Lutherische Theologie und Kirche, Heft 03-04/2018 - Einzelkapitel - »Angesichts Israels predigen«: Redaktion: Ruprecht, Edition 9783846997949, 3846997949

Gegenwart muss angesichts der Geschichte gestaltet werden. Werner Klän führt uns in seine Überlegungen zum »Predigen ang

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Lutherische Theologie und Kirche, Heft 03-04/2018 - Einzelkapitel - »Angesichts Israels predigen«: Redaktion: Ruprecht, Edition
 9783846997949, 3846997949

Table of contents :
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Angesichts Israels predigen
1. Zur Aktualität des Themas
2. Beobachtungen zum Ölbaum-Gleichnis (Röm 1 1)
3. Predigen angesichts Israels
4. Beten angesichts Israels

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Edition

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Copyright © 2019 Edition Ruprecht ISBN: 9783846997949

Werner Klän

Lutherische Theologie und Kirche, Heft 03-04/2018 -Einzel kapitel - »Angesichts Israels predigen«

Lutherische Theologie und Kirche, Heft 03-0412018

Edition Ruprecht

WERNERKLAN

Angesichts Israels predigen 1. Zur Aktualität des Themas Großes Aufsehen hat kürzlich ein Beitrag von Joseph Ratzinger - Be­ nedikt XVI. über "Gnade und Berufung ohne Reue. Anmerkungen zum Traktat De Iudaeis" erregt. 1 Kurt Kardinal Koch, Vorsitzender der Päpstlichen Kommission für die religiösen Beziehungen zum Juden­ tum, hatte der Veröffentlichung ein Geleitwort vorangestellt, in dem er urteilte, dass die "Reflexionen" des emeritierten Papstes "eine wich­ tige Antwort auf die Einladung der Vatikanischen Kommission zu ei­ nem vertieften theologischen Dialog zwischen der Katholischen Kirche und dem Judentum" darstelle; er äußerte dabei die Überzeugung, "dass der vorliegende Beitrag das jüdisch-katholische Gespräch bereichern wird.,,2 Die Internationale Konferenz Bekennender Gemeinschaften würdigte in einer Erklärung vom 10. Sonntag nach Trinitatis - in der evangelischen Liturgie stets der "Israelsonntag" - als "ermutigende Klarstellung" und "ein auch fiir die evangelischen Kirchen und die ganze Ökumene höchst bedeutsames Dokument": "Benedikt hat zu Recht hervorgehoben, dass die allumfassende Erlösung durch Jesus Christus speziell auch das Bundesvolk der Juden mit seinen Verhei­ ßungen einschließt".3 In einem Schreiben an Kardinal Koch allerdings äußerte die Ortho­ doxe Rabbinerkonferenz "Fragen und Zweifel".4 Der Beitrag werfe die Frage auf, ob "die katholische Kirche das gegenwärtige Judentum wertschätzen kann und worin sich diese Wertschätzung theologisch

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Joseph Ratzinger - Benedikt XVI., Gnade und Berufung ohne Reue. Anmerkun­ gen zum Traktat "De Iudaeis", IkaZ 47 (2018), 388-406. Kurt Kardinal Koch, Geleitwort, IkaZ 47 (2018), 387. Ulrich Rüß/Werner Neuer, Eine ermutigende KlarsteIlung. Erklärung der Internationalen Konferenz Bekennender Gemeinschaften, KNA-ÖKI 34, 21.08.2018, VIII. Fragen und Zweifel. Schreiben der Orthodoxen Rabbinerkonferenz an Kardinal Koch, KNA-ÖKI 34, 21.08.2018, If. I.uThK 42 (2018), 217-238 DOI 10.2364/3846997949

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ausdrückt .5 Kardinal Koch bemühte sich daraufhin, "Irritationen auszuräumen .6 Er beteuerte, dass es sich "nicht um einen lehramtlichen Text" handele, "sondern um die theologische Sicht des emeritierten Papstes .7 Der gesamte Text wolle von seinem Schluss her gelesen werden, da Joseph Ratzinger - Benedikt XVI. Paulus zitiert: "Reuelos (unwiderruflich) sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt" (Röm 1 1,29). 8 Die Erwägungen des emeritierten Papstes richteten sich, so der Kar­ dinal, "in erster Linie an die Katholische Kirche .9 Es könne für Chris­ ten nicht darum gehen, "das ,Alte Testament' zu verabschieden", viel­ mehr auch darum, "von der durch 2.000 Jahre hindurch praktizierten jüdischen Exegese" zu lernen.lO Antisemitismus und Antijudaismus seien von Benedikt XVI. wiederholt als "Atheismus" verurteilt worden. Allerdings handele es sich in diesem Aufsatz um "eine Antwort aus christlicher Sicht . 1 1 Im Übrigen gelte: "Die Erneuerung des Verhält­ nisses der Katholischen Kirche zum Judentum ist irreversibel". 1 2 Auch für Joseph Ratzinger - Benedikt XVI. steht unumstößlich fest, "dass Christen und Juden den gleichen Gott anbeten und die heiligen Bücher Israels auch heilige Bücher der Christenheit sind. Der Glaube Abrahams ist auch der Glaube der Christen, Abraham ist auch für sie ,der Vater im Glauben· . ]] Zu ergänzen ist aus lutherischer Sicht, dass der Bezug auf Röm 4,3-5 und Gal 3,6-9 einschließt, dass es sich zumindest in der Deutung des Paulus - beim Glauben Abrahams um den rechtfertigenden Glauben handelt. 1 4 Der emeritierte Papst hält es für ausgemacht, "dass Israel bzw. das Judentum immer eine besondere Stellung behielt und nicht einfach in ..

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5

A.a.O., II.

6

Kardinal Kurt Koch, Irritationen ausräumen. Antwort an die Orthodoxe Rabbinerkonferenz, KNA-ÖKI 34, 21.08.2018, III-VIL A.a.O., IIL

7 8 9 10 11

A.a.O., VII. A.a.O., IV. Ebd.

Kardinal Kurt Koch, Auskunft über Selbstverständnis. Keine Infragestellung, son­ dern eine Vertiefung des Dialogs mit Juden, KNA-ÖKI 33, 14.08.2018, I-IV, hier I.

12 Koch, Irritationen (wie Anm. 6), VII. 13 Ratzinger - Benedikt, Gnade (wie Anm. 1), 390. 14 Vgl. z.B. Fe-SD IIL Von der Gerechtigkeit des Glaubens vor Gott, BSELK 1400f.

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die Welt der Religionen untertaucht".15 Die Differenz liegt für ihn da­ rin' dass Jesus den Sinai-Bund "in seine endgültige Gestalt gebracht" habe, so dass dieser "zum neuen Bund wurde" - und zwar durch "die Gabe seines Leibes".16 So sei eine christliche Relecture der "heiligen Bücher von Christus her gleichsam von Gott legitimiert". 17 Von da aus nimmt er die Thesen des Ir. Vatikanischen Konzils zustimmend auf, "dass Israel nicht durch die Kirche substituiert werde, und dass der Bund nie gekündigt worden sei", meint aber, sie "müssen kritisch wei­ ter bedacht werden.,, 18 Dies fuhrt der emeritierte Papst dahingehend aus, dass - aus christ­ licher Sicht - der Tempelkult "seinen Sinn und seine Erfullung nur darin findet, dass er Zugehen auf das Opfer Jesu Christi ist". Diese Perspektive will er aber nicht als Substitution verstanden wissen, viel­ mehr als "ein Unterwegssein, das schließlich eine einzige Realität wird und dennoch das notwendige Verschwinden der Tieropfer, an deren Stelle (,Substitution') die Eucharistie tritt.,, 19 Zu ergänzen ist aus lu­ therischer Sicht, dass hier ein bestimmtes Verständnis der Feier des Herrenmahls vorausgesetzt wird, nämlich ihr Opfercharakter; zu fra­ gen ist aus lutherischer Sicht, in welchem Sinn das Heilige Abendmahl denn Opfer sei, das in Analogie und Überbietung der Tempelopfer ge­ deutet werden könne. 2o Bezüglich "Recht und Moral" der Tora sieht Benedikt XVI. "nicht Aufhebung und nicht Substitution, sondern Vertiefung in unverän­ derter Gültigkeit". Freilich bleibe festzuhalten: "Der gekreuzigte Chris­ tus hat alle unsere Schuld getragen."2 1 Und darum müsse auch be­ hauptet werden: "Die Frage nach der Messianität Jesu ist und bleibt

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21

Ratzinger - Benedikt, Gnade (wie Anm. 1), 392. Aa.O., Aa.O., Aa.O., Aa.O.,

390. 39 1 . 392. 394.

Vgl. Roland Ziegler, Das Eucharistiegebet in Theologie und Liturgie der lutheri­ schen Kirchen seit der Reformation. Die Deutung des Herrenmahles zwischen Promissio und Eucharistie, OUH.E 1 2 , Göttingen 2013, bes. 160- 1 84; vgl. zudem neuerdings in konvergenter Absicht: Evangelical Lutheran Church 01 FinlandjCa­ tholic Church in Finland, Communion in Growth. Declaration on the Church, Eucharist, and Ministry. A Report from the Lutheran-Catholic Dialogue Commis­ sion for Finland, Helsinki 20 1 7, 50-55, 7 1 f. Ratzinger - Benedikt, Gnade (wie Anm. 1), 395.

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die eigentliche Streitfrage zwischen Juden und Christen.,,22 Ratzinger deutet - wie schon in seinem Jesus-Buch - Jesus als den "neuen Mose" (Dtn 34,10).2 3 Sein Geschick als "des Gekreuzigten und Auferstande­ nen" ist "in den Büchern vorgezeichnet", wie die Emmaus-Perikope erweist.2 4 Die "Landverheißung" beantwortet Ratzinger so, dass er der Staatsgründung Israels einen "nicht-theologische[n] Charakter" zu­ schreibt, ohne dem "Volk der Juden" "einen naturrechtlichen An­ spruch auf ein eigenes Land" zu bestreiten.2 5 Benedikt XVI. - Josef Ratzinger präsentiert schließlich eine eigene "Bundestheologie": Der biblische Sachverhalt stelle eine "dynamische Realität" dar, "die sich in einer sich entfaltenden Reihe von Bünden konkretisiert".2 6 In dieser Geschichte sei kennzeichnend, dass sie "ei­ nerseits durch die Kontinuität von Gottes Wahl als unzerstörbar ge­ tragen" zu sehen sei, andererseits "durch das ganze Drama menschli­ chen Versagens mitbestimmt,,2 7 . Der Papst resümiert: "Der ganze Weg Gottes mit seinem Volk findet schließlich seine Zusammenfassung und endgültige Gestalt im Abendmahl Jesu Christi, das Kreuz und Aufer­ stehung vorwegnimmt und in sich trägt.,,2 8 In solcher "Umstiftung" erhalte der Sinai-Bund "eine neue und fiir immer gültige Gestalt".29 Der Bochumer Neutestamentler Thomas Söding hält in seiner Reak­ tion auf die Veröffentlichung und die sich anschließende Diskussion daran fest, dass es im Verhältnis zwischen Christen und Juden der "Notwendigkeit der Umkehr, der Bitte um Vergebung und der Suche nach einem Neuanfang" bedürfe.3D Er besteht darauf, "dass die Orien­ tierung an Jesus, die christliche Lektüre des ,Alten Testaments', der Bibel Israels, der Glaube an die Auferstehung Jesu von den Toten und der Aufbruch der jungen Kirche zur Mission der Völker nicht den Keim eines Krieges mit Juden in sich birgt, sondern Unterschiede macht, die

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Ebd. A.a.O., A.a.O., A.a.O., A.a.O., A.a.O., Ebd. A.a.O.,

396; vgl. Werner Klän, Der Papst und Jesus, LuThK 32 (2008), 1 34- 160. 398. 399-402, hier 40 1. 402-406, hier 403. 404. 405.

Thomas Söding, Im Sturmzentrum. Ein Artikel des emeritierten Papstes Benedikt XVI. Über das Verhältnis von Judentum und Christentum schlägt hohe Wellen, HerKorr 08/20 1 8 , 1 3- 1 6, hier 1 3.

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den Glauben an Gott und die Liebe zum Nächsten verbreiten.,, 31 Gegen die Kritik aus jesuitischer und jüdischer Sicht nimmt Söding den eme­ ritierten Papst in Schutz: Sein Beitrag diene "einer innerkatholischen Verständigung".32 Es sei in der Tat "eine Frage des Glaubens [ ], in Jesus das Wort Gottes selbst zu sehen und zu hören, das er nicht nur verkündet, sondern geradezu verkörpert." 33 Die Kernfrage sei, "wie Is­ rael und die Kirche in diesem" - nach Ratzinger im Blute Jesu in den neuen Bund umgestifteten - Sinai-Bund "ihren Weg gehen."34 Söding ist - auch aus lutherischer Sicht - darin zuzustimmen, das es in "der christlichen Israel-Theologie [ ] drei Dollpunkte" gebe: "das Bekenntnis zur gemeinsamen Vergangenheit, die Hoffnung auf die ge­ meinsame Zukunft und die Anerkennung eines Dissenses in der Ge­ genwart."35 In der Tat hat Kardinal Koch recht mit der Betonung, dass es im jüdisch-christlichen Dialog theologisch darauf ankomme, dass "wir sowohl bezeugen, was uns gemeinsam ist, als auch drüber ins " Gespräch kommen, was uns unterscheidet . 36 Dabei bleibt - unaus­ weichlich - "der sensibelste Punkt im jüdisch-christlichen Gespräch die Christologie, beziehungsweise das Messiasverständnis". 37 Auch aus konfessionell-lutherischer Sicht ist zu behaupten, dass "Gott seine Verheißungen an das Volk Israel nicht widerrufen" hat, sondern "an seiner Erwählung" festhält, wie es in einem Grundsatz­ papier des - inzwischen aufgelösten - Arbeitskreises der Selbständi­ gen Evangelisch-Lutherischen Kirche für Zeugnis unter den Juden e.V. aus dem Jahr 1992 heißt.38 Angesichts der teils vernichtenden Kritik an seinen Anstößen hat sich Josef Ratzinger - Benedikt XVI. noch einmal zu Wort gemeldet. Darin unterscheidet er "zwischen Altem Testament und Judentum", und zwar so, dass er das Alte Testament als "die gemeinsame Bibel . . .

. . .

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Ebd. Aa.O., 15. Ebd. Aa.O., 16. Ebd. Koch, Auskunft (wie Anm. 1 1 ), IL Aa.O., IV. Was meint der Arbeitskreis der Selbständigen evangelisch-Lutherischen Kirche für Zeugnis unter den Juden (AZJ) mit " Zeugnis unter den Juden"?, in: Werner Klän/Gilberto da Silva (Hg.), Quellen zur Geschichte selbstständiger evangelisch­ lutherischer Kirchen in Deutschland. Dokumente aus dem Bereich konkordien­ lutherischer Kirchen (OUH.E 6), Göttingen 22010, 500-504, hier 502.

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von Juden und Christen" kennzeichnet; für Christen freilich sei das Neue Testament als "die richtige Auslegung des Alten verbindlich". Insofern könne das "Christentum als neue Interpretation des Alten Testaments" gelten, und "die großen Verheißungen an Israel zugleich als Hoffnung der Kirche". Weil aber Israel - im Unterschied zu den in Mt. 28, 19 adressierten "Völkern" - "den ,unbekannten Gott' kannte[]" sein "nicht Mission, sondern der Dialog darüber, ob Jesus von Naza­ reth ,der Sohn Gottes, der Logos' ist, auf den gemäß den an sein Volk ergangenen Verheißungen und, ohne es zu wissen, die Menschheit wartet." Um diesen Dialog sei es jetzt zu tun.39 Konkordienlutherisch ist des Weiteren zu bemerken, dass noch die Väter der Konkordienformel von einer gesamtmenschlichen, die Juden einschließenden Solidarität unter der Gerichtsdrohung Gottes wissen. Exemplarisch wird Israel dann als Typos eines "verworfenen" Volkes begriffen. Freilich wird diese Typologie aufgehoben im Wissen um dieselbe Schuldverfallenheit auch eines "christlichen" Volkes. Hier wird gerade nicht abwertend geurteilt, sondern in Solidarität der unter der Gerichtsdrohung stehenden Sünder. Zu beachten ist in diesem Zu­ sammenhang, dass zumindest dem alttestamentlichen Israel als Got­ tesvolk des Alten Bundes ein Vorhandensein von "Kirche" in seinen Reihen zuerkannt wird. Mit der Abweisung falschen Gottesdienstes in Israel ist nämlich ein Beispiel gegeben, "wie Gott unter Israel und Juda dennoch seine kirch, das ist etliche heiligen" erhalten hat.40 2.

Beobachtungen zum Ölbaum-Gleichnis (Röm 1 1)

Insofern ist kategorisch zu bestreiten, Israel habe "den Segen des Si­ naibundes durch permanenten Ungehorsam verloren".41 Es ist gleich-

39 Joseph Ratzinger - Benedikt XVI., Richtigstellung - Nicht Mission, sondern Dia­ log, HerKorr 1 2/20 1 8 , 1 3f. 40 ApolCA 24, BSELK 660. 41 Matthias Krieser, Ist ludenmission geboten oder böse? Lutherische Beiträge 2 2 (2017), 49-53, hier 51 . Bereits die Fragestellung ist zweifelhaft, da sie einen eher rechtlichen mit einem moralischen Begriff kontrastiert. Die Ignoranz des Verf. gegenüber der historischen deutschen Verantwortung, die sich aus den allzu er­ folgreichen antisemitischen Vernichtungsstrategien in der Zeit des Nationalsozi­ alismus ergibt, ist offenkundig: " Ich will hier nicht erörtern, ob Deutsche ange­ sichts historischer Altlasten nicht besser darauf verzichten sollten, luden zur Um­ kehr aufzurufen." (a.a.O., 49) Entgegen seiner Behauptung ist dies eine höchst

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ermaßen der Auffassung zu widersprechen, dass Paulus "im Römer­ brief an das Bild vom gefällten Baum" (nach Jes 6,13) angeknüpft und "gleichnishaft erklärt" habe, "daß die Heidenchristen wie beim Ver­ edeln eines Olivenbaumes in den Baumstumpf Israels eingepfropft sind".42 Vom "Fällen" des Ölbaums ist bei Paulus gar keine Rede,43 nur davon, dass "einige von den Zweigen ausgebrochen wurden" (Röm 11,17). Auch ist der Bezug des Paulus offenkundig nicht Jesaja 6,13 44, sondern Jeremia 11,16; da galt Israel zunächst für "einen grünen, schönen, fruchtbaren Ölbaum,, 45. Hier wird auf den Wortlaut der Hei­ ligen Schrift nicht sorgsam geachtet, vielmehr - wie (un)bewusst auch immer - tendenziell Eisegese aus antijudaistischer Tradition getrieben. Eine solche Tendenz ist in einer Zeit, in der beschämenderweise Men­ schen jüdischen Glaubens und jüdischer Abstammung in Europa wachsendem Antisemitismus ausgesetzt sind - und dies in besonders schändlicher Weise in Deutschland, mehr als fahrlässig; sie ist theolo­ gisch verantwortungslos. Festzuhalten ist in diesen Zusammenhängen: Beide Propheten dro­ hen in der Tat mit Gottes Gericht; diese Gerichtsdrohungen sind aller­ dings historisch eingelöst, zum einen durch die Eroberung des Nord­ reichs (732; 722/721), zum anderen durch die Eroberung Jerusalems

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45

politische Stellungnahme, die allzu nahe bei zeitgenössisch populistischen Ten­ denzen zur Vergangenheitsvergessenheit angesiedelt ist. Folgerichtig, nämlich ohne geschichtliches Bewusstsein, bricht Verf. mit dem Verständnis christlichen Zeugnisses gegenüber den Juden, wie es der AZJ (vgl. Anm. 38) formuliert hat. Vgl. Werner Klän, Luthers Stellung zu den Juden - Ein schwieriges Erbe der lu­ therischen Kirche, LuThK 4 1 (2017), 1 64-185. Krieser, Judenmission (wie Anm. 4 1 ), 52. "Paul does not mention the trunk but only the root and the branches of the tree, so we should respect the limits of the imagery used by Paul." (Pabio T. Gadenz, Called from the Jews and from the Gentiles. Pauline Ecclesiology in Romans 91 1 , Tübingen 2009, 265). "Auch wenn nur der zehnte Teil darin bleibt, so wird es abermals kahl gefressen werden, doch wie bei einer Terebinthe oder Eiche, von denen beim Fällen noch ein Stumpf bleibt" "Der HERR nannte dich einen grünen, schönen, fruchtbaren Ölbaum; aber nun hat er mit großem Brausen ein Feuer um ihn anzünden lassen." Vgl. Karl-Hein­ rich Rengstolj, Das Ölbaum-Gleichnis in Röm 1 1 , 1 6ff, in: E. BammeljC.K. Bar­ rettjW.D. Davies (Hg.), Donum Gentilicium. New Testament Studies in Honour of David Daube, Oxford 1978, 1 2 7 - 1 64, hier 1 36.

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(586). Gleichwohl weiß Jeremia nichts von einer völligen Verwerfung Israels, im Gegenteil:

"So spricht der HERR, der die Sonne dem Tage zum Licht gibt und den Mond und die Sterne der Nacht zum Licht bestellt; der das Meer bewegt, dass seine Wellen brausen - HERR Zebaoth ist sein Name -: Wenn jemals diese Ordnungen vor mir ins Wanken kämen, spricht der HERR, so müssten auch die Nachkommen Israels aufhören, ein Volk zu sein vor mir ewiglich. So spricht der HERR: Wenn man den Himmel oben messen könnte und den Grund der Erde unten erforschen, dann würde ich auch verwerfen alle Nachkommen Israels für all das, was sie getan haben, spricht der HERR" (Jer 3 1,37). Im Übrigen ist darauf aufmerksam gemacht worden, dass die Lu­ ther-Übersetzung von Röm 1 1, 15 bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nicht von "Verwerfung", sondern von "Verlust" spricht; es gehe bei Paulus also um eine zeitweilige "Zurücksetzung" Israels wegen ihres Unglaubens.46 Auf diese Weise, nämlich durch Gottes eigenes Han­ deln, geradezu als "Tat des Deus absconditus"47, kommt es zur Teil­ habe "der Nichtjuden (tendenziell aller Menschen) an Israels Gottes­ verhältnis".48 Paulus, der jüdische Apostel der Heiden ist samt anderen Verfassern neutestamentlicher Schriften dessen gewiss, dass die Erwählung Isra­ els "die eigene, der Juden, die Christen geworden sind und als Christen immer noch Juden bleiben", einschließt.49 Darum mahnt der jüdische Völkerapostel die Heidenchristen unter seinen Adressaten in Rom: " ... rühme dich nicht gegenüber den Zweigen. Rühmst du dich aber, so sollst du wissen: Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich." (Röm 1 1, 18) Die Christen aus den Heiden haben nämlich gar keinen Grund, sich zu rühmen.50 Denn die Heidenchristen sind "nur

46 47 48 49 50

Klaus Haacker, Der Brief des Paulus an die Römer, THNT 6, Leipzig 32006, 2 5 5f. A.a.O., 2 5 1 . A.a.O., 2 59. Söding, Sturmzentrum (wie Anm. 30), 15. "It is not just that the Gentile-Christians should not boast (even though they have reason to do so); it is rather the case that they have no reason to boast." (Gadenz, lews [wie Anm. 43], 249).

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Hinzugenommene"sl. Überhaupt ist zu bedenken, dass der Römerbrief zu einer Zeit verfasst wurde, als eine "Erstarrung der Fronten" zwi­ schen Juden und Judenchristen noch nicht erfolgt warS2 , so dass Pau­ lus wie das Rabbinat, jedenfalls vor der Zerstörung Jerusalems, Abra­ hams Rolle sowohl in seiner "grundlegende[n] Bedeutung für Israel"s3 als auch in einer "die ganz Menschheit umfassende[n] Funktion"s4 zu begreifen und darzustellen. Nach dem Ölbaumgleichnis (Röm 11,17-24) - "für Paulus der Schlüssel überhaupt, um das Verhältnis von Israel und Heidenchristen zu denken"ss - und der Hoffnung des Apostels auf endzeitliche Ret­ tung ganz Israels (Röm 11,25-32) muss Israel vielmehr zugestanden werden, dass "Paulus mit dem Vorhandensein von Saft in der Wurzel des von ihm bildlich verwendeten Ölbaums rechnet"s6. Die Wurzel oder der "Wurzelstock"s7 - ist mit größter Wahrscheinlichkeit auf die Patriarchen des Gottesvolkes zu deuten.s8 Auch wenn aus der Wurzel "einige von den Zweigen ausgebrochen wurden" (Röm 11,17; Hervor­ hebung W.K.), nämlich der Teil Israels der nicht zum Glauben an Jesus von Nazareth als seinen Messias kommt (Röm 11,20), so besteht doch bei Gott die Möglichkeit - und bei Paulus die Gewissheit -, dass "die natürlichen Zweige wieder eingepfropft werden in ihren eigenen Öl­ baum" (Röm 11 24b).s9 Israels Verweigerung wird also von Paulus nicht als abschließend angesehen.60

51

Klaus Berger, Gottes einziger Ölbaum. Betrachtungen zum Römerbrief, Freiburg 1 990, 222.

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60

Rengstalf, Ölbaum-Gleichnis (wie Anm. 45), 1 4 1 f. A.a.O., 138. A.a.O., 143. Berger, Ölbaum (wie Anm. 5 1 ), 2 1 9. Wilfried Keller, Gottes Treue - Israels Heil: Röm 1 1 ,2 5-27. Die These vom "Son­ derweg" in der Diskussion, Stuttgart 1998, 1 98. Haacker, Römerbrief (wie Anm. 46), 262. Keller, Treue (wie Anm. 56), 200, 202 ; Gadenz, lews (wie Anm. 43), 260; Rengs­ talf, Ölbaum-Gleichnis (wie Anm. 45), 1 38. Das meint nach Röm. 1 1 ,23, "dass Menschen, die von Haus aus zur Nachkom­ menschaft Abrahams gehören, ihrer Zugehörigkeit zu ihm verlustig gehen, wenn sie nicht Glaubende sind und bei ihrem Unglauben beharren; er eröffnet ihnen aber auch die Aussicht, dass sie in die Gemeinschaft mit ihm zurückkehren, wenn sie ihren Widerstand aufgeben." (Rengstalf, Ölbaum-Gleichnis [wie Anm. 45], 1 57). Gadenz, lews (wie Anm. 43), 261, 265.

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Vielmehr ist festzuhalten, "dass die Gewinnung des auserwählten Volkes, Israels, das jetzt in seiner grossen [sie] Mehrheit dem Evange­ lium von Jesus als dem Erfüller der messianischen Verheissungen [sie] der Propheten ablehnend gegenübersteht, zum unverrückbaren Plan Gottes gehört"61 . Allerdings ist diese Rettung Israels nieht an Jesus von Nazareth vorbei als ein "Sonderweg" Israels zu denken; vielmehr gilt, "dass Gott sein eigenes Volk nieht aus den Augen verloren hat und dabei beharrt, dass er es zur Hinwendung zu Jesus als seinem Messias bestimmt hat".62 Dabei zielt Gottes Plan freilich "auf eine Got­ tesgemeinde [... ] , die alle Menschen ohne Unterschied umfasst und Gott ebenso gemeinsam in Vertrauen und Gehorsam dient, wie sie ihn gemeinsam anbetet und preist".63 Diese Gemeinde jedenfalls "wird es nicht ohne die Nachkommenschaft Abrahams nach dem Fleisch ge­ ben.,, 64 Auch die endzeitliehe Errettung auch Israels ist im strengen Sinn als Handeln Gottes zu sehen.65 Der Grund für dieses Handeln Gottes liegt darin, dass "Gottes Gaben und Berufung" unwiderruflich sind (Röm 11,29). Und die Hoffnung auf Israels Wiederherstellung liegt in seinen gottgewirkten Ursprüngen.66 In keiner Hinsicht bietet das Öl­ baum-Gleichnis also Anlass zu der Annahme oder Behauptung einer Ersetzung Israels durch die Kirche,67 freilich auch nicht für die An­ nahme einer Einverleibung der Heidenchristen in Israe168. Vielmehr geht es um Abhängigkeit: Auch die Heidenchristen haben Abraham zum Vater (Röm 4,16-18),69 ist er doch der Typos desjenigen, dem Gott seinen Glauben "zur Gerechtigkeit gerechnet" hat (Röm 4,3).70 Darum ist eine "Abwertung" der "Abrahamskindschaft derer, die Israeliten 61 62 63 64 65

66

67 68 69 70

Rengstolj, Ölbaum-Gleichnis (wie Anm. 45), 1 27. A.a.O., 1 2 8. A.a.O., 1 5l. A.a.O., 1 5 5. Die Wendung "Und so wird ganz Israel gerettet werden." (Röm 1 1 ,26) ist nicht anders denn als passivum divinum zu deuten; Paulus sagt eben nicht, das Israel "sich bekehrt"; vgl. Haacker, Römerbrief (wie Anm. 46), 270f. Gadenz, lews (wie Anm. 43), 265; "Steckt Leben in den Zweigen, so liegt das letztlich an der Wurzel des Baumes, da sie es ist, aus der ihnen über den Stamm der Saft zuströmt." Rengstolj, Ölbaum-Gleichnis (wie Anm. 45)., 130. Gadenz, lews (wie Anm. 43), 269. A.a.O., 270. Vgl. a.a.O., 27l. Rengstolj, Ölbaum-Gleichnis (wie Anm. 45), 1 39.

Angesichts Israels predigen

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sind" grundsätzlich "ausgeschlossen, weil die Gotteskindschaft des Is­ raeliten ausdrücklich zugesagt ist" (Röm 9,4).71 Zwischen solcher und der Gotteskindschaft derer, "die zu Abraham in keiner natürlichen Be­ ziehung stehen, besteht [ ] ein Unterschied, der nicht übersehen oder geringgeachtet werden darf.,, 72 Die Theologische Kommission der SELK hat darum programmatisch formuliert: . . .

"Auch der Apostel Paulus war Jude und hat sich als von dem Messias und Herrn Jesus berufener Jude verstanden, 7

3

der aber nun zu den

Heiden gesandt war. Das Heil in Jesus Christus gilt zwar "den Juden zuerst", aber nun doch "ebenso den Griechen" (Röm die Heidenchristen

mit dem Bild

eines

in

1,16).

Paulus kann

den jüdischen

Stamm

11,17-24);

für ihn

eingepfropften neuen Zweiges beschreiben (Röm

bleibt klar, dass Gott zu der Berufung seines Volkes Israel steht (Röm

11,29)

und dass er in Jesus Christus beide, Juden und Heiden, erretten

]4

Wl '11·. .

Es ist darum zu wenig, "Israels herausragende Bedeutung in der Weltgeschichte" anzuerkennen/5 wie dies übrigens auch Joseph Ratzinger - Benedikt XVI. tut.7 6 Gottes Erwählung, seine Treue und seine Liebe zu seinem auserwählten Volk bedeutet und bewirkt näm­ lich folgendes: "Wer immer zu Abraham gehört, hat also auch an sei­ ner einzigartigen Würde Teil, und sie geht ihm niemals verloren, selbst dann nicht, wenn der Zustand des Abgetrenntseins von Gott fiir ihn eintreten sollte.,, 77 Umso mehr ist aus christlicher Sicht theologisch festzuhalten und zu behaupten, dass die "Kontinuität der biblischen Offenbarung", unter Einschluss der Bedeutung Abrahams auch für die 7 1 A.a.O., 1 6 1 . 7 2 Ebd. 73 Darauf hingewiesen zu haben, ist ein bleibendes Verdienst der sog. New Perspec­ tive on Paul, auch wenn man ihren Thesen zur Rechtfertigungslehre nicht zu­ stimmt. 74 Theologische Kommission der SELK (Hg.), Lutherische Kirche und Judentum, Lu­ therische Orientierung 1 2 , Hannover 20 1 7, 9f. 75 Krieser, Judenmission, 52f. 76 "Ihre [der Juden] Diaspora ist nicht bloß und nicht primär ein Zustand der Strafe, sondern bedeutet eine Sendung." (Ratzinger - Benedikt, Gnade [wie Anm. 1], 402). 77 Rengstolj, Ölbaum-Gleichnis (wie Anm. 44), 1 62.

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nich1jüdische Menschheit, "der christlichen Reflexion vorgegeben" ist, "und zwar so, dass sich jeder, der sie ignoriert, nicht etwa nur von Abraham emanzipiert, sondern folgerichtig auch von Christus löst, weil es ihn ohne Abraham eben gar nicht gäbe."78 Dass allerdings "alle Menschen, Juden wie Nich1juden, Christus nötig haben, wenn sie zu einem geordneten Verhältnis zu Gott kommen und in ihm ihren gött­ lichen Vater erkennen und erfahren sollen", ist damit zugleich ge­ sagt.79 Auf solchem Hintergrund sind die folgenden Auslegungen alttesta­ mentlicher Texte im Advent 20 17 zu sehen. 3.

Predigen angesichts Israels

3. 1 Ansprache Wochenbeginn 1 1. 12.2017: Jesaja 25, 1-8 1 HERR, du bist mein Gott, dich preise ich; ich lobe deinen Namen. Denn du hast Wunder getan; deine Ratschlüsse von alters her sind treu und wahrhaftig. 2 Denn du hast die Stadt zum Steinhaufen gemacht, die feste Stadt, dass sie in Trümmern liegt, die Paläste der Fremden, dass sie nicht mehr eine Stadt seien und nie wieder aufgebaut werden. 3 Darum ehrt dich ein mächtiges Volk, die Städte gewalttätiger Völ­ ker fürchten dich. 4 Denn du bist der Geringen Schutz gewesen, der Armen Schutz in der Trübsal, eine Zuflucht vor dem Ungewitter, ein Schatten vor der Hitze, wenn die Tyrannen wüten wie ein Unwetter im Winter, 5 wie die Hitze im dürren Land. Du demütigst der Fremden Unge­ stüm, wie du die Hitze brichst durch den Schatten der Wolken; du dämpfst der Tyrannen Siegesgesang. 6 Und der HERR Zebaoth wird auf diesem Berge allen Völkern ein fettes Mahl machen, ein Mahl von reinem Wein, von Fett, von Mark, von Wein, darin keine Hefe ist. 7 Und er wird auf diesem Berge die Hülle wegnehmen, mit der alle Völker verhüllt sind, und die Decke, mit der alle Heiden zugedeckt sind. 8 Er wird den Tod verschlingen auf ewig. Und Gott der HERR wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen und wird aufheben die Schmach seines Volks in allen Landen; denn der HERR hat's gesagt. 78 A.a.O., 1 5 5. 79 A.a.O., 1 63.

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Liebe Schwestern in Christus, liebe Brüder im Herrn! Alles lag in Trümmern; alles war zerstört; kein Stein auf dem ande­ ren; alles Schutt und Asche. Ende Gelände! Nichts mehr übrig von der Herrschaftsarchitektur der Siegermächte, keine Reste mehr ihrer Prachtbauten, keine Überbleibsel ihrer Macht: Das liegt hinter uns, so singen die Befreiten. Und doch vergessen sie nicht, wie es war: Sie waren die Unterdrückten; sie waren an den Rand gedrängt; sie waren ihrer Rechte beraubt, ihre Zukunft lag im Finstern; schutzlos schienen sie den Unbilden der geschichtlichen Weltlagen ausgesetzt; den Wid­ rigkeiten des Lebens unter Besatzung, den Stürmen der Repression, der brennenden Scham der Verachtung, der Unerträglichkeit der Ver­ folgung. Doch war all dies Ungemach nicht von Dauer, so lange es sich auch hinzog. Und in und unter all diesem Elend war Israels Gott doch auch da, auch wenn es lange nicht so schien. Ihr Gott war gegenwärtig, auch wenn sie es lange nicht spürten. Zu IHM konnten sie fliehen, bei ihm sich bergen, unter IHN sich ducken, bei IHM in Deckung gehen, wenn die Feinde zu stark waren, wenn die Gegner sich zu mächtig zeigten, wenn die Besatzer zu harsch auftrumpften. Der Gott Israels war am Werk, wie sich am Ende zeigt; ER war hilf­ reich präsent, wie sich nun herausstellt: ER war als Verteidiger der Seinen auf dem Plan. Und nun ist die Zeit der Drangsal vorbei, der Tyrannei der widerwärtigen Mächte ein Ende gemacht, das Triumph­ geheul der Sieger verstummt. Darum ergeben sich großartige Aussichten für die Zukunft: Ein Festmahl soll gehalten werden, wo es lange nur Tränenbrot zu essen gab; alle Welt soll daran teilnehmen, weil sich den Menschen enthüllt, was es mit Israel und seinem Gott auf sich hat. Und nachdem die Geg­ ner und Feinde des Gottesvolkes niedergerungen, besiegt und vertrie­ ben sind, wird Gott auch den letzten Feind der Menschheit entmäch­ tigen, entmachten, vernichten, den Tod. Damit wird alles ein Ende haben, was Gottes heiligem Volk Israel und allen Menschen Sorgen, Mühe, Kummer, Not macht, sodass nichts bliebe als Trauer, Tränen und Trübnis. Das verspricht Gott selbst, das sagt ER zu, das verheißt ER verbindlich. Und diese Verheißungen ge­ hören Israel (Röm 9,4), denn Gott hat sein Volk nicht verstoßen (Röm 1 1, 1f.), und Paulus hofft, dass ganz Israel gerettet wird (Röm 1 1,26) "Denn Gottes Gaben und Berufung können IHN nicht gereuen." (Röm 1 1,29) Theologischer Antijudaismus, Christliche Enterbungsbehaup­ tungen sind folglich schriftwidrig und unlutherisch!!!

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Denn unsere Vorväter aus den Heiden waren es ja, denen die Hülle von ihren Augen entfernt werden musste, damit sie den wahren Gott, den Gott Abrahams Isaaks und Jakobs erkannten; unseren Vorfahren musste die Decke weggenommen werden, die sie - wie alle Heiden zudeckte, damit sie Zugang fanden zu dem Gott, der in Christus auch sie zum Heil erwählt hat. Wir sollten darum wissen und nicht vergessen, dass nicht wir die Wurzel tragen, sondern die Wurzel uns (Röm 1 1, 18). Von ihr, nämlich der Selbstoffenbarung Gottes - zunächst an Israel, in Jesus Christus dann auch an uns - getragen, sind wir geladen zum endzeitlichen Gast- und Festmahl Gottes. Denn es gibt Grund zu feiern: Früher näm­ lich "habe ich keinen Herrn oder König gehabt, sondern bin unter der Macht des Teufels gefangen, zum Tode verdammt, in Sünde und Ver­ blendung verstrickt gewesen. [ ] (Nun aber) sind nun jene Tyrannen und Gefangnisaufseher alle vertrieben, und an ihre Stelle ist Jesus Christus getreten, der Herr des Lebens, der Gerechtigkeit, alles Guten und des Einklangs mit Gott, und er hat uns arme, verlorene Menschen aus dem Rachen der Hölle gerissen, uns gewonnen, frei gemacht und zurückgebracht in das Wohlwollen und die Gnade des Vaters, und er hat uns als sein Eigentum unter seinen Schirm und Schutz genommen, um uns zu regieren durch seine Gerechtigkeit, Weisheit, Macht, Leben und Seligkeit", wie Martin Luther im Großen Katechismus sagt. Und die endzeitliche Erwartung der Christenheit besagt, dass Gottes Zukunft nicht aus-steht, sondern ein-steht. Zum Ende der Zeiten und der Welt ist es Christus selbst, der auf uns zukommt. Mitten in den Widrigkeiten des Weltenlaufs, unter den Bedrohungsszenarien dieser Welt, in der oft Angst einflößenden und fürchterlichen Wirklichkeit unserer Zeit setzen wir Christen darauf, dass Gott schon hilfsbereit unterwegs ist zu uns. Völlige Vollkommenheit aber werden wir dann in der endzeitlichen, himmlischen Vollendung erleben. Und die wird nichts anderes sein als die Erfüllung dessen, was Israel hier verheißen ist. Gott hat eingegriffen und unser Geschick gewendet. Gott hat die Herrschaft der Verderbensmächte über uns gebrochen und beendet. Darum gilt: Dem Gott, der selbst das Leben ist, sind wir nicht gleich­ gültig, im Leben nicht und im Anblick des Todes erst recht nicht. Er setzt sich in Jesus Christus, der unter Einsatz seines Lebens für uns gekämpft hat bis zum Letzten, immer noch für uns ein gegen alle Mächte und Kräfte, die dir und mir ans Leder und ans Leben wollen, jetzt und in der Stunde unseres Todes: "Komm her, mein Kind", sagt Gott, "und lass dich trösten" "komm her", sagt Jesus Christus, unser göttlicher Bruder, "lass dich umarmen. ICH halte dich ganz fest. Genug . . .

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gesorgt, genug verzagt, genug geklagt, genug geweint. ICH wische all deine Tränen ab, wenn du zu MIR kommst. Du sollst auf ewig bei MIR sein, wie ICH es dir versprochen habe". Und unsere Antwort wird sein: "HERR, du bist mein Gott, dich preise ich; ich lobe deinen Namen. Denn du hast Wunder getan; deine Ratschlüsse von alters her sind treu und wahrhaftig" (Jes 25,1). 3.2 Ansprache Mittwoch 13.12.2017: Jesaja 44,6-9 6 So spricht der HERR, der König Israels, und sein Erlöser, der HERR Zebaoth: Ich bin der Erste und ich bin der Letzte, und außer mir ist kein Gott. 7 Und wer ist mir gleich? Er rufe und verkünde es und tue es mir dar! Wer hat vorzeiten kundgetan das Künftige? Sie sollen uns ver­ kündigen, was kommen wird! 8 Fürchtet euch nicht und erschreckt nicht! Habe ich's dich nicht schon lange hören lassen und es dir verkündigt? Ihr seid doch meine Zeugen! Ist auch ein Gott außer mir? Es ist kein Fels, ich weiß ja kei­ nen. 9 Die Götzenmacher sind alle nichtig; woran ihr Herz hängt, das ist nichts nütze. Und ihre Zeugen sehen nichts, merken auch nichts, damit sie zuschanden werden.

Liebe Schwestern in Christus, liebe Brüder im Herrn! Das ist es, was den drei-Einen Gott auszeichnet, den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, den, zu dem Jesus Christus "mein Vater" sagt; Den, der zu Jesus Christus sagt: "Das ist mein lieber Sohn, den sollt ihr hören; Den, den dieser Vater Jeus sendet, aber auch der Sohn; Den, der hier von sich sagt: "Außer mir ist kein Gott"; Den, der von sich selbst bezeugt: "Niemand kommt zum Vater denn durch mich", Der, ohne Den niemand Jesus den HERRN nennen kann. Dieser Gott, der Israel zu seinem Augapfel erwählt hat, sodass für uns Christen aus den Heiden bleibend gültig bleibt: "Das Heil kommt von den Juden", dieser Gott, der will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen; dessen ewiger Sohn, unser Gottesbruder, für sich in Anspruch nimmt: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben"; der in Person des Heiligen Geistes uns in alle Wahrheit leiten wird, indem ER uns alles lehrt und an alles erinnert, was Jesus seinen Jüngern mitgab - dieser Gott erhebt einen Monopolanspruch. ER, ER allein ist Gott; ER, ER allein ist ewig; ER, ER allein kennt und weiß und verkündet, was war, was ist und was künftig sein soll.

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Denn ER ist der Erste und der Letzte, er ist gestern, heute und derselbe in Ewigkeit; ER, von dem Jesus ansagt, dass ER bei uns ist in Ewigkeit (Joh 14, 16), ist unvergleichlich, unerreicht. Alle anderen sogenannten Götter und Göttinnen sind nur Hirngespinste, Projektionen, Entwürfe menschlicher Sehnsüchte, die nichts helfen und nichts nützen, wenn es darauf ankommt - und doch Macht ausüben, wenn und weil und wie viel ihnen Menschen geben. Martin Luther hat das - lange vor Ludwig Feuerbach - ganz deut­ lich erfasst: "Du sollst mich alleine für deinen Gott halten. Was ist damit gesagt und wie ist es zu verstehen? Was heißt einen Gott haben oder was ist Gott? Antwort: Gott nennt man denjenigen oder dasje­ nige, von dem man alles Gute erwartet und bei dem man Schutz sucht in allen Notfällen. Einen Gott zu haben ist also nichts anderes, als ihm von Herzen zu vertrauen und zu glauben. Oft schon habe ich es ge­ sagt: Allein das Vertrauen und Glauben des Herzens macht beide, Gott und Abgott. Sind Glaube und Vertrauen richtig, so ist auch dein Gott richtig, und umgekehrt: Wo das Vertrauen falsch und unrecht ist, da ist auch der wahre Gott nicht. Denn die beiden gehören zusammen, Glaube und Gott. Woran du nun (sage ich) dein Herz hängst und ver­ lässt dich darauf, das ist eigentlich dein Gott." (Großer Katechismus, 1. Gebot) An alles Mögliche und Unmögliche können wir Menschen unser Herz hängen und so eine "höhere Macht" fiir uns erschaffen; so ver­ kehren wir das Verhältnis zwischen dem wahren Gott und uns, seinen Geschöpfen, indem wir selbst zu Schöpfern Gottes werden - dabei den Einen, Ewigen, Einzigartigen Gott aber verfehlen. Doch das ist nicht länger unsere Lage. Wir kommen her von der Erfüllung dessen, was Gott im alten Bund als das Künftige verkündete. Wir kommen her von dem, was Gott ausgesagt hat, hören lassen hat und zur Tat und Wirklichkeit hat werden lassen: Dass ER ein Fels ist, fest, verlässlich, vertrauenswürdig, zuverlässig, belastbar, ansprech­ bar. Des sind wir Zeugen. Denn wir kommen her vom Kind in der Krippe, vom Heiland am Kreuz, vom unglaublich nahen Gott in Jesus Christus, in dem der Unvergleichliche sich uns gleichgemacht hat, in dem der Unerreichte uns erreicht hat und nun für uns erreichbar ist. Wir kommen her von gefiillter Zeit, erfüllter Hoffnung in der Mitte der Zeit, da Gottes Ansage zu Gottes Tat wurde, Gottes Ankündigung zu Gottes Ankunft für uns, ja Gottes Wort Fleisch wurde und seine Behausung für uns, unter uns aufschlug.

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Des sind wir Zeugen. Denn auch bei uns ist dieser in Windeln ge­ wickelte Gott gelandet, einer von uns geworden und bei uns ange­ kommen, als uns in der heiligen Taufe seine Liebeserklärung erfasste, erreichte, ergriff: "Denn du bist mein und ICH bin dein, und wo ICH bleib, da sollst du sein." (ELKG 239,7) Des sind wir Zeugen. Gehören wir zu Christus, sind wir sein, dann ist ER uns, sind wir IHM ewig verbunden. Und so lassen wir uns von IHM gesagt sein: "Fürchtet euch nicht und erschrecket nicht!" Keine Angst! Gott ist unser Halt, und ER hält uns fest. Christus ist unser Held, und ER trägt uns. Der Heilige Geist bringt Gottes Huld, ER leitet und begleitet uns. Der Eine, Einzige, Einzigartige Gott hat viel für uns übrig. Er schenkt uns alles, was wir brauchen, um mit IHM in Einklang zu sein, um bei IHM bleiben zu können - in Ewigkeit. Amen 3.3 Ansprache Donnerstag 14.12.2017: Jeremia 31,1-7 1 Zu derselben Zeit, spricht der HERR, will ich der Gott aller Ge­ schlechter Israels sein, und sie sollen mein Volk sein. 2 So spricht der HERR: Das Volk, das dem Schwert entronnen ist, hat Gnade gefunden in der Wüste; Israel zieht hin zu seiner Ruhe. 3 Der HERR ist mir erschienen von ferne: Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte. 4 Ich will dich wiederum bauen, dass du gebaut sein sollst, du Jung­ frau Israel; du sollst dich wieder schmücken und mit Pauken ausziehen im fröhlichen Tanz. 5 Du sollst wiederum Weinberge pflanzen an den Bergen Samarias; pflanzen wird man sie und ihre Früchte genießen. 6 Denn es wird die Zeit kommen, dass die Wächter auf dem Gebirge Ephraim rufen: Wohlauf, lasst uns hinaufziehen nach Zion zum HERRN, unserm Gott! 7 Denn so spricht der HERR: Jubelt über Jakob mit Freuden und jauchzet über das Haupt unter den Völkern. Ruft laut, rühmt und sprecht: HERR, hilf deinem Volk, dem Rest Israels! Liebe Schwestern in Christus, liebe Brüder im Herrn! Alles soll gut werden für Israel - jenseits der Zerstörung. Alles soll wieder in Ordnung kommen für Gottes Volk nach der fast vollständi­ gen Vernichtung. Alles soll wieder hergestellt werden für die Erwähl­ ten des Herrn - trotz aller Verlassenheit. Gottes Menschen sollen mit ihrem Gott ganz ins Reine kommen - im Gegensatz zu allen Fehlent­ wicklungen zuvor.

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Wie das? Weil Gott es selbst es zusagt; weil Gott sich selbst den Seinen zusagt; weil Gott selbst es verspricht; weil Gott selbst sich sei­ nen geliebten Leuten verspricht: "Ich will der Gott aller Geschlechter Israels sein und sie sollen mein Volk sein." (V. 1) An solcher Verheißung ist nicht zu deuteln; an diesen Zuspruch ist nicht zu zweifeln. Und darum sind auch die Zukunftsaussichten hell, freundlich und hoffnungsfroh: wer dem Untergang entging, der fast alle traf, sich aber dann doch menschlich, materiell, geistig und spiri­ tuell in Ödnis und Einöde vorfand, in lebensfeindlichen Lagen befand, in allerwidrigsten Umständen, in der Fremde, in der Ferne - diese Menschen sollen wieder Heimat haben, Frieden finden, Ruhe genie­ ßen. Warum? Weil ihnen Gottes Wohlwollen gilt; weil Gott ihnen freundlich gesinnt ist, weil Gott ihnen liebevoll zugetan ist. Und dann und darum soll alles neu werden; Fröhlichkeit soll in Israel einziehen, Feste gefeiert werden, Spiel und Tanz sollen wieder einkehren, der Weinbau wiederbelebt werden, die Weinberge wieder aufgeforstet werden, die Rebgärten rekultiviert. Und auch der eigentliche Kult wird wiederhergestellt werden, weil Gott sich auf seinem heiligen Berg wie­ derfinden, verehren und anbeten lässt, nachdem sein geliebtes Volk heimgekehrt ist ins Land. Das alles liegt begründet in Gottes grundloser, abgrundtiefer, uner­ gründlicher Liebe zu seinem Volk, seinen Leuten, seinen Menschen. Auch wenn es zeitweise anders schien, war sie doch da. Auch wenn sie manchmal nicht zu spüren war, war sie doch vorhanden. Auch wenn sie sich unter ihrem Gegenteil verbarg - Gottes gerechtem Zorn nämlich -, blieb sie doch bestehen. Auch wenn sie zu Zeiten ver­ schwunden schien, hielt Gott doch an ihr fest. "Ich habe dich je und je geliebt ..... (V. 3) Ewig ist diese Liebe zu seinem Volk, unendlich, nicht befristet, unermesslich, unbegrenzt: sie gilt, sie steht, sie fällt nicht hin und hört nicht auf. Und darum, aus lauter Wohlwollen, aus reiner Zuneigung, aus pu­ rem Entgegenkommen, aus gewollter Liebenswürdigkeit war Gott an Israel am Werk: ER hat es zu sich gezogen, es auf sich bezogen, zu sich herangeholt, für sich eingenommen, für sich zurückgewonnen, zu sich heimgeholt. So arbeitet Gott an Menschen, die IHM wichtig sind, an Leuten die ER schätzt. Wenn das alles, was Jeremia in Gottes Auftrag Israel anzusagen hat, diesem "Haupt unter den Völkern" (V. 7), also dem ersten, bedeutends­ ten und wichtigsten in Gottes Augen zugesagt ist und gilt, was geht

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es uns dann an? Es geht uns an, weil Jesus Christus, der Messias Isra­ els, der "Heiden Heiland" geworden ist. Es betrifft auch uns, weil Got­ tes ewiger Sohn Mensch geworden ist, geboren von Mirjam, seiner jüdischen Mutter, der Jungfrau Maria, wie auch Martin Luther wusste, dass "Maria eine reine Magd und Christus von Abrahams Samen ein wahrhaftiger Jude sei." (Dass Jesus Christus geborener Jude sei, 1523) ER, der Jude Jesus, Marien Sohn und Gottes ewiger Sohn, ent­ schränkt die Verheißungen, die Israel gegeben waren, auf die Heiden­ welt, indem ER Seinen Jüngern den unwiderruflichen Auftrag gilt, "allen Völkern" das Evangelium zu bringen. In der Tat: "Aus Zion bricht an der schöne Glanz Gottes; unser Gott kommt und schweiget nicht." (Ps 50,2) Ja, lichtvoll, herrlich macht ER dem Dunkel unserer Heidenwelt ein Ende, indem ER das letzte, endgültige Wort zu uns spricht in dem Sohn, der selbst dieses Wort ist. Der Lichtstrahl und Sonnenaufgang aus der Höhe beendet unser heidnisches Dasein in Finsternis und Todesschatten. Denn Jesus Christus holt auch uns hin­ ein in das warme Licht göttlichen Wohlwollens, in den hellen Schein himmlischer Atmosphäre, in die ewige Ruhe, den ewigen Frieden, end­ gültige Heil, das ER bringt und in Person selber ist. Von Gott her, über Israel, vom heiligen Berg her, durch und in und mit Jesus Christus wird auch für uns wahr: "Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte." Amen. 4. Beten angesichts Israels Die Theologische Kommission der SELK formuliert zu Recht: "Verwor­ fen ist nach gesamtbiblischem Zeugnis der Sünder als Sünder, solange er nicht Buße tut, nicht aber ein Mensch aufgrund seiner Zugehörig­ keit zum Volk Israel. Der Unterschied zwischen Altem und Neuem Tes­ tament ist lediglich der, dass erst im Neuen Testament der göttliche Bußruf und die damit einhergehende Verheißung nicht nur an Israel, sondern weltweit auch an die Angehörigen aller anderen Völker ergeht."so Zu berücksichtigen ist außerdem, gerade in lutherischer Theologie, die rechtfertigungstheologische Einsicht in das "simul iustus et pecca­ tor" auch der Glaubenden sowie die ekklesiologische Analogie hierzu, wonach die Scheidelinie von wahrer und falscher Kirche in der Ge­ schichte bis zum Jüngsten Tag mitten durch das Gottesvolk als "cor-

80 Theologische Kommission der SELK, Lutherische Kirche (wie Anm. 74), 15.

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pus permixtum" hindurchgeht. Darum sollte die Christenheit am Kar­ freitag die traditionelle Klage über Gottes geliebtes Volk nur unter Einschluss ihrer selbst laut werden lassen, wie dies beispielhaft in fol­ gendem Text aus der neueren evangelischen Tradition geschieht.8l Improperien Mein Volk, meine Kirche, was habe ich dir getan?* Womit habe ich dich betrübt? Antworte mir. Ich habe dich aus der Knechtschaft Ägyptens herausgeführt, / dich befreit durch das Wasser der Taufe.* Du aber bereitest das Kreuz deinem Erlöser. Mein Volk, meine Kirche, was habe ich dir getan?* Womit habe ich dich betrübt? Antworte mir. G: Heiliger Herre Gott (EG 1 85.4; ELKG 309) Vierzig Jahre habe ich dich geleitet durch die Wüste. / Ich habe dich mit Manna gespeist,* dich durch Demütigung und Versuchung hineingeführt in das Land der Verheißung. Ich habe dir meinen Leib gegeben, das Brot vom Himmel.* Du aber bereitest das Kreuz deinem Erlöser. Mein Volk, meine Kirche, was habe ich dir getan?* Womit habe ich dich betrübt? Antworte mir. G: Heiliger Herre Gott (EG 1 85.4; ELKG 309) Was hätte ich dir mehr tun sollen und tat es nicht? / Als meinen erlesenen Weinstock pflanzte ich dich,* zu Reben an meinem Weinstock habe ich dich gemacht. Du aber brachtest mir bittere Trauben, / du hast mich in meinem Durst mit Essig getränkt,* mit der Lanze hast du deinem Erlöser die Seite durchstoßen. Mein Volk, meine Kirche, was habe ich dir getan?* Womit habe ich dich betrübt? Antworte mir. G: Heiliger Herre Gott (EG 1 85.4; ELKG 309) In einer Wolkensäule bin ich dir vorausgezogen, / habe dir Wasser des Heils aus dem Felsen zu trinken gegeben,* du aber hast mich vor den Richterstuhl des Pilatus geführt. Ich habe deine Feinde geschlagen / und dich ins Land der Freiheit geführt.* 81

Nach https://www. evangelische-liturgie.de/EL_Wochen/l.Jahrgang(I)/03 -041 8-KarFrTodesstd.html; eingesehen am 24. 10.20 18.

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Du aber hast mich gebunden, gegeißelt, verhöhnt, geschlagen. Mein Volk, meine Kirche, was habe ich dir getan?* Womit habe ich dich betrübt? Antworte mir. G: Heiliger Herre Gott (EG 1 85.4; ELKG 309) Ich habe dir das Königszepter in die Hand gegeben / und dir die Schlüssel des Himmelreichs anvertraut,* du aber hast mich gekrönt mit der Krone aus Dornen. Ich habe dich erhoben und ausgestattet mit großer Kraft* Du aber erhöhst mich ans Holz des Kreuzes. Mein Volk, meine Kirche, was habe ich dir getan?* Womit habe ich dich betrübt? Antworte mir. G: Heiliger Herre Gott (EG 1 85.4; ELKG 309) Meinen Frieden habe ich dir gegeben, den die Welt nicht geben kann, / habe dir die Füße gewaschen zum Zeichen meiner Liebe,* du aber hast das Schwert gezogen in meinem Namen. Ich habe für dich meinen Leib und mein Blut hingegeben,* du aber hast mich verraten, verleugnet, verlassen. Mein Volk, meine Kirche, was habe ich dir getan?* Womit habe ich dich betrübt? Antworte mir. G: Heiliger Herre Gott (EG 1 85.4; ELKG 309) Ich habe den Geist der Wahrheit gesandt, dich zu leiten,* und du hast dein Herz für den Tröster verschlossen. Ich habe gebetet, daß alle eins seien im Vater und mir.* Du aber fährst fort zu zerteilen und würfelst um meinen Rock. Mein Volk, meine Kirche, was habe ich dir getan?* Womit habe ich dich betrübt? Antworte mir. G: Heiliger Herre Gott (EG 1 85.4; ELKG 309) Ich habe dich eingepflanzt in den Ölbaum, mein erwähltes Israel,* du aber hast mein Volk verfolgt und millionenfach ermordet. Ich habe dich mit ihm zu Erben meines Bundes ausersehen.* Du aber hast Israel zum Sündenbock gemacht. Mein Volk, meine Kirche, was habe ich dir getan?* Womit habe ich dich betrübt? Antworte mir. G: Heiliger Herre Gott (EG 1 85.4; ELKG 309) Ich kam zu dir als Geringster unter meinen Schwestern und Brüdern, / hungrig und du hast mich nicht gespeist;* durstig und du hast mich nicht getränkt.

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Ich war ein Fremder und du hast mich nicht begrüßt, / nackt und du hast mich nicht gekleidet,* krank oder im Gefängnis und du hast mich nicht besucht. Mein Volk, meine Kirche, was habe ich dir getan?* Womit habe ich dich betrübt? Antworte mir. G: Heiliger Herre Gott (EG 1 85.4; ELKG 309