Lutherische Theologie und Kirche, Heft 03-04/2018 - Einzelkapitel - »Lutherische Adventspredigten in Verbundenheit mit dem Volk Israel«: Redaktion: Ruprecht, Edition 9783846997956, 3846997956

Christoph Barnbrock unterzieht die Überlegungen zum »Predigen angesichts Israels« einer praktisch-theologischen Reflexio

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Lutherische Theologie und Kirche, Heft 03-04/2018 - Einzelkapitel - »Lutherische Adventspredigten in Verbundenheit mit dem Volk Israel«: Redaktion: Ruprecht, Edition
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Lutherische Adventspredigtenin Verbundenheit mit dem Volk Israel
1. Zur Einordnung der Predigten
2. Konzepte zur Predigtarbeit im Horizont des christlichjüdischenGesprächs
3. Die Predigten Werner Kläns in der Woche nach dem 2.Advent 201769
4. Schlussgedanken

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Copyright © 2019 Edition Ruprecht ISBN: 9783846997956

Christoph Barnbrock

Lutherische Theologie und Kirche, Heft 03-04/2018 Einzelkapitel - )}Lutherische Adventspredigten in Ver­ bundenheit mit dem Volk Israel«

Lutherische Theologie und Kirche, Heft 03-0412018

Edition Ruprecht

CHRISTOPH BARNBROCK

Lutherische Adventspredigten in Verbundenheit mit dem Volk Israel 1. Zur Einordnung der Predigten

Im letzten Semester seiner aktiven Tätigkeit als Professor für Syste­ matische Theologie an der Lutherischen Theologischen Hochschule in Oberursel legte Werner Klän in der Woche nach dem zweiten Advent die drei für diese Tage vorgesehenen alttestamentlichen Propheten­ texte in den morgendlichen Hochschulandachten für die Hochschul­ gemeinde aus.1 Den gesellschaftlichen und kirchlichen Hintergrund für diese Pre­ digttätigkeit bilden erstens zunehmend fremdenfeindliche und antise­ mitische Entwicklungen in Deutschland, zweitens auch eine kontro­ verse Diskussion innerhalb der Selbständigen Evangelisch-Lutheri­ schen Kirche (SELK) um die Verhältnisbestimmung von Kirche und Judentum2 und schließlich eine theologische Diskussion um die Frage, inwieweit das Alte Testament überhaupt für die christliche Predigt eine Rolle spielen könne.3 Werner Klän ist dieses Verhältnis und die Aufarbeitung der Verir­ rungen der Kirche in ihrem Gegenüber zum Judentum zeit seines

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Wie unter 3. Im vorhergehenden Aufsatz dokumentiert, S. 217-238. Unter Mitarbeit von Werner Klän hatte die Theologische Kommission der SELK als Langzeitstudie ihr Papier "Lutherische Kirche und Judentum" (Lutherische Orientierung 12), Hannover 2017, vorgelegt (abrufbar unter: http://www.selk.de/download/LutherischcOrientierung12.pdf [Stand: 12.4.2018]). Dieses ist vom Allgemeinen Pfarrkonvent der SELK im Herbst 2017 nur zurückhaltend rezipiert worden. Wesentliche Gründe der Kritiker sind inzwischen dokumentiert in: Matthias Krieser, Rezension "Lutherische Kirche und Judentum", LuthBei(B) 23 (2018), 130-134. Vgl. als Überblick und weiterführende Aufnahme die Darstellung von Kläns Kol­ legen Achim Behrens, Das Alte Testament als Wort Gottes an Christen. Exegese des Alten Testaments in der Perspektive eines erneuerten Schriftprinzips, LuThK 39 (2015), 201-226. LuThK 42 (2018), 239-255 DOI 10.2364/3846997956

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Dienstes wichtig gewesen, wie es seine Bibliographie unschwer erken­ nen lässt.4 Liturgisch ist der 2. Sonntag im Advent und die auf ihn folgende Woche mit ihren Lesungen stark von der "Thematik von [der] Wieder­ kunft Christi und [dem] Gericht"S geprägt. Hier haben wir es also mit einem eschatologischen und nicht zuletzt auch christologisch gepräg­ ten Themenkreis zu tun, der nun vom alttestamentlichen Zeugnis her ausgelegt wird. Um die Auslegungsweise Kläns im Folgenden präzise herauszuar­ beiten, sollen zunächst in einem ersten Schritt einige Konzepte zur "Predigtarbeit im Horizont des christlich-jüdischen Gesprächs"6 in al­ ler Kürze skizziert werden (2.), bevor dann Kläns Auslegungen in den Blick kommen (3.f und schließlich einige kurze Folgerungen daraus gezogen werden (4.).

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6 7

Vgl. Bibliographie von Werner Klän, in: Christoph Barnbrock/Gilberto da Silva (Hg.), "Die einigende Mitte". Theologie in konfessioneller und ökumenischer Ver­ antwortung, OUH.E 20, FS Werner Klän, Göttingen 2018, 607-617. Karl-Heinrich Bieritz, Der Gottesdienst im Kirchenjahr, in: Evangelisches Gottes­ dienstbuch. Agende für die Evangelische Kirche der Union und für die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands. Hg. v. d. Kirchenleitung der Ver­ einigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands und im Auftrag des Rates von der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union, Berlin u.a. 32003, 681-720, dort 682. So im Titel von Evelina Volkmann, Vom "Judensonntag" zum "Israelsonntag". Predigtarbeit im Horizont des christlich-jüdischen Gesprächs, Stuttgart 2000. Vgl. zu Werner Klän als Prediger allgemein Christoph Barnbrock, "Was macht das mit dir?" Werner Klän als "Praktischer Theologe", in: Barnbrock/da Silva, Mitte (wie Anm. 4), 431-455, dort 433-447.

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2. Konzepte zur Predigtarbeit im Horizont des christlich­

jüdischen Gesprächs

2.1 Hinweise für eine richtige Darstellung von Juden und Judentum in der Predigt und in der Katechese der katholischen Kirche (1985)8 Diese Hinweise lassen sich einordnen in eine Zeit, in der der christ­ lieh-jüdische Dialog auch in der römisch-katholischen Kirche im Nachgang des Zweiten Vatikanischen Konzils Fahrt aufgenommen hatte. Ein Jahr später würde Papst Johannes Paul Ir. als erster Papst überhaupt die Synagoge in Rom besuchen.9 Schon in den Jahren zu­ vor hatte der Papst gefordert: "Man muß dahin gelangen, daß dieser Unterricht auf den verschiedenen Ebenen der religiösen Bildung, in der Katechese für Kinder und Jugendliche die Juden und das Judentum nicht nur aufrichtig und objektiv, ohne jedes Vorurteil und ohne jemanden zu beleidigen, vorstellt, sondern darüber hinaus mit einem lebendigen Bewußtsein für das (Juden und Christen) gemeinsame Erbe."1 0

Dabei konnte der Papst bei anderer Gelegenheit von Israel als dem "Gottesvolk des von Gott nie gekündigten alten Bundes"]] sprechen. So halten die Hinweise die Verbundenheit zwischen Juden und Christen fest. Dabei wird das Judentum eben nicht bloß als Vorstufe zum Christentum gewertet, sodass nur das historische Judentum für Christen von Interesse wäre, sondern der "Glauben[ ... ] und [das] reli­ giöse [... ] Leben des jüdischen Volkes, wie sie noch jetzt bekannt und gelebt werden" 12 sollen in den Blick geraten. Grund für das Ringen um eine angemessene Wahrnehmung des Judentums ist erstens, dass sich Christen so in ihrer eigenen Identität besser verstehen können,13 zum 8

9 10 11 12 13

Vatikanische Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum im Sek­ retariat für die Einheit der Christen, Hinweise für eine richtige Darstellung von Juden und Judentum in der Predigt und in der Katechese der katholischen Kirche, vom 24. Juni 1985, Arbeitshilfen der Deutschen Bischofskonferenz 44, Bonn o. J., 45-58. Die entsprechende Ansprache ..Ihr seid unsere älteren Brüder" findet sich in demselben Heft (wie Anm. 8). Zitiert in Kommission, Hinweise (wie Anm. 8), 45. Zitiert a.a.O., 46. Johannes Paul 11., zitiert ebd. Vgl. a.a.O., 47.

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anderen aber so auch "der Gefahr des Antisemitismus,,1 4 begegnet werden könne und müsse. Abgelehnt wird die Vorstellung von "zwei parallele[n] Heilswege[n]"15, gleichzeitig aber "Respekt gegenüber der religiösen Freiheit des anderen,,16 eingefordert. Das Verhältnis zwi­ schen Altem und Neuem Testament wird dabei insbesondere durch eine typologische Schriftauslegung des Alten Testaments bestimmt, sodass christliche und jüdische Schriftauslegung zu unterscheiden seien, wobei gleichwohl gelte, dass Christen "ihrerseits die Traditionen der jüdischen Lektüre differenziert und mit Gewinn aufzunehmen"1 7 in der Lage sein können. Besondere Betonung findet "die eschatologi­ sche Dimension des Christentums", die die Christen in die Wartege­ meinschaft mit den Juden auf die "Ankunft oder [...] Wiederkunft des Messias" stellt.1 8 Betont wird weiterhin die Verwurzelung des entstehenden Christen­ tums im Judentum, auch die Verwandtschaft in der Liturgie - und selbst für die dargestellten Konflikte gelte: "Man kann auch die Tatsache unterstreichen, daß Jesus den Pharisäern gegenüber gerade deshalb streng ist, weil er ihnen näher steht als den anderen Gruppen im zeitgenössischen Judentum".19

Der auch im Neuen Testament zu findenden Polemik gegenüber Vertretern des Judentums begegnen die Hinweise durch eine histori­ sche Kontextualisierung, die die Konflikte im 1. Jahrhundert mit in den Blick nimmt und daraus die Konsequenz ziehen: "Man kann die Juden, die Jesus gekannt und nicht an ihn geglaubt oder der Predigt der Apostel Widerstand geleistet haben, nicht mit den 2o späteren und den heutigen Juden gleichsetzen.,,

Was die Verantwortung für den Tod Jesu angehe, wird mit dem Katechismus des Konzils von Trient fest gehalten, "daß die sündigen Christen mehr Schuld am Tode Christi haben als die paar Juden, die

14 A.a.O., 48. 15 A.a.O., 47. 16 Richtlinien und Hinweise für die Durchführung der Konzilserklärung Nostra Aetate, zit. a.a.O., 48. 17 A.a.O., 50. 18 Ebd. 19 A.a.O., 53. 20 A.a.O., 55.

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dabei waren".21 Dezidiert abgelehnt wird eine geschichtstheologische Deutung, die das Leiden des Judentums in der Geschichte als Strafe interpretiert: "Auf jeden Fall muß man sich von der tradit[i]onellen Auffassung freimachen, wonach Israel ein bestraftes Volk ist, aufge­ spart als lebendes Argument für die christliche Apologetik." 22 Die Hinweise schließen mit folgender Aufgabenbeschreibung: "Die religiöse Unterweisung, die Katechese und die Predigt müssen nicht nur zu Objektivität, Gerechtigkeit und Toleranz erziehen, sondern zum Verständnis und zum Dialog. Unsere beiden Traditionen sind miteinander so verwandt, daß sie von einander Kenntnis nehmen 23 müssen.,,

2.2 Herbert Poensgen, Was macht die christliche Predigt aus dem Alten Testament? (1990)24

Vor diesem Hintergrund entfaltet Herbert Poensgen in einem Ta­ gungsbeitrag der Arbeitsgemeinschaft fiir Homiletik (1988) Gedanken zu einer christlichen Predigt zum Alten Testament. Dabei geht er aus von der Tatsache, dass dem römisch-katholischen Prediger in der Re­ gel drei Lesungstexte zur Verfügung stehen, über die er predigen könnte, und dass die Versuchung naheliege, sich vor allem auf die beiden neutestamentlichen Texte zu beziehen, denn: "Bei der Auslegung eines Textes stehe ich meist im Dilemma, einerseits den Text aus sich heraus verstehen zu wollen und ihn andererseits aufs Neue Testament beziehen zu müssen. Ich traue diesen Texten in der Regel theologisch nicht soviel zu wie den neutestamentlichen!" 25

In seinem Beitrag bemüht sich Poensgen nun um neue Zugänge. Dabei entdeckt er mit der christlichen Bibel aus Altem und Neuem Testament zugleich die Zumutung die die Ermöglichung eines "Plura-

21 Ebd. 22 Aa.O., 57. 23 Aa.O., 58. 24 Herbert Poensgen, Was macht die christliche Predigt aus dem Alten Testament?, in: Rolf Zeljaß/Herbert Poensgen (Hg.), Die vergessene Wurzel. Das Alte Testa­ ment in der Predigt der Kirchen, Würzburg 1990, 9-28. 25 Aa.O., 9.

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lismus", "indem uns der Kanon der Kirche ein in vielen Punkten dif­ ferierendes Gottesbild zumutet, an dem wir theologisch und glaubens­ mäßig Bewährung finden können.,,26 Bewusst nimmt Poensgen die Phänomene von "Antijudaismus und Antisemitismus,,27 auch im kirchlichen Bereich in den Blick. Gerade deswegen sei das jüdisch-christliche Gespräch so notwendig: "Wir Prediger brauchen das Gespräch auch mit jüdischen Theologen, um uns deutlich zu machen, wo wir als evangelische und katholische Christen alte bzw. wieder neue Antijudaismen leben und ver­ kündigen." 28

Dabei sieht Poensgen im Alten Testament eine Quelle überindividu­ eller Verkündigung. Gegenüber neuzeitlicher Individualisierung wür­ den die alttestamentlichen Texte gerade "den Weg des Gottesvolkes,, 29 betonen. Kritisch setzt sich der Vf. mit den "klassischen hermeneutischen Modelle[n] alttestamentlicher Predigt"30 auseinander. Er benennt "Verheißung und Erfüllung", die "Antithese [...] von Gesetz und Evan­ gelium", "die christologische Auslegung", "eine [...] universalge­ schichtlich orientierte [... ] Hermeneutik", eine typologische Schriftaus­ legung und eine "theokratische Hermeneutik", die vor allem das Reich Gottes in den Mittelpunkt der Interpretation rückt.3! Dabei wird er­ kennbar, dass er die Modelle für unterschiedlich hilfreich hält, ohne dies umfänglich auszuführen. Als einen ersten neuen Ansatz präsentiert Poensgen ,,[d]ie Herme­ neutik der Strukturanalogie" :32 "Die Bibeltexte werden innerhalb des Kanons an die Ursprungssituation gebunden und sind gleichzeitig dazu bestimmt, beim Weitererzählen ihren Sinn zu erschließen.,,33 Für noch bedeutsamer hält Poensgen allerdings den Gedanken "der ,Erinnerung'" :34

26 27 28 29 30 31 32 33 34

A.a.O., 16. A.a.O., 17. A.a.O., 19. Ebd. A.a.O., 21. A.a.O., 21-23, im Original z. T. kursiv. A.a.O., 23, im Original z. T. kursiv. A.a.O., 24. Ebd., z. T. kursiv.

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"Erinnerung heißt: nach innen nehmen, aneignen, sich in dieses alttestamentliche Handeln einlassen. Nicht eine bewußtseinsmäßige Kategorie würde hier reaktiviert, sondern eine ganzheitliche Erfahrung, wie sie in der katholischen Meßliturgie das Kirchenjahr ermöglicht. Wir feiern ein Ostern, das älter ist als Jesu Tod und Auferstehung. Wir erinnern, d.h. vergegenwärtigen in der Osternacht, im ,Pascha' auch den 35 Aufbruch aus Ägypten und die Heimkehr aus dem Exil.,,

2.3 Das Kriterium der "Verbundenheit mit Israel" im Evangelischen Gottesdienstbuch (2000)36 und die Perikopenrevision (2017) Für den evangelischen Bereich sei zunächst auf das 7. Kriterium des Evangelischen Gottesdienstbuches verwiesen: "Die Christenheit ist bleibend mit Israel als dem erstberufenen Gottesvolk verbunden.,,37 Dabei wird die Verwurzelung des Christentums in den Traditionen des Judentums und dem Alten Testament ebenso betont wie die "beson­ dere Schuld gegenüber den Juden"38, die sich für die deutschen Kir­ chen durch den Holocaust ergeben habe. Daraus folgt: "Der Gottes­ dienst ist ein wichtiger Ort, an dem der Berufung Israels gedacht und die bleibende Verbundenheit mit Israel zur Sprache gebracht werden sol1.,,39 Helmut Schwier weist darauf hin, dass im Redaktionsprozess der Gedanke der bleibenden Verbundenheit mit Israel den Gedanken der bleibenden Erwählung Israels ersetzt habe,40 allerdings am Ende nicht deutlich erkennbar sei, "wie hier die Verbundenheit von Kirche und Israel gedacht wird.,,41 Was die faktische Umsetzung in den liturgischen Vorgaben angeht, stellt Schwier an einem Beispiel fest, "daß [in den Tagesgebeten zum 10. Sonntag nach Trinitatis, CBj keine Einschränkungen der Erwäh­ lung durch Gott erkennbar sind"42, sodass für ihn am Ende insgesamt 35 Aa.O., 25. 36 Wie Anm. 5. Vgl. dazu Helmut Schwier, Die Erneuerung der Agende. Zur Entste­ hung und Konzeption des "Evangelischen Gottesdienstbuches", Leit.NF 3, Han­ nover 2000. 37 Evangelisches Gottesdienstbuch (wie Anm. 5), 16. 38 Ebd. 39 Aa.O., 17. 40 Vgl. Schwier, Erneuerung (wie Anm. 36), v. a. 402-407. 41 Aa.O., 406. 42 Aa.O., 490.

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"eine Tendenz sichtbar wird, die zwar weder die zentrale Bedeutung des Themas noch Israels Erwählung negiert, wohl aber die eigene christliche Tradition stärker beachtet. ,,43 Während Schwier mit Blick auf das Evangelische Gottesdienstbuch noch von zunächst "erste[nl Korrekturen" sprach, "um dem ,Israel­ sonntag' eine neue Prägung zu geben"44, hat sich dies mit der im Jahr 2017 im Raum der Evangelischen Kirche in Deutschland beschlosse­ nen Perikopenrevision geändert.45 Hier ist der 10. Sonntag nach Trini­ tatis in doppelter Weise neu gefasst. Vor allem aber ist der Anteil der alttestamentlichen Predigttexte auf 1/3 angehoben worden. Für die Perikopenauswahl und damit auch für die christliche Predigt alttestamentlicher Texte stellt der Entwurf fol­ gendes fest: "Lineare Denkmuster erweisen sich daher angesichts der vielfaltigen Wechselbeziehungen der beiden Testamente und ihrer einzelnen Bücher untereinander als punktuell möglich, als Generalmodell für die Perikopenordnung aber unhaltbar. Die neutestamentlichen Texte sind nicht einfach die ,Erfüllung', das Alte Testament die ,verheißung'. Ebenso wenig ist das Alte Testament das ,Gesetz' und das Neue Testament das ,Evangelium'. Verheißung und Erfüllung, Gesetz und Evangelium können in der ganzen Heiligen Schrift gehört werden. Dies bedeutet nicht, die singuläre Bedeutung des Christusereignisses zu nivellieren. Selbstverständlich lesen Christinnen und Christen die Bibel immer von der Offenbarung Gottes in Jesus Christus herkommend und auf das Neuwerden dieser Offenbarung zugehend - und damit anders als Jüdinnen und Juden. Die Christusoffenbarung aber ist nur verständlich im Kontext des Zeugnisses der Bibel aus Alten und Neuem Testament und gewinnt nur innerhalb der Geschichte Gottes mit seinem 46 Volk Israel und den Völkern ihre Konkretion.,,

43 A .a.O. , 493. 44 A .a.O. , 489. 45 Neuordnung der gottesdienstlichen Lesungen und Predigttexte. Entwurf zur Er­

probung im Auftrag von EKD, UEK und VELKD, hg. im Auftrag der Kirchenämter von EKD, UEK und VELKD v. Christine lahn, Hannover 2014. 46 A.a.O. 27.

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2.4 Evelina Volkmann, [...] Predigtarbeit im Horizont des christlich­ jüdischen Gesprächs (2000)47 Die umfangreiche Studie von Evelina Volkmann kann hier nicht in Gänze präsentiert werden. Deswegen seien hier im Wesentlichen die Impulse "Elemente einer Homiletik im christlich-jüdischen Ge­ spräch"48 nachgezeichnet. Volkmann fordert fiir die Predigtarbeit, "statt eines absoluten Wahrheits anspruchs des Christentums die gleichberechtigte theologi­ sche Nachbarschaft von Christentum und Judentum zum Ausdruck zu bringen."49 Sie betont die "fundamentale [...] Erkenntnis der bleibenden Erwäh­ lung Israels,,50 und sieht "im Problem des Antijudaismus eine grund­ sätzlich relevante Herausforderung fiir die gegenwärtige christliche Verkündigung."51 Dabei sei die Predigtsituation immer schon als eine "Situation nach der Schoah"52 zu verstehen. Explizit fordert Volkmann "die Wahrneh­ mung jüdischen Glaubens anhand der Beschäftigung mit dem jüdi­ schen Selbstzeugnis".53 Die Angemessenheit der Predigt erweise sich ihrer Meinung nach insbesondere in "eine[r] differenzierte[n] Verwen­ dung des homiletischen Gesetzesbegriffes" .54 Explizit grenzt sich Volkmann von Vorstellungen einer "Enterbungslehre oder [der] ver­ meintliche[n] Angewiesenheit der Juden auf das Heil in Jesus Chris­ tus,,55 ab. Als Fehlformen der Predigt sieht Volkmann das "Substitutionsmo­ dell" (inklusive verschiedener Formen eines "Integrationsmodell[s]"),56 das "Typologiemodell" ,57 das "Illustrationsmodell"58 und

47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58

Wie Anm. 6. Aa.O., 260f. Aa.O., 260. Ebd. Ebd. Aa.O., 261. Ebd. Ebd. Ebd. Aa.O., 229f. Aa.O., 230. Ebd.

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das "Subsumtionsmodell".59 Für hilfreich hält sie dagegen das "Parti­ zipationsmodell",60 das "Komplementärmodell" 61 und das "Modell der zwei Wege".62 2.5 Karin Ulrich-Eschemann, Christliche Verkündigung mit Israel (2012)63 Als letztes Beispiel seien die grundlegenden Bemerkungen zum Pre­ digtband von Karin Ulrich-Eschemann herangezogen. Sie startet mit der These "Über Israel und die Kirche predigen - das ist nicht ganz so leicht, aber spannend!"64 Leitend ist für Ulrich-Eschemann das Verständnis von "Gott, de[m] Herr[n] der Geschichte: Der in der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Geschichte handelnde Gott ist der Bezugspunkt der bei­ den Größen Kirche und Israel und von hier aus muss die Beziehung bestimmt werden - dies immer wieder neu.,,65 Auch sie verweist auf die Verwurzelung der christlichen Liturgie im Judentum und folgert ganz grundsätzlich: "Israel als das auserwählte Gottesvolk muss für die Kirche als Volk Gottes, als notwendig und allem weiteren Denken und Reden als vorausgesetzt gelten."66 Wie Gott als Herr der Geschichte das Denken von Ulrich-Eschemann prägt, so ist es auch die Verbindlichkeit seines Handeins: "Von Gottes bleibendem und gleichbleibendem Handeln her gedacht, durch das Christen (Heiden) in Christus zum Volk Gottes erwählt werden, ist die Kirche bleibend Volk Gottes wie Israel bleibend Volk 67 Gottes ist.,,

So ist die Verbundenheit dann am Ende auch weniger in menschli­ cher Anstrengung zu suchen. Sondern Ulrich-Eschemann konstatiert:

59 A.a.O., 231. 60 Ebd. 61 Ebd. 62 A.a.O., 232. 63 Karin mrich-Eschemann, Christliche Verkündigung mit Israel. 20 Gottesdienste im Kirchenjahr, Dienst am Wort 149, Göttingen 2012. 64 A.a.O., 7. 65 A.a.O., 9. 66 A.a.O., 12. 67 A.a.O., 17.

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"Die Gemeinsamkeit und Verbindung wird durch Gottes Handeln her­ gestellt, nicht aber durch unser Tun, Verhandeln, Dialogisieren.,,68 3. Die Predigten Werner Kläns in der Woche nach dem 2.

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3.1 Die Textauswahl Hatte Herbert Poensgen noch konstatiert, dass bei relativ freier Text­ wahl naheliege, neutestamentliche Texte alttestamentlichen vorzuzie­ hen, ist bei dieser Andachtsreihe von Wemer Klän zu beobachten, dass er für die Morgengottesdienste der Hochschule, deren Textauswahl nach alter Gewohnheit der Leseordnung der Evangelischen Michaels­ bruderschaft folgt, nicht die Morgen-, sondern die Abendlesungen fiir seine Auslegungen ausgewählt hat.70 Es geht ihm also gezielt darum, das alttestamentliche Zeugnis in Erwartung der Geburt und Wiederkunft Jesu Christi zur Sprache zu bringen. 3.2 Die Einheit Gottes In den dargestellten Ansätzen ließ sich beobachten, dass Harald Po­ ensgen stärker die Plurifonnität der Gottesbilder im Alten und Neuen Testament betonte, während fiir Karin Ulrich-Eschemann gerade der eine Gott die entscheidende Verbindung zwischen Altem und Neuem Testament, zwischen Kirche und Judentum darstellt. Wemer Klän setzt in den Predigten ebenfalls bei der Einheit Gottes an. Dabei kann er Gott durchaus als "Gott Israels,, 71 bezeichnen und Israel als "Gottes heilige[s] Volk Israel,, 72 und damit auch das beson­ dere Verhältnis zwischen Gott und diesem Volk betonen. Zugleich ist dieser Gott für Klän selbstverständlich auch der Gott Jesu Christi und 68 A.a.O., 18. 69 Wie im vorherigen Aufsatz unter 3. abgedruckt: Werner Klän, Ansprache Wo­ chenbeginn, 11.12.2017, Jesaja 25,1-8 [im Folgenden zitiert als Klän, Jes 25,18]; Ders., Ansprache Mittwoch, 13.12.2017, Jesaja 44,6-9 [im Folgenden zitiert als Klän, Jes 44,6-9] und Ders., Ansprache Donnerstag 14.12.2017, Jeremia 31,17 [im folgenden zitiert als Klän, Jer 31,1-7]. 70 Vgl. Evangelisches Tagzeitenbuch, hg. v. d. Evangelischen Michaelsbruderschaft, 4., völlig neu gestaltete Auflage, Münsterschwarzach/Göttingen 1998, 38. 71 Klän, Jes 25,1-8, Gott Israels 228. 72 Ebd.

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der dreieinige Gott der Christen. In der Gottesprädikation werden alt­ testamentliche Verheißung und neutestamentliche Botschaft nicht ge­ geneinander ausgespielt, sondern fließen ineinander: "Das ist es, was den drei-Einen Gott auszeichnet, den Gott Abrahams, 73 Isaaks und Jakobs, den, zu dem Jesus Christus ,mein Vater' sagt [.. . ]"

Dieser Gott ist der Eine und bleibt es: "ER, ER allein ist Gott; ER, ER allein ist ewig; ER, ER allein kennt und weiß und verkündet, was war, was ist und was künftig sein soll. Denn ER ist der Erste und der Letzte, er ist gestern, heute und derselbe in Ewigkeit; ER, von dem Jesus ansagt, dass ER bei uns ist in Ewigkeit (Joh 14,6), ist unvergleichlich, unerreicht.,,74

3.3 Bleibende, verlässliche Liebe Zentral fiir das Gottesbild ist bei Klän die Liebe Gottes: "Das alles liegt begründet in Gottes grundloser, abgrundtiefer, unergründlicher Liebe zu seinem Volk, seinen Leuten, seinen Menschen. Auch wenn es zeitweise anders schien, war sie doch da. Auch wenn sie manchmal nicht zu spüren war, war sie doch vorhanden. Auch wenn sie sich unter ihrem Gegenteil verbarg - Gottes gerechtem Zorn nämlich -, blieb sie doch bestehen. [.. .] Ewig ist diese Liebe zu seinem Volk, unendlich, nicht befristet, unermesslich, unbegrenzt: sie gilt, sie steht, 75 sie fällt nicht hin und hört nicht auf.,,

Deswegen gilt: "Alles soll gut werden für Israel - jenseits der Zer­ störung." 6 Die Verheißungen sind entsprechend "verbindlich".77 "Und diese Verheißungen gehören Israel (Röm 9,4), denn Gott hat sein Volk nicht verstoßen (Röm 11,1f.), und Paulus hofft, dass ganz Israel geret­ tet wird (Röm 11,26). ,Denn Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen.' (Röm 11,29)".78 Klän betont entsprechend ganz die Verlässlichkeit dessen, was Gott gesagt hat: 73 74 75 76 77 78

Klän, Jes 44,6-9, 230. A.a.O., 230. Klän, Jer 31,1-7, 233. A.a.O., 232. Klän, Jes 25,1-8, 228. Ebd.

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"An solcher Verheißung ist nicht zu deuteln; an diesem Zuspruch ist nicht zu zweifeln. [.. .] Warum? Weil ihnen Gottes Wohlwollen gilt; weil Gott ihnen freundlich gesinnt ist, weil Gott ihnen liebevoll zugetan ist." 79

3.4 Erfiillung in Christus Im Unterschied zu Ansätzen, die dem Schema von Verheißung und Erfüllung skeptisch gegenüberstehen, verwendet Klän die Vorstellung der Erfiillung sehr wohl, ohne damit eine Abwertung dessen zu ver­ binden, was vorher war: "Wir kommen her von der Erfüllung dessen, was Gott im alten Bund als das Künftige verkündete. Wir kommen her von dem, was Gott ausgesagt hat, hören lassen hat und zur Tat und Wirklichkeit hat werden lassen: Dass ER ein Fels ist, fest, verlässlich, vertrauenswürdig, zuverlässig, belastbar, ansprechbar. Des sind wir Zeugen. Denn wir kommen her vom Kind in der Krippe, vom Heiland am Kreuz, vom unglaublich nahen Gott in Jesus Christus, in dem der Unvergleichliche sich uns gleichgemacht hat, in dem der Unerreichte uns erreicht hat und nun für uns erreichbar ist. Wir kommen her von gefüllter Zeit, erfüllter Hoffnung in der Mitte der Zeit, da Gottes Ansage zu Gottes Tat wurde, Gottes Ankündigung zu Gottes Ankunft für uns, ja Gottes Wort Fleisch so wurde und seine Behausung für uns, unter uns aufschlug."

So kann für Klän eine Predigt in Verbundenheit mit Israel nicht an Jesus Christus vorbeigehen. Ja, mehr noch, auch das im interreligiösen Gespräch immer wieder anstößig wirkende Wort aus Joh 14,6 kann Klän in einem solchen Zusammenhang explizit aufnehmen: ,,[.. .] dieser Gott, der will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen; dessen ewiger Sohn, unser Gottesbruder, für sich in Anspruch nimmt: ,Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben'; der in Person des Heiligen Geistes uns in alle Wahrheit leiten wird, indem ER uns alles lehrt und an alles erinnert,

79 Klän, Jer 31,1-7, 233. 80 Klän, Jes 44,6-9, 231.

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was Jesus seinen Jüngern mitgab 1 Monopolanspruch.,,8

- dieser Gott erhebt einen

3.5 Verzicht auf ein Urteil Dabei verzichtet Klän auf ein Urteil, was das Judentum angeht. Weder stellt er fest, dass die Juden verloren sind, weil sie nicht zum Glauben an Jesus Christus gekommen sind, noch nimmt er zwei Heilswege an, einen mit und einen ohne Christus. Vielmehr nimmt er das Wort Gottes als Anrede an die jeweils an­ wesende Hörergemeinde wahr, das sie als Gesetz und Evangelium zu Umkehr und Glauben rufen soll und es auch tut. Darauf liegt der Ak­ zent nicht auf Spekulationen, wer sonst noch zum Glauben kommt oder nicht. Parallel zur Kritik von Helmut Schwier an den Redaktionsarbeiten des Evangelischen Gottesdienstbuches könnte man Klän kritisch fra­ gen, ob er nicht am Ende eine präzise Verhältnisbestimmung von Kir­ che und Judentum unterlässt. Andererseits wäre dies von einer Reihe von Hochschulandachten womöglich auch zu viel verlangt und viel­ leicht lehrt der Argumentationsgang vom Röm 9-11 auch gerade dies, dass sich das komplexe Thema nicht bis ins Letzte sorgfältig klären lässt, sondern eine gewisse Hoffnung bleibt.

3.6 Erwartungsgemeinschaft Die "Hinweise für eine richtige Darstellung von Juden und Judentum" hatten unter anderem auch auf die gemeinsame Erwartungsgemein­ schaft von Christen und Juden hingewiesen. Ohne beides unmittelbar in einen Zusammenhang zu setzen, entstehen auch bei Klän struktu­ relle Parallelen, wenn es heißt: "Darum ergeben sich großartige Aussichten für die Zukunft: Ein Festmahl soll gehalten werden, wo es lange nur Tränenbrot zu essen gab; alle Welt soll daran teilnehmen, weil sich den Menschen enthüllt, was es mit Israel und seinem Gott auf sich hat. Und nachdem die Gegner und Feinde des Gottesvolkes niedergerungen, besiegt und vertrieben sind, wird Gott auch den letzten Feind der Menschheit entmächtigen, 2 entmachten, vernichten, den Tod.,, 8

81 A.a.O., 230. 82 Klän, Jes 25,1-8, 228.

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Und später führt Klän dann mit Blick auf die Hörer aus: "Und die endzeitliehe Erwartung der Christenheit besagt, dass Gottes Zukunft nicht aus-steht, sondern ein-steht. Zum Ende der Zeiten und der Welt ist es Christus selbst, der auf uns zukommt. Mitten in den Widrigkeiten des Weltenlaufs, unter den Bedrohungsszenarien dieser Welt, in der oft Angst einflößenden und fürchterlichen Wirklichkeit unserer Zeit setzen wir Christen darauf, dass Gott schon hilfsbereit unterwegs ist zu uns. Völlige Vollkommenheit aber werden wir dann in der endzeitlichen, himmlischen Vollendung erleben. Und die wird nichts anderes sein als die Erfüllung dessen, was Israel hier verheißen ist. Gott hat eingegriffen und unser Geschick gewendet. Gott hat die Herrschaft der Verderbensmächte über uns gebrochen und beendet."B3

3.7

Partizipationsmodell statt Substitutionsmodell

Fragt man in Rückgriff auf die von Volkmann präsentierten Katego­ rien auf das Modell, das Klän für die Verhältnisbestimmung von Israel und Kirche verwendet, dann ist offensichtlich: Ein Substitutionsmo­ dell ist es nicht: ,,[C]hristliche Enterbungsbehauptungen sind [...] schriftwidrig und unlutherisch!!!" Am ehesten wird man Klän Ausfiihrungen im Wesentlichen einem "Partizipationsmodell" zuordnen können. Die Kirche aus den Heiden ist zum Volk Gottes hinzugekommen, hat Anteil gewonnen an dem Vorrecht Israels, Gottes Volk zu sein. In Anspielung auf 2. Kor 3, ein Kapitel, das durchaus eine erhebliche antijüdische Wirkungsgeschichte gehabt hat, wird das Motiv der "De­ cke" von Klän nun in überraschender Weise gerade auf die Heiden angewandt: "Denn unsere Vorväter aus den Heiden waren es ja, denen die Hülle von ihren Augen entfernt werden musste, damit sie den wahren Gott, den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs erkannten; unseren Vorfahren musste die Decke weggenommen werden, die sie - wie alle Heiden zudeckte, damit sie Zugang fanden zu dem Gott, der in Christus auch s4 sie zum Heil erwählt hat."

83 A.a.O., 229. 84 A.a.O., 228.

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Christoph Barnbrock

Entsprechend kann Klän den Gott Israels und den Gott der Christen auch folgendermaßen beschreiben: "Dieser Gott, der Israel zu seinem Augapfel erwählt hat, sodass für uns Christen aus den Heiden bleibend gültig bleibt: ,Das Heil kommt von

S den Juden'''. 5

Und so kann Klän seine Hörer ermahnen: "Wir sollten damm wissen und nicht vergessen, dass nicht wir die Wurzel tragen, sondern die Wurzel uns (Röm 1 1, 18). Von ihr, nämlich der Selbstoffenbamng Gottes - zunächst an Israel, in Jesus Christus dann auch an uns - getragen sind wir geladen zum endzeitlichen Gast­ S6 und Festmahl Gottes."

3.8

Gegen den Antijudaismus und Antisemitismus

Dabei ist allen Ausführungen Kläns das Ringen um eine angemessene Achtung Israels und der Widerstand gegen alle Formen von Antijuda­ ismus und Antisemitismus abzuspüren. Es ist nicht zufällig, dass der Satz, der mit drei Ausrufezeichen am stärksten herausgehoben ist, ge­ nau dieses Themenfeld berührt ("Theologischer Antijudaismus, christ­ liehe Enterbungsbehauptungen sind folglich schriftwidrig und un­ lutherisch!!!" S7 ). Entsprechend betont Klän auch die Wurzeln des Christentums im Judentum, wenn er die Herrenmutter bewusst mit hebräischen Namen bezeichnet und mit Luther festhält: "Es betrifft auch uns, weil Gottes ewiger Sohn Mensch geworden ist, geboren von Mirjam, seiner jüdi­ schen Mutter, der Jungfrau Maria, wie auch Martin Luther wusste, dass ,Maria eine reine Magd und Christus von Abrahams Samen ein wahrhaftiger Jude sei. ·ss Ganz bewusst kann er von daher auch Chris­ tus als "der Jude Jesus"S9 bezeichnen. Eine Ablehnung oder Herabset­ zung alles Jüdischen ist im Rahmen solcher Gedankengänge nicht möglich. ..

85 86 87 88 89

Klän, Jes 44,6-9, 230. Klän, Jes 25,1-8, 228. Ebd. Klän, Jer 31,1-7, 233f. A.a.O., 234.

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4.

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Schlussgedanken

Die vorliegenden Predigten Werner Kläns sind ein Beispiel dafür, wie eine verantwortete christliche Predigt aussehen kann, die das biblische Zeugnis ernstnimmt, die jüdischen Brüder und Schwestern Jesu Christi auch in ihrer heilsgeschichtlichen Würde respektiert und von daher allem Antijudaismus energisch entgegentritt. Dabei zeigt sich hier tatsächlich eine andere Akzentsetzung als sie bspw. Matthias Krieser in seiner Kritik an Studie "Lutherische Kirche und Judentum" der Theologischen Kommission vorgelegt hat, wenn dieser schreibt: "Die Besonderheit des leiblichen Volkes Israel besteht lediglich darin, daß Gott sein Heil durch dieses Volk vorbereitet und offenbar gemacht hat. An diesem Punkt hätte die Studie die heilstheologischen Grundlagen besser klären müssen, anstatt sieh auf den Begriff einer gO ,unauflösliche [sie] Spannung' zurückzuziehen."

Dabei wäre zu diskutieren, ob eine "Klärung" an diesem Punkt tat­ sächlich so viel Ertrag brächte oder ob der von Klän gewiesene Weg, sich an die Treue und Liebe Gottes und den Bestand seiner Verheißun­ gen zu halten, ohne alle Fragen bis ins Letzte klären zu wollen und zu können, nicht doch der weiterführende ist. Ich selbst jedenfalls bin dieser Meinung.

90 Krieser, Rezension (wie

Anm.

2), 134.