Massive Open Online Courses im Kontext von Persönlichkeit und Prokrastination [1. Aufl.] 978-3-658-26295-2;978-3-658-26296-9

Christian T. Toth untersucht den Einfluss von Persönlichkeitsfaktoren und dem Prokrastinationsverhalten von Teilnehmern

687 48 5MB

German Pages XVIII, 353 [365] Year 2020

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Massive Open Online Courses im Kontext von Persönlichkeit und Prokrastination [1. Aufl.]
 978-3-658-26295-2;978-3-658-26296-9

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XVIII
Einleitung (Christian T. Toth)....Pages 1-7
E-Learning (Christian T. Toth)....Pages 9-28
Massive Open Online Courses (MOOCs) (Christian T. Toth)....Pages 29-106
Persönlichkeit (Christian T. Toth)....Pages 107-148
Methodisches Vorgehen und Forschungsdesign (Christian T. Toth)....Pages 149-162
Untersuchungsergebnisse (Christian T. Toth)....Pages 163-224
Ergebnisdiskussion (Christian T. Toth)....Pages 225-249
Ausblick (Christian T. Toth)....Pages 251-255
Back Matter ....Pages 257-353

Citation preview

Christian T. Toth

Massive Open Online Courses im Kontext von Persönlichkeit und Prokrastination

Massive Open Online Courses im Kontext von Persönlichkeit und Prokrastination

Christian T. Toth

Massive Open Online Courses im Kontext von Persönlichkeit und Prokrastination

Christian T. Toth Mainz, Deutschland Dissertation Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 2019 D77

ISBN 978-3-658-26295-2 ISBN 978-3-658-26296-9  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-26296-9 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

meinen Eltern gewidmet: Barnabas und Vilma

Danksagung Diese Arbeit wurde über den Zeitraum mehrerer Jahre verfasst und von einigen Menschen im Geiste mitbegleitet. Diesen Menschen gebührt mein aufrichtiger Dank: An erster Stelle bedanke ich mich bei Stefan Aufenanger, meinem Doktorvater. Du warst sehr geduldig und hast immer im richtigen Moment einen kleinen Stich gesetzt, damit ich die Arbeit nie aus den Augen verlieren konnte. Du hast mir geholfen, der Arbeit eine angemessene Form zu geben und mich zum Weitermachen ermutigt, als mir Zweifel kamen. Als ich Deinen Ratschlag benötigte, hast Du Dir Zeit genommen und mir gleichsam große gestalterische Freiheiten gelassen. Deine disziplinübergreifende Offenheit war Inspiration und Ausgangspunkt dieser Arbeit. Damit hast Du mich genauso sehr geprägt, wie diese Arbeit. Mein Dank gilt auch Marius Harring. Ich kam zuerst mit methodischen Fragen zu Dir, als Du mir die Zweitbegutachtung der Arbeit angeboten hast. In den vergangenen Jahren konnte ich gleich mehrere Male auf Dein methodisches Sachverständnis zurückgreifen, wodurch ich auch in manch einer autodidaktisch erarbeiteten empirischen Methode die nötige Sicherheit fand, um die Arbeit gemäß ihrer Komplexität fertigzustellen. Im direkten Anschluss bedanke ich mich bei Laura Fuhrmann, die in einer wochenlangen Auseinandersetzung mit meiner Arbeit ein so differenziertes Feedback gegeben hat, dass die Arbeit ihren dringend nötigen Feinschliff bekommen und in der nun vorliegenden Form abgegeben werden konnte. Schon zuvor hattest Du immer ein offenes Ohr und klopftest selbst spät am Abend an der Tür, um geistige Unterstützung zu geben. Du bist die beste Kollegin, die ich mir wünschen kann! Auch meinen anderen Kolleg*innen, die immer wieder Interesse an meiner Arbeit zeigten und mir Ratschläge gaben, danke ich sehr. Zuvorderst gilt mein Dank Matthias Ruppert, der wie Stefan Aufenanger mich darin ermutigte, die Arbeit als Buch zu verfassen und ein wachsames Auge auf

VIII

Danksagung

meinen Fortschritt hatte. Nina Brück gab mir hilfreiche Ratschläge zur Motivation, Olga Rollmann strapazierte meine Weltsicht ein ums andere Mal auf produktive Weise in hitzigen und witzigen philosophischen Diskussionen. Cedric Rörig hielt mir im Büro den Rücken frei, insbesondere in den letzten vier Monaten der Arbeit. Diese Arbeit wäre nicht zustande gekommen, ohne die in höchstem Maße konstruktive Zusammenarbeit mit Iversity. Insbesondere mit Tim Vogelsang stand ich in der Erhebungsphase meiner Daten im intensiven Austausch. Er half mir dabei, die für die Analysen dieser Arbeit benötigten Daten zu gewinnen. Den Übergang zur Unterstützung zwischen professionellem und privaten Kontext bildet Daniel Köth, mit dem ich unzählige Stunden über die Dissertation gesprochen habe und dessen methodische und inhaltliche Ratschläge einen bedeutenden Einfluss auf die Gestalt der Arbeit genommen haben. Wir sind bald zwei Jahrzehnte lang Freunde, daher erscheint es falsch, Dir nur für Deine Unterstützung während dieser Arbeit zu danken. Dir gebührt ein besonderer Dank – ohne Dich hätte ich ein ganz anderes und weniger schönes Leben geführt. Meiner Freundin Laura, die mich in den vergangenen Monaten nicht besonders oft sehen konnte, danke ich für ihre Geduld, ihren Zuspruch und uneingeschränkte Unterstützung bei diesem Projekt. Anton, Daniel, Jeanine, Jonas, Karo, Laura: die Spieletage mich euch sind eine Oase der Erholung. Schließlich möchte ich mich bei meinen Eltern dafür bedanken, dass sie nachsichtig wegen der ausgebliebenen Besuche waren und mich stets unterstützten, völlig unabhängig davon, welchen Plan ich verfolgte. Ich spürte immer euren Zuspruch und wusste, dass ihr an mich denkt. Mainz, Oktober 2018 Christian Toth

Inhaltsverzeichnis Tabellen- und Abbildungsverzeichnis ...............................................XIII 1 Einleitung .............................................................................................. 1 2 E-Learning ............................................................................................ 9 2.1 Lerntheoretische Grundlagen ........................................................ 15 2.1.1 Kognitivismus ........................................................................ 16 2.1.2 Konstruktivismus ................................................................... 18 2.1.3 Konnektivismus ...................................................................... 20 2.2 Formales, non-Formales und informelles Lernen ......................... 23 2.3 Lebenslanges Lernen und E-Learning........................................... 25 3 Massive Open Online Courses (MOOCs) ........................................ 29 3.1 Varianten und Weiterentwicklungen von MOOCs ....................... 38 3.2 Forschungsüberblick ..................................................................... 45 3.2.1 Finanzierungsproblematik ...................................................... 46 3.2.2 Anerkennungsproblematik ..................................................... 53 3.2.3 Teilnehmer*innenmotivation in MOOCs ............................... 59 3.2.4 Das Kernproblem der MOOCs: die hohe Dropout-Rate ........ 64 3.2.5 Prädiktoren für den Teilnehmer*innenerfolg ......................... 86 3.3 MOOCs im Kontext der digitalen Spaltung .................................. 91 4 Persönlichkeit ................................................................................... 107 4.1 Das Eigenschaftsparadigma ........................................................ 111 4.2 Das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit ............................ 114 4.2.1 Entstehungskontext: Der lexikalische Ansatz ...................... 115

X

Inhaltsverzeichnis 4.2.2 Messinstrumente................................................................... 117 4.2.3 Hierarchie der Persönlichkeitsstruktur: Dimensionen, Aspekte und Facetten ........................................................... 120 4.2.3.1 Offenheit für Erfahrungen ................................................. 126 4.2.3.2 Gewissenhaftigkeit ............................................................ 130 4.2.3.3 Extraversion ...................................................................... 132 4.2.3.4 Verträglichkeit ................................................................... 135 4.2.3.5 Neurotizismus.................................................................... 137 4.3 Prokrastination ............................................................................ 140

5 Methodisches Vorgehen und Forschungsdesign ............................ 149 5.1 Forschungsfragen ........................................................................ 149 5.2 Datenerhebung ............................................................................ 153 5.3 Erhebungsinstrumente ................................................................. 155 5.4 Reliabilitätsanalysen.................................................................... 158 5.4.1 Persönlichkeit ....................................................................... 159 5.4.2 Prokrastination ..................................................................... 161 6 Untersuchungsergebnisse ................................................................ 163 6.1 Deskriptivstatistische Auswertung .............................................. 163 6.1.1 Soziodemographische Daten und Kursfortschritt ................. 164 6.1.2 Teilnehmer*innenperformance ............................................ 170 6.1.3 Teilnehmer*innenmotivation ............................................... 175 6.1.4 Vorerfahrung ........................................................................ 193 6.1.5 Persönlichkeit ....................................................................... 195 6.1.6 Prokrastination ..................................................................... 204

Inhaltsverzeichnis

XI

6.2 Multivariate Analyse ................................................................... 211 6.2.1 Logistische Regression: Prüfung der Voraussetzungen ....... 212 6.2.2 Logistische Regression: Modellberechnung zur Vorhersage des Kursbeendens.............................................. 215 7 Ergebnisdiskussion ........................................................................... 225 7.1 Diskussion der Forschungsfragen ............................................... 225 7.2 Methodenkritische Diskussion .................................................... 241 8 Ausblick ............................................................................................. 251 Literaturverzeichnis ............................................................................ 257 Anhangsverzeichnis............................................................................. 321

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis Abbildungen: Abbildung A2-1: Blended Learning und Inverse Blended Learning. ..... 14 Abbildung A2-2: Theory of Multimedia Learning (CMTL). .................. 17 Abbildung A2-3: Gegenüberstellung von cMOOCs und xMOOCs........ 33 Abbildung A2-4: Entwicklungsgeschichte von MOOCs und ihrer Provider. ...................................................................... 34 Abbildung A4-1: Innere und äußere Realität der Persönlichkeitsentwicklung. ............................................................. 107

Diagramme: Diagramm D3-1: Intentionen von intrinsisch, extrinsisch und sozial motivierten MOOC-Teilnehmer*innen. ..................... 61 Diagramm D3-2: Nutzertypen in MOOCs. ............................................. 66 Diagramm D4-1: Die Big-Five und ihre Facetten. ................................ 122 Diagramm D4-2: Metaebenen, Dimensionen und Aspekte der Big Five. ................................................................... 125 Diagramm D4-3: Aspekte und Facetten der Persönlichkeitsdimension Offenheit für Erfahrung. ........................................... 126

XIV

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Diagramm D4-4: Aspekte und Facetten der Persönlichkeitsdimension Gewissenhaftigkeit. ................................................... 130 Diagramm D4-5: Aspekte und Facetten der Persönlichkeitsdimension Extraversion. ............................................................. 133 Diagramm D4-6: Aspekte und Facetten der Persönlichkeitsdimension Verträglichkeit. .......................................................... 135 Diagramm D4-7: Aspekte und Facetten der Persönlichkeitsdimension Neurotizismus............................................................ 138 Diagramm D5-1: Aufbau des Big Five Aspect Scale (BFAS). ............. 156 Diagramm D6-1: Säulendiagramm zur Altersverteilung. ..................... 164 Diagramm D6-2: Kreisdiagramm zur Verteilung der Herkunftsländer. 165 Diagramm D6-3: Balkendiagramm zur Verteilung der Angabe zum Höchsten Bildungsabschluss. .................................... 166 Diagramm D6-4: Balkendiagramm zur Verteilung der Angabe zum Studierendenstatus. .................................................... 167 Diagramm D6-5: Balkendiagramm zur Verteilung der Angabe zum Berufsstatus. .............................................................. 168 Diagramm D6-6: Teilnehmer*inneninteraktion: gepostete Fragen, Antworten, Kommentare und Forumsaktivität. ......... 171 Diagramm D6-7: Motivation am Kurs teilzunehmen wegen eines allgemeinen Interesses am Kursinhalt. ...................... 176

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

XV

Diagramm D6-8: Motivation am Kurs teilzunehmen wegen der produzierenden Institution........................................ 177 Diagramm D6-9: Motivation am Kurs teilzunehmen wegen der*dem Professor*in des Kurses. .......................................... 178 Diagramm D6-10: Motivation am Kurs teilzunehmen, um sich mit anderen Studierenden zu vernetzen. ....................... 179 Diagramm D6-11: Motivation am Kurs teilzunehmen, weil Freund*innen im Kurs sind. ................................... 181 Diagramm D6-12: Motivation am Kurs teilzunehmen, weil der Kurs zum eigenen Studiengang passt. ............................. 182 Diagramm D6-13: Motivation am Kurs teilzunehmen, weil der Kurs eine Pflichtaufgabe im Studiengang ist. ................. 183 Diagramm D6-14: Motivation am Kurs teilzunehmen, weil der Kurs zum ausgeübten Beruf passt. .................................. 185 Diagramm D6-15: Motivation am Kurs teilzunehmen wegen der Verbesserung von Berufsaussichten. ...................... 186 Diagramm D6-16: Zusammenfassung der intrinsischen Motivation. ... 187 Diagramm D6-17: Zusammenfassung der extrinsischen Motivation. ... 189 Diagramm D6-18: Zusammenfassung der sozialen Motivation. ........... 191 Diagramm D6-19: Histogramme der Dimension Verträglichkeit und der Aspekte Mitgefühl und Höflichlichkeit. .... 196

XVI

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Diagramm D6-20: Histogramme der Dimension Gewissenhaftigkeit und der Aspekte Fleiß und Ordentlichkeit............... 197 Diagramm D6-21: Histogramme der Dimension Extraversion und der Aspekte Durchsetzungsfähigkeit und Enthusiasmus. .......................................................... 198 Diagramm D6-22: Histogramme der Dimension Neurotizismus und der Aspekte Zurückgezogenheit und Unbeständigkeit. ...................................................... 199 Diagramm D6-23: Histogramme der Dimension Offenheit/Intellekt und der Aspekte Mitgefühl und Höflichlichkeit. .... 200 Diagramm D6-24: Histogramm der Variable Prokrastination. ............. 204 Diagramm D6-25: Motivation zur Teilnahme am MOOC unterschieden nach Prokrastinatiosniveau. .............. 208 Diagramm D6-25: Conditional-Effect-Plot für die Variable Neurotizismus: Unbeständigkeit. ............................ 220 Diagramm D6-26: Conditional-Effect-Plot für die Variable Neurotizismus: Unbeständigkeit. .......................... 2211 Diagramm D6-27: Conditional-Effect-Plot für die Variable Offenheit/Intellect: Intellekt. ................................. 2212 Diagramm D6-28: Conditional-Effect-Plot für die Variable Prokrastination. ....................................................... 223

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

XVII

Tabellen: Tabelle T3-1: Beweggründe der MOOC-Teilnahme nach Kurstyp und Herkunft. ................................................................... 63 Tabelle T5-1: Reliabilitätsanalysen der BFAS-Skalen.......................... 160 Tabelle T5-2: Reliabilitätsanalyse der LPS-Skala................................. 162 Tabelle T6-1: Korrelationen des Kursfortschritts mit Interaktionsvariablen. ..................................................... 175 Tabelle T6-2: Mann-Whitney-Test (U-Test): Kursfortschritt und intrinsische Motivation. .................................................. 188 Tabelle T6-3: Mann-Whitney-Test (U-Test): Kursfortschritt und extrinsische Motivation. ................................................. 190 Tabelle T6-4: Mann-Whitney-Test (U-Test): Kursfortschritt und soziale Motivation. ......................................................... 191 Tabelle T6-5: Korrelationen zwischen Kursfortschritt/ Interaktionsvariablen und Motivationsvariablen. ........... 192 Tabelle T6-6: Deskriptivstatistische Angaben zur Dimension Verträglichkeit und ihren Aspekten Mitgefühl und Höflichkeit...................................................................... 196 Tabelle T6-7: Deskriptivstatistische Angaben zur Dimension Gewissenhaftigkeit und ihren Aspekten Fleiß und Ordentlichkeit. ................................................................ 197

XVIII

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Tabelle T6-8: Deskriptivstatistische Angaben zur Dimension Extraversion und ihren Aspekten Enthusiasmus und Durchsetzungsfähigkeit. ................................................. 198 Tabelle T6-9: Deskriptivstatistische Angaben zur Dimension Neurotizismus und ihren Aspekten Unbeständigkeit und Zurückgezogenheit. ................................................. 199 Tabelle T6-10: Deskriptivstatistische Auswertungen zur Dimension Offenheit/Intellekt und ihren Aspekten Offenheit und Intellekt.................................................................. 200 Tabelle T6-11: Interdimensionskorrelationen. ...................................... 201 Tabelle T6-12: Korrelationen zwischen der Motivation und den Persönlichkeitsdimensionen und -aspekten von MOOC-Teilnehmer*innen. .......................................... 203 Tabelle T6-13: Korrelationen der Prokrastination mit den Dimensionen und Aspekten der Persönlichkeit. ........... 205 Tabelle T6-14: Korrelationen aller potentiellen Prädiktorvariablen. .... 213 Tabelle T6-15: Prüfung der Multikollinearität der unabhängigen Variablen des Modells. ................................................. 214 Tabelle T6-16: Schrittweise binär logistische Regressionsanalyse. ...... 217

1 Einleitung In einem viel zitierten Artikel der New York Times wurde von Laura Pappano das Jahr 2012 als “The Year of the MOOC”1 ausgerufen. Um Massive Open Online Courses (MOOCs) bildete sich spätestens seitdem ein Hype, in dem es um die Verheißung einer kostenlosen Bildung mit offenem Zugang für die Weltbevölkerung ging. Da die ersten Kurse von renommierten Universitäten wie Standford produziert wurden, deren Zugangsbeschränkungen und finanzielle Hürden sie eigentlich in aller Welt als Elite-Universitäten bekannt machten, schienen MOOCs eine Bildungsrevolution einzuleiten, die in Verbindung mit der zunehmenden globalen Digitalisierung die Idee einer ‚Bildung für alle‘ plötzlich realistisch erscheinen ließ. Doch der Hype währte nicht lange und bereits 2014 wurde von Bebo White ein Artikel mit dem Titel „Is MOOC-Mania over?“2 in einem Konferenzpapier der International Conference on Hybrid Learning and Continuing Eduaction veröffentlicht, in dem der Autor das Ende des Hypes konstatiert und zur weiteren Forschung aufruft. In der Tat zeigt eine GoogleScholar Recherche, dass obwohl die öffentliche Wahrnehmung von MOOCs gesunken ist, seit 2014 ein kontinuierlicher Anstieg an Forschungsbeiträgen zu verzeichnen ist. Während zu Beginn der MOOC-Forschung vor allem konzeptuelle Beiträge veröffentlicht sowie deskriptive Daten aus Erhebungen der ersten MOOCs analysiert wurden, sind neuere Beiträge interdisziplinär und haben die Ebene der Grundlagenforschung überschritten. Der Stellenwert, den MOOCs mittlerweile eingenommen haben, wird beispielsweise daran erkennbar, dass unter dem Begriff E-Learning der aktuellen Auflage des Wörterbuchs der Pädagogik (2018) MOOCs als einziges Beispiel für das Online-Learning genannt werden3. In Deutschland sind MOOCs vor allem durch das in Berlin gegründete Unternehmen 1

Pappano 2012, S. 1 White 2014, S. 11 3 Böhm/Seichter 2018, S. 135 2

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. T. Toth, Massive Open Online Courses im Kontext von Persönlichkeit und Prokrastination, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26296-9_1

2

1 Einleitung

‚Iversity‘ bekannt geworden, das als MOOC-Provider an europäischen Universitäten produzierte Kurse anbietet. Allerdings ist der Stellenwert von MOOCs in der Hochschulbildung Deutschlands umstritten. Einerseits wurde – zumindest unter vorgehaltener Hand – befürchtet, dass MOOCs die klassische Lehre ablösen werde, obwohl diese Angst sich als unbegründet herausstellte. Pauschenwein/Lyon (2018) hingegen sehen angesichts der steigenden Studierendenzahlen und gleichzeitig begrenzter Ressourcen von Universitäten in MOOCs eine Möglichkeit, Hochschulen zu entlasten4. Pellert (2018) konstatiert, dass das Selbstverständnis deutscher Universitäten sich zunehmend weniger den gesellschaftlichen Transformationsprozessen anpasst: „Tiefendimensionen des BolognaProzesses, die eigentlich eine Fokussierung auf Lebenslanges Lernen und Kompetenzorientierung, auf ein mehrmaliges „Kommen und Gehen“ an die und von der Hochschule sowie auf den „Shift from Teaching to Learning“ bedeuten, sind meist nicht angekommen in den Hochschulen.“5 Die Digitalisierung der Universitäten ist im Gange, was unter anderem zur Konsequenz hat, dass die Lehre öffentlich wird. MOOCs sind im Grunde nur eine Konkretisierung dieses ohnehin ablaufenden Prozesses, allerdings sind sie längst nicht mehr nur eine kurzweilige Innovation im E-Learning Bereich, sondern vielmehr als die logische Konsequenz der E-Learning Entwicklung und die aktuelle Manifestation der globalen Bildungsdigitalisierung zu verstehen. Das Hochschulforum Digitalisierung hat deshalb im Juni 2018 ein Arbeitspapier veröffentlicht, in dem sie die Möglichkeiten zur Anerkennung von in MOOCs erworbenen Kompetenzen im Hochschulbereich erörtern. Darin verweisen die Autor*innen darauf, dass die Anrechnung von außerhochschulisch erworbenen Kompetenzen in Beschlüssen und Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz (KMK), der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und des Akkreditierungsrats ausdrücklich gewünscht werden und an einer Standardisie-

4 5

Vgl. Pauschenwein/Lyon 2018, S. 157 Pellert 2018, S. 104

1 Einleitung

3

rung gearbeitet wird6. Der Bericht offenbart jedoch, dass bislang die Anerkennung von MOOCs in Deutschland bis auf wenige Einzelfälle nicht praktiziert wird7. Andere Länder sind MOOCs gegenüber offener eingestellt. Seit einigen Jahren ist auch China in die Entwicklung von MOOCs eingestiegen. Einige chinesische Universitäten produzieren mittlerweile MOOCs und das chinesische Bildungsminiserium fördert die Entwicklung von weiteren Kursen. Im Januar 2018 gab das chinesische Bildungsministerium bekannt, dass 490 nationale MOOCs veröffentlicht werden sollen8. Mit XuetangX wurde bereits 2013 ein chinesischer MOOC-Provider gegründet, der in kürzester Zeit weltweit zu einem der führenden Anbieter wurde, obwohl chinesische MOOCs außerhalb Chinas kaum bekannt sind. Insgesamt lässt sich feststellen, dass MOOCs nicht mehr nur ein Potenzial, sondern bereits die Realität der gegenwärtigen E-Learning-Entwicklung sind, die im internationalen Kontext sowohl bildungspolitisch als auch wissenschaftlich diskutiert wird. Die vorliegende Arbeit knüpft an den gegenwärtigen Forschungsdiskurs an, in der auch neue Perspektiven auf MOOCs gesucht werden, um sie u.a. didaktisch weiterzuentwickeln. Das Ziel dieser Arbeit ist es, sowohl einen empirischen Beitrag zur Forschungsdiskussion durch die Erforschung der Persönlichkeit und Prokrastination von MOOCTeilnehmer*innen als auch einen theoretischen Beitrag durch eine umfangreiche Systematisierung und Diskussion der bisher veröffentlichten Beiträge zu MOOCs zu leisten. Darüber hinaus sollen die hier gewonnenen Erkenntnisse in die Diskussion um die Rolle des E-Learning in der digitalen Spaltung integriert und die Möglichkeiten von MOOCs, als neueste Innovation des E-Learning der digitalen Spaltung zu begegnen, eruiert werden. Da MOOCs in dieser Arbeit als der aktuelle Stand der Entwicklung des E-Learnings begriffen werden, wird im zweiten Kapitel zunächst ein Ab6

Rampelt et al. 2018, S. 34 Vgl. Rampelt et al. 2018, S. 18 8 Zheng et al. 2018, S. 2 7

4

1 Einleitung

riss über die neuere Entwicklung des E-Learning und der für das ELearning bedeutsamen Lerntheorien gegeben (Kap. 2). Diese sind auch deshalb bedeutsam, weil Siemens (2004) die konnektivistische Lerntheorie entwickelte, die später Grundlage der von ihm entwickelten cMOOCs wurde. Zuletzt geht es in diesem Abschnitt der Arbeit auch um den Zusammenhang von E-Learning und dem Konzept des Lebenslangen Lernens. Die Bedeutung des Lebenslangen Lernens in unserer Gesellschaft wird in nahezu jedem Lehrbuch zur Erwachsenen- und Weiterbildung herausgestellt. Im Zuge der zunehmenden Digitalisierung unserer Gesellschaft kommt dem E-Learning dabei eine besonders wichtige Rolle zu. MOOCs werden in diesem Zusammenhang häufig als Hoffnungsträger interpretiert. Das dritte Kapitel ist als Metaanalyse der MOOC-Forschung konzipiert. Das Ziel des Kapitels ist es, den aktuellen Stand der internationalen Forschung wiederzugeben. Die Gliederung des Kapitels spiegelt die Systematisierung von mehreren hundert Studien wider und deckt die Schwerpunkte der gegenwärtigen MOOC-Forschung auf. Zuerst wird die Entwicklung von MOOCs chronologisch und lerntheoretisch rekonstruiert. Darin wird sowohl die grundlegende Unterscheidung zwischen den konnektivistischen cMOOCs und den der traditionellen akademischen Lehre ähnlichen xMOOCs geleistet als auch auf die verschiedenen Konzepte und Weiterentwicklungen von MOOCs eingegangen. Der Forschungsüberblick diskutiert verschiedene Problemfelder, die in der bisherigen MOOC-Forschung untersucht, jedoch noch nicht gelöst wurden, darunter vor allem die (langfristige) Finanzierung von MOOCs sowie die bereits oben angesprochene Anerkennungsproblematik. Diese Themen fokussieren vor allem einen hochschul- und bildungspolitischen Aspekt von MOOCs. Die Perspektive der Kursdesigner*innen und Kursteilnehmer*innen wird in den darauffolgenden Abschnitten des Kapitels diskutiert, zunächst wenn es um die verschiedenen Gründe der Teilnahme an MOOCs geht, vor allem aber hinsichtlich der für diese Arbeit zentralen Problematik der

1 Einleitung

5

hohen Dropout-Rate von MOOCs sowie der durch Forschungen ermittelten Prädiktoren des Kursbeendens. Unter Dropouts werden diejenigen Teilnehmer*innen subsumiert, die den Kurs zwar beginnen, doch während der Kurslaufzeit aus dem Kurs ausscheiden. Es gibt zahlreiche Studien, die die Abbruchquote von MOOCs gemessen haben. Lerís et al. (2017) berichten beispielsweise, dass durchschnittlich 6,5% der MOOCTeilnehmer*innen den Kurs beenden9. Diese geringe Abschlussquote wird häufig als Problem erachtet. Deshalb konzentriert sich ein beträchtlicher Teil der Publikationen auf die Erforschung der Gründe von Dropouts. Gängige Thesen versuchen Dropouts anhand der Herkunft und Sprache der Teilnehmer*innen, der Interaktions – und Koooperationsmöglichkeiten im Kurs, den Medienkompetenzen der Teilnehmer*innen, den Kommunikationsstrukturen des Kurses, dem allgemeinen Kursdesign, den Lernzielen und Lernstrategien der Teilnehmer*innen sowie anhand zeitlicher Muster von Dropouts zu erklären. Zum Abschluss des Kapitels werden die in der Forschung präsentierten Modelle zur Vorhersage des Kursbeendens und des Kurserfolgs diskutiert. Dabei wird auffallen, dass in der Erforschung von MOOCTeilnehmer*innen zwar ihr (Online-)Verhalten und ihre Motivation untersucht wird, ihre Persönlichkeit jedoch nahezu unberücksichtigt bleibt. Dies ist deshalb besonders bemerkenswert, weil die Erforschung der Persönlichkeit in traditionellen akademischen Lernsituationen ein sehr großes Gewicht hat und Zusammenhänge zwischen der Persönlichkeit und dem akademischen Erfolg sehr gut belegt sind. Aus dieser Forschungslücke heraus entstand das in dieser Arbeit berichtete Forschungvorhaben. Das Kapitel schließt mit einer Einordnung von MOOCs in die Diskussion um die digitale Spaltung. Dazu wird der gegenwärtige Stand der Debatte referiert sowie die Erwartungshaltug an MOOCs dargestellt, um diese kritisch zu diskutieren. Aus diesem Grund widmet sich das vierte Kapitel der Darstellung des für diese Arbeit zugrundeliegenden Konzepts des 9

Lerís et al. 2017, S. 784

6

1 Einleitung

Fünf-Faktoren-Modells der Persönlichkeit und ihrer theoretischen Herleitung. Diese fünf Faktoren (bekannt als die Big Five) werden sowohl forschungstheoretisch rekonstruiert als auch literaturbasiert in ihrem inhaltlichen Umfang bestimmt, um in einem letzten Abschnitt mit der Prokrastination in Zusammenhang gebracht zu werden. Die Prokrastination gilt im Kontext des akademischen Lernens als besonders wichtige Verhaltensweise bei der Vorhersage des akademischen Erfolgs und wird mit bestimmten Persönlichkeitseigenschaften assoziiert. Mit dem fünften Kapitel beginnt der empirische Teil der Arbeit. Das Ziel dieses empirischen Teils liegt in der Beantwortung von insgesamt fünf forschungsleitenden Fragen. Diese Forschungsfragen haben die durch die Systematisierung der Forschung im dritten Kapitel offengelegten Forschungslücken zum Thema und konzentrieren sich auf die Rolle der Persönlichkeit und der Prokrastination der MOOC-Teilnehmer*innen hinsichtlich des Kursbeendens. Darüber hinaus wird die Teilnahmemotivation und die Kursperfomance der Teilnehmer*innen untersucht, um Rückschlüsse auf die Rolle von MOOCs in der digitalen Spaltung zu ziehen. Zudem werden der Prozess der Datenerhebung beschrieben sowie die verwendeten Messinstrumente und die Testung auf ihre Reliabilität diskutiert. Das sechste Kapitel bildet das Zentrum des empirischen Teils und gliedert sich in einen deskriptivstatistischen und multivariaten Teil. Hier werden die für die Beantwortung der Forschungsfragen relevanten Auswertungen präsentiert und interpretiert. Die multivariate Analyse besteht aus einer binär logistischen Regressionsanalyse, deren Ziel die Vorhersage des Kursbeendens anhand der Persönlichkeit und der Prokrastination der Teilnehmer*innen ist. Die Modellpräsentation und die Auswertung der Ergebnisse bilden den Inhalt des abschließenden Kapitelabschnitts. Auf die Auswertung der Ergebnisse folgt im siebten Kapitel die Ergebnisdiskussion. Zunächst werden die Forschungsfragen diskutiert und vor dem Hintergrund der im theoretischen Teil der Arbeit herausgearbeiteten Informationen in den aktuellen Stand der Forschung eingeordnet. Darauf

1 Einleitung

7

folgt eine methodenkritische Auseinandersetzung mit der Arbeit, in der die Grenzen der hier berichteten Forschung aufgezeigt werden sollen. Das abschließende achte Kapitel verweist als Ausblick auf die Anknüpfungspunkte dieser Arbeit für zukünftige Forschungsvorhaben. Darin wird sowohl auf die Möglichkeiten der Fortführung der hier angestoßenen Forschung hingewiesen als auch die Bedeutung dieser Ergebnisse für die Wertigkeit von MOOCs im gesellschaftlichen Kontext diskutiert.

2 E-Learning E-Learning (von electronic learning) ist “ein vielgestaltiges gegenständliches und organisatorisches Arrangement von elektronischen bzw. digitalen Medien zum Lernen, virtuellen Lernräumen und ‘Blended Learning’”10. E-Learning ist deshalb ein sehr weitgefasster und zunehmend unpräziser Begriff11, denn das Spektrum des E-Learning reicht von den ersten Ansätzen des ‘Computer Based Training’ aus den 1980er Jahren12 bis hin zu rein digitalen Lernumgebungen wie bei MOOCs. Die meisten Hand- und Lehrbücher zum Thema E-Learning diskutieren das Problem der begrifflichen Unschärfe und der inflationären Begriffsneubildungen. Gemeinsam ist all diesen Diskussionen, dass der E-Learning Begriff der gebräuchlichste Begriff ist und andere Begriffe spezifische Formen des E-Learning darstellen. Terminologisch inbegriffen sind also alle Arten der Nutzung digitaler Medien zu Lehr- und Lernzwecken13. Im ELearning kommen unter anderen CD-ROMs, DVDs, interaktive TVSendungen, unterstützende Computer-Programme, das Internet und mobile Smartphone bzw. Tablet Applikationen (Apps) und digitale Spiele zur Anwendung sowie mediale Kommunikationsformen wie E-Mails, Chats oder Diskussionsforen14. Eine vollständige Auflistung erscheint jedoch angesichts ständiger Innovationen müßig. An das E-Learning wurden seit dessen Popularisierung in den 1990er Jahren sehr große Erwartungen formuliert, die schon früh konzeptionelle Umsetzungen erfuhren und spätestens seit den 2010er Jahren reifere Gestalten gewonnen haben15. Gegen Ende der 1990er Jahre verbreitete sich das E-Learning in der Erwachsenenausbildung und der Hochschulausbil-

10

Arnold et al 2011, S. 18 Vgl. Fischer 2013, S. 32 12 Vgl. Myrach/Montandon 2008, S. 194 13 Vgl. Kerres 2013, S. 6 14 Vgl. Schulz/Martsch 2011, S. 2 15 Vgl. Langenbach 2017, S. 13 11

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. T. Toth, Massive Open Online Courses im Kontext von Persönlichkeit und Prokrastination, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26296-9_2

10

2 E-Learning

dung, sodass sie mit der traditionellen Lehre konkurrierten16. Die Vorteile des E-Learning sind gleichzeitig Motivator für Unternehmen und Institutionen zur Implementierung von E-Learning Konzepten. E-Learning ermöglicht, je nach Konzept, eine erhöhte Flexibilität der Lernenden und die räumliche Unabhängigkeit der Lernenden von Institutionen. Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive spielen auch Kosten- und Zeitersparnisse eine Rolle, allerdings lässt sich dies eher selten nachweisen17. Auch die Zugänglichkeit spielt eine große Rolle, weil über digitale Lernumgebungen mehr Rezipient*innen erreicht werden können. Die Herausforderung bei E-Learning Konzepten ist, dass sowohl Lernende als auch Lehrende eine gewisse Medienkompetenz vorweisen müssen, um Lerninhalte angemessen bearbeiten und aufbereiten zu können18. Je komplexer und stärker E-Learning in allgemeine Lernprozesse integriert ist, desto höher sind die Anforderungen an Lernende und Lehrende. Man geht davon aus, dass Heranwachsende bereits durch die eigene Nutzung digitaler Medien eine gewisse Medienkompetenz (zumindest auf der Ebene der Mediennutzung und -gestaltung) vorweisen können. Weil digitale Medien Teil ihrer Alltagswelt sind, kann man zumindest davon ausgehen, dass Heranwachsende digitale Lernumgebungen und -angebote erwarten19. Unger (2010) bezeichnet dies als die Hybridisierung der Alltagswelt20. Die medienpädagogische Forschung spricht im Zuge dieser Entwicklungen davon, dass Bildungsinstitutionen, insbesondere Hochschulen nicht nur Bildungsräume, sondern „Möglichkeitsräume“21 sind, welche die technologischen Transformationen der Gesellschaft auch auf sich selbst übertragen müssen. Das bedeutet gleichermaßen für Lehrende und Studierende, dass sie den technologischen Fortschritt nicht ignorieren, sondern produktiv und kritisch begleiten und wenn sinnvoll, in ihren Bildungsräumen 16

Vgl. Moser 2010, S. 308 Vgl. Kerres 2013, S. 81; Vgl. Buschle/König 2018, S. 60 18 Vgl. Kerres et al. 2010, S. 142 19 Vgl. Selwyn 2010, S. 15 20 Vgl. Unger 2010, S. 102 21 Schwalbe/Meyer 2010, S. 37 17

2 E-Learning

11

integrieren müssen. Unabhängig davon, ob die Lernumgebung ein physischer Klassenraum oder eine Online-Lernumgebung ist, ist der Lehrende das Zentrum, von dem der didaktische und strukturelle Aufbau der Lerninhalte ausgeht22. Dies gilt ebenso sehr für reine Online-Räume wie für alle Konzepte, in denen E-Learning in Ergänzung zum traditionellen Präsenzunterricht genutzt wird. Gleichzeitig ist durch die Digitalisierung der Lernumgebungen für Lernende zunehmend die Möglichkeit gegeben, dass zeit- und raumunabhängig die aufbereiteten Inhalte gelernt werden können und Lernende Einfluss auf die Lernumgebung und die Lerninhalte nehmen. Tulodziecki/Herzig/Grafe (2010) beschreiben drei Generationen des ELearning, wobei die erste Generation durch die über Learning Management Systeme (LMS) zur Verfügung gestellten Lehr-Lernkurse gekennzeichnet ist, die einer traditionellen Didaktik folgen. Die zweite Generation kehrt von der bis dahin gängigen linearen Kursstruktur ab, stattdessen werden kürzere Lerneinheiten durch Learning Content Management Systeme (LCM) angeboten, welche flexibler gewählt werden können und mehr auf individuelle Interessen zugeschnitten sind23. Die dritte Generation des E-Learning kennzeichnet nicht mehr nur die elektronische Zurverfügungstellung von Lerneinheiten, sondern die Interaktivität dieser: „Lernen im Kontext der dritten E-Learning-Generation ist insgesamt ein Prozess, der den aktiven Umgang mit Inhalten, die eigene Gestaltung und Verbreitung von Inhalten, die Kooperation und Kollaboration mit Anderen in Lern- und Arbeitsgemeinschaften (learning communities) und die Nutzung von Werkzeugen zum aktiven Umgang mit Wissen (Wissensmanagement) betont.“24 Nachdem anfangs E-Learning primär als Online-Learning konzipiert wurde, entwickelten sich fortwährend Konzepte des Blended Learning, in denen Präsenz- und Onlinelernen mit dem Ziel mögicher Synergieeffekte 22

Vgl. Bull/Hammond 2008, S. 351 Vgl. Tulodziecki/Herzig/Grafe 2010, S. 108f. 24 Tulodziecki/Herzig/Grafe 2010, S. 110 23

12

2 E-Learning

kombiniert wurden.25. In Blended Learning Konzepten wechseln sich Präsenzlehre und Online Lehre ab, in der Regel mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen, weshalb Buschle/König (2018) davon sprechen, dass Blended Learning eine spezielle Form des E-Learning sei26. Durch die Kombination von Online Learning und Präsenzlehre kann zum Beispiel die Vermittlung von Informationen, die sonst im Frontalunterricht stattfinden würde, in die Online-Lehre ausgelagert werden, sodass Lernende in ihrem eigenen Tempo die Lerninhalte erschließen können. Im Unterricht selbst können sich Lehrende und Lernende der Vertiefung der zuvor online gelernten Inhalte widmen, z.B. in Form interaktiver Diskussionen und anderen didaktischen Mitteln. Die Effekte der Integration von Online-Learning in die Präsenzlehre sind relativ gut belegt und viel erforscht, wobei unklar ist, in welchem Maße die Online-Elemente vorhanden sein müssen. Means et al. (2013) führten eine Metaanalyse von 45 publizierten Studien durch und untersuchten den Effekt von Blended Learning Konzepten gegenüber dem reinen Online Learning. Das Ergebnis zeigt, „that in recent applications, purely online learning has been equivalent to face-to-face instruction in effectiveness, and blended approaches have been more effective than instruction offered entirely in face-to-face mode“27. Die Autor*innen kritisierten auch, dass ein Großteil der Literatur, die sich mit der Implementierung von Online- und Blended Learning beschäftigt, ihre Vorschläge aus theoretischen Überlegungen und weniger auf Grundlage empirischer Untersuchungen formulieren28. An dieser Metaanalyse kann jedoch kritisiert werden, dass die Definition von Blended Learning relativ offen war, da der Online-Teil 25% oder mehr umfassen konnte, solange es kein reines Online-Learning war29, d.h. es konnten theoretisch auch Untersuchungen mit in die Metanalyse auf25

Vgl. Moser 2010, S. 309 Vgl. Buschle/König 2018, S. 60 27 Means et al. 2013, S. 35 28 Vgl. Means et al. 2013, S. 37 29 Vgl. Means et al. 2013, S. 6 26

2 E-Learning

13

genommen werden, die beispielsweise nur aus einer Auftaktveranstaltung mit Präsenz und anschließend aus reinem Online-Learning bestanden haben. Bernard et al. (2014) untersuchten in einer weiteren Metanalyse den Effekt des Blended Learning, allerdings operationalisierten die Autor*innen das Blended Learning bezüglich der zeitlichen Komponente anders (mindestens 50% der Zeit in Präsenzlehre, wobei die meisten Studien Untersuchungen mit 75% Präsenzlehre und 25% Onlinelehre waren)30. Im Ergebnis berichten Bernard et al. (2014) im Grunde dasselbe, wenngleich der Effekt durch das Blended Learning lediglich moderat war31. Gleichzeitig lässt sich konstatieren, dass scheinbar unabhängig davon, wie groß der prozentuale Anteil an Online-Elementen in dem Lehrkonzept ist, Blended Learning einen zumindest moderaten positiven Effekt auf die Effektivität des Lernens hat: „if the online component is integrated successfully, it seems to add a dimension of independence from time and place that may turn out to be both more motivating and more facilitative of the goals of instruction“32. Dass zwischen reinem Online-Learning und der reinen Präsenzlehre kein signifikanter Unterschied in der Effektivität existiert, kann auch damit erklärt werden, dass der didaktische Aufbau reiner Online-Lehre sich kaum von dem didaktischen Aufbau der typischen Präsenzlehre des Frontalunterrichts unterscheidet, Blended Learning Konzepte hingegen immer ein anderes didaktisches Konzept erfordern. Ebner/Schön/Käfmüller (2015) stellen ein Konzept vor, dass sie als „Inverse Blended Learning“ 33 bezeichnen. Ihre Intention war dabei, insbesondere bildungsferne Personen erreichen zu können, die wenig Erfahrung mit digitalem selbstgesteuerten Lernen haben. Dieses Konzept ist insofern eine Inversion des Blended Learning, als das Online-Lernen im Zentrum steht und daher der Online-Kurs frei zugänglich ist und keine formale Zulassungsbeschrän30

Vgl. Bernard et al. 2014, S. 91 Vgl. Bernard et al. 2014, S. 116 32 Bernard et al. 2014, S. 116 33 Ebner/Schön/Käfmüller 2015, S. 199 31

14

2 E-Learning

kung kennt. Der Offline-Teil wurde an verschiedenen Standorten in Deutschland und Österreich in Form von Präsenztreffen organisiert. In diesem Sinne sprechen die Autor*innen davon, dass der Online-Kurs mit Offline-Angeboten angereichert wurde (inverse)34. Dies ist sicherlich eine sehr spezielle Form des E-Learning, welche bislang kaum Erprobungen gefunden hat, weshalb auch keine Aussagen über die Effektivität gegenüber normalen Blended Learning Konzepten gemacht werden kann.

Abbildung A2-1: Blended Learning und Inverse Blended Learning. Quelle: Ebner/Schön/Käfmüller 2015, S. 199.

Schließlich ist in der Diskussion um die Rolle des E-Learning auch die seit einigen Jahrzehnten angestrengte Debatte um die Offenheit des Lernens (Open Education) von Bedeutung: „Open Education can be described as the ambiguous effort to provide as much access as possible to education, in particular by removing barriers and increasing participation.“35 Die Open Education Bewegung ist zwar nicht unbedingt ein Novum in der Bildungsdebatte, hat allerdings durch den technologischen Fortschritt und die Verbreitung des Internets sowie der Weiterentwicklung von ELearning Konzepten und der Zugänglichkeit vieler Lerninhalte seit kurzem wieder an Aktualität gewonnen – zuletzt um 2010 durch die Popularisierung von Massive Open Online Courses (MOOCs, s. Kap. 3). Lane (2009) thematisiert im Kontext der Open Education vier Formen der Offenheit (Zugang zum Lerninhalt, Lizenzfreiheit, offenes Format und Pro-

34 35

Vgl. Ebner/Schön/Käfmüller 2015, S. 202 Deimann 2014, S. 98

2.1 Lerntheoretische Grundlagen

15

duktion mit offenen Softwares)36. Die Vorstellung der Offenheit des Lernens geht mit weitreichenden Ideen einher: die Idee einer demokratischen Bildung und der Bildung für alle im Sinne der Bildung als Menschrecht. Durch den global weit verbreiteten Internetzugang scheint E-Learning eine Möglichkeit zu sein, Bildungsungleichheiten auf globalem Maßstab bekämpfen zu können (s. Kap. 3.3). Allerdings gibt es auch Kritik an der Forderung einer radikalen Offenheit, weil Lernende, die sich und ihre Materialien nicht öffnen und ihre Ideen nicht teilen möchten, exkludiert werden könnten37.

2.1 Lerntheoretische Grundlagen Um das pädagogisch-didaktische Konzept von MOOCs beurteilen zu können, ist ein systematischer Zugang über Lerntheorien notwendig. Aus diesem Grund werden die heute gängigen Lerntheorien kurz erläutert. In Lehrbüchern werden in der Regel der Behaviorismus, Kognitivismus, Konstruktivismus und in neueren Ausgaben auch der Konnektivismus (manchmal auch Konnektionismus genannt) angeführt38. Lernen ist laut dem Behaviorismus eine beobachtbare Verhaltensänderung, die durch Umwelteinflüsse hervorgerufen wird. Unterschieden wird dabei zwischen klassischem und operantem Konditionieren. Auch wenn der Behaviorismus in vielen Lehrbüchern genannt wird, spielt er im E-Learning keine Rolle. Deswegen wird der reine Behaviorismus in dieser Arbeit nicht behandelt. Kognitiv-behaviorale Ansätze gelten als das erste pädagogische Paradigma in der Fernbildung, welches auch mit Beginn der Digitalisierung von Fernstudiengängen zunächst seine Anwendung fand39. Gegenwärtig spielen in der Lernpsychologie und in Theorien zum (multi)medialen Lernen kognitiv-konstruktivistische Theorien eine entschei36

Vgl. Lane 2009, S. 3f., ausführlicher in Kap. 3.3 Vgl. Deimann 2014, S. 98 38 S.a. Kerres 2013, S. 130-146; Rey 2009, S. 32-35; Arnold et al. 2015, S. 123-134 39 Anderson/Dron 2011, Vgl. S. 84 37

16

2 E-Learning

dende Rolle. Konnektivistische Theorien sind relativ neu und finden vor allem wegen der empirischen Fundierung durch neurowissenschaftliche Studien einen hohen Anklang, stellen in der praktischen Umsetzung didaktischer Konzepte oder Lerninstruktionen jedoch noch eher die Ausnahme dar.

2.1.1 Kognitivismus Im Kognitivismus wird zwischen Reiz und Reaktionsverhalten ein Verarbeitungsprozess gesetzt, indem die Informationen, die durch einen Reiz physisch empfunden wurden, durch einen kognitiven Verarbeitungsprozess in einer Wahrnehmung münden. Berücksichtigt werden dabei Wahrnehmungs-, Denk- und Gedächtnisprozesse40. In einer wegweisenden Theorie mit dem Titel ‚Cognitive Load Theory‘ (Theorie der kognitiven Belastung, CTL) wurde von Sweller (1994) publiziert und postuliert, dass „knowledge and intellectual skill based on knowledge is heavily dependent on schema acquisition. Schemas provide the basic unit of knowledge and through their operation can explain a substantial proportion of our learning-mediated intellectual performance.“41 Sie gilt mittlerweile als empirisch gut abgesichert42 und baut auf kognitivistischen Lerntheorien auf. Der Grundgedanke der Theorie ist, dass Lerninhalte so präsentiert und Lernaufgaben so gestellt werden müssen, dass sie unserer kognitiven Architektur entsprechen, die sich vor allem aus dem Arbeits- und Langzeitgedächtnis sowie der Konstruktion von Schemata zur Informationsspeicherung43 zusammensetzt. Ziel des multimedialen Lernens ist es, solche Schemata zu konstruieren und die Konstruktion dieser zu automatisieren. Die von Sweller postulierten Annahmen sind grundsätzlich mit

40

Rey 2009, S. 33 Vgl. Sweller 1994, S. 297 42 Rey 2009, S. 36 43 Vgl. Sweller/van Merrienboer/Paas 1998, S. 255 41

2.1 Lerntheoretische Grundlagen

17

neurowissenschaftlichen Erkenntnissen kompatibel44. Die Cognitive Theory of Multimedia Learning (CMTL) versucht dem Problem zu begegnen, wie multimediales Lernen strukturiert werden soll und welche Lernstrategien effektiv sind. Die Theorie der kognitiven Belastung ist dabei integraler Bestandteil. Die Kernannahme der CMTL ist, dass es eine duale Struktur (auditiv und visuell) der Informationsverarbeitung gibt45, dass das Gedächtnis nur eine begrenzte Arbeitskapazität hat, dass es drei Gedächtnisspeicher gibt (das sensorische Gedächtnis, Arbeitsgedächtnis und Langzeitgedächtnis) und dass es fünf wichtige kognitive Prozesse beim multimedialen Lernen gibt: „selecting, organizing, and integrating (selecting words, selecting images, organizing work, organizing images, and integrating new knowledge with prior knowledge)“46.

Abbildung A2-2: Theory of Multimedia Learning (CMTL). Quelle: Mayer/Moreno 2003, S. 44.

Lösungsvorschläge von Mayer/Moreno (2003) zur Reduktion der kognitiven Belastung beinhalten zumeist die Entlastung einer der beiden Kanäle. Beispielsweise können im Kontext von Lehrvideos Wörter bei einer Überbelastung des visuellen Kanals gesprochen werden, statt sie als Text einzublenden, weil dadurch der visuelle Kanal entlastet wird (Offloading). Wenn beide Kanäle gleichzeitig überbelastet sind, können zeitliche Pausen zwischen aufeinanderfolgenden Segmenten einer Präsentati44

Rey 2009, S. 48 Vgl. Mayer/Moreno 2003, S. 44 46 Sorden 2012, S. 1 45

18

2 E-Learning

onen eingearbeitet werden, sodass die Gesamtpräsentation in kleine Teile untergliedert wird und Rezipient*innen Zeit haben, die Informationen zu organisieren und in den eigenen Wissensstand zu integrieren (Segmentierung)47. CTL und CMTL haben gemeinsam, dass bei der Gestaltung von Lernmaterialien die Idee des „Weniger ist mehr“48 vertreten wird, bei dem das Arbeitsgedächtnis nicht unnötig belastet werden soll, um eine bessere Lernleistung zu erzielen. Die kognitive Lerntheorie spielt im ELearning Bereich eine wichtige Rolle und war Ausgangspunkt vieler weiterer Theorien, die jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht behandelt werden.

2.1.2 Konstruktivismus Kognitivistische Lerntheorien fokussieren sich auf die kognitive Verarbeitung von Reizen und blenden den sozialen Kontext und Umweltbedingungen des Lernens dabei aus. Allerdings wird Sinnhaftes, also die Bedeutungen von Informationen, in jeder Situation neu konstruiert, und zwar abhängig von situativen und sozial-kulturellen Bedingungen und individuellen Vorerfahrungen49. Seel (2003) charakterisiert Lernen aus konstruktivistischer Sicht als „aktiv, da jede Informationsverarbeitung kognitive Operationen voraussetzt, konstruktiv, insoweit es mit der Konstruktion von Wissen und mentaler Modelle einhergeht, kumulativ, insofern es zum Aufbau komplexer und überdauernder Wissensstrukturen und Fertigkeiten beiträgt, idiosynkratisch, so daß keine zwei Personen jemals zu identischen Wissensstrukturen und mentalen Modellen gelangen, zielgerichtet, da es mit der Bewältigung von Anforderungen verknüpft ist, wie sie von der jeweiligen Situation an den Lernenden herangetragen werden.“50 Lernende interpretieren neues Wissen durch Nutzung bereits 47

Vgl. Mayer/Moreno 2003, S. 46f. Rey 2009, S. 59 49 Vgl. Kerres 2013, S. 142; Vgl. Seel 2003, S. 25 50 Seel 2003, S. 24 [Herv.i.O.]; ähnlich bei: Kerres 2013, S. 145 48

2.1 Lerntheoretische Grundlagen

19

vorhandenen Wissens, weshalb aufeinander aufbauendes Wissen für Lernende besonders interessant und motivierend ist51. Soziale Interaktionen mit anderen Lernenden und Lehrenden sind für die Konstruktion von Wissen förderlich52. Besonders förderlich ist das kooperative Lernen, wenn die Wissensbestände der Lernenden auf ähnlichem Niveau sind. Darüber hinaus spielen metakognitive Fähigkeiten, wie das Setzen von Lernzielen und Selbstreflexion während des Lernprozesses eine wichtige Rolle53. Das erfolgreiche Anwenden solcher metakognitiven Fähigkeiten ist eine Bedingung des selbstregulierten Lernens und erfordert das Vorhandensein von Zielen und Motivation des Lernenden54. Schließlich sind Lernsituationen, die alltagsrelevant und authentisch erscheinen, für den Lernerfolg förderlich. Dies kann vor allem durch Anwendungsbeispiele sichergestellt werden, die auf mögliche Berufe der Lernenden oder andere Bereiche ihres Lebens abzielen55. Durch die Kontextualisierung des Wissens durch die Einbettung des Wissens in alltagsnahe Zusammenhänge wird für den Lernenden eine gesteigerte Relevanz entwickelt, sodass der Sinn der Aufgaben leichter konstruiert und später rekonstruiert werden kann. Die Konsequenz für die Herstellung von Lernumgebungen ist, dass sie situativ und offen gestaltet sein sollen56. Reinmann & Mandl (2006) formulieren darüber hinaus noch weitere Charakteristika konstruktivistischer Lerntheorien, die im Besonderen auf problemorientierten Unterricht abzielen: neben den bereits genannten Aspekten des authentischen Lernens und der Einbettung der Lernprozesse in soziale Kontexte wird empfohlen, Lerninhalte in multiplen Kontexten und unter multiplen Perspektiven zu vermitteln sowie das Lernen durch Instruktionen zu unterstützen57. Das Lernen in unterschiedlichen Kontexten erleichtert die 51

Vgl. Loyens/Gijbels 2008, S. 352 Vgl. Loyens/Gijbels 2008, S. 352 53 Vgl. Rey 2009, S. 32 54 Vgl. Loyens/Gijbels 2008, S. 352f. 55 Vgl. Loyens/Gijbels 2008, S. 353 56 Vgl. Reinmann/Mandl 2006, S. 626 57 Vgl. Reinmann/Mandl 2006, S. 640f. 52

20

2 E-Learning

Übertragbarkeit gelernten Wissens auf unterschiedliche Situationen. Instruktionen dienen dazu, Problembehandlungen in den Fokus des Lernens zu rücken und das Lernen zu strukturieren. Ohne solche Unterstützungen besteht die Gefahr, dass das Lernen ineffizient ist, selbst wenn offene Lernsituationen ermöglicht wurden. Insbesondere der Aspekt des kooperativen bzw. sozialen Lernens wird an Hochschulen im E-Learning Bereich in den Fokus gesetzt. Über Lernmanagement Systeme werden digitale Lernumgebungen geschaffen, in denen die Lerninhalte mit unterschiedlichen Medien präsentiert werden können und die das Gelernte z.B. durch Links oder eingebettete Videos dynamischer mit alltagsnahen Situationen und Themen verknüpfen können als dies im reinen Präsenzunterricht der Fall ist.

2.1.3 Konnektivismus George Siemens hat in seinem Artikel mit dem Titel »Connectivism: A Learning Theory for the Digital Age« seine Gedanken zum netzgestützten und vernetzten Lernen präsentiert. Der Konnektivismus soll eine Reaktion auf die Mängel veralteter Lerntheorien sein, denn: bestehende Lerntheorien „were developed in a time when learning was not impacted through technology“58. In der gegenwärtigen Gesellschaft sind Informationen durch ihre zeit- und raumungebundene Verfügbarkeit im Überfluss vorhanden. Deswegen geht es nicht nur darum zu wissen, was wichtig ist, sondern auch, wo man die Informationen finden kann und wie man sie kritisch beurteilt: „Connectivist learning focuses on building and maintaining networked connections that are current and flexible enough to be applied to existing and emergent problems. Connectivism also assumes that information is plentiful and that the learner’s role is not to memorize or even understand everything, but to have the capacity to find and apply

58

Siemens 2004, o.A.

2.1 Lerntheoretische Grundlagen

21

knowledge when and where it is needed.”59 Dadurch, dass Wissensbestände stetig aktualisiert werden müssen und „die stetig abnehmende Halbwertzeit des Wissens sowie die zunehmende Bedeutung von Netzwerken“60 unsere Gesellschaft prägen, verändert sich das Lernverhalten von Menschen. Lernen geschieht dadurch, dass Wissensbestände miteinander verknüpft und damit in einen Zusammenhang gebracht werden. Dadurch bildet sich ein Netzwerk von Wissensbeständen heraus. Dieses Netzwerk hilft Lernenden dabei, sich in der Fülle von Informationen zurechtzufinden61. „Mit Blick auf die stetig wachsenden Informationsflüsse müssen deshalb das »Know-how« und »Know-what« um das »Knowwhere« ergänzt werden, das Wissen darüber, wo relevante Informationen zu finden sind. S[iemens] sucht nach einem Modell des Lernens, das den Einzelnen entlastet, das ihn von der Aufnahme und Bewertung beliebiger Informationen befreit. Lernen bedeutet stattdessen, persönliche Netzwerke zu entwickeln, die wiederum aus bewährten Knotenpunkten bestehen. Diese werden fortlaufend überprüft und erweitert, und zwischen ihnen werden immer wieder neue Beziehungen geknüpft.“62 Lernen bedeutet deshalb auch, Informationen zu prioritisieren, d.h. nach ihrer Relevanz und Aktualität ordnen zu können. Rey (2009) spricht davon, dass konnektivistische Lerntheorien im ELearning bislang keine Anwendung gefunden hatten63. Allerdings ging der erste cMOOC von Siemens und Downes bereits 2008 online, ein Massive Open Online Course nach dem Prinzip des Konnektivismus. Die Grundidee des Konnektivismus ist, dass Wissen nicht durch einen Lehrenden und in einer bestimmten Lehrsituation verkörpert und vermittelt werden kann64. Deswegen kommen beim Lernen vier Aktivitäten zur Anwendung: „1) aggregation, access to and collection of a wide variety 59

Anderson/Dron 2011, S. 87 Robes 2012, o.A. 61 Siemens 2004, o.A. 62 Robes 2012, o.A. [Anm. C.T.] 63 Vgl. Rey 2009, S. 35 64 Vgl. Kop 2011, S. 20 60

22

2 E-Learning

of resources to read, watch, or play; 2) relation, after reading, watching, or listening to some content, the learner might reflect and relate it to what he or she already knows or to earlier experiences; 3) creation, after this reflection and sense-making process, learners might create something of their own (i.e., a blog post, an account with a social bookmarking site, a new entry in a Moodle discussion) using any service on the Internet, such as Flickr, Second Life, Yahoo Groups, Facebook, YouTube, iGoogle, NetVibes, etc.; 4) sharing, learners might share their work with others on the network. This participation in activities is seen to be vital to learning.“65 In Anbetracht dieser vier Aktivitäten wird die Bedeutung digitaler Kompetenzen augenscheinlich. Vor allem die der Erschaffung und Teilung neuer Inhalte setzen Kenntnisse digitaler Tools und im Umgang mit dem Internet voraus. Lernende müssen in konnektivistischen Lernumgebungen selbstständig und eigentätig sein. Selbstgesteuertes Lernen setzt wiederum voraus, dass die Lernenden strukturiert arbeiten können und intrinsisch motiviert sind. Da es keine vorgegebenen Lernstrukturen gibt, müssen in konnektivistischen Lernumgebungen die Lernenden ihre Zeit selbst einteilen, sich selbst Lernziele setzen und eigene Lernressourcen finden66. Darüber hinaus müssen sie sich im Idealfall in den Lernprozess einbringen, indem sie aktiv Inhalte suchen und beitragen, systematisieren oder diskutieren. Deshalb bieten sich für konnektivistische Lernumgebungen die Integration von digitalen Medien an, weil diese gewissermaßen das Wissensmanagement und die Kommunikation mit anderen Lernenden erleichtern können. Allerdings setzt das Gelingen solcher Lernumgebungen voraus, dass die Lernenden offen für die Anwendung digitaler Tools sowie kompetent genug sind, diese sinnvoll zu verwenden. An dieser Lerntheorie wird vor allem die mangelnde theoretische Fundierung kritisiert67. Darüber hinaus argumentieren Anderson/Dron (2011), 65

Kop 2011, S. 20f. Vgl. Kop 2011, S. 21 67 Vgl. Robes 2012, o.A. 66

2.2 Formales, non-Formales und informelles Lernen dass konnektivistische Ansätze abhängig sind von „charismatic and popular network leaders“68, weil diese über die notwendigen Netzwerke verfügen und die nötige Anzahl an Menschen dazu motivieren, an konnektivistischen Lernaktivitäten teilzunehmen. Desweiteren ist die Verbindung von konnektivistischen Lernaktivitäten mit formalem Lernen deshalb schwierig, weil die Lernziele sowie der Beginn und das Ende des Lernens absichtlich diffus sind69. Das offene und wenig strukturierte Kursdesign kann außerdem dazu führen, dass sich Teilnehmer*innen verloren fühlen und deshalb nicht dem Kurs folgen können70.

2.2 Formales, non-Formales und informelles Lernen Die Europäische Kommission definierte die verschiedenen Formen des Lernens wie folgt: „Formales Lernen findet in Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen statt und führt zu anerkannten Abschlüssen und Qualifikationen. Nicht-formales Lernen findet außerhalb der Hauptsysteme der allgemeinen und beruflichen Bildung statt und führt nicht unbedingt zum Erwerb eines formalen Abschlusses. Nicht-formales Lernen kann am Arbeitsplatz und im Rahmen von Aktivitäten der Organisationen und Gruppierungen der Zivilgesellschaft (wie Jugendorganisationen, Gewerkschaften und politischen Parteien) stattfinden. Auch Organisationen oder Dienste, die zur Ergänzung der formalen Systeme eingerichtet wurden, können als Ort nichtformalen Lernens fungieren (z. B. Kunst-, Musikund Sportkurse oder private Betreuung durch Tutor*innen zur Prüfungsvorbereitung). Informelles Lernen ist eine natürliche Begleiterscheinung des täglichen Lebens. Anders als beim formalen und nicht-formalen Lernen handelt es sich beim informellen Lernen nicht notwendigerweise um ein intentionales Lernen, weshalb es auch von den Lernenden selbst unter

68

Anderson/Dron 2011, S. 89 Vgl. Anderson/Dron 2011, S. 89 70 Vgl. Dron/Anderson 2009, o.A. 69

23

24

2 E-Learning

Umständen gar nicht als Erweiterung ihres Wissens oder ihrer Fähigkeiten wahrgenommen wird.“71 Das formale Lernen findet also in spezifischen Lerninstitutionen statt, welche über die Zuständigkeit verfügen, am Ende der Lernprozesse Zertifikate zu vergeben. Formales Lernen ist deshalb institutionsübergreifend anerkannt, sofern die zertifizierende Institution selbst eine anerkannte Bildungsinstitution ist. Non-formales Lernen findet in der Regel vermittelt durch Organisationen oder zumindest im Rahmen dieser statt und kann ggf. zertifiziert werden, wenngleich die Anerkennung solcher Zertifikate nicht verbindlich ist, sodass sie in der Regel nicht als Zugangsqualifikation für höhere formale Bildung geltend gemacht werden können. Informelles Lernen findet in der Freizeit statt, unabhängig von Organisationen und Institutionen, auch wenn diese durchaus Anlass und Raum von informellen Lernen sein können. Allerdings ist eine derart klare Trennung der Lernorte hinsichtlich der Lernprozesse nicht möglich. Harring/Witte/Burger (2018) weisen beispielsweise darauf hin, dass die Schule „sowohl formale – im Kontext von Unterricht – als auch informelle – im Kontext von Peerinteraktionen z.B. in Pausen – Lerngelegenheiten“72 offeriert. Durch informelles Lernen können zwar keine Zertifikate erworben werden, allerdings können wichtige Kompetenzen entwickelt und verbessert werden, auch im Bereich neuer Medien: „Speziell die Nutzung von Handy, Computer und Internet erfordert die Aneignung digitaler Fertigkeiten, die in erster Linie nicht an formalisierten Lernorten, sondern vielmehr in Eigenregie experimentell oder wieder in der Gleichaltrigengruppe erworben werden.“73 Non-formales Lernen findet unter anderem auch in Bereichen der außerschulischen Bildung und Weiterbildung statt, wobei gerade im Weiterbildungssektor sehr vielfältige öffentliche Angebote und Anbieter existieren. Hinzu kommt, dass durch die Digitalisierung viele Angebote nun online und kostenlos über Open Education Resources (OER) zugänglich 71

Europäische Kommission 2000, S. 9f. Harring/Witte/Burger 2018, S. 18 73 Harring 2018, S. 465 72

2.3 Lebenslanges Lernen und E-Learning

25

sind. Farrow et al. (2015) untersuchten, welche Kriterien bei der Wahl von non-formalen Lernangeboten über OER eine Rolle spielen und was zum non-formalen Lernen motiviert. Der mit Abstand wichtigste Grund ist ein persönliches Interesse an den Lerninhalten, gefolgt von dem Interesse, sich professionell weiterzuentwickeln oder dass die Lerninhalte im Zusammenhang mit dem Job stehen74. Die Lernenden entschieden sich nach einer Vielzahl von Kriterien für das non-formale Lernen in OERs, darunter: „detailed metadata; subjext area and level of study; format; perceived relevance; reputation of repository or creater; evident learning outcomes; ease of access; and evidence of interest from others. Less important factors included open licensing and attractive presentation.”75 Angesichts der dynamischen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und den dadurch steigenden Anforderungen an Arbeitnehmer*innen, mit den Transformationsprozessen in unserer Gesellschaft mitzuhalten, wird die Bedeutung des informellen und non-formalen Lernens stetig virulenter. Diese Lernformen finden deshalb ihren Eingang in die Erwachsenenbildung im Kontext des Lebenslangen Lernens sowie die Medienbildung im Kontext der Digitalisierung.

2.3 Lebenslanges Lernen und E-Learning Die Bund-Länder-Kommission (BLK) publizierte 2004 ein Heft zur Strategie für Lebenslanges Lernen in der Bundesrepublik Deutschlands für Bildungsplanung und Forschungsförderung und definierte darin den Begriff des Lebenslangen Lernens: „Lebenslanges Lernen umfasst alles formale, nicht-formale und informelle Lernen an verschiedenen Lernorten von der frühen Kindheit bis einschließlich der Phase des Ruhestands. Dabei wird "Lernen“ verstanden als konstruktives Verarbeiten von Informationen und Erfahrungen zu Kenntnissen, Einsichten und Kompeten74 75

Vgl. Farrow et al. 2015, S. 59 Farrow et al. 2015, S. 69

26

2 E-Learning

zen.“76 In der Lebensphase der Erwachsenen wird Lebenslanges Lernen auf Grund spärlicher zeitlicher Ressourcen besonders durch selbstgesteuertes Lernen ermöglicht. Im Zuge der Flexibilisierung und kontinuierlichen technologischen Transformation der meisten Berufe wurde das Lernen nach der Schulzeit bedeutsamer und damit gleichsam die Selbsttätigkeit des Subjekts. Selbstgesteuertes Lernen zielt auf die Selbstbestimmung, Selbsttätigkeit und Selbstverantwortung des Subjekts im Lernprozess ab. Damit geht eine Verlagerung der Verantwortung einher, sodass Lernende nun selbst mehr in der Pflicht stehen, ihre Lernbiographie individuell zu gestalten und zu aktualisieren77. Durch die zunehmende Bedeutung des Lebenslangen Lernens werden die Möglichkeiten des Einsatzes digitaler Medien sowohl in formalen, non-formalen und informellen Lernsituationen eruiert. Prensky differenzierte 2001 zwischen Digital Natives und Digital Immigrants, ein Begriffspaar, das bis heute in der medienpädagogischen Forschung gerne und häufig angeführt wird78. Soziologische Perspektiven differenzieren die unterschiedlichen Generationen hinsichtlich ihrer Merkmale, darunter ihre Medienaffinität und Medienkompetenz. Menschen, die nach 1980 geboren sind und damit entweder der Generation Y (*1980-1995) oder Generation Z (*≥1995) angehören, gelten als Digital Natives, während ältere Menschen als Digital Immigrants bezeichnet werden79. Auch Digital Immigrants können medienkompetent sein – sie unterscheiden sich jedoch dadurch von Digital Natives, dass sie sich ihre Medienkompetenz zunächst aneignen müssen, während Digital Natives bereits beim Heranwachsen in ihrer Alltagswelt mit digitalen Medien eng verflochten sind und ihre Medienkompetenz deshalb passiv erwerben. Allerdings gilt diese Darstellung als eine unpräzise Pauschalisierung, die nur begrenzt haltbar ist. Digital Natives sind auf Grund

76

BLK 2004, S. 13 Vgl. Hof 2009, S. 37 78 S.a. Prensky 2001 79 Ebert-Steinhübel/Steinhübel 2014, S. 7 77

2.3 Lebenslanges Lernen und E-Learning

27

des ständigen Vorhandenseins des Internets nicht automatisch kompetenter in der Mediennutzung als ältere Generationen. Die DIVSI-Milieu-Studie zu Vertrauen und Sicherheit im Internet (2012) unterscheidet zwischen (1) Digital Outsiders, die ganz offline oder im Umgang mit dem Internet so verunsichert sind, dass das Internet eine „digitale Barriere“80 darstellt, (2) Digital Immigrants, die dem Internet zwar insbesondere hinsichtlich den Themen Datenschutz und Sicherheit skeptisch gegenüberstehen, dieses jedoch selektiv und regelmäßig nutzen und (3) Digital Natives, die eine grundsätzlich positive Einstellung gegenüber dem Internet haben und „die fortschreitende Digitalisierung primär als persönliche Chance“81 sehen. Die dort vorgenommene Unterscheidung zeigt, dass sich Digital Natives und Digital Immigrants nicht unbedingt hinsichtlich ihrer Medienkompetenz unterscheiden, sondern vielmehr in ihrem Online-Verhalten und ihren Einstellungen gegenüber dem Internet. Eines der zentralen Befunde der DIVSI Studie lautet daher: „Bedeutsamer als der (allmählich versandende) „digitale Graben“ zwischen Onlinern und Offlinern sind heute die Mentalitätsgrenzen zwischen verschiedenen Nutzertypen und ihre – jeweils die Sicherheitseinstellung und das Risikoverhalten prägende – (subjektive) Internet-Souveränität.“82 Dadurch ergibt sich ein komplexes Spannungsfeld, da basale Formen der Medienkompetenz sowohl das Ziel als auch die Voraussetzung für das Lebenslange Lernen sind. Dieses Spannungsfeld lässt sich nur auflösen, wenn Medienkompetenz durch schulische Medienbildung vermittelt wird, damit die Jugendlichen nach ihrem Abschluss als Erwachsene bereits die Voraussetzung dafür besitzen, lebenslang weiter zu lernen. Aus dem Papier der Bundes-Länder-Kommission (2004) gehen die Entwicklungsschwerpunkte hervor, auf die politisch hingewirkt werden muss: Einbeziehen informellen Lernens, Selbststeuerung, Kompetenzentwicklung, Vernetzung, Modularisierung, Lernberatung, Neue Lernkul80

DIVSI 2012, S. 34 DIVSI 2012, S. 34 82 DIVSI 2012, S. 15 81

28

2 E-Learning

tur/Popularisierung des Lernens, Chancengerechter Zugang83. Unter Kompetenzentwicklung wird, wenngleich nicht mit dem Begriff Medienkompetenz tituliert, eben doch implizit die Medienkompetenz angesprochen: „Das selbstständige Erschließen des jeweils aktuell benötigten Wissens durch gezieltes recherchierendes Erarbeiten und Nutzen einschlägigen gespeicherten Wissens wird zunehmend wichtiger. Dies erfordert auch die breite Entwicklung der Kompetenz zur zielführenden Nutzung der modernen Informations- und Kommunikationstechnologie.“84 ELearning ist mittlerweile ein erprobtes und viel genutztes Setting des Lebenslangen Lernens, weil digitale Lernumgebungen die passende Lernsituation für hochgradig individualisiertes und selbstgesteuertes Lernen sind. Darüber hinaus bietet eine digitale Lernumgebung zwar nicht einen komplett barrierefreien Zugang, aber dennoch deutlich reduziertere Zugangsbeschränkungen durch die flexible Integration des Lernens in den persönlichen Alltag als örtlich und zeitlich gebundene Lernumgebungen, welche sich nicht an das Individuum anpassen, sondern die Anpassung vom Individuum fordern. Insofern wird E-Learning in Zeiten der Notwendigkeit des Lebenslangen Lernens auch als realistische Möglichkeit der Chancengleichheit gesehen. Gegenwärtig werden Massive Open Online Courses (MOOCs) in diesem Kontext mit besonders hohen Erwartungen konfrontiert.

83 84

Vgl. BLK 2004, S. 14ff. BLK 2004, S. 15

3 Massive Open Online Courses (MOOCs) Massive Open Online Courses‘ (MOOCs) gibt es seit 2008, als der erste cMOOC von Siemens und Downes im Stile des Konnektivismus mit dem Titel ‚Connectivism and Connective Knowledge‘ mit 25 zahlenden Studierenden der University of Prince Edward Island in Canada sowie 2200 nicht zahlenden externen Teilnehmer*innen startete85. 2011 begann der erste xMOOC von Thun und Norvig zum Thema ‚Artificial Intelligence“ mit knapp 160.000 Teilnehmer*innen. MOOCs haben sich in den vergangenen Jahren enorm etabliert86. Die Wortbestandteile verraten bereits viel über den didaktischen und strukturellen Aufbau dieser Kurse. Sie sind ‚Massive‘, weil sie eine unbegrenzt große Anzahl von Mitgliedern ermöglichen87. Zur Anmeldung müssen entweder keine oder nur geringe Voraussetzungen erfüllt werden (‚Open‘)88. In der Regel sind die einzigen Zugangsvoraussetzungen die Kurssprache, eine Internetverbindung und eine Emailadresse zur Registrierung. Sie sind größtenteils kostenlos und ermöglichen eine große Reichweite und Bandbreite an Interessenten89. Viele Inhalte der MOOCs sind allerdings Eigentum der Provider, also der Plattformbetreiber, und sind nach Kursende für Teilnehmer*innen nicht mehr verfügbar, weshalb Schulmeister (2013) die Offenheit des Kurses beeinträchtigt sieht90. Kosten entstehen lediglich, wenn Zertifikate erworben werden sollen. MOOCs finden im Internet, also ohne direkten menschlichen Kontakt statt, eröffnen daher die Möglichkeit zur Onlinekommunikation und interaktion mit dem Kurs, den Lehrenden und anderen Lernenden (‚Onli-

85

Vgl. Kaplan/Haenlein 2016, S. 443 Vgl. Porter 2015b, S. 3 87 Vgl. Porter 2015b, S. 3f.; Vgl. Wulf et al. 2014, S. 111 88 Vgl. Porter 2015b, S. 3f.; Vgl. Wulf et al. 2014, S. 111 89 Vgl. Wulf et al. 2014, S. 111; Vgl. Schulmeister 2013, S. 13 90 Vgl. Schulmeister 2013, S. 24 86

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. T. Toth, Massive Open Online Courses im Kontext von Persönlichkeit und Prokrastination, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26296-9_3

30

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

ne‘)91. Sie haben einen didaktischen Aufbau und können auch die Struktur traditioneller akademischer Kurse enthalten, bestehen in der Regel aus linear aufeinander folgenden Kursabschnitten, die in regelmäßigen Intervallen veröffentlicht werden (‚Courses‘)92. Insofern sind sie hochgradig standardisiert und die Teilnehmenden sind eher passive Lerner, weil sie keine eigenen Inhalte in den Kurs einbringen93. Ähnlich wie bei anderen Konzepten des ‚Online-Learning‘ erreichen MOOCs Menschen, die normalerweise aus Kosten-, Zeit- oder anderen Gründen nicht an Hochschulbildung teilhaben könnten – unabhängig von ihrem Bildungsstand94. Mota/Scott (2014) fassen die Vorteile für Lernende in MOOCs wie folgt zusammen: „MOOCs are open, even for those not attached to the specific institution promoting the course and, in general, free for all. Their flexibility of use allows participants to operate independently of space and time. There is no formal curriculum, and thus students are not constrained by the demands of following a programme of learning. They allow a greater degree of sharing ideas and additional material with participants than is available on traditional courses. The equipment required to access the material and internet connectivity is becoming increasingly available. There are many opportunities for links to previous contents, depending on the specific student level or interest. There is a wide variety of assignments to choose from, allowing student customization in accordance with the student profile or the particular demand. They are relatively low cost for teachers, and can be developed collaboratively. MOOCs can be developed for work-based purposes, allowing employees to attend even during the hours of work. They take account of the way our lives are increasingly becoming ones of digital immersion. They allow networking between and by teachers.“95 Die oben 91

Vgl. Porter 2015b, S. 3f; Vgl. Wulf et al. 2014, S. 111 Vgl. Wulf et al. 2014, S. 111; Vgl. Porter 2015b, S. 4 93 Vgl. Kaplan/Haenlein 2016, S. 448 94 Vgl. Schulmeister 2013, S. 13, 20 95 Mota/Scott 2014, S. 67f. 92

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

31

genannten Erwartungen zeigen deutlich die Hoffnung und den Optimismus, der mit MOOCs verbunden wird. MOOCs sind allerdings keineswegs die Heilsbringer der digitalen Lehre, für die sie zu Beginn gehalten wurden und kämpfen mit vielseitigen Herausforderungen (s. Kap. 3.2). MOOCs sind nicht mit Onlineuniversitäten (z.B. University of Phoenix96) oder Fernstudiengängen (z.B. Fern-Universität Haagen) zu verwechseln, da sie keine ganzen Studiengänge darstellen, sondern nur vereinzelte Kurse sind. Eine Ausnahme stellen neuere Entwicklungen seit 2017 dar, als die Einführung von Nanomastern auf edX stattfand. In Zusammenarbeit mit Georgia Tech wurde ein Studiengang entwickelt, der zu einem Nanomaster-Abschluss in Analytics führt und damit gezielt auf den Arbeitsmarkt vorbereiten und dort anerkannt werden soll97. MOOCs selbst lassen sich vor allem in zwei Kategorien einteilen, nämlich in ‚xMOOCs‘ und ‚cMOOCs‘. xMOOCs, also ‚extended MOOCs‘, gelten als eher traditionell, da sie an die klassische Art eines Kurses – etwa in Universitäten – angelehnt sind und eine ähnliche Struktur haben98. Dabei wurden traditionelle Unterrichtsmethoden digitalisiert, da Videovorlesungen häufig das zentrale Mittel sind, um neuen Input in den Kurs zu geben. Diese Vorlesungen müssen von Teilnehmer*innen angeschaut werden. Auf dem Inhalt der Vorlesungen beruhend werden Tests geschrieben, welche durch verschiedene Techniken, wie zum Beispiel Multiple-Choice Fragen, möglichst skalierbare Ergebnisse und Auswertungen ermöglichen sollen99. Außerdem ist der Kurs stark durchstrukturiert, enthält einen Lehrplan und hat konkrete Erwartungen an die Teilnehmer*innen, Diese Struktur erschwert allerdings auch das individuelle Durcharbeiten des Lehrstoffes, denn dieser wird (nur) in regelmäßigen Intervallen herausgegeben. Das Ver-

96

Vgl. Schulmeister 2005, S. 230 https://www.edx.org/micromasters/analytics-essential-tools-methods 98 Vgl. Porter 2015b, S. 4; Vgl. Shen/Kuo 2015, S. 568 99 Vgl. Schulmeister 2013, S. 9; Vgl. Wulf et al. 2014, S. 112 97

32

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

hältnis zwischen Lernenden und Institution entspricht meist dem von Studierenden und Tutor*‘innen. ‚cMOOCs‘, also ‚connectivist MOOCs‘, entstanden gemäß der konnektivistischen Lerntheorie nach Siemens100. Der wahrscheinlich wichtigste Aspekt der ‚cMOOCs‘ ist deshalb die Verbindung zur ‚Community‘ und die Vernetzung mit deren Teilnehmer*innen durch verschiedene Aktivitäten, Diskussionsgruppen oder andere möglichst interaktive Tätigkeiten. Lehrende nehmen eher die Rollen von Tutor*innen ein, die*der die Teilnehmer*innen animiert und individuelle Lernprozesse anstößt101. Die Kernidee des Konnektivismus ist, dass der Prozess des Lernens ein dauerhaftes Verknüpfen von Inhalten bedeutet, welche sowohl menschlicher als auch nicht-menschlicher Natur sein können102. Das Lernen erfolgt selbstgesteuert und selbstorganisiert. Die Fülle an relevanten und irrelevanten Informationen überfordert das einzelne Subjekt, deshalb ergibt es Sinn, sich dem Wissen anderer Menschen auszusetzen. Zusammen bilden alle Subjekte, die in einen solchen Lernprozess involviert und miteinander vernetzt sind, ein Netzwerk des Lernens, in dem sie sich gegenseitig neuen Input durch ihre Expertise geben können und gleichzeitig als Korrektiv gelten können, wenn Informationen falsch oder veraltet sind. Möglich wird dies durch die verschiedenen Plattformen, in denen die Studierenden parallel agieren, zusammenarbeiten, diskutieren, Fragen stellen und beantworten oder gemeinsame Methoden entwickeln können103. Zugleich wird dieser Austausch der Studierenden durch den offenen Zugang zu den Lehrmaterialien weiter unterstützt. cMOOCs sind in ihrem Kursdesign dynamisch und zielen auf die Aktualität der Informationen ab, weshalb Diskussionen und Lerninhalte kontinuierlich weitergeführt und

100

Vgl. Siemens 2014, o.A. Vgl. Kaplan/Haenlein 2016, S. 448 102 Vgl. Siemens 2014, o.A. 103 Vgl. Porter 2015b, S. 6; Wulf et al. 2014, S. 112 101

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

33

damit unterschiedlichen Generationen an Lernenden zugänglich gemacht werden104.

Abbildung A2-3: Gegenüberstellung von cMOOCs und xMOOCs. Quelle: Yousef et al. 2014b, S. 13.

Trotz einigen Unterschieden wird deutlich, dass die Grenzen zwischen den beiden MOOC-Arten insofern verschwimmen können, als beide die 104

Vgl. Sanders/Faesi/Goodman 2014, S. 439

34

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

Online-Kommunikation als ein wichtiges Element charakterisieren und das Ziel ein mehr oder weniger individuelles Lernen ist105. Die beliebtesten Themen sind bis heute unabhängig von der Kursart und des Anbieters ‚Computer Science‘ gefolgt von Kursen zu Wissenschaft, Geschichte, Wirtschaft und Gesundheit106. Die Kurse werden auf MOOC-Plattformen angeboten, am bekanntesten sind Coursera (30 Millionen registrierte Nutzer*innen), edX (14 Millionen), XuetangX (9,3 Millionen), Udacity (8 Millionen) und FutureLearn (7,1 Millionen)107. Zusätzlich ist für den europäischen Raum noch Iversity zu nennen. Die Plattform musste 2016 Insolvenz anmelden, weil ein wichtiger Investor abgesprungen war, konnte allerdings kurz darauf einen neuen Geldgeber finden. Laut eigenen Angaben sind gegenwärtig über 750.000 Nutzer*innen registriert108.

Abbildung A2-4: Entwicklungsgeschichte von MOOCs und ihrer Provider. Quelle: Yuan & Powell 2013, S. 6. 105

Eine etwas ausführlichere tabellarische Übersicht, welche cMOOCs und xMOOCs ähnlich zur Darstellung von Yousef et al. (2014b) miteinander vergleicht, findet sich bei Smith/Eng 2013, S. 246f. 106 Vgl. Gardner/Brooks 2018, S. 133 107 Vgl. Gardner/Brooks 2018, S. 132 108 https://iversity.org/en/pages/about

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

35

Baturay (2015) stellt auf Grundlage eines Reports von ‚Universities UK‘ fünf verschiedene Lerner-Typen in MOOCs dar: (1) Berufliche Lernende, die ihre beruflichen Kenntnisse aufrechterhalten oder erweitern wollen, (2) Wissenschaftler*innen und Pädagog*innen, die MOOCs und ihre Ressourcen für akademische Zwecke als freie Bildungsressourcen nutzen oder in ihre Lehre einfließen lassen, (3) Studierende, die MOOCs ergänzend zu ihrem eigenen Studiengang zum Lernen nutzen, (4) HobbyLernende, die selbstgesteuert und aus eigenem Interesse die Kursinhalte lernen möchten sowie (5) Potenzielle Studierende, die in der Auseinandersetzung mit den Kursinhalten herausfinden möchten, ob sie den Themen auch in formalen Bildungsinstitutionen nachgehen möchten109. Campbell et al. (2014) unterscheiden zwischen ‚Live-Learners‘ und ‚Archived-Learners‘110. ‚Live-Learners‘ nehmen während der betreuten Laufzeit eines MOOCs an diesem teil, werden von Instrukteur*innen begleitet und durch den Kurs geführt, was unter anderem auch bedeutet, dass sie regelmäßig Erinnerungen oder Ermutigungsmails und Ankündigungen zugeschickt bekommen111. Die zu behandelnden Materialien werden in regelmäßigen Abständen zur Verfügung gestellt, sind für die Lernenden aber oft nur bis zum Ende des Kurses verfügbar. Live-Learners sind also durch die zeitliche Gebundenheit und das aktive Arbeiten im Kurs ‚in-session’, wodurch ihnen ermöglicht wird, an Tests und Prüfungen teilzunehmen und gegebenenfalls ein Zertifikat für den Kurs zu erhalten. Eingeschränkt durch das nur stückweise bereit gestellte Material und gebunden an die Deadline des Kurses sind Live-Learner nur teilweise selbstbestimmt in ihrem Lernen112. Allerdings eröffnet sich durch den strikten Rahmen des Kurses und mit Hilfe der Diskussionsforen die Möglichkeit, – neben den Lehrer*innen – Unterstützung durch den Rest des Kurses zu erhalten, da dieser immer aktuell dasselbe Thema behandelt. 109

Vgl. Baturay 2015, S. 429 Vgl. Campbell et al. 2014, S. 235 111 Vgl. Campbell et al. 2014, S. 237f. 112 Vgl. Campbell et al. 2014, S. 239 110

36

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

‚Archived-Learner‘ nehmen nicht während der Laufzeit eines MOOCs an diesen teil, sondern tun dies nach Ablauf der eigentlichen Betreuungszeit, in einem archivierten MOOC oder in MOOCs, die von Beginn an als Archived MOOC angelegt sind. MOOCs werden häufig, ähnlich wie Universitätskurse, ein bis zweimal im Jahr angeboten und haben eine Laufzeit von einigen Wochen bis zu wenigen Monaten. Zwischen diesen aktiven Zeiten der Betreuung und Kursteilnahme bleiben MOOCs jedoch auf den Plattformen online und die Inhalte zugänglich, sodass die Inhalte auch unabhängig von ihrer aktiven Laufzeit bestehen bleiben und sie gelernt werden können. Archived-Learner müssen wesentlich selbstständiger arbeiten als Live-Learner und da diese Kurse keine Deadline haben und keine Zertifikate mehr erworben werden können, sind solche Studierenden ausschließlich intrinsisch motiviert. Archived-Learner sind also in einer ‚Post-Live-Session‘ und nicht ‚In-Session‘113. Die Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit wird hier dadurch ermöglicht, dass alle Lehrmaterialien unmittelbar nach Anmeldung im Kurs verfügbar sind und Studierende sie flexibel und ohne feste Reihenfolge, im selbstbestimmten Lerntempo, dafür aber auch ohne eine unterstützende Anleitung bearbeiten können. Allerdings laufen auch ‚Archived- MOOCs‘ nicht unendlich, wodurch dieses Lehrmaterial ebenfalls nur verfügbar ist, solange der Kurs online ist. Auch bei den ‚Archived-MOOCs‘ können andere Lernende, etwa in Diskussionsforen, als Hilfe herangezogen werden. Allerdings ist hier die Chance, viele Studierende zu erreichen, die gerade dasselbe Thema behandeln, eher gering. Trotzdem findet man bei der Abgrenzung der Lerntypen teilweise Übereinstimmungen und vor allem im aktiven Nutzungsverhalten innerhalb der MOOCs gibt es mehr Übereinstimmungen als Unterschiede114. Der größte Unterschied ist, dass Studierende sich in einem ‚Live-MOOC‘ anmelden, um ein Zertifikat zu erhal-

113 114

Vgl. Campbell et al. 2014, S. 238f. Vgl. Campbell et al. 2014, S. 256, 258

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

37

ten, während solche, die an einem ‚Archived-MOOC‘ teilnehmen, dort frei aktiv sein können, die Teilnahme aber nicht zertifiziert bekommen. MOOCs fanden schnell Anklang und stellten ein bisher ungewöhnliches Ereignis dar, denn „selten [hat es] ein soziales (und technisches) Phänomen gegeben, besonders im Bildungsbereich, das sich mit einer derartigen Geschwindigkeit verbreitete“115. Einer der Gründe, auf den dieser schnelle Zuwachs zurück zu führen ist, liegt im Zeitpunkt des Aufkommens der MOOCs, an dem viele Studierende, auf Grund von Eigenverschuldung und durch die immer höher werdenden Studiengebühren zunehmend unzufriedener wurden und MOOCs dankend als günstige Alternative annahmen116. Aus diesem Grund werden MOOCs bisweilen als die Form der digitalen Bildung gehandelt, die die globale Ungleichheit der Bildung aufheben könne. Durch die niedrigen Zugangsbarrieren sollen auch Bevölkerungsgruppen erreicht werden, die sonst keinen Zugang zu höherer Bildung haben117. Es zeigt sich jedoch zunehmend, dass MOOCs vor allem von Menschen besucht werden, die bereits Zugang zu akademischer Bildung hatten oder sogar gegenwärtig in solchen Bildungsprozessen involviert sind oder ohnehin einen höheren sozioökonomischen Status aufweisen118. Mittlerweile sind immer mehr Hochschulen zuversichtlich, dass MOOCs sich auch weiterhin positiv entwickeln und gut umgesetzt werden können119. Darüber hinaus wird mit MOOCs auch die Chance verbunden, dass Wissenschaftler*innen sich einer breiteren Öffentlichkeit stellen können: “As a result, MOOCs are a valuable tool for academic researchers to communicate scientific knowledge to the public, and find means of political and technical participation that empower citizens and promote

115

Schulmeister 2013, S. 10; Vgl. Castillo et al. 2015, S. 35ff. Schulmeister 2013, S. 21 117 Vgl. Ichou 2018, S. 117 118 Vgl. Ichou 2018, S. 117; Vgl. Hansen/Reich 2015a, S. 63 119 Vgl. Jansen et al. 2015, S. 134 116

38

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

their involvement in nature conservation.”120 Vor allem in Europa planen mittlerweile viele Institutionen zukünftig mit MOOCs zu arbeiten bzw. haben bereits Projekte zur Entwicklung von MOOCs begonnen. In Deutschland erhalten MOOCs an Universitäten noch nicht dieselbe Anerkennung, wie es im asiatischen oder US-amerikanischen Raum der Fall ist. Allerdings interessiert sich die deutsche Wirtschaft sehr für MOOCs, sodass einige Unternehmen bereits für die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter*innen MOOCs produzierten (z.B. der Magenta-MOOC der deutschen Telekom121). Dabei bleibt fraglich, ob die dort produzierten Kurse tatsächlich noch MOOCs im eigentlichen Sinne sind. Dennoch wird häufig davon gesprochen, dass MOOCs „the next big thing“122 sind.

3.1 Varianten und Weiterentwicklungen von MOOCs Seit der Etablierung von MOOCs haben sich deren Strukturen und Varianten bereits in vielerlei Hinsicht verbessert und weiterentwickelt. Der Anlass dafür war in der Regel das Bestreben, die vermeintlichen Schwachstellen von MOOCs zu verbessern. Diese beziehen sich meist auf die Teilnehmer*innenzahl, die Didaktik, die Zugänglichkeit oder die Dropout-Rate der Kurse. ‚SPOCs‘ sind ‘Small Private Online Courses’, welche nur eine limitierte Anzahl von bis zu 500 Teilnehmer*innen zulassen123. Teilnahmegebühren sind eher der Regelfall124 und der Kurs findet komplett online statt. Meist sind die Teilnehmer*innen Studierende, die in einer Universität eingeschrieben sind. Darüber hinaus charakterisieren sich SPOCs durch eine intensive Betreuung der Teilnehmer*innen, u.a. durch e120

Rodrigues/Carmo/Perillo 2014, S. 177 https://mooc.telekom.com/ 122 Vgl. Ebert-Steinhübel/Steinhübel 2014b, S. 12; Vgl. Schuwer et al. 2015, S. 20 123 Vgl. Kaplan/Haenlein 2016, S. 443; Vgl. Porter 2015a, S. 57; Vgl. Guoxin 2017, S. 686 124 Vgl. Uijl/Filius/Cate 2017, S. 238 121

3.1 Varianten und Weiterentwicklungen von MOOCs

39

Moderatoren125. Der Fokus in den Kleingruppen von meist bis zu 20 Teilnehmer*innen liegt auf der Interaktion126, sowohl untereinander als auch mit den Lehrenden. Die Betreuer*innen geben den Studierenden häufig Feedback. Die intensive Betreuung und kleinen Teilnehmer*innenzahlen werden als Hauptursachen dafür gesehen, dass die Abschlussquote des Kurses deutlich über den Abschlussraten von MOOCs liegt. SPOCs haben in der Regel feste Start- und Endzeiten127. Für eine Anwendung von MOOC-Inhalten in SPOCs argumentiert Fox (2013): „Both MOOCs and SPOCs are two design points in a wider space in which experiments are possible.”128 Stellenweise wird darauf verwiesen, dass MOOCs lediglich als Zusatz zum regulären akademischen Unterricht Verwendung finden können, sie jedoch nicht die akademische Lehre komplett ersetzen können – SPOCs hingegen sollen dazu jedoch möglichst in der Lage sein, insbesondere weil die Verwaltung geringer und die Interaktion deutlich höher ist als bei MOOCs129. Zheng et al. (2018) schlagen deshalb vor, dass SPOCs besonders dazu geeignet sind, über ein flipped Classroom Design in den Unterricht integriert zu werden130. MOOCs und SPOCs stehen daher nicht in direkter Konkurrenz zueinander, sondern bedienen unterschiedliche Interessen. In China wurde seit 2013 mit SPOCs experimentiert, im Februar 2015 gab es bereits 85 SPOCs von 51 verschiedenen Universitäten auf einer chinesischen MOOC-Plattform, die zusätzlich zu den vorhandenen MOOCS eigens eine SPOC Kategorie eingerichtet hat131. Bei ‚SMOCs‘ handelt es sich um ‚Synchronous Massive Online Courses‘. Diese sind zeitlich gebunden und limitiert, haben also auch eine zusätzliche zeitliche Komponente. Die Nutzer dieses Kurses müssen alle zu ei125

Vgl. Uijl/Filius/Cate 2017, S. 238; Vgl. Filius et al. 2018, S. 87 Vgl. Filius et al. 2018, S. 87; Vgl. Uijl/Filius/Cate 2017, S. 241 127 Vgl. Filius et al. 2018, S. 87 128 Vgl. Fox 2013, S. 40 129 Vgl. Guoxin 2017, S. 685 130 Vgl. Zheng et al. 2018, S. 2 131 Vgl. Guoxin 2017, S. 687 126

40

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

nem gegebenen Zeitpunkt online sein, um beispielsweise einen LiveStream einer Vorlesung oder ähnliches sehen zu können132. Allerdings scheinen SMOCs eine relativ kurze Erscheinung und Innovation der University of Texas at Austin zu sein, die keine Weiterentwicklung erfahren hat. ‚iMOOC‘, oder ‚intelligent MOOC‘, ist ein Hybridmodell und eine Mischform, die an der portugiesischen Fernuniversität ‚Universidade Aberta‘ entworfen wurde. ‚iMOOCs‘ integrieren unterschiedliche Formen des ‚Online-Learnings‘ wie zum Beispiel die Plattform ‚Moodle‘133. iMOOCs tauchen bisweilen auch unter der Bezeichnung ‚hMOOCs‘ für ‚hybrid MOOCs‘ auf. Diese Hybridmodelle sollen die Vorteile von xMOOCs und cMOOCs aufgreifen und sinnvoll verknüpfen. Der MOOC hat dazu die Struktur eines xMOOCs, integriert jedoch soziale Netzwerke mit in den Kurs134. Durch die Kombination dieser Plattformen sollen unterschiedliche Ressourcen aktiviert werden und formales als auch nonformales Lernen im xMOOC sowie informelles Lernen durch die sozialen Netzwerke induziert werden135. Solche Hybridmodelle sind relativ jung und werden im Moment nur an sehr wenigen Standorten entwickelt. Das Hauptproblem von Hybridmodellen ist der viel größere Betreuungsaufwand, der durch die unterschiedlichen Plattformen entsteht. Sein-Echaluce et al. (2016) entwickelten eine Variante von MOOCs, die sich an die Bedürfnisse der Studierenden anpassen soll. Ein Charakteristikum dieser aMOOCs (adaptive MOOCs) ist die Aufhebung von festen Start- und Endzeitpunkten des Kurses. Stattdessen gibt es variable Perioden, die sich an die Zeitpläne der Lernenden anpassen lassen. Darüber hinaus wurde die Idee eines virtuellen Campuses umgesetzt, sodass die verschiedenen aMOOCs zwar voneinander unabhängig sind, jedoch mit132

Vgl. University of Texas in Austin 2013, o.A. Vgl. Coelho et al. 2015, S. 152f. 134 Vgl. García-Peñalvo/Fidalgo-Blanco/Sein-Echaluce 2018, S. 1022; Vgl. Andres 2015, S. 46 135 Vgl. Fidalgo-Blanco/Sein-Echaluce/García-Peñalvo 2016, S. 3 133

3.1 Varianten und Weiterentwicklungen von MOOCs

41

einander verbunden werden können, wodurch gemeinsame Lernpfade entstehen. Die Übertragbarkeiten der erlernten Kompetenzen ist deshalb ebenfalls gewährleistet, sodass die gleichen Kompetenzen nicht in unterschiedlichen aMOOCs wiederholt erworben werden müssen136. Alle aMOOCs wurden auf der iMOOC-Plattform137 veröffentlicht. ‚bMOOCs‘ sind MOOCs im Stile eines xMOOCs mit integrierter Blended Learning Komponente. bMOOCs zielen darauf ab, Face-to-Face Interaktionen mit online und Video basierten Lernaktivitäten zu kombinieren, um die Studierendenzentrierung und die Interaktionsmöglichkeiten zu erhöhen138. Beispielsweise konnten Lernende in dem L2P-bMOOC der Universität Aachen mit einem Tool Annotationen in den bereitgestellten Videos verfassen, die die Zusammenarbeit und Interaktion zwischen Lernenden während einer Videovorlesung erlaubten und damit die Passivität beim Anschauen von Videos aufbrachen139. Albó/HernándezLeo/Oliver (2015) stellten fest, dass es unter Lehrenden zwar eine hohe Bereitschaft gibt, MOOCs in einem Blended Learning Format in ihre Präsenzlehre einzubauen, es allerdings insbesondere in der didaktischen Integration einige Barrieren gibt140. Für diese Hindernisse müssen erst Lösungsvorschläge entwickelt werden, weil bislang auf keine erprobten Konzepte zurückgegriffen werden kann. Nach den bisher publizierten Konzepten ist es jedoch schwierig, bMOOCs als echte Variante von MOOCs zu bezeichnen, da weder das M (massive) noch das O (online) bei einer geschlossenen Präsenzveranstaltung eingehalten werden und lediglich entweder die Didaktik eines flipped-classroom oder die Integration von online Elementen in der normalen Lehre Anwendung finden. Darüber hinaus sei ein spezielles Konzept für MOOCs zu erwähnen, welches als ‚Inverse Blended Learning‘ bezeichnet wird (s. Kap. 2). Ja136

Vgl. Sein-Echaluce et al. 2016, S. 382 http://gridlab.upm.es/imooc/?lang=en 138 Vgl. Yousef et al. 2015, S. 122f. 139 Vgl. Yousef et al. 2015, S. 123 140 Vgl. Albó/Hernández-Leo/Oliver 2015, S. 13 137

42

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

nisch/Ebner/Slany (2017) versuchten in ihrem MOOC, Schüler*innen die Grundlagen des Programmierens mit Pocket Code zu vermitteln, wobei insgesamt 571 Schüler*innen am Kurs teilnahmen und eine Schulklasse mit 14 Schüler*innen eine Anreicherung des MOOCs durch OfflineAktivitäten im Klassenzimmer erhielten141. Abgesehen davon, dass die Zielgruppe mit Schüler*innen ein sehr interessantes Feld für MOOCs anspricht und die Teilnehmer*innenzahl nicht limitiert zu sein scheint, ist das didaktische Konzept jedoch nahezu dasselbe, wie es SPOCs vorsehen. ‚Language MOOCs‘, kurz ‚LMOOCs‘ spezialisieren sich auf die Vermittlung von Sprachkompetenzen. Ein Beispiel hierfür ist ein Kurs für professionelles Englisch, welcher in Spanien verfügbar ist und durch Personen geleitet wird, die auf nationalen Plattformen aktiv sind142. LMOOCs bringen die Besonderheit mit sich, dass sie spezielle Tools benötigen, die für einen mündlichen Kompetenzerwerb benötigt werden143, zumal das fehlende Feedback beim Spracherwerb durch Lehrende angemessen kompensiert werden muss144. Da LMOOCs weiterhin ‚massive‘ sind, ist das Verhältnis von Studierenden und Lehrenden, das beim Spracherwerb normalerweise entscheidend ist, ein großes Problem, das durch kreative Methoden kompensiert werden muss. Dies geschah beispielsweise durch soziales Feedback in Facebook-Gruppen, in denen die schriftlichen Fähigkeiten getestet werden konnten145. Auch für Language MOOCs zeigt sich, dass diese eher eine Randerscheinung sind. Vor allem die Forschung beschränkt sich auf wenige Autor*innen, die jedoch seit einigen Jahren diese spezifische Abwandlung von MOOCs weiterentwickeln. Hinzukommt, dass die Bezeichnung ‚LMOOC‘ von der Bezeichnung ‚MOOLC‘ (Massive Open Online Language Course) konkurriert 141

Vgl. Janisch/Ebner/Slany 2017, S. 20f. Vgl. Coelho et al. 2015, S. 513 143 Vgl. Read 2014, S. 97 144 Vgl. Read 2014, S. 100 145 Vgl. Ventura/Bárcena/Martín-Monje 2014, S. 516 142

3.1 Varianten und Weiterentwicklungen von MOOCs

43

wird146 und das Problem der für den Spracherwerb dringend nötigen mündlichen Übung scheint eher behelfsmäßig denn zuverlässig gelöst zu sein. Eine transeuropäische Partnergemeinschaft von neun Universitäten, an denen mit der HdM Stuttgart und der TU Dresden auch zwei deutsche Universitäten beteiligt sind, hat ebenfalls eine MOOC Abwandlung erarbeitet. Das Projekt ‚MOOCs for Accessibility Partnership‘147 (MOOCAP), in dem im Rahmen des ERASMUS+ Programms ein MOOC entwickelt wurde, ist auf die Bedürfnisse ihrer Nutzer*innen zugeschnitten. Dazu werden inklusive Kursdesigns entwickelt, die insbesondere den Zugang für blinde und gehörlose Menschen ermöglichen sollen, z.B. indem alle Videos und Audio-Dateien Untertitel erhalten, wie dies bei der Plattform FutureLearn148 üblich ist149, oder dass die Videos per Screenreader steuerbar sind. Didaktisch arbeitet der MOOCAP mit ‚Personas‘, also digitale Alias-Persönlichkeiten, oder Lernprofilen, welche die Herausforderungen im Leben verschieden beeinträchtigter oder behinderter Menschen exemplarisch aufzeigen. Die Teilnehmer*innen werden auch im Rahmen des Kurses dazu ermutigt, eigene Personas zu erstellen und von ihren Erfahrungen zu berichten150. Dies soll unter anderem die Motivation der Teilnehmer*innen fördern, indem Studierende als Zentrum des Lernvorgangs selbst entscheiden können, welches der vielen verschiedenen, angebotenen Lernprofile sie wählen möchten und welches am besten zu ihrem Lernstil passt. Dieser MOOCAP ist nicht zu verwechseln mit dem ‚MOOCAP‘ Modell aus China (MOOC of China Advanced Placement), welcher ein MOOC zur speziellen Sprachförderung ist und sich an MOOCAP ähnlichen Modellen aus den USA orientieren, in denen 2013

146

Vgl. Perifanou & Economides 2014, S. 3563 Vgl. Kelle/Henka/Zimmermann 2015, S. 3664; https://moocap.gpii.eu/ 148 www.futurelearn.com 149 Vgl. Draffan et al. 2015, S. 231 150 Vgl. Loitsch/Weber/Voegler 2016, S. 455 147

44

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

über edX in Zusammenarbeit mit Highschool-Lehrern Fortgeschrittenenkurse im MOOC-Format entwickelt wurden151. Im Gegensatz dazu etablieren sich mittlerweile sogar MOOCs, die komplett geschlossen sind und in denen man nur durch eine Einladung dem Kurs beitreten kann152. Außerdem ist anzunehmen, dass sich kostenpflichtige Kurse durchsetzen werden, da diese die rentablere Variante für die MOOC-Provider darstellen. Für diese Prognose spricht auch, dass die meisten MOOC Provider nun neben ihren klassischen MOOCs auch spezielle Kurse anbieten, die kostenpflichtig sind und dezidiert für bestimmte Berufe qualifizieren wollen (z.B. Specialization-Kurse auf Coursera153). Zusätzlich zu den hier dargestellten MOOC-Varianten sind der Vollständigkeit halber zwei weitere Varianten von MOOCs zu nennen: Quasi-MOOCs, welche „encompass a myriad of webbased tutorials such as Open Educational Resources (OER), which are technically not courses but are intended to support learningspecific tasks“154 sowie BOOCs (big open online course), die herunterskalierte MOOCs sind, z.B. bei Hickey/Uttamchandani (2017) mit 500 zugelassenen Teilnehmer*innen155. Schließlich gibt es auch Mischformen, wie beispielsweise das ahMOOCModell (adaptive hybrid MOOC)156. Insofern kann in der Entwicklung von MOOCs dasselbe Muster beobachtet werden, wie in der Gesamtgeschichte des E-Learning: Zunächst als revolutionäre Veränderung der traditionellen Lehre gedacht mitsamt der Angst, dass Online-Learning die traditionelle Lehre ablöst, wird im weiteren Verlauf, zumindest im formalen Lernsetting, im Grunde nach einer Art Blended Learning Konzept für MOOCs gesucht. MOOCs stehen damit nicht für die Ablösung, sondern die Erweiterung traditioneller Lehre. 151

Vgl. Wei 2017, S. 680 Vgl. Porter 2015a, S. 58 153 https://www.coursera.org/courses?languages=en&query=specialization 154 Romero/Ventura 2017, S. 1 155 Vgl. Hickey/Uttamchandani 2017, S. 18 156 Vgl. Sein-Echaluce/Fidalgo-Blanco/García-Peñalvo 2017, S. 276; s.a. GarcíaPeñalvo/Fidalgo-Blanco/Sein-Echaluce 2018 152

3.2 Forschungsüberblick

45

Allerdings ist auch erkennbar, dass sich MOOCs immer mehr von ihrer ursprünglichen Philosophie, kostenlose akademische Bildung für viele Menschen zu ermöglichen, entfernen: „but there is some indication that enrollments have begun to slow as platforms have transitioned to paid models and phased out various free certification options, and as the course population declines in size over repeated iterations of a course“157.

3.2 Forschungsüberblick MOOCs werden nach wie vor umfangreich erforscht. Als Grundlage dieser Arbeit dient eine Sichtung internationaler Forschungspublikationen, die sich vor allem auf den Zeitraum 2013-2018 bezieht. Hill (2013c) hat die folgenden Aspekte von MOOCs als die wichtigsten Barrieren bezeichnet, die es zu überwinden gilt, damit MOOCs dauerhaft bestehen können: “Developing revenue models to make the concept selfsustaining; Delivering valuable signifiers of completion such as credentials, badges or acceptance into accredited programs; Providing an experience and perceived value that enables higher course completion rates (most today have less than 10% of registered students actually completing the course); and Authenticating students in a manner to satisfy accrediting institutions or hiring companies that the student identify is actually known.”158 Besonders häufig wird sich dabei mit der hohen DropoutRate beschäftigt, mit der nahezu alle MOOCs zu kämpfen haben. Die Dropout-Rate ist das größte ausgewiesene Problem, mit dem sich MOOC-Provider schon seit den ersten MOOCs auseinandersetzen müssen159. Als Dropout gelten diejenigen Teilnehmer*innen, die sich für einen Kurs registrieren, diesen jedoch nicht zu Ende bringen und/oder aus 157

Gardner/Brooks 2018, S. 132 Hill 2013c, o.A. 159 Vgl. Xing et al. 2016, S. 119, 127; Vgl. Banerjee/Duflo 2014, S. 514; Vgl. Onah/Sinclair/Boyatt 2014, S. 5827; Vgl. Clow 2013, S. 185; Vgl. Belleflamme/Jacqmin 2014, S. 9 158

46

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

dem Kurs aussteigen. Bei den Forschungen über MOOCs sind allerdings auch andere Bereiche von Interesse. Leider zeigt sich, dass MOOCs zwar ein viel versprechendes Angebot bieten, die Kurse in der Realität allerdings mit verschiedensten Problemen konfrontiert werden. Sicherlich führt ein Zusammenspiel all dieser Probleme dazu, dass die Nutzer*innen den Kurs nicht beenden oder aussteigen, jedoch sind es oft auch einzelne Faktoren, die dazu führen können.

3.2.1 Finanzierungsproblematik Die Produktion, Betreuung und Aufrechterhaltung von MOOCs ist selbstverständlich mit nicht unerheblichen Kosten verbunden und stellt Universitäten durchaus vor das Problem der Finanzierung160. Denn während die Teilnahme an MOOCs kostenlos ist, ist die Produktion des Kurses mit sehr hohen Kosten verbunden. Es gibt sehr wenige Schätzungen der Kosten, welche mit der Produktion von MOOCs verbunden sind. Hollands & Tirthali (2014) schätzen die durchschnittlichen Kosten der reinen MOOC-Produktion auf $38,980 bis $325,330 pro MOOC, hinzukommen ggf. Gebühren für die Veröffentlichung des MOOCs und/oder Provisionen an den MOOC-Provider161. Kernohan (2015) schreibt, dass konservative Schätzungen von 30,000 - 40,000 Pfund ausgehen, die tatsächlichen Kosten allerdings viel höher sind162. Beispielsweise dürfen MOOC-Ersteller edX als Plattform benutzen, „but on the condition that part of the revenue generated be shared with edX. In these courses, the first USD 50,000 generated by the course, or the first USD 10,000 from each recurring course, will be taken by edX, after which the university and edX will share revenue equally.”163

160

Vgl. Fischer et al. 2014, o.A.; Vgl. Cusumano 2014, S. 25 Vgl. Hollands/Tirthali 2014, S. 118ff. 162 Vgl. Kernohan 2015, S. 5 163 Liyanagunawardena/Lundqvist/Williams 2015, S. 98 161

3.2 Forschungsüberblick

47

Als Hauptkostenursachen wurden folgende Faktoren identifiziert: „the number of faculty members, administrators, and instructional support personnel participating in the process; the quality of videography; the nature of the delivery platform; programming for special features such as computer code auto-graders, virtual labs, simulations, or gamification; analysis of platform data; and technical support for participants.”164 Nicht nur das Erstellen der Kurse selbst, sondern auch Honorare für an der Produktion beteiligte Personen sind mit teils hohen Kosten verbunden165. Unter anderem wurden auch die Kosten des ersten cMOOCs „Connectivism and Connected Knowdledge“ von Siemens und Downes untersucht. Im Vergleich zu den untersuchten xMOOCs betrugen die Kosten des cMOOCs ($65,804) weniger als die Hälfte der Kosten des kostengünstigsten xMOOCs ($152,830)166. Die Kosten der zweiten Runde des cMOOCs waren im Vergleich zur ersten Runde des Kurses um 38% geringer, insbesondere die Kosten für die Kursleitungen sowie Ausrüstung der Produktion konnten reduziert werden167. Nicht alle Hochschulen und Universitäten haben das nötige Geld und die Ausstattung zur Produktion solcher Kurse168. Da Hochschulen selbst für ihre Lehrpläne und deren Umsetzung verantwortlich sind, gibt es dafür selten externe Zuschüsse. Dies bedeutet wiederum, dass es für die meisten Hochschulen schlicht keinen finanziellen Anreiz gibt, solche neuen Inhalte zu kreieren. Reizvoll sind MOOCs allerdings wegen dem Reputationsgewinn durch die internationale Visualisierung der Institution in der Weltöffentlichkeit169. Im Rahmen von MOOCs werden universitäre Programme und Professoren vorgestellt und beworben170. Da die meisten Hochschulen kein Budget haben, um MOOCs zu entwickeln, wird disku164

Vgl. Hollands/Tirthali 2014, S. 118 Vgl. Fischer et al. 2014, o.A.; Vgl. Cusumano 2014, S. 26 166 Vgl. Hollands/Tirthali 2014, S. 121f. 167 Vgl. Hollands/Tirthali 2014, S. 121 168 Vgl. Ebner/Kopp/Dorfer-Novak 2016, S. 331; Vgl. Cusumano 2014, S. 25f. 169 Vgl. Lerís et al. 2017, S. 783; Vgl. Teixeira et al. 2016, S. 144 170 Vgl. Fischer et al. 2014, o.A. 165

48

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

tiert, ob die Öffentliche Hand die Basisfinanzierung dieses öffentlichen Zugangs zur Bildung übernehmen soll171. In diesem Kontext stellen MOOCs eine aussichtsreiche Möglichkeit dar, den gesellschaftlichen Bildungsstand zu verbessern. Allerding ist dies noch keine gängige Methode und so muss man, wenn man einen MOOC erstellen oder etablieren möchte, auf andere, private oder öffentliche Investoren zurückgreifen oder mit Eigen- bzw. Risikokapital arbeiten172. Solche Investoren unterstützen mit Summen im bis zu zweistelligen Millionenbereich und können Unternehmen oder (öffentliche) Stiftungen sein. Es wird davon ausgegangen, dass dieses Geld in erster Linie für “the establishment of technical infrastructure, business cooperations, and market position”173 genutzt wird. Das ‚Massachusetts Institute of Technology‘ rief beispielsweise zusammen mit der Harvard University und deren Finanzierung von $60 Millionen die MOOC-Plattform ‚EdX‘ ins Leben174. Im Jahr 2013 hatte ’EdX‘ acht Kurse. ‚Coursera‘ ist ein Unternehmen, das $22 Millionen an Risikokapital investierte, mit vier Hochschulpartnern zusammenarbeitete und über hundertsiebzig Kurse anbietet, welche in verschiedene Themenbereiche aufgeteilt sind175. ‚Udacity‘ startete mit Hilfe von über $20 Millionen Euro Risikokapital, das durch Firmen finanziert werden konnte176. Über die Aufwendungen zur Etablierung hinaus entstehen laufende Kosten, wie Gehälter oder die Ausgaben für neues Lehrmaterial. Aus diesem Grund müssen MOOC-Produzenten auf andere mögliche Geldquellen zurückgreifen. Dabei muss beachtet werden, dass es einige Kurselemente gibt, die nicht in Rechnung gestellt werden können, nämlich die Teilnahme am ‚MOOC‘ und die Lernmaterialien, die während des Kurses 171

Vgl. Ebner/Kopp/Dorfer-Novak 2016, S. 331 Vgl. Fischer et al. 2014, o.A.; Vgl. Cusumano 2014, S. 26; Vgl. Baker/Passmore 2016, S. 1 173 Vgl. Fischer et al. 2014, o.A. 174 Vgl. Cusumano 2014, S. 26; Vgl. Yuan/Powell 2013, S. 7 175 Vgl. Yuan/Powell 2013, S. 7 176 Vgl. Yuan/Powell 2013, S. 7 172

3.2 Forschungsüberblick

49

verwendet werden177, jedenfalls solange kein Zertifikat durch Teilnehmer*innen erlangt wird. Zur Finanzierung werden deshalb teilweise kostenlose MOOCs mit zusätzlichen Kosten für individuelle Dienste belastet178. Dazu gehört beispielsweise die individuelle Betreuung, die Zusammenarbeit mit Lehrkörpern oder Tutor*innen. Auch für zusätzliches Lernmaterial kann Geld erhoben werden. Eine wichtige Geldquelle stellt das Ausstellen von Zertifikaten und Bescheinigungen oder die Erhebung von Prüfungsgebühren dar179. Hinzu kommt, dass Prüfungen für Geld beglaubigt werden müssen oder Gebühren für die Erstellung und Bereitstellung von MOOCs verlangt werden. Teilweise kann allerdings auch schlicht eine Studiengebühr für verschiedene MOOCs veranschlagt werden, womit diese dann nicht mehr dem kostenfreien Prinzip entsprechen. Eine weitere Möglichkeit, entstehende Kosten zu kompensieren, ohne sie den Teilnehmer*innen in Rechnung stellen zu müssen, besteht darin, externe Geldquellen zu nutzen. Eine Möglichkeit dafür bietet die Finanzierung über Sponsoring, das sich, vor allem in Amerika, über Werbung realisiert180. Durch die mittlerweile immer stärker werdende Popularität von MOOCs und die dadurch stark ansteigende Anzahl an Konsumenten ist Werbung eine offensichtliche und attraktive Option. Allerdings muss auf die Auswahl der Werbung geachtet werden, denn sie darf nicht zu sehr ablenken, weshalb hierfür Partner gewählt werden, die eine gewisse Überschneidung mit dem Bereich ‚Bildung‘ haben, aber auch (berufliche) Netzwerke wie LinkedIn oder Xing. Eine weitere Methode, um Geld zu erhalten, ist der Verkauf von Studierendendaten und Lebensläufen181.

177

Vgl. Fischer et al. 2014, o.A. Vgl. Ebner/Kopp/Dorfer-Novak 2016, S. 330; Vgl. Fischer et al. 2014, o.A.; Vgl. Cusumano 2014, S. 26; Vgl. Yuan/Powell 2013, S. 7; Vgl. Karsenti 2013, S. 9f. 179 Vgl. Cusumano 2014, S. 25; Vgl. Yuan/Powell 2013, S. 7; Vgl. Treeck/HimpslGutermann/Robes 2013, S. 7; Vgl. Ebner/Kopp/Dorfer-Novak 2016, S. 330; Vgl. Fischer et al. 2014, o.A. 180 Vgl. Dellarocas/Van Alstyne 2013, S. 49 181 Vgl. Ebner/Kopp/Dorfer-Novak 2016, S. 330 178

50

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

Diese können Firmen zum Beispiel zu Rekrutierungszwecken nutzen. Ein solches Vorhaben hat Coursera, die gegen eine Gebühr Arbeitgeber*innen Informationen über Kursteilnehmer*innen verkauften, bereits 2012/2013 umgesetzt182. Baker/Passmore (2016) gehen davon aus, dass mit solchen Headhunter Gebühren 6-15% der Kosten gedeckt werden können183. Allerdings reichen die benannten Einnahmen häufig nicht aus, um die entstandenen Kosten zu decken, zumal das verdiente Geld noch einmal zwischen den MOOC-Erstellern und den Plattformanbietern aufgeteilt wird. Daher kommen beispielsweise Brown et al. (2015) zu dem Schluss, dass die Investition in MOOCs gut überlegt sein müsse und es strategisch sinnvoll sein könne, in andere Innovationen zu investieren: “What is clear from this micro-level experience is that a rational for investing in MOOCs based on the “Fear Of Missing Out” (FOMO) does not provide a strong or sustainable argument for committing valuable resources to this area innovation.”184 Zudem besteht ein großes Problem darin, dass viele dieser Konzepte in Europa nicht denkbar sind, da sie unter anderem gegen den Datenschutz verstoßen würden. Größtenteils finanzieren sich MOOCs durch Werbung und Marketing, nur ein kleiner Teil der Finanzierung läuft über Zertifizierungen185. Bisweilen werden deshalb kreative Möglichkeiten der zusätzlichen Geldeinnahmen diskutiert. Bernhard et al. (2013) schlagen beispielsweise vor, dass Studierende eine Grundgebühr zahlen sollten, um an den Kursaktivitäten teilzunehmen186. Studierende, die kostenlos am MOOC teilnehmen, hätten dann lediglich einen Überblick über die Themen, jedoch nicht die Möglichkeit, aktiv im MOOC zu partizipieren. Darüber hinaus sollte es die Möglichkeit für die registrierten Kursteil-

182

Vgl. Young 2012, o.A. Vgl. Baker/Passmore 2016, S. 5 184 Brown et al. 2015, S. 113 185 Vgl. Bernhard et al. 2013, S. 2935 186 Vgl. Bernhard et al. 2013, S. 2936 183

3.2 Forschungsüberblick

51

nehmer*innen geben, ein „Task-Solver Meeting“187 einzuberufen, in dem Probleme und Fragen beschrieben werden, oder sich bei schon bestehenden Task-Solver Meetings hinzuzufügen. Wenn genügend Kursteilnehmer*innen für ein solches Meeting angemeldet sind, werde ein*e Lehrer*in bzw. Dozent*in das Meeting starten. Ein solches Meeting soll 10$ pro Kursteilnehmer*innen kosten, sodass der Lehrende für seine Arbeit bezahlt wird188. Da bei der Registrierung für den Kurs bereits 100$ Startgebühren gezahlt wurden, können Kursteilnehmer*innen bis zu 10 Meetings finanzieren. Solche Finanzierungsstrategien sind im Grundgedanken vergleichbar mit in-App Käufen, in denen Vorteile erkauft werden können. Dieses Konzept ist unter anderem auch als Freemium bekannt189. Hinweise auf die tatsächliche Umsetzung solcher Konzepte in MOOCs konnten nicht gefunden werden. Baker/Passmore (2016) schlagen vor, dass MOOCs sich als Zertifizierungsinstanz vermarkten: „Interestingly, MOOCs also could offer this service independent of MOOC participation. Mastery learning could occur in many ways. Through formal education. Through work experience. Through self-organized learning. MOOCs might be indifferent about where the learning occurred, but could compete to receive fees making valid and reliable assessments of competencies held by Students.”190 Unklar ist, wer genau diese Kompetenzen überprüfen würde – die grundlegende Argumentation ist jedoch, dass man durch die Überprüfung der Kompetenzen von nicht-MOOCTeilnehmer*innen und der Zertifizierung dieser zusätzlich Geld verdienen kann. Schließlich sei der Vollständigkeit halber noch zu erwähnen, dass auch Überlegungen zur Kostenreduktion von Elementen in MOOCs gemacht werden, wenngleich dazu sehr wenig publiziert wurde. Beispielsweise 187

Vgl. Bernhard et al. 2013, S. 2936 Vgl. Bernhard et al. 2013, S. 2936 189 Vgl. Baker/Passmore 2016, S. 8; Vgl. Liyanagunawardena/Lundqvist/Williams 2015, S. 104 190 Baker/Passmore 2016, S. 5 188

52

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

wurden Versuche unternommen, Prüfungen „by using peer, self, and automated assessment, but with the serious loss of human tutor nurturing and encouragement“191 zu ersetzen192. Da in MOOCs jedoch der Kontakt zu Tutor*innen oder Lehrer*innen in Zusammenhang mit dem Kurserfolg stehen, ist dies keine sinnvolle Lösung. Um Personalkosten einzusparen, kann auch auf ehrenamtliches oder freiwilliges Engagement zurückgegriffen werden, allerdings liegen herzu ebenfalls kaum Erfahrungen vor. Ein Projekt in Ruanda arbeitete mit ehrenamtlichen Helfer*innen zusammen, die in drei Orten Präsenzkurse ergänzend zu MOOCs anboten193. Die Umsetzung unentgeltlicher Hilfe in klassischen MOOCs ist jedoch nicht erprobt. Insgesamt zeigt die Sichtung der Forschungsliteratur, dass MOOCs vor allem durch Bezuschussungen und Zertifizierungen finanziert werden, oder durch das Kapital, über das die MOOC-Produzenten selbst verfügen, weshalb der Produzentenkreis von MOOCs eher klein ist. Aus diesem Grund wurden unterschiedliche Modelle der Finanzierung diskutiert, von denen sich bislang jedoch keines durchsetzen und standardisieren konnte: „MOOCs thus far have attracted funding from various bodies despite not offering a concrete economic viability model. At present a main income generator in MOOCs is the paid-for certification. In this paper the authors discussed various business models for courses. Some of these are: the freemium model, sponsorships, initiatives and grants, donations, licensing fees, branded merchandise, the sale of supplementary material, selective advertising, data-sharing, follow-on events, and revenue from referrals.”194 Perspektivisch zeichnet sich der Fortbestand von MOOCs in ihrer originalen und eigentümlichen Variante als kostenloser Massenkurs für die allgemeine Öffentlichkeit und dem Zusatzangebot von kosten-

191

Laurillard/Kennedy 2017, S. 28 Vgl. Xiong/Suen 2018, S. 252 193 Vgl. Warugaba et al. 2016, S. 224 194 Liyanagunawardena/Lundqvist/Williams 2015, S. 108 192

3.2 Forschungsüberblick

53

pflichtigen und intensiveren Kursen ab, der sich an Menschen richtet, die spezifische Kompetenzen erwerben und zertifiziert bekommen möchten.

3.2.2 Anerkennungsproblematik MOOCs haben den Anspruch, Inhalte und Kompetenzen auf akademischem Niveau zu vermitteln. Es ist daher naheliegend, nach der Wertigkeit der vermittelten Inhalte zu fragen. Lowenthal/Hodges verglichen die Qualität von MOOCs gegenüber traditionellen akademischen Kursen anhand des Rahmenkonzepts zur Qualitätssicherung ‚Quality Matters‘ und kamen zu dem Ergebnis, dass MOOCs insgesamt eine höhere Qualität hätten als die meisten Autor*innen annehmen, insbesondere was ihr Kursdesign betreffe, und zwei der sechs untersuchten MOOCs die Qualitätskriterien mit wenigen Verbesserungen erfüllen würden195. Dies legt zumindest nahe, über die Anerkennung von in MOOCs erbrachten Leistungen für universitäre Studiengänge zu diskutieren. Die Anerkennung von MOOCs ist an staatlichen Ausbildungsinstituten im besten Fall problematisch, zumeist jedoch überhaupt nicht möglich196. MOOCs werden noch als non-formale Lernangebote wahrgenommen, welche von den Teilnehmer*innen in ihrer Freizeit und außerhalb ihres Studienangebotes besucht werden. In seltenen Ausnahmen werden MOOCs auch zu integralen Bestandteilen in Studienangeboten an Universitäten. In solchen Fällen müssen MOOCs dem formalen Lernen zugeordnet werden. Welche Zuordnung der Lernform richtig ist, hängt also stark von der Motivation bzw. dem Lernanlass ab. Wie bei allen Formen des non-formalen Lernens werden unzertifizierte Leistungen selten auf dem Arbeitsmarkt gewürdigt197. Zwar gibt es Möglichkeiten der Selbstevaluation bei MOOCs und es werden auch in der Regel Zertifikate für 195

Vgl. Lowenthal/Hodges 2015, S. 92 Vgl. Langer/Thillosen 2013, o.A.; Vgl. Schulmeister 2013, S. 23, 55; Vgl. Ebner/Kopp/Dorfer-Novak 2016, S. 329; Vgl. Soffer/Cohen 2015, S. 91 197 Hof 2009, S. 44 196

54

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

eine abgeschlossene Teilnahme ausgestellt, meistens werden diese aber nicht mit ECTS (Creditpoints bzw. Leistungspunkten) bewertet. Ein Grund dafür ist, dass „es bei rein online abgelegten, automatisiert ausgewerteten Prüfungen nicht möglich ist, den Prüfling zweifelsfrei zu identifizieren“198 und so immer die Chance besteht, dass gar nicht der Lernende selbst, sondern ein anderer für ihn die Prüfung abgelegt hat199. Um solche Plagiate ausschließen zu können, muss eine andere Lösung für die Prüfung der großen Gruppen an Studierenden gefunden werden. Es wird deutlich, dass es einige starke Hürden gibt, die es zu überwinden gilt, wenn man in MOOCs erbrachte Leistungen an Hochschulen anerkennen und etablieren will200. Viele Hochschulen machen sich auch schlichtweg Sorgen um ihre (bisherige) Konzeption und haben Bedenken, ob eine solche Digitalisierung nicht die eigenen Kompetenzen überschreiten könnte bzw. den Hochschulen die Kompetenz der Beurteilung schrittweise verloren geht201. Manche Autor*innen befürchten, dass MOOCs Präsenzuniversitäten redundant werden lassen können202. Außerdem müssen sich so gezwungenermaßen alle akademischen Mitglieder*innen positionieren, wie sie zu der Anerkennung externer, digitaler Prüfungsleistungen stehen – unabhängig davon, ob sie Interesse daran haben oder nicht. Ein generelles Bedenken, das in diesem Zusammenhang aufkommt, ist, ob die erfolgreiche Anerkennung der MOOCs einen negativen Einfluss auf die Einschreibung der klassischen Studiengänge an Universitäten nehmen könnte. Es ist darüber hinaus fraglich, wie viele Drittanbieter sich zu der Anerkennung der MOOCs-Kurse, zum Beispiel in Form von Leistungspunkten, überhaupt bereit erklären. Eine Umfrage an der Johannes GutenbergUniversität Mainz offenbarte, dass die meisten Lehrenden nicht dazu 198

Langer/Thillosen 2013, o.A. Vgl. Ebner/Kopp/Dorfer-Novak 2016, S. 329 200 Vgl. Schulmeister 2013, S. 23 201 Vgl. Schulmeister 2013, S. 19 202 Vgl. Bayeck 2016, S. 223 199

3.2 Forschungsüberblick

55

bereit wären, „die eigene Lehre mit einem (nicht selbst produzierten) MOOC zu ergänzen oder gar zu ersetzen.“203 Überraschenderweise gibt es mittlerweile trotzdem ein paar Universitäten, die sich den Herausforderungen stellen und sich an der Annäherung für die formale Anerkennung von MOOCs-Leistungen versuchen204. Die gewichtigsten Probleme bei der formalen Anerkennung solcher Leistungen sind der steigende Aufwand und die damit verbundenen zusätzlichen Kosten205. Zum einen würden mehr personelle Ressourcen benötigt werden, zum anderen müsste mehr Zeit und Geld in die Entwicklung von Strukturen zur Sicherung der Prüfungen und der Validität gesteckt werden, um die bereits erwähnte Plagiatsproblematik zuverlässig zu umgehen. Angebote der Anerkennung sind selten und werden nur wenig angenommen206, weil sie zusätzliche Kosten verursachen207. Dies ist unter anderem auch eine Folge der zusätzlich aufkommenden Kosten für MOOC-Provider, welche diese Unkosten zumindest teilweise auf die Nutzer*innen, in Form von Gebühren, umlegen müssen, damit das System der Anerkennung weiterbestehen kann. Zum Teil müssen Studierende dafür einer Art ‚Premium Version‘ beitreten, um an Prüfungen unter Aufsicht oder mit Online-Authentifizierung partizipieren zu können208. Eine Recherche in verschiedenen wissenschaftlichen Datenbanken offenbarte, dass es nahezu keine Forschung zur Anerkennungspraxis des formalen Lernens in MOOCs durch Universitäten gibt. Die Anerkennung von MOOC-Zertifikaten als non-formale Zertifikate ist gängiger, weshalb MOOCs in der Regel zum non-formalen Lernen gezählt werden209. Für Deutschland konnten nur wenige Beispiele für die formale Anerkennung 203

Borgwardt 2014, S. 40 Vgl. Belleflamme/Jacqmin 2015, S. 9; Vgl. Gaebel 2014, S. 27 205 Vgl. Jaschik 2013, o.A.; Vgl. Gaebel 2014, S. 18f. 206 Vgl. Haag et al. 2014, S. 6; Vgl. Schulmeister 2013, S. 55 207 Vgl. Gaebel 2014, S. 27 208 Vgl. Schulmeister 2013, S. 55 209 Vgl. Gutiérrez-Santiuste/Gámiz-Sánchez/Gutiérrez-Pérez 2015, S. 89; Vgl. Farrow et al. 2015, S. 50; Vgl. Harris/Wihak 2018, S. 2 204

56

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

von MOOCs gefunden werden. Die Universität Osnabrück entwickelte den MOOC ‚Algorithmen und Datenstrukturen‘, für den es drei Arten der Zertifizierung gab. Auf der Kursseite bei Iversity hieß es: „Wer 80% der Lehrvideos sowie 80% der Quizzes absolviert, erhält eine kostenfreie Teilnahmebestätigung. Wer erfolgreich an einer Onlineprüfung teilnimmt, kann einen benoteten Leistungsnachweis erwerben. Wer erfolgreich an einer Präsenzprüfung teilnimmt, kann einen Leistungsnachweis inkl. 6 ECTS Credits erwerben.“210 Die Präsenzprüfungen konnten an sechs verschiedenen Standorten (Berlin, Hamburg, Köln, München, Osnabrück und Stuttgart) in ganz Deutschland abgelegt werden. Witthaus et al. (2016) berichten, dass die Zertifizierungen mit Kosten verbunden waren: die Online-Prüfung kostete 49€, die Präsenzprüfung 129/149€, abhängig vom Standort211. Die Kontrollen und Aufsichten der OnlinePrüfungen wurden durch einen Drittanbieter durchgeführt: “Proctoring was carried out by a third-party company, Remote Proctor, which verified the candidates’ identity with a webcam and required learners to record a 360-degree scan of the room before starting the examination.”212 Es zeigt sich, dass die Abwicklung der Prüfungen nur mit einem erheblichen Mehraufwand geleistet werden können. Die Online-Prüfung wurde als Multiple-Choice-Test konzipiert213. Von den 2000 Kursteilnehmer*innen haben 20 die Präsenzprüfung bestanden und 6 ECTS erhalten. Die Teilnehmer*innen wurden nach ihrer Motivation befragt: “The learner interviewed for the case study was very clear that his rationale for taking the exam was to increase his chances of obtaining recognition from future employers through the ECTS credentials he had achieved.”214 Allerdings wird die Wertigkeit von Online-Prüfungen in Frage gestellt: „noone takes an online exam seriously. If employers see my certificate and it 210

Vgl. Iversity 2014a, o.A. Vgl. Witthaus et al. 2016, S. 47 212 Witthaus et al. 2016, S. 47 213 Vgl. Witthaus et al. 2016, S. 55 214 Witthaus et al. 2016, S. 47 211

3.2 Forschungsüberblick

57

says I did it online, they do not know that the online exam was proctored and my identity was confirmed and so on. But if they know that I went to the University of Osnabrück and took an exam, that is much more serious. Then they know that I have learnt something important.“215 Das ist zwar die vereinzelte Meinung eines von sechs interviewten Teilnehmer*innen, die ECTS erworben haben, allerdings deckt sich diese mit dem allgemeinen Diskurs über die Wertigkeit von über MOOC erlangten Zertifikaten. Ein ähnliches Beispiel stellt der MOOC ‚Grundlagen des Marketing‘ der Fachhochschule Lübeck dar216. Dort konnte ebenfalls nach demselben Modus eine Online-Prüfung ein Zertifikat und über eine Präsenzprüfung eine Urkunde über 5 ECTS erhalten werden. Beide Kurse werden gegenwärtig nicht mehr angeboten und soweit das über Recherchen rekonstruierbar ist, wurde der MOOC aus Osnabrück nur einmal und der MOOC aus Lübeck zweimal angeboten. Auch in Frankfurt konnten Lehramtsstudierende 2 ECTS für die Teilnahme an einem MOOC durch ein Medienkompetenz-Zertifikat und den Besuch eines begleitenden Tutoriums erlangen217 – eine pauschale Anerkennung stellt dies jedoch nicht dar. In Israel wurde ein Pilotprojekt gestartet, in dem drei MOOCs entwickelt wurden, die zwar für die Weltöffentlichkeit zur Verfügung stehen, jedoch für Studierende der Universität der Tel Aviv University akkreditiert werden und so in ihr Studium integriert werden können218. Zu erwähnen sei außerdem noch die Initiative ‚Credits for MOOCs‘219. Die TU Delft bietet in einem internationalen Verbund von elf Universitäten seit dem Sommersemester 2017 Kurse an, die mit Credits vergütet werden, welche an den teilnehmenden Universitäten anerkannt werden220. Außerdem akzep-

215

Witthaus et al. 2016, S. 52 Vgl. Iversity 2014b, o.A. 217 Vgl. Rampelt et al. 2018, S. 18 218 Vgl. Soffer/Cohen 2015, S. 91f. 219 Vgl. Mulder 2016, o.A. 220 www.tudelft.nl/creditsformoocs 216

58

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

tiert die Open University Business School MOOCs von FutureLearn formal mit Credits für ihre Studiengänge221. Selbstverständlich gibt es viele Argumente dafür, dass MOOCs formal anerkannt und mit Leistungspunkten vergütet werden sollten. Ein wichtiges Argument ist, dass es Studierende motiviert an den Kursen teilzunehmen, wenn sie wissen, dass sie die Kurse anerkannt bekommen222. Ein weiteres Argument schreibt MOOCs die Aufgabe zu, die traditionelle Hochschulbildung weiterzuentwickeln und Bildung zu globalisieren, eine entsprechende Zertifizierung ist jedoch die Voraussetzung für die Integration von MOOCs in die internationale Bildungslandschaft. Das MOOCAP-Projekt ist ein von ERASMUS+ gefördertes Projekt und ein gutes Beispiel für die internationalen Erwartungen. Außerdem widerspräche das Nicht-Anerkennen schlichtweg dem Geist der Anerkennung des Lernwillens, immerhin sind die MOOCs von akademischen Institutionen produziert. Ein Konzept, das sich aktuell in Zusammenhang mit der Anerkennungsproblematik entwickelt, ist das der ‚Digital Badges‘ bzw. ‚Online Badges‘223. Sie sind plattformübergreifende Zertifizierungsmöglichkeiten und entsprechen einer Art Leistungsabzeichen. Sie werden durch Experten, zusammen mit einer Fremdeinschätzung für eine erfolgreiche Teilnahmebestätigung ausgestellt. Allerdings sind sie bisher noch kein Ersatz für traditionelle Prüfungs- und Notensysteme und haben die Aufgabe, Studierende zum Lernen zu motivieren, indem sie möglichst viele dieser ‚Badges‘ sammeln224. Verdiente Badges dienen den Studierenden auch als eine Art Feedback und zeigen ihnen Meilensteine im Lernfortschritt an225.

221

Vgl. Harris/Wihak 2018, S. 15 Vgl. Hood/Littlejohn/Milligan 2015, S. 89; Vgl. Engle/Mankoff/Carbrey 2015, S. 63; Vgl. Zheng et al. 2015, S. 1891; Vgl. Alemán de la Garza/Sancho-Vinuesa/Gómez Zermeño 2015, S. 79; Cheal 2013, S. 1 223 Vgl. Lorenz/Meier 2014, S. 254ff.; Vgl. Gaebel 2014, S. 27 224 Vgl. Pauschenwein/Pernold 2014, S. 74 225 Vgl. Fajiculay et al. 2017, S. 882 222

3.2 Forschungsüberblick

59

3.2.3 Teilnehmer*innenmotivation in MOOCs Ein Teil der Forschung zu MOOCs beschäftigt sich mit der Teilnahmemotivation der Studierenden. Die am häufigsten genannten Gründe für die Kursteilnahme sind (1) Neugierde, also um neues Wissen zu erlangen oder bereits bestehendes Wissen zu erweitern oder aufzufrischen226, (2) das Erlangen eines Zertifikates227, (3) Kompetenzen zu erlangen, die beim ausgeübten Beruf oder der Arbeitssuche hilfreich sind228 sowie (4) das Vernetzen mit anderen Teilnehmer*innen229. Im Kontext von MOOCs können diese Gründe differenzierter betrachtet werden, wenn man zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation unterscheidet. Intrinsische Motivation ist unabhängig von einer externen Belohnungsquelle und ist auf Grund einer für sich wahrgenommenen Valenz selbstverstärkend, während extrinsische Motivation erst durch Anreize entsteht, die nicht in der Handlung selbst liegen, sondern eine externe Belohnung in Aussicht stellen (z.B. Gehaltserhöhungen, Beförderungen)230. Intrinsischer Motivation wird eine höhere Effizienz zugeschrieben, „weil sie dauerhaftere und stabilere Formen annehme, generalisierbar sei und darüber hinaus in geringerem Maße der Sättigungstendenz unterliege“231, als es bei der extrinsischen Motivation der Fall ist. Xiong et al. (2015) ordnen die Beweggründe zur Teilnahme an MOOCs diesen Dimensionen der Motivation zu. Demnach wäre Neugierde eine intrinsische Motivation, während das Erlangen eines Zertifikats der 226

Vgl. Huang/Hew 2017, S. 103; Vgl. Breslow et al. 2013, S. 19; Vgl. Zheng et al. 2015, S. 1887; Vgl. White et al. 2015, S. 105; Vgl. Milligan/Littlejohn 2017, S. 96; Vgl. Zhong et al. 2016, S. 955 227 Vgl. Hew/Cheung 2014, S. 48; Vgl. Hood/Littlejohn/Milligan 2015, S. 89; Vgl. Engle/Mankoff/Carbrey 2015, S. 63; Vgl. Zheng et al. 2015, S. 1891; Vgl. Alemán de la Garza/Sancho-Vinuesa/Gómez Zermeño 2015, S. 79; Vgl. Cheal 2013, S. 1; Vgl. Bayeck 2016, S. 230 228 Vgl. Christensen et al. 2013, S. 5f.; Vgl. Zheng et al. 2015, S. 1886f.; Vgl. Milligan/Littlejohn 2017, S. 96 229 Vgl. Zheng et al. 2015, S. 1887f. 230 Vgl. Fischer/Wiswede 2009, S. 99f. 231 Fischer/Wiswede 2009, S. 100

60

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

extrinsischen Motivation und die Nützlichkeit sowohl der intrinsischen als auch extrinsischen Motivation zugeordnet werden kann, ohne dass diese Einordnung immer zwingend eindeutig ist. Das Vernetzen mit anderen Teilnehmer*innen wird von den Autor*innen als soziale Motivation bezeichnet, allerdings hat sie keinen direkten Effekt auf das Verhalten, sondern bestimmt die intrinsische und extrinsische Motivation mit232. Interessanterweise zeigte sich in der Untersuchung von Xiong et al. (2015), dass die soziale Motivation, darunter auch die Forumsteile, nicht als Prädiktor des Kursengagements geeignet ist. Dies wirft die Frage auf, warum diejenigen, die primär zum Vernetzen am Kurs teilnehmen, sich nicht während des Kurses einbringen. Ein Erklärungsansatz ist im Kursdesign zu finden, welches bei der Mehrheit der Kurse nicht auf Interaktion ausgerichtet ist und deshalb die soziale Motivation relativ schnell dämmt (s. Kap. 3.1.5). Außerdem ist es möglich, dass Studierende sich außerhalb des Kurses, z.B. über soziale Netzwerke vernetzen und daher ihre Interaktionen nicht miterhoben werden konnten. Es gibt Hinweise darauf, dass extrinsisch motivierte Studierende, insbesondere solche, die ein Zertifikat erwerben möchten, eine höhere Abschlussrate vorweisen233. Zu Beginn der MOOC-Forschung wurde die Qualität von MOOCs nur an der Dropout-Rate bzw. an der Anzahl der Kursabsolvent*innen bemessen. Mittlerweile ist man dazu übergegangen, die Intentionen der Teilnehmer*innen differenzierter zu erforschen und hat festgestellt, dass insbesondere intrinsisch motivierte Studierende den Kursabschluss nie in Betracht gezogen haben (s. Kap. 3.1.5). Diagramm D3-1 soll die theoretisch angenommenen Intentionen der Teilnehmer*innen unter Berücksichtigung ihrer Motivationen darstellen. Das Diagramm dient lediglich der einfacheren Darstellung, weshalb mit Quizzen, Videos und Foren nur die drei möglichen Aktivitäten von

232 233

Vgl. Xiong et al. 2015, S. 26f., 30 Vgl. Xiong et al. 2015, S. 36

3.2 Forschungsüberblick

61

MOOCs aufgenommen wurden, die in der Regel in allen MOOCs vorkommen.

Diagramm D3-1: Intentionen von intrinsisch, extrinsisch und sozial motivierten MOOCTeilnehmer*innen. Quelle: Eigene Darstellung.

Aus dem Diagramm geht hervor, dass intrinsisch motivierte Studierende in der Regel mehr an spezifischen Inhalten interessiert sind als an einer Zertifizierung, während bei extrinsisch motivierten Studierenden der Kursabschluss und die Zertifizierung im Vordergrund stehen. So ist es auch zu verstehen, dass intrinsisch motivierte Studierende missverstanden werden, wenn sie als Dropouts im Sinne des nicht abgeschlossenen Kurses gezählt werden. Viel aussagekräftiger ist es stattdessen, diese Teilnehmer*innen als ‚Drop-Ins‘ zu bezeichnen, da sie lediglich die Bearbeitung spezifischer Abschnitte oder Materialien des Kurses intendieren234. Für sie sind Quizze oder andere Formen der Leistungs- bzw. Lernabfragen mehr abschreckendes Hindernis als konstruktive Lernkontrolle und auch die Forumsteilnahme geschieht nicht strategisch, sondern eher auf 234

Vgl. Hill 2013a, o.A.

62

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

Veranlassung, im Gegensatz zu Videos, die gezielt nach individuellem Interesse gesehen werden. Dropouts im eigentlichen Sinne wären daher extrinsisch motivierte Studierende mit dem Ziel, den Kurs tatsächlich zu beenden. Neben dem Bearbeiten von Inhalten sind für diese Teilnehmer*innen auch Quizze oder andere Formen der Leistungs- bzw. Lernstandüberprüfung wichtig, weil sie ggf. für eine Zertifizierung qualifizieren und außerdem ein Feedback zum gegenwärtigen Leistungsstand liefern. Sie engagieren sich im Gegensatz zu intrinsisch motivierten Studierenden mehr in den Foren, vor allem in dem sie inhaltsbezogene Posts schreiben, also Fragen stellen oder Antworten geben. Teilnehmer*innen, die mit Xiong et al. (2015) als sozial motiviert beschrieben werden können, müssten sich zumindest ihrer Intention nach vor allem in Foren oder, wenn verfügbar, sozialen Netzwerken im Kurs bemerkbar machen. Über die Interaktion von Teilnehmer*innen in sozialen Netzwerken außerhalb von MOOCs ist wenig bekannt, allerdings berichten Veletsianos/Collier/Schneider (2015), dass Studierende sich noch vor Kursbeginn vernetzen und die Interaktionen zwischen diesen Lernenden den Kurs überdauern können235. Da die Ergebnisse von Xiong et al (2015) zeigen, dass die soziale Motivation keinen signifikanten Einfluss auf das Verhalten der Teilnehmer*innen hat, könnte vermutet werden, dass je nach der Begründung für die Intention des Vernetzens Studierende eher extrinsisch oder intrinsisch motiviert sind. So könnte argumentiert werden, dass Studierende, die sich vernetzen wollen, um Menschen mit ähnlichen Interessen kennen zu lernen, eher intrinsisch motiviert sind, gegenüber solchen Studierenden, die Lerngemeinschaften gründen möchten, um den Kurs zu bestehen oder um Kontakte zu potenziellen Arbeitgebern herzustellen. Christensen et al. (2013) konnten schon recht früh feststellen, dass sich die Teilnehmer*innenmotivation in MOOCs zwischen sozialwissenschaftlichen, humanwissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Kursen sowie zwischen der Herkunft der Teilnehmer*innen (Entwicklungs235

Vgl. Veletsianos/Collier/Schneider 2015, S. 577

3.2 Forschungsüberblick

63

land und Nicht-Entwicklungsland) unterschieden, wobei die extrinsische Motivation insbesondere in den Sozialwissenschaften und für Menschen aus Entwicklungsländern wichtig war, während die intrinsische Motivation eher in den humanwissenschaftlichen Kursen und den USA bedeutsam war236.

Tabelle T3-1: Beweggründe der MOOC-Teilnahme nach Kurstyp und Herkunft. Quelle: Christensen et al. 2013, S. 11.

Beaven/Codreanu/Creuzé (2014) untersuchten die Teilnahmegründe der Studierenden in einem LMOOC zur französischen Sprache. Studierende nahmen an dem MOOC Teil in der Erwartung, dass der Kurs (1) interessant ist und Spaß macht, (2) im Allgemeinen nützlich ist (3) nützlich ist, um das Sprachniveau in Französisch zu verbessern und (4) um in einem französischsprachigen Land Arbeit zu finden237. Diese Gründe decken sich größtenteils mit den zuvor genannten Gründen, insofern unterscheidet sich die Teilnahmemotivation zwischen LMOOCs und xMOOCs/cMOOCs nicht.

236 237

Vgl. Christensen et al. 2013, S. 11 Vgl. Beaven/Codreanu/Creuzé 2014, S. 60

64

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

Das Erlangen von Zertifikaten spielt häufig eine eher untergeordnete Rolle238, was nicht zuletzt auch mit der fehlenden Anerkennung von MOOC-Zertifikaten zusammenhängt. Das Verhalten von extrinsisch motivierten Studierenden, die MOOCs wegen der Zertifizierung besuchen, weist allerdings einige interessante Muster auf. Beispielsweise steigt die Wahrscheinlichkeit, einen MOOC abzuschließen bzw. ein Zertifikat zu erhalten, wenn jemand im Freundes- oder Bekanntenkreis sich bereits Zertifikate erarbeitet hat239. Der soziale Hintergrund spielt hingegen keine Rolle, wenn die Studierenden intrinsisch motiviert sind240. Darüber hinaus werden in manchen Kursen Zertifikate vergeben, wenn ein bestimmter Prozentsatz der Aufgaben bearbeitet wurde. Zhao et al. (2017) berichten, dass in den drei der von ihnen untersuchten MOOCs Zertifikate ab 60% und in einem weiteren untersuchten MOOC ab 58% vergeben wurden241. Studierende, welche die für eine Zertifizierung erforderlichen Prozentpunkte im Kurs erreichten, bearbeiteten danach deutlich weniger Aufgaben und schauten sich deutlich weniger Videos an: “If we consider this observation in the context of the value or significance of a course certificate, we have a set of learners who have earned a certificate (and can therefore claim mastery of the course subject) but who have only been exposed to 60% of the course materials.”242

3.2.4 Das Kernproblem der MOOCs: die hohe Dropout-Rate Als ‚Dropouts‘ werden solche Teilnehmer*innen bezeichnet, die den Kurs beginnen, jedoch noch vor dem Beenden des Kurses die Teilnahme abbrechen. Entweder bleiben Dropouts zwar im Kurs, bearbeiten ihn aber nicht mehr oder die Nutzer*innen steigen sogar bewusst aus dem Kurs 238

Vgl. Milligan/Littlejohn 2017, S. 96 Vgl. Qiu et al. 2016, S. 93 240 Vgl. Jiang et al. 2014, S. 275 241 Vgl. Zhao et al. 2017, S. 84 242 Zhao et al. 2017, S. 87 239

3.2 Forschungsüberblick

65

aus243. Inaktive Studierende, die zwar im Kurs verbleiben, ihn aber nicht vollständig abschließen, werden auch als ‚Non-Completers‘244 bezeichnet. Verlässt ein*e Nutzer*in den Kurs, wird diese*r stets als ‚Dropout‘ bezeichnet245. Diese Terminologie wird jedoch uneinheitlich verwendet, bisweilen gelten auch Non-Completer als Dropouts. Darüber hinaus wird stellenweise die Bezeichnung ‚Stopout‘ für Teilnehmer*innen verwendet, die kurz vor dem Beenden des Kurses aufhören, die Inhalte zu bearbeiten246. Trotz der steigenden Beliebtheit von MOOCs weisen sie häufig themen- und länderübergreifend eine sehr hohe Dropout-Rate auf247. Hill (2013a) veröffentlicht ein vielzitiertes Diagramm und differenziert darin fünf Nutzer*innentypen von MOOC-Teilnehmer*innen in xMOOCs (s. Diagramm D3-2). In einem vorher erstellten Diagramm spricht Hill noch von ‚Lurker‘248, allerdings differenziert er kurz darauf diese Gruppe aus und unterscheidet fortan zwischen ‚No-Shows‘ und ‚Observers‘. Als ‚No-Shows‘ bezeichnet er eine Gruppe von MOOCTeilnehmer*innen, „where people register but never login tot he course while it is active“249. ‚Observer‘ sind Teilnehmer*innen, die sich zwar in den Kurs einloggen und Inhalte lesen oder Diskussionen verfolgen, aber abgesehen von Quizzen, die in die Videos integriert sind, an keinen Aufgaben oder Prüfungen teilnehmen. Als ‚Drop-Ins‘ bezeichnet der Autor 243

Vgl. Xing et al. 2016, S. 119, 127; Vgl. Banerjee/Duflo 2014, S. 514; Vgl. Onah/Sinclair/Boyatt 2014, S. 5827; Vgl. Clow 2013, S. 185; Vgl. Belleflamme/Jacqmin 2014, S. 9 244 Vgl. Liyanagunawardena/Parslow/Williams 2014, S. 96; Vgl. Cisel 2014, S. 27 245 Vgl. Xing et al. 2016, S. 119, 127; Vgl. Banerjee/Duflo 2014, S. 514; Vgl. Onah/Sinclair/Boyatt 2014, S. 5827; Vgl. Clow 2013, S. 185; Vgl. Belleflamme/Jacqmin 2014, S. 9 246 Vgl. Gardner/Brooks 2018, S. 134; Vgl. Taylor/Veeramachaneni/O’Reilly 2014, S. 3f.; Vgl. Breslow et al. 2013, S. 21 247 Vgl. Belleflamme/Jacqmin 2014, S. 9; Vgl. Porter 2015b, S. 3; Vgl. Schulmeister 2013, S. 10; Vgl. Castillo et al. 2015, S. 35ff.; Vgl. Wulf et al. 2014, S. 113; Vgl. Ferguson et al. 2015, S. 70; Vgl. Xing et al. 2016, S. 119; Vgl. Onah/Sinclair/Boyatt 2014, S. 5825 248 Vgl. Hill 2013b, o.A. 249 Vgl. Hill 2013a, o.A.

66

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

solche Teilnehmer*innen, die nur zu ausgewählten und für sie interessanten Kapiteln oder Abschnitten im Kurs aktiv werden, die restlichen Teile des Kurses jedoch nicht wahrnehmen: „Some of these students are focused participants who use MOOCs informally to find content that help them meet course goals elsewhere.“250 Passive Teilnehmer*innen sind Studierende, die zwar dem Kurs regelmäßig folgen, jedoch nur ‚passiv‘ konsumieren, sich Videos ansehen, Quizze bearbeiten oder die Diskussionsforen lesen, sich allerdings nicht an den Aufgaben beteiligen. Aktive Teilnehmer*innen hingegen nutzen alle Möglichkeiten der Partizipation im Kurs und bearbeiten regelmäßig Aufgaben, womöglich sogar mit dem Ziel, eine Zertifizierung zu erhalten.

Diagramm D3-2: Nutzertypen in MOOCs. Quelle: Hill 2013a, o.A.

250

Hill 2013a, o.A.

3.2 Forschungsüberblick

67

Aus dem Diagramm D3-2 wird ebenfalls ersichtlich, dass No-Shows und Observer zusammen zu Beginn den Großteil des Kurses ausmachen, diese sich allerdings nach der ersten Woche nicht mehr in den Kurs einloggen. Demgegenüber sind die anderen drei Verhaltensmuster relativ zeitstabil, wobei Drop-Ins erwartungsgemäß fluktuieren. Zum Schluss ist etwa die Hälfte der verbliebenen Teilnehmer*innen aktiv und kann zusammen mit den passiven Teilnehmer*innen Zertifikate erwerben. Angaben zu den Abschlussraten variieren, doch liegt sie in den meisten Fällen der Kurse zwischen 5-20% und ist nur selten (etwas) höher251. Lerís et al. (2017) geben Abschlussraten von 0,9-36,1% an, mit einem durchschnittlichen Wert von 6,5%252. In den meisten Forschungsartikeln wird das Beenden des Kurses mit dem Erfüllen aller Voraussetzungen zur Erlangung eines Zertifikats bestimmt, unabhängig davon, ob ein Zertifikat erlangt wurde. Zu den Dropouts werden in der Regeln auch Studierende gezählt, die einen Großteil des Kurses nicht bearbeitet haben oder seit einem längeren Zeitraum abwesend sind253. Vor allem beim Vergleich mit Ausstiegsraten in traditionellen Kursen sind in MOOCs wesentlich mehr Dropouts zu verzeichnen254. Forscher*innen beschäftigen sich seit den ersten Untersuchungen von MOOCs damit, die Gründe für die hohe Dropout-Rate zu finden. Schnell wurde jedoch klar, dass es nicht nur eine Ursache für die hohe Abbruchquote gibt, sondern einige, teilweise sehr unterschiedliche Begründungen herangezogen wurden. Als ein wichtiger Einflussfaktor gilt die Motivation der Teilnehmer*innen, im Speziellen die Aufrechterhaltung oder der

251

Vgl. Firmansyah/Timmis 2016, S. 1; Vgl. Liyanagunawardena/Parslow/Williams 2014, S. 95; Vgl. Hew/Cheung 2014, S. 45; Vgl. Banerjee/Duflo 2014, S. 514; Vgl. Onah/Sinclair/Boyatt 2014, S. 5825ff.; Vgl. Santos et al. 2014, S. 98ff.; Vgl. Cisel 2014, S. 29 252 Lerís et al. 2017, S. 784 253 Vgl. Halawa/Greene/Mitchell 2014, S. 60 254 Vgl. Clow 2013, S. 185; Vgl. Liyanagunawardena/Parslow/Williams 2014, S. 95; Vgl. Xing et al. 2016, S. 127

68

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

Verlust dieser255. Andere Gründe sind beispielsweise, dass Teilnehmer*innen den zeitlichen Aufwand unterschätzt haben, dass der Kurs schwerer war als erwartet, dass sie von Beginn an nur an spezifischen Teilen des Kurses interessiert waren oder sie mit dem Verlauf des Kurses unzufrieden waren256. Auch das Auslassen von Kursteilen, eine geringe Vorerfahrung und eine schlechte Organisation können potenziell zu Dropouts führen257 Herkunft und Sprache der Teilnehmer*innen und des Kurses In diesem Zusammenhang wird auch die Lokalisierung der Teilnehmer*innen bzw. die Sprache der MOOCs thematisiert, insbesondere in Bezug zu Teilnehmer*innen aus nicht englischsprachigen Ländern258. Da MOOCs meistens nur auf Englisch verfügbar sind, kann es sein, dass Nutzer*innen auf Grund ihrer (ungenügenden) Englischkenntnisse den Kurs aufgeben. Safana/Nat (2017) berichten über afrikanische Teilnehmer*innen, dass nicht die englische Sprache per se eine Barriere darstellt, sondern der Dialekt oder die Grammatik259. Die Registrierung zum Kurs fand dann unter der Annahme statt, dass die Teilnehmer*innen sprachlich kompetent genug sind, um den Kurs erfolgreich zu bearbeiten. Im Laufe des Kurses wurde klar, dass die Teilnehmer*innen ihre Sprachkenntnisse überschätzt hatten. Dies führte zu einem graduellen Motivationsverfall oder sogar dem Abbruch der Kursteilnahme. Im ersten xMOOC, der auf edX zum Thema ‚Circuits and Electronics‘ 2012 startete, waren insgesamt 16% der Teilnehmer*innen Spanisch sprechend und gründeten Facebookgruppen, um sich gegenseitig im Kurs zu unterstützen260.

255

Vgl. Firmansyah/Timmis 2016, S. 1; Vgl. Khalil/Ebner 2014, S. 1236, 1240 Vgl. Gené/Núñez/Blanco 2014, S. 215; Vgl. Shapiro et al. 2017, S. 48 257 Vgl. Greene/Oswald/Pomerantz 2015, S. 945; Vgl. Santos et al. 2014, S. 98,102; Vgl. Halawa/Greene/Mitchell 2014, S. 65; Vgl. Banerjee/Duflo 2014, S. 517f. 258 Vgl. Firmansyah/Timmis 2016, S. 1, 22 259 Vgl. Safana/Nat 2017, S. 213 260 Vgl. Breslow et al. 2013, S. 18 256

3.2 Forschungsüberblick

69

Dem könnte entgegengewirkt werden, indem die Kursinhalte in mehreren Sprachen verfügbar gemacht werden. Mittlerweile werden zunehmend in vielen MOOCs zumindest Videos mit Untertiteln in anderen Sprachen angeboten, zumeist Spanisch und Chinesisch. Die primäre Kurssprache bleibt jedoch Englisch. Das Projekt ‚Translation for Massive Open Online Courses‘ (TraMOOC), das mit 3 Millionen Euro durch Horizon 2020 finanziert wird, arbeitet an einer automatischen maschinellen Übersetzung von englischen Texten, die in MOOCs zur Verfügung gestellt werden. Die Übersetzungen sollen in elf Sprachen geleistet werden (Deutsch, Italienisch, Portugiesisch, Griechisch, Polnisch, Tschechisch, Kroatisch, Russisch und Chinesisch)261, mit dem Ziel, Sprachbarrieren abzubauen262. Es gibt allerdings auch Hinweise darauf, dass es für das Bestehen eines MOOCs irrelevant war, in welcher Sprache der Kurs stattfand263. Da eine Sprachenvielfalt in jedem Fall keinen negativen Einfluss auf die Kursperformance hat, ist diese grundsätzlich aus Sicht der Studierenden als positiv zu werten. Hinsichtlich der Herkunft und Diversität der Teilnehmer*innen ist auch die Diskussion um die digitale Spaltung und in diesem Zusammenhang die Rolle von MOOCs kritisch zu hinterfragen (Kap. 3.2). Krazny et al. (2018) identifizieren einige Probleme, mit denen Teilnehmer*innen aus Entwicklungsländern konfrontiert werden können: “Students from developing and other countries may be hampered by limited English language proficiency, “content overload,” feeling as if they don’t belong and there is no sense of community, experiencing threats to social identity in a large anonymous course with many better prepared participants, and even lack of familiarity with computers and insufficient access to reliable electricity. Further the materials may lack local relevance and thus be in need of “cultural translation””. In der Forschungsdiskussion werden vermehrt Modelle aufgestellt, die entweder den Dropout oder das Kursbeenden von 261

Vgl. Sennrich et al. 2017, S. 1 Vgl. Horizon 2020, 2015, o.A. 263 Vgl. Santos et al. 2014, S. 102 262

70

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

Teilnehmer*innen vorhersagen. Modelle, welche auf Grundlage der demographischen Daten von Teilnehmer*innen, wie beispielsweise die Herkunft bzw. der Standort, den Dropout vorherzusagen versuchen, laufen womöglich Gefahr, die Ursache für Dropouts falsch zu interpretieren. Folgt man der Aussage von Krazny et al. (2018) seinicht die Herkunft der Teilnehmer*innen die Ursache, sondern die Didaktik und inhaltliche Ausrichtung des Kurses, die zielgruppenspezifisch ist und weniger Relevanz für Menschen aus Entwicklungsländern aufweist. Interaktions-, Kooperationsmöglichkeiten und Medienkompetenzen Ein weiterer Faktor, der einen Einfluss auf die Dropout-Rate hat, ist die Möglichkeit der Lernenden, miteinander in Kontakt zu treten und zusammen zu arbeiten. Wenn keine Gemeinschaften gebildet werden, in denen zusammengearbeitet werden kann, können sich Studierende durch die mangelnde Kommunikation isoliert fühlen und lernen womöglich weniger motiviert als beim gemeinsamen Lernen264. Kommunikationsmöglichkeiten für Studierende spielen auch deshalb eine große Rolle, weil der Austausch mit den anderen Studierenden helfen kann, eigene Ideen zu entwickeln, Wissen weiter zu geben und das eigene Wissen aufzubessern265. Darüber hinaus sind sie die Voraussetzung dafür, dass langfristige (Lern-)Beziehungen aufgebaut werden und sich unter den Studierenden ein Gemeinschaftsgefühl entwickelt, welches förderlich für den Erfolg in MOOCs ist266. Taylor/Veeramachaneni/O‘Reilly (2014) berichten, dass die Zusammenarbeit zwischen Studierenden z.B. in Foren oder Wikis ein wichtiger Indikator für Dropouts ist, wobei es weniger um die Häufigkeit der Beiträge als um die Qualität dieser geht 267. Margaryan/Bianco/Littlejohn (2015) berichten jedoch, dass lediglich in acht von 264

Vgl. Santos et al. 2014, S. 98; Vgl. Khalil/Ebner 2014, S. 1236, 1240; Vgl. Bayeck 2016, S. 230 265 Vgl. Khalil/Ebner 2014, S. 1240 266 Vgl. Chen/Chen 2015, S. 67; Vgl. Castaño/Maiz/Urtza 2015, S. 24; Vgl. Yuan/Kim 2014, S. 222 267 Vgl. Taylor/Veeramachaneni/O‘Reilly 2014, S. 21

3.2 Forschungsüberblick

71

76 (1 xMOOC und 7 cMOOCs) der von ihnen untersuchten MOOCs die Zusammenarbeit zwischen den Teilnehmer*innen erforderlich war, also didaktisch gefordert wurde268. Die Interaktion in Foren wird laut Gillani/Eynon (2014) vor allem von einer bestimmten Gruppe Menschen geprägt: „most forum participants were well-educated, from Europe or North America, and were taking the course to gain professional skills. These learners formed crowds and not communities: some students engaged in rich discussions around topics of shared significance, but largely, forum use was inconsistent and non-cohesive. A sizeable proportion of discussion participants comprised high-performing students, although most others received what would have been considered as “failing” marks“269. Andererseits lassen sich die Studierenden auch negativ vom Verhalten der anderen Nutzer*innen beeinflussen, sodass der Austritt eines Studierenden zu Folgeaustritten oder zumindest verminderter Aktivität der restlichen Nutzer*innen führen kann270. Stellenweise wird berichtet, dass fehlendes Hintergrundwissen sowie ein Mangel an Lerntechniken oder digitalen Fähigkeiten die Nutzer*innen ausbremsen271. Da Online-Learning stark selbstgesteuert ist, ist es für Studierende ein großes Problem, wenn sie nicht mit der digitalen Technologie und deren Formaten vertraut sind272. In diesem Zusammenhang sind medienpädagogische Kompetenzen zu diskutieren, die zwar nur implizit, aber dennoch für die Kursteilnahme vorausgesetzt werden. Welches Level an Medienkompetenz vorausgesetzt wird und welche spezifischen Kompetenzen wichtig sind, wurde bislang kaum erforscht. Allerdings zeigte die Studie von Castaño-Muñoz et al. (2017), dass für Arbeitnehmer*innen aus Europa ein Zusammenhang zwischen dem Outcome der MOOC-Teilnahme und ihrer Medienkompetenz gefunden werden konnte: 268

Vgl. Margaryan/Bianco/Littlejohn 2015, S. 81 Gillani/Eynon 2014, S. 25 270 Vgl. Santos et al. 2014, S. 102; Vgl. Rosé et al. 2014, S. 198 271 Vgl. Khalil/Ebner 2014, S. 1236, 1241; Vgl. Onah/Sinclair/Boyatt 2014, S. 5828; Vgl. Li/Tang/Zhang 2016, S. 24 272 Vgl. Onah/Sinclair/Boyatt 2014, S. 5828; Vgl. Li/Tang/Zhang 2016, S. 24 269

72

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

„Overall, for workers in Europe to benefit from open education and MOOCs, it is essential that they have a high level of digital skills. […] This finding showed that employers can also invest in the development of digital skills of their employees to equip them with the necessary requirement to be active learners in an open education context.”273 So kann es durchaus sein, dass Kursteilnehmer*innen gewillt sind, an dem Kurs teilzunehmen, doch mit der digitalen Lernumgebung nicht zurechtkommen und der Kurs dadurch an Attraktivität gegenüber traditionellen Fortbildungen verliert. Da sich dies jedoch frühestens mit dem Kursbeginn offenbart, ist die Dropout-Rate entsprechend groß. Neuböck/Kopp (2015) halten fest, dass 57% der von ihnen befragten Teilnehmer*innen angeben, dass die Vertrautheit mit neuen Medien eine notwendige Kompetenz ist, um den Kurs beenden zu können274. Allerdings ist die Zahl der Befragten mit N = 83 verhältnismäßig gering. Insgesamt offenbart sich, dass der Kurs zwar offen und formal frei von Zugangsvoraussetzungen ist – das Kursdesign und der didaktische Aufbau selbst jedoch voraussetzungsvoll sind. Die Brücke zwischen diesem scheinbaren Widerspruch wurde in einem MOOC zu den Grundlagen digitaler Kompetenzen geschlagen: “The main objective of this first MOOC represents an innovative proposal that aims to provide the basic digital skills that are necessary to access the opportunities offered by the Knowledge Society and, in particular, to benefit from the new global movement based on social and open learning.”275 Dies scheint für Teilnehmer*innen aus cMOOCs umso mehr der Fall zu sein, was angesichts der Kursstruktur und den mit dem Konnektivismus verbundenen Lernzielen wenig überraschend ist276. In diesem Kontext ist überlegenswert, ob einführende Tutorials den Aufbau und die Partizipationsmöglichkeiten von Teilnehmer*innen erörtern können, um diejenigen aufzufangen, die 273

Castaño-Muñoz et al. 2017, S. 43 Vgl. Neuböck/Kopp 2018, S. 188 275 Sánchez-Elvira Paniagua/López/Trejo 2013, S. 870 276 Vgl. Wang/Baker 2015, S. 18 274

3.2 Forschungsüberblick

73

nicht medienkompetent genug sind und deshalb eigentlich aus dem Kurs ausscheiden würden. Kommunikationsmöglichkeiten Selbst wenn die technischen Fertigkeiten vorhanden sind, um an dem Kurs teilnehmen zu können, gibt es noch zwei weitere Voraussetzungen, die Lernende erfüllen müssen: Sie benötigen eine angemessene Lese- und Schreibfähigkeit, da MOOCs, vor allem in Chats und Foren, aber auch in vielen der bereitgestellten Materialien auf textbasierter Kommunikation beruhen. Damit im Zusammenhang steht, dass Studierenden durch die MOOC-Provider oft keine oder zumindest nicht solche Hilfe erhalten, die sie sich erhofft hatten277. Der häufige Mangel an Rückmeldung und Unterstützung bei (Lern-)Problemen führt dazu, dass sich die Studierenden allein gelassen fühlen und den Kurs deshalb im Zweifel auch verlassen278, wobei Teilnehmer*innen, die bereits einen akademischen Abschluss erlangt haben, signifikant seltener davon berichten als weniger gebildete Teilnehmer*innen279. Dies zeigt deutlich, dass nicht nur die Kommunikation der Studierenden untereinander und die fehlenden Hilfestellung der Produzierenden, sondern auch die generelle Kommunikation mit den MOOC-Providern ein großes Problem darstellt280. Anders als in der Präsenzlehre, in der durch ‚Face-to-Face‘ Interaktionen Fragen und Probleme schnell und in direkter Kommunikation geklärt werden können, kann es schon allein wegen den extrem großen Teilnehmer*innenzahlen zu stunden- bis tagelangen Wartezeiten auf Antworten kommen. Es wird davon ausgegangen, dass die persönliche Kommunikation mit Fachkräften einen sehr hohen Einfluss auf die Motivation der Studierenden hat,

277

Vgl. Firmansyah/Timmis 2016, S. 22; Vgl. Hew/Cheung 2014, S. 45; Vgl. Khalil/Ebner 2014, S. 1241; Vgl. Onah/Sinclair/Boyatt 2014, S. 5832 278 Vgl. Li/Tang/Zhang 2016, S. 24; Vgl. Knox 2014, S. 173; Vgl. Abeer/Miri 2014, S. 323; Vgl. Meinel/Schweiger 2016, S. 11 279 Vgl. Shapiro et al. 2017, S. 47 280 Vgl. Khalil/Ebner 2014, S. 1240f.

74

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

welche wiederum im Zusammenhang mit der Dropout-Rate steht281. Vor allem bei größeren Gruppen, ist eine (zeitnahe) Einzelbetreuung fast unmöglich. Hinzu kommt, dass manche bereitgestellten Tutorien nur für Geld angeboten werden und die Studierende solche Angebote deshalb häufig nicht annehmen. Auch solche versteckten Kosten sind ein Grund für Studierende, den Kurs zu verlassen282. Darüber hinaus zeigten Onah/Sinclair/Boyatt (2014), dass Kurse, die mit einem ‚peer-to-peer support‘ arbeiten, indem sich die Studierenden gegenseitig Fragen beantworten und ihre Leistungen bewerten, eine deutlich geringere Abschlussrate haben283. Dies lässt sich mitunter so erklären, dass dadurch Mehrarbeiten für Studierende entstehen, es ihnen oft an Training fehlt, man negative Rückmeldungen durch die Peers erhält oder die Glaubwürdigkeit des Feedbacks bezweifelt wird284. Diese Rückmeldungen können destruktiv sein, indem mangelnde, ablehnende oder schlichtweg nicht hilfreiche Kommentare über die geleistete Arbeit getätigt werden und die Rückmeldungen keiner höheren Kontrolle unterliegen. In vielen Foren von MOOCs werden deshalb Empfehlungen ausgesprochen, wie Forenposts strukturiert werden können. Diese führen zwar insgesamt dazu, dass Studierende besser zusammenarbeiten können und Konflikte zwischen ihnen minimiert werden, allerdings zeigte eine qualitative Analyse von Forenposts durch Bonafini et al. (2017), dass diese Vorstrukturierungen das kognitive Niveau der Beiträge reduzieren kann285.

281

Vgl. Janisch/Ebner/Slany 2017, S. 22 Vgl. Khalil/Ebner 2014, S. 1236 283 Vgl. Onah/Sinclair/Boyatt 2014, S. 5829 284 Vgl. Luo/Robinson/Park 2014, S. 11; Vgl. Xiong/Suen 2018, S. 253 285 Vgl. Bonafidi 2017, S. 234f. 282

3.2 Forschungsüberblick

75

Kursdesign Als weiterer Faktor für die hohe Dropout-Rate wird das Kursdesign von MOOCs diskutiert286. In Kap. 3.1 wurden teils sehr unterschiedliche Konzeptionen und Abwandlungen von MOOCs diskutiert, deshalb beschränkt sich dieses Kapitel auf klassische MOOCs, auf die sich der Großteil der Forschung konzentriert. Zum einen haben Studierende vermutlich oftmals falsche Vorstellungen und Erwartungen an die Inhalte des Kurses, zum anderen unterschätzen sie möglicherweise den Grad an Eigeninitiative und Selbstmotivation, der aufgebracht werden muss und haben kein Verständnis oder unrealistische Vorstellungen davon, was sie selbst und der Kurs leisten kann287. Unterstreichen würde dies die Tatsache, dass sowohl längere Videos als auch längere Kurse vermehrt zu höheren Dropout-Raten führen288. Deshalb ist die Überlegung, MOOCs grundsätzlich kürzer zu konzipieren, als es die meisten Designs vorsehen. Lackner et al. (2015) empfehlen, dass MOOCs höchstens in der Länge von vier Wochen konzipiert werden sollen, weil die meisten Dropouts nach der vierten Kurswoche verzeichnet werden konnten289. Studierende geben unterschiedliche Gründe für den Zeitmangel an, darunter individuelle, persönliche Umstände, aber auch die tatsächliche Auslastung durch den Kurs: „Many students pointed out that watching online lectures and completing homework assignments and quizzes was simply too much to incorporate into their schedules”290. Höfler/Kopp (2018) diskutieren, wie MOOCs über mobile Endgeräte rezipiert werden und argumentieren, dass diese Form der Rezeption in der Regel abschnitthaft und nebenbei stattfindet, z.B. während Wartezeiten oder in öffentlichen Verkehrsmitteln, weshalb eine Reduzierung der 286

Vgl. Onah/Sinclair/Boyatt 2014, S. 5832 Vgl. Banerjee/Duflo 2014, S. 514; Vgl. Onah/Sinclair/Boyatt 2014, S. 5828 288 Vgl. Kim et al. 2014, S. 31; Vgl. Ferguson et al. 2015, S. 70ff.; Vgl. Onah/Sinclair/Boyatt 2014, S. 5828 289 Vgl. Lackner/Ebner/Khalil 2015, S. 32f. 290 Khalil/Ebner 2014, S. 1240; Vgl. Meinel/Schweiger 2016, S. 11; Vgl. Jacobsen 2017, S. 15 287

76

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

Lerneinheiten zu kleinen „Portionen“291 sinnvoll sei. Die Autor*innen kritisieren weiterhin, dass die meisten MOOCs schlichtweg nicht auf die Darstellung auf mobilen Endgeräten ausgelegt sind und deshalb das Lernen meist auf Computer beschränkt wird, nicht zuletzt auch deshalb, weil viele Materialien nur online verfügbar sind und sie nicht heruntergeladen werden können, um sie auch offline verfügbar zu machen292. Andererseits zeigen Studien, dass die Kurslänge weniger relevant für das Kursbeenden ist als das Verhalten und die Einstellungen der Nutzer*innen293. Ähnlich verhält es sich bei dem Schwierigkeitsgrad eines Kurses294. Ist das Niveau zu hoch, geben die Studierenden auf, ist es zu niedrig, verlieren sie das Interesse295. Da sie für die Kursteilnahme nahezu nichts außer Zeit investieren müssen, spüren Studierende wenig Druck, den Kurs beenden zu müssen. Ohne diesen Druck fällt es ihnen häufig schwer, die nötige Selbstdisziplin aufbringen296. Das Scheitern der Studierenden an einem MOOC ist auf Grund von fehlender Motivation und Verbindlichkeit einer der statistisch signifikantesten Gründe für Dropouts297. Die Hingabe ist also ein Schlüsselfaktor für das erfolgreiche Bestehen eines MOOCs. Sollte diese durch Ermüdung, fehlende Befriedigung, fehlende Anreize oder das Setzen von anderen Prioritäten Einbußen nehmen, steigt die Chance auf einen Dropout298. Deswegen ist es sinnvoll, das Kursdesign so anzupassen, dass Studierenden Gründe dafür gegeben werden, regelmäßig zu dem Kurs zurückzukehren und den Kurs zu beenden. In diesem Kontext wird vor allem der Gamification-Ansatz diskutiert. Dieser Ansatz beruht auf Huizingas Cha291

Höfler/Kopp 2018, S. 554 Vgl. Höfler/Kopp 2018, S. 561 293 Vgl. Ferguson et al. 2015, S. 82 294 Vgl. Boyatt/Onah/Sinclair 2014, S. 5828; Vgl. Zheng et al. 2015, S. 1892 295 Vgl. Hood/Littlejohn/Milligan 2015, S. 89 296 Vgl. Zheng et al. 2015, S. 1892; Vgl. Liyanagunawardena/Parslow/Williams 2014, S. 96 297 Vgl. Greene/Oswald/Pomerantz 2015, S. 24 298 Vgl. Halawa/Greene/Mitchell 2014, S. 7 292

3.2 Forschungsüberblick

77

rakterisierung des Menschen als homo ludens, also als spielenden Menschen299. Die Kernannahme des Gamification-Ansatzes ist, dass sich Nutzer*innen in spielfremden Kontexten wie MOOCs durch die Implementierung von Elementen oder Mechaniken, die für Spiele charakteristisch sind, motivierter und produktiver verhalten300. Diese Implementierungen dienen vor allem als Belohnungsanreize, auch wenn sie in der Regel keinen Realwert haben und auch nicht gegen Anderes ausgetauscht werden können. Implementiert werden können beispielsweise Rankings, Erfahrungs- und Fortschrittsbalken, Punkte, Level, Badges und Trophäen301. Gleichzeitig bekommen Nutzer*innen dadurch ein Feedback zu ihren Leistungen und können diese visualisieren. Die weiter oben angesprochenen mangelnden Interaktionsmöglichkeiten von Teilnehmer*innen können durch eine „social gamification“302 kompensiert werden, sodass sie sich mit dem Kurs verbundener fühlen und gerne zurückkehren. Im schulischen Unterricht wurde Gamification bereits versuchsweise angewendet und Studien berichten von einem zumindest temporär erhöhten Engagement, einer positiven Unterstützung für das selbstständige Arbeiten sowie besseren Abschlussnoten303. Einige Autor*innen entwickelten MOOC-Designs, welche auf unterschiedliche Weise Gamification in den MOOCs selbst oder den MOOC-Plattformen integrieren304, allerdings ohne dass diese in der Praxis erprobt wurden. Khalil et al. (2018) sprechen in ihrem Übersichtsartikel zur Gamification in MOOCs davon, dass die Forschung noch am Anfang steht und es bislang nur sehr wenige empirische Studien gibt, die jedoch darauf hindeu299

S.a. Huizinga 1950 Vgl. Deterding et al. 2011, S. 10; Vgl. Blohm/Leimeister 2014, S. 275 301 Vgl. Meinel/Schweiger 2016, S. 11f.; Vgl. Xiong et al. 2015, S. 31; Vgl. Borgwardt 2014, S. 37f. 302 Gené/Núñez/Blanco 2014, S. 216 303 Vgl. Stöcklin/Steinbach/Spannagel 2014, S. 276; Vgl. Koch/Ott/Oertelt 2013, S. 22 304 Vgl. Chang/Wei 2016, S. 182; Vgl. Klemke/Eradze/Antonaci 2018, S. 7f.; Vgl. Staubitz et al. 2014, S. 4ff.; Vgl. Gené/Núñez/Blanco 2014, S. 217f.; Vgl. Antonaci et al. 2017, S. 1654f.; Vgl. Vaibhav/Gupta 2014, S. 293; Vgl. Khalil/Ebner 2017, S. 116; Vgl. Reischer/Khalil/Ebner 2017, S. 96f. 300

78

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

ten, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen der Implementierung von Gamification und der Motivation und Performance von Teilnehmer*innen gibt305. Riehemann/Jucks (2018) konnten in ihrer Untersuchung feststellten, dass die persönliche gegenüber einer formalen Adressierung der Teilnehmer*innen einen positiven Einfluss auf die Lernergebnisse hatte und empfehlen deshalb, solche Personalisierungen in das Kursdesign zu integrieren306. Damit soll unter anderem auch der Anonymisierung der Lernenden, die durch die große Anzahl an Teilnehmer*innen entsteht, entgegengewirkt werden. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls von Bedeutung, in welchem Maße das Kursdesign die Kommunikation zwischen den Teilnehmer*innen ermöglicht. Kellogg/Booth/Oliver (2014) empfehlen „discussion opportunities which request quick, practical information that would be of use to other educators in the community, such as requests embedded and directly relevant to content and resources provided throughout the course.”307 Eine systematische Analyse von MOOC-Designs ist bislang noch nicht publiziert worden, allerdings wird mit dem Design von MOOCs nach wie vor viel experimentiert. Drake/O‘Hara/Seeman (2015) schlagen fünf Leitprinzipien für MOOC-Designs vor: (1) die Inhalte sollen verständlich und systematisch dargestellt werden, sodass ihre Bedeutung den Teilnehmer*innen leicht ersichtlich wird, (2) in MOOCs sollen Lernende kognitiv und sozial involviert werden, (3) der Kursfortschritt und ggf. andere Informationen sollen messbar und auch für die Studierenden einsehbar sein, (4) die Zugänglichkeit soll gewährleistest sein, z.B. durch die zusätzliche Bereitstellung von Videos als reine Audiodateien um die Downloadgrößen zu reduzieren, (5) MOOCs sollen in ihrem Umfang anpassbar sein, sodass es Kurz- und Langformen der Kurse gibt, auch

305

Vgl. Khalil et al. 2018, S. 1629 Vgl. Riehemann/Jucks 2018, S. 5 307 Kellogg/Booth/Oliver 2014, S. 280 306

3.2 Forschungsüberblick

79

zum Preis der fehlenden Studierendenzentriertheit308. Diese Leitprinzipien verbleiben jedoch trotz einer angeführten Fallstudie vage und unspezifisch in ihrer Umsetzbarkeit. Zudem erscheinen gerade die Leitprinzipien (1) und (2) selbstverständlich für eine digitale Lernumgebung. Zuvor erarbeiteten Yousef et al (2014a) in Bezug auf die Designqualität insgesamt 74 Kriterien für die Didaktik und die Technik der MOOCs sowie für die erfolgreiche und effektive Erstellung eines Kurses309. Diese wurden in die folgenden sechs Kategorien unterteilt: „instructional design, assessment, user interface, video content, social tools and learning analytics“310. Schließlich sei zu erwähnen, dass sich seit kurzem eine Forscher*innengruppe damit beschäftigt, eine Qualitätssicherung für MOOCs einzuführen und dazu ein „Quality Reference Framework (QRF)“311 zu entwickeln. Die Autor*innen befragten MOOCTeilnehmer*innen sowie MOOC-Designer*innen und kommen zu dem Schluss, dass „MOOC designers do not seem to understand very well the needs and demands of MOOC learners“312, woraus sie die Notwendigkeit einer Qualitätssicherung ableiten. Das von Erasmus+ finanzierte Projekt soll im Dezember 2018 enden und bis dahin ein Referenzkonzept erarbeiten, durch das die allgemeine Qualität von MOOCs bewertet und verglichen werden kann. Allerdings geht das Projekt explorativ vor und erarbeitet die Qualitätskriterien aus den Vorstellungen und Bedürfnissen der befragten Designer*innen und Teilnehmer*innen, insbesondere aus den Divergenzen dieser. Die Güte des Referenzkonzeptes muss noch erprobt werden.

308

Vgl. Drake/O’Hara/Seeman 2015, S. 131ff. Vgl. Yousef et al. 2014a, S. 45 310 Vgl. Yousef et al. 2014a, S. 48 311 Stracke/Tan 2018, S. 1032; Vgl. Stracke 2017, S. 289f.; Vgl. Texeira et al. 2018, S. 2 312 Stracke et al. 2018, S. 5 309

80

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

Individuelle Lernziele und Lernstrategien MOOCs sind – folgt man einer eher konservativen Didaktik - darauf angelegt, dass Lernenden Inhalte vermittelt werden, mit denen sie zum Schluss Prüfungen bestehen oder Leistungen erbringen, in denen sie ihren Wissens- oder Kompetenzzuwachs darlegen können und dafür eine Bestätigung oder ein Zertifikat erlangen. Diese konzeptuelle Zielsetzung wird mitunter daran deutlich, dass die Verringerung der Dropout-Rate das seit Jahren drängendste Forschungsthema zu MOOCs ist. Allerdings konnte festgestellt werden, dass es unterschiedliche Nutzer*innentypen mit jeweils anderen (Lern-)Zielen und Ansprüchen gibt313. Für einige ist es das Ziel, den Kurs vollständig zu bearbeiten und diese Leistungen ökonomisch verwertbar zu machen, „in other words, watching all the lectures, completing all the quizzes and assignments, and receiving a certificate“314. Andere sind jedoch damit zufrieden, wenn sie ein davon abweichendes Lernziel erreicht haben, beispielsweise das Beenden einer Lektion oder eines spezifischen Kapitels315. Diese Studierenden haben daher nicht zwingend das Ziel, den MOOC in Gänze abzuschließen. Diese Studierende als Dropouts zu zählen ist deshalb schwierig, weil sie ggf. ihr eigenes Lernziel, z.B. ein spezifisches Kapitel des MOOCs abgeschlossen haben und der Rest des Kurses zu keinem Zeitpunkt von diesen Studierenden in Betracht gezogen wurde. Oder sie, wie bei Jacobsen (2017) berichtet, auf Grund von Überforderung oder zeitlichem Mangel ihre Strategie änderten und nur noch selektiv den Kurs besuchten316. Hill (2013a) nennt solche MOOC-Teilnehmer*innen ‚Drop-Ins‘317, Kizilcec/Piech/Schneider (2013) unterscheiden zwischen „Auditing and Completing learners“318 sowie Teilnehmer*innen, die aus persönlichem 313

Vgl. Zheng et al. 2015, S. 1892 Zheng et al. 2015, S. 1892 315 Vgl. Zheng et al. 2015, S. 1892; Vgl. Onah/Sinclair/Boyatt 2014, S. 5827; Vgl. Meinel/Schweiger 2016, S. 10f. 316 Vgl. Jacobsen 2017, S. 16f. 317 Hill 2013a, o.A. 318 Kizilcec/Piech/Schneider 2013, S. 176 314

3.2 Forschungsüberblick

81

Interesse lernen, um sich intellektuell weiterzubilden, ohne an Prüfungen und einer Zertifizierung interessiert zu sein. Laut den Autor*innen ist nur ein kleiner Teil der Teilnehmer*innen an den Zertifizierungen interessiert, allerdings ist der Kurs im Sinne einer traditionellen Pädagogik auf den Kursabschluss ausgelegt. Für solche Kurse liegt der Schluss nahe, dass Studierende die Prüfungen und Aufgaben, die mit einer Zertifizierung einhergehen, als hinderlich oder sogar störend empfinden und deshalb im Verlauf des Kurses aus einem MOOC aussteigen. In der Konsequenz stellt sich die Frage, was mit der der Reduzierung von ‚Dropouts‘ erreicht werden soll: dass mehr Teilnehmer*innen ein Zertifikat erwerben oder dass die Inhalte gelernt werden. Im Lichte der bisherigen Forschung zu MOOCs scheinen diese beiden Lernziele nicht zwingend miteinander einherzugehen319 oder können bisweilen sogar im Widerspruch zueinander stehen. Im Hinblick auf die didaktische Gestaltung von MOOCs ist dieses Spannungsverhältnis verschiedener Lernziele als Herausforderung zu betrachten. Zuletzt gibt es Teilnehmer*innen ohne ein spezifisches Ziel. Sie wollen lediglich einen Einblick bzw. Eindruck von einem bestimmten Thema oder Fach bekommen und sehen daher keine Notwendigkeit, alle Kursabschnitte zu erledigen. So nutzen beispielsweise Schulabgänger*innen einen MOOC als Inspiration für die Fächerwahl im Studium oder um abzusichern, ob ihnen ein Thema ausreichend zusagt320. Teilnehmer*innen, die sich aus diesen oder vergleichbaren Gründen für den Kurs registrieren, erscheinen entweder überhaupt nicht im Kurs, weil sie die Informationen, die sie sich durch die Kursteilnahme erhofft hatten bereits anderweitig erhalten haben, oder scheiden nach kurzer Zeit aus. Solche Teilnehmer*innen hatten zu keinem Zeitpunkt den Abschluss des Kurses intendiert, was die Interpretation der hohen ‚Dropout‘-Rate erschwert321.

319

Vgl. Anderson 2013, S. 6 Vgl. Khalil/Ebner 2014, S. 1240 321 Vgl. Onah/Sinclair/Boyatt 2014, S. 5828 320

82

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

Die unterschiedlichen Lernstrategien der Nutzer*innen erschweren es, ein Kursdesign festzulegen, das auf alle Wünsche und Bedürfnisse der Teilnehmer*innen ausgerichtet ist. Grünewald et al. (2013) haben speziell für MOOCs Empfehlungen erarbeitet, die Studierenden mit verschiedenen Lernstrategien die Möglichkeit geben, im Kurs erfolgreich zu sein: “1) Learning materials could be enriched through concept maps and hypertextual links that allow diverging, learner-defined paths; 2) Hands-on exercises allow learners to feel personally involved in the problem domain through their active experimentation and to grasp the complex relations to their own concrete experience; 3) Group discussions that support awareness, and reward contributions, allow learners to feel responsible and to collaboratively strengthen the learning process and to provide richer perspectives for reflective observation.”322 Diese Empfehlungen setzen allerdings voraus, dass Lernende in MOOCs die Gelegenheit haben, miteinander in Kontakt zu treten und zu interagieren, allerdings wurde weiter oben bereits beschrieben, dass solche Strukturen in MOOCs kaum gegeben sind. Auch Chan/Hung/Lin (2015) argumentieren, dass Studierende „with less interest in using technology or those with low reflective learning styles, they may be afraid of learning in such an environment and have an increased risk of discontinuing their involvement in the course”323 Aus diesem Grund empfehlen die Autor*innen, dass die Instruktionen im Kurs klar und leicht verständlich sind und Lernenden die Möglichkeit gegeben wird, in Lerngruppen zusammenzukommen und sich so gegenseitig zu unterstützen324. Margaryan/Bianco/Littlejohn (2015) berichten, dass lediglich 21 von 76 (3 xMOOCs und 18 cMOOCs) der von ihnen untersuchten MOOCs überhaupt alternative Lernaktivitäten anboten325. In allen anderen Kursen 322

Grünewald et al. 2013, S. 381 Chang/Hung/Lin 2015, S. 539 324 Chang/Hung/Lin 2015, S. 539 325 Vgl. Margaryan/Bianco/Littlejohn, S. 81 323

3.2 Forschungsüberblick

83

mussten sämtliche Studierende dieselben Aufgabenformen erledigen. Dabei sind die Intentionen der Studierenden heterogen. Manche Studierende möchten den Kurs in regelmäßigen Abständen bearbeiten (beispielsweise wöchentlich), andere möchten die Themen frei wählen und bearbeiten können, wieder andere wollen unmittelbar nach der Einschreibung alle Materialen haben, um diese individuell bearbeiten und selektieren zu können326. Zhong et al. (2016) berichten über chinesische Teilnehmer*innen, dass mehr als 50% derjenigen, die sich als aktive Lernenden charakterisierten auch im Forum partizipierten und 76% derjenigen, die sich als passive Lernenden charakterisierten sich nicht im Forum beteiligten327. Diese unterschiedlichen Lernstrategien können sowohl auf persönliche Vorlieben und Fertigkeiten, als auch auf den Lebenskontext (berufliche und soziale Vereinbarkeit) der Lernenden zurückgeführt werden, weil diese die Möglichkeiten des selbstregulierten Lernens mitbestimmen328. Terras/Ramsay (2015) argumentieren, dass MOOCs deshalb eine Pädagogik verfolgen müssen, die das selbstregulierte Lernen ermöglichen und fördern und beziehen sich auf das Konzept der Heutagogik: „the possession of good digital literacy skills will enable learners to access MOOCs: they allow MOOCs to become open to them. Once accessed, the application of developed participatory skills enables learners to fully engage with the range of collaborative and generative activities provided. Efficient selfregulation and goal-setting will enable these benefits to be maximised and promote engagement and mostly likely completion.“329 Die Autor*innen sprechen damit gewissermaßen die optimalen Voraussetzungen eines Lernenden in MOOCs an. Eine Abkehr der eigentlichen Didaktik von kontinuierlichen und regelmäßigen Inputs hin zu einem Konzept, welches das selbstregulierte Lernen fördert, würde jedoch eine Aufgabe 326

Vgl. Khalil/Ebner 2014, S. 1240; Vgl. Henderikx/Kreijns/Kalz 2017, S. 356 Vgl. Zhong et al. 2016, S. 957f. 328 Vgl. Hood/Littlejohn/Milligan 2015, S. 90 329 Terras/Ramsay 2015, S. 482 327

84

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

des traditionellen Kurscharakters bedeuten, die aus pädagogischer Perspektive zumindest historisch gesehen in der Präsenzlehre durchaus ihre Berechtigung hat. Zeitliche Muster bei Dropouts Neben den bisher erarbeiteten möglichen Gründen für Dropouts, lassen sich häufig konkrete Muster erkennen, wann ‚Dropouts‘ vermehrt auftreten. Zwei wesentliche Faktoren sind das verspätete Anmelden für MOOCs nach Kursbeginn und die Aktivität in den ersten Wochen330. Da die Kommunikation und Interaktion im Zusammenhang mit dem Kurserfolg stehen und es später hinzugekommenen Studierenden meist schwer fällt, mit den rechtzeitig angemeldeten Studierenden mitzuhalten, ist darin eine Ursache für die erhöhte Dropout-Rate zu suchen331. Auch ist es schwierig, die bereits existierende (Lern-)Struktur des Kurses zu erkennen und sich darin einzufinden, da sich zumeist schon feste Lerngruppen gebildet haben, in die man sich nur schwer integrieren kann. Für Studierende, die sich ab der ersten Woche aktiv mit den Inhalten des MOOCs beschäftigen, wurde eine höhere Wahrscheinlichkeit des Kursbeendens berichtet als für Studierende, die zu einem späteren Zeitpunkt mit der inhaltlichen Auseinandersetzung beginnen.332 Allerdings verlassen häufig bereits die Hälfte der Nutzer*innen einen MOOC während der ersten Lektionen333. Andere Autor*innen argumentieren, dass sich die Modelle zur Vorhersage der Dropouts nicht nur auf die erste Kurswoche beschränken sollen334. Ein Grund dafür ist, dass es auch eine entscheidende Rolle spielt, wie viel und welcher Teil der Inhalte ausgelassen wird, denn gerade zu Beginn eines Kurses könnte die Motivation noch 330

Vgl. Banerjee/Duflo 2014, S. 517; Vgl. Onah/Sinclair/Boyatt 2014, S. 5828f.; Vgl. Rosé et al. 2014, S. 198; Vgl. Xing et al. 2016, S. 128; Vgl. Santos et al., S. 98, 102; Jiang et al. 2014, S. 275 331 Vgl. Onah/Sinclair/Boyatt 2014, S. 5858f. 332 Vgl. Rosé et al. 2014, S. 198; Vgl. Vu/Pattison/Robins 2015, S. 131 333 Vgl. Santos et al. 2014, S. 98, 102 334 Vgl. Xing et al. 2016, S. 128

3.2 Forschungsüberblick

85

groß genug sein, um verpasste Kursinhalte nachzuholen bzw. ohne diese den Kurs weiterzuführen335. Das Auslassen von bereits 10% des Kurses erhöht die Chance auf einen Dropout erheblich336. Studierende, die mehr als drei Wochen abwesend bzw. inaktiv waren, werden in aller Regel zu Dropouts337. Pursel et al. (2018) berichten, dass „once class started, late registration is associated with a significant reduction in completion rate per day.”338 Darüber hinaus haben Studierende, die zuvor Erfahrungen in anderen MOOCs machten, eine höhere Wahrscheinlichkeit, den Kurs zu beenden339. Auf Grundlage dieses Wissens versuchen Forscher*innen effektive Vorhersagemodelle zu entwickeln, welche genutzt werden könnten, um potenzielle Dropouts frühzeitig zu entdecken und im Anschluss angemessen intervenieren zu können340. Spätestens an dieser Stelle wird dann eine Differenzierung der Dropouts wichtig, da manche schlichtweg auf Grund ihrer spezifischen Interessen nie am Beenden des MOOCs interessiert waren341. Die hier angeführten Studien weisen verschiedene Wege auf, um die Dropout-Rate zu verringern, allerdings fällt dabei auf, dass bei vielen Ansätzen mindestens eine der in den Buchstaben von MOOC repräsentierten Komponenten verloren ginge. Dies lässt sich vorsichtig so interpretieren, dass die Gründe der hohen Dropout-Rate nicht zwingend nur in Fehlern der Konzeption und Umsetzung von MOOCs zu suchen sind, sondern vielmehr in der Grundidee von MOOCs angelegt sind. Vor diesem Hintergrund ist schließlich die Reduzierung der Dropout-Rate oft mit 335

Vgl. Santos et al. 2014, S. 102; Vgl. Cisel 2014, S. 29 Vgl. Santos et al. 2014, S. 98, 102 337 Vgl. Halawa/Greene/Mitchell 2014, S. 15 338 Pursel et al. 2016, S. 211 339 Vgl. Greene/Oswald/Pomerantz 2015, S. 945 340 Vgl. Xing et al. 2016,S. 128; Vgl. Clow 2013, S. 188; Vgl. Romero/Ventura 2017, S. 7 341 Vgl. Xing et al. 2016, S. 128; Vgl. Banerjee/Duflo 2014, S. 514; Vgl. Liyanagunawardena/Parslow/Williams 2014, S. 96; Vgl. Loya et al. 2015, S. 524; Vgl. Clow 2013, S. 187; Vgl. Sharma/Jermann/Dillenbourg 2015, S. 411 336

86

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

einem ökonomischen Gedanken verbunden, womit das Inkaufnehmen von Verlusten der Kernelemente von MOOCs (z.B. die Zugangsfreiheit, die Offenheit oder der Kurscharakter) erklärt werden kann.

3.2.5 Prädiktoren für den Teilnehmer*innenerfolg Ergänzend zur Erforschung der Ursachen für Dropouts konzentriert sich ein Teil der Forschungsbeiträge darauf, Vorhersagevariablen für das Beenden des Kurses oder das Erlangen eines Zertifikates zu identifizieren. Gardner/Brooks (2018) diskutierten in ihrem Artikel die gegenwärtige Forschung zur Vorhersage von Dropouts in MOOCs. Die meisten Modelle versuchen das Kursbeenden anhand (1) der Teilnehmer*innenaktivität vorherzusagen (Posts in Foren, Seitenaufrufe, Videointeraktionen und Interaktionen mit Materialien), weitere Modelle analysieren (2) Diskussionsforen und basieren auf linguistischen Textanalysen der Beiträge, (3) die sozialen Komponenten von MOOCs, also die Beziehungen zwischen den Lernenden und die sozialen Netzwerke, (4) kognitive Komponenten des Lernens, womit sich angesichts der Datenlage nur ein kleiner Bruchteil der Forschungslandschaft beschäftigt, (5) Lerntheoretisch begründete Modelle, welche das Lernverhalten der Teilnehmer*innen in der Fokus setzen sowie (6) auf demographischen Daten basierende Modelle, welche den Teilnahmeerfolg auf Grundlage von eher statistischen Variablen vorherzusagen versuchen342. Allerdings zeigte sich, dass demographische Daten eine vergleichsweise geringe Vorhersagekraft haben und Modelle, welche auf der Teilnehmer*innenaktivität beruhen, deutlich bessere Ergebnisse erzielen343. Außerdem wird vermutet, dass sich die Unterschiede in der Geschlechterverteilung von Kursen auch in MOOCs replizieren: „In other words, courses, fields, or majors such as science, technology,

342 343

Vgl. Gardner/Brooks 2018, S. 145-164 Vgl. Brooks/Thompson/Teasley 2015, S. 247

3.2 Forschungsüberblick

87

engineering, and math where women are underrepresented in traditional education will experience the same gap in MOOCs.“344 Als gute Prädiktoren erweisen sich Indikatoren, die auf das Verhalten und die Einstellung der Studierenden schließen lassen345. In diesem Zusammenhang ist auch die Motivation der Studierenden von großer Bedeutung346. Hinsichtlich des Verhaltens ist der Lerntyp entscheidend sowie grundlegende Lernkompetenzen wie das Planen und Organisieren der Lernzeiten und die Effektivität des Lernens, welches im non-formalen Bereich stark selbstgesteuert ist347. Kizilcec/Pérez-Sanagustín/Maldonado (2017) konnten anhand der Lernstrategien gut das Kursbeenden der Teilnehmer*innen voraussagen, wobei Studierende, die zielgerichtet und strategisch selbstgesteuert lernten, die höchsten Wahrscheinlichkeiten und Studierende, die um Hilfe baten, die geringsten Wahrscheinlichkeiten für das Kursbeenden aufwiesen.348 Da offensichtlich einige Teilnehmer*innen im Zusammenspiel mit der Anonymisierung durch die große Masse an Teilnehmer*innen Schwierigkeiten mit dem selbstregulierten Lernen haben, werden Überlegungen dazu angestellt, wie sie in ihrem Lernprozess unterstützt werden können349. Dazu gehören Veränderungen der Aufgaben und des Kursdesigns, um die Frustration zu senken und die allgemeine Zufriedenheit der Nutzer*innen zu steigern350. Zur Zufriedenheit mit dem Kurs scheinen vor allem ein klar strukturiertes Kursdesign, die Verständlichkeit der im Kurs bereitgestellten Materialien sowie die Entwicklung des Kurses während 344

Bayeck 2016, S. 224 Vgl. Hood/Littlejohn/Milligan 2015, S. 88ff.; Vgl. Loya et al. 2015, S. 519; Vgl. Barak/Watted/Haick 2016, S. 58; Vgl. Castaño/Maiz/Garay 2015, S. 24; Vgl. Zhou 2016, S. 199; Vgl. Hew/Cheung 2014, S. 45; Vgl. Mukala et al. 2015, S. 32 346 Vgl. Hew/Cheung 2014, S. 47; Vgl. Zheng et al. 2015, S. 1891; Vgl. Castaño/Maiz/ Garay 2015, S. 24; Vgl. Phan/McNeil/Robin 2016, S. 42f.; Vgl. Huang/Hew 2017, S. 108 347 Vgl. Conijn/Van den Beemt/Cuijpers 2018, S. 10 348 Vgl. Kizilcec/Pérez-Sanagustín/Maldonado 2017, S. 27 349 Vgl. Loya et al. 2015, S. 519 350 Vgl. Hood/Littlejohn/Milligan 2015, S. 89; Vgl. Jacobsen 2017, S. 16 345

88

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

der Laufzeit beizutragen, weil es ihnen das Gefühl gibt, mit dem Lerninhalt gut umgehen zu können und ihre Neugierde und Aufmerksamkeit aufrechterhält351. Studierende mit hoher Selbsteffektivität, also erfolgreichem selbstregulierten Lernen, zeigen eine größere (Selbst-) Sicherheit, den Kurs zu bestehen und bleiben über die Dauer des Kurses motivierter. Eine höhere Eigenverantwortlichkeit beim Lernen korreliert mit dem Wunsch einiger Studierenden, sich selbst zu verändern und verweist damit auf die Wichtigkeit einer allgemeinen intrinsischen Motivation352. Littlejohn et al. (2016) messen, wie stark das selbstgesteuerte Lernen bei MOOC-Teilnehmern ausgeprägt ist, und stellen fest, dass Teilnehmer*innen mit einem hohen Wert den MOOC eher als Lerngelegenheit verstanden, im Gegensatz zu Teilnehmer*innen mit einem niedrigen Wert, welche auf die Zertifizierung fokussiert waren353. Die Autor*innen vermuten, dass Teilnehmer*innen umso mehr selbstgesteuert lernen müssen, je weniger sie den Kurs als linear mit dem Ziel der Zertifizierung verstehen, sondern mehr auf spezifische Inhalte fokussiert sind und deshalb selbst wählen müssen, welche Inhalte sie bearbeiten und welche außer Acht gelassen werden können354. Wang/Baker (2018) differenzieren vier motivationale Variablen, von denen sie vermuten, dass sie mit dem Kursbeenden in Zusammenhang stehen: (1) Das Vermögen und Verlangen, an langfristigen Zielen festzuhalten, (2) die akademische Effizienz und damit verbunden die Selbsteffizienz, also das Vertrauen darin, gestellte Aufgaben bewältigen zu können, (3) die Zielgerichtetheit beim Lernen sowie (4) der Drang zu kognitiven Aktivitäten, also das intrinsische Interesse an akademischen Themen, wobei sie das Beenden des Kurses vor allem auf die Variablen (1) und (3) zurückführen konnten355.

351

Vgl. Castaño/Maiz/Garay 2015, S. 22 Vgl. Hew/Cheung 2014, S. 47; Vgl. Pursel et al. 2018, S. 214 353 Vgl. Littlejohn et al. 2016, S. 46 354 Vgl. Littlejohn et al. 2016, S. 46f. 355 Vgl. Wang/Baker 2018, S. 23f., 36 352

3.2 Forschungsüberblick

89

Während Zheng et al. (2015) berichten, dass die zuvor in anderen MOOCs gemachten Erfahrungen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Teilnehmer*innen den Kurs beenden356, fanden Pursel et al (2018) einen solchen Zusammenhang nicht357. Der Ausbildungshintergrund bzw. das Hintergrundwissen, dass man vor dem Besuch eines MOOCs aus anderen Bildungsprozessen gewonnen hat, korreliert positiv mit dem Abschließen eines MOOCs358. Darüber hinaus sind persönliche Beweggründe, wie beispielsweise auch das Verwirklichen eines Kindheitsinteresses, gute Prädiktoren für Erfolg359. Auch elaborierte linguistische Fähigkeiten können einen positiven Effekt haben. Crossley et al. (2015) berichten, „that language related to forum post length, lexical sophistication, situational cohesion, cardinal numbers, trigram production, and writing quality can significantly predict whether a MOOC student completed an EDM course”360. Diese Ergebnisse konnten von Andres et al. (2018) zumindest teilweise repliziert werden361. Insbesondere das Ausmaß der Englischkenntnisse dient aus linguistischer Perspektive als guter Prädiktor für das Kursbeenden362. Anhand des Interaktionsverhaltens lassen sich die Kursfortschritte gut vorhersagen. Das Posten von Beiträgen hat eine positive Auswirkung auf den Kurserfolg363. Crossley et al. (2017) berichten, dass insbesondere Studierende, die über Foren zusammenarbeiten, also „students who produce more on-topic posts, posts that are more strongly related to other posts, or posts that are more central to conversation“364 eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, den Kurs zu beenden.

356

Vgl. Zheng et al. 2015, S. 1884 Vgl. Pursel et al. 2018, S. 213 358 Vgl. Engle/Mankoff/Carbrey 2015, S. 63f. 359 Vgl. Jiang et al. 2014, S. 275; Vgl. Zheng et al. 2015, S. 1891 360 Crossley et al. 2015, S. 390 361 Vgl. Andres et al. 2018, S. 77 362 Vgl. Engle/Mankoff/Carbrey 2015, S. 63f. 363 Vgl. Barak/Watted/Haick 2016, S. 58; Vgl. Romero/Ventura 2017, S. 6 364 Crossley et al. 2017, S. 108 357

90

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

Barba/Kennedy/Ainley (2016) finden in ihrer Untersuchung der in den letzten drei Wochen verbliebenen aktiven Teilnehmer*innen heraus, dass diejenigen, die den Kurs beendeten, deutlich häufiger Videos angesehen und Quizze bearbeitet hatten365. Conijn/Van den Beemt/Cuijpers (2018) berichten in ihrer Untersuchung eines bMOOCs, dass die Anzahl an gesehenen Videos, beendeten Quizzen sowie geposteten Antworten und Fragen in Foren positiv korrelieren366, allerdings können diese Ergebnisse auf Grund der Präsenzlehre von Blended Learning MOOCs nur bedingt auf traditionelle MOOCs übertragen werden. Andere Autor*innen fanden jedoch ähnliche Ergebnisse und berichten, dass Studierende, die sich aktiv einbringen, z.B. durch das Erledigen von Aufgaben oder die Beteiligung in Foren, im Kurs besser abschnitten367. Wenn Studierende aktiv an ihrem Lernprozess teilhaben, erhöht das die Motivation, weiter im Kurs zu verbleiben. Auch das Design des Kurses ist für das erfolgreiche Abschließen des MOOCs entscheidend. Es sollte Studierende multimedial ansprechen, indem es anregende Elemente wie animierende Videos oder interaktive Elemente enthält368. Im besten Fall sollten unterstützende Instrukteur*innen involviert sein. Bezüglich der Dauer eines Kurses argumentieren Engle/Mankoff/Carbrey (2015) unter Berücksichtigung der Zeitpunkte für Dropouts, dass MOOCs gegenwärtig zu lang sind und die Kurslänge verringert werden sollte369. Damit würde gleichzeitig auch Studierenden geholfen werden, die aus Zeitmangel aus einem MOOC ausscheiden. Hinsichtlich der Frage, ob man den Schwierigkeitsgrad der Kursinhalte leichter oder schwieriger gestalten sollte, gibt es verschiedene Meinungen370. Einerseits könnte das leichtere Bestehen der Kurse ein

365

Vgl. Barba/Kennedy/Ainley 2016, S. 224 Vgl. Conijn/Van den Beemt/Cuijpers 2018, S. 6 367 Vgl. Phan/McNeil/Robin 2016, S. 41; Vgl. Bonafini 2017, S. 230 368 Vgl. Alemán de la Garza/Sancho-Vinuesa/Gómez Zermeño 2015, S. 79 369 Vgl. Engle/Mankoff/Carbrey 2015, S. 63 370 Vgl. Engle/Mankoff/Carbrey 2015, S. 63 366

3.3 MOOCs im Kontext der digitalen Spaltung

91

Ansporn sein, andererseits gibt es ebenfalls Argumente dafür, dass höhere Anforderungen die Qualität des Kurses erhöhen. Eine Systematisierung der Teilnehmer*innen, die einen MOOC zur Nanotechnologie beendeten, haben Barak/Haick/Watted (2016) vorgenommen. Sie unterscheiden zwischen (1) Problem-solvers, die am Kurs teilnahmen um eine Lösung für ein Problem zu finden, das ihnen an ihrem Arbeitsplatz oder einem anderen Arbeitsumfeld begegnet ist, (2) Networkers, die sich mit anderen Studierenden mit ähnlichen Interessen vernetzen und Teil einer solchen Gemeinschaft sein möchten, um an gemeinsamen Ideen zu arbeiten oder Ideen auszutauschen, (3) Benefactors, die die Kursinhalte lernen, um danach ihr Wissen in irgendeiner Form zum Wohle der Gesellschaft nutzen zu können, (4) Innovation-seekers, die gerne über die neuesten Innovationen informiert sein möchten sowie (5) Complementary-Learners, die gegenwärtig an einer Präsenzuniversität immatrikuliert sind und ergänzend zum Studium ihr Kurrikulum erweitern möchten371. Die Generalisierbarkeit dieser Systematisierung ist angesichts der naturwissenschaftlichen Ausrichtung des Kurses jedoch in Frage zu stellen. Gegenwärtig ist in der MOOC-Forschung ein Wandel zu verzeichnen, in dem der Kurserfolg nicht mehr zwingend mit dem Kursabschluss gleichgesetzt wird372. Diese Entwicklung entstand auch deshalb, weil es keine zufriedenstellende Lösung dafür gab, die Dropout-Rate zuverlässig zu verringern.

3.3 MOOCs im Kontext der digitalen Spaltung MOOCs sind, je nach Produktionsqualität, als konsequente Fortführung von E-Learning Bestrebungen zu verstehen. Sie vereinen die Vorteile digitaler Lernumgebungen mit anspruchsvollen Lerninhalten und qualita371 372

Vgl. Barak/Haick/Watted 2016, S. 56f. Vgl. Loizzo et al. 2017, S. 15

92

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

tiv hochwertiger Produktion. Deshalb gilt für MOOCs dieselbe Frage, die sich bei allen neu aufkommenden Technologien in der (digitalen) Bildungslandschaft stellt: „can the changes associated with this new wave of education innovation be said to be enhancing or harming learners and the forms of learning in which they are engaged?“373 Die Bewertung des Potenzials von MOOCs für Deutschland muss multiperspektivisch vorgenommen werden. Die Hoffnung, die in MOOCs gesetzt wird, bezieht sich meist auf die Aufhebung der globalen Bildungsungleichheit. Kostenlose und formal voraussetzungslose Bildung wird deshalb unter der Hoffnung der Demokratisierung von Bildung diskutiert. In Deutschland wird das Bildungssystem unter anderem deshalb kritisiert, weil Kinder aus bildungsfernen sowie sozial und ökonomisch schlechter gestellten Familien weniger Chancen auf eine höhere Bildung haben als beispielsweise Akademikerkinder. Vor allem die starke Selektion durch die unterschiedlichen Schulformen und ihrer Qualifikation für höhere Bildungsinstitutionen gilt als Faktor für die Reproduktion von Bildungsungleichheiten. Auch im Ausbildungsmarkt zeichnet sich durch den wachsenden Anteil Studienberechtigter an Ausbildungsplätzen eine Verdrängung der Bewerber*innen mit geringerer schulischer Qualifikation ab374. Das bedeutet, dass geringqualifizierte Jugendliche ohne Hochschulzugangsberechtigung in der Konkurrenz um Ausbildungskräfte gegen Höherqualifizierte kaum eine Chance haben, einen Ausbildungsplatz zu erhalten. Dies ist ein Problem, dass durch das deutsche Bildungssystem generiert wird. MOOCs können in dieser Situation, aufgrund ihrer niedrigschwelligen Zugangsvoraussetzung und ihrer geringen Kosten für den Erwerb eines Zertifikats, einen attraktiven Weg darstellen, über den Geringqualifizierte einen Zugang zu höherer Bildung erhalten können, der sie konkurrenzfähiger auf dem Arbeitsmarkt macht. Zwar werden MOOCs normalerweise dem nonformalen Lernen zugeordnet375, doch können sie durch die Möglichkeit 373

Selwyn 2010, S. 13 Vgl. Weegen 2009, S. 150 375 Vgl. Hood/Littlejohn/Milligan 2015, S. 90 374

3.3 MOOCs im Kontext der digitalen Spaltung

93

der Zertifizierung auch formal auf dem Arbeitsmarkt anerkannt werden. Dafür müssen MOOCs allerdings bekannter werden, außerdem muss die Qualität von MOOCs sichergestellt werden, um eine angemessene Anerkennung zu erhalten. Folgt man dem sozialpolitisch-emanzipatorischen Modell des Lebenslangen Lernens ist das Ziel das Erreichen von egalitären Bildungs- und Lebenschancen im Sinne eines Lernens für alle376. Die Idee, dass alle Menschen einer Gesellschaft den gleichen Zugang zu Bildungsangeboten finden, ist aus pragmatischen Gründen kaum anders als digital umsetzbar. In diesem Sinne sind MOOCs gewissermaßen demokratische und egalitäre Bildungsangebote, weil sie ihre Teilnehmer*innen nicht diskriminieren und prinzipiell alle Teilnehmer*innen akzeptieren. Die Untersuchung der Motivation und Erwartungshaltungen von MOOC-Teilnehmer*innen zeigt, dass MOOCs die Möglichkeit bieten, selbstgesteuert und unabhängig zu lernen: „MOOCs are evidently playing an important role in providing opportunities for engaging in lifelong learning outside of the confines of an institution.“377 Aus pädagogischer Sicht bedeutet dies jedoch auch, dass die Inhalte didaktisch so aufbereitet werden müssen, dass sie kulturunspezifisch lernbar sind, weil MOOCs in der Regel global Teilnehmer*innen ansprechen. Im Zuge der Beurteilung neuer Wissensgesellschaften und der Transformation von Gesellschaften durch die fortschreitende Digitalisierung wurden Versuche getätigt, Vorhersagen über gesellschaftliche Entwicklungen zu treffen. 1970 formulierten Tichenor/Donohue/Olien die Wissensklufthypothese und stellten damit in Frage, dass Massenmedien zu einer allgemeinen Erhöhung des Wissenstandes der Bevölkerung führen würden: „As the infusion of mass media information into a social system increases, segments of the population with higher socioeconomic status tend to acquire this information at a faster rate than the lower status segments, so that the gap in knowledge between these segments tends to

376 377

Hof 2009, S. 52 Kizilcec/Piech/Schneider 2013, S. 177

94

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

increase rather than decrease.”378 Die Autor*innen argumentieren, dass die Wissenskluft auch zu erhöhten Anspannungen im Sozialsystem führen könne, sie immer auch eine Kommunikationskluft darstelle und damit eine besondere Herausforderung für die Lösung sozialer Probleme impliziere379. Die Wissensklufthypothese wurde seitdem stetig auf ihre Aktualität hin überprüft, wobei mehrheitlich zwischen sozialen Segmenten lediglich eine mäßige Wissenskluft nachgewiesen werden konnte380. Insofern ist die Wissensklufthypothese nach wie vor gesellschaftlich relevant. Durch die zunehmende Digitalisierung von Informationen und ihrer dadurch zunehmenden freien Verfügbarkeit stellt sich die Frage, ob die Bildungs- und Informationsungleichheit bzw. die Wissenskluft aufgehoben oder ob vielmehr die gesellschaftliche Spaltung verstärkt wird bzw. eine neue Form gewinnt. Sassi (2005) unterscheidet diesbezüglich zwei Hypothesen: (1) die schwache Hypothese, die davon ausgeht, dass die Ungleichheit ein temporärer Trend ist, der vor allem auf die unterschiedlichen Medienkompetenzen der Menschen zurück zu führen ist und daher mit steigender Verbreitung des Internets sowie steigenden Medienkompetenzen auch die Wissenskluft aufgebrochen wird. (2) Die starke Hypothese postuliert demgegenüber, dass die Informationsgesellschaft neue soziale Ungleichheiten hervorruft und bereits bestehende Ungleichheiten verstärken wird, weil diejenigen, die bereits Zugang zu Informationen und dadurch einen Vorteil haben, auch in einer digitalen Wirtschaft diesen Vorteil für sich geltend machen werden381. Die digitale Spaltung (digital divide) ist ein relativ weiter Begriff, mit dem die Ungleichheit von Anwender*innen digtitaler Technologien durch unterschiedliche technologische Verfügbarkeiten und Kompetenzen bezeichnet wird382. Darunter sind auch die in der Gesellschaft vorhandenen 378

Tichenor/Donohue/Olien 1970, S. 159f. Vgl. Tichenor/Donohue/Olien 1970, S. 170 380 Vgl. Bonfadelli 2016, S. 118 381 Vgl. Sassi 2005, S. 686 382 Vgl. Sassi 2005, S. 685 379

3.3 MOOCs im Kontext der digitalen Spaltung

95

unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten zu digitalen Inhalten zu verstehen. Die digitale Spaltung wird deshalb auch als neue Gestalt der Wissensklufthypothese bezeichnet, Zillien (2009) spricht von einem „Comeback der Wissensklufthypothese“383. Der Hauptunterschied besteht darin, dass die Kluft nicht durch die in der Wissensklufthypothese postulierten Massenmedien, sondern durch digitale Medien verursacht und verstärkt wird. Die Theorie der digitalen Spaltung ist auf Grund der zunehmenden Digitalisierung (auch der bis dahin bereits bestehenden Massenmedien wie Fernsehen oder Radio durch Mediatheken und Streamingdienste) gewissermaßen die logische Aktualisierung der Wissensklufthypothese. Unterschieden werden können drei Ebenen der digitalen Spaltung, die ihren entsprechenden Niederschlag in der Forschung finden384: - Das Vorhandensein eines Internetzugangs (first-level digital divide) - Die Fähigkeit, sich im Internet zurechtzufinden und das Internet als Konsument oder Produzent zu nutzen (second-level digital divide). - Die Fähigkeit, aus der Nutzung des Internets einen tatsächlichen Nutzen zu ziehen, z.B. persönlich oder ökonomisch (third-level digital divide). Teilweise wird zu dieser Fähigkeit auch die allgemeine Partizipationsfähigkeit an digitalen Inhalten hinzugezählt385. Eine andere Systematisierung unterscheidet einen „access gap“, „usage gap“ sowie „reception gap“386, wobei der ‚access gap‘ der ersten Ebene und der ‚usage gap‘ der zweiten Ebene der digitalen Spaltung nach Sassi (2005) entsprechen. Der ‚reception gap’ hingegen zielt auf die „individu-

383

Zillien 2009, S. 70 [Herv. i. O.] Vgl. Scheerder/van Deursen/van Dijk 2017, S. 1612 385 Vgl. Damasceno 2017, S. 21; ähnlich bei: Ritzhaupt et al. 2013, S. 294 386 Rohs/Ganz 2015, S. 4ff. 384

96

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

al capacity for dealing with information, e.g. content search and rating strategies as well as cognitive dispositions“387 ab. First-level digital divide Die erste Ebene der digitalen Spaltung bzw. der ‚access gap‘ hängen mit dem Grad der Offenheit von Bildungsressourcen zusammen. Häufig wird damit lediglich der offene Zugang im Zusammenhang von Gebühren und Internetzugang diskutiert. Lane (2009) unterscheidet hinsichtlich der Offenheit von Bildungsressourcen vier Aspekte: „freedom from paying any money to access and use the content for specified purposes, freedom to copy and make many more copies, freedom to take away and re-use without asking prior permission, freedom to make derivative works (but not necessarily freedom to make profits from them).”388 Lanes Differenzierung geht weiter als die üblichen Unterscheidungen, weil auch die Ebene der Lizensierungen von Informationen mit einbezogen wurden. Schließlich argumentieren Zimmermann/Lackner/Ebner (2016), dass soziale und kulturelle Barrieren für den Ausschluss aus digitalen Bildungsangeboten eine wichtige Rolle spielen könnten389. Alle Autor*innen sind sich jedoch darüber einig, dass die digitale Spaltung mitunter auf eine ökonomische Spaltung zurückzuführen ist, da ökonomisch schlechter gestellte Menschen weniger Geld für einen Internetzugang bzw. digitale Medien ausgeben (können). Hinzu kommt schließlich, dass in einigen Teilen der Welt die Infrastruktur keinen Internet-Zugang bzw. nur eine sehr schlechte Internet-Qualität ermöglicht, sodass Lernende die mit hoher Qualität produzierten Inhalte nicht downloaden oder streamen können390. Beispielsweise berichten Warugaba et al. (2016), dass Lernende in verschiedenen Orten in Ruanda auf Grund der niedrigen Internet-Qualität Schwierigkeiten damit hatten in den Foren 387

Rohs/Ganz 2015, S. 6 Lane 2009, S. 3 389 Zimmermann/Lackner/Ebner 2016, S. 195 390 Vgl. Safana/Nat 2017, S. 213 388

3.3 MOOCs im Kontext der digitalen Spaltung

97

zu partizipieren. Sie schlagen vor, dass die Videos auch in niedriger Auflösung und die Kursinhalte von Beginn an bereitgestellt werden sollen, damit an Orten, an denen das Internet zeitlich instabil verfügbar ist, ebenfalls partizipiert werden kann391. In den vergangenen Jahren zeichnete sich zunehmend ab, dass die Erforschung der digitalen Spaltung einen Schwerpunktwechsel vollzogen hat. Um die Jahrtausendwende herum wurde die digitale Spaltung vor allem mit der ersten Ebene der Spaltung erklärt. Dies ist zwar nicht weniger aktuell, jedoch vor allem auf einer globalen Ebene. Gerade in westlichen Ländern ist der Internetzugang nahezu flächendeckend vorhanden und kann die digitale Spaltung deshalb nicht mehr hinreichend erklären. Neuere Untersuchung verweisen deshalb darauf, dass die digitale Spaltung nun vor allem über die Verschiedenheit der Nutzung digitaler Medien verstanden werden muss. Van Deursen/van Dijk (2014) fanden heraus, dass Menschen mit niedrigem Bildungsstand quantitativ mehr Zeit im Internet verbringen als Menschen mit hohem Bildungsstand, allerdings das Internet weniger so nutzen, dass sie einen Nutzen daraus ziehen können392. Diese Ergebnisse verweisen auf die zweite und dritte Ebene der digitalen Spaltung. Allerdings ist anzumerken, dass diese Zusammenhänge wahrscheinlich nur für Länder mit nahezu flächendeckendem Internetzugang gelten und Menschen, die einen erschwerten Zugang zum Internet haben, ihre Zeit womöglich nutzenorientierter im Internet verbringen. Second-level digital divide Die zweite Ebene der digitalen Spaltung bezieht sich auf die Fähigkeiten von Nutzer*innen hinsichtlich der Konsumption und Produktion von digitalen Inhalten. Stellenweise wird diese zweite Ebene der digitalen Spaltung auch als digitale Ungleichheit benannt393. Angesprochen wird damit vor allem das, was im deutschsprachigem Raum als ‚Medienkom391

Vgl. Warugaba et al. 2016, S. 228f. Vgl. van Deursen/van Dijk 2014, S. 521 393 Vgl. Verständig/Klein/Iske 2016, S. 50f. 392

98

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

petenzen‘ und im angloamerikanischen Raum als ‚media competencies‘ bzw. ‚media literacy‘ bezeichnet wird, wobei manche Autor*innen die Begriffe ‚Kompetenz‘ und ‚literacy‘ inhaltlich gleichstellen, andere jedoch Unterschiede darin sehen394. Ähnlich, wie im deutschsprachigen Raum der Medienkompetenzbegriff unterschiedlich bestimmt wird395, wird auch im englischsprachigen Raum der ‚literacy‘-Begriff verschieden ausgelegt: „As for literacy, some definitions focus primarily on skills, others focus primarily on knowledge, and some focus on a combination of skills and knowledge.“396 Der Begriff der Medienkompetenz wird bisweilen auch in verschiedener Weise operationalisiert, was Aufenanger (1997) zu folgender, auch heute noch aktuellen Diagnose zum Medienkompetenzbegriff führte: „Außerdem wird er in den meisten Zusammenhängen auch recht naiv verwendet, was heißt, daß er kaum mit entsprechenden medienpsychologischen, -theoretischen oder lernpsychologischen Theorien in Zusammenhang gebracht wird. Grundsätzlich ergibt sich das Problem, wie Medienkompetenz in einer Gesellschaft bestimmt werden kann, in der die medientechnologischen Entwicklungen schnelle Veränderungen hervorbringen, die sich kaum noch überschauen lassen.“397 Die meisten Autor*innen stimmen deshalb darüber ein, dass der Medienkompetenzbegriff vage bleibt398, weshalb man sich auf verschiedene Versuche von theoretischen Dimensionalisierungen beschränkt, die sich teilweise überschneiden399. Empirische Forschungen im deutschsprachigen Raum haben nach wie vor das Problem, dass die Entwicklung 394

Vgl. Moser 2010, S. 243 Beispiele für unterschiedliche Auffassungen: Hüther/Podehl 2010; Pietraß 2011; Spanhel 2011 396 Potter/Christ 2007, S. 1; eine ausführliche Auflistung von 23 Definitionen ist zu finden bei Potter 2013, S. 418f. 397 Aufenanger 1997, S. 3 398 Vgl. Moser 2010, S. 243 399 Die bekanntesten Medienkompetenzmodelle sind: Aufenanger 1997; Tulodziecki 1997; Baacke 1996; Kübler 1999; Groeben 2002), Vgl. Schaumberg/Hacke 2010, S. 150 für eine Übersicht; Vgl. Tulodziecki 2010 für eine empirische Konzeptualisierung sowie Vgl. Swertz 2016, S. 19ff. für einen empirischen Operationalisierungsversuch. 395

3.3 MOOCs im Kontext der digitalen Spaltung

99

eines reliablen und validen Messinstrumentes immer noch ausgeblieben ist400. Dasselbe Problem findet sich im angloamerikanischen Raum, allerdings gibt es dort mit dem New Media Literacy Scale (NMLS) mindestens ein Messinstrument, das bereits entwickelt wurde und mit 35 Items vier reliable Dimensionen umfasst (Functional Cunsumption, Critical Consumption, Function Prosumption, Critical Consuption)401. Eine Recherche über GoogleScholar zeigt jedoch, dass keine Forschungsarbeiten gefunden werden können, welche auf Messungen durch den NMLS basieren. Aufgrund der terminologischen Unbestimmtheit des Medienkompetenzbegriffs ist das Ausmaß der zweiten Ebene der digitalen Spaltung schwierig in Zahlen zu fassen, hinzu kommt die Notwendigkeit altersspezifischer Differenzierungen402: Kindern im Alter von drei bis fünf Jahren werden rudimentäre Fähigkeiten der Medienkompetenz zugesprochen, im Alter von fünf bis neun Jahren beginnen Kinder die Fähigkeit der kritischen Evaluation von Medieninhalten auszubilden, die als Grundlage der fortgeschrittenen Fähigkeiten der Medienkompetenzen des Erwachsenenalters angesehen werden403. Nieding/Ohler (2008) beschreiben in diesem Zusammenhang die Entwicklung medialer Zeichenkompetenz bereits in der frühen Kindheit und rekurrieren damit auf entwicklungspsychologische Voraussetzungen der Medienkompetenz404. Trotz der Schwierigkeiten, die sich aus der Vielfältigkeit der Begriffsbestimmungen und den damit in Kauf zu nehmenden Ungenauigkeiten in der Messung von Medienkompetenz bzw. ‚media literacy‘ ergeben, gibt es eine Fülle an Forschungsarbeiten, welche den Effekt von soziodemographischen sowie ökonomischen Unterschieden auf die Medienkompetenz bzw. die ‚media literacy‘ zu messen versuchen. Ar400

Vgl. Toth 2017, S. 148 Vgl. Koc/Barut 2017, S. 839f. 402 Vgl. Aufenanger 1997, S. 4 403 Vgl. Diergarten et al. 2018, S. 33 404 Vgl. Nieding/Ohler 2008, S. 382 401

100

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

senijević/Andevski (2016) berichten altersspezifische Unterschiede, die sich mit den Vermutungen um digital natives und digital immigrants decken und behaupten, dass jüngere Menschen besser mit neuen digitalen Medien und Technologien umgehen könnten als ältere Menschen, allerdings in der Beurteilung von Medieninhalten weniger reflektiert seien405. Andere Studien zeigen, dass die generativen Unterschiede keineswegs die einzigen Faktoren sind, welche die digitale Spaltung erklären. Geschlechterunterschiede haben beispielsweise einen großen Einfluss auf die Internetnutzung, wobei die Unterschiede nicht etwa mit dem Alter, sondern mit unterschiedlichen Lebensphasen in Zusammenhang gebracht werden406. Gegenwärtig wird außerdem davon berichtet, dass die digitale Spaltung für jüngere Menschen zwar abnimmt, sich jedoch für Menschen im Alter von 65 Jahren und höher eine „grey divide“407 feststellen lässt. Schließlich berichten Vélez/Olivencia/Zuazua 2016, dass Erwachsene in mehrfacher Hinsicht eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Medienkompetenz im Kindesalter spielen: als Rollenvorbilder für digitale Interaktionen sowie als Ansprechpartner, wenn Kinder Hilfe benötigen408. Für die digitale Spaltung würde das bedeuten, dass diese transgenerational vererblich ist, da medienkompetente Eltern ihre Kinder zu medienkompetenten Menschen erziehen, während Erwachsene, die nicht medienkompetent sind, als wichtige Ressource zur Entwicklung von Medienkompetenz bei Kindern wegfallen. Third-level digital divide Die dritte Ebene der digitalen Spaltung, die sich auf die Partizipationsfähigkeit, bzw. die Fähigkeit richtet, einen Nutzen aus digitalen Bildungsangeboten zu ziehen, hängt mit einem wesentlichen Aspekt von MOOCs zusammen: Bis vor Kurzem wurden die meisten MOOCs in Nordamerika 405

Vgl. Arsenijević/Andevski 2016, S. 1149 Vgl. Helsper 2010, S. 370 407 Vgl. Friemel 2016, S. 325 408 Vgl. Vélez/Olivencia/Zuazua 2016, S. 891 406

3.3 MOOCs im Kontext der digitalen Spaltung

101

oder Europa entwickelt und beschränken sich deshalb auf Themen, die in diesen Regionen von Interesse sind. Valentin (2015) untersuchte 600 MOOCs, die von insgesamt 125 verschiedenen Universitäten produziert wurden, davon jedoch keine aus Afrika, Asien oder Latein-Amerika409. Mittlerweile stammen wohl viele MOOCs aus China oder werden zumindest dort gehostet, obwohl eine genaue Zahl nicht beziffert werden kann. Die erste und nach wie vor größte chinesische MOOC-Plattform XuetangX410 bietet laut der Startseite 1400 Kurse an, die meisten davon unter Authorisierung von edX, sowie 300 Kurse aus eigener Produktion, die zumindest zum Teil auch in Englisch angeboten werden. Allerdings können auf der englischen Version der Website von XuetangX keine Kurse ausgewählt werden. Scheinbar dient die Seite lediglich der Informationsvermittlung und die Kurse sind nur über die chinesische Version verfügbar. Auch der englischsprachige Youtube-Channel ist mit 29 Abonnent*innen und 12 kurzen Videos [Stand: 19.07.2018] nahezu unbekannt. Im Januar 2018 gab das chinesische Bildungsministerium „the formal launching of 490 “National Excellent Online Courses”“ bekannt411. Die Studie von Krasny et al. (2018), in der Kleingruppeninteraktionen innerhalb von MOOCs untersucht werden, offenbart Barrieren für Menschen aus Entwicklungsländern, einerseits auf Grund der Kurszugänglichkeit wegen schlechter Internetqualität oder Zensuren, andererseits wird auch die Bedeutung von kulturellen Differenzen betont: „This indepth study of small group interactions in a MOOC reveals barriers to universal access related to slow Internet (Togo, Tanzania, Indonesia), blocked access to course platform and social media groups (Iran, China), and unfamiliar Western-based course content and interactive pedagogies.“412 Kizilcec et al. (2017) diskutieren zusätzlich den Effekt des 409

Vgl. Valentin 2015, S. 379; Vgl. Oyo/Kalema 2014, S. 11 http://www.xuetangx.com/global 411 Zheng et al. 2018, S. 2 412 Krasny et al. 2018, S. 132 410

102

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

„social identity threat“413, also die Angst davor, auf Grund einer Gruppenzugehörigkeit als weniger leistungsstark angesehen zu werden, die dann wiederum zu einer Leistungsminderung in MOOCs führt. Die Autor*innen berichten, dass bei aktiven Gegenmaßnahmen der psychologische Druck der Studierenden aus Entwicklungsländern aufgehoben wird und sie dadurch deutlich höhere Abschlussquoten erzielen414. So können MOOCs im Allgemeinen zur Aufrechterhaltung oder sogar Verschärfung der digitalen Spaltung beitragen, weil ihre Themen und Inhalte auf eine spezifische Zielgruppe ausgerichtet sind. In Anbetracht der Entwicklungsgeschichte von MOOCs, die zunächst nur eine Onlinevariante von bestehenden akademischen Universitätskursen waren, ist dies nachvollziehbar. Eine große Zahl an Studien hat festgestellt, dass MOOCs vor allem von Menschen besucht werden, die bereits Zugang zur akademischen Bildung hatten und häufig schon über mindestens einen akademischen Abschluss verfügten415. Im Kontext der digitalen Spaltung und der Erwartung der Aufhebung der globalen Bildungsungleichheit müssen MOOCs jedoch mit ihren Wurzeln brechen und Inhalte generieren, die nicht mehr ausschließlich für westliche Akademiker*innen interessant sind – ohne ihr akademisches Niveau zu verlieren. Das oben genannte Zitat von Krasny et al. (2018) verweist auch auf einen zweiten wichtigen Aspekt, der die digitale Spaltung verstärkt: die pädagogische/didaktische Ausrichtung der Kurse. Einige Autor*innen kritisieren, dass MOOCs einer spezifisch-westlichen Pädagogik folgen, die für Teilnehmer*innen aus anderen Kulturen befremdlich sein kann, was zu

413

Kizilcec et al. 2017, S. 251 Vgl. Kizilcec et al. 2017, S. 252 415 Vgl. Ichou 2018, S. 117; Vgl. Hansen/Reich 2015a, S. 62f.; Vgl. van de Oudeweetering/Agirdag 2018, S. 5; Vgl. Glass/Shiokawa-Baklan/Saltarelli 2015, S. 44; Vgl. Castaño-Muñoz 2017, S. 37; Zhenghao et al. 2015, o.A.; Cannell/Macintyre/Hewitt 2015, S. 65; Vgl. Shapiro et al. 2017, S. 47; Vgl. Greene/Oswald/Pomerantz 2015, S. 945; Vgl. Deng/Benckendorff/Gannaway 2017, S. 179; Vgl. Bayeck 2016, S. 229; Vgl. Baturay 2015, S. 430; Vgl. Toven-Lindsey/Rhoads/Lozano 2015, S. 10 414

3.3 MOOCs im Kontext der digitalen Spaltung

103

schlechteren Leistungen und höheren Abbruchquoten führt416. Beispielsweise unterscheidet sich das Lehrer-Lernender Verhältnis im konfuzianisch geprägtem China von den sokratisch-geprägten westlichen Ländern, was sich auch auf die Art und Weise auswirkt, wie Studierende in MOOCs lernen und sich verhalten417. Hinzu kommt der starke Fokus auf das selbstregulierte Lernen, welcher nicht in allen Kulturen vorherrscht. Deshalb nennen de Waard et al. (2014) solche Lernenden auch „virtual learner migrants“418 und betonen, dass konkrete Strategien entwickelt werden müssen, um alle Lernenden zu erreichen und ihre Partizipation zu ermöglichen. Da die Kommunikation ein wichtiger Aspekt in MOOCs istund die meiste Kommunikation in Foren stattfindet, kommen dort diese kulturellen Unterschiede zum Tragen. In Kap. 3.1.6 wurde gezeigt, dass die Forenaktivität ein guter Prädiktor für das Kursbeenden ist, in Kap. 3.1.5 wurde jedoch darauf hingewiesen, dass die Foren vor allem durch westlich sozialisierte Teilnehmer*innen, die über akademische Vorerfahrungen verfügen, geprägt sind. Vor diesem Hintergrund erscheint das Problem des ‚social identity threat‘ in MOOCs virulent zu sein. In der Diskussion um die dritte Ebene der digitalen Spaltung sind digitale Medien sowohl Verursacher als auch die potenzielle Lösung der Ungleichheit. Auf administrativer Ebene können digitale Medien und das Internet für Individuen nützlich sein, sofern die entsprechenden Ressourcen bekannt sind und das Wissen über die Anwendung vorliegt. Rowsell/Morrell/Alvermann (2017) fordern in ihrem Artikel beispielsweise Lehrer*innen dazu auf, digitale Tools und Softwares wie Google Classroom zum Speichern und Verteilen von Dokumenten zu nutzen oder Blogs und Wikis zu erstellen, damit Lernende mit diesen Angeboten arbeiten können und so Lernende sukzessive den Nutzen digitaler Medien 416

Vgl. Meinel/Schweiger 2016, S. 2; Vgl. Kizilcec et al. 2017, S. 251; Vgl. Nkuyubwatsi 2014, S. 49; Vgl. Liyanagunawardena/Williams/Adams 2013, S. 4f.; Godwin-Jones 2014, S. 10f.; Vgl. Toven-Lindsey/Rhoads/Lozano 2015, S. 11 417 Vgl. Che et al. 2016, S. 92 418 de Waard et al. 2014, S. 34

104

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

und des Internets kennen lernen419. Eine schrittweise Annäherung im Alltag der Lernenden könnte so zu einer größeren Vertrautheit mit digitalen Medien und bezogen auf MOOCs mit niedrigeren Barrieren verbunden sein. Schließlich ist für eine vollständige Darstellung des Diskurses um die digitale Spaltung noch eine weitere Ebene zu benennen: Verständig/Klein/Iske (2016) bezeichnen die unterschiedliche Form der Darstellung des Internets für unterschiedliche Nutzer*innen als „zero-level digital divide“420 und kritisieren an der Diskussion um die ersten drei Ebenen, dass diese die Problematik um die Netzneutralität nicht beachten und fälschlicherweise „davon ausgehen, dass der Raum des Internet für alle Nutzenden der gleiche ist“421. Zusammenfassend zeigt die gegenwärtige Forschung, dass die digitale Spaltung global gesehen bereits auf der ersten Ebene des Internetzugangs, für die meisten westlichen Länder jedoch auf Grund der gewachsenen Verbreitung und Verfügbarkeit des Internets nun vor allem auf der zweiten Ebene der Nutzungsunterschiede und dritten Ebene der Partizipationsmöglichkeiten wirksam wird. In diesem Kontext ist schließlich zu verstehen, weshalb an MOOCs eine so große Erwartungshaltung herangetragen wurde und viele Autor*innen von der Revolutionierung422, radikalen Neuerfindung423 und Demokratisierung424 der digitalen Bildung sprachen. Weller (2015) argumentiert, dass diese Erwartungen unter der falschen Annahme formuliert werden, dass das Bildungssystem fehlerhaft sei und dass es deswegen Alternativen zu bestehenden Bildungsinstitutionen geben müsse, insbesondere um die steigenden Kosten für Bildung 419

Rowsell/Morrell/Alvermann 2017, S. 163 Verständig/Klein/Iske 2016, S. 52 421 Verständig/Klein/Iske 2016, S. 52 422 Vgl. Aguaded-Gómez 2013, S. 7; Vgl. Toven-Lindsey/Rhoads/Lozano 2015, S. 10 423 Vgl. Dell’Acqua 2014, S. 56 424 Vgl. Hansen/Klein 2015b, S. 1245; Vgl. Dillahunt/Wang/Teasley 2014, S. 178; Wulf et al. 2014, S. 111; Vgl. Schuwer et al. 2015, S. 21f. 420

3.3 MOOCs im Kontext der digitalen Spaltung

105

zu kompensieren425. In letzter Konsequenz stellt sich jedoch gerade vor dem Hintergrund der Vielschichtigkeit der digitalen Spaltung die Frage, welche Chancen MOOCs für die Aufhebung gesellschaftlicher Bildungsungleichheit haben. MOOCs sind zwar kostenfreie Online-Learning Angebote, damit aber ausschließlich digital zugänglich. Einerseits kann argumentiert werden, dass durch ihre niedrigen Zugangsbeschränkungen die Ungleichheit wenngleich nicht aufgehoben, so zumindest vermindert wird426. Andererseits könnten die zugrundeliegenden Prozesse der digitalen Spaltung auch MOOCs betreffen und damit die Ungleichheit verstärken oder transformieren. Einige Studien weisen darauf hin, dass MOOCs nicht der Stratifizierung durch die digitale Spaltung entgegenwirken, sondern selbst davon betroffen sind, da sich in der Regel diejenigen Menschen für die Inhalte von MOOCs interessieren, die ohnehin schon gut gebildet sind427. Littlejohn/Hood (2017) diskutieren dieses Problem, verbinden es mit der impliziten Erwartung an die Lernenden, selbstreguliert lernen zu können und hinterfragen kritisch die zugrundeliegenden Machtverhältnisse: „One of the most visible contradictions is that, although MOOCs are opening up access to education, they tend to attract people who have already experienced university education […]. Second, rather than offering scaffolds that support people who are not able to act as autonomous learners, MOOCs often are designed to be used by people who are already able to learn. Third, like traditional education systems, MOOCs often require learners to conform to expected norms, rather than freeing learners to chart their own pathways. These norms sustain the traditional hierarchy within which the novice learner is subjugate to the expert teacher. Finally, a troubling feature of MOOCs is that this power structure is not always 425

Vgl. Weller 2015, S. 2 Vgl. de Freitas/Morgan/Gibson 2015, S. 457 427 Vgl. Lane 2013, S. 2013; Vgl. Rohs/Ganz 2015, S. 6; Zimmermann/Lackner/Ebner 2016, S. 200; Dillahunt/Wang/Teasley 2014, S. 194; Vgl. Hansen/Reich 2015b, S. 1247; Vgl. Deng/Benckendorff/Gannaway 2017, S. 179 426

106

3 Massive Open Online Courses (MOOCs)

visible, since it is embedded partly within the algorithms and analytics underpin MOOC tools and platforms“428. Aus pädagogischer Perspektive sind daher auch die Forschungsperspektiven auf MOOCs kritisch zu hinterfragen, da stellenweise unklar ist, ob die durch die Forschung gemachten Vorschläge zur Verbesserung der Kurse lediglich die Dropout-Rate zum Wohle der Provider verbessern oder tatsächlich zu einer besseren Lernerfahrung der Teilnehmer*innen führen sollen. Diese Ausführungen sind als Hinweis dafür zu werten, dass die Teilnahme an MOOCs, wenngleich nicht strukturell durch die Kurse selbst, ein Privileg von Menschen ist, die gebildet sind und (mitunter auch deshalb) auf der ‚richtigen‘ Seite der digitalen Spaltung stehen.

428

Littlejohn/Hood 2017, S. 2

4 Persönlichkeit Die menschliche Persönlichkeit steht häufig im Zentrum pädagogischer und psychologischer Theorien, wird jedoch sehr unterschiedlich definiert und im Forschungskontext vielfältig operationalisiert. Die Persönlichkeit des Menschen wird immer im Wechselspiel von Anlage und Umwelt verstanden. Mit Hurrelmann können Anlage und Umwelt auch als innere und äußere Realität bestimmt werden (s. Abbildung A4-1). Die Persönlichkeitsentwicklung wird deshalb als lebenslanger Prozess verstanden, der sowohl in Sozialisationsinstanzen als auch in der Arbeits-, Freizeit-, Unterhaltungswelt stattfindet429.

Abbildung A4-1: Innere und äußere Realität der Persönlichkeitsentwicklung. Quelle: Hurrelmann 2006, S. 27.

In welchem Verhältnis Anlage und Umwelt zueinanderstehen, ist nicht endgültig geklärt. Kandler (2012) charakterisiert in seinem Überblicksartikel zum Verhältnis von genetischen Anlagen (nature) und Umwelteinflüssen (nurture) die Forschung noch als nicht abgeschlossen, wenngleich 429

Vgl. Hurrelmann 2006, S. 32, 35

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. T. Toth, Massive Open Online Courses im Kontext von Persönlichkeit und Prokrastination, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26296-9_4

108

4 Persönlichkeit

die Umwelteinflüsse insbesondere bis zum jungen Erwachsenenalter einen starken Einfluss auf die Persönlichkeitsausbildung haben und genetische Faktoren sich erst mit steigendem Alter stabilisieren430. Die Persönlichkeitsstruktur stabilisiert sich gegenüber genetischen und umweltbedingten Einflüssen mit zunehmendem Alter und wird weniger leicht veränderbar431. Hurrelmann beschreibt den Prozess der Persönlichkeitsentwicklung in seinem Modell als die produktive Realitätsverarbeitung eines Subjektes: „Sowohl die innere als auch die äußere Realität müssen von einem Menschen in jeder Phase der Entwicklung aufgenommen, angeeignet und verarbeitet werden, wobei es zu einer subjektiven Repräsentanz der äußeren und der inneren Realität mit einer Einschätzung der Bedingungen für das eigene Handeln kommt.“432 Insofern kann die Entwicklung einer gelungenen, harmonischen und stabilen Persönlichkeit als Ziel der Sozialisation verstanden werden. Sie ist allerdings auch häufig das ausgewiesene Ziel von Erziehung, z.B. wenn Erziehung definiert wird als „Handlungen [...], durch die Menschen versuchen, das Gefüge der psychischen Dispositionen anderer Menschen in irgendeiner Hinsicht dauerhaft zu verbessern oder seine als wertvoll beurteilten Bestandteile zu erhalten oder die Entstehung von Dispositionen, die als schlecht bewertet werden, zu verhüten.“433 Schließlich gibt es im pädagogischen Diskurs mit ‚Bildung‘ einen weiteren Grundbegriff, der sich mit der Persönlichkeit beschäftigt. Mit Humboldt kann Bildung als Selbstbildung bestimmt werden, bei der die eigenen Kräfte mit dem Ziel der Herausbildung einer stabilen Persönlichkeit gestärkt und geformt werden sollen: „Den Einfluss, den jedes Geschäft des Lebens auf diese [innere Bildung; Anm. C.T.] ausüben kann, leicht und fasslich übersehend, fände vorzüglich derjenige seine Belehrung 430

Vgl. Kandler 2012, S. 294f. Vgl. Kandler 2012, S. 293 432 Hurrelmann 2006, S. 27 433 Brezinka 1990, S. 95 431

4 Persönlichkeit

109

darin, dem es nur um die Erhöhung seiner Kräfte und die Veredlung seiner Persönlichkeit zu thun [sic!] ist.“434 Insofern zielt Selbstbildung immer auf die aktive und vom Subjekt selbst ausgehende Prägung der Persönlichkeit durch bildsame Prozesse in der Auseinandersetzung mit der Welt und die Aneignung ihrer Gegenstände ab435. Tillmann (2007) verweist unter Rekurs auf Hurrelmann darauf, „dass sich mit dem Begriff Vorstellungen über ein Gefüge von psychischen Strukturen und Merkmalen bei einem Individuum verbinden.“436 Während die Pädagogik vor allem die Bedingungen und Formen der Persönlichkeitsentwicklung untersucht, ist es mitunter das Ziel der Persönlichkeitspsychologie, Theorien und Modelle eben jener von Tillmann angesprochenen Strukturen und Merkmale von Persönlichkeit zu erstellen. Psychologische Theorien und Modelle nehmen Begriffsoperationalisierungen vor, welche die Persönlichkeit quantitativ erforschbar machen, um so nach Zusammenhängen und Effekten der Persönlichkeit auf unterschiedliche Lebensbereiche zu untersuchen. Als Grundlage der vorliegenden Arbeit soll die Definition von Asendorpf/Neyer (2012) dienen: „Persönlichkeit ist die nichtpathologische Individualität eines Menschen in körperlicher Erscheinung, Verhalten und Erleben im Vergleich zu einer Referenzpopulation von Menschen gleichen Alters und gleicher Kultur.“437 Allport trug fünfzig verschiedene Erklärungsversuche zusammen und es gibt eine große Anzahl an Theorien und Modellen weiterer Autor*innen, die das Konstrukt ‚Persönlichkeit‘ erfassen sollen438. Die jeweilige Operationalisierung von Persönlichkeit ist abhängig vom Forschungsparadigma, aus dessen Perspektive Persönlichkeit untersucht wird. Das Informationsverarbeitungsparadigma nimmt an, dass die Informationsübertragung im Nervensystem das menschliche Verhalten und 434

Humboldt 2002, S. 238 Vgl. Toth 2017, S. 149 436 Tillmann 2007, S. 11 437 Asendorpf/Neyer 2012, S. 20 438 Vgl. Salewski/Renner 2009, S. 14 435

110

4 Persönlichkeit

Erleben konstituiert, Persönlichkeit sich also in Reiz-Reaktionsschemata erklären lässt439. Das dynamisch-interaktionistische Paradigma in der Tradition des Behaviorismus untersucht die Persönlichkeitsentwicklung, wobei davon ausgegangen wird, dass sich die Persönlichkeit in einem reziproken Verhältnis zur Umwelt befindet. Im Fokus stehen dabei Lernsituationen und der Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Lernen440. Die Erklärung von menschlichem Verhalten und Erleben aus Perspektive des Nerven-, Herz-Kreislauf-, Hormon- und Immunsystems ist Ziel des neurowissenschaftlichen Paradigmas. Obwohl die Neurowissenschaften in der Psychologie einen sehr hohen Stellenwert eingenommen haben441, sind neurowissenschaftliche Erkenntnisse für die Persönlichkeitsforschung eher selten. „Ein grundsätzliches Problem besteht darin, dass Erleben und Verhalten emergente Eigenschaften haben, die sich neurowissenschaftlich nicht beschreiben lassen442. Das molekulargenetische Paradigma vermutet die individuelle Persönlichkeit in individualtypischen Allelmustern zu finden“443. Das evolutionspsychologische Paradigma schließlich sucht „die heute vorhandenen Persönlichkeitsunterschiede durch Gesetzmäßigkeiten des evolutionären Prozesses und Eigenarten der Umwelt unserer evolutionären Vorfahren zu erklären“444. Das Eigenschaftsparadigma ist das für diese Arbeit bedeutsamste Paradigma und sieht die Persönlichkeit des Menschen durch seine Eigenschaften konstituiert, die sich aus dem Verhalten und Erleben des Menschen ableiten lassen.

439

Vgl. Asendorpf/Neyer 2012, S. 32 Vgl. Asendorpf/Neyer 2012, S. 42 441 Vgl. Bellebaum, Thoma & Daum 2012, S. 14 442 Vgl. Asendorpf/Neyer 2012, S. 61 443 Vgl. Asendorpf/Neyer 2012, S. 62 444 Asendorpf/Neyer 2012, S. 68 440

4.1 Das Eigenschaftsparadigma

111

4.1 Das Eigenschaftsparadigma Die erste schriftliche Auseinandersetzung zum Thema Persönlichkeitseigenschaften wurde im antiken Griechenland von Aristoteles verfasst, die er ‚Persönlichkeitsdispositionen‘ nannte445. Aristoteles versuchte einen Bezug zwischen spezifischen Eigenschaften und ethischem Handeln herzustellen446. Sein Schüler Theophrastos erstellte später eine Sammlung, die dreißig Persönlichkeitstypen umfasste447. Diese frühen Werke können als erste Versuche betrachtet werden, Persönlichkeitsunterschiede auf Grund von im Alltag beobachteten Eigenschaften von Menschen zu beschreiben. Die Humoralpathologie war die erste Persönlichkeitstheorie, aus der zahlreiche weitere Modelle abgeleitet wurden448. Sie wurde von Hippokrates entwickelt sowie von dem Mediziner Galen in Form seiner Viersäftelehre erweitert449. Die vier Temperamenttypen dieser Theorie beschreiben „biological differences in the level of specific fluids of the human body […] which would in turn, determine individual differences in everyday behavior”450. Jedem Temperament wurden eine Körperflüssigkeit sowie Eigenschaften zugeordnet451. Ein Ungleichgewicht der Säfte wurde als Ursache für physische wie auch für psychische Erkrankungen angenommen. Dahinter verbirgt sich die Idee, dass eine nicht-pathologische, normale Persönlichkeit entsteht, wenn es ein Gleichgewicht zwischen den Persönlichkeitseigenschaften gibt. Die humoralpathologische Theorie wurde in der Wissenschaft immer wieder aufgegriffen, erforscht, weiterentwickelt oder verändert, beispielsweise während der Aufklärung452. 445

Vgl. Maltby/Day/Macaskill 2011, S. 290 Vgl. Maltby/Day/Macaskill 2011, S. 290 447 Vgl. Maltby/Day/Macaskill 2011, S. 290 448 Vgl. Chamorro-Premuzic 2015, S. 29 449 Vgl. Seel/Hanke 2015, S. 380 450 Chamorro-Premuzic 2015, S. 29 451 Vgl. Maltby/Day/Macaskill 2011, S. 290; Vgl. Asendorpf/Neyer 2012, S. 53 452 Vgl. Maltby/Day/Macaskill 2011, S. 290 446

112

4 Persönlichkeit

Die Temperamentenlehre fand über Umwege auch Eingang in die Pädagogik: Kant schrieb eine Charakterisierung der vier klassischen Temperamente und dessen Ausführungen beeinflussten schließlich auch die Philosophie und Pädagogik von Herbart und Schleiermacher453. Wundt führte später die Dimensionen ‚veränderbar‘- ‚nicht veränderbar‘ sowie ‚emotional‘- ‚nicht emotional‘ ein, um die vier Typen weiter voneinander abzugrenzen454. Der Ausdruck ‚Temperament‘ bezieht sich im heutigen Sprachgebrauch weniger auf die hier beschriebene Theorie, sondern auf „körperliche Energie, Vitalität und Antriebsstärke eines Menschen“455. Diese ist neben der genetischen Veranlagung auch auf Einflüsse aus der Umwelt wie beispielsweise Erziehung zurückzuführen456. Auch die Art und Weise, wie jemand handelt, also sein Verhaltensstil, wird als Temperament bezeichnet457. Eine dritte Verwendung des Wortes grenzt den Persönlichkeitskern von Kompetenzen, (Wert-)Einstellungen, Motivationen, Überzeugungen sowie Bedürfnissen ab458. In frühen Werken, welche dem eigenschaftsorientierten Ansatz zuzuordnen sind, wird von ‚Persönlichkeitstypen‘ statt ‚Persönlichkeitseigenschaften‘ gesprochen459. Es handelt sich dabei um einfach strukturierte Kategorien, zu denen Individuen leicht zugeteilt werden können und die keinerlei Mischformen zulassen. Auf entsprechenden Persönlichkeitseigenschaftsdimensionen lassen sich Menschen je nach Ausgeprägtheit einer bestimmten Eigenschaft positionieren. Dies lässt die Entstehung von individuellen Mischtypen und bei Wiederholung mit mehreren Eigenschaften eine ganze Diagnostik eines Persönlichkeitsprofils zu460. Trotz der bis ins antike Griechenland reichenden historischen Wurzeln 453

Vgl. Seel/Hanke 2015, S. 380 Vgl. Eysenck 2006, S. 34f. 455 Michel/Novak 2007, S. 391 456 Vgl. Michel/Novak 2007, S. 391 457 Vgl. Schmitt/Altstötter-Gleich 2010, S. 8 458 Vgl. Schmitt/Altstötter-Gleich 2010, S. 8 459 Vgl. Maltby/Day/Macaskill 2011, S. 290 460 Vgl. Maltby/Day/Macaskill 2011, S. 290 454

4.1 Das Eigenschaftsparadigma

113

gelten Stern und Allport als Begründer des Eigenschaftsparadigmas 461. Darin wird im heutigen Verständnis davon ausgegangen, dass Personen „charakteristische körperliche Merkmale und Regelmäßigkeiten ihres Verhaltens und Erlebens“462 aufweisen. Die besagten Verhaltens- und Erlebensregelmäßigkeiten sind nicht direkt beobachtbar, können jedoch über Beobachtungswiederholungen durch Indikatoren erschlossen werden463. Schwerpunkt des eigenschaftstheoretischen Ansatzes sind die Differenzen zwischen Individuen. Untersuchungen erfolgen vor allem mit Vergleichsgruppen, mit sich in Alter und Kultur ähnelnden Versuchspersonen464. Das Verhalten der miteinander zu vergleichenden Individuen in bestimmten Situationen wird einander gegenübergestellt und analysiert465. Ziel ist es durch diese Gegenüberstellung vergleichbarer Menschen, die Individualität des Einzelnen hervorzuheben sowie der Einzigartigkeit einer Person gerecht zu werden466. Die so durchgeführte breite Betrachtung vieler Traits ermöglicht beispielsweise die bereits erwähnten, auf diese Weise umfassender werdenden Persönlichkeitsprofile467. Die Erforschung der Persönlichkeit gelingt also auf der Grundlage von Eigenschaftsbegriffen. Diese Begriffe haben drei Funktionen: (1) dienen sie „der Erklärung interindividueller Verhaltens- und Erlebenstrends“468, (2) sind sie Zusammenfassungen in unterschiedlichen Reizkonstellationen von Bedeutung und (3) geht es um die Vorhersage zukünftigen Erlebens sowie Verhaltens469. Aus diesem Grund wurde in der vorliegenden Arbeit bei der Bestimmung der Persönlichkeit auf das Eigenschaftsparadigma rekurriert. Wichtige Arbeiten, die dem hier vorgestellten Eigen-

461

Vgl. Asendorpf 1996, S. 35 Asendorpf 2015, S. 14 463 Vgl. Asendorpf 2015, S. 14 464 Vgl. Asendorpf 2015, S. 14 465 Vgl. Asendorpf 1996, S. 35 466 Vgl. Asendorpf 2015, S. 14 467 Vgl. Asendorpf 2015, S. 15 468 Angleitner/Riemann 2005, S. 93 469 Vgl. Angleitner/Riemann 2005, S. 93 462

114

4 Persönlichkeit

schaftsparadigma folgen, lieferten Sheldon, Allport, Cattell und Eysenck470. Das für die vorliegende Arbeit wichtigste Modell der Persönlichkeit wurde anhand eines lexikalischen Ansatzes entwickelt und mündete im FünfFaktoren-Modell. Obwohl dieses Modell sich gut bewährt hat und in der Regel seinen festen Platz in der Forschung gefunden hat, wird es auf theoretischer Ebene nach wie vor weiterentwickelt. DeYoung (2015) formulierte schließlich eine Theorie, welche die Kybernetik, also die Lehre von zielorientierten, adaptiven Systemen mit dem Fünf-Faktoren-Modell verbindet471. Der Autor definitiert den Begriff der Persönlichkeitseigenschaft wie folgt: „Personality traits are probabilistic descriptions of relatively stable patterns of emotion, motivation, cognition, and behavior, in response to classes of stimuli that have been present in human cultures over evolutionary time.“472 Indem die Eigenschaften als probabilistische Beschreibungen definiert werden, geht der Autor auf die Kritik ein, dass die fünf Dimensionen nicht vollständig die Persönlichkeit eines Menschen abbilden können und die relative Stabilität der Eigenschaft der situationsspezifischen Variabilität einzelner Eigenschaften eines Individuums Rechnung trägt.

4.2 Das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit Das ‚Five-Factor-Model of Personality’, kurz ‚FFM‘ wird auf Grund der darin beschriebenen 5 Persönlichkeitsdimensionen auch als ‚Big Five‘Modell bezeichnet473. Das FFM ist der Versuch ein umfassendes, einheitliches sowie auf das Wesentlichste reduzierte Persönlichkeitsmodell zu erstellen474. Es existieren mehrere Versionen der ‚Big Five‘, welche nicht 470

Vgl. Maltby/Day/Macaskill 2011, S. 294ff.; Vgl. John/Srivastava 1999, S. 104 Vgl. DeYoung 2015, S. 33 472 DeYoung 2015, S. 35 473 Vgl. Digman 1996, S. 1; Vgl. Larsen/Buss/Wismeijer 2013, S. 65 474 Vgl. Laux 2008, S. 174 471

4.2 Das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit

115

völlig identisch sind475. Dies ist einerseits darauf zurückzuführen, dass das Konzept eine Verdichtung anderer Eigenschaftsmodelle ist, die innerhalb der letzten Jahrzehnte entstanden und Uneinigkeit sowie Verwirrung in der Fachwelt hervorriefen476. Andererseits wurde und wird stets von unterschiedlichen Forscher*innen sowie Theoretiker*innen an der Optimierung der ‚Big Five‘ gearbeitet. Deshalb sind kleinere inhaltliche oder begriffliche Unterscheidungen der Konzepte nicht auszuschließen477.

4.2.1 Entstehungskontext: Der lexikalische Ansatz Das Modell der ‚Big Five‘ entstand aus dem lexikalischen Ansatz heraus478. Dieser besagt, dass jede Sprache einer Gesellschaft alle wichtigen Mittel zur Persönlichkeitsbeschreibung oder –unterscheidung habe 479. Auf Grund dessen sollte es möglich sein, anhand einer Sprachanalyse wesentliche Dimensionen der Persönlichkeit innerhalb einer solchen aufzudecken480. Ziel des Ansatzes ist es, „eine möglichst umfassende und vollständige Liste und Klassifikation individueller Unterschiede zu erstellen“481. Allport und Odbert analysierten 1936 ein englisches Standardwörterbuch und fanden rund 18.000 Begriffe, die Traits beschreiben482. Aus diesen Ergebnissen wurde eine Liste mit vier Kategorien mit insgesamt 4504 Adjektiven erstellt483. Durch eine Faktorenanalyse konnte Cattell diese Liste kürzen und später sein Modell zur Persönlichkeitsbeschreibung entwickeln484. Bei der Faktorenanalyse werden viele Eigenschaftsvariablen wegen ihrer Korrelationen auf so wenige Faktoren der 475

Vgl. Maltby/Day/Macaskill, S. 319 Vgl. Laux 2008, S. 174; Vgl. Salewski/Renner 2009, S. 81 477 Vgl. Maltby/Day/Macaskill 2011, S. 319 478 Vgl. Salewski/Renner 2009, S. 81 479 Vgl. Salewski/Renner 2009, S. 81 480 Vgl. Salewski/Renner 2009, S. 81 481 Ostendorf 1990, S. 6 482 Vgl. Larsen/Buss/Wismeijer 2013, S. 65; Vgl. Seel/Hanke 2015, S. 382 483 Vgl. Goldberg 1981, S. 1216 484 Vgl. Maltby/Day/Macaskill 2011, S. 304ff. 476

116

4 Persönlichkeit

Persönlichkeit reduziert wie es nur möglich ist485. Dies betrifft vor allem Synonyme, die auf Grundlage der empirischen Überprüfung weggestrichen werden486. Auf diese Weise reduzierte Cattell die besagte Liste auf zunächst 171 und dann auf 36 Begriffe487. Unter Einbeziehung anderer Forschungen, kam er letzten Endes auf 46 Oberflächeneigenschaften, welche seiner Meinung nach für eine Persönlichkeitsbeschreibung genügen488. Anhand der verbliebenen Wörter entwickelte Cattell ein Modell, welches 16 Faktoren umfasst489. Zu diesen zählen unter anderem ‚Warmth‘, ‚Dominance‘, ‚Vigilance‘, ‚Apprehension‘ und ‚Tension‘490. Goldberg (1990) kritisierte jedoch später, dass auch in Cattells Analysen nach einer orthogonalen Rotationsmethode nur fünf Dimensionen replizierbar seien491. Fiske war der Erste, der daraufhin eine Lösung mit lediglich fünf Persönlichkeitsfaktoren fand und veröffentlichte492. Seine Erkenntnisse wurden jedoch bis in die 1960er Jahre von der Fachwelt ignoriert493. Tupes/Christal (1961) verglichen acht bis dahin publizierte Studien zur Dimensionalisierung der Persönlichkeit und kamen zu einem eindeutigen Ergebnis: „There can be no doubt that the five factor found throughout all eight analyses are recurrent.“494 Norman bestätigte dies 1963 ebenfalls495. Nach weiteren Untersuchungen, die gleichartige Ergebnisse aufwiesen, veröffentlichte Goldberg 1981 eine Übersichtsarbeit und plädierte für die

485

Vgl. Asendorpf 2015, S. 54 Vgl. Maltby/Day/Macaskill 2011, S. 304 487 Vgl. Maltby/Day/Macaskill 2011, S. 304 488 Vgl. Maltby/Day/Macaskill 2011, S. 304 489 Vgl. Cooper 2010, S. 50 490 Vgl. Chamorro-Premuzic 2015, S. 52 491 Vgl. Goldman 1990, S. 1217 492 Vgl. Hall/Lindzey/Campbell 1998, S. 343 493 Vgl. Maltby/Day/Macaskill 2011, S. 306ff. 494 Tupes/Christal 1961, S. 11 495 Vgl. Digman 1996, S. 9f.; Vgl. Hall/Lindzey/Campbell 1998, S. 343; Vgl. Maltby/ Day/Macaskill 2011, S. 319 486

4.2 Das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit

117

Bezeichnung ‚Big Five‘496. Die Dimensionen des besagten Persönlichkeitsmodells gelten heute als nicht weiter reduzierbar497. Die fünf Faktoren avancierten seit Goldbergs Werk zu einem bekannten und vielfach angewandten Modell498. Lexikalische Analysen der deutschen sowie holländischen Sprache führten zu ähnlichen Ergebnissen wie die des Englischen499. Aus diesem Grund ist das Fünf-Faktoren-Modell auch im deutschen Sprachraum weit verbreitet und wird oft im diagnostischen Bereich und Forschungskontext verwendet. Die interkulturelle Generalisierbarkeit der Dimensionen gilt mit Ausnahme der Dimension ‚Offenheit‘ als gegeben500. De Raad (1998) wendet allerdings ein, dass die lexikalische Replizierbarkeit der fünf Dimensionen in anderen Sprachen nicht bedeutet, dass diese Dimensionen tatsächlich transkulturell dieselben sind501. Zuvor hatte De Raad (1992) bereits den lexikalischen Ansatz dahingehend kritisiert, dass nur auf Adjektive rekurriert wurde, statt Nomen und Verben im Zusammenhang mit der Persönlichkeit miteinzubeziehen: „The exploitation of both verbs and nouns in addition to adjectives can be of help in filling out certain niches of meaning not fully covered by adjectives alone. Moreover, because of their reference to concrete behaviours and persons, the possibility of using verbs or nouns in rating scales may sometimes be more expressive than the sole usage of adjectives.”502

4.2.2 Messinstrumente Die Erfassung des FFM erfolgt entweder durch lexikalische Adjektivlisten oder durch speziell entwickelte psychologische Fragebögen, die meist

496

Vgl. Seel/Hanke 2015, S. 382 Vgl. Salewski/Renner 2009, S. 81 498 Vgl. Laux 2008, S. 174 499 Vgl. Asendorpf 2015, S. 55 500 Vgl. Seel/Hanke 2015, S. 383; Vgl. John/Srivastava 1999, S. 107 501 Vgl. De Raad 1998, S. 120 502 De Raad 1992, S. 28 497

118

4 Persönlichkeit

aus Aussagesätzen bestehen503. Bei beiden Verfahren ist eine Fremdsowie Selbstbewertung möglich504. Soll ein präziseres Gesamtbild entstehen, ist ein Vergleich mehrerer Einschätzungen sinnvoll505. Bei der Auswertung ist dann jedoch darauf zu achten, wer die Fremdbeurteilungen vornahm. Denn sowohl die Tatsache, wie gut eine Person eine andere kennt, als auch ihre Beziehung zueinander beeinflussen die Einschätzung. Andererseits müssen die Fremdeinschätzungen von Personen vorgenommen werden, die die zu untersuchende Person ausreichend gut kennen, um die Persönlichkeit beurteilen zu können. Da es dabei zu sehr vielen unkontrollierbaren Verzerrungen kommen kann, wird weitestgehend auf Fremdbeurteilungen in der Persönlichkeitsforschung verzichtet. Außerdem konnten Murray/Holmes/Griffin (1996) nachweisen, dass oft nur geringe Zusammenhänge zwischen der Selbstbeurteilung von Persönlichkeitseigenschaften und der Beurteilungen durch Peer-ratings oder Partner*innen bestehen, da sowohl Idealisierungen des Anderen als auch Projektionen eigener Eigenschaften auf die*den Andere*n das Fremdurteil verzerren können506. Die Selbstbeschreibung von Menschen kann allerdings ebenfalls, wie jede introspektive Beobachtung, starken Verzerrungen unterliegen und damit zu verfälschten Ergebnissen führen. In diesem Kontext sind insbesondere Effekte der Selbstaufwertung507 oder sozialen Erwünschtheit508 zu berücksichtigen, durch die in der Regel die Aussagen oder Antworten der Untersuchungspersonen so verfälscht werden, dass sie in den Augen der Untersuchten als ‚besser‘ bewertet werden. Testinstrumente, die nur auf Begriffslisten basieren, sind im Vergleich zu Instrumenten, die aus Aussagen bestehen, schneller zu bearbeiten und auszuwerten, ermöglichen jedoch nur eine eingeschränkte Differenzie503

Vgl. Laux 2008, S. 176f. Vgl. Laux 2008, S. 176; Vgl. Rammsayer/Weber 2010, S. 202ff. 505 Vgl. Laux 2008, S. 176f. 506 Vgl. Murray/Holmes/Griffin 1996, S. 85f. 507 Vgl. Smith 2014, S. 582f. 508 Vgl. Gerrig/Zimbardo 2008, S. 40; Vgl. Fischer/Wiswede 2009, S. 262 504

4.2 Das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit

119

rung509. Aussagenbasierte Persönlichkeitsfragebögen sind hingegen in ihrer Konstruktion viel komplexer und umfangreicher als die Begriffslisten. Sie umfassen ganze Aussagen, denen in Abstufungen zugestimmt oder widersprochen werden kann. Es gibt mittlerweile eine recht große Anzahl an Messinstrumenten unterschiedlicher Länge und unterschiedlicher Differenzierungsgrade. Das ‚NEO-Personality Inventory‘ von Costa und McCrae von 1992 umfasst beispielsweise 240 englische Items510 und erfasst pro Faktor sechs Facetten mit jeweils acht Items. Der BFAS (Big Five Aspect Scale) von DeYoung/Quilty/Peterson (2007) messen mit insgesamt 100 englischen Items die fünf Dimensionen und jeweils 2 Facetten jeder Dimension511. Für die deutsche Sprache gibt es das NEO-FFI (NEO-Fünf-Faktoren-Inventar nach Costa und McCrae) von Borkenau und Ostendorf aus dem Jahr 2008512. Dieses besteht aus 60 zu bearbeitenden Sätzen und misst die fünf Dimensionen, ohne eine Differenzierung der Facetten zu ermöglichen. John/Donahue/Kentle (1991) entwickelten den BFI (Big Five Inventory), der mit 44 englischsprachigen Items auch nur die fünf Dimensionen des FFM ohne Facetten misst513. Soto/John (2017) entwickelten vor kurzem das BFI-2 (Big-Five-Inventory-2), das eine Revision des BFI ist und die fünf Dimensionen und jeweils drei Facetten mit insgesamt 60 englischsprachigen Items misst514. Kurzversionen von Aussagefragebögen haben, ähnlich wie die lexikalischen Listen, den Vorteil der schnelleren Bearbeitungs- und Auswertungszeit515, können aber auf Grund der geringeren Itemzahl die fünf Faktoren weniger differenziert messen und sind entsprechend ungenau. Der BFI-K (Big Five Inventory – Kurzversion) von Rammstedt/John (2005) umfasst 21 deutschsprachige Items und wurde speziell unter ökonomischen Ge509

Vgl. Asendorpf 2015, S. 57 Vgl. Laux 2008, S. 176; Vgl. John/Srivastava 1999, S. 110 511 Vgl. DeYoung/Quilty/Peterson 2007, S. 887f. 512 S.a. Borkenau/Ostendorf 2008 513 Vgl. John/Srivastava 1999, S. 132 514 Vgl. Soto/John 2017a, S. 123, 132 515 Vgl. Asendorpf 2015, S. 57 510

120

4 Persönlichkeit

sichtspunkten entwickelt516. Dieselben Autor*innen hatten kurz darauf den BFI-10 (Big Five Inventory – 10) entwickelt, ein aus zehn englischsprachigen Items bestehendes Messinstrument, welches mit jeweils zwei Items eine der fünf Dimensionen messen soll517. Soto/John (2017b) entwickelten im Zuge des BFI-2 direkt zwei Kurzformen, den BFI-2-S (30 Items) sowie BFI-2-XS (15 Items), wobei der BFI-2-XS aus den ersten 15 Items des BFI-2-S besteht518. Während der BFI-2-S noch die fünf Dimensionen mit jeweils drei Facetten messen kann, ist der BFI-2-XS nicht mehr in der Lage, Facetten zu messen. Ein Beispiel für ein Messinstrument, das nicht auf Aussagen, sondern auf Adjektivlisten basiert, ist der TIPI (Ten-Item Personality Inventory), der vor allem aus ökonomischen Gesichtspunkten konstruiert wurde und mit jeweils zwei Items die fünf Dimensionen zu messen anstrebt519. Die meisten Messinstrumente sind in mehreren Sprachen vorhanden. Für Forschungszwecke muss deshalb die Balance aus Zeitökonomie und Konstruktdifferenzierung gefunden werden. So eignet sich der NEO PI-R besonders gut, um differenzierte und präzise Messungen durchzuführen. Allerdings ist die Bearbeitungszeit für die Untersuchungspersonen so lang, dass dadurch unerwünschte Messfehler entstehen können. Umgekehrt ist die Bearbeitungszeit von Kurzversionen zwar recht kurz, allerdings bleiben die Messungen unpräzise, was die Aussagekraft der Messungen erheblich einschränken kann.

4.2.3 Hierarchie der Persönlichkeitsstruktur: Dimensionen, Aspekte und Facetten In den wesentlichen Merkmalen des FFM, also der Dimensionalisierung der Persönlichkeit, sind sich die meisten Autor*innen einig. Die folgende 516

Vgl. Rammstedt/John 2005, S. 201 Vgl. Rammstedt/John 2007, S. 210f. 518 Vgl. Soto/John 2017b, S. 79f. 519 Vgl. Gosling/Rentford/Swan Jr. 2003, S. 525 517

4.2 Das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit

121

Darstellung wird sich an die Benennung von Costa und McCrae gehalten. Das ‚Five-Factor-Model of Personality‘ umfasst fünf Dimensionen, wobei davon ausgegangen wird, dass jedes Individuum Traits aller fünf Dimensionen hat und somit jeder Dimension entspricht520. Lediglich die Ausprägungen der einzelnen Faktoren unterscheiden sich, sodass Individualität durch die einzigartige Komposition der Ausprägungen derselben Eigenschaften entsteht. Die fünf Persönlichkeitsdimensionen werden auch mit ihrem jeweiligen englischen Anfangsbuchstaben als ‚OCEAN‘ abgekürzt521. Im Englischen werden die fünf Faktoren ‚Openness to new experience’, ‚Conscientiousness’, ‚Extraversion’, ‚Agreeableness’ und ‚Neuroticism’ genannt522. Jede der fünf Dimensionen lässt sich in SubDimensionen bzw. Facetten unterteilen. Das ausdifferenzierteste Persönlichkeitsmodell der Big Five beinhaltet in jeder Dimension jeweils sechs Facetten (s. Diagramm D4-1). Trotz zahlreicher empirischer Belege aus den letzten fünfzig Jahren gibt es Kritik am FFM. So hält McAdams (1992) Persönlichkeitseigenschaften nur für periphere Erscheinungsformen der Persönlichkeit, während der Kern der Persönlichkeit „adress fundamental issues of human nature and personality organization“523, wie es beispielsweise unterschiedliche Konzepte bei Freud tun. Weiterhin wird stellenweise die Anzahl der Persönlichkeitsdimensionen kritisiert und ein sechster Faktor gemessen. Becker (1998) argumentiert für die Dimension „Gefühlsbetontheit“524 und berichtet, in den Untersuchungen von Costa/McCrae eine Dimension „risk taking/sensation seeking“525 gefunden zu haben.

520

Vgl. Maltby/Day/Macaskill 2011, S. 290ff. Vgl. Maltby/Day/Macaskill 2011, S. 321 522 Vgl. Larsen/Buss/Wismeijer 2013, S. 65 523 McAdams 1992, S. 336 524 Becker 1999, S. 512 525 Becker 1999, S. 526 521

122

4 Persönlichkeit

Diagramm D4-1: Die Big-Five und ihre Facetten. Quelle: Eigene Darstellung nach Asendorpf/Neyer 2012, S. 119.

Zudem werden immer wieder die Ähnlichkeit zu sowohl Cattells als auch Eysencks faktorenanalytischen Arbeiten angeführt526. Zwei der ‚Gigantic Three‘ Eysencks sind im Fünf-Faktoren-Modell enthalten527. Neben ‚Extraversion‘ und ‚Neurotizismus‘ führt er lediglich, als Ergänzung zu früheren Arbeiten, noch ‚Psychoticism‘ an528. Diese kann laut Laux (2008) als Zusammenfassung der positiv formulierten Aspekte ‚Gewissenhaftigkeit‘ sowie ‚Verträglichkeit‘ verstanden werden529. Menschen mit ausgeprägtem ‚Psychotizismus‘ sind risikobereit, emotional grausam, aggressiv und wenig kontrolliert530. Ist die Dimension wenig ausgeprägt, handelt es sich 526

Vgl. Laux 2008, S. 179 Vgl. Laux 2008, S. 179; Vgl. Chamorro-Premuzic 2015, S. 39 528 Vgl. Digman 1996, S, 11; Vgl. Laux 2008, S. 179; Vgl. Chamorro-Premuzic 2015, S. 39 529 Vgl. Laux 2008, S. 179 530 Vgl. Chamorro-Premuzic 2015, S. 39 527

4.2 Das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit

123

um „caring, responsible, and socially driven individuals who are more likely to conform to given rules than to defy them” 531. Dieser Kritik begegnen McCrae/John (1992) allerdings, indem sie die eigentliche Bedeutung der fünf Faktoren klarstellen: „The five factors do not exhaust the description of personality, they merely represent the highest hierarchical level of trait description.“532 Schließlich sei noch das rivalisierende Modell der ‘Comprehensive Six’ genannt, dass aus den Dimensionen „[general intelligence, Anm. C.T.] (g), neuroticism/emotionality (n), energy/extraversion (e), conscientiousness/control (c), will/independence (w), and affection/pathemia (a)“533. Brand (1994) argumentiert, dass gerade die Dimensionen, die in der Freud’schen Persönlichkeitstheorie zentral sind, nicht in den Big Five repräsentiert sind – eine Kritik, die durchaus ihre Berechtigung haben kann, da die Big Five aus dem lexikalischen Ansatz entstanden und Freuds Konzepte sich nicht unmittelbar in Adjektive übertragen lassen. Deshalb kritisiert der Autor das gesamte FFM und macht einen zentralen Fehler ausfindig: „It lets slip a six-factor way of describing people that is rich, sensitive, theoretically defensible, objective - as Cattell has long envisaged - and capable of registering the timehonoured, high-level personological concepts that are available in European languages.“534 Als problematisch wird auch die Vorgehensweise bei der Entwicklung des Modells selbst angesehen, da diese sehr datengeleitet ist und Kritikern zufolge eine grundlegende Theorie fehlt535. Trotz dieser angeführten Kritikpunkte wurde das FFM für die vorliegende Arbeit gewählt, da es das am meisten und besten erforschte Modell der Persönlichkeit ist, das quantitativ erforscht werden kann. Einige Autor*innen vermuten, dass die Hierarchie der Persönlichkeitsstruktur differenzierter ist als es das eigentlich angenommene Modell 531

Chamorro-Premuzic 2015, S. 39 McCrae/John 1992, S. 190 533 Brand 1994, S. 299 534 Brand 1994, S. 307 535 Vgl. John/Srivastava 1999, S. 103; Vgl. Maltby/Day/Macaskill 2011, S. 329; Vgl. De Raad 1998, S. 115 532

124

4 Persönlichkeit

postuliert, das aus Dimensionen und Facetten besteht. Zunächst wurden durch die Untersuchungen von Digman (1997) den fünf Dimensionen übergeordnete Strukturen entdeckt, die Digman ‚Alpha‘ und ‚Beta‘ und DeYoung/Peterson/Higgins (2002) ‚Stabilität‘ und Plastizität‘ nennen. Digmans ‚Alpha‘ besteht aus den Dimensionen ‚Neurotizismus‘, ‚Verträglichkeit‘ sowie ‚Gewissenhaftigkeit‘, während das ‚Beta‘ aus den Dimensionen ‚Extraversion‘ und ‚Offenheit‘ besteht536, wobei Alpha den Sozialisationsprozess selbst537 und Beta das persönliche Wachstum538 repräsentiert. DeYoung/Peterson/Higgins (2002) greifen diese Unterscheidung auf, schlagen jedoch unter Berücksichtigung von biopsychologischen Studien und unter Rekurs auf Theorien neuronaler Netzwerke, dass die zwei Metaeigenschaften besser beschrieben werden können: „maintenance of stability, but also plasticity, adaptation to novelty“539. Stabilität und Plastizität sind jedoch nicht als zwei Pole eines Spektrums zu verstehen, sondern sind komplementär konzipiert. Die Autor*innen argumentieren deshalb beispielsweise, dass in einer dynamischen und wechselhaften Umwelt Plastizität die Voraussetzung für Stabilität ist und “that the processes of adapting to novelty and maintaining stability are mutually dependent, as adaptation to novelty is necessary for the continued integrity of the domain of order, while stability is necessary if contact with the domain of chaos is not to result in the destruction of order.”540 Diese Metabene der Persönlichkeitsstruktur erlaubt es den Theoretiker*innen, die Anschlussfähigkeit ihres Modells an andere Persönlichkeitstheorien wie z.B. aus der Psychoanalyse zu ermöglichen, was die zahlreichen Verweise auf Analytiker wie Freud und Jung belegen541. Desweiteren konnten DeYoung/Quilty/Peterson (2007) eine weitere Ebene entdecken, nun zwischen den Dimensionen und ihren Facetten, die sie 536

Vgl. Digman 1997, S. 1252 Vgl. Digman 1997, S. 1249 538 Vgl. Digman 1997, S. 1250 539 DeYoung/Peterson/Higgins 2002, S. 536 540 DeYoung/Peterson/Higgings 2002, S. 537 541 Vgl. DeYoung/Peterson/Higgins 2002, S. 537 537

4.2 Das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit

125

als Aspekte der Dimensionen bezeichnen. Die Offenheit lässt sich unterteilen in Offenheit und Intellekt, die Extraversion beinhaltet die Aspekte Durchsetzungsfähigkeit und Enthusiasmus, die Gewissenhaftigkeit die Aspekte Fleiß und Ordentlichkeit und die Verträglichkeit die Aspekte Mitgefühl und Höflichkeit542. Auf Grundlage dieser Erweiterungen entwickelte DeYoungs seine Theorie der Kybernetik des FFM: Auf der ersten Ebene sieht DeYoung die Metaeigenschaften ‚Stabilität‘ und ‚Plastizität‘, auf zweiter Ebene sind die fünf Dimensionen, auf der dritten Ebene die ‚Aspekte‘ der Dimensionen, und schließlich auf der vierten Ebene die Facetten, von denen der Autor annimmt, dass die Anzahl unbekannt ist und von denen Costa/McCrae (1992b) jeweils sechs pro Dimension fanden (s. Diagramm D4-2). Aus dem Diagramm wird auch die Annahme von DeYoung (2015) ersichtlich, dass die Facetten aus den Aspekten abgeleitet werden können. Allerdings zeigt eine intensive Recherche, dass bislang dafür keine empirischen Belege gefunden werden können, weshalb in dieser Arbeit weiterhin davon ausgegangen wird, dass die Facetten aus den Dimensionen abgeleitet werden.

Diagramm D4-2: Metaebenen, Dimensionen und Aspekte der Big Five. Quelle: DeYoung 2015, S. 36.

542

Vgl. DeYoung/Quilty/Peterson 2007, S. 883ff.

126

4 Persönlichkeit

4.2.3.1 Offenheit für Erfahrungen Die Dimension ‚Offenheit für neue Erfahrung’ beinhaltet die Facetten: Offenheit für Phantasie, Offenheit für Ästhetik, Offenheit für Gefühle, Offenheit für Handlungen, Offenheit für Ideen und Offenheit des Normen- und Wertesystems sowie die Aspekte Offenheit und Intellekt. Diagramm D4-3 zeigt die Dimension (oberste Ebene) und die Facetten (unterste Ebene) aus dem Original des NEO PI-R zusammen mit den Aspekten (mittlere Ebene) aus dem BFAS.

Diagramm D4-3: Aspekte und Facetten der Persönlichkeitsdimension Offenheit für Erfahrung. Quelle: Eigene Darstellung nach Costa/McCrae 1999b, S. 49 (für Dimension und Facetten) und DeYoung/Quilty/Peterson 2007, S. 887f. (für Aspekte).

Diese Dimension korreliert sehr stark mit Eigenschaften, die mit der Intelligenz des Menschen zu tun haben, weshalb in früheren Versionen die Bezeichnung Intellekt vorgezogen wurde. Ob die Variablen Intelligenz, Intellekt, Kultur sowie Bildung zu der hier dargestellten Dimension hinzugezählt werden sollen, sorgt in der Fachwelt für Kontroversen543. Viele Persönlichkeitspsychologen zählen beides ausdrücklich hinzu, da nur so ein umfassendes Gesamtbild entstehen kann544. Doch Kritiker merken an, dass Intelligenz eine Fähigkeit sei, keine Eigenschaft und deshalb zu kei-

543 544

Vgl. De Raad/van Heck 1994, S. 225 Vgl. Salewski/Renner 2009, S. 82; Vgl. Asendorpf 2015, S. 55

4.2 Das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit

127

nem Faktor der ‚Big Five‘ gehört545. Auch Costa/McCrae (1992a) argumentieren dagegen, weil einige Eigenschaften, die mit dem Intellekt in Zusammenhang gebracht werden, mit der Dimension Gewissenhaftigkeit korrelieren und die Korrelation zwischen der Offenheit und dem IQ zwar positiv, aber durchgängig gering ist und ihr Beitrag zur Offenheit deshalb eher gering ist: „If O [Openness, Anm. C.T:] were nothing more than a reflection of intelligence, there would indeed be little reason to regard it as a basic dimension of personality“546. McCrae/Sutin (2009) charakterisieren Menschen mit hoher bzw. niedriger Offenheit wie folgt: „Highly open people are thus seen as imaginative, sensitive to art and beauty, emotionally differentiated, behaviorally flexible, intellectually curious, and liberal in values. Closed people are downto-earth, uninterested in art, shallow in affect, set in their ways, lacking curiosity, and traditional in values.“547 Andere beschreiben Individuen mit einer hohen Ausprägung dieser Dimension als neugierig, künstlerisch, verträumt, fantasievoll, erfinderisch, experimentierfreudig, unkonventionell, sensibel und einfallsreich548. Untersuchungen belegen zudem eine hohe Toleranz sowie weniger Vorurteile gegenüber Minderheiten und benachteiligten Gruppen bei Menschen, die eher zur Offenheit neigen549. Belegt wurde außerdem eine Tendenz zur Tagträumerei sowie zum Erinnern an geträumte Erfahrungen550. Offene Menschen suchen (auch durch Medien) Wege, wie sie ihre Offenheit ausdrücken können und sind in zwischenmenschlichen Interaktionen redegewandt, humorvoll und ausdrucksstark551. Markey/Wells (2002) berichten, dass sich die Of-

545

Vgl. Salewski/Renner 2009, S. 82 Costa/McCrae 1992a, S. 660 547 McCrae/Sutin 2009, S. 258 548 Vgl. Laux 2008, S. 175; Vgl. Cooper 2010, S. 51; Vgl. Maltby/Day/Macaskill 2011, S. 322; Vgl. Larsen/Buss/Wismeijer 2013, S. 70; Vgl. Chamorro-Premuzic 2015, S. 55 549 Vgl. Salewski/Renner 2009, S. 82; Vgl. Cooper 2010, S. 51; Vgl. Larsen/Buss/Wismeijer 2013, S. 68ff. 550 Vgl. Larsen/Buss/Wismeijer 2013, S. 70 551 Vgl. McCrae/Sutin 2009, S. 259 546

128

4 Persönlichkeit

fenheit der Menschen auch in der Art und Weise, wie sie sich in Chatrooms einbringen, bemerkbar macht, wobei die Offenheit deutlicher erkennbar ist, wenn ein Zwiegespräch stattfindet und die Zuschreibung der Offenheit etwas sinkt, wenn es sich um einen Gruppenchat handelt552. Qiu et al. (2012) stellten in einer Untersuchung von Tweets fest, dass „Openness was negatively related to the use of adverbs, swear words, affect words and non-fluent words, but positively related to prepositions.”553 Offene Menschen drücken sich so aus, dass sie als offene Menschen erkannt werden können. Die Offenheit eines Menschen ist jedoch nicht gleichbedeutend mit seiner Verträglichkeit. McCrae/Sutin (2009) stellen fest, dass offene Menschen Gleichgesinnte bevorzugen: „Open people admire openness, closed people despise it.“554 Da offene Menschen ihre Offenheit ausdrücken und für andere Menschen leicht erkennbar sind, können in (Arbeits-)Gruppen relativ einfach Konflikte entstehen. Lun/Bond (2006) berichten, dass die Offenheit sich durch unkonventionelle Denk- bzw. Arbeitsweisen offenbart und dadurch Konventionen aus Arbeitsgruppen eher ignoriert werden555. Allerdings stellt sich die Frage, ob dies ein kulturspezifischer Effekt ist und besonders für die von den Forscher*innen untersuchten asiatische Kulturen gilt oder ob dies generalisierbar ist. Verlässt man die Ebene der Dimension und unterscheidet diese nach ihren Aspekten kann ein differenzierteres Bild entstehen. DeYoung/Quilty/Peterson (2007) haben mit ihrer Unterteilung der Dimension in die zwei Aspekte Offenheit und Intellekt die Diskussion um den wesentlichen inhaltlichen Bestandteil der Dimension entschärfen können: „it appears that the two sides of this debate were simply focusing on different aspects of the larger domain”556. Sowohl Offenheit als auch Intellekt 552

Vgl. Markey/Wells 2002, S. 140 Qiu et al. 2012, S. 714 554 McCrae/Sutin 2009, S. 258 555 Vgl. Lun/Bond 2006, S. 201 556 DeYoung/Quilty/Peterson 2007, S. 883 553

4.2 Das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit

129

spielen daher in die Dimension mit ein, indem sie eine kognitive Komponente der Persönlichkeit aufgreifen, allerdings auf unterschiedliche Weise: „primarily through reasoning, whereas Openness reflects cognitive engagement with perception, fantasy, aesthetics, and emotions“557. Die Offenheit verweist auf den Willen, neue Ideen und Aktivitäten zu erforschen und der Intellekt beschreibt die Tendenz eines Menschen, Informationen so zu beurteilen und auszuwählen, dass objektive Entscheidungen getroffen werden können. Nusbaum/Silvia (2011) konnten anhand der Offenheit die Kreativität eines Menschen voraussagen und anhand des Intellekts seine fluide Intelligenz, also die Fähigkeit zum abstrakten Denken und Problemlösen, was auf die Unterschiedlichkeit der beiden Aspekte verweist558. Kaufman et al. (2016) berichten, dass Offenheit mit kognitiven Prozessen wie dem impliziten Lernen, das Zusammenhänge mittels sensorischer Erfahrungen erschließt, und Intellekt eher mit kognitiven Prozessen wie dem Arbeitsgedächtnis assoziiert wird, welches dabei hilft, kausale und logische Muster zu analysieren559. Weiterhin konnten sie belegen, dass eine hohe Ausprägung in Offenheit als guter Prädiktor für den Erfolg in Künsten und eine hohe Ausprägung in Intellekt als guter Prädiktor für den Erfolg in Wissenschaften dient560. Douglas/Bore/Munro (2016) finden ähnliche Ergebnisse, nämlich dass die Offenheit ein starker Prädiktor für künstlerische Interessen ist und dass Menschen mit einer hohen Ausprägung des Aspekts Offenheit „will gravitate towards selfexpressive pursuits, including creative, artistic, and potentially performing arts occupations“561. Fayn/Tiliopoulos/MacCann (2015) stellen sich die Frage, wie die Entwicklung von Interessen durch die Aspekte Offenheit und Intellekt beeinflusst werden. Sie fanden heraus, dass Menschen mit hoher Offenheit bei ihrer Interessensentwicklung deutlich weniger 557

Kaufman et al. 2016, S. 248f. Vgl. Nusbaum/Silvia 2011, S. 573 559 Vgl. Kaufman et al. 2016, S. 249 560 Vgl. Kaufman et al. 2016, S. 254 561 Douglas/Bore/Munro 2016, S. 250 558

130

4 Persönlichkeit

auf Verstehen und stattdessen auf Empfindungen und Wahrnehmungen zurückgreifen als es Menschen mit hohem Intellekt tun562. Offene Menschen unterscheiden sich auch in ihrem Lernstil von anderen Menschen und lernen weniger anwendungsbezogen und durch Auswendiglernen, sondern mehr durch das Verstehen der Lerninhalte563.

4.2.3.2 Gewissenhaftigkeit Die Dimension ‚Gewissenhaftigkeit’ beinhaltet die Facetten: Kompetenz, Ordnungsliebe, Pflichtbewusstsein, Leistungsstreben, Selbstdisziplin und Besonnenheit sowie die Aspekte Fleiß und Ordentlichkeit. Diagramm D4-4 zeigt die Dimension (oberste Ebene) und die Facetten (unterste Ebene) aus dem Original des NEO PI-R zusammen mit den Aspekten (mittlere Ebene) aus dem BFAS.

Diagramm D4-4: Aspekte und Facetten der Persönlichkeitsdimension Gewissenhaftigkeit. Quelle: Eigene Darstellung nach Costa/McCrae 1999b, S. 49 (für Dimension und Facetten) und DeYoung/Quilty/Peterson 2007, S. 887f. (für Aspekte).

Haben Menschen eine hohe Ausprägung in dieser Dimension, gelten sie als kompetent, Ordnung suchend und aufrechterhaltend, verlässlich, wenig faul und besonnen564. Es handelt sich um Individuen, die effizient, 562

Vgl. Fayn/Tiliopoulos/MacCann 2015, S. 52 Vgl. Busato et al. 1998, S. 136 564 Vgl. Maltby/Day/Macaskill 2011, S. 323 563

4.2 Das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit

131

entschlossen, produktiv, organisiert und zuverlässig sind565. Zudem zeichnen sie sich durch Fleiß, Ausdauer, Kontrolle, Motivation und zielgerichtetes, systematisches Handeln aus566. Wenig gewissenhafte Menschen werden als chaotische, unzuverlässige, sorglose, unvorsichtige, nicht pünktliche, leicht abzulenkende, untreue oder gleichgültige Personen beschrieben567. Einige Studien weisen darauf hin, dass die Gewissenhaftigkeit eines Menschen den Erfolg in der Schule568 und den akademischen Erfolg569 gut vorhersagen kann. Komarraju et al. (2011) berichten von starken Zusammenhängen zwischen Lernstilen und der Gewissenhaftigkeit und erklären so den akademischen Erfolg gewissenhafter Menschen: „students who are organized, disciplined, determined, and intellectually curious are more likely to use all four learning styles in maximizing their learning. Such students are likely to be very thorough, relate what they are learning to previous knowledge and to their own lives, and to study in a systematic way, thus, excelling on exams.” 570 Auch Busato et al. (1998) untersuchten diesen Zusammenhang und fanden, dass sich gewissenhafte Menschen beim Lernen auf die Reproduktion der Inhalte konzentrieren571. Sehr gewissenhafte Menschen erreichen demnach eher auch langfristig gesteckte Ziele und bekommen statistisch besser bezahlte Stellen mit mehr Verantwortung572. Deshalb wird die Gewissenhaftigkeit 565

Vgl. Rammsayer/Weber 2010, S. 234; Vgl. Chamorro-Premuzic 2015, S. 55 Vgl. Salewski/Renner 2009, S. 82; Vgl. Maltby/Day/Macaskill 2011, S. 322 567 Vgl. Friedman/Schustack 2004, S. 346; Vgl. Rammsayer/Weber 2010, S. 234; Vgl. Maltby/Day/Macakill 2011, S. 322; Vgl. Larsen/ Buss/Wismeijer 2013, S. 69 568 Vgl. Bratko/Chamorro-Premuzic/Saks 2006, S. 136; Vgl. Dumfart/Neubauer 2016, S. 13; Vgl. Ivcevic/Brackett 2014, S. 32; Vgl. Tirre 2017, S. 316 569 Vgl. Rimfeld et al. 2016, S.786; Vgl. Chomorro-Premuzic/Furnham 2003, S 333; Vgl. Saklofske et al. 2012, S. 256; Vgl. De Feyter et al. 2012, S. 444f.; Vgl. Hakimi/ Hejazi/Lavasani 2011, S. 843; Vgl. Duff et al. 2004, S. 1917; Vgl. Sorić/Penezić/ Burić 2017, S. 133; Vgl. Vedel 2014, S. 47; Vgl. Poropat 2014, S. 29; Vgl. Dollinger/ Orf 1991, S. 281; Vgl. Paunonen/Ashton 2001, S. 82; Vgl. Busato et al. 2000, S. 1064; Vgl. Wagerman/Funder 2007, S. 227; Vgl. Kertechian 2018, S. 160f. 570 Komarraju et al. 2011, S. 476 571 Vgl. Busato et al. 1998, S. 136; Vgl. Vermunt/Vermetten 2004, S. 374 572 Vgl. Larsen/Buss/Wismeijer 2013, S. 69 566

132

4 Persönlichkeit

bereits hinsichtlich der akademischen Motivation bei Schüler*innen untersucht, wobei der Zusammenhang zwischen akademischer Motivation und Gewissenhaftigkeit ähnlich gut belegt ist wie der Zusammenhang zwischen akademischen Erfolg und Gewissenhaftigkeit573. Die Dimension Gewissenhaftigkeit wird auch als Mangel an Impulsivität betrachtet, da Impulsivität im Gegensatz zur planvollen und überlegten Verhaltensweise eines gewissenhaften Menschen gesehen wird574. Viele der als positiv erachteten Eigenschaften werden im beruflichen Alltag erwartet575. Da besonders gewissenhafte Menschen ein starkes Bestreben nach Erfolg haben, können sie durchaus hohe Ansprüche an Kolleg*innen haben, was die Arbeitsatmosphäre und Gruppenharmonie negativ beeinflussen kann576. Schließlich korreliert die Gewissenhaftigkeit stark negativ mit der Prokrastination (s. Kap. 4.3). Auf Ebene der Aspekte verweist der Fleiß auf die Tendenz eines Menschen, Aufgaben zu beenden und dafür auch hart zu arbeiten. Die Ordentlichkeit hingegen umfasst den Teil der Gewissenhaftigkeit, mit dem das Ausmaß an Strukturiertheit und Organisiertheit sowohl im großen Rahmen wie auch im Detail beschrieben werden.

4.2.3.3 Extraversion Die Dimension ‚Extraversion’ beinhaltet die Facetten: Herzlichkeit, Geselligkeit, Durchsetzungsfähigkeit, Aktivität, Erlebnishunger und Frohsinn sowie die Aspekte Enthusiasmus und Durchsetzungsfähigkeit. Diagramm D4-5 zeigt die Dimension (oberste Ebene) und die Facetten (unterste Ebene) aus dem Original des NEO PI-R zusammen mit den Aspekten (mittlere Ebene) aus dem BFAS.

573

Vgl. McGeown et al. 2014, S. 284; De Feyter et al. 2012, S. 441 Vgl. Friedman/Schustack 2004, S. 346 575 Vgl. Larsen/ Buss/Wismeijer 2013, S. 69 576 Vgl. Lun/Bond 2006, S. 2006 574

4.2 Das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit

133

Diagramm D4-5: Aspekte und Facetten der Persönlichkeitsdimension Extraversion. Quelle: Eigene Darstellung nach Costa/McCrae 1999b, S. 49 (für Dimension und Facetten) und DeYoung/Quilty/Peterson 2007, S. 887f. (für Aspekte).

Die Dimension ‚Extraversion‘ wird auch als ‚Aufgeschlossenheit‘ bezeichnet und umfasst die Pole ‚introvertiert‘ sowie ‚extrovertiert‘577. Die Extraversion ist auch eine der ‚Gigantic Three‘ von Eysenck578. Eysenck versucht darin vor allem die Phänomene ‚Extraversion‘ und ‚Introversion‘ biologisch zu erklären579. Obwohl die Benennung identisch ist, können inhaltliche Unterschiede nicht ausgeschlossen werden580. Extrovertierte Menschen sind tendenziell energisch, sozial aufgeschlossen, gesprächig, tatkräftig, dominierend, ungehemmt und optimistisch581. Es bereitet ihnen Freude, mit unterschiedlichen Gruppen in soziale Interaktionen zu treten (z.B. Freund*innen, Kolleg*innen, Fremde)582. Zudem sind sie an intensiven und vielfältigen Erlebnissen sowie Sinneseindrücken interessiert583. Sie besetzen häufig Führungspositionen, haben größeren Einfluss auf ihre soziale und berufliche Umwelt und sammeln 577

Vgl. Friedman/Schustack 2004, S. 346 Vgl. Digman 1996, S. 11; Vgl. Laux 2008, S. 179; Vgl. Chamorro-Premuzic 2015, S. 39 579 Vgl. Eysenck 2006, S. 36ff.; Vgl. Chamorro-Premuzic 2015, S. 45ff. 580 Vgl. Maltby/Day/Macaskill 2011, S. 322 581 Vgl. Friedman/Schustack 2004, S. 346; Vgl. Salewski/Renner 2009, S. 82; Vgl. Cooper 2010, S. 50; Vgl. Rammsayer/Weber 2010; Vgl. Maltby/Day/Macaskill, S. 322; Vgl. Asendorpf 2015, S. 55 582 Vgl. Kim et al. 2018, S. 615 583 Vgl. Salewski/Renner 2009, S. 82 578

134

4 Persönlichkeit

dadurch positivere Erfahrungen, weshalb sie insgesamt zufriedener sind als introvertierte Menschen584. Allerdings zeigt eine neue Untersuchung, dass dieser Zusammenhang vor allem für Menschen in Nordamerika gilt, weil die Ergebnisse für deutsche, britische und japanische Stichproben nicht repliziert werden konnten585. Je weniger individualistisch eine Gesellschaft ist, desto weniger spielt die Extraversion eine Rolle für die Lebenszufriedenheit. In individualistischen Gesellschaften sind soziale Beziehungen dynamischer, weshalb es wichtiger sei, neue Beziehungen eingehen zu können: „In these countries, it is desirable to be outgoing and sociable and to have social skills to build new social networks in the environment.“586 Introvertierte Menschen sind eher unterwürfig, reserviert, kontaktscheu, distanziert, zurückhaltend und still587. Ihr Arbeitstempo weist wenige Schwankungen auf, was jedoch nicht mit Trägheit gleichzusetzen ist588. Die Aspekte der Dimensionen bilden zwei Seiten der Extraversion ab: Die Durchsetzungsfähigkeit meint die Tendenz eines Menschen, in sozialen Interaktionen die Führung zu übernehmen und dominant zu erscheinen. Der Enthusiasmus “encompasses both outgoing friendliness or sociability and the tendency to experience and express positive emotion.“589 Wenige Studien weisen darauf hin, dass es einen negativen Zusammenhang zwischen dem akademischen Erfolg und der Extraversion gibt590. Deutlich mehr Studien berichten, dass weder ein positiver noch ein negativer Zusammenhang gefunden werden konnte591. Die Untersuchung von Busato et al. (1998) zeigt, dass die Extraversion

584

Vgl. Larsen/Buss/Wismeijer 2013, S. 68 Vgl. Kim et al. 2018, S. 613 586 Kim et al. 2018, S. 614 587 Vgl. Friedman/Schustack 2004, S. 346; Vgl. Rammsayer/Weber 2010, S. 234; Vgl. Maltby/Day/Macaskill 2011, S. 322 588 Vgl. Maltby/Day/Macaskill 2011, S. 322 589 DeYoung et al. 2013, S. 467 590 Vgl. Bauer/Lang 2003, S. 286 591 Vgl. Conard 2006, S. 342; Vgl. Dollinger/Orf 1991, S. 281; Vgl. Saklofske et al. 2012, S. 254 585

4.2 Das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit

135

am ehesten mit einem ungerichteten Lernstil im Zusammenhang steht592. Extrovertierte Menschen verbringen mehr aktive Zeit in sozialen Netzwerken als introvertierte Menschen, d.h. sie posten mehr Beiträge und aktualisieren ihr Profil häufiger593.

4.2.3.4 Verträglichkeit Die Dimension ‚Verträglichkeit’ beinhaltet die Facetten: Vertrauen, Freimütigkeit, Altruismus, Entgegenkommen, Bescheidenheit und Gutherzigkeit sowie die Aspekte Mitgefühl und Höflichkeit. Diagramm D4-6 zeigt die Dimension (oberste Ebene) und die Facetten (unterste Ebene) aus dem Original des NEO PI-R zusammen mit den Aspekten (mittlere Ebene) aus dem BFAS.

Diagramm D4-6: Aspekte und Facetten der Persönlichkeitsdimension Verträglichkeit. Quelle: Eigene Darstellung nach Costa/McCrae 1999b, S. 49 (für Dimension und Facetten) und DeYoung/Quilty/Peterson 2007, S. 887f. (für Aspekte).

Eine ausgeprägte Verträglichkeit äußert sich in einer hohen Qualität zwischenmenschlichen Umgangs594. Freundlichkeit, Verständnis, Naivität, Wärme, Kooperation, Hilfsbereitschaft, Vertrauen, Harmoniebedürftig592

Vgl. Busato et al. 1998, S. 136 Vgl. Michikyan/Subrahmanyam/Dennis 2014, S. 182 594 Vgl. Salewski/Renner 2009, S. 82 593

136

4 Persönlichkeit

keit, Gutherzigkeit, Bescheidenheit sowie Altruismus sind Kennzeichen besonders verträglicher Menschen595. Als Altruismus wird ein Verhalten bezeichnet, „that risks our resources, including our own safety, to benefit others”596. Darüber hinaus wird verträglichen Menschen die Eigenschaft zugeschrieben, dass sie die Konventionen und den Glauben anderer Menschen schätzen und respektieren597. Menschen mit niedriger Verträglichkeit sind aggressive, misstrauische, unkooperative, feindselige, skeptische, streitsuchende sowie nicht hilfsbereite Individuen598. Ihr Verhalten ist in sozialen Interaktionen häufig unangemessen und rücksichtslos599. Die Aspekte der Verträglichkeit werden wie folgt beschrieben: „Compassion reflects empathy, sympathy, and caring for others. Politeness reflects respect for others‘ needs and desires and a tendency to refrain from aggression.“600 Beide Aspekte beschreiben damit Persönlichkeitseigenschaften, die als positiv erachtet werden. Lun/Bond (2006) vermuten, dass Menschen mit hoher Verträglichkeit besser ihren Ärger kontrollieren können und deshalb in frustrierenden Situationen desktruktives Verhalten eher unterlassen601. Auch im interkulturellen Kontext zeigen sich verträgliche Menschen kompetent. Li/Mobley/Kelly (2016) fanden einen interaktiven Effekt zwischen Offenheit und Verträglichkeit auf die kulturelle Intelligenz eines Menschen, also die Adaptionsfähigkeit in unterschiedlichen kulturellen Umwelten602. Die Forscher*innen konnten feststellen, dass der gemessene Zusammenhang zwischen der Offenheit und der kulturellen Intelligenz nur besteht, wenn die Verträglichkeit eines Menschen hoch ist603. Da die Verträglich595

Vgl. Friedman/Schustack 2004, S. 346; Vgl. Salewski/Renner 2009, S. 82; Vgl. Rammsayer/Weber 2010, S. 234f.; Vgl. Asendorpf 2015, S. 55 596 Hergenhahn/Olsen 2007, S. 382 597 Vgl. Zhang 2003, S. 1432 598 Vgl. Maltby/Day/Macaskill 2011, S. 322; Vgl. Larsen/Buss/Wismeijer 2013, S. 68 599 Vgl. Larsen/Buss/Wismeijer 2013, S. 68f. 600 DeYoung et al. 2013, S. 467 601 Vgl. Lun/Bond 2006, S. 201 602 Vgl. Li/Mobley/Kelly 2016, S. 105 603 Vgl. Li/Mobley/Kelly 2016, S. 108

4.2 Das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit

137

keit selbst keinen eigenständigen Effekt auf die kulturelle Intelligenz hat, argumentieren die Forscher*innen, dass „[a]greeable individuals need to have the intellectual capacity to determine the what and the why of behaviors that neet to be adapted so that they would not simply mimic other’s behaviors“604. Im Lernkontext spielt die Verträglichkeit des Menschen nahezu keine Rolle. Zhang (2003) berichtet jedoch, dass verträgliche Menschen beim Lernen wenig kompetitiv sind: „It is difficult to imagine that people with strong components of these traits (i.e., altruism, sympathy, and helpfulness) in their personality would want to learn in order to compete with others (achieving approach)“605.

4.2.3.5 Neurotizismus Die Dimension ‚Neurotizismus’ beinhaltet die Facetten: Ängstlichkeit, Reizbarkeit, Depression, Soziale Befangenheit, Impulsivität und Verletzlichkeit sowie die Aspekte Zurückgezogenheit und Unbeständigkeit. Diagramm D4-7 zeigt die Dimension (oberste Ebene) und die Facetten (unterste Ebene) aus dem Original des NEO PI-R zusammen mit den Aspekten (mittlere Ebene) aus dem BFAS.

604 605

Li/Mobley/Kelly 2016, S. 108 Zhang 2003, S. 1441

138

4 Persönlichkeit

Diagramm D4-7: Aspekte und Facetten der Persönlichkeitsdimension Neurotizismus. Quelle: Eigene Darstellung nach Costa/McCrae 1999b, S. 49 (für Dimension und Facetten) und DeYoung/Quilty/Peterson 2007, S. 887f. (für Aspekte).

Diese Dimension ähnelt dem Neurotizismus aus Eysencks ‚Gigantic Three‘606. Sie wird auch psychische oder emotionale Labilität beziehungsweise emotionale Instabilität genannt607. Items, welche den hier dargestellten Faktor erfassen sollen, fragen beispielsweise nach leichter Reizbarkeit oder ob sich der Befragte oft Sorgen macht608. Der ‚Neurotizismus‘ beschreibt den psychischen Anpassungsgrad einer Person609. Neurotische Individuen sind demnach häufig traurig, unruhig, unsicher, besorgt, nervös, ängstlich und angespannt610. Sie verkraften Schicksalsschläge weniger gut als emotional stabile Menschen, haben eher suizidale Gedanken, einen insgesamt schlechteren Gesundheitszustand und es fällt ihnen schwer, stressige oder belastende Situationen zu überstehen611. Außerdem fühlen sie sich im Alltag schneller unter Stress gesetzt, sind Stresssituationen häufiger ausgesetzt als weniger neurotische Menschen und die Quelle ihres Alltagsstresses sind in der Regel zwischenmenschli606

Vgl. Laux 2008, S. 179; Vgl. Salewski/Renner 2009, S. 82 Vgl. Friedman/ Schustack 2004, S. 359, 346; Vgl. Laux 2008, S. 175; Vgl. Salewski/Renner 2009, S. 82 608 Vgl. Friedman/Schustack 2004, S. 359 609 Vgl. Salewski/Renner 2009, S. 82 610 Vgl. Friedman/Schustack 2004, S. 346; Vgl. Rammsayer/Weber 2010, S. 234 611 Vgl. Larsen/Buss/Wismeijer 2013, S. 69 607

4.2 Das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit

139

che Konflikte mit anderen erwachsenen Menschen612. Ihr Hauptproblem sind jedoch ihre uneffektiven Copingmechanismen in Stresssituationen613. Menschen mit hohem Neurotizismus können ihren Ärger schlechter kontrollieren und reagieren häufig sehr schnell mit Ärger614. Instabile Partnerschaften, ein Gefühl der sozialen Isolation und ein weniger erfolgreiches Berufsleben können die Folge einer starken Ausprägung dieser Dimension sein615. Solche Menschen stehen sich oft in den unterschiedlichsten Lebensbereichen selbst im Weg616. Ist der Neurotizismus wenig ausgeprägt, handelt es sich im Gegenzug um tendenziell ruhige, entspannte sowie zufriedene Menschen, die emotional stabil und nicht so leicht zu irritieren sind617. Der Aspekt Unbeständigkeit meint, dass Menschen eine unberechenbare Vielfalt an Verhaltensweisen in Reaktion auf Umweltreize zeigen, während der Aspekt Zurückgezogenheit auf die Tendenz eines Menschen verweist, sich nach innen zu kehren und wenig nach außen zu tragen. Neurotizismus korreliert negativ mit akademischen Erfolg, da Studierende, die viele Sorgen und Ängste entwickeln, sich nicht gut auf den Lernprozess konzentrieren können und deshalb auch keine sinnvollen Lernstile entwickeln, die ihnen beim Organisieren und Strukturieren der Lerninhalten helfen können618. Eine weitere Erklärung dafür liegt in der positiven Korrelation mit (passiver) Prokrastination, weil Ängste und fehlende Organisation das Aufschieben von Aufgaben als Vermeidungshandlung begünstigen (s. Kap. 4.3). Darüber hinaus haben Menschen mit hohem Neurotizismus die Tendenz sich in sozialen Netzwerken idealisiert darzu-

612

Vgl. Bolger/Schilling 1991, S. 377 Vgl. Bolger/Schilling 1991, S. 378 614 Vgl. Lubke et al. 2015, S. 558 615 Vgl. Larsen/Buss/Wismeijer 2013, S. 69f. 616 Vgl. Larsen/Buss/Wismeijer 2013, S. 70 617 Vgl. Friedman/Schustack 2004, S. 346; Vgl. Salewski/Renner 2009, S. 82; Vgl. Chamorro-Premuzic 2015, S. 5 618 Vgl. Chomorro-Premuzic/Furnham 2003, S. 333; Vgl. Komarraju et al. 2011, S. 476; Vgl. Busato et al. 1998, S. 136; Vgl. Vermunt/Vermetten 2004, S. 380 613

140

4 Persönlichkeit

stellen und damit andere Menschen zu täuschen, um sie zu beeindrucken619. In Lernumgebungen, die soziale Netzwerke zu Vernetzung nutzen, kann sich dies nachteilig auswirken, vor allem wenn zwischen den Lernenden Kooperationen zustande kommen sollen.

4.3 Prokrastination Der Begriff Prokrastination entstammt dem lateinischen ‚procrastinare‘ (crastinum = morgiger Tag) und bedeutet ‚Aufschieben‘620. Heute ist der Begriff vorwiegend negativ konnotiert, allerdings kann das Aufschieben eine durchaus positive Handlung sein, weil dadurch schwerwiegende Entscheidungen reflektiert werden können bis sich ein besserer Zeitpunkt zur Ausübung einer Verhaltensweise findet621. Eine frühe psychologische Definition liefern Solomon/Rothblum (1984): „Procrastination, the act of needlessly delaying tasks to the point of experiencing subjective discomfort“622 und verweisen darauf, dass das Aufschieben von Aufgaben durchaus ein alltägliches Verhalten ist. Im Sinne der Priorisierung kann das Aufschieben von weniger wichtigen oder dringenden Aufgaben sehr sinnvoll sein. So argumentieren Tice/Baumeister (1997), dass Menschen, die mit Stress gut umgehen können, davon profitieren, wenn das Erledigen von Aufgaben aufgeschoben wird, weil manchmal nützliche Informationen bis zur Deadline auftauchen und die Effizienz bei der Bearbeitung der Aufgabe steigt623. Außerdem seien das Stressempfinden und die gesundheitliche Verfassung von Prokrastinierenden in zeitlicher Entfernung besser als die von nicht prokrastinierenden Menschen, allerdings ist fraglich, ob sich der Gewinn zu Beginn einer Aufgabe mit dem erhöhten

619

Vgl. Michikyan/Subrahmanyam/Dennis 2014, S. 182 Vgl. Gafni/Geri 2010, S. 115 621 Vgl. Höcker/Engberding/Rist 2013, S. 9 622 Solomon/Rothblum 1984, S. 503 623 Vgl. Tice/Baumeister 1997, S. 455 620

4.3 Prokrastination

141

Stress kurz vor Deadline lohnt624. van Eerden (2003a) grenzt diese offene Bestimmung der Prokrastination ein und verweist darauf, dass Prokrastination von Planung unterschieden werden muss, "because the delay is not purposely planned, but rather postponing the implementation of what was planned.“625 Davon zu unterscheiden ist das pathologische Prokrastinieren, wenn also mit dem Verhalten im weitesten Sinne ein Leidensdruck einhergeht und das Aufschieben ein Vermeidungsverhalten ist und häufig vorkommt. Chu/Choi (2005) stellen fest, dass es unterschiedliche Typen der Prokrastination gibt und unterscheiden aktive von passiver Prokrastination. Passive Prokrastination ist nicht intendiert, Aufgaben werden jedoch trotzdem aufgeschoben, weil die Person nicht in der Lage ist, schnell Entscheidungen zu treffen626. Passive Prokrastination entspricht also der oben genannten Eingrenzung von van Eerden (2003a). Aktive Prokrastination hingegen ist absichtsvoll, d.h. diese Menschen können zügig ihre Entscheidungen in Handlungen umsetzen, sie entscheiden sich jedoch dazu, dies später zu tun, um sich auf andere wichtige Aufgaben zu konzentrieren: „Therefore, passive procrastinators differ from active procrastinators on cognitive, affective, and behavioral dimensions.“627 Entsprechend unterschiedlich verhalten sich deshalb aktiv und passiv Prokrastinierende kurz vor Ende der Deadline: Passiv Prokrastinierende fühlen sich gestresst, stehen unter Druck und haben Angst vor dem Scheitern, aktiv Prokrastinierende hingegen werden produktiv und behaupten, sie benötigen den Zeitdruck, um ihre volle Leistungsfähigkeit abrufen zu können628. Choi/Moran (2009) nahmen dies zum Anlass, eine Skala zur Messung von aktiver Prokrastination zu entwickeln, wobei die aktive Prokrastination durch die Dimensionen (1) Präferenz von Druck, (2) in624

Vgl. Tice/Baumeister 1997, S. 456 van Eerde 2003a, S. 1402 626 Vgl. Chu/Choi 2005, S. 247 627 Chu/Choi 2005, S. 247 628 Vgl. Chu/Choi 2005, S. 260 625

142

4 Persönlichkeit

tentionale Entscheidung zum Prokrastinieren, (3) Fähigkeit Deadlines einzuhalten und (4) Ergebniszufriedenheit bestimmt wurde629. Fernie et al. (2017) konstruierten außerdem den ‚Unintentional Procrastination Scale‘ (UPS), eine Skala mit sechs Items, welche die passive Prokrastination zu messen versucht630. In der Forschung liegt der Fokus auf der negativen Konnotation von Prokrastination (passive Prokrastination nach Chu/Choi (2005)), weil westliche Gesellschaften als Leistungsgesellschaften von Individuen erwarten, dass sie in festgelegten Zeitfenstern Aufgaben pünktlich erledigen631. Werden Deadlines nicht eingehalten, können die Verantwortlichen sanktioniert werden. Die von Solomon/Rosenthal (1984) angeführte Definition wurde im Zuge der Forschung immer weiter ausdifferenziert. Van Eerde (2003b) definiert Prokrastination deshalb wie folgt: „Procrastination can be typified as avoidance behaviour and can be seen as the avoidance of the execution of an intended action. The action is (cognitively) important to the individual but is anticipated as something (affectively) unattractive, causing an approach-avoidance conflict. Phrased in other terms, it presents an intrapersonal conflict between what one should do and what one wants to do and losing it instead of solving it.”632 Die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale von sinnvoller und pathologischer Prokrastination sind der Leidensdruck und die Häufigkeit bzw. Regelmäßigkeit des Aufschiebens, sodass je nach Intensität mit Höcker/Engberding/Rist (2013) „Prokrastination als eine komplexe Störung der Handlungskontrolle, an der affektive, kognitive und motivationale Faktoren beteiligt sind“633 bezeichnet werden kann. Fernie et al. (2017b) erklären das Zusammenspiel dieser drei Faktoren mit einer Art Teufelskreis, da negative metakognitive Prozesse (z.B. sich Sorgen machen und 629

Vgl. Choi/Moran 2009, S. 197 Vgl. Fernie et al. 2017a, S. 147 631 van Eerde 2003a, S. 1402 632 van Eerde 2003b, S. 422 633 Höcker/Engberding/Rist 2013, S. 10 630

4.3 Prokrastination

143

das übermäßige Grübeln) mentale Ressourcen aufbrauchen, was die Leistungsfähigkeit und die Stimmung senkt. Die aufgebrauchten mentalen Ressourcen wiederum verstärken negative Metakognitionen über Prokrastination, sodass maladaptive Aufmerksamkeitsstrategien (z.B. Ablenkungen) wirksam werden, die ihrerseits es noch schwerer machen, das Bewältigen von Aufgaben zu initiieren oder umzusetzen, woraus erneut ungewollte Prokrastination und eine verschlechterte Stimmung resultieren634. Als Hauptursachen der Prokrastination werden Ängste oder Depression diskutiert635. Das Hauptproblem der Erforschung von Prokrastination liegt darin, dass der Eindruck des Aufschiebens von eigenen Normen abhängig und daher höchst subjektiv ist. Deshalb wird die Prokrastination in der Regel introspektiv bzw. über Instrumente gemessen, die eine Selbsteinschätzung abfragen. Psychologische Studien gehen bei häufiger Prokrastination nicht automatisch von einer Handlungsstörung aus, dennoch konzentriert sich die Forschung vor allem auf den Vergleich von wenig und viel Prokrastinierenden, um die Auswirkungen des Aufschiebens auf unterschiedliche Lebensbereiche (z.B: Schule, Studium, Arbeit) zu untersuchen, wobei es selten ist, dass lediglich in einem der Lebensbereiche prokrastiniert wird636. Prokrastination wird entweder als das Ergebnis verschiedener Prozesse operationalisiert, bedingt durch die Persönlichkeit, Motive, Aufgaben und den Kontext der Person oder als eigenständige Eigenschaft der menschlichen Persönlichkeit untersucht637. Die Prokrastinationsforschung konzentriert sich vor allem auf akademische Prokrastination, also das Aufschieben von Aufgaben im Kontext von Schule, Studium oder wissenschaftlichen Tätigkeiten638. Solomon/Rothblum (1984) berichten, dass viel prokrastinierende Studierende 634

Vgl. Fernie et al. 2017b, S. 201 Vgl. Watson 2001, S. 149 636 Vgl. Höcker/Engberding/Rist 2013, S. 14 637 Vgl. van Eerde 2003a, S. 1403 638 Vgl. Höcker/Engberding/Rist 2013, S. 10 635

144

4 Persönlichkeit

Aufgaben bis zum Schluss aufschieben, insbesondere wenn Aufgaben in kurzer Zeit erledigt werden können639. Darüber hinaus konnten die Autor*innen keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der Kursnote und der Prokrastination der Studierenden finden, der Zusammenhang wurde allerdings in anderen Studien hinreichend belegt640. Als Gründe für das Prokrastinationsverhalten wurden vor allem die Angst vor dem Scheitern (zusammengesetzt aus der Angst vor der Bewertung der Leistung, maladaptiven Perfektionismus und mangelndem Selbstbewusstsein) und eine Aversion vor der Aufgabe bzw. Faulheit festgestellt, schlechtes Zeitmanagement hingegen spielte dabei keine signifikante Rolle641. Auch dies wurde in darauf folgenden Studien widerlegt, sodass mittlerweile von einem (stellenweise sogar starkem) negativen Zusammenhang zwischen der Prokrastination und dem Zeitmanagement einer Person ausgegangen wird642. Gafni/Geri (2010) berichten, dass Studierende individuelle Aufgaben eher pünktlich beenden als Aufgaben, die in Zusammenarbeit erledigt werden müssen und schlagen vor, dass das Zeitmanagement von Studierenden in Gruppenarbeiten verbessert werden kann, indem die einzelnen Aufgabenteile als Interim-Aufgaben auf die Studierenden verteilt und jeweils mit Interim-Deadlines versehen werden643. Lay/Schouwenburg (1993) können in diesem Zusammenhang auch auf Grundlage ihrer Ergebnis die Angst und das Unwohlsein von Prokrastinierenden erklären: „the greater agitation experienced by procrastinators than by nonprocrastinators during the final week of class was mediated by their lower levels of perceived control of time”644. Lay/Burns (1991) berichten, dass 639

Vgl. Solomon/Rothblum 1984, S. 506 Vgl. Fritzsche/Young/Hickson 2003, S. 1554; Vgl. Wesley 1994, S. 407; Vgl. Tice/Baumeister 1997, S. 456 641 Vgl. Solomon/Rothblum 1984, S. 507ff. 642 Vgl. Lay/Schouwenburg 1993, S. 655; Vgl. van Eerde 2003b, S. 428 643 Vgl. Gafni/Geri 2010, S. 123; zu derselben Schlussfolgerung kamen auch Ackerman/ Gross 2005, S. 10 644 Lay/Schouwenburg 1993, S. 658 640

4.3 Prokrastination

145

viel prokrastinierende Studierende insgesamt später mit dem Lernen für Prüfungen beginnen und auch in der letzten Woche vor der Prüfung verglichen mit wenig Prokrastinierenden weniger Stunden mit dem Lernen verbringen645. Die Studie von Ariely/Wertenbroch (2002) untersucht den Effekt von selbst gesetzten Deadlines gegenüber extern aufgetragener Deadlines. Die Autor*innen können nachweisen, dass selbst gesetzte Deadlines nicht so effektiv sind wie extern aufgetragene Deadlines, dass selbstgesetzte Deadlines teilweise an suboptimale Zeitpunkte geknüpft werden und dass Menschen, die sich ihres Prokrastinationsverhaltens bewusst sind, strategisch sinnvollere Deadlines setzen646. Das akademische Prokrastinationsverhalten lässt sich reduzieren, wenn die zu bearbeitenden Inhalte für Studierende interessant sind, sie eine Auswahl an Aufgaben erhalten, von denen sie sich die interessanteste auswählen dürfen, wenn sie regelmäßig an ihre Aufgaben erinnert werden und indem Aufgaben in kleinere Einheiten untergliedert werden, welche der Aufgabe eine durchschaubare Struktur geben und darüber hinaus Anlass für häufiges Feedback sein können647. Prokrastination ist zwar keine ausgewiesene Facette einer Persönlichkeitsdimension, hängt jedoch eng mit den Dimensionen Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus zusammen. Vergleicht man die Items von Prokrastinations-Skalen und Skalen zur Messung der Gewissenhaftigkeit, fällt auf, dass einige Items inhaltlich dasselbe messen. Deswegen nehmen viele Forscher*innen Charakterisierungen von Menschen vor, die wenig bzw. viel prokrastinieren. Bereits Lay (1986) beschrieb prokrastinierende Menschen als unorganisiert und dass sie insbesondere unter Druck unrealistische und irrationale Urteile über den Arbeitsaufwand von Aufgaben fällen648. Chu/Choi (2005) fassen die Beschreibungen verschiedener Autor*innen zusammen: „Investigators […] have often depicted procrastina645

Vgl. Lay/Burns 1991, S. 611ff. Vgl. Ariely/Wertenbroch 2002, S. 223f. 647 Vgl. Ackerman/Gross 2005, S. 10 648 Vgl. Lay 1986, S. 493 646

146

4 Persönlichkeit

tors as lazy or self-indulgent individuals who are unable to self-regulate. In contrast, nonprocrastination has been associated with high efficiency, productivity, and superior performance, and nonprocrastinators are often described as organized and highly motivated individuals”649. Lay (1997) untersucht den Zusammenhang zwischen Prokrastination und den jeweils fünf Facetten der Dimensionen Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus aus dem NEO-PI-R nach Costa/McCrae (1992) in einer Stichprobe mit Studierenden. Prokrastination korreliert mit der Dimension Gewissenhaftigkeit (r = -.42) und allen Facetten der Gewissenhaftigkeit (r = -.31 – .53) hoch signifikant mittelstark bis stark negativ sowie mittelstark positiv mit Neurotizismus (r = .36)650. Watson (2001) kann dieses Ergebnis replizieren und zusätzlich für alle Facetten des Neurotizismus einen positiven Zusammenhang zur Prokrastination aufzeigen (r = .17 – .47)651. Der negative Zusammenhang zwischen Gewissenhaftigkeit und Prokrastination konnte von Lay/Brokenshire (1997) in einer Stichprobe mit arbeitsuchenden Erwachsenen repliziert werden (r = -.64)652. Lay/Kovacs/Danto (1998) berichten kurz darauf von einer sehr starken negativen Korrelation (r = -.79) zwischen Gewissenhaftigkeit und Prokrastination auch bei Kindern unterschiedlichen Alters653. Lee/Kelly/Edwards (2006) berichten, dass die Gewissenhaftigkeit eines Menschen gegenüber dem Neurotizismus der bessere Prädiktor für Prokrastination ist und der Neurotizismus sich negativ auf die Gewissenhaftigkeit und dadurch indirekt auch positiv auf die Prokrastination auswirkt: „undecided students with negative emotions tend to procrastinate, particularly when they lack persistence in pursuing goals and organization.“654 Aus diesem Zusammenhang kann gefolgert werden, dass Prokrastination auch als eine Manifestation des Fehlens von Gewissenhaftigkeit bezeichnet werden kann, insbesondere in 649

Chu/Choi 2005, S. 246 Vgl. Lay 1997, S. 272 651 Vgl. Watson 2001, S. 153 652 Vgl. Lay/Brokenshire 1997, S. 90 653 Vgl. Lay/Kovacs/Danto 1998, S. 191 654 Lee/Kelly/Edwards 2006, S. 34 650

4.3 Prokrastination

147

Situationen, in denen ein Individuum autonom handeln muss655. Dieser Auffassung stimmen andere Autor*innen jedoch nicht unbedingt zu: „Consideration of procrastination as purely a subset of conscientiousness may be an oversimplification.“656 Die recht neue Untersuchung von Kim/Fernandez/Terrier (2017) greift die Unterscheidung von aktiver und passiver Prokrastination auf und konnte die Zusammenhänge zum FFM noch differenzierter darstellen. Die Autor*innen berichten, dass Extraversion (r = -.16), Verträglichkeit (r = -.23) und am stärksten Gewissenhaftigkeit (r = -.49) negativ und Neurotizismus (r = .33) positiv mit passiver Prokrastination korrelieren657. Dass die Extraversion und Verträglichkeit negative Zusammenhänge zur Prokrastination aufweisen, ist bislang kaum belegt, aber die Autor*innen stellen Vermutungen über die Natur dieses Zusammenhangs an: „Extraverts might not procrastinate because they are active and assertive individuals who enjoy engaging in multiple activities at a fast-pace rhythm and to take charge of the situation. […] Agreeable students might not engage in passive procrastination because they are mindful of others who might be dependent on the tasks they need to complete.”658 Aktive Prokrastination hingegen korreliert positiv mit Extraversion (r = .28) und negativ mit Neurotizismus (r = -.17), mit Gewissenhaftigkeit jedoch nicht signifikant659. Auf der Ebene der Facetten von Gewissenhaftigkeit hingegen zeigt sich, dass sowohl die Facette ‚Competence‘ (r = .26) und die Facette ‚Achievement-striving‘ (r = .16) positiv mit der aktiven Prokrastination korrelieren. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass extrovertierte und gewissenhafte Menschen mit dem Ziel effizienter

655

Vgl. Lay 1997, S. 276; Vgl. Lay/Kovacs/Danto 1998, S. 188; Vgl. Lay/Brokenshire 1997, S. 93 656 Watson 2001, S. 157 657 Vgl. Kim/Fernandez/Terrier 2017, S. 155 658 Kim/Fernandez/Terrier 2017, S. 155 659 Vgl. Kim/Fernandez/Terrier 2017, S. 155

148

4 Persönlichkeit

zu sein, absichtsvoll prokrastinieren können und das Prokrastinieren als eine Art Lernstrategie nutzen660.

660

Vgl. Kim/Fernandez/Terrier 2017, S. 155

5 Methodisches Vorgehen und Forschungsdesign 5.1 Forschungsfragen MOOCs stellen ein Spezifikum von digitalen Lernumgebungen und damit des E-Learnings dar, welche den Anforderungen des Lebenslangen Lernens genügen müssen und ein akademisch interessiertes Publikum ansprechen. Die Erforschung von MOOCs thematisiert häufig die Frage, unter welchen Bedingungen die Teilnehmer*innen den Kurs beenden können, wobei Prädiktoren sowohl im Kurs wie auch bei den Teilnehmer*innen vermutet werden. Der Forschungsüberblick (Kap. 3.2) offenbart jedoch, dass die Erforschung der Dropouts eine Leerstelle hinsichtlich der Teilnehmer*innenpersönlichkeit aufweist. Gardner/Brooks (2018) zeigen in ihrem Überblicksartikel, dass es keine Modelle zur Vorhersage des Kurserfolgs auf Grundlage der Persönlichkeit oder der Prokrastination gibt und empfehlen die Erforschung neuer Ansätze, welche nicht auf üblichen Variablen (Teilnehmer*innenaktivität, linguistische Aspekte, soziale Interkationen, kognitive Aspekte, Lernverhalten und demographische Daten) beruhen661. Die vorliegende Arbeit knüpft unmittelbar an dieser Forderung an und versucht durch die Erforschung der Teilnehmer*innenpersönlichkeit eine neue Perspektive in der Erfoschung von MOOCs aufzutun. Über eine GoogleScholar Recherche wurden Studien gesucht, die in irgendeiner Weise die Teilnehmer*innenpersönlichkeit in MOOCs erforschen. Chen et al. (2016) erarbeiten ein Regressionsmodell, durch das die Persönlichkeit der Teilnehmer*innen anhand ihres Lernverhaltens in MOOCs vorhergesagt werden kann, allerdings beruht die Messung der Persönlichkeit auf einer Kurzform der Big Five mit lediglich 50 Items, sodass keine Subskalen gebildet werden können662. Die Autor*innen erhoben ihre Da661 662

Vgl. Gardner/Brooks 2018, S. 164 Vgl. Chen et al. 2016, S. 125

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. T. Toth, Massive Open Online Courses im Kontext von Persönlichkeit und Prokrastination, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26296-9_5

150

5 Methodisches Vorgehen und Forschungsdesign

ten außerdem nur in einem MOOC zur Datenanalyse, in dem Kompetenzen zur Arbeit mit Excel und Python vermittelt wurden. Das Lernverhalten der Teilnehmer*innen wurde anhand der Forenaktivität, dem Betrachten von Videos, Bearbeiten von Quizzen sowie der verbrachten Zeit im Kurs operationalisiert663. Die Persönlichkeitsdimensionen Offenheit für Erfahrungen und Gewissenhaftigkeit sind in dem Modell von Chen et al. (2016) zwar die aussagekräftigsten Variablen, allerdings bewerteten sie ihre Forschung lediglich als Anfangspunkt der Erforschung von Persönlichkeitsmerkmalen in MOOCs664. Die Autor*innen selbst publizierten seither weitere Artikel zu MOOCs, allerdings erforschen sie nicht mehr die Persönlichkeitsstrukturen in MOOCs. Während es eine Fülle an Forschungsarbeiten zum Einfluss von Persönlichkeitseigenschaften und strukturen auf den schulischen und akademischen Erfolg gibt (s. Kap. 4.2.2), gibt es nahezu keine Forschung diesbezüglich im Kontext von MOOCs. Unter anderem werden Zusammenhänge zwischen den Persönlichkeitsstrukturen, der Motivation von Studierenden, ihrem Prokrastinationsverhalten und dem akademischen Erfolg vermutet. Studierende mit hoher Gewissenhaftigkeit, Extraversion und Offenheit für Erfahrungen sind in der Regel zielorientierter im Lernen, Studierende mit hohem Neurotizismus und niedriger Extraversion hingegen haben Angst vor dem Scheitern im Erreichen von Zielen665. Insbesondere die Dimension Gewissenhaftigkeit gilt als guter Prädiktor für den akademischen Erfolg (s. Kap. 4.2.2). Der akademische Erfolg ist außerdem höher bei eher sozialen und kommunikativen Studierenden666. Ähnlich verhält es sich mit dem Prokrastinationsverhalten von Teilnehmer*innen in MOOCs. Romero et al. (2016) untersuchen den Effekt, den Notifikationen auf Smartwatches von MOOC-Teilnehmer*innen haben

663

Vgl. Chen et al. 2016, S. 126 Vgl. Chen et al. 2016, S. 127 665 Vgl. Komarraju/Karau/Schmeck 2009, S. 48 666 Vgl. Furnham & Medhurst 1995, S. 206; Vgl. Komarraju/Karau/Schmeck 2009, S. 48 664

5.1 Forschungsfragen

151

und berichten von einer Reduzierung des Prokrastinationsverhaltens667. Das Projekt war allerdings nur in der Pilotierung und die Studie diente vor allem der Erprobung der Praktikabilität der Erinnerungenbenachrichtigungen. Pérez-Álvarez et al. (2017) untersuchen den Effekt des Tools ‚NoteMyProgress‘, das für Lernende die produktive und prokrastinierte Zeit im Kurs dokumentiert. Die Autor*innen berichten, dass Lernende das Tool im Allgemeinen als hilfreich bewerteten668. Der Fokus der Studie lag jedoch auf der Handhabung des Tools und weniger auf der Verbesserung der Teilnehmer*innenperformance. Studien, welche den spezifischen Effekt von Prokrastination in MOOCs erforschen, konnten über eine GoogleScholar Recherche nicht gefunden werden. Da die Prokrastination des Menschen sehr eng mit seiner Gewissenhaftigkeit zusammenhängt und in der Forschungsdiskussion mitunter als eigenständige Eigenschaft des Menschen bewertet wird, ist es für die vorliegende Arbeit wichtig, die Prokrastination der Teilnehmer*innen in die Analyse mit einzubeziehen und damit eine weitere Leerstelle in der Forschung zu füllen. Im allgemeinen Lernkontext wird Prokrastination sehr differenziert erforscht (s. Kap. 4.3), allerdings mit der Besonderheit, dass die Forschungsergebnisse zwischen dem Prokrastinationsverhalten der Studierenden und ihrem akademischen Erfolg widersprüchlich sind. Einige Studien berichten einen starken negativen Zusammenhang, dass mit steigender Prokrastination der akademische Erfolg sinkt bzw. der akademische Abschluss schlechter wird. Andere Studien fanden keinen oder sogar einen positiven Zusammenhang669, wobei dies vor allem anhand der unterschiedlichen Operationalisierungen der Prokrastination erklärt werden kann. Dennoch bleibt zunächst mangels Forschungsarbeiten unklar, welchen Effekt die Prokrastination auf die Leistung von MOOCTeilnehmer*innen hat, wenngleich auf Basis der bisherigen Forschung zur Prokrastination in anderen Lernkontexten davon ausgegangen werden 667

Vgl. Romero et al. 2016, S. 196 Vgl. Pérez-Álvarez et al. 2017, S. 465 669 Vgl. Kim/Seo 2015, S. 26 668

152

5 Methodisches Vorgehen und Forschungsdesign

sollte, dass passive Prokrastination nach Chu/Choi (2005) negativ mit dem Kurserfolg korreliert. Darüber hinaus spielt die Motivation der Lernenden eine wichtige Rolle für den akademischen Erfolg, wobei zwischen extrinsischer und intrinsischer Motivation unterschieden wird. Hierzu gibt es wesentlich mehr Studien, sodass an die Ergebnisse vorangehender Untersuchungen angeknüpft werden kann und eine Differenzierung durch die Kontextualisierung mit den Persönlichkeitsmerkmalen der Teilnehmer*innen ermöglicht wird. Studierende einer Präsenzuniversität unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Motivation von Studierenden, die an einer Fernuniversität eingeschrieben sind. Fernstudierende, deren Lernform vergleichbar ist mit den Lernformen in MOOCs, sind stärker intrinsisch motiviert, Studierende von Präsenzuniversitäten sind stärker extrinsisch motiviert670. Insbesondere die intrinsische Motivation scheint für den akademischen Erfolg bedeutsam zu sein671. Ein Hauptanliegen der Forschenden ist daher herauszufinden, welche Faktoren für den akademischen Erfolg von Lernenden bedeutsam sind. Da MOOCs ein verhältnismäßig neues Phänomen in der digitalen Bildungslandschaft sind, stellt sich zunächst die Frage der Übertragbarkeit der bisher bekannten Modelle zur Vorhersage des akademischen Erfolgs, die für die Präsenzuniversitäten sowie für andere Formen des E-Learnings generiert wurden. Herauszufinden ist, ob die bereits bekannten Zusammenhänge auch für MOOCs gelten, oder ob in MOOCs andere Faktoren identifiziert werden können, die zum Kurserfolg beitragen und ggf. sogar als Prädiktoren dienen können. Schließlich werden MOOCs kontrovers in ihrer Rolle in Bezug auf die digitale Spaltung gesehen. Sie werden als Hoffnungsträger im Sinne einer Aufhebung oder Verringerung der Bildungsungleichheit und gleichzeitig als ein weiterer Faktor in der digitalen Spaltung diskutiert. In Kap. 3.2.4 wurde bereits die Frage aufgeworfen, ob die durch die Forschung ge-

670 671

Vgl. János et al. 2015, S. 54 Vgl. Clark et al. 2014, S. 35

5.2 Datenerhebung

153

machten Vorschläge zur Verbesserung der Kurse lediglich die DropoutRate zum Wohle der Provider verbessern oder tatsächlich zu einer besseren Lernerfahrung der Teilnehmer*innen führen sollen. Im Rahmen dieser Arbeit soll auch ein Beitrag zu dieser Diskussion entstehen, indem eine neue Perspektive eingenommen wird, die nicht direkt auf höhere Abschlusszahlen abzielt, sondern auf ein tieferes Verständnis über die Persönlichkeiten der Lernenden. Aus diesem Grund lauten die für diese Arbeit forschungsleitenden Fragestellungen: 1. Lassen sich anhand der Motivation der Teilnehmer*innen Unterschiede in ihrer Performance erkennen? 2. Welchen Einfluss hat das (passive) Prokrastinationsverhalten auf die Performance der Teilnehmer*innen? 3. Gibt es Prädiktoren in der Persönlichkeit und Prokrastination der Teilnehmer*innen, die ein erfolgreiches Kursabschließen vorhersagen können? 4. Welche Schlussfolgerungen lassen sich im Hinblick auf eine Verringerung der Dropout-Rate von MOOC-Teilnehmer*innen ziehen? 5. Wie sind MOOCs im Kontext der digitalen Spaltung zu bewerten?

5.2 Datenerhebung Die Daten der Stichprobe wurden im Zeitraum vom Oktober – November 2014 in Zusammenarbeit mit dem MOOC-Provider ‚Iversity‘ in vier MOOCs erhoben: Governance & Policy Advice, Critical Thinking, Changemaker MOOC, Political Philosophy. Der MOOC Governance & Policy Advice thematisierte vordergründig, wie politische Entscheidungsfindungen zustande kommen, wie politische Steuerungsprozesse greifen und welche Akteure es in diesen Prozessen gibt. Es gab keine formalen Voraussetzungen für die Teilnahme. Als Zielgruppe lassen sich vor allem

154

5 Methodisches Vorgehen und Forschungsdesign

Menschen mit einem Interesse an politischen Entwicklungen identifizieren. Grundlegende Kenntnisse der Politikwissenschaft wurden als vorteilhaft, wenngleich nicht notwendig benannt. Darüber hinaus wurde erwartet, dass die Teilnehmer*innen dem tagespolitischen Geschehen folgen. Der MOOC Critical Thinking thematisierte rationales und kritisches Argumentieren, sowie kognitive Aspekte des Denkens. Auch für diesen Kurs gab es keine formalen Voraussetzungen, erwartet wurde lediglich ein inhaltliches Interesse am Thema. Der MOOC Changemaker MOOC thematisierte Wege und Möglichkeiten, wie aus Ideen Projekte finanziert und entwickelt werden können. Im Fokus standen dabei vor allem die Planung und das Management solcher Projekte, die sich sozial engagieren. In der Kursbeschreibung wurden keine formalen Voraussetzungen für die Kursteilnahme benannt, allerdings wurde erwartet, dass die Teilnehmer*innen daran interessiert waren, eigene Projekte zu entwickeln und gegebenenfalls an einem Projektwettbewerb teilzunehmen, der die Finanzierung des besten Projektes in Aussicht stellte. Der MOOC Political Philosophy klärt grundlegende Fragen über das, was Politik ist und wie Politik funktioniert und thematisiert darüber hinaus, welche ethischen Aspekte politische Prozesse implizieren sowie die globale Tragweite politischer Entscheidungen. Der philosophische Anteil des MOOCs kommt vor allem in der begrifflichen Auseinandersetzung mit der Thematik zu tragen. Formal wurden keine Voraussetzungen angegeben, auch inhaltlich sind keine Vorkenntnisse der Philosophie oder Politikwissenschaft erforderlich. An allen MOOCs konnten Menschen aus der ganzen Welt teilnehmen, deswegen wurde der Fragebogen in englischer Sprache verfasst. Zur Teilnahme an der Studie wurden aus jedem Kurs 50% der Teilnehmer*innen gebeten. Die Auswahl der Teilnehmer*innen erfolgte randomisiert durch den MOOC-Provider Iversity. Die Teilnahme war freiwil-

5.3 Erhebungsinstrumente

155

lig, vollständig anonymisiert und Items konnten beim Bearbeiten des Fragebogens übersprungen werden.

5.3 Erhebungsinstrumente Inhalt des ersten Fragebogens waren 100 Items des Big Five Aspect Scale (BFAS)672 und 20 Items des Lays Procrastination Scale (LPS)673. Inhalt des zweiten Fragebogens waren neun Items zur Motivation der Teilnehmer*innen, welcher ein Standardfragebogen von Iversity ist und an alle Teilnehmer*innen versandt wurde. Die Aussagen aller Items beider Fragebögen waren auf einer mit der Zustimmung aufsteigenden fünfstufigen Likertskala zu beantworten. Der BFAS soll die 5 Dimensionen der Big Five sowie zwei Aspekte für jede der fünf Dimensionen des FFM messen. Das folgende Schaubild stellt die hierarchische Abhängigkeit dar (die englischen Bezeichnungen wurden an dieser Stelle zum besseren Verständnis übersetzt, werden aber in der Auswertung wieder mit den englischen Originalnamen erwähnt):

672 673

Vgl. DeYoung/Quilty/Peterson 2007, S. 887f. Vgl. Lay 1986, S. 477

156

5 Methodisches Vorgehen und Forschungsdesign

Diagramm D5-1: Aufbau des Big Five Aspect Scale (BFAS). Quelle: Eigene Darstellung und Übersetzung nach DeYoung/Quilty/Peterson 2007.

Der BFAS diente zur Messung der Teilnehmer*innenpersönlichkeit. Die insgesamt 100 Items sind mit jeweils 20 Items jeder Dimension des FFM und auf Ebene der Aspekte mit jeweils 10 Items den zehn Aspekten zugeordnet. Der BFAS bietet im Rahmen dieser Erhebung eine gute Balance der Konstruktdifferenzierung und ökonomischer Berücksichtigungen, da die Bearbeitung von längeren Itemlisten ggf. zu einer weniger höherer Compliance führen könnte. Darüber hinaus gibt es bislang kein Messinstrument, das sowohl die Ebene der Aspekte als auch die Ebene der Facetten der Persönlichkeit messen kann, weil noch keine Forschungsarbeiten zur Zuordnung der Facetten zu den Aspekten vorliegen. Hinzu kommt, dass der BFAS eine eindeutige Lösung für das Problem der

5.3 Erhebungsinstrumente

157

Überschneidung der Offenheit für Erfahrung und des Intellekts durch die Differenzierung der zwei Aspekte ermöglicht. Die Teilnehmer*innenprokrastination wurde anhand des Lays Procrastination Scale (LPS) gemessen. Dieses Messinstrument umfasst insgesamt 20 Items zu unterschiedlichen Verhaltensweisen und Einstellungen, welche die Prokrastination eines Menschen charakterisieren. Lay konzipiert den LPS bevor Chu/Choi (2005) zwischen passiver und aktiver Prokrastination differenzieren. Der LPS kann eindeutig der von Chu/Choi (2005) als passiv bezeichneten Form der Prokrastination zugeordnet werden (s. Kap. 4.3). Der LPS existiert in zwei Varianten. Für diese Studie wurde die Variante für Studierende gewählt, weil die Teilnehmer*innen eines MOOC innerhalb des Kurses die studentische Rolle als Lernende eines akademischen Kurses übernahmen, unabhängig davon, ob sie tatsächlich an einer Universität studierten. Der Fragebogen für Studierende unterscheidet sich von dem allgemeinen Fragebogen in vier der insgesamt 20 Items. Davon gesondert wurde in einem von Iversity veröffentlichten Fragebogen die Motivation mit neun Items abgefragt. Das Geschlecht, Alter, Bildungshintergrund und ähnliche Angaben wurden nachträglich, sofern möglich, über die Datenbank von Iversity rekonstruiert, da solche Angaben nicht verpflichtend gemacht werden mussten. Darüber hinaus wurden von Iversity die Performance-Daten der MOOC-Teilnehmer*innen gewonnen. Dies umfasste Informationen zu dem Kursfortschritt, den geposteten Antworten, Fragen und Kommentaren, der Partizipation in Foren, Abstimmungen und der Anzahl an geklickten Videos. Diese Daten wurden nur von Teilnehmer*innen exportiert, die zuvor den Fragebogen zur Persönlichkeits- und Prokrastinationsskala vollständig beantwortet haben. Die Teilnehmer*innen konnten im finalen Datensatz im Nachhinein nicht mehr den einzelnen MOOCs zugeordnet werden, sodass keine MOOCspezifische Auswertung möglich ist.

158

5 Methodisches Vorgehen und Forschungsdesign

5.4 Reliabilitätsanalysen Die Reliabilität der Skalen wurde über die interne Konsistenz bestimmt. Um die interne Konsistenz zu bestimmen, wurde Cronbachs Alpha für jede Skala getrennt errechnet, da es sich bei der Persönlichkeit um ein multidimensionales Konstrukt handelt und das Cronbachs Alpha unidimensional misst. Das Cronbachs Alpha errechnet über die Korrelationen der Antworten von Fragebogenteilnehmer*innen, wie gut eine Variablengruppe ein latentes Konstrukt misst, hier die Dimensionen und Aspekte der Persönlichkeit und die Prokrastination. Die Höhe des AlphaKoeffizienten ist auch abhängig von der Anzahl an Items der zugrunde liegenden Skala und wird umso größer, je höher die Itemanzahl und die positive Korrelation unter den Items der Skala sind674. Die Skalen der Dimensionen bestehen aus jeweils 20 Items, die der Aspekte daher aus jeweils 10 Items. Da es einige invertierte Variablen in jeder Dimension und jedem Aspekt gibt, ist der Effekt durch die positiven Korrelationen als gering anzunehmen. Schwierigkeiten bei der korrekten Interpretation des Cronbachs Alpha entstehen vor allem durch eine zu geringe Probandenzahl oder durch Ausreißerwerte. Da N=1307 eine hinreichend große Probandenanzahl darstellt und durch die standardisierte Antwortskala auch keine Ausreißerwerte entstehen können, ist davon auszugehen, dass die Reliabilitätsanalyse durch die Feststellung der internen Konsistenz sinnvoll ist675. Cronbachs Werte ab .70 gelten als akzeptabel, ab .80 als hoch und ab .90 als exzellent676. Darüber hinaus wurden die Trennschärfen aller Variablen berechnet. Die Trennschärfe ist die Korrelation einer Variable mit dem Summenwert aller übrigen Variablen in derselben Skala und gibt an, wie gut eine Variable das mit der Skala gemessene Konstrukt misst677. Negativ gepolte

674

Vgl. Bühner 2011, S. 167 Vgl. Bühner 2011, S. 168 676 Vgl. Blanz 2015, S. 256 677 Vgl. Bühner 2011, S. 171 675

5.4 Reliabilitätsanalysen

159

Variablen (invertierte Variablen) wurden vor der Analyse umgepolt. Trennschärfe-Werte bis .30 gelten als niedrig, Werte zwischen .30 - .50 als mittelmäßig und Werte über .50 als hoch678. In der Tabelle T5-1 werden zusätzlich die Skalenmittelwerte der Item-Mittelwerte angeführt, welche ein Indikator für die Itemschwierigkeit der Skalen ist. Da alle Items auf einer fünfstufigen Likertskala konstruiert sind, liegt der exakte Mittewert bei 3. Fünfstufige Skalen mit Skalenmittelwerten über .4 gelten als zu leicht, weil die Teilnehmer*innen nicht genügend differenziert werden können, da es ihnen zu leichtfiel, eine starke Zustimmung zu äußern, obwohl bei Persönlichkeitsdimensionen eine Normalverteilung angenommen wird und daher die empirische Verteilung zu sehr von der theoretischen Verteilung abweicht. Umgekehrt gelten Skalenmittelwerte unter .2 als zu schwer. Diese Abweichungen in den Skalenmittelwerten sind jedoch nicht zwingend ein Hinweis auf Probleme in der Itemkonstruktion, sondern können auch inhaltlich bedingt entstehen, z.B. wenn die Stichprobe gewisse Merkmale hat, welche sie von anderen Populationen unterscheiden könnte, sie also bezogen auf ihre Persönlichkeitsmuster homogener sind. Da MOOCs gegebenenfalls für bestimmte Personengruppen relevanter sind als für andere, könnten also mögliche Mittelwertunterschiede auch auf die Zusammensetzung der Stichprobe zurückgeführt werden. Für die Items zur Motivation der Teilnehmer*innen wurde keine Reliabilitätsanalyse durchgeführt, weil es sich bei den Items nicht um Items einer bestehenden Skala handelte.

5.4.1 Persönlichkeit Die Persönlichkeit wurde anhand des Big Five Aspect Scale (BFAS) gemessen. Dieses Messinstrument umfasst 100 Items und misst die Big Five sowie jeweils zwei Aspekte der fünf Dimensionen. Tabelle T5-1

678

Vgl. Fisseni 1997, S. 124

160

5 Methodisches Vorgehen und Forschungsdesign

zeigt die Kennwerte zur Beurteilung der Skalen sowie den Chronbach’s Alpha-Wert des Reliabilitätstests. Tabelle T5-1: Reliabilitätsanalysen der BFAS-Skalen. Trennschärfe α Items (korrigiert) Verträglichkeit 3,71 0,41 .290 .719 20 Mitgefühl 3,83 0,50 .371 .709 10 Höflichkeit 3,60 0,51 .250 .563 10 Conscientiousness 3,51 0,54 .404 .827 20 Fleiß 3,53 0,67 .486 .809 10 Ordentlichkeit 3,48 0,57 .354 .689 10 Extraversion 3,51 0,53 .414 .836 20 Enthusiasmus 3,47 0,61 .395 .734 10 Durchsetzungsfähigkeit 3,54 0,61 .460 .788 10 Neurotizismus 2,70 0,58 .442 .858 20 Unbeständigkeit 2,67 0,68 .477 .804 10 Zurückgezogenheit 2,74 0,62 .408 .747 10 Offenheit/Intellekt 3,76 0,41 .320 .751 20 Offenheit 3,75 0,55 .272 .587 10 Intellekt 3,78 0,46 .434 .772 10 Anmerkungen: BFAS = Big Five Aspect Scale; M = arithmetisches Mittel (5-stufige Likertskala mit 5 = volle Zustimmung); SD = Standardabweichung; α = interne Reliabilität nach Chronbach’s Alpha (N = 1304).

Skala

M

SD

Die Reliabilitätsanalyse zeigt, dass die Reliabilitäten der meisten Skalen akzeptabel bis hoch sind, mit Ausnahme der Skala Höflichkeit (α = .563) und Offenheit (α = .587) sowie der Skala Ordentlichkeit, welche jedoch mit α = .689 ein nahezu akzeptables Alpha aufweist. Der BFAS gilt im Allgemeinen jedoch als ein reliables und valides Messinstrument, weshalb die drei oben genannten Ausnahmen nicht auf eine mangelnde Güte des Erhebungsinstruments schließen lassen.

5.4 Reliabilitätsanalysen

161

DeYoung/Quilty/Peterson (2007) finden für verschiedene Stichproben für alle Skalen der BFAS akzeptable bis gute Alphawerte679. Die gemittelten Trennschärfen der Skalenitems sind in allen Skalen mittelmäßig oder in wenigen Ausnahmen (Verträglichkeit, Höflichkeit, Offenheit) niedrig bis tendenziell mittelmäßig. An den Skalenmittelwerten ist zu erkennen, dass mit Ausnahme der Skala Neurotizismus und dessen Aspekten alle anderen Skalen Mittelwerte zwischen 3,47 und 3,83 aufweisen. Zum Vergleich sind in Anhang A.5-1 die Teststatistiken von DeYoung/Quilty/Peterson (2007) abgebildet, darunter auch die Mittelwerte und Standardabweichungen aller Skalen. Dabei fällt auf, dass die Mittelwerte der vorliegenden Stichprobe ähnlich zu den Auswertungen von DeYoung/Quilty/Peterson (2007) sind, während die Standardabweichungen tendenziell etwas niedriger sind. Das Ergebnis weist darauf hin, dass die vorliegende Stichprobe insgesamt etwas homogener ist als dies zu erwarten wäre. Insgesamt kann sowohl theoriegeleitet als auch auf Grundlage der vorliegenden Reliabilitätsanalysen davon ausgegangen werden, dass das Messinstrument zur Erhebung der Persönlichkeitsmerkmale reliabel ist und über eine genügend hohe interne Konsistenz verfügt, sodass die gewonnenen Daten für die weiteren Analysen verwendet werden können.

5.4.2 Prokrastination Die Teilnehmer*innenprokrastination wurde anhand des Lays Procrastination Scale (LPS) gemessen. Dieses Messinstrument umfasst 20 Items und misst den Prokrastinationswert unidimensional. Die Reliabilität der Skala wurde über die interne Konsistenz bestimmt. Um die interne Konsistenz zu bestimmen, wurde das Cronbach‘s Alpha für die Skala berechnet. Negativ gepolte Variablen (invertierte Variablen) wurden vor der Analyse umgepolt. 679

DeYoung/Quilty/Peterson 2007, S. 889

162

5 Methodisches Vorgehen und Forschungsdesign

Tabelle T5-2: Reliabilitätsanalyse der LPS-Skala. Trennschärfe α Items (korrigiert) Prokrastination 2,66 0,60 .439 .852 20 Anmerkung: LPS = Lays Procrastination Scale; M = arithmetisches Mittel (5-stufige Likertskala mit 5 = volle Zustimmung); SD = Standardabweichung; α = interne Reliabilität nach Chronbach’s Alpha (N = 1130).

Skala

M

SD

Die Reliabilität der Skala ist mit .852 hoch reliabel, sodass die Skala gut für die weiteren Analysen geeignet ist. Auch die durchschnittliche Trennschärfe ist im mittleren Bereich, und der Mittelwert ist, wie zu erwarten, in der Nähe der Mitte des Antwortspektrums. Die Standardabweichung ist mit 0,6 bei einer fünfstufigen Skala verhältnismäßig gering, was auf eine relativ homogene Stichprobe hinsichtlich der Prokrastination verweist. Insgesamt darf auch bezüglich des Messinstruments zur Erhebung der Prokrastination davon ausgegangen werden, dass es reliabel ist und über eine genügend hohe interne Konsistenz verfügt, sodass die gewonnenen Daten für die weiteren Analysen verwendet werden können.

6 Untersuchungsergebnisse 6.1 Deskriptivstatistische Auswertung An der Studie haben insgesamt N = 1307 Menschen teilgenommen. Diese Zahl kommt zustande, weil für die vorliegende Arbeit nur diejenigen Teilnehmer*innen einbezogen wurden, die den Fragebogen zur Erhebung der Persönlichkeitseigenschaften vollständig ausgefüllt haben. Angaben zur Stichprobengröße, soziodemographischen Daten sowie zur Kursteilnahme und Kursfortschritt werden zunächst dargestellt und erläutert. Anschließend wird die Stichprobe hinsichtlich der Performance der MOOC-Teilnehmer*innen analysiert. Auf Grund der mehrstufigen Datenerhebung durch Iversity, die im Anschluss an die Erhebung die zusammengestellten Daten für diese Arbeit zur Verfügung stellten, sind die soziodemographischen Daten nicht für alle Personen der Stichprobe bekannt, weil die Angabe dieser freiwillig war. Die Daten, die von Iversity zur Verfügung gestellt wurden, lassen außerdem nicht zu, dass die einzelnen Teilnehmer*innen den vier untersuchten MOOCs zugeordnet werden können. Sichergestellt werden konnte jedoch auf Grund einer eindeutig zuordbaren ID, dass die Performance-Daten auf den Servern der einzelnen Individuen korrekt den ausgefüllten Fragebögen zugeordnet werden konnten, sodass die Integration aller Daten in einen Datensatz für die Auswertung in SPSS gelungen ist. In den folgenden Abschnitten werden die wichtigsten Informationen zu der Stichprobe präsentiert und diskutiert. In der Datenerhebung wurden jedoch weitere Informationen abgefragt. Sie sind im Anhang dieser Arbeit dokumentiert, weil sie ggf. die Stichprobe noch differenzierter beschreiben, auch wenn sie nicht für die Analyse dieser Arbeit relevant waren.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. T. Toth, Massive Open Online Courses im Kontext von Persönlichkeit und Prokrastination, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26296-9_6

164

6 Untersuchungsergebnisse

6.1.1 Soziodemographische Daten und Kursfortschritt Soziodemographische Daten Zum Geschlecht haben 440 (33,7%) Teilnehmer*innen eine gültige Angabe gemacht, davon sind 193 weiblich (43,9%), 247 männlich (56,1%). 867 Teilnehmer*innen gaben kein Geschlecht an. 219 Teilnehmer*innen haben ihr Alter angegeben, davon sind genau 201 gültige Angaben und 18 mit der ungültigen Angabe von ‚0 Jahren‘. Der häufigste Wert ist 26 Jahre, durchschnittlich sind die Teilnehmer*innen 34,17 (SD = 11,3) Jahre alt gewesen. Die*der jüngste Teilnehmer*in war 16 Jahre alt und als einzige*r jünger als 18 Jahre, die*der älteste Teilnehmer*in war 76 Jahre alt. 75% der Teilnehmer*innen sind maximal 40 Jahre alt. Die Stichprobe setzt sich also vor allem aus (jungen) Erwachsenen zusammen. Alter der Teilnehmer*innen (N=201)

Teilnehmer*innen

60 48

50 40

35 29

30

18

20 10

30 18 6

5

3

4

4 0

1

0

Alter in Jahren Diagramm D6-1: Säulendiagramm zur Altersverteilung. Anmerkung: Das Alter wurde zur besseren Darstellung gruppiert.

6.1 Deskriptivstatistische Auswertung

165

Die Herkunftsländer wurden von allen 1307 Personen angegeben. 138 (10,6%) und damit die meisten Teilnehmer*innen kamen aus Pakistan, gefolgt von 82 (6,3%) aus Indien, 70 (5,4%) aus den Philippinen, 67 (5,4%) Rumänien, das damit vor Deutschland mit 65 (5,1%) Teilnehmer*innen das häufigste europäische Herkunftsland ist. Es folgt als erstes afrikanisches Land Nigeria mit 52 (4,0%). Aus den USA stammten 34 (2,6%), aus Großbritannien 19 (1,5%) Teilnehmer*innen. Insgesamt setzt sich die Stichprobe aus Teilnehmer*innen aus 130 verschiedenen Herkunftsländern zusammen, weshalb die Stichprobe hinsichtlich ihres kulturellen Hintergrundes sehr heterogen ist. Herkunftsland (N=1307) Pakistan 11% Indien 6%

138 82

Philippinen 5%

70

Andere 55%

67

717

Rumänien 5% Deutschland 5%

65 52

Nigeria 4%

49 34 33 Südafrika 2%

USA 3%

Kenia 4%

Diagramm D6-2: Kreisdiagramm zur Verteilung der Herkunftsländer. Anmerkung: Die Angaben im Kreisdiagramm sind absolute Zahlen. Insgesamt wurden 130 verschiedene Herkunftsländer angegeben.

166

6 Untersuchungsergebnisse

Bemerkenswert ist, dass mit Indien und Pakistan zwei benachbarte Länder aus dem zentralasiatischen Raum zusammen 17% der Teilnehmer*innen ausmachen. Ebenfalls erwähnenswert ist die mit 3% verhältnismäßig geringe Zahl an Teilnehmer*innen aus den USA, dem Urspungsland von MOOCs. Eine mögliche Erklärung dafür könnte sein, dass gerade in den USA mit den bekannteren MOOC-Providern vertrautere Alternativen existieren. 178 (13,6%) Personen gaben Auskunft zu ihrem höchsten Bildungsabschluss. Es wird deutlich, dass von diesen Personen die meisten bereits einen Bachelor-, Master-, PhD- Abschluss oder vergleichbaren akademischen Abschluss (Associate degree) haben (kumulierte 72,5%), rund ein Viertel der Teilnehmer*innen (27,5%) haben keinen akademischen Abschluss. Höchster Bildungsabschluss (N=178) 56

Teilnehmer*innen

60

51

50 40 30 20

21 9

19

14 8

10 0 Some High School

High School Diploma

Some Bachelor's Master's Associate College Degree Degree Degree

PhD

Diagramm D6-3: Balkendiagramm zur Verteilung der Angabe zum Höchsten Bildungsabschluss. Anmerkung: Associate Degree ist ein nach etwa zweijährigem Studium an einem Community College oder Universität erworbener Abschluss.

Die meisten Teilnehmer*innen dieser Studie sind daher Akademiker*innen und verfügen über Vorerfahrung im Umgang mit akademischen Lerninhalten und ggf. auch mit digitalen Lernumgebungen. Aller-

6.1 Deskriptivstatistische Auswertung

167

dings sagt dies nichts darüber aus, ob die Teilnehmer*innen auch Erfahrung mit reinem Online-Learning gemacht haben. Diese Verteilung ist insofern interessant, als eine verhältnismäßig kleine Gruppe von nicht-Akademiker*innen in einer ihnen potentiell unbekannten Lernumgebung mit unvertrauten Lernerwartungen konfrontiert werden und dabei umgeben sind von Akademiker*innen, die sich wahrscheinlich wesentlich routinierter mit den Lerninhalten auseinandersetzen können. Da die Forenaktivität recht gering war (s. Kap. 6.1.2) ist davon auszugehen, dass sich die verschiedenen Gruppen zumindest mit den von den MOOCs bereit gestellten Mitteln weder vernetzt haben noch gegenseitig halfen. Auszuschließen ist allerdings nicht, dass, wie in anderen Studien beobachtet, sich die Teilnehmer*innen in anderen sozialen Netzwerken vernetzt haben (s. Kap. 3.2.4).

Studierendenstatus (N=159) Teilnehmer*innen

120 100

96

80 60

40

40

23

20 0 Nicht Studierender

Vollzeitstudium

Teilzeitstudium

Diagramm D6-4: Balkendiagramm zur Verteilung der Angabe zum Studierendenstatus.

159 (12,1%) Personen gaben an, ob sie zum Zeitpunkt der MOOCTeilnahme an einer Hochschule immatrikuliert waren. Davon sind 96 (60,4%) keine Studierenden und 63 (39,6%) gegenwärtig in einen universitären Studiengang eingeschrieben (25,1% Vollzeit- und 14,5% Teilzeitstudierende). Angesichts des durchschnittlichen Alters und des zumeist

168

6 Untersuchungsergebnisse

vorhandenen akademischen Abschlusses ist davon auszugehen, dass viele der Teilnehmer*innen berufstätig sind. Eine Angabe zum Berufsstatus machten 175 (13,4%) Personen. Davon sind mit 126 Teilnehmer*innen die meisten berufstätig (kumulierte 71,9%), 49 (kumulierte 22,9%) arbeitslos und 9 (5,1%) verrentet.

Teilnehmer*innen

Berufsstatus (N=175) 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

94

32

29 20 9

Vollzeit

Teilzeit

Arbeitslos Arbeitslos und Verrentet -suchend

Diagramm D6-5: Balkendiagramm zur Verteilung der Angabe zum Berufsstatus. Anmerkung: In der Datenerhebung wurde der Berufsstatus differenzierter abgefragt (z.B. zwischen Selbstständigkeit und Angestelltenverhältnis unterschieden). Die vollständige Tabelle kann Anhang A.6-1 entnommen werden.

Die meisten Teilnehmer*innen dieser Studie verfügen daher nicht nur über Erfahrung in der akademischen Arbeit, sondern auch über berufliche Erfahrung. 94 (53,7%) Teilnehmer*innen sind vollzeitbeschäftigt (selbstständig oder angestellt) und 32 (18,2%) teilzeitbeschäftigt (selbstständig oder angestellt). Dass die meisten Teilnehmer*innen berufstätig sind, zeigt, dass MOOCs eine interessante Option für non-formales Lernen im Sinne des Lebenslangen Lernens darstellt. Auch dass die meisten Teilnehmer*innen in einem Vollzeitbeschäftigungsverhältnis sind, verweist

6.1 Deskriptivstatistische Auswertung

169

darauf, dass die Möglichkeit, in eigenem Tempo zu selbstgewählten Zeitpunkten zu lernen, genutzt wird. Kursfortschritt Nicht zu bestimmen ist, ob zum Zeitpunkt der Analyse Teilnehmer*innen gleichzeitig in MOOCS von anderen MOOC-Providern eingeschrieben waren. Dies ist zumindest auf Grund des Arbeitsumfanges, und der Tatsache, dass die meisten Teilnehmer*innen in irgendeiner Form arbeitstätig sind, jedoch eher unwahrscheinlich, aber nicht vollkommen auszuschließen. Möglich wäre dies jedoch auch auf Grund der Beobachtung von Hill (2013a), der MOOC Teilnehmer*innen kategorisiert und mehrheitlich No-Shows und Observer findet, also Studierende, die entweder überhaupt nicht oder höchstens wenige Male in den Kurs kommen und sich vereinzelt Inhalte ansehen (s. Kap. 3.2.4). Der Befund von Hill (2013a) deckt sich mit den Befunden der vier in dieser Arbeit untersuchten Kurse. Auf Grundlage des Datenmaterials, das von Iversity zur Verfügung gestellt wurde, konnte nicht rekonstruiert werden, wie die Verteilung innerhalb der Kurse ist, sondern lediglich die Verteilung in der Summe aller Teilnehmer*innen. Da sich jedoch die Gesamtverteilung dieser Messung nicht wesentlich von vergangenen Messungen und auch den Ergebnissen von Hill (2013a) unterscheidet, ist davon auszugehen, dass die Gesamtverteilung hier die Einzelverteilungen der MOOCs gut repräsentiert (s. Kap. 3.2.4). 397 (30,4%) der Teilnehmer*innen aller vier MOOCs sind mit 0% Gesamtfortschritt nicht über die einmalige Registrierung des Kurses hinausgekommen (No-Shows). Ähnlich, wie schon in den Analysen von Hill (2013a) sind mit 180 Teilnehmer*innen (13,8%) die zweitgrößte Gruppe diejenigen, die den Kurs zu 100% bearbeitet und daher erfolgreich beendet haben (Completionist). Es scheint, als sei das von Hill (2013a) berichtete Verhältnis der verschiedenen Nutzer*innentypen typisch für xMOOCs. Ca. 50% der Teilnehmer*innen sind spätestens nach 12% des Gesamtfortschritts abgesprungen. Die Dropout-Rate beträgt in dieser Stichprobe insgesamt

170

6 Untersuchungsergebnisse

55,8%, inklusive No-Shows sogar 86,2% und ist damit vergleichbar mit den Analysen anderer Studien (s. Kap. 3.2.4).

6.1.2 Teilnehmer*innenperformance Durch die Performance-Daten ist es möglich, das Verhalten der MOOCTeilnehmer*innen einzuschätzen. MOOCs ermöglichen verschiedene Formen der Interaktion mit dem Kurs, den Inhalten und den Beteiligten (Betreuer*innen und anderen Teilnehmer*innen). Im Rahmen dieser Arbeit wurde die Frage- und Antworthäufigkeit sowie die Forenaktivität durch Posts ermittelt. Da diese Tätigkeiten aktive Handlungen sind und ähnlich zu anderen Studien 30,4% der Teilnehmer*innen No-Shows waren, ist eine eher geringe Beteiligung in den Kursen nicht unüblich. Von 1307 Teilnehmer*innen machten lediglich 114 (8,7%) davon Gebrauch, wobei 71 (5,4%) nur einmal eine Frage gepostet haben. Zählt man fünf oder mehr gepostete Fragen als ‚häufiges Fragestellen‘, fallen darunter lediglich 11 Teilnehmer*innen (0,9%).

Diagramm D6-6: Teilnehmer*inneninteraktion: gepostete Fragen, Antworten, Kommentare und Forumsaktivität. Anmerkung: Aus Darstellungsgründen wurden mehr als 20 Beiträge gruppiert, wodurch sich der Anstieg in der Anzahl der Teilnehmer*innen erklärt.

6.1 Deskriptivstatistische Auswertung 171

172

6 Untersuchungsergebnisse

Die Teilnehmer*innen waren in der absoluten Zahl der Posts mehr als doppelt so häufig aktiv beim Beantworten von Fragen. Insgesamt 281 Teilnehmer*innen posteten 1337 Antworten, wobei 134 (10,3%) Teilnehmer*innen lediglich eine Antwort posteten und mit 213 Teilnehmer*innen (75,8%) mit vier oder weniger Antworten nur selten Fragen beantworten. ‚Häufiges‘ Beantworten von Fragen mit 5 oder mehr Antworten kommt mit 68 (24,2%) Teilnehmer*innen in knapp einem Viertel der Fälle vor (s. A.6-4). Dass mehr Teilnehmer*innen Antworten geben als Fragen zu stellen, ist allerdings nicht ungewöhnlich, da in Foren in der Regel eine Frage nicht nur eine Antwort erhält und auch durch Fragen initiierte Diskussionen als Antworten gezählt wurden. Durch die Kommentarfunktion können Teilnehmer*innen Anmerkungen zu bereitgestellten Inhalten machen. Diese können sowohl Informationen, Fragen oder Verweise beinhalten. Von der Kommentarfunktion machten insgesamt 160 (12,2%) Teilnehmer*innen Gebrauch (s. A.6-5). 88 (6,7%) Teilnehmer*innen posteten lediglich einen Kommentar. Weniger als 5 gepostete Kommentare wurden von 114 (8,7%) Teilnehmer*innen gemacht. 46 (5,5%) Teilnehmer*innen posteten häufig (5 oder mehr) Kommentare. Insgesamt lässt sich an diesen drei Aspekten (Fragenstellen, Antworten, Kommentieren) zeigen, dass Interaktionen in diesen vier MOOCs selten sind. Lediglich 62 Teilnehmer*innen von den ursprünglich 1307 Teilnehmer*innen dieser Stichprobe haben jeweils mindestens eine Frage, eine Antwort und einen Kommentar gepostet. Von diesen 62 Teilnehmer*innen haben alle mindestens 10% des Kurses bearbeitet, 54 (87,1%) sogar mindestens 53% des Kurses und 36 (58,1%) sogar 100% des Kurses (s. A.6-6). Diese 36 Teilnehmer*innen sind ein Fünftel (19,99%) der insgesamt 180 Teilnehmer*innen, die den Kurs beendeten. Dies deutet stark darauf hin, dass diejenigen Teilnehmer*innen, die vielfältig interagieren, mit hoher Wahrscheinlichkeit den Kurs beenden, selbst wenn sie nicht unbedingt häufig interagieren.

6.1 Deskriptivstatistische Auswertung

173

Lockert man das Kriterium etwas und zählt nur noch diejenigen Teilnehmer*innen, welche mindestens eine Frage und eine Antwort gepostet haben (ohne Kommentarzählung), haben von den 88 Teilnehmer*innen mit dieser Performance alle mindestens 10%, 72 (79,5%) mindestens 53% des Kurses und 47 (53,4%) 100% des Kurses beendet (s. A.6-7). Diese 47 Teilnehmer*innen sind etwa ein Viertel (26,11%) der insgesamt 180 Teilnehmer*innen, die den Kurs komplett beendeten. In nächsten Analyseschritt wurde das Kriterium weiter geöffnet und mindestens eine Frage oder mindestens eine Antwort oder mindestens ein Kommentar gezählt. Nimmt man also die minimalste Vielfalt an Interaktionsmöglichkeiten durch Posts an, ist das Ergebnis wiederum schwächer, wenngleich immer noch aussagekräftig. 56 (49,1%) der Teilnehmer*innen, die mindestens eine Frage stellten, 115 (40,9%) derjenigen, die mindestens eine Antwort gaben und 68 (42,5%) derjenigen, die mindestens einen Kommentar erstellten, haben den Kurs beendet. Im Vergleich zu den 180 Teilnehmer*innen, die den Kurs beendeten, bedeutet dies: Von diesen 180 Teilnehmer*innen haben 56 (31,1%) mindestens eine Frage, 115 (63,8%) mindestens eine Antwort und 68 (37,3%) mindestens einen Kommentar gepostet. Es zeigt sich, dass die Interaktion durch Posts, insbesondere das Antwortverhalten, ein guter Indikator für das Voranschreiten und ein relativ guter Indikator für das Beenden des Kurses ist. Je vielfältiger die Posts, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass der Kurs beendet wird. Weitere Formen der Partizipation sind Beiträge im Forum der jeweiligen MOOCs. Im Forum können neue Threads eröffnet bzw. in bestehenden Threads durch gepostete Beiträge diskutiert werden. Die Themen sind dabei von den Threaderöffnenden festgelegt und beim allgemeinen Umgang gelten die inoffiziellen Regeln der ‚Nettikette‘, wie sie in allen Internetforen gängig sind. Da die Threads themenunabhängig sind, können sich über die Foren alle Teilnehmer*innen vernetzen, kennenlernen, Informationen austauschen oder Lern- und Arbeitsgruppen bilden. Solche Foren sind auch in Fern-Studiengängen gängig, wie sie z.B. die FernUni-

174

6 Untersuchungsergebnisse

versität Hagen anbietet. Für MOOCs bilden Foren also vor allem die Möglichkeit zum themenunabhängigen Informationsaustausch und zur Vernetzung der Teilnehmer*innen. Die aktive Partizipation im Forum wurde über die geposteten Beiträge bzw. Threads gemessen. 910 (69,6%) der Teilnehmer*innen nahmen nicht aktiv im Forum teil, 397 (30,4%) Teilnehmer*innen verfassten mindestens einen Forenbeitrag und partizipierten damit aktiv (s. A.6-8). Lediglich 173 (13,2%) verfassten fünf oder mehr Beiträge, wobei von diesen 173 häufig partizipierenden Teilnehmer*innen 97 maximal 10 Beiträge verfassten. Daher ist anzunehmen, dass das Forum von einem relativ kleinen Kreis der Kursteilnehmer*innen genutzt wurde, von diesen jedoch relativ intensiv. Die passive Partizipation ist das Lesen und die Kenntnisnahme der Foreninhalte, ohne selbst Inhalte beizusteuern. Diese konnte nicht gemessen werden. Ähnlich aufschlussreich, wie die Analyse der Frage-, Antwort- und Kommentarposts, ist die Analyse derjenigen, die durch mindestens einen Beitrag aktiv im Forum partizipiert haben. Von den 397 aktiven Forenteilnehmer*innen haben 137 (34,5%) den MOOC beendet. Immerhin 236 (59,7%) der aktiven Teilnehmer*innen beendeten mindestens 50% des Kurses. Die relative Häufigkeit des Kursbeendens von Teilnehmer*innen, die in Foren aktiv waren, ist geringer als von Teilnehmer*innen, die Antworten, Fragen oder Kommentare gepostet haben. Dennoch haben von den insgesamt 180 Teilnehmer*innen, die den MOOC beendeten, 137 (76,1%) mindestens einmal aktiv im Forum partizipiert. Insofern beenden längst nicht alle Teilnehmer*innen, die sich im Forum beteiligten, den Kurs, umgekehrt haben die meisten der Teilnehmer*innen, die den Kurs beendeten, auch im Forum partizipiert. Tabelle T6-1 zeigt, dass der Kursfortschritt lediglich mit der Forumsaktivität signifikant und mit geringer Stärke positiv zusammenhängt. Die Forumsaktivität hängt darüber hinaus signifikant mit der Anzahl der geposteten Antworten und Kommentaren, jedoch nicht signifikant mit den geposteten Fragen zusammen.

6.1 Deskriptivstatistische Auswertung

175

Tabelle T6-1: Korrelationen des Kursfortschritts mit Interaktionsvariablen. (2) (3) (4) (5) (6) -.042 .103 .079 -.005 (1) Kursfortschritt .187** -.079 -.010 .170 .011 (2) Fragen gepostet -.011 .006 (3) Antworten gepostet .290** -.024 (4) Kommentare gepostet .228** .077* (5) Forumsbeiträge gepostet (6) Video-clicks Anmerkung: * = p < .05; ** = p < .001; signifikante Ergebnisse sind fett markiert.

Lerninhalte werden, wie in xMOOCs üblich, auf unterschiedliche Weisen vermittelt. Die Grundlage der Inhaltsvermittlung stellen jedoch Videos dar. Der Governance and Policy advice-MOOC bestand beispielsweise fast ausschließlich aus Videos. In ausgewählten Einheiten werden weitere Zusatzmaterialien, wie z.B. Links, Literatur oder Literaturempfehlungen angefügt. Es besteht auch die Möglichkeit, statt den Videos nur die darin verwendeten Powerpoint-Folien herunterzuladen. Ohne die Videos wäre aber der gesamte Inhalt, der mündlich vermittelt wird, nicht zugänglich. Deswegen sind Videos die zentrale Form der Wissensvermittlung. Anders als in Vorlesungen sind die Videos vieler MOOCs deutlich kürzer und stattdessen in mehrere Einheiten unterteilt. Die hier untersuchten MOOCs haben im Schnitt jeweils etwa 50 Videos. 360 (27,54%) der 1307 untersuchten Teilnehmer*innen haben kein einziges Mal ein Video angeklickt (s. A.6-9) und konnten daher nicht am Kurs partizipieren. Dennoch ist die Bedeutung der Anzahl an Videoklicks schwer zu analysieren, weil zahlreiche Teilnehmer*innen Videos mehrere hundert Mal angeklickt haben. Ein statistischer Zusammenhang zwischen der Anzahl an Videoklicks und dem Kursfortschritt konnte nicht gefunden werden.

6.1.3 Teilnehmer*innenmotivation Die Teilnehmer*innenmotivation verrät etwas über die Beweggründe, warum die MOOC-Teilnehmer*innen an einem MOOC teilnehmen. Aus

176

6 Untersuchungsergebnisse

der Teilnahmemotivation können unterschiedliche Ziele bestimmt werden, darunter die Befriedigung persönlicher Neugierde oder die Hoffnung auf bessere berufliche Qualifikationen und erhöhte Jobchancen. In Anlehnung an Xiong et al. (2015) wurden die Beweggründe der intrinsischen, extrinsischen und sozialen Dimension der Motivation zugeordnet680. Die Skalierung der Items war für alle motivationsbezogenen Items identisch. Die Antwortskala lautete: (1) not at all important, (2) moderately important, (3) important, (4) very important, (5) extremely important.

Teilnehmer*innen

Allgemeines Interesse am Kursinhalt 400 350 300 250 200 150 100 50 0 not at all important

moderately important

Inkl. No-Shows (N=1103)

important

very important

extremely important

Exkl. No-Shows (N=794)

Diagramm D6-7: Motivation am Kurs teilzunehmen wegen eines allgemeinen Interesses am Kursinhalt. Anmerkung: No-Shows wurden wie folgt operationalisiert: Variable max_Progress (Gesamtfortschritt) = 0%.

Die meisten Teilnehmer*innen gaben an, dass sie den Kurs aus einem allgemeinen Interesse, Neugierde oder Spaß am Kursinhalt wählten. Nur 42 (3,8%) von 1103 Teilnehmer*innen lehnten diese Aussage voll und

680

Vgl. Xiong et al. 2015, S. 26f.

6.1 Deskriptivstatistische Auswertung

177

ganz ab, weitere 87 (7,9%) bewerteten diese Aspekte als mäßig wichtig. Kumulierte 974 (88,3%) gaben an, dass das persönliche Interesse wichtig bis extrem wichtig war. Die meisten Kursteilnehmer*innen haben ein hohes allgemeines Interesse am Kursthema, weshalb davon auszugehen ist, dass die Kursteilnehmer*innen primär intrinsisch motiviert sind. 60 (22,6%) derjenigen Teilnehmer*innen, die bei dieser Variable ‚extrem wichtig‘ angaben (exkl. No-Shows, N = 265) beendeten den Kurs. Im Vergleich dazu beendeten nur 4 (14,3%) Teilnehmer*innen den Kurs, die bei dieser Variable ‚überhaupt nicht wichtig‘ (exkl. No-Shows, N = 28) angaben, wobei der prozentuale Unterschied deutlich geringer ist als der Unterschied in absoluten Zahlen. Produzierende Institution

Teilnehmer*innen

300 250 200 150 100 50 0 not at all important

moderately important

Inkl. No-Shows (N=1102)

important

very important

extremely important

Exkl. No-Shows (N=794)

Diagramm D6-8: Motivation am Kurs teilzunehmen wegen der produzierenden Institution. Anmerkung: No-Shows wurden wie folgt operationalisiert: Variable max_Progress (Gesamtfortschritt) = 0%.

Die Teilnehmer*innen wurden auch nach der Wichtigkeit der kursproduzierenden Institution, also der Universität, befragt. Es zeigt sich, dass

178

6 Untersuchungsergebnisse

diese lediglich für kumulierte 573 (52,0%) wichtig bis sehr wichtig war. Die Angabe, dass die Institution ein bedeutsamer Antrieb für die Wahl des MOOCs ist, deutet auf eine eher extrinsische Motivation hin. Die Institution spielt vor allem dann eine Rolle in der Entscheidungsfindung, wenn sich Teilnehmer*innen einen höheren Mehrwert versprechen, z.B. wegen der Anerkennung oder für die Verwertbarkeit bei Bewerbungen, um non-formale Bildung zertifiziert zu bekommen. Verbunden mit der Wahl der Universität sind vermutlich auch Überlegungen zum Prestige und der Verwertbarkeit der gelernten Inhalte, die über ein rein persönliches Interesse hinausgehen. 15 (18,1%) derjenigen, die bei dieser Variable ‚extrem wichtig‘ angaben (exkl. No-Shows, N = 83), beendeten den Kurs. Demgegenüber beendeten mit insgesamt 53 (23,9%) sowohl prozentual als auch in absoluten Zahlen mehr Teilnehmer*innen den Kurs, die bei dieser Variable ‚überhaupt nicht wichtig‘ (exkl. No-Shows, N = 222) angaben.

Teilnehmer*innen

Professor*in des Kurses 400 350 300 250 200 150 100 50 0 not at all important

moderately important

Inkl. No-Shows (N=1101)

important

very important

extremely important

Exkl. No-Shows (N=792)

Diagramm D6-9: Motivation am Kurs teilzunehmen wegen der*dem Professor*in des Kurses. Anmerkung: No-Shows wurden wie folgt operationalisiert: Variable max_Progress (Gesamtfortschritt) = 0%.

6.1 Deskriptivstatistische Auswertung

179

408 (37%) von 1101 Teilnehmer*innen gaben an, dass der Kursleiter wichtig bis extrem wichtig war, wobei mehr als die Hälfte davon lediglich ‚wichtig‘ angab. Mit 347 (31,5%) Teinehmer*innen gaben die meisten an, dass die*der Professor*in überhaupt nicht wichtig für die Entscheidung war. Auch hier ist davon auszugehen, dass die Wichtigkeit des Professors im Zusammenhang mit extrinsischer Motivation steht, vergleichbar mit der Motivation durch die Institution. 8 (15,4%) derjenigen, die bei dieser Variable ‚extrem wichtig‘ angaben (exkl. No-Shows, N = 52), beendeten den Kurs sowie 63 (22,7%) Teilnehmer*innen, die angaben, dass ihnen die produzierende Institution ‚überhaupt nicht wichtig‘ (exkl. No-Shows, N = 277) war. Vernetzung mit anderen Studierenden

Teilnehmer*innen

300 250 200 150 100 50 0 not at all important

moderately important

Inkl. No-Shows (N=1104)

important

very important

extremely important

Exkl. No-Shows (N=795)

Diagramm D6-10: Motivation am Kurs teilzunehmen, um sich mit anderen Studierenden zu vernetzen. Anmerkung: No-Shows wurden wie folgt operationalisiert: Variable max_Progress (Gesamtfortschritt) = 0%.

635 (57,5%) der Teilnehmer*innen war es mindestens wichtig, 160 (14,5%) sogar extrem wichtig, sich mit anderen Teilnehmer*innen vernetzen zu können. Die Vernetzung kann als intrinsische Motivation gedeutet werden, da sie entweder dem Knüpfen von Bekanntschaften dient

180

6 Untersuchungsergebnisse

oder um z.B. durch Lerngruppen effizienter lernen zu können. Überraschend ist jedoch, dass die Anzahl an Teilnehmer*innen, die sich auf irgendeine Art und Weise inhaltlich durch Posts in den Kurs eingebracht haben, deutlich geringer ist. Von denjenigen Teilnehmer*innen, denen es extrem wichtig ist, sich mit anderen Menschen zu vernetzen, haben nur die wenigsten Fragen gestellt oder auf diese geantwortet oder Kommentare gepostet. Am ehesten haben sie sich im Forum beteiligt (28%), doch selbst diese Zahl erscheint angesichts der Motivation sehr gering. Das Beantworten oder Stellen von Fragen, zu dem in den MOOCs teilweise aufgefordert oder zumindest ermutigt wurde, wird offenbar nicht als soziale Aktivität wahrgenommen. Offen bleibt, ob sich diese Teilnehmer*innen in anderen sozialen Netzwerken vernetzt haben. Das Vernetzen mit anderen Teilnehmer*innen kann nach Xiong et al. (2015) der sozialen Motivation zugeordnet werden. 14 (14,4%) der Teilnehmer*innen, denen das Vernetzen mit anderen MOOC-Teilnehmer*innen ‚extrem wichtig‘ war (exkl. No-Shows, N = 97) sowie 34 (21,8%) Teilnehmer*innen mit der Angabe ‚überhaupt nicht wichtig‘ (exkl. NoShows, N = 156) beendeten den Kurs. Das gemeinsame Besuchen des Kurses mit Freund*innen spielt für 759 (68,8%) Teilnehmer*innen und damit für die große Mehrheit keine Rolle. Da das Item „I have friends taking this course“ lautete, ist davon auszugehen, dass die große Mehrheit den Kurs entsprechend ohne Freunde besuchte. Da aber dieses Item im Kontext der Motivation gefragt wurde, d.h. wie wichtig es für die Wahl des Kurses war, dass sie den Kurs mit Freunden besuchen, kann davon ausgegangen werden, dass mindestens die 27 (2,4%) Teilnehmer*innen, für die das extrem wichtig war, tatsächlich an dem Kurs mit Freunden teilnahmen. Auch dieser Beweggrund zur Teilnahme an MOOCs kann der sozialen Motivation zugeordnet werden. Von den Teilnehmer*innen, die angaben, dass es extrem wichtig für sie war, dass sie den Kurs zusammen mit Freund*innen besuchten, beendete niemand den Kurs (exkl. No-Shows, N = 15). Demgegenüber beendeten

6.1 Deskriptivstatistische Auswertung

181

den Kurs 121 (20,9%) der Teilnehmer*innen, denen Freund*innen im Kurs ‚überhaupt nicht wichtig‘ waren (exkl. No-Shows, N = 578).

Teilnehmer*innen

Freund*innen im Kurs 800 700 600 500 400 300 200 100 0 not at all important

moderately important

Inkl. No-Shows (N=1103)

important

very important

extremely important

Exkl. No Shows (N=795)

Diagramm D6-11: Motivation am Kurs teilzunehmen, weil Freund*innen im Kurs sind. Anmerkung: No-Shows wurden wie folgt operationalisiert: Variable max_Progress (Gesamtfortschritt) = 0%.

Die Teilnehmer*innen wurden ebenfalls dazu befragt, wie wichtig es ihnen bei der Wahl des MOOCs war, ob der Inhalt zu ihrem gegenwärtigen Studiengang passt. Es ist darauf hinzuweisen, dass dies keine Aussage darüber trifft, ob der Inhalt tatsächlich zum Studiengang passt. Bei den Fragen zur Motivation ging es lediglich darum herauszufinden, was die Gründe der Kurswahl waren. Für ein Drittel der Teilnehmenden (440, 33,7%) war es überhaupt nicht wichtig, dass der Kursinhalt zum eigenen Studiengang passt.

182

6 Untersuchungsergebnisse

Passt zum eigenen Studiengang Teilnehmer*innen

500 400 300 200 100 0 not at all moderately important very extremely important important important important Inkl. No-Shows (N=1098)

Exkl. No-Shows (N=793)

Diagramm D6-12: Motivation am Kurs teilzunehmen, weil der Kurs zum eigenen Studiengang passt. Anmerkung: No-Shows wurden wie folgt operationalisiert: Variable max_Progress (Gesamtfortschritt) = 0%.

Das kann einerseits mit den Inhalten der MOOCs zusammenhängen, immerhin ist beispielsweise der MOOC Critical Thinking auf sehr allgemeine Kompetenzen ausgerichtet. Außerdem passt dies zu der Aussage der Mehrheit der Teilnehmer*innen, dass sie ein genuin persönliches Interesse am Thema haben, da der Kurs scheinbar unabhängig von der Passung zum eigenen Studiengang gewählt wurde. Außerdem gaben viele Kursteilnehmer*innen an, dass sie gegenwärtig nicht mehr studieren. Es ist davon auszugehen, dass Teilnehmer*innen, denen dieser Aspekt wichtig war, eher intrinsisch motiviert waren, da es ihnen um eine Vertiefung oder Komplementierung der eigenen Studieninhalte ging. 15 (16,3%) derjenigen Teilnehmer*innen, die bei dieser Variable ‚extrem wichtig‘ angaben (exkl. No-Shows, N = 92), beendeten den Kurs. Im Vergleich dazu beendeten 80 (22,3%) Teilnehmer*innen den Kurs, die bei dieser Variable ‚überhaupt nicht wichtig‘ (exkl. No-Shows, N = 358) angaben, wobei der prozentuale Unterschied deutlich geringer ist als der Unterschied in absoluten Zahlen.

6.1 Deskriptivstatistische Auswertung

183

Teilnehmer*innen

Pflichtaufgabe im Studiengang 800 700 600 500 400 300 200 100 0 not at all important

moderately important

Inkl. No-Shows (N=1102)

important

very important

extremely important

Exkl. No-Shows (N=793)

Diagramm D6-13: Motivation am Kurs teilzunehmen, weil der Kurs eine Pflichtaufgabe im Studiengang ist. Anmerkung: No-Shows wurden wie folgt operationalisiert: Variable max_Progress (Gesamtfortschritt) = 0%.

Durch die Motivationsgründe kann auch etwas über die Integration von MOOCs in die traditionellen akademischen Studiengänge herausgefunden werden. Daher war auch von Interesse, ob die Teilenehmer am MOOC teilnahmen, weil die Teilnahme eine Pflichtaufgabe in ihrem Studiengang war. 696 (63,2%) gaben an, dass dies überhaupt nicht wichtig für die Wahl des Kurses war. Auch dies lässt sich als Indikator für die eher intrinsische Motivation vieler Kursteilnehmer*innen deuten. Lediglich 52 (4,7%) von 1102 Teilnehmer*innen gab an, dass die Pflichtaufgabe für sie extrem wichtig für die Teilnahmemotivation war. Von diesen 52 Teilnehmer*innen haben insgesamt sieben (13,5%) Teilnehmer*innen den Kurs beendet. Anzunehmen ist, dass durch die extrem hohe Wichtigkeit des MOOCs für den eigenen akademischen Studiengang die Teilnahme extrinsisch motiviert ist. Damit scheint die Dropout-Rate ähnlich hoch zu sein wie bei intrinsisch motivierten Teilnehmer*innen, welche die MOOCs vor allem aus eigenem Interesse wählen. Die Herkunft der 52 Teilnehmer*innen zeigt keine Auffälligkeiten, da sich diese auf insge-

184

6 Untersuchungsergebnisse

samt 39 verschiedene Länder verteilen, mit der Ausnahme, dass zehn der 52 (19,2%) Teilnehmer*innen aus Pakistan stammen. Von den 27 Teilnehmer*innen die angaben, dass es eine extrem wichtige Rolle spielt, dass sie den Kurs zusammen mit einem Freund machen, kommen ebenfalls 5 aus Pakistan. Es ist anzunehmen, dass ein akademischer Kurs einer pakistanischen Universität die Aufgabe bekommen hat, an dem MOOC teilzunehmen, oder aber diesen Kurs als eine Studienleistung anerkannt bekam. 7 (20,6%) der Teilnehmer*innen, die als Motivationsgrund bei dieser Variable ‚extrem wichtig‘ angaben (exkl. No-Shows, N = 34) sowie 114 (21,4%) Teilnehmer*innen mit der Angabe ‚überhaupt nicht wichtig‘ (exkl. No-Shows, N = 532), beendeten den Kurs. Auffällig ist, dass der Prozentsatz des Kursabschlusses zwischen hoch und überhaupt nicht motivierten nahezu identisch ist. Angesichts der Annahme, die sich bei hoher Zustimmung ergibt, dass die Teilnahme tatsächlich eine Pflichtaufgabe war, ist dieses Ergebnis überraschend. Eine mögliche Erklärung dafür könnte sein, dass nicht das Beenden des Kurses, sondern nur bestimmte Kursinhalte als Pflichtaufgabe markiert wurden. Gefragt wurde ebenfalls, wie wichtig es war, dass der MOOC zu dem gegenwärtig ausgeübten Beruf passt. 358 (32,4%) Teilnehmer*innen gaben an, dass dies überhaupt nicht wichtig für ihre Entscheidung war. Kumulierte 561 (50,8%) und damit die Hälfte der Teilnehmer*innen gab an, dass dies für sie mindestens wichtig war, 173 (15,7%) gaben sogar an, dass die Passung zum Beruf extrem wichtig war.

6.1 Deskriptivstatistische Auswertung

185

Teilnehmer*innen

Passt zum Beruf 400 350 300 250 200 150 100 50 0 not at all important

moderately important

Inkl. No-Shows (N=1104)

important

very important

extremely important

Exkl. No-Shows (N=796)

Diagramm D6-14: Motivation am Kurs teilzunehmen, weil der Kurs zum ausgeübten Beruf passt. Anmerkung: No-Shows wurden wie folgt operationalisiert: Variable max_Progress (Gesamtfortschritt) = 0%.

Diese Form der Motivation deckt einen Aspekt der intrinsischen Motivation der Teilnehmenden ab, da sie Inhalte wählten, die sie in ihrem Beruf weiterbringen würden. 16 (14,2%) derjenigen Teilnehmer*innen, die bei dieser Variable ‚extrem wichtig‘ angaben (exkl. No-Shows, N = 113), beendeten den Kurs. Im Vergleich dazu beendeten 58 (21,0%) Teilnehmer*innen den Kurs, die bei dieser Variable ‚überhaupt nicht wichtig‘ (exkl. No-Shows, N = 276) angaben.

186

6 Untersuchungsergebnisse

Teilnehmer*innen

Verbesserung der Berufsaussichten 350 300 250 200 150 100 50 0 not at all important

moderately important

Inkl. No-Shows (N=1094)

important

very important

extremely important

Exkl. No-Shows (N=789)

Diagramm D6-15: Motivation am Kurs teilzunehmen wegen der Verbesserung von Berufsaussichten. Anmerkung: No-Shows wurden wie folgt operationalisiert: Variable max_Progress (Gesamtfortschritt) = 0%.

Schließlich wurden die Teilnehmer*innen danach gefragt, wie wichtig es für sie war, dass die Fertigkeiten, die durch den Kurs erworben werden, dabei nützlich sein könnten, einen neuen Job zu bekommen. 164 (15%) Teilnehmer*innen gaben an, dass dies überhaupt keine Rolle bei der Wahl des Kurses spielte, 777 (71%) gaben an, dass dies mindestens wichtig, 287 (26,2%) sogar, dass es extrem wichtig für sie war. Dieser Motivationsgrund kann als extrinsische Motivation aufgefasst werden, weil die besseren Berufsaussichten einen externen Anreiz darstellen. 34 (17,3%) der Teilnehmer*innen, denen die Aussicht auf bessere Berufschancen ‚extrem wichtig‘ war (exkl. No-Shows, N = 197) sowie 29 (23,2%) Teilnehmer*innen mit der Angabe ‚überhaupt nicht wichtig‘ (exkl. No-Shows, N = 125) beendeten den Kurs. Die folgende Übersicht der hier als intrinsisch motivierten Faktoren zusammengefassten Gründe zeigt, dass die Teilnehmer*innen der hier untersuchten MOOCs vor allem aus eigenem Interesse am Thema teilnah-

6.1 Deskriptivstatistische Auswertung

187

men, während die Passung zum Beruf oder Studiengang deutlich seltener wichtig waren. Intrinsische Motivatoren (exkl. No-Shows) Teilnehmer*innen

400 300 200 100 0 not at all important

moderately important

Allgemeines Interesse (N=794)

important

very important

extremely important

Passt zum Studiengang (N=793)

Passt zum Beruf (N=796) Diagramm D6-16: Zusammenfassung der intrinsischen Motivation. Anmerkung: NoShows wurden wie folgt operationalisiert: Variable max_Progress (Gesamtfortschritt) = 0%.

Dieser Befund deckt sich mit den Ergebnissen anderer Untersuchungen (s. Kap. 3.2.3), daher kann angenommen werden, dass die in dieser Arbeit erhobene Stichprobe sich hinsichtlich ihrer Beweggründe nicht besonders von den Stichproben anderer Untersuchungen unterscheiden. Da bei einigen Variablen Mittelwertunterschiede von 5-10% zwischen stark intrinsisch motivierten und überhaupt nicht intrinsisch motivierten Teilnehmer*innen gefunden wurden, wurden die einzelnen Variablen auf die statistische Bedeutsamkeit dieser Unterschiede untersucht. Dafür wurde jeweils ein Mann-Whitney-Test (U-Test) für unabhängige Stichproben durchgeführt, da weder der Kursfortschritt noch die Variablen zur Motivation normalverteilt sind. Gruppiert wurden die Variablen jeweils nach der Regel: 1 = überhaupt nicht wichtig und 2 = extrem wichtig. Da die

188

6 Untersuchungsergebnisse

Stichprobengröße für alle Variablen mit N > 100 war, wird jeweils die asymptotische Signifikanz berichtet. Tabelle T6-2: Mann-Whitney-Test (U-Test): Kursfortschritt und intrinsische Motivation.

Mittlerer Rang G1 Interesse am Kursinhalt (N = 293) Passt zum eigenen Studiengang (N = 450) Passt zum Beruf (N = 389)

G2

U

Z

Sig.

134,66

148,30

33364,5

-,815

.415

231,17

203,42

14436,0

-1,835

.067

200,35

181,92

14116,5

-1,473

.141

Anmerkung: G1 = Gruppe der wenig Motivierten; G2 = Gruppe der viel Motivierten; U = Mann-Whitney-U; Sig. = Asymptotische Signifikanz.

Alle Mittelwertsunterschiede sind nicht signifikant, daher unterscheiden sich wenig und viel intrinsisch motivierte Teilnehmer*innen nicht hinsichtlich ihres Kursfortschrittes. Im Vergleich zu der intrinsischen Motivation zeigt sich, dass extrinsisch motivierende Faktoren eine eher untergeordnete Rolle spielen. Mit zunehmender Wichtigkeit sinken die Angaben der Teilnehmer*innen mit Ausnahme der besseren Berufsaussichten bei allen Aspekten (s. Diagramm D6-17).

6.1 Deskriptivstatistische Auswertung

189

Extrinsische Motivatoren (exkl. No-Shows)

Teilnehmer*innen

600 500 400 300 200 100 0 not at all important

moderately important

important very important

Produzierende Institution (N=794)

Professor*in (N=792)

Bessere Berufsaussichten (N=789)

Pflichtaufgabe (N=793)

extremely important

Diagramm D6-17: Zusammenfassung der extrinsischen Motivation. Anmerkung: NoShows wurden wie folgt operationalisiert: Variable max_Progress (Gesamtfortschritt) = 0%.

Die Erwartung, den Kurs oder die darin erworbenen Kompetenzen für zukünftige Jobs geltend machen zu können, ist in der Stichprobe sehr heterogen verteilt und ist im Vergleich zu den anderen extrinsisch motivierten Aspekten der Wichtigste (gemessen an der Anzahl von ‚extrem wichtig‘-Angaben). Auch für die Variablen, die mit der extrinsischen Motivation assoziiert werden, wurden analog zu der Vorgehensweise bei der intrinsischen Motivation auf die statistische Bedeutsamkeit der Mittelwertsunterschiede getestet. Tabelle T6-3 zeigt, dass alle Mittelwertsunterschiede nicht signifikant sind, daher unterscheiden sich wenig und viel extrinsisch motivierte Teilnehmer*innen nicht hinsichtlich ihres Kursfortschrittes. Insgesamt geben weniger Teilnehmer*innen extrinsisch motivierte Beweggründe als extrem wichtig an, sodass sich die vorliegende Stichprobe als überwiegend intrinsisch motiviert beschreiben lässt.

190

6 Untersuchungsergebnisse

Tabelle T6-3: Mann-Whitney-Test (U-Test): Kursfortschritt und extrinsische Motivation.

Mittlerer Rang G1 Produzierende Institution (N = 305) Professor*in des Kurses (N = 329) Verb. der Berufsaussichten (N = 322) Pflichtaufgabe im Studiengang (N = 566)

G2

U

Z

Sig.

155,81

145,49

8589,5

-,915

.360

168,65

145,58

6192,0

-1,613

.107

173,01

154,20

10874,0

-1,774

.076

284,52

267,62

8504,0

-.587

.557

Anmerkung: G1 = Gruppe der wenig Motivierten; G2 = Gruppe der viel Motivierten; U = Mann-Whitney-U; Sig. = Asymptotische Signifikanz.

Die soziale Motivation, gemessen über die Wichtigkeit der Freunde im Kurs sowie dem Willen, sich mit anderen vernetzen zu wollen, ist verglichen mit dem persönlichen Interesse am Kurs in der Summe zwar weniger wichtig, dennoch hat eine relativ hohe Anzahl an Teilnehmer*innen angegeben, dass ihnen dieser Aspekt zumindest wichtig war (s. Diagramm D6-18). Ausgehend davon, bei welchem Beweggrund die wenigsten Teilnehmer*innen ‚überhaupt nicht wichtig‘ angaben, sind die wichtigsten Faktoren in der Teilnehmer*innenmotivation (1) das persönliche Interesse, (2) bessere Berufsaussichten und (3) das Vernetzen mit anderen Studierenden im Kurs. Auch die Mittelwertsunterschiede bei den Variablen der sozialen Motivation geben Anlass zu einer Prüfung auf statistische Signifikanz (s. Tabelle T6-4).

6.1 Deskriptivstatistische Auswertung

191

Teilnehmer*innen

Soziale Motivation (exkl. No-Shows) 700 600 500 400 300 200 100 0 not at all important

moderately important

important

very important

extremely important

Vernetzen mit anderen Studierenden (N=795) Freunde im Kurs (N=795) Diagramm D6-18: Zusammenfassung der sozialen Motivation. Anmerkung: No-Shows wurden wie folgt operationalisiert: Variable max_Progress (Gesamtfortschritt) = 0%.

Tabelle T6-4: Mann-Whitney-Test (U-Test): Kursfortschritt und soziale Motivation.

Mittlerer Rang G1 Vernetzen mit Anderen (N = 253) Freund*innen im Kurs (N = 593)

G2

U

Z

Sig.

138,52

108,47

5768,5

-3,188

.001

298,07

255,93

3719,0

-,944

.345

Anmerkung: G1 = Gruppe der wenig Motivierten; G2 = Gruppe der viel Motivierten; U = Mann-Whitney-U; Sig. = Asymptotische Signifikanz.

Für die Variable Kursfortschritt zeigt sich, dass sich die zentralen Tendenzen der sozial wenig und viel motivierten Teilnehmer*innen unterscheiden. Zur Messung der Effektstärke wurde Cohen’s d anhand der Mittelwerte und Standardabweichungen der beiden Gruppen berechnet681 681

S.a. Cohen (1988)

192

6 Untersuchungsergebnisse

und anschließend in die Effektstärke der Pearson-ProduktMomentkorrelation r umgerechnet. Das Ergebnis zeigt, dass es einen signifikanten Unterschied im Kursfortschritt zwischen sozial wenig und viel motivierten Teilnehmer*innen gibt (z = -3,188, p = .001, r = .17). Sozial wenig motivierte Teilnehmer*innen erreichen, verglichen mit sozial stark motivierten Teilnehmer*innen, einen höheren Kursfortschritt, wobei die gemessene Effektstärke einem schwachen Effekt entspricht. Tabelle T6-5: Korrelationen zwischen Kursfortschritt/Interaktionsvariablen und Motivationsvariablen. Fort. Ant. .065 -.008 Interesse am Kursinhalt -.015 -.071 Passt zum eigenen Studiengang -.039 -.037 Passt zum Beruf -.052 .036 Produzierende Institution -.051 .036 Professor*in des Kurses -.034 -.049 Verb. der Berufsaussichten -.028 -.080 Pflichtaufgabe im Studiengang -.056 Vernetzen mit Anderen -.120** -.020 -.028 Freund*innen im Kurs Anmerkung: ** = p < .001.; Fort. = Kursfortschritt; Ant. = Kom. = Kommentare; Fo. = Forenaktivität

Fra. -.183 .055 .024 .008 .042 .096 .096 .012 -.007 Antworten;

Kom. Fo. -.018 .049 -.002 -.067 -.057 -.092** -.074 -.013 -.070 -.013 -.074 -.062 -.057 -.067 -.063 -.018 -.091 -.064 Fra. = Fragen;

Um mögliche Zusammenhänge zwischen der Motivation der Teilnehmer*innen und ihrer Performance im MOOC zu finden, wurden die Korrelationen der einzelnen Motivationsgründe mit den entsprechenden Variablen berechnet (s. Tabelle T6-5). Allerdings konnten keine signifikanten Korrelationen gefunden werden, weder mit dem Kursfortschritt noch mit der Variablen, die die Interaktionsmöglichkeiten messen. Eine Ausnahme bildet die sehr geringe negative Korrelation (r = .-120) zwischen dem Kursfortschritt und der Motivation, sich mit anderen Teilnehmer*innen zu vernetzen. Der negative Zusammenhang bedeutet, dass Teilnehmer*innen, denen das Vernetzen mit anderen Teilnehmer*innen

6.1 Deskriptivstatistische Auswertung

193

wichtig erscheint, durchschnittlich weniger Kursfortschritt erreichten (allerdings mit sehr geringer Korrelationsstärke).

6.1.4 Vorerfahrung Um die Vorerfahrung der Teilnehmer*innen in MOOCs zu bestimmen, wurden die Einschreibungen der Benutzeraccounts in MOOCs von Iversity gemessen. Nicht gemessen werden konnte die Vorerfahrung, die in MOOCs von anderen Providern gesammelt wurde. 476 (36,4%) Teilnehmer*innen nehmen zum ersten Mal an einem MOOC teil und werden als MOOC-Neulinge kategorisiert, 831 (63,6%) Teilnehmer*innen haben mindestens zum zweiten Mal an einem MOOC teilgenommen. Von den insgesamt 1307 Teilnehmer*innen in dieser Studie haben 180 (13,8%) Teilnehmer*innen den MOOC beendet. Auffällig ist dabei, dass 174 der insgesamt 180 Teilnehmer*innen, die den Kurs beendet haben, bereits über Vorerfahrungen aus MOOCs bei Iversity verfügten (s. A.6-10). Ein näherer Blick auf diejenigen, die Vorerfahrung haben, zeigt, dass 75,6% der Absolvent*innen bereits in zwei bis zehn MOOCs und 50% der Absolvent*innen in zwei bis sechs MOOCs eingeschrieben waren. Unklar ist dabei, ob und in welchem Ausmaß diese Teilnehmer*innen in den zuvor eingeschriebenen MOOCs engagiert waren oder sie lediglich als Observer oder sogar No-Shows im Kurs waren. Dennoch bleibt festzustellen, dass etwa zwei Drittel (63,6%) der Teilnehmer*innen bereits über Vorerfahrungen aus mindestens einem anderen MOOC verfügten. Vergleicht man die MOOC-Neulinge mit den MOOC-Erfahrenen zeigen sich einige Auffälligkeiten. Erfahrende MOOC-Teilnehmer*innen werden mit einer höheren Wahrscheinlichkeit als MOOC-Neulinge Antworten posten. 1,8% der Neulinge haben eine Antwort gepostet, Erfahrene waren mit 28,8% deutlich aktiver (s. A.6-11). Das könnte zwar daran liegen, dass diese Teilnehmer*innen über mehr Wissen verfügen. Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass Teilnehmer*innen mehrfach MOOCs zum selben Thema wählen, weshalb eher auf eine höhere Vertrautheit mit

194

6 Untersuchungsergebnisse

der Infrastruktur und den Interaktionsmöglichkeiten von MOOCs geschlossen werden kann. Der Unterschied wird besonders deutlich bei denjenigen Teilnehmer*innen, die mindestens eine Antwort gepostet haben: 14,1% der Erfahrenen gegenüber 3,6% der Neulinge haben mindestens eine Antwort gepostet. Fragen wurden ebenfalls fast ausschließlich von MOOC-Erfahrenen gestellt: Lediglich 1,9% der MOOCNeulinge gegenüber 12,6% der MOOC-Erfahrenen haben Fragen gestellt (s. A.6-12). Ähnlich verhält es sich mit Kommentaren (Neulinge: 3,4%; Erfahrene: 17,3%, s. A.6-13) und Votes (Neulinge: 4,4%; Erfahrene: 20,3%, s. A.6-14). Um die Unterschiede und Effektstärken in den Mittelwerten zwischen MOOC-Neulingen und MOOC-Erfahrenen hinsichtlich der Interaktion innerhalb des MOOCs zu messen, wurde ein Wilcoxon-Mann-WhitneyTest (U-Test) für unabhängige Stichproben durchgeführt, da weder der Kursfortschritt noch die Anzahl an geposteten Antworten, Fragen, Kommentaren oder Votes normalverteilt sind. Dafür wurde die Variable No_of_enrol, welche die Anzahl an MOOC-Einschreibungen der Teilnehmer*innen gemessen hat, gruppiert: No_of_enrol = 1 für MOOCNeulinge und No_of_enrol > 1 für MOOC-Erfahrene. Da die Stichprobengröße für alle Variablen mit N > 100 war, wird jeweils die asymptotische Signifikanz berichtet. Für die Variable Kursfortschritt zeigt sich, dass sich die zentralen Tendenzen der MOOC-Neulinge und MOOCErfahrenen unterscheiden. Zur Messung der Effektstärke wurde Cohen’s d berechnet und anschließend in die Effektstärke der Pearson-ProduktMomentkorrelation r umgerechnet. Das Ergebnis zeigt, dass es einen signifikanten Unterschied im Kursfortschritt zwischen MOOC-Neulingen und MOOC-Erfahrenen gibt (z = -17,372, p = .05). Die Mittelwerte der Dimension und beider Aspekte liegen oberhalb des Skalenmittelwertes. Der Aspekt Höflichkeit kann für die Online-Kommunikation in MOOCs

196

6 Untersuchungsergebnisse

wichtig sein, da die Konstruktivität der Diskussionen häufig an höfliche Kommunikationformen geknüpft ist. Die Standardabweichung ist im Vergleich zu den anderen Skalen eher gering, sodass die Stichprobe bezogen auf die Verträglichkeit relativ homogen ist.

Diagramm D6-19: Histogramme der Dimension Verträglichkeit und der Aspekte Mitgefühl und Höflichlichkeit. Anmerkung: Gemessen auf einer 5-stufigen Likertskala mit 5 = volle Zustimmung. Auf der Y-Achse ist die absolute Häufigkeit abgetragen.

Tabelle T6-6: Deskriptivstatistische Angaben zur Dimension Verträglichkeit und ihren Aspekten Mitgefühl und Höflichkeit.

Verträglichkeit Mitgefühl Höflichkeit

Modus 4 4 4

Median 3,80 3,90 3,70

Mittelwert 3,78 3,88 3,66

SD 0,41 0,50 0,51

Min. 1,61 1,12 1,77

Max. 4,89 5,00 5,00

Anmerkung: SD = Standardabweichung; Min. = kleinster Wert; Max. = größter Wert.

Auch die Histogramme der Skala Conscientiousness (Gewissenhaftigkeit) und der Aspekte Industriousness (Fleiß) und Orderliness (Ordentlichkeit) sind gemäß dem Shapiro-Wilk-Test normalverteilt (p > .05). Die Mittelwerte der Dimension und Aspekte liegen über dem Skalenmittelwert. Die höhere Standardabweichung bedeutet, dass die Teilnehmer*innen bezüg-

6.1 Deskriptivstatistische Auswertung

197

lich ihrer Gewissenhaftigkeit heterogener sind als in anderen Dimensionen, insbesondere hinsichtlich des Fleißes.

Diagramm D6-20: Histogramme der Dimension Gewissenhaftigkeit und der Aspekte Fleiß und Ordentlichkeit. Anmerkung: Gemessen auf einer 5-stufigen Likertskala mit 5 = volle Zustimmung. Auf der Y-Achse ist die absolute Häufigkeit abgetragen.

Tabelle T6-7: Deskriptivstatistische Angaben zur Dimension Gewissenhaftigkeit und ihren Aspekten Fleiß und Ordentlichkeit.

Gewissenhaftigkeit Fleiß Ordentlichkeit

Modus 4 4 3,5

Median 3,62 3,71 3,55

Mittelwert 3,56 3,60 3,52

SD 0,54 0,67 0,57

Min. 1,83 1,00 1,40

Max. 5,00 5,00 5,00

Anmerkung: SD = Standardabweichung; Min. = kleinster Wert; Max. = größter Wert.

Die Histogramme zu der Skala Extraversion (Extraversion) sowie den Aspekten Assertiveness (Durchsetzungsfähigkeit) und Enthusiasm (Enthusiasmus) sind gemäß dem Shapiro-Wilk-Test normalverteilt (p > .05). Die Mittelwerte der Verteilungen liegen auch hier oberhalb des Skalenmittelwertes. Die im Vergleich zu anderen Dimensionen etwas höhere Standardabweichung zeigt, dass die Teilnehmer*innen bezüglich der Extraversion relativ heterogen sind. Die hohe Spannweite spricht ebenfalls für diese Annahme.

198

6 Untersuchungsergebnisse

Diagramm D6-21: Histogramme der Dimension Extraversion und der Aspekte Durchsetzungsfähigkeit und Enthusiasmus. Anmerkung: Gemessen auf einer 5-stufigen Likertskala mit 5 = volle Zustimmung. Auf der Y-Achse ist die absolute Häufigkeit abgetragen.

Tabelle T6-8: Deskriptivstatistische Angaben zur Dimension Extraversion und ihren Aspekten Enthusiasmus und Durchsetzungsfähigkeit.

Extraversion Enthusiasmus Durchsetzungsfähigkeit

Modus 4 4 4

Median 3,60 3,60 3,62

Mittelwert 3,56 3,53 3,58

SD 0,53 0,61 0,61

Min. 1,73 1,40 1,50

Max. 5,00 5,00 5,00

Anmerkung: SD = Standardabweichung; Min. = kleinster Wert; Max. = größter Wert.

Die Histogramme zu der Skala Neuroticism (Neurotizismus) sowie den Aspekten Volatility (Unbeständigkeit) und Withdrawal (Zurückgezogenheit) sind gemäß dem Shapiro-Wilk-Test normalverteilt (p > .05). Die Mittelwerte der Dimension und ihrer Aspekte liegen unterhalb des Skalenmittelwertesm, die hohe Spannweite und verhältnismäßig hohe Standardabweichung deuten auch hinsichtlich dieser Dimension auf eine eher heterogene Stichprobe hin.

6.1 Deskriptivstatistische Auswertung

199

Diagramm D6-22: Histogramme der Dimension Neurotizismus und der Aspekte Zurückgezogenheit und Unbeständigkeit. Anmerkung: Gemessen auf einer 5-stufigen Likertskala mit 5 = volle Zustimmung. Auf der Y-Achse ist die absolute Häufigkeit abgetragen.

Tabelle T6-9: Deskriptivstatistische Angaben zur Dimension Neurotizismus und ihren Aspekten Unbeständigkeit und Zurückgezogenheit.

Neurotizismus Unbeständigkeit Zurückgezogenheit

Modus 3 2 3

Median 2,63 2,57 2,66

Mittelwert 2,68 2,64 2,72

SD 0,58 0,68 0,62

Min. 1,05 1,00 1,00

Max. 4,85 5,00 4,87

Anmerkung: SD = Standardabweichung; Min. = kleinster Wert; Max. = größter Wert.

Die Histogramme zu der Skala Openness/Intellect (Offenheit/Intellekt) sowie den Aspekten Openness (Offenheit) und Intellect (Intellekt) sind gemäß dem Shapiro-Wilk-Test normalverteilt (p > .05). Die Mittelwerte zeigen, dass die Teilnehmer*innen durchschnittlich höhere Werte als den Skalenmittelwert erzielten, die geringe Standardabweichung und Spannweite charakterisieren die Stichprobe als eher homogen.

200

6 Untersuchungsergebnisse

Diagramm D6-23: Histogramme der Dimension Offenheit/Intellekt und der Aspekte Mitgefühl und Höflichlichkeit. Anmerkung: Gemessen auf einer 5-stufigen Likertskala mit 5 = volle Zustimmung. Auf der Y-Achse ist die absolute Häufigkeit abgetragen.

Tabelle T6-10: Deskriptivstatistische Auswertungen zur Dimension Offenheit/Intellekt und ihren Aspekten Offenheit und Intellekt.

Offenheit/Intellekt Offenheit Intellekt

Modus 4 4 4

Median 3,84 3,87 3,88

Mittelwert 3,83 3,83 3,82

SD 0,41 0,46 0,55

Min. 2,06 1,75 1,70

Max. 4,95 5,00 ,00

Anmerkung: SD = Standardabweichung; Min. = kleinster Wert; Max. = größter Wert.

Zur Beurteilung der Validität kann die Konstruktvalidität über die Korrelationen der Persönlichkeitsdimensionen untereinander angeführt werden, da die Zusammenhänge gut bekannt sind (s. Kap. 4.2). Wie zu erwarten korreliert die Dimension Neurotizismus negativ mit den restlichen Dimensionen und besonders stark negativ mit der Extraversion und Gewissenhaftigkeit682. Auch die hohe positive Korrelation zwischen der Offenheit für Erfahrung/Intellekt und Extraversion ist ein Indikator für eine hohe Konstruktvalidität.

682

Vgl. DeYoung/Quilty/Peterson 2007, S. 891

6.1 Deskriptivstatistische Auswertung

201

Tabelle T6-11: Interdimensionskorrelationen.

(1) Verträglichkeit (2) Gewissenhaftigkeit (3) Extraversion (4) Neurotizismus (5) Offenheit/Intellekt

(2) .249**

(3) .298** .498**

(4) -.270** -.450** -.464**

(5) .315** .335** .515** -.345**

Anmerkung: ** = p < .001.

Um die in Kap. 6.1.3 dargestellten Auffälligkeiten in der Motivation der MOOC-Teilnehmer*innen besser erklären zu können, wurden die Korrelationen aller Variablen zur Messung der Motivation mit den Persönlichkeitsdimensionen berechnet (Tabelle T6-12). Die Motivation auf Grund des Interesses am Kursinhalt korreliert positiv mit geringer Stärke (r = .202, p < .001) mit der Dimension Offenheit/Intellekt. Ein Blick auf die Aspekte zeigt, dass sowohl der Intellekt (r = .168, p < .001) als auch die Offenheit (r = .168, p < .001) gleichermaßen zur Korrelation beitragen. Dieser Zusammenhang kann mit dem Befund von Zuckerman et al. (1993) erklärt werden, die einen Zusammenhang zwischen der Suche nach Erfahrungen und der Offenheit gefunden haben, sofern das Interesse am MOOC als ein solches Interesse an neuen Erfahrungen gewertet werden kann683. Darüber hinaus korrelieren die Verträglichkeit (r = -.085, p < .01) und die Extraversion (r = .078, p < .01) signifikant nicht mit der Wichtigkeit des Interesses am Kursinhalt. Erwähnenswert hinsichtlich der intrinsischen Motivation ist noch der geringe, wenngleich hoch signifikant vorhandene Zusammenhang zwischen der Wichtigkeit, dass der Kursinhalt zum eigenen Studiengang passt, und der Gewissenhaftigkeit (r = -.146, p < .001). Dieser Zusammenhang lässt sich damit erklären, dass gewissenhafte Studierende z.B. aus Fleiß die in ihrem Studium relevanten Themen auch durch andere Angebote, wie z.B. MOOCs, vertiefen möchten. Die Gewissenhaftigkeit ist vor allem bezogen auf die Teilnahmemo683

Vgl. Zuckerman et al. 1993, S. 765

202

6 Untersuchungsergebnisse

tivation wegen der prudizierenden Institution (r = .273, p < .001) oder des*der Professor*in des Kurses (r = .239, p < .001) bedeutsam. Dies sind im Vergleich zu allen anderen Korrelationskoeffizienten die stärksten Zusammenhänge (obwohl sie für sich genommen gering sind und jeweils nur ca. 5% der Varianz aufklären können). Zummindest können sie als positiver Indikator für die zuvor formulierte These angesehen werden, dass extrinsisch motivierte Studierende sich im Vorfeld des Kurses mit den Produzent*innen und Kursleiter*innen auseinandersetzen und deren Reputation und andere Kriterien bei der Wahl des MOOCs mit in die Entscheidungsfindung einfließen lassen (s. Kap. 6.1.3). Außerdem ist die Gewissenhaftigkeit auch mit der Motivation, sich mit anderen Studierenden im Kurs vernetzen zu wollen, assoziiert (r = .272, p < .001). Hinzu kommt, dass die Extraversion mit dieser Variable ihre stärkste Korrelation aufweist (r = .187, p < .01), was inhaltlich Sinn ergibt, da extrovertierte Menschen nach Michikyan/Subrahmanyam/Dennis (2014) auch digital soziale Interaktionen pflegen und Kontakte knüpfen (s. Kap. 4.2.3). Insgesamt zeigt sich jedoch, dass der Zusammenhang zwischen der Persönlichkeit und ihrer Motivation nur gering in der Gewissenhaftigkeit und selten in der Extraversion der Teilnehmer*innen zu finden ist.

6.1 Deskriptivstatistische Auswertung

203

204

6 Untersuchungsergebnisse

6.1.6 Prokrastination Die Skala zur Messung der Prokrastination wurde von N = 1130 Teilnehmer*innen beantwortet. Der niedrigste Wert auf der Skala ist 1,15, der höchste 4,70, sodass nahezu das gesamte Spektrum der Skala abgebildet ist. Der Mittelwert liegt bei 2,65 (SD = 0,60). Das Histogramm der Werte der 1130 Teilnehmer*innen, welche alle 20 Items vollständig ausfüllten, zeigt den Mittelwert unterhalb des Skalenmittelwertes. Die Verteilung ist gemäß dem Shapiro-Wilk-Test (p > .05)

Diagramm D6-24: Histogramm der Variable Prokrastination. Anmerkung: Gemessen auf einer 5-stufigen Likertskala mit 5 = volle Zustimmung. Auf der Y-Achse ist die absolute Häufigkeit abgetragen.

In Anbetracht der Verteilung kann die Stichprobe als tendenziell wenig prokrastinierend beschrieben werden. Zur Beurteilung der Validität kann die Konstruktvalidität über die Korrelationen mit den Persönlichkeitsdimensionen und –aspekten bestimmt werden, da die Zusammenhänge gut belegt sind (s. Kap. 4.3).

6.1 Deskriptivstatistische Auswertung

205

Tabelle T6-13: Korrelationen der Prokrastination mit den Dimensionen und Aspekten der Persönlichkeit.

Dimension/Aspekt Verträglichkeit Mitgefühl Höflichkeit Gewissenhaftigkeit Fleiß Ordentlichkeit Extraversion Durchsetzungsfähigkeit Enthusiasmus Neurotizismus Unbeständigkeit Zurückgezogenheit Offenheit für Erfahrung/Intellekt Offenheit Intellekt

Prokrastination -.160** -.154** -.111** -.628** -.658** -.394** -.394** -.378** -.305** .429** .350** .428** -.224** -.060* -.283**

Anmerkung: * = p < .05; ** = p < .01

Die starke negative Korrelation zwischen Gewissenhaftigkeit und Prokrastination lässt ebenso wie die mittelstarke positive Korrelation zwischen Neurotizismus und Prokrastination auf die Konstruktvalidität schließen. Auch die weniger starke negative Korrelation der Extraversion und der Verträglichkeit entsprechen den neueren Erkenntnissen von Kim/Fernandez/Terrier (2017), allerdings fallen die Korrelationsstärken hier etwas größer aus (s. Kap. 4.3). Überraschend ist hingegen die negative Korrelation zwischen der Dimension Offenheit/Intellekt und der Prokrastination. Der Blick auf die Korrelationen mit den Aspekten offenbart jedoch, dass die Korrelation nur durch den Aspekt Intellekt entsteht. Der Aspekt Offenheit hingegen korreliert signifikant nicht mit Prokrastination. Dass andere Studien den Zusammenhang zur Dimension Offenheit/Intellekt nicht gefunden haben, könnte darauf zurückzuführen sein,

206

6 Untersuchungsergebnisse

dass die Persönlichkeit mit Messinstrumenten erfasst wurden, die auf die Offenheit für Erfahrung abgezielt haben und nicht auf den Intellekt (s. Kap. 4.2.1), also nur die Dimensionen und Facetten, jedoch nicht die Aspekte gemessen haben. Darüber hinaus ist die stärkere negative Korrelation mit dem Aspekt Fleiß gegenüber dem Aspekt Ordentlichkeit ein Hinweis auf die Konstruktvalidität der Prokrastinationsskala. 160 (14,15%) Teilnehmer*innen hatten einen Prokrastinationswert von 2 oder geringer, prokrastinieren also sehr wenig. 28 (17,5%) dieser 160 Teilnehmer*innen haben den Kurs beendet, ohne die No-Shows (21,9%) sind das sogar 22,4%. Die Dropout-Rate ist bei wenig Prokrastinierenden also deutlich geringer. Um den Einfluss der Prokrastinationswerte von Teilnehmer*innen auf ihre Kursteilnahme zu bestimmen, wurden die Mittelwerte zwischen wenig und viel Prokrastinierenden hinsichtlich verschiedener Variablen verglichen. Die Gruppierungsvariable ist Prokrastination, wobei die Teilnehmer*innen nach geringer Prokrastination (≤ 2,5) und hoher Prokrastination (≥ 3,5) gruppiert wurden. Für die Variable Kursfortschitt wurde der Levene-Test der Varianzgleichheit gerechnet, um die Varianzhomogenität zu bestimmen, die für die Interpretation des t-Tests notwendig ist. Der Levene-Test war signifikant (p = 1, MOOC-Erfahrene) Häufigkeit Gültig

Prozent

Gültige Prozente

Kumulierte Prozente

1

117

14,1

49,0

49,0

2

39

4,7

16,3

65,3

3

12

1,4

5,0

70,3

4

11

1,3

4,6

74,9

5

10

1,2

4,2

79,1

6

9

1,1

3,8

82,8

7

9

1,1

3,8

86,6

8

4

,5

1,7

88,3

348

Anhangsverzeichnis 9

4

,5

1,7

90,0

10

2

,2

,8

90,8

11

1

,1

,4

91,2

12

3

,4

1,3

92,5

13

1

,1

,4

92,9

14

1

,1

,4

93,3

15

1

,1

,4

93,7

21

2

,2

,8

94,6

22

1

,1

,4

95,0

24

1

,1

,4

95,4

25

1

,1

,4

95,8

27

1

,1

,4

96,2

28

1

,1

,4

96,7

31

1

,1

,4

97,1

32

1

,1

,4

97,5

35

1

,1

,4

97,9

36

1

,1

,4

98,3

38

1

,1

,4

98,7

39

1

,1

,4

99,2

49

1

,1

,4

99,6

99

1

,1

,4

100,0

239 592 831

28,8 71,2 100,0

100,0

Gesamt Fehlend System Gesamt

Anhangsverzeichnis

349

A.6-12: Gepostete Fragen (von MOOC-Neulingen und MOOCErfahrenen)

questions_posted (no_enroll = 1, MOOC-Neulinge) Häufigkeit Gültig

Prozent

Gültige Prozente

Kumulierte Prozente

1

6

1,3

66,7

66,7

2

1

,2

11,1

77,8

3

1

,2

11,1

88,9

4

1

,2

11,1

100,0

9 467 476

1,9 98,1 100,0

100,0

Gesamt Fehlend System Gesamt

questions_posted (no_enroll > 1, MOOC-Erfahrene) Häufigkeit Gültig

Prozent

Gültige Prozente

Kumulierte Prozente

1

65

7,8

61,9

61,9

2

17

2,0

16,2

78,1

3

7

,8

6,7

84,8

4

5

,6

4,8

89,5

5

3

,4

2,9

92,4

7

5

,6

4,8

97,1

13

1

,1

1,0

98,1

15

1

,1

1,0

99,0

17

1

,1

1,0

100,0

105 726 831

12,6 87,4 100,0

100,0

Gesamt Fehlend System Gesamt

350

Anhangsverzeichnis

A.6-13: Gepostete Kommentare (von MOOC-Neulingen und MOOCErfahrenen) comments_posted (no_enroll = 1, MOOC-Neulinge) Häufigkeit Gültig

Prozent

Gültige Prozente

Kumulierte Prozente

1

10

2,1

62,5

62,5

2

1

,2

6,3

68,8

4

1

,2

6,3

75,0

6

2

,4

12,5

87,5

22

1

,2

6,3

93,8

41

1

,2

6,3

100,0

16 460 476

3,4 96,6 100,0

100,0

Gesamt Fehlend System Gesamt

comments_posted (no_enroll > 1, MOOC-Erfahrene) Häufigkeit Gültig

Prozent

Gültige Prozente

Kumulierte Prozente

1

78

9,4

54,2

54,2

2

25

3,0

17,4

71,5

3

6

,7

4,2

75,7

4

4

,5

2,8

78,5

5

5

,6

3,5

81,9

6

5

,6

3,5

85,4

7

4

,5

2,8

88,2

8

3

,4

2,1

90,3

9

2

,2

1,4

91,7

10

2

,2

1,4

93,1

11

1

,1

,7

93,8

12

1

,1

,7

94,4

14

1

,1

,7

95,1

Anhangsverzeichnis

351

16

1

,1

,7

95,8

19

1

,1

,7

96,5

23

1

,1

,7

97,2

24

1

,1

,7

97,9

33

1

,1

,7

98,6

58

1

,1

,7

99,3 100,0

99 Gesamt Fehlend System Gesamt

1

,1

,7

144 687 831

17,3 82,7 100,0

100,0

352

Anhangsverzeichnis

A.6-14: Votes (von MOOC-Neulingen und MOOC-Erfahrenen)

Votes (no_enroll = 1, MOOC-Neulinge) Häufigkeit Gültig

Prozent

Gültige Prozente

Kumulierte Prozente

1

6

1,3

28,6

28,6

2

9

1,9

42,9

71,4

3

2

,4

9,5

81,0

6

1

,2

4,8

85,7

9

1

,2

4,8

90,5

28

1

,2

4,8

95,2

103

1

,2

4,8

100,0

21 455 476

4,4 95,6 100,0

100,0

Gesamt Fehlend System Gesamt

Votes (no_enroll > 1, MOOC-Erfahrene) Häufigkeit Gültig

Prozent

Gültige Prozente

Kumulierte Prozente

1

82

9,9

48,5

48,5

2

33

4,0

19,5

68,0

3

14

1,7

8,3

76,3

4

8

1,0

4,7

81,1

5

4

,5

2,4

83,4

6

4

,5

2,4

85,8

7

7

,8

4,1

89,9

8

2

,2

1,2

91,1

9

1

,1

,6

91,7

12

1

,1

,6

92,3

Anhangsverzeichnis

353

14

1

,1

,6

92,9

15

2

,2

1,2

94,1

20

1

,1

,6

94,7

22

1

,1

,6

95,3

24

1

,1

,6

95,9

32

1

,1

,6

96,4

37

1

,1

,6

97,0

40

1

,1

,6

97,6

56

1

,1

,6

98,2

86

1

,1

,6

98,8

164

1

,1

,6

99,4

241

1

,1

,6

100,0

169 662 831

20,3 79,7 100,0

100,0

Gesamt Fehlend System Gesamt