Management und Controlling von Einkauf und Logistik: Festschrift für Jürgen Bloech [1 ed.] 9783886405015, 9783886401017

Dieses Buch widmet sich in siebzehn Abhandlungen ausgewählten Fragen aus den Bereichen Einkauf, Materialwirtschaft und L

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Management und Controlling von Einkauf und Logistik: Festschrift für Jürgen Bloech [1 ed.]
 9783886405015, 9783886401017

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Management und Controlling von Einkauf und Logistik Festschrift für Jürgen Bloech

Management und Controlling von Einkauf und Logistik Festschrift für Jürgen Bloech Herausgegeben von Ronald Bogaschewsky und Uwe Götze

Mit Beiträgen von Andreas Bacher - Ziad Bakhaya - Ina Bauerdorf - Stefan Betz Ronald Bogaschewsky - Udo Buscher - Uwe Götze - Marcus Groll Carl-Christian Freidank - Lothar Herold - Klaus Felix Heusler Lars Kleeberg - Udo Koppelmann - Hans-Jürgen Kracht Thomas Kretschmar - Barbara Mikus - Folker Roland - Peter Schuster Ulrich Steinmetz - Wolfgang Stölzle - Jürgen Weber - Carsten Wilken

Deutscher Betriebswirte-Verlag

Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnd.ddb.de abrufbar.

© Deutscher Betriebswirte-Verlag GmbH, Gernsbach 2003 Umschlaggestaltung: Jörg Schumacher Satz: Claudia Wild, Konstanz Druck: Konkordia GmbH, Bühl ISBN: 3-88640-101-4

Geleitwort Der Einkauf und die Logistik haben sich in den letzten Jahren zu entscheidenden Wettbewerbsfaktoren von Unternehmen entwickelt. Dies ist auf den stark gestiegenen Anteil der Fremdbeschaffungen an der gesamten Wertschöpfung in Verbindung mit der deutlich gewachsenen Internationalisierung der Märkte zurückzuführen. Hinzu kamen innovative Zulieferstrategien, die eine enge Abstimmung zwischen Abnehmer und Lieferant erfordern. Der fortschreitende Einsatz elektronischer Medien und insbesondere des Internets hat die Beschaffung vor neue Aufgaben gestellt, aber auch neue Erfolgspotenziale eröffnet. Die wissenschaftliche Aufarbeitung des Themenbereichs und die Bereitstellung aktueller Praxisberichte ist von großer Wichtigkeit, um die innovativen Konzepte zu fundieren und einem größeren Kreis in Theorie und Praxis zugänglich zu machen. Es ist eine zentrale Aufgabe des Bundesverbands Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) die Verbreitung von aktuellem beschaffungsrelevanten Wissen zu unterstützen. Der BME unterstützt daher gern die Publikation der vorliegenden Festschrift, die einige der heule wichtigsten Fragen in diesem Bereich aufgreift. Die Festschrift ist Prof. Dr. Dr. h.c. Jürgen Bloech gewidmet, der sich seit vielen Jahren intensiv mit Beschaffungs- und Logistikthemen befasst und hierzu zahlreiche Publikationen verfasste, die große Verbreitung fanden. Er beeinflusste damit nachhaltig die Diskussion und zeigte neue Wege auf. Sein Engagement erstreckte sich ebenso auf die Praxis. So leitete er mehrere Jahre den Arbeitskreis ,Einkauf und Logistik' der Schmalenbach-Gesellschaft und stand dort im intensiven Erfahrungsaustausch mit Praktikern. Engen Kontakt pflegte der Jubilar auch zum BME, u.a. als Redner auf Symposien und als Mitglied der Jury für den Wissenschaftspreis. Auf diese Weise trug Prof. Bloech zum heute immer wieder zu Recht geforderten intensiven Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis bei. Wir wünschen dem Jubilar noch viele Jahre intensiver Schaffenskraft und der Festschrift eine weite Verbreitung in Theorie und Praxis.

Ulrich Fricke Vorsitzender des Vorstands BME e.V.

Dr. Holger Hildebrandt Hauptgeschäftsführer BME e.V.

Inhalt

Inhalt Vorwort I

9

Entwicklung von Beschaffung und Logistik RONALD

BOGASCHEWSKY:

Historische Entwicklung des Beschaffungsmanagements INA

II

13

BAUERDORF:

Miszellen zur Geschichte der Logistik

43

Strategie und Management

65

UDO

KOPPELMANN:

Vertrauen oder Misstrauen als Grundlage für Beschaffungsverhandlungen BARBARA

CARSTEN WH.KEN, HANS-JÜRGEN

81 KRACHT:

Beschaffung und strategisches Controlling in globalisierten Märkten LOTHAR

WOLFGANG STÖLZLE, KLAUS FELIX

137 165

HEUSLER:

Supplier Relationship Management - Entstehung, Konzeptverständnis und methodisch-instrumentelle Anwendung

167

ROLAND:

Lieferantenmanagement mit Internettechnologien LARS

113

HEROLD:

Einführung von Konzernstandards in Prozessen und Systemen „vom Kunden bis zum Kunden" am Beispiel Volkswagen Südamerika Ε-Procurement und Supplier Relationship Management

FOLKER

67

MIKUS:

Wissensmanagement in der Logistik

III

11

195

KLEEBERG:

E-Procurement - learning by doing? Ursachenforschung zu den Problemen von Unternehmen bei der Einführung und Nutzung von E-Procurement-Instrumenten THOMAS

217

KRETSCHMAR:

Eine B2B-Plattform zur Realisierung einer Einkaufsgemeinschaft in der Kreditvermittlung

237

8 IV

Inhalt Controlling

249

UWE GÖTZE:

Controlling von Logistik und Supply Chain Funktionen und Instrumente CARL-CHRISTIAN FREIDANK, Z I A D

251 BAKHAYA:

Wertorientierte Steuerung in Beschaffung und Logistik JÜRGEN W E B E R , A N D R E A S B A C H E R , M A R C U S

285

GROLL:

Balanced Scorecard - Eignung des Ansatzes für das Supply Chain Management

307

PETER SCHUSTER:

V

Kostenrechnungsinformationen in Beschaffungs- und Absatzmarketing

331

Planung

351

STEEAN

BETZ:

Entscheidungsorientierte Produktionsfaktorbeschaffungsund -einsatzplanung

353

U D O B U S E H ER:

Kostenorientierte Planung logistischer Zulieferer-AbnehmerBeziehungen ULRICH

375

STEINMETZ:

Einsatz von Branch-and-Bound-Algorithmen in der Bestellmengenplanung bei Rabatten Verzeichnis der Schriften von Prof. Dr. Dr. h.c. Jürgen Bloech

403

423

Vorwort Die vorliegende Festschrift soll Prof. Dr. Dr. h.c. Jürgen Bloech anlässlich der Vollendung seines 65. Lebensjahres am 3. Juni 2003 ehren. Kollegen, Freunde und Schüler wollen ihm mit diesem Werk ihren Dank für die vielfältige Unterstützung und angenehme Zusammenarbeit ausdrücken und verbinden hiermit die besten Wünsche. Wer den Jubilar kennt, wie unzählige Studenten, mehr als einhundert von ihm betreute Doktoranden, einige Habilitanden, Kollegen und Partner aus der Unternehmenspraxis, wird einige der ihn prägenden und auszeichnenden Eigenschaften schätzen gelernt haben: Weitsinn, Gutmütigkeit, Toleranz, Geduld, tiefgründiger Humor und unermüdliche Schaffenskraft. Letztere wird durch seine Vita belegt. Nach der amerikanischen und deutschen Reifeprüfung sowie Studien der Nachrichtentechnik an der TH München und der Betriebswirtschaftslehre an der Georg-August-Universität Göttingen, promovierte er im Jahr 1966 bei Wolfgang Lücke mit einer Dissertation zur Investitionstheorie. Es folgte 1969 ebenfalls in Göttingen die Habilitation mit einer Forschungsarbeit über optimale Industriestandorte. Seit 1970 hat Jürgen Bloech einen betriebswirtschaftlichen Lehrstuhl an der Georg-August-Universität Göttingen inne, der er trotz einiger ehrenvoller Rufe treu geblieben ist. 1993 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Universität in Kaliningrad verliehen, mit der ihn nicht nur seine Herkunft, sondern auch langjährige enge Kontakte verbinden. Jürgen Bloech hat sich in Lehre und Forschung mit einer großen Vielfalt von Themengebieten auseinandergesetzt. Dazu zählen insbesondere Einkauf, Materialwirtschaft, Logistik und Produktionswirtschaft, die Standort- und die Investitionstheorie, Unternehmensplanung und Controlling, Operations Research sowie Planspiele. Diese Festschrift fokussiert mit Fragen aus den Bereichen Einkauf und Logistik einen Tätigkeitsschwerpunkt des Jubilars. In den siebzehn Abhandlungen wird zunächst die geschichtliche Entwicklung dieser bedeutenden Themenfelder aufgearbeitet. Es folgen Ausführungen zu strategischen Fragestellungen sowie zu Managementaspekten. Aktuelle Trends werden in dem Teil zum Electronic Procurement und zum Supplier Relationship Management aufgegriffen. Der vierte Teil thematisiert Fragen des Controlling, unter anderem vor dem Hintergrund der Steuerung von Supply Chains. Abschließend stehen spezielle einkaufs- und logistikbezogene Planungsaufgaben und deren Lösung im Zentrum der Betrachtungen. Wir hoffen, dass Jürgen Bloech seine erfolgreiche Lehr- und Forschungstätigkeit noch recht lange weiterführen kann und dass noch viele Studenten und jüngere Wissenschaftler von seinem großen Erfahrungsschatz profitieren werden. Hierfür wünschen wir ihm Gesundheit und weiterhin die Schaffenskraft, Motivation und Begeis-

10

Vorwort

terungsfähigkeit, für die er immer stand. Als seine Schüler danken wir ihm ganz besonders für die intensive Förderung und Unterstützung, die er uns über einen langen Zeitraum gewährt hat. Als Herausgeber bedanken wir uns bei allen Freunden, Kollegen und Mitarbeitern, die an der Entstehung der Festschrift mitgewirkt haben, insbesondere den Autoren, dem Deutschen Betriebswirte-Verlag für die Publikationsmöglichkeit und Frau Dr. Barbara Mikus sowie Herrn PD Dr. Udo Buscher für die Mithilfe bei diesem Projekt.

Würzburg und Chemnitz im Februar 2003 Ronald Bogaschewsky Uwe Götze

I

Entwicklung von Beschaffung und Logistik

Historische Entwicklung des Beschaffungsmanagements Prof. Dr. Ronald Β ο gase hew sky Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre und Industriebetriebslehre Sanderring 2 97070 Würzburg Telefon: +49 (0)931-31-2936 Fax: +49 (0)931-31-2405 E-Mail: [email protected]

Zusammenfassung: Es wäre vermessen, eine vollständige Übersicht historischer beschaffungsrelevanter Schriften aufstellen zu wollen. In diesem Beitrag soll ein Eindruck über Zeitpunkte und Arten von Abfassungen zum Thema Beschaffung im weitesten Sinne vermittelt werden. Da der Handel prinzipiell seit der frühz.e it liehen Tauschgesellschaft existiert und jedes gehandelte und nicht selbsterstellte Gut einen vorausgegangenen Bescha ffungsakt voraussetzt, ist die Geschichte der Beschaffung nicht weniger alt als die des Handels. Daher können viele handelsrelevante Schriften auch - zumindest in Teilen als beschaffungsbezogen bezeichnet werden. Dies gilt darüber hinaus auch für die dem Beschaffungsbereich hinzuzurechnende Lagerhaltung, einschließlich der dort vorgenommenen Buchführung bz.w. das Führen von Inventaren, sowie weitere heute als Logistik bezeichnete - Aktivitäten wie Verpacken, Transportieren und Umschlagen. Die folgenden Ausführungen stellen einen Streifzug durch die Jahrhunderte ohne Anspruch auf Vollständigkeit dar. Ergänzend werden abschließend die heute verbreiteten Begriffe Materialwirtschaft, Einkauf Logistik, Supply Chain/Network Management, Beschaffung und Versorgungsmanagement in systematisierter Weise skizziert.

14

Ronald Bogaschewsky

Inhalt 1

Von den Anfängen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts

15

1.1 1.2 1.3 1.4 1.5

15 16 17 17 18

Frühgeschichte und Antike Mittelalter Renaissance 17. und 18. Jahrhundert 19. Jahrhundert

2

Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts

20

3

Die 1950er- und 1960er-Jahre

23

4

Die Entwicklung seit 1970

24

5

Differenzierung heute verbreiteter Begriffe

26

5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6

27 28 29 31 32 33

6

Materialwirtschaft (Materials Management) Einkauf (Purchasing) Logistik (Logistics) Supply Chain/Network Management Beschaffung (Procurement) Versorgungsmanagement (Supply Management)

Schlussbetrachtungen

Literatur

33 35

Historische Entwicklung des Beschaffungsmanagements

1

Von den Anfängen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts 1

1.1

Frühgeschichte und Antike

15

Das Beschaffen von Gütern im Rahmen kommerzieller Tätigkeit - also nicht durch Privatleute bzw. Konsumenten - reicht zurück auf das Aufkommen des Handels und damit nahezu so weit wie die Existenz des (modernen) Menschen. Beschaffungsaktivitäten in größerem Umfang waren auch im Zuge der Erstellung großer Bauwerke wie der chinesischen Mauer oder der Pyramiden vonnöten. Aus der Zeit um 3.500 v. Chr. stammt eine kleine Tontafel mit Aufzeichnungen über Lieferungen von Brot und Bier - ein materialwirtschaftlicher Buchhaltungsbeleg aus einer Tempelwirtschaft im Gebiet zwischen Euphrat und Tigris. Ein Inventar über u.a. Gerste und Kupferminen stammt aus der Zeit um 3.000 v. Chr., zu der auch die erste Fabrikbuchhaltung des Tempels Dublal-mach in Ur entstand. Für den Einkauf relevantes Wissen wurde in Handelsschulen vermittelt, die zu derZeit des babylonischen Königs HAMMURABI entstanden. Die heute oft kritisierten langen Studienzeiten erscheinen vor den 10 - 14 Jahre andauernden Ausbildungen geradezu lächerlich kurz. Die Buchführungspflicht wurde in Babylonien 1728 ν. Chr. eingeführt. Die von Tu ALES VON M I LKT (625-545 v.Chr.) gelegten ersten Grundlagen zur Behandlung wirtschaftlicher Fragen wurden durch PROTAGORAS VON A T H E N (480-410 v. Chr.) durch die Darlegung von Verhandlungstechniken spezifiziert. In der „Oikonomikos" von XF.NOP H O N 2 (430-345 v.Chr.), in der SOKRATES als Lehrer auftritt, werden zahlreiche Disziplinen wie Beschaffung, Lagerwirtschaft, Organisation und Führung behandelt. Der Marktplatz im antiken Athen (die „Agora") reicht als Ort des Einkaufens und Verkaufens 2.400 Jahre zurück. Zu dieser Zeit (und noch viele hundert Jahre lang) waren nicht nur materielle Güter Beschaffungsobjekte, sondern auch Menschen. Allein in Delos wurden im letzten vorchristlichen Jahrhundert pro Tag bis zu 10.000 Sklaven „umgesetzt'4, die als „Anlagevermögen" galten und deren Einstandspreis sich nach dem Erfolg kriegerischer Auseinandersetzungen (als „Beschaffungsmaßnahme") bestimmte. Schriftlichen Niederschlag fand u.a. eine Diskussion über den Wert von Gütern (Gebrauchswert versus Tauschwert) beispielsweise bei A R I S T O T E L E S 3 , der Schüler P L A T O N S war und 3 8 4 - 3 2 2 v. Chr. lebte und die „Oeconomica" verfasste. Auch A U G U S T I N U S ( 3 5 4 - 4 3 0 ) widmete sich dieser Wertediskussion und versuchte einen objektiven Naturwert, der auf der Rangordnung des Lebens basierte, zu definieren. 4 Logistik als Versorgungsfunktion für das Heer wurde bereits vom byzantinischen Kaiser L E O N T O S DEM VI. beschrieben, die für ihn neben der Taktik und der Strategie die dritte Kriegskunst war (vgl. Semmelroggen (1988), S. 7).

1

Die Ausführungen basieren auf Bloech/Bogaschewsky/Schulze (1987), wo zahlreiche weitere Quellen angeführt werden, sowie zum Kapitel 1.4 teilweise auf Fearon (1968).

2

Vgl. Xenophon (1734).

3

Vgl. Aristoteles (1560).

4

Vgl. Augustinus (1914). Siehe zu den Wcriediskussionen in der ökonomischen Vorklassik und Klassik auch die Ausführungen bei Bogaschwesky (1995).

Ronald Bogaschewsky

16 1.2

Mittelalter

Im Mittelalter intensivierte sich der Handel und damit verstärkte sich die Bedeutung von Einkaufs- und Beschaffungsaktivitäten, da bereits zu dieser Zeit, in der der Handel großen Aufschwung erfuhr, erkannt wurde: „Im Einkauf liegt der Gewinn". Ein sehr frühes Werk des 12. Jahrhunderts mit offensichtlichem Bezug zur Beschaffung war „Das Buch des Hinweises auf die Schönheiten des Handels und die Kenntnis der guten und schlechten Waren und die Fälschungen der Betrüger an ihnen" von ALI AD D I M I S Q U I . A L E X A N D E R V O N T H A L E S ( 1 1 8 6 - 1 2 4 5 ) argumentierte, dass der Handel eine werterhöhende Tätigkeit sei, die durch den Gütertransport und die Risikoübernahme entstände. T H O M A S V O N A Q U I N ( 1 2 2 5 - 1 2 7 4 ) sah den Gewinn als Lohn für diese Tätigkeit. H E I N R I C H V O N G E N T ( 1 2 1 7 - 1 2 9 3 ) brachte die Werterhöhung wiederum mit der kostenorientierten Preisbildung in Beziehung, bei der D U N S S C O T U S ( 1 2 6 6 - 1 3 0 8 ) explizit die Einbeziehung der Lagerfunktion forderte. Die genannten Autoren, wie auch A L B E R T U S M A G N U S ( 1 1 9 3 - 1 2 8 0 ) und B E R N H A R D I N V O N S I E N A ( 1 3 8 0 - 1 4 4 4 ) philosophierten über den „gerechten" Preis, der aufgrund des starken Einflusses der Kirche, letztlich nicht den göttlichen Regeln widersprechen durfte. Explizit wird der Einkauf sowie Transport und Lagerung von Α Ν Τ Ο Ν IN V O N F L O RENZ ( 1 3 8 9 - 1 4 5 9 ) im Zusammenhang mit der Ermittlung der Aufwendungen von Kaufleuten genannt. Erheblichen Aufschwung erhielten Einkauf und Handel durch die Einführung des Dezimalsystems mit indischen Zahlzeichen, die die schwerfälligen und Fehler provozierenden römischen Zahlen nach und nach ablösten. Der um 840 gestorbene Ägypter M U H A M M A D I B N M U S A A L - K W A R I Z M I (lateinisiert: Algorithmus) beschrieb erstmals diese Zähl weise. Aus dem Titel seines (späteren) Buchs „Hisab al-jahr walmuqabala" soll der Begriff Algebra abgeleitet sein. L E O N A R D O F I B O N A C C I VON P I SA5 führte diese 1202 durch seine Schrift „II liber abaci" (Das Rechenbuch) im nördlichen Mittelmeerraum ein, wobei es über 300 Jahre dauerte bis sich diese vollends durchsetzten. Trotzdem erhielten die südeuropäischen Länder und insbesondere das heutige Italien durch das schnelle Aufgreifen diesen neuen „Technik" einen Wettbewerbsvorsprung. Eine der ältesten bekannten Handschriften über kaufmännisches Wissen stammt von F R A N C E S C O B A L D U C C I P E G O L O T T I , Faktor des mächtigen Florentiner Bankund Handelshauses Bardi, das zwischen 1335 und 1345 entstand. Die nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Aufzeichnungen über Währungs- und Geldfragen sowie in- und ausländische Handelsusancen stellten das intellektuelle Kapital des Hauses dar. Diese und eine ähnliche Schrift von B E R N A R D O DA U Z Z A N O aus dem Jahre 1 4 4 2 wurde erst 1 7 6 5 / 6 6 von P A G N I N I D E L V E N T U R A veröffentlicht. Allgemeine Betrachtungen der Preisbildung durch das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage stammen von J O H A N N E S N I DER ( 1 3 8 0 - 1 4 3 8 ) .

Der sich zunächst Tu.ILS

BONACCI

nennende

FIBONACCI

ist durch die Fibonacci-Zahlen noch heute

allen Mathematikinteressierten bekannt. Hierbei wurde ursprünglich berechnet, wie viele Nachfahren ein Kaninchenpaar innerhalb eines Jahres bekommt, wenn jedes Paar allmonatlich ein neues Paar zeugt, das sich ab dem /weiten Lebensmonal in gleicher Weise fortpflanzt.

Historische Entwicklung des Beschaffungsmanagements 1.3

17

Renaissance

Das mehrere Geschäftszweige, Zahlungsarten und die Buchhaltung beschreibende Werk von B E N E D E T T O C O T R U G L I erschien 1573 in Venedig, wurde allerdings schon 1458 verfasst und allein in Frankreich sechzehnfach aufgelegt. Die in den folgenden Jahrzehnten erscheinenden zahlreichen Rechenbücher hatten sämtlich einen handelswirtschaftlichen Hintergrund und behandeln damit den Verkauf ebenso wie den Einkauf. 6 Das älteste deutschsprachige abgedruckte Werk ist das Rechenbüchlein von 1 4 8 2 des Nürnberger Rechenmeisters U L R I C H W A G N E R . Eines der bedeutendsten Schriften der Renaissance ist die „Summa de Arithmetica, Geometria , Proportioni et Proportionalita" von L U C A P A C I O L I aus dem Jahre 1 4 9 4 . Der Professor für Mathematik, Theologie sowie Philosophie und Freund L E O N A R D O DA V I N C I S verfasste damit nicht nur eine Zusammenfassung der Mathematik seiner Zeit, sondern ging in seinem 300-seitigen Werk auf praktische Problemstellungen des Handels und - in detaillierter Form - der Buchführung ein. Insbesondere die Ausführungen zu Münzen, Maßen und Gewichten waren unerlässliches Handwerkszeug für jeden Einkäufer bzw. Händler. Eine stärkere Fokussierung der Handelskunde findet sich in einer Handschrift aus dem Jahre 1511, das vermutlich dem Nürnberger Handelshaus Meder entstammt. LORENZ M E D E R veröffentlichte 1 5 5 8 das erste gedruckte „Handels-BuchGrößeren Einfluss hatte auch die von dem Buchhalter der Fugger M ATTHÜUS S C H W A R Z ( 1 5 1 8 ) veröffentlichte Abhandlung. Im Laufe der nächsten 40 bis 50 Jahre erschienen mehrere Veröffentlichungen zur Buchhaltung, die sich damit auch im Norden Europas verbreitete. Im Jahre 1516 veröffentlichte J O A N N I S A Q U I L E - Professor für Jurisprudenz und Philosophie in Tübingen - die erste umfassendere Geldtheorie der Neuzeit. Dabei behandelt er Geld- und Währungsfragen, die Münzhoheit, den inneren und äußeren Wert des Geldes und Falschgeld. M A R T I N L U T H E R verurteilte in seinem Werk „Von Kaufhandlung und Wucher" (1524) die Auswüchse überhöhter Zinsen, verdammte Luxusgüter und wollte lieber „mit Gott arm, als mit dem Teufel reich 44 sein.

1.4

17. und 18. Jahrhundert

G E A R L D M A L Y N E S veröffentlichte 1636 sein Werk über den Handel, das mehr als ein Jahrhundert lang das Standardwerk für die weltweit agierenden britischen Kaufleute war. Großen Einfluss hatte auch die 700-seitige Schrift von G I O V A N N I D O M E NICO PERI „ / / Negotiant e" aus dem Jahre 1638. Der zweite Teil des Buches behandelt beschaffungsrelevante Fragen wie Kaufvertrag, Maßumrechnung, Transportwesen und den Zahlungsverkehr. Erstmals „wissenschaftlichen 44 Anspruch erhebt

6

Weiteren Schriften mit kaufmännischen Rechentechniken sind u.a. Balthasar Licht (1509), Gregorius Reisch (1513), Johannes Widmann (1526), Gemma Frisius (1548), Adam Riese (1531, 1532), Georg Reychclstain (1531), Petrus Apianus ( 1532), Nicolo Tartaglia (1537, 1546, 1592), Johann Otthen ( 1579). J A C O B K O I : B I : I . (1515) und A N D R I : A S H K L M R K I C H (1557) schrieben ihre VisierbüchleinDiese u.a. zur Bestimmung von Fassmaßen erforderliche Kunst haute später der Astronom, Physiker, Mathematiker und Philosoph J O H A N N I S KKIM.I-R (1615, 1619) zur Stereometrie aus.

18

Ronald Bogaschewsky

die Schrift von JAQUHS S A V A R Y „ Le parfait negotiant 44 („Vollkommener Kau ff- und Handelsmann") von 1675. Beschaffungsrelevante Themen dieser Schrift sind Einkauf, Lagerung, Zahlungsverkehr, Gewichts- und Warenkunde, Rechtsfragen und die Standortwahl. Seine Söhne J E A N und P H I L É M O N - L O U I S gaben 1 7 2 3 - 1 7 3 0 das gegenüber dem Werk des Vaters erweiterte Handwörterbuch „dictionnaire universel de commerce 44 heraus, im Jahre 1 7 0 0 veröffentlichte S A M U E L R I C A R D seine ebenfalls bedeutende „Traité général du commerce 44 und im selben Jahr erschien „De Koophandel van Amsterdam 44 von L E M O I N E DE L / E S P I NE. Eine unrühmliche Rolle bei der Beschaffung von Waren spielten die privaten und die publiken „Handels-Kompanien" im 17. Jahrhundert. Während erstere häufig als „offene Handelsgesellschaff' mit geschlossenem Gesellschafterkreis firmierte - deren handelsrechtliche Grundlage der „Code Savary" war - , konnten an den großen oder publiken Kompanien, die quasi Nachfolger der Kauffahrergilden wie der Hanse waren, Anteile erworben werden. Die Niederländisch- bzw. Holländisch-ostindische und die Englisch-ostindische Kompanie erzielten ihre teilweise erheblichen Gewinne öfter durch Raubzüge und Ausbeutung als durch den regulären Einkauf in den Kolonien. Entscheidende Fortschritte in der ökonomischen Theorie lieferten J O H N L O C K E ( 1 6 3 2 - 1 7 0 4 ) und vor allem A D A M S M I T H ( 1 7 2 3 - 1 7 9 0 ) , der erstmals systematisch die Funktionstüchtigkeit eines marktorientierten Wirtschaftssystems nachwies.7 Hierin wurden die Beschaffungsaktivitäten allerdings nur in undifferenzierter Form, nämlich als aggregierte Nachfrage betrachtet. Ohne großen Einfluss, jedoch mit direktem Bezug zur Materialwirtschaft ist die „New eingerichtete Material-Kammer 44 aus dem Jahre 1 6 7 2 von G E O R G N I C O L A U S S C H Ü R T / . P A U L J A K O B M A R P E R G E R ( 1 6 5 6 - 1 7 3 0 ) gilt in Deutschland für viele als der Begründer der betriebswirtschaftlichen Literatur. Er verfasste über 60 Arbeiten zu vielfältigen Themen des Handels. Der Robinson-Crusoe-Autor D A N I E L D E EOE verfasste mehrere handelsbezogene Arbeiten und 1727 das zweibändige Werk „The Complete English Tradesman 44 sowie 1728 „A Plan of the English Commerce". 1754 erschien die erste große englische Enzyklopädie zu „Trade and Commerce 44 von M A L A C H Y P o s T L E T H W A Y T . Im Verlauf des 18. Jahrhunderts erschienen zahlreiche handelsorientierte Werke auch in Deutschland, von denen die Werke von C A R L G U N T H E R L O D O V I C I und J O H A N N K A R L M A Y wohl am bedeutendsten waren. Hierin werden vermehrt logistische Aspekte systematisch dargestellt wie auch bei J O H A N N H E I N R I C H J U N G - der S T I L L I N G genannte Jugendfreund Goethes - , der von „Frachtkunde" spricht, und bei JOH A N N M I C H A E L L E U C H S , dessen Schrift ein Kapitel über die „Beförderungsmittellehre" enthält. Die erste „Industriebetriebslehre" legte J O H A N N H E I N R I C H G O T T L O B VON J U S T I 1 7 5 8 v o r .

7

Das bekannte Werk " A n Inquiry into the Nature and Causes of ihc Wealth of Nations" wurde mehrfach aufgelegt und übersetzt. Vgl. Smith (1978).

Historische Entwicklung des Beschaffungsmanagements 1.5

19

19. Jahrhundert

Aufgrund der nunmehr erfolgenden Spezialisierung, dem Aufkommen der Wirtschaftszweiglehren verbunden mit dem Niedergang der Handlungswissenschaft sowie der Vertiefung der Nationalökonomie, wurden Beschaffungsthemen im engeren Sinne in der Literatur zurückgedrängt. Einer der ersten Verfasser einer Industrie- und Verkehrsbetriebslehre war der irische Professor für Logik D I O N Y S I U S L A R D N E R ( 1 7 9 3 - 1 8 4 5 ) , der eine umfassende Behandlung des Eisenbahnwesens lieferte. In einer Veröffentlichung von 1 8 3 2 von C H A R L E S B A B B A G E wurde der Einkauf (Purchasing) vermeintlich erstmals als wichtige unternehmerische Funktion dargelegt. Er weist darauf hin, dass in einem Minenkonzern einer der zehn „officers", die für den Betrieb der Mine zuständig seien, ein „materials man" sein solle, der für die Auswahl, den Einkauf, die Annahme und die Verteilung aller zuzukaufenden Güter zuständig sei.8 Die Entwicklung der Eisenbahn in Nordamerika und der hinter diesen stehenden Unternehmen führte zur ersten bekannten Einführung einer Einkaufsabteilung im Jahre 1866, die als „Supplying Department" bezeichnet wurde. Aus diesem Umfeld stammt auch die erste ausschließlich beschaffungsfokussierte („purchasing and materials function") Veröffentlichung im Jahre 1 8 8 7 von M ARS H A L L M . K I R K MAN, dem „Comptroller of the Chicago and Northwestern Railroad". Er hebt die Bedeutung der Einkaufsfunktion, ihre Auswirkung auf den Gewinn des Unternehmens sowie die Notwendigkeit hervor, die Beschaffungsaktivitäten zentral zu leiten, da hierfür umfangreiche und umfassende (auch technische) Kenntnisse erforderlich seien. Die hervorgehobene Bedeutung des Eisenbahnwesens für die Entwicklung der Bedeutung der Einkaufsfunktion wird auch dadurch deutlich, dass 1890 drei Ausgaben der „Railroad Gazette" Beiträge zum Einkauf enthielten, die die Organisation der Einkaufsfunktion, die Aufgaben des Einkäufers, Vorteile von Standardisierungen, zur Bestellmengenkalkulation sowie zur Entsorgung von Überschussbeständen enthielten.9 Im Jahre 1898 erschienen sogar sieben Artikel zu diesem Thema. 10 Aufgrund der nahen Verwandtschaft zu technischen Fragestellungen werden weitere beschaffungsbezogene Themen auch in ingenieur- bzw. technisch orientierten Zeitschriften wie „The Engineering Magazine" ( 1 8 9 2 ; 1 8 9 3 ) angesprochen. Heute nach wie vor hochrelevante Aspekte spricht J. S LATER L E W I S ( 1 8 9 6 ) an. Er hebt nicht nur die Wichtigkeit hervor, dem Einkauf die angemessene Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Die Weisheit: „Der niedrigste Preis ist nicht immer der günstigste" erfährt im Zeitalter (teilweise unbedachter) Internet-Auktionen eine erneute und nachdrückliche Aktualität. Zudem weist er auf die Erfordernis hin, dass die Einkaufsverantwortung innerhalb klar definierter Grenzen und in der Hand von Experten liegen muss. Die noch mikroökonomisch geprägte „Allgemeine Gewerkslehre" von AR WED E M M INCH AUS erschien 1 8 6 8 . Als Vorläuferin der modernen Industriebetriebslehren werden hier u.a. Probleme der Bedarfsermittlung und Beschaffung behandelt (vgl. Hoitsch/Akin 1999, S. 97).

x

Vgl. Fearon (1968), S. 44.

9

Vgl. The Railroad Gazcltc ( 1890).

10

Vgl. Fearon (1968), S. 45 f.

20

2

Ronald Bogaschewsky

Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts 11

Nach der Jahrhundertwende erschienen weitere Artikel in „ The Engineering Magazinedas sich im November 1916 in „Industrial Engineering" umbenannte. Hierin diskutierte Di HM ER (1900) die Funktionen der Einkaufsabteilung und die erforderlichen Qualifikationen der Mitarbeiter, die Wissen über die spezifische Industrie sowie Verhandlungsgeschick umfassen. Hinsichtlich des möglichen Arbeitsumfangs schien er mit fünfzig bis sechzig Bestellungen pro Tag eher Standardprodukte im Auge zu haben. Hervorgehoben wurde auch immer wieder die Verantwortung des Ingenieurs, exakte Bedarfsspezifikationen zu erstellen und sorgfältige Wertanalysen durchzuführen, u.a. durch einige Artikel im „Cassier's MagazineENNIS (1905) betont die Bedeutung, Kenntnisse über Marktpreise zu besitzen, und fordert detaillierte Übersichten und Analysen zu historisch gezahlten Preisen für die beschafften Güter. Er weist auch auf die etwaige Notwendigkeit von Materialgruppenbildungen hin, die jeweils von einem Verantwortlichen zu betreuen seien, sowie auf die Notwendigkeit zur Zentralisierung der Einkaufsfunktion in Unternehmen mit zahlreichen Divisions. Die Notwendigkeit zur Anwendung moderner Methoden im Einkauf betont W R I G H T (1905) und geht dann auf sinnvolle Systeme und Berichte in dieser Funktion ein. Im „The Book on Buying " - herausgegeben von K E T T EL AL. (1905) wurden erstmals fundamentale Richtlinien für den Einkauf sowie die in unterschiedlichen Industrien zum Einsatz kommende Praktiken erörtert. Neben der wirtschaftlichen Bedeutung des Einkaufs wird die Notwendigkeit, Marktwissen zu besitzen, betont. 1908 erschien „Der Fabrikbetrieb" von A L B E R T C A L M E S , in dem die ,Einkaufsabteilung' und das ,Materiallager' als Funktionen und unter Differenzierung von Aufgaben/-trägern und Geschäftsprozessen abgehandelt werden (vgl. Hoitsch/Akin 1999, S. 98). R E D T M A N N (1910) beschrieb „Das moderne Einkaufsbureau im FabrikbetriebeDer Autor der „Welthandelslehre" ( 1 9 1 0 ) , JOSEE H E L L AU ER, verfasste auch Schriften zu Beschaffung und Logistik, wie Kopplungsgeschäfte, Lagerhausbetriebe u.ä.'~ Im Jahre 1911 veröffentlichte PEARCE „The Supply Departmenteine Schrift, die durch die Tätigkeit des Autors als „Storekeeper of the Southern Pacific Company44 stark Eisenbahn-orientiert war. Er schlug hinsichtlich der Organisation der Beschaffung vor, dass ein Einkaufsagent, ein Brennstoffagent, ein Lagerverwalter und ein Testingenieur dem Verantwortlichen für Material und Versorgung berichten. N I C K L I S C H (1912) band in seiner Schrift „Allgemeine kaufmaennische Betriebslehre... " den Einkaufund die Versorgungsfunktion systematisch in die - sich erst herausbildende - Betriebswirtschafts- bzw. Handelslehre ein, indem er u.a. die Funktionsteilung Beschaffung, Produktion und Absatz vornahm. Drei Jahre später folgten drei weitere Schriften: Die praxisorientierte Publikation von T W Y F O R D (1915), der bei der Otis Elevator Co. beschäftigt war und in der er die Notwendigkeit der Kommunikation mit den Nutzern des zu beschaffenden Materials hervorhob - eine

11

12

Die folgenden Ausführungen basieren teilweise auf Fcaron (1968, S.48ff.) und Kaufmann (1999, S. 5 - 9 ) . Vgl. Bloech/Bogaschewsky/Sehulze (1987). S. I 18.

Historische Entwicklung des Beschaffungsmanagements

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nach wie vor aktuelle Anforderung, die nicht zuletzt durch den Einsatz funktionsübergreifender Teams ein hohes Maß an Aktualität erfährt. 13 Neben dem Sammelband „Materials and Supplies" publizierte R I N D S F O O S ( 1 9 1 5 ) als Präsident der United States Purchasing Corporation das Buch „Purchasing Interessant ist hierbei vor allem, dass diese Organisation als Beschaffungsdienstleister tätig war, ein Konzept, das vor dem Hintergrund der Ausgliederungen von Siemens Procurement and Logistics Services (SPLS) und Bayer Business Services hohe Aktualität hat. Die strategischen Aspekte der physischen Distribution und damit Fragen der Logistik diskutierte S H A W ( 1 9 1 6 ) . H A R R I S stellte 1 9 1 5 erstmals das (statische, deterministische) Grundmodell der optimalen Losgröße und damit auch das der optimalen Bestellmenge dar, das dann später von S T E F A N I C - A L L M A Y E R ( 1 9 2 7 ) und A N D L E R 14 ( 1 9 2 9 ) in Deutschland eingeführt wurde. In diesem Zusammenhang ist auch F I N D EISEN ( 1 9 2 4 ) zu nennen, mit der Analyse „Der eiserne Bestand in betriebswirtschaftlicher und steuerlicher Beziehung Derselbe Autor verfasste 1926 je einen Beitrag zur „Beschaffung " und zur „Materialbeschaffung " in der ersten Auflage des Handwörterbuchs für Betriebswirtschaft. Hierin verfasste R O G O W S K Y Beiträge zu „Beschaffungstechnik„Einkaufsabteilung" und „Materialbewirtschaftung". 1923 schrieb R A H M über die „neuzeitliche Warenwirtschaft". Im akademischen Jahr 1 9 1 7 / 1 8 wurde vermutlich der erste Kurs zu „Purchasing and Supply Management" an der Harvard University abgehalten, wo L E W I S ( 1 9 3 3 ) das erste „Textbook" zum „Industrial Purchasing" verfasste. 15 Eine ausführliche Liste von Einkaufsaufgaben beschreibt W I T T E K O P E ( 1 9 1 9 ) in „Systematischer Einkauf in Handel und Industrie". 1 9 2 1 erschien ein Werk von T W Y E O R D , das sich stark an sein Buch aus dem Jahr 1915 anlehnte. Fragen der Materialienbuchführung und -Verwaltung behandelt H A S S D E N T E U E E L ( 1 9 2 2 ) . Im selben Jahr erschienen sechs englischsprachige Schriften mit engem Bezug zum Einkauf: B U L L ( 1 9 2 2 ) betrachtet in seinem Buch die Tätigkeiten des Einkäufers im Einzel- und im Großhandel, in der Fertigung sowie in Im- und Export. Seine Meinung über Einkäufer im Vergleich zu Verkäufern, die kreativ neue Märkte erschliessen müssten, ist allerdings recht negativ. H Y S E L L ( 1 9 2 2 ) betont die Abhängigkeit des Marketings von der effektiven Arbeit des Einkaufs, also die zeitgerechte und kostengünstige Beschaffung und Bereitstellung benötigten Materials. Ihre Ausführungen zu Charakterstudien über Verkaufsagenten erscheinen aus heutiger Sicht zumindest merkwürdig. D I N S MORE ( 1 9 2 2 ) adressiert die spezifischen Aspekte der Beschaffung unterschiedlicher Commodities. C A R T M E L L ( 1 9 2 2 ) , F A R Q U H A R ( 1 9 2 2 ) und C H U R C H ( 1 9 2 2 ) fokussieren primär die Lagerverwaltung, gehen jedoch abschnittsweise auch auf Einkaufsproblematiken ein. Den Anspruch eine „Beschaffungstheorie" verfasst zu haben, erhebt F I N D E I S E N ( 1 9 2 4 ) . Er stellt reaktives dem proaktiven Einkaufen gegenüber und weist auf regionale sowie organisationale Aspekte im Zusammenhang mit der Versorgungspolitik hin. In kurzer Form geht M U R P H Y ( 1 9 2 4 ) auf die Pflichten des Einkäufers ein und M I T C H E L L ( 1 9 2 7 ) diskutiert umfassend die Tätigkeiten in einer industriellen Einkaufsabteilung. „Die Einkaufspraxis" stellt B R A U N S ( 1 9 2 9 ) dar. Der Titel „Scientific n

Vgl. Dobler/Burl (1996), S. 7.

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Vgl. Β loco h et al. (2001), S. 195 ff.

15

Vgl. Dobler/Burt (1996), S. 7.

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Ronald Bogaschewsky

Purchasing " von G U S H É E / B O F F E Y ( 1 9 2 8 ) weist erneut auf eine wissenschaftlich Herangehensweise hin. Auch H A R R I M A N ( 1 9 2 8 ) nimmt dies für sein Buch (vom Titel her) in Anspruch und betont, dass die „Wissenschaft des Einkaufens" deutlicher wahrgenommen wird als je zuvor. Insbesondere weist er darauf hin, dass nicht nur die „ersten" Kosten bei der Beschaffung zu beachten sind, sondern auch die langfristigen Faktoren wie „fitness", Auswechsel- und Erneuerbarkeit, Ersatzfähigkeit, Instandhaltung, Nutzungsqualitäten und Kosten per Einheit der Nutzung. Einkauf, Lagerung, Kontrolle und Verrechnung des Materials im Fabrikbetrieb ist Gegenstand der Monographie von R A H M ( 1 9 2 9 ) . Das R E I C H S K U R A T O R I U M FÜR W I R T S C H A F T L I C H K E I T ( 1 9 2 9 ) gab einen Leitfaden für „Einkaufs- und Lagerwesen" heraus und B E R L I T Z E R ( 1 9 2 9 ) berichtete über die „neue Wissenschaft" Einkauf. Detaillierter auf „Die organisatorische Stellung des industriellen Einkaufs in Großunternehmen und Konzernen" ging R I C H T E R ( 1 9 3 0 ) in einem Zeitschriftenaufsatz in „Die Betriebswirtschaft" ein. Hierin wird die heute wieder bevorzugte Mischung aus Zentralisierung und dezentralen Aktivitäten empfohlen. In der genannten Zeitschrift erschien später eine Artikelserie von S A N D I G ( 1 9 3 5 ) . In diesen ist erstmals die Differenzierung in interne und beschaffungsmarktorientierte Aufgaben festzustellen. Zu logistischen Themen, insbesondere zur Distribution, erfolgte eine Reihe von Veröffentlichungen - teilweise innerhalb von Schriften mit anderem Fokus - zwischen 1 9 2 2 und 1 9 2 9 (vgl. Bowersox/Closs 1 9 9 6 , S. 13; 1 9 6 9 ) : Clark ( 1 9 2 2 ) , Beckman ( 1 9 2 6 ) , White ( 1 9 2 7 ) , Borsodi ( 1 9 2 9 ) , Webster ( 1 9 2 9 ) . Neben dem bereits erwähnten „Textbook" zeichnete L E W I S ( 1 9 3 2 , 1 9 3 5 , 1 9 3 6 , 1946) für einige Monographien sowie Aufsätze im „Harvard Business Review" verantwortlich. Der Autor hob besonders die Bedeutung der Einkaufs vor dem Hintergrund des dominierenden Verkaufs heraus und betonte die Wichtigkeit der Leistungsmessung im Einkauf, was seinem Wirken einen nach wie vor hohen Aktualitätsgrad verleiht. In dem 1946 erschienen Artikel bezeichnete er den Einkauf als „extremely strategic position" und zeigt dessen nutzbringende Rolle bei der Durchführung von Wertanalysen 16 auf. Im Jahre 1938 erscheint die zweite Auflage des Handwörterbuchs für Betriebswirtschaft, in dem B A N S E über Beschaffung schreibt. Bereits frühzeitig wies T H I E L E N ( 1 9 3 9 ) auf die Bedeutung der Standardisierung bzw. der Komplexitätsreduzierung in der Beschaffung hin, womit ebenfalls heute sehr aktuelle und bedeutende Bestandteile von Beschaffungskonzepten angesprochen wurden. F L E E G E - A L T H O F F ET A L . ( 1 9 3 9 ) verfassten eine Schrift, die „Beschaffungswirtschaft und Lager- und Materialverwaltung" gemeinsam behandelt. Einen starken Marktbezug hat die Schrift von H E N Z E L ( 1 9 4 8 ) . B A U E R ( 1 9 4 9 ) erstellte eines der frühen Werke zur Materialwirtschaft. Eine Unterscheidung von Beschaffung und Materialwirtschaft findet sich auch bei E U G E N S C H M A L E N B A C H ( 1 9 4 7 ) , der von 1906 bis 1950- mit kurzer Unterbrechung in den Kriegsjahren - an der Universität zu Köln lehrte. Dieser - für die wissenschaftliche Betriebswirtschaftslehre sehr bedeutende - Autor und Gründer der „Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung" (später „Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung") schloss die betrieblichen Funktionen in einem „geschlossenen System der pretialen Lenkung" ein.

16

Zur Wertanalyse siehe u.a. Bogasehewsky (2002).

Historische Entwicklung des Beschaffungsmanagements

3

23

Die 1950er- und 1960er-Jahre

In diesen zwei Jahrzehnten erfuhren die Themenkreise Beschaffung, Einkauf, Materialwirtschaft, Lagerwirtschaft, Disposition sowie Logistik eine zunehmende Ausdifferenzierung. Zudem nahm die Anzahl Veröffentlichungen erheblich zu, so dass hier nur einige Werke genannt werden können. „Der Einkauf im Industriebetrieb" war Gegenstand der Veröffentlichung von K L I N G E R (1950). K N E C H T (1951) diskutierte „Terminwesen und Lagerhaltung in der Massenfertigung" und Η EI Ν R I T Z (1951) verfasst die zweite Auflage von „Purchasing Der A U S S C H U S S RJR W I R T S C H A F T L I C H E F E R T I G U N G e.V. gibt die Schrift „Wirtschaftlich Lagern" von K R I P P E N D O R F F (1952) heraus. Die immer wieder festzustellende gemeinsame Behandlung von Beschaffung oder Einkaufund Lagerwirtschaft findet sich auch bei W E B E R (1954). Im Jahre 1955 erschien der „Leitfaden für den Einkauf" von F I S C H E R . K O S I O L ET AL. (1956) behandelten das Thema „Einkaufsplanung und ProduktionsumfangIm Handwörterbuch der Betriebswirtschaft stellt B E S T E (1956) systematisch die Beziehung zwischen Beschaffung und Kostenrechnung („Beschaffungskalkulation") her, M Ü N Z (1956; 1956a) beschreibt dort die „Beschaffung" und den „Beschaffungsplan". G R O C H L A (1956) geht in diesem Werk auf die „Beschaffungsorganisation" ein und fordert von dieser eine Orientierung am Beschaffungsmarkt. Derselbe Autor formuliert 1957 das „Materialwirtschaftliche Optimum", das systematisch die Aufgaben der Planung, der Realisation und der Kontrolle sowie der Organisation einbezieht. G ROCH LAS „Grundlagen der Materialwirtschaft" erscheinen zunächst in dem von E R I C H G U T E N B E R G herausgegebenen Liefer- und Sammelwerk „Die Wirtschaftswissenschaften" und entwickelten sich ab der zweiten Auflage (Grochla 1973) zu einem der wesentlichsten deutschsprachigen Basiswerke in diesem Bereich. S U N D H O F F ( 1 9 5 8 ) arbeitet die Unterschiedlichkeit von Tagesgeschäft und langfristiger Beschaffungspolitik heraus. Im selben Jahr veröffentlichte B E R G Q V I S T ( 1 9 5 8 ) seine Untersuchungen zu - finanzbezogenen sowie nicht monetären - Maßgrößen zur Effizienz des Einkaufs. M Ü N Z ( 1 9 5 9 ) verfasste ein Werk zur „Beschaffung und Beschaffungsplanung im Industriebetrieb". „Praktische Rat schlüge für den Arbeitsablauf in der Einkaufsabteilung" sind Gegenstand der „Grundzüge des industriellen Einkaufs" von D I E H M ( 1 9 5 9 ) . In den USA erschien in demselben Jahr „The Art of Purchasing " von M C M I L L A N ( 1 9 5 9 ) . Aus dem Jahre 1 9 6 0 stammt eine Veröffentlichung vom A R B E I T S K R E I S W E B E R Hax ( I 9 6 0 ) der Schmalenbach-Gesellschaft. Dieser entwickelte sich später zum Arbeitskreis ,Einkauf und Logistik' der im Jahre 1978 durch Fusion entstandenen Schmalenbach-Gesellschaft - Deutsche Gesellschaft für Betriebswirtschaft, die seit 1998 den Namen Schmalenbach Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V. trägt. Der Arbeitskreis wurde viele Jahre von J Ü R G E N B L O E C H geleitet und lieferte wiederholt Anstöße zur Entwicklung der Beschaffung. Fragen der Aufbauorganisation standen im Mittelpunkt der Betrachtungen von K O S I O L et al. ( 1 9 6 0 ) . T R A U T M A N N ( 1 9 6 0 , 1 9 6 2 ) veröffentlichte zur „Wertanalyse im Einkauf" und ließ zwei Jahre später die „Einkaufspraxis" folgen. Die beiden Schriften von G Ö L D N E R ( I 9 6 0 , 1 9 6 4 ) befassen sich mit der „Aufbau-" bzw. der „Ablauforganisation der industriellen Lagerwirtschaft". De-/Zentralisierungslragen

24

Ronald Bogaschewsky

beim öffentlichen Einkauf fokussiert F R I C K E (1961), wobei er diese als „Grundfragen der Organisation des Beschaffungswesens" einordnet, wodurch die unscharfe Begriffsgebung in diesem Bereich deutlich wird. A M M E R (1962) verfasste sein „Materials Management" und nahm eine Einordnung des Einkaufs in dieses Konzept vor. Darüber hinaus betonte er die Lieferantenentwicklung sowie die frühzeitige Einbeziehung von Zulieferern in die Entwicklung neuer Produkte und Prozesse - ein Thema, das im Rahmen von Advanced Purchasing, Forward Sourcing und Simultaneous Engineering seit geraumer Zeit erneute Aktualität erlangt. M E L L E R O W I C Z (1963) stellt die Sinnhaftigkeit der Beteiligung des Einkaufs bei Entscheidungen über Eigenfertigung oder Fremdbezug heraus sowie die Notwendigkeit eines Beziehungsmanagements mit Lieferanten. Die Make-or-Buy-Enlscheidung und die Fragestellung des Outsourcing werden seit einigen Jahren vor dem Hintergrund der Transaktionskostentheorie ebenso erneut diskutiert wie das Beziehungsmanagement. Der Autor betont auch die Risikovorsorge im Zuge internationaler Beschaffungsaktivitäten, ein Aspekt der in Zeiten des Global Sourcing von erheblicher Tragweite ist. Wie einige Autoren vor ihm behandelt K R O E B E R - R I E L (1966) Fragen der „Beschaffung und Lagerhaltung" gemeinsam in einer Schrift. Über die „Moderne Einkaufsorganisation" schreibt B O J E (1967). Frühe umfasssendere Beiträge zur Logistik sind „Production and Logistics Management" von M C G A R R E T H (1963) sowie „Industrial Logistics " von M A G E E (1968). Die physische Distribution als eine der wesentlichen Wurzeln der Logistik behandelt AR BUR Y ET AL. (1967). In den 50er- und 60er-Jahren erfuhr auch die auf abstrakten Modellen basierende und quantitativ orientierte Lagerhaltungstheorie sehr starken Aufschwung. 17

4

Die Entwicklung seit 1970

Auch wenn das (engere) Wissenschaftsgebiet der Beschaffung im Vergleich zu einigen anderen betriebswirtschaftlichen Fachrichtungen noch einigermaßen überschaubar ist, wäre es wenig hilfreich, hier sämtliche Quellen erfassen zu wollen. Im Folgenden soll eine überblicksweise Systematisierung der Forschungsgebiete vorgenommen werden. Zunächst kann festgestellt werden, dass die „klassischen" Aspekte der Unternehmensführung in differenzierterer Weise auf die Beschaffung im weit verstandenen Sinne angewandt wurden. Daher finden sich - beginnend in den 70er-Jahren bis zum heutigen Zeitpunkt - zahlreiche Beiträge zu den Gebieten: - Organisation - zunächst primär autbaubezogen, dann auch hinsichtlich der Aufgaben und Prozesse, - Strategie - innerhalb der Funktion, aber auch hinsichtlich des Bezugs zur Unternehmensstrategie, - Planung, Steuerung und Kontrolle bzw. Controlling - in der gesamten Breite des Themas sowie 17

Aus der umfangreichen Literatur seien hiereinige bedeutendere Beiträge genannt: Arrow/Harris/Marschak (1951), Whitin (1953), Karlin/Scarf/Arrow (1958), Wagner/Whilin (1958). Churchman/Ackoff/ Arnow (1961), Strarr/Miller (1962), Wagner (1962), Hadley/Whitin (1963), Prichard/Eagle (1965), Hochstädter (1969), Müller-Merbach (1962, 1963, 1969) und Naddor (1966).

Historische Entwicklung des Beschaffungsmanagements -

25

(Beschaffungs-)Marketing - die marktbezogenen Aufgaben, wobei viele Autoren sich auf die Beschaffungsmarktforschung als Teilgebiet beschränken sowie (Beschaffungs-)Politik - die je nach Fokus von operativen Bestell- und Zulieferpolitiken bis zur strategischen Ausrichtung der Beschaffungsfunktion reichen kann.

Insbesondere in den 70er-Jahren wurde Anspruch auf eine Beschaffungstheorie bzw. -lehre erhoben, wie etwa von T H E I S E N (1970), G R O C H L A / K U B I C E K (1976) sowie G R O C H L A (1977). In prozessorientierter Sicht wurden verschiedene Aspekte der Beschaffung - oftmals isoliert - behandelt. Dies waren - und sind teilweise noch heute - die - Bedarfsanalyse und -planung (quantitativ, zeitlich und qualitativ), - Bestellmengenermittlung/Disposition (basierend auf der Lagerhaltungstheorie), - Einkauf (operativ und strategisch) und bzw. einschließlich Lieferantenmanagement, - Materialwirtschaft (Wareneingang, Lagerverwaltung, Disposition) und - Logistik (beschaffungsbezogener Transport, Umschlag, Lagerung). Aufgrund der umfangreichen Publikationen in diesen Bereichen erscheint die Nennung von Quellen hierzu wenig sinnvoll. Eine explizite Einbeziehung der Reststoffverwertung und Entsorgung erfolgte u.a. in B E R G (1979), in dem Grundlagenwerk Materialwirtschaft (BLOECH/ROTTENBACHER 1986) sowie bei B L O E C H (1985; 1987a; 1991) und F R A N K (1985). Da die meisten Veröffentlichungen sich auf Industriebetriebe bezogen, sind die Beiträge zur Beschaffung in anderen Betriebstypen gesondert zu nennen. Für die öffentlichen Betriebe sind dies u.a. R I E G E R ( 1 9 9 1 ) „Beschaffungspolitik öffentlicher Verwaltungsbetriebe SCHMID ( 1 9 8 9 ) ,,Beschaffungswesen öffentlicher Unternehmen" und W A C H E N D O R E / H A R T L E ( 1 9 8 9 ) „Beschaffungswesen öffentlicher Verwaltungen". Eine stärkere Fokussierung des Handels treffen M E R T E N S ( 1 9 8 6 ) „Beschaffungspolitik im Handel" und M E R T E N S / K O P P E L M A N N ( 1 9 8 6 ) „Strategische Frühaufklärung für die Beschaffung im Handel". Unternehmen der Ernährungswirtschaft im Auge hat T R E I S ( 1 9 7 0 ) . Ein Verknüpfung von Beschaffungs- und Absatzfragen findet sich in F AHN ( 1 9 7 2 ) hinsichtlich organisatorischer Aspekte sowie W A G N E R ( 1 9 7 8 ) bezüglich Investitionsgüter und K O P P E L M A N N ( 1 9 8 0 ) zur „Verzahnung von Beschaffungs- und Ab satzproz.es se η ". Weitere „Spezialthemen" wurden behandelt von S T A R K (1973) „Beschaffungsführung", K O P P E L M A N N (1980a, 1981, 1988) zur „Vorbeugung beschaffüngsbedingter Betriebsunterbrechungen" sowie zur „Risikominderung G EI DER (1990) zum „Beschaffüngsverhalten" und N E W M A N (1992) zur „Supplier Price Analysis". Den Profit-Center-Gedanken von Beschaffungsfunktionen als spezifischen strategischen Aspekt behandeln A M M E R (1969) sowie S C H U C H (1979). Neben seinen Ausführungen zu „klassischen" Gebieten der Beschaffung 18 , nahm B L O E C H mehrere innovative Betrachtungen vor: Zur zielbewussten Materialwirtschaft (1981); zu IT-Anwendungen (1987b; 1987c), zur Personaleinsatzplanung (1986; 1989a; 1989b), zu logisti18

Vgl. B l o c c h ( 1984a; 1984b; 1985; 1987d; 1988; 1989c; 1990a; 1990b; 1995; 1997).

26

Ronald Bogaschewsky

sehen Planungsbedingungen durch den Euromarkt (1990c), zur Planung von Beschaffungspotenzialen (1992) und zur Informationsanalyse der Materialversorgung der Produktion ( 1993). Eine intensive Diskussion erfuhr das Konzept der Integrierten Materialwirtschaft, ein Begriff, der noch heute in einigen Unternehmen als organisationsbezogene Bezeichnung anzutreffen ist (vgl. u.a. K Ö C K M A N N ( 1 9 7 4 ) , F U C H S ( 1 9 8 3 ) , H A R LANDER/KOPPELMANN

(1983,

(1991), CARTER/PRICE

(1994)).

1984),

FIETEN

(1984),

PUNLMANN

(1985),

GRUPP

In jüngster Zeit aufgrund der Entwicklungen in der Praxis wieder belebt wurde das internationale Beschaffungsmanagement, das bereits seit einigen Jahren unter dem Begriff Global Sourcing diskutiert wird. Siehe hierzu u.a. K O T A B E ( 1 9 8 2 ) , B E D A C H T ( 1 9 9 5 ) und K A U E M A N N ( 2 0 0 1 ) . Zur internationalen Logistik und Konzernlogistik veröffentlichte B L O E C H ( 1 9 9 4 ) . Umfassendere Sammelbände zur Beschaffung sind S Z Y P E R S K I / R O T H ( 1 9 8 2 ) „ Beschaffung und Unternehmensführung " , Τ Η Ε Υ Ε R/S C Η Ι E Β E L / S C Η Ä E E R ( 1 9 8 6 ) „Beschaffung" sowie H A I I N / K A U E M A N N ( 1 9 9 9 ) „Handbuch Industrielles Beschaffungsmanagementdas 2 0 0 2 in der zweiten Auflage erschien. B L O E C H / I H D E ( 1 9 9 7 ) gaben Vahlens Großes Logistik-Lexikon heraus, von dem wenig später auch eine CDVersion - erweitert um ein Deutsch-Englisches Fachwörterbuch sowie wichtige Gesetze - erschien. Dieses ist deutlich umfassender als das 1998 erschienene Gabler Lexikon Logistik von K L A U S / K R I E G E R . Stärker technisch geprägt ist das Handbuch Logistik von A R N O L D ET ΑΙ.. ( 2 0 0 2 ) .

5

Differenzierung heute verbreiteter Begriffe

Nach dem Überblick zur historischen Entwicklung sollen im Folgenden kurze Definitionen der heute primär im Zusammenhang mit Beschaffungsaufgaben verwandten Begriffe und Konzepte gegeben werden. Zur besseren Übersicht und Vergleichbarkeit wurde für die Begriffe Materialwirtschaft, Einkauf, Logistik, Supply Chain bzw. Network Management, Beschaffung sowie Versorgungsmanagement eine einheitliche Beschreibungsstruktur gewählt, die zunächst die Charakteristika der Funktion, getrennt nach Kernfunktion und erweiterter Funktion, dann die funktionsbezogenen Aufgaben, differenziert nach strategischer und operativer Sichtweise, und schließlich die Managementperspektive darlegt. Da die Verwendung dieser Begrifflichkeiten weder in der Theorie noch in der Praxis trennscharf erfolgt, können die hier dargelegten Beschreibungen nicht als allgemein anerkannt angesehen werden. Allerdings wurde versucht, die in der Literatur dominierenden Definitionen adäquat zu berücksichtigen. In der Praxis sind unterschiedliche Benennungen aufgrund historischer Entwicklungen und organisatorischer Erwägungen zu finden, die oft durch spezifische Produktionsstrukturen sowie individuelle inner- und überbetriebliche Prozesse bedingt sind.

Historische Entwicklung des Beschaffungsmanagements 5.1

27

Materialwirtschaft (Materials Management)

Charakteristika

der Funktion

a) Kernfunktion Versorgung des Betriebs mit benötigtem Material in mengenmäßigen zeitlicher, räumlicher und qualitativer Hinsicht unter dem Aspekt der Kostenoptimierung und unter Berücksichtigung der Liquiditätslage. Material ist dabei der Oberbegriff für Sachgüter, die im Zuge der Leistungserstellung eingesetzt werden und dabei vollständig „untergehen" oder ihre produktionsrelevanten Eigenschaften weitgehend oder ganz verlieren. Dies sind vor allem Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie (einzubauende) Zukaufteile. h) Erweiterte Funktion Neben Material werden teilweise auch Investitionsgüter (u.a. Anlagen), Handelswaren, Dienstleistungen und digitale Güter (Software etc.) als Objekte der Materialwirtschaft angesehen. Zudem wird die Verwaltung und Verwertung von Rest- und Abfallstoffen, Altmaterial und Leergut der Funktion zugewiesen. Die Übernahme der Koordination und Kontrolle aller materialbezogener Aktivitäten im Unternehmen steht im Mittelpunkt der Sichtweise der Materialwirtschaft als Querschnittsfunktion. Die hieran orientierte Integrierte Materialwirtschaft soll (einige) Aufgaben der Produktionsplanung und -Steuerung, der Distribution sowie der Auftragsabwicklung übernehmen. Neben operativen und strategischen bereichsbezogenen Aufgaben werden der Materialwirtschaft oft auch unternehmensstrategische Funktionen zugedacht, bspw. hinsichtlich der Mitwirkung an Make-or-Buy- sowie Out sour cing-Ent Scheidungen. In einer breiten Begriffsauslegung umfasst das Materialmanagement die - zumindest materialbezogenen - Aktivitäten des Einkaufs und der Logistik und damit auch der Beschaffung. Funktionsbez.ogene A ufgaben a) • • •

operativ Mengen- und artmäßige Bedarfsplanung, quantitative und zeitliche Bestell-ZLieferplanung, Beschaffung (einschließlich Lieferantenauswahl, Wahl von Transportmitteln und -wegen, Transportdurchführung bzw. dessen Veranlassung), • Lagerhaltung (einschließlich physischer Lagerung, Handling, Lagerplanung nach Kapazität, Ort und Ausstattung, Lagerbetrieb, Bestandsführung und -Überwachung, Sicherheitsbestandsplanung und -Überwachung), • Entsorgung und Einbringen der Stoffe in - interne und/oder externe - Recyclingkreisläufe sowie in Erweiterung der Kernfunktion • Beteiligung an der kurzfristigen Produktionsplanung und -Steuerung, • Planung und Durchführung der Güterdistribution und • Beteiligung an der materialbezogenen Auftragsabwicklung.

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b) strategisch • Mitwirkung bei materialbezogenen Wert- und Qualitätsanalysen, • Mitwirkung bei der Lösung material- und/oder versorgungsbedingter Produktionsprobleme sowie • Mitwirkung bei der Bestimmung der Bedeutung von Materialeigenschaften und der Versorgungsqualität auf die Kundenzufriedenheit und die Marktakzeptanz.

M an a g e me η tpe rspek / i ve • • •

• •



5.2

Entwicklung, Implementierung, Pflege und Kontrolle geeigneter Koordinationsstrukturen für die dezentrale Aufgabenteilung, Festlegung der Aufgaben und Struktur der zentralen Einheit (Materialwirtschaft), Kooperation mit anderen Funktionsbereichen (Produktion, Absatz, Finanzwirtschaft) - insbesondere in funklionsübergreifenden Teams - in der Rolle einer material- und prozessorientierten Kompetenz, Führung - einschließlich Qualifikation und Motivation der Mitarbeiter - sowie Organisation der Einheit bzw. Abteilung Materialwirtschaft, Konzeption und Weiterentwicklung materialwirtschaftlicher Informations- und Kommunikationssysteme sowie deren Integration in die unlernehmenseigene technische und konzeptionelle DV-Landschaft sowie Frfolgsmessung und -kontrolle der zentralen Einheit und der Funktion, einschließ! ich Berichtswesen.

Einkauf (Purchasing)

Charakteristika

der Funktion

a) Kernfunktion Zielgerichtete Bearbeitung der Beschaffungsmärkte, Erlangung von Verfügungsrechten an benötigtem Material, Dienstleistungen, Investitionsgütern und ggf. Rechten sowie administrative Abwicklung der Bestellungen. b) Erweiterte Funktion Mitwirkung bei Design-/Konstruktionsentscheidungen, bei strategischen Allianzen mit Lieferanten, bei der Qualitätssicherung, bei der Wertanalyse, bei Make-or-BuyEntscheidungen. Funkt ionsbezogene A ufgaben a) operativ • Bedarfsanalyse, Koordination mit den Bedarfsträgern/Abteilungen zur Identifikation/Entgegennahme von Bedarfen • Beschaffungsanbahnung: Anfragen/Ausschreibungen, Angebotsprüfung/-vergleich, Bemusterung, • Verhandlungen und Vertragsschluss: Verhandlungsgespräche, Auktionen, Lieferantenauswahl, Ausarbeitung, Unterzeichnung und Austausch von Verträgen Bestellungen/Abrufe auslösen,

Historische Entwicklung des Beschaffungsmanagements • • •

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Terminverfolgung, Mängelrügen, Gewährleistungen, Konventionalstrafen, Vertragsverwaltung und Lösung rechtlicher Probleme, Beschaffungsmarktforschung'. Informationsanfragen, Gespräche mit Verkaufsagenten, Identifikation potentieller Lieferanten durch Marktrecherchen, Anbieteranalysen.

h) strategisch • Beschaffungsmarktgestaltung, -beeinflussung/-entwicklung, • Entwicklung, Durchsetzung und Kontrolle internationaler Beschaffungsstrategien (Global Sourcing) sowie von Chancen-Risiken-Strategien (Single/Dual/Multiple Sourcing), • Mitarbeit in funktionsübergreifenden Teams bei Entwicklung/Konstruktion, Qualitätsmanagement, Wertanalyse, Produktionsplanung, Fertigungsstrategie (Modular/System Sourcing), Make-or-Buy-Entscheidungen und Logistik (Zulieferstrategien), • Beziehungsmanagement zu Lieferanten, Lieferantenentwicklung/-qualifikation. Ma na g e me η tpe rspekti ve • • •

• •



5.3

Entwicklung, Implementierung, Pflege und Kontrolle geeigneter Koordinationsstrukturen für die dezentrale Aufgabenteilung, Festlegung der Aufgaben und Struktur der zentralen Einheit (Einkaufsabteilung), Kooperation mit anderen Funktionsbereichen (Entwicklung, Produktion, Absatz) - insbesondere in funktionsübergreifenden Teams - in der Rolle einer beschaffungsmarktbezogenen Kompetenz, Führung - einschließlich Qualifikation und Motivation der Mitarbeiter - sowie Organisation der Einheit bzw. Abteilung Einkauf, Konzeption und Weiterentwicklung einkaufsspezifischer Informations- und Kommunikationssysteme sowie deren Integration in die unternehmenseigene technische und konzeptionelle DV-Landschaft sowie Erfolgsmessung und -kontrolle der zentralen Einheit und der Funktion, einschließlich^^ rieht s wesen.

Logistik (Logistics)

Charakteristika

der Funktion

a) Kernfunktion Bereitstellung benötigter und Entsorgung unerwünschter Sachgüter in den erforderlichen Mengen zum jeweiligen Bedarfszeitpunkt an den vorgegebenen Orten durch Transportieren, Umschlagen und Lagern im Beschaffungs-, Produktions- und Absatzbereich. b) Erweiterte Funktion Soweit vorteilhaft, Einbeziehung in operativ-taktische Planungs- und Steuerungsentscheidungen. Stark vom Materialfluss geprägte Unternehmen beteiligen die Logistik auch stärker an Entscheidungen von unternehmensstrategischer Bedeutung.

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Aufgrund der Eigenschaft einer - für die meisten physischen Güterbewegungen mitverantwortlichen - Querschnittsfunktion kommt ihr prinzipiell eine gewisse Kompetenz hinsichtlich der Gestaltung, Planung, Steuerung und Kontrolle durchgängiger Prozessstrukturen zu. Teilweise ist die Einbeziehung von Energie und Personen als logistische Objekte sinnvoll. F unkt ionsbezogene A ufgaben a) operativ • Lagern, Umschlagen, Verpacken, Transportieren sowie Aufrechterhaltung und Verbesserung der entsprechenden Systeme, • Ermittlung optimaler Routen, Beladungs-, Lagerungsoptimierung, • Gefahr gut handling! sowie in Erweiterung der Kernfunktion • A ufi ragsabwicklung, • Produktionsplanung und -Steuerung. b) strategisch • Gestaltung der Systeme Lagerhäuser, Transportsysteme/Fuhrpark, Umschlagsund Güterhandlingseinrichtungen, • Beteiligung an der Planung des Fabriklayouts und ggf. von Versorgungsleitungen (für Energie/-träger), • Entwicklung von Richtlinien und Vorschriften für die logistische Güterhandhabung, • Beteiligung bei der Entwicklung und Einführung von Zulieferkonzepten (u. a. Just in Time), • Beteiligung bei der Entwicklung und Einführung von Supply-Chain- / NetworkManagement- Konzepten. Management perspektive • • •

• •



Entwicklung, Implementierung, Pflege und Kontrolle geeigneter Koordinationsstrukturen für die dezentrale Aufgabenteilung, Festlegung der Aufgaben und Struktur der zentralen Einheit (Logistikabteilung), Kooperation mit anderen Funktionsbereichen (Entwicklung, Produktion, Absatz) - insbesondere in funktionsübergreifenden Teams - in der Rolle einer materiallluss-/güterbezogenen Kompetenz, Führung - einschließlich Qualifikation und Motivation der Mitarbeiter - sowie Organisation der Einheit bzw. Abteilung Logistik, Konzeption und Weiterentwicklung logistikspezifischer Informations- und Kommunikationssysteme sowie deren Integration in die unternehmenseigene technische und konzeptionelle DV-Landschaft sowie Erfolgsmessung und -kontrolle der zentralen Einheit und der Funktion, einschließlich Berichtswesen (Logistik-Controlling).

Historische Entwicklung des Beschaffungsmanagements 5.4

31

Supply Chain/Network Management

Charakteristika

der Funktion

a) Kernfunktion Unternehmensübergreifende Integration von Geschäftsprozessen über mehrere Stufen der Wertschöpfungskette bzw. innerhalb eines Wertschöpfungsnetzwerks durch Abgleich bzw. frühzeitige Weitergabe von Planungs- und Steuerungsdaten. Fokussiert wird primär der Materialfluss. b) Erweiterte Funktion Einbeziehung von Dienstleistungen, Informationen und Geldflüsse als Betrachtungsobjekte sowie von Rückflüssen von Sachgütern (Entsorgung, Recycling). Abstimmung von Plänen bis hin zu Simultanplanungsansätzen. Einführung einer stärkeren Orientierung am Endkunden, einschließlich der Distribution bzw. des Demand Chain Planning. Auswahl der am besten geeigneten Netzwerkpartner. Schaffung und Management strategischer Allianzen.

Funkt ionsbezogene A ufgaben a) operativ • Bereitstellung planungs- und steuerungsrelevanter Materialfluss- bzw. Bedarfsund Verfügbarkeitsdaten durch Übermittlung, Freigabe interner Quellen oder Nutzung gemeinsamer Systeme, • Nutzung bereitgestellter Daten für die Aktualisierung der eigenen Planungs- und St eue rung s g rößen , • sowie in Erweiterung der Kernfunktion • Durchführung von Planabstimmungen bzw. von Simultanplanungen. b) strategisch • Allianzen gestalten, realisieren und pflegen, Beziehungsmanagement, • Abstimmung gemeinsamer Ziele sowie der Netz.werkstrategie und Ableitung strategischer Programme, • Entwicklung und Durchsetzung sowie ggf. Adaption von Erfolgsverteilungsmechan is me η, e i η sc h 1 ie ß 1 i eh Konfliktmanagemen • Absicherung gegen Opportunismus und gezielte u.U. Schaffung von Informationsasymmetrien zu eigenen Gunsten.

M anagementperspekti ve •

• •

Entwicklung, Implementierung, Pflege und Kontrolle geeigneter Koordinationsstrukturen für die Aufgabenteilung, einschließlich Festlegung zentraler Aufgaben, Festlegung der Struktur der zentralen Einheit, Führung - einschließlich Qualifikation und Motivation der Mitarbeiter - sowie Organisation der zentralen Einheit,

32 •



5.5

Ronald Bogaschewsky Konzeption und Weiterentwicklung netzweiter Informations- und Kommunikationssysteme sowie deren Integration in die unternehmenseigene technische und konzeptionelle DV-Landschaft und Erfolgsmessung und -kontrolle, einschließlich Berichtswesen.

Beschaffung (Procurement)

Charakteristika

der Funktion

a) Kernfunktion Aufgrund der funktionalen Gliederung der Unternehmung kann Beschaffung als Oberbegriff für alle Aktivitäten, die sich mit der Versorgung des Betriebs mit fremdbezogenen Gütern beschäftigen, betrachtet werden. Sie umfasst damit die beschaffungsseitige Materialwirtschaft, den Einkauf und die Beschaffungslogistik, also Tätigkeiten, die mit dem Beschaffungsmarkt, der Erlangung von Verfügungsrechten und der physischen (logistischen) Verfügbarmachung verbunden sind. Beschaffungsobjekte sind Material, Dienstleistungen, Investitionsgüter und Rechte. b) Erweiterte Funktion Beschaffung von (maschinellen und personalen) Kapazitäten im Falle eigener Engpässe und von Informationen. Einbeziehung in die strategische Unternehmensplanung sowie alle für die beschaffungsbezogene Materialwirtschaft, den Einkauf und die Beschaffungslogistik geltenden Funktionen. FunktionsbezPgene A ufgaben a) operativ • alle für die beschaffungsbezogene Materialwirtschaft, den Einkauf und die Beschaffungslogistik geltenden operativen Aufgaben. b) strategisch • alle für die beschaffungsbezogene Materialwirtschaft, den Einkauf und die Beschaffungslogistik geltenden strategischen Aufgaben. Managementperspektive • • •

alle für die beschaffungsbezogene Materialwirtschaft, den Einkauf und die Beschaffungslogistik geltenden Managementaufgaben, Integration und Koordination der Tätigkeiten in den einzelnen Funktionen, also Entwicklung und Umsetzung eines organisatorischen Konzepts, woraus besondere Anforderungen hinsichtlich des Führungskonzepts, der Information und Kommunikation, einschließlich deren Unterstützung durch DV-Systeme, sowie der Erfolgsmessung und -kontrolle erwachsen.

Historische Entwicklung des Beschaffungsmanagements 5.6

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Versorgungsmanagement (Supply Management)

Charakteristika

der Funktion

a) Kernfunktion Versorgung des Betriebs mit extern angebotenen Produkten, von Betriebsteilen benötigten, bereits in der Verfügungsgewalt der Unternehmung stehenden Gütern sowie von Kunden mit eigenerstellten Leistungen. b) Erweiterte Funktion Einbeziehung der Entsorgung, die als Versorgung mit Entsorgungsleistungen interpretiert wird. Damit werden alle Kernfunktionen des Einkaufs, der Materialwirtschaft und der Logistik - und damit auch der Beschaffung - zusammengefasst. Funktionsbezogene Aufgaben a) operativ • alle für die Materialwirtschaft, den Einkauf und die Logistik geltenden operativen Aufgaben. b) strategisch • alle für die Materialwirtschaft, den Einkauf und die Logistik geltenden strategischen Aufgaben. Managementperspektive • • •

6

alle für die Materialwirtschaft, den Einkauf und die Logistik geltenden Managementaufgaben. Integration und Koordination der Tätigkeiten in den einzelnen Funktionen, also Entwicklung und Umsetzung eines organisatorischen Konzepts, woraus besondere Anforderungen hinsichtlich des Führungskonz.epts, der Information und Kommunikation, einschließlich deren Unterstützung durch DV-Systeme, sowie der Erfolgsmessung und -kontrolle erwachsen.

Schlussbetrachtungen

Die obigen Ausführungen machen deutlich, dass die Beschaffung im weit verstandenen Sinne ein umfangreiches Aufgabengebiet und damit weites Forschungsgebiet darstellt und in der Praxis auf eine sehr lange Tradition zurückblicken kann. Viele Detailfragen bedürfen sicherlich noch einer wissenschaftlichen Vertiefung. Ein notwendiger Schritt dürfte die genauere Begriffsabgrenzung sein, wozu im fünften Kapitel ein Beitrag geleistet wurde. Weitere sinnvolle Forschungsanstrengungen könnten sich auf die Ausdifferenzierung des Beschaffungs-Controllings beziehen sowie auf die detailliertere Betrachtung von Fragen der Führung und der Organisation - unter Berücksichtigung neuerer Ansätze in diesen Gebieten - beziehen. Auch die strategische Einbindung und Ausrichtung der Beschaffung ist vor dem Hintergrund neuartiger Fragen der Unternehmensstrategie erneut zu vertiefen. Dies impliziert Betrachtungen über die internationale Beschaffung, einschließlich des Aufbaus und des

mit

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Ronald Bogaschewsky

Betreibens von ausländischen Beschaffungszentren (International Procurement Centers), sowie die Frage nach der Organisation - auch in Verbindung mit Profit Center-, Dienstleister- und Outsourcing-Überlegungen. Auch die Untersuchung von Beschaffungsfragen aui3erhalb des industriellen Kernbereichs - u.a. in öffentlichen Betrieben, in Krankenhäusern und anderen Dienstleistungsunternehmen - scheint noch nicht erschöpfend wissenschaftlich durchleuchtet zu sein. Es muss jedoch ebenfalls festgestellt werden, dass die bereits vorhandene Ausdifferenzierung des Gebiets teilweise zu einem „Spezialistentum" geführt hat, das auf Kosten der ganzheitlichen Betrachtung geht. Dies gilt in vielen Fällen auch für die Praxis der Beschaffung, in der voneinander weitgehend isolierte Einheiten Teiloptimierungen vornehmen, die nicht im Sinne eines Gesamtoptimums sind. Aus diesem Grunde hat der Verfasser Ansätze zu einem Konzept des integrierten Versorgungsmanagement (Integrated Supply Management) entwickelt (Bogaschewsky 2003), das anstrebt, die wesentlichen Teilaufgaben der Beschaffung (wieder) besser untereinander zu vernetzen. Dies kann heute nur unter Berücksichtigung der zum Einsatz kommenden Hilfsmittel der Informationstechnologie geschehen, die in jüngster Zeit vermehrt auf der Internet-Technologie basieren. Die Abb. 1 zeigt die logische Struktur eines integrierten Beschaffungsmanagement-Systems auf, das über ein zentrales Einstiegs-Portal - nach Single-Sign-On-Prinzip - dem Nutzer (Beschaffer) Zugang zu allen für die Erledigung seiner Aufgaben erforderlichen Applikationen ermöglicht. Dabei kommt möglichst eine einheitliche Benutzungsoberfläche und Systemführung zum Einsatz, die beispielsweise mittels Browser-Technologie weitgehend intuitiv nutzbar ist. Es sei dahingestellt, ob ein derart ausgeprägtes System die bestmögliche Lösung darstellt. Die Anstrengung vieler Unternehmen, ihre sehr zahlreichen Applikationen besser zu vernetzen, weisen hier allerdings in eine ähnliche Richtung. Unter den

Abb. 1 : Logische Struktur für ein integratives Beschaffungsmanagement-System

Historische Entwicklung des Beschaffungsmanagements

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Schlagworten Enterprise Application Integration (EAI) und - für den zwischenbetrieblichen Bereich - Inter-Enterprise Integration (IEI) werden zunehmend Konzepte angeboten, die die technische Seite des Problems lösen helfen sollen. Für die inhaltlich-fachliche Seite bleiben - zum Glück - weiterhin die Beschaffungs-Fachleute in der Praxis und die Forscher mit betriebswirtschaftlichem Hintergrund zuständig.

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Miszellen zur Geschichte der Logistik Dr. Ina Bauerdorf Georg-August-Universität

Göttingen

Institut für Betriebswirtschaftliche Produkt ions- und Investitionsforschung A ht e ilu η g für U η te m ehmenspl an un g Platz, der Göttinger Sieben 3 37073 G ött in gen

Zusammenfassung Seit den 1950er Jahren wird der vorher primär für militärische Probleme verwendete Begriff Logistik auch für analoge Fragestellungen aus dem zivilen Bereich genutzt. Die Geschichte der systematischen Untersuchung und Lösung logistischer Probleme vor einem nichtmilitärischen Hintergrund ist jedoch wesentlich älter. Dies wird anhand dreier Beispiele aus der Antike nachgezeichnet: der im Papyrus Rhind dokumentierten frühen Methodenlehre der Logistik, der Wasserversorgung antiker Städte sowie dem mit logistischen Aufgaben betrauten politischen Amt des Praefectus annoitele.

44

Ina Bauerdorf

Inhalt 1

Einleitung

45

2

Papyrus Rhind - eine frühe Methodenlehre der Logistik

46

3

Die Wasserversorgung antiker Städte - gewachsene Lösungen

4

für ein logistisches Problem

52

Praefectus annonae - ein politisches Amt mit einer logistischen Aufgabe

57

Literatur

62

Miszellen zur Geschichte der Logistik

1

45

Einleitung

Ursprünglich bezeichnete der Begriff Logistik zum einen im Bereich der Logik die Teildisziplin der mathematischen Logik, zum anderen im militärischen Bereich die Gesamtheit der Fragestellungen, die sich auf die Versorgung und Unterstützung des Heeres sowie auch taktischer Truppenbewegungen beziehen.1 Mit letzterer Bedeutung wurde der Begriff Logistik seit den 1950er Jahren in den USA und seit den 1970er Jahren auch im deutschsprachigen Raum in zunehmenden Maße auf analoge Fragestellungen der zivilen Wirtschaft übertragend Induziert durch die Entwicklung innerhalb der betriebswirtschaftlichen Praxis und Forschung hat sein Bedeutungsinhalt seitdem einen Facettenreichtum erworben, der zwar einerseits die Formulierung einer Definition nicht gerade erleichtert, andererseits aber die Komplexität der betrachteten Fragestellungen im zivilen Bereich widerspiegelt. Während für den militärischen Bereich eine Reihe von historischen Beispielen für logistische Fragestellungen und deren Lösungen gerade auch aus frühen Epochen dokumentiert wurde, fehlen solche Darstellungen weitgehend für den zivilen Bereich. Zwar werden in der Geschichtsforschung häufig historische Sachverhalte beschrieben, die auch einer logistischen Interpretation zugänglich wären, aber die Schwerpunkte solcher Untersuchungen liegen mehr in anderen Bereichen wie z.B. der Technikgeschichte, der Baugeschichte oder der allgemeinen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Zielsetzung der vorliegenden Arbeit ist es daher, anhand von historischen Beispielen darzustellen, dass auch im zivilen Bereich logistische Fragestellungen systematisch untersucht und gelöst wurden. Hierbei wurde ein Logistikbegriff zugrundegelegt, der zum einen den ursprünglich aus dem militärischen Bereich übernommenen Wesensinhalt umfasst, zum anderen jedoch auch auf zivile Bereiche angewendet werden kann:3 „The mission of logistics is to get the right goods or services to the right place, at the right time, and in the desired condition, while making the greatest contribution to the firm." In allen drei folgenden Beispielen wird die Zielsetzung eines Staates, eines Herrschers oder eines Gemeinwesens verfolgt. Dies liegt in erster Linie an der Quellenlage hinsichtlich der Epoche, aus der die gewählten Beispiele stammen, nämlich der Antike. Die aus dieser Zeit überlieferten Texte und auch andere Quellen wie beispielsweise Baudenkmäler sind überwiegend Zeugnisse staatlichen bzw. eines im Interesse des Gemeinwesen liegenden Handelns.

1

Vgl. Bloech, J.: (Logistikgeschichtc), S. 577.

2

Vgl. Bloech, J.: (Logistikgeschichtc), S. 578.

3

Bai Ιου, R. H.: (Logistics), S. 6.

46

2

Ina Bauerdorf

Papyrus Rhind - eine frühe Methodenlehre der Logistik

Bereits im frühen Ägypten befasste man sich mit der systematischen Lösung solcher Probleme, die entsprechend der obigen Verabredung dem Bereich der Logistik zuzuordnen sind. Beispiele hierzu finden sich in einem Brief, der auf die Zeit von Ramses II. datiert ist. 4 In seiner langen Regierungszeit von 1290 bis 1224 v.Chr. ließ dieser Pharao einige bedeutende Kulturdenkmäler vor allem in Karnak, Luxor und Nubien errichten und führte sein Reich zu einer wirtschaftlichen Blüte.^ Der Absender des Briefes ist ein königlicher Beamter namens Hori, Adressat ist Amen-em-ope, ein Befehlsschreiber des Heeres.6 Der Ausdruck „Befehlsschreiber" sollte nicht über die Stellung des Adressaten hinwegtäuschen. Vielmehr deutet die Bezeichnung darauf hin, dass dieser des Schreibens kundig war und damit in der damaligen ägyptischen Gesellschaft eine herausgehobene Stellung einnahm.7 So kann davon ausgegangen werden, dass es sich auch bei dem Adressaten um einen höheren Beamten handelte, der dem Absender gleichrangig war. Der Brief ist wohl Teil einer Korrespondenz zwischen den beiden Schreibern und enthält neben den Ausschnitten, die im Folgenden nach einer Übersetzung von A. E RM Α Ν zitiert werden, die Vorstellung des Absenders, die Begrüßung des Adressaten, eine Einleitung und weitere Textpassagen, die sich auch auf einen vorhergehenden Brief beziehen. Einige Textstellen waren jedoch nach ER MAN auch keiner Übersetzung zugänglich.8 Eine Fragestellung, die in dem Brief angesprochen wird, bezieht sich auf den Bau einer Rampe. Die Ägypter bauten solche Rampen, um auf ihnen Steinblöcke in die jeweils gewünschte Höhe zu transportieren. 9 Genauer heißt es in dem Brief: 10 „[...] Es soll (also) eine Rampe gemacht werden, 730 Ellen lang und 55 Ellen breit, die 120 Kästen enthält und mit Rohr und Balken gefüllt ist; oben 60 Ellen hoch, in der Mitte 30 Ellen, mit einem ... von 15 Ellen und sein ... hat 5 Ellen. [...] Antworte uns wie viele Ziegeln man braucht." Sieh seine Massen (?) hast du vor dir; ein jeder von seinen Kästen hat 30 Ellen und ist 7 Ellen breit. [ ...|" Der Grundbaustoff solcher Rampen waren Ziegel, jedoch wurden, um Material zu sparen, im Inneren mit Sand gefüllte Kammern (Kästen) gelassen." Zur Verbesserung der Statik wurden außerdem Balken und Schilfmatten eingeführt. Eine Elle

4

Vgl. Erman, Α.: (Literatur), S. 271.

5

Vgl. Brunner, H.; Flesse!. Κ.: Hiller. F.; Meyers Lexikonredaktion (Hrsg.): (Lexikon). S. 236.

6

Vgl. Erman, Α.: (Literatur), S. 270.

7

Vgl. O.A.: (Well), Band 3, Sp. 2726.

8

Der kommentierte und übersetzte Brief findet sich in: Erman, Α.: (Literatur), S. 270-294.

y

Vgl. Schneider, H.: (Technikgcschichte), S. 164.

10

11

Zitiert nach einer Übersetzung von A. ERMAN. Vgl. Erman. Α.: (Literatur), S. 282. Die mit ... gekennzeichneten Auslassungen, die Markierung durch (?) und Klammerungen wurden ebenso aus dem Übersetzungstext übernommen wie kursive Hervorhebungen innerhalb des Textes. Dies gilt auch für die folgenden Zitate nach A. E R M A N . Vgl. Erman, Α.: (Literatur), S. 282 Fußnote 5.

Miszellen zur Geschichte der Logistik

47

betrug ca. 52,3 cm. Ein kleineres Längenmaß war der Finger(breit), der mit ca. 1,87 cm angegeben wird. 1 2 Aus dem Briefkontext geht hervor, dass Hori dem Schreiber Amen-em-ope diese Problemstellung mit dem Hinweis darauf schilderte, dass es zu den (üblichen) Aufgaben eines Schreibers gehöre, eine Lösung zu finden. In einem weiteren Textausschnitt wird die Aufgabe beschrieben, die zum Transport eines Denkmals erforderliche Anzahl von Leuten zu bestimmen: 13 „[...] Ein Obelisk ist neu gemacht worden, auf den der Name seiner Majestät eingegraben ist; er ist im Schaft 110 Ellen hoch, an der Basis mißt er 10 Ellen und der Block (?) an seinem Ende hat auf jeder Seite 7 Ellen. Die Verjüngung (?) beträgt 1 Elle und 1 Finger; seine Pyramide ist 1 Elle hoch und sein ... mißt 2 Finger. Rechne du mm danach aus (?), damit du jeden Mann der zum Schleppen nötig ist, verabfolgest und schicke sie zum roten Berge. [...] Entscheide für uns, wieviele Leute gebraucht werden, um ihn zu ziehen. Mache nicht, daß man zum zweiten Male schicken muß, dann das Denkmal liegt (fertig) im Steinbruch. Antworte schnell und zögere nicht. ['...]" Aus den dieser Textpassage folgenden Zeilen geht hervor, dass Hori selbst ähnliche Aufgabenstellungen bereits erfolgreich gelöst hat, im Gegensatz zu Amen-em-ope. Auch im Folgenden wird die Frage aufgegriffen, wieviele Leute zur Erledigung einer näher beschriebenen Aufgabe nötig sind, wobei diesmal ein Zeitrahmen vorgegeben ist. Genauer gesagt handelt es sich um die Errichtung eines Denkmals, wobei die Ägypter hierbei so vorgingen, dass das zu errichtende Bauwerk (oder ein anderer schwerer Gegenstand) zunächst auf einen mit Sand gefüllten großen Behälter transportiert und dann der Sand so aus diesem genommen wurde, dass der Gegenstand die gewünschte Position einnahm. 14 Hori schreibt: 15 „[...] Man sagt zu dir: Leere den Kasten aus, der mit Sand geladen ist, unter dem Denkmal deines Herrn, das man aus dem roten Berge gebracht hat; es mißt 30 Ellen, wenn es auf dem Boden ausgestreckt liegt, und 20 Ellen in der Breite. Von den weiteren Angaben versteht man nur, daß der „Kasten" aus mehreren Abteilungen besteht, die mit Sand vom Ufer gefüllt sind und daß sie alle 50 Ellen hoch sind. Man beauftragt dich zu erfahren [...): „Wieviel Mann beseitigen ihn in sechs Stunden ?" Ihre Herzen sind richtig, (aber) ihre Lust ihn zu beseitigen ist gering, da die Zeit nicht kommt, (wo ?) du dem Heer Muße gibst, damit sie ihr Essen empfangen. Offensichtlich hat Amen-em-ope eine Lösung vorgestellt, die nach Ansicht des Hori nicht richtig war, da keine Pausen für die Arbeiter berücksichtigt wurden. Zwei weitere Textpassagen beschäftigen sich mit der Berechnung des Proviants. Im ersten Beispiel ergibt sich die Anzahl der zu versorgenden Leute mittelbar aus einem bevorstehenden Projekt: 16 Vgl. Düke, O. A. W.: (Maße), S. 45. Erman, Α.: (Literatur), S. 282 f. Vgl. Erman, Α.: (Literatur), S. 284 Fußnote 2. Erman, Α.: (Literatur), S. 284. Erman, Α.: (Literatur), S. 281.

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Ina Bauerdorf „[...] Man gibt dir einen See auf, den du graben sollst. Da kommst du zu mir, um dich nach dem Proviant für die Soldaten zu erkundigen und sagst: „Rechne ihn mir aus", f...)"

In dem zweiten Beispiel ist die Anzahl der zu versorgenden Leute direkt angegeben: 17 „[...] Die Hilfstruppen des Heeres, das du befehligst, zählt [...], im ganzen 5000, wenn man ihre Offiziere nicht mitrechnet. [...] Die Zahl der Leute ist aber zu groß (?) und der Proviant ist zu klein für sie: 300 Weizenbrote, 1800 ...brote, 120 Ziegen verschiedener Art, 30 Maß Wein - der Soldaten sind so viele und der Proviant ist unterschätzt (?)" Nach Ansicht des Hori ist also auch hier die Lösung des Amen-em-ope falsch. Aus den Bemerkungen und Anspielungen des Hori geht hervor, dass es sich bei den in den Zitaten geschilderten Problemen eher um Routinefälle handelte, zu deren Lösung ein Schreiber in der Lage sein sollte. In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich auch die Frage, wie solche Lösungen ermittelt wurden. Handelte es sich eher um Schätzwerte, zu denen die Schreiber auf der Grundlage ihrer Erfahrungen mit ähnlichen Fälle kamen, oder wurden explizite Berechnungen evtl. sogar auf der Grundlage einer Formelsammlung durchgeführt? Die Auswertung archäologischer Funde deutet eher auf die zweite Möglichkeit hin. So wurde Mitte des 19. Jahrhunderts in den Ruinen eines kleinen Gebäudes in der Nähe des mortuary temple des Pharao Ramses II. in Theben ein Papyrus entdeckt. Im Jahr 1858 wurde es fast vollständig von Alexander Henry Rhind erworben und später an das Britische Museum verkauft. Ein kleines Fragment des Papyrus wurde 1922 in der Sammlung der Historical Society in New York von dem britischen Ägyptologen Percy Edward Newberry identifiziert. Es war von dem Amerikaner Edwin Smith 1862/63 ebenfalls in Ägypten gekauft und später von seiner Tochter der Historical Society geschenkt worden. 18 Nach dem Erwerber des größeren Stückes wird das Papyrus heute „Rhind Papyrus" oder „Papyrus Rhind" genannt. In der englischsprachigen Literatur ist auch die Bezeichnung „Rhind Mathematical Papyrus" üblich. Es handelte sich im Urzustand um eine einzelne Papyrusrolle, deren Länge mit 5,64 m und deren Breite mit 33,02 cm angegeben wird. Sie ist auf beiden Seiten beschrieben. 19 Die einleitenden Worte des Papyrus werden von A.B. CHACK übersetzt mit: 2 0 „Accurate reckoning of entering into things, knowledge of existing things all, mysteries ... secrets all. Now was copied book this in year 33, month four of the inundation-season [under the majesty of the] King of [Upper and] Lower Egypt, 4 A-user-Rê\ endowed with life, in likeness to writings of old made in the time of the King of Upper [and Lower] Egypt, |Ne-ma]'et-|Rê]. Lo the scribe A'h-mosè writes copy this."

17

Erman, Α.: (Literatur), S. 284.

18

Vgl. Robins, G.; Shutc, C.: (Papyrus), S. 9. und Chace, A.B.: (Rhind), S. 3 f.

|l)

Vgl. Chace, A.B.: (Rhind), S. 81.

20

Chace. A.B.: (Rhind), S. 84. Auslassungen und Klammerungen wurden auch hier übernommen.

Miszellen zur Geschichte der Logistik

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Neben einer verheißungsvollen Andeutung über den Inhalt kann dieser Einleitung also entnommen werden, dass das Papyrus Rhind in der Überschwemmungszeit im 33. Jahr der Regierungszeit von Pharao Auserre (Apophis) von einem Schreiber mit dem Namen Ahmose nach Aufzeichnungen, die aus der Zeit des Pharao Ammenemes III. stammten, angefertigt wurde. 21 Zur besseren zeitlichen Einordnung sei hierzu angemerkt, dass die Regentschaft Auserres von 1574 bis 1534 v. Chr. andauerte und Ammenemes III. von 1844 bis 1797 v. Chr. herrschte. 22 Tatsächlich kann der Inhalt des Papyrus Rhind als eine Sammlung mathematischer Probleme und ihrer Lösungen umschrieben werden. Eine angemessene Würdigung der Leistung der frühen ägyptischen Mathematik ist an dieser Stelle natürlich nicht möglich und daher auch nicht intendiert. Die folgende Klassifizierung soll jedoch zumindest einen Überblick über die Art der behandelten Themen geben: 23 -

Division der Zahl 2 durch ungerade Zahlen in einem ersten Abschnitt des Papyrus Division durch 10 (Probleme 1 - 6 ) Multiplikation von Brüchen (Probleme 7 - 2 0 ) Vervollständigung von Brüchen zu Eins (Probleme 21-23) Lösungen von (linearen) Gleichungen und ähnliche Aufgaben (Probleme 24-38,47,80-81) Aufteilung von Gütern (ζ. B. Nahrungsmittel) und ähnliche Aufgaben (Probleme 39-40,61,63-65,67-68) Volumenberechnungen (Probleme 41 - 4 6 ) Flächenberechnungen (Probleme 48-55) Pyramidenberechnung (Probleme 56-60) Wertbestimmungen, Tauschverhältnisse und Futtermittelmengenberechnungen (Probleme 62, 66, 69-79, 82-84)

Den in einem ersten Abschnitt des Papyrus behandelten Divisionen der Zahl 2 werden in der Literatur keine Nummern zugeordnet. Die Probleme wurden oft nicht in einer abstrakten Form, sondern anhand konkreter Aufgaben formuliert. So lautet beispielsweise die Fragestellung des Problems 4 (Division von 7 durch 10) in der Übersetzung von CHACE: 24 „ The making of loaves 7 for man 10. [...]." In der Art, wie die Aufgabenstellung formuliert wurde, ist Problem 4 also gleichzeitig ein einfaches Beispiel für eine Verteilungsaufgabe, also einem Thema, das auch in den letzten beiden zitierten Briefausschnitten angesprochen wird. Wesentlich komplexere Verteilungsprobleme werden in einem späteren Abschnitt des Papyrus behandelt. Die Schwierigkeit besteht bei diesen darin, dass nicht mehr eine einfache 21

Vgl. hicr/u auch Robins, G.; Shute, C.: (Papyrus), S. 11.

22

Vgl. Schneider, T.: (Pharaonen), S. 80 und Brunner, H.; Hessel, K.; Hiller, F.; Meyers Lexikonredaktion (Hrsg.): (Lexikon), Erster Band, S. 109.

23

Vgl. das Inhaltsverzeichnis von Robins, G.; Shute, C.: (Papyrus) und die Darstellung der Probleme in Chace, A.B.: (Rhind), S. 28 IT.

24

Chace, A.B.: (Rhind), S. 90.

50

Ina Bauerdorf

Gleichverteilung zu berechnen ist, sondern die Aufteilung der Güter bestimmten Nebenbedingungen genügen soll, wie etwa in Problem 64 geschildert: 25 „Example of distributing difference. If is said to thee, Barley, hekat 10 for man 10, the difference of man each to second his, in barley, hekat 1/8 this is. Die Anteile sind also als eine arithmetische Folge mit zehn Folgengliedern zu bestimmen, wobei die Differenz zwischen den Folgengliedern jeweils 1/8 betragen soll und die Summe aller Folgenglieder gleich 10 ist. Das altägyptische Volumenmaß hekat umfasst ca. 4,8 Liter. 2 6 Weitere Verteilungskriterien waren, wie etwa in Problem 39 oder Problem 63 beschrieben, 27 vorgegebene Zahlenverhältnisse, in denen die zu berechnenden Anteile zueinander stehen sollten. Motivation für die Festlegung solcher Verhältnisse konnte, wie beispielsweise in Problem 65 explizit beschrieben, 28 eine Lohndifferenzierung bei der Auszahlung eines Naturallohns aufgrund unterschiedlicher Tätigkeiten sein. Andere in dem Brief angesprochene Fragestellungen führen zu der Problematik der Volumenberechnung. Auch diese wird in dem Papyrus Rhind aufgegriffen, wovon das folgende Problem 44 Zeugnis ablegt 29 : „Example of reckoning a granary four angled, the length of it 10, the breadth of it 10, the height of it 10; what is that which goes into it in grain. [...Γ Neben dem Volumen rechteckiger wurden beispielsweise in den Problemen 41 - 4 3 auch das Volumen zylindrischer Getreidespeicher berechnet. 30 Darüber hinaus variierte die Fragestellung durchaus, indem wie in Problem 46 nach den Maßen eines rechteckigen Getreidespeichers zu vorgegebenem Volumen gefragt wurde. 31 Weitere Fragen, die sich aus Anwendungsproblemen ergaben, griffen die Probleme zur Flächenberechnung auf. Dies zeigt Problem 52 exemplarisch: 32 „Example of making a cut-off triangle of land. If is said to thee, A cut-off triangle of land of khet 20 on the side of it, khel 6 in the base of it, khet 4 on the cut-off; what is the area of it ? |... Γ Das Längenmaß khet entspricht 100 Ellen. 33 Im Hinblick auf die angesprochene Rampenberechnung könnte z.B. die Behandlung des Problems 51, in der die Flächenberechnung eines Dreiecks auf die eines Rechtecks zurückgeführt wird 3 4 , von Interesse gewesen sein.

25

Chacc, A.B.: (Rhind), S. 104.

26

Vgl. Gericke, H.: (Mathemalik), S. 51.

27

Vgl. Chace, A.B.: (Rhind), S. 45 bzw. S. 54.

2X

Vgl. Chace, A.B.: (Rhind), 54.

2V

Chace, A.B.: (Rhind), S. 108.

30

Vgl. Chace, A.B.: (Rhind), S. 46f.

31

Vgl. Chace, A.B.: (Rhind), S. 48.

32

Chace, A.B.: (Rhind), S. 118.

33

Vgl. Gericke, H.: (Mathematik), S. 51.

34

Vgl. Chacc, A.B.: (Rhind), S. 49.

Miszellen zur Geschichte der Logistik

51

Erwartungsgemäß werden im Papyrus Rhind auch Fragestellungen im Zusammenhang mit der Pyramidenberechnung erörtert. Hier kann Problem 56 zitiert werden: 15 „Example of reckoning a pyramid; 360 in the ukhat-thebet, 250 in the per-em-us to it therein; cause thou that know I the seked of it. [...]" Es ist also der Rücksprung einer Pyramide mit einer Grundlänge von 360 (Ellen) und einer Höhe von 250 (Ellen) gesucht.36 Interessanterweise finden sich im Papyrus Rhind keine Probleme, die sich explizit mit der Berechnung des Volumens einer Pyramide befassen. Berechnet wurden auch Tauschverhältnisse von Gütern wie etwa Brot oder Bier, indem von dem Verhältnis der jeweils verarbeiteten Menge Korn ausgegangen wurde. Ein Beispiel hierfür ist mit Problem 76 gegeben:37 „Another. Loaves of 10, 1000, exchanged with a number of loaves of 20 and 30.

Ι...Γ Die Aufgabe wird in der Literatur so interpretiert, dass 1000 Brote von jeweils 10 Pefsu gegeben sind, d.h. in jedem dieser Brote wurden 10 hekat Korn verarbeitet. Gesucht sind die Anzahl von Broten zu 20 Pefsu und die mit dieser übereinstimmende Anzahl von Broten zu 30 Pefsu, die gegen die 1000 gegebenen Brote eingetauscht werden können. 38 Aber auch in der Art von Zahlenrätseln formulierte Probleme finden sich in dem Papyrus Rhind. So führt beispielsweise das Problem 28 mit der Fragestellung 39 „2/3 is : to be added, 1/3 is : to be subtraced, 10 remains. [..·Γ\ auf die folgende lineare Gleichung 40 : (2/3)χ + χ - 1/3((2/3)χ + χ) = 10. Solche Gleichungen finden sich allerdings nicht explizit im Papyrus, denn Rechenoperationen wurden verbal umschrieben. Die Lösungen der im Papyrus Rhind behandelten Aufgaben wurden entweder durch die Angabe eines Lösungswegs hergeleitet oder direkt angegeben und in einem abschließenden Schritt durch eine Probe bewiesen, ohne auf die Frage, wie die Lösung ermittelt wurde, explizit einzugehen.41 Der Papyrus Rhind ist nicht die einzige Quelle der altägyptischen Mathematik. So ist der ältere Papyrus Moskau, benannt nach seinem Aufbewahrungsort, von vergleichbarer Bedeutung. Es handelt sich bei diesem um eine ca. 5,44 m lange und 8 cm breite Papyrusrolle. Auf dem Papyrus Moskau sind 25 Aufgaben niedergeschrie35

Chacc, A.B.: (Rhind), S. 122.

36

Vgl. Gericke, H.: (Mathematik), S. 61.

37

Chace, A.B.: (Rhind), S. 134.

38

Vgl. Gericke, H.: (Mathematik), S. 62.

39

Chacc, A.B.: (Rhind), S. 98.

40

Vgl. Chace, A.B.: (Rhind), S. 37.

41

Ein Beispiel für erste Vorgehensweise ist Problem 41, ein Beispiel für die letztere Problem 4. Vgl. Chace, A.B.: (Rhind), S. 46 und S. 33.

52

Ina Bauerdorf

ben, die inhaltlich und methodisch von ähnlicher Art wie die Probleme des Papyrus Rhind sind. 42 Aber es gibt auch Unterschiede. So befasst sich Aufgabe 14 des Papyrus Moskau mit der Aufgabe, das Volumen eines Pyramidenstumpfes zu bestimmen, 43 also einem Problemkreis, der im Papyrus Rhind nicht angesprochen wird. Natürlich kann aufgrund dieser Quellenlage keine abschließende Antwort auf die Frage gegeben werden, inwieweit auch die Ägypter ähnlich den Griechen versuchten, ihre Methoden zu beweisen oder zu verallgemeinern und nicht nur in Einzelfällen anhand von Proben zu verifizieren. Das jedoch bereits die im Papyrus Rhind explizit oder implizit bereitgestellten mathematischen Methoden reichhaltig genug sind, um die eingangs anhand von Briefzitaten beschriebenen logistischen Fragestellungen zu lösen, bedarf zweifellos keiner weiteren Erklärung. In diesem Sinn erscheint es nicht unberechtigt, das Papyrus Rhind auch als eine Methodenlehre der Logistik zu interpretieren.

3

Die Wasserversorgung antiker Städte gewachsene Lösungen für ein logistisches Problem

Die Nähe zu Flüssen und Handelswegen, militärische Aspekte wie die Verteidigung oder die Sicherung von Grenzen und die Möglichkeit der Bevölkerung, sich aus dem Umland zu ernähren, waren bereits in der Antike wichtige Standortfaktoren bei der Gründung unterschiedlichster Siedlungsformen. Wuchs eine solche Ansiedlung jedoch stärker als ursprünglich gedacht, entwickelte sie sich vielleicht sogar zu einer der antiken Metropolen, so reichten die vorhandenen Ressourcen zur Versorgung der Bevölkerung oft nicht mehr aus. Dies galt insbesondere für die Trinkwasserversorgung. Daher bestand bereits in der Antike die Notwendigkeit, zur Deckung des Wasserbedarfs Quellgebiete außerhalb der Stadt zu erschließen. Die noch heute erhaltenen Fragmente der römischen Aquädukte gehören sicher zu den bekanntesten Bauwerken, die eigens zur Lösung dieses Problems errichtet wurden. Aus antiken Quellen und archäologischen Funden kann jedoch geschlossen werden, dass auch die Griechen, die Etrusker und die Ägypter ebenso leistungsfähige Techniken entwickelt hatten. Hierbei handelt es sich teilweise um parallele Entwicklungen, teilweise scheinen jedoch auch frühe Beispiele für einen Technologietransfer vorzuliegen. 44 Grundsätzlich war wohl bereits in der Antike die Gefahr, dass verunreinigtes Oberflächenwasser Krankheiten auslösen kann, bekannt 4 5 Ziel der Wasserwirtschaft war daher, die Trinkwasserversorgung zunächst aus Brunnen, d.h. durch Grundwasser, sicherzustellen. Reichten diese nicht (mehr) aus, um den Bedarf einer Ansiedlung zu decken, versuchte man, das Wasser direkt aus den Quellgebieten der Flüsse

42

Vgl. Gericke, H.: (Mathemalik), S. 49.

43

Vgl. Chace, A.B.: (Rhind), S. 49 und Gericke, H.: (Mathematik), S. 63.

44

Vgl. Fahlbusch, H.: (Elemente), S. 145 zur Vermutung, daß die Römer die Technik der Etrusker übernahmen.

45

Vgl. Habermann, W.: (Wasserversorgung), S. 90 und Fahlbusch, H.: (Elemente), S. 139 zur Klärung des Wassers durch Mchrkammernzislernen.

Miszellen zur Geschichte der Logistik

53

in die Stadt zu leiten. Hierzu wurde stets eine eigene Infrastruktur in Form von Fernwasserleitungen bereitgestellt. 46 Archäologische Funde weisen auf eine Vielfalt hinsichtlich der dabei eingesetzten Materialien hin 4 7 Die Griechen verwendeten Tonrohrleitungen, die als Freispiegelleitungen geführt wurden. Für die einzelnen Rohre wird in der Literatur ein Durchmesser von ca. 0,2 m und eine Länge von ca. 0,5 bis 0,8 m genannt.48 Die Leitungen wurden unterirdisch verlegt, häufig in mehreren Strängen. 49 Dies diente nicht nur dem Schutz der Leitungen, sondern hatte auch einen Verteidigungsaspekt, denn natürlich stellte eine externe Wasserversorgung für eine Stadt im Belagerungsfall einen Schwachpunkt dar. 50 Hügel oder Erhebungen im Leitungsverlauf wurden untertunnelt. 51 Bei Taleinschnitten gab es unterschiedliche Möglichkeiten, die auch von den Gegebenheiten abhingen. 52 Die Leitungen konnten das Tal umfahren, sie konnten es auf einem Aquädukt überqueren oder in Form einer Druckrohrleitung, das Prinzip der kommunizierenden Röhren war also bekannt, durchqueren. Die Griechen bevorzugten entsprechend ihrer Vorliebe für eine unterirdische Leitungsführung die erste Möglichkeit. 53 Druckrohrleitungen waren jedoch nicht nur im Hinblick auf die Querung eines Tales von Interesse, sondern auch für die Versorgung höher gelegener Versorgungsziele, denn Städte oder zumindest die älteren Stadtteile lagen aus strategischen Gründen häufig auf Bergen. 54 Natürlich schwankte der Wasserverbrauch im Verlauf des Tages. Um insbesondere in der Nacht das Wasser nicht ungenutzt abfließen zu lassen, wurde es in Zisternensystemen oder in Becken gespeichert, die in einem Brunnenhaus untergebracht waren. 55 Die Versorgung der Einzelhaushalte aus der Fernleitung erfolgte in den griechischen Städten in der Regel durch zentrale Brunnenhäuser. 56 Die Römer bevorzugten anstelle der Verlegung von Rohren die Wasserführung in Freispiegelkanälen. 57 Diese Technik ist vermutlich auf etruskischen Einfluss zurückzuführen. Die Kanalführung erfolgte unterirdisch. 58 Bei der Durchquerung von Tälern standen den Römern grundsätzlich die gleichen Alternativen zur Verfügung wie den Griechen. Allerdings konnten mit einem Kanal größere Abflussquerschnitte und damit auch größere Ablaufleistungen realisiert werden als mit einem Rohr, wodurch

46

47 4X 49

In der Literatur lassen sich keine Hinweise darauf finden, dass die Wasserversorgung einer Metropole auch dadurch sichergestellt wurde, dass das Wasser in einer Art Tankwagen von den Quellgebielen in die Stadt transportiert wurde. Zu den verwendeten Materialien vgl. Lamprecht, H.-O.: (Bau- und Materialtcchnik), S. 129 f. Vgl. Schneider, H.: (Technikgeschichte), S. 186. Vgl. Fahlbusch, H.: (Elemente), S. 140f. Hier findet sich auch eine Ausführung zu der Ausgestaltung der Rohre. Vgl. Habermann, W.: (Wasserversorgung), S. 90.

51

Vgl. Fahlbusch, H.: (Elemente), S. 142. Für ein Beispiel vgl. Kienast, H.: (Samos), S. 214.

52

Vgl. Lamprecht, H.-O.: (Bau- und Matcrialtechnik), S. 149.

53

Vgl. Fahlbusch, H.: (Elemente), S. 142.

54

Vgl. Garbrecht, G.: (Wasserversorgung), S. 23.

55

Vgl. Fahlbusch, H.: (Elemente),S. 143 f.

56

Vgl. Schneider, H.: (Technikgeschichte), S. 187.

57

Vgl. Schneider, H.: (Technikgeschichte), S. 187.

58

Vgl. Fahlbusch, H.: (Elemente), S. 145.

54

Ina Bauerdorf

bei der Überleitung in ein Druckleitungssystem bis zu zwölf Rohrstränge benötigt wurden. 59 Bis zu einer Talhöhe von ca. 50 m bevorzugten die Römer daher vermutlich aus Kostengründen die Überbrückung des Tales mit Hilfe eines Aquäduktes. 60 Sie verwendeten Aquädukte jedoch auch, um beispielsweise in Rom das Wasser möglichst hoch in die Stadt einzuleiten, damit es dann mittels Druckleitungen auch in höhergelegenen Stadtteilen zur Verfügung stand.61 Der schwankende Wasserbedarf im Verlauf des Tages wurde wie bei den Griechen durch Speicher ausgeglichen. 62 Die Endversorgung geschah bei den Römern über eine Anzahl von Laufbrunnen, die über das Stadtgebiet verteilt waren. Diese waren an ein innerstädtisches Verteilernetz angeschlossen, das aus den Verteilerbauwerken, in die die Kanalleitung mündete, gespeist wurde. 63 Der Bedarf an Frischwasser wuchs mit der Zunahme der Stadtbevölkerung. Leider sind über die Bevölkerungsentwicklung antiker Städte praktisch keine Quellen verfügbar. Selbst für die Metropole Rom finden sich nur punktuelle Angaben. 64 Die Expansion der Wasserwirtschaft dieser Stadt wurde hingegen in ihren wichtigsten Eckpunkten rekonstruiert. Die erste Fernleitung „Appia" wurde wohl im Jahr 312 v. Chr. auf Veranlassung von Appia Claudius Caesar gebaut. Es folgten die Leitung „Anoi Vetus" im Jahr 272 v. Chr., die Leitung „Marcia" (144- 140 ν. Chr.), die Leitung „Tepula" (126 v.Chr.), die Leitung ,Julia" (33 v.Chr.), die Leitung „Virgo" (21-19 v.Chr.), die Leitung „Alsietina" (10-2 v.Chr.), die Leitung „Claudia" (38-52 n.Chr.), die Leitung „Anio Novus" (38-52 n.Chr.), die Leitung „Traian" (109- 117 n. Chr.) und schließlich die Leitung „Alexandrina" (226 n. Chr.). Mit diesem Leitungssystem konnte eine Wasserversorgung von 520.000 bis 635.000 m 3 pro Tag sichergestellt werden. 65 Aber nicht nur Rom verfügte über ein weit verzweigtes und über die Jahrhunderte gewachsenes Wasserversorgungssystem. Ein weiteres Beispiel ist die Stadt Pergamon. Sie wurde in der Spitze im 2. Jahrhundert n. Chr. von zehn Fernwasserleitungen mit ca. 40.000 m 3 Wasser täglich versorgt. 66 Leider ist eine zeitliche Rekonstruktion des Aufbaus dieses Leitungssystems nicht mehr möglich. Da jedoch von einer der Leitungen am Westhang des Selinustals angenommen werden kann, dass sie bereits zu Beginn des 2. Jahrhunderts v. Chr. gebaut wurde, 67 kann auch hier von einem Aufbau der gesamten Infrastruktur über mehrere hundert Jahre ausgegangen werden. Natürlich stellt sich die Frage, wie der Bau und die Wartung solcher Wasserleitungsprojekte finanziert wurden. Über die laufenden Aufwendungen einer ägyptischen Metropole gibt P.Lond 3/1177 sehr detailliert Auskunft. Es handelt sich hierbei um einen Papyrus, dessen Länge mit 2,63 m und dessen Höhe mit 22 cm angegeben wird. Die Stadt, auf die er sich bezieht, wird in dem Papyrus nicht explizit 59

Vgl. Schneider, H.: (Technikgeschichte), S. 188.

W)

Vgl. Lamprecht, H.-O.: (Bau- und Materialtechnik), S. 149.

61

Vgl. Schneider, H.: (Technikgeschichle), S. 188.

62

Vgl. Fahlbusch, H.: (Elemente), S. 159.

63

Vgl. Fahlbusch, H.: (Elemente), S. 159.

64

Vgl. Eck, W.: (Wasserversorgung), S. 54.

65

Vgl. Garbrecht, G.: (Rom), S. 208 f.

66

Vgl. Garbrecht, G.: (Wasserversorgung), S. 43.

67

Vgl. Garbrecht, G.: (Wasserversorgung), S. 30.

Miszellen zur Geschichte der Logistik

55

genannt, die Ausführungen deuten jedoch auf die mittelägyptische Ruinenstätte Arsinoe (Ptolemais Euergetis) hin. 6 8 P.Lond 3/1177 ist auf das Jahr 113 n. Chr. datiert. 69 Inhaltlich handelt es sich um einen Rechenschaftsbericht, der detailliert die Einnahmen und die Ausgaben gegenüberstellt. HABHRMANN übersetzt den Beginn der Schrift mit: 7 0 „An Demitrios, den ehemaligen Gymnasiarchen, Rechnungsprüfer, von Krispos alias Sarapion „An Demitrios, den ehemaligen Gymnasiarchen, Rechnungsprüfer, von Krispos alias Sarapion und Mystheas alias Ptolemaios, Sohn des Ptolemaios, und Mysthes, vertreten durch seinen Vater Didymos, und Sotas, Sohn des Zoilos, den vier Verwaltern der Wasserzufuhr für Kastelle und Entnahmeslellen der Metropole Abrechnung der Einnahmen und Ausgaben, aufgewendet für die Wasserzufuhr vom Pachon des vergangenen 16. Jahres des Kaisers Trajan, des Herrn, bis zum 30. Phaophi des gegenwärtigen 17. Jahres". Neben dem Adressaten der Abrechnung, einem hohen Beamten,71 sind die Verwalter, die den Bericht erstellten, und die Abrechnungsperiode genannt. Die Aufstellung beginnt mit den Einnahmen. Es werden zwei Quellen genannt. Zum einen handelt es sich um die Aufwendungen der Munizialbeamten. 72 Diese Einnahmequelle ist ein typisches Phänomen für die Finanzierung eines Gemeinwesens in der römischen Welt. Für die Übernahme eines öffentlichen Amtes war von dem Amtsträger ein Beitrag, summa honoraria, zu leisten. 73 Daneben wurde von ihm jedoch durchaus auch erwartet, sich mit seinem Privatvermögen an der Finanzierung von Maßnahmen in seinem Verantwortungsbereich zu beteiligen. 74 Der Anreiz für die Übernahme eines solchen im Ergebnis zwar geachteten aber kostspieligen Amtes lag darin begründet, dass die erfolgreiche Absolvierung einer städtischen Ämteiiaufbahn, cursus honorum, eine

6

Vgl. Probst, G.; Raub, S.; Romhardl, K. (1999), S. 275 ff.; Pawlowsky, P. (1998), S. 34. Vgl. Probst, G.; Raub, S.; Romhardt, K. (1999), S. 317.

37

Zum „elektronischen Gedächtnis" von Organisationen vgl. Probst, G.; Raub, S.; Romhardt, K. (1999), S. 310 ff.

58

Vgl. Nissen-Baudewig, G. (1996), S. 212 ff. sowie zu einem für den Bereich der Beschaffungslogistik konzipierten System Bonseis, B.F.T. (1991). Zu weiteren Anwendungsgebieten von wissensbasierten Systemen in der Logistik vgl. Schumann, M. (1997), S. 1280f.; König, W. (1988), S. 129 ff.

59

Vgl. Bullinger, H.-J.; Wörner, K.; Prieto, J. (1998), S. 31.

96

Barbara Mikus

Auf der individuellen Ebene der Bewahrung logistischen Wissens können ebenfalls die drei oben aufgeführten Aktivitätsgruppen unterschieden werden. Die Selektion betrifft hier die Auswahl besonders wichtiger Wissensträger einerseits und der von einzelnen Mitarbeitern zu bewahrenden Wissenskomponenten andererseits. Die Sicherungsaufgabe bezieht sich vor allem auf die Gefahr, dass durch das Ausscheiden von Mitarbeitern ein Wissensverlust entsteht. Um dem zu begegnen, können diese mithilfe von Anreizsystemen, spezifischen Arbeitsvertragsklauseln oder anderen nicht-monetären Austrittsbarrieren an das Unternehmen gebunden werden. Da sich ein Ausscheiden von Mitarbeitern nicht immer verhindern lässt, kann des Weiteren angestrebt werden, ehemalige Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden, um sich eine Zugriffsmöglichkeit auf ihr Wissen zu bewahren. 60 Letztendlich ist hier ebenfalls eine Aktualisierung notwendig, um dem individuellen Wissensverlust aufgrund von Vergessen oder Veralten vorzubeugen, hierfür sind vor allem geeignete Lernprozesse zu initiieren. Die unter Rückgriff auf die Literatur zum Wissensmanagement vorgeschlagenen Maßnahmen zur Sicherung von Wissen beschränken sich weitgehend auf den Schutz vor dessen Verlust. Sofern es sich um einzigartiges Wissen handelt, sind zusätzlich Maßnahmen der „Abschirmung" zu erwägen, die die Wissensbestände vor einer Imitation oder Substitution durch die Konkurrenz bewahren. Dazu lassen sich u.a. die oben angesprochenen Maßnahmen zum Verhindern des Ausscheidens - hier primär aufgrund einer Abwerbung - von Mitarbeitern nutzen. An dieser Stelle werden beim Wissensmanagement auftretende Zielkonflikte offensichtlich. So wirken die Vorschläge einer Explizierung zur Sicherung des Wissens einem Imitationsschutz gerade entgegen. Auch Kooperationen, z.B. im Zuge des Supply Chain Managements, fördern zwar die Wissensentwicklung und -teilung, verringern gleichzeitig aber auch die Exklusivität der Wissensbestände.

4

Lernprozesse in der Logistik

4.1

Logistische Handlungstheorien als Basis des Lernens

Will man sich gezielt mit logistischen Lernvorgängen und deren Förderung auseinandersetzen, kann man auf Lerntheorien zurückgreifen, d.h. auf „ ... Versuche, die Kenntnisse über das Lernen zu systematisieren und zusammenzufassen" 61. Im Laufe der Entwicklungsgeschichte der modernen psychologischen Lernforschung haben sich drei zentrale, im Folgenden in der Reihenfolge ihres Entstehens aufgeführte Richtungen von Lerntheorien herausgebildet. 62 Die behavioristischen Theorien schließen vom Verhalten auf Lernprozesse und bilden diese als Reiz-Reaktions-Modelle ab: ein Umweltereignis als Reiz trifft auf ein Individuum, wird von diesem in irgendeiner Weise verarbeitet und löst in Abhän-

60

Vgl. Probst, G.; Raub, S.; Romhardl, K. (1999), S. 301 ff.

61

Lefrancois, G.R. (1994), S. 8.

62

Vgl. zu den nachfolgenden Ausführungen Edelmann, W. (1994), S. 8ff. sowie zu tiefergehenden Erläuterungen einzelner Lerntheorien Lefrancois, G.R. (1994), S. 15 ff.; Gasser, P. (2000), S. 25 ff.

Wissensmanagement in der Logistik

97

gigkeit von spezifischen Bedingungen oder erwarteten Konsequenzen eine bestimmte Reaktion in Form einer Verhaltensweise aus. Der Mensch übt hier lediglich eine passive Rolle aus. Demgegenüber beschäftigt sich die kognitive Lerntheorie mit Prozessen der Wahrnehmung und Vorstellung, des Denkens und Urteilens, durch die der Mensch Kenntnis von seiner Umwelt erlangt und Wissen erwirbt: Lernen wird als ein aktiver Prozess der Informationsaufnahme und -Verarbeitung verstanden, dessen Ergebnis interne, kognitive Strukturen sind. Eine spezifische sozial-kognitive Lerntheorie stellt die Theorie des Modell- oder Beobachtungslernens dar. Ein Modelllernen ist ein Vorgang, „bei dem Reizmaterial von Personen (= Modelle) einem Beobachter dargeboten wird, der durch die Beobachtung der Handlung eines anderen sein eigenes Verhalten verändert, wenn er mit einer ähnlichen Situation wie der des Modells konfrontiert wird." 6 3 Bei dieser Form des Lernens regt also eine Person oder - abweichend von der obigen Definition - ein anderes reales oder symbolisches Modell im Sinne eines Vorbildes Verhaltensmuster an, indem es in bestimmten Situationen spezielle Verhaltensweisen einschließlich ihrer positiven und negativen Konsequenzen aufzeigt. Zwischen dieser Anregung und der späteren Ausführung durch den Beobachter liegen allerdings kognitive Verarbeitungsprozesse, die das letztendliche Verhalten beeinflussen können. Wird das modellierte Verhaltensmuster durch einen positiven Reiz verstärkt, wird es in vergleichbaren Situationen imitiert. 64 Die Theorie des Modelllernens kann als Vorläufer handlungsorientierter Lerntheorien angesehen werden. Dies sind spezielle kognitive Theorien, die sich besonders mit der Beziehung zwischen Kognition und Handlung auseinandersetzen. Lernen kann in diesem Zusammenhang - ausgehend von einer konstruktivistischen Perspektive - als ein aktiver, selbstgesteuerter, situativer und sozialer Prozess verstanden werden, bei dem eine Erweiterung und Differenzierung der Erkenntnis-, Urteils- und Handlungsmöglichkeiten erfolgt. Ein entsprechendes Lernen basiert demgemäß auf dem Handeln; erfolgt das Handeln primär mit Blick auf die Ausbildung von Fähigkeiten sowie die Verbesserung kognitiver Strukturen, dann wird es zum „Lernhandeln". 65 Lerntheorien wurden ursprünglich bezogen auf Individuen entwickelt, werden jedoch auch als Basis für die Erklärung und Gestaltung organisationaler Lernprozesse genutzt. 66 Im Folgenden soll primär auf die handlungsorientierte Richtung der Lerntheorien und deren logistische Ausprägung eingegangen werden, da Lernen zur Aneignung logistischen Wissens in erster Linie in Verbindung mit Handlungen stattfindet und diese Theorien auch zur Differenzierung verschiedener Formen bewussten Lernens sowie darüber zur Erklärung und Gestaltung organisationalen Lernens herangezogen werden. Außerdem wird ihnen speziell für die Logistik ein maßgeblicher 63

Stachle, W.H. (1999), S. 217.

64

Die entsprechende Theorie wurde vor allem von W.H. (1999), S. 218.

65

Vgl. Härtung, S. (2000), S.33ff.; Bloech, J. u.a. (1996), S.8ff.; Edelmann, W. (1994). S. 10 und S. 316ff. sowie zu einem Werk, das die Diskussion über handlungsorientiertes Lernen entscheidend prägte, Aebli, H. (1980) und zum Begriff des „Lernhandelns" Achtenhagen. F. u.a. (1992), S. 79 ff.; Bloech, J. u.a. ( 1996), S. lOf.

66

BANDURA

geprägt. Vgl. Bandura, Α. (1976); Stachle,

Vgl. Delfmann, W. (1995), S. 147ff.; Gnirke, K. (1998), S. 253; Kim, D.H. (1993), S. 42.

Barbara Mikus

98

Einfluss auf Handlungsroutinen, Transfereigenschaften sowie Entwicklungsprozesse zugeschrieben. 67 Eine Grundlage des in Verbindung mit Handeln erfolgenden Lernens stellen Handlungstheorien dar. Dies sind Theorien, die Wissen zusammenfügen und verfügbar halten und an denen sowohl Individuen als auch Organisationen ihr Handeln ausrichten. Sie enthalten Hypothesen und Erfahrungen über Ursache-Wirkungs-Beziehungen sowie handlungsleitendes Wissen über die Umwelt, die eigene Situation sowie Ziele und Strategien. 68 Für das organisational Lernen ist die Unterscheidung zwischen expliziten (oder offiziellen) und impliziten (bzw. verwendeten) Theorien relevant. Explizite Handlungstheorien werden nach außen vertreten und eventuell vorgeschrieben, sie bilden einen Rahmen, an dem die Organisationsmitglieder ihr Handeln offiziell ausrichten. Implizite Theorien hingegen enthalten die tatsächlichen Werte, Normen und Erfahrungen, die das Handeln bestimmen. Explizite und implizite Theorien sollten möglichst identisch sein; Abweichungen zwischen ihnen lösen organisationale Lernprozesse aus, wie sie im nächsten Abschnitt beschrieben werden. 69 Logistische Handlungstheorien sind - zumindest unter dieser Bezeichnung - nur selten thematisiert worden; Ausnahmen bilden D K L K M A N N und S C H W E C L E R . Während erstgenannter die „Fluß- bzw. prozeßorientierte Perspektive der integrierten Gestaltung und Steuerung schnittstellenübergreifender Wertschöpfungssysteme", die „Durchgängigkeit der Prozeßsteuerung" sowie die „Serviceorientierung im Sinne der „Chain of Customers"" und einige weitere Aspekte als Merkmale der logistischen Handlungstheorie ansieht und damit primär auf die Elemente der Logistikphilosophie rekurriert, weist letztgenannter daraufhin, dass mehrere mögliche Erscheinungsformen logistischer Handlungstheorien existieren, die sich hinsichtlich der zugrunde liegenden Logistikkonzeption unterscheiden können. 70 Diese Merkmale der Logistikphilosophie bzw. von Logistikkonzeptionen werden sich in den offiziellen logistischen Handlungstheorien widerspiegeln, die Unternehmen formulieren. Generell finden explizite Handlungstheorien ihren Ausdruck in Leitbildern, Führungsgrundsätzen, Zielen, Strategien und auch der Kultur und Struktur von Unternehmen. 71 Auf die Logistik übertragen bedeutet dies, dass sie u.a. im logistischen Leitbild, in den logistischen Zielen und Logistikstrategien artikuliert sein können. Implizite logistische Handlungstheorien hingegen umfassen die realen Erfahrungshintergründe und Motive des Handelns in der Logistik.

67

Vgl. dazu Schweglcr, G. (1995). S. 216 u. S. 219; Dell mann, W. (1995), S. 148 ff.

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* 10 = Bestnote

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Liefertreue Lieferuntreue

Quelle: NCBS 2001

Abb. 1: Einfluss Liefertreue auf Händlerbeurteilung 10 Als strategisches Ziel zur Reduzierung der Auftragsdurchlaufzeit hat Volkswagen das „10-Tage-Auto" definiert, was heißen soll, dass ein über den normalen Prozess 10

A u s w e r t u n g von Informationen aus einer Befragung von Neuwagenkäufern i m A u f t r a g der deutschen A u t o m o b i l i n d u s t r i e ( N C B S - N c w C a r B u y e r S t u d y , 2001 ).

143

Einführung von Konzernstandards in Prozessen und Systemen

beim Händler bestelltes Fahrzeug den Kunden innerhalb von zwei Wochen im Nahbereich des produzierenden Werkes (Radius von ca. 200 km) erreichen soll. Die marktorientierte Fertigung als Konsequenz der Forderung nach Reduzierung der Auftragsdurchlaufzeit, bei Volkswagen auch als „atmende Fabrik" bezeichnet, basiert auf der Abkehr von der Strategie, Fahrzeuge in den Markt zu drücken („PushPrinzip"). Die Fertigung von Fahrzeugen soll sich allein am Marktbedarf orientieren. Die Produktionsstätten „atmen" über die Arbeitszeit von drei bis sechs Tagen pro Woche. Arbeitsfreie Zeiten, wie der bis 1995 übliche dreiwöchige Werksurlaub in derZeit der Sommerferien gehören bei Volkswagen seitdem der Vergangenheit an.

KUNDENZUFRIEDENHEIT

IN ABHÄNGIGKEIT

VON

-> LIEFERTREUE -> LIEFERZEIT

Abb. 2: Einflussgrößen auf die Kundenzufriedenheit 11 Dr. PETER H A R T Z , seit 1993 Arbeitsdirektor und Konzernvorstand der Volkswagen AG, orientiert sich kompromisslos am Markt und am Kunden: „Erfolgreiche Unternehmen werden von Menschen und Märkten her geführt. Sehr gute Unternehmen wissen beides zu verbinden: Begeisterung der Mitarbeiter für den Kunden und dadurch Begeisterung der Kunden für das Unternehmen. Spitzenunternehmen können auch noch in der Geschwindigkeit mit dem Wandel der Kundenanforderungen und der Marktentwicklung mitgehen. Sie stellen alle Prozesse und Ressourcen auf das Atmen ein: vom Innovationszyklus bis zur Liefergeschwindigkeit.... Kein Kunde - kein Markt bringt diese Unternehmen außer Atem. " 12

11

12

Auswertung der Ergebnisse einer Befragung von Neuwagenkäufern im Auftrage der deutschen Automobilindustrie (NCBS - NewCarBuyerStudy, 1997). Hartz, 1996, S. 32.

144

Lothar Herold

2

Entscheidung zur Einführung der K-to-K-Prozesse und K-to-K-Systeme in Südamerika und Zielvorgabe

2.1

Rahmenbedingungen

Von der Volkswagen Südamerika, d.h. der Volkswagen do Brasil mit Sitz in Sao Paulo (Sao Bernado do Campo) und der Volkswagen Argentina mit Sitz in Buenos Aires (Pacheco), wurden zur Zeit der Realisierung des Projektes jährlich ca. 600.000 Fahrzeuge an fünf Standorten, davon vier in Brasilien, produziert. Davon wurden ca. 75% national vertrieben. Die restlichen 150.000 Fahrzeuge wurden schwerpunktmäßig nach Mexiko, Nord- und Südamerika exportiert. Die Fahrzeugimporte waren auf Grund der Importzölle (ca. 30%) in Brasilien ohne große Bedeutung. Die in Südamerika produzierten Fahrzeuge waren fast ausschließlich Eigenentwicklungen bzw. veraltete Vorgängermodelle aus der VW AG. Die VW do Brasil war trotz dieses Sachverhalts Marktführer in Brasilien mit einem Marktanteil von deutlich mehr als 30%, allerdings mit abnehmender Tendenz. Dieser Sachverhalt war darauf zurückzuführen, dass immer mehr Automobilhersteller Produktionsstandorte in Brasilien schufen und dort mit einer modernen Modellstruktur aufwarteten. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass Volkswagen mit seinem LKW- und OmnibusWerk in Resende, nahe Rio de Janeiro, dicht hinter dem Marktführer Mercedes rangierte. Im Zusammenhang mit der Realisierung der Plattformstrategie und unter Berücksichtigung der aufgrund der veralteten Modelle schwächer werdenden Marklposition, wurde für Südamerika die Fertigung des Golf A4, AUDI A3 ab 1999 und des PoloNachfolgers ab 2002 entschieden. Damit galt es, ein zusätzliches Problem im Zusammenhang mit der Modellbeschreibung (technisch und marktorientiert) der Fahrzeuge zu lösen: Die in Mitteleuropa produzierten und vertriebenen Fahrzeuge waren in einer Baukastensystematik beschrieben, die es dem Kunden ermöglicht, sein gewünschtes Fahrzeug in Modulen zusammenzustellen. Diese Notwendigkeit bestand für den südamerikanischen Markt nicht, da es keine individuellen Kundenbestellungen gab. Selbst die Händler hatten kaum die Möglichkeit Fahrzeuge entsprechend dem von ihnen prognostizierten Marktbedarf zu bestellen. Nach dem klassischen „Push-Prinzip 44 wurde produziert und in den Markt geschoben. Die zu Ausstattungspaketen geschnürten Fahrzeuge waren von so geringer Komplexität, dass sie bis ins letzte Detail ohne die Verwendung einer Baugruppensystematik beschrieben werden konnten. So galt es, mit einer veränderten modularen Fahrzeugbeschreibung gewissermaßen „zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen44. Zum einen war zu überlegen, ob die Möglichkeit einer individuellen Fahrzeugbestellung nicht einen Wettbewerbsvorteil mit sich bringen könnte, zum anderen war die alte Form der Modellbeschreibung nicht für die zu produzierenden Konzernmodelle inklusive der Vertriebsprozesse bei zu exportierenden Fahrzeuge geeignet. Spätestens damit ergab sich die zwingende Notwendigkeit, die Region Südamerika in die Konzern-Systematik „vom Kunden bis zum Kunden44 einzubinden.

Einführung von Konzernstandards in Prozessen und Systemen 2.2

145

Entscheidung zur Einführung und Zielvorgabe

Unter Einbindung der Volkswagen Konzern-Logistik als Gesamtkoordinator des Konzernprojektes „K to Κ " wurde im April 1998 die Einführung der „K to K"-Konzern-Prozesse und -Systeme vom Vorstand der Volkswagen Südamerika entschieden. Zielsetzung sollte es sein, im Zeitraum von drei Jahren (1999-2001) • die Voraussetzungen in Prozessen und Systemen für die Umsetzung der Plattformstrategie zu schaffen, • die Einbindung von Südamerika in den konzernweiten Lieferverbund zu ermöglichen, • über eine modulare Fahrz.eugbeschreibung die Voraussetzungen für Kunden- und Händlerbestellungen („built to order 44, „oferta livre" 1 3 , „carro sob medida" 14 ) und • die Voraussetzungen für die Steigerung der Kundenzufriedenheit durch ο Verbesserung der Liefertreue, ο Reduzierung der Auftragsdurchlaufzeit sowie ο marktorientierte Fertigung zu schaffen.

3

Systematik des Vorgehens in Planung und Realisierung

3.1

Zwölf Anregungen für einen „Standard zur Einführung eines Standards"

Die Einführung der Konzern-Prozesse und -Systeme bei Volkswagen in Südamerika wurde im Jahre 2002 erfolgreich abgeschlossen. Im Zuge der Globalisierung werden weltweit operierende Unternehmen heute und in Zukunft sicher häufig vor einer gleichartigen Problemstellung stehen. Daher bietet es sich an, über einen „Standard für die Einführung von Standards" nachzudenken. Die überaus positiven Erfahrung in Südamerika haben den Autor veranlasst, zumindest Anregungen dafür zu geben. In zwölf, dem chronologischen Vorgehen im Projekt von der Planung bis zur Umsetzung, folgenden Thesen soll aufgezeigt werden, was zu tun und was besser zu lassen ist. Dabei ist es eigentlich selbstverständlich, dass die Spielregeln nicht starr und dogmatisch zu sehen sind. Unterschiedliche Rahmenbedingungen und die Dynamik der Prozesse erfordern flexible Reaktionen. Die Systematik des Vorgehens kann grob in die Abschnitte • Vorbereitendende Maßnahmen, • Realisierungsplan und Umsetzung sowie • Flankierende Maßnahmen und Konsolidierung strukturiert werden.

13

„oferta livre"(port.): Freies Angebot.

14

„carro sob medida"(port.): Maßgeschneidertes Auto.

Lothar Herold

146 3.2 3.2. /

Vorbereitende Maßnahmen Projektleiter

und -struktur

Nach der im April 1998 getroffenen Entscheidung zur „K to K"-Einführung in Südamerika galt es, zunächst einen Projektleiter zu bestimmen. Unabdingbare Voraussetzung war dabei, dass die dafür infrage kommende Führungskraft eine ausreichende Erfahrung in der einzuführenden Systematik besitzt. Der Leiter einer Markenlogistik war eine ideale Besetzung, da die Logistik die Koordinationsfunktion für den „K to K"-Prozess in den Marken des VW Konzerns hatte. Anregung 1 : Projektleiter und Einbindung in die Unternehmensstruktur • • • •

Die Einbindung des Projektes in die Unternehmensstruktur ist ein wesentlicher Indikator für seine Bedeutung. Der in den „K to K"-Prozessen erfahrene Projektleiter sollte direkt an einen „starken" Vorstand (Person und Hierarchie) berichten. Die Vorstände der wesentlichen Funktionen der Prozesskette (z.B. Produktion, Vertrieb, Entwicklung) sollten Mitglieder des Steuerkreises sein. Es sollte regelmäßig (monatlich) im Vorstand über den Projektfortschritt berichtet werden.

Die frühzeitige Auswahl des Projektleiters ist auch insofern von Bedeutung, als dass der Projektverantwortliche Einfluss auf die Projektstruktur, die Einbindung des Projektes in die Unternehmensstruktur und die Besetzung der Projektstellen haben sollte. Dabei ist die Einbindung des Projektes bereits ein wesentlicher Indikator für den Stellenwert, den das Unternehmen dieser Aufgabe zuordnet. In diesem Falle war der Projektleiter direkt dem Vizepräsidenten der VW do Brasil zugeordnet, so dass Entscheidungen, die Einfluss auf die Geschäftsbereiche entlang der Prozesskette hatten, leichter durchgesetzt werden konnten {Abbildung 3). 3.2.2 Einbeziehung der Betroffenen Jede Veränderung erzeugt in der Regel eine Abwehrhaltung der Betroffenen. Sie lässt sich leicht damit erklären, dass etwas Unbekanntes stets mit Risiken für das eigene Umfeld verbunden scheint. Um diese mit Veränderungen einhergehenden psychischen Barrieren im erträglichen Rahmen zu halten, gilt es, die Betroffenen von Anfang an in den Veränderungsprozess mit einzubeziehen. Es muss ihnen die Möglichkeit gegeben werden, Ziele, Strukturen und die Planung des Vorgehens mitzubestimmen. Ein Idealzustand ist erreicht, wenn der Wunsch zur Veränderung von den Betroffenen ausgeht. Mindestvoraussetzung ist jedoch, dass die neuen Prozesse (freiwillig) mitgetragen werden. Im Falle des hier betrachteten Projektes wurde im Mai 1998 ein „Kick-off-Meeting" mit allen beteiligten Bereichen des Konzerns und der VW Südamerika durchgeführt. Man lernte sich kennen, diskutierte die Ideen des Projektleiters und brachte eigene Vorschläge ein. Die anfängliche Skepsis war überwunden; alle waren integrierte Bestandteile des Projektes geworden.

Einführung von Konzernstandards in Prozessen und Systemen

147

•Organisation Projekt Vizepräsident VW do Brasil Steuerkreis: Leiter Vizepräsident, Vorstände Produktion, Vertrieb, Entwicklung: Bereich Organisation; Konzernmitglieder: Kon/ernloKistik. Kon/ernvertrieb; Projektleiter

Struktur

1 j

Joperativ für die Umsetzung verantwortliche J

Produktion

0

Vertrieb

Organisation

Projektleitung

1 J i

ProiektTeam Konzern/VW AG * 4 Mitarbeiter

V W do Brasil Ltda. VW Argentina S. A. * 6 Mitarbeiter

h

berichtet an ^ fachlich/disziplinarisch ^weisungs- ^ Zusammenunterstellt befugt • arbeit

Abb. 3: Projektorganisation „K to K"-Südamerika Im Verlaufe der Durchführung hat es sich als sehr nützlich erwiesen, permanent interne und externe Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Projektfortschritte wurden kommuniziert. Periodisch wurde über die wesentlichen Veränderungen in der Hauszeitung der VW do Brasil berichtet. So hieß es ganz am Anfang unter der Überschrift 2KK - Carros sob Medida' 5: „Na Alemanha e assim: ο diente escolhe um veiculo na cor ρ refe rida com todos os opcionais que deseja e ο recebe em ciuco semanas. Ο carro e produzido "sob medida ". No Brasil e na Argentina , a compra do automovel tambem sera fe ita de ssa maniera, com a impiantacelo do programma "Kunde to Kunde "... " / ó

Eine fundamentale Veränderung wurde hier angekündigt! In Brasilien und Argentinien sollte es, als Ergebnis des Projektes „K to Κ' 4 , wie schon heute in Deutschland, möglich sein, ein Auto mit allen vom Kunden gewünschten Optionen fünf Wochen nach der Bestellung ausgeliefert zu bekommen. „Ο objetivo e aumentar a inda mais a satisfacao do cliente , oferecendo nao apenas a melhor relacao c usto/beneficio , mas entre gando ο produco no menor prazo possivel. " / 7

15

2KK - carros sob medida, in: Journal da Volkswagen No. 80, janeiro 1999.

16

Übersetzung : In Deutschland wählt der Kunde ein Fahrzeug mit der Farbe und der Ausstattung, die er präferiert, und er erhält es in fünf Wochen. Ein Fahrzeug nach Maß. In Brasilien und Argentinien werden wir nach der Implementierung der Kunde/Kunde-Prozesse das gleiche können...

17

Übersetzung: Kundcnzufriedenhcit soll in Zukunft nicht nur über ein gutes Prcis/Leistungsvcrhältnis erreicht werden, sondern darüber hinaus durch die Reduzierung der Lieferzeit bei gleichzeitiger Licfertreuc.

Lothar Herold

148

Anregung 2: Einbeziehung der Betroffenen • • • • • •

3.2.3

Alle Betroffenen sind von Anfang an, d. h. bereits in der Definitionsphase einzubeziehen. Sie müssen die Möglichkeit haben, Ziele, Struktur und Planung des Vorgehens mitzugestalten. Ideal ist ein von den Beteiligten ausgehender Wunsch zur Veränderung. Mindestvoraussetzung ist die Akzeptanz der Veränderungen. Der Kreis der Betroffenen darf nicht zu eng gezogen werden. In allen Projektphasen ist interne und externe „Öffentlichkeitsarbeit" zu leisten. Zusammensetzung

des Teams

Hier galt der Grundsatz der Orientierung an den Funktionen entlang der Prozesskette, aus denen die für Planung und Umsetzung verantwortliche Mannschaft rekrutiert wurde. Von entscheidender Bedeutung für den Erfolg des Projektes war das Prinzip der „Pärchenbildung". Jede Position im Team wurde durch je einen Spezialisten aus dem Konzern und aus Südamerika besetzt. Die Vorteile dieser Vorgehensweise liegen auf der Hand: • Die Vor- und Nachteile beider Prozesse können von den Fachleuten diskutiert werden. • Man spricht die gleiche (fachliche) Sprache. • Die Vertreter der „alten Richtung" fühlen sich integriert und ernst genommen. 3.2.4

A uswahl der M ita rbe iter

Junge dynamische Führungsnachwuchskräfte, „Global Player" oder „General Manager" sind von unbestreitbarer Bedeutung für jedes Unternehmen. Die Einführung von Konzern-Standards in Prozessen und Systemen setzt jedoch große Detailkenntnisse hinsichtlich der Funktionalität der einzelnen Prozesskettenabschnilte voraus. Hier sind also Fachleute mit fundierten Kenntnissen und langjähriger Erfahrung gefragt. Anregung 3: Zusammensetzung des Projektteams • • •

Die Struktur des Projektteams sollte sich an der Prozesskette orientieren. Dabei sollten Spezialisten der aktuellen und der neuen Systematik eng zusammenarbeiten („Pärchenbildung"). Diese Vorgehensweise ist unter anderem deshalb so effizient, weil man die gleiche (Fach-) Sprache spricht.

Hinzu kommen als überfachliche Voraussetzungen die Einfühlsamkeit in die mentalen Probleme der für die von der Veränderung Betroffenen sowie Kreativität und Flexibilität bei der Harmonisierung der Prozesse. Die Auswahl der Projektmitarbeiter ist mit äußerster Sorgfalt vorzunehmen, weil der Erfolg im wesentlichen eine Funktion der Qualität der Mannschaft ist. Problematisch ist dabei, dass Vorgesetzte sich un-

Einführung von Konzernstandards in Prozessen und Systemen

149

Pärchen-Bildung • Struktur M

Vorserie

- wie organisieren wir uns?

Entwicklung

Programm

Vertrieb

Prognose

Disposition

Logistik

Materialfluss

Distribution^·

Kinplanung

Prozesse und Systeme

I

f \

I

J\

m

Iwl

A »

Kunde

Produktion

Team-Mitglieder New Direction

America

|

bei Bedarf aus

I

Distribution wird durch Logistik abgedeckt

Zusätzliche Unterstützung aus den Fachbereichen

Abb. 4: Zusammensetzung des Projektteams gern von guten Mitarbeitern trennen. Die Fachbereiche müssen davon überzeugt werden, dass sie sich „ins eigene Fleisch schneiden", wenn die Multiplikation des Wissens um die neuen Prozesse von Mitarbeitern ohne die erforderliche Qualifikation vorgenommen werden muss. 3.2.5

Analyse des Ist-Prozesses

Noch vor dem offiziellen Projektstart wurde vom bereits definierten Projektteam eine Ist-Analyse der „ K to K"-Prozesse in Südamerika vorgenommen. So konnte das Ergebnis bereits bei der Erstellung des Projektplans berücksichtigt werden. Wichtig war, dass die betroffenen Bereiche von Anfang an in die Ist-Aufnahme und deren kritische Bewertung mit einbezogen wurden. Sie waren es, die den aktuellen Prozess aus guten Gründen über Jahre praktizierten. Viele Sachverhalte, die von Außenstehenden nicht verstanden oder kritisiert wurden, hatten eine plausible Erklärung, die allerdings nur den mit dem Prozess Betrauten zugänglich war. Anregung 4: Auswahl der Mitarbeiter Für die Einführung von Konzernstandards sind Fachleute mit fundierten Kenntnissen und langjähriger Erfahrung erforderlich. Überfachliche Voraussetzungen wie Einfühlsamkeit bei der Durchführung der Umstellung hinsichtlich der mentalen Probleme der Betroffenen sowie Kreativität und Flexibilität bei der Anpassung der Standards an die herrschenden Rahmenbedingung sind unabdingbar.

Lothar Herold

150

Der Projektleiter sollte unbedingt die Analyse begleiten, da er selbst für die weitere Planung wichtige Erkenntnisse gewinnen wird. Unternehmensberatungen sind nur bedingt einsetzbar, da ihre Funktion in der Regel endet, wenn die eigentliche Problemphase eines Projektes, nämlich die Umsetzung, beginnt. Die eigentlich Betroffenen müssen bereits bei der Feststellung der aktuellen Situation daran denken, dass sie es sind, die mit den Konsequenzen einer Veränderung leben müssen. Anregung 5: Analyse des Ist-Prozesses • • • • 3.2.6

Unabdingbare Voraussetzung für Planung und Umstellung ist die Analyse des aktuellen Prozesses und der gegebenen Rahmenbedingungen. Die Analyse sollte noch vor dem Projektstart erfolgen, um das Ergebnis bei Erstellung des Projektplans zu berücksichtigen. Die betroffenen Bereiche müssen zwingend an der Analyse beteiligt sein, um sie „dabei sein44 zu lassen. Ideal ist es, wenn die Analyse bereits vom Projektteam durchgeführt wird. Kritische

Bewertung der aktuellen

Situation

Die Analyse der in Südamerika praktizierten Prozesse wurde im Oktober 1998, also noch vor Projektstart durch das Projektteam, Spezialisten aus Konzern-Logistik, -Vertrieb und -Systemanalyse unter Beteiligung der betroffenen Fachbereiche durchgeführt. Der mit drei Wochen eng gesteckte Zeitrahmen war ausreichend, um die Unterschiede zum Konzern-Prozess klar herauszuarbeiten, ohne sich in Details zu verlieren. Das Ergebnis lässt sich wie folgt stichwortartig zusammenfassen: • Kunde, Markt, Vertrieb ο Fahrzeugbeschreibung • Keine modulare Struktur • Fixe Ausstattungspakete ohne Kombinationsmöglichkeiten ο Händler bestellen kaum, Kunden gar nicht • Produktionsvolumen wird über Quoten an Händler verteilt • Kunden kaufen aus Lagerbestand des Händlers was ihren Wünschen am nächsten kommt ο Absatzprognose und Vertriebsprogrammplanung (Volumen und Mix) werden vom Vertrieb mit nur geringer Beteiligung des Handels vorgenommen, ο Die Fahrzeugaufträge zur Bildung des wöchentlichen Produktionsprogramms werden nur einmal monatlich verarbeitet. • Logistik und Produktion ο Vor Verabschiedung eines Produktionsprogramms erfolgt kein systematischer Abgleich der Bedarfe und Kapazitäten, ο VW Südamerika war nicht seiner Bedeutung entsprechend in den Programmplanungsgremien des Konzerns vertreten, ο Prognostizierte Produktionsverluste wurden als Zusatzmengen im Produktionsprogramm eingeplant. Folge: Bei richtiger Prognose: Materialüberbestände Bei Programmeinhaltung: Fahrzeugüberbestände

Einführung von Konzernstandards in Prozessen und Systemen

151

Produktionsrückstände wurden monatlich eliminiert und nicht kumulativ mitgeführt. Folgen: Keine Transparenz der echten Produktionssituation und Materialüberbestände, die erst mit dem nächsten Produktionsprogramm ausgeglichen werden, ο Keine Verfolgung einzelner Fahrzeuge in der Prozesskette, ο Häufige Veränderungen des Produktionsprogramms innerhalb der „frozen period". Folgen: Fehlteile und Überbestände, da die „frozen period" ja gerade die Reaktionszeit für die Teilebeschaffung definiert. Erstellung der Wochenprogramme der Produktion durch Gleichverteilung des monatlichen Vertriebsbedarfs. ο

Das Ergebnis der Analyse zeigte, dass hinsichtlich der Zielsetzung des Projektes (s. Abschnitt 2.2) folgende Schwachpunkte des aktuellen Prozesses zu eliminieren waren: • Produktion und Vertrieb waren stark volumenorientiert. • Das Vertriebsprogramm wurde ohne Beteiligung der Händler geplant. • Produktionsprogramme wurden ohne systematischen Bedarfs- und Kapazitätsabgleich geplant und innerhalb der „frozen period" verändert. • Die Systematik der Fahrzeugbeschreibung ließ keine frei wählbaren Optionen zu. • Keine erkennbare Händler- oder Kundenorientierung. • Keine mit den Systemen des Konzerns kompatible Systemlandschaft. • Keine Voraussetzungen zur Verfolgung der „K to K"-Ziele des Konzerns (Liefertreue, Durchlaufzeitreduzierung). Anregung 6: Schwachstellenanalyse hinsichtlich der Projektziele • • •

3.2.7

Herausarbeiten der Schwachstellen der aktuellen Prozesse und Systeme Welche Schwachstellen müssen zur Zielerreichung des Projektes eliminiert werden? Welche Mentalitätsveränderungen müssen mit der Prozessveränderung einhergehen? Diskussion und Definition

des Soll-Prozesses

Unmittelbar nach der vom Analyseteam gemeinsam mit den südamerikanischen Fachbereichen vorgenommenen „Beurteilung der Lage" wurde vom gleichen Gremium der „K to K"-Prozess Südamerika für die Zukunft diskutiert und definiert. Aus den bereits diskutierten Notwendigkeiten heraus (Plattformstrategie, „K to K"-Ziele des Konzerns) konnte die Grundlage dafür natürlich nur der Konzern-Standard in Prozessen und Systemen sein. Standards sind allerdings niemals so perfekt und mit den herrschenden Rahmenbedingungen verträglich, dass sie „1:1" übernommen werden könnten. Vor allen Dingen sollte augenscheinlich Besseres nicht nur erhalten bleiben, sondern als Anregung für Weiterentwicklung des Standards verwendet werden. Hinzu kommt, dass man damit auch leicht die „Herzen" der Betroffenen gewinnt, denen es dann sicher leichter fällt, die Veränderungen mitzutragen, wenn auf diese Weise eine Wertschätzung ih-

152

Lothar Herold

rer Arbeit erfolgt. Das Ergebnis der Diskussion eines „K to K"-Standards Südamerika kann Abbildung 5 entnommen werden. Mit Ausnahme der Systematik der Händlerbestellungen und der Materialdisposition und der zeitlichen Abläufe in der Produktionsprogrammplanung wurde im wesentlichen der Konzernstandard übernommen. Anregung 7: Diskussion und Definition des Soll-Prozesses • • •

Konzern-Standards sind nie perfekt und den aktuellen Rahmenbedingungen so angepasst, als dass sie „1 :1" übernommen werden könnten. Besseres sollte nicht nur erhalten bleiben, sondern auf Einbringung in den Konzern-Standard überprüft werden. Mit dieser Vorgehensweise gewinnt man die „Herzen" der Betroffenen.

3.3

Realisierungsplan und Umsetzung

3.3. J

Pilotprojekte

Die Einführung der Konzern-Standards wurde durch je ein Pilotprojekt bei der VW do Brasil sowie der VW Argentina gewissermaßen „verprobt". Auf Basis der dabei gesammelten Erfahrungen wurden dann alle PKW-Fahrzeugklassen und daran anschließend die im Werk Resende produzierten LKW und Busse umgestellt. Pilotvorhaben kann man nun ganz unterschiedlich angehen. Eine denkbare Vorgehensweise ist es, den „Stier bei den Hörnern zu fassen" und sich den schwierigsten aller Fälle herauszusuchen, um gewissermaßen alle nur denkbaren Problemfelder abzudecken. Danach kann dann eigentlich nichts mehr schief gehen. Prozesse Volumen-Planung Mittelfrist-Planung Kapazitäten. Bedarf

Techn . Inform

Programmplanung Kunden -Aufträge

>

Bedarfsrechnung

Wochenprogramm

y

Prodi Produktion

> 5r

Distribution

Systeme

r

)

^ J

Ι Autträge 1 Woche

1

I I Aufträge H Tag

Material

— ; — '

II I Fahrzeug 1I I DatenIl Dispos [| Bank

IfΠ

Str

9

Fahrzeuge Sdes Meeting

Programmplanungs-

ausschuss

Proçyammvorstand

Bedarfs-, Kapazitäts - Management [ ^ j ^ J Konzern-Systeme

C

3 SAM-Systeme

Abb. 5: „K to K"-Standard Südamerika

I Progamms teuer ungp ausschuss

Einführung von Konzernstandards in Prozessen und Systemen

153

Diese Alternative ist allerdings stark risikobehaftet. Störungen in der Produktion oder im Vertriebsnetz sind dabei nicht auszuschliei$en. Das gerade galt es jedoch zu verhindern. Nachteilig bei der zweiten Alternative, der Auswahl einer Fahrzeugklasse mit geringer Komplexität, kann aber sein, dass nicht alle mit der Umsetzung verbundenen Probleme erkannt und gelöst werden. Nach Abwägung aller Vor- und Nachteile entschied man sich dann doch für den sicheren Weg, was sich im Verlaufe des Projektes als positiv und erfolgreich herausstellte. Unter Berücksichtigung dieses Sachverhalts wurde bei der VW do Brasil der sog. Typ 2, die dort heute noch produzierte Ur-Version des VW Transporters, ausgewählt. Das Pilot-Fahrzeug der VW Argentina war ein Modell aus der Polo-ClassicFamilie. Ziel der Pilotprojekte war es • die neue Systematik stufenweise umzusetzen und zu erproben, • die Risiken in Produktion, Logistik und Vertrieb zu minimieren, • die bei der Umsetzung zu schulenden Mitarbeiter als Multiplikatoren für den weiteren Umsetzungsprozess zu verwenden, • eine bessere Aufwandsabschätzung (Zeit, Kosten) für die gesamte Umstellung zu ermöglichen sowie • ein Projektmanagement zu etablieren, das dann in seiner Struktur auch auf die anderen Fahrzeugklassen zu übertragen war. Im Nachhinein hat sich die vorsichtige Variante als richtig erwiesen. Das Pilotprojekt der VW do Brasil konnte mit der kompletten Prozess- und Systemumstellung in der „Rekordzeit" von fünf Monaten abgeschlossen werden. Nach Start im Januar 1999 konnten sich die Vertreter der beteiligten Bereiche bereits im Mai stolz vor dem ersten in der neuen Systematik produzierten Fahrzeug präsentieren. Anregung 8: Pilotprojekte • • • •

Die Umstellung der Prozesse und Systeme sollte über ein Pilotprojekt eingeleitet werden. Ziel des Pilotprojektes ist es, die neue Systematik stufenweise zu „verproben", unter Minimierung des Risikos von Prozessstörungen. Das Pilotprojekt sollte so einfach wie möglich sein, dabei aber die wesentlichen Elemente aller umzustellenden Prozessabschnitte beinhalten. Die im Pilotprojekt ausgebildeten Mitarbeiter eignen sich hervorragend als Multiplikatoren für die nächsten Schritte.

3.3.2 Interne Projektorgcinisation Da die einzelnen Fahrzeugklassen speziell in der Produktion auf unterschiedlichen Linien und von unterschiedlichen Mannschaften gefahren wurden, lag es nahe, pro umzustellender Fahrzeugklasse ein spezielles internes Projektmanagement zu definieren. Die Projektgruppen wurden streng hierarchisch strukturiert, da es hier nicht galt, im „Brainstorming" Alternativen zu diskutieren, sondern die Umsetzung so effizient wie möglich zu betreiben.

Lothar Herold

154

Die gewählte Projektmanagement-Struktur funktioniert wie folgt: • Die Projektgruppen sind prozessorientiert und werden durch den für den Abschnitt verantwortlichen Fachbereich geleitet. • Das Projektteam „K to Κ " stellt zu jeder Gruppe einen Spezialisten als „Paten". • Die Projektgruppenleiter bilden zusammen mit dem Team „K to Κ " das Projektmanagement, dessen Aufgabe es ist Schnittstellenprobleme zu lösen, ο in wöchentlichen Sitzungen den Projektfortschritt zu diskutieren und - Veränderungen in den Terminplänen abzustimmen. • Der Steuerkreis wird von den Prozessabschnittsverantwortlichen gebildet (z.B. Fertigungsleiter der Fahrzeugklasse etc.). Er dient ο der Lösung von innerhalb des Projektmanagements nicht lösbaren Konflikten sowie ο 3.3.3

der Information des Top-Managements über den Projektfortschritt. Umstellungsstrategie

und Realisierung

In der ersten Phase der Umstellung galt es, in der Fahrzeugbeschreibung die starren, bis ins letzte Detail festgelegten Ausstattungspakete durch eine flexible Baukastensystematik zu ersetzen. Nach der Umsetzung in eine Angebotsstruktur war es dann Händlern und Kunden möglich, „carros sob medida" (Fahrzeuge nach Maß) zusammenzustellen. Im ersten Ansatz wurden nur Baukastenkombinationen zugelassen, die den zuvor angebotenen ModelIstrukturen entsprachen. Später wurden dann nach und nach Erweiterungen entsprechend dem Marktbedarf definiert. In der Produktion mussten danach die in die neue Sprache der Fahrzeugbeschreibung übersetzten Produkte auf Baubarkeit überprüft werden. Dazu mussten mehr als 20.000 Mitarbeiter aller betroffenen Fertigungsbereiche in der neuen Systematik geschult werden. Erschwerend kam hinzu, dass eine auch in der Struktur völlig veränderte Montageanweisung konzipiert werden musste. Bis dato konnten die wenigen Kombinationsmöglichkeiten in Listenform dargestellt und abgearbeitet werden. Die deutlich höhere Komplexität der möglichen Baukastenkombinationen machte es erforderlich, eine Monatageanweisung in Form einer Matrix abzuarbeiten, die den Montagearbeiter vor die Aufgabe stellte, bestimmte Felder der Matrix als Arbeitsinhalte zu erkennen und abzuarbeiten. Hier machte es sich bezahlt, dass die in den Pilotprojekten ausgebildeten und bereits den neuen Prozess praktizierenden Mitarbeiter als Multiplikatoren wirken konnten. Anregung 9: Projektmanagement • •

Ein hierarchisches Projektmanagement scheint auf Grund der implizierten „Ordnung" der effizienteste Weg zum Ziel zu sein. Die Projektgruppen sind prozessorientiert und werden durch den prozessverantwortlichen Fachbereich geleitet. Das Projektteam „K to Κ 4 ' begleitet jede Gruppe mit einem Spezialisten als „Paten".

Einführung von Konzernstandards in Prozessen und Systemen •



155

Die Projektgruppenleiter bilden zusammen mit dem Projektteam „K to Κ " das Projektmanagement, dessen Hauptaufgabe es ist, die Schnittstellen zwischen den Projektgruppen zu eliminieren. Der Steuerkreis dient zur Lösung von innerhalb des Projektes nicht lösbaren Konflikten. Er informiert das Top-Management über den Projektfortschritt. Er wird durch die Verantwortlichen für die Prozessabschnitte gebildet.

Bereits vor Realisierung der Pilotprojekte wurde intensiv das strategische Vorgehen für die Umstellung diskutiert und dann entschieden. Dabei mussten folgende Problemfelder abgearbeitet werden: • Umstellung einer Fahrzeugklasse in einem Schritt („big bang") oder in Stufen über eine wohldefinierte An- und Auslaufkurve. • Sollten alle im Einsatz befindlichen Baukombinationen (ca. 106 pro Fahrzeugklasse nach der neuen Systematik!) von Anfang an eingeplant werden? • Ist es möglich und wünschenswert, die alten und neuen Prozesse und Systeme temporär parallel zu fahren? • Sollen und können die Prozesse der Produktion und der Teilebeschaffung entkoppelt werden? • Welcher Zeitraum muss für die Umstellung (Phase mit „Doppelarbeit") vorgesehen werden? Die Synchronisierung der Prozesse der Teilebeschaffung und der Programmplanung und Produktionssteuerung stellte für die Phase der Umstellung das größte Problem dar. Mit der Einplanung der Aufträge in das wöchentliche Produktionsprogramm wird über Stücklistenauflösung die Bedarfsrechnung angestoßen und durch das Hinzufügen der Dispositionsparameter die Liefereinteilung für den Teilebedarf (Kauf- und Herstellteile) erstellt. Die Umstellung der Teileschiene war dabei sehr viel zeitaufwendiger als die Einführung der Konzern-Systematik der Programmplanung. Das Problem wurde gelöst, indem zwei gleiche Produktionsprogramme nach alter und neuer Systematik erstellt wurden. Der neue Prozess wurde für die Programmplanung und Produktionssteuerung verwendet, während nach alter Stückliste das tupfengleiche Programm in eine Liefereinteilung umgesetzt wurde.

3.4

Flankierende Maßnahmen und Konsolidierung

3.4.1 Flankierende Maßnahmen und interne Konsolidierung Abbildung 6 veranschaulicht noch einmal die Aufgabenblöcke des Projektes. Im Fokus aller Bestrebungen steht die Steigerung der Kundenzufriedenheit, die über „Fahrzeuge nach Maß", eine reduzierte Auftragsdurchlauf zeit bei gleichzeitiger Verbesserung der Liefertreue zu erreichen ist (Block II.). Die Voraussetzungen dafür werden im Aufgabenblock I über die Einführung der Konzemproz.esse und -Systeme geschaffen, die gleichzeitig zur Verbundfähigkeit der VW Südamerika führen.

Lothar Herold

156

Aufgabenblöcke Start

(Projekt Κ to Κ Nova Direçâo América do Sul)

Ende ι = £ > j

Flankierende Maßnahmen "'·

ζ.Β - Prozessorientierte Zusammenarbeit - Konzertierte Programmplanung



II.

$

j



Verbesserung der Liefertreue / Reduzierung Auftragsdurchlaufzeit

:

Κ to Κ SAM "operativ"

— Voraussetzung

Neues

I

Konzern : Modell

Einführung Konzernprozesse und -Systeme Κ to Κ 1999

2000

2001

2002

Abb. 6: Die Aufgabenblöcke des Projektes Die rein technische Einbindung einer Region kann allerdings nur dann Früchte tragen, wenn sie mit flankierenden Maßnahmen einhergeht, die in einer Mentalitätsveränderung aller am Prozess Beteiligten münden. Wenn ein Produktionschef nur an der Produktivität gemessen wird und sein Vertriebskollege seinen Jahresbonus abhängig von der abgesetzten Stückzahl erhält, reicht es nicht aus, Prozesse und Systeme zu implementieren, die eigentlich eine kundenorientierte Maßanfertigung eines jeden Fahrzeugs voraussetzen. Unter diesen Voraussetzungen wird niemand daran denken, Liefertreue als Unternehmensziel Nr. I zu praktizieren. Unabdingbare Voraussetzung für die Zielerreichung ist darum ein adäquater Platz der „K to K"-Ziele in der Zielhierarchie eines Unternehmens. Ein Optimierungsmodell Max Kundenzufriedenheit =f( Liefert reue, Dur chi auf zeit) unter vorgegebenen Grenzen für Produktivität, Kosten, Marktanteilen etc. könnte dem Sachverhalt Rechnung tragen. Anregung IO: Umstellungsstrategie und Realisierung • •

• • •

Die Umstellung sollte zur Risikominimierung über eine An- und Auslaufkurve erfolgen. Alle möglichen Baukombinationen sollten an einem durch Experten der Fertigung und der Technischen Entwicklung begleiteten Fahrzeug in der Montage erprobt werden. Alte und neue Systeme werden solange parallel gefahren, bis über einen repräsentativen Zeitraum die neue Systematik störungsfrei funktioniert. Fahrzeug- und Teilesysteme werden entkoppelt, so dass die Teileverfügbarkeit unabhängig von der Umstellung der Fahrzeugschiene abgesichert werden kann. Eine so organisierte Umstellung erfordert einen Zeitraum von 3-6 Monaten.

Einführung von Konzernstandards in Prozessen und Systemen

157

Daneben war es erforderlich, den Gedanken der Prozessorientierung zu implementieren. Der Vertrieb war es gewohnt, den Marktbedarf ohne Einbindung der Händler und ohne Berücksichtigung der Kapazitäten der Produktion und der Logistik zu planen. Zielsetzung des Einkaufs war es, den preisgünstigsten Lieferanten auszuwählen. Kapazitäten und Qualität waren nachrangig. Die Binsenweisheit, dass das Optimum eines Prozesses nicht der Summe der Funklionsoptima entspricht, war sicher jedem bekannt. Eine Orientierung am Gesamtoptimum ist allerdings nur über die Definition einer prozessorientierten Unternehmenszielgröße zu erreichen. Die veränderten Rahmenbedingungen des neuen Prozesses beinhalteten einen Zwang z.ur Prozessorientierung'. • Jedem Fahrzeug war über eine im Prozess nicht veränderbare eineindeutige Auftragsnummer ein Kunde (Händler) zugeordnet, die es erlaubte, den Status des Auftrags jederzeit abzurufen. • Jeder Auftrag hatte einen Fertigstellungstermin, der einzuhalten war. • Über erkannte Terminverzögerungen auf Grund von Prozessstörungen musste intern und extern informiert werden. • Die Einbindung von Südamerika in den Produktionsverbund und die Konzernsystematik führte zu einer permanenten Transparenz der aktuellen Produktions- und Vertriebssituation. • Die Konzernprozesse beinhalteten einen vor Verabschiedung des Produktionsprogramms durchzuführenden Abgleich von Bedarf und Kapazitäten. Als flankierende Maßnahme zur internen Konsolidierung und zur prozessorientierten Zusammenarbeit der betroffenen Bereiche wurde die Institution eines „Büros vom Kunden bis zum Kunden" in zwei, je nach Aufgabenstellung unterschiedlichen Ausprägungen ins Leben gerufen. Die organisatorische Umsetzung dieser Forderung orientiert sich an folgenden Grundsätzen: • Grundlegende Idee Kundenorientierter Schulterschluss aller am Prozess der Programmplanung, Steuerung und Auftragsverfolgung Beteiligten. • Wie? Verbesserung der Kommunikation durch räumliche Zusammenfassung dieser Funktionen. • Vorteile ο Planung des Vertriebs- und Produktionsprogramms, Auftragssteuerung und -Verfolgung „in einer Hand'4. Zentrale für alle kundenrelevanten Informationen. • Wer steuert? Die Logistik als neutrale Querschnittsfunktion steuert den Gesamtprozess „vom Kunden bis zum Kunden'4. • Einbindung Die Mitarbeiter des „Büros Kunde/Kunde44 verbleiben disziplinarisch in ihren Bereichen.

Lothar Herold

158 Entsprechend den Aufgabenstellungen Konzertierte Programmplanung (zentral) Auftragssteuerung und Verfolgung (dezentral)

wurden ein zentrales „Büro Kunde/Kunde44 und mehrere werksbezogene „Büros Kunde/Kunde" eingerichtet, wie in Abbildung 7 dargestellt. Anregung 11 : Flankierende Maßnahmen •

Die technische Einbindung eines Unternehmens in den „K to Κ"- Konzernstandard trägt nur dann Früchte, wenn sie von Maßnahmen flankiert wird, die schließlich in einer Mentalitätsveränderung münden. Die Steigerung der Kundenzufriedenheit über eine Verbesserung der Liefertreue und die Reduzierung der Auftragsdurchlaufzeit muss den ihr gebührenden Platz in der Zielhierarchie des Unternehmens finden. Die Einrichtung eines „Büros Kunde/Kunde" zur konzertierten Programmplanung und Auftragsverfolgung ist eine wesentliche flankierende Maßnahme zur Zielerreichung.





Es verwundert sicher nicht, wenn angemerkt werden muss, dass die technischen Prozessveränderungen erheblich einfacher zu realisieren waren als die Veränderungen in der Mentalität.

mm

m

-

Programm Planung (Monat): Vertrieb/ Zentral-Logist

Λ \

/

Bestellannahme: Händler

Auftrags- ^ Λ einplanung, VWochenprogr.:

t

Vertneb/ Markenlogist

. /

Tagesprogrammplanung: Werk ^ (Werkloqistik)

ΛΪ

Fertigung: > A u s l i e f e r u n g ! Ubergabe \ Werk an Händler:: 1 an Kunden: 1 (Fertigung) ^ VWT A Händler #

i | É t ? V • B a g ' I V ·

Abb. 7: Zentrales „Büro Kunde/Kunde" und dezentrale „Büros Kunde/Kunde"

Einführung von Konzernstandards in Prozessen und Systemen 3.4.2

Externe

159

Konsolidierung

Der Prozess „vom Kunden bis zum Kunden" beginnt und endet außerhalb der „vier Wände" des eigenen Unternehmens. Daraus folgt, dass zumindest die Händler in den Veränderungsprozess einbezogen werden. Der Handel hat, mehr als der Hersteller, die Hand am Puls des Kunden. Aus seinen Erfahrungen können wertvolle Hinweise für das Vorgehen im Projekt gegeben werden. Im vorliegenden Fall war es relativ einfach, die Händlerschaft von der Notwendigkeit der Umstellung auf den neuen Prozess zu überzeugen. Resultierten doch daraus folgende gravierende Vorteile für die Händlerschaft: • Bestellung von Fahrzeugen „nach Maß" und nicht „von der Stange" wie bisher. • Direkteingabe der Fahrzeugbestellungen in das Auftragsverwaltungssystem von VW. • Online-Statusinformationen für jeden Auftrag im Prozess. • Reduzierung der Auftragsdurchlaufzeit von der Bestellung bis zur Fertigstellung von zehn auf drei Wochen. Aufgrund leidvoller Erfahrungen betrachteten die Händler das Angebot von Volkswagen zunächst mit einer gesunden Skepsis. Noch dazu, da auch sie einen Obolus zu entrichten hatten. In der Vergangenheit waren sie nicht verpflichtet, die bestellten oder in ihr Lager „geschobenen" Fahrzeuge auch tatsächlich abzunehmen. Der neue Prozess verpflichtete sie dagegen zu einem „pedido firme" 1 8 . So entstand ein „Geschäft auf Gegenseitigkeit": Volkswagen machte die Zusage, das vom Händler bestellte Fahrzeug exakt in der vorgegebenen Konfiguration innerhalb eines wohldefinierten Zeitintervalls auszuliefern; der Händler verpflichtete sich zur Abnahme, was in der Vergangenheit - auch wegen der Unzuverlässigkeit in Termin und Konfiguration - durchaus nicht immer üblich war. Im ersten Schritt wurde von Volkswagen zugesagt, dass 85 % der bestellten Fahrzeuge mit einer Verspätung von maximal zwei Wochen auf den zugesagten Liefertermin ausgeliefert werden. Mit dieser Art des Vorgehens konnte das Vertrauen der Händlerschaft gewonnen und gefestigt werden, wie aus einem Artikel der Zeitschrift der Vertragshändler hervorgeht. Unter der Überschrift „Papo firme" 1 9 wird dort das positive Echo der Händlerschaft wie folgt wiedergegeben: 'VI partir de maio ο sistema BASYS 20 estara disponivel para toda linha Volkswagen. Sera ο firn da imp rovi sacao empacotada e ο ink: io de um relacionamento come re ial mais trasparente entre a fab ricci e a rede... "

Neben der Information des Handels wurde der neue Prozess bei Volkswagen auch direkt über die Medien kommuniziert.

18

„pedido firmc'Xport.): Festauftrag.

19

„Papo firmc"(port.): Vcrsprechcn, in: Rede in noticias, Sao Paulo, 06/2001.

20

BASYS: Baugruppensystematik; Übersetzung (sinngemäß): Seit Mai können alle VW-Fahrzeuge über eine Baugruppensystematik bestellt werden. Das ist das linde der Improvisation mit Paketen und der Beginn transparenterer Geschäfte zwischen VW und Handel...

Lothar Herold

160 Anregung 12: Externe Konsolidierung • • • • •

Die Umstellung des Gesamtprozesses "vom Kunden bis zum Kunden" schließt per Definition die Motivation der Händler ein. Bereits vor Projektstart muss der Handel von der Bedeutung der Prozessveränderung überzeugt sein. Vom Handel sind wertvolle Hinweise zur Gestaltung des veränderten Prozesses zu erwarten. Die konkreten „K to K"-Ziele müssen zum Zwecke der Zielvereinbarung mit den Händlern abgestimmt werden. Zusagen sollten am Anfang restriktiv gehandhabt werden. Nichteingehaltene Zusagen wirken negativer als vermeintlich nicht ehrgeizige Ziele.

Unter der Überschrift Com que roupa war in einer der größten Tageszeitungen von Sao Paulo, dem Journal Diario do Grande ABC21 sinngemäß ins Deutsche übersetzt zu lesen: „ Volkswagen realisierte ein Programm, mit dem die Lieferzeit der Fahrzeuge um 70% reduziert wurde. In einem Projekt Κ to Κ wurde ein Prozess eingeführt, der jedes Fahrzeug von der Bestellung his zur Auslieferung an den Kunden verfolgt. Jetzt hat der Kunde die Möglichkeit, ein Fahrzeug nach seinen Wünschen zu spezifizieren. „Zum ersten Mal gibt es ein freies Angeboterklärt Lothar Herold, der für die Einführung des neuen Prozesses für alle Fabriken von Volkswagen in Südamerika verantwortliche Projektleiter. "

4

Neue Prozesse für neue Produkte - Fahrzeugbestellung per Internet

Bis Ende 2001 wurde die Umstellung aller Fahrzeugklassen in die Konzernsystematik erfolgreich abgeschlossen. Die „Büros Kunde/Kunde" funktionierten als flankierende Maßnahme zur Steigerung der Kunden- bzw. Händlerzufriedenheit. Als Nachweis dieser Aussage ist in Abbildung 8 die Entwicklung der Liefertreue 22 vom Projektbeginn 1999 bis zu seinem Abschluss im Jahre 2001 dargestellt. Im Mai 2002 sollte durch die VW do Brasil im Zuge der Produkterneuerung nach dem Golf und dem AUDI A3 mit dem POLO ein weiteres Konzernmodell in Südamerika auf den Markt kommen. Bei der Vorbereitung der Markteinführung wurde, angeregt durch das gerade erfolgreich abgeschlossene Projekt „K to Κ", die Idee geboren, die Chance der Markteinführung eines neuen Modells mit der Implementierung neuer Prozesse auf dem Wege zur weiteren Steigerung der Kundenzufriedenheit zu kreieren. Warum sollte der Kunde nicht die Möglichkeit erhalten, das „maßgeschneiderte Auto" in Ruhe zu Haus unter Einbeziehung der Familie per Internet zusammenzustellen? 21

Com quo roupa (port.): In welchcm Gewand, in: Journal Diario do ABC, 13.08.01.

22

Del'.: Anieil der wie geplant im Wochenfcnsicr fcrtiggcstelllcn Fahrzeuge.

161

Einführung von Konzernstandards in Prozessen und Systemen

Kundenorientierte Indikatoren

Vergleich 1999 - 2001

Entwicklung der Liefertreue für die Werke Anchieta, Taubate, Curitiba > Gesamt über alle Werke und alle produzierten Modelle

Jahresdurchschnitt

Entwicklung 2001

100

Modelljahreswechsel

Streik in den Werken Anchieta und Taubate

ol

— Semaηas

Κ to Κ Nova Direçâo

Abb. 8: Entwicklung kundenorientierter Indikatoren bei der VW do Brasil Das Projektteam „K to Κ " erhielt damit eine „Vertragsverlängerung" und sah sich vor eine neue Herausforderung gestellt. Von entscheidender Bedeutung für den Erfolg dieses neuen Prozesses war eine kurze Auftragsdurchlaufzeit. Der brasilianische Kunde war es gewohnt, das Fahrzeug seiner Wahl direkt aus dem Händlerbestand auszusuchen und mitzunehmen. Das Angebot von Volkswagen, ein Fahrzeug nach Maß zusammenzustellen und damit hinsichtlich der Ausstattungen keinen Kompromiss eingehen zu müssen, konnte nur solange ein Kaufargument sein, wie nicht zu lange Wartezeiten damit verbunden waDie Strategie beim „POLO per Internet" war darum auf eine möglichst kurze Auftragsdurchlaufzeit ausgerichtet. Dem Kunden wurde schließlich eine Lieferzeit von maximal fünf Wochen für alle Regionen Brasiliens angeboten. Abbildung 9 verdeutlicht, wie im Zuge des Projektes „K to Κ " bei der Volkswagen do Brasil: • aus Vertriebsaufträgen („Push-Prinzip") zunächst Händler- und mit dem „Polo per Internet" dann sogar Kundenaufträge („Pull-Prinzip") wurden, • wie die Auftragsdurchlaufzeit von 12-14 Wochen auf letztlich fünf Wochen reduziert werden konnte. Mit dem nach Markteinführung auch praktizierten, für Brasilien revolutionären „Polo per Internet"-Prozess, konnten dann auch die zugesagten fünf Wochen Auftragsdurchlaufzeit tatsächlich einhalten werden. Dabei darf allerdings nicht verschwiegen werden, dass weniger als 10% aller Fahrzeugbestellungen davon betroffen waren

162

Lothar Herold

Prozess Auftragsabwicklung und Durchlaufzeit 1999 - 2002 Volkswagen Südamerika

Polo per internet: Durchlaufzeit < 5 Wochen

Κ

Auftrag }

Auft^g Q Auftrag 5 )

Bis 1999

Ab

06/2000

L

°9istik

) ^rtigung )oistribuition) Händler )

Κ

Vertriebsaufträge

/

e :

1 2 - 14 Wochen

Händleraufträge {j

6 - 8 Wochen

Ab 07/2002!

Abb. 9: Auftragsdurchlaufzeit VW do Brasil von 1999-2002 und somit der Verfolgung der Internet-Aufträge eine besondere Priorität zugeordnet werden konnte. In der Falka de Saa Paulo 2'*, einer renommierten Tageszeitung, wurde am 15.04.2002 unter der Überschrift Comercio Virtual positiv kommentiert, dass es Volkswagen ab Mai dem Kunden ermöglichen würde, den Polo per Internet zu konfigurieren, zu bestellen und den Werdegang des Fahrzeugs bis zur Auslieferung zu verfolgen. Wie durch die „Fahrzeuge nach Maß", stellte der „Polo per Internet" für Volkswagen Südamerika einen Meilenstein auf dem Wege zur Steigerung der Kundenzufriedenheit und damit zur Festigung der Marktposition über einen im Zuge der Globalisierung der Automobilindustrie immer wichtiger werdenden Wettbewerbsfaktor dar.

Literaturhinweise Abmeier, H.-L., Herold, L.: Crossfunktionale Prozessorientierung der Beschaffungskette dureh Simultaneous Engineering und KVP in Einkauf und Logistik, in: Koppelmann, U., Lumbe, H.-J. (Hrsg.): Prozessorientierte Beschaffung, Stuttgart 1994, S. 121-136. Abmeier, H.-L., Herold, L.: Die Rolle von Beschaffung und Logistik im Wettbewerb um die Zeit, in: Koppelmann, U., Ocrlel, Η. A. (Hrsg.): Time-to-Market, Stuttgart 1998, S. 85-109. 23

Comcrcio Virtual (deutsch: virtuelles Geschäft), in: Folha de Sao Paulo, 15.04.2002.

Einführung von Konzernstandards in Prozessen und Systemen

163

Bloech, J.: Konzernlogistik und internationale Logistik, in: Bloech, J., Bogaschewsky, R., Frank, W. (Hrsg.): Konzernlogistik und Rationalisierungsgemeinschaft mit Lieferanten, Stuttgart 1994, S. 1-22. Bogaschewsky, R.: Zeitwettbewerb - eine Werlkellenorientierle Betrachtung, in: Koppelmann, U., Oc rte 1, Η. Α. (Hrsg.): Time-to-Market, Stuttgart 1998, S. 1 - 19. Dreher, D.: Logistik-Benchmarking in der Automobil-Branche, Diss. Lohmar-Köln 1997 . Freye, D.: Reihenfolgeplanung in einem variantenreichen Fließfertigungssystem, Diss. Göttingen 1997. Hartz, P.: Das atmende Unternehmen, Frankfurt 1996. Herold, L.: Prozesskcttcnoricnliertes Logistik-Controlling „vom Kunden bis zum Kunden" am Beispiel der Aulomobilindustric, in: Bogaschewsky, R, Götze, U. (Hrsg.): Unternehmensplanung und Controlling, Heidelberg 1998, S. 233-250.

Zeitungen a) Brasilien Folha de Sao Paulo vom 15.04.2002: "VW comeca a vender toda a linha pela internet" (VW beginnt mit dem Verkauf aller Modelle per internet). Diario do Grande ABC, Sao Paulo, vom 13.08.2001 : "Com que roupa" (In welcher Kleidung). Gazeta Mercantil, Sao Paulo, vom 20.08.2001: "Montadoras turbinam telemarketing" (frei übersetzt: Automobilindustrie beschleunigt modernes Marketing). Journal da Volkswagen, Sao Bernado do Campo, 01/1999: „2KK - Carros sob medida" (Κ to Κ - Fahrzeuge maßgeschneidert). Journal da Volkswagen, Sao Bernado do Campo, 06/2001: „Mais fidelidade a marca" (Mehr Treue zur Marke). Journal da Volkswagen, Sao Bernado do Campo, 06/2002: „Projeto Κ to Κ, De olho na satisfacao do diente (frei übersetzt: Projekt Κ to Κ, Kundenzufriedenheit im Focus). Journal da Volkswagen, Sao Bernado do Campo, 05/2002: „Novo Polo comeca a ser vendido na internet" (Der neue Polo wird per internet verkauft). Rede cm noticias, Sao Paulo, Händlerzeitschrift VW do Brasil, 05/2001: „Papo firme" (frei übersetzt: Feste Zusage).

b) Deutschland Handelsblau vom 29.11.2001 : „Plattform im Wandel". Well am Sonntag vom 09.04.1996: „Autobranche will die Lieferzeiten deutlich verkürzen".

III

Ε-Procurement und Supplier Relationship Management

Supplier Relationship Management Entstehung, Konzeptverständnis und methodisch-instrumentelle Anwendung Prof. Dr. Wolfgang StölzJe Gerhard-MercatorUniversität Duisburg Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Logistik und Verkehrsbetriebslehre Direktor des Zentrums für Logistik und Verkehr Geibeistraße 41, 47057 Duisburg E-Mail: Stoelzle@ uni-duisburg.de

Klaus Felix

Heusler

Gerhard-MercatorUniversität Duisburg, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Β e trieb s Wirtschaft sieh re mit Schwerpunkt Logistik und Verkehrsbetriebslehre Geibeistraße 41, 47057 Duisburg E-Mail: [email protected]

Zusammenfassung Die Betrachtung strategischer Lieferantenbeziehungen erfährt in der Praxis seit geraumer Zeit einen kontinuierlichen Bedeutungszuwachs. Zur Untersuchung dieser Entwicklung kann aus theoriegeleiteter Sicht das Beziehungsmanagement als Plattform zur Analyse von partnerschaftlichen Geschäftsbeziehungen herangezogen werden: Sofern eine Kundenbeziehung im Mittelpunkt des Interesses steht, kann auf die mittlerweile etablierten Konzepte des Relationship Marketing wie das Customer Relationship Management und das Key Account Management zuriickgegriffe η werden. Folglich lassen sich im Sinne eines integrierten Beziehungsmanagement mit Lieferanten - dem Supplier Relationship Management (SRM) - Implikationen für die eingehende Analyse einer Lieferantenbeziehung ableiten. Dazu wird ein umfassendes Konzeptverständnis zum Supplier Relationship Management vorgestellt, bei dem die Akteursperspektive des Abnehmers eingenommen wird. Als Betrachtungsobjekt stehen langfristig ausgelegte Geschäftsbeziehungen mit ( Schlüssel-) Liefe ranten im Mittelpunkt des Interesses. Im Bezug auf eine nähere konzeptionelle Ausgestaltung stehen zudem die Entscheidungs-, Nutzen- und Zeitraumorientierung des Konzepts sowie seine organisatorische Verankerung zur Diskussion. Der Beitrag schließt mit ersten Empfehlungen für die Gestaltung des Supplier Relationship Management aus methodisch-instrumentelle r Sicht und zeigt weiteren Forschungsbedarf auf.

168

Wolfgang Stölzle/Klaus Felix Heusler

Inhalt 1

Supplier Relationship Management im Lichte der Herausforderungen an die Beschaffung

169

2

Zur strategischen Bedeutung von Lieferantenbeziehungen

170

3

Theoriegeleitete Impulse des Beziehungsmanagement und des Relationship Marketing

172

3.1 3.2

4

5

Beziehungsmanagement als Plattform zur Analyse von partnerschaftlichen Geschäftsbeziehungen Kundenbeziehung im Fokus: Relationship Marketing, Customer Relationship Management und Key Account Management

172

177

Implikationen für das Supplier Relationship Management

181

4.1 4.2

182 185

Konzepiverständnis Methodisch-instrumentelle Anwendung

Supplier Relationship Management im Lichte zukünftiger Forschungsarbeiten

Literatur

190 191

Supplier Relationship Management

1

169

Supplier Relationship Management im Lichte der Herausforderungen an die Beschaffung

Entscheidungsträger in der Beschaffung sehen sich gegenwärtig mit einer grundlegenden Neuausrichtung ihrer Funktionsbereiche konfrontiert. Die von ihnen getroffenen Entscheidungen erlangen für Unternehmen eine immer größere Tragweite: Dabei ist eine Grat Wanderung zwischen sich fortwährend verkürzenden Produktlebenszyklen, die neue Produktinnovationen erfordern, und einem hohen Kostendruck zu konstatieren, der zu einer Konzentration auf Kernkompetenzen, einem niedrigen Bestandsniveau und einer schnellen Reaktionsfähigkeit gegenüber Marktveränderungen zwingt. Stand einst das Ziel der Kosteneinsparung im Vordergrund, werden heute von Einkauf und Beschaffung auch Erlössteigerungen sowie die Akquisition von Innovationen auf den Zuliefermärkten verlangt. In einer zielgerichteten Gestaltung und Pflege von Lieferantenbeziehungen als Quelle nachhaltiger Prozess- und Produktinnovationen wird dabei ein entscheidender Stellhebel gesehen. Dieser Paradigmenwechsel erfährt gegenwärtig in der unternehmerischen Praxis unter dem Schlagwort Supplier Relationship Management eine intensive Diskussion. Der vorliegende Beitrag geht der Fragestellung nach, ob es sich beim Supplier Relationship Management tatsächlich um einen eigenständigen Ansatz in dem Sinne handelt, dass er einen spezifischen Konzeptanspruch für sich reklamieren kann, oder ob etablierte Konzepte wie das (Geschäfts-)Beziehungsmanagement bzw. das Relationship Marketing den Aussagekern des Supplier Relationship Management bereits abdecken. Ausgangspunkt der Untersuchung bilden einleitende Ausführungen zur gestiegenen Bedeutung von Lieferantenbeziehungen. Hierbei lassen sich fünf Treiber zur strategischen Neubewertung der Beschaffung identifizieren (Kapitel 2). Danach werden zunächst theoriegeleitete Impulse etablierter Ansätze zur Analyse von Geschäftsbeziehungen vorgestellt (Kapitel 3). Als Plattform für die Gestaltung der Geschäftsbeziehungen zu verschiedenen Marktpartnern dient das Beziehungsmanagement, während beim Relationship Marketing die Beziehungen eines Unternehmens speziell zu seinen Kunden näher untersucht werden. Darauf aufbauend stehen Implikationen für das Supplier Relationship Management (SRM) zur Diskussion (Kapitel 4). Neben dem Aufzeigen konzeptioneller Bezüge zum Beziehungsmanagement und zum Relationship Marketing gilt es hier, das Supplier Relationship Management-Konzept im Sinne eines integrierten Beziehungsmanagement mit Lieferanten näher zu konkretisieren. Der Beitrag schließt mit ersten Empfehlungen für die Gestaltung des Supplier Relationship Management und zeigt weiteren Forschungsbedarf auf (Kapitel 5).

170

2

Wolfgang Stölzle/Klaus Felix Heusler

Zur strategischen Bedeutung von Lieferantenbeziehungen

Die aktive und differenzierte Gestaltung der Beziehungen zu Marktpartnern gilt als eine bedeutende Ausprägung zeitgemäßer Beschaffungskonzeptionen. Im Laufe der beiden letzten Dekaden hat der Zugang zum Beschaffungsmarkt für viele Unternehmen strategische Bedeutung erlangt. 1 Die Gründe dafür sind vielfältiger Natur: Erstens zeichnen Ergebnisse, die im Zusammenhang mit der Beschaffung stehen, unmittelbar für den unternehmerischen Erfolg (mit)verantwortlich. Der Materialkostenanteil am Umsatz von Industrieunternehmen ist in der Vergangenheit immer weiter gestiegen (und liegt mittlerweile bei durchschnittlich über 50%). Zudem kann die Hebelwirkung auf das Unternehmensergebnis, die infolge von Materialkostensenkungen durch die Beschaffung zu erzielen ist, mitunter beachtlich ausfallen." Zweitens sorgt der kontinuierliche Wandel wirtschaftlicher Rahmenbedingungen (welche sich z.B. in einer steigenden Bedeutung von Global Sourcing niederschlagen) dafür, dass Unternehmen ihren Wertschöpfungsanteil am Endprodukt auf ihre eigenen Kernkompetenzen beschränken. Dies hat zur Konsequenz, dass die Fertigungstiefe weiter sinkt und der Anteil des Fremdbezugs steigt. Die einhergehende Restrukturierung und engere Verzahnung der Wertschöpfungskette wird anhand der Zulieferpyramide (vgl. Abb. 1) deutlich (Eßig, M.: 2001b, S. 6 8 - 6 9 ) / Mit sinkendem Eigenfertigungsanleil steigt gleichzeitig auch die Bedeutung von Leistungen der Lieferanten, die zunehmend zur Quelle von Wettbewerbsvorteilen werden (Arnold, U./Eßig, M.: 2001, S. 69). Drittens versuchen Unternehmen der andauernden Emanzipation der Kundenansprüche mit immer kürzer werdenden Produktlebenszyklen und einer gesteigerten Variantenvielfalt zu begegnen. Als Folge erfahren vorgelagerte Wertschöpfungsstufen eine frühzeitige Einbindung in den Leistungserstellungsprozess, z.B. durch Simultaneous Engineering (Sanz, F. J.G.: 2001, S. 95). Viertens geht die Aufwertung der Beschaffungsfunktion in Unternehmen mit der Forderung nach der Beherrschung der daraus resultierenden, gestiegenen Komplexität des Beschaffungsbereichs einher. Gegenwärtig setzt sich die Erkenntnis durch, dass sowohl Wettbewerb unter Lieferanten als auch eine kooperative Zusammenarbeit mit Lieferanten benötigt werden, um die Beschaffungsziele eines Abnehmers erreichen zu können.4 Daher ist für eine aktive Bearbeitung des Beschaffungsmarkts

1

Siehe /.ur Analyse von Bcschaffungspotenzialen, z. B. Bloech, J.: 1992. S. 35-42.

2

Ein vielzitiertes Beispiel liefert ARNOLD. Dieser zeigt, dass die Senkung der Materialkosten um 0,518^ den gleichen liffekt auf den ökonomischen Erfolg wie eine 10^ ige Umsalzsieigerung haben kann: vgl. Arnold, U.: 1997. S. 12-16.

3

Insbesondere in der Aulomobilinduslrie ist dieser Trend ungebrochen: vgl. z.B. Becker, W. 2001. S. 16-21; Kortiim. F.-J.: 2000, S. 46-51.

4

A R N O L D bezeichnet dies auch als die strategische Richtungsentscheidung zwischen „Kooperation" und „Konkurrenz;': vgl. Arnold, U.: 2000. S.42. Gerade bei Standardprodukten (z.B. DIN- und Normteilen) ist eine enge Lieferantenbindung kontraproduktiv. In diesen Fällen muss der Wettbewerb gefördert und gefordert werden. Demgegenüber stehen Produkte (insbesondere Systeme und Module), bei denen eine enge Zusammenarbeit mit Lieferanten zum Produkt- bzw. Unternehmenserfolg entscheidend beitragen können (vgl. Bßig, M.: 2001a, S. 25). Dieser Zusammenhang wird durch Abb. I verdeutlicht.

Supplier Relationship Management

171

mann, H.: 1998, S. 97) die Auswahl geeigneter Lieferanten von großer Bedeutung (Dyer, J. H. et al.: 1998, S. 57-77). Fünftens sind sich konsequent an den Anforderungen ihrer Kunden orientierende Unternehmen gefordert, den Beitrag vorgelagerter Wertschöpfungsstufen (mithin ihrer Lieferanten) auf die von ihnen angestrebte Kundenorientierung zu prüfen und frühzeitig zu berücksichtigen (Lasogga, F.: 2000, S. 375-376). Die angesprochenen Treiber zeigen den Bedarf nach einem strategischen Management-Konzept auf, welches dem unternehmensweit wie unternehmensübergreifend spürbaren Einfluss der im Rahmen moderner Beschaffungskonzeptionen getroffenen Entscheidungen Rechnung trägt. Mit dem Beziehungsmanagement und dem Relationship Marketing werden zunächst zwei viel diskutierte Ansätze angesprochen, welche - gestützt auf eine theoretische Basis - die strategisch relevante Ausrichtung der Geschäftsbeziehungen zwischen Zulieferern und Abnehmern thematisieren. Die daraus abzuleitenden Impulse fließen anschließend in das Konzeptverständnis des Supplier Relationship Management ein.

172

3

Wolfgang Stölzle/Klaus Felix Heusler

Theoriegeleitete Impulse des Beziehungsmanagement und des Relationship Marketing

Sowohl das Beziehungsmanagement als auch das Relationship Marketing wurden mit Blick auf die Gestaltung der Geschäftsbeziehungen zu Kunden entwickelt. Während das Beziehungsmanagement nach und nach für die Beziehungen zu anderen unternehmensexternen Akteuren erweitert wurde, erfuhr das Relationship Marketing eine Spezifikation in Bezug auf die Erzielung von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung.

3.1

Beziehungsmanagement als Plattform zur Analyse von partnerschaftlichen Geschäftsbeziehungen

Mit dem Konzept des Beziehungsmanagement ist die Absicht verbunden, die strategischen Handlungsperspektiven (in der Regel) zweier beteiligter Institutionen zu verfolgen/ Es geht von der Annahme aus, dass die Akteure in einer Geschäftsbeziehung grundsätzlich bestrebt sind, die Beziehung über mehrere Transaktionen und Transaktionsepisoden hinweg aufrechtzuerhalten (Diller, H.: 1997, S.573). Dabei finden explizit auch die Interaktionen zwischen den Akteuren Berücksichtigung. 6 Die Beziehungsintensität ist in diesem Fall also deutlich von den rein marktlich ausgerichteten Geschäftsbeziehungen zu unterscheiden. Dabei werden in erster Linie dyadische Zulieferer-Abnehmer-Beziehungen (Stölzle, W.: 1999, S. 156) betrachtet, deren Begriffsverständnis im Sinne von Partnerschaften auszulegen ist (Stölzle, W.: 2000, S. 6). Allerdings ist die Abgrenzung einer solchen, eher partnerschaftlich ausgelegten Beziehung nicht durch eine trennscharfe Definition zu erreichen. 7 Eine Möglichkeit der Verdeutlichung der unterschiedlichen Charakteristika einer partnerschaftlichen gegenüber einer rein marktlichen Beziehung bietet die Zusammenstellung eines umfangreichen Merkmalkatalogs (vgl. Abb. 2). s

5

() 7 x

Siehe zum Konzepl des Beziehungsmanagement z.B. Diller, H.: 1997; Flinke, W.: 1997; Stölzle, W.: 2000 sowie Klee, Α.: 2000. Siehe zum Verständnis von Geschiifisbeziehungen als ökonomische Institution Klee, Α.: 2000, S. 100. Siehe ζ. Β. die Zusammenstellung von Abgrcnzungsmerkmulcn bei Stölzle, W.: 2000, S. 6 - 9 . Die Abb. 2 beschreibt aus Sicht des Abnehmers die Beziehungen zu Lieferanten. Boutellier. R./Wagner, S. M.: 2001, S. 4 2 - 4 3 unterscheiden die Beziehungstypen „Strategische Partnerschaft", „Partnerschaft" und „Opportunismus", wobei sich insbesondere für den Typ „Partnerschaft" keine klare Abgrenzung finden lässt. Die Bezeichnung „Opportunismus" ist insofern etwas missverständlich, als sie lediglich eine Verhaltensannahme der Akteure umschreibt und nicht ein Set von typenspezifischen Merkmalsausprägungen rellektiert.

173

Supplier Relationship Management Merkmal

Partnerschaftliche Beziehung

Rein marktliche Beziehung

Dauer der Geschäftsbezichung zwischen Zulieferer und Kunden

Langfristig

Kurzfristig

Grundlage von Preisänderungen

Kosteneinsparungspotenziale für beide Partner

Keine Angabe

Lieferantenstamm (für ein bestimmtes Produkt oder eine Dienstleistung)

Ein oder zwei Zulieferer

Viele Zulieferer

Wareneingangskontrolle

Nein

Ja

Erhebung der Zulieferer- und Kun- Ja denleistungen und Vereinbarung über regelmäßige Rückmeldungen

Nein

Weitcrbildungsprogramme und technischc Unterstützung des Lieferanten

Umfassend oder zumindest im Ansatz

Keine

Einrichten von Teams für Verbesserungsmaßnahmen

Umfassend oder zumindest im Ansatz

Gewöhnlich keine, allenfalls begrenzt

Mitwirkung bei der Produktgcstaltung

Umfassend oder zumindest im Ansatz

Gewöhnlich keine, allenfalls begrenzt

Mitwirkung bei der Gestaltung von Umfassend oder zumindest Logistikprozessen im Ansatz

Gewöhnlich keine, allenfalls begrenzt

Regelmäßige Treffen auf leitender Umfassend oder zumindest Managementebene im Ansatz

Gewöhnlich keine, allenfalls begrenzt

Mitteilen von strategischen Informationen und Kostendaten

Umfassend oder zumindest im Ansatz

Gewöhnlich keine, allenfalls begrenzt

Gemeinsame Investitionsplanung

Umfassend oder zumindest im Ansatz

Gewöhnlich keine, allenfalls begrenzt

Austausch der Daten über Bedarfs- Umfassend oder zumindest vorhersagen, Umsalzentwicklung, im Ansatz Lagerbestandshöhen, Produktionsund Lieferpläne und deren Aktualisierung

Gewöhnlich keine, allenfalls begrenzt

Abb. 2: Merkmale zur Abgrenzung einer partnerschaftlichen gegenüber einer rein marktlichen Lieferantenbeziehung (Quelle: Gekürzt und frei übersetzt aus Groves, G./Valsamakis, V.: 1998, S. 53) Eine weiter reichende Differenzierung gelingt über die Betrachtung der (transaktionskostentheoretisch basierten) Determinante der „spezifischen Investitionen", wodurch sich insgesamt vier Beziehungstypen herausbilden lassen (vgl. Abb. 3). Ein Abnehmer bzw. Zulieferer gerät in die Position eines „Gefangenen", wenn er als beschaffendes respektive lieferndes Unternehmen einseitig hohe spezifische Investitionen in die Beziehung getätigt hat. Diese erheblichen spezifischen Investitionen bil-

174

Wolfgang Stölzle/Klaus Felix Heusler

den eine hohe Ausstiegsbarriere aus der Beziehung, der sich der jeweilige Geschäftspartner nicht konfrontiert sieht. Demgegenüber sind bei reinen Marktbeziehungen die spezifischen Investitionen vernachlässigbar. Bei den nachfolgend im Mittelpunkt stehenden, strategischen Partnerschaften führen für beide Akteure die hohen spezifischen Investitionen zu einer spürbaren Ausstiegsbarriere. Die hier verfolgte Systematisierung lässt sich durch die Betrachtung produkt-, markt- und lieferantenbezogener Merkmalskategorien weiter verfeinern. 9 Das Beziehungsmanagement thematisiert den Beziehungstyp der strategischen Partnerschaft. 10 Die dabei verfolgten Ziele liegen nicht nur im Bestreben, mit dem Geschäftspartner einen ökonomischen Erfolg (bzw. ein Erfolgspotenzial) zu realisieren, sondern auch in der Absicht, eine gewisse „Beziehungsgerechtigkeit 4' zu erlangen. Der Erfolg einer Geschäftsbeziehung lässt sich diesbezüglich je nach Sichtweise des beteiligten Geschäftspartners (i.e. der Zulieferer- oder der Abnehmersicht) mit dem erzielten Umsatz oder der erreichten Kosteneffizienz beschreiben. Die Beziehungsgerechtigkeit beschäftigt sich mit Fragen der Beziehungssicherheit, der relativen Abhängigkeit der Akteure und der Aufteilung des Beziehungserfolgs zwischen den Akteuren." Dies erfordert eine aktive Auseinandersetzung mit Verhaltensmustern, die zu einer Begrenzung opportunistischer Verhaltensspielräume der Akteure beitragen. Dabei spielen die Konstrukte des Vertrauens und der inneren Verpflichtung eine maßgebliche Rolle. Eine Konkretisierung des Beziehungsmanagement hinsichtlich seiner Konzeptkomponenten ist in der Literatur nur in Teilen zu erkennen. Ein pragmatischer Ansatz zur Beschreibung des Management von Partnerschaften nimmt diesbezüglich eine Unterteilung nach Maßgabe der funktionalen Managementsubsysteme in Steuerung, Organisation, Kontrolle und Entwicklung einer Geschäftsbeziehung vor, 12 wodurch implizit eine Handlungsorientierung vorgegeben wird. 1 3 Die Steuerung umfasst dabei Konstrukte des Vertrauens (Trust) und der inneren Verpflichtung (Commitment). 14 Gegenseitiges Vertrauen der Partner in die Geschäftsbeziehung wird infolge des Aufbaus von Reputation, der Ausbildung eines Es sei darauf hingewiesen, dass die Abgrenzung der Felder nicht trennscharf erfolgen kann und lediglich eine nähere Kennzeichnung der Portfoliosegmente ermöglicht. Cousins. P.D.: 2002, S. 7 8 - 8 0 konzipiert ein Modell von Geschäftsheziehungen mit Hilfe der Größen Abhängigkeilsgrad und Ausmaß an Sicherheil. Der von ihm als strategische Zusammenarbeit bezeichnete Beziehungstyp weist eine hohe wechselseitige Abhängigkeil und ein großes Ausmaß von Sicherheil als Ausdruck von Vertrauen auf. Beide Kriterien sind nicht auf die Akteure als solches, sondern jeweils spezifiziert für Produkte und Dienstleistungen als Transaktionsobjekle der Akteure anzuwenden. 10

Siehe zu den Einflussgrößen auf die Wahl des Bczichungslyps Boutcllier. R./Wagner, S. M : 2001, S. 40.

11

Siehe dazu das von Plinkc, W.: 1997, S. 49-53, vorgeschlagene Zielsystem, welches explizit neben den eigenen Zielen eines Partners auch die auf den Partner bezogenen Ziele berücksichtigt.

12

Die Planung wird dabei als Teil der Steuerung gesehen. Ferner werden die Bereiche „Politik" und „Managemenienl wicklung" ausgeblendet.

ιλ

Vgl. Klee, Α.: 2000, S. 83-86, der in Anlehnung an die marktorientierte Unternehmensluhriing als Grundelemcnte eines Beziehungsmanagement-Systems das normative Management, die strategische und operative Planung und Kontrolle sowie die Implementierung eines Steuerungs- und Informationssystems identifiziert.

14

Das gelegentlich in diesem Zusammenhang angeführte Konstrukt der Zuversicht (Confidence) wird aufgrund seinerstarken Überschneidungen zu den voranstehenden Konsiruktcn hier ausgeblendet.

175

Supplier Relationship Management

sz ο ο -C

Abnehmer als „Gefangener"

Strategische Partnerschaft

Produkteigenschaften • Technisch komplex • Basierend auf hochentwickelter, gut beherrschter Technologie • Wenige Neuerungen und Verbesserungen des Produkts

Produkteigenschaften • Sehr stark auf den Kunden zugeschnitten • Nähe zur Kernkompetenz des Abnehmers • Enge wechselseitige Anpassung in Schlüsselprozessen notwendig • Technisch komplexes Teil oder integriertes Subsystem • Basierend auf neuer Technologie • Innovationssprünge bezüglich Technologie, Produkt oder Prozess • Häufige Änderungen in der Produktgestaltung • Ausgeprägtes Engineering erforderlich • Große finanzielle Investitionen notwendig

Markteigenschaften • Stabile Auftragslage mit begrenztem Marktwachstum • Konzentrierter Markt mit wenigen etablierten Anbietern • Abnehmer erhalten Produktionsfähigkeit aufrecht Eigenschaften der Zulieferer • Große Unternehmen • Lieferant ist Technologieführer • Wenige, fest etablierte Lieferanten • Große Verhandlungsmacht • Hersteller hängen stark von den Zulieferern, deren Technologie und Fertigkeiten ab

φ ε •c Φ c ο ^ co « e Φ e ο co

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Markteigenschaften • Hohe Nachfrage und schnell wachsender Markt • Sehr umkämpfter und konzentrierter Markt • Häufige Veränderung der Wettbewerber wegen instabiler oder fehlender Dominanz bei der Produktgestaltung • Abnehmer behalten Produktgestaltung und -erprobung im eigenen Haus Partnereigenschaften • Große Lieferanten mit vielen Produkten • Hoher technologischer Standard der Lieferanten • Aktiv bei Entwicklung und Innovation • Ausgeprägte Fertigkeiten und Fähigkeiten bei Produktgestaltung, Engineering und Fertigung

Reine Marktbeziehung

Zulieferer als „Gefangener"

Produkteigenschaften • Hoch standardisierte Produkte • Hoch entwickelte Technologie • Wenige Neuerungen und seltene Veränderungen der Produktgestaltung • Technisch einfaches Produkt oder gut strukturierter, komplexer Fertigungsprozeß • Wenig oder gar nicht auf das Endprodukt zugeschnitten • Geringe Ingenieurleistung und Fachkenntnisse gefragt • Geringes Engineering erforderlich

Produkteigenschaften • Technisch komplexe Produkte • Basierend auf neuer Technologie (vom Lieferanten entwickelt) • Wichtige und häufige Innovationen sowie neue Funktionalitäten in der Produktpalette • Signifikantes Engineering und ausgeprägte Fachkenntnisse erforderlich • Hohe Investitionen notwendig

Markteigenschaften • Stabile oder sinkende Auftragslage • Hart umkämpfter Markt • Viele fähige Lieferanten • Stets dieselben Marktteilnehmer Eigenschaften der Zulieferer • Kleine „Mom and Pop"-Läden • Keine Technologieführer • Geringe Wechselkosten • Geringe Verhandlungsmacht

Markteigenschaften • Schnell wachsendes Marktsegment • Scharfe Wettbewerbsituation • Wenige qualifizierte Marktteilnehmer • Instabiler Markt mit Verschiebungen zwischen den Lieferanten Eigenschaften der Zulieferer • Hoher technologischer Standard der Lieferanten • Lieferanten mit großen finanziellen Potentialen und Spielräumen für Forschung und Entwicklung • Geringe Verhandlungsmacht der Lieferanten

niedrig hoch Spezifische Investitionen des Zulieferers Abb. 3: Typisierung von Zulieferer-Abnehmer-Beziehungen (Quelle: Frei übersetzt aus Bensaou, M.: 1999, S. 38)

176

Wolfgang Stölzle/Klaus Felix Heusler

Vertrauensvorschusses, der Schaffung von Ähnlichkeiten sowie der Forcierung von Selbstvertrauen operationalisiert. Innere Verpflichtung äußert sich diesbezüglich in Gestalt passiver Loyalität und einer aktiven Ausrichtung in Hinblick auf die Ziele des Beziehungsmanagement.15 Hinweise zur inhaltlichen Ausgestaltung der Organisation des Beziehungsmanagement stehen noch weitgehend aus. Neben der Etablierung heterogen zusammengesetzter (Beziehungs-)Teams bei den Partnern findet auch der Vorschlag starke Beachtung, einen Beziehungspromotor (Waller, Α.: 1998, S. 124-127; Walter, A./Gemünden, H.G.: 2000, S. 86-105) einzusetzen. Ferner steht aktuell die Forderung nach der Einrichtung einer „Relationship Group" im Raum, welche sich schwerpunktmäßig mit dem Management von Schnittstellen zwischen den Partnern befasst (Carter, P.L. et al.: 2000, S. 18). Auch die Konzeptkomponente Kontrolle ist im Vergleich mit der Steuerung nur im Ansatz durchdrungen. Hierbei steht das Wechselspiel zwischen Vertrauen und Kontrolle innerhalb einer Geschäftsbeziehung im Vordergrund. Dabei gilt als anerkannt, dass beide Konstrukte über komplexe Wirkungsketten als Quellen von Zuversicht (Confidence) fungieren können (Das, T. K./Teng, B.-S.: 1998, S.497 und S.507). Ferner eröffnen sich die relevanten Fragestellungen nach der Effektivitätsund der Effizienzkontrolle. Erstere ermittelt die Wirkungen des Beziehungsmanagement-Konzepts, während letztere zusätzlich den Ressourceneinsatz der Konzeptimplementierung abbildet (Bruhn, M.: 2001, S. 199-239). Die Entwicklung einer Geschäftsbeziehung zielt auf das Verständnis von partnerschaftlichen Geschäftsbeziehungen als Abfolge von Transaktionen und Transaktionsepisoden, gepaart mit Interaktionsmustern, ab. Insofern liegt es nahe, Geschäftsbeziehungen als werlstiftende Prozessmuster zu interpretieren (Cousins, P.D.: 2002, S. 78). Dies kommt in prozessorientierten Lebenszyklus-Modellen zum Ausdruck, die davon ausgehen, dass der Kundenwert aus Sicht eines Zulieferers mit zunehmender Bindungsdauer und -intensität steigt. 16 In Anlehnung an die unterschiedlichen Transaktionsphasen, die im Rahmen des Beziehungsmanagement betrachtet werden, kommen verschiedene anwendungsorientierte Managementkomponenten in Betracht. Aus Sicht eines Zulieferers sind hier zu unterscheiden: 17

Siehe zu den Konstrukten Trust und Commitment sowie deren Opcrationalisierung z. B. Anderson, J.C./ Narus, J. Α.: 1990; Morgan, R. M./Hunt, S. D.: 1994; Siguaw. J./Simpson. M./Baker, L.: 1998; Klee. Α.: 2000. 108-121. 16

Vgl. Bruhn, M.: 2001. S.48; Töpfer, Α.: 2001. S. 191 - 193. Dabei ist zu beachten, dass es sich um ein rein deskriptives Modell handelt, das für die Existenz und die Abfolge der Phasen keine Erklärungsleistung bietet. Daher können aus solchen Phasenschcmata keine Gcsiallungsempfchlungen gewonnen werden; vgl. Stölzle, W.; 2000, S. 12. Klee, Α.; 2000, S. 169-171 weist darauf hin, dass die Aussagekraft von Lebenszyklusmodellen von der Determinierbarkeil der Prozessmusier abhängt. Angesichts der Tatsache, dass Geschälisbeziehungen maßgeblich von Personen getragen werden, die aktiv Strukturen und Prozessmusier anpassen können, plädiert er für ein nichtdeterministisches Phasenmodell der Entwicklung von Geschäftsbeziehungen.

17

Vgl. Plinke, W.: 1997, S. 42-43. Auf diese Siruklurierungshilfe wird im weiteren Verlauf dieses Beitrags im Rahmen der Implikationen für das Supplier Relationship Management (siehe Kapitel 4) Bezug genommen. Boutellier, R./Wagner, S. M.: 2001, S. 52-53 unterscheiden folgende Phasen beim Management strategischer Partnerschaften: Vorbereiten, potenzielle Partner identifizieren, beurteilen und auswählen, Beziehung etablieren, Beziehung beurteilen.

Supplier Relationship Management •

177

Der Beurteilung und Auswahl potenzieller Abnehmer als Partner in einer Geschäftsbeziehung erwächst eine große Bedeutung, da sich das Beziehungsmanagement auf strategische Partnerschaften konzentrieren soll und nicht alle Zulieferer-Abnehmer-Beziehungen eine solch intensive Beziehungspflege rechtfertigen. Zum Schaffen von internen Voraussetzungen für ein Beziehungsmanagement gehört die Herausbildung der notwendigen organisatorischen Strukturen für das Eingehen strategischer Partnerschaften. Bei der Akquisition eines als geeignet angesehenen Partners steht die Gewinnung eines Lieferanten im Mittelpunkt, der dem strategischen Anspruch des Beziehungsmanagement-Konzepts Rechnung trägt. Bei einer bereits etablierten Geschäftsbeziehung gilt es im Anschluss an ihre Initiierung fortan, ihre Verteidigung, Stabilisierung und Weiterentwicklung 18 mit geeigneten Methoden und Instrumenten zu stützen. Das Controlling der Geschäftsbeziehung nach Maßgabe der Ziele des Beziehungsmanagement liefert wichtige Kriterien zur Beurteilung von Effizienz und Effektivität der Partnerschaft.









Abschließend sei auf die große Nähe des Beziehungsmanagement-Konzepts zum Beziehungsmarketing bzw. zum Relationship Marketing hingewiesen, in welchem es nach weit verbreiteter Ansicht seine Ursprünge findet und von dessen Vertretern es auch schwerpunktmäßig propagiert wird (Diller, H.: 1997, S. 572-575; Plinke, W.: 1997, S. 9 - 2 0 ; Klee, Α.: 2000, S. 24-34). Während das Beziehungsmanagement den Anspruch erhebt, Zulieferer-Abnehmer-Beziehungen aus Sicht beider beteiligter Partner zu beleuchten, wird im Relationship Marketing die Zielgruppenperspektive eines Zulieferers eingenommen. Kennzeichnend für das Relationship Marketing ist dabei das geplante und umgesetzte Wiederkaufverhalten eines Abnehmers. Diese Tatsache wird nachfolgend zum Anlass genommen, zunächst die Grundgedanken des Relationship Marketing aufzuzeigen, bevor Implikationen für die Anwendung des Beziehungsmanagement in der Beschaffung in den Mittelpunkt rücken.

3.2

Kundenbeziehung im Fokus: Relationship Marketing, Customer Relationship Management und Key Account Management

Das aus der englischsprachigen Literatur stammende Konzept des Business-to-Business Marketing befasst sich schwerpunktmäßig mit sämtlichen interorganisationalen Marketingaktivitäten im Geschäftskundenbereich (Klee, Α.: 2000, S. 15-16). Diesbezüglich lassen sich nach P l i n k e vier Ausprägungsformen unterscheiden. Bei traditionellen Marketingkonzepten steht die Initiierung einer nicht näher auf den Kunden spezifizierten Transaktion im Vordergrund. Sie beschäftigen sich daher insbesondere mit der (kurzfristigen) Anbahnung einzelner Transaktionen mit einer Vielzahl von Kunden (Transaction Marketing). Das Relationship Marketing verfolgt demgegenüber eine eher langfristige Auslegung des Marketinggedankens (Bruhn, M.: 2001, S. 12; Bruhn, M.: 2002, S. 132-133). Sowohl das Transaction Marketing als auch 18

Unter der Weiterentwicklung einer Geschäftsbe/iehung wird auch deren geordnetes Beenden verstanden.

Wolfgang Stölzle/Klaus Felix Heusler

178

das Relationship Marketing lassen sich eng (z.B. auf einen einzelnen Kunden bezogen) oder weit fassen (z.B. auf ein Marktsegment oder den Gesamtmarkt). Aus den sich hieraus ergebenden Unterkategorien können für das Transaction Marketing das Markt(segment)-Management und das ProjektmanagemenL für das Relationship Marketing das Customer Relationship Management und das Key Account Management abgeleitet werden (Abb. 4). Die beiden letztgenannten Konzepte sind Gegenstand der weiteren Untersuchungen. Fokus des Zulieferers

Verhaltensprogramm des Zulieferers

Markt(segment)

Einzelkunde

Transaction Marketing

Markt(segment)management

Projektmanagement

Relationship Marketing

Customer Relationship Management

Key Account Management

Abb. 4: Ausprägungsformen des Business-to-Business Marketing und Einordnung des Relationship Marketing (Quelle: Mit leichten Veränderungen entnommen aus Plinke, W.: 1997, S. 19) Für das Relationship Marketing entwickelt B R U N N ein zweistufiges Verständnis, das auch diesem Beitrag zugrunde gelegt wird: Im engeren Sinn beinhaltet es im Kern den Aulbau und die Pflege von umfassenden, d.h. alle Verbindungen berücksichtigenden Kundenbeziehungen. Dieser Ansatz erfährt gegenwärtig unter dem Begriff des Customer Relationship Management gro(3e Beachtung.19 Es gilt, die Wertschöpfungskette gezielt auf die wachsenden Kundenbedürfnisse und -ansprüche auszurichten. Dabei wird betont, dass für den unternehmerischen Erfolg die (End-)Kundenbeziehungen entscheidend sind. 20 Deren Qualität 21 hängt wiederum von den Beziehungen zu den anderen Anspruchsgruppen eines Unternehmens ab. In einer weiter |l)

Vgl. Bruhn, M.: 2002, S. 132-133; Bruhn, M.: 2001. S. 9 - 1 2 . Line explizite Differenzierung von Customer Relationship Management und Key Account Management erfolgt dabei nicht. Die Ziele des Key Account Management werden implizit in der herausgestellten Bedeutung der Kundensegmentierung berücksichtigt.

20

Dabei erfolgt die genaue Ausrichtung des Begriffs Customer Relationship Management in der Literatur nicht immer eindeutig. Brimin identifiziert die Ursprünge in der Unlernehmcnspraxis. in denen primär inlbrmationsiechnologischc Lösungsansülze zur Steuerung von Kundenbeziehungen herausgestellt werden (auch electronic Customer Relationship Management (eCRM)). Aus konzeptioneller Sicht lassen sich jedoch kaum eigene Inhalte des Customer Relationship Management erkennen: vgl. Bruhn. M.: 2002, S. 133. Sexauer, H.: 2002, S. 218-222, zeichnet die Entwicklungslinien des Customer Relationship Management nach und identifiziert zusätzliche beeinflussende Faktoren im Wissensmanagemenl und im Business Process Management. Andere Autoren vertreten die Auffassung, beim Customer Relationship Management handele es sich um eine radikale Abkehr vom klassischen Marketingkonzcpl (vgl. z.B. Lasogga, F.: 2000. S. 372-373). In der eher praxisorienlierten Literatur dominiert die Automatisierung von Geschäftsprozessen mit Hilfe geeigneter Software-Tools: vgl. z.B. Schwede, S.: 2000. S. 8; Matthcis, P./Victor, M.: 2000, S. 18; Winer. R. S.: 2001. S. 91.

21

Siehe vertiefend zur Beziehungsqualität Klee, Α.: 2000, S. 9 3 - 174 sowie mit besonderer Berücksichtigung elektronischer Märkte Stölzle, W./Heuslcr, K. F.: 2001, S. 144- 147.

Supplier Relationship Management

179

gefassten Ausgestaltungsform des Relationship Marketing werden daher die Beziehungen zu allen Anspruchsgruppen eines Unternehmens (Relationship Marketing im weiteren Sinne) beschrieben (Bruhn, M.: 2001, S. 10-12). Letztgenanntes Verständnis liefert zudem deutliche Hinweise auf die engen Verbindungen des Relationship Marketing zum Beziehungsmanagement.22 Das Relationship Marketing ist als ein integrierter Managementansatz zu verstehen, durch den entscheidungsorientiert Maßnahmen der Analyse, Planung, Durchführung und Kontrolle sämtlicher Marketingaktivitäten zur Steuerung von Beziehungen eines Unternehmens umgesetzt werden. Nicht zuletzt über seine Nutzenorientierung werden Parallelen zum Beziehungsmanagement deutlich: Kundenseitig ist der Nutzen aus einer Geschäftsbeziehung in der Bedürfnisbefriedigung, anbieterseitig im ökonomischen Erfolg des Unternehmens zu sehen (Bruhn, M.: 2001, S. 11-12). Dabei wird implizit eine Wirkungskette unterstellt, bei der Aktivitäten eines Unternehmens im Rahmen des Relationship Marketing zu erhöhter Kundenzufriedenheit führen (vgl. Abb. 5). Diese gilt es in eine (langfristige) Kundenbindung zu überführen, die unmittelbar zum ökonomischen Erfolg einer Institution beiträgt. Die dabei implizit unterstellten Ursache-Wirkungs-Beziehungen der Konstrukte sind über geeignete Variablen zu operationalisieren. 23

Abb. 5: Vereinfachte exemplarische Wirkungskette des Relationship Marketing (Quelle: In Anlehnung an Bruhn, M.: 2001, S. 58)

Da es sich bei Kundenbeziehungen in der Regel um Beziehungen mit dynamischem Charakter handelt (was ζ. B. im Relationship Marketing-Leitgedanken einer langfristigen Steuerung von Kundenbeziehungen zum Ausdruck kommt), werden zu ihrer Beschreibung häufig Lebenszyklusmodelle herangezogen, bei denen mit zunehmender Bindungsdauer und -intensität ein aus Sicht eines Anbieters steigender Kundenwert 2 4 unterstellt wird. 2 5 Ein solcher Kundenbeziehungslebenszyklus (Stauss, B.: 2000, S. 15-18) lässt sich in die Phasen Akquisition, Bindung und Rückgewinnung unterteilen. Innerhalb dieser Phasen variiert die empfundene Stärke der Kundenbe-

22 23

Siehe hierzu auch die Ausführungen bei Stölzle, W.: 1999, S. 155- 156. Siehe ζ. B. Klee, Α.: 2000, S. 124; Bruhn, M.: 2001, S. 58 sowie Helm, R. et. al.: 2002, 338-341.

24

Siehe zum Kundenwerl bzw. Customer Lifetime Value Bruhn, M.: 2001, S.48; Töpfer, Α.: 2000, S. 52-53; Töpfer, Α.: 2001, S. 191-193; Winer, R. S.: 2001, S. 94-95. Im Extremfall kann dieser unter Profitabilitätsgesiehtspunkten sogar eine aktive Trennung vom Kunden rechtfertigen: vgl. Hartmann, R.: 2002, S. 89.

25

Zudem zeigt diese Auffassung die inhaltliche Nähe des Relationship Marketing zum Be/.iehungsmanagement auf.

180

Wolfgang Stölzle/Klaus Felix Heusler

ziehung, wodurch sich auch die Erwartungen eines Kunden bezüglich der Kommunikation und Ausgestaltung der Marketinginstrumente unterscheiden. 26 Eine herausragende Rolle im Relationship Marketing spielt darüber hinaus die Segmentierung von Kunden zu Kundengruppen. 27 In Abhängigkeit der Intensität des Kundenkontakts lassen sich diesbezüglich verschiedene Ausprägungsformen unterscheiden, auf die es einen zielgruppengerechten Einsatz der Instrumente des Customer Relationship Management abzustimmen gilt (Lasogga, F.: 2000, S. 379-380). Die Kundensegmentierung verfeinert sich im Extremfall zu einer Ausrichtung auf eine mit einem einzigen (in der Regel bedeutenden) Kunden abzuwickelnde Transaktionsfolge. Diesem Kunden soll im Rahmen des Key Account Management entsprechende Aufmerksamkeit gewidmet werden (Diller, H.: 1995, Sp. 1365; Abratt, R./Kelly, P.M.: 2002, S.467-476). Zudem lässt sich über den Aufbau eines Key Account Management ein Gegenpart zu einem zentralisierten Beschaffungsmarketing eines starken Kunden aufbauen (Rieker, S.A.: 1995, S. 161). Das Ziel des Key Account Management ist folglich in einer speziell ausgerichteten, das relevante Produktspeklrum berücksichtigenden Verbesserung der Beziehungen zu bedeutenden Kunden zu sehen. Fördernd wirken dabei hinreichend umsatzstarke Kunden sowie erklärungsbedürftige Produkte (Gruner, K. et al.: 1997, S. 238). Ebenso wie beim Beziehungsmanagement werden für beide Partner ein Beziehungserfolg bzw. ein Erfolgspotenzial angestrebt (Götz, P.: 1995, S. 56). Aus organisatorischer Sicht bleibt abschließend festzuhalten, dass die konsequente Umsetzung von Relationship Marketing-Aktivitäten in der Praxis eine Verankerung der Relationship Marketing-Denkhaltung im Unternehmen erfordert. Daraus erwachsen umfangreiche organisatorische und personelle Anpassungsmaßnahmen (Emmert, T. A. et al.: 2000, S. 23; Bruhn, M.: 2002, S. 135-139; Hartmann, R.: 2002, S. 91-96). Hier ist eine Bündelung aller für eine Beziehungsgestaltung notwendigen Kompetenzen, Verantwortlichkeiten und Aufgaben - ausgerichtet auf die jeweiligen (Schlüssel-)Kunden - anzustreben. Die Herausbildung und Aufrechterhaltung der kundenbezogenen Interaktionsstrukturen wird dabei als vordringliches Handlungsfeld erachtet. Diesbezüglich gilt es, Erfahrungen in der Organisation des Key Account Management auf alle Relationship Marketing-Aktivitäten zu übertragen. 28 Eine Gegenüberstellung der bisher untersuchten Konzepte des Beziehungsmanagement und des Relationship Marketing zeigt aus konzeptioneller Sicht deutliche Parallelen. Gemeinsam ist ihnen die (dynamische) Betrachtung langfristig angelegter Geschäftsbeziehungen mit dem Ziel eines nachhaltigen Beziehungserfolgs. Die jeweiligen Komponenten lassen sich ferner aus einem funktionalen Managementver26

Vgl. Bruhn, M.: 2002, S. 133. In der Akquisitionsphase ist beispielsweise ein professioneller Kundenserviee gefordert, der dem Kunden möglichst viele Interaktionsmöglichkeiten zur Information und Beratung bietet. In der Kundenbindungsphase werden demgegenüber verstärkt Bonusprogramme eingesetzt. In der Phase der Rückgewinnung liegt der Fokus auf dem Beschwerdemanagcmcnt oder in einer persönlichen Kontaktaufnahme mit dem Kunden: vgl. Hartmann. R.: 2002, S. 88-89.

27

Zu verschiedenen Segmenlierungskriterien bei Kunden(beziehungen) im Relationship Marketing vgl. Bruhn. M.: 2001, S. 9 5 - I I I . Fing verknüpft sind hiermit auch Ansätze wie die Kundenwertberechnung oder der Customer Lifetime Value zu sehen, bei denen ökonomische Zielgrößen als Segmentierungskriterium fungieren.

28

Siehe zur Organisation des Key Account Management Götz, P.: 1995, S. 332-381.

Supplier Relationship Management

181

ständnis ableiten. Es liegt nahe, vor dem Hintergrund der Veränderungen der Transaktionsbeziehungen eines Abnehmers zu seinen Lieferanten ein theoretisch fundiertes Konzept zu entwickeln, welches dieser zunehmend strategischen Bedeutung von Lieferantenbeziehungen Rechnung trägt. Konzeptionelle Impulse sind dabei von beiden zuvor untersuchten Perspektiven aufzugreifen: Erstens fordert das Relationship Marketing implizit bereits eine eingehende Betrachtung der Lieferanten(perspektive) aus Sicht des Abnehmers. Denn gemäß dem Relationship Marketing im engeren Sinn gilt es, den Beitrag weiterer Märkte, also auch des Beschaffungsmarkts, zur angestrebten Kundenorientierung zu prüfen. 29 Zweitens bedeutet dies gegenüber dem Beziehungsmanagement, Geschäftsbeziehungen zwischen den beteiligten Institutionen nicht mehr bidirektional zu betrachten (Plinke, W.: 1997, S. 34; Stölzle, W.: 2000, S. 9), sondern die Sicht der eigenen Kunden bei der Gestaltung der Beziehungen zu seinen Lieferanten zu berücksichtigen. Zur methodisch-instrumentellen Unterstützung eines solchen Konzepts ist nicht nur das Instrumentarium des Beziehungsmanagement näher zu spezifizieren, sondern auch die lieferantenseitige Anwendung von Instrumenten des Relationship Marketing im Sinne des Customer Relationship Management kritisch zu überprüfen. Dies führt zur Entwicklung des Supplier Relationship Management. Das hierunter zu subsumierende Aktivitätenspektrum, bei dem aus Sicht eines Unternehmens als Abnehmer die Beziehungen zu seinen Lieferanten im Mittelpunkt des Interesses stehen, ist Gegenstand der weiteren Ausführungen, indem sowohl Implikationen für eine konzeptionelle Basis als auch für die methodisch-instrumentelle Ausgestaltung analysiert werden.

4

Implikationen für das Supplier Relationship Management

Die folgende Analyse knüpft am zuvor identifizierten Mangel einer konzeptionellen Fundierung eines Management von Lieferantenbeziehungen im Sinne eines (noch näher zu definierenden) Supplier Relationship Management an. Trotz einiger Impulse in der Literatur konnten Unklarheiten des Konzepts und seiner Fundierung bisher nicht beseitigt werden. 30

2y

Vgl. Lasogga, F.: 2000, S. 375-376. Sofern Relationship Marketing im weiteren Sinne betrachtet wird, stellt die Gruppe der Lieferanten ohnehin eine relevante Anspruchsgruppc dar: vgl. Bruhn, M.: 2001, S. 11: Payne, Α../Rapp, R.: 1999, S. 10.

M)

Der Begriff des Supplier Relationship Management wurde bislang in erster Linie von praxisorientierter Literatur geprägt: vgl. z.B. O.V. 2001a. S. 45-47. Eine erste Erwähnung des Supplier Relationship Management in der wissenschaftlichen Literatur findet sich bei Eßig, M.: 2001a, S. 24; 2001b, S. 71 ; Stölzle, W.: 2000, S. 2ff. sowie Stölzle. W./Heuslcr, K . F.: 2002. Corstiìn/Hokstltti:r bedienen sich der Bezeichnung des Supplier Relationship Management, verzichten aber weitgehend auf seine konzeptionelle Fundierung sowie auf eine Abgrenzung bestehender Ansätze: vgl. Corsten. D./Hofsleller, J. S.: 2001, S. 130-147.

Wolfgang Stölzle/Klaus Felix Heusler

182 4.1

Konzeptverständnis

Das Supplier Relationship Management als integrierter Management-Ansatz beinhaltet im Kern den Auftau und die Pflege von Lieferantenbeziehungen, wobei alle Verbindungen zwischen Lieferanten und dem Abnehmer abgebildet werden. Es gilt, die auf die Bedürfnisse der eigenen Kunden ausgerichtete Wertschöpfungskette gezielt auf die vorgelagerten Zulieferer zu erweitern. Dies bedeutet, den Ansatz des Relationship Marketing im engeren Sinn (Customer Relationship Management) stromaufwärts anzuwenden (Abb. 6). Relationship Marketing i.w.S.

Öffentlichkeit

ι

Lieferanten ,

Supplier Relationship Management

^Unternehmen / Mitarbeiter

Konkurrenz

Absatzmittler / / Verbraucher / Relationship Marketing i.e.S./ Customer Relationship Management

Abb. 6: Einordnung des Supplier Relationship Management in das Relationship Marketing (Quelle: In Anlehnung an Bruhn, M.: 2001, S. 11) Eine Einordnung des Supplier Relationship Management in das Beziehungsmanagement und das Relationship Marketing stellt kein triviales Unterfangen dar. Es zeigt sich, dass keines der beiden Konzepte für das Management von Lieferantenbeziehungen eine einfache Übertragung erlaubt. Das Customer Relationship Management orientiert sich in erster Linie an Endverbraucher-Bedürfnissen, die auf industriell geprägte Beziehungsgefüge nicht unmittelbar zu übertragen sind. Ferner ist infolge der steigenden Verzahnung der Wertschöpfungsprozesse zwischen Zulieferer und Abnehmer davon auszugehen, dass die wechselseitige Abhängigkeit bei einer intensiven Zusammenarbeit vergleichsweise ausgeprägt ist. Dieser Abhängigkeit trägt das partnerschaftliche Verständnis aus dem Beziehungsmanagement Rechnung, indem etwa das Ziel der Beziehungsgerechtigkeil eine aktive Berücksichtigung erfährt. Folglich sind bei der Entwicklung des Supplier Relationship Management theoriegeleitete Impulse des Beziehungsmanagement und des Relationship Marketing zu berücksichtigen. So werden nachstehend im Zuge einer Gegenüberstellung ihrer konzeptionellen Kerninhalte über einen Erkenntnistransfer erste Empfehlungen zum

Supplier Relationship Management

183

Merkmal

Beziehungsmanagement

Relationship Marketing

Supplier Relationship Management

Akteursperspektive

Dyade in Form gleichberechtigter Partner

Zulieferer

Abnehmer

Betrachtungsobjckt

Geschäftsbeziehung im Sinne einer strategischen Partnerschaft

Geschäftsbeziehung mit (Schlüssel-) Kunden

Geschäftsbeziehung mit (Schlüssel-) Lieferanten

Fristigkeil der Geschäftsbeziehung

Langfristig

Langfristig

Langfristig

Entscheidungsorientierung

Analyse, Planung, Analyse, Planung, Steuerung, Kontrolle Steuerung, Kontrolle und Entwicklung von und Entwicklung sämtlicher (kundenGcschäftsbcziehunoricnliertcr) Markegen lingaktivitätcn

Analyse, Planung, Steuerung, Kontrolle und Entwicklung sämtlicher (lieferanten-orientierter) Beschaffungsaktivilälcn

Nutzenorientierung

Beziehungserfolg Beziehungserfolg des (spotenzial) und BeZulieferers über Kunziehungsgerechtigkeil denzufriedenheit und Kundenbindung; Customer Lifetime Value

Beziehungserfolg des Abnehmers über Effektivität und Effizienz; Supplier Lifetime Value

Zeitraumorientierung

Über Geschäflsbezichungslebenszyklus

Über Kundenbeziehungslebenszyklus

Über Lieferanlenbeziehungslebenszyklus

Infolge der Forderung nach Bildung dezentraler Einheiten und verstärkter Prozessorientierung gesamtes Unternehmen betroffen; Vorschläge zur Organisation des Key Account Management vorhanden

Ζ. B. in Form inlerorganisationaler Teams, Relationship Groups; vereinzelt Vorschläge zur Organisation des Key Supplier Management vorhanden

Organisatorische Ver- Ζ. B. in Form inlerankerung organisationaler Teams, Relationship Groups, Bezichungspromotoren

Abb. 7: Gegenüberstellung von Beziehungsmanagement, Relationship Marketing und Supplier Relationship Management

Konzeptverständnis und zur Gestaltung des Supplier Relationship Management abgeleitet. Als Kriterien hierfür dienen die Akteursperspektive und das betrachtete Objekt, die Fristigkeil der Geschäftsbeziehung, die Entscheidungs-, Nutzen- und Zeitraumorientierung sowie die organisatorische Verankerung des jeweiligen Konzepts (vgl. Abb. 7 ) . 3 1

31

Zur Entscheidungs-, Nulzen- und Zeilraumoiienlieiung vgl. Bruhn. M.: 2001, S. I 1.

184

Wolfgang Stölzle/Klaus Felix Heusler

Die beim Relationship Marketing eingenommene Perspektive des Zulieferers wechselt im Rahmen des Supplier Relationship Management spiegelbildlich: Es wird aus dem Blickwinkel des Abnehmers agiert. Als Betrachtungsobjekt rücken daher die Geschäftsbeziehungen mit dessen (Schlüssel-)Lieferanten 32 in den Mittelpunkt. Unter sämtlichen existierenden Lieferantenbeziehungen eines Unternehmens sind diejenigen zu identifizieren und zu Segmenten zusammenzufassen, die aufgrund ihrer hohen Intensität das Eingehen einer integrativ über mehrere Transaktionen und Transaktionsepisoden hinweg betrachteten Partnerschaft rechtfertigen (Eßig, M.: 2001b, S.71). Diese Aufgabe kann analog zum Beziehungsmanagement durch die Anwendung eines Merkmalskataloges gelingen. Dabei ist davon auszugehen, dass sich dafür vornehmlich intensiv und dauerhaft angelegte Zulieferer-Abnehmer-Beziehungen eignen. In Bezug auf die Nutzenorientierung des Supplier Relationship Management herrscht bislang Unklarheit über die Ursache-Wirkungs-Mechanismen zum Beziehungserfolg. So stehen beispielsweise noch Erkenntnisse aus, ob über eine hohe Lieferantenzufriedenheit und mithin eine erhöhte Lieferantenbindung ein signifikanter Beitrag zum ökonomischen Erfolg des Abnehmers geleistet werden kann (Abb. 8). 3 3 Daher ist neben der aus dem Beziehungsmanagement bekannten Zielgröße des Beziehungserfolgs (Plinke, W.: 1997, S. 49; Bogaschewsky, R.: 2000, S. 140) vorwiegend auf traditionelle Effektivitäts- und Effizienzkriterien aus der Beschaffung abzuzielen (Arnold, U.: 1997, S. 10- 18). Erste Vorschläge sehen eine lieferantenseitige Übertragung des Ansatzes des Kundenwerts (Customer Lifetime Value) im Sinne eines „Supplier Lifetime Value44 vor. Hiermit wird der über die Beziehungsdauer kumulierte Wert bezeichnet, der aus der Zusammenarbeit mit einem Lieferanten in Form von ökonomischem Erfolg (z.B. Erzielung von Wettbewerbsvorteilen) erlangt werden kann. 34 \ /

Relaüonship \ \ Lieferanten- \ \ Management / / Z u f r i e d e n h e i t ? / /

Lieferanten- \ \ ö k o n o m i s c h e r \ b i n d u n g ?? g Erfolg ??? j

Abb. 8: Exemplarische Wirkungskette des Supplier Relationship Management Die Fristigkeit der Geschäftsbeziehung ist eng mit der Zeitraumorientierung des Konzepts verbunden. Analog zu einer Kundenbeziehung werden beim Supplier Relationship Management in der Regel partnerschaftliche Lieferantenbeziehungen mit dynamischem Charakter betrachtet. Dies kann beispielsweise durch die lieferantenseitige Übertragung eines Kundenlebenszyklus- auf ein Lieferantenlebenszyklusmodell 3 5 erfolgen. Mitunter wird davon ausgegangen, dass der Lieferanten wert aus

32

Siehe zum Key Supplier Management Mühlmeyer, J./Belz. C : 2001; Bogaschewsky, R.: 2001.

33

Vgl. exemplarisch die Studie von Tan, K.C./Kannan, V.R./Handfield. R. B.: 1998.

34

Vgl. Eßig, M.: 2001b, S.71; Töpfer, Α.: 2000, S. 5 2 - 5 3 ; Winer. R.S.: 2001, S. 94-95; Bruhn, M.: 2001, S. 221-222. Weitgehend offen bleibt allerdings die Frage nach der Operationalisicrung dieser Größe.



Vgl. ζ. B. Stölzle, W./Körte, C.: 2003, die eine Differenzierung von Anbahnungsphase, Ausreifungsphase und Degenerationsphase des Licfcrantenlebenszyklus vorschlagen.

Supplier Relationship Management

185

Sicht eines Abnehmers mit zunehmender Bindungsdauer und -intensität steigt. 36 Für diese Einschätzung spricht die Annahme, dass mit steigender Bindungsdauer und -intensität tendenziell auch die Wechselkosten des Abnehmers ansteigen bzw. seine Transaktionskosten im Rahmen der Lieferantenbeziehung sinken. Demgegenüber ist die Gefahr eines mit zunehmender Bindungsdauer sinkenden Innovationspotenzials beim Lieferanten sowie eines drohenden Verlusts des Marktbezugs - insbesondere der marktgerechten Entwicklung der Preise für lieferantenseitige Leistungen - zu berücksichtigen. Abschließend sei auf die Unklarheit bezüglich der organisatorischen Verankerung des Supplier Relationship Management verwiesen. Die aus dem Beziehungsmanagement stammende Empfehlung des Einsatzes interorganisationaler Teams bzw. des Aufstellens von Relationship Groups ist ebenso zu prüfen wie die Übertragung des Key Account Management auf die Beschaffung bzw. den Einkauf im Rahmen eines Key Supplier Management. Das Key Supplier Management stellt insofern einen Spezialfall des Supplier Relationship Management dar, als es sich auf die 1:1 -Betrachtung einer Beziehung mit den wichtigsten Schlüssellieferanten konzentriert (Bogaschewsky, R.: 2001, S. 173; Mühlmeyer, J./Belz, C : 2001, S. 20). Die hier aufgeführten Konzeptspezifikationen können lediglich einen Überblick über ein noch junges Forschungsfeld geben. Nachstehend wird mit Blick auf die Praxisrelevanz der Anwendungsstand des Supplier Relationship Management skizziert.

4.2

Methodisch-instrumentelle Anwendung

Die Durchsetzungsfähigkeit eines neuen Konzepts in der Praxis erfordert in erster Linie die Existenz anwendbarer Methoden und Instrumente. Gegenwärtig sind diesbezüglich durch eine gestiegene Verbreitung von E-Procurement-Lösungen positive Impulse für die Umsetzung des Supplier Relationship Management-Konzepts zu verzeichnen (Bogaschewsky, R.: 2000; Bogaschewsky, R.: 2001; Eßig, M.: 2001b, S. 72; Stölzle, W./Heusler, K.F.: 2002). Wenngleich sich der vorliegende Beitrag mit dem Einsatz solcher Lösungen in der Praxis befasst, sei vor einer vorschnellen bzw. unreflektierten Anwendung etablierter „E-Instrumente" im Rahmen des Supplier Relationship Management ausdrücklich gewarnt. So stehen beispielsweise Untersuchungen bezüglich des Einflusses elektronischer Marktplätze auf etablierte Größen des Relationship Marketing wie die Beziehungsqualität noch weitgehend aus. 37 Nachfolgend gilt es, das Spektrum der Einsatzmöglichkeiten von Methoden und Instrumenten im Supplier Relationship Management zu skizzieren. Dabei erfahren E-Procurement-Lösungen eine explizite Berücksichtigung. Als Strukturierungshilfe dienen die im vorigen Abschnitt dargelegten, anwendungsorientierten Managementkomponenten. Die hier vorgenommene Unterteilung führt allerdings zu keiner Überschneidungsfreiheit der betrachteten „Phasen" und somit auch des jeweiligen Instru-

36 37

Vgl. Slauss, B.: 2000. Siehe zur Diskussion über die Effekte eines Einsatzes elektronischer Märkte auf die Beziehungsqualität von Partnerschaften zwischen industriellen Zulieferern und ihren Abnehmern z.B. Stölzle. W./Hclm, R.: 2003.

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Wolfgang Stölzle/Klaus Felix Heusler

menteneinsatzes. Ferner wird das Controlling der Lieferantenbeziehung an dieser Stelle nicht näher betrachtet. 38 Beurteilung und Auswahl potenzieller Lieferanten Eine Auswahl geeigneter Lieferanten im Rahmen des Supplier Relationship Management ist von großer Bedeutung zur Handhabung bzw. aktiven Bearbeitung von Beschaffungsmärkten mit hoher Komplexität. Sofern ein Unternehmen in der Anbahnungsphase eines Lieferantenkontakts eine vergleichsweise zurückhaltende Rolle einnehmen möchte, schafft eine speziell darauf abgestimmte Kommunikationsplattform (z.B. eine Einkaufshomepage im Rahmen des Internetauftritts des Unternehmens) die Voraussetzung hierfür. Über diesen „Single Point of Contact" können sich potenzielle Lieferanten beispielsweise über die Einkaufsphilosophie des Abnehmers, die Ansprechpartner oder über konkrete Bedarfe an Produkten bzw. Dienstleistungen informieren (Eßig, M.: 2001b, S. 47-48). Bei der Beurteilung in Frage kommender Lieferanten besteht die Möglichkeit, auf die aus der Beschaffung bekannten Instrumente wie die Lieferantenbeurteilung bzw. das Lieferantenaudit zurückzugreifen. Der Einsatz standardisierter, web-basierter Lieferantenbewertungsinstrumente weist den Vorteil auf, dass die Bewertungskriterien und Ergebnisse vergangener Bewertungen dezentral 39 abrufbar sind und jederzeit zur Verfügung stehen. Die so gewonnenen Informationen können bei der Auswahl sowie bei der Weiterentwicklung von Lieferanten herangezogen werden. 40 Weiterführende Schritte stellen die Differenzierung zwischen partnerschaftlichen und rein marktlichen Lieferantenbeziehungen (vgl. nochmals Abb. 3) sowie die zusätzliche Einbeziehung der Materialdimension dar. Hilfestellung leisten diesbezüglich seit langem in der Beschaffung etablierte Portfolio-Techniken, durch die einerseits Lieferanten bezüglich ihrer Marktrelevanz und ihres Lieferanteils, andererseits Beschaffungsgüter bezüglich ihrer Bedeutung für das Unternehmen differenziert werden können (Kraljic, P.: 1988, S. 489; Eßig, M.: 2001b, S. 70). Das Beziehungsmanagement stellt ferner mit dem Screening ein Verfahren der Informationssuche bereit, durch das eine (potenzielle) Geschäftsbeziehung hinreichend bezüglich (potenzieller) Risiken beurteilt werden kann (Plinke, W./Söllner, Α.: 1997, S. 345). Dabei kommen als mögliche Risikoquellen Informationsasymmetrien oder unterschiedlich ausgeprägte spezifische Investitionen der Beteiligten in Betracht. Dadurch besteht für mindestens eine Partei grundsätzlich der Anreiz, sich opportunistisch zu verhalten. Abhilfe verschafft hier das Abgeben von Signalen, mit deren Hilfe Opportunismus-Spielräume reduziert werden sollen. Zur Befriedigung des vergleichsweise hohen Informationsbedarfs bei der Lieferantenauswahl stehen spezielle E-Procurement-Instrumente zur Verfügung. Diesbezüglich sei auf das Web-basierte Enterprise Resource Planning (ERP), welches in Form integrierter Informationssysteme spezifische Daten für das Beschaffungsmana• x Siehe dazu elwa die Vorarbeiten von Slölzle. W.: 2000, S. 15 - 18 sowie Arnold. U./Eßig. M.: 2001, S. 65-72. Dies ist insbesondere für Unternehmen mit verteilten Produktionsstandorten und dezentraler Beschaffung von Interesse. 40

Vgl. Arnold. U.: 1997, S. 175-195. Hin anschauliches Praxisbeispiel zur Lieferantenbewertung liefern Hoffmann, R./Lumbe. H.-J.: 2000. S. 87-120.

Supplier Relationship Management

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gement im Rahmen der Material- und Bedarfsplanung zur Verfügung stellt, und das E-Sourcing als von der Nutzung elektronischer Medien 41 geprägter Prozess der Lieferantensuche und -gewinnung über das Internet verwiesen (Eßig, M.: 2001b, S. 69-70; Eßig, M./Arnold, U.: 2001). Beim Zugriff auf die o.g. Instrumente über elektronische Marktplätze ist davon auszugehen, dass die meisten der genannten Instrumente den Informationsstand des Einkaufs bezüglich der Sucheigenschaften verbessern. Schwierig wird dies bei der Beurteilung bzw. Generierung von Erfahrungsbzw. Vertrauenseigenschaften (Stölzle, W./Heusler, K. F.: 2001, S. 143- 146). Schaff en interner Voraussetzungen für das Supplier Relationship Management Die organisatorischen Implikationen des Supplier Relationship Management sind vielschichtig und nur im Ansatz durchdrungen. Es ist davon auszugehen, dass hiervon in vergleichsweise hohem Ausmaß der Abnehmer betroffen ist, da dieser die Lieferantenbeziehung aktiv steuert. Dennoch sind auch lieferantenseitig organisatorische Veränderungen zu erwarten. Neben der allgemeinen Forderung nach geschulten Mitarbeitern und einer angemessenen Ressourcenausstattung zählt zu den internen Voraussetzungen speziell die Einführung interdisziplinär zusammengesetzter Teams, die entweder spiegelbildlich bei Zulieferer und Abnehmer oder unternehmensübergreifend eingerichtet werden. Diesbezüglich weitgehend offene Fragen stellen sich hinsichtlich der Entscheidungsbefugnis und der Anreizmechanismen sowohl auf Teamebene wie auf Ebene des einzelnen Teammitglieds (Gemünden, H. G./Helfert, G.: 1997, S. 250-254; Stölzle, W.: 2000, S. 10). Das Verständnis des Supplier Relationship Management im Unternehmen kann über die Einrichtung einer „Relationship Group" (ζ. B. in Form einer Stabsstelle) forciert werden (Carter, P. L. et al.: 2000, S. 18). Eine starke Nähe dazu weist der Vorschlag auf, einen Beziehungspromotor (Walter, Α.: 1998, S. 124- 127) einzusetzen. Dieser gestaltet die Interaktionsprozesse zwischen den Partnern so, dass Vertrauen und innere Verpflichtung mit dem Ziel einer Stabilisierung der Geschäftsbeziehung aufgebaut werden. Sein Rollenverständnis umfasst dabei Aktivitäten zur Initiierung des Informationsaustauschs, der Identifikation und Zusammenführung geeigneter Kontaktpersonen, der Koordination der Kontaktpersonen unter Berücksichtigung ihrer Kompetenzen und Ressourcenausstattung sowie der Erzielung von Verhandlungsergebnissen einschließlich der Handhabung von Konflikten. Eine intensive Zusammenarbeit mit Lieferanten wird zudem durch die Einrichtung eines speziell auf ein Kooperationsprojekt zugeschnittenen Intranets (Kooperations-Intranet) unterstützt. Es ermöglicht den räumlich und zeitlich unabhängigen Zugriff auf bereitgestellte Projektdateien und -dokumente seitens des Zulieferers und des Abnehmers. Abgrenzendes Kriterium nach außen stellt dabei die Projektgruppe und nicht die Unternehmensgrenze dar (Bogaschewsky, R.: 2000, S. 154- 156). Gewinnung eines geeigneten Lieferanten Die Bereitschaft des Abnehmers, einen als geeignet angesehenen Lieferanten für eine längerfristig angelegte Geschäftsbeziehung zu gewinnen, kann nach Maßgabe des Beziehungsmanagement über die Anwendung des Signaling erfolgen. Durch das Ab41

Z.B. Kataloge, elektronische Markiplül/.e, Webseiten von Lieferanten.

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Wolfgang Stölzle/Klaus Felix Heusler

geben von Signalen möchte der Abnehmer seinerseits bekunden, dass er an einer Zusammenarbeit mit dem Lieferanten interessiert ist. Es lassen sich zwei Kategorien der Signalgebung unterscheiden: die Selbstbindung und die Reputation. Mit Selbstbindungen sollen die vom Lieferanten (subjektiv) wahrgenommenen Risiken reduziert werden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Lieferant einseitig Investitionen in die Geschäftsbeziehung zu tätigen hat, die er mit anderen Abnehmern nicht zu nutzen vermag 42 (Stölzle, W.: 2000, S. 14). Als konkrete Maßnahmen der Selbstbindung stehen neben einer langen Vertragsdauer auch die Zusicherung bestimmter Auftragsvolumina oder das Lieferantencoaching zur Verfügung. 43 Die Wahrnehmung der Reputation eines Abnehmers seitens seiner Zulieferer kann ausschlaggebend für das Zustandekommen einer Geschäftsbeziehung sein. Sofern vom Lieferanten Indizien für die Existenz von Reputation des Abnehmers wahrgenommen werden, verzichtet Erstgenannter eher auf die Forderung nach Selbstbindung des Abnehmers. Ferner vermag die Existenz von Reputation beim Abnehmer als Barriere gegen das Eindringen anderer Abnehmer in die Geschäftsbeziehung zu wirken. Dies gilt dann, wenn der Lieferant aufgrund wahrgenommener Reputation des Abnehmers auf eine weitere Suche alternativer Abnehmer verzichtet und sich über eine dauerhaft angelegte Geschäftsbeziehung an ihn bindet (Kaas, K.P.: 1992, S. 896-897). Das Signaling kann ebenfalls durch die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologie unterstützt werden. Hierzu gehören z.B. Diskussionsforen zum Informationsaustausch zwischen Zulieferer und Abnehmer, durch deren Nutzung eine erhöhte (persönliche) Kontaktbereitschaft zu unterstellen ist. Ferner besteht die Möglichkeit. Zulieferern Informationen anzubieten, welche Hinweise auf die Reputation (z.B. in Form von Qualitätszertifikaten) oder vergangene selbstbindende Maßnahmen des Abnehmers geben (z.B. über Dokumente, die über Verhaltenskodices bzw. die Beziehungspolitik informieren). Es ist davon auszugehen, dass sich die gemeinsame Nutzung von Informationspools, die dem bilateralen Datenaustausch zwischen Zulieferer und Abnehmer dienen, deutlich positiv auf das gegenseitige Vertrauen in der Lieferantenbeziehung auswirkt (Bogaschewsky, R.: 2000, S. 156). Verteidigung,

Stabilisieren

und Weiterentwicklung

der Lieferantenbeziehung

Dem Absetzen von Signalen kommt nicht nur bei der Gewinnung von Lieferanten, sondern auch bei der Pflege einer Lieferantenbeziehung große Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang sei auf die Durchführung von Lieferantentagen oder -workshops verwiesen (Arnold, U.: 1997, S. 193). Im Rahmen bereits etablierter Geschäftsbeziehungen richtet sich der gestalterische Fokus auf deren Stabilisierung und Weiterentwicklung bis hin zu deren Verteidigung gegenüber konkurrierenden Wettbewerbern.

42

Beispielsweise Fertigungs- oder Logistikkapaziläten, die speziell auf die Produkte des Abnehmers zugeschnilten sind.

43

Vgl. Wolters, H.: 1995, S. 173, dereinen umfassenden Überbliek über Ausprägungsformen von Signalen eines Herstellers gegenüber Systemlieferanien gibt.

Supplier Relationship Management

189

Hierzu zählen die in der Beschaffung bekannten Ansätze der Lieferantenpflege, -erziehung, -förderung und -entwicklung. Die Lieferantenpflege dient der Herstellung eines vertrauensvollen Verhältnisses im Rahmen der Geschäftsbeziehung. Mit Hilfe erzieherischer Maßnahmen ist es möglich, auf einen Lieferanten dahingehend einzuwirken, dass dieser z.B. Mängel oder Fehler in der Leistungserstellung vermeidet (etwa im Zuge eines gemeinsamen Qualitätsprogramms). Ein Maßnahmenbündel zum Know-how-Transfer zwischen Zulieferer und Abnehmer beinhaltet die Lieferantenförderung, wodurch die Leistungserstellungsprozesse der Lieferanten effizienter gestaltet werden sollen. Dies kann auf technischer, wirtschaftlicher, personenbezogener ebenso wie auf kommunikativer Ebene geschehen. Unter der Lieferantenentwicklung (Handfield, R.B. et al. 2000, S. 37-49) wird diesbezüglich der Aufbau einer völlig neuen Beschaffungsquelle verstanden (Arnold, U.: 1997, S. 190- 195). Für besonders enge und dauerhaft angelegte Geschäftsbeziehungen werden Verfahren zur Weitergabe von Planungsinformationen empfohlen. 44 Dazu gehören etwa Methoden und Instrumente im Rahmen von Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment (CPFR)-Aktivitäten (ECR Deutschland: 2001). Dies wird auch bei der frühen und engen Einbindung von Zulieferern zur Verkürzung von Produktentwicklungszeiten empfohlen. Das Konzept des Simultaneous Engineering stellt Methoden und Instrumente bereit, mit deren Hilfe durch eine Parallelisierung von Entwicklungsschritten von Zulieferer und Abnehmer sowie durch die simultane Entwicklung von Produkt- und Prozesstechnologie eine schnellere Marktreife erzielt werden kann (Handfield, R. B. et al.: 1999). Gemeinsam genutzte Prozessmodelle, die softwaremäßig hinterlegt sein sollten, unterstützen die Optimierung der unternehmensübergreifenden Leistungserstellungsprozesse und tragen zur Stabilisierung der Lieferantenbeziehung bei. 45 Dies betrifft ebenso Maßnahmen eines gemeinsamen Qualitätsmanagement, für das ein speziell konfiguriertes Intranet eine Unterstützungsplattform darstellt (Bogaschewsky, R.: 2000, S. 156-158). Der intra- bzw. internetbasierten Durchführung des Beschaffungsvorgangs wird ein großes Effizienzsteigerungspotenzial eingeräumt. Letztere knüpft unmittelbar an die Phase der Beurteilung und Auswahl potenzieller Lieferanten an. Ziel ist es, durch einen weitgehend automatisierten Bestellablauf den Auswahlprozess zu verschlanken und zu beschleunigen, um somit administrative Kosten zu senken. Zu beachten ist diesbezüglich, dass nicht für alle Beschaffungsobjekte ein derart automatisiertes Vorgehen anzustreben ist (Koppelmann, U. et al.: 2001, S. 83-85). Zusammenfassend ist kritisch festzuhalten, dass nahezu ausschließlich bereits bekannte Methoden und Instrumente angesprochen wurden. Zudem gilt es zu klären, inwiefern sich bestimmte Kombinationen des Methoden- und Instrumenteneinsatzes zur Unterstützung einzelner Konzeptkomponenten des Supplier Relationship Management anbieten.

44

Vgl. den Überblick bei Large, R.: 1999, S. 257-261.

45

Implizit ist dabei auch ihre Verteidigung und Weiterentwicklung angesprochen.

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5

Wolfgang Stölzle/Klaus Felix Heusler

Supplier Relationship Management im Lichte zukünftiger Forschungsarbeiten

Bei der abschließenden Würdigung des Konzepts des Supplier Relationship Management ist zu konstatieren, dass die integrierte Betrachtung einer Geschäftsbeziehung zwischen Zulieferer und Abnehmer der strategischen Bedeutung der Beschaffung Rechnung trägt. Durch die enge Verzahnung eines Abnehmers mit für ihn bedeutenden Lieferanten sind Potenziale für verbesserte Produktqualität und -herstellung, niedrige Einstandskosten, höhere Flexibilität gegenüber Nachfrageveränderungen, beschleunigte Materialumschläge und kürzere Zeitspannen bis zur Markteinführung zu realisieren (o.V.: 2001a, S.45). Aus konzeptioneller Sicht vereint das Supplier Relationship Management Erkenntnisse aus dem Beziehungsmanagement und dem Relationship Marketing. Deren (Neu-)Kombination besitzt in Teilbereichen innovativen Charakter. Dabei bleibt allerdings aufgrund seiner unzureichenden Profilschärfe bislang offen, inwieweit das Supplier Relationship Management gegenüber den beiden etablierten Konzepten eine nachhaltige Existenzberechtigung für sich reklamieren kann. Dieses Defizit ließe sich durch eine spezifische Auseinandersetzung mit dem theoretischen Gehalt des Supplier Relationship Management lindern. Zugleich wäre damit eine Basis für die Zuordnung eines Methoden- und Instrumentensets geschaffen. Vor diesem Hintergrund gibt das Supplier Relationship Management erschöpfenden Anlass für zukünftige Forschungsarbeiten: • Aus theoretischer Sicht ist zu hinterfragen, inwieweit sich das partnerschaftliche Verständnis des Beziehungsmanagement mit dem Supplier Relationship Management im Sinne einer aktiven Beziehungsgestaltung aus Sicht des Abnehmers verbinden lässt. • Eine produktspezifische Differenzierung des Supplier Relationship Management auch im Hinblick auf den Methoden- und Instrumenteneinsatz steht noch weitgehend aus. Das Relationship Marketing gibt erste Hinweise, indem es zwischen Konsum-, Industriegütern und Dienstleistungen unterscheidet (Bruhn, M.: 2001, S. 241-278). • Die organisatorischen Veränderungen durch die Anwendung von Supplier Relationship Management sind sowohl zuliefer- wie abnehmerseitig („One Face to the Supplier") (o.V.: 2001b, S. 46) näher zu spezifizieren. • Für die Akzeptanz des Konzepts in der Unlernehmenspraxis gilt es, die ökonomischen Elfolgswirkungen aus Abnehmersicht theoriegeleitet und empirisch zu analysieren. • Bisher werden die Konzepte des Customer Relationship Management und des Supplier Relationship Management schwerpunktmäßig separat aus Sicht eines Unternehmens betrachtet. Eine weiterführende Fragestellung betrifft insofern die Kombinationsmöglichkeiten der Instrumente des Customer Relationship Management des Zulieferers mit denen des Supplier Relationship Management des Abnehmers. • Es sind theoretische Impulse und Anknüpfungspunkte des Supply Chain Management für das Supplier Relationship Management zu identifizieren. Dies betrifft

Supplier Relationship Management



191

insbesondere die Auswirkungen des Supplier Relationship Management auf zugrunde liegende Logistikprozesse. Die Ausgestaltung eines Controlling von Geschäftsbeziehungen im Allgemeinen und von Lieferantenbeziehungen im Speziellen ist weiter zu verfeinern.

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Lieferantenmanagement mit Internettechnologien Prof. Dr. F olker Roland Professur für Bet rieb swi rtschaftsl eh re Sch werpunkt Logistikmanagement Hochschule Harz Friedrichstr. 57-59 38855 Wernigerode

Zusammenfassung Zwei Themen spielen im Hinblick auf die Zukun ft der industriellen Beschaffung eine besondere Rolle: Der zunehmende Einsatz von Internettechnologien und die Gestaltung von Zuliefe re r-Abnehmer-Beziehungen. In diesem Beitrag wird untersucht, inwiefern Internettechnologien im Rahmen des Lieferantenmanagements - und hierbei insbesondere bei verschiedenen Arten der Lieferantenbewertung - eingesetzt werden können. Dabei wird deutlich, dass diese Technologien einige Aspekte des Lieferantenmanagements effektiver und effizienter, andere überhaupt erst möglich machen.

Folker Roland

196

Inhalt 1

Einleitung

197

2

Grundlagen

197

2.1 2.2

197 199

3

Lieferantenmanagement Internettechnologien

Lieferantenbewertung

200

3.1 3.2

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Methoden der Lieferantenbewertung Arten der Lieferantenbewertung 3.2.1 Lieferantenanalyse 3.2.2 Lieferantenkontrolle

4

Lieferantenmanagement auf der Basis der Lieferantenbewertung

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5

Schlussbetrachtung

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Literatur

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Lieferantenmanagement mit Internettechnologien

1

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Einleitung

Zwei Themenschwerpunkte spielen in der Diskussion über die Zukunft der industriellen Beschaffung zur Zeit eine besondere Rolle: Die Frage der zukünftigen Gestaltung von Zulieferer-Abnehmer-Beziehungen und die Aufgabe der Weiterentwicklung der Beschaffungsprozesse durch die Integration von Internettechnologien. Im Zusammenhang mit der Gestaltung von Zulieferer-Abnehmer-Beziehungen wurden in der Vergangenheit Begriffe wie das Supply Chain Management, das Beziehungsmanagement und das aus dem Customer Relationship Management für die Beschaffungsseite abgeleitete Supplier Relationship Management eingeführt. All diese Konzepte beschäftigen sich (teilweise hauptsächlich, teilweise am Rande) mit verschiedenen Aspekten der Frage, wie Beziehungen zwischen industriellen Zulieferern und Abnehmern entlang der Wertschöpfungskette geplant, gestaltet, gesteuert und auf eine möglichst dauerhafte Basis gestellt werden können. Abschnitt 2.1 setzt sich mit diesen Konzepten auseinander und stellt sie den in der Vergangenheit bereits verwendeten Begriffen „Lieferantenpolitik„Wertschöpfungspartnerschaften" und „Lieferantenmanagement" gegenüber. Ein einführender Überblick über grundlegende Einsatzbereiche von Internettechnologien (Internet, Intranets und Extranets) folgt in Abschnitt 2.2. Im 3. Kapitel steht die Lieferantenbewertung als Grundlage eines effektiven und effizienten Lieferantenmanagements im Mittelpunkt der Betrachtung. Dabei werden neben Methoden der Lieferantenbewertung (Abschnitt 3.1) verschiedene Arten der Lieferantenbewertung vorgestellt, die zum einen den gezielten Aufbau von Zulieferer-Abnehmer-Beziehungen (Lieferantenanalyse, Abschnitt 3.2.1) und zum anderen die Kontrolle der Lieferantenleistungen (Abschnitt 3.2.2) unterstützen. In diesem Rahmen wird der Einsatz der Internettechnologien auf den verschiedenen Stufen der Lieferantenbewertung erörtert. Im vierten Abschnitt werden die Möglichkeiten eines operativen und strategischen Lieferantenmanagements auf der Basis der im Rahmen der Lieferantenbewertung gewonnenen Informationen und seine Unterstützung durch Tools, die auf Internettechnologien basieren, diskutiert, bevor zum Abschluss ein Fazit zum Stand des Einsatzes von Internettechnologien im Rahmen des Lieferantenmanagements gezogen wird.

2

Grundlagen

2.1

Lieferantenmanagement

Die aktive Gestaltung von Geschäftsbeziehungen spielt im modernen Marketing eine bedeutende Rolle. Hierbei wird dem langfristigen Aufbau und der Pflege von Kundenbeziehungen im Vergleich zu traditionellen Konzepten, die eher auf die kurzfristige Anbahnung einzelner Transaktionen mit einer Vielzahl von Kunden fokussiert waren, ein größeres Gewicht beigemessen (vgl. Stölzle, W.; Heusler, K. F.: 2002, S.22f.). Die in diesem Zusammenhang verwendeten Begriffe wie „Customer Relationship Management" oder „Relationship Marketing 441 machen deutlich, dass zunächst die Absatzseite eines Unternehmens im Mittelpunkt der Betrachtung stand.

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Folker Roland

In den vergangenen Jahren wurde verstärkt untersucht, inwiefern sich die Konzepte zur Gestaltung der Geschäftsbeziehungen auf die Beschaffungsseite eines Unternehmens - benutzt werden in diesem Zusammenhang häufig die Begriffe „Beziehungsmanagement" oder „Supplier Relationship Management" - übertragen lassen. Das Beziehungsmanagement beinhaltet dabei „die aufeinander abgestimmte Gesamtheit der Grundsätze, Leitbilder und Einzelmaßnahmen zur langfristig zielgerichteten Analyse, Selektion, Planung, Gestaltung und Kontrolle von Geschäftsbeziehungen" (Diller, H.: 1997, S. 572 f., siehe auch Large, R.: 2000, S. 36). Eine auf diesen Grundsätzen beruhende Geschäftsbeziehung lässt sich von einer rein marktlichen Zulieferbeziehung unterscheiden, die nicht auf Dauer angelegt ist." Der Begriff des „Supplier Relationship Management" wurde in Reaktion auf das „Customer Relationship Management" für das Management von langfristigen Geschäftsbeziehungen mit einem Zulieferer geprägt. Ohne dass sich bislang eine allgemein verwendete Definition herausgebildet hätte, kann als möglicher Kern des Begriffes die integrative Betrachtung einer Geschäftsbeziehung aus der Sicht eines Abnehmers verstanden werden, bei der die Bewertung von isolierten Einzeltransaktionen einer Gesamtsicht auf die Geschäftsbeziehung weicht (vgl. Stölzle, W.; Heusler, K. F.: 2002, S. 25). Auch der hier verwendete Begriff des Lieferantenmangements wird nicht einheitlich definiert. Er lässt sich als „Management der Lieferanten-Abnehmer-Beziehung" beschreiben (Large, R.: 2000, S. 36), wodurch die enge Verbindung zum „Beziehungsmanagement" und zu dem „Supplier Relationship Management" deutlich wird. Das Lieferantenmanagement umfasst die Suche nach Lieferanten, deren Vorauswahl, den Auftau sowie die Kontrolle und Steuerung einer Lieferanten-Abnehmer-Beziehung (vgl. Large, R.: 2000, S. 37). In die Betrachtung werden dabei aber auch Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen und ihren Zulieferern einbezogen, die die recht eng gefassten Bedingungen, die das „Beziehungsmanagement" oder das „Customer Relationship Management" an Geschäftsbeziehungen stellen, nicht erfüllen. Beispielsweise besteht für das Lieferantenmanagement nicht zwangsläufig die Bedingung, dass die Geschäftsbeziehung aus der Sicht beider Partner auf Dauer angelegt sein muss. Es stellt sich die Frage, inwiefern in der Vergangenheit bereits Ansätze bestanden, die ähnliche Ziele wie die vorgestellten Konzepte verfolgten. Seit mehreren Jahrzehnten sind Konzepte zur Zusammenarbeit mit so genannten „Stammlieferanten" bekannt, durch die sich ein Unternehmen dauerhaft die Versorgung mit Objekten sichert, die von einem festen Stamm leistungsfähiger Lieferanten beschafft werden. Dabei besteht von beiden Seiten ein großes Interesse, dass die Leistungsfähigkeit der einbezogenen Unternehmen beibehalten bzw. gesteigert wird und dass die

1

Nach Bki:hn umfasst das Relationship Marketing „sämtliche Maßnahmen der Analyse, Planung. Durchführung und Kontrolle, die der Initiierung, Stabilisierung, Intensivierung und Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen zu den Anspruchsgruppen - insbesondere zu den Kunden - des Unternehmens mit dem Ziel des gegenseitigen Nutzens dienen" (Bruhn. M.: 2001, S. 9). Das „Customer Relationship Management" wird in der Literatur sehr unterschiedlich definiert, wobei häufig auch ähnliche oder gleiche Definitionen wie beim Relationship Marketing verwendet werden.

2

Zu Merkmalen zur Abgrenzung einer partnerschafllichen gegenüber einer rein markllichen Lieferantenbeziehung vgl. Sloelzle, W.: 2000, S. 7. der sich dabei auf eine Veröffentlichung von Groves, G.; Valsamakis. V.: 1998. S. 53. bezieht.

Lieferantenmanagement mit Internettechnologien

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Unternehmen ζ. B. in Logistik- oder Entwicklungsprozesse ihrer Marktpartner eingebunden werden (vgl. ζ. B. Arnolds, H.; Heege, F., Tussing, W.: 1993, S. 314f.). Im Rahmen des Beschaffungsmarketings werden seit langem Instrumente der Lieferantenpolitik wie die Lieferantenwerbung, -pflege, -förderung, -entwicklung und -erziehung diskutiert, die das Management von Zulieferer-Abnehmerbeziehungen betreffen (vgl. ζ. B. Arnolds, H.; Heege, F., Tussing, W.: 1993, S. 319ff.). Zu Beginn der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts wurden Entwicklungs- und Wertschöpfungspartnerschaften intensiv analysiert. Diese beinhalteten Konzepte einer engen Zusammenarbeit zwischen Zulieferern und Abnehmern ζ. B. in den Bereichen Forschung und Entwicklung („Simultaneous Engineering"), Logistik („Just-intime-Zulieferung") oder Qualitätsmanagement im Rahmen langfristiger Verträge (vgl. Roland, F.: 1993, S. 162 ff.). Es lässt sich somit konstatieren, dass die derzeit diskutierten Konzepte des Managements von Geschäftsbeziehungen nicht in jeder Hinsicht völlig neu sind - wohl aber der Versuch einer integrativen systematischen Analyse der einzelnen Geschäftsbeziehung aus der Sicht des abnehmenden Unternehmens.

2.2

Internettechnologien

Als Internet kann der globale Verbund von miteinander vernetzten Computern verstanden werden, die ein gemeinsames Kommunikationsprotokoll „Transmission Control Protocol/Internet Protocol" (TCP/IP) zum Austausch von Daten verwenden. Zum Internet gehört neben dem Versenden von Nachrichten (E-Mail) oder Dateien (FTP) sowie dem Betreiben von Diskussionsforen (Newsgroups) auch das World Wide Web (WWW). Dieser Dienst wird häufig als Kern des Internets wahrgenommen und ermöglicht die Übertragung von Bildschirmseiten von entfernten Rechnern auf den eigenen Computer und ihre Anzeige (vgl. Bogaschewsky, R.; Kracke, U.: 1999, S. 52 ff.). Für die Beschaffung ist das WWW in erster Linie im Rahmen der Beschaffungsmarktforschung von Bedeutung. Neben der Erhöhung der Markttransparenz (Suchen/ Finden geeigneter Beschaffungsobjekte und ihrer Lieferanten) lassen sich umfangreiche Informationen über beschaffungsrelevante Aspekte (Daten über Länder, Branchen/Märkte, Lieferanten sowie Beschaffungsobjekte und ihre Eigenschaften und Preise) im WWW finden. Während geringe Kosten für einen Einsatz des WWW sprechen, sind Aktualität und Vertrauenswürdigkeit der frei zugänglichen Informationen als teilweise problematisch einzustufen. Daneben schränken Probleme mit der Qualität (Durchsatz, Störanfälligkeit) und der Geheimhaltung sowie der Sicherheit der übermittelten Daten (z.B. im Hinblick auf Computerviren) den weitergehenden Einsatz des öffentlichen Internets im Rahmen der betrieblichen Beschaffung ein. Als Intranets werden Informations- und Kommunikationssysteme in Unternehmen bezeichnet, die auf der Technologie des (öffentlichen) Internets basieren. Mithilfe der bekannten benutzerfreundlichen Oberfläche können unternehmensweit Informationen bereitgestellt und Nachrichten und Dateien verschickt werden. Dabei lassen sich die genannten Probleme des öffentlichen Internets auf ein Minimum reduzieren. Zusätzlich zur Informationsbereitstellung besteht die Möglichkeit, konventionelle betriebliche Systeme und eigene Intranet-Anwendungen zu integrieren (vgl. Bogaschewsky, R.; Kracke, U.: 1999, S. 74ff.).

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Für die Beschaffung bedeutet dies, dass das Intranet den gesamten internen Beschaffungsprozess unterstützen kann. Im Rahmen der Informationsbereitstellung lassen sich die relevanten Informationen - auch in verdichteter/aufbereiteter Form - anderen Mitarbeitern bzw. Abteilungen zur Verfügung stellen. Beispiele hierfür sind Erkenntnisse der Beschaffungsmarktforschung und Informationen, die die internen Beschaffungsprozesse betreffen (wie betriebliche Beschaffungsrichtlinien und -ablaufe, Absatzdaten, Stücklisten und technische Zeichnungen, Verpackungsvorschriften, Musterverträge oder Bewertungen bestehender und potenzieller Lieferanten). Auf diese Weise besteht die Möglichkeit, das Intranet zu einer betrieblichen Wissensbasis zu entwickeln, durch die zum einen eine abteilungs- und bereichsübergreifende Informationsbereitstellung möglich wird und zum anderen die Vorteile zentraler und dezentraler Beschaffungsorganisationsstrukturen miteinander verbunden werden können (vgl. hierzu Roland, F.: 1993, S.94ff.). In das betriebliche Intranet lassen sich zusätzlich Schnittstellen zu den herkömmlichen Bestellsystemen (die häufig Module von Enterprise Resource Planning-Systemen wie z.B. SAP R/3 sind) und zu modernen Desktop Purchasing Systemen integrieren. Derartige Möglichkeiten betrieblicher Informationssysteme werden schon seit langem als Voraussetzung einer effektiven und effizienten Beschaffung angesehen (vgl. Bloech, J.: 1986, S. 125 ff. bzw. Bloech, J.: 1992, S. 37 ff.). Durch die Verbindung von Intranets von Geschäftspartnern (Lieferanten, Kunden, Logistik- und Finanzdienstleistern etc.) entsteht ein Extranet, wobei den Partnern in der Regel nur ausgewählte Ausschnitte der Intranets zugänglich gemacht werden. Typische Informationen, die im Rahmen dieser kollaborativ orientierten Systeme ausgetauscht werden, sind Kapazitäts- und Bedarfszahlen der am Werlschöpfungsprozess beteiligten Unternehmen im Rahmen eines (operativen) Supply Chain Managements sowie Dateien (ζ. B. mit Konstruktionszeichnungen), die im Zusammenhang mit Entwicklungspartnerschaften zwischen Unternehmen benötigt werden. Hierbei arbeiten Kunden und Lieferanten in Forschung und Entwicklung, Qualitätssicherung, Einkauf, Produktion sowie Logistik partnerschaftlich zusammen (vgl. Bogaschewsky, R.: 2002b: S. 12 f.). Zur Erhöhung von Zuverlässigkeit, Datenübertragungsgeschwindigkeit und Sicherheitsniveau ersetzen teilweise Virtual Private Networks - wie das von der European Network Exchange Company für die europäische Automobil industrie betriebene - bi- oder multilaterale Extranets. Auf den spezifischen Einsatz der Internettechnologien wird im folgenden Abschnitt näher eingegangen.

3

Lieferantenbewertung

3.1

Methoden der Lieferantenbewertung

Ein effizientes und effektives Lieferantenmanagement muss sich auf eine solide Informationsbasis stützen können, um Situationen adäquat beurteilen und hieraus die richtigen Maßnahmen ableiten zu können. Den Kern der Informationssammlung und -aufbereitung für das Lieferantenmanagement bildet dabei die Lieferantenbewertung, die in diesem Abschnitt näher betrachtet wird. Dabei wird zunächst auf grundlegende Methoden der Lieferantenbewertung eingegangen, da diese prinzipiell bei verschie-

Lieferantenmanagement mit Internettechnologien

201

denen Arten der Lieferantenbewertung eingesetzt werden können. Anschließend werden die verschiedenen Arten der Lieferantenbewertung vorgestellt, die sich - wenn auch nicht überschneidungsfrei - den einzelnen Phasen der Lieferanten-Abnehmer-Beziehung zuordnen lassen. Zur Unterstützung der Lieferantenbeurteilung stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung. Am weitesten verbreitet sind numerische Verfahren, die sich an der Vorgehensweise der Nutzwertanalyse orientieren, mit deren Hilfe unterschiedliche qualitative und quantitative Faktoren sowie verschiedene Zielsetzungen (z.B. Qualitäts-, Sicherheits-, Kostenziele) gemeinsam berücksichtigt werden können (zur Definition der Nutzwertanalyse vgl. Zangemeister, C.: 1976, S. 45). Die Nutzwertanalyse besteht aus fünf Verfahrensschritten (vgl. Götze, U.; Bloech, J.: 2002, S. 180ff.). Im Rahmen der Zielkriterienbestimmung sind operationale Zielkriterien zu formulieren, deren Erfüllung mithilfe nominaler, ordinaler oder kardinaler Skalenniveaus ausgedrückt werden kann. Beispiele für derartige Zielkriterien sind bei der Lieferantenbewertung die Qualitätssicherung oder die Innovationsfähigkeit der Lieferanten. Bei der Zielkriterienbestimmung sollte das zu Grunde liegende Zielsystem sorgfältig analysiert werden, um die Zielgrößen aufspalten und eine mehrstufige Zielhierarchie aufbauen zu können. Die Qualitätssicherung lässt sich beispielsweise in die Teilkriterien „Qualitätsleistung'4, „Qualitätsfähigkeit 44 und „Zusammenarbeit im Qualitätsbereich 44, die Qualitätsfähigkeit wiederum in die Komponenten „organisatorische und technische Möglichkeiten44, „Maßnahmen bei der Planung, Herstellung und Auslieferung 44 sowie „Maßnahmen zur Sicherstellung einer systematischen Fehleranalyse und einer permanenten Qualitätsverbesserung 44 unterteilen. Im zweiten Schritt, der Zielkriteriengewichtung, sind sämtliche Zielkriterien innerhalb ihrer Hierarchieebenen miteinander zu vergleichen und ihrer Bedeutung entsprechend zu gewichten. Bei der Teilnutzenbestimmung müssen für jede Alternative und jedes Kriterium auf der untersten Ebene die Ausprägungen ermittelt und bewertet werden. Anschließend sind die ermittelten Zielerreichungswerte in Teilnutzenwerte zu transformieren, wobei zur besseren Nachvollziehbarkeit Transformationsfunktionen verwendet werden sollten (zu Typen von Transaktionsfunktionen und einem Beispiel zu deren Einsatz vgl. Götze, U.; Bloech, J.: 2002, S. 183 ff.). Die Nutzwertermittlung erfolgt dann, indem zunächst die Teilnutzenwerte mit ihren Gewichten multipliziert und diese gewichteten Teilnutzen anschließend zum Gesamtnutzwert addiert werden. Im Rahmen der Beurteilung der Vorteilhaftigkeit werden die Ergebnisse analysiert. Es lässt sich dabei vergleichen, inwieweit die unterschiedlichen Alternativen den gestellten Anforderungen gerecht werden. In der Literatur werden zahlreiche Ausprägungen und Abwandlungen der Nutzwertanalyse als Instrument zur Lieferantenbewertung (ζ. B. unter den Namen „Notensysteme44, „Punktbewertungsverfahren 44, „Scoring-Modell 44 , „weighted-point-method44, „Indexverfahren 44 oder „Lieferantenkennzahlenverfahren 44) diskutiert, deren Vorgehensweisen mehr oder weniger der hier beschriebenen ähneln. Gemeinsam ist all diesen numerischen Verfahren, dass sie mit Zahlen arbeiten, mit deren Hilfe subjektive Bewertungen ausgedrückt werden sollen (vgl. Koppelmann, U.: 2000, S. 269). Dabei suggerieren die Zahlen eine Genauigkeit der Bewertung, die durch subjektive Einschätzungen und Beurteilungen (vor allem in den Phasen der Zielkriterienbestimmung, Zielkriteriengewichtung und Teilnutzenbestimmung) in den meisten Fällen nicht besteht. Außerdem ist in vielen Fällen die

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202

geforderte Unabhängigkeit der Zielkriterien einer Hierarchieebene nicht gewährleistet. Neben den numerischen Verfahren existieren weitere qualitative Darstellungsformen, wie ζ. B. spezielle Checklisten, Profiltechniken und Portfoliomethoden. Ergänzt werden diese qualitativen Verfahren durch einige quantitative Methoden (wie z.B. Bilanzanalysen, Preis- und Kostenentscheidungsanalysen, Optimierungsverfahren wie die Lineare Optimierung oder Kennzahlenverfahren), die sich häufig auf spezielle Entscheidungssituationen (z.B. den Angebotsvergleich) beziehen (zu einem Überblick über Verfahren der Lieferantenbewertung vgl. Koppelmann, U.: 2000, S. 266ff.).

3.2

Arten der Lieferantenbewertung

32.1 Lieferantenanalyse Traditionell wird die Lieferantenbewertung in die Lieferantenkontrolle und die Lieferantcnanalyse unterteilt. Die Lieferantenkontrolle hat die Aufgabe, festzustellen, inwieweit die bestehenden Lieferanten die Anforderungen erfüllen, die an sie und die von ihnen gelieferten Objekte gestellt wurden. Die Lieferantenanalyse erstreckt sich dagegen nicht nur auf diese Lieferanten, sondern auch auf potenzielle und bezieht dabei auch weitere, anforderungsunabhängige Kriterien in die Betrachtung ein. Im Folgenden sollen die Arten der Lieferantenbewertung nach den Phasen der Zulieferer-Abnehmer-Beziehung 3 gegliedert werden (vgl. Abbildung 1), so dass zunächst Bewertungsarten vorgestellt werden, die der Lieferantenanalyse zuzuordnen sind. Phase 1: Suche nach neuen Lieferanten Grundsätzlich gehört die Suche nach leistungsfähigen Lieferanten zu den Hauptaufgaben der Beschaffung in einem Unternehmen. Eine breite Basis leistungsfähiger (bestehender oder potenzieller) Lieferanten erhöht die Flexibilität bei der Lieferantenauswahl und hilft durch den Autbau glaubhafter Alternativen grundsätzlich, Anreize bei bestehenden Lieferanten zu setzen, ihr Potenzial (im Hinblick auf Kosten und Leistungen) auszuschöpfen und Maßnahmen zur Erhöhung der eigenen Leistungsfähigkeit und/oder im Hinblick auf Kostensenkungen zu ergreifen. Da die Suche nach neuen Lieferanten bezüglich einer sinnvollen Nutzen/Kosten-Relation zu erfolgen hat, konzentriert sie sich in der Regel auf folgende Situationen (zu dem der Einteilung zu Grunde liegenden Kaufklassenansatz vgl. Robinson, P.J.; Faris, C.W.; Wind, Y.: 1967, S. 14ff.): -

1

Für den Fall eines Neukaufs bestehen keine Erfahrungen mit dem betreffenden Beschaffungsobjekt, so dass Lieferanten für diese grundsätzlich neuen Beschaffungsobjekte zu finden sind. Neben bestehenden Lieferanten, die ihr Lieferspektrum auf die neuen Objekte ausdehnen könnten, kommen hierfür natürlich vor allem neue Lieferanten in Frage. Vgl. hierzu auch eine etwas abweichende Darstellung von Large. R.: 2000, S. 132.

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Suche nach neuen Lieferanten

Lieferantenvorauswahl

Lieferantenfreigabe

Abb. 1: Phasen der Lieferanten-Abnehmer-Beziehung -

-

Ähnlich wie beim Neukauf können auch beim modifizierten Wiederholungskauf Lieferanten gefragt sein, die konkrete technologisch neue Lösungen (z.B. im Hinblick auf alternative Fertigungsverfahren oder Werkstoffe) umsetzen können. Die Beantwortung der Frage, in welchem Umfang komplett neue Lieferanten hinzugezogen werden sollten, hängt auch davon ab, inwieweit die bestehenden Lieferanten in der Lage sind, sich an die geänderten Anforderungen anzupassen. Beim reinen Wiederholungskauf oder in Phasen laufender langfristiger Lieferverträge besteht vor allem dann ein Bedarf, neue Lieferanten hinzuzuziehen, wenn Unzufriedenheit mit Leistungen der Lieferanten besteht, wobei sich diese Unzufriedenheit im Falle des Wiederholungskaufes auch auf das Preisniveau beziehen kann. Trotzdem sollte auf die Suche nach Alternativen auch dann nicht vollständig verzichtet werden, wenn man mit den Leistungen und Preisen der bestehenden Lieferanten zufrieden ist, da eine möglichst objektive Beurteilung von Lieferantenleistungen (und Preisen) nur möglich ist, wenn Transparenz über alternative Liefermöglichkeiten besteht.

Wie im Abschnitt 2.2 bereits angedeutet, bietet das Internet vielfältige Möglichkeiten zur Suche/zum Finden neuer Lieferanten. Beispiele hierfür sind die Homepages von Informationsdiensten wie „Wer liefert was" (www.wlw.de), Informationsbrokern (www.infobroker.de ) oder von elektronischen Marktplätzen wie dem der Allocation

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Network GmbH (www.allocation.net) oder der econia.com AG (www.econia.com)4. Eine Voraussetzung für das punktgenaue Finden geeigneter Lieferanten für definierte Beschaffungsobjekte ist der Einsatz von standardisierten Produktklassifikationen. Mit eClass (www.eclass.de) und UNSPSC5 (www. unspsc.com) stehen zwei Klassifikationsansätze zur Verfügung, die sich eine umfassende, brachenübergreifende Klassifikation von Produkten bzw. Arbeitsgebieten zum Ziel gesetzt haben. Dabei verfolgen eClass und UNSPSC verschiedene Zielsetzungen, können sich aber gegenseitig ergänzen. Das (modernere) eClass-Konzept besteht darin, über Sachmerkmalsleisten und Basismerkmalsleisten ein-eindeutige Identifizierungen zu gewährleisten, durch die ein schneller Überblick über Lieferanten und ihre Angebote und das Finden neuer Lieferanten für detailliert definierte Objekte möglich werden (vgl. o.V.: 2001, S.40f.). Bei UNSPSC wird die Klassifikation in Kombination mit dem DUNS-Code (eine Lieferantenklassifikation von Dun & Bradstreet) und dem SIC-Code verwendet, der jedes Unternehmen entsprechend seiner Arbeitsgebiete einer Branche zuordnet. Hierdurch wird ein weit verzweigtes Unternehmen E-Commerce-fähig, indem über die Verschlüsselungen Lieferanten, Malerialgruppen und Rahmenverträge allen Unternehmensbereichen und/ oder Tochterunternehmen zugänglich gemacht werden (vgl. o.V.: 2002, S.40f.). Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Codes besteht darin, dass die Verwendung der in Deutschland entwickelten eClass-Klassifikation für die Anwender kostenlos ist, während für die Benutzung des UNSPSC-Codes Lizenzgebühren zu entrichten sind. Außer durch eigene Aktivitäten wird die Beschaffung eines Unternehmens natürlich auch durch Markelingaktivitäten potenzieller Lieferanten (z.B. über Werbebroschüren oder Messeauftritte) auf diese aufmerksam. Phase 2: Vorauswahl der Lieferanten Im Rahmen der Vorauswahl werden in einem nächsten Schritt allgemein verfügbare sowie spezielle Informationen hinsichtlich interessant erscheinender Lieferanten und ihrer Objekte eingeholt. Hierfür stehen verschiedene Quellen bereit: -

-

4

Zum einen lassen sich über die gleichen Quellen, bei denen die Lieferanten entdeckt wurden, weitere Informationen ζ. B. hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit und ihrer wirtschaftlichen Situation - teilweise kostenlos, teilweise gegen Gebühr - beschaffen. Beispielsweise stellt das SAS Institute, ein Spezialist für Warehousing· und Analysesoftware in Verbindung mit Dun & Bradstreet detaillierte Wirtschaftsinformationen über das Geschäftsverhalten von über 60 Mio. Firmen sowie deren Verflechtungen untereinander bereit und unterbreitet Prognosen über die Zuverlässigkeit von Lieferanten (vgl. Bülow, D.: 2002, S. 52f.). Auf der Basis dieser Informationen sollte zunächst geprüft werden, ob das Unternehmen überhaupt als Lieferant in Frage kommt. Eine weitere Möglichkeit der Beschaffung detaillierter Informationen besteht im Einsatz von Fragebögen, die von potenziellen Lieferanten zu beantworten sind. Zu einem Überblick über deutschsprachige Online-Marktplätze vgl. Bogaschewsky, R.; Müller, H.: 2003, S. 48 ff.

^ Auf Grund von strittigen Lizenzfragen existieren zwei Versionen des UNSPSC-Codes, wobei UNSPSC im einen Fall als Abkürzung für „United Nations Standard Product and Services Code" und im anderen Fall für „Universal Standard Product and Services Code ik steht, vgl. Manz, U.: 2002. S. 39 f.

Lieferantenmanagement mit Internettechnologien

-

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In den Fragebögen können zum einen Details bezüglich der bereits aus allgemeinen Quellen gewonnenen Informationen und zum anderen weitere Daten, ζ. B. im Hinblick auf Ansprechpartner, die Organisationsstruktur, Mitarbeiterzahlen und -struktur, Qualitätssicherungs- und Logistiksysteme, Produktionseinrichtungen, Maschinenausstattung, Bezugsquellen von Vorprodukten, Erfahrungen mit bestimmten Formen der Zusammenarbeit (ζ. B. Simultaneous Engineering, Modular Sourcing) etc. enthalten sein (vgl. Roland, F.: 1993, S. 110). Heutzutage lassen sich derartige Fragebögen auf Einkaufshomepages hinterlegen (wie z.B. beim Automobilzulieferer Hella im Rahmen des Portals www.hella.com), so dass die Datenerhebung und -auswertung mittels Internettechnologien erfolgen kann. Daneben können die Rechercheaufträge natürlich auch Informationsbrokern (Beispiel: www.infobroker.de ) oder sonstigen Dienstleistern übertragen werden. Ein Beispiel für einen derartigen Dienstleister ist die schweizerische Atecom SA, die für ihre Kunden externe Zulieferpartner auch für anspruchsvolle und komplexe, fest definierte technologische Lösungen sucht (vgl. Freund, W.: 2002, S. 60f.). In die Recherche werden dabei verschiedene Datenbanken (eigene sowie externe Datenbanken auf CD-ROM und im Internet), Messekataloge, Internet, OnlineDatenbanken, Interessen-Verbände, Sourcing-Partner einbezogen. Hauptkriterium

Typische Unterkriterien

Innovation

- Anteil der Mitarbeiter in der Forschung und Entwicklung (F&E) an der Gesamtmitarbeiterzahl - Anzahl von Patenten - F&E-Aufwand im Verhältnis zum Umsatz

Qualität

- Zertifizierung ζ. B. nach DIN ISO 9000ff. - Qualitätsbewertung durch Kunden - Durchschnittsalter der eingesetzten Produktionsmittel

Logistik

- Bewertung der Logistikleistung durch Kunden - Erfahrung mit geforderten Logistikkonzepten - Notfallorganisation

Kosten

- Niveau der Personal kosten - Eingesetzte Produktionsmittel - Einkaufsvolumen

Marktmacht

- Anteil des geplanten Umsatzes am Umsatz des Lieferanten sowie Anteil des mit dem Lieferanten getätigten Umsatzes am Einkaufsvolumen des Abnehmers - Kapazitätsauslastung - Größe des Lieferanten, Abhängigkeit von einer Konzernzentrale

Kooperation

- Bereitschaft zur Vernetzung der Prozesse und der DV-Infrastruklur - Bereitschaft zur Durchführung von Audits - Bereitschaft zur Durchführung von Kostenstrukturanalysen

Wirtschaftliche Situation

- Entwicklung von Gewinnen, Umsätzen und ggf. Börsennotierungen - Investitionen (absolut und im Vergleich zum Gewinn/Umsatz) - Entwicklung des Wertschöpfungsantcils

Abb. 2: Hauptkriterien und Unterkriterien der Lieferantenvorauswahl

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Im Rahmen der Lieferantenbewertung zur Lieferantenvorauswahl sind die vorliegenden Informationen nach ihrer Erhebung zu strukturieren. In der Regel werden vor allem Aussagen hinsichtlich der Hauptkriterien „Innovation", „Qualität", „Logistik" und „Kosten" generiert. Daneben können auch andere Kriterien wie „Marktmachtverhältnisse" zwischen den Partnern, die „Kooperationsfähigkeit" sowie die „Wirtschaftliche Situation des Lieferanten" in die Betrachtung einbezogen werden. Abbildung 2 nennt beispielhaft typische Unterkriterien für die genannten Hauptkriterien (vgl. Large, R.: 2000, S. 159f., Roland, F.: 1993, S. 179 bzw. S. xxvi). Ergänzt werden sollten die lieferantenbezogenen Daten durch Informationen über die Verhältnisse in den Branchen und Ländern, in denen Schwerpunkte der Aktivitäten des betrachteten Lieferanten liegen (vgl. hierzu Roland, F.: 1993, S. 109). Hinsichtlich der Bewertung der vorliegenden Informationen im Rahmen der Lieferantenvorauswahl ist auf einige Punkte hinzuweisen: -

-

-

-

Die Bewertung unterliegt in dieser Phase vor allem zwei Arten von Unsicherheit: Zum einen sind die Informationen selbst häufig nicht verlässlich, da z.B. die potenziellen Lieferanten natürlich bestrebt sind, ihr Unternehmen und ihre Produkte so positiv wie möglich darzustellen. Zum anderen sind die Ausprägungen der genannten Unterkriterien in der Regel nur Indizien hinsichtlich der Bewertung der Hauptkrilerien und keine Garantie für ihre realistische Einschätzung. Z.B. spricht eine Zertifizierung nach DIN ISO 9000ff. für das Vorhandensein eines funktionierenden Qualitätsmanagementsystems, garantiert aber nicht immer eine herausragende Qualität der Produkte. Zur späteren Nachvollziehbarkeit der Qualität der Beurteilungen sollten die ihnen zu Grunde liegenden Informationsquellen immer dokumentiert werden. Es ist zwischen einer generellen Attraktivität eines Unternehmens und seiner Eignung für die Lieferung eines bestimmten Beschaffungsobjektes zu unterscheiden. Dabei können sich die verschiedenen Haupt- und Unterkriterien auf sehr unterschiedliche Größen Bezug nehmen. Während beispielsweise Marktmachtverhältnisse (auch) von der Gesamtsituation eines Unternehmens und seiner Einbindung in Konzernstrukturen abhängen, können sich Qualitätsdaten von Produkt zu Produkt und von Fertigungsstandort zu Fertigungsstandort unterscheiden und sich schließlich Logistikdaten vornehmlich auf die konkrete Transportrelation beziehen (zu Bezugskategorien beschaffungsrelevanter Informationen vgl. Roland, F.: 1998, S. 260ff.). Es ist zu überlegen, wie mit fehlenden Informationen zu wichtigen Haupt- und Unterkriterien umgegangen werden soll. Es erscheint sinnvoll, den Umfang der bei der Vorauswahl einbezogenen Informationen transparent zu machen, ohne Unternehmen nur deshalb aus der weiteren Betrachtung auszuschließen, weil bei ihnen wesentliche Informationen in dieser Phase nicht verfügbar sind. Die Gewichtung der Haupt- und Nebenkriterien ist in Abhängigkeit vom Charakter der Beschaffungsobjekte zu variieren. Während bei innovativen Objekten naturgemäß Fragen der Forschung und Entwicklung im Mittelpunkt der Betrachtung stehen, treten bei Standardobjekten eher Logistik-, Qualitäts- und Kostenaspekte in den Mittelpunkt des Interesses. Außerdem sollten für bestimmte Kriterien (z.B. hinsichtlich der Qualität) Mindestanforderungsniveaus als K.o.Kriterien festgelegt werden, deren Unterschreitung sich nicht durch gute Beurtei-

Lieferantenmanagement mit Internettechnologien

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lungen bei anderen Kriterien kompensieren lässt, sondern zum Ausscheiden der betreffenden Alternative führt. Phase 3: Freigabephase Während für Standardobjekte direkt in die Phase 4 übergegangen wird, wenn die Lieferanten in Phase 2 positiv bewertet wurden, oder sogar direkte Bestellungen erfolgen, haben die Lieferanten individueller Objekte wie ζ. B. vom Abnehmer konstruierter, so genannter Zeichnungsteile, in den meisten Unternehmen die Schritte einer Freigabephase zu durchlaufen. Sie umfasst ζ. B. einen Besuch vor Ort durch ein bereichsübergreifendes Team (in der Regel bestehend aus Mitarbeitern der Forschung und Entwicklung, des Qualitätsmanagements, der Logistik und der Beschaffung). Im Rahmen dieses Besuches wird anhand einer umfangreichen Checkliste untersucht, inwieweit die vorliegenden Informationen der realen Situation entsprechen. Daneben können die Mitarbeiter des potenziellen Lieferanten offene Fragen mit den jeweiligen Experten des abnehmenden Unternehmens klären. Ergänzt wird diese Phase durch Probelieferungen, die ebenfalls durch die genannten Bereiche des Abnehmers intensiv begutachtet werden, bevor eine „Freigabe" als Lieferant erfolgt. Werden punktuelle Mängel beim potenziellen Lieferanten und/oder seinen Produkten deutlich, kann dem Unternehmen Gelegenheit gegeben werden, die Probleme zu beheben. In bestimmten Situationen (z.B. beim Aufbau eines kleinen technikstarken Unternehmens) werden zukünftige Lieferanten im Rahmen einer Lieferantenförderung gezielt unterstützt. Inwieweit die häufig sehr zeit- und kostenaufwändigen Freigabeprozesse von Lieferanten zukünftig im großen Umfang durch elektronische Marktplätze oder spezialisierte Dienstleister übernommen werden (können), kann zur Zeit noch nicht abschließend beurteilt werden. Gelingt es, Lieferantenfreigabeprozesse durch Dritte zur Zufriedenheit der Abnehmer durchführen zu lassen, steigt - gerade im Hinblick auf Möglichkeiten der weltweiten Beschaffung - die Bereitschaft, die Lieferantenauswahl durch eigene Anfrage-/Angebots- sowie Auktionsplattformen im Internet oder die entsprechende Angebote elektronischer Marktplätze unterstützen zu lassen (zu Typen elektronischer Marktplätze vgl. Bogaschewsky, R.: 2002a, S. 36 ff.). Phase 4: Anfragen/Angebote/Lief erantenauswahl Erscheint der potenzielle Lieferant auch nach Durchlaufen der Phasen 2 und/oder 3 interessant, kann er im vierten Schritt zur Abgabe eines konkreten Angebotes aufgefordert werden, in dem umfassend auf die Möglichkeiten zur Erfüllung sämtlicher in den Anfragen formulierten Anforderungen eingegangen werden sollte. Die Informationen hinsichtlich der Anforderungen an die zu liefernden Objekte (Quantität, Qualitätsaspekte, logistische Anforderungen, Zahlungsbedingungen etc.) lassen sich mithilfe von Internettechnologien versenden oder können direkt von der Einkaufshomepage des beschaffenden Unternehmens heruntergeladen werden. Auf gleichem elektronischen Weg gelangen die Dateien mit den Angebotsdaten zum anfragenden Unternehmen. Häufig stehen erst in dieser Phase Informationen über Preise, Qualität und Logistik zur Verfügung, die sich auf die Lieferung eines konkreten Objektumfangs beziehen und damit die Grundlage einer Lieferantenauswahl (ggf. nach Vergleich mit den Istdaten bestehender Lieferanten) bilden können. Auch im Rahmen der Angebotsbewertung sind die Zielkriterien entsprechend der geforderten Objekteigenschaften zu formulieren und individuell zu bewerten. Das Ergebnis dieser Phase

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sollte darin bestehen, Lieferanten zu identifizieren, denen man grundsätzlich die zur Diskussion stehenden Aufträge erteilen könnte. Auf der Basis der dann vorhandenen Informationen können sachgerechte Verhandlungen geführt und Entscheidungen hinsichtlich der Neuauswahl, Hinzunahme oder Auswechselung von Lieferanten getroffen werden, bei denen dann in der Regel die Höhe der Preise im Mittelpunkt des Interesses steht. Unterschiede hinsichtlich der Qualität der Angebote und/oder Lieferantenwechselkosten können im Rahmen von Bonusfaktoren für die bestehenden und/oder qualitativ besseren Lieferanten berücksichtigt werden. Dabei müssen die genannten Angebotspreise im Rahmen einer „Total Cost of Ownership-Berechnung" z.B. um Unterschiede hinsichtlich der Logistikkosten (Fracht, Verpackung, Lagerhaltung) korrigiert werden (zu einem entsprechenden „Total Cost of Ownership"-Ansatz bei Siemens vgl. Blank, G.S.; Seider, C.: 1998, S. 61 ff.). Sind die Vorarbeiten (umfassende und detaillierte Anforderungen, sorgfältige Angebotsbewertung) durchgeführt, können im Rahmen der Lieferantenauswahl Kommunikationsplattformen auf der Basis von Internettechnologien eingesetzt werden. Mit ihrer Hilfe kann den beteiligten Unternehmen das jeweils günstigste Angebot mitgeteilt und ihnen über längere (Tage oder sogar Wochen) oder kürzere Zeiträume (Minuten oder Stunden) Gelegenheit gegeben werden, das eigene Angebot aufzubessern und die Mitbewerber zu unterbieten (zum Ablauf und zu Varianten derartiger Internet-Auktionen vgl. Roland, F.; Kleeberg, L.: 2002, S. 313ff.). Durch die vorgestellte Vorgehensweise ist sichergestellt, dass der Detaillierungsgrad der Daten und der Aufwand für ihre Ermittlung nur mit der zunehmenden Wahrscheinlichkeit des Aufbaus einer Lieferbeziehung steigt. Es ist allerdings zu betonen, dass eine häufige Neubewertung der jeweils vorhandenen Informationen nötig werden kann. 3.2.2 Lieferantenkontrolle Mithilfe der Lieferantenkontrolle werden die erbrachten Leistungen und die Leistungsfähigkeit der aktuellen Lieferanten beurteilt. Zu diesem Zweck ist die Erfüllung der Anforderungen permanent zu überprüfen, wobei sowohl in der Literatur als auch in der Praxis (vgl. Muschinski, W.: 1998, S.46ff.) die Beobachtung der Preise, der Qualität sowie logistischer Kriterien den größten Raum einnimmt. Im Rahmen der Kontrolle der Preise werden die Preisentwicklung (Preisveränderungsrate z.B. im Vergleich zur Branchenentwicklung), die Preisseriösität (Preistreue, Häufigkeit von Nachforderungen) und die Preistransparenz eines Zulieferers (z.B. im Rahmen einer Kostenstrukturanalyse oder wertanalytischer Untersuchungen, vgl. Muschinski, W.: 1998, S. 48) bewertet. Schwierig zu interpretieren ist dabei allerdings vor allem eine isolierte Preisveränderungsrate eines Beschaffungsobjektes, da eine objektive Bewertung der zu Grunde liegenden Preisbasis häufig problematisch ist. Von großer Bedeutung ist die Kontrolle der Qualität der Lieferungen, in deren Zusammenhang häufig auch die Qualitätsvorleistungen, die Qualitätsfähigkeit der Lieferanten und die Giite der Zusammenarbeit (im Hinblick auf die Qualitätssicherung) betrachtet werden. Eine zentrale Rolle spielt hierbei die laufende Beurteilung der Beschaffungsobjekte, die sich u.a. orientieren kann an

Lieferantenmanagement mit Internettechnologien -

209

der Zahl abgelehnter Lose,6 der Zahl der Prüfberichte, 7 der Mängelquote, die sich aus dem Quotienten der Zahl beanstandeter Objekte und der gelieferten Menge ergibt, der Zahl der Störfälle in Verbindung mit den Objekten (sowohl bei der Fertigung als auch während des Gebrauchs) sowie Zahl und Ausmaß von Sonderaktionen (ζ. B. Nacharbeit, Rückruf der Endprodukte).

Im Zusammenhang hiermit sind die technischen Lieferbedingungen (Prüf- und Abnahmebedingungen), die Fehlerklassen (belanglose Fehler, Nebenfehler, Hauptfehler, kritische Fehler) sowie die Methoden zur Analyse der qualitätsbezogenen Daten und zur Darstellung der dabei gewonnenen Ergebnisse zu sehen. Diese Aspekte sind oftmals sehr objektspezifisch, wodurch eine standardisierte Klassifikation nach allgemein gültigen Qualitätszahlen für Lieferanten äußerst schwierig wird (zu einem Beispiel für eine derartige Kennzahl vgl. Large, R.: 2000, S. 210). Auch die Form der laufenden Beurteilung ist stark von der Art der Beschaffungsobjekte abhängig. Die Vorgehensweise hinsichtlich der logistikorientierten Lieferantenkontrolle entspricht in weiten Teilen der Struktur der Beurteilungen bezüglich der Qualität. Den Schwerpunkt bildet ebenfalls die Leistungsbeurteilung, die sich hauptsächlich auf die Kontrolle cler Termin- und der Mengentreue bezüglich der gelieferten Teile erstreckt (Beispiele für die Logistikkennzahlen „Mengentreue" und „Termintreue" finden sich ebenfalls bei Large, R.: 2000, S. 212f.)- Diese Kennzahlen beziehen sich wiederum auf die Objekte, während weitere Kategorien wie die Lieferflexibilität und die Güte der logistischen Zusammenarbeit eher den Standorten der Lieferanten zuzuordnen sind. Neben den bislang diskutierten Beurteilungsbereichen können Bewertungen im Zusammenhang mit der Erfüllung weiterer Anforderungen ebenfalls Gegenstand der Lieferantenkontrolle sein. Hierzu zählen Anforderungen hinsichtlich -

-

der Forschung und Entwicklung des Lieferanten, die stark vom zu liefernden Produkt abhängen, sich jedoch meist nur auf die F&E des Lieferanten als Ganzes beziehen lassen; es können wiederum Leistungen (Konstruktionen, Problemlösungen, Termintreue etc.), Potenziale (z.B. technische Voraussetzungen, Erfahrungen) und Zusammenarbeit (u.a. Vertrauen, Flexibilität, Offenheit) beurteilt werden, der Zusammenarbeit mit weiteren Unternehmensbereichen wie der Beschaffung (ζ. B. hinsichtlich der Termineinhaltung bei Angebotsabgaben und des Verhaltens in Verhandlungen) oder der Kreditorenbuchhaltung (im Hinblick auf Abrechnungsmodalitäten),

6

Bei der Beurteilung von Lieferlosen mithilfe von Annahmekennlinien wird festgelegt, ab welchem Fehleranteil einer Stichprobe das gesamte Licferlos als fehlerhaft bezeichnet und komplett zurückgeschickt wird, vgl. Harting, D.: 1989. S. 87ff.

7

Prüfberichte werden erstellt und den Lieferanten zugänglich gemacht, sobald ein Mangel an den von ihnen gelieferten Objekten auftritt. Zur Qualitätsbeurleiliing können somit die Zahl der Prüfberichte und die beanstandeten Mengen herangezogen werden.

210 -

Folker Roland

der Einhaltung sonstiger Zusagen im Zusammenhang mit Recycling/Entsorgung, Umweltverträglichkeit der Produktion, Garantien, Ersatzteilversorgung etc.

Durch diese Aufzählung wird deutlich, dass eine Lieferantenkontrolle nur bereichsübergreifend durchgeführt werden kann, da erst die Gesamtheit der Erfahrungen, die die unterschiedlichen Stellen im Unternehmen mit einem Lieferanten gemacht haben, ein vollständiges Urteil zulassen. Große Unternehmen wie z.B. Siemens setzen zu diesem Zwecke Intranetanwendungen ein, mit deren Hilfe die einzelnen Bewertungen dezentral vorgenommen und allen einzubeziehenden Stellen zugänglich gemacht werden können (vgl. Hoffmann, R.; Lumbe, H.-J.: 2000, S. 104ff.). Bei der Bewertung von Lieferanten im Rahmen der Lieferantenkontrolle ist auf einige grundsätzliche Problemfelder hinzuweisen: -

-

4

Die Bewertungen der Lieferanten beziehen sich - wie bereits im Zusammenhang mit der Lieferantenanalyse erläutert - häufig auf verschiedene Bezugsgrößen. Beispielsweise sind bei der Qualitätsbewertung eines Lieferanten Qualitätsdaten verschiedener Objekte, Standorte und evtl. der Unternehmenszentrale zusammenzufassen. Ähnliche Probleme treten bei der Aggregation von Logistikdaten auf, die sich ebenfalls auf Objekte, Transportrelationen etc. beziehen können. Eine Durchschniltsbildung auf Unternehmensebene wird den Zielen der Lieferantenkontrolle aber nicht gerecht, da hierdurch Probleme im Hinblick auf einzelne Objekte verschleiert werden und herausragende Leistungen hinsichtlich anderer Objekte verborgen bleiben. Es stellt sich die Frage, ob Standardgewichtungen bei den Einzelbewertungen vorgenommen oder ob auch die Gewichte der einzelnen Teilkriterien objektspezifisch festgelegt werden sollten. Der Vorteil der Verwendung von Standardgewichten besteht in einer guten Vergleichbarkeit der Bewertungsergebnisse über verschiedene Objekte und Branchen hinweg. Auf der anderen Seite wird dieses Vorgehen häufig der Individualität der Objekte und der an sie zu stellenden Anforderungen nicht gerecht. Siemens löst dieses Dilemma dadurch, dass es zulässt, dass die vorhandene Standardgewichtung der Hauptkategorien (je 25% bezogen auf den „Einkauf", die „Qualität", die „Logistik" und die „Technologie") durch die jeweiligen Geschäftseinheiten verändert und sogar eine weitere „geschäftsspezifische" Entscheidungskategorie ergänzt werden kann (vgl. Hoffmann, R.; Lumbe, H.-J.: 2000, S. 98).

Lieferantenmanagement auf der Basis der Lieferantenbewertung

Die im Rahmen der Lieferantenbewertung gesammelten Informationen bilden die wesentliche Grundlage sowohl des operativen als auch des strategischen Lieferantenmanagements. Im Rahmen des operativen Lieferantenmanagements besteht das Ziel darin, vor allem Qualitäts- und Logistikbewertungen täglich automatisiert zu erstellen und mit-

Lieferantenmanagement mit Internettechnologien

211

hilfe von Intra- und Extranetanwendungen den beteiligten internen Stellen und den Lieferanten kurzfristig verfügbar zu machen. In Kombination mit Kapazitätsmanagementanwendungen, in deren Rahmen für jede Teilenummer die Bedarfe der Abnehmer (aus einem rollierend aktualisierten Lieferplan) den Kapazitäten der Lieferanten gegenüber gestellt werden, lassen sich im Werk Untertürkheim der DaimlerChrysler AG auf diese Weise mögliche kurzund mittelfristige Kapazitätsengpässe entdecken und Maßnahmen zur Beseitigung der Probleme einleiten (vgl. Steglich, T.: 2002, S.60f.). Diese können sowohl den Lieferanten (Erhöhung der Kapazität durch Überstunden oder Zusatzschichten), als auch die Disposition (Einschaltung alternativer Lieferanten) oder sogar die eigene Produktionsplanung (Modifikation des Produktionsprogramms) betreffen. Ein ähnliches Projekt verfolgt Volkswagen im Rahmen seines Konzernbeschaffungsmarktplatzes vwgroupsupply.com. Mittels eines so genannten „Supplier Cockpits" werden die Lieferanten zukünftig aktuelle Informationen erhalten über Qualitäts- (Hallenstörfälle, Ausschussraten), Logistik- (ähnlich wie bei DaimlerChysler), Finanz- (angewiesene Zahlungen, Status bezüglich des Last-/Gutschriftverfahrens) und Anfragedaten. Grundlage des Konzeptes ist das Prinzip „one face to the supplier", durch das die Lieferanten alle sie betreffenden Daten an einer Stelle des eingerichteten elektronischen Marktplatzes finden können. Darüber hinaus können bei auftretenden Problemen Gespräche zur Identifikation und Beseitigung dieser Schwierigkeiten kurzfristig angesetzt und Maßnahmen der Lieferantenerziehung in die Wege geleitet werden wie die Verschiebung von Lieferquoten zuungunsten des Probleme verursachenden Lieferanten sowie - in schwereren Fällen - das Erheben von Konventionalstrafen und Schadenersatzforderungen. Umgekehrt sollten gute Leistungen zu einer Erhöhung der Lieferumfänge führen. Eine Honorierung durch Preiszugeständnisse oder Prämien ist nach einer Studie der FH Niederrhein dagegen in der Praxis eher die Ausnahme (vgl. Muschinski, W.: 1998, S. 52). Große Unternehmen zeichnen herausragende Lieferanten mit Preisen aus, mit denen diese auch bei anderen Kunden werben können. Im Rahmen des strategischen Lieferantenmanagements lassen sich die Daten der Lieferantenbewertung nutzen, indem auf ihrer Basis Entscheidungen hinsichtlich der weiteren Entwicklung der betreffenden Lieferanten-Abnehmer-Beziehung getroffen werden. Siemens teilt die Lieferanten nach einer bereichsübergreifenden umfassenden jährlichen Lieferantenbewertung in vier Kategorien ein (vgl. Hoffmann, R.; Lumbe, H.-J.: 2000, S. 98 f.): Mit Lieferanten der Kategorie „Preferred " wird eine strategische Partnerschaft angestrebt (langfristige Verträge, frühzeitige Einbindung in Entwicklungs- und sonstige Geschäftsprozesse, Volumensteigerung), mit Lieferanten der Kategorie „Accepted 1' werden in der Regel Verbesserungsmaßnahmen im Rahmen von Zielvereinbarungen vereinbart. Es werden kleinere Liefervolumina und kürzere Vertragslaufzeiten als bei „Preferred-Lieferanten" angestrebt. Lieferanten, die die an sie gestellten Anforderungen in weiten Teilen nicht erfüllen und aus diesem Grunde als „Restricted " eingestuft werden, müssen mit einer deutlichen Reduzierung der Liefervolumina rechnen und werden bei zukünftigen Anfragen schließlich kaum noch eingebunden. Lieferanten, die auf Grund ihrer schwachen Leistungen in die Kategorie „Desourced" eingeordnet werden, sollen so schnell wie möglich durch bessere Lieferanten ersetzt und bei zukünftigen Anfragen nicht mehr berücksichtigt werden.

212

Folker Roland

Eine Besonderheit stellen bei dieser Vorgehensweise Lieferanten dar, die zwar in die Kategorien „Restricted" bzw. „Accepted" eingestuft wurden, aber ein hohes Einkaufsvolumen bzw. aus anderen Gründen eine große strategische Bedeutung besitzen, weil sie z.B. über für die Zukunft besonders wichtige Technologien verfügen (vgl. Abbildung 3). In diesen Fällen werden Lieferantenberatungen unter Einschaltung einer Unternehmensberatung initiiert (vgl. Hubmann, E.; Zachau, T.: 2000, S. 48 ff.). Dabei übernimmt Siemens die Kosten der Beratung, die sich ergebenden Kostenersparnisse werden anschließend im Verhältnis „2/3 für den Kunden, 1/3 für den Lieferanten" geteilt. Zur Sicherstellung der Geheimhaltung vertraulicher Daten des Lieferanten verbleiben alle Informationen bei den Beratern und werden Siemens nur in Abstimmung mit dem Lieferanten zugänglich gemacht. Derartige Lieferantenberatungen erbrachten bei Siemens (wie auch in ähnlichen Projekten anderer Unternehmen) sehr gute Ergebnisse, besonders im Hinblick auf Prozessverbesserungen bei Qualität und Logistik und die daraus folgenden Senkungen der Herstellkosten beim Lieferanten. Neben der Verbesserung der Basis der betreffenden Lieferanten-Abnehmer-Beziehung erwirbt der Lieferant natürlich ein Know-how, durch das seine Wettbewerbsfähigkeit insgesamt gestärkt wird.

Einkaufsvolumen, Strategische Bedeutung hoch

ài

Ausphasen Ο)

c (1) U)

1 1 Lieferantenberatung 1 Verbesserungs_ maßnahmen Zielvereinbarungen Volumen reduzieren

desourcec restricted accepted

w

preferred

Bewertungsergebnisse Abb. 3: Lieferantenstrategien (Hubmann, E.; Zachau, T.: 2000, S. 48)

Lieferantenmanagement mit Internettechnologien

5

213

Schlussbetrachtung

Internettechnologien spielen im Zusammenhang mit dem Lieferantenmanagement eine zunehmend wichtige Rolle. Dabei wird das Internet vornehmlich im Rahmen der Informationsbeschaffung eingesetzt, während Intra- und Extranetanwendungen die Kommunikation (intern und mit den Lieferanten) unterstützen. Typische Anwendungsbereiche des Intranets liegen zum einen in der dezentral durchführbaren Lieferantenbewertung und zum anderen darin, allen beteiligten Bereichen beschaffungsrelevante Informationen bereit zu stellen (Lieferantendaten (z.B. aus Lieferantenbewertungen), Informationen über freigegebene Lieferanten, Auswertungen beispielsweise in Form von Portfolioanalysen etc.). Noch vielfältiger sind die Möglichkeiten des Lieferantenmanagements mithilfe von Extranetamvendungen. Hierzu zählen der Austausch von Bedarfs- und Kapazitätsdaten, Konstruktionsdateien und Projektdaten sowie von Anfragen und Angeboten und schließlich die Durchführung von Online-Auktionen. Elektronische Marktplätze bieten die Übernahme dieser Aufgaben an, wobei die Integration der Anwendungen in die betrieblichen Informations- und Kommunikationssysteme und die Beschaffungsprozesse sicherzustellen ist. Viele der internetgestützten Anwendungen erleichtern die Durchführung von Aufgaben, die auch früher (mithilfe anderer Instrumente oder Technologien) bewältigt wurden. Ein Beispiel hierfür ist der Austausch von Bedarfsdaten, die über viele Jahre auf dem Wege des Electronic Data Interchange (EDI) über Punkt-zu-PunktVerbindungen an wichtige Lieferanten weitergeleitet wurden. Heutzutage wird dies zunehmend mithilfe von Internettechnologien (z.B. Web-EDI) durchgeführt, wodurch eine größere Zahl von Lieferanten kostengünstig in den Informationsaustausch eingebunden werden kann. Andere Anwendungen wie die Durchführung von OnlineAuktionen wurden durch den Einsatz von Internettechnologien dagegen überhaupt erst möglich. Der Einsatz der beschriebenen Instrumente kann die direkte Kommunikation der Mitarbeiter von Zulieferern und Abnehmern nicht völlig ersetzen. Doch auch hierbei können Internettechnologien helfen, z.B. in Form von E-Mails, Gesprächsforen oder Videokonferenzen (vgl. hierzu Bogaschewsky, R.: 2000, S. 159), eine kurzfristige und effiziente Kommunikation zu erleichtern. Nicht eindeutig kann die Frage beantwortet werden, wie sich die Internettechnologien langfristig auf die Dauer von Lieferanten-Abnehmer-Beziehungen auswirken werden. Auf der einen Seite kann die Vernetzung mittels Internettechnologien helfen, die Beziehung von Zulieferern und Abnehmern zu stabilisieren. Gründe hierfür können steigende Lieferantenwechselkosten (z.B. durch individuelle Anpassung der Informationssysteme) wie auch die Möglichkeit sein, durch eine intensive Kommunikation mögliche Probleme frühzeitig zu beheben. Auf der anderen Seite kann die durch die Internettechnologien induzierte größere Standardisierung z.B. von Geschäftsprozessen und die steigende Kompatibilität der Informations- und Kommunikationssysteme sowie die erhöhte Markttransparenz dazu führen, den Wechsel von Lieferanten zu erleichtern.

214

Folker Roland

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Lieferantenmanagement mit Internettechnologien

215

Roland, F.: Informationsmanagement - der Kern des modernen Einkaufs?, in: Bogaschewsky, R.; Götze, U. (Hrsg.): Unternehmensplanung und Controlling - Festschrift zum 60. Geburtstag von Jürgen Bloech, Heidelberg 1998, S. 251 -272 Roland, F.; Kleeberg, L.: Strategisches Beschaffungsmarketing, in: Manschwctus, U.; Rumler, A. (Hrsg.): Strategisches Internetmarketing, Wiesbaden 2002, S. 303-327 Steglich, T.: Lieferant sieht rot, in: Logistik heute, Heft 12/2002, S. 60-61 Stölzle, W.: Beziehungsmanagement - Konzeptverständnis und Implikationen für die Beschaffung, in: Hildebrandt, H.; Koppelmann, U. (Hrsg.): Beziehungsmanagement mit Lieferanten, Stuttgart 2000, S. 1 - 3 2 Stölzle, W.; Hcuslcr, K.F.: Supplier Relationship Management: Konzept, Gestallungsempfchlungen und Potenziale durch den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien, in: Stäche, U. (Hrsg.): Electronic-Procurement - Anwendungspotenziale, Perspektiven und Grenzen, Siegen 2002, S. 20-33 Zangcmeisler, C : Nutzwertanalyse in der Systemlechnik, 4. Aufl., Berlin 1976

Ε-Procurement - learning by doing? Ursachenforschung zu den Problemen von Unternehmen bei der Einführung und Nutzung von E-Procurement-Instrumenten Lars Κ Iceberg K+S Aktiengesellschaft Bertha-von-Suttner-Str. 34131 Kassel

7

Zusammenfassung Während des Ε-Hypes sind zahlreiche Studien zum Thema Ε-Procurement entstanden. Konnten zu Beginn nur die damit verbundenen Erwartungen von Unternehmen ausgewertet werden, liefern heutige Studienergebnisse einen repräsentativen Überblick über die Probleme, die Unternehmen bei der Einführung und Nutzung von E-Procurement-Instrumenten zu bewältigen hatten. Hierbei ist fraglich, inwieweit die Probleme durch die Instrumente verursacht worden sind, oder ζ. B. eine falsch betriebene Einkaufs- und Verkaufspolitik zu den Problemen geführt haben. Das Ergebnis zeigt, dass durch eine umfassendere Einkaufsvorbereitung sowie rechtzeitige Informationsstreuung seitens der beschaffenden Unternehmen und eine gezielte Kundenorientierung auf Seiten der Anbieter von E-Procurement-Instrumenten viele der in den Studien genannten Probleme hätten vermieden werden können.

Lars Kleeberg

218

Inhalt 1

2

3

4

5

Einleitung

219

1.1 1.2

219 220

Arten und Einsatz von E-Procurement-Instrumenten Bewertung von E-Procurement-Instrumenten

Desktop Procurement Systeme (DPS)

221

2.1 2.2

221 222

Funktionsweise von DPS Analyse der Probleme bei der Nutzung von DPS

Internet-Auktionen

227

3.1 3.2

227 228

Ablauf und Arten von Internet-Auktionen Problemanalyse von Internet-Auktionen

E-Marktplätze

231

4.1 4.2

231 232

Charakteristika und Typen von E-Marktplätzen Problemanalyse von E-Marktplätzen

Resümee

Literatur

234 235

E-Procurement - learning by doing?

219

1

Einleitung

l. 1

Arten und Einsatz von E-Procurement-Instrumenten

Mit Hilfe der Internettechnologie können Unternehmen in unterschiedlichster Weise Informationen auf elektronischem Wege austauschen. Das Spektrum der Austauschmöglichkeiten reicht hierbei vom Versenden einer Nachricht (E-Mail) über den Transfer von Dateien (FTP) auf Grundlage standardisierter Datenaustauschformate (XML) bis hin zur Übertragung von Bild-, Text- und Toninformationen entfernter Rechner auf den eigenen PC über das World Wide Web (WWW). In der Regel erfolgt der Datenaustausch dabei unverschlüsselt. Zum Schutz der Daten bzw. zur Abwehr unerlaubter Zugriffe nicht autorisierter Personen bzw. Rechner von außen auf das eigene EDV-System bauen Unternehmen umfangreiche Sicherheitssysteme (Firewalls) auf und leiten ihre Daten durch verschlüsselte 1:1 -Verbindungen, die die EDV-Systeme von Unternehmen direkt miteinander verbinden. Erste Erfahrungen mit internetgestützten Geschäftsprozessen sammelten Unternehmen Ende der 90er Jahre auf Einkaufs- und Vertriebsseite. Speziell auf der Einkaufsseite haben seitdem Katalogmanagementsysteme, sog. Desktop Procurement Systeme (DPS), Inte met-Auktionen

und elektronische

Marktplätze

(E-Marktplcitze)

als Ε-Procurement-Instrumente zunehmend an Bedeutung gewonnen.1 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%

81%

79%

63%

2001 12002 I zukünftig

22% 11%

Katalogmanagementsysteme

Elektronische Marktplätze

Internet-Auktionen

Abb. 1: Einsatz ausgewählter E-Procurement-lnstrumente in deutschen Industrieunternehmen 2 Der Einsatz dieser E-Procurement-Instrumente erfolgt meist in späteren Phasen. Zuerst nutzen Unternehmen nur solche Instrumente, die der Informationsbeschaffung (Lieferantendatenbanken im Internet) und dem -austausch (Diskussionsforen im Intranet) dienen. Erst im Anschluss daran werden Systeme, wie z.B. DPS oder InternetAuktionen, eingesetzt, die die Abwicklung von Geschäftsprozessen über das Internet erlauben.

1

Zur Funktionsweise dieser Instrumente vgl. Kap. 2.1, 3.1 und 4.1.

2

Vgl. Arthur Andersen (2001 ), S. 10 und (2002), S. 8 f.

Lars Kleeberg

220 1.2

Bewertung von E-Procurement-Instrumenten

Seit der internetgestützten Abwicklung von Geschäftsprozessen in und zwischen Unternehmen sind zahlreiche Studien durchgeführt worden, die die Erfolge und Probleme bei der Einführung und Nutzung von E-Procurement-Instrumenten beleuchten. Standen zu Beginn des Ε-Hypes noch Fragen und Antworten zu den geplanten E-Aktivitäten und damit erhofften Erfolgen sowie befürchteten Problemen im Vordergrund („Wann planen Sie den Einsatz von E-Procurement-Instrumenten und mit welchen Erwartungen?"), können heute Ergebnisse aus Erfahrungsberichten herangezogen und ausgewertet werden („Welche E-Procurement-Instrumente haben Sie im Einsatz und wie beurteilen Sie ihre Leistungsfähigkeit?"). Die meisten bisher in Unternehmen gemachten Erfahrungen liefern jedoch keine ausreichende Erklärung dazu, warum welche E-Procurement-Instrumente in ihrer Leistungsfähigkeit positiv, negativ oder neutral bewertet werden bzw. zukünftig Ε-Procurement in Unternehmen forciert, vermindert oder unverändert weitergeführt werden soll. Die Antworten hängen zum einen davon ab, inwieweit Erfolge erzielt worden sind und Probleme zu bewältigen waren. Zum anderen werden sie aber auch durch „Bauchentscheidungen" beeinflusst. Diesbezüglich spielt vor allem der Kostendruck eine große Rolle, dem aus Sicht einiger Unternehmen nur mit Anwendungen auf Basis der Internettechnologie standgehalten werden kann. Dagegen fühlen sich andere Unternehmen durch einen „künstlichen" Wettbewerbsdruck dazu gedrängt, E-Procuremenl-Projekte durchzuführen; die große Anzahl von Veröffentlichungen zum Thema E-Procurement lässt viele Einkaufsmanager vermuten, dass andere Unternehmen innovativer bzw. technologisch fortschrittlicher sind als sie selbst. Neben diesen durch Kosten- und Wettbewerbsdruck getriebenen Unternehmen existieren aber auch solche Unternehmen, die als Visionäre „harten" Fakten trotzen und allein durch ihre Vorstellung getrieben E-Procurement-Projekte angehen.3 Gänzlich offen bei den Studienergebnissen bleibt die Frage, ob die genannten Probleme tatsächlich erst mit der Teilnahme am E-Commerce bzw. bei der E-Procurement-Einführung entstanden sind. Dafür spricht die Neuartigkeit des Themas, das erst durch „learning by doing" optimal ausgearbeitet werden kann. Dagegen spricht die Vermutung, dass schon im Vorfeld bzw. während der E-Procurement-Einführung die herrschende Unkenntnis zu den eigenen und den Ε-Prozessen sowie eine schlechte Vorbereitung und Ausführung entsprechender Aktionen ursächlich für die Problemnennungen gewesen sind. Dieser Frage soll im Folgenden auf den Grund gegangen werden. Hierzu werden Studien herangezogen, die in den letzten drei Jahren zum Thema Ε-Procurement entstanden sind und repräsentative Ergebnisse zu den negativen Anwendererfahrungen

3

Abgesehen davon gibt es dennoch weiterhin eine Vielzahl von Unternehmen, die kein Ε-Procurement betreiben, weil diese u.a. - sich mit dem Thema noch nicht beschäftigt haben. - keinen entsprechenden „Return on Investment" erwarten, - andere Invcsiitionsschwcrpunkie setzen, oder - sich keinem Kosten- oder Wetlbewerbsdruck ausgesetzt sehen. Diese Unternehmen sind nicht Bestandteil der weiteren Ausführungen.

Ε-Procurement - learning by doing?

221

bei der Nutzung von Katalogmanagementsystemen, Internet-Auktionen sowie Ε-Marktplätzen liefern. 4

2

Desktop Procurement Systeme (DPS)

2.1

Funktionsweise von DPS

Oberstes und empirisch belegtes Ziel der Nutzung eines Katalogmanagementsystems bzw. DPS ist, von der Bedarfsermittlung bis hin zur Zahlungsanweisung den Beschaffungsprozess transparent und automatisiert zu gestalten, um die Abwicklungszeit einer Bestellung zu verkürzen und dadurch Prozesskosten einzusparen.5 Zu den Funktionen eines DPS gehören das Anlegen einer Bestellanforderung, die Abbildung von Genehmigungsprozeduren, die Buchung von Bestellbelegen, die Übermittlung der Bestellung an den Lieferanten, die Kontrolle der Bestellentwicklung, die Wareneingangsbestätigung sowie die Abwicklung der Rechnungsstellung und -verbuchung. 6 Mittels eines Web-Browsers erhält der Anforderer einen berechtigungsgesteuerten Zugang zu vorkonfigurierten Produktkatalogen in digitaler Form. Über eine einfach zu bedienende Browseroberfläche kann er dann anhand unterschiedlicher Suchmechanismen (Stichwortsuche, Artikelnummernsuche, Suche entlang einer Produkthierarchie 7) auf eine Vielzahl von Produktdatensätzen zugreifen, seinen Bedarf entsprechend zusammenstellen und in einem virtuellen Einkaufskorb ablegen. Die nun im Einkaufskorb befindlichen Artikel sind aufgrund der im Vorfeld verhandelten Rahmenbedingungen hinsichtlich Preise und Lieferangaben genau spezifiziert. 8

4

Zu den Studien vgl. Arthur Andersen (2001) und (2002); KPMG (2000) und (2001); Lenz/Pcyinghaus/ Kucza (2002); MASAI (2001). Viele Studien prognostizieren mit der Nutzung eines DPS hohe Einsparungspotenziale. Oft wird eine Prozesskostenreduktion von mehr als 70-80% unterstellt. Bei diesen hohe Werten handelt es sich jedoch um Maximalwerte, die sich dadurch ergehen, dass dem herkömmlichen Beschaffungsablauf, der bei der Informationssammlung beginnt und nach der Anfrage, Angebotscinholung und -auswerlung sowie Bestellschreibung in der Rechnungsprüfung und anschließenden Zahlungsanweisung mündet, der Idealfall einer elektronischen Beschaffung gegenübergestellt wird, der eine vollständig integrierte clcktronische Bcstcllabwicklung beschreibt. Dieser Vergleich ist unpassend, beachtet man, dass schon heule nicht für jeden Artikel eine Bestellung geschrieben wird, sondern aus Rahmenverträgen per Fax abgerufen wird und die Abrufe der Lieferant (z.B. am Monatsende) einmal gesammelt in Rechnung stellt. Somit relativiert sich das anfangs erwähnte hohe Einsparungspotcnzial sehr schnell, falls die Einkaufsprozesse bereits nach „modernen" Prinzipien und Methoden durchgeführt werden.

6

Vgl. hier und im Folgenden Roland/Kleeberg (2002), S. 318 ff.

7

Hierbei kann es sich um licferanlenspezifischc oder auch allgemeingültige Produkthierarchien handeln. Letzteres trifft etwa für die Hierarchisierung von Produkten nach eCl^ss zu. Diese Möglichkeit einer Produklklassifizierung hat sich in Deutschland schon in vielen Unternehmen als Standard durchgesetzt. Vgl. hierzu www.ecK^ss.de.

8

Daneben ist es möglich, per „Freitext" Artikel zu beschreiben, die nicht in Form elektronischer Produktdalensätze vorliegen. Diese Artikel können zusätzlich in den Warenkorb mit aufgenommen und - je nach Vereinbarung - entweder an den Lieferanten als Bestellung oder an die Einkaufsabteilung als Bedarfsanforderung weitergeleilet werden.

222

Lars Kleeberg

Daneben ist jedem DPS-User eine Kostenstelle zugeordnet, die das System entsprechend der Benutzereinstellungen fürjede Position im Warenkorb vorschlägt. Möchte ein DPS-User nun die Bestellung auslösen, ist dies durch einen ,Klick' letztendlich möglich. Idealerweise wird der Warenkorb anschließend an das dem E-Procurement-System nachgeschaltete Enterprise Resource Planning (ERP)-System geleitet und dort, falls der Warenkorb keiner Genehmigung unterliegt, direkt in eine Bestellung umgewandelt. Der Umwandlungsprozess läuft workflowgesteuert ab, ebenso wie ein möglicher Genehmigungsprozess, der dann startet, sobald der Wert des bestellten Einkaufskorbseine vorab festgelegte Genehmigungswertgrenze überschreitet. In der Regel ist eine 24- oder 48-Stunden-Belieferung mit dem Lieferanten für den Großteil der Katalogpositionen vereinbart. Diese Vereinbarung ist realistisch, da er - sofern er „E-fähig* 4 ist - die Bestellung nicht per Fax, sondern in elektronischer Form (etwa per E-Mail oder XML) erhalten und damit zugleich in seinem ERP-System als Auftrag anlegen kann, ohne dass eine manuelle Erfassungsarbeit notwendig wird. Der Bedarfsträger oder die zentrale Einkaufsabteilung hat jederzeit die Möglichkeit, sich über den Status der Bestellung (ζ. B. hinsichtlich der Genehmigung oder Wareneingangsbuchung) zu informieren. Entsprechend können Lieferterminüberwachungen und im Bedarfsfall Mahnungen durchgeführt werden. Weiterhin ist es möglich, dass Auftragsbestätigungen in elektronischer Form an den Bedarfsträger übermittelt werden. 9 Mit einem DPS ist der Bedarfsträger bzw. Warenempfänger auch in der Lage, den Wareneingang zu buchen, womit er im Idealfall die Zahlung an den Lieferanten freigibt; ist die automatische Wareneingangsabrechnung in Form des Gutschriftverfahrens aktiviert, können Wareneingänge direkt ohne den Erhalt einer Rechnung abgerechnet werden. Mit dem in der Bestellung eingegebenen Bestellpreis und der beim Wareneingang erfassten Liefermenge weiß das System, was für diesen Bestellvorgang in Rechnung zu stellen ist. Die Zahlungsbedingungen sind dem System ebenfalls aus der Bestellung bekannt. Somit kann auf Grund dieser Kenntnisse das Unternehmen die Rechnung quasi selbst erzeugen und buchen. Eine Rechnung des Lieferanten ist damit überflüssig. Als Ergebnis der Verarbeitung werden Gutschriftanzeigen erstellt, die dem Lieferanten je nach Möglichkeit entweder via E-Mail oder per Fax bzw. Brief übermittelt werden. Das Gutschriftverfahren führt somit dazu, dass Bestellvorgänge schneller abgeschlossen werden können und Übermittlungsfehler sowie Mengen- und Preisabweichungen bei der Rechnungsstellung unterbleiben.

2.2

Analyse der Probleme bei der Nutzung von DPS

Unzureichende Sortimentsprüfung Zu Problemen bei der Einführung eines DPS hat vor allem der Umstand geführt, dass im Vorfeld gar nicht oder nicht in ausreichendem Maße mit geeigneten Methoden und Kriterien die Eignung der zu beschaffenden Materialien bzw. deren Warengrupi}

Hierbei erweist sich jedoch die Sendung von Bestätigungen in Form von Informationen zu Lieferterminoder -mengenabweichungen aufgrund des geringeren Abwicklungsaufwands als sinnvollere Lösung.

Ε-Procurement - learning by doing?

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pen für ein Ε-Procurement analysiert wurde. Typische Kriterien sind dabei die Komplexität, die Häufigkeit der Bestellungen, die strategische Bedeutung, die Standardisierbarkeit und der Bestellwert des Materials. Je komplexer und spezialisierter bzw. hochwertiger das Gut ist, desto sinnvoller erscheint es, die Beschaffung auf konventionellem Wege durchzuführen. Daneben bietet es sich an, hoch standardisierte Güter über ein DPS zu beschaffen. 10 Werden diese Güter häufig verbraucht, sollte zusätzlich eine Bestandsführung zu diesen Gütern im Hintergrund erfolgen. 11 Gleiches gilt für solche Güter, die strategisch bedeutend sind, da mit ihrem Fehlen ein Produktionsausfall verbunden wäre. In vielen Unternehmen werden weiterhin Unmengen von Materialien auf Lager gehalten, obwohl sie in keiner Weise hierfür die zuvor erwähnten Kriterien erfüllen. Lag der Fokus zu Beginn der E-Procurement-Entwicklung auf der elektronischen Abwicklung von nicht-lagerhaltigen Materialien, wandelt sich dieser nach und nach hin zu den im Bestand befindlichen Artikeln. Somit führt Ε-Procurement auch dazu, Bestände zu bereinigen, indem die Lagerhaltung für bestimmte Materialien hinterfragt bzw. reduziert wird. Restriktive

Vertragsgestaltung

aufgrund bestehender Rahmenverträge

Weiterhin hat sich die Einführung eines DPS aufgrund der oftmals restriktiven Vertragsgestaltung mit Lieferanten, die elektronische Kataloge liefern (Kataloglieferanten), als problematisch erwiesen. Mit der Beibehaltung bestehender Rahmenverträge zu Artikeln, die ebenso zum Angebotsspektrum neuer Kataloglieferanten gehören, kann der Einkauf nur kurzfristig erfolgreich sein. Langfristig werden die mit den bisherigen Lieferanten meist zu sehr kleinen Sortimenten vereinbarten Konditionen durch ungünstigere Sortimentspreise der Kataloglieferanten aufgezehrt; indem die „Rosinen" schon vergeben sind und nicht beim Kataloglieferanten mit angefragt werden, reizen die prognostizierten Abnahmemengen und damit zukünftigen Minderumsätze diesen nicht, hohe Rabatte zu gewähren. Darüber hinaus fallen auf seiner Seite mit der Bereitstellung elektronischer Produktkataloge Kosten an, die er zusätzlich in seiner Preiskalkulation berücksichtigen muss. Die Anfrage von Teilsortimenten führt weiterhin dazu, dass der Kataloglieferant einen nicht nur den Preisen, sondern auch dem Sortimentsumfang nach individuell zusammengestellten Katalog anbieten muss. Schwierig gestaltet sich dabei die Prognose der zukünftigen Bedarfe, die über Verbrauche aus der Vergangenheit nur in Teilen vorhergesagt werden können. Wird das Sortiment in der Weise festgelegt, dann liegt die Gefahr nahe, dass die späteren Anwender ihren Bedarf nicht ausreichend über den elektronischen Katalog decken können. Der Anwender ist frustriert. Ein Umstand, der gerade in der Startphase von E-Procurement-Projekten verheerende Auswirkungen haben kann.

10

Bisher wurden eher die sog. C-Artikel (Büromalcrial. Werkzeuge) für ein DPS favorisiert. Da es sich bei der Standardisierung um ein äußerst trennscharfes Kriterium handelt, lassen sich ebenso genormte Aund B-Teile (Produktionsteile) in elektronischen Katalogen abbilden.

11

Mit dieser Form der „Nachbevorratung" können Bedarfe zusätzlich gebündelt und - wird die Bestandsführung maschinell unterstützt - der Beschaffungsprozess weiter vereinfacht werden.

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Lars Kleeberg

Dieses individualisierte Vorgehen verhindert aber auch die Entstehung standardisierter Prozesse. Skaleneffekte können kaum genutzt und Kostenreduktionen somit nur in geringem Umfang weitergegeben werden. Dem mit der Zwangsindividualisierung verbundenen hohen Erstellungsaufwand und den damit schlechteren Einkaufsergebnissen folgen dann auch ein hoher Abstimmungs- bzw. Prüf- und Updateaufwand; einerseits behalten es sich Einkäufer vor, die elektronischen Kataloge vor der Veröffentlichung noch einmal zu prüfen. Aufgrund der meist hohen Artikelanzahl, die diese Kataloge umfassen, kann eine Prüfung jedoch nur stichprobenartig erfolgen. Stehen keine ausreichenden Hilfsmittel zur Verfügung (ζ. B. Referenzkataloge), so gestaltet sich die Prüfung sehr zeitaufwendig. Andererseits hat die „Zerstückelung" eines elektronischen Kataloges zur Folge, dass dieser vermehrt um weitere Artikel ergänzt werden muss. Sofern die Kataloge von einem Dritten verwaltet werden, kann der Updateprozess nicht zeitnah erfolgen. Die Gefahr, dass zwischenzeitlich alternative Beschaffungswege wiederbelebt werden, ist damit sehr groß. Restriktive

Vertragsgestaltung

aufgrund Misstrauen gegenüber Anwender

Die restriktive Handhabung von elektronischen Katalogen bzw. deren Sortimentsbreiten liegt aber auch in der Angst des zuständigen Facheinkäufers begründet, es würde seitens des Anwenders Bedarf geweckt werden statt gedeckt. Das bedeutet wiederum, dass der Lieferant einen auf das einkaufende Unternehmen zugeschnittenen Katalog erstellen muss - mit all den zuvor genannten Folgen. Um dies zu vermeiden, ist es sinnvoll, soweit wie möglich ein breites Sortiment in den elektronischen Katalog einzustellen. Dann taucht jedoch die Frage auf, welche Konditionen zu den einzelnen Artikeln vereinbart werden sollen, da ein Großteil der Artikel in der Vergangenheit gar nicht oder nur sporadisch verbraucht worden sind. Im Ergebnis kommt es dabei lediglich nur zu weiteren Verzögerungen. Besser ist, nur grob mit Rabatten zu arbeiten. Nach einer Pilotphase (ζ. B. nach einem halben Jahr) ist erneut über die Rabatte zu verhandeln. Dann können „Verbrauchsrenner" identifiziert und für diese detailliert die zukünftigen Konditionen vereinbart werden. Für diese dann in der Pilotphase quasi zu teuer eingekauften Artikel kann zudem noch über eine Umsatzrückvergütung gesprochen werden. Katalogprüf- und Updateprozesse können damit auf ein Mindestmaß beschränkt werden. Unterschätzung der Systemintegrationen

und -Linderungen

Warum viele Unternehmen technische Hürden bei der Implementierung eines DPS als problematisch ansehen, liegt vor allem daran, dass diese den Umfang der damit verbundenen Systemintegrationen bzw. -änderungen unterschätzt haben. Im Allgemeinen stellte für Unternehmen - sofern sie keine Insellösungen geplant hatten - die Integration von Ε-Systemen in bzw. die Anbindung fremder Unternehmenssysteme an das eigene ERP-System eine hohe technische Hürde dar. Schwierigkeiten machte hierbei die zum Teil starke Filialisierung der Unternehmen, die zum Aufbau unterschiedlicher EDV-Systeme in den einzelnen Filialen bzw. Tochtergesellschaften geführt hat, so dass nur über Umwege diese miteinander kommunizieren bzw. auf ein zentrales Backend-System zugreifen konnten. Hierdurch mussten die

Ε-Procurement - learning by doing?

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ersten E-Anbindungen mehrmals realisiert bzw. jedes Mal neue Schnittstellen programmiert werden. Weitere Schwierigkeiten lagen in der zu spät installierten Hardware bzw. teilweise nicht bedarfsgerechten Software zur Abbildung unternehmensinterner Prozesse. Seitens der Lieferanten fehlten zu Beginn des Ε-Hypes technische Hilfsmittel, um z.B. einen elektronischen Produktkatalog schnell und sicher erstellen zu können. Seitens der einkaufenden Unternehmen wurden insbesondere die unzureichenden Funktionalitäten der ersten Katalogmanagementsysteme hinsichtlich der Abbildung der eigenen Prozesse bemängelt. Ebenso wurde nicht mit dem Änderungs- bzw. Umsetzungsaufwand gerechnet, der notwendig ist, um beim Datenaustausch via Internet „die gleiche Sprache zu sprechen". Bestellt ein Unternehmen Artikel aus einem elektronischen Produktkatalog eines anderen Unternehmens, müssen die Produkthierarchien bzw. Warengruppenschlüssel beider Unternehmen identisch sein. Nur dann kann das ERP-System des einkaufenden Unternehmens den bestellten Artikel im eigenen System richtig zuordnen. Die Nutzung einer einheitlichen Hierarchie auf beiden Seiten (wie z.B. die Hierarchisierung der Artikel bzw. Produkte nach eCl@ss) gewährleistet, dass etwa ein Schraubendreher sowohl seitens des Lieferanten als auch des einkaufenden Unternehmens der Warengruppe 21 - 0 4 - 0 4 - 0 1 zugeordnet ist. Je heterogener das Artikelbzw. Produktsortiment eines Unternehmens war, desto mehr Zeit und Personal hat die Umsetzung der Warengruppen in Anspruch genommen.1" Überschätzung der Anforderer Dass es zu Problemen bei der Nutzung eines DPS gekommen ist, liegt aber auch daran, dass die Anforderer bzw. DPS-User überschätzt wurden; vollständig integrierte E-Porcurement-Lösungen bieten die Möglichkeit, den gesamten Beschaffungsprozess nahezu automatisiert ablaufen zu lassen. Neben der automatisierten Unterstützung des Bestellvorgangs können auch die Zahlungsvorgänge automatisiert werden, indem der Ε-Bestellung eine Ε-Rechnungslegung, -prüfung und -Zahlung in Form des Gutschriftverfahrens folgt. 13 Die Zahlung kann dabei aber erst erfolgen, wenn der Wareneingang gebucht worden ist. Ein DPS erlaubt die dezentrale Buchung, d.h. durch den Anforderer selbst. Diesem kann es jedoch passieren, dass er verspätet oder gar nicht den Wareneingang bucht. Weder die Rechnung noch eine Gutschrift können erstellt werden. Statt des Vorteils der schnellen Zahlungsabwicklung entstehen Nachteile, wie etwa Anmahnungen durch den Lieferanten oder der Verfall von Skontobeträgen. Des weiteren werden Wareneingänge ohne die Eingabe einer Lieferscheinnummer gebucht. Da der Lieferant keine Rechnung mehr erstellt, ist er auf die Vollständigkeit der ihm durch das einkaufende Unternehmen übermittelten Gutschriftanzeigen angewiesen. Darin enthalten sind die Nummern der abgerechneten Bestellungen, die jeweiligen Gutschriftbeträge sowie die Lieferscheinnummern, die der Lieferant 12

13

Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen einmaligen Aufwand. Der eCI@ss-Standard ist inzwischen weiterentwickelt worden. Je nach Sotimentsheterogenität eines Unternehmens zwingt die aktuelle Version 4.1 dieses dazu, bis zu 60% der bisher klassifizierten Artikel neu zuzuordnen, sofern die letzte Umsetzung auf Basis der eCl@ss-Version 3.0 durchgeführt worden ist. Vgl. Kap. 2.1.

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nutzt, um die Beträge seinen einzelnen Lieferungen und damit offenen Aufträgen zuordnen zu können. Sofern vom DPS-User eine falsche Lieferscheinnummer eingetragen wurde, gestaltet sich die nachträgliche Zuordnung als sehr aufwendig. Unzureichende Informationspolitik Die Einführung und Nutzung eines DPS gestaltet sich gerade dann problematisch, wenn keine ausreichende Informationspolitik betrieben wird. Als vermeintlicher Vorteil einer E-Procurement-Lösung wird aus Entscheidersicht die größere Eigenverantwortlichkeit auf Anwenderseite genannt. Indem der Anforderer quasi direkt beim Lieferanten bestellen kann, werden Einkaufsaufgaben dorthin verlagert, wo auch der Bedarf entsteht. Die damit verbundene Übernahme von Einkaufsverantwortung führt aber auch gleichzeitig zu „Mehrarbeit" auf Anwenderseite. Viele Unternehmen haben nicht darauf geachtet, eine ausreichende Informationspolitik zu betreiben, d. h. die Anforderer frühzeitig über die Vorteile eines E-Procurement-Systems aufzuklären. Es ist zu Widerständen gekommen, die den Abschluss von Ε-Projekten verzögert bzw. diesen sogar gefährdet haben. Rekonstruktion

bestehender Prozesse

Des weiteren sehen viele Studienteilnehmer die Abbildung organisationsinterner Abläufe bei der Einführung eines DPS als problematisch an. Ursächlich hierfür ist jedoch die fehlende Flexibilität vieler Unternehmen, die bestehenden Prozesse neu organisieren zu wollen; in Unternehmen bestehen oftmals mehrere Genehmigungsstufen, die sie innerhalb eines DPS mit hohem Aufwand zu rekonstruieren versuchen. Es stellt sich die Frage, ob eine Abbildung mehrerer Genehmigungsstufen überhaupt notwendig ist. Ist eine zweistufige oder keine Genehmigungsprozedur nicht effektiver? Indem in einem DPS die Bestellungen anwenderbezogen dokumentiert werden, sind sie im nachhinein auswertbar. Ein Anwender wird dann nur einmal „kriminell" aktiv. Eine entsprechende Vollmachtenvergabe und schriftlich zu bestätigende Aufklärung des Anwenders im voraus über die Folgen eines Missbrauchs führen dazu, dass das DPS korrekt angewendet wird. Beibehaltung alternativer

Beschaffungswege

Dass sich für viele Unternehmen die Einführung und Nutzung eines DPS bisher als nicht wirtschaftlich und damit auch problematisch erwiesen hat, liegt ebenso daran, weil sie es versäumt haben, konsequent alternative Beschaffungswege zu sperren. Sehr oft werden die mit der Nutzung eines DPS erreichbaren Prozesskosteneinsparungen genannt. Diese werden jedoch aufgezehrt, wenn der elektronische Beschaffungsweg nicht konsequent eingehalten wird. In vielen Unternehmen existiert nach der Einführung eines DPS weiterhin die Möglichkeit, den konventionellen Beschaffungsweg (Faxbestellungen, Bestellanforderungen über die Einkaufsabteilung) in Anspruch zu nehmen. Wird ζ. B. ein Katalogartikel nicht gefunden, so wird eine Faxbestellung ausgelöst, die dann oftmals auch solche Artikel weiterhin umfasst, die im elektronischen Katalog enthalten sind. Sowohl seitens des Lieferanten als auch des einkaufenden Unternehmens muss dann zweigleisig gefahren werden. Auf Lieferantenseite muss ein manueller Auftragsbearbeitungsprozess, auf der Seite des ein-

Ε-Procurement - learning by doing?

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kaufenden Unternehmens ein manueller Bestellerfassungs- und Rechnungsprüfungsprozess angestoßen werden. Gravierender wirkt sich ein zu preisfokussiertes statt prozessorientiertes Verhalten der Anforderer aus. Sie sehen nur den Artikelpreis als alleinige Kostenkomponente, da nur dieser das eigene bzw. Bereichsbudget belastet. Dies führt dazu, dass ein Angebot um die Ecke schnell dazu genutzt wird, den Katalogartikel als überteuert zu bezeichnen. Oftmals wird dann auch noch Eigeninitiative bewiesen und persönlich die Beschaffung nach der Devise „Einkaufen kann jeder" durchgeführt. Diese Eigeninitiative, d.h. das Unterlaufen der Ε-Prozesse, kann vermieden werden, wenn der Katalogumfang so wenig wie möglich restriktiv gehandhabt wird. D.h., der zuständige Facheinkäufer sollte mit dem Lieferanten nahezu über dessen Komplettsortiment verhandeln. Dass dann ein DPS-User dennoch etwas bestellt, was nicht bestellt werden soll, kann nachvollzogen werden. Es existieren eine Vielzahl von Kontrollmöglichkeiten, die dieses Fehlverhalten aufdecken. Einen nochmaligen Versuch wird diejenige Person nach einer entsprechenden Abmahnung nicht wieder ansetzen. Der Facheinkäufer erreicht somit, dass Bestellanforderungen unterbleiben und Einzelpositionen im nachhinein nicht nachgepflegt bzw. verhandelt werden müssen.

3

Internet-Auktionen

3.1

Ablauf und Arten von Internet-Auktionen

Mit dem Ziel der Reduzierung der Einstandspreise bzw. Ausschöpfung von Preissenkungspotentialen werden Internet-Auktionen zur Auswahl des jeweils preisgünstigsten Lieferanten eingesetzt. Im Vorfeld einer Internet-Auktion werden ausgewählte Lieferanten durch eine Aufforderung zur Teilnahme an einem Bietverfahren (RFB - Request for Bid) eingeladen. 14 Da die Internet-Auktion lediglich ein Instrument zur Preisfindung darstellt, muss vor Auktionsstart Klarheit über die Angebote und die Leistungsfähigkeit der Lieferanten bestehen, damit alle Angebote bzw. Lieferanten in ihrer Qualität objektiv miteinander verglichen werden können. D.h., es muss sichergestellt sein, dass alle Anbieter den gleichen Artikel bzw. die gleiche Dienstleistung in derselben Qualität (Art und Umfang) offerieren. Ist eine Vergleichbarkeit gegeben, dann werden die entsprechenden Anbieter über den Termin der Auktion informiert. Sie erhallen für die Teilnahme an der InternetAuktion jeweils eine Benutzer-ID und ein Passwort. Die Anbieter bleiben während der Auktion untereinander anonym. Die am meisten von einkaufenden Unternehmen genutzte Auktionsform ist die (reverse) Englische Auktion. Diese Auktion läuft in einem festgelegten Zeitfenster ab, in welchem z.B. für die Anbieter die Möglichkeit besteht, Gebote in der Weise wiederholt abzugeben, dass sich die Anbieter ausgehend von ihren Startgeboten gegenseitig unterbieten bis die Auktion beendet ist. Üblicherweise erhalten die Auktionsteilnehmer während der laufenden Auktion In14

Vgl. hier und im Folgenden Roland/Klecberg (2002). S. 313 IT.

228

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formationen zu dem aktuell günstigsten Angebot, dem nächsten erforderlichen Gebot und der noch verbleibenden Auktionszeit. Die Auktionszeit verlängert sich automatisch, sobald in einer im Vorfeld fest definierten Zeitspanne vor Auktionsende noch ein Angebot abgegeben wird. Diese Funktion führt dazu, dass den anderen Bietern noch genügend Reaktionszeit verbleibt, selbst ein günstigeres Gebot zu machen. 15

3.2

Problemanalyse von Internet-Auktionen

Fehlende Bedarfsorientierung Als problematisch bei der Nutzung von Internet-Auktionen wurde in vielen Fällen die fehlende Bedarfsorientierung der Betreiber bzw. Provider von Auktionen genannt. Dieser Nachteil ist für kommerzielle Lösungen üblich. Die angebotenen Auktionslösungen sind Standardlösungen, die nicht unternehmensspezifisch, sondern allgemeingültig ausgerichtet sind. Nur in Grenzen besteht die Möglichkeit, dass Nutzer Einfluss auf die Workflows und Funktionalitäten ausüben können. In der Regel ist zwar eine ständige Weiterentwicklung der Lösungen zu verzeichnen, die aber zur Verfremdung und damit zu Akzeptanzproblemen seitens der Nutzer führen kann. Oftmals handelt es sich dabei um Lösungen, die nur in Teilen von den einzelnen Nutzern in Anspruch genommen werden. Hierfür werden jedoch mehr pauschal als teillösungsbezogen Gebühren verlangt. D. h., der Nutzer, der nur die Phase der Preisfindung über eine Internet-Auktion abwickeln möchte, wird auch mit Kosten belastet, die dem Provider bspw. durch die Bereitstellung der Teillösungen „Anfragen" und „Ausschreibung" entstehen. Neben diesen Fixkosten verlangt der Provider ebenso auch eine erfolgsabhängige Provision. In Summe kann dies dazu führen, dass die Nettoeinsparung, d.h. die Differenz zwischen der durch die Auktion erzielten Einstandspreisreduzierung und den zu zahlenden Gebühren die Nutzung einer kommerziellen Lösung kaum noch rechtfertigt. Dieser anscheinend nachteiligen Lösung stehen die Möglichkeiten der a) Eigenfertigung oder b) Kooperation auf Käuferseite gegenüber. a) Die Entwicklung und der Betrieb eines Auktions- bzw. Preisfindungstools in Eigenregie hat den Vorteil, die Abläufe bzw. Funktionalitäten exakt auf die Unlernehmensbedürfnisse abstimmen zu können. Als vorteilhaft erweist sich dabei eine enge Zusammenarbeit der IT-Mitarbeiter mit dem Einkaufsbereich und den tech15

Daneben existieren weitere Auklionsformen. Bei einer (reversai) Holländischen Auktion wird der Preis ausgehend von einem Startpreis vom Auktionator in bestimmten Zeilabständen sukzessive für alle ersichtlich erhöht. Diese schrittweise Erhöhung wird so lange durchgeführt, bis ein Anbieter den aktuellen Preis akzeptiert. In diesem Fall gibt es für das zu verauktionierende Objekt nur ein Gebot, da der erste Bieter den Zuschlag erhält. Bei einer Vickrey-Auklion oder Second-Price-Scaled-Bid-Auklion geben die Anbieter ein einziges, verdecktes Gebot ab. Der Anbieter mit dem niedrigsten Gebot erhält den Zuschlag. Dabei bekommt er nicht den von ihm gebotenen Preis, sondern den des Zwcitplatzierten. Die Niedrigslpreis-Auktion oder Firsl-Price-Sealed-Bid-Aaktion ist nahezu identisch mit der Vickrey-Auklion. Sie unterscheidet sich lediglich darin, dass der Niedrigstbictende den Auftrag auch zu dem von ihm gebotenen Preis erhält. Vgl. hierzu die Ausführungen bei Bogaschewsky (2002), S. 35 f.; Reichwald/ Hermann/Bieberbach (2000), S. 546 IT.; Hepp/Schinzer (2000), 1517 f.

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229

nischen Abteilungen. Diese von Informatikern und späteren Toolnutzern gemeinsam getragene Entwicklungsarbeit gewährleistet, dass von Anfang an eine hohe Akzeptanz hinsichtlich des Tooleinsatzes und dessen Bedienung vorhanden ist. Dieser Vorteil ist jedoch den Nachteilen gegenüberzustellen, die sich in den selbst zu tragenden Entwicklungs- sowie Hard- und Softwarekosten und dem anschließenden Wartungs- und Pflegeaufwand äußern, b) Im Gegensatz dazu stellt die Entwicklung und der Betrieb eines Auktions- bzw. Preisfindungstools im Rahmen einer Unternehmenskooperation eine Mischform zwischen einer kommerziellen, nicht beeinflussbaren und privaten, direkt beeinflussbaren Lösung dar. Alle Kooperationsteilnehmer sind an der strategischen Ausrichtung und Entwicklung der Toolfunktionalitäten gleichermaßen beteiligt. Es können Erfahrungen ausgetauscht und gewonnen werden. Keiner hat in vollem Umfang das Risiko späterer „sunk costs" zu tragen. Es wird eine Risikoteilung angestrebt, die dazu führt, dass in Summe höhere Investitionen getätigt werden können. Fehlende Voraussetzungen auf Käufer- und/oder Verkäu ferseite Warum Internet-Auktionen oftmals als nicht durchführbar bzw. negativ im Nutzen bewertet wurden, liegt größtenteils darin begründet, dass nicht die entsprechenden Voraussetzungen gegeben waren bzw. Bedingungen eingehalten wurden. Im wesentlichen sind dies die a) Eindeutigkeit in der Bedarfsspezifikation, b) Existenz von Wettbewerb und die c) objektive Entscheidungsfindung. a) Weiß das einkaufende Unternehmen nicht, was es will bzw. spezifiziert es nicht ausreichend seinen Bedarf, sind die Angebote der einzelnen Lieferanten nicht miteinander vergleichbar, da Qualitätsunterschiede bestehen können, die den Preis nicht mehr als einziges K.o.-Kriterium zulassen. b) Sofern kein Wettbewerb auf Verkäuferseite besteht, sind Preisabsprachen möglich, die die Preiswirkung von Internet-Auktionen aushebeln. c) Besteht ein Vertrauensvorschuss, können keine objektiven, allein auf den Angebotspreis bezogenen Entscheidungen mehr getroffen werden. Diese Subjektivität äußert sich darin, dass sich das einkaufende Unternehmen - unabhängig vom Auktionsergebnis - eine Nachverhandlung vorbehält. Insgesamt ist eine Internet-Auktion gegenüber einer konventionellen Verhandlung erfolgsversprechend, wenn gilt:

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Internet-Auktion

konventionelle Verhandlung

einkaufendes Unternehmen ist wiehtig für Lieferanten

einkaufendes Unternehmen ist weniger wichtig für Lieferanten

viele qualifizierte Lieferanten, polypolistische Marktstruktur

einige qualifizierte Lieferanten, mono-/oligopolistische Marktstruklur

eindeutige Bedarfsspezifikation, die Preis zum Schlüsselkriterium macht

nicht eindeutig spezifizierter Bedarf oder andere als wesentlich erachtete Kriterien verhindern „Preisentscheidung"

einkaufendes Unternehmen entscheidet objektiv auf Basis des Auktionsergebnisses

einkaufendes Unternehmen vorbelastet, entscheidet subjektiv, unabhängig von objektiven Merkmalen

Tab. 1: Internet-Auktion versus konventionelle Verhandlung Preis- vor Qualitätsfokus Warum auf Lieferantenseite Internet-Auktionen überwiegend noch auf Skepsis stoßen bzw. von ihnen als problematisch bewertet werden, liegt ebenso daran, dass aus ihrer Sicht die alleinige Preisfokussierung bzw. Reduzierung des Wettbewerbs nur auf den Preis zu Preiskämpfen unter den teilnehmenden Lieferanten führt, bei denen die Produkt- und Qualitätsunterschiede dann keine Rolle mehr spielen. Diese Behauptung ist nur dann korrekt, wenn im Vorfeld mit dem einkaufenden Unternehmen keine Durchsprachen hinsichtlich der Bedarfsspezifikation erfolgt sind. Zu den wesentlichen Formen der Abstimmung zählen hierbei die technische und konditionenbezogene Durchspräche. Mit der technischen Durchsprache kann auf die geforderten Produktfunktionalitäten bzw. einzelnen Leistungen im Vorfeld genau hingewiesen und Einigkeit erreicht werden, so dass die Angebote der Lieferanten vergleichbar werden. Mit einer konditionenbezogenen Durchsprache werden die Rahmenbedingungen (Zahlungs- und Lieferbedingungen, Qualitätsmerkmale, Gewährleistungsfristen), die der Lieferant einzuhalten hat, genau festgelegt. Im Ergebnis liegen dann dem einkaufenden Unternehmen identische Angebote vor, die eine Vergabe nur über den Preis möglich machen. Technische Kosten auf Verkäuferseite Weiterhin nennen Lieferanten die technischen Kosten, die für die Teilnahme an Internet-Auktionen als problematisch angesehen werden. Diese Aussage verliert jedoch an Bedeutung, schaut man sich die rasante „Internetisierung" von Unternehmen an. In der Regel erfordert die Teilnahme an einer Internet-Auktionen vom Lieferanten keine wesentlichen technischen Voreinstellungen bzw. Investitionen. Mit einem Web-Browser, einer zugeteilten Benutzer-ID und einem Passwort kann der Lieferant theoretisch von jedem Ort der Welt aus bei einer Internet-Auktion mitbieten. Eine im Gegensatz dazu bei konventioneller Abwicklung mit höherem Aufwand verbundene Präsenz vor Ort ist somit nicht mehr erforderlich.

Ε-Procurement - learning by doing?

231

Unzureichende Nutzung des Einsparungspotenzials bei vor-/ nach gelagerten Prozessen Internet-Auktionen bilden nur einen kleinen Teil des strategischen Beschaffungsprozesses ab und führen daher nur in geringem Umfang zu einer Nutzung des im Rahmen dieses Prozesses vorhandenen Kosteneinsparungspotenzials. Um neben der Reduzierung der Einstandspreise der zu beschaffenden Güter und Dienstleistungen auch eine Prozesskostenreduzierung entlang der gesamten Prozesskette zu erreichen, ist es notwendig, die Offline-Prozesse im Vorfeld einer Internet-Auktion, wie z.B. Anfragen versenden und Angebote einholen, ebenso zu elektronifizieren. So ist es z.B. möglich, auf einer eigenen Einkaufshomepage Ausschreibungsdaten abzulegen. Anschließend werden die in Frage kommenden Lieferanten per E-Mail benachrichtigt, dass sie die Ausschreibungsunterlagen dort einsehen und ggf. ausdrucken bzw. herunterladen können. Damit kann seitens des einkaufenden Unternehmens die Vervielfältigung der Unterlagen und die immer noch weit verbreitete Form der Zustellung der Ausschreibungsunterlagen per Brief- oder Paketpost (aufgrund der meist umfangreichen Ausschreibungstexte) entfallen. Diese Vorgehensweise ist gerade bei der Ausschreibung von Dienstleistungen interessant. So können bspw. gesamte Leistungsverzeichnisse zum Download bereitgestellt werden. Im Idealfall können die Lieferanten ihre Angebotspreise direkt in einer dann vorliegenden Datei eintragen und anschließend diese per E-Mail an das einkaufende Unternehmen zurücksenden. Dort können die empfangenen Dateien in das ERP-System eingelesen, „auf Knopfdruck" eine Angebotsauswertung durchgeführt und der in Summe günstigste Lieferant ermittelt werden. Ohne eine Elektronifizierung erweisen sich diese Prozesse als sehr zeit- und damit kostenintensiv, erst recht, wenn diesen eine Internet-Auktion folgen soll; dann müssen die Anfragen bzw. die mitgeteilten Bedarfe genau spezifiziert sein, damit die Lieferanten der Qualität nach vergleichbare Angebote abgeben können und somit nur noch allein der Preis entscheidend ist. 1 6 Erfolgen dann auch noch die weiteren Arbeiten im Vorfeld der Auktion (ζ. B. das Versenden der Benutzer-IDs und Passwörter an die Lieferanten zur Teilnahme an der Internet-Auktion) wenig standardisiert und kann bei Auktionsende die erwartete Einstandspreisreduzierung nicht erzielt werden, so ist es verständlich, warum einige Unternehmen die Durchführung von InternetAuktionen als negativ bzw. problematisch beurteilen.

4

E-Marktplätze

4.1

Charakteristika und Typen von E-Marktplätzen

Elektronische (E-)Marktplätze sind Handelsplattformen im Internet, auf denen Informationen getauscht und Güter sowie Dienstleistungen über Börsen, elektronische Produktkataloge und Auktionen eingekauft bzw. verkauft werden können. Darüber hinaus bieten Ε-Marktplätze über Zusatzfunktionalitäten die Möglichkeit, z.B. An-

l(>

Vgl. hierzu die bereits erwähnten Voraussetzungen zur Durchführung einer Internet-Auktion.

232

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fragen und Ausschreibungen elektronisch durchzuführen sowie Finanz- und logistische Dienstleistungen zu nutzen. Ε-Marktplätze können unterschieden werden nach den a) Marktplatzteilnehmern, b) -betreibern und der c) güterbezogenen Ausrichtung der Marktplätze. 17 a) Bei einer Unterscheidung nach den Marktplatzteilnehmern reicht die Spannbreite der Marktplatzformen von Administration-to-Administration (712,4 j-Marktplätzen über Business-to-Business (B2B)- bis hin zu Consume r-to-Consumer (C2C)Marktplätzen. b) Führt man eine Differenzierung nach den Marktplatzbetreibern durch, dann können Buy- und Sell-Side-Marktplätze unterschieden werden. 18 Während Buy-SideMarktplätze von einem oder mehreren einkaufenden Unternehmen geführt werden, sind Sell-Side-Lösungen anbietergetrieben. c) c) Hinsichtlich der güterbezogenen Ausrichtung existieren zwei Typen von E-Marktplätzen. Vertikale Marktplätze konzentrieren ihr Angebot auf Unternehmen einer Branche, horizontale Marktplätze bieten dagegen ihre Leistungen branchenübergreifend an.

4.2

Problemanalyse von E-Marktplätzen

Überhöhte Nutzungsgebühren Warum Ε-Marktplätze in der Vergangenheit oftmals mehr negativ als positiv bzw. problematisch bewertet wurden, liegt daran, dass in vielen Fällen die Marktplatzbetreiber zu hohe Anschluss- bzw. Transaktionsgebühren verlangt haben. Statt einer transaktionsunabhängigen Gebühr wurden transaktionsbezogene Gebühren fallig, die gerade bei großen „Verbrauchern 44 hohe Kosten verursacht haben. Nur in Einzelfällen ist eine Finanzierung durch Werbung, Softwarelizensierungen oder „flat fees 44 erfolgt. Zusätzlich zu den Transaktionsgebühren verlangen gerade B2B-Marktplatzbetreiber Abschlussprovisionen (z.B. im Rahmen von Internet-Auktionen), die dazu führen können, dass der Erfolg einer Internet-Auktion - also die erzielte Preiseinsparung - durch die zu zahlenden Gebühren aufgezehrt wird. Unzureichendes Kundenmanagement Weiterhin hat sich für Teilnehmer an E-Marktplätzen als problematisch erwiesen, dass seitens der Marktplatzbetreiber anfänglich mehr die Liquiditätsüberwachung und der „Traffic 44 als die Kundenbindung im Vordergrund stand; die Marktplatzbetreiber bewegten sich anfänglich in einem dynamischen, wettbewerbsintensiven Marktumfeld, in dem sie als Start-ups, überwiegend durch Fremdkapital finanziert, mehr kosten- statt kundenorientiert handelten. Statt der Auswertung von Serviceund Zufriedenheitskennzahlen wurden auf Controllingseite überwiegend Kostenschätzungen und -Vergleichsrechnungen sowie Investitionsanalysen bzw. Finanzpla-

17

Vgl. Bogaschewsky (2002), S. 36ff.

,s

Vgl. Müller (1999), S. 215 ff.

Ε-Procurement - learning by doing?

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nungsverfahren durchgeführt, mit dem Ziel, Break-even-Zeitpunkte ermitteln zu können. 19 Darüber hinaus hat sich eine Vielzahl der Internet-Unternehmen während des Ε-Hypes noch in einem Experimentierstadium bzw. einer Findungsphase aufgehalten. Standards, die zunächst noch fehlten, entstanden teilweise erst parallel zur Durchführung der Kundenprojekte. Dahingehend wirkten Zusammenschlüsse von Marktplatzbetreibern weniger positiv. War das Beteiligungsverhältnis ausgeglichen und der Entwicklungsstand der einzelnen Betreiber schon weit fortgeschritten, so wurden intensiv die bisherigen, nur in Nuancen voneinander abweichenden Produktfunktionalitäten in gemeinsamen Runden evaluiert, mit dem Ergebnis, dass aktuelle Kundenprojekte Gefahr liefen, nicht wie geplant abgeschlossen zu werden. Mangelnde Preistransparenz. Ebenso problematisch hat sich die mangelnde Preistransparenz gerade auf geschlossenen Ε-Marktplätzen erwiesen; der lange Zeit geäußerte Vorteil, durch E-Marktplätze erleichterte Preisvergleiche durchführen zu können, ist nur auf öffentlichen Marktplätzen gegeben, die hauptsächlich dem Zweck der Lieferantensuche oder Preisauskunft dienen. Der Nachteil dieser Marktplätze ist, dass sie keine „steckerkompatiblen" Verbindungen zu den ERP-Systemen der einkaufenden und verkaufenden Unternehmen anbieten. Auf geschlossenen Marktplätzen werden 1:1 -Beziehungen aufgebaut, die weitestgehend bis in die Backend-Systeme der jeweiligen Teilnehmer reichen. Die Beziehungen äußern sich darin, dass in einem geschlossenen, nur für das einkaufende Unternehmen zugänglichen Bereich speziell auf das Unternehmen zugeschnittene Lieferantenkataloge abgelegt sind. D.h., keinem anderen Unternehmen sind die in diesen Katalogen verhandelten Artikel und Preise zugänglich. Einige geschlossene Marktplätze bieten heute öffentliche Bereiche an, in denen die Lieferanten, die 1:1 -Beziehungen unterhalten, zu Werbezwecken elektronische Kataloge einstellen können. Diese geben Auskunft über das Sortimentsspektrum, das der jeweilige Lieferant liefert. Die Artikelpreise werden jedoch nicht abgebildet oder lediglich als empfohlene Verkaufspreise unrabattiert dargestellt. Unvollständiges Leistungsangebot Dass Ε-Marktplätze als wenig vertrauenswürdig und damit problematisch beurteilt wurden, liegt daran, dass viele Marktplatzbetreiber mehr versprochen haben, als sie leisten konnten. So stellten diese etwa ihre Fähigkeiten in den Vordergrund, vollintegrierbar zu sein. Die Vollintegration, d.h. die Anbindung an die ERP-Systeme von Unternehmen, wurde zu Beginn des Ε-Hypes jedoch nicht von allen Betreibern unterstützt. 20 Diskrepanz bestand aber auch bei dem Angebot, ein Lieferantenmanagement durch-

19 20

Vgl. o.V. (2002), S. 25. Vgl. KPMG (2000), S. 161'. Ein Großteil ist aueh heute noch nicht in der Lage, Transaktionen von einem ERP-System zum anderen auf Anhieb vollintegriert abwickeln zu können.

234

Lars Kleeberg

führen zu können. Nur wenige Marklplatzbetreiber konnten damals derartige „added services" zur Unterstützung der gesamten Supply Chain bzw. Lieferkette anbieten.21 Die mangelnde Vertrauenswürdigkeit ist aber auch ein Resultat der schlechten Sicherheilskonzepte, die damals zum Schutz vor Datenmissbrauch angeboten wurden. Sofern Ε-Marktplätze über ein ausreichendes Sicherheitskonzept verfügten, versäumten die Marktplatzbetreiber oftmals, den Anwender diesbezüglich vollständig aufzuklären.

5

Resümee

Die E-Procurement-Instrumente stellen nur in Teilen eine technologische Innovation dar. Hält man sich ihre Entwicklung vor Augen, dann erkennt man, dass der Grundstein vor ungefähr zehn Jahren gelegt wurde. In dieser Zeit haben Unternehmen damit begonnen, ihre bis dahin getrennt voneinander betriebenen EDV-Systeme für ihre betrieblichen Abläufe auf Vertriebsseite, in der Fertigung oder der Materialwirtschaft auf ein zentrales System auszurichten. Es entstanden die ersten ERP-Systeme, die den Weg für eine elektronische Vernetzung der unternehmensinternen Geschäftsprozesse bereiteten. Die E-Commerce-Anwendungen bzw. die E-Procurement-Instrumente i.e.S. unterstützen die Anbindung dieser ERP-Systeme über die Unternehmensgrenzen hinweg, indem sie die bestehende EDV-Welt mit der Internettechnologie kombinieren. Schon allein diese Entwicklung lässt darauf schließen, dass der Großteil der Probleme, die etwa bei der Einführung von E-Procurement-Instrumenten zu bewältigen waren, nicht den Instrumenten selbst, sondern den in Unternehmen in der Vergangenheit suboptimal ausgeprägten Einkaufsprozessen und teilweise „anti-quierten" Vorgehensweisen anzulasten ist. Die Probleme hätten schon viel früher erkannt bzw. bewältigt werden können, indem z.B. Verträge umfassender ausgestaltet, Genehmigungsstufen in geringem Umfang realisiert oder Informationen frühzeitig gestreut worden wären. Diese Probleme können auch ohne die Internettechnologie gelöst werden, ganz im Gegensatz zu denen, die erst durch die Anwendung der Internetlechnologie lösbar sind, wie ζ. B. die Erzielung von Marktpreisen beim Einsatz von Internet-Auktionen. Damit kann die zu Beginn gestellte Frage insofern beantwortet werden, dass Ε-Procurement nur in Teilen ein „learning by doing" darstellt, wobei der Grenznutzen des Lernens aufgrund der nunmehr gemachten Erfahrungen bzw. aktuell vorhandenen und anstehenden Problemlösungen zukünftig abnehmen wird.

21

Zukünftig ist davon auszugchen. dass Ii-Marktplätze ohne eine Supply Chain-Unierstüizung und Anbindung an die ERP-Systeme der teilnehmenden Unternehmen dem Wettbewerb nicht mehr standhalten können.

Ε-Procurement - learning by doing?

235

Literatur Arthur Andersen (2001 ), eProcurement - Elektronische Beschaffung in der deutschen Industrie - Status und Trends, München 2001. Arthur Andersen (2002), eProcurement - Von der Vision zur Wirklichkeit - Status quo und Trends der elektronischen Beschaffung in der deutschen Industrie, München 2002. Bogaschewsky, R. (2002), Electronic Procurement - Katalog-basierte Beschaffung, Marktplätze, B2B-Netzwerke, in: Gabriel, R./Hoppe, U. (Hrsg.): Electronic Business - Theoretische Aspekle und Anwendungen in der betrieblichen Praxis, Heidelberg 2002, S. 23-44. Hepp, M./Schinzer, H. (2000), Business-to-Business-Marktplälzc im Internet, in: WISU, H. 11,2000, S. 1513-1521. KPMG (2000), Business-to-Business-Marktplätze im Internet - Einstellungen und Perspektiven von Marktplatzakteuren, Frankfurt a.M. 2000. KPMG (2001), Electronic Procurement in deutschen Unternehmen: Der Implementierungsschub steht noch bevor!, Frankfurt a.M. 2001. Lenz, M./Peyinghaus, M./Kucza, G. (2002), E-Business in German-Speaking Countries - Status und Future of Four Major Industries, St. Gallen 2002. MASAI (2001), Im Jahr 2001 stehen Lieferanten in Deutschland OnlinE-Marktplätzen als Vertriebskanal noch immer skeptisch gegenüber, München 2001. Müller, H. (1999), Elektronische Märkte im Internet, in: Bogaschewsky, R. (Hrsg.), Elektronischer Einkauf, Gernsbach 1999, S. 211 -230. o.V. (2002), Start-ups haben vor allem Kosten und Liquidität im Visier, in: FAZ, 21.01.02, Nr. 17, S. 25. Reichwald, R./Hermann, M./Bieberbach, F. (2000), Auktionen im Internet, in: WISU, H.4, 2000, S. 542-552. Roland, F./Kleeberg, L. (2002), Strategisches Beschaffungsmarketing, in: Manschwetus, U./ Rumler, A. (Hrsg.): Strategisches Internetmarketing, Wiesbaden 2002, S. 303-327.

Eine B2B-Plattform zur Realisierung einer Einkaufsgemeinschaft in der Kreditvermittlung Prof. Dr. Thomas Kretschmar H y pop ort AG Frankfurter Allee 77 10247 Berlin Fachhochschule für Technik und Wirtscha ft Fachhereich Wirtschaftswissenschaften Treskowallee 8 10313 Berlin

Zusammenfassung Vor dem Hintergrund des Aufbrechens der Wertschöpfungskette in der Branche der Immobilienfinanzierer entstehen vielfältige neue Kunden-Lieferanten-Beziehungen. Die Hypoport AG hat 1999 damit begonnen, die Spezialisten entlang der Wertschöpfungskette über B2B-Plattformen z.u integrieren. Diese Plattformen werden als elektronische Marktplätze verwendet, um Einkaufsmacht gegenüber den Lieferanten bzw. Darlehensgebern z.u bündeln und den Gesamtprozess beim Kunden und Lieferanten zu rationalisieren. Erfolgsfaktor war die hohe IT-Unterstützung und Integration im unternehmensübergreifenden Geschäftsprozess, die auch bei bereits bewährten bisherigen Kunden-Lieferanten-Verhältnissen eine Optimierung bietet. Heute erfolgt in solchen Plattformen die gesamte Preisbildung, Partnerwahl, Informationslogistik und Zahlungsabwicklung. Getrieben von führenden Teilnehmern der Branche entstand eine Plattform der großen Finanz.vertriebe und Darlehensgeber, die derzeit in dieser Branche den Standard setzt.

Thomas Kretschmar

238

Inhalt 1

Die neue Wertschöpfungskette in der Immobilienfinanzierung

239

2

Vorteile der Einführung einer B2B-P!attform im Vermittlungsgeschäft

240

3

Anforderungen an eine B2B-Plattform in der Kreditvermittlung

241

3.1 3.2 3.3 3.4

Entwicklung eines Prozessmodells für die Kreditvermittlung Beschreibung der Informationsobjekte und Ereignisse Besonderheiten der B2B-Vermittlung Informationstechnische Basisanforderungen

241 243 244 245

3.5

Anforderungen an die Geschäftspartner

245

4

Praktische Umsetzung bei Vertrieben und Darlehensgebern

246

5

Wirtschaftlicher Nutzen in der Nachkalkulation

246

Literatur

247

Eine B2B-Plattform zur Realisierung einer Einkaufsgemeinschaft

1

239

Die neue Wertschöpfungskette in der Immobilienfìnanzierung

Die Branche der Immobilienfinanzierung in Deutschland durchlebt derzeit den grundlegendsten Umbruch ihrer Geschichte. Der Wandel vom Verkäufer- zum Käufermarkt, Renditeerwartungen der Gesellschafter sowie strategische und organisatorische Wettbewerbsnachteile erfordern die Entwicklung eines neuen Geschäftssystems. Ausländische Wettbewerber - insbesondere Mortgage Companies und Mortgage Broker aus USA, Australien und Großbritannien - haben mit ihren Geschäftssystemen neue Ansätze aufgezeigt. 1 Wesentliche Unterschiede zum deutschen Bankensystem sind: - Die gesellschaftsrechtliche Trennung von Vertrieb, Kreditverwaltung und Refinanzierung (hier: Investment Banking), da diese drei Funktionen unterschiedliche Unternehmenskulturen erfordern. - Die gesellschaftsrechtliche Trennung der Banksparten in Form von Spezialbanken, um nicht die Bonität (und damit die Einkaufskonditionen) einer Sparte durch eventuelles Missmanagement einer anderen Sparte zu gefährden. - Der Autbau von Kredit-Servicern, außerhalb der Gültigkeit von Bankentarifverträgen. - Die Übertragung der Kreditportfolios auf ausländische Zweckgesellschaften, die anstelle von bürokratischen Aufsichtsbehörden 2 von marktorientierten RatingAgenturen überwacht werden. Kunden

Finanzvertriebe

•^ ^ •·

Darlehensgeber

Portfoliomanager

•••^ ^ •

Investoren

·•

••• Servicer

Abb. 1: Wertschöpfungskette in der Immobilienfinanzierung 3

1

In GroBbriianien sind Mortgage Companies seit den 1980er Jahren zugelassen. Vgl. Steiner (1990), S. 133.

2

Im Gegensatz zum angelsachsischen Raum unterliegen Kreditgeber in Deutschland auch dann der Bankenaufsicht, wenn die von ihnen vergebenen Kredite über institutionelle Investoren (Profis) am Kapitalmarkt refinanziert werden - und so das Schutzbedürfnis von Sparern nicht berührt wird. Das damit einhergehende Meldewesen und die am worst-case orientierten Eigenkapitalanfordcrungen führen in solchen Fällen zu erheblichen Wettbcwerbsnachleilen.

3

In Anlehnung an Bolder/Doswald (2002), S. 4.

240

Thomas Kretschmar

Folgt die Branche in Deutschland konsequent dem angelsächsischen Geschäftsmodell, so reduziert sich in Zukunft die Funktion einer Bank auf das Risiko-Controlling während des Portfolio-Aufbaus (von Ausstellung Darlehensvertrag bis PortfolioVerkauf). Sämtliche Funktionen werden von spezialisierten Dienstleistern übernommen. Die Wertschöpfungskette bricht auf (vgl. Abb. 1). Auch wenn sich noch nicht alle Immobilienfinanzierer in Deutschland eindeutig innerhalb dieser Wertschöpfungskette positioniert haben, so ist der Trend doch erkennbar: Den Vertrieb von Immobilienfinanzierungen übernehmen zunehmend Finanzvertriebe und Regionalbanken4. Die ersten reinen Kreditservicer Kreditwerk, Prompter, Stater und Hypothekenmanagement haben ihren Geschäftsbetrieb aufgenommen. Banken wie die DG Hyp, Westdeutsche Immobilienbank und AHBR verzichten auf einen eigenen Privatkundenvertrieb und konzentrieren sich auf das Portfolio-Management. Schließlich kristallisiert sich in der Refinanzierung die Arbeitsteilung zwischen Portfoliobank und Investment-Bank heraus. Mit diesen Veränderungen entstehen umfangreiche Vermittlungsmärkte zwischen den spezialisierten Dienstleistern. In der Zusammenarbeit der Dienstleister erwächst einem effizienten Einkaufsmanagement besondere Bedeutung, da jede Leistung innerhalb der Wertschöpfungskette qualitativ hochwertig, schnell und kostengünstig erbracht werden muss. Jeder Spezialist muss wiederum seine Lieferanten optimal steuern, um die eigenen Ziele erreichen zu können. Das hierzu erforderliche Knowhow bzgl. Einkaufsmanagement und Logistik ist in der Branche nicht vorhanden und muss daher schnell aus anderen Ländern oder Branchen übertragen werden. Daraus erwächst die Chance, dass angelsächsische Geschäftsansälze kombiniert mit deutschem Logistik- und IT-Know-how in ein neues, hoch wettbewerbsfähiges Geschäftssystem münden, welches wiederum Export-Chancen eröffnet.

2

Vorteile der Einführung einer B2B-Plattform im Vermittlungsgeschäft

Mit dem Ziel, die wirtschaftlichen Chancen aus dem Umbruch der Branche der Immobilienfinanzierer zu nutzen, wurde Ende 1999 die heutige Hypoport AG gegründet. Als „The Mortgage Integrator" unterstützt das Unternehmen die Integration spezialisierter Dienstleister. Zu diesem Zweck wurden B2B-Plattformen entwickelt, die nicht nur informationstechnisch die unternehmensübergreifende Zusammenarbeit unterstützen, sondern auch „elektronische Zwischenhändler" sind, die Geschäftsvolumen bündeln und Standards in der Konditionierung setzen (vgl. Abb. 2). In diesem Aufsatz wird besonders auf die Plattform europace eingegangen, die als B2B-Plattform, die führenden Finanzvertriebe und Darlehensgeber verbindend, im Markt eingeführt ist. 5 Der Vermittlungsmarkt zwischen Finanzvertrieben und Darlehensgebern war besonders attraktiv, da er in Deutschland seit vielen Jahren schon entwickelt ist. Darüber hinaus ist die Abwicklung zwischen diesen beiden Spezialisten so komplex, dass die Plattform durch die ihr innewohnende IT-Unterstüt4

In fremdem Namen, auf fremde Rechnung.

5

Vgl. Krelschmar/Slabke (2001 ).

Eine B2B-Plattform zur Realisierung einer Einkaufsgemeinschaft

241

zung auch für langjährige Geschäftspartner einen wirtschaftlichen Nutzen erbringen kann. Traditionelles Geschäftsmodell

B2B-basiertes Geschäftsmodell

Abb. 2: Vereinfachung von Geschäftsbeziehungen durch Einführung einer B2BPlattform Ziele von europace waren: - das Bündeln von Nachfragemacht der Finanzvertriebe als Reaktion auf den Konzentrationsprozess bei Lieferanten (hier: Darlehensgeber), - das Umsetzen einer IT-Infrastruktur, auf die sich stützend verschiedene vernetzte Plattformen die gesamte Integration, vom Darlehenskunden bis hin zum Investor, ermöglichen, sowie - das Schaffen eines effizienten Geschäftsmodells für große Partner, die damit Wettbewerbs vorteile (hinsichtlich Kosten, Geschwindigkeit, Qualität) gegenüber den Marktteilnehmern gewinnen, die die Plattform nicht nutzen.

3

Anforderungen an eine B2B-PIattform in der Kreditvermittlung

3.1

Entwicklung eines Prozessmodells für die Kreditvermittlung

Die hervorragende unternehmensübergreifende Prozessunterstützung war von Anfang an ein entscheidender Faktor für den Erfolg von europace. Durch sie wurden auch Geschäftspartner zur Nutzung von europace motiviert, die bereits über andere Medien erfolgreich in der Kreditvermittlung zusammengearbeitet hatten. Auf Grund dieser Bedeutung sollen im Folgenden kurz die neun wesentlichen Prozessschritte der Kreditvermittlung sowie ihre IT-Unterstützung durch europace dargelegt werden, (vgl. Abb. 3)

242

Thomas Kretschmar Y ) /

VertriebsSteuerung

\\ Beratung )j und / Datenerfassung

Produkt) konfiguration /

Voφrüfung V) von Bonität und / Sicherheit

^Tpartnerwahl u n d \ \ Erstellung der A )) Reservierung )) Kredit) / / dokumente /

Vertragsannahme

\ \ Auszahlungs)) bearbeitung

\\ Provisions)) abrechnung

Abb. 3: Kernprozesse der Kreditvermitllung Im Rahmen der Vertriebssteuerun g wird über europace zunächst festgelegt, welche Vertriebe mit welchen Rechten Kredite vermitteln dürfen. Konfiguriert man eine Hierarchie verschiedener Finanzvertriebe, so hat die jeweils übergeordnete Vertriebseinheit die Rechte, die Rahmenbedingungen für Untervertriebe festzulegen. Über die hierarchische Modellierung der Organisation können Niederlassungen, Geschäftsstellen, Einzelberater und Zuträger abgebildet werden. Die Rahmenbedingungen betreffen im wesentlichen die Freiheiten der Konditionengestaltung sowie die Festlegung, in welcher Ausprägung Qualitätsprüfungen von der übergeordneten Einheit vorgenommen werden, bevor ein Vorgang an einen Darlehensgeber gesendet wird. Der eigentliche Vermittlungsprozess beginnt mit der Beratung und Datenerfassung für Darlehenskunden. Die Kunden können über Geschäftsstellen oder Direktmedien zum Kreditvermittler gelangen. Die Plattform muss hierbei sämtliche entscheidungsrelevanten Daten für die Darlehensgeber aufnehmen können, wobei zu berücksichtigen ist, dass im Kontext verschiedener Kundenprofile andere Folgedaten zu erfassen sind. Diese Daten betreffen die Bonität der Schuldner und die Struktur der Sicherheiten (überwiegend Immobilien). Da sich die Kreditentscheidungspolitik von Banken regelmäßig ändert, muss das System in der Lage sein, dynamisch Änderungen der Kriterien und deren Verknüpfungen zuzulassen. Auf Basis der eingegeben Daten muss die Plattform eine voll automatische Vorprüfung von Bonität und Sicherheit vornehmen. Da sich auch hier Entscheidungskriterien regelmäßig ändern, muss über ein regelbasiertes System sichergestellt werden, dass die jeweils aktuellen Entscheidungsregeln eines Kreditgebers auf die erfassten Daten angewendet werden. Die Regeln greifen auf Kennzahlen bezüglich der Beleihungswerte und der Bonität zu, die ebenfalls nach dynamisch gespeicherten Formeln berechnet werden. Ergebnis der Vorprüfung ist eine elektronische Vorentscheidung des Kredits im Namen des Kreditgebers, die unter dem Vorbehalt der Richtigkeit der Daten steht. Kommt das System zu keiner eindeutigen Entscheidung, so muss für den Darlehensgeber ein Ereignis ausgelöst werden, infolge dessen er eine individuelle Entscheidung auf Basis der eingegebenen Daten trifft. Die Ρroduktkon figuration ist wesentlich bestimmt durch das Produktangebot derjenigen Darlehensgeber, für die im vorangegangenen Schritt eine positive Vorentscheidung getroffen wurde. Konfigurationsmerkmale eines Darlehens sind beispielsweise Zinsbindung, Rückzahlungsoptionen oder bereitstellungszinsfreie Zeil. Die Plattform muss die Generierung mehrerer Angebotsvarianten für den Kunden unter-

Eine B2B-Plattform zur Realisierung einer Einkaufsgemeinschaft

243

stützen. Für jede Variante ist Informationsmaterial wie Wirtschaftlichkeitsrechnung und Annuitätenplan zu erstellen. Hat der Kunde sich für ein Angebot entschieden, so erfolgen ebenfalls automatisiert Partnerwühl und Reservierung des Produktes. Hierzu sendet der Vertrieb ein Ereignis an den Darlehensgeber, dass ein Angebot für den Kunden erstellt wurde. Gegebenenfalls reserviert nun der Darlehensgeber das entsprechende Kreditvolumen. Mit der Partnerwahl versichert der Vermittler, dass dieses Geschäft an keinen anderen Darlehensgeber gehen wird. Wünscht der Kunde innerhalb der Angebotsfrist die reservierte Finanzierung, so erfolgt die Erstellung der Kreditdokumente durch den Vermittler. Hierbei muss das System dynamisch, basierend auf Regeln des Darlehensgebers die Kreditdokumente (Darlehensvertrag, Schufaauskunft, Kreditvorlage, etc.) zusammenstellen, mit den relevanten Daten füllen und die Liste der erforderlichen Unterlagen generieren. Der Kunde unterzeichnet als erster den Kreditvertrag, der dann mit allen erforderlichen Unterlagen auf dem Postweg zum Kreditgeber gesendet wird. Derzeit hat es sich noch nicht bewährt, die Dokumente elektronisch zu versenden, da entweder die Darlehensgeber die Unterlagen im Original einsehen wollen oder die Formate (insbesondere Bauzeichnungen) nicht zur elektronischen Verarbeitung geeignet sind. Nach Eingang der Unterlagen prüft der Darlehensgeber die Richtigkeit der Eingaben in europace und unterzeichnet die Vertragsannahme. Damit ist der Vertrag rechtsgültig zustande gekommen. Sämtliche Termine der Unterzeichnungen werden im System dokumentiert. Während der Auszahlungsbearbeitung prüft der Darlehensgeber die Auszahlungsvoraussetzungen (insbesondere den Bautenstand) und veranlasst die (Teil-)Auszahlungen. Die Überprüfung der Auszahlungsvoraussetzungen wird ebenfalls in der Plattform dokumentiert, damit alle Beteiligten über den Stand der Bearbeitung informiert sind. Gegebenenfalls kann sich so der Kreditvermittler gezielt um die Erfüllung offener Auszahlungsvoraussetzungen kümmern. Mit Vollauszahlung des Darlehens durch den Darlehensgeber an den Kunden entsteht der Provisionsanspruch des Vermittlers. Die Provisionsabrechnung erfolgt durch den Plattformbetreiber elektronisch über die Plattform zweimal pro Monat. Dabei erfolgt auch die verursachungsgerechte Abrechnung der Teilprovisionen für Untervermittler gemäß Konfiguration in der Vermittlerhierarchie. Jeder Kreditvermittler und jeder Darlehensgeber erhält zu einem Abrechnungstermin eine Provisionsabrechnung, in der die Geschäfte sämtlicher Partner der anderen Seite aufgeführt sind. Die Provisionszahlung erfolgt über Konten des Plattformbetreibers im Namen und auf Rechnung des jeweils anderen Geschäftspartners.

3.2

Beschreibung der Informationsobjekte und Ereignisse

Im Rahmen des Prozesses entsteht eine Vielzahl von Vorgängen und Ereignissen, die von einer Plattform verwaltet werden müssen. Beispiele für Ereignisse sind: - „Antrag erfasst", - „Vollständigkeit geprüft", - „Kredit beantragt", - „Kredit vorgeprüft",

Thomas Kretschmar

244 -

„Kredit reserviert", „Vertrag vom Darlehensgeber unterzeichnet", „Vertrag vom Kunden unterzeichnet" und „Provision abgerechnet".

Soweit ein Ereignis (oder Status) die Interaktion eines Plattformnutzers erfordert (wie Entscheidung, Prüfung, Unterschrift), werden die dazu notwendigen Informationsobjekte nach Regeln, die in der Plattform hinterlegt sind, generiert und auf den Ticker des jeweiligen Plattform-Nutzers gesendet. Der Ticker verwaltet sämtliche zu bearbeitenden Ereignisse eines Plattformnutzers und dokumentiert deren Bearbeitung.

3.3

Besonderheiten der B2B-Vermittlung

Im Vergleich zum einzelnen Kreditvermittlungsprozess zwischen einem Vermittler und einem Darlehensgeber hat die (vielzahlige) B2B-Vermittlung spezielle Probleme zu lösen. Diese betreffen vor allem die Frage der Priorisierung der Vorgangsbearbeitung bei Überlastung eines Darlehensgebers. Die Plattform ist grundsätzlich offen, die Verarbeitung nach den verschiedensten Priorisierungsregeln zu steuern. Anwendung finden insbesondere: - First-in-first-out, - Priorisierung nach Höhe der Marge sowie - Priorisierung nach Qualität des Vermittlers. Die Qualität der Geschäftspartner ergibt sich durch ein Punktesystem. So vergeben Vermittler Qualitätspunkte für Darlehensgeber und Darlehensgeber für Vermittler. Eine weitere Besonderheit der B2B-Vermittlung ist die Preisfindung. In einem elektronischen Marktplatz ist der Preiswettbewerb ungleich stärker als in der auf festen Vereinbarungen fußenden 1:1 Vermittlung. Die Konditionen ergeben sich aus dem Refinanzierungssatz und der Marge des Darlehensgebers sowie aus der Provision des Finanzvertriebs (und ggf. dessen Untervertrieben). Dabei werden Konditionen über dynamische Formeln berechnet, die Darlehensgeber und Finanzvertriebe in der Plattform hinterlegt haben. Die Konditionen können so je nach Höhe der Beleihung oder Zinsbindungsfrist unterschiedlich sein. Konditionen können in Komponenten zerlegt werden, die sich entweder als absolute Marge oder als Barwert definieren lassen. Allein durch die unterschiedlichen Ansätze in der Konditionenkalkulation ergibt sich bei vielen Kundenwünschen jeweilig ein anderer optimaler Darlehensgeber. Führen die eingestellten Konditionen zu wenig Geschäft, so werden die Darlehnsgeber ihre Marge und die Vermittler ihre Provision reduzieren, bis unter Berücksichtigung von Mindesterträgen die gewünschte Auslastung erreicht wird. Gleiches gilt im umgekehrten Fall, wenn mehr Geschäft über die Plattform angeboten wird, als die Darlehensgeber bearbeiten können. Unter- oder Überlastung ist folglich abhängig von: - der Nachfrage nach Finanzierungen, - der Kapazität der Darlehensgeber, - den Provisionsansprüchen der Vermittler,

Eine B2B-Plattform zur Realisierung einer Einkaufsgemeinschaft -

3.4

245

der Konditionen aller Darlehensgeber der Plattform und dem Markt außerhalb der Plattform.

Tnformationstechnische Basisanforderungen

Neben der Anforderungen aus Prozess- und Vorgangssicht, bestehen Basisanforderungen an die zu verwendende Informationstechnik. Wie mehrfach gefordert, muss eine dynamische Verarbeitung von Datenstrukturen, Regeln und Formeln möglich sein, da zum Zeitpunkt der Entwicklung der Plattform die Anforderungen ihrer Nutzer noch nicht eindeutig bekannt sind. Um den durch Schnittstellen verursachten Aufwand möglichst zu vermeiden, wurde vorgesehen, dass alle Marktteilnehmer mit einem mandantenfähigen System arbeiten, das von einem neutralen Marktteilnehmer betrieben wird. Alle Vermittler und Darlehensgeber greifen von ihren jeweiligen Standorten aus über sichere Datenleitungen auf das System zu. Dem heutigen Stand der Technik entsprechend wurde entschieden, die Plattform als webfähige Lösung umzusetzen. So genügt jedem Plattformnutzer ein schneller Internet-Zugang als technische Ausstattung. Eine weitere Anforderung insbesondere der Vermittler war die Möglichkeit, die Benutzeroberfläche des Systems im jeweiligen Corporate-Style der Vermittlermarke erscheinen zu lassen. Für Untervermittler wird so nicht offengelegt, über welchen Plattformanbieter die Einkaufsgemeinschaft realisiert ist. Darüber hinaus waren mehrere Anforderungen zu erfüllen, die dem Entwicklungsstand moderner Informationssysteme entsprechen. Hervorzuheben sind hier Mehrsprachenfähigkeit und Mehrwährungsfähigkeit sowie offene Schnittstellen.

3.5

Anforderungen an die Geschäftspartner

Die Plattform europace bietet für Marktteilnehmer im Kreditvermittlungsgeschäft eine umfassende Unterstützung; sie ist jedoch auch entsprechend komplex. Um sich bei dieser Komplexität hinreichende Rationalisierungsvorteile nutzbar zu machen, müssen kritische Massen erreicht werden. Gemäß bisheriger Erfahrung ist europace dann wirtschaftlich, wenn ein Geschäftspartner ein Kreditvolumen von mindestens 100 Mio. EUR per anno über die Plattform abwickelt. Damit kommen als Zielgruppe für die Plattform etwa zehn große Darlehensgeber sowie zehn große Finanzvertriebe in Frage. Europace ist damit eine B2B-Plattform der großen Marktteilnehmer. Die Konzentration auf diese Zielgruppe hat sich vollkommen bewährt, da sich hier entsprechende Qualitätsstandards durchsetzen lassen, die wiederum Grundlage für den guten Ruf der Plattform sind. Weitere Voraussetzungen neben der Größe sind die mehrjährige Erfahrung im Kreditgeschäft sowie die Konzentration auf standardisiertes, leicht zu vermittelndes Geschäft.

Thomas Kretschmar

246

4

Praktische Umsetzung bei Vertrieben und Darlehensgebern

Europace wird seit Anfang 2001 von der Europace IPD Ltd. mit Sitz in Westport (Irland) betrieben. Die Wahl des Standortes fiel auf Grund folgender Kriterien: - Geschäftssprache, - Zugehörigkeit zum Euro, - Internet-Affinität, - verfügbares Management und - steuerliche Behandlung. Treiber für die Weiterentwicklung von europace ist Deutschlands größter Hypothekenmakler, die Dr. Klein & Co. AG. Das Lübecker Unternehmen hat sein Privatkundengeschäft zu 100% auf die Vermittlung über die Plattform europace umgestellt und vermittelt hierüber z.Z. 50 Mio. EUR pro Monat. Für diese Grundlast wurde die Dr. Klein & Co. AG an der Betreibergesellschaft beteiligt. Darüber hinaus wird europace von mehreren (kleineren) Finanzvertrieben mit einem Volumen von je 5 0 - 100 Mio. EUR pro Jahr genutzt. Neben Finanzvertrieben wurde mit der SEB AG auch die erste Privatkundenbank gewonnen. Die SEB AG konzentriert sich auf den Vertrieb von Immobilienfinanzierungen und vermittelt über europace Darlehen an Portfoliobanken. Die Plattform europace ist aktuell bei zehn führenden Darlehensgebern in Deutschland eingeführt und wird in den Kreditabteilungen der Banken zur Abwicklung des Vermittlergeschäfts mit Vertrieben verwendet, die an europace angeschlossen sind. Die effizienteste Implementierung bei Darlehensgebern erfolgt dann, wenn sich eine spezialisierte Abteilung vollkommen auf das Plattformgeschäft ausrichtet und die von europace unterstellten Prozesse implementiert. Eine weitere Rationalisierung wird erreicht, wenn die Plattform über Schnittstellen mit den Kreditbuchhaltungssystemen der Kreditgeber verbunden wird. Dies ist von der überwiegenden Zahl der Darlehensgeber bereits umgesetzt bzw. beabsichtigt. Ein Darlehensgeber nutzt die Plattform darüber hinaus zur Auslastung seiner dezentral organisierten Kreditbearbeitung. Diejenigen Niederlassungen, die gering ausgelastet sind, können über die Plattform zusätzliches Geschäft zu Grenzkosten annehmen. Gleichzeitig profitiert die Plattform von einer attraktiven Konditionierung.

5

Wirtschaftlicher Nutzen in der Nachkalkulation

Der wirtschaftliche Nutzen für die Plattformnutzer ergibt sich durch die Umstellung auf das B2B-Geschäft. Finanzvertriebe einerseits müssen keinen Darlehenseinkauf mehr vorhalten und können auch bei der IT-Infrastruktur erhebliche Einsparungen realisieren. Darlehensgeber ersparen sich andererseits den Aufbau eines Vertriebs. Die Dr. Klein & Co. AG beziffert die Kostenvorteile durch Einsparungen im Bereich IT sowie durch effizientere Prozesse auf über 35 %. 6 6

Vgl. Kretschmar/Slubke (2002).

Eine B2B-Platform zur Realisierung einer Einkaufsgemeinschaft

247

Das Ziel der Marktkonzentration auf der Seite der Finanzvertriebe wurde voll erreicht. Trotz der Konzentration im Bankensektor wurde verhindert, dass Darlehensgeber Oligopolgewinne abschöpfen, da auf Vermittlerseile eine entsprechende Nachfragemacht gebündelt wurde. Dennoch sind die generierten Margen für Darlehensgeber auskömmlich. Diese nutzen das Geschäft über europace auf Grund des geringen Risikos vor allem zur Abrundung ihres Fortfolios sowie zur Auslastung ihrer Kapazitäten. Weiterhin werden die Kosten, die durch den Aufbau von Kreditvermittlungssystemen verursacht werden, völlig variabel. Der Plattformbetreiber berechnet für Zentralvermittlung und Betrieb der Plattform lediglich 0,01 % der Marge. Diese geringen Kosten sind für Kunden und Finanzvertriebe fast nicht mehr wahrnehmbar. Die Betreiberprovision wird vom Darlehensgeber barwertig als Gebühr für Vertriebskoordination an den Plattformbetreiber entrichtet. Erreicht ein Finanzvertrieb nicht das vereinbarte Mindestvolumen, muss er dem Plattformbetreiber die entgangene Gebühr, die mit dem fehlenden Volumen korrespondiert, erstatten. Bei derzeit 50-100 Mio. EUR Darlehensvolumen pro Monat erwirtschaftet die Plattform einen Umsatz von monatlich 40.000-80.000 EUR. Dies ist bereits wirtschaftlich, da als Kosten nur der Betrieb und die Weiterentwicklung der Plattform gegenüber stehen. Ziel der Initiatoren ist es, innerhalb der nächsten zehn Jahre ein Volumen von I Mrd. EUR pro Monat zu erreichen. Dies entspräche einem Anteil von 10% am Markt für Immobilienfinanzierungen in Deutschland.

Literatur Bolder, M./Doswald, H. (2002): Reges Treiben im Lagerhaus für Immobilienkredite, Bankpraxis + Geschäflspolitik 10/2002, S. 4. Kretsehmar, T./Slabke, R. (2001): Europace - Ein Standard lur die Vermittlung von Immobilienfinanzierungen. in: Die Bank 11/2001, S. 808-811. Kretsehmar, T./Slabke, R. (2002): Effizientes Servicing für Immobilienfinanzierer im Direklgeschäft, in: Immobilien & Finanzierung 23-2002, S. 774-776. Steiner, C. (1990): Immobilienfinanzierung in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft, Taschenbücher für Geld Bank Börse, Frankfurt/M. 1990.

IV

Controlling

Controlling von Logistik und Supply Chain Funktionen und Instrumente Prof. Dr. Uwe Götze Technische Universität

Chemnitz

Lehrstuhl BWL III: Unternehmensrechnung und Controlling Reichenhainer Straße 39 09126 Chemnitz

Zusammenfassung In Theorie und Unternehmenspraxis wird zwar der Bedarf für ein Logistik- oder Supply Chain Controlling gesehen, über dessen Funktionen und Instrumente herrscht allerdings keine einheitliche Auffassung. Daher soll in diesem Beitrag ausgehend von verschiedenen Sichtweisen des Controlling und der Logistik ein Überblick über Ansätze des Logistik- und des Supply Chain Controlling vermittelt werden. Dazu wird differenziert für die Logistik als funktionale Spezialisierung auf Transferaktivitäten einerseits und das Supply Chain Management andererseits aufgezeigt, welche Funktionen dem Controlling bei einer informationsorientierten, einer regelungs- und steuerungsorientierten sowie einer koordinationsorientierten Konzeption zukommen und welche Instrumente es bei deren Erfüllung jeweils einsetzen kann. Hiermit wird gleichzeitig ein Beitrag zur Weiterentwicklung des Supply Chain Controlling geleistet, für das bisher lediglich erste Ansätze existieren.

252

Uwe Götze

Inhalt 1

Problemstellung und Vorgehensweise

253

2

Konzeptionen des Controlling

253

3

Sichlweisen der Logistik

257

4

Controlling logistischer Transferaktivitäten

260

4.1 4.2 4.3 4.4

260 263 268 268

5

6

Controlling-Konzeptionen im Überblick Informationsorientiertes Controlling Regelungs- und steuerungsorientiertes Controlling Koordinationsorientiertes Controlling

Supply Chain Controlling

271

5.1 5.2 5.3

Controlling-Ansätze im Überblick Informationsorientiertes Controlling Regelungs- und steuerungsorientiertes Controlling

271 273 276

5.4

Koordinationsorientiertes Controlling

277

Schlussbetrachtung

Literatur

280 280

Controlling von Logistik und Supply Chain - Funktionen und Instrumente

1

253

Problemstellung und Vorgehensweise

Die Logistik wird, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion um das Supply Chain Management, zunehmend als wichtige Unternehmensfunktion begriffen, die einen wesentlichen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten kann. Da das Controlling ein Managementelement darstellt, dessen Nützlichkeit weithin anerkannt ist, liegt es nahe, es auch auf die Logistik zu beziehen und ein Logistik-Controlling in Unternehmen einzurichten. Es verwundert daher wenig, dass in der betriebswirtschaftlichen Literatur einige Vorschläge zum Logistik-Controlling und zum damit verbundenen Supply Chain Controlling zu finden sind. Allerdings vermitteln diese bisher ein eher fragmentarisches Bild und sind ein gutes Stück davon entfernt, eine in sich geschlossene Theorie zu konstituieren. Dies dürfte unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass über das Verständnis der grundlegenden Bausteine eines Logistik-Controlling, Logistik sowie Controlling, ebenfalls keine Einigkeit herrscht. Daraus resultiert ein Anliegen dieses Beitrags: Ausgehend von einer Systematisierung verschiedener Perspektiven des Controlling (Abschnitt 2) und der Logistik (Abschnitt 3) soll ein Überblick über die in der Literatur vorgestellten Ansätze zum Logistik-Controlling vermittelt werden. Dabei wird primär auf die in Unternehmenspraxis und Wissenschaft dominierende Sichtweise der Logistik als funktionale Spezialisierung auf Transferaktivitäten eingegangen und aufgezeigt, welche Funktionen dem Logistik-Controlling konzeptionsabhängig zukommen und welche Instrumente es bei deren Erfüllung jeweils einsetzen kann (Abschnitt 4). Ein weiteres Ziel des Aufsatzes bezieht sich auf das Controlling im Rahmen des aktuell stark diskutierten Supply Chain Managements, für das bisher lediglich erste Ansätze existieren. Hierfür sollen - wiederum bezogen auf die Funktionen sowie die nutzbaren Instrumente Grundzüge möglicher Controlling-Konzeptionen dargelegt werden (Abschnitt 5).

2

Konzeptionen des Controlling

Controlling-Konzeptionen können auf der Grundlage von Controlling-Zielen formulierte Aussagen über die Funktionen des Controlling, dessen Instrumente und/oder dessen Institutionen umfassen. 1 Es existiert eine Vielzahl verschiedener ControllingKonzeptionen und auch eine Reihe von Ansätzen zu deren Systematisierung. Von diesen wird nachfolgend die relativ umfassende und hinsichtlich der verwendeten Kriterien schlüssige Klassifizierung von Z E N Z genutzt.2

1

Vgl. Schweitzer, M.; Fricdl, B.: (Beitrag), S. 142; Küpper, H.-U.; Weber, J.; Zünd, Α.: (Verständnis), S. 282 f.

2

Zu weiteren Systematisierungen von Controlling-Konzeptionen vgl. z.B. Schweitzer, M.: Friedl, B.: (Beitrag), S. 144ff.; Küpper, H.-U.: (Koordination), S. 164ff.; Sjurts, I.: (Kontrolle), S. 163 IT.; Weber, J.: (Controlling), S. 20IT.

Uwe Götze

254

Z H N Z geht wie viele andere Autoren, die sich mit Controlling-Konzeptionen und deren Systematisierung beschäftigen, von einer funktionalen Perspektive aus.3 Als Kriterien zur Charakterisierung funktionaler Controlling-Konzeptionen verwendet er

-

den Unternehmenszielbezug, d.h. die Unternehmensziele, deren Erfüllung durch das Controlling unterstützt werden soll, die Funktionsbreite, die die Führungsfunktion(en) beschreibt, auf die sich das Controlling bezieht, sowie die Funktionstiefe, durch die die Art der Aufgaben des Controlling zum Ausdruck kommt.

Abbildung 1 zeigt diese Merkmale sowie ihre möglichen Ausprägungen. Ausprägungen

Dimensionen Wertziele

Untcrnchmcnsziclbezug

Funktionsbreite

Funktionstiefe

weitere Unternehmenszicle Erfolgsziele

Sicherung der Planung

Finanzziele

Sicherung der Kontrolle

Sicherung der Organisation

A il s wähl Hntwurf Bewertung Systemder der der System- integration SystcmSysteme elemente elemcnte

Sicherung der Informationsversorgung

Systembetrieb

Sicherung der Personalführung

Systemkoordination

SystemÜberwachung

Abb. 1: Merkmale zur Charakterisierung von Controlling-Konzeptionen und deren Ausprägungen 4 Zur Klassifizierung verschiedener Controlling-Konzeptionen werden von Z H N Z die Merkmale „Funktionsbreite" und „Funktionstiefe" herangezogen.3 Er unterscheidet zwei Gruppen von Konzeptionen mit jeweils drei Typen. Während dem Controlling bei der ersten Gruppe der Betrieb bestimmter Fahrungsteilsysteme obliegt, es also Aufgaben wie die Informationsversorgung, Planung, Kontrolle etc. selbst wahrnimmt (Typ I, Ii und III), bestehen seine Funktionen bei der zweiten Gruppe in der gezielten Einwirkung auf andere Fiihrungsteilsysleme durch Entwurf, Bewertung und Auswahl von Systemelementen, Systemintegration, Systemkoordination und/oder Systemüberwachung (Typ IV, V und VI).

1

4

Vgl. dazu und zu den folgenden Ausführungen einschließlich der kurzen Charakterisierung verschiedener Konzepiionen Zenz, Α.: (Qualitätscontrolling), S. 16IT.; Zenz, Α.: (Controlling), S. 32 IT. Quelle: in leicht modifizierter Form übernommen von Zenz, Α.: (Qualitätscontrolling). S. 17. Aussagen zu den jeweils verfolgten Unternehmenszielen dienen nur der weiteren Beschreibung der verschiedenen Controlling-Konzeptionen. Vgl. Zenz, Α.: (QualilälsconiiOlling), S. 25 ff.

Controlling von Logistik und Supply Chain - Funktionen und Instrumente

255

Bei den informât ionsorientierten Controlling-Konzeptionen (Typ I) entspricht das Controlling weitgehend dem betrieblichen Informationssystem. Gemäß dieser Auffassung, die insbesondere R E I C H M A N N vertritt, soll das Controlling durch eine gezielte Informationsversorgung vor allem zu einer hohen Entscheidungsqualität im Unternehmen beitragen. 6 Bei den regelungs- und steuerungsorientierten Controlling-Konzeptionen (Typ II), zu deren Vertretern u.a. B A U M , C O E N E N B E R G und G Ü N T H E R zählen, wird das Controlling als kybernetischer Prozess (oder ein kybernetisches System) angesehen, der die Führungsfunktionen Planung und Kontrolle sowie zumindest teilweise auch Informationsversorgung umfasst. Das Controlling soll hier insbesondere durch Wahl geeigneter Maßnahmen, die Identifikation von relevanten Abweichungen und die Reaktion auf diese zu einer hohen Zielerreichung beitragen. 7 Für die fiihrungsorientierten Controlling-Konzeptionen (Typ III) ist eine weitgehende Gleichsetzung des Controlling mit den sachaufgabenbezogenen Führungsfunktionen charakteristisch. Diese sollen gemäß Β RAMSEM AN Ν als Vertreter einer solchen Konzeption durch das Controlling mit einer spezifischen Denkweise wahrgenommen werden, die sich an dem „Idealziel der Vorwärtssteuerung und Selbstregelung" 8 ausrichtet und auch die Steuerung des Gesamtunternehmens betont. Der Unterschied zu den Konzeptionen vom Typ II besteht vor allem darin, dass dem Controlling über Planung, Kontrolle und Information hinaus hier auch Organisationsaufgaben zugerechnet werden; zudem führt Β RAMSEMANN bereits einzelne Aufgaben auf, die nicht im Betrieb von Führungssystemen, sondern in der Einwirkung auf diese bestehen.9 Die begrenzt koordinationsorientierten Control ling- Konzeptionen (Typ IV) wurden primär von H O R V Ä T H geprägt. Er versteht unter Controlling „dasjenige Subsystem der Führung, das Planung, Kontrolle sowie Informationsversorgung systembildend und systemkoppelnd ergebniszielorientiert koordiniert... . " , 0 Dabei können der Funktion der Systembildung im Einzelnen die Aufgaben des Systementwurfs, der Systembewertung und -auswahl sowie der Systemintegration zugeordnet werden. Die Systemkopplung dient der laufenden Abstimmung während des Systembetriebs. 11 Der Unterschied zwischen den insbesondere auf KÜPPER zurückgehenden umfassend koordinationsorientierten Controlling-Konzeptionen (Typ V) und den zuvor aufgeführten besteht vor allem darin, dass sich die Koordinationsaufgabe bei der umfassenden Sicht auf sämtliche Führungsteilsysteme bezieht. Das Controlling soll

6 7

Vgl. Reichmann, T.: (Controlling), S. 10 IT. Vgl. Baum, H.-G.; Coenenberg, A.G.; Günther. T.: (Controlling), S. 3 f.; Günther, T.: (Controlling), S. 66 ff. Die genannten Autoren beziehen die Informationsversorgung vollständig in die ControllingFunktionen ein, während Z I ; N Z dem Controlling nur einen Teil der Informationsversorgung zuordnet. Vgl. Zenz, Α.: (Qualitätscontrolling), S. 27.

x

Bramsemann, R.: (Handbuch). S.47. Vül. Βι "amsemann, R.: (Handbuch), S.44tt.; Bramsemann, R.i (Controlling), S. 18. Damit geht der hier in Anlehnung an Z I : N Z eingestufte Ansatz von

BRAMSI-MANN

in dieser Hinsicht etwas über den Typ III

hinaus. 10 11

Horväth, P.: (Controlling), S. 153. Vgl. Horväth, P.: (Controlling), S. 128. Die syslcmkoppelnde Koordination gemäß damit weitgehend der Systemkoordination bei Z I ; N Z (vgl. Abbildung I ).

HORVÄTH

entspricht

256

Uwe Götze

demgemäß auch eine Koordination zwischen der Organisation sowie der Personalführung und den anderen Führungsteilsystemen herbeiführen. 12 Die maßgeblich von WEB KR geprägten metaführungsorientierten ControllingKonzeptionen (Typ VI) basieren ebenfalls auf einer koordinationsorientierten Sicht der Controlling-Funktionen. W H B K R zufolge enthält die Koordinationsaufgabe des Controlling „die Strukturgestaltung aller Führungsteilsysteme, die zwischen diesen bestehenden Abstimmungen sowie die führungsteilsysteminterne Koordination." 13 Aus der Einbeziehung der systembildenden Koordinationsaufgabe leitet er ab, dass dem Controlling die Aufgabe einer Metaführung zukommt, die die eigentliche, auf das Ausführungssystem von Unternehmen gerichtete Führung gestalten und steuern soll. 14 Die metaführungsorientierten Konzeptionen sind eng mit den beiden zuvor beschriebenen verwandt. Wie diese beziehen sie sich auf sämtliche Führungsteilsysteme; Unterschiede können im Ausmaß der Einbeziehung der auf das Führungssystem bezogenen Tätigkeiten gesehen werden. 15 Die sechs von Z H N Z unterschiedenen Typen von Controlling-Konzeptionen sind um einen in der jüngeren Literatur vorgestellten Ansatz zu ergänzen. So ist W H B H R in neueren Veröffentlichungen von der Metaführungskonzeption und der dieser zugrunde liegenden Koordinationsorientierung abgerückt. Er weist dem Controlling nun die Aufgabe der Sicherung der Rationalität der Führung (Typ VII) zu, mit der bestehenden Rationalitätsdefiziten begegnet werden soll. 1 6 Die Rationalitätssicherung soll u.a. durch Informationsversorgungs-, Flanungs-, Kontroll- und Koordinationsaktivitäten erreicht werden, die jeweils kontextabhängig in den Vordergrund zu stellen sind. Wie daraus abgeleitet werden kann, umfasst der neue Ansatz bisher beschriebene Controlling-Sichtweisen wie die der Informationsversorgung, der Regelung und Steuerung sowie der Koordination und damit sowohl Facetten des Betriebs von als auch solche der Einwirkung auf Führungssysteme(n). 17 Er lässt sich daher als integrativ bezeichnen. 18 ' 19

12 1

Vgl. Küpper, H.-IJ.: (Controlling), S. 12 ff.

* Weber, J.: (Einführung). S. 50. Der Aufgabenbereich des Controlling wird dabei auf Unternehmen eingeengt, die ihr Ausführungssystem vorrangig durch Pläne koordinieren.

14

Vgl. Weber, J.: (Einführung), S. 48 ff. Vgl. Zenz, Α.: (Qualitälscontrolling), S. 30ff. sowie S . 4 I .

16

Dabei sollen die Rationalitälsdefizite nicht vollständig ausgemerzt werden, sondern nur soweit, wie dies wirtschaftlich sinnvoll ist. Angestrebt wird demgemäß die Sicherung einer angemessenen Rationalität. Vgl. Weber, J.: (Perspektiven), S. 6.

17

Vgl. Weber, J.: (Controlling), S.62f.; Weber, J.; Schäffer, U.: (Sicherstellung). S. 734IT.; Weber. J.: (Perspektiven), S. 6ff.

18

Dies gilt bedingt auch für die ebenfalls in der jüngeren Vergangenheit von P I E T S C H / S C I H - R M vorgeschlagene Konzeption des Controlling als Führung und Führungsunterstützung. Vgl. dazu Pietsch, G.; Schcrm, E.: (Präzisierung), S. 402 ff. Diese Konzeption soll hier vernachlässigt werden, da sie bisher weniger Resonanz erfahren hat als die von WL:BKR und auch im Hinblick auf das Logistik-Controlling nach Kenntnis des Verfassers kaum aufgegriffen worden ist.

19

Auf eine Beurteilung einzelner Konzeptionen kann hier verzichtet werden, da diese für das oben formulierten Anliegen des Aufsatzes nicht erforderlich ist. Zu einer kritischen Würdigung von ControllingKonzeptionen, die das Controlling als Betrieb von Führungsteilsystemen ansehen, vgl. z.B. Zenz, Α.: (Qualitälscontrolling), S. 35 ff.; Weber, J.: (Controlling), S. 27, zur Beurteilung koordinationsorientierter Konzeptionen (und damit auch der der Metaführung) vgl. u.a. Zenz, Α.: (Qualitätscontrolling), S. 35 ff.;

Controlling von Logistik und Supply Chain - Funktionen und Instrumente

3

257

Sichtweisen der Logistik

Ähnlich wie beim Controlling besteht auch hinsichtlich des Begriffs und der Aufgaben der Logistik kein einheitliches Verständnis. Zwar werden Merkmale wie die Flussorientierung, die Zeitorientierung, die Kunden- und Marktorientierung sowie die ganzheitliche Betrachtungsweise gemeinhin als typisch für die Logistik angesehen und als Elemente einer Logistikphilosophie interpretiert, 20 für das Aufgabenspektrum der Logistik haben sich aber dennoch verschiedene Konzeptionen herausgebildet. 21 Bei der ersten Konzeption wird die Logistik als funktionale Spezialisierung auf Transferaktivitäten aufgefasst. Es handelt sich um eine spezifische Unternehmensfunktion, die vorrangig der Sicherung der physischen Verfügbarkeit von Gütern, insbesondere Material und Waren, unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsprinzips dient. Dabei umfasst sie als andere Bereiche durchziehende Querschnittsfunktion güterbezogene Transferaktivitäten wie Transport, Umschlag, Lagerung, Verpackung und Kommissionierung, aber auch die damit verbundenen Informationsprozesse. Mit der Spezialisierung auf diese Transferaktivitäten und deren integrierte Betrachtung sollen Effizienzsteigerungen erreicht werden. 22 Für die zweite Konzeption ist charakteristisch, dass die Logistik als Koordinationsfunktion interpretiert wird. Der Schwerpunkt der Aufgaben wird nun auf die Abstimmung der an den Güterflüssen beteiligten Unternehmensbereiche und Unternehmen verlagert. Im Unternehmen soll eine aus der isolierten Gestaltung einzelner Abschnitte der Wertschöpfungskette resultierende Suboptimierung vermieden und der Güterfluss über die gesamte Kette optimiert werden. Dies umfasst auch die vertiefte Auseinandersetzung mit den Schnittstellen und Wechselbeziehungen zwischen Transferaktivitäten sowie anderen Beschaffungs-, Produktions- und Absatzaktivitäten (ζ. B. der hier auch der Logistik zuordenbaren Bestelldisposition, Produktionsplanung und -Steuerung sowie Vertriebsdisposition). Lieferanten und Kunden werden in die Abstimmung einbezogen, um auch im Hinblick auf die unternehmensübergreifenden Güterflüsse Rationalisierungseffekte erzielen zu können. 23

Wall, F.: (Koordinationsfunktion). S. 296IT., zur Krilik am „Controlling als Rationalitülssicherung" vgl. Pietsch. G.; Scherni, li.: (Präzisierung), S. 399 ff. 20

Vgl. Hadamitzky, M.C.: (Analyse), S. 38 If.; Fey, P.: (Logistik-Management), S. 32 IT.

21

Vgl. zu iibcrblicksartigen Unterscheidungen von Logistikkonzeptionen Delfinann, W.: (Logistikkonzeption). S. 310 IT.; Lasch, R.: (Gestaltung), S.9ff.; Klaus, P.: (Logistik), S. 25 ff.; Göpfert, I.: (Logistik), S. 19 IT. Die Konzeptionen werden zuweilen auch als aufeinander folgende Entwicklungsphasen der Logistik interpretiert. Vgl. z.B. Weher, J.: (Supply Chain Controlling), S. 8ff. sowie zur geschichtlichen Entwicklung der Logistik Bloech, J.: (Logistikgeschichte) und den Beitrag von BADI-RDOKI· in diesem Band.

22

Vgl. Del Iniann. W.: (Logistikkonzeplion), S. 31 I; Pfohl, H.-C: (Logistiksysteme), S. 12; Klaus. P.: (Logistik), S. 25 f.; Weber, J.; Kummer, S.: (Logislikmanagement). S. 9 IT. Auf eine eingehende Beurteilung der einzelnen Logistikkonzeptionen soll hier verzichtet werden. Es sei aber erwähnt, dass bezogen auf die erste Logistikkonzeption primär die mit der Beschränkung auf Transferaktivitäten verbundenen Abgrenzungsprobleme und Schnittstellen als problematisch eingestuft werden. Vgl. Weber. J.; Kummer, S.: (Logislikmanagement), S. 15 f.; Delfmann, W.: (Logistikkonzeption), S. 311.

258

Uwe Götze

Gemäß der dritten Konzeption wird die Logistik als flussorientiertes Management verstanden. Sie stellt nun eine spezifische Perspektive des Managements dar, bei der Wertschöpfungsketten als Fließsysteme und die sich darin vollziehenden Gütertransfers und -bearbeitungen, aber auch Informations- und Entscheidungsprozesse als Flüsse in Netzwerken gesehen werden. Logistikphilosophie und -know-how sollen zur flussorientierten Gestaltung der Netzwerkstruktur sowie der nun nicht mehr auf Transferaktivitäten beschränkten Prozessabläufe genutzt werden. Der Logistik kommt aber nicht nur die Aufgabe der Durchführung auf das Ausführungssystem bezogener Führungsaktivitäten zu, sondern auch eine Meta-Führungsfunktion: Die Führungsstrukturen und -ablaufe sollen flussorientiert gestaltet werden, um die Führungsaufgaben selbst rationell zu erfüllen und das Führungssystem auf die flussorientierte Erbringung von Leistungen im Ausführungssystem auszurichten. 24 Unterschiedliche Meinungen bestehen hinsichtlich der Frage, ob die dritte Logistikkonzeption sich auch auf unternehmensübergreifende Flüsse und Strukturen sowie deren Gestaltung bezieht. Während diese Frage von einigen Autoren bejaht wird, differenziert WEIBER weitergehend, indem er eine vierte Konzeption einführt, bei der die Logistik als unte rnehmens übergreif ende Flussorientierung gesehen wird. 2 5 Diese Konzeption bezieht sich wie die dritte auf das Führungssystem und dessen Flussorientierung, primär aber auf die Prozesse und Strukturen in einer - im Unterschied zu den anderen Logistikkonzeptionen - aus unternehmensübergreifender Sicht betrachteten überbetrieblichen Logistikkette. Diese Logistikkette korrespondiert mit einer Supply Chain; die Logistik gemäß der vierten Konzeption lässt sich daher mit dem Supply Chain Management gleichsetzen.26 Für dieses werden die folgenden Merkmale als charakteristisch angesehen:27 23

Vgl. zu dieser Logisiikkonzepiion Weber. J.: (Logistik); Weber, J.: (Ursprünge). S. 7ff.; Weber, J.; Kummer, S.: (Logislikmanagemenl). S. 14 IT.; Klaus, P.: (Logistik), S. 26ff. Kritische Anmerkungen zu dieser Konzeption richten sich vorrangig auf deren geringe Originalität (vgl. Pfohl. H.-C: (Logisliksystemc). S. 27). die mangelnde Eignung der generellen Managementaufgabe Koordination zur Begründung einer eigenständigen Konzeption (vgl. Delfmann. W.: (Logisiikkonzepiion), S. 31 I; Lasch. R.: (Gestaltung). S. 9) sowie die starke Abhängigkeit der Konzeption vom jeweiligen Kontext (vgl. Weber J.: (Ursprünge), S. 14).

24

Vgl. Klaus, P.: (Logistik), S. 15 ff.; Klaus, P.; (Funktionenlogistik). S.67ff.; Delfmann, W.: (Logisiikkonzepiion). S. 311; Göplcrt. I.; (Logistik). S. 19 IT.; Weber. J.: (Logislikmanagemenl), S. 79 IT.; Weber. J.; Kummer. S.: (Logislikmanagemenl). S. 21 ff. Als Sehwachstelle der drillen Logistikkonzeption ist insbesondere die Einordnung einer fliissorienlierlcn Führung in die Unternehmensführung insgesamt anzusehen. Eine Gleichsctzung dürfte kaum angebracht sein, da sie den Verlust der spezifischen Logistiksicht oder deren absolute Dominanz bedeuten würde; die Abgrenzung und die Klärung des Verhältnisses zu anderen möglichen Orientierungen der Führung (Marketing. Qualität etc.) erscheinen aber problematisch.

25

Vgl. Göplert I.: (Logistik). S. 19; Klaus. P.; (Funktionenlogislik). S. 67 bzw. Weber. J. (Supply Chain Controlling), S.9f.

26

Vgl. Weber. J.: (Supply Chain Controlling), S.91". Die flussorientierte Gestaltung des Führungssyslems wird allerdings beim Supply Chain Management in geringerem Maße erörtert als bei der Logistik der dritten Konzeption.

27

Vgl. hierzu sowie zu weiterführenden Charakterisierungen des Supply Chain Managements Otto. Α.; Kotzab, H.: (Beilrag); Buscher. U.; (1999); Corsten. H.; Gössinger. R.: (Einführung). S. 94IT.; Bloech. J.; Bogaschcwsky, R.; Götze. U.; Roland. F.: (Einführung), S. 361 IT.; Cooper. M.C.; Lambert. D.M.; Pagh, J.D.: (Supply Chain Management); Handfield, R.B.: (Introduction); Klaus. P.: (Supply Chain Management); Busch. Α.; Dangelmaier, W. (Hrsg.): (Supply Chain Management).

Controlling von Logistik und Supply Chain - Funktionen und Instrumente -

259

die Zielsetzung der Sicherung kontinuierlicher Güterflüsse bei geringen Beständen, die Kooperations- und Integrationsorientierung, die sich in der Zusammenarbeit mehrerer in einem Netzwerk verbundener Unternehmen, der Nutzung geeigneter Systeme zum Datenaustausch zwischen diesen sowie der Einrichtung eines Netzwerkmanagements äußert, die Einbeziehung von Wertschöpfungsaktivitäten (vor allem in der Produktion), die über den logistischen Transfer hinausgehen, die Kundenorientierung, die u.a. in einer endverbraucherbezogenen Steuerung der Logistikkette zum Ausdruck kommt, sowie die verstärkte strategische Ausrichtung.

-

-

Zwischen der Logistik und dem Controlling bestehen - in Abhängigkeit von deren jeweiliger Sichtweise - gewisse Gemeinsamkeiten, bis hin zu Überschneidungen. So sind mögliche Gemeinsamkeiten in dem Rückgriff auf die Erkenntnisse der Systemtheorie, dem Querschnittscharakter, der Zielsetzung der Rationalitätssicherung bzw. -Steigerung sowie der Koordinations- und der Metaführungsaufgabe zu sehen.28 Die Abgrenzung zwischen den beiden Unternehmensfunktionen Logistik und Controlling soll aber nachfolgend nicht diskutiert werden. Stattdessen wird das Logistik- oder auch Supply Chain Controlling als ein auf die Logistik bezogenes Subsystem des Controlling betrachtet - mit einem Schwerpunkt auf dessen Funktionen und Instrumenten. Aus der obigen Charakterisierung von Sichtweisen der Logistik sowie des Controlling ergibt sich, dass eine Vielzahl alternativer Konzeptionen eines solchen Logistik-Controlling denkbar ist. So resultieren aus der Kombination der beschriebenen Typen der Logistik und des Controlling 28 denkbare Konzeptionen des LogistikControlling. 29 Diese sollen aber hier nicht sämtlich erörtert werden, vielmehr erfolgt eine Konzentration auf das Controlling bei der ersten und der vierten Logistikkonzeplion. Die Einbeziehung der ersten Logistikkonzeption wird einerseits damit begründet, dass diese empirischen Untersuchungen zufolge in der Unternehmenspraxis am weitesten verbreitet ist 3 0 und ihr gleichzeitig in der Logistiktheorie weiterhin hohe Beachtung geschenkt wird, denn eine Reihe von Autoren bezieht sich allgemein wie auch hinsichtlich des Logistik-Controlling auf die erste Konzeption. Die zweite Logistikkonzeplion wird sowohl generell als auch bezüglich des Controlling relativ wenig thematisiert und ist außerdem eng mit der ersten verwandt, so dass sie nachfolgend nicht aufgegriffen werden soll. 31 Für die dritte Sicht gilt, dass sie „bislang weder weit verbreitet noch intensiv in der Theorie fundiert" 32 ist; diese - auch für das 2Σ

Liefer-

*anten

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Finanziell Koordinations-1 prozess |

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Koordinationsprozess Lernen und Entwicklung

Unternehmensübergreifende gesamte Supply Chain

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Abb. 3: Darstellung der Kaskade von Balanced Scorecards über verschiedene Ebenen (in Anlehnung an Weber (2002a), S. 301 f.) talrendite, Economic Value Added (EVA™) oder Cash Value Added (CVA) bezogen auf die gesamte Supply Chain sein. Darüber hinaus sind finanzielle Kennzahlen, wie z.B. Gesamtlogistikkosten, notwendig, um die finanzielle Leistungsfähigkeit der Supply Chain zu messen. Die finanziellen Kennzahlen nehmen auch hier eine Doppelrolle ein. Zum einen definieren sie die finanzielle Leistung, die von einer SupplyChain-Strategie erwartet wird. Zum anderen fungieren sie als Endziele für die anderen Perspektiven der Balanced Scorecard, die über Ursache-Wirkungsbeziehungen mit den finanziellen Zielen verbunden sind. Die Aufgabe der Prozessperspektive ist es, diejenigen Prozesse abzubilden, die vornehmlich von Bedeutung sind, um die Ziele der finanziellen Perspektive zu erreichen. Die für eine traditionelle Balanced Scorecard geforderte Abbildung der unternehmensinternen Wertschöpfungskette (vgl. Weber/Radtke/Schäffer (2001), S. 8) wird nun auf die Betrachtung der gesamten Supply Chain erweitert. Im Rahmen der Prozessperspektive ist zu überprüfen, ob die unternehmensübergreifende Flussorientierung erreicht wird und welche Hindernisse bei der Realisierung auftreten. Eine wichtige Kenngröße könnte etwa die Gesamtdurchlaufzeit durch die Supply Chain sein. In Abschnitt 4 wurde bereits erwähnt, dass sich für das Controlling von Supply Chains spezifische Anforderungen ergeben, die insbesondere Aussagen über die Dimensionen Kooperationsqualität und Kooperationsintensität erfordern. Daher werden diese Perspektiven in die Balanced Scorecard für das Controlling von Supply Chains integriert. Im Rahmen der Perspektive Kooperationsintensität sollen die „harten" Faktoren der Kooperation gemessen werden. Diese Perspektive ist notwendig, um zum einen die Art und Weise zum anderen die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen den Supply-Chain-Partnern zu verfolgen. Dieser Sachverhalt kann ζ. B. durch die Quantität und Qualität ausgetauschter Datensätze quantifiziert werden. Eine solche Abbil-

Balanced Scorecard - Eignung des Ansatzes für das Supply Chain Management 319

Finanziell

Λ / Λ

W i e kann dio f i n a n T i e l l e / ^ / H v ^

r

Kooperationsqualität Wie kann die Zufriedenheit und das Vertrauen zwischen den Partnern verbessert werden?

/

^

Leistungsfähigkeit der Supply Chain verbessert werden?

Prozesse Vision und Strategie der gesamten Supply Chain

Kooperationsintensität der Kooperation zwischen den Supply Chain Partnern verbessert werden?

Welche Prozesse der Supply Chain müssen verbessert werden, um die Kunden zu befriedigen?

y

Abb. 4: Die Balanced Scorecard für das Supply Chain Controlling dung der Beziehungsintensität wird auch in Ansätzen von B R E W E R / S P E H (vgl. Brewer/Speh ( 2 0 0 0 ) , S. 8 9 ) und S T Ö L Z L E / H E U S L E R / K A R R E R (vgl. Stölzle/Heusler/Karrer ( 2 0 0 1 ) , S. 8 1 ) vorgeschlagen, aber nicht konsequent zu Ende geführt. In der betriebswirtschaftlichen Literatur ist bisher die Abbildung der „weichen" Faktoren der Kooperation im Rahmen einer Balanced Scorecard eher vernachlässigt worden. Da diese „weichen'1 Faktoren aber einen zentralen Einfluss auf den Erfolg der Beziehung haben und bei Mängeln ein Scheitern der Zusammenarbeit verursachen können, müssen auch diese „weichen44 Faktoren in die Steuerung einer Supply Chain einbezogen werden. Hierfür dient die Perspektive Kooperationsqualität. Sie erfasst, wie gut die Kooperation zwischen den Partnern funktioniert. Beispiele können Indizes zur Zufriedenheit, dem Vertrauen der Partner untereinander oder die Anzahl der unkooperativ gelösten Konflikte sein (vgl. Weber (2002a), S. 312). Ganz entsprechend dem Standardmodell der Balanced Scorecard sollte eine solche für Supply Chains die Kennzahlen der einzelnen Perspektiven auf eine überschaubare Anzahl beschränken. Spezifisch ist aber zu beachten, dass die Kennzahlen gemeinsam und einheitlich zwischen den Partnern definiert werden und dass hauptsächlich unternehmensübergreifende Kennzahlen Verwendung finden. Auch für die hier vorgestellte Balanced Scorecard für das Supply Chain Controlling ist der Ausgangspunkt die gemeinsame Strategiedefinition der Partner bezogen auf die gesamte Supply Chain. Diese Strategie wird mithilfe der Balanced Scorecard operationalisiert und „umsetzungsfähig" gemacht. Allerdings sind im Bereich der unternehmensübergreifenden Strategiefindung und -definition in der Praxis (eklatante) Defizite festzustellen; Unternehmen sehen sich bis heute selten als Mitglieder einer oder mehrerer (gemeinsamer) Supply Chains; dementsprechend findet die Koordination einer unternehmensübergreifenden Strategie, die für das Supply Chain Management unerlässlich ist, kaum statt (vgl. Stölzle/Heusler/Karrer (2001), S. 76). K A U F M A N N spricht an dieser Stelle sehr pointiert von „Kooperationsromantik" (vgl. Kaufmann (2001), S.B 11). Fragen der gemeinsamen Strategiedefinition und der

320

Jürgen Weber/Andreas Bacher/Marcus Groll

Integration der Supply Chain Strategie in die Gesamtstrategie der einzelnen Unternehmen sowie die damit einhergehende „Synchronisierung" der unterschiedlichen Balanced Scorecards sind auch im Rahmen der betriebswirtschaftlichen Forschung noch nicht ausreichend beantwortet. 5.2.2

Begründung für das Fehlen weiterer Perspektiven

Im nächsten Schritt sei kurz begründet, warum nur zwei der traditionellen Perspektiven der Balanced Scorecard übernommen werden. Die Kundenperspektive ist nicht notwendig, da in den meisten Füllen nur der Endproduzent eine Schnittstelle zum Endkunden hat und dieser die Kundenbeziehung kontrolliert. Daher sollte die Kundenperspektive bei dem Endproduzenten in der Balanced Scorecard auf Unternehmensebene verwendet werden. Strategien bezogen auf Endkunden werden im Rahmen der Supply-Chain-Strategie definiert. Kundenbezogene Anforderungen aus der Strategie - wie z. B. Lieferzeiten - werden im Rahmen der Prozessperspektive der unternehmensübergreifenden Balanced Scorecard erfasst. Für die Lern- und Entwicklungsperspektive gilt eine einzelunternehmensbezogene Zuordnung: Die Verantwortung, Defizite zu beheben, die innerhalb der Supply Chain auftreten und auf das eigene Unternehmen zurückzuführen sind, liegt auf Ebene der einzelnen Unternehmen. Ziele zur Verbesserung in den Bereichen Qualifizierung von Mitarbeitern, Leistungsfähigkeit des Informationssystems sowie Motivation und Zielerreichung von Mitarbeitern können unternehmensübergreifend in den Perspektiven Prozess, Kooperationsintensität und Kooperationsqualität definiert werden, die dann in den unternehmensinternen Balanced Scorecards zu berücksichtigen und somit in den einzelnen Unternehmen umzusetzen sind. Für die von S T Ö L Z L S vorgeschlagene Lieferantenperspektive ist analog zur Kundenperspektive zu argumentieren: Kunden- und Lieferantenbeziehungen innerhalb der Supply Chain werden im Rahmen der neu entwickelten Prozessperspektive unternehmensübergreifend abgebildet. Die von W E B E R für die Gesamtlogistik vorgeschlagenen Perspektiven Koordinationsstruktur und Koordinationsprozess (vgl. Weber (2002a), S. 305) sind schließlich ebenfalls unternehmensinterne Perspektiven. Sie werden durch die unternehmensübergreifenden Kooperationsperspektiven erweitert. 5.2.3

Α η Wendungsbeispiel

der vorgeschlagenen

Balanced Scorecard

Analog der traditionellen Balanced Scorecard (vgl. Weber/Radtke/Schäffer (2001), S. 8) sollen die Kennzahlen der Kooperationsqualitäts-, Kooperationsintensitäts- und Prozessperspektive über Ursache-Wirkungsbeziehungen mit den finanziellen Zielen verbunden sein (vgl. Abb. 5). Die Verknüpfung kann - selten - auf mathematischen oder - überwiegend - auf sachlogischen Zusammenhängen beruhen. Nimmt man beispielsweise die Kapitalrendite (Return on Assets) als oberste Zielgröße innerhalb der finanziellen Perspektive der gesamten Supply Chain an, so kann diese durch den Anteil der auftragsbezogenen Fertigung verbessert werden. Dabei hängt der Anteil der auftragsbezogenen Fertigung in hohem Maße von der realisierten Gesamtdurchlaufzeit ab. Dem RoA liegt also die Durchlaufzeit als Eingangsgröße zu Grunde (Prozessperspektive). Um die Durchlaufzeit zu optimieren, ist ein Austausch von relevanten Daten, die wieder-

Balanced Scorecard - Eignung des Ansatzes für das Supply Chain Management 321 um durch eine verbesserte IT-Vernetzung der Partner beschleunigt werden kann, eine wesentliche Voraussetzung (Kooperationsintensität). Dieser Austausch von relevanten und vertraulichen Informationen ist aber nur bei einem ausreichenden Vertrauen zwischen den Partnern möglich (Kooperationsqualität).

Abb. 5: Beispielhafte Darstellung von Ursache-Wirkungszusammenhängen einer unternehmensübergreifenden BSC Analog der Vorgehensweise für eine traditionelle Balanced Scorecard, sind für alle Perspektiven strategische Ziele, relevante Messgrößen und Maßnahmen zur Zielerreichung zu definieren. Dabei werden in einzelnen Perspektiven zur Ermittlung einer Messgröße für die gesamte Supply Chain Verdichtungen der Kennzahlen der einzelnen Unternehmen zu bilden sein. Diese Verdichtungen sind je nach Kennzahltyp und Perspektive unterschiedlich zu gestalten. Beispielsweise bei solchen Kennzahlen, die eine Aussage über die Zufriedenheit innerhalb der Kooperation ermöglichen, ist es notwendig, „Ausreißer" nicht durch eine Durchschnittsbildung zu glätten und somit aus dem Blickfeld zu verlieren. Vielmehr sollten für Kennzahlen, bei denen diese Probleme auftreten, neben den Durchschnittswerten auch Varianzen angegeben werden. Bei Kennzahlen wie z.B. Durchlaufzeiten kann wiederum eine additive Verdichtung sinnvoll sein, da die Summe der Durchlaufzeit über die gesamte Supply Chain eine wichtige Messgröße darstellt. Für eine detaillierte Analyse sind neben der Summe auch hier die Einzelwerte anzugeben, um die Maximal- bzw. Minimalwerte identifizieren zu können. In Abb. 6 ist beispielhaft eine Balanced Scorecard für eine Supply Chain dargestellt, die in ihrer Struktur auch für andere Kooperationen und Netzwerke verwendet werden kann. Dabei sind die für den jeweiligen Unternehmens- bzw. SupplyChain-Kontext relevanten Anpassungen vorzunehmen.

Jürgen Weber/Andreas Bacher/Marcus Groll

322 Auszug aus einer SCC Balanced Scorecard

Strategische Ziele

Messgrößen

Profitabilität der Supply Chain steigern

RoA für die gesamte Supply Chain um x% steigern

Outsourcing von Warehousing, um die Kapitalbindung entlang der Supply Chain senken

Kostenführerschaft erreichen

Logistikkosten in der gesamten Supply Chain pro Einheit um χ % senken

Kapazitäten der Supply Chain Partner bündeln

Kunde soll Ware 10 Tage nach Auftragseingang erhalten

DLZ für die gesamte Supply Chain auf 10 Tage reduzieren

Prozessoptimierung bei Liegezeiten und wertschöpfenden Aktivitäten

Flexibilität der Fertigung erhöhen

Freezing Point in % der gesamten DLZ erhöhen

Konstruktion der Teile flexible halten und konsequente Verankerung des Postponement Gedankens

Datenaustausch zwischen den SC Partnern intensivieren

Anzahl und Häufigkeit ausgetauschter Datensätze

IT Vernetzung der SC Partner verbessern

Finanzielle Perspektive

Prozessperspektive

Kooperationsintensitätsperspektive

Kooperationsqualitätsperspektive

Mögliche Maßnahmen

Abstimmung zwischen Anzahl der notwendigen den Partnern verbessern Abstimmungssitzungen

Protokollführung systematisieren

Vertrauen und Zufriedenheit der SC Partner erhöhen

Indizes für Vertrauen und Zufriedenheit

Vision und Grundsätze gemeinsam definieren

Art der Zusammenarbeit verbessern

Anzahl unkooperativ gelöster Konflikte in der Supply Chain

„Schiedsrichter" für die Supply Chain einführen

Abb. 6: Beispielhafte Darstellung von strategischen Zielen, Messgrößen und Maßnahmen für die vier Dimensionen einer BSC für eine Supply Chain Im nächsten Abschnitt wird die Anwendung dieser Balanced Scorecard im Rahmen des Supply Chain Management an einem Praxisbeispiel dargestellt.

6

Die Konzeption einer Balanced Scorecard für einen möglichen Einsatz i m Rahmen des Supply Chain Management bei d m drogerie m a r k t G m b H + Co. K G

6.1

Darstellung des Unternehmens und Ausgangssituation

Die dm-drogerie markt GmbH + Co. KG (im folgenden kurz dm genannt) wurde 1973 vom geschäftsführenden Gesellschafter G Ö T Z W. W H R N E R gegründet und hat sich seit ihrer Gründung zum zweitgrößten Drogeriemarkt in Deutschland entwickelt. Heute besteht ein Filialnetz von mehr als 1.400 Filialen, davon über 600 in Deutschland mit mehr als 12.000 Beschäftigten. Mit einem Gesamtsortiment von über 13.000 Produkten aus den Sortimentsbereichen Schönheit, Baby, Gesundheit, Photo, Haushalt und Tier erreichte dm im Geschäftsjahr 2001/2002 in Deutschland einen Umsatz von 1.885 Mio. € , europaweit von 2.612 Mio € . 9 Möchte man dm in das in Abschnitt 2 vorgestellte Stufenmodell der Logistik einordnen, so würde eine Einordnung des Unternehmens zwischen Stufe drei und vier 9

Untcrnchmcnsinformationen dm, alle Angaben sind Stand 10/2002.

Balanced Scorecard - Eignung des Ansatzes für das Supply Chain Management 323 stattfinden. Logistik als flussbezogene Koordinationsfunktion wird von dm seit einigen Jahren umgesetzt. Auch die Logistik verstanden als Flussorientierung eines Unternehmens wurde von dm als Wettbewerbs vorteil erkannt und implementiert. Die Stufe vier (Supply Chain Management) ist erklärtes Entwicklungsziel des Unternehmens, wird aber zur Zeit noch nicht mit allen Lieferanten realisiert. Parallel zu dieser Evolution hat sich auch das Logistik-Controlling von dm weiterentwickelt, um das Management bei den unterschiedlichen Fragestellungen unterstützen zu können. So werden ζ. B. verstärkt Marktanforderungen - operationalisiert beispielsweise durch die Kennzahl Servicegrad - zur Verfügung gestellt. Auch das Vorhandensein einer Logistikkostenrechnung, von der die Logistikkosten auf Artikel- und Lieferantenebene regelmäßig berechnet werden, und die Wertbildungsrechnung dienen als Grundlage, um organisatorische Fragestellungen (ζ. B. Segmentierung, Distributionsstruktur) zu untermauern. Erste Ansätze in Richtung Supply Chain Controlling und in diesem Zusammenhang unterstützende Instrumente lassen sich ebenfalls identifizieren. Ein Instrument ist das Prozess-Management-Informationssystem (PROMI), 10 dass alle relevanten Kennzahlen zur Kommunikation mit den Partnern beinhaltet.

6.2

Konzeption einer Balanced Scorecard für die dm Supply Chain

Zielsetzung aus Sicht von dm und den Lieferanten ist die möglichst hohe Versorgung des Kunden mit den vom ihm gewünschten Produkten. Somit ist ein wesentlicher Treiber des gesamten Prozesses die Nachfrage des Endkunden am „point of sale (POS)", d.h. dem Regal in den Filialen. Die Prozesse an den Schnittstellen und in den Unternehmen sind nun so auszurichten und zu optimieren, dass eine möglichst hohe Produktverfügbarkeit im Regal gewährleistet ist. Aus dieser Zielsetzung ergaben sich zwangsläufig „Eckpfeiler 44 für die grobe Strategie der Supply Chain von dm und seinen Lieferanten, die für die Konzeption einer Supply Chain Balanced Scorecard wesentlich sind. Um diese Strategie zu operationalisieren, wurde von dm und den Lieferanten das Instrument der Balanced Scorecard ausgewählt, das in mehreren Workshops an die spezifischen Bedingungen angepasst wurde. Als Ausgangspunkt für die spezifische Ausgestaltung der Supply Chain Balanced Scorecard wurde die gemeinsame Zielsetzung, d.h. Strategie, in den Workshops verfeinert, festgelegt und intern abgestimmt. Diese interne Abstimmung ist notwendig, um die für die Supply Chain definierte Strategie in Einklang mit den Strategien der jeweiligen Unternehmen bringen zu können. Somit ist der in der Literatur oft kritisierte Sachverhalt beachtet, dass keine gemeinsame Supply-Chain-Strategie vorliegt, die als Ausgangspunkt für die weiteren Aktivitäten dient, und somit ein Management im wahren Sinne des Wortes nicht stattfinden kann. Im Rahmen dieser Ausführungen soll nur die Supply Chain Balanced Scorecard an der Schnittstelle dm und Lieferant betrachtet werden. Weitere mögliche interne Balanced Scorecards, die in logischem Zusammenhang mit der Supply Chain Balanced Scorecard stehen, sind hier nicht Gegenstand der Ausführungen. 10

Für eine ausführlichere Darstellung des Instrumentes sei auf Weber (2002b). S. 207-211 und Strobel (2002), S. 38-39 verwiesen.

324

Jürgen Weber/Andreas Bacher/Marcus Groll

Grundsätzliches Ziel und somit Strategie von dm und seinen Lieferanten ist, am point of sale bei optimalen Logistikkosten eine maximale Produktverfügbarkeit zu erreichen." Daraus wird ersichtlich, dass im Rahmen der Supply Chain Balanced Scorecard ein wesentlicher Schwerpunkt auf den Prozesskennzahlen liegt, da ein reibungsloser und optimierter Prozess die Grundlage für die Realisierung der Strategie darstellt. Um diesen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten, muss die Kooperation zwischen dm und den Lieferanten optimal funktionieren. Daher sind in der Supply Chain Balanced Scorecard auch entsprechende Aspekte abzubilden, die eine Aussage zur Güte dieser Kooperation geben können. Wenn nun die Kooperation und damit die Prozesse optimal laufen, muss sich auch eine Auswirkung in entsprechenden Finanzkennzahlen finden. Daher wurden für die Supply Chain Balanced Scorecard die Dimensionen Kooperation, Prozess und Finanzen festgelegt. Die Unternehmensvertreter sahen somit die Notwendigkeit, die „traditionelle" Balanced Scorecard für den Einsatz im Rahmen des Supply Chain Controlling um kooperationsrelevante Aspekte zu erweitern. Die in Abschnitt 5.2 vorgestellt Balanced Scorecard lur das Supply Chain Controlling wurde jedoch von diesem Kreis kritisiert. Es wurde angemerkt, das es aus Praxissicht nicht sinnvoll ist, für die Kooperationsintensität und Kooperationsqualität zwei separate Perspektiven zu bilden. Diese Aspekte sollten eher im Rahmen einer einzigen Dimension - beispielsweise „Kooperation" - zusammengefasst werden. Diese Aspekte können grundsätzlich für jede Supply-Chain-Beziehung gelten. Zur Beantwortung der Frage, mit welchen Kennzahlen das Instrument für die Beziehung dm mit seinen Lieferanten konkret auszugestalten ist, konnte auf Vorarbeiten zurückgegriffen werden, da im Rahmen der Entwicklung von PROMI (s.o.) bereits relevante Kennzahlen zur Kommunikation mit den Lieferanten ausgewählt worden sind. Diese bestehenden Kennzahlen wurden nochmals auf ihre Eignung überprüft und um fehlende Kennzahlen ergänzt. Im Rahmen der Ergänzung wurde sichergestellt, dass nur diejenigen Kennzahlen ausgewählt werden, die von den Partnern beeinflussbar sind und gemäß der Logik einer Balanced Scorecard in UrsacheWirkungsbeziehung miteinander stehen (vgl. auch Abb. 8). Bei der Festlegung der Kennzahlen wurde insbesondere Wert darauf gelegt, dass diese mit vertretbarem Aufwand - idealerweise automatisiert - erhoben werden können. 12 Dies ist, gemäß Aussage der Teilnehmer, eine wesentliche Voraussetzung, um das Instrument dann auch in der Praxis nutzen zu können. Weiterhin sind die ausgewählten Kennzahlen einheitlich zu definieren. Auch hier ist das gemeinsame Verständnis der wesentlichen Prozessschritte, die durch ein Prozessmapping dargestellt werden können, wichtige Voraussetzung, um die Kennzahlen einheitlich definieren zu können. Das Ergebnis

11

Die genauen Werte werden aus Gründen der Vertraulichkeit nicht dargestellt. Sie würden auch keinen Mehrwert schaffen, da hier lediglich das Konzept und die individuelle Anpassung diskutiert werden soll. Gleiches gilt später auch für die Ausführungen bei den Selektiven Kennzahlen.

12

Wenn eine Kennzahl, beispielsweise aus Gründen der Dalenverlugbarkeit, zur Zeit nicht erhoben werden kann, aber relevant ist, wurde versucht, eine andere Kennzahl zu definieren, die in einem Zusammenhang mit dieser Kennzahl steht. Da die für die gesamte Kette relevante Stcuerungsgröße „Servicegrad am point of sale", d.h. Produktverlugbarkcil im Regal, zurZeit nicht mit vertretbarem Aufwand gemessen werden kann, wird diese Kennzahl durch die Präsenzlücken, d.h. Anzahl der in einer Filiale gclisteten Artikel mit dem Bestandswerl null, angenähert.

Balanced Scoreard - Eignung des Ansatzes für das Supply Chain Management 325 der Diskussion bzgl. Identifikation der Kennzahlen für die Supply Chain Balanced Scorecard ist in Abb. 7 dargestellt. Strategie für die Supply Chain Die Produktverfügbarkeit am point of sales (POS) muss XX% bei minimalen Kosten der gesamten Supply Chain erreichen Finanzen Bestandsreichweite (VZ) / Zahlungsziel (Quotient) Days-Sales Outstanding

Prozess Präsenzlücken dm Filialen Aggregierter Servicelevel (VDA) Lieferant-dm VZ Mengentreue Lieferant- dm VZ Mengentreue dm VZdm Filiale VZ Termintreue Lieferant dm-VZ Bestandsreichweiten im VZ Bestandsreichweiten in dm Filialen Forecast-Genauigkeit für Aktionen (Anzahl) Reklamationsquote für Rechnungen

Kooperation Durchschn. Zufriedenheits- / Vertrauensindex für Zusammenarbeit mit Lieferanten aus Befragung

Abb. 7: Supply Chain Balanced Scorecard zwischen dm und seinen Lieferanten Vertrauen bzw. die Zufriedenheit mit der Kooperation ist, wie bereits oben dargestellt, aus Sicht von dm und seinen Lieferanten eine wesentliche Voraussetzung für einen optimalen Ablauf der Prozesse. Bereits im Rahmen von PROMI wurden daher Ansätze geschaffen, um eine quantifizierbare Aussage zu diesem Sachverhalt zu erhalten. 13 Daher sollte eine bzw. mehrere Kennzahlen auch in die Supply Chain Balanced Scorecard integriert werden. Einen Schwerpunkt bilden die Prozesskennzahlen, da ja die gemeinsame Optimierung der Prozesse im Vordergrund steht. An deren Spitze stehen die „Präsenzlücken dm Filialen'4 als Annäherung für den Servicegrad am point of sale. Alle anderen Prozesskennzahlen sind Voraussetzungen, um einen möglichst niedrigen Wert bei den Präsenzlücken zu erhalten (vgl. Abb. 8). Um die beiden Servicegrade Mengen- und Termintreue, die einzeln berichtet werden, noch zu einer Kennzahl zusammenzufassen, wurde die Empfehlung des VDA (Verband Deutscher Automobilindustrie) 14 leicht modifiziert übernommen. Als die für die Kooperation relevanten Finanzkennzahlen wurden Days Sales Outstanding (Anzahl der 13 14

Vgl. Strubel (2002), S. 38-39. Dabei werden Unici- und Überlieferungen in Abhängigkeit von der Zeitdauer in einer Kennzahl zusammengefasst. Für eine genaue Def inition der Kennzahl sei auf VDA (1994), S. 12-14 verwiesen.

326

Jürgen Weber/Andreas Bacher/Marcus Groll

Tage mit Zahlungsverzug) und der Vergleich zwischen Bestandsreichweite und Zahlungsziel vereinbart. Dieser Vergleich gibt eine Aussage zu dem Verhältnis von Kapitalbindung und Finanzierungszeitraum und basiert auf ähnlichen Überlegungen wie die Kennzahl Cash-Flow Cycle. 13 Zielsetzung ist nun, die Kennzahlen auf Quartals- bzw. Monatsbasis auszutauschen und den Fortschritt der Zielerreichung zu kontrollieren. Da die meisten Daten zur Berechnung der ausgewählten Kennzahlen bei dm anfallen, werden diese von dm berechnet und den Lieferanten zur Verfügung gestellt. Diese akzeptieren - auch auf Grund der langjährigen vertrauensvollen Zusammenarbeit - die Berechnung, wobei ausgewählte Kennzahlen auch auf Lieferantenseite erhoben werden. Dies ermöglicht einen Vergleich. Abb. 8 stellt zusammenfassend die Kennzahlen mit den wesentlichen Ursache-Wirkungsbeziehungen dar. Da diese Kennzahlen nach Aussage der Diskussionspartner die relevanten Steuerungskennzahlen zwischen Industrie und Handel sind, wäre es sinnvoll, wenn sich die Unternehmen hier auf eine Art Standard einigen könnten, damit diese Kennzahlen auch in anderen Relationen Verwendung finden. Das hätte den Vorteil, dass man beispielsweise aus Sicht der Handelsunternehmen nicht für jeden Lieferanten andere Kennzahlen erheben müsste. Weiterhin wären durch die einheitliche Verwendung unterschiedliche Arten von Benchmarking möglich. Nachdem die Balanced Scorecard definiert worden ist, besteht der nächste Schritt für dm und die Lieferanten darin, die Kennzahlen erstmalig zu berechnen und, sofern noch notwendig, Vorraussetzungen für eine - möglichst weitgehend automatisierte Berechung der Kennzahlen zu schaffen. Andernfalls wird es nicht gelingen, das Konzept vollständig in die Praxis zu überführen. Können die ausgewählten Kennzahlen nicht einfach berechnet werden, sind Alternativen zu identifizieren. Nach der endgültigen Festlegung der Kennzahlen sind - bezogen auf die Strategie - Zielwerte für die Zukunft zu definieren. Um diese Ziele zu erreichen, sind dann in Gesprächen Maßnahmen und Verantwortlichkeiten festzulegen. Die Kennzahlen der Supply Chain Balanced Scorecard sollen auf Quartals- bzw. Monatsbasis ausgetauscht werden. Dieses Instrument kann somit benutzt werden, um die jährlichen Supply-Chain-Management-Gespräche mit den Lieferanten auszubauen, und es dient als Grundlage für die Etablierung eines unternehmensübergreifenden Controllingzyklus. 16

7

Fazit

Vorgestellt wurde eine Balanced Scorecard, die auf die spezifischen Anforderungen der Steuerung von unternehmensübergreifenden Supply Chains ausgerichtet ist. Die traditionelle Balanced Scorecard wurde hierzu inhaltlich und strukturell wesentlich verändert. Die inhaltliche Veränderung erfolgt durch die gezielte Verwendung von unternehmensübergreifenden Kennzahlen. Die strukturelle Modifikation wird durch die Einbeziehung der für eine unternehmensübergreifende Kooperation erfolgsrelevanten Faktoren Kooperationsqualität und Kooperationsintensität erreicht. Für diese 1-1

Für eine detaillierte Darstellung einer möglichen Definition des Cash-Flow Cycle und der dahinter liegenden Idee sei auf Hster/Baumgart (2000), S. 149 ff. verwiesen. If t Zu einem unternehmensübergreifenden Conlrollingzyklus vgl. die Ausführungen hei Weber (2000b), S. 204.

Balanced Scorecard - Eignung des Ansatzes für das Supply Chain Management 327

Abb. 8: Ausgewählte Ursache-Wirkungsbeziehungen der Kennzahlen vier Perspektiven wurden beispielhaft strategische Ziele, Messgrößen und Maßnahmen sowie Ursache-Wirkungsbeziehungen vorgestellt. Die Anwendung dieses Ansatzes konnte in der Zusammenarbeit mit der Unternehmenspraxis nachgewiesen werden. Insgesamt kann die hier vorgestellte Balanced Scorecard wesentlicher Bestandteil eines umfangreichen Supply-Chain-Controlling-Instrumentariums sein (vgl. Weber (2002b), S. 202 ff., Weber/Bacher/Groll (2002a) S. 152 und Weber/Bacher/ Groll (2002b), S. 55). Allerdings gilt es, noch eine Reihe von Problemen zu lösen und Fragen zu beantworten. Als weiterer Forschungsbedarf seien insbesondere die Themenkomplexe der unternehmensübergreifenden Strategiedefinition bzw. der Prozess der Strategiefindung innerhalb der Supply-Chain-Partner und die Integration der hier vorgestellten Balanced Scorecard in die Balanced-Scorecard-Logik der einzelnen Unternehmen genannt. Insbesondere der Prozess der unternehmensübergreifenden Strategiedefinition als Ausgangsbasis und die Verankerung bzw. Integration in die Strategie der einzelnen Unternehmen sind detailliert zu erforschen: Ohne eine einheitliche SupplyChain-Strategie aller beteiligten Unternehmen kann es auch kein sinnvolles Supply Chain Controlling geben. Die bereits angesprochene Vorgehensweise der „Synchronisierung' 4 der unterschiedlichen Balanced Scorecards ist ebenfalls noch zu fundieren. In diesem Zusammenhang stellt sich ζ. B. die Frage, ob es notwendig ist, neben der unternehmensübergreifenden und den unternehmensinternen Balanced Scorecards noch relationale Balanced Scorecards zu etablieren, die jeweils Zweier-Beziehungen (Kunde-Lieferant) abbilden. Schließlich wirft die notwendige organisatorische Verankerung und Umsetzung der unternehmensübergreifenden Balanced Scorecard sowie der dahinterliegenden Entwicklungs- und Abstimmungsprozesse Fragen

328

Jürgen Weber/Andreas Bacher/Marcus Groll

auf. Soll das Supply Chain Controlling etwa von einem Unternehmen der Kette oder von allen Partnern durchgeführt werden, oder ist es sinnvoller, hiermit einen neutralen Dienstleister zu beauftragen? Insgesamt zeigt sich, dass das Supply Chain Controlling noch in den Anfängen steckt. Der vorliegende Beitrag sollte helfen, erste Schritte aufzuzeigen und die weitere Diskussion in der betriebswirtschaftlichen Forschung und vor allem der unternehmerischen Praxis anzustoßen.

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Kostenrechnungsinformationen in Beschaffungs- und Absatzmarketing Prof. Dr. Peter Schuster Fa eh h och schule Sc hm a Ikal den Fach be re ich Wi rt sc haft Postfach 10 04 52 98574 Schmalkalden Telefon (03683) 688-3112, E-Mail: [email protected]

Zusammenfassung Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der kostenrechnerischen Unterstützung des Beschaffungs- und Absatzmarketing und ist an der Schnittstelle zwischen Marketing und Controlling angesiedelt. Mit der Betrachtung des teilweise in der kostenrechnerischen Literatur etwas vernachlässigten Beschaffungs- und Absatzmarketing soll er vor allem Aspekte einer controllinggerechten Kosten- und Leistungsrechnung für diese Bereiche und den Zusammenhang zwischen Rechnungswesen und Marketing (-Controlling) verdeutlichen. Die kostenrechnerische Unterstützung des Beschaffungsmarketing sowie von Absatzmarketing und Vertrieb wird in einem ähnlichen Aufbau bearbeitet: zunächst werden Produkt-Markt-Beziehungen und schließlich beschaffungs- bzw. absatzpolitische Maßnahmen analysiert.

332

Feter Schuster

Inhalt 1

2

Die Kosten- und Leistungsrechnung als Informationsinstrument des Controlling

333

Rechnungswesenbasierte Informationen für Beschaffung und Beschaffungsmarketing

336

2.1 2.2 2.3

3

Kostenrechnung und beschaffungsspezifische Produkt-Markt-Beziehungen Kostenrechnung und beschaffungspolitische Maßnahmen Die lieferantenbezogene Deckungsbeitragsrechnung als beschaffungsorientierte Erfolgsrechnung

Rechnungswesenbasierte Informationen für Absatzmarketing und Vertrieb 3.1 3.2

Literatur

Kostenrechnung und absatzspezifische Produkt-MarktBeziehungen Kostenrechnung und absatzpolitische Maßnahmen

337 339 341

341 342 346 347

Kostenrechnungsinformationen in Beschaffungs- und Absatzmarketing

1

333

Die Kosten- und Leistungsrechnung als Informationsinstrument des Controlling

In der betriebswirtschaftlichen Literatur finden sich vielfältige Controlling-Konzeptionen1. Nach der informationsorientierten Konzeption besteht die Hauptaufgabe des Controlling in der Koordination von Informationserzeugung und -bereitstellung mit dem Informationsbedarf, indem ein entscheidungsorientiertes Planungs- und Kontrollsystem entwickelt wird; die planungs- und kontrollorientierte Controlling-Konzeption erweitert diese Hauptaufgabe um die Koordination innerhalb der Planung sowie die Abstimmung mit der Kontrolle. Gemeinsam ist diesen Überlegungen, dass eine controllinggerechte Kosten- und Leistungsrechnung ein wichtiges Controllinginstrument oder Gegenstand des Controlling darstellt. Mit der Betrachtung des teilweise in der kostenrechnerischen Literatur etwas vernachlässigten Beschaffungs- und des Absatzmarketing 2 dient der vorliegende Beitrag v.a. dazu, beispielhafte Erläuterungen zu geben, beschreibt einige Aspekte einer controllinggerechten Kosten- und Leistungsrechnung für die genannten Bereiche und verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Rechnungswesen und Marketing (-Controlling). Als ein Beispiel wird die mehrstufige Deckungsbeitragsrechnung und stufenweise Fixkostendeckungsrechnung angeführt, die mit weiteren Ansätzen deckungsbeitragsorientierten Rechnungen im Beschaffungs- und Absatzmarketing korrespondiert. Die kostenrechnerische Unterstützung des Beschaffungsmarketing sowie von Absatzmarketing und Vertrieb wird herausgegriffen und in einem ähnlichen Aufbau bearbeitet: zunächst werden Produkt-Markt-Beziehungen und schließlich beschaffungs- bzw. absatzpolitische Maßnahmen analysiert. Die Kostenrechnung 3 stellt ein wichtiges Informationsinstrument dar mit dem Ziel der zahlenmäßigen Abbildung des Wirtschaftsgeschehens. Im Gegensatz zur externen Unternehmensrechnung sind in der internen Unternehmensrechnung - und der Kostenrechnung als deren wichtigsten Ausprägung - vordergründig keine Zielkonflikte vorhanden, da das Unternehmen als Einheit angesehen wird und somit gleichzeitig Ersteller und Empfänger der Information ist 4 . Dagegen rückt die konzeptionelle Ausgestaltung der Rechnung in den Vordergrund der Betrachtung, also die Frage nach der Struktur der Rechnung und dem geeigneten Kostenrechnungssystem. Für die verrechnungstechnische Seite hat sich in Theorie und Praxis die dreiteilige Struktur: Kostenarten-, Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung herausgebildet 5. Aus Sicht von Beschaffungs- wie auch Absatzmarketing gibt es hier in der Praxis in allen Teilen Verbesserungsbedarf, z.B. hinsichtlich einer differenzierten Aufschlüsselung der Beschaffungs- oder Absatzkosten in der Kostenartenrechnung 6. Die Wahl der ge-

1 2

Vgl. stellvertretend Weber, J. (2002), S. I ff. m.w.V. Beispielsweise findet sich in dem wohl führenden Nachschlagewerk zu Unlernehmcnsrcchnung und Controlling kein eigenes Slichwort zu Beschaffung, Beschaffungs- oder Absatzmarketing. Vgl. Küpper, H . U . ; Wagenhofen A. (2002).

* Im Rahmen dieses Beitrags synonym verwendet zu Kosten- und Leistungsrechnung oder Kosten- und Erlösrechnung. 4

Vgl. dazu ausführlicher beispielsweise Ewert, R.; Wagenhofen A. (2003) oder Schuster, P. (1998).

5

Vgl. hierzu und zu den folgenden Aspekten auch Schuster. P. (2002b) und die dort angegebene Literatur.

334

eter Schuster

eigneten Kostenrechnung und die Beurteilung von 1st-, Normal- und Plankostenrechnung einerseits sowie Voll- und Teilkostenrechnung andererseits ist nicht eindeutig möglich. Es lassen sich zwar Vorteile einer Plankostenrechnung auf Teilkostenbasis herausstellen und begründen, jedoch sind diese Vorzüge nicht unangreifbar darstellbar und beispielsweise unter bestimmten Bedingungen die Verbesserung von Entscheidungen durch Schlüsselung von Fixkosten für bestimmte Anwendungsfälle belegbar 7. In Deutschland wegbereitend für die Konzeption controllinggeeigneter Kostenrechnungssysteme waren u.a. die Arbeiten von S C H M A L E N B A C H , in den USA gehen ähnliche Entwicklungen auf H A R R I S ( 1 9 3 6 ) zurück. Weiterführende Konzeptionen stammen von K I I . G H R ( 1 9 9 3 ) , M H L L F R O W I C Z ( 1 9 6 6 und 1 9 7 4 ) und A G H T K ( 1 9 5 9 ) mit der "Stufenweisen Fixkostendeckungsrechnung" sowie R I E B H L ( 1 9 9 4 ) mit der "Relativen Einzelkosten- und Deckungsbeitragsrechnung". Der Vergleich zwischen Grenzplankostenrechnung und Relativer Einzelkosten- und Deckungsbeitragsrechnung führt im Kern zur Suche der optimalen Komplexität der Rechnung: einerseits sollen bestimmte Annahmen die einfache und zeitnahe Anwendung ermöglichen, andererseits sollen die Ergebnisse dadurch nicht soweit verfälscht werden, dass die Rechnung als solche nicht mehr einsetzbar ist. Der Streit zwischen den Verfechtern beider Systeme kann hierbei noch nicht als gelöst angesehen werden, allerdings gibt es in der Praxis eine deutlich erkennbare Präferenz für die Grenzplankostenrechnung. Die weiteren Ausführungen dieses Beitrags beziehen sich aus diesem Grund auf die Grenzplankostenrechnung. Diese kann um die Prozesskostenrechnung ergänzt werden 8 , die weniger als eigenständiges System, sondern eher als eine Weiterentwicklung anzusehen ist und aufgrund der Kritik an der Behandlung der Gemeinkosten in der traditionellen Kostenrechnung und hier v.a. der speziell in den USA wenig ausgeprägten Berücksichtigung dieser Kosten in der Kalkulation entwickelt wurde. Für den Einsatz im Controlling ist eine mehrstufige Deckungsbeitragsrechnung sicher hilfreich 9 . Im System der Teilkostenrechnung wird nur ein Teil der Kosten, i.d.R. nur die variablen Kosten, direkt auf die Kostenträger (Produkte) zugerechnet. Hier werden aus der Gegenüberstellung der Erlöse und der variablen Kosten die Deckungsbeiträge dieser Kostenträger bestimmt. Die Aufspaltung des Fixkostenblocks erfolgt in mehreren Fixkostenschichten. Die Zuordnung der Kosten wird an der jeweils untersten Stelle vorgenommen, an der es überschneidungsfrei möglich ist. Durch diese differenzierten Behandlung der Fixkosten wird erkennbar, inwieweit ein bestimmter Deckungsbeitrag positiv verbleibt oder einen vorgegebenen Solldeckungsbeitrag auf einer bestimmten Stufe erreicht. Die stufenweise Fixkostendeckungsrechnung erfordert die Festlegung der Rechnungsperiode, die kostenrechnerische Gliederung des Unternehmens in eine zweck6

Beispielsweise sind die Logistikkoslen in der Kostenartenrechnung vielfach nur undifferenziert erfasst oder üblicherweise erfolgt die kostenrechcnrechncrische Berücksichtigung von Kosten, die aus Marketing· und Vertriebsaktivitäten resultieren, lediglich in einer einzigen Kostenstelle.

7

Hierauf soll im Weiteren nicht näher eingegangen werden, und es wird z.B. auf Ewert, R.; Wagenhofen A. (2003), S. 196ff. oderS. 251 ff. verwiesen (Verbesserung von Entscheidungen bei substitutiven Beziehungen zwischen Produkten bzw. bei Unsicherheit).

s

Vgl. K l o o c k J . (1995).

9

Vgl. ζ. B. Götze, U. (2000), S. 165 ff. bzw. Agthe, K. (1959) oder Kilger, W. 1993.

Kostenrechnungsinformationen in Beschaffungs- und Absatzmarketing

1. Ebene: Produktarten Erlöse - variable Kosten Deckungsbeitrag 1 - Erzeugnisartenfixkosten Deckungsbeitrag 2 2. Ebene: Produktgruppen Summe Deckungsbeiträge 2

335

A.1

< 3 < 12 >=1 nicht Mon Mon Jahr abb.

Α.2

< 3 < 12 >=1 nicht < 3 < 12 >=1 nicht Mon Mon Jahr abb. ... usw. Mon. Mon Jahr abb.

A

< 3 < 12 >=1 nicht Mon Mon Jahr abb.

Β

< 3 < 12 >=1 nicht < 3 < 12 >=1 nicht Mon Mon. Jahr abb. ... usw. Mon Mon Jahr abb.

1

< 3 < 12 >=1 nicht Mon Mon Jahr abb.

2

< 3 < 12 >=1 nicht < 3 < 12 >=1 nicht Mon Mon. Jahr abb. ... usw. Mon Mon Jahr abb.

I

< 3 < 12 >=1 nicht Mon Mon. Jahr abb.

II

< 3 < 12 >=1 nicht < 3 < 12 >=1 nicht Mon Mon Jahr abb. ... usw. Mon Mon Jahr abb.

- Erzeugnisgruppenfixkosten Deckungsbeitrag 3 3. Ebene: Kostenstellen Summe Deckungsbeiträge 3 _ l^r^ctonctollonfivU/^cton ixUOlCl Idlüllul IIIAIVUolül 1

Deckungsbeitrag 4 ouiiiiiic LsC Oivui lyouou oyt? Η 4. Ebene: Bereiche -Ci Bereichsfixkosten immo Harki innchoiträna Λ Deckungsbeitrag 5 Summe Deckungsbeiträge 5 - Unternehmensfixkosten Betriebsergebnis

Uriternt ìhme η iinsgei>amt

Abb. 1 : Mehrstufige Deckungsbeitrags- und Fixkostendeckungsrechnung mit Fristendifferenzierung mäßige Hierarchie mit der Gliederung des Fixkostenblocks nach der Zurechenbarkeit zu den Stufen der Hierarchiestruktur sowie schließlich die Zuordnung der Fixkosten. Anschließend erfolgt die Ermittlung von Deckungsbeiträgen jeder Hierarchiestufe. Aufgrund der zeitlichen Relativität fixer Kosten ist die Fristigkeit der Betrachtung bedeutsam, für verschiedene Zeiträume lassen sich jeweils zugehörige Deckungsbeitragsrechnungen ermitteln. Üblicherweise werden Zeiträume von einem, drei und zwölf Monaten gewählt. Durch die Schichtung der Fixkosten werden die Möglichkeiten, einzelne Teileinheiten zu beurteilen und zu steuern, erheblich verbessert. Eine übliche Schichtung erfolgt beispielsweise in: (1.) Erzeugnisarten (Produktarten), (2.) Erzeugnisgruppen (Produktgruppen), (3.) Kostenstellen und (4.) Unternehmensbereiche. Alle nicht einer der obigen Schichten zuordenbaren Fixkosten verbleiben als Unternehmensfixkosten und werden im letzten Schritt der Ermittlung des Betriebsergebnisses in Ansatz gebracht 10. Alle Deckungsbeiträge ab 'Deckungsbeitrag 2' leiten sich aus der gestuften Erfassung von Fixkostenbestandteilen ab, d.h. weichen von den Ergebnissen der 'reinen' Teilkostenrechnung ab. Ein besonderer Vorteil des Vorgehens ist die Möglichkeit zur Vorgabe von SollDeckungsbeiträgen für jede hierarchische Stufe. Dieses Vorgehen beinhaltet die mögliche Gliederung der Fixkosten nach ihrer zeitlichen Beeinflussbarkeit 11 und die detailliertere Darstellung der Auszahlungswirksamkeit der Fixkosten. Damit könnten auch die Aspekte einer Finanzrechnung in die Kostenrechnung einbezogen und Aufgaben 10

Vgl. Abbildung I.

11

Dies ist insofern problematisch, als die gesamte T r e n n u n g in fixe und variable Kosten und Erlöse von der Fristigkeit der Betrachtung abhängt. Genau g e n o m m e n müsste für j e d e unterschiedliche Fristigkeit eine v ö l l i g neue Deckungsbeitragsrechnung aufgestellt werden.

eter Schuster

336

der Finanzplanung und Liquiditätskontrolle übernommen werden. Auch können SollIst-Abweichungen in die Ergebnisrechnung einbezogen werden. Das gewählte Verfahren der stufenweisen Fixkostenschichtung führt dazu, dass nur die Kostenartenrechnung, in der die wichtige Einteilung der Kosten und Zuordnung der Fixkosten zu den Hierarchieschichten vorgenommen wird, unverändert bleibt. Die Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung folgen der Logik der stufen weisen Fixkostenschichtung. Eine mögliche mehrstufige Deckungsbeitragsrechnung mit differenzierter Behandlung der Fixkosten nach ihrer Abbaufähigkeit zeigt Abbildung 1. Im weiteren wird nun die kostenrechnerische Unterstützung von Beschaffung, Beschaffungsmarketing und von Absatzmarketing und Vertrieb betrachtet, wobei die Analyse einem gleichartigen Aulbau folgt, der in Tabelle 1 übersichtsartig dargestellt wird. Rechnungsweseninformationen betreffen danach einerseits Produkt-Marktbeziehungen und andererseits beschaffungs- bzw. absaîzpoliîische Maßnahmen. Aus diesen werden in den folgenden Kapiteln einige herausgegriffen. Führungsinformalionen aus Kostenrechnung/Rechnungswesen über:

Beschaffungsmarketing

Absatzmarketing/Vertrieb

Produkt-Marktbeziehungen

Beschaffungsobjektkosten Kosten des Beschaffungsprozesses Lieferantenanalyse

Produkte Kunden Verkaufsgebiete Absatzwege Aufträge

Beschaffungs- bzw. absatzpolitische Maßnahmen

Produktpol ilik Servicepolitik Bezugspolitik Entgeltpolitik Kommunikalionspolitik

Produkt- und Sortimcntspolilik Preispolitik Kommunikalionspolitik Distributionspolitik

Tab. 1: Rechnungswesenbasierte Führungsinformationen für das Marketing-Controlling' 2

2

Rechnungswesenbasierte Informationen für Beschaffung und Beschaffungsmarketing

Die Kostenrechnung erlangt für den Bereich Beschaffung und Beschaffungsmarketing Relevanz u.a. im Hinblick auf die Erfassung und Kalkulation von Beschaffungskosten. Problematisch ist dabei die notwendige Abgrenzung des Begriffes Beschaffung sowie der damit verbundenen Beschaffungskosten. Überschneidungen existieren zu den weiteren Grundfunktionen wie ζ. B. der Materialwirtschaft und Logistik. Zu den Beschaffungskosten gibt es in der Literatur keine einheitliche Begriffsfestlegung. In der Folge resultieren Überschneidungen und mangelhafte Abgrenzungen z.B. zu Produktkalkulationen. In der weiteren Analyse wird versucht, nur solche Kosten anzusetzen, die aus

12

Entnommen aus: Schuster, P. (2002b), S. 86, in Anlehnung an Köhler, R. (1992). S. 838.

Kostenrechnungsinformationen in Beschaffungs- und Absatzmarketing

337

Beschaffungstätigkeiten resultieren. Dabei wird differenziert nach den Beschaffungsobjektkosten und den Kosten des Beschaffungsprozesses.

2.1

Kostenrechnung und beschaffungsspezifische Produkt-Markt-Beziehungen

Das in der Praxis sehr gebräuchliche Grundschema zur Kalkulation von Beschaffungskosten im Rahmen der klassischen Produktkalkulation geht auf K O S I O L zurück und wird in der Abbildung 2 dargestellt. Zunächst erfolgt die Einstandspreisermittlung als produktbezogener Teil der Beschaffungskalkulation. Zu den Substanzkosten zählen neben den sogenannten Manipulationskosten auch Preis- und Mengenkorrekturen. Valuta- und Zeitkorrekturen entstehen aus verschiedenen Fälligkeitszeitpunkten und beinhalten z.B. Kontokorrentzinsen oder Skontoabzüge. Unter den sogenannten Kaufkosten erfasst man dem Kaufakt direkt zuordenbare Kosten für eigene und fremde Leistungen, wie z.B. Gehälter für Einkäufer oder Maklergebühren. Beförderungs- und Umschlagskosten umfassen z.B. Transportkosten, die zu Lasten des Abnehmers anfallen, Regulierungskosten die Kosten des Zahlungsvorgangs. Die Zurechnung der Beschaffungsgemeinkosten für die Kalkulation der Produktherstellkosten erfolgt anschließend beispielsweise mit der Methode der Zuschlagskalkulation, auch die oben erwähnte Prozesskostenrechnung bietet sich für die weitere Verarbeitung der Gemeinkosten an. Weitere Betrachtungen können an der Dynamisierung der Einstandspreisermittlung ansetzen, z.B. bei der Materialpreisveränderungsrechnung von K A T Z M A R Z Y K , die die Dynamisierung über Einbezug von unterschiedlichen markt- und einkaufsbedingten Preisveränderungseinflüssen sowie über die Wirkung von beschaffungspreispolitischen Maßnahmen berücksichtigt 13 . Ermittlung des Einstandspreises (Beschaffungskalkulation i.c.S.) Einkaufsrechnungspreis

(Brutloeinkaufspreis)

+/-

Preis- und Mengenkorrekturen

Substanzkosten

+

Manipulationskosten (vom Lieferanten durchgeführte und berechnete Leistungen)

+/-

Valuta- und Zeitkorrckluren

Finanzkosten

Rechnungsabzüge (Rabatte) =

Tatsächlicher Einkaufspreis

(Nettoeinkaufskosten)

+

Kaufkosten

Beschaffungseinzelkosten

+

Beförderungs- und Umschlagskosten

+

Regulierungskosten

=

Einstandspreis

13

Vgl. Katzmarzyk, J. (1988), S. 218ff.

338

eter Schuster

Zurechnung der Beschaffungsgemeinkosten in der Produktherstellkostenkalkulation

+

Stoffeinzelkosten

(Einslandskosten)

Stoffgemeinkosten (alle nicht als Beschaffungseinzclkosten erfassten Kosten der Materialwirtschaft einschließlich Beschaffung, die in der Regel als prozentualer Zuschlagssalz zugerechnet werden)

Beschaffungsgemeinkosten

=

Stoffkosten

+

Lohneinzelkosten

+

Fertigungsgemeinkosten

+

Sondereinzelkosten der Fertigung

=

Herstellkosten

Fertigungskosten

Abb. 2: Erfassung und Kalkulation von Beschaffungskosten im Rahmen der klassischen Produktkalkulation 14 Die Bestimmung von Preisobergrenzen ist im Einkauf von hoher Bedeutung15. Sie ergeben sich als (theoretischer) Wert, der dem Maximalbetrag entspricht, den das Unternehmen für ein bestimmtes Vorprodukt zu zahlen bereit ist. Die Höhe der Preisobergrenze richtet sich dabei danach, mit welcher Dringlichkeit das Wirtschaftsgut benötigt wird und welche zeitlichen und sachlichen Alternativen (z.B. sachliche Alternative: Substitutionsgüter, zeitliche Alternative: späterer Einkauf) dem Unternehmen zur Verfügung steht. Ist die Herstellung des Gutes im eigenen Unternehmen möglich, erweitert sich die Fragestellung auf die Entscheidung Eigenfertigung und Fremdbezug. Bei Zugrundelegung der in der Betriebswirtschaftslehre üblichen Zielvorstellung 16 der Gewinnmaximierung lässt sich die Preisobergrenze als der Beschaffungspreis kennzeichnen, bei dessen Bezahlung das Unternehmen sich anhand des zu ermittelnden Deckungsbeitrags nicht schlechter als bei der Anwendung der besten (d.h. deckungsbeitragsmaximalen) Alternative 17 stellt. Die Preisobergrenze für den gesamten Beschaffungsbedarf bestimmt sich rechnerisch dadurch, dass der vorläufige Deckungsbeitrag 18 um den Deckungsbeitrag der alternativen Situation, der sich z.B. bei Beschaffung des Substitutionsgutes ergäbe, verringert wird. Hieraus wird deutlich, dass die Alternativen die Preisobergrenze beeinflussen. Bei fehlender Alternative (z.B. keine Substitution möglich) entspricht der kritische Wert der Preisobergrenze also dem gesamten zur Verfügung stehenden vorläufigen DeckungsbeiM

13 16

17 Ix

Abbildung entnommen aus: Pampel, J. (1992), S. 812 in Anlehnung an Kosiol. E. (1953). S. 131 f. u. S. 134. Vgl. ζ. B. Männel, W. ( 1990) oder Ewert, R.. Wagenhofen A. (2003), S. 182 ff. Die Diskussion über die Angemessenheit dieser Annahme, wie auch anderer Annahmen, die der Grenzplankostenrechnung zugrundeliegen, würde den Rahmen des Beitrags bei weitem sprengen und es sei deshalb darauf verzichtet. Vgl. hierzu z.B. Coencnberg, A.G. (1997), S. 356ff.; Ewert, R.: Wagenhofen A. (2003), S. 182ff. Erlös abzüglich der gesamten variablen Kosten mit Ausnahme der Kosten des betrachteten Wirtschaflsgutes.

Kostenrechnungsinformationen in Beschaffungs- und Absatzmarketing

339

trag. Die Fristigkeit der Betrachtung bestimmt die Art und Anzahl der Substitutionsalternativen. Als zentrales Ziel der Verbindung von Beschaffungsmarketing und Kostenrechnung kann die Senkung der M ate riedkosten angesehen werden. Eine wichtige Aufgabe der Einkäufer besteht in der Erhaltung und Belebung des Wettbewerbs, z.B. durch Konzentration der Nachfragemengen (ζ. B. unter Einsatz des Internet), Bildung von Kooperationsbeziehungen oder Nutzen von Erfahrungskurveneffekten. Mögliche Maßnahmen des Beschaffungsbereichs zur Materialkostensenkung sind u.a.: verstärkte Preisverhandlungen, Lieferantenwechsel und Aufbau neuer Lieferanten, Bedarfsblockung, Einsatz wertanalytischer Instrumente, Standardisierung 19. Die detaillierte Erfassung und Planung der Kosten des Beschaffungsprozesses zielt auf die Beschaffungsnebenkosten. Beispielsweise kann die Logistikkostenrechnung als kostenrechnerische Aufbereitung des Querschnittbereichs der Logistik Kostenstrukturen aufzeigen, die die Kosten des Beschaffungsprozesses beeinflussen 20. Die Logistikleistungen werden faktor-, prozess-, ergebnis- und/oder wirkungsbezogen erfasst, indem Maßgrößen herangezogen werden, die dem logistischen Zielsystem entsprechen. Die durch die Erstellung dieser logistischen Leistungen verursachten Logistikkosten werden gegenübergestellt. Die Kostenbestimmung dient dabei zur Herausarbeitung von Kostenstrukturen und Kostentreibern. Als weiterer Aspekt tritt die Bestimmung von Fehlmengenkosten hinzu, die durch das Vorhandensein von Fehlmengen bedingt sind, beispielsweise in Form von Konventionalstrafen oder als Opportunitätskosten durch entgangene Gewinne. Mit Lieferantenanalysen kann versucht werden, anhand verschiedener Kriterien die Leistungsfähigkeit von Lieferanten zu beurteilen. Hier haben sich verschiedene Methoden zur Lieferantenanalyse in der Unternehmenspraxis herausgebildet 21. Beispielsweise kann die Lieferantenauswahl mittels Nutzwertanalyse vorbereitet werden. Bei der Bewertung von Lieferanten kann die Kostenrechnung insbesondere bei der Kostenanalyse entscheidungsunterstützend sein, bei der die einzelnen Kostenbestandteile des oder der Lieferanten sowie die Folgekosten ermitteln werden. Bei der sog. Cost-Ratio-Method werden die Gesamtkosten des Beschaffungsvorgangs ermittelt 22 , auch der Einbezug von Risikofaktoren ist möglich 23 .

2.2

Kostenrechnung und beschaffungspolitische Maßnahmen

In Analogie zur gängigen Unterscheidung des Absatzmarketing lassen sich die beschaffungspolitischen Maßnahmen bzw. Instrumente, die insbesondere im Zusammenhang mit der Phase der Lieferantenverhandlung stehen, in Produktpolitik y Ser-

19 20

Vgl. Katzmarzyk, J. ( 1988), S. 214f. Vgl. z.B. Weber, J. (1995), S. 167ff.; derselbe (2002b), Sp. 1222ff.; Pfohl, H.-C. (2002). Sp. 1214ff. oder Männel, W. (1990). Die Unternehmensrechnung in der Logistik zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Kosten- und Investitionsrechnung an die spezifischen Anforderungen der Logistik anpasst.

21

Vgl. dazu v.a. Koppelmann, U. (1997) oder Koppelmann. U. (1995) und die dort angegebene Literatur.

22

Vgl. dazu Timmermann, E. (1986), S. 3 f.

23

Vgl. das Total-Cost-Supplier-Selection-Model von Smythka, D.L.; Clemens. M.W. ( 1983), S. 42 ff.

340

eter Schuster

vicepolitik, Bezugspolitik, Entgeltpolitik und Kommunikationspolitik einteilen 24 . Im Folgenden werden einige Beispiele beschaffungspolitischer Maßnahmen herausgegriffen, die durch die Kostenrechnung Unterstützung finden können. Das Beschaffungsobjekt als zentrale Betrachtungsgröße kann aus sehr unterschiedlichen Produkten und Dienstleistungen bestehen, daher sind im Bereich der Produktpolitik verschiedene Instrumentalvariable einsetzbar. In der sog. Produktentwicklungspolitik wird betrachtet, wer der Entwickler und wie hoch der Neuigkeitsgrad des Produktes ist. Wird das Beschaffungsobjekt vom Beschaffer selbst entwickelt, so wird die Kontrolle über das Erfüllen benötigter Produkteigenschaften erleichtert. Diese Eigenentwicklung beeinflusst auch langfristig aufgrund des Aufbaus der benötigten Kapazitäten die Kosten des Unternehmens. Regelmäßig wird die Eigenentwicklung nur dann durch geführt, wenn ausreichend Kapazitäten vorhanden sind bzw. die Vorteile der Eigenentwicklung die Kosten des Kapazitätsautbaus übertreffen. Bei der Weiterentwicklung bestehender Objekte z.B. durch kontinuierliche Produktverbesserungen können Erfahrungskurveneffekte ausgenutzt werden. Weitere Instrumente sind z.B. die sog. Produktgestaltungs-, die Produktherstellungs-, die Produktmodifikations-, die Produktprogramm- und die Produktverwendungspolitik 2 5 . Kostenwirkungen treten dabei z.B. durch Qualitätssicherungsmaßnahmen und -kontrollen auf oder sind das Ergebnis einer Produktvereinheitlichung, -differenzierung oder -Veränderung. Weitere kostenmäßige Einflüsse resultieren auch aus der Servicepolitik, die im Beschaffungsbereich im Hinblick auf die Relevanz des Service als Dienstleistungskomponente des Produktes anders als im Absatzbereich eine gesonderte Beachtung empfiehlt. So verursachen das Betreiben einer sogenannten Lieferantenunterstützungspolitik (z.B. Forschungs- und Entwicklungshilfen, Gestaltungshilfen) oder die Leistungssicherungspolitik (z.B. Total Quality Management) Kosten. In Analogie zur Distributionspolitik im Absatzmarketing beschäftigt sich die Bezugspolitik beispielsweise mit der Optimierung von Bestellmengen oder mit Entscheidungen über die Bezugsorgane (z.B. Zentraleinkauf, Werkseinkauf, Einkaufsniederlassung oder Einkaufsreisende u.a.), der Bezugslogistik oder den Bezugsmodalitäten und hat großen Einfluss auf die Kostensituation. Die kostenmäßigen Auswirkungen der Beschaffungspreise, die im Mittelpunkt der Überlegungen der Entgeltpolitik stehen, sind offensichtlich. Neben den Einstandspreisen werden auch Rabatte, Prämien, Pönalien (Umgang mit Vertragsstrafen bei Nichteinhaltung von Lieferverträgen), Zahlungsmodalitäten und Lieferantenkreditgewährungen erfasst. Der vielfältige Kommunikationsaustausch zwischen Beschaffer und Lieferanten ist schließlich Gegenstand der Kommunikationspolitik, die der lieferantenorientierten Marktpflege durch Gewinnung, Erhaltung und Förderung leistungsfähiger Marktpartner dient und bei der Optimierung der Beschaffungskosten helfen kann.

24

Vgl. dazu die Darstellungen von Koppelmann, U. (1995 und 1997).

25

Vgl. dazu Koppelmann, U. (1995) und die dort angegebene Literatur.

Kostenrechnungsinformationen in Beschaffungs- und Absatzmarketing 2.3

341

Die lieferantenbezogene Deckungsbeitragsrechnung als beschaffungsorientierte Erfolgsrechnung

Die lieferantenbezogene Deckungsbeitragsrechnung kann als beschaffungsorientierte Erfolgsrechnung zur Entscheidungsunterstützung herangezogen werden. Bei Anwendung geschlossener Warenwirtschaftsysteme, die eine artikelgenaue Wareneingangsund Warenausgangserfassung ermöglichen, werden die lieferantenbezogene Zurechnung von Kosten durchführbar und dadurch beschaffungsorientierte Aussagen beispielsweise in Form eines Lieferanten-Deckungsbeitrags möglich. Das Beispiel einer solchen Weiterentwicklung mehrstufiger Deckungsbeitragsrechnungen, die auch artikel- oder kundenbezogen konzipiert werden können, zeigt die Abb. 3. Brultoumsatz (kundenbezogen) ./. Rabatte, Preisnachlässe (kundenbezogen) = Nettoumsatz ./. Wareneinsatz zu Einstandspreisen (Rechnungspreisen) = Lieferanten-Rohertrag (Deckungsbeitrag 1) + Rabatte, Preisnachlässe, Boni u.a. (lieferantenbezogen) + Werbekostenzuschüsse, Aktionsrabatte u.a. = Lieferanten-Bruttoertrag (Deckungsbeitrag 2) ./. Beslellkosten und administrative Handlingkoslen ./. warenbezogene Handlingkosten = Lieferanten-Deckungsbeitrag (Deckungsbeitrag 3)

Abb. 3: Struktur einer lieferantenbezogenen Deckungsbeitragsrechnung 26

3

Rechnungswesenbasierte Informationen für Absatzmarketing und Vertrieb

Traditionell schenkt die Kostenrechnung - wie auch die Betriebswirtschaftslehre im allgemeinen - der Absatzseite größere Beachtung. Für die kostenrechnerische Unterstützung des Absatzmarketing gibt es somit mehr Vorschläge als für die Beschaffungsseite. Aufgrund der inhaltlichen Ausrichtung dieses Buches soll letzterer besonderer Augenmerk geschenkt werden und Absatzmarketing und Vertrieb werden v.a. zur Abrundung in einer analoger Weise zum vorherigen Kapitel behandelt. Die zunehmenden Bedeutung der absatzpolitischen Instrumente und steigende Absatz- und Vertriebskosten, verschiedentlich synonym zu 'Marketingkosten' verwendet, belegen die Relevanz dieses Bereiches. Es geht dabei um die Kosten, die bei der betriebswirtschaftlichen Funktion Absatz entstehen, sowie die Kosten, die durch innerbetriebliche Leistungsverrechnung zugerechnet werden. Eine Vertriebskostenrechnung als gesonderte kostenrechnerische Ausprägung stellt dabei ein wichtiges

26

Entnommen aus: Schuster. P. (2002b), S. 88.

342

eter Schuster

Führungs- und Informationsversorgungsinstrument für das Marketing-Controlling

з.1

Kostenrechnung und absatzspezifische Produkt-Markt-Beziehungen

Die kostenrechnerische Unterstützung des Absatzmarketing kann folgende Instrumente des Marketing-Controlling umfassen: Break-Even-Rechnungen, verkaufsgebiets-, künden- oder produktbezogene Deckungsbeitragsrechnungen, die mehrdimensional gestaltet werden können. In vielen Unternehmen gibt es eine Trennung zwischen Marketing- und Vertriebs-Controlling, das sich auf die Gestaltung von Absatzwegen, -kanälen, Außendienst, Lieferkonditionen und Distribution bezieht. Die Vertriebskostenrechnung soll dabei verschiedene Rechnungszwecke erfüllen. Sie soll eine differenzierte Abbildung der Kosten des Absatz- und Vertriebsbereichs ermöglichen. Ferner umfasst sie die Unterstützung des Marketing-Management durch das Bereitstellen von Kosteninformationen, um die Planung und Steuerung des Absatzund Vertriebsbereichs durchführen zu können. Schließlich soll sie für eine permanente und systematische Überprüfung und Beurteilung der Wirtschaftlichkeit zur Bereichskontrolle des Vertriebs einsetzbar sein. Die Vertriebskostenrechnung folgt dabei der gängigen Einteilung der Kostenrechnung in Kostenarten-, Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung. Zunächst werden die Kosten des Vertriebsbereichs gegliedert und systematisiert, dabei lassen sich и.a. vertriebsspezifische und -unspezifische Kostenarten unterscheiden. Die Kostenstellen des Vertriebsbereichs können nach funktionalen Gesichtspunkten oder absatzmarktorientierten Kriterien, z.B. Produkten, Kunden, Verkaufsgebieten, Absatzwegen oder Aufträgen, gegliedert werden. Aufgrund des üblicherweise hohen Anteils an Fixkosten kann eine stufenweise Fixkostendeckungsrechnung hilfreich sein, die sich nach Abbaubarkeit innerhalb bestimmter Zeiträume und nach Zurechenbarkeit zu Kalkulationsobjekten weiter aufschlüsseln lässt. In der Kostenträgerrechnung 28 ist die Gegenüberstellung von Kosten und Leistungen möglich, wobei als Kalkulationsobjekte neben den Produkten z.B. auch Kunden, Verkaufsgebiete oder Absatzwege in Frage kommen. Diese eindimensionalen Deckungsbeitragsrechnungen können aber nur erste Hinweise auf die Erfolgsbeiträge der Kalkulationsobjekte geben und eine Weiterung zu einer mehrdimensionalen Deckungsbeitragsrechnung erfolgt dadurch, dass für den Absatz- und Vertriebsbereich eine mehrdimensionale Hierarchie entwickelt wird und Kosten und Leistungen entsprechend ebenso mehrdimensional abgebildet werden, z.B. nach den drei Dimensionen: Produkte, Kunden, Absatzgebiete. Eine mehrdimensionale Deckungsbeitragsrechnung zeigt dann beispielsweise die Deckungsbeiträge auf, die eine bestimmte Produktgruppe innerhalb einer Kundengruppe erbringt. Sie bietet sich dann an, wenn Fixkosten sowohl nacheinander als auch nebeneinander verschiedenen Bezugsgrößen zurechenbar sind, und stellt ein wichtiges Informationsinstrument 27

Vgl. dazu z.B. Weigand, C. (1989). ders. (1992), Becker, J. (1992), Donath. P. (1997). Fischer. K.P. (1963). Höffken, E. (1993), Pfählcr. D. (1995). Weigand, C. (1989) oder ders. (1992).

28

Endproduktbezogen in der Kostcnträgerstiickrechnung oder periodenbezogen in der Koslenträgerzeitrechnung.

Kostenrechnungsinformationen in Beschaffungs- und Absatzmarketing Absatzgebiete

Produktgruppe

A2

Al

Kundengruppen

Kl

K2 P2

PI

343

Kl

K2

PI

P2

PI

P2

PI

P2

Umsatz

136.700 61.400

73.300

24.780

73.400

65.000

13.900

6.300

Variable Kosten Versand-Ek.

72.000 1.700

28.000 1.900

33.000 870

14.000 38.000 890 820

29.000 1.780

8.200 170

2.000 150

DB I

63.000

31.500

39.430

9.960

34.220

5.530

4.150

Beratung DB II

34.510

9.000

4.500

1.000

10.200

85.500

44.890

67.730

-520

Agenturen Verkaufssachbearbeitcr

12.000 90.000

7.000 60.000

DB III

28.390

210

Montage Unternehmensfixe Kosten

12.600 16.800

Gewinn/Verlust

-800

Produktgruppe

PI Al

Absatzgebiete Kundengruppe

P2 A2

Kl

K2

Al

A2

Kl

K2

Kl

K2

Kl

K2

Umsatz

136.700 73.300

73.400

13.900

61.400

24.780

65.000

6.300

Variable Kosten Versand-Ek.

72.000 1.700

33.000 870

38.000 890

8.200 170

28.000 1.900

14.000 820

29.000 1.780

2.000 150

DB I

63.000

39.430

34.510

5.530

31.500

9.960

34.220

4.150

Verkaufssachbearbeiter

48.000

27.000

42.000

33.000

DB II

54.430

13.040

-540

5.370

Montage DB III

3.200

9.400

64.270

-4.570

Agenturen Beratung Unternehmensfixe Kosten

19.000 24.700 16.800

Gewinn/Verlust

-800

Abb. 4: Zahlenmäßiges Beispiel einer mehrdimensionalen Deckungsbeitragsrechnung mit zwei möglichen Segmentierungen

344

eter Schuster

für den Absatz- und Vertriebsbereich dar. Die nachfolgenden Abbildungen zeigen das Beispiel einer mehrdimensionalen Deckungsbeitragsrechnung 29. Bei drei Bezugsgrößen (Produkte/-gruppen, Kunden/-gruppen, Absatzgebiete) mit mehrdimensional zurechenbaren Fixkosten ergeben sich 3! = 6 mögliche Reihenfolgen, von denen zwei Beispiele in den darauffolgenden Abbildungen herausgegriffen werden. Die Berücksichtigung mehrerer Dimensionen und die Variation ihrer Reihenfolgen trägt dazu bei, dass der gesamte Fixkostenblock des Unternehmens besser durchschaut werden kann. Insbesondere werden die Zusammensetzung des Gesamtdeckungsbeitrags und der Erfolg einzelner Bereiche deutlich. Negative Deckungsbeiträge weisen auf Probleme in einzelnen Segmenten hin 3 0 . Im oberen Teil der Abbildung 4 erfolgt die Schichtung der Rechnung zunächst nach Absatzgebieten ( A l , A2), dann dort jeweils nach Kundengruppen ( K l , K2) untergliedert und diese wiederum in Produktgruppen (PI, P2) aufgeteilt. In anderer Aufteilung (Produktgruppen - Absatzgebiete - Kundengruppen) ergeben sich bei selbstverständlichen identischem Gesamtgewinn zusätzliche Einsichten durch die Informationen in den verschiedenen Deckungsbeitragsstufen vorgenommen. In vielen Softwarepaketen der Kostenrechnung sind solche Schichtungsmöglichkeiten integriert und die Durchführung der Rechnung ist somit meist relativ unproblematisch, z.T. bis auf die Analyse einzelner Aufträge, Produkte oder anderer Bezugsgrößen möglich. Hohe Verbreitung erfreuen sich in der Unternehmenspraxis produktbezogene Erfolgsanalysen in Form von Produkt-Deckungsbeitragsrechnungen. Neben der regionalen Ergebnisaufspaltung nach Absatzgebieten stellen sie die wohl am häufigsten anzutreffende Ergebnisrechnung dar. Insbesondere in Unternehmen, die ein Key Account Management verfolgen, werden außerdem Kundendeckungsbeitragsrechnungen durchgeführt. Die Zusammenhänge zwischen Produkt- und Kündendeckungsbeitragsrechnungen werden in der Abbildung 5 zusammengefasst. Im Handel existieren daneben noch spezifische nach Artikeln aufgegliederte Rechnungen, in denen mit der sog. 'Direkten Produkt-Prof habilitât'' oder 'Direct Product Profit' oder (irreführender Weise auch) 'Direkten Produkt-Rentabilität' 31 versucht wird, über eine bloße Berechnung von Ergebnisspannen hinaus artikelgenaue Beiträge zu bestimmen, die zur Deckung der nicht zurechenbaren Restkosten und des Gewinns zur Verfügung stehen. Das Konzept wurde 1985 in den USA speziell für den Handel entwickelt. Die Größe wird errechnet, indem von dem Nettoverkaufspreis die Vorsteuer, Rabatte, Werbekostenzuschüsse u.a. und des weiteren die sog. 'direkten Produktkosten', die auf der Handelsstufe anfallen, abgezogen werden. Dadurch findet die Schlüsselung von Fix- und Gemeinkosten statt. Das Vorgehen stellt eine pragmatische Lösung zur Ermittlung von produkt- bzw. artikelbezogenen Kosten dar, die errechnete Größe stellt jedoch weder eine Rentabilitäts- noch eine Deckungsbeitragsgröße dar.

29

Quelle: Schweitzer, M.; Küpper, H.-U. (1998), S. 438 IT.

M)

Zur Absalzsegmentrechnung vgl. beispielsweise Köhler, R. (1993).

31

Vgl. Behrends, C. (1988), Fickert, R. (2002), Sp. 340 IT. oder Dammann-Hcublein (1988) m.w.V.

Kostenrechnungsinformationen in Beschaffungs- und Absatzmarketing

345

Produkt-Deckungsbeitragsrechnung

Kunden-Deckungsbeitragsrechnung

Nettoerlös pro Stück

Kunden-Bruttoerlöse pro Periode Erlösschmälerungen =

./.

Variable Stückkosten (ζ. B. Roh- und Hilfsstoffe, Fertigungsakkordlöhne*, variable Gemeinkosten wie ζ. B. Energiekosten**, Produktvcrpackung, Versandverpackung, Außendienstprovisionen)

multipliziert

./.



=

mit Kaufmenge des Kunden

Kunden-Nettoerlöse pro Periode Variable Produktkosten Kunden-Deckungsbeitrag I pro Periode

Eindeutig kundenbedingte Auftragskosten (ζ. B. Versandkosten) =

Stück-Deckungsbeitrag multipliziert mit abgesetzter Menge pro Periode

Eindeutig kundenbedingte Besuchskosten

=

Produkt-Dcckungsbeitrag 1 pro Periode

./.

Sonstige relative Einzelkosten des Produktes pro Periode

Sonstige relative Einzelkosten des Kunden pro Periode

(ζ. B. Produktmanager-Gehalt, spezifische Produkt Werbung***, evtl. Abschreibungen*** bei Spezialanlagen nur für dieses Produkt

(ζ. B. Werbekostenzuschüsse, Listungsgebühren und andere von Kunden auf der Handelsstufe verlangte Sonderkonditionen; evtl. Gehalt eines Key Account Managers)

=

Produkt-Dcckungsbeitrag II pro Periode

=

Kunden-Deckungsbeitrag II pro Periode

* enthält, genau genommen, Fixkostenbestandteile * * gcschlüsselt, ζ. B. in Form eines Maschinenstundensatzes * * * Zuordnung zur Periode nur geschätzt

Abb. 5: Zusammenhänge zwischen Produkt- und Kundendeckungsbeitragsrechnungen 12

32

Quelle: Köhler, R. (1992), S. 845.

346 3.2

eter Schuster Kostenrechnung und absatzpolitische Maßnahmen

Die kostenrechnerische Unterstützung von absatzpolitischen Entscheidungen ist, abhängig von der konkreten Maßnahme, unterschiedlich intensiv ausgeprägt. Die Kostenrechnung wird sowohl bei der Bewertung von Handlungsalternativen in der Phase der Planung als auch bei der Kontrolle eingesetzt. Durch die Verbundwirkungen der Maßnahmen im Marketing-Mix stellt die Zuordnung von Kosten und Leistungen ein besonderes Problemfeld dar. In der Produkt- und Sortimentspolitik kann die Kostenrechnung typischerweise Lösungsvorschläge anbieten, die sich an der Zielsetzung der Gewinnmaximierung orientieren und zu Programmentscheidungen anhand von Deckungsbeiträgen führen, wobei das optimale Programm bei Vorliegen von Restriktionen mit den gängigen Verfahren beispielsweise der Linearen Programmierung oder anderer Verfahren des Operations Research bestimmt werden kann 33 . I.d.R. wird unterschieden, ob es sich um strategische Entscheidungen zur Neuprodukteinführung, zur Produktelimination, zur Bereinigung des Produktprogramms oder um die kurzfristig orientierte Planung von Absatzmengen handelt. Bei einer längerfristigen Betrachtungen sind Zahlungsströme mit investitionsrechnerischen Verfahren zu beurteilen. Für die Preispolitik eignet sich die Kostenrechnung insbesondere zur Bestimmung von zeitlich gestaffelten Preisuntergrenzen. Die Deckungsbeitragsrechnung gewinnt dabei wiederum weitreichende Bedeutung. Im Bereich Kostenrechnung und Kostenmanagement gibt es in jüngerer Zeit Weiterentwicklungen, die auch für strategische Preisentscheidungen Anwendung finden können, wie ζ. B. das Target Costing oder die Lebenszykluskostenrechnung 34. Die Kommunikationspolitik wird häufig durch die Vorgabe vorwiegend nicht monetärer Kommunikationsziele geprägt wie z.B. die Erreichung eines bestimmten Bekanntheitsgrades. Die Verbindung zwischen Kommunikationspolitik und Kostenrechnung ist somit eher schwach ausgeprägt und in der Praxis erfolgen hier beispielsweise Sonderanalysen wie Kostenschätzungen z.B. durch (vergangenheitsorientierten) Rückgriff auf Kosten- und Erlösdaten für Verkaufsförderungs- oder Werbemaßnahmen. Das Marketing-Controlling bleibt dabei auf zwei Einsatzgebiete beschränkt: die Programmplanung der Kommunikationsmaßnahmen, d.h. die Bestimmung des Kommunikationsbudgets und seine Verteilung nach verschiedenen Zuordnungsgesichtspunkten, und die Erfolgskontrolle durchgeführter Maßnahmen. In der Distributionspolitik werden Daten zu Kosten der akquisitorischen und der physischen Distribution, z.B. die Kosten verschiedenen Distributionskanäle, verwendet. Der Kostenvergleich von Absatzwegen wird meist durch Sonderrechnungen durchgeführt. Dagegen ist die Steuerung des Außendienstes enger mit der laufenden Kostenrechnung verknüpft. In der physischen Distribution, der Distributionslogistik, erfolgen schließlich Vorschaurechnungen insbesondere für die Tourenplanung, die Lagerbestandsplanung und die Wahl von Logistikstandorten.

Vgl. dazu bspw. Ewert. R.: Wagenhofen A. (2003). S. 87ff. oder Coenenberg, A.C. (1997), S. 306ff. 34

Vgl. ?.. B. Götze. U. (2000). S. 277 ff.

Kostenrechnungsinformationen in Beschaffungs- und Absatzmarketing

347

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ν

Planung

Entscheidungsorientierte Produktionsfaktorbeschaffungs- und -einsatzplanung Prof. Dr. Stefan Betz Georg-August-Universität

Gott in gen

Institut für Betriebswirtschaftliche Produktions- und Investitionsforschung Lehrstuhl für Industrielles Management und Unternehmensrechnung Platz der Göttinger Sieben 3 37073 Göttingen

Zusammenfassung Gegenstand des Beitrags ist die Diskussion der Fragestellung, wie eine kapaz.it ätsbedarfso rient ierte Beschaffungs- und Einsatzplanung für unterschiedliche Arten von Produktionsfaktoren durchgeführt werden kann, wenn diese Planung die Grundlage für eine zieloptimale Lösung betriebswirtschaftlicher Entscheidungsprobleme bilden soll. Für die Betriebsmittel als Potenzialfaktoren ist zwischen der Beschaffung eigener Anlagen und dem Einsatz von Fremdbearbeitung z.u entscheiden; für die Potenzial faktorart der Arbeitskräfte ist zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten ihres zeitlichen Einsatzes mittels arbeitsz.e it flexibilisie render Maßnahmen zu wählen; für die Werkstoffe als Repetierfaktoren ist abzuwägen, welche Beschaffungsstrategie im Rahmen eines e-Procurement-Systems verwirklicht werden sollte. Um das jeweilige Entscheidungsproblem zu lösen, wird vor einem langfristigen Planungshorizont die Investitionsrechnung als strategisches Instrument der Entscheidungsunterstützung eingesetzt Zieloptimal ist dann diejenige Handlungsoption, die den Kapitalwert an Ausz.ahlungen bzw. Auszahlungsüberschüssen minimiert.

Stefan Betz

354

Inhalt 1

Problemstellung

355

2

Grundlegende Annahmen

356

3

Entscheidungsorientierte Potenzialfaktorbeschaffungsund -einsatzplanung

357

4

3.1

Betriebsmittel 3.1.1 Entscheidungsalternativen 3.1.2 Lösung des Entscheidungsproblems

357 357 358

3.2

Arbeitskräfte 3.2.1 Entscheidungsalternativen 3.2.2 Lösung des Entscheidungsproblems

359 359 366

Entscheidungsorientierte Repetierfaktorbeschaffungsund -einsatzplanung

367

4.1

Entscheidungsallernativen

367

4.2

Lösung des Entscheidungsproblems

370

5

Kritische Beurteilung der Ergebnisse

370

6

Zusammenfassung

372

Literatur

373

Entscheidungsorientierte Produktionsfaktorbeschaffungs- und -einsatzplanung

1

355

Problemstellung

Da der inflationsbereinigte Werteverzehr an Gütern und Dienstleistungen in den letzten Jahren ständig gestiegen ist 1 , bleibt die Frage nach einem Ressourcen sparenden Umgang mit verschiedenen Arten von Produktionsfaktoren 2 unvermindert aktuell. Die Beschaffung und der Einsatz von Potenzial- und Repetierfaktoren sollten also derart geplant werden, dass der bewertete Verbrauch an Gütern und Dienstleistungen so niedrig wie möglich ausfällt. Auf der Grundlage dieser Zielsetzung wird im vorliegenden Beitrag das folgende Problem erörtert: Wie sollte die Beschaffung und der Einsatz von Produktionsfaktoren unterschiedlicher Art geplant werden, wenn man auf Basis einer jeweils relevanten Zielsetzung die entsprechend optimale Lösung ausgewählter Entscheidungsprobleme anstrebt? Zur Beantwortung dieser Fragestellung wird wie folgt vorgegangen: Zunächst werden im zweiten Kapitel diejenigen Annahmen formuliert, auf deren Grundlage das skizzierte Problem gelöst werden soll. Unter diesen Prämissen wird dann im dritten und vierten Kapitel aufgezeigt, wie eine an der Lösung betriebswirtschaftlicher Entscheidungsprobleme ausgerichtete Planung von Produktionsfaktorbeschaffung und -einsatz erfolgen soll. Als erstes Entscheidungsproblem steht im dritten Kapitel hinsichtlich der Betriebsmittel als Potenzialfaktoren die Frage zur Diskussion, unter welchen Bedingungen die Eigenfertigung der Fremdbearbeitung gegenüber vorzuziehen ist, wenn der Planungshorizont mehrere Perioden umfasst 3. Ebenfalls für einen strategischen Planungszeitraum wird anschließend der Frage nachgegangen, welche von unterschiedlich möglichen arbeitszeitflexibilisierenden Maßnahmen eine zuvor festzulegende Zielsetzung4 optimiert. Als letztes Entscheidungsproblem wird im vierten Kapitel die Wahl der zieloptimalen Beschaffungsstrategie im Rahmen eines e-ProcurementSystems behandelt; hier muss dann wiederum vor einem mehrperiodigen Planungshorizont zwischen den beiden Extremformen der Synchronisation und der Emanzipation von Beschaffung und Einsatz einer betrachteten Werkstoffart entschieden werden5. Gegenstand des fünften Kapitels ist eine kritische Beurteilung der im dritten und vierten Kapitel gewonnenen Erkenntnisse, und den Abschluss des vorliegenden Beitrags bildet im sechsten Kapitel eine zusammenfassende Antwort auf die im Rahmen dieses ersten Kapitels formulierte Fragestellung.

1

Vgl. Statistisches Bundesamt (2000), S. 183: (2001). S. 1%: (2002). S. 189.

2

Vgl. zur Klassifikation der Produklionsfakloren: Dinkelbach/Rosenberg (2002), S. 9-18. Die Vorziehenswiirdigkeil der jeweiligen Alternative wird dabei anhand des Kapital wertes gemessen.

4

Als Ziel wird die Minimierung des Vermögensendwertes an Auszahlungen bzw. Auszahlungsüberschüssen verfolgt. Zieloptimal ist diejenige Beschaffungssirategie, die den Kapilalweri an Auszahlungen minimiert.

356

2

Stefan Betz

Grundlegende Annahmen

Das im ersten Kapitel aufgeworfene Problem soll unter den folgenden vier Prämissen einer Lösung zugeführt werden: (a) Der betrachtete Planungszeitraum umfasst mehrere Perioden 6, weshalb zur Unterstützung der zieloptimalen Lösung betriebswirtschaftlicher Entscheidungsprobleme unterschiedliche Verfahren der Investitionsrechnung zum Einsatz gelangen7. (b) Die für die verschiedenen Investitionsrechnungsverfahren relevanten Ein- und Auszahlungen werden denjenigen Zeitpunkten, in denen sie anfallen, zugeordnet und über den mehrperiodigen Planungszeitraum hinweg verzinst. Dabei ist zwischen der exakten, diskreten Betrachtung und der näherungsweise durchgeführten, stetigen Betrachtung zu unterscheiden 8. In letzterem Fall stellen sowohl die Ein- und Auszahlungen als auch die Verzinsungsenergie kontinuierliche Größen dar 9 . Unter Inkaufnahme annähernder statt exakter Ergebnisse betriebswirtschaftlicher Entscheidungsprobleme vereinfacht sich allerdings deren Lösungsweg. (c) Für die Beziehung zwischen Produktions- und Absatzmengen wird im Folgenden unterstellt, dass sie sich zueinander synchron entwickeln 10 , d.h. die Entwicklung der Produktionslaktoreinsatzzeiten und -mengen während des Planungszeitraums hängt von der Entwicklung der Absatzmengen im Verlauf desselben Zeitraums a b " . Eine Absatzlagerhaltung außerhalb des Sicherheitsbestandes 12 ist somit nicht erforderlich. (d) Zur Lösung der genannten Entscheidungsprobleme müssen verschiedene Parameter gegeben sein. Die für mehr als ein betriebswirtschaftliches Entscheidungsproblem relevanten Parameter lauten 13 : Produktionsmenge χ (bzw. x t ), in [PE1/|P ZEl Intensität 14 d, in [PE]/|ZE|, Produktionskoeffizient λ " (bzw. X\\) für den Einsatz von Betriebsmitteln auf Fertigungsstufe m (bzw. für den Verbrauch von Repetierfaktorart n), in [ZE|/[PE| (bzw. |FE]/|PE1), Produktionsfaktorpreis q^ (bzw. q\\) für die Nutzung von Betriebsmitteln auf Fertigungsstufe m (bzw. für die Beschaffung von Repetierfaktorart n), in [GE]/|ZE| (bzw. |GE]/|FE|).

6

Die Anzahl der Perioden des Planungszeilraums wird im Folgenden mit Τ gekennzeichnet.

7

Vgl. Bilz u.a. (2002), S. 75-189; Götze/Bloech (2002), S. 49-130; Kruschwitz (2003), S. 27-179.

8

Swoboda hat gezeigt, wie man die stetige und die diskrete Betrachtung ineinander überführen kann. Vgl. Swoboda (1996), S. 34-37.

tJ 10 11

12 13

14

Vgl. Küpper (2001), S. 130-138. Vgl. Adam (2001 ), S. 375-379; Zäpfel (2001 ), S. I 14-1 15. G ( • νί 111- r / T i: vi pi : l μ κ ι Ι r haben sich damit beschäftigt, welche Konsequenzen die Synchronisation von Produktion und Absatz für die Produklionsfaktorbeschaffungs- und -cinsatzplanung hat, wenn die Kapazitiitsbedarfe im Zeitablauf variieren. Vgl. Günther/Tempelmeier (2002), S. 147-158. Vgl. zum Begriff des Sicherheitsbestandes: Bloech u.a. (2001). S. 183-185. Dabei bedeuten |PE), |PZE|, [ZE|, |FE| und |GE|: Produklcinheiten, Planungszeiteinheiten. Zeiteinheiten, Faktoreinheilen und Geldeinheiten. Intensität und Produklionsgeschwindigkcit werden im Folgenden als synonyme Begriffe verwendet.

Entscheidungsorientierte Produktionsfaktorbeschaffungs- und -einsatzplanung

357

Auf der Grundlage der hier getroffenen Annahmen erfolgt nun im dritten (bzw. vierten) Kapitel die Planung von Beschaffung und Einsatz der Potenzial- (bzw. Repetier-) faktoren.

3

Entscheidungsorientierte Potenzialfaktorbeschaffungsund -einsatzplanung

Trennt man nach G U T E N B E R G die Potenzialfaktoren in Betriebsmittel und objektbezogene Arbeit 1 5 , so sollte man deren Beschaffungs- und Einsatzplanung auch separat voneinander durchführen: Gegenstand des Abschnitts 3.1 sind die Betriebsmittel, und in Abschnitt 3.2 werden die Arbeitskräfte thematisiert.

3.1

Betriebsmittel

Im Rahmen der Betriebsmittelbeschaffungs- und -einsatzplanung steht im Folgenden als betriebswirtschaftliches Entscheidungsproblem die Frage zur Diskussion, ob es vor einem langfristigen Planungshorizont sinnvoller ist, die Beschaffung und den Einsatz eigener Betriebsmittel auf einer Fertigungsstufe m zu realisieren, oder ob stattdessen auf Stufe m die Fremdbearbeitung vorgezogen werden sollte 16 . 3.3.1

Entscheidungsalternativen

Die strategische Wahl zwischen Eigen- und Fremdbearbeitung auf einer Produktionsstufe m wird in der Wissenschaft mit Unterstützung der Investitionsrechnung getroffen 17 . Dabei gelangt zumeist die Kapitalwertmethode in ihrer diskreten Ausprägung zum Einsatz. Entsprechend der Annahmen des zweiten Kapitels wird hier auf die stetige Ausprägung zurückgegriffen 18. Für die beiden Entscheidungsalternativen lassen sich dann die zugehörigen Kapitalwerte 19 wie folgt ermitteln: (a) Eigenbearbeitung auf Fertigungsstufe m Mit lo,,,: Investitionsauszahlung für die Beschaffung von eigenen Betriebsmitteln auf Stufe m im Zeitpunkt t=0, in [GEJ/fFZE], und A | l n : fixe, pro Periode gleich hohe Eigenfertigungsauszahlungen auf Stufe m, in |GE)/|PZE1, lautet der Kapital wert für Eigenbearbeitung auf Produktionsstufe m: 15 16

Vgl. Dinkelbach/Rosenberg (2002), S. 11-12. Dabei wird davon ausgegangen, dass die für Slufe m zu treffende Entscheidung keinen Einfluss auf andere Fertigungsstufen hat.

17

Vgl. Adam (2001), S. 21 I -215; Arnolds u.a. (2001), S. 345-348.

IS

Vgl. Küpper (200 l),S. 130-138.

|l)

Beim Vergleich zwischen Eigen- und Fremdbearbeitung auf der Grundlage von Kapitalwcrten können die Einzahlungen genau dann unberücksichtigt bleiben, wenn sie durch die Wahl zwischen Eigen- und Fremdbearbeitung auf der betrachteten Stufe m nicht beeinflusst werden.

358

Stefan Bet

τ (1)

C-L = ! . . „ , + I ( D, wobei er je Losauflage Kosten in Höhe von S GE zu berücksichtigen hat 4 1 Bereits vor der Fertigstellung eines Produktionsloses Q besteht die Möglichkeit, zu gleichgroßen Transportlosen zusammengefasste Mengeneinheiten des Vorproduktes zum Abnehmer zu transportieren. 42 Nicht nur in kooperativen Beziehungen zwischen Zulieferer und Abnehmer bedarf es einer Abstimmung der Bestell-, Fertigungs- und Transportprozesse. Die im vorliegenden Fall gewählte Abstimmungsvariante sieht vor, die Fertigungslosgröße Q so zu wählen, dass sie einem ganzzahligen Vielfachen η der Transportlosgröße bzw. der Bestelllosgröße q entspricht (Q = nq) 4 3 Die Ganzzahligkeitsbedingung garantiert zum einen, dass beim Abnehmer keine Fehlmengen auftreten. Zum anderen wird hierdurch verhindert, dass überschüssige Mengen beim Zulieferer auftreten, die zu vermeidbaren Lagerhaltungskosten führten. Dadurch dass der Zulieferer mit einem Rüstvorgang mehrere gleich große Bestell- bzw. Transportlose produzieren kann, lassen sich die mit einer mehrmaligen Losauflage verbundenen zusätzlichen Rüstkosten vermeiden. Dies ist dann als besonders wichtig zu erachten, wenn die Rüstkosten des Zulieferers im Vergleich zu den Bestellkosten des Abnehmers besonders hoch ausfallen 4 4 Eine solche Relation dürfte in der Praxis häufig anzutreffen sein. Dies gilt vornehmlich für solche Wirtschaftszweige, in denen typischerweise hohe Rüstkosten anfallen, wie z.B. in der Prozessindustrie und im Maschinenbau.

M 40

Vgl. Arnold (1997), S. 968. Vgl. Hahm/Yano( 1992), S. 235.

41

Wie bereits in Kapitel 2 angedeutet, wird von etwaigen Lossequen/problenien und Sortenreihenlblgeproblemen abstrahiert.

42

Transportzeiten werden vernachlässigt, weil sie keinen Einfluss auf die Bestimmung der optimalen Losgrößenpolitik nehmen.



Hierbei wird implizit unterstellt, dass Transport- und Bestelllosgröße einander entsprechen. Die als Lolfor-Lot-Politik bezeichnete Abstimmungsvariante, die sich durch die Gleichheit sämtlicher Losgrößen (Fertigungslosgröße = Transporllosgröße = Bestelllosgröße) auszeichnet, ist als Spezialfall in dem gewählten Abstimmungsmechanismus enthalten. Die Lot-for-Lot-Politik liegt auch dem vielbeachteten Beitrag von B A M - I M I K zugrunde, der den Anstoß für eine Vielzahl von Weiterentwicklungen gab. Vgl. Banerjec (1986).

44

Vgl. hierzu auch Goyal/Gupta (1989), S. 264.

Kostenorientierte Planung logistischer Zulieferer-Abnehmer-Beziehungen

385

Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass bei jeder Bestellung des Abnehmers zum einen beim Zulieferer Kosten für die Handhabung und zum anderen Kosten für den Transport der Güter anfallen. Während die Handhabungskosten zumeist dem Zulieferer zuzurechnen sind, hängt die Übernahme der Transportkosten von den vereinbarten Lieferbedingungen ab. Annahmegemäß falle für beide Aktivitäten ein konstanter Kostensatz Τ je Bestell- bzw. Transportlos an, der unabhängig von der zu befördernden Menge sei. Die Frage, wer diese Kosten zu tragen hat, spielt keine Rolle, wenn wie im vorliegenden Fall davon ausgegangen wird, dass Zulieferer und Abnehmer gemeinsam versuchen, die gesamten im Logistiksystem auftretenden Kosten zu minimieren. Die wesentlichen Modellannahmen werden nachfolgend zusammenfassend aufgelistet: • Alle Planungsparameter sind bekannt und konstant über die Zeit. • Fertigungslosgrößen werden nur für ein Gut bzw. eine Produktart geplant. • Kapazitätsbeschränkungen werden vernachlässigt. • Das Auftreten von geplanten Fehlmengen ist nicht erlaubt. • Die Gütereinheiten sind (für die Bestimmung optimaler Losgrößen) beliebig (infinitesimal) teilbar. • Die Produktionsgeschwindigkeit ist endlich. • Die Verbrauchsrate D ist kleiner als die Produktionsrate P. • Jede im Warenausgangslager des Zulieferers bzw. im Wareneingangslager des Abnehmers im Bestand gehaltene Einheit des Produktes bzw. Gutes verursacht zeit- und mengenproportionale Kosten in Höhe von h v bzw. h/y fGE/(MEZE)] mit hr b 2 und |_b2J < b[ nicht auftreten. Zunächst ist aber ebenfalls die optimale ganzzahlige Losgrößenrelation zu kalkulieren:

Da aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass 2 sowohl kleiner als b| als auch größer als b 2 ausfällt, bestimmt sich die optimale zulässige ganzzahlige Losgrößenrelation des zweiten Intervalls - sofern sie existiert - wie folgt: ' [bil (28)

z 2 = < ..2 , \>2\

für

b 2

Liegen die intervallspezifischen optimalen ganzzahligen Losgrößenrelationen vor, dann können die korrespondierenden Kosten mittels (13) bestimmt und die zu minimalen Kosten führende Losgrößenrelation n^ ) ( ausgewählt werden. Formal ergibt sich: (29)

58

"opt = Zopi = arg min{C 0 , ) t (ζ,) | j = 1,2,3}

Vgl. hierzu auch das entsprechende Vorgehen in Abschnitt 4.1.3.

396

Udo Buscher

Mit diesem Vorgehen kann für ein spezifisches Frachtratenintervall i die optimale Produktions-, Transport- und Bestellpolitik bestimmt werden. Im Folgenden wird eine Strategie vorgestellt, die es gestattet, aus sämtlichen Frachtratenintervallen die beste Lösung zu ermitteln, ohne zwangsläufig sämtliche Intervalle überprüfen zu müssen. Hierzu erweist es sich als hilfreich, das globale Kostenminimum eines spezifischen Frachtratenintervalls zu kennen. 59 Es lässt sich bestimmen, indem in einem ersten Schritt die Kostenfunktion (13) partiell nach den beiden Entscheidungsvariablen q und η abgeleitet, die resultierenden Ausdrücke gleich null gesetzt und das resultierende Gleichungssystem nach den beiden Entscheidungsvariablen aufgelöst werden. Das Ergebnis dieses ersten Schrittes lautet: (30)

In einem zweiten Schritt sind die beiden Ausdrücke (30) und (31) in die Kostenfunktion (13) einzusetzen. Vereinfachen führt zu: (32)

C l m u , = v / 2SDa + y/2 ΑΌ& + w. V i D

Die Kosten C m j n j repräsentieren für das Frachtratenintervall / die absolute Kostenuntergrenze. Damit liegen die Bausteine vor, die notwendig sind, um den Algorithmus zur Bestimmung der optimalen Planungslösung zu beschreiben. Zunächst ist das höchste Frachtratenintervall auszuwählen (das Intervall, das die niedrigsten Frachtraten aufweist) und die korrespondierende intervallbezogene Optimallösung zu ermitteln. Letztere wird als vorläufige Optimallösung gespeichert. Eine Überprüfung des nächst niedrigeren Intervalls wird nur dann notwendig, wenn die absolute Kostenuntergrenze dieses Frachtratenintervalls niedriger ausfällt als die Kosten der vorläufigen Optimallösung. In diesem Fall muss die intervallbezogene Optimallösung berechnet und die damit einhergehenden Kosten mit der bisherigen vorläufigen Optimallösung verglichen werden. Fallen diese Kosten geringer aus als diejenigen der vorläufigen Optimallösung, so ersetzt die neue Lösung die bisherige vorläufige Optimallösung. Andernfalls wird die neue Lösung verworfen. Das Verfahren ist solange mit der Überprüfung nächst niedriger Frachtratenintervalle fortzusetzen, bis entweder alle Intervalle überprüft sind oder die absolute Kostenuntergrenze des nächst niedrigeren Frachtratenintervalls höher ausfällt als die Kosten der vorläufigen Optimallösung. Am Ende des Verfahrens entspricht die vorläufige der endgültigen Optimallösung.

59

Es sei hier darauf hingewiesen, dass bei der Ermittlung des globalen Koslcnminimums eines spezifischen Frachlratcninlervalls von Ganzzahligkeitsanl'orderungen abgesehen wird.

Kostenorientierte Planung logistischer Zulieferer-Abnehmer-Beziehungen

397

4.2.3 Zahlenbeispiel Die im vorherigen Abschnitt dargelegte Lösungsprozedur soll anhand eines Zahlenbeispiels verdeutlicht werden. Die relevanten Planungsdaten des Lieferanten und des Abnehmers sind in Tab. 2 angegeben. Abnehmer

Lieferant

Ρ

4.000 D

1.200

s

1.200 A

100

5 hb

κ w

7

25

Tab. 2: Planungsdaten des Lieferanten und des Abnehmers im Zahlenbeispiel Der logistische Dienstleister, der für den Transport der produzierten Einheiten vom Zulieferer zum Abnehmer zu sorgen hat, bietet in Abhängigkeit des Transportgewichtes W - gemessen in GWE - folgende Staffelung der Frachtraten an:

i

(), 07

für

W


>] = 2 gilt, resultiert aus (26) automatisch auch z:i = 2. Einsetzen von q = 400 und η = 2 in die Kostenfunktion (13) führt zu Kosten in Höhe von 6.150 GE. Im Hinblick auf die obere Randlösung mit q = 599 lässt sich mit (23) n^ |)t , = 2 bestimmen. Aufgrund von |_bij = 1 ergibt sich über (24) Z| = 1. Die hieraus resultierenden Kosten in Höhe von 6.800 GE übersteigen die Kosten der unteren Randlösung, so dass Letztere die vorläufige Optimallösung darstellt. Als Nächstes ist die Frage zu beantworten, ob das nächst niedrigere Frachtratenintervall überhaupt überprüft werden muss. Hierzu wird mithilfe von (32) die Kosten von 6.070,35 GE aufweisende absolute Kostenuntergrenze dieses Intervalls berech-

398

Udo Buscher

net. Da 6.070,35 < 6.150, muss dieses Intervall überprüft werden. Für das hier betrachtete Zulässigkeitsintervall 200