt.2 Gleichwohl : Zwar kann ich Gott nur als Existierenden denken, genauso, wie ich einen Berg nur mit Tal denken kann. Aber sicherlich folgt daraus, daß ich Gott als Existierenden denke, noch nicht, daß Gott existiert, ebensowenig, wie daraus, daß ich einen Berg mitsamt Tal denke, ja nicht folgt, daß es überhaupt irgendeinen Berg auf der Welt gibt. Mein Denken verleiht den Dingen nämlich keine Notwendigkeit. Ebenso, wie man sich ein geflügeltes Pferd vorstellen mag, obwohl doch kein Pferd Flügel besitzt, ebenso kann ich vielleicht auch Gott Existenz andichten, obwohl kein Gott existiert.3 Hier aber verbirgt sich der Sophismus : Denn daraus, daß ich den Berg nicht denken kann außer zusammen mit dem Tal, folgt nicht, daß irgendwo ein Berg und ein Tal existieren, sondern nur, daß Berg und Tal, sie mögen existieren oder nicht, nicht voneinander abgesondert werden können. Dagegen folgt daraus, daß ich Gott nicht denken kann außer als Existierenden, daß die Existenz unabtrennbar von Gott ist, und er demnach tatsächlich existiert4 – nicht etwa, weil mein Denken dies bewirkte, oder es irgendeinem Sachverhalt irgendeine Notwendigkeit verliehe, sondern ganz im Gegenteil, weil die Notwendigkeit des Sachverhalts selbst, nämlich die Notwendigkeit der Existenz Gottes 1

Obj. V : 324, 1–2. 2 Obj. I : 97, 22–25 ; Obj. V : 322, 13–20. 324, 8–11. 4 Obj. I : 98, 30–99, 3.

3

Obj. V :

73

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mich bestimmt, dies so zu denken. Denn es steht mir nicht frei, Gott ohne Existenz (also das höchstvollkommene Seiende ohne die höchste Vollkommenheit) zu denken, wie es mir freisteht, mir ein Pferd entweder mit oder ohne Flügel vorzustellen.1 Auch darf man hier nicht sagen : »Es ist zwar notwendig, Gott als Existierenden zu setzen, nachdem ich gesetzt habe, daß er alle Vollkommenheiten besitzt ; denn die Existenz ist eben eine dieser Vollkommenheiten. Hingegen ist diese erste Setzung ja keineswegs notwendig gewesen. Denn es ist ja ebensowenig notwendig, zu meinen, alle vierseitigen Figuren könnten einem Kreis eingeschrieben werden ; denn gesetzt, daß ich dies meinte, würde es notwendig werden, einzuräumen, ein Rhombus könne einem Kreis eingeschrieben werden, was doch wohl offenbar falsch ist.«2 Nun – auch wenn es nicht notwendig ist, daß ich jemals irgendeinen Gedanken über Gott anstelle, so ist es dennoch notwendig, ihm immer dann alle Vollkommenheiten zu verleihen, wenn ich darauf verfalle, an ein erstes und höchstes Seiendes zu denken, also die Idee eines solchen Seienden gleichsam aus der Schatztruhe meines Geistes hervorhole, auch wenn ich dabei weder alle Vollkommenheiten aufzähle, noch alle einzelnen berücksichtige. Diese Notwendigkeit reicht völlig aus, damit ich später, wenn ich bemerke, daß die Existenz eine Vollkommenheit ist, richtig schließe, daß ein erstes und oberstes Seiendes existiert.3 Es ist nämlich auch nicht notwendig, daß ich mir überhaupt jemals ein Dreieck vorstelle ; sooft ich aber eine geradlinige Figur betrachten will, die lediglich drei Winkel besitzt, ist es notwendig, ihm solche Winkel beizulegen, aus denen richtig hergeleitet werden kann, daß seine drei Winkel nicht größer als zwei rechte sind, auch wenn ich dies dann noch nicht beachte.4 Prüfe ich aber, welche Figuren eigentlich einem Kreis eingeschrieben werden können, so ist es keineswegs notwendig, zu meinen, alle vierseitigen Figuren gehörten zu dieser Gruppe,

1

Obj. V : 324, 22–25. 4 Obj. V : 325, 17–22.

2

Obj. V : 325, 28–326, 4.

3

Obj. V : 325, 7–8.

67,12

74

68,21

fü n f t e m ed itati o n

ganz im Gegenteil : Solange ich nur das gelten lassen will, was ich klar und deutlich einsehe, kann ich genau das noch nicht einmal konstruieren. Demnach besteht also ein großer Unterschied zwischen solchen falschen Setzungen und den in mir verwurzelten wahren Ideen, deren erste und oberste die Idee Gottes ist. Denn daß sie tatsächlich kein fiktives, von meinem Denken abhängendes Etwas, sondern das Bild einer wahren und unveränderlichen Natur ist, sehe ich auf viele verschiedene Weisen ein : Erstens, weil ich mir kein anderes Ding ausdenken kann, zu dessen Wesen die Existenz gehört, außer Gott allein. Sodann, weil ich nicht zwei oder mehrere solche Götter einsehen kann ; und weil, gesetzt, daß einer bereits existiert, es offen als notwendig zutage liegt, daß er sowohl ewig existiert hat, als auch ewig Bestand haben wird.1 Und zuletzt, weil ich vieles andere in Gott erfasse, von dem ich nichts fortnehmen oder verändern kann.2 Welchen Beweisgrund auch immer ich letztlich verwenden mag, stets läuft es darauf hinaus, daß allein das mich völlig überzeugt, was ich klar und deutlich erfasse. Wenn sich auch von dem, was ich in dieser Weise erfasse, etliches jederman geradezu aufdrängt, wird etliches andere jedoch nur von denen aufgedeckt, die genauer in es hineinblicken und es sorgfältiger untersuchen. Nachdem es jedoch aufgedeckt ist, sind alle der Ansicht, daß letzteres nicht weniger sicher ist als jenes. So fällt es nicht so leicht in die Augen, daß im rechtwinkligen Dreieck das Quadrat über der Grundlinie den Quadraten über den Seiten entspricht, wie daß diese Grundlinie dem größten Winkel dieses Dreiecks gegenüberliegt ; dennoch glauben alle ersteres nicht weniger, wenn sie es erst einmal durchschaut haben. Was aber Gott betrifft, so würde ich nichts früher und leichter erkennen als ihn, wäre ich nicht mit Vorurteilen überschüttet und würden die Bilder sinnlicher Dinge mein Denken nicht größtenteils mit Beschlag belegen ; denn was ist aus sich selbst

1

Obj. IV : 211, 18–20.

2

Obj. V : 326, 8–13.

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heraus offenkundiger, als daß es ein höchstes Seiendes gibt, bzw. daß ein Gott existiert, dem Existenz allein schon deswegen zukommt, weil sie in seinem Wesen liegt ? Obwohl eine aufmerksame Betrachtung nötig gewesen ist, um eben das zu erkennen, bin ich mir dessen nicht nur genau so sicher wie alles anderen, das mir äußerst sicher zu sein scheint, sondern ich bemerke darüber hinaus auch, daß die Gewißheit der übrigen Dinge genau davon so abhängt, daß ohne es nichts jemals vollkommen gewußt werden kann.1 Auch wenn ich nämlich eine solche Natur habe, daß ich gar nicht umhin kann, zu glauben, etwas sei wahr, solange ich es äußerst klar und deutlich erfasse, so habe ich anderseits auch eine solche Natur, daß ich den Blick des Geistes nicht unentwegt auf dasselbe Ding richten kann, um es klar zu erfassen. Mitunter aber bringt das Gedächtnis ein zuvor gefälltes Urteil wieder zurück, und wenn ich dann die Gründe nicht mehr berücksichtige, aufgrund derer ich Dinge so beurteilt habe, wie ich es tat,2 können andere Gründe beigebracht werden, die mich leicht von meiner Meinung abbringen würden, wenn mir Gott unbekannt wäre, so daß ich niemals ein wahres und sicheres Wissen über irgendein Ding hätte, sondern nur unbestimmte und veränderliche Meinungen. Betrachte ich zum Beispiel die Natur des Dreiecks, dann erscheint es mir zwar solange als ganz evident, daß seine drei Winkel zwei rechten entsprechen, wie ich den Beweis berücksichtige und mir die Prinzipien der Geometrie vertraut sind, und ich kann nicht umhin, zu glauben, es sei wahr ; sobald ich aber die Schärfe des Geistes davon abgelenkt habe, kann es ganz leicht vorkommen, daß ich, wenn Gott mir unbekannt ist, zweifle, ob es wahr ist, obwohl ich mich immer noch erinnere, es äußerst klar durchschaut zu haben. Ich kann mir nämlich einreden, ich sei von der Natur so eingerichtet, daß ich mich mitunter in dem täusche, das ich am evidentesten zu erfassen meine, insbesondere wenn ich mich erinnere, daß ich oft

1

Obj. V : 326, 16–19.

2

Resp. II : 140, 12–16.

69,10

69,16

76

70,10

71,3

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vieles für wahr und sicher gehalten habe, von dem ich bald darauf, durch andere Gründe verleitet, geurteilt habe, es sei falsch. Seitdem1 ich jedoch erfaßt habe, daß es einen Gott gibt, und ich damit einhergehend eingesehen habe, daß alles Übrige von ihm abhängt und er kein Schwindler ist, und ich daraus gefolgert habe, daß alles, was ich klar und deutlich erfasse, notwendig wahr ist : dann läßt sich kein Gegengrund anführen, der mich zum Zweifeln drängt, sondern ich besitze selbst dann ein wahres und sicheres Wissen darüber, wenn ich die Gründe nicht mehr berücksichtige, aufgrund derer ich geurteilt habe, daß es wahr ist, solange ich mich nur erinnere, es klar und deutlich durchschaut zu haben – und nicht nur darüber, sondern auch über alles Übrige, von dem ich mich erinnere, es irgendwann einmal bewiesen zu haben, wie geometrische Lehrsätze und dergleichen.2 Was nämlich kann man mir jetzt noch entgegenhalten ? Etwa, ich sei so eingerichtet, daß ich mich oft täusche ? Aber ich weiß bereits, daß ich mich in dem, was ich transparent einsehe, nicht täuschen kann. Etwa, daß ich vieles andere für wahr und sicher gehalten habe, von dem ich später entdeckt habe, daß es falsch ist ? Aber nichts von dem hatte ich klar und deutlich erfaßt, sondern dies hatte ich in Unkenntnis der Regel der Wahrheit aus anderen Ursachen heraus geglaubt, von denen ich später aufgedeckt habe, daß sie weniger verläßlich sind. Was also könnte man sagen ? Etwa (wie ich mir neulich vorgehalten habe) daß ich vielleicht träume, bzw. daß alles, was ich jetzt denke, nicht wahrer sei als das, was sich einem Schlafenden darbietet ? Indessen ändert auch das nichts ; denn sicherlich ist etwas, wenn es für meinen Verstand evident ist, durchaus wahr, auch wenn ich träume. So sehe ich, daß also ganz offenbar alle Gewißheit und Wahrheit des Wissens von der einen Erkenntnis des wahren Gottes abhängt, so daß ich über kein Ding irgendetwas wissen konnte, bevor er mir bekannt war. Jetzt aber kann mir Unzähliges 1 2

Resp. II : 146, 14–28 ; Obj. IV : 214, 8–10 ; Resp. IV : 245, 26–27. Obj. V : 326, 19–327, 17.

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bekannt und gewiß werden, nicht nur über Gott selbst und die anderen intellektuellen Dinge, sondern auch über die gesamte körperliche Natur, die das Objekt der reinen Erkenntnis ist.

SE C H STE MED ITATION

Über die Existenz materieller Dinge und die reale Unterscheidung des Geistes vom Körper.

Es steht noch aus, daß ich prüfe, ob materielle Dinge existieren. Zumindest weiß ich bereits, daß sie existieren können, insofern sie Objekt der reinen Erkenntnis sind,1 da ich sie ja klar und deutlich erfasse. Denn es besteht kein Zweifel, daß Gott fähig ist, alles das zu bewirken, das ich klar und deutlich erfassen kann ; und ich habe nur dann geurteilt, etwas könne von ihm nicht getan werden, wenn es widersprüchlich wäre, daß es von mir deutlich erfaßt wird. Daß materielle Dinge existieren, scheint zudem aus dem Vorstellungsvermögen zu folgen, von dem ich erfahre, daß ich es verwende, wenn ich mich den materiellen Dingen zuwende. Denn wenn man aufmerksamer betrachtet, was Anschauung eigentlich ist, zeigt sich, daß sie nichts anderes ist als eine bestimmte Anwendung des erkennenden Vermögens auf den ihr unmittelbar vorliegenden und demnach existierenden Körper. Damit dies offenkundig wird, prüfe ich erstens den Unterschied zwischen Anschauung und reiner Einsicht.2 Denn wenn ich mir zum Beispiel ein Dreieck vorstelle, sehe ich nicht nur ein, daß es eine Figur ist, die drei Linien beinhaltet, sondern ich erblicke zugleich auch mit der Schärfe des Geistes diese drei Linien als vorliegend – und dies ist das, was ich vorstellen nenne.3 Will ich jedoch an ein Tausendeck denken, so sehe ich freilich ebenso gut ein, daß es eine aus tausend Seiten bestehende Figur ist, wie ich einsehe, daß das Dreieck eine aus drei Seiten bestehende Figur ist ; aber ich stelle mir diese tausend Seiten nicht auf dieselbe Weise vor, bzw. erblicke sie gleichsam als vorliegend. Obwohl ich mir in diesem Fall aufgrund der Gewohnheit, 1

Obj. V : 328, 25–329, 1 : Resp. V : 384, 20–21. 3 Obj. V : 329, 13–14.

2

Obj. V : 329, 5–6.

71,13

72,4

80

73,5

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immer irgendetwas vorzustellen, wenn ich an ein körperliches Ding denke, vielleicht irgendeine Figur verworren repräsentiere, so ist diese Figur dennoch offenbar kein Tausendeck ; denn sie ist in nichts von der verschieden, die ich mir repräsentieren würde, wenn ich an ein Zehntausendeck oder eine beliebige andere Figur mit vielen Seiten dächte, und sie trägt nichts dazu bei, die Eigenschaften zu erkennen, aufgrund derer sich das Tausendeck von anderen Vielecken unterscheidet. Wenn sich die Frage aber auf ein Fünfeck richtet, kann ich seine Figur ebenso wie die Figur des Tausendecks ohne die Hilfe der Anschauung einsehen ; aber ich kann mir darüber hinaus das Fünfeck eben auch vorstellen, nämlich indem ich die Schärfe des Geistes auf seine fünf Seiten und zugleich auf die in ihnen enthaltene Fläche anwende. Und an dieser Stelle bemerke ich, daß ich offenkundig zum Vorstellen eine bestimmte besondere Anstrengung des Gemüts benötige, die ich zum Einsehen nicht benutze.1 Diese neue Anstrengung des Gemüts zeigt klar den Unterschied zwischen Anschauung und reiner Einsicht.2 Demgemäß betrachte ich diese in mir vorhandene Kraft, vorzustellen, insoweit sie sich von der Kraft, einzusehen unterscheidet nicht als zum Wesen meiner selbst, d. h. zum Wesen meines Geistes erforderlich.3 Denn auch wenn sie mir fehlte, bliebe ich zweifelsohne genau derselbe, der ich jetzt bin ; woraus zu folgen scheint, daß sie von irgendeinem von mir verschiedenen Ding abhängt. Wenn nun irgendein Körper existiert, mit dem der Geist so verbunden ist, daß er sich ihm vermöge der Willkür zuwenden kann, um gleichsam in ihn hineinzublicken, so sehe ich es leicht als möglich ein, daß ich mir die körperlichen Dinge durch eben diesen Körper vorstelle. Demnach unterscheidet sich also dieser gedankliche Zugriff lediglich darin von der reinen Einsicht, daß sich der Geist, wenn er einsieht, gewissermaßen auf sich selbst richtet und irgendwelche der Ideen betrachtet, die in ihm selbst enthalten sind, während er, wenn er vorstellt, sich dem Körper zuwendet, und in ihm etwas erblickt, 1

Obj. V : 329, 16–19.

2

Obj. V : 329, 19–330, 6.

3

Obj. V : 331, 19–20.

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was entweder der von ihm eingesehenen oder der sinnlich erfaßten Idee gleichförmig ist.1 Ich behaupte : Ich sehe leicht ein, daß Anschauung sich so vollziehen kann – sofern ein Körper existiert. Weil sich nun keine andere, vergleichbar angemessene Weise findet, um Anschauung zu erklären, vermute ich glaubhaft, daß ein Körper existiert – aber ich halte es eben nur für glaubhaft,2 und obwohl ich alles sorgfältig untersuche, sehe ich gleichwohl noch nicht, daß aus der deutlichen Idee einer körperlichen Natur, die ich in meiner Anschauung vorfinde, irgendein Argument entnommen werden könne, aus dem notwendig geschlossen würde, daß irgendein Körper existiert. Gewöhnlich stelle ich mir aber außer dieser körperlichen Natur, die das Objekt der reinen Erkenntnis ist, vieles andere vor, wie Farben, Töne, Geschmäcke, Schmerzen und dergleichen, aber nichts davon so deutlich.3 Weil ich diese genauer durch den Sinn erfasse, durch den sie mit Hilfe des Gedächtnisses in die Anschauung gelangt sind, muß ich, um sie angemessener thematisieren zu können, mit derselben Konzentration auch den Sinn thematisieren, und nachsehen, ob ich aus dem, was ich aufgrund jenes gedanklichen Zugriffs erfasse, den ich sinnliche Wahrnehmung nenne, irgendein sicheres Argument für die Existenz körperlicher Dinge gewinnen kann. Zuerst möchte ich hier für mich wiederholen, was es war, das ich zuvor, gleichsam als sinnlich erfaßt für wahr gehalten habe, und aus welchen Ursachen ich dies gemeint habe. Danach will ich auch die Ursachen erwägen, aufgrund derer ich dies später in Zweifel gezogen habe ; und schließlich werde ich betrachten, was ich jetzt über sie glauben muß. Anfänglich also empfand ich, daß ich einen Kopf, Hände, Füße und die übrigen Körperteile besitze, aus denen jener Körper besteht, den ich gewissermaßen als Teil von mir, oder vielleicht sogar gleichsam als Gesamtheit meiner selbst ansah. Ich empfand, daß sich dieser Körper zwischen vielen anderen Körpern befindet, durch die er auf vielfältige angenehme oder un1

Obj. V : 331, 23–25.

2

Obj. V : 332, 9–10.

3

Obj. V : 332, 12 ff.

74,1

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74,17

82

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angenehme Weisen affiziert werden kann, und ich bemaß die angenehmen Weisen mittels der Empfindung der Lust, und die unangenehmen mittels der Empfindung des Schmerzes. Abgesehen von Schmerz und Lust empfand ich in mir außerdem auch Hunger, Durst und andere derartige Triebe, und ebenso gewisse körperliche Neigungen, wie die zur Heiterkeit, zur Traurigkeit, zum Zorn und andere vergleichbare Affekte. Abgesehen von den Ausdehnungen der Körper, Gestalten und Bewegungen empfand ich außerhalb von mir an diesen Körpern auch Härte, Wärme und die anderen taktilen Qualitäten, sowie darüber hinaus Licht, Farben, Gerüche, Geschmäcke und Töne, aufgrund deren Vielfalt ich den Himmel, die Erde, die Meere und die übrigen Körper voneinander unterschied. In Anbetracht der Ideen aller dieser Qualitäten, die sich meinem Denken darboten, und die allein ich eigentlich und unmittelbar empfand, meinte ich nicht ohne Grund, bestimmte, von meinem Denken völlig verschiedene Dinge zu empfinden, nämlich die Körper, von denen diese Ideen herrührten ; ich erfuhr nämlich, daß sie mir ganz ohne meine Einwilligung erschienen, so daß ich, wenn dem Sinnesorgan nichts vorlag, auch nicht das geringste Objekt empfinden konnte, auch wenn ich es wollte, und daß ich, wenn es vorlag, gar nicht umhin konnte, es zu empfinden. Weil die sinnlich erfaßten Ideen sehr viel lebhafter und eindrucksvoller und auf ihre Art viel deutlicher waren als irgendwelche von denen, die ich absichtlich und wissentlich meditierend ausbildete, oder von denen ich festellte, daß sie meinem Gedächtnis eingeprägt waren, schien es unmöglich zu sein, daß sie von mir selbst herrührten, und so blieb nur übrig, daß sie von irgendwelchen anderen Dingen stammten. Da ich von diesen Dingen allein aufgrund eben dieser Ideen Kenntnis besaß, konnte mir gar nichts anderes einfallen, als daß die Dinge den Ideen gleich seien. Weil ich mich außerdem auch erinnerte, die Sinne früher als die Vernunft verwendet zu haben, und sah, daß die Ideen, die ich selbst ausbildete, nicht so eindrucksvoll wie die waren, die ich sinnlich erfaßte, und weil vieles aus den Bestandteilen dieser Ideen zusammengesetzt war, fiel es mir leicht, mir einzu-

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reden, daß nichts in meinem Verstand sei, das nicht zuvor im Sinn gewesen wäre. Ebenso meinte ich nicht ohne Grund, daß jener Körper, den ich mit einem gewissen besonderen Recht den meinigen nannte, mehr zu mir gehörte als irgendein anderer : ich konnte mich nämlich niemals von ihm absondern wie von den anderen ; alle Triebe und Affekte empfand ich in ihm und vermittelt durch ihn ; und schließlich stellte ich den Schmerz und den Kitzel der Lust in seinen Teilen fest, nicht aber in anderen, außer ihm befindlichen. Auf welche Weise aber sich aus dieser irgendwie gearteten Empfindung des Schmerzes eine bestimmte Traurigkeit des Gemüts, und aus der Empfindung des Kitzels eine bestimmte Freude ergibt ; oder auch : auf welche Weise das irgendwie geartete Stechen im Magen, das ich Hunger nenne, mich daran erinnert, Essen zu mir zu nehmen, die Austrocknung der Kehle aber an das Trinken, und ebenso mit dem übrigen – dafür hatte ich freilich keine andere Begründung als : weil ich dies so von der Natur gelernt habe. Zwischen diesem Stechen einerseits und anderseits dem Willen, Essen zu sich zu nehmen, bzw. zwischen der Empfindung des Schmerz erregenden Dinges, und dem von dieser Empfindung her entstandenen Gedanken der Traurigkeit besteht nämlich schlicht überhaupt keine Verwandtschaft (zumindest keine, die ich einsehen kann). Aber auch alles übrige, was ich über die Objekte der Sinne urteilte, schien ich von der Natur gelernt zu haben ; denn daß dies sich so verhalte, hatte ich mir schon eingeredet, bevor ich irgendwelche Begründungen hätte erwägen können, durch die dies nachgewiesen worden wäre. Das gesamte Vertrauen, das ich den Sinnen entgegengebracht hatte, ist später jedoch durch viele Experimente nach und nach erschüttert worden.1 Denn zuweilen erschienen Türme, die von ferne rund ausgesehen hatten, von nah als viereckig, und die doch ziemlich großen Statuen, die auf ihren Giebeln stehen, schienen von der Erde aus betrachtet gar nicht so groß zu sein. Und so entdeckte ich, daß bei unzähligen anderen Dingen die 1

Obj. V : 332, 15 ff.

76,21

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Urteile der äußeren Sinne täuschten – und nicht nur der äußeren, sondern auch der inneren : denn was kann innerlicher sein als der Schmerz ? Hingegen hatte ich zuweilen von Leuten gehört, denen man ein Bein oder einen Arm abgenommen hatte, und denen es gleichwohl schien, daß sie zuweilen immer noch Schmerz in dem Teil des Körpers empfänden, der ihnen fehlte.1 Daher schien es auch bei mir selbst nicht mehr völlig sicher zu sein, daß mir ein Körperglied Schmerz verursachte, selbst wenn ich in ihm einen Schmerz empfand. Diesen Experimenten habe ich unlängst zwei äußerst allgemeine Ursachen des Zweifelns hinzugefügt. Die erste war : Während ich wache, habe ich niemals irgendetwas sinnlich wahrzunehmen geglaubt, von dem ich nicht ebenso auch im Schlaf vielleicht einmal glauben kann, es sinnlich wahrzunehmen. Da ich nun nicht glaube, daß das, was ich in Träumen sinnlich wahrzunehmen meine, von Dingen zu mir gelangt, die außerhalb von mir sind, konnte ich nicht feststellen, weswegen ich dies mit größerem Recht in bezug auf das glauben sollte, was ich wachend sinnlich wahrzunehmen meinte. Die andere war : Weil mir der Urheber meiner Entstehung bislang unbekannt war – oder ich zumindest so tat, als sei er mir unbekannt2 – schien mir nichts dagegen zu sprechen, von Natur aus so eingerichtet zu sein, mich auch in dem zu täuschen, was mir als das Wahrste überhaupt erschien. Und was die Gründe betrifft, durch die ich mir zuvor die Wahrheit der sinnlichen Dinge eingeredet hatte, so war es nicht schwierig, ihnen entgegenzutreten. Ich sah nämlich, daß ich von Natur aus zu vielem gedrängt wurde, dem die Vernunft widerriet, und so meinte ich, daß dem, was von Natur gelehrt werde, nicht sehr vertraut werden dürfe. Auch wenn nämlich die Sinneswahrnehmungen nicht von meinem Willen abhingen, meinte ich nicht, daraus folgern zu dürfen, daß sie von Dingen herrührten, die von mir verschieden seien, weil ja vielleicht in mir ein Vermögen vorhanden sein kann, das die Schöpferin dieser Sinneswahrnehmungen ist, auch wenn ich dieses Vermögen noch nicht erkannt habe. 1

Obj. V : 333, 7 ff.

2

Obj. IV : 215, 12–14.

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Jetzt aber, seitdem ich beginne, mich selbst und den Urheber meiner Entstehung besser zu kennen, meine ich, daß ich zwar nicht alles, was ich von den Sinnen zu bekommen scheine, blindings gelten lassen muß, daß aber ebensowenig alles in Zweifel gezogen werden darf.1 Erstens : Weil ich ja weiß, daß alles, was ich klar und deutlich einsehe, genau so von Gott erzeugt werden kann, wie ich es einsehe, ist es ausreichend, daß ich ein Ding ohne ein anderes klar und deutlich einsehe,2 um sicher zu sein, daß das eine von dem anderen verschieden ist,3 weil es zumindest von Gott getrennt gesetzt werden kann.4 Für die Ansicht, daß sie verschieden sind, ist es ganz unerheblich, durch welche Macht das geschieht ;5 allein daraus also, daß ich weiß, daß ich existiere, und ich bemerke, daß einstweilen schlichtweg nichts anderes zu meiner Natur, bzw. zu meinem Wesen gehört, außer dem einen, daß ich ein denkendes Ding bin, schließe ich zurecht, daß mein Wesen allein darin besteht, ein denkendes Ding zu sein.6 Und obwohl ich möglicherweise (oder vielmehr, wie ich später sagen werde : sicherlich) einen Körper besitze, der mit mir äußerst eng verbunden ist – denn ich besitze einerseits eine klare und deutliche Idee meiner selbst, insofern ich ein denkendes, kein ausgedehntes Ding bin, und anderseits die deutliche Idee des Körpers, insofern er lediglich ein ausgedehntes, kein denkendes Ding ist7 –, ist es sicher, daß ich von meinem Körper tatsächlich unterschieden bin, und ohne ihn existieren kann.8 Außerdem finde ich in mir Vermögen vor,9 die sich durch besondere gedankliche Zugriffe auszeichnen, nämlich das Vorstellungsvermögen und das Vermögen der Empfindung, ohne die ich mich ganz klar und deutlich einsehen kann, jedoch nicht umgekehrt sie ohne mich, das heißt ohne die einsehende Substanz, in der sie enthalten sind. Denn beide beinhalten in ihrem 1

Obj. V : 334, 8–12. 2 Resp. IV : 224, 16–18. 3 Resp. II : 131, 22–25 ; Resp. IV : 225, 26–226, 2. 4 Obj. IV : 202, 12–16. 5 Obj. IV : 202, 12–16. 6 Obj. V : 335, 7–12. 7 Obj. V : 337, 11–15. 8 Resp. II : 131, 25–132, 3 ; Obj. IV : 199, 25–200, 1 ; Obj. V : 335, 15–23 ; 342, 12–13 ; 17. 9 Resp. IV : 224, 19–20.

77,28

78,2

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formalen Begriff eine nicht unerhebliche Einsicht, woraufhin ich erfasse, daß sie von mir unterschieden werden wie Modi von einem Ding. Überdies erkenne ich auch bestimmte andere Vermögen, wie den Ort zu wechseln, vielfältige Gestalten anzunehmen, und dergleichen, die zwar ebensowenig wie die vorhergehenden ohne irgendeine Substanz, in der sie enthalten sind, eingesehen werden, und demnach auch nicht ohne sie existieren können ; jedoch ist es offenkundig, daß sie, falls sie existieren, in einer körperlichen, bzw. ausgedehnten Substanz enthalten sein müssen, nicht jedoch in einer einsehenden, weil nämlich in ihrem klaren und deutlichen Begriff einige Ausdehnung, aber nicht die geringste Einsicht enthalten ist. Nun ist freilich ein bestimmtes passives Vermögen der Empfindung in mir, bzw. ein Vermögen, Ideen sinnlicher Dinge aufzunehmen und zu erkennen. Dieses Vermögen wäre aber völlig unbrauchbar, wenn nicht ebenfalls ein bestimmtes aktives Vermögen, diese Ideen zu produzieren oder zu bewirken, entweder in mir oder in einem anderen existierte. Dieses Vermögen kann nun aber nicht in mir selbst enthalten sein, weil es überhaupt keine Einsicht voraussetzt, und diese Ideen ohne mein Zutun, oft aber sogar gegen meinen Willen produziert werden. Also bleibt nur übrig, daß es in irgendeiner von mir verschiedenen Substanz ist. Weil ja in dieser Substanz alle Realität entweder formal oder eminent enthalten sein muß, die objektiv in den von diesem Vermögen produzierten Ideen ist (wie ich oben bereits bemerkt habe), ist diese Substanz entweder ein Körper, bzw. eine körperliche Natur, in der nämlich alles formal enthalten ist, das in den Ideen objektiv enthalten ist – oder sie ist statt dessen Gott, oder irgendein anderes edleres Geschöpf als der Körper, das sie eminent enthält. Da Gott nun aber kein Schwindler ist, liegt es auf der Hand, daß er mir diese Ideen weder unmittelbar durch sich, noch vermittelt durch irgendein Geschöpf eingibt, in dem ihre objektive Realität nicht formal, sondern etwa nur eminent enthalten wäre. Da Gott mir jedoch nicht das geringste Vermögen verliehen hat, zu erkennen, wie es wirklich geschieht, statt dessen aber eine starke Neigung, zu glauben, daß die Ideen von

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körperlichen Dingen ausgehen, sehe ich nicht, mit welcher Begründung man sich einsichtig machen könnte, daß Gott kein Schwindler ist, wenn die Ideen von irgendwo anders her als von körperlichen Dingen ausgehen würden. Demnach existieren körperliche Dinge.1 Indessen existieren vielleicht nicht alle insgesamt genau so, wie ich sie mir durch den Sinn verständlich mache, weil ein solches Verständnis aufgrund der Sinne vielfach äußerst dunkel und verworren ist. Zumindest ist aber alles das in den körperlichen Dingen vorhanden, das ich klar und deutlich einsehe, d. h. allgemein betrachtet alles, das im Objekt der reinen Erkenntnis verständlich gemacht wird. Was aber das Übrige betrifft, so ist es entweder nur eine Besonderheit – wie etwa, daß die Sonne eine solche Größe oder Gestalt besitzt –, oder es wird weniger klar eingesehen – wie Licht, Geräusch, Schmerz und dergleichen. Gleichwohl : Auch wenn all das äußerst zweifelhaft und unsicher ist, so weckt allein die Tatsache die sichere Hoffnung, auch darin die Wahrheit zu erlangen, daß Gott kein Schwindler und es deshalb unmöglich ist, daß in meinen Meinungen irgendeine Falschheit angetroffen würde, ohne daß nicht ebenso auch in mir ein von Gott beigelegtes Vermögen wäre, diese Ansicht zu verbessern. Und tatsächlich besteht kein Zweifel, daß alles das, was ich von der Natur lerne, einen gewissen Anteil an Wahrheit aufweist. Ich verstehe nämlich unter Natur allgemein betrachtet nunmehr nichts anderes als entweder Gott selbst, oder die von Gott eingerichtete Koordination der geschaffenen Dinge ; und unter meiner Natur im besonderen nichts anderes als den Inbegriff alles dessen, was mir von Gott beigelegt worden ist. Es gibt aber nichts, was diese Natur mich eindrucksvoller lehrt, als daß ich einen Körper habe, dem es schlecht geht, wenn ich Schmerz empfinde, der nach Essen oder Trinken verlangt, wenn ich Hunger oder Durst leide und dergleichen ; und demnach darf ich nicht zweifeln, daß darin ein gewisser Anteil von Wahrheit liegt. 1

Obj. III : 194, 17–23.

80,11

80,27

88 81,1

81,15

82,1

se c h s te m e d i tat i o n

Durch diese Empfindungen des Schmerzes, des Hungers, des Durstes usw. lehrt die Natur auch, daß ich zu meinem Körper nicht etwa nur so hinzugefügt bin, wie ein Seemann sich auf einem Schiff aufhält, sondern daß ich mit ihm auf engste verbunden und gewissermaßen vermischt bin, so daß ich mit ihm zu einem einzigen Etwas zusammengesetzt bin. Andernfalls würde ich, der ich nichts anderes als ein denkendes Ding bin, auch dann keine Schmerzen empfinden, wenn der Körper verletzt wird, sondern ich würde die Verletzung durch den reinen Verstand erfassen, so wie der Seemann durch das Sehvermögen erfaßt, wenn am Schiff irgendein Schaden entsteht ; und wenn der Körper nach Essen oder Trinken verlangt, würde ich dies ausdrücklich einsehen und nicht die verworrenen Empfindungen des Hungers und des Durstes haben. Denn sicherlich sind diese Empfindungen des Durstes, des Hungers, des Schmerzes usw. nichts anderes als gewisse verworrene gedankliche Zugriffe, die aus der Vereinigung und gewissermaßen der Vermischung des Geistes mit dem Körper herrühren.1 Außerdem lehrt mich die Natur, daß im Umfeld meines Körpers vielfältige andere Körper existieren, von denen ich einige anstreben, andere aber vermeiden muß. Und ich schließe doch wohl sicherlich zurecht daraus, daß ich sehr verschiedene Farben, Töne, Gerüche, Geschmäcke, Wärme, Härte und dergleichen empfinde, daß es in den Körpern, von denen diese vielfältigen Sinneswahrnehmungen herkommen, irgendeine ihnen korrespondierende, wenn auch den Sinneswahrnehmungen vielleicht nicht ähnliche Vielfalt gibt ; und weil bestimmte von diesen Sinneswahrnehmungen mir angenehm, andere aber unangenehm sind, ist es völlig sicher, daß mein Körper, bzw. vielmehr ich insgesamt, insofern ich aus Körper und Geist zusammengesetzt bin, von den um ihn herum liegenden Körpern auf vielfältige angenehme und unangenehme Weisen affiziert werden kann. Es gibt aber vieles andere, das ich, auch wenn die Natur es mich zu lehren scheint, tatsächlich nicht von ihr erhalten, 1

Obj. V : 343, 8–20.

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sondern aus einer gewissen unreflektierten Gewohnheit des Urteilens heraus akzeptiert habe. Daher kann es leicht passieren, daß es falsch ist. Hierzu gehören zum Beispiel : Jeder Raum, in dem sich überhaupt nichts findet, das meine Sinne bewegt, ist ein Vakuum ; In einem beispielsweise warmen Körper befindet sich irgendetwas, das der Idee der Wärme, die in mir ist, völlig gleicht ; In einem weißen oder grünen Körper befindet sich dieselbe weiße oder grüne Farbe, die ich sinnlich wahrnehme ; In etwas Bitterem oder Süßem befindet sich eben derselbe Geschmack, und ebenso bei dem Übrigen ; Gestirne, Türme und beliebige andere weit entfernte Körper weisen dieselbe Größe und Gestalt auf, die meine Sinne mir darstellen, und anderes dergleichen. Damit ich nun in diesem Zusammenhang alles ausreichend deutlich erfasse, muß ich genauer definieren, was ich eigentlich darunter verstehe, wenn ich sage, daß mir etwas von Natur gelehrt werde. Hier nämlich nehme ich Natur in engerem Sinne als Inbegriff alles dessen, das mir von Gott beigelegt worden ist. Nun ist in diesem Inbegriff vieles enthalten, was allein zu meinem Geist gehört, wie etwa, daß ich erfasse, daß das, was geschehen ist, nicht ungeschehen sein kann, und alles Übrige, das durch das Natürliche Licht bekannt ist, wovon hier aber nicht die Rede ist. Auch ist in diesem Inbegriff vieles enthalten, was sich allein auf den Körper bezieht, wie daß ein Körper nach unten tendiert und dergleichen, das ich hier ebenfalls nicht thematisiere ; sondern ich spreche hier allein über das, was mir von Gott beigelegt wurde, insofern ich aus Geist und Körper zusammengesetzt bin. Diese Natur lehrt zwar, vor dem zu flüchten, was eine Empfindung des Schmerzes, und das anzustreben, was eine Empfindung der Lust erregt, und dergleichen. Aber sie scheint uns keineswegs darüber hinaus auch noch zu lehren, wir dürften aus irgendwelchen solchen Sinneswahrnehmungen ohne vorhergehende Prüfung durch den Verstand auf außerhalb von uns vorhandene Dinge schließen. Denn es scheint dem Geist allein, nicht aber dem Zusammengesetzten zuzukommen, darüber etwas Wahres zu wissen. Auch wenn also ein Stern mein Auge nicht stärker affiziert als das Feu-

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er einer kleinen Funzel, liegt darin für sich genommen noch keine reale bzw. positive Neigung, glauben zu müssen, das Gestirn sei nicht größer als die Funzel, sondern dies habe ich ohne Begründung von Jugend an so beurteilt. Ebenso : Wenn ich Wärme empfinde, wenn ich mich einem Feuer nähere, oder sogar Schmerz, wenn ich mich ihm zu sehr nähere, gibt es wirklich keinen Grund, der darauf hindeutete, daß im Feuer irgendetwas dieser Wärme oder gar des Schmerzes Gleiches sei, sondern nur, daß im Feuer irgendetwas ist, was auch immer es letztlich sein mag, das in uns die Empfindung der Wärme oder des Schmerzes bewirkt. Auch wenn sich also in einem Raum nichts befindet, das den Sinn bewegt, so folgt daraus noch nicht, daß in diesem Raum kein Körper sei. Aber ich stelle fest : Ich bin gewohnt, in diesen und äußerst vielen anderen Fällen die Ordnung der Natur umzukehren. Denn die Sinneswahrnehmungen sind uns von der Natur eigentlich nur gegeben, um für den Geist kenntlich zu machen, wenn etwas für das Zusammengesetzte, von dem er ein Teil ist, angenehm oder unangenehm ist. Und insofern sind die Sinneswahrnehmungen klar und deutlich genug. Ich aber verwende sie gleichsam als sichere Regeln, um unmittelbar herauszufinden, was das Wesen der außerhalb von uns befindlichen Körper ist ; und das zeigen die Sinneswahrnehmungen freilich nur sehr dunkel und verworren an. Nun habe ich aber bereits früher hinlänglich durchschaut, auf welchem Weg es ungeachtet der Güte Gottes passiert, daß meine Urteile falsch sind. Hier findet sich aber eine neue Schwierigkeit in bezug auf das, was mir von der Natur gleichsam als zu verfolgen oder zu vermeiden dargestellt wird, und nicht weniger auch in bezug auf die inneren Sinne, in denen ich Irrtümer entdeckt zu haben meine : wie etwa, wenn jemand durch den angenehmen Geschmack eines Essens irrgeführt das darin verborgene Gift verzehrt. Nun – in diesem Fall wird er von der Natur nur dazu gedrängt, das zu begehren, worin ein angenehmer Geschmack enthalten ist, nicht aber das Gift, das ihm völlig unbekannt ist. Das einzige aber, was man hieraus schließen kann, ist, daß diese Natur nicht allwissend ist. Das ist aber nicht verwunderlich ;

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denn weil der Mensch ein begrenztes Ding ist, kommt ihm nur eine begrenzte Vollkommenheit zu. Indessen irren wir aber nicht selten auch in dem, wozu uns die Natur drängt, wie etwa, wenn Kranke ein Getränk oder ein Essen begehren, das ihren Zustand sehr schnell verschlechtern würde.1 Nun wird man hier vielleicht behaupten, daß diese Leute deswegen irren, weil ihre Natur beschädigt ist ; aber das hebt die Schwierigkeit nicht auf, weil ein kranker Mensch nicht weniger wahrhaftig ein Geschöpf Gottes ist als ein gesunder, und demnach scheint es nicht weniger widersprüchlich zu sein, daß ein kranker Mensch von Gott eine sich täuschende Natur erhalten habe ; wie ja auch eine aus Rädern und Gewichten angefertigte Uhr nicht weniger genau allen Gesetzen der Natur folgt, wenn sie schlecht hergestellt ist und die Stunden nicht richtig anzeigt, als wenn sie in jeder Hinsicht der Vorstellung des Technikers entspricht. Wenn ich nun den Körper des Menschen als eine aus Knochen, Nerven, Muskeln, Adern, Blut und Haut so ausgerüstete und zusammengesetzte Maschine betrachten würde, daß sie auch dann, wenn in ihr kein Geist existierte, dennoch genau dieselben Bewegungen aufwiese, die auch jetzt bereits nicht von einem Gebot des Willens und demnach nicht vom Geist herrühren : dann erkenne ich leicht, daß, wenn diese Maschine zum Beispiel von der Wassersucht befallen ist, sie dann an der Austrocknung des Rachens leidet, die gewöhnlich im Geist die Empfindung des Durstes erregt. Es wird für diese Maschine ebenso natürlich sein, die Nerven und die übrigen Teile genau so anzulegen, daß sie ein Getränk zu sich nimmt, aufgrund dessen sich die Krankheit vergrößert, wie sie von derselben Trockenheit des Rachens bewegt wird, ein ihr zuträgliches Getränk zu sich zu nehmen, wenn sie keinen solchen Fehler aufweist. Freilich könnte ich im Hinblick auf den Verwendungszweck der Uhr sagen, sie weiche von ihrer Natur ab, wenn sie die Stunden nicht richtig anzeigt, und in derselben Weise könnte ich – wenn ich die Maschinerie des menschlichen 1

Resp. II : 143, 18 ff.

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Körpers gleichsam als für die Bewegungen ausgerüstet betrachte, die gewöhnlich in ihr geschehen – meinen, die Maschine des menschlichen Körpers weiche von ihrer Natur ab, wenn ihr Rachen austrocknet, obwohl das Trinken nicht zur Erhaltung des Körpers beiträgt. Aber ich bemerke sehr wohl, daß sich die eine Auffassungsweise der Natur von der anderen sehr unterscheidet. Die letztere ist nämlich nichts anderes als eine von meinem Denken abhängende Benennung, durch die der kranke Mensch und die schlecht hergestellte Uhr mit der Idee des gesunden Menschen und richtig gebauten Uhr verglichen wird – und diese Benennung ist den Dingen, auf die sie angewandt wird, äußerlich. Durch die andere Auffassung hingegen mache ich mir etwas einsichtig, was tatsächlich in den Dingen angetroffen wird, und demnach einen Anteil an Wahrheit aufweist. Wenn es nun auch sicherlich im Hinblick auf den an Wassersucht leidenden Körper nur eine äußerliche Benennung ist, wenn man sagt, seine Natur sei beschädigt, weil sein Rachen trocken ist, ohne daß er ein Getränk benötigt, so ist es im Hinblick auf das Zusammengesetzte, bzw. auf den mit dem Körper vereinten Geist keine bloße Benennung, sondern ein wirklicher Irrtum der Natur, daß er Durst verspürt, wenn ein Getränk ihm schädlich ist. Es bleibt hier daher zu erforschen, inwiefern die Güte Gottes nicht hindert, daß die so verstandene Natur täuschend ist. Hierzu stelle ich Folgendes fest. Erstens : Zwischen dem Geist und dem Körper besteht ein großer Unterschied darin, daß der Körper von seiner Natur her stets teilbar ist, der Geist aber völlig unteilbar. Denn wenn ich den Geist, bzw. mich selbst betrachte, insofern ich lediglich ein denkendes Ding bin, kann ich tatsächlich in mir keine Teile unterscheiden, sondern ich sehe ein, daß ich ein durchaus einziges und vollständiges Ding bin. Und obwohl der gesamte Geist mit dem gesamten Körper vereint zu sein scheint,1 erkenne ich, daß auch dann dem Geist nichts entzogen ist, wenn ein Fuß, ein Arm oder ein beliebi1

Obj. V : 339, 18–20.

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ger anderer Teil des Körpers abgetrennt ist. Auch kann man das Vermögen des Wollens, das Vermögen der Empfindung, das Einsichtsvermögen usw. nicht als seine Teile ansprechen, weil es ein und derselbe Geist ist, der will, der sinnlich wahrnimmt, der einsieht. Dagegen kann ich mir aber kein körperliches, bzw. ausgedehntes Ding denken, das ich nicht leicht im Denken in Teile teilen könnte. Eben dadurch aber sehe ich ein, daß es teilbar ist. Dies allein würde ausreichen, mich zu lehren, daß der Geist vom Körper völlig verschieden ist, wenn ich dies nicht bereits von woandersher hinlänglich wüßte. Zweitens stelle ich fest : Der Geist wird nicht von allen Teilen des Körpers unmittelbar affiziert, sondern lediglich durch das Gehirn, vielleicht sogar auch nur von einem winzigen Teil des Gehirns,1 nämlich von dem, in dem sich, wie man sagt, der Gemeinsinn befindet. Dieser Gemeinsinn stellt dem Geist immer dann, wenn er auf dieselbe Weise angelegt ist, dasselbe dar, und zwar auch dann, wenn die übrigen Teile des Körpers sich davon unabhängig vielleicht auf ganz verschiedene Weisen verhalten, was unzählige Experimente nachweisen, die hier durchzugehen nicht nötig ist. Drittens stelle ich fest : Es ist die Natur des Körpers, daß keiner seiner Teile von irgendeinem der weiter außen befindlichen Teile bewegt werden kann, ohne daß derselbe Teil nicht auch auf dieselbe Weise von irgendeinem der dazwischen liegenden Teile bewegt werden könnte, selbst wenn der weiter außen befindliche Teil gar nicht auf ihn einwirkt. Zum Beispiel : Wenn man bei dem Strick A, B, C, D dessen letzten Teil D zieht, dann wird der Teil A genau so bewegt, wie er sich auch bewegen würde, wenn man einen der dazwischen liegenden Teile B oder C zieht, und D ganz unbewegt wäre. Die Physik lehrt mit einer durchaus vergleichbaren Begründung, daß, wenn ich im Fuß Schmerz empfinde, diese Empfindung mit Hilfe der im Fuß verteilten Nerven geschieht, und daß diese Nerven, weil sie sich vom Fuß ununterbrochen gleichsam wie ein Strick bis 1

Obj. V : 339, 11–13.

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zum Gehirn erstrecken, wenn sie im Fuß gezogen werden, auch die innersten Teile des Gehirns ziehen, bis zu denen sie sich erstrecken, und in ihnen eine bestimmte Bewegung auslösen, die von der Natur so eingerichtet ist, daß sie im Geist die Empfindung eines gleichsam im Fuß existierenden Schmerzes affiziert. Weil diese Nerven jedoch durch den Unterschenkel, das Bein, die Lenden, den Rücken und den Hals hindurchgehen müssen, um vom Fuß bis zum Gehirn zu gelangen, kann es passieren, daß auch dann, wenn der im Fuß befindliche Teil dieser Nerven gar nicht berührt wird, statt dessen aber einer der dazwischenliegenden, sich im Gehirn eben dieselbe Bewegung vollzieht wie durch einen erkrankten Fuß – und deshalb wird der Geist notwendig denselben Schmerz empfinden, und dasselbe gilt für alle anderen Empfindungen. Und zuletzt stelle ich fest : Jede einzelne der Bewegungen, die sich in jenem Teil des Gehirns vollziehen, der unmittelbar den Geist affiziert, erregt im Geist jeweils nur eine einzige Empfindung. Deshalb kann man sich in diesem Zusammenhang nichts besseres ausdenken, als daß diese den Geist unmittelbar beeinflussende Bewegung in ihm von allen Empfindungen, die sie erregen kann, gerade die erregt, die am meisten und häufigsten zur Erhaltung der Gesundheit des Menschen beiträgt. Die Erfahrung aber bezeugt, daß alle uns von der Natur eingegebenen Empfindungen von dieser Art sind ; und demnach trifft man in ihnen nichts an, was nicht die Macht und Güte Gottes bezeugen würde. Zum Beispiel : Wenn die im Fuß befindlichen Nerven heftiger und mehr als gewöhnlich bewegt werden, gibt diese durch die Wirbelsäule bis in das Innerste des Gehirns fortlaufende Bewegung dem Geist das Signal, etwas zu empfinden, nämlich einen gleichsam im Fuß existierenden Schmerz, durch den im Geist ausgelöst wird, dessen Ursache, da sie dem Fuß schadet, nach Möglichkeit zu entfernen. Freilich hätte die Natur des Menschen von Gott auch so eingerichtet werden können, daß dieselbe Bewegung im Gehirn dem Geist irgendetwas anderes darstellen würde : nämlich entweder diese Bewegung selbst, insofern sie im Gehirn ist, oder im Fuß, oder in irgendeinem der

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dazwischenliegenden Orte ; oder schließlich auch irgendetwas beliebiges anderes. Nichts davon hätte jedoch vergleichbar gut zur Erhaltung des Körpers beigetragen. Auf dieselbe Weise entsteht in der Kehle eine die Nerven der Kehle und mit deren Hilfe die inneren Nerven des Gehirns bewegende Trockenheit, wenn wir trinken müssen. Diese Bewegung affiziert im Geist die Empfindung des Durstes, weil nichts in dieser ganzen Angelegenheit nützlicher für uns ist, als zu wissen, daß wir zur Erhaltung der Gesundheit trinken müssen, und ebenso mit dem Übrigen. Aufgrund all dessen ist es ganz offenkundig, daß die Natur des Menschen, insofern sie aus Geist und Körper zusammengesetzt ist, ungeachtet der unermeßlichen Güte Gottes gar nicht anders als zuweilen täuschend sein kann. Denn wenn irgendeine Ursache, die keineswegs im Fuß liegt, sondern in irgendeinem von den Teilen, vermittels derer sich die Nerven vom Fuß bis zum Gehirn erstrecken, oder die sogar im Gehirn selbst liegt, genau dieselbe Bewegung auslöst wie gewöhnlich ein erkrankter Fuß, dann empfindet man einen Schmerz gleichsam als ob er im Fuß ausgelöst würde, und diese Empfindung täuscht natürlich. Denn weil dieselbe Bewegung im Gehirn im Geist immer nur dieselbe Empfindung erregen kann, diese Empfindung aber gewöhnlich sehr viel häufiger durch eine Ursache entsteht, die den Fuß verletzt, als durch irgendeine sonstwo existierende, entspricht es der Vernunft, daß sie dem Geist zunächst immer den Schmerz des Fußes darstellt als den irgendeines anderen Teils. Und wenn irgendwann einmal die Austrocknung des Rachens nicht wie gewöhnlich deswegen entsteht, weil Trinken für die Gesundheit des Körpers nötig ist, sondern aus irgendeiner entgegengesetzten Ursache, wie es bei einem Wassersüchtigen passiert, ist es weitaus besser, daß die Empfindung in diesem Fall täuscht, als wenn sie statt dessen immer täuschte, wenn der Körper in einer guten Verfassung ist ; und ebenso bei dem Übrigen. Diese Betrachtung trägt nun nicht nur viel dazu bei, alle Irrtümer zu bemerken, denen meine Natur ausgesetzt ist, sondern

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sie trägt auch dazu bei, daß ich sie entweder leicht verbessern oder ganz vermeiden kann. Denn tatsächlich : Da ich weiß, daß alle sinnlichen Wahrnehmungen in bezug auf das, was den Vorteil für den Körper betrifft, sehr viel häufiger das Wahre als das Falsche anzeigen,1 und ich fast immer mehrere sinnliche Wahrnehmungen verwenden kann, um dasselbe Ding zu prüfen, und darüber hinaus auch das Gedächtnis, das das Gegenwärtige mit dem Vorhergehenden verknüpft, sowie den Verstand, der nunmehr alle Ursachen des Irrens durchschaut hat : so muß ich mich nicht länger mit Bedenklichkeiten herumplagen, ob etwa das, was mir täglich durch sinnliche Wahrnehmungen dargestellt wird, falsch sei.2 Statt dessen können die hyperbolischen Zweifel3 der vorangegangenen Tage als lächerlich verworfen werden, und zwar insbesondere jener höchstmögliche Zweifel über den Traum, den ich nicht vom Wachzustand unterschied. Denn jetzt stelle ich fest, daß zwischen Traum und Wachzustand darin ein sehr großer Kontrast besteht, daß die Traumbilder niemals mit allen übrigen Aktionen des Lebens so durch das Gedächtnis verbunden werden,4 wie die, die sich den Wachenden darbieten.5 Tatsächlich würde ich doch, wenn mir, während ich wache, jemand urplötzlich erscheint und sofort danach wieder verschwindet – nämlich so, wie es in Träumen geschieht, daß ich weder sehe, von woher er kommt, noch, wohin er fortgeht – doch wohl nicht zu Unrecht urteilen, daß dies eher eine bloße Vorspiegelung oder ein in meinem Gehirn selbst ausgebildetes Trugbild als ein wahrer Mensch sei. Wenn sich mir aber Dinge darbieten, von denen ich deutlich feststelle, von woher, wo und wann sie mir erscheinen, und deren Erfassung ich ohne irgendeinen Bruch mit dem gesamten übrigen Leben verknüpfe, bin ich völlig sicher, daß sie sich nicht in Träumen, sondern dem Wachenden darbieten. Auch darf ich ihre Wahrheit nicht im Geringsten bezweifeln, wenn mir, nachdem ich alle Sinne, das Gedächtnis und den Verstand in Anspruch genommen habe, 1

Obj. V : 345, 13–16. 4 Obj. III : 195, 16–19.

2

Obj. V : 345, 16–17. 5 Obj. V : 345, 18–20.

3

Obj. IV : 215, 8.

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um sie zu prüfen, von keinem von diesen irgendetwas gemeldet wird, was den übrigen widerspräche. Daraus nämlich, daß Gott kein Schwindler ist, folgt, daß ich mich in solchen Dingen überhaupt nicht täusche.1 Weil aber die Notwendigkeit, Dinge zu tun, nicht immer den Aufschub einer solch sorgfältigen Prüfung gestattet, muß eingeräumt werden, daß das menschliche Leben in bezug auf besondere Dinge oft Irrtümern ausgesetzt ist, und man muß die Unzulänglichkeit unserer Natur anerkennen.2

1

Obj. V : 345, 22–23.

2

Obj. V : 345, 24–26.

e inw ände e i n ig er gel eh r t er g e g en d ie vo r an g egan gene n me ditat io nen m it s a m t d en a n two r t en de s auto ren.

E R ST E EINWÄND E

Sehr geehrte Herren, als ich Ihren starken Wunsch (animus) gesehen habe, daß ich die Schriften des Herrn Descartes eingehender prüfen solle, konnte ich nicht umhin, in diesem Fall (causa) Männern Folge zu leisten, mit denen ich freundschaftlich verbunden bin : denn Sie sollen sehen, wie sehr ich Sie schätze. Es soll aber auch nicht verborgen bleiben, wie sehr es mir sowohl an Kräften wie an Geisteskraft mangelt, nicht nur, damit Sie mir zukünftig etwas mehr zugetan sind, wenn ich in Verlegenheit bin, sondern auch weniger enttäuscht, wenn ich nicht erfolgreich bin. Soweit ich es feststellen kann, ist Herr Descartes ein Mann von wirklich außerordentlicher Geisteskraft und einer so großen Bescheidenheit, daß sie selbst Momus gefallen würde, wäre er anwesend. Er sagt : »Ich denke, also bin ich ; ja ich bin sogar selbst Denken oder Geist.« Richtig. »Nun habe ich aber, wenn ich denke, die Ideen der Dinge in mir, und zwar insbesondere die Idee eines höchstvollkommenen und unendlichen Seienden.« Auch richtig. »Die Ursache dieser Idee bin jedoch nicht ich, der ich der objektiven Realität dieser Idee nicht entspreche ; also gibt es eine irgendwie geartete Ursache dieser Idee, die vollkommener ist als ich, und demnach gibt es irgendetwas außerhalb von mir, gibt es etwas Vollkommeneres als ich, irgendjemand, der nicht auf irgendeine beliebige Weise ein Seiendes ist, sondern schlechthin und uneingeschränkt alles Sein gleichmäßig in sich umfaßt und gleichsam die alles überragende Ursache ist«, wie Dionysius Areopagita es in Über die göttlichen Namen, Kapitel 8, ausdrückt. Hier bin ich allerdings gezwungen, ein wenig innezuhalten, um nicht allzu mürbe im Kopf zu werden. Meine Geisteskraft ist nämlich bereits aufgewühlt wie die Wogen des Euripus : ich behaupte es, bestreite es, ich weise es nach und weise es wieder zurück. Ich will dem Herrn nicht widersprechen, zustimmen aber kann ich ebensowenig. Denn welche Ursache bitte ist für eine Idee erforderlich ? Oder man sage mir, was

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eine Idee ist. Sie ist das gedachte Ding selbst, insofern es objektiv im Verstand ist.1 Was aber ist das : Objektiv im Verstand sein ? Früher habe ich gelernt : Es bedeutet, den Akt des Verstandes selbst durch den Modus des Objekts zu begrenzen. Das aber ist doch wohl nur eine äußere Bezeichnung, keine des Dinges selbst. So ist beispielsweise Gesehenwerden nichts anderes als : daß der Akt des Anblickens sich auf mich richtet. Ebenso ist Gedachtwerden oder Objektiv im Verstand sein das Denken des Geistes in sich zum Stillstand zu bringen und zu begrenzen. Das kann auch bei einem unbewegten und unveränderten, ja sogar bei einem inexistenten Ding geschehen. Weshalb also erforsche ich die Ursache eines Dinges, das es aktuell gar nicht gibt, das nur eine bloße Benennung und ein Nichts ist ? Gleichwohl behauptet dieser große Geist : Daß diese Idee die eine oder andere objektive Realität mehr enthält als eine andere Idee, das muß sie in der Tat von irgendeiner Ursache haben.2 Keineswegs, mitnichten von einer Ursache : Objektive Realität ist nämlich eine bloße Benennung und ist nicht aktuell. Eine Ursache hingegen übt einen realen und aktuellen Einfluß aus. Etwas, das es aktuell gar nicht gibt, ist nicht empfänglich für eine Ursache, es ist dem Ausfluß einer aktuellen Ursache nicht ausgesetzt und benötigt ihn auch nicht. Ich habe also Ideen, die Ursache dieser Ideen habe ich aber nicht, ganz zu schweigen davon, daß sie größer als ich und unendlich wären. »Wenn Sie aber den Ideen keine Ursache zugestehen, so geben Sie doch wenigstens den Grund an, warum diese Idee gerade diese objektive Realität enthält und nicht jene !«3 Das trifft sich gut ; ich bin für gewöhnlich nämlich nicht kurz angebunden, sondern eher weitschweifig. Ich behaupte das allgemein von allen Ideen, was Herr Descartes an einer anderen Stelle über das Dreieck sagt :4 Auch wenn vielleicht, sagt er, eine solche Figur nirgendwo außerhalb meines Denkens existiert, noch jemals existiert hat, so ist dennoch seine Natur, bzw. sein Wesen oder seine Form eine ganz bestimmte, unveränderliche und ewige.5 Was nämlich keine Ursache reklamiert, ist eine ewige Wahrheit.6 Ein Kahn ist ein Kahn und nichts anderes. Davus ist 1

Resp. I : 102, 3–4. 2 Med. III : 41, 20–23. 3 Resp. I : , 104, 17–18. Resp. I : , 19–20. 5 Med V : 64, 12–16 ; Resp. I : 104, 20–23. 6 Resp. I : 104, 23. 4

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Davus und nicht Ödipus. Wenn Sie dennoch verbissen einen Grund einfordern, ist das eine Unvollkommenheit unseres Verstandes,1 der nicht unendlich ist. Da er nämlich das Universum, das auf einen Schlag einmalig als ein einziger Komplex vorliegt, nicht versteht, teilt und zerlegt er das gesamte Material. Und so begreift er das, was er als Ganzes nicht bewältigen kann, nach und nach, oder, wie man sich auch ausdrückt, inadäquat. Dann fährt Herr Descartes fort : Wie unvollkommen, sagt er, nun auch immer jener Modus des Seins sein mag, in dem das Ding vermittelt durch die Idee im Verstand objektiv ist, so ist er doch in der Tat nicht einfach nichts, und kann demnach nicht durch das Nichts sein.2 Hier liegt eine Äquivokation vor.3 Wenn nämlich nichts dasselbe ist wie ein nicht aktuell Seiendes,4 dann ist es, weil es nicht aktuell ist, überhaupt nichts. Demgemäß ist es aus dem Nichts entstanden, d. h. nicht aus irgendeiner Ursache. Wenn hingegen nichts jenes fiktive Etwas meint, was man gemeinhin als Seiendes in der Vernunft (ens rationis) anspricht,5 dann ist es nicht nichts, sondern ein reales Etwas, das deutlich im Denken gesetzt wird.6 Aber weil es nur im Denken gesetzt wird, aber nicht aktuell ist, kann es zwar im Denken gesetzt werden, aber durchaus nicht verursacht sein.7 Aber es kann auch jetzt noch gefragt werden, ob ich selbst diese Idee besitzen könnte, wenn kein solches Seiendes existierte,8 von dem nämlich die Idee eines im Vergleich mit mir vollkommenerem Seienden herrührt, wie er unmittelbar zuvor sagt. Nun, sagt er, wodurch sollte ich sein ? Doch wohl durch mich selbst, durch meine Eltern, oder durch irgendetwas9 usw. Wenn ich nun aber durch mich selbst wäre, würde ich weder zweifeln, noch wünschen, noch würde mir überhaupt irgendetwas fehlen, denn ich hätte mir alle Vollkommenheiten verliehen, von denen auch nur die geringste Idee in mir ist, und wäre so Gott selbst.10 Wenn ich aber durch etwas anderes bin, gelange ich schließlich zu etwas, das 1

Resp. I : 104, 27–28. 2 Med III : 41, 26–29 3 Resp. I : 103, 5. 4 Resp. I : 103, 9. 5 ansprechen] indigitare ist ein Ausdruck des Kirchenlateins und meint anrufen. 6 Resp. I : 103, 11–12. 7 Resp. I : 103, 13–16. 8 Med III : 47, 29–48, 2 9 Med III : 48, 3–4 10 Med III : 48, 7–10

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durch sich selbst ist, und demnach gilt sowohl in bezug auf mich wie in bezug auf dieses Etwas dasselbe Argument.1 Das ist letztlich derselbe Weg, den auch der Heilige Thomas von Aquin eingeschlagen hat, und den er den Weg »von der Kausalität der bewirkenden Ursache her«2 nennt und von Aristoteles entlehnt hat, wobei es keinem der beiden um die Ursachen der Ideen zu tun gewesen ist. Vielleicht aber war das auch gar nicht nötig ; denn weshalb gehe ich nicht kurz und bündig und geradewegs voran ? »Ich denke, also bin ich, ja ich bin sogar selbst Geist und Denken. Dieser Geist und dieses Denken ist entweder durch sich selbst oder durch etwas anderes. Wenn letzteres, stellt sich erneut die Frage, wodurch dieses andere ist. Wenn es also durch sich selbst ist, ist es Gott : denn was durch sich selbst ist, wird sich ganz gewiß mit allem ausgestattet haben.« Als interessierter, wenn vielleicht auch minder intelligenter Leser bitte ich den Verfasser inständig, seine Karten auf den Tisch zu legen. Durch sich wird nämlich in zweifacher Weise aufgefaßt. Erstens positiv, nämlich als durch sich selbst wie durch eine Ursache. So aufgefaßt hätte das, was durch sich selbst wäre und sich selbst sein Sein verliehe, wenn es sich durch eine vorbedachte Wahl das verliehen hätte, was es wollte, zweifellos mit allem ausgestattet und wäre demnach Gott. Zweitens wird durch sich negativ aufgefaßt als dasselbe wie durch sich selbst oder nicht durch etwas anderes, und in dieser Weise wird es, wenn ich mich richtig entsinne, von allen aufgefaßt.3 Wie kann ich nun aber beweisen, wenn etwas durch sich selbst ist, d. h. nicht durch etwas anderes, daß es alles beinhaltet und unendlich ist ? Jetzt nämlich schenke ich Ihnen kein Gehör, wenn Sie sagen : »Wenn es durch sich ist, hätte es sich ganz gewiß mit allem ausgestattet.« Denn es ist weder durch sich selbst wie durch eine Ursache, noch ist es sich selbst vorausgegangen, um zuvor zu wählen, was es später sein würde.4 Ich weiß, daß ich Suarez irgendwann einmal so gehört habe : »Alle Begrenztheit geschieht durch eine Ursache.«5 Deshalb ist ein Ding be1

Med. III : 50, 4–6. 2 »Fünf Wege gibt es, das Dasein Gottes zu beweisen« (Summa Theologica 1, quaes. II, art. 3, resp. = DTA 1, 44). »Der zweite Weg geht vom Gedanken der Wirkursache aus« (ebd. = DTA 1, 45). 3 Obj. IV : 208, 4–6. 4 Obj. IV : 208, 6–11. 5 Resp. I : 111, 20.

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grenzt und endlich, entweder weil die Ursache es mit nichts Höherem und Vollkommenerem austatten konnte, oder weil sie es nicht wollte. Wenn also etwas durch sich ist und nicht durch eine Ursache, ist es tatsächlich unbegrenzt und unendlich. Damit gebe ich mich aber nicht ganz zufrieden. Denn was, wenn die Begrenztheit aufgrund innerer konstitutiver Prinzipien vorliegt, d. h. durch die Form und das Wesen selbst, die doch keineswegs schon als unendlich nachgewiesen ist, mag sie auch noch so sehr allein durch sich sein, d. h. nicht durch etwas anderes ? Tatsächlich wird doch, wenn Sie annehmen, daß das Warme warm ist, es aufgrund innerer konstitutiver Prinzipien warm sein und nicht kalt, selbst wenn Sie sich vorstellen, es sei nicht aufgrund irgendetwas anderen gerade das, was es ist. Ich zweifle nicht daran, daß es Herrn Descartes nicht an Begründungen mangeln wird, durch die er das ergänzen kann, was andere möglicherweise nicht klar genug dargetan haben. Schließlich1 besteht zwischen mir und dem Verfasser Einverständnis darüber, wenn er dies als allgemeine Regel aufstellt : Alles, was ich klar und deutlich erkenne, das ist tatsächlich ein wahres Seiendes.2 Mehr noch : Alles, was ich denke, ist wahr. Denn bereits von Kindheit an haben wir fast alle Chimären und alle Seienden in der Vernunft (ens rationis) mit Stumpf und Stiel ausgerottet. Denn kein Vermögen kann von dem ihm eigentümlichen Objekt abweichen. Wenn der Wille in Bewegung versetzt wird, tendiert er zum Guten. Und sogar die Sinne selbst irren nicht : das Sehvermögen nämlich sieht das, was es sieht, der Hörsinn hört das, was er hört, und wenn Sie Messing für Gold ansehen, sehen Sie schon ganz richtig. Aber Sie irren, wenn ihr Urteil, daß es Gold ist, festlegt, was Sie sehen. Herr Descartes verbucht also jeden Irrtum völlig zurecht auf das Konto des Urteils und des Willens. Jetzt aber leiten Sie aus dieser Regel auch das ab, was Sie wollten : »Nun erkenne ich aber das unendliche Seiende klar und deutlich ; also ist es ein wahres Seiendes und etwas.« Da wird manch einer fragen : »Sie erkennen das unendliche Seiende klar und deutlich ?3 Was will dann aber die abgegriffene und allgemein bekannte Formel besagen : 1

Resp. I : 112, 12–16.

2

Med III : 35, 13–15.

3

Resp. I : 112, 17–18.

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Das Unendliche ist unbekannt, insofern es unendlich ist« ? Wenn ich nämlich ein Tausendeck denke und es mir als irgendeine verworrene Figur repräsentiere, dann stelle ich mir das Tausendeck selbst weder deutlich vor, noch erkenne ich es deutlich, weil ich seine tausend Seiten nicht deutlich erblicke. Da drängt sich doch die Frage auf : Wie kann er das Unendliche als Unendliches deutlich und nicht verworren auch nur denken, wenn er die unendlich vielen Vollkommenheiten, aus denen es besteht, nicht klar und gleichsam augenfällig sehen kann ? Vielleicht ist es das, was der Heilige Thomas sagen wollte. Denn da er bestreitet, daß die Behauptung Es gibt einen Gott selbstverständlich ist, setzt er sich von Damascenus her dem Einwand aus, daß »allen die Erkenntnis des existierenden Gottes natürlich eingepflanzt ist«.1 Also ist es selbstverständlich, daß es einen Gott gibt. Er erwidert : »Irgendwie allgemein in einer gewissen Verworrenheit2 zu erkennen, daß es Gott gibt, insofern nämlich Gott die Glückseligkeit des Menschen ist : Das ist uns natürlich eingepflanzt . . . Doch das heißt noch nicht, einfach zu erkennen, daß es Gott gibt ; wie ja auch zu erkennen, daß jemand sich nähert, noch nicht heißt, Petrus zu erkennen, auch wenn es Petrus ist, der sich nähert«3 usw. Gleichsam als ob er sagen will, daß Gott in allgemeiner Hinsicht oder hinsichtlich des letzten Zwecks oder auch hinsichtlich des ersten und allervollkommensten Seienden oder schließlich verworren und in einer im allgemeinen alles umfassenden Hinsicht erkannt wird, jedoch nicht in präziser Hinsicht seines Seins. Denn so gesehen ist er unendlich und uns unbekannt. Ich weiß, daß es Herrn Descartes nicht schwer fallen wird, jemandem zu antworten, der so fragt. Doch ich glaube, daß er sich infolge dessen, was ich bloß der Übung wegen anführe, an das Wort des Boëtius erinnern wird : »Manche allgemeinen Konzeptionen des Gemüts sind nur für die Weisen 1

Thomas zitiert Johannes Damscenus (Summa Theologica 1, quaes. II, art. 1, ad prim. = DTA 1, 36) ; bei Johannes heißt es : »Nemo quippe mortalium est, cur non hoc ab eo naturaliter insitum sit, ut Deum esse cognoscat«, und : »Velut enim jam diximus, insitum nobis a natura est, ut Deum esse noscamus« (794) (Joannis Damasceni [. . . ] Opera Omnia quae exstant. Paris : Migne 1864 (= Patrologiae Cursus Completus series Graeca, Bd. 94)). 2 Resp. I : 114, 5. 3 Summa theologica 1, quaes. II, art. 1, ad prim. = DTA 1, 39.

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selbstverständlich.«1 Daher ist es nicht verwunderlich, wenn diejenigen vieles fragen, die mehr zu wissen verlangen, und sie sich länger mit Dingen aufhalten, von denen sie als die ersten, feststehenden Fundamente Kenntnis erlangt haben und die sie dennoch nicht ohne eingehende Untersuchung einsehen. Gestehen wir also einmal zu, daß jemand eine klare und deutliche Idee des höchsten und allervollkommensten Seienden hat. Was entwickeln Sie weiter daraus ? Doch wohl, daß dieses unendliche Seiende existiert, und zwar so gewiß, daß die Existenz Gottes bei mir zumindest in demselben Grad Gewißheit besitzen muß, wie bislang die Wahrheiten der Mathematik :2 so daß es ebenso widersprüchlich ist, einen Gott (das heißt : ein höchstvollkommenes Seiendes) zu denken, dem die Existenz (das heißt : eine Vollkommenheit) fehlt, als einen Berg zu denken, dem das Tal fehlt.3 Hier liegt der Angelpunkt der ganzen Sache ; wer jetzt nachgibt, muß sich geschlagen geben : Weil ich mit jemandem zu tun habe, der stärker ist als ich, und ich ja nun einmal doch besiegt werde, steht es mir zu, mich noch ein wenig zu wehren, um noch etwas hinauszuschieben, was ich nicht verhindern kann. Es soll nicht der Eindruck entstehen, ich würde aus einer Laune heraus diesem großen Geist widersprechen.4 Auch wenn wir uns nicht auf Autorität, sondern allein auf die Vernunft berufen, hören Sie gleichwohl zuerst den Heiligen Thomas selbst. Er setzt sich mit folgendem Einwand auseinander :

1

Summa theologica 1, quaes. II, art. 1, resp. = DTA 1, 38 ; schwer zu lokalisierendes Zitat. Wenn der Verweis bei Thomas auf den Traktat De Hebdomadibus (= Tractatus Tertius : Quomodo Substantiae in eo quod sint bonae sint cum non sint Substantialia bona) richtig ist, kommt nur in Frage : »Alia vero est doctorum tantum, quae tamen ex talibus communibus animi conceptionibus venit/Anderes aber, was gleichwohl aus derartigen gemeinsamen Begriffen des Bewußtseins kommt, [. . . ] gehört nur den Gelehrten« (Anicius Malius Severinus Boëthius : Die Theologischen Traktate. übers. v. Michael Elsässer. Hamburg : Meiner 1988, 34/35). 2 Med. V : 65, 29–66, 30. 3 Med. V : 66, 12–15 4 Resp. I : 115, 3 ff.

97,17

98,2

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»Sobald ich eingesehen habe, was der Name Gott bezeichnet, gilt auch, daß es einen Gott gibt. Denn mit diesem Namen wird etwas bezeichnet, über das hinaus sich nichts Größeres bezeichnen läßt. Nun ist aber das, was in Wirklichkeit (in re) und im Verstand ist, größer als das, was nur im Verstand ist. Sobald ich daher den Namen Gott eingesehen habe, ist er unverzüglich im Verstand. Daraus folgt dann aber auch, daß er in Wirklichkeit (in re) ist.«

Dieses Argument bringe ich folgendermaßen in eine logische Form : Gott ist das, über das hinaus nichts als größer bezeichnet werden kann ; das aber, über das hinaus nichts als größer bezeichnet werden kann, beinhaltet die Existenz ; also beinhaltet Gott durch seinen Namen oder seinen Begriff die Existenz. Daher kann er ohne Existenz weder begriffen werden, noch kann er sein. Nun, ich bitte Sie : Ist dies etwa das Argument des Herrn Descartes ? Der Heilige Thomas definiert Gott so : Das, über das hinaus sich nichts als größer bezeichnen läßt. Descartes nennt ihn das höchtsvollkommene Seiende ; und über das hinaus läßt sich nun in der Tat nichts als größer bezeichnen. Der Heilige Thomas subsumiert : Das, über das hinaus sich nichts als größer bezeichnen läßt, beinhaltet die Existenz. Andernfalls kann etwas anderes über es hinaus als größer bezeichnet werden, nämlich das, was auch die Existenz enthält. Scheint Herr Descartes etwa dasselbe zu subsumieren ? Gott ist das höchstvollkommene Seiende. Nun beinhaltet aber das höchstvollkommene Seiende die Existenz, ansonsten wäre es nicht höchstvollkommen. Daraus leitet der Heilige Thomas ab : »Sobald ich also den Namen Gott eingesehen habe, ist er unverzüglich im Verstand. Daraus folgt dann aber auch, daß er in Wirklichkeit (in re) ist.« Das heißt : Eben dadurch, daß im wesentlichen Begriff desjenigen Seienden, über das hinaus nichts als größer bezeichnet werden kann, die Existenz eingeschlossen ist, folgt, daß es jenes Seiende gibt. Dasselbe leitet Herr Descartes ab. Er sagt : Dagegen folgt daraus, daß ich Gott nicht denken kann außer als Existierenden, daß die Existenz unabtrennbar von Gott ist, und er demnach tatsächlich existiert.1 Nun kann aber der Heilige Thomas sowohl sich als auch Descartes 1

Med. V : 67, 2–5

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antworten : »Gesetzt, alle sehen ein, daß durch den Namen Gott das bezeichnet wird, was gesagt wird, nämlich dasjenige, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann : Gleichwohl folgt aufgrund dessen keineswegs schon, daß alle einsehen, daß es das, was durch diesen Namen bezeichnet wird, in der dinglichen Natur (rerum natura) gibt, sondern nur, daß es in der Auffassung (apprehensio) ist. Es läßt sich nicht dartun, daß es in Wirklichkeit (in re) ist, wenn man nicht zugibt, daß es in der Wirklichkeit (in re) etwas gibt, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Das aber geben diejenigen nicht zu, die setzen, daß es Gott nicht gibt.«1 Daher antworte auch ich selbst kurz : Selbst wenn man zugibt, daß das höchstvollkommene Seiende allein schon in seinem Namen die Existenz herbeiführt, folgt gleichwohl noch nicht, daß eben diese Existenz in der dinglichen Natur aktuell etwas ist, sondern lediglich, daß mit dem Begriff eines höchsten Seienden der Begriff der Existenz untrennbar verbunden ist. Daraus dürfen Sie nicht folgern, daß die Existenz Gottes aktuell etwas ist, wenn Sie nicht voraussetzen, daß jenes höchste Seiende aktuell existiert ; dann nämlich beinhaltet es aktuell sowohl alle Vollkommenheiten, als auch die reale Existenz. Verzeihen Sie mir bitte, meine Herren, ich bin müde und möchte meinen Gedanken einmal freien Lauf lassen (ludere). Die Wortverbindung Existierender Löwe beinhaltet sowohl den Löwen als auch die Weise der Existenz, und zwar beides wesentlich. Denn wenn Sie eines der beiden fortnehmen, wird auch die Wortverbindung nicht dieselbe sein. Nun, hat Gott nicht seit Ewigkeit dieses Zusammengesetzte klar und deutlich erkannt ? Und beinhaltet nicht die Idee dieses Zusammengesetzten als Zusammengesetztes beide Teile wesentlich ? Das heißt : Gehört nicht die Existenz zum Wesen dieses Zusammengesetzten Existierender Löwe ? Und dennoch verlangt die deutliche Erkenntnis Gottes – ich betone : die von Ewigkeit her deutliche Erkenntnis Gottes – nicht notwendig, daß es einen der beiden Bestandteile dieses Zusammengesetzten gibt ; es sei denn, Sie setzen voraus, daß es das Zusammengesetzte selbst gibt. Dann nämlich enthält sie alle seine wesentlichen Vollkommenheiten, und demnach auch die aktuelle Exi1

Summa Theologica I, quaes. II, art. 1, ad. sec = DTA 1, 39.

99,21

110

100,13

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stenz. Auch wenn ich daher das höchste Seiende deutlich erkenne, und obwohl meinetwegen das höchstvollkommene Seiende in seinem wesentlichen Begriff die Existenz beinhalten mag, so folgt dennoch keineswegs daraus schon, daß diese Existenz aktuell etwas ist, es sei denn, Sie setzen voraus, daß es dieses höchste Seiende gibt. Dann nämlich beinhaltet es wie alle seine Vollkommenheiten ebenso auch die Existenz aktuell. Demgemäß wird von woandersher bewiesen werden müssen, daß ein solches höchstvollkommendes Seiendes existiert. Über das Wesen1 der Seele und ihre Unterscheidung vom Körper sage ich nur wenig. Ich gestehe nämlich, daß dieser große Geist mich bereits so sehr erschöpft hat, daß ich fast nichts mehr hinzufügen kann. Die Unterscheidung der Seele vom Körper, wenn es sie gibt, scheint er dadurch nachzuweisen, daß sie deutlich und unabhängig voneinander begriffen werden können. Hier bringe ich den berühmten Mann mit Scotus2 in Verbindung, der sagt : Um das eine von dem anderen deutlich und unabhängig von ihm zu begreifen, reicht die Unterscheidung aus, die er formale und objektive nennt, und die er als Mittlere zwischen die reale und die aus Vernunft setzt. So unterscheidet er die göttliche Gerechtigkeit von seiner Barmherzigkeit : »Sie besitzen nämlich«, sagt er, »vor aller Operation des Verstandes verschiedene formale Gründe, so daß bereits dann die eine nicht die andere ist. Und dennoch folgt nicht : Gerechtigkeit kann unabhängig von Barmherzigkeit begriffen werden, also existiert sie auch unabhängig.« Aber es scheint mir, ich bin über den Rahmen eines Briefes hinausgegangen. Dies ist es, was ich über die Sache, die mir vorgelegt wurde, zu sagen habe. Sie aber, sehr geehrte Herren, entscheiden Sie selbst, was Sie für das Bessere halten wollen. Wenn Sie sich auf meine Seite schlagen, werden wir Herrn Descartes leicht mit Freundlichkeit bezwingen, es mir in Zukunft nicht nachzutragen, daß ich ihm ein wenig widersprochen habe. Schlagen Sie sich jedoch auf seine Seite, gebe ich mich geschlagen und erkläre mich für besiegt, und zwar schon allein deswegen um so lieber, weil ich nicht erneut besiegt werden möchte. Leben Sie wohl. 1

Wesen] 1. Auflage Existenz

2

Resp. I : 120, 15 ff.

E RW I D ER U NG DES A UTO REN AUF D I E ER S TEN EIN WÄ ND E

Hochberühmte Herren, einen wirklich starken Gegner haben Sie gegen mich mobilisiert, und seine Geisteskraft und Gelehrsamkeit hätten mich in arge Bedrängnis bringen können, hätte der fromme und äußerst anständige Theologe es nicht vorgezogen, die Sache Gottes und damit auch Ihres bescheidenen Fürsprechers zu unterstützen anstatt sie ernstlich zu bekämpfen. So ehrenhaft eine solche Pflichtverletzung in seinem Fall auch sein mag, so wenig rühmlich wäre von meiner Seite ein stillschweigendes Einverständnis damit ; und daher ziehe ich es vor, anstatt ihm wie einem Gegner zu antworten, den Kunstgriff offenzulegen, durch den er mich unterstützt. Zuerst hat er mit wenigen Worten meine Hauptüberlegung, um die Existenz Gottes nachzuweisen, dargelegt, damit sie den Lesern umso besser im Gedächtnis bleibt. Nachdem er dann das, was er für klar genug bewiesen gehalten hat, kurz zugegeben und es so durch seine Autorität bestärkt hat, hat er den einen Punkt erforscht, von dem die hauptsächliche Schwierigkeit ihren Ausgang nimmt, nämlich was hier eigentlich unter dem Namen Idee verstanden werden muß und welche Ursache diese Idee verlangt. Nun habe ich geschrieben : »Die Idee ist das gedachte Ding selbst, insofern es objektiv im Verstand ist.« Er aber tut so, als verstünde er diese Worte ganz anders, als sie von mir gesagt wurden, um sich so die Gelegenheit zu verschaffen, sie klarer zu erklären. Objektiv im Verstand sein, sagt er, bedeutet, den Akt des Verstandes selbst durch den Modus des Objekts zu begrenzen, was nur

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eine äußere Bezeichnung, keine des Dinges selbst ist usw.1 Hierbei ist zu beachten, daß er das Ding selbst als gleichsam außerhalb des Verstandes gesetzt ansieht. In dieser Hinsicht ist es dann in der Tat eine äußerliche Benennung, daß es objektiv im Verstand ist. Ich dagegen spreche über eine Idee, die niemals außerhalb des Verstandes ist, und im Hinblick darauf bezeichnet objektiv sein nichts anderes als gerade in dem Modus im Verstand sein, in dem Objekte gewöhnlich in ihm sind. Wenn zum Beispiel jemand fragt, was der Sonne dadurch akzidiere, daß sie objektiv in meinem Verstand ist, dann lautet die beste Antwort : »Ihr akzidiert nichts außer einer äußerlichen Benennung, nämlich daß sie die Operation des Verstandes durch den Modus des Objekts einschränkt.« Wenn aber danach gefragt wird, was die Idee der Sonne sei, und die Antwort lautet : »Sie ist ein gedachtes Ding, insofern es objektiv im Verstand ist«, dann wird niemand das so verstehen, daß dieses gedachte Ding die Sonne selbst sei, insofern ihr jene äußerliche Benennung zukommt. Objektiv im Verstand sein wird dabei nicht bezeichnen : die Operation des Verstandes durch den Modus des Objekts einschränken, sondern : im Verstand in der Weise sein, in der nun mal Objekte seine Objekte sind. Demgemäß ist die Idee der Sonne die im Verstand existierende Sonne selbst, allerdings nicht formal existierend wie am Himmel, sondern objektiv existierend, d. h. in dem Modus, in dem Objekte nun mal im Verstand sind. Zwar ist das in der Tat ein weitaus unvollkommenerer Modus des Seins als jener, in dem Dinge außerhalb des Verstandes existieren ; wie ich jedoch vorher bereits geschrieben habe, ist dieser Modus des Seins deshalb doch nicht einfach nichts. Wenn nun der höchst gelehrte Theologe sagt, in diesen Worten liege eine Äquivokation,2 so hat er mich, wie es scheint, an das erinnern wollen, worauf ich gerade eben hingewiesen habe, falls es mir vielleicht unbekannt wäre. Er behauptet nämlich erstens, ein so durch eine Idee im Verstand existierendes Ding sei kein aktuell Seiendes,3 d. h. es sei kein außerhalb des Verstandes 1

Obj. I : 92, 14–17.

2

Obj. I : 93, 25.

3

Obj. I : 93, 26.

er s te erw id eru n g e n

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gesetztes Etwas. Das ist wahr. Er behauptet außerdem auch, dieses Ding sei kein fiktives Etwas, bzw. ein Seiendes in der Vernunft (ens rationis), sondern ein reales Etwas, das deutlich im Denken gesetzt wird.1 Durch diese Worte läßt er alles gelten, was ich angenommen habe. Trotzdem fügt er hinzu : Weil es nur im Denken gesetzt wird, und aktuell nicht ist, (d. h., weil es nur eine Idee und kein außerhalb des Verstandes gesetztes Ding ist) kann es zwar im Denken gesetzt werden, aber durchaus nicht verursacht sein.2 Will sagen : Es bedarf keiner Ursache, um außerhalb des Verstandes zu existieren. Das räume ich ein. Allerdings bedarf es doch wohl einer Ursache, um überhaupt im Denken gesetzt zu werden, und allein auf diese Ursache richtet sich die Frage. Wenn z. B. jemand im Verstand die Idee irgendeiner sehr kompliziert ausgedachten Maschine hat, kann doch wohl zurecht danach gefragt werden, was eigentlich die Ursache dieser Idee sei. Und es wäre ganz unbefriedigend, wenn jemand behaupten würde : »Diese Idee ist außerhalb des Verstandes nichts und kann daher nicht verursacht, sondern nur im Denken gesetzt werden« ; denn hier wird doch gerade danach gefragt, was die Ursache sei, durch die sie im Denken gesetzt wird. Und es wäre auch unbefriedigend, wenn er behaupten würde : »Der Verstand selbst ist ihre Ursache, nämlich insofern sie seine Operation ist« ; daran zweifelt nämlich niemand, sondern nur an der Ursache des objektiven Gehalts, der in ihr enthalten ist. Denn daß die Idee dieser Maschine gerade diesen objektiven Gehalt enthält und nicht einen anderen, das muß sie doch von irgendeiner Ursache haben. Nun ist dasselbe, was in bezug auf die Idee der objektive Gehalt ist, in bezug auf die Idee Gottes die objektive Realität. Diesem Gehalt können vielfältige Ursachen zugewiesen werden. Entweder nämlich ist diese Ursache eine reale sogeartete Maschine, die er irgendwann vorher gesehen und als deren Abbild er diese Idee gebildet hat. Oder sie ist ein außerordentliches Wissen in der Mechanik, die in seinem Verstand vorhanden ist ; vielleicht aber auch eine solche Feinsinnigkeit der Geisteskraft, mit deren Hil1

Obj. I : 94, 1–3.

2

Obj. I : 94, 3–4.

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fe er die Idee auch ohne vorausgehendes Wissen hat erfinden können. Es muß darauf hingewiesen werden, daß aller Gehalt, der in jener Idee nur objektiv vorhanden ist, notwendig entweder formal oder eminent in ihrer Ursache vorhanden sein muß, was auch immer sie letztendlich sein mag. Dasselbe gilt auch für die objektive Realität, die in der Idee Gottes vorliegt. Worin aber wird sie in dieser Weise vorliegen, wenn nicht im real existierenden Gott ? All das hat aber der weitblickende Mann sehr wohl gesehen, und er räumt deshalb ein, daß zu wissen verlangt werden könne, warum diese Idee gerade diese objektive Realität enthält und nicht jene.1 Auf diese Frage antwortet er zunächst, es verhalte sich mit allen Ideen gerade so, wie ich (Descartes) es in bezug auf das Dreieck geschrieben habe :2 »Auch wenn vielleicht eine solche Figur nirgendwo außerhalb meines Denkens existiert, so ist seine Natur, bzw. sein Wesen oder auch seine Form sicherlich eine ganz bestimmte, unveränderliche und ewige«.3 Diese Idee, so behauptet er, reklamiert keine Ursache.4 Aber er hat sehr wohl gesehen, daß dies immer noch nicht befriedigend ist. Denn auch wenn die Natur des Dreiecks eine unveränderliche und ewige ist, so kann deshalb doch nicht weniger gefragt werden, weshalb die Idee des Dreiecks in uns ist. Daher fügt er hinzu : Wenn Du dennoch verbissen einen Grund einforderst, ist das eine Unvollkommenheit unseres Verstandes usw.5 Mit dieser Antwort hat er anscheinend nichts anderes kenntlich machen wollen, als daß diejenigen nichts Wahrscheinliches erwidert haben, die mir diesbezüglich widersprechen wollten. Denn daß ausgerechnet die Unvollkommenheit unseres Verstandes die Ursache sein sollte, weshalb die Idee Gottes in uns ist : das ist doch in der Tat ebenso unglaubhaft, wie daß Unkenntnis der Mechanik die Ursache sein könnte, weshalb wir uns irgendeine sehr komplizierte Maschine anstatt einer unvollkommeneren vorstellen. Denn ganz im Gegenteil : Wenn jemand die Idee einer Maschine hat, in der jeder nur erdenkliche Gehalt tatsächlich enthalten ist, leitet er 1

Obj. I : 93, 6–7. 2 Obj. I : 93, 8–10. 3 Med V : 64, 12–16 ; Obj. I : 93, 8–13. 4 Obj. I : 93, 14. 5 Obj. I : 93, 16–17.

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daraus zu Recht ab, daß diese Idee von irgendeiner Ursache ausgegangen ist, in der der gesamte erdenkliche Gehalt tatsächlich existierte, wenn er auch vielleicht in ihr nur objektiv ist. Da wir in uns eine Idee Gottes haben, in der jede denkbare Vollkommenheit enthalten ist, kann mit derselben Begründung daraus ganz evident geschlossen werden, daß diese Idee von einer Ursache abhängt, in der diese gesamte Vollkommenheit ebenfalls vorhanden ist, nämlich im tatsächlich existierenden Gott. Die Schwierigkeit, die in letzterem liegt, würde nun wohl nicht größer erscheinen als die in dem ersten liegende, wenn das Vermögen, die Idee Gottes im Denken zu setzen, bei den Leuten verschieden wäre, nämlich genauso, wie ja nicht alle Leute erfahrene Mechaniker sind und daher nicht alle die Ideen sehr komplizierter Maschinen haben können. Weil aber die Idee Gottes allen Geistern in derselben Weise eingegeben ist, und wir nicht feststellen, daß sie uns jemals von anderswoher als eben nur aus uns selbst erscheint, setzen wir voraus, daß sie zur Natur unseres Verstandes gehört – und zwar gar nicht einmal zu Unrecht. Dabei aber lassen wir etwas anderes unberücksichtigt, was in erster Linie zu betrachten ist, und wovon die gesamte Überzeugungskraft und das gesamte Licht dieses Arguments abhängt, nämlich daß das Vermögen, die Idee Gottes in sich zu haben, gar nicht in unserem Verstand sein könnte, wenn dieser Verstand einfach nur ein endliches Seiendes wäre – was er ja auch tatsächlich ist –, und er keine Ursache seiner selbst hätte, die Gott wäre. Daher habe ich noch nicht aufgehört, zu erforschen, »ob ich selbst existieren könnte, wenn Gott nicht existierte« ;1 nicht, um einen von dem vorhergehenden noch verschiedenen Grund anzuführen, sondern um eben diesen völlig zu erklären. Hier aber bringt mich der überaus pflichtbewußte Mann in eine Lage, die meinem Ruf schaden kann. Denn er vergleicht mein Argument mit einem bestimmten anderen, von Thomas und Aristoteles entlehnten, um so gewissermaßen eine Begrün1

Med. III : 48, 1–2.

106,6

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106,14

107,8

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dung einzufordern, weshalb ich, obwohl ich doch denselben Weg eingeschlagen habe wie jene, dennoch nicht in allem denselben gegangen bin. Aber es sei mir doch bitte gestattet, von anderen zu schweigen und lediglich über das Rechenschaft abzulegen, was ich selbst geschrieben habe. Erstens habe ich aus zwei Gründen mein Argument nicht von einer vermeintlichen Ordnung oder Aufeinanderfolge bestimmter bewirkender Ursachen entlehnt, die ich an den sinnlichen Dingen gesehen hätte. Zum einen habe ich es für weitaus evidenter gehalten, daß Gott existiert, als daß irgendwelche sinnlichen Dinge existieren. Zum anderen schien es mir keineswegs, ich könne durch diese Aufeinanderfolge der Ursachen zu irgendetwas anderem gelangen als dazu, die Unvollkommenheit meines Verstandes anzuerkennen : nämlich dadurch, daß ich nicht verstehen kann, auf welche Weise unendlich viele solche Ursachen voneinander seit Ewigkeit so aufeinander folgen, ohne daß eine davon die erste gewesen ist. Denn daraus, daß ich dies nicht verstehen kann, folgt sicherlich nicht, daß irgendeine Ursache die erste sein müsse. Es folgt ja auch daraus, daß ich eine unendliche Anzahl von Teilungen in einer endlichen Quantität genausowenig verstehen kann, keineswegs, daß es irgendeine letzte gibt, so daß sie nicht weiter geteilt werden könne ; sondern es folgt nur, daß mein Verstand, der endlich ist, das Unendliche nicht fassen kann. Und so habe ich es vorgezogen, die Existenz meiner selbst als Fundament für meinen Gedankengang zu verwenden, die von keiner Abfolge der Ursachen abhängt und mir so bekannt ist, daß es nichts Bekannteres geben kann ; und um mich so von aller Aufeinanderfolge der Ursachen zu befreien, habe ich in bezug auf mich weniger danach gefragt, durch welche Ursache ich einst produziert worden bin, als vielmehr, durch welche ich in der Gegenwart erhalten werde. Zweitens habe ich nicht nach meiner Ursache gefragt, insofern ich aus Geist und Körper bestehe, sondern einzig und allein insofern ich ein denkendes Ding bin – was ich für sehr zweckdienlich halte, denn auf diese Weise konnte ich mich sehr viel besser von den Vorurteilen befreien, das Licht der Natur be-

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rücksichtigen, mich selbst befragen und als sicher behaupten, daß nichts in mir sein könne, dessen ich mir nicht irgendwie bewußt wäre. Das ist nun etwas völlig anderes als wenn ich, weil ich sehe, daß ich von meinem Vater hervorgebracht worden bin, meinen Vater genauso betrachten würde, nämlich insofern er von meinem Großvater abstammt, und so die Eltern der Eltern erforschend nur deswegen setzen würde, daß es eine erste Ursache gibt, weil ich nicht bis ins Unendliche weitergehen kann und daher dem Fragen ein Ende bereiten müßte. Außerdem habe ich nicht nur gefragt, was meine Ursache ist, insofern ich ein denkendes Ding bin, sondern vor allem und insbesondere auch, insofern ich bemerke, daß sich zwischen den anderen Gedanken in mir die Idee eines höchstvollkommenen Seienden befindet. Von diesem einen Punkt hängt nämlich die gesamte Überzeugungskraft meines Beweises ab. Denn erstens ist in dieser Idee enthalten, was Gott ist – zumindest insofern er von mir eingesehen werden kann. Nach den Gesetzen der wahren Logik darf aber niemals in bezug auf irgendein Ding gefragt werden, ob es ist, wenn nicht zuvor eingesehen wird, was es ist ; und zweitens gibt gerade diese Idee mir Gelegenheit, zu prüfen, ob ich durch mich selbst oder durch etwas anderes bin, und meine Mängel zu erkennen ; und schließlich ist es diese Idee, die mich nicht nur lehrt, daß es irgendeine Ursache von mir gibt, sondern darüber hinaus auch, daß in dieser Ursache alle Vollkommenheiten enthalten sind und sie demnach Gott ist. Schließlich habe ich nicht gesagt, es sei unmöglich, daß etwas bewirkende Ursache seiner selbst sei. Das ist zwar offensichtlich wahr, wenn man die Bedeutung des Bewirkenden auf jene Ursachen restringiert, die den Wirkungen zeitlich vorangehen oder die von ihnen verschieden sind. Doch bei dieser Frage scheint es keineswegs in dieser Weise restringiert werden zu müssen.1 Denn zum einen wäre das eine ganz nutzlose Frage : Wer nämlich wüßte nicht, daß dasselbe weder sich selbst zeitlich vorangehen, noch von sich selbst verschieden sein kann ?2 Zum 1

Obj. IV : 209, 13–18.

2

Resp. IV : 239, 25–240, 5.

107,20

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anderen schreibt das Natürliche Licht es für die Funktion eines Bewirkenden gar nicht als erforderlich vor, daß es zeitlich seiner Wirkung vorangehe.1 Denn ganz im Gegensatz dazu besitzt es die Funktion einer Ursache eigentlich nur, solange es eine Wirkung produziert, und geht ihr demnach zeitlich nicht voraus. Hingegen schreibt das Natürliche Licht in der Tat vor, daß kein Ding existiert, in bezug auf das nicht zu wissen verlangt werden könnte, weshalb es existiert, bzw. dessen bewirkende Ursache etwa nicht erforscht oder, wenn es keine besitzt, reklamiert werden könnte, weshalb es keiner bedarf.2 Wenn ich daher annehmen würde, daß kein Ding sich zu sich selbst verhalten könne wie eine bewirkende Ursache zu ihrer Wirkung [Es muß darauf hingewiesen werden, daß ich unter diesen Worten nichts anderes verstehe, als daß das Wesen eines Dinges so ist, daß es keiner bewirkenden Ursache bedarf, um zu existieren.],3 so würde es mir ganz fern liegen, daraus abzuleiten, daß es irgendeine erste Ursache gebe. Ganz im Gegenteil würde ich wiederum nach der Ursache derjenigen Ursache forschen, die die erste Ursache genannt wird, und würde so niemals zu einer ersten Ursache aller anderen gelangen.4 Hingegen lasse ich unbesehen gelten, daß es etwas geben kann, in dem eine so große und unerschöpfliche Macht vorhanden ist, daß es niemals irgendeiner Hilfe bedürfen wird, um zu existieren, und auch jetzt keiner bedarf, um erhalten zu bleiben, und das daher gewissermaßen Ursache seiner selbst ist ;5 und ich sehe ein, daß Gott so etwas ist. Nun betrachte ich die Abschnitte der Zeit als voneinander absonderbar ; deshalb folgt selbst dann, wenn ich seit Ewigkeit gewesen wäre und daher nichts zeitlich vor mir existiert hätte, daraus, daß ich augenblicklich bin, nicht, daß ich ein wenig später sein werde, es sei denn, irgendeine Ursache bewirkt mich gewissermaßen in den einzelnen Momenten erneut. Ich würde nun nicht zögern, diese Ursache, die mich 1

Obj. IV : 209, 18–20. 2 Obj. IV : 213, 5–8 ; Resp. IV : 235, 27–236, 1. 3 [Es muß . . . existieren.] Zusatz der ersten Auflage. 4 Obj. IV : 213, 18–24 ; Resp. IV : 244, 5–8. 5 Resp. IV : 236, 4–7.

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erhält, bewirkende Ursache zu nennen. Deshalb scheint man Gott, obwohl er niemals nicht gewesen ist, nicht ganz unzutreffend Ursache seiner selbst nennen zu können, weil er selbst es ist, der sich tatsächlich erhält – wobei freilich beachtet werden muß, daß hierunter nicht jene Erhaltung zu verstehen ist, die durch den positiven Einfluß irgendeiner bewirkenden Ursache geschieht, sondern lediglich, daß das Wesen Gottes sogeartet ist, daß es gar nicht anders als immer existieren kann. Aufgrund dessen werde ich leicht auf die Unterscheidung in bezug auf das Wort durch sich antworten, die zu erklären der gelehrte Theologe gefordert hat.1 Diejenigen, die allein die eigentliche und strenge Bedeutung des Bewirkenden berücksichtigen, denken, es sei unmöglich, daß etwas bewirkende Ursache seiner selbst sei. Wenn sie dann bemerken, daß hier auch keine andere, der bewirkenden analoge Gattung von Ursache vorliegt, dann verstehen sie, wenn sie sagen, etwas sei durch sich, darunter einfach, daß es überhaupt keine Ursache besitzt. Wenn aber genau dieselben Leute bereit sind, stärker die Sache als die Worte zu berücksichtigen, dann stellen sie leicht fest, daß diese negative Auffassungsweise des Wortes durch sich allein von der Unvollkommenheit des menschlichen Verstandes herrührt und kein Fundament in den Dingen besitzt, daß es hingegen eine andere positive Auffassungsweise gibt, die aus der Wahrheit der Dinge entnommen worden ist, und von der allein mein Argument ausgegangen ist. Wenn zum Beispiel jemand annimmt, ein Körper sei durch sich selbst, dann versteht er vielleicht darunter nichts anderes als daß er keine Ursache hat. Das behauptet er aber nicht aus einem positiven Grund heraus, sondern nur negativ, weil er keine Ursache dieses Körpers erkennt ; und das wiederum ist eine Art von Unvollkommenheit in ihm, wie er später leicht erfährt, wenn er betrachtet, daß die Abschnitte der Zeit nicht voneinander abhängen. Denn damit dieser Körper auch weiterhin sein werde, reicht es demnach nicht aus, vorauszusetzen, daß er bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt durch sich 1

Obj. I : 95, 1–8.

109,20

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selbst gewesen ist, d. h. ohne Ursache, es sei denn, es gibt in ihm irgendeine Macht, die ihn ununterbrochen gleichsam reproduziert.1 Sobald er nun sieht, daß in der Idee des Körpers keine solche Macht angetroffen wird, wird er daraus entnehmen, daß dieser Körper nicht durch sich selbst ist, und dann faßt er das Wort durch sich positiv auf. In ähnlicher Weise können wir, wenn wir sagen, Gott sei durch sich, dies zwar auch negativ verstehen, nämlich bloß in dem Sinne, daß es keine Ursache Gottes gibt. Wenn wir hingegen zuvor die Ursache erforscht haben, weshalb er ist, bzw. weshalb er im Sein verharrt, und wenn wir die unermeßliche und unergründliche Macht berücksichtigt haben, die in seiner Idee enthalten ist, dann haben wir diese Macht als so überragend erkannt, daß die Ursache, weshalb Gott im Sein verharrt, nichts anderes als diese Macht selbst sein kann ; und dann sagen wir nicht mehr bloß negativ, sondern ganz positiv, daß Gott durch sich ist.2 Und um nun nicht über Worte zu disputieren : Es ist keineswegs nötig, zu sagen, Gott sei die bewirkende Ursache seiner selbst. Trotzdem dürfen wir denken, daß er im Hinblick auf sich selbst gewissermaßen dasselbe darstellt wie eine bewirkende Ursache im Hinblick auf ihre Wirkung,3 und demnach positiv durch sich selbst ist. Denn die Tatsache, daß er durch sich selbst ist, bzw. daß er keine von sich verschiedene Ursache besitzt, ist, wie wir erfassen, nicht durch das Nichts gegeben, sondern durch die reale Unermeßlichkeit seiner Macht. Auch ist es jederman gestattet, sich selbst zu befragen, ob er in demselben Sinne durch sich ist. Aber er findet in sich keine Macht, die ausreichend ist, ihn auch nur einen Augenblick lang zu erhalten, und deshalb schließt er daraus zu Recht, daß er durch etwas anderes ist, und zwar durch etwas anderes, das durch sich selbst ist ; denn weil sich die Frage auf die Gegenwart, nicht auf die Vergangenheit oder die Zukunft richtet, kann man hier nicht ins Unendliche fortgehen. Ja, ich möchte an dieser Stelle sogar etwas hinzufügen, was ich vorher 1

2 Obj. IV : 208, 12–13 ; Resp. IV : 231, 23–24. Obj. IV : 211, 3–8. 3 Obj. IV : 208, 14–16 ; Resp. IV : 235, 17–19.

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nicht geschrieben habe : Man gelangt nämlich nicht etwa nur zu irgendeiner assistierenden Ursache, sondern geradewegs nur zu einer solchen, in der eine geeignete Macht vorliegt, um ein außerhalb ihrer gelegenes Ding zu erhalten ; dann aber erhält sich diese Ursache durch die ihr eigentümliche Macht umso mehr selbst und ist daher durch sich selbst. Wenn jedoch gesagt wird, alle Begrenztheit geschehe durch eine Ursache,1 so meine ich, daß man sich wohl einen wahren Sachverhalt einsichtig macht, aber auch, daß er mit wenig geeigneten Worten ausgedrückt und die Schwierigkeit nicht beseitigt wird. Denn im eigentlichen Sinne ist Begrenztheit nur die Negation einer weiteren Vollkommenheit, und diese Negation ist nicht durch eine Ursache, sondern das Ding selbst ist begrenzt. Und auch wenn es wahr ist, daß jedes Ding durch eine Ursache begrenzt ist, ist das gleichwohl noch nicht durch sich selbst offenkundig, sondern es muß von woanders her nachgewiesen werden. Wie nämlich der feinsinnige Theologe sehr richtig erwidert, kann man annehmen, daß ein jedes Ding auf die eine oder andere Weise begrenzt ist, weil dies zu seiner Natur gehört, wie es ja auch zur Natur des Dreiecks gehört, aus nicht mehr als drei Seiten zu bestehen. Es scheint mir aber selbstverständlich zu sein, daß alles, was ist, entweder durch eine Ursache ist, oder durch sich selbst gleichsam als Ursache. Denn da wir nicht nur die Existenz, sondern auch die Negation der Existenz einsehen, muß es für alles, was wir uns so konstruieren, daß es durch sich selbst ist, immer auch einen Grund geben, weshalb es eher existiert als nicht existiert, will sagen : wir können dieses durch sich – aufgrund des außerordentlichen Einflusses, von dem wir leicht beweisen, daß er allein in Gott sein kann – immer auch als Ursache interpretieren. Was er mir sodann zugibt,2 wird, obgleich es freilich keine Zweifel zuläßt, gemeinhin kaum so betrachtet. Es hat großen Wert, um die Philosophie insgesamt aus der Dunkelheit heraus-

1

Obj. I : 95, 14.

2

Obj. I : 95, 28–96, 8.

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113,9

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zuführen, und dadurch, daß er es mit seiner Autorität bekräftigt, unterstützt er mein Vorhaben sehr. Hier fragt er aber klug, ob ich das Unendliche klar und deutlich erkenne ;1 auch wenn ich nämlich versucht habe, diesem Einwand zuvorzukommen, drängt er sich doch von selbst jedem so sehr auf, daß es lohnt, ausführlicher auf ihn zu antworten. Daher möchte ich hier zunächst sagen, daß das Unendliche, insofern es unendlich ist, zwar auf keine Weise verstanden, nichtsdestotrotz aber eingesehen werden kann. Denn klar und deutlich einzusehen, daß ein Ding ein solches ist, daß in ihm überhaupt keine Grenzen angetroffen werden können, bedeutet, klar einzusehen, daß es unendlich ist. Zunächst unterscheide ich hier das Unbegrenzte (indefinitum) von dem Unendlichen (infinitum). Unendlich nenne ich allein dasjenige, in dem sich in keiner Weise Grenzen vorfinden. In diesem Sinne ist allein Gott unendlich. Dasjenige jedoch, in dem ich nur in irgendeiner Hinsicht keine Endlichkeit erkenne, wie die Ausdehnung des vorgestellten Raumes, die Menge der Zahlen, die Teilbarkeit der Quantität in Teile und dergleichen, nenne ich zwar unbegrenzt, nicht aber unendlich, weil ihm nicht in jeder Hinsicht eine Grenze fehlt. Außerdem unterscheide ich zwischem dem formalen Grund des Unendlichen, bzw. der Unendlichkeit, und dem Ding, das unendlich ist. Denn was die Unendlichkeit betrifft, so sehen wir sie nur in einer gewissen negativen Weise ein, nämlich dadurch, daß wir an dem Ding keine Begrenztheit feststellen, obwohl wir einsehen, daß sie äußerst positiv ist. Hingegen sehen wir das Ding selbst, das unendlich ist, zwar positiv ein, aber nicht adäquat, d. h. wir verstehen nicht alles, was in ihm mit dem Verstand einsehbar ist. So sagen wir ja, wenn wir die Augen auf das Meer richten, daß wir es sehen, obwohl wir es mit dem Sehvermögen nicht insgesamt berühren und seine unermeßliche Weite nicht umfassen. Denn wenn wir das Meer von ferne betrachten, so daß unsere Augen es gewissermaßen insgesamt 1

Obj. I : 96, 11–12.

er s te erw id eru n g e n

123

und gleichzeitig umfassen, sehen wir es nur verworren, so wie wir uns auch ein Tausendeck verworren vorstellen, wenn wir alle seine Seiten zugleich umfassen. Wenn wir jedoch unseren Blick nahe auf irgendeinen Teil des Meeres heften, kann ein solches Anblicken äußerst klar und deutlich sein, wie die Anschauung des Tausendecks, wenn sie sich lediglich auf die eine oder andere seiner Seiten erstreckt. Aus einem vergleichbaren Grund kann der menschliche Geist Gott nicht insgesamt erfassen, was ich wie alle Theologen zugebe, ja, Gott kann noch nicht einmal deutlich erkannt werden, auch nicht von jenen, die ihn insgesamt zugleich mit dem Gemüt zu umfassen versuchen und gleichsam von weitem auf ihn blicken. In diesem Sinne hat der Heilige Thomas an der angeführten Stelle gesagt, die Erkenntnis Gottes sei lediglich »in einer gewissen Verworrenheit«1 in uns. Diejenigen aber, die versuchen, einzelne seiner Vollkommenheiten zu berücksichtigen, und weniger versuchen, sie zu fassen, als vielmehr von ihnen erfaßt zu werden, und die alle Kräfte ihres Verstandes aufzuwenden, um sich in diese einzelnen Vollkommenheiten zu vertiefen, finden in ihm in der Tat viel umfassenderes und leichteres Material zur klaren und deutlichen Erkenntnis vor als in irgendwelchen geschaffenen Dingen. Das hat der Heilige Thomas dort auch nicht bestritten, was daraus offensichtlich ist, daß er im folgenden Artikel2 behauptet, es sei beweisbar, daß Gott existiert. Ich hingegen habe überall dort, wo ich gesagt habe, Gott könne klar und deutlich erkannt werden, darunter nur die endliche und an den Maßstab unserer Geisteskraft angepaßte Erkenntnis verstanden ; und es ist für die Wahrheit dessen, was ich behaupte, auch nicht nötig gewesen, es auf andere Weise zu verstehen. Das wird leicht zutage treten, wenn man beachtet, daß ich dies nur an zwei Stellen gesagt habe : Zum einen dort, wo die Frage aufkam,3 ob in der Idee, die wir von Gott bilden, etwas Reales oder allein die Negation eines Dinges enthalten ist, etwa so, wie in der Idee der 1

Summa theologica 1, quaes. II, art. 1, ad prim. = DTA 1, 39 ; Obj. I : 96, 26–27. 2 Summa theologica 1, quaes. II, art. 2. 3 Med. III : 46, 14.

114,12

124

115,3

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Kälte nichts anderes enthalten ist als die Negation der Wärme, worüber kein Zweifel bestehen kann. Und zum anderen dort, wo ich behauptet habe,1 daß die Existenz nicht weniger zum Wesensbegriff (ratio) des höchstvollkommenen Seienden gehört als drei Seiten zum Wesensbegriff des Dreiecks, was auch ohne eine adäquate Erkenntnis Gottes eingesehen werden kann. Hier2 vergleicht er wieder eines meiner Argumente mit einem anderen des Heiligen Thomas, und nötigt mich so gewissermaßen, zu zeigen, welche größere Überzeugungskraft man in dem einen gegenüber dem anderen antrifft. Mir scheint, daß ich das tun kann, ohne meinem Ruf zu schaden. Denn der Heilige Thomas verwendet sein Argument weder so, als sei es sein eigenes, noch schließt er aus ihm dasselbe wie ich aus meinem ; außerdem widerspreche ich letztlich dem doctor angelicus hierin in keiner Hinsicht. Er wirft nämlich die Frage auf, ob es bei uns als selbstverständlich gilt, daß es Gott gibt, d. h. ob das für jeden Menschen offensichtlich ist – was er bestreitet, und zwar zu Recht. Das Argument, mit dem er sich auseinandersetzt, kann folgendermaßen gefaßt werden : »Sobald ich eingesehen habe, was der Name Gott bezeichnet, wird das eingesehen, über das hinaus nichts als größer bezeichnet werden kann ; nun ist es aber größer, in Wirklichkeit (in re) und im Verstand zu sein, als nur im Verstand zu sein ; sobald ich also eingesehen habe, was dieser Name Gott bezeichnet, wird einsichtig, daß Gott in Wirklichkeit (in re) und im Verstand ist.«3 Hier liegt offenkundig ein Fehler in der Form vor. Denn es hätte lediglich geschlossen werden dürfen : »Sobald ich also eingesehen habe, was der Name Gott bezeichnet, wird einsichtig, daß er bezeichnet, daß Gott in Wirklichkeit (in re) und im Verstand ist.« Was aber mit einem Wort bezeichnet wird, ist deshalb doch noch keineswegs offenkundig wahr. Mein Argument aber war folgendes : »Was wir klar und deutlich als zur wahren und unveränderlichen Natur, bzw. Essenz, bzw. Form eines Dinges gehörig einsehen, das 1

Med. V : 65, 23. 2 Obj. I : 98, 2. 2 ; Obj. I : 98, 5–10.

3

Summa theologica 1, quaest. II, art.

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125

kann von diesem Ding mit Wahrheit behauptet werden. Nachdem wir nun aber mit ausreichender Gründlichkeit untersucht haben, was Gott ist, haben wir klar und deutlich als zu seiner wahren und unveränderlichen Natur gehörig eingesehen, daß er existiert ; also können wir mit Wahrheit von Gott behaupten, daß er existiert.« Hierbei verläuft zumindest der Schluß richtig. Nun kann aber der Obersatz nicht bestritten werden, weil zuvor bereits zugegeben wurde, »daß alles, was wir klar und deutlich einsehen, wahr ist«.1 Allein der Untersatz ist noch übrig, in dem, wie ich einräume, eine nicht unerhebliche Schwierigkeit enthalten ist. Erstens : Weil wir so sehr daran gewöhnt sind, bei allen anderen Dingen die Existenz vom Wesen zu unterscheiden, beachten wir nicht hinreichend, wie eng im Vergleich mit anderen Dingen die Existenz zum Wesen Gottes gehört. Außerdem : Weil wir das, was zum wahren und unveränderlichen Wesen irgendeines Dinges gehört, nicht von dem unterscheiden, was ihm allein durch Erdichtung des Verstandes beigelegt wird, schließen wir daraus selbst dann nicht, daß Gott existiert, wenn wir ausreichend beachten, daß die Existenz zum Wesen Gottes gehört, weil wir nicht wissen, ob sein Wesen ein unveränderliches und wahres, oder lediglich ein von uns ausgebildetes ist. Um aber den ersten Teil der Schwierigkeit aufzuheben, muß die mögliche von der notwendigen Existenz unterscheiden werden, und es muß darauf hingewiesen werden, daß im Begriff, bzw. in der Idee von allem, was klar und deutlich eingesehen wird, zwar die mögliche, keineswegs aber die notwendige Existenz enthalten ist, außer allein in der Idee Gottes. Wer die Verschiedenheit genau berücksichtigt, die zwischen der Idee Gottes und allen anderen Ideen besteht, wird – daran zweifle ich nicht –, erfassen, daß daraus, daß wir die übrigen Dinge immer nur so einsehen, als seien sie gewissermaßen existierende, keineswegs schon folgt, daß sie existieren, sondern nur, daß sie existieren können, weil wir nicht einsehen, daß die aktuelle Existenz mit den anderen Eigenschaften dieser Dinge notwen1

Med. III : 35, 14–15 ; Obj. I : 95, 29–30.

116,20

126

117,9

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dig verbunden ist. Hingegen folgt daraus, daß wir einsehen, daß die aktuelle Existenz notwendig und immerwährend mit den übrigen Attributen Gottes verbunden ist, durchaus, daß Gott existiert. Um sodann den anderen Teil der Schwierigkeit aufzuheben, ist folgendes zu beachten : Jene Ideen, die keine wahren und unveränderlichen, sondern nur fiktive und vom Verstand zusammengesetzte Naturen beinhalten, können von demselben Verstand geteilt werden, und zwar nicht etwa nur durch Abstraktion, sondern durch eine klare und deutliche Operation. Deshalb sind jene Ideen, die der Verstand nicht auf diese Weise aufteilen kann, ohne Zweifel nicht von ihm zusammengesetzt worden. Zum Beispiel : Wenn ich ein geflügeltes Pferd oder einen aktuell existierenden Löwen oder ein Dreieck denke, das einem Quadrat eingeschrieben ist, sehe ich leicht ein, daß ich umgekehrt auch ein ungeflügeltes Pferd, einen nicht-existierenden Löwen, ein Dreieck ohne Quadrat und dergleichen denken kann. Demnach besitzen diese Dinge keine wahren und unveränderlichen Naturen. Wenn ich aber ein Dreieck oder Quadrat denke, (über den Löwen oder das Pferd spreche ich hier nicht, weil ihre Naturen für uns nicht völlig transparent sind), dann werde ich sicherlich alles, was ich in der Idee des Dreiecks als enthalten entdecke – wie daß seine drei Winkel zwei rechten Winkeln entsprechen usw. –, von dem Dreieck mit Wahrheit behaupten, und von dem Quadrat alles, was ich in der Idee des Quadrats antreffe. Auch wenn ich nämlich ein Dreieck in Abstraktion davon einsehen kann, daß seine drei Winkel zwei rechten Winkeln entsprechen, so kann ich dies in bezug auf es gleichwohl nicht durch eine klare und deutliche Operation bestreiten, d. h. indem ich das richtig einsehe, was ich sage. Außerdem : Wenn ich ein Dreieck betrachte, das einem Quadrat eingeschrieben ist, und zwar nicht so, daß ich dem Quadrat das beilege, was allein dem Dreieck zukommt, oder dem Dreieck das beilege, was dem Quadrat zukommt, sondern so, daß ich lediglich prüfe, was aus der beiderseitigen Verbindung entspringt, dann wird die Natur dieser Verbindung nicht weniger wahr und unveränderlich sein als

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127

die des Quadrats oder Dreiecks allein. Es dürfen deshalb Dinge behauptet werden, die zu der Natur dieser zusammengesetzten Figur gehören, wie daß das Quadrat nicht weniger als das Doppelte des ihm eingeschriebenen Dreiecks ist und dergleichen. Wenn ich hingegen betrachte, daß deshalb in der Idee eines höchstvollkommenen Körpers die Existenz enthalten ist, weil es eine größere Vollkommenheit ist, in Wirklichkeit (in re) und im Verstand zu sein, als nur im Verstand zu sein, so kann ich daraus nicht schließen, daß dieser höchstvollkommene Körper existiert, sondern lediglich, daß er existieren kann. Denn ich bemerke sehr wohl, daß diese Idee durch nichts anderes als durch meinen Verstand selbst zusammengesetzt worden ist, indem er alle körperlichen Vollkommenheiten gleichzeitig miteinander vereinigt hat. Außerdem entspringt die Existenz nicht aus den anderen Vollkommenheiten des Körpers, weil sie in bezug auf die Vollkommenheiten ebensosehr bestritten wie behauptet werden kann. Denn wenn ich die Idee des Körpers prüfe, erfasse ich, daß in ihm keine Kraft enthalten ist, durch die er sich selbst produziert bzw. erhält. Daraus schließe ich richtig, daß die notwendige Existenz, auf die allein sich die Frage in diesem Zusammenhang richtet, ebensowenig zur Natur eines Körpers – und sei es eines noch so höchstvollkommenen – gehört, wie es zur Natur des Berges gehört, kein Tal zu haben, oder zur Natur des Dreiecks, Winkel zu haben, die größer als zwei rechte sind. Fragen wir nun aber nicht in bezug auf einen Körper, sondern in bezug auf ein Ding – was auch immer es letztendlich sein mag –, das alle jene Vollkommenheiten besitzen soll, die ihm zugleich zukommen können, ob die Existenz zu diesen Vollkommenheiten zu rechnen ist, so werden wir zunächst zweifeln ; denn weil unser endlicher Geist diese Vollkommenheiten gewöhnlich nur abgetrennt voneinander betrachtet, beachtet er vielleicht nicht sofort, wie notwendig sie miteinander verbunden sind. Prüfen wir dagegen aufmerksam, ob und welche Art von Existenz dem allmächtigen Seienden zukommt, werden wir zunächst einmal klar und deutlich erfassen können, daß ihm zumindest die mögliche Existenz zukommt – wie allen übrigen Dingen auch, deren

118,12

128

119,27

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deutliche Idee in uns ist, und zwar auch denen, die durch eine Erdichtung des Verstandes zusammengesetzt werden. Weil wir darüber hinaus aber seine Existenz nicht als eine mögliche denken können, ohne zu erkennen, wenn wir seine unermeßliche Macht berücksichtigen, daß es aus eigener Kraft existieren könne, werden wir daraus schließen, daß es tatsächlich existiert und seit Ewigkeit existiert hat. Es ist nämlich durch das Natürliche Licht ganz selbstverständlich, daß das, was aus eigener Kraft existieren kann, immer existiert. Und so werden wir einsehen, daß die notwendige Existenz in der Idee eines allmächtigen Seienden nicht durch eine Erdichtung des Verstandes enthalten ist, sondern deswegen, weil es zur wahren und unveränderlichen Natur eines solchen Seienden gehört, zu existieren, und es wird uns auch nicht schwerfallen, zu erfassen, daß dieses allmächtige Seiende gar nicht umhin kann, alle anderen Vollkommenheiten zu besitzen, die in der Idee Gottes enthalten sind. Deshalb sind diese Vollkommenheiten ohne alle Erdichtung des Verstandes und aus der Natur dieser Idee heraus miteinander verbunden und existieren daher in Gott. All dies ist für aufmerksame Leute ganz offensichtlich und unterscheidet sich nicht von dem, was ich zuvor geschrieben hatte, außer allein in der Erklärungsweise, die ich mit Absicht geändert habe, um der Verschiedenheit der Geisteskräfte Rechnung zu tragen. Ich will hier auch gar nicht in Abrede stellen, daß es sich um eine Art von Argument handelt, das diejenigen leicht für einen Sophismus halten werden, die sich nicht an alles erinnern werden, was zu seinem Nachweis beiträgt. Ich habe deshalb am Anfang etwas gezweifelt, ob ich es verwenden durfte, um nicht möglicherweise denjenigen, die es nicht verstehen würden, Gelegenheit zu geben, das Übrige ebenfalls in Abrede zu stellen. Weil es aber nur zwei Wege gibt, auf denen nachgewiesen werden kann, daß es Gott gibt, nämlich einen durch die Wirkungen, und einen anderen durch sein Wesen bzw. seine Natur, und ich den ersteren1 in der Dritten Meditation nach 1

sic !

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129

meinen besten Kräften erläutert habe, habe ich geglaubt, den anderen später nicht übergehen zu dürfen. Was die formale Unterscheidung anbelangt, die der höchst gelehrte Theologe aus Scotus entlehnt,1 so sage ich nur kurz, daß sie sich nicht von der modalen unterscheidet ; außerdem bezieht sie sich nur auf unvollständiges Seiendes, das ich sehr genau von vollständigem unterschieden habe.2 Zwar reicht diese Unterscheidung aus, um das eine von dem anderen deutlich und abgesondert durch eine Abstraktion des Verstandes – der das Ding inadäquat begreift – zu begreifen,3 aber eben nicht so deutlich und abgesondert, daß wir jedes von beiden gleichsam als für sich Seiendes und von allem anderen Verschiedenes einsehen.4 Dafür ist statt dessen eine reale Unterscheidung erforderlich. Zum Beispiel ist die Unterscheidung zwischen der Bewegung und der Gestalt eines Körpers eine formale Unterscheidung. Wir können die Bewegung sehr gut ohne die Gestalt, und die Gestalt ohne die Bewegung einsehen, und jede der beiden in Abstraktion vom Körper. Dennoch können wir die Bewegung nicht ohne ein Ding vollständig einsehen, in dem die Bewegung ist, und ebensowenig die Gestalt ohne ein Ding, an dem die Gestalt ist. Und schließlich können wir nicht konstruieren, daß Bewegung in einem Ding ist, an dem keine Gestalt sein kann, oder eine Gestalt an einem Ding, das der Bewegung nicht fähig ist. Auf dieselbe Weise sehe ich Gerechtigkeit nicht ein ohne einen gerechten Menschen, oder Barmherzigkeit ohne einen barmherzigen Menschen, und man darf auch nicht so tun, als ob ein Mensch, der gerecht sei, nicht barmherzig sein könne. Was aber ein Körper ist, das sehe ich vollständig ein, allein indem ich annehme, er sei ausgedehnt, gestaltet, und beweglich usw., und von ihm alles bestreite, was zur Natur des Geistes gehört. Und umgekehrt sehe ich ein, daß der Geist ein vollständiges Ding ist,5 das zweifelt, das einsieht, das will usw. obwohl 1

Obj. I : AT VII : 100, 15–26. 2 Resp. IV : 221, 3 ; 5. 3 Obj. IV : 200, 8–10 ; Resp IV : 220, 1–5 ; 220, 27–221, 2. 4 Resp. IV : 221, 18–19. 5 Resp. IV : 221, 20–22.

120,15

130

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e r s te e rw id eru n g e n

ich bestreite, daß in ihm irgendetwas ist, das in der Idee des Körpers enthalten ist. Das könnte überhaupt nicht der Fall sein, wenn nicht zwischen dem Geist und dem Körper eine reale Unterscheidung stattfände.1 Dies ist es, hochberühmte Herren, was ich auf die äußerst pflichtbewußten und überaus geistreichen Kommentare Ihres Freundes zu erwidern hatte. Falls ich ihn noch nicht zufriedengestellt haben sollte, bitte ich ihn darum, mir das, was noch benötigt wird oder irrtümlich ist, zuzusenden ; und wenn Sie ihn dazu bringen können, das zu tun, wäre das ein großer Gewinn für mich.

1

Obj. IV : 200, 12–19.

Z WE I TE EINWÄND E

Sie, sehr geehrter Herr, haben es so erfolgreich unternommen, den Urheber aller Dinge gegen neue Giganten zu verteidigen und seine Existenz zu beweisen, daß Menschen von anständiger Gesinnung hoffen dürfen, es werde künftig niemanden mehr geben, der nach der aufmerksamen Lektüre Ihrer Meditationen nicht zugeben würde, daß es eine ewige Gottheit (numen) gibt, von der die einzelnen Dinge abhängen. Daher möchten wir Sie ermuntern und bitten, einiges von dem unten Angeführten so ins Licht zu setzen, daß in Ihrem Werk nichts übrigbleibt, was nicht, so weit es möglich ist, klar bewiesen ist. Weil Sie Ihr Gemüt seit vielen Jahren in ununterbrochenen Meditationen geübt haben, sind für Sie viele Dinge absolut gewiß, die anderen Leuten als zweifelhaft und ganz dunkel erscheinen, und vielleicht erfassen Sie durch eine klare Intuition des Geistes sogar, daß es so etwas wie erste und hervorstechende Lichter der Natur sind. Deshalb möchten wir Sie hier nur auf das aufmerksam machen, bei dem es sich lohnt, wenn Sie sich der Mühe unterziehen, es klarer und ausführlicher zu erklären und zu beweisen. Nachdem das durchgeführt ist, wird es wohl kaum noch jemanden geben, der bestreiten kann, daß Ihre Überlegungen, die Sie zum größeren Ruhm Gottes und zum außerordentlichen Nutzen aller Sterblichen begonnen haben, Beweiskraft besitzen. e r s t e n s. Sie sollten sich erinnern, daß Sie nicht etwa aktuell und tatsächlich, sondern nur durch eine Fiktion des Gemüts die Trugbilder aller Körper nach Kräften verworfen haben, um daraus zu schließen, daß Sie nur ein denkendes Ding sind. Denn Sie sollen in der Folge nicht glauben, Sie könnten schließen, daß Sie tatsächlich nichts sind außer einem Geist1 oder Denken oder auch ein denkendes Ding. Das bemerken wir allein im Zusammenhang mit den ersten beiden Meditationen, in denen Sie klar aufzeigen, daß es zumindest sicher ist, daß Sie, der Sie denken, sind. Aber wir wollen an dieser Stelle ein wenig innehal1

Resp. II : 129, 6–9.

121,23

122,17

132

123,7

z w ei te e i n wä n d e

ten. Bis hierher erkennen Sie, daß Sie ein denkendes Ding sind ; was aber dieses denkende Ding ist, wissen Sie nicht.1 Was nämlich, wenn es der Körper gewesen ist, der durch verschiedene Bewegungen und Stellungen das erzeugt, was wir Denken nennen ? Denn selbst wenn Sie der Ansicht sind, jeden Körper entfernt zu haben, haben Sie sich dabei insofern betrügen können, als Sie sich selbst ja keineswegs verworfen haben : Sie aber können doch ein Körper sein. Denn wie wollen Sie beweisen, daß ein Körper nicht denken kann,2 oder daß körperliche Bewegungen nicht das Denken selbst sind ? Aber auch das gesamte System Ihres Körpers, das Sie entfernt zu haben meinen, oder irgendwelche Teile dieses Systems, zum Beispiel das Gehirn, können dabei mitwirken, jene Bewegungen zu bilden, die wir Gedanken nennen. Sie sagen : »Ich bin ein denkendes Ding.« Woher aber wissen Sie, ob Sie nicht eine körperliche Bewegung oder ein bewegter Körper sind ? z w e i t e n s. Sie wagen es, von der Idee eines höchsten Seienden, von der Sie behaupten, sie könne keineswegs von Ihnen produziert werden, auf die Notwendigkeit der Existenz eines höchsten Seienden zu schließen, durch das allein es jene Idee geben könne, die Ihrem Geist vorschwebt.3 Aber wir treffen in uns sehr wohl ein ausreichendes Fundament an, auf das allein gestützt wir die besagte Idee bilden können,4 selbst wenn das höchste Seiende nicht existieren würde, oder wir nicht wüßten, daß es existiert,5 und uns noch nicht einmal der Gedanke an sein Existieren käme. Denn ich sehe doch, daß ich insofern einen gewissen Grad an Vollkommenheit besitze, als ich denke. Demnach besitzen auch andere außer mir einen ähnlichen Grad an Vollkommenheit, und von daher besitze ich ein Fundament, eine Mehrzahl an Vollkommenheiten zu denken und so einen Grad an Vollkommenheit auf einen anderen aufzubauen bis ins Unendliche ; genauso, wie ich ja, selbst wenn nur ein einziger Grad an Licht oder Wärme existieren würde, bis ins Unendliche immer neue Grade konstruieren und hinzufügen kann. Weshalb sollte ich aus einer vergleichbaren Überlegung heraus nicht einem bestimmten Grade des Seienden, den ich in mir erfasse, einen beliebigen anderen Grad hinzufügen, und aus allen, die man hinzugefügen kann, 1

Resp. II : 129, 20–21. 4 Resp. II : 133, 17–18.

2

Resp. II : 131, 19–20. 5 Resp. II : 133, 22–23.

3

Med. III : 45, 17–18.

zw e i t e ei n wä n d e

133

die Idee des vollkommenen Seienden bilden können ? Nun sagen Sie : »Die Wirkung kann keinen Grad an Vollkommenheit bzw. Realität besitzen, der nicht in der Ursache vorangegangen ist.« Aber diese Idee ist nichts anderes als ein Seiendes in der Vernunft (ens rationis),1 das Ihrem denkenden Geist nicht überlegen ist. (Abgesehen davon sehen wir, daß Fliegen und andere Tiere oder auch Pflanzen von der Sonne, dem Regen und dem Erdboden produziert werden, in denen sich kein Leben findet, das irgendwie über einen bloßen körperlichen Grad hinausginge. Daraus ergibt sich, daß diese Wirkung von der Ursache eine gewisse Realität hat, die es gleichwohl in der Ursache nicht gibt.)2 Außerdem : Wenn Sie nicht inmitten von Gelehrten aufgewachsen wären, sondern das gesamte Leben allein in irgendeiner Wüste zugebracht hätten, woher wollen Sie wissen, ob Ihnen diese Idee gekommen wäre ? Sie haben sie doch aus vorurteilsbeladenen Meditationen des Gemüts, Büchern, Unterhaltungen mit Freunden usw. gewonnen, nicht allein aus Ihrem Geist3 oder durch das existierende höchste Seiende. Demnach muß noch klarer bewiesen werden, daß diese Idee Ihnen nicht kommen könnte, wenn das höchste Seiende nicht existieren würde. Sobald Sie dies geleistet haben, werden wir uns geschlagen geben. Daß aber diese Idee aus vorgefaßten Begriffen stammt, scheint doch schon dadurch offensichtlich zu sein, daß die Kanadier, die Huronen und andere wilde Völker keine solche Idee haben.4 Diese Idee haben Sie auch aus dem vorherigen Einblick in körperliche Dingen ausbilden können,5 so daß Ihre Idee auf nichts außerhalb der körperlichen Welt verweist, die jede Art von Vollkommenheit umfaßt, die für Sie denkbar ist. Sie dürfen demnach keineswegs schon auf irgendetwas schließen außer einem vollkommensten körperlichen Seienden ;6 es sei denn, Sie schaffen irgendetwas Anderes herbei, das uns zum Unkörperlichen oder Spirituellen erhebt.7 Nun wollen Sie, daß wir hinzufügen, daß Sie die Idee eines Engels (wie auch die eines vollkommensten Seienden) bilden können. Aber diese Idee wird doch in Ihnen nicht von einem Engel bewirkt, nur weil Sie im Vergleich mit ihm unvollkommener sind.8 Aber Sie ha1

Resp. II : 124, 1. 2 Resp. II : 154, 15. 3 Resp. II : 136, 12–13. 4 Resp. II : 154, 16. 5 Resp. II : 136, 19–20. 6 Resp. II : 138, 17–18. 7 Resp. II : 136, 25–26. 8 Resp. II : 138,27–139, 2.

134

124,29

125,6

125,16

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ben weder die Idee Gottes, noch die einer unendlichen Zahl oder die einer unendlichen Linie ; selbst wenn Sie sie besitzen können, ist dennoch jene Zahl unmöglich.1 Nehmen Sie hinzu, daß die Idee der Einheit und Einfachheit der einzigen Vollkommenheit, die alle anderen beinhaltet, lediglich durch die Operation des schlußfolgernden Verstandes entsteht, nämlich in derselben Weise wie die universellen Einheiten, die es in der Wirklichkeit (in re) nicht gibt, sondern nur im Verstand, was von der gattungsmäßigen, der transzendentalen Einheit usw. her feststeht.2 d r i t t e n s. Sie sind der Existenz Gottes noch nicht sicher, und Sie sagen, Sie könnten keines Dinges sicher sein, bzw. Sie könnten nichts klar und deutlich erkennen, wenn Sie nicht zuerst klar und deutlich davon Kenntnis erlangt haben, daß Gott existiert. Daraus folgt, daß Sie noch nicht klar und deutlich wissen, daß Sie ein denkendes Ding sind ; denn Ihnen zufolge hängt diese Erkenntnis von der klaren Erkenntnis des existierenden Gottes ab, die Sie an den Stellen noch nicht nachgewiesen haben, an denen Sie schließen, klare Kenntnis davon zu besitzen, was Sie sind. Mehr noch : Ein Atheist erkennt klar und deutlich, daß ein Dreieck drei Winkel besitzt, die zwei rechten Winkeln entsprechen,3 obwohl es ihm völlig fernliegt, die Existenz Gottes vorauszusetzen, die er ja schlicht bestreitet. »Denn«, sagt er, »wenn Gott existieren würde, wäre er das höchste Seiende und das absolut Gute, d. h. unendlich. Aber das in jeder Hinsicht vollkommene Unendliche schließt jedes beliebige Andere aus :4 jedes beliebige Seiende und Gute, ja sogar jedes beliebige Nichtseiende und Schlechte. Nun gibt es aber vieles Seiende, Gute, Nichtseiende und Schlechte«. Nach unserem Urteil müssen Sie diesem Einwand begegnen, damit die Gottlosen nichts übrig behalten, das sie vorschützen können. v i e r t e n s. Sie bestreiten, daß Gott lügen oder betrügen kann.5 Gleichwohl fehlt es nicht an Scholastikern, die genau das behaupten. So meinen Gabriel, Arimini und andere, daß Gott aus seiner absoluten Verfügungsgewalt heraus lügt, d. h. daß Gott entgegen seiner Gesinnung 1

Resp. II : 139, 18. 2 Resp. II : 140, 6–8. 141, 20–21. 5 Resp. II : 142, 14–15.

3

Resp. II : 141, 3–4.

4

Resp. II :

zw e i t e ei n wä n d e

135

(mens) und entgegen dem, was er beschlossen hat, den Menschen ein Zeichen gibt. Wie etwa, wenn er den Niniviten1 durch den Propheten ohne jede Bedingung ankündigt : »Noch vierzig Tage und Ninive wird untergehen.«2 Und er hat noch vieles andere angekündigt, das trotzdem nicht eingetroffen ist, weil er nicht wollte, daß die Worte seiner Gesinnung (mens) oder seinem Beschluß entsprächen. Wenn er den Pharao verstockt und verblendet gemacht hat,3 den Propheten den Mut (spiritus) zur Lüge eingegeben hat : Wo nehmen Sie es dann her, daß wir von ihm nicht betrogen werden können ? Kann Gott sich den Menschen gegenüber etwa nicht so verhalten wie ein Arzt gegenüber den Kranken und ein Vater gegenüber kleinen Kindern ? Beide betrügen doch ganz oft, und zwar weise und zum Vorteil derjenigen, die sie betrügen. Denn wenn Gott uns die reine Wahrheit zeigen würde : Wessen Augen und wessen Geistesschärfe wäre imstande, sie zu ertragen ? Indessen ist es gar nicht nötig, so zu tun, als ob Gott ein Betrüger ist, nur damit Sie meinen, Sie würden in dem betrogen, was Sie klar und deutlich zu kennen meinen. Denn die Ursache dieses Betrugs kann in Ihnen liegen, selbst wenn Sie gar nicht einmal an diese Ursache denken. Was nämlich, wenn Ihre Natur eine solche ist, daß sie sich ständig betrügt, oder zumindest sehr häufig ? Wo nehmen Sie aber her, daß Sie sich in dem ganz gewiß weder betrügen noch betrogen werden können, das Sie klar und deutlich zu erkennen meinen ? Wie oft haben wir erfahren, daß jemand in dem betrogen worden ist, was er völlig klar zu wissen glaubte ?4 Demnach muß das Prinzip der klaren und deutlichen Erkenntnis so klar und deutlich erklärt werden, daß niemand von gesundem Geist sich jemals in dem betrügen kann, was er klar und deutlich zu wissen glaubt. Andernfalls sehen wir bislang nicht, daß für die Menschen, bzw. für Sie irgendein möglicher Grad an Gewißheit im Bereich des Erreichbaren liegt. f ü n f t e n s. Wenn der Wille niemals abirrt oder sündigt, wenn er einer klaren und deutlichen Erkenntnis seines Geistes folgt, und er sich in Gefahr begibt, wenn er einem Begriff des Verstandes folgt, der gar nicht klar und deutlich ist,5 so sehen Sie doch bitte, was daraus folgt :6 Näm1

Resp. II : 154, 16. 4 Resp. II : 146, 5–6.

2

3 Resp. II : 143, 9–10. Resp. II : 143, 6–7. 5 Resp. II : 147, 1–3. 6 Resp. II : 147, 12 f.

126,7

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136

127,3

z w ei te e i n wä n d e

lich daß ein Türke1 oder sonst jemand nicht nur nicht sündigt, wenn er die christliche Religion nicht annimmt, sondern auch, daß er sündigt, wenn er sie annimmt. Denn er erkennt ja ihre Wahrheit weder klar noch deutlich. Wenn diese Ihre Regel wahr ist, dürfte der Wille fast nichts annehmen. Denn wir erkennen fast nichts mit derjenigen Klarheit und Deutlichkeit, die Sie für eine Gewißheit für erforderlich halten, die durch keinen Zweifel verdunkelt wird. Sehen Sie sich demnach vor, daß Sie, wenn Sie das Verlangen haben, die Wahrheit zu beschützen, nicht zuviel beweisen, und so einreißen, anstatt aufzubauen. s e c h s t e n s. An der Stelle, wo Sie dem Theologen antworten, scheinen Sie sich in Ihrer Schlußfolgerung zu irren, die Sie so aufstellen : Was wir klar und deutlich als zur wahren und unveränderlichen Natur usw. eines Dinges gehörig einsehen, das kann von diesem Ding mit Wahrheit behauptet werden ; aber (nachdem wir mit ausreichender Gründlichkeit untersucht haben, was Gott ist) wir haben klar und deutlich als zu seiner wahren und unveränderlichen Natur gehörig eingesehen, daß er existiert.2 Es hätte geschlossen werden müssen : Also (nachdem wir mit ausreichender Gründlichkeit untersucht haben, was Gott ist) können wir mit Wahrheit behaupten, daß es zur Natur Gottes gehört, zu existieren. Daraus folgt nicht, daß Gott tatsächlich existiert, sondern lediglich, daß er existieren muß, wenn seine Natur möglich ist, bzw. keinen Widerspruch enthält. Das heißt : Die Natur bzw. das Wesen Gottes kann ohne die Existenz nicht im Denken gesetzt werden, so daß er tatsächlich existiert, wenn es die Natur oder Essenz gibt. Das kommt auf das Argument hinaus, das andere in folgende Worte gekleidet haben : Wenn es nicht in sich widersprüchlich ist, daß es Gott gibt, ist es sicher, daß er existiert. Nun ist es aber nicht in sich widersprüchlich, daß er existiert.3 Aber der Untersatz ist strittig, der lautet : Aber es ist nicht in sich widersprüchlich ; denn die Gegner behaupten entweder, seine Wahrheit zu bezweifeln, oder sie bestreiten ihn ganz. Außerdem wird in dem Nebensatz Ihrer Begründung (Sobald wir aber klar und deutlich untersucht haben, was Gott ist) etwas gleichsam als wahr unterstellt, was keineswegs alle schon glauben : denn auch Sie selbst geben doch zu, daß Sie das unend1

Resp. II : 154, 16.

2

Resp. I : 115, 22–116, 4.

3

Resp. II : 151, 15–16.

137

zw e i t e ei n wä n d e

liche Seiende allenfalls ganz inadäquat1 berühren. Genau dasselbe muß in bezug auf jedes beliebige Attribut dieses unendlichen Seienden gesagt werden ; denn da ja alles, was in Gott ist, schlicht unendlich ist : wer kann irgendetwas von Gott auch nur eine gewisse Zeit lang anders als, um es so auszudrücken, ganz inadäquat mit dem Geist berühren ? Wie haben Sie demnach klar und deutlich untersucht, was Gott ist ? s i e bt e n s. Kein Sterbenswort verlieren Sie über die Unsterblichkeit des menschlichen Geistes.2 Doch hätten Sie gerade dies in allererster Linie nachweisen und beweisen müssen gegen jene Menschen, die deshalb die Unsterblichkeit nicht verdienen, weil sie sie hartnäckig leugnen und vielleicht sogar hassen. Hingegen scheinen Sie die Unterscheidung des Geistes von jedem Körper keineswegs schon hinreichend nachgewiesen zu haben,3 wie wir bereits im ersten Einwand gesagt haben, dem wir jetzt noch hinzufügen, daß aus dieser Unterscheidung vom Körper nicht zu folgen scheint, daß der Geist unzerstörbar und damit unsterblich ist ; was nämlich, wenn die Natur des Geistes durch die Dauer des körperlichen Lebens begrenzt ist, und Gott ihm einzig und allein gerade so viel Kraft und Existenz verliehen hat, daß er mit dem körperlichen Leben vergeht ?4 Dies sind die Dinge, (sehr geehrter Herr), die wir von Ihnen aufgeklärt haben möchten, damit die Lektüre Ihrer äußerst scharfsinnigen und, wie wir meinen, wahren Meditationen für alle äußerst nützlich sein kann. Deshalb würde es sich lohnen, wenn Sie am Schluß Ihrer Lösungen die ganze Sache more geometrico abschließen, was Sie doch wohl aus dem Ärmel schütteln, indem Sie bestimmte Definitionen, Postulate und Axiome vorausschicken, so daß Sie den Geist jedes Lesers gewissermaßen in einer einzigen Intuition erfüllen und von der Gottheit durchströmt sein lassen.5

1

Resp. II : AT VII, 152, 6. 2 Resp. II : 153, 1–2. 4 Resp. II : 153, 4–8. 5 Resp. II : 155, 4–6.

3

Resp. II : 153, 3–4.

127,30

128,11

E RW IDERU NG AU F DI E Z W EITEN EINWÄ ND E

Sehr gerne habe ich die Kommentare gelesen, die Sie über meine kleine Schrift über die Erste Philosophie abgegeben haben. Ich erkenne aus ihnen Ihr Wohlwollen gegen mich und zugleich Ihre Frömmigkeit gegen Gott wie auch Ihr Bemühen, seine Ehre zu befördern. Ich kann nicht umhin, Freude zu empfinden, weil Sie nicht nur meine Überlegungen für wert gehalten haben, durch Sie geprüft zu werden, sondern auch, weil Sie, wie mir scheint, nichts gegen sie vorgebracht haben, auf das ich nicht ganz angemessen antworten könnte. e r s t e n s . Sie ermahnen mich, ich solle mich erinnern, daß ich nicht aktuell und tatsächlich, sondern nur durch eine Fiktion des Gemüts die Trugbilder der Körper verworfen habe, um daraus zu schließen, daß ich ein denkendes Ding bin ; denn ich solle nicht glauben, daraus folge, ich sei tatsächlich nichts außer einem Geist.1 Daran habe ich mich sehr wohl erinnert, denn das habe ich bereits in der zweiten Meditation mit diesen Worten bezeugt : »Vielleicht aber verhält es sich ja so, daß das, von dem ich vorausgesetzt habe, es sei nichts – nämlich weil es mir unbekannt ist –, gleichwohl der Sache nach gar nicht von diesem Ich – das mir bekannt ist – verschieden ist ? Ich weiß es nicht, darüber disputiere ich jetzt nicht« usw.2 Dadurch habe ich den Leser ausdrücklich darauf hinweisen wollen, daß ich an jener Stelle noch gar nicht danach frage, ob der Geist vom Körper unterschieden ist, sondern lediglich diejenigen seiner Eigenschaften prüfe, von denen ich eine sichere und evidente Erkenntnis erlangen kann. Weil ich dort viele solche Eigenschaften bemerkt habe, kann ich das, was Sie später anfügen, nämlich daß ich nicht wisse, was ein denkendes Ding sei,3 nicht gelten lassen, ohne eine Unterscheidung vorzuneh1

Obj. II : 122, 17–21.

2

Med. II : 27, 24–27.

3

Obj. II : 122, 25–26.

128,22

129,6

140

130,6

130,17

zw e it e erw i d e ru n g en

men. Auch wenn ich nämlich einräume, noch nicht gewußt zu haben, ob jenes denkende Ding dasselbe wie der Körper oder etwas Verschiedenes ist, so räume ich deshalb doch keineswegs ein, das denkende Ding nicht gekannt zu haben : wer nämlich hat jemals irgendein Ding so sehr gekannt, um genau zu wissen, daß überhaupt nichts anderes in ihm ist als das, was er erkannt hat ? Wir behaupten aber, ein Ding umso besser zu kennen, je mehr wir von ihm erfassen : so kennen wir Menschen, mit denen wir lange zusammengelebt haben, besser als solche, von denen wir nur das Gesicht gesehen oder den Namen gehört haben, auch wenn man nicht sagen kann, diese Menschen seien uns völlig unbekannt. Ich bin der Ansicht, in diesem Sinne bewiesen zu haben, daß der Geist, unabhängig von dem betrachtet, was man gemeinhin dem Körper beilegt, bekannter ist als der Körper unabhängig vom Geist betrachtet ; und das allein hatte ich an dieser Stelle beabsichtigt. Aber ich sehe, welchen Wink Sie mir geben wollen : Weil ich nämlich nur sechs Meditationen über die Erste Philosophie geschrieben habe, werden sich die Leser wundern, daß in den ersten beiden Meditationen nichts geschlossen wird außer dem, was ich gerade eben gesagt habe ; deshalb nun werden die Leser die ersten beiden Meditationen als ganz dürftig beurteilen und sie nicht für wert halten, veröffentlicht zu werden. Darauf erwidere ich nur : Ich befürchte nicht, daß diejenigen, die das übrige unvoreingenommen lesen, was ich geschrieben habe, irgendeine Gelegenheit finden werden, auch nur den Verdacht zu hegen, es habe mir an Material gefehlt. Es schien mir aber ganz der Vernunft zu entsprechen, das in einzelnen Meditationen zusammenzufassen, was jeweils besondere Aufmerksamkeit benötigt und abgetrennt von dem anderen betrachtet werden muß. Nichts trägt also mehr dazu bei, eine gefestigte Erkenntnis der Dinge zu erlangen, als wenn wir uns angewöhnen, zuerst einmal an allen Dingen zu zweifeln, insbesondere den körperlichen. Ich konnte nicht umhin, dem eine gesamte Meditation zu widmen. Denn ich hatte zwar schon vor einiger Zeit etliche Bücher angesehen, die von Akademikern und Skeptikern über

zw ei t e e rw i d e ru n g en

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diese Sache geschrieben worden waren, aber ich wollte diesen Kohl nur mit Widerwillen aufwärmen. Auch wünschte ich, die Leser würden nicht nur die kurze Zeit, die für die Lektüre der Meditationen erforderlich ist, dafür aufwenden, das zu betrachten, was in ihnen abgehandelt wird, bevor sie zu dem Übrigen übergehen, sondern einige Monate oder zumindest Wochen damit zubringen ; denn so könnten sie aus ihnen zweifelsohne den weitaus größten Gewinn ziehen. Außerdem hatten wir von dem, was sich auf den Geist bezieht, vorher nur völlig verworrene Ideen, die mit den Ideen sinnlicher Dinge vermischt waren. Darin lag der erste und hauptsächlichste Grund, weshalb nichts von dem, was über die Seele und über Gott behauptet wurde, ausreichend klar eingesehen werden konnte. Deshalb meinte ich, es würde sich sehr lohnen, wenn ich dartäte, inwiefern die Eigenschaften oder Qualitäten des Geistes von den Qualitäten des Körpers unterschieden werden müssen. Es ist nämlich schon vorher von vielen behauptet worden, daß man den Geist den Sinnen entziehen muß, um metaphysische Dinge einzusehen ; bislang aber hat, soweit ich weiß, noch niemand gezeigt, durch welches Verfahren man das bewerkstelligen könne. Der wahre und nach meinem Urteil einzige Weg, dies zu erreichen, ist in meiner zweiten Meditation enthalten ; aber er ist sogeartet, daß es nicht ausreicht, ihn bloß einmal durchschaut zu haben, sondern er muß über eine längere Zeit betreten und wiederholt begangen werden, damit die Gewohnheit des gesamten Lebens, die intellektuellen Dinge mit den körperlichen zu vermengen, durch die entgegengesetzte Gewohnheit zumindest einiger weniger Tage, sie zu unterscheiden, beseitigt wird. Mir scheint, diese Ursache ist mehr als gerechtfertigt gewesen, weshalb ich in der zweiten Meditation nichts anderes abgehandelt habe. Außerdem aber fragen Sie hier wie ich beweisen will, daß ein Körper nicht denken kann ?1 Aber verzeihen Sie bitte, wenn ich darauf antworte, daß ich mich mit dieser Frage noch gar nicht befaßt 1

Obj. II : 122, 30

130,30

131,19

142

132,7

zw e it e erw i d e ru n g en

habe, da ich sie zuerst in der sechsten Meditation thematisiert habe, und zwar mit folgenden Worten : »Es ist ausreichend, daß ich ein Ding ohne ein anderes klar und deutlich einsehe, um sicher zu sein, daß das eine von dem anderen verschieden ist« usw.1 Und kurz danach : »Obwohl ich einen Körper besitze, der mit mir äußerst eng verbunden ist – denn ich besitze einerseits eine klare und deutliche Idee meiner selbst, insofern ich ein denkendes, kein ausgedehntes Ding bin, und anderseits die deutliche Idee des Körpers, insofern er lediglich ein ausgedehntes, kein denkendes Ding ist –, ist es sicher, daß ich (d. h. der Geist) von meinem Körper tatsächlich unterschieden bin, und ohne ihn existieren kann«.2 Dem kann man ohne weiteres hinzufügen : »Alles, was denken kann, ist Geist, bzw. wird Geist genannt ; weil aber Geist und Körper real unterschieden werden, ist kein Körper Geist ; also kann kein Körper denken.« Und ich sehe überhaupt nicht, was Sie hier bestreiten können. Oder wollen Sie bestreiten, daß es, um zu erkennen, daß zwei Dinge real unterschieden werden, ausreicht, daß wir ein Ding ohne das andere klar einsehen ? Dann geben Sie doch irgendein sichereres Merkmal der realen Unterscheidung an ! Ich bin nämlich ziemlich sicher, daß sich keines angeben läßt. Was nämlich werden Sie sagen ? Etwa : »Diejenigen Dinge werden real unterschieden, von denen das eine ohne das jeweils andere existieren kann ?« Doch dann werde ich wiederum fragen : »Woher wissen Sie, daß das eine Ding ohne das andere sein kann ?« Damit nämlich etwas Merkmal einer Unterscheidung sein kann, muß es erkannt werden. Vielleicht werden Sie behaupten : »Das haben wir den Sinnen entnommen, weil wir ein Ding in Abwesenheit von einem anderen sehen oder berühren usw.« Aber die Verläßlichkeit der Sinne ist unsicherer als die des Verstandes : Es kann auf viele Weisen geschehen, daß ein und dasselbe Ding in vielfältigen Formen oder an mehreren Orten oder in mehreren Modi erscheint und man es so für zwei Dinge hält. Und wenn Sie sich schließlich an das erinnern, was am Ende 1

Med. VI : 78, 4–6

2

Med. VI : 78, 13–20

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143

der zweiten Meditation über das Wachs gesagt worden ist, werden Sie feststellen, daß eigentlich noch nicht einmal die Körper selbst durch den Sinn, sondern allein durch den Verstand erfaßt werden. Ein Ding ohne ein anderes sinnlich wahrzunehmen, ist deshalb nichts anderes, als die Idee eines Dinges zu haben und einzusehen, daß diese Idee nicht mit der Idee eines anderen Dinges identisch ist. Letzteres kann wiederum nur dadurch eingesehen werden, daß die eine Idee ohne die andere erfaßt wird ; und es kann nur dann sicher eingesehen werden, wenn beide Ideen der Dinge für sich genommen klar und deutlich sind. Damit also das Merkmal einer realen Unterscheidung ein sicheres sein kann, muß es auf mein Merkmal zurückgeführt werden. Wenn aber einige Leute bestreiten, daß sie deutliche (= voneinander unterschiedene) Ideen des Geistes und des Körpers besitzen, so kann ich nichts weiter tun als sie zu bitten, sorgfältig das zu berücksichtigen, was in der zweiten Meditation enthalten ist. Wenn sie die Meinung vertreten, daß die Teile des Gehirns zusammenwirken, um die Gedanken zu bilden, dann mögen sie wissen, daß diese Meinung nicht aus einer positiven Überlegung entsteht, sondern nur aus zweierlei : Erstens nämlich haben sie niemals erfahren, daß ihnen der Körper gefehlt hätte, und zweitens sind sie in ihren Operationen nicht selten von ihm aufgehalten worden. Das aber ist genau so, wie wenn jemand, weil er von Kindheit an ständig Fußfesseln getragen hat, deshalb der Ansicht wäre, diese Fußfesseln seien ein Teil seines Körpers und er benötige sie zum Gehen. z w e i t e n s . Wenn Sie behaupten, daß wir in uns ein ausreichendes Fundament antreffen, um die Idee Gottes bilden zu können1 , so führen Sie nichts an, was von meiner Meinung verschieden wäre. Ich habe nämlich am Ende der dritten Meditation selbst ausdrücklich gesagt, »daß diese Idee mir angeboren ist«2 , bzw. daß ich sie aus mir selbst habe und nicht von woanders her. Ich gebe auch zu, daß wir diese Idee bilden können, auch wenn wir nicht wüßten, daß das höchste Seiende existiert. Aber ich gebe nicht zu, 1

Obj. II : 123, 10–12

2

Med. III : 51, 6–14.

133,5

133,17

144

133,27

134,15

134,20

zw e it e erw i d e ru n g en

daß wir sie bilden könnten, wenn das höchste Seiende tatsächlich nicht existierte.1 Denn ich habe im Gegenteil daran erinnert, »daß die gesamte Stärke des Arguments darin besteht, daß die Fähigkeit, diese Idee zu bilden, unmöglich in mir sein kann, wenn ich nicht von Gott geschaffen bin«.2 Was Sie über Fliegen, Pflanzen usw.3 sagen, um nachzuweisen, daß es einen Grad an Vollkommenheit in der Wirkung geben kann, der nicht in der Ursache vorhergegangen ist, treibt mich nicht in die Enge. Entweder nämlich gibt es in Lebewesen, denen die Vernunft fehlt, keine Vollkommenheit, die nicht ebenso auch in nicht-lebendigen Körpern ist ; oder eine solche Vollkommenheit, falls sie vorliegt, kommt ihnen von woanders her zu, und weder die Sonne, noch der Regen und ebensowenig die Erde sind ihre adäquaten Ursachen. Angenommen, jemand erkenne eine Ursache nicht, die bei der Erzeugung einer Fliege mitwirkt und die eben jenen Grad an Vollkommenheit besitzt, den die Fliege aufweist ; wenn dieser jemand sich außerdem noch gar nicht sicher ist, daß es außer jenen Ursachen, die er erkennt, nicht noch andere Ursachen gibt : dann wäre es ganz unvernünftig, wenn er dies zur Gelegenheit nähme, an einem Sachverhalt zu zweifeln, der durch das Natürliche Licht selbst offenkundig ist. Ich werde das später ausführlicher ausführen. Ich füge dem noch hinzu : Das über die Fliegen kann, da es von der Betrachtung der materiellen Dinge entlehnt ist, denjenigen gar nicht einfallen, die meinen Meditationen folgend das Denken von den sinnlichen Dingen ferngehalten haben, um ordnungsgemäß zu philosophieren. Es treibt mich auch nicht in die Enge, daß Sie die Idee Gottes, die in uns ist, ein Seiendes in der Vernunft (ens rationis)nennen.4 Denn wenn man unter einem Seienden in der Vernunft etwas versteht, was es gar nicht gibt, so ist das in diesem Sinne nicht wahr. Es ist nur wahr in dem Sinne, in dem jede Operation des Verstandes ein Seiendes in der Vernunft ist, nämlich insofern es 1

Obj. II : 123, 12–13 4 Obj. II : 124, 1

2

Med. III : 51, 29 ff.

3

Obj. II : 123, 26–30

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ein von der Vernunft hervorgebrachtes Seiendes ist ; wie ja auch diese gesamte Welt ein Seiendes in der göttlichen Vernunft, d. h. ein durch einen einfachen Akt des göttlichen Geistes geschaffenes Seiendes genannt werden kann. Ich habe bereits an vielerlei Stellen darauf hingewiesen, daß ich nur die Vollkommenheit bzw. Realität der objektiven Idee thematisiere, die eine Ursache erfordert, in der tatsächlich alles das enthalten ist, was in der Idee nur objektiv enthalten ist : genauso, wie der objektive Gehalt, der in der Idee irgendeiner äußerst geistreich ausgedachten Maschine vorliegt. Ich sehe überhaupt nicht, was man noch hinzufügen könnte, damit noch klarer in Erscheinung tritt, daß mir diese Idee nicht kommen könnte, wenn das höchste Seiende nicht existierte. Außer von seiten des Lesers : Nämlich so, daß er sich dadurch von den Vorurteilen befreit, durch die vielleicht sein Natürliches Licht verdunkelt wird, indem er das, was ich bereits gesagt habe, sorgfältiger berücksichtigt, und er sich so angewöhnt, den ersten Grundbegriffen, im Vergleich mit denen es nichts Evidenteres und Wahreres geben kann, eher zu glauben als den dunklen und falschen, aber durch lange Praxis im Geist verankerten Meinungen. Daß nämlich nichts in der Wirkung ist, was nicht bereits zuvor in der Ursache entweder in derselben oder in irgendeiner eminenteren Weise existiert hat,1 ist ein erster Grundbegriff, der gar nicht klarer sein könnte, und der allseits bekannte Grundbegriff Aus dem Nichts entsteht nichts,2 unterscheidet sich von ihm überhaupt nicht. Denn wenn man zugäbe, daß irgendetwas in der Wirkung wäre, was nicht in der Ursache gewesen ist, müßte man auch zugegeben, daß dies aus dem Nichts entstanden wäre. Weshalb das Nichts nicht die Ursache eines Dinges sein kann, wird schon allein daraus offensichtlich, daß in einer solchen Ursache nicht dasselbe enthalten wäre wie in der Wirkung.

1

Med. III : 40, 21 ff.

2

Med. III : 40, 26–27.

135,3

135,11

146 135,19

135,27

136,3

136,11

136,19

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Es ist ebenfalls ein Grundbegriff, daß alle Realität bzw. Vollkommenheit, die in den Ideen nur objektiv vorliegt, in den Ursachen dieser Ideen entweder formal oder eminent enthalten sein muß.1 Allein darauf stützt sich jede Meinung, die wir jemals in bezug auf die Existenz der außerhalb unseres Geistes befindlichen Dinge gehabt haben. Was sonst hätte uns dazu bringen können, zu ahnen, daß diese Dinge existieren, außer daß ihre Ideen durch die Sinne in unseren Geist gelangten ? Denjenigen, die aufmerksam genug sind und über einen längeren Zeitraum mit mir meditieren werden, wird klar werden, daß die Idee des allmächtigen und vollkommenen Seienden in uns ist, und daß die objektive Realität dieser Idee in uns weder formal noch eminent angetroffen wird. Einem Langweiler kann ich jedoch noch nicht einmal dasjenige aufdrängen, was nur von dem Denken eines anderen abhängt. Aufgrund all dessen liegt es auf der Hand, daß Gott existiert. Manche Leute aber sehen nicht, daß es ein erster Grundbegriff ist, daß alle Vollkommenheit, die in der Idee objektiv ist, in irgendeiner Ursache dieser Idee real vorliegen muß, weil ihr Natürliches Licht dafür zu schwach ist. Für diese Leute habe ich dasselbe noch handgreiflicher daraus bewiesen, daß der Geist, der diese Idee besitzt, nicht durch sich selbst sein kann. Daher sehe ich nicht, was noch erforderlich wäre, damit Sie sich geschlagen geben.2 Es treibt mich auch nicht in die Enge, daß ich vielleicht die Idee, die mir Gott repräsentiert, aus vorgefaßten Begriffen des Gemüts, Büchern, Gesprächen mit Freunden usw., nicht durch meinen Geist allein3 erhalten haben mag. Denn ob ich nun die anderen frage, von denen ich die Idee erhalten haben soll, ob sie sie von sich selbst oder von einem anderen haben, oder ob ich mich selbst das frage : stets verläuft das Argument in derselben Weise, stets werde ich schließen, daß der, von dem sie zuerst ausgegangen ist, Gott ist. Wenn Sie aber an dieser Stelle anfügen, diese Idee könne auch 1

Med. III : 40, 21 ff.

2

Obj. II : 124, 9.

3

Obj. II : 124, 4–5.

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durch den vorherigen Einblick in körperliche Dinge ausgebildet werden,1 so erscheint mir das nicht wahrscheinlicher als wenn Sie behaupten würden, wir besäßen kein Vermögen, zu hören, sondern gelangten allein durch das Anblicken der Farben zu der Kenntnis der Töne. Denn man kann sich zwischen Farben und Tönen eine größere Analogie oder Gleichheit konstruieren als zwischen den körperlichen Dingen und Gott. Und wenn Sie mich auffordern, ich solle etwas herbeischaffen, das uns zum Unkörperlichen oder Spirituellen erhebt,2 so kann ich nichts besseres tun, als Sie auf meine zweite Meditation zu verweisen, damit Sie wenigstens diesen Nutzen an ihr feststellen. Denn was könnte ich hier durch den einen oder anderen Satz leisten, wenn dort die längeren, diesem einen Punkt gewidmeten Ausführungen, nichts bewirkt haben, auf die ich, wie mir scheint, nicht weniger Mühe aufgewandt habe als auf irgendetwas anderes, was ich jemals geschrieben habe ? Dem steht auch nicht im Wege, daß ich in der zweiten Meditation nur den menschlichen Geist thematisiert habe. Ich räume nämlich bereitwillig und gerne ein, daß sich die Idee, die wir zum Beispiel vom göttlichen Verstand haben, von der, die wir von unserem Verstand haben, gerade nur insoweit unterscheidet, wie sich die Idee einer unendlichen Zahl von der Idee des Vier- oder Zweifachen unterscheidet. Und ebenso verhält es sich mit den einzelnen Attributen Gottes, von denen wir eine Spur in uns erkennen. Darüber hinaus aber nehmen wir in Gott Einsicht in eine absolute Unermeßlichkeit, Einfachheit, eine alle anderen Attribute beinhaltende Einheit, die schlichtweg ohne Vorbild ist, die aber, wie ich zuvor gesagt habe, »gleichsam ein seinem Werk aufgedrucktes Kennzeichen des Technikers«3 ist. Wir erkennen, daß im Vergleich damit keines dieser Attribute, die wir aufgrund der Mangelhaftigkeit unseres Verstandes auch in Gott so partikulär betrachten, wie wir sie in uns erfassen, ihm und uns univok zukommt. Von den vielen unbegrenzten Partikularitä1

Obj. II : 124, 12–13.

2

Obj. II : 124, 17–18.

3

Med. III : 51, 16–17.

137,8

137,15

148

138,2

138,11

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ten, deren Ideen wir haben – wie die Ideen der unbegrenten bzw. unendlichen Erkenntnis, ebenso der Macht, der Zahl, der Länge, und zwar auch der jeweils unendlichen – unterscheiden wir einige, die in der Idee Gottes formal enthalten sind, wie die Ideen der Erkenntnis und der Macht, von anderen, die nur eminent enthalten sind, wie die Ideen der Zahlen und der Länge. Das wäre in der Tat nicht der Fall, wenn diese Idee in uns nur eine Erdichtung wäre. Außerdem würde diese Idee nicht durchgängig von allen in derselben Weise im Denken gesetzt werden. Es ist nämlich äußerst beachtlich, daß alle Metaphysiker in der Beschreibung der Attribute Gottes (derjenigen versteht sich, die allein durch die menschliche Vernunft erkannt werden können) einträchtig miteinander übereinstimmen. Es gibt deshalb kein physisches, kein sinnliches Ding, keines, dessen volle und handgreifliche Idee wir haben, über dessen Natur nicht eine im Vergleich dazu größere Verschiedenheit der Meinungen bei den Philosophen angetroffen würde. Tatsächlich könnte kein Mensch davon abirren, die Idee Gottes richtig zu begreifen, wenn er nur die Natur des höchstvollkommenen Seienden berücksichtigen wollte. Wer ihr jedoch irgendetwas anderes beimengt, verwickelt sich dadurch in Widersprüche, bildet sich eine trügerische Idee Gottes aus und bestreitet daraufhin nicht zu Unrecht, daß der Gott, der durch diese Idee repräsentiert wird, nicht existiert. Demgemäß verwickeln Sie sich hier, wenn Sie von einem vollkommensten körperlichen Seienden1 sprechen, dann in Widersprüche, wenn Sie den Namen des Vollkommensten absolut nehmen, d. h. in dem Sinne, daß ein körperliches Ding ein Seiendes ist, in dem alle Vollkommenheiten angetroffen würden ; denn die Natur des Körpers beinhaltet für sich genommen schon viele Unvollkommenheiten, wie etwa, daß ein Körper in Teile teilbar ist, daß kein Teil dieses Körpers wie der andere ist, und dergleichen. Es ist nämlich selbstverständlich, daß die größere Vollkommenheit 1

Obj. II : 124, 16–17.

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darin besteht, nicht geteilt, als geteilt zu sein usw. Wenn Sie es jedoch nur so verstehen, daß es das Vollkommenste nach Maßgabe eines Körpers ist, so ist dieses Vollkommenste nicht Gott. Was Sie über die Idee eines Engels, im Vergleich mit der wir unvollkommener sind, hinzufügen, nämlich daß diese Idee nicht notwendigerweise in uns von einem Engel bewirkt wird,1 so gebe ich das gern zu. Denn ich selbst habe bereits in der dritten Meditation gesagt, »daß diese Idee aus den Ideen, die wir von Gott und Menschen haben, gebildet werden kann«.2 Also widerspricht auch dies mir gar nicht. Diejenigen jedoch, die bestreiten, die Idee Gottes zu besitzen, sondern statt dessen irgendein Götzenbild usw. ausbilden, bestreiten den Namen aber geben die Sache zu. Ich selbst meine auch keineswegs, daß die Idee Gottes eine Idee von derselben Natur ist wie die in der Phantasie abgemalten Bilder materieller Dinge, sondern ich halte sie für etwas, das wir allein durch den auffassenden, bzw. urteilenden, bzw. schlußfolgernden Verstand erfassen : Ich berühre durch ein irgendwie geartetes Denken oder durch den Verstand irgendeine Vollkommenheit, die höher ist als ich. Zum Beispiel erkenne ich allein dadurch, daß ich feststelle, beim Abzählen nicht zu der größten aller Zahlen gelangen zu können, daß in der Funktion des Abzählens etwas liegt, was meine Kräfte übersteigt. Ich behaupte : Zwar wird allein dadurch noch nicht notwendig geschlossen, daß eine unendliche Zahl existiert, noch daß sie, wie Sie behaupten, in sich widersprüchlich ist ;3 aber es wird sehr wohl notwendig geschlossen, daß ich diese Kraft, zu begreifen, daß eine größere Zahl denkbar ist als jemals von mir gedacht werden kann, nicht von mir selbst, sondern von irgendeinem im Vergleich mit mir vollkommenerem Seienden erhalten habe. Es tut nichts zur Sache, ob der Begriff dieser unbegrenzten Zahl nun Idee genannt wird oder nicht. Um jedoch einzusehen, was dieses im Vergleich mit mir vollkommenere Seiende ist, ob es nämlich die real existierende unendliche Zahl selbst oder 1

Obj. II : 124, 18–21.

2

Med. III : 43, 5–9.

3

Obj. II : 124, 23.

138,27

139,5

139,23

150

140,2

140,12

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irgendetwas anderes ist, muß außer der Kraft, mir diese Idee einzugeben, auch alles andere betrachtet werden, das in dem enthalten sein kann, wodurch diese Idee hervorgebracht wird. Und so wird man herausfinden, daß es allein Gott ist. Wenn schließlich behauptet wird, Gott sei undenkbar, so versteht man darunter ein Gott adäquat verstehendes Denken, nicht aber das ihn inadäquat verstehende Denken, das in uns ist und das ausreicht, um zu erkennen, daß er existiert. Es ist auch ganz unerheblich, wenn gesagt wird, die Idee der Einheit aller Vollkommenheiten Gottes werde auf dieselbe Weise ausgebildet wie die Universalien des Porphyrius,1 obwohl sich die Idee Gottes freilich darin sehr von den Universalien unterscheidet, daß sie auf eine bestimmte eigentümliche und positive Vollkommenheit in Gott verweist, während die gattungsmäßige Einheit zu den Naturen der einzelnen Individuen nichts Reales hinzutut. d r i t t e n s .2 An der Stelle, an der ich gesagt habe, »daß wir nichts wissen können, wenn wir nicht zuvor erkennen, daß Gott existiert«, habe ich ausdrücklich bezeugt, daß ich allein über das Wissen solcher Schlüsse spreche, »deren Erinnerung wiederkehren kann, wenn wir nicht mehr auf die Überlegungen achten, aus denen wir sie deduziert haben«.3 Die Kenntnis der Prinzipien wird von den Dialektikern nämlich nicht Wissen genannt. Wenn wir beachten, daß wir denkende Dinge sind, dann ist das ein ganz bestimmter erster Grundbegriff, der nicht aus einem Syllogismus geschlossen wird ; und auch wenn jemand sagt, Ich denke, also bin ich, bzw. existiere, dann deduziert er nicht die Existenz durch einen Syllogismus aus dem Denken, sondern erkennt eine gewissermaßen selbstverständliche Sache durch eine einfache Intuition des Geistes. Das ergibt sich daraus, daß, wenn er es durch einen Syllogismus deduzieren würde, er zuvor den Obersatz Alles, was denkt, ist, bzw. existiert gekannt haben müßte. Diesen Satz aber lernt er doch erst, indem er an sich erfährt, daß er unmöglich denken kann, wenn er nicht existiert. Das nämlich ist die Natur unseres Geistes, daß er 1

Obj. II : 124, 23–28.

2

Resp. IV : 246, 2.

3

Med. V : 69, 20–22.

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allgemeine Propositionen aufgrund der Erkenntnis besonderer ausbildet. Ich bestreite gar nicht, daß ein Atheist klar erkennen kann, daß die drei Winkel eines Dreiecks zwei rechten entsprechen.1 Ich behaupte nur, daß die Erkenntnis dessen kein wahres Wissen ist, weil keine Erkenntnis, die in Zweifel gezogen werden kann, Wissen genannt werden zu dürfen scheint. Da nun vorausgesetzt wird, daß er ein Atheist ist, kann er nicht sicher sein, nicht in dem betrogen zu werden, was ihm äußerst evident zu sein scheint, wie hinlänglich aufgezeigt worden ist. Und auch wenn ihm dieser Zweifel vielleicht gar nicht kommt, so kann er ihm doch kommen, wenn er es prüft oder der Einwand von jemand anderem vorgebracht wird ; und dagegen wird er niemals gefeit sein, wenn er nicht zuvor Gott erkennt. Es ist ganz unerheblich, daß er der Ansicht ist, vielleicht Beweise zu besitzen, um nachzuweisen, daß es keinen Gott gibt. Denn da diese Beweise in keiner Weise wahr sind, können ihm ihre Fehler stets gezeigt werden, und sobald dies geschieht, wird man ihn von seiner Meinung abbringen. Und das wird wirklich nicht schwierig sein, wenn er anstelle seiner Beweise lediglich das vorbringt, was Sie hier angefügt haben, nämlich daß das in jeder Hinsicht vollkommene Unendliche jedes beliebige andere Seinde ausschließt2 usw. Erstens : Wenn er gefragt würde, woher er wisse, daß ein solcher Ausschluß alles anderen Seienden zur Natur des Unendlichen gehört, wird er nichts haben, was er mit Begründung erwidern könnte. Denn gewöhnlich versteht er unter dem Namen Unendliches weder etwas, was die Existenz endlicher Dinge ausschließt, noch kann er irgendetwas über die Natur dessen wissen, von dem er meint, daß es nichts sei, und dessen Natur deshalb allein in dem besteht, was in der Bedeutung des Namens enthalten ist, die er von anderen Leuten übernommen hat. Außerdem : Was sollte durch die unendliche Macht dieses vorgestellten Unendlichen geschehen, wenn es nichts jemals erschaffen könnte ? Und schließlich : 1

Obj. II : 125, 6–7.

2

Obj. II : 125, 10–11.

141,3

141,14

141,18

152

142,14

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Allein dadurch, daß wir in uns eine gewisse Kraft, zu denken feststellen, begreifen wir leicht, daß in irgendetwas anderem auch eine Kraft, zu denken sein kann, und zwar eine größere als in uns. Aber auch wenn wir diese Kraft, zu denken bis ins Unendliche hinein vergrößern können, fürchten wir doch deshalb nicht, daß die unsrige kleiner wird. Und ebenso verhält es sich mit allem, was Gott beigelegt wird, auch mit der Macht, sofern wir voraussetzen, daß in uns keine Kraft ist, die nicht dem Willen Gottes unterworfen wäre ; und demnach kann er als völlig unendlich eingesehen werden ohne irgendeinen Ausschluß geschaffener Dinge. v i e r t e n s .1 Wenn ich bestreite, daß Gott lügt oder ein Betrüger ist,2 meine ich, mit allen Metaphysikern und Theologen übereinzustimmen, die es jemals geben wird oder bereits gegeben hat. Das, was Sie für das Gegenteil angeführt haben, steht dem nicht mehr entgegen als wenn ich bestritten hätte, Gott könne zürnen oder sei anderen Gemütsregungen unterworfen, Sie hingegen würden mir die Stellen der Heiligen Schrift entgegenhalten, in denen ihm menschliche Affekte beigelegt werden. Denn allen Leuten ist die Unterscheidung bekannt zwischen den Redensweisen über Gott, die dem gemeinen Menschenverstand angepaßt sind und die zwar eine gewisse, aber gleichsam auf die Menschen zugeschnittene Wahrheit enthalten, und den anderen Weisen, die eher die nackte und nicht auf den Menschen zugeschnittene Wahrheit ausdrücken. Die ersteren werden gewöhnlich in der Heiligen Schrift verwendet, während die letzteren zum Philosophieren verwendet werden müssen. Da ich nun in meinen Meditationen voraussetzte, daß mir ja gar keine anderen Menschen bekannt seien, und ich mich selbst auch nicht als aus Geist und Körper bestehend, sondern allein als Geist betrachtete, mußte ich dort ausschließlich die letzteren verwenden. Von daher ist es transparent, daß ich dort nicht von der Lüge gesprochen habe, die sich in Worten ausdrückt, sondern nur von der inneren und formalen Schlechtigkeit, die im Betrug enthalten ist. 1

Resp. IV : 246, 2.

2

Obj. II : 125, 16.

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Und so ist das, was über den Propheten berichtet wird, »noch vierzig Tage und Ninive wird untergehen«,1 freilich noch nicht einmal eine verbale Lüge, sondern nur eine Drohung gewesen, deren Eintritt unter einer Bedingung stand. Und wenn gesagt wird, »Gott habe das Herz des Pharaos verstockt gemacht«,2 oder irgendetwas dergleichen, so ist das nicht so zu verstehen, daß er dies positiv bewirkt habe, sondern nur negativ, nämlich so, daß er dem Pharao die wirksame Gnade nicht gewährt hat, sich zu ihm bekehren. Gleichwohl möchte ich diejenigen nicht kritisieren, die zugeben, Gott könne durch die Propheten irgendeine verbale Lüge vorbringen (von der Art, wie es jene Lügen der Ärzte sind, durch die sie die Kranken betrügen, damit sie sie heilen, d. h. Lügen, denen jede Schlechtigkeit des Betrugs fehlt). Viel wichtiger ist es doch aber, daß wir uns bisweilen sogar von dem natürlichen Instinkt selbst real getäuscht sehen, der uns von Gott beigelegt worden ist, wie wenn ein Wassersüchtiger Durst hat. Dann nämlich wird er von der Natur, die ihm von Gott zur Erhaltung seines Körpers gegeben worden ist, positiv zum Trinken gedrängt, obgleich diese Natur ihn doch täuscht, weil das Getränk für ihn schädlich sein wird. Aus welchem Grund jedoch dies der Güte oder der Wahrhaftigkeit Gottes nicht widerspricht, habe ich in der sechsten Meditation erklärt.3 In dem aber, das nicht auf diese Weise erklärt werden kann, nämlich in unseren äußerst klaren und sorgfältigen Urteilen, können wir uns, behaupte ich, überhaupt nicht täuschen. Diese Urteile könnten nämlich, wenn sie falsch wären, weder durch klarere ersetzt noch mit Hilfe irgendeines anderen natürlichen Vermögens verbessert werden. Denn da Gott das höchste Seiende ist, muß er auch das höchste Gute und Wahre sein, und daher ist es widersprüchlich, daß durch ihn etwas geschieht, was positiv zum Falschen tendiert. Da nichts Reales in uns sein kann, das nicht von ihm gegeben ist (wie zugleich mit seiner Existenz bewiesen worden ist), wir aber das Vermögen haben, das Wah1

Obj. II : 125, 21–22.

2

Obj. II : 125, 24–25.

3

Med. VI : 84, 8 ff.

143,6

143,18

143,26

154

144,16

144,21

144,26

145,10

zw e it e erw i d e ru n g en

re zu erkennen und es vom Falschen zu unterscheiden (was sich schon allein daraus ergibt, daß die Ideen des Falschen und Wahren in uns sind), würde Gott, der Spender dieses Vermögens, zurecht als Betrüger gelten, wenn dieses Vermögen nicht zum Wahren tendierte, zumindest solange wir es richtig gebrauchen (d. h. wenn wir nichts außer dem klar und deutlich Erfaßten zustimmen – denn eine andere richtige Ausübung dieses Vermögens kann man nicht konstruieren). Sie sehen : Nachdem erkannt ist, daß Gott existiert, ist es, wenn wir das in Zweifel ziehen wollen, was wir klar und deutlich erfassen, unausweichlich, so zu tun, als sei er ein Betrüger. Weil man aber nicht so tun kann, als sei er ein Betrüger, muß man all dies als wahr und sicher gelten lassen. Aber weil ich feststelle, daß Sie hier immer noch in den Zweifeln befangen sind, die ich zwar in der ersten Meditation aufgeworfen habe, aber meinte, in den folgenden aufgehoben zu haben, möchte ich an dieser Stelle erneut das Fundament darlegen, auf dem, wie mir scheint, alle menschliche Gewißheit aufgebaut werden kann. Zuallererst : Sobald wir auch nur irgendetwas richtig erfaßt zu haben meinen, sind wir ganz von selbst überzeugt, daß es wahr ist. Wenn nämlich diese Überzeugung so fest ist, daß wir niemals irgendeine Ursache haben können, an dem zu zweifeln, wovon wir so überzeugt sind, gibt es nichts, was wir darüber hinaus erforschen wollen ; wir haben alles, was man vernünftigerweise wünschen kann. Was nämlich geht es uns an, wenn vielleicht jemand so tut, als ob gerade das, von dessen Wahrheit wir so fest überzeugt sind, Gott oder den Engeln als falsch erscheine, und es deshalb absolut gesprochen falsch sei ? Was kümmert uns diese absolute Falschheit, da wir doch nicht im geringsten an sie glauben und auch wohl nicht den geringsten Verdacht hegen ? Wir setzen nämlich voraus, daß eine derartig feste Überzeugung in keiner Weise aufgehoben werden kann ; und demnach ist diese Überzeugung genau dasselbe wie die allervollkommenste Gewißheit. Aber es kann daran gezweifelt werden, ob man irgendeine

zw ei t e e rw i d e ru n g en

155

derartige Gewißheit, bzw. feste und unveränderliche Überzeugung haben kann. Nun ist es transparent, daß wir eine solche Gewißheit nicht von dem besitzen, was wir auch nur im geringsten dunkel oder verworren erfassen, denn diese wie auch immer geartete Dunkelheit ist eine genügende Ursache, daran zu zweifeln. Wir besitzen sie auch nicht von dem, was wir, und sei es noch so klar, bloß sinnlich erfassen. Denn wir haben schon häufig darauf hingewiesen, daß in der sinnlichen Wahrnehmung ein Irrtum angetroffen werden kann, so, wenn ein Wassersüchtiger Durst hat oder ein Gelbsüchtiger den Schnee gelb sieht : Denn der Gelbsüchtige sieht den Schnee nicht weniger klar und deutlich gelb wie wir ihn weiß sehen. Es bleibt also nur übrig, daß es, wenn es eine solche Gewißheit geben sollte, sie nur in bezug auf das gibt, was klar durch den Verstand erfaßt wird. Einiges davon ist nun so transparent und zugleich so einfach, daß wir niemals an es denken können, ohne zugleich zu glauben, daß es wahr ist : wie daß ich selbst, während ich denke, existiere ; daß das, was geschehen ist, nicht wieder ungeschehen werden kann ; und anderes, worüber offensichtlich eine solche Gewißheit herrscht : Denn wir können es nur bezweifeln, indem wir es denken, es denken können wir aber nur, wenn wir zugleich glauben, daß es wahr ist, wie vorausgesetzt wurde ; also können wir es nicht bezweifeln, ohne zugleich zu glauben, daß es wahr ist, das heißt : Wir können es niemals bezweifeln. Es ist kein Einwand, daß wir oft erfahren haben, daß andere in dem betrogen worden sind, was sie völlig klar zu wissen glaubten.1 Wir stellen nämlich niemals fest, und es kann auch von niemandem festgestellt werden, daß dies denjenigen passiert ist, die die Klarheit ihrer Erfassung allein aus dem Verstand entnommen haben, sondern nur denjenigen, die sie entweder aus den Sinnen oder aus irgendeinem falschen Vorurteil entlehnt haben. Es ist auch kein Einwand, wenn jemand konstruiert, dies erscheine Gott oder einem Engel als falsch. Denn die Evidenz 1

Obj. II : 126, 14–15.

145,12

145,22

146,5

146,11

156

146,14

147,1

147,12

zw e it e erw i d e ru n g en

unserer Erfassung erlaubt uns nicht, jemandem überhaupt zuzuhören, der so etwas konstruiert. Es gibt anderes, das von unserem Verstand zwar auch äußerst klar erfaßt wird, solange wir die Begründungen hinreichend berücksichtigen, von denen die Erkenntnis dieser Dinge abhängt, so daß wir sie deshalb während dieser Zeit nicht bezweifeln können. Weil wir aber ihre Begründungen vergessen können und uns einstweilen nur der aus ihnen gezogenen Schlüsse erinnern, fragt es sich, ob eine feste und unveränderliche Überzeugung auch von diesen Schlüssen erlangt werden kann, solange wir uns erinnern, sie aus evidenten Prinzipien deduziert zu haben ; diese Erinnerung nämlich muß vorausgesetzt werden, damit man sie Schlüsse nennen kann. Ich erwidere : Eine solche Überzeugung kann zwar von denjenigen erlangt werden, die Gott so sehr kennen, daß sie einsehen, daß das ihnen von ihm verliehene Einsichtsvermögen unmöglich nicht zur Wahrheit tendieren kann. Die anderen aber können sie nicht erlangen. Dies aber ist am Ende der fünften Meditation1 so klar erklärt, daß es nicht notwendig zu sein scheint, hier etwas hinzuzufügen. f ü n f t e n s . Ich wundere mich darüber, daß Sie bestreiten, daß der Wille sich Gefahr aussetzt, wenn er einem so gut wie gar nicht klaren und deutlichen Begriff des Verstandes folgt.2 Was nämlich macht den Willen sicher, wenn das nicht klar erfaßt ist, dem er folgt ? Und welcher Philosoph, Theologe oder auch einfach seine Vernunft gebrauchende Mensch hätte jemals bestritten, daß wir uns desto weniger der Gefahr des Irrens aussetzen, je klarer wir etwas einsehen, bevor wir ihm zustimmen, und daß diejenigen fehlgehen, die über eine unbekannte Sache ein Urteil fällen ? Es wird nämlich ein Begriff dann als dunkel oder verworren bezeichnet, wenn in ihm irgendetwas enthalten ist, das unbekannt ist. Demnach besitzt auch das, was Sie in bezug auf den anzunehmenden Glauben3 einwenden, gegen mich keine größere Überzeugungskraft als gegen alle anderen, die jemals die menschli1

Med. V : 70, 10 ff.

2

Obj. II : 126, 21–24.

3

Obj. II : 126, 15–28.

zw ei t e e rw i d e ru n g en

157

che Vernunft ausgebildet haben, und es besitzt demnach keine Überzeugungskraft gegen irgendjemanden. Auch wenn nämlich gesagt wird, der Glaube beziehe sich auf Dunkles, so ist doch deswegen das, weswegen er angenommen wird, noch nicht dunkel, sondern heller als alles naturgegebene Licht. Denn es ist zu unterscheiden zwischen der Materie bzw. der Sache selbst, der wir zustimmen, und dem formalen Grund, der den Willen zur Zustimmung bewegt ; denn allein in bezug auf diesen formalen Grund verlangen wir Transparenz. Was die Materie betrifft, so hat niemand jemals bestritten, daß sie dunkel, ja sogar die Dunkelheit selbst sein kann ; denn wenn ich urteile, die Dunkelheit müsse aus unseren Begriffen beseitigt werden, damit wir ihnen ohne die geringste Gefahr des Irrens zustimmen können, bilde ich über eben diese Dunkelheit ein klares Urteil. Es muß außerdem darauf hingewiesen werden, daß die Klarheit, bzw. Transparenz, durch die unser Wille zur Zustimmung bewegt werden kann, zweifach ist : nämlich durch das Natürliche Licht und durch die göttliche Gnade. Auch wenn also gemeinhin gesagt wird, der Glaube beziehe sich auf das Dunkle, so ist dies freilich nur zu verstehen in bezug auf die Sache, bzw. die Materie, um die es beim Glauben zu tun ist, nicht aber in bezug darauf, daß der formale Grund dunkel sei, weswegen wir den Dingen des Glaubens zustimmen. Denn dieser formale Grund besteht ganz im Gegenteil in einem bestimmten inneren Licht, durch das wir uns, wenn wir von Gott übernatürlich erleuchtet werden, darauf verlassen, daß das von ihm selbst offenbart ist, was uns zu glauben geboten wird, und daß er unmöglich lügen kann. Und das ist sicherer als alles Licht der Natur und aufgrund des Lichts der Gnade oft auch evidenter. Wenn Türken und andere Ungläubige die christliche Religion nicht annehmen, gehen sie nicht dadurch fehl, daß sie dunklen Dingen nicht zustimmen wollen, da diese nun einmal dunkel sind, sondern entweder dadurch, daß sie der sie innerlich bewegenden göttlichen Gnade Widerstand leisten, oder dadurch, daß sie sich der Gnade unwürdig machen, indem sie in anderen Dingen fehlgehen. Diejenigen Ungläubigen, die von aller über-

148,14

158

149,3

zw e it e erw i d e ru n g en

natürlichen Gnade verlassen sind und denen völlig unbekannt ist, daß das, was wir Christen glauben, von Gott offenbart ist, aber es dennoch durch irgendwelche falschen Beweisführungen verleitet annehmen, obwohl es ihnen dunkel ist, werden, wie ich zu behaupten wage, deshalb noch keine Gläubigen sein, sondern werden vielmehr darin fehlgehen, daß sie ihre Vernunft nicht richtig gebrauchen. Kein orthodoxer Theologe hat das, wie ich meine, jemals anders eingeschätzt. Außerdem werden diejenigen, die meine Bücher lesen, gar nicht meinen können, daß ich dieses übernatürliche Licht nicht erkannt hätte, weil ich ganz ausdrücklich in eben der vierten Meditation, in der ich die Ursache der Falschheit untersucht habe, gesagt habe, »dieses Licht richte das Innerste unseres Denkens auf das Wollen aus und vermindere gleichwohl nicht die Freiheit«.1 Erinnern2 Sie sich doch bitte auch daran, daß ich in bezug auf das, was dem Willen zu vertreten freisteht, äußerst genau zwischen der Praxis des Lebens und der Kontemplation der Wahrheit unterschieden habe. Denn was die Praxis des Lebens betrifft, liegt es mir ganz fern, zu meinen, nichts außer dem klar Durchschauten dürfe zugestimmt werden. Ich meine doch noch nicht einmal, daß man stets das Wahrscheinliche abwarten, sondern daß man vorderhand aus vielem völlig Unbekannten eines wählen und es, nachdem es gewählt ist, nicht weniger unbeirrt verfolgen muß, als ob es aus ganz transparenten Gründen gewählt worden ist, solange wir über keine Gründe für das Gegenteil verfügen können, wie ich im Discours de la Méthode auf Seite 26 erklärt habe.3 Wo es sich aber nur um die Kontemplation der Wahrheit handelt : Wer hätte jemals bestritten, daß dem Dunklen und nicht hinreichend deutlich Durchschauten die Zustimmung entzogen werden muß ? Daß ich aber in meinen Meditationen allein das thematisiert habe, ergibt sich zum einen aus der Sache selbst, und zum anderen habe ich das am Ende der ersten Meditation ausdrücklich kundgetan, in1

Med. IV : 58, 2–4. (= 2. Maxime).

2

Resp. IV : 248, 7.

3

Disc. III : AT VI, 24,18–25, 19

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dem ich sagte, »daß ich dabei dem Widerspruchsgeist gar nicht übermäßig nachgeben kann, da ich ja jetzt nicht auf die Angelegenheiten des Handelns, sondern des Erkennens aus war«.1 s e c h s t e n s . Dort, wo Sie den Schluß des von mir aufgestellten Syllogismus zurückweisen,2 scheinen Sie selbst in der Schlußfolgerung irrezugehen. Zu dem Schluß, den Sie ziehen wollen, hätte der Obersatz nämlich lauten müssen : Das, wovon wir klar einsehen, daß es zur Natur eines Dinges gehört, davon kann mit Wahrheit behauptet werden, daß es zu seiner Natur gehört. Dann aber wäre in diesem Obersatz nichts enthalten gewesen außer einer nutzlosen Tautologie. Mein Obersatz hingegen war folgender : Wovon wir klar einsehen, daß es zur Natur eines Dinges gehört, das kann mit Wahrheit von dem Ding behauptet werden. Das heißt : Wenn es zur Natur des Menschen gehört, ein Lebewesen zu sein, kann behauptet werden, daß der Mensch ein Lebewesen ist ; wenn es zur Natur des Dreiecks gehört, drei Winkel zu haben, die zwei rechten entsprechen, kann behauptet werden, ein Dreieck besitze drei Winkel, die zwei rechten entsprechen ; wenn es zur Natur Gottes gehört, zu existieren, kann behauptet werden, daß Gott existiert usw. Der Untersatz aber war dieser : Nun gehört es aber zur Natur Gottes, daß er existiert. Daraus muß offensichtlich so geschlossen werden, wie ich geschlossen habe : Also kann von Gott mit Wahrheit behauptet werden, daß er existiert ; nicht aber so, wie Sie wollen : Also können wir mit Wahrheit behaupten, daß es zur Natur Gottes gehört, daß er existiert. Um nun die Einschränkung anzuwenden, die Sie hinzufügen,3 so hätten Sie den Obersatz bestreiten und sagen müssen : Das, wovon wir klar einsehen, daß es zur Natur eines Dinges gehört, kann deshalb noch nicht von dem Ding behauptet werden, es sei denn, seine Natur ist möglich, bzw. enthält keinen Widerspruch. Aber sehen Sie bitte, wie wenig diese Einschränkung bedeutet. Denn entweder verstehen Sie, wie man es allgemein tut, unter möglich alles, was dem menschlichen Begriff nicht 1

Med. I : 22, 19–22.

2

Obj. II : 127, 3–29.

3

Obj. II : 127, 12–16.

149,22

150,14

160

151,14

zw e it e erw i d e ru n g en

widerspricht ; in diesem Sinne ist es doch offenkundig, daß die Natur Gottes so, wie ich sie beschrieben habe, möglich ist, weil ich in ihr allein das vorausgesetzt habe, wovon wir klar und deutlich erfassen, daß es zu ihr gehören muß, so daß es dem Begriff gar nicht widersprechen kann. Oder aber Sie bilden sich irgendeine andere Möglichkeit von seiten des Objekts selbst ein ; wenn diese Möglichkeit mit der vorhergehenden nicht übereinstimmt, kann sie jedoch niemals vom menschlichen Verstand erkannt werden und besitzt von daher nicht mehr Überzeugungskraft, die Natur bzw. Existenz Gottes zu bestreiten, als beliebiges andere umzustürzen, was von den Menschen erkannt wird. Obwohl vom Begriff her keine Unmöglichkeit in der Natur Gottes angetroffen wird, sondern ganz im Gegenteil alles, was dieser Begriff der göttlichen Natur beinhaltet, so miteinander verknüpft ist, daß es uns selbstwidersprüchlich zu sein scheint, daß etwas davon nicht zu Gott gehören sollte, wird man mit demselben Recht, mit dem man bestreitet, daß die Natur Gottes möglich ist, auch bestreiten, daß es möglich ist, daß die drei Winkel des Dreiecks zwei rechten gleich sind, oder daß der, der aktuell denkt, existiert ; und mit sehr viel größerem Recht wird man bestreiten, daß irgendetwas von dem wahr ist, was wir uns durch die Sinne aneignen, und so wird man ohne irgendeinen Grund alle menschliche Erkenntnis aufheben. Was das Argument betrifft, das Sie mit meinem vergleichen, nämlich dieses : Wenn es nicht in sich widersprüchlich ist, daß Gott existiert, ist es sicher, daß er existiert ; aber es ist nicht in sich widersprüchlich, also1 usw., so ist es zwar materiell wahr, aber formal ein Sophismus. Im Obersatz nämlich bezieht sich das Wort in sich widersprüchlich sein auf den Begriff der Ursache, durch die Gott sein kann ; im Untersatz aber allein auf den Begriff der göttlichen Existenz und Natur selbst. Das wird daraus offenkundig, daß, wenn man den Obersatz bestreitet, so nachgewiesen werden muß : Wenn Gott noch nicht existiert, ist es in sich widersprüchlich, daß er existiert, weil keine hinreichen1

Obj. II : 127, 17–18.

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161

de Ursache angegeben werden kann, um ihn hervorzubringen ; aber es ist nicht in sich widersprüchlich, daß er existiert, wie angenommen wurde ; also usw. Wenn aber der Untersatz bestritten wird, muß so gesagt werden : Dasjenige ist nicht in sich widersprüchlich, in dessen formalem Begriff nichts gelegen ist, das einen Widerspruch enthält ; aber im formalen Begriff der göttlichen Existenz oder Natur ist nichts gelegen, das einen Widerspruch enthält ; also usw. Diese beiden Schlüsse sind äußerst verschieden. Denn es kann geschehen, daß in einem Ding nichts eingesehen wird, das verhindern könnte, daß es existieren kann, während gleichzeitig von seiten der Ursache etwas eingesehen wird, das im Wege steht, daß es produziert wird. Auch wenn wir nämlich Gott nur inadäquat, oder meinetwegen ganz inadäquat1 begreifen, so hindert dies weder, daß es sicher ist, daß seine Natur möglich ist, bzw. nicht in sich widersprüchlich ist, noch, daß wir wahrhaftig behaupten können, sie klar genug untersucht zu haben (nämlich sowohl insoweit es ausreicht, sie zu erkennen, als auch zu erkennen, daß die notwendige Existenz zu eben dieser Natur Gottes gehört). Jeder Selbstwiderspruch bzw. jede Unmöglichkeit besteht allein in unserem Begriff, der einander entgegengesetzte Ideen schlecht verbindet, und kann nicht in einem außerhalb unseres Verstandes befindlichen Ding sein. Denn schon allein dadurch, daß etwas außerhalb des Verstandes ist, liegt es auf der Hand, daß es keinen Selbstwiderspruch beinhaltet, sondern möglich ist. Der Selbstwiderspruch entsteht in unseren Begriffen allein dadurch, daß sie dunkel und verworren sind, und in klaren und deutlichen Begriffen kann es niemals irgendeinen geben. Um zu behaupten, daß wir seine Natur klar genug untersucht haben und sie keinen Selbstwiderspruch beinhaltet, ist es demnach ausreichend, daß wir das wenige, was wir von Gott erfassen, klar und deutlich, wenn auch in keiner Weise adäquat einsehen, und daß wir unter anderem auch beachten, daß die notwendige Existenz in unserem Begriff von ihm enthalten ist. 1

Obj. II : 127, 27.

152,5

162 153,1

154,3

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s i e b t e n s . Weshalb ich nichts über die Unsterblichkeit der Seele geschrieben habe,1 habe ich bereits in der Synopsis meiner Meditationen2 gesagt, und daß ich ihre Unterscheidung vom Körper3 überhaupt hinreichend nachgewiesen habe, habe ich oben gezeigt. Wenn Sie aber hinzufügen, aus der Unterscheidung der Seele vom Körper folge ihre Unsterblichkeit nicht, weil man nichtsdestoweniger behaupten könne, sie sei von Gott als eine solche Natur geschaffen worden, daß ihre Fortdauer zugleich mit der Fortdauer des körperlichen Lebens beendet werde,4 so räume ich ein, dies nicht widerlegen zu können. Und ich maße mir schon gar nicht an, zu versuchen, durch die Kraft der menschlichen Vernunft irgendetwas von dem zu bestimmen, was vom freien Willen Gottes abhängt. Die natürliche Erkenntnis lehrt, daß der Geist vom Körper verschieden und eine Substanz ist, daß aber der menschliche Körper, insofern er sich von den übrigen Körpern unterscheidet, allein aus der Konfiguration der Körperteile und anderen derartigen Akzidenzien besteht ; und schließlich, daß der Tod des Körpers allein von irgendeiner Teilung oder Veränderung der Gestalt abhängt. Aber wir haben weder ein Argument noch ein Beispiel, das uns davon überzeugt, daß der Tod, bzw. die Vernichtung einer Substanz wie dem Geist aus einer so geringfügigen Ursache wie der Veränderung der Gestalt folgen muß, die nichts anderes als ein Modus ist, und zwar kein Modus des Geistes, sondern ein Modus des real vom Geist unterschiedenen Körpers. Und wir haben genausowenig weder ein Argument noch ein Beispiel, das uns davon überzeugt, daß überhaupt irgendeine Substanz untergehen kann. Und das reicht aus, um zu schließen, daß der Geist, insofern er aus der natürlichen Philosophie erkannt werden kann, unsterblich ist. Wenn aber nach dem absoluten Einfluß Gottes gefragt wird, d. h. ob er vielleicht beschlossen habe, daß die menschlichen Seelen genau dann untergehen, wenn die Körper zerstört werden, mit denen er sie verbunden hat, so ist es allein an Gott, zu 1

Obj. II : 127, 30–128, 1. 4 Obj. II : 128, 6–10.

2

Syn. : 13, 25–14, 17.

3

Obj. II : 128, 4–5.

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163

antworten. Da er uns aber bereits offenbart hat, daß dies nicht geschehen wird, gibt es überhaupt keine, auch nicht die geringste, Gelegenheit, zu zweifeln. Es bleibt mir nur noch, Ihnen zu danken, daß Sie mich so pflichtbewußt und aufrichtig nicht nur darauf aufmerksam gemacht haben, wie Sie es einschätzen, sondern auch auf das, was von Widersachern oder Atheisten gesagt werden könnte. Denn auch wenn ich unter dem, was Sie vorgebracht haben, nichts sehe, was ich nicht bereits vorher schon in den Meditationen entweder gelöst oder ausgeschlossen hätte (denn, was Sie über die durch die Sonne erzeugten Fliegen, über die Kanadier, die Niniviten, Türken und dergleichen1 vorgebracht haben, kann denjenigen gar nicht einfallen, die dem von mir aufgezeigten Weg folgend eine Zeitlang alles beiseitelegen, was man von den Sinnen erhält, damit sie das beachten können, was die reine und unverfälschte Vernunft vorschreibt, weshalb ich meinte, dies bereits zur Genüge ausgeschlossen zu haben) – auch wenn sich dies, sage ich, so verhält, urteile ich dennoch, daß Ihre Einwände meinem Vorhaben sehr zugute kommen werden. Ich erwarte nämlich nur sehr wenige Leser, die alles, was ich geschrieben habe, so sorgfältig berücksichtigen wollen, daß sie sich an alles Vorhergehende erinnern, wenn sie ans Ende gelangen. Diejenigen nun, die das nicht tun, geraten leicht in irgendwelche Zweifel ; sie werden aber später entweder sehen, daß sie in meiner Erwiderung befriedigend behoben worden sind, oder sie werden meine Erwiderung zumindest zum Anlaß nehmen, die Wahrheit weiter zu prüfen. Was schließlich Ihren Ratschlag betrifft, meine Überlegungen more geometrico vorzustellen, damit sie gleichsam in einer einzigen Intuition vom Leser erfaßt werden können,2 so lohnt es sich, hier darzulegen, inwiefern ich das bereits gemacht habe, und inwieweit ich es weiterhin tun will. Ich unterscheide bei der geometrischen Schreibweise zwei Dinge, nämlich die Ordnung und die Beweisart. 1

Obj. II : 123, 26 ; 124, 11 ; 125, 21 ; 126, 25.

2

Obj. II : 128, 16–18.

154,9

155,4

164 155,11

155,21 155,23

156,6

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Die Ordnung besteht allein darin, daß das, was zuerst vorgebracht wird, ohne die Hilfe von irgendetwas Folgendem erkannt werden können muß, und daß das Übrige dann so angelegt wird, daß es allein aus dem Vorhergehenden bewiesen werden kann. Ich habe versucht, in meinen Meditationen dieser Ordnung ganz genau zu folgen. Ihre Beachtung war auch die Ursache, weshalb ich die Unterscheidung des Geistes vom Körper nicht in der zweiten, sondern erst in der sechsten Meditation abgehandelt und vieles andere willentlich und wissentlich ausgelassen habe, weil es die Erklärung mehrerer anderer Dinge erforderlich gemacht hätte. Die Beweisart aber ist zweifach, nämlich einerseits durch Analysis, anderseits durch Synthesis. Die Analysis zeigt den wahren Weg, auf dem eine Sache methodisch und gleichsam a priori herausgefunden worden ist, so daß der Leser, wenn er diesem Weg folgen und alles sorgfältig berücksichtigen will, die Sache nicht weniger vollkommen einsehen und sie zu der seinigen machen wird, als wenn er sie selbst herausgefunden hätte. Aber : Die Analysis bietet nichts, wodurch sie einen weniger aufmerksamen oder Widerstand leistenden Leser dazu drängen könnte, es zu glauben. Denn wenn auch nur das Geringste von dem nicht beachtet wird, was vorgebracht wird, wird die Notwendigkeit ihrer Schlüsse nicht einleuchten ; außerdem werden viele Dinge, die ganz besonders beachtet werden müssen, gleichwohl oft kaum berührt, weil sie für alle transparent sind, die aufmerksam genug sind. Die Synthesis dagegen schlägt den entgegengesetzten und gleichsam a posteriori fragenden Weg ein (auch wenn der Nachweis selbst in ihr oft viel mehr a priori ist als bei der Analysis). Das, was geschlossen worden ist, beweist sie klar, und verwendet dabei eine lange Abfolge von Definitionen, Petitionen, Axiomen, Theoremen und Problemen. Wenn daher irgendeine ihrer Folgerungen bestritten wird, zeigt sie sofort, daß dies im Vorangehenden enthalten ist, und nötigt so dem Leser seine Zustimmung ab, so viel Widerstand er leisten und so hartnäckig er auch sein mag. Aber die Synthesis schafft keine Befriedigung

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wie die Analysis, und stellt die Gemüter der Lernbegierigen nicht zufrieden, weil sie die Weise nicht lehrt, durch die die Sache herausgefunden wurde. Die alten Geometriker haben in ihren Schriften gewöhnlich allein die Synthesis verwendet. Wie ich die Lage beurteile, haben sie das aber nicht deshalb getan, weil ihnen die Analysis völlig unbekannt gewesen wäre, sondern weil sie sie für so wertvoll hielten, daß sie sie für sich selbst als eine Art Geheimlehre aufbewahrten. Ich selbst dagegen bin in meinen Meditationen allein der Analysis gefolgt, die der wahre und beste Weg zum Lehren ist. Was aber die Synthesis betrifft, die zweifelsohne das ist, was Sie hier von mir verlangen, so mag es bei geometrischen Sachverhalten ganz passend sein, sie auf die Analysis folgen zu lassen, jedoch kann sie nicht ebenso angemessen auf metaphysische Sachverhalte angewandt werden. Der Unterschied besteht nämlich darin, daß die ersten Grundbegriffe, die vorausgesetzt werden, um die geometrischen Sachverhalte zu beweisen, unbesehen von allen gelten gelassen werden, weil sie mit der Praxis der Sinne übereinstimmen. Deshalb besteht die Schwierigkeit dabei allein darin, die Konsequenzen richtig zu deduzieren. Das kann aber von jedem getan werden, auch wenn er weniger aufmerksam ist, sofern er sich bloß an das Vorhergehende erinnert. Die genaue Unterscheidung der Propositionen ist daraufhin angelegt, daß sie leicht angeführt und auf diese Weise auch widerspenstigen Leuten in das Gedächtnis zurückgerufen werden können. Bei den metaphysischen Dingen dagegen macht nichts so große Mühe, wie die ersten Grundbegriffe klar und deutlich zu erfassen. Auch wenn sie nämlich von ihrer Natur her nicht weniger bekannt oder sogar bekannter sind als die, die von den Geometrikern betrachtet werden, werden sie nur von ganz aufmerksamen und meditierenden Leuten, die ihren Geist soweit es irgend geht von den körperlichen Dingen fernhalten, vollkommen erkannt, weil sie den vielen Vourteilen der Sinne widersprechen, an die wir von Jugend an gewöhnt sind. Wenn sie

156,17

156,21

156,27

157,6

166

157,17

157,27

158,8

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jedoch einzeln hingestellt werden, können sie von Leuten, die es darauf anlegen, zu widersprechen, leicht bestritten werden. Dies ist der Grund gewesen, weshalb ich lieber Meditationen geschrieben habe als Disputationen, wie die Philosophen, oder Theoremata und Problemata, wie die Geometriker : nämlich um dadurch zu bezeugen, daß ich allein mit denjenigen etwas zu tun haben will, die sich nicht verweigern werden, mit mir die Sache aufmerksam zu betrachten und über sie zu meditieren. Denn schon allein dadurch, daß sich jemand anschickt, die Wahrheit zu bekämpfen, macht er sich weniger geeignet, sie zu erfassen, weil er sich ja selbst davon fernhält, die Gründe zu betrachten, die ihn von ihr überzeugen, um statt dessen andere herauszufinden, die gegen sie sprechen. Nun mag vielleicht jemand hier einwenden, daß man zwar dann nicht nach Gründen zum Widersprechen fragen dürfe, wenn man wisse, daß man die Wahrheit vor sich habe. Solange man daran jedoch zweifle, erwäge man zu Recht alle Gründe auf der jeweiligen Seite, nämlich um zu erkennen, welches die stärkeren seien. Deshalb aber würde ich nicht zu Recht reklamieren, daß man meine Gründe als wahr gelten lassen solle, schon bevor sie durchschaut sind, zumal ich gleichzeitig auch noch verhinderte, andere zu betrachten, die meinen Gründen entgegenstünden. Das würde aber nur dann mit Recht gesagt werden, wenn irgendetwas von dem, in bezug auf das ich einen Leser verlange, der aufmerksam ist und keinen Widerstand leistet, geeignet wäre, ihn davon abzulenken, irgendetwas anderes zu betrachten, in bezug auf das auch nur die geringste Hoffnung bestände, mehr Wahrheit anzutreffen als in dem meinigen. Weil aber in dem, was ich vorbringe, der größtmögliche Zweifel an allem enthalten ist ; weil ich nichts mehr empfehle, als alles einzelne äußerst genau in Augenschein zu nehmen und überhaupt nichts gelten zu lassen außer dem, was so klar und deutlich durchschaut ist, daß wir gar nicht umhin können, ihm zuzustimmen ; weil es außerdem nichts gibt, von dem die Gemüter des Lesers abzulenken ich ein größeres Verlangen habe, als das, was er nie-

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mals hinreichend geprüft und nicht aus einem festen Grund, sondern aus den Sinnen allein geschöpft hat : Deshalb meine ich nicht, irgendjemand könne glauben, er befinde sich dann in einer größeren Gefahr, sich zu irren, wenn er allein das betrachtet, was ich vorbringe, als wenn er seinen Geist davon fernhält und ihn anderem zuwendet, das dem Eigentlichen in irgendeiner Weise entgegengesetzt ist und Dunkelheit verbreitet (das heißt : den Vorurteilen der Sinne). Daher verlange ich zu Recht bei meinen Lesern eine besondere Aufmerksamkeit. Ich habe deshalb diejenige Schreibweise anstelle einer anderen gewählt, durch die diese Aufmerksamkeit, wie ich meinte, am besten zustandegebracht werden könnte und aus der nach meiner Überzeugung die Leser größeren Vorteil ziehen würden als sie selbst bemerken werden, während sie dagegen aus der synthetischen Schreibweise gewöhnlich mehr zu lernen scheinen als sie tatsächlich lernen. Ich halte es aber eben auch für gerechtfertigt, wenn ich die gegen die meinigen vorgebrachten Urteile derjenigen, die nicht mit mir meditieren wollten und an ihren vorgefaßten Meinungen festhalten werden, geradeheraus zurückweise und ihnen jeglichen Wert abspreche. Mir ist sehr wohl bekannt, wie schwierig es auch für diejenigen sein wird, die aufmerksam sind und ernsthaft nach der Wahrheit fragen, die Gesamtheit meiner Meditationen zu überblicken, und zugleich ihre einzelnen Bestandteile zu unterscheiden ; indes muß nach meiner Ansicht beides zugleich getan werden, um den vollen Gewinn aus ihnen zu ziehen. Deshalb füge ich hier etwas in synthetischem Stil an, von dem, wie ich hoffe, das eine oder andere hilfreich sein wird. Ich bitte nur sehr darum, zu beachten, daß ich hier nicht so viel wie in den Meditationen darlegen will, weil ich dafür sehr viel weitläufiger als in den Meditationen selbst sein müßte, und daß das, was ich darlege, auch nicht sorgfältig erklärt werden wird. Denn ich will einerseits auf Kürze bedacht sein, und anderseits soll niemand in der Ansicht, dies sei ausreichend, die Meditationen selbst, aus denen nach meiner Überzeugung sehr viel größerer Vorteil gezogen werden kann, nachlässiger prüfen.

158,26

159,9

ÜB ER LEG UN GEN , D I E D I E E XIS TENZ GO TTES U ND DI E U NT E R SC HEIDU NG D ER S EEL E V OM K ÖR P ER NAC HWEIS EN M O R E G E O METRIC O A NG ELEGT

d e f init io nen. I. In dem Namen Denken fasse ich alles zusammen, das so 160,7

in uns ist, daß wir uns seiner unmittelbar bewußt sind. Demgemäß sind alle Operationen des Willens, des Verstandes, der Anschauung und der Sinne Gedanken. Jedoch habe ich unmittelbar hinzugefügt, um das auszuschließen, was sich aus ihnen ergibt, wie die willentliche Bewegung, die zwar ein Denken zum Prinzip hat, selbst jedoch kein Denken ist. II. Unter dem Namen Idee verstehe ich diejenige Form jeglichen Denkens, durch dessen unmittelbare Erfassung ich mir eben dieses Denkens bewußt bin. Demnach kann ich nichts durch Worte ausdrücken, ohne daß es – wenn ich das, was ich sage, einsehe –, eben dadurch sicher ist, daß in mir die Idee dessen ist, was durch diese Worte bezeichnet wird. Demgemäß nenne ich die bloßen in der Phantasie abgemalten Bilder nicht Ideen. Denn tatsächlich nenne ich diese Bilder hier insofern überhaupt nicht Ideen, als sie in der körperlichen Phantasie, das heißt in irgendeinem Teil des Gehirns, abgemalt sind, sondern ich nenne sie nur insofern Ideen, als sie den in jenem Teil des Gehirns enthaltenen Geist selbst informieren. III. Unter der objektiven Realität einer Idee verstehe ich die Entität des durch die Idee repräsentierten Dinges, insofern sie in der Idee ist. Sie kann ebensogut auch objektive Vollkommenheit oder objektiver Gehalt usw. genannt werden. Denn alles, was wir gleichsam in den Objekten der Ideen erfassen, das ist in den Ideen selbst objektiv vorhanden. IV. Was in genau der Weise in den Objekten ist, in der wir es erfassen, wird formal genannt. Es wird eminent in den Objekten

160,14

161,4

161,10

170

161,14

161,24

161,28

162,4

162,8

162,11

über leg u n g en m o r e g e o m et r i c o

der Idee seiend genannt, wenn es zwar nicht in genau der Weise in den Objekten ist, in der wir es erfassen, jedoch in einem solchen Maße, daß es an die Stelle eines solchen treten kann. V. Substanz wird jedes Ding genannt, an dem irgendetwas unmittelbar wie an einem Subjekt anhaftet, bzw. durch das irgendetwas existiert, was wir erfassen, das heißt irgendeine Eigenschaft oder irgendeine Qualität oder irgendein Attribut, deren bzw. dessen Idee in uns ist. Von dieser Substanz haben wir genau genommen keine andere Idee als daß sie ein Ding ist, in dem formal oder eminent jenes Etwas existiert, das wir erfassen, bzw. das objektiv in irgendeiner unserer Ideen ist. Denn es ist für das Natürliche Licht selbstverständlich, daß dem Nichts kein reales Attribut zukommen kann. VI. Geist wird diejenige Substanz genannt, der das Denken unmittelbar anhaftet. Ich spreche hier aber lieber von Geist als von Seele, weil der Name Seele ja äquivok ist und oft für ein körperliches Ding verwendet wird. VII. Körper wird eine Substanz genannt, die unmittelbares Subjekt der örtlichen Ausdehnung und der Akzidenzien ist, die Ausdehnung voraussetzen, wie Gestalt, Lage, örtliche Bewegung usw. Ob es aber ein und dieselbe Substanz ist, die Geist und Körper genannt wird, oder sie zwei verschiedene sind, wird später zu erforschen sein. VIII. Gott wird diejenige Substanz genannt, die wir als die höchstvollkommene einsehen, und in der wir überhaupt nichts begreifen, was irgendeinen Mangel bzw. Begrenztheit der Vollkommenheit beinhaltet. IX. Wenn wir sagen, etwas sei in der Natur eines Dinges, bzw. Begriffes enthalten, so ist das dasselbe, als wenn wir sagen würden, dies sei wahr in bezug auf dieses Ding, bzw. es könne von ihm behauptet werden. X. Zwei Substanzen werden real unterschieden genannt, wenn jede der beiden ohne die jeweils andere existieren kann.

über legu ng e n m o r e g e o m e tr ic o

171

p o s tul ate e r s t e n s . Ich fordere den Leser auf, zu beachten, wie schwach die Gründe sind, aufgrund derer er bislang seinen sinnlichen Wahrnehmungen geglaubt hat, und wie unsicher alle Urteile sind, die er auf sie aufgebaut hat. Das soll er so lange und so oft überdenken, bis er schließlich die Gewohnheit erlangt, ihnen nicht mehr allzusehr zu vertrauen. Das nämlich halte ich für notwendig, um die Gewißheit metaphysischer Dinge zu erfassen. z w e i t e n s . Ich fordere den Leser auf, seinen eigenen Geist mitsamt seinen Attributen zu betrachten. Er wird entdecken, daß er an diesen Attributen nicht zweifeln kann, so sehr er auch alles als falsch voraussetzen mag, was er jemals von seinen Sinnen erhalten hat. Der Leser soll nicht eher aufzuhören, seinen Geist zu betrachten, bis er sich Übung darin erworben hat, ihn klar zu erfassen und zu glauben, daß er leichter zu erkennen ist als alle körperlichen Dinge. d r i t t e n s . Ich fordere, daß der Leser selbstverständliche Propositionen sorgfältig erwägt, die er in sich vorfindet, wie etwa : Dasselbe kann nicht zugleich sein und nicht sein ; Das Nichts kann nicht bewirkende Ursache irgendeines Dinges sein und dergleichen. Der Leser soll so die ihm von Natur gegebene Transparenz seines Verstandes, die jedoch gewöhnlich durch das, was durch die Sinne gesehen wird, ziemlich durcheinandergebracht und verdunkelt wird, rein und von ihnen befreit ausüben. Denn auf diese Weise wird ihm die Wahrheit der folgenden Axiome leicht zugänglich werden. v i e r t e n s . Der Leser soll die Ideen der Naturen prüfen, in denen ein Inbegriff gleichzeitig vieler Attribute enthalten ist, wie die Natur des Dreiecks, die Natur des Quadrats oder irgendeiner anderen Figur, ebenso die Natur des Geistes, die Natur des Körpers und vor allem anderen die Natur Gottes, bzw. des höchstvollkommensten Seienden. Er soll beachten, daß alles, wovon wir erfassen, daß es in ihnen enthalten ist, wahrhaftig von ihnen behauptet werden kann. Wie : Es ist in der Natur des

162,14

162,21

162,28

163,8

172

163,22

164,5

164,12

über leg u n g en m o r e g e o m et r i c o

Dreiecks enthalten, daß seine drei Winkel zwei rechten entsprechen ; und : In der Natur des Körpers, bzw. eines ausgedehnten Dinges ist Teilbarkeit enthalten (wir können nämlich kein auch noch so kleines ausgedehntes Ding begreifen, ohne es zumindest im Denken teilen zu können). Deshalb ist es wahr, zu sagen, daß die drei Winkel jedes Dreiecks zwei rechten Winkeln entsprechen, und daß jeder Körper teilbar ist. f ü n f t e n s . Der Leser soll lange und wiederholt dabei verweilen, sich in die Natur des höchstvollkommenen Seienden zu vertiefen, und nebst anderem betrachten, daß in den Ideen aller anderen Naturen zwar die mögliche Existenz, in der Idee Gottes aber nicht bloß die mögliche, sondern die überhaupt notwendige enthalten ist. Allein daraus erkennt er nämlich ohne irgendeinen Diskurs, daß Gott existiert ; und das wird für ihn nicht weniger selbstverständlich sein, als daß die Zahl Zwei gerade, oder die Zahl Drei ungerade ist und dergleichen. Denn für manche Leute ist einiges selbstverständlich, was anderen erst vermittelt durch einen Diskurs einsichtig wird. s e c h s t e n s . Der Leser soll sich durch gründliches Abwägen aller Beispiele sowohl von klarer und deutlicher als auch von dunkler und verworrener Erfassung, die ich in meinen Meditationen durchgegangen bin, angewöhnen, das, was klar erkannt wird, vom dunklen zu unterscheiden. Das erlernt man nämlich leichter durch Beispiele als durch Regeln, und ich meine, alle zu dem hier vorliegenden Thema gehörigen Beispiele entweder erklärt, oder doch zumindest irgendwie berührt zu haben. s i e b t e n s . Schließlich : Wenn der Leser festgestellt hat, niemals in dem, was er klar erfaßt hat, irgendeine Falschheit entdeckt und demgegenüber in dem nur dunkel Verstandenen niemals irgendeine Wahrheit angetroffen zu haben, außer durch Zufall, soll er es als der Vernunft geradezu entgegengesetzt betrachten, allein aufgrund der Vorurteile der Sinne oder aufgrund von Hypothesen, in denen irgendetwas Unbekanntes enthalten ist, das in Zweifel zu ziehen, was durch den reinen Verstand klar und deutlich erfaßt wird. Auf diese Weise nämlich wird es

über legu ng e n m o r e g e o m e tr ic o

173

ihm leichtfallen, die folgenden Axiome als wahr und unzweifelhaft gelten zu lassen. Freilich hätten einige von ihnen sicherlich besser erklärt werden können, und wenn ich genauer hätte sein wollen, hätten sie eher als Theoreme anstatt als Axiome vorgestellt werden müssen.

a x i om e o d e r au c h al lgem ei ne grundbe griffe 1. Kein Ding existiert, in bezug auf das nicht gefragt werden könnte, was eigentlich die Ursache ist, weshalb es existiert. Denn selbst in bezug auf Gott kann man danach fragen ; nicht weil er irgendeiner Ursache bedürfte, um zu existieren, sondern weil die Unermeßlichkeit seiner Natur selbst die Ursache bzw. der Grund ist, weswegen er keiner Ursache bedarf, um zu existieren. 2. Die Gegenwart hängt nicht von der unmittelbaren Vergangenheit ab, und deshalb ist keine geringere Ursache erforderlich, um ein Ding zu erhalten, als um es zuerst zu produzieren. 3. Kein Ding und keine aktuell existierende Vollkommenheit eines Dinges kann das Nichts, bzw. ein nicht existierendes Ding als Ursache seiner Existenz haben. 4. Alles, was an Realität oder Vollkommenheit in einem Ding ist, ist formal oder eminent in seiner ersten und adäquaten Ursache. 5. Daraus folgt auch, daß die objektive Realität unserer Ideen eine Ursache erfordert, in der eben dieselbe Realität nicht bloß objektiv, sondern formal oder eminent enthalten ist. Es ist zu beachten, daß dieses Axion als ganz notwendig zu gelten hat, da von diesem einen die Erkenntnis aller Dinge abhängt, und zwar sowohl der sinnlichen wie auch der unsinnlichen. Woher nämlich wissen wir zum Beispiel, daß der Himmel existiert ? Etwa weil wir ihn sehen ? Dieses Anblicken aber berührt den Geist doch nur, insofern es eine Idee ist, die, wie ich behaupte, kein in der Phantasie abgemaltes Bild ist, sondern mit dem Geist selbst verbunden ist. Aufgrund dieser Idee können wir nur deshalb

164,28

165,4

165,7

165,10

165,13

174

165,28

166,3

166,8 166,10

166,14

über leg u n g en m o r e g e o m et r i c o

urteilen, daß der Himmel existiert, weil jede Idee eine real existierende Ursache ihrer objektiven Realität haben muß, und wir urteilen, daß diese Ursache der Himmel selbst ist, und ebenso bei dem Übrigen. 6. Es gibt verschiedene Grade an Realität, bzw. Entität. Denn eine Substanz hat mehr Realität als ein Akzidenz oder ein Modus, und die unendliche Substanz mehr als eine begrenzte. Daher ist auch mehr objektive Realität in der Idee der Substanz als in der des Akzidenz, und in der Idee der unendlichen Substanz mehr als in der Idee der begrenzten. 7. Der Wille eines denkenden Dinges geht zwar willentlich und frei (das nämlich ist das Wesen des Willens), nichtsdestoweniger aber unfehlbar auf das von ihm klar erkannte Gut. Wenn ihm daher irgendwelche Vollkommenheiten bekannt werden, die ihm fehlen, wird er sie sich unverzüglich verschaffen, wenn sie seinem Einfluß unterliegen. 8. Etwas, das Größeres oder Schwierigeres bewirken kann, kann auch Geringeres bewirken. 9. Eine Substanz zu erschaffen oder zu erhalten, ist größer, als die Attribute bzw. Eigenschaften der Substanz zu erschaffen oder zu erhalten ; aber etwas zu erschaffen ist nicht größer als es zu erhalten, wie bereits gesagt wurde. 10. In der Idee oder dem Begriff jedes Dinges ist die Existenz enthalten, weil wir alles nur unter der Vorgabe des Existierens begreifen können ; denn im Begriff eines begrenzten Dinges ist die mögliche bzw. kontingente Existenz, und im Begriff des höchstvollkommenen Seienden ist die notwendige und vollkommene enthalten.

über legu ng e n m o r e g e o m e tr ic o

175

p ro po si tio n 1. d i e e x i s t e n z g ot tes w ird alle in aus de r be t r ac h tu n g s ei ne r nat ur erkannt. Beweis. Zu sagen, etwas sei in der Natur bzw. im Begriff eines Dinges enthalten, ist dasselbe wie zu sagen, eben dieses sei in bezug auf dieses Ding wahr (nach Def. 9). Nun ist aber die notwendige Existenz im Begriff Gottes enthalten (nach Axiom 10). Also ist es wahr, in bezug auf Gott zu sagen, daß die notwendige Existenz in ihm ist, bzw. daß er existiert. Dies ist der Syllogismus, über den ich bereits oben beim sechsten Einwand [gesprochen habe], und dessen Schluß für alle, die von Vorurteilen frei sind, selbstverständlich sein kann, wie im fünften Postulat gesagt wurde. Weil es aber nicht leicht ist, einen solchen Weitblick zu erlangen, werden wir auf andere Weisen danach fragen.

166,23

167,4

p ro po si tio n 2. d i e e x i s t e n z g ot te s w ird a po s te riori allein da r au s b e w ie s e n, das s s ei ne id ee i n uns ist . Beweis. Die objektive Realität jeder unserer Ideen erfordert eine Ursache, in der dieselbe Realität nicht nur objektiv, sondern formal oder eminent enthalten ist (nach Axiom 5). Wir haben nun aber die Idee Gottes (nach Def. 2 u. 8), und die objektive Realität dieser Idee ist weder formal noch eminent in uns enthalten (nach Axiom 6), und kann auch nicht in irgendeiner anderen außer in Gott selbst enthalten sein (nach Def. 8). Also erfordert die Idee Gottes, die in uns ist, Gott als Ursache, und demnach existiert Gott (nach Axiom 3).

167,14

176

über leg u n g en m o r e g e o m et r i c o

p ro po si ti on 3. d i e ex i s t e n z g ot te s wird au ch daraus bewiesen , das s w i r s e lb s t als bes i tze r se ine r i dee ex is tie ren.

168,5

168,12

168,17

168,23

Beweis. Wenn ich die Kraft hätte, mich selbst zu erhalten, hätte ich umso mehr auch die Kraft, mir die Vollkommenheiten zu geben, die mir fehlen (nach Ax. 8 u. 9) ; diese Vollkommenheiten sind nämlich bloß Attribute einer Substanz, ich aber bin eine Substanz. Aber ich habe nicht die Kraft, mir diese Vollkommenheiten zu geben, denn andernfalls hätte ich sie bereits (nach Ax. 7). Also habe ich nicht die Kraft, mich selbst zu erhalten. Außerdem kann ich nicht existieren, ohne erhalten zu werden, solange ich existiere, entweder durch mich selbst, sofern ich die Kraft dazu habe, oder von einem anderen, der die Kraft dazu hat (nach Ax. 1 u. 2). Nun existiere ich aber und habe nun mal nicht die Kraft, mich selbst zu erhalten, wie bereits nachgewiesen wurde. Also werde ich von einem anderen erhalten. Außerdem hat der, durch den ich erhalten werde, alles das formal oder eminent in sich, was in mir ist (nach Ax. 4). In mir ist aber die Erfassung vieler Vollkommenheiten, die mir fehlen, und zugleich die Idee Gottes (nach Def. 2 u. 8). Also ist auch in dem, durch den ich erhalten werde, die Erfassung genau dieser Vollkommenheiten. Schließlich kann der, durch den ich erhalten werde, nicht die Erfassung irgendwelcher Vollkommenheiten haben, die ihm fehlen, bzw. die er nicht formal oder eminent in sich hat (nach Ax. 7). Denn da er die Kraft hat, mich zu erhalten, wie gerade gesagt wurde, hätte er umso mehr die Kraft, sie sich zu geben, wenn sie ihm fehlten (nach Ax. 8 u. 9). Er hat aber die Erfassung aller jener Vollkommenheiten, von denen ich begreife, daß sie mir fehlen und allein in Gott sein können, wie eben nachgewiesen wurde. Also hat er sie formal oder eminent in sich, und ist demnach Gott.

über legu ng e n m o r e g e o m e tr ic o

177

zus atz . g ot t h at d e n him me l und die erde u nd alles , was in i hn en i s t, e rs chaf f en ; darüb er hi naus k a n n er a l l e s das bew irke n, was w i r kl ar e r fas s e n, u n d so , w ie w ir e s e rfas s en. Beweis. All dies folgt klar aus der vorhergehenden Proposition. Daß Gott existiert, ist in ihr nämlich dadurch nachgewiesen worden, daß irgendetwas existieren muß, in dem alle jene Vollkommenheiten formal oder eminent sind, von denen irgendeine Idee in uns ist. In uns ist aber die Idee einer Macht, die so groß ist, daß von dem allein, in dem diese Macht ist, der Himmel, die Erde usw. geschaffen ist, und daß auch alles andere, das durch mich als möglich eingesehen wird, durch sie geschehen kann. Also ist zugleich mit der Existenz Gottes auch dies alles über ihn nachgewiesen worden.

169,10

p ro po si ti on 4. g e i s t u n d kö r pe r w erden re al unte rsch ieden. Beweis. Alles, was wir erfassen, kann durch Gott geschehen, und so, wie wir es erfassen (nach dem vorhergehenden Zusatz). Wir erfassen aber den Geist, das heißt die denkende Substanz, klar ohne den Körper, das heißt ohne irgendeine ausgedehnte Substanz (nach Post. 2), und umgekehrt den Körper klar ohne den Geist (wie alle ohne weiteres zugeben). Also kann zumindest durch die göttliche Macht der Geist ohne Körper und ein Körper ohne Geist sein. Nun werden aber Substanzen, von denen die eine ohne die jeweils andere sein kann, real unterschieden (nach Def. 10). Geist und Körper aber sind Substanzen (nach Def. 5, 6 u. 7), die ohne die jeweils andere sein können (wie soeben nachgewiesen wurde). Also werden Geist und Körper real unterschieden.

169,22

170,7

178 170,12

über leg u n g en m o r e g e o m et r i c o

Es muß darauf hingewiesen werden, daß ich die göttliche Macht hier als Mittel verwendet habe, nicht weil irgendeine außerordentliche Kraft nötig wäre, um den Geist vom Körper abzutrennen, sondern weil ich, da ich im Vorhergehenden allein Gott thematisiert habe, nichts anderes hatte, das ich hätte verwenden können. Es ist ganz unerheblich, durch welche Macht zwei Dinge abgetrennt werden, damit wir erkennen, daß sie real unterschieden sind.

DR I T T E EI N WÄ ND E MIT D EN ERW I DE RU N G EN DES A UTO REN .

E R S T E R E I N WA N D. G E G E N D I E E R S T E M E D I TAT I O N . Über das, was in Zweifel gezogen werden kann. Aufgrund des in dieser Meditation Gesagten steht hinreichend fest, daß es kein Kriterium gibt, durch das unsere Träume vom Wachzustand und der wahren Sinneswahrnehmung unterschieden werden können. Deshalb sind auch die Wahrnehmungsbilder (phantasmata), die wir haben, wenn wir wachen und sinnlich wahrnehmen, keine Akzidenzien, die den äußeren Objekten anhaften, und es gibt demgemäß kein Argument, daß solche äußeren Objekte überhaupt existieren. Wenn wir daher unseren Sinnen folgen, ohne auch nur irgendeine Schlußfolgerung zu ziehen, werden wir zurecht zweifeln, ob irgendetwas existiert oder nicht. Wir erkennen also die Wahrheit dieser Meditation an. Indessen haben schon Plato und andere antike Philosophen über genau dieselbe Ungewißheit der sinnlichen Dinge disputiert, und die Schwierigkeit, den Wachzustand von den Traumbildern zu unterscheiden, wird allgemein anerkannt. Es wäre mir daher lieber, wenn der exzellente Autor neuer Spekulationen solche alten Kamellen nicht veröffentlichen würde.

171,4

e rwi derung. Die Zweifelsgründe, die der Philosoph hier als wahr gelten läßt, habe ich nur als gleichsam wahrscheinlich vorgebracht. Auch habe ich sie nicht verwendet, um sie als neu zu verkaufen, sondern teils, um die Gemüter der Leser darauf vorzubereiten, intellektuelle Dinge zu betrachten und sie von den körperlichen zu unterscheiden, wozu sie mir als durchaus notwendig erschienen ; teils, um in den folgenden Meditationen auf sie zu antworten ; teils aber auch, um zu zeigen, wie fest die Wahrheiten sind, die ich danach vorbringe, da sie ja durch diese metaphy-

171,18

180

dri tte ei nwä n d e u n d e rw i d e ru n g e n

sischen Zweifel nicht erschüttert werden können. Ich habe mir also durch die Bestandsaufnahme dieser Zweifelsgründe keinen Ruhm erwerben wollen, sondern meine, ich hätte sie ebensowenig auslassen können wie ein Schriftsteller in der Medizin die Beschreibung der Krankheit, deren Heilmethode er lehren will.

Z W E I T E R E I N WA N D. G E G E N D I E Z W E I T E M E D I TAT I O N . Über die Natur des menschlichen Geistes. 172,12

173,6

Ich bin ein denkendes Ding1 . Richtig. Denn daraus, daß ich denke, bzw. ein Wahrnehmungsbild habe, gleichgültig ob wachend oder träumend, kann man entnehmen, daß ich denkend bin ; denn ich denke und ich bin denkend bezeichnen dasselbe. Daraus, daß ich denkend bin, folgt Ich bin, weil das, was denkt, nicht Nichts sein kann. Wo er aber hinzufügt, das heißt Geist, Gemüt, Verstand, Vernunft,2 entsteht ein Zweifel. Es scheint nämlich keine richtige Argumentation zu sein, wenn man sagt : »Ich bin denkend, also bin ich Denken« ; und ebensowenig : »Ich bin einsehend (intelligens), also bin ich ein Verstand (intellectus)«. Denn in derselben Weise könnte ich sagen : »Ich bin spazierengehend, also bin ich ein Spaziergang«. Herr Descartes nimmt also an, daß das einsehende Ding (res intelligens) und der Verstand (intellectus), der der Akt des Einsehens (actus intelligentis) ist, dasselbe sind, zumindest aber das einsehende Ding und der Verstand, der das Vermögen (potentia) des Einsehens ist. Alle Philosophen unterscheiden jedoch das Subjekt von seinen Fähigkeiten und Akten, das heißt von seinen Eigenschaften und seinem Wesen. Das eine ist nämlich das Seiende selbst, das andere ist sein Wesen. Es kann also sein, daß das denkende Ding das Subjekt des Geistes, der Vernunft oder des Verstandes und daher etwas Körperliches ist. Das Gegenteil davon wird angenommen, aber nicht bewiesen. Gleichwohl ist diese Ableitung das Fundament der Schlußfolgerung, die Herr Descartes aufstellen zu wollen scheint. Ebenso : Mir ist bekannt, daß ich existiere ; ich frage, was ich 1

Med. II : 27, 13.

2

Med. II : 27, 13–14.

dritte ei n wä n d e u n d erw i d e ru n g en

181

bin, das Ich, das mir bekannt ist. Ganz sicher hängt die Kenntnis des genau so verstandenen Ichs nicht von dem ab, von dem mir noch unbekannt ist, ob es existiert.1 Es ist ganz gewiß, daß die Kenntnis der Proposition Ich existiere von dieser Ich denke abhängt, wie er uns richtig gelehrt hat. Woher aber haben wir die Kenntnis dieser Proposition Ich denke ? Sicherlich allein von daher, daß wir keinen Akt ohne sein Subjekt begreifen können, wie zum Beispiel Tanzen ohne Tanzenden, Wissen ohne Wissenden, Denken ohne Denkenden. Hieraus scheint zu folgen, daß das denkende Ding etwas Körperliches ist. Denn es scheint, daß die Subjekte aller Akte allein unter der Voraussetzung des Körperlichen, bzw. unter der Voraussetzung der Materie eingesehen werden, wie er selbst später am Beispiel des Wachses aufzeigt,2 das bei veränderter Farbe, Härte, Gestalt und den anderen Akten gleichwohl stets als dasselbe Ding eingesehen wird, das heißt als dieselbe, so vielen Veränderungen unterworfene Materie. Es wird aber nicht aus einem anderen Denken entnommen, daß ich denke. Denn obwohl jemand denken kann, daß er gedacht hat (ein Gedanke, der nichts anderes ist als sich zu erinnern), ist es ganz unmöglich, daß er denkt, daß er denkt, genauso wie er auch nicht weiß, daß er weiß. Das wäre nämlich ein unendliches Zurückfragen : Woher weißt Du, daß Du weißt, daß Du weißt, daß Du weißt ? Demnach hängt die Kenntnis der Proposition Ich existiere von der Kenntnis der Proposition Ich denke ab, und die Kenntnis wiederum dieser Proposition davon, daß wir das Denken nicht von der denkenden Materie abtrennen können. Daraus scheint eher abgeleitet werden zu können, daß das denkende Ding materiell ist, als daß es immateriell ist.

173,9

173,15

173,27

e rw ide rung. Wo ich gesagt habe, »das heißt Geist, Gemüt, Verstand, Vernunft usw.«,3 habe ich unter diesen Namen nicht die bloßen Vermögen, sondern die mit Denkvermögen begabten Dinge ver1

Med. II : 27, 28–28, 2.

2

Med. II : 30, 8 ff.

3

Med. II : 27, 13–14.

174,4

182

174,10

174,14

174,25

175,1

175,6

dri tte ei nwä n d e u n d e rw i d e ru n g e n

standen. Gemeinhin versteht man das bei den ersten beiden auch so, und häufig bei den letzten beiden auch. Das habe ich außerdem so ausdrücklich und an so vielen Stellen erklärt, daß mir scheint, eigentlich habe es gar keinen Anlaß gegeben, zu zweifeln. Auch besteht hier keine Gleichheit zwischen dem Spaziergang und dem Denken. Denn gewöhnlich gebraucht man Spaziergang für die Aktion selbst, Denken aber mal für die Aktion, mal für das Vermögen, und mal auch für das Ding, in dem das Vermögen ist. Ich sage nicht, daß das einsehende Ding und die Einsicht dasselbe sind. Denn ich sage ja noch nicht einmal, wenn man den Verstand als Vermögen auffaßt, daß das einsehende Ding und der Verstand dasselbe sind, sondern das sage ich nur dann, wenn er als das Ding selbst aufgefaßt wird, das einsieht. Jedoch räume ich ein, daß ich die abstraktesten Worte verwendet habe, die ich finden konnte, um das Ding, bzw. die Substanz zu bezeichnen, das oder die ich von allem loslösen wollte, was nicht zu ihm gehört. Dagegen verwendet dieser Philosoph möglichst konkrete Ausdrücke, nämlich Subjekt, Materie und Körper, um dieses denkende Ding zu bezeichnen, weil er verhindern will, daß es vom Körper losgerissen wird. Ich fürchte nicht, daß seine Weise, vieles miteinander zu verbinden, irgendjemandem geeigneter erscheinen wird, um die Wahrheit herauszufinden, als meine Weise, durch die ich alles Einzelne unterscheide, soweit ich irgendwie kann. Aber lassen wir die Worte, sprechen wir über die Sache. Er sagt : Es kann sein, daß das denkende Ding etwas Körperliches ist : Das Gegenteil davon wird unterstellt, aber nicht bewiesen.1 Ich habe das Gegenteil indes keineswegs angenommen und das auch in keiner Weise als Fundament verwendet, sondern habe es völlig unbestimmt gelassen – bis zur sechsten Meditation, in der ich es nachgewiesen habe. Sodann sagt er richtig, daß wir keinen Akt ohne sein Subjekt be1

Obj. III : 173, 2–4.

dritte ei n wä n d e u n d erw i d e ru n g en

183

greifen können.1 Denn wir können das Denken nicht ohne ein denkendes Ding begreifen, weil das, was denkt, nicht Nichts ist. Dann aber hat er ohne jeden Grund, gegen jeden normalen Sprachgebrauch und gegen alle Logik hinzugefügt : Hieraus scheint zu folgen, daß das denkende Ding ein körperliches Etwas ist : die Subjekte aller Akte werden nämlich gewissermaßen unter der Voraussetzung der körperlichen eingesehen2 (oder auch, wenn er unbedingt will, unter der Voraussetzung der Materie, nämlich der metaphysischen). Deshalb aber werden sie doch noch lange nicht unter der Voraussetzung der Körper eingesehen. Normalerweise sagen die Logiker wie alle anderen normalen Menschen auch, daß die einen Substanzen spirituelle und die anderen körperliche sind. Durch das Beispiel des Wachses habe ich nur nachgewiesen, daß Farbe, Härte und Gestalt nicht zum formalen Grund des Wachses gehören. Ich habe dort jedoch nicht den formalen Grund des Geistes, ja noch nicht einmal den formalen Grund des Körpers thematisiert. Wenn der Philosoph hier sagt, daß das eine Denken nicht das Subjekt des anderen Denkens sein kann, dann tut das überhaupt nichts zur Sache. Wer außer ihm hat jemals so etwas konstruiert ? Um die Sache aber mit wenigen Worten zu erklären : Ganz gewiß kann es kein Denken ohne ein denkendes Ding geben, wie es überhaupt keinerlei Akt oder irgendein Akzidenz ohne eine Substanz geben kann, in der er oder es ist. Wir erkennen aber die Substanz selbst nicht unmittelbar durch sie selbst, sondern wir erkennen sie nur dadurch, daß sie das Subjekt bestimmter Akte ist. Deshalb entspricht es einfach der Vernunft und wird durch die Praxis bestätigt, wenn wir diejenigen Substanzen mit verschiedenen Namen benennen, von denen wir erkennen, daß sie Subjekte völlig verschiedener Akte oder Akzidenzen sind, und erst später prüfen, ob diese verschiedenen Namen verschiedene Dinge oder ein und dasselbe Ding bezeichnen. Es gibt nun bestimmte Akte, die wir körperliche nennen, wie Größe, Gestalt, Bewegung und alles andere, was 1

Obj. III : 173, 12–13.

2

Obj. III : 173, 15–18.

175,15

175,22

184

dri tte ei nwä n d e u n d e rw i d e ru n g e n

nicht ohne örtliche Ausdehnung gedacht werden kann. Die Substanz, in der diese Akte sind, nennen wir Körper. Nun kann man nicht so tun, als gebe es eine Substanz, die das Subjekt der Gestalt ist, und eine andere, die das Subjekt der örtlichen Bewegung ist usw., weil alle diese Akte unter der gemeinsamen Voraussetzung der Ausdehnung stehen. Außerdem gibt es andere Akte, die wir gedankliche nennen, wie Einsehen, Wollen, Vorstellen, sinnlich Wahrnehmen usw., die alle unter der gemeinsamen Voraussetzung des Denkens, bzw. der Erfassung, bzw. des Bewußtseins stehen. Wir sagen, daß die Substanz, in der sie sind, ein denkendes Ding, bzw. ein Geist ist. Oder wir können ihr auch irgendeinen anderen Namen geben, solange wir sie nicht mit der körperlichen Substanz durcheinanderbringen. Denn die gedanklichen Akte haben mit den körperlichen Akten keine Verwandtschaft, und das Denken, das ihre gemeinsame Voraussetzung ist, unterscheidet sich in jeder Hinsicht von der Ausdehnung, die die gemeinsame Voraussetzung der anderen ist. Nachdem wir aber zwei unterschiedene Begriffe dieser zwei Substanzen gebildet haben, ist es leicht, aus dem in der sechsten Meditation Gesagten zu erkennen, ob sie eine und dieselbe sind oder verschiedene.

D R I T T E R E I N WA N D. 177,2

177,4

Was also ist es, das man von meinem Denken unterscheiden mag ? Was, von dem gesagt werden könnte, es sei von mir selbst abgetrennt ?1 Vielleicht wird jemand auf diese Frage antworten : Ich unterscheide von meinem Denken das Ich selbst, das denkt. Und dieses Denken ist zwar von mir nicht abgetrennt, aber in der Weise verschieden, wie der Tanz vom Tanzenden unterschieden wird (wie bereits gesagt wurde). Wenn nun Herr Descartes aufzeigen will, daß der, der einsieht (intelligere), und der Verstand (intellectus) dasselbe ist, fallen wir in eine 1

Med. II : 29, 3–4.

dritte ei n wä n d e u n d erw i d e ru n g en

185

scholastische Ausdrucksweise zurück. Der Verstand sieht ein, das Sehvermögen sieht, der Wille will, und in einer ganz zutreffenden Analogie : der Spaziergang, oder zumindest das Vermögen, spazierenzugehen, geht spazieren. All das ist dunkel, ungenügend und der Transparenz, die wir von Herrn Descartes gewöhnt sind, ganz unangemessen.

erw iderung. Ich bestreite nicht, daß ich, der ich denke, von meinem Denken unterschieden werde wie ein Ding von einem Modus. Dort, wo ich frage : »Was also es ist, das man von meinem Denken unterscheiden mag«, verstehe ich dies von den vielfältigen gedanklichen Zugriffen, die ich dort durchgegangen bin, nicht von meiner Substanz ; und wo ich hinzufüge : »Was, von dem gesagt werden könnte, es sei von mir selbst getrennt«, bezeichne ich nur alle jene gedanklichen Zugriffe, die in mir sind. Ich sehe überhaupt nicht, was er sich hier Zweifelhaftes oder Dunkles konstruieren kann.

177,15

V I E RT E R E I N WA N D.

Es bleibt mir demnach nur, zuzugeben, daß ich mir gar nicht vorstellen kann, was dieses Wachs ist, sondern es allein mit dem Geist begreife.1 Es besteht ein großer Unterschied zwischen sich etwas vorstellen, das heißt : eine Idee zu haben, und : etwas mit dem Geist begreifen, das heißt : schlußfolgernd zu dem Ergebnis zu kommen, daß es ein Ding gibt oder daß ein Ding existiert. Herr Descartes hat uns jedoch nicht erklärt, worin sich beide unterscheiden. Schon die alten Peripatetiker haben ganz klar gelehrt, daß die Substanz nicht durch die Sinne erfaßt wird, sondern man durch Überlegungen zu diesem Ergebnis kommt.

1

Med. II : 31, 16–18. Descartes schreibt statt concipere percipere.

177,23

178,1

186 178,7

dri tte ei nwä n d e u n d e rw i d e ru n g e n

Was werden wir nun aber sagen, wenn vielleicht die Schlußfolgerung nichts anderes ist als die Verkoppelung und Verkettung von Namen oder bloßen Benennungen durch das Wort ist ? Deshalb kommen wir durch die Vernunft im Hinblick auf die Natur der Dinge zu keinem Ergebnis, sondern nur im Hinblick auf ihre Benennungen, gleichgültig ob wir die Namen der Dinge den begrifflichen Regeln gemäß (die wir aus unserer Willkür heraus ihren Bedeutungen gemäß aufgestellt haben) verkoppeln oder nicht. Wenn dies so ist, was ja der Fall sein kann, wird die Schlußfolgerung von den Namen abhängen, die Namen von der Anschauung, und vielleicht die Anschauung, wie ich es einschätze, von der Bewegung der körperlichen Organe, und so wird der Geist nichts anderes sein als eine Bewegung in bestimmten Teilen des organischen Körpers.

erwid erung. 178,19

Den Unterschied zwischen der Anschauung und dem Begriff des reinen Geistes habe ich hier im Beispiel des Wachses dadurch erklärt, daß ich aufgezählt habe, was wir uns an dem Wachs vorstellen und was wir allein durch den Geist begreifen. Außerdem habe ich an einer anderen Stelle erklärt, wie wir ein und dasselbe Ding, zum Beispiel ein Fünfeck, einerseits einsehen und anderseits uns vorstellen. In einer Schlußfolgerung aber liegt keine Verkoppelung der Namen, sondern der durch die Namen bezeichneten Dinge vor ; und ich wundere mich denn doch, wie irgendjemandem das Gegenteil einfallen kann. Wer wird denn daran zweifeln, daß ein Franzose und ein Deutscher genau dasselbe über die Dinge schlußfolgern können, obgleich sie doch im Denken völlig verschiedene Wörter setzen ? Wenn der Philosoph aber von Vereinbarungen spricht, die wir aus unserer Willkür heraus über die Bedeutungen der Wörter getroffen haben : sollte er dann nicht auch sich selbst verurteilen ? Denn wenn er gelten läßt, daß durch Worte etwas bezeichnet wird : weshalb will er nicht zugestehen, daß sich unsere Schlußfolgerungen eher auf das beziehen, was bezeichnet wird als auf die

dritte ei n wä n d e u n d erw i d e ru n g en

187

bloßen Worte ? Und ganz sicher könnte er mit demselben Recht, mit dem er schließt, daß der Geist Bewegung ist, auch schließen, daß die Erde der Himmel ist oder irgendetwas anderes, was ihm gerade Spaß macht.

F Ü N F T E R E I N WA N D. G E G E N D I E D R I T T E M E D I TAT I O N . Über Gott.

Einige davon (nämlich von den menschlichen Gedanken) sind gewissermaßen Bilder der Dinge, denen allein eigentlich der Name der Idee zusteht : wie wenn ich Mensch, oder Chimäre, oder Himmel, oder Engel, oder Gott denke.1 Wenn ich einen Menschen denke, erkenne ich eine Idee, bzw. ein aus Gestalt und Farbe bestehendes Bild, in bezug auf das ich zweifeln kann, ob es das Abbild eines Menschen ist oder nicht. Ebenso wenn ich Himmel denke. Wenn ich Chimäre denke, erkenne ich eine Idee, bzw. ein Bild, in bezug auf das ich zweifeln kann, ob oder ob es nicht das Abbild eines Tiers ist, das nicht existiert, das aber existieren kann, oder zu einer anderen Zeit existiert hat. Denkt man sich hingegen einen Engel, hat man im Gemüt zuweilen das Bild einer Flamme, zuweilen das eines wohlgestalteten Kindes mit Flügeln, in bezug auf das mir sicher zu sein scheint, daß es keine Ähnlichkeit mit einem Engel besitzt ; also ist es auch nicht die Idee eines Engels. Glauben wir aber, daß es gewisse unsichtbare und immaterielle Geschöpfe gibt, die Gott dienen, und legen wir diesen Dingen, die wir glauben oder voraussetzen, den Namen Engel bei, dann ist gleichwohl die Idee, unter der ich mir den Engel vorstelle, aus Ideen sichtbarer Dinge zusammengesetzt. In derselben Weise verhält es sich mit dem ehrwürdigen Namen Gott. Wir haben kein Bild bzw. keine Idee Gottes, und daher ist es mir auch verboten, Gott als Bild anzubeten, damit ich nicht meine, wir könnten ihn, der unbegreiflich ist, begreifen. 1

Med. III : 37, 3–6.

179,12

179,16

179,23

180,5

188 180,9

180,24

dri tte ei nwä n d e u n d e rw i d e ru n g e n

Es scheint also in uns keine Idee Gottes zu geben. Indessen, wenn ein Blindgeborener sich wiederholte Male dem Feuer nähert und empfindet, daß ihm dabei warm wird, dann erkennt er, daß es irgendetwas gibt, durch das er erwärmt worden ist. Wenn er dann hört, daß dies Feuer genannt wird, dann schließt er, daß das Feuer existiert, obgleich er nicht erkennt, welche Gestalt oder Farbe es hat, und er überhaupt weder irgendeine Idee des Feuers, noch ein Bild davon im Gemüt hat. Ebenso wird der Mensch, wenn er erkennt, daß es eine Ursache seiner Bilder oder Ideen geben und deren Ursachen wiederum jeweils eine andere, vorgelagerte Ursache haben müssen, und so weiter, dann wird er zuletzt zu einem Ende, bzw. zu der Annahme einer ewigen Ursache gebracht (deducere), die keine ihr vorgelagerte Ursache haben kann, weil sie niemals angefangen hat, und daraus schließt er, daß notwendig etwas Ewiges existiert. Gleichwohl hat er keinerlei Idee, von der er sagen kann, sie sei die Idee dieses Ewigen, sondern er nennt bzw. benennt das geglaubte oder erkannte Ding Gott. Nun geht Herr Descartes ja von der Setzung, daß wir die Idee Gottes in unserer Seele haben, zum Nachweis des Theorems über, daß Gott existiert (das heißt der allmächtige und allwissende Schöpfer der Welt). Deshalb hätte er wohl diese Idee besser erklären und daraus nicht nur die Existenz Gottes, sondern auch die Schöpfung der Welt deduzieren sollen.

erwi derung. 181,2

Hier will er unter dem Namen Idee nur die in der körperlichen Phantasie abgemalten Bilder materieller Dinge verstanden wissen ; dies vorausgesetzt fällt es ihm dann ganz leicht, nachzuweisen, daß es weder eine Idee eines Engels noch die Idee Gottes geben könne. Nun zeige ich aber im gesamten Buch immer und immer wieder, insbesondere aber an dieser Stelle, daß ich den Namen Idee für alles verwende, was unmittelbar vom Geist erfaßt wird. Wenn ich zum Beispiel etwas will und etwas fürchte, werden das Wollen und das Fürchten zu meinen Ideen gezählt, weil ich zugleich erfasse, daß ich etwas will und etwas fürchte.

dritte ei n wä n d e u n d erw i d e ru n g en

189

Ich habe diesen Namen verwendet, weil er bei den Philosophen bereits gebräuchlich war, um die Formen der Erfassungen des göttlichen Verstandes zu bezeichnen, obgleich wir in Gott keine Phantasie erkennen ; außerdem hatte ich keinen geeigneteren. Ich meine jedoch, die Idee Gottes für alle hinreichend erklärt zu haben, die den von mir intendierten Sinn berücksichtigen wollen ; wer jedoch meine Worte lieber anders verstehen will als ich selbst, dem würde ich es sowieso niemals ganz erklären können. Was er schließlich hier über die Erschaffung der Welt hinzufügt, geht völlig an der Frage vorbei.

S E C H S T E R E I N WA N D.

Andere (Gedanken) aber haben außerdem eine bestimmte Form : wie etwa, wenn ich will, wenn ich mich fürchte, wenn ich behaupte, wenn ich bestreite ; denn dann fasse ich zwar stets irgendein Ding als Subjekt auf, aber mein Denken beinhaltet auch etwas über das bloße Abbild eines Dinges Hinausgehendes ; und von diesen Gedanken werden die einen Willensakte, bzw. Affekte, die anderen aber Urteile genannt.1 Wenn jemand etwas will oder etwas fürchtet, hat er zwar ein Bild des Dinges, das er fürchtet oder der Aktion, die er tun will. Es wird aber nicht erklärt, was darüber hinaus wollend oder fürchtend im Denken enthalten ist. Denn auch wenn Furcht ein Denken ist, so sehe ich nicht, inwiefern dieses Denken der Furcht etwas anderes sein kann, als das Ding zu denken, das jemand fürchtet. Was nämlich ist die Furcht vor einem angreifenden Löwen anderes als die Idee vor einem angreifenden Löwen mitsamt der Wirkung (den eine solche Idee im Herzen hervorruft), durch die der Fürchtende zu jener lebhaften (animalis) Bewegung veranlaßt wird, die wir Flucht nennen ? Nun ist diese Fluchtbewegung aber kein Denken, und deswegen bleibt nur übrig, daß in der Furcht kein anderes Denken enthalten ist als jenes, das in der Ähnlich-

1

Med. III : 37, 6–12.

181,20

182,1

190

182,12

dri tte ei nwä n d e u n d e rw i d e ru n g e n

keit mit dem Ding besteht. Dasselbe könnte über den Willen gesagt werden. Außerdem gibt es ohne Worte (vox) und den Akt des Benennens (appellatio) weder Behaupten noch Bestreiten, so daß wilde Tiere (animantia bruta) weder behaupten noch bestreiten können, und zwar auch nicht in Gedanken, weshalb sie auch nicht urteilen können. Dennoch kann im Menschen und im Tier der gleiche Gedanke sein. Denn wenn wir behaupten, ein Mensch laufe, ist unser Gedanke nicht von dem verschieden, den ein Hund hat, wenn er seinen Herrn laufen sieht. Demnach tut also das Behaupten oder Bestreiten zu den einfachen Gedanken nichts hinzu, außer vielleicht den Gedanken, daß die Namen, aus denen das Behaupten besteht, im Behauptenden Namen eben dieses Dinges sind. Das bedeutet aber nicht, im Denken mehr zu begreifen als die Ähnlichkeit mit dem Ding, sondern dieselbe Ähnlichkeit zweimal.

erwid erung. 182,25

Es ist selbstverständlich etwas anderes, einen Löwen zu sehen und ihn gleichzeitig zu fürchten, als ihn nur zu sehen. Ebenso ist es auch etwas anderes, einen laufenden Menschen zu sehen, als sich selbst gegenüber zu behaupten, ihn zu sehen, was ohne Worte (sine voce) geschieht. Und ich bemerke hier nichts, was der Erwiderung bedürfte.

S I E B T E R E I N WA N D. 183,4

Es steht nun noch aus, zu prüfen, auf welchem Weg ich von Gott diese Idee erhalten habe. Ich habe sie nicht aus den Sinnen geschöpft ; niemals ist sie mir unerwartet erschienen, wie es die Ideen der sinnlichen Dinge zu tun pflegen, wenn solche Dinge selbst sich den äußerem Sinnesorganen darbieten oder darzubieten scheinen. Ich habe sie auch nicht selbst ausgebildet, denn ich kann überhaupt nichts von ihr abziehen und ihr nichts hin-

dritte ei n wä n d e u n d erw i d e ru n g en

191

zutun. Demnach bleibt nur übrig, daß sie mir angeboren ist, so wie mir auch die Idee meiner selbst angeboren ist.1 Wenn es keine Idee Gottes gibt, (es wird auch nicht nachgewiesen, daß es sie gibt) – und es scheint ja auch nicht so zu sein, daß es sie gibt –, dann fällt diese gesamte Untersuchung in sich zusammen. Außerdem entsteht die Idee meiner selbst (wenn man meinen Körper betrachtet) bei mir aus dem Anblicken ; (wenn man die Seele betrachtet), gibt es überhaupt keine Idee der Seele, sondern wir kommen durch die Vernunft zu dem Ergebnis, daß es etwas dem menschlichen Körper Innerliches gibt, das ihm tierische Bewegung verleiht, durch das er empfindet und sich bewegt, und dies, was auch immer es sein mag, nennen wir ohne Idee Seele.

183,13

e rwi derung. Wenn es die Idee Gottes gibt (und es ist offenkundig, daß es sie gibt), fällt dieser gesamte Einwand in sich zusammen. Und wenn hinzugefügt wird, es gebe keine Idee der Seele, sondern sie sei vernünftig abgeleitet, so ist dies dasselbe als wenn man sagen würde, es gebe kein in der Phantasie abgemaltes Bild der Seele, sondern nur das, was ich Idee genannt habe.

183,21

AC H T E R E I N WA N D.

Eine andere, aus astronomischen Berechnungen entlehnte, will sagen : aus bestimmten mir angeborenen Grundbegriffen entwickelte Idee der Sonne.2 Zu einem Zeitpunkt scheint es nur eine einzige Idee der Sonne zu geben, ob sie nun mit den Augen angeschaut oder durch eine Schlußfolgerung eingesehen wird, daß sie viel größer ist als sie erscheint. Denn die letztere ist nicht die Idee der Sonne, sondern eine Herleitung durch

1

Med. III : 51, 6–14.

2

Med. III : 39, 22–24.

184,2

184,5

192

184,10

dri tte ei nwä n d e u n d e rw i d e ru n g e n

Argumente, daß die Idee der Sonne um ein Vielfaches größer wäre, wenn sie aus viel größerer Nähe betrachtet würde. Zu verschiedenen Zeitpunkten kann es hingegen verschiedene Ideen der Sonne geben, wie etwa wenn sie zu dem einen Zeitpunkt mit bloßem Auge, zu einem anderen mit einem Fernrohr betrachtet wird. Die Berechnungen der Astronomie machen die Idee der Sonne weder größer noch kleiner, sondern sie lehren vielmehr, daß die sinnliche Idee täuschend ist.

erwid erung. 184,16

Auch hier ist das, wovon gesagt wird, es sei nicht die Idee der Sonne, und das doch gleichwohl beschrieben wird, genau dasselbe, was ich Idee nenne.

N E U N T E R E I N WA N D. 184,19

185,5

Denn zweifelsohne sind diejenigen, die mir Substanzen darstellen, irgendetwas Größeres, und enthalten, um es einmal so auszudrücken, in sich mehr objektive Realität als diejenigen, die nur Modi, bzw. Akzidenzen repräsentieren. Und sicherlich hat diejenige, durch die ich mir einen höchsten Gott – ewig, unendlich, allwissend, omnipotent und Schöpfer aller Dinge, die außer ihm sind – einsichtig mache, wiederum mehr objektive Realität in sich, als die, durch die endliche Substanzen dargestellt werden.1 Ich habe vorher bereits des öfteren darauf hingewiesen, daß es weder die Idee Gottes noch der Seele gibt. Jetzt füge ich hinzu : auch nicht die Idee der Substanz. Denn die Substanz (die eine Akzidenzen und Veränderungen unterworfene Materie ist) wird nämlich allein durch Schlußfolgerung etabliert, aber sie wird gleichwohl nicht begriffen, oder stellt uns irgendeine Idee dar. Wenn dies wahr ist, wie kann man sagen, 1

Med. III : 40, 12–20.

dritte ei n wä n d e u n d erw i d e ru n g en

193

daß die Ideen, die mir Substanzen darstellen, etwas Größeres sind und mehr objektive Realität besitzen als jene, die mir Akzidenzen darstellen ? Herr Descartes müßte erneut überlegen, was er mit mehr Realität sagen will. Ist Realität dem Mehr oder Weniger unterworfen ? Wenn er aber meint, ein Ding sei mehr Ding als ein anderes, müßte er überlegen, wie man dies unserer Auffassungsgabe mit so viel Transparenz erklären kann, wie sie bei jedem Beweis erforderlich ist und wie er selbst sie ansonsten aufgewandt hat.

erw iderung. Ich habe wiederholt darauf hingewiesen, daß ich Idee das nenne, was durch die Vernunft etabliert wird, wie auch alles andere, was in irgendeiner Weise erfaßt wird. Und ich habe hinlänglich erklärt, inwiefern die Realität dem Mehr oder Weniger unterworfen ist : Eine Substanz ist nämlich mehr Ding als ein Modus, und wenn es reale Qualitäten oder unvollständige Substanzen gibt, sind sie mehr Ding als die Modi, aber weniger als vollständige Substanzen. Und schließlich : Wenn es eine unendliche und unabhängige Substanz gibt, dann ist sie mehr Ding als eine endliche und abhängige. All das ist doch ganz selbstverständlich.

185,19

Z E H N T E R E I N WA N D.

So bleibt also allein die Idee Gottes übrig, in bezug auf die betrachtet werden muß, ob sie irgendetwas ist, das nicht von mir selbst hervorgebracht worden sein kann. Unter dem Namen Gott verstehe ich eine bestimmte unendliche, unabhängige, höchster Einsicht fähige, allmächtige Substanz, von der sowohl ich selbst, als auch alles andere geschaffen ist, falls irgendetwas anderes vorhanden sein sollte. Dies alles ist in der Tat so viel, daß es, je sorgfältiger ich es berücksichtige, desto weniger von mir allein hervorgebracht worden sein zu können scheint. Und

186,2

194

186,11

186,27

187,7 187,9

dri tte ei nwä n d e u n d e rw i d e ru n g e n

daher muß aus dem zuvor Gesagten geschlossen werden, daß Gott notwendig existiert. 1 Wenn wir die Attribute Gottes betrachten, damit wir daraus die Idee erhalten und sehen, ob es in dieser Idee irgendetwas gibt, was nicht von uns selbst hervorgebracht worden sein kann, dann finde ich, wenn ich mich nicht täusche, daß weder das von uns selbst hervorgebracht wird, was wir im Namen Gott denken, noch daß es notwendig ist, daß es von irgendetwas anderem hervorgebracht wird als von den äußeren Objekten. Denn unter dem Namen Gott verstehe ich eine Substanz, das heißt ich sehe ein, daß Gott existiert (nicht durch die Idee, sondern durch eine Schlußfolgerung). Diese Substanz ist eine unendliche (das heißt, ich kann ihre Schranken, bzw. äußersten Bestandteile weder begreifen noch mir vorstellen, ohne daß ich mir noch entferntere vorstellen könnte). Daraus folgt, daß bei dem Namen Unendliches nicht die Idee der göttlichen Unendlichkeit entsteht, sondern die meiner eigenen Endlichkeit bzw. meiner eigenen Grenzen. Diese Substanz ist eine unabhängige. Das heißt, ich begreife die Ursache nicht, aus der Gott entsteht. Deshalb liegt es auf der Hand, daß ich bei dem Namen Unabhängiges keine andere Idee habe als die der Erinnerung meiner zu verschiedenen Zeitpunkten beginnenden und daher abhängigen Ideen. Deswegen ist es dasselbe, ob man sagt, daß Gott unabhängig ist, oder ob man sagt, daß Gott zu der Menge derjenigen Dinge zählt, deren Entstehung ich mir nicht vorstelle. Ebenso ist es dasselbe, ob man sagt, daß Gott unendlich ist, oder ob wir sagen, daß er zu der Menge derjenigen Dinge zählt, in bezug auf die wir keine Enden begreifen. So jedoch ist jede Idee Gottes ausgeschlossen ; denn was ist das für eine Idee, ohne Entstehung und ohne Schranken ? Höchster Einsicht fähig. Da frage ich mich nur, durch welche Idee Herr Descartes die Einsicht Gottes einsieht ? Allmächtig. Hier genauso : Durch welche Idee wird eine Macht eingesehen, die sich auf zukünftige Dinge bezieht, das heißt auf Dinge, die noch gar nicht existieren ? Gewiß sehe ich die Macht aus einem Bild heraus ein, bzw. aus der Erinnerung vorangegangener Aktionen, indem ich auf diese Weise zu einem Ergebnis komme : »So hat er es getan, also 1

Med. III : 45, 9–18.

dritte ei n wä n d e u n d erw i d e ru n g en

195

hat er es so tun können ; wenn er weiterhin existiert, wird er es also erneut ebenso tun können, das heißt : Er besitzt die Macht, es zu tun.« Nun sind all dies aber Ideen, die aus den äußeren Objekten entstanden sein können. Schöpfer alles dessen, was vorhanden ist. So etwas wie ein Bild der Erschaffung kann ich selbst aus dem konstruieren, was ich gesehen habe, wie zum Beispiel ein Mensch, der geboren wird bzw. gewissermaßen aus einem Punkte zu der Gestalt und Größe heranwächst, die er jetzt hat. Niemand hat bei dem Namen des Schöpfers eine andere Idee. Um aber die Erschaffung zu beweisen, genügt es nicht, daß wir uns eine geschaffene Welt vorstellen können. Selbst wenn daher bewiesen wäre, daß etwas Unendliches, Unabhängiges, Allmächtiges usw. existiert, folgt daraus nicht, daß ein Schöpfer existiert. Es sei denn, jemand würde meinen, daraus, daß etwas existiert, von dem wir glauben, es habe alles übrige geschaffen, richtig herzuleiten, daß es deshalb irgendwann einmal die Welt geschaffen habe. Außerdem : Wenn er sagt, die Idee Gottes und unserer Seele sei uns angeboren, dann möchte ich wohl wissen, ob die Seelen tief und traumlos Schlafender denken. Falls nicht, haben sie zu diesem Zeitpunkt keinerlei Ideen. Und deshalb gibt es keine angeborene Idee ; denn was angeboren ist, ist ständig vorhanden.

187,17

187,29

e rw ide rung. Nichts von dem, was wir Gott beilegen, kann von den äußeren Objekten gleichsam wie eine Kopie von dem Original hervorgebracht worden sein, weil es in Gott nichts gibt, was den äußeren, das heißt den körperlichen Dingen ähnlich wäre. Alles aber, was wir denken und das den körperlichen Dingen unähnlich ist, wird in unserem Denken offenkundig nicht durch die körperlichen Dinge selbst hervorgebracht, sondern durch die Ursache dieser Verschiedenheit. Ich frage mich hier nur, wie dieser Philosoph die Einsicht Gottes aus den äußeren Dingen deduzieren will. Ich hingegen erkläre leicht, welche Idee Gottes ich habe, indem ich sage, daß

188,6

188,12

196

188,21

189,1

dri tte ei nwä n d e u n d e rw i d e ru n g e n

ich unter einer Idee alles das verstehe, was die Form irgendeiner Erfassung ist. Denn wer erfaßt es nicht, wenn er etwas einsieht ? Wer verfügt demnach nicht über diese Form, bzw. die Idee der Einsicht, die, wenn er sie unbegrenzt ausweitet, die Idee der göttlichen Einsicht bildet ? – und ebenso bei seinen übrigen Attributen. Weil aber in der Idee Gottes, die in uns ist, und die wir verwendet haben, um seine Existenz zu beweisen, eine so unermeßliche Macht enthalten ist, daß wir es als widersprüchlich einsehen, daß, wenn Gott existiert, irgendetwas anderes außer ihm existieren sollte, das etwa nicht von ihm geschaffen wäre : deshalb folgt ganz einfach daraus, daß seine Existenz bewiesen ist, daß auch die gesamte Welt bewiesen ist, bzw. daß alle von Gott verschiedenen Dinge, und das heißt : überhaupt alle, die existieren, von ihm geschaffen sind. Wenn wir schließlich sagen, eine Idee sei uns angeboren, so verstehen wir darunter nicht, daß sie uns ständig vorschwebt, denn auf diese Weise wäre uns keine jemals angeboren, sondern nur, daß wir in uns selbst das Vermögen haben, sie zu entwickeln.

E L F T E R E I N WA N D. 189,6

189,11

Die gesamte Überzeugungskraft des Arguments besteht in Folgendem : Ich erkenne, daß ich unmöglich als die Natur existieren könnte, die ich bin – nämlich als jemand, der die Idee Gottes in sich trägt –, wenn Gott nicht auch tatsächlich existierte, Gott, sage ich, eben derselbe, dessen Idee in mir ist.1 Weil ja also nicht bewiesen ist, daß wir die Idee Gottes haben, und die Christliche Religion uns zu glauben auferlegt, daß Gott unbegreiflich ist – und das heißt, wie ich vermute, daß wir keine Idee von ihm haben –, folgt, daß die Existenz Gottes nicht bewiesen ist, und viel weniger noch die Erschaffung. 1

Med. III : 51, 29–52, 3.

dritte ei n wä n d e u n d erw i d e ru n g en

197

e rw ide rung. Wenn man sagt, Gott sei unbegreiflich, versteht man darunter, ihn durch einen adäquaten Begriff zu verstehen. In welcher Weise man aber die Idee Gottes hat, habe ich bis zum Überdruß wiederholt. Hier wird überhaupt nichts vorgebracht, was meine Beweise erschüttern würde.

189,17

Z WÖ L F T E R E I N WA N D. G E G E N D I E V I E RT E M E D I TAT I O N . Über das Wahre und Falsche.

Und so sehe ich sicher ein, daß der Irrtum, insofern er ein Irrtum ist, kein reales Etwas ist, sondern nur ein Mangel. Demnach benötige ich zum Irren keine mir zu diesem Zweck von Gott beigelegte Verfügungsgewalt.1 Es ist gewiß, daß die Unkenntnis lediglich ein Mangel ist, und es bedarf keines positiven Vermögens, damit etwas unbekannt bleibt. In bezug auf den Irrtum ist es aber keine so offensichtliche Sache. Denn Steine und unbelebte Dinge scheinen allein deshalb nicht irren zu können, weil sie weder das Vermögen, zu schlußfolgern haben, noch das Vermögen, vorzustellen. Daraus läßt sich leicht entnehmen, daß zum Irren das Vermögen, schlußzufolgern nötig ist, oder zumindest das Vermögen, vorzustellen. Beide Vermögen sind positiv und man legt sie ausschließlich denjenigen bei, die irren. Außerdem hat Herr Descartes Folgendes gesagt : Ich stelle fest, daß sie (nämlich meine Irrtümer) von zwei gleichzeitig zusammenwirkenden Ursachen abhängen, nämlich vom Erkenntnisvermögen, das in mir ist, und von dem Vermögen zu wählen, bzw. von der Freiheit der Willkür.2 Das scheint dem Vorangegangenen zu widersprechen. Wobei auch darauf hingewiesen werden muß, daß die Freiheit der Willkür ohne Nachweis angenommen wird, entgegen der Meinung der Calvinisten. 1

Med. IV : 54, 24–28.

2

Med IV : 56, 11–14.

190,2

190,6

190,15

198

dri tte ei nwä n d e u n d e rw i d e ru n g e n

erwi derung. 190,23

191,9

Zum Irren ist das Vermögen, schlußzufolgern nötig (oder vielmehr das Urteilsvermögen, bzw. das Vermögen, zu behaupten und zu bestreiten), denn das Irren ist der Mangel dieser Fähigkeit. Daraus folgt jedoch nicht, daß dieser Mangel etwas Reales ist. Denn auch Blindheit ist ja nichts Reales, obwohl Steine nicht blind genannt werden, bloß weil sie über kein Sehvermögen verfügen. Ich staune doch, bislang in seinen Einwänden nicht eine einzige richtige Ableitung vorgefunden zu haben ! Über die Freiheit aber habe ich hier nichts angenommen, außer dem, was wir alle in uns erfahren, und was für das Natürliche Licht ganz selbstverständlich ist. Und ich sehe nicht ein, aufgrund welcher Ursache er sagt, es stehe mit dem Vorhergehenden im Widerspruch. Vielleicht mag es viele Leute geben, die, wenn sie die Präordination durch Gott betrachten, nicht fassen können, inwiefern unsere Freiheit mit ihr zusammen besteht. Gleichwohl : Daß willentlich und frei dasselbe ist, erfährt jeder, der nur sich selbst betrachtet. Zu prüfen, was die Meinung anderer über diese Sache ist, gehört aber nicht an diese Stelle.

D R E I Z E H N T E R E I N WA N D. 191,16

Als ich zum Beispiel in diesen Tagen prüfte, ob irgendetwas in der Welt existierte, und feststellte, daß allein daraus, daß ich dies prüfe, evident folge, daß ich existiere, konnte ich gar nicht umhin, zu urteilen, daß das, was ich so klar einsah, wahr sei ; und zwar nicht, weil ich von irgendeiner äußeren Kraft dazu getrieben worden war, sondern weil sich aus dem großen Licht im Verstand eine starke Neigung im Willen ergeben hat, habe ich dies von selbst und frei um so mehr geglaubt, je weniger indifferent ich in bezug darauf gewesen bin.1 1

Med. IV : 58, 26–59, 4.

dritte ei n wä n d e u n d erw i d e ru n g en

199

Der Ausdruck großes Licht im Verstand ist metaphorisch und demnach nicht argumentativ. Jeder aber, der frei vom Zweifel ist, nimmt ein solches Licht in Anspruch und hat nicht weniger die Neigung des Willens, das zu behaupten, woran er nicht zweifelt, als jemand, der tatsächlich etwas weiß. Dieses Licht kann also die Ursache sein, weswegen jemand beharrlich irgendeine Meinung verteidigt oder beibehält, aber nicht die Ursache, daß er weiß, daß es wahr ist. Außerdem : Sowohl zu wissen, daß etwas wahr ist, als auch etwas zu glauben oder ihm seine Zustimmung zu geben, hat nichts mit dem Willen zu tun. Denn was durch gültige Argumente nachgewiesen oder was glaubhaft berichtet wird, glauben wir, ob wir nun wollen oder nicht. Es ist wahr, daß Propositionen zu behaupten und zu bestreiten, zu verfechten und zurückzuweisen Akte des Willens sind ; daraus folgt aber nicht, daß innere Zustimmung vom Willen abhängt. Demnach ist die Schlußfolgerung, die folgt, nicht ausreichend bewiesen : In dieser nicht richtigen Ausübung der freien Willkür ist jene Privation enthalten, die die Form des Irrtums ausmacht.1

191,25

192,6

192,13

e rw ide rung. Es trägt nichts zur Sache bei, zu fragen, ob der Ausdruck großes Licht argumentativ ist oder nicht, sofern er nur explikativ ist, und das ist er tatsächlich. Es gibt nämlich niemanden, der nicht weiß, daß unter Licht im Verstand die Transparenz der Erkenntnis verstanden wird. Vielleicht haben diese Transparenz nicht alle, die meinen, sie zu haben ; das aber hindert doch nicht, daß sie gleichwohl ganz verschieden ist von einer Meinung, die ohne evidente Erfassung begriffen wird, auch wenn man sie beharrlich vertritt. Wenn aber hier gesagt wird, daß wir nicht klar durchschauten Dingen zustimmen, ob wir nun wollen oder nicht, so ist das gerade so, als wenn man sagen würde, daß wir ein klar erkanntes Gut begehren, ob wir nun wollen oder nicht ; denn das Wort 1

Med. IV : 60, 6–7.

192,17

192,24

200

dri tte ei nwä n d e u n d e rw i d e ru n g e n

nicht wollen ist in diesem Zusammenhang fehl am Platze, weil es in sich widersprüchlich ist, dasselbe zu wollen und nicht zu wollen.

V I E R Z E H N T E R E I N WA N D. G E G E N D I E F Ü N F T E M E D I TAT I O N . Über das Wesen der materiellen Dinge. 193,2

193,10

Wenn ich mir zum Beispiel ein Dreieck vorstelle, so ist seine Natur, bzw. sein Wesen oder auch seine Form sicherlich eine ganz bestimmte, unveränderliche und ewige, die weder von mir selbst ausgebildet ist, noch von meinem Geist abhängt, auch wenn vielleicht eine solche Figur nirgendwo außerhalb meines Denkens existiert, und auch niemals existiert hat. Dies wird daran offenkundig, daß vielfältige Eigenschaften dieses Dreiecks bewiesen werden können.1 Wenn nirgendwo ein Dreieck existiert, so sehe ich nicht ein, wie es überhaupt eine Natur haben kann. Denn was nirgendwo ist, ist nicht ; also hat es auch kein Sein oder eine Natur. Das Dreieck im Geist entsteht aus dem gesehenen Dreieck oder aus einem Dreieck, das nach dem gesehenen konstruiert wurde. Wenn wir aber erst einmal das Ding (aus dem, wie wir meinen, die Idee des Dreiecks entstanden ist) mit dem Namen Dreieck benannt haben, bleibt der Name bestehen, obgleich das Dreieck selbst verschwindet. Wenn wir in unserem Denken einmal begriffen haben, daß alle Winkel des Dreiecks zusammengenommen zwei rechten Winkeln entsprechen, und wir dem Dreieck diesen anderen Namen gegeben haben, Das, was drei Winkel besitzt, die zwei rechten entsprechen, würde auf dieselbe Weise der Name auch dann bleiben, wenn in der Welt kein Winkel existierte, und die Wahrheit dieser Proposition wird ewig sein : Ein Dreieck ist das, was drei Winkel hat, die zwei rechten entsprechen. Die Natur des Dreiecks aber wird nicht ewig sein, wenn vielleicht jedes Dreieck verschwände. 1

Med. V : 64, 11–18.

dritte ei n wä n d e u n d erw i d e ru n g en

201

In ähnlicher Weise wird die Proposition Der Mensch ist ein Lebewesen aufgrund der ewigen Namen ewig wahr sein. Wenn aber die menschliche Gattung verschwindet, wird es nicht länger eine menschliche Natur geben. Es ist von daher offenkundig, daß das Wesen, insofern es von der Existenz unterschieden wird, nichts anderes ist als eine Verkoppelung der Namen durch das Wort ist. Deshalb ist ein Wesen ohne Existenz bloß ein Hirngespinst von uns. Und es scheint sich das Bild des Menschen im Gemüt zum Menschen ebenso zu verhalten wie das Wesen zur Existenz ; oder : So, wie sich die Proposition Sokrates ist ein Mensch zu der Proposition Sokrates ist oder existiert verhält, so verhält sich auch das Wesen des Sokrates zu seiner Existenz. Nun, Sokrates ist ein Mensch bezeichnet, wenn Sokrates nicht existiert, lediglich die Verknüpfung der Namen, und ist, bzw. sein beinhaltet unter sich das Bild der Einheit zweier durch Namen benannter Dinge.

193,25

194,1

erw iderung. Die Unterscheidung des Wesens von der Existenz ist allgemein bekannt, und was hier anstelle der Begriffe bzw. Ideen von ewiger Wahrheit über die ewigen Namen gesagt wird, ist vorher bereits ausreichend verworfen worden.

194,12

F Ü N F Z E H N T E R E I N WA N D. G E G E N D I E S E C H S T E M E D I TAT I O N . Über die Existenz materieller Dinge.

Da Gott mir jedoch nicht das geringste Vermögen verliehen hat, zu erkennen, wie es (nämlich ob die Ideen von den Körpern ausgesandt werden oder nicht) wirklich geschieht, statt dessen aber eine starke Neigung, zu glauben, daß die Ideen von körperlichen Dingen ausgehen, sehe ich nicht, mit welcher Begründung man sich einsichtig machen könnte, daß Gott kein Schwindler ist, wenn die Ideen von irgendwo anders her als von körperli-

194,17

202

195,1

dri tte ei nwä n d e u n d e rw i d e ru n g e n

chen Dingen ausgehen würden. Demnach existieren körperliche Dinge.1 Es ist allgemeine Meinung, daß Ärzte, die die Kranken aus der Ursache heraus betrügen, ihre Heilung zu fördern, keine Verfehlung begehen, und ebensowenig Väter, die ihre Söhne zu ihrem eigenen Guten täuschen. Außerdem besteht das Vergehen des Betrugs nicht in der Falschheit des Gesagten, sondern in der Ungerechtigkeit des Betrügenden. Herr Descartes wird demnach zusehen müssen, ob die Proposition, Gott kann uns in keinem Fall täuschen, allgemein genommen wahr ist ; denn wenn er so allgemein genommen nicht wahr ist, folgt die Schlußfolgerung also existieren körperliche Dinge nicht.

erwid erung. 195,10

Für meinen Schluß ist es nicht erforderlich, daß wir uns in keinem Fall täuschen können (ich habe nämlich selbst schon gelten gelassen, daß wir uns oft täuschen), sondern daß wir uns nicht täuschen, wenn dieser unser Fehler in Gott den Willen, zu betrügen bezeugen würde. Denn es ist widersprüchlich, daß ein solcher Wille in ihm ist. Auch hier also wiederum eine unzutreffende Ableitung.

L E T Z T E R E I N WA N D. 195,16

195,20

Denn jetzt stelle ich fest, daß zwischen beiden (das heißt zwischen Wachzustand und Traum) darin ein sehr großer Kontrast besteht, daß die Traumbilder niemals mit allen übrigen Aktionen des Lebens durch das Gedächtnis verbunden werden.2 Ich frage : Ist es gewiß, daß jemand, der träumend zweifelt, ob er träumt oder nicht, nicht träumen kann, seine Traumbilder in einer langen Serie mit den Ideen vorangegangener Dinge in einen Zusammenhang zu bringen ? Wenn er es kann, dann kann das, was dem 1

Med. VI : 79, 27–80, 4.

2

Med. VI : 89, 21–24.

dritte ei n wä n d e u n d erw i d e ru n g en

203

Träumenden vorangegangene Aktionen seines Lebens zu sein scheinen, nicht weniger für wahr gehalten werden als wenn er wach wäre. Weil ja außerdem alle Gewißheit und Wahrheit des Wissens von der einen Erkenntnis des wahren Gottes abhängt, wie Descartes selbst behauptet, kann ein Atheist entweder aus der Erinnerung seines vorangegangenen Lebens nicht entnehmen, daß er wach ist, oder er kann ohne die Erkenntnis des wahren Gottes irgendwie sonst wissen, daß er wach ist.

e rw ide rung. Ein Träumender kann das, was er träumt, nicht tatsächlich mit den Ideen vorangegangener Dinge verknüpfen, obwohl er träumen kann, er verknüpfe es. Denn wer würde bestreiten, daß ein Schlafender sich täuschen kann ? Wenn er später dann aber erwacht ist, kann er seinen Fehler mühelos herausfinden. Hingegen kann ein Atheist aus der Erinnerung an sein vorangegangenes Leben entnehmen, daß er wach ist. Er kann aber nicht wissen, daß dieses Merkmal ausreicht, um sicher zu sein, daß er sich nicht irrt, es sei denn er weiß, daß er von einem Gott erschaffen ist, der nicht täuscht.

196,6

196,11

V I E RTE EINWÄ ND E.

Brief an den hochverehrten Herrn.1 Sie, hochverehrter Herr, hatten wohl kaum vor, mir eine bloße Gefälligkeit zu erweisen ; denn Sie fordern für eine unvergleichliche Wohltat eine Gegenleistung, und zwar eine erhebliche, wenn Sie mir dieses höchst geistreiche Werk nur unter der Vorbedingung haben zukommen lassen wollen, daß ich meine Eindrücke über es veröffentliche. In der Tat eine harte Bedingung, der zu entsprechen nur das Verlangen mir abgenötigt hat, die allerschönsten Dinge kennenzulernen, und gegen die ich dennoch sehr gern Einspruch einlegen würde, wenn ich nur anstelle der vom Prätor zugestandenen Dispensation Wenn etwas durch Gewalt oder Furcht geschehen ist, die neue in Anspruch nehmen könnte Wenn etwas durch verführerische Lust geschehen ist. Denn was wollen Sie eigentlich ? Mein Urteil über den Autoren erwarten Sie nicht, dessen unvergleichliche Geisteskraft und einzigartige Bildung ist sehr schätze, wie ich schon längst kundgetan habe. Auch ist Ihnen doch wohl nicht unbekannt, welche lästigen Beschäftigungen mich mit Beschlag belegen ; und wenn Sie mich höher schätzen als es angebracht ist, folgt daraus nicht, daß ich mir meiner Dürftigkeit nicht bewußt bin. Und doch erfordert das, was Sie mir zur Untersuchung vorlegen, nicht nur eine Geisteskraft, die über das normale Maß hinausgeht, sondern auch einen Geist, der so hell ist, daß er sich von dem Lärm aller äußeren Dinge befreien und auf sich selbst konzentrieren kann, was – wie Sie sehr wohl sehen – nur durch einige aufmerksame Meditation und einen Blick geschehen kann, den der Geist fest auf sich selbst gerichtet hält. Gehorchen muß ich trotzdem, weil Sie es ja befehlen. Für alle meine Verfehlungen aber werden Sie verantwortlich sein, der Sie mich zum Schreiben nötigen. Obwohl man dieses gesamte Werk der Philosophie zuordnen kann, will ich, weil der höchst bescheidene Mann sich dem Tribunal der Theologen unterwirft, hier eine Doppelrolle spielen, und zuerst das vorbringen, was mir von Phi1

Dieser Brief ist an Marin Mersenne gerichtet, nicht an Descartes.

196,18

197,4

206

v ie r te e in wä n d e

losophen in bezug auf die vordringlichen Fragen über die Natur des menschlichen Geistes und Gott eingewandt werden zu können scheint ; danach aber werde ich die Bedenken aufzeigen, die ein Theologe gegen das Werk insgesamt vorbringen kann.

Ü B E R D I E N AT U R D E S M E N S C H L I C H E N G E I S T E S . 197,24

198,12

198,15

198,17

Hier versetzt es mich zuerst in Erstaunen, daß der hochverehrte Mann dasselbe als Prinzip seiner gesamten Philosophie aufgestellt hat wie der Heilige Augustinus, ein Mann von allerschärfster Geisteskraft und nicht nur in theologischen, sondern auch in philosophischen Dingen uneingeschränkt zu bewundern. Denn im zweiten Buch Über den freien Willen, Kapitel 3, macht Alipius sich mit Euodius streitend daran, zu beweisen, daß es Gott gibt ; er sagt : »Damit wir den Anfang beim Offensichtlichsten nehmen, frage ich Dich zuerst, ob es Dich selbst gibt. Oder fürchtest Du vielleicht, Dich in dieser Frage zu täuschen ? Wenn es Dich nicht gäbe, könntest Du Dich jedenfalls ganz und gar nicht täuschen.«1 Die Worte unseres Autoren sind diesen ziemlich ähnlich : Aber es gibt einen, ich weiß nicht welchen, allmächtigen und äußerst verschlagenen Betrüger, der mich ständig mit Hartnäckigkeit täuscht. Zweifelsohne bin ich selbst, wenn er mich täuscht.2 Aber gehen wir einen Schritt weiter und, was der Sache dienlicher ist, sehen wir zu, inwiefern aus diesem Prinzip dargetan werden kann, daß unser Geist vom Körper getrennt ist. Ich kann zweifeln, ob ich einen Körper habe, ja sogar, ob es in der dinglichen Natur einen Körper gibt, aber ich darf gleichwohl nicht zweifeln, daß ich bin, bzw. existiere, solange ich zweifle, bzw. denke. Demnach bin ich selbst, der ich zweifle und denke, kein Körper ; andernfalls würde ich, wenn ich den Körper bezweifle, mich selbst bezweifeln. Ja, sogar wenn ich aus fester Überzeugung (obstinata mente) be1

Augustinus : De libero arbitrio / Der freie Wille. übers. v. Johannes Brachtendorf. Paderborn / München / Wien / Zürich : Schöningh 2006. (= Augustinus : Opera – Werke, Bd. 9), 135. 2 Med. II : 25, 5–8.

vi er te ei n wä n d e

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haupte, daß es überhaupt keinen Körper gibt, bleibt gleichwohl die Setzung bestehen : ich selbst bin etwas, demnach bin ich kein Körper. Sehr scharfsinnig, in der Tat. Manch einer aber wird dagegenhalten, was auch der Autor selbst gegen sich einwendet : »Wenn ich den Körper bezweifle oder bestreite, daß es einen Körper gibt, ergibt sich noch nicht, daß es keinen Körper gibt« : Vielleicht also verhält es sich ja so, daß sich das, von dem ich voraussetze, es sei nichts – nämlich weil es mir unbekannt ist –, gleichwohl der Wahrheit der Sache nach gar nicht von diesem Ich – das mir bekannt ist – unterscheidet ? Ich weiß es nicht, sagt er, darüber disputiere ich jetzt nicht. Mir ist bekannt, daß ich existiere ; ich frage, was ich bin, jenes Ich, das mir bekannt ist. Ganz sicher hängt die Kenntnis des genau so verstandenen Ichs nicht von dem ab, von dem mir noch unbekannt ist, ob es existiert.1 Er gesteht zu, daß der Sachverhalt durch das im Discours vorgebrachte Argument nur insofern deduziert ist, als alles, was körperlich ist, von der Natur seines Geistes ausgeschlossen sein würde nicht gemäß der Ordnung der eigentlichen Wahrheit des Sachverhalts, sondern lediglich gemäß der Ordnung seiner Erfassung (so daß der Sinn dieser Aussage dahin ging : Er erkannte überhaupt nichts, von dem er wußte, daß es zu seinem Wesen gehört, außer daß er ein denkendes Ding war).2 Aus dieser Erwiderung ergibt sich, daß die Disputation immer noch innerhalb derselben Schranken festsitzt, und die Frage, die zu lösen er verspricht, unentschieden bleibt, nämlich : wie daraus, daß er erkennt, es gehöre nichts anderes zu seinem Wesen, folgt, daß auch tatsächlich nichts anderes zu seinem Wesen gehört.3 Ich gestehe meine Schwerfälligkeit zu, aber ich habe gleichwohl nicht entdecken können, daß dies von ihm irgendwo in der zweiten Meditation geleistet worden ist. Aber, wie ich vermuten möchte, unternimmt er den Nachweis dieses Sachverhalts deshalb in der sechsten Meditation, weil er urteilt, daß er von der klaren Kenntnis Gottes abhängt, die er sich in der zweiten Meditation noch nicht erworben hatte. Er weist die Sache also folgendermaßen nach :

1

Med. II : 27, 24–28, 1.

2

Praef. : 8, 6–8.

3

Praef. : 8, 12–15.

198,20

199,1

208

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199,19

Weil ich ja weiß, sagt er, daß alles, was ich klar und deutlich einsehe, genau so von Gott erzeugt werden kann, wie ich es einsehe, ist es ausreichend, daß ich ein Ding ohne ein anderes klar und deutlich einsehe, um sicher zu sein, daß das eine von dem anderen verschieden ist, weil es zumindest von Gott getrennt gesetzt werden kann. Für die Ansicht, daß sie verschieden sind, ist es ganz unerheblich, durch welche Macht das geschieht.1 Weil ich also einerseits eine klare und deutliche Idee meiner selbst besitze, insofern ich ein denkendes, kein ausgedehntes Ding bin, und anderseits die deutliche Idee des Körpers, insofern er lediglich ein ausgedehntes, kein denkendes Ding ist, ist es sicher, daß ich von meinem Körper tatsächlich unterschieden bin, und ohne ihn existieren kann.2

200,2

Hier gilt es, ein wenig innezuhalten ; denn in diesen wenigen Worten scheint mir der Angelpunkt der gesamten Schwierigkeit zu liegen. Erstens : Damit die Proposition dieses Syllogismus wahr ist, darf sie nicht in bezug auf irgendeine beliebige Erkenntnis eines Dinges verstanden werden, auch wenn sie klar und deutlich ist, sondern sie muß allein in bezug auf eine adäquate Erkenntnis verstanden werden. Denn der hochverehrte Mann gibt in der Antwort auf den Theologen zu, daß die formale Unterscheidung ausreicht und die reale nicht erforderlich ist, um das eine von dem anderen deutlich und abgesondert durch eine Abstraktion des Verstandes – der das Ding inadäquat begreift – zu begreifen.3 Deshalb subsumiert er an derselben Stelle :

200,4

Was aber ein Körper ist, das sehe ich vollständig ein, allein indem ich annehme, er sei ausgedehnt, gestaltet, und beweglich usw., und von ihm alles bestreite, was zur Natur des Geistes gehört. Und umgekehrt sehe ich ein, daß der Geist ein vollständiges Ding ist, das zweifelt, das einsieht, das will usw., obwohl ich bestreite, daß in ihm irgendetwas ist, das in der Idee des Körpers enthalten ist. Also besteht zwischen dem Geist und dem Körper eine reale Unterscheidung.4

200,12

1

Med. VI : 78, 2–8. 4 Resp. I : 121, 6–14.

2

Med. VI : 78, 15–20.

3

Resp. I : 120, 19–21.

vi er te ei n wä n d e

209

Wenn aber jemand diese Sumption in Zweifel ziehen und behaupten will, daß die begriffliche Auffassung (conceptio) Ihrer selbst bloß inadäquat ist, solange Sie sich gleichsam als denkendes Ding und nicht als ausgedehntes begreifen, und ebenso, wenn Sie sich gleichsam als ausgedehntes Ding und nicht als denkendes begreifen, dann gilt es, zu sehen, inwiefern dies im Vorangegangenen bewiesen worden ist. Ich meine nämlich, daß diese Sache nicht so klar ist, daß sie gleichsam als unbeweisbares Prinzip gelten dürfte, ohne bewiesen zu werden. Was nun den ersten Teil des Gesagten betrifft, nämlich daß Sie vollständig einsehen, was ein Körper ist, allein indem sie annehmen, er sei ausgedehnt, gestaltet und beweglich usw., und von ihm alles bestreiten, was zur Natur des Geistes gehört, trägt kaum etwas zur Sache bei. Denn wer behaupten würde, daß unser Geist körperlich ist, würde deswegen noch nicht meinen, daß jeder Körper ein Geist ist. Der Körper würde sich also zum Geist verhalten wie die Gattung zur Art.1 Nun kann aber die Gattung ohne die Art eingesehen werden, und es kann in bezug auf sie alles bestritten werden, was Eigenschaft der Art und ihr eigentümlich ist. Daher behaupten die Logiker gemeinhin : Wenn die Art bestritten wird, wird noch nicht die Gattung bestritten. So kann ich die Gattung Figur einsehen, ohne daß ich irgendeines der Charakteristika einsehe, die für den Kreis eigentümlich sind. Es ist also noch zu beweisen, daß der Geist vollständig und adäquat ohne den Körper eingesehen werden kann. Ich sehe im gesamten Werk kein anderes Argument, das für diesen Nachweis geeignet ist, außer dem, was am Anfang vorgebracht wird : »Ich kann bestreiten, daß es irgendeinen Körper gibt, irgendein ausgedehntes Ding, und gleichwohl bin ich mir sicher, daß ich bin, solange ich dies bestreite, bzw. denke ; also bin ich ein denkendes Ding, kein Körper, und zu der Kenntnis meiner selbst gehört der Körper nicht.« Aber ich sehe : Dadurch wird nur dargetan, daß ich mir eine bestimmte Kenntnis meiner selbst ohne die Kenntnis des Körpers verschaffen kann. Aber es leuchtet mir noch nicht ein, daß diese Kenntnis vollständig und adäquat ist, so daß ich sicher sein kann, mich nicht zu

1

Resp. IV : 223, 9.

200,20

200,27

201,13

201,19

210

201,24

202,5

202,10 202,12

v ie r te e in wä n d e

täuschen, wenn ich den Körper von meinem Wesen ausschließe.1 Ich werde diesen Sachverhalt durch ein Beispiel darlegen. Angenommen, jemand besitze die sichere Kenntnis, daß der Winkel im Halbkreis ein rechter Winkel ist und daß demnach das Dreieck aus diesem Winkel und dem Durchmesser des Kreises ein rechtwinkliges Dreieck ist. Aber er bezweifelt, oder hat noch nicht sicher entdeckt, oder bestreit durch irgendeinen Sophismus verleitet sogar, daß das Quadrat über der Grundlinie des Dreiecks den Quadraten über den Seiten entspricht : so scheint es, daß er sich mit derselben Begründung, die der hochverehrte Herr vorschlägt, in seiner falschen Überzeugung wird bestärken können : »Zwar erfasse ich«, sagt er, »klar und deutlich, daß dieses Dreieck rechtwinklig ist. Dennoch zweifle ich, ob das Quadrat über seiner Grundlinie den Quadraten über den Seiten entspricht. Also gehört es nicht zu seinem Wesen, daß das Quadrat über seiner Grundlinie den Quadraten über den Seiten entspricht«. Außerdem : Selbst wenn ich bestreite, daß das Quadrat über seiner Grundlinie den Quadraten über den Seiten entspricht, bleibt es für mich gewiß, daß es rechtwinklig ist, und in meinem Geist bleibt die Kenntnis klar und deutlich, daß einer der Winkel des Dreiecks ein rechter Winkel ist : und zwar so unverbrüchlich, daß nicht einmal Gott bewirken kann, daß es nicht rechtwinklig ist. Also gehört weder das zu seinem Wesen, woran ich zweifle, ja noch nicht einmal die Idee, die mir verbleibt, wenn ich es aufgehoben habe. Außerdem : Weil ich ja weiß, daß alles, was ich klar und deutlich einsehe, genau so von Gott erzeugt werden kann, wie ich es einsehe, ist es ausreichend, daß ich ein Ding ohne ein anderes klar und deutlich einsehe, um sicher zu sein, daß das eine von dem anderen verschieden ist, weil es zumindest von Gott getrennt gesetzt werden kann.2 Nun sehe ich klar und deutlich ein, daß dieses Dreieck rechtwinklig ist, ohne einzusehen, daß das Quadrat über seiner Grundlinie den Quadraten über seinen Seiten entspricht ;3 also kann zumindest Gott ein rechtwinkliges Dreieck zustandebringen, dessen Quadrat über der Grundlinie nicht den Quadraten über den Seiten entspricht. 1

Resp. IV : 223, 25–28.

2

Med. VI : 78, 2–6.

3

Resp. IV : 227, 1–3.

211

vi er te ei n wä n d e

Ich sehe nicht, was hier erwidert werden könnte, außer daß dieser Mensch das rechtwinklige Dreieck nicht klar und deutlich erfaßt. Woher habe ich es, daß ich die Natur meines Geistes klarer erfasse als jener die Natur des Dreiecks erfaßt ? Er ist sich nämlich ebenso sicher, daß das Dreieck im Halbkreis einen rechten Winkel hat – was der Grundbegriff des rechtwinkligen Dreiecks ist –, wie ich mir aufgrund dessen, daß ich denke, sicher bin, daß ich existiere. Er täuscht sich also, wenn er meint, es gehöre nicht zur Natur eines Dreiecks, das ihm klar und deutlich als rechtwinklig bekannt ist, daß das Quadrat über seiner Grundlinie usw. Weshalb aber sollte ich mich nicht vielleicht ebenso darin täuschen, wenn ich meine, es gehöre zu meiner Natur – von der mir sicher und deutlich bekannt ist, daß sie ein denkendes Ding ist – nichts anderes, als daß ich ein denkendes Ding bin ? Obgleich es doch vielleicht auch zu ihr gehören mag, daß ich ein ausgedehntes Ding bin ? Nun mag jemand einwenden : Es ist doch in der Tat nicht verwunderlich, daß ich eine Idee ausbilde, die meinem Gemüt nichts anderes repräsentiert als mich selbst gleichsam als denkendes Ding – denn diese Idee ist ja allein aus meinem Denken gewonnen, da ich während ich denke entnehme, daß ich existiere.1 Demnach scheint aus dieser Idee kein Argument gewonnen werden zu können, daß nicht weiteres zu meinem Wesen gehört als das, was in ihr enthalten ist. Es kommt noch hinzu, daß dieses Argument zuviel zu beweisen scheint,2 und uns auf jene Platonische Meinung zu führen scheint (die der Autor gleichwohl zurückweist), daß zu unserem Wesen nichts Körperliches gehört, so daß der Mensch ein bloßes Gemüt ist, der Körper aber lediglich das Vehikel des Gemüts, weswegen die Platoniker den Menschen definieren als ein Gemüt, das sich des Körpers bedient.3 Erwidern Sie nun, daß der Körper nicht einfachhin aus meinem Wesen ausgeschlossen ist, sondern genaugenommen lediglich insofern, als ich ein denkendes Ding bin, dann scheint zu befürchten zu sein, daß jemandem der Verdacht kommt, daß vielleicht die Kenntnis meiner selbst, insofern ich ein denkendes Ding bin, nicht die Kenntnis eines vollständig

1

Resp. IV : 227, 11–14.

2

Resp. IV : 227, 20–21.

3

Resp. IV : 227, 25.

202,22

202,29

203,6

203,14

203,20

212

203,27

204,10

204,14

204,21

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und adäquat, sondern nur inadäquat und durch eine gewisse Abstraktion des Verstandes begriffenen Seienden sei. Ebenso wie die Geometriker eine Linie gleichsam als eine Länge auffassen, die ohne Breite ist, und die Oberfläche gleichsam als eine Länge und Breite ohne Tiefe, obwohl es weder Länge ohne Breite, noch Breite ohne Tiefe gibt : ebenso kann daher jemand zweifeln, ob nicht jedes denkende Ding auch ein ausgedehntes Ding ist, dem jedoch außer den Charakteristika (affectio), die allen ausgedehnten Dingen gemeinsam sind – wie daß es gestaltbar, beweglich ist usw. –, noch die besondere Befähigung des Denkens zukommt. Daher kommt es, daß, obwohl dieses Ding aufgrund dieser Befähigung durch eine Abstraktion des Verstandes gleichsam als denkendes Ding aufgefaßt werden kann, die Charakteristika des Körpers tatsächlich dennoch mit dem denkenden Ding übereinstimmen : so, wie die Quantität als bloße Länge begriffen werden kann, obwohl aller Quantität tatsächlich zugleich mit der Länge auch Breite und Tiefe zukommt. Es vergrößert die Schwierigkeit, daß die Kraft, zu denken an körperliche Organe gebunden zu sein scheint, da man sie bei Kindern als noch schlafend und bei Geisteskranken als erloschen beurteilen kann.1 Das ist es, was die Gottlosen, die Henker der Gemüter, in allererster Linie gegen uns geltend machen. Soviel über die reale Unterscheidung unseres Geistes vom Körper. Da der hochverehrte Herr es nun aber unternommen hat, die Unsterblichkeit der Gemüter zu beweisen, ist die Frage wohl berechtigt, ob sich dies aus dieser Trennung evident ergibt. Denn aus den Prinzipien der gewöhnlichen Philosophie folgt dies keineswegs, da man gemeinhin annimmt, daß die Seelen der Tiere mit den Körpern untergehen, obwohl sie von ihnen unterschieden sind. Ich hatte meine Erwiderung bis zu diesem Punkt vorangebracht und beabsichtigte (in animo esse), aufzuzeigen, wie man aufgrund der Prinzipien unseres Autoren – die ich aus seiner Art, zu philosophieren meinte entnehmen zu können – aus der realen Unterscheidung des Geistes vom Körper ganz leicht auf die Unsterblichkeit des Geistes

1

Resp. IV : 228, 20–21.

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213

schließen kann, als mir der Nachtrag1 des hochverehrten Mannes zugetragen wurde, der nicht nur großes Licht auf das gesamte Werk wirft, sondern auch zur Äuflösung der in eben jenem Teil auftauchenden Frage beiträgt, die ich gerade hatte angehen wollen. Was nun die Seelen der Tiere betrifft, so läßt er an anderen Stellen zur Genüge durchblicken, daß es in ihnen gar keine gibt, sondern ihr Körper nur in einer bestimmten Weise konfiguriert und aus verschiedenen Organen so zusammengesetzt ist, daß alle Operationen, die wir sehen, in und durch ihn geschehen können. Aber ich befürchte, daß diese Überzeugung in den Gemütern der Menschen nicht auf Glauben treffen kann, wenn sie nicht durch ganz triftige Gründe gestützt wird. Es scheint nämlich zunächst unglaubwürdig zu sein, wie es ohne jegliche Unterstützung der Seele geschehen kann, daß das Licht, das vom Körper eines Wolfes in die Augen eines Schafes reflektiert wird,2 die dünnen Fäden der optischen Nerven so bewegen soll, daß aus dieser Bewegung, die sich bis ins Gehirn erstreckt, die Lebensgeister in gerade der Weise in die Nerven ausgeschüttet werden, die notwendig ist, damit das Schaf die Flucht ergreift. Nur eines möchte ich hier noch hinzufügen, nämlich daß das meine höchste Billigung findet, was der hochverehrte Herr über die Unterscheidung der Anschauung vom Denken bzw. des Verstandes (intelligentia), und über die größere Gewißheit dessen lehrt, was wir durch Vernunft verstehen, gegenüber dem, was unseren körperlichen Sinnen vorschwebt. Denn schon vor geraumer Zeit habe ich von Augustinus, Über die Größe der Seele, Kap. 15 gelernt, daß man sich diejenigen vom Hals halten muß, die überzeugt sind, daß das, was wir durch den Verstand (intelligentia) erkennen, weniger gewiß ist als das, was wir durch die körperlichen Augen erkennen, die ständig mit den Tränen kämpfen. Daher behauptet Augustinus auch, Selbstgespräche, 1. Buch, Kap. 4, daß er bei geometrischen »Angelegenheiten seine Sinne gewissermaßen wie auf einem Schiff erfahren habe. Denn wenn sie«, sagt er, »mich zu der Stelle gebracht haben, an 1 2

lucubratiuncula = die Nachtarbeit ; gemeint ist jedenfalls die Synopsis. Resp. IV : 230, 9–10.

204,29

205,5

205,13

214

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die ich gelangen wollte und wo ich sie entlassen habe, und ich sodann auf mich alleine gestellt begann, all das im Denken ablaufen zu lassen, waren meine Schritte noch lange taumelig. Deshalb scheint es mir, man könne leichter mit einem Schiff auf der Erde langfahren als Geometrie durch die Sinne erfassen, obwohl es scheint, daß die Sinne uns bei unseren ersten Lernschritten behilflich sein können.«1

Ü B E R G OT T. 206,2

206,6

206,11

Der erste Beweis der Existenz Gottes, den der Autor in der dritten Meditation führt, hat zwei Teile : Der erste ist, daß es Gott gibt, wenn seine Idee in mir ist ; der zweite ist, daß ich nur durch Gott überhaupt im Besitz einer solchen Idee sein kann. In bezug auf den ersten Teil kann ich nur eines nicht billigen : Obwohl der hochverehrte Herr erklärt hatte, daß nur in Urteilen Falschheit im eigentlichen Sinne angetroffen werde,2 läßt er dennoch etwas später gelten, daß Ideen zwar nicht formal, aber material falsch sein können.3 Das scheint mir nicht im Einklang mit seinen Prinzipien zu stehen. Aber ich fürchte, meine Überlegungen (animus) in dieser ganz dunklen Sache nicht transparent genug erklären zu können. Indes wird die Sache durch ein Beispiel klarer werden. Wenn, sagt er, Kälte nur die Privation der Wärme ist, dann wird die Idee der Kälte, die mir die Kälte gleichsam als positives Ding repräsentiert, materiell falsch sein.4 1

eigene Übers. »Die Sinne habe ich bei diesem Akt gebraucht wie ein Schiff : denn als sie mich zum erstrebten Ziel getragen hatten und ich auf ihren weiteren Dienst verzichten konnte und, sozusagen an Land gesetzt, nun mit meinem Verstand die Probleme zu wälzen begann, da haben mir lange Zeit die Knie gezittert. Darum scheint mir, eher kann man zu Schiff über Land fahren als die Geometrie mit den Sinnen erfassen, obschon diese den Anfängern offensichtlich ein wenig Hilfe leisten« (Augustinus : Selbstgespräche. übers. v. Hanspeter Müller. München / Zürich : Artemis 1986, 27). 2 Med. III : 43, 27–28. 3 Med. III : 43, 28–29. 4 Med. III : 44, 4–8.

215

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Keineswegs. Wenn die Kälte lediglich eine Privation ist, wird es keine Idee der Kälte geben, die sie mir gleichsam als positives Ding repräsentiert.1 Hier verwechselt der Autor das Urteil mit der Idee.2 Denn was ist die Idee der Kälte ? Die Kälte selbst, insofern sie objektiv im Verstand ist.3 Wenn aber Kälte eine Privation ist, kann sie nicht durch eine Idee objektiv im Verstand sein, deren objektives Sein ein positives Seiendes ist. Wenn also Kälte lediglich eine Privation ist, wird ihre Idee niemals positiv sein können, und daher keine Idee, die materiell falsch ist. Das wird durch das Argument bestätigt, mit dem der hochverehrte Herr auch nachweist, daß die Idee des unendlichen Seienden gar nicht anders als wahr sein kann. Denn auch wenn man so tun kann, als ob ein solches Seiendes nicht existiert, kann man gleichwohl nicht so tun, als ob mir seine Idee nichts Reales darstellt. Genau dasselbe läßt sich über jede positive Idee sagen. Denn auch wenn man so tun kann, als ob die Kälte, von der ich meine, daß sie durch eine positive Idee repräsentiert wird, nichts Positives ist, kann man gleichwohl nicht so tun, als ob eine positive Idee mir nichts Reales und Positives darstellt. Denn man nennt eine Idee nicht positiv gemäß dem Sein, das sie als gedanklicher Zugriff hat – denn in dieser Weise sind alle Ideen positiv –, sondern dem objektiven Sein nach, das sie enthält und in unserem Geist darstellt. Es kann also diese Idee nicht die der Kälte sein, eine falsche Idee sein aber kann sie nicht. Sie sagen vielleicht : »Diese Idee ist gerade dadurch falsch, daß sie nicht die Idee der Kälte ist.« Keineswegs. Wenn Sie urteilen, daß sie die Idee der Kälte ist, dann ist Ihr Urteil falsch, hingegen ist die Idee selbst ganz wahr, die in Ihnen ist. So darf man die Idee Gottes ja nicht einmal materiell falsch nennen, obwohl jemand sie auf ein Ding übertragen könnte, das nicht Gott ist, wie es die Götzenanbeter gemacht haben. Zu guter Letzt : Was stellt diese Idee der Kälte, von der Sie sagen, daß sie materiell falsch ist, Ihrem Geist dar ? Eine Privation ? Also ist sie wahr. Ein positives Seiendes ? Also ist sie nicht die Idee der Kälte.4 Und außerdem : Was ist die Ursache dieses positiven und objektiven 1

Resp. IV : 232, 8–10. 4 Resp. IV : 234, 11–13.

2

Resp. IV : 233, 3.

3

Resp. IV : 233, 6–7.

206,16

206,19

206,25

207,3

207,11

207,17

216

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208,12

208,17

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Seienden, durch das es Ihnen zufolge geschehen soll, daß diese Idee materiell falsch ist ?1 Sie sagen : »Ich, insofern ich durch das Nichts bin.« Also kann das objektive Sein einer Idee durch das Nichts sein, und das erschüttert die obersten Fundamente des hochverehrten Mannes. Aber gehen wir zum zweiten Teil des Beweises über, in dem gefragt wird, ob ich selbst, der ich die Idee des unendlichen Seienden besitze, durch etwas anderes sein könne als dem unendlichen Seienden, und insbesondere ob durch mich selbst.2 Der hochverehrte Herr behauptet fest, daß ich nicht durch mich selbst sein könne, weil, wenn ich mir mein Sein selbst gegeben hätte, ich mir auch alle Vollkommenheiten gegeben hätte, deren Idee ich in mir bemerke.3 Der Theologe aber erwidert scharfsinnig : »Durch-sichselbst-sein darf nicht positiv aufgefaßt werden, sondern nur negativ, so daß es dasselbe ist wie Nicht-durch-etwas-anderes-sein.«4 Er sagt : »Wie kann ich nun aber beweisen, wenn etwas durch sich selbst ist, d. h. nicht durch etwas anderes, daß es alles beinhaltet und unendlich ist ? Jetzt nämlich schenke ich Dir kein Gehör, wenn Du sagst : ›Wenn es durch sich ist, hätte es sich ganz gewiß mit allem ausgestattet.‹ Denn es ist weder durch sich selbst wie durch eine Ursache, noch ist es sich selbst vorausgegangen, um zuvor zu wählen, was es später sein würde.«5 Um dieses Argument zu widerlegen, behauptet der hochverehrte Herr fest, Durch-sich-selbst-sein dürfe nicht negativ, sondern müsse positiv aufgefaßt werden,6 auch hinsichtlich Gottes, so daß Gott im Hinblick auf sich selbst gewissermaßen dasselbe darstellt wie eine bewirkende Ursache im Hinblick auf ihre Wirkung.7 Das scheint mir heftig und falsch zu sein.8 Demnach stimme ich mit dem hochverehrten Herrn teilweise überein, teilweise nicht. Denn ich räume ein, daß ich gar nicht anders als positiv durch mich selbst sein kann, ich bestreite aber, daß dasselbe in bezug auf Gott gesagt werden kann. Ja, ich meine sogar, daß es eine offenkundige Widersprüchlichkeit ist, daß etwas durch sich selbst positiv 1

Resp. IV : 234, 19–21. 2 Med. III : 48, 1–6. 3 Med III : 48, 7–10. 4 Obj. I : 95, 2–8. 5 Obj. I : 95, 4–13. 6 Resp. I : 110, 30–31. 7 Resp. I : 111, 5–7. 8 Resp. IV : 235, 20.

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gleichsam wie durch eine Ursache sein solle. Daher komme ich zu demselben Ergebnis wie unser Autor, aber auf einem ganz anderen Weg, nämlich in dieser Weise : Wenn ich durch mich selbst wäre, müßte ich positiv und gleichsam wie durch eine Ursache durch mich selbst sein ; also ist es nicht möglich, daß ich durch mich selbst bin. Die Proposition dieses Syllogismus bestätigen die daraus abgeleiteten Überlegungen des Herrn Descartes, daß, weil die Teile der Zeit voneinander getrennt werden können, daraus, daß ich bin, nicht folgt, daß ich zukünftig sein werde, wenn nicht eine Ursache mich in den einzelnen Momenten gewissermaßen erneut bewirkt.1 Was nun die Sumption betrifft, so meine ich, daß sie für das Natürliche Licht so klar ist, daß man sie kaum nachweisen kann, außer vielleicht in der völlig nutzlosen Weise, indem man das Bekannte durch das weniger Bekannte nachweist. Tatsächlich scheint der Autor die Wahrheit der Sumption anerkannt zu haben, da er nicht gewagt hat, ihn offen in Frage zu stellen. Man erwäge bitte folgende Worte in der Erwiderung auf den Theologen :

208,24

209,2

209,7

Er sagt : Schließlich habe ich nicht gesagt, es sei unmöglich, daß 209,13 etwas bewirkende Ursache seiner selbst sei. Das ist zwar offensichtlich wahr, wenn man die Bedeutung des Bewirkenden auf jene Ursachen restringiert, die den Wirkungen zeitlich vorangehen oder die von ihnen verschieden sind. Doch bei dieser Frage scheint es keineswegs in dieser Weise restringiert werden zu müssen.2 Denn das Natürliche Licht schreibt es für die Funktion eines Bewirkenden gar nicht als erforderlich vor, daß es zeitlich seiner Wirkung vorangehe.3

Vortrefflich, was den ersten Teil betrifft. Weshalb aber hat er den zweiten ausgelassen ? Weshalb hat er nicht hinzugefügt, daß dasselbe Natürliche Licht es für die Funktion eines Bewirkenden nicht als erforderlich vorschreibt, daß es von seiner Wirkung verschieden sei ? Doch

1

Med. III : 49, 3–5.

2

Resp. I : 108, 7–12.

3

Resp. I : 108, 14–16.

209,21

218

209,25

210,2

210,5

210,12

210,18

210,21

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wohl, weil das Natürliche Licht selbst eben nicht gestattet, dies zu behaupten. Da nun tatsächlich jede Wirkung von einer Ursache abhängt, sie von der Ursache ihr Sein erhält, ist es doch wohl klar, daß etwas nicht von sich selbst abhängen kann, so daß es sein Sein nicht von sich selbst erhalten kann ? Außerdem ist jede Ursache Ursache einer Wirkung und die Wirkung ist Wirkung einer Ursache, und das äußere Verhältnis (habitudo) zwischen Ursache und Wirkung ist demnach gegenseitig ; aber ein äußeres Verhältnis gibt es nur zwischen zwei Dingen. Nur um den Preis einer Absurdität kann man schließlich im Denken setzen, daß ein Ding das Sein erhält, und es gleichwohl eben dieses Sein schon vor dem Zeitpunkt gehabt hat, zu dem wir gesetzt haben, daß es es erhalten hat. Dies aber müßte man tun, wenn wir die Grundbegriffe Ursache und Wirkung demselben Ding mit Bezug auf sich selbst beilegen würden. Denn was ist der Grundbegriff Ursache anderes als Sein zu geben. Was der Grundbegriff Wirkung ? Sein zu erhalten. Der Grundbegriff Ursache ist also von Natur her früher als der Grundbegriff Wirkung. Nun können wir aber ein Ding, das unter dem Grundbegriff Ursache steht, im Denken nur so als Sein gebend setzen, daß wir es im Denken als Sein besitzend setzen. Denn niemand gibt, was er nicht hat. Also würden wir ein Ding im Denken zuerst als Sein besitzend setzen, bevor wir es im Denken als Sein erhaltend setzen würden ; und dennoch ist in dem, das erhält, das Erhalten früher als das Haben. Diese Überlegung läßt sich auch noch anders formulieren : Niemand gibt, was er nicht hat ; also kann niemand sich Sein geben, außer dem, der schon ein solches Sein hat. Wenn er es aber bereits hat, wozu sollte er es sich geben ? Schließlich versichert er, daß es für das Natürliche Licht selbstverständlich ist, daß die Erschaffung von der Erhaltung allein durch die Vernunft unterschieden wird.1 Es ist aber für dasselbe Natürliche Licht offenkundig, daß nichts sich selbst erschaffen kann ; also kann auch nichts sich selbst erhalten. 1

Med. III : 49, 9–11.

vi er te ei n wä n d e

219

Wenn wir aber von der allgemeinen These zur besonderen Hypothese in bezug auf Gott herabsteigen, wird die Sache nach meinem Urteil noch offenkundiger werden : Gott kann nicht positiv durch sich selbst sein, sondern nur negativ, das heißt nicht durch etwas anderes. Erstens nämlich ergibt sich dies aus der Begründung, die der hochverehrte Herr anführt, um zu beweisen, daß, wenn ein Körper durch sich ist, er positiv durch sich selbst sein muß. Die Teile der Zeit nämlich, sagt er, hängen nicht voneinander ab ; und demnach reicht es nicht aus, vorauszusetzen, daß er bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt durch sich selbst gewesen ist, d. h. ohne Ursache, es sei denn, es gibt in ihm irgendeine Macht, die ihn ununterbrochen gleichsam reproduziert.1 Aber es ist so abwegig, daß diese Begründung in bezug auf das höchstvollkommene, bzw. unendliche Seiende irgendeine Bedeutung haben könnte, daß vielmehr aus den entgegengesetzten Gründen das glatte Gegenteil evident deduziert werden könnte. Denn in der Idee des unendlichen Seienden ist enthalten, daß seine (An-)Dauer ebenfalls unendlich ist ; das heißt : Es ist durch keine Grenzen eingeschlossen, und daher ist es unteilbar, fortdauernd und enthält alles das gleichzeitig, was wir aufgrund eines Fehlers und der Unvollkommenheit unseres Verstandes nur als früher und später begreifen können. Daraus folgt offenkundig, daß man nicht im Denken setzen kann, daß ein unendliches Seiendes auch nur einen Augenblick lang existiert, ohne zugleich im Denken zu setzen, daß es immer existiert hat und in alle Ewigkeit Existenz besitzen wird (was der Autor selbst anderswo lehrt).2 Demnach ist es sinnlos, zu fragen, weshalb es in seinem Sein verharrt. Ja, sogar Augustinus (und niemand von den heiligen Autoren hat je im Vergleich mit ihm würdiger und erhabener über Gott gesprochen) lehrt wiederholte Male, daß es in Gott weder etwas gibt noch gegeben hat oder geben wird, sondern alles immer ist. Von daher tritt noch evidenter zutage, daß man nur um den Preis einer Absurdität fragen kann, weshalb Gott im Sein verharrt ; denn diese Frage beinhaltet offenkundig ein Früher und Später, eine Vergangenheit und eine Zukunft, 1

Resp. I : 110, 14–19.

2

Med. V : 68, 16–18.

210,25

211,1

211,9

211,17

211,22

220

211,29

212,4

212,11

212,15

v ie r te e in wä n d e

die aus dem Grundbegriff Unendliches Seiendes ausgeschlossen werden muß. Außerdem : Man kann nicht denken, daß Gott positiv durch sich selbst ist, gleichsam als ob er sich anfänglich selbst produziert hätte : Denn dann wäre er gewesen, bevor er gewesen ist. Sondern nur, weil er sich tatsächlich erhält (wie der Autor wiederholt erklärt). Aber bei einem unendlichen Seienden gibt es Erhaltung genausowenig wie erste Produktion. Was bitte ist denn Erhaltung anderes als eine gewisse beständige Reproduktion des Dinges ? Daher setzt jede Erhaltung eine erste Produktion voraus ; und deshalb beinhaltet der Name Fortdauer ebenso wie der Name Erhaltung eine gewisse Potentialität. Das unendliche Seiende aber ist ein ganz reiner Akt ohne irgendeine Potentialität. Wir sollten also wohl schließen, daß wir nicht im Denken setzen können, daß Gott positiv durch sich selbst ist, außer aufgrund einer Unvollkommenheit unseres Verstandes, der Gott nicht anders als irgendein geschaffenes Ding im Denken setzt. Das wird zusätzlich aus einem anderen Grund erhärtet. Nach der bewirkenden Ursache eines Dinges fragt man nur im Hinblick auf die Existenz, nicht aber im Hinblick auf das Wesen.1 Wenn ich beispielsweise ein Dreieck anschaue, so frage ich nach der bewirkenden Ursache, durch die es geschehen ist, daß dieses Dreieck existiert. Hingegen kann ich nur um den Preis einer Absurdität nach der bewirkenden Ursache fragen, weshalb das Dreieck drei Winkel besitzt, die zwei rechten entsprechen. Auch würde man wohl jemandem, der danach fragt, durch die Angabe einer bewirkenden Ursache nicht angemessen antworten, sondern lediglich : weil dies die Natur des Dreiecks ist. Deshalb beweisen die Mathematiker, weil sie die Existenz ihres Objekts gar nicht thematisieren, nichts durch bewirkende Ursache und den Zweck. Nun gehört es nicht weniger zum Wesen des unendlichen Seienden, zu existieren, als es zum Wesen des Dreiecks gehört, drei Winkel zu haben, die zwei rechten entsprechen.2 Ebensowenig wie man also denjenigen, die fragen, weshalb ein Dreieck drei Winkel besitzt, die zwei rechten entsprechen, durch die Angabe einer bewir1

Resp. IV : 243, 8–9.

2

Resp. IV : 243, 9–14.

221

vi er te ei n wä n d e

kenden Ursache antworten, sondern nur sagen darf, daß dies die ewige und unveränderliche Natur des Dreiecks ist : ebenso darf man demjenigen, der fragt, weshalb es Gott gibt oder weshalb er in seinem Sein verharrt, nicht mit einer bewirkenden Ursache kommen, gleichgültig, ob sie in Gott oder außerhalb von Gott liegt, bzw. gewissermaßen mit einer bewirkenden Ursache (ich disputiere nämlich über die Sache, nicht über den Namen), sondern man muß als einzigen Grund angeben, daß dies die Natur des höchstvollkommenen Seienden ist. Der hochverehrte Herr behauptet : Das Natürliche Licht schreibt vor, daß kein Ding existiert, in bezug auf das nicht zu wissen verlangt werden könnte, weshalb es existiert, bzw. dessen bewirkende Ursache etwa nicht erforscht oder, wenn es keine besitzt, reklamiert werden könnte, weshalb es keiner bedarf.1 Darauf erwidere ich : Wer wissen will, weshalb Gott existiert, dem darf man nicht durch die Angabe einer bewirkenden Ursache antworten, sondern einzig und allein, daß Gott existiert, weil er Gott, bzw. das unendliche Seiende ist. Und dem, der nach seiner bewirkenden Ursache forscht, muß man antworten, daß er keiner bewirkenden Ursache bedarf. Und dem, der dann immer noch weiter fragt, weshalb er ihrer nicht bedarf, muß man antworten : weil er das unendliche Seiende ist, dessen Existenz sein Wesen ist. Denn allein jene Dinge bedürfen einer bewirkenden Ursache, bei denen man die aktuelle Existenz vom Wesen unterscheiden kann.2 Deswegen wird auch das hinfällig, was er nach den zitierten Worten hinzufügt : Wenn ich daher, sagt er, annehmen würde, daß kein Ding sich zu sich selbst verhalten könne wie eine bewirkende Ursache zu ihrer Wirkung, so würde es mir ganz fern liegen, daraus abzuleiten, daß es irgendeine erste Ursache gebe. Ganz im Gegenteil würde ich wiederum nach der Ursache derjenigen Ursache forschen, die die erste Ursache genannt wird, und würde so niemals zu einer ersten Ursache aller anderen gelangen.3 Ganz im Gegenteil. Wenn ich der Meinung wäre, es müsse bei jedem Ding nach der bewirkenden oder gewissermaßen bewirkenden Ursache gefragt werden, würde ich bei jedem Ding nach einer Ursache 1

Resp. I : 108, 18–22, 22–109, 3.

2

Resp. IV : 243, 27–244, 4.

3

Resp. I : 108,

213,5

213,17

213,25

222

214,3

214,7

214,11

214,15

v ie r te e in wä n d e

forschen, die von ihm verschieden ist.1 Denn es ist für mich ganz evident, daß nichts sich in irgendeiner Weise zu sich selbst verhalten kann wie eine bewirkende Ursache zu der Wirkung. Mir scheint es nötig, ihn daran zu erinnern, daß er dies sehr genau beachten sollte. Denn ich weiß sicher, daß man kaum einen Theologen antreffen wird, der nicht an der Proposition Anstoß nehmen wird, daß Gott positiv durch sich selbst gleichsam wie durch eine Ursache sein solle.2 Nur ein einziges Bedenken bleibt für mich noch bestehen, nämlich wie er einen Zirkelschluß vermeiden will, wenn er behauptet, es stehe allein deshalb für uns fest, daß das, was von uns klar und deutlich erfaßt wird, wahr ist, weil es Gott gibt.3 Aber : Für uns kann allein deshalb feststehen, daß es Gott gibt, weil wir dies klar und evident erfassen. Bevor also für uns feststeht, daß es Gott gibt, muß für uns feststehen, daß alles wahr ist, was wir klar und evident erfassen. Ich füge etwas hinzu, was mir entfallen war : Mir scheint es falsch, was der hochverehrte Herr behauptet, nämlich es sei gewiß, daß in ihm, insofern er ein denkendes Ding ist, nichts sein kann, dessen er sich nicht bewußt ist.4 Unter in ihm, insofern er ein denkendes Ding ist, versteht er nämlich nichts anderes als seinen Geist, insofern er vom Körper unterschieden ist. Gibt es aber irgendjemanden, der nicht sieht, daß es vieles im Geist geben kann, das dem Geist nicht bewußt ist ? Der Geist eines Kindes im Mutterleib besitzt die Kraft, zu denken, aber sie ist ihm nicht bewußt. Ich übergehe unzähliges Ähnliche.

Ü B E R D I E D I N G E , G E G E N D I E D I E T H E O LO G E N E I N WÄ N D E H A B E N KÖ N N E N . 214,24

Damit ich das nervige Gerede alsbald hinter mich bringen kann, halte ich es für angebracht, es hier abzukürzen und die Dinge eher nur anzudeuten als eingehender über sie zu disputieren. 1

Resp. IV : 244, 19–21. Resp. IV : 245, 26–246, 1.

2

Resp. IV : 237, 17–20. 4 Med. III : 49, 14–18.

3

Med. V : 69, 16 ff. ;

223

vi er te ei n wä n d e

Erstens. Ich befürchte, daß die freiere Art des Philosophierens, durch die alles in Zweifel gezogen wird, gewissen Leuten negativ aufstoßen wird. Tatsächlich räumt ja der Autor in seinem Discours1 selbst ein, daß dieser Weg für Leute mit mittelmäßiger Geisteskraft gefährlich ist. Ich hingegen räume ein, daß in der Synopsis2 diesem Vorwurf etwas der Wind aus den Segeln genommen wird. Dennoch sollte vielleicht dieser Meditation irgendeine kleine Vorrede vorangestellt werden, in der darauf hingewiesen werden könnte, daß an diesen Dingen nicht im Ernst gezweifelt wird, sondern es darum geht, sich vorübergehend dessen zu entledigen, was auch nur eine geringe und hyperbolische Gelegenheit zum Zweifeln bietet, wie der Autor selbst es an einer anderen Stelle3 nennt, um so etwas anzutreffen, das so fest und unerschütterlich ist, daß es nicht einmal mehr dem hartnäckigsten Menschen möglich ist, daran irgendwie zu zweifeln. Deshalb meine ich auch, daß an die Stelle der Worte weil mir der Urheber meiner Entstehung unbekannt war, folgende gesetzt werden sollten : ich so tat, als sei er mir unbekannt.4 Was die vierte Meditation, Über das Wahre und Falsche, betrifft, so wünsche ich mir aus vielerlei Ursachen, die hier anzuführen zu weit führen würde, sehr, daß entweder in der Meditation selbst oder in der Synopsis auf zweierlei hingewiesen würde. Erstens. Wenn die Ursache des Irrtums untersucht wird, sollte darauf hingewiesen werden, daß er sich in allererster Linie mit dem Irrtum beschäftigt, der in der Abgrenzung des Wahren vom Falschen begangen wird, nicht aber mit jenem, der in der Verfolgung des Guten und Schlechten geschieht.5 Denn da das erstere für das Vorhaben und die Zielsetzung des Autoren ausreicht, und das, was hier über die Ursache des Irrtums gesagt wird, auf erhebliche Einwände treffen würde, wenn es sich auch auf den letzteren Punkt erstrecken würde, fordert, wenn ich mich nicht täusche, die Klugheit und gebietet die Ordnung der Darstellung, deren größter Freund unser Autor ist, alles fortzulassen, was nichts zur Sache beiträgt und Anlaß zum Zank geben kann ; denn der Leser soll nicht da1

Disc. : AT VI, 15, 12–17. 2 Syn. : 12–16. 77, 15–16. 5 Resp. IV : 247, 24–248, 2.

3

Med. VI : 89, 19.

4

Med. VI :

214,27

215,5

215,15

215,18

215,22

224

216,4

216,11

v ie r te e in wä n d e

durch von der Erfassung des Notwendigeren abgehalten werden, daß er unnütz über Überflüssiges zankt. Das zweite, worauf unser Autor hinweisen sollte, ist Folgendes : Wenn er verlangt, daß wir nur einer Sache zustimmen sollen, von der wir klare und deutliche Kenntnis erlangt haben, dann thematisiert er nur diejenigen Dinge, die sich auf die wissenschaftliche Forschung beziehen und der Einsicht unterliegen, nicht aber diejenigen, die zum Glauben und zur Lebensführung gehören.1 Demnach verurteilt er die Unbesonnenheit derer, die sich in Vermutungen ergehen, nicht die Überzeugung derjenigen, die fest im Glauben stehen. Der heilige Augustinus hebt in Über den Nutzen des Glaubens, Kapitel 15, weise hervor : »Es gibt drei Dinge in den Seelen der Menschen, die, obwohl sie ganz nahe beieinanderliegen, voneinander unterschieden werden sollten : Einsehen, Glauben und Vermuten.2 Jemand sieht ein, wenn er etwas aufgrund einer sicheren Begründung versteht. Er glaubt, wenn er durch eine starke Autorität beeinflußt etwas für wahr hält, obwohl er es nicht aufgrund einer sicheren Begründung versteht. Er vermutet, wenn er der Ansicht ist, etwas zu wissen, was er nicht weiß.3 Etwas zu vermuten ist aus zwei Gründen (res) höchst verwerflich. Erstens kann jemand, der sich vorher bereits überredet hat, daß er etwas weiß, nichts erlernen, selbst wenn es erlernt werden könnte. Zweitens ist Übermut für sich selbst schon Merkmal eines Geistes, der sich in einem nicht unbedingt guten Zustand befindet.4 Demnach verdanken wir das, was wir einsehen, der Vernunft ; was wir glauben, verdanken wir der Autorität ; was wir vermuten, dem Irrtum.5 Das mußte gesagt werden, damit wir einsehen, daß wir uns vom Übermut derjenigen, die bloße Vermutungen anstellen, bewahren können, wenn wir den Glauben auch bei den Dingen aufrechterhalten, die wir noch nicht verstehen. 1

Resp. IV : 248, 3–5. 2 Augustinus : De utilitate credendi/Über den Nutzen des Glaubens. übers. v. Andreas Hoffmann. Freiburg u. a. : Herder 1992 (= Fontes Christiani Bd. 9), Kap. 25, 150, 15–16 (lat. Text). 3 ibid. 4 ibid. 152, 10–13. 5 ibid. 152, 21–22.

225

vi er te ei n wä n d e

Denn diejenigen, die sagen, daß nur das geglaubt werden darf, was wir wissen, umgehen doch einzig und allein den Namen Vermutung, der, wie eingeräumt werden muß, verwerflich und ganz elend ist. Doch wenn jemand sorgfältig darauf reflektiert, daß es einen großen Unterschied gibt zwischen etwas zu wissen meinen einerseits, und einsehen, etwas nicht zu wissen, und es durch irgendeine Autorität beeinflußt doch zu glauben, dann wird man sicherlich dem Vorwurf des Irrtums, der Barbarei und Arroganz aus dem Wege gehen.«1

Etwas später, im Kapitel 12, fügt er hinzu : »Es ließe sich vieles anführen, durch das gezeigt werden könnte, daß von der menschlichen Gesellschaft überhaupt nichts unversehrt bleiben würde, wenn wir beschließen würden, nichts zu glauben, was wir nicht für erfaßt halten können.«2

Soweit der Heilige Augustinus. Wie wichtig es ist, dies zu unterscheiden, damit nicht viele Leute, die in der heutigen Zeit zur Gottlosigkeit neigen, diese Worte zum Umsturz des Glaubens mißbrauchen können, wird der hochverehrte Herr kraft seiner Klugheit selbst beurteilen. Was aber, wie ich voraussehe, bei den Theologen den größten Anstoß erregen wird, ist, daß nach den Lehrsätzen des hochverehrten Herrn das nicht unversehrt und unangetastet bleiben zu können scheint, was die Kirche über die heiligen Mysterien des Altars lehrt. Denn wir glauben aus dem Glauben heraus, daß das Brot in der Eucharistie die Substanz des Brotes verliert und allein seine Akzidenzen verbleiben,3 als da sind : Ausdehnung, Gestalt, Farbe, Geruch, Geschmack und die anderen sinnlichen Qualitäten. Der hochverehrte Herr meint, daß es keine sinnlichen Qualitäten gibt, sondern nur verschiedene Bewegungen der uns umgebenden kleinen Körper, deren verschiedene Eindrücke wir erfassen, die wir dann erst mit den Namen Farbe, Gestalt, Geruch benennen. Es bleiben also Gestalt, Ausdehnung und Beweglichkeit übrig. Nun bestreitet der Autor aber, daß diese Vermögen ohne irgendeine Substanz eingesehen 1

ibid. 156, 1–9.

2

ibid. Kap. 26, 158, 3–5.

3

Resp. IV : 248, 12–14.

217,11

217,15

217,19

217,23

226

218,3

218,7

v ie r te e in wä n d e

werden können, in der sie sind, weshalb sie auch nicht ohne eine solche Substanz existieren können.1 Das wiederholt er auch in der Erwiderung auf den Theologen.2 Außerdem erkennt er zwischen jenen Charakteristika und der Substanz nur eine formale3 Unterscheidung an, die nicht auszureichen scheint, damit das, was so unterschieden wird, auch von Gott her voneinander getrennt wird. Ich zweifle nicht, daß der hochverehrte Herr, der über eine solche Frömmigkeit verfügt, dies aufmerksam und sorgfältig erwägen wird. Und er wird mir zustimmen, daß er sehr darauf bedacht sein muß, nicht den Anschein zu erwecken, daß er den auf die Autorität Gottes – durch dessen Barmherzigkeit er sich jenes unsterbliche Leben zu gewinnen erhofft, von dem er die Menschen zu überzeugen unternommen hat – gegründeten Glauben in irgendeiner Weise einer Gefahr ausgesetzt hat, obwohl er doch über die Ursache Gottes meditieren und gegen die Ungläubigen handeln wollte.

1

Resp. IV : 248, 14–17.

2

Resp. I : 120, 24 ff.

3

Resp. I : 120, 15.

E RW IDERU NG AUF D I E V IERTEN EIN WÄ ND E.

Ich hätte mir keinen weitblickenderen und zugleich pflichtbewußteren Prüfer meiner Schrift wünschen können als, wie ich erfahren konnte, denjenigen, dessen Bemerkungen Sie mir geschickt haben. Er geht nämlich so höflich mit mir um, daß ich leicht erfasse, wie gewogen er mir und der Sache ist. Gleichwohl hat er das, wogegen er sich wendet, so genau überlegt und so tief durchschaut, daß ich hoffe, seinem Scharfblick sei auch bei dem Übrigen nichts entgangen. Außerdem setzt er dem, was er als weniger annehmbar beurteilt hat, so scharfsinnig zu, daß ich nicht befürchte, jemand könne der Ansicht sein, er habe aus Nachsicht irgendetwas durchgehen lassen. Daher bewegt mich das, was er einwendet, nicht so sehr, wie es mich freut, daß er nicht noch gegen mehreres andere Einwände erhebt.

218,16

e rw i de run g au f d e n ers te n tei l : ü b e r d i e nat u r d es me nsch lich e n gei stes. Ich werde mich nicht damit aufhalten, dem hochverehrten Herrn dafür zu danken, daß er mich durch die Autorität des heiligen Augustinus unterstützt und er meine Überlegungen so vorgetragen hat, daß es fast den Anschein hat, er fürchte geradezu, sie würden anderen nicht ausreichend stark erscheinen. Zuerst aber möchte ich hervorheben, an welcher Textstelle ich eigentlich nachzuweisen begonnen habe, wie »daraus, daß ich erkenne, es gehöre nichts anderes zu meinem Wesen« (das heißt zum Wesen allein meines Geistes), »folgt, daß auch tatsächlich nichts anderes zu meinem Wesen gehört«.1 Das war 1

Obj. IV : 199, 10–12. = Praef : 8, 12–15.

219,6

219,10

228

219,17

219,25

220,1

220,6

220,12

vi e r t e erw i d e ru n g en

nämlich dort, wo ich nachgewiesen habe, daß Gott existiert, nämlich jener Gott, der alles tun kann, was ich selbst klar und deutlich als möglich erkenne. Es mag nun vielleicht vieles in mir geben, das ich noch nicht beachte (wie ich an jener Stelle ja tatsächlich vorausetzte, noch nicht zu beachten, daß der Geist über die Kraft verfügt, den Körper zu bewegen, oder daß er mit ihm substantiell vereint ist). Dennoch bin ich mir sicher, daß ich von Gott ohne das erschaffen worden sein kann, was ich nicht beachte, und daß demnach dieses andere nicht zum Wesen meines Geistes gehört. Denn das, was ich beachte, reicht für mich aus, um zu subsistieren. Wie mir scheint, kann nämlich nichts in dem Wesen eines Dinges enthalten sein, ohne das dieses Ding sein kann. Und obwohl der Geist zum Wesen des Menschen gehört, gehört es nicht zum Wesen des Geistes, mit dem menschlichen Körper vereint zu sein. Es muß auch gesagt werden, in welchem Sinne ich es verstehe, »daß eine reale Unterscheidung sich nicht daraus ergibt, daß man ein Ding ohne das andere durch eine es inadäquat begreifende Abstraktion des Verstandes begreift, sondern allein daraus, daß man ein beliebiges Ding ohne ein anderes, bzw. als vollständiges Ding einsieht«.1 Ich bin nämlich nicht der Ansicht, daß an dieser Stelle eine adäquate Erkenntnis des Dinges erforderlich ist, wie der hochverehrte Herr annimmt. Der Unterschied aber liegt darin, daß eine Erkenntnis, wenn sie adäquat sein soll, überhaupt alle Eigenschaften beinhalten muß, die in der erkannten Sache sind. Daher ist es allein Gott bekannt, wenn er adäquate Erkenntnisse aller Dinge hat. Hingegen kann der geschaffene Verstand, auch wenn er vielleicht tatsächlich [adäquate Erkenntnisse] vieler Dinge besitzt, dennoch niemals wissen, daß er sie hat, außer wenn Gott sie ihm eigens offenbart. Um nämlich die adäquate Erkenntnis irgendeines Dinges zu haben, ist es nur erforderlich, daß die Kraft, 1

Resp. I : 120, 15 ff. ; Obj. IV : 200, 8–10.

vi e r te e rw i d e ru n g e n

229

zu erkennen, die in ihm ist, jenem Ding adäquat ist ; was leicht geschehen kann. Um aber zu wissen, daß er eine adäquate Erkenntnis hat, bzw. um zu wissen, daß Gott in jenes Ding nicht weiteres hineingelegt hat als das, was er erkennt, ist es nötig, daß seine Kraft, zu erkennen, dem unendlichen Einfluß Gottes adäquat ist. Das aber ist völlig unmöglich. Um nun aber zwischen zwei Dingen eine reale Unterscheidung zu erkennen, ist es nicht erforderlich, daß unsere Erkenntnis dieser beiden Dinge adäquat ist, wenn wir nicht wissen können, daß die Erkenntnis adäquat ist. Das aber können wir niemals wissen, wie gerade gesagt wurde : Also ist es nicht erforderlich, daß sie adäquat ist. Demgemäß habe ich dort, wo ich gesagt habe, »es reiche nicht aus, daß ein Ding ohne das andere durch eine es inadäquat begreifende Abstraktion des Verstandes eingesehen werde«,1 nicht gemeint, es könne daraus abgeleitet werden, zur realen Unterscheidung sei eine adäquate Erkenntnis erforderlich, sondern ich habe nur gemeint, es sei eine Erkenntnis erforderlich, die wir selbst nicht durch eine Abstraktion des Verstandes zu einer inadäquaten machen. Es ist nämlich etwas ganz anderes, ob eine Erkenntnis völlig adäquat ist, von der wir niemals sicher wissen können, ob sie wahr ist, wenn es uns nicht von Gott offenbart wird ; oder ob sie insoweit adäquat ist, daß wir erfassen, daß wir sie nicht selbst durch eine Abstraktion des Verstandes inadäquat gemacht haben. Ebenso : Wenn ich gesagt habe, ein Ding müsse vollständig eingesehen werden, ging der Sinn nicht dahin, daß die Einsicht adäquat sein müsse, sondern nur dahin, daß das Ding so ausreichend eingesehen werden müsse, um zu wissen, daß die Einsicht vollständig ist. Ich hielt dies sowohl aufgrund des Vorangegangenen, als auch des Folgenden für offenkundig : Ich hatte nämlich kurz vorher »ein unvollständiges Seiendes« von »einem vollständigen«2 unterschieden, und gesagt, es sei erforderlich, »daß ein jedes« von 1

ibid.

2

Resp. I : 120, 18 ; 120, 22.

220,22

220,27

221,6

221,11

221,15

230

221,20

221,25

222,1

222,5

222,10

222,15

vi e r t e erw i d e ru n g en

denjenigen, die real unterschieden werden, »gleichsam als Seiendes für sich und von allem anderen verschieden eingesehen wird«.1 Später aber habe ich in demselben Sinne, in dem ich gesagt habe, »daß ich vollständig einsehe, was der Körper ist«, sogleich hinzugefügt, »daß ich auch einsehe, daß der Geist ein vollständiges Ding ist« ;2 wobei ich : vollständig einsehen und einsehen, daß ein Ding vollständig ist in ein und derselben Bedeutung gebraucht habe. Aber hier kann zurecht gefragt werden, was ich eigentlich unter einem vollständigen Ding verstehe, und auf welche Weise ich nachweisen will, »daß es für eine reale Unterscheidung ausreicht, wenn zwei Dinge unabhängig voneinander als gewissermaßen vollständige eingesehen werden«. Auf das erste erwidere ich : Ich verstehe unter einem vollständigen Ding nichts anderes als eine Substanz, die mit jenen Formen und Attributen versehen ist, die ausreichen, um aus ihnen zu erkennen, daß es eine Substanz ist. Denn wir erkennen die Substanzen nicht unmittelbar, worauf anderswo bereits hingewiesen wurde, sondern nur dadurch, daß wir bestimmte Formen oder Attribute erfassen, die an einem Ding sein müssen, um zu existieren. Das Ding, an dem sie sind, nennen wir Substanz. Wenn wir aber später eben diese Substanz jener Attribute berauben wollten, anhand derer wir sie erkannt haben, würden wir unsere gesamte Kenntnis dieser Substanz zerstören. Dann könnten wir zwar irgendwelche Worte über sie hervorbringen, aber nicht solche, deren Bedeutung wir klar und deutlich erfassen würden. Mir ist keineswegs unbekannt, daß bestimmte Substanzen gemeinhin unvollständige genannt werden. Wenn man sie jedoch unvollständig nennt, weil sie nicht durch sich allein sein können, so räume ich ein, daß es mir als widersprüchlich erscheint, daß sie Substanzen sein sollen, das heißt für sich selbst subsistieren1

Resp. I : 120, 22–23.

2

Resp. I : 121, 6–7, 10.

vi e r te e rw i d e ru n g e n

231

de Dinge, und zugleich unvollständige, das heißt nicht imstande, für sich selbst zu subsistieren. Anderseits aber kann man sie unvollständige Substanzen nennen, nämlich so, daß sie zwar insofern nichts Unvollständiges an sich haben, als sie Substanzen sind, wohl aber insofern sie auf irgendeine andere Substanz bezogen werden, mit der sie sich zu einer für sich bestehenden Einheit zusammensetzen. So ist die Hand eine unvollständige Substanz, wenn sie auf den gesamten Körper bezogen wird, von dem sie ein Teil ist, aber sie ist eine vollständige Substanz, wenn sie für sich allein betrachtet wird. In genau derselben Weise sind Geist und Körper unvollständige Substanzen, wenn sie auf den Menschen bezogen werden, zu dem sie sich zusammensetzen ; für sich allein betrachtet sind sie hingegen vollständige. So wie nämlich ausgedehnt, teilbar, gestaltet zu sein usw. Formen bzw. Attribute sind, aus denen ich jene Substanz erkenne, die Körper genannt wird, ebenso sind einsehend, wollend, zweifelnd zu sein Formen, aus denen ich die Substanz erkenne, die Geist genannt wird. Und ich sehe bei der denkenden Substanz nicht weniger ein, daß sie ein vollständiges Ding ist, als bei der ausgedehnten Substanz. In keiner Weise jedoch kann man das sagen, was der hochverehrte Herr hinzugefügt hat, der Körper verhalte sich vielleicht zum Geist wie die Gattung zur Art.1 Auch wenn nämlich die Gattung ohne diese oder jene spezifische Differenz eingesehen werden kann, kann doch die Art in keiner Weise ohne die Gattung gedacht werden. Denn wir sehen zum Beispiel [die Gattung] Figur leicht ein, ohne irgendwie an einen Kreis zu denken (obwohl eine solche Einsicht nicht deutlich ist, wenn sie nicht auf irgendeine spezielle Figur bezogen wird, und sich auch nicht auf ein vollständiges Ding bezieht, wenn sie nicht die Natur des Körpers beinhaltet). Aber wir sehen keine spezifische Differenz [der Art] Kreis ein, ohne zugleich die [Gattung] Figur zu denken. 1

Obj. IV : 201, 5–6.

222,25

223,1

223,8

223,13

232 223,19

223,25

224,8 224,10

vi e r t e erw i d e ru n g en

Hingegen kann der Geist deutlich und vollständig eingesehen werden, bzw. insofern, als es ausreichend ist, damit er als vollständiges Ding angesehen wird, und zwar ohne irgendeine von jenen Formen oder Attributen, aus denen wir erkennen, daß der Körper eine Substanz ist, wie ich in der zweiten Meditation hinlänglich gezeigt zu haben meine. Und der Körper wird deutlich und als vollständiges Ding eingesehen ohne das, was zum Geist gehört. Dennoch besteht der hochverehrte Herr hier darauf, daß, auch wenn ich mir eine bestimmte Kenntnis meiner selbst ohne die Kenntnis des Körpers verschaffen kann, deswegen gleichwohl noch nicht dargetan wird, daß diese Kenntnis vollständig und adäquat ist, so daß ich sicher sein könne, mich nicht zu täuschen, wenn ich den Körper von meinem Wesen ausschließe.1 Er erklärt diesen Sachverhalt durch das Beispiel eines einem Halbkreis eingschriebenen Dreiecks, das wir klar und deutlich als rechtwinklig einsehen, obwohl uns unbekannt sein mag oder wir sogar bestreiten, daß das Quadrat über seiner Grundlinie den Quadraten über den Seiten entspricht. Daraus aber darf man nicht ableiten, daß es ein Dreieck geben kann, dessen Quadrat über der Grundlinie nicht den Quadraten über den Seiten entspricht. Was aber dieses Beispiel betrifft, so unterscheidet es sich in vielen Weisen von dem vorausgesetzten Sachverhalt. Denn obwohl man erstens vielleicht sogar ein Dreieck in concreto für eine Substanz halten kann, die eine dreieckige Gestalt besitzt, so ist doch sicherlich die Eigenschaft, über der Grundlinie ein Quadrat zu besitzen, das den Quadraten über den Seiten entspricht, keine Substanz. Demnach kann weder das Dreieck noch die genannte Eigenschaft so als vollständiges Ding eingesehen werden, wie Geist und Körper eingesehen werden. Man kann sie noch nicht einmal in dem Sinne Dinge nennen, in dem ich gesagt habe, »es sei ausreichend, daß ich ein Ding« (nämlich ein vollständiges Ding) »ohne ein anderes einsehe, usw.«2 Das wird aus den Worten offenkundig, die folgten : »Außerdem fin1

Obj. IV : 201, 19–22.

2

Med. VI : 78, 4–5.

vi e r te e rw i d e ru n g e n

233

de ich in mir Vermögen usw.«1 Ich habe nämlich nicht gesagt, diese Vermögen seien Dinge, sondern ich habe sie sehr genau von den Dingen bzw. Substanzen unterschieden. Zweitens. Obwohl wir klar und deutlich einsehen können, daß das Dreieck im Halbkreis rechtwinklig ist, ohne dabei zu beachten, daß das Quadrat über seiner Grundlinie den Quadraten über den Seiten entspricht, können wir dennoch nicht genauso ein Dreieck klar einsehen, bei dem das Quadrat über der Grundlinie den Quadraten über den Seiten entspricht, ohne zugleich festzustellen, daß es rechtwinklig ist. Dagegen erfassen wir sowohl den Geist ohne den Körper, als auch den Körper ohne Geist klar und deutlich. Drittens. Obwohl der Begriff des einem Halbkreis eingeschriebenen Dreiecks es an sich haben kann, daß in ihm die Gleichheit zwischen dem Quadrat über der Grundlinie und den Quadraten über den Seiten nicht enthalten ist, muß er es doch an sich haben, daß irgendein Verhältnis zwischen dem Quadrat über der Grundlinie und den Quadraten über den Seiten als ihm zugehörig eingesehen wird. Solange aber unbekannt ist, welcher Art dieses Verhältnis ist, kann man demnach dem Dreieck, das einem Halbkreis eingeschrieben ist, kein Verhältnis abstreiten außer demjenigen, von dem wir klar einsehen, daß es nicht zu ihm gehört ; was in bezug auf das Verhältnis der Gleichheit niemals eingesehen werden kann. Hingegen ist im Begriff des Körpers überhaupt nichts enthalten, was zum Geist gehört, und im Begriff des Geistes nichts, was zum Körper gehört. Obwohl ich gesagt habe, »es sei ausreichend, daß ich ein Ding ohne ein anderes klar und deutlich einsehe, usw.«, kann deshalb nicht subsumiert werden : »Nun sehe ich klar und deutlich ein, daß dieses Dreieck usw.«2 Erstens, weil das Verhältnis zwischen dem Quadrat über der Grundlinie und den Quadraten über den Seiten kein vollständiges Ding ist. Zweitens, weil dieses Verhältnis der Gleichheit nicht klar eingesehen wird, außer beim rechtwinkligen Dreieck. Drittens, weil noch nicht einmal 1

Med. VI : 78, 21.

2

Obj. IV : 202, 14–15.

224,22

225,4

225,16

234

225,26

226,3

226,8

227,1

vi e r t e erw i d e ru n g en

das Dreieck deutlich eingesehen wird, wenn man das Verhältnis bestreitet, das zwischen den Quadraten über seinen Seiten und über der Grundlinie besteht. Jetzt aber ist zu sagen, wie »allein daraus, daß ich eine Substanz ohne eine andere klar und deutlich einsehe, sicher sein kann, daß die eine durch die andere ausgeschlossen wird«.1 Denn eben dies ist der Grundbegriff Substanz, daß sie durch sich selbst, das heißt ohne die Hilfe irgendeiner anderen Substanz existieren kann. Und niemals hat irgendjemand zwei Substanzen durch zwei verschiedene Begriffe erfaßt, ohne zu urteilen, daß sie real unterschieden sind. Wenn ich daher nicht nach einer Gewißheit gefragt hätte, die über die gewöhnliche hinausgeht, hätte ich mich damit zufrieden gegeben, in der zweiten Meditation gezeigt zu haben, daß der Geist als ein für sich selbst subsistierendes Ding eingesehen wird, obgleich ihm überhaupt nichts beigelegt wird, was zum Körper gehört, und umgekehrt auch der Körper als ein für sich selbst subsistierendes Ding eingesehen wird, auch wenn ihm nichts beigelegt wird, was zum Geist gehört. Und ich hätte nichts weiteres hinzugefügt, um zu beweisen, daß der Geist real vom Körper unterschieden wird, weil wir gemeinhin urteilen, daß sich alle Dinge hinsichtlich der Ordnung der Wahrheit selbst ebenso verhalten, wie sie es hinsichtlich der Ordnung unserer Erfassung tun. Weil aber von den hyperbolischen Zweifeln, denen ich mich in der ersten Meditation ausgesetzt habe, einer so weit ging, daß ich mich selbst dessen (nämlich daß die Dinge der Wahrheit nach gerade so sind, wie wir sie erfassen) nicht sicher sein könne, solange ich voraussetzte, daß mir der Urheber meiner Entstehung unbekannt ist, leistet alles, was ich in der dritten, vierten und fünften Meditation geschrieben habe, einen Beitrag zu dem Schluß hinsichtlich der realen Unterscheidung des Geistes vom Körper, den ich dann erst in der sechsten Meditation vollendet habe. Nun sagt aber der hochverehrte Mann : Ich sehe das einem Halb1

Med. VI : 78, 4–6.

235

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kreis eingeschriebene Dreieck ein, ohne zu wissen, daß das Quadrat über seiner Grundlinie den Quadraten über den Seiten entspricht.1 Nun, es kann zwar jenes Dreieck eingesehen werden, ohne das Verhältnis zu bedenken, das zwischen den Quadraten seiner Grundlinie und der Seiten besteht. Aber es kann nicht eingesehen werden, daß ihm ein solches Verhältnis bestritten werden muß. Ganz anders hingegen sehen wir beim Geist nicht nur ein, daß er ohne den Körper ist, sondern auch, daß ihm alles bestritten werden kann, was zum Körper gehört. Das ist nämlich die Natur der Substanzen, daß sie einander ausschließen. Auch widerspricht es mir nicht, wenn der hochverehrte Herr hinzugefügt hat, es sei nicht verwunderlich, wenn die Idee, die ich auf diese Weise ausbilde – nämlich indem ich daraus, daß ich, während ich denke, herleite, daß ich existiere – mich selbst mir nur als denkendes Ding repräsentiert.2 Denn wenn ich die Natur des Körpers prüfe, treffe ich in ihr ebensowenig irgendetwas an, was nach Denken riecht. Und für die Unterscheidung zwischen zwei Dingen kann es kein größeres Argument geben, als daß wir, wenn wir uns in eines der beiden vertiefen, nichts in ihm entdecken, was von dem anderen nicht verschieden wäre. Ebensowenig sehe ich, aus welchem Grund dieses Argument zuviel beweisen soll.3 Denn um zu zeigen, daß ein Ding von einem anderen real unterschieden wird, muß zumindest gesagt werden können, daß es durch die göttliche Macht von dem anderen abgetrennt werden kann. Auch schien es mir, ich hätte hinreichend Vorsorge getroffen, damit niemand deshalb meinen könne, der Mensch sei lediglich ein sich des Körpers bedienendes Gemüt.4 Denn in der sechsten Meditation, in der ich die Unterscheidung des Geistes vom Körper thematisiert habe, habe ich auch nachgewiesen, daß der Geist mit dem Körper substantiell vereint ist, und habe dafür Begründungen verwendet, die stärker sind als alle, von denen ich mich erinnere, sie anderswo gelesen zu haben, um eben das nachzuweisen. Jemand, der sagen würde, 1

Obj. IV : 202, 16–19. 4 Obj. IV : 18–19.

2

Obj. IV : 203, 6–9.

3

Obj. IV : 203, 14.

227,11

227,20

236

228,20

228,27

vi e r t e erw i d e ru n g en

der Arm eines Menschen sei eine real von seinem übrigen Körper unterschiedene Substanz, würde deswegen nicht bestreiten, daß eben derselbe Arm zur Natur des unversehrten Menschen gehört ; und jemand, der sagt, daß dieser Arm zur Natur des unversehrten Menschen gehört, gibt keine Veranlassung zu dem Verdacht, dieser Arm könne nicht für sich selbst subsistieren. Ebenso scheint es mir, ich hätte weder zuviel nachgewiesen, indem ich gezeigt habe, der Geist könne ohne den Körper sein, noch zuwenig, indem ich gesagt habe, der Geist sei mit dem Körper substantiell vereint. Denn die substantielle Vereinigung hindert nicht, daß man einen klaren und deutlichen Begriff des Geistes allein gleichsam als Begriff eines vollständigen Dinges besitzt ; deshalb unterscheidet sich der Begriff des Geistes sehr von dem einer Oberfläche oder Linie, die nicht ebenso als vollständige Dinge eingesehen werden können, es sei denn, ihnen wird außer Länge und Breite auch Tiefe beigelegt. Schließlich : Deswegen, weil die Kraft, zu denken bei Kindern noch schlafend, bei Geisteskranken zwar nicht erloschen,1 aber doch verwirrt ist, darf man nicht meinen, diese Kraft sei so sehr an die körperlichen Organe gebunden, daß sie ohne sie nicht existieren könne. Denn daraus, daß diese Kraft oft von den körperlichen Organen gehemmt wird – wie wir erfahren –, folgt keineswegs, daß sie von ihnen produziert wird ; auch kann dies durch keinen, auch nicht den geringsten Grund nachgewiesen werden. Auch bestreite ich ja gar nicht, daß die enge Verbindung des Geistes mit dem Körper, die wir unablässig durch die Sinne erfahren, in die Ursache eingeht, weshalb wir die reale Unterscheidung des Geistes vom Körper ohne aufmerksame Meditation nicht feststellen. Aber nach meinem Urteil wird sich derjenige, der das, was in der zweiten Meditation gesagt wird, häufig für sich überdenkt, leicht überzeugen, daß der Geist vom Körper nicht durch eine bloße Fiktion oder Abstraktion des Verstandes unterschieden, sondern als ein unterschiedenes Ding erkannt wird, das tatsächlich unterschieden ist. 1

Obj. IV : 204, 10–12.

237

vi e r te e rw i d e ru n g e n

Auf das, was der hochverehrte Herr hier über die Unsterblichkeit der Seele hinzufügt,1 erwidere ich nichts, weil es mir nicht widerspricht. Was aber die Seelen der Tiere betrifft,2 so gehört ihre Betrachtung nicht hierher. Außerdem kann ich ohne eine Abhandlung der gesamten Physik über sie nicht mehr sagen als das, was ich bereits im fünften Teil des Discours de la Méthode3 erklärt habe. Damit ich nun aber nicht einfach nichts sage, so scheint es mir, es müsse vor allem darauf hingewiesen werden, daß sowohl in den Körpern der Tiere als auch in unseren keine Bewegungen vonstatten gehen können, wenn nicht überhaupt alle Organe oder Instrumente vorhanden sind, mit deren Hilfe eben dieselben Bewegungen auch von einer Maschine durchgeführt werden könnten. Der Geist bewegt also noch nicht einmal in uns selbst die äußeren Körperteile unmittelbar, sondern dirigiert nur die vom Herzen durch das Gehirn in die Muskeln fließenden Lebensgeister und bestimmt sie zu festgesetzten Bewegungen, obwohl die Lebensgeister von sich aus sich ebenso leicht zu vielen verschiedenen Aktionen verwenden lassen. Die meisten der Bewegungen, die in uns geschehen, hängen überhaupt nicht vom Geist ab. Dazu gehören Herzschlag, Verdauung der Nahrung, Ernährung, Atmung bei Schlafenden, bei Wachenden auch Gehen, Gesang und dergleichen, wenn es aus unaufmerksamem Gemüt heraus geschieht. Wenn Leute, die aus der Höhe herabfallen, ihre Hände der Erde entgegenstrecken um ihren Kopf zu schützen, so tun sie dies überhaupt nicht aus einem Entschluß der Vernunft heraus, sondern nur, weil der Anblick des bevorstehenden Sturzes, der bis zum Gehirn gelangt, Lebensgeister in der Weise in die Nerven sendet, wie es nötig ist, um diese Bewegung auch gegen den Willen des Geistes und gleichsam wie in einer Maschine zu produzieren. Da wir dies in uns selbst als sicher erfahren, was sollte uns so überaus verwundern, wenn das vom Körper eines Wolfes in die Augen eines Schafes reflektierte Licht4 diesel1

Obj. IV : 204, 15 ff. 205, 8–9.

2

Obj. IV : 204, 29 ff.

3 AT VI,

56–59.

4

Obj. IV :

229,8

238

230,12

vi e r t e erw i d e ru n g en

be Kraft besitzt, um im Schaf die Bewegung der Flucht auslösen ? Wenn wir nun jedoch die Vernunft verwenden wollen, um herauszufinden, ob einige Bewegungen der Tiere den Bewegungen ähnlich sind, die in uns mit Hilfe des Geistes durchgeführt werden, oder ob sie nur jenen ähnlich sind, die allein vom Zustrom der Lebensgeister und der Anlage der Organe abhängen, dann müssen wir die Unterschiede betrachten, die zwischen ihnen angetroffen werden, nämlich genau jene Unterschiede, die ich im fünften Teil des Discours de la Méthode erklärt habe ; denn ich meine, es werden sich keine anderen vorfinden. Denn dann wird offen zutage treten, daß alle Aktionen der Tiere nur denjenigen ähnlich sind, die von uns ohne Hilfe des Geistes getan werden. Wir werden gezwungen sein, daraus zu schließen, daß wir in den Tieren überhaupt nur ein Prinzip der Bewegung erkennen, nämlich allein die Anlage der Organe und den unablässigen Strom der Lebensgeister, die dadurch produziert werden, daß die Wärme des Herzens das Blut verdünnt. Wir werden zugleich feststellen, daß nichts uns zuvor Veranlassung gegeben hatte, ihnen etwas anderes anzudichten. Die einzige Veranlassung war : Weil wir diese beiden Prinzipien der Bewegung nicht unterschieden und sahen, daß das erste, das allein von den Lebensgeistern und den Organen abhängt, ebenso in den Tieren wie in uns ist, haben wir unüberlegt geglaubt, daß in ihnen auch das andere sei, das im Geist, bzw. im Denken besteht. Wirklich läßt sich ja selbst dann kaum etwas von dem, wovon wir von Jugend an fest überzeugt gewesen sind, aus unserer Meinung streichen, wenn es später durch Gründe als falsch gezeigt wird, es sei denn, wir berücksichtigen diese Begründungen andauernd und wiederholt.

vi e r te e rw i d e ru n g e n

239

e rw i de run g au f d e n zw eit en t eil : ü ber got t. Bislang habe ich versucht, die Argumente des hochverehrten Herrn zu entkräften und seinen Angriff auszuhalten. Von jetzt an werde ich – wie diejenigen, die mit Kräftigeren kämpfen – mich ihm nicht direkt entgegenstellen, sondern lieber seinem Schlag ausweichen. Er thematisiert in diesem Teil nur drei Punkte, die so, wie er selbst sie versteht, unbesehen gelten gelassen werden können. Jedoch habe ich das, was ich geschrieben habe, in einem anderen Sinne verstanden, der mir auch wahr zu sein scheint. Der erste Punkt ist, »daß bestimmte Ideen materiell falsch sind«.1 Das heißt, wie ich selbst es interpretiere, daß sie sogeartet sind, daß sie dem Urteil Material zum Irrtum bieten. Er aber behauptet, in ihnen könne keine Falschheit sein, wobei er die Ideen formal betrachtet. Der zweite Punkt ist, daß Gott durch sich selbst »positiv und gleichsam wie durch eine Ursache«2 ist. Hierbei verstand ich den Grund, weswegen Gott keiner bewirkenden Ursache bedarf, um zu existieren, nur dahingehend, daß dieser Grund in einem positiven Ding liege, nämlich eben in der Unermeßlichkeit Gottes selbst, im Vergleich mit der nichts positiver sein kann. Er aber weist nach, daß Gott durch den positiven Einfluß einer bewirkenden Ursache weder durch sich selbst produziert noch erhalten wird. Das behaupte auch ich gerade so. Der dritte Punkt schließlich ist, »daß nichts in unserem Geist sein kann, dessen wir uns nicht bewußt sind«.3 Das wollte ich in bezug auf die Operationen verstanden wissen, er hingegen bestreitet es in bezug auf die Möglichkeiten des Geistes.

1

Med. III : 43, 26–29 ; Obj. IV : 206, 8–9. 2 Resp. I : 110, 30–31 ; Obj. IV : 208, 12–13. 3 Med. III : 49, 14–18 ; Obj. IV : 214, 16–17.

231,10

231,14

231,18

231,23

232,5

240 232,8

233,3

233,6

vi e r t e erw i d e ru n g en

Doch wir wollen uns um die einzelnen Punkte ausführlicher kümmern. Offensichtlich thematisiert er dort, wo er sagt, daß, wenn die Kälte lediglich eine Privation ist, es keine Idee der Kälte geben kann, die sie mir gleichsam als positives Ding repräsentiert,1 allein die formal aufgefaßte Idee. Denn wenn man Ideen betrachtet, insofern sie etwas repräsentieren, faßt man sie nicht materiell, sondern formal auf, weil sie selbst nur bestimmte Formen und nicht aus irgendeiner Materie zusammengesetzt sind. Würde man sie hingegen betrachten, nicht insofern sie dieses oder jenes repräsentieren, sondern bloß insofern sie Operationen des Verstandes sind, könnte man zwar sagen, sie würden materiell aufgefaßt, dann aber bliebe die Wahrheit und Falschheit der Objekte unberücksichtigt. Es scheint mir deshalb, daß sie nur in dem Sinne materiell falsch genannt werden können, den ich bereits erklärt habe : Denn ob die Kälte nun ein positives Ding oder eine Privation ist, so habe ich deshalb doch keine andere Idee der Kälte, sondern es bleibt in mir immer dieselbe Idee, die ich schon immer gehabt habe, und von der ich sage, sie biete mir dann Material zum Irrtum, wenn es wahr ist, daß die Kälte eine Privation ist und nicht so viel Realität besitzt wie die Wärme. Denn wenn ich die Idee der Wärme und die der Kälte jeweils für sich gerade so betrachte, wie ich sie beide von den Sinnen erhalten habe, dann kann ich nicht feststellen, daß mir durch die eine mehr Realität dargestellt wird als durch die andere. Tatsächlich habe ich keineswegs das Urteil mit der Idee verwechselt.2 Denn ich habe gesagt, man treffe in der Idee materielle Falschheit an, im Urteil dagegen kann nur formale vorliegen. Wenn aber der hochverehrte Herr sagt, die Idee der Kälte sei die Kälte selbst, insofern sie objektiv im Verstand ist,3 halte ich es für nötig, eine Unterscheidung zu machen. Bei dunklen und verworrenen Ideen, zu denen die der Wärme und der Kälte gezählt werden müssen, passiert es nämlich oft, daß sie auf irgendetwas anderes bezogen werden als auf das, dessen Ideen sie tatsächlich sind. Wenn Kälte nur eine Privation ist, ist demgemäß die 1

Obj. IV : 206, 16–18.

2

Obj. IV : 206, 18.

3

Obj. IV : 206, 19–20.

vi e r te e rw i d e ru n g e n

241

Idee der Kälte nicht die Kälte selbst, insofern sie objektiv im Verstand ist, sondern irgendetwas anderes, das ich unzutreffenderweise für diese Privation halten mag ; denn sie ist eine bestimmte Empfindung, die kein Sein außerhalb des Verstandes hat. Dasselbe trifft auf die Idee Gottes nicht zu, zumindest nicht auf die klare und deutliche. Denn man kann nicht sagen, daß sie auf etwas bezogen werde, mit dem sie nicht konform wäre. Was aber die verworrenen Ideen von Göttern betrifft, die von Götzenanbetern ausgebildet werden, so sehe ich nicht, weshalb nicht auch sie materiell falsch genannt werden können, insofern sie ihnen Materie für ihre falschen Urteile bieten. Freilich scheint es, daß diejenigen Ideen, die dem Urteil keinen oder nur einen äußerst geringen Anlaß zum Irrtum geben, nicht ebenso zu Recht materiell falsch genannt werden wie die, die dazu großen Anlaß bieten. Daß nun die einen Ideen größeren Anlaß zum Irrtum bieten als die anderen, läßt sich leicht durch Beispiele zeigen. Bei den verworrenen, nach Willkür durch den Geist ausgebildeten Ideen (wozu die Ideen der falschen Götter gehören) ist der Anlaß zum Irrtum nämlich nicht so groß wie bei den Ideen, die als verworrene Ideen durch die Sinne zu uns gelangen, wie die der Wärme1 und der Kälte ; zumindest, wenn es wahr ist, was ich gesagt habe, daß sie nichts Reales darstellen. Den insgesamt größten Anlaß zum Irrtum geben jedoch die Ideen, die aus sinnlichem Trieb entstehen, wie die Idee des Durstes bei einem Wassersüchtigen, bietet sie ihm doch wohl wirklich Materie zum Irrtum, indem sie ihm Anlaß gibt, zu urteilen, das Getränk sei ihm zuträglich, obwohl es doch für ihn schädlich sein wird. Der hochverehrte Herr verlangt aber zu wissen, was mir die Idee der Kälte eigentlich darstellt, von der ich gesagt habe, sie sei materiell falsch : Wenn sie nämlich eine Privation darstellt, sagt er, ist sie also wahr ; wenn ein positives Seiendes, dann ist sie also nicht 1

Wärme] Der lat. Text hat tatsächlich color, nicht, wie wahrscheinlich dem Beispiel entsprechend gemeint, calor.

233,16

234,10

242

234,19

234,25

235,5

235,15

vi e r t e erw i d e ru n g en

die Idee der Kälte.1 Richtig. Ich nenne diese Idee aber allein deswegen materiell falsch, weil ich nicht beurteilen kann, ob sie mir etwas darstellt, was außerhalb meiner Empfindung etwas Positives ist oder nicht, da sie dunkel und verworren ist. Daher habe ich Anlaß, zu urteilen, daß es etwas Positives ist, obgleich es vielleicht nur eine Privation ist. Demnach darf auch nicht gefragt werden, was die Ursache dieses positiven und objektiven Seienden ist, durch das es, wie ich behaupte, geschieht, daß diese Idee materiell falsch ist.2 Denn ich behaupte nicht, daß sie durch irgendein positives Seiendes materiell falsch wird, sondern allein durch die Unerkennbarkeit, die jedoch ein positives Seiendes zum Subjekt hat, nämlich die Empfindung selbst. Dieses positive Seiende ist nun insofern in mir, als ich selbst ein wahres Ding bin. Die Unerkennbarkeit hingegen, die allein mir Anlaß gibt, zu urteilen, daß die Idee der Empfindung von Kälte ein außer mir befindliches Objekt repräsentiert, das Kälte genannt wird, besitzt keine reale Ursache, sondern entsteht allein daraus, daß meine Natur nicht in jeder Hinsicht vollkommen ist. Auch untergräbt dies meine Fundamente in keinerlei Hinsicht. Weil ich aber auf das Lesen der Bücher der Philosophen niemals viel Zeit aufgewendet habe, würde ich befürchten, daß ich ihrer Redensweise vielleicht nicht ausreichend gefolgt bin, als ich gesagt habe, daß die Ideen, die dem Urteil Materie zum Irrtum bieten, materiell falsch seien, wenn ich nicht schon bei dem ersten Autoren, der mir in die Hände gefallen ist, den Ausdruck materiell in eben dieser Bedeutung aufgefaßt vorgefunden hätte : nämlich bei Franciscus Suárez, 9. Metaphysische Disputation, Abschnitt 2, Nummer 4. Aber gehen wir zu dem über, was der hochverehrte Herr von allem am meisten bemängelt, mir dagegen von allem am wenigsten einen Vorwurf zu verdienen scheint, nämlich die Stelle, an der ich gesagt habe, »es stehe uns frei, zu denken, daß Gott 1

Obj. IV : 207, 17–19.

2

Obj. IV : 207, 20–21.

243

vi e r te e rw i d e ru n g e n

im Hinblick auf sich selbst gewissermaßen dasselbe darstellt wie eine bewirkende Ursache im Hinblick auf ihre Wirkung«.1 Eben dadurch habe ich nämlich das bestritten, was dem hochverehrten Herrn als heftig und falsch erscheint,2 nämlich daß Gott bewirkende Ursache seiner selbst sei. Denn dadurch, daß ich gesagt habe, »er stelle gewissermaßen dasselbe dar«, habe ich gezeigt, daß ich nicht der Ansicht bin, daß er dasselbe sei. Und dadurch, daß ich die Worte vorausgeschickt hatte, »es stehe uns überhaupt frei, zu denken«, habe ich kenntlich gemacht, daß ich nur aufgrund der Unvollkommenheit unseres menschlichen Verstandes dies so erkläre. Aber auch in der übrigen Schrift habe ich dies durchweg bekräftigt ; denn gleich am Anfang, wo ich gesagt habe, »daß kein Ding existiert, dessen bewirkende Ursache etwa nicht erforscht werden dürfe«, habe ich hinzugefügt, »oder, wenn es keine besitzt, reklamiert werden könnte, weshalb es keiner bedarf«.3 Diese Worte zeigen hinlänglich, daß ich gemeint habe, es existiere irgendetwas, das einer bewirkenden Ursache nicht bedürfe. Was aber kann dies sein außer Gott ? Und etwas später habe ich gesagt, »in Gott sei eine so große und unerschöpfliche Macht vorhanden, daß er niemals irgendeiner Beihilfe bedürfen wird, um zu existieren, und ihrer auch jetzt nicht bedarf, um erhalten zu werden, so daß er gewissermaßen Ursache seiner selbst ist«.4 Hierbei kann das Wort Ursache seiner selbst in keiner Weise in bezug auf eine bewirkende Ursache verstanden werden, sondern nur dahingehend, daß die unerschöpfliche Macht Gottes die Ursache bzw. der Grund ist, weswegen er keiner Ursache bedarf. Da nun diese unerschöpfliche Macht, bzw. Unermeßlichkeit des Wesens äußerst positiv ist, deshalb habe ich gesagt, der Grund bzw. die Ursache, aufgrund dessen Gott keine Ursache bedarf, sei ein positiver. Dasselbe kann von irgendeinem endlichen Ding nicht gesagt werden, obwohl es in seiner Art höchstvollkommen ist ; wenn man aber sagen würde, es sei durch sich selbst, könnte 1

Resp. I : 111, 5–7 ; Obj. IV : 208, 14–16. 108, 19–22. 4 Resp. I : 109, 4–6.

2

Obj. IV : 208, 16.

3

Resp. I :

244

236,20

237,3

237,17

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man dies nur negativ verstehen, weil man keinen aus seiner positiven Natur entlehnten Grund beibringen könnte, aufgrund dessen wir einsehen würden, daß es keiner bewirkenden Ursache bedarf. Und auch an allen anderen Stellen, an denen ich die formale Ursache, bzw. den aus dem Wesen Gottes entnommenen Grund, aufgrund dessen er keiner Ursache bedarf, weder um zu existieren, noch um sich zu erhalten, mit der bewirkenden Ursache verglichen habe, ohne die endliche Dinge nicht sein können, habe ich das genau so getan, daß aus meinen Worten selbst stets erkannt werden kann, daß dieser Grund von einer bewirkenden Ursache verschieden ist. Auch habe ich nirgendwo gesagt, Gott erhalte sich durch irgendeinen positiven Einfluß, so wie die geschaffenen Dinge von ihm erhalten werden, sondern ich habe nur gesagt, daß die Unermeßlichkeit der Macht oder des Wesens, aufgrund derer er keines Erhalters bedarf, ein positives Ding ist. Deshalb kann ich darüber hinaus auch alles weitere gelten lassen, das der hochverehrte Herr beibringt, um nachzuweisen, daß Gott nicht bewirkende Ursache seiner selbst ist und er sich nicht durch irgendeinen positiven Einfluß, bzw. durch die unablässige Reproduktion seiner selbst erhält. Und das ist das Einzige, was durch seine Begründungen zustandegebracht wird. Aber, wie ich hoffe, wird auch er nicht bestreiten, daß jene Unermeßlichkeit der Macht, aufgrund derer Gott keiner Ursache bedarf, um zu existieren, ein positives Ding in Gott ist, und daß man sich nichts in irgendwelchen anderen Dingen einsichtig machen kann, was in einer solchen Weise positiv ist, daß diese Dinge etwa keiner bewirkenden Ursache bedürften, um zu existieren. Das allein habe ich kenntlich machen wollen, als ich gesagt habe, alle Dinge könnten nur negativ als durch sich selbst seiend eingesehen werden, außer Gott allein. Irgendetwas Weiteres vorauszusetzen habe ich nicht nötig gehabt, um die Schwierigkeit zu lösen, die vorlag. Weil aber der hochverehrte Herr an dieser Stelle so eindringlich warnt, daß man kaum einen Theologen antreffen wird, der nicht

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245

an der Proposition Anstoß nehmen wird, daß Gott positiv durch sich selbst gleichsam wie durch eine Ursache sein solle,1 möchte ich ein wenig genauer auseinandersetzen, weswegen mir diese Redensweise im Zusammenhang mit dieser Frage äußerst nützlich und notwendig und zudem über jeden Verdacht eines Anstoßes erhaben zu sein scheint. Ich weiß, daß die lateinisch schreibenden Theologen den Namen Ursache nicht auf Göttliches anwenden, wenn die Prozession der Personen der heiligen Dreifaltigkeit thematisiert wird, und daß sie es dort, wo die Griechen indifferent von αἴτιον (Ursache) und ἀρχῂ (Anfang) gesprochen haben, vorziehen, allein den ganz allgemeinen Namen Prinzip zu gebrauchen, um niemandem Anlaß zu geben, zu urteilen, der Sohn sei geringer als der Vater. Dort aber, wo die Gefahr eines solchen Irrtums gar nicht bestehen kann und Gott nicht als dreifaltiger, sondern nur als einer thematisiert wird, sehe ich nicht, weshalb der Name Ursache unbedingt vermieden werden sollte, zumal wir an eine Stelle gelangt sind, an der es sehr nützlich und beinahe schon notwendig zu sein scheint, ihn zu verwenden. Denn wenn dieser Name dazu beiträgt, die Existenz Gottes zu beweisen, so kann sein Nutzen wohl kaum größer sein, und seine Notwendigkeit genausowenig, wenn die Existenz Gottes ohne ihn nicht transparent bewiesen werden kann. Nun, ich meine, es ist für alle offensichtlich, daß die Betrachtung der bewirkenden Ursache das erste und hautptsächlichste – um nicht zu sagen : das einzige – Mittel ist, das wir haben, um die Existenz Gottes nachzuweisen. Dies aber können wir nicht genau verfolgen, wenn wir unserem Gemüt nicht die Erlaubnis geben, in bezug auf alle Dinge, sogar in bezug auf Gott, die bewirkenden Ursachen zu erforschen : mit welchem Recht nämlich könnten wir ihn davon ausnehmen, bevor nachgewiesen ist, daß er existiert ? Demnach muß in bezug auf jegliches Ding gefragt werden, ob es durch sich selbst oder durch ein anderes ist. Und durch dieses Mittel kann die Existenz Gottes 1

Obj. IV : 214, 4–6.

237,24

238,7

238,11

246

239,3

239,15

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geschlossen werden, auch wenn nicht ausdrücklich erklärt wird, in welcher Weise es zu verstehen ist, daß etwas durch sich selbst sei. Denn jeder, der der Leitung des Natürlichen Lichts folgt, bildet an dieser Stelle ganz von selbst einen bestimmten Begriff, der die bewirkende und die formale Ursache umfaßt, nämlich so, daß das, was durch etwas anderes ist, durch es gewissermaßen wie durch eine bewirkende Ursache ist, während das, was durch sich selbst ist, gewissermaßen wie durch eine formale Ursache ist, das heißt : weil es ein solches Wesen hat, daß es keiner bewirkenden Ursache bedarf. Daher habe ich dies in meinen Meditationen nicht erklärt, sondern habe es als gewissermaßen selbstverständlich übergangen. Wenn diejenigen, die sich angewöhnt haben, zu urteilen, nichts könne bewirkende Ursache seiner selbst sein, und die bewirkende Ursache genau von der formalen zu unterscheiden, sehen, daß danach gefragt wird, ob etwas durch sich selbst ist, dann geschieht es leicht, daß sie dabei allein an die bewirkende Ursache im eigentlichen Sinne denken und meinen, dieses durch sich selbst müsse nicht gewissermaßen als durch eine Ursache verstanden werden, sondern gewissermaßen bloß negativ als ohne Ursache, nämlich so, daß es etwas sei, in bezug auf das wir nicht erforschen dürften, weshalb es existiert. Würde man diese Interpretation des Wortes durch sich selbst gelten lassen, könnte es von den Wirkungen her keine Begründung geben, die Existenz Gottes zu beweisen, wie vom Autor der ersten Einwände richtig nachgewiesen worden ist. Deshalb darf man das in keiner Weise gelten lassen. Um nun angemessen darauf zu antworten : Ich halte es für notwendig, zu zeigen, daß es zwischen einer bewirkenden Ursache im eigentlichen Sinne und keiner Ursache etwas Vermittelndes gibt, nämlich das positive Wesen des Dings, auf das der Begriff der bewirkenden Ursache ausgeweitet werden kann, nämlich in derselben Weise, wie wir gewohnt sind, bei geometrischen Lehrsätzen den Begriff der größtmöglichen Kreislinie auf den Begriff der geraden Linie auszuweiten oder den Begriff eines geradlinigen Polygons, dessen Anzahl an Seiten unbegrenzt

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ist, auf den Begriff des Kreises. Mir scheint, ich hätte dies durch keinen anderen Gedankengang besser erklären können, als dadurch, daß ich gesagt habe, »die Bedeutung der bewirkenden Ursache dürfe in dieser Frage nicht auf jene Ursachen restringiert werden, die den Wirkungen zeitlich vorangehen oder die von ihnen verschieden sind. Denn zum einen wäre das ganz nutzlos, weil niemandem unbekannt ist, daß dasselbe weder sich selbst zeitlich vorangehen, noch von sich selbst verschieden sein kann. Und zum anderen kann eine von diesen beiden Bedingungen aus ihrem Begriff herausgenommen werden, und dennoch der Begriff der bewirkenden Ursache vollständig bleiben«.1 Denn wie bereits gesagt wurde, ist es für eine bewirkende Ursache deshalb offensichtlich nicht erforderlich, zeitlich früher zu sein, weil sie die Funktion der Ursache nur solange besitzt, wie sie eine Wirkung produziert. Daraus, daß die andere Bedingung nicht auch herausgenommen werden kann, darf man nur ableiten, daß sie keine bewirkende Ursache im eigentlichen Sinne ist – was ich zugebe. Aber man darf nicht ableiten, daß sie in keiner Weise eine positive Ursache ist, die durch eine Analogie zur bewirkenden Ursache erklärt werden kann – und das allein ist bei der vorliegenden Sache erforderlich. Denn durch dasselbe Natürliche Licht, durch das ich erfasse, daß, »wenn ich mir die Existenz gegeben hätte, ich mir alle Vollkommenheiten gegeben hätte, von denen irgendeine Idee in mir ist«,2 erfasse ich auch, daß nichts sich selbst die Existenz in der Weise geben kann, in der die Bedeutung der bewirkenden Ursache im eigentlichen Sinne gewöhnlich restringiert wird : Denn in diesem eigentlichen Sinne wäre dasselbe verschieden von sich selbst, nämlich insofern es sich das Sein gibt und insofern es das Sein erhält. Indes ist es widersprüchlich, dasselbe und nicht dasselbe, bzw. verschieden zu sein. Wenn daher danach gefragt wird, ob etwas sich selbst die Existenz geben könne, ist dies genau so zu verstehen als wenn 1

Resp. I : 108, 7 ff. ; Obj. IV : 209, 13–20. 208, 2–4.

2

Med. III : 48, 7–10 ; Obj. IV :

240,6

240,9

240,23

248

240,27

241,9

241,16

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gefragt würde, ob die Natur bzw. das Wesen irgendeines Dinges derartig sei, daß es keiner bewirkenden Ursache bedarf, um zu existieren. Wird dann subsumiert : »Wenn etwas derartig ist, daß es sich alle Vollkommenheiten geben wird, von denen irgendeine Idee in ihm ist, sofern es sie noch nicht besitzt«,1 dann besteht der Sinn darin, daß es unmöglich aktuell alle Vollkommenheiten besitzen kann, die es erkennt. Denn wir erfassen durch das Natürliche Licht, daß das, dessen Wesen so unermeßlich ist, daß es keiner bewirkenden Ursache bedarf, um zu existieren, dieser bewirkenden Ursache auch nicht bedarf, um alle Vollkommenheiten zu besitzen, die es erkennt, und daß das eigene Wesen ihm eminent alles das gibt, wovon wir denken können, daß es anderen Dingen durch eine bewirkende Ursache gegeben werden kann. Diese Worte nun, »sofern es sie noch nicht besitzt, wird es sie sich geben« dienen nur dazu, den Sachverhalt zu erklären. Denn wir erfassen durch dasselbe Natürliche Licht, daß es nicht wirklich die Kraft und den Willen haben kann, sich irgendetwas Neues zu geben, sondern daß sein Wesen ein solches ist, daß es alles das schon immer besessen hat, was wir nur so denken können, daß es es sich geben würde, wenn es es noch nicht besäße. Und doch sind gleichwohl alle diese aus der Analogie mit der bewirkenden Ursache entnommenen Redeweisen unumgänglich, um das Natürliche Licht so anzuleiten, damit wir all das transparent beachten : nämlich in genau derselben Weise wie bei Archimedes einiges über die Kugel und andere krummlinige Figuren durch den Vergleich mit geradlinigen Figuren bewiesen wird, was anders kaum hätte einsichtig gemacht werden können. Und genauso, wie man diese Beweise nicht zurückweist, auch wenn in ihnen die Kugel wie ein Vieleck betrachtet wird, so meine ich, daß ich an dieser Stelle nicht dafür kritisiert werden kann, daß ich die Analogie mit der bewirkenden Ursache verwendet habe, um das zu erklären, was zur formalen Ursache, das heißt : zum eigentlichen Wesen2 Gottes gehört. 1

Med. III : 48, 7–10 ; Obj. IV : 208, 2–4.

2

Wesen] 1. Auflage Existenz.

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Hierbei die Gefahr eines Irrtums herannahen zu sehen, wäre also ganz unangebracht. Denn das einzige, was der bewirkenden Ursache eigentümlich ist und nicht auf die formale Ursache ausgedehnt werden kann, enthält ja eine offenkundige Widersprüchlichkeit und deshalb kann niemand es glauben : nämlich daß etwas von sich selbst verschieden sein, bzw. zugleich dasselbe und nicht dasselbe sein solle. Es muß darauf hingewiesen werden, daß wir Gott die Würde einer Ursache so beigelegt haben, daß daraus in ihm keinerlei Unwürde einer Wirkung folgte. Denn wenn die Theologen sagen, der Vater sei der Anfang (principium) des Sohnes, geben sie deswegen noch nicht zu, daß der Sohn etwas Späteres (principiatus) ist. Ebenso habe ich, obwohl ich gelten gelassen habe, daß Gott gewissermaßen Ursache seiner selbst genannt werden kann, ihn dennoch nirgendwo in derselben Weise Wirkung seiner selbst genannt. Denn gewöhnlich wird eine Wirkung vor allem auf die wirkende Ursache bezogen und als etwas Geringeres als ihre Ursache betrachtet, obwohl sie oft etwas Höheres als andere Ursachen ist. Wenn ich hier das vollständige Wesen des Dinges für die formale Ursache nehme, dann trete ich nur in die Fußstapfen von Aristoteles. Denn in der Zweiten Analytik, 2. Buch, Kap. 11 nennt er – wobei er die materielle Ursache übergeht – die erste Ursache αἰτίαν τὀ τί ἦν εἶναι, oder, wie die lateinischen Philosophen es gemeinhin wenden, causa formalis (formale Ursache), und weitet diese formale Ursache auf alle Wesen aller Dinge aus. Denn Aristoteles thematisiert dort ebensowenig wie ich hier die Ursachen eines physischen Zusammengesetzten, sondern allgemeiner die Ursachen, aus denen eine Erkenntnis entnommen werden kann. Es ist mir beim vorliegenden Sachverhalt so gut wie unmöglich gewesen, den Namen Ursache Gott nicht beizulegen. Das kann auch dadurch nachgewiesen werden, daß der hochverehrte Herr, obwohl er versucht hat, auf einem anderen Weg dasselbe wie ich zu bewirken, dies doch in keiner Weise zuwege gebracht hat, zumindest scheint es mir so. Denn er hat mit vielen Wor-

241,28

242,5

242,15

242,24

250

243,20

243,27

vi e r t e erw i d e ru n g en

ten gezeigt, daß Gott nicht bewirkende Ursache seiner selbst ist, weil es zur Funktion einer bewirkenden Ursache gehört, daß sie von ihrer Wirkung verschieden ist. Ebenso hat er gezeigt, daß Gott nicht positiv durch sich selbst ist, wenn man das Wort positiv als positiven Einfluß einer Ursache versteht ; und außerdem, daß er sich nicht wirklich selbst erhält, wenn man Erhaltung als unablässige Produktion eines Dinges nimmt. All das lasse ich bereitwillig gelten. Danach hat er dann aber erneut nachzuweisen versucht, daß nicht gesagt werden dürfe, daß Gott bewirkende Ursache seiner selbst sei. Er sagt : Weil man nach der bewirkenden Ursache eines Dinges nur im Hinblick auf die Existenz, nicht aber im Hinblick auf das Wesen fragt ; und es nicht weniger zum Wesen des unendlichen Seienden gehört, zu existieren, als es zum Wesen des Dreiecks, drei Winkel zu haben, die zwei rechten entsprechen : also darf man nicht weniger durch die Angabe einer bewirkenden Ursache antworten, wenn gefragt wird, weshalb Gott existiert, als wenn gefragt wird, weshalb die drei Winkel eines Dreiecks zwei rechten entsprechen.1 Dieser Syllogimus kann leicht gegen ihn verwendet werden, nämlich so : Auch wenn man im Hinblick auf das Wesen nicht nach einer bewirkenden Ursache fragt, kann man dennoch im Hinblick auf die Existenz danach fragen. Bei Gott aber werden Wesen und Existenz nicht unterschieden ; also kann man in bezug auf Gott nach einer bewirkenden Ursache fragen. Um aber diese beiden Sichtweisen miteinander in Übereinstimmung zu bringen, muß gesagt werden : Denjenigen, die fragen, weshalb Gott existiert, darf man wohl nicht durch die Angabe einer bewirkenden Ursache im eigentlichen Sinne antworten, sondern nur durch die Angabe des Wesens des Dinges, bzw. durch die Angabe einer formalen Ursache, die gerade aufgrund dessen, daß bei Gott die Existenz nicht vom Wesen unterschieden wird, eine starke Analogie mit der bewirkenden Ursache besitzt, und daher gewissermaßen bewirkende Ursache genannt werden kann. Schließlich fügt er hinzu : Dem, der nach der bewirkenden Ursa1

Obj. IV : 212, 15 ff.

vi e r te e rw i d e ru n g e n

251

che Gottes forscht, muß man antworten, daß er keiner bewirkenden Ursache bedarf. Und dem, der dann immer noch weiter fragt, weshalb er ihrer nicht bedarf, muß man antworten : weil er das unendliche Seiende ist, dessen Existenz sein Wesen ist. Denn allein jene Dinge bedürfen einer bewirkenden Ursache, bei denen man die aktuelle Existenz vom Wesen unterscheiden kann.1 Er behauptet, hierdurch werde das, was ich gesagt hatte, hinfällig, nämlich daß, »wenn ich annehmen würde, kein Ding könne sich zu sich selbst verhalten wie eine bewirkende Ursache zu ihrer Wirkung, ich bei der Untersuchung der Ursachen der Dinge niemals zu einer ersten Ursache aller anderen gelangen würde«.2 Es scheint mir aber, daß das weder hinfällig, noch in irgendeiner Weise erschüttert oder entkräftet ist. Außerdem hängt davon die zentrale Überzeugungskraft nicht nur meines Beweises ab, sondern auch überhaupt aller Beweise, die beigebracht werden können, um die Existenz Gottes von den Wirkungen her nachzuweisen. Fast alle Theologen aber stimmen darin überein, daß sich kein Beweis beibringen läßt, außer dem von den Wirkungen her. Dadurch also, daß er es nicht zuläßt, Gott eine Analogie zu der bewirkenden Ursache im Verhältnis zu sich selbst beizulegen, ist er so weit davon entfernt, den Beweis von Gott aufzuklären, daß er vielmehr die Leser sogar davon abhält, den Beweis einzusehen, insbesondere am Ende, wo er schließt : Wenn er der Meinung wäre, es müsse bei jedem Ding nach der bewirkenden oder gewissermaßen bewirkenden Ursache gefragt werden, würde er bei jedem Ding nach einer Ursache forschen, die von ihm verschieden ist.3 Denn wie könnten diejenigen, die Gott noch nicht kennen, nach einer bewirkenden Ursache der anderen Dinge forschen, um so zu einer Erkenntnis Gottes zu gelangen, wenn sie nicht meinten, es könne bei jedem Ding nach einer bewirkenden Ursache geforscht werden ? Und wie könnten sie zuletzt bei Gott als der ersten Ursache ihrem Fragen ein Ende bereiten, wenn sie

1

Obj. IV : 213, 11–16. 3 Obj. IV : 213, 25–27.

2

Resp. I : 108, 22–109, 3 ; Obj. IV : 213, 18–24.

244,15

252

245,3

245,21

245,25

vi e r t e erw i d e ru n g en

meinten, daß man bei jedem Ding nach einer von diesem Ding verschiedenen Ursache fragen müsse ? Der hochverehrte Herr scheint mir in diesem Zusammenhang gerade so vorgegangen zu sein wie wenn Archimdes im Rückblick auf das, was er über die Kugel durch die Analogie mit geradlinigen Figuren, die der Kugel eingeschrieben sind, bewiesen hat, so gesprochen hätte : »Wenn ich der Meinung wäre, daß man eine Kugel nicht für eine geradlinige oder eine gewissermaßen geradlinige Figur mit unendlich vielen Seiten halten kann, dann würde ich diesem Beweis deshalb keine Überzeugungskraft beilegen. Denn er verläuft nicht in bezug auf die Kugel als krummlinige Figur, sondern nur in bezug auf sie als geradlinige Figur mit unendlich vielen Seiten richtig.« Nun sage ich : Wenn der hochverehrte Herr, der wohl einerseits die Kugel nicht so genannt wissen will und anderseits dennoch das Verlangen hat, den Beweis des Archimedes aufrechterzuhalten, sagen würde : »Wenn ich der Meinung wäre, daß das, was dort geschlossen wird, in bezug auf eine geradlinige Figur mit unendlich vielen Seiten verstanden werden muß, dann würde ich es in bezug auf die Kugel nicht gelten lassen. Denn es ist für mich gewiß und ausgemacht, daß eine Kugel in keiner Weise eine geradlinige Figur ist.« Durch solche Worte hätte er nun tatsächlich nicht dasselbe zustandegebracht wie Archimedes, sondern hätte ganz im Gegenteil sich selbst und andere davon abgehalten, den Beweis des Archimedes richtig einzusehen. Ich habe dies an dieser Stelle aber etwas weitläufiger verfolgt als es für die Sache vielleicht erforderlich war. Aber ich wollte mein größtes Bemühen zeigen, zu verhindern, daß in meinen Schriften auch nur das Geringste angetroffen wird, woran die Theologen zurecht Anstoß nehmen können.1 Daß ich zu guter Letzt keinen Zirkelschluß2 begangen habe, als ich gesagt habe, »daß für uns allein deshalb feststeht, daß das, was von uns klar und deutlich erfaßt wird, wahr ist, weil es

1

Obj. IV : 214, 3–6.

2

Obj. IV : 214, 7.

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253

Gott gibt ;1 und daß für uns nur deshalb feststeht, daß es Gott gibt, weil dies klar erfaßt wird«,2 habe ich bereits zur Genüge in der Erwiderung auf die zweiten Einwände, Nummer 3 und 4 erklärt,3 nämlich indem ich das, was wir tatsächlich klar erfassen, von dem unterschieden habe, wovon wir uns erinnern, es vorher klar erfaßt zu haben. Zuerst steht für uns nämlich deshalb fest, daß Gott existiert, weil wir ja die Begründungen berücksichtigen, die dies nachweisen. Danach aber genügt es, wenn wir uns erinnern, ein Ding klar erfaßt zu haben, um sicher zu sein, daß es wahr ist : Das aber würde nicht ausreichen, wenn wir nicht wüßten, daß es Gott gibt und er nicht täuscht. Daß aber »nichts im Geist, insofern er ein denkendes Ding ist, sein kann, dessen wir uns nicht bewußt sind«,4 scheint mir selbstverständlich zu sein. Denn wir können im so betrachteten Geist nichts einsehen, was nicht Denken wäre oder vom Denken abhinge, weil es andernfalls nicht zum Geist gehören würde, insofern er ein denkendes Ding ist. Und es kann in uns kein Denken sein, dessen wir uns in dem Moment, in dem es in uns ist, nicht bewußt wären. Deshalb zweifle ich nicht, daß der Geist, sobald er in den Körper des Kindes eingegangen ist, zu denken beginnt und sich zugleich seiner Gedanken bewußt ist, auch wenn er sich später nicht an diesen Sachverhalt erinnert, weil die Erscheinungsbilder dieser Gedanken nicht im Gedächtnis bleiben. Aber es muß darauf hingewiesen werden, daß uns zwar die Akte, bzw. Operationen unseres Geistes immer aktuell bewußt sind, die Vermögen bzw. Möglichkeiten nicht immer, außer der Möglichkeit nach. Nämlich so, daß, wenn wir uns anschicken, irgendein Vermögen zu verwenden, wir uns dieses Vermögens unverzüglich aktuell bewußt werden, wenn es im Geist ist.Wenn wir uns also ein Vermögen nicht bewußt machen können, können wir bestreiten, daß es im Geist vorhanden ist. 1

2 Obj. IV : 214, 11–12. Med. V : 69, 16 ff. ; Obj. IV : 214, 8–10. 3 Resp. II : 140, 12 und 142, 14. 4 Med. III : 49, 14–18 ; Obj. IV : 214, 16–17.

246,10

246,22

254

vi e r t e erw i d e ru n g en

e rw i d e ru n g au f di e ding e, gege n die d ie t h eo l og e n e inwände h ab en kö nnen. 247,4

247,8

247,24

Den ersten Überlegungen des hochverehrten Herren habe ich mich entgegengestellt, den zweiten bin ich ausgewichen. Den folgenden aber stimme ich völlig zu, mit Ausnahme des letzten ; denn ich hoffe, ihn leicht dazu bringen zu können, daß er selbst mir zustimmt. Ich gebe daher unumwunden zu, daß das, was in der ersten und in den übrigen Meditationen enthalten ist, nicht der Auffassungsgabe aller Geister angepaßt ist, und das habe ich auch bezeugt, wo immer sich dazu Gelegenheit ergab, und werde es weiterhin bezeugen. Dies ist auch die einzige Ursache gewesen, weshalb ich dies im Discours de la Méthode, der ja auf französisch geschrieben war, nicht abgehandelt, sondern es für die Meditationen reserviert habe, die nur von geistreichen und gelehrten Leuten gelesen werden sollten, wie ich zuvor bestimmt habe. Auch darf man nicht sagen, es wäre richtiger gewesen, wenn ich es unterlassen hätte, ausgerechnet über das zu schreiben, was sehr viele Leute gar nicht lesen sollten. Denn ich halte gerade diese Dinge für notwendig und bin überzeugt, daß man ohne sie niemals irgendetwas Festes und Dauerhaftes in der Philosophie zustandebringen kann. Und auch wenn Dummköpfe und Kinder Feuer und Schwert nicht ohne Gefahr handhaben können, so meint doch niemand, daß man deshalb auf sie verzichten müsse, weil sie gleichwohl für das Leben nützlich sind. Daß ich aber in der vierten Meditation nur den Irrtum thematisiert habe, der in der Abgrenzung des Wahren vom Falschen begangen wird, nicht aber jenen, der in der Verfolgung des Guten und Schlechten geschieht,1 und daß ich das, was zum Glauben und zur Lebensführung gehört, stets ausgenommen habe, wenn ich behauptet habe, daß wir nur einer solchen Sache zustimmen dürfen, die wir klar und deutlich erkannt haben,2 zeigt der Kontext meiner gesamten Schrift. Außerdem habe ich es ausdrücklich in der Er1

Obj. IV : 215, 18–21.

2

Obj. IV : 216, 4–10.

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255

widerung auf die zweiten Einwände, Nummer 5, erklärt,1 und vorher in der Synopsis ebenfalls darauf hingewiesen,2 und zeige also ganz offen, welchen Wert ich dem Urteil des hochverehrten Herrn beilege und wie willkommen mir seine Ratschläge sind. Übrig bleibt das Sakrament der Eucharistie, mit dem, wie der hochverehrte Herr urteilt, meine Meinungen nicht übereinstimmen, weil wir, wie er sagt, aus dem Glauben heraus glauben, daß das Brot in der Eucharistie die Substanz des Brotes verliert und allein seine Akzidenzen verbleiben.3 Er meint aber, daß ich keine realen Akzidenzen zulasse, sondern nur Modi, die ohne irgendeine Substanz, an der sie sind, nicht eingesehen werden können, und deshalb ohne sie auch nicht existieren können.4 Diesem Einwand könnte ich ganz leicht ausweichen, indem ich sagte, daß ich die realen Akzidenzen bislang nirgendwo bestritten habe. Denn obwohl ich sie in der Dioptrique und den Météores nicht verwendet habe, um das zu erklären, was ich thematisierte, habe ich in den Météores, Seite 164 dennoch ausdrücklich gesagt,5 daß ich sie nicht bestreite. In den Meditationen aber habe ich zwar vorausgesetzt, daß sie von mir noch nicht erkannt werden, nicht aber, daß es deshalb keine gibt. Die analytische Schreibweise, der ich gefolgt bin, gestattet es nämlich, einstweilen gewisse Dinge vorauszusetzen, die noch nicht hinreichend erkundet sind. Das ist in der ersten Meditation ganz offenkundig geworden, in der ich vieles angenommen hatte, was ich in den folgenden Meditationen dann zurückgewiesen habe. Außerdem habe ich hier ja keineswegs irgendetwas über die Natur der Akzidenzen feststellen wollen, sondern ich habe nur geschildert, wie sie mir im ersten Zugriff erschienen waren. Und schließlich darf daraus, daß ich gesagt habe, die Modi könnten nicht ohne eine Substanz eingesehen werden, an der sie sind, nicht abgeleitet werden, ich würde bestreiten, daß sie durch die göttliche Macht ohne sie gesetzt werden können. Denn ich be-

1

Resp. II : 149, 3–21. 4 Obj. IV : 217, 23–218, 1.

2

Syn : 15, 7–12. 5 AT VI, 239, 5–12.

3

Obj. IV : 217, 19–20.

248,11

248,18

256

249,14

249,26

vi e r t e erw i d e ru n g en

haupte und glaube uneingeschränkt, daß Gott vieles bewirken kann, das wir nicht einsehen können. Doch um hier ganz frei vorzugehen, will ich nicht verheimlichen, daß es nach meiner Überzeugung überhaupt nichts anderes gibt, wodurch unsere Sinne affiziert werden, als allein jene Oberfläche, die die Schranke der Ausmaße des Körpers bildet, der sinnlich wahrgenommen wird. Denn der Kontakt geschieht allein an dieser Oberfläche, und kein Sinn wird affiziert, außer durch Kontakt. Das behaupte nicht etwa nur ich allein, sondern fast alle Philosophen, sogar Aristoteles. Brot und Wein beispielsweise nimmt man nur dadurch sinnlich wahr, daß die Oberfläche des Brotes oder des Weins entweder unmittelbar durch ein Sinnesorgan oder vermittelt durch die Luft oder irgendwelche anderen Körper berührt wird, wie ich selbst urteile, oder, wie sich die meisten Philosophen ausdrücken, durch die Vermittlung der Erscheinungsbilder (species intentionales). Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß diese Oberfläche nicht allein nach der äußeren Gestalt der Körper beurteilt werden darf, die mit den Fingern betastet wird. Sondern dafür muß man auch alle jene winzigen Gänge einbeziehen, die zwischen den Staubteilchen des Mehls angetroffen werden, aus denen das Brot zusammengesetzt ist, wie auch die winzigen Gänge zwischen den Partikeln des Alkohols, des Wassers, des Essigs und des Gärstoffes bzw. Weinsteins, aus deren Mischung der Wein besteht, und ebenso auch die Gänge zwischen den winzigen Teilchen der übrigen Körper. Denn weil sie verschiedene Gestalten und Bewegungen haben, können diese Partikel tatsächlich niemals so passend miteinander verbunden werden, daß zwischen ihnen keine Zwischenräume freiblieben, die ja keineswegs leer, sondern mit Luft oder einer anderen Materie gefüllt sind. So sehen wir im Brot schon mit dem bloßen Auge ziemlich große solche Zwischenräume, die nicht nur durch Luft, sondern auch durch Wasser, Wein oder andere Flüssigkeiten ausgefüllt werden können. Daran nun, daß das Brot immer dasselbe bleibt, auch wenn die Luft oder die sonstige Materie wechselt, die in ihren Poren enthalten sein mag, zeigt sich, daß diese Materie nicht

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257

zu seiner Substanz gehört. Deshalb ist seine eigentliche Oberfläche nicht diejenige, die es insgesamt im kleinstmöglichen Umfang umgibt, sondern diejenige, die sich um jedes einzelne seiner Partikel unmittelbar herum befindet. Außerdem muß darauf hingewiesen werden, daß sich diese Oberfläche nicht nur insgesamt bewegt, wenn das ganze Brot von dem einen Ort an einen anderen versetzt wird, sondern sie sich auch teilweise bewegt, wenn irgendwelche Partikel des Brotes von der Luft oder anderen, in seine Poren eindringenden Körpern erregt werden. Wenn deshalb irgendwelche Körper eine solche Natur besitzen, daß sich entweder einige oder alle ihrer Teile ständig bewegen (was ich bei den meisten Teilen des Brotes und bei allen des Weines für wahr halte), ist es auch einsichtig, daß sich ihre Oberflächen in einer gewissen kontinuierlichen Bewegung befinden. Und zu guter Letzt1 muß darauf hingewiesen werden, daß ich hier unter der Oberfläche des Brotes oder des Weines oder irgendeines anderen Körpers weder einen Bestandteil der Substanz noch der Quantität des Körpers verstehe, und ebensowenig einen Teil der angrenzenden Körper, sondern allein jene Schranke, die das Mittlere zwischen seinen einzelnen Partikeln und den diese Partikel umgebenden Körpern bildet, und die überhaupt keine Entität außer einer modalen besitzt. Da nun ein Kontakt allein an dieser Schranke stattfindet und alles allein durch Kontakt sinnlich wahrgenommen wird, ergibt sich offenkundig aus der Behauptung, daß die Substanzen des Brotes und des Weines so in die Substanz eines anderen Dinges verwandelt werden, daß diese neue Substanz ganz genau innerhalb derselben Schranken enthalten ist, innerhalb derer vorher die andere sich befand, bzw. sie an genau demselben Ort existiert, an dem vorher das Brot und der Wein existierten, oder vielmehr (weil sich ihre Schranken unablässig bewegen), an dem sie immer noch existieren würden, wenn sie noch da wären : und daraus folgt notwendig, daß diese neue Substanz unsere Sinne 1

Obj. VI : 417, 13 ff.

250,18

250,27

251,4

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252,1

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auf genau dieselbe Weise affizieren muß, in der das Brot und der Wein sie affizieren würden, wenn keine Transsubstantiation geschehen wäre. Die Kirche aber lehrt auf dem Konzil von Trient, 13. Sitzung, Kanones 2 u. 4, »es vollziehe sich eine Verwandlung der gesamten Substanz des Brotes in die Substanz des Körpers unseres Herrn Christus, wobei nur das Erscheinungsbild des Brotes bestehen bleibt.«1 Wobei ich nicht sehe, was man unter dem Erscheinungsbild des Brotes anderes verstehen kann als die Oberfläche, die das Mittlere zwischen seinen einzelnen Partikeln und den diese Partikel umgebenden Körpern bildet. Wie nämlich bereits gesagt, geschieht der Kontakt allein an dieser Oberfläche, und nicht nur jener Sinn, der speziell Tastsinn genannt wird, sondern auch die anderen Sinne nehmen durch Berührung sinnlich wahr, wie selbst Aristoteles einräumt, De anima, 3. Buch, Kap. 13 : »Freilich nehmen auch die anderen Sinnesorgane durch Berührung wahr (καὶ τὰ ἄλλα αἰσθητήρια ἀφῇ αἰσθἁνεται)«.2 Es gibt niemanden, der meint, hier werde unter Erscheinungsbild (species) irgendetwas anderes verstanden als eben genau das, was erforderlich ist, um die Sinne zu affizieren. Und es gibt auch niemanden, der an die Verwandlung des Brotes in den Leib Christi glaubt, ohne zugleich zu meinen, daß der Leib Christi unter ganz genau derselben Oberfläche enthalten ist, unter der das Brot enthalten wäre, wenn es da wäre, auch wenn der Leib Christi sich dort nicht im eigentlichen Sinne an einem Ort befindet, »[sondern] sakramental [. . . ] auf Grund einer Existenzweise, die wir zwar mit Worten kaum ausdrücken können, von der wir aber mit einem vom Glauben erleuchteten Denken verstehen können und ganz fest glauben müssen, daß sie für 1

Zitat aus den Konzilsakten, Sessio XIII, Can. 2 = Dekrete der Ökumenischen Konzilien. Herausgegeben vom Istituto per le scienze religiose Bologna. Paderborn et al. : Schöningh 2002. Band 3 : Konzilien der Neuzeit. übers. v. Josef Wohlmuth, S. 697. Hier eigene Übersetzung. 2 De anima III, 13 = 435 a, 18–19.

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Gott möglich ist«.1 All dies wird durch meine Prinzipien so angemessen und so richtig erklärt, daß es hier nicht nur nichts gibt, von dem ich befürchten müßte, daß die orthodoxen Theologen daran Anstoß nehmen werden. Sondern ich bin ganz im Gegenteil sogar zuversichtlich, daß es mir bei ihnen großen Dank einbringen wird, weil ich in der Physik solche Meinungen vortrage, die weitaus besser als die gewöhnlichen mit der Theologie übereinstimmen ; denn zumindest soweit ich weiß, hat die Kirche niemals und nirgendwo gelehrt, daß die bei dem Sakrament der Eucharistie verbleibenden Erscheinungsbilder des Brotes und des Weins bestimmte reale Akzidenzen sind, die nach der Aufhebung der Substanz, an der sie sich befanden, wunderbarerweise allein subsistieren. Das übrige, was hier erforderlich wäre, übergehe ich, bis ich in der Summa Philosophiae, mit der ich befaßt bin, all das bewiesen habe, woraus die Lösungen deduziert werden mögen, die den einzelnen Einwänden gegen diese Materie regelgerecht Genüge tun werden.2 Da aber die ersten Theologen, die diese Frage more philosophico zu erklären versucht haben, vielleicht so fester Überzeugung waren, daß die Akzidenzen, die die Sinne bewegen, etwas von der Substanz verschiedenes Reales seien, daß sie gar nicht beachteten, daß man überhaupt daran zweifeln könne, nahmen sie ohne irgendeine Prüfung und auch ohne rechte Begründung an, die Erscheinungsbilder des Brotes seien solche realen Akzi1

Zitat aus den Konzilsakten. Die komplette Stelle lautet : »Neque enim haec inter se pugnant, ut ipse Salvator noster semper ad dexteram Patris in coelis assideat iuxta modum existendi naturalem, et in multis nihilominus aliis in locis sacramentaliter praesens sua substantia nobis adsit, ea existendi ratione, quam etsi verbis exprimere vix possumus, possibilem tamen esse Deo, cogitatione per fidem illustrata assequi possumus et constantissime credere debemus« (Sessio XIII, Cap. I = Dekrete der Ökumenischen Konzilien. Herausgegeben vom Istituto per le scienze religiose Bologna. Paderborn et al. : Schöningh 2002. Band 3 : Konzilien der Neuzeit. übers. v. Josef Wohlmuth, S. 694). Übers. eingepaßt. 2 Dieser Absatz steht nur in der 1. Auflage als Abschluß der Vierten Erwiderungen.

252,Fn.

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denzen, und haben sich dann ganz darauf verlegt, zu erklären, wie diese realen Akzidenzen ohne Subjekt sein könnten. Dabei fanden sie so viele Schwierigkeiten vor, daß sie schon allein deshalb hätten urteilen müssen, sie seien vom rechten Weg abgekommen (wie Wanderer, wenn sie vielleicht an holprige und kaum begehbare Stellen gelangt sind). Denn insbesondere scheinen sie nicht konsequent zu bleiben – zumindest diejenigen, die zugeben, alle Erfassung der Sinne geschehe durch Kontakt – wenn sie voraussetzen, in den Objekten sei noch irgendetwas anderes als ihre vielfältig angelegten Oberflächen erforderlich, um die Sinne zu bewegen. Denn es ist selbstverständlich, daß für einen Kontakt die Oberfläche völlig ausreicht. Wenn sie dies aber nicht zugeben, dann können sie zu dieser Sache nichts beitragen, was auch nur den geringsten Anflug (species) von Wahrheit besäße. Außerdem kann der menschliche Geist nicht denken, daß die Akzidenzen des Brotes reale Akzidenzen sind und sie dennoch ohne ihre Substanz existieren, ohne sie zugleich im Modus einer Substanz zu begreifen. Daher scheint es in sich widersprüchlich zu sein, daß sich die gesamte Substanz des Brotes verändern solle, wie die Kirche glaubt, und daß dabei etwas Reales bestehen bleiben soll, was zuvor im Brot war. Denn man kann sich nicht einsichtig machen, daß etwas Reales bestehen bleibt, außer dem, das subsistiert, und das als Sustanz begriffen wird, auch wenn es mit dem Wort Akzidenz benannt wird. Daher ist dies von der Sache her dasselbe als wenn man sagen würde, zwar verändere sich die gesamte Substanz des Brotes, jedoch bleibe derjenige Teil dieser Substanz bestehen, der reales Akzidenz genannt wird. Das enthält zwar vielleicht nicht in den Worten, aber doch sicherlich im Begriff eine Widersprüchlichkeit. Dies scheint auch der Hauptgrund zu sein, weswegen einige Leute in diesem Punkt von der Römischen Kirche abgewichen sind. Dort aber, wo es uns frei steht, und uns weder ein theologischer, und noch nicht einmal ein philosophischer Grund zwingt, irgendwelche Meinungen zu vertreten, wird doch wohl niemand bestreiten wollen, daß man vor allem jene Meinungen

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wählen soll, die anderen Leuten weder Veranlassung noch Vorwand geben können, von der Wahrheit des Glaubens abzuweichen. Daß aber die Meinung, die Akzidenzen als real setzt, mit den theologischen Begründungen nicht übereinstimmt, meine ich, hier transparent gezeigt zu haben, und daß sie den philosophischen Begründungen völlig entgegengesetzt ist, hoffe ich, in der Summa philosophiae, mit der ich bereits befaßt bin, klar zu beweisen. Dort werde ich auch zeigen, wie Farbe, Geschmack, Gewicht und alles andere, was die Sinne bewegt, allein von der äußeren Oberfläche der Körper abhängt. Schließlich können reale Akzidenzen nicht vorausgesetzt werden, ohne daß zu dem Wunder der Transsubstantiation, das allein aus den Worten der Konsekration geschlossen werden kann, überflüssigerweise etwas Neues, und noch dazu Unergründliches, hinzugefügt wird, durch das diese realen Akzidenzen ohne die Substanz des Brotes so existieren, daß sie dabei nicht selbst zu Substanzen werden. Das widerstreitet nicht nur der menschlichen Vernunft, sondern auch den Axiomen der Theologen, die sagen, daß diese Worte der Konsekration nur seine äußere Kennzeichnung bewirken, und die das, was sie durch einen natürlichen Grund erklären können, nicht einem Wunder zuschreiben wollen. Alle diese Schwierigkeiten werden durch meine Erklärung dieses Sachverhalts völlig aufgehoben. Denn bei meiner Erklärung ist es ganz unnötig, irgendein Wunder hinzuzuziehen, um die Akzidenzen nach der Aufhebung der Substanz zu erhalten. Vielmehr können sie ohne ein neues Wunder (durch das nämlich die Ausmaße verändert würden) gar nicht aufgehoben werden. Es ist überliefert, daß dies irgendwann einmal geschehen ist, als an dem Ort des geweihten Brotes Fleisch oder ein Kind in den Händen des Priesters erschienen ist. Denn niemals hat irgendjemand geglaubt, dies sei aufgrund des Ausbleibens des Wunders vorgekommen, sondern alle haben geglaubt, dies sei durch ein neues Wunder passiert. Außerdem liegt nichts Unergründliches oder Schwieriges darin, daß Gott, der Schöpfer aller Dinge, eine Substanz in eine andere verwandeln und die spätere Substanz unter genau dersel-

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255,9

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255,21

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ben Oberfläche verbleiben können soll, unter der die vorherige enthalten war. Zudem kann man wohl kaum etwas mit größerem Recht der Vernunft entsprechend nennen, und kaum etwas findet bei den Philosophen allgemein größere Zustimmung, als daß sowohl alle sinnlichen Wahrnehmungen, als auch allgemein jede Aktion eines Körpers gegen einen anderen durch Kontakt geschieht, und daß dieser Kontakt allein an der Oberfläche stattfinden kann. Daraus folgt evident, daß ein und dieselbe Oberfläche stets sowohl in derselben Weise einwirken, als auch Einwirkung gestatten muß, auch wenn sich die unter ihr befindliche Substanz verändert. Um hier das Wahre zu schreiben auch auf die Gefahr hin, sich irgendeinem falschen Verdacht auszusetzen : Ich wage zu hoffen, daß irgendwann einmal eine Zeit anbrechen wird, in der die Theologen die Meinung, die die Akzidenzen als real setzt, als vernunftwidrig, unergründlich und als für den Glauben zu unzuverlässig verwerfen und die meinige an ihrer Stelle als sicher und unzweifelhaft annehmen werden. Ich meinte, dies hier nicht verheimlichen zu dürfen, um, soweit ich es vermag, den Verleumdungen jener Leute entgegenzutreten, die, weil sie gerne gelehrter erscheinen wollen als andere, nichts verdrießlicher macht, als wenn zu den Wissenschaften etwas Neues beigetragen wird, bei dem sie nicht so tun können, als hätten sie es vorher schon erkannt, und die oft sogar um so schärfer gegen es vorgehen, für je wahrer und von größerem Wert sie es halten, und die über das, was sie nicht mit Gründen zurückzuweisen vermögen, ohne irgendeine Begründung behaupten, daß es der Heiligen Schrift und den Wahrheiten des Glaubens entgegengesetzt ist. Sicherlich sind sie insofern Gottlose, als sie die Autorität der Kirche verwenden wollen, um die Wahrheit zu untergraben. Ich aber berufe mich gegen sie auf die frommen und orthodoxen Theologen, deren Urteil und Zensur ich mich sehr gerne unterwerfe.

F ÜN FTE EINWÄN D E. P I ER R E G ASS EN D AN D EN BERÜH MTE N H ER R N RENÉ D ESC ARTES .

Berühmter Herr, unser Freund Mersenne hat mir ein Privileg gewährt, indem er mir Ihre ganz außerordentlichen Meditationen über die Erste Philosophie hat zukommen zu lassen. Denn die Vorzüglichkeit des Arguments, die weitblickende Geisteskraft und die Eleganz der Ausdrucksweise haben mir außerordentlich gefallen. Daher danke ich Ihnen nachdrücklich dafür, daß Sie es in einem so beherzten und erfolgversprechenden Ansatz (excelso ac foelici animo) unternommen haben, die Grenzen der Wissenschaften zu erweitern und zum Kern jener Dinge vorzudringen, die in allen vergangenen Jahrhunderten verborgen geblieben waren. Freilich war es fast schon eine Zumutung für mich, daß Mersenne unter Berufung auf unsere Freundschaft außerdem verlangt hat, ich solle Ihnen ausführlich mitteilen, wenn sich etwa noch ein Bedenken aufdrängen oder eines übrigbleiben sollte. Denn ich ahnte, daß ich nur meine Blödheit bloßlegen würde, wenn ich mich mit Ihren Überlegungen nicht zufriedengeben würde ; oder vielmehr meinen Übermut, wenn ich es wagen würde, auch nur ein Sterbenswörtchen für das Gegenteil verlauten zu lassen, gleichsam als wollte ich widersprechen. Dennoch habe ich es dem Freund versprochen, in der Erwartung, daß Sie mir meine Absicht nicht weniger als ihm die seinige zugute halten würden ; geht doch Ihre Aufrichtigkeit so weit, daß es Ihnen leicht fallen dürfte, zu meinen, ich habe Ihnen einfach nur ungeschminkt meine Zweifelsgründe darlegen wollen. Ich bekenne, daß es freilich mehr als genug sein wird, wenn Sie es über sich bringen werden, sie bis zum Ende durchzulesen : denn tatsächlich glaube nicht einmal ich selbst, daß sie Sie bewegen könnten, Ihren Beweisführungen auch nur im geringsten zu mißtrauen oder Ihre wichtigeren Aufgaben gewidmete Zeit zu beschneiden, indem Sie antworten. Fast ist es mir sogar peinlich, Ihnen öffentlich meine

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fü n f te ei n wä n d e

Zweifelsgründe vorzutragen, unter denen es, dessen bin ich ganz gewiß, keinen gibt, der Ihnen nicht selbst während des Meditierens mehrfach gekommen ist, und den Sie gleichwohl in bestimmter Absicht entweder unbeachtet gelassen oder zu übergehen sich entschlossen haben. Ich veröffentliche sie also in der Intention (mens), sie als Vorschläge in den Raum gestellt wissen zu wollen, und ich betone : als Vorschläge nicht in bezug auf die Dinge selbst, die zu beweisen Sie unternommen haben, sondern in bezug auf die Methode und die Beweiskraft. Denn ich bekenne vorbehaltlos die Existenz des dreifachgrößten Gottes und die Unsterblichkeit unserer Geister, und ich hadere nur ein wenig mit der Kraft (energie) der Beweisführung, durch die Sie nicht nur dies, sondern auch andere Dinge beweisen möchten, die mit der Metaphysik zusammenhängen.

G E G E N D I E E R S T E M E D I TAT I O N . Über das, was in Zweifel gezogen werden kann. 257,23

In der ersten Meditation gibt es nichts, bei dem ich mich lange aufhalten möchte : denn dem Vorhaben, Ihren Geist von jedem Vorurteil befreien zu wollen, stimme ich völlig zu.1 Nur dieses eine erfasse ich nicht so recht : Warum haben Sie es nicht vorgezogen, einfach und mit wenigen Worten2 Ihre vorherigen Kenntnisse für unsicher zu erklären und danach die auszuwählen, die als wahr entdeckt würden, anstatt alle für falsch zu halten, und so weniger ein altes Vorurteil abzulegen, als vielmehr ein neues anzunehmen ?3 Beachten Sie, daß ein Vorurteil nötig gewesen ist, um es für Sie selbst glaubhaft zu machen, wenn Sie so tun, als sei Gott ein Betrüger4 oder ich weiß nicht was für ein böser, irreführender Geist. Dabei scheint es doch, es hätte genügt, die Ursache in der Umnachtung des menschlichen Geistes oder allein in der Schwäche der Natur zu sehen.5 Außerdem tun Sie so, als ob Sie träumen,6 damit Sie alles in Zweifel ziehen und alle Dinge, die vor sich gehen, für Gaukeleien halten können. Oder nötigen Sie sich das vielmehr deswe1

Resp. V : 348, 14–15. 2 Resp. V : 348, 16–17 ; 379, 8–9. 3 Resp. V : 349, 15–17. 4 Resp. V : 349, 2–3. 5 Resp. V : 349, 7–8. 6 Resp. V : 349, 3.

fü n f te e in wä n d e

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gen ab,1 um zu glauben, daß Sie sich nicht im Wachzustand befinden, und um das für falsch und ungewiß zu halten, was sich um Sie herum befindet und vor sich geht ? Was auch immer Sie sagen werden : Niemand wird davon überzeugt sein, daß Sie selbst davon überzeugt sind, nichts von all dem sei wahr, was Sie erkannt haben, und entweder Gott oder ein übler Geist gebe Ihnen unablässig entweder eine Empfindung oder einen Traum ein. Hätte es zu philosophischer Aufrichtigkeit und der Liebe zur Wahrheit nicht besser gepaßt, die Dinge so, wie sie sich verhalten, ehrlich und einfach auszusprechen, anstatt, was man Ihnen vorwerfen könnte, Zuflucht zu einem Kunstgriff zu nehmen, Luftschlössern hinterherzulaufen und Irrwege zu beschreiten ?2 Indessen, weil Sie es so für gut befunden haben, möchte ich nichts weiter dagegen einwenden.

G E G E N D I E Z W E I T E M E D I TAT I O N . Über die Natur des menschlichen Geistes : daß er bekannter ist als der Körper. An der zweiten Meditation sehe ich, daß Sie noch in der Vorstellung befangen sind, einer Gaukelei ausgesetzt zu sein. Gleichwohl bemerken Sie, daß zumindest Sie, dem etwas vorgegaukelt wird, sind, und daß deshalb festzustellen ist, daß dieser Grundsatz : Ich bin, ich existiere, sooft er von Ihnen ausgesprochen oder durch den Geist begriffen wird, wahr ist.3 Ich sehe aber nicht, daß Sie dafür einen solchen Aufwand haben treiben müssen.4 Denn Sie waren doch von woanders her sicher, daß Sie sind ; und wahr war es auch. Auch hätten Sie dasselbe aus irgendeiner beliebigen anderen Tätigkeit entnehmen können,5 denn es ist für das Natürliche Licht offenkundig, daß alles ist, was irgendwie tätig ist. Sie fügen hinzu, daß Sie deswegen noch nicht hinreichend einsehen, wer Sie sind.6 Das kann man ernsthaft akzeptieren und ohne weiteres zugeben : Eben darum dreht es sich, das ist die Aufgabe. Frei1

Resp. V : 349, 20–21. 2 Resp. V : 350, 4–6. 3 Med. II : 25, 11–13. 4 Resp. V : 352, 1–2. 5 Resp. V : 352, 7. 6 Med. II : 25, 14.

258,23

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259,10

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lich scheint es, als hätte das ohne Umschweife und ganz ohne diese Voraussetzung untersucht werden können. Demgemäß möchten Sie darüber meditieren, wie beschaffen zu sein Sie geglaubt haben, damit, nachdem alles Zweifelhafte abgezogen ist, allein das übrigbleibt, was sicher und unerschütterlich ist.1 Das zu tun, wird die Billgung aller finden. Sie gehen die Sache an ; da Sie nun gemeint haben, ein Mensch zu sein, fragen Sie was ein Mensch ist.2 Die gewöhnliche Definition lassen Sie links liegen und wählen das aus, was sich Ihnen im ersten Zugriff darbot, daß Sie ein Gesicht, Hände und die übrigen Körperteile haben, die Sie mit dem Namen des Körpers betitelten ; und ebenso, daß Sie sich ernähren, gehen, sinnlich wahrnehmen, denken, was Sie auf die Seele bezogen.3 Auch das mag so stehenbleiben, sofern wir uns nur gegen Ihre Unterscheidung zwischen Seele und Körper verwahren.4 Sie sagen, Sie hätten nicht beachtet, was diese Seele war, sondern hätten sich nur irgendetwas dem Wind, dem Feuer oder dem Äther Vergleichbares vorgestellt, das in die gröberen Bestandteile Ihres Körpers eingeflossen war.5 Das ist bemerkenswert. In bezug auf den Körper hätten Sie nicht gezweifelt, daß seine Natur in der Fähigkeit bestehe, gestaltet und umschrieben zu werden und einen Raum einzunehmen, und aus diesem Raum jeden anderen Körper auszuschließen ; was durch den Tastsinn, das Sehvermögen, das Gehör, den Geschmacksinn oder Geruchssinn erfaßt wird, sowie auf verschiedene Weise bewegt werden kann.6 Auch heute noch können Sie doch aber all das den Körpern beilegen, wenn auch freilich nicht allen alles : denn der Wind ist ein Körper und wird dennoch nicht durch das Sehvermögen erfaßt. Andere Eigenheiten sollten Sie indes nicht ausschließen : denn der Wind, das Feuer und vieles andere bewegt sich. Wenn Sie aber hinzufügen, daß Sie vorher dem Körper die Kraft, sich selbst zu bewegen7 abgestritten haben, dann leuchtet nicht ein, wie Sie das jetzt aufrechterhalten können. Als ob jeder Körper von seiner ihm eigenen 1

Med. II : 25, 21–24. 2 Med. II : 25, 26. 3 Med. II : 25, 31–26, 8 ; Resp. V : 351, 20–21. 4 Resp. V : 351, 21–22. 5 Med. II : 26, 8–11. 6 Med. II : 26, 11–18. 7 Med. II : 26, 20.

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Natur her unbeweglich sein müsse, und jede Bewegung dieses Körpers von einem unkörperlichen Prinzip herrühre. Dann müßte man die Einschätzung vertreten, daß ohne einen unkörperlichen Beweger weder das Wasser fließt, noch ein Tier geht. 2. Dann erkunden Sie, ob Sie bei weiterhin vorausgesetztem Betrug behaupten können, daß in Ihnen irgendetwas von dem sei, was Sie als zur Natur des Körpers gehörig eingeschätzt haben.1 Nachdem Sie dann eine äußerst aufmerksame Prüfung durchgeführt haben, sagen Sie, daß Sie dergleichen nicht in Ihnen antreffen. An dieser Stelle betrachten Sie sich gewissermaßen nicht als vollständigen Menschen, sondern gewissermaßen nur als den inneren oder verborgeneren Teil, wie Sie ihn sich als Seele gedacht hatten. Ich frage also Dich, o Seele, oder mit welchem Namen auch immer Du angesprochen werden möchtest : Hast Du jenen Gedanken bereits berichtigt, in dem Du Dir früher vorgestellt hast, Du seist irgendetwas wie der Wind oder ein vergleichbares, in die Körperglieder eingeflossenes Ding ? Natürlich hast Du das nicht getan. Weshalb kannst Du also nicht auch weiterhin ein Wind sein2 oder so etwas wie ein ganz feiner Spiritus, der sich durch die Körperglieder verbreitet und ihnen Leben verleiht, wenn die Wärme des Herzens reinstes Blut oder irgendetwas anderes erhitzt, oder es durch irgendeine andere Ursache ausgelöst wird, daß Du mit dem Auge siehst, mit dem Ohr hörst, mit dem Gehirn denkst und all die übrigen Leistungen erbringst, die man Dir gewöhnlich zuschreibt ? Wenn das so ist : Weshalb solltest Du nicht dieselbe Gestalt haben wie dieser gesamte Körper, so, wie die Luft dieselbe Gestalt hat wie das Gefäß, das sie enthält ? Weshalb vertrittst Du nicht die Einschätzung, von derselben Umgebung umschrieben zu sein wie der Körper oder von der Außenhaut des Körpers ? Weshalb nimmst Du nicht einen Raum bzw. Teile des Raumes ein,3 die der grobe Körper, bzw. dessen Teile nicht einnehmen ? Denn der grobe Körper hat kleine Poren, durch die Du dich verbreiten könntest, so daß dort, wo Deine Teile wären, die Teile des groben Körpers nicht sind, in derselben Weise wie in Wein, der mit Wasser vermischt ist, dort, wo die Teile des einen sind, die Teile des anderen nicht sind, mag auch das Sehvermögen sie noch so wenig 1

Med. II : 26, 24–27, 2.

2

Resp. V : 353, 4–5.

3

Resp. V : 353, 5.

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voneinander unterscheiden können. Weshalb schließt Du nicht einen anderen Körper aus demselben Raum aus ? Denn in wie kleinen Räumen auch immer Du sein wirst, dort können nicht zugleich die Teile eines gröberen Körpers sein. Weshalb bewegst Du Dich nicht in mehreren Bewegungen ?1 Da Du nämlich den Körpergliedern selbst mehrere Bewegungen zuschreibst, wie kannst Du das, ohne Dich selbst zu bewegen ? Gewiß wirst Du nicht bewegen, wenn Du unbewegt bist, denn dafür ist Anstrengung nötig, und Du mußt Dich bewegen, um Deinen eigenen Körper zu bewegen. Wenn all das so ist, weshalb sagst Du, in Dir befinde sich nichts von dem, was sich auf die Natur des Körpers bezieht ? 3. Du fährst fort : Auch ist nichts von dem in mir, was der Seele beigelegt wird, Sich-Ernähren oder Gehen.2 Nun, was das erste betrifft : Etwas kann ein Körper sein, ohne sich zu ernähren.3 Außerdem : Wenn Du ein solcher Körper bist, wie wir ihn Spiritus nennen, weshalb kannst nicht auch Du selbst – das Feinere – Dich durch das Noch-Feinere ernähren, wenn die gröberen Körperglieder durch eine gröbere Substanz ernährt werden ? Und wenn jener Körper, dessen Teile die gröberen Körperglieder sind, wächst, wächst Du selbst dann etwa nicht auch ? Und wenn dieser Körper geschwächt wird, wirst etwa nicht auch Du selbst geschwächt ?4 Was nun das Gehen betrifft : Da die Körperglieder auf Deine Veranlassung und zu jedem Ort nur gelangen, indem Du tätig bist und Dich bewegst, wie sollte dies ohne Dein Gehen geschehen ? Da ich ja nun einmal, sagst Du, keinen Körper mehr habe, sind dies auch nichts anderes als Erdichtungen.5 Aber ob Du nun uns zum besten hälst oder selbst zum besten gehalten wirst : Wir können uns jedenfalls nicht damit aufhalten. Wenn Du jedoch ernsthaft sprichst, dann ist es an Dir, zu beweisen, daß Du keinen Körper besitzt, den Du informierst, und daß Du nicht sogeartet bist, Dich gleichzeitig mit ihm ernähren und fortbewegen zu können. Außerdem fügst Du hinzu : Sinnlich-Wahrnehmen auch nicht. Und doch bist Du selbst es wirklich, der Farben sieht, Töne hört usw. Du sagst : Das geschieht nicht ohne Körper. Das glaube ich auch. Er1

Resp. V : 353, 5–6. 2 Med. II : 27, 2–3. 353, 27. 5 Med. II : 27, 3–5.

3

Resp. V : 353, 8–9.

4

Resp. V :

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stens aber steht Dir ein Körper zur Verfügung, und Du selbst bist in dem Auge, das ohne Dich überhaupt nicht sieht. Außerdem kannst Du ein feiner Körper sein und durch das Organ dieses Sinnes operieren. Sehr vieles, sagst Du, ist mir in Träumen erschienen, als ob ich es sinnlich wahrnähme, wovon ich dann bemerkt habe, daß dem gar nicht so gewesen war.1 Zugegebenermaßen kannst Du getäuscht werden, wenn Du etwas sinnlich wahrzunehmen scheinst, was man nur mit dem Auge sinnlich wahrnehmen kann, obwohl Du das Auge gar nicht verwendest. Aber Du hast doch weder immer dieselbe Falschheit erfahren,2 noch hast Du darauf verzichtet, das Auge zu verwenden, durch das Du sinnlich wahrgenommen und Bilder aufgenommen hast, die Du jetzt ohne Auge verwenden kannst. Schließlich entdeckst Du, daß Du denkst.3 Das ist nun in der Tat nicht in Abrede zu stellen. Trotzdem mußt Du noch beweisen, daß die Kraft, zu denken so über der körperlichen Natur steht, daß weder ein Spiritus, noch irgendein anderer bewegend-tätiger, reiner und feiner Körper durch irgendeine Disposition leicht in die Lage versetzt wird, das Denken ausüben zu können. Zugleich mußt Du beweisen, daß die Seelen der Tiere unkörperlich sind,4 die doch offenbar denken, bzw. jenseits der Funktionen der äußeren Sinne etwas erkennen, und zwar nicht nur in wachender, sondern auch in träumender Weise. Außerdem mußt Du auch hier wiederum beweisen, daß Dein grober Körper zu Deinem Denken überhaupt nichts beiträgt5 (denn Du bist doch niemals ohne ihn gewesen, und hast losgelöst von ihm bislang nichts gedacht), und Du daher von ihm unabhängig denkst : so daß Du von den üblen und fetten Dämpfen und dem Rauch, die das Gehirn mitunter so schlecht beeinflussen, weder gehemmt noch verwirrt werden kannst. 4. Du schließt : Demnach bin ich genaugenommen ein denkendes Ding, das heißt : Geist, bzw. Gemüt, bzw. Verstand, bzw. Vernunft.6 Hieran erkenne ich, daß ich Opfer eines Mißverständnisses geworden bin, erwartete ich doch, mich mit einer menschlichen Seele zu unterhalten, bzw. mit jenem inneren Prinzip, durch das ein Mensch lebt, sinnlich wahrnimmt, sich örtlich bewegt, einsieht. Aber ich unter1

Med. II : 27, 5–7. 2 Resp. V : 354, 14–16. 3 Med. II : 27, 7. 355, 19–20. 5 Resp. V : 355, 20–21. 6 Med. II : 27, 13–14.

4

Resp. V :

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hielt mich nur mit einem Geist, hat er doch nicht nur seinen Körper, sondern sogar auch die Seele selbst abgelegt. Oder machst Du, berühmter Herr, das etwa nur gemäß dem Vorbild der Alten, die zwar meinten, die Seele sei über den ganzen Körper verteilt, obgleich sie vermuteten, ihr oberster Teil, das ἡγεµονικὸν, habe seinen Sitz in einem bestimmten Teil des Körpers, etwa im Gehirn oder im Herzen ? Und zwar nicht, weil sie die Einschätzung vertreten hätten, man treffe die Seele auch in diesem Teil nicht an, sondern weil sie glaubten, der eben dort existierenden Seele werde der Geist gleichsam noch hinzugefügt, mit ihr vereinigt und informiere mit ihr gemeinsam den (Körper-)Teil. Freilich hätte ich mich daran erinnern müssen aufgrund dessen, was Du in Deinem Discours de la méthode diskutiert hast. Es scheint nämlich, daß Du dort alle Leistungen von der rationalen Seele unabhängig sein lassen willst, die man der vegetativen und der sensitiven Seele zuschreibt, und Du willst auch, daß man sie ausüben kann, bevor die rationale Seele hinzukommt, wie sie ja auch bei den Tieren ausgeübt werden, von denen Du behauptest, daß es in ihnen keine Vernunft gibt. Ich weiß nicht, wie ich das hatte vergessen können, außer weil mir zweifelhaft geblieben war, ob Du das Prinzip, durch das wir nicht weniger als die Tiere vegetieren und sinnlich wahrnehmen, lieber nicht Seele genannt wissen wolltest, sondern Seele im strengen Sinne unser Geist sei – obgleich man doch sagt, genaugenommen sei es gerade dieses Prinzip, das belebt, der Geist aber befähige zu nichts anderem als dazu, daß wir denken, was auch Du genau so behauptest. Mag das nun so sein, wie es will : Ab sofort werden wir Geist sagen, und das soll nichts anderes sein als ein denkendes Ding. Du fügst hinzu, allein das Denken könne nicht von Dir getrennt werden.1 Hier gibt es nichts, weswegen man Dir das bestreiten sollte, insbesondere wenn Du allein ein Geist bist und Du Deine Substanz von der Substanz der Seele nur der Betrachtung nach unterschieden sein lassen willst. Jedoch kann ich mir keinen Reim darauf machen, ob Du, wenn Du sagst, »das Denken könne von Dir nicht getrennt werden«, das so verstehst, daß Du unaufhörlich denkst, solange Du bist ?2 Das käme dann der Aussage berühmter Philosophen gleich, die, um 1

Med. II : 27, 8.

2

Resp. V : 356, 23–24.

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Deine Unsterblichkeit zu beweisen, annehmen, daß Du Dich unablässig bewegst, bzw., wie ich es interpretiere, unablässig denkst. Diejenigen aber, die nicht begreifen, wie Du im Tiefschlaf oder auch im Mutterleib denken kannst, werden sich nicht davon überzeugen lassen. An dieser Stelle bleibe ich erneut hängen. Nimmst Du an, daß Du schon im Mutterleib oder erst seit der Geburt in den Körper oder einen Teil von ihm eingetreten bist ? Aber ich möchte auf dieser Untersuchung nicht herumreiten und ebensowenig darüber nachdenken,1 ob Du Dich daran erinnerst, was Du im Mutterleib und in den ersten Tagen, Monaten oder Jahren nach der Geburt gedacht hast, und weshalb Du all das vergessen hast, falls Du darauf diese Antwort geben wirst. Ich möchte Dich nur dazu bringen, Dich daran zu erinnern, wie dunkel, wie gering, wie fast nichtig Dein Denken in jenen Zeiten gewesen ist. Du fährst fort, Du seist nicht das Gefüge der Körperteile, das menschlicher Körper genannt wird.2 Das müssen wir gelten lassen, weil Du Dich allein als denkendes Ding betrachtest und als Teil des menschlichen Zusammengesetzten, der von dem äußeren und gröberen unterschieden ist. Ich bin auch nicht, sagst Du, irgendeine feine, diese Körperteile durchströmende Luft, kein Wind, kein Feuer, kein Dampf, kein Hauch, noch irgendetwas anderes, das ich konstruiere : ich habe nämlich vorausgesetzt, all dies sei nichts. Diese Setzung soll bestehen bleiben.3 Jetzt lass’ es doch mal gut sein, o Geist, diese Setzungen, oder vielmehr Erdichtungen sollen sich doch endlich vom Acker machen. »Ich bin«, sagst Du, »keine Luft oder irgendetwas dergleichen«. Wenn nun aber die gesamte Seele doch etwas derartiges ist, weshalb solltest Du, der Du Dich für den edelsten Teil der Seele halten kannst, nicht die Einschätzung vertreten, auch Du seist gewissermaßen die Blüte, bzw. der feinste, reinste und tätigste Anteil dieser Seele ? Vielleicht, sagst Du, ist das, von dem ich voraussetze, es sei nichts, gar nicht von diesem Ich – das mir bekannt ist – unterschieden ? Ich weiß es nicht, darüber disputiere ich jetzt nicht.4 Wenn Du das aber nicht weißt, wenn Du nicht dar1

cogitare] in den Ausgaben unter Gassends Namen rogitare ; daher als Variante : und Dich auch nicht bitten/ersuchen. 2 Med. II : 27, 18–19. 3 Med. II : 27, 20–23. 4 Med. II : 27, 24–27.

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über disputierst, weshalb nimmst Du an, nichts von all dem zu sein ?1 Mir ist bekannt, sagst Du, daß ich existiere ; genau diese Kenntnis kann nicht von dem abhängen, das mir unbekannt ist.2 Das mag so sein ; erinnere Dich aber, daß Du noch nicht glaubhaft gemacht hast, nicht Luft, Dampf oder etwas anderes zu sein. 5. Demgemäß beschreibst Du, was das ist, was Du Anschauung nennst. Du sagst nämlich, sich etwas vorzustellen sei nichts anderes als sich in die Gestalt, bzw. das Bild eines körperlichen Dinges zu vertiefen.3 Natürlich, damit Du ableiten kannst, daß Du Deine Natur durch eine andere Art des Denkens als die Anschauung erkennst. Auch wenn es Dir gestattet sei, Anschauung nach Deinem eigenen Belieben zu definieren, möchte ich Dich fragen : Wenn Du körperlich bist – und das Gegenteil hast Du noch nicht nachgewiesen –, weshalb kannst Du Dich nicht unter einer körperlichen Gestalt oder einem körperlichen Bild betrachten (contemplari) ? Und ich frage Dich : Wenn Du Dich betrachtest, was erfährst Du eigentlich als Dir vorschwebend außer einer gewissen reinen, durchsichtigen, feinen Substanz vergleichbar einem Hauch, der den gesamten Körper oder das Gehirn oder zumindest einen Teil desselben durchzieht, belebt und dort Deine Funktionen besorgt ? Ich erkenne, sagst Du, daß nichts von dem, was ich mit Hilfe der Anschauung verstehen kann, die Kenntnis betrifft, die ich von mir habe.4 Wie Du das aber erkennst, sagst Du nicht ; und obwohl Du kurz zuvor festgestellt hast, noch nicht zu wissen, ob das zu Dir gehört, woraus, frage ich, schließt Du das jetzt ? 6. Du fährst fort, und daß der Geist äußerst sorgfältig davon abberufen werden muß, damit er seine eigene Natur möglichst deutlich erfaßt.5 Das forderst Du zurecht. Nachdem Du selbst Dich aber sehr sorgfältig davon ferngehalten hast, berichte doch bitte, wie deutlich Du Deine Natur erfaßt hast. Denn wenn Du sagst, daß Du nur ein denkendes Ding bist, so bringst Du nur eine Operation in Erinnerung, die alle vorher schon beherrschten. Was jedoch die operierende Substanz ist, wie sie zusammenhängt, wie sie sich in die Lage versetzt, 1

Resp. V : 357, 10–11. 2 Med. II : 27, 28–28, 1. 4 Med. II : 28, 15–17. 5 Med. II : 28, 17–19.

3

Med. II : 28, 45.

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so verschiedene Dinge auf so verschiedene Arten auszuführen, und andere solche uns bisher unbekannte Dinge, erklärst Du nicht. Du sagst : Durch den Verstand wird erfaßt, was durch die Anschauung (die Du mit dem Gemeinsinn (sensus communis) gleichsetzt) nicht erfaßt werden kann.1 Aber, o guter Geist, kannst Du darlegen, daß es mehrere und nicht ein einziges und einfaches Vermögen in uns gibt, durch das wir letztlich alles Beliebige erkennen ? Wenn ich bei geöffneten Augen die Sonne mit einem Blick erfasse, ist das offenkundig ein Akt sinnlicher Wahrnehmung (sensio). Wenn ich dann mit geschlossenen Augen für mich selbst die Sonne denke, ist das offenkundig eine innere Erkenntnis. Wie aber kann ich denn eigentlich imstande sein, zu unterscheiden, ob ich die Sonne mit dem Gemeinsinn, bzw. dem Anschauungsvermögen, nicht aber mit dem Geist, bzw. dem Verstand erfasse, so daß ich mir die Sonne nach Lust und Laune mal mit der Einsicht, die keine Anschauung beinhaltet, mal mit der Anschauung, die keine Einsicht beinhaltet, verständlich mache ? Wenn freilich trotz einer Gehirnstörung und eines beschädigten Anschauungsvermögens der Verstand unversehrt bliebe und die ihm eigenen Funktionen verrichten würde, dann könnte gesagt werden, daß die Einsicht von der Anschauung ebenso unterschieden sei wie die Anschauung von der äußeren sinnlichen Wahrnehmung. Weil dies aber kaum geschieht, ist es wirklich nicht leicht, einen solchen naheliegenden Kontrast festzustellen. Du siehst : Zu sagen, wie Du es tust, Anschauung liege dann vor, wenn wir uns in das Bild eines körperlichen Dinges vertiefen,2 führt dazu, daß – da man sich nur in dieser Hinsicht in einen Körper vertiefen kann – Körper also allein durch die Anschauung erkannt werden ; oder doch sicherlich so, daß man davon ein anderes erkennendes Vermögen nicht unterscheiden kann. Du sagst : Bislang kannst Du nicht umhin, zu meinen, daß die körperlichen Dinge, deren Bilder durch das Denken gebildet werden, und die durch die Sinne erkundet werden, sehr viel deutlicher erkannt werden als jenes Du weißt nicht welches Etwas von Dir, das nicht unter die Anschauung fällt : so daß es seltsam ist, daß zweifelhafte und Dir fremde Dinge deutlicher 1

Med. II : 34, 1–3.

2

Med. II : 28, 4–5.

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erkannt und verstanden werden.1 Zunächst einmal tust Du sehr gut daran, zu sagen jenes ich weiß nicht welches Etwas von Dir. Denn Du weißt tatsächlich nicht, was es ist, bzw. welche Natur es hat. Demgemäß kannst Du aber eben auch nicht sicherstellen, ob es nicht doch etwas von der Art ist, das in die Anschauung fallen kann. Außerdem scheint alle unsere Kenntnis ihren Ursprung ganz und gar bei den Sinnen zu haben. Denn auch wenn Du es bestreitest : Mir scheint es gleichwohl richtig zu sein, daß alles, was im Verstand ist, vorher in der sinnlichen Wahrnehmung sein muß. Denn unsere Kenntnis geschieht allein durch Eindringen – κατὰ περίπτωσιν, wie man sagt – und wird dann freilich durch Analogie, Zusammensetzung, Teilung, Erweiterung, Verminderung und andere ähnliche Weisen vollendet, an die zu erinnern hier nicht nötig ist. Es ist deshalb nicht erstaunlich, wenn das, was von selbst in den Sinn gerät und ihn durchläuft, im Gemüt einen tieferen Eindruck hinterläßt als das, was das Gemüt sich selbst von den in den Sinn geratenen Dingen ausdenkt und versteht, indem es lediglich eine Gelegenheit ergreift. Zwar nennst Du die körperlichen Dinge zweifelhaft, aber wenn Du dieses Wahre zugeben willst, so bist Du nicht weniger gewiß, daß der Körper existiert, in dem Du Dich befindest, und alle anderen, die Dich umgeben, als daß Du selbst existierst. Und da Du Dich Dir selbst nur durch die Operation manifestierst, die Denken genannt wird : Was bedeutet das im Hinblick auf die Manifestation derartiger Dinge ? Denn sie manifestieren sich nicht nur durch verschiedene Operationen, sondern auch durch viele ganz evidente Akzidenzien, durch Größe, Gestalt, Festigkeit, Farbe, Geschmack usw., so daß es nicht erstaunlich ist, wenn Du sie deutlicher als Dich erkennst und verstehst, obwohl sie außerhalb von Dir sind. Wie aber ist es möglich, daß Du ein fremdes Ding besser einsiehst als Dich selbst ? Nun, auf dieselbe Weise, in der das Auge die übrigen Dinge sieht, aber nicht sich selbst. 7. Was aber, sagst Du, bin ich demnach ? Ein denkendes Ding. Was ist das ? Nun – ein denkendes, einsehendes, behauptendes, bestreitendes, wollendes, nicht wollendes, und auch etwas sich vorstellendes und sinnlich wahrnehmendes Ding.2 Hier sagst Du vieles, mit dem ich mich im Einzelnen nicht aufhalte. Das einzige, wor1

Med. II : 29, 20–28.

2

Med. II : 28, 20–22.

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an ich hängenbleibe, ist, daß Du Dich ein sinnlich wahrnehmendes Ding nennst. Denn das ist erstaunlich, weil Du vorher doch bereits das Gegenteil behauptet hast. Oder hast Du vielleicht sagen wollen, es gebe außerhalb von Dir ein körperliches Vermögen, das im Auge, im Ohr und in den übrigen Organen angesiedelt ist, und das, indem es die Erscheinungsbilder der sinnlichen Dinge aufnimmt, die sinnliche Wahrnehmung so anbahnt, daß Du sie dann vervollständigen kannst und Du selbst es bist, der wirklich sieht, hört und das übrige sinnlich wahrnimmt ? Dies ist, wie ich meine, die Ursache, weswegen Du sowohl die sinnliche Wahrnehmung selbst, als auch die Anschauung zu einer Art des Denkens machst. Meinetwegen. Wenn dem aber so ist, dann schau doch mal, ob nicht in den Tieren eine sinnliche Wahrnehmung ist, die auch Denken genannt zu werden verdient, da sie der Deinigen nicht unähnlich ist, und so nicht auch in den Tieren ein Geist ist, der dem deinigen nicht ungleichartig ist. Du wirst sagen : »Ich habe meinen Haupsitz im Gehirn inne, und empfange alles, was von den durch die Nerven überlieferten Spiritus gemeldet wird, und so führe ich die sinnliche Wahrnehmung bei mir selbst durch, von der man sagt, sie geschehe im gesamten Körper«. Das mag sein : Aber die Tiere haben auch Nerven, Spiritus und ein Gehirn, und sie verfügen im Gehirn über ein erkennendes Prinzip, das das, was durch die Spiritus gemeldet wird, in derselben Weise empfängt und das die sinnliche Wahrnehmung vervollständigt. Du wirst sagen : »Dieses Prinzip im Gehirn der Tiere ist nichts anderes als die Phantasie, bzw. das Anschauungsvermögen«. Nun zeige doch, daß Du im Gehirn etwas anderes bist als Phantasie oder menschliches Anschauungsvermögen ! Ich fragte vor kurzem nach einem Kriterium, durch das Du beweisen könntest, etwas anderes zu sein ; aber Du wirst, wie ich vermute, keines beibringen. Du könntest freilich Operationen anführen, die viel weiter entwickelt sind als die, die von den Tieren zustandegebracht werden. Aber : Obwohl der Mensch als das am weitesten entwickelte Lebewesen gelten kann, wird er dennoch nicht aus der Menge der Lebewesen ausgenommen, und ebenso wirst auch Du nicht aus ihrer Menge ausgenommen, magst Du auch noch so sehr beweisen, daß Du über das am weitesten entwickelte Anschauungsvermögen bzw. die am weitesten entwickelte Phantasie verfügst. Denn auch wenn Du Dich in

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besonderer Weise Geist nennen magst, so kann das der Name einer würdigeren Natur sein, deswegen aber noch nicht einer verschiedenen. Um zu beweisen, daß Du von verschiedener (das heißt, wie Du behauptest : unkörperlicher) Natur bist, müßtest Du eine bestimmte Operation auf grundsätzlich andere Weise ausführen als es die Tiere tun, nämlich wenn auch nicht außerhalb des Gehirns, so zumindest unabhängig vom Gehirn : das aber tust Du nicht. Denn wenn das Gehirn verwirrt ist, wirst Du selbst verwirrt sein, und wenn es zugrunde geht, wirst Du selbst zugrunde gehen, und wenn ihm die Erscheinungsbilder der Dinge entfallen, wirst Du selbst noch nicht einmal eine Spur von ihnen behalten. Du sagst : »All das geschieht bei den Tieren durch einen blinden Impuls der Spiritus und der übrigen Organe : auf dieselbe Weise, in der sich in einer Uhr oder einer anderen Maschine Bewegungen vollziehen«. Aber auch wenn das in bezug auf die übrigen Funktionen wie Ernährung, Pulsschlag und dergleichen richtig sein mag, die sich in derselben Weise auch beim Menschen vollziehen : kann man etwa behaupten, daß auch die Tätigkeiten der Sinne oder das, was man die Leidenschaften der Seele nennt, sich zwar bei den Tieren durch einen blinden Antrieb vollziehen, aber nicht bei uns ? Ein Stück Fleisch sendet sein Erscheinungsbild in das Auge des Hundes, das, wenn es bis ins Gehirn übertragen wird, der Seele anhängt, als hätte es einen Haken. Und ebenso wird die Seele ihrerseits und mit ihr zusammenhängend der gesamte Körper gewissermaßen durch allerfeinste Kettchen zum Stück Fleisch hingezogen. Wenn man einen Stein aufhebt, um jemandem zu drohen, dann sendet der Stein sein Erscheinungsbild aus, das wie ein Hebebaum die Seele forttreibt und zusammen mit ihr auch den Körper vertreibt, bzw. zur Flucht zwingt. Geschieht dasselbe beim Menschen etwa nicht ? Vielleicht gibt es eine ganz andere Weise, in der dies in Deinem Vertsändnis geschieht ; wenn ja, wäre ich Dir sehr verbunden, wenn Du mir sie erklären würdest. Du sagst : »Ich bin frei, und es unterliegt meinem Einfluß, den Menschen ebenso von der Flucht wie von der Erstrebung abzuhalten.« Aber das erkennende Prinzip tut beim Tier genau dasselbe. Es kommt doch vor, daß ein Hund auf das Stück Fleisch losgeht, das er anvisiert hat, wenn ihn Drohungen und Schläge nicht verschrecken, und oft tun Menschen doch genau dasselbe. Du sagst : »Ein Hund bellt aus einem

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bloßen Antrieb, nicht aus einer Wahl heraus, wie wenn ein Mensch spricht«. Aber es gibt auch beim Menschen Ursachen, aufgrund derer man zu der Einschätzung gelangt, er spreche aus bloßem Antrieb ; denn auch das, was Du einer Wahl zuschreibst, geschieht aus einem übergeordneten Antrieb heraus, und auch einem Tier steht eine Wahl offen, wo der Antrieb übergeordnet ist. Ich habe jedenfalls einmal einen Hund gesehen, der sein Bellen so sehr einer Fanfare angeglichen hatte, daß er alle Wechsel der Tonhöhe und des Tempos nachahmte, wie beliebig und unvorhersehbar sie auch verbreitet oder hervorgebracht wurden. Du sagst : »Tieren fehlt die Vernunft«. Natürlich haben sie keine menschliche, aber doch ihre ; und daher scheint man sie nicht ἄλογα nennen zu dürfen, außer verglichen mit uns, bzw. verglichen mit unserer Art, da im übrigen der λόγος bzw. ratio so allgemein zu sein scheint, daß man sie ihnen ebenso beilegen kann wie das erkennde Vermögen oder der innere Sinn. Du sagst : »Sie schlußfolgern nicht.« Aber obwohl sie nicht so vollkommen und nicht über so viele Dinge schlußfolgern wie Menschen, so schlußfolgern sie gleichwohl, und ein Kontrast scheint nur im Hinblick auf den Grad zu bestehen. Du sagst : »Sie sprechen nicht.« Aber obwohl sie keine menschlichen Ausdrücke hervorbringen (denn sie sind keine Menschen), bringen sie dennoch ihre eigenen hervor, und verwenden die ihrigen genau so wie wir die unsrigen. Du sagst : »Auch ein Wahnsinniger kann mehrere Ausdrücke verknüpfen, um etwas zu bezeichnen, während das auch das klügste Tier nicht kann.« Aber sieh zu, ob Du gerecht genug bist, von einem Tier menschliche Ausdrücke zu verlangen, ihre eigenen aber gar nicht zu beachten. Aber das bedarf einer längeren Untersuchung. 8. Dann bringst Du das Beispiel des Wachses.1 Neben vielem anderen, das Du anhand dieses Beispiels verhandelst, weist Du darauf hin, daß das, was man die Akzidentien des Wachses nennt, etwas anderes ist als das Wachs selbst oder seine Substanz, und daß es nötig ist, allein mit dem Geist bzw. dem Verstand, nicht jedoch mit dem Sinn oder der Anschauung das Wachs als solches oder seine Substanz zu erfassen. Das ist nun erstens dasselbe, was doch gemeinhin alle zugeben, nämlich daß man den Begriff des Waches oder seine Substanz von den Begriffen der 1

Med. II : 30, 3–31, 28.

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Akzidentien abstrahieren kann. Wird aber deshalb die Substanz bzw. die Natur des Wachses schon deutlich begriffen ? Wir begreifen zwar, daß es außer der Farbe, der Gestalt, der Schmelzbarkeit usw. etwas gibt, was das Subjekt der Akzidenzien und der Veränderungen ist, die wir beobachtet haben ; aber was und wie geartet es ist, wissen wir nicht. Es bleibt nämlich stets verborgen, und man meint nur – gewissermaßen aufgrund einer Vermutung –, es müsse irgendetwas Zugrundeliegendes geben. Daher wundere ich mich, wie Du sagen kannst, daß Du nach der Beseitigung der Formen, die gewissermaßen wie Kleidungsstücke sind, vollkommener und evidenter erfaßt, was das Wachs ist. Denn Du erfaßt zwar, daß das Wachs oder seine Substanz etwas anderes sein muß außer derartigen Formen ; was dieses Etwas aber ist, erfaßt Du nicht, wenn Du uns nicht täuschst. Das offenbart sich Dir nämlich nicht so offenkundig wie es sich bei einem Menschen offenbart, von dem wir zuerst nur die Kleidung und den Hut erblicken, aber dann, wenn wir ihm das ausziehen, wissen können, wer und was für einer er ist. Außerdem : Wenn Du meinst, Du könntest das irgendwie erfassen, wie, bitte, erfaßt Du es denn ? Etwa nicht wie etwas Ausgebreitetes und Ausgedehntes ? Denn Du begreifst es doch nicht gleichsam als Punkt, obwohl es doch etwas ist, dessen Ausdehnung mal weiter und mal kontrahierter ist. Da nun eine derartige Ausdehnung nicht unendlich ist und eine Schranke besitzt, begreifst Du es doch wohl auch als in irgendeiner Weise gestaltet. Da es Dir nun scheint, daß es Du gewissermaßen siehst, wirst Du ihm doch wohl auch irgendeine Farbe andichten, und sei sie noch so verworren. Sicherlich hälst Du es doch wohl für körperlicher und so auch für sichtbarer als den bloßen leeren Raum. Deswegen ist Deine Einsicht auch eine bestimmte Form von Anschauung. Wenn Du sagst, daß Du das Wachs ohne irgendwelche Ausdehnung, Gestalt und Farbe begreifst, dann sage mir doch mal ehrlich : wie denn dann also ? Was Du über die Menschen ausführst, die wir beobachtet, bzw. mit dem Geist erfaßt haben und von denen wir gleichwohl nur Hüte oder Mäntel erblicken,1 zeigt nicht, daß es eher der Geist als das Anschauungsvermögen ist, der beurteilt. Ein Hund, dem Du freilich nicht einen entsprechenden Geist zubilligst, urteilt gewiß in derselben Wei1

Med. II : 32, 6–10.

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279

se, wenn er nicht seinen Herrn, sondern nur einen Hut oder Mäntel sieht. Was sagst Du hierzu : Ein Hund erkennt immer seinen Herrn, obgleich er mal steht, mal sitzt, mal liegt, sich zurücklehnt, sich zusammenkauert oder sich streckt. Der Herr kann unter allen diesen Formen sein, unter der einen nicht mehr als unter einer anderen, in demselben Verhältnis wie das Wachs. Und wenn der Hund einen davonlaufenden Hasen jagt, und er ihn zuerst unversehrt sieht, dann tot und später gehäutet und in Bissen zerlegt : Meinst Du, daß er ihn nicht stets für denselben Hasen hält ? Wenn Du demnach sagst, daß die Erfassung von Farbe, Härte und dergleichen kein Anblicken, keine Berührung, sondern allein ein Einblick des Geistes ist,1 dann mag das so sein, falls der Geist tatsächlich nicht von dem Anschauungsvermögen verschieden ist. Wenn Du aber hinzufügst, dieser Einblick könne unvollkommen und verworren, oder vollkommen und deutlich sein, je nachdem, ob man weniger oder mehr dasjenige berücksichtigt, woraus das Wachs besteht,2 so zeigt das doch vielmehr, daß die Einsicht in dieses ich weiß nicht welche Ding, das es neben allen Formen gibt, die der Geist genommen hat, keineswegs eine klare und deutliche Erkenntnis des Wachses ist, sondern daß die Einsicht in alle Akzidentien und Veränderungen klar und deutlich ist, deren das Wachs fähig ist, die der Sinn genommen hat, soweit es eben möglich ist. Aufgrund dieser Einsicht werden wir gewiß begreifen und erklären können, was wir unter dem Namen des Wachses verstehen ; jene nackte oder vielmehr verborgene Substanz hingegen können wir weder selbst begreifen noch anderen erklären. 9. Dementsprechend fahrst Du fort : Was aber kann ich über diesen Geist selbst, bzw. über mich selbst sagen ? Noch lasse ich nämlich nicht gelten, daß irgendetwas anderes in mir ist außer Geist. Was, sage ich, bin ich selbst, der ich dieses Wachs so deutlich zu erfassen scheine ? Sollte ich mich selbst nicht nur viel wahrer, viel sicherer, sondern auch viel deutlicher und evidenter erkennen ? Denn wenn ich aufgrund dessen, daß ich das Wachs sehe, urteile, daß es existiert, ergibt sich doch 1

Med. II : 31, 23–25.

2

Med. II : 31, 25–28.

273,20

280

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noch viel mehr, daß ich selbst existiere. Es mag nämlich sein, daß das, was ich sehe, nicht wirklich Wachs ist ; es mag auch sein, daß ich nicht einmal Augen habe, durch die mir irgendetwas erscheint ; aber es kann schlicht überhaupt nicht sein, daß, wenn ich sehe, bzw. (was ich jetzt nicht unterscheide) wenn ich denke, daß ich sehe, ich selbst, der Denkende, nicht irgendetwas bin. Aus einer vergleichbaren Überlegung heraus ergibt sich wiederum dasselbe. Denn wenn ich aufgrund dessen, daß ich es berühre, urteile, daß es Wachs ist, ergibt sich ebenso, daß ich bin ; und genau dasselbe daraus, daß ich es vorstelle, oder aus irgendeiner anderen Ursache. Dasselbe, was ich in bezug auf das Wachs bemerke, kann aber auf alles andere angewendet werden, das außerhalb von mir vorhanden ist.1

274,23

All das sind Deine Worte. Ich gebe sie hier wieder, damit Du bemerkst, was sie beweisen. Denn daraus, daß Du deutlich siehst oder erkennst, daß das Wachs und seine Akzidenzien existieren, erkennst Du wohl deutlich, daß Du existierst. Das weist aber nicht nach, daß Du deswegen schon erkennst, wer oder was für einer Du bist,2 und zwar weder deutlich noch undeutlich. Das aber wäre doch nötig gewesen : denn daß Du existierst, wird ja gar nicht bezweifelt. Beachte auch bitte, daß ich hier ebensowenig darauf herumreite, wie ich vorher darauf herumgeritten bin, daß, obwohl Du in Dir nichts zuläßt außer Geist allein und Du daher Augen, Hände und die übrigen körperliche Organe ausschließt, Du dennoch über das Wachs und seine Akzidentien sprichst, die Du siehst, berührst usw., die Du doch wohl ohne Augen weder sehen noch ohne Hände berühren kannst (bzw., wie Du Dich ausdrückst : denken kannst, daß Du sie siehst oder berührst).3 Du fährst fort : Wenn nun die Erfassung des Wachses viel deutlicher zu sein scheint, nachdem es mir nicht durch das Sehvermögen oder den Tastsinn allein, sondern noch aus mehreren anderen Ursachen heraus bekannt geworden ist, muß eingeräumt werden, daß ich 1

Med. II : 33, 1–19.

2

Resp. V : 359, 18–19.

3

Resp. V : 360, 20–23.

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281

dann noch viel deutlicher mich selbst erkennen werde ; denn alle Erkenntnisgründe, die zur Erfassung entweder des Wachses oder auch irgendeines anderen Körpers beitragen können, weisen ja ohne Ausnahme zugleich auch die Natur meines Geistes nach.1

Aber ebenso, wie das, was Du in bezug auf das Wachs deduziert hast, nur die Erfassung der Existenz des Geistes nachweist, nicht aber seine Natur, ebensowenig wird irgendetwas anderes etwas Weitergehendes nachweisen. Wenn Du aus der erfaßten Substanz des Wachses oder anderer Dinge irgendetwas Darüberhinausgehendes deduzieren willst, könntest Du nur ableiten, daß genauso, wie wir jene Substanz nur verworren und als irgendwie geartetes Etwas begreifen, auch der Geist begriffen wird, so daß man das mit Fug und Recht wiederholen kann, was Du gesagt hast, jenes ich weiß nicht welches Etwas von Dir.2 Du schließt : Und so bin ich letztendlich von selbst dort wieder angelangt, wohin ich wollte. Denn da mir nunmehr bekannt ist, daß selbst der Geist und die Körper nicht eigentlich durch die Sinne oder durch das Vorstellungsvermögen, sondern durch den Verstand allein erfaßt werden, und daß sie nicht dadurch erfaßt werden, daß sie berührt oder gesehen werden, sondern allein dadurch, daß sie eingesehen werden, so erkenne ich sehr genau, daß nichts leichter oder auch evidenter von mir erfaßt werden kann als mein Geist.3

Das sagst Du. Ich aber sehe nicht, woraus Du deduzierst oder ganz offenbar erkennst, daß Du irgendetwas anderes von Deinem Geist erfassen kannst als daß er existiert. Daher sehe ich auch nicht, was bezüglich dessen sollte geleistet worden sein, was im Titel der Meditation versprochen worden war, nämlich daß in ihr zustandegebracht werde, daß der menschliche Geist bekannter ist als der Körper. Es war nämlich nicht Deine Absicht, nachzuweisen, daß es einen menschlichen Geist gibt, oder daß seine Existenz bekannter ist als die Existenz des Körpers – denn zumindest daß es ihn gibt oder er existiert, wird doch von niemandem bestritten –, sondern Du wolltest doch wohl zweifels1

Med. II : 33, 19–26.

2

Med. II : 29, 23–24.

3

Med. II : 33, 30–34, 6.

275,10

282

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ohne die Natur des Geistes bekannter machen als die der körperlichen Natur, das aber hast Du nicht geleistet. In bezug auf die körperliche Natur bist Du genau das durchgegangen, o Geist, was uns auch bekannt ist, die Ausdehnung, die Gestalt, die Einnahme von Raum usw. In bezug auf Dich hingegen, was denn letztlich ? Du bist kein körperliches Gefüge, keine Luft, kein Wind, kein gehendes Ding, kein sinnlich wahrnehmendes, kein sonstwie geartetes. All das zugegeben (von dem Du gleichwohl auch einiges zurückgewiesen hast), so ist das doch nicht das, was wir erwarten. Denn das sind doch alles Negationen, und es geht doch nicht darum, was Du nicht bist, sondern was Du eigentlich bist. Und so verweist Du uns wieder auf Deine Höchstleistung, daß Du ein denkendes Ding bist, das heißt : ein zweifelndes, behauptendes Ding usw. Aber : Zu sagen, Du seist ein Ding, bedeutet erstens, etwas ganz Unspezifisches zu sagen, denn dieser Ausdruck ist allgemein, unbestimmt, ungenau, und betrifft Dich nicht mehr als irgendetwas anderes auf der ganzen Welt, nicht mehr als irgendetwas anderes, das nicht schlichtweg nichts ist. Du bist ein Ding ? Das heißt : Du bist nicht nichts ; bzw., was dasselbe ist : Du bist etwas. Aber ein Stein ist ebenfalls nicht nichts, bzw. er ist etwas, und eine Fliege ebenso und alles andere auch. Außerdem : Wenn Du Dich ein denkendes Ding nennst, dann bezeichnest Du Dich zwar als ein spezifisches Ding, aber Du sagst etwas, das wir vorher auch schon wußten und wonach wir Dich nicht gefragt haben. Denn wer bezweifelt, ein denkendes Ding zu sein ? Was uns verborgen bleibt, wonach wir fragen, ist Deine innerste Substanz, deren Eigenschaft darin besteht, zu denken. Deshalb wäre es nötig gewesen, zu untersuchen und zu schließen, nicht daß Du ein denkendes Ding bist, sondern was für ein Ding Du bist, der Du ein denkendes Ding bist. Wenn man Dich um eine Auskunft über Wein bittet, die über das gewöhnliche Maß hinausgeht, wird es dann etwa genügen, wenn Du sagst : »Wein ist ein flüssiges Ding, aus Trauben gepreßt, weiß oder rot, süß, berauschend usw.« ? Natürlich nicht, sondern Du wirst versuchen, so gut es geht seine innere Substanz ausfindig zu machen und darzulegen, was man beim Herstellen beobachten kann, wenn Alkohol, Phlegma, Tartar und die übrigen Bestandteile in dieser oder jener Quantität und dem einen oder anderen Mischungsverhältnis miteinander vermischt werden. Du siehst : Wenn nach einer über das gewöhnliche Maß hin-

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ausgehenden Kenntnis gefragt wird – das heißt : über das hinausgehend, was man schon hat –, dann reicht es zweifelsohne ebensowenig aus, wenn Du uns verkündest, daß Du ein denkendes, zweifelndes, einsehendes usw. Ding bist, sondern dafür mußt Du Dich auf Dich selbst stützen, um Dich gewissermaßen in einer chemischen Analyse1 selbst zu untersuchen, damit Du Deine innere Substanz entdecken und uns vorzeigen kannst. Wenn Du das leistest, werden wir selbst ausfindig machen, ob Du bekannter bist als der Körper selbst, dessen Beschaffenheit durch die Anatomie, die Chemie, durch so viele andere Techniken, so viele Sinne, so viele Experimente manifestiert wird.

G E G E N D I E D R I T T E M E D I TAT I O N . Über Gott, daß er existiert. 1. In der dritten Meditation erkennst Du, daß die klare und deutliche Kenntnis einer Proposition die Ursache der Gewißheit ist, die Du von der Proposition Ich bin ein ein denkendes Ding hast. Daraus leitest Du ab, dies als allgemeine Regel aufstellen zu können : Alles das ist wahr, das ich äußerst klar und deutlich erfasse.2 Nun, auch zugegeben, daß sich in dieser Finsternis, in der alle Dinge im Verborgenen liegen, bislang keine bessere Regel gefunden hat : Da wir sehen, daß so viele sehr fähige Geister – die doch, wie es scheint, viele Dinge ebenso klar wie deutlich hätten erfassen müssen – die Einschätzung vertreten haben, daß die Wahrheit der Dinge entweder in Gott oder in einem Brunnen verborgen liegt : sollte man da nicht vermuten dürfen, daß vielleicht auch diese Regel ebenso täuscht ? Da Dir die Argumente der Skeptiker gewiß nicht unbekannt sind : Was könnten wir als wahr, gewissermaßen als klar und deutlich erfaßt ableiten, wenn nicht : Das, was irgendwie erscheint, erscheint. Ich erfasse den Geschmack einer Melone klar und deutlich als angenehm : und so ist es wahr, daß der Geschmack der Melone mir in dieser Weise erscheint. Wie aber kann ich mich davon überzeugen, es sei deswegen wahr sei, daß in der Melone selbst ein solcher Geschmack ist ? Wie denn ? Denn als ich ein 1

Resp. V : 359, 24.

2

Med. III : 35, 14–15 ; Resp. V : 361, 9 ff.

277,11

284

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Kind war – und bei guter Gesundheit –, habe ich anders geurteilt, und habe klar und deutlich einen anderen Geschmack in der Melone erfaßt. Außerdem sehe ich, daß es vielen Menschen anders erscheint, und ich sehe, daß es auch vielen Tieren anders erscheint, die einen gut ausgebildeten Geschmacksinn haben und denen es blendend geht. Widerspricht also das Wahre dem Wahren ? Oder verhält es sich nicht vielmehr so : Etwas ist nicht deshalb schon für sich genommen wahr, weil es klar und deutlich erfaßt wird, sondern wahr ist nur, daß es klar und deutlich als ein solches erfaßt wird. Nahezu dasselbe muß über das gesagt werden, was sich auf den Geist bezieht. Ich hätte einen Eid darauf abgelegt : Man kann nur von einer geringeren Quantität zu einer größeren übergehen, indem man durch eine gleiche Quantität hindurchgeht. Ebenso : Zwei sich einander kontinuierlich annähernde Linien müssen zuletzt ineinanderlaufen, wenn man sie unendlich verlängert. Es erschien mir nämlich, diese Dinge so klar und deutlich zu erfassen, daß ich sie für ganz wahre und absolut unzweifelhafte Axiome hielt. Gleichwohl hat es später Argumente gegeben, die mich von dem Gegenteil überzeugten und mich dazu brachten, dieses Gegenteil für gewissermaßen noch klarer und deutlicher erfaßt zu halten. Nun aber schwanke ich wieder, wenn ich die Natur mathematischer Voraussetzungen betrachte. Deswegen kann man zwar sagen : Es ist wahr, daß ich die einen oder anderen Propositionen über Quantität, Linien und dergleichen erkenne, wenn ich nur voraussetze oder begreife, daß sie sich zueinander in dieser Weise verhalten. Es läßt sich aber überhaupt nicht als Grundsatz aufstellen, daß schon deswegen diese Propositionen für sich genommen wahr sind. Mag es nun mit den mathematischen Dingen stehen, wie es will : Was die übrigen Dinge betrifft, nach denen jetzt gefragt wird, weshalb bitte gibt es dann so viele und so vielfältige Meinungen unter den Menschen ? Jeder meint, das klar und deutlich zu erfassen, was er verteidigt. Damit Du nun nicht sagst, die meisten seien bloß starrköpfig oder täten nur so als ob : Sieh doch, es gibt Leute, die für die von ihnen vertretenen Meinungen sogar in den Tod gehen, obwohl sie sehen, daß andere Leute ihn für die entgegengesetzte Meinung erleiden. Oder meinst Du, daß irgendjemand auch dann noch aus Überzeugung keine wahren Äußerungen tut ? Zwar berührst auch Du selbst die Schwierigkeit, daß Du früher vieles als ganz und gar

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285

sicher und offenkundig hast gelten lassen, von dem Du später entdeckst hast, daß es zweifelhaft ist.1 An dieser Stelle aber hebst Du die Regel weder auf, noch festigst Du sie. Statt dessen ergreifst Du nur die Gelegenheit, Dich mit den Ideen auseinanderzusetzen, durch die Du zum Narren gehalten worden bist, da sie Dir bestimmte Dinge, die es außerhalb von Dir vielleicht gar nicht gibt, so repräsentieren, als befänden sie sich außerhalb von Dir. Außerdem handelst Du erneut den Betrügergott ab, von dem Du bezüglich folgender Sätze hast getäuscht werden können : Zwei und drei ergeben fünf, ein Quadrat hat nicht mehr als vier Seiten ;2 wodurch Du wohl zu verstehen geben willst, daß die Bestätigung der Regel erst erfolgen könne, wenn Du gezeigt hast, daß es einen Gott gibt, der kein Betrüger sein kann. Doch um das bereits im Vorwege zu sagen : Die Aufgabe besteht doch weniger darin, diese Regel zu bestätigen, die es so leicht macht, etwas Falsches als wahr gelten zu lassen, sondern, eine Methode vorzulegen, die uns anzuleiten und zu lehren vermag, wann wir uns täuschen oder uns nicht täuschen, wenn wir meinen, etwas klar und deutlich zu erfassen. 2. Demgemäß unterscheidest Du die Ideen (die Du als Gedanken aufgefaßt wissen willst, obgleich sie gewissermaßen Bilder sind) in angeborene, erworbene und erzeugte. Zur ersten Gattung rechnest Du, daß Du einsiehst, was ein Ding ist, was Wahrheit, was Denken ; zur zweiten, daß Du ein Geräusch hörst, die Sonne siehst, ein Feuer empfindest ; zur dritten, daß Du Dir Sirenen und Hippogryphe konstruierst. Du fügst hinzu, daß vielleicht alle erworben, oder alle angeboren, oder alle erzeugt sein können, solange Du ihre wahre Entstehung noch nicht klar durchschaut hast.3 Nun, damit Dir keine Täuschung unterläuft, während Du Dich umschaust, scheint folgende Anmerkung angebracht zu sein : Alle Ideen scheinen von außer dem Geist selbst existierenden Dingen auszugehen und in einen Sinn zu gelangen. Daher scheinen sie erworben zu sein. Offenbar hat der Geist nicht nur das Vermögen (oder ist vielmehr selbst das Vermögen), die erworbenen Ideen selbst zu durchschauen, bzw. diejenigen, die er durch die Sinne vermittelt von den Dingen er1

Med. III : 35, 16–18.

2

Med. III : 36, 2.

3

Med. III : 37, 29–38, 10.

279,18

286

280,8

280,20

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hält, zu durchschauen, ich meine : sie unbearbeitet und voneinander unterschieden, d. h. einfach so, wie er sie aufnimmt, zu durchschauen ; sondern er hat darüber hinaus auch das Vermögen, sie vielfältig zusammenzusetzen, zu zerlegen, zu verringern, zu vergrößern, zu vergleichen und ähnliches von dieser Art.1 Deshalb unterscheidet sich zumindest die dritte Gattung der Ideen nicht von der zweiten. Denn die Idee einer Chimäre ist nichts anderes als die Idee eines Löwenkopfes, eines Ziegenleibes, eines Schlangenschwanzes, aus denen der Geist eine Idee zusammensetzt, obgleich sie separat, bzw. einzeln erworbene Ideen sind. Ebenso ist die Idee eines Giganten, oder eines Menschen, der so groß ist wie ein Berg oder die ganze Welt umfasst, nichts anderes als eine erworbene, nämlich die Idee eines Menschen von gewöhnlicher Größe, die der Geist nach Lust und Laune vergrößert, wenn auch diese Idee umso verworrener wird, je weiter der Geist sie im Denken setzt. Genauso ist die Idee einer Pyramide, einer Stadt, oder eines anderen, noch nicht gesehenen Dinges nichts anderes als die erworbene Idee einer vorher gesehenen Pyramide, Stadt oder eines anderen Dinges – nur etwas verformt, und demnach durch irgendeinen verworrenen Gedankengang kopiert und arrangiert. Was die Erscheinungsbilder betrifft, die Du angeboren nennst, so scheint es sie tatsächlich gar nicht zu geben, und alle, die so genannt werden, scheinen von ihrem Ursprung her erworben zu sein. Ich habe es, sagst Du, aus meiner Natur, daß ich einsehe, was ein Ding ist.2 Nun meine ich nicht, daß Du über die Kraft, einzusehen als solche sprechen willst, die ganz außer Zweifel und außer Frage steht, sondern vielmehr über die Idee des Dinges. Ebensowenig sprichst Du über die Idee irgendeines besonderen Dinges : denn die Sonne, dieser Stein, alles Einzelne, das sind Dinge, von denen Du nicht sagst, sie seien angeborene Ideen. Du sprichst also über die Idee des Dings ganz allgemein betrachtet, die demnach mit dem Seienden synonym ist und sich ebenso weit erstreckt. Nun frage ich Dich : Wie kann diese Idee im Geist vorhanden sein, wenn es nicht zugleich ebensoviele Einzeldinge und ihre Gattungen sind, aus denen der Geist einen Begriff abstrahieren 1

Resp. V : 362, 7–10.

2

Med. III : 38, 1–4.

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287

und bilden kann, der keine Eigenschaft irgendeines dieser Einzeldinge ist, und dennoch allen zukommt ? Wenn demnach die Idee des Dinges angeboren ist, wird auch die Idee des Tieres, der Pflanze, des Steines und überhaupt aller Universalien angeboren sein.1 Es wird nicht nötig sein, uns damit zu ermüden, mehrere Einzeldinge zu unterscheiden, damit wir, nachdem wir die verschiedenen Unterscheidungsmerkmale verworfen haben, allein das übrigbehalten, was allen gemeinsam zu sein scheint, bzw., was dasselbe ist, die Idee der Gattung. Du sagst auch, Du hättest es aus Deiner Natur, einzusehen, was die Wahrheit ist, bzw., wie ich es interpretiere, die Idee der Wahrheit. Nun, wenn Wahrheit nichts anderes ist als Übereinstimmung des Urteils mit dem Sachverhalt, über den das Urteil gefällt wird, dann ist Wahrheit eine bestimmte Relation und demnach ist sie nichts, was von dem Sachverhalt und der auf ihn bezogenen Idee selbst unterschieden wäre, bzw., was dasselbe ist, nichts, was von der Idee des Sachverhalts selbst verschieden wäre ; denn die Idee repräsentiert sowohl sich selbst als auch den Sachverhalt. Daher ist die Idee der Wahrheit nichts anderes als die Idee des Sachverhalts, insofern sie mit dem Sachverhalt übereinstimmt, bzw. insofern sie ihn in der Weise repräsentiert, wie er ist. Demnach ist, wenn die Idee eines Sachverhalts nicht angeboren, sondern erworben ist, auch die Idee der Wahrheit erworben und nicht angeboren. Da dies nun in bezug auf jede beliebige einzelne Wahrheit einsichtig ist, ist es auch in bezug auf die allgemeine Wahrheit einsichtig, deren Grundbegriff, bzw. Idee (wie bereits in bezug auf die Idee des Dings gesagt wurde) aus den Grundbegriffen bzw. Ideen der Einzeldinge gewonnen wird. Anderseits sagst Du, Du habest es aus Deiner Natur, einzusehen, was Denken ist (ich interpretiere das immer als Idee des Denkens). Aber so, wie sich der Geist aus der Idee einer Stadt die Idee einer anderen konstruiert, genauso kann er sich auch aus der Idee einer Tätigkeit, wie dem Anblicken oder Schmecken, die Idee einer anderen konstruieren, zum Beispiel die des Denkens. Denn es läßt sich zwischen den erkennenden Vermögen eine gewisse Analogie erkennen, und die eine führt leicht auf die Kennntnis einer anderen. Jedoch muß man sich 1

Resp. V : 362, 20–22.

281,12

281,26

288

282,7

283,1

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nicht um die Idee des Denkens bemühen, sondern vielmehr um die Idee des Geistes selbst, und daher auch der Seele ; denn wenn wir zugeben, daß sie angeboren ist, spricht nichts dagegen, zuzugeben, daß auch die Idee des Denkens angeboren ist. Daher gilt es abzuwarten, bis der Sachverhalt in bezug auf den Geist, bzw. die Seele bewiesen ist. 3. Als nächstes scheinst Du »nicht nur in Zweifel zu ziehen, ob irgendwelche Ideen von äußeren Dingen herrühren, sondern auch, ob es überhaupt irgendwelche äußeren Dinge gibt«. Du scheinst das demgemäß so abzuleiten : »Obwohl in Dir Ideen der Dinge sind, die äußerlich genannt werden, belegen diese Ideen gleichwohl nicht, daß es Dinge gibt, weil sie ja nicht notwendig von ihnen herrühren, sondern entweder durch sich selbst oder auf irgendeine andere mir unbekannte Weise entstanden sein können.« Aufgrund dieser Ursache hast Du, wie ich meine, vorher gesagt, »daß Du früher nicht die Erde, den Himmel, die Gestirne erfaßt hast, sondern die Ideen der Erde, des Himmels, der Gestirne, durch die eine Irreführung hat geschehen können«. Wenn Du also noch nicht glaubst, daß es die Erde, den Himmel, die Gestirne und das Übrige gibt, weshalb, bitte, gehst Du über die Erde,1 bewegst Deinen Körper fort, um zur Sonne aufzuschauen ? Weshalb bringst Du ihn zum Feuer, um Wärme zu empfinden ? Weshalb zum Tisch oder zum Essen, um Deinen Hunger zu stillen ? Weshalb bewegst Du die Zunge, um zu sprechen, oder die Hand, um dies für uns zu aufzuschreiben ? Zwar können diese Dinge gesagt oder feinsinnig ausgedacht werden, aber sie bringen die Angelegenheit um nichts voran. Da Du nun tatsächlich eben nicht zweifelst, daß es diese Dinge außer Dir gibt, wollen wir ernsthaft und ehrlich so vorgehen, wie die Sache sich verhält und auch so sprechen. Wenn Du nun – die Existenz der äußeren Dinge vorausgesetzt – meinst, es könne nicht hinreichend bewiesen werden, daß wir die Ideen, die wir von ihnen haben, von ihnen entnommen haben, dann mußt Du nicht nur die Gründe entkräften, die Du selbst Dir dagegen vorlegst, sondern auch diejenigen, die darüber hinaus dagegen angeführt werden können. Du faßt es nämlich so auf : Es muß gelten gelassen werden, daß die Idee gewissermaßen von den Dingen ausgeht, weil wir das so 1

Resp. V : 363, 3.

289

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von der Natur gelernt zu haben scheinen, und weil wir erfahren, daß sie nicht von uns oder von unserem Willen abhängen.1 Um nun aber weder zu den Begründungen noch zu den Lösungen etwas zu sagen : Unter anderem hätte doch auch eingewandt und gelöst werden müssen, weshalb ein Blindgeborener keine Idee der Farbe hat, oder ein Tauber keine Idee der Stimme ?2 Doch wohl deshalb, weil diese äußeren Dinge keine ihrer Erscheinungsbilder aus sich heraus in den Geist dieser Unglücklichen hineinsenden konnten, weil die Pforten von Geburt an verschlossen und die Riegel für ihre Übertragung ständig vorgelegt waren. Danach bemühst Du das Beispiel der Sonne, von der es zwei Ideen gebe, nämlich eine aus den Sinnen geschöpfte, durch die sie uns als klein erscheint, und eine andere aus astronomischen Berechnungen entlehnte, durch die sie als überaus groß begriffen wird : diejenige, die nicht aus den Sinnen gezogen, sondern aus angeborenen Grundbegriffen entwickelte oder durch irgendeine andere Überlegung zustandegebracht ist, ist einfacher und wahrer.3 Tatsächlich jedoch sind beide Ideen der Sonne ähnlich, und beide sind wahr, d. h. sie stimmen mit der Sonne überein, aber die eine mehr, die andere weniger. Das ist genauso, wie von zwei Ideen desselben Menschen, von denen die eine aus einer Entfernung von zehn, die andere aus einer von hundert oder tausend ausgesandt wird, beide dem Menschen ähnlich und beide wahr sind, d. h. miteinander übereinstimmen, jedoch die eine mehr, die andere weniger ; denn jene, die von nahem herkommt, wird weniger abgenutzt, die aber von weiter entfernt herkommt, mehr. Wenn Du das nicht ohnehin selbst ausreichend verstehen würdest, könnte ich es kurz erklären, wenn Du es mir erlauben würdest. Auch wenn wir die letztere Idee der Sonne – die sie uns als größer zeigt – allein durch den Geist erfassen, so wird sie deswegen doch noch nicht aus einem angeborenen Grundbegriff entnommen. Denn die Erfahrung beweist und auf sie gestützt bestätigt die Vernunft, daß weiter entfernte Dinge kleiner erscheinen als dieselben Dinge, wenn sie uns nahe sind. Deshalb wird die Idee, die durch den Sinn in uns hineinge1

Med. III : 38, 13–16.

2

Resp. V : 363, 8–9.

3

Med. III : 39, 18–25.

283,11

283,24

290

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langt, nur durch die Kraft des Geistes selbst vergrößert, und zwar so, daß bei gegebenem Abstand der Sonne von uns ihr Durchmesser einer bestimmten Anzahl von Radien der Erde entspricht. Willst Du verstehen, daß diese Idee keine von der Natur eingepflanzte ist ? Erkundige Dich doch bei einem Blindgeborenen nach der Idee der Sonne. Du wirst erstens erfahren, daß in seinem Geist diese Idee weder irgendwie farbig noch hell ist ; Du wirst außerdem erfahren, daß sie nichts Rundes aufweist, es sei denn, jemand hat ihn darauf aufmerksam gemacht, und er hat vorher einen runden Körper mit den Händen abgetastet ; und schließlich wirst Du erfahren, daß er sie nicht in dem Maße vergrößert hat, es sei denn aus eigener Überlegung oder weil Autorität ihn vorher dazu veranlaßt hat. Indessen, um dies einzuwerfen, frage ich Dich : Wir selbst, die wir die Sonne so oft erblickt haben, die wir so oft ihren scheinbaren Durchmesser beobachtet haben, die wir so oft den wahren Durchmesser berechnet haben – ich sage : Ich bitte Dich, haben wir ein anderes Bild der Sonne als das gewöhnliche ? Zwar folgern wir durch Berechnung, daß die Sonne einhundertsechzigmal größer ist als die Erde ; haben wir deswegen aber die Idee eines so großen Körpers ? Zwar vergrößern wir die durch die Sinne aufgefaßte Idee, soweit wir können, wir strengen den Geist an, soweit wir können. Aber gleichwohl bringen wir nichts zustande als bloße Schatten ; und immer wenn wir einen deutlichen Gedanken über die Sonne haben wollen, ist es nötig, daß sich der Geist auf das Erscheinungsbild zurückbezieht, das er durch das dazwischenliegende Auge aufgefaßt hat. Das genügt ihm, sofern er nicht in Abrede stellt, daß die Sonne tatsächlich größer ist und daß er, wenn er das Auge näher heranbrächte, eine größere Idee auffassen würde ; einstweilen aber hält er sie genau so fest, wie er sie auffaßt. 4. Dann erkennst Du die Ungleichheit und Verschiedenheit der Ideen. Du sagst : Zweifelsohne sind diejenigen, die mir eine Substanz darstellen, irgendetwas Größeres, und enthalten, um es einmal so auszudrücken, in sich mehr objektive Realität, als diejenigen, die nur Modi, bzw. Akzidenzen repräsentieren. Und diejenige wiederum, durch die ich mir einen höchsten Gott – ewig, unendlich,

fü n f te e in wä n d e

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omnipotent und Schöpfer aller Dinge, die außer ihm sind – einsichtig mache, hat sicherlich mehr objektive Realität in sich, als die, durch die endliche Substanzen dargestellt werden.1

Hier machst Du einen großen Schritt nach vorn, wir müssen Dich also etwas zügeln. Nun, mich stört gar nicht das, was Du objektive Realität nennst. Gemeinhin sagt man, äußere Dinge seien subjektiv bzw. formal in sich selbst, aber objektiv bzw. ideal im Verstand. Es reicht aus, daß Du nichts anderes sagen zu wollen scheinst, als daß die Idee dem Ding entsprechen muß, deren Idee sie ist, und sie deshalb repräsentativ nur etwas enthält, was von sich selbst her schon in dem Ding als solchem ist, und daß sie, je mehr Realität das repräsentierte Ding in sich selbst enthält, umso mehr Realität repräsentiert. Allerdings unterscheidest Du gleich danach die objektive Realität von der formalen, und wie ich es interpretiere, ist die objektive Realität die Idee selbst nicht als repräsentierende, sondern als unbestimmte Entität. Außerdem steht fest, daß man die Idee oder auch ihre objektive Realität nicht an der formalen Realität des Dinges messen darf, bzw. derjenigen Realität, die das Ding selbst an sich hat, sondern nur an dem Teil, von dem der Verstand Kenntnis hat, bzw., was dasselbe ist, an der Kenntnis, die der Verstand von dem Ding hat. Denn so wird man sagen können : Du hast eine vollkommene Idee von einem Menschen, den Du aufmerksam, oft und von allen Seiten betrachtet hast ; aber Du hast nur eine unvollkommene Idee von einem Menschen, den Du nur im Vorübergehen, einmalig und nur von einer Seite gesehen hast. Hast Du hingegen nicht den Menschen selbst, sondern nur eine Maske gesehen, die er über das Gesicht gezogen hatte, und die Kleidung, die den Körper verdeckt hat, dann wird man sagen müssen : Entweder ist die Idee, die Du hast, nicht die Idee des Menschen, oder sie ist, wenn sie die Idee des Menschen ist, ganz unvollkommen und ziemlich verworren. Deswegen sage ich : Zwar haben wir eine deutliche und echte Idee der Akzidentien, die Idee der hinter ihnen verborgenen Substanz haben wir aber nur verworren und allenfalls als Konstruktion. Wenn Du sagst : Es ist mehr objektive Realität in der Idee der Substanz als 1

Med. III : 40, 12–20.

285,28

292

286,12

286,21

286,30

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in der Idee der Akzidentien, dann ist deshalb erstens zu bestreiten, daß es eine wahre Idee bzw. Repräsentation der Substanz gibt und daher auch, daß sie irgendeine objektive Realität besitzt. Außerdem : Sobald man zugibt, daß es eine solche objektive Realität gibt, ist zu bestreiten, daß sie größer ist als die, die in den Ideen der Akzidentien ist ; denn alle derartige Realität, die sie besitzt, besitzt sie aus den Ideen derjenigen Akzidentien heraus, unter denen oder denen entsprechend die Substanz im Denken gesetzt wird1 – wie wir oben gesagt haben, als wir erklärt haben, daß wir eine Substanz nur als ausgedehntes, gestaltetes und farbiges Etwas im Denken setzen können. Was das betrifft, was Du über die Idee Gottes hinzufügst, frage ich Dich : Da für Dich ja noch nicht feststeht, ob es Gott gibt, wie hast Du denn die Kenntnis erlangt, daß Gott durch seine Idee als höchster, ewiger, unendlicher, omnipotenter Schöpfer von allem repräsentiert wird ? Etwa nicht aus einer vorgefaßten Kenntnis von Gott, insofern Du diese Attribute über Gott hast aussprechen hören ?2 Denn würdest Du ihn etwa so beschreiben, wenn Du nichts dergleichen gehört hättest ? Du wirst sagen, Du habest das jetzt nur als Beispiel angeführt, ohne dadurch bereits irgendetwas definieren zu wollen. Mag sein ; aber sieh zu, daß Du das nicht später gewissermaßen als Vorurteil benutzt. Du sagst : In der Idee des unendliches Gottes ist mehr objektive Realität als in der Idee eines endlichen Dinges.3 Erstens aber ist der menschliche Verstand nicht fähig, die Unendlichkeit im Denken zu setzen, und deshalb besitzt er weder noch berücksichtigt er eine Idee, die fähig wäre, ein unendliches Ding zu repräsentieren. Wer daher etwas unendlich nennt, legt einem Ding, das er nicht faßt, einen Namen bei, den er nicht versteht.4 Denn da das Ding ja sein Fassungsvermögen übersteigt, sieht jemand, dessen Intelligenz stets von irgendeiner Grenze eingeschlossen ist, die Negation der Grenze nicht ein, die dem Ding verliehen wird. Zweitens. Alle höchsten Vollkommenheiten, die man gewöhnlich Gott verleiht, scheinen allesamt von Dingen abgenommen zu sein, die wir gewöhnlich an uns bewundern, wie Dauerhaftigkeit, Macht, Wis1

Resp. V : 364, 9–11. 2 Resp. V : 364, 19–20. 4 Resp. V : 364,25–365, 1.

3

Med. III : 40, 19–20.

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293

sen, Güte, Glückseligkeit usw. Daher nennen wir Gott ewig, allmächtig, allwissend, allgütig, zuhöchst glückselig usw. indem wir, so weit wir es können, diese Dinge vergrößern. Deshalb hat die Idee, die all dies repräsentiert, noch nicht mehr objektive Realität als die endlichen Dinge zusammengenommen haben,1 aus deren Ideen diese Idee zusammengesetzt und auf die bereits ausgeführte Weise vergrößert ist. Denn jemand, der etwas ewig nennt, hat deswegen weder schon in seinem Geist die gesamte Ausdehnung einer Dauer, die niemals beginnt und niemals aufhört, noch hat jemand, der etwas allmächtig nennt, in seinem Geist deswegen schon die gesamte Menge der möglichen Wirkungen, und ebenso bei dem übrigen. Zu guter Letzt : Kann man von irgendjemandem sagen, er habe die echte Idee von Gott, d. h. die Idee, die Gott so repräsentiert, wie er ist ? Was wäre doch Gott für ein winziges Ding, wenn er nur das wäre und bloß das besäße, was in unserer belanglosen Idee enthalten ist. Oder ist die Einschätzung etwa nicht richtig, daß ein größeres Mißverhältnis der Vollkommenheiten zwischen Gott und dem Menschen besteht als zwischen einem Elephanten und einer Milbe, dem kleinsten Tierchen auf seiner der Haut ? Wenn also jemand sich aufgrund der Vollkommenheiten, die er an der Milbe beobachtet hat, eine Idee bilden würde, und diese Idee Idee des Elephanten nennen und beharrlich behaupten würde, diese Idee sei die echte Idee des Elephanten : dann würde man ihn doch wohl für ganz bekloppt erklären. Wenn sich aber jemand aus den Vollkommenheiten, die er am Menschen beobachtet hat, eine Idee bildet und beharrlich versichert, das sei die Idee Gottes, und zwar die echte, da soll er sich toll finden ? Auch frage ich mich : Wie erkennen wir, daß die Belanglosigkeiten in Gott sind, die wir in uns entdecken ? Und wenn wir das erkannt haben : Als was für ein Wesen dürfen wir ihn uns demnach vorstellen ? Tatsächlich steht Gott unendlich weit über allem Fassungsvermögen, und wenn unser Geist es wagt, sich in ihn zu vertiefen, dann ist er nicht nur verblendet, sondern es bleibt auch nichts von ihm übrig. Deshalb gibt es nichts, das uns erlauben würde zu sagen, wir hätten irgendeine echte Idee, die Gott repräsentiert. Es ist mehr als genug, wenn wir in Analogie mit den uns geläufigen Dingen und zu unse1

Resp. V : 365, 9–11.

287,14

294

288,8

288,15

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rer Verwendung irgendeine Idee entwickeln und bilden, die weder das menschliche Fassungsvermögen überschreitet, noch eine Realität enthält, die wir an den übrigen Dingen oder aus Anlaß der übrigen Dinge nicht erfassen. 5. Demgemäß nimmst Du an, daß es durch das Natürliche Licht offenkundig ist, daß in einer bewirkenden und hinreichenden Ursache zumindest ebensoviel enthalten sein muß wie in der Wirkung ;1 und zwar damit Du ableiten kannst, daß zumindest ebensoviel formale Realität in der Ursache der Idee sein muß, wie objektive Realität in der Idee ist.2 Nun, auch das ist ein ziemlich großer Schritt nach vorn, bei dem wir ein wenig verweilen müssen. Erstens. Das allgemeine Diktum Es ist nichts in der Wirkung, das nicht in der Ursache ist, scheint weniger in bezug auf die materielle als vielmehr in bezug auf die bewirkende Ursache verstanden werden zu müssen. Denn die bewirkende Ursache ist äußerlich und besitzt zumeist eine Natur, die von der der Wirkung verschieden ist. Auch wenn nun gesagt wird, daß die Wirkung die Realität von der bewirkenden Ursache hat, so hat die bewirkende Ursache sie deswegen noch keineswegs notwendig in sich, sondern sie kann sie auch von woanders hergenommen haben. Dieser Sachverhalt tritt ganz offen zutage bei der Wirkung durch Technik. Denn obwohl ein Haus seine gesamte Realität vom Techniker hat, so hat der Techniker seinerseits diese Realität nicht durch sich selbst, sondern von woanders her erhalten und weitergegeben. Ebenso macht es die Sonne, wenn sie niedere Materie vielfältig verwandelt und verschiedene Tiere hervorbringt. Das gilt sogar für einen Elternteil, denn auch wenn der Nachkömmling von ihm eine gewisse Materie hat, so hat er sie gleichwohl nicht wie von einem bewirkenden Prinzip, sondern wie von einem materialen. Wenn Du einwendest, die Wirkung müsse formal oder eminent in der Ursache enthalten sein,3 so zeigt das doch nur, daß die Wirkung manchmal eine Form hat, die der Form ihrer Ursache ähnlich ist, manchmal aber nur eine unvollkommenere Form, die der Form der Ursache unähnlich ist, so daß die Form der Ursache eminent über ihr steht. Daraus folgt aber weder, daß deswegen die eminente Ursache etwas von ih1

Med. III : 40, 21–23.

2

Med. III : 41, 22–23.

3

Med. III : 41, 6–8.

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295

rem Sein abgibt, noch daß die Ursache, die die Wirkung formal enthält, ihre Form mit der Wirkung teilt. Denn auch wenn dies bei jener Erzeugung von Lebendigem, die durch Samen erfolgt, zu geschehen scheint, so wirst Du vermutlich dennoch nicht sagen, daß der Vater, wenn er einen Sohn erzeugt, ihm einen Teil seiner vernünftigen Seele abschneidet und an ihn weitergibt. Mit einem Wort : Die bewirkende Ursache enthält die Wirkung nur insofern, als sie aus einer bestimmten Materie nachgeahmt und vervollkommnet werden kann. Im Zusammenhang mit dem, was Du dann über die objektive Realität ableitest, bediene ich mich des Beispiels eines Bildes von mir, das ich entweder in einem Spiegel betrachten kann, den ich mir vorhalte, oder auf einer Leinwand, die ein Maler bemalt. Ich selbst bin die Ursache des Bildes im Spiegel, insofern ich meine Erscheinungsbilder aus mir heraus in den Spiegel entsende, und der Maler ist die Ursache des Bildes, das auf der Leinwand dargestellt wird. Wenn nun die Idee oder mein Bild in Dir ist oder in irgendeinem anderen Verstand, dann stellt sich genauso die Frage, ob ich selbst davon die Ursache bin, insofern ich mein Erscheinungsbild in das Auge entsende, durch das es hindurchgeht und bis in den Verstand gelangt, oder ob irgendetwas anderes die Ursache ist, die gewissermaßen wie mit einem Pinsel oder Stift die Idee oder das Bild im Verstand abzeichnet. Es scheint nun aber keine andere Ursache als ich selbst dafür erforderlich zu sein ; denn auch wenn mein Verstand später die Idee vergrößern, verkleinern, zusammensetzen und auf andere Weise behandeln kann, bin dennoch ich selbst die oberste Ursache der gesamten Realität, die sie in sich hat. Und was hier über mich gesagt wird, muß auch in bezug auf jedes beliebige äußere Objekt ebenso verstanden werden. Nun unterscheidest Du die Realität dieser Idee zweifach. Die formale Realität kann nun keine andere sein als jene feine Substanz, die aus mir herausfließt, und im Verstand als Idee ausgestaltet wird, wenn sie von ihm aufgenommen wird. (Es sei denn, Du möchtest das aus dem Objekt heraustretende Erscheinungsbild als substantiellen Ausfluß verstanden wissen ; halte das, wie Du willst : Stets wirst Du die Realität vermindern.) Die objektive Realität hingegen kann nichts anderes sein als eine Repräsentation bzw. ein Abbild von mir, das von der Idee transportiert wird, oder zumindest eine bestimmte Symmetrie, durch die

289,13

290,3

296

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291,3

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die Teile der Idee so angeordnet werden, daß sie mich wiedergeben. In welcher Weise Du das auch auffassen magst : Die objektive Realität scheint nichts Reales zu sein, weil sie ja nur eine Relation der Teile zueinander und zu mir ist, oder ein Modus der formalen Realität, insofern sie in dieser Weise ausgestaltet ist. Aber darauf kommt es nicht an : Weil es Dir so gefällt, soll sie eben objektive Realität genannt werden. Unter dieser Voraussetzung scheint es, daß Du die formale Realität der Idee mit meiner formalen Realität, bzw. mit meiner Substanz hättest vergleichen sollen, und die objektive Realität der Idee mit der Symmetrie meiner Teile, bzw. der Abzeichnung und der äußeren Form. Dir aber gefällt es, die objektive Realität der Idee mit meiner formalen Realität zu vergleichen. Wie auch immer es sich nun aber mit der Erklärung des obigen Axioms verhalten mag : Es liegt auf der Hand, daß in mir nicht nur ebensoviel formale Realität ist wie objektive Realität in meiner Idee, sondern auch, daß die formale Realität der Idee im Hinblick auf meine formale Realität, bzw. meine gesamte Substanz fast nichts ist. Es muß Dir daher zugestanden werden, daß zumindest ebensoviel formale Realität in der Ursache der Idee sein muß, wie objektive in der Idee ist.1 Denn alles, was überhaupt in der Idee ist, ist im Vergleich mit ihrer Ursache so gut wie nichts. 6. Du subsumierst dann so : Wenn es in Dir eine Idee gibt, die eine so große objektive Realität besitzt, daß Du sie weder eminent noch formal enthälst, und Du daher nicht ihre Ursache sein kannst : dann folgt daraus letztlich, daß irgendetwas außer Dir in der Welt existiert. Denn andernfalls fehlt Dir das Argument, durch das Du Dich versichern könntest, daß es etwas gibt.2

Aus dem, was bereits gesagt wurde, ergibt sich aber, daß nicht Du die Ursache der Realität der Ideen bist, sondern die durch die Ideen repräsentierten Dinge selbst, insofern sie ihre Bilder in Dich hineinsenden wie in einen Spiegel – auch wenn Dir diese Bilder manchmal Gelegenheit geben können, Dir Chimären auszumalen. Aber, ob nun Du selbst 1

Med. III : 41, 23–24.

2

Med. III : 42, 18–26.

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die Ursache bist oder nicht : Bist Du etwa deswegen unsicher, ob es irgendetwas außer Dir auf der Welt gibt ?1 Mit Verlaub, schöne Worte : denn wie es sich mit den Ideen auch immer verhalten mag, es ist nicht nötig, Argumente dafür zu suchen, daß es etwas gibt. Dann gehst Du die Ideen durch, die in Dir sind.

291,17

Neben der Idee von Dir zählst Du die Ideen Gottes, körperlicher und unbelebter Dinge, der Engel, Lebewesen und Menschen auf, und zwar, um ableiten zu können – denn Du sagst, daß in bezug auf die Idee von Dir keine Schwierigkeit besteht –, daß die Ideen der Menschen, der Lebewesen, der Engel aus den Ideen zusammengesetzt sein können, die Du von Dir, von Gott und von den körperlichen Dingen hast, und daß die Ideen der körperlichen Dinge auch durch Dich hervorgebracht sein können.2

An dieser Stelle aber versetzt es mich doch in Erstaunen, wie Du von Dir sagen kannst, Du habest eine Idee von Dir (und sogar eine so fruchtbare, daß Du aus ihr so viele andere hervorholen kannst) und die Sache bereite gar keine Schwierigkeit. Denn tatsächlich hast Du doch entweder gar keine Idee von Dir oder nur eine ziemlich verworrene und unvollkommene, wie wir bereits im Zusammenhang mit der vorhergehenden Meditation beobachtet haben. In dieser Meditation hast Du gefolgert, Du könnest nichts leichter und evidenter erfassen als Dich selbst. Was aber, wenn Du weder eine Idee von Dir hast noch haben kannst : Könntest Du dann nicht sagen, daß Du alles andere leichter und evidenter erfassen könntest als Dich selbst ? Als ich jedoch darüber nachdachte, wie es möglich sein kann, daß weder das Sehvermögen sich selbst sieht, noch der Verstand (intellectus) sich selbst einsieht (intelligere), kam mir der Gedanke (subire in mentem), daß nichts auf sich selbst einwirkt :3 denn weder schlägt die Hand (oder der große Daumen an ihr) sich selbst, noch versetzt der Fuß sich einen Tritt. Anderseits jedoch ist es notwendig, daß ein Ding auf die erkennende Fähigkeit einwirkt, damit wir von ihm Kenntnis erlangen, nämlich sein Erscheinungsbild in sie hineinsendet, bzw. sie durch sein Erscheinungsbild informiert. Deshalb scheint es offenkundig zu sein, daß 1

Resp. V : 366, 12–13.

2

Med. III : 42, 29–43, 9.

3

Resp. V : 366, 23.

292,8

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292,29

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dieses Vermögen selbst keine Kenntnis von sich selbst erlangen kann, bzw., was dasselbe ist, sich selbst erfassen kann ; denn da es nicht außerhalb von sich selbst ist, kann es sein eigenes Erscheinungsbild nicht in sich selbst hineinsenden. Weshalb, meinst Du wohl, sieht das Auge sich im Spiegel, obwohl es sich nicht in sich selbst sieht ? Doch wohl weil sich zwischen dem Auge und dem Spiegel ein Zwischenraum befindet, und das Auge sein Erscheinungsbild zum Spiegel sendet, und dadurch genau so auf ihn einwirkt, wie der Spiegel wiederum auf das Auge einwirkt, wenn er sein eigenes Erscheinungsbild in das Auge zurückwirft. Gib mir einen Spiegel, auf den Du selbst eben so einwirkst : Ich garantiere Dir, erst dann, wenn er Dein Erscheinungsbild auf Dich selbst reflektiert, wirst Du Dich erfassen, und zwar nicht durch eine direkte, sondern nur durch eine reflektierte Erkenntnis. Solange Du jedoch keinen solchen Spiegel geben kannst, besteht keine Hoffnung, daß Du Kenntnis von Dir erlangst. Ich könnte auch hierauf insistieren : Wie kannst Du von Dir sagen, Du habest eine Idee von Gott ? Außer vielleicht eine solche und in der Weise, wie wir bereits gesagt haben. Wie die der Engel ? Hättest Du niemals irgendetwas von Engeln gehört, so weiß ich nicht so recht, ob Du sie jemals gedacht hättest. Wie die Idee der Tiere und der anderen Dinge ? Ich bin mir so gut wie sicher, daß Du wohl kaum solche Ideen gehabt hättest, wenn sie nicht in die Sinne gelangt wären – wie Du ja auch keine Idee der unzähligen Dinge hast, die Du niemals zu Angesicht bekommen hast und über die Dir auch nichts berichtet wurde. All das aber beiseitegesetzt : Ich gebe zu, daß die Ideen der verschiedenen Dinge, die im Geist existieren, so zusammengesetzt werden können, daß dabei viele entstehen, die eine andere Form haben. Die Ideen aber, die Du aufzählst, scheinen für eine solche Verschiedenheit nicht auszureichen, ja noch nicht einmal für die deutliche und bestimmte Idee irgendeines bestimmten Dinges. Ein wenig stören mich die Ideen körperlicher Dinge. Denn eine nicht geringe Schwierigkeit besteht darin, wie Du sie allein aus Dir, bzw. aus der Idee von Dir deduzieren kannst,1 während Du Dich gleichzeitig als unkörperlich gibst und Dich auch so betrachtest. Denn 1

Med. III : 44, 18–20 ; Resp. V : 367, 10–11.

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299

wenn Du allein die unkörperliche Substanz kennst, wie ist es möglich, außerdem auch eine körperliche Substanz zu fassen ? Besteht etwa zwischen der einen und der anderen irgendeine Analogie ? Du sagst : Beide kommen darin überein, daß sie fähig sind, zu existieren ; aber diese Übereinstimmung läßt sich nicht einsehen, wenn man nicht vorher die beiden Dinge, die übereinstimmen, jeweils für sich einsieht. Bevor sich der Grundbegriff bilden läßt, den Du hier aufstellst, ist es nötig, die Einzelbestandteile einzusehen. Wenn der Verstand die Idee einer körperlichen Substanz aus der unkörperlichen Substanz bilden kann, die er eingesehen hat, dann gibt es wirklich nichts, weshalb wir zweifeln sollten, daß ein Blinder oder jemand, der von Geburt an in völliger Dunkelheit gehalten worden ist, in sich die Idee des Lichts und die der Farben bilden kann. Du sagst, man könne demgemäß die Ideen der Ausdehnung, der Gestalt, der Bewegung1 und der anderen Dinge besitzen, die allgemein auf das sinnlich Wahrnehmbare zutreffen. Das sagst Du so leicht. Seltsam ist doch aber, weshalb Du nicht mit derselben Leichtigkeit das Licht, die Farbe und anderes deduzierst ? Aber damit wollen wir uns nicht aufhalten. 7. Du schließt : So bleibt also allein die Idee Gottes übrig, in bezug auf die betrachtet werden muß, ob sie irgendetwas ist, das nicht von mir selbst hervorgebracht worden sein kann. Unter dem Namen Gott verstehe ich eine bestimmte unbegrenzte, unabhängige, höchster Einsicht fähige, allmächtige Substanz, von der sowohl ich selbst, als auch alles andere, was es auch sei, geschaffen ist, falls irgendetwas anderes vorhanden sein sollte. Dies alles ist in der Tat so viel, daß es, je sorgfältiger ich es berücksichtige, desto weniger von mir allein hervorgebracht worden sein zu können scheint. Und daher muß aus dem zuvor Gesagten geschlossen werden, daß Gott notwendig existiert.2

Darauf also wolltest Du hinaus ! Aber, obwohl ich der Schlußfolgerung zustimme, sehe ich nicht, wie Du so schließen kannst. Du sagst : »Was Du von Gott einsiehst, ist so geartet, daß es nicht allein von Dir hat 1

Med. III : 45, 4.

2

Med. III : 45, 9–18.

294,2

300

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hervorgebracht werden können.« Das läuft nun darauf hinaus, »daß Gott selbst es hervorgebracht haben muß«. Erstens : Nichts ist wahrer, als daß das, was Du von Gott einsiehst, nicht allein von Dir hervorgebracht worden ist, bzw. daß Du das Verständnis (intelligentia) dieser Dinge nicht allein aus oder durch Dich selbst erlangt hast – es stammt nämlich von den Dingen, von den Eltern, von den Lehrern, den Gelehrten, der Gesellschaft der Menschen, in der Du Dich bewegt hast, denn da hast Du es her. Aber Du wirst sagen : »Ich bin allein ein Geist ; ich gestehe nichts außerhalb von mir zu, nicht einmal die Ohren, mit denen ich etwas gehört, und Menschen, die sich mit mir unterhalten hätten.« Sagen kannst Du das. Aber würdest Du es sagen, wenn Du uns nicht mit den Ohren gehört hättest und es keine Menschen gäbe, deren Worte Du vernommen hättest ? Lass uns ernsthaft sprechen und sag’ mir ehrlich : Hast Du die Ausdrücke, die Du über Gott aussagst, etwa nicht von der Gesellschaft der Menschen, mit denen Du zusammengelebt hast ? Wenn Du aber die Ausdrücke von ihnen hast, hast Du die ihnen zugrundeliegenden (subjectus) Grundbegriffe, die die Ausdrücke bezeichnen, etwa nicht auch von ihnen ? Auch wenn sie demnach nicht durch Dich selbst sind, so scheinen sie deswegen doch noch nicht durch Gott, sondern von woanders herzusein. Außerdem : Was ist denn eigentlich in ihnen, das Du nicht aus Dir selbst hast haben können, nachdem Du es bei einer ersten Gelegenheit von den Dingen übernommen hast ? Oder begreifst Du deswegen etwa irgendetwas, das über das menschliche Fassungsvermögen hinausginge ? Wenn Du freilich Gott so einsehen würdest, wie er ist, dann wäre es gerechtfertigt, zu glauben, Du seist von Gott belehrt worden. Aber alles, was Du Gott beilegst, ist doch nichts anderes, als irgendwelche Vollkommenheiten, die Du an den Menschen oder anderen Dingen beobachtet hast, und die der menschliche Geist einsehen, folgern und zu erweitern vermag, wie bereits mehrere Male gesagt worden ist. Du sagst : Obwohl die Idee der Substanz aus Dir sein kann, weil Du eine Substanz bist, kann gleichwohl die Idee der unendlichen Substanz es nicht sein, weil Du nicht unendlich bist.1 Aber deswegen ist die Idee der unendlichen Substanz nur dem Namen 1

Med. III : 45, 19–21.

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nach in Dir, und auch nur insoweit, als man sagen kann, daß Menschen das Unendliche verstehen (und das heißt : tatsächlich nicht verstehen). Demnach ist es keineswegs notwendig, daß diese Idee aus der unendlichen Substanz stammt, denn sie kann durch Zusammensetzen und Vergrößern entstanden sein, wie bereits gesagt worden ist. Die früheren Philosophen haben dadurch, daß sie diesen sichtbaren Raum, diese eine Welt und diese wenigen Prinzipien verstanden, die Ideen dieser Dinge gehabt und sie so vergrößert, daß sie die Ideen des unendlichen Universums, unendlicher Welten, unendlicher Prinzipien ausgebildet haben. Willst Du nun sagen, daß sie diese Ideen nicht durch die Kraft ihres Geistes ausgebildet haben, sondern sie aus dem unendlichen Universum, aus unendlichen Welten, unendlichen Prinzipien in den Geist eingegangen sind ? Genau das verteidigst Du aber, wenn Du sagst, daß Du das Unendliche durch die wahre Idee erfaßt.1 Wenn das aber wahr wäre, würde Deine Erfassung das Unendliche genau so repräsentieren, wie es ist, und demnach würdest Du erfassen, was in ihm das Eigentümliche ist, um das es sich jetzt handelt, nämlich die Unendlichkeit. Aber Dein Denken ist immer auf irgendetwas Endliches eingeschränkt, und Du nennst es nur unendlich, weil Du das, was über Deine Erfassung hinausgeht, nicht erfaßt. Demnach würdest Du es richtig einschätzen, wenn Du sagen würdest, daß Du das Unendliche durch die Negation des Endlichen erfaßt. Und es genügt auch nicht, zu sagen, daß Du in der unendlichen Substanz mehr Realität erfaßt als in der endlichen.2 Denn dafür wäre es nötig, daß Du eine unendliche Realität erfaßt, was Du doch nicht tust. Tatsächlich erfaßt Du ja keineswegs mehr, weil Du die endliche ja nur vergrößerst und Dir dann vorstellst, es sei mehr Realität in dem, was erweitert ist, als in demselben, wenn es zusammengezogen ist. Oder willst Du sagen, daß jene Philosophen auch mehr Realität erfaßt haben – die es dann tatsächlich gegeben hätte –, wenn sie mehrere Welten im Denken setzen, als solange sie nur eine einzige im Geist haben ? Ich merke hier beiläufig an, daß die Ursache, weshalb unser Geist umso mehr verwirrt wird, je mehr er irgendein Erscheinungsbild bzw. eine Idee vergrößert, darin zu liegen scheint, daß er die Lage dieses Erscheinungsbildes ver1

Med. III : 45, 23–24.

2

Med. III : 45, 26–27.

302

296,21

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ändert, die Unterscheidung seiner Teile aufhebt und es insgesamt so schwächt, daß es letztlich schemenhaft wird. Ich brauche nicht daran zu erinnern, daß der Geist, wenn er eine Idee zu sehr einengt, aus der entgegengesetzten Ursache ebenso verwirrt wird. Du sagst : Dem widerspricht nicht, daß Du das Unendliche nicht verstehst oder alles, was in ihm ist, sondern es reicht aus, daß Du einiges Wenige einsiehst, um von Dir sagen zu können, Du habest davon eine wahre sowie äußerst klare und deutliche Idee.1 Im Gegenteil. Wenn Du das Unendliche nicht verstehst,2 sondern nur das Endliche, hast Du keine wahre Idee des Unendlichen, sondern nur eine des Endlichen. Du kannst höchstens von Dir sagen, daß Du einen Teil des Unendlichen erkennst, deswegen aber nicht das Unendliche selbst : Genauso wie jemand, der niemals aus einer unterirdischen Höhle herausgekommen ist, zwar von sich sagen kann, er erkenne einen Teil der Welt, aber deswegen nicht die Welt selbst ; und er würde sich doch ziemlich lächerlich machen, wenn er die Idee eines so engen Teils der Welt für die wahre und echte Idee der gesamten Welt halten würde. Aber, Du sagst, es liegt im Wesen des Unendlichen, daß es von Dir, der Du endlich bist, nicht verstanden werden kann.3 Das glaube ich wohl. Aber es liegt nicht im Wesen der wahren Idee eines unendlichen Dinges, nur den kleinsten Teil dieses Dinges zu repräsentieren, sondern überhaupt keinen, da sie in keinem Verhältnis zum Ganzen steht. Du behauptest : »Es reicht aus, daß Du das wenige, das Du einsiehst, klar erfaßt.« Aber doch nur so, wie es ausreicht, die Haarspitze des Menschen zu sehen, dessen echte Idee Du haben willst. Was wäre das für eine tolle Abbildung von mir, wenn ein Maler nur eines meiner Haare abmalen würde oder auch nur seine Spitze ? Ich aber sage : Zwischen dem, was wir von dem Unendlichen, bzw. von Gott erkennen, besteht ein nicht etwa nur geringeres oder viel geringeres, sondern sogar ein unendlich viel geringeres Verhältnis als zwischen einem meiner Haare oder dessen Spitze und mir selbst insgesamt. Mit einem Wort : Das beweist ebensowenig etwas über Gott wie über die oben erwähnten unendlichen Welten. Um so mehr, als die unendlichen Welten aus der einen, klar durchschauten Welt klarer ein1

Med. III : 46, 18–28.

2

Resp. V : 367, 21–25.

3

Med. III : 46, 21–23.

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gesehen werden kann als Gott oder das unendliche Seiende aus Deiner Substanz, von der für Dich noch gar nicht feststeht, von welcher Art sie eigentlich ist. 8. Du argumentierst anderswo so : Im Rückgriff auf welchen Erkenntnisgrund nämlich würde ich einsehen, daß ich zweifle, daß ich ein Verlangen habe, das heißt : daß mir irgendetwas fehlt und daß ich nicht völlig vollkommen bin, wäre nicht die Idee eines vollkommeneren Seienden in mir, im Vergleich mit der ich meinen Mangel erkennen würde ?1 Wenn Du an einem Ding zweifelst, wenn Du etwas begehrst, wenn Du erkennst, daß Dir etwas fehlt : Was soll daran so verwunderlich sein, da Du nicht alles kennst, nicht alles bist, nicht alles hast ? Erkennst Du erst daraus, »daß Du nicht absolut vollkommen bist ?« Das ist doch nun wirklich wahr und kann ohne Vorbehalt gesagt werden. Siehst Du also deshalb ein, »daß es etwas Vollkommeneres als Dich gibt ?« Warum nicht ? Gleichwohl aber ist doch das, was Du begehrst, nicht immer und in jeder Hinsicht vollkommener als Du. Denn wenn Du Brot begehrst, so ist das Brot nicht in jeder Hinsicht vollkommener als Du oder als Dein Körper, sondern es ist nur vollkommener als die Leere, die in Deinem Magen herrscht.2 Wie kommst Du also zu dem Ergebnis, es gebe etwas, das vollkommener ist als Du ? Doch wohl, weil Du die Gesamtheit der Dinge siehst, die sowohl Dich, als auch das Brot und das übrige beinhaltet : Denn da die einzelnen Teile des Universums eine bestimmte Vollkommenheit haben, und die einen den anderen zur Verfügung stehen und zukommen können, ist es leicht einzusehen, daß im Ganzen mehr Vollkommenheit ist als im Teil, und daß demnach Du, der Du nur ein Teil bist, etwas anerkennen mußt, das vollkommener ist als Du. Demnach kann auf diese Weise in Dir die Idee eines vollkommeneren Seienden sein, im Vergleich mit der Du die Mängel erkennst. Ich übergehe, daß auch andere Teile vollkommener als Du sein können, und Du das Verlangen nach dem haben kannst, was sie besitzen, im Vergleich mit dem Du Deine Mängel erkennen kannst. Denn Du hättest doch einen Menschen erkennen können, der gesünder, stärker, schöner, gelehrter, bescheidener und demnach vollkommener gewesen wäre als Du ; und es wäre 1

Med. III : 45, 30–46, 4.

2

Resp. V : 368, 25.

297,25

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nicht schwer für Dich gewesen, die Idee dieses Menschen zu begreifen, und durch den Vergleich mit dieser Idee einzusehen, daß in Dir nicht der Grad an Gesundheit, Stärke und der anderen Vollkommenheiten ist, der in ihm gewesen wäre. Kurz darauf machst Du Dir den Einwand : Doch möglicherweise bin ich irgendetwas Größeres als ich selbst einsehe, und alle jene Vollkommenheiten, die ich Gott beilege, sind irgendwie der Möglichkeit nach in mir, auch wenn sie noch nicht zur Aktualität gelangen, was geschehen kann, wenn meine Erkenntnis sich immer mehr und mehr bis ins Unendliche vergrößert.1 Aber Du erwiderst : Wenn es wahr ist, daß sich meine Erkenntnis allmählich vergrößert, und vieles der Möglichkeit nach in mir ist, was noch nicht aktuell ist, so betrifft nichts davon die Idee Gottes, in der nämlich überhaupt nichts potentiell ist. Denn gerade dies, daß meine Erkenntnis sich allmählich vergrößert, ist das sicherste Argument für ihre Unvollkommenheit.2

Nun ist es zwar wahr, daß das, was Du in der Idee erfaßt, aktuell in dieser Idee ist ; aber es ist deswegen noch nicht aktuell in dem Ding selbst, dessen Idee sie ist.3 Wenn ein Architekt die Idee eines Hauses konstruiert, dann besteht zwar diese Idee aktuell aus ganz bestimmten Wänden, Decken, Dächern, Fenstern usw., aber gleichwohl sind doch weder das Haus noch seine Teile schon aktuell, sondern nur potentiell. Ebenso beinhaltet die oben erwähnte Idee der Philosophen aktuell unendlich viele Welten, aber Du wirst doch deswegen noch nicht sagen, daß es diese unendlichen Welten aktuell gibt. Ob nun also etwas in Dir potentiell ist oder nicht, es genügt, daß die Idee oder Erkenntnis graduell vermehrt und vergrößert werden kann. Daraus darf aber nicht abgeleitet werden, daß das, was durch die Idee repräsentiert und erkannt wird, aktuell ist. Wenn Du dann anerkennst, daß Deine Erkenntnis niemals unendlich sein wird,4 dann ist das uneingeschränkt zuzugestehen. Dann jedoch wirst Du auch anerkennen müssen, daß niemals die wahre und echte Idee Gottes in Dir sein wird, 1

Med. III : 46, 29–47, 4. 4 Med. III : 47, 16–17.

2

Med. III : 47, 9–14.

3

Resp. V : 368, 26–27.

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von der stets mehr (ja sogar unendlich mehr) zu erkennen übrig bleibt als von einem Menschen, von dem Du nur eine Haarspitze gesehen hast. Denn auch wenn Du gewiß diesen Menschen nicht ganz gesehen hast, hast Du doch einen anderen Menschen gesehen, und aufgrund des Vergleiches mit diesem Menschen kannst Du eine Vermutung über ihn anstellen. Niemals aber haben wir irgendetwas erkennen können, das Gott und seiner Unermeßlichkeit gleich gewesen wäre. Du sagst : Ich urteile, daß Gott aktuell unendlich ist, so daß zu seiner Vollkommenheit nichts hinzugetan werden kann.1 Aber Du beurteilst etwas, was Du nicht kennst,2 und urteilst allein aufgrund einer bloßen Annahme, wie die Philosophen urteilten, es gebe unendlich viele Welten, unendlich viele Prinzipien und ein unendliches Universum, zu dessen Unermeßlichkeit nichts hinzugetan werden könne. Wenn Du hinzufügst, daß das objektive Sein einer Idee nicht von einem potentiellen, sondern von einem aktuellen Sein abhinge,3 so kann das bei Lichte betrachtet nicht wahr sein, wenn das wahr ist, was wir vorher über die Idee des Architekten und der alten Philosophen gesagt haben ; insbesondere, wenn Du Dich daran erinnerst, daß Ideen dieser Art aus anderen konstruiert worden sind, die der Verstand vorher durch aktuell existierende Ursachen erhalten hat. 9. Du fragst dann, ob Du, der Du die Idee eines vollkommeneren Wesens hast, selbst sein könntest, wenn kein solches Seiendes existierte ? Du antwortest : Denn wodurch sollte ich sein ? Doch wohl durch mich selbst, durch meine Eltern, oder durch irgendetwas weniger Vollkommenes als Gott ?4 Dementsprechend weist Du nach, daß Du nicht durch Dich bist.5 Das aber ist ganz unnötig. Du gibst auch eine Begründung an, weshalb Du nicht immer gewesen bist.6 Aber auch das ist überflüssig, außer vielleicht insofern, als Du zugleich ableiten willst, daß Du nicht nur eine produktive, sondern auch eine erhaltende Ursache hast. Denn daraus, daß die Zeit Deines Lebens mehrere Teile hat, leitest Du ab, daß Du aufgrund der Unabhängigkeit dieser vielen Tei1

Med. III : 47, 19–20. 2 Resp. V : 368, 27. 3 Med. III : 47, 20–23. 4 Med. III : 48, 1–4. 5 Med. III : 48, 7–24. 6 Med. III : 48, 25 f.

299,28

300,11

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le voneinander in den einzelnen Teilen geschaffen werden mußt. Wie aber kann man sich das einsichtig machen ? Denn es gibt zwar einige Wirkungen, die die anhaltende und wirkende Anwesenheit der Ursache verlangen, die sie zuerst hervorgebracht hat, um anzudauern und im selben Moment aufzuhören. Dazu zählt das Licht der Sonne (obwohl Wirkungen von dieser Art eigentlich von der Sache her sich nicht selbst gleich bleiben, sondern diese Wirkungen vielmehr einander äquivalent sind, wie man das beim Wasser eines Flusses sagen kann). Aber wir sehen andere Wirkungen, die nicht nur bestehen bleiben, wenn die Ursache, die sie als die ihrige anerkennen, nicht mehr einwirkt, sondern auch dann, wenn sie wirkungslos und fast ganz vergangen ist, wenn Du so willst. Zu dieser Art gehören so viele erzeugte und geschaffene Dinge, daß es zu langwierig wäre, sie aufzuzählen. Es reicht aus, daß Du eines von diesen Dingen bist, was auch immer letztendlich Deine Ursache sein mag. Aber die Teile Deiner Zeit hängen nicht voneinander ab.1 Hier könnte man nachhaken, welches Ding man sich eigentlich ausdenken könne, dessen Teile voneinander noch untrennbarer wären ; zwischen dessen Teilen eine noch unverletzlichere Kette und Verknüpfung bestünde ; bei dem die späteren Teile weniger losgelöst werden können, stärker zusammenhängen und stärker von den vorherigen abhängen ? Aber ohne darauf herumzureiten : Was trägt diese Abhängigkeit oder meinetwegen auch Unabhängigkeit der Teile der Zeit, die einander äußerlich sind, die aufeinander folgen, aber nicht aufeinander wirken, zu Deiner Produktion oder Reproduktion bei ? Doch wohl nicht mehr als die Strömung und das Vorübergleiten der Teile des Wassers zur Produktion oder Reproduktion eines Felsens beiträgt, an dem der Fluß vorüberfließt. Aber daraus, daß Du kurz zuvor gewesen bist, folgt nicht, daß Du jetzt sein mußt.2 Das will ich wohl glauben. Aber nicht deswegen, weil eine Ursache erforderlich wäre, die Dich erneut erschafft, sondern weil Du Dich nicht darauf verlassen kannst, daß eine Ursache ausbleibt, die Dich zerstören kann, oder daß Du in Dir keine Schwäche haben könntest, die Dich letztlich zur Strecke bringt. 1

Med. III : 49, 1–2.

2

Med. III : 49, 2–3.

307

fü n f te e in wä n d e

Du sagst : Demnach ist es für das Natürliche Licht offenkundig, daß sich die Erhaltung lediglich in der Vernunft von der Erschaffung unterscheidet.1 Aber wie ist das offenkundig, außer vielleicht im Falle von Licht selbst und in vergleichbaren Wirkungen ? Du fügst hinzu : In Dir ist keine Kraft, durch die Du etwas später sein wirst, weil Du Dir ihrer nicht bewußt bist, obwohl Du doch ein denkendes Ding bist.2 Es ist aber in Dir irgendeine Kraft, aufgrund der Du der Ansicht sein kannst, auch etwas später noch zu sein, wenn auch nicht notwendig oder zweifellos, weil diese Deine Kraft bzw. natürliche Konstitution, was auch immer sie sein mag, sich nicht so weit erstreckt, daß sie jede zerstörerische Ursache abhalten kann, ob nun eine innere oder eine äußere. Deshalb wirst Du auch zukünftig sein, nicht weil Du eine Kraft besitzt, Dich erneut hervorzubringen, aber doch wohl eine, die ausreichend gewährleisten kann, daß Du Dich erhälst, wenn nicht eine zerstörerische Ursache hinzukommt.3 Wenn Du daraus entnimmst, von einem von Dir verschieden Seienden abzuhängen,4 dann kommst Du zu einem richtigen Ergebnis, wenn auch nicht in dem Sinne, daß Du erneut von ihm hervorgebracht wirst, sondern in dem Sinne, daß Du einst von ihm hervorgebracht worden bist. Du fährst fort : Dieses so beschaffene Seiende sind nicht die Eltern oder andere beliebige Ursachen.5 Aber weshalb sollen es nicht die Eltern sein ? Du siehst doch, daß Du mitsamt dem Körper ganz offenkundig von ihnen hervorgebracht bist – von der Sonne und den übrigen mitlaufenden Ursachen einmal ganz abgesehen. Du sagst : Aber ich bin ein denkendes Ding und habe die Idee Gottes in mir.6 Aber waren Deine Eltern oder ihr Geist etwa keine denkenden Dinge und hatten die Idee Gottes ? Die oben schon angeführte Aussage, daß zumindest ebensoviel in der Ursache sein muß, wie in der Wirkung ist,7 darf deswegen hier nicht überbeansprucht werden. Du sagst :

1

Med. III : 49, 9–11. 4 Med. III : 49, 19–20. 7 Med. III : 49, 24–25.

2

Med. III : 49, 12–18. 5 Med. III : 49, 21 ff.

3 6

Resp. V : 370, 6–7. Med. III : 49, 25–26.

301,23

308

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Wenn die Ursache eine andere außer Gott ist, kann gefragt werden, ob sie durch sich selbst ist oder durch etwas anderes. Denn wenn sie durch sich selbst ist, dann wird sie Gott sein ; wenn durch etwas anderes, wird so oft gefragt werden, bis man zu einer Ursache gelangt, die durch sich selbst ist und die Gott ist. Denn man darf hier nicht bis ins Unendliche fortschreiten.1

Wenn jedoch die Eltern die Ursache gewesen sind, dann kann es doch sein, daß diese Ursache nicht durch sich selbst war, sondern durch eine andere Ursache, und diese wiederum durch eine andere und so weiter bis ins Unendliche. Du wirst nur nachweisen können, daß dieser Fortschritt ins Unendliche absurd ist, wenn Du zugleich nachweist, daß die Welt irgendwann einmal angefangen hat und es daher einen ersten Elternteil gegeben hat, der seinerseits keinen Elternteil gehabt hat. Ein unendlicher Fortschritt scheint gewiß nur bei Ursachen absurd zu sein, die so miteinander verknüpft und einander untergordnet sind, daß die untergeordnete Ursache ohne eine obere bewegende nicht einwirken kann :2 Etwa bei einem Stein, der irgendetwas antreibt, und selbst von einem Stock angetrieben wird, den eine Hand antreibt ; oder wenn der unterste Ring einer Kette ein Gewicht trägt, und selbst von einem oberen Ring getragen wird, und dieser obere Ring wieder von einem anderen Ring. Dann nämlich muß man zu einem Bewegenden vorangehen, das als erstes bewegt. Es scheint aber keineswegs absurd zu sein bei Ursachen, die so geordnet sind, daß, wenn man die erste aufhebt, die Ursache, die von ihr abhängt, bestehen bleibt und einwirken kann. Wenn Du daher sagst, es sei ganz offenbar, daß es hierbei keinen unendlichen Fortschritt gibt,3 so sieh doch mal, ob das für Aristoteles ebenso offenbar gewesen ist, der völlig überzeugt gewesen ist, daß es keinen ersten Erzeuger gegeben hat. Du fährst fort : Es sind auch nicht mehrere Teilursachen zusammengekommen, um Dich zu bewirken, aus denen Du dann die Ideen der vielfältigen, Gott beigelegten Vollkommenheiten erhalten hättest. Denn 1

Med. III : 49, 29–50, 10.

2

Resp. V : 370, 13–16.

3

Med. III : 50, 7–8.

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diese Ideen kann man allein in dem einen und einzigen Gott antreffen, dessen Einheit bzw. Einfachheit die oberste Vollkommenheit ist.1

Ob Du nun aber eine oder mehrere Ursachen gehabt hast, es ist deswegen nicht notwendig, daß diese Ursachen Dir die Ideen ihrer Vollkommenheiten eingeprägt haben, die Du hast vereinigen können. Indessen verschaffst Du uns die Gelegenheit, Dich zu fragen, weshalb es – wenn Du schon nicht mehrere Ursachen gehabt hast – nicht zumindest mehrere Dinge hat geben können, deren Vollkommenheiten Du bewundert und auf jenes glückselige Ding zurückgeführt hast, in dem sie alle gleichzeitig existieren. Du hast ja Kenntnis darüber, wie die Dichter die Pandora beschreiben. Warum hast Du nicht an verschiedenen Menschen ein gewisses hervorragendes Wissen, Weisheit, Gerechtigkeit, Charakterfestigkeit, Macht, Gesundheit, Schönheit, Glückseligkeit, Beständigkeit und anderes bewundern, all dies zusammensetzen und der Ansicht sein können, man müsse denjenigen verehren, der all das gleichzeitig haben würde ? Weshalb hast Du dann nicht alle Vollkommenheiten in verschiedenen Graden vergrößern können, bis dieser jemand noch mehr zu bewundern schien, wenn seinem Wissen, seiner Macht, seiner Dauer und dem übrigen nichts mehr fehlte oder nichts dazu hinzugetan werden konnte und er auf diese Weise allwissend, allmächtig, ewig und alles übrige wurde ? Und als Du dann sahst, daß diese Vollkommenheiten der menschlichen Natur gar nicht zukommen können, weshalb hast Du nicht meinen können, diejenige Natur sei glückselig, auf die das zutrifft ? Weshalb solltest Du es nicht der Untersuchung wert gehalten haben, ob es eine solche Natur gibt oder nicht ? Weshalb solltest Du Dich nicht durch gewisse Argumente dazu bringen lassen, es für viel einleuchtender zu halten, daß es diese Natur gibt, als daß es sie nicht gibt ? Weshalb solltest Du ihr dementsprechend nicht Körperlichkeit, Begrenztheit und alles übrige nehmen können, das auf eine gewisse Unvollkommenheit hinweist ? Die meisten scheinen wirklich so vorgegangen zu sein. Da aber verschiedene Weisen und Grade der Schlußfolgerung 1

Med. III : 50, 11 f.

310

304,29

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existieren, haben einige Leute Gott körperlich sein lassen, andere haben ihn menschliche Körperteile besitzen lassen, wieder andere haben nicht einen Gott, sondern einen vielfältigen sein lassen, und was dergleichen ganz gewöhnliche Ansichten mehr sind. Was das über die Vollkommenheit der Einheit betrifft, so spricht nichts dagegen, alle Gott verliehenen Vollkommenheiten als innerlich miteinander verbunden und unzertrennbar zu begreifen, auch wenn die Idee, die Du von ihnen hast, nicht von ihm selbst in Dich gesetzt worden ist, sondern Du sie von den durchschauten und vergrößerten Dingen geschöpft hast, wie gesagt wurde. So malt man nicht nur die Pandora als eine Göttin, die mit allen Gaben und Vollkommenheiten ausgestattet ist, sondern auch eine vollkommene Republik, einen vollkommenen Redner usw. Schließlich schließt Du daraus, daß Du existierst und die Idee eines höchstvollkommenen Seienden in Dir hast, es sei ganz evident bewiesen, daß Gott existiert. Aber obwohl der Schluß, daß Gott existiert, wahr ist, ist es aufgrund des Gesagten dennoch nicht offenkundig, daß es von Dir ganz evident bewiesen worden ist. 10. Du sagst : Es steht noch aus, zu prüfen, auf welchem Weg ich von Gott diese Idee erhalten habe. Ich habe sie nicht aus den Sinnen geschöpft ; ich habe sie auch nicht selbst ausgebildet (denn ich kann überhaupt nichts von ihr abziehen und ihr nichts hinzutun). Demnach bleibt nur übrig, daß sie mir angeboren ist, so wie mir auch die Idee meiner selbst angeboren ist.1

Es ist wirklich bereits mehrere Male gesagt worden, daß Du diese Idee teilweise aus den Sinnen hast schöpfen, teilweise hast ausbilden können. Wenn Du nun aber sagst, »Du könnest nichts zu ihr hinzutun oder abziehen«, dann bedenke, daß Du sie am Anfang nicht ebenso vollkommen gehabt hast. Bedenke, daß es Menschen, Engel oder andere Naturen geben kann, die gelehrter als Du sind, durch die Du auf etwas über Gott hingewiesen werden kannst, wovon Du noch keine Kenntnis hast. Bedenke, daß zumindest Gott Dich so unterrichten und entweder 1

Med. III : 51, 6–14.

311

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in diesem oder in einem anderen Leben mit einer solchen Klarheit ausstatten kann, daß Dir alles, was Du jetzt schon über ihn weißt, für nichts gelten wird. Mag dies nun eintreffen oder nicht : Bedenke, daß von den Vollkommenheiten der geschaffenen Dinge ein Aufstieg zur Erkenntnis der Vollkommenheiten Gottes möglich ist,1 und daß so, wie die Vollkommenheiten der geschaffenen Dinge nicht in einem Moment zur Kenntnis gelangen, sondern jeden Tag immer mehr und mehr entdeckt werden können, man genausowenig eine vollkommene Idee Gottes von einem Moment auf den anderen besitzen kann, sondern nur eine von Tag zu Tag immer vollkommenere. Du fährst fort : Außerdem ist es überhaupt nicht verwunderlich, daß Gott, als er mich schuf, mir diese Idee eingegeben hat, gleichsam als ein seinem Werk aufgedrucktes Kennzeichen des Technikers. Auch ist es nicht nötig, daß dieses Kennzeichen irgendein von dem Werk selbst verschiedenes Ding sei. Sondern es ist allein deshalb, weil Gott mich geschaffen hat, äußerst glaubhaft, daß ich gewissermaßen nach seinem Bild und als sein Abbild gemacht bin, und daß dieses Abbild, in dem die Idee Gottes enthalten ist, von mir durch dasselbe Vermögen erfaßt wird, durch das ich mich selbst erfassen kann. Solange ich also mich selbst einsehe, sehe ich nicht nur ein, daß ich ein unvollständiges und von einem anderen abhängiges Ding bin, und zwar ein Ding, das unbegrenzt zu immer Größerem und noch Größerem, bzw. Besseren zu gelangen versucht ; sondern ich sehe zugleich auch ein, daß der, von dem ich abhänge, alles dies Größere nicht nur unbegrenzt und der Möglichkeit nach, sondern tatsächlich unendlich in sich hat, und demnach Gott ist.2

All das ist zwar wunderschön von Dir gesagt, und ich selbst wende keineswegs ein, daß es nicht wahr sei : aber ich frage mich gleichwohl, wodurch es eigentlich bewiesen wird ? Um einmal das beiseitezulassen, was vorher gesagt wurde : »Wenn die Idee Gottes in Dir ist wie ein dem Werk aufgedrucktes Kennzeichen des Technikers«, was ist denn eigentlich der Modus des Aufdrucks ? Was ist die Form dieses Kennzeichens ?3 1

Resp. V : 371, 24–25.

2

Med. III : 51, 15–29.

3

Resp. V : 372, 1–3.

312

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Wie unterscheidest Du es eigentlich ? »Wenn es nichts anderes ist als das Werk oder das Ding selbst«, bist Du selbst also die Idee ? Bist Du selbst nichts anderes als ein Modus des Denkens ? Bist Du selbst sowohl das aufgedruckte Kennzeichen als auch das Subjekt des Aufdrucks ?1 Du sagst : »Es ist glaubhaft, daß Du nach dem Bild und als Abbild Gottes geschaffen bist.« Glaubhaft in der Tat vor dem Hintergrund des religiösen Glaubens ; wie aber kannst Du das durch natürliche Vernunft einsehen, ohne Gott Menschengestalt zu verleihen ?2 Worin kann eigentlich die Abbildhaftigkeit bestehen ? Kannst Du, der Du Staub und Asche bist, voraussetzen, jener ewigen, unkörperlichen, unermeßlichen, höchstvollkommenen, höchst ehrbaren und, was die Hauptsache ist, völlig unsichtbaren und ganz unverständlichen Natur ähnlich zu sein ? Kennst Du sie etwa vom Angesicht her, so daß Du, wenn Du Dich mit ihr vergleichst, ernsthaft behaupten kannst, Du seist mit ihr konform ? Du nennst das »aufgrund dessen glaubhaft, weil sie Dich geschaffen hat«. Gerade deswegen aber ist es doch eher unglaubhaft ; denn das Werk ist dem Werkenden nicht ähnlich, außer wenn er es durch Übertragung der Natur erzeugt. Du aber bist nicht auf diese Weise von Gott erzeugt worden, denn Du bist weder sein Nachkömmling noch bist Du Teilhaber an seiner Natur, sondern Du bist bloß geschaffen, und das heißt : Du bist von ihm nach einer Idee gemacht. Deshalb kannst Du Dich nicht ihm ähnlicher nennen als ein Haus dem Maurer ähnlich ist. Und das unter Deiner Voraussetzung, eine Schöpfung Gottes zu sein – was Du noch gar nicht bewiesen hast. Du sagst : »Du erfaßt das Abbild während Du einsiehst, daß Du ein unvollständiges, abhängiges Ding bist,3 das zu Größerem und Besserem zu gelangen sucht.« Das aber ist doch vielmehr ein Argument für die Unähnlichkeit, denn Gott ist im Gegensatz zu Dir ganz vollständig, unabhängig, sich selbst genügend, denn er ist der Größte und Beste. Wobei ich übergehe, daß, wenn Du einsiehst, abhängig zu sein, deswegen noch nicht sofort einsiehst, daß das, von dem Du abhängst, etwas anderes als die Eltern ist ; oder daß, wenn Du etwas anderes einsiehst, darin noch nicht die Ursache enthalten ist, zu meinen, Du seist ihm ähnlich. Dabei übergehe ich auch, daß es seltsam ist, weshalb die übrigen Menschen bzw. Geister 1

Resp. V : 372, 12–14.

2

Resp. V : 372, 21–22.

3

Resp. V : 373, 18–19.

313

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nicht dasselbe einsehen wie Du, insbesondere weil es keinen Grund gibt, nicht zu glauben, daß Gott diesen Menschen die Idee seiner selbst genauso wie Dir aufgedruckt hat.1 Das allein ist doch vielmehr ein Argument dagegen, daß die Idee von Gott aufgedruckt ist. Denn wenn es so wäre, wäre allen Menschen ein und dieselbe Idee aufgedruckt, und alle Menschen würden Gott in ähnlicher Form und in ähnlichem Erscheinungsbild begreifen, ihm dasselbe beilegen und ganz dasselbe über ihn urteilen (sentire) – während doch bekanntermaßen das Gegenteil der Fall ist. Aber darüber ist nun mehr als genug gesagt.

G E G E N D I E V I E RT E M E D I TAT I O N . Über das Wahre und Falsche. 1. Am Anfang der vierten Meditation wiederholst Du zunächst das, was Du vorher bewiesen zu haben meinst, und was Dir Deiner Ansicht nach den Weg gebahnt hat, auf dem Du weiter vorankommen kannst. Um mich nicht damit aufzuhalten, will ich nicht weiter darauf insistieren, daß Du das verläßlicher hättest beweisen sollen. Es wird mehr als genug sein, wenn Du Dich daran erinnerst, was zugestanden worden ist und was nicht, damit Dich die Sache nicht zu einem Vorurteil verleitet. Du ziehst demgemäß die Schlußfolgerung, daß Gott Dich nicht täuschen kann.2 Um nun das Vermögen, zu täuschen oder einem Irrtum unterworfen zu sein, das Du von ihm hast, entschuldigen zu können, schiebst Du die Schuld auf das Nichts, von dem Dir, wie Du sagst, eine gewisse Idee vorschwebt, und an dem Du teilzuhaben behauptest, da Du annimmst, ein Mittleres zwischen dem Nichts und Gott zu sein.3 Das ist wohl eine hübsche Schlußfolgerung. Ich übergehe, daß nicht erklärt werden kann, in welcher Weise wir die Idee des Nichts besitzen, was das für eine Idee sein soll oder wie wir am Nichts teilhaben und anderes. Ich stelle nur fest, daß diese Unterscheidung nicht die Tatsache aufhebt, daß Gott dem Menschen eine gegen den Irrtum immune Urteilskraft hätte geben können. Denn 1

Resp. V : 374, 1–3. 21–22.

2

Med. IV : 53, 23–24.

3

Med. IV : 54, 12–17 und

307,20

308,1

314

308,15

308,25

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auch wenn er dem Menschen keine unendliche Urteilskraft gegeben hat, hätte er ihm doch eine solche geben können, die dem Irrtum nicht zustimmte, so daß er wenigstens das klar erfaßt hätte, was er kannte, und er das, was er nicht kannte, nicht als etwas anderes ausgab als es war. In der Auseinandersetzung damit vertrittst Du die Einschätzung, es sei nicht verwunderlich, wenn Gott manches tut, dessen Grund Du nicht einsiehst.1 Das ist zwar richtig. Aber dennoch ist es verwunderlich, daß einerseits in Dir eine wahre Idee ist, die Gott als allwissenden, allmächtigen und allgütigen Gott repräsentiert und Du anderseits trotzdem einige seiner Werke als nicht absolut gut ansiehst.2 Da er also zumindest vollkommenere Werke hätte stiften können, er sie aber gleichwohl nicht gestiftet hat, so scheint das ein Argument dafür zu sein, daß er es entweder nicht gewußt, oder es nicht gekonnt oder es nicht gewollt hat. Zumindest also ist er, wenn er die Unvollkommenheit der Vollkommenheit vorgezogen hat, insofern unvollkommen gewesen, als er es so gewollt und gewußt hat und er es anders hätte tun können. Wenn Du aber die Verwendung der Zweckursachen aus der Betrachtung durch die Physik ausschließt,3 dann hättest Du das vielleicht bei einer anderen Gelegenheit zurecht tun können. Da es sich hier aber um Gott handelt, besteht die reelle Gefahr, daß Du das Hauptargument zurückweist, durch das das Licht der Natur die göttliche Weisheit, Vorsehung, Macht und sogar Existenz etablieren kann. Denn um das Weltall, den Himmel und seine anderen Hauptteile einmal beistezulassen : Von woher oder auf welche Weise könntest Du besser argumentieren als von dem Gebrauch der Teile in den Pflanzen, in den Tieren, in den Menschen, in Dir selbst (oder in Deinem Körper) her, der Du das Abbild Gottes in Dir trägst ? Wir sehen doch, daß gerade die bedeutenden Männer sich von der anatomischen Betrachtung des menschlichen Körpers nicht nur zur Kenntnis Gottes erheben, sondern ihm auch Hymnen singen, daß er alle Teile so gestaltet und zum Gebrauch eingerichtet hat, daß er überhaupt wegen seiner Meisterschaft und unvergleichlichen Vorsehung gepriesen wird. 1

Med. IV : 55, 14–16.

2

Resp. V : 374, 15–16.

3

Med. IV : 55, 23–25.

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315

Du wirst sagen : »Es sind die physikalischen Ursachen dieser Form und Lage, die untersucht werden müssen. Wer aber eher auf das Ziel als auf die tätige Ursache oder die Materie abhebt, macht sich lächerlich.« Aber da kein Sterblicher weder einsehen noch erklären kann, welche tätige Ursache die Klappen, die an den Mündungen der Gefäße der Herzkammern angebracht sind, auf die Weise bildet und einrichtet, die wir beobachten ; auf wessen Veranlassung (cujus conditio) oder von woher diese Ursache die Materie nimmt, aus der sie sie herausarbeitet ; wie sie sich in Tätigkeit setzt ; welche Organe sie verwendet oder wie sie sie benutzt ; was sie benötigt, um sie in der richtigen Mischung (temperies), Konsistenz, Kohärenz, Biegsamkeit, Größe, Gestalt und Lage herzustellen : Da, sage ich, keiner der Physiker dies und anderes durchschauen und darlegen kann, was sollte ihn hindern, zumindest jene außerordentliche Zweckmäßigkeit und unausprechliche Vorsehung zu bewundern, die diese Klappen dafür so geeignet gemacht hat ? Weshalb sollte man einen solchen Physiker nicht rühmen, wenn er daraufhin erkennt, daß man notwendig eine erste Ursache zugestehen muß, die das und alles andere äußerst weise und in völliger Übereinstimmung mit ihren Zielen eingerichtet hat ? Du sagst : Es gehört Übermut dazu, die Zwecke Gottes zu untersuchen.1 Nun, das mag wohl richtig sein, wenn man die Zwecke einsehen möchte, die Gott selbst hat verbergen wollen und die zu untersuchen er verboten hat. Es betrifft aber gewiß nicht jene, die er gewissermaßen öffentlich aufgestellt hat, ohne großen Aufwand entdeckt werden können und darüber hinaus derartig sind, daß sie großen Ruhm auf Gott selbst als ihren Urheber zurückwerfen. Du wirst vielleicht sagen : »Die Idee Gottes, die in jedem einzelnen Menschen ist, reicht aus, um eine wahre und echte Kenntnis von Gott und seiner Vorsehung zu haben, und zwar ohne daß sie einen Bezug zu den Zielen der Dinge oder zu überhaupt irgendetwas anderem herstellt.« Aber nicht alle haben dasselbe Glück wie Du, von Geburt an eine so vollkommene Idee zu besitzen oder sie mit einer solchen Klarheit vor sich zu sehen. Deshalb darf man es denjenigen nicht übelnehmen, denen Gott keinen solchen Weitblick gegeben hat, 1

Med. IV : 55, 25–26.

309,14

310,2

310,9

316

310,29

311,11

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wenn sie den Werkmeister nur aus dem Einblick in die Werke erkennen und preisen können. Ich lasse unerwähnt, daß dadurch gar nicht verhindert wird, diese Idee zu verwenden ; denn es scheint doch, daß sich diese Idee aus der Erkenntnis der Dinge so vervollkommnen läßt, daß Du – wenn Du das Wahre sagen willst – sagen müßtest, daß Du dieser Erkenntnis nicht eben wenig, um nicht zu sagen fast alles verdankst. Denn ich frage Dich : Welchen Fortschritt meint Du hättest Du gemacht, wenn Du, nachdem Du in den Körper eingetreten bist, in ihm bis jetzt mit geschlossen Augen und verstopften Ohren geblieben wärst und überhaupt mit keinem äußeren Sinn die Gesamtheit der Dinge und alles, was außen ist, erfaßt hättest ? Hättest Du nicht seitdem Dein gesamtes Leben damit vergeudet, für Dich selbst meditierend die Gedanken hin- und herzuwälzen ? Sag’ doch mal ehrlich und beschreib’ doch mal : Welche Idee, meinst Du, hättest Du von Dir und von Gott gehabt ?1 2. Dann schlägst Du als Lösung vor : Das als unvollkommen angesehene Geschöpf darf nicht als etwas Ganzes, sondern nur als ein Teil des Universums betrachtet werden, in welcher Hinsicht es vollkommen sein wird.2 Wirklich lobenswert, diese Unterscheidung. Hier aber thematisieren wir nicht die Unvollkommenheit eines Teils, insofern er Teil ist und mit der Integrität des Ganzen verglichen wird, sondern insofern er in sich ein Ganzes ist und eine besondere Funktion ausübt. Denn wenn Du es auf das Universum beziehst, wird die Schwierigkeit stets bestehen bleiben, ob das Universum nicht tatsächlich besser gewesen wäre, wenn alle seine Teile vollkommen existiert hätten, als es jetzt ist, wo die meisten Teile unvollkommen existieren. Ebenso wird nämlich auch eine Republik vollkommener sein, in der alle Bürger gut sein werden, als eine andere, in der die meisten oder einige schlecht sind. Wenn Du kurz darauf sagst : In gewisser Hinsicht liegt dadurch eine größere Vollkommenheit in der Gesamtheit der Dinge insgesamt, weil bestimmte Teile von ihr dem Irrtum unterliegen als wenn alle völlig gleich wären,3 dann ist das geradeso als wenn Du sagen würdest : »Gewissermaßen ist die Vollkommenheit einer Repu1

Resp. V : 375, 14–17.

2

Med. IV : 55, 30–56, 2.

3

Med. IV : 61, 20–23.

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317

blik größer, wenn einige Bürger schlecht sind, als wenn alle gut sind«. Genauso, wie es ganz dem Wunsch des besten Staatsmannes entsprechen zu müssen scheint, nur gute Bürger zu haben, hätte es doch auch, wie es scheint, der Absicht des Urhebers des Universums entsprechen müssen, alle Teile des Universums so zu schaffen, daß sie gegen Irrtümer immun sind und es auch bleiben. Und auch wenn Du sagen kannst, daß die Vollkommenheit der Teile, die immun gegen Irrtümer sind, im Gegensatz zu denjenigen größer erscheint, die dem Irrtum unterliegen, so ist das gleichwohl allein durch ein Akzidenz so : Genauso, wie die Tugend der Guten, obwohl sie gewissermaßen erst am Gegensatz zu denjenigen zutagetritt, die lasterhaft sind, allein an einem Akzidenz zutagetritt. Es scheint also genausowenig wünschenswert zu sein, daß es schlechte Bürger gibt, damit die Guten mehr zutagetreten, wie es dazu hätte kommen dürfen, daß einige Teile des Universums dem Irrtum unterliegen, damit diejenigen klarer werden, die gegen ihn immun sind. Du sagst : Du hast kein Recht, Dich zu beklagen, daß Gott Dir in der Welt eine Rolle zuzuweisen gewillt war, die weder die vorzüglichste noch die vollkommenste von allen ist.1 Das aber hebt den Zweifel nicht auf, weshalb es ihm nicht genügt hat, Dir eine Rolle zuzuweisen, die die geringste von den vollkommenen Rollen gewesen wäre, anstatt Dir eine geradezu unvollkommene zuzuweisen.2 Denn man kann es einem Staatsmann nicht zum Vorwurf machen, daß er nicht alle Bürger in höchste Ämter beruft, sondern einige in mittleren hält, andere in niedrigsten ; aber man würde es ihm doch wohl zum Vorwurf machen, wenn er nicht nur einige Bürger mit geringfügigen Funktionen betrauen würde, sondern einige sogar mit solchen, die geradezu unrecht sind. Du sagst : Du kannst keine Begründung beibringen, durch die Du nachweisen kannst, daß Gott Dir ein größeres Erkenntnisvermögen hätte verleihen müssen, als er Dir verliehen hat. Und obwohl Du einsiehst, daß er ein unglaublich erfahrener Techniker ist, so meinst Du deswegen doch nicht, daß er in jedes einzelne seiner Werke 1

Med. IV : 61, 23–26.

2

Resp. V : 376, 15–16.

312,3

312,13

318

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alle Vollkommenheiten hätte hineinlegen müssen, die er in einige hineinlegen kann.1

312,25

313,4

313,15

Aber das setzt das nicht außer Kraft, was ich gerade sagte. Du siehst, die Schwierigkeit liegt weniger darin, weshalb Gott Dir kein größeres Erkenntnisvermögen verliehen hat, sondern vielmehr darin, weshalb er ein irrendes verliehen hat. Die Kontroverse dreht sich doch nicht darum, weshalb der Techniker nicht alle Werke mit den höchsten Vollkommenheiten ausstatten, sondern weshalb er einigen sogar Unvollkommenheiten beilegen wollte. Du sagst : Obgleich Du Dich nicht durch eine evidente Erfassung der Dinge von Irrtümern abzuhalten vermagst, kannst Du es dennoch durch die Absicht, Dir fest vorzunehmen, keinem Ding zuzustimmen, das Du nicht evident erfaßt hast.2 Ob Du nun aber stets diese Aufmerksamkeit aufbringen kannst oder nicht – ist es nicht immer eine Unvollkommenheit, das, was es zu beurteilen gilt, nicht evident zu erfassen und unentwegt der Gefahr zu irren ausgesetzt zu sein ? Du sagst : Der Irrtum liegt in der Operation selbst, insofern sie von mir selbst herrührt und ist eine gewisse Privation, jedoch weder in dem Vermögen, das ich von Gott erhalten habe, noch in der Operation, insofern sie von Gott abhängt.3 Aber, mag der Irrtum auch nicht unmittelbar in dem Vermögen liegen, das wir unmittelbar von Gott erhalten haben, so liegt er mittelbar in ihm, insofern es mit der Unvollkommenheit geschaffen ist, sich irren zu können. Daher ist es durchaus unangebracht, wie Du behauptest, sich über Gott zu beklagen, der Dir nichts schuldig gewesen ist, und dennoch Dir jene Güter beigelegt hat, deretwegen Du ihm danken mußt.4 Aber es ist immer angebracht, mich darüber zu wundern, weshalb er mir keine vollkommeneren verliehen hat, wenn er es wußte, wenn er es konnte und wenn er sich nicht vom Neid leiten ließ. Du fügst hinzu :

1

Med. IV. 56, 21–26. 4 Med. IV : 60, 11–19.

2

Med. IV : 61, 27–62, 2.

3

Med. IV : 60, 7–10.

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Es ist auch unangebracht, Dich darüber zu beklagen, daß Gott mit Dir bei den Aken zusammenwirkt, in denen Du Dich irrst. Diese Akte sind nämlich insgesamt wahr und gut, insofern sie von Gott abhängen, und es ist dadurch in mir gewissermaßen eine größere Vollkommenheit, daß Du sie entwickeln kannst, als wenn Du es nicht könntest. Die Privation aber, in der allein der formale Grund der Falschheit und der Verantwortung besteht, bedarf keiner Unterstützung Gottes, weil sie kein Ding ist, und auch nicht auf ihn bezogen.1

Aber auch wenn man eine solche feine Unterscheidung macht, so ist sie nicht völlig befriedigend. Auch wenn Gott nämlich zu der Privation nicht beiträgt, die im Akt besteht und Täuschung und Irrtum ist, trägt er dennoch zum Akt bei ; denn wenn er nicht zu ihm beitrüge, läge keine Privation vor. Anderseits ist er selbst der Urheber der Macht, die sich täuscht oder irrt, und er ist daher, ich will mal so sagen, Urheber einer machtlosen Macht. Der Mangel, der im Akt liegt, scheint demnach weniger auf die Macht, die doch machtlos ist, bezogen werden zu müssen als vielmehr auf den Urheber, der sie so machtlos geschaffen hat und der sie nicht mächtiger erschaffen wollte, obwohl er es gekonnt hätte. Niemand wird es einem Handwerker als Fehler anlasten, wenn er nur einen kleinen Schlüssel herstellt, mit dem man eine kleine Schachtel öffnen kann ; aber man wird es ihm gewiß als Fehler anlasten, wenn er einen sehr kleinen Schlüssel hergestellt hat, dessen Form ihn untauglich oder es schwierig macht, die Schachtel zu öffnen. Ebenso liegt die Verantwortung zwar nicht bei Gott, wenn er dem Erdenwurm ein urteilendes Vermögen nicht in dem Maße verliehen hat, daß davon auszugehen ist, es werde entweder für alle, für die meisten oder für die wichtigsten Dinge ausreichen. Aber es ist doch sehr verwunderlich, weshalb er dem Menschen für das Wenige, von dem er wollte, daß der Mensch es beurteile, ein unzulängliches, selbstwidersprüchliches und unsicheres Urteilsvermögen verliehen hat.2 3. Du kommst dann auf die Frage, was eigentlich in Dir die Ursache der Täuschung oder des Irrtums ist.3 Zunächst einmal 1

Med. IV : 60, 26–61, 2.

2

Resp. V : 376, 17–19.

3

Med. IV : 58, 20.

314,13

320

314,25

315,6

fü n f te ei n wä n d e

disputiere ich hier nicht darüber, weshalb Du den Verstand das einzige Vermögen, Kenntnis von Ideen zu haben nennst, bzw. das Vermögen, Dinge einfach und ohne irgendeine Behauptung oder Verneinung aufzufassen, während Du den Willen und die freie Willkür das Urteilsvermögen nennst, dem es zukommt, zu behaupten oder zu bestreiten, zuzustimmen oder zu widersprechen. Ich werfe nur die Frage auf, weshalb Du den Willen oder die Freiheit der Willkür nicht durch Grenzen umschrieben sein läßt, während Du es beim Verstand tust ? Tatsächlich nämlich scheinen diese beiden Vermögen sich gleich weit zu erstrecken, zumindest aber der Verstand genausoweit wie der Wille ; denn der Wille richtet sich nur auf Dinge, die der Verstand schon gesehen hat. Ich habe gesagt »zumindest genausoweit« ; freilich scheint der Verstand sich sogar weiter zu erstrecken als der Wille. Denn Wille, bzw. Willkür, Urteil und dementsprechend Wahl, Erstrebung, Flucht gibt es doch nicht nur in bezug auf ein Ding, das wir aufgefaßt haben, bzw. dessen Idee der Verstand erfaßt und von ihm vorgelegt worden ist, sondern wir sehen auch vieles dunkel ein, in bezug auf das es kein Urteil, keine Erstrebung und keine Flucht gibt. Auch ist das Urteilsvermögen oft so unentschieden, daß es bei ausgeglichener Ausschlagskraft der Begründungen, oder wenn gar keine Begründungen vorliegen, kein Urteil erfolgt ; unterdessen hört der Verstand aber nicht auf, das aufzufassen, was das Urteilsvermögen liegen läßt. Du sagst : Du kannst beständig Dir das Größere immer noch größer denken (intelligere), und insbesondere das Vermögen des Verstandes selbst, von dem Du Dir sogar eine unendliche Idee bilden kannst.1 Gerade das zeigt doch aber, daß der Verstand nicht begrenzter ist als der Wille, da er sich ja sogar auf ein unendliches Objekt erstrecken kann. Wenn Du aber erkennst, daß Dein Wille dem göttlichen Willen zwar nicht extensiv, aber formal gleichkomme,2 dann beachte, ob man dasselbe nicht auch über den Verstand sagen kann, vorausgesetzt, Du definierst den formalen Grundbegriff Verstand nicht anders als den Willen. Um es kurz zu machen : Sag’ uns bitte, worauf sich der Wille erstrecken könnte, und das doch dem Verstand entginge.3 Ich sehe daher nicht, daß der Irrtum dadurch 1

Med. IV : 57, 2–7.

2

Med. IV : 57, 11–21.

3

Resp. V : 376, 20–21.

321

fü n f te e in wä n d e

geboren wird, wie Du behauptest, daß der Wille weiter auslangt als der Verstand und sich auf das Beurteilen desjenigen erstreckt, das der Verstand nicht erfaßt,1 sondern daraus, daß, weil sie gleich weit auslangen, der Verstand etwas nicht richtig erfaßt, auch der Wille es nicht richtig beurteilt. Deshalb gibt es auch nichts, weshalb Du meinen solltest, der Wille erstrecke sich über die Grenzen (fines) des Verstandes hinaus, da er keine Dinge beurteilt, die der Verstand nicht erfaßt, und das verkehrt beurteilt, was der Verstand verkehrt erfaßt. Das Beispiel in bezug auf Dich selbst,2 das Du im Zusammenhang mit der von Dir angestellten Beweisführung hinsichtlich der Existenz der Dinge anführst, ist zwar geeignet, insofern es das Urteil über Deine Existenz betrifft, aber es scheint ganz ungeeignet zu sein, insofern es andere betrifft. Denn alles, was Du sagst, oder vielmehr : womit Du spielst, daran zweifelst Du nicht wirklich, sondern Du urteilst generell, daß es außer Dir ist, und daß es von Dir unterschieden ist ; denn Du siehst schon im Vorwege ein, daß all das außer Dir vorhanden und von Dir unterschieden ist. Wenn Du voraussetzt, daß sich Dir keine Überlegung darbietet, die Dich mehr von dem einen als von dem anderen überzeugt hätte,3 dann kannst Du das wohl voraussetzen. Aber Du mußt zugleich voraussetzen, daß kein solches Urteil folgen, sondern der Wille solange immer indifferent bleiben wird und sich auch nicht zum Urteilen bestimmen wird, bis der Verstand auf der einen oder der anderen Seite irgendeine größere Wahrscheinlichkeit findet. Wenn Du dann sagst : Diese Indifferenz erstreckt sich sogar auf das, was nicht hinreichend transparent erkannt wird, so daß, auch wenn beliebig glaubhafte Vermutungen Dich auf die eine Seite ziehen, doch allein die Erkenntnis, daß es lediglich Vermutungen sind, ausreicht, Dich zur entgegengesetzten Zustimmung zu drängen,4 dann scheint das in keiner Weise wahr zu sein. Denn die Erkenntnis, daß es nur Vermutungen sind, führt zwar dazu, daß Du das Urteil zugunsten der Seite, zu der die Vermutungen 1

Med. IV : 58, 20–23. 4 Med. IV : 59, 15–23.

2

Med. IV : 58, 26.

3

Med. IV : 59, 10–12.

315,23

316,1

316,15

322

316,26

317,6

317,24

fü n f te ei n wä n d e

Dich ziehen, mit einem gewissen Vorbehalt und Zögern fällst ; sie führt Dich aber niemals dazu, ein Urteil zugunsten der entgegengesetzten Seite zu fällen, außer nachdem Du entweder genauso glaubhafte oder sogar glaubhaftere Vermutungen angestellt hast. Wenn Du hinzufügst, daß Du das in diesen Tagen erfahren hast, als Du alles das als falsch vorausgesetzt hast, von dem Du geglaubt hattest, es sei ganz wahr,1 dann erinnere ich daran, daß Dir das nicht zugestanden worden ist. Denn tatsächlich kannst Du weder geurteilt (sentire) noch Dich davon überzeugt haben, die Sonne, die Erde, die Menschen und das andere nicht gesehen, keine Töne gehört, nicht spazierengegangen, nicht gegessen, nicht geschrieben, nicht gesprochen und anderes nicht getan zu haben (nämlich etwas, das die Verwendung des Körper oder seiner Organe beinhaltet). Schließlich scheint also die Form des Irrtums weniger in einer unrichtigen Verwendung der freien Willkür2 zu bestehehen, wie Du behauptest, als vielmehr in einer Unstimmigkeit zwischen dem Urteil und der beurteilten Sache, die daraus entstanden ist, daß der Verstand diese Sache anders auffaßt als sie sich verhält. Daher scheint es auch weniger in der Verantwortung der Willkür zu liegen, daß sie nicht richtig urteilt, als vielmehr in der des Verstandes, daß er nicht richtig beweist. Denn die Abhängigkeit der Willkür vom Verstand scheint darin zu bestehen, daß, wenn der Verstand etwas klar erfaßt oder zu erfassen scheint, die Willkür ein gültiges und bestimmtes Urteil fällt, ob es nun tatsächlich wahr oder für wahr gehalten wird ; wenn der Verstand es aber dunkel erfaßt, fällt die Willkür ein zweifelhaftes und mit einem Vorbehalt behaftetes Urteil, das für den Augenblick gleichwohl für wahrer gehalten wird als das entgegengesetzte, ob nun der Sache nach Wahrheit oder Falschheit darin steckt. Daraus ergibt sich, daß wir uns weniger vorsehen können, uns nicht zu irren, als vielmehr nicht auf dem Irrtum zu beharren,3 und wir unsere eigenen Urteile weniger dadurch abwägen, daß wir der Willkür Gewalt antun, als vielmehr dadurch, daß wir den Verstand zu einer klareren Kenntnis verhelfen, der das Urteil immer folgen wird. 4. Du schließt, indem Du den Ertrag übertreibst, den Du aus dieser 1

Med. IV : 59, 23–27.

2

Med. IV : 59, 23–27.

3

Resp. V : 378, 2–5.

fü n f te e in wä n d e

323

Meditation gewinnen kannst, und schreibst vor, was getan werden muß, damit Du die Wahrheit erlangst. Denn, sagst Du, Du wirst sie erlangen, wenn Du bloß das, was Du vollkommen einsiehst, genügend berücksichtigst und es von allem übrigen trennst, das Du verworrener und dunkler auffaßt.1 Das ist nun nicht einfach nur wahr, sondern sogar in einer solchen Weise wahr, daß die gesamte vorangehende Meditation überflüssig gewesen zu sein scheint, ohne die es eingesehen werden kann. Doch beachte, berühmter Herr, daß die Schwierigkeit nicht darin zu liegen scheint, ob wir etwas klar und deutlich einsehen müssen, um uns nicht zu täuschen, sondern mit welcher Technik oder Methode man unterscheiden kann, ob wir eine so klare und deutliche Einsicht (intelligentia) haben, daß sie wahr ist und wir uns unmöglich täuschen können. Denn am Anfang haben wir eingewandt, daß wir uns nicht selten täuschen, obwohl wir etwas so klar und deutlich zu erkennen scheinen, daß es gar nicht klarer und deutlicher sein könnte. Du selbst hast Dir das auch eingewandt, und dennoch warten wir bis jetzt auf die entsprechende Technik oder Methode, um die es doch vor allem zu tun sein müßte.

318,1

G E G E N D I E F Ü N F T E M E D I TAT I O N . Über das Wesen der materiellen Dinge ; und erneut über Gott, daß er existiert. 1. In der fünften Meditation sagst Du zuerst, daß Du Dir die Quantität, das heißt die Ausdehnung in Länge, Breite und Tiefe deutlich vorstellst, und ebenso die (An-)Zahl, die Gestalt, die Lage, die Bewegung, die (An-)Dauer.2 Aus all diesem, von dem Du, wie Du sagst, jeweils eine Idee hast, wählst Du die Gestalt aus, und aus allen Gestalten die Figur des Dreiecks, über das Du Dich so ausläßt : Auch wenn vielleicht eine solche Figur nirgendwo außerhalb meines Denkens existiert, und auch niemals existiert hat, so ist seine Natur sicherlich eine ganz bestimmte, die weder von mir selbst 1

Med. IV : 62, 21–25.

2

Med. V : 63, 16–21.

318,16

324

fü n f te ei n wä n d e

ausgebildet ist, noch von meinem Geist abhängt. Dies wird daran offenkundig, daß vielfältige Eigenschaften dieses Dreiecks bewiesen werden können : Seine drei Winkel sind zwei rechten Winkeln gleich, seinem größten Winkel liegt die größte Seite gegenüber, und dergleichen, das ich, ob ich nun will oder nicht, jetzt klar erkenne, auch wenn ich vorher daran überhaupt nicht gedacht hatte, wenn ich mir ein Dreieck vorgestellt habe. Demnach habe ich diese Eigenschaften auch nicht selbst ausgebildet.1

319,12

319,18

Das ist alles, was Du über das Wesen der materiellen Dinge zu sagen hast ;2 denn das Wenige, das Du hinzufügst, läuft auf dasselbe hinaus. Aber ich möchte mich hiermit nicht aufhalten. Ich weise nur darauf hin, daß es mir heftig zu sein scheint, »eine ganz bestimmte, unveränderliche und ewige Natur« außer dem dreifachgrößten Gott aufzustellen.3 Du wirst sagen, Du brächtest doch nichts anderes vor als das, was an den Universitäten verbreitet wird, nämlich : Die Naturen oder Wesen der Dinge sind ewig, und über sie werden Sätze von immerwährender Wahrheit aufgestellt. Das aber ist nicht weniger heftig und ist doch ebenso unverständlich wie : Es gibt eine menschliche Natur, obwohl es keinen Menschen gibt ; oder : Es wird gesagt, daß eine Rose eine Blume ist, obwohl es gar keine Rose gibt. An den Universitäten wird gesagt : »Das eine ist, über das Wesen zu sprechen, und das andere, über die Existenz der Dinge zu sprechen, und es gibt zwar keine Existenz, wohl aber ein Wesen der Dinge seit Ewigkeit.« Wenn aber das Wesen das Eigentümliche ist, das in den Dingen ist, was macht Gott denn dann eigentlich so Großartiges, wenn er die Existenz produziert ? Dann doch nicht mehr als ein Schneider, der dem Menschen einen Mantel umhängt. Wie wollen diese Leute verteidigen, daß das Wesen des Menschen, das in Plato ist, ewig und unabhängig von Gott ist ? Werden sie sagen : »insofern es universell ist« ? Aber in Plato befindet sich nur Einzelnes. Gewöhnlich abstrahiert der Verstand daraus, daß er sieht, daß Plato, Sokrates und die übrigen Menschen vergleichbare Naturen haben, einen bestimmten gemeinsamen 1

Med. V : 64, 12–24.

2

Resp. V : 379, 14–15.

3

Resp. V : 380, 1–2.

fü n f te e in wä n d e

325

Begriff, in dem sie alle übereinstimmen, und den der Verstand dann für die universelle Natur oder das universelle Wesen des Menschen halten kann, insofern eingesehen wird, daß alle Menschen mit ihm übereinstimmen. Es ist aber völlig unerklärlich, daß dieser Begriff universell gewesen sein soll, bevor es Plato und die übrigen Menschen gab und der Verstand den Begriff abstrahierte. Du wirst sagen : Ist diese Proposition Der Mensch ist ein Lebewesen etwa auch wahr, wenn kein Mensch existiert ? Und war sie demnach seit Ewigkeit wahr ? Sie scheint aber schlicht nicht wahr zu sein, es sei denn in dem Sinne, daß ein Mensch ein Lebewesen sein wird, wann auch immer es ihn geben wird. Denn auch wenn zwischen den beiden Propositionen Der Mensch ist und Der Mensch ist ein Lebewesen sicherlich darin ein Kontrast zu bestehen scheint, daß in der ersten ausdrücklich mehr die Existenz bezeichnet wird und in der zweiten das Wesen, wird gleichwohl weder aus der ersten das Wesen, noch aus der zweiten die Existenz ausgeschlossen. Wenn aber gesagt wird Der Mensch ist, versteht man darunter Der Mensch als Lebewesen ; und wenn gesagt wird : Der Mensch ist ein Lebewesen, versteht man : Der Mensch, während er existiert. Außerdem : Da die Proposition Der Mensch ist ein Lebewesen keine größere Notwendigkeit besitzt als diese : Plato ist ein Mensch, wird demnach auch die letztere immerwährende Wahrheit besitzen, und das einzelne Wesen des Plato wird nicht weniger unabhängig von Gott sein als das universelle Wesen des Menschen. Dasselbe gilt für manches andere, was darzulegen zu langwierig wäre. Ich füge gleichwohl hinzu : Wenn gesagt wird, der Mensch besitze eine solche Natur, daß es ihn nicht geben kann, ohne daß er ein Lebewesen ist, dann darf man sich deshalb nicht vorstellen, diese sogeartete Natur sei etwas oder gebe es irgendwo außerhalb des Verstandes ; sondern der Sinn ist einfach der : Damit etwas ein Mensch sein kann, muß es den übrigen Dingen ähnlich sein, denen aufgrund der gegenseitigen Ähnlichkeit eben diese Benennung Mensch beigelegt wurde. Ich sage : Aufgrund der Ähnlichkeit der einzelnen Naturen, die der Verstand zum Ansatzpunkt genommen hat, den Begriff bzw. die Idee oder Form der gemeinsamen Natur auszubilden, von der nichts abweichen darf, was ein Mensch sein wird.

320,4

326 320,30

321,6

321,17

321,27

fü n f te ei n wä n d e

Ich sage deshalb genau dasselbe über Dein Dreieck und seine Natur. Denn zwar ist das Dreieck gewissermaßen wie eine geistige Regel, durch die Du erkunden kannst, ob etwas Dreieck genannt zu werden verdient. Aber deshalb darf noch nicht gesagt werden, ein solches Dreieck sei ein reales Etwas und eine wahre Natur außerhalb des Verstandes ; denn der Verstand hat diese Natur aus den Beobachtungen materieller Dreiecke auf genau dieselbe Weise gebildet und verallgemeinert, wie es in bezug auf die menschliche Natur gesagt wurde. Deshalb darf man auch nicht der Ansicht sein, die Eigenschaften, die in bezug auf die materiellen Dreiecke bewiesen wurden, träfen deshalb auf diese Dreiecke zu, weil sie von dem idealen Dreieck entlehnt sind. Denn vielmehr haben die materiellen Dreiecke selbst diese Eigenschaften in sich, und das ideale Dreieck hat sie nur insofern, als der Verstand sie ihm dadurch beilegt, daß er sie in den materiellen Dreiecken gesehen hat, um sie ihnen später im Verlauf des Beweisens wieder zurückzugeben. In derselben Weise sind die Eigenschaften der menschlichen Natur nicht in Plato und Sokrates, weil sie sie gleichsam von der universellen Natur erhalten hätten, sondern die universelle Natur hat sie vielmehr deswegen, weil der Verstand sie ihnen beigelegt hat, nachdem er sie bei Plato, Sokrates und den anderen bemerkt hat, um sie ihnen später wieder zurückzugeben, wenn die Schlußfolgerung es nötig macht. Es ist nämlich bekannt, daß der Verstand die allgemeine Proposition Jeder Mensch verfügt über Vernunft daraus entnommen hat, daß er Plato, Sokrates und andere gesehen hat, die über Vernunft verfügen. Wenn er dann beweisen will, daß Plato über Vernunft verfügt, nimmt er diese Proposition als Prinzip im Syllogismus. Du jedoch, o Geist, sagst, Du habest die Idee des Dreiecks, und hättest sie auch gehabt, wenn Du an den Körpern niemals irgendeine dreieckige Gestalt gesehen hättest, wie Du ja auch die Ideen vieler anderer Figuren besitzt, die Dir niemals in die Sinne gelangt sind.1 Wenn Du aber, wie ich oben sagte, bis jetzt so aller Funktionen der Sinne beraubt gewesen wärest, daß Du die verschiedenen Oberflächen bzw. äußersten Stellen der Körper weder jemals gesehen noch berührt 1

Med. V : 64, 25–65, 2.

fü n f te e in wä n d e

327

hättest, meinst Du, Du hättest die Idee des Dreiecks oder anderer Figuren oder hättest sie in Dir ausbilden können ? Du hast jetzt mehrere in Dir, die nicht durch die Sinne in Dich eingedrungen sind.1 Selbstverständlich ist es für Dich leicht, sie zu haben, weil Du sie aus denen, die eingedrungen sind, ausbildest und auf die oben ausgeführten Weisen verschieden bildest. Es wäre hier außerdem über die falsche Natur des Dreiecks zu sprechen, in der vorausgesetzt wird, daß das Dreieck aus Linien besteht, die keine Breite haben, und eine Fläche beinhaltet, die keine Tiefe hat, und es an drei Punkten begrenzt wird, die keine Teile haben. Aber ich würde zu weit abschweifen. 2. Demgemäß hast Du es dann unternommen, die Existenz Gottes zu beweisen. Die Stärke Deines Arguments liegt in diesen Worten :

322,7

322,12

Doch jedem, der es sorgfältiger berücksichtigt, wird offenkundig, daß die Existenz vom Wesen Gottes genausowenig abgetrennt werden kann wie die Tatsache, daß die Größe der drei Winkel eines Dreiecks zwei rechten entspricht, von dem Wesen des Dreiecks, oder wie die Idee des Tales von der Idee des Berges abgetrennt werden kann. Demnach ist es ebenso widersprüchlich, einen Gott (also ein höchstvollkommenes Seiendes) zu denken, dem die Existenz fehlt (dem also eine Vollkommenheit fehlt), als einen Berg zu denken, dem das Tal fehlt.2

Allerdings muß darauf hingewiesen werden, daß Dein diesbezüglicher Vergleich nicht ganz richtig zu sein scheint. Denn Du vergleichst zwar richtig das Wesen mit dem Wesen ; dann jedoch vergleichst Du weder die Existenz mit der Existenz, noch die Eigenschaft mit der Eigenschaft, sondern die Existenz mit der Eigenschaft. Von daher hätte, wie es scheint, z. B. auch gesagt werden können : »Allmacht kann nicht mehr vom Wesen Gottes abgetrennt werden als die Gleichheit der Größe seiner Winkel vom Wesen des Dreiecks.« Oder zumindest : »Die Existenz Gottes kann nicht mehr von seinem Wesen getrennt werden als die Existenz des Dreiecks von seinem Wesen.« Jeder beliebige Vergleich ließe sich so gut zustandebringen, und man 1

Med. V : 64, 28–30 ; Resp. V : 381, 20–21.

2

Med. V : 66, 8–15.

322,23

328

323,12

323,18

323,27

324,1

fü n f te ei n wä n d e

hätte Dir nicht nur den ersten zugestanden, sondern auch den zweiten. Gleichwohl : Es wäre Dir deswegen noch nicht gelungen, zu beweisen, daß Gott notwendig existiert, weil auch das Dreieck nicht notwendig existiert, obwohl sein Wesen und seine Existenz nicht tatsächlich voneinander getrennt werden können, mag der Geist sie noch so sehr trennen, bzw. getrennt denken, wie er ja auch das göttliche Wesen und die göttliche Existenz getrennt denken kann. Außerdem muß darauf hingewiesen werden, daß Du die Existenz zu den göttlichen Vollkommenheiten zählst, sie jedoch nicht zu den Vollkommenheiten des Dreiecks oder des Berges zählst, obwohl sie doch ebenso in der jeweiligen Weise Vollkommenheit genannt werden kann. Aber die Existenz ist selbstverständlich weder bei Gott noch bei irgendeinem anderen Ding eine Vollkommenheit, sondern sie ist das, ohne das es keine Vollkommenheiten gibt. Denn was nicht existiert, hat weder Vollkommenheit noch Unvollkommenheit ; und was existiert und mehrere Vollkommenheiten hat, hat Existenz nicht als eine einzelne Vollkommenheit von diesen. Sondern Existenz ist das, wodurch es selbst und die existierenden Vollkommenheiten sind, und ohne das weder gesagt werden kann, daß es Vollkommenheiten besitzt, noch daß die Vollkommenheiten von etwas besessen werden. Von daher sagt man nicht, die Existenz existiere in einem Ding wie die Vollkommenheiten, noch sagt man, ein Ding sei insofern unvollkommen (bzw. einer Vollkommenheit beraubt), wenn es keine Existenz hat, sondern man sagt, es sei überhaupt nicht. Genauso, wie Du die Existenz nicht zu den Vollkommenheiten des Dreiecks zählst, und demgemäß nicht schließt, daß das Dreieck existiert, ebenso durftest Du deshalb die Existenz nicht zu den Vollkommenheiten Gottes rechnen, um zu schließen, daß Gott existiert, wenn Du nicht den Beweisgrund schon in Anspruch nehmen willst.1 Du sagst : Man unterscheidet bei allen anderen Dingen Existenz und Wesen, nicht aber bei Gott.2 Aber wie bitte unterscheidet man die Existenz Platos und das Wesen Platos voneinander, außer allein durch das Denken ? Denn angenommen, Plato existiere nicht

1

Resp. V : 383, 9–12.

2

Med. II : 66, 4–5.

329

fü n f te e in wä n d e

mehr : Wo wird dann sein Wesen sein ? Unterscheidet man nicht in derselben Weise auch bei Gott Wesen und Existenz nur im Denken ?1 Du selbst wendest gegen Dich ein : Wenn ich ein Berg zusammen mit dem Tal oder ein geflügeltes Pferd denke, dann folgt daraus noch nicht, daß der Berg oder ein solches Pferd existiert ; vielleicht folgt daraus, daß Du Gott als existierenden denkst, ebensowenig, daß er existiert.2 Du behauptest dann, daß sich darin ein Sophismus verbirgt. Aber es kann doch nicht schwer gewesen sein, einen Sophismus zu lösen, den Du selbst konstruiert hast3 – insbesondere da Du das durch eine Annahme getan hast, die ganz offensichtlich widersprüchlich ist, nämlich daß der existierende Gott nicht existiert, obwohl dieselbe Annahme auch beim Menschen oder Pferd gegolten hätte. Wenn Du aber Gott genauso wie den Berg mit dem Tal und das Pferd mit den Flügeln angenommen hättest, nämlich ausgestattet mit Wissen, Macht und den anderen Attributen, dann wäre die Schwierigkeit weitergegangen : Du hättest erklären müssen, wie es sein kann, daß man einen ansteigenden Berg oder ein geflügeltes Pferd denken kann, ohne daß sie existieren, während man einen wissenden und mächtigen Gott nicht denken kann, ohne daß er existiert. Du sagst : Es steht mir nicht frei, Gott ohne Existenz, d. h. das höchstvollkommene Seiende ohne die höchste Vollkommenheit, zu denken, wie es mir freisteht, mir ein Pferd entweder mit oder ohne Flügel vorzustellen.4 Dem ist eigentlich nichts hinzuzfügen, außer vielleicht Folgendes : Wenn es freisteht, ein Pferd zu denken, das keine Flügel hat, und sich dieses Pferd dann ohne Existenz zu denken, die Dir zufolge eine Vollkommenheit an ihm wäre, wenn sie hinzukäme ; dann steht es auch frei, einen Gott zu denken, der Wissen, Macht und die übrigen Vollkommenheiten besitzt, und sich diesen Gott ohne Existenz zu denken, die die vollendete Vollkommenheit wäre, wenn er sie hätte. Denkt man sich also ein Pferd so, daß es die Vollkommenheit der Flügel besitzt, dann darf man daraus noch nicht ableiten, daß es Existenz besitzt – die Dir zufolge die oberste Vollkommenheit ist. 1

Resp. V : 383, 13–15. 4 Med. V : 67, 8–11.

2

Med. V : 66, 16–21.

3

Resp. V : 383, 22–23.

324,8

324,16

324,22

330

325,17

fü n f te ei n wä n d e

Ebensowenig aber darf man dann, wenn man sich Gott so denkt, daß er Wissen und die übrigen Vollkommenheiten besitzt, ableiten, daß er Existenz besitzt – sondern das muß erst bewiesen werden. Und auch wenn Du sagst, daß die Idee des höchstvollkommenen Seienden sowohl die Existenz als auch die übrigen Vollkommenheiten beinhaltet,1 so sagst Du das, was bewiesen werden muß, und setzt die Schlußfolgerung als Prinzip voraus. Denn andernfalls könnte ich auch sagen : In der Idee des vollkommenen Pegasus ist nicht nur die Vollkommenheit enthalten, daß er Flügel besitzt, sondern auch die, daß er existiert. Wie nämlich Gott in jeder Art von Vollkommenheit als vollkommen gedacht wird, so wird auch Pegasus in seiner Art als vollkommen gedacht ; und es scheint hier nichts eingewendet werden zu können, was, wenn man das Verhältnis beibehält, nicht auf beide Seiten angewendet werden könnte. Du sagst : Wenn man ein Dreieck denkt, ist es nicht notwendig, zu denken, daß es drei Winkel hat, die zwei rechten entsprechen, auch wenn das dadurch nicht weniger wahr ist, was später zutage tritt, wenn man es berücksichtigt ; ebenso kann man zwar andere Vollkommenheiten Gottes denken, auch wenn man sich ihn ohne Existenz denkt ; deswegen ist aber diese Existenz nicht weniger wahr, wenn man berücksichtigt, daß sie eine Vollkommenheit ist.2

325,28

Aber Du siehst, was man hier sagen kann, nämlich : Genauso, wie man später berücksichtigt, daß ein Dreieck diese Eigenschaft hat, weil es durch einen Beweis nachgewiesen wird, so muß durch einen Beweis nachgewiesen werden, daß die Existenz in Gott ist, um es zu berücksichtigen.3 Ansonsten könnte ich ganz leicht dartun, daß alles Beliebige an allem und jedem ist. Du sagst : Wenn Du Gott alle Vollkommenheiten verleihst, tust Du nicht dasselbe, als wenn Du meinst, alle vierseitigen Figuren könnten 1

Med. V : 67, 12–28. 2.

2

Med. V : 67, 29–68, 2.

3

Resp. V : 383,25–384,

331

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einem Kreis eingeschrieben werden. Denn in ersterem täuschst Du Dich nicht, weil Du später entdeckst, daß die Existenz Gott zukommt ; aber Du täuschst Dich in letzterem, weil Du später entdeckst, daß ein Rhombus nicht einem Kreis eingeschrieben werden kann.1

Genau das scheinst Du jedoch zu tun ; falls Du es aber nicht tust, ist es nötig, aufzuzeigen, daß die Existenz Gott nicht widerspricht, so wie Du aufgezeigt hast, daß es dem Rhombus widerspricht, einem Kreis eingeschrieben zu werden. Ich übergehe das übrige, das Du entweder nicht erklärst2 oder nicht beweist oder das aus dem bereits Dargelegten gelöst ist, wie : Ich kann mir kein anderes Ding ausdenken, zu dessen Wesen die Existenz gehört, außer Gott allein ; ich kann nicht zwei oder mehrere solche Götter einsehen ; ein solcher Gott existiert seit Ewigkeit und wird ewig Bestand haben ; ich erfasse vieles andere in Gott, von dem ich nichts fortnehmen oder verändern kann.3

Es wäre nötig, einen näheren Blick darauf zu werfen und es eingehender zu untersuchen, um es entdecken und für gewiß halten zu können, usw. 3. Schließlich erklärst Du : Alle Gewißheit und Wahrheit des Wissens hängt von dieser einen Erkenntnis des wahren Gottes so ab, daß, wenn man sie nicht hat, man keine Gewißheit oder ein wahres Wissen haben kann.4 Du bringst als Beispiel : Denn wenn ich, sagst Du, zum Beispiel die Natur des Dreiecks betrachte, dann erscheint es mir zwar solange als ganz evident, daß seine drei Winkel zwei rechten entsprechen, wie ich den Beweis berücksichtige und mir die Prinzipien der Geometrie vertraut sind, und ich kann nicht umhin, zu glauben, es sei wahr ; sobald ich aber die Schärfe des Geistes davon abgelenkt habe, kann es ganz leicht vorkommen, daß ich, wenn Gott mir unbekannt ist, 1

Med. V : 67, 12 f. 69, 14–15.

2

Resp. V : 384, 5–6.

3

Med. V : 68, 13–20.

4

Med. V :

326,16

332

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zweifle, ob es wahr ist, obwohl ich mich immer noch erinnere, es äußerst klar durchschaut zu haben. Ich kann mir nämlich einreden, ich sei von der Natur so eingerichtet, daß ich mich mitunter in dem täusche, das ich am evidentesten zu erfassen meine, insbesondere wenn ich mich erinnere, daß ich oft vieles für wahr und sicher gehalten habe, von dem ich bald darauf, durch andere Gründe verleitet, geurteilt habe, es sei falsch. Seitdem ich jedoch erfaßt habe, daß es einen Gott gibt, und ich damit einhergehend eingesehen habe, daß alles Übrige von ihm abhängt und er kein Schwindler ist, und ich daraus gefolgert habe, daß alles, was ich klar und deutlich erfasse, notwendig wahr ist : dann läßt sich kein Gegengrund anführen, der mich zum Zweifeln drängt, sondern ich besitze selbst dann ein wahres und sicheres Wissen darüber, wenn ich die Gründe nicht mehr berücksichtige, aufgrund derer ich geurteilt habe, daß es wahr ist, solange ich mich nur erinnere, es klar und deutlich durchschaut zu haben – und nicht nur darüber, sondern auch über alles Übrige, von dem ich mich erinnere, es irgendwann einmal bewiesen zu haben, wie geometrische Lehrsätze und dergleichen.1 327,18

Einmal zugegeben, daß Du, berühmter Mann, ernsthaft sprichst, läßt sich nur sagen, daß Dir wohl kaum jemand glauben wird, daß Du der geometrischen Beweise vor jener Zeit, in der Du die obige Schlußfolgerung über Gott gezogen hast, weniger sicher gewesen bist als Du es danach warst. Tatsächlich nämlich scheinen diese Beweise von einer solchen Evidenz und Gewißheit zu sein, daß sie aus sich heraus Zustimmung abnötigen, und den Verstand nicht länger zögern lassen, wenn sie einmal erfaßt sind. Deshalb wird es dem Verstand auch ebenso leicht fallen, es jenem bösen Geist zu gestatten, seine Fallstricke zu legen, wie Dir, als Du mutig versichertest, er könne bei Dir gegen jene Proposition oder jene Ableitung Ich denke, daher existiere ich nicht verfangen (obgleich Du Gott noch nicht erkannt hattest). Ja, vielmehr : So wahr es auch sein mag – und es gibt nichts wahreres –, daß Gott existiert, daß er der Urheber von allem und kein Schwindler ist, so scheint dies 1

Med. V : 69, 27–70, 20.

fü n f te e in wä n d e

333

dennoch von geringerer Evidenz zu sein als die geometrischen Beweise. Und schon allein mit dem Argument, daß viele die Existenz Gottes, die Schöpfung der Dinge und andere Dinge in bezug auf Gott bestreiten, beeindrucken diese Beweise niemanden. Deshalb wirst Du wohl kaum jemanden davon überzeugen, daß die geometrischen Beweise davon ihre Evidenz und Gewißheit nehmen. Wer könnte wohl dem Diagoras, Theodorus und anderen solchen Atheisten abgewinnen, daß sie überhaupt keine Gewißheit von geometrischen Beweisen erlangen können ? Und welchen Gläubigen gibt es, der, wenn Du ihn fragen würdest, weshalb er sicher ist, daß bei einem rechtwinkligen Dreieck das Quadrat über der Hypotenuse gleich den Quadraten über den Katheten ist, antworten wird : Weil ich weiß, daß es Gott gibt, und daß Gott nicht täuschen kann und er der Urheber sowohl dieses Sachverhalts als auch aller anderen Dinge ist ; und nicht vielmehr antworten würde : Weil ich das eben weiß und aufgrund eines unbezweifelbaren Beweises davon überzeugt bin ? Würden Pythagoras, Plato, Archimedes, Euklid und die übrigen Mathematiker, von denen doch keiner an Gott zu denken scheint, um seine Beweise sicherer zu machen, nicht noch viel mehr genau so antworten ? Indessen, weil Du vielleicht nichts über die Ansichten anderer berichtest, sondern nur Deine eigenen kundtust, und Deine Ansichten davon abgesehen fromm sind, gibt es in der Tat nichts, weswegen ich mich mit Dir herumstreiten müßte.

G E G E N D I E S E C H S T E M E D I TAT I O N . Über die Existenz materieller Dinge und die reale Unterscheidung des Geistes vom Körper. 1. Was die sechste Meditation betrifft, so halte ich mich nicht mit dem auf, was Du anfänglich gesagt hast : Die materiellen Dinge können existieren, insofern sie Objekt der reinen Erkenntnis (pura mathesis) sind.1 Denn die materiellen Dinge sind nicht Objekt der reinen, sondern der vermischten Erkenntnis, und das Objekt der reinen Erkenntnis, wie Punkt, Linie, Oberfläche und das, was aus diesen Un1

Med. VI : 71, 13–15.

328,25

334

329,11

fü n f te ei n wä n d e

teilbarkeiten besteht und sich unteilbar verhält, kann nicht tatsächlich existieren.1 Es stört mich nur, daß Du hier wiederum Anschauung von Einsicht2 unterscheidest, denn diese beiden Tätigkeiten, o Geist, scheinen zu ein und derselben Fähigkeit zu gehören, wie wir oben beiläufig erwähnt haben. Und wenn es einen Kontrast zwischen beiden geben sollte, scheint er nur ein gradueller sein. Das läßt sich, wie Du sogleich sehen wirst, ganz schnell beweisen. Du hast oben gesagt : Sich etwas vorzustellen ist nichts anderes als sich in die Gestalt oder das Bild eines körperlichen Dings zu vertiefen.3 Hier stellst Du nicht in Abrede, daß etwas einzusehen nichts anderes ist als sich in ein Dreieck, Fünfeck, Tausendeck und Zehntausendeck zu vertiefen4 und was es mehr solcher Figuren von körperlichen Dingen gibt. Zwar stellst Du einen Kontrast fest, nämlich daß Anschauung eine bestimmte Anwendung des erkennenden Vermögens auf den Körper ist, während die Einsicht eine solche Anwendung bzw. Anstrengung nicht erfordert.5 Deshalb sagst Du, wenn Du einfach und ohne Mühe ein Dreieck als eine Figur erfaßt, die aus drei Winkeln besteht, daß Du sie einsiehst. Wenn Du aber eine Figur nicht ganz ohne Anstrengung Deinerseits gewissermaßen vorliegend hast, in sie hineinblickst, sie erkundest und deutlich sowie in allen Einzelheiten erkennst, und drei Winkel unterscheidest, dann sagst Du, daß Du sie vorstellst. Auch wenn Du also zwar ohne Mühe erfaßt, daß ein Tausendeck eine Figur mit tausend Ecken ist, kanst Du es demgemäß dennoch nicht unterscheiden und gewissermaßen vorliegend haben, und in allen Einzelheiten alle seine Winkel unterscheiden, auch wenn Du Dich damit befaßt und Dich anstrengst ; sondern genauso wie beim Zehntausendeck oder irgendwelchen anderen solchen Figuren hast Du es nur verworren, und vertrittst daher die Einschätzung, daß es sich im Hinblick auf das Tausendeck oder Zehntausendeck um Einsicht, nicht um Anschauung handelt.6

1

Resp. V : 380, 23–26. 2 Med. VI : 72, 5. 3 Med. II : 72, 5. 72, 6–10. 5 Med. VI : 72, 28–73, 2. 6 Med. VI : 72–73.

4

Med. VI :

fü n f te e in wä n d e

335

Trotzdem hindert nichts, Anschauung und Einsicht gleichermaßen so wie auf das Dreieck auch auf das Tausendeck auszudehnen. Denn es ist auch eine gewisse Anstrengung nötig, um eine solche Figur mit so vielen Ecken in irgendeiner Weise vorzustellen, selbst wenn die Menge der Winkel so groß ist, daß Du sie nicht deutlich auffassen kannst. Zwar erfaßt Du anderseits, daß der Ausdruck des Tausendecks eine Figur von tausend Ecken bezeichnet, aber das ist nur der Inhalt (vis) des Namens,1 denn deswegen hast Du keineswegs schon eine größere Einsicht in die tausend Ecken als Du eine Anschauung von ihnen hast. Es ist auch zu beachten, daß die Unterscheidung schrittweise verlorengeht während sich Verworrenheit einschleicht. Denn Du wirst ein Viereck verworrener erfassen, vorstellen oder einsehen als ein Dreieck, aber deutlicher als ein Fünfeck, während Du dies wiederum verworrener als ein Viereck, deutlicher als ein Sechseck erfassen wirst, und dementsprechend weiter, bis es nichts mehr gibt, was Du Dir anschaulich vorlegen kannst. Und weil Du es nicht anschaulich auffassen kannst, gibst Du es auf, Dich so sehr anzustrengen, wie es nötig wäre. Deswegen steht es Dir gewiß frei, die Anschauung zugleich mit Einsicht in Anspruch zu nehmen, wenn Du eine Figur deutlich und mit einer gewissen spürbaren Anstrengung erkennst, jedoch nur die Einsicht allein, wenn Du etwas nur verworren und mit keiner oder nur äußerst geringen Anstrengung betrachtest. Das aber gibt Dir noch keinen Grund, mehr als eine Art innerer Erkenntnis aufzustellen, denn es sind doch nur Akzidenzien dieser einen Art innerer Erkenntnis, ob Du irgendeine Figur mehr oder weniger, deutlich oder verworren, angestrengt oder nachlässig mit einem Blick erfaßt. Jedenfalls : Wenn wir ein Siebeneck, Achteck und die übrigen Figuren weiter bis zum Tausendeck oder Zehntausendeck durchlaufen wollten und immer und unablässig die größere oder geringere Unterscheidung oder Vernachlässigung berücksichtigen würden, könnten wir wohl kaum sagen, wo eigentlich, bzw. bei welcher Figur die Anschauung aufhört und nur die Einsicht allein übrig bleibt. Wird nicht vielmehr eher eine Kette und ein ununterbrochener Verlauf gleichartiger Erkenntnis zutage treten, bei 1

Resp. V : 385, 2.

330,7

330,17

330,25

336

331,19

331,23

fü n f te ei n wä n d e

der beständig und unmerklich die Unterscheidung und Anstrengung abnimmt und die Verworrenheit und Vernachlässigung zunimmt ? Ganz gewiß aber solltest Du einmal darauf reflektieren, wie Du die Einsicht unterdrückst und die Anschauung emporhebst ! Was anderes nämlich betreibst Du als die Einsicht lächerlich zu machen und die Anschauung zu empfehlen, wenn Du der Einsicht Nachlässigkeit und Verwirrung zusprichst, der Anschauung aber Sorgfalt und Durchschaubarkeit zuschreibst ? Später fügst Du hinzu : Die Kraft, vorzustellen, insoweit sie von der Kraft, einzusehen, unterschieden wird, ist für Dein Wesen nicht erforderlich.1 Wie aber kann das sein, wenn es sich um ein und dieselbe Kraft handelt, deren Funktionen lediglich graduell verschieden sind ? Du fügst hinzu : Der Geist, wenn er vorstellt, wendet sich dem Körper zu, und wenn er einsieht, sich selbst oder der Idee, die er in sich hat.2 Doch wie kann das so sein, wenn sich der Geist weder sich selbst noch einer Idee zuwenden kann, ohne sich zugleich auch irgendetwas Körperlichem oder durch eine körperliche Idee Repräsentiertem zuzuwenden ? Denn zumindest sind das Dreieck, das Fünfeck, das Tausendeck, das Zehntausendeck und die übrigen Figuren oder deren Ideen insgesamt körperlich, und wenn der Geist sie einsieht, kann er sie nur als körperliche Dinge oder gleichsam wie körperliche Dinge betrachten. Was die Ideen der immateriellen Dinge betrifft, an die wir glauben, wie die Idee Gottes, der Engel, der menschlichen Seele bzw. des Geistes, so steht fest, daß, welche Ideen auch immer wir von ihnen haben, sie entweder körperlich oder gewissermaßen körperlich sind ; denn sie sind von der menschlichen Form, von anderen äußerst feinen, ganz einfachen und so gut wie nicht wahrnehmbaren Dingen wie Luft oder Äther entlehnt,3 wie wir oben schon angedeutet haben. Wenn Du aber sagst, daß Du nur glaubhaft vermutest, daß ein Körper existiert,4 so braucht man sich damit nicht aufzuhalten, weil Du das gar nicht ernsthaft behaupten kannst.

1

Med. VI : 73, 5–7. 4 Med. VI : 73, 23.

2

Med. VI : 73, 15–18.

3

Resp. V : 385, 14–17.

337

fü n f te e in wä n d e

2. Du disputierst daraufhin über den Sinn1 und erstellst zuerst eine vortreffliche Aufzählung dessen, wovon Du durch den Sinn Kenntnis erlangt und was Du allein durch die Natur als Richter und Anleiter für wahr gehalten hast. Dann wiederholst Du die Experimente,2 die das Vertrauen in die Sinne erschüttert und Dich so dazu gebracht haben, Dich auf die Position zurückzuziehen, die Du, wie wir gesehen haben, in der ersten Meditation eingenommen hast. Nun liegt mir an dieser Stelle nichts ferner, als einen Streit über die Wahrheit der Sinne zu beginnen. Denn es gibt im Sinn keine Täuschung oder Falschheit, der sich ganz passiv verhält und nur das wiedergibt, was so erscheint, wie es aufgrund seiner Ursachen heraus erscheinen muß ; sondern Täuschung oder Falschheit gibt es nur im Urteil, bzw. im Geist, der nicht umsichtig genug vorgeht und nicht beachtet, daß das, was entfernt ist, aus diesen oder jenen bei ihm selbst liegenden Ursachen verworrener oder kleiner erscheint als wenn es nah ist, und dasselbe gilt in anderen Fällen. Gleichwohl : Es ist nicht zu bestreiten, daß es überall, wo Betrug vorliegt, Betrug gibt. Die einzige Schwierigkeit besteht doch allein in Folgendem : Steht es wirklich fest, daß man nichts über die Wahrheit eines Dinges feststellen kann, das durch irgendeinen Sinn erfaßt wurde ? Es ist ziemlich unnötig, hierfür offensichtliche Beispiele zusammenzusuchen. Ich sage nur auf das hin, was Du vorbringst bzw. einwendest : Es scheint ganz ausgemacht zu sein, daß, wenn wir einen Turm aus der Nähe betrachten und berühren, wir sicher sein können, daß er viereckig ist,3 obwohl wir, als wir uns in größerer Entfernung befanden, Anlaß gehabt hatten, zu urteilen, er sei rund, oder zumindest zu zweifeln, ob er viereckig oder rund war oder irgendeine andere Gestalt habe. So kann jene Empfindung von Schmerz,4 die auch dann immer noch im Fuß oder in der Hand zu sein scheint, nachdem diese Körperglieder abgetrennt worden sind, zuweilen täuschen, nämlich bei denjenigen, denen diese Körperglieder abgetrennt worden sind, und zwar deswegen, weil die empfindungsauslösenden Spiritus wie gewöhnlich in sie eintre1

Med. VI : 74, 1–76, 20. 4 Med. VI : 77, 1–7.

2

Med. VI : 76, 21–78, 1.

3

Resp. V : 385, 26–27.

332,12

332,18

333,1

333,7

338

333,14

333,19

334,1

334,7

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ten und eine Empfindung in ihnen auslösen. Wer aber unversehrt ist, ist sich so sicher, den Schmerz in dem Fuß oder in der Hand zu empfinden, die er gestochen werden sieht, daß er nicht daran zweifeln kann. Ebenso : Da wir uns, solange wir leben, abwechselnd im Wachzustand befinden und träumen, gibt es zwar Täuschung durch den Traum, weil im Traum etwas gegenwärtig in Erscheinung zu treten scheint, was gar nicht gegenwärtig ist. Aber wir träumen weder ständig, noch können wir zweifeln, ob wir uns im Wachzustand befinden oder träumen, wenn wir uns tatsächlich im Wachzustand befinden.1 Ebenso : Obwohl wir denken können, eine Natur zu haben, auch bei Dingen Täuschungen ausgesetzt ist, die uns als ganz wahr erscheinen, denken wir nichtsdestotrotz, von Natur aus auch zur Wahrheit befähigt zu sein. Denn genauso, wie wir uns zuweilen täuschen – etwa durch einen unentdeckten Sophismus oder einen Stab, der bis zur Mitte ins Wasser getaucht ist –, sehen wir zuweilen das Wahre ein – etwa bei einem geometrischen Beweis oder bei einem Stab, der aus dem Wasser gezogen wurde –, so daß wir bei keinem der beiden irgendwie an der Wahrheit zweifeln können. Aber selbst in den Fällen, in denen gezweifelt werden kann, läßt sich zumindest nicht daran zweifeln, daß diese Dinge so erscheinen : es kann gar nicht anders als ganz wahr sein, daß diese Dinge erscheinen.2 Wenn aber die Vernunft von vielem abrät, zu dem uns die Natur treibt, so hebt das zumindest nicht die Wahrheit dessen auf, was erscheint, des Phänomens (τοῦ φαινοµένου). Gleichwohl ist es hier überhaupt nicht nötig, zu untersuchen, ob die Vernunft dem Impuls des Sinns nur in der Weise widersteht, in der die rechte Hand die linke stützt, wenn sie vor Müdigkeit herabsinkt, oder aber in irgendeiner anderen Weise. 3. Dementsprechend beginnst Du, Dein Vorhaben umzusetzen, bleibst aber zunächst bei einer Vorbemerkung. Du fährst nämlich fort : Jetzt aber, seitdem ich beginne, mich selbst und den Urheber meiner Entstehung besser zu kennen, meine ich, daß ich zwar nicht alles, was ich von den Sinnen zu bekommen scheine, blindings 1

Resp. V : 386, 1–2.

2

Resp. V : 386, 6–8.

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339

gelten lassen muß, daß aber ebensowenig alles in Zweifel gezogen werden darf.1

Das ist ganz richtig, obwohl Du dasselbe zweifelsohne auch vorher schon gemeint hast. Darauf folgt :

334,14

Erstens : Weil ich ja weiß, daß alles, was ich klar und deutlich einsehe, genau so von Gott erzeugt werden kann, wie ich es einsehe, ist es ausreichend, daß ich ein Ding ohne ein anderes klar und deutlich einsehe, um sicher zu sein, daß das eine von dem anderen verschieden ist, weil es zumindest von Gott getrennt gesetzt werden kann. Für die Ansicht, daß sie verschieden sind, ist es ganz unerheblich, durch welche Macht das geschieht.2

Darauf kann man nur sagen, daß Du Klares aus Dunklem beweist, um Dir den Vorwurf zu ersparen, in der Ableitung liege irgendeine Dunkelheit. Zwar stört es mich gar nicht einmal, daß zuerst hätte bewiesen werden müssen, daß Gott existiert und worauf sich seine Macht erstreckt, um zu zeigen, daß er alles machen kann, was Du einsehen kannst. Ich möchte nur Folgendes gefragt haben : Siehst Du am Dreieck die Eigenschaft, daß die größeren Seiten den größeren Winkeln gegenüberliegen, getrennt von der anderen klar und deutlich ein, daß das Dreieck drei Winkel besitzt, die zwei rechten entsprechen ? Und läßt Du deswegen gelten, daß Gott die eine Eigenschaft von der anderen abtrennen und sie getrennt setzen kann, so daß das Dreieck die eine, aber nicht die andere besitzt, oder daß es die eine Eigenschaft außerdem auch getrennt vom Dreieck gibt ? Aber ich möchte Dich nicht damit konfrontieren, daß diese Trennung so gut wie gar nichts zur Sache beiträgt. Du fügst hinzu : Allein daraus also, daß ich weiß, daß ich existiere, und ich bemerke, daß einstweilen schlichtweg nichts anderes zu meiner Natur, bzw. zu meinem Wesen gehört, außer dem einen, daß ich ein den-

1

Med. VI : 77, 28–78, 1.

2

Med. VI : 78, 2–8.

335,6

340

fü n f te ei n wä n d e

kendes Ding bin, schließe ich zurecht, daß mein Wesen allein darin besteht, ein denkendes Ding zu sein.1

335,15

Hiermit möchte ich Dich konfrontieren. Aber entweder genügt es, zu wiederholen, was zur zweiten Meditation gesagt wurde, oder es ist abzuwarten, was Du folgern willst. Nämlich letztendlich Folgendes : Und obwohl ich möglicherweise (oder vielmehr, wie ich später sagen werde : sicherlich) einen Körper besitze, der mit mir äußerst eng verbunden ist – denn ich besitze einerseits eine klare und deutliche Idee meiner selbst, insofern ich ein denkendes, kein ausgedehntes Ding bin, und anderseits die deutliche Idee des Körpers, insofern er lediglich ein ausgedehntes, kein denkendes Ding ist –, ist es sicher, daß ich von meinem Körper tatsächlich unterschieden bin, und ohne ihn existieren kann.2

335,24

336,4

Darauf also wolltest Du hinaus ? Also, weil hierin der Angelpunkt der Schwierigkeit liegt, gilt es, hier ein wenig haltzumachen, um zutage treten zu lassen, wie Du das erhärten willst. Thematisiert wird hier zunächst die Unterscheidung zwischen Dir und dem Körper. Was verstehst Du unter einem Körper ? Doch wohl den groben Körper, der aus Gliedern besteht, und auf den sich zweifelsohne diese Worte beziehen : Ich habe ihn mit mir verbunden ; und Es ist gewiß, daß ich von meinem Körper verschieden bin usw. Aber, o Geist, dieser Körper bereitet keine Schwierigkeit. Zwar bestünde eine, wenn ich mit den meisten Philosophen einwenden würde, daß Du ἐντελέχειαν, Vollkommenheit, Akt, Form, Art/Erscheinungsbild (species) seist, oder, wie man sich gemeinhin ausdrückt : Modus des Körpers. Denn diese Philosophen erkennen keineswegs an, daß Du von jenem Körper verschiedener und abtrennbarer sein solltest als es eine Gestalt oder ein anderer Modus ist. Dabei tut es nichts zur Sache, ob Du nun ganz Seele bist, oder ob Du außerdem auch νοῦς δυνἁµει – tätiger Verstand (intellectus possibilis) – oder νοῦς πατθητικός – leidender Verstand (intellectus passibilis) – bist, wie man sagt. Aber wenn es 1

Med. VI : 78, 8–12.

2

Med. VI : 78, 13–20.

fü n f te e in wä n d e

341

gestattet ist, gehe ich mit Dir freier um, und betrachte Dich als νοῦς ποιητίκον – hervorbringenden Verstand (intellectus agens) –, ja sogar als χωριστόν – abtrennbaren Verstand (intellectus separabilis)–, wenn auch in einer anderen Weise als jene. Denn jene Philosophen unterstellten allen Menschen (oder vielmehr Dingen) einen gemeinsamen Verstand, der den tätigen Verstand in die Lage versetzt, einzusehen, und zwar in genau derselben Weise und mit genau derselben Notwendigkeit, mit der das Licht das Auge in die Lage versetzt, sehen zu können (weshalb sie gewohnt waren, diesen Verstand mit dem Sonnenlicht zu vergleichen und ihn daher als von außen kommend anzusehen). Ich dagegen betrachte Dich lieber (denn auch das möchtest Du wohl) als eine besondere Art von Verstand, die im Körper herrscht. Aber ich wiederhole : Die Schwierigkeit besteht nicht darin, ob Du von diesem Körper abtrennbar bist oder nicht (daher habe ich auch kurz zuvor darauf hingewiesen, daß der Rückgriff auf die Macht Gottes – durch die erst das, was Du getrennt einsiehst, abtrennbar sein sollte – unnötig gewesen war), sondern, ob Du von dem Körper abtrennbar bist, der Du selbst bist. Denn Du kannst doch so etwas wie ein feiner Körper sein, der in jenen groben eingetrömt ist oder in einem seiner Teile seinen Sitz hat. Außerdem hast Du noch nicht glaubhaft gemacht, daß Du etwas rein Unkörperliches bist. Und obwohl Du in der zweiten Meditation hast verlauten lassen, Du seist kein Wind, kein Feuer, kein Dampf, kein Hauch,1 habe ich Dich doch schon darauf hingewiesen, daß Du das zwar gesagt, aber nicht bewiesen hast. Du sagtest : Über diese Dinge disputierst Du an dieser Stelle nicht.2 Aber Du hast später auch nicht über sie disputiert, und mit keinerlei Begründung hast Du bewiesen, kein derartiger Körper zu sein. Es gab die Hoffnung, daß Du das hier leisten würdest ; aber wenn Du über etwas disputierst, wenn Du etwas beweist, dann disputierst Du darüber und beweist, daß Du nicht dieser grobe Körper bist, der, wie ich bereits gesagt habe, keine Schwierigkeit bereitet. 4. Du sagst : Aber ich besitze einerseits eine klare und deutliche Idee meiner selbst, insofern ich ein denkendes, kein ausgedehn1

Med. II : 27, 21.

2

Med. II : 27, 27.

336,15

336,23

337,5

337,11

342

337,22

338,13

fü n f te ei n wä n d e

tes Ding bin, und anderseits die deutliche Idee des Körpers, insofern er lediglich ein ausgedehntes, kein denkendes Ding ist.1 Was zunächst die Idee des Körpers betrifft, so muß man sich, wie es scheint, tatsächlich nicht viel damit abmühen. Denn wenn Du Deine Aussage auf die universelle Idee des Körpers beziehen würdest, wäre zu wiederholen, was wir eingewandt haben : Es ist an Dir, zu beweisen, daß es der körperlichen Natur widerspricht, des Denkens fähig zu sein. Wenn Du also die Frage, ob Du nicht ein feiner Körper bist, gewissermaßen so aufwerfen würdest, als ob es dem Körper widerspräche, zu denken, würdest Du den Beweisgrund schon in Anspruch nehmen. Sicherlich aber bezieht sich Deine Aussage nur auf jenen groben Körper, den allein Du thematisierst, und von dem Du behauptest, von ihm unterschieden und abtrennbar zu sein. Deshalb leugne ich sowohl, daß Du seine Idee hast, als auch, daß Du sie haben kannst, wenn Du ein unausgedehntes Ding bist. Denn ich frage Dich : Wie meinst Du, ein unausgedehntes Subjekt, das Erscheinungsbild oder die Idee eines Körpers, der ausgedehnt ist, in Dich aufnehmen zu können ?2 Entweder nämlich tritt dieses Erscheinungsbild aus einem Körper aus, dann ist es zweifelsohne körperlich und besitzt Teile neben anderen Teilen, so daß es ausgedehnt ist. Wenn es aber von woandersher eingeprägt ist, dann ist es nicht weniger unausweichlich, daß es Teile hat und demgemäß ausgedehnt ist, weil es einen ausgedehnten Körper repräsentiert. Denn wenn es keine Teile hat, wie wird es Teile repräsentieren ? Wenn es keine Ausdehnung hat, wie ein ausgedehntes Ding ? Wenn keine Gestalt, wie ein gestaltetes Ding ? Wenn keine Position, wie ein Ding, das obere, untere, rechte, linke und schrägliegende Teile hat ? Wenn keine Vielfalt, wie die vielfältigen Farben usw. ? Die Idee scheint also nicht ganz ohne Ausdehnung zu sein. Wenn die Idee aber nicht ohne Ausdehnung ist, wie kannst Du unter ihr begriffen (subjicere) sein, wenn Du nicht ausgedehnt bist ? Wie wirst Du sie Dir anpassen ? Wie wirst Du sie verwenden ? Wie wirst Du erfahren, daß sie sich allmählich verliert und schließlich verschwindet ? Was sodann die Idee Deiner selbst betrifft, so ist dem, was insbesondere bereits gegen die zweite Meditation gesagt wurde, nichts 1

Med. VI : 78, 15–19.

2

Resp. V : 387, 6–8.

343

fü n f te e in wä n d e

hinzuzufügen. Denn anhand dessen tritt zutage, wie weit Du davon entfernt bist, eine klare und deutliche Idee Deiner selbst zu haben. Du scheinst vielmehr überhaupt keine zu haben. Denn obwohl Du erkennst, daß Du denkst, weißt Du dennoch nicht, was Du, der Du denkst, für ein Ding bist. Denn Du kennst nur die Operation, das Hauptsächliche aber bleibt Dir verborgen, nämlich die Substanz, die operiert. Der Vergleich drängt sich auf, Dich einen Blinden zu nennen, der eine klare und deutliche Idee der Sonne zu haben meint, wenn er Wärme empfindet ; denn wenn man ihn darauf hinweist, daß sie von der Sonne stammt, kann er, wenn er danach gefragt wird, was die Sonne ist, antworten : Sie ist ein wärmendes Ding.1 Du aber wirst sagen : »Ich füge hier hinzu : Ich bin nicht nur ein denkendes, sondern auch ein nicht ausgedehntes Ding.« Davon abgesehen, daß dies ohne Beweis gesagt ist, obwohl es doch in Frage steht, frage ich erstens : Hast Du deswegen etwa schon eine klare und deutliche Idee Deiner selbst ? Du sagst, Du bist nicht ausgedehnt :2 Du sagst, was Du nicht bist, aber Du sagst nicht, was Du bist. Um eine klare und deutliche, bzw., was dasselbe ist, die wahre und echte Idee irgendeines Dings zu haben, ist es dafür etwa nicht notwendig, das Ding als solches positiv und, ich will einmal so sagen, affirmativ zu kennen, oder sollte es genügen, die Kenntnis zu haben, daß es nicht irgendein anderes Ding ist ? Wird etwa also die Idee des Bucephalos klar und deutlich sein, wenn jemand über Bucephalus immerhin schon weiß, daß er keine Fliege ist ?3 Um aber darauf nicht zu sehr herumzureiten, frage ich statt dessen lieber nach : Wenn Du ein nicht ausgedehntes Ding bist, bist Du also etwa nicht über den Körper verteilt ? Ich weiß nicht, was Du antworten wirst. Denn am Anfang meinte ich, Dich im Gehirn allein erkennen zu können ; das geschah aber eher, weil ich es vermutete, als weil ich Deine Ansicht völlig verstand. Die Vermutung habe ich aufgrund der Worte angestellt, die später folgen, wenn Du sagst : Der Geist wird nicht von allen Teilen des Körpers unmittelbar affiziert, sondern lediglich durch das Gehirn, vielleicht sogar auch nur von einem winzigen Teil des Gehirns.4 Ich bin mir aber nicht ganz sicher gewe1

Resp. V : 387, 15–16. 86, 16–18.

2

Resp. V : 388, 3.

3

Resp. V : 388, 6.

4

Med. VI :

338,25

339,6

344

339,18

fü n f te ei n wä n d e

sen, ob das heißen sollte, daß Du nur im Gehirn oder einem Teil des Gehirns bist ; denn Du konntest im gesamten Körpern sein und nur in einem Teil angeregt werden : wie wir gemeinhin zugeben, daß die Seele über den gesamten Körper verteilt ist, und dennoch nur im Auge sieht. Ebenso haben die folgenden Worte Zweifel erregt : Und obwohl der gesamte Geist mit dem gesamten Körper vereint zu sein scheint usw.1 Denn an dieser Stelle behauptest Du zwar nicht, mit dem gesamten Körper vereinigt zu sein, aber Du bestreitest es auch nicht. Wie dem auch sei, wenn es gestattet ist, möchte ich zunächst einmal annehmen, daß Du über den gesamten Körper verteilt bist. Gleichgültig also, ob Du mit der Seele identisch bist oder von ihr verschieden, frage ich Dich : Bist Du unausgedehnt, der Du Dich vom Kopf bist zum Fuß erstreckst, der Du Dich dem Körper angleichst, der Du so viele Teile hast, die seinen Teilen entsprechen ? Wirst Du etwa sagen, Du seist deswegen unausgedehnt, weil Du als Ganzer im Ganzen bist und als Ganzer in jedem einzelnen Teil ? Ich frage Dich : Wenn Du das sagst, wie verstehst Du das ? Kann etwa ein einziges Etwas so zugleich an mehreren Stellen ganz sein ? Der Glaube lehrt uns das in bezug auf das Heilige Mysterium. Hier aber wird mit dem Natürlichen Licht über Dich als ein natürliches Ding disputiert. Kann man sich einsichtig machen, daß es mehrere Orte gibt, aber das, was sich an diesen Orten befindet, nicht mehrere Dinge sind ? Und sind hundert etwa nicht mehr als eins ? Und wenn irgendein Ding als Ganzes an einem Ort ist, kann es dann etwa an anderen Orten sein, außer wenn es genau so außerhalb von sich selbst ist, wie der eine Ort außerhalb von den anderen Orten ? Du kannst sagen, was Du willst : Es wird zumindest dunkel und ungewiß bleiben, ob Du als Ganzes in irgendeinem Teil anwesend bist und nicht vielmehr vermöge Deiner einzelnen Teile in einzelnen Teilen. Sehr viel evidenter ist es aber, daß nichts als Ganzes zugleich an mehreren Orten ist, und deshalb stellt es sich auch als evidenter heraus, daß Du nicht als Ganzer in einzelnen Teilen bist, sondern lediglich als Ganzer im Ganzen. Deshalb bist Du auch vermöge Deiner Teile über das Ganze verteilt und besitzt also Ausdehnung.

1

Med. VI : 86, 4–5.

fü n f te e in wä n d e

345

Ich möchte statt dessen einmal annehmen, Du seist allein im Gehirn anwesend, oder allein in einem seiner Teile. Du siehst, daß das genauso problematisch ist. Denn wie klein dieser Teil auch sein mag, er ist dennoch ausgedehnt, und da Du genauso weit ausgedehnt bist wie er, bist Du ausgedehnt und hast Teile, die seinen Teilen entsprechen. Oder wirst Du sagen, daß Du den Teil des Gehirns als Punkt ansiehst ? Völlig unglaubwürdig, aber meinetwegen sei er ein Punkt. Wenn er ein physischer Punkt ist, bleibt die Schwierigkeit bestehen, weil ein solcher Punkt ausgedehnt ist und eben auch nicht ohne Teile ist. Wenn er ein mathematischer Punkt ist, so weißt Du zunächst einmal, daß es ihn nur in der Anschauung gibt. Wenn es ihn aber gibt, oder vielmehr wenn Du so tust, als gebe es im Gehirn einen mathematischen Punkt, mit dem Du Dich verbindest und in dem Du existierst, dann beachte, als wie nutzlos sich diese Fiktion herausstellen wird. Denn um das zu konstruieren, ist es nötig, zu konstruieren, daß Du Dich am Vereinigungspunkt der Nerven befindest, durch die alle Körperteile, die durch die Seele informiert worden sind, die Ideen bzw. die Erscheinungsbilder der Dinge in das Gehirn übermitteln, die durch die Sinne erfaßt werden. Aber erstens laufen nicht alle Nerven in einem Punkt zusammen ; denn zum einen setzt sich das Gehirn im Rückenmark fort, so daß viele Nerven im ganzen Rücken in es münden, und zum anderen läßt sich entdecken, daß die Nerven, die sich bis in die Mitte des Kopfes erstrecken, nicht an derselben Stelle des Gehirns enden. Aber selbst wenn wir zugeben, daß sie alle zusammenlaufen, kann es dennoch keinen Vereinigungspunkt dieser Nerven in einem mathematischen Punkt geben, weil sie doch alle Körper und keine mathematischen Linien sind, die sich in einem mathematischen Punkt vereinigen könnten. Und selbst wenn wir zugeben, daß sie sich vereinigen, könnten die durch sie übertragenen Erscheinungsbilder weder aus den Nerven heraustreten noch in sie eintreten, da sie ja Körper sind, und ein Körper nicht an einem Nicht-Ort sein kann, bzw. durch einen Nicht-Ort, wie es ein mathematischer Punkt ist, nicht hindurchgehen kann. Und selbst wenn wir zugeben, daß sie an einem solchen Nicht-Ort sein und durch ihn hindurchgehen können, wirst Du nicht unterscheiden können, von woher sie kommen oder was sie melden, weil Du an einem Punkt existierst, an dem es keine rechte, linke, obere, untere oder irgendeine andere Zone gibt.

340,15

346 341,14

fü n f te ei n wä n d e

Dasselbe aber sage ich in bezug auf die Nerven, die Du benötigst, um etwas zu empfinden, etwas auszudrücken oder zur Bewegung zu veranlassen. Ich möchte darüber hinweggehen, daß ich nicht begreifen kann, wie Du ihnen Bewegung erteilen willst, wenn Du selbst in einem Punkt bist, wenn Du selbst kein Körper bist oder wenn Du keinen Körper hast, durch den Du sie berühren und zugleich antreiben kannst. Denn wenn Du sagst, daß sie sich von selbst bewegen und Du ihre Bewegungen nur lenkst, dann erinnere ich Dich daran, daß Du an einer anderen Stelle bestritten hast, daß ein Körper sich von selbst bewegt,1 woraus sich ableiten läßt, daß Du die Ursache dieser Bewegung bist. Dann erkläre uns doch, wie eine solche Lenkung ohne irgendeine Anstrengung Deinerseits und daher ohne Bewegung geschehen kann ? Wie kann eine auf irgendein Ding gerichtete Anstrengung und die Bewegung dieses Dings ohne gegenseitige Berührung des Bewegenden und Beweglichen geschehen ? Wie Berührung ohne Körper, wo doch (was für das Natürliche Licht ganz transparent ist) »Kein Ding ohne Körper weder berühren noch berührt werden kann ?«2

342,1

Doch was halte ich mich damit auf ? Es ist doch an Dir, zu beweisen, daß Du ein unausgedehntes und daher unkörperliches Ding bist ! Aber wie ich vermute, wirst Du Dich hüten, Dein Argument daraus zu gewinnen, daß man gemeinhin sagt, der Mensch bestehe aus Körper und Seele – gewissermaßen als dürfe man, wenn man den einen Teil Körper nennt, den anderen nicht Körper nennen. Denn wenn Du das tun würdest, würdest Du die Gelegenheit schaffen, so zu unterscheiden : Der Mensch besteht aus einem zweifachen Körper, nämlich einem groben und einem subtilen, wobei der eine den allgemeinen Namen des Körpers behält, und der andere den Namen der Seele erhält. Ich übergehe, daß man dann dasselbe über andere Lebewesen sagen könnte, denen Du keinen Geist zugestehst, der Dir gliche : was immer noch besser ist, als wenn sie eine Seele haben sollten, wie Du sie Dir vorstellst. Wenn 1

Med. II : 26, 18–19. 2 »Tangere enim et tangi, nisi corpus, nulla potest res/Denn nichts kann, als der Körper, Berührung wirken und leiden« (Lukrez : De rerum natura / Von der Natur. übers. von Hermann Diels. München : Artemis & Winkler 1993, Lib. I, 304).

fü n f te e in wä n d e

347

Du hier also schließt, daß es sicher ist, daß ich von meinem Körper tatsächlich unterschieden bin,1 dann beachte bitte, daß Dir das zwar zugestanden wird, deswegen aber noch nicht zugestanden wird, daß Du unkörperlich bist und nicht vielmehr eine Art von ganz feinem Körper, der sich von dem gröberen unterscheiden läßt. Du fügst außerdem hinzu, Du könnest demnach ohne ihn existieren.2 Sobald Dir aber zugestanden worden ist, daß Du genauso ohne den groben Körper existieren kannst wie der duftende Dampf eines Apfels, wenn er aus dem Apfel austritt und sich in der Luft verbreitet – was gewinnst Du dadurch ? Nun, Du wirst jedenfalls mehr gewonnen haben, als die erwähnten Philosophen3 wollen, die vermuten, daß Du bei Deinem Tod ganz vergehst ; denn sie halten Dich für eine Gestalt, die sich, wenn ihre Oberfläche verändert wird, so verflüchtigt, daß sie dann keine mehr ist, d. h. überhaupt nichts mehr ist. Denn wenn Du eine körperliche bzw. feine Substanz gewesen bist, wird man über Dich nicht sagen, daß Du bei Deinem Tod ganz vergehst oder Dich völlig in Nichts auflöst, sondern daß Du in Deinen zerstreuten Teilen subsistierst, auch wenn Du aufgrund der Trennung nicht mehr denken wirst und weder denkendes Ding, noch Geist, noch Seele genannt werden darfst. Doch all dies wende ich überhaupt nur ein, weil ich an der von Dir intendierten Schlußfolgerung zweifeln würde, sondern weil ich der Stärke des von Dir aufgestellten Beweises mißtraue. 5. Du streust dann einiges ein, das sich auf dasselbe bezieht, womit wir uns aber nicht aufhalten müssen. Ich weise nur auf das hin, was Du hier sagst : Durch diese Empfindungen des Schmerzes, des Hungers, des Durstes usw. lehrt die Natur auch, daß Du zum Körper nicht etwa nur so hinzugefügt bist, wie ein Seemann sich auf einem Schiff aufhält, sondern daß Du mit ihm auf engste verbunden und gewissermaßen vermischt bist, so daß Du mit ihm zu einem einzigen Etwas zusammengesetzt bist. Du sagst : Andernfalls würde ich, der ich nichts anderes als ein denkendes Ding bin, auch dann keine Schmerzen empfinden, wenn der Körper ver1

Med. VI : 78, 19–20.

2

Med. VI : 78, 20.

3

Obj. V : 328, 7.

342,17

343,6

348

fü n f te ei n wä n d e

letzt wird, sondern ich würde die Verletzung durch den reinen Verstand erfassen, so wie der Seemann durch das Sehvermögen erfaßt, wenn am Schiff irgendein Schaden entsteht ; und wenn der Körper nach Essen oder Trinken verlangt, würde ich dies ausdrücklich einsehen und nicht die verworrenen Empfindungen des Hungers und des Durstes haben. Denn sicherlich sind diese Empfindungen des Durstes, des Hungers, des Schmerzes usw. nichts anderes als gewisse verworrene gedankliche Zugriffe, die aus der Vereinigung und gewissermaßen der Vermischung des Geistes mit dem Körper herrühren.1 343,21

Das mag zwar wohl alles so sein, aber es ist immer noch ungeklärt,2 in welcher Weise eigentlich die »Verbindung und gewissermaßen Vermischung oder Vermengung« Dir überhaupt zukommen kann, wenn Du unkörperlich, unausgedehnt und unteilbar bist. Wenn Du nämlich nicht größer als ein Punkt bist, wie wirst Du mit dem gesamten Körper vereint, der doch eine ziemliche Größe hat ? Wie zumindest mit dem Gehirn oder einem winzigen Teil von ihm, der (wie gesagt wurde), wie winzig er auch sein mag, dennoch Größe bzw. Ausdehnung besitzt ? Wenn Du überhaupt keine Teile hast, wie wirst Du Dich mit den Teilchen eines Teiles von ihm vermischen oder »gewissermaßen vermischen« ? Es gibt nämlich keine Vermischung ohne vermischbare Teile auf beiden Seiten. Und wenn Du völlig abgetrennt bist, wie vermengst Du Dich und bildest mit der Materie überhaupt eine Einheit ? Und wenn es eine Zusammensetzung, Vereinigung bzw. Einheit zwischen irgendwelchen Teilen gibt, dann muß es doch wohl ein Verhältnis zwischen derartigen Teilen geben. Was für ein Verhältnis aber kann man sich zwischen körperlichen Teilen und dem Unkörperlichen einsichtig machen ? Begreifen wir, wie Stein und Luft z. B. in einem Bimstein so zusammengefügt werden, daß dadurch eine echte Zusammensetzung entsteht ? Und dabei ist das Verhältnis zwischen dem Stein und der Luft, die beide Körper sind, enger als zwischen dem Körper und der Seele oder dem ganz unkörperlichen Geist. Und muß die Einheit nicht durch enge Berührung hergestellt werden ? Wie ich aber vorher schon fragte : Wie 1

Med. VI : 81, 1–14.

2

Resp. V : 389, 9 ff.

fü n f te e in wä n d e

349

kann das ohne Körper geschehen ? Wie kann das Körperliche etwas Unkörperliches in sich aufnehmen und festhalten, oder wie kann das Unkörperliche etwas Körperliches aufnehmen um sich umgekehrt an ihm festzuhalten, wenn es in ihm weder irgendetwas gibt, wodurch es aufgenommen werden, noch wodurch es aufnehmen kann ? Daher frage ich Dich : Weil Du einräumst, Schmerz zu empfinden, wie meinst Du, der Empfindung von Schmerz fähig zu sein, wenn Du unkörperlich und unausgedehnt bist ? Denn eine Schmerzempfindung (affectio doloris) kann man sich nur durch eine gewisse Trennung der Teile einsichtig machen, nämlich indem irgendetwas zwischen sie getrieben wird, was zur Auflösung ihres Zusammenhalts führt. Denn gewissermaßen ist der Zustand von Schmerz ein Zustand außerhalb der Natur ; wie aber kann etwas außerhalb der Natur sein oder affiziert werden, was von Natur aus von einerlei Art, nicht zusammengesetzt, unteilbar und unveränderlich ist ? Und da der Schmerz entweder eine Alteration ist oder nicht ohne Alteration geschieht, wie kann etwas alteriert werden, was, da es noch weniger teilbar ist als ein Punkt, nicht in etwas anderes übergehen oder aufhören kann, zu sein, was es ist, ohne sich in nichts aufzulösen ? Ich füge noch hinzu : Wenn der Schmerz zugleich vom Fuß, vom Arm oder anderen Teilen herkommt, ist es dann nicht unausweichlich, daß es in Dir verschiedene Teile gibt, in denen Du ihn jeweils verschieden aufnimmst, um den Schmerz nicht nur verworren und gewissermaßen wie den eines einzigen Teils zu empfinden ? Doch mit einem Wort : Stets bleibt die allgemeine Schwierigkeit bestehen, wie das Körperliche mit dem Unkörperlichen kommunizieren kann, und welches Verhältnis des einen mit dem anderen festgestellt werden kann. 6. Ich übergehe das Übrige, das Du weitläufig und elegant verfolgst, um aufzuzeigen, daß es außer Dir und Gott noch anderes gibt. Du deduzierst nämlich, daß es Deinen Körper und die körperlichen Vermögen gibt, und ebenso die anderen Körper, die ihre Erscheinungsbilder in Deine Sinne und in Dich selbst entsenden und die Leidenschaften der Lust und des Schmerzes bewirken, woraus in Dir Erstrebung und Flucht entstehen. Schließlich fährst Du die Ernte ein : Alle sinnlichen Wahrnehmungen zeigen in bezug auf das, was den Vorteil für den Körper

344,19

345,7

345,13

350

fü n f te ei n wä n d e

betrifft, sehr viel häufiger das Wahre als das Falsche an.1 Daraus leitest Du ab, daß Du Dich nicht länger mit Bedenklichkeiten herumplagen mußt, ob etwa das, was Dir täglich durch sinnliche Wahrnehmungen dargestellt wird, falsch sei.2 Dasselbe sagst Du dementsprechend über die Traumbilder, die, weil sie niemals mit allen übrigen Aktionen des Lebens so durch das Gedächtnis verbunden werden, wie die, die sich den Wachenden darbieten,3 Dir festzustellen erlauben, daß die wahren Dinge sich nicht in Träumen, sondern dem Wachenden darbieten.4 Und Du sagst : Daraus nämlich, daß Gott kein Schwindler ist, folgt, daß ich mich in solchen Dingen überhaupt nicht täusche.5 Ebenso, wie Du das äußerst fromm sagst, so hast Du auch völlig recht, wenn Du zu guter Letzt schließt, daß das menschliche Leben Irrtümern ausgesetzt ist, und man die Unzulänglichkeit unserer Natur anerkennen muß.6 346,1

Das, berühmter Herr, ist alles, was ich hinsichtlich Ihrer Meditationen anzumerken hatte. Ich wiederhole : Sie brauchen sich nicht um meine Anmerkungen zu kümmern, denn mein Urteil ist nicht so viel wert, daß Sie ihm einen solchen Wert zugestehen müßten. Denn wenn mir ein Essen schmeckt, ich aber sehe, daß es anderen nicht schmeckt, dann verteidige ich meinen Geschmack nicht und behaupte, er sei vollkommener als ein anderer. Genauso liegt es mir ganz fern, zu behaupten, ich hätte die wahrere Ansicht gefunden, wenn meinem Geist eine Ansicht zusagt, die anderen nicht gefällt. Ich halte den Ausspruch für wahr : Jeder hat in seinem Sinne recht. Ich halte es für ebenso unangebracht, zu wollen, daß alle dasselbe Urteil fällen, wie, daß alle denselben Geschmackssinn haben. Ich sage das, damit Sie die Ansicht gewinnen, daß es Ihnen meinetwegen freisteht, jede Einschätzung, die ich vertreten habe, in die Tonne zu treten und ganz zu ignorieren. Es wird mir völlig genügen, wenn Sie meine Ergebenheit Ihnen gegenüber anerkennen und Sie die Verehrung Ihrer Tugend nicht verachten. Es kann vielleicht sein, daß ich irgendetwas Unbedachtes vorgebracht habe, wie es beim 1

Med. VI : 89, 11–13. 2 Med. VI : 89, 17–18. 3 Med. VI : 89, 23–25. 4 Med. VI : 90, 6. 5 Med. VI : 90, 10–12. 6 Med. VI : 90, 14–16.

fü n f te e in wä n d e

351

Widersprechen allzu leicht vorkommt. Wenn dem so ist, nehme ich es zurück. Streichen Sie es weg und seien Sie dessen gewiß, daß mir nichts wichtiger gewesen ist als mir Ihre Freundschaft zu verdienen, aufrechtzuerhalten und zu verteidigen. Leben Sie wohl. Geschrieben in Paris, am 16. Mai 1641.

E RW I D ER U NG DES A UTO REN AU F DI E F ÜN FTEN EINWÄND E.

Vortrefflicher Herr, Sie haben meine Meditationen in einer sehr eleganten und sorgfältigen Dissertation angegriffen, die – wie mir scheint – sehr nützlich sein wird, um die Wahrheit dieser Meditationen ins rechte Licht zu setzen. Ich bin deshalb sowohl Ihnen zu großem Dank verpflichtet, daß Sie sie veröffentlicht haben, als auch dem ehrwürdigen Pater Mersenne, weil er Sie zum Schreiben veranlaßt hat. Denn ihm, der ein äußerst sorgfältiger Erforscher aller Dinge und darüber hinaus auch ein unermüdlicher Förderer alles dessen ist, was zur Ehre Gottes beiträgt, war sehr wohl bekannt, daß der beste Weg, zu erkennen, ob meine Begründungen als wahre Beweise gelten können, derjenige gewesen ist, sie von Leuten prüfen und nach besten Kräften angreifen zu lassen, die andere an Gelehrsamkeit und Geisteskraft übertreffen, um dann die Probe zu machen, ob ich hinreichend angemessen auf alles antworten könnte, was von ihnen vorgebracht würde. Deshalb hat der Pater Mersenne so viele dazu aufgerufen, wie er konnte, und einige hat er auch dazu gebracht, es zu tun, und zu meiner Freude auch Sie. Zwar haben Sie weniger philosophische Begründungen verwendet, um meine Meinungen zurückzuweisen, als vielmehr bestimmte rhetorische Techniken, um sie lächerlich zu machen. Doch ist mir gerade das deshalb willkommen, weil ich aufgrund dessen vermuten darf, daß gegen meine Begründungen nur schwer etwas vorgebracht werden kann, was noch von dem verschieden wäre, was in den vorangegangenen Einwänden der anderen schon enthalten ist, die Sie ja gelesen haben : denn wenn es solche anderen Einwände gäbe, wären sie doch Ihrer Geisteskraft und Aufmerksamkeit nicht entgangen. Ich urteile, daß Sie hier wohl allein das Vorhaben verfolgt haben,

347,3

354

fü n f t e erw i d e ru n g en

mich auf die Kniffe aufmerksam zu machen, mit deren Hilfe sich Leute über meine Begründungen lustig machen können, deren Geisteskraft so sehr in die Sinne versunken ist, daß sie ganz vor metaphysischen Gedanken zurückschrecken, damit Sie mir so Gelegenheit verschaffen, ihnen entgegenzutreten. Deshalb werde ich hier nicht Ihnen, dem äußerst scharfsinnigen Philosophen, sondern Ihnen gewissermaßen als einem von diesen am Fleisch orientierten Menschen antworten.

übe r das, was g e g e n di e ers te me ditat io n e i nge wan dt w urde. 348,14

Sie behaupten, dem Vorhaben zuzustimmen, durch das ich den Geist von jedem Vorurteil zu befreien1 versucht habe, nämlich weil niemand so tun kann, als könne es unterbleiben ; jedoch hätten Sie gewünscht, daß ich dies einfach und mit wenigen Worten,2 das heißt : nur oberflächlich abgetan hätte. Als ob es so leicht wäre, sich von allen Irrtümern zu befreien, an die wir von Kindheit angewöhnt sind ! Und als ob man das übertrieben sorgfältig tun könnte, von dem niemand bestreitet, daß es getan werden muß ! Aber Sie haben wohl nur andeuten wollen, daß die meisten Menschen zwar verbal einräumen, Vorurteile müßten vermieden werden, sie sie aber dennoch niemals vermeiden, weil sie daran gar kein Interesse haben, keine Anstrengung aufwenden und meinen, daß nichts von dem, was sie irgendwann einmal als wahr haben gelten lassen, als Vorurteil betrachtet werden müsse. Sie spielen die Rolle dieser Leute hier gewiß ganz ausgezeichnet, und nichts lassen Sie aus von dem, was von diesen Leuten gesagt werden könnte. Dabei aber scheinen Sie mir nichts vorzubringen, was den Philosophen ahnen ließe. Denn dort, wo Sie behaupten, es sei weder nötig, so zu tun, als sei Gott ein Betrüger, noch daß wir träumen,3 und anderes dergleichen sei ebensowe1

Obj. V : 257, 24–25.

2

Obj. V : 257, 26–27.

3

Obj. V : 258, 3 u. 6.

355

fün ft e e rw i d e ru n g en

nig nötig : da hätte ein Philosoph gemeint, er müsse sich eine Begründung verschaffen, weshalb er dies nicht in Zweifel ziehen könne. Wenn er aber keine gehabt hätte, was ja tatsächlich der Fall ist, hätte er das gar nicht gesagt. Und er hätte auch nicht hinzugefügt, an dieser Stelle genüge es, die Umnachtung des menschlichen Geistes oder die Schwäche unserer Natur als Ursache in Anspruch zu nehmen.1 Es trägt nämlich zur Berichtigung unserer Irrtümer nichts bei, zu sagen, daß wir uns irren, weil unser Geist umnachtet oder unsere Natur schwach ist, denn das ist dasselbe als wenn bloß gesagt wird, daß wir irren, weil wir Irrtümern ausgesetzt sind. Offenkundig ist es zweckmäßiger, wie ich es getan habe, alles zu berücksichtigen, bei dem es passieren kann, daß wir uns irren, damit wir ihm nicht unbesonnen zustimmen. Auch hätte ein Philosoph nicht gesagt, daß ich dadurch, daß ich alles Zweifelhafte für falsch halte, weniger ein altes Vorurteil ablege, als vielmehr ein neues annehme.2 Zumindest hätte ein Philosoph zuerst nachzuweisen versucht, daß aus einer solchen Voraussetzung überhaupt die Gefahr eines Betruges entsteht. Sie dagegen behaupten kurz darauf, ich könne nicht mir abnötigen, alles das für ungewiß und falsch zu halten, was ich als falsch vorausgesetzt habe,3 das heißt, mir abnötigen, in jenes neue Vorurteil zu geraten, von dem Sie fürchten, daß ich in es gerate. Auch würde eine derartige Voraussetzung einen Philosophen nicht mehr verwundern, als daß wir zuweilen einen gebogenen Stab in die entgegengesetzte Richtung zurückbiegen müssen, um ihn geradezumachen. Einem Philosophen ist nämlich bekannt, daß anstelle des Wahren oftmals zweckmäßig Falsches angenommen wird, um die Wahrheit ans Licht zu bringen, wie wenn die Astronomen sich den Äquator, den Tierkreis und andere Kreise am Himmel vorstellen oder wenn Geometriker gegebenen Figuren neue Linien hinzufügen. Auch Philosophen tun an vielen Stellen dasselbe. Wer dies aber Zuflucht zu einem Kunstgriff nehmen, Luftschlössern hinterherlaufen und Irrwege beschreiten nennt, und behauptet, dies sei philosophischer Aufrichtigkeit und der Liebe zur Wahrheit nicht 1

Obj. V : 258, 4–5.

2

Obj. V : 257, 28–258, 2.

3

Obj. V : 258, 8–10.

356

fü n f t e erw i d e ru n g en

angemessen,1 bezeugt damit, daß er selbst nicht eben philosophische Aufrichtigkeit oder irgendeine Begründung, sondern nur rhetorischen Firlefanz verwenden will.

übe r das, was g e g e n d ie z we ite m editatio n e i nge wan dt w urde. 350,12

1. Hier fahren Sie fort, sich anstelle von Begründungen rhetorischer Vortäuschungen zu bedienen. Sie tun nämlich so, als ob ich bloß Schabernack treibe, wo ich etwas ernsthaft thematisiere, und Sie akzeptieren als ernsthaft, gleichsam als wirklich gesagt und behauptet, was ich nur als fraglich und der allgemeinen Auffassung der anderen Leute entsprechend so vorgebracht habe, um es eingehender zu erforschen. Wenn ich nämlich gesagt habe, daß »alle Zeugnisse der Sinne als unsicher, ja sogar für falsch zu gelten hätten«,2 dann ist das völlig ernst gemeint und so notwendig, um meine Meditationen einzusehen, daß jeder, der dies nicht gelten lassen will oder kann, gar nicht fähig ist, irgendetwas gegen sie einzuwenden, was der Erwiderung wert wäre. Jedoch muß man die Unterscheidung zwischen den Aktionen des Lebens und der Erforschung der Wahrheit, die ich an vielen Stellen eingeschärft habe, beachten. Denn wenn sich die Frage auf die Lebensführung richtet, wäre es doch wirklich albern, den Sinnen nicht zu glauben, und jene Skeptiker haben sich völlig lächerlich gemacht, die die menschlichen Angelegenheiten so sehr vernachlässigten, daß sie von Freunden behütet werden mußten, damit sie sich nicht einen Abhang hinunterstürzten. Daher habe ich irgendwo darauf hingewiesen, »daß niemand von gesundem Geist daran ernsthaft zweifelt«.3 Wenn aber erforscht wird, was die menschliche Geisteskraft eigentlich absolut sicher erkennen kann, ist es ganz gegen die Vernunft, sich dagegen zu sträuben, das Zweifelhafte ernsthaft sogar als 1

Obj. V : 258, 14–18.

2

Med. II : 24, 14.

3

Syn : 16, 2–3.

357

fün ft e e rw i d e ru n g en

falsch zu verwerfen ; denn dadurch wird es möglich, zu bemerken, daß bestimmte andere Dinge, die auf diese Weise nicht verworfen werden können, eben deshalb sicherer sind und tatsächlich für uns bekannter. Hingegen akzeptieren Sie das, was ich gesagt habe – nämlich daß ich noch nicht hinreichend einsehe, wer jener sei, der denkt1 – nicht ganz ehrlich als ernsthaft gesagt, obgleich ich eben das erklärt habe. Ebensowenig akzeptieren Sie das, was ich darüber gesagt habe, daß ich nicht im Zweifel gewesen sei, worin die Natur des Körpers bestand, und ich ihm keine Kraft beigelegt hätte, sich selbst zu bewegen, und daß ich mir vorgestellt hätte, die Seele sei wie Wind oder Feuer und dergleichen, was ich dort nur gemäß der landläufigen Meinung vorgebracht habe, um es an den geeigneten Stellen als falsch zu zeigen. Aber behaupten Sie ehrlich, ich würde Sich-ernähren, Gehen, Sinnlich Wahrnehmen usw. auf die Seele beziehen ? Um sogleich hinzuzufügen : Das mag so sein, sofern wir uns nur gegen Deine Unterscheidung zwischen Seele und Körper verwahren ?2 Ich selbst habe nämlich kurz darauf die Ernährung ausdrücklich allein auf den Körper bezogen, und das Gehen und die sinnliche Wahrnehmung beziehe ich zum größten Teil auch auf den Körper, und lege nichts von dem der Seele bei, was zu diesen gehört, außer allein das, was Denken ist. Sodann : Welchen Grund haben Sie, zu sagen, es sei nicht nötig gewesen, einen solchen Aufwand zu treiben, um zu beweisen, daß ich existiere ?3 Es scheint mir, als lieferten mir gerade diese ihre Worte den besten Grund, zu urteilen, daß der Aufwand, den ich betrieben habe, sogar noch zu gering gewesen ist, da ich noch nicht habe bewirken können, daß Sie den Sachverhalt richtig einsehen. Wenn Sie nämlich behaupten, daß ich dasselbe aus jeder beliebigen anderen meiner Tätigkeiten hätte entnehmen können,4 so weichen Sie weit vom Wahren ab, weil ich mir überhaupt keiner meiner Aktionen gewiß bin (nämlich mit jener metaphysischen 1

Med. II : 25, 14 ff. 259, 3–4.

2

Obj. V : 259, 17–20.

3

Obj. V : 259, 1–2.

4

Obj. V :

351,12

351,20

352,1

358

352,19

353,8

fü n f t e erw i d e ru n g en

Gewißheit, auf die allein sich hier die Frage richtet), außer allein dem Denken. Zum Beispiel darf man nicht ableiten : Ich gehe spazieren, also bin ich, außer insofern, als das Bewußtsein des Spazierengehens ein Denken ist. Denn allein in bezug darauf ist diese Ableitung gewiß, nicht jedoch in bezug auf die Bewegung des Körpers ; denn bisweilen ist sie in Träumen gar keine, obwohl es mir auch dann erscheinen mag, daß ich spazierengehe. Deshalb leite ich daraus, daß ich spazierenzugehen meine, sehr richtig die Existenz des Geistes ab, der dies meint, nicht aber die Existenz des Körpers, der spazierengeht. Und dasselbe gilt in den übrigen Fällen. 2. Dann beginnen Sie, mich in einer eigentlich gar nicht unfreundlichen Personifizierung nicht länger wie einen vollständigen Menschen, sondern wie eine abgetrennte Seele zu befragen,1 wodurch Sie mich wohl, wie es scheint, daran erinnern wollen, daß diese Einwände nicht von dem Geist eines feinsinnigen Philosophen, sondern allein vom Fleisch erhoben worden sind. Ich frage Dich also, o Fleisch, bzw. mit welchem Namen auch immer Du angesprochen werden möchtest : Hast Du etwa so wenig Anteil am Geist, daß Du es gar nicht hast mitbekommen können, als ich jene landläufige Anschauung verbessert habe, durch die man so tut, als sei das, was denkt, wie der Wind oder ein ähnlicher Körper ?2 Denn diese Anschauung habe ich doch nun wirklich verbessert, als ich gezeigt habe, man könne voraussetzen, daß es keinen Wind und keinen anderen Körper auf der Welt gebe, und gleichwohl alles bestehen bleibe, anhand dessen ich mich als denkendes Ding erkenne. Und deshalb ist alles, was Du später fragst, weshalb ich also nicht auch weiterhin Wind sein könne, weshalb ich keinen Raum einnehme, weshalb ich mich nicht in verschiedenen Bewegungen bewege,3 und dergleichen, so nichtig, daß es keiner Antwort bedarf. 3. Auch bringt mich das kaum in Bedrängnis, was Du hinzufügst, nämlich weshalb ich mich nicht ernähren könne, wenn ich ein 1

Obj. V : 260, 18. 11–12.

2

Med. II : 27, 18 ff.

3

Obj. V : 260, 21 ; 261, 1 und

fün ft e e rw i d e ru n g en

359

bestimmter feiner Körper bin,1 und das übrige. Ich bestreite nämlich, ein Körper zu sein. Um es nun ein-für-allemal abzutun : Du fährst fast unablässig in demselben Stil fort, und bekämpfst meine Begründungen nicht, sondern übergehst sie, als wären sie gar nicht vorhanden, oder gibst sie nur unvollständig und verstümmelt wieder, und suchst vielfältige Schwierigkeiten zusammen, die gewöhnlich von Ahnungslosen gegen meine oder andere, damit im Zusammenhang stehende oder auch völlig verschiedene Schlüsse vorgebracht werden, die entweder gar nicht zur Sache gehören oder von mir an den entsprechenden Stellen bereits behoben und gelöst worden sind. Weil das so ist, lohnt es sich nicht, auf alles Einzelne zu antworten, wonach Du fragst, denn dafür müßte ich hundertmal dasselbe wiederholen, was ich bereits geschrieben habe. Statt dessen möchte ich nur das kurz thematisieren, was bei nicht völlig unbedarften Lesern vielleicht Bedenken erregen mag. Was aber diejenigen betrifft, die weniger die Überzeugungskraft der Begründungen als die Menge der Worte berücksichtigen, so liegt mir an ihrem Beifall ganz gewiß nicht genug, um viele Worte zu machen, nur um ihn zu gewinnen. Erstens. Ich werde hier darauf hinweisen, daß ich Dir nicht glaube, wenn Du behauptest, der Geist wachse mit dem Körper und werde mit ihm geschwächt.2 Du weist das auch durch keine Begründung nach. Denn daraus, daß der Geist im Körper eines Kindes nicht so vollkommen handelt wie der Geist in dem Körper eines Erwachsenen, und seine Aktionen oft durch Wein und andere körperliche Dinge gehemmt werden können, folgt nur, daß er, solange er mit dem Körper verbunden ist, den Körper als Werkzeug für diejenigen Operationen verwendet, mit denen er meistens beschäftigt ist, nicht aber, daß er durch den Körper vollkommener oder unvollkommener gemacht werden kann. Deine Ableitung ist genauso falsch als wenn Du daraus, daß ein Techniker immer dann schlecht operiert, wenn er ein schlechtes Werkzeug verwendet, ableiten würdest, daß er seine 1

Obj. V : 261, 19–20.

2

Obj. V : 261, 23–25.

353,26

360

354,11

354,22

fü n f t e erw i d e ru n g en

Beherrschung der Technik nur der Güte des Werkzeugs verdanke. Zweitens. Es muß darauf hingewiesen werden, daß Du, o Fleisch, überhaupt nicht zu verstehen scheinst, was es eigentlich heißt, die Vernunft zu verwenden. Denn um nachzuweisen, daß die Verläßlichkeit der Sinne mir gar nicht verdächtig sein dürfe, sagst Du, daß, obgleich ich ohne ein Auge zu gebrauchen etwas sinnlich wahrzunehmen schien, was man nur mit dem Auge sinnlich wahrnimmt, ich gleichwohl nicht immer dieselbe Falschheit erfahren habe.1 Als ob es zum Zweifeln nicht ausreichen würde, auch nur einmal einen Irrtum entdeckt zu haben, und als ob es möglich wäre, immer festzustellen, daß wir uns täuschen, wenn wir uns täuschen, während doch ganz im Gegenteil der Irrtum darin besteht, daß wir nicht bemerken, daß er ein Fall (species) von Irrtum ist. Schließlich. Weil Du, o Fleisch, ja oft von mir Begründungen verlangst, wo Du selbst keine hast und Dir die Beweislast zufällt, muß beachtet werden, daß es, um richtig zu philosophieren, nicht nötig ist, von all dem nachzuweisen, daß es falsch ist, was wir nicht gelten lassen, weil uns unbekannt ist, ob es wahr ist ; sondern zuallererst muß vermieden werden, etwas als wahr gelten zu lassen, wovon wir nicht nachweisen können, daß es wahr ist. Wenn ich beispielsweise entdecke, daß ich eine denkende Substanz bin, und ich einen klaren und deutlichen Begriff dieser denkenden Substanz bilde, in dem nichts von dem enthalten ist, was zum Begriff der körperlichen Substanz gehört, so ist das völlig ausreichend, um zu behaupten, daß ich, insofern ich mir selbst bekannt bin, nichts anderes bin als ein denkendes Ding. Und das allein habe ich in der 2. Meditation behauptet, und nur darum handelt es sich hier. Auch durfte ich nicht gelten lassen, daß diese denkende Substanz ein bestimmter bewegend-tätiger, reiner, feiner usw. Körper ist, weil ich keinen Grund hatte, der mich davon überzeugte. Wenn Du einen Grund hast, ist es an Dir, ihn darzulegen. Aber es steht Dir nicht zu, von mir zu 1

Obj. V : 262, 12–14.

fün ft e e rw i d e ru n g en

361

verlangen, ich solle nachweisen, daß etwas falsch sei, wenn die Ursache, weshalb ich es nicht habe gelten lassen, allein die gewesen ist, daß es mir unbekannt gewesen war. Du tust nämlich genau dasselbe, als würdest Du bestreiten, daß man mir glauben müsse, wenn ich sagte, daß ich mich jetzt in Holland aufhalte, wenn ich nicht nachwiese, daß ich weder in China noch in irgendeinem anderen Teil der Welt bin ; und zwar deshalb, weil es vielleicht möglich ist, daß durch die göttliche Macht derselbe Körper an zwei verschiedenen Orten existiert. Wenn Du aber hinzufügst, ich müsse auch beweisen, daß die Seelen der Tiere unkörperlich sind, und daß der grobe Körper nichts zu den Gedanken beiträgt,1 so bezeugst Du, daß Dir nicht nur unbekannt ist, wem die Rolle des Beweisenden zufällt, sondern auch, was jeder der Beteiligten jeweils nachweisen muß. Denn ich meine weder, daß die Seelen der Tiere unkörperlich sind, noch daß der grobe Körper nichts zum Denken beiträgt, sondern ich meine nur, daß die Betrachtung dieser Dinge überhaupt nicht hierher gehört. 4. Hier fragst Du nach einer Dunkelheit aufgrund der Äquivokation des Ausdrucks Seele, die ich jedoch an den entsprechenden Stellen so sorgfältig behoben habe, daß es zu nervig ist, es zu wiederholen. Ich möchte deshalb nur sagen, daß es zumeist Ahnungslose sind, die den Dingen die Namen geben, die deshalb oft mehr schlecht als recht auf die Dinge passen. Nachdem die Namen aber in Praxis gekommen sind, ist es nicht an uns, sie zu ändern, sondern wir können nur ihre Bedeutungen verbessern, wenn wir feststellen, daß sie von anderen nicht richtig verstanden werden. Weil nun die ersten Menschen das Prinzip, durch das wir uns ernähren, wachsen und das übrige, das wir ohne alles Denken durchführen, da wir es mit den Tieren gemeinsam haben, in uns vielleicht nicht von dem Prinzip unterschieden haben, durch das wir denken, haben sie beides mit demselben Namen Seele benannt. Als sie dann bemerkten, daß das Denken von der Ernährung unterschieden ist, haben sie das, was denkt, Geist genannt und geglaubt, daß der Geist der 1

Obj. V : 262, 21 und 25.

355,27

362

356,23

357,7

fü n f t e erw i d e ru n g en

wichtigste Teil der Seele sei. Dagegen habe ich gesagt, als ich bemerkt habe, daß das Prinzip, durch das wir uns ernähren, in jeder Hinsicht von dem unterschieden ist, durch das wir denken, daß der Name Seele äquivok ist, wenn er für beides verwendet wird, und daß er, wenn er speziell für den obersten Akt, bzw. eigentümliche Form des Menschen gebraucht wird, nur verstanden werden darf in bezug auf das Prinzip, durch das wir denken. Um die Äquivokation zu vermeiden, habe ich dieses Prinzip zumeist mit dem Namen Geist benannt, denn ich betrachte den Geist nicht als Teil der Seele, sondern als die gesamte Seele, die denkt. Aber Du sagst, Du kannst Dir keinen Reim darauf machen, ob ich also meine, daß die Seele immer denkt.1 Warum aber sollte sie nicht immer denken können, da sie eine denkende Substanz ist ? Und was ist verwunderlich daran, daß wir uns nicht an die Gedanken erinnern, die die Seele im Mutterleib oder im Tiefschlaf gehabt hat, da wir uns ja noch nicht einmal an so viele Gedanken erinnern, von denen wir wissen, daß wir sie gehabt haben, als wir erwachsen, gesund und wach waren ? Denn für die Erinnerung an die Gedanken, die der Geist gehabt hat, solange er mit dem Körper verbunden ist, ist es erforderlich, daß im Gehirn bestimmte Spuren dieser Gedanken eingeprägt sind ; der Geist erinnert sich, indem er sich diesen Spuren zuwendet bzw. anschließt. Was aber ist so verwunderlich daran, wenn das Gehirn eines Kindes oder Tiefschlafenden unfähig ist, solche Spuren aufzunehmen ? Schließlich wendest Du gegen die Stelle ein, an der ich gesagt habe, »es könne vielleicht sein, daß das, was mir noch nicht bekannt ist« (nämlich mein Körper) »nicht von dem Ich verschieden ist, das mir bekannt ist« (nämlich mein Geist) ; »ich weiß es nicht, darüber disputiere ich nicht« :2 Wenn Du das nicht weißt, wenn Du nicht darüber disputierst, weshalb nimmst Du an, nichts von all dem zu sein ?3 Es ist falsch, daß ich dort irgendetwas angenommen hätte, wovon ich noch gar keine Kenntnis hatte. 1

Obj. V : 264, 5–7.

2

Med. II : 27, 24–27.

3

Obj. V : 265, 9–10.

fün ft e e rw i d e ru n g en

363

Denn weil ich keine Kenntnis hatte, ob der Körper dasselbe wie der Geist ist, habe ich ganz im Gegenteil diesbezüglich überhaupt nichts angenommen, sondern allein den Geist betrachtet, und erst später, in der 6. Meditation, habe ich nicht etwa nur angenommen, sondern bewiesen, daß der Geist real vom Körper unterschieden ist. Du hingegen, ob Fleisch, gehst ganz fehl, wenn Du annimmst, der Geist sei nicht vom Körper unterschieden, obwohl Du auch nicht die geringste Begründung hast, um es nachzuweisen. 5. Was ich über Anschauung geschrieben habe,1 ist für jeden klar, der aufmerksam ist. Doch ist es nicht verwunderlich, wenn es vielleicht für diejenigen recht dunkel bleibt, die nicht meditieren. Diese Leute erinnere ich jedoch daran, daß die Behauptung, etwas gehöre nicht zu der Kenntnis, die ich von mir habe, nicht im Widerspruch mit der früheren Behauptung steht, mir sei unbekannt, ob es zu mir gehört. Denn zu mir selbst gehören und zu der Kenntnis gehören, die ich von mir habe sind völlig verschiedene Dinge. 6. Alle Dinge, die Du hier vorbringst, mein bestes Fleisch, scheinen mir weniger Einwände als irgendwelche Stammeleien zu sein, die keiner Erwiderung wert sind. 7. Auch hier stammelst Du zwar vieles, aber wie bei dem Vorhergehenden bedarf nichts davon einer Antwort. Denn was Du in bezug auf die Tiere erforschst,2 gehört nicht hierher, weil der unablässig meditierende Geist an sich selbst erfahren kann, daß er denkt, nicht aber, ob auch Tiere denken oder nicht, sondern das untersucht er später nur a posteriori aufgrund ihrer Operationen. Auch halte ich mich nicht damit auf, das in Abrede zu stellen, was Du mir albernerweise in den Mund legst, denn für mich ist es genug, einmal darauf hingewiesen zu haben, daß Du nicht alles getreu wiedergibst, was ich gesagt habe. Ich habe doch mehrere Male das Kriterium angeführt, durch das sich herausfinden läßt, daß der Geist vom Körper verschieden ist : nämlich daß die gesamte Natur des Geistes darin besteht, 1

Med. II : 28, 4–5 ; Obj. V : 265, 14.

2

Obj. V : 269, 7 ff.

357,21

358,1

358,4

364

359,3

359,17

fü n f t e erw i d e ru n g en

zu denken, die gesamte Natur des Körpers aber darin, ein ausgedehntes Ding zu sein, und es überhaupt nichts Gemeinsames zwischen dem Denken und Ausdehnung gibt. Ich habe auch oft deutlich gezeigt, daß der Geist unabhängig vom Gehirn operieren kann ; denn das Gehirn kann nicht verwendet werden, um rein einzusehen, sondern nur, um vorzustellen oder sinnlich wahrzunehmen. Und obwohl der Geist vielleicht keine Kapazität haben mag, andere Dinge einzusehen, wenn eine starke Anschauung oder Empfindung eintritt (wie es geschieht, wenn das Gehirn verwirrt wird), erfahren wir gleichwohl, daß wir oft etwas von der Anschauung völlig Verschiedenes einsehen, wenn sie weniger stark ist. Wenn wir z. B. im Schlaf feststellen, daß wir träumen, dann ist es zwar ein Werk der Anschauung, daß wir träumen ; daß wir aber feststellen, daß wir träumen, ist ein Werk des bloßen Verstandes. 8. Hier, wie sonst auch oft, zeigst Du lediglich, daß Du das nicht hinreichend einsiehst, was Du zu kritisieren versuchst. Ich habe nämlich nicht den Begriff des Wachses von dem Begriff seiner Akzidentien abstrahiert,1 sondern ich habe nur aufzeigen wollen, wie sich seine Substanz durch die Akzidentien manifestiert, und wie sich seine reflektierte und deutliche Erfassung – eine Art der Erfassung, die Du, o Fleisch, niemals gehabt zu haben scheinst –, von der gewöhnlichen und verworrenen unterscheidet. Und ich sehe nicht, auf welches Argument gestützt Du eigentlich als gewiß behauptest, daß ein Hund Dinge auf dieselbe Weise wie wir beurteilt,2 außer daß Du deshalb, weil Du siehst, daß der Hund auch aus Fleisch besteht, meinst, daß genau dasselbe, was in Dir ist, auch in ihm sei. Ich aber bemerke in ihm keinen Geist, und meine, nichts in ihm vorzufinden, was dem ähnlich wäre, was ich im Geist erkenne. 9. Ich staune darüber, daß Du hier3 einräumst, daß alles, was ich am Wachs betrachte, zwar beweist, daß ich deutlich erkenne, daß ich existiere, nicht aber, wer oder was für einer ich sei,4 da doch das 1

Obj. V : 271, 21–23. 4 Obj. V : 274, 9–13.

2

Obj. V : 272, 23–25.

3

Obj. V : 273, 20–274, 8.

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365

eine ohne das andere nicht bewiesen werden kann. Auch sehe ich nicht, was Du darüber Hinausgehendes in bezug auf diesen Sachverhalt erwartest, außer daß man Dir sage, von welcher Farbe, welchem Geruch und welchem Geschmack der menschliche Geist sei, oder aus welchem Salz, Schwefel und Quecksilber er besteht ; Du willst nämlich, daß wir das wie einen Wein gewissermaßen in einer chemischen Analyse1 prüfen. Das ist Deiner in der Tat würdig, o Fleisch, und allen anderen, denen unbekannt ist, wonach man in bezug auf einen Sachverhalt jeweils fragen muß, da sie alles nur verworren begreifen. Was mich betrifft, so habe ich immer gemeint, daß nichts anderes erforderlich ist, um eine Substanz zu manifestieren, als ihre vielfältigen Attribute, so daß wir desto vollkommener die Natur einer Substanz einsehen, je mehr ihrer Attribute wir erkennen. Genauso viele verschiedene Attribute, wie wir am Wachs unterscheiden können – nämlich das eine, daß es weiß ist, ein anderes, daß es hart ist, wieder ein anderes, daß es von einem harten in einen flüssigen Zustand übergeht usw. – gibt es auch im Geist : Nämlich das Attribut, daß er die Kraft hat, die Weiße des Waches zu erkennen, das Attribut, daß er die Kraft hat, seine Härte zu erkennen, ein anderes Attribut, daß er die Kraft hat, die Veränderung der Härte bzw. die Verfüssigung zu erkennen usw. Denn jemand – nämlich einer, der blind geboren ist – kann seine Härte kennen, ohne daß ihm deshalb schon seine Weiße bekannt wäre, und ebenso bei allem übrigen. Daraus ergibt sich klar, daß von keinem Ding so viele Attribute erkannt werden wie von unserem Geist. Denn genau so viel, wie von irgendeinem Ding erkannt wird, kann deswegen, weil er es erkennt, auch zu unserem Geist hinzugezählt werden, und daher ist seine Natur die bekannteste von allen. Schließlich kritisierst Du nur so nebenbei, daß, obwohl ich in mir nichts zulasse außer Geist, ich gleichwohl über das Wachs spreche, das ich sehe, das ich berühre, was nicht ohne Augen und Hände geschehen kann.2 Du hättest aber eigentlich bemerken müssen, daß ich sehr eindringlich daran erinnert habe, daß ich nicht das 1

Obj. V : 277, 3.

2

Obj. V : 274, 16–22.

366

fü n f t e erw i d e ru n g en

Sehvermögen oder den Tastsinn thematisiere, insofern sie mit Hilfe der Organe geschehen, sondern allein das Denken des Sehens und Tastens, für das diese Organe nicht erforderlich sind, wie wir täglich in den Träumen erfahren. Natürlich hast Du das in Wirklichkeit sehr wohl bemerkt ; doch Du wolltest nur darauf aufmerksam machen, welch absurde und oft auch ungerechte üble Nachreden von Leuten ausgedacht werden, die sich damit begnügen, etwas zu bekämpfen, anstatt es einzusehen.

übe r das, was g e g en d i e dritt e m edi tati on e i nge wan dt w urde. 361,7

1. Bravo, hier bringst Du endlich eine Begründung gegen mich vor, was Du, wie ich bemerkt habe, nirgendwo vorher getan hast. Um nämlich nachzuweisen, daß es keine sichere Regel ist, daß das wahr ist, was wir klar und deutlich erfassen,1 sagst Du, auch Menschen von außerordentlicher Geisteskraft, die doch wohl das meiste hätten klar und deutlich erfassen müssen, hätten nichtsdestotrotz die Einschätzung vertreten, die Wahrheit der Dinge sei entweder in Gott oder in einem Brunnen verborgen. Von der Autorität her argumentierst Du richtig, das räume ich ein ; aber Du, o Fleisch, hättest Dich daran erinnern müssen, daß Du hier einen Geist ansprichst, der so sehr den körperlichen Dingen entzogen ist, daß er noch nicht einmal weiß, ob vor ihm jemals irgendwelche anderen Menschen existiert haben, und der deshalb von ihrer Autorität gar nicht bewegt werden kann. Der Gemeinplatz, den Du dann in bezug auf die Skeptiker vorbringst, ist zwar nicht falsch, weist aber ebensowenig irgendetwas nach, wie daß manche Leute für falsche Meinungen in den Tod gehen. Denn man kann überhaupt nicht nachweisen, daß sie das, was sie so hartnäckig behaupten, klar und deutlich erfassen. Du fügst dann hinzu, man müsse sich weniger um die 1

Obj. V : 277, 14 ff.

fün ft e e rw i d e ru n g en

367

Wahrheit der Regel als um die Methode bemühen, durch die herausgefunden werden kann, ob wir uns täuschen oder nicht, wenn wir der Ansicht sind, etwas klar und deutlich zu erfassen. Ich stelle das nicht in Abrede ; aber ich behaupte, daß eben das von mir an den entsprechenden Stellen geleistet worden ist, an denen ich zuerst alle Vorurteile abgelegt, danach alle wichtigsten Ideen aufgezählt und die klaren von den dunklen oder verworrenen unterschieden habe. 2. Ich wundere mich aber über die Beweisführung, durch die Du nachweisen willst, daß alle unsere Ideen erworben sind und keine von uns erzeugt ist. Deine Begründung : Weil der Geist das Vermögen hat, nicht nur die erworbenen Ideen selbst zu erfassen, sondern außerdem auch sie verschiedentlich zusammenzusetzen, zu zerlegen, zu verringern, zu vergrößern, zu vergleichen und ähnliches von dieser Art.1 Daraus schließt Du, daß die Ideen der Chimären, die der Geist durch Zusammensetzen, Teilen usw. bildet, nicht von ihm selbst erzeugt, sondern erworben sind. Genausogut könntest Du nachweisen, daß Praxiteles keine Bildnisse geschaffen hat, weil er den Marmor, aus dem er sie herausgemeißelt hat, ja nicht aus sich selbst gehabt hat, und daß Du diese Einwände nicht gemacht hast, weil Du sie nicht aus Worten zusammengesetzt hast, die Du selbst erfunden hast, sondern aus solchen, die Du von anderen Leuten entlehnt hast. Doch besteht die Form der Chimäre nicht in den Teilen einer Ziege oder eines Löwen, und die Form Deiner Einwände besteht nicht in den einzelnen Worten, die Du verwendet hast, sondern allein in der Zusammensetzung. Außerdem verwundert es mich, daß Du Dich darauf versteifst, die Idee des Dings könne nicht im Geist sein, wenn nicht zugleich auch die Ideen des Tiers, der Pflanze, des Steins und aller Universalien es sind.2 Gleichsam als ob ich, wenn ich erkenne, daß ich ein denkendes Ding bin, die Tiere und Pflanzen erkennen müßte, weil ich ja das Ding, bzw. was das Ding ist, erkennen muß. Und was Du hier über die Wahrheit ausführst, ist auch nicht 1

Obj. V : 280, 2–7.

2

Obj. V : 281, 5–7.

362,5

362,20

368

363,1

363,7

363,18

fü n f t e erw i d e ru n g en

wahrer. Außerdem kämpfst Du nur gegen Windmühlen, da Du nur das bekämpfst, worüber ich gar nichts behauptet habe. 3. Damit Du hier die Begründungen untergraben kannst, aufgrund derer ich die Einschätzung vertreten habe, daß die Existenz materieller Dinge bezweifelt werden muß, fragst Du weshalb ich also über die Erde gehe usw.1 Darin nimmst Du aber offensichtlich den Beweisgrund schon in Anspruch (principium petere). Denn Du setzt das voraus, was hätte nachgewiesen werden müssen, nämlich : Daß ich über die Erde gehe, ist so sicher, daß daran nicht gezweifelt werden kann. Und wenn Du den Begründungen, die ich mir entgegengehalten und zurückgewiesen habe, noch den hinzufügen willst, weshalb ein Blindgeborener keine Idee der Farbe hat, oder ein Tauber keine Idee der Stimme,2 so zeigst Du nur, daß Du überhaupt keine Begründung von irgendeinem Wert hast. Woher nämlich weißt Du, daß in einem Blindgeborenen keine Idee der Farben ist, da doch manchmal in uns Empfindungen des Lichts und der Farben ausgelöst werden, auch wenn wir die Augen schließen ? Und selbst wenn man das, was Du sagst, zugibt : Kann jemand, der die Existenz materieller Dinge bestreitet, nicht mit demselben Recht sagen, ein Blindgeborener habe die Ideen der Farben nicht, weil sein Geist nicht über das Vermögen, sie zu bilden, verfügt, wie Du sagst, er habe diese Ideen nicht, weil er der Augen beraubt ist ? Was Du über die beiden Ideen der Sonne hinzufügst,3 stellt keinen Nachweis dar. Denn wenn Du beide Ideen für eine nimmst, weil sie ja auf eine Sonne bezogen werden, so ist das dasselbe, als wenn Du sagen würdest, Wahres und Falsches unterschieden sich nicht, da sie von ein und demselben Subjekt behauptet werden. Und wenn Du bestreitest, daß die Idee, die wir astronomischen Berechnungen entnehmen, eine Idee ist, so restringierst Du entgegem dem, was ich ausdrücklich angenommen habe, den Namen der Idee allein auf die in der Phantasie abgemalten Bilder. 1

Obj. V : 282, 17 f.

2

Obj. V : 283, 6–7.

3

Obj. V : 283, 11 f.

fün ft e e rw i d e ru n g en

369

4. Hier machst Du dasselbe, wenn Du bestreitest, daß die Substanz eine wahre Idee ist, weil nämlich die Substanz nicht durch die Anschauung, sondern allein durch den Verstand erfaßt wird. Dabei habe ich doch schon vor etlicher Zeit laut verkündet, o Fleisch, daß ich nichts zu schaffen haben will mit Leuten, die allein ihre Anschauung, nicht aber den Verstand gebrauchen wollen. Wenn Du jedoch behauptest, die Idee der Substanz habe keine Realität, die sie nicht aus den Ideen ihrer Akzidentien heraus besitze, unter denen oder denen entsprechend sie aufgefaßt werde,1 so weist Du nur nach, daß Du tatsächlich keine deutliche Idee besitzt. Denn eine Substanz kann niemals in der Weise von Akzidentien begriffen werden, noch kann sie ihre Realität aus ihnen ziehen. Ganz im Gegenteil begreifen die Philosophen gewöhnlich die Akzidentien in der Weise von Substanzen, nämlich immer, wenn gesagt wird, daß sie reale Akzidentien sind. Denn man kann den Akzidentien keine Realität (d. h. keine mehr als modale Entität) zuschreiben, die nicht von der Idee der Substanz entlehnt wird. Außerdem, wo Du sagst, man habe die Idee Gottes nur dadurch, daß wir bestimmte Attribute über Gott haben aussprechen hören,2 so hätte ich mir gewünscht, Du hättest hinzugefügt, woher denn also die ersten Menschen, von denen wir das gehört haben, die Idee Gottes hergehabt hatten. Wenn sie sie nämlich aus sich selbst heraus gehabt haben, warum können nicht auch wir sie aus uns selbst haben ? Wenn aber von einem sie offenbarenden Gott, dann also existiert Gott. Wenn Du jedoch hinzufügst, jemand, der etwas unendlich nennt, lege einem Ding, das er nicht faßt, einen Namen bei, den er nicht versteht,3 dann unterscheidest Du nicht zwischen einer dem Maßstab unserer Geisteskraft entsprechenden Einsicht – eine Einsicht, von der jederman bei sich erfährt, daß wir sie in bezug auf das Unendliche haben – und dem adäquaten Begriff des Dinges, den niemand hat, weder von dem Unendlichen, noch vielleicht auch von irgendeinem anderen, beliebig kleinen Ding. 1

Obj. V : 286, 7–9.

2

Obj. V : 286, 16–17.

3

Obj. V : 286, 25–26.

364,3

364,9

364,25

364,25

370

365,9

366,1

fü n f t e erw i d e ru n g en

Auch ist es nicht wahr, daß das Unendliche durch die Negation von Grenze bzw. Begrenztheit eingesehen wird, da im Gegenteil alle Begrenztheit die Negation des Unendlichen beinhaltet. Ebensowenig ist es wahr, daß die Idee, die alle Vollkommenheiten repräsentiert, die wir Gott beilegen, nicht mehr objektive Realität enthält als die endlichen Dinge haben.1 Du selbst räumst nämlich ein, daß diese Vollkommenheiten von unserem Verstand vergrößert werden, wenn sie Gott beigelegt werden. Oder bist Du der Ansicht, daß das, was so vergrößert wurde, nicht größer ist als das nicht Vergrößerte ? Woher kann das Vermögen stammen, alle geschaffenen Vollkommenheiten zu vergrößern, d. h. etwas als größer bzw. als vergrößert als sie selbst zu begreifen, wenn nicht daher, daß die Idee eines größeren Dinges, nämlich Gott, in uns ist ? Und schließlich ist es nicht wahr, daß Gott sehr klein sein wird, wenn er nicht größer ist, als er von uns eingesehen wird.2 Gott wird nämlich als unendlich eingesehen, und nichts kann größer sein als das Unendliche. Du verwechselst also die Einsicht mit der Anschauung, und tust so, als ob wir uns Gott wie einen übergroßen Menschen vorstellen, gleichsam wie jemand, der noch nie einen Elephanten gesehen hat, sich ihn wie eine äußerst große Milbe vorstellen würde, was, wie ich mit Dir einräume, ziemlich albern ist. 5. Hier sagst Du viel, damit es scheint, daß Du mir widersprichst. Und dennoch widersprichst Du mir überhaupt nicht, da Du genau dasselbe schließt wie ich. Doch mischst Du hier und da einige Dinge hinein, denen ich lebhaft widerspreche, wie etwa daß das Axiom Es ist nichts in der Wirkung, das nicht in der Ursache schon vorher vorgelegen hat,3 eher in bezug auf die materielle Ursache als in bezug auf die bewirkende verstanden werden müsse : denn man kann sich überhaupt nicht einsichtig machen, daß die Vollkommenheit der Form in einer materiellen Ursache vorher schon vorliegt, sondern allein in einer bewirken-

1

Obj. V : 287, 5–7.

2

falsches Zitat.

3

Obj. V : 288, 15–16.

fün ft e e rw i d e ru n g en

371

den. Außerdem bestreite ich, daß die formale Realität der Idee eine Substanz ist,1 und dergleichen. 6. Wenn Du irgendetwas hättest, um die Existenz materieller Dinge nachzuweisen, hättest Du es hier zweifelsohne vorgebracht. Aber da Du lediglich fragst, ob also mein Geist unsicher ist, ob es irgendetwas außer ihm in der Welt gibt,2 und so tust, als sei es nicht nötig, nach Argumenten dafür zu fragen und Du auf diese Weise nur zu vorgefaßten Meinungen aufrufst, zeigst Du klarer als wenn Du einfach geschwiegen hättest, daß Du für nichts von dem, was Du behauptest, eine Begründung angeben kannst. Nichts von dem, worüber Du hier in bezug auf die Ideen3 disputierst, bedarf einer Antwort, weil Du den Namen Idee allein auf die in der Phantasie abgemalten Bilder restringierst, ich sie aber auf alles ausdehne, was gedacht wird. Nebenbei aber darf man wohl mal fragen, mit welchem Argument Du nachweist, daß nichts auf sich selbst einwirkt.4 Denn gewöhnlich verwendest Du keine Argumente. Dies aber hast Du durch das Beispiel des Fingers nachgewiesen, der sich selbst nicht schlägt, und des Auges, das sich nicht in sich selbst, sondern im Spiegel sieht. Es ist leicht, darauf zu erwidern ; denn es ist nicht das Auge, das den Spiegel mehr sieht als sich selbst, sondern allein der Geist, sich selbst erkennt.5 Aus dem Bereich der körperlichen Dinge kann man noch andere Beispiele geben, z. B. : Wenn ein Kreisel sich im Kreise bewegt, ist diese Umdrehung etwa keine Aktion, die er auf sich selbst ausübt ? Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß ich nicht behauptet habe, die Ideen der materiellen Dinge würden aus dem Geist deduziert.6 Es ist deshalb etwas unehrlich, wenn Du hier so tust, als hätte ich es getan. Ich habe nämlich später ausdrücklich gezeigt, daß sie oft von Körpern herkommen, und daß dadurch die Existenz der Körper nachgewiesen wird. Ich habe hier nur ausgeführt, daß – weil nichts in der Wirkung ist, was nicht formal oder eminent vorher schon in der Ursache existiert hat – in 1

Obj. V : 290, 17 ff. falsches Zitat. 2 Obj. V : 291, 13–14. 3 Obj. V : 291, 17. 4 Obj. V : 292, 10. 5 erkennt] 1. Auflage denkt. 6 Obj. V : 293, 11.

366,10

366,18

366,22

367,10

372

367,19

fü n f t e erw i d e ru n g en

ihnen nicht in einem solchen Maße Realität vorzufinden ist, daß daraus geschlossen werden dürfte, daß sie nicht durch den Geist allein hervorgebracht worden sein können. Das bekämpfst Du auch gar nicht. 7. Hier bringst Du nichts vor, was Du nicht vorher bereits gesagt hast und ich schon verworfen habe. Ich werde nur in bezug auf die Idee des Unendlichen eine Sache kritisch anmerken. Du sagst, die Idee des Unendlichen kann keine wahre sein, wenn ich das Unendliche nicht verstehe, und es könne höchstens gesagt werden, daß ich einen Teil des Unendlichen erkenne, und zwar den kleinsten Teil, der das Unendliche nicht besser wiedergibt als die Abbildung eines winzigen Haares, die den gesamten Menschen repräsentiert.1 Hierzu merke ich kritisch an : Es ist ganz im Gegenteil schlicht widersprüchlich, daß, wenn ich etwas verstehe, das, was ich verstehe, unendlich sein soll. Damit nämlich die Idee des Unendlichen wahr ist, darf sie überhaupt nicht verstanden werden, weil ja die Unergründlichkeit selbst im formalen Grund des Unendlichen enthalten ist. Gleichwohl repräsentiert die Idee, die wir vom Unendlichen haben, offenkundig nicht etwa nur einen bestimmten Teil des Unendlichen, sondern in der Weise tatsächlich das gesamte Unendliche, in der es durch eine menschliche Idee repräsentiert werden kann, auch wenn Gott oder eine andere einsehende Natur, die vollkommener als die menschliche ist, zweifelsohne eine viel vollkommenere, das heißt genauere und deutlichere Idee des Unendlichen haben kann. Mit derselben Begründung zweifeln wir ja auch nicht, daß jemand, der keine Ahnung von Geometrie hat, die gesamte Idee des Dreiecks besitzt, wenn er einsieht, daß es eine Figur ist, die in drei Linien enthalten ist, auch wenn die Geometriker noch vieles andere an demselben Dreieck erkennen und an seiner Idee bemerken können, das ihm unbekannt ist. Genauso, wie es genügt, eine von drei Linien umschlossene Figur einzusehen, um die Idee des gesamten Dreiecks zu haben, so reicht es auch aus, ein kei-

1

Obj. V : 296, 24–297, 1/10/16.

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ne Grenzen beinhaltendes Ding einzusehen, um die wahre und vollständige Idee des gesamten Unendlichen zu haben. 8. Genau denselben Irrtum wiederholst Du hier, wenn Du bestreitest, daß man eine wahre Idee von Gott besitzt. Denn auch wenn wir nicht alles erkennen, was in Gott ist, ist doch gleichwohl alles wahr, wovon wir erkennen, daß es in ihm ist. Was Du aber einwirfst, daß das Brot nicht vollkommener sei als derjenige, der es begehrt ;1 daß deswegen, weil Du erfaßt, daß etwas aktuell in der Idee ist, es noch nicht aktuell in dem Ding ist, dessen Idee sie ist ;2 daß ich etwas beurteile, was ich nicht kenne3 und dergleichen, bezeugst Du, o Fleisch, nur, daß Du blindlings vieles bekämpfen willst, dessen Sinn Du nicht nachvollziehst. Denn daraus, daß jemand Brot begehrt, folgt nicht, daß er selbst vollkommener als das Brot ist, sondern nur, daß derjenige, der Brot begehrt, unvollkommener ist als er selbst, wenn er es nicht begehrt. Und ich folgere daraus, daß etwas in der Idee ist, nicht, daß dasselbe in der Natur der Dinge ist, es sei denn, es kann keine andere Ursache dieser Idee angegeben werden außer dem Ding, das die Idee als aktuell existierend repräsentiert. Und wie ich bewiesen habe, ist das weder in bezug auf mehrere Welten, noch in bezug auf irgendein anderes Ding wahr, außer in bezug auf Gott allein. Auch beurteile ich nicht etwas, was ich nicht kenne ; denn ich habe Begründungen beigebracht, weshalb ich das so beurteile, und zwar so stichhaltige, daß Du keine von ihnen auch nur im geringsten hast bekämpfen können. 9. Wenn Du bestreitest, daß wir unablässig des Einflusses einer ersten Ursache bedürfen, um uns zu erhalten, bestreitest Du einen Sachverhalt, von dem alle Metaphysiker behaupten, daß er offenkundig ist, an den aber ungebildete Leute deshalb gar nicht denken, weil sie nur die Ursache in bezug auf das Werden (secundum fieri) berücksichtigen, nicht aber die in bezug auf das Sein (secundum esse). So ist ein Architekt Ursache des Hauses und ein Vater Ursache des Sohnes nur in bezug auf das Werden. Deshalb kann das Werk, wenn es fertiggestellt ist, ohne eine 1

Obj. V : 298, 8.

2

Obj. V : 299, 7.

3

Obj. V : 300, 1.

368,21

369,14

374

369,26

370,6

370,13

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derartige Ursache bestehen bleiben. Hingegen ist die Sonne die Ursache des Lichts, das von ihr herrührt, und Gott ist die Ursache der geschaffenen Dinge nicht nur in bezug auf das Werden, sondern auch in bezug auf das Sein. Deshalb muß er ständig in derselben Weise einen Einfluß auf die Wirkung ausüben, um sie zu erhalten. Das läßt sich einleuchtend aus dem beweisen, was ich über die Unabhängigkeit der Abschnitte der Zeit erklärt habe, und das Du vergeblich zu entkräften versuchst,1 indem Du die Notwendigkeit der Aufeinanderfolge dagegenstellst, die zwischen den Teilen der Zeit besteht, wenn sie abstrakt betrachtet wird. Darauf richtet sich die Frage hier aber nicht, sondern auf die Zeit, bzw. die Andauer eines bestehenden Dinges. Du bestreitest nicht, daß die einzelnen Momente dieser Zeit oder Andauer sich von den benachbarten abtrennen lassen, und das heißt, daß das andauernde Ding in den einzelnen Momenten aufhören kann zu sein. Du behauptest, in uns sei eine Kraft, die zu gewährleisten ausreicht, daß wir uns erhalten, wenn nicht eine zerstörerische Ursache hinzukommt.2 Hierbei beachtest Du nicht, daß Du dem Geschöpf die Vollkommenheit des Schöpfers beilegst, nämlich daß es unabhängig von etwas anderem im Sein verharrt ; und Du legst dem Schöpfer die Unvollkommenheit des Geschöpfes bei, nämlich daß der Schöpfer, wenn er irgendwann einmal bewirken wollte, daß wir zu sein aufhören, durch eine positive Aktion zum Nicht-Seienden tendieren müßte. Was Du schließlich über den Fortschritt ins Unendliche hinzufügst, nämlich daß es nicht absurd sei, daß es ihn gebe, wird von Dir selbst später entkräftigt. Du räumst nämlich ein, daß das bei Ursachen absurd ist, die so miteinander verknüpft sind, daß die untergeordnete Ursache ohne die obere nicht einwirken kann ;3 nur auf derartige Ursachen richtet sich hier aber die Frage, nämlich auf die Ursachen im Sein, nicht auf die Ursachen im Werden, wie es Eltern sind. Demnach spricht die Autorität des Aristote1

Obj. V : 301, 6 f.

2

Obj. V : 302, 4–6.

3

Obj. V : 302, 27–303, 1.

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les an dieser Stelle ebensowenig gegen mich, wie das, was Du über die Pandora sagst : Du räumst nämlich ein, daß alle Vollkommenheiten, die ich an den Menschen bemerke, von mir in vielfältigen Graden vermehrt werden können, bis ich dann irgendwann sehe, daß sie von einer solchen Art sind, daß sie der menschlichen Natur nicht zukommen können. Und das genügt mir völlig, um die Existenz Gottes zu beweisen. Es ist nämlich eben diese Kraft, alle menschlichen Vollkommenheiten so weit zu vergrößern, bis sie als übermenschlich erkannt werden, die ich pointiere und von der ich behaupte, daß sie nicht in uns vorhanden wäre, wenn wir nicht von Gott geschaffen wären. Aber es erstaunt mich nicht, daß Dir nicht einmal aufdämmert, daß ich dies ganz evident bewiesen habe. Denn bislang habe ich noch nicht bemerkt, daß Du irgendeine meiner Überlegungen richtig erfaßt hättest. 10. Wenn Du meine Aussage kritisierst, »daß der Idee Gottes nichts hinzugefügt und nichts von ihr abgezogen werden kann,«1 dann scheinst Du die gängige Behauptung der Philosophen nicht berücksichtigt zu haben, daß die Wesen der Dinge unteilbar sind. Eine Idee repräsentiert nämlich das Wesen des Dinges, und wenn ihr etwas hinzugefügt oder etwas von ihr abgezogen wird, ist sie automatisch die Idee eines anderen Dinges. Diejenigen, die den wahren Gott nicht richtig begreifen, bilden sich so eine Pandora und alle falschen Götter aus. Nachdem man aber die Idee des wahren Gottes einmal begriffen hat, wird sie auch dann nicht vermehrt, wenn man an ihr neue Vollkommenheiten entdeckt, die man vorher noch bemerkt hatte, sondern sie wird nur deutlicher und ausdrücklicher gemacht. Denn gerade wenn vorausgesetzt wird, daß die Idee wahr gewesen ist, müssen alle diese Vollkommenheiten schon in der Idee enthalten gewesen sein, die man vorher hatte, so, wie die Idee des Dreiecks ja auch nicht vermehrt wird, wenn man an ihr vielfältige Eigenschaften feststellt, die vorher unbekannt gewesen sind. Denn, damit Du das weißt : Die Idee Gottes wird nicht von 1

Med. III : 51, 6–14 ; Obj. V : 305, 5.

371,8

376

372,1

372,12

372,21

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uns allmählich aus den vergrößerten Vollkommenheiten der Geschöpfe gebildet,1 sondern wir bilden die ganze Idee Gottes mit einem Schlage dadurch, daß wir ein unendliches und jeder Vergrößerung unfähiges Seiendes mit dem Geist berühren. Nun verlangst Du zu wissen, wie ich eigentlich beweisen will, daß die Idee Gottes in uns gleichsam wie ein dem Werk aufgedrucktes Kennzeichen des Technikers ist, und was der Modus des Aufdrucks oder auch was die Form dieses Kennzeichens ist.2 Wenn ich an einem Porträt eine solche Kunstfertigkeit entdecken und urteilen würde, daß es nur von Apelles gemalt worden sein kann, und sagen würde, diese unnachahmliche Kunstfertigkeit sei wie eine Art von Kennzeichen, das Apelles allen seinen Porträts aufdrucke, damit sie von anderen unterschieden werden können, Du dann aber fragen würdest, welche Form dieses Kennzeichen habe, oder was der Modus des Aufdrucks sei – dann ist das genau dasselbe wie Deine obige Frage ; und auch Dir schiene es doch sicherlich auch, daß Du es eher verdienen würdest, ausgelacht zu werden, als eine Antwort zu erhalten. Wie ist es zu beurteilen, wenn Du fortfährst : Wenn das Kennzeichen nichts anderes als das Werk ist, bist Du selbst also eine Idee, bist Du selbst nichts anderes als ein Modus des Denkens, bist Du selbst sowohl das aufgedruckte Kennzeichen als auch das Subjekt des Aufdrucks ?3 Das ist doch wohl ebenso scharfsinnig, wie wenn ich sagen würde, daß die Kunstfertigkeit, anhand derer die Porträts von Apelles von den anderen unterschieden werden können, nicht verschieden von den Porträts selbst sei, Du aber darauf bestehen würdest, daß also diese Porträts nichts anderes als Kunstfertigkeit seien, aus keiner Materie bestünden, und sie also nur ein Modus des Malens seien usw. Wie ? Um zu bestreiten, daß wir nach dem Bild Gottes geschaffen sind, sagst Du, daß also Gott von Menschengestalt sei,4 und trägst zusammen, worin sich die menschliche Natur von der göttlichen unterscheidet : Bist Du darin etwa scharfsinniger als wenn 1

Obj. V : 305, 12. 306, 10–13.

2

Obj. V : 306, 3–6.

3

Obj. V : 306, 7–10.

4

Obj. V :

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Du, um zu bestreiten, daß bestimmte Porträts von Apelles als Abbild des Alexander gemacht sind, sagen würdest : Also ist Alexander wie die Porträts gewesen, die Porträts aber sind aus Holz und Farben zusammengesetzt, nicht aus Knochen und Fleisch wie Alexander ? Denn es liegt nicht im Wesen des Bildes, in allem dem Ding zu entsprechen, dessen Bild es ist, sondern nur, es in einigem nachzuahmen. Und es ist transparent, daß die höchstvollkommene Kraft, zu denken, die wir als in Gott vorhanden einsehen, durch jene weniger vollkommene repräsentiert wird, die in uns ist. Wenn Du es aber vorziehst, die Erschaffung durch Gott lieber mit der Operation eines Handwerkers zu vergleichen als mit der Erzeugung durch einen Elternteil,1 so tust Du das ohne irgendeine Begründung. Auch wenn nämlich diese drei Modi des Einwirkens in jeder Hinsicht verschieden sind, so liegt es doch näher, von der natürlichen Produktion als von der künstlichen her im Hinblick auf die göttliche zu argumentieren. Aber ich habe weder gesagt, daß eine solche Ähnlichkeit zwischen uns und Gott besteht wie zwischen den Kindern und Eltern, noch daß nie eine Ähnlichkeit zwischen dem Werk eines Handwerkers und dem Handwerker selbst besteht ; denn das ist doch offenkundig der Fall, wenn ein Bildhauer ein Bildnis gemeißelt hat, das ihm selbst ähnlich ist. Wie ungetreu aber gibst Du meine Worte wieder, wenn Du so tust, als hätte ich gesagt, das Abbild werde von mir dadurch erfaßt, daß ich ein unvollständiges und abhängiges Ding bin,2 habe ich das doch ganz im Gegenteil als Argument für die Unähnlichkeit angeführt, damit niemand meinen könne, ich wolle die Menschen mit Gott auf eine Stufe stellen. Was ich gesagt habe, war : Ich erfasse sowohl, daß ich diesbezüglich unter Gott stehe während ich zu Größerem zu gelangen versuche, als auch, daß dieses Größere in Gott ist, und daß von diesem Größeren etwas ähnliches in mir ist, da ich es wage, zu ihm zu gelangen.3

1

Obj. V : 306, 20.

2

Obj. V : 306, 27.

3

Med. III : 51, 24 f.

373,7

373,17

378 374,1

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Wenn Du schließlich behauptest, es sei verwunderlich, weshalb die übrigen Menschen nicht dasselbe von Gott einsehen wie ich, da Gott diesen Menschen gerade so wie Dir die Idee seiner selbst aufgedruckt hat,1 so ist das dasselbe als wenn Du Dich darüber wundern würdest, daß nicht alle gleich viel an der Idee des Dreiecks bemerken und einige vielleicht etwas Falsches über sie schlußfolgern, obwohl alle dieselbe Idee des Dreiecks kennen.

üb er das , was g e g e n di e vie r te m ed itat ion e in gewandt w urde. 374,10

374,15

374,20

1. Welche Idee wir eigentlich vom Nichts haben, und auf welche Weise wir am Nicht-Seienden teilhaben,2 habe ich hinreichend erklärt, indem ich diese Idee negativ genannt und gesagt habe, daß sie nichts anderes bezeichne als daß wir nicht das höchste Seiende sind und uns vieles fehlt.3 Du aber fragst überall nach Schwierigkeiten, wo gar keine sind. Wenn Du behauptest, daß ich einige der Werke Gottes als nicht absolut gut ansehe,4 so dichtest Du mir schlicht etwas an, was ich nirgendwo geschrieben und was ich nicht vertreten habe ; sondern ich habe nur behauptet, daß bestimmte Werke dann als unvollkommen erscheinen können, wenn man sie betrachtet, nicht insofern sie in der Welt die Funktion eines Teiles besitzen, sondern als ob sie etwas Ganzes wären. Alles, was Du dann für die Zweckursache anführst,5 muß auf die bewirkende Ursache bezogen werden ; so ist es durchaus angebracht, aufgrund der Zweckmäßigkeit der Teile in den Pflanzen, in den Tieren usw. den wirkenden Gott zu bewundern, und aus dem Einblick in die Werke den Werkmeister zu erkennen und zu preisen, nicht aber, zu mutmaßen, zu welchem Zweck er das jeweils getan hat. In der Ethik, wo es oft gestat1

Obj. V : 307, 8–11. 2 Obj. V : 308, 3. 308, 19. 5 Obj. V : 308, 25.

3

Med. IV : 54, 10 f.

4

Obj. V :

fün ft e e rw i d e ru n g en

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tet ist, Vermutungen zu benutzen, mag es zwar zuweilen fromm sein, zu betrachten, welchen Zweck Gott sich nach unserer Vermutung bei der Regierung des Universums vorgenommen hat ; in der Physik hingegen, wo sich alles auf äußerst feste Gründe stützten muß, ist es ganz sicher unangebracht. Auch kann man nicht so tun, als seien einige der Zwecke Gottes mehr als andere öffentlich zugänglich, denn alle sind in derselben Weise im unermeßlichen Abgrund seiner Weisheit verborgen. Und ebensowenig darfst Du so tun, als ob kein Sterblicher andere Ursachen einsehen könne ; denn alle Ursachen sind leichter zu erkennen als die Zwecke Gottes ; und manche Leute sind sogar der Ansicht, selbst diejenigen zu kennen, die Du als Beispiel für die Schwierigkeit anführst. Schließlich, weil Du hier so offen danach fragst, welche Ideen von Gott und von mir selbst ich meine, daß mein Geist besitzen würde, wenn er, seit er in den Körper eingetreten ist, bis jetzt in ihm mit geschlossen Augen und ohne jede Verwendung der anderen Sinne geblieben wäre,1 so antworte ich offen und ehrlich : Ich zweifle nicht (sofern wir nur voraussetzen, daß der Geist beim Denken vom Körper weder behindert noch unterstützt wird), daß der Geist dieselben Ideen von Gott und von sich selbst erlangt haben würde, die er jetzt hat, wenn er sie nicht sogar viel reiner und klarer gehabt hätte. Die Sinne behindern ihn nämlich in vielem und unterstützen ihn in nichts darin, Ideen zu erfassen. Das einzige, was verhindert, daß alle Menschen in gleicher Weise bemerken, daß sie dieselben Ideen haben, ist, daß sie zu sehr mit dem Erfassen der Bilder körperlicher Dinge beschäftigt sind. 2. Hier faßt Du es unzutreffend durchgängig als eine positive Unvollkommenheit auf, daß wir Irrtümern ausgesetzt sind, während es doch nur (insbesondere im Hinblick auf Gott) die Negation einer größeren Vollkommenheit in den Geschöpfen ist. Auch paßt der Vergleich der Bürger einer Republik mit den Teilen des Universums2 nicht so recht. Denn die Schlechtigkeit der Bürger ist zwar bezogen auf die Republik etwas Positives, 1

Obj. V : 310, 21–28.

2

Obj. V : 311, 5–10.

375,14

376,1

380

376,15

376,20

fü n f t e erw i d e ru n g en

aber bezogen auf die Güte des Universums ist es nichts Positives, daß der Mensch Irrtümern ausgesetzt ist, bzw. daß er nicht alle Vollkommenheiten besitzt. Da kann man doch wohl besser noch einen Vergleich anstellen zwischen jemandem, der will, daß der gesamte menschliche Körper mit Augen bedeckt sein solle, damit er eleganter aussehe, weil keiner seiner Teile schöner zu sein scheint als das Auge, und jemandem, der meint, kein Geschöpf auf der Welt hätte dem Irrtum ausgesetzt, das heißt nicht völlig perfekt sein dürfen. Schlicht falsch ist auch das, was Du voraussetzt, Gott bestimme uns zu unrechten Verrichtungen und verleihe uns Unvollkommenheiten,1 und dergleichen. Wie es auch schlicht falsch ist, daß Gott dem Menschen für das Wenige, von dem er wollte, daß es von ihm beurteilt würde, ein unzulängliches, selbstwidersprüchliches und unsicheres urteilendes Vermögen verliehen hat.2 3. Du willst, daß ich hier kurz sage, worauf sich der Wille erstrecken könnte, und das doch dem Verstand entginge.3 Nun : auf all das, bei dem es passiert, daß wir uns irren. Zum Beispiel : Wenn Du urteilst, daß der Geist nur ein bestimmter feiner Körper ist, kannst Du zwar einsehen, daß er Geist ist, das heißt ein denkendes Ding, und Du kannst ebenso einsehen, daß ein feiner Körper ein ausgedehntes Ding ist. Daß es aber ein und dasselbe Ding ist, das denkt und das ausgedehnt ist : das siehst Du nicht wirklich ein, sondern Du willst das nur glauben, weil Du es vorher schon geglaubt hast und diese Auffassung nicht gerne verwirfst. Oder : Wenn Du urteilst, daß ein Apfel, der möglicherweise vergiftet ist, Dir als Nahrung zuträglich ist, dann siehst Du zwar ein, daß sein Geruch, seine Farbe und dergleichen angenehm ist, Du siehst deshalb aber keineswegs schon ein, daß dieser Apfel als Nahrung für Dich brauchbar ist, sondern Du urteilst so, weil Du es so willst. Und so räume ich zwar ein, daß wir nur Dinge wollen, von denen wir wenigstens etwas in irgendeiner Weise einsehen, aber ich bestreite, daß wir in gleicher Weise einsehen und wollen : denn wir können in bezug auf das1

Obj. V : 312, 11.

2

Obj. V : 314, 11–12.

3

Obj. V : 315, 15.

fün ft e e rw i d e ru n g en

381

selbe Ding sehr viel wollen und nur sehr wenig erkennen. Wenn wir jedoch verkehrt urteilen, so wollen wir deshalb noch nicht verkehrt, sondern wir wollen möglicherweise etwas Verkehrtes. Außerdem sehen wir nichts verkehrt ein, sondern es heißt nur, daß wir verkehrt einsehen, wenn wir urteilen, daß wir etwas weitgehender einsehen, als wir es tatsächlich einsehen. Ich will das, was Du danach in bezug auf die Indifferenz des Willens bestreitest,1 nicht Dir gegenüber nachzuweisen unternehmen, obwohl es ganz offensichtlich ist. Denn es ist sogeartet, daß jeder es an sich selbst erfahren muß anstatt sich von ihm durch Begründungen überzeugen zu lassen ; Du aber, o Fleisch, scheinst das, was der Geist in sich tut, ja gar nicht zu berücksichtigen. Wenn es Dir nicht paßt, dann sei eben nicht frei ; ich selbst werde mich gewiß über meine Freiheit freuen, da ich sie an mir selbst erfahre und Du sie auch nicht mit einer Begründung, sondern nur durch bloße Negationen bekämpfst. Vielleicht werde ich mir aber bei anderen Leuten größeres Vertrauen erwerben als Du ; denn ich behaupte, daß ich es erfahren habe und daß jeder es an sich selbst wird erfahren können, während Du das doch einfach nur deshalb bestreitest, weil Du es vielleicht nicht erfahren hast. Gleichwohl könnte aus Deinen Worten entnommen werden, daß Du es erfahren hast. Wenn Du nämlich bestreitest, daß wir uns vorsehen können, uns nicht zu irren, weil Du nicht willst, daß sich der Wille auf irgendetwas richtet, wozu er nicht vom Verstand bestimmt wird. Gleichzeitig aber gibst Du zu, daß wir uns vorsehen können, nicht auf dem Irrtum zu beharren.2 Das ist ganz unmöglich ohne jene Freiheit des Willens, sich selbst ohne Bestimmung durch den Verstand zu der einen oder der anderen Seite zu bewegen, die Du bestreitest. Denn wenn der Verstand den Willen einmal dazu bestimmt hat, irgendein falsches Urteil zu fällen, dann frage ich Dich : Wenn der Wille beginnt, sich vorzusehen, damit er nicht im Irrtum verharrt, von wem wird er dazu bestimmt ? Wenn er sich selbst dazu bestimmt, kann er sich 1

Obj. V : 316, 15.

2

Obj. V : 317, 19–20.

377,17

378,1

382

378,26

fü n f t e erw i d e ru n g en

also auf etwas richten, wozu er nicht vom Verstand gedrängt wird. Das hattest Du aber bestritten, und allein darum dreht sich die Kontroverse. Wenn er aber vom Verstand dazu bestimmt wird, sich vorzusehen : Dann sieht er sich also nicht selbst vor ; sondern genauso, wie der Verstand ihn vorher zu dem Falschen führte, das er ihm vorgelegt hatte, passiert es jetzt zufällig, daß der Verstand ihn auf das Wahre führt, das er ihm vorlegt. Außerdem möchte ich gerne wissen, was Du als Natur des Falschen begreifst, und inwiefern Du meinst, daß sie Objekt des Verstandes sein kann. Ich selbst verstehe nämlich unter dem Falschen nichts anderes als eine Privation des Wahren, und ich bin überzeugt, daß es schlicht widersprüchlich wäre, wenn der Verstand das Falsche unter dem Oberbegriff des Wahren auffassen sollte, was doch wohl notwendig wäre, wenn der Verstand jemals den Willen dazu bestimmen würde, das Falsche zu vertreten. 4. Was den Ertrag dieser Meditationen betrifft, so habe ich in dem kurzen Vorwort, das Du meiner Ansicht nach doch wohl gelesen hast, hinlänglich darauf hingewiesen, daß er für diejenigen nicht groß sein wird, »die sich gar nicht darum kümmern, die Abfolge und die Verkettung meiner Begründungen zu verstehen, sondern darauf bedacht sind, nur über einzelne Textpassagen zu disputieren.«1 Und was die Methode betrifft, durch die wir das, was tatsächlich klar erfaßt wird, von dem unterscheiden können, von dem wir bloß meinen, es klar zu erfassen, so glaube ich zwar, sie sorgfältig genug mitgeteilt zu haben, wie bereits gesagt wurde ; aber ich bin nicht zuversichtlich, daß Leute sie leicht erfassen werden, die sich nur so wenig bemühen, ihre Vorurteile abzulegen, daß sie sich sogar beklagen, daß ich nicht einfach und mit wenigen Worten2 darüber gesprochen habe.

1

Praef. : 9, 28 f.

2

Obj. V : 257, 26–27.

383

fün ft e e rw i d e ru n g en

ü b e r das, was g e g e n d ie f ünf te m editatio n ei n g e wandt w urde. 1. Weil Du hier – nachdem Du nur einige wenige meiner Worte wiedergegeben hast – hinzufügst, das sei alles, was ich über die vorliegende Frage zu sagen habe,1 sehe ich mich gezwungen, darauf hinzuweisen, daß Du den Zusammenhang dessen, was ich geschrieben habe, nicht genügend berücksichtigt hast. Dieser Zusammenhang ist nämlich, wie ich meine, ein solcher, daß zum Nachweis jedes einzelnen Sachverhalts alles beiträgt, was ihm vorhergeht, und der größte Teil dessen, was auf ihn folgt. Deshalb kannst Du, wenn Du ehrlich bist, nicht den ganzen Inhalt dessen wiedergeben, was mir zu einer Frage einfällt, wenn Du nicht alles durchgehst, was ich über die übrigen Fragen geschrieben habe. Du behauptest, es erscheine Dir als heftig, etwas Unveränderliches und Ewiges außer Gott aufzustellen.2 Das würde Dir zurecht so erscheinen, wenn sich die Frage auf existierende Dinge richten würde, oder zumindest wenn ich etwas so als unveränderlich hinstellen würde, daß seine Unveränderlichkeit nicht von Gott abhängen würde. Aber ebenso wie die Dichter so tun, als seien zwar die Schicksale von Jupiter begründet worden, er selbst aber habe sich verpflichtet, sie unangetastet zu lassen, nachdem sie so begründet worden sind : ebenso meine ich nicht, daß die Wesen der Dinge und jene mathematischen Wahrheiten, die wir in bezug auf sie erkennen können, von Gott unabhängig sind. Gleichwohl meine ich, daß sie unveränderlich und ewig sind, weil Gott es so gewollt hat und weil er sie so angelegt hat. Ob Dir das nun stark oder schwach vorkommen will : Mir genügt es, daß es wahr ist. Was Du dann gegen die Universalien der Dialektiker vorbringst,3 betrifft mich nicht, da ich sie anders verstehe als sie. 1

Obj. V : 319, 7. 319, 12 ff.

2

Obj. V : 319, 9–11 ; Obj. VI : 417, 26 ff.

3

Obj. V :

379,14

380,1

380,14

384

380,23

381,20

fü n f t e erw i d e ru n g en

Was hingegen die Wesen betrifft, die klar und deutlich erkannt werden, wie etwa das Wesen des Dreiecks oder irgendeiner anderen geometrischen Figur, so könnte ich Dich ganz leicht zwingen, einzuräumen, daß die Ideen dieser Figuren, die in uns sind, nicht von den Einzelerscheinungen entlehnt sind. Denn Du nennst sie hier falsch, weil sie nicht mit Deiner vorgefaßten Meinung über die Natur der Dinge übereinstimmen. Und kurz darauf behauptest Du, ein Objekt der reinen Erkenntnis, wie Punkt, Linie, Oberfläche und das, was aus diesen Unteilbarkeiten besteht und sich unteilbar verhält, könne nicht tatsächlich existieren.1 Daraus folgt, daß kein Dreieck und überhaupt nichts von dem, das als zu seinem Wesen oder dem anderer geometrischer Figuren gehörig eingesehen wird, jemals existiert hat, und diese Wesen demnach nicht von irgendwelchen existierenden Dingen entlehnt sind. »Aber«, sagst Du, »sie sind falsch«. Deiner Meinung nach. Denn Du setzt eine solche Natur der Dinge voraus, daß sie ihnen nicht entsprechen. Aber, sofern Du nicht auch behauptest, daß die gesamte Geometrie falsch ist, kann Du nicht bestreiten, daß sich über sie viele Wahrheiten beweisen lassen, die doch wohl zurecht unveränderlich und ewig genannt werden, da sie immer gleich bleiben. Es ist nur eine äußerliche Benennung für sie, die nichts verändert, daß sie vielleicht nicht der Natur der Dinge entsprechen, die Du voraussetzt – wie sie auch nicht derjenigen entsprechen, die Demokrit und Epikur sich aus den Atomen ausgebildet haben. Gleichwohl entsprechen sie zweifellos jener wahren Natur der Dinge, die vom wahren Gott begründet ist. Nicht daß es auf der Welt Substanzen gäbe, die Länge ohne Breite hätten, oder Breite ohne Tiefe ; sondern weil geometrische Figuren nicht als Substanzen betrachtet werden, sondern als Schranken, unter denen die Substanz enthalten ist. Übrigens gebe ich nicht zu, daß die Ideen dieser Figuren irgendwann einmal durch die Sinne in uns eingedrungen sind,2 wie sich gewöhnlich alle Leute einreden. Denn auch wenn es sie zwei1

Obj. VI : 329, 2–5.

2

Obj. V : 322, 2–6.

fün ft e e rw i d e ru n g en

385

fellos in der Welt so geben kann, wie sie von den Geometrikern betrachtet werden, bestreite ich doch, daß es nahe bei uns irgendwelche gibt, außer vielleicht so winzige, daß sie auf keine Weise unsere Sinne berühren. Denn zum größten Teil sind sie aus geraden Linien zusammengesetzt ; niemals jedoch hat auch nur irgendein Teil einer Linie unsere Sinne bewegt, der tatsächlich gerade gewesen wäre. Denn wenn wir die Teile, die uns ganz gerade erschienen sind, mit einer Lupe prüfen, entdecken wir, daß sie ganz unregelmäßig und überall wellenförmig eingebogen sind. Und als wir früher in der Kindheit zum ersten Mal eine auf einem Papier gemalte dreieckige Figur angesehen haben, konnte uns auch diese Figur nicht lehren, wie ein wahres Dreieck, wie es von den Geometrikern betrachtet wird, begriffen werden mußte, weil das Dreieck in der Figur nicht anders enthalten war als eine Merkurstatue in einem rohen Stück Holz. Weil aber die Idee des wahren Dreiecks schon vorher in uns war und von unserem Geist leichter begriffen werden konnte als die mehr zusammengesetzte Figur des gemalten Dreiecks, haben wir, als wir diese zusammengesetzte Figur gesehen haben, nicht sie, sondern das wahre Dreieck aufgefaßt. Das ist genauso, als wenn wir ein Blatt betrachten, auf dem mit Tinte kleine Striche so gezogen sind, daß sie das Gesicht eines Menschen repräsentieren, denn dann wird in uns nicht die Idee dieser kleinen Striche erweckt, sondern die des Menschen. Das würde nicht passieren, wenn uns das menschliche Gesicht nicht von woandersher bekannt wäre, und wir nicht mehr daran gewöhnt wären, an es zu denken als an jene kleinen Striche ; diese Striche können wir nämlich oft sogar kaum voneinander unterscheiden, sobald sie nur ein ganz klein wenig von uns entfernt sind. Wenn also unser Geist die Idee des geometrischen Dreiecks nicht von woandersher besäße, könnten wir es ganz gewiß nicht aus dem erkennen, wie es auf dem Blatt gemalt ist. 2. Hier sehe ich nicht, zu welcher Art der Dinge Du die Existenz zählen willst, und weshalb sie nicht genauso wie die Omnipotenz auch eine Eigenschaft genannt werden kann. Denn man kann doch den Namen der Eigenschaft für jedes beliebi-

382,25

386

383,9

383,13

383,24

fü n f t e erw i d e ru n g en

ge Attribut gebrauchen, bzw. für alles, was einem Ding prädiziert werden kann – und genau so sollte er hier durchgängig gebraucht werden. Ja, in bezug auf Gott ist die notwendige Existenz tatsächlich eine Eigenschaft in der allerstrengsten Bedeutung, weil sie nur ihm allein zukommt und in ihm allein einen Teil des Wesens ausmacht. Demnach darf die Existenz des Dreiecks nicht mit der Existenz Gottes auf eine Stufe gestellt werden, weil sie offenkundig bei Gott in einer anderen Relation zum Wesen steht als beim Dreieck. Und daß die Existenz zu dem, was zum Wesen Gottes gehört, gezählt wird,1 ist keine größere Inanspruchnahme eines Beweisgrundes (petitio principii), als daß die Gleichheit der drei Winkel eines Dreiecks mit zwei rechten zu seinen Eigenschaften gezählt wird. Auch ist es nicht wahr, daß Wesen und Existenz bei Gott voneiander unabhängig gedacht werden können,2 genauso wie beim Dreieck. Denn Gott ist sein eigenes Sein, das Dreieck nicht. Und dennoch leugne ich nicht, daß die mögliche Existenz eine Vollkommenheit in der Idee des Dreiecks ist, wie die notwendige Existenz eine Vollkommenheit in der Idee Gottes ist ; denn das macht die Idee des Dreiecks vorzüglicher als die Ideen jener Chimären, die vorausgesetztunsgemäß keine Existenz besitzen können. Demnach hast Du also auch nicht im geringsten in irgendeiner Sache der Überzeugungskraft meines Arguments Abbruch getan, und Du bleibt immer noch durch jenes Sophisma irregeführt, das, wie Du behauptest, so leicht von mir hätte gelöst werden können.3 Auf das, was Du hinzufügst, habe ich aber andernorts bereits hinreichend geantwortet. Und Du täuschst Dich schlicht, wenn Du behauptest, die Existenz werde in bezug auf Gott nicht so bewiesen, wie in bezug auf das Dreieck bewiesen wird, daß seine drei Winkel zwei rechten entsprechen.4 Bei beiden verhält es sich nämlich ganz gleich, außer daß der die Existenz nachweisende Beweis bei 1

Obj. V : 323, 31. 325, 23–27.

2

Obj. V : 324, 1.

3

Obj. V : 324, 12–13.

4

Obj. V :

387

fün ft e e rw i d e ru n g en

Gott viel einfacher und klarer ist als der entsprechende andere. Das Übrige schließlich übergehe ich, weil Du, während Du behauptest, daß ich nichts erkläre,1 selbst nichts erklärst und nichts nachweist, außer nur, daß Du nichts nachweisen kannst. 3. Dem, was Du hier in bezug auf Diagoras, Theodorus, Pythagoras und andere vorbringst, setzte ich die Skeptiker entgegen, die selbst an den geometrischen Beweisen zweifelten ; und ich behaupte, daß sie dies nicht getan hätten, wenn sie, wie es sich gehört, Gott erkannt hätten. Daß ein Ding bekannter ist als ein anderes, wird nicht richtig dadurch nachgewiesen, daß es mehreren Leuten wahr erscheint, sondern allein dadurch, daß es denjenigen, die – wie es sich gehört – beide erkennen, scheint, daß es früher zu erkennen, evidenter und gewisser ist.

384,8

ü b er das , was g eg en d i e s echs t e m editatio n e i n g e wandt w urd e. 1. Ich habe bereits vorher thematisiert, daß Du bestreitest, »daß die materiellen Dinge, insofern sie Objekt der reinen Erkenntnis sind, existieren.«2 Es ist falsch, daß die Einsicht des Tausendecks verworren ist. Denn man kann in bezug auf es vieles ganz deutlich und ganz klar beweisen, was doch gewiß nicht möglich wäre, wenn es nur verworren erfaßt würde, oder, wie Du behauptest, nur dem Namen nach.3 Tatsächlich aber sehen wir das Dreieck mit einem Schlage als Ganzes klar ein, auch wenn wir es nicht als Ganzes mit einem Schlage vorstellen können. Daraus ergibt sich, daß sich die beiden Kräfte, einzusehen auf der einen, und vorzustellen auf der anderen Seite, nicht etwa nur dem Grade nach unterschieden, sondern sie wie zwei modi operandi völlig verschieden sind. Denn in der Einsicht gebraucht der Geist allein sich selbst, bei der Anschauung aber vertieft er sich in eine 1

Obj. V : 326, 7. 14.

2

Med. VI : 71, 13–15 ; Obj. V : 328, 25.

3

Obj. V : 330,

384,20

384,22

388

385,13

385,23

fü n f t e erw i d e ru n g en

körperliche Form. Und obwohl die geometrischen Figuren insgesamt körperlich sind, darf man deswegen die Ideen, durch die sie eingesehen werden, nicht für körperlich halten, insofern sie nicht in die Anschauung fallen. Außerdem ist wohl allein Dir, o Fleisch, die Ansicht angemessen, die Ideen Gottes, der Engel und des menschlichen Geistes seien körperlich oder gewissermaßen körperlich, denn sie seien von der menschlichen Form, von anderen äußerst feinen, ganz einfachen und so gut wie nicht wahrnehmbaren Dingen wie Luft oder Äther entlehnt.1 Denn jeder, der sich Gott oder den Geist so repräsentiert, versucht, sich ein nicht in der Anschauung vorstellbares Ding vorzustellen, und bildet sich nichts anderes aus als eine körperliche Idee, der er den Namen Gott oder Geist nur falsch beilegt. Denn die wahre Idee des Geistes enthält allein das Denken mit seinen Attributen, unter denen es keine körperlichen gibt. 2. Hier zeigst Du ganz handgreiflich, daß Du Dich auf Vorurteile stützt und sie niemals ablegst. Denn Du willst, daß wir in bezug auf das, worin wir niemals eine Falschheit entdeckt haben, auch keinen Verdacht der Falschheit hegen. Deshalb sind wir, wenn wir einen Turm aus der Nähe betrachten und berühren, sicher, daß er viereckig ist,2 wenn er als viereckig erscheint ; und wenn wir uns tatsächlich im Wachzustand befinden, können wir nicht zweifeln, ob wir uns im Wachzustand befinden oder träumen,3 und dergleichen. Du hast nämlich keinen Grund zu der Ansicht, daß Du alles vorher schon bemerkt hast, in dem ein Irrtum liegen kann. Und es wäre ganz leicht, nachzuweisen, daß Du Dich zuweilen in dem täuschst, was Du als ganz gewiß gelten läßt. Wenn Du aber darauf zurückkommst, daß sich zumindest nicht daran zweifeln läßt, daß die Dinge so erscheinen wie sie erscheinen,4 kehrst Du auf den richtigen Weg zurück : Das habe ich selbst in der zweiten Meditation erklärt. Hier richtete sich die Frage jedoch auf die Wahrheit der außer uns befindlichen Dinge, und dazu hast Du nichts Wahres beigetragen. 1

Obj. V : 332, 3–8. 333, 26–28.

2

Obj. V : 333, 3–4.

3

Obj. V : 333, 17–18.

4

Obj. V :

389

fün ft e e rw i d e ru n g en

3. Hier halte ich mich ich nicht mit dem auf, was Du bis zum müden Abwinken wiederholt hast, daß ich etliches nicht bewiesen hätte, was ich sehr wohl bewiesen habe ; daß ich nur den groben Körper thematisiert hätte, obwohl ich alle möglichen Körper thematisiert habe, auch äußerst feine, und dergleichen mehr. Was nämlich kann man solchen durch keine Begründung gestützten Behauptungen anderes entgegensetzen als eine Negation ? Nebenbei aber möchte ich doch gerne wissen, mit welchem Argument Du nachweisen willst, daß ich eher den groben als den feinen Körper thematisiert habe. Doch wohl weil ich gesagt habe : »Ich habe ihn mit mir verbunden ; und : Es ist gewiß, daß ich von meinem Körper verschieden bin.«1 Ich sehe nicht, weshalb diese Worte nicht ebenso auf den feinen wie den groben Körper passen sollen, und ich meine nicht, daß es außer Dir irgendjemand sieht. Außerdem habe ich in der 2. Meditation glaubhaft gemacht,2 daß man den Geist auch dann als ausgedehnte Substanz einsehen kann, wenn wir einsehen, daß nichts existiert, was Wind oder Feuer oder Hauch oder irgendein anderer beliebig feiner und dünner Körper ist. Ob er aber der Wahrheit der Sache nach von jedem Körper verschieden ist, darüber habe ich dort nicht disputiert, und habe das auch gesagt ; hier aber habe ich gerade darüber disputiert und es bewiesen. Du hingegen vermengst die Frage, was man sich diesbezüglich einsichtig machen kann, mit der, wie es sich diesbezüglich tatsächlich verhält, und bezeugst dadurch nur, daß Du nichts von dem eingesehen hast. 4. Hier fragst Du, wie ich, ein unausgedehntes Subjekt, meine, das Erscheinungsbild oder die Idee eines Körpers, der ausgedehnt ist, in mich aufnehmen zu können.3 Ich erwidere : Es wird kein körperliches Erscheinungsbild im Geist aufgenommen, sondern es findet eine reine Einsicht sowohl körperlicher als auch unkörperlicher Dinge ohne irgendein körperliches Erscheinungsbild statt. Für die Anschauung hingegen, die nur in bezug auf kör1

Obj. V : 336, 1–3. 337, 26–27.

2

Med. II : 27, 18–22 ; Obj. V : 336, 29.

3

Obj. V :

386,11

387,6

390

387,15

388,3

fü n f t e erw i d e ru n g en

perliche Dinge geschehen kann, ist zwar ein Erscheinungsbild nötig, das ein wahrer Körper ist und auf das sich der Geist bezieht, das aber nicht im Geist aufgenommen wird. Was Du behauptest über die Idee der Sonne, die ein Blinder allein aus ihrer Wärme gewinnt,1 kann man leicht zurückweisen. Jener Blinde kann nämlich eine klare und deutliche Idee der Sonne als wärmendes Ding haben, auch wenn er von ihr als leuchtendem Ding keine solche Idee hat. Auch vergleichst Du mich zu Unrecht mit jenem Blinden. Denn erstens beinhaltet die Erkenntnis eines denkenden Dings sehr viel mehr als die eines wärmenden Dings, ja sogar mehr als alles, was wir in bezug auf irgendein anderes Ding erkennen, wie an der entsprechenden Stelle gezeigt wurde. Und zweitens können nur die mit Sehvermögen Begabten behaupten, daß die Idee der Sonne, die der Blinde bildet, nicht alles enthält, was in bezug auf die Sonne erfaßt werden kann, weil sie darüber hinaus auch ihr Licht und ihre Gestalt erkennen. Du aber erkennst in bezug auf den Geist nicht nur nicht mehr, sondern noch nicht einmal das, was ich erkenne, so daß in dieser Hinsicht vielmehr Du der Blinde bist, während ich und mit mir das gesamte Menschengeschlecht höchstens nachtblind genannt werden kann. Auch habe ich nicht etwa hinzugefügt, daß der Geist nicht ausgedehnt ist,2 um zu erklären, was er ist, sondern nur, um darauf hinzuweisen, daß diejenigen irren, die meinen, er sei ausgedehnt. In derselben Weise würde ja nicht grundlos bestritten werden, daß Bucephalus Musik ist,3 wenn das irgendwelche Leute behaupten würden. Um nachzuweisen, daß der Geist ausgedehnt ist, fügst Du hinzu : »Weil er einen Körper verwendet, der ausgedehnt ist.« Darin scheinst Du mir nicht besser zu schlußfolgern als wenn Du daraus, daß Bucephalus wiehert oder brüllt und somit Töne von sich gibt, die mit Musik in Zusammenhang gebracht werden können, schließen würdest, daß Bucephalus Musik ist. Denn daraus, daß der Geist mit dem gesamten Körper vereint ist, folgt noch nicht, daß er selbst durch den Körper aus1

Obj. V : 338, 20.

2

Obj. V : 338, 29.

3

Obj. V : 339, 4–5.

fün ft e e rw i d e ru n g en

391

gedehnt ist. Denn es gehört nicht zu seinem Wesen, ausgedehnt zu sein, sondern nur, zu denken. Außerdem sieht der Geist Ausdehnung nicht durch ein in ihm existierendes ausgedehntes Erscheinungsbild ein, nur weil er sich Ausdehnung vorstellt, indem er sich einem körperlichen Erscheinungsbild zuwendet, das ausgedehnt ist, wie bereits gesagt wurde. Und schließlich ist es nicht nötig, daß er selbst ein Körper ist, nur weil er die Kraft besitzt, einen Körper zu bewegen. 5. Was Du hier über die Einheit des Geistes mit dem Körper1 vorbringst, ist dem Vorhergehenden ähnlich. Du wendest überhaupt nichts gegen meine Begründungen ein, sondern wirfst nur Zweifel auf, die Dir aus meinen Schlüssen zu folgen scheinen, obwohl sie tatsächlich nur dadurch entstehen, daß Du das, was von seiner Natur her nicht unter die Anschauung fällt, dennoch der Untersuchung durch sie unterziehen willst. So genügt es hier, wo Du die Vermischung des Geistes mit dem Körper mit der Vermischung zweier Körper vergleichen willst, zu erwidern, daß zwischen so gearteten Dingen kein Vergleich angestellt werden darf, weil sie in jeder Hinsicht verschieden sind, und man sich nicht deswegen schon Teile im Geist vorstellen darf, weil er selbst Teile im Körper einsieht. Wo hast Du es her, daß alles, was der Geist einsieht, in ihm sein müsse ? Wenn das so wäre, würde doch der Geist, wenn er die Größe des Erdkreises einsieht, sie auch in sich haben, und so wäre er nicht nur ausgedehnt, sondern hätte sogar eine größere Ausdehnung als der Erdkreis. 6. Hier widersprichst Du mir überhaupt nicht und redest dennoch ziemlich viel, wohl damit der Leser erkennen mag, daß die Menge Deiner Begründungen nicht nach dem Schwall Deiner Worte bewertet werden darf. Bis hierher nun hat sich der Geist mit dem Fleisch auseinandergesetzt und war, wie zu erwarten, in vielem mit ihm uneinig. Doch jetzt am Schluß erkenne ich den wahren Gassend und bewundere in ihm den ganz hervorragenden Philosophen nicht 1

Obj. V : 343, 21 ff.

389,9

390,16

390,20

392

fü n f t e erw i d e ru n g en

weniger als ich den berühmten Mann von Aufrichtigkeit des Gemüts und Integrität des Lebens umarme, und stets werde ich versuchen, mir durch jedes Entgegenkommen seine Freundschaft zu verdienen, soweit ich kann. Daher bitte ich ihn, es mir genausowenig übelzunehmen, daß ich philosophische Freiheit verwendet habe, um seine Einwände zurückzuweisen, wie mir wirklich alles sehr willkommen gewesen ist, was sie enthalten. Ich habe mich, abgesehen von anderen Dingen, vor allem gefreut, daß ein so namhafter Mann in einer so langen und so sorgfältig verfaßten Dissertation keine Begründung beigebracht hat, die die meinigen erschüttert hätte, und ebensowenig irgendeine gegen meine Schlüsse, auf die zu antworten mir nicht ganz leicht gefallen wäre.

SE C H STE EINWÄND E

Auch nachdem wir sowohl Ihre Meditationen, als auch das, was Sie bislang auf die Einwände erwidert haben, sehr aufmerksam gelesen haben, bleiben noch einige Bedenken übrig, deren Beseitigung zu fordern uns gerechtfertigt erscheint. Das erste Bedenken ist : Es scheint keineswegs schon so sicher zu sein, daß wir sind, aufgrund dessen, daß wir denken.1 Um nämlich sicher sein zu können, daß Sie denken, müssen Sie wissen, was es heißt, zu denken, bzw. was das Denken ist, oder was Ihre Existenz ist.2 Da Sie aber noch nicht wissen, was diese Dinge sind, woher können Sie wissen, daß Sie denken oder existieren ? Wenn Sie also sagen »Ich denke«, dann wissen Sie nicht, was Sie sagen, und wenn Sie hinzufügen »Demnach bin ich«, wissen Sie auch nicht, was Sie sagen, ja, Sie wissen sogar noch nicht einmal, daß Sie irgendetwas sagen oder denken : denn dafür scheint es doch nötig zu sein, daß Sie wissen, daß Sie wissen, was Sie sagen ; und dafür wiederum scheint es nötig zu sein, daß Sie Kenntnis davon haben, daß Sie wissen, daß Sie wissen, was Sie sagen – und so weiter bis ins Unendliche. Deshalb steht fest, daß Sie nicht wissen können, ob Sie sind, oder auch ob Sie denken. Das zweite Bedenken ist : Wenn Sie behaupten, daß Sie denken und existieren, könnte wiederum jemand dagegen sagen, daß Sie sich betrügen, und nicht denken, sondern sich nur bewegen,3 und Sie nichts anderes sind als eine körperliche Bewegung. Denn bislang hat noch niemand Ihren Beweis begreifen können (animo complecti),4 durch den Sie meinen, bewiesen zu haben, daß das Denken, wie Sie es nennen, keine körperliche Bewegung sein kann. Oder sind Sie in der Analyse, die Sie betreiben, etwa allen Bewegungen Ihrer feinen Materie so nachgegangen, um sicher sein und uns sehr aufmerksamen und, wie wir meinen, ausreichend weitblickenden Leuten aufzeigen zu können, daß 1

Med. II : 25, 12 ff. 4 Resp. VI : 424, 8–9.

2

Resp. VI : 422, 6–8.

3

Resp. VI : 422, 23–25.

412,14

413,1

413,12

394

413,22

s e c h st e e in wä n d e

es widersprüchlich ist, unsere Gedanken auf diese körperlichen Bewegungen zurückzuführen ?1 Das dritte Bedenken ist dem zweiten sehr ähnlich : Einige Kirchenväter und Platoniker waren der Ansicht, daß die Engel körperlich sind – weshalb das Lateranische Konzil beschlossen hat, daß sie gemalt werden können –, und genau dasselbe meinten sie auch über die rationale Seele, denn einige von ihnen vermuteten, die Seele werde durch Vererbung weitergegeben. Gleichwohl sagten sie, daß die Engel denken, geradeso wie die Seele. Demnach scheinen sie die Einschätzung vertreten zu haben, daß das Denken durch körperliche Bewegungen geschehen kann, oder daß sogar die Engel selbst körperliche Bewegungen sind, von denen sie das Denken so gut wie gar nicht unterschieden haben. Das läßt sich durch die Gedanken der Affen, Hunde und anderer Tiere bestätigen. Denn Hunde bellen im Schlaf, als ob sie Hasen oder Diebe verfolgten, und sie wissen, wenn sie wach sind, daß sie laufen, ja sie wissen sogar, wenn sie träumen, daß sie bellen,2 obwohl wir genau wie Sie in ihnen nichts erkennen, das von ihren Körpern unterschieden wäre. Wenn Sie aber bestreiten, daß ein Hund weiß, daß er läuft oder denkt, dann bildet sich der Hund über uns vielleicht ein ähnliches Urteil, nämlich daß wir nicht wüßten, ob wir laufen oder denken, wenn wir laufen oder denken. Denn abgesehen davon, daß Sie dies nur sagen und nicht beweisen : Sie sehen den inneren Modus seines Operierens nicht, so wie er nicht in Sie hineinschaut. Außerdem fehlt es weder in der Vergangenheit noch jetzt an großen Männern, die größeren Tieren Vernunft zugestehen und zugesprochen haben. Es liegt uns so fern, zu glauben, alle ihre Operationen könnten ohne Empfindung, Leben und Seele mit Hilfe der Mechanik hinreichend erklärt werden, daß wir um jeden Betrag wetten wollten, daß dies ἀδύνατον (unmöglich) und lächerlich ist.3 Außerdem wird es etliche Leute geben, die sagen werden, daß auch die Menschen selbst keine Empfindung und Verstand hätten und daß alles mit Hilfe treibender Mechaniken und ganz ohne Geist verrichtet werden kann, wenn doch schon ein Affe, ein Hund und ein Elephant auf eben diese Weise alle Operationen vollbringen kann.4 1

Resp. VI : 424, 25–29. 2 Resp. VI : 426, 12–13. 4 Resp. VI : 426, 27–427, 2.

3

Resp. VI : 426, 15–20.

s ec h s te e in wä n d e

395

Denn wenn sich die geringe Vernunft der größeren Tiere von der Vernunft der Menschen unterscheidet, dann nur graduell und ohne daß sich das Wesen verändert.1 Das vierte Bedenken bezieht sich auf das Wissen eines Atheisten, der behauptet, daß es ganz gewiß ist und nach Ihrer Regel auch ganz evident, wenn er erklärt : Wenn von den Gleichen die Gleichen abgezogen werden, werden die, die übrig bleiben, Gleiche sein ; Die drei Winkel des rechtwinkligen Dreiecks entsprechen zwei rechten, und tausend ähnliche Dinge. Denn der Atheist kann solche Dinge nicht denken, ohne zu glauben, daß sie völlig gewiß sind. Das ist, wie er behauptet, so sehr wahr, daß er sich dieser Wahrheiten genauso sicher wäre, wenn Gott nicht existierte, und das auch nicht möglich wäre, als wenn Gott tatsächlich existierte. Er bestreitet sogar, daß man ihn mit irgendeinem Zweifelsgrund konfrontieren kann, der ihn dauerhaft verwirren oder einen Zweifel hervorbringen könnte. Denn mit welchem wollen Sie ihn konfrontieren ? Etwa daß Gott ihn betrügen kann, wenn es ihn gibt ? Er aber wird bestreiten, daß ihn auch ein Gott, der seine Allmacht ausübt, darin betrügen kann. Hieraus entsteht das fünfte Bedenken, dessen Wurzeln in jenem Betrug liegen, den Sie Gott ganz absprechen. Denn sehr viele Theologen vertreten die Einschätzung, daß die Verdammten, sowohl Engel als auch Menschen, sich unablässig durch die von Gott eingegebene Idee eines quälenden Feuers selbst betrügen,2 so daß sie ganz fest glauben und ganz klar zu sehen und zu erfassen meinen, sie würden tatsächlich von Feuer gequält, obgleich es gar kein Feuer gibt. Kann nun Gott uns nicht durch ähnliche Ideen betrügen, und uns unablässig foppen, indem er Erscheinungsbilder oder Ideen in unsere Seelen sendet, und wir demnach zwar der Ansicht sind, Dinge klar zu sehen und mit einzelnen Sinnen zu erfassen, die es aber außerhalb von uns gar nicht gibt, so daß es weder einen Himmel noch eine Erde gibt, und wir keine Arme, Füße, Augen usw. besitzen ? Gott kann das machen ohne ungerecht und gegen uns eingenommen zu sein, weil er der oberste Herr von allem ist und über seine Geschöpfe unbedingt verfügen kann, zumal er das bewirken kann, um den Hochmut der Menschen zu dämpfen 1

Resp. VI : 427, 27–28.

2

Resp. VI : 428, 18–19.

414,24

415,9

396

416,24

s e c h st e e in wä n d e

und ihre Verfehlungen zu bestrafen, oder aufgrund der Erbsünde (peccatum originale) oder aus anderen Ursachen, die uns verborgen sind. Das scheinen tatsächlich jene Schriftstellen zu bekräftigen, die beweisen, daß wir nichts wissen können, wie die Stelle bei Paulus, 1. Brief an die Korinther, Kap. 8, 2 : »Wenn jemand«, sagt er, »der Ansicht ist, etwas zu wissen, so hat er noch nicht erkannt, wie er es wissen soll«. Und im Prediger, Kap. 8, 17 heißt es : »Ich habe eingesehen, daß der Mensch keinen Grund aller Werke Gottes, die unter der Sonne geschehen, finden kann, und je mehr er sich anstrengen wird, ihn zu suchen, desto weniger wird er ihn finden ; auch wenn er sagen wird, er habe Kenntnis, ein Weiser zu sein, wird er ihn nicht antreffen.« Daß aber der Weise dies aus wohldurchdachten Gründen gesagt hat und nicht bloß beiläufig oder unbedacht und aus dem Stehgreif, ergibt sich aus seinem ganzen Buch, besonders dort, wo er die Frage nach dem Geist aufwirft, der Ihrer Behauptung nach unsterblich ist. Denn in Kap. 3, 19 behauptet er, »Menschen sterben genauso wie das Vieh«. Und damit Sie nicht erwidern, dies verstehe sich allein in bezug auf den Körper, fügt er hinzu, »der Mensch habe vor dem Vieh nichts voraus.« Und er bestreitet in bezug auf den Geist (spiritus) des Menschen ausdrücklich, »daß es irgendjemanden gibt, der Kenntnis davon hat, ob er nach oben steigt«, das heißt : ob er unsterblich ist, »oder ob er mit den Geistern (spiritus) des Viehs absteigt«, das heißt : zugrundegehe (Kap. 3, 21). Auch können Sie nicht sagen, er sei hier in die Rolle der Gottlosen geschlüpft : Denn in diesem Fall hätte er die Sache ernsthaft behandeln und das, was er vorgebracht hatte, zurückweisen müssen. Vielleicht bestreiten Sie aber, darauf antworten zu müssen, weil die Heilige Schrift nur die Theologen angeht : Da Sie aber ein Christ sind, müssen Sie bereit sein, allen zu antworten und denen nach Kräften entgegenzutreten, die etwas gegen den Glauben einwenden, und insbesondere, wenn sie etwas gegen das vorbringen, was Sie feststellen wollen. Das sechste Bedenken entsteht aus der Indifferenz des Urteils, bzw. der Freiheit.1 Sie behaupten, daß diese Indifferenz nicht zur Vollkommenheit der Willkür gehört, sondern allein zur Unvollkommenheit, so daß sie immer dann aufgehoben wird, wenn der Geist klar durchschaut, 1

Med. IV : 57, 11 ff.

s ec h s te e in wä n d e

397

was geglaubt, getan oder vermieden werden muß. Sehen Sie aber nicht, daß Sie durch diese Setzung die Freiheit Gottes zerstören ? Denn Sie heben die Indifferenz auf, lieber diese Welt als eine andere zu erschaffen oder auch gar keine zu gründen, während er die Welt gründete. Hingegen ist es doch eine Glaubenssache, daß Gott von Ewigkeit her indifferent gewesen ist, eine oder unzählige oder auch keine Welt zu gründen. Wer aber bezweifelt, daß Gott alles, sowohl das, was getan, als auch das, was vermieden werden muß, stets in einer ganz klaren Intuition durchschaut hat ? Demnach hebt das klarste Anblicken und die klarste Erfassung der Dinge die Indifferenz der Willkür nicht auf, die, wenn sie mit der menschlichen Freiheit nicht übereinstimmen kann, auch nicht mit der göttlichen übereinstimmt, da ja die Wesen der Dinge, gewissermaßen wie die der Zahlen, unteilbar und unveränderlich sind. Daher ist die Indifferenz in der Freiheit der göttlichen Willkür nicht weniger enthalten als in der menschlichen. Das siebte Bedenken bezieht sich auf die Oberfläche, auf der oder mit deren Hilfe alle Sinneseindrücke geschehen, wie Sie behaupten.1 Wir sehen nämlich nicht ein, wie es möglich sein soll, daß sie weder ein Teil der Körper ist, die wir sinnlich wahrnehmen, noch ein Teil der Luft und der Dämpfe ; denn Sie bestreiten, daß die Oberfläche ein Teil davon oder deren äußerste Schicht ist. Auch verstehen wir noch nicht, daß es keine realen Akzidenzien irgendeines beliebigen Körpers oder einer Substanz geben soll, die durch die göttliche Kraft ohne irgendein Subjekt existieren kann, und, wie Sie beteuern, im Sakrament des Altars tatsächlich existieren. Gleichwohl gibt es für unsere Doktoren noch keinen Grund, in Aufregung zu geraten, solange sie noch nicht gesehen haben, ob Sie das in Ihrer Physik, auf die Sie uns Hoffnung machen, beweisen werden ; denn sie glauben wohl kaum, daß diese Physik es uns so klar vorstellen wird, daß sie es annehmen können oder müssen um den Preis, die älteren Ansichten zurückzuweisen. Das achte Bedenken entsteht aus Ihrer Erwiderung auf die fünften Einwände. Wie ist es möglich, daß solche Wahrheiten der Geometrie oder der Metaphysik, wie sie von Ihnen in Erinnerung gebracht wurden, unveränderlich und ewig sind, und dennoch nicht unabhängig von 1

Resp. IV : 250, 27 ff.

417,13

417,26

398

418,10

418,25

s e c h st e e in wä n d e

Gott ?1 In welcher Gattung der Ursache hängen sie denn von ihm ab ? Hat er etwa bewirken können, daß es die Natur des Dreiecks nicht gegeben hat ? Ich bitte Sie : Auf welche Weise hätte er verhindern können, daß es von Ewigkeit her wahr ist, daß zweimal 4 8 ist ? Oder ein Dreieck drei Ecken hat ? Demnach hängen diese Wahrheiten entweder vom Verstand allein ab, wenn er sie denkt, oder von existierenden Dingen ;2 oder aber sie sind unabhängig, denn, wie es scheint, hat Gott nicht bewirken können, daß irgendeines dieser Wesen bzw. Wahrheiten nicht von Ewigkeit her wahr gewesen ist. Das neunte Bedenken schließlich bedrückt uns am meisten : Sie behaupten, den Operationen der Sinne müsse mißtraut werden, und die Gewißheit des Verstandes sei sehr viel größer als die der Sinne.3 Was aber, wenn der Verstand sich keiner Gewißheit erfreuen könnte, ohne sie zuvor von gut aufeinander abgestimmten Sinnen erhalten zu haben ? Denn er kann doch den Irrtum eines Sinnes nicht korrigieren, wenn nicht vorher ein anderer Sinn den vorliegenden Irrtum verbessert. Aufgrund der Refraktion erscheint ein Stab im Wasser als gebrochen,4 obwohl er gerade ist : Wer korrigiert diesen Irrtum ? Der Verstand ? Keineswegs, sondern der Tastsinn.5 Und ebenso muß in den übrigen Fällen das Urteil lauten. Wenn Sie daher alle Sinne richtig aufeinander abgestimmt anwenden, werden sie immer dasselbe melden, und Sie werden die größte Gewißheit erlangen, zu der der Mensch naturgemäß überhaupt fähig ist. Genau diese Gewißheit aber wird Ihnen sehr oft entgehen, wenn Sie der Operation des Geistes vertrauen, der sich oft in dem irrt, woran er glaubte, nicht einmal zweifeln zu können. Dies sind die Hauptpunkte, die bei uns ein Zögern hervorrufen. Fügen Sie doch ihrer Antwort auf sie noch eine verläßliche Begründung und verläßliche Unterscheidungsmerkmale (caracteres) hinzu, die uns völlige Gewißheit bezüglich dieses Problems erbringen : Wann eigentlich sehen wir ein Ding so vollständig ohne ein anderes ein, daß es gewiß ist, daß das eine von dem anderen unterschieden ist, bzw. beide zumindest durch Gottes Kraft abgesondert bestehen können ? Das 1

Resp. V : 380, 1–13. 2 Resp. VI : 436, 23–24. 3 Med. I : 18, 19–20 ; 4 Resp. VI : 436, 24–25. Med. VI, 82, 25 ff ; Resp. VI : 438, 16–17. 5 Resp. VI : 439, 2–3.

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399

heißt : Wie können wir sicher, klar und deutlich erkennen, daß eine Unterscheidung aus Einsicht nicht bloß durch den Verstand geschieht, sondern von den Dingen selbst ausgeht ? Denn wenn wir uns in die Unermeßlichkeit Gottes vertiefen, ohne an seine Gerechtigkeit zu denken ; oder in seine Existenz, ohne an den Sohn oder den Heiligen Geist zu denken : Erfassen wir seine Existenz oder Gott als Existierenden dann vollständig ohne jene Personen, die irgendein Ungläubiger genau so bestreiten kann wie Sie den Geist oder das Denken in bezug auf den Körper ? Wenn demnach also jemand schließt, daß der Sohn und der Heilige Geist von Gott, dem Vater, wesentlich unterschieden seien, oder von ihm abgetrennt werden können, dann wird er ganz schlecht schließen. Genauso aber wird Ihnen niemand zugestehen, daß das Denken oder der menschliche Geist vom Körper unterschieden wird, obwohl Sie das eine ohne das andere begreifen, das eine dem anderen abstreiten, und behaupten, dies geschehe nicht bloß durch eine Abstraktion Ihres Geistes. Wenn Sie diesen Bedenken allerdings Genüge tun, scheint uns überhaupt nichts mehr übrig zu bleiben, was uns Theologen mißfällt.

anhang . Hier folgen einige Fragen, die von anderen aufgeworfen wurden, damit auf sie in Verbindung mit dem unmittelbar Vorhergehenden geantwortet werden kann, weil sie zu demselben Argument gehören. Einige der gelehrtesten und weitblickendsten Leute wollten also insbesondere diese drei Punkte erklärt haben : 1. Wie kann ich sicher wissen, daß ich eine klare Idee meiner Seele habe ?1 2. Wie kann ich sicher wissen, daß diese Idee völlig verschieden von irgendeinem anderen Ding ist ? 3. Wie kann ich sicher wissen, daß diese Idee überhaupt keine Körperlichkeit beinhaltet ?2 Andere hingegen haben Folgendes vorgebracht : 1

Resp. VI : 443, 6–7.

2

Resp. VI : 443, 8–9.

419,18

400

s e c h st e e in wä n d e

P H I LO S O P H E N U N D G E O M E T R I K E R AN H e rr n D e s c a r te s . 420,7

420,23

So sehr wir auch darüber nachdenken, ob unser Geist bzw. die menschlichen Geisteswesen,1 das heißt die Erkenntnis und Erfassung, tatsächlich irgendetwas Körperliches in sich enthält, wagen wir es nicht, zu behaupten, daß überhaupt keinem Körper in irgendeiner Hinsicht das zukommt, was wir Denken nennen, wenn er irgendwie bewegt ist. Denn da wir gewisse Körper sehen, die nicht denken, und andere, nämlich die menschlichen und vielleicht die der Tiere, die denken :2 werden Sie uns nicht einen Sophismus und übereiltes Schlußfolgern vorwerfen, wenn wir daraus schließen, daß es keine Körper gibt, die denken ? Es besteht für uns kaum ein Zweifel : Wenn wir es gewesen wären, die als erste das von den Ideen ausgehende Argument entwickelt und es auf den Geist und Gott angewendet hätten, hätten Sie uns lächerlich gemacht, wenn Sie es in Ihrer Analyse beurteilt hätten. Sie scheinen aber von Ihrer Analyse selbst so voreingenommen und festgelegt zu sein, daß es scheint, Sie hätten Ihren Geist so sehr mit Stumpfsinn vernebelt, daß er nicht mehr frei ist, zu sehen, daß die einzelnen Eigenschaften oder Operationen der Seele, die Sie in sich antreffen, von körperlichen Bewegungen abhängen. Oder lösen Sie den Knoten, durch den wir Ihrer Ansicht nach wie durch stählerne Ketten selbst verhindern, daß unsere Geister jeden Körper überfliegen. Der Knoten ist folgender : Wir erfassen ganz genau, daß 3 und 2 5 ergeben, und daß, wenn man die Gleichen von den Gleichen abzieht, sie noch immer Gleiche sein werden. Von diesen und tausend anderen Dingen sind wir genauso überzeugt wie Sie. Weshalb sind wir aufgrund Ihrer oder unserer Ideen nicht genauso überzeugt, daß die Seele des Menschen vom Körper unterschieden ist3 und daß Gott existiert ? Sie werden sagen, Sie könnten uns diese Wahrheit nicht eintrichtern, wenn wir nicht mit Ihnen meditieren. Ja, aber siebenmal haben wir gelesen, was Sie geschrieben haben, wir haben 1

Geisteswesen] bei Clerselier : die menschliche Idee. 5 ; 9. 3 Resp. VI : 445, 11.

2

Resp. VI : 444,

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401

den Geist nach besten Kräften aufwärts gerichtet, gleichsam wie Engel, und dennoch sind wir noch nicht überzeugt. Sie werden doch wohl kaum sagen, unsere Geister seien mit einem Zauberspruch belegt, der uns blöd und deshalb für metaphysische Dinge ungeeignet macht, mit denen wir uns seit 30 Jahren beschäftigen ; wir sind der Ansicht, daß Sie lieber eingestehen werden, daß Ihre Begründungen, die Sie bislang aus den Ideen des Geistes und Gottes entnommen haben, nicht ein solches Gewicht und eine solche Stärke haben, daß sich die Geister gelehrter Menschen, die sich mit aller Kraft von der körperlichen Masse fortzureißen versuchen, ihnen unterwerfen können oder müssen. Wir meinen, Sie würden das auch zugeben, wenn Sie ihre Meditationen in derselben Gesinnung (eo animo) erneut lesen, mit der Sie sie einer analytischen Untersuchung unterziehen würden, wenn sie Ihnen von einem Gegner vorgelegt worden wären.1 Zu guter Letzt : Solange wir nicht wissen, was durch die Körper und ihre Bewegungen möglich ist, und da Sie ja auch zugeben, daß niemand ohne Offenbarung durch Gott selbst alles wissen kann, was Gott in irgendein Subjekt gelegt hat oder auch zu legen vermag : Wie konnten Sie wissen, daß Gott in bestimmte Körper nicht eine solche Kraft und Eigenschaft gelegt hat, daß sie zweifeln, denken usw. ? Dies sind unsere Argumente, oder, wenn Sie es vorziehen, unsere Vorurteile. Wenn Sie, hochverehrter Herr, sie aus dem Wege räumen, schulden wir alle miteinander Ihnen Dank im Namen des unsterblichen Gottes, weil Sie uns von den Spitzfindigkeiten befreien, die Ihre Saat erstickt. Dies gebe der allergnädigste und größte Gott, dessen Ruhm allein Sie frohen Mutes alle Ihre Bemühungen gewidmet haben, wie wir bemerken.

1

Resp. VI : 445, 23–446, 3.

421,20

421,26

E RW IDERU NG AU F DI E S ECH STEN EINWÄ ND E.

1. Es ist zwar wahr, daß niemand sicher sein kann, daß er denkt, noch, daß er existiert, wenn er nicht weiß, was Denken und was Existenz ist.1 Dafür ist aber kein reflektiertes oder durch einen Beweis erworbenes Wissen erforderlich, und noch viel weniger ein Wissen des reflektierten Wissens, durch das jemand weiß, daß er weiß, und er wiederum weiß, daß er weiß, daß er weiß, und so bis ins Unendliche ; denn ein solches Wissen kann es niemals in bezug auf irgendein Ding geben. Sondern es ist völlig ausreichend, daß er dies durch jene innere Erkenntnis weiß, die stets der reflektierten vorangeht, und die allen Menschen in bezug auf Denken und Existenz so angeboren ist, daß wir gar nicht umhin können, sie zu haben, und zwar auch dann, wenn wir vielleicht in Vorurteilen versunken sind und mehr die Worte als die Bedeutungen der Wörter berücksichtigen und so tun, als hätten wir diese Erkenntnis nicht. Wenn daher jemand bemerkt, daß er denkt, und daß daraus folgt, daß er existiert, kann er auch dann gar nicht umhin, beides insoweit zu kennen, daß er in dieser Hinsicht zufriedengestellt ist, auch wenn er vielleicht niemals zuvor danach gefragt hat, was Denken und was Existenz ist. 2. Auch ist es unmöglich, daß, wenn jemand feststellt, daß er denkt, und einsieht, was Sich-Bewegen ist, meint, daß er sich betrügt und er nicht denkt, sondern sich bloß bewegt. Denn da er vom Denken eine ganz andere Idee, bzw. einen ganz anderen Grundbegriff als von der körperlichen Bewegung hat, ist es notwendig, daß er das eine als gewissermaßen verschieden von dem anderen einsieht ; und zwar obwohl er aufgrund der Gewohnheit, ein und demselben Subjekt viele verschiedene Eigenschaften beizu1

Obj. VI : 413, 2–3.

422,6

422,23

404

s ec h s t e e rw id e ru n g e n

legen, zwischen denen keine Verknüpfung erkannt wird, zweifeln oder sogar behaupten mag, daß er, der er denkt, und er, der er sich vom Ort bewegt, ein und derselbe ist. Es muß darauf hingewiesen werden, daß Dinge, von denen wir verschiedene Ideen haben, auf zwei Weisen für ein und dasselbe Ding gehalten werden können : nämlich durch die Einheit und Identität der Natur, oder nur durch die Einheit der Zusammensetzung. So haben wir zum Beispiel verschiedene Ideen von der Gestalt und von der Bewegung, und wir haben auch verschiedene Ideen von der Einsicht und vom Wollen, und verschiedene von den Knochen und vom Fleisch, und ebenso vom Denken und von einem ausgedehnten Ding ; und doch erfassen wir klar, daß es derselben Substanz, der es zukommt, gestaltet zu sein, auch zukommen kann, sich zu bewegen, so daß gestaltet zu sein und beweglich zu sein durch die Einheit der Natur ein und dasselbe ist. Genauso ist auch das einsehende und das wollende Ding durch die Einheit der Natur ein und dasselbe. Wenn wir hingegen ein Ding unter der Form des Knochens betrachten, erfassen wir jedoch in bezug auf es nicht dasselbe, als wenn wir es unter der Form des Fleisches betrachten. Wir können daher diese beiden Dinge nicht durch die Einheit der Natur für ein und dasselbe Ding halten, sondern das können wir nur durch die Einheit der Zusammensetzung, nämlich insofern es ein und dasselbe Lebewesen ist, das Knochen und das Fleisch besitzt. Hingegen stellt sich die Frage, ob wir das denkende Ding und das ausgedehnte Ding durch die Einheit der Natur als ein und dasselbe erfassen, nämlich indem wir zwischen Denken und Ausdehnung eine solche Verwandtschaft bzw. Verknüpfung vorfinden, wie wir sie zwischen Gestalt und Bewegung oder Einsicht und Wollen feststellen ; oder ob sie durch die Einheit der Zusammensetzung ein und dasselbe genannt werden, insofern sie in demselben Menschen angetroffen werden wie Knochen und Fleisch in demselben Lebewesen. Ich behaupte das letztere, weil ich zwischen der Natur eines ausgedehntes und der eines denkenden Dinges in keiner Hinsicht weniger Unterscheidung bzw. Verschiedenheit bemerke wie zwischen Knochen und Fleisch.

sech s t e e rw i d e ru n g en

405

Weil hier auch mit [dem Mittel der] Autorität gekämpft wird und sie im Vorwege nichts der Wahrheit entgegen entscheiden soll, bin ich gezwungen, auf das, was hinzugefügt wird, bislang habe noch niemand meinen Beweis begreifen können,1 zu erwidern : Obwohl mein Beweis bislang noch nicht von vielen Leuten geprüft worden ist, gibt es dennoch einige, die behaupten, ihn eingesehen zu haben. Ein einzelner Zeuge, der, nachdem er nach Amerika gesegelt ist, behauptet, er habe die Antipoden gesehen, verdient größeres Vertrauen als tausend andere, die allein deswegen bestreiten, daß es sie gibt, weil sie ihnen unbekannt sind. Ebenso muß man von allen, die, wie es sich gehört, den Wert der Begründungen prüfen, dem einen, der von sich sagt, er habe einen Beweis richtig eingesehen, eine größere Autorität zubilligen als den tausend anderen, die, ohne irgendeine Begründung beizubringen, behaupten, er könne von niemandem eingesehen werden. Denn daß sie den Beweis nicht einsehen, hindert ja nicht, daß andere ihn einsehen können ; und weil sie dadurch, daß sie dies daraus schließen, zeigen, daß sie nicht sorgfältig genug schlußfolgern, verdienen sie keinen großen Glauben. Schließlich wird gefragt, ob ich in der Analyse, die ich betreibe, etwa allen Bewegungen meiner feinen Materie so nachgegangen bin, um sicher sein und sehr aufmerksamen und, wie Sie meinen, ausreichend weitblickenden Leuten aufzeigen zu können, daß es widersprüchlich ist, unsere Gedanken auf diese körperlichen Bewegungen zurückzuführen.2 Ich interpretiere das so, daß Gedanken und körperliche Bewegungen ein und dasselbe sein sollen. Darauf erwidere ich, daß ich mir dessen zwar äußerst sicher bin, aber deswegen nicht garantiere, andere Leute, und seien sie noch so aufmerksam und nach ihrem eigenen Urteil weitblickend, davon überzeugen zu können – zumindest solange sie ihre Aufmerksamkeit nicht auf rein mit dem Versand einsehbare Dinge richten, sondern nur auf in der Anschauung vorstellbare, was diejenigen getan zu haben scheinen, die so taten, als könne die Unterscheidung des Denkens von der Bewegung durch die Zergliederung 1

Obj. VI : 413, 15–16.

2

Obj. VI : 413, 17–21.

424,7

424,25

406

425,20

s ec h s t e e rw id e ru n g e n

irgendeiner feinen Materie einsichtig gemacht werden. Denn diese Unterscheidung kann man sich nur dadurch einsichtig machen, daß die Grundbegriffe des denkenden Dings und des ausgedehnten bzw. beweglichen Dings völlig verschiedene und voneinander unabhängige sind, und daß es widersprüchlich ist, daß jene Dinge, die von uns klar als gewissermaßen verschiedene und unabhängige eingesehen werden, zumindest von Gott nicht voneinander abgetrennt gesetzt werden können sollten. Immer wenn wir sie in ein und demselben Subjekt antreffen – etwa wenn wir Denken und körperliche Bewegung in demselben Menschen antreffen –, dürfen wir deswegen nicht der Ansicht sein, sie seien durch eine Einheit der Natur ein und dasselbe, sondern nur durch eine Einheit der Zusammensetzung. 3. Was hier über die Platoniker und ihre Anhänger berichtet wird, ist bereits von der gesamten Katholischen Kirche und mehr oder weniger von allen Philosophen verworfen worden. Nun hat zwar das Lateranische Konzil geschlossen, daß Engel gemalt werden können, es hat deshalb aber noch nicht zugegeben, daß sie körperlich sind. Doch selbst dann, wenn man tatsächlich glauben würde, daß Engel körperlich sind, könnten in ihrem Fall die Geister genausowenig als unabtrennbar von den Körpern eingesehen werden wie im Falle der Menschen. Und selbst dann, wenn man so tun würde, als entstehe die menschliche Seele aus Vererbung, könnte man daraus nicht schließen, daß sie körperlich ist, sondern nur, daß so, wie der Körper durch den Körper der Eltern geboren wird, auch die Seele von der Seele der Eltern hervorgebracht wird. Was die Hunde und Affen betrifft,1 so würde selbst dann, wenn ich zugeben würde, daß in ihnen Denken stattfindet, daraus in keiner Weise folgen, daß der menschliche Geist nicht vom Körper unterschieden ist, sondern ganz im Gegenteil eher, daß auch bei anderen Lebewesen die Geister von den Körpern unterschieden sind. Diese Einschätzung haben selbst die Platoniker vertreten, deren Autorität gerade gerühmt wurde, worin sie den Pythagoreern gefolgt 1

Obj. VI : 414, 1–16.

sech s t e e rw i d e ru n g en

407

sind, was aufgrund ihrer Metempsychose offenkundig ist. Daß in den Tieren kein Denken stattfindet, habe ich aber nicht etwa nur gesagt, wie hier behauptet wird, sondern auch durch äußerst zuverlässige Begründungen nachgewiesen, die zudem bislang von niemand zurückgewiesen worden sind. Diejenigen aber, die behaupten, Hunde wüßten, wenn sie wach sind, daß sie laufen, ja sogar, wenn sie träumen, daß sie bellen,1 gleichsam als ob sie in die Herzen der Tiere schauen könnten, sagen dies tatsächlich nur und weisen es nicht nach. Auch wenn sie nämlich hinzufügen, sie würden ja gar nicht glauben, alle Operationen größerer Tiere könnten ohne Empfindung, Leben und Seele (das heißt, wie ich es interpretiere, ohne Denken ; denn ich spreche den Tieren weder das ab, was man gemeinhin Leben nennt, noch eine körperliche Seele, und auch nicht einen organischen Sinn) mit Hilfe der Mechanik hinreichend erklärt werden, daß Sie sogar um jeden Betrag wetten wollten, daß dies ἀδύνατον (unmöglich) und lächerlich sei,2 so kann das wohl kaum als Begründung durchgehen. Dasselbe könnte über jedes beliebige andere Ding gesagt werden, wie wahr es auch sein mag. Deshalb wettet man gewöhnlich auch nicht, außer dort, wo Begründungen fehlen, um etwas nachzuweisen. Und nur weil sich früher einmal große Männer über die Antipoden lustig gemacht haben, meine ich, darf man nicht gleich alles für falsch halten, worüber sich irgendwelche Leute lustig machen. Wenn schließlich hinzugefügt wird, es mangele nicht an einigen Leuten, die sagen werden, auch die Menschen selbst hätten keine Empfindung und Verstand, und alles könne mit Hilfe treibender Mechaniken und ohne jeden Geist verrichtet werden, wenn doch schon ein Affe, ein Hund und ein Elephant auf eben diese Weise alle Operationen vollbringen kann,3 dann ist dies in der Tat auch keine Begründung, durch die irgendetwas nachgewiesen wird – außer vielleicht, daß bestimmte Menschen alles so wirr begreifen und so hartnäckig an vorgefaßten Meinungen festhalten, die sie bloß verbal eingesehen haben, daß sie, anstatt diese Meinungen zu ändern, lieber alles bestreiten, wovon sie gar nicht umhin können, es immer1

Obj. VI : 414, 3–4.

2

Obj. VI : 414,13–16.

3

Obj. VI : 414, 16–21.

426,27

408

428,1

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zu an sich selbst zu erfahren. Denn es ist unmöglich, daß wir etwa nicht an uns selbst erfahren, daß wir denken. Daher darf niemand daraus, daß gezeigt wird, beseelte Tiere könnten alle ihre Operationen ohne irgendein Denken ausführen, schließen, daß also er selbst auch nicht denke – das müßte schon jemand sein, der deshalb ganz hartnäckig an den Worten Menschen und Tiere operieren auf dieselbe Weise festhält, weil er sich deswegen zuvor eingeredet hat, daß er nicht anders operiere als die Tiere, weil er den Tieren Denken beilegt, und der es deshalb vorzieht, auch sich alles seines Denkens, dessen er sich gar nicht anders als bewußt sein kann, zu berauben, wenn ihm gezeigt wird, daß Tiere nicht denken, anstatt die Meinung zu ändern, er selbst operiere auf dieselbe Weise wie die Tiere. Ich bin nur schwer davon zu überzeugen, daß es viele Menschen von dieser Art geben soll. Doch finden sich tatsächlich sehr viel mehr Menschen mit größerer Vernunft, die, wenn man zugibt, daß das Denken von einer körperlichen Bewegung nicht unterschieden wird, behaupten, daß in den Tieren dasselbe Denken stattfindet wie in uns, weil sie bei den Tieren alle körperlichen Bewegungen ebenso wie bei uns bemerken. Und wenn sie hinzufügen, der Unterschied sei bloß graduell und verändere das Wesen nicht,1 so schließen sie mit vollem Recht, daß die Geister der Tiere von genau derselben Art wie die unsrigen sind, selbst wenn sie meinen, daß vielleicht die größeren Tiere weniger Vernunft haben als wir. 4. Was das Wissen eines Atheisten betrifft,2 so ist es leicht, zu beweisen, daß es weder unveränderlich noch sicher ist. Wie ich nämlich vorher bereits gesagt habe, hat er umso größere Veranlassung, zu zweifeln, ob seine Natur vielleicht so unvollkommen ist, daß er sich auch in dem täuscht, was ihm als äußerst evident erscheint, je weniger mächtig der Urheber ist, dem er seine Entstehung zuweist. Von diesem Zweifel wird er sich niemals befreien können, wenn er sich nicht zuvor vergewissert, 1

Obj. VI : 414, 22–23. 2 Med. I : 21, 24–26 ; Obj. II : 125, 6–7 ; Resp. II : 141, 3 ; Obj. VI : 414, 24.

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daß er von dem wahren Gott geschaffen ist, der nicht zu täuschen vermag. 5. Es ist jedoch widersprüchlich,1 daß die Menschen von Gott betrogen werden. Das wird klar daraus bewiesen, daß die Form des Betrugs kein Seiendes ist, zu dem sich das höchste Seiende gar nicht hinreißen lassen kann. Darin stimmen alle Theologen überein, und alle Gewißheit des Christlichen Glaubens hängt davon ab. Wie nämlich könnten wir dem von Gott Offenbarten glauben, wenn wir meinten, daß wir zuweilen von ihm betrogen werden ? Und so vehement die Theologen gemeinhin auch behaupten, daß die Verdammten im Höllenfeuer gequält werden, so vertreten sie gleichwohl deswegen nicht die Einschätzung, daß sie sich durch eine von Gott eingegebene Idee eines quälenden Feuers selbst betrügen, sondern vielmehr, daß sie von einem wahren Feuer gequält werden. Denn »wie der unkörperliche Geist (spiritus) des lebendigen Menschen sich natürlich im Körper hält, so kann er durch die göttliche Macht nach dem Tod leicht in einem körperlichen Feuer gehalten werden, usw.« Siehe Petrus Lombardus, lib. 4 sent. dist. 44.2 Was die Stellen der Heiligen Schrift betrifft, so steht es mir meiner Ansicht nach nicht zu, darauf zu antworten, außer wenn sie einer Meinung entgegengesetzt zu sein scheinen, die für mich bezeichnend ist. Denn wenn die Stellen der Schrift nur gegen solche Ansichten angeführt werden, die unter allen Christen Gemeingut sind – und von dieser Art sind diejenigen, die hier bekämpft werden, nämlich daß man etwas wissen kann, und daß die menschlichen Seelen nicht denjenigen des Viehs ähnlich sind –, müßte ich befürchten, mich dem Vorwurf der Arroganz auszusetzen, wenn ich es vorzöge, neue Erwiderungen auszu1

Obj. VI : 415, 9 f. 2 »Si animae sine corporibus sentiunt ignem corporalem. [. . . ] De hoc Julianus, Toletanae ecclesiae episcopus, Greg. dicta secutus, dialogo 4, cap. 18, ita scripsit : Si viventis hominis incorporus spiritus tenetur in corpore, cur non post mortum etiam corpore igneo teneatur ?« (P. Lombardi, Magistri Sententiarum [. . . ] Opera Omnia. Paris : Garnier 1880 (= Patrologiae Cursus Completus Series Latina, Bd. 192, S. 947).

428,10

428,24

410

429,13

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denken, anstatt mich mit den bereits gefundenen zufrieden zu geben. Denn mit theologischen Studien habe ich mich immer nur insoweit befaßt, als sie zu meinem privaten Unterricht beitrugen, und göttliche Gnade erfahre ich in mir nicht in einem solchen Maße, daß ich mich zu solchen heiligen Dingen berufen fühlen würde. Ich erkläre deshalb, daß ich in Zukunft nichts auf dergleichen Dinge erwidern werde. Dieses Mal aber werde ich dieser Maxime noch nicht folgen, um niemandem die Gelegenheit zu der Ansicht zu geben, ich schwiege deshalb, weil ich die vorgebrachten Stellen nicht angemessen genug erklären könne. Erstens. Ich behaupte, daß die Stelle des Apostels Paulus, 1. Brief an die Korinther, Kap. 8, 2,1 allein verstanden werden muß in bezug auf das Wissen, das nicht mit der Nächstenliebe verbunden ist, und das heißt : in bezug auf das Wissen der Atheisten. Denn jeder, der, wie es sich gehört, Gott kennt, kann ihn überhaupt nicht nicht lieben und ehren und kann die Nächstenliebe überhaupt nicht nicht haben. Dies wird durch die unmittelbar vorhergehenden Worte nachgewiesen : »Wissen macht stolz, Nächstenliebe aber macht edel«, und durch die unmittelbar folgenden : »Wenn jemand Gott liebt und ehrt, ist er« (nämlich Gott) »von ihm erkannt«. Der Apostel will also nicht sagen, daß es überhaupt kein Wissen geben kann – denn er räumt ein, daß die, die Gott lieben und ehren, ihn erkennen, das heißt : ein Wissen von ihm besitzen –, sondern er behauptet nur, daß diejenigen, die keine Nächstenliebe haben, und demnach Gott nicht ausreichend kennen, noch nicht erkennen, auf welche Weise man wissen sollte, auch wenn sie vielleicht der Ansicht sind, über andere Dinge etwas zu wissen. Denn man muß bei der Erkenntnis Gottes anfangen, und dann die Erkenntnisse aller anderen Dinge dieser einen unterordnen, wie ich in meinen Meditationen erklärt habe. Daher bestätigt gerade die Stelle, die gegen mich vorgebracht wurde, so offenkundig meine Meinung über diese Sache, daß ich nicht meine, daß diejenigen, die mir widersprechen, sie richtig erklären können. Wenn daher jemand 1

Obj. VI : 415, 27 f.

sech s t e e rw i d e ru n g en

411

darauf beharrt, das Pronomen der beziehe sich nicht auf Gott, sondern auf den Menschen, der von Gott erkannt und gesegnet werde, so stimmt ein anderer Apostel, nämlich der Apostel Johannes, Epist. 1, Kap. 2, meiner Erklärung völlig zu : »Daran wissen wir, daß wir ihn erkannt haben, wenn wir seine Gebote befolgen« ; Kap. 4, 7 : »Wer liebt und ehrt, ist aus Gott geboren und erkennt Gott«. Durchaus ähnlich stellt sich die Überlegung in bezug auf die Stellen aus dem Prediger dar.1 Es muß nämlich darauf hingewiesen werden, daß Salomo in diesem Buch nicht in die Rolle eines Gottlosen schlüpft, sondern nur für sich selbst spricht, nämlich insofern, als er dort aus Reue handelt, weil er zuvor Sünder und von Gott abgewandt gewesen ist. Er behauptet, daß er, weil er bloß die menschliche Weisheit verwendet und sie nicht auf Gott bezogen hat, nichts hat vorfinden können, was völlig genügend gewesen, bzw. worin keine Eitelkeit enthalten gewesen sei. Deshalb erinnert er dann im weiteren an vielerlei Stellen daran, daß es nötig ist, sich Gott zuzuwenden, wie ausdrücklich in Kap. 11, 9 : »Und wisse, daß Gott dich für all dies vor Gericht bringen wird«, und im Folgenden an weiteren Stellen bis zum Ende des Buches. Insbesondere aber diese Worte in Kap. 8, 17 : »Ich habe eingesehen, daß der Mensch keinen Grund aller Werke Gottes, die unter der Sonne geschehen, auffinden kann« usw., dürfen nicht verstanden werden in bezug auf irgendeinen beliebigen Menschen, sondern in bezug auf den, den er im vorhergehenden Vers beschrieben hat : »Es ist ein Mensch, der in Tagen und Nächten den Schlaf nicht mit Augen findet« ; gleichsam als wollte der Prophet dort daran erinnern, daß jene, die die Studien zu emsig betreiben, nicht geeignet seien, die Wahrheit zu erlangen.Wer mich kennt, wird kaum der Ansicht sein, daß ich dies gesagt haben soll. Insbesondere aber müssen diese Worte berücksichtigt werden : »die unter der Sonne geschehen«. Sie werden nämlich in diesem Buch mehrmals wiederholt und verweisen stets auf die natür1

Obj. VI : 416, 2–6.

430,14

412

431,26

s ec h s t e e rw id e ru n g e n

lichen Dinge unter Ausschluß ihrer Subordination unter Gott, weil nämlich Gott, da er über allem ist, nicht in dem enthalten ist, was unter der Sonne ist. Der wahre Sinn der zitierten Stelle ist deshalb, daß der Mensch die natürlichen Dinge nicht richtig wissen kann, solange er Gott nicht erkennt, wie auch ich behauptet habe. Schließlich ist es handgreiflich, daß in Kap. 5, 19 nur im Hinblick auf den Körper gesagt wird, daß »Menschen genauso sterben wie das Vieh«, und daß »der Mensch dem Vieh nichts voraus hat«. Denn dort wird nur das erwähnt, was sich auf den Körper bezieht, und sogleich danach wird in bezug auf die Seele davon unabhängig hinzugefügt : »Wer weiß, ob die Geister (spiritus) der Söhne Adams nach oben steigen, und ob die Geister (spiritus) des Viehs nach unten sinken ?« Das heißt, ob die menschlichen Seelen die Glückseligkeit des Himmels genießen werden : Wem war das durch menschliche Überlegungen bekannt und solange er sich nicht Gott zugewandt hat ? Sicherlich habe ich versucht, durch eine natürliche Begründung nachzuweisen, daß die menschliche Seele nicht körperlich ist ; aber ich gebe zu, daß allein durch den Glauben erkannt werden kann, ob sie nach oben steigen wird. 6. Was die Freiheit der Willkür betrifft,1 so ist ihre Begründung in Gott eine ganz andere als in uns. Es ist nämlich widersprüchlich, anzunehmen, der Wille Gottes sei nicht seit Ewigkeit indifferent in bezug auf alles gewesen, was geschehen ist oder jemals sein wird. Denn man kann nicht so tun, als hätte es, bevor Gottes Wille sich bestimmt hat, zu bewirken, daß dies so sein solle, im göttlichen Verstand schon die Idee gegeben von irgendetwas Gutem oder Wahrem oder etwas, das man glauben muß, oder das getan oder vermieden werden muß. Ich spreche hier nicht etwa über eine Priorität der Zeit nach ; sondern es ist noch nicht einmal früher gewesen der Ordnung nach, oder der Natur nach, oder der ratio ratiocinata, wie sie sie nennen : nämlich so, daß die Idee des Guten Gott dazu gedrängt hat, lieber das eine als das andere zu wählen. Denn er hat zum Beispiel 1

Obj. VI : 416, 24 f.

sech s t e e rw i d e ru n g en

413

nicht deshalb gewollt, die Welt in der Zeit zu erschaffen, weil er gesehen hat, daß dies so besser sein würde als wenn er sie von Ewigkeit her geschaffen hätte ; und er hat nicht gewollt, daß die drei Winkel eines Dreiecks zwei rechten entsprechen, weil er erkannt hat, daß es nicht anders sein kann usw. Ganz im Gegenteil : Weil er die Welt in der Zeit erschaffen wollte, deshalb ist es so besser, als wenn sie von Ewigkeit her geschaffen wäre ; und weil er gewollt hat, daß die drei Winkel eines Dreiecks notwendig zwei rechten entsprechen, deshalb ist dies jetzt wahr und kann nicht anders sein ; und ebenso in den anderen Fällen. Dagegen spricht nicht, daß man die Verdienste der Heiligen als Ursache bezeichnen kann, weshalb die Heiligen ein ewiges Leben erlangen. Denn diese Verdienste sind nicht in dem Sinne Ursache, daß sie Gott dazu bestimmen würden, irgendetwas zu wollen, sondern sie sind nur Ursache derjenigen Wirkung, deren Ursache zu sein Gott seit Ewigkeit gewollt hat. So ist also die höchste Indifferenz in Gott das höchste Argument für seine Omnipotenz. Was hingegen den Menschen betrifft : Da er bereits eine von Gott bestimmte Natur alles Guten und Wahren vorfindet und seinen Willen gar nicht auf irgendetwas anderes richten kann, ist es evident, daß der Mensch desto williger und demnach auch freier das Gute und Wahre vertritt, je klarer er es sieht. Er ist deshalb nur dann indifferent, wenn unbekannt ist, was besser oder wahrer ist, oder wenn er es nicht so transparent sieht, daß er nicht daran zweifeln könnte. Indifferenz paßt also mit der menschlichen Freiheit ganz anders zusammen als mit der göttlichen. Wenn gesagt wird, die Wesen der Dinge seien unteilbar,1 so tut das nichts zur Sache. Denn erstens kann kein Wesen Gott und den Geschöpfen univok zukommen. Und schließlich gehört die Indifferenz nicht zum Wesen der menschlichen Freiheit. Denn wir sind nicht nur dann frei, wenn die Unkenntnis des Richtigen uns indifferent sein läßt, sondern sehr viel mehr auch wenn eine klare Erfassung uns drängt, etwas anzustreben. 1

Obj. VI : 417, 9–10.

414 433,11

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7. Die Oberfläche, durch die, wie ich meine, unsere Sinne affiziert werden,1 begreife ich nicht anders als sie von allen Mathematikern oder Philosophen gemeinhin begriffen wird (oder zumindest begriffen werden sollte), nämlich als jene, die sie vom Körper unterscheiden und von der sie voraussetzen, daß ihr jede Tiefe fehle. Der Name Oberfläche wird bei den Mathematikern auf zweifache Weise gebraucht. Entweder nämlich für einen Körper, bei dem man allein seine Länge und Breite berücksichtigt und den man ohne alle Tiefe betrachtet, auch wenn gar nicht bestritten wird, daß er Tiefe besitzt ; oder nur als ein Modus des Körpers, nämlich wenn ihm alle Tiefe abgesprochen wird. Um daher jede Zweideutigkeit zu vermeiden, habe ich gesagt, daß ich allein über jene Oberfläche spreche, die kein Teil des Körpers sein kann, weil sie nur ein Modus ist. Ein Körper nämlich ist eine Substanz, und ein Modus kann nicht Teil einer Substanz sein. Aber ich habe nicht bestritten, daß die Oberfläche das äußerste Ende eines Körpers ist. Ganz im Gegenteil kann sie ganz eigentlich das äußerste Ende sowohl des umschlossenen als des umschließenden Körpers genannt werden, nämlich in dem Sinne, in dem gesagt wird, diejenigen Körper seien angrenzende, deren äußerste Enden zusammenfallen. Denn wenn zwei Körper einander berühren, haben beide Körper tatsächlich ein und dasselbe äußerste Ende, das weder Teil des einen noch des anderen, sondern derselbe Modus des einen wie des anderen ist. Und dieser Modus kann sogar verbleiben, wenn jene Körper fortgenommen werden, sofern nur andere Körper an ihre Orte nachrücken, die genau dieselbe Größe und Gestalt besitzen. Ja, man kann sogar jenen Ort, von dem die Aristoteliker sagen, er sei die Oberfläche des angrenzenden Körpers, als Oberfläche verstehen, die keine Substanz, sondern ein Modus ist. Denn der Ort eines Turmes verändert sich nicht, auch wenn die ihn umgebende Luft wechselt oder ein anderer Körper anstelle des Turmes an seinen Ort gesetzt wird. Demnach ist also die Ober-

1

Obj. VI : 417, 13–25.

sech s t e e rw i d e ru n g en

415

fläche, die hier als Ort gilt, weder Teil der umgebenden Luft noch des Turmes. Um aber die Realität der Akzidenzen zu verwerfen, scheint es mir nicht nötig zu sein, nach anderen Begründungen Ausschau zu halten, als denen, die ich bereits abgehandelt habe. Denn weil erstens alle Empfindung durch Berührung geschieht, kann außer der Oberfläche der Körper nichts empfunden werden. Wenn es demnach reale Akzidenzen gibt, müssen sie etwas von dieser Oberfläche, die nichts anderes als ein Modus ist, Verschiedenes sein. Also : Wenn es sie gibt, dann können sie nicht empfunden werden. Wer aber ist jemals der Ansicht gewesen, daß es sie gibt, außer weil er gemeint hat, daß sie empfunden werden ? Außerdem ist es überhaupt widersprüchlich, daß es reale Akzidenzen geben soll. Denn alles, was real ist, kann abgetrennt von jedem anderen Subjekt existieren ; was aber so abgetrennt existieren kann, ist eine Substanz und kein Akzidenz. Und es tut nichts zur Sache, wenn gesagt wird, reale Akzidenzen könnten von ihren Subjekten nicht natürlich, sondern nur durch die göttliche Macht abgetrennt werden. Denn natürlich zu geschehen : das ist nichts anderes als : durch die der Ordnung gemäße Macht Gottes zu geschehen, die sich überhaupt nicht von seiner außerordentlichen Macht unterscheidet und die überhaupt nichts anderes in die Dinge setzt. Wenn daher alles das, was natürlich ohne Subjekt sein kann, eine Substanz ist, muß auch alles, was durch irgendeine außerordentliche Macht Gottes ohne Subjekt sein kann, Substanz genannt werden. Zwar räume ich ein, daß eine Substanz einer anderen Substanz akzidieren kann ; gleichwohl ist es, wenn das passiert, nicht die Substanz selbst, die die Form eines Akzidenz besitzt, sondern allein der Modus, durch den sie akzidiert. Wenn zum Beispiel ein Kleidungsstück einem Menschen akzidiert, ist nicht das Kleidungsstück selbst, sondern lediglich das Bekleidetsein ein Akzidenz. Weil aber der hauptsächliche Grund, der die Philosophen dazu bewegt hat, reale Akzidenzen aufzustellen, der gewesen ist, daß sie meinten, ohne sie die Sinneswahrnehmungen nicht erklären zu können, habe ich versprochen, daß ich mich in der Physik

434,15

416

435,22

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mit allen einzelnen Sinnen nacheinander auseinandersetzen werde. Nicht daß ich wollte, daß man mir in irgendeiner Sache [blindlings] glauben solle, sondern weil ich meine, daß richtig urteilende Leute aus dem, was ich bereits in der Dioptrique in bezug auf das Sehvermögen erklärt habe, leicht eine Vermutung darüber anstellen würden, was ich in bezug auf die anderen vorbringen kann. 8. Wenn wir die Unermeßlichkeit Gottes1 berücksichtigen, ist es offensichtlich, daß es überhaupt nichts geben kann, das nicht von ihm abhinge : nichts Subsistierendes, keine Ordnung, kein Gesetz, keinen Grund des Wahren und Guten. Denn andernfalls wäre er nicht völlig indifferent gewesen, das zu erschaffen, was er geschaffen hat, wie gerade eben gesagt wurde. Denn wenn seiner Präordination irgendein Grund des Guten vorangegangen wäre, hätte dieser Grund ihn dazu bestimmt, das zu tun, was das Beste ist ; weil er aber im Gegenteil sich dazu bestimmt hat, das zu tun, was es jetzt gibt, deshalb »ist es sehr gut«, wie es in der Genesis heißt. Das heißt : Der Grund der Güte des Geschaffenen hängt davon ab, daß er es so hat erschaffen wollen. Es ist auch nicht nötig, zu fragen, in welche Gattung von Ursache die Abhängigkeit dieser Güte oder der anderen, mathematischen wie metaphysischen Wahrheiten von Gott fällt. Denn da die Gattungen der Ursachen von denjenigen aufgezählt worden sind, die vielleicht diese Weise des Verursachens (ratio causandi) nicht berücksichtigten, war es wenig verwunderlich, wenn sie ihr keinen Namen beigelegt haben – obwohl sie es faktisch getan haben : sie kann nämlich bewirkende Ursache genannt werden, nämlich in derselben Hinsicht, in der ein König Gesetzgeber ist, auch wenn das Gesetz selbst kein physisch existierendes Ding ist, sondern nur ein moralisches Seiendes, wie man es nennt. Ebensowenig ist es nötig, zu fragen, in welcher Weise Gott von Ewigkeit her hätte machen können, daß es nicht wahr gewesen wäre, daß 2 mal 4 8 ergibt usw. – ich räume nämlich ein, daß dies von uns nicht eingesehen werden 1

Obj. VI : 417, 26 f.

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417

kann. Anderseits sehe ich richtig ein, daß nichts in irgendeiner Gattung des Seienden sein kann, was nicht von Gott abhinge ; ich sehe auch richtig ein, daß es Gott leicht gefallen ist, bestimmte Dinge so einzurichten, daß von uns Menschen nicht eingesehen wird, daß sie sich anders verhalten können als sie sich verhalten. Es wäre demnach ganz unvernünftig, aufgrund dessen, weil wir etwas weder einsehen, noch feststellen, daß wir es einsehen müßten, an dem zu zweifeln, was wir richtig einsehen. Deswegen darf man nicht meinen, daß die ewigen Wahrheiten vom menschlichen Verstand oder von anderen existierenden Dingen abhängen,1 sondern allein von Gott, der sie von Ewigkeit an als oberster Gesetzgeber eingerichtet hat. 9. Damit wir richtig feststellen, was die Gewißheit der Sinne ist,2 müssen wir drei Grade an Gewißheit unterscheiden. Zum ersten gehört nur alles das, wodurch das körperliche Organ von den äußeren Objekten unmittelbar affiziert wird. Das kann nichts anderes sein als die Bewegung der Partikel dieses Organs und die aus dieser Bewegung herrührende Veränderung der Gestalt und der Lage. Der zweite enthält alles das, was dadurch unmittelbar im Geist resultiert, daß er mit dem so affizierten körperlichen Organ vereint ist. Von dieser Art sind die Erfassungen des Schmerzes, des Kitzels, des Durstes, des Hungers, der Farben, der Töne, des Geschmacks, des Geruchs, der Wärme, der Kälte und anderes, was aus der Vereinigung und gewissermaßen Vermischung des Geistes mit dem Körper entsteht, wie in der sechsten Meditation gesagt wurde. Der dritte Grad schließlich beinhaltet alle jene Urteile, die wir von Jugend an aus Anlaß der Bewegungen eines körperlichen Organs über die Dinge außerhalb von uns zu fällen gewohnt sind. Zum Beispiel. Wenn ich einen Stab sehe, darf ich nicht meinen, daß irgendwelche species intentionales von ihm zum Auge fliegen, sondern nur, daß die von diesem Stab reflektierten Strahlen des Lichts bestimmte Bewegungen im optischen Nerv, und, durch seine Vermittlung, auch im Gehirn auslösen, wie ich ziem1

Obj. VI : 418, 5–6.

2

Obj. VI : 418, 10–24.

436,26

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lich ausführlich in der Dioptrique erklärt habe. In dieser Bewegung des Gehirns, die wir mit den Tieren gemeinsam haben, besteht der erste Grad des sinnlichen Wahrnehmens. Auf diesen folgt aber der zweite, der sich allein auf die Erfassung der vom Stab reflektierten Farbe oder des Lichts erstreckt. Dieser Grad entsteht daraus, daß der Geist mit dem Gehirn so eng verbunden ist, daß er von den Bewegungen affiziert wird, die im Gehirn geschehen. Nur das aber dürfte auf den Sinn bezogen werden, wenn wir ihn sorgfältig vom Verstand unterscheiden wollten. Denn daß ich aufgrund der Empfindung der Farbe, durch die ich affiziert werde, urteile, daß der außer mir befindliche Stab farbig ist ; und ebenso, daß ich aus der Ausdehnung, Einschränkung und Lage dieser Farbe in Relation zu den Teilen des Gehirns Schlußfolgerungen ziehe über die Größe, Gestalt und Entfernung dieses Stabes : das hängt ganz offensichtlich allein vom Verstand ab, auch wenn es gemeinhin dem Sinn beigelegt wird und ich es daher hier auf den dritten Grad des sinnlichen Wahrnehmens bezogen habe. Und daß Größe, Entfernung und Gestalt allein durch Schlußfolgerung auseinander erfaßt werden können, habe ich in der Dioptrique bewiesen. Der Unterschied besteht aber nur in Folgendem : Wenn wir jetzt aufgrund irgendeiner neuen Beobachtung etwas zuerst beurteilen, legen wir das dem Verstand bei. Das aber, was wir von frühester Kindheit an über die Dinge, die unsere Sinne affizierten, beurteilt oder auch schlußfolgernd geschlossen haben, beziehen wir auf den Sinn, und zwar auch dann, wenn wir dabei genauso geurteilt oder schlußgefolgert haben wie jetzt. Denn wir schlußfolgern und urteilen darüber aufgrund von Gewohnheit so schnell, oder erinnern uns vielmehr an die von uns bereits seit langem über ähnliche Dinge gefällten Urteile, daß wir diese Operationen nicht von einer einzelnen Sinneswahrnehmung unterscheiden. Daraus ergibt sich, daß, wenn wir sagen, die Gewißheit des Verstandes sehr viel größer ist als die Gewißheit der Sinne,1 dadurch nur kenntlich gemacht wird, daß die Urteile, die wir jetzt in 1

Obj. VI : 418, 11–12.

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fortgeschrittenem Alter aufgrund irgendwelcher neuer Beobachtungen fällen, sicherer sind als jene, die wir von allererster Kindheit an und ohne Betrachtung gebildet haben. Und das ist ohne Zweifel wahr. Denn den ersten und zweiten Grad des sinnlichen Wahrnehmens thematisiere ich hier offensichtlich nicht, weil in ihnen keine Falschheit sein kann. Wenn daher gesagt wird, ein Stab erscheine aufgrund der Refraktion im Wasser gebrochen,1 so ist dies dasselbe, als wenn gesagt würde, er erscheine uns genau in der Weise, aufgrund der ein Kind urteilen würde, daß er gebrochen sei, und aufgrund der auch wir zufolge der Vorurteile, an die wir von Jugend an gewöhnt sind, ebenso urteilen. Wenn hier jedoch hinzugefügt wird, daß dieser Fehler nicht durch den Verstand, sondern durch den Tastsinn korrigiert wird,2 dann kann ich das nicht zugeben. Denn auch wenn wir aufgrund des Tastsinns urteilen, daß der Stab gerade ist, so reicht gleichwohl diese Weise des Urteilens, an die wir seit der Kindheit gewöhnt sind und die daher Sinn genannt wird, noch nicht aus, um den Irrtum des Sehvermögens zu verbessern, sondern es ist darüber hinaus irgendeine Begründung nötig, die uns lehrt, daß in dieser Sache dem Urteil auf der Basis des Tastsinns eher als dem Urteil auf der Basis des Sehvermögens zu glauben ist. Weil nun diese Begründung nicht von Kindheit an in uns gewesen ist, darf sie nicht dem Sinn, sondern muß allein dem Verstand beigelegt werden. Daher ist es gerade in diesem Beispiel allein der Verstand, der den Irrtum des Sinns verbessert ; auch gibt es schlicht überhaupt kein Beispiel, in dem ein Irrtum deswegen passiert, weil wir der Operation des Geistes mehr als dem Sinn vertrauen. 10. Was noch übrig ist3 wird eher als Zweifel denn als Einwand vorgebracht, und daran sehe ich, daß auch viele sehr gelehrte und geistreiche Männer daran noch zweifeln ; ich wage deshalb nicht zu garantieren, daß ich es ausreichend darlegen werde, denn das wäre mehr als ich mir zutraue. Um aber mit dem, was ich habe, nicht hinter dem Berg zu halten und die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, möchte ich 1

Obj. VI : 418, 16–17.

2

Obj. VI : 418, 18–19.

3

Obj. VI : 418, 25 f.

439,16

420

440,1

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unverhohlen sagen, durch welche Überlegung ich mich selbst ganz von diesen Zweifeln befreit habe. Wenn das anderen vielleicht nützlich ist, wird es mich freuen ; wenn weniger, werde ich mir zumindest keinen Übermut vorwerfen müssen (mihi conscius esse). Zuerst, als ich den in diesen Mediationen dargelegten Überlegungen entnommen habe, daß der menschliche Geist real vom Körper unterschieden wird, daß er bekannter als der Körper ist und das übrige : da war ich zur Zustimmung gezwungen. Denn ich stellte fest, daß in diesen Meditationen alles zusammenhängend und aus evidenten Prinzipien den Regeln der Logik folgend geschlossen war. Aber ich räume ein, deswegen noch keineswegs völlig überzeugt gewesen zu sein. Mir ging es fast wie den Astronomen : Denn auch nachdem sie durch Berechnungen völlig überzeugt worden sind, daß die Sonne etliche Male größer ist als die Erde, können sie sich dennoch nicht davon abhalten, zu urteilen, die Sonne sei kleiner als die Erde, wenn sie ihre Augen auf sie richten. Dann aber bin ich weiter vorangegangen und bin, gestützt auf dieselben Fundamente, zur Betrachtung der physischen1 Dinge übergegangen. Zuerst habe ich die Ideen, bzw. Grundbegriffe berücksichtigt, die ich von einem jeden Ding bei mir vorfand, und habe die einen von den anderen sorgfältig unterschieden, damit alle meine Urteile mit ihnen übereinstimmten. Dabei habe ich festgestellt, daß überhaupt nichts zum Grundverständnis des Körpers gehört, außer daß er ein langes, breites und tiefes, vielfältiger Gestalten und Bewegungen fähiges Ding ist, und daß seine Gestalten und Bewegungen nur Modi sind, die durch keine Macht ohne ihn existieren können. Die Farben, Gerüche, Geschmäcke und dergleichen sind hingegen nur bestimmte in meinem Denken existierende Empfindungen und unterscheiden sich nicht weniger von den Körpern als sich ein Schmerz von der Gestalt und der Bewegung des Geschosses unterscheidet, das den Schmerz erregt. Und schließlich habe ich festgestellt, daß Gewicht, Här1

physisch] kann auch physikalischen meinen.

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421

te, die Kräfte des Erwärmens, des Anziehens, des Auflösens und alle anderen Qualitäten, die an den Körpern erfahren werden, allein in einer Bewegung oder der Privation einer Bewegung sowie der Konfiguration der Teile und der Lage bestehen. Da sich diese Meinungen doch sehr von denjenigen unterscheiden, die ich zuvor über dieselben Dinge gehabt hatte, habe ich dann angefangen, zu betrachten, aufgrund welcher Ursachen ich vorher anderes geglaubt hatte. Insbesondere habe ich als Hauptursache bemerkt, daß ich in der Kindheit zuerst über vielfältige physische Dinge Urteile gefällt hatte, insbesondere solche, die sich auf die Erhaltung des Lebens bezogen, in das ich eintrat, und daß ich danach genau diese Meinungen beibehalten habe, die ich damals über diese Dinge vorgefaßt hatte. Weil jedoch der Geist in diesem Alter die körperlichen Organe nicht ganz richtig verwendet, und weil er nichts ohne sie dachte, da er mit ihnen fester verbunden war, beachtete er nur verworrene Dinge. Und obwohl er sich seiner eigenen Natur bewußt war und über die Idee des Denkens nicht weniger als über die der Ausdehnung verfügte, bezog er alle Grundbegriffe, die er von den intellektuellen Dingen hatte, auf den Körper ; denn er sah nichts ein, ohne zugleich auch etwas vorzustellen und hielt beide für dasselbe. Da ich mich aber dann im weiteren Leben niemals von diesen Vorurteilen befreit habe, erkannte ich überhaupt nichts deutlich genug, und ich erkannte nichts, von dem ich nicht voraussetzte, daß es körperlich sei, auch wenn ich mir oft für die Dinge, von denen ich voraussetzte, sie seien körperlich, solche Ideen bzw. Begriffe ausbildete, die sich eher auf Geister denn auf Körper bezogen. Zum Beispiel setzte ich im Denken das Gewicht als eine bestimmte reale Qualität, die in den dichten Körpern gewissermaßen enthalten ist. Weil ich hinzufügte, diese Qualität sei real, meinte ich tatsächlich, daß das Gewicht eine Substanz sei, und zwar obwohl ich es Qualität nannte, insofern ich es nämlich auf die Körper bezog, in denen es enthalten war. Genauso ist ja auch ein Kleidungsstück für sich betrachtet eine Substanz, obwohl es eine Qualität ist, wenn es auf den bekleideten Men-

440,30

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schen bezogen wird ; und auch der Geist kann eine Qualität desjenigen Körpers genannt werden, mit dem er verbunden ist, obwohl er tatsächlich eine Substanz ist. Und obwohl ich mir das Gewicht über den gesamten Körper, der schwer ist (der wiegt), verteilt vorstellte, legte ich ihm dennoch nicht jene Ausdehnung bei, die die Natur des Körpers konstituiert ; denn die wahre Ausdehnung des Körpers ist eine solche, daß sie jede Durchdringbarkeit der Teile ausschließt, wohingegen ich meinte, daß in einem Stück Holz von zehn Fuß ebensoviel Gewicht vorliegt wie in einem Klumpen Goldes oder eines anderen Metalls von einem Fuß, so daß ich sogar urteilte, daß das gesamte Gewicht in einen mathematischen Punkt kontrahiert werden könne. Vielmehr sah ich ja, daß, auch wenn das Gewicht dieselbe Ausdehnung wie der schwere Körper behielt, es seine gesamte Kraft in jedem beliebigen seiner Teile ausüben kann. Denn gleichgültig, an welchem Teil dieser Körper an einem Seil aufgehängt war, so zog er doch mit seinem gesamten Gewicht das Seil auf gerade die Weise als wenn sein Gewicht allein in dem das Seil berührenden Teil, nicht aber über die übrigen verteilt wäre. Das ist exakt die Weise, in der ich es mir jetzt einsichtig mache, daß der Geist mit dem Körper dieselbe Ausdehnung besitzt : Der gesamte Geist ist im gesamten Körper, aber es ist eben auch der gesamte Geist in jedem beliebigen Teil des Körpers. Daß diese Idee des Gewichts von derjenigen, die ich vom Geist habe, entlehnt gewesen ist, wird insbesondere dadurch offenkundig, daß ich meinte, das Gewicht lenke die Körper zum Erdmittelpunkt hin – gleichsam als sei in ihm davon irgendeine Erkenntnis enthalten : Denn ohne Erkenntnis ist das ganz unmöglich, und Erkenntnis kann es nur im Geist geben. Freilich legte ich dem Gewicht außerdem einiges bei, was ich mir in bezug auf den Geist nicht in derselben Weise einsichtig machen konnte : wie daß es teilbar und meßbar ist usw. Nachdem ich dies aber hinreichend bemerkt und die Idee des Geistes genau von den Ideen des Körpers und der körperlichen Bewegung unterschieden und zudem entdeckt habe, daß ich alle Ideen realer Qualitäten oder substantieller Formen, die

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ich zuvor besessen hatte, aus diesen zusammengesetzt oder ausgebildet hatte, fiel es mir ganz leicht, mich aller Zweifel zu entledigen, die hier vorgebracht worden sind. Denn erstens habe ich weder daran gezweifelt, eine klare Idee meines Geistes zu haben,1 denn des Geistes war ich mir unmittelbar bewußt, noch daß diese Idee von den Ideen anderer Dinge völlig verschieden war2 und nichts Körperliches besaß.3 Denn als ich nach den wahren Ideen auch der anderen Dinge fragte und es mir schien, sie alle im allgemeinen zu erkennen, hatte ich in ihnen nichts vorgefunden, was sich nicht völlig von der Idee des Geistes unterschieden hätte. Auch sah ich, daß eine sehr viel größere Unterscheidung zwischen solchen Dingen besteht, die unterschieden erscheinen, auch wenn ich an beide aufmerksam dachte, wie es bei Geist und Körper der Fall ist, als zwischen solchen Dingen, von denen ich zwar das eine einsehen kann, ohne an das andere zu denken, von denen wir aber gleichwohl nicht sehen, daß das eine ohne das andere sein könne, wenn wir jeweils an eines der beiden denken. So kann man tatsächlich die Unermeßlichkeit Gottes einsehen,4 auch wenn man seine Gerechtigkeit unberücksichtigt läßt. Wenn wir hingegen beide berücksichtigen, ist es schlicht widersprüchlich, zu meinen, daß er unermeßlich und dennoch nicht gerecht ist. Man kann auch die Existenz Gottes richtig erkennen, auch wenn die Personen der heiligen Dreifaltigkeit unbekannt sind,5 die nämlich nur durch einen vom Glauben erleuchteten Geist erfaßt werden können. Aber ich bestreite, daß, wenn sie erfaßt sind, man sich zwischen ihnen eine reale Unterscheidung im Hinblick auf das göttliche Wesen einsichtig machen kann, auch wenn das im Hinblick auf die Relationen gelten gelassen werden mag. Und zu guter Letzt fürchte ich nicht, in meiner Analyse voreingenommen gewesen zu sein6 und mich betrogen zu haben, wenn ich deshalb, weil ich sah, daß es bestimmte Körper gibt, die nicht denken, oder vielmehr klar einsah, daß bestimmte Kör1

2 Obj. VI (App.) : 419, 25–26. Obj. VI (Appendix) : 419, 23–24. 3 Obj. VI (App.) : 420, 1–2. 4 Obj. VI : 419, 3–4. 5 Obj.VI : 419, 5–6. 6 Obj. VI : 420, 19.

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per ohne Denken sein können, lieber dartun wollte, daß das Denken nicht zur Natur des Körpers gehört, als daraus, daß ich bestimmte andere Körper, insbesondere menschliche, sah, die denken,1 zu schließen, das Denken sei ein Modus des Körpers. Denn tatsächlich habe ich niemals gesehen oder erfaßt, daß die menschlichen Körper denken, sondern nur, daß es dieselben Menschen sind, die Denken besitzen und einen Körper haben. Daß dies durch die Zusammensetzung eines denkenden Dinges mit einem körperlichen geschehen kann, habe ich durchschaut, weil ich im denkenden Ding nichts entdeckt habe, was zum Körper gehört hätte, als ich es abgetrennt prüfte, wie ebensowenig in der körperlichen Natur für sich betrachtet irgendein Denken ; hingegen habe ich, als ich alle Modi sowohl des Geistes als auch des Körpers prüfte, nur Modi bemerkt, deren Begriffe von dem Begriff des Dings abhängig gewesen waren, dessen Modi sie waren. Und daraus, daß ich oft zwei bestimmte Dinge miteinander verbunden sehe, darf nicht geschlossen werden, daß sie ein und dasselbe Ding sind ; umgekehrt aber wird daraus, daß wir auch nur einmal das eine Ding ohne das andere feststellen, völlig richtig abgeleitet, daß sie verschieden sind. Von dieser Ableitung darf uns auch die Macht Gottes nicht abbringen, weil es nicht weniger dem Begriff widerspricht, daß Dinge, die wir gleichsam als zwei verschiedene klar erfassen, innerlich und ohne Zusammensetzung zu ein und demselben Ding werden sollen, als daß Dinge, die in keiner Weise unterschieden sind, abgetrennt werden. Wenn daher Gott bestimmten Körpern die Kraft, zu denken verliehen hat (wie er sie tatsächlich den menschlichen Körpern verliehen hat), kann er diese Kraft von ihnen abtrennen, und so ist sie nichtsdestotrotz von den Körpern real unterschieden. Es verwundert mich nicht, daß ich früher, bevor ich mich von den Vorurteilen der Sinne befreit habe, zwar richtig erfaßt hatte, daß 2 und 3 5 ergeben, und daß, wenn die Gleichen von den Gleichen abgezogen werden, die, die übrig bleiben, Gleiche 1

Obj. VI : 420, 12–13.

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sind und vieles dergleichen, obwohl ich dennoch nicht meinte, daß die Seele des Menschen von seinem Körper unterschieden ist.1 Denn als ich noch ganz ohne Sprache war, ist es deshalb unterblieben, daß ich über jene Propositionen, die alle gleichermaßen gelten lassen, etwas Falsches urteilte, weil ich sie noch nicht in der Ausübung hatte. Außerdem lernen Kinder nicht eher, 2 und 3 zusammenzuzählen, als bis sie fähig sind, zu beurteilen, ob sie 5 ergeben usw. Dagegen habe ich von früher Kindheit an den Geist und den Körper (aus denen zusammengesetzt zu sein ich verworren feststellte) gleichsam als ein einheitliches Etwas begriffen. Das passiert aber in fast jeder unvollkommenen Erkenntnis, daß vieles gleichsam als eine Einheit aufgefaßt wird, was später durch eine genauere Untersuchung unterschieden werden muß. Aber es verwundert mich doch sehr, daß gelehrte Menschen, die zudem mit metaphysischen Dingen seit dreißig Jahren vertraut sind, nachdem sie meine Meditationen siebenmal gelesen haben,2 meinen, daß ich, wenn ich sie in derselben Gesinnung (eo animo) erneut lesen würde, mit der ich sie einer analytischen Untersuchung unterziehen würde, wenn sie mir von einem Gegner vorgelegt worden wären,3 glauben werde, daß die in ihnen enthaltenen Begründungen kein solches Gewicht und eine solche Stärke haben, daß alle ihnen zustimmen müßten,4 während sie selbst vorderhand überhaupt keinen Fehler in meinen Überlegungen zeigen können. Und sie trauen mir wirklich mehr zu als mir gebührt oder auch als irgendeinem Menschen zugetraut werden darf, wenn sie meinen, ich würde eine Anlyse verwenden, mit deren Hilfe entweder wahre Beweise umgestürzt oder falsche so verdeckt würden und einen solchen Anstrich erhielten, daß sie durch sonst niemand umgestürzt werden könnten : während ich bekenne, ganz im Gegenteil nur nach einer solchen Analyse gefragt zu haben, durch die die Gewißheit wahrer Begründungen und die Fehler der falschen erkannt werden. Daher bewegt es mich nicht so sehr, daß 1

Obj. VI (App.) : 421, 5. 2 Obj. VI (App.) : 421, 7 u. 11–12. (App.) : 421, 17–19. 4 Obj. VI (App.) : 421, 12–16.

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Obj. VI

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gelehrte Männer meinen Schlüssen noch nicht zustimmen, als daß sie nach aufmerksamer und oft wiederholter Lektüre meiner Überlegungen in ihnen weder etwas falsch Vorausgesetztes noch etwas unrichtig Abgeleitetes zeigen können. Denn daß sie die Schlüsse nur mit Überwindung gelten lassen, das kann leicht einer eingewurzelten Gewohnheit beigelegt werden, anders darüber zu urteilen, so wie die Astronomen, auf die zuvor bereits hingewiesen wurde, sich nicht leicht vorstellen, daß die Sonne größer als die Erde ist, obwohl sie dies durch ganz sichere Berechnungen beweisen. Ich sehe aber nur eine Ursache, weshalb weder sie, noch irgendwelche anderen Leute, soweit ich weiß, bislang irgendetwas gegen meine Überlegungen vorgebracht haben, nämlich : weil sie insgesamt wahr und gewiß sind ; und zwar insbesondere deswegen, weil sie nicht aus dunklen oder unbekannten Prinzipien, sondern schrittweise zuerst aus dem höchsten Zweifel an allen Dingen und sodann aus solchen Prinzipien deduziert worden sind, die dem von allen Vorurteilen freien Geist als die evidentesten und sichersten erscheinen. Daraus nämlich folgt, daß es in ihnen überhaupt keine Irrtümer geben kann, ohne daß sie leicht von jedem, der auch nur mit mittelmäßiger Geisteskraft ausgestattetet ist, festgestellt werden können. Ich meine deshalb, hier zurecht schließen zu dürfen, daß das, was ich geschrieben habe, durch die Autorität gelehrter Männer, die auch nach mehrmaligen Durchlesen ihm noch nicht zustimmen können, weniger entkräftet als im Gegenteil dadurch eher bekräftigt wird, daß sie nach so sorgfältigen Prüfungen keine Irrtümer bzw. Paralogismen gegen meine Beweise haben anmerken können.

SI E B TE EIN WÄ ND E MI T D EN AN M ER KU NG EN D ES A U TO RE N OD ER AB HA ND LUN G Ü BER D IE E R ST E P HILOSO PHIE.

Sie stellen, hochverehrter Mann, viele Fragen1 hinsichtlich der neuen Methode, das Wahre ausfindig zu machen,2 und Sie verlangen nicht etwa nur, daß ich darauf antworte, sondern drängen mich nachdrücklich dazu. Ich aber werde schweigen3 und Ihnen nicht zur Verfügung stehen, wenn Sie mir nicht vorher Folgendes zusichern : Wir sollten in dieser gesamten Abhandlung alle anderen Autoren völlig ignorieren (animum abducere), die über diese Sache irgendetwas schreiben oder sagen. Ich füge hinzu : Sie sollten ihre Fragen so stellen, daß nicht der Eindruck entsteht, Sie wollten herausbekommen (postulare), was und wie (quo animo) andere Autoren darüber geurteilt (sentire) haben, mit welchem Ergebnis und ob richtig oder schlecht ; sondern gewissermaßen gerade so, als habe niemand vorher diese Dinge beurteilt (sentire), irgendetwas über sie geschrieben und gesagt. Sie sollen nur die Leute befragen, die Schwierigkeiten zu haben scheinen, wenn sie mit Ihnen meditieren und eine neue Methode des Philosophierens aufspüren. Denn auf diese Weise werden wir sowohl die Wahrheit suchen, als auch sie so suchen, daß die Gesetze der Freundschaft und der Ehrerbietung gegen gelehrte Männer unbeschädigt und intakt bleiben. Weil Sie dem zustimmen und es versprechen, werde auch ich dieser Vereinbarung gemäß antworten. Also . . .

451,5

an m erkungen Sie stellen viele Fragen.4 Ich habe diese Dissertation von ihrem Autoren erhalten, nachdem ich ihn inständig darum gebeten hatte, er möge das, was er, wie ich hörte, gegen meine Meditationen 1

Resp. VII : 451, 21. 4 Obj. VII : 451, 5–7.

2

Resp. VII : 452, 6–7.

3

Resp. VII : 453, 19.

451,21

428

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

über die Erste Philosophie verfaßt hatte, »entweder veröffentlichen oder zumindest an mich senden, damit es den übrigen, von anderen erstellten Einwänden gegen diese Meditationen angefügt werden könnte.«1 Ich konnte mich deshalb nicht weigern, sie hier hinzuzufügen. Auch zweifle ich nicht, daß ich es bin, den er an dieser Stelle anspricht, auch wenn ich mich tatsächlich nicht erinnere, ihn jemals danach gefragt zu haben, was er von meiner Methode, das Wahre ausfindig zu machen2 hält. Ganz im Gegenteil : Als ich vor anderthalb Jahren einen Seitenhieb sah, den er gegen mich verfaßt hatte und in dem, wie ich urteilte, nicht nach der Wahrheit gefragt, sondern mir etwas angedichtet wurde, was ich niemals geschrieben und auch nicht gedacht habe, verhehlte ich nicht, daß ich in Zukunft alles, was allein von ihm käme, keiner Antwort für wert halten würde. Aber bekanntlich gehört er einer Gesellschaft an, die durch ihre Gelehrsamkeit und Frömmigkeit berühmt ist, und deren Mitglieder so miteinander verbunden sind, daß nur äußerst selten ein einzelnes ihrer Mitglieder irgendetwas tut, was nicht alle billigen. Ich räume deshalb ein, daß ich nicht nur reklamiert, sondern auch nachdrücklich darauf gedrängt habe, ein Mitglied dieser Gesellschaft möge meine Schriften prüfen und mir alles mitteilen, was in ihnen sich nicht mit der Wahrheit vertragen würde. Auch habe ich viele Gründe hinzugefügt, aufgrund derer ich hoffte, daß man mir dies nicht versagen würde. Außerdem habe ich darauf hingewiesen, daß mir aufgrund dieser Hoffnung »alles sehr willkommen sein wird, was in Zukunft entweder von diesem Autoren oder von irgendjemand anderem von dieser Gesellschaft über meine Meinungen geschrieben werden würde. Ich werde nicht zweifeln, daß es, wessen Namen es letztlich auch tragen mag, nicht von diesem einen, sondern von vielen der gelehrtesten und klügsten Mitgliedern dieser Gesellschaft verfaßt, geprüft

1

an Mersenne, 22. XII. 1641 : AT III, 466, 26–467, 2. 5–6.

2

Obj. VII : 451,

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

429

und korrigiert sein wird, und es daher keine Sticheleien, keine Sophismen, keine Schmähungen, kein leeres Geschwätz, sondern nur feste und zuverlässige Gründe enthalten, und daß keines der Argumente, die mit Recht gegen mich vorgebracht werden können, in ihm ausgelassen sein würde : so daß ich mich darauf verlassen könnte, durch dieses eine Schriftstück von allen meinen Irrtümern befreit zu werden, und daß, wenn irgendetwas von dem, was ich veröffentlicht habe, in ihm nicht zurückgewiesen werden wird, es von niemandem zurückgewiesen werden kann, und ich es für schlechterdings wahr und gewiß halten kann.«1

Wenn ich sicher wäre, daß diese Dissertation keine Sticheleien, keine Sophismen, keine Schmähungen, kein leeres Geschwätz enthielte, würde ich genau so über sie urteilen und glauben, daß sie auf Anregung der gesamten Gesellschaft geschrieben sei. Wenn sie jedoch welche enthält, dann halte ich es für unerlaubt, zu vermuten, sie sei von so heiligen Männern hervorgebracht worden. In dieser Sache aber vertraue ich meinem Urteil nicht ; deshalb möchte ich meine Ansichten hier offen und ehrlich sagen, nicht damit der Leser in irgendeiner Weise meinen Worten glaubt, sondern lediglich, um ihm die Gelegenheit zu geben, die Wahrheit zu untersuchen. Ich aber werde schweigen usw.2 Hier verspricht unser Autor, daß er nicht die Schrift von irgendeinem Autoren bekämpfen, sondern nur auf das antworten wird, wonach ich ihn gefragt habe. Doch ich habe ihn niemals irgendetwas gefragt, habe ich doch diesen Menschen weder jemals angesprochen noch gesehen. Außerdem setzt er das, wovon er vortäuscht, daß ich es ihn frage, zum Großteil aus Worten zusammen, die in meinen Meditationen enthalten sind ; ganz offensichtlich sind es also eben diese Meditationen, die er bekämpft. Möglicherweise sind die Ursachen, weshalb er so tut, als sei das Gegenteil der Fall, ehrenhaft und fromm. Aber ich kann nicht umhin, den Verdacht 1

an Mersenne, 30. VIII. 1640 : AT III, 172, 21–173, 5. 7 ff.

2

Obj. VII : 451,

453,19

430

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

zu hegen, daß er glaubt, mir auf diese Weise ganz frei Beliebiges andichten zu können, weil er dann nämlich mit Verweis auf meine Schriften nicht der Lüge wird überführt werden können, da er ja erklärt, sie gar nicht zu bekämpfen. Ich hege außerdem den Verdacht, daß er Vorsorge treffen möchte, den Lesern die Gelegenheit zu nehmen, meine Schriften zu prüfen : denn wenn er über sie sprechen würde, würde er den Lesern vielleicht genau diese Gelegenheit verschaffen. Statt dessen zieht er es vor, mich als einen solchen Trottel und völlig Ahnungslosen hinzustellen, damit er die Leser davon abbringen kann, irgendetwas von dem zu lesen, was ich jemals hervorbringen werde. So versucht er, mein Gesicht durch eine aus Fragmenten meiner Meditationen schlecht zusammengesetzte Maske weniger zu bedecken als vielmehr zu entstellen. Ich aber reiße die Maske herab und schleudere sie fort, denn weder bin ich gewöhnt, Maskerade zu treiben, noch ist dies hier angebracht, wo es mir darum geht, mit einem religiösen Mann ernsthafte Fragen zu erörtern.

E R S T E F R AG E . O B U N D I N W E LC H E R W E I S E DA S Z W E I F E L H A F T E F Ü R FA L S C H G E H A LT E N W E R D E N M U S S . 454,16

Sie fragen, ob dieses Gesetz, die Wahrheit aufzuspüren, legitim ist : Alles, was auch nur den geringsten Zweifel aufweist, das muß für falsch gehalten werden. Damit ich antworten kann, muß ich Sie einiges fragen : 1. Was ist dieser geringste Zweifel ? 2. Was ist jenes Für-Falsch-Halten-Müssen ? 3. Inwiefern muß es für falsch gehalten werden ?

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

431

§ 1 . WA S I S T D E R G E R I N G S T E Z W E I F E L ? Was ist in bezug auf den Zweifel dieses Geringste ? Sie behaupten : »Ich werde Sie nicht lange aufhalten müssen. Etwas unterliegt einem Zweifel, wenn ich entweder zweifeln kann, ob es es gibt oder ob es sich so verhält, und zwar nicht aufs Geratewohl, sondern aus triftigen Gründen.1 Außerdem unterliegt etwas einem Zweifel, wenn mich ein böser Geist betrügen kann, der mir vorgaukeln und durch Tricks und Blendwerke bewirken will, daß mir das als klar und sicher erscheint, was tatsächlich falsch ist, obwohl es mir klar erscheinen mag. Im ersten Fall liegt ein beträchtlicher Zweifel vor ; im zweiten immerhin ein gewisser, aber nur jener geringste, der ausreicht, um etwas zweifelhaft zu nennen und es auch zu sein. Möchten Sie ein Beispiel ? Es gibt eine Erde, einen Himmel, Farben ; Sie haben einen Kopf, Augen, einen Körper und einen Geist : Das sind Zweifel der ersten Art. Zweifel der zweiten Art sind : 2 und 3 ergeben 5 ; Das Ganze ist größer als sein Teil, und dergleichen.« Toll. Wenn sich die Sache aber so verhält, was bitte wird es dann geben, das nur einen gewissen Grad des Zweifels hat ? Was könnte gegen die Furcht immun sein, die der pfiffige Geist intendiert ? Sie behaupten : »Nichts, überhaupt nichts,2 bis wir auf der Basis der zuverlässigsten Prinzipien der Metaphysik sicher herausgefunden haben werden, daß es Gott gibt und daß er nicht betrügen kann ; denn es gilt hier das einzige Gesetz : In Unkenntnis des Sachverhalts, ob es Gott gibt, und, wenn es ihn gibt, ob er ein Betrüger sein kann, scheine ich mir niemals irgendeiner Sache ganz sicher sein zu können. Damit Sie meine Ansicht (mens) ganz unmißverständlich erkennen können : Nur wenn ich weiß, daß es Gott gibt – und zwar den wahrhaftigen Gott, der jenen bösen Geist bändigt – werde ich mich nicht ständig fürchten können und müssen, daß er mir etwas Falsches vorgaukelt und es mir unter dem Deckmantel (species) der Wahrheit als klar und gewiß aufbindet. Sobald ich aber ganz eingesehen habe, daß es Gott gibt und er weder betrogen werden noch betrügen kann und er deshalb notwendig verhindert, daß der Geist mich in dem hinters Licht führt, was ich klar und deutlich eingesehen habe, dann werde ich, wenn es etwas gibt, das ich 1

Resp. VII : 459, 25.

2

Resp. VII : 460, 13.

455,2

455,16

432

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

klar und deutlich erkenne, sagen können, daß es wahr, daß es gewiß ist. Denn dann wird dies die Regel des Wahren und Sicheren sein : Alles das ist wahr, was ich ganz klar und deutlich erfasse.« Es gibt keine weiteren Fragen, die ich darüber hinaus stellen möchte. Ich komme daher zum zweiten Punkt.

§ 2 . WA S I S T DA S F Ü R - FA L S C H - H A LT E N - M Ü S S E N ? 456,8

Da Sie es beispielsweise für zweifelhaft halten, daß Sie Augen, einen Kopf, einen Körper haben, und Sie dies deshalb ja für falsch halten müssen, möchte ich von Ihnen wissen, was dieses Für-Falsch-Halten-Müssen ist. Erschöpft es sich darin, zu glauben und zu sagen : Es ist falsch, daß ich Augen, einen Kopf, einen Körper habe ? Oder besteht es darin, das zu glauben, dann den Willen in das gerade Gegenteil zu verkehren1 und zu sagen : Ich habe keine Augen, keinen Kopf, keinen Körper ; oder, mit einem Wort gesagt : das Gegenteil dessen, was zweifelhaft ist, zu glauben, zu sagen und zu setzen ?2 Sie sagen : »Genau das.« Na gut. Aber ich möchte, daß Sie noch weiter antworten. Es ist nicht sicher, daß 2 und 3 5 ergeben. Soll ich also etwa glauben und setzen : 2 und 3 ergeben nicht 5 ? Sie sagen : »Glauben Sie es und setzen Sie es«. Ich fahre fort : Es ist nicht sicher, daß ich, während ich dies spreche, wach bin und nicht träume. Soll ich also etwa glauben und sagen : Während ich so spreche, bin ich nicht wach, sondern träume ? Sie sagen : »Glauben Sie es und sagen Sie es«. Ich möchte, um Ihnen nicht zu sehr auf die Nerven zu gehen, nur noch als letztes hinzufügen : Es ist nicht gewiß, daß das gewiß und klar ist, was jemandem als klar und gewiß erscheint, der im Zweifel ist, ob er wacht oder schläft. Soll ich also etwa glauben und sagen : Das, was jemandem, der im Zweifel ist, ob er wacht oder schläft, als klar und gewiß erscheint, das ist nicht klar und gewiß, sondern dunkel und falsch ? Weshalb zögern Sie ? Sie können sich nicht über Gebühr dem Widerspruchsgeist hingeben.3 Oder ist es Ihnen etwa niemals passiert, wie so vielen anderen Leuten, daß Sie später 1

Med. I : 22, 13. 22, 19–20.

2

Resp. VII : 460, 30–461, 1 ; 465, 7–8 ; 16.

3

Med. I :

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

433

herausfanden, daß das, was Ihnen im Traum gewiß und klar erschien, zweifelhaft und falsch war ? Sicherlich besteht Klugheit darin, sich niemals blind auf jene zu verlassen, die Dich auch nur einmal betrogen haben.1 Sie sagen : »Aber bei Dingen, die absolut gewiß sind, verhält sich die Sache ganz anders. Diese Dinge können nämlich selbst Träumenden oder Wahnsinnigen nicht zweifelhaft erscheinen.«2 Wollen Sie im Ernst sagen, daß Sie sich das absolut Gewisse so zusammenzimmern können, daß es noch nicht einmal Träumenden oder Wahnsinnigen zweifelhaft erscheinen kann ? Was ist denn dann das absolut Gewisse ? Wenn Schlafenden und Leuten, die nicht ganz bei Trost sind, zuweilen lächerliche oder ganz absurde Dinge als gewiß und sogar als absolut gewiß erscheinen, warum kann ihnen nicht auch das Gewisse, und sogar das absolut Gewisse als falsch und zweifelhaft erscheinen ? Ich kannte jemanden, der irgendwann einmal, als er kurz davor war, einzuschlafen, es 4 Uhr schlagen hörte und so zählte : eins, eins, eins, eins. Als ihm dann auffiel (animo concipere), daß das ganz absurd war, rief er : »Mein Gott, die Uhr spinnt ! Sie hat viermal 1 Uhr geschlagen«. Was aber ist so absurd und vernunftwidrig, daß es einem Schlafenden, einem Wahnsinnigen nicht einfallen könnte ? Was, das ein Träumender nicht gelten ließe, nicht glauben und zu dem er sich nicht beglückwünschen würde, gleichsam als habe er etwas ganz Tolles herausgefunden und ausgedacht ? Um mich mit Ihnen nicht langwierig herumzuzanken : Sie werden niemals bewirken können, daß diese Aussage : Das, was jemandem, der im Zweifel ist, ob er träumt oder wacht, gewiß erscheint, ist gewiß, und zwar so gewiß, daß es gleichsam als Fundament einer absolut gewissen und sorgfältigen Wissenschaft und Metaphysik aufgestellt werden kann – ich sage : Sie werden niemals bewirken, daß ich dies für so gewiß halte wie 2 und 3 ergeben 5, geschweige denn für so gewiß, daß niemand daran in irgendeiner Weise zweifeln und diesbezüglich auch nicht von irgendeinem bösen Geist betrogen werden kann. Und ich fürchte nicht, daß mich irgendjemand für starrsinnig halten wird, wenn ich auf dieser Ansicht (mens) beharre. Deswegen werde ich auch nach Ihrem Gesetz so sagen : Es ist nicht gewiß, daß etwas gewiß ist, was jemandem gewiß erscheint, der zweifelt, ob er wacht oder 1

Med. I : 18, 17–19.

2

Resp. VII : 461, 17–18.

434

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

träumt. Also kann und muß das, was jemandem gewiß erscheint, der in Zweifel ist, ob er wacht oder schläft, für gewissermaßen falsch gehalten werden und es muß insgesamt als falsch gelten. Falls Sie aber noch irgendeine besondere Regel in der Hinterhand haben, so teilen Sie sie mir bitte mit. Ich komme zum dritten Punkt.

§ 3 . I N W I E F E R N M U S S E S F Ü R FA L S C H G E H A LT E N W E R D E N ? 458,2

458,1 458,13

458,22

Es scheint also nicht gewiß zu sein, daß 2 und 3 5 ergeben, und nach der voranstehenden Regel muß ich glauben und sagen : 2 und 3 ergeben nicht 5. Deshalb frage ich : Muß ich dies permanent so glauben und deshalb davon überzeugt sein, daß es sich nicht anders verhalten kann und es gewiß ist ?1 Sie wundern sich über meine Frage, was mich wiederum nicht wundert, da ich mich selbst wundere. Doch ist es nötig, daß Sie antworten, zumindest wenn Sie von mir eine Antwort erwarten. Wollen Sie, daß ich dies für gewiß halte : 2 und 3 ergeben nicht 5 ? Wollen Sie, daß das so ist, und es sogar allen Leuten gewiß erscheint, und zwar so gewiß, daß es auch vor den Tricks (ars) des bösen Geistes geschützt ist ? Sie lachen und sagen : »Wie kann einem normalen Menschen so etwas einfallen ?«2 Was denn nun ? Wird es genauso zweifelhaft und ungewiß sein wie 2 und 3 ergeben 5 ? Wenn das so ist, wenn 2 und 3 ergeben nicht 5 zweifelhaft ist, dann muß ich glauben und Ihrem Gesetz zufolge sagen, daß es falsch ist, und demnach das Gegenteil setzen und feststellen : 2 und 3 ergeben 5, und in derselben Weise werde ich in den übrigen Fällen verfahren. Weil es nun nicht gewiß zu sein scheint, daß es irgendeinen Körper gibt, werde ich sagen : Es gibt keinen Körper. Und weil das Es gibt keinen Körper nicht gewiß ist, werde ich den Willen in das genaue Gegenteil verkehren und sagen : Es gibt einen Körper ; und so wird es den Körper zugleich geben und nicht geben. Sie sagen : »Genauso ist es, denn genau das ist zweifeln : sich im Krei1

Resp. VII : 461, 9–10 ; 524, 7–8.

2

Resp. VII : 557, 25–26.

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

435

se drehen,1 vorangehen, zurückgehen, dies und jenes behaupten und bestreiten, einen Nagel einschlagen und ihn wieder herausziehen.« Ganz großartig. Was aber fange ich mit den Dingen an, die zweifelhaft waren, was soll ich tun ? Was mit 2 und 3 ergeben 5 und mit Es gibt einen Körper ? Soll ich es nun setzen oder bestreiten ? Sie sagen : »Sie sollen es weder setzen noch bestreiten und keines der beiden vertreten, sondern beide für gleichsam falsch halten,2 und von Dingen, die so wackelig sind, nichts erwarten, es sei denn etwas, das auch wackelig, zweifelhaft und ungewiß ist.« Es gibt nichts mehr, was ich Sie fragen möchte. Ich verschiebe aber meine Antwort und stelle zuerst einen kurzen Syllabus3 Ihrer Lehre auf.

458,25

458,28

459,2

1. Wir können an allen Dingen und insbesondere an den materiellen zweifeln, solange wir keine anderen Fundamente der Wissenschaften besitzen als die, die wir vorher besessen haben. 2. Etwas für falsch zu halten bedeutet, ihm unsere Zustimmung vorzuenthalten, gleichsam als wäre es offensichtlich falsch, unseren Willen in das gerade Gegenteil zu verkehren und so zu tun, als ob unsere Meinung über es gleichsam falsch und bloß vorgestellt ist.4 3. Man muß das, was zweifelhaft ist, so sehr für falsch halten, daß man auch sein Gegenteil für zweifelhaft und falsch hält.

a n m erkunge n. Ich müßte mich schämen, allzu sorgfältig zu sein und meinerseits viele Worte darauf zu verwenden, alles anzumerken, was hier mit Worten ausgedrückt wird, in denen ich die meinigen nur schwer wiedererkenne. Ich bitte die Leser nur, im Gedächtnis das zu wiederholen, was ich in der 1. Meditation und am Anfang der 2. und 3. sowie deren Synopsis geschrieben habe. 1

Resp. VII : 462, 5. 2 Resp. VII : 465, 10–11 ; 524, 11–12. 3 Ein Syllabus ist ein kurzes Register oder Verzeichnis. Im Theologenlatein bezeichnet es insbes. ein Verzeichnis falscher Ansichten. 4 Resp. VII : 465, 12–15.

459,15

436

459,25

460,13

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

Wenn sie das tun, werden sie erkennen, daß fast alles, was sich hier findet, zwar von dort entlehnt ist, aber derartig durcheinander gebracht, verdreht und verkehrt interpretiert vorgebracht wird, daß es hier zum größten Teil ganz absurd zu sein scheint, obwohl es dort nichts gibt, was nicht der Vernunft entspricht. Aus triftigen Gründen.1 Ich habe deswegen am Ende der 1. Meditation gesagt, daß wir an allem, das wir bislang noch nicht ausreichend klar durchschaut haben, »aus triftigen und wohlüberlegten Gründen«2 zweifeln, weil ich dort nur jenen höchsten Zweifel thematisierte, der, wie ich oft betont habe, ein metaphysischer, hyperbolischer Zweifel ist, der in keiner Weise auf die Praxis des Lebens übertragen werden darf, und für den alles, was auch nur den geringsten Verdacht aufkommen lassen kann, schon als ausreichend triftiger Grund [zum Zweifeln] gelten muß. Der freundliche und aufrichtige Herr hingegen führt hier als Beispiel für das, in bezug worauf ich von »triftigen Gründen« gesprochen habe, an, ob es eine Erde gibt, ob ich einen Körper habe, und dergleichen, damit seine Leser, die über diesen metaphysischen Zweifel nichts wissen, ihn auf die Praxis des Lebens beziehen und meinen, mein Geist sei doch etwas verwirrt. Sie behaupten : »Nichts, überhaupt nichts.«3 In welchem Sinne dieses Nichts verstanden werden muß, habe ich an vielen Stellen erklärt. Nämlich folgendermaßen : Solange wir irgendeine Wahrheit berücksichtigen, die wir ganz klar erfassen, können wir sie zwar nicht bezweifeln ; sobald wir aber, wie es oft vorkommt, keine so berücksichtigen, gibt es keine, an der wir nicht zurecht zweifeln, wenn wir nicht wissen, daß alles wahr ist, was wir klar erfassen – und zwar auch dann, wenn wir uns erinnern, zuvor viele Wahrheiten ganz klar durchschaut zu haben. Der sorgfältige Mann hingegen versteht hier das Nichts anders. Er schließt daraus, daß ich einmal gesagt hatte, es gebe nichts, woran man nicht zweifeln dürfe – nämlich in der ersten Meditation, in der ich voraussetzte, nichts zu berücksichtigen, was ich nicht 1

Obj. VII : 455, 5.

2

Med. I : 21, 30.

3

Obj. VII : 455, 18.

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

437

klar erfaßte –, daß ich auch im Folgenden nichts sicher erkennen könne : gleichsam als seien die Gründe, die wir zuweilen haben, an einem Ding zu zweifeln, nicht legitim und triftig, wenn sie nicht nachweisen, daß das entsprechende Ding auf immer und ewig bezweifelt werden muß. Das Gegenteil dessen, was zweifelhaft ist, zu glauben, zu sagen und zu setzen.1 Wenn ich gesagt habe, das Zweifelhafte müsse einstweilen für falsch gehalten, bzw. gleichsam als falsch zurückgewiesen werden, dann verstehe ich das so, daß man, um metaphysisch sichere Wahrheiten zu untersuchen, keine größere Rücksicht auf das Zweifelhafte als auf das völlig Falsche nehmen darf. Und das habe ich doch auch so nachvollziehbar erklärt, daß mir scheint, niemand von gesundem Geist könne meine Worte anders interpretieren, und nur jemand, dem es nichts ausmacht, wenn man ihn für einen Lästerer hält, konnte mir andichten, ich hätte das Gegenteil von dem glauben wollen, was zweifelhaft ist, und sogar, wie es wenig später heißt, so zu glauben, daß ich überzeugt sein muß, daß es sich nicht anders verhalten kann und es gewiß ist.2 Obwohl unser Autor letzteres nicht behauptet, sondern nur als zweifelhaft vorbringt, so wundere ich mich doch, daß ein so heiliger Mann in dieser Hinsicht jene schädlichsten Ehrabschneider nachahmen wollte, die häufig das, was sie über andere Leute glauben machen wollen, nur so nebenhin erzählen und hinzufügen, sie selbst glaubten es nicht, damit sie ungestraft lästern können. Aber bei Dingen, die absolut gewiß sind, verhält sich die Sache ganz anders. Diese Dinge können nämlich selbst Träumenden oder Wahnsinnigen nicht zweifelhaft erscheinen.3 Ich weiß nicht, durch welche Analyse dieser ganz spitzfindige Herr dies aus meinen Schriften deduzieren konnte. Ich erinnere mich nämlich nicht, irgendetwas dergleichen jemals auch nur im Traum gedacht zu haben. Er hätte zwar aus meinen Schriften schließen können, daß alles, was irgendjemand klar und deutlich erfaßt, wahr ist, auch wenn dieser jemand manchmal zweifeln kann, ob er träumt oder 1

Obj. VII : 456, 14.

2

Obj. VII : 458, 4–6.

3

Obj. VII : 457, 1–3.

460,30

461,17

438

462,5

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

wacht, und meinetwegen sogar wenn er träumt oder wenn er verrückt ist. Denn alles, was klar und deutlich erfaßt wird, ist gerade so, wie es erfaßt wird, will sagen : es ist wahr, und zwar gleichgültig, von wem es erfaßt wird. Weil aber allein kluge Leute richtig unterscheiden zwischen dem, was so erfaßt wird, und dem, was nur so scheint oder erscheint, verwundert es mich nicht, daß der gute Mann hier das eine mit dem anderen verwechselt. Genau das ist zweifeln : sich im Kreise drehen usw.1 Ich habe gesagt, auf das Zweifelhafte dürfe nicht mehr Rücksicht genommen werden, als wenn es völlig falsch wäre, um das Denken von ihm völlig fernzuhalten, nicht aber, um bald das eine, bald dessen Gegenteil zu behaupten. Unser Autor aber hat keine Gelegenheit zum Lästern ungenutzt verstreichen lassen. Bei alledem ist es aber äußerst beachtlich, daß er selbst hier am Ende, wo er sagt, er stelle einen kleinen Syllabus meiner Lehre auf, mir nichts von dem beilegt, was er im Vorhergehenden oder im Folgenden zurückweist oder lächerlich macht. Und so wissen wir, daß er mir dies nur zum Scherz angedichtet, es aber nicht ernsthaft geglaubt hat. A N T WO RT.

462,17

462,23

Antw. 1. Wenn man das Gesetz, daß beim Aufspüren des Wahren das für falsch gehalten werden muß, was auch nur dem geringsten Zweifel unterliegt, so versteht : Wenn wir aufspüren möchten, was gewiß ist, dürfen wir uns in keiner Weise auf etwas stützen, was nicht gewiß ist, oder irgendeinem Zweifel unterliegt – dann ist es ein legitimes Gesetz, im Gebrauch bewährt und hat Geltung bei allen Philosophen. Antw. 2. Wenn das besagte Gesetz so verstanden wird : Wenn wir aufspüren wollen, was gewiß ist, müssen wir alles zurückweisen, was nicht gewiß oder in irgendeiner Weise zweifelhaft ist, damit wir es in keiner Weise verwenden. Demgemäß betrachten wir es gleichsam so, als sei es gar nicht da, oder vielmehr betrachten wir es überhaupt nicht, 1

Obj. VII : 458, 22.

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439

sondern wenden unser Gemüt ganz von ihm ab – dann ist es auch ein legitimes und unbestrittenes Gesetz, das auch Anfänger schon benutzen,1 und es weist eine solche Verwandtschaft mit dem vorherigen Gesetz auf, daß es von ihm kaum verschieden ist. Antw. 3. Wenn das besagte Gesetz so aufgefaßt wird : Wenn wir aufspüren möchten, was gewiß ist, dann müssen wir alles Zweifelhafte so zurückweisen, daß wir setzen, es sei faktisch nicht da, oder es sei tatsächlich sein Gegenteil da ; diese Voraussetzung müssen wir gleichsam als festes Fundament verwenden, bzw. wir müssen das nicht existierende Zweifelhafte verwenden, oder uns auf die Nichtexistenz des Zweifelhaften stützen – dann ist dieses Gesetz illegitim, täuschend, und steht mit einer guten Philosophie im Widerspruch, da es etwas Zweifelhaftes und Unsicheres zum Ausfindigmachen des Wahren und Sicheren voraussetzt, oder etwas gleichsam als sicher voraussetzt, was sich mal auf die eine, mal auf die andere Weise verhalten kann, wie zum Beispiel daß das, was zweifelhaft ist, faktisch nicht existiert, obwohl es möglich ist, daß es existiert. Antw. 4. Wenn jemand dieses Gesetz so versteht wie gerade eben ausgeführt und er es verwenden wollte um das Wahre und Gewisse aufzuspüren, so wären seine Bemühungen vergeblich und er würde sich ergebnislos in einer Tretmühle herumdrehen, denn er würde das, was er gesucht hat, nicht finden, sondern vielmehr dessen Gegenteil. Möchten Sie ein Beispiel ? Jemand möchte ausfindig machen, ob er ein Körper oder körperlich sein kann. Dafür verwendet er unter anderem diesen Satz : »Es ist nicht sicher, daß irgendein Körper existiert. Also soll ich nach dem aufgestellten Gesetz setzen und sagen :2 Es existiert kein Körper«. Er kommt dann auf Folgendes : »Es existiert kein Körper ; ich selbst aber bin und existiere, wie mir von woanders her gut bekannt ist ; also kann ich kein Körper sein.« So weit, so gut ; aber aufgepaßt : Er kann aus derselben Prämisse auch das Gegenteil ableiten. Er sagt : »Es ist nicht gewiß, daß ein Körper existiert ; also setze und sage ich nach dem Gesetz : Es existiert kein Körper. Wie aber steht es mit dem Satz : Es existiert kein Körper ? Er ist doch auch zweifelhaft und unsicher. Was leistet er also ? Und wo kommt er her ? Die Sache ist erledigt. Dieser 1

Resp. VII : 464, 6–7 ; 15–16.

2

Resp. VII : 465, 3.

463,3

463,14

440

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Satz ist zweifelhaft : Es existiert kein Körper ; also sage ich nach dem Gesetz : Ein Körper existiert. Ich aber bin und existiere ; also kann ich ein Körper sein, wenn nichts anderes dagegen spricht. Schau mal einer an, ich kann ein Körper sein und kann kein Körper sein.« Reicht das ? Ich fürchte, daß es noch nicht reicht, wie ich aus den folgenden Fragen entnehme. Und so

anm erkungen. 464,4

Hier in den beiden ersten Antworten billigt er jede Einschätzung, die ich in bezug auf die vorliegende Sache entweder selbst vertreten habe, oder die aus meinen Schriften entwickelt werden kann. Er aber fügt hinzu, dieses Gesetz sei ganz allgemein und auch Anfänger würden es schon benutzen.1 In den letzten beiden Antworten hingegen kritisert er eine Einschätzung, von der er glauben machen will, ich hätte sie so vertreten, obwohl sie so absurd ist, daß sie einem gesunden Menschen gar nicht einfallen kann. Sehr pfiffig, um diejenigen, die entweder meine Meditationen nicht gelesen oder sie nicht so aufmerksam gelesen haben, um richtig zu wissen, was in ihnen enthalten ist, durch seine Autorität bewegt meinen zu lassen, ich hätte alberne Meinungen, und gleichzeitig die anderen, die dies nicht glauben, zumindest davon zu überzeugen, ich hätte nichts zustandegebracht, was nicht ganz allgemein sei und auch schon von Anfängern benutzt werde. Aber : Darüber disputiere ich nicht. Ich habe mir auch niemals irgendwelchen Ruhm aufgrund der Neuheit meiner Meinungen erwerben wollen, denn ich halte sie im Gegenteil für die ältesten überhaupt, weil sie die wahrsten sind. Außerdem bin ich gewöhnlich auf nichts anderes bedacht als darauf, gewisse allereinfachste Wahrheiten zu bemerken, die unseren Geistern angeboren sind, weshalb alle anderen, sobald sie auf sie aufmerksam gemacht werden, meinen, sie seien ihnen niemals unbekannt gewesen. Auch kann man sich leicht einsichtig machen, daß dieser Autor nur deshalb meine Meinungen 1

Obj. VII : 462, 22–463, 1.

441

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bekämpft, weil er sie für gut und neu hält. Denn wenn er tatsächlich glauben würde, daß sie so absurd sind, wie er tut, hätte er doch wohl geurteilt, daß sie es eher wert sind, verachtet und stillgeschwiegen als lang und anspruchsvoll zurückgewiesen zu werden. Also setze und sage ich nach dem aufgestellten Gesetz das Gegenteil.1 Ich möchte gerne wissen, auf welchen Tafeln er jemals dieses Gesetz niedergeschrieben gefunden hat. Er hat es zwar bereits weiter oben erwähnt ; ich aber habe auch dort bereits bestritten, daß es mein Gesetz ist, nämlich in den Anmerkungen auf die Worte : Das Gegenteil dessen, was zweifelhaft ist, zu glauben, zu sagen und zu setzen.2 Auch vermute ich nicht, daß er weiterhin behaupten würde, daß es mein Gesetz ist, wenn er nach dieser Sache gefragt werden würde. Denn oben in § 3 hat er mich bezüglich dessen, was zweifelhaft ist, so sprechen lassen : Sie sollen es weder setzen noch bestreiten, sondern beide für gleichsam falsch halten.3 Und kurz danach, in seinem Syllabus meiner Lehre, hält er es für angebracht, dem Zweifelhaften seine Zustimmung vorzuenthalten, gleichsam als wäre es offensichtlich falsch, und unseren Willen in das gerade Gegenteil zu verkehren und so zu tun, als ob seine Meinung über es gleichsam falsch und bloß vorgestellt ist.4 Das ist etwas ganz anderes als das Gegenteil zu setzen und zu sagen, nämlich in dem Sinne, daß dieses Gegenteil für wahr gehalten wird, wie er hier voraussetzt. Dort, wo ich selbst in der 1. Meditation gesagt habe, ich wolle eine Zeitlang mich von dem Gegenteil dessen zu überzeugen versuchen, was ich zuvor blindlings geglaubt hatte, habe ich sofort hinzugefügt, daß ich dies wolle, damit ich »gleichsam bei ausgeglichenen Gewichten beiderlei Vorurteile«5 dem einen nicht mehr als dem anderen zuneigen würde, nicht aber damit ich eines von beiden für wahr gelten ließe, geschweige denn, um es gleichsam als Fundament eines zuhöchst sicheren Wissens aufzustellen, wie er anderswo auch stichelt. Daher möchte ich wohl wissen, mit welcher Absicht er 1

Obj. VII : 463, 20. 2 Obj. VII : 456, 14 ; 460, 30–461, 1. 458, 28. 4 Obj. VII : 459, 7. 5 Med. I : 22, 15–16.

3

Obj. VII :

465,3

442

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dieses sein Gesetz aufgestellt hat. Wenn [er es getan hat], um es mir anzudichten, läßt seine Aufrichtigkeit zu wünschen übrig. Denn aus dem Gesagten ergibt sich, daß er sehr wohl weiß, daß es nicht mein Gesetz ist : Es ist ganz unmöglich, daß jemand meint, man müsse beides für gleichsam falsch halten – was ich, wie er gesagt hat, meine –, und zugleich das Gegenteil des einen setzt und sagt, es sei wahr, wie es in diesem Gesetz heißt. Wenn er es aber nur zum Vergnügen (animi causa) aufgestellt hat, damit er irgendetwas hätte, was er bekämpfen könnte, so bin ich über den Scharfsinn seiner Geisteskraft verwundert, weil er sich nichts Wahrscheinlicheres oder Spitzfindigeres hat ausdenken können. Ich bin auch verwundert darüber, daß er so viel freie Zeit hat, mit so vielen Worten eine Meinung zurückzuweisen, die so absurd ist, daß sie noch nicht einmal einem siebenjährigen Kind glaubhaft erscheinen kann. Es muß nämlich darauf hingewiesen werden, daß er bislang nichts bekämpft hat außer diesem höchst albernen Gesetz. Schließlich bewundere ich die Kraft seiner Anschauung ; denn während er nur gegen jene fadenscheinige und aus seinem Gehirn entsprungene Chimäre ankämpft, legt er sein Vorgehen in genau derselben Weise an und verwendet stets dieselben Worte, als ob er mich zum Gegner hätte und sich seinem Widersacher persönlich gegenüber sähe.

Z W E I T E F R AG E . O B D I E M E T H O D E D E S P H I LO S O P H I E R E N S D U RC H V E RW E R F U N G A L L E S Z W E I F E L H A F T E N E I N E G U T E M E T H O D E I S T. 466,20

466,24

Sie fragen 2., ob die Methode des Philosophierens durch Verwerfung alles dessen, was irgendwie zweifelhaft ist, eine gute Methode ist. Aber wenn Sie diese Methode nicht ausführlicher darlegen, ist es nicht gerechtfertigt, von mir eine Antwort zu erwarten ; genau das tun Sie aber. Sie sagen : »Wenn ich philosophieren, wenn ich ausfindig machen möchte, ob es irgendetwas Gewisses und sogar absolut Gewisses gibt, und was es ist, gehe ich so vor : Ich halte alles, was ich einst geglaubt

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

443

habe, was ich zuvor gewußt habe, für falsch, weil es zweifelhaft und ungewiß ist.1 Ich verwerfe es völlig und überrede mich, daß es keine Erde gibt, keinen Himmel und nichts von den Dingen, von denen ich vorher glaubte, daß es sie auf der Welt gibt, und überrede mich statt dessen, daß es weder die Welt selbst, noch irgendeinen Körper, noch einen Geist, mit einem Wort : nichts gibt. Dann, nachdem ich diese allgemeine Verwerfung vorgenommen und eingestanden habe, daß es nichts gibt, steige ich tief in meine Philosophie ein, und mache mich unter ihrer Anleitung vorsichtig und bedacht auf die Spur des Wahren und Gewissen, ganz so, als gäbe es einen äußerst mächtigen und äußerst verschlagenen Geist, der mich zum Irrtum verleiten will. Deshalb, um nicht betrogen zu werden, schaue ich mich aufmerksam um und habe den festen Vorsatz, nur das zuzugestehen, was sogeartet ist, daß der pfiffige Geist, wie sehr er sich auch bemühen mag, mich darin in keiner Weise hinters Licht führen kann, und sogar ich selbst gar nicht umhin kann, zu sehen, daß es vorhanden ist und keine Rede davon sein kann, zu bestreiten, daß es vorhanden ist. Ich denke also, wende es hin und her, bis mir irgendetwas derartiges begegnet, und sobald ich es angetroffen habe, verwende ich es als Archimedischen Punkt, um das Übrige ausfindig zu machen. Auf diese Weise erlange ich absolut sicher und ausgemacht das eine aus dem anderen.« Ganz großartig. Auf den ersten Blick (species) würde ich erwidern, daß mir diese Methode als außerordentlich brilliant erscheinen will. Aber weil Sie eine sorgfältige Antwort erwarten und ich eine solche erst geben kann, wenn ich Ihre Methode vorher durch Praxis und einige Übung ausprobiert habe, wollen wir einen bewährten und sicheren Weg einschlagen : Wir wollen selbst erforschen, was eigentlich an ihr ist ; und weil Sie ja alle Kurven, Schleichwege und Gabelungen kennen und sich lange darin geübt haben, sollen Sie mein Führer sein. Nun also, Sie haben einen bereitwilligen Verbündeten oder Schüler ; wir warten auf eine Ansage : Was befehlen Sie ? Auf diese Reise mache ich mich gern, auch wenn sie neu ist und mir, der ich an Finsternis nicht gewöhnt bin, Furcht einflößt, so stark zieht mich die Aussicht (species) auf das Wahre an. Ich höre auf Sie, Sie befehlen : Ich will tun, was Sie tun, sobald 1

Resp. VII : 472, 28.

467,18

444

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

ich es sehe ; ich will den Fuß genau da hinsetzen, wo Sie ihn hinsetzen. In der Tat eine ganz ausgezeichnete Weise, zu befehlen und zu führen. Ganz wie Sie wollen ! Ich bin ganz Ohr.1

§ 1 . E I N Z U G A N G Z U R M E T H O D E W I R D E RÖ F F N E T. 468,2

Sie sagen : Am Anfang, wenn ich mir die alten Ansichten vergegenwärtige, bin ich zuletzt gezwungen, einzuräumen, daß es unter dem, was ich seit langem für wahr gehalten habe, nichts gibt, das nicht bezweifelt werden dürfte, und zwar nicht aus Unbesonnenheit oder Leichtsinn, sondern aufgrund triftiger und wohlüberlegter Gründe. Wenn ich irgendetwas Sicheres herausfinden will, muß ich deshalb bis auf weiteres auch diesem nicht weniger als dem offenbar Falschen die Zustimmung entziehen.2 Deswegen handele ich, wie ich vermute, nicht verkehrt, wenn ich mich selbst täusche und, indem ich meinen Willen in das glatte Gegenteil verkehre, so tue, als ob diese Ansichten insgesamt falsch und vorgestellt seien, bis schließlich gleichsam die Gewichte der Vorurteile auf beiden Seiten ausgeglichen sind und keine verkehrte Gewohnheit länger mein Urteil von der richtigen Erfassung der Dinge abwendet.3 Ich will daher voraussetzen, irgendein boshafter Genius, ebenso allmächtig wie verschlagen, setze all seine Hartnäckigkeit darein, mich zu täuschen : ich werde meinen, der Himmel, die Luft, die Erde, die Farben, die Gestalten, die Töne und die Gesamtheit alles Äußeren seien nichts anderes als Gaukeleien der Träume, durch die er meiner Leichtgläubigkeit eine Falle gestellt hat.4

Ich werde mich überreden, daß es überhaupt nichts in der Welt gibt, keinen Himmel, keine Erde, keine Geister, keine Körper, ich behaupte, keine Geister, keine Körper usw. ;5 dies soll das Ziel sein, und das vordringliche Ziel. 1

Resp. VII : 539, 2–8. 2 Med. I : 21, 27–22, 2. 4 Med. I : 22, 23–29. 5 Resp. VII : 473, 6.

3

Med. I : 22, 12–18.

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

445

Ich werde mich selbst betrachten als ob ich keine Hände, keine Augen, kein Fleisch, kein Blut, noch irgendeinen Sinn hätte, sondern als ob ich nur fälschlich vermutete, dies alles zu besitzen. Ich werde hartnäckig in dieser Meditation verharren.1

Hier wollen wir ein wenig innehalten, wenn es gestattet ist, um wieder Atem zu schöpfen. Die Neuheit der Sache versetzt mich in Aufregung. Sie befehlen, ich soll alle alten Ansichten verwerfen ? »Ich befehle es«, sagen Sie, »alle«. Alle ?2 Wer »alle« sagt, macht keine Ausnahmen. »Alle«, sagen Sie. Furchtbar, aber ich mache es. Das ist ziemlich heftig, und ich tue es offen gestanden auch nicht ohne Bedenken. Ich fürchte, daß, wenn Sie mir die Bedenken nicht nehmen, unser Zugang nicht so gelingen wird, wie es gewünscht ist. Sie räumen ein, daß alle alten Ansichten zweifelhaft sind, und sagen, Sie würden es gezwungenermaßen einräumen.3 Warum fügen Sie mir nicht dieselbe Gewalt zu, damit auch ich es gezwungenermaßen zugebe ? Was bitte hat Sie gezwungen ? Ich habe zwar gerade von Ihnen gehört, es seien triftige und wohlüberlegte Gründe gewesen. Doch welche sind es denn eigentlich ? Wenn es triftige sind, warum verwerfen Sie sie ? Warum halten Sie nicht an ihnen fest ? Wenn sie zweifelhaft und voller Verdachtsmomente sind, welche Gewalt können sie ausüben, um Sie zu zwingen ? Sie sagen : »Aber diese Gründe liegen doch auf der Hand. Gewöhnlich schicke ich sie als erstes auf die Barrikaden, damit gleich klar ist, wo es langgeht. Denn die Sinne betrügen uns zuweilen. Manchmal träumen wir. Mitunter gibt es Wahnsinnige, die etwas zu sehen glauben, was sie keineswegs sehen und was es nirgends gibt.« Das ist alles, was Sie zu sagen haben ? Da Sie triftige, da Sie wohlüberlegte Gründe versprochen haben, habe ich sichere und über alle Zweifel erhabene Gründe erwartet. Denn genau solche Gründe verlangt Ihre Waage,4 die wir jetzt benutzen und die so genau ist, daß sie selbst den Schatten eines Zweifels noch ablehnt. Sind aber Ihre Gründe 1

Med. I : 22, 29–23, 4. 4 Resp. VII : 474, 7–9.

2

Resp. VII : 473, 24.

3

Resp. VII : 473, 26.

469,1

469,7

469,17

469,22

446

470,1 470,17

470,20

470,23

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

von dieser Art ? Sind es nicht bloße Zweifel und lediglich Verdachtsmomente ? Die Sinne betrügen uns zuweilen. Manchmal träumen wir. Es gibt Wahnsinnige. Woher nehmen Sie das so gewiß und über allen Zweifel erhaben und im Einklang mit Ihrer Regel, die Sie stets zur Hand haben : Vor allem ist zu vermeiden, daß wir etwas als wahr gelten lassen, wovon wir nicht beweisen können, daß es wahr ist ? Oder gab es eine Zeit, zu der Sie mit Gewißheit hätten sagen können : »Zweifellos betrügen mich jetzt meine Sinne, das weiß ich ganz genau.«1 »Jetzt träume ich.« »Gerade eben habe ich geträumt.« »Dieser Mensch leidet an Wahnsinn, und meint – ohne zu lügen – etwas zu sehen, was er überhaupt nicht sieht.« Wenn Sie sagen, so etwas sei vorgekommen, dann passen Sie auf, daß Sie es beweisen, und passen Sie auf, daß der böse Geist, den Sie erwähnt haben, es Ihnen nicht vorgegaukelt hat. Überhaupt steht zu befürchten, daß, während Sie sagen »Die Sinne betrügen uns bisweilen« und das für triftig und wohlüberlegt halten, jener pfiffige Geist mit dem Finger auf Sie zeigt und ein Spiel mit Ihnen spielt. Wenn Sie aber bestreiten, daß so etwas vorgekommen ist, warum behaupten Sie dann so dreist : »Manchmal träumen wir. ?«2 Warum folgen Sie nicht ihrem ersten Gesetz und stellen fest : »Es ist überhaupt nicht gewiß, daß unsere Sinne uns bisweilen betrogen haben, daß wir manchmal geträumt haben, daß Menschen bisweilen wahnsinnig gewesen sind ; also möchte ich sagen und feststellen : Die Sinne betrügen uns niemals, niemals träumen wir, niemand ist wahnsinnig« ? Sie sagen : »Aber ich hege genau diesen Verdacht.« Genau hier liegt mein Bedenken. Gleichgültig, wo ich mit dem Fuß hingetreten bin, mir sind die triftigen Gründe weich vorgekommen, wie fadenscheinige Verdachtsmomente, und ich habe mich deshalb nicht getraut, fest aufzutreten. Ich hege genau diesen Verdacht. Sie sagen : »Soso, Sie hegen einen Verdacht. Es genügt, einen Verdacht zu hegen. Es genügt, wenn Sie sagen : ›Ich weiß nicht, ob ich wache oder schlafe. Ich weiß nicht, ob mich die Sinne täuschen oder nicht täuschen‹.« Sie mag das beruhigen, mir aber reicht das nicht. Ich sehe schlicht nicht, warum Sie so folgern : »Ich weiß nicht, ob ich wache oder träume ; 1

Resp. VII : 474, 11–12.

2

Resp. VII : 474, 16.

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

447

also träume ich manchmal.«1 Was, wenn niemals ? Was, wenn immer ? Was, wenn Sie überhaupt nicht träumen könnten, der Geist Sie jedoch insgeheim ausmacht, weil er Sie letztlich davon überzeugt hat, daß Sie manchmal träumen und sich betrügen, obwohl das gar nicht der Fall ist ? Glauben Sie mir : Dadurch, daß Sie diesen Geist eingeführt haben, dadurch, daß Sie die »triftigen und wohlüberlegten Gründe« auf dieses vielleicht reduziert haben, haben Sie ein Übel eingeführt, aus dem Sie nichts Gutes gewinnen werden. Was, wenn der trickreiche Geist Ihnen alles als zweifelhaft und wackelig vorstellt, obwohl es fest, obwohl es gewiß ist,2 und zwar in der Absicht (mens), Sie, wenn Sie alles verworfen haben, kopfüber nackt in den Abgrund zu werfen ? Wären Sie nicht besser beraten gewesen, wenn Sie, bevor Sie alles verwerfen, sich ein sicheres Gesetz vorgelegt hätten, aus dem hervorgeht, daß das, was verworfen wird, zurecht verworfen wird ? Die allgemeine Verwerfung aller alten Ansichten ist wirklich eine große Sache und von allergrößter Bedeutung,3 und wenn Sie auf mich hören, ziehen sie sich mit Ihren Gedanken zur Beratung zurück, um ernsthaft einen Entschluß zu fassen. Sie sagen : »Oh nein, ich kann dem Widerspruchsgeist gar nicht übermäßig nachgeben,4 und ich weiß, daß einstweilen daraus keine Gefahren oder Fehler folgen werden.«5 Was sagen Sie : »Ich weiß ?«6 Etwa gewiß und über jeden Zweifel erhaben, so daß zumindest diese Überlebenden des großen Schiffbruches noch im Laderaum der Wahrheit hängen ? Oder lassen Sie, weil Sie eine neue Philosopheschule eröffnen und an ihre Anhänger denken, in goldenen Lettern über den Eingang schreiben : Ich kann dem Widerspruchsgeist gar nicht übermäßig nachgeben, damit, sage ich, diejenigen, die Ihr Heiligtum betreten, gezwungen werden, den alten Satz 2 und 3 ergeben 5 wegzuwerfen und statt dessen diesen anzunehmen Ich kann dem Widerspruchsgeist gar nicht übermäßig nachgeben ? Und wenn ein Anfänger mit den Zähnen knirscht und aufmuckt : »Mir wird befohlen, den alten Satz 2 und 3 ergeben 5, den niemals irgendjemand in Zweifel gezogen hat, wegzuwerfen, weil es möglich ist, daß mir ein Geist etwas vorgaukelt ; es wird mir aber auch befohlen, den Satz Ich kann 1

Resp. VII : 474, 22–23. 2 Resp. VII : 474, 26–27. 3 Resp. VII : 475, 10–11. 4 Med. I : 22, 19–20. 5 Med. I : 22, 18–19. 6 Resp. VII : 475, 20.

471,9

471,12

448

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

dem Widerspruchsgeist gar nicht übermäßig nachgeben anzunehmen, der doch bedenklich ist und von Rissen nur so strotzt,1 als ob mich der Geist in ihm nicht hinters Licht führen könnte« – was sagen Sie dann ? Werden Sie mir dafür geradestehen, daß ich mich nicht fürchten, nicht grausen muß, und ich keine Furcht mehr vor dem bösen Geist haben muß ? Auch wenn Sie es mir per Handschlag versichern und Ihr Wort darauf geben : Ich habe ungeheure Furcht davor,2 den Widerspruchsgeist zu übertreiben und den alten Ansichten zu entsagen,3 die mir so gut wie angeboren sind, ihnen abzuschwören, als ob sie falsch wären, wie z. B. : Ein Argument von der Form Barbara schließt richtig. Und ebenso : Ich bin etwas, das aus Körper und Seele besteht. Wenn ich Ihren Gesichtsausdruck und Ihre Stimme richtig deute, sind, wenn es gestattet ist, noch nicht einmal Sie selbst, der Sie sich den anderen als Führer anbieten und ihnen den Weg bahnen wollen, frei von Furcht. Gehen Sie doch offen und ehrlich vor, wie gewöhnlich : Verwerfen Sie ohne Bedenken diese alte Ansicht : Ich habe eine klare und deutliche Idee Gottes ? Oder jene : Alles das ist wahr, was ich äußerst klar und deutlich erfasse ? 4 Oder jene andere, Denken, Sich-Ernähren, Empfinden gehören überhaupt nicht zum Körper, sondern zum Geist ? 5 Weshalb soll ich all die unzähligen Dinge dieser Art durchgehen ? Was diese Ansichten betrifft, ersuche ich Sie, mein Lieber, ernsthaft zu antworten : Können Sie beim Verlassen der alten Philosophie und beim Eintritt in die neue diese alten Ansichten abschütteln, ablegen, ihnen abschwören, gleichsam als seien sie falsch, ich meine : aus voller Überzeugung ? Können Sie das Gegenteil sagen und setzen : Jetzt habe ich keine klare und deutliche Idee Gottes ; Ich habe bislang fälschlicherweise geglaubt, Sich-Ernähren, Denken, Empfinden gehörten überhaupt nicht zum Körper, sondern zum Geist ? Aber ich habe doch glatt meinen Vorsatz vergessen ! Was habe ich getan ? Am Anfang hatte ich mich Ihnen ganz als Verbündeter, als Schüler anvertraut, und bleibe doch schon im Zugang stecken und bin furchtsam und störrisch. Verzeihen Sie ! Ich habe schwer gesündigt und nur die Unzulänglichkeit meiner Geisteskraft bewiesen.6 Ich hätte mich ohne Furcht in die Finsternis der Verwerfung hineinbegeben müssen, 1

Resp. VII : 476, 1–2. 2 Resp. VII : 539, 11–14. 3 Resp. VII : 476, 9–10. 4 Resp. VII : 476, 18–20. 5 Resp. VII : 477, 11–12. 6 Resp. VII : 477 24.

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habe aber gezögert und mich gewehrt.1 Verschonen Sie mich bitte, ich werde es wiedergutmachen und die böse Tat durch eine umfassende und freimütige Preisgabe aller alten Ansichten völlig ungeschehen machen. Ich entsage, ich schwöre allen alten Ansichten ab. Sie werden es mir nicht übelnehmen, wenn ich weder den Himmel noch die Erde zum Zeugen anrufe, die es nach Ihrem Willen ja nicht gibt. Es gibt nichts, überhaupt nichts. Gehen Sie voran, ich folge. Es ist leicht, Ihnen zu folgen ! So können Sie sich nicht weigern, voranzugehen.

a n m e rkunge n. Was ich zuvor gewußt habe, weil es zweifelhaft ist.2 Hier hat er ich habe gewußt an die Stelle von ich habe zu wissen gemeint gesetzt. Es besteht nämlich eine Unvereinbarkeit zwischen den Worten ich habe gewußt und es ist zweifelhaft, die er aber zweifelsohne nicht bemerkt hat – was man ihm nicht als böse Absicht auslegen darf. Denn ansonsten hätte er das nicht nur so obenhin berührt, sondern so getan, als hätte ich diesen Gegensatz hervorgebracht und hätte ihn mit einem immensen Wortschwall abgehandelt. Ich behaupte, keine Geister, keine Körper.3 Dies sagt er, damit er weiter unten lange und weitläufig sticheln kann. Als ich am Anfang vorausgesetzt habe, daß ich die Natur des Geistes noch nicht ausreichend durchschaut hatte, habe ich ihn zu den zweifelhaften Dingen gezählt. Später aber, als ich feststellte, daß ein Ding, das denkt, unbedingt existieren muß, benannte ich dieses denkende Ding mit dem Namen Geist und habe gesagt, daß der Geist existiere. [Er aber tut so,] als ob ich vergessen hätte, daß ich dasselbe vorher bestritten habe, als ich den Geist für ein mir unbekanntes Ding hielt ; und als ob ich die Einschätzung vertreten hätte, das, was ich damals bestritt, weil es mir zweifelhaft war, müsse in alle Ewigkeit bestritten werden, und es sei ganz unmöglich, daß es mir später evident und gewiß werden könnte. 1

Resp. VII : 539, 14–20.

2

Obj. VII : 466, 26.

3

Obj. VII : 468, 21.

472,28

473,6

450

473,24 473,26

474,16

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

Es muß darauf hingewiesen werden, daß er Zweifel und Gewißheit unablässig nicht als Relationen unserer Erkenntnis zu den Objekten, sondern als Eigenschaften der Objekte betrachtet, die ihnen für immer anhaften, so daß das, was wir einmal als zweifelhaft erkannt haben, niemals gewiß werden kann. Das sollte man aber nur als Ausdruck seiner Güte, nicht einer bösen Absicht auslegen. Alle ?1 Hier stichelt er gegen das Wort alle, wie oben gegen das Wort nichts, aber vergeblich. Sie räumen es gezwungenermaßen ein.2 Hier treibt er ebenso vergeblich sein Spiel mit dem Wort gezwungenermaßen. Es gibt nämlich Gründe, die ausreichend triftig sind, um uns zum Zweifeln zu zwingen, obwohl sie selbst zweifelhaft und demnach nicht aufrechzuerhalten sind, worauf oben bereits hingewiesen wurde. Diese Gründe sind triftig, solange wir keine anderen haben, die Gewißheit erbringen, indem sie den Zweifel aufheben. Und weil ich in der 1. Meditation keine solchen Gründe fand, wie sehr ich mich auch umschaute und meditierte, habe ich gesagt, daß die Gründe, die ich hatte, um zu zweifeln, triftige und wohlüberlegte Gründe waren. Aber das entzieht sich der Auffassungskraft unseres Autoren. Er fügt nämlich hinzu : Da Sie triftige Gründe versprochen haben, habe ich sichere erwartet, wie sie nämlich Ihre Waage verlangt,3 gleichsam als ob diese Waage, die er konstruiert, auf das bezogen werden könnte, was in der 1. Meditation gesagt wird. Und etwas später sagt er : Oder gab es eine Zeit, zu der Sie mit Gewißheit hätten sagen können : »Zweifellos betrügen mich jetzt meine Sinne, das weiß ich ganz genau« usw. ?4 – wobei er nicht sieht, daß auch darin eine Unvereinbarkeit liegt, etwas für zweifellos zu halten und zugleich genau daran zu zweifeln. Er ist schon ein Ehrenmann. Warum behaupten Sie so dreist : »Manchmal träumen wir« ?5 Hier irrt er erneut ohne böse Absicht. Denn in der ersten Meditation, die insgesamt nur dem Zweifel gewidmet ist, und von der allein 1

Obj. VII : 469, 5. 2 Obj. VII : 469, 10. 470, 1. 5 Obj. VII : 470, 10.

3

Obj. VII : 469, 22.

4

Obj. VII :

451

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

er diese Worte entlehnt hat, habe ich überhaupt nichts dreist behauptet. Ebensogut hat er doch in ihr »Wir träumen niemals« wie »Wir träumen bisweilen« finden können. Und wenn er etwas später hinzufügt : Ich sehe schlicht nicht, warum sie so folgern : »Ich weiß nicht, ob ich wache oder träume ; also träume ich manchmal«,1 so dichtet er mir eine Schlußfolgerung an, die allein seiner würdig ist. Denn er ist ein Ehrenmann. Was, wenn der trickreiche Geist Ihnen alles als zweifelhaft und wackelig vorstellt, obwohl es fest, obwohl es gewiß ist ?2 Hier zeigt sich klar, worauf ich oben hingewiesen habe : Er betrachtet Zweifel und Gewißheit so, als ob sie gleichsam den Objekten, nicht unserem Denken anhaften. Denn wie könnte er ansonsten so tun, als ob ich mir etwas gleichsam als zweifelhaft vorsetze, das gar nicht zweifelhaft, sondern gewiß ist ? Denn schon allein dadurch, daß etwas als zweifelhaft vorgesetzt wird, wird es zweifelhaft. Vielleicht aber hat der böse Genius ihn daran gehindert, den Widerspruch in seinen Worten zu sehen. Es ist bedauerlich, daß dieser Genius sich so oft seinem Denken in den Weg stellt. Die allgemeine Verwerfung aller alten Ansichten ist wirklich eine große Sache und von allergrößter Bedeutung.3 Darauf habe ich selbst am Ende der Erwiderung auf die 4. Einwände zur Genüge hingewiesen, wie auch im Vorwort dieser Meditationen, die ich deshalb auch nur gefestigteren Geistern zur Lektüre empfohlen habe.4 Ich habe darauf auch schon im Vorwege ganz ausdrücklich in dem 1637 auf französisch erschienenen Discours de la Méthode, S. 16 u. 17,5 hingewiesen, wo ich zwei Gattungen von Geistern beschrieben habe, die sich sehr vor dieser Verwerfung hüten müssen. Wenn unser Autor vielleicht zu einer der beiden gehört, dann kann er nicht mich für seine Irrtümer verantwortlich machen. Was sagst Du : Ich weiß usw.6 Als ich gesagt habe, ich wisse, daß mir aus dieser Verwerfung keine Gefahr erwachsen würde, habe 1

Obj. VII : 470, 23. 2 Obj. VII : 470, 31. 3 Obj. VII : 471, 5. 9, 25. 5 Disc. : AT VI, 15, 15 ff. 6 Obj. VII : 471, 12.

4

Praef. :

474,26

475,10

475,20

452

476,1

476,9

476,18

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

ich hinzugefügt : »weil ich jetzt nicht auf die Angelegenheiten des Handelns, sondern des Erkennens aus sein werde.«1 Daraus ergibt sich ganz klar, daß ich dort nur über den moralischen Modus des Wissens gesprochen habe, der für die Lebensführung ausreicht und sich von dem metaphysischen Modus des Wissens, auf den sich hier die Frage richtet, meilenweit unterscheidet, worauf ich so oft hingewiesen habe, daß es scheint, nur unserem Autoren habe dies unbekannt bleiben können. Diese bedenkliche Ansicht, die von Rissen nur so strotzt Ich kann dem Widerspruchsgeist gar nicht übermäßig nachgeben.2 Erneut liegt hier ein Widerspruch in seinen Worten vor. Alle wissen, daß der, der mißtraut, solange er mißtraut, und demnach weder irgendetwas behauptet noch bestreitet, von keinem Genius zum Irrtum verleitet werden kann. Hingegen kann jemand, der 2 und 3 miteinander addiert, von diesem Genius betrogen werden ; das beweist das Beispiel, das er selbst oben angeführt hat, über den, der viermal 1 Uhr zählte. Ich habe ungeheure Furcht davor, den Widerspruchsgeist zu übertreiben und den alten Ansichten zu entsagen,3 usw. Auch wenn er [uns] hier mit vielen Worten davon zu überzeugen versucht, daß man nicht übertrieben mißtrauen darf, ist es doch beachtlich, daß er noch nicht einmal den geringsten Anflug (species) einer Begründung beibringt, um es nachzuweisen, außer höchstens, daß er fürchtet, bzw. mißtraut, daß man nicht mißtrauen dürfe. Darin liegt erneut ein Wiederspruch ; denn daraus, daß er nur fürchtet, aber sich nicht sicher weiß, daß er nicht mißtrauen dürfe, folgt, daß er sich selbst mißtrauen muß. Verwerfen Sie ohne Bedenken diese alte Ansicht : Ich habe eine klare und deutliche Idee Gottes ? Oder jene : Alles das ist wahr, was ich äußerst klar und deutlich erfasse ?4 Er nennt diese Ansichten alt, weil er fürchtet, sie könnten als neue gelten, die ich zuerst bemerkt habe. Aber meinetwegen. Auch will er einen Verdacht in bezug auf Gott erwecken, aber nur nebenbei : vielleicht, damit 1

Med. I : 22, 20–22. 4 Obj. VII : 471, 28.

2

Obj. VII : 471, 23.

3

Obj. VII : 471, 28.

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

453

diejenigen, denen nicht bekannt ist, wie sorgfältig ich alles, was zur Frömmigkeit und allgemein zu den Sitten gehört, von dieser Verwerfung ausgenommen habe, nicht meinen, er verdrehe die Tatsachen. Schließlich sieht er nicht, daß die Verwerfung nur für diejenigen eine Rolle spielt, die noch nichts klar und deutlich erfaßt haben. So haben zum Beispiel die Skeptiker, mit denen er vertraut ist, niemals irgendetwas klar erfaßt, insofern sie Skeptiker sind ; denn eben dadurch, daß sie etwas klar erkannt hätten, hätten sie aufgehört, daran zu zweifeln und wären keine Skeptiker mehr gewesen. Weil außerdem kaum jemand vor dieser Verwerfung jemals irgendetwas in jener Klarheit klar erfaßt, die für eine metaphysische Gewißheit erforderlich ist, ist diese Verwerfung für diejenigen äußerst nützlich, die zu einer so klaren Erkenntnis fähig sind und sie noch nicht haben – so wie die Sache steht, aber nicht für unseren Autoren, sondern ich bin der Ansicht, daß er sich sorgfältig von ihr fernhalten sollte. Oder jene andere, Denken, Sich-Ernähren, Empfinden gehören überhaupt nicht zum Körper, sondern zum Geist ?1 Diese Worte gibt er wieder als seien sie die meinigen und zugleich so gewiß, daß sie von niemandem in Zweifel gezogen werden könnten. Aber es gibt doch in meinen Meditationen nichts Auffallenderes, als daß ich Ernährung allein auf den Körper beziehe und nicht auf den Geist, bzw. auf denjenigen Teil des Menschen, der denkt. Das allein kann als Nachweis gelten, daß er erstens meine Meditationen keineswegs einsieht, obwohl er es unternommen hat, sie zurückzuweisen. Er liegt deswegen falsch, weil ich in der 2. Meditation die Ernährung auf die Seele bezogen habe – was ich bloß der landläufigen Meinung entsprechend so gesagt habe. Zweitens hält er vieles für unzweifelhaft, was nicht ohne Prüfung gelten gelassen werden darf. Aber hier am Ende schließlich hat er ganz wahr geschlossen, daß er durch all das lediglich die Unzulänglichkeit seiner Geisteskraft bewiesen habe.2

1

Obj. VII : 472, 7.

2

Obj. VII : 472, 19.

477,11

454

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

§ 2. DER EINGANG IN DIE METHODE W I R D VO R B E R E I T E T. 477,26

478,3

478,13

Sie sagen : »Sobald ich alle alten Ansichten verworfen habe, beginne ich folgendermaßen zu philosophieren« : Ich bin, ich denke ; ich bin, solange ich denke.1 Dieser Grundsatz Ich existiere, sooft er von mir ausgesprochen oder durch den Geist begriffen wird, ist notwendig wahr.2 Ausgezeichnet, hervorragender Mann. Sie haben den Archimedischen Punkt eingenommen, und zweifellos werden Sie die Welt bewegen können, wenn Sie möchten. Schau an, schon gerät alles ins Schwanken. Es stellt sich mir aber die Frage (denn da Sie mit allem ziemlich pingelig sind, soll es in ihrer Methode vermutlich nur das geben, was sich für sie eignet, zu ihr paßt und für sie notwendig ist) : Warum erwähnen Sie den Geist, wenn Sie sagen er wird durch den Geist begriffen ? Haben Sie nicht befohlen, den Körper und den Geist zu verjagen ?3 Aber vielleicht ist es Ihnen entfallen. Es ist auch für einen Erfahrenen sehr schwierig, das völlig zu vergessen, woran wir von Kindheit an gewöhnt sind, so daß selbst ein blutiger Anfänger wie ich die Hoffnung nicht aufzugeben braucht, wenn er vielleicht ins Straucheln geraten sollte.4 Aber bitte, fahren Sie fort. Sie sagen : Ich werde jetzt erneut darüber meditieren, was ich einst zu sein geglaubt habe, bevor ich auf diese Gedanken verfallen bin. Davon will ich dann alles abziehen, was durch die angeführten Gründe auch nur im geringsten erschüttert werden konnte, so daß zuletzt ganz genau nur das übrig bleibt, was sicher und unerschütterlich ist.5

478,19

Bevor Sie den ersten Schritt tun, darf ich es wagen, mich danach zu erkundigen, mit welcher Absicht Sie die alten Ansichten, die Sie doch in einer feierlichen Zeremonie als zweifelhaft und falsch verworfen haben, erneut in Augenschein nehmen wollen, geradeso als ob Sie sich et1

Resp. VII : 479, 26. 2 Med. II : 25, 11–13. 3 Resp. VII : 480, 11–12. 4 Resp. VII : 539, 24–540, 4. 5 Med. II : 25, 19–24.

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

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was Gewisses davon erwarten, wenn Sie im Müll herumkramen ?1 Was, wenn das, was Sie vorher von sich geglaubt haben, schlecht war ? Mehr noch : Weil alles, dem Sie kurz zuvor abgeschworen haben, zweifelhaft und ungewiß war (weshalb hätten Sie es sonst verwerfen sollen ?), wie ist es möglich, daß genau diese Dinge nun wieder nicht zweifelhaft und ungewiß sind ?2 Es sei denn, diese Verwerfung ist wie ein Medikament der Circe, um nicht zu sagen : wie ein Reinigungsbad. Indessen möchte ich lieber Ihre Absicht bewundern und in Ehren halten. Es kommt oft vor, daß Leute, die Freunde in Paläste und Kirchen zur Besichtigung hineinführen, nicht durch die Eingangstür oder den Haupteingang, sondern durch vertraute Hintereingänge eintreten. Ich jedenfalls folge Ihnen auch durch unterirdische Grotten, solange ich nur letztlich zur Wahrheit gelange. Sie sagen : Was also habe ich zuvor zu sein gemeint ? Selbstverständlich ein Mensch.3 Auch hier bleibt mir nur, wenn Sie erlauben, Ihre Technik zu bewundern, das Zweifelhafte zu verwenden, um das Gewisse aufzuspüren.4 Sie befehlen, daß wir uns in die Finsternis tauchen, damit Sie uns ins Licht hinausführen können.5 Sie wollen, daß ich reflektiere, was ich zuvor zu sein geglaubt habe ? Sie wollen, daß ich mir den alten abgewetzten Lumpen6 Ich bin ein Mensch wieder umhänge, den ich schon längst verworfen habe ? Was, wenn Pythagoras oder irgendeiner seiner Schüler hier wäre ? Was, wenn er Ihnen sagen würde, er sei einst ein Hahn gewesen ? Ganz zu schweigen von Verrückten, Fanatikern, Wahnsinnigen und Geisteskranken. Aber Sie sind schlau und ein erfahrener Führer, Sie kennen die Kurven und Gabelungen, will ich doch wohl hoffen. Was ist der Mensch ?7 sagen Sie. Wenn Sie wollen, daß ich antworte, dann gestatten Sie bitte vorher die Frage : Nach welchem Menschen fragen Sie ? Oder wonach fragen Sie, wenn Sie fragen, was der Mensch ist ? Fragen Sie nach dem Menschen, den ich vorher konstruierte und der ich zu sein glaubte, von dem ich aber dank Ihrer Verwerfung setze, daß ich nicht er bin ? Wenn Sie 1

Resp. VII : 540, 6–10. 2 Resp. VII : 480, 23–24 ; 540, 11–13. 3 Med. II : 4 Resp. VII : 481, 28–29. 5 Resp. VII : 540, 13–16. 25, 25–26. 6 Resp. VII : 480, 29–481, 1. 7 Med. II : 25, 26.

479,5 479,7

479,1 479,18

456

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

nach diesem Menschen fragen, wenn nach dem, den ich mir schlecht bildete, ist er etwas aus Seele und Körper Zusammengesetztes. Reicht das ? Ich vermute es, weil Sie so fortfahren :

anm erkungen. 479,26

480,11

Ich beginne folgendermaßen zu philosophieren : Ich bin, ich denke ; ich bin, solange ich denke.1 Es ist beachtlich, daß er hier einräumt, daß ich den Anfang des Philosophierens, bzw. den Anfang, irgendeine verläßliche Proposition aufzustellen, bei der Erkenntnis meiner eigenen Existenz gemacht habe. Dadurch läßt er uns wissen, daß er an den anderen Stellen, an denen er so getan hat, als hätte ich diesen Anfang bei einer positiven bzw. affirmativen Verwerfung alles Zweifelhaften gemacht, das Gegenteil von dem behauptet hat, wie er es tatsächlich einschätzt. Ich füge nicht hinzu, wie feinsinnig er mich hier zu Philosophieren beginnen läßt : »Ich bin, ich denke« usw. ; seine Aufrichtigkeit kann nämlich zur Genüge an allem erkannt werden, auch wenn ich schweige. Warum erwähnen Sie den Geist, wenn Sie sagen »er wird durch den Geist begriffen« ? Haben Sie nicht befohlen, den Körper und den Geist zu verjagen ?2 Ich habe schon lange darauf hingewiesen, daß er diese Spitzfindigkeit aus dem Wort Geist entnimmt. Doch er wird durch den Geist begriffen bezeichnet hier nichts anderes als er wird gedacht ; und daher setzt er fälschlicherweise voraus, die Erwähnung des Geistes geschehe, insofern er ein Teil des Menschen ist. Außerdem, auch wenn ich den Körper und den Geist mitsamt allem Übrigen zuvor verworfen habe, gleichsam als seien sie zweifelhaft bzw. noch nicht klar von mir erfaßt, so hindert dies nicht, daß ich sie später wieder zulasse, wenn ich sie klar erfasse. Das aber versteht unser Autor nicht, weil er meint, daß der Zweifel etwas den Objekten unabtrennbar Anhängendes sei. Er fragt nämlich etwas später : Wie 1

Obj. VII : 479, 26.

2

Obj. VII : 478, 7.

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

457

ist es möglich, daß genau diese Dinge (die nämlich zuvor zweifelhaft waren) nun wieder nicht zweifelhaft und ungewiß sind ?1 Und er will, daß ich dieser Dinge in einer feierlichen Zeremonie abgeschworen hätte, und bewundert meine Technik, daß ich das Zweifelhafte verwende, um das Sichere ausfindig zu machen usw., gleichsam als hätte ich es als Fundament der Philosophie gelten lassen, daß alles Zweifelhafte immer für falsch gehalten werden müsse. Sie wollen, daß ich reflektiere, was ich zuvor zu sein geglaubt habe ? Sie wollen, daß ich mir den alten Lumpen usw. ?2 Ich möchte hier ein ganz alltägliches Beispiel verwenden, um ihm meine Vorgehensweise zu erklären, damit er sie hierauf nicht mehr mißversteht oder sich erdreistet, vorzutäuschen, daß er sie nicht versteht : Wenn jemand einen Korb voll Obst hat und befürchtet, daß einige Stücke davon faul sind, und er sie aussondern will, damit sie die übrigen nicht verderben : wie würde er das wohl anstellen ? Würde er nicht zuerst samt und sonders alle aus dem Korb herausnehmen, dann die einzelnen der Reihe nach in Augenschein nehmen, und nur diejenigen zurücknehmen und in den Korb zurücklegen, von denen er erkennen würde, daß sie nicht verdorben sind, die anderen jedoch liegenlassen ? In genau derselben Weise haben diejenigen, die niemals richtig philosophiert haben, in ihrem Geist vielfältige Meinungen, von denen sie, da sie sie seit ihrer Kindheit angehäuft haben, zu Recht befürchten, daß etliche von ihnen nicht wahr sind. Nun versuchen sie, die einen von den anderen abzutrennen, damit nicht durch die Vermischung mit den unwahren alle unsicher gemacht werden. Der beste Weg, dies zu bewerkstelligen, ist doch wohl, einmal gleichzeitig alle zu verwerfen, gleichsam als seien sie alle ungewiß oder falsch, und dann die einzelnen der Reihe nach in Augenschein zu nehmen, und nur diejenigen zurücknehmen, von denen sie erkennen, daß sie wahr und unbezweifelbar sind. Und so ist es doch wohl richtig gewesen, daß ich am Anfang alle zurückgewiesen habe. Und als ich dann feststellte, daß ich 1

Obj. VII : 478, 25.

2

Obj. VII : 479, 9.

480,29

458

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

nichts sicherer und evidenter erkenne, als daß ich selbst als Denkender existiere, war es nicht weniger richtig, dies zuerst festzustellen. Und es war ebenso richtig, daraufhin zu fragen, was ich einst zu sein geglaubt habe, nicht damit ich alles das immerfort über mich glaube, sondern damit ich das, was ich als wahr erfassen würde, wieder aufnehmen, was als falsch, verwerfen, und was als unsicher, aufbewahren würde, um es zu einer anderen Zeit zu prüfen. Daraus ergibt sich, daß unser Autor dies ganz unzutreffend die Technik, das Gewisse aus dem Unsicheren herauszuholen nennt, oder, wie weiter unten, Methode des Träumens.1 Und das, was er hier über den Hahn des Pythagoras und in den beiden folgenden Paragraphen über die Meinungen der anderen im Zusammenhang mit der Natur des Körpers und der Seele schwafelt, tut schlicht überhaupt nichts zur Sache. Denn ich mußte und wollte auch gar nicht alles durchgehen, was andere irgendwann einmal diesbezüglich geglaubt haben, sondern nur das, was mir von selbst und von der Natur geleitet seit langem erschienen war oder gewöhnlich anderen erscheint, sei dies wahr oder falsch. Denn ich bin es nicht durchgegangen bin, um es zu glauben, sondern nur, um es zu prüfen.

§ 3 . WA S I S T E I N KÖ R P E R ? 482,1 482,12

Sie fragen : »Was ist ein Körper ? Was verstand ich einst unter Körper ?« Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich mich überall umsehen möchte und stets fürchte, in eine Falle zu gehen. Nach welchem Körper bitte fragen Sie eigentlich ? Etwa nach dem Körper, den ich mir einst im Gemüt vorstellte als etwas, das aus bestimmten Eigenschaften bestand, und den ich mir wohl – wie ich aufgrund der Gesetze der Verwerfung annehme – schlecht vorstellte ? Oder nach irgendeinem anderen Körper, falls es so einen geben kann ? Was weiß ich denn ? Ich zweifle, ob das sein kann oder nicht. Wenn Sie nach dem ersten Körper fragen, 1

Obj. VII : 479, 7 ; 484, 15 ; 495, 8.

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

459

werde ich leicht antworten : Unter Körper verstand ich alles, was fähig ist, durch irgendeine Gestalt eingeschränkt zu werden, das durch einen Ort umrissen wird und einen Raum so einnimmt, daß es aus ihm jeden anderen Körper ausschließt ; was durch den Sinn erfaßt wird und nur von irgendetwas anderem bewegt werden kann, von dem es berührt wird.1 Dieses erste Verständnis von Körper führte dazu, daß ich alles Körper nannte, was irgendetwas von dem besaß, was ich aufgezählt habe. Ich ging aber nicht so weit, zu meinen, nichts außer diesem könne ein Körper sein oder so genannt werden ; denn es ist etwas völlig anderes, zu sagen »Ich verstand unter Körper dieses oder jenes«, oder »Ich verstand, daß nichts außer diesem oder jenem ein Körper ist«. Wenn Sie nach dem zweiten Körper fragen, werde ich auf die Ansicht der zeitgenössischen Philosophen zurückgreifen (denn Sie fragen nicht nach meinem Urteil (sensus), sondern nach den möglichen Urteilen anderer) und antworten : Unter Körper verstehe ich alles das, was entweder wie z. B. ein Stein örtlich umrissen werden oder örtlich so begrenzt werden kann, daß es als Ganzes an diesem ganzen Ort ist und als Ganzes in jedem Teil des Ortes – wie die Unteilbarkeiten der Quantität eines Steines oder dergleichen, die einige von den zeitgenössischen Philosophen in Analogie mit den Engeln oder den Unteilbarkeiten der Seelen einführen und nicht ganz ohne Beifall, nämlich zumindest nicht ohne ihren eigenen, lehren, wie man bei Oviedo sehen kann – ; oder das, was wie ein Stein aktuell ausgedehnt ist, oder wie die erwähnten Unteilbarkeiten dem Vermögen nach ; oder was wie ein Stein in irgendwelche Teile teilbar ist, oder wie die besagten Unteilbarkeiten unteilbar ist ; oder was von einem anderen bewegt werden kann, wie wenn man einen Stein aufwärts bewegt, oder was durch sich selbst bewegt werden kann, wie wenn ein Stein herabfällt ; oder was empfindet, wie ein Hund, oder denkt, wie ein Affe, oder vorstellt, wie ein Maulesel.2 Und wenn ich einst auf irgendetwas stieß, das entweder von einem anderen oder durch sich selbst bewegt wurde, das empfand, vorstellte, dachte, so habe ich dies, wenn dem nichts entgegenstand, Körper genannt, und so nenne ich es jetzt immer noch. 1

Med. II : 26, 14–19.

2

Resp. VII : 484, 17–18.

460 483,18

483,21

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

Sie sagen : Aber schlecht und verkehrt, denn ich urteilte, daß der Besitz der Kraft, sich selbst zu bewegen, wie ebenso die Kraft, sinnlich wahrzunehmen oder zu denken, überhaupt nicht zur Natur des Körpers gehört.1 Sie urteilten ? Ich will es glauben, weil Sie es sagen : Die Gedanken sind frei. Aber indem Sie das so dachten, billigten Sie jedem ein freies Urteil (sensus) zu ; und ich halte Sie nicht für einen von denen, die sich zum Richter über alle Gedanken aufschwingen und die einen zurückzuweisen und die anderen gelten lassen möchten. Ich möchte deshalb von der Freiheit Gebrauch machen, die uns von der Natur zugestanden wurde – es sei denn, Ihnen stand vielleicht eine sichere und brauchbare Richtschnur zur Verfügung, die Sie nicht erwähnt haben, als Sie uns befahlen, alles zu verwerfen. Sie urteilten einst ; ich urteilte einst. Ich freilich so, Sie hingegen anders, vielleicht beide schlecht. Sicherlich aber beide nicht ohne jeden Zweifel, denn beim ersten Zugang zur neuen Methode mußten wir beide die alte Meinung ablegen. Um nun diesen Disput nicht in die Länge zu ziehen : Wenn Sie den Körper in Ihrem eigenen Sinne so definieren wollen, wie es an der ersten Stelle geschehen ist, so habe ich nichts dagegen. Ich gebe das aus freien Stücken zu ; Sie sollten aber nicht vergessen, daß Ihre Definition nicht ohne Ausnahme alle Körper, sondern nur eine ganz bestimmte Gattung beschreibt, die Sie so verstehen. Sie haben aber andere Gattungen ausgelassen, die nach Ansicht (mens) gelehrter Männer Gegenstand der Erörterung sein sollten, ob es sie gibt oder geben kann, oder bei denen wir nicht sicher definieren können, zumindest nicht mit der Gewißheit, die Sie verlangen, ob es sie geben kann oder nicht. Deshalb ist es zweifelhaft und ungewiß, ob der Körper bislang überhaupt richtig oder unrichtig definiert worden ist. Aber fahren Sie fort, wenn Sie möchten, während ich vergnügt folge, geradezu mit reinstem Vergnügen : so sehr verlockt mich die neue und unerhörte Erwartung, das Gewisse aus dem Ungewissen ziehen zu können.

1

Med. II : 26, 19–22.

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a n m e rkunge n. Oder empfindet, wie ein Hund, oder denkt, wie ein Affe, oder vorstellt, wie ein Maulesel.1 An dieser Stelle veranstaltet er einen Wortstreit. Um zustande bringen zu können, daß ich den Unterschied zwischen Geist und Körper schlecht darein gesetzt habe, daß der Geist denkt, der Körper aber nicht, sondern ausgedehnt ist, sagt er, er nenne alles Körper, was sinnlich wahrnimmt, was vorstellt, was denkt. Wenn es ihm Spaß macht, so kann er ihn meinetwegen auch Maulesel oder Affe nennen, und wenn er irgendwann einmal zuwege bringt, daß diese neuen Namen in der Praxis akzeptiert werden, werde ich mich nicht weigern, sie zu benutzen. Einstweilen aber hat er kein Recht, mich zu kritisieren, wenn ich die gebräuchlichen verwende.

484,17

§ 4 . WA S I S T D I E S E E L E ? Sie fragen : Was ist die Seele ? Was verstand ich unter Seele ? Denn was die Seele wäre, beachtete ich entweder nicht, oder ich stellte mir ich weiß nicht irgendetwas Winziges vor, das in meine gröberen Bestandteile eingeflossen war, vergleichbar dem Wind oder dem Feuer oder dem Äther :2 auf sie aber bezog ich es, daß ich mich ernähre, gehe, sinnlich wahrnehme und denke.3 Das ist wirklich mehr als genug ! Aber es wird Sie, wie ich vermute, nicht stören, wenn ich Sie einiges frage. Wenn Sie nach dem Gemüt fragen, wollen Sie dann unsere alten Urteile (sensus) hören, also das, was wir einst über es geglaubt haben ? Sie sagen : »So ist es«.4 Meinen Sie wirklich, daß wir richtig geurteilt (sentire) haben, so daß Ihre Methode unnütz ist ? Meinen Sie wirklich, daß niemand in dieser Finsternis vom Wege abgekommen ist ? Tatsächlich sind die Urteile (sensus) der Philosophen in bezug auf die Seele so verschieden 1

Obj. VII : 483, 12–13. 4 Resp. VII : 487, 9.

2

Med. II : 26, 8–11.

3

Med. II : 26, 6–8.

485,2

485,8

485,1 485,12

462

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und voneinander abweichend, daß ich Ihre Technik gar nicht genug bewundern kann, die sich getraut, aus ein wenig Dreck ein zuverlässiges und wirksames Medikament zustandezubringen ; nun ja, man gewinnt ja auch aus dem Gift der Schlange das Mittel gegen den Biß. Wollen Sie demnach, daß ich zu Ihrer Ansicht über die Seele noch das hinzufüge, was andere Leute über sie urteilen (sentire) oder urteilen können ? Fragen Sie mich nicht, ob diese Leute gut oder schlecht urteilen ; es genügt, daß sie ihre Meinung so vertreten (opinari), daß sie dabei der Ansicht sind, durch keinen noch so gewichtigen Grund von ihrer Ansicht (mens) abgebracht werden zu können. Einige Leute sagen, die Seele sei eine bestimmte Gattung des Körpers, die man nur so nennt. Warum staunen Sie ? Das ist ihr Urteil (sensus), und zwar, wie sie meinen, nicht ohne einen Anflug (species) von Wahrheit. Denn wenn Körper das genannt wird, und alles das tatsächlich ein Körper ist, was ausgedehnt, dreidimensional und in bestimmte Teile teilbar ist ; und wenn dann diese Leute zum Beispiel an einem Pferd etwas Ausgedehntes und Teilbares bemerken, wie etwa Fleisch, Knochen und jenen äußeren Körperbau, der in die Sinne fällt ; und sie dann aufgrund der Stärke und des Gewichts der Gründe schließen, daß es außer diesem äußeren Körperbau noch etwas Inneres gibt, nämlich etwas Feines, Fließendes und im äußeren Körperbau Ausgedehntes, das dreidimensional und teilbar ist, so daß, wenn ein Fuß abgetrennt wird, auch ein bestimmter Teil dieses Inneren abgetrennt wird : dann verstehen sie das Pferd als aus zwei ausgedehnten, dreidimensionalen und teilbaren Dingen und demnach als aus zwei Körpern zusammengesetzt ; und weil diese Körper voneinander verschieden sind, unterscheiden sie sie auch in ihren Namen und behalten dem äußeren die Bezeichnung Körper vor und nennen den inneren Seele. Was nun die sinnliche Wahrnehmung, die Vorstellung, das Denken betrifft, so meinen sie, sowohl die Kraft, sinnlich wahrzunehmen, als auch die Kraft, zu denken und die Kraft, vorzustellen, liege in der Seele, bzw. im inneren Körper, wobei freilich eine gewisse Hinwendung (habitudo) zum äußeren Körper [in dieser Kraft enthalten ist], ohne den es keine sinnliche Wahrnehmung gibt. Andere Leute wiederum mögen etwas anderes sagen und es sich anders zurechtlegen, doch wozu sollte ich all dem nachgehen ? Es wird nicht an Leuten mangeln, die meinen, überhaupt alle Seelen seien sogeartet, wie die gerade beschriebenen.

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

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Sie sagen : »Hinweg mit diesem gottlosen Krempel.« Gottloser Krempel, in der Tat. Warum aber fragen Sie danach ? Was wollen Sie mit den Atheisten anstellen ? Was mit den fleischlichen Menschen, deren Gedanken allesamt so am Staube kleben, daß sie außer Körper und Fleisch nichts sinnlich wahrnehmen ? Weil Sie jedoch durch Ihre Methode erhärten und beweisen wollen, daß die Seele des Menschen unkörperlich und spirituell ist, dürfen Sie das keineswegs einfach voraussetzen,1 sondern Sie müssen diejenigen vom Gegenteil überzeugen, die Ihnen entgegentreten werden, die es bestreiten, oder die das sagen, was Sie gerade von mir gehört haben, um darüber zu disputieren. Tun Sie doch mal so, als ob vor Ihnen einer von denen stände, der, wenn Sie ihn fragen, was das Gemüt sei, dasselbe antwortet, wie Sie selbst sich kurz zuvor : »Das Gemüt ist etwas Körperliches, Feines, Subtiles, das durch den äußeren Körper fließt. Es ist das Prinzip jeder sinnlichen Wahrnehmung, jeder Vorstellung und jedes Gedankens. Es gibt deshalb drei Grade, nach deren Existenz gefragt wird : Körper, Körperliches bzw. Gemüt, Geist bzw. Spiritus. Wir wollen deshalb diese drei Grade mit diesen drei Ausdrücken bezeichnen, Körper, Gemüt, Geist.« Ich frage : Angenommen, jemand würde Ihnen auf ihre Frage so antworten : Würde Ihnen das ausreichen ? Aber ich möchte ihrer Technik nicht vorgreifen ; ich folge. Gehen Sie also weiter voran.

486,2 486,21

a n me rkunge n. Sie sagen : So ist es.2 Hier und an fast allen anderen Stellen läßt er mich ihm auf etwas antworten, was von meiner Meinung völlig verschieden ist. Aber es wäre zu mühselig, alle seine Erdichtungen durchzugehen. Weil Sie jedoch durch Ihre Methode erhärten und beweisen wollen, daß die Seele des Menschen unkörperlich ist, dürfen Sie das keineswegs voraussetzen.3 Hier tut er fälschlicherweise so, als hätte ich das vorausgesetzt, was ich hatte nachweisen müssen. Auch kann man auf solcherlei Dinge, die so frei konstruiert sind und nicht 1

Resp. VII : 487, 13–14.

2

Obj. VII : 485, 11.

3

Obj. VII : 486, 24.

487,9

487,13

464

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

durch die geringste Begründung gestützt werden, nur erwidern, daß sie falsch sind. Und ich habe überhaupt nicht darüber disputiert, was man Körper oder Gemüt oder Geist nennen muß. Ich habe nur zwei Dinge erklärt, nämlich das, was denkt, und das, was ausgedehnt ist, und ich habe nachgewiesen, daß alle anderen Dinge auf diese beiden zurückgeführt werden können. Außerdem habe ich die Gründe dargetan, aufgrund derer dies zwei real unterschiedene Substanzen sind. Die eine dieser beiden Substanzen habe ich Geist, die andere Körper genannt, und wenn ihm diese Namen mißfallen, kann er ihnen andere beilegen, ich werde nicht widersprechen.

§ 5 . V E R S U C H E I N E R E I N F Ü H RU N G I N D I E M E T H O D E . 488,2

Sie sagen : »Es ist gut, die Fundamente sind glücklich gelegt. Ich bin, während ich denke. Das ist gewiß, das ist unerschütterlich. Darauf kann ich im weiteren aufbauen und Vorsorge treffen, damit mich der böse Geist nicht hinters Licht führt. Ich bin. Was aber bin ich ? Zweifelsohne irgendetwas von dem, was ich einst zu sein meinte.1 Ich glaubte aber, ein Mensch zu sein ; der Mensch aber hat einen Körper und eine Seele. Bin ich also etwa ein Körper ? Oder ein Geist ? Ein Körper ist ausgedehnt, örtlich umschlossen, undurchdringlich, sichtbar. Habe ich irgendeine dieser Eigenschaften in mir ? Ausdehnung ? Wie könnte sie in mir sein, da sie doch nichts ist ? Ausdehnung habe ich schon am Anfang verworfen. Oder sollte ich berührt, sollte ich gesehen werden können ? Auch wenn ich zwar tatsächlich meine, gesehen und von mir selbst berührt zu werden, so werde ich dennoch nicht gesehen, nicht berührt. Da bin ich mir ganz sicher, das habe ich nämlich verworfen.2 Was also ? Ich bin ganz aufmerksam, ich denke nach, überdenke es erneut – aber es findet sich nichts. Ich bin es leid, dasselbe immer wieder zu wiederholen.3 Nichts von dem, was zum Körper gehört, treffe ich in mir an. Ich bin kein Körper. Gleichwohl bin ich und erkenne, daß ich bin ; und während ich erkenne, daß ich bin, erkenne ich nichts, das zum Körper 1

Resp. VII : 491, 2–3.

2

Resp. VII : 491, 5.

3

Med. II : 27, 1–2.

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

465

gehören würde. Bin ich demnach ein Geist ?1 Was habe ich einst geglaubt, gehöre zum Geist ? Ist vielleicht etwas davon in mir ? Ich meinte, zum Geist gehörte es, zu denken. Moment mal : Ich denke. Εὕρηκα, εὕρηκα ! Ich bin, ich denke. Ich bin, während ich denke, ich bin ein denkendes Ding, ich bin Geist, Verstand, Vernunft. Da haben Sie meine Methode, die es mir erlaubt hat, erfolgreich voranzugehen. Folgen Sie, wenn Sie wollen.« O Sie Glückspilz ! Mit einem Sprung sind Sie aus der großen Finsternis ans Licht gelangt ! Ich aber bitte Sie, reichen Sie mir weiterhin die Hand, stützen Sie den Taumelnden, der in Ihre Fußstapfen tritt ! Ich wiederhole genau dasselbe, aber meinem Maßstab entsprechend etwas langsamer. Ich bin, ich denke. Was aber bin ich ? Etwa irgendetwas von dem, was ich einst zu sein glaubte ? Glaubte ich das Richtige ? Das ist ungewiß. Ich habe alles Zweifelhafte verworfen und halte es gleichsam für falsch. Ich habe nicht das Richtige geglaubt. »Aber ja doch«, rufen Sie,2 »dort können Sie fest auftreten.« Fest auftreten ? Es schwankt doch alles. Was, wenn ich etwas anderes bin ? »Haben Sie keine Furcht«, entgegnen Sie, »Sie sind entweder ein Körper oder ein Geist.« Demnach bin ich. Zweifellos aber stehe ich noch ziemlich unsicher. Nehmen Sie mich bitte bei der Hand, ich wage kaum hinzutreten. Was, frage ich Sie, was wenn ich ein Gemüt bin ? Was, wenn etwas anderes ? Ich weiß es nicht. Sie entgegen : »Das bleibt sich gleich ; entweder Körper oder Geist.«3 So sei es also. Ich bin ein Körper oder Geist. Oder doch wohl eher ein Körper ? Zweifelsohne werde ich ein Körper sein, wenn ich etwas in mir antreffe, von dem ich einst geglaubt habe, daß es zum Körper gehört. Obgleich ich fürchte, nicht das Richtige geglaubt zu haben. »Ach was«, sagen Sie, »es gibt nichts zu befürchten«. Na gut, dann wage ich es, wenn Sie mich so sehr ermutigen (animum facere). Früher habe ich geglaubt, Denken gehöre zum Körper. Aber Moment mal : Ich denke. Εὕρηκα, εὕρηκα ! Ich bin, ich denke. Ich bin ein denkendes Ding, ich bin etwas Körperliches, ich bin Ausdehnung, etwas 1

Resp. VII : 491, 11.

2

Resp. VII : 492, 1.

3

Resp. VII : 492, 5.

488,24

489,2

489,9

489,14

466

489,21

489,25

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

Teilbares, Ausdrücke, deren Bedeutung mir zuvor unbekannt waren. Warum gucken Sie so zornig und ziehen mich, der ich vorausgeeilt bin, mit der Hand zurück ? Ich habe das Ufer erreicht und stehe genau da am Strand, wo Sie auch stehen, dank Ihnen und ihrer Verwerfung. Sie sagen : »Das stimmt aber nicht.« Was habe ich denn verkehrt gemacht ? Sie entgegnen : »Es war falsch, daß Sie früher geglaubt haben, Denken gehöre zum Körper. Sie hätten glauben müssen, es gehöre zum Geist.«1 Warum haben Sie mich denn nicht am Anfang daran erinnert ? Warum haben Sie mir nicht dann, als Sie sahen, daß ich drauf und dran und vorbereitet war, alle alten Ansichten ganz zu verwerfen, befohlen, ich solle zumindest diese beibehalten und sogar von Ihnen als Fahrgeld annehmen : Denken ist etwas, das zum Geist gehört ? Und überhaupt rate ich doch dringend dazu, daß Sie den Anfängern diese Maxime immer wieder einschärfen und ihnen unmißverständlich vorschreiben, sie weder in einem Abwasch mit den übrigen, noch im Zusammenhang mit der alten Ansicht 2 und 3 ergeben 5 abzuschwören. Freilich kann ich nicht garantieren, daß sie diese Maxime beherzigen werden. Jeder bildet sich sein eigenes Urteil (sensus), und Sie werden nur wenige Leute antreffen, die sich mit dem ihrigen so einfach begnügen wie früher die Anhänger des Pythagoras mit ihrem αὐτὸς ἔφα (»Der Chef hat’s gesagt«). Was, wenn es Leute gibt, die die Zustimmung verweigern ? Die es ablehnen ? Die auf ihrer alten Meinung beharren ? Was werden Sie machen ? Aber ich möchte die anderen gar nicht in Anspruch nehmen, mit Ihnen allein habe ich es zu tun. Wenn Sie versprechen, Sie würden durch die Kraft und das Gewicht von Begründungen dartun, daß die menschliche Seele nicht körperlich, sondern ganz spirituell ist, und wenn Sie gleichsam als Fundament Ihrer Beweise legen wollen : Denken ist eine Eigentümlichkeit des Geistes, bzw. eines völlig spirituellen und unkörperlichen Dinges :2 wird es dann nicht so aussehen, als ob Sie mit neuen Worten genau dasselbe reklamieren, was in der vorherigen Frage schon gesetzt war ? Gleichsam als ob, wenn jemand glaubt : Denken ist eine Eigentümlichkeit eines spirituellen und unkörperlichen Dinges, 1

Resp. VII : 492, 7–8.

2

Resp. VII : 492, 14–16.

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467

und er weiß und sich bewußt ist, daß er denkt (wie viele Leute gibt es eigentlich, die die reichhaltige Ader des Denkens nicht in sich antreffen, so daß es nötig ist, sie ihnen vorzuhalten), so blöd sein könne, daran zu zweifeln daß in ihm etwas Spirituelles ist, das überhaupt nicht verkörpert ist ! Meinen Sie nun bloß nicht, daß ich das nur aus Jux und Tollerei in die Runde werfe : Es gibt viele Leute, darunter auch bedeutende Philosophen, die behaupten, Tiere würden denken, und die daher meinen, das Denken komme zwar nicht jedem beliebigen Körper zu, aber der ausgedehnten Seele, die sich in den Tieren befindet, und es sei deshalb nicht etwa einzig und allein (quarto modo) nur dem Geist und spirituellen Ding eigentümlich. Was, frage ich, werden diese Leute sagen, wenn man sie zwingt, ihre Ansicht zu verwerfen, um ohne weiteres ihre anzunehmen ? Und wenn Sie das fordern, bitten Sie dann um etwas anderes als eine Gefälligkeit und erschleichen Sie etwa nicht das Prinzip ?1 Wozu aber zanke ich mich herum ? Wenn ich einen falschen Schritt getan habe, soll ich umkehren ?

a n m e rkunge n. Was aber bin ich ? Zweifelsohne irgendetwas von dem, was ich einst zu sein meinte.2 Dies und unzähliges andere dichtet er mir nach eigenem Gutdünken und ohne den geringsten Anflug (species) von Wahrheit an. Da bin ich mir ganz sicher, das habe ich nämlich verworfen.3 Erneut dichtet er mir hier etwas an. Ich habe nämlich nie etwas daraus geschlossen, daß es ich verworfen habe, sondern ich habe ausdrücklich das Gegenteil mit folgenden Worten betont : »Vielleicht aber verhält es sich ja so, daß sich das, von dem ich voraussetze, es sei nichts – nämlich weil es mir unbekannt ist –, gleichwohl der Wahrheit der Sache nach gar nicht von diesem Ich – das mir bekannt ist – unterscheidet usw.«4

1

Resp. VII : 492, 16–17. 4 Med. II : 27, 24–25.

2

Obj. VII : 488, 5.

3

Obj. VII : 488, 13.

491,2

491,5

468 491,11

492,1

492,5 492,7

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Bin ich demnach ein Geist ?1 Es ist auch falsch, daß ich gefragt habe, ob ich ein Geist bin, denn ich hatte noch gar nicht erklärt, was ich unter dem Namen Geist verstand. Was ich gefragt habe, war : ob in mir irgendetwas von dem wäre, was ich der Seele, wie ich sie vorher beschrieben hatte, beilegte. Weil ich nicht alles, was ich auf sie bezogen hatte, in mir vorfand, sondern allein das Denken, habe ich nicht gesagt, daß ich eine Seele sei, sondern nur ein denkendes Ding ; und diesem denkenden Ding habe ich den Namen Geist, bzw. Verstand, bzw. Vernunft beigelegt – freilich ohne durch den Namen Geist irgendetwas bezeichnen zu wollen, das über den Namen denkendes Ding hinausginge, damit ich dann Εὕρηκα, εὕρηκα ausrufen könne, wie er hier ganz unangebracht witzelt. Denn ganz im Gegenteil habe ich ausdrücklich hinzugefügt : »Ausdrücke, deren Bedeutung mir zuvor unbekannt waren«2 . Man kann deshalb nicht zweifeln, daß ich unter diesen Ausdrücken exakt dasselbe verstanden habe wie unter dem Namen denkendes Ding. Ich habe nicht das Richtige geglaubt. Aber ja doch, rufen Sie.3 Auch dies ist ganz falsch. Ich habe nämlich an keiner Stelle jemals vorausgesetzt, daß das, was ich zuvor geglaubt hatte, wahr sei, sondern ich habe nur geprüft, ob es wahr ist. Entweder bin ich ein Körper, oder Geist.4 Wieder falsch. [Diese Alternative] habe ich nie aufgestellt. Sie entgegnen : »Es war falsch, daß Sie früher geglaubt haben, Denken gehöre zum Körper. Sie hätten glauben müssen, es gehöre zum Geist«.5 Es ist auch falsch, daß ich dies entgegnet habe. Wenn er will, kann er freilich sagen, ein Ding, das denkt, werde besser Körper als Geist genannt, das ist mir gleichgültig : Darüber muß er nicht mit mir, sondern mit den Grammatikern disputieren. Wenn er aber so tut, als hätte ich mit dem Namen Geist etwas bezeichnet, das über den Namen denkendes Ding hinausgeht, muß ich das bestreiten. Das gilt auch für das, was er etwas später hinzufügt : Wenn Sie behaupten Denken ist eine Eigen1

Obj. VII : 488, 18. 2 Med. II : 27, 15. 489, 8. 5 Obj. VII : 489, 23.

3

Obj. VII : 489, 1–2.

4

Obj. VII :

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

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tümlichkeit des Geistes, bzw. eines völlig spirituellen und unkörperlichen Dinges usw., bitten Sie um etwas anderes als eine Gefälligkeit und erschleichen Sie etwa nicht das Prinzip ?1 Ich bestreite, in irgendeiner Weise behauptet zu haben, daß der Geist unkörperlich ist, sondern ich behaupte, das erst in der 6. Meditation bewiesen zu haben. Aber es ist unerträglich, ihn so oft der Falschheit zu bezichtigen. Ich werde all das ab sofort ignorieren und seine übrigen Spielereien bis zum Ende stillschweigend mitansehen. Dennoch ist es einigermaßen beschämend, zu sehen, daß der ehrwürdige Pater aus unbändigem Verlangen zum Lästern die Narrenkappe aufgesetzt hat. So gibt er sich hier als furchtsam, langsam und von geringer Geisteskraft und scheint wohl nicht Figuren aus der alten Komödie wie Epidicus oder Parmenon, sondern jene höchst alberne Person der gegenwärtigen Komödie imitieren zu wollen, die durch ihre Abgeschmacktheit Gelächter hervorrufen möchte.

492,20

§ 6 . E R N E U T E R V E R S U C H E I N E R E I N F Ü H RU N G . »Einverstanden«, sagen Sie, »aber treten Sie in meine Fußstapfen«. Ich werde gehorchen und keinen Finger breit von Ihnen abweichen. Fangen Sie wieder an ! Sie sagen : »Ich denke«. Ich auch. Sie fügen hinzu : »Ich bin, solange ich denke.« Ich ebenso : Ich bin, solange ich denke. Sie fragen : »Was aber bin ich ?« Ganz schön clever ! Denn genau danach frage ich und genau wie Sie frage ich mit Vergnügen : Was aber bin ich ? Sie fahren fort : »Was habe ich einst zu sein geglaubt ? Was war vorher mein Urteil (sensus) über mich ?«

1

Obj. VII : 490, 9–11 u. 25–26.

493,4

470

493,23

493,27

494,2

494,8

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

Bitte wiederholen Sie nicht die Worte, ich habe sie alle schon genug gehört. Aber ich bitte Sie, stehen Sie mir bei. Ich sehe in dieser Finsternis nicht, wo ich hintreten soll. Sie sagen : »Sprechen Sie mir nach. Folgen Sie meinen Schritten. Was nun habe ich früher zu sein geglaubt ?« Früher ? Hat es ein Früher gegeben ?1 Habe ich etwa früher geglaubt ? »Sie laufen in die Irre«, sagen Sie. Ganz im Gegenteil ! Sie selbst laufen in die Irre, wenn Sie sich erlauben, das Früher einzubringen. Ich habe alles Alte verworfen, und auch das Früher ist nichts gewesen und ist nichts. Aber Sie sind ein geduldiger Führer ! Wie Sie mich an der Hand halten, wie Sie mich leiten ! Sie sagen : »Ich denke, ich bin.« So ist es. Ich denke, ich bin. Das habe ich, das allein habe ich, und außer diesem einen gibt es nichts und hat es nichts gegeben. Sie sagen : »Prima. Was haben Sie früher über sich geglaubt ?« Ich vermute, Sie wollen mich auf die Probe stellen, ob ich mit diesem ersten Gehversuch in Verwerfung 15 Tage oder einen ganzen Monat zugebracht habe. Nun, ich habe zwar mit Ihnen hier nur eine Stunde zugebracht, aber ich habe mein Gemüt einer solchen Anstrengung ausgesetzt, daß die Intensität der Operation die zeitliche Dauer kompensiert : Ich habe also einen Monat, und, wenn Sie wollen, ein Jahr damit zugebracht. Schauen Sie mal her : Ich denke, ich bin. Davon abgesehen gibt es nichts. Ich habe alles verworfen. Sie sagen : »Erinnern Sie sich, rufen Sie es sich ins Gedächtnis zurück !« Was ist das Sich erinnern ? Ich denke doch nur, daß ich früher gedacht habe. Habe ich allein deshalb schon früher unablässig gedacht, nur weil ich denke, früher gedacht zu haben ? »Sie sind zu ängstlich«, sagen Sie. »Sie fürchten einen Schatten. Fangen Sie wieder an : Ich denke.« Oh ich Unglücklicher ! Dunkelheit legt sich über mich und kaum bemerke ich noch das Ich denke, das mir vorher klar erschien. Ich träume, daß ich denke, aber ich denke nicht.2 1

Resp. VII : 509, 9.

2

Resp. VII : 509, 9–10.

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

471

Sie sagen : »Nein, wer träumt, denkt.« Es dämmert mir : Träumen ist Denken und Denken ist Träumen. »Ganz und gar nicht«, sagen Sie, »Denken umfaßt mehr als Träumen.1 Wer träumt, denkt ; wer aber denkt, träumt nicht unablässig, sondern denkt wachend.« Ist das wirklich so ? Oder träumen Sie das ? Vielleicht denken Sie es auch ? Was, wenn Sie träumen würden, Denken umfasse mehr ? Wird es deshalb mehr umfassen ? Nun, wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich träumen, Träumen umfasse mehr als Denken. Wo nehmen Sie es eigentlich her, daß Denken mehr umfaßt, wenn es das gar nicht gibt, sondern nur Träumen ? Was ist, wenn Sie nicht wachend gedacht, sondern nur geträumt haben, wachend zu denken, immer wenn Sie gemeint haben, wachend zu denken – so daß es dieses eine gibt : Träumen, mit dessen Hilfe Sie zuweilen träumen, daß Sie träumen, zuweilen aber auch träumen, daß Sie wachend denken ? Was wollen Sie hier machen ? Sie schweigen. Sind Sie bereit, auf mich hören ? Wir sollten eine andere Furt ausfindig machen, diese ist so zweifelhaft und unzuverlässig, daß ich mich doch sehr darüber wundern muß, daß Sie versucht haben, mich über sie zu führen, ohne sie vorher getestet zu haben. Fragen Sie mich also nicht mehr, wer ich früher zu sein glaubte, sondern nur noch, wer ich träume, früher geträumt zu haben. Wenn Sie das tun, antworte ich. Damit aber die Worte der Träumenden unsere Unterhaltung nicht durcheinanderbringen, verwende ich die Worte der Wachenden, nur vergessen Sie bitte nicht, daß Denken bis auf weiteres nichts anderes bezeichnet als Träumen, und Sie in das, was Sie denken, nicht mehr hineinlegen als ein Träumender in seine Träume. Vielleicht sollten Sie ihre Methode sogar mit der Überschrift Methode des Träumens2 versehen, und ihre Technik sollte der obersten Maxime folgen : Um richtig schlußzufolgern, muß man träumen.3 Ich vermute, der Rat gefällt Ihnen, denn Sie fahren so fort : »Was also habe ich zuvor gemeint zu sein ?« Genau das war für mich vorher der Stein des Anstoßes. Wir müssen vorsichtig sein, Sie und ich ; gestatten Sie mir deshalb die Frage, weshalb Sie nicht dies gleichsam als Prämisse voranstellen : Ich bin etwas von 1

Resp. VII : 509, 12.

2

Resp. VII : 509, 13.

3

Resp. VII : 509, 13–14.

494,21

495,11

472

495,17

495,23

495,28

496,5

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

dem, was ich früher zu sein geglaubt hatte ; oder : Ich bin das, was ich früher zu sein geglaubt habe ? 1 Sie sagen : »Das ist nicht nötig.« Aber verzeihen Sie bitte : Das ist sogar sehr nötig ; weshalb machen Sie sich sonst die Mühe, ausfindig zu machen, was Sie früher gewesen zu sein geglaubt haben ? Es kann doch aber sein, daß Sie nicht das sind, was Sie zu sein geglaubt haben, sondern irgendetwas anderes, wie es Pythagoras passiert ist. Wird dann die Frage, was Sie früher geglaubt haben zu sein, nicht ins Leere laufen ? »Aber«, sagen Sie, »diese Prämisse ist alt und verworfen.« Das ist sie ganz gewiß, und zwar weil alle verworfen sind. Was wollen Sie aber tun ? Entweder müssen Sie hier haltmachen oder die Prämisse verwenden. »Oh nein«, sagen Sie, »ich muß es auf einem anderen Weg erneut versuchen. Also : Ich bin entweder ein Körper oder Geist. Vielleicht ein Körper ?« Nicht weiter bitte. Wo nehmen Sie dieses Ich bin ein Körper oder Geist her, wenn Sie sowohl Körper als auch Geist verworfen haben ? Mehr noch : Was, wenn Sie weder Körper noch Geist sind, sondern Gemüt oder irgendetwas anderes ? Was weiß ich denn ? Das möchten wir ausfindig machen, und wenn ich es wüßte, wenn mir das bekannt wäre, würde ich mich kaum so abmühen. Ich möchte nämlich nicht, daß Sie den Eindruck gewinnen, ich sei in die von Nebel und Schrecken erfüllten Gefilde der Verwerfung eingetreten, um mich darin auf die faule Haut zu legen oder spazierenzugehen : mich zieht oder treibt die Hoffnung auf das Gewisse dazu. Sie sagen : »Na gut, dann wollen wir mal wieder. Entweder bin ich ein Körper oder irgendetwas, was kein Körper, bzw. nicht körperlich ist.« Auf eine ganz andere und neue Bahn geraten Sie jetzt ! Ob sie wohl sicher ist ? »Ganz sicher«, sagen Sie, »und notwendig«. Was sollte dann das ganze Verwerfe ? Hatte ich nicht Recht damit, daß wir irgendetwas hätten aufheben sollen, und hatte ich nicht zu 1

Resp. VII : 510, 3–5.

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

473

Recht gefürchtet, daß Sie dem Widerspruchsgeist über Gebühr nachgeben würden ? Aber sei’s drum. Dies sei sicher. Was weiter ? Sie fahren fort : »Bin ich vielleicht ein Körper ? Treffe ich vielleicht in mir auf irgendetwas von dem, wovon ich einst urteilte, es gehöre zum Körper ?« Das ist der zweite Stein des Anstoßes. Zweifelsohne werden wir darüber stolpern, es sei denn, Sie setzen diesen Fixpunkt voraus : Über das, was zum Körper gehört, habe ich früher richtig geurteilt ; oder : Zum Körper gehört nichts außer dem, wovon ich früher eingesehen habe, daß es zu ihm gehört.1 »Warum das denn«, fragen Sie. Deshalb : Wenn Sie früher irgendetwas ausgelassen haben ; wenn Sie schlecht geurteilt haben (Sie sind nämlich ein Mensch und meinen, daß nichts Menschliches Ihnen fremd sei) : dann wird ihre Mühe ganz umsonst gewesen sein, und Sie werden fürchten müssen, daß Ihnen dasselbe passiert wie unlängst einem Bauern. Als der zum ersten Mal von weitem einen Wolf sah, blieb er stehen und wandte sich fragend an seinen Herrn, einen jungen Adligen, den er begleitete : »Was sehe ich ? Zweifellos ein Tier : es bewegt sich, es läuft umher. Aber was für ein Tier ? Doch wohl irgendeines von denen, die ich kenne. Nun, welche sind das ? Rind, Pferd, Ziege und Esel. Ist es vielleicht ein Rind ? Nein : Es hat keine Hörner. Vielleicht ein Pferd ? Es hat nur einen kleinen Schwanz ; es ist kein Pferd. Oder eine Ziege ? Eine Ziege hat einen Bart, das hier ist bartlos ; es ist keine Ziege. Es ist also ein Esel, da es weder ein Rind, noch ein Pferd, noch eine Ziege ist.« Warum lachen Sie ? Warten Sie den Ausgang der Fabel ab. »Nun«, sagte der junge Adlige, »da kannst Du doch ebensogut ableiten, daß es ein Pferd oder ein Esel ist ! Paß mal auf. Ist es etwa ein Rind ? Nein : Es hat keine Hörner. Vielleicht ein Esel ? Keineswegs : Ich sehe keine Ohren. Oder eine Ziege ? Es hat keinen Bart ; es ist keine Ziege. Es ist also ein Pferd.« Diese neue Analyse verwirrte den Bauern doch ein wenig, und er rief aus : »Aber dann ist es überhaupt kein Tier. Denn die Tiere, die ich kenne, sind Rind, Pferd, Ziege und Esel. Es ist kein Rind, kein Pferd, keine Ziege, kein Esel. Also« – und da hüpfte er vor 1

Resp. VII : 510, 6–8 ; 21–23.

496,15

496,19

474

497,13

497,29

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

Freude über seinen Triumph – »ist es kein Tier. Es ist also etwas, das kein Tier ist«. In der Tat ein wackerer Philosoph, freilich ohne Abitur, aber mit der Lizenz zum Kühemelken ! Wollen Sie in dieselbe Pfütze treten ? »Genug«, sagen Sie, »ich bin im Bilde. Der Bauer hat sich eine falsche Prämisse in den Kopf (animus) gesetzt, auch wenn er sie verschweigt : Mir sind alle Tiere bekannt ; oder : Es gibt kein Tier außer denjenigen, die mir bekannt sind. Doch was hat das mit unserem Vorhaben zu tun ?« Beide gleichen doch einander wie ein Ei dem anderen ! Tun Sie doch nicht so, Sie verschweigen doch etwas, was Sie sich in den Kopf (animus) gesetzt haben. Vielleicht dies : Mir ist alles bekannt, was zum Körper gehört oder gehören kann ; oder das : Zum Körper gehört nur das, von dem ich früher eingesehen habe, daß es zu ihm gehört ? Wenn Sie aber nicht alles kennen ; wenn Sie auch nur das Geringste ausgelassen haben ; wenn Sie dem Geist irgendetwas beigelegt haben, das tatsächlich zum Körper gehört oder zu einem körperlichen Ding wie der Seele ; wenn Sie das Denken, die Empfindung, die Vorstellung fälschlich vom Körper oder der körperlichen Seele fortgenommen haben ; und ich füge hinzu : Wenn Sie auch nur den Verdacht hegen, irgendetwas dergleichen getan zu haben : müssen Sie dann nicht denselben Ausgang fürchten wie der Bauer, daß alles, was Sie schließen, falsch geschlossen ist ? Wenn Sie dieses Hindernis nicht entfernen, können Sie ziehen, soviel Sie wollen, ich bleibe hier angewurzelt stehen und gehe keinen Schritt weiter. »Wir wollen zurückgehen«, sagen Sie, »und einen dritten Anlauf nehmen. Wir wollen alle Zugänge, Wege, Kurven und Schleichwege ausprobieren.« Das gefällt mir sehr, vorausgesetzt jedoch, daß wir nach dem Gesetz das, was zweifelhaft erscheint, nicht nur zurechtstutzen, sondern mit der Wurzel ausreißen. Dann mal los, gehen Sie voran, ich bin zu allem bereit. Machen Sie weiter.

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

475

§ 7 . D R I T T E R V E R S U C H E I N E R E I N F Ü H RU N G . Sie behaupten : »Ich denke.« Ich bestreite das.1 Sie träumen nur, daß Sie denken. Sie erwidern : »Das nenne ich Denken«. Eine blöde Bezeichnung. Ich nenne eine Feige Feige. Sie träumen. Das steht fest. Weiter. Sie sagen : »Ich bin, solange ich denke.« Meinetwegen. Wenn Sie es unbedingt so nennen wollen, dann will ich nicht rumzicken. Sie fügen hinzu : »Das ist gewiß und evident.« Das bestreite ich. Sie träumen nur, daß es für Sie gewiß und evident ist. Sie bestehen darauf : »Also ist es zumindest für den Träumenden gewiß und evident.« Das bestreite ich. Es sieht nur so aus, es erscheint so, ist es aber nicht.2 Sie lassen nicht locker : »Daran zweifle ich nicht, dessen bin ich mir bewußt, und darin betrügt mich der böse Geist nicht, auch wenn er sich bemüht.« Das bestreite ich. Sie träumen, sich dessen bewußt zu sein, Sie träumen, nicht zu zweifeln, daß es für Sie evident ist. Das sind zwei sehr verschiedene Dinge, ob einem Träumenden (oder auch einem Wachenden) etwas als gewiß und evident erscheint, und ob einem Träumenden (und ebenso einem Wachenden) etwas gewiß und evident ist. Und das ist die Grenzlinie : Weiter geht’s nicht. Wir müssen einen anderen Zugang suchen, sonst verplempern wir unsere gesamte Zeit als Träumende. Es muß irgendetwas passieren, denn wenn man ernten will, muß man sähen. Sie sind sich sicher, fahren Sie also fort. Sie machen das schon. Sie sagen : »Was habe ich früher zu sein geglaubt ?« Weg mit dem Früher ! Dieser Weg ist versperrt. Wie oft habe ich gesagt, daß alles Alte weggeschlossen ist ? Sie sind, solange Sie denken, und Sie sind sich sicher, daß Sie sind, solange Sie denken. Ich betone : so1

Resp. VII : 511, 7.

2

Resp. VII : 511, 7–9.

498,4

498,17

498,25

476

499,10

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

lange Sie denken ; denn die gesamte Vergangenheit ist zweifelhaft und ungewiß, und Ihnen bleibt allein die Gegenwart übrig. Dennoch bestehen Sie darauf. Ich bewundere Sie, auch Unglück zwingt Sie nicht in die Knie. Sie behaupten : »In mir, der ich bin, der ich denke, der ich ein denkendes Ding bin, ich sage : in mir ist nichts von dem, was zum Körper oder zu einem körperlichen Ding gehört.« Das bestreite ich. Beweisen Sie es. Sie sagen : »Seitdem ich alles verworfen habe, gibt es keinen Körper, kein Gemüt, keinen Geist, mit einem Wort : nichts. Wenn ich also bin – und ich bin mir sicher, daß ich bin –, dann bin ich kein Körper oder irgendetwas Körperliches.« Ich finde es klasse, wenn Sie so in Begeisterung geraten, wenn Sie Schlußfolgerungen ziehen und allmählich wieder beginnen, die Form zu wahren ! Machen Sie weiter, auf diesem Weg werden wir schneller einen Ausgang aus diesem Labyrinth finden, und weil Sie nicht hinterm Berg halten, werde auch ich mit nichts hinterm Berg halten. Ich bestreite sowohl die Voraussetzung (antecedens) als auch die Folgerung (consequens), und ich bestreite auch, daß die Folgerung aus der Voraussetzung folgt. Seien Sie nicht erstaunt, bitte : Ich bestreite es nicht aufs Geratewohl. Es gibt Ursachen dafür. Ich bestreite, daß die Folgerung aus der Voraussetzung folgt, weil Sie auf diese Weise ebensogut das Gegenteil dartun könnten : Seitdem ich alles verworfen habe, gibt es keinen Geist, kein Gemüt, keinen Körper, mit einem Wort : nichts. Wenn ich also bin – und ich bin mir sicher, daß ich bin –, dann bin ich kein Geist. Das ist der faule Kern Ihres Arguments, und aus dem Folgenden werden Sie erkennen, wie faul er ist. Inzwischen überlegen Sie sich doch mal, ob Sie künftig nicht besser aus Ihrer Voraussetzung so schließen wollen : Wenn ich also bin, wie ich bin, bin ich nichts. Entweder war die Voraussetzung falsch gesetzt ; oder, wenn sie gesetzt ist, wird sie später durch die zusätzliche Bedingung aufgehoben : Wenn ich bin. Daher bestreite ich diese Voraussetzung : Seitdem ich alles verworfen habe, gibt es keinen Körper, kein Gemüt, keinen Geist, noch irgendetwas anderes – und ich bestreite sie zurecht. Denn wenn Sie alles verwerfen, verwerfen Sie entweder unberechtigt alles, oder Sie verwerfen nicht alles überhaupt : denn das können sie gar nicht, da Sie selbst, der Sie

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

477

verwerfen, notwendig sind. Lassen Sie mich Ihnen genauer antworten : Wenn Sie sagen : »Es gibt nichts, keinen Körper, kein Gemüt, keinen Geist usw.«, dann schließen Sie sich entweder aus dieser Proposition Es gibt nichts usw. aus und verstehen sie so : Es gibt nichts usw. außer mir. Das müssen Sie unausweichlich tun, damit Ihre Proposition überhaupt zustandekommt und Bestand hat : denn das ist genau dasselbe wie bei den Propositionen, die sich selbst ausschließen, von denen man in der Logik spricht, wie : Jeder in diesem Buch geschriebene Satz ist falsch, Ich lüge und unzählige andere von dieser Art. Oder Sie beziehen sich selbst in die Proposition mit ein, so daß auch Sie nicht sein wollen, während Sie verwerfen und sagen : Es gibt nichts usw. Wenn die erste Möglichkeit zutrifft, dann kann die Proposition Seitdem ich alles verworfen habe, gibt es nichts usw. keinen Bestand haben. Denn Sie sind, und damit gibt es etwas ; und notwendig sind Sie entweder ein Körper oder ein Gemüt oder ein Geist oder irgendetwas anderes, und daher existiert notwendig entweder ein Körper oder ein Gemüt oder ein Geist oder etwas anderes. Wenn die zweite Möglichkeit zutrifft, begehen Sie eine Verfehlung, und zwar eine zweifache : Zum einen quälen Sie sich mit etwas ab, was unmöglich ist, weil Sie nicht sein wollen, während Sie doch sind. Zum anderen heben Sie ihre Proposition in der Folgerung auf, indem Sie hinzufügen : Wenn ich also bin, wie ich bin, usw. Denn wie kann es sein, daß Sie sind, wenn es nichts gibt ? Und solange Sie setzen, daß es nichts gibt, wie können Sie setzen, daß sie sind ? Und wenn Sie setzen, daß Sie sind, dann heben Sie doch das gerade eben Gesetzte Es gibt nichts usw. auf. Die Voraussetzung ist demnach falsch, und falsch ist auch die Folgerung. Sie aber schlagen zurück. Sie sagen : »Wenn ich sage Es gibt nichts, bin ich mir nicht sicher, daß ich ein Körper bin, ein Gemüt, ein Geist oder irgendetwas anderes. Ich bin mir ja noch nicht einmal sicher, daß es irgendeinen anderen Körper gibt, oder Gemüt, oder Geist. Also sage und setze ich nach dem Gesetz der Verwerfung, aufgrund dessen alles Zweifelhafte gleichsam als falsch gesetzt wird : Es gibt keinen Körper, kein Gemüt, keinen Geist, noch irgendetwas anderes. Wenn ich also bin, wie ich bin, bin ich kein Körper.« Toll. Aber erlauben Sie mir bitte, daß ich mir die Punkte einen nach dem anderen vornehme, um sie gegeneinander zu halten und abzuwä-

500,19

500,26

478

501,17

501,20

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gen. Zuerst die Voraussetzung : Wenn ich sage Es gibt nichts usw. ; ich bin nicht sicher, daß ich ein Körper, Gemüt, Geist oder irgendetwas anderes bin, kann ich zwei Weisen unterscheiden, diese Voraussetzung zu verstehen. Entweder : Sie sind sich nicht sicher, daß Sie in bestimmter Weise1 ein Körper, in bestimmter Weise ein Gemüt, in bestimmter Weise Geist, in bestimmter Weise irgendetwas anderes sind. So betrachtet wird die Voraussetzung gelten, denn genau danach fragen Sie. Oder : Sie sind sich nicht sicher, daß Sie in unbestimmter Weise Körper, Gemüt, Geist oder etwas anderes sind. Dann bestreite ich die Voraussetzung. Denn sie sind, und Sie sind etwas, und zwar notwendig entweder Körper, Gemüt, Geist oder irgendetwas anderes. Das können Sie auch nicht ernsthaft in Zweifel ziehen, wie sehr der böse Geist Sie auch verführen mag. Ich komme zur Folgerung : Nach dem Gesetz der Verwerfung sage ich also : Es gibt keinen Körper, kein Gemüt, keinen Geist, noch irgendetwas sonst. Ich kann zwei Weisen unterscheiden, die Folgerung zu verstehen. Entweder möchte ich sagen : Es gibt in bestimmter Weise keinen Körper, kein Gemüt, keinen Geist, noch irgendetwas anderes ; dann wird die Folgerung gelten. Oder ich möchte sagen : Es gibt in unbestimmter Weise weder einen Körper, noch ein Gemüt, noch Geist, noch irgendetwas anderes ; dann bestreite ich die Folgerung. Dieselbe Unterscheidung mache ich aber auch bei Ihrer letzten Folgerung : Also, wenn ich bin, wie ich bin, bin ich kein Körper. In bestimmter Weise, meinetwegen. In unbestimmter Weise, dann bestreite ich es. Merken Sie, wie wenig ich hinterm Berg halte ? Ich habe Ihre Propositionen um die Hälfte vermehrt. Gleichwohl, Sie verlieren nicht den Mut und nehmen den Kampf wieder auf. Respekt ! Sie sagen : Mir ist bekannt, daß ich existiere ; ich frage, was ich bin, jenes Ich, das mir bekannt ist. Ganz sicher hängt die Kenntnis des genau so verstandenen Ichs nicht von dem ab, von dem mir noch unbekannt ist, ob es existiert.2 Und was weiter ? Ist das alles, was Sie zu sagen haben ? Ich erwartete irgendeine Konsequenz, wie kurz zuvor. Vielleicht fürchten Sie, daß sie dasselbe Ende ereilen würde wie die vorherige. Wirklich sehr klug, gemessen an ihrem Maßstab. Aber ich nehme mir die einzelnen Punk1

Resp. VII : 512, 6.

2

Med. II : 27, 28–28, 1 ; Resp. VII : 513, 4–5.

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

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te vor. Ihnen ist bekannt, daß Sie existieren. Einverstanden. Sie fragen, wer Sie sind, der Ihnen bekannt ist. Dann mal los, da frage ich doch mit und schon lange fragen wir danach. Jene Kenntnis, nach der Sie fragen, hängt nicht von dem ab, von dem Ihnen noch unbekannt ist, ob es existiert. Was soll ich sagen, das ist noch irgendwie sperrig, ich sehe nicht, worauf ihre Aussage hinauslaufen soll. Wenn Sie hingegen fragen, wer Sie sind, jener, von dem Sie Kenntnis haben, dann habe ich auch eine Frage : Warum fragen Sie, wenn Sie Kenntnis haben ?1 Sie sagen : »Ich habe Kenntnis, daß ich bin, ich habe keine Kenntnis, wer ich bin.«2 Sensationell ! Doch woran werden Sie erkennen, wer jener ist, der Sie sind, wenn nicht an dem, wovon Sie einst Kenntnis hatten oder was Sie später einmal wissen werden ? Ich vermute, Sie werden es nicht an dem erkennen, wovon Sie einst Kenntnis hatten, denn das strotzt von Zweifeln und ist verworfen. Also an dem, was Sie noch nicht wissen, aber später einmal wissen werden.3 Warum regen Sie sich so auf ? Ich sehe keinen Grund dafür. Sie sagen : »Noch habe ich keine Kenntnis, daß diese Dinge existieren.«4 Geben Sie die Hoffnung nicht auf, Sie werden es irgendwann erkennen.5 »Aber«, fügen Sie hinzu, »was soll ich in der Zwischenzeit tun ?«6 Abwarten.7 Ich werde Sie nicht lange schmoren lassen.8 Ich möchte es wie vorher unterscheiden. Sie haben keine Kenntnis, wer Sie in bestimmter und klarer Weise sind : Das gebe ich zu. Sie haben keine Kenntnis, wer Sie in unbestimmter und verworrener Weise sind : Das bestreite ich. Denn Sie haben Kenntnis, daß Sie etwas sind, und notwendig sind Sie entweder Körper, Gemüt, Geist oder irgendetwas anderes. Aber was weiter ? Später werden Sie in bestimmter und klarer Weise Kenntnis von sich besitzen.9 Was aber wollen Sie jetzt tun ? Dieser eine Prüfstein In bestimmter Weise, in unbestimmter Weise10 wird Sie 1

Resp. VII : 513, 6. 2 Resp. VII : 513, 7–8. 3 Resp. VII : 513, 9–12. 4 Resp. VII : 513, 14. 5 Resp. VII : 513, 16. 6 Resp. VII : 513, 18 ; 515, 10–11. 7 Resp. VII : 513, 19. 8 Resp. VII : 515, 11. 9 Resp. VII : 515, 17–18. 10 Resp. VII : 513, 21.

501,30

502,5

502,8

480

502,19

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

ein ganzes Zeitalter lang beschäftigen.1 Sehen Sie sich händeringend nach einem anderen Weg um, falls noch einer übrig ist. Trauen Sie sich nur ; ich nämlich habe noch nicht die Flinte ins Korn geworfen. Große und neuartige Dinge sind von einem Wall von neuartigen und großen Schwierigkeiten umgeben. Sie sagen : »Ein Weg bleibt noch. Wenn auf ihm aber auch nur das geringste Hindernis liegt, ist die Sache erledigt, ich werde den Rückzug antreten und niemals mehr wird man mich in den Gefilden der Verwerfung herumstreichen sehen. Wollen Sie ihn mit mir erkunden ?« Meinetwegen, doch unter der Bedingung (lex), daß, weil er der letzte ist, Sie dann nichts mehr von mir erwarten. Gehen Sie voran.

§ 8 . V I E RT E R V E R S U C H E I N E R E I N F Ü H RU N G U N D R E S I G N AT I O N . 502,26

503,7

Sie sagen : »Ich bin.« Das bestreite ich. Sie fahren fort : »Ich denke.« Das bestreite ich.2 Sie erwidern : »Was bestreiten Sie ?« Ich bestreite, daß Sie sind, daß Sie denken. Und ich weiß doch wohl, was ich getan habe, als ich gesagt habe Es gibt nichts. Wirklich eine unerhörte Tat : mit einem Hieb habe ich alles abgeschlagen.3 Es gibt nichts : Es gibt Sie nicht, Sie denken nicht. Sie sagen : »Aber ich bitte Sie, ich bin mir ganz sicher, ich bin mir dessen bewußt : Das ist mein Bewußtsein, daß ich bin, daß ich denke.« Auch wenn Sie dafür die Hand ins Feuer legen, auch wenn Sie schwören und einen Eid ablegen, ich bestreite es. Es gibt nichts, Sie sind nicht, Sie denken nicht, Sie sind sich ihrer nicht bewußt. Das ist die Hürde, die ich Ihnen vor Augen führe, damit Sie sie zur Kenntnis nehmen und vermeiden. Wenn die Proposition Es gibt nichts wahr ist, dann ist auch die Proposition Sie sind nicht, Sie denken nicht wahr und notwendig. Die

1

Resp. VII : 515, 24–25.

2

Resp. VII : 515, 29.

3

Resp. VII : 516, 3–4.

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481

Proposition Es gibt nichts ist jedoch wahr, wie Sie wissen. Also ist auch die Proposition Sie sind nicht, Sie denken nicht wahr. Sie sagen : »Das ist übertriebene Strenge, da muß man ganz locker bleiben.« Ich tue es, weil Sie darum bitten, und mehr noch, ich mache das Zugeständnis : Sie sind. Und ich räume ein : Sie denken. Sie sind ein denkendes Ding, sagen Sie meinetwegen : eine denkende Substanz, wenn Sie Vergnügen an hochtrabenden Worten haben : Ich bin damit zufrieden und gratuliere, aber jetzt lassen Sie es mal gut sein. Sie aber wollen weiter, bieten die letzten Kräfte (spiritus) auf, und zwar so : Sie sagen : »Ich bin eine denkende Substanz und mir ist bekannt, daß ich als denkende Substanz existiere. Außerdem ist mir bekannt, daß eine denkende Substanz existiert, und ich habe auch einen klaren und deutlichen Begriff dieser denkenden Substanz. Jedoch ist mir unbekannt, ob ein Körper existiert, ich habe keine Kenntnis über irgendetwas von dem, was zum Begriff der körperlichen Substanz gehört, sondern es existiert weder ein Körper, noch irgendein körperliches Ding, denn ich habe alles verworfen. Also hängt die Kenntnis meiner Existenz oder des existierenden denkenden Dinges nicht von der Kenntnis der Existenz des Körpers oder eines Körpers, der existiert, ab. Also : Da ich existiere, und ich als denkende Substanz existiere und ein Körper nicht existiert, bin ich kein Körper. Also Geist. Dies und nichts anderes ist es, was mich zwingt, zuzustimmen, denn darin findet sich nichts, was nicht in einem Zusammenhang mit evidenten Prinzipien stünde, aus denen es nach den Regeln der Logik geschlossen wurde.« Was für ein Schwanengesang ! Aber warum haben Sie nicht vorher so gesprochen und ihre Verwerfung klar und unmißverständlich ganz beiseitegelassen ? Ich muß mich wirklich bei Ihnen beschweren, daß Sie uns so lange haben umherirren lassen und uns sogar durch diese Einöde und durch unwegsames Gelände geführt haben, obwohl Sie uns mit einem Schritt an dieses Ziel hätten bringen können. Außerdem bin ich doch etwas aufgebracht und würde die Wut, die ich im Bauch habe, an Ihnen auslassen, wenn Sie nicht der Freund wären, der Sie sind : Denn Sie gehen nicht so aufrichtig und offenherzig zu Werke wie vorher, sondern halten etwas für sich zurück als sei es für

503,14

503,19

504,1

482

504,22

505,1

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

Ihre Vorratskammer bestimmt und enthalten es mir vor. Sie staunen, aber ich werde Sie nicht lange auf die Folter spannen. Hier der Hauptpunkt meiner Beschwerde : Gerade eben, vor kaum einmal hundert Schritten, haben Sie gefragt, wer Sie seien, der, der Ihnen bekannt war. Jetzt wissen Sie nicht nur, wer jener ist, sondern Sie haben auch einen klaren und deutlichen Begriff von ihm.1 Entweder haben Sie vorher etwas versteckt und haben nur vorgetäuscht, es sei Ihnen unbekannt, obwohl Sie es ganz genau kannten ; oder Sie haben eine unterirdische Ader des Wahren und Sicheren, die Sie verheimlichen. Freilich würde ich, wenn Sie mir diese Quellen zeigen, lieber Fragen stellen als mich zu beklagen : Woher bitte haben Sie diesen klaren und deutlichen Begriff der denkenden Substanz ? Ob er nun von den Worten oder von der Sache selbst her so klar und evident ist, immer und immer wieder werde ich reklamieren, daß Sie mir diesen so klaren und deutlichen Begriff wenigstens einmal zeigen, damit ich mich durch seinen Anblick erhole,2 insbesondere weil wir fast von ihm allein die Wahrheit erwarten, die wir mit so großer Anstrengung ausfindig machen wollen. Sie sagen : »Ich weiß doch gewiß, daß ich bin, daß ich denke, daß ich als denkende Substanz existiere.«3 Seien Sie bitte darauf gefaßt, daß ich durchaus in der Lage bin, einen so schwierigen Begriff zu bilden. Auch ich weiß und mir ist wohl bekannt, daß ich existiere, daß ich denke, daß ich als denkende Substanz existiere. Aber bitte, machen Sie nun weiter. »Ja aber«, sagen Sie, »das war’s doch schon.4 Dadurch, daß ich gedacht habe, daß ich als denkende Substanz existiere, habe ich einen klaren und deutlichen Begriff der denkenden Substanz gebildet.« Heiligsblächle ! Wie feinsinnig und genau Sie sind ! In einem Moment durchdringen und durchlaufen Sie alles, was ist, was nicht ist, was sein kann und was nicht sein kann ! Sie bilden einen klaren und deutlichen Begriff der denkenden Substanz, schon während Sie klar und deutlich begreifen, daß Sie als denkende Substanz existieren. Also, wenn Sie klar erkennen – und das tun Sie doch gewiß, bei Ihrer vielversprechenden 1

Resp. VII : 516, 12–14 ; 518, 4–5. 2 Resp. VII : 516, 15–16 ; 518, 17–18. 3 Resp. VII : 518, 20. 4 Resp. VII : 516, 17–18.

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

483

Geisteskraft1 –, daß kein Berg ohne Tal existiert, haben Sie dann ohne weiteres auch schon einen klaren und deutlichen Begriff des Berges ohne Tal ?2 Ich besitze diese Technik nicht und bin dementsprechend beeindruckt von dieser neuen Errungenschaft. Bitte machen Sie mir diese Technik zugänglich und zeigen Sie mir, wie dieser Begriff klar und deutlich sein kann. Sie sagen : »Nichts leichter als das. Ich begreife klar und deutlich, daß eine denkende Substanz existiert, und ich begreife nichts Körperliches, nichts Spirituelles,3 nichts Sonstiges, sondern allein die denkende Substanz. Also ist mein Begriff der denkenden Substanz klar und deutlich.« Endlich höre ich Sie, und, wenn ich mich nicht täusche, verstehe ich Sie. Ihr Begriff ist klar, weil Sie sicher erkennen, und er ist deutlich, weil Sie nichts anderes erkennen.4 Habe ich den Nagel auf den Kopf getroffen ? Ich vermute es, denn Sie fügen hinzu : »Das«, sagen Sie, »reicht völlig aus, um behaupten zu können, daß, insofern ich mir selbst bekannt bin, ich nichts anderes bin als ein denkendes Ding.« Das reicht in der Tat völlig aus. Und wenn ich ihre Ansicht (mens) klar verstanden habe,5 ist der Begriff der denkenden Substanz, den Sie bilden, deshalb klar und deutlich, weil er Ihnen repräsentiert, daß eine denkende Substanz existiert, ohne daß Sie dafür den Körper, das Gemüt, den Geist oder irgendetwas sonst berücksichtigen müßten, sondern lediglich, daß die denkende Substanz existiert.6 Und so sagen Sie, daß Sie, insofern Sie mit sich selbst bekannt sind, nur eine denkende Substanz sind, nicht aber ein Körper, ein Gemüt, Geist7 oder irgendetwas anderes, so daß Sie, wenn Sie ganz genau entsprechend ihrer Kenntnis von sich selbst existieren würden, allein eine denkende Substanz wären und sonst gar nichts. Ich vermute, Sie sind mit sich zufrieden, klopfen sich auf die Schulter und meinen, daß ich durch die vielen Worte, die ich ganz gegen meine Gewohnheit hier mache, nur eine Verzögerung erreichen und dem Kampf ausweichen will, um Ihrer unaufbrechbaren Angriffslinie auszuweichen. Doch tatsächlich ist mei1

2 Resp. VII : 516, 19–21 ; 518, 21–23. Resp. VII : 518,28–519, 1. 3 Resp. VII : 519, 3–4. 4 Resp. VII : 516, 21–23 ; 519, 16–17. 5 Resp. VII : 519, 15. 6 Resp. VII : 516, 23–517, 1. 7 Resp. VII : 519, 10–11.

505,11

505,16

505,20

484

506,7

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

ne Absicht eine andere. Wollen Sie, daß ich Ihre komplette Armee mit einem Wort wegfege, und zwar inklusive der Elitetruppe, die Sie vorsichtigerweise für den Entscheidungskampf zurückgehalten haben, und obwohl sie keilförmig und gestaffelt aufgestellt sind ?1 Ich will es mit drei Worten tun, damit noch nicht einmal ein Bote übrigbleibt.2 Hier ist das erste. Der Übergang (consequentia) vom Kennen auf das Sein ist ungültig.3 Meditieren Sie darüber 15 Tage lang, und Sie werden aus dieser Meditation Früchte ernten, die Ihnen zusagen werden ; werfen Sie doch gleich mal einen Blick auf folgende Tafel : Eine denkende Substanz ist eine solche, die entweder einsieht oder will oder zweifelt oder träumt oder vorstellt oder sinnlich wahrnimmt. Deshalb stehen die Akte des Denkens wie Einsehen, Wollen, Vorstellen, Sinnlich-Wahrnehmen alle auf dem gemeinsamen Grund des Denkens, bzw. der Erfassung, bzw. des Bewußtseins. Die Substanz, in der sie sich befinden, nennen wir denkendes Ding.

z

Denkende Substanz }|

Körperlich, bzw. einen Körper besitzend und ihn verwendend }| { z Ausgedehnt und teilbar4 z }| {

Unausgedehnt und unteilbar z }| {

{

Unkörperlich, bzw. keinen Körper besitzend und ihn nicht verwendend z }| { Gott

Engel

Seele des Seele des Geist des Geist Pferdes Hundes Sokrates des Plato

506,23

Hier ist das zweite. In bestimmter Weise, in unbestimmter Weise. Deutlich, verworren. Explizit, implizit.5 Das sollten Sie ebenfalls 5 Tage lang im Gemüt hin und herwenden. Es wird sich lohnen, wenn Sie das, wie es sich gehört, auch auf ihre einzelnen Propositionen anwenden, wenn Sie sie teilen und unterscheiden. Ich würde mich nicht scheuen, 1

Resp. VII : 517, 2–3. 2 Resp. VII : 517, 6. 3 Resp. VII : 519, 26–520, 1. 4 Resp. VII : 520, 11–12. 5 Resp. VII : 517, 10–11 ; 520, 24–25.

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

485

es zu tun, wenn ich nicht fürchtete, daß es langwierig würde. Hier ist das dritte. Was zu viel schließt, schließt nichts.1 Hier schreibe ich Ihnen keine bestimmte Zeit zum Meditieren vor. Aber : Es eilt und drängt. Fangen Sie an, richten Sie das Gemüt auf ihre Propositionen und sehen Sie, ob ich nicht denselben Fortschritt erreichen kann : Ich bin ein denkendes Ding, mir ist bekannt, daß ich eine denkende Substanz bin, daß eine denkende Substanz existiert, und dennoch ist mir noch unbekannt, ob ein Geist existiert, vielmehr existiert überhaupt kein Geist : Es gibt nichts, alles ist verworfen.2 Also hängt die Kenntnis der Existenz oder die Kenntnis der existierenden denkenden Substanz nicht von der Kenntnis der Existenz oder der Kenntnis des existierenden Geistes ab. Also, da ich existiere, und ich als denkendes Ding existiere, und ein Geist nicht existiert, bin ich kein Geist ; also Körper.3 Weshalb schweigen Sie ? Weshalb treten Sie den Rückzug an ? Noch habe ich nicht alle Hoffnung verloren. Folgen Sie mir jetzt noch einmal. Nur zu, trauen Sie sich ! Ich wende die alte Form und Methode, die Vernunft zu regieren,4 wieder an, die allen bisherigen Philosophen, was sage ich : überhaupt allen Menschen vertraut ist. Ertragen Sie es bitte und machen Sie keine Anstalten : ich bin Ihnen auch gefolgt. Vielleicht wird die alte Form und Methode einen Weg eröffnen, wie es gewöhnlich in verwickelten und hoffnungslosen Situationen geschieht. Falls sie das aber nicht leistet, wird sie uns zumindest erlauben, mit dem Finger auf den Fehler in Ihrer Methode, wenn es einen gibt, zu zeigen, während wir uns zurückziehen. Hier also Ihr Argument in der alten Form.

§ 9 . S I C H E R E R RÜ C K Z U G I N D E R A LT E N F O R M . Kein Ding, das so geartet ist, daß ich in bezug auf es zweifeln kann, ob es existiert, existiert faktisch.5 Jeder Körper ist so geartet, daß ich in bezug auf ihn zweifeln kann, ob er existiert.6 1

Resp. VII : 517, 11–12 ; 521, 3–4. 517, 13–16. 4 Resp. VII : 522, 14. 1. 6 Resp. VII : 525, 16.

2

Resp. VII : 521, 23–25. 3 Resp. VII : 5 Resp. VII : 522, 23–24 ; 524, 25–525,

507,18

486

508,2

508,7

508,16

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

Also existiert kein Körper faktisch. Um nicht alles zu wiederholen : Das ist doch wohl Ihr Obersatz und ebenso der Untersatz und genauso die Schlußfolgerung. Ich fange also wieder an : Kein Körper existiert faktisch. Also ist nichts, was faktisch existiert, ein Körper. Ich fahre fort : Nichts, was faktisch existiert, ist ein Körper. Ich (Ich, die denkende Substanz) existiere faktisch. Also bin ich (Ich, die denkende Substanz) kein Körper. Weshalb lächeln Sie, weshalb zeigt sich ein neuer Frühling auf Ihrem Gesicht ? Ich glaube, Ihnen gefällt die Form und was durch die Form zuwege gebracht wird. Tatsächlich jedoch ist es ein bitteres Lachen.1 Setzen Sie an die Stelle des Körpers den Geist, und Sie werden aus der richtigen Form ebensogut folgern : Also bin ich (Ich, die denkende Substanz) kein Geist. Denn : Kein Ding, das so geartet ist, daß ich in bezug auf es zweifeln kann, ob es existiert, existiert faktisch. Jeder Geist ist so geartet, daß ich in bezug auf ihn zweifeln kann, ob er existiert.2 Also existiert kein Geist faktisch. Kein Geist existiert faktisch. Also ist nichts, was faktisch existiert, ein Geist. Nichts, was faktisch existiert, ist ein Geist. Ich (Ich, die denkende Substanz) existiere faktisch. Also bin ich (Ich, die denkende Substanz) kein Geist. Was also jetzt ? Die Form stimmt und ist legitim ; nirgendwo liegt ein Versehen vor, nirgendwo ist etwas Falsches herausgebracht worden, außer vielleicht aus bereits Falschem. Was sich also an der Folgerung als Fehler darstellt, das ist notwendig nicht durch die Form fehlerhaft, sondern durch irgendeine mangelhafte Setzung in den Prämissen. Meinen Sie also, daß Sie den Stützpfeiler Ihres Gedankenspiels richtig gesetzt haben : Kein Ding, das so geartet ist, daß ich in bezug auf es zweifeln kann, ob es existiert oder ob es wahr ist, existiert faktisch oder ist wahr ? Ist das wirklich gewiß ? Ist es wirklich ausgemacht, daß Sie guten Ge1

Resp. VII : 626, 29.

2

Resp. VII : 525, 17–18.

487

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

wissens (firmo animo) und mit uneingeschränktem Vertrauen (libero animo) darauf bauen können ? Sagen Sie mir doch bitte mal, weshalb Sie dies bestreiten : Ich habe einen Körper ? Doch wohl zweifelsohne, weil es Ihnen zweifelhaft erscheint. Ist dann aber nicht auch das zweifelhaft : Ich habe keinen Körper ? Gibt es überhaupt irgendjemanden, der etwas als Fundament alles seines Wissens und der Wissenschaft legt, was er selbst klugerweise für falsch hält – und zwar insbesondere, wenn diese Wissenschaft das absolute Vorbild für alle anderen sein soll ? Aber es ist jetzt genug. Dies ist die äußerste Grenzlinie und das Ende der Irrfahrten ; es gibt nichts mehr, worauf ich noch hoffe. Deshalb antworte ich auf Ihre Frage, »Ob die Methode, durch Verwerfung alles Zweifelhaften eine gute Methode des Philosophierens ist« so, wie Sie es erwarten, offenherzig, frei und ohne überflüssige Worte.

a n m erkun gen. Bis hierher hat der ehrwürdige Pater nur Scherze getrieben ; weil er aber im Folgenden ernsthaft verfahren und eine ganz andere Rolle spielen zu wollen scheint, setze ich hier kurz das dazwischen, was ich an seinen Scherzen bemerkt habe. Diese seine Worte : Früher ? Hat es ein Früher gegeben ?,1 und Ich träume, daß ich denke, aber ich denke nicht2 und dergleichen, sind nur Späße, die der Rolle, die er spielt, durchaus angemessen sind, wie auch die schwerwiegende Frage : Ob Denken mehr umfaßt als Träumen ?3 und der scharfsinnige Spruch Methode des Träumens, und Um richtig schlußzufolgern, muß man träumen.4 Ich meine aber, auch nicht die geringste Veranlassung zu diesen Scherzen gegeben zu haben, weil ich ausdrücklich kenntlich gemacht habe, daß ich, wenn ich von dem Verworfenen spreche, nicht behaupte, daß es wäre, sondern nur, daß es erscheine. Demgemäß habe ich also, als ich gefragt habe, was es einst gewesen ist, nur danach gefragt, was mir damals erschien, daß ich einst gemeint 1

Obj. VII : 493, 21. 495, 8–10.

2

Obj. VII : 494, 15.

3

Obj. VII : 494, 18.

4

Obj. VII :

509,5

509,9

488

510,1

510,17

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

hatte. Und als ich gesagt habe, daß ich denke, habe ich nicht erforscht, ob ich wachend oder träumend denke. Auch verwundert es mich, daß er das Methode des Träumens nennt, wo diese Methode ihn doch wohl einigermaßen unsanft aus dem Schlaf gerissen zu haben scheint. Die Schlußfolgerung, die er dann zieht, entspricht ebenfalls seiner Rolle. Er will, daß ich, wenn ich frage, was ich vorher meinte zu sein, eine Aussage vorausschicke wie Ich bin etwas von dem, was ich früher zu sein geglaubt hatte, oder Ich bin das, was ich früher zu sein geglaubt habe.1 Und gleich danach will er, wenn gefragt wird, ob ich ein Körper bin, diesen Fixpunkt vorausgeschickt haben : Über das, was zum Körper gehört, habe ich früher richtig geurteilt ; oder : Zum Körper gehört nichts außer dem, wovon ich früher eingesehen habe, daß es zu ihm gehört.2 Nun sind Sprüche, die offenkundig der Vernunft widersprechen, dazu angetan, Lachen zu erwecken. Es liegt auf der Hand, daß ich zweckmäßig danach habe fragen können, was ich einst geglaubt hatte, zu sein, und ob ich ein Körper wäre, auch wenn ich nicht wußte, ob ich etwas von dem wäre, was ich geglaubt habe, noch ob ich darin richtig lag, es zu glauben : Denn mit Unterstützung dessen, was ich dann neu erfassen würde, würde ich genau das prüfen. Und wenn schon nichts anderes, so würde ich zumindest dazulernen, daß ich auf diesem Weg nichts herausfinden könnte. Ganz ausgezeichnet spielt er wieder seine Rolle, als er die kleine Anekdote von dem Bauern erzählt.3 Das Lächerlichste daran ist freilich, daß er, während er meint, sie gegen meine Worte zu wenden, sie doch nur gegen seine wendet. Kritisierte er mich soeben noch, weil ich die Aussage Über das, was zum Körper gehört, habe ich früher richtig geurteilt ; oder : Zum Körper gehört nichts außer dem, wovon ich früher eingesehen habe, daß es zu ihm gehört4 nicht vorausgesetzt habe, so kritisiert er selbst jetzt genau das, weswegen er sich beschwerte, weil ich es nicht gesagt hätte, und vergleicht es mit der absurden Schlußfolgerung sei1

Obj. VII : 495, 14–16. 2 Obj. VII : 496, 16–18. 4 Obj. VII : 496, 16–18 ; 497, 19–20.

3

Obj. VII : 496, 16–18.

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

489

nes Bauern, gleichsam als wäre es meine Aussage, obwohl er es doch ganz aus seiner Anschauung entnommen hat. Ich selbst aber habe niemals deswegen bestritten, daß ein denkendes Ding ein Körper ist, weil ich vorausgesetzt hätte, daß ich in bezug auf die Natur des Körpers einst eine richtige Einschätzung vertreten habe ; sondern weil ich den Namen Körper nur verwende, um ein Ding zu bezeichnen, das mir hinlänglich bekannt ist, nämlich die ausgedehnte Substanz, habe ich erkannt, daß sich das denkende Ding von ihm unterscheidet. Die eleganten Sprüche, die er schon mehrfach verwendet hat und hier wiederholt : Sie behaupten : »Ich denke.« Ich bestreite das ;1 und Sie fügen hinzu : »Das ist gewiß und evident.« Das bestreite ich. Sie träumen ; Es sieht nur so aus, es erscheint so, ist es aber nicht, usw.2 rufen in seinem Namen gebraucht schon allein deswegen Gelächter hervor, weil sie selbst im Namen von jemand gebraucht albern wären, der ernsthaft verfahren würde. Hier könnten Anfänger nun meinen, daß denjenigen, die im Zweifel sind, ob sie wachen oder träumen, nichts anderes gewiß und evident sein könne, sondern es könne nur so aussehen oder erscheinen. Um das zu verhindern, möchte ich, daß sie sich an das erinnern, worauf vorher bereits hingewiesen wurde,3 nämlich daß das, was klar erfaßt wird, wahr ist, von wem auch immer es erfaßt wird, und nicht nur so aussieht oder nur als wahr erscheint. Freilich gibt es nur wenige Leute, die richtig zwischen dem unterscheiden, was tatsächlich erfaßt worden ist, und dem, wovon sie bloß meinen, es erfaßt zu haben ; denn nur wenige Leute sind an klare und deutliche Erfassungen gewöhnt. Bis hierher hat unser Schauspieler das Bild eines ganz unspektakulären Kampfes geboten. Statt dessen hat er sich nur geringfügige Hindernisse in den Weg gelegt, und sofort, nachdem er eine zeitlang gegen sie irgendwelche Grimassen geschnitten hat, zum Rückzug geblasen und sich gegen einen anderen Teil gewandt. Hier4 beginnt er zum ersten Mal einen ungeheuren 1

Obj. VII : 498, 4–5. 4 Obj. VII : 499, 2.

2

Obj. VII : 498, 11–14.

3

Obj. VII : 461, 17.

511,6

511,21

490

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

Kampf gegen einen Gegner, der wirklich auf seine Bühne paßt, nämlich gegen meinen Schatten – der ist zwar für alle anderen Leute unsichtbar, aber er hat ihn aus seinem eigenen Gehirn hervorgezaubert und, damit er recht nichtig erscheint, eigenhändig aus dem Nichts zusammengesetzt. Aber er kämpft ganz ernsthaft gegen ihn, argumentiert, strengt sich an, schließt Waffenstillstand, ruft die Logik zur Unterstützung herbei, nimmt den Kampf wieder auf, durchforstet das Einzelne, hält es gegeneinander, wägt es ab.1 Weil er es aber nicht wagt, die Schläge eines so kräftigen Gegners mit dem Schild zu parieren, weicht er mit seinem Körper aus, trifft Unterscheidungen und tritt schließlich durch den Seitenweg In bestimmter Weise und in unbestimmter Weise2 die Flucht an. Dieses Schauspiel ist ziemlich spaßig, insbesondere wenn man die Ursache dieses Zwiespaltes einsieht. Vielleicht nämlich hat er in meinen Schriften gelesen, daß die wahren Meinungen, die wir schon haben, bevor wir ernsthaft philosophieren, mit vielen anderen Meinungen vermischt sind, die entweder falsch oder zumindest zweifelhaft sind ; und daß es deshalb, wenn wir die wahren Meinungen von den anderen trennen wollen, das Beste ist, anfänglich alle zurückzuweisen, bzw. überhaupt alle zu verwerfen, damit später umso bequemer entweder erkannt werden kann, welche wahr gewesen waren, oder neue herausgefunden werden und allein die wahren gelten gelassen werden können. Das ist genau dasselbe, als wenn ich gesagt hätte, um zu verhindern, daß sich in einer Einkaufstasche oder einem Korb voller Äpfel irgendwelche faulen befinden, müßten anfänglich alle ausgeschüttet werden und es dürften überhaupt keine darin zurückgelassen werden, und dann dürften alleine diejenigen entweder zurückgetan oder von woanders her hinzugenommen werden, von denen erkannt würde, daß sie keinen Fehler aufweisen. Er aber versteht diese Spekulation nicht, obwohl sie doch den Sachverhalt ganz genau trifft, oder – was wohl tatsächlich der Fall ist – er täuscht vor, sie nicht zu verstehen, und steht verwundert da ; 1

Obj. VII : 500, 26–27.

2

Obj. VII : 500, 30–31.

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

491

insbesondere weil es hieß : »Es gibt nichts, das nicht verworfen werden muß«. Dann denkt er so viel über dieses Nichts nach und verankert es so sehr in seinem Gehirn, daß er sich nur sehr schwer von ihm befreien kann, obwohl er es doch jetzt mehrfach bekämpft. Nach einem so glücklich verlaufenen Kampf und beflügelt durch die Meinung, gewonnen zu haben, sucht er sich einen neuen Gegner. Diesen neuen Gegner hält er wiederum für meinen Schatten – der ihm nämlich in seiner Phantasie unablässig vorschwebt –, setzt ihn jetzt aber aus neuer Materie zusammen, nämlich aus den Worten : »Mir ist bekannt, daß ich existiere. Ich frage, was ich bin, usw.«1 Weil ihm aber dieser Schatten weniger bekannt ist als der vorhergehende, greift er vorsichtiger an und nur von ferne. Das erste Geschoß, das er abfeuert, ist dieses : Warum fragen Sie, wenn Sie Kenntnis haben ?2 Und weil er meint, vom Gegner mit diesem Schild pariert zu werden : Ich habe Kenntnis, daß ich bin, ich habe keine Kenntnis, wer ich bin,3 schleudert er sofort diesen längeren Speer : Woran werden Sie erkennen, wer Sie sind, wenn nicht an dem, wovon Sie einst Kenntnis hatten oder was Sie später einmal wissen werden ? Nicht an dem, wovon Sie einst Kenntnis hatten : Das strotzt von Zweifeln und ist verworfen. Also an dem, was Sie noch nicht wissen, aber später einmal wissen werden.4 Und er meint, den durch diesen Schlag sehr in Bedrängnis gebrachten und fast zu Boden geworfenen Schatten ausrufen zu hören : Noch habe ich keine Kenntnis, daß die Dinge existieren.5 Seinen Zorn in Barmherzigkeit verwandelnd tröstet er ihn dann mit folgenden Worten : Geben Sie die Hoffnung nicht auf, Sie werden es irgendwann erkennen,6 und läßt ihn daraufhin mit kläglicher und flehender Stimme so antworten : Was soll ich in der Zwischenzeit tun ?7 Er aber sagt gebieterisch, wie es sich für einen Sieger gehört : Abwarten.8 Doch weil er barmherzig ist, läßt er ihn nicht lange im Ungewissen, sondern flüchtet er1

Obj. VII : 501, 17. 2 Obj. VII : 501, 29. 3 Obj. VII : 501, 30. 4 Obj. VII : 501, 31–502, 3. 5 Obj. VII : 502, 5. 6 Obj. VII : 502, 6. 7 Obj. VII : 502, 7. 8 Obj. VII : 502, 8.

512,28

492

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

neut durch den Seitenweg In bestimmter Weise, in unbestimmter Weise ; klar, verworren,1 und triumphiert für sich allein, weil er niemanden sieht, der ihm dorthin folgt. All das sind außerordentliche Vertreter derjenigen Art von Späßen, die er aus der Vortäuschung von Einfalt gewinnt, die gerade bei einem Mann überraschend ist, dessen Miene und Bekleidung viel Weisheit und Würde versprachen. Um dies klar zutage treten zu lassen, wollen wir unseren Schauspieler wie einen würdevollen und gelehrten Mann betrachten, der die Methode, nach der Wahrheit zu fragen, bekämpft. Diese Methode verlangt, daß wir, nachdem alles Unsichere verworfen ist, bei der Erkenntnis unserer eigenen Existenz beginnen, und von dort zur Untersuchung unserer Natur übergehen, bzw. zur Untersuchung desjenigen Dinges, von dem wir bereits erkennen, daß es existiert. Er aber versucht nachzuweisen, daß auf diesem Weg kein Zugang zu weiterer Erkenntnis möglich ist, und führt dafür folgende Begründung an : »Wenn Du nur Kenntnis davon hast, daß Du bist, nicht aber, was Du bist, kannst Du dies nicht aus dem lernen, wovon Du einst Kenntnis gehabt hast, da Du alles verworfen hast ; also aus dem, was Du noch nicht weißt.« Darauf könnte auch ein dreijähriges Kind erwidern : »Es spricht doch nichts dagegen, daß ich etwas von dem lerne, was ich einst gekannt hatte. Denn auch wenn ich es verworfen habe, als es zweifelhaft war, kann ich es gleichwohl später wieder aufnehmen, sobald offenkundig wird, daß es wahr ist. Außerdem : Selbst wenn man zugeben würde, daß von dem einst Erkannten nichts zu lernen ist, steht doch zumindest noch der andere Weg ganz offen, nämlich der Weg durch das, was ich noch nicht gekannt hatte, das ich aber künftig mit Interesse und Wachsamkeit erkennen werde.« Hier aber bildet sich unser Schauspieler einen Gegner ein, der nicht etwa nur zugibt, daß der erste Weg verschlossen ist, sondern sich selbst den anderen Weg durch die Devise verbaut : »Ich habe keine Kenntnis, daß das existiert.« Als ob man keine neue Erkenntnis 1

Obj. VII : 502, 14. Clare, confuse findet sich nicht, sondern Obj. VII, 506, 23 Distincte, confuse.

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der Existenz gewinnen könne ! Und als ob die Unkenntnis der Existenz jede Erkenntnis des Wesens verhinderte – was nun in der Tat völlig unsinnig ist. Freilich spielt er auf meine Worte an ; ich habe nämlich geschrieben : »Es ist unmöglich, daß das, über das ich bereits verfüge, nämlich die Kenntnis eines Dinges, von dem mir bereits bekannt ist, daß es existiert, von der Kenntnis dessen abhängt, von dem mir noch unbekannt ist, ob es existiert.«1 Ich habe das nur in bezug auf die Gegenwart gesagt. Er hingegen überträgt es lächerlicherweise auf die Zukunft, und das ist gerade so, als würde er schließen, daß, weil wir diejenigen nicht sehen können, die noch nicht geboren sind, die aber in diesem Jahr geboren werden, wir sie niemals werden sehen können. Denn es ist in der Tat offenkundig, daß die Kenntnis eines Dinges, das als existierend erkannt wird – eine Kenntnis, über die wir bereits verfügen –, nicht von der Kenntnis dessen abhängt, das noch nicht als existierend erkannt wird ; denn eben dadurch, daß etwas als zu einem existierenden Ding gehörend erfaßt wird, wird auch notwendig erfaßt, daß es existiert. Ganz anders verhält es sich in bezug auf die Zukunft. Denn es spricht doch nichts dagegen, daß die Kenntnis eines Dinges, von dem mir bekannt ist, daß es existiert, durch andere Dinge vergrößert wird, von denen mir noch nicht bekannt ist, ob sie existieren, sondern die ich erst dann erkennen werde, wenn ich erfassen werde, daß sie zu dem ersten Ding gehören. Er hingegen fährt fort, indem er sagt : Geben Sie die Hoffnung nicht auf, Sie werden es irgendwann erkennen ;2 und außerdem : Ich werde Sie nicht lange schmoren lassen.3 Durch diese Worte weckt er in uns die Erwartung, daß er entweder beweist, daß man auf dem eingeschlagenen Weg zu keiner weitergehenden Erkenntnis gelangen könne, oder wenigstens, daß er irgendeinen anderen Weg auftut, wenn er voraussetzt, daß dieser durch den Gegner versperrt ist (was doch wohl albern wäre). Er aber fügt lediglich an : Sie haben in unbestimmter und verworrener Weise Kenntnis, wer Sie sind,

1

Med. II : 27, 29–28, 1.

2

Obj. VII : 502, 6.

3

Obj. VII : 502, 8.

494

515,29

516,12

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nicht aber in bestimmter und klarer Weise.1 Aus diesen Worten ergibt sich für uns nichts naheliegender, als zu schließen, daß uns also ein Weg zu weitergehender Erkenntnis offenstehe, weil wir, wenn wir meditieren und aufmerksam sind, bewirken können, daß wir das, was wir bloß in unbestimmter Weise und verworren erkannt haben, später klar und in bestimmter Weise erfassen werden. Er aber schließt nichtsdestotrotz, die Worte in bestimmter Weise, in unbestimmter Weise seien ein Prüfstein, der uns ein ganzes Zeitalter lang beschäftigen könne,2 und deshalb müsse nach einem anderen Weg gefragt werden. Mir scheint, er hätte sich nichts Passenderes ausdenken können, um die unüberbietbare Albernheit und Schwäche seiner eigenen Geisteskraft vorzutäuschen, als all dies. Sie behaupten : »Ich bin«. – Das bestreite ich. – Sie fahren fort : »Ich denke«. – Das bestreite ich usw.3 Hier kämpft er wieder gegen den ersten Schatten, und in der Meinung, ihn sofort beim ersten Angriff zerfetzt zu haben, ruft er prahlerisch aus : Wirklich eine unerhörte Tat : mit einem Hieb habe ich alles abgeschlagen.4 Aber weil dieser Schatten sein Leben aus seinem Gehirn erhält und nur mit diesem Gehirn zusammen sterben kann, lebt er auch zerfetzt wieder auf, legt die Hand auf das Herz und schwört, daß er ist, daß er denkt. Durch diese neue Art zu bitten besänftigt schenkt er ihm das Leben und gestattet ihm, nachdem er die letzten Kräfte gesammelt hat,5 eine Menge wirres Zeug zu brabbeln, das er selbst nicht zurückweist ; statt dessen schließt er lieber Freundschaft mit ihm und geht zu anderen Vergnügungen über. Zuerst fährt er ihn folgendermaßen an : Gerade eben, vor kaum einmal hundert Schritten, haben Sie gefragt, wer Sie seien ; jetzt wissen Sie nicht nur, wer Sie sind, sondern Sie haben auch einen klaren und deutlichen Begriff von ihm.6 Dann bittet er darum, daß ihm dieser so klare und so deutliche Begriff gezeigt werde, damit er sich durch seinen Anblick erhole.7 Dann tut er so, als ob er ihm in die1

Obj. VII : 502, 9–13. 4 Obj. VII : 503, 3–4. 7 Obj. VII : 504, 19–20.

2

Obj. VII : 502, 14–15. 5 Obj. VII : 503, 18 f.

3 6

Obj. VII : 502, 26–29. Obj. VII : 504, 10–12.

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sen Worten gezeigt werde : Ich weiß doch gewiß, daß ich bin, daß ich denke, daß ich als denkende Substanz existiere ; das war’s doch schon.1 Und daß das unzureichend ist, weist er durch folgendes Beispiel nach : Sie erkennen doch, daß kein Berg ohne Tal existiert, haben Sie also einen klaren und deutlichen Begriff des Berges ohne Tal ?2 Das interpretiert er so : Ihr Begriff ist klar, weil Sie sicher erkennen, und er ist deutlich, weil Sie nichts anderes erkennen . . . Und daher ist der Begriff, den Sie bilden, deshalb klar und deutlich, weil er Ihnen repräsentiert, daß eine denkende Substanz existiert, ohne daß Sie dafür den Körper, das Gemüt, den Geist oder irgendetwas sonst berücksichtigen müßten, sondern lediglich, daß die denkende Substanz existiert.3 Schließlich rauft er seinen ganzen Soldatenmut wieder zusammen, und meint, eine komplette Armee und eine keilförmig und gestaffelt aufgestellte Elitetruppe4 zu sehen, die er alle wie ein neuer Pyrgopolinices mit einem Atemzug auseinanderbläst, Wie der Wind die Blätter oder das Stroh auf dem Dach,5

so daß noch nicht einmal ein Bote übrigbleibt. Mit dem ersten Hauch stößt er folgende Worte aus : Die Schlußfolgerung vom Kennen auf das Sein ist ungültig,6 und trägt dabei wie eine Fahne irgendeine Tafel vor sich her, auf der er die denkende Substanz nach Willkür beschreibt. Mit dem zweiten Hauch entfährt ihm dies : In bestimmter Weise, in unbestimmter Weise. Deutlich, verworren. Explizit, implizit.7 Mit dem dritten das : Was zu viel schließt, schließt nichts.8 Letzteres erklärt er so : Mir ist bekannt, daß ich als denkende Substanz existiere, und dennoch ist mir noch unbekannt, ob ein Geist existiert. Also hängt die Kenntnis meiner Existenz nicht von der Kenntnis des existierenden Geistes ab. Also, da ich existiere, und ein Geist 1

Obj. VII : 504, 22, 28. 2 Obj. VII : 505, 6–8. 3 Obj. VII : 505, 16, 22. Obj. VII : 506, 3–5. 5 »Memini. nempe illum dicis cum armis aureis, cuius tu legiones difflavisti spiritu, quasi ventus folia aut paniculum tectorium/Ich weiß : den mit der goldenen Rüstung meinst du doch, dessen Legionen du mit einem Hauch zerstreut wie der Wind die Blätter oder dürres Ried vom Dach« (T. Maccius Plautus : Miles gloriosus/Der glorreiche Hauptmann. übers. v. Peter Rau. Stuttgart : Reclam 1984, 8/9 ; I, 1, 18). 6 Obj. VII : 506, 7. 7 Obj. VII : 506, 23–24. 8 Obj. VII : 506, 28. 4

496

518,1

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nicht existiert, bin ich kein Geist ; also Körper.1 Nachdem der Schatten das gehört hat, verfällt er in Schweigen, tritt den Rückzug an, verliert den Mut und läßt sich von ihm im Triumph als Gefangener abführen. Wobei ich noch vieles zeigen könnte, worüber man unsterblich lachen könnte ; aber ich will das Kostüm des Schauspielers verschonen und halte es auch für unangebracht, mich länger über so belanglose Dinge lustig zu machen. Deswegen werde ich hier lieber nur dasjenige mit Anmerkungen versehen, von dem, wenn ich es völlig mit Schweigen überginge, vielleicht doch der eine oder andere glauben würde, ich würde es zugeben, obwohl es nichts mit der Wahrheit zu tun hat. Ich bestreite ihm insbesondere das Recht, sich darüber zu beklagen, ich hätte angeblich gesagt, daß ich einen klaren und deutlichen Begriff von mir selbst besitze, noch bevor ich hinreichend erklärt hätte, in welcher Weise man ihn gewinnt, und obwohl ich, wie er behauptet, vor kaum einmal hundert Schritten gefragt habe, wer ich bin.2 Denn zwischen diesen beiden Stellen bin ich alle Eigenschaften des denkenden Dinges durchgegangen, nämlich daß es einsieht, will, etwas vorstellt, sich erinnert, sinnlich wahrnimmt usw., und ebenso alle anderen allgemein bekannten Eigenschaften, die nicht zu seinem Begriff gehören, um die einen von den anderen zu unterscheiden, was erst im Bereich des Möglichen gelegen hat, nachdem die Vorurteile abgelegt waren. Aber ich räume ein, daß diejenigen, die sich nicht der Vorurteile entledigen, nur sehr schwer jemals einen klaren und deutlichen Begriff irgendeines Dinges haben können : denn offensichtlich sind die Begriffe, die sie in der Kindheit gehabt haben, nicht klar und deutlich gewesen, und wenn sie nicht abgelegt worden sind, haben sie in der Folge alle anderen, die wir später erworben haben, dunkel und verworren gemacht. Wenn er daher möchte, daß ihm dieser so klare und so deutliche Begriff gezeigt werde, damit er sich durch seinen Anblick erhole,3 so reißt er genauso Possen, wie wenn er es so darstellt, als ob ich ihm diesen Begriff mit diesen Worten gezeigt hätte : Ich weiß doch ge1

Obj. VII : 507, 1–7.

2

Obj. VII : 504, 10.

3

Obj. VII : 504, 19–20.

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497

wiß, daß ich bin usw.1 Wenn er aber diese seine eigenen Possen durch dieses Beispiel zurückweisen will : Sicher weißt Du auch, daß kein Berg ohne Tal existiert, also haben Sie einen klaren und deutlichen Begriff des Berges ohne Tal,2 so täuscht er sich selbst durch ein Sophisma. Denn aus dem Vorangegangenen folgt nur : Also erfassen Sie klar und deutlich, daß kein Berg ohne Tal existiert, nicht aber : Sie haben einen Begriff des Berges ohne Tal. Denn da es keinen solchen Begriff des Berges ohne Tal gibt, müssen wir ihn auch nicht besitzen, um zu erfassen, daß kein Berg ohne Tal ist. Jedoch besitzt er freilich eine so vielversprechende Geisteskraft,3 daß er selbst die Albernheiten, die er konstruiert hat, nicht ohne neue Albernheiten zurückweisen kann. Wenn er aber später behauptet, daß ich mich klar und deutlich als denkende Substanz begreife, und nichts Körperliches begreife, nichts Spirituelles usw.,4 so gebe ich das in bezug auf das Körperliche zu. Denn ich hatte vorher erklärt, was ich unter dem Namen Körper oder körperliches Ding verstand : nämlich nur das, was ausgedehnt ist, bzw. in dessen Begriff die Ausdehnung enthalten ist. Was er aber in bezug auf das Spirituelle hinzufügt, dichtet er mir plump an, wie auch an mehreren Stellen, wo er es so darstellt, als hätte ich gesagt : Ich bin ein denkendes Ding, aber ich bin kein Körper, weder ein Gemüt, noch Geist, usw.5 Ich kann nämlich in bezug auf das denkende Ding nichts bestreiten, außer dem, vom dem ich weiß, daß in seinem Begriff kein Denken enthalten ist. Ich habe niemals geschrieben oder gedacht, dies in bezug auf das Gemüt oder den Geist zu wissen. Und wenn er dann sagt, er verstehe meine Absicht (mens), nämlich daß ich meinte, mein Begriff sei klar, weil ich sicher erkenne, und deutlich, weil ich nichts anderes6 erkenne, tut er so, als habe er eine ganz träge Geisteskraft. Etwas klar zu erfassen, und : es sicher zu wissen ist nämlich etwas anderes : denn wir wissen vieles nicht nur aus dem göttlichen Glauben heraus jetzt sicher, sondern auch, weil wir es vorher klar durchschaut haben, obwohl 1

Obj. VII : 504, 22. 2 Obj. VII : 505, 6–8. 3 Obj. VII : 505, 6. 4 Obj. VII : 505, 11–13. 5 Obj. VII : 505, 27–28. 6 Obj. VII : 505, 16–18 ; 22.

519,3

519,15

498

519,26

520,10

520,24

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wir es jetzt nicht klar erfassen. Die Erkenntnis anderer Dinge verhindert auch keineswegs, daß die Erkenntnis deutlich ist, die wir von irgendeinem Ding haben. Ich habe niemals auch nur das geringste Wort geschrieben, aus dem sich ein solch leeres Geschwätz deduzieren ließe. Außerdem ist seine Aussage Der Übergang (consequentia) vom Kennen auf das Sein ist ungültig1 schlichtweg falsch. Sicherlich folgt daraus, daß wir die Essenz eines Dinges kennen, nicht, daß es existiert ; und daraus, daß wir etwas zu erkennen meinen, folgt nicht, daß es ist : Denn es kann sein, daß wir uns täuschen. Gleichwohl ist die Schlußfolgerung vom Kennen auf das Sein gleichwohl grundsätzlich gültig, weil es ganz ausgeschlossen ist, daß wir ein Ding erkennen, wenn es nicht tatsächlich so ist, wie wir es erkennen : nämlich entweder existierend, wenn wir erfassen, daß es existiert, oder von dieser oder jener Natur, sofern uns seine Natur bekannt ist. Es ist auch falsch, oder zumindest von ihm ohne auch nur die geringste Begründung behauptet, daß eine denkende Substanz teilbar ist,2 wie er es auf seiner Tafel darstellt, auf der er verschiedene Arten der denkenden Substanz vorstellt, gleichsam als hätte ihm ein Orakel darüber Auskunft gegeben. Wir können nämlich keine Ausdehnung oder Teilhaftigkeit des Denkens einsehen, und es ist völlig abwegig, dies mit einem Wort zu behaupten, das weder von Gott offenbart worden ist noch mit dem Verstand nachvollzogen wird. Auch kann ich an dieser Stelle nicht verschweigen, daß diese Meinung über die Teilhaftigkeit der denkenden Substanz mir als äußerst gefährlich und der Christlichen Religion ganz entgegengesetzt zu sein scheint. Denn wer sie gelten läßt, wird niemals durch die Kraft der Vernunft die reale Unterscheidung der menschlichen Seele vom Körper erkennen. Die Worte In bestimmter Weise, in unbestimmter Weise. Deutlich, verworren. Explizit, implizit,3 haben überhaupt keinen Sinn, wenn man sie, wie hier, einzeln hinsetzt. Sie sind nichts anderes als 1

Obj. VII : 506, 7.

2

Obj. VII : 506, 20.

3

Obj. VII : 506, 23–24.

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499

Blendwerke, mit denen unser Autor seine Schüler davon überzeugen zu wollen scheint, daß er, obwohl er nichts Gutes hat, was er sagen könnte, dennoch irgendetwas Gutes denkt. Auch seine andere Aussage Was zu viel schließt, schließt nichts1 darf man nicht gelten lassen, ohne eine Unterscheidung zu machen. Denn wenn er unter dem Wort zu viel nur versteht : etwas mehr als das, wonach gefragt wurde – wie wenn er unten deswegen die Argumente kritisiert, mit denen ich die Existenz Gottes bewiesen habe, weil er meint, durch sie werde mehr geschlossen als es die Gesetze der Klugheit erfordern oder irgendein Sterblicher reklamiert – ist es ganz falsch und albern : Denn je mehr geschlossen wird, desto besser ist es, sofern es nur richtig geschlossen wird, und diesem Sachverhalt können niemals irgendwelche Gesetze der Klugheit widersprechen. Wenn er hingegen durch das Wort zu viel nicht einfach etwas mehr als das, wonach gefragt wurde, versteht, sondern etwas, das unumstritten falsch ist, dann ist es zwar wahr ; aber der ehrwürdige Pater irrt völlig, wenn er versucht, mir etwas dergleichen anzudichten. Wenn ich nämlich folgendermaßen geschrieben habe : »Die Kenntnis dessen, von dem mir bekannt ist, daß es existiert, hängt nicht von der Kenntnis dessen ab, von dem mir noch nicht bekannt ist, ob es existiert ; nun ist mir aber bekannt, daß ein denkendes Ding existiert, und mir ist noch nicht bekannt, ob ein Körper existiert ; also hängt die Kenntnis des denkenden Dinges nicht von der Kenntnis des Körpers ab«2 – dann habe ich weder zu viel noch unrichtig geschlossen. Wenn er hingegen annimmt : Mir ist bekannt, daß eine denkende Substanz existiert, und mir ist noch unbekannt, ob ein Geist existiert, vielmehr existiert kein Geist : Es gibt nichts, alles ist verworfen,3 nimmt er eine völlig nutzlose und falsche Sache an. Ich kann nämlich in bezug auf den Geist weder irgendetwas behaupten noch bestreiten, wenn ich nicht weiß, was ich unter dem Namen Geist verstehen (intelligere) soll ; und in meinem Verständnis (intelligere) gibt es bei dem, was gemeinhin unter diesem Namen verstanden (in1

Obj. VII : 506, 28–29.

2

Med. II : 27, 28 f.

3

Obj. VII : 507, 1–4.

521,3

500

522,13

522,21

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telligere) wird, nichts, in dem kein Denken enthalten wäre. Es ist daher widersprüchlich, daß jemand erkennt, daß ein denkendes Ding existiert, und nicht erkennt, daß der Geist, bzw. irgendetwas von dem, was mit dem Namen Geist bezeichnet wird, existiert. Was er dann noch hinzufügt : Vielmehr existiert kein Geist, es gibt nichts, alles ist verworfen, ist so abwegig, daß es keine Antwort verdient. Denn da die Existenz des denkendes Dinges nach der Verwerfung erkannt worden ist, ist zugleich die Existenz des Geistes (zumindest insofern mit diesem Namen ein denkendes Ding bezeichnet wird) erkannt worden und ist demnach nicht länger verworfen. Wenn er schließlich einen Syllogismus verwenden will, der der Form entspricht, und ihn gewissermaßen anpreist als eine Methode, die Vernunft zu regieren,1 die er meiner Methode entgegensetzt, dann scheint er die Überzeugung erwecken zu wollen, daß ich die Formen der Syllogismen ablehnte und demnach eine Methode hätte, die der Vernunft ganz fremd ist. Daß dies aber falsch ist, ergibt sich aus meinen Schriften, in denen ich niemals darauf verzichtet habe, einen Syllogismus zu verwenden, wenn es an der Stelle erforderlich gewesen ist. Hier2 bringt er einen Syllogismus aus falschen Prämissen, von denen er behauptet, sie seien die meinigen, was ich nicht nur bestreite, sondern weit von mir weise. Denn der Obersatz Kein Ding, das so geartet ist, daß ich in bezug auf es zweifeln kann, ob es existiert, existiert faktisch3 ist derartig abwegig, daß ich nicht fürchte, daß er irgendjemand davon überzeugen kann, daß ich ihn hervorgebracht habe, es sei denn, er überzeugt ihn zugleich auch davon, daß ich nicht im Besitz der Vernunft bin. Auch kann ich mich gar nicht genug darüber wundern, mit welcher Entschlossenheit, in welchem Glauben, mit welcher Hoffnung und mit welchem Selbstvertrauen er zu Werke geht. Denn in der ersten Meditation handelte es sich noch gar nicht darum, irgendwelche Wahrheiten aufzustellen, sondern nur darum, die Vorurteile aufzuheben, und ich habe dort gezeigt, daß gerade die Meinun1

Obj. VII : 507, 10.

2

Obj. VII : 507, 18.

3

Obj. VII : 507, 18.

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501

gen, an die zu glauben ich am meisten gewöhnt gewesen war, in Zweifel gezogen werden können, und ihnen deshalb nicht weniger als den offenbar falschen die Zustimmung entzogen werden müsse, damit sie beim Fragen nach der Wahrheit kein Hindernis darstellen können. Ich habe dann folgende Worte hinzugefügt : Es ist noch nicht genug, dies festgestellt zu haben, sondern man muß sich darum kümmern, sich daran zu erinnern. Unablässig nämlich kehren die gewohnten Meinungen zurück, und nehmen fast sogar gegen meinen Willen meine Leichtgläubigkeit in Beschlag, gleichsam als hätten sie aufgrund langer Praxis und Vertrautheit ein Recht dazu. Und niemals werde ich es mir abgewöhnen, diesen Meinungen zuzustimmen und mich blind auf sie zu verlassen, solange ich einfach voraussetze, daß sie so beschaffen sind, wie sie es tatsächlich sind, nämlich als zwar irgendwie zweifelhafte, wie gerade eben aufgezeigt wurde, aber nichtsdestoweniger sehr glaubhafte Ansichten, die zu glauben sehr viel besser der Vernunft entspricht als sie zu bestreiten. Deswegen handele ich, wie ich vermute, nicht verkehrt, wenn ich mich eine zeitlang selbst täusche und, indem ich meinen Willen in das glatte Gegenteil verkehre, so tue, als ob diese Ansichten insgesamt falsch und vorgestellt seien, bis schließlich gleichsam die Gewichte der Vorurteile auf beiden Seiten ausgeglichen sind und keine verkehrte Gewohnheit länger mein Urteil von der richtigen Erfassung der Dinge abwendet.1

Daraus hat unser Autor folgende Worte ausgewählt und alles übrige beiseitegelassen : irgendwie zweifelhafte Meinungen, ein in das glatte Gegenteil verkehrter Wille, so tun, als ob diese Ansichten insgesamt falsch und vorgestellt sind. Außerdem setzt er an die Stelle des Wortes Ich bilde mir ein Ich werde setzen, ich werde glauben und so glauben, daß ich das Gegenteil dessen, was zweifelhaft ist, als wahr annehme. Was er gewollt hat, ist, daß ich dies immer gewissermaßen als Aussage, bzw. als sichere Regel verwende, nicht etwa um die Vorurteile aufzuheben, sondern um 1

Med. I : 22, 3–18.

502

524,25

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die Fundamente zu einer äußerst sicheren und sorgfältigen Metaphysik zu legen. Anfänglich jedoch hat er dies nur zögernd und durch die Blume vorgeschlagen, nämlich in den §§ 2 und 3 seiner ersten Frage.1 Ja, sogar nachdem er im § 3 dieser Frage vorausgesetzt hat, nach dieser Regel dürfe er auch glauben, 2 und 3 ergäben nicht 5, fragt er, ob er dies permanent so glauben und deshalb davon überzeugt sein muß, daß es sich nicht anders verhalten kann.2 Auf diese völlig abwegige Frage läßt er mich schließlich nach einigen Umwegen und überflüssigen Worten so antworten : Sie sollen es weder setzen noch bestreiten und keines der beiden vertreten, sondern beides für gleichsam falsch halten.3 Aus diesen Worten, die er selbst mir doch beigelegt hat, geht offenkundig hervor, daß er ganz richtig gewußt hat, daß ich nicht das Gegenteil von dem, was zweifelhaft ist, als wahr geglaubt habe, und daß nach meiner Auffassung niemand dies als Obersatz irgendeines Syllogismus verwenden kann, von dem er einen sicheren Schluß erwartet. Denn Weder setzen, noch bestreiten, keines der beiden verwenden, und : Eines von diesen als wahr behaupten und es verwenden ist widersprüchlich. Danach aber vergißt er allmählich das, was er so wiedergegeben hatte als sei es das Meinige, und behauptet nicht nur das Gegenteil, sondern bleut es auch so häufig ein, daß er in seiner gesamten Dissertation fast nur dieses eine kritisiert und er das ganze Dutzend anderer Verfehlungen, die er mir dann bis zum Ende andichtet,4 aus diesem einen zusammensetzt. Sowohl hier, wo er mir den Obersatz in die Schuhe schiebt Kein Ding, das so geartet ist, daß ich in bezug auf es zweifeln kann, ob es existiert, existiert faktisch,5 als auch an allen anderen Stellen, an denen er mir irgendetwas Derartiges beilegt, beweist er nur ganz evident, daß er in unentschuldbarer Weise lügt, bzw. gegen besseres Wissen und Gewissen spricht – mir müßte sonst schon ganz unbekannt sein, was das Wort lügen bezeichnet. Und obwohl ich nur äußerst widerwillig ein so entehrendes 1

2 Obj. VII : 458, 4–5. 3 Obj. VII : Obj. VII : 456, 7 und 458, 1. 458, 28–29 ; Resp. VII : 524, 11–12 ; 547, 17–18. 4 Resp. VII : 527, 15. 5 Obj. VII : 507, 18.

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Wort verwende, so verlangt doch die Verteidigung der Wahrheit, die ich unternommen habe, von mir, mich nicht zu weigern, das zumindest mit dem Namen zu nennen, der ihm zukommt, was so offen zu tun er sich nicht geschämt hat. In dieser gesamten Schrift tut er so gut wie nichts anderes, als dem Leser eben diese ganz alberne, in vielfältigen Weisen dargebotene Lüge aufzuschwatzen und einzubleuen. Daher sehe ich nicht, wie man ihn anders entschuldigen könnte, als vielleicht dadurch, daß er sie nicht mehr als seine Lüge erkennt, weil er sie so oft behauptet hat, und sich dadurch allmählich selbst eingeredet hat, daß sie wahr ist. Was sodann den Untersatz betrifft : Jeder Körper ist so geartet, daß ich in bezug auf ihn zweifeln kann, ob er existiert, oder : Jeder Geist ist so geartet, daß ich in bezug auf ihn zweifeln kann, ob er existiert,1 so ist auch er falsch, wenn er auf beliebig unbegrenzte Zeit verstanden wird, wie er ihn für seinen Schluß verstehen muß, und ich bestreite, daß er mein Satz ist. Denn nachdem ich in den Anfängen der zweiten Meditation sicher durchschaut habe, daß das denkende Ding existiert, welch denkendes Ding nach allgemeiner Praxis Geist genannt wird, habe ich sofort nicht länger zweifeln können, daß ein Geist existiert ; wie ich auch nach der sechsten Meditation, in der ich die Existenz des Körpers erkannt habe, nicht länger an dieser Existenz habe zweifeln können. Welch eine erstaunliche Geisteskraft hat unser Autor, der sich zwei falsche Prämissen so kompliziert hat ausdenken können, daß aus ihnen in gültiger Form ein falscher Schluß folgt ! Aber ich verstehe nicht, weshalb er mir ein bitteres Lachen2 zuschreibt. Denn Ursache zur Heiterkeit habe ich nur in seiner Dissertation gefunden – keine übermäßige Heiterkeit, aber eine sicherlich echte und begründete : Denn dadurch, daß er in seiner Dissertation vieles kritisiert, was gar nicht das meinige ist, sondern mir nur von ihm angedichtet wird, zeigt er klar, daß er in meinen Schriften überhaupt nichts gefunden hat, was Kritik verdient hätte, obwohl er an jedem Stein gerüttelt hat, um etwas zu finden. 1

Obj. VII : 507, 20 ; 508, 9.

2

Obj. VII : 508, 4.

504 526,7

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Daß er selbst hingegen gewiß nicht aus voller Überzeugung gelacht hat, davon legen sowohl der ernsthafte Verweis, mit dem er diesen Abschnitt abschließt,1 mehr aber noch seine folgenden Antworten2 hinlänglich Zeugnis ab, in denen er nicht nur unfreundlich und streng, sondern geradezu grausam ist. Denn er hat keine Ursache, mich zu hassen, und er hat nichts gefunden, was er kritisieren müßte außer der einen Absurdität, die er mir absichtlich und wissentlich angedichtet hat, und die ich soeben nicht ehrenhafter nennen konnte als seine Lüge. Gleichwohl meint er, er habe seinen Leser bereits völlig davon überzeugt. (Zwar nicht durch die Überzeugungskraft seiner Begründungen, da er ja gar keine hat ; sondern erstens durch ein bewunderswertes Selbstvertrauen, einen falschen Sachverhalt zu behaupten, von dem man niemals glauben würde, daß es sich bei einem sich besonders zur christlichen Frömmigkeit und Nächstenliebe bekennenden Mann in einem solchen Ausmaß und ohne jede Scham findet ; und zweitens durch die hartnäckige und häufige Wiederholung dieses falschen Sachverhalts, durch die es oft passiert, daß wir aus der Gewöhnung, Dinge zu hören, von denen wir wissen, daß sie falsch sind, die Gewohnheit erwerben, diese Dinge für wahr zu halten : Und diese beiden Kunstgriffe sind gewöhnlich bei den einfachen Leuten und bei allen, die die Dinge nicht sorgfältig prüfen, mächtiger als alle Begründungen). Deshalb verhöhnt er jetzt arrogant den Besiegten, weist mich zurecht wie ein Oberlehrer ein Kind und klagt mich in den folgenden 12 Antworten mehr Verfehlungen an als im Dekalog enthalten sind. Freilich muß man den ehrwürdigen Pater entschuldigen, denn er scheint nicht mehr ganz bei Trost zu sein. Er ist von einem solchen Eifer der Nächstenliebe verwirrt, daß er wie jemand, der zuviel getrunken hat und zwei Dinge statt einem sieht, gegen einen einzigen, seinem eigenen Wissen und Gewissen entgegenstehenden Ausspruch gleich zwölf Verfehlungen erfindet, die er mir beilegt, und die ich, wenn ich mich nicht schämen würde, hier offen und ohne Euphemismen 1

Obj. VII : 508, 19 f.

2

Obj. VII : 527,15–535, 21.

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zu sprechen, nur Keifereien und Verleumdungen nennen müßte. Aber ich meine, daß es jetzt an mir ist, zu scherzen, und deshalb möchte ich sie nur Schwafeleien nennen. Ich würde mir wünschen, daß der Leser bemerkt, daß er in dem, was folgt, auch nicht das geringste Wort gegen mich vorbringt, in dem er nicht geschwafelt hätte.

A N T WO RT. Antw. 1. Die Methode ist hinsichtlich der Prinzipien verfehlt, denn sie hat gleichzeitig keine und unendlich viele. Andere Einzelwissenschaften (facultates) stellen klare, evidente und nicht von ihnen abtrennbare (innatus) Prinzipien auf wie : Das Ganze ist größer als sein Teil ; Aus nichts entsteht nichts, und unzählige andere sichere Prinzipien von dieser Art, um sich auf sie gestützt in die Höhe zu erheben und ungefährdet der Wahrheit anzunähern. Anders diese. Sie versucht, nicht aus irgendetwas, sondern aus dem Nichts etwas zu erreichen, und deshalb trennt, verwirft und schwört sie ohne Ausnahme allen bewährten Prinzipien ab, verkehrt ihren Willen in das glatte Gegenteil,1 und damit es nicht so aussieht, als habe sie gar keine Flügel, denkt sie sich welche aus Wachs aus, legt sie sich an, und stellt Prinzipien auf, die den bewährten ganz entgegengesetzt sind. Auf diese Weise entledigt sie sich der alten Vorurteile, um sich in neue zu verwickeln ; sie legt das Gewisse ab, um Zweifelhaftes anzunehmen ; sie legt Flügel an, aber solche aus Wachs ; sie erhebt sich in die Höhe, um herabzufallen ; und sie unternimmt es, aus dem Nichts etwas zu errichten, bringt aber nichts zustande.2 Antw. 2. Die Methode ist hinsichtlich der Mittel verfehlt. Denn wenn sie die bewährten aufhebt und keine neuen hinzunimmt, hat sie gar keine. Die anderen Disziplinen haben logische Formen, Syllogismen und sichere Richtlinien (modus) für Argumente, mit denen sie sich selbst aus dem Labyrinth befreien und verwickelte Dinge leicht und sicher entwirren, als würden sie sich am Ariadnefaden orientieren. Diese Methode hingegen entstellt die bewährte Form ; dabei ist sie jedoch bleich 1

Med. I : 22, 13 ; Resp. VII : 523, 19 u. 26.

2

Resp. VII : 541, 20–542, 3.

527,15

528,3

506

529,5

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vor neuer Furcht, eine Furcht, die sie selbst sich von einem Geist einjagen läßt, indem sie sich davor fürchtet, zu träumen, und zweifelt, wahnsinnig zu sein. Wenn man ihr einen Syllogismus vorlegt, wird sie beim Obersatz bleich vor Furcht werden, welcher es auch sein mag. »Vielleicht«, so sagt sie, »betrügt mich der Geist«. Was aber beim Untersatz ? Sie wird in Verwirrung geraten und ihn für zweifelhaft erklären. »Was, wenn ich träume ? Wie oft haben Leute, die träumen, Dinge sicher und klar gesehen, die sich als falsch erwiesen haben, als der Traum vorbei war ?« Was schließlich wird sie mit dem Schluß anfangen ? Sie wird jeden Schluß vermeiden wie Schlingen und Fußangeln. »Glauben nicht auch Wahnsinnige, Kinder und Verrückte, ganz klare Schlußfolgerungen zu ziehen, obwohl es ihnen an Geist mangelt und sie gar kein Urteil bilden können ? Was, wenn es mir genauso geht ? Was, wenn mir der Geist nur Blendwerk und Fassade vormacht ? Er ist böse, und noch habe ich keine Kenntnis, ob Gott existiert und er den Betrüger zügelt.« Was können Sie dann aber noch tun, wenn die Methode mit allem Nachdruck (obstinato animo) behauptet, ein Schluß sei zweifelhaft, es sei denn, Sie wüßten vorher gewiß, daß Sie weder träumen noch abgedreht sind, sondern daß es Gott gibt, und zwar den wahrhaftigen Gott, und er den bösen Geist in Ketten hält ? Was, wenn die Methode auch die Materie und die Form dieses Syllogismus verwerfen wird : Zu sagen, daß etwas in der Natur irgendeines Dinges bzw. im Begriff enthalten ist, ist dasselbe wie zu sagen, daß dies in bezug auf dieses Ding wahr ist. Nun ist aber die Existenz usw. ? Was aber ist mit den anderen Syllogismen von dieser Art ? Wenn Sie die Methode damit konfrontieren, wird sie immer sagen : »Warten Sie ab, bis ich weiß, daß es Gott gibt und ich den Geist in Ketten gelegt sehe.« Sie sagen : »Das hat doch zumindest den Vorteil, daß die Methode, wenn sie keine Syllogismen verwendet, sicherlich Paralogismen vermeidet.« Das ist wirklich sensationell : Damit das Kind keinen Schnupfen bekommt, sollte man ihm die Nase abschneiden. Ist es nicht besser, ihm die Nase zu putzen, wie es die anderen Mütter tun ? Ich habe daher nur eines zu sagen : Wenn man die Form aufhebt, bleibt nur Formloses zurück.1 Antw. 3. Die Methode ist verfehlt im Hinblick auf die Zielsetzung (fi1

Resp. VII : 542, 23–543, 28.

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nis), da sie nichts Gewisses erbringt. Das kann sie auch nicht, weil sie sich selbst alle Wege zur Wahrheit verbaut. Sie haben es selbst gesehen und erfahren auf Ihren Odysseischen Irrfahrten, mit denen Sie sich und mich, Ihren Begleiter, mürbe gemacht haben. Sie behaupteten, ein Geist zu sein oder Geist zu besitzen, dartun aber konnten Sie das überhaupt nicht. Statt dessen sind Sie im Morast stecken- und an Dornen hängengeblieben, und zwar so oft, daß ich mich kaum daran erinnern kann, wie oft. Gleichwohl wird es sehr nützlich sein, es erneut auf die Tagesordnung zu setzen, um unserer Antwort den nötigen Nachdruck zu verleihen. Deshalb hier die Hauptpunkte, bei denen sich die Methode in ihr eigenes Knie schießt und jede Hoffnung zunichte macht, zum Licht der Wahrheit zu gelangen. 1. Sie wissen nicht, ob Sie träumen oder wachen, und daher können Sie in das, was Sie denken, und in Ihre Schlußfolgerungen (insofern Sie welche haben und nicht nur träumen, welche zu haben) kein größeres Vertrauen setzen als es jemand, der träumt, in seine Gedanken und Schlußfolgerungen tun kann. Daher ist alles zweifelhaft und wackelig, und selbst die Schlußfolgerungen sind ungewiß. Ich führe keine Beispiele an, tun Sie das selbst, gehen Sie durch den Speicher Ihres Gedächtnisses, und wenn Sie dort etwas antreffen, das nicht von dieser Seuche befallen ist, bringen Sie es mit. Ich werde Sie beglückwünschen. 2. Bevor ich weiß, ob Gott existiert, der den bösen Geist binden kann, muß ich an jedem Ding zweifeln und überhaupt jede Proposition für verdächtig halten. Auf jeden Fall aber muß vor allem anderen erst einmal definiert werden, ob es Propositionen gibt, und man muß dann die Anfänger auf diejenigen Propositionen hinweisen, die unanfechtbar sind,1 damit sie sie beibehalten. Das ist die gewöhnliche Philosophie und die bewährte Methode, Schlußfolgerungen zu ziehen. Genauso wie beim ersten Punkt ist hier also alles zweifelhaft und zum Aufsuchen der Wahrheit völlig unnütz. 3. Wenn es etwas gibt, das auch nur den geringsten Zweifel aufweist, dann müssen Sie mit einem in das glatte Gegenteil verkehrten Willen2 glauben, daß es falsch ist, das Gegenteil glauben und es gleichsam als Prinzip verwenden. Daher sind alle Zugänge zur Wahrheit versperrt. Was erhoffen Sie sich eigentlich davon, zu sagen Ich habe keinen Kopf ; es gibt 1

Resp. VII : 547, 5–6.

2

Med. I : 22, 13 ; Resp. VII : 523, 19 u. 26.

508

530,21

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keinen Körper, keinen Geist und all die unzähligen anderen Dinge von dieser Art ? Und sagen Sie bloß nicht, diese Verwerfung sei nicht andauernd, sondern wie Gerichtsferien nur für eine Zeit, einen Monat, 15 Tage, damit jeder umso größere Anstrengung auf die Verwerfung aufwenden kann. Meinetwegen geschehe die Verwerfung nur auf Zeit ; genau die Zeit aber, während der Sie die Wahrheit ausfindig machen wollen, bedienen Sie sich des Verworfenen oder vielmehr mißbrauchen es, gerade so als ob von ihm alle Wahrheit abhinge und sie auf ihm sitzen würde wie auf einem einbetonierten Sockel.1 »Aber«, sagen Sie, »ich verwende die Methode der Verwerfung, um ein Postament und eine Säule zu errichten, wie es sich für einen Architekten gehört. Architekten bauen doch auch provisorische Maschinen auf, und verwenden sie, um Säulen aufzurichten2 und an ihrem Ort aufzustellen, und dann bauen sie sie wieder ab und fahren sie weg, nachdem sie ihren Dienst zur vollen Zufriedenheit getan haben ? Warum soll ich es nicht machen wie sie ?« Meinetwegen, machen Sie es so, aber achten Sie bitte darauf, daß die Postamente und Säulen sich nicht so auf die provisorische Maschine stützen, daß sie zusammenstürzen, wenn sie entfernt wird. Und das ist der Einwand, der, wie ich meine, gegen die Methode gemacht werden kann. Sie legt falsche Fundamente und stützt sich so auf sie, daß, wenn sie entfernt werden, auch selbst entfernt werden muß. Antw. 4. Die Methode ist verfehlt, weil sie völlig übertrieben ist. Das heißt : Sie versucht mehr zustande zu bringen, als die Gesetze der Klugheit von ihr verlangen, mehr, als irgendein Sterblicher von ihr überhaupt erwarten würde. Zwar verlangen einige Leute, daß man ihnen die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit des menschlichen Geistes beweisen soll ; bislang aber haben es alle für ausreichend gehalten, zu wissen, daß Gott existiert und die Welt von ihm gelenkt wird, und daß die menschlichen Seelen spirituell und unsterblich sind, und zwar so gewiß, wie daß 2 und 3 5 ergeben, oder wie jenes Ich habe einen Kopf, ich habe einen Körper, und deshalb ist jedes Bemühen völlig überflüssig, irgendeine darüber hinausgehende Gewißheit ausfindig zu machen. Außerdem gibt es bei Dingen der Praxis und des Handelns bestimmte Grenzen (finis) der Gewißheit, die völlig ausreichen, damit jeder sich 1

Resp. VII : 547, 13–16.

2

Resp. VII : 544, 20–546, 2.

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klug und gefahrlos benehmen kann, und genauso sind bei den Dingen, über die man meditiert oder spekuliert, Grenzen (limes) definiert. Wer diese Grenzen akzeptiert, befindet sich so fest auf der sicheren Seite,1 daß er es ganz zurecht für vergeblich und verwerflich hält, wenn jemand diese Grenzen überschreiten will, und ist so klug, sich abzusichern, haltzumachen und zu rufen : »Nicht zu weit ; Nicht über die Grenzen hinaus.« »Aber«, sagen Sie, »das ist kein gewöhnliches Verdienst, die Grenzen zu erweitern und ein Meer zu überqueren, das in den zurückliegenden Jahrhunderten niemand zu befahren wagte.«2 Das ist in der Tat ein außerordentliches Verdienst, aber nur, solange das Meer ohne Schiffbruch befahren kann.3 Deshalb : Antw. 5. Die Methode ist verfehlt, weil sie einen Mangel aufweist. Das heißt : Dadurch, daß sie sich mehr vornimmt als angemessen wäre, bringt sie nichts zustande. Sie allein brauche ich hier als Zeuge und Richter. Was haben Sie letztlich durch ihre großartigen Vorkehrungen erreicht ? Was hat Ihnen die feierliche, allgemeine und heldenhafte Verwerfung, von der Sie sich selbst nicht ausgenommen haben, eingebracht, außer dem abgegriffenen Ich denke, ich bin, ich bin ein denkendes Ding ? Ich sage : Das ist auch dem einfachen Volk so vertraut,4 daß es seit der Erschaffung des Erdkreises niemanden gegeben hat, der daran auch nur im geringsten gezweifelt hätte, ganz zu schweigen davon, daß nie irgendjemand ernsthaft verlangt hätte, man solle ihm beweisen, daß er ist, daß er existiert, daß er denkt, daß er ein denkendes Ding ist ; und deshalb wird Ihnen auch niemand dafür danken, außer vielleicht, weil er Ihren guten Willen für die menschliche Gattung gelten läßt und er die Beweggründe (conatus) lobt, so wie ich es tue entsprechend meiner Freundschaft und meiner besonderen Sympathie (voluntas) für Sie. Antw. 6. Die Methode begeht die allgemeine Verfehlung, die sie den anderen Methoden vorwirft. Denn sie ist verwundert darüber, wie die Sterblichen dies überhaupt so zuversichtlich sagen und setzen können : Ich habe einen Kopf, ich habe Augen, usw. Über sich selbst aber wun-

1

Resp. VII : 547, 24–548, 6. 2 Resp. VII : 549, 28–29. 3–4. 4 Resp. VII : 550, 26–551, 2.

3

Resp. VII : 550,

531,11

531,24

510

531,29

532,6

532,12

532,17

532,20

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dert sie sich nicht, wenn sie mit demselben Selbstvertrauen sagt : Ich habe keinen Kopf usw.1 Antw. 7. Sie begeht eine ihr eigentümliche Verfehlung. Denn aus eigenem Entschluß hält sie das Gegenteil von dem für gewiß, was die übrigen Menschen für einigermaßen und in ausreichendem Maße gewiß halten : Ich habe einen Kopf, es gibt einen Körper, es gibt einen Geist, und setzt deshalb Ich habe keinen Kopf, es gibt keinen Körper, keinen Geist nicht nur als gewiß voraus, sondern sogar für so gewiß, daß darauf eine sorgfältige Metaphysik gegründet werden könne, und stützt sich so sehr darauf, daß sie auf die Schnauze fällt, wenn ihr diese Stütze entzogen wird.2 Antw. 8. Sie begeht eine Verfehlung aus Unklugheit. Denn da sie nicht bemerkt, daß der Zweifel ein zweischneidiges Schwert ist, verletzt sie sich, während sie der einen Schneide ausweicht, an der anderen. Für sie ist es zweifelhaft, ob ein Körper existiert, und weil es zweifelhaft ist, beseitigt sie es und setzt das Gegenteil : Es gibt keinen Körper, und verletzt sich, wenn sie sich unüberlegt auf dieses Zweifelhafte stützt, als sei es gewiß.3 Antw. 9. Sie begeht absichtlich eine Verfehlung, weil sie wissentlich und willentlich und ungeachtet aller Warnungen sich selbst blind macht und durch die willentliche Verwerfung alles dessen, was notwendig ist, um das Wahre ausfindig zu machen, der Analyse erlaubt, sie zu foppen, wobei sie sich nicht nur das einhandelt, was sie hnichti intendiert, sondern auch das, was sie am meisten fürchtet.4 Antw. 10. Sie ist verfehlt aufgrund einer Festlegung. Denn obwohl sie es in einer feierlichen Verfügung verbietet, kehrt sie zu den alten Meinungen zurück und holt entgegen den Gesetzen der Verwerfung das Verworfene wieder hervor. Sie erinnern sich sehr wohl daran.5 Antw. 11. Sie ist aufgrund einer Unterlassung verfehlt. Denn das, was sie als festen Grundsatz (firmamentum) vorschreibt : Vor allem muß sichergestellt werden, daß wir nicht etwas als wahr gelten lassen, von dem wir nicht nachweisen können, daß es wahr ist, übertritt sie mehr als einmal, wenn sie ohne Bedenken und ohne es zu beweisen annimmt, 1

Resp. VII : 551, 20–25. 2 Resp. VII : 551, 28–552, 7. 3 Resp. VII : 552, 11–16. 4 Resp. VII : 552, 20–24. 5 Resp. VII : 553, 8–14.

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daß Aussagen wie Die Sinne führen uns bisweilen irre ; Wir träumen alle ; Manche Leute sind wahnsinnig und anderes von dieser Art ganz gewiß und wahr ist.1 Antw. 12. Die Methode erbringt entweder nichts Gutes oder nichts Neues,2 jedoch sehr viel Überflüssiges. Wenn sie ihre Verwerfung des Zweifelhaften als eine metaphysische Abstraktion, wie man sie nennt, verstanden wissen will, durch die das Zweifelhafte nur als zweifelhaft betrachtet und daher das Gemüt von ihm abgelenkt wird, wenn nach etwas Sicherem gefragt wird, so daß auf das Zweifelhafte ebensowenig zurückgegriffen wird auf das Falsche : Wenn sie das sagt, dann sagt sie etwas Gutes, aber nichts Neues, denn diese Abstraktion ist für keinen Philosophen neu, sondern alt, und zwar für alle ohne Ausnahme.3 Wenn sie die Verwerfung des Zweifelhaften so verstanden wissen will, daß das Zweifelhafte als falsch vorausgesetzt und falsch genannt wird, und sie es dann aber verwendet, als ob es falsch ist, oder sie es im Gegenteil so verwendet, als sei es wahr : dann sagt sie etwas Neues, aber nichts Gutes, und die Verwerfung wird zwar neu, aber illegitim sein.4 Wenn sie sagt, sie könne durch die Stärke und das Gewicht ihrer Begründungen sicher und evident darlegen : »Ich bin ein denkendes Ding, und insofern ich denke, bin ich weder Geist, noch Gemüt, noch Körper, sondern ein von all dem so abgehobenes Ding, daß ich mich einsehen kann, ohne all dies schon eingesehen zu haben, geradeso wie man ein Tier, bzw. ein empfindendes Ding einsehen kann, ohne das wiehernde, das brüllende Ding usw. schon eingesehen zu haben« : Dann sagt sie etwas Gutes, aber nichts Neues ; denn das tönt von jedem Katheder herab5 und das lehren all diejenigen mit wohlklingenden Worten, die meinen, einiges Beseelte würde denken ; und wenn Denken auch die sinnliche Wahrnehmung beinhaltet, so daß auch dasjenige denkt, das sinnlich wahrnimmt, sieht, hört, dann lehren das auch alle diejenigen, die meinen, daß die Tiere sinnlich wahrnehmen, das heißt : ohne Ausnahme alle.6 1

Resp. VII : 553, 8–14. 4 Resp. VII : 554, 1–6.

2

Resp. VII : 536, 22–23. 3 Resp. VII : 553, 23–29. 5 Resp. VII : 551, 14. 6 Resp. VII : 554, 7–20.

532,27

533,6

533,11

512 533,22

533,28

534,10

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Wenn sie sagt, sie habe durch triftige und wohlüberlegte Gründe bewiesen, daß sie tatsächlich als denkendes Ding und als denkende Substanz existiere, und während sie existiere, existiere hingegen kein Geist, kein Körper, kein Gemüt wirklich : dann sagt sie etwas Neues, aber nichts Gutes. Denn das ist gerade so, als wenn sie sagen würde, es existiere ein Tier, aber es gebe gleichwohl keinen Löwen oder Fuchs usw.1 Wenn sie sagt : »Ich denke, das heißt : ich sehe ein, ich will, ich stelle vor, ich nehme sinnlich wahr ; außerdem denke ich so, daß ich mein Denken in einem reflexiven Akt mit einem Blick erfasse und betrachte ; ich denke so, bzw. ich weiß und betrachte, daß ich denke« (was wahrhaftig bedeutet, bewußt zu sein, und das Bewußtsein eines Aktes zu haben) : Wenn sie sagt, daß dies eine Eigenschaft der Fähigkeit oder des Dinges ist, das jenseits von Materie und ganz spirituell ist ; und daß sie in dieser Weise Geist, Spiritus ist : dann sagt sie etwas, was sie noch nicht gesagt hat, was sie aber hätte sagen müssen, und wovon ich erwartete, daß sie es sagen würde, und was ich ihr immer dann vorschlagen wollte, wenn ich sah, daß sie kurz davor war, es herauszubringen – ich sage : Dann hätte sie etwas Gutes gesagt, aber nichts Neues, denn das haben wir vorher schon von unseren Lehrern gelernt, und die wiederum von den ihrigen, und, wie ich vermute, seit der Zeit Adams die einen von den anderen.2 Wenn es dies aber ist, was sie sagt : Was bleibt dann noch übrig ? Was kommt dabei heraus ? Welche Schaumschlägerei ! Welche Vorkehrungen zum Pomp und Mumpitz !3 Wozu die Sinnestäuschungen, die Illusionen der Träumenden, die Hirngespinste der Wahnsinnigen ? Was ist der Zweck dieser strengen Verwerfung, wenn sie uns nicht das geringste übrigläßt ? Wozu so weite und so lange Reisen zu fernen Gestaden, weit entfernt von den Sinnen, zwischen Schatten und Gespenstern ? Was tragen sie letztlich dazu bei, die Existenz Gottes zu festigen, geradeso als ob sie nicht bestehen könnte, wenn nicht alles von unten nach oben gekehrt würde ? Weshalb so viele und so große Umbauten der Ansichten, weshalb die alten Ansichten ablegen, neue 1

Resp. VII : 554, 21–26. 3 Resp. VII : 560, 21–23.

2

Resp. VII : 551, 14–16 ; 554, 27–555, 10.

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aufnehmen und die alten wieder zulassen, nachdem die neuen weggeworfen sind ? Sind das die neuen Zeremonien der neuen Geheimlehren, so wie früher die heidnischen Götter ihre eigenen Riten hatten ? Warum hat die Methode nicht ohne alle Umschweife einfach, klar und kurz die Wahrheit in einem Wort so ausgedrückt : Ich denke, ich habe das Bewußtsein des Denkens, also bin ich ein Geist ?1 Schließlich : Wenn sie sagt, daß Einsehen, Wollen, Vorstellen, SinnlichWahrnehmen, das heißt : Denken Eigenschaften des Geistes sind, und zwar so, daß überhaupt keine Tiere außer dem Menschen denken, vorstellen, sinnlich wahrnehmen, sehen, hören usw. : dann sagt sie etwas Neues, aber nichts Gutes, und zwar ohne erkennbaren Nutzen, es sei denn, sie hat vielleicht etwas in der Hinterhand, das sie verheimlicht (was als einzige Zuflucht noch übrig bleibt), um es zu gegebener Zeit aus der Versenkung aufsteigen zu lassen, zum großen Erstaunen des Publikums. Darauf warten wir aber schon ebenso lange wie verzweifelt.2 Letzte Antw. Ich vermute, Sie haben jetzt Angst um ihre Methode, die Sie lieben, an der Sie festhalten wollen,3 die Sie verständlicherweise küssen wie ihre kleine Tochter. Sie haben Angst, weil ich sie so vieler Verfehlungen bezichtigt habe und sie, wie Sie selbst wohl bemerken, Risse bekommt und überall auseinanderbricht, könnte ich meinen, man müsse sie auf den Müllhaufen werfen. Aber haben Sie keine Angst, ich bin ein Freund.4 Ich werde Ihrer Erwartung standhalten oder sie zumindest enttäuschen, denn ich will schweigen und abwarten. Ich kenne Sie und die Schärfe ihrer unbestechlichen und weitblickenden Geisteskraft. Sobald Sie Zeit gehabt haben, zu meditieren und in stiller Zurückgezogenheit ihre zuverlässige Analyse zu Rate gezogen haben, werden Sie den Staub abschütteln, den Schmutz abwaschen, und uns eine gereinigte und polierte Methode zu Gesicht bringen. Einstweilen halten Sie sich daran fest, daß Sie auf mich hören, wenn ich fortfahre, Ihre Fragen zu beantworten. Ich beziehe in meine Antworten vieles ein, was ich der Kürze wegen bisher nur leicht berührt habe, wie das, was den Geist betrifft, den klaren und deutlichen Begriff, das Wahre, das Falsche und

1

Resp. VII : 555, 11–29. 4 Resp. VII : 560, 25.

2

Resp. VII : 556, 1–11.

3

Resp. VII : 560, 23–24.

534,28

535,6

514

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dergleichen.1 Doch lesen Sie selbst das wieder durch, was kluge Leute herausgebracht haben, und

D R I T T E F R AG E . O B S I C H D I E M E T H O D E R E PA R I E R E N L Ä S S T. 535,24

Sie fragen drittens, ob *. Mehr hat mir der ehrwürdige Pater nicht zugesandt, und als er um das Übrige gebeten wurde, hat er geantwortet, er habe jetzt keine freie Zeit mehr, um weiteres zu verfassen. Für uns aber ist es eine heilige Verpflichtung, auch nicht die kleinste Silbe des von ihm Geschriebenen auszulassen.

anm erkungen. 536,2

Wenn dieses ganz hervorragende Urteil über meine Methode, das Wahre zu untersuchen – wie auch immer sie beschaffen sein mag –, von einem Unbekannten hervorgebracht worden wäre, würde ich es für ausreichend halten, sie bloß wiederzugeben, um ihre Falschheit und Absurdität darzutun. Aber der Autor dieses Urteils hat eine solche Stellung inne, daß es wohl jedem schwerfällt, zu glauben, er sei nicht ganz bei Trost oder ganz besonders verlogen, schmähsüchtig und unverschämt. Damit seine außerordentliche Autorität nichts gegen die offenkundige Wahrheit auszurichten vermag, bitte ich daher die Leser, sich daran zu erinnern, daß er oben, vor den Antworten, auch nicht den geringsten Sachverhalt gegen mich nachgewiesen, sondern nur alberne Sticheleien verwendet hat, um mir so lächerliche Meinungen anzudichten, daß sie noch nicht einmal einer Zurückweisung bedürfen. Der Leser soll sich auch daran erinnern, daß er jetzt, in seinen Antworten, noch nicht einmal versucht, irgendetwas nachzuweisen, sondern nur fälschlich voraussetzt, daß alles, was er mir andichtet, vorher von ihm nachgewiesen 1

Resp. VII : 556, 12–26.

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worden ist. Und damit die wirkliche Berechtigung seines Urteils mehr zum Vorschein kommt, soll der Leser sich auch daran erinnern, daß er früher, als er anklagte, nur gescherzt hat, wenn er dann hier aber urteilt, ganz ernsthaft und streng ist, und daß er mich in den ersten elf Antworten ohne Bedenken und mit Bestimmtheit verdammt, um schließlich in der zwölften einen Entschluß zu fassen und zu unterscheiden : Wenn sie dies sagt, erbringt sie nichts Neues ; wenn das, nichts Gutes usw.1 Und dennoch thematisiert er in all dem immer nur ein und dieselbe, auf verschiedene Weisen betrachtete Sache, nämlich seine Erdichtung, deren Absurdität und Abgeschmacktheit ich hier durch ein Gleichnis dartun werde. Ich habe überall in meinen Schriften kundgetan, daß ich die Architekten nachahme. Wenn die Architekten feste Gebäude errichten, heben sie an den Orten, wo der Fels, der Ton oder irgendeinen anderer fester Untergrund von einer sandigen Schicht bedeckt ist, zuerst Gruben aus und entfernen aus ihnen allen Sand und auch alles andere, das auf dem Sand steht oder mit ihm vermischt ist, um dann auf einem festen Untergrund die Fundamente zu legen. Ebenso habe auch ich zuerst wie Sand alles Zweifelhafte zurückgewiesen, und als ich dann bemerkte, daß ich nicht zweifeln könne, daß zumindest die zweifelnde bzw. denkende Substanz existiert, habe ich dies gleichsam als Fels verwendet, auf dem ich die Fundamente meiner Philosophie angelegt habe. Unser Autor hingegen gleicht einem Maurer, der in seiner Stadt als großer Techniker gelten wollte und deshalb einen Architekten, der dort eine Kapelle errichtete, sehr beneidete und eifrigst Gelegenheiten gesucht hat, um seine Technik zu kritisieren ; weil er selbst aber so blöd war, daß er nichts von dem verstehen konnte, was der Architekt tat, traute er sich nur, die ersten und offenkundigsten Bauschritte anzugreifen. Denn ihm war aufgefallen, daß der Architekt anfänglich nur grub und nicht nur Sand und bewegliche Erde beseitigte, sondern auch Holz, Steine und alles andere, was mit dem Sand vermischt war, 1

Obj. VII : 532, 27–535, 5 (passim).

536,28

516

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um zu einem festen Untergrund zu gelangen und dort die Fundamente der Kapelle zu legen. Außerdem hörte er irgendwann einmal den Architekt Leuten, die ihn gefragt hatten, weshalb er so grabe, antworten, daß die oberste Schicht der Erde, auf der wir stehen, nicht immer fest genug sei, um große Gebäude zu tragen, und daß insbesondere der Sand unsicher sei ; denn zum einen senke er sich, wenn er durch große Gewichte gedrückt werde, und zum anderen führten ihn nicht selten auch vorbeifließende Gewässer mit sich mit, was zum unerwarteten Einsturz dessen führe, was er trage ; und schließlich, da solche Einstürze zuweilen in den Bergwerken vorkämen, werde ihre Ursache gewöhnlich auf Lemuren oder bösen Genien zurückgeführt, die an diesen unterirdischen Orten wohnten. Diese Erklärungen des Architekten nutzte der Maurer als Gelegenheit, so zu tun, als ob der Architekt die Grabung, die er unternahm, schon für die Errichtung der Kapelle halten würde, und die Grube oder den auf ihrem Boden freigelegten Fels oder doch zumindest das, was man oberhalb der Grube so errichtet, daß sie selbst einstweilen leer blieb, für die Kapelle, die es zu errichten galt. Außerdem sei der Architekt selbst so töricht, zu fürchten, daß die Erde, auf der er stand, sich unter seinen Füßen auftun, oder sie von Lemuren aufgewühlt würde. Mit ein wenig Glück überzeugte er davon einige Kinder und andere Leute, die so wenig Ahnung von Architektur hatten, daß Gruben auszuheben, um die Fundamente von Gebäuden zu legen, ihnen neu und bemerkenswert erschien. Weil diese Leute ihn kannten und ihn für ziemlich erfahren in seiner Technik und einen tüchtigen Mann hielten, glaubten sie ihm, wenn er ihnen von einem ihnen unbekannten Architekten erzählte, der bislang noch nichts errichtet, sondern nur Gruben ausgehoben hatte. Und da hatte er so viel Vergnügen an seiner Erdichtung, daß er hoffte, er könne die gesamte Welt von ihr überzeugen. Obwohl nun der Architekt inzwischen alle Gruben, die er vorher ausgehoben hatte, wieder mit Steinen gefüllt und darauf aus ganz solidem Material seine Kapelle errichtet hatte und sie alle Menschen sehen ließ, gab der Maurer die Hoffnung nicht auf und blieb bei sei-

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nem Vorhaben, die anderen Menschen von seinem Blödsinn zu überzeugen. Zu diesem Zweck stand er täglich auf den Plätzen und führte den vorbeigehenden Leuten seine Faxen vor, deren Argument folgendes war. Am Anfang stellte er den Architekten dar, wie er befahl, daß Gruben ausgehoben würden und aus ihnen nicht nur aller Sand, sondern auch all das, was mit dem Sand vermischt oder auf ihm errichtet war, auch Bruchsteine und Quader, mit einem Wort alles entfernt werden und überhaupt nichts zurückgelassen werden solle. Und diese Worte nichts, alles, auch Bruchsteine und Quader hob er ganz besonders hervor und tat zugleich so, als wolle er diese Technik von ihm erlernen und mit ihm in diese Gruben herabsteigen. Du sollst mein Führer sein, sagte er. Nun also, Sie haben einen bereitwilligen Verbündeten oder Schüler ; wir warten auf eine Ansage : Was befehlen Sie ? Auf diese Reise mache ich mich gern, auch wenn sie neu ist und mir, der ich an Finsternis nicht gewöhnt bin, Furcht einflößt, so stark zieht mich die Aussicht (species) auf das Wahre an. Ich höre auf Sie, Sie befehlen : Ich will tun, was Sie tun, sobald ich es sehe ; ich will den Fuß genau da hinsetzen, wo Sie ihn hinsetzen. In der Tat eine ganz ausgezeichnete Weise, zu befehlen und zu führen. Ganz wie Sie wollen ! Ich bin ganz Ohr.1 Dann – vortäuschend, daß er Furcht vor den Lemuren in den Gruben habe – versuchte er, die Zuschauer so zum Lachen zu bringen : Werden Sie mir dafür geradestehen, daß ich mich nicht fürchten, nicht grausen muß, und ich keine Furcht mehr vor dem bösen Geist haben muß ? Auch wenn Sie es mir per Handschlag versichern und Ihr Wort darauf geben : Ich habe ungeheure Furcht davor, dort hinabzusteigen.2 Und kurz darauf : Aber ich habe doch glatt meinen Vorsatz vergessen ! Was habe ich getan ? Am Anfang hatte ich mich Ihnen ganz als Verbündeter, als Schüler anvertraut, und bleibe doch schon im Zugang stecken und bin furchtsam und störrisch. Verzeihen Sie ! Ich habe schwer gesündigt und nur die Unzulänglichkeit meiner Geisteskraft bewiesen. Ich hätte mich ohne Furcht in die Grube hineinbegeben müssen, habe aber gezögert und mich gewehrt.3 1

Obj. VII : 467, 25–31.

2

Obj. VII : 471, 26–29.

3

Obj. VII : 472, 16–21.

538,26

539,9

518 539,21

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Drittens stellte er den Architekten dar, wie er ihm am Boden der Grube den Stein oder Felsen zeigte, auf dem er sein gesamtes Gebäude aufbauen wollte, was er wiederum lachend so auffaßte : Ausgezeichnet, hervorragender Mann. Sie haben den Archimedischen Punkt eingenommen, und zweifellos werden Sie die Welt bewegen können, wenn Sie möchten. Schau an, schon gerät alles ins Schwanken. Es stellt sich mir aber die Frage (denn da Sie mit allem ziemlich pingelig sind, soll in ihrer Technik vermutlich nur das sein, was sich für sie eignet, zu ihr paßt und für sie notwendig ist) : Warum lassen Sie diesen Stein hier liegen ? Haben Sie nicht befohlen, Steine und Sand zu entfernen ? Aber vielleicht ist es Ihnen entfallen. Es ist auch für einen Erfahrenen sehr schwierig, das völlig zu vergessen, woran wir von Kindheit an gewöhnt sind, so daß selbst ein blutiger Anfänger wie ich die Hoffnung nicht aufzugeben braucht, wenn er vielleicht ins Straucheln geraten sollte, usw.1 Ebenso sammelte der Architekt einigen Schutt auf, der mit dem Sand zusammen aus der Grube geworfen worden war, um ihn zur Errichtung des Gebäudes zu verwenden, worüber der andere sich folgendermaßen lustig machte : Bevor Sie den ersten Schritt tun, darf ich es wagen, mich danach zu erkundigen, mit welcher Absicht Sie den alten Schutt, den Sie doch in einer feierlichen Zeremonie als zweifelhaft und falsch verworfen haben, erneut in Augenschein nehmen wollen, geradeso als ob Sie sich etwas Gewisses davon erwarten, wenn Sie im Müll herumkramen ?2 usw. Mehr noch : Weil alles, was Sie kurz zuvor entfernt haben, schwankend und unsicher war (weshalb hätten Sie es sonst entfernen sollen ?), wie ist es möglich, daß genau diese Dinge nun wieder nicht schwankend und unsicher sind ? usw.3 Und kurz darauf : Auch hier bleibt mir nur, wenn Sie erlauben, Ihre Technik zu bewundern, das Zweifelhafte zu verwenden, um das Gewisse aufzuspüren. Sie befehlen, daß wir uns in die Finsternis tauchen, damit Sie uns ins Licht hinausführen können4 usw. Und an dieser Stelle faselte er ganz albern über Namen und Pflichten des Architekten und Maurers, aber das einzige, was das zur Sache beitrug, war, daß er die Bedeutung der Namen durchein1

Obj. VII : 478, 3–11. 4 Obj. VII : 7–9.

2

Obj. VII : 478, 19–22.

3

Obj. VII : 478, 23–26.

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anderbrachte, und er so das eine noch weniger von dem anderen unterscheiden konnte. Im vierten Akt standen beide auf dem Boden der Grube, wo der Architekt vergeblich versuchte, die Errichtung seiner Kapelle zu beginnen. Denn sobald der Architekt dort einen Quader verlegen wollte, erinnerte der Maurer ihn sofort daran, daß er befohlen hatte, alle Steine sollten entfernt werden, und daher stehe das mit den Regeln seiner Technik im Widerspruch. Und durch dieses Wort war der Architekt, gleichsam wie durch einen Archimedischen Beweis besiegt, gezwungen, sein Werk abzubrechen. Und immer wenn er sich dann Bruchsteine, Ziegel, mit Wasser und grobem Sand aufglockerten Kalk oder irgendetwas anderes verschaffte, fuhr der Maurer sofort dazwischen : »Du hast alles beseitigt, Du hast nichts zurückbehalten«, und machte allein durch die Worte nichts, alles, als seien sie irgendwelche Zauberformeln, alle seine Werke zunichte. Dabei verwendete er eine Ausdrucksweise, die derjenigen, die sich oben in den §§ 5 bis 9 finden,1 so ähnlich ist, daß es unnötig ist, sie hier zu wiederholen. Als er schließlich im fünften Akt sah, daß er eine ausreichend große Traube Menschen um sich versammelt hatte, veränderte er durch einen neuen Stil die Heiterkeit seine Komödie ganz in tragischen Ernst. Nachdem er sich die Kalkflecken von seinem Gesicht gewischt hatte, machte er eine ernste Miene und zählte mit der Stimme eines Zensors alle Irrtümer des Architekten auf (nämlich alle, von denen er voraussetzte, er habe sie in den vorhergehenden Akten bewiesen) und ließ nicht ein einziges gutes Haar an ihnen. Ich werde sein Urteil hier vollständig wiedergeben, wie er es beim letzten Mal vorgebracht hat, als er es den Leuten zum besten gab, damit man erkennen kann, wie genau unser Autor es nachgeahmt hat. Er tat so, als sei er von dem Architekten gebeten worden, ihm sein Urteil über seine Technik darzulegen, und antwortete so :

1

Obj. VII : 488–509.

540,20

541,7

520 541,20

542,4

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Erstens. Die Technik ist hinsichtlich der Prinzipien verfehlt, denn sie hat gleichzeitig keine und unendlich viele. Andere Techniken, die mit der Errichtung von Häusern zu tun haben, legen äußerst sichere Fundamente, wie Quader, Ziegel, Bruchsteine und unzählige andere von dieser Art, auf die gestützt sich die Gebäude in die Höhe erheben. Anders diese. Um etwas zu errichten, und zwar nicht aus etwas, sondern aus dem Nichts, reißt sie alles nieder, gräbt alles um und beseitigt alle alten Fundamente bis auf das letzte, und, indem sie ihren Willen in das glatte Gegenteil verkehrt,1 damit es nicht so aussieht, als habe sie gar keine Flügel, denkt sie sich welche aus Wachs aus, legt sie an, und legt den bewährten ganz entgegengesetzte neue Fundamente. Auf diese Weise vermeidet sie die Instabilität der alten Gebäude, handelt sich aber eine neue ein : sie stürzt das Feste um, um Unsicheres anzunehmen : sie legt Flügel an, aber solche aus Wachs ; sie zieht ein Gebäude in die Höhe, jedoch damit es zusammenstürzt : und schließlich unternimmt sie es, aus dem Nichts etwas zu errichten, bringt aber nichts zustande.2 Daß alle diese Behauptungen von geradezu lächerlicher Falschheit waren, wurde schon allein durch die Kapelle erwiesen, die der Architekt doch schon errichtet hatte. An dieser Kapelle nämlich zeigte sich offensichtlich, daß der Architekt ganz feste Fundamente gelegt und er nur zerstört hatte, was hatte zerstört werden müssen ; daß er nur dann von den Vorschriften der anderen Leute abgewichen war, wenn er etwas Besseres besessen hatte ; daß das Gebäude so errichtet war, daß kein Einsturz drohte ; und schließlich, daß er nicht aus dem Nichts, sondern aus dem festesten Material nicht etwa nichts, sondern eine standfeste und dauerhafte Kapelle zur Ehre Gottes errichtet hatte. Und ganz genau so tritt das, was ich zustande gebracht habe, und wogegen unser Autor seine Schwafeleien abgesondert hat, allein durch die von mir herausgegebenen Meditationen zutage. Man darf aber dem Historiker, von dem ich die Worte des Maurers abgeschrieben habe, nicht vorwerfen, daß er der Architektur Flügel beilegt, und vieles andere, was kaum zu ihr zu 1

Med. I : 22, 13 ; Resp. VII : 523, 19 u. 26.

2

Obj. VII : 527, 15–528, 2.

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passen scheint : denn das hat er vielleicht mit Absicht getan, um die Verwirrung des Gemüts desjenigen, der so etwas sagt, zum Ausdruck zu bringen. Alle diese Metaphern passen aber kaum besser zu einer Methode, nach der Wahrheit zu fragen ; und dennoch hat unser Autor sie ihr beigelegt. Er antwortete 2. : Diese Architektur ist hinsichtlich der Mittel verfehlt. Denn wenn sie die bewährten aufhebt und keine neuen hinzunimmt, hat sie gar keine. Die anderen derartigen Techniken haben Winkelmaß, Wasserwaage und Lot, durch die sie sich selbst aus dem Labyrinth befreien als würden sie sich am Aridanefaden orientieren, und so schaffen sie es, noch so unregelmäßige Bruchsteine leicht und richtig anlegen. Diese dagegen entstellt die bewährte Form ; dabei ist sie bleich vor neuer Furcht, eine Furcht, die sie selbst sich von den Lemuren einjagen läßt, indem sie sich davor fürchtet, daß die Erde sich senkt, indem sie zweifelt, ob der Sand nicht auseinanderrinnt. Man nehme eine Säule. Sie wird bei diesem Sockel und dieser Basis bleich vor Furcht werden, was auch immer es sein möge. »Vielleicht«, so sagt sie, »werden die Lemuren sie umstürzen ?« Was aber beim Säulenschaft ? Sie wird in Verwirrung geraten und ihn für zweifelhaft erklären. »Was, wenn er nur aus Gips ist, nicht aus Marmor ? Wie oft sind uns andere Dinge als hart und fest erschienen, die, wenn man ein Experiment durchgeführt hat, sich als zerbrechlich erwiesen haben ?« Was schließlich wird sie mit dem Querbalken anfangen ? Sie wird vor ihm wegrennen wie vor Schlingen und Fußangeln. »Haben nicht schlechte Architekten oft andere Gebäude errichtet, die von selbst zusammengestürzt sind, obwohl sie sie für fest hielten ? Was nur, wenn diesem Architekten dasselbe passiert ? Was, wenn die Lemuren den Erdboden erbeben lassen ? Sie sind böse, und noch habe ich keine Kenntnis, ob die sich auf den Felsen stützende Basis so fest ist, daß die Lemuren ihr nichts anhaben können.« Was können Sie dann aber hier noch tun, wenn die Architektur mit allem Nachdruck behauptet, daß die Standhaftigkeit des Querbalkens zweifelhaft ist, wenn Sie nicht zuvor sicher wissen, daß die Säule weder aus zerbrechlichem Material besteht, noch auf Sand steht, sondern auf einem festen Felsen, und zwar einem Felsen, den die Lemuren niemals werden fortbewegen können ? Was, wenn sie das Material und die Form der Säule ablehnen wird ? (Hier zog er in frechem Scherz die

542,23

522

543,29

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Abbildung einer der Säulen hervor, die der Architekt in seiner Kapelle errichtet hatte.) Was aber ist mit dem anderen von dieser Art ? Sie wird, wenn Sie sie damit konfrontieren, sagen : »Warten Sie ab, bis ich weiß, daß ein Felsen darunter liegt und daß sich dort keine Lemuren herumreiben.« Sie sagen : »Das hat doch zumindest den Vorteil, daß sie, wenn sie keine Säulen verwendet, sicher vermeidet, welche schlecht zu errichten.« Das ist wirklich sensationell : Damit das Kind keinen Schnupfen bekommt usw., wie oben ;1 das ist mir nämlich zu unanständig, um es zu wiederholen, und ich bitte den Leser, die einzelnen Antworten mit den entsprechenden unseres Autoren zu vergleichen. Aber wie die vorhergehende wurde auch diese Antwort schon allein durch die Kapelle als ganz unverschämte Lüge überführt. Denn in der Kapelle standen ja nicht nur viele sehr feste Säulen, sondern unter anderem auch gerade jene, deren Abbildung er gezeigt hatte, als hätte der Architekt sie verworfen. In derselben Weise belegen meine Schriften, daß ich Syllogismen weder ablehne, noch ihre bewährte Form verunstalte ; denn ich habe sie in meinen Schriften immer verwendet, wenn es nötig gewesen ist. Unter anderem hat er eben jenen Syllogismus, in bezug auf den er so tut, als ob ich ihn der Materie und der Form nach zurückweise, von mir abgeschrieben : Er findet sich nämlich am Ende der Erwiderung auf die zweiten Einwände, Proposition 1, wo ich beweise, daß Gott existiert.2 Auch sehe ich nicht, mit welcher Absicht er hier so tut ; außer vielleicht um anzudeuten, daß all das, was ich als wahr und gewiß behauptet habe, mit der Verwerfung des Zweifelhaften im Widerspruch steht – ein Name, der angibt, was allein er unter meiner Methode verstanden wissen will. Das ist ganz dasselbe und nicht weniger kindisch und albern als die Erdichtung des Maurers, der die Grabung, die doch geschieht, um Fundamente für Gebäude zu legen, für die ganze Technik des Architekten hält, und alles, was

1

Obj. VII : 528, 3–529, 4. 2 Resp. II : 166, 19 ; Obj. VII : 528, 26–28. Descartes selbst spricht irrtümlich von den ersten Erwiderungen.

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523

von dem Architekten errichtet wird, zurückweist, als stehe es mit dieser Grabung im Widerspruch. Er antwortete 3. : Diese Architektur ist verfehlt im Hinblick auf die Zielsetzung, da sie nichts Sicheres errichtet. Das kann sie auch nicht, weil sie sich selbst alle Wege, ein Werk auszuführen, verbaut. Sie haben es selbst gesehen und erfahren auf ihren odysseischen Irrfahrten, mit denen Sie sich und mich, ihren Begleiter, mürbe gemacht haben. Sie behaupten, ein Architekt zu sein oder die Technik eines Architekten zu beherrschen, dartun aber konnten Sie das überhaupt nicht. Statt dessen sind Sie im Morast stecken- und an Dornen hängengeblieben, und zwar so oft, daß ich mich kaum daran erinnern kann, wie oft. Gleichwohl wird es sehr nützlich sein, sich daran zu erinnern, es erneut auf die Tagesordnung zu setzen, um unserer Antwort den nötigen Nachdruck zu verleihen. Deshalb hier die Hauptpunkte, bei denen sich diese Technik in ihr eigenes Knie schießt und jede Hoffnung zunichte macht, zur Ausführung eines Werkes zu gelangen. 1. Sie wissen nicht, ob unter der obersten Erdschicht Sand oder Fels ist, und daher können Sie in den Felsen (falls Sie überhaupt auf einem Felsen stehen sollten) kein größeres Vertrauen setzen als auf den Sand. Daher ist alles zweifelhaft und wackelig, und selbst die Baupläne sind unsicher. Ich führe keine Beispiele an, tun Sie das selbst, gehen Sie durch den Speicher ihres Gedächtnisses, und wenn Sie dort etwas antreffen, das von dieser Seuche nicht befallen ist, bringen Sie es mit. Ich werde Sie beglückwünschen. 2. Bevor ich einen festen Boden gefunden habe, von dem ich weiß, daß sich unter ihm kein beweglicher Sand befindet, und daß keine Lemuren ihn erschüttern, muß ich alles verwerfen und überhaupt alles Material für verdächtig halten ; oder zumindest muß vor allem anderen definiert werden, ob es Material gibt, und man muß dann die Tiefbauarbeiter auf das Material hinweisen, das letzlich nicht verworfen werden muß, damit sie es in die Gruben zurücknehmen. Das ist die gewöhnliche und bewährte Architektur. Genauso wie beim ersten Punkt ist hier also alles unsicher und zur Errichtung von Gebäuden völlig unnütz. 3. Wenn es etwas gibt, das auch nur im geringsten erschüttert werden kann, dann müssen Sie mit einem in das glatte Gegenteil verkehrten Willen1 glauben, 1

Med. I : 22, 13 ; Resp. VII : 523, 19 u. 26.

544,20

524

546,3

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daß es bereits zusammengestürzt ist, es ausgraben und die leere Grube gleichsam als Fundament verwenden. Daher sind alle Zugänge zum Aufbau versperrt. Was nämlich erhoffen Sie sich davon, zu sagen : »An dieser Stelle gibt es keine Erde mehr, keinen Sand, keine Steine«, und unzähliges andere von dieser Art ? Und sagen Sie bloß nicht, diese Grabung sei nicht andauernd, sondern wie Gerichtsferien nur für eine Zeit und gehe nur bis zu einer bestimmten Tiefe, je nachdem, wie hoch der Sand an den einzelnen Stellen ist. Meinetwegen, es geschehe nur auf Zeit ; aber sie besteht während der Zeit, während der Sie das Gebäude errichten, während der Sie die Leere der Grube verwenden oder sie vielmehr mißbrauchen, gerade so als ob von ihr der gesamte Aufbau abhinge und auf ihm sitzen würde wie auf einem einbetonierten Sockel. »Aber«, sagen Sie, »ich verwende sie, um ein Postament und eine Säule zu errichten, wie es sich für einen Architekten gehört. Errichten die Architekten etwa keine provisorischen Maschinen, die sie verwenden, um Säulen aufzurichten ?« usw., wie oben.1 Auch in dem, was sich hier der Maurer ausgedacht hat, findet sich nichts, das lächerlicher wäre als das, was unser Autor sich ausgedacht hat. Denn die Zurückweisung des Zweifelhaften verbaut mir die Wege zur Erkenntnis der Wahrheit nicht mehr als die Grabung des Architekten ihm die Errichtung der Kapelle, was durch das, was ich später bewiesen habe, hinlänglich dargetan wird. Zumindest hätte er doch auf etwas Falsches oder Ungewisses darin hinweisen müssen, und da er das weder tut noch tun kann, muß man eingestehen, daß er in ganz unentschuldbarer Weise schwafelt. Ich habe mich genausowenig jemals angestrengt, nachzuweisen, daß ich, bzw. das denkende Ding, ein Geist ist, wie er es unternommen hat, nachzuweisen, daß er ein Architekt ist ; tatsächlich aber hat unser Autor hier durch seine große Anstrengung und Mühe nichts nachgewiesen, außer daß er keinen Geist besitzt, zumindest keinen guten. Wenn jemand den metaphysischen Zweifel so weit treibt, vorauszusetzen, er wisse nicht, ob er träume oder wache, dann folgt daraus keineswegs, daß er nichts Sicheres vorfinden könne, 1

Obj. VII : 529, 5–530, 20.

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

525

nämlich genausowenig wie daraus, daß der Architekt, wenn er zu graben beginnt, noch nicht weiß, ob er unter dem Sand Fels oder Ton vorfinden wird, ja nicht folgt, daß er dort gar keinen Fels vorfinden könne oder ihn nicht für zuverlässig halten dürfe, wenn er ihn vorfindet. Wenn jemand Anlaß hat, an jedem Ding zu zweifeln (nämlich an jedem Ding, dessen klare Erfassung er nicht im Gemüt präsent hat, wie ich mehrfach ausgeführt habe), bevor er weiß, daß Gott existiert, dann folgt daraus keineswegs, daß überhaupt alles zum Auffinden des Wahren unbrauchbar ist, nämlich genausowenig, wie daraus, daß der Architekt sich bemüht hatte, alles aus seinen Gruben zu entfernen, bevor ein fester Boden vorgefunden war, ja nicht folgte, daß in ihnen kein Schutt oder andere Dinge in ihnen gewesen sind, von denen er urteilte, daß sie später für ihn beim Legen des Fundaments von Nutzen würden sein können. Wenn der Maurer sagte, der gewöhnlichen und bewährten Architektur nach dürfe der Schutt nicht aus den Gruben entfernt werden und die Tiefbauarbeiter müssten angewiesen werden, ihn zurückzubehalten, dann irrte er nicht alberner als unser Autor, wenn er zum einen sagt vor allem anderen müsse definiert werden, ob es Propositionen gibt, und welches letzlich unanfechtbare Propositionen sind1 (wie nämlich könnten sie von jemandem definiert werden, von dem wir voraussetzen, daß er bislang noch keine kennt ?), und zum anderen behauptet, dies sei eine Vorschrift der gewöhnlichen und bewährten Philosophie (denn eine solche Vorschrift trifft man in ihr nicht an). Und wenn der Maurer so tat, als wolle der Architekt die leere Grube als Fundament verwenden, und seine ganze Bautätigkeit hinge davon ab, dann war das ebenso witzlos wie wenn unser Autor drauflosschwafelt, indem er sagt ich bediente mich des Gegenteils von dem, was zweifelhaft ist, als Prinzip, und ich mißbrauche das Verworfene, gerade so als ob von ihm alle Wahrheit abhinge und auf ihm wie auf einem einbetonierten Sockel sitze.2 Dabei vergißt er die Worte, die er oben als die meinigen ausgegeben hatte : Sie sollen es weder setzen noch bestreiten und keines der bei1

Obj. VII : 529, 26–27.

2

Obj. VII : 530, 1–2 ; 8–10.

526

547,24

548,7

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

den vertreten, sondern beide für gleichsam falsch halten.1 Und wenn schließlich der Maurer die Grube, die man aushebt, um Fundamente zu legen, mit einer provisorischen Maschine verglich, die man verwendet, um Säulen aufzurichten, dann zeigte er nicht mehr Unkenntnis als unser Autor, wenn er dieselbe Maschine mit der Verwerfung des Zweifelhaften vergleicht. Er antwortete 4. : Diese Technik ist verfehlt, weil sie völlig übertrieben ist. Das heißt : Sie versucht mehr zustande zu bringen, als die Gesetze der Klugheit von ihr verlangen, mehr, als irgendein Sterblicher von ihr überhaupt erwarten würde. Zwar fordern einige Leute, daß man für sie feste Gebäude errichte ; bislang aber haben es alle für ausreichend gehalten, wenn das Haus, in dem er wohnt, ebenso fest ist wie die Erde, auf der es steht, und deshalb ist jedes Bemühen, irgendeine größere Festigkeit zu erreichen, völlig überflüssig. Außerdem gibt es sichere Grenzen der Stabilität des Bodens, die völlig ausreichen, um auf ihm umherzugehen, so daß jeder sicher auf ihn tritt, und genauso gibt es beim Hausbau sichere Grenzen. Wer diese Grenzen akzeptiert, befindet sich auf der sicheren Seite usw., wie oben.2 Wie sehr auch immer der Maurer hier den Architekten verantwortlich machen mag : noch viel mehr zu Unrecht kritisiert mich unser Autor in diesem vergleichbaren Fall. Es ist wahr, daß es beim Errichten von Häusern unterhalb der höchsten Festigkeit des Bodens bestimmte Grenzen (fines) gibt, die man nicht unterschreiten sollte, je verschieden nach der Größe der zu errichtenden Last : Denn niedrige Häuser errichtet man selbst auf Sand noch sicher, weil Sand nicht weniger fest ist, um sie zu tragen, als ein Fels, um höhe Türme zu tragen. Aber es ist völlig falsch, daß es dort, wo es darum geht, die Fundamente der Philosophie zu legen, unterhalb der höchsten Gewißheit irgendwelche derartigen Grenzen des Zweifelns gibt, mit denen wir uns klug und unbekümmert zufriedengeben könnten. Denn da Wahrheit im Unteilbaren besteht, kann es passieren, daß etwas, das wir nicht als ganz gewiß erkennen, völlig falsch ist, obwohl es als glaubhaft erscheint ; und jemand, der seine gesamte Wis1

Obj. VII : 524, 11–12 ; 458, 28.

2

Obj. VII : 530, 21–531, 10.

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

527

senschaft auf Fundamente stellt, von denen er erkennt, daß sie vielleicht falsch sind, würde wohl kaum klug philosophieren. Was wird er dann den Skeptikern entgegenhalten, die alle Grenzen des Zweifels überschreiten ? Mit welcher Begründung wird er sie zurückweisen ? Freilich wird er sie zu den Verzweifelten und Verdammten rechnen. Sicherlich ganz großartig ; wozu aber werden sie ihn rechnen ? Man darf nicht meinen, ihre Sekte sei schon längst ausgestorben. Sie steht nämlich heute mehr denn je in Blüte, und fast alle, die meinen, sie besäßen etwas mehr Geisteskraft als die anderen, nehmen ihre Zuflucht zur Skepsis, wenn sie in der gewöhnlichen Philosophie nichts vorfinden, was sie zufriedenstellt, und sie keine andere, wahrere Philosophie sehen. Und es sind insbesondere diese Leute, die verlangen, daß ihnen die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit des menschlichen Geistes bewiesen werde. Daher sind die Beispiele, die unser Autor hier nennt, ganz schlecht, zumal er als Gebildeter gilt : denn sie zeigen, daß er gar nicht meint, die Irrtümer der atheistischen Skeptiker könnten zurückgewiesen werden ; also unterstützt und bestärkt er sie von seiner Seite. Denn kein zeitgenössischer Skeptiker zweifelt in der Praxis daran, daß er einen Kopf hat, daß 2 und 3 5 ergibt, und dergleichen ; alle aber sagen, daß sie diese Dinge nur deshalb als wahr gelten lassen, weil sie so erscheinen, daß sie sie aber nicht als gewiß glauben, weil sie durch keine sicheren Begründungen dazu gedrängt werden. Daß Gott existiert und der menschliche Geist unsterblich ist : das erscheint ihnen nun aber nicht in derselben Weise, und deshalb meinen sie, dies noch nicht einmal in der Praxis als gleichsam wahr gelten lassen zu können, wenn es ihnen nicht zuvor durch Begründungen nachgewiesen worden ist, die noch sicherer sind als diejenigen, aufgrund derer sie alles Erscheinende akzeptieren. Da ich dies so nachgewiesen habe, jedoch – zumindest soweit ich weiß – niemand vor mir, scheint es mir, man könne sich keine größere und unwürdigere Schmähung ausdenken, als diejenige unseres Autoren, mir in seiner gesamten Dissertation unablässig diesen einen Irrtum anzudichten und das unzählige Male einzubleuen, auf dem die

528

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

Sekte der Skeptiker beruht, nämlich den übertriebenen Zweifel. Er ist wirklich großzügig, wenn er meine Verfehlungen durchgeht. Denn zwar sagt er hier, es sei kein gewöhnliches Verdienst, die Grenzen zu erweitern und ein Meer zu überqueren, das in den zurückliegenden Jahrhunderten niemand zu befahren wagte ;1 auch hat er keinen Grund, den Verdacht zu hegen, ich hätte dies in bezug auf genau die Sache, die er thematisiert, nicht geleistet, wie ich demnächst zeigen werde. Dennoch legt er es mir als Verfehlung aus, weil es, wie er sagt, in der Tat ein außerordentliches Verdienst ist, aber nur, solange das Meer ohne Schiffbruch befahren werden kann.2 Denn er will die Leser glauben machen, ich hätte dabei einen Schiffbruch erlitten, bzw. irgendeinen Irrtum begangen, obwohl er selbst es nicht glaubt, und auch keinen Grund hat, einen solchen Verdacht zu hegen. Denn wenn er sich auch nur den geringsten Grund hätte ausdenken können, den Verdacht zu hegen, ich hätte mich irgendwo auf dem Gedankengang geirrt, auf dem ich den Geist von der Erkenntnis seiner eigenen Existenz zur Erkenntnis der Existenz Gottes und der Unterscheidung seiner selbst vom Körper geführt habe, hätte er ihn zweifelsohne in seiner doch so langen, so wortreichen und an Begründungen so leeren Dissertation nicht ausgelassen, und ganz gewiß hätte er es doch wohl vorgezogen, ihn herauszustreichen, anstatt die Frage zu wechseln, wie er es immer tut, sobald ein Argument es erforderlich machte, über diese Sache zu sprechen, und mich lächerlicherweise darüber disputieren lassen, ob das denkende Ding ein Geist wäre. Daher habe ich keinerlei Grund gehabt, den Verdacht zu hegen, daß ich mich irgendwie in dem geirrt hätte, was ich behauptet habe, und wodurch ich als erstes den Zweifel aller Skeptiker abgewendet habe. Er räumt ein, daß das außerordentlichen Ruhm verdient, aber nichtsdestoweniger hat er die Stirn, mich in diesem Namen zu kritisieren, und dichtet mir just diesen Zweifel an, der doch mit viel größerem Recht allen anderen Sterblichen, die ihn nie-

1

Obj. VII : 531, 7–9.

2

Obj. VII : 531, 9–10.

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529

mals zurückgewiesen haben, als gerade mir beigelegt werden könnte. Der Maurer aber antwortete 5. : Sie ist verfehlt, weil sie einen Mangel aufweist. Das heißt : Dadurch, daß sie sich mehr vornimmt als angemessen ist, bringt sie nichts zustande. Sie allein brauche ich hier als Zeuge und Richter. Was haben Sie durch ihre großartigen Vorkehrungen erreicht ? Was hat ihnen die feierliche, allgemeine und heldenhafte Grabung, von Sie nicht einmal die festesten Steine ausgenommen haben, eingebracht, außer dem altbekannten : »Der Felsen, der sich unter allem Sand findet, ist unerschütterlich und fest« ? Ich sage : Das ist auch dem einfachen Volk so vertraut, daß usw., wie oben.1 Hier erwartete ich sowohl von dem Maurer als auch von unserem Autoren, daß er irgendetwas nachweisen würde. Der Maurer aber wollte nur wissen, was der Architekt durch seine Grabung geleistet hatte, außer daß er einen Felsen freigelegt hatte – wobei er übersehen hatte, daß er auf diesem Felsen eine Kapelle errichtet hatte. Ebenso fragt unser Autor nur, was ich durch die Verwerfung des Zweifelhaften außer dem altbekannten : Ich denke, ich bin geleistet habe. Denn daß ich daraus die Existenz Gottes und vieles andere bewiesen habe, hält er für nichts. Mich allein will er zum Zeugen – wohl als Zeugen für seine unglaubliche Frechheit. Und ebenso wenn er anderswo über andere, ebenfalls nicht wahre Dinge, sagt : Das glauben ohne Ausnahme alle. Das tönt von jedem Katheder herab. Das haben sie von ihren Lehrern gelernt, und die wiederum von den ihrigen, wie bereits seit der Zeit Adams2 und dergleichen. Das verdient ebensowenig Vertrauen wie die Beteuerungen gewisser Menschen, die sie umso häufiger verwenden, für je unglaubwürdiger und falscher sie das halten, wovon sie überzeugen wollen. Der Maurer aber antwortete 6. : Sie begeht die allgemeine Verfehlung, die sie den anderen vorwirft. Denn sie ist verwundert darüber, daß die Sterblichen dies überhaupt so zuversichtlich sagen und setzen können : »Der Sand, der uns trägt, ist ausreichend fest. Der Boden, auf dem wir stehen, bewegt sich nicht usw.« Über sich selbst aber wundert 1

Obj. VII : 531, 11–23.

2

Obj. VII : 533, 17, 21 ; 534, 7–9.

550,25

551,4

551,19

530

551,26 551,28

552,8

552,11

552,17

552,20

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sie sich nicht, wenn sie mit demselben Selbstvertrauen sagt : »Der Sand muß entfernt werden usw.«.1 Das war nicht alberner als das, was unser Autor in der entsprechenden Sache behauptet. Er antwortete 7. : Sie begeht eine ihr eigentümliche Verfehlung. Denn aus eigenem Entschluß hält sie das Gegenteil von dem für fest, was die übrigen Menschen für einigermaßen und in ausreichendem Maße für fest halten : die Erde, auf der wir stehen, den Sand, die Steine, nämlich die Grube, aus der der Sand, die Steine und das übrige entfernt worden sind. Und sie hält es nicht nur für fest, sondern für so fest, daß darauf die beständigste Kapelle gegründet werden könne, und stützt sich darauf so sehr, daß, wenn Sie ihr diese Stütze wegnehmen, sie auf die Schnauze fällt.2 Wobei er nicht mehr schwafelt als unser Autor, wenn ihm die Worte entfallen sind : Sie sollen es weder setzen noch bestreiten usw.3 Er antwortete 8. : Sie begeht eine Verfehlung aus Unklugheit. Denn da sie nicht bemerkt, daß die Instabilität des Bodens ein zweischneidiges Schwert ist, verletzt sie sich, während sie der einen Schneide ausweicht, an der anderen. Für sie ist der Sand als Boden nicht zuverlässig genug ; weil sie ihn entfernt und das Gegenteil setzt, nämlich die vom Sand befreite Grube, und sich unüberlegt auf diese Grube stützt, gleichsam als wäre sie ein festes Ding, verletzt sie sich.4 Wobei es erneut nur nötig ist, an die Worte zu erinnern : Sie sollen es weder setzen noch bestreiten.5 Außerdem entspricht das über das Schwert eher der Weisheit des Maurers als der unseres Autoren. Er antwortete 9. : Sie begeht absichtlich eine Verfehlung, weil sie wissentlich und willentlich und ungeachtet aller Warnungen sich selbst blind macht und durch die willentliche Zurückweisung alles dessen, was zum Errichten von Häusern notwendig ist, der Regel erlaubt, Sie zu fop-

1

Obj. VII : 531, 24. 458, 28 ; 547, 17–18. 28 ; 547, 17–18.

2

Obj. VII : 531, 29–532, 5. 3 Obj. VII : 524, 11–12 ; 4 Obj. VII : 532, 6–11. 5 Obj. VII : 524, 11–12 ; 458,

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531

pen, wobei sie nicht nur das erreicht, was sie nicht intendiert, sondern auch das, was sie am meisten fürchtet.1 Inwiefern das in bezug auf den Architekten wahr gewesen ist, davon legt die Errichtung der Kapelle, und inwiefern es in bezug auf mich wahr ist, davon legt das Zeugnis ab, was ich bewiesen habe. Er antwortete 10. : Sie ist verfehlt aufgrund einer Festlegung. Denn obwohl sie es in einer feierlichen Verfügung verbietet, kehrt sie zum Bewährten zurück und verbaut entgegen den Gesetzen der Grabung das Entfernte erneut. Sie erinnern sich sehr wohl daran.2 Als er dies nachgeahmt hat, hat sich unser Autor nicht an die Worte Sie sollen es weder setzen noch bestreiten usw.3 erinnert. Hätte er sonst mit einer solchen Frechheit so getan, als ob etwas in einer feierlichen Verfügung verboten worden sei, von dem er vorher gesagt hat, daß es noch nicht einmal bestritten werden könne ? Er antwortete 11. : Sie ist aufgrund einer Unterlassung verfehlt. Denn das, was sie als Stützpfeiler vorschreibt : »Vor allem muß sichergestellt werden, daß wir nicht etwas als wahr gelten lassen, von dem wir nicht nachweisen können, daß es wahr ist«, übertritt sie mehr als einmal, wenn sie ohne Bedenken und ohne es zu beweisen annimmt, daß Aussagen wie : »Sandiger Boden ist nicht fest genug, um Gebäude zu tragen«, und anderes von dieser Art ganz sicher und wahr ist.4 Wobei er wie unser Autor einfach nur noch schwafelte, indem er das, was doch nur sowohl für die Errichtung von Gebäuden als auch der Philosophie gilt, auf die Grabung anwandte, wie unser Autor auf die Zurückweisung des Zweifelhaften. Es ist nämlich nur allzu wahr, daß man dort, wo sich die Frage darauf richtet, genau das aufzustellen oder zu behaupten, nichts als wahr gelten lassen darf, wovon wir nicht nachweisen können, daß es wahr ist, während es dort, wo es nur darum geht, etwas

1

Obj. VII : 532, 12–16. 2 Obj. VII : 532, 17–19. 3 Obj. VII : 524, 11–12 ; 458, 28 ; 547, 17–18 ; 552, 9–10 ; 18. 4 Obj. VII : 532, 20–26.

552,25

553,1

553,4

553,8

553,15

532

553,23

554,1

554,7

554,21

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

auszugraben oder zu verwerfen, ausreicht, wenn wir einen Verdacht hegen. Er antwortete 12. : Diese Technik erbringt entweder nichts Gutes oder nichts Neues, jedoch sehr viel Überflüssiges. Denn 1., wenn sie ihre Zurückweisung des Sandes verstanden wissen will als eine solche Grabung, die die anderen Architekten verwenden, wenn sie den Sand nur insoweit entfernen, als er nicht hinreichend fest ist, um die Last der Gebäude zu tragen : dann sagt sie etwas Gutes, aber nichts Neues, denn diese Grabung ist für keinen Architekten neu, sondern für alle alt, und zwar ohne Ausnahme.1 2. Wenn sie durch diese Grabung des Sandes allen Sand so verwerfen will, daß er beseitigt und nichts von ihm zurückbehalten werden soll, sie ihn dann aber gleichsam als ein Unding, oder sein Gegenteil, nämlich die Leere des Ortes, den er vorher einnahm, also gewissermaßen als ein zuverlässiges und festes Ding verwenden sollen : dann sagt sie etwas Neues, aber nichts Gutes, und die Grabung wird zwar neu, aber illegitim sein.2 3. Wenn sie sagt, sie könne durch die Stärke und das Gewicht ihrer Begründungen sicher und evident darlegen : »Ich bin erfahren in der Architektur und übe sie aus, und dennoch bin ich insofern ich das tue weder Architekt, noch Maurer, noch Lastenträger, sondern ein von all dem so abgehobenes Ding, daß ich eingesehen werden kann, ohne daß all dies schon eingesehen worden ist, geradeso wie ich ein Tier, bzw. ein empfindendes Ding einsehen kann, ohne das wiehernde, das brüllende Ding usw. schon eingesehen zu haben« : Dann sagt sie etwas Gutes, aber nichts Neues ; denn das kann man an jeder Straßenecke hören, und das lehren all diejenigen mit wohltönenden Worten, die meinen, alle möglichen Menschen seien in der Architektur erfahren ; und wenn die Architektur auch die Errichtung von Wänden umfaßt, so daß auch diejenigen die Architektur beherrschen, die Kalk mit Sand anmischen, die Steine behauen, die Material herbeitragen, dann lehren das auch alle Hilfsarbeiter, das heißt : ohne Ausnahme alle.3 4. Wenn sie sagt, sie habe durch triftige und wohlüberlegte Gründe 1

Obj. VII : 532, 27–533, 5. 11–21.

2

Obj. VII : 533, 6–10.

3

Obj. VII : 533,

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533

bewiesen, daß sie tatsächlich existiere, und sie sei in der Architektur erfahren, und während sie existiert, existiere hingegen kein Architekt, kein Maurer, kein Lastenträger wirklich : dann sagt sie etwas Neues, aber nichts Gutes : Denn das ist gerade so, als wenn sie sagen würde, es existiere ein Tier, aber es gebe gleichwohl keinen Löwen oder Fuchs usw.1 5. Wenn sie sagt : »Ich baue, das heißt : ich verwende beim Errichten von Gebäuden die Architektur ; außerdem baue ich so, daß ich meine Tätigkeit in einem reflexiven Akt mit einem Blick erfasse und betrachte, und daher weiß und betrachte ich, daß ich baue« (was wahrhaftig bedeutet, bewußt zu sein, und das Bewußtsein eines Aktes zu haben) : Wenn sie sagt, daß dies eine Eigenschaft der Architektur, bzw. derjenigen Technik ist, die über die Fertigkeit der Lastenträger hinausgehe, und daß sie in dieser Weise Architekt sei : dann sagt sie etwas, was sie noch nicht gesagt hat, was sie aber hätte sagen müssen, und wovon ich erwartete, daß sie es sagen würde, und was ich ihr immer dann vorschlagen wollte, wenn ich sah, daß sie kurz davor war, es herauszubringen, wenn auch vergeblich – ich sage : Dann hätte sie etwas Gutes gesagt, aber nichts Neues, denn das haben wir vorher schon von unseren Lehrern gelernt, und die wiederum von den ihrigen, und, wie ich vermute, seit der Zeit Adams die einen von den anderen.2 Wenn es dies aber ist, was sie sagt : Was bleibt dann noch übrig ? Was kommt dabei heraus ? Welche Schaumschlägerei ! Welche Vorkehrungen zum Pomp oder Mumpitz ! Wozu die Instabilität des Sandes, die Erschütterungen der Erde, die Lemuren, bzw. die leeren Schrecknisse ? Was ist der Zweck dieser so tiefen Grabung, wenn sie uns nicht das geringste übrigläßt ? Wozu so weite und so lange Reisen zu fernen Gestaden, weit entfernt von den Sinnen, zwischen Schatten und Gespenstern ? Was tragen sie letztlich dazu bei, eine Kapelle zu errichten, geradeso als ob sie nicht stehen könnte, wenn nicht alles von unten nach oben gekehrt würde ? Weshalb aber so viele und so große Umbauten des Materials, weshalb altes ablegen, neues aufnehmen, das alte wieder zulassen, nachdem das neue weggeworfen ist ? Hat vielleicht diese neue Geheimlehre neue Zeremonien, so, wie wir uns ja auch 1

Obj. VII : 533, 22–27.

2

Obj. VII : 533, 28–534, 9.

554,27

555,11

534

556,1

556,12

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

anders benehmen müssen, wenn wir im Tempel sind oder uns in der Gegenwart vornehmer Leute befinden und nicht in einer Kneipe oder beim Imbiß. Warum hat sie nicht ohne alle Umschweife einfach, klar und kurz die Wahrheit in einem Wort so ausgedrückt : »Ich baue, ich habe das Bewußtsein der Bautätigkeit, also bin ich ein Architekt« ?1 6. Schließlich : Wenn sie sagt, daß Häuser zu errichten, deren Zimmer, Keller, Treppenhäuser, Türen, Fenster, Säulen und alles übrige im Geist zu planen und anzuordnen und dann zu ihrer Errichtung die Zimmermänner, Steinmetze, Maurer, Dachdecker, Lastenträger und Hilfsarbeiter anzustellen und ihre Tätigkeiten zu koordinieren, sei die besondere Aufgabe des Architekten, und zwar so sehr, daß überhaupt kein anderer Techniker das könnte : dann sagt sie etwas Neues, aber nichts Gutes, und zwar ohne erkennbaren Nutzen, es sei denn, sie hat vielleicht etwas in der Hinterhand, das sie verheimlicht (was als einzige Zuflucht noch übrig bleibt), um es zu gegebener Zeit aus der Versenkung aufsteigen zu lassen, zum großen Erstaunen des Publikums. Darauf warten wir aber schon ebenso lange wie verzweifelt.2 Letzte Antw. : Ich vermute, Sie haben jetzt Angst um ihre Technik, die Sie lieben, an der Sie festhalten wollen, die Sie verständlicherweise küssen wie ihre kleine Tochter. Sie haben Angst, weil ich sie so vieler Verfehlungen bezichtigt habe und sie, wie Sie selbst bemerken, Risse bekommt und überall auseinanderbricht, könnte ich meinen, man müsse sie auf den Müllhaufen werfen. Aber haben Sie keine Angst, ich bin ein Freund. Ich werde Ihrer Erwartung standhalten oder sie zumindest enttäuschen, denn ich will schweigen und abwarten. Ich kenne Sie und die Schärfe ihrer unbestechlichen und weitblickenden Geisteskraft. Sobald Sie Zeit gehabt haben, zu meditieren und Sie in stiller Zurückgezogenheit ihre Regel zu Rate gezogen haben werden, werden Sie den Staub abschütteln, den Schmutz abwaschen, und uns eine gereinigte und polierte Architektur zu Gesicht bringen. Einstweilen halten Sie sich daran fest, daß Sie auf mich hören, wenn ich fortfahre, Ihre Fragen zu beantworten. Ich beziehe in meine Antworten vieles ein, was ich der Kürze wegen bisher nur leicht berührt habe, wie das, was die Gewöl1

Obj. VII : 534, 10–27.

2

Obj. VII : 534, 28–535, 5.

siebte ei n wä n d e u n d a n m e r k u n g e n

535

be betrifft, die Fensteröffnungen, die Säulen, die Treppenhäuser und dergleichen.1 Aber das ist wohl das Programm zu einer neuen Komödie.

o b s i c h d i e a rc h it ektur reparie re n lässt. Sie fragen 3., ob . . . Als er bis zu diesen Worten gekommen war, verhinderten einige seiner Freunde, daß er öffentlich auf Plätzen redete, sondern brachten ihn unverzüglich zum Arzt. Denn sie sahen, daß der übermäßige Neid und der Haß, die ihn erfaßt hatten, bereits ganz in Krankheit übergegangen waren. Ich hingegen kann mich nicht dazu durchringen, irgendeinen derartigen Verdacht in bezug auf unseren Autoren zu hegen, sondern möchte hier nur wiederum darauf hinweisen, wie genau er den Maurer in allem nachgeahmt hat. In derselben Weise spielt er einen Richter, natürlich einen völlig unvoreingenommenen, der äußerst überlegt vorgeht und gewissenhaft zu verhindern sucht, unüberlegt etwas zu verkünden. Gleich nachdem er mich elfmal allein deshalb verurteilt hat, weil ich das Zweifelhafte verworfen habe, um das Sichere aufzustellen, und gewissermaßen Gruben ausgehoben habe, um die Fundamente des Gebäudes zu legen, prüft er zuletzt die Sache erneut zum zwölften Mal und sagt : 1. Wenn ich (Descartes) die Sache verstanden habe, wie ich sie tatsächlich verstanden habe – und er weiß, wie ich sie verstanden habe, das geht nämlich aus den Worten Sie sollen es weder setzen noch bestreiten usw.2 hervor, die mir von ihm beigelegt werden – dann habe ich zwar etwas Gutes, aber nichts Neues. 2. Wenn ich sie aber in jener anderen Weise verstanden habe, von der er die vorhergehenden elf Verfehlungen entlehnt hat, und die doch, wie ihm bekannt ist, von dem von mir intendierten Sinn so fern ist, daß er mich oben in § 3 seiner ersten Frage 1

Obj. VII : 535, 6–20. 18.

2

Obj. VII : 524, 11–12 ; 458, 28 ; 547, 17–18 ; 552,

557,2

557,7

557,17

557,21

536

558,10

558,20

558,26

siebte ei n wä n d e u n d a n m er k u n g e n

mit Verwunderung und Lachen hat sagen lassen : Wie kann einem normalen Menschen so etwas einfallen ?,1 dann habe ich zwar etwas Neues, aber nichts Gutes. Wer ist beim Lästern jemals, ich will nicht sagen : so unverschämt, so verlogen und ein solcher Verächter alles Wahren und Wahrscheinlichen, und statt dessen so unklug und so gedankenlos gewesen, in einer wohlüberlegten und ausgearbeiteten Dissertation jemandem unzählige Male ein und dieselbe Meinung vorzuhalten, von der er am Anfang derselben Dissertation eingeräumt hat, daß sie demjenigen, dem er sie vorhielt, so sehr widerstrebt, daß er meint, sie könne einem gesunden Menschen gar nicht einfallen ? Was die darauf folgenden Fragen (Nr. 3, 4 u. 5) betrifft, so tun sie überhaupt nichts zur Sache, und zwar weder bei unserem Autoren noch bei dem Maurer, und weder ich noch der Architekt haben sie jemals hervorgebracht. Hingegen ist es wahrscheinlich, daß der Maurer sie sich zuerst ausgedacht hat, um den Anschein zu erwecken, daß er etwas mehr als allein die Grabung des Architekten kritisiere und daß unser Autor ihn auch darin nachgeahmt hat, obwohl der Maurer es nicht wagte, irgendetwas von dem zu berühren, was der Architekt hervorgebracht hatte, um seine Unkenntnis nicht zu sehr zu zeigen. 3. Wenn er nämlich sagt, ein denkendes Ding könne eingesehen werden ohne daß vorher der Geist, das Gemüt und der Körper eingesehen worden sind, dann philosophiert er nicht besser als der Maurer, wenn er sagt, jemand, der Architektur beherrscht, sei nicht mehr Architekt als ein Maurer oder ein Lastenträger und er könne ganz ohne diese eingesehen werden. 4. Zu sagen, daß ein denkendes Ding existiert, ohne daß ein Geist existiert, ist tatsächlich ebenso albern wie zu sagen, daß jemand existiert, der Architektur beherrscht, ohne daß ein Architekt existiert (zumindest wenn man den Namen Geist so auffaßt, wie er von mir aufgefaßt wurde, nämlich in Übereinstimmung mit der allgemeinen Praxis, was ich auch kenntlich gemacht habe). Daß ein denkendes Ding ohne Körper existiert, 1

Obj. VII : 458, 12.

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ist doch nicht widersprüchlicher, als daß jemand, der Architektur beherrscht, ohne Maurer oder ohne Lastenträger existiert. 5. Wenn er sagt, damit eine Substanz über der Materie stehe und völlig spirituell sei – die allein er Geist genannt wissen will –, genüge es nicht, daß diese Substanz eine denkende Substanz sei, sondern darüber hinaus sei es auch erforderlich, daß sie in einem reflexiven Akt denke, daß sie denke, bzw. das Bewußtsein ihres Denkens habe : dann schwafelt er genau wie der Maurer, wenn er sagt, jemand, der Architektur beherrsche, müsse in einem reflexiven Akt betrachten, daß er die Architektur beherrsche, bevor er ein Architekt sein könne. Denn auch wenn es tatsächlich keinen Architekten geben mag, der nicht von Zeit zu Zeit darauf reflektiert, oder zumindest darauf reflektieren könnte, daß er jemand ist, der erfahren im Hausbau ist, so ist gleichwohl diese Betrachtung offenkundig nicht erforderlich, um Architekt zu sein, genausowenig, wie eine solche Betrachtung bzw. Reflexion erforderlich ist, damit die denkende Substanz über der Materie stehe. Denn ein beliebiger erster Gedanke, durch den wir etwas feststellen, unterscheidet sich nicht mehr von dem zweiten, durch den wir feststellen, daß wir das erste festgestellt haben, als dieser zweite von dem dritten, durch den wir feststellen, daß wir festgestellt haben, daß wir es festgestellt haben ; und wenn man einem körperlichen Ding den ersten zugesteht, dann gibt es nicht den geringsten Grund, weshalb man ihm nicht auch den zweiten zugestehen sollte. Es ist deswegen auch darauf hinzuweisen, daß unser Autor in dieser Hinsicht viel gefährlicher irrt als der Maurer : denn dadurch, daß er den wahren und vollständig mit dem Verstand einsehbaren Unterschied zwischen den körperlichen und unkörperlichen Dingen aufhebt, nämlich daß die einen denken, die anderen aber nicht, und an die Stelle dieses Unterschieds einen anderen setzt, der in keiner Weise als essentiell angesehen werden kann, nämlich daß die einen darauf reflektieren, daß sie denken, während die anderen nicht darauf reflektieren, tut er alles in seiner Macht stehende, um zu verhindern, daß die reale Unterscheidung des menschlichen Geistes vom Körper eingesehen wird.

559,3

538 560,2

560,7

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6. Wenn unser Autor für die beseelten Tiere Partei ergreifen und ihnen nicht weniger als den Menschen Denken beilegen will, dann ist dies noch weniger zu entschuldigen, als daß der Maurer versucht hat, sich und seinesgleichen dieselbe Erfahrenheit in der Architektur wie den Architekten anzumaßen. Und schließlich zeigt sich an all dem zur Genüge, daß beide in derselben Weise nicht an das gedacht haben, was wahr oder wahrscheinlich wäre, sondern lediglich an das, was man konstruieren kann, um den Gegner herabzuwürdigen und bei denen als völlig Ahnungslosen und Vertrottelten hinzustellen, die ihn weder kennen, noch sich darum kümmern, sorgfältiger die Wahrheit des Sachverhalts zu erforschen. So berichtet der Historiker über den Maurer – als Ausdruck seines unmäßigen Hasses ganz angemessen –, daß er die Grabung des Architekten zu einer gewaltigen Unternehmung aufgebauscht, jedoch den durch die Grabung bloßgelegten Felsen und die auf ihm errichtete Kapelle als eine Sache ohne Wert übergangen habe, daß er sich aber gleichwohl für seine Freundschaft und seinem einzigartigen Wohlwollen ihm gegenüber bedankt habe usw. Und ebenso läßt er ihn am Schluß diesen ausgezeichneten Ausruf vorbringen : Wenn es das aber ist, was sie sagt : Was bleibt dann noch übrig ? Was kommt dabei heraus ? Welche Schaumschlägerei ! Welche Vorkehrungen zum Pomp und Mumpitz ?1 usw. Und etwas später : Ich vermute, Sie haben jetzt Angst um ihre Technik, die Sie verständlicherweise lieben, an der Sie festhalten wollen2 usw. Und ebenso : Aber haben Sie keine Angst, ich bin ein Freund3 usw. All das stellt die Krankheit des Maurers so anschaulich dar, daß es scheint, kein Dichter hätte dazu irgendetwas Geeigneteres konstruieren können. Aber es ist erstaunlich, daß unser Autor all das mit einem solchen Affekt nachahmt, daß er gar nicht beachtet, was er selbst tut, und den reflexiven Akt des Denkens nicht vollzieht, von dem er gerade eben sagte, daß sich durch ihn die Menschen von den Tieren unterscheiden. Denn sicherlich würde er nicht sagen, der Aufwand an Worten in meinen Schriften 1

Obj. VII : 555, 11–13.

2

Obj. VII : 556, 12–13.

3

Obj. VII : 556, 16.

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sei übertrieben, wenn er betrachten würde, einen wie viel größeren Aufwand er selbst treibt, einzig und allein um den Zweifel, den ich thematisiert habe, ich sage nicht : zu bekämpfen – denn er kämpft nicht mit Begründungen –, sondern anzubellen (ich möchte hier dieses härteres Wort verwenden, weil sich kein anderes findet, das genauso geeignet ist, die Wahrheit des Sachverhalts auszudrücken), als der Aufwand, den ich treibe, um diesen Zweifel vorzubringen. Auch hätte er nicht an sinnlose Wiederholungen erinnert, wenn er beachtet hätte, welche weitschweifige, überflüssige und leere Geschwätzigkeit er in seiner gesamten Dissertation an den Tag gelegt hat, an deren Ende er gleichwohl behauptet, er sei auf Kürze bedacht gewesen. Weil er aber an derselben Stelle sagt, daß er mein Freund sei, und ich möglichst freundlich mit ihm verfahren möchte, werde ich unseren Freund so, wie der Maurer von seinen Freunden zum Arzt gebracht worden ist, in die Obhut seines Vorgesetzten übergeben.

ANALY T IS CHE S YNO PS IS

Die Seitenangaben verweisen auf die Seitenzahlen und Zeilenangaben von AT. Schreiben an die Sorbonne : Abgrenzung von Philosophie, Theologie und Glaube ; Notwendigkeit, die Ungläubigen durch Beweise von der Unsterblichkeit der Seele und der Existenz Gottes zu überzeugen [1,6] – Beweis der Unterschiedenheit von Seele und Körper ; Verknüpfung der Frage nach Gott mit der Frage nach der Unterschiedlichkeit von Geist und Körper ; die Haltung der Ungläubigen dazu ; Descartes’ Motivation und Methode [2, 31] – Stichhaltigkeit der Cartesischen Beweise ; Vergleich von Metaphysik und Geometrie im Hinblick auf die Verständlichkeit ihrer Beweise und Beweisverfahren [4,1] – Descartes bittet die Professoren der Sorbonne um Unterstützung [5,10] Vorwort an den Leser : Gott und der menschliche Geist sind die Themen der Meditationes, und zwar in Wiederaufnahme des Abrisses im Discours de la Méthode [7,1] – Zwei Einwände gegen das, was Descartes bereits im Discours zu diesen Themen gesagt hat [7,14] ; (1) Die Selbstbestimmung des Geistes als Denken ist nicht gleichbedeutend mit dem Aufweis, daß das Wesen des Geistes Denken ist. Antwort Descartes’ darauf [7,20] ; (2) Die Existenz der Idee Gottes ist nicht gleichbedeutend mit dem Nachweis seiner Existenz. Antwort Descartes’ darauf [8,16] – Verhältnis Descartes’ zu den Schriften anderer zu diesen Themen und sein Umgang damit ; das grundsätzliche Verfahren der Meditationes ; die Einwände und Erwiderungen [8,29] Übersicht über die sechs folgenden Meditationen : Die von Descartes selbst verfaßte thematische Inhaltsübersicht über die Meditationes

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1. Meditation : Günstige Gelegenheit zum Umsturz der Meinungen [17,2] – Umsturz der Prinzipien [18,4] – Zweifelhaftigkeit dessen, was durch die äußeren Sinne vermittelt ist [18,15] – Unterscheidung von entfernten und nah bei mir liegenden Dingen ; Zweifelhaftigkeit auch der nah bei mir liegenden Dinge [18,19] – Traumargument : Empirische Nichtunterscheidbarkeit von Traumund Wachzustand [19,8] – Unterscheidung von konkreten empirischen Erscheinungen und universellen Allgemeinheiten [19,23] – Wahrheit der Kategorien [20,15] – Unterscheidung empirischer und mathematischer Wissenschaften und ihrer Verläßlichkeit [20, 20] – Idee eines allmächtigen Gottes beinhaltet die Möglichkeit, daß er mich immer täuscht [21,1] – Fiktivität des täuschenden Gottes ; je weniger mächtig das Wesen ist, das mich geschaffen hat, desto wahrscheinlicher ist es, daß ich mich immer täusche [21,17] – Radikaler Zweifel : Willentliche Verkehrung des gewohnten Grundsatzes, daß die alten Ansichten zwar zweifelhaft, aber glaubhaft sind, in sein Gegenteil ; theoretische Ausrichtung des radikalen Zweifels, Ausschluß der Praxis [22,3] – Genius Malignus [22,23] 2. Meditation : Rückblick auf die 1. Meditation [23,22] – Erneute Einnahme der Position des radikalen Zweifels [24,14] – Der Grundsatz Ich bin, ich existiere ist immer dann wahr, wenn ich ihn ausspreche oder denke [24,19] – Wer bin ich ? [25,14] – Rückblick auf das frühere Selbstverständnis als Kompositum von Körper und Seele ; Bestimmung der Seele als feiner Stoff, Bestimmung des Körpers als räumliche Gestalt, die sich bewegt oder bewegt werden kann [25,25] – Gegenwärtige Auffassung meiner selbst : Ausschluß alles Körperlichen und Bestimmung meiner selbst als denkendes Ding [26,24] – Was ich bin, kann nicht durch Anschauung bestimmt werden [27,18] – Ausdifferenzierung der Bestimmung als denkendes Ding [28,20] – Unterscheidung von inhaltlicher Wahrheit dessen, was gedacht wird (und falsch sein kann), und dem Akt des Denkens selbst (der unbestreitbar ist) [28,23] – Diskrepanz zwischen der detaillierten Kenntnis der körperlichen Dinge und der inhaltlichen Unbestimmtheit des Denkens [29,

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19] – Wachsbeispiel 1 : Wenn alle konkreten, sinnlich erfaßbaren Eigenschaften des Wachses wechseln, und es trotzdem als Wachs bestimmt werden kann, wird das Wachs nicht durch die Sinne als solches bestimmt [30,3] – Wachsbeispiel 2 : Auch über die abstrakten sinnlichen Eigenschaften des Wachses (Gestalt) läßt sich das Wachs nicht bestimmen, also nicht durch Anschauung, sondern nur durch Einblick [30,26] – Die allgemeine Ansicht, Dinge würden durch Ansehen bestimmt, ist bloß eine ungenaue Redensart [31,29] – Der Einblick des Geistes ist deutlicher als die sinnliche Auffassung [32,13] – Auswertung des Wachsbeispiels für die Selbsterkenntnis des Geistes : Jede empirische Erkenntnis ist immer auch Selbsterkenntnis des Geistes [33,13] – Nichts kann leichter und evidenter erfaßt werden als der Geist [33,30]. 3. Meditation : Beginn der inhaltlichen Selbsterkenntnis des Geistes, seine Tätigkeiten und die prinzipielle Zugehörigkeit aller empirischen Erkenntnis zu ihm [34,12] – Frage nach einer Regel, derzufolge ich mir der Wahrheit von Dingen gewiß sein kann : Alles ist wahr, das ich äußerst klar und deutlich erfasse [35,3] – Aufweis der Ansicht als Vorurteil, daß die Ideen der Dinge von den Dingen außerhalb von mir stammen und deshalb ihre Existenz beweisen [35,16] – Der Zweifel an den mathematischen Wahrheiten beruht auf dem hyperbolischen Zweifel, daß ein böswilliger Dämon mich täuscht ; Aufwurf der Frage nach der Existenz Gottes und ob er ein Betrüger sein kann [35,30] – Einteilung der Gedanken in Ideen und Formen, der Formen in Willensakte und Urteile [36,30] – In den Willensakten gibt es keine Falschheit, sondern nur in den Urteilen ; die häufigste Falschheit : Das Urteil, daß den Ideen außerhalb des Denkens Dinge entsprechen, denen sie ganz gleichen [37,13] – Einteilung der Ideen in angeborene, erworbene und von mir selbst erzeugte [37,29] – Herleitung der falschen Ansicht von der Ähnlichkeit der Ideen mit äußeren Dingen : Sie hängen nicht vom Willen ab [38,11] – Unterscheidung zwischen natürlichem Antrieb, etwas zu glauben, einerseits und : etwas durch das Natürliche Licht erkennen anderseits ; der natürliche Antrieb führt in die Irre [38,23] – Daß die Ideen nicht von

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meinem Willen abhängen, beweist nicht, daß sie von äußeren Dingen herkommen [39,6] – Selbst wenn sie von äußeren Dingen herkommen, müssen sie ihnen nicht notwendig ähnlich sein ; Beispiel der beiden Ideen der Sonne [39,15] – Zusammenfassung [39,30] – Die Ideen unterscheiden sich nicht, insofern sie meine Ideen sind, wohl aber, insofern sie Unterschiedliches repräsentieren ; die Realität (Sachgehalt) der Ideen [40,5] – Eine hinreichende bewirkende Ursache muß dieselbe Realität beinhalten wie ihre Wirkung ; aktuelle und formale Realität ; formales oder eminentes Enthaltensein ; objektive Realität [40,21] – Die objektive Realität in meinen Ideen verweist auf eine Ursache, in der diese Realität formal vorliegt ; deshalb kann keine Idee irgendetwas Größeres oder Vollkommeneres enthalten als ihre Ursache [41,30] – Wenn die objektive Realität einer meiner Ideen so groß sein sollte, daß sie nicht mich als Ursache haben kann, dann muß ihre Ursache außerhalb von mir liegen [42,16] – Kandidaten für eine solche Idee : die Ideen von Ich, Gott, nicht-lebendigen Körpern, Engeln, Tieren, Menschen [42,29] – Ausschluß der Ideen von Menschen, Tieren und Engeln [43,5] – Ausschluß der Ideen von körperlichen Dingen ; Unterscheidung von deutlich und undeutlich Erfaßtem an diesen Ideen : alles den Kategorien zuzuordnende ist deutlich, alles Empirische undeutlich [43,10] – Selbst wenn die Ideen körperlicher Dinge nichts repräsentieren, können sie von mir stammen, weil sie dann auf einen Mangel meinerseits zurückführbar sind [44,9] – das an den Ideen körperlicher Dinge deutlich Erfaßte (Kategoriale) kann von der Idee meines Ichs entlehnt worden sein [44, 18] – die Idee Gottes [45,9] – Gott als unendliche Substanz kann nicht von mir, einer endlichen Substanz, entlehnt sein [45,19] – das Unendliche wird durch eine wahre Idee erfaßt, nicht bloß durch die Negation des Endlichen [45,23] – die Idee Gottes kann nicht aus dem Nichts hervorgegangen sein, da sie ganz klar und deutlich ist und mehr objektive Realität enthält als irgendeine andere [46,5] – Aufwurf der Möglichkeit, daß mein Ich mehr enthält, als ich gegenwärtig erkenne [46,29] – Abweis dieser Möglichkeit. Meine Erkenntnis ist nur potentiell unendlich, die Idee Gottes aber ist aktuell unendlich [47,9] – Aufwurf der Frage, ob ich die

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Idee Gottes besitzen könnte, wenn Gott nicht existierte [47,24] – Kandidaten für den Ursprung meiner Existenz : Ich selbst, meine Eltern oder etwas, das nicht so vollkommen ist wie Gott [48,3] – Wenn ich durch mich selbst wäre, hätte ich mir alle Vollkommenheiten verliehen, die mir jetzt fehlen [48,7] – Zeitargument : Da die Abschnitte der Zeit nicht kausal miteinander verkettet sind, ist für meine Erhaltung in der Zeit ein ständige Neuerschaffung notwendig [48,25] – Ich verfüge nicht über die Kraft, mich ständig neu zu erschaffen [49,12] – Wenn ich durch etwas geschaffen bin, das weniger vollkommen ist als Gott, ergibt sich ein Regreß, der letztlich bei Gott endet [49,21] – Es kann hierbei keinen unendlichen Regreß geben [50,7] – Abweis der Vorstellung des Zusammenwirkens mehrerer Teilursachen [50,11] – die Eltern sind lediglich materielle Ursache meiner Existenz, jedoch nicht als denkendes Ding [50,25] – die Idee Gottes ist angeboren [51,6] – die Idee Gottes in mir ist gleichsam wie ein Kennzeichen des Technikers an seinem Werk ; Zusammenfassung des Hauptarguments : Ich könnte niemals als jemand existieren, der über die Idee Gottes verfügt, wenn es Gott nicht gäbe ; deshalb kann Gott auch kein Betrüger sein [51,15] – Ausklang [52,10] 4. Meditation : Resumé des bislang Erreichten und erster Aufwurf der Frage, wie man von der gesicherten Erkenntnis des Ichs und Gottes zu der Erkenntnis anderer Dinge gelangen kann [52, 23] – Das kann durch Gott geschehen, denn Gott betrügt nicht [53,23] – Mein Urteilsvermögen stammt von Gott [53,10] – Einwand : Dann muß der menschliche Irrtum erklärt werden. Der menschliche Irrtum als Mangel [54,4] – Konkretisierung : Der Irrtum ist keine Negation, sondern eine Privation. Das Problem der Vereinbarkeit von menschlicher Fehlerhaftigkeit mit der Güte Gottes [54,31] – Gottes Beweggründe sind letztlich nicht einsehbar ; Abweis der Teleologie [55,14] – Man muß Gottes Werk insgesamt beurteilen, nicht bloß einen Teil [55,27] – Erklärung des Irrtums aus der Unterschiedlichkeit von Erkenntnisvermögen und Willkür ; Problem der Vereinbarkeit von Freiheit und In-derErkenntnis-gezwungen-Sein ; Indifferenz als niedrigster Grad der

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Freiheit [56,9] – Ursprung des Irrtums in der unterschiedlichen Extension von Verstand und Wille [58,14] – Beispiel dazu : Der hyperbolische Zweifel ; Freiheit und Indifferenz des Willens sind einander gegenläufig [58,26] – Deshalb ist der Wille umso indifferenter, je mehr sich sein Gegenstand dem Verstand entzieht [59,15] Urteilsenthaltsamkeit ist eine Maßnahme im Zustand der Indifferenz ; Irrtum ist die Umkehrung des Prinzips, daß die Erfassung des Verstandes der Bestimmung des Willens vorangehen muß ; diese Umkehrung ist nicht auf Gott zurückzuführen [59, 28] – Vereinbarkeit des Irrtums mit Gott [60,11 ff.] – Abschluß [62,8] 5. Meditation : Erneuter Aufwurf der Frage nach der Existenz anderer Dinge [63,4] – Einteilung der Ideen nach Deutlichkeit/ Verworrenheit [63,12] – Deutlichkeit der Prädikabilien, denen die äußeren Dinge unterliegen [63,16] – Deutlich sind auch die Einzelheiten, die in diesen Prädikabilien jeweils mitgedacht werden [63,22] – Es gibt Ideen, die selbst dann wahr sind, wenn ihnen keine Gegenstände außerhalb des Geistes entsprechen sollten [64, 6] – Dazu zählen alle Gegenstände der Mathesis abstracta [64,25] – Übertragung auf die Idee Gottes [65,16] – Widerlegung des 1. Gegenarguments : In bezug auf Gott ist der Unterschied zwischen Wesen und Existenz nicht statthaft ; die Berg-und-Tal-Metapher [66,2 f.] – Widerlegung des 2. Gegenarguments : Wer Gott denkt, spricht ihm unausweichlich Existenz zu [67,12] – Vorurteile und Verhaftetsein in den Sinnen als Grund, weswegen Gott wie ein beliebiges anderes Ding gedacht wird [68,21] – Abhängigkeit der Gewißheit anderer Dinge von der Erkenntnis Gottes [69,10] – Begründung aus dem Unvermögen des Geistes, sich immer alle Begründungen gegenwärtig zu halten [69,16] – Gott als Garant der Gewißheit alles klar und deutlich Erfaßten [70,10 f.] 6. Meditation : Letzter Aufwurf der Frage nach der Existenz materieller Dinge [71,13] – Unterscheidung von Anschauung und reiner Einsicht anhand des Beispiels eines verworren angeschauten, aber deutlich eingesehenen Polygons [72,4] – Die Kraft, vorzu-

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stellen gehört nicht zum Wesen meines Geistes, sondern resultiert aus dessen Verbundenheit mit dem Körper [73,5] – Aufwurf der Frage nach der sinnlichen Wahrnehmung [74,1] – Alte Ansichten über die sinnliche Wahrnehmung [74,17] – Gründe, die das Vertrauen in die Wahrheit naiver sinnlicher Urteile erschüttert haben [76,21] – Gegenwärtige Haltung zu diesem Thema : Ich habe eine klare und deutliche Idee meiner selbst als denkendes Ding und eine klare und deutliche Idee des Körpers als ausgedehntes Ding [77,28 f.] – Herleitung der Existenz körperlicher Dinge aus dem Auftreten von Ideen sinnlicher Dinge : Sie können nicht aus mir stammen, aber, vermittelt durch die Wahrhaftigkeit Gottes, aus den sinnlichen Dingen selbst [78,21] – Wahrheitsgehalt empirischer Besonderheiten ; Naturbegriff [80,11] – Vereinigung von Geist und Körper (Seemann-Schiff-Metapher) [80,27 f.] – Existenz anderer Körper, die ich als angenehm oder unangenehm wahrnehme [81,15] – Unreflektierte Allgemeinplätze aufgrund von Sinneswahrnehmungen und ihre Motivation [82,1] – Erklärung der Handlungen, durch die der Mensch sich selbst ungewollt schadet ; 1. aus der Unvollkommenheit des Menschen [83,24] – 2. aus dem Vergleich des Menschen mit einer Maschine [84,8] – Vereinbarkeit des Der-Täuschung-unterworfen-Seins mit der Güte Gottes [85,18] – 1. Der Körper ist teilbar, der Geist nicht [85, 28] – 2. Rolle der Zirbeldrüse und des Gemeinsinns [86,16] – 3. Mechanische Erklärung der Sinneswahrnehmung [86,24] – Verkettung eines (mechanischen) Aktes der Sinneswahrnehmung mit genau einer standartisierten (geistigen) Wahrnehmung [87,19] – Unausweichlichkeit der Täuschung im Falle einer Beschädigung [88,19] – Zusammenfassung ; Widerlegung des Traumarguments [89,8]. Erste Einwände : Referat des ideologischen Gottesbeweises [91, 15] – Bestimmung der Idee als das gedachte Ding selbst, insofern es objektiv im Verstand ist ; Argumentation, daß die Frage nach der Ursache einer so verstandenen Idee unsinnig ist [92,9] – Objektive Realität ist eine bloße Benennung [92,23] – Die Frage nach der Ursache einer Idee ist nur auf die Unvollkommenheit unseres

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Verstandes zurückzuführen [93,5] – Äquivokation im Wort nichts [93,22] – Vergleich des Cartesischen Arguments, man müsse bei der Bestimmung der Ursache meiner selbst letztlich bei Gott landen, mit einem Argument von Thomas von Aquin [94,5] – Bedeutung des Ausdrucks durch sich [95,1 ff.] – Die Wahrheitsregel Alles, was ich klar und deutlich erkenne, das ist tatsächlich ein wahres Seiendes [95,28 f.] – Thomas von Aquins Auseinandersetzung mit Damascenus [96,28] – Ontologischer Gottesbeweis bei Descartes und Thomas von Aquin [97,17 ff.] – Wesen der Seele und ihre Unterscheidung vom Körper ; reale, formale Unterscheidung und Unterscheidung aus Vernunft bei Scotus [100,13]. Erste Erwiderungen : Auseinandersetzung mit dem Ausspruch Die Idee ist das gedachte Ding selbst, insofern es objektiv im Verstand ist [102,3] – Berechtigung der Frage nach der Ursache einer Idee ; Beispiel der Idee einer komplizierten Maschine ; objektive Realität der Idee Gottes ; Grund, weswegen sich bei der Idee Gottes die Frage nach ihrer Ursache nicht allen Menschen aufdrängt ; Argument, daß unser Verstand als Träger dieser Idee schon Gottes Existenz beweist [103,5] – Vermeidung einer Auseinandersetzung mit Thomas und Aristoteles [106,6] – Begründung : (1) Descartes’ Gottesbeweis operiert nicht mit einer Kette der Ursachen empirischer Dinge ; anderer Ausgangspunkt Descartes’ : Existenz meiner selbst und Evidenz der Existenz Gottes [106,14] – (2) Frage nach meiner Ursache richtet sich auf mich als denkendes, nicht auf mich als zusammengesetztes Ding [107,8] – (3) Frage nach der Ursache meiner selbst, insofern ich die Idee Gottes habe [107, 20] – (4) Richtiges Verständnis von Etwas ist Ursache seiner selbst : Es liegt im Wesen Gottes, zu existieren [108,7] – Bedeutungen von durch sich ; negative und positive Auffasung [109,20] – Diskussion des Ausspruches Alle Begrenztheit geschieht durch eine Ursache [111,20] – Das Unendliche kann klar eingesehen werden [112,17] – Unterscheidung von Unbegrenztem und Unendlichem [113,1] – Notwendigkeit, die Unendlichkeit und ein unendliches Ding zu unterscheiden ; Beispiele : Anschauen des Meeres, eines Tausendecks, Gottes [113,9] – Die Behauptung, Gott könne klar

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und deutlich erkannt werden, bezieht sich auf die an unser Erkenntnisvermögen angepaßte Idee Gottes [114,12] – Vergleich des ontologischen Gottesbeweises bei Thomas und bei Descartes ; Formalisierung der Argumente [115,3] – Aufhebung der Schwierigkeit (1) : Unterscheidung von möglicher und notwendiger Existenz [116,20] – (2) Der Verstand kann nur Ideen, die er selbst gebildet hat, durch eine klare und deutliche Operation teilen [117, 9] – Der Verstand kann die Existenz nicht aus der Idee Gottes herauslösen [118,12] – Zwei Wege, die Existenz Gottes zu beweisen : Durch die Wirkungen und durch sein Wesen [119,27] – Auseinandersetzung mit Scotus’ formaler Unterscheidung [120,15]. Zweite Einwände : 1. Der hyperbolische Zweifel ist eine Fiktion und beinhaltet per se nicht schon den Beweis, daß das denkende Ich nicht auf einen Körper zurückgeführt werden kann [122, 17] – 2. Kritik des ideologischen Gottesbeweises : Die Idee Gottes kann eine Übersteigerung anderer Ideen sein [123,7] – 3. Wenn die Gewißheit unserer Erkenntnisse von Gott abhängt, dann ist die Selbsterkenntnis des Ich als denkendes Ding eine ungewisse Erkenntnis, weil sie vor der Erkenntnis Gottes liegt ; auch Atheisten erkennen Dinge klar und deutlich [124,29 f.] – 4. Kritik an der Bestimmung Gottes als eines Wesens, das nicht lügen könne ; Entbehrlichkeit dieser Annahme für den Zweifel an der klaren und deutlichen Erkenntnis [125,16 f.] – 5. Kritik der Cartesischen Bindung der Willensbestimmung an vorherige klare und deutliche Erkenntnis [126,21] – 6. Kritik des ontologischen Gottesbeweises vor dem Hintergrund der Cartesischen Wahrheitsregel [127,3] – 7. Kritik am Fehlen einer Auseinandersetzung mit der Unsterblichkeit der Seele [127,30]. Erwiderung auf die Zweiten Einwände : 1. Heuristischer Charakter der Fiktion [129,6] – Notwendigkeit, dem radikalen Zweifel eine ganze Meditation zu widmen [130,6] – Notwendigkeit, umwillen einer klaren und deutlichen Erkenntnis des Geistes ihn unabhängig vom Körper zu betrachten [130,30] – inwiefern das (Wahrheits-)merkmal der realen Unterscheidung auf klare und

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deutliche Erkenntnis zurückgeführt werden kann [132,7] – Die Behauptung, daß der Körper bei der Bildung der Gedanken mitwirkt, ist ein Vorurteil [133,5] – 2. Die Idee Gottes ist angeboren und kann gebildet werden, ohne zu wissen, daß Gott existiert, aber nicht, ohne daß Gott existiert [133,17] – Diskussion des Beispiels der Fliegen [133,27] – Die Idee Gottes als Seiendes in der Vernunft [134,20] – Verteidigung des ideologischen Gottesbeweises ; anhand des Grundsatzes Nichts ist in der Wirkung, das nicht auch schon in der Ursache war [135,11] ; anhand des Grundsatzes Alle Realität in den Ideen muß in deren Ursachen formal oder eminent enthalten sein [135,19] ; die Idee Gottes ist objektiv in uns und verlangt daher eine Ursache, in der die Vollkommenheiten, die sie enthält, real vorliegen [135,27] – Der Einwand, ich hätte die Idee Gottes empirisch erhalten, verschiebt das Problem nur [136,11] – Zurückweisung der Behauptung, die Idee Gottes könne durch Einblick in körperliche Dinge ausgebildet werden ; Verweis auf die zweite Meditation [136,19] – Die Idee Gottes als Kennzeichen [137,15] ; ihre Übereinstimmung bei allen Metaphysikern [138,2] ; weshalb die Menschen dennoch in der Bestimmung Gottes irren [138,11] – Ursprung der Ideen von Engeln [138,27] ; von Götzenbildern ; die Idee Gottes ist etwas, was der Verstand erfaßt, und kein Bild in der Phantasie [139,5] – Adäquate und inadäquate Auffassung der Idee Gottes [139,23] – 3. Ich denke also bin ich ist keine aus einem Syllogismus gewonnene Erkenntnis [140,12] – Ein Atheist kann Dinge klar erkennen, aber kein wahres Wissen erlangen [141,3] – Abwegigkeit jedes Beweises, daß Gott nicht existiert [141,14] – 4. Gott lügt nicht ; didaktische Motivation anderslautender Bibelstellen [142,14] – Fehlerhaftigkeit der uns von Gott verliehenen Fähigkeiten ; ihre Vereinbarkeit mit der Wahrhaftigkeit Gottes [143,18] – Herleitung des Grundsatzes Alles das ist wahr, was wir klar und deutlich erkennen aus der Wahrhaftigkeit Gottes [143,26] – Komprimierte Darlegung des Fundaments menschlicher Gewißheit [144,21] – 5. Die Sicherheit des Willens hängt von vorheriger klarer Erkenntnis ab [147,1] – Widerlegung des Einwandes, der Glaube beziehe sich auf Dunkles [147,12] – Die Fehler der Ungläubigen [148,14] – Unterscheidung

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von Theorie und Praxis in bezug auf den Grundsatz, man dürfe nur dem klar Durchschauten zustimmen [149,3] – 6. Diskussion syllogistischer Formulierungen des ontologischen Gottesbeweises [149,22] – 7. Hinweise zur Unsterblichkeit der Seele [153,1] – Methodischer Exkurs zur Forderung, die Gedanken more geometrico darzustellen ; Unterscheidung von Ordnung und Beweisart in der geometrischen Schreibart [155,4] ; die Ordnung [155,11] ; Beweisart : Analysis [155,21] ; Synthesis [156,6] ; die Geometriker bedienen sich der Synthesis [156,17] ; die Meditationes der Analysis [156,21] ; weshalb die Synthesis für die Metaphysik ungeeignet ist [156,27] ; weshalb Descartes Meditationen und keine Disputationen usw. geschrieben hat [157,17]. Überlegungen more geometrico : Definitionen [160,7] – Postulate [162,14] – Axiome [164,28] – Proposition 1 [166,23] – Proposition 2 [167,14] – Proposition 3 [168,5] – Zusatz [169,10] – Prop. 4 [169,22]. Dritte Einwände und Erwiderungen : 1. Einwand : Es ist richtig, daß es kein Kriterium gibt, Traumgebilde und wahre Sinneswahrnehmungen zu unterscheiden, aber diese Erkenntnis ist uralt [171, 4] – 2. Einwand : Man kann nicht schließen : Ich denke, also bin ich ein Verstand, denn dann könnte man auch schließen : Ich gehe spazieren, also bin ich ein Spaziergang ; der Satz Ich existiere hängt von dem Satz Ich denke ab, und dieser wiederum davon, daß das Denken nicht von der denkenden Materie zu trennen ist ; deshalb ist das denkende Ding materiell [172,12] – 3. Einwand : Descartes’ Behandlung der Frage nach dem, was sich von meinem Denken unterscheiden ließe, ist dunkel [177,2] – 4. Einwand : Descartes’ Erklärung der Differenz zwischen Vorstellen und Schlußfolgern ist ungenügend ; Schlußfolgerung ist eine bloß nominelle Verknüpfung [177,23] – 5. Einwand : Basierend auf einem Verständnis der Idee als Bild besitzen wir keine Idee Gottes, und damit fällt der gesamte Gottesbeweis in sich zusammen [179,12] – 6. Einwand : Descartes’ Unterscheidung zwischen Inhalt und Form des Denkens und Wollens ist unrichtig [181,20] –

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7. Einwand : Weil es keine Idee Gottes gibt, ist die Frage nach dem Ursprung dieser Idee sinnlos [183,4] – 8. Einwand : Descartes’ Beispiel zweier Ideen der Sonne ist nicht stichhaltig, weil es stets nur eine Idee der Sonne gibt [184,2] – 9. Einwand : Es gibt keine Idee der Substanz, und die Rede von mehr oder weniger Realität ist unsinnig [184,19] – 10. Einwand : Auch die Idee Gottes ist letztlich aus empirischer Erkenntnis abstrahiert [186,2] – 11. Einwand : Descartes hat die Existenz Gottes nicht bewiesen [189,6] – 12. Einwand : Der Irrtum kann kein bloßer Mangel sein, sondern setzt gewisse Vermögen voraus ; die Freiheit der Willkür wird nicht bewiesen [190,2] – 13. Einwand : Die Rede von einem »großen Licht im Verstand« ist bloß metaphorisch ; Zustimmung zu einer richtigen Erkenntnis hat mit dem Willen nichts zu tun [191,16] – 14. Einwand : Ein Satz ist nur vermittels der in ihm verkoppelten Namen wahr [193,2] – 15. Einwand : Die Behauptung, Gott könne in keinem Fall täuschen, ist nicht richtig ; deshalb ist der Schluß auf die Existenz körperlicher Dinge, vermittelt durch die Wahrhaftigkeit Gottes, unzutreffend [194,17] – Letzter Einwand : Die Behauptung Descartes’, die Wirklichkeit ließe sich vom Traum durch die kontinuierliche Verknüpfung aller Ereignisse unterscheiden, ist unzutreffend [195,16]. Vierte Einwände 1. Abschnitt : Über die Natur des menschlichen Geistes Descartes beginnt bei demselben Ausgangspunkt wie Augustinus [197,24] – Rekapitulation des Cartesischen Arguments : Ich kann zweifeln, daß ich einen Körper habe, aber nicht, daß ich bin ; also bin ich kein Körper [198,12 ff.] – Gegenargument : Wenn ich zweifeln kann, ob es einen Körper gibt, heißt das noch nicht, daß es wirklich keinen Körper gibt [198,209] – Antwort darauf : Die Behauptung findet im Rahmen einer Ordnung der Erfassung statt, der wirkliche Beweis findet erst in der 6. Meditation statt ; Zitat aus der 6. Meditation [199,1 f.] – Dieser Beweis geht auf eine adäquate Erkenntnis [200,4], und deshalb wäre der Beweis dahingehend zu kritisieren, daß er inadäquat ist [200,20] – Erster Teil

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des Beweises : Wenn sich Geist zu Körper verhält wie Art zu einer Gattung, kann man Körper einsehen, ohne alles, was zum Geist gehört, und der Geist kann dennoch eine Art Körper sein [200,27] – Einziger Beweis des kontradiktorischen Unterschieds zwischen Geist und Körper ist deshalb das Argument im Rahmen der Erfassung [201,13] ; dieses aber beweist eben nur, daß ich Kenntnis von mir selbst erlangen kann ohne Kenntnis meines Körpers [201,19] – Beispiel des Dreiecks : Jemand kann Kenntnis einer Eigenschaft des Dreiecks haben, aber eine andere nicht kennen ; dann könnte er mit Descartes die Kenntnis, über die er nicht verfügt, dem Dreieck bestreiten [201. 24ff.] – Weitere Einwände : (1) Es ist naheliegend, daß ich mich als denkendes Ding bestimme, wenn ich mich bestimme, indem ich denke [203,6] – (2) Das Cartesische Argument beweist zuviel [203,14] – (3) Die Erkenntnis meiner selbst als denkendes Ding ist eine verkürzende Abstraktion ; Beispiele aus der Geometrie [203,20 f.] – Die Fähigkeit, zu denken, scheint an körperliche Organe gebunden zu sein [204, 10] – Überleitung zur Frage nach der Unsterblichkeit der Seele [204,14 f.] – Descartes gesteht den Tieren keine Seele zu, nur eine gewisse körperliche Konfiguration [204,29] ; Zweifel an dieser Ansicht [205,5] – Zustimmung zur Cartesischen Unterscheidung von Anschauung und Verstand [205,13]. 2. Abschnitt : Über Gott Der ideologische Gottesbeweises hat zwei Teile : 1. Es gibt Gott, weil ich seine Idee habe ; 2. Ich kann die Idee Gottes nur haben, weil es Gott gibt [206,2] – Kritik am 1. Teil : Descartes behauptet, nur in Urteilen gebe es Falschheit ; gleichzeitig aber gesteht er zu, in Ideen könne es materielle Falschheit geben (206, 6) ; genauere Erklärung anhand des Beispiels von Kälte als Privation der Wärme [206,11 ff.] – Referat von Descartes’ Position in bezug auf den 2. Teil in Auseinandersetzung mit Caterus [207,25 f.] ; Diskussion des Durch-sich-selbst-Seins : Es ist nicht möglich, daß ich in positivem Sinne durch mich selbst bin (208, 24) ; Bestätigung durch das Cartesische nicht-kausale Verständnis der Zeit (209, 2) ; Auseinandersetzung mit Descartes’ Unterscheidung zwischen Ur-

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sachen, die ihren Wirkungen zeitlich vorangehen, und solchen, die das nicht tun [209,7 ff.] – Das Ursache-Wirkung-Verhältnis findet nur zwischen zwei Dingen statt [210,2] ; es ist absurd, zu glauben, etwas gebe sich sein Sein und habe es schon vorher [210, 5] ; eine Ursache gibt Sein, sie muß also vorher schon Sein besitzen [210,12 f.] – Wenn es offensichtlich ist, daß nichts sich selbst erschaffen kann, kann sich auch nichts selbst erhalten [210,21] – Gott kann nur negativ durch sich selbst sein [210,25] ; Descartes’ Begründung aus dem Verständnis der Zeit trifft Gott nicht, weil es dasselbe ist, sich Gott als existent, und ihn sich als ewig zu denken [211,8 ff.] ; es ist absurd, zu meinen, Gott habe sich positiv hervorgebracht, weil er dann hätte sein müssen, bevor er war [211,29] ; bei einem unendlichen Ding gibt es weder Erhaltung noch Produktion [212,4] – Erklärung der Ansicht, Gott sei positiv durch sich selbst aus dem Ungenügen des Verstandes, der ihn wie ein normales Ding behandelt [212,11] ; die Frage nach einer bewirkenden Ursache geht auf die Existenz, nicht das Wesen eines Dinges [212,15] ; deshalb ist die Frage danach, weshalb Gott existiert, nicht durch eine bewirkende Ursache beantwortbar [213, 5] – Diskussion des Arguments der Unmöglichkeit eines unendlichen Regresses bewirkender Ursachen [213,17] – Vorwurf des Zirkelschlusses : Wir erfassen klar und deutlich, daß es Gott gibt, alle klare und deutliche Erkenntnis aber soll durch Gott gewährleistet sein [214,7 f.] – Nachtrag : Es gibt vieles im Geist, dessen wir uns nicht bewußt sind [214,15]. 3. Abschnitt : Über mögliche Einwände der Theologen Descartes’ Behandlungsart könnte als gefährlich gewertet werden [214,17] – Forderung nach einer mildernden Vorrede [215, 5] – Forderungen in bezug auf die 4. Meditation : 1. Die Theorie des Irrtums richtet sich auf die theoretische Erkenntnis, nicht die praktische [215,18 f.] – 2. Descartes’ Anbindung der Willensbestimmung an klare und deutliche Erkenntnis bezieht sich nur auf die wissenschaftliche Forschung, nicht auf den Glauben und die Lebensführung [216,4] ; Augustinus-Zitate hierzu [216,11] – das Problem der Eucharistie [217ff.].

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Erwiderung auf die vierten Einwände 1. Abschnitt : Über die Natur des menschlichen Geistes [219–231] Dank für die Unterstützung durch die Autorität Augustinus’ [219, 6] – Zusammenhang der Selbsterkenntnis als denkendes Ding mit dem Nachweis der Existenz Gottes [219, 10ff.) – Kriterium für eine reale Unterscheidung [220,1 ff.] ; dafür ist eine adäquate Erkenntnis nicht erforderlich [220,22 ff.] – Vollständige Einsicht in ein Ding ist keine adäquate Erkenntnis [221,11] ; vollständiges und unvollständiges Seiendes [221,15 ff.] ; das vollständige Ding : die Substanz [222,1 ff.] – Der Körper verhält sich nicht zum Geist wie die Gattung zur Art [223,8 ff.] – Auseinandersetzung mit der Behauptung, daß die Kenntnis meiner selbst ohne Körper vielleicht inadäquat und unvollständig sein könne [223,25] ; Widerlegung des Dreieck-Beispiels ; (1) Das Beispiel des Dreiecks geht nicht auf eine Substanz [224,8 f.] ; (2) Das Dreieck kann letztlich ohne die genannten Eigenschaften nicht klar und deutlich eingesehen werden, hingegen können Geist und Körper unabhängig voneinander klar und deutlich eingesehen werden [224,22] ; (3) Dem Dreieck kann ein Verhältnis zwischen den Quadraten über seinen Seiten nicht bestritten werden, denn dieses Verhältnis ist zwar unbekannt, aber offensichtlich vorhanden [225,4] ; Man kann nicht sagen, man sehe ein Dreieck vollständig ein, ohne das Verhältnis zwischen den Quadraten usw. einzusehen [225,16] – Substanzen schließen einander aus und werden unabhängig voneinander eingesehen [225,26 f.] ; deshalb entspricht die Ordnung der Erfassung von Substanzen grundsätzlich der Ordnung der Wahrheit selbst, und nur der hyperbolische Zweifel motiviert einen darüber hinausgehenden Nachweis [226,8] – Wiederholung des Arguments (3) [227,1] – Auseinandersetzung mit den weiteren Argumenten : (1) Wenn es naheliegend ist, sich als denkendes Ding zu bestimmen, wenn man das denkend tut, dann müßte auch der Körper als denkendes Ding bestimmt werden, denn er wird auch gedacht [227,11] – (2) Das Argument verwendet nur notwendige Schritte [227,20] – Die Kraft, zu denken, steht mit den körperlichen Organen in Zusammenhang, wird aber nicht durch

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sie produziert [228,20 f.] – Die Bewegungen der Tiere sind mechanisch, wie auch ein Gutteil unserer Bewegungen [229,8] ; es gibt im Unterschied zu uns bei den Tieren keine anderen Bewegungen, und sie ihnen zu unterstellen, ist ein Vorurteil [230,12]. 2. Abschnitt : Über Gott Arnauld thematisiert drei Punkte : (1) Die materielle Falschheit bestimmter Ideen ; (2) inwiefern Gott positiv durch sich selbst ist ; (3) ob uns alles, was in unserem Geist ist, bewußt ist [231,14 ff.] – (1) Kälte als Privation der Wärme ; formale und materielle Auffassung der Idee [232,8] ; in der Idee kann nur materielle Falschheit, im Urteil nur formale sein [233,3] ; wenn Kälte nur eine Privation ist, kann es keine objektive Idee der Kälte im Verstand geben [233, 6] ; die wahre Idee Gottes kann nicht materiell falsch sein, wohl aber die verworrenen Ideen [233,16] ; die Idee der Kälte ist materiell falsch, weil sie dunkel und verworren ist [234,10] ; deshalb kann man nicht nach einem positiven Seienden fragen, weshalb sie materiell falsch ist [234,19] ; die Verworrenheit der Idee hat ihren Ursprung in mir [234,25] ; der Ausdruck materiell bei Suárez [235, 5] – (2) Gott ist positiv durch sich selbst in dem Sinne, daß er keiner bewirkenden Ursache bedarf [235,15] ; der Grund, der Gott erhält, ist keine bewirkende Ursache [236,20] ; das, wodurch Gott sich erhält, liegt in ihm und ist insofern ein positives Ding [237,3] ; terminologische Erläuterungen : Ursache, Ursprung, Prinzip [237, ff.] – der menschliche Verstand kann nur nach der Existenz Gottes fragen, indem er nach einer bewirkenden Ursache fragt [238, 11] ; gemeinhin versteht man durch sich selbst im Sinne von ohne Ursache [239,3] ; das Dritte neben bewirkender Ursache und ohne Ursache ist das Wesen des Dinges [239,15 ff.] ; Zusammenhang mit dem Argument des Sich-selbst-Verleihens von Vollkommenheiten [240,27 f.] ; heuristischer Charakter dieser Redeweise [241, 16 f.] ; aus dieser Redeweise ergibt sich nicht, Gott als Wirkung seiner selbst zu verstehen [242,5] ; das vollständige Ding ist die formale Ursache ; Descartes folgt Aristoteles [242,15] ; weshalb es so gut wie unmöglich ist, auch bei Gott nicht nach einer bewirkenden Ursache zu fragen [242,24] ; Verweis auf das Wesen

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Gottes ist Verweis auf eine quasi-bewirkende Ursache [243,20] ; nur durch die Annahme eines Dinges, das sich zu sich selbst verhält wie eine bewirkende Ursache, kann man zu einer ersten Ursache gelangen [243,27] ; Arnaulds Ablehnung macht deshalb einen Gottesbeweis unmöglich [244,15] ; Archimedes [245,3] ; es liegt kein Zirkelschluß vor [245,25] – (3) Inwiefern uns alles bewußt ist, was in unserem Geist ist [246,10 f.]. 3. Abschnitt : Über mögliche Einwände der Theologen Die Meditationes als esoterische Schrift [247,8] – die Theorie des Irrtums bezieht sich ausdrücklich nur auf die Theorie [247,24] – Das Problem der Eucharistie [248,11] ; möglicher Weg, dem Einwand auszuweichen : Descartes hat nirgendwo reale Akzidenzen bestritten [248,18] ; wirkliche Erklärung : Theorie der Oberfläche ; species intentionales [249,14] ; die Gänge sind zur Oberfläche zu rechnen [249,26] ; komplette und teilweise Bewegung dieser Oberfläche [250,18] ; die Oberfläche ist weder Substanz, noch Teil der Quantität des Körpers, sondern Schranke [250,27] ; Kontakt erfolgt allein mit dieser Schranke [251,4] ; Verweis auf das Konzil von Trient [251,16] ; alle Sinneswahrnehmung geschieht durch Berührung [251,23] ; species intentionales sind das, was erforderlich ist, um die Sinne zu affizieren ; Descartes’ physikalische Prinzipien erklären Eucharistie besser als alle anderen Erklärungsmuster [252,1] ; Irrtümer der Theologen [252,22 f.] ; der menschliche Geist kann reale Akzidenzen letztlich nur als Substanzen denken [253,19] ; Gründe, weswegen einige Menschen in dieser Lehre von der Katholischen Kirche abgewichen sind [254,3] ; für die hergebrachte Erklärung ist ein weiteres Wunder nötig [254,18] ; nicht aber für Descartes’ Erklärung [255,9] ; Hoffnung, seine Erklärung werde irgendwann zum Dogma erhoben [255,21]. Fünfte Einwände und Erwiderungen Übersetzung des Index der Zweifel (AT VII, 394–409) Anlaß des Schreibens [256,10] – Antwort Descartes [347]

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Gegen die 1. Meditation, die das thematisiert, was in Zweifel gezogen werden kann [257] Einziger Zweifel : Über die Methode, mit der jede Erkenntnis, sei sie wahr oder falsch, auch durch die Anwendung eines Kunstgriffs, abgeschafft werden soll [257,23] – Antwort Descartes’ [348, 14] Gegen die 2. Meditation, die die Natur des menschlichen Geistes thematisiert : daß er bekannter ist als Körper 1. Zweifel : Über die Nutzlosigkeit des übertriebenen Aufwandes, herzuleiten, daß man ist, weil man denkt, und daraus gewissermaßen wie aus einem Prinzip alles zuverlässig zu deduzieren, und insbesondere, kein Körper zu sein [258,23] – Antwort Descartes’ [350,12] 2. Zweifel : Darüber, daß die unkörperliche Seele unbewiesen bleibt, wenn jemand, der getäuscht wird aber dennoch aufmerksam ist, behauptet, er treffe in sich nichts Körperliches an, und zwar noch nicht einmal etwas, das gewissermaßen wie ein Hauch, Wind oder ein anderer feiner Körper ist [260,12] – Antwort Descartes’ [352,19] 3. Zweifel : Darüber, daß die unkörperliche Seele unbewiesen bleibt, daß derselbe Mensch behauptet, er sei in gleicher Weise irregeführt und könne nicht entdecken, daß er sich ernähre, umhergehe, sinnlich wahrnehme, währenddessen aber entdecken könne, daß er selbst denke [261,18] – Antwort Descartes’ [353,8] 4. Zweifel : Über die unbewiesene Folgerung, Ich bin demnach genaugenommen ein denkendes Ding, das heißt Geist, Gemüt, Verstand, Vernunft [263,5] – Antwort Descartes’ [355,27] 5. Zweifel : Über die unbewiesene Unterscheidung zwischen Verstand und Anschauung, gewissermaßen als könne es einen Verstand ohne Anschauung geben [265,14] – Antwort Descartes’ [357, 21] 6. Zweifel : Darüber, daß den Tieren ein wacher Geist beigelegt werden muß, wenn der Geist ein sinnlich wahrnehmendes, vorstellendes usw. Ding ist [268,17] – Antwort Descartes’ [358,4]

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7. Zweifel : Über das Wachs-Beispiel : Daß man nicht schon dann klare und deutliche Kenntnis von der Natur des Wachses hat, wenn man ihm im Geist alle seine Akzidenzen abzieht und durch Verstand gleichsam ohne Anschauung Kenntnis von ihm zu erlangen versucht [271,16] – Antwort Descartes’ [359,3] 8. Zweifel : Über die letztlich nicht klare Natur des Geistes ; wie fern es liegt, daß bewiesen wäre, er sei bekannter als der Körper [273,20] – Antwort Descartes’ [359,17] Gegen die 3. Meditation, die thematisiert, daß Gott existiert 1. Zweifel : Über die Notwendigkeit, eine Regel zu haben, durch die nicht etwa festgestellt wird, daß das wahr ist, was wir klar und deutlich erfassen, sondern durch die wir erkennen, daß wir so klar und deutlich erfassen, daß wir uns nicht täuschen [277,11] – Antwort Descartes’ [361,7] 2. Zweifel : Über die Entstehung aller Ideen durch Erwerbung, einschließlich der Ideen von Chimären, der Idee des Dings, der Wahrheit und des Denkens [279,18] – Antwort Descartes’ [362,5] 3. Zweifel : Über die Entstehung der Ideen durch Erwerbung, was auch anhand der Ideen bewiesen wird, die einem Blinden oder Tauben fehlen ; sowie über die einzige Idee der Sonne, die im Sinn durch Berechnung vergrößert wird [282,7] – Antwort Descartes’ [363,1] 4. Zweifel : Über die uneigentliche und durch die Akzidenzen erfaßte Idee der Substanz, gleichsam als deren Idee ; und über die von den Dingen oder deren Vollkommenheiten entlehnte Idee Gottes [284,25] – Antwort Descartes’ [364,3] 5. Zweifel : Über die Aussage Es ist nichts in der Wirkung, das nicht in der Ursache ist, verstanden in bezug auf die materielle Ursache. Und inwiefern es wahr sein kann, daß zumindest genausoviel formale Realität in der Ursache einer Idee sein muß wie objektive in der Idee [288,8] – Antwort Descartes’ [366,1] 6. Zweifel : Darüber, daß man weder die Idee seines eigenen Geistes aus sich selbst heraus haben kann (denn der Geist scheint sich selbst nicht mehr einsehen zu können als das Auge sich selbst se-

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hen kann), noch die Idee Gottes, der Engel und der wichtigsten körperlichen Dinge [291,3] – Antwort Descartes’ [366,10] 7. Zweifel : Über den Hauptbeweis für die Existenz Gottes aus dem, was äußerlich an ihm hervortritt ; in Nachahmung dieses Beweises läßt sich dartun, daß tatsächlich unendlich viele Welten existieren, deren Idee die früheren Philosophen gehabt hatten [294,2] – Antwort Descartes’ [367,19] 8. Zweifel : Über den zusätzlichen Beweis daraus, daß jemand, der feststellt, daß ihm etwas fehlt, ableiten muß, daß es ein Seiendes gibt, daß unendlich vollkommener ist als er [297,25] – Antwort Descartes’ [368,21] 9. Zweifel : Über den zweiten zusätzlichen Beweis daraus, daß etwas nicht geschehen oder existieren könnte, wenn das unendliche Seiende nicht existierte ; daß die Teile der Zeit unabhängig voneinander sind [300,11] – Antwort Descartes’ [369,14] 10. Zweifel : Über die Weise des Aufdrucks der Idee Gottes im Geist, wie das aufgedruckte Kennzeichen eines Technikers, dessen Abbild der Geist trägt [304,29] – Antwort Descartes’ [371,8] Gegen die 4. Meditation, die das Wahre und Falsche thematisiert 1. Zweifel : Darüber, daß das von Gott geschaffene Urteilsvermögen nicht gegen den Irrtum immun ist ; und darüber, daß die Betrachtung der Zweckursachen aus der Physik ausgeschlossen wird [307,20] – Antwort Descartes’ [374,10] 2. Zweifel : Darüber, daß das von Gott dem Menschen beigelegte Urteilsvermögen dem Irrtum ausgesetzt ist, obwohl Gott dem Menschen eines hätte beilegen können, das dagegen immun ist [310,29] – Antwort Descartes’ [376,1] 3. Zweifel : Über die Ursache des Irrtums bzw. der Falschheit : ob das deswegen passiert, weil der Wille oder das Urteilsvermögen sich weiter erstreckt als der Verstand [314,13] – Antwort Descartes’ [376,20] 4. Zweifel : Darüber, daß es bislang noch keine Methode gibt, durch die wir erkennen können, wenn wir etwas klar und deutlich erkennen, und deswegen keine Gefahr besteht, daß wir uns irren [317,24] – Antwort Descartes’ [378,26]

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Gegen die 5. Meditation, die das Wesen der materiellen Dinge thematisiert, und erneut, daß Gott existiert 1. Zweifel : Über das Wesen der materiellen Dinge, insofern es allein aus der Quantität, Gestalt usw. erkannt wird ; und über die den Ideen und Universalien verliehene ewige und unveränderliche Natur [318,16] – Antwort Descartes’ [379,14] 2. Zweifel : Über die daraus bewiesene Existenz Gottes, daß das höchstvollkommene Seiende die Existenz genauso erfordert wie das Dreieck die Gleichheit seiner drei Winkel mit zwei rechten Winkeln [322,12] – Antwort Descartes’ [382,25] 3. Zweifel : Über die Gewißheit und Wahrheit jeder Erkenntnis, insofern sichergestellt ist, daß es Gott gibt und er wahrhaftig ist [326,16] – Antwort Descartes’ [384,8] Gegen die 6. Meditation, die die Existenz der materiellen Dinge und die reale Unterscheidung des Geistes vom Körper thematisiert [328–345] 1. Zweifel : Über die Unterscheidung der Einsicht von der Anschauung [328,25] – Antwort Descartes’ [384,20] 2. Zweifel : Darüber, daß die sinnliche Wahrnehmung nicht immer täuscht [332,12] – Antwort Descartes’ [385,23] 3. Zweifel : Über den Hauptbeweis für eine Existenz des Geistes getrennt vom Körper, dadurch, daß der Geist ein denkendes Ding ist und der Körper ein ausgedehntes [334,7] – Antwort Descartes’ [386,11] 4. Zweifel : Darüber, daß das körperliche Erscheinungsbild von einem unkörperlichen Geist nicht aufgenommen werden zu können scheint ; und darüber, daß der Geist nicht unausgedehnt sein zu können scheint, wenn er mit dem Körper bzw. einem ausgedehnten Ding koexistiert [337,11] – Antwort Descartes’ [387,6] 5. Zweifel : Über die Vermischung des Geistes mit dem Körper und die Empfindung von Schmerz : daß sie nämlich nicht geschehen zu können scheint, wenn der Geist unausgedehnt und unkörperlich ist [343,6] – Antwort Descartes’ [389,9] Unbeachtetes [345]

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Über einige übriggebliebene Abschnitte der letzten Meditation [345,7] – Antwort Descartes’ [390,16] Abschluß [346,1] – Antwort Descartes’ [390,20] Sechste Einwände : 1. Einwand : Für den Schluß Ich denke, also bin ich muß das Wissen, was Denken und was Existenz ist, schon vorausgesetzt werden [413,1] – 2. Einwand : Es ist nicht bewiesen, daß das Denken unkörperlich ist [413,12] – 3. Einwand : Die Ansichten von Kirchenvätern und Platonikern über die Körperlichkeit der Engel, aber auch die Behauptung der Seelenlosigkeit der Tiere deuten eher darauf hin, daß die Seele mechanisch erklärt werden kann [413,22] – 4. Einwand : Der Atheist hält sein Wissen für ganz gewiß ohne den Glauben an Gott, und der Einwand, er könne durch einen genius malignus betrogen werden, wird ihn nicht treffen, gerade weil er nicht an Gott glaubt [414, 24] – 5. Einwand : Es liegt in der Macht Gottes, uns zu täuschen, z. B. durch die Vorstellung eines Fegefeuers [415,9] – Descartes’ Lehre von der Indifferenz der Willkür zerstört die Freiheit Gottes [416,24] – 7. Einwand : Die Bestimmung der Oberfläche eines Körpers als Schranke ist unverständlich [417,13] – 8. Einwand : Wie ist es zu denken, daß bestimmte Wahrheiten der Geometrie und Metaphysik ewig sind und gleichwohl abhängig von Gott ? [417,26] – 9. Einwand : Es ist nicht der Verstand, der den Irrtum eines Sinnes korrigiert, sondern diese Korrektur erfolgt durch einen anderen Sinn [418,10] – 10. Einwand : Es ist unklar, wann eigentlich klare und deutliche Erkenntnis vorliegt [418,25] – 3 Fragen [419,18] – Brief der Philosophen und Geometriker an Descartes : Wir sehen, daß bestimmte Körper denken, andere nicht ; also kann nicht geschlossen werden, daß der Körper nicht denkt [420,7] ; die Unterscheidung von Geist und Körper hat nicht denselben Grad an Gewißheit wie die Wahrheiten Mathematik [420,23] ; wir wissen zuwenig über die körperlichen Bewegungen, um behaupten zu können, daß das Denken nicht auf sie zurückgeführt werden kann [421,20].

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Erwiderung auf die sechsten Einwände : 1. Unterschied zwischen der reflektierten Erkenntnis und der inneren Gewißheit des Ich denke, also bin ich [422,6] – 2. Die Identität von Körper und Geist ist keine Einheit der Natur, sondern eine Einheit der Zusammensetzung [422,23] ; die Gültigkeit eines Beweises ist von der Anzahl der Menschen, die ihn verstanden haben, unabhängig [424,7] ; es ist deshalb auch nicht Descartes’ Anliegen, andere zu überzeugen, solange sie nicht seinen Ausgangspunkt einnehmen [424,25] – 3. Engel sind nicht körperlich, und selbst wenn sie es wären, wäre ihre Seele es noch nicht ; wenn Tiere Seelen hätten, wäre sie auch bei ihnen vom Körper getrennt [425, 20] ; man darf daraus, daß bei Tieren Operationen mechanisch geschehen, nicht schließen, daß unsere Seele letztlich mechanisch erklärbar ist [426,27] – 4. Ein Atheist kann sich nie vom letzten Zweifel an der Zuverlässigkeit seines Wissens befreien [428, 1] – 5. Theologische Aspekte : Das Höllenfeuer ist ein wirkliches Feuer [428,10] ; weshalb Descartes sich nicht zu theologischen Fragen äußern will [428,24] ; Diskussion von Paulus, Brief an die Korinther 8, 2 [429,13] ; Diskussion einiger Stellen aus Prediger [430,14] – 6. Verschiedenheit der Willensfreiheit : Bei Gott ergibt sich die absolute Indifferenz der Willkür aus seiner Allmacht, beim Menschen liegt Indifferenz nur vor, wenn er nicht erkennt, was das Gute und Wahre ist [431,26] – 7. Zwei Möglichkeiten, Oberfläche zu bestimmen [433,11] ; weshalb der Grundsatz, daß alle Empfindung durch Berührung geschieht, die realen Akzidenzen überflüssig macht [434,15] – 8. Alles hängt von Gott ab und ist deshalb gut, und diese Abhängigkeit in der Weise einer bewirkenden Ursache zu denken, ist diesem Abhängigkeitsverhältnis nicht angemessen [435,22] – 9. Drei Grade sinnlicher Gewißheit : Mechanische Berührung, Empfindung und Urteil [436, 26] ; Beispiele dazu [437,12] ; Urteile des Verstandes und Vorurteile der Kindheit ; daß sog. sinnliche Urteile letzteres sind [438, 16] – 10. Kurzdarstellung der Ontologie [440,1] ; weshalb der Mensch nicht automatisch zu diesen Erkenntnissen kommt [440, 30] ; Beispiel : Vorurteile der Kindheit über das Gewicht [441,23] ; die klare Unterscheidung zwischen der Idee des Geistes und den

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Ideen des Körpers als Grundlage, Vorurteile aufzulösen [442,30] ; daß die Unterscheidung zwischen Geist und Körper nicht ihrerseits ein Vorurteil ist [444,3] ; weshalb mathematische Wahrheiten gewissermaßen »automatisch« erkannt werden, die Unterschiedlichkeit von Geist und Körper aber nicht [445,7] ; Zurückweisung der Polemik [445,23]. Siebte Einwände und Anmerkungen Anlaß der Abfassung dieser Einwände [451,5] Anmerkungen : Gründe Descartes’, auf Bourdin zu antworten ; Rolle der Jesuiten in dieser Auseinandersetzung [451,21 f.] Erste Frage : Inwiefern das Zweifelhafte für falsch gehalten werden muß [451–466] § 1 : Was ist der Geringste Zweifel ? Grade des Zweifels [455,2 f.] – § 2 : Was ist das Für-Falsch-Halten ? Den Willen in das Gegenteil verkehren ; das Gegenteil des Zweifelhaften setzen ; man kann sich dem Widerspruchsgeist nicht übermäßig hingeben ; Beispiel der schlagenden Uhr [456,8] – § 3 : Inwiefern muß das Zweifelhafte für falsch gehalten werden ? Anwendung der Regel, man müsse das Zweifelhafte für falsch halten und dessen Gegenteil setzen, auf das Beispiel 2 + 3 = 5 ; weder das eine, noch das andere setzen und behaupten [458,2 ff.] ; Syllabus der Cartesischen Lehre [459,2] Anmerkungen : Bourdin gibt Descartes’ Lehre verzerrt wieder [459,15] ; der hyperbolische Zweifel darf nicht auf die Praxis übertragen werden [459,25] ; der hyperbolische Zweifel ist nicht ewig [460,13] ; der hyperbolische Zweifel bedeutet nicht, das Gegenteil des Zweifelhaften zu setzen [460,30] ; alles, was klar und deutlich erfaßt wird, ist klar, auch wenn es im Traum erscheint [461,17] ; der hyperbolische Zweifel soll den Verstand von allem Zweifelhaften fernhalten [462,5] Antworten Bourdins : Vier Weisen, das Gesetz, das Wahre für falsch zu halten, zu verstehen [462–464] ; 1. Man darf sich nicht auf Ungewisses stützen [462,17] ; 2. Man soll Ungewisses ignorieren [462,23] ; 3. Man soll das Gegenteil dessen setzen, was

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ungewiß ist [463,3] ; 4. Nach diesem (=3.) Verständnis des Gesetzes kann man Beliebiges beweisen [463,14] Anmerkungen : Die ersten beiden Weisen geben Descartes’ Verständnis wieder ; für Descartes ist die Frage nach der Neuheit seiner Ansichten irrelevant und ein dahingehender Vorwurf hinterhältig [464,4] ; Descartes hat nie behauptet, man solle das Gegenteil des Zweifelhaften setzen, und Bourdin weiß das ganz genau [465,3]. Zweite Frage : Ist es eine gute philosophische Methode, alles Zweifelhafte zu verwerfen ? [466–535] Karikatur der 1. und des Anfangs der 2. Meditation [466,24]. § 1 : Ein Zugang zur Methode wird eröffnet [468–477] ; Kritik des hyperbolischen Zweifels : Die »triftigen und wohlüberlegten Gründe« dieses Zweifels greifen auf Voraussetzungen zurück, die ihrerseits dem Zweifel unterliegen müßten [468,2 ff.] Anmerkungen : Falsches Zitat Bourdins [472,28] ; Bourdin hält Zweifelhaftigkeit und Gewißheit für Eigenschaften der Objekte [473,6] ; Sticheleien gegen das Wort alle [473,24] ; Gründe, die uns zum Zweifeln bringen, sind insofern triftig genug, als sie uns zum Zweifeln bringen, auch wenn sie absolut betrachtet selbst zweifelhaft sind [473,26] ; der Verweis auf die Tatsache, daß wir mitunter träumen, stellt im Rahmen der 1. Meditation nicht die Behauptung auf, daß wir immer träumen [474,16] ; etwas ist zweifelhaft, weil wir an ihm zweifeln können, und es kann deshalb nicht bloß scheinbar zweifelhaft sein [474,26] ; der hyperbolische Zweifel stellt für einige Menschen eine Gefahr dar [475,10] ; moralischer und metaphysischer Modus des Wissens [475,20] ; Bedeutung der Behauptung, man könne dem Widerspruchsgeist gar nicht übermäßig nachgeben [476,1 f.] ; der hyperbolische Zweifel bezieht sich nicht auf theologische Dinge und hat heuristischen Wert [476, 18] ; Bourdin versteht den Text der Meditationen nicht und kann insbesondere nicht zwischen Ansichten unterscheiden, die Descartes vertritt und solchen, die er bloß referiert [477,11]. § 2 : Der Eingang in die Methode wird vorbereitet [477–482] ; Der Satz Ich existiere als Ausgangspunkt [477,26] ; Kritik daran : Der

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Geist hätte eigentlich der Verwerfung unterliegen müssen [478,3] ; Rekapitulation der alten Ansichten [478,13 f.] ; Frage nach dem Mensch [479,5 ff.] Anmerkungen : Wenn Bourdin zugibt, daß der Anfang des Philosophierens die Erkenntnis meiner selbst ist, entlarvt er die anderslautenden Stellen als Täuschung [479,26] ; Descartes setzt nicht den Geist voraus, sondern das Denken [480,11] ; Metapher des Korbes voller Obst [480,29]. § 3 : Was ist ein Körper ? [482–484] ; verschiedene Definitionen von Körper [482,12 ff.] Anmerkungen : Bourdin streitet bloß um Worte [484,17]. § 4 : Was ist die Seele ? [485–487] ; alte Ansichten über die Seele ; die Seele als feiner Körper [485,2 ff.] Anmerkungen : Die reale Unterscheidung von Geist und Körper ist die Unterscheidung zweier Substanzen und ist nicht terminologischer Art [487,13]. § 5 : Versuch einer Einführung in die Methode [488–493] ; Karikatur der 2. Meditation : Herleitung des Ich denke [488,2] ; Umkehrung der Argumentation[488,24 ff.] Anmerkungen : Bourdin operiert mit falschen Zitaten [491,2 ff.]. § 6 : Erneuter Versuch einer Einführung [493–498] ; Anekdote des Bauern [496,19 ff.]. § 7 : Dritter Versuch einer Einführung [498–502]. § 8 : Vierter Versuch einer Einführung [502–507] ; Drei Argumente, die Descartes’ Argumentation endgültig widerlegen sollen : (1) Der Übergang vom Kennen auf das Sein ist ungültig ; Dihärese der denkenden Substanz (Tafel) [506,7] ; (2) In bestimmter Weise-in unbestimmter Weise ; deutlich-verworren ; explizit-implizit ; (3) Was zu viel schließt, schließt nichts [506,23]. § 9 : Sicherer Rückzug in der alten Form [507–509] : gegensätzliche Syllogismen zur Beantwortung der Frage, ob das Ich Geist oder Körper ist. Anmerkungen zu §§ 6–9 : Descartes nimmt das Verworfene nur wieder auf, insofern es erscheint, und behauptet nicht, daß es ist [509. 9] ; weshalb es zweckmäßig ist, alte Ansichten zu prüfen [510,1] ; gegen die Anekdote vom Bauern [510,17] ; was klar und

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deutlich erfaßt wird, ist wahr, auch wenn es im Traum erfaßt wird [511,6] ; Metapher des faulen Obstes [511,21] ; die Methode der Verwerfung schließt künftige Erkenntnis nicht aus [512,28] ; gegen die drei Argumente Bourdins [515,29 f.] ; Descartes hat nicht behauptet, einen klaren und deutlichen Begriff von sich zu besitzen, bevor er bestimmt hat, was klare und deutliche Erkenntnis ist [518,1] ; einem denkenden Ding kann man nur das absprechen, was kein Denken enthält [519,3] ; Unterschied zwischen klarer Erfassung und sicherem Wissen [519,15] ; inwiefern man vom Kennen auf das Sein schließen kann [519,26] ; eine denkende Substanz ist nicht teilbar [520,10] ; die Worte Bourdins (2) sind sinnlos [520,24] ; gegen (3) [521,3] ; Descartes lehnt Syllogismen nicht ab [522,13] ; Bourdin unterstellt Descartes den wissentlich falschen Grundsatz, das Gegenteil von dem zu setzen, was zweifelhaft ist [522,21] ; Bourdin verwendet im Kern nur zwei falsche Prämissen [524,25] Antworten Bourdins : Zwölf Verfehlungen der Methode Descartes ; (1) hinsichtlich der Prinzipien [527,15] ; (2) hinsichtlich der Mittel [528,3] ; (3) hinsichtlich der Zielsetzung [529,5] ; (4) Übertriebenheit der Methode [530,21] ; (5) ihre Mangelhaftigkeit [531, 11] ; (6) ihre allgemeine Verfehlung [531,24] ; (7) ihre besondere Verfehlung [531,29] ; (8) ihre Verfehlung aus Unklugheit [532,6] ; (9) ihre Verfehlung aus Blindheit [532,12] ; (10) aus Festlegung [532,17] ; (11) aus Unterlassung [532,20] ; (12) die Methode erbringt entweder nichts Neues oder nichts Gutes [532,27 ff.] Anmerkungen : Bourdins Einwände sind wertlos und haben nur eine Bedeutung, weil er Jesuit ist ; es ist im Kern nur eine Fiktion, die er verfolgt, die sich durch ein Gleichnis entlarven läßt [536, 2] ; Gleichnis des Architekten und Maurers [536,28] ; 1. Akt [538, 26] ; 2. Akt [539,9] ; 3. Akt [539,21] ; 4. Akt [540,20] ; 5. Akt [541, 7] ; Karikaturen der Antworten Bourdins und Erwiderungen darauf : (1) [541,20 f.] ; (2) [542,23 f.] ; (3) [544,20 f.] ; (4) [547,24 f.] ; (5) [550,25 f.] ; (6) [551,19 f.] ; (7) [551,28 f.] ; (8) [552,11 f.] ; (9) [552, 20 f.] ; (10) [553,1 f.] ; (11) [553,8 f.] ; (12) [553,23 ff.] ; fingierte letzte Antworten Descartes in der Rolle Bourdins : (1) Verwerfung ist Urteilsenthaltung [557,17] ; (2) anders verstanden ist sie unsin-

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nig [557,21 f.] ; (3) inwiefern Geist, Gemüt und Körper eingesehen werden müssen, um das denkende Ding einzusehen [558,20] ; (4) inwiefern Existenz des denkenden Dinges und die Existenz des Geistes einhergehen [558,26] ; (5) zur Erkenntnis der realen Unterscheidung der denkenden Substanz vom Körper ist kein reflexives Wissen des Geistes nötig [559,3] ; (6) den Tieren darf kein Denken beigelegt werden [560,2] ; (8) Polemik von Bourdins Einwänden [560,7].

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(An-) Dauer (duratio) 43–45, 63 ; V, 318, 370.

Abbild (similitudo) 9, A 37, 38, 51, 57 ; I, 104 ; III, 181 ; V, 305, 306, 372. Abbildung (effigies) VII, 543, 544. Ableitung (illatio) III, 191, 195 ; V, 352 ; VI, 444. Absicht, böse (malitia) VII, 473, 474. Absicht (ratio) 1. Affekt (affectus) 9, 37, 74, 76 ; II, 142 ; III, 181 ; VII, 561. Ähnlichkeit (similitudo) 373. Akt (actus) 60 ; II, 134 ; III, 175, 176 ; IV, 246 ; V, 313 ; VII, 540, 541, 559, 561. Aktualität (ad actum reducere = zur Aktualität gelangen) 47 ; V, 298. Akzidenz (accidens) 14, 40, 48 ; II, 153, 161, 165, 166 ; III,

175, 176, 184 ; IV, 248, 249, 252–255 ; V, 271, 284, 286, 326, 359, 364 ; VI, 434, 435. Alltagsleben (consuetudo vitae) 23. allwissend (omnicus) 40, 84 ; III, 185. Analogie (analogia) II, 136 ; IV, 240, 241, 243–245. Analysis (analysis) II, 155, 156 ; VI, 444, 446 ; VII, 461. Anblicken (visio) 31, 32 ; II, 136, 165 ; IV, 230 ; V, 273. andauern (durare) 20, 49 ; V, 370. Anfang (arché) IV, 237. Anfang (principium) IV, 242 ; VII, 558 ; anfänglich (principio) VII, 512, 537. angeboren (innatus) 37–39, 51 ; III, 183, 184, 189 ; V, 279, 283, 305 ; VI, 422 ; VII, 464. Anlage (dispositio) 50 ; V, 230. Anschauung (imaginatio) 15, 28, 29, 31, 34, 71–74 ; I, 113 ; II, 160 ; III, 178 ; V, 265–267, 271 ; V, 329, 330, 352, 357, 358, 364, 365, 385, 387, 390 ; VII, 466, 510 ; in der Anschauung vorstellbar (imaginabilis) 53 ; V, 385 ; VI, 425. Anschauungskraft (potentia imaginatrix) 32. Anschein (species) 66 ; IV, 253 ; VII, 476, 491. Anstrengung (conatus) VII, 546. äquivok (aequivocus/aequivoce) II, 161 ; V, 355, 356. Äquivokation (aequivocatio) 8 ; V, 356. Archetyp (archetypon) 42. Argument (argumentum) 3, 8, 9, 21, 42, 47, 51, 53, 65, 73, 74 ; I, 105, 106, 110, 115, 120 ; II, 136, 151, 153 ; III, 189 ; IV, 227, 231 ; V, 291, 299, 359, 366, 373, 383, 386 ; VI, 419, 432 ; VII, 453, 521, 538, 550. Arithmetik (Arithmetica) 20, 65 ; arithmetischer Sachverhalt (res arithmetica) 35. Art (genus) 20, 37, 55, 58 ; IV, 236 ; V, 382 ; VI, 427 ; VII, 513, 516. Art (species) IV, 223 ; VI, 427 ; VII, 520. Arzt (medicus) II, 143 ; VII, 557, 561. Astronom (Astronomus) V, 350 ; VI, 440, 446. Astronomie (Astronomia) 20, 39. Atheist (Atheus) 6, 8,

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9 ; II, 141, 154 ; III, 196 ; VI, 428, 429 Attribut (attributum) 52, 63 ; I, 117 ; II, 137, 138, 161–168 ; III, 188 ; IV, 222, 223 ; V, 303, 360, 383, 385. Aufdruck (impressio) V, 372. Auffassung (sententia) V, 350, 377 ; VII, 524. Aufrichtigkeit (candor) V, 350, 390 ; VII, 465, 480. Ausdehnung (extensio) 20, 24, 31, 43, 45, 63, 74, 79 ; I, 113 ; II, 161 ; III, 176 ; V, 293, 318, 358, 389, 390 ; VI, 423, 437, 441, 442 ; VII, 519, 520. ausgedehnt (extensus) 20, 21, 31, 44, 53, 78, 79, 86, 87 ; I, 121 ; II, 163, 170 ; IV, 199–201, 223 ; V, 335, 337, 338, 358, 376, 377, 388–390 ; VI, 423–425 ; VII, 484, 487, 511, 519. Aussage (effatum) VII, 510, 519, 521, 523. Ausübung (usus) 60 ; II, 144 ; III, 192 ; V, 317 ; VI, 445. auswählen (eligere) VII, 523. Automat (automatum) 32. Axiom (axioma) II, 156, 163–165 ; IV, 254 ; V, 366. B Barmherzigkeit (misericordia) I, 100, 121 ; VII, 513. Bedeutung (signi-

ficatio) 27 ; I, 108, 109 ; II, 142 ; III, 179 ; IV, 209, 221, 222, 235, 240 ; V, 356 ; VI, 422 ; VII, 489, 491, 540. Bedingung (conditio) II, 143 ; IV, 240. Begrenztheit (limitatio) I, 111, 113 ; II, 162 ; V, 365. Begriff (conceptus) 13, 44, 78, 79 ; I, 116 ; II, 139, 147, 150–152, 162, 166 ; III, 176, 178, 189, 194 ; IV, 225, 226, 228, 238, 239, 254 ; V, 355, 359, 365 ; VI, 441, 444 ; VII, 518, 519. Begründung (ratio) 3–6, 9, 10, 15, 18, 38, 56, 76, 80, 83, 87 ; I, 106 ; II, 146, 151 ; IV, 228, 237, 246, 253, 254, 256 ; V, 347–350, 353, 354, 357, 366, 368, 369, 373, 377, 386, 390, 391 ; VI, 424, 426, 427, 431, 434, 439, 440, 446 ; VII, 476, 487, 514, 520, 526, 548, 549, 550, 561. Benennung (denominatio) 85 ; I, 102 ; V, 381. Berechnung (ratio) 39 ; III, 184 ; V, 283, 363 ; VI, 440, 446. Berührung (tactio) 31 ; V, 273. Berührung (tactus) IV, 251 ; VI, 434. bestimmen (determinare) 9, 57, 64, 67 ; I, 93 ; II,153 ; III, 193 ; IV, 229 ; V, 318, 378 ; VI, 432, 435 ; in bestimmter Weise (determinate) VII, 515. Bestimmung (determinatio) 60 ; V, 378. Betrachtung (consideratio) 20, 69, 89 ; II, 134, 166 ; IV, 229, 238 ; V, 308, 355 ; VI, 438, 440 ; VII, 559. Betrug (deceptio) 52, 53 ; II, 143 ; V, 260, 349 ; VI, 428. Betrüger (deceptor) 23, 25, 26, 36 ; II, 144 ; VII, 455. Beweis (demonstratio) 3–6, 70 ; I, 107, 166–169 ; III, 189 ; IV, 241, 244, 245 ; V, 326, 347, 384 ; VI, 422, 424, 446, 447 ; VII, 540. beweisen (demonstrare) 1, 3, 13, 15, 39, 51, 64, 65, 70 ; I, 101, 112 ; II, 130, 136, 141, 144, 155, 156, 167, 168 ; III, 188, 193 ; IV, 226, 238, 239, 241, 245, 252, 254 ; V, 304, 318, 327, 357, 359, 369–371, 381, 385–387 ; VI, 428, 438, 446 ; VII, 492, 515, 521, 525,

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541, 544, 546, 549, 551, 552. Beweisführung (ratiocinium) II, 148 ; V, 362. Beweislast (onus probandi) V, 354. bewußt (conscius) 49 ; I, 107 ; II, 160 ; IV, 214, 246, 247 ; V, 301 ; VI, 427, 439, 441, 443. Bewußtsein (conscientia) III, 176 ; V, 352 ; VII, 525, 527, 559. Bild (imago) 19, 20, 28, 29, 34, 27, 40, 42, 47, 51, 57, 68, 69 ; II, 160, 165 ; III, 179, 181, 183 ; V, 265, 267, 305, 306, 329, 364, 366, 373, 375 ; VII, 511. Bildnis (signum) V, 362, 373. Blick (obtutus) 64, 69 ; I, 113. boshaft (malignus) 22, 26 ; VII, 468. Bürger (civis) V, 376. Chimäre (chimaera) 37 ; III, 179 ; V, 362, 383 ; VII, 466. christlich C (Christianus) 3 ; II, 148 ; VII, 520, 526 ; die Christen (Christiani) II,

148 ; VI, 428. Dankbarkeit (beneficium) I, 121.

deduzieren (deducere) II, 140, 146, D 157 ; III, 188 ; IV, 252 ; V, 293 ; VI, 446 ; VII, 461, 519. definieren (definire) 82 ; VII, 547. Definition (definitio) II, 156, 160. Dekalog (Decalogus) VII, 527. Denken (cogitatio) 20, 26, 27, 29, 34, 37, 38,

41, 46, 53, 58, 63–69, 75, 85, 86 ; II, 134, 135, 139, 140, 160, 161, 163 ; III, 174–177, 188 ; IV, 227, 231, 246 ; V, 351, 352, 355, 356, 358, 360, 385 ; VI, 422–427, 440, 441, 444 ; VII, 462, 475, 491, 519, 520, 522, 559–561 ; durch das Denken antippen (cogitatione attingere) 46, 52. Dialektiker (Dialectici) II, 140 ; V, 380. Disziplin (disciplina) pl. 20. Dreifaltigkeit (Trinitas) IV, 237 ; VI, 443. Ehre (honor) VII, 542.

Eigenschaft (proprietas) 64, 65, 72 ; I, 117 ; II, E

129, 131, 161, 166 ; III, 193 ; IV, 220, 224 ; V, 319, 371, 382, 383 ; VI, 423 ; VII, 473, 518. Einblick (inspectio) 31, 32 ; V, 273, 374. Einfluß (potestas) 23 ; I, 112 ; II, 154, 166 ; IV, 220 ; V, 270. Einheit (unitas) 50 ; II, 137, 140 ; V, 303, 304 ; VI, 423–425. einschätzen (sentire) II, 154 ; VII, 480. Einschränkung (terminatio) 43 ; VI, 437. Einsicht (intellectio) 15, 72, 73, 78, 79. Einwilligung (consensus) 75. Eltern (parentes), Elternteil (parens) 48–50 ; I, 94, 107 ; V, 302, 370, 373. eminent (eminens, eminenter) 41, 42, 45, 46, 79 ; I, 104 ; II, 135, 137, 161, 165, 167, 168, 169 ; IV, 241 ; V, 288, 291, 367. empfinden (sentire) 29, 38, 57, 74–77, 80, 81, 83, 87, 88 ; VI, 434. Empfindung (sensus) 74, 76, 81–84, 87, 88 ; IV, 233, 234 ; V, 343, 358, 363 ; VI, 434, 437, 440. endlich (finitus) 45, 46 ; V, 297. Endliche, das 45. Entität (entitas) II, 161, 165 ; V,

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364. Entschlossenheit (consilium) VII, 522. Entschluß (consilium) IV, 230. Entstehung (origo) 21, 38, 77 ; IV, 215, 226 ; V, 279, 334 ; VI, 428. erblicken (intuere) 19, 36, 52, 72, 73. Erdichtung (figmentum) 27 ; I, 116, 119 ; II, 138 ; V, 261 ; VII, 487, 536, 538, 544. Erfahrung (experientia) 87. Erfassung (perceptio) 8, 22, 30–33, 35, 45, 60–62, 90 ; II, 146, 160, 164, 168, 169 ; III, 176, 181, 188, 192 ; IV, 226, 253 ; V, 359 ; VI, 433, 437 ; VII, 511, 523, 546. erfinden (invenire) I, 104 ; V, 362 ; VI, 429 ; VII, 527. Erhaltung (conservatio) 49, 85, 87, 88 ; I, 109 ; II, 143 ; IV, 210 ; V, 301 ; VI, 441. Erinnerung (memoria) III, 196. Erinnerung (recordatio) II, 146 ; V, 357. Erkenntnis (cognitio) 2, 10, 15, 16, 25, 34, 35, 47, 48, 53, 55, 57–59, 61, 62, 71 ; I, 114, 115 ; II, 129, 130, 137, 141, 146, 151, 153, 165 ; III, 192 ; IV, 220, 221 ; IV, 242, 244 ; V, 387 ; VI, 422, 429, 430, 442, 445 ; VII, 473, 477, 480, 514, 515, 519, 546, 550. Erkenntnis, endliche (cognitio finita) 61 ; I, 114. Erkenntnis reine und abstrakte Erkenntnis (pura et abstracta mathesis) 65 ; reine Erkenntnis (pura mathesis) 71, 74, 80 ; V, 328. Erklärung (explicatio) 5, 7, 13 ; II, 155 ; VI, 430. Erklärungsweise (modus explicationis) I, 120. Ermessen, menschliches (ratio humana) 3. Erschaffung (creatio) 49 ; III, 181 ; IV, 210 ; V, 301, 373. Erscheinung (visum) 19. Erscheinungsbild (species) IV, 246, 249, 251–253 ; V, 387, 389 ; species intentionales IV, 249 ; VI, 437. Erzeugung (generatio) II, 134 ; V, 373. Ethik Ethici V, 375. Eucharistie (Eucharistia) IV, 248, 252. evident (evidens) 4, 10, 16, 25, 28, 29, 32–34, 36, 49, 51, 53, 58, 61, 65, 69–71 ; I, 105, 106 ; II, 129, 135, 141, 146, 148 ; III, 191, 192 ; IV, 255 ; V, 273, 275, 304, 312, 326, 327, 371, 384 ; VI, 428, 432, 440, 446 ; VII, 473, 481, 511, 525. Evidenz (evidentia) 4 ; II, 146. Existenz (existentia) 2, 6, 9, 12, 14, 15, 42, 48, 53, 55, 65–69, 71, 74 ; I, 97, 99, 101, 107, 112, 114, 116–119 ; II, 135, 140, 141, 144, 151, 152, 160, 163, 165–169 ; III, 188, 194 ; IV, 238–241, 243, 244 ; V, 322, 324–326, 328, 352, 363, 366, 367, 370, 382– 384 ; VI, 422, 443 ; VII, 480, 514, 521, 522, 525, 549–551. Experiment (experimentum) 76, 87. F Falschheit (falsitas) 15, 20, 37, 43, 46, 54, 61, 62, 80 ; II, 145, 148, 164 ; IV, 206, 231–233 ; V, 313, 314, 385 ; VI, 438 ; VII, 492, 536, 542. Farbe (color) 20, 22, 30, 32, 43, 74, 75, 81 ; II, 136 ; III, 175 ; IV, 234, 254 ; V, 273, 359, 363, 377 ; VI, 437, 440 ; VII, 468. fehlgehen (peccare) 5, 58 ; II, 147, 148 ; V, 357. Figur (figura) math. 64, 65, 67, 68, 72, 80 ; I,

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93, 118 ; II, 163 ; III, 193 ; IV, 223, 241, 245 ; V, 318, 321, 329, 330, 350, 368, 380–382, 385. Fiktion (fictio) IV, 229. finden/vorfinden (invenire) 10, 39, 57, 64, 65, 73, 78 ; I, 111, 113, 114 ; II, 162 ; III, 191 ; IV, 230, 234, 253 ; V, 359, 367 ; VI, 423, 427, 430, 432, 440, 443 ; VII, 465, 474, 491, 526, 546, 549 ; fündig werden 27. Folgerung (consequens) II, 156. Form gültige Form (bona forma) VII, 525. Form (forma) 20, 32, 37, 60, 64 ; I, 93, 115 ; II, 132, 160 ; III, 181, 188, 192, 193 ; IV, 222, 223, 232 ; V, 317, 362, 366, 372, 385 ; VI, 423, 428, 435, 443 ; VII, 522, 525, 544. formal (formalis, formaliter) 41–43, 45–47, 57, 61, 78, 79 ; I, 100, 102, 104, 113, 120 ; II, 135, 137, 143, 147, 148, 151, 161, 165, 167–169 ; III, 175 ; IV, 200, 206, 218, 231, 232, 236, 238, 239, 241– 243 ; V, 288, 290, 291, 313, 315, 367, 368. Freiheit (libertas) 12, 23, 58, 61 ; III, 190, 191 ; V, 377, 378, 390 ; VI, 431, 433. Freude (laetitia) 76 ; VII, 526. Frömmigkeit (pietas) II, 129 ; VII, 452, 476, 526. Fundament (fundamentum) 12, 17, 18 ; I, 107, 110 ; II, 144 ; III, 175 ; IV, 235 ; VI, 440 ; VII, 457, 465, 480, 524, 537, 538, 542, 544, 546–548, 557. Funktion (ratio) 56 ; I, 108 ; II, 139 ; IV, 209, 240, 243 ; V, 374. Gattung (genus) 55 ; I, 109 ; IV, 223 ; VI, 436 ; VII, 475. Gaukelei (ludi- G ficatio) 22 ; VII, 468. Gebot (imperium) 84. Gedächtnis (memoria)

24, 34, 61, 69, 74, 75, 89, 90 ; I, 101 ; II, 157 ; III, 195 ; IV, 246 ; V, 345 ; VII, 459. Gedanke (cogitatio) 10, 19, 24, 25, 35, 37, 44, 48, 67, 76 ; I, 107 ; II, 133, 160 ; IV, 246 ; V, 348, 356, 357 ; VII, 559. Gedankengang (ratio) I, 107 ; IV, 239 ; (iter) VII, 550. Gefüge (compages) 27 ; V, 264. Gegenteil (contrarium) 3, 22, 59 ; II, 142, 149 ; III, 175, 178 ; VII, 453, 456, 462, 468, 480, 491, 524, 527, 529, 545. Gegenwart (tempus praesens, praesens) 50 ; I, 107, 111 ; II, 165 ; VII, 514. Gehalt (artificium) Gehalt 14 ; I, 103–105 ; II, 134, 161. Gehirn (cerebellum) 19 ; (cerebrum) 86–88, 90 ; II, 133, 161 ; IV, 229, 230 ; V, 269, 357, 358 ; VI, 437 ; VII, 466, 511, 512, 516. Gehör (auditus) 26, 30 ; V, 260. Geist, endlicher (mens fina) 9 ; I, 119. Geist (ingenium) (der Mensch als Träger der Geisteskraft) 7 ; IV, 247 ; V, 361 ; VII, 475. Geist (mens) 2, 4–6, 9, 12–17, 21, 23, 25, 27–29, 31–36, 50, 52, 63–65, 67, 69, 71, 73, 81–89 ; I, 105, 107, 119, 121 ; II, 129–131, 133–136, 140, 142, 153, 155, 157, 158, 161–163, 165, 169, 170 ; III, 174–176, 178, 179, 181 ; IV, 219, 221–231, 234, 246, 247 ; V, 348, 352, 356–363, 367, 371, 376, 377, 382, 385–388, 390 ; VI, 425–427, 437, 439, 441–446 ; VII, 460, 461, 464, 473, 477, 480,

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481, 484, 487, 491, 492, 519, 522, 525, 546, 550, 558, 559 ; menschlicher Geist (humana mens) 3, 7, 9, 32, 53 ; I, 113 ; II, 137 ; IV, 253 ; VI, 440 ; VII, 549, 560. Geisteskraft (ingenium) 4–6, 10, 16, 52, 53 ; I, 101, 104, 114, 120 ; V, 347, 348, 351, 365 ; VI, 447 ; VII, 466, 492, 519, 525, 548. geistreich (ingeniosus) 6 ; I, 121 ; II, 134 ; IV, 247 ; VI, 439. Gelehrsamkeit (doctrina) 10 ; I, 101 ; V, 347 ; VII, 452. Gemeinsinn (sensus communis) 32, 86. Gemüt (animus) 14, 27, 73, 76 ; I, 114 ; II, 156, 158 ; III, 171, 172, 174 ; IV, 230, 238 ; V, 263, 390 ; VII, 487, 519, 542, 546, 558. Gemütsregung (commotio animi) II, 142. Genius (genius) 22 ; VII, 468, 475, 476, 537. Geometrie (Geometria) 4, 5, 20, 65, 69 ; V, 326, 368, 381. Geometriker (Geometra) 13 ; II, 157 ; V, 350, 368, 381 ; VI, 420. Geräusch (strepitus) 29, 38 ; V, 279. Gerechtigkeit (justitia) I, 100, 121 ; VI, 443. Geruch (odor) 30, 43, 75, 81 ; V, 359, 377 ; VI, 437, 440. Geruchssinn (odoratus) 26, 30 ; V, 260. Gesamtheit der Dinge (universitas rerum) 55, 56, 61 ; V, 311. Geschmack (sapor) 30, 43, 74, 75, 81–84 ; IV, 254 ; V, 359 ; VI, 437, 440. Geschmackssinn (gustus) 26, 30 ; V, 260. Geschöpf (creatura) 55, 79, 84 ; V, 310, 370, 376 ; VI, 433. Gesetz (lex) 84 ; I, 107 ; VI, 435, 436 ; VII, 465, 466, 521. Gesinnung (mens) VII, 525, 527. Gestalt (figura) phys. 14, 20–22, 24, 26, 28, 30–32, 43, 45, 63, 64, 74, 78, 82 ; I, 120, 121 ; II, 153, 161 ; III, 175, 176 ; IV, 224, 250 ; V, 265, 293, 318, 321, 329, 387 ; VI, 423, 434, 437, 438, 440 ; VII, 468, 482. Gesundheit (valetudo) 88, 89. Gewicht (gravitas) IV, 254 ; VI, 440–442. Gewißheit (certitudo) 4, 15, 65, 69, 71 ; I, 97 ; II, 144, 145, 162 ; IV, 226 ; V, 326, 352 ; VI, 428, 436, 446 ; VII, 473–475, 477, 548. Gewohnheit (consuetudo) 4, 22, 34, 35, 72, 82 ; II, 131, 162 ; VI, 423, 438, 446 ; VII, 468, 523, 526. Gift (venenum) 83, 84. Glaube (fides) 2, 3, 5, 15, 52 ; II, 147, 148 ; IV, 254–256 ; VI, 428, 431, 443 ; VII, 519, 522. Gläubige, der (fidelis) 1 ; II, 148. Gleichnis (similitudo) VII, 536. Glück (foelicitas) 52. Glückseligkeit (beatitudo) VI, 431. Gott (Deus) 1–7, 9, 14–16, 21, 22, 24, 34, 36, 37, 40, 43, 45–58, 60–63, 65–71, 78–80, 82–85, 87, 88, 90 ; I, 101, 104–110, 112–117, 119, 120 ; II, 131, 134, 136–146, 148, 150–154, 160, 162–164, 166–170 ; III, 181, 183, 188, 189, 195, 196 ; IV, 219–221, 226, 231–239, 241–244, 246, 249, 255 ; V, 347, 361, 364, 365, 368–371, 373–376, 380, 381, 383–385 ; VI, 425, 428–433, 435, 436, 443–445 ; VII, 476, 520, 521, 542, 544, 546, 549–551. göttlich (divinus) 52, 58 ; II, 134, 137, 148, 151, 170 ; III, 181, 188 ; IV, 227, 249 ; V, 315, 355, 372, 373 ; VI, 429, 432–444 ; VII,

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519 ; das Göttliche IV, 237. Gottlose, der (impius) 3 ; IV, 256 ; VI, 430. Götzenanbeter (idololatrius) IV, 233. Götzenbild (idolum) II, 139. Grenze (finis) I, 113 ; V, 365 ; VII, 548. Grenze (limes) 29, 56, 58 ; I, 112, 113 ; V, 368 ; VII, 548. Größe (magnitudo) 20, 21, 30, 43, 63, 66, 80, 82 ; III, 176 ; V, 322, 390 ; VI, 434, 437, 438, 548. Grund (ratio) 15, 18, 21, 25, 36, 55, 58, 60, 69, 70, 75, 77, 83 ; I, 106, 110, 112, 113 ; II, 131, 143, 147–149, 157, 158, 160, 162, 165 ; III, 175 ; IV, 227, 228, 231 ; IV, 231, 236, 254, 256 ; V, 352, 355, 361, 363, 368, 375, 386 ; VI, 435, 436 ; VII, 452, 453, 460, 473, 487, 549, 550, 559 ; Erkenntnisgrund 33, 45 ; Gegengrund (ratio contraria) 70 ; Zweifelsgrund/Grund des Zweifelns (ratio dubitandi) 36 ; III, 171 ; Beweisgrund (ratio probandi) 68. Grundbegriff (notio) 39 ; II, 135, 136, 140, 156, 157 ; III, 184 ; IV, 226 ; V, 283 ; VI, 422, 425, 440, 441 ; allgemeiner Grundbegriff (notio communis) II, 164. Grundsatz (pronuntiatum) 25. Grundsatz (ratio) 18. Gut nur substantivische Bedeutungen das Gute, das Gut, die Güte i.S.v »Gutheit« (bonus) 15, 39, 58 ; II, 166 ; III, 192 ; V, 313, 376 ; VI, 432, 435 ; VII, 521 ; das höchste Gut (summum bonum) II, 144. Güte (bonitas) 21, 83, 85, 87, 88 ; II, 143 ; V, 354 ; VI, 436 ; VII, 473. Haß (odium) VII, 526, 557. Hauch (halitus) 27 ; V, 264, 337, 386. H Hauptargument (argumentum praecipuum) 14. Heiterkeit (hilaritas) 74 ; VII, 541. herausfinden (invenire) 3, 4, 22, 24 ; II, 140, 155–157 ; III, 174 ; VII, 468, 510, 512. Historiker (Historicus) VII, 542, 560. Hoffnung (spes) 13, 80 ; II, 158 ; VII, 452, 522, 538. hyperbolisch (hyperbolicus) 89 ; IV, 215, 226 ; VII, 460. Hypothese (hypothesis) II,

164. Idee (idea) 8, 14, 15, 35, 37–54, 56, 57, 59, 63–68, 73, 75, 78, 79, 82, I

85 ; I, 102–105, 107, 110, 114, 116–119, 121 ; II, 130–139, 144, 152, 160, 161, 163, 165–169 ; III, 181, 183–185, 188, 189, 194, 196 ; IV, 231– 235, 240 ; V, 362–369, 371, 374, 375, 380, 382, 383, 385, 387 ; VI, 422, 423, 432, 440–443. Identität (identitas) VI, 423. Illusion (illusio) 23. Impuls (impulsio) V, 269 ; (impulsus) 40. inadäquat (inadaequatus, inadaequate) I, 120 ; II, 140, 152 ; IV, 200, 221. Inanspruchnahme eines Beweisgrundes (petitio principii) V, 383 ; einen Beweisgrund schon in Anspruch nehmen (principium petere) V, 363. Inbegriff (comple-

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xio) 80, 82 ; II, 163. indifferent (indifferens, indifferenter) 58, 59 ; III, 191 ; IV, 237 ; VI, 431–433, 435. Indifferenz (indifferentia) 58, 59 ; V, 316, 377 ; VI, 432, 433. Individuum (individuum) II, 140. informieren (informare) I, 160. Instinkt (instinctus) II, 143. Instrument (instrumentum) IV, 229. Intuition (intuitus) II, 140. irreführen (deludere) 19, 26, 29, 83 ; V, 383 ; VII, 532. Irrtum (error) 5, 6, 15, 22, 28, 31, 32, 37, 54–56, 58, 60–62, 83, 85, 89, 90 ; II, 145 ; III, 190, 191, 195, 196 ; IV, 231–235, 238, 241 ; V, 311, 313–315, 317, 345, 348, 349, 354, 368, 376, 378, 386 ; VI, 439, 446, 447 ; VII, 453, 471, 475, 476, 541, 549, 550. K Kälte (frigus) 43, 44, 46 ; I, 114 ; IV, 206, 232–235 ; VI, 437.

Kenntnis

(notitia) 27, 28, 33, 75 ; II, 136, 140 ; III, 173 ; IV, 198, 201, 222 ; V, 265, 266, 357 ; VII, 501 ; VII, 514, 515, 521. Kennzeichen (nota) 50 ; II, 137 ; V, 305, 306, 372. Kitzel (titillatio) 76 ; VI, 437. klar (clarus) 31, 36, 38, 46, 58, 59, 64, 65, 69, 70, 73, 80 ; I, 101, 102, 112–119 ; II, 131–133, 135, 143–147, 149, 150, 152, 156–158, 162, 164, 166, 169 ; III, 192 ; IV, 219, 222, 224, 225, 228, 233, 246, 254 ; V, 354, 357, 360–362, 366, 375, 379, 380, 384, 385, 387 ; VI, 423, 425, 428, 432, 433, 444 ; VII, 460, 461, 474–477, 480, 511, 513, 515, 518, 519, 546 ; klar und deutlich (clarus & distinctus) 13, 15, 31, 35, 42–44, 46, 53, 59, 61, 62, 65, 68–71, 78– 80, 83. Klarheit (claritas) II, 146, 147 ; VII, 477. Klugheit (prudentia) 18 ; VII, 456, 521. Konfiguration (configuratio) 14 ; II, 153 ; VI, 440. Kontemplation (contemplatio) 52, 53 ; II, 149. kontingent (contigens) II, 166. Koordination (coordinatio) 80. Körper (corpus) 1, 3, 5, 6, 12–16, 18, 19, 23–28, 30, 33, 34, 53, 64, 71–75, 77–86, 88, 89 ; I, 107, 110, 118, 120, 121 ; II, 129–134, 138, 142, 143, 153–155, 160, 162, 163, 169, 170 ; III, 174–176 ; IV, 219, 221–229, 246, 249–252, 254, 255 ; V, 351–355, 357, 358, 367, 375, 376, 386–390 ; VI, 425, 426, 431, 433, 434, 437, 440–445 ; VII, 460, 477, 480, 482, 484, 487, 492, 510–512, 519– 521, 525, 550, 558–560. Körperteil (membrum) 14, 20, 26, 27, 74, 77 ; II, 153 ; IV, 229, 259, 265. Kraft (vis)

A. im Zusammenhang mit Argumenten, Beweisen und Darlegungen pro viribus/totis viribus (nach Kräften) 3 ; I, 120 ; V, 347. vis demonstrationis (Beweiskraft) 3. vis (Überzeugungskraft) 9, 48, 51 ;

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I,

105, 107, 115 ; II, 147, 150 ; III, 189 ; IV, 244, 245 ; V, 353, 383 ; VII, 526. B. als im Gemüt wirkende Energie vis (Kraft) 9, 49 ; II, 139 ; V, 370. vis seipsum movendi (Kraft, sich selbst zu bewegen) 26 ; VII, 483. vis sentiendi (Kraft, sinnlich wahrzunehmen) 26 ; VII, 483. vis cogitandi (Kraft, zu denken) 26 ; I, 142 ; V, 373 ; VI, 445 ; VII, 483. vis cognoscendi (Kraft, zu erkennen) IV, 220 ; V, 360. vis imaginandi (Kraft, vorzustellen) 29, 73 ; V, 331, 385. vis intelligendi (Kraft, einzusehen) 58, 60, 73 ; V, 331, 385. vis concipiendi (Kraft, zu begreifen) II, 139. vis perceptionis (Kraft der Erfassung) 35. vis intellectus (Kraft des Verstandes) I, 114. vis rationis (Kraft der Vernunft) II, 153 ; VII, 520. vis imaginationis (Kraft der Anschauung) VII, 466. C. in das physikalische hineinspielende Bedeutungen (Kraft Gottes usw.) vis (Kraft) 49, 50 ; I, 118, 119 ; II, 168, 170 ; IV, 219, 230, 241 ; V, 260, 301 ; V, 351, 389 ; VI, 440, 442. D. im Zusammenhang mit Willensfreiheit vis externa (äußere Kraft) 57, 59 ; III, 191. vis volendi (Kraft, zu wollen) 58. Kunstfertigkeit (artificium) V, 372.

Kunstgriff I, 101.

Kunstgriff

(machina) VII, 526. Lage (situs) 43, 45, 63 ; II, 161 ; V, 318 ; VI, 437. Leben (vita) 2, 13, 17, L

48, 52, 89, 90 ; II, 131, 149 ; III, 195, 196 ; IV, 247 ; V, 300, 345, 350, 390 ; VI, 426, 432, 441 ; VII, 460, 475, 516. Lebensführung (vita regenda) V, 351 ; VII, 475 ; (vita agenda) 15. Lehre (doctrina) VII, 462, 465. Licht (lumen) 43, 52, 75, 80 ; V, 387 ; VI, 437 ; natürliches Licht (lumen naturale) 15, 38, 40, 42, 44, 47, 49, 52, 60, 82 ; I, 108, 119 ; II, 134–136, 147, 161 ; III, 191 ; IV, 209, 210, 238, 240, 241 ; Licht der Natur (lumen naturae) I, 107, 108 ; II, 148 ; IV, 213 ; inneres Licht (lumen internum) II, 148 ; Licht der Gnade (lumen gratiae) II, 148 ; übernatürliches Licht (lumen supernaturale) II, 148 ; (lux) 23, 29, 45, 59 ; I, 105 ; III, 191, 192 ; V, 363, 369 ; naturgegebenes Licht (lux naturali) II, 147. Logik (logica) III, 175 ; VI, 440 ; VII, 512 ; wahre Logik (vera logica) I, 107.

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Logiker (Logici) III, 175. Lüge (mendacium) II, 143 ; VII, 454, 525, 526, 543. Lust (voluptas) 52, 74, 76, 82. M Macht (potentia) 48, 53, 56 ; I, 109–111, 119 ; II, 137, 142, 169, 170 ; III,

188 ; IV, 199, 211, 227, 236, 237, 249 ; V, 334, 355 ; VI, 434, 435, 440, 444 ; Allmacht (summa potentia) 36. mächtig (potens) 21, 23, 26 ; VI, 428 ; VII, 526 ; allmächtig (summe potens) 22, 25, 45 ; I, 119 ; II, 135 ; III, 186, 187 ; IV, 198 ; V, 294 ; VII, 468. Maschine (machina) 14, 26 ; I, 103–105 ; II, 134 ; IV, 229, 230 ; V, 270 ; VII, 547. Maschinerie (machinamentum) 84, 85. Maßstab (modulus) I, 144 ; V, 365. Material (materia) 37 ; I, 114 ; II, 130 ; VII, 538, 542. Materie (materia) 50, 53 ; II, 147, 148 ; IV, 231–235, 250, 252 ; V, 372 ; VII, 513, 544, 559. materiell (materialis, materialiter) 12, 15, 43, 46, 63, 71 ; II, 134, 139, 151 ; III, 181, 193, 194 ; IV, 206, 232–234, 242 ; V, 318, 328, 363, 366. Mathematik (Mathematica) 66 ; I, 97. Mechanik (ars mechanica) I, 105. Mechanik (Mechanica) I, 104 ; (ars mechanica) I, 105. meditieren (meditare) 9, 25, 65, 75 ; II, 135, 157, 159 ; V, 357 ; VII, 474, 515. Medizin (Medicina) 20 ; III, 172. Meinung (opinio) 9, 18, 19, 21, 22, 34, 36, 69, 80 ; II, 133, 135, 138, 141, 159 ; III, 191, 192 ; IV, 231, 248, 252, 254, 255 ; V, 347, 351, 361, 366, 380, 381 ; VI, 427, 428, 430, 440, 441 ; VII, 452, 464, 466, 468, 477, 481, 482, 487, 512, 520, 523, 536, 558. Menge (multitudo) I, 113 ; V, 353, 390. Mensch (homo) 6, 9, 16, 19, 25, 32, 37, 43, 62, 84, 85, 87, 88, 90 ; II, 129, 138, 142, 147, 150, 151 ; III, 179, 182 ; IV, 219, 222, 228 ; V, 259, 270, 272, 291, 320, 321, 348, 352, 356, 361, 364, 365, 370, 373, 375, 376, 382 ; VI, 422, 424, 425, 427, 428, 430–432, 435, 436, 441, 444–446 ; VII, 453, 464, 477, 479, 480, 538, 551, 558, 560, 561. Menschenverstand, gemeiner (sensus vulgus) II, 142. Merkmal (signum) 15 ; II, 132, 133 ; III, 196. Metaphysik (Metaphysica) VI, 436 ; VII, 457, 524. Metaphysiker (Metaphysicus) II, 138, 142 ; V, 369. Methode (methodus) III, 172 ; V, 361, 379 ; VII, 468, 478, 488, 495, 514, 522, 536, 542, 544. modal (modalis) I, 120 ; V, 364. Mode (mos) 10. Modus (modus) prägn. 40, 41, 73, 78 ; I, 102 ; II, 132, 153, 165 ; III, 177, 185 ; IV, 249 ; V, 372 ; VI, 433, 434, 435, 440, 444 ; M. des Seins (modus essendi) 41, 42 ; I, 93, 103 ; gedanklicher Zugriff (modus cogitandi) 34, 35, 40, 73, 74, 78, 81 ; III, 177 ; M. des Denkens (modus cogitationis) 37 ; M. der Substanz (modus substantiae) 45 ; IV, 253 ; hervorstechende Eigenschaft (modus

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conspicuus) 30 ; moralischer Modus des Wissens (modus moralis sciendi) VII, 475 ; M. des Einwirkens (modus agendi) V, 373 ; modus operandi (ibid.) V, 385 ; Redensweise (modus loquendi) II, 142 ; IV, 235, 237, 241 ; Schreibweise (modus scribendi) II, 155, 158, 159 ; IV, 249. Möglichkeit (potentia) 46, 47, 51, 57, 78, 87 ; IV, 232, 246 ; V, 298, 299, 305. moralisch (moralis) 2 ; VI, 436 ; VII, 475. mos geometricus (ibid.) II, 160. mos philosophicus (ibid.) IV, 252. mos geometricus (ibid.) II, 160. Nächstenliebe (charitas) VI, 429 ; VII, 526, 527. Nachweis (probatio) N 16 ; I, 120 ; II, 156 ; V, 379. Natur (natura) 2, 8, 12–15, 20, 23, 25, 26,

28, 33, 36, 38, 41, 42, 44, 49, 52, 55, 57, 59, 60, 63–65, 68–71, 73, 74, 76, 87–89, 90 ; I, 104, 105, 112, 115–121 ; II, 138–141, 143, 149–152, 157, 162, 163, 165, 166 ; IV, 223, 227, 228, 235, 236, 240, 249, 250 ; V, 348, 351, 358, 360, 368, 370, 372, 378, 380, 381, 390 ; VI, 423–425, 428, 432, 441, 442, 444 ; VII, 473, 482, 511, 514, 520. natürlich (naturalis) 2, 15, 38–40, 42, 44, 47, 49, 52, 58, 60, 82, 84, 88 ; I, 108, 119 ; II, 134– 136, 143, 144, 147, 148, 153, 154, 161 ; III, 191 ; IV, 210, 238, 241, 254 ; V, 288, 301, 373 ; VI, 431, 434, 435. Negation (negatio) 45, 55, 58, 61 ; I, 111, 112, 114 ; V, 365, 376, 377, 386. Nichts, das (nihil) prägn. das 40, 41, 44, 46, 54, 62 ; I, 111 ; II, 135, 161, 163, 165 ; III, 175 ; V, 374 ; VII, 460, 512, 542. Nutzen (usus) II, 137 ; VI, 439 ; VII, 547. Obersatz (major propositio) II, 149 ; VII, 524 ; Kurzformen (major = O Obersatz) I, 116 ; II, 140, 149–151 ; VII, 522, 524 ; (minor = Untersatz) I, 116 ; II, 150, 151 ; VII, 525. Objekt (objectum) 57, 65, 71,

74–76, 80 ; I, 102, 103 ; II, 150, 161 ; III, 188 ; IV, 232, 235, 253 ; V, 328, 378 ; VI, 436 ; VII, 473, 475, 480. objektiv (objectivus, objective) 8, 14, 40–42, 46, 47, 79 ; I, 92, 93, 102–105 ; II, 134–136, 161, 165, 167 ; III, 184, 185 ; IV, 233 ; V, 284–286, 288–291. offenbaren (revelare) II, 148, 154 ; IV, 220, 221 ; V, 364 ; VII, 520 ; das Offenbarte (revelatus) VI, 428. omnipotent (omnipotens) 40 ; III, 185 ; V, 284, 286. Omnipotenz (omnipotentia) V, 382 ; VI, 432. Operation (operatio) 8, 60 ; I, 102, 103, 117, 118 ; II, 133, 134, 160 ; IV, 232, 246 ; V, 313, 354, 358, 373 ; VI, 427, 438, 439. operieren (operari) V, 354, 358 ; VI, 427 ; modus operandi (ibid.) V, 385. Ordnung (ordo) 8, 13, 36, 41, 83 ; I, 106 ; II, 155 ; IV, 199, 226 ; VI, 432, 435. Organ (organum) V, 229, 230 ; V,

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360 ; VI, 437 ; Sinnesorgan (organum sensus) 40, 51, 64, 75 ; III, 183 ; IV, 249 ; körperliches Organ (organum corporeum) IV, 228 ; VI, 436, 437, 441. Original (exemplar) III, 188. Ort (locus) phys. 7, 21, 24, 26, 78, 88 ; II, 132 ; IV, 250–253, 255 ; V, 355 ; VI, 423, 434 ; VII, 482, 537. orthodox (orthodoxus) II, 148 ; IV, 252, 256. P Paralogismus (paralogismus) IV, 447. Pflicht (officium) 3 ; VII, 540. Phantasie (phantasia) II, 139, 160, 165 ; III, 181, 183 ; V, 269, 364, 366 ; VII, 513. Philosoph (Philosophus) 3, 63. philosophieren (philosophare) II, 134, 142 ; V, 354 ; VII, 480, 481, 512, 548, 558. philosophisch (philosophicus) IV, 254 ; V, 347, 350. Physik (Physica) 13, 20, 87 ; IV, 229, 252 ; V, 308 ; (res physicae) 55 ; V, 375 ; VI, 435. physisch (physicus, physice) II, 138 ; IV, 242 ; VI, 436, 440, 441. Postulat (postulatum) II, 162, 167. potentiell (potentialis) 47 ; V, 299, 300. Prämisse (praemissus ; eig. Substantiv : praemissio) 13 ; VII, 522, 525. Präordination (praeordinatio) III, 191 ; VI, 435. Praxis (in praxi) VII,

549, (usus) 7, 22 ; II, 135, 149, 156, 176 ; V, 356 ; VII, 460, 484, 523, 525, 558. Prinzip (principium) 18, 69 ; II, 140, 146, 160 ; IV, 230, 237, 252 ; V, 269, 326, 356 ; VI, 440, 446. Privation (privatio) 44, 55, 60, 61 ; III, 192 ; IV, 206, 232–234 ; V, 313, 378 ; VI, 440. Problem (problema) II, 156, 157. Produktion (productio) IV, 243 ; V, 373. Proposition (propositio) 13 ; II, 141, 157, 162–169 ; VI, 445 ; VII, 480, 544. Prozession (processio) theol. IV, 237. Q Qualität (qualitas) 44, 75 ; II, 131, 161 ; III, 185 ; VI, 440–443 ; taktile Qualität (qualitas tactilis) 43, 75. Quantität, endliche (quantitas finita) I, 106. Quantität (quantitas) 20, 63 ; I, 106, 113 ; IV, 250 ; V,

318. R ratio ratiocinata (ibid.) VI, 432. Ratschlag (consilium) II, 155 ; IV, 248. Raum (spatium) 26, 82, 83 ; I, 113 ; IV, 250 ; V, 259 ; VII, 482. real, das Reale (realis, realiter) 6, 13, 15, 41, 44, 46, 54, 71, 83 ; I, 104, 111, 114,

120, 121 ; II, 132, 133, 139, 140, 143, 144, 153, 161, 162, 165, 169, 170 ; III, 185, 190, 191 ; IV, 200, 220, 221, 227–229, 234, 235, 248, 252–255 ; V, 328, 357, 364 ; VI, 434, 435, 440, 441, 443, 445 ; VII, 487, 520, 559. Realität (realitas) 14, 40–42, 44–46, 79 ; I, 92, 104 ; II, 134, 135, 161, 165, 167 ; III, 184, 185 ; IV, 232, 233 ; V, 284–286, 288–291, 296, 364,

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367 ; VI, 434. Recht (jus) 22, 61, 75 ; II, 151, 158 ; III, 179 ; IV, 238 ; V, 312, 363 ; VI, 427 ; VII, 453, 484, 523, 550. Regel (regula) 35, 70, 83 ; II, 164 ; V, 361 ; VI, 440 ; VII, 524, 540. Relation (relatio) V, 383 ; VI, 437, 444 ; VII, 473. Religion (religio) 2, 6 ; II, 148 ; VII, 520. Republik (respublica) V, 376. Ruhe (quies) 23, 45. Ruhm (opinio) 5. Sache Sache Gottes (causa Dei) 6 ; I, 101. Sakrament (Sacramentum) S IV, 248, 252. Scharfsinn (acumen) 53 ; VII, 466. Schicksal (fatum) 21 ; V, 380. Schlaf (quies) 19. schlafen (dormire) 19, 20, 23, 28, 29 ; schlafend/im Schlaf (dormiendum) 77 ; V, 358 ; der Schlafende (dormiens) 19, 70 ; III, 196 ; IV, 229. Schlechtigkeit (malitia) 53 ; II, 142, 143 ; V, 376. Schluß (conclusio) 8 ; I, 116 ; II, 140, 146, 149, 156, 167 ; III, 195 ; IV, 226 ; V, 353, 390, 391 ; VI, 446 ; VII, 524, 525, 560. schlußfolgern, Schlußfolgerungen ziehen (ratiocinare) II, 139 III, 178, 190 ; V, 271, 374, 388 ; VI 424, 437, 438 ; VII, 495, 510. Schlußfolgerung (ratiocinatio) III, 178, 179 ; VI, 438 ; VII, 474, 510. Schmerz (dolor) 74, 76, 77, 80–83, 87–89 ; V, 343 ; VI, 437, 440. Schöpfer (creator) 40 ; III, 185, 187 ; IV, 255 ; V, 285, 286, 370. Schranke (terminus) IV, 249, 251 ; V, 381. Seele (anima) 1, 2, 6, 8, 12, 13, 26, 27 ; II, 131, 153, 154, 160,

161 ; III, 183 ; IV, 229 ; V, 259, 261, 351, 352, 355, 356 ; VI, 425, 426, 429, 431 ; VII, 477, 482, 485, 491, 520. Sehvermögen (visus) 26, 30, 33, 81 ; I, 113 ; III, 191 ; V, 260, 274, 343, 360, 387 ; VI, 435, 439. Seiende, das (ens) 14, 46–49, 51, 53, 54, 65–67, 69 ; I, 94, 95, 105, 107, 114, 119, 120 ; II, 134, 135, 138, 139, 141, 144, 163, 166 ; III, 173 ; IV, 207, 234 ; V, 297, 300, 302, 304, 322, 324, 325, 370, 371, 374 ; VI, 428, 436. Seiendes, endliches (ens finita) I, 105. Sein, das (esse) nur subst. IV, 233, 240 ; V, 383 ; VII, 520. Sekte (secta) VII, 548, 549. Selbstvertrauen (confidentia) VII, 522, 526. Signal (signum) 88. Sinn organischer Sinn (sensus organicus) VI, 426. Sinn (sensus) prägn. Fähigkeit, Reize aufzufassen 4, 9, 12, 14, 18, 23–25, 28–30, 32, 34, 35, 39, 51, 52, 64, 65, 74–77, 80–83, 90 ; II, 131, 132, 135, 146, 151, 154, 156–158, 160, 162–164 ; III, 183 ; IV, 228, 232, 234, 249, 251–254 ; V, 267, 275, 283, 304, 321, 322, 334, 348, 350, 351, 354, 375, 381 ; VI, 426, 433, 435–439, 445 ; VII, 468, 482. Sinnesorgan (organum sensu) 40, 51, 64, 75 ; III, 183 ; IV, 249. Sinneswahrnehmung (perceptio sensus) 77, 81, 82, 83 ; VI, 435, 438. sinnlich (sensibilis) / sinnliches Ding (res sensibilis) 47, 51, 69, 77, 79 ; I, 106 ; II, 131, 134, 138, 165 ; III, 183. sinnlich wahrne-

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hmen (sentire) 14, 19, 26–29, 34, 77, 82, 86 ; II, 132 ; III, 176 ; IV, 249, 251 ; V, 358 ; VI, 437, 438 ; VII, 484, 518. Sitte (mos) VII, 476. Skepsis (Sceptica) VII, 549. Skeptiker atheistische Skeptiker (athei sceptici) VII, 549. Skeptiker (Scepticus) Skeptiker II, 130 ; V, 351, 361, 384 ; VII, 476, 477, 548–550. Sophismus (sophisma) 66 ; I, 120, 151 ; VII, 452, 453, 518. Spaziergang (ambulatio) III, 174. Spekulation (speculatio) VII, 512. spekulativ (speculativus) 15. Spender (dator) 60 ; II, 144. spirituell (spiritualis) III, 175 ; V, 519, 559. spontan (spontaneus) 38. Sterbliche, der (mortalis) 13 ; V, 375 ; VII, 521, 550. Stil (mos) VII, 541. Subjekt (subjectum) 37, 41 ; II, 161 ; III, 175, 176 ; III, 181 ; IV, 234, 253 ; V, 363 ; VI, 423, 434, 435. Subordination (subordinatio) VI, 431. subsistieren/das Subsistierende (subsistere) IV, 219, 222, 226, 228, 252, 253 ; VI, 435. substantiell (substantialis, substantialiter) IV, 219, 228 ; VI, 443. Substanz, endliche (substantia fina) 40, 45 ; II, 165, 166 ; III, 185 ; V, 285, 296. Substanz unendliche Substanz (substantia infinita) 45 ; II, 165, 166 ; III, 185, 186 ; V, 295, 296. Substanz (substantia) 13, 14, 40, 43–45, 48, 78, 79 ; II, 153, 161, 162, 165,

166, 168, 170 ; III, 174–177, 184–186 ; IV, 222–224, 226–228, 249–255 ; V, 271, 284–286, 294–296, 355, 356, 359, 360, 364, 381, 386 ; VI, 423, 433–435, 441, 442 ; VII, 487, 511, 517, 520, 537, 559. subsumieren (subsumere) IV, 225, 240. Sünder (peccator) VI, 430. Syllogismus (syllogismus) II, 140, 149 ; IV, 243 ; VII, 522, 524, 544. Synthesis (synthesis) II, 155, 156. T Tastsinn (tactus) 26, 30, 33 ; IV, 251 ; V, 260, 274, 360 ; VI, 439 täuschen (fallere) 18, 21, 22, 25, 35–37, 53–55, 58–60, 62, 70, 76, 77,

88–90 ; II, 143, 144 ; III, 195, 196 ; IV, 198, 246 ; V, 308, 326, 327, 345, 354, 361, 383, 386 ; VI, 428 ; VII, 468, 518, 520, 523. Täuschung (fallacia) 53. Tautologie (tautologia) II, 149. Technik (ars) V, 354 ; VII, 480, 537–541, 544 ; rhetorische Techniken (artes oratoriis) V, 387. Techniker (artifex) 14, 51, 55, 56, 84 ; V, 305, 306, 312, 354 ; VII, 537. Teilbarkeit (divisibilitas) I, 113 ; II, 163. Teilung (divisio) I, 106 ; II, 153. Theologie (Theologia) 1 ; IV, 252. Theorem (theorema) II, 156, 157, 164. Tod (mors) II, 153 ; V, 361. Ton (sonus) 22, 30, 43, 74, 75, 80, 81 ; II, 136 ; V, 388 ; VI, 437 ; VII, 468. Transsubstantiation (transubstantiatio) IV, 251, 254. Traum (somnus) 19, 22, 23, 27, 28, 77, 89, 90 ; V, 262, 345, 352, 360 ; VII, 461, 468. Traumbild (insomnium)

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28, 89 ; III, 195. träumen (somniare) 19, 39, 70, 71 ; III, 196 ; V, 358, 359 ; VII, 457, 461, 474, 495, 509, 511, 532, 546. Traurigkeit (tristitia) 74, 76. Trieb (appetitus) 74, 76 ; IV, 234. überblicken (intuere) II, 159.

Überlegung (ratio) 2, 8, 12, 20, 23, 33, U

48, 57, 59 ; I, 105 ; II, 131, 133, 141 ; IV, 219, 247 ; V, 371 ; VI, 430, 431, 439, 440, 446 ; Hauptüberlegung (ratio praecipua) I, 101. Übermut (temeritas) 55 ; V, 310 ; VI, 439. Überzeugung (ex animo = aus Überzeugung) VII, 526. Uhr (horologium) 84, 85 ; V, 270. unabhängig (independens, independenter) 45, 53 ; III, 185–187 ; V, 294, 358, 370, 380 ; VI, 425. Unabhängigkeit (independentia) V, 300, 369. unbegrenzt (indefinitus) 51 ; I, 113 ; II, 137, 139 ; III, 188 ; IV, 239 ; V, 294, 305 ; VII, 525. Unbegrenzte, das (indefinitus) I, 113. Unbesonnenheit (inconsiderantia) 21 ; VII, 468. unbestimmt (indeterminatus) II, 175 ; in unbestimmter Weise (indeterminate) VII, 515. unendlich, das Unendliche (infinitus) 9, 18, 40, 45–47, 51, 54, 57 ; I, 106, 107, 111–113 ; II, 137, 139, 141, 142 ; IV, 207, 208, 220, 245 ; V, 284, 286, 295–297, 299, 302, 303, 306, 315, 365, 367, 368, 371 ; VI, 422 ; Fortgang ins Unendliche (progressus in infinitum) 42, 50. Unendlichkeit (infinitas) I, 113. unergründlich (incomprehensibilis) 9, 55 ; I, 110 ; IV, 255. Unergründliche, das (incomprehensibilis) IV, 254, 255. Unergründlichkeit (incomprehensibilitas) V, 368. Unermeßlichkeit (immensitas) I, 111 ; II, 137, 165 ; IV, 231, 236, 237 ; VI, 435, 443. Ungläubige, der (infidelis) 2 ; II, 148. Universalie (universalis) V, 380. universell (universalis) 20. Universum (universum) 50 ; V, 311, 375, 376. univok (univoce) II, 137 ; VI, 433. unkörperlich (incorporeus) V, 355, 387 ; VII, 492, 559. Unsterblichkeit (immortalitas) 12, 13 ; II, 153 ; IV, 229 ; VII, 549. unteilbar, das Unteilbare (indivisibilis) 13, 60, 86 ; V, 371 ; VI, 433 ; VII, 548. Unterscheidung (distinctio) allg. I, 109 ; II, 129, 132, 142, 157 ; IV, 227, 233 ; V, 350 ; VI, 443 ; VII, 521 ; formale U. I, 100, 120 ; modale U. I, 120 ; objektive I, 100 ; reale I, 100, 120 ; II, 132, 133 ; IV, 220, 221 ; VI, 443 ; reale U. von menschlicher Seele und Körper 6, 17 ; I, 121 ; II, 153, 160 ; VII, 520 ; reale U. von Geist und Körper 71 ; II, 155 ; III, 200 ; IV, 226, 228, 229 ; V, 328 ; VII, 560 ; aus Vernunft I, 100 ; zwischen ausgedehntem und denkendem Ding VI, 424 ; seiner selbst vom Körper VII, 550 ; des Denkens von der Bewegung VI, 425 ; zwischen intellectio und imaginatio 15 ; zwischen Wesen und Existenz

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III,

194. Unterschied (differentia) 5, 68, 72, 73, 85 ; II, 156 ; III, 178 ; IV, 220, 230 ; VI, 427, 438 ; VII, 484, 559 ; spezifische Differenz (differentia specifica) IV, 223. Unterstützung (concursus) 14, 61 ; V, 313. Unvereinbarkeit (contrarietas) VII, 473, 474. Urheber in der Bedeutung von »Urheber der Welt« (author) 21, 24, 44, 48, 62, 77 ; IV, 215, 226 ; V, 334 ; VI, 428. Ursache (causa) 1, 4, 12, 14, 15, 33, 40–42, 49, 50, 54–56, 58, 60–62, 70,

74, 77, 88, 89 ; I, 102–112 ; II, 131, 134–136, 144, 145, 148, 151–153, 155, 164, 165, 167 ; III, 188, 191 ; IV, 229, 235–240, 242, 243, 245, 247 ; V, 355, 367, 369, 375 ; VI, 432, 436, 441, 446 ; VII, 453, 526, 537. bewirkende Ursache (causa efficiens) 40 ; I, 106, 108, 109, 111 ; II, 163 ; IV, 208, 209, 213, 231, 232, 235–244 ; V, 288, 366, 374 ; VI, 436. Zweckursache (causa finalis) V, 308, 374. formale Ursache (causa formalis) IV, 236, 238, 239, 241–243. materielle Ursache (causa materialis) IV, 242 ; V, 366. erste Ursache (causa prima) Resp. I : 107–109, 165 ; IV, 213, 242, 244 ; V, 369. letzte Ursache (causa ultima) 50 ; I, 106. adäquate Ursache (causa adaequata) II, 134, 165. hinreichende Ursache (causa totalis ; causa sufficiens) 40 ; I, 151 ; IV, 288. Teilursache (causa partialis) 50 ; V, 303. Ursache in bezug auf das Werden (causa secundum fieri) V, 369. Ursache im Werden (causa in fieri) V, 370. Ursache in bezug auf das Sein (causa secundum esse) V, 369. Ursache im Sein (causa in esse) V, 370. Urteil (judicium) 5–7, 9, 10, 22, 27, 32, 37, 39, 43, 56, 59, 60–62, 69,

76, 83 ; II, 131, 143, 147, 162 ; IV, 229, 231, 233, 235, 248, 256 ; V, 378 ; VI, 425, 437–441 ; VII, 453, 523, 536, 541. V Verantwortung (culpa) 17, 60, 61 ; V, 313. Verbindung (conjunctio) I, 118 ; IV, 228 ; V, 343. Vereinigung (unio) 81 ; IV, 228 ; V, 343 ; VI, 437. Verfehlung (peccatum) 15, VII, 524, 526, 527, 549, 550, 557. Verfügungsgewalt (potestas) III, 190. Vergangenheit (tempus prae-

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teritum) I, 111 ; II, 165. Vergleich (comparatio) 14, 16 ; IV, 241 ; V, 297, 376, 390 ; unvergleichlich (absque comparatione) 58. Verhältnis (proportio) IV, 225, 227. Verlangen (cupiditas) VII, 492. Verläßlichkeit (fides) II, 132 ; V, 354. Verletzung (leasio) 81 ; V, 343. Vermischung (permistio, permixtio) 81 ; V, 343, 390 ; VI, 437. Vermögen (facultas)

a) allgemein facultas [undifferenziert] (Vermögen) 26, 38, 39, 51, 54, 55, 60, 77–80 ; III, 174, 194 ; IV, 224, 246 ; V, 305, 313, 363, 365. facultas naturalis (natürliches Vermögen) II, 144. facultas recordandi (Erinnerungsvermögen) 57. facultas errandi (Vermögen, zu irren) 54. facultas locum mutandi (das Vermögen, den Ort zu wechseln) 78. facultas varias figuras induendi (Vermögen, vielfältige Gestalten anzunehmen) 78. b) Ästhetik facultas sentiendi (Vermögen der Empfindung) 78, 79, 86. facultas audiendi (Vermögen, zu hören) II, 136. facultas imaginandi (Vorstellungsvermögen) 31, 34, 57, 71, 78 ; V, 275. facultas imaginatrix (Anschauungsvermögen) V, 269. c) intellektuelle Fähigkeiten facultas cognoscendi (Erkenntnisvermögen) 56 ; III, 190 ; V, 312. facultas cognoscitiva (erkennendes Vermögen) 72 ; V, 329. facultas ad verum agnoscendam illudque a falso distinguendam (das Vermögen, das Wahre zu erkennen und es vom Falschen zu unterscheiden) II, 144. facultas ratiocinandi (das Vermögen, zu schlußfolgern) III, 190. facultas intellectus (das Vermögen des Verstandes) V, 315. facultas cogitandi (Denkvermögen) 8, 78 ; III, 174. facultas judicandi (Urteilsvermögen) 32, 53 ; III, 190 ; V, 314. facultas verum judicandi (das Vermögen, das Wahre zu beurteilen) 54. facultas intelligendi (Einsichtsvermögen) 57, 86 ; II, 146.

d) praktische Fähigkeiten facultas affirmandi & negandi (das Vermögen zu behaupten und zu bestreiten) III, 190. facultas eligendi (das Vermögen, zu wählen) 56 ; III, 190. facultas volendi (Vermögen des Wollens) 86. e) Fähigkeiten in bezug auf Gott und die Ideen

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facultas ideas rerum sensibilium recipiendi & cognoscendi (das Vermögen, Ideen sinnlicher Dinge aufzunehmen und zu erkennen) 79. facultas ideas producendi vel efficiendi (das Vermögen, Ideen zu produzieren oder zu bewirken) 79. facultas Dei concipiendi (das Vermögen, Gott zu begreifen) I, 105. facultas idem Dei in se habendi (das Vermögen, die Idee Gottes in sich zu haben) I, 105. facultas ideam eliciendi (das Vermögen, eine Idee zu aktivieren) III, 189. facultas, noscendi ideas (das Vermögen, Kenntnis von Ideen zu haben) V, 314. Vermutung (conjectura) 59 ; V, 316, 375 ; VI, 435.

Vernunft (ratio) 2,

9, 22, 27, 39, 49, 75, 77, 88 ; II, 134, 138, 147, 148, 153, 154, 164 ; III, 174, 185 ; IV, 230, 254, 255 ; V, 351, 354 ; VI, 427, 436 ; VII, 459, 491, 510, 520, 522, 523. Verpflichtung / heilige Verpflichtung (religio) VII, 535. Verschiedenheit (diversitas) 44 ; I, 116, 120 ; II, 138 ; III, 188 ; VI, 424. Verstand, endlicher (intellectus finitus) 60 ; I, 107. Verstand (intellectus) 8, 27, 34, 41, 56–62, 71, 75, 81, 82, 89, 90 ; I, 102–107, 110, 114, 116–120 ; II, 132, 134, 137, 139, 145, 146, 150, 152, 160, 163, 164 ; III, 174, 192 ; IV, 220, 221, 229, 232, 233, 235 ; V, 359, 364, 365, 378 ; VI, 432, 437, 438 ; VII, 491, 520 ; mit dem Verstand einsehbar (intelligibilis) 53 ; I, 113 ; VI, 425 ; VII, 559. Verständnis (comprehensio) 31, 80. vertiefen, sich in etw. (contemplari) 28 ; I, 114 ; II, 163 ; V, 265, 267, 329, 385. Vertrauen (fides) 76 ; V, 377 ; VI, 424 ; VII, 551. Verwandlung (conversio) bei Eucharistie II, 143. von selbst (sponte) 23, 25, 33, 36, 59 ; I, 112 ; II, 144 ; III, 191 ; IV, 238 ; V, 275 ; VII, 482. Vorbild (exemplum) prägn. : 19 ; II, 137. Vorteil (commodum) 89 ; V, 345 ; (utilitas) 6, 12 ; II, 159 ; IV, 238. Vorurteil (praejudicium) 4, 9, 12, 22, 69 ; I, 107 ; II, 135, 146, 157, 158, 164, 167 ; V, 348, 349, 362, 379, 385 ; VI, 422, 438, 441, 445, 446 ; VII, 465, 468, 518, 523, 524. W wachen/wach sein (vigilare) 19, 20, 77, 89, 90 ; III, 196 ; IV, 229, 345 ; V, 357 ; VII, 457, 461, 509, 511, 546. Wachs (cera) 30–33, 43 ; II, 132 ; III, 175, 177, 178 ; V, 271, 273, 274, 359, 360. Wachzustand (vigilia) 19, 23, 89. wählen (eligere) 39, 56, 58 ; II, 149, 158 ; III, 190 ; IV, 254 ; VI, 432. Wahrheit (veritas) 3, 5, 6, 8, 10, 15, 20, 22, 27, 29, 35, 37, 38,

52, 60, 62, 63, 65, 66, 70, 71, 77, 80, 85, 90 ; I, 110, 114–117 ; II, 142, 145, 149, 150, 155, 157–159, 163, 164 ; III, 172, 174, 194 ; IV, 226, 232,

s ac h r eg is t er

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253, 254, 256 ; V, 347, 349, 350, 361, 380, 381, 386 ; VI, 424, 431, 436 ; VII, 452, 453, 460, 461, 464, 491, 514, 517, 523, 525, 536, 542, 546, 548, 560, 561. Wahrnehmung, sinnliche (sensus) 15, 34, 38, 74, 89 ; II, 145, 162 ; IV, 255 ; V, 345, 351. Wärme (calor) 29, 31, 38, 41, 43, 44, 46, 75, 81–83 ; I, 114 ; IV, 206, 230, 232, 233 ; VI, 437. Weisheit (sapientia) 5, 6, 9, 53 ; V, 375 ; VI, 430 ; VII, 513, 552. Welt (mundus) 4, 6, 16, 25, 42, 43, 56, 58, 61, 66 ; II, 134 ; III, 181, 188, 191 ; V, 291, 312, 353, 355, 369, 374, 376, 381 ; VI, 432 ; VII, 538. Werkmeister (opifex) V, 374. Werkzeug (instrumentum) V, 354. Wesen (essentia) 8, 63, 64, 66, 68, 69, 73, 78, 83 ; I, 93, 108, 109, 115, 116, 120 ; II, 166 ; III, 173, 193, 194 ; IV, 199, 202, 219, 236–243 ; V, 318, 322, 324, 326, 331, 335, 371, 380, 381, 383 ; VI, 433 ; VII, 514, 520. Wesen (ratio) 46 ; V, 373, 389 widersprüchlich (contradictorius) III, 191 ; IV, 222, 240 ; VII, 524. Widersprüchlichkeit (contradictio) IV, 242, 254. Wille gegen den Willen (invitus) 22, 28, 38, 79 ; IV, 230 ; VII, 523 ; widerwillig VII, 525. Wille (voluntas) 22, 37–39, 56–60, 62, 76, 77, 84 ; II, 142, 147–149, 153, 160, 166 ; III, 192, 195 ; IV, 241 ; V, 283, 314, 315, 377, 378 ; VI, 431, 432 ; VII, 456, 468, 527, 529, 545. Willensakt (voluntas) pl. 37 ; III, 181. Willkür (arbitrium) 56, 57, 59, 60, 64, 73 ; III, 179, 190, 192 ; IV, 234 ; V, 314, 317 ; VI, 431 ; VII, 517. Wissen (scientia) 12, 14, 70, 71 ; I, 104 ; II, 140, 141 ; V, 326, 327 ; VI, 422, 428, 429 ; VII, 465 Wissenschaft (scientia) 3, 17, 53, 69 ; IV, 255 ; VII, 457, 548. wohlüberlegt (meditatus) 21 ; VII, 460, 468, 474 ; VII, 558. Wollen, das (volitio) III, 181 ; VI, 423. Würde (dignitas) IV, 242. Würde (gravitas) VII, 513. Zahl, Anzahl (numerus) 20, 43–45, 63, 65 ; I, 113 ; II, 137, 139, 164 ; IV, Z 239 ; V, 318. Zeit (tempus) 7, 20, 48–50, 59, 65 ; I, 107, 109–111 ; II,

130, 146, 154, 165 ; IV, 211, 235, 255 ; V, 300, 301, 369, 370 ; VI, 432 ; VII, 481, 525. Zerstörung (corruptio) 13. Ziel (scopus) 16. zögern (dubitare) 3 ; I, 109. Zorn (ira) 74 ; VII, 513. Zukunft (tempus futurum, futurum) I, 111 ; VII, 514, 515. Zusammensetzung (compositio) V, 362 ; VI, 423–425, 444, 445. Zustimmung (assensio) 18, 22, 59 ; II, 149, 156 ; V, 316 ; VI, 440 ; VII, 468, 523. Zweck (finis) 54, 55 ; I, 107 ; III, 190 ; IV, 245 ; V, 310, 375 ; VII, 538. Zweifel (dubitatio) 12, 23, 24, 32, 89 ; I, 112 ; II, 154, 158 ; III, 172 ; IV, 226 ; VI, 446 ; VII, 454, 460, 473–475, 480, 546, 548–550, 561 ; in Zweifel geraten (dubitare) 32 ;

588

s ac h r eg is t e r

es besteht kein Zweifel (dubitare) I, 103.

zweifeln, bezweifeln (dubi-

tare) 5, 6, 12, 16, 18, 21, 24, 26, 28, 29, 34, 36, 38, 45, 48, 53, 55, 56, 59, 70, 77, 80, 90 ; I, 94, 116, 119–121 ; II, 130, 134, 144–146, 154, 158, 162 ; III, 171, 174, 178 ; IV, 200, 202, 215, 223, 246, 253 ; V, 259, 268, 276, 297, 327, 351, 354, 363, 368, 375, 384 ; VI, 423, 428, 433, 436, 439, 443 ; VII, 452, 460, 461, 473, 474, 477, 491, 525, 537, 546, 548, 549.

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René Descartes Die Prinzipien der Philosophie Lateinisch–Deutsch

René Descartes Die Prinzipien der Philosophie Lateinisch – Deutsch Neu übersetzt, mit einer Einleitung und Anmerkungen hrsg. von Christian Wohlers. PhB 566. LXXII, 711 S. + 1 Falttafel. 978-3-7873-1853-7. Kart.

M

it den Principia Philosophiae (1644) gab Descartes der Welt den Vorblick auf eine neue Physik; nicht die Inhalte, aber das Modell seiner von der Intuition ausgehenden, mathematischen Grundsätzen folgenden und hypothetisch operierenden Erklärung aller Naturerscheinungen setzte sich durch. Daß Descartes – im Anschluß an den Discours de la méthode (1637) und die Meditationes de prima philosophia (1641) – mit der Veröffentlichung der Principia die Zäsur setzte, die seinen Rang als erster Denker der »Philosophie der Neuzeit« begründete, ist ein Topos der Philosophiegeschichte. Uneinigkeit besteht aber bis heute unter den Biographen und Interpreten über die Frage, ob Descartes selbst sich dessen bewußt war,

daß alle Aussagen bzw. Erkenntnisse über das Geschehen in der Natur notwendig hypothetisch bleiben (unter metaphysischem Aspekt) und dennoch (sofern methodisch gewonnen) die Wirk lichkeit treffen und berechenbar machen. Oder ob er in den Principia nur deshalb darauf verfiel, alle seine Aussagen über die Prinzipien der körperlichen Dinge, die sichtbare Welt und die Erde in bloß hypothetischer Form vorzutragen, um der Verfolgung durch die Inquisition zu entgehen. Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis an!

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Baruch de Spinoza Descartes’ Prinzipien der Philosophie in geometrischer Weise dargestellt Mit einem Anhang, enthaltend Gedanken zur Metaphysik

Baruch de Spinoza Descartes’ Prinzipien der Philosophie in geometrischer Weise dargestellt Mit einem Anhang, enthaltend Gedanken zur Metaphysik Vollständig neu übersetzt, mit einer Einleitung und Anmerkungen hrsg. von Wolfgang Bartuschat. PhB 94. XXXVIII, 203 S. 978-3-7873-1696-0. Kart.

D

ie 1663 in Amsterdam unter dem Titel Des Cartes Principiorum Philosophiae Pars I et II, More Geometrico demonstratae erschienene Schrift ist die einzige, die Spinoza zu Lebzeiten unter seinem Namen hat veröffentlichen lassen; er hoffte, daß »bei dieser Gelegenheit sich vielleicht einige Männer, die in meinem Vaterlande die obersten Stellen einnehmen, finden werden, die das Übrige, was ich geschrieben habe und als meine Sicht anerkenne, zu sehen wünschen und darum Sorge tragen, daß ich es veröffentlichen kann, ohne eine Unannehmlichkeit befürchten zu müssen«. Der eigentümliche Reiz dieser Schrift liegt darin, daß sie eine Auseinandersetzung Spinozas mit Descartes auf dem Boden der Cartesischen Philosophie und mit der Begrifflichkeit der spätscholastischen Metaphysik enthält. Sie vermag Probleme und Spannungen

innerhalb der referierten Systeme aufzuzeigen und deutlich zu machen, daß sie nach einer andersartigen Begründung verlangen. Indem das Referat teilweise auf Spinozas eigene Position verweist, ist die Schrift das Beispiel einer Textexegese, in der Implikationen des Textes aufgezeigt werden, die über die Perspektive der im Text verhandelten Sachverhalte hinaus auf einen höheren Standpunkt hindeuten. Dieser Standpunkt ist somit eine Fortentwicklung der Sache selbst.

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