Marktabgrenzung: Konzeption und Problematik von Ansätzen und Methoden zur Abgrenzung und Strukturierung von Märkten unter besonderer Berücksichtigung von marketingtheoretischen Verfahren [1 ed.] 9783428465286, 9783428065288

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Marktabgrenzung: Konzeption und Problematik von Ansätzen und Methoden zur Abgrenzung und Strukturierung von Märkten unter besonderer Berücksichtigung von marketingtheoretischen Verfahren [1 ed.]
 9783428465286, 9783428065288

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Schriften zum Marketing Band 23

Marktabgrenzung Konzeption und Problematik von Ansätzen und Methoden zur Abgrenzung und Strukturierung von Märkten unter besonderer Berücksichtigung von marketingtheoretischen Verfahren

Von

Hans H. Bauer

Duncker & Humblot · Berlin

HANS H. BAUER Marktabgrenzung

SCHRIFTEN ZUM ΜΑϋΚΕΉΝΘ hrsg. von Prof. Dr. Erwin Dichtl, Mannheim Prof. Dr. Franz Böcker, Regensburg Prof. Dr. Hermann Diller, Hamburg Prof. Dr. Hans H. Bauer, Koblenz Band 23

Marktabgrenzung Konzeption und Problematik von Ansätzen und Methoden zur Abgrenzung und Strukturierung von Märkten unter besonderer Berücksichtigung von marketingtheoretischen Verfahren

Von Prof. Dr. Hans H. Bauer

Duncker & Humblot · Berlin

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Fakultät für Betriebswirtschaftslehre sowie der Fakultät für Volkswirtschaftslehre und Statistik der Universität Mannheim gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Bauer, Hans H.: Marktabgrenzung : Konzeption und Problematik von Ansätzen und Methoden zur Abgrenzung und Strukturierung von Märkten unter besonderer Berücksichtigung von marketingtheoretischen Verfahren / von Hans H. Bauer. — Berlin : Duncker u. Humblot, 1989 (Schriften zum Marketing ; Bd. 23) Zugl.:"Mannheim, Univ., Habil.-Schr. 1986 ISBN 3-428-06528-X NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1989 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Hagedornsatz, Berlin 46 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0343-5970 ISBN 3-428-06528-X

Die allgemeinen Meinungen und was jedermann für ausgemacht hält, verdienen oft am meisten untersucht zu werden. Georg Christoph Lichtenberg

Vorwort Marktabgrenzung und Marktstrukturierung verkörpern unverzichtbare Voraussetzungen für die Präzisierung und Lösung vieler absatz- und wirtschaftspolitischer Probleme. Ohne zu wissen, welche Produkte, Anbieter und Nachfrager zu dem für eine Fragestellung relevanten Markt gehören und in welche Strukturen dieser zerfallt, können zahlreiche Marktphänomene weder theoretisch adäquat analysiert noch praktisch zielgerecht angegangen werden. M i t der vorliegenden Arbeit, die von der Fakultät für Betriebswirtschaftslehre und der Fakultät für Volkswirtschaftslehre und Statistik der Universität Mannheim im Dez. 1986 als Habilitationsschrift angenommen wurde, soll ein kleiner Beitrag zur Beantwortung der wichtigsten Fragestellungen einer Marktabgrenzung geleistet werden. Den Anstoß und zahlreiche Anregungen zur Untersuchung der Marktabgrenzungsproblematik verdanke ich meinem akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. E. Dichtl, dem ich hier an dieser Stelle für die verständnisvolle Wegbegleitung über viele Jahre herzlich danke. Vieles von dem, was im Urteil der Leser dieser Schrift eine positive Würdigung erfahren wird, geht auf seine Förderung und konstruktiven Vorschläge zurück. Den Herren Professoren Dr. A. Kieser und Dr. K. Conrad schulde ich Dank für die im Rahmen der Erstellung des Zweitgutachtens gegebenen Hinweise, Herrn Dipl.-Kfm. U. Hannig für die Hilfe bei der Anfertigung von Abbildungen und des Literaturverzeichnisses. Last but not least danke ich meiner Ehefrau Maria und meinen Söhnen Sebastian und Christoph dafür, daß sie die häufigen Vertröstungen auf „danach" schlimmstenfalls mit Humor aufnahmen. Vallendar, im Januar 1989

Hans H. Bauer

Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der Abbildungen

12

Verzeichnis der Tabellen

14 Teill

Die Problemstellung und Teilanfgaben einer Marktabgrenznng 1.

Der Markt und die Marktabgrenzung

17

1.1.

Die Rede von Märkten in der Praxis

17

1.2.

Die Definition von „Markt"

18

1.3.

Der Begriff der Marktabgrenzung

19

1.4

Die Ziele und Abgrenzungen der Untersuchung

21

2.

Die Anlässe und Zwecke einer Marktabgrenzung

23

2.1.

Die Marktabgrenzung für die Wirtschaftspolitik

23

2.2.

Die Marktabgrenzung für die Wettbewerbspolitik und das Wettbewerbsrecht

25

2.3.

Die Marktabgrenzung für die strategische Unternehmenspolitik

27

2.4.

Die Marktabgrenzung für die Marketingpolitik

28

3.

Die Teilaufgaben einer Marktabgrenzung

30

3.1.

Die Bestimmung der abzugrenzenden Objekte

30

3.1.1.

Die Objekte im Überblick

30

3.1.2.

Die Marktgüter

32

3.1.3.

Die Marktakteure

35

3.2.

Die Bestimmung der Abgrenzungskriterien

36

3.3.

Die Abgrenzung bzw. Strukturierung der Objekte

39

3.3.1.

Zur Interdependent von Abgrenzung und Strukturierung

39

3.3.2.

Eine formale Beschreibung des Marktstrukturierungsproblems

40

4.

Zusammenfassung

43

nsverzeichnis

8

Teil II

Die Marktabgrenzung in der Volkswirtschaftstheorie und im Wettbewerbsrecht 1.

Die volkswirtschaftlichen Ansätze

46

1.1.

Preistheoretische Konzepte

46

1.1.1.

Die Konkurrenz um Kaufkraft

47

1.1.2.

Die Homogenität von Gütern

49

1.1.3.

Die Substitutionslücke zwischen Gütern

50

1.1.4.

Die Kreuzpreiselastizität der Nachfrage

51

1.1.5.

Der gesellschaftliche Grundbedarf

55

1.1.6.

Die Bedürfnisse der Nachfrager

57

1.2.

Haushaltstheoretische Konzepte

59

1.2.1.

Der Nutzenverbund von Gütern

59

1.2.2.

Die Konsumtechnologie der Haushalte

60

1.3.

Wettbewerbstheoretische Konzepte

65

1.3.1.

Die Industriezugehörigkeit von Unternehmen

65

1.3.2.

Der Ressourcen-Pool von Unternehmen

71

1.3.3.

Die Reaktionsverbundenheit von Unternehmen

72

1.4.

Zusammenfassung

74

2.

Die Marktabgrenzung im Wettbewerbsrecht

75

2.1.

Die Bestimmung von Waren gleicher oder verwandter Art im Kontext des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) und des Warenzeichengesetzes (WZG) sowie die Anlässe der Marktabgrenzung im Rahmen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)

75

Die Ermittlung des relevanten Marktes als Voraussetzung der Feststellung von Marktmacht im Bereich des GWB

83

2.2. 2.3.

Konzepte zur Abgrenzung des relevanten Marktes im Bereich des GWB

89

2.3.1.

Das Bedarfsmarktkonzept

89

2.3.1.1.

Die Austauschbarkeit als globales Kriterium zur Marktabgrenzung ..

89

2.3.1.2.

Die Gütereigenschaften als Austauschbarkeitsindikatoren

91

nsverzeichnis

9

2.3.1.2.1.

Die Produktmerkmale

91

2.3.1.2.2.

Merkmale der Handelsleistung

92

2.3.1.3.

Die Produktverwendungszwecke als Austauschbarkeitsindikatoren

2.3.1.4.

Methodische Probleme des Bedarfsmarktkonzepts

2.3.2.

Das Angebotsumstellungskonzept

102

2.3.3.

Das Konzept des Wettbewerbsmarktes

104

2.4.

Zusammenfassung

106

..

95 98

Teil III

Die Marktabgrenzung in der Marketingtheorie 1.

Die produktbezogene Marktabgrenzung

108

1.1.

Die Bestimmung der im Rahmen der Marktstrukturierung zu erfassenden Produkte 108

1.1.1.

Die Determinanten der Startmenge

108

1.1.2.

Der Ansatz des „evoked set"

110

1.1.3.

Der Ansatz des bedingten „evoked set"

110

1.1.4.

Zusammenfassung

111

1.2.

Die Kriterien einer Marktabgrenzung

113

1.2.1.

Die Determinanten der Eignung von Abgrenzungskriterien

113

1.2.1.1.

Die allgemein-formalen Anforderungen

113

1.2.1.2.

Die spezifisch-inhaltlichen Anforderungen

115

1.2.2.

Die als Nachfrager-Urteile operationalisierten Kriterien

118

1.2.2.1.

Die Produktmerkmale

118

1.2.2.1.1.

Die Eigenschaften

118

1.2.2.1.2.

Die Nutzenkomponenten

120

1.2.2.1.3.

Die Verwendungszwecke

122

1.2.2.2.

Die globale Produktähnlichkeit

129

1.2.2.3.

Die Produktpräferenz

132

1.2.2.4.

Die Produktsubstituierbarkeit

134

1.2.3.

Die als KaufVerhalten operationalisierten Kriterien

137

1.2.3.1.

Der dynamische KaufVerbund

137

1.2.3.2.

Die Käuferwanderung

139

nsverzeichnis

10

1.2.3.3.

Der Produktwechsel

143

1.2.3.4.

Das Kaufintervall

147

1.2.3.5.

Die tatsächliche Nutzung

149

1.2.4.

Zusammenfassung

153

1.3.

Die Verfahren der Marktabgrenzung

156

1.3.1.

Die Verfahren der Marktaufspaltung

156

1.3.1.1.

Zur Bedeutung von Güterhierarchien für die Marktabgrenzung

156

1.3.1.2. 1.3.1.2.1. 1.3.1.2.2. 1.3.1.2.3.

Die hermeneutischen Ansätze Das Konzept der Warentypologie Das Konzept der Produkthierarchie Zusammenfassung

159 159 162 168

1.3.1.3. 1.3.1.3.1. 1.3.1.3.2. 1.3.1.3.3. 1.3.1.3.4. 1.3.1.3.5.

Die informationsprozessualen Ansätze 169 Zur Relevanz der Analyse des Entscheidungsprozesses für die Marktabgrenzung 169 Die Protokollanalyse 171 Die Informationsdisplaymatrix 173 Die Blickaufzeichnung 175 Zusammenfassung 177

1.3.1.4. 1.3.1.4.1. 1.3.1.4.2. 1.3.1.4.3. 1.3.1.4.4.

Die stochastischen Ansätze Die Grundidee Das Hendry-Modell Das Prodegy-Modell Zusammenfassung

178 178 179 186 198

1.3.1.5. 1.3.1.5.1. 1.3.1.5.1.1. 1.3.1.5.1.2. 1.3.1.5.2. 1.3.1.5.3.

Die multivariaten Ansätze Die Clusteranalyse Die Aufspaltung in disjunkte Teilmärkte Die Aufspaltung in sich überlappende Teilmärkte Die Faktorenanalyse Zusammenfassung

201 201 201 214 217 220

1.3.2.

Verfahren zur Marktstrukturierung

225

1.3.2.1.

Das Marktraummodell

225

1.3.2.2.

Die Faktoren- und Diskriminanzanalyse

227

1.3.2.3.

Die Mehrdimensionale Skalierung

233

1.3.2.4.

Zusammenfassung

237

2.

Erweiterungen der produktbezogenen Marktabgrenzung

244

2.1.

Die nachfragerbezogene Marktabgrenzung

246

2.1.1.

Der Zusammenhang zwischen produkt- und nachfragerbezogener Marktabgrenzung 246

nsverzeichnis

11

2.1.2.

Die Kriterien und Verfahren der nachfragerbezogenen Marktabgrenzung 248

2.2.

Die unternehmensbezogene Marktabgrenzung

2.2.1.

Der Zusammenhang zwischen produkt- und unternehmensbezogener Marktabgrenzung 250

2.2.2.

Die Kriterien der Marktabgrenzung

252

250

2.2.3.

Die Verfahren der unternehmensbezogenen Marktabgrenzung

254

2.2.3.1.

Die JPoor-man"-Stmkturierung

254

2.2.3.2.

Die Strukturierung des Wettbewerbsfeldes mit Hilfe multivariater Methoden 258

Teil IV

Die Eigebnisse im Übeiblick

Literaturverzeichnis

269

Abbildungsverzeichnis 1 : Der Markt als Relationssystem

19

2: Analytisches System der Marktabgrenzung

21

3: Objektbezogene Ansatzpunkte der Marktabgrenzung

32

4: Determinanten des KaufVerhaltens als Marktabgrenzungskriterien

38

5: Arten und Kriterien der Marktabgrenzung

39

6: Schema der Konsumtechnologie von Lancaster

62

7: Der Zusammenhang zwischen funktionaler Austauschbarkeit, Beweglichkeit der Nachfrage und potentiellem Wettbewerb

86

8: Die Hauptdeterminanten der funktionalen Austauschbarkeit und der Beweglichkeit der Nachfrage

87

9: Die Abgrenzung des relevanten Marktes und der marktnahen Bereiche durch die Monopolkommission

88

10: Vorgehensweise zur Erhebung des bedingten „evoked set"

Ill

11: Schematischer Zusammenhang zwischen möglichen Kriterien der Marktstrukturierung 116 12: Beispiel für die Eigenschaftsprofile dreier fiktiver Autotypen

120

13 : Beispiele für die Beziehungen zwischen Eigenschaften und Nutzenkomponenten des Automobils 121 14: Verwendungszwecke des Rohstoffs Kalk/Dolomit

125

15 : Der Zusammenhang zwischen Ähnlichkeit und Präferenz für zwei Produkte im Idealpunkt- und Idealvektormodell 134 16: Schematische Darstellung des IRS-Ansatzes

148

17: Beispiel für eine unvollständige, individuelle Hierarchie von Fortbewegungsmitteln 158 18: Die Produkthierarchie in ihrem wettbewerblichen Kontext

167

19: Vorlage und Blickverlauf bei einem Blickaufzeichnungsexperiment

176

Abbildungsverzeichnis

13

20: Hypothetische Hierarchien für Antitranspirantprodukte

179

21: Schematische Darstellung des Prodegy-Ansatzes

188

22: Hybride Strukturierung des US-amerikanischen KafFeemarktes

197

23: Fiktive Ähnlichkeitsmatrix und die dazugehörige Baumstruktur

202

24: Hierarchische Marktaufspaltung für sieben Elektrogeräte zur Trennung von Werkstoffen auf der Basis ihrer Eignung fur 27 Verwendungszwecke 206 25: Hierarchische Marktaufspaltung fur Erfrischungsgetränke

207

26: Drei alternative Produkthierarchien fur acht Erfrischungsgetränke

211

27: Produkthierarchie für acht Erfrischungsgetränke mit impliziter Rekonstruktion der Markentreue 212 28: Marktaufspaltung für Zahlungsmittel 29: Zugehörigkeit von Zahlungsmitteln zu sich überlappenden Teilmärkten

213 . . . 216

30: Aufspaltung des US-Kaffeemarktes in sich überlappende Teilmärkte

222

31: Der Faktor-und Diskriminanzraum für bestimmte Nahrungsmittel

231

32: Der Marktraum der Psychopharmaka nach dem Urteil von Ärzten

236

33: Der Marktraum der Psychopharmaka nach der Roten Liste (Ausschnitt)

. . . 238

34: Die Markträume für acht Erfrischungsgetränke auf der Basis von Ähnlichkeitsurteilen und Wechselverhalten 240 35 : Die Markträume für acht Erfrischungsgetränke auf der Basis von Wechselverhalten und hypothetischen Austauschbarkeitsurteilen 243 36: Alternative Strukturierung eines Marktes von 14 Automobilen

245

27: Varianten der Nachfragerstrukturierung

249

38: Die vier größten Anbieter auf dem US-Markt (1976) von computergesteuerten Röntgengeräten und die strategische Position ihres jeweiligen Programms .. 255 39: Beispiel für ein Marktmodell mit drei strategischen Gruppen

257

40: Marktpositionen von Handelsunternehmen

258

41: Wettbewerbsraum von 16 Möbelhäusern

261

42: 17 Konkurrenten einer Unternehmung in einem dreidimensionalen Wettbewerbsraum 262

Tabellenveizeichnis 1: Die Datenmatrix Χ = (xki)

41

2: Beispiele für Konsumtechnologien nach Lancaster

62

3: Die Systematik des Sektors Unternehmen in der Industrieklassifikation

68

4: Synopse der volkswirtschaftlichen Ansätze zur Marktabgrenzung

76

5: Die Intensität der Versorgungsbedürfnisse

95

6: Beispiele einer Produkt-Verwendungszweck-Matrix

127

7: Häufigkeit der Substitution zwischen 13 Biermarken

135

8: Die Einkaufstättenkonkurrenz auf der Basis der Kombinationsanalyse

138

9: Die Ergebnisse einer Gain & Loss-Analyse

140

10: Beispiel einer Gain & Loss-Matrix

141

11: Matrix der Affinitätswerte

142

12: Fiktive Fluktuationsmatrix für drei Produkte

144

13: Fiktive Übergangsmatrix für drei Produkte

146

14: Meßwerte für die Austauschbarkeit ausgewählter Kaffeeprodukte

152

15: Korrelationen zwischen verschiedenen Substitutionsmaßen

152

16 : Synopse der in der Marketingtheorie verwendeten Marktabgrenzungskriterien

154

17: Fiktive Wechselmatrix für drei Marken

183

18: Hendry-Wahrscheinlichkeiten in einem fiktiven Beispiel

184

19: Markov-Wahrscheinlichkeiten in einem fiktiven Beispiel

184

20: Beispiel einer Wechselmatrix nach dem „forced switching"-Konzept

191

21: Testgrößen des Prodegy-Modells in einem Beispiel

193

22: Statistischer Test von vier hypothetischen Aufspaltungen des US-amerikanischen Kaffeemarktes 195

blnverzeichnis

15

23: Angebot an Kaffeesorten ausgewählter Unternehmen am US-amerikanischen Markt 1979 196 24: Die Eignung von sieben Elektrogeräten zur Trennung von Werkstoffen für 27 Verwendungszwecke 205 25: Wechselwahrscheinlichkeiten für acht Erfrischungsgetränke

209

26: Zugehörigkeit von acht Erfrischungsgetränken zu sich überlappenden Teilmärkten 217 27: Substitutionsmatrizen und Faktorladungen für alternative Formen der Marktaufspaltung in einem fiktiven Fall 219 28: IRS-Substitutionswerte für 12 Objekte des US-Kaffeemarktes

221

29 : Rotierte Matrix der Faktorladungen von 12 Kaffeemarktobjekten auf sechs Teilmarktfaktoren 221 30: Die im Rahmen einer Marktstrukturanalyse verwendeten Wettbewerbsdimensionen von Möbelhandelsunternehmen 259

Teil I:

Die Problemstellung und Teilaufgaben einer Marktabgrenzung 1. Der M a r k t und die Marktabgrenzung 1.1. Die Rede von Märkten in der Praxis „Was ist unser Markt?", „Wer sind unsere Kunden?" und „Wer sind unsere Wettbewerber?" sind für Unternehmen naheliegende und wichtige Fragen. Sie mögen banal klingen, gleichwohl werden sie in der Praxis nicht immer mit der nötigen Eindringlichkeit gestellt oder richtig beantwortet. Wie sonst könnten Unternehmen scheitern, weil sie „am Markt vorbei" produzierten, „Marktentwicklungen verschlafen" haben oder „im Wettbewerb nicht bestehen" konnten?1 Märkte sind „bedroht" und „ i m Wandel", „gewachsen" oder „geschrumpft", „beherrscht" oder „umkämpft", Märkte werden „bearbeitet" oder „vernachlässigt", „erschlossen", „gepflegt" und „ruiniert" und dergleichen mehr. Es gibt „geschlossene" und „offene", „enge" und „weite", „alte" und „neue" Märkte, auch „Zukunftsmärkte". Die Zahl konkreter Produktmärkte ist gar „unendlich" groß. Unternehmen haben „Marktanteile" auf „Produktmärkten" mit soundsoviel „Marktvolumen". Dabei bearbeiten sie einen „Massenmarkt" oder „Spezialmärkte" und verbuchen, wenn alles gut geht, „Markterfolge". Hinter den genannten und den unzähligen anderen Redewendungen und Begriffen, die sich noch finden lassen, stecken Vorstellungen von bestimmten Märkten. Diese können in mehrfacher Hinsicht verschieden voneinander sein. Ζ. B. kann sich „neuer Markt" auf neue Produkte (ζ. B. Windsurfbretter) oder auf neue Nachfrager (ζ. B. Privatpersonen als Käufer von Personalcomputern) beziehen. Dabei sorgt sehr wahrscheinlich das Problem der Bestimmung der Grenzen zwischen Personalcomputern und anderen Computern zusätzlich für unterschiedliche Marktvorstellungen. Eine derartige praxissprachliche Verwendung des Begriffs Markt setzt die Bewältigung zweier gedanklicher Vorgänge voraus. Zum einen bedarf es einer Festlegung, ob die auf einem Markt gehandelten Güter oder deren Anbieter 1

So konstatieren Berthel/ Moews (1970, S. 141), eine unpräzise Teilmarktabgrenzung sei der Grund für mangelhafte Marktkenntnisse und -erfolge vieler Unternehmen. 2 Bauer

Teil I: Problemstellung und Teilaufgaben einer Marktabgrenzung

18

oder deren Nachfrager bzw. Kombinationen dieser Objektmengen zum Bezugspunkt der Definition eines Marktes erkoren werden sollen, zum anderen müssen eine Abgrenzung und Strukturierung der gewählten Objektmenge(n) erfolgen. Diese Aufgaben umfassen im einzelnen vor allem die Erarbeitung von Abgrenzungs- bzw. Strukturierungskriterien und Klassifikationsverfahren. Nach verbreiteter Ansicht gibt es keine allgemeingültige Antwort auf die Frage, wie ein Markt abzugrenzen sei.2 Häufig wird nicht einmal erkannt, daß Aussagen über Marktgegebenheiten eine Bestimmung des Marktes voraussetzen. Wird eine solche vorgenommen, so meist durch kasuistisches Aufzählen von Produkten, Kundengruppen oder Wettbewerbern. Das kann vom theoretischen Standpunkt aus nicht befriedigen. Hier gilt der Anspruch, in Aussagen über Sachverhalte, die das Konstrukt „ M a r k t " betreffen, eine zweckadäquate Marktfestlegung nach theoretischen Kriterien zu integrieren. Hierzu benötigt man in einem ersten Schritt eine Definition des Begriffs Markt.

1.2. Die Definition von „Markt" Eine analytische Betrachtung des Terminus Markt läßt zwei semantische Bedeutungen erkennen. Markt als konstitutives Element der Wirtschaftstheorie wird zum einen als Vorgang verstanden: Angebot und Nachfrage treffen aufeinander und Anbieter und Nachfrager tauschen, eingebettet in einen Wettbewerbsprozeß, Leistungen aus. Dieser Prozeß wird von Subjekten getragen und bezieht sich auf Objekte, woran eine zweite Bedeutungsvariante anknüpft: Der Markt als Menge von Nachfragern samt ihren Bedürfnissen, von Gütern als nutzenstiftenden Eigenschaftsbündeln und von Anbietern mit den Instrumenten der Nutzenstiftung (Produkte, Preise, Werbung, Distribution). Der „Elementarmarkt" mit einem Anbieter, einem Gut und einem Nachfrager und der „Totalmarkt" 3 mit allen Anbietern, allen Gütern und allen Nachfragern bilden quasi die Extremvarianten eines dreidimensionalen Raums, in dem beliebig viele Subräume abgrenzbar sind. Entsprechend lassen sich Marktdefinitionen in der Literatur als ein- oder mehrelementige Definitionen bezeichnen:4 A u f die Nachfrager stellt ζ. B. Sissors ab: „ . . . individuals who in the past have purchased a given class of products." 5 2

Diese Feststellung durchzieht die gesamte Literatur zu unserem Thema. Vgl. etwa Dichtl/Bauer/Schobert 1980, S. 165; Beckmann 1968, S. 20; Hoppmann 1972, S.48; Day/Shocker/Srivastava 1979, S. 9; Bartling 1980, S.92f.; Fröhlich 1975, S. 6; Sever 1985, S. 23. 3 Die Begriffe „Elementarmarkt" und „Totalmarkt" werden v. Stackelberg (1951, S. 240) zugeschrieben. 4 Literatur zum Marktbegriff gibt es zuhauf. Eine Rezeption ist hier weder sinnvoll noch möglich. Die angeführten Zitate sind willkürlich ausgewählte Beispiele. 5 Sissors 1966, S. 17.

1. Der Markt und die Marktabgrenzung

19

Day, Shocker, Srivastava definieren „. . . a product-market as a set of products . . . and the customers.. . " 6 und heben die Produkte als konstitutives Merkmal hervor. Und bei Albach finden sich die Anbieter explizit in das Marktkonzept einbezogen: „Für den Betriebswirt ist also der relevante Markt der Kreis von Konsumenten und Wettbewerbern,.. .". 7 Schließlich werden beispielsweise in der Definition von Freter alle drei Elemente sichtbar: „Der Markt kann als Beziehung zwischen Käufern und Verkäufern einer bestimmten Ware oder Dienstleistung . . . definiert werden". 8 A m prägnantesten und für unsere Zwecke am passendsten hat es Schobert beschrieben: „Der Markt fungiert . . . in einem umfassenderen Sinne als

Quelle: Schobert 1979, S. 17 (leicht abgewandelt). Abb. 1: Der Markt als Relationssystem 6 7 8

2*

Day/Shocker/Srivastava 1979, S. 10. Albach 1978, S. 538. Freter 1983, S. 18f.

20

Teil I: Problemstellung und Teilaufgaben einer Marktabgrenzung

Relationssystem von Elementen, d.h. von Unternehmen (Anbietern), repräsentiert durch ihre Produkte bzw. Marken, und deren Einschätzung durch die Bedarfsträger (Abnehmer).' 49 Auch wenn die in Abb. 1 aufgeführten Elemente und Beziehungen nicht alle relevanten Einzelheiten des Wettbewerbsgeschehens am Markte umfassen (ζ. B. Ressourcen der Anbieter, Merkmale der Nachfrager) u.v.a. die das Verhalten symbolisierenden Pfeile noch der inhaltlichen Konkretisierung bedürfen, so wird doch in der Grundstruktur deutlich, was unter Markt verstanden werden soll. Im folgenden ist nun unsere Auffassung von Marktabgrenzung zu skizzieren.

1.3. Der Begriff der Marktabgrenzung Wir wollen zunächst weiter von dem bereits in der Fachsprache bekannten Begriff der Marktabgrenzung ausgehen: I m Sinne der Fragewörter, wer/was soll wozu, wonach und wie als einem Markt zugehörig bezeichnet werden, geht es bei unserem Anliegen nicht nur um eine kurze Wesensbeschreibung, wie sie typisch für eine Definition 10 wäre, sondern eben auch um die Erarbeitung von Zwecken, Objekten, Kriterien und Verfahren, die Märkte voneinander abzugrenzen erlauben. So verstanden sind Begriffe wie Marktstrukturierung, Marktabgrenzung und Marktaufspaltung lediglich technische Ausdrücke, die sagen, was mit den einzelnen Märkten zugehörigen Elementen geschieht. Sie verkörpern im Kern einen einzigen Vorgang, wobei man die Marktabgrenzung als eine um eine Grenzziehung erweiterte Marktstrukturierung verstehen könnte. Strukturierung bedeutet das Aufdecken eines Gefüges, der Konturen von Teilmengen. Abgrenzen heißt dann, bestimmte Konturen hervorzuheben und als Grenzen zwischen Teilmengen zu betrachten. In den verschiedenen Literaturbereichen sind ohne Rücksicht auf begriffliche Reinheit Vorlieben für bestimmte Begriffe entstanden, die völlig zu übergehen nur Verwirrung brächte. Wir werden deshalb zwar auf Strukturierung, Aufspaltung und Abgrenzung differenziert eingehen, im allgemeinen aber ganz pragmatisch den Sprachgebrauch der jeweiligen Theorie übernehmen. Weiter oben wurde bereits ein Markt als eine nach irgendwelchen Relationen in eine Struktur gebrachte Menge von Subjekten bzw. Objekten gekennzeichnet. Damit sind die tragenden Säulen einer Marktabgrenzung genannt. Fügt man hinzu, daß v. a. die Strukturbildung, aber auch die Auffindung der adäquaten Abgrenzungskriterien und der zu berücksichtigenden Objekte geeignete Methoden erfordern und alles zusammen vor dem Hintergrund bestimmter Zwecke zu 9

Schobert 1979, S. 17. Dabei ist „Marktdefinition" in diesem Sinne („Definieren" eines Marktes) zu unterscheiden von den weiter oben bereits vorgestellten Definitionen des Begriffs Markt. 10

1. Der Markt und die Marktabgrenzung

21

geschehen hat, ergeben sich die in Abb. 2 gezeigten analytischen Teilbereiche einer Marktabgrenzung.

Abb. 2: Analytisches System der Marktabgrenzung

1.4. Die Ziele und Abgrenzung der Untersuchung Marktabgrenzung ist ein altes wissenschaftliches Anliegen. Das Ergänzen, Beibehalten oder Über-Bord-werfen vorhandenen Wissens setzt immer die Kenntnis aller bislang erarbeiteten, mitunter in Vergessenheit geratenen Lösungsansätze voraus. Das gebietet nicht nur die Redlichkeit gegenüber den „Alten" des Faches, sondern ermöglicht auch die Entdeckung von ergänzendem sowie neuem substitutiven Wissen.11 Substitutiver Wissenschaftsfortschritt ist dabei besonders durch einen Methoden- oder Paradigmenwechsel gekennzeichnet, der für ein bekanntes Anliegen ganz neue Lösungen ermöglicht. Daß sich dies bei dem hier vorliegenden Untersuchungsgegenstand ebenso verhält, wird ein Ergebnis der vorliegenden Arbeit sein. Im folgenden Abschnitt werden zunächst die analytischen Teilbereiche einer Marktabgrenzung eingehender dargelegt. Die dabei entwickelten Anforderungen an eine Marktabgrenzung dienen als konzeptionelles Analyseraster und als Verständigungsgrundlage für alle folgenden Erörterungen. Der Schwerpunkt der Arbeit wird auf die Darstellung der in der Marketingtheorie entwickelten Marktabgrenzungs- und Marktstrukturierungsverfahren gelegt. Dabei wird als erstes Ziel angestrebt, die Tauglichkeit der Verfahren zur Marktabgrenzung für die im Marketing gegebenen Anlässe herauszuarbeiten. Insbesondere das Leistungspotential, aber auch die Validität der Klassifikations- sowie der Marktraummodelle gilt es aufzuzeigen, u. a. anhand empirischer Studien. Hierzu dient auch eine vergleichende Würdigung von Raum-, Klassifikations- und Wahrscheinlichkeitsmodellen. Darüber hinaus bedürfen die wahrscheinlichkeitstheoretisch angelegten Marktaufspaltungsalgorithmen einer breiteren Behandlung, da sie u. E. trotz ihres enormen Problemlösungspo11

Zu kumulativem, zirkulärem und substitutivem Fortschritt vgl. Helmstädter 1983.

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Teil I: Problemstellung und Teilaufgaben einer Marktabgrenzung

tentials noch kaum Beachtung gefunden haben. Das gleiche gilt für einen nach Verwendungssituationen differenzierten Ansatz der Marktaufspaltung sowie für die Unternehmenspositionierung, wozu auch kleinere eigene Studien vorgelegt werden. Als zweites größeres Ziel wird eine Klärung der Frage angestrebt, inwiefern die im Rahmen des Marketing entwickelten Verfahren für die Marktabgrenzung im wettbewerbstheoretischen bzw. -rechtlichen Kontext Verwendung finden können, und worin die Vorteile liegen könnten. Dazu ist es notwendig, die Ansätze zur Marktabgrenzung in der Volkswirtschaftslehre und im Wettbewerbsrecht systematisch zu analysieren. Dies erfolgt deshalb gleich im Anschluß an das einführende Kapitel, weil die Ansätze im wesentlichen nur Ideen ohne jegliche Operationalität verkörpern, Ideen allerdings, die vielfach auch in den operationalisierten Marktabgrenzungsverfahren der Marketingtheorie wiederzufinden sind. Natürlich sollen dabei nicht nur die ideengeschichtlichen Hintergründe der Marktabgrenzung, sondern auch die bestehenden Lücken der wettbewerbstheoretischen Ansätze sichtbar gemacht werden. Daraus lassen sich im Schlußkapitel Anregungen dafür ableiten, wie die Anforderungen an eine Marktabgrenzung in diesen Anwendungsgebieten durch Vorschläge aus dem Marketingbereich besser zu erfüllen wären. Ein drittes Ziel ergibt sich aus dem Umstand, daß viele Konzepte und empirische Ansätze zur Marktstrukturierung relativ isoliert voneinander entwickelt und vorgelegt wurden: Ein Abriß des „State of the A r t " soll Zusammenhänge aufzeigen, eine Systematisierung ermöglichen und Hinweise dafür bieten, in welche Richtung es sich bei den Forschungsbemühungen vorzudringen lohnt. Was die inhaltliche Abgrenzung anbetrifft, so werden folgende Bereiche in der vorliegenden Arbeit nicht thematisiert: (1) Zunächst soll die Frage ausgeklammert werden, inwieweit außerhalb von Märkten liegende Determinanten, wie z.B. kulturelle, geographische, klimatische, technische und sozio-ökonomische Faktoren 12 zum Verständnis dessen, was ein konkreter Markt sein soll, beitragen. 13 So wäre ζ. B. bei der Marktabgrenzung von Luxusautomobilen für die Bundesrepublik Deutschland ein Cadillac zwar grundsätzlich zu berücksichtigen, doch soll hier nicht analysiert werden, warum er vermutlich eine zu vernachlässigende Rolle im entsprechenden Markt spielt. (2) Ferner bleibt die Problematik der Veränderung von Marktverhältnissen über die Zeit ausgespart, und zwar in zweierlei Hinsicht: Weder kann hier erarbeitet werden, wie eine Marktabgrenzung gegebenenfalls zu dynamisieren ist, 14 noch sollen Art und Ausmaß der Wirkung absatzpolitischer 12

Vgl. Raffée 1974, S. 112f. Vgl. hierzu auch Brede 1976, S. 37 ff. 14 Eine komparativ-statische Dynamisierung von Marktmodellen mittels Mehrdimensionaler Skalierung bietet Schobert 1979. 13

2. Die Anlässe und Zwecke einer Marktabgrenzung

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Maßnahmen von konkurrierenden Unternehmen, z.B. der Einführung eines neuen Produktes, auf Marktstrukturen analysiert werden. 15 (3) Es wurde bereits deutlich, daß die Abgrenzung von Beschaffungsmärkten ebenfalls außerhalb der Betrachtung bleiben soll. Eine Ausnahme bildet das Kapitel zum relevanten Markt. Dieser muß im Zuge der Rechtsanwendung des GWB auch für Beschaffungsmärkte bestimmt werden. Die Ausführungen werden aber zeigen, daß die meisten Überlegungen zum Absatzmarkt spiegelbildlich auf den Beschaffungsmarkt übertragbar sind. (4) Gleichfalls nicht vorgenommen wird eine explizite Bestimmung von Märkten in ihrer räumlichen Ausdehnung, weil sie in die sachliche Abgrenzung eingeschlossen werden kann. So läßt sich bei der sachlichen Marktabgrenzung der räumliche Gesichtspunkt berücksichtigen, indem die Kosten für die Erlangung von Markttransparenz und die Bewältigung von Einkaufsoder Transportwegen als „sachliche" Komponente des Leistungsaustauschs im Wettbewerb betrachtet werden.

2. Die Anlässe und Zwecke einer Marktabgrenzung Anlässe zur näheren Bestimmung von Märkten gibt es in den Bereichen Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre, Wettbewerbsrecht und Wirtschaftsstatistik. Die Steuerung von Unternehmen, die Regulierung des Wettbewerbs sowie die Bereitstellung gesamtwirtschaftlicher Daten durch staatliche Organe erfordern im Kern immer eine Definition bzw. Abgrenzung von Märkten. Die jeweiligen, allgemeinen oder auch ganz speziellen Zwecke präjudizieren sowohl die an die Marktabgrenzung zu stellenden Anforderungen als auch diese selbst.

2.1. Die Marktabgrenzung für die Wirtschaftspolitik Beispielsweise benötigen staatliche und überstaatliche Stellen (aber auch einzelne Unternehmen) Daten über das Ausmaß der wirtschaftlichen Tätigkeit von Industriezweigen oder Branchen 16 eines Landes oder mehrerer Länder, um aus einer vergleichenden Analyse national und international wirkende Maßnahmen der Wirtschaftslenkung (bzw. der Unternehmenspolitik) abzuleiten. Nur dann können ζ. B. der eisen- und stahlerzeugenden Industrie in den Ländern der EG Produktionsquoten oder Subventionen zugebilligt werden. Einzelne Unter15

Eine Behandlung dieses wichtigen Anliegens der Marketingtheorie würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Vgl. zu diesem Punkt Wind 1977; Brockhoff 1978; Pessemier 1982, S. 382f., 465f.; Wind 1982, S. 95, und vor allem Moore/Lehmann 1982; Huber/Puto 1983. 16 Wie sich später noch zeigen wird, ist es wegen der Berücksichtigung horizontalen Wettbewerbs zwischen Anbietern durchaus sinnvoll, von Branchen als von Märkten zu sprechen. Als Beispiel einer Branchenanalyse siehe Bartling 1984.

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Teil I: Problemstellung und Teilaufgaben einer Marktabgrenzung

nehmen können, um ein anderes Beispiel zu nennen, aus Branchenumsätzen und entsprechenden Handelsströmen zwischen den Ländern Exportchancen auf bestimmten Märkten ableiten. Brancheneinteilungen mit dem Zweck, statistisch-vergleichende Aussagen über Mengen von Unternehmen machen zu können, müßten eigentlich nur den Kriterien der Vergleichbarkeit und Konsistenz genügen, in sachlicher Hinsicht könnten sie gewissermaßen willkürlich sein. Wirtschaftlich relevante Zweckerfordernisse kommen aber deshalb ins Spiel, weil diese „statistischen Mengen" Objekte einer Beschreibung ökonomischer Sachverhalte und gezielter Maßnahmen sind. Wollte man beispielsweise Aufschluß über die Entwicklung der Arbeitsproduktivität in einzelnen Branchen gewinnen, so müßten bei der Branchenbildung eben arbeitskräftemäßige Besonderheiten der jeweils im Unternehmen eingesetzten Fertigungstechnologie (ζ. B. die Rationalisierbarkeit des Produktionsprozesses) berücksichtigt werden. Brancheneinteilungen müßten also nach bestimmten, für die wirtschaftspolitischen Zwecke relevanten Merkmalen der Unternehmen und deren Leistungserstellungsprozessen vorgenommen werden. 17 Auch die in der Form von Wirtschaftsverbänden institutionalisierte autonome Wirtschaftspolitik der Unternehmen selbst orientiert sich an Branchen bzw. Wirtschaftszweigen. 18 Zweck ist hier, die übergeordneten Probleme eines bei allen Mitgliedern mehr oder minder ähnlichen Leistungserstellungs- und -Vermarktungsprozesses auch im Sinne einer aktiven Interessenvertretung lösen zu helfen. Dieser Zweck verlangt als Abgrenzungskriterien vor allem die Gleichheit der verarbeiteten Rohstoffe, der Produktionstechnologie und der Unternehmensstruktur hinsichtlich des Produktionsfaktoreneinsatzes, aber auch des Wettbewerbszustands in bezug auf die Absatzmärkte, also in vertikaler Wettbewerbsrichtung. Daß eine Branchenbestimmung in diesem Sinne oft nicht ohne Probleme ist, zeigt sich daran, daß nicht selten Unternehmen aus Verbänden ausscheiden, um eine neue, sozusagen besser abgegrenzte Interessengemeinschaft zu bilden. Fazit: Makroökonomische Markt(Branchen-)abgrenzung für die Zwecke der Wirtschafts- und Verbandspolitik muß an Unternehmen anknüpfen. Die Abgrenzungskriterien müssen als eine Kombination aus allen wichtigen Merkmalen des betrieblichen Leistungsprozesses gewonnen werden. Merkmale aus dem Bereich des Wettbewerbsverhaltens oder der Wettbewerbsbeziehung sind in der Verbandspolitik ebenfalls zu berücksichtigen.

17 Diese Merkmale müssen nicht ausschließlich dafür geeignet sein, den Wettbewerb zwischen Unternehmen zu erfassen bzw. zu beschreiben. Damit hätte man eine Verengung der Wirtschaftspolitik auf Wettbewerbspolitik. Vgl. hierzu ebenso Fröhlich 1975, S. 8 f. 18 Zu einer Betriebswirtschaftslehre der Verbände vgl. Blümle/Schwarz 1984.

2. Die Anlässe und Zwecke einer Marktabgrenzung

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2.2. Die Marktabgrenzung für die Wettbewerbspolitik und das Wettbewerbsrecht Die Wirtschaftspolitik hat u.a. die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß der Wettbewerb gefördert und Entwicklungen zu seiner Behinderung oder gar Zerstörung begegnet wird. Wichtige Konstrukte zur Analyse 19 von Wettbewerbszuständen und Marktstrukturen sind Marktmacht, Marktbeherrschung, Konzentrationsgrad oder Marktanteil. Diese können nur konstatiert bzw. gemessen werden, wenn man den „irgendwie" betroffenen Markt bestimmt hat. 20 Die Kriterien zur Marktabgrenzung müssen dem Zweck gerecht werden, die Intensität des zwischen den Anbietern herrschenden Wettbewerbs zu erfassen, d. h. sie müssen Indikatoren für das Bestehen und die Intensität einer Wettbewerbsbeziehung sein: Wettbewerbsmäßig zusammenhängende Unternehmen gehören einem „relevanten Markt" an. Konstitutiv hängen zwei oder mehr Unternehmen wettbewerblich zusammen, wenn sie Leistungen anbieten, die für Nachfrager vergleichbare Problemlösungen verkörpern. Deren Kern sind die Marktgüter, die von Nachfragern alternativ erworben werden können, um diesen einen bestimmten Nutzen zu erfüllen. Marktabgrenzung heißt also in diesem Sinne, nach der Austauschbarkeit von Gütern zu fragen. Eine besondere Problematik bereitet die Marktabgrenzung im Zusammenhang mit der Feststellung von Marktbeherrschung und Konzentration beim Vorliegen von Mehrproduktunternehmen. Solche Unternehmen verhalten sich wettbewerblich häufig nach dem Portfolio-Konzept, das im Rahmen einer Gesamtoptimierung für das Unternehmen bewußt Kosten und Erträge bei verschiedenen Produktsparten vorsieht. Ein enges Abstellen auf einzelne Produktmärkte würde hier den zu beachtenden Wettbewerbsmarkt verzerrt wiedergeben; vielmehr bedarf es in solchen Fällen einer Marktabgrenzung, die das Ausmaß der Überlappung der gesamten Produktionsprogramme der Anbieter berücksichtigt. Da der Ordnungsrahmen für die Wettbewerbspolitik durch das Wettbewerbsrecht vorgegeben ist, erhält die Frage einer angemessenen Marktabgrenzung für das Wettbewerbsrecht eine noch größere Bedeutung. Vor allem das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) erfordert von Kartellbehörden und Justiz im Rahmen der Aufgabenschwerpunkte Fusionskontrolle und Mißbrauchsaufsicht Analysen zu dem Zweck, Marktstellung oder Wettbewerbssituation von Unternehmungen für Waren und Leistungen bestimmter Art zu erfassen. Das 19 Mit dieser Formulierung wird deutlich, daß Marktabgrenzung auch eine Aufgabe der Wettbewerbstheorie bzw. der Theorie der Wettbewerbspolitik darstellt. 20 Vgl. Herdzina 1984, S.71f., 75f.; Schmidt 1981, S.27ff.; Fröhlich 1975, S.9ff.; Abbott 1958, S. 94; Röper 1982. Hier ist allen voran die empirische Wettbewerbstheorie gemeint, für die sich der Begriff Industrieökonomik durchzusetzen beginnt. Vgl. hierzu das Standardwerk Kaufer 1980.

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Teil I: Problemstellung und Teilaufgaben einer Marktabgrenzung

setzt Marktabgrenzung nach Maßstäben voraus, die aus diesen gesetzlich umschriebenen Tatbeständen abzuleiten sind. 21 Der Zweck der wettbewerbsrechtlichen Marktabgrenzung besteht darin, die Marktgleichwertigkeit von Waren oder Leistungen festzustellen, und zwar sowohl als Ziel 2 2 an sich als auch zu dem Zweck, damit den wettbewerblichen Handlungsspielraum von Nachfragern gegenüber Anbietern und umgekehrt sowie zwischen Anbietern auszuloten. Der Natur der Rechtsanwendung folgend bilden die in diversen Vorschriften des GWB als Kartell- oder Vertragsparteien, Inhaber starker Marktstellung oder fusionsgewillte Firmen bezeichneten Unternehmen die Bezugsunternehmen der Marktabgrenzung. Da die Rechtsanwendung alle Fälle der Wirklichkeit abdecken muß, sind für alle Arten von Gütern, also etwa für Sachgüter und Dienstleistungen, Marktabgrenzungen notwendig. Als Nachfrager sind Produktionsunternehmen, Handelsunternehmen, Verbraucher und die öffentliche Hand, ja sogar Nachfragedisponenten wie Ärzte und Architekten zu berücksichtigen. Die rechtliche Marktabgrenzung ist vor allem am Ergebnis als Grundlage der Rechtssprechung interessiert. Die Kriterien der Abgrenzung dienen lediglich der Begründung, einen relevanten Markt so und nicht anders abzugrenzen. Sie selbst sind kein Anknüpfungspunkt von Maßnahmen, ganz im Gegensatz zur Marktabgrenzung etwa im Marketing, wo es sich gerade umgekehrt verhält. Dort sind Kriterien der Marktabgrenzung, z.B. technische Eigenschaften von PKW, Gegenstand der Produktpolitik von Unternehmen, um Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Da sich Gesetzgeber und Richter bei der Erfüllung dieser Aufgabe an wirtschaftlichen Zusammenhängen und damit an wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnissen zu orientieren haben, sind die volkswirtschaftliche Markt- und Wettbewerbstheorie sowie die betriebswirtschaftliche Absatz- bzw. Marketingtheorie hier von grundsätzlicher Relevanz 2 3 In beiden Disziplinen werden schon seit langer Zeit Versuche zur Marktabgrenzung unternommen. In der Marketingtheorie wurden in neuester Zeit methodisch komplexe Ansätze zur Fundierung der Produktpolitik entwickelt, die a priori aber übertragbar erscheinen. Marktabgrenzungen für das Recht müssen, vor allem in verfahrensmäßiger Hinsicht, justiziabel sein. Das betrifft zunächst die Rechtssicherheit und Rechtsvorhersehbarkeit. Analytische Verfahren der Sozialwissenschaft müssen deshalb ganz besonders den Kriterien Validität und Réhabilitât genügen,24 21

Vgl. Beckmann 1968, S. 21 f. Die Gleichartigkeit (nicht: Marktgleichwertigkeit) von Waren und Dienstleistungen spielt auch im Warenzeichengesetz (WZG) und im Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) eine gewisse Rolle. Auf diese in unserem Kontext eher als Randbereiche einzustufenden Rechtsgebiete wird im II. Kapitel dieser Arbeit kurz eingegangen. 23 Vgl. Beckmann 1968, S. 28f.; Day/Shocker/Srivastava 1979, S. 8; Srivastava 1979, S. 2; Dichtl/Andritzky/Schobert 1977, S. 290; Hoppmann 1984, S. 8fT. 24 Vgl. Nieschlag/Dichtl/Hörschgen 1985, S.675ff. 22

2. Die Anlässe und Zwecke einer Marktabgrenzung

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wollen sie einen Vorzug gegenüber den (üblichen) hermeneutischen Verfahren der juristischen Dialogik beanspruchen. Damit ist auch der Aspekt der Machbarkeit im Gerichtsalltag verbunden. Erhebungs- und Analyseverfahren der forensischen Marktforschung 25 müssen zeitlich und vor allem kostenmäßig derart konzipiert sein, daß ihre Akzeptanz durch Richter und Anwälte erleichtert wird.

2.3. Die Marktabgrenzung für die strategische Unternehmenspolitik Vielfaltige Anlässe zur Bestimmung und Strukturierung von Märkten sind auch in der Betriebswirtschaftslehre gegeben. Beispielsweise werden im Rahmen der strategischen Planung in einer Unternehmung sog. strategische Geschäftsbereiche (synonym: strategische Geschäftseinheit, „strategic business unit") geschaffen, indem im meist dreidimensionalen Feld von Technologie, Funktionserfüllung und Kundengruppe Tätigkeitsbereiche bestimmt werden. 26 Basis solcher organisatorischer Maßnahmen sind markt- bzw. wettbewerbsorientierte Analysen, deren Ergebnis häufig die Einrichtung sog. strategischer Geschäftsfelder (synonym: Wettbewerbsfeld, „strategic business areal") ist. Der Zweck der Marktabgrenzung muß hier darin gesehen werden, alle unmittelbar erfolgsrelevanten Unternehmensfunktionen (vor allem Absatz, F & E und Produktion) so zu organisieren, daß den für das Bestehen im Wettbewerb besonders kritischen Aspekten (wie z. B. Produkt-Technologie, Nachfragersegmentierung, Spezialisierungsgrad der Produkte) verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet wird. Dies erfordert neben der Aufdeckung gegenwärtiger Konkurrenten 27 auch ein Erkennen der Bedrohung durch Substitutionsprodukte und -technologien, also potentieller Konkurrenten, womit weitere Zwecke der Marktabgrenzung genannt sind. Auch am Beispiel der Portfolio-Analyse läßt sich die Notwendigkeit einer Marktabgrenzung verdeutlichen. 28 Die hier verwendeten Konstrukte wie Marktvolumen, Marktanteil, Marktstellung und Marktattraktivität erfordern wie in der Wettbewerbstheorie 29 zwingend eine Marktbestimmung. 30 Da die Ergebnisse von Portfolio-Analysen zur Verteilung der Unternehmensressourcen (Budgetierung) sowie zur Organisation der Unternehmensbereiche und zur Erfolgsbeurteilung (z.B. Sparten als Profit-Center) herangezogen 25

Vgl. Zentes 1982. Vgl. Abell 1980, S. 17; Köhler 1981, S. 268; Hinterhuber 1980, S. 219f.; Bamberger 1981; Picot 1981. 27 Zur Konkurrenzanalyse vgl. Jäger 1977. 28 Zur Portfolio-Analyse vgl. Dunst 1979. 29 Eine Verzahnung des betriebswirtschaftlichen Portfolio-Konzepts mit der volkswirtschaftlichen Wettbewerbstheorie bietet Röper 1982. 30 Vgl. Wind 1982, S. llOfT.; Röper 1982, S. 105; Jäger 1977, S. 71 ff.; Sever 1985, S. 19 fî. 26

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Teil I: Problemstellung und Teilaufgaben einer Marktabgrenzung

werden, hat die Abgrenzung von Märkten hier weitreichende Konsequenzen.31 Die strategische Unternehmensplanung verkörpert in diesem Sinne, soweit sie theoretisch formuliert ist, eine auf die Einzelwirtschaft bezogene Wettbewerbstheorie. Ein weiteres, aktuelles Anliegen der strategischen Unternehmensplanung besteht in der Bildung sog. strategischer Gruppen. Die Zusammenfassung solcher Mengen Von Unternehmen geschieht nach deren Ähnlichkeit auf strategischen Dimensionen wie v. a. Kostenstruktur, aber auch Fertigungstiefe, Integrationsgrad, Ausgeprägtheit des Service und Spezialisierungsgrad der Leistungen. Daß hierbei für die Abgrenzung von Unternehmen der Bezug auf die Austauschbarkeit von Produkten nicht aufgegeben, aber durch die Berücksichtigung weiterer Kriterien relativiert werden muß, läßt sich am Erfahrungskurvenkonzept verdeutlichen. 32 Weil hierbei v. a. aus Kostenvorteilen strategische Empfehlungen abgeleitet werden, muß die Abgrenzung des Marktes auch die Produzenten kaum austauschbarer Produkte dann einbeziehen, wenn deren gemeinsame Produktion zu einem „Erfahrungsverbund" (economies of scope) führt, der direkt die Kostenstruktur der betroffenen Marktbereiche beeinflußt. 33 Besonders hervorzuheben ist abschließend die bei strategischen Analysen gegebene Notwendigkeit, Wettbewerbsbeziehungen nicht nur der Art (d.h. produktzentriert), sondern auch der Intensität nach zu betrachten, was den gesamten Ressourcenpool konkurrierender Unternehmen berührt.

2.4. Die Marktabgrenzung für die Marketingpolitik Sicher die größte und im Hinblick auf die Produktpolitik auch unmittelbarste Bedeutung besitzt die Frage der Marktbestimmung im Marketing. Die Offenlegung von Produktmarktgrenzen ist sowohl ein wichtiges Hilfsmittel zur Analyse des Marktgeschehens als auch Voraussetzung nahezu aller strategischen und taktischen Entscheidungen im Marketing. 34 Die Wahrnehmung der am Markt befindlichen Güter und ihrer Anbieter durch die Nachfrager sowie die Ermittlung nichtbefriedigter Bedürfnisse der Nachfrager sind bekanntlich der Kern der Marketingkonzeption schlechthin. Insbesondere für die Zwecke der Produktpolitik benötigt eine Unternehmung eine genaue Kenntnis der Wettbewerbsbeziehungen in Märkten. 35 Dahinter stehen im einzelnen Aufgaben wie die 31

Vgl. Day/Shocker/Srivastava 1979, S.9. Zum Erfahrungskurvenkonzept vgl. Bauer 1986. 33 Vgl. ähnlich Sever 1985, S. 20f. 34 Vgl. für viele ähnliche Äußerungen Srivastava/Lerne/Shocker 1981, S. 38 f. Day/Shocker/Srivastava 1979, S. 8f.; Srivastava 1979, S. 1; Freter 1983, S. 35,118 und 127ff.; Myers/Tauber 1977, S. 1. 32

35 Vgl. Pessemier 1982, S. 149; Böcker/Thomas 1981, S. 106ff; Brockhoff 1981, S. 11 ff

2. Die Anlässe und Zwecke einer Marktabgrenzung

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— Entdeckung von „Bedarfsnischen" (auch strategischer Art), 3 6 — Entwicklung neuer Produkte oder die Modifikation (Repositionierung) von Produkten sowie die Eliminierung von Produkten, 37 — Aufdeckung von „Kannibalisierung" im eigenen Produktionsprogramm (v. a. bei Mehrmarkenstrategien), 38 — Optimierung der Produktprogrammpolitik und Produktlinienpolitik sowie der Produktgestaltung für diese Zwecke, 39 — Erklärung von Marken-, Produktgattungs- und Variantenwahlverhalten, 40 — Entwicklung von Gütertypologien als einer Möglichkeit zur Entdeckung absatzwirtschaftlicher Gesetzmäßigkeiten,41 — Prüfung, ob in vorhandene oder neu entstehende Märkte einzutreten i s t 4 2 Marktabgrenzung für die Zwecke der Produktgestaltung kann auf allen Ebenen einer Produkthierarchie (Gattung — Art — Typ — Sorte — Marke) notwendig werden. Dementsprechend bedarf es einer Vielzahl unterschiedlichster Abgrenzungskriterien, die teilweise, z.B. beim Markenimage, nur subjektiv, als Wahrnehmungsgrößen, erfaßbar sind. Im Rahmen der Produktentwicklung wird es ferner notwendig sein, Produktkonzeptionen als Marktobjekte in einer Marktabgrenzung zu berücksichtigen. Hier wird auch sichtbar, daß nicht nur Kaufverhalten, sondern auch Produktbeurteilungen als Ausdrucksmöglichkeit für Substitution zwischen Gütern in Betracht zu ziehen sind. Zwar werden namentlich durch die Produktpolitik Märkte maßgeblich verändert 43 oder unter Umständen erst geschaffen, aber auch für den gezielten Einsatz der anderen absatzpolitischen Instrumente wie Kommunikations-, Distributions- und Preispolitik müssen die Unternehmen wissen, welche Güter 36 37

Vgl. Kotler 1974, S. 416; Urban/Hauser 1980, S. 88; Keon 1983. Vgl. Pessemier 1982, S. 149, 580; Wind 1982, S. 98, 296; Rehder 1975, S. 6f.; Sever

1985. 38 Vgl. Urban/Hauser 1980, S. 88f.; Hauser/Shugan 1983; Wind 1982, S. 79ff.; Simon 1985(a), 1985(b). 39 Vgl. Simon 1984;Pessemier 1982, S. 314ff.; Sudharshan 1982; Hauser/Simmie 1981; Green/Carroll/Goldberg 1981; Bachem/Simon 1981; Albers 1979; Albers/Brockhoff 1977; Berners 1972; Brockhoff 1981, S.72ff.; Shocker/Srinivasan 1974. Allerdings stehen empirische Anwendungen der vielfaltigen Modelle, von wenigen Ausnahmen abgesehen, noch aus. Der Grund dafür liegt nach Green /Carroll /Goldberg (1981, S. 19) im enormen Datensammlungs- und Rechenaufwand. 40 Auf dieses Anliegen der Marketingtheorie wurde im Kontext unseres Themas zwar noch nicht verwiesen, doch werden die Ausführungen im III. Kapitel die Relevanz der Marktbestimmung für diesen Zweck deutlich machen. 41 Z. B. erfordern Analysen von Produktlebenszyklen die Festlegung der einzubeziehenden Produkte (so ist etwa ein Produktvariantenlebenszyklus von einem Produktgattungslebenszyklus zu unterscheiden). Zum Produktlebenszyklus vgl. Nieschlag/Dichtl/Hörschgen 1985, S. 168ff.; Pessemier 1982, S. 99ff.; Wind 1982, S. 50f. 42 43

Vgl. Pessemier 1982, S. 85fT.; Urban/Hauser 1980, S. 88f. Zum empirischen Nachweis vgl. Moore/Lehmann 1982; Huber/Puto 1983.

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Teil I: Problemstellung und Teilaufgaben einer Marktabgrenzung

jeweils mit den eigenen im Wettbewerb stehen und, vor allem, warum sie konkurrieren. Erst die Kenntnis derjenigen Funktionen, Eigenschaften, Verwendungszwecke etc., die die Wettbewerbsbeziehungen konstituieren, ermöglicht beispielsweise die Formulierung einer Werbeaussage oder eines Verkaufsargumentes oder die Entwicklung modifizierter Produkte mit neuen relevanten Eigenschaften. 44 Der Schwerpunkt des Interesses im Marketing liegt also bei den Kriterien der Marktabgrenzung bzw. -strukturierung. Zusammenfassend läßt sich als allgemeiner Zweck einer Marktabgrenzung das Bemühen nennen, komplexe Beziehungen zwischen Anbietern, Gütern und Nachfragern zu analysieren und zu verstehen, um so Nachfrager- und Anbieterverhalten besser vorhersagen und letztlich Maßnahmen zur besseren Erreichung gesamt- oder einzelwirtschaftlicher Ziele ergreifen zu können. Die „Richtigkeit" einer Marktabgrenzung hängt vom Zweck ab. Dabei ist an Anwendungsgebiete (Wettbewerbstheorie, Kartellrecht, strategische Planung, Marketing) ebenso zu denken wie an die Fristigkeit geplanter Maßnahmen (langfristig wirkende Diversifikationsentscheidungen oder Errichtung strategischer Geschäftsfelder oder Verbot einer Fusion, kurzfristig wirkende Werbekampagne) oder an den Bezugspunkt der Analyse (Anbieter, Güter, ζ. B. Produktgattung oder Marken, Nachfrager). Die sich aus den Zwecken der Marktabgrenzung ergebenden Anforderungen und Aspekte sind nun als zu lösende Teilaufgaben einer Marktabgrenzung näher zu präzisieren.

3. Die Teilaufgaben einer Marktabgrenzung 3.1. Die Bestimmung der abzugrenzenden Objekte Den oben exemplarisch angeführten Definitionen zufolge sind für den Begriff Markt drei Mengen von Subjekten bzw. Objekten 45 relevant: Anbieter, Nachfrager und, quasi als Kristallisationspunkt der Beziehungen zwischen diesen beiden, die Güter. Die Notwendigkeit des Rückgriffs auf die eine oder die andere Objektmenge oder auf mehrere Mengen gleichzeitig muß aus den Anlässen und den sich daraus ergebenden Zwecken einer Marktabgrenzung deutlich werden. 3.1.1. Die Objekte im Überblick Die Marktbestimmung für die Wirtschaftspolitik und -statistik, d.h. die Bildung von Industriezweigen, verkörpert eine Zusammenfassung von Unternehmen (bzw. Betriebsstätten) zu einer Objektmenge. Das gleiche gilt für die empirische Wettbewerbstheorie (Industrieökonomik), für die strategische Un44

Vgl. Freter 1983, S. 19ff.; Mayer 1984, S. 34fif. Wir wollen zur Vereinfachung im folgenden immer von Objekten der Marktabgrenzung sprechen, unabhängig vom Subjektcharakter der Anbieter und Nachfrager. 45

. Die

e

u

n

einer Marktabgrenzung

31

ternehmensplanung bei der Bildung sog. strategischer Gruppen und für die moderne Konkurrenzanalyse im Rahmen der strategischen Planung. Im Wettbewerbsrecht geht es zum Teil um die Marktstellung einzelner Unternehmen, was logischerweise zur Marktabgrenzung bezüglich einer Menge von Unternehmen führt. Allerdings fordert das GWB mittelbar und unmittelbar auch die Ermittlung „einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen" (§ 22 Abs. 1 GWB), wodurch Güter als Marktobjekte in das Blickfeld rücken. Noch stärker geschieht dies im Marketing im Rahmen der Produktpolitik und der Konsumentenverhaltensforschung, wo es immer um eine Menge von Produkten geht. Die gleiche Bedeutung erlangt hier die Strukturierung der Nachfrager, vor allem im Rahmen der Marktsegmentierung. Nachfragergruppen mit unterschiedlichen Problemlösungswünschen spielen aber auch eine Rolle bei der wettbewerbsrechtlichen Abgrenzung relevanter (Teil-)Märkte und bei der Bildung strategischer Geschäftseinheiten in der Unternehmensplanung. Nachfrager können ferner die Marktleistungen, also die Produkte selbst, hinsichtlich ihrer Substituierbarkeit unterschiedlich beurteilen und auf diese Weise für Produktmarktabgrenzungen relevant sein. Nachfragesegmente sind also sowohl eigenständig abgegrenzte Märkte als auch ein Hilfsmittel, um Produktmärkte zusätzlich einer feineren Abgrenzung zu unterwerfen. 40 In der Beschäftigung mit den drei Objektarten einer Marktabgrenzung in der Wettbewerbs- und Marketingtheorie läßt sich eine zeitliche Abfolge erkennen, die sich, auch im Sinne einer Zusammenfassung, wie folgt charakterisieren läßt: 47 In einer ersten Epoche ab den 30er Jahren untersuchte man im Rahmen der „Industrial Organization Analysis" die Wettbewerbsrelationen von Unternehmen zueinander. Man kann darin eine Wettbewerbsanalyse im Sinne einer damit einhergehenden unternehmensbezogenen Marktabgrenzung sehen. In der zweiten und dritten Epoche in den 50er Jahren lag das vorrangige Interesse in der Behandlung der Relation der Unternehmen zu ihrer Leistung sowie der Relation der Verbraucher zu den Unternehmen. Diese von Myers/Tauber mit den Schlagworten „Marketing-Mix" und „Corporate Image" gekennzeichneten Entwicklungsphasen sind vor allem durch das Marketing bestimmt worden. Gleiches gilt für die vierte Epoche ab den 60er Jahren, wo das Kaufverhalten der Verbraucher verstärkt im Mittelpunkt des Interesses stand. Hierbei ergab sich, daß die Relationen der Verbraucher zueinander (fünfte Epoche) und der Produkte zueinander (sechste Epoche) für das Verständnis des Marktgeschehens wichtig sind. Diese mit „Marktsegmentierung" und „Produktpositionierung" charakterisierbaren Ansätze lassen sich unschwer als nachfragerbezogene und produktbezogene Marktbestimmung in unsere Objektbetrachtung einordnen. 46 47

Vgl. Jäger 1977, S. 28. Vgl. hierzu Myers/Tauber 1977, S. 1 ff.

32

Teil I: Problemstellung und Teilaufgaben einer Marktabgrenzung

Die somit entstandene, auch historisch nachvollziehbare Dreiteilung in bezug auf mögliche Objekte der Marktabgrenzung wird in Abb. 3 unter Verwendung inhaltlich ähnlicher Begriffe wiedergegeben. Zusammenfassung

von

Anbietern

Gütern

Nachfragern

Unternehmen

Produkten

Verbrauchern

Leistungen

Käufern

zu

zu

zu

Branchen

Produktgattungen

Industriezweigen

Produktmärkten

Zielgruppen

Industriesektoren

"evoked s e t s "

Käufertypen

strategischen

Kundengruppen

Gruppen

Unternehmensbezogene M a r k t abgrenzung

Marktsegmenten

Nachf ragersektoren

Produktbezogene Marktabgrenzung

Nachfragerbezogene M a r k t abgrenzung

Abb. 3: Objektbezogene Ansatzpunkte der Marktabgrenzung

3.1.2. Die Marktgüter Gegenstände von Marktprozessen sind die Güter. In Gütern konkretisieren sich einerseits die Bedürfnisse der Nachfrager, sie bieten andererseits die Erfüllung eines Bündels von Funktionen, von denen die Anbieter hoffen, daß sie den Bedürfnissen zumindest einer Anzahl potentieller Käufer entsprechen. Den Gütern kommt deshalb zu Recht eine zentrale Bedeutung als Objekten der Marktabgrenzung zu. In der Volks- und Betriebswirtschaftslehre sind Güter angebotene und nachgefragte Mittel zur Bedürfnisbefriedigung. 48 Für unsere Zwecke geht es um wirtschaftliche Güter, d.h. um solche, für deren Erwerb Aufwendungen erbracht werden müssen. Die allgemein übliche Unterscheidung in Sach(Waren, Produkte) und Dienstleistungen ist für unsere Zwecke erheblich, 49 gilt 48

Vgl. ζ. B. Woll 1981, S. 49f. Brede (1976, S. 41 ff., 140fT.) bezeichnet Güter am Markt als Waren. 49 Zwar sind die in komplexen Gütersystemen (ζ. B. in der von Pfeiffer / Bischoff 1974, Sp. 919 f., und von Täger/Uhlmann 1984, S. 37) noch erwähnten Nominalgüter (Geld, Beteiligungen, Darlehen) und technologisches Wissen in Form allgemein zugänglichen oder durch gewerbliche Rechte geschützten Wissens auch Wirtschaftsgüter, für die das Problem der Marktabgrenzung prinzipiell relevant werden kann, sie dürfen jedoch für

. Die

e

u

n

einer Marktabgrenzung

33

es doch zu prüfen, ob sich für beide Güterarten Besonderheiten bei der Marktbestimmung ergeben. I m Prinzip geht es bei beiden um die Erfüllung von Funktionen, und viele Beispiele zeigen, daß Marktabgrenzung in beiden Fällen mit den gleichen Verfahren möglich ist. 50 Lediglich bezüglich der marktbildenden Relationen entfallen bei Dienstleistungen meist physikalisch-chemischtechnische Eigenschaften; die „Produkt"-orientierten Wettbewerbsparameter sind hier abstrakter und stark subjektiver Natur (z.B. die Leistungen von Handelsunternehmen). 51 Letztlich ist auf den Umstand hinzuweisen, daß es auch intensiven Substitutionswettbewerb zwischen Dienstleistungen (z.B. Überwachung durch Personen) und Produkten (z.B. Überwachung durch elektronische Geräte) gibt. Ähnliches gilt für die Unterscheidung zwischen Produktions- und Konsumgütern. 52 Auch hier gibt es neben der Verwendung prinzipiell gleicher Verfahren 53 Besonderheiten für die Marktabgrenzung bei Produktionsgütern. Sie betreffen alle die marktbildenden Wettbewerbsrelationen. So hängt beispielsweise die Austauschbarkeit der Werkstoffe Kunststoff und Aluminium davon ab, inwieweit ihre Verarbeitung eine andere Produktionstechnologie oder Produktkonstruktion erfordert. 54 Ferner sind bei der Beschaffung solcher Werkstoffe aufgrund der Multipersonalität des industriellen Beschaffungsprozesses55 nicht immer nur diese technisch-objektiven Austauschbarkeitskriterien, sondern möglicherweise auch die subjektiven Kriterien mehrerer Entscheidungsträger zu berücksichtigen. 56 Schließlich resultiert aus dem die Konzeption von Produktionsgütern mitbestimmenden Sachverhalt der abgeleiteten Nachfrage, daß auch die von den Nutzern eines Erzeugnisses gewünschten Funktionen in die Betrachtung einbezogen werden müssen. Als Beispiel sind hier jene Kriterien zu nennen, die Reisende an Omnibusse von Reiseunternehmen stellen.57 unsere Arbeit vernachlässigt werden. Entweder werden diese Güter direkt als Produkte (ζ. B. Bücher, Software-Programme etc.) oder Dienstleistungen (Unternehmensberatung, Bankkreditgewährung etc.) vermarktet oder sie sind für unsere Zwecke in diesem Sinne interpretierbar (ζ. B. Lizenzvergabe als Dienstleistung). 50 Bei Urban/Hauser 1980 finden sich z. B. Marktstrukturierungen für Verkehrssysteme (S. 188 und 207), für Rundfunk- und Fernsehanstalten (S. 193), fur Gesundheitssysteme (S. 207) und für Einzelhandelsgeschäfte (S.218). Dichtl/Bauer/Schölch (1983) strukturieren Banken nach Maßgabe ihrer Kontoführungsgebühren. 51 Vgl. hierzu die Systematisierung bei Lovelock 1983 und Scheuch 1982 im Zusammenhang mit der Typologie von Dienstleistungen. 52 Vgl. ebenso Urban/Hauser 1980, S. 188. 53 Beispiele für die Strukturierung von Produktionsgütermärkten finden sich bei ChofTray/Lilien 1978; Pessemier 1982, S. 578; Doyle/Saunders 1985. 54 Darauf weist Schäfer (1966, S. 192f.) hin. 55 Vgl. dazu Engelhardt/Günter 1981, S. 39ff. Manche Ansätze stellen vor allem auch auf Merkmale des Interaktionsprozesses selbst ab. Vgl. hierzu Kirsch/Kutschker 1978. 56 Vgl. Urban/Hauser 1980, S. 189f. 57 Vgl. Abbott 1958, S. 96f. 3 Bauer

34

Teil I: Problemstellung und Teilaufgaben einer Marktabgrenzung

Für die Marktabgrenzung kann es nun von Bedeutung sein, zwischen verschiedenen denkbaren Abstraktionsstufen des Begriffs Gut zu unterscheiden, die insgesamt die Guts- oder Produkthierarchie verkörpern. Das „Gut an sich" 5 8 , z.B. Kaffee, kann als Produktgattung durchaus Gegenstand einer Marktabgrenzung sein, etwa wenn der Produkt(gattungs-)markt für Frühstücksgetränke bestimmt werden soll (Kaffee, Tee, Milch, Fruchtsaft etc.). Sehr konkret hingegen ist das „Gut am M a r k t " 5 9 , z.B. Jacobs-Kaffee Krönung, gemahlen, 400 g zu D M 9,95, das ebenfalls Element einer Marktstrukturierung sein kann, etwa wenn untersucht werden soll, wie Verbraucher Marken oder Sorten im Marktfeld wahrnehmen. Für Wettbewerbs- und Absatzüberlegungen und damit für die Marktbestimmung ist jedoch eine Anzahl weiterer differenzierender Aspekte zum Gegenstand Produkt von Bedeutung. So gehören zu einer Produktlinie („product range") häufig etliche Geschmacksvarianten oder zu einem Geschäftsfeld mehrere Produktarten. Eine Marktstrukturierung muß dann besonders dem Phänomen des „Kannibalismus" (hierunter versteht man die Verlagerung der Nachfrage zwischen Varianten eines Herstellers) Rechnung tragen, etwa indem man Aufschluß darüber zu gewinnen sucht, ob die Austauschbarkeit zwischen Varianten einer Marke größer oder kleiner ist als die zwischen den Marken einer Variante. 60 Außerdem kann eine Produktlinie als Ganzes selbst in Wettbewerbsbeziehungen zu anderen Produktlinien stehen, und so den Gegenstand von Marktabgrenzung bilden. 61 Produkte verkörpern ferner mitunter Leistungskomplexe, die zwar physisch untrennbar miteinander verbunden sind, doch im Hinblick auf Wettbewerb und Marktabgrenzung gänzlich eigenständige „Marktobjekte" darstellen. Als Beispiel seien der Anzeigenteil und der redaktionelle Teil einer Zeitschrift genannt. Leistungskomplexe sind in gewissem Sinne auch die Produktionsprogramme bzw. Sortimente von Herstellern bzw. Handelsunternehmen, die als Ganzes im Wettbewerb miteinander stehen und in diesem Sinne Marktobjekte darstellen. Schließlich müssen im Zuge der Neuproduktplanung oder des Heraufziehens einer Substitutionstechnologie Produktkonzepte Elemente einer Marktstrukturierung sein. Auch hier ergeben sich Besonderheiten für die Marktbestimmung. 58 Vgl. hierzu auch die Erörterungen von Brede 1976, S. 41 ff. und S. 140ff., der für seine Zwecke nur das „Gut am Markt" benötigt. 59 Ebenda, S.41. 00 Vgl. hierzu Pessemier 1982, S. 186; Wind 1982, S. 77, 79, 300; Urban 1969. 61 Vgl. hierzu die Überblicksarbeiten zur Produktlinienoptimierung von Berners (1972) und Simon (1984, 1985(b)). In älteren Ansätzen wird die Frage, welche Produkte im Rahmen einer Produktlinienoptimierung berücksichtigt werden sollen, pragmatisch gelöst. Die Marktabgrenzung wird nicht als Teil des Optimierungsprozesses verstanden. Erst eine jüngere Arbeit, das POSSE-Modell von Green et al., enthält als ein Modul eines umfassenden (Neuprodukt-)Produktlinien-Modells einen Teilansatz zur Marktstrukturierung. Vgl. Green/Carroll/Goldberg 1981.

3. Die Teilaufgaben einer Marktabgrenzung

35

Ζ. B. lassen sich dann nur Einschätzungen von Produktmerkmalen und nicht etwa Kaufverhaltensweisen als Strukturierungskriterien heranziehen. 3.1.3. Die Marktakteure Die von Anbietern bereitgestellten Güter erfüllen Funktionen, wodurch die Bedürfnisse einer Anzahl von Konsumenten oder auch gewerblicher Abnehmer befriedigt werden. Ein Teil dieser Bedarfsträger wird diese Güter auch erstehen. Diese Nachfrager oder Käufer sind somit eine Untermenge aller Bedarfsträger, die korrekterweise immer in potentielle und tatsächliche Käufer bzw. Nachfrager unterteilt werden müßten. Tatsächlich wird oft in diesem Sinne unterschiedslos von Abnehmern, Käufern, Kunden, Nachfragern, Verbrauchern oder Verwendern gesprochen, obwohl eigentlich eine erste Strukturierung von Bedarfsträgern (in Käufer und Nichtkäufer) vorliegt. Dies hat Bedeutung z.B. für den Substitutionswettbewerb zwischen Marken, der auf die Käuferschaft einer Produktart abzielt. Eine andere wichtige Einteilung ist die in Verbraucher und gewerbliche Abnehmer als Bedarfsträger. In dieser Hinsicht können beispielsweise Besonderheiten der jeweiligen Kaufentscheidungsprozesse und die Tatsache, daß ζ. B. Handelsunternehmen auf der folgenden Stufe als Anbieter auftreten, zu Konsequenzen für die Marktstrukturierung, d. h. insbesondere für die Art der heranzuziehenden Abgrenzungskriterien, führen. Der Fall, daß Kaufdisponenten und die eigentlichen Verbraucher oder Verwender nicht identisch sind, hat für die Marktabgrenzung im Wettbewerbsrecht und im Marketing 62 große Bedeutung, denn es kommt auf die Sicht der Disponenten bei der Beurteilung der Austauschbarkeit an. Ein weiterer Gesichtspunkt der nachfragerbezogenen Marktbestimmung läßt sich aus dem grundlegenden Sachverhalt ableiten, daß Bedarfsträger ganz unterschiedliche Bedürfnisse hinsichtlich der Erfüllung konkreter Funktionen haben (können). Dies ist explizit Ausgangspunkt der Marktsegmentierung in der Marketingtheorie. Da nur das subjektiv empfundene Ausmaß, in dem Produkte Funktionen erfüllen, das Kaufverhalten erklären kann, gilt es auch eine nach Abnehmergruppen differenzierte Produktwahrnehmung zu ermitteln. Produkt- und Nachfragermarktstrukturierung werden dann zu einem einheitlichen Vorgang. Natürlich reicht es nicht aus, durch die Einbeziehung der Nachfrager in die Marktstrukturierung den Wettbewerb zwischen Produkten differenzierter zu erfassen. Wettbewerbshandlungen gehen von Unternehmen aus und beschränken sich nicht auf den Produktbereich. Wind postuliert in diesem Sinne sogar vier Ebenen wettbewerblicher Beziehungen:63 Marken, Produktklassen, Ge62 63

3*

Vgl. ebenso Urban/Hauser 1980, S. 90f. Vgl. Wind 1982, S. 76.

Teil I: Problemstellung und Teilaufgaben einer Marktabgrenzung

36

schäftsbereiche, Unternehmen. Unbeschadet einer später noch vorzunehmenden Erörterung der angemessenen Differenziertheit der Wettbewerbsstufen läßt sich jetzt schon folgendes erkennen: Wettbewerbsbeziehungen zwischen Unternehmen werden zwar durch die am Markt angebotenen Produkte konstituiert und auch in dieser ersten Stufe bereits entfaltet, aber auf einer weiteren Ebene durch Wettbewerbsparameter, die letztlich nur noch als Eigenschaften (z.B. Finanzkraft) oder Verhaltensweisen (ζ. B. konglomerates Diversifizieren) der Unternehmen beschreibbar sind, in der Art verändert und v. a. in der Intensität verstärkt. Eine Marktstrukturierung mit dem Ziel, Wettbewerb in diesem Sinne abzubilden, erfordert zwingend, auf Unternehmen als Strukturierungsobjekte Bezug zu nehmen.

3.2. Die Bestimmung der Abgrenzungskriterien Allgemein werden Mengen von Objekten nach deren Eigenschaften (im weitesten Sinne, d.h. z.B. inklusive Handlungen der Marktakteure, die in unserem Sinne Objekte der Marktabgrenzung sind) gebildet, oft auch nach Ähnlichkeitsurteilen auf der Basis der Objektmerkmale. Folglich geht es hier darum, im Hinblick auf den jeweiligen Zweck der Marktabgrenzung geeignete Merkmalsarten von Unternehmen, Gütern und Nachfragern zu finden. Allen Anwendungsfallen von Marktabgrenzung mit Ausnahme der Marktdefinition für praktische Zwecke der Wirtschaftsstatistik ist als gemeinsamer Kern das Vorliegen von Wettbewerbsbeziehungen zwischen den Unternehmen gemein. Knapp und bündig heißt es meist, der relevante Markt bestehe aus jenen Anbietern, die in einer normativ zu fixierenden Intensität miteinander in Wettbewerb stehen.64 Die Anknüpfung an „Wettbewerb" macht eine Definition dieses Begriffs notwendig. Die meisten Aspekte der hierzu in der Wirtschaftstheorie 65 und dem Wirtschaftsrecht erarbeitenden Formulierungen enthält eine Begriffserfassung von Sandrock: „Wirtschaftlicher Wettbewerb ist das Streben von Unternehmen nach einem fest umrissenen Ziel (ζ. B. Gewinn- oder Nutzenmaximierung, Absatzmaximierung, Halten eines bestimmten Marktanteils, usw.), durch Abschluß von Geschäften mit Kunden oder Lieferanten, wenn das einzelne Unternehmen dabei in seinem Geschäftserfolg von dem Verhalten anderer, ihm als Einzelunternehmen oder Gruppe zur Seite stehender Unternehmen (ein- oder zweiseitig) fühlbar abhängig ist und wenn es sein marktstrategisches Verhalten deshalb nach dem Verhalten dieser anderen Unternehmen, zu denen auch potentielle Rivalen zu rechenen sind, ausrichten muß, indem es die seinen Geschäftserfolg beeinflussenden Aktionsparameter wie Preis, Qualität des Gutes, Lieferungs64

Vgl. z.B. Fröhlich 1975, S. 6. Beispiele hat Sandrock (1968, S. 78-101) gesammelt. Die von Sandrock erarbeitete wirtschaftstheoretische Definition erscheint deshalb tauglich, weil sie alle realen Facetten dieses Phänomens erfaßt. 65

. Die

e

u

n

einer Marktabgrenzung

37

und Zahlungsbedingungen, Modalitäten der Abnahme, Reklame usw. im Hinblick auf die Aktionsparameter der anderen Unternehmer festlegt." 66 Die unmittelbarste Form des Wettbewerbs ist nach allgemeiner Auffassung das Streben von Unternehmen, bei Entscheidungen von Nachfragern über den Kauf von Gütern den Vorzug zu bekommen.67 Dieses wiederum hängt wesentlich von den Erwartungen der potentiellen Kunden darüber ab, welchen Nutzen Produkte bzw. Dienstleistungen zu stiften vermögen. 68 Der Nutzen ergibt sich aus den physikalisch-chemischen-technischen (den stofflichen) und den nichtstofflichen Gütereigenschaften 69 (wie Schönheit, Geschmack, Prestige etc.), die von den Nachfragern in bestimmter Weise wahrgenommen werden, sowie aus den dazu eingesetzten weiteren absatzpolitischen Instrumenten, wie z.B. Vertrieb und Werbung. Seitens der Nachfrager bestimmen allgemeine Bedürfnisse vor dem Hintergrund spezifischer Verwendungszwecke (Verwendungssituationen) die Suche nach der Erfüllung von Nutzenkomponenten. Die Austauschbarkeit (Substitution) von Gütern kann auf der Ebene der Gutseigenschaften oder der Ebene der Nutzenkomponente erfaßt werden, jedoch nur auf letzteren 70 wird die Präferenz der Verbraucher oder gewerblichen Abnehmer in dem Sinne geprägt, daß der Ge- oder Verbrauch eines Gutes mit einem höheren Nutzen dem eines anderen Gutes mit niedrigerem Nutzen vorgezogen wird: Werden die Güter zum Kauf angeboten und verfügen die Abnehmer über Kaufkraft, so kommt es zum Kauf (vgl. Abb. 4, S. 38). Beziehungen zwischen Gütern bestehen folglich auf der Ebene der Eigenschaften, des Nutzens, der Präferenz und des Kaufs, womit die grundlegenden Möglichkeiten einer Produktmarktstrukturierung gegeben sind. 71 Wettbewerb besteht bei Substituierbarkeit von Gütern wegen zumindest partiell gleicher Nutzenerfüllung. Komplementäre Güter ergänzen sich in ihrer Nutzenstiftung. Wettbewerbsbeziehungen zwischen Unternehmen entstehen nun zunächst durch die Relationen der von ihnen angebotenen Produkte zueinander, d.h. Wettbewerb zwischen Unternehmen wird durch die Substituierbarkeit ihrer Produkte hervorgerufen 72 Das gilt in einem grundsätzlichen, konstitutiven 66

Sandrock 1968, S. 97. Es genügt hier, die Absatzseite zu betrachten. 68 Das ist der übliche Ausgangspunkt aller Überlegungen zu dem, was Wettbewerb ist. Vgl. Albach 1978, S. 537. 69 Diese werden teilweise von anderen absatzpolitischen Instrumenten „erzeugt", zum Beispiel wird „Prestige" vom Preis gebildet. 70 Gleichheit der Produkteigenschaften ist zwar eine hinreichende, aber keine notwendige Voraussetzung für Gleichheit des gestifteten Nutzens. 71 Der Verweis auf kaufentscheidende Dimensionen, ähnliche Verhaltensweisen von Verbrauchern und Substitutionsbeziehungen zwischen Produkten als Ansatzpunkten einer Marktstrukturierung von Rehder 1975, S. 12 f., erweist sich somit als zu unsystematisch. 72 Auch von anderen Unternehmen angebotene komplementäre Güter können Wettbewerbshandlungen auslösen: So muß ein Automobilunternehmen die Entwicklung von 67

38

Teil I: Problemstellung und Teilaufgaben einer Marktabgrenzung

Produktpolitik

Preispolitik

Kommunikationspolitik

Distributionspolitik

Abb. 4: Determinanten des Kaufverhaltens als Marktabgrenzungskriterien

Sinne. Wettbewerb zwischen Unternehmen als intensitätsmäßiger, dynamischer Prozeß von Aktion und Reaktion beruht darüber hinaus auf anderen Merkmalen und Handlungsweisen der Unternehmen. Solchermaßen weit verstandene Wettbewerbsbeziehungen lassen sich erkennen etwa bei Betrachtung der finanziellen Ressourcen, der Ertragslage, der F &E-Aktivitäten, des Technologiestandes der Produktion, der Kostenstruktur der Produktion, der vertikalen Integrationstiefe, des Ausmaßes einer Konzerneinbindung und des Zugangs zu Beschaffungsmärkten. Schließlich gilt es noch, die für eine Marktabgrenzung relevanten Relationen zwischen Nachfragern (Verbrauchern) zu suchen. Dabei ergibt sich eine Beziehung zu Gütern: Verbraucher weisen Eigenschaften auf, von denen einige bestimmte Bedürfnisse und damit Wünsche nach durch Güter vermitteltem Nutzen hervorrufen. Auf beiden Ebenen lassen sich Gruppen, d.h. Nachfragermärkte (Typen oder Marktsegmente) bilden. Ferner können Verbraucher ähnlich sein hinsichtlich ihrer Produktwahrnehmung und -präferenz. Die Abb. 5 faßt das Ergebnis dieses Abschnittes zusammen. Motoren mit geringem TreibstofTverbrauch gleichermaßen vorantreiben, wenn ein anderes Automobilunternehmen solche Motoren anbietet, wie wenn die Mineralölunternehmen die Treibstoffpreise erhöhen.

. Die

e

u

n

Unternehmensbezogene Marktabgrenzung

W

Art der Marktabgrenzung

39

einer Marktabgrenzung Nachf ragerbezogene Marktabgrenzung (Marktsegmgntierung)

f

Produktbezogene Marktabgrenzung

^ Nachfragertypologien

Ì 1

Objekte der Marktabgrenzung

Unternehmen - Allgemeine Merkmale ( A l t e r , Größe, Ruf e t c . ) - Art des Leistungsprogramms - Absatz-, Marketingmethoden - Finanzierungskraft

K r i t e r i e n der Marktabgrenzung

-

Innovationskraft

Produkte

Nachfrager

- Eigenschaften

- Eigenschaften

- Nutzenkomponenten

- Präferenzen

- mögliche Verwendungszwecke - Ähnlichkeit - Austauschbarkeit

- Grad der F e r t i gungstiefe - Stufenintegrationsgrad -

Diversifikationsgrad

- Konzernverflechtungsgrad

Abb. 5: Arten und Kriterien der Marktabgrenzung

3.3. Die Abgrenzung bzw. Strukturierung der Objekte 3.3.1. Zur Interdependenz von Abgrenzung und Strukturierung Zwei Begriffe sind zentral für unser Anliegen, die Abgrenzung und die Strukturierung. Beide finden sich häufig mit dem Vorwort „Markt-" in der Literatur. Abgrenzen heißt Dinge voneinander trennen, in dem man Ähnlichkeiten bzw. Unähnlichkeiten zwischen ihnen feststellt. Als Ergebnis erhält man Grenzen zwischen Elementen, mithin Mengen oder Klassen von Elementen. Der Einteilungsvorgang selbst läßt die Beziehung zwischen diesen Klassen erkennen. Elementemengen und Beziehungen bilden eine Struktur, ein Formgefüge einer komplexen Einheit mit Gestaltcharakter. Marktabgrenzung und Marktstrukturierung sind letztlich sowohl im Vorgang als auch im Ergebnis interdependente Bemühungen in bezug auf Marktobjekte.

40

Teil I: Problemstellung und Teilaufgaben einer Marktabgrenzung

So meint ζ. B. Rehden „Der Prozeß einer Produktmarktstrukturierung kann selbst als eine Methode der Marktabgrenzung angesehen werden, da er die Beziehungen zwischen allen mit in die Untersuchung einbezogenen Elementen zum Ausdruck bringt. Bei entsprechend breit angelegten Untersuchungen kann das als Ergebnis gefundene Beziehungsmuster hinsichtlich der dann als geeignet erscheinenden Abbruchkriterien überprüft werden, um so ex post das untersuchte System zu schließen." 73 Aber auch bei einer breit angelegten Untersuchung, d. h. mit einer großen Anzahl von Marktobjekten als Startmenge, bleibt die Schwierigkeit bestehen, nach welchen Kriterien diese Vorauswahl zu treffen ist. Wir haben also eine zweite Interdependenz zwischen der Bestimmung von Objekten und der Festlegung der Kriterien, die ebenfalls erfordert, die analytischen Vorgänge Abgrenzung und Strukturierung als Ganzheit aufzufassen. Begriffe wie Typisierung bzw. Klassifikation wollen wir als Synonyme auffassen, wenn auch mit mehr formal-methodischer ( = mathematischer) Begriffsdeutung. Als Oberbegriff soll weiter die bekannte Bezeichnung „Marktabgrenzung" bzw. als rein sprachliche Variante das Wort Marktbestimmung verwendet werden. Strukturierung ist in diesem Sinne eher ein gedankliches Konstrukt (Instrument) zur logischen und empirischen Analyse. 74 I m Zusammenhang mit Marktbestimmung sind einige Besonderheiten der Strukturbildung hervorzuheben: Die Marktstruktur ist zunächst quasi ein Status, ëine Momentaufnahme. Die Verhältnisse sind zwar auch dynamisch (ζ. B. können neue Marktobjekte hinzukommen), doch ist diese Dynamik nicht konstitutiver Bestandteil einer Marktstrukturierung, sondern Anlaß ihrer Wiederholung. Die Elemente der Marktstrukturierung stehen ferner lediglich in einer Ordnungsbeziehung, nicht in einer Beziehung im Sinne eines kausalen Zusammenhangs. Da zur Marktstrukturierung einige Methoden der mathematischen Klassifikation (Numerische Taxonomie) angewandt werden können, sind zum Abschluß und im Hinblick auf die im dritten Teil behandelten Marktabgrenzungsverfahren eine formale Beschreibung des vorliegenden Problems und eine Verdeutlichung der Zusammenhänge unerläßlich. 3.3.2. Eine formale Beschreibung des Marktstrukturierungsproblems Die vorliegende Aufgabenstellung ist ein typischer Anwendungsfall der statistisch-mathematischen Klassifikation. 75 Durch die Zusammenfassung ähn73 Rehder 1975, S. 17. Zu dieser Problematik vgl. ferner: Behrens 1963, S. 23; Meffert 1977, S. 104; Hoffmann 1979, S.58ff.; Freter 1983, S. 19f.; Kaiser 1978, S. 158ff.; Srivastava 1979, S. 2; Beckmann 1968, S. 20. 74 75

Vgl. ebenso Picot 1981, S. 527 f. Vgl. zum folgenden Bock 1974, S. 13 ff.

. Die

e

u

n

einer Marktabgrenzung

41

licher Objekte in homogene Klassen nach den diese Klassen beschreibenden Kriterien gelingt es, die Struktur der Objektmenge im Sinne einer Datenreduktion und Abstraktion deskriptiv aufzuzeigen. Gleichzeitig geht es um die Rekonstruktion einer unbekannten, aber vermuteten „wahren" Klassifikation im Sinne einer Entdeckung. Allen rechenhaften Verfahren hierzu liegt die Annahme zugrunde, daß die Beziehung zwischen Objekten als Ähnlichkeit oder Distanz ( = Unähnlichkeit) numerisch durch Zahlenwerte oder durch Vergleiche von Objekten oder von Objektpaaren erfaßt werden kann. M i t Hilfe dieser Informationen erfolgt die Klassifikation nach rein mathematisch-statischen Überlegungen. Ein einfacher Ausgangspunkt unserer Aufgabe 76 sind folglich Ν Marktobjekte 0γ ··· 0N (Unternehmen, Produkte, Nachfrager), die die Objektmenge S=

{0 1-..0 k...0 N}

bilden und so in Klassen eingeteilt werden müssen, daß jede möglichst homogen ist und nur Objekte mit ähnlichen Eigenschaften enthält. Hierzu werden für jedes Marktobjekt 0 k eine Ausprägung der p-Merkmale · · · M f · · · M p (ζ. B. Höchstgeschwindigkeit, PS-Zahl, Preis eines PKW) durch eine reelle Zahl x ki erfaßt, so daß als „Rohdaten" der Klassifikation eine Ν χ p-Matrix X = (x k i), wie in Tab. 1 gezeigt, vorliegt. Tabelle 1

Die Datenmatrix A^Ot^) Merkmale



m

1i

·•

X

1P

X

ki

·· •

x

kp

x

Ni

·· '

x

Np

M

1

··

X

11

·· •

x

X

k1

·· •

X

N1 · · •

Objekte

°k

p

x

i

x

k

X

N

Ein Merkmal M f heißt dabei quantitativ, wenn seine x k i jeden Wert eines Intervalls annehmen (PS-Zahl, Höchstgeschwindigkeit), und qualitativ, wenn jedes Objekt durch eine endliche Zahl von Zuständen m, bezüglich dieses 76

Die folgende formale Darstellung ist angelehnt an das Standardwerk zur Klassifikation von Bock (1974, S. 18 ff.), allerdings unter Nutzung möglicher Vereinfachungen in bezug auf die mathematische Terminologie.

42

Teil I: Problemstellung und Teilaufgaben einer Marktabgrenzung

Merkmals beschrieben ist (z.B. PKW: Frontantrieb, Heckantrieb, Allradantrieb zuschaltbar, Allradantrieb permanent, m f = 4). Die Zustände werden sinnvollerweise durch Zahlzeichen („0", „ 1 " ··· „m, —1") kodiert. Treten nur zwei Zustände auf (z.B. PKW: Sportwagen, kein Sportwagen), so liegt ein binäres bzw. dichotomes in Gegensatz zu einem mehrstufigen bzw. multichotomen Merkmal vor. Indessen verwenden nicht alle Klassifikationsverfahren direkt diese Ν χ pMatrix, sondern die aus dieser Matrix gewonnenen 77 oder direkt erhobenen Werte für die Ähnlichkeit sj k (1

E ( X j j )

>

139 Vgl. hierzu Fraser /Bradford 1983 und 1984. Zur Kritik des Ansatzes vgl. Shocker/Zahorik/Stewart 1984. 140 Damit sollen auch folgende, durch Regallücken bedingte Fälle erfaßt werden: Ein Verbraucher findet einen bislang gekauften Artikel nicht vor und wechselt zu einem anderen Produkt; ein Verbraucher möchte anstatt eines bislang erworbenen Erzeugnisses eine andere Marke erstehen, findet diese aber nicht vor und kann deshalb nicht wechseln. Vgl. Fraser/Bradford 1983, S. 16. 141 Das setzt nicht voraus, daß Substitute etwa durch die Menge determinierte gleiche Verbrauchszeiträume aufweisen müssen, da Ε(Χ^) Φ E ( X ) und E ( X ) Φ Ε ( Χ ) . j t

io*

h

η

1

Teil III: Die Marktabgrenzung in der Marketingtheorie

Ein Beispiel: Werden in einem Panelhaushalt Antitranspirantspray und Antitranspirant-Rollstift als austauschbar angesehen, so wird das eine oder andere nachgekauft, sobald der vorhandene Artikel verbraucht ist. Verwendet aber die Tochter nur Rollstift und die Mutter nur Spray, müssen beide Artikel nach ihrem jeweiligen Verbrauch wieder gekauft werden. Aus diesen Überlegungen ergibt sich ein „Index gezeigter Substituierbarkeit" (1RS) 142 als Differenz der Erwartungswerte der Kaufintervalle: 1RS = E(X i i)-E(X

Teil

i j)

>0.

I Kauf

i

Kauf

Kauf 1

Verbrauch 1

Verbrauch 1

j

Kauf 1

Verbrauch

j

Zeit A

A

ii

ij

O b j e k t e i und j s i n d v ö l l i g e Teil

j i Substitute

II Kauf

i

Kauf 1

Verbrauch Kauf

i

j

Kauf 1 Verbrauch

Kauf j Verbrauch

j

Verbrauch

i Kauf

j

Kauf Verbrauch

j

j

j

- Zeit X

5i

Λ

11

"ij

X

ji

Abb. 16: Schematische Darstellung des 1RS-Ansatzes

Da die durchschnittliche Verbrauchsdauer und die Regelmäßigkeit des Einkaufs sowohl über Haushalte als auch über Produkte variieren, wird der Index über eine geeignete Verteilungsannahme stochastisiert und auf den Wertebereich von Null bis Eins standardisiert sowie mittels einer an den Parametern der Verteilungsfunktion orientierten Gewichtung in einen symmetrischen Index überführt. 143 Zur Erleichterung der Interpretation wird er ferner 142

1RS steht für „Index of Revealed Substitutability". Mathematische Einzelheiten müssen hierzu nicht dargelegt werden. Fraser/Bradford 1983, S. 18-19. 143

Vgl.

1. Die produktbezogene Marktabgrenzung

19

vom Wert 1 subtrahiert, so daß das Maß der Substitutionalität von 0 bis 1 anwächst. Schließlich erfordert die Schätzung der IRS-Werte auf der Basis von Paneldaten noch eine Reihe weiterer Rechenschritte und Annahmen. 144 Bei der Würdigung des IRS-Ansatzes ist als erstes auf seine Eigenschaft hinzuweisen, in Paneldaten Wechselverhalten von Nebeneinanderverwendung durch verschiedene Hauhaltsmitglieder oder für unterschiedliche Zwecke trennen zu können. Eben darin liegt die Hauptschwierigkeit aller bisher erörterten Substitutionskriterien auf der Basis von Paneldaten. Zweitens unterstellt der IRS-Index eine kontinuierliche Skala bereits auf der Ebene eines einzelnen Haushalts. Sie ermöglicht es, die Substituierbarkeit zwischen zwei Produkten graduell zu messen. Das bietet im Vergleich zur dichotomen Ja-nein-Skala bei Wechseldaten die Chance zu einer genaueren Information. Kritisch muß man zunächst den enormen rechentechnischen Aufwand beurteilen. Sowohl der Ansatz als auch die einzelnen Umwandlungsschritte entbehren der für eine Vermittlung an die Praxis notwendigen intuitiven Einfachheit und Plausibilität. Ob Panelinstitute entsprechende, zumindest vorbereitende Auswertungen anbieten werden, steht für absehbare Zeit wohl sehr in Frage. Ferner verlangt der Ansatz, daß sich das Verbrauchsverhalten über die Zeit nicht ändert und daß v. a. Verbrauchs- und Kaufintervall annähernd zusammenfallen. Eine solche Übereinstimmung gilt tendenziell für raumbeanspruchende (Toilettenpapier), wenig lagerfähige (Frischeprodukte) und in kleinen Schritten verbrauchte (Zahnpasta) sowie planmäßig gekaufte (also nicht für impulsiv gekaufte) Güter. Unterhält ein Haushalt ein Lager bzw. akzeptiert er Bevorratungslücken, etwa weil er an Einkaufszyklen gebunden ist, so müßte der Ansatz an Verbrauchsintervallen anknüpfen, 145 die aber nur durch regelmäßige Befragung oder teilnehmende Beobachtung erfaßbar wären. Der übliche „Kaufreport" eines Panels müßte in diesem Sinne durch einen „Verbrauchsreport" ergänzt werden, der die tatsächliche Nutzung widerspiegelt.

1.2.3.5. Die tatsächliche Nutzung Fraser und Bradford haben neben dem IRS-Kriterium noch einige andere Substitutionskriterien entwickelt, die in ihrer Logik sehr einfach sind, aber auf einer aus Standardpanels nicht gewinnbaren Datenbasis beruhen. Über einen 14-tägigen Zeitraum hinweg mußten Panelhaushalte vermerken, welche von zwölf vorgegebenen Kaffeemarken, -Sorten und -arten welches Familienmit144 Fraser und Bradford bieten ein Beispiel für die Strukturierung des Kaffeemarktes, bei dem sie die IRS-Werte mittels einer besonderen Faktorenanalyse verarbeiten. Dieses wird im Abschnitt 1.3.1.5.2. dieses Teils der Arbeit dargestellt. 145 Vgl. Fraser/Bradford 1983, S. 16; Shocker/Zahorik/Stewart 1984, S. 838.

10

Teil

: Die Marktabgrenzung in der Marketingtheorie

glied zu welchem Zweck verwendete. 146 Von den 66 möglichen Paaren von Marktobjekten wurden zehn von mindestens 30 Haushalten verwendete Paare ausgewählt. Für jeden Haushalt lassen sich bezüglich dieser zehn Paare eine dreidimensionale Produkt-Verwendungszweck-Verwender-Matrix erstellen und aus deren Werten folgender Quotient für jedes der zehn Paare berechnen: κ

Σ c ik u ik =1

s Verwendungszweck,·

Σ ( cikUik + d i ku i k)

k= 1 mit

ci k = 0/l-Dummyvariable; sie zeigt an, ob der i- te Haushalt beide Produkte für denfc-ten Verwendungszweck nutzt oder nicht; d i k = 0/1 -Dummyvariable; sie zeigt an, ob der i-te Haushalt nur eines der Produkte für den k- ten Verwendungszweck nutzt oder nicht; ui k = Häufigkeit, mit der der i-te Haushalt eines der beiden Produkte für den /c-ten Verwendungszweck nutzt;

S Verwendungszweck ·

= 1, wenn die zwei Produkte für die gleichen Zwecke genutzt werden

S Verwendungszweck.

=

(dik = 0);

Wenn die zwei Produkte jeweils für verschiedene Zwecke genutzt werden (c i k = 0). 1 4 7

Je größer also der Wert von Syerwendungszweck,» desto höher ist die Substitution zwischen den zwei Marktobjekten. Völlig analog läßt sich noch je ein Substitutionsindex in bezug auf die Gleichheit der Verwender sowie auf die der Verwendungszwecke und Verwender gleichzeitig (Interaktion) entwickeln. 148 Die Einzelwerte je Haushalt werden anschließend jeweils über alle Haushalte gemittelt. Ein zweiter Satz von drei Substitutionsmaßen ergibt sich aus der gleichen Grundüberlegung, aber einer anderen rechnerischen Auswertung der Matrix. Eine Wahl zwischen zwei Substituten ist, wie gesagt, unabhängig von der Variabilität der Verwendungszwecke oder Verwender. Hingegen hängt die Nutzung eines von zwei unverbundenen Marktobjekten aufgrund verschiedener Präferenzen oder Nutzenstiftung von der Art des Verwendungszwecks oder des Verwenders ab. Deshalb kann man die schon erwähnte Produkt-Verwendungszweck-Verwender-Matrix einer Dependenzanalyse unterwerfen. Hohe ChiQuadrat-Werte zeigen die Abhängigkeit der Produktwahl vom Verwendungszweck bzw. vom Verwender an, also die Unverbundenheit der zwei Marktobjekte. In bezug auf den Verwendungszweck gilt z.B.:

140 147 14β

Vgl. hierzu Fraser/Bradford 1983, S. 24ff. Für völlig unabhängige Güter wird das Substitutionsmaß Null. Vgl. Fraser/Bradford 1983, S. 24f.

1. Die produktbezogene Marktabgrenzung

1

S* 2Verwendungszweck = 1> w e n n a i > 0,01, d. h. die Wahl der Marktobjekte unabhängig vom Verwendungszweck ist und die Produkte damit Substitute sind, = 0, wenn a t < 0,01, d. h. die Wahl der Marktobjekte abhängig vom Verwendungszweck ist und die Produkte damit verbunden sind, mit

ocj =

Wahrscheinlichkeit, daß die Wahl der Marktobjekte durch den i-ten Haushalt unabhängig vom Verwendungszweck ist.

Auch hier ergeben sich zwei analoge s^-Werte in bezug auf die Verwender und die Verwendungszweck/Verwender-Interaktion je Haushalt, die allesamt wiederum über alle Haushalte gemittelt werden. Ein dritter Ansatz beruht auf einer Annahme über das Bevorratungsverhalten der Haushalte. Wenn Vorrat gehalten wird, so wird bei einer Anzahl substitutiver Güter eher die abwechselnde Bevorratung eines Gutes, bei unabhängigen Gütern eher die gleichzeitige Bevorratung mehrerer Güter zu erwarten sein. Bei substitutiven Marktobjekten wird also ein mehrfacher Verbrauch des gleichen Artikels eventuell abgelöst durch eine längere Nutzungssequenz eines substitutiven Artikels, während bei verbundenen Gütern, da alle bevorratet, ständig andere Artikel zur Nutzung aus dem Lager entnommen werden. Hier ist also oberflächlich gesehen ein ständiger Marken- bzw. Produkt-Wechsel zu erwarten. Die Substitutionalität zweier Güter ergibt sich dann aus der relativen Häufigkeit, mit der jedes der Marktobjekte bei zwei aufeinanderfolgenden Nutzungsgelegenheiten verwendet wird: τ

Σ

r

(t-i,t)i

< =2

Q 3 Wiederholung;



Σ ( Γ ο-ι,υ< + ν ν (t-ι,ο) T

t -

mit

2

Ύί-ι,ο, =0/1-Dummyvariable; sie zeigt an, ob der i-te Haushalt eines der Marktobjekte bei zwei aufeinanderfolgenden Nutzungsgelegenheiten verwendet (0) oder nicht (1); w ( t _ ! t ) l = 0/1 -Dummyvariable; sie zeigt an, ob der ί-te Haushalt ein Marktobjekt bei einer, das andere Marktobjekt bei der folgenden Gelegenheit verwendet (0) oder nicht ( l ) . 1 4 9

Dieses Substitutionsmaß strebt für substitutive Güter gegen 1 und wird wie die bisherigen wieder einfach über alle Sample-Haushalte gemittelt. Zum Zwecke einer Kreuzvalidierung haben Fraser und Bradford alle acht Substitutionsmaße (den aus dem vorausgehenden Abschnitt bekannten IRSIndex und die in diesem Abschnitt dargestellten sieben Maße) auf Daten aus dem gleichen Haushalts-Panel (die sieben „Befragungs"-Maße allerdings aus

149

Für völlig unabhängige Güter wird das Substitutionsmaß Null.

1

Teil

: Die Marktabgrenzung in der Marketingtheorie

einer Unterstichprobe) angewandt. Die Werte für zehn Marktobjektpaare sind in Tab. 14 wiedergegeben. Tabelle 14 Meßwerte für die Austauschbarkeit ausgewählter KafTeeprodukte MœcvH Folgw« BK, Maxv«! Tosttrs Maxvol Fofctrs BK,FotoorsBK, Folgere BK,Meer* Tostors Hou» BK. Hous* K. Choic* GK. Hous*K, HousoBK. Choie* GK, Sonke C Sorko E Sontra E Sorko Κ NtsoofiK fokftrt Κ Mexvtl MaxvH Test »rs HoutoBK Choie* GK Hous* Κ Choie* GE

SubstttutlonsmoDe S

.00

.23

.20

.49

.00

.02

.04

1.00

1.00

1.00

.01

.65

.76

.03

.91

.06

.06

.01

.07

.06

.06

.79

.77

.95

1.00

.00

1.00

.01

.93

1.00

.60

.62

.56

.72

.77

.66

.66

.70

.66

.39

.30

.40

.40

.64

.44

.62

.33

.53

.04

.75

.66. ·

.97

.97

.04

.90

.70

.90

.95

Svtrvfndunpcvfcfc

.45

.40

.54

.61

.66

.51

.65

.37

.57

.63

S χ 2 VifvHidunfttvNk

.02

.06

.70

.93

.09

.07

.97

.79

.09

.95

J

S ^ V»rwindtr S

VM*rholung

®Vir»wfunçsxvoofc & VtrvMdif Λ. Vfrwmdtr

Annwrlunvm:

BK-Bo*wn, koffeinhaltig GK - 0»!xwell House

MILDE

^^FTROCKNET

Nuts

ι

^

INSTANT

,

1

ENTKOFFEINIERT

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·

MiLUt

GESCHMACK

High Point· Sanka ·

GESCHMACK

»Sank, * Ί"*?* Choice

ŒSŒM\OC

-Brim

GEFRIERGETROCKNET NORMALGETROCKNET GEFRIERGETROCKNET MILDE MTIDF MILDE

KOFFEINHALTIG

1

Abb. 22: Hybride Strukturierung des US-amerikanischen Kafleemarktes

Quelle: Urban/Hauser 1980, S. 94.

• Stört

Sanka

MILDE

Maxwe,u GESCHMACK Horn· _ ,· , · Folger s Hills Bros.

Brim

BOHNEN

ι

KAFFEE

ie produktbezogene Marktabgrenzung 197

198

Teil III: Die Marktabgrenzung in der Marketingtheorie

1.3.1.4.4. Zusammenfassung Die stochastischen Ansätze zur Marktaufspaltung nutzen die Grundidee der Wettbewerbs- bzw. Substitutionsleiter einer entsprechend gebildeten Produkthierarchie, wonach die Substituierbarkeit zweier Güter eines Teilmarkts größer ist als die zweier Güter aus verschiedenen Teilmärkten. Jeder mögliche Aufspaltungsknoten einer Produkthierarchie wird als Hypothese verstanden: M i t der sog. Nullhypothese wird der Tatbestand bezeichnet, daß ein Markt sich nicht nach einem vorgesehenen Kriterium aufspalten läßt, mit der Gegenhypothese wird behauptet, daß er wie postuliert in Submärkte unterteilbar ist. I m Hendry-Modell werden je eine empirische und theoretische Wechselkonstante für die das Wechselgeschehen zwischen und innerhalb 289 von alternativ gebildeten Teilmarktsystemen repräsentierenden Fluktuationsmatrizen berechnet. Je ähnlicher diese Konstanten für einen Aufspaltungsvorschlag sind, desto eher ist davon auszugehen, daß die entsprechende Teilmarktbildung in der Realität vorhanden ist. Damit wird ein erster entscheidender prüflogischer Mangel des Hendry-Modells, der beim Prodegy-Modell nicht gegeben ist, deutlich: Die oben als Null- und Gegenhypothese formulierten Tatbestände werden nicht direkt gegeneinander geprüft, sondern es wird für alternative Gegenhypothesen jeweils ein empirischer mit einem theoretischen Wert verglichen! Man kann auf diese Weise nur „schlechtere" Gegenhypothesen ausschalten, aber nicht die Gültigkeit der „besten" Gegenhypothese im Kontrast zur Nullhypothese feststellen. Das zweite Problem liegt in der Verwendung einer speziellen Entropiefunktion zur Ermittlung der theoretischen Wechselkonstanten begründet. Die Entropie als Maß für die „Unordnung" eines Zufallssystems läßt sich zwar im ökonomischen Kontext sehr anschaulich beispielsweise als der zwischen einer Menge von Marktobjekten herrschende Wettbewerbsgrad interpretieren. 290 Sie verkörpert eine Art durchschnittlicher Chance eines jeden Marktobjekts, von einem Nachfrager gewählt zu werden 2 9 1 Aber im Hendry-Modell wird nirgendwo theoretisch begründet, warum diese Funktion in die Berechnung des Prüfkriteriums einer Marktaufspaltung eingeht. Dieser Wert bringt praktisch den relativen „Zufallsgehalt" einer Marktaufspaltung in bezug auf das Substitutionsgeschehen zum Ausdruck. Warum dieser im Vergleich mit der tatsächlichen Wechselneigung Aufschluß darüber geben kann, wie gut eine Teilmarktbildung die Realität widerspiegelt, bleibt unbegründet. 289 Das „Wechseln" innerhalb von nach Marken gebildeten Teilmärkten nennt man üblicherweise Markentreue. Von Wechseln spricht man in unserem Zusammenhang deshalb, weil ein Wechseln zwischen Sorten auch bei Markentreue möglich ist. 290 Vgl. hierzu die Fußnote 261 des Teils I I I dieser Arbeit. 291 Das läßt sich intuitiv so veranschaulichen: Je mehr sich die Präferenzen für zwei Marken eines Marktes einander angleichen, desto größer wird die Unsicherheit, welche gewählt wird. Eine Marktanteilskombination von 0,1 zu 0,9 geht mit einer geringeren Unsicherheit einher (Entropie = 0,325) als eine Kombination von 0,5 zu 0,5 (Entropie = 0,693). Vgl. zum Rechenbeispiel Herniter 1973, S. 362.

.

ie produktbezogene Marktabgrenzung

199

Bedeutend anschaulicher ist die Logik des Prodegy-Modells. Hier wird geprüft, ob die Wahrscheinlichkeit, zu einem Produkt des gleichen Teilmarktes zu wechseln, aus dem ein Produkt nicht mehr gewählt werden kann, größer ist als die Wahrscheinlichkeit des Wechsels bei nicht aufgespaltenem Markt. Die mit der Null- bzw. Gegenhypothese beschriebenen Sachverhalte werden somit direkt einander gegenübergestellt. Die der Nullhypothese (keine Marktaufspaltung möglich) zugrunde liegende Annahme, die Verteilung der zum Wechseln gezwungenen Nachfrager auf die anderen Marktobjekte erfolge proportional zu deren Marktanteilen, impliziert, daß das Prodegy-Modell ebenso wie das Hendry-Verfahren von einem Markt im Gleichgewicht ausgeht. Zentrales Element des Prodegy-Modells ist das „forced-switching"-Konzept, unabhängig davon, ob es als Wechselverhalten oder Präferenzurteil operationalisiert wird. Die explizite Aufforderung, zu dem Produkt zu wechseln, das das am stärksten präferierte Marktobjekt am ehesten ersetzen kann, aber auch muß, führt sicher zu einer prägnanteren Erfassung der Substitutionsbeziehungen als der Rückgriff auf die aus Paneldaten gewonnenen und die Möglichkeit des Nichtwechselns einschließenden Fluktuationshäufigkeiten. Die Alternative, eine Marktaufspaltung mit Hilfe von Prodegy auch auf der Basis von Präferenzdaten durchzuführen, verkörpert deswegen einen weiteren Vorteil, weil damit prinzipiell für alle Güter und nicht nur für häufig gekaufte Verbrauchsgüter bestehende Marktunterteilungen geprüft werden können. Außerdem bietet sich dadurch eine Chance zur Validierung der „forced switching"-Daten. 292 Ferner ist unter dem Gesichtspunkt der Akzeptanz der Ergebnisse, etwa im Zusammenhang mit kartellrechtlichen Auseinandersetzungen, der Umstand von großem Wert, daß mit Prodegy Marktabgrenzungen auf statistische Signifikanz getestet werden können. Insgesamt muß Prodegy als in statistisch-methodischer Hinsicht sehr gut validiert eingestuft werden. 293 Es wurde bereits zur Analyse anderer Märkte erfolgreich eingesetzt, wie ζ. B. für Haushaltsreiniger, Bier, Lebensmittel, EDVSoftware und Herzschrittmacher. 294 Das Hauptproblem des Prodegy-Modells besteht darin, daß jene Kriterien, nach denen eine hypothetische Marktaufspaltung vorgenommen wird, geeignet sein müssen, Marktobjekte eindeutig und ausschließlich einem Teilmarkt 292 Sowohl die Präferenzrangreihungsdaten als auch die Präferenzwerte auf der Basis der Akzeptanz von Marktobjekten (vgl. Gl. (11)) führten bei Urban/Johnson/Hauser (1984, S. 104) zu tendenziell etwas niedrigeren P(s)-Werten als die „forced switching"Daten, aber bezüglich des Z-Tests nicht zu anderen Testergebnissen. 293 Urban / Johnson / Hauser (1984) berichten von mehreren Validierungsversuchen: So wurde unter anderem mit Hilfe der Clusteranalyse eine ähnliche Marktaufspaltung gefunden wie mit Prodegy. 294 Eine kurze Beschreibung der Ergebnisse dieser Studienfindet sich bei Urban/Johnson/Hauser 1984, S. 108 ff.

200

Teil

: Die Marktabgrenzung in der Marketingtheorie

zuzuordnen. So sollte z.B. ein Diesel-PKW von Nachfragern kaum als ein Benzin-PKW verkannt werden können. Möchte man Märkte nach Verwendungszwecken oder etwa Verwendern aufspalten, also nach Kriterien ohne eindeutigen Produktbezug, so läßt sich dies mit Verwendungszwecken als Ankerreizen im „forced switching"-Experiment bewerkstelligen: Man bekäme dann beispielsweise je eine Marktstrukturierung von PKW unter Beachtung ihrer Verwendung einmal als Erstwagen und einmal als Zweitwagen. Eine unmittelbare Unterteilung nach Verwendungszwecken wäre dies aber nicht. Eine solche ist möglich, aber nur unter gewissen Voraussetzungen. Angenommen, die zwei wichtigen Verwendungszwecke von Haushaltsreinigern sind WC /Badreinigung sowie Küchenreinigung. Die existierenden Marktobjekte müßten von allen Nachfragern genau einem Verwendungszweck zugeordnet werden. 295 Arbeitet Prodegy beispielsweise mit einer nur von der Mehrheit der Nachfrager vorgenommenen Klassifikation von Ajax als WC /Badreiniger, so wird für die Minderheit, die ihn als Küchenreiniger einstuft, in dem Ausmaße ein Teilmarktwechsel vorgetäuscht, indem diese wenigen zu einem Marktobjekt wechseln, das als Küchenreiniger klassifiziert ist. Diese falsche Einordnung eines Produktwechsels mindert die Trennschärfe des Prüfkriteriums des ProdegyAnsatzes. Ebenfalls problematisch ist die Einschränkung, in jedem Fall nur von einem Verwendungszweck für ein Produkt ausgehen zu können. Eine Erfassung der Wettbewerbsbeziehungen zwischen polytropen Gütern, die eigentlich die Bildung überlappender Submärkte erfordert, ist mit Prodegy nicht bzw. nur mit verminderter Trennschärfe möglich. Das gleiche Problem besteht auch dann, wenn zwar für jedes Produkt eine eindeutige und ausschließliche Submarktzugehörigkeit vorgegeben werden kann, das Wechselverhalten der Nachfrager jedoch gruppenspezifisch unterschiedlich ist, was man bei undifferenzierter Anwendung des Prodegy-Modells nicht erkennt. So kann für über 50 Jahre alte Personen die Marktpartition koffeinhaltiger vs. entkoffeiniertem Kaffee, für unter 50 Jahre alte Personen die Aufspaltung Pulver- vs. Instantkaffee die jeweils signifikanteste sein; 296 für beide Altersgruppen zusammen ergibt sich u.U. bei keiner Aufspaltung eine Signifikanz. Ohne diesbezüglich gute, extern gewonnene Hypothesen kommt der Ansatz nicht aus. 297 Für beide stochastischen Marktaufspaltungsverfahren gilt, daß sie, im Gegensatz zu mancher Meinung, 298 nicht nur in der Lage sind, Kaufverhalten 295

Vgl. zu diesem Beispiel Urban/Johnson/Hauser 1984, S. 98ff. Vgl. Urban/Johnson/Hauser 1984, S. 93, lOOf. 297 Für explorative Zwecke kann man Prodegy natürlich auch zur Suche solcher Hypothesen verwenden. 298 Vgl. z.B. Sacher 1975, S. Iff. 296

.

ie produktbezogene Marktabgrenzung

201

als Ergebnis eines Entscheidungsprozesses in Marktstrukturen umzusetzen, sondern mit dem Aufspaltungskriterium auch dessen Determinanten aufzudecken, eine Leistung, die besonders den multivariaten Marktstrukturierungsverfahren zugeschrieben wird.

Ï.3.Î.5.

Die multivariaten

Ansätze

1.3.1.5.1. Die Clusteranalyse 1.3.1.5.1.1. Die Aufspaltung in disjunkte Teilmärkte Das Ziel, Marktobjekte nach dem Grad ihrer Substuierbarkeit zu Klassen, d.h. zu Teilmärkten zusammenzufassen, läßt sich auch mit den Methoden der numerischen Taxonomie, in der Marketingtheorie unter dem Begriff Clusteranalyse bekannt, erreichen. 299 Die Diskussion der hermeneutischen und entscheidungstheoretischen Ansätze der Marktaufspaltung hat bereits das Ergebnis erbracht, daß eine hierarchische Struktur die realen Wettbewerbsbeziehungen der Produkte am besten repräsentiert. Zur Rekonstruktion solcher Produkthierarchien mit disjunkten Teilmarktaufspaltungen werden die sog. hierarchischen Clusterverfahren als besonders prädestiniert vorgeschlagen. 300 Deren Grundidee besteht darin, eine Ähnlichkeitsmatrix, welche die Substitutionsbeziehungen zwischen mehreren Produkten repräsentiert, auf ihre „Baumstruktur" zu untersuchen und diese aufzudecken. 301 Ein fiktives Beispiel soll den Kerngedanken verdeutlichen: 302 Angenommen, die in Abb. 23 enthaltene Matrix {Sij} verkörpert Werte für die Substitution zwischen acht Marktobjekten. Diese Matrix besitzt eine exakte Baumstruktur T 9 wie die Abb. 23 zeigt, weil 299

Darstellungen der Clusteranalyse finden sich inzwischen in reicher Zahl, weshalb hier auf eine Behandlung der Verfahren verzichtet werden kann. Einen Überblick vermitteln Steinhausen / Langer 1977, wo ebenso wie bei Späth 1980 zahlreiche Computerprogramme abgedruckt sind, sowie Everitt 1980. Eine knappe Skizze von Klassifikationstypen (exhaustiv—nicht exhaustiv, disjunkt—überdeckend) bietet Opitz 1980, S. 66 f. Zu den Clusteralgorithmen im engeren Sinne (single, complete und average linkage, Median, Centroid, Ward, diverse Varianzverfahren und Austauschverfahren) vgl. v. a. Steinhausen/Langer 1977, S. 69ff.; Opitz 1980, S. 87ff.; Everitt 1980, S. 23ff. Häufig zitierte, z.T. stark mathematisch orientierte Monographien sind: Mezzich/ Solomon 1980, Hartigan 1975, Duran/Odell 1974, Anderberg 1973, Sneath/Sokal 1973, Vogel 1975, Sodeur 1974 und v.a. Bock 1974. Neuere Entwicklungen werden z.Zt. nur in Aufsätzen sichtbar, wie z.B. Srivastava/Alpert/Shocker 1984, DeSarbo/DeSoete 1984 und DeSarbo 1982. 300 Vgl. ebenso Rao/Sabavala/Zahorik 1982, S. 17. Im folgenden werden auch taxonomische Verfahren diskutiert, die zu nicht-hierarchischen Aufspaltungen in sich überlappende Teilmärkte fuhren. 301 Damit wird der graphentheoretische Ansatz der Clusteranalyse angesprochen. Eine knappe Skizze hierzu findet sich bei Steinhausen/Langer 1977, S. 94 ff. Ausführlich behandelt dies Bock 1974, S. 298 ff. Er zeigt auch, daß die single-linkage-Methode als hierarchisch disjunktes Verfahren zum gleichen Ergebnis führt wie eine graphentheoretische Lösung. 302

Vgl. hierzu Rao/Saba vaia 1981, S. 87.

202

Teil

: Die Marktabgrenzung in der Marketingtheorie

alle Paare von Marktobjekten, die auf einer höheren Ebene vereinigt werden (ζ. Β. 1 und 4), einen kleineren S 0 -Wert (ζ. B. hier S0· = 0,3) aufweisen als Paare, die auf einer unteren Ebene zusammenkommen (ζ. Β. 1 und 2, S^ = 0,9). Für beliebige drei Marktobjekte i, j und k muß also gelten:

Sij

(S ik, Sjk).

< max

Ähnlichkeitsmatrix {S-.}

i

j:

2

1

4

3

5

6

7

1

1.0

2

0.9

1.0

3

0.3

0.3

1.0

4

0.3

0.3

0.8

1.0

5

0.2

0.2

0.2

0.2

1.0

6

0.2

0.2

0.2

0.2

0.6

1.0

7

0.2

0.2

0.2

0.2

0.4

0.4

1.0

8

0.2

0.2

0.2

0.2

0.4

0.4

0.8

8

1.0

Baumstruktur der Matrix A=. 2 B=.3

r s m 1

C=.4

ι 2

3

F=.6

E=.8 4

5

Bedingungen: AfB