Louis Agassiz’s Leben und Briefwechsel [Reprint 2019 ed.] 9783111467641, 9783111100661

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Louis Agassiz’s Leben und Briefwechsel [Reprint 2019 ed.]
 9783111467641, 9783111100661

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Erstes Capitel. 1807-1827. Bis zum 20. Jahre
Zweites Capitel. 1827-1828. Vom 20.-21. Jahre
Drittes Capitel. 1828-1829. Vom 21. bis 22. Jahre
Viertes Capitel. 1829-1830. Vom 22.- 23. Jahre
Fünftes Capitel. 1830 — 1832. Vom 23. bis 25. Jahre
Sechstes Capitel. 1832. 25 tes Jahr
Siebentes Capitel. 1832-1834. Vom 25. bis 27. Jahre
Achtes Capitel. 1834-1837. Vom 27. bis 30. Jahre
Neuntes Capitel. 1837-1839. Vom 30. bis 32. Jahre
Zehntes Capitel
Elftes Capitel. 1842—1843. Vom 35. bis 36. Jahre
Zwölftes Capitel. 1843-1846. Vom 36. bis 39. Jahre
Dreizehntes Capitel. 1846. 39stes Lebensjahr
Vierzehntes Capitel. 1846-1847. Vom 39. bis 40. Jahre
Fünfzehntes Capitel. 1847-1850. Vom 40. bis 43. Jahre
Sechzehntes Capitel. 1850-1852. Vom 43. bis 45. Jahre
Siebzehntes Capitel. 1852—1855. Vom 45. bis 48. Jahre
Achtzehntes Capitel. 1855-1860. Vom 48. bis 53. Jahre
Neunzehntes Capitel. 1860-1863. Vom 53. bis 56. Jahre
Zwanzigstes Capitel. 1863-1864. Vom 56. bis 57. Jahre
Einundzwanzigstes Capitel. 1865-1868. Vom 58. bis 61. Jahre
Zweiundzwanzigstes Capitel. 1868-1871. Vom 61. bis 64. Jahre
Dreiundzwanzigstes Capitel. 1871-1872. Vom 64. bis 65. Jahre
Vierundzwanzigstes Capitel. 1872. 65. Jahr
Fünfundzwanzigstes Capitel. 1872-1873. Vom 65. bis 66. Jahre

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Louis Agassiz's Leben und Briefwechsel. Herausgegeben von

Elisabeth Cary Agasfiz.

Autorisirte deutsche Ausgabe von

C. Mettenms.

Mit LoniS Agassiz's Bildniß.

Berlin. Dmck und Verlag von Georg Reimer.

1886.

Ich bin mir wohl bewußt,

daß dieses Buch weder einen so

vollständigen Bericht der persönlichen Erlebnisse, noch ein so genaues Eingehen auf wissenschaftliche Untersuchungen enthält, als der Leser nach dem zu umfassenden Titel vielleicht erwarten könnte. der Erklärung mag daher am Platze sein.

Ein Wort

Als ich anfing, die nach­

folgenden Begebenheiten, Briefe und Tagebücher in erzählender Form zusammenzustellen, dachte ich zuerst kaum an eine Veröffentlichung.

Meine Hauptabsicht war, die Zerstreuung und den schließlichen Ver­ lust der einzelnen Papiere, welche einen unzweifelhaften Werth für die Familie haben, zu verhindern.

unter den Händen wuchs,

Aber als mir dann die Arbeit

empfand ich mehr und mehr,

daß die

Geschichte eines Lebens, welches eine so seltene Harmonie und Ein­

heit des Strebens zeigt, in weiteren Kreisen von Interesse und Nutzen sein und vielleicht Manchem zur Anspornung und Ermuthig-

ung dienen könnte.

Aus diesem Grunde und in der Voraussetzung,

daß der in Europa zugebrachte Theil von Agassiz's Leben in seinem

angenommenen Vaterlande wenig bekannt sein dürfte, während über

die in Amerika verlebten Jahre in seiner alten Heimath Unkenntniß herrschen mag, habe ich mich entschlossen, das hier angesammelte

Material zu veröffentlichen. Ein Nachtheil für das Buch ergab sich daraus, daß es zum

großen Theil eine Uebersetzung ist.

Die Briefe der ersten Hälfte

sind beinah alle französisch oder deutsch geschrieben, so daß mir nur

die Wahl blieb zwischen einem aus mehreren Sprachen zusammen­ gesetzten Flickwerk oder der einheitlichen Anwendung der englischen

IV

Vorwort.

Sprache mit dem Nachtheil des veränderten Wortlauts").

Ich ent­

schied mich für das, wie mir schien, geringere Uebel.

Nächst der, mir von meiner Familie zu Theil gewordenen Hilfe, wozu namentlich die Durchsicht des Textes von Seiten meines Sohnes

Alexander Agassiz gehört, bin ich meinen Freunden Dr. Hagen und Frau, sowie dem verstorbenen Professor Guyot für ihren Rath in einzelnen Punkten zu Dank verpflichtet.

Auch jenseits des Oceans

habe ich treue und hilfreiche Mitarbeiter gefunden.

Herr August

Agassiz, der seinen Bruder Louis einige Jahre überlebte und mit

größter Sorgfalt alles, was sich auf dessen wiflenschaftliche Laufbahn bezog, aufbewahrte, vertraute mir viele Briefe und Schriftstücke aus

den früheren Lebensjahren feines Bruders an.

Nach seinem Tode

leistete mir sein Vetter, Herr August Mayor in Neuchätel, den gleichen

Liebesdienst.

Der letztgenannte Freund hat auch auf die Bitte von Alexander Agassiz auf dem Aargletscher den Block ausgewählt, welcher jetzt

seines Vaters Grab schmückt.

Mit unermüdlicher Geduld hat Herr

Mayor Stunden mühsamen Suchens unter den Blöcken auf der Moräne, nahe der Stelle des ehemaligen „Hotel des Neuchätelois“, zugebracht, und endlich einen Stein von .so monumentaler Gestalt

gefunden, daß es keines Hammerschlages bedurfte, um ihn zu seiner Bestimmung tauglich zu machen.

Zum Schluß sei mir gestattet,

ihm, so wie Allen, die mir bei meiner Arbeit geholfen haben, hier

meinen Dank auszusprechen. Cambridge, Mass., 11. Juni 1885.

Elisabeth C. Agassiz.

*) In der vorliegenden deutschen Ausgabe sind die ursprünglich deutsch ge­ schriebenen Briefe nicht zurücküberseht, sondern nach dem Originalwortlaut wieder­ gegeben. Dagegen find, um den Umfang des Werkes etwas einzuschränken, einige wenige der englischen Briefe, die für deutsche Leser von geringerem Interesse sein bürsten, weggelassen. Anmerkung d. Nebers.

Inhalt. Erstes Capitel. 1807-1827.

Bis zum 20. Jahre.

Geburtsort. — Mütterlicher Einfluß. — Frühe Liebe zur Naturgeschichte. — Beschäftigungen des Knaben. — Häusliche Erziehung. — Erster Schulunterricht. — Ferien. -- Verzicht auf den kaufmännischen Beruf. — College in Lausanne. — Wahl eines Berufs. — Medicinische Schule in Zürich. — Leben und Studien daselbst. — Universität Heidelberg. — Unterbrechung der Studien durch Krankheit. — Rück­ kehr nach der Schweiz. — Beschäftigungen während der Genesung.

Seite

1

Zweites Capitel. 1827- 1828.

Vom 20.-21. Jahre.

Ankunft in München. — Vorlesungen. — Beziehungen zu den Professoren. — Schelling, Martins. Oken, Döllinger. — Beziehungen zu den Studiengenossen. — Die kleine Akademie. -- Reisepläne. — Rath der Eltern. — Ferienreise. — Dreihundertjähriges DürerJubiläum in Nürnberg..........................................................................

27

Drittes Capitel. 1828- 1829.

Vom 21.-22. Jahre.

Erstes bedeutendes naturgeschichtliches Werk. — Brasilianische Fische voll Spix. — Zweite Ferienreise. - Thätigkeit während des Universitäts­ jahres. — Auszüge auS Dinkels Tagebuch. — Briefe nach Hause. Hoffnung mit Humboldt nach Asien zu reisen. — Philosophisches Doktordiplom. — Beendiglnlg des ersten Theils der Spix'schen Fische. — Brief voll Cuvier..................................................................

Viertes Capitel. 1829- 1830.

Vom 22.-23. Jahre.

Naturforscherversanlmlung in Heidelberg. — Besuch zu Hause. — Krank­ heit und Tod des Großvaters. — Rückkehr nach München. — Pläne zu zukünftigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen — Medicinische Doktor-Promotion. — Besuch in Wien. - Rückkehr nach München —

42

VI

Inhalt. Seite

Briefe nach Hause. — Letzte Tage in München. — Autobiographischer

Rückblick auf das Schul- und Universitätsleben...................................

67

Fünftes Capitel. Vom 23.-25. Jahre.

1830—1832.

Ein Jahr zu Hause. — Abreise nach Paris. — Aufenthalt unterwegs. — Cholera. — Ankunft in Paris. — Erster Besuch bei Cuvier. — Cuvier's Freundlichkeit. — Sein Tod. — Armuth in Paris. — Briefe nach Hause über Geldverlegenheit und über seine Arbeit. —

Sonderbarer Traum.....................................................................................

91

Sechstes Capitel. 1832.

25. Jahr.

Unerwartete Hilfe in schwieriger Lage. — Briefwechsel mit Humboldt. — Exkursion an die normannische Küste — Briefwechsel über die Pro­ fessur in Neuchatel. — Geburtstagsfeier. — Berufung nach Neuchätel — Annahme. — Brief an Humboldt.............................................106

Siebentes Capitel. 1832-1834

Vom 25.-27 Jahre.

Antritt der Professur in Neuchätel. — Erste Vorlesung. — Erfolg als

Lehrer. — Liebe zum Unterrichten. - Einfluß auf das wissenschaft­ liche Leben in Neuchatel — Anträge von der Universität Heidel­ berg. — Ablehnung derselben — Drohende Erblindung — Brief­ wechsel mit Humboldt. — Verheirathung — Einladung von Char­ pentier. — Einladung von England. — Wollaston-Preis. — Erste Nummer der fossilen Fische. — Uebersicht des Werks...........................118

Achtes Capitel. 1834-1837 Erster Besuch in England

Vom 27 -30. Jahre

— Aufnahme bei den Männern der Wissen­

schaft. — Arbeit über fossile Fische in England. — Freigebigkeit der englischen Naturforscher. — Erste wissenschaftliche Beziehungen zu Amerika. — Weiterer Briefwechsel mit Humboldt. — Zweiter Besuch in England. — Fortsetzung der fossilen Fische. — Andere

wissenschaftliche Veröffentlichungen. — Den Gletschern zugewendete Aufmerksamkeit. — Sommer bei Charpentier in Bex. — Verkauf der Originalzeichnungen der fossilen Fische. — Versammlung der Schweizer Gesellschaft. — Rede über die Eiszeit. — Briefe von

Humboldt und von Buch........................................

Neuntes Capitel. 1837-1839.

Vom 30.-32. Jahre.

Anerbietungen von Professuren in Genf und Lausanne. — Tod seines Vaters. — Errichtung einer lithographischen Druckerpresse in Neu-

142

Inhalt.

VII Seite

chatel. — Untersuchungen über den Ball der Mollusken. — Stein­ kerne von Schalen. - Gletschererforschungen. — Ansichten von Buckland. — Beziehungen zu Arnold Guyot. — Ihre gemeinschaftliche Arbeit in den Alpen. — Brief an Sir Philipp Egerton über die Gletschernntersuchungeil. — Sommer 1839. — Veröffentlichung der „Etudes sur les Glaciers“.................................................................. 158 Zehntes Capitel.

1839-1842.

Vom 32.-35. Jahre.

Solnmerstation mif dem Aargletscher. — Hotel des Neuchätelois. — Mit* glieder der Gesellschaft. — Arbeit auf dem Gletscher. — Besteigung der Strahleck und des Siedelhorns. — Reise nach England. — Suchen nach Gletscherspnren in Großbritannien. — Straßen von Glen Roy. — Die Allsichten der englischen Naturforscher über Agassiz's Gletscherlehre — Eindringen in den Gletscher. — Besteigung der Jungfrau.......................................................................................................171

Elftes Capitel. 1842— 1843.

Vom 35.-36. Jahre

Zoologische Arbeiten nicht von Gletscherforschungen unterbrochen. — Ver­ schiedene Veröffentlichungen. — Nomenclator Zoologicus. — Bibliographia Zoologiae et Geologiae. — Briefwechsel mit englischen Natur­ forschern. — Briefwechsel mit Humboldt. — Gletscheraufenthalt von 1842. — Briefwechsel mit dem Prinzen von Canino. — Fossile Fische aus dem rothell Sandstein. — Gletscheraufenthalt von 1843. — Tod des Führers Leuthold..................................................................191

Zwölftes Capitel.

1843- 1846.

Vom 36.-39. Jahre.

Beendigung der fossilen Fische. — Fische des rothen Sandsteins. — Ueber­ sicht des letzteren Werkes. — Bestimmung der Fische nach den Schä­ deln. — Erneuter Briefwechsel mit dem Prinzen von Canino über eine Reise in die Vereilligten Staaten. — Veränderung des Plans in Folge des Interesses, welches der König von Preußen für die Expedition zeigte. — Briefwechsel zwischen Prof. Sedgwick und Agassiz über die Entwicklungslehre. — Letzte wissenschaftliche Arbeiten in Neuchatel und Paris. — Herailsgabe des Systeme Glaciaire. — Kurzer Aufenthalt in England. — Abreise nach den Vereinigten Staaten...........................................................................................................211 Dreizehntes Capitel. 1846.

39. Jahr.

Ankunft in Boston. — Vorhergehender Briefwechsel mit Charles Lyell und John Lowell über Vorträge im Lowell-Institut. — Beziehungen zu Lowell. — Erste Reihe von Vorlesungen. — Charakter der Zuhörer-

VIII

Inhalt.

Seite schäft. — Briefe nach Hause mit einem Bericht seiner ersten Reise in den Vereinigten Staaten. — Eindrücke von den wissenschaftlichen Männern, Anstalten und Sammlungen..................................................... 232

Vierzehntes Capitel. 1846-1847.

Vorn 39.-40. Jahre.

Vorlesungen in Boston über Gletscher. — Briefwechsel mit wissenschaft­

lichen Freunden in Europa. — Haus in Ost-Boston. — Haus­ halt. — Krankheit. — Brief an Elie de Beaumont. — Geologie und Gletscherspuren............................................................................................. 248

Fünfzehntes Capitel. 1847—1850.

Vom 40.-43. Jahre.

Exkursionen auf den Dampfern der Küstenvennessungen — Beziehungen zu Dr. Bache. — Politische Unruhen in der Schweiz. - Veränderte Beziehungen zu Preußen. — Gründung einer wissenschaftlichen Schule in Cambridge. — Literarische und wissenschaftliche Gesell­ schaften in Cambridge. — Anerbieten eines Lehrstuhls der Natur­ geschichte. — Annahme desselben. — Uebersiedlung nach Cambridge. — Anfänge des Museums. — Reise an den Oberen See — Reise­ bericht. — Principles of Zoology von Agassiz und Gould. — Bnefe von europäischen Freunden über dies Werk. — Wiederverheirathung. — Ankunft seiner Kinder in Amerika.................................................................. 262

Sechzehntes Capitel. 1850—1852.

Vom 43.-45. Jahre.

Dr. Bache's Anerbieten. — Erforschung der Korallenriffe von Florida. — Brief an Humboldt über die Thätigkeit in Amerika. — Anstellung an der medicinischen Schule von Charleston. — Leben im Süden. — Ansichten über die Abstammung der Menschenrassen. — Cnvier-Preis. 273

Siebzehntes Capitel. 1852-1855.

Vom 45.-48. Jahre.

Rückkehr nach Cambridge. — Beunruhigung wegen seiner Sammlung. —

Zweiter Winter in Charleston. — Krankheit. — Brief an I. Dana über die geographische Verbreitung und die geologische Reihenfolge der Thiere. — Niederlegung der Professur von Charleston. — An­ erbieten von Zürich. — Briefe von Oswald Heer. — Entschluß in Amerika zu bleiben. — Brief an Dana, Haldeman u. a. über Sammlungen zur Erläuterung der Verbreitung von Fischen, Schnecken rc. in den amerikanischen Flüffen. — Errichtung einer

Mädchenschule..................................................................................................... 288

IX

Inhalt.

Achtzehntes Capitel. 1855-1860.

Vom 48 —53. Jahre. Seite

Beiträge zur Naturgeschichte der Vereinigten Staaten. — Merkwürdige Subskription. — Uebersicht des Werks. — Seine Aufnahme in Eu­ ropa und Amerika. — Briefe darüber von Humboldt und Owen. —

Geburtstag. — Gedicht von Longfellow. — Arbeitsstätte in Na­ hant. — Berufung an das Musee d’histoire naturelle in Paris. — Gründung des Museums für vergleichende Zoologie in Cambridge. —

Sommerferien in Europa................................................................................303

Neunzehntes Capitel. 1860-1863.

Vom 53.—56. Jahre.

Rückkehr nach Cambridge. — Ueberführung der Sammlungen nach dem neuen Museumsgebäude. — Arbeitseintheilung. — Beziehungen zu seinen Studenten. — Ausbruch des Krieges zwischen Norden und Süden. — Interesse von Agassiz an der Erhaltung der Union. — Beginn der Veröffentlichungen des Museums. — Aufnahme des dritten und vierten Bandes der „Contributions“. — Copley-Medaille. Briefwechsel. — Wandervorlesungen im Westen. — Rundschreiben über anthropologische Sammlungen. — Brief an Ticknor über die geographische Verbreitung der Fische in. Spanien................................... 322

Zwanzigstes Capitel. 1863—1864.

Vom 56.-57. Jahre.

Briefwechsel mit Dr. Howe. — Einfluß des Krieges auf die Stellung der Neger. — Liebe zur Harvard-Universität. — Interesse an ihrer allseitigen Entwicklung. — Briefwechsel mit Emerson. — Gletscher­ erscheinungen in Maine.............................................................. 338

Cinundzwanzigstes Capitel. 1865—1868.

Vom 58.-61. Jahre.

Brief an seine Mutter mit der Ankündigung der brasilianischen Reise. — Skizze der Reise. — Freundlichkeit des Kaisers. — Entgegenkommen der brasilianischen Regierung. — Briefwechlel mit Karl Sumner. — Brief an seine Mutter am Schluß der brasilianischen Reise. — Brief von Martius über die Reise in Brasilien. — Rückkehr nach Cambridge. — Vorlesungen in Boston und Neu-Iork. — Sommer in Nahant. — Brief an Prof. Pierce über die Aufnahme des Bostoner Hafens. — Tod seiner Mutter. — Krankheit. — Korrespondenz mit Oswald Heer. — Sommerreise in den Westen. — Cornell-Universität. — Brief von Longfellow.........................................................................................358

Zweiundzwanzigstes Capitel. 1868-1871.

Vom 61.-64. Jahre.

Neue Subskription für das Museum. — Weitere Anbape. — Aufstellung Agassiz'S Leden und Briefwechsel.

*

X

Inhalt.

Seite neuer Sammlungen. — Schleppneh-Unternehmungen an Bord des Bibb. — Rede zum Humboldt-Jubiläum. — Gehirn-Affektion. — Arbeitseinstellung. — Arbeitskräfte am Museum. — Neue Erwer­ bungen. — Brief von Prof. Sedgwick. — Brief von Prof. Deshayes. — Wiederherstellung. — Vorschlag zur Haßler-Reise. — Annahme. — Wissenschaftliche Vorbereitungen zur Reise............................................ 383

Dreiundzwanzigstes Capitel. 1871— 1872.

Vom 64.-65. Jahre.

Abfahrt des Haßler. — Sargasso-Wiesen. — Tiefseeforschungen in Barba­ does. — Von Westindien nach Rio de Janeiro. — Monte Video. — Quarantaine. — Gletscherspuren in der Bai von Monte Video. — Der Golf von Mathias. — Tiefseeuntersuchungen beim Golf von St. George und am Kap Virgens. — Possession-Bai. — Salzteich. — Moräne. — Sandy Point. — Seefahrt durch die Meerengen. — Landschaft. — Sturm. — Borja-Bai. — Gletscher­ besuch. — Chorocua-Bai................................................................................399

Vierundzwanzigstes Capitel. 1872.

65. Jahr.

Picknick in der Sholl-Bai. — Feuerländer. — Smythe-Kanal. — Ver­ gleichung der Gletscherverhältnisfe mit denjenigen der Magellanstraße. — Ancud. — Hafen von San Pedro. — Concepcion-Bai. — Drei Wochen in Talcahuano. — Sammlungen. — Geologie. — Landreise nach-Santjago. — Aussichten von der Straße. — Bericht an Pros. Pierce über Gletscherbeobachtungen. — Ankunft in Santjago. — Wahl zum auswärtigen Mitglied des Institut de France — Valparaiso. — Die GalpagoS. — Geologische und zoologische Beobachtungen. — Ankunft in San Franzisko........................................ 421

Fünfundzwanzigstes Capitel. 1872— 1873.

Vom 65.-66. Jahre.

Rückkehr nach Cambridge. — Plan einer Sommerschule. — Agassiz's Inter­ esse daran. — Geschenk von Mr. Anderson. — Prospekt der PenikeseSchule. — Schwierigkeiten. — Eröffnung der Schule. — Sommer­ arbeit. — Schluß der Schule. — Letzte Vorlesungen am Museum. Vorlesung vor der Ackerbau-Kommission. — Krankheit. — Tod. — Begräbnißplah . ........................... '...................................................... 438

Erstes Capitel. 1907-1827. Bis zum 20. Jahre. Geburtsort. — Mütterlicher Einfluß. — Frühe Liebe zur Staturgeschichte. — Beschäftigungen des Knaben. — Häusliche Erziehung. — Erster Schulunterricht. — Ferien. — Verzicht auf den kaufmännischen Beruf. — College in Lausanne. — Wahl eines Berufs. — Medicinische Schule in Zürich. — Leben und Studien daselbst. — Universität Heidelberg. — Unterbrechung der Studien durch Krank­ heit. — Rückkehr nach der Schweiz. — Beschäftigungen während der Genesung.

Jean Louis Rodolphe Agassi; wurde am 28. Mai 1807 in dem Dorfe Motier am Murtner See geboren.

Sein Vater, Louis Agassi;,

war Pfarrer; seine Mutter, Rose Mayor, die Tochter eines Ar;tes, der in Cudrefin, an dem Ufer des Neuenburger Sees wohnte. In der Schwei; ;eichnen sich die Pfarrhäuser meist durch eine

freundliche und malerische Lage aus.

In besonderem Maße war

dies in Motier der Fall, wo das Pfarrhaus an einen Hügel ange­

lehnt war und Aussicht über den See und die gan;e Kette der Berner

Alpen gewährte.

Es erfreute sich eines Weinbergs, der groß genug

war, um in guten Jahren einen Zuschuß ;u dem kleinen Einkommen des

Pfarrers ;u liefern, eines Obstgartens, welcher unter anderen Bäumen einen Aprikosenbaum enthielt, bfffen Früchte ihrer Fülle und ihrer tadellosen Schönheit wegen in der gan;en Umgegend berühmt waren,

eines guten Gemüsegartens und einer köstlichen Quelle, welche sich immer frisch und klar in ein großes, hinter dem Hause befindliches steinernes Becken ergoß. Dieses Steinbecken war Agassi;'s erstes Aquarium; es diente seiner ersten Fischsammlung ;ur Wohnung*). ■*) Nach seinem Tode bewiesen die Bewohner seines Geburtsorts die treue Anhänglichkeit, welche sie seinem Gedächtniß bewahrten, durch Anbringung einer Marmortafel über der Thür des Pfarrhauses von Motier, welche die Inschrift trug: J. Louis Rodolphe Agassiz, le celebre naturellste est ne dans cette tnaison le 28. Mai 1807.

Agasflz'e 8rbcn und Briefwechsel.

Erstes Capitel.

2

Es scheint nicht, daß er sich durch eine frühreife Liebe zum Lernen ausgezeichnet hat. Seine Eltern, welche ihn während der

ersten zehn Jahre seines Lebens unterrichteten, waren zu einsichtsvoll,

um ihn anzutreiben, das seinem Alter entsprechende Maß von Geistes­ bildung zu überschreiten.

Seine Mutter, welche ihre ersten vier

Kinder in zartem Alter verloren hatte, überwachte seine Kindheit mit

ängstlicher Sorge.

Vielleicht war dies die Ursache, daß sie dem

Knaben so innig nahe trat und ein Verständniß dafür gewann, daß

seine Liebe zur Natur und besonders zu allen lebenden Wesen als eine ganz bestimmte Geistesrichtung angesehen werden mußte und

nicht nur als die, den meisten Kindern eigene Neigung, die Thiere in ihrer Umgebung zu Freunden und Spielkameraden zu machen. In späteren Jahren verlieh ihr diese Fühlung mit ihrem Sohne den

Schlüssel zu seiner Lebensarbeit, wie sie ihr zum Verständniß seiner Knabenspiele geholfen hatte.

Sie blieb seine innigste Freundin bis

zur letzten Stunde ihres Lebens und

er überlebte sie nur sechs

Jahre. Louis' Liebe zur Naturgeschichte zeigte sich schon von Kindheit an.

Als ganz kleiner Bursche hatte er außer seiner Fischsammlung

alle Arten von Lieblingsthieren: Vögel, Feldmäuse, Hasen, Kanin­

chen, Meerschweinchen u. s. w., deren Familien er mit größter Sorg­

falt pflegte.

Mit Hilfe seiner Kenntnisse von den Verstecken und

Lebensgewohnheiten der Fische, bildete er sich und seinen Bruder

August zu äußerst gewandten jungen Fischern aus, deren Kunst ganz

unabhängig von Angel, Netz oder Leine, nach einem eigens erfun­ denen Verfahren ausgeübt wurde.

Ihre Jagdgründe waren die

Löcher und Spalten unter den Steinen oder in den vom Wasser

ansgewaschenen Mauern des Seeufers.

Kein solcher Schlupfwinkel

war sicher vor ihren begehrlichen Fingern, und sie erlangten eine solche Geschicklichkeit, daß sie während des Badens die Fische selbst

im offenen Wasser greifen konnten, indem sie sie durch allerlei Kunst­ griffe, welchen die Fische wie einer Art von Bezauberung unter­ lagen, herbeilockten.

Mit solchen Unterhaltungen ergötzen sich ohne

Zweifel viele auf dem Lande lebende Knaben und dieselben wären

der Erwähnung nicht werth, wenn sich nicht darin die Einheit von Agassiz's geistiger Entwicklung von ihren ersten Regungen an zeigte. Seine Lieblingsthiere regten Fragen in ihm an, deren Beantwortung

3

Knaben- Beschäftigungen.

die Aufgabe seines Lebens wurde, und mit seiner ersten Sammlung

aus dem Murtner See fing sein genaues Studium der SüßwafserFische von Europa an, welche später Gegenstand eines seiner wich­

tigen Werke wurden. Als Knabe diente ihm auch die in kleinem Maßstabe betriebene

Ausübung von allerlei Handwerken zur Unterhaltung.

Er bildete

fich damals ebensowohl zum Zimmermann, Schneider und Schuster, In den Schweizer Dörfern war es in

als zum Naturforscher aus.

jenen Tagen Sitte, daß die Handwerker von Haus zu Haus gingen,

um ihren Beruf auszuübcn.

Der Schuhmacher kam einige male

im Fahr mit all seinem Handwerkzeug und machte Schuhe für die ganze Familie; der Schneider nahm Maß zu Kleidungsstücken, welche

er im Hause anfertigte; der Böttcher fand sich vor der Weinlese ein,

um alle Tonnen und Fässer auszubessern oder neue anzufertigen und die abgenutzten Reifen zu ersetzen; kurz um den Keller für die

kommende Jahreszeit in Stand zu setzen.

Agassiz scheint in dem bei

diesen Leuten genommenen Unterricht eben so viel gelernt zu haben, Als ganz kleiner

als in demjenigen, welchen ihm sein Vater ertheilte.

Bursche konnte er ein gut passendes paar Schuhe für die Puppen

seiner Schwestern zuschneiden und zusammensetzen; auch war er kein

schlechter Schneider oder Böttcher und konnte ein vollständig wasser­ dichtes Fäßchen ansertigen.

Er erinnerte sich dieser an und für sich

unwesentlichen Thatsachen, weil sie einen nicht zu unterschätzenden Theil seiner Erziehung ausgemacht hatten.

Er pflegte zu sagen,

daß er seine Geschicklichkeit in allerlei Hantierungen großentheils der

Uebung des Blicks und der Hand verdanke, die er sich bei jenen

Kinderspielen angeeignet habe.

Obwohl er sich gern ruhigen Beschäftigungen im Hause hingab,

war er doch ein thatkräftiger, waghalsiger Knabe.

AIs er ungefähr

sieben Jahre alt war, lief er an einem Wintertage mit seinem Bruder August und einer Anzahl anderer Knaben in der Nähe des

Seeufers Schlittschuhe.

Die Kinder sprachen von

einer großen

Messe, welche an diesem Tage in der Stadt Murten auf der gegen­

überliegenden Seite des Sees abgehalten wurde.

Herr Agassiz hatte

sich am Morgen dahin begeben, doch nicht auf dem Eis, sondern um

den See herum fahrend.

Der Gedanke, ihm dahin zu folgen, war

eine zu große Versuchung für Louis; er schlug seinem Bruder vor, 1*

4

Erstes Capitel.

mit ihm auf den Schlittschuhen hinüber zu laufen, den Vater auf

der Messe zu suchen und dann Nachmittags mit ihm heimzukehren. Sofort machten sie sich auf den Weg, während die anderen Knaben

auf dem ihnen zugewiesen Platz blieben bis zur Mittagsstunde und sich dann nach dem Dorfe zurückbegaben.

Frau Agassiz wartete auf

ihre Söhne, deren langes Ausbleiben ihr auffiel.

Man kann fich

ihren Schrecken denken, als sie auf ihre Erkundigungen bei der

zurückkehrenden Knabenschaar erfuhr, aus welches Abenteuer sie aus­ gegangen waren.

Der See war eine gute Drittelmeile breit und sie

wußte nicht, ob das Eis durchweg fest sei.

Mit einem Fernglas

eilte sie an eines der oberen Fenster, um zu sehen, ob sie ihre Kinder

irgendwo erspähen könnte.

Als sie ihrer schon in beträchtlicher Ent­

fernung ansichtig wurde, hatte sich Louis gerade über einen im Eis befindlichen Spalt gelegt, um eine Brücke für seinen kleinen Bruder zu bilden, der dann auch über seinen Rücken hinüberkroch.

Die

Mutter schickte einen Arbeitsmann, einen vortrefflichen Schlittschuh­

läufer aus, der ihnen so schnell als möglich nachfolgen sollte.

Er

holte sie ein, als sie gerade das gegenüberliegende Ufer erreicht hatten. Er dachte nicht daran, daß sie auf eine andere Weise heimkehren

könnten, als sie gekommen waren und so liefen sie auf ihren Schlitt­

schuhen wieder über den See zurück.

Müde, hungrig und enttäuscht

kamen die Knaben nach Hause, ohne die Messe gesehen oder die Heim­ fahrt mit ihrem Vater genossen zu haben.

Als Agassiz zehn Jahre alt war, wurde er in eine Unterrichts­ anstalt für Knaben nach Biel geschickt und vertauschte so die leicht

gehandhabte häusliche Belehrung mit dem ernstlicheren Lernen aus einer öffentlichen Schule.

Er befand sich auf gleicher Stufe mit

seinen Altersgenossen, denn sein Vater war ein vortrefflicher Lehr­

meister gewesen.

Es scheint in der That, als ob Agassiz's Leiden­

schaft zum Lehren, sowie seine Liebe zu jungen Leuten und seine

Theilnahme an geistigen Bestrebungen jeder Art ein väterliches Erb-

theil gewesen sei.

Wo sein Vater auch als Pfarrer gelebt hatte, in

Motier, in Orbe und später in Conyise, überall hatte sich sein Einfluß

nicht nur von der Kanzel herab, sondern auch in den Schulen geltend gemacht.

Es existirt noch eine Silbermünze, ein in der Familie

werth gehaltenes Erbstück, welche ihm der Gemeinderath von Orbe in

Anerkennung seiner Verdienste um die dortige Schule verliehen hatte.

5

Schule in Biel.

Die Gesetze in der Bieler Schule waren ziemlich streng, aber das Leben, welches die Knaben führten, war ein gesundes und an­ regendes und die Spiele wurden ebenso eifrig betrieben, als das

Lernen.

Beim Rückblick auf sein Schulleben frug sich Agasfiz oft,

ob es in dem Klima oder an der Lehrmethode liege, daß das Leben in den öffentlichen Schulen in den Vereinigten Staaten so viel an­ greifender für die Gesundheit der Kinder sei, als dasjenige, in dem

er aufgewachsen war.

In den öffentlichen Schulen von Amerika hält

man die Knaben und Mädchen bei einer Unterrichtsdauer von fünf Stunden und ein- bis zweistündlicher häuslicher Arbeit für über­ bürdet.

In der Schule von Biel mußten die Knaben neun Stunden

arbeiten und waren dabei gesund und vergnügt.

Vielleicht liegt

das Geheimniß in der häufigen Unterbrechung des Unterrichts; nach zwei bis drei Lernstunden wurde

immer

Spielen oder Arbeiten eingeschoben.

Agassiz behielt sein Leben lang

eine Zwischenzeit

zum

eine angenehme Erinnerung von der Bieler Schule und ihren Lehrern.

Mit liebender Ehrfurcht, welche in reiferen Jahren in warme Freund­ schaft überging, sah er zu dem Direktor Rickley auf. Die Ferien wurden natürlich mit Freuden begrüßt und da

Motier nur drei und eine halbe Meile entfernt war, so pflegten Agassiz und sein jüngerer Bruder, der ihm einige Jahre später in

die Schule nachgefolgt war, den Weg dahin zu Fuß zurückzulegen. Das Leben der beiden Brüder war in ihrer Jugend so innig ver­

woben, daß während vieler Jahre die Geschichte des einen auch die des anderen einschließt.

Sie besaßen alles gemeinschaftlich, und mit

ihren kleinen Ersparnissen pflegten sie Bücher zu kaufen, welche von

Louis ausgewählt wurden und welche die Grundlage seiner späteren

Bibliothek bildeten. Am ersten Ferientag befanden sich die beiden munteren blühenden Knaben schon auf ihrem Heimmarsch ehe der Morgen dämmerte und freuten sich königlich auf ihren Ferienaufenthalt, besonders wenn

die Sommerernte oder die Weinlese bevorstand. damals, wie heute noch, eine große Festzeit.

Die letztere war

Sie mag in unseren

Tagen etwas von ihrem ursprünglichen malerischen Reiz verloren

haben, aber in Agassiz's Knabenjahren galt die Weinlese mit ihrer Vereinigung von Arbeit und Lustbarkeit, noch als eine so wichtige Sache, daß während ihrer Dauer alle gewohnten Beschäftigungen

Erstes Capitel. eingestellt wurden.

An dem dazu festgesetzten Tage konnte man die

Arbeiter aus den benachbarten Kantonen, in welchen es keine Wein­ berge gab, herbeikommen sehen, um ihre Hilfe bei der Weinlese an­ zubieten. Entweder verbrachten sie die Nacht im Freien oder sie

fanden Obdach in Scheunen und Ställen.

Auf dem Fußboden des

Schuppens und der Scheune des Pfarrhauses von Motier lagerten zur Zeit der Weinlese des Abends immer so viele müde Arbeiter,

als nur irgend Platz fanden.

Für die Kinder waren diese Tage,

namentlich bei schönem Wetter, sehr genußreich.

Im Eingang des

Hauses oder in dem Wohnzimmer stand ein großer Korb hoch auf­

gefüllt mit weißen und rothen Trauben, und Jung und Alt konnte

beim Kommen und Gehen nach Belieben zugreifen.

Dann gab es

allerlei Lustbarkeiten in dem Weinberg, große Becher süßen Mostes und am letzten Abend einen Ball zum Schluß des Festes.

Manchmal brachten die Knaben ihre Ferien in Cudrefin bei ihrem Großvater Mayor zu.

Er war ein freundlicher alter Mann,

sehr angesehen in seinem Beruf und seiner Wohlthätigkeit wegen sehr beliebt. Sein kleines weißes Pferd war auf allen Straßen und Feld­ wegen im ganzen Umkreis bekannt und er besuchte die Kranken in

allen umliegenden Dörfern.

Die Großmutter war von schwacher

Gesundheit, aber ein großer Liebling der Kinder, für welche sie immer eine große Menge von Geschichten, Versen und geistlichen Liedern vorräthig hatte.

Tante Lisette, die unverheirathete Tochter,

welche in einem langen Leben die Gastfreundschaft des Hauses in Cudrefin aufrecht hielt und von zwei Generationen von Nichten und Neffen als die beste aller Jungserntanten geliebt wurde, sorgte für das körperliche Wohl der Familienzusammenkünste, bei welchen all­

jährlich das Lob ihrer vortrefflichen Küche gesungen wurde.

Das

Haus war dehnbar; alle Ankömmlinge wurden ausgenommen, ohne

Frage nach ihrer Zahl; und es kamen immer so viele als konnten, je mehr je besser und die gute Bewirthung litt dabei keine Noth.

Am Sonntag nach Ostern

war

ein

großes Volksfest.

Es

wurden in jedem Hause Eier gefärbt und Pfannkuchen gebacken. Die jungen Mädchen und Burschen des Dorfs, die ersteren in ihren schönsten Kleidern, die letzteren mit großmächtigen Sträußen von

künstlichen Blumen an ihren Hüten gingen am Mittag zusammen in die Kirche.

Nachmittags fand der übliche Wettlauf zwischen zwei

Osterfest in Gilbtest«.

7

von der Dorfjugend gewählten Burschen statt.

Sie waren weiß ge­

kleidet und mit bunten Bändern geschmückt.

Mit Musik an der

Spitze und einem Gefolge von jungen Leuten zogen sie in Procession

zu dem Platze, auf welchem eine Menge von Ostereiern auf der

Erde ausgebreitet war.

Auf ein Zeichen trennten sich die Läufer,

der eine, um die Eier auf dem vorgeschriebenen Laufe aufzulesen, der andere, um nach dem nächsten Dorfe und wieder zurück zu laufen.

Der Sieg fiel demjenigen zu, der seine Aufgabe zuerst ge­

löst hatte und er wurde zum König des Festes ausgerufen.

Hand

in Hand kehrten dann die Läufer zurück, gefolgt von ihren Kameraden,

um an dem Tanze Theil zu nehmen, welcher jetzt vor dem Hause des Dr. Mayor stattfand.

Nach einer Weile wurden die Festlich­

keiten durch kurze Anrede des ersten Musikanten in patois unter­

brochen, welche damit schloß, daß er von seiner Erhöhung aus einen besonderen Tanz zu Ehren der Familie des Dr. Mayor ankündigte.

An diesem Tanz nahm die Familie nebst einigen ihrer Freunde und Nachbarn theil; die jungen Damen tanzten mit den Bauernburschen

und die jungen Herrn mit den Dorsmädchen, während die älteren einen Kreis bildeten und zusahen.

Die vier Jahre, welche Agassi; dem Wunsche seiner Eltern ge­ mäß in Biel zubringen sollte, gingen allmälig unter Arbeit und Er­

holung zu Ende.

Ein vergilbtes abgenutztes Blatt Papier, auf

welches er während der letzten Jahre seines Schullebens seine Wünsche

in Betreff von Büchern aufschrieb, und seinen Bestrebungen

zeugt von seinen Fortschritten

im Alter von vierzehn Jahren.

„Ich

wünsche", so heißt es darauf, „in den Wissenschaften vorwärts zu kommen und dazu bedarf ich d'Anville, Ritter, ein italienisches Wörterbuch, einen griechischen Strabo, Männert und Thiersch und und außerdem die Schriften von Malte-Brun und Seyfert.

Ich

habe beschlossen, sofern es mir gestattet wird, ein Schriftsteller zu

werden und gegenwärtig kann ich in folgenden Fächern nicht vor­ wärts kommen:

1) In alter Geographie, denn ich kann schon alle

meine Notizbücher auswendig und habe keine anderen Bücher, als die, welche Rickley mir leiht; ich muß d'Anville oder Männert haben;

2) in neuer Geographie habe ich nur den Osterwalde, welcher nicht mit den neuen Eiutheiluugeu stimmt; dafür müßte ich Ritter oder

Malte-Brun haben; 3) für das Griechische brauche ich eine neue

8

Erstes Capitel.

Grammatik und werde den Thiersch wählen; 4) fehlt mir ein italieni­

sches Wörterbuch; 5) brauche ich für das Lateinische

eine größere

Grammatik als meine bisherige und ich möchte gern die von Seyfert

haben; 6) sagt mir Herr Rickley, daß er mir, da ich Geschmack an

Geographie habe, eine griechische Stunde geben wolle (gratis), in der wir den Strabo übersetzen könnten, vorausgesetzt, daß ich mir einen verschaffen kann.

zwölf Louisd'ors haben.

Für alle diese Einkäufe müßte ich ungefähr Ich möchte bis zum Juli in Biel bleiben

und dann meine anderthalbjährige kaufmännische Lehrlingszeit in Neuchätcl abdienen.

Dann möchte ich vier Jahre auf einer deutschen

Universität zubringen und endlich meine Studien in Paris beendigen

und etwa fünf Jahre dort bleiben.

Dann im Alter von fünf nnd

zwanzig Jahren könnte ich anfangen zu schreiben."

Agassiz's Aufschreibebücher, die von seinen Eltern, welche die Entwicklung ihrer Kinder mit dem größten Interesse verfolgten, sorg­

fältig aufbewahrt wurden, legen Zeugniß ab von seinen eifrigen Ar­ beiten, sowohl in der Schule, als auf dem College. Es ist ein

ganzer Stoß von Manuskripten, mit den Schreibheften des Schul­

knaben beginnend und von den sorgfältig ausgezeichneten Berichten des Schülers der höheren Lehranstalt gefolgt, mit kurzen Unter­ brechungen bis zu seinem neunzehnten Jahre fortgesetzt.

Die spä­

teren Bände sind beinah von Quartgröße und sehr dick; einige davon

enthalten vier- bis sechshundert engbeschriebene Seiten.

Die Hand­

schrift ist klein, wahrscheinlich der Raumersparniß halber, aber sehr deutlich.

Sie sind physiologischen, pathologischen und anatomischen

Inhalts, mehr oder weniger mit allgemeiner Naturgeschichte unter­ mischt. Diese Bücher sind mit äußerster Sauberkeit geführt. Von Anfang an findet sich eine sorgfältige Trennung der Gegenstände

unter deutlich bezeichneten Aufschriften, in welchen sich schon eine Neigung zu geordneter Eintheilung von Thatsachen und Gedanken

offenbart. Aus der kindlichen Skizze seiner zukünftigen Pläne ist ersichtlich, daß ihm schon damals die Hoffnung dämmerte, der kaufmännischen Laufbahn, für welche er bestimmt war, zu entgehen.

Er hatte den

Reiz des Studirens kennen gelernt und seine wissenschaftlichen Nei­ gungen, wenn sie auch bis jetzt mehr zur Unterhaltung und noch nicht als ernstliche Forschungen betrieben worden waren, nahmen

9

College in Lausanne.

immer mehr überhand.

Er war fünfzehn Jahre alt und der Zeit­

punkt, zu welchem er, einer längst getroffenen Bestimmung gemäß in das Geschäft seines Onkels Francois Mayor in Neuchätel eintreten sollte, rückte heran. Er erbat sich einen Aufschub von zwei Jahren,

die er auf dem College von Lausanne zuzubringen wünschte.

Seine

Bitte wurde von mehreren seiner Lehrer und besonders von Herrn

Rickley unterstützt, welcher in seine Eltern drang,

die auffallende,

Begabung und den Lerneifer ihres Sohnes zn berücksichtigen.

Es

kostete nicht viel Mühe, sie dazu zu überreden; war es doch nur

Mangel an Mitteln und nicht an gutem Willen, welcher ihnen eine Beschränkung in der Gewährung aller Vortheile einer guten Erziehung

für ihre Kinder auferlegte.

Es wurde also beschlossen, Louis nach Lausanne gehen zu lassen. Dort wurde seine Liebe für alles, was sich auf das Studium der

Naturgeschichte bezog, befestigt.

Professor Chavannes, Direktor des

Kantonal-Museums, an welchem er nicht nur einen interessanten Lehrer, sondern auch einen wohlwollenden Freund sand', der seine

wissenschaftlichen Neigungen theilte, besaß die einzige natnrgeschichtliche Sammlung im Kanton Waadt.

Zutritt.

Zu dieser erhielt Agassiz nun

Sein Onkel Dr. Mayor, der Bruder seiner Mutter, ein

angesehener Arzt in Lausanne, dessen Meinung großes Gewicht bei Herrn und Frau Agassiz hatte, fand auch Wohlgefallen an dem leb­ haften Geist des Knaben und seinem Interesse an Anatomie und

ähnlichen Gegenständen.

Er gab den Rath, daß man seinen Neffen

Medicin stndiren lassen solle, und als dieser daß College in Lausanne

durchgemacht hatte, wurde der kaufmännische Plan endgültig auf­ gegeben und ihm gestattet, sich dem ärztlichen Beruf, als dem seinen

Neigungen am meisten entsprechenden, zu widmen. Als Agassiz siebzehn Jahre alt war, bezog er die medicinische

Schule von Zürich.

Hier kam er zum erstenmale mit Männern

in Berührung, welche durch eigene Forschungen auch ihrem Unterricht mehr Anregung und Bedeutung verliehen.

Sehr viel verdankte er

insbesondere dem Professor Schinz, einem sehr tüchtigen, gelehrten Manne, der den Lehrstuhl für Naturgeschichte und Physiologie inne hatte, und der das wärmste Interesse an den Fortschritten seines

Schülers zeigte.

Er gab Agassiz sowohl den Schlüssel zu seiner

Privatbibliothek, als zn seiner Vogelsammlnng. Diese Vergünstigung

Erstes Capitel.

10

war von großem Werth für ihn, da seine Verhältnisse ihm die An­

schaffung von Büchern unmöglich machten.

Manche Stunde brachte

der junge Student damit zu, Bücher abzuschreiben, zu deren Ankauf seine Mittel nicht ausreichten, wenn auch manche davon nur fünf

Franken kosteten.

Sein Bruder August, der noch immer sein be­

ständiger Gefährte war, nahm Theil an dieser Arbeit, die von seiner

Seite nur reines Liebeswerk war, denn Louis bedurfte der Bücher viel mehr zu seinem Studium, als er.

Während der zwei Jahre, welche Agassiz in Zürich zubrachte,

sah er wenig von der Gesellschaft außerhalb der Universitätsmauern. Er hatte mit seinem Bruder eine angenehme Wohnung in einem

Privathause gefunden, wo sie an dem Familienleben ihrer Hauswirthe Theil nahmen.

In Begleitung

derselben

ersten größeren Ausflug in die Alpen.

brachten oben die Nacht zu.

machte Agassiz seinen

Sie bestiegen den Rigi und

Gegen Sonnenuntergang zog sich ein

gewaltiges Gewitter unter ihnen zusammen, während auf dem Gipfel

des Berges die Luft ganz klar und ruhig blieb.

Unter dem blauen

Himmel sahen sie den Blitzen zu und hörten den Donner in den

dunklen Wolken, welche Ströme von Regen über das unten liegende Land und den Vierwaldstätter See ergossen.

Das Gewitter dauerte

bis tief in die Nacht hinein und Agassiz verweilte noch im Freien, nachdem alle seine Gefährten sich zur Ruhe zurückgezogen hatten, bis sich endlich die Wolken langsam vertheilten und das Licht des Mondes und der Sterne auf die Landschaft und den See durch­

brechen ließen.

Er pflegte zu sagen, daß er auf keinem seiner späteren

Alpenausflüge Zeuge eines großartigeren und schöneren Naturschau­ spiels geworden sei. Seine Briefe aus Zürich haben, soweit sie erhalten blieben, nur

Jntereffe für die Familie. Nur in einem derselben berührt er eine selt­ same Begegnung, welche leicht den ganzen Lauf seines Lebens geändert

hätte.

Er begab sich mit seinem Bruder in den Ferien von Zürich

nach der Heimath, welche jetzt nach Orbe verlegt war, wo sich seine Eltern seit 1821 niedergelassen hatten.

Zwischen Neuchätel und

Orbe wurden sie von einem Reisewagen eingeholt.

Der Herr, welcher

der einzige Insasse war, lud sie zum Einsteigen ein, ließ sie an seinem Frühstück theilnehmen, sprach mit ihnen von ihren Studien und ihren zukünftigen Plänen und fuhr sie bis an das Pfarrhaus,

Medicinische Schule in Zürich.

wo er sich ihren Eltern vorstellte.

11

Einige Tage später erhielt Herr

Agassiz einen Bries von diesem durch Zufall gemachten Bekannten, welcher damals in Gens lebte und, wie sich später herausstellte, ein

Mann in glänzenden Verhältnissen und hoher gesellschaftlicher Stellung war.

Er schrieb an Herrn Agassiz, daß er sich ganz merkwürdig

von seinem ältesten Sohn Louis angezogen fühle und wünsche, ihn

an Kindesstatt anzunehmen und für die Zukunft alle Sorge und Verantwortlichkeit für seine Erziehung und sein Fortkommen in der

Welt zu tragen.

Pfarrhaus.

Dieser Vorschlag fiel wie eine Bombe in das stille

Herr Agassiz war arm und jeder Vortheil für die Kinder

wurde mit mühsamen Opfern von Seiten der Eltern erkauft.

Wie

konnte man eine solche Aussicht für eines unter ihnen, und besonders

für ein so begabtes, von der Hand weisen? Nach sorgenvoller Ueber« legung entschloß sich der Vater jedoch mit voller Einstimmung seines

Sohnes, ein Anerbieten abzulehnen, welches, so glänzend es auch

erschien, eine Trennung bedingte und eine schiefe Stellung herbei­ führen konnte. Ein Briefwechsel wurde Jahrelang zwischen Louis und dem so plötzlich gewonnenen Freunde, welcher fortfuhr sich für

ihn zu interessiren, geführt. Obwohl diese Begebenheit keine weiteren Folgen hatte, so ist sie

doch erwähnenswerlh, weil sie zeigt, welch eine persönliche Anziehungs­ kraft Agassiz schon als Knabe unbewußt auf Andere ausübte. Von Zürich begab sich Agassiz nach der Universität Heidelberg,

wo wir ihn im Frühjahr 1826 antreffen.

An seinen Vater.

Heidelberg, d. 24. April 1826. . ... Da ich früh genug hier angekommen bin, um vor Eröffnung der Vorlesungen was von der Umgegend zu sehen, so beschloß ich, jeden Tag einen Ausflug nach einer oder der anderen Richtung zu machen, damit ich das Land kennen lerne. Es ist mir um so lieber, daß ich dies gethan habe, weil mir gesagt worden ist, daß nach

Beginn der Vorlesungen

sich keine Gelegenheit zu solchen Unter­

brechungen finden wird, da wir dann genöthigt sein werden, fleißig

im Hanse hinter unserer Arbeit zu bleiben. Unser erster Ausflug war nach Neckarsteinach, zwei und eine halbe Meile von hier. Die Straße folgt dem Neckar und erhebt

12

Erstes Capitel.

sich an einzelnen Punkten kühn über den Fluß, der zwischen zwei

Hügelreihen hinfließt, die von Felsen unterbrochen werden, welche oft auf beiden Seiten hervorstehen und eine Farbe wie rothe Kreide haben.

Weiterhin verbreitert sich das Thal und eine reizende Er­

höhung, von Ruinen bekrönt, zeigt sich plötzlich dem Blick inmitten einer weiten Ebene, auf welcher Schafe weiden.

Neckarsteinach selbst

ist ein kleines Dorf, welches jedoch drei Schlösser besitzt, von denen

zwei Ruinen sind.

Das dritte ist noch bewohnt und hat eine

wundervolle Aussicht.

Abends

kehrten wir im Mondschein nach

Heidelberg zurück.

An einem anderen Tage bestiegen wir „den Berg", wie man ihn hier nennt, obwohl er kaum höher als der Suchet ist.

Da man

dort nichts zu essen bekommt, so nahmen wir die nöthigen Vorräthe

mit.

Das machte uns so viel Spaß, daß ich Dir erzählen muß,

wie Alles zuging.

Des Morgens kaufte Z. auf dem Markte so viel

Kalbfleisch, Leber und Speck, als es für drei Personen aus zwei Tage nöthig war.

Diesen

Vorräthen

wurde

Salz,

Pfeffer,

Butter,

Zwiebeln, Brod und einige Krüge Bier hinzugefügt. Einer von uns nahm zwei Kochtöpfe und etwas Spiritus mit. Als wir auf dem

Gipfel unseres Berges ankamen, suchten wir einen geeigneten Platz aus und kochten da unser Mittagessen.

Es dauerte nicht lang und

ich kann nicht sagen, daß alles nach den Regeln der Kochkunst ge­ macht wurde.

schmeckt hat.

Aber das weiß ich, daß nie eine Mahlzeit besser ge­ Wir wanderten den Nachmittag auf dem Berge umher

und kamen Abends an ein Haus, in welchem wir uns das Abend­ essen auf dieselbe Weise zubereiteten, zur großen Verwunderung der

versammelten Hausgenossen, insbesonders einer alten Frau, die sehr

bedauerte, daß ihr Mann nicht mehr lebte, da ihn das sehr ergötzt

haben würde.

Wir schliefen an der Erde auf etwas Stroh und

kehrten am anderen Tag zum Mittagessen nach Heidelberg zurück. Am folgenden Tag gingen wir nach Mannheim, um das Theater zu besuchen.

Es ist sehr schön und gut besetzt und wir waren so

glücklich, eine vortreffliche Oper zu hören.

Sonst sah ich nichts in

Mannheim, außer dem Haus von Kotzebue und dem Platz, auf welchem

Sand hingerichtet wurde.

Heute habe ich meine Besuche bei den Professoren gemacht. Für drei von ihnen hatte ich Briefe von den Professoren Schinz und

13

Briefe aus Heidelberg.

Hirzei.

Ich wurde von allen auf die freundlichste Weise empfangen.

Professor Tiedemann,

der Kanzler, ist ein Mann etwa im Alter

des Vaters, aber jung für seine Jahre.

Er ist so wohlbekannt, daß

ich nicht nöthig habe, hier sein Lob zu singen. sagte,

Sobald ich ihm

daß ich einen Brief aus Zürich für ihn gebracht hätte,

begegnete er mir mit größter Höflichkeit, bot mir Bücher aus seiner Bibliothek an, mit einem Wort: er sagte, er wollte hier für mich

was

sein,

Professor

Schinz,

bei

in Zürich für mich gewesen sei

dem

er

studirt hatte,

früher

Nach Beginn der Vorlesungen,

wenn ich diese Herren besser kenne, will ich Euch mehr von ihnen

sagen.

Ich habe nun noch meine Wohnung, das Zimmer, den Garten

und die Hausleute zu beschreiben, u. s. wDer nächste Brief füllt diesen Rahmen aus.

An seinen Vater. 24. Mai 1826. .... Deinem Wunsche gemäß, will ich Dir nun alle möglichen

Einzelheiten über meinen Hauswirth, die Ausfüllung meiner Zeit u.f.ro.

schreiben.

Herr. .., „mein Philister", ist ein Tabakhändler in guten

Verhältnissen, der ein hübsches Haus in der Vorstadt besitzt.

Meine

Fenster übersehen die Stadt und meine Aussicht ist durch einen

Hügel begrenzt, der im Norden von Heidelberg liegt.

Hinter dem

Hause ist ein großer und schöner Garten, an dessen Ende sich ein

sehr hübsches Sommerhäuschen befindet.

Es sind auch verschiedene

Baumgruppen in dem Garten und ein mit einheimischen Vögeln ge­

fülltes Bauer....

Da seit Beginn der Vorlesungen jeder Tag nur eine Wieder­ holung des vorhergehenden ist, so wird Dir die Beschreibung eines

einzelnen eine 'Vorstellung aller geben, besonders da ich ganz ge­ treulich den Studienplan verfolge, den ich mir gemacht habe.

Jeden

Morgen stehe ich um sechs Uhr auf, ziehe mich an und frühstücke. Um 7 Uhr gehe ich in meine Vorlesungen, welche Vormittags in dem

Museumsgebäude gehalten werden, neben welchem sich das anatomische Laboratorium befindet.

Wenn ich in der Zwischenzeit eine freie

Stunde habe, was zuweilen von zehn bis elf der Fall ist, so fülle

ich sie aus, indem ich anatomische Präparate mache.

davon und von

dem Museum

Ich werde Dir

ein andermal mehr sagen.

Von

Erstes Capitel.

14

zwölf bis ein Uhr übe ich mich im Fechten.

Wir essen um ein Uhr,

und nachher gehe ick bis zwei spazieren und kehre dann nach Hause Von fünf bis sechs

und zu meinen Studien zurück bis fünf Uhr.

haben wir Vorlesung bei dem berühmten Tiedemann.

bade ich entweder im Neckar oder gehe spazieren.

Nach derselben

Von acht bis neun

arbeite ich wieder für mich und gehe dann, je nach Neigung in den Schweizer Klub, oder wenn ich müde bin, zu Bett.

Ich halte meine

Abendandacht und spreche im Geiste mit Euch, in dem Glauben, dass Ihr zu dieser Stunde auch Euern Louis nicht vergeßt, der Euer

immer gedenkt.

Sobald ich es weiß, denn bis jetzt kann ich es noch

nicht genau beurtheilen, will ich Euch so genau wie möglich schreiben,

wie hoch sich meine Ausgaben belaufen werden.

Manchmal wird

eine unvorhergesehene Ausgabe kommen, wie sechs Kronenthaler für die Jmmatriculationskarte.

Aber Dn kannst überzeugt sein, daß ich

mich jedenfalls aus das allernöthigste beschränken und mein Bestes

thun werde, um zu sparen.

Das Gleiche gilt für die wahrscheinliche

Dauer meines Aufenthalts in Heidelberg; ich werde denselben gewiß

nicht unnöthig in die Länge ziehen .... Die Wege der Brüder hatten sich nun zum ersten Male ge­

trennt.

August kehrte von Zürich nach Neuchütel zurück, wo er in

das Geschäft eintrat.

Es begab sich jedoch, daß Louis bei einer der

ersten Bekanntschaften, die er in Heidelberg machte, nicht nur einen

gleichgesinnten Kameraden, sondern einen Freund auf Lebenszeit und

späterhin eine» Bruder fand.

Professor Tiedemann, von welchem

Agassi; so freundlich ausgenommen worden war, hatte ihm an­

empfohlen, die Bekanntschaft des jungen Alerander Braun zu machen, eines eifrigen Studenten und besonderen Liebhabers der Botanik. In Tiedemann's Vorlesung am folgenden Tage wurde Agassiz Auf-

merksamkeit durch einen jungen Mann gefesselt, der neben ihm saß

und sorgfältige Notizen und Zeichnungen machte.

Es war etwas

sehr Gewinnendes in seinem ruhigen sanften Gesicht, voll Wohl­

wollen und Geist.

Aus der Art, wie er der Vorlesung zuhörte und sie

niederschrieb, schloß Agassiz, daß dies der Student sein müsse, von welchem ihn« Tiedemann gesprochen hatte.

Als nach abgelaufener

Stunde sich beide erhoben, wandte sich Agassiz zu seinem Nachbar und sagte:

„Sind Sie Alexander Braun?"

„Ja, und Sie Louis

Universitätsleben in Heidelberg.

Agassiz?"

15

Es scheint, daß Professor Tiedemann, der einen ebenso

scharfen Blick für Verwandtschaften in der moralischen wie in der

physikalischen Welt hatte, auch Braun angerathen hatte, die Be­ kanntschaft des jungen Schweizer Naturforschers zu machen, der kürz­

lich eingetrosfen und voll Begeisterung für sein Studium sei.

Die

beiden jungen Leute verließen den Hörsaal zusammen und von dieser

Zeit an wurden ihre Studien, ihre Exkursionen, ihre Unterhaltungen gemeinschaftlich unternommen und betrieben.

Wenn sie auf ihren

weiten Ausflügen Exemplare aus ihren verschiedenen naturgeschichtlichen Bereichen sammelten, lernte Braun Zoologie von Agassi; und dieser hinwiederum Botanik von Braun.

Diesem Umstand ist es

vielleicht zuzuschreiben, daß Alexander Braun — später Direktor des botanischen Gartens in Berlin — besser in Zoologie bewandert war,

als andere Botaniker, während Agassiz ausgedehntes botanisches Wissen mit seiner Kenntniß des Thierreichs verband. Daß die An­ ziehung eine gegenseitige war, kann aus folgendem Auszug eines

Briefes von Alexander Braun an seinen Vater gesehen werden*). Braun an seinen Vater.

Heidelberg, 12. Mai 1826. .... In meinen freien Stunden gehe ich auf den Secirsaal,

wo ich mit einem anderen jungen Naturforscher, welcher als ein

sehr seltener Comet am Heidelberger Himmel erschienen ist, allerlei

Gethier zergliedere, z. B. Hunde, Katzen, Vögel und selbst kleinere Thiere, wie Schnecken, Raupen, Käfer, Würmer n. s. w.

Dazu lassen

wir uns immer von Tiedemann die besten Bücher zum Vergleiche

geben, denn er hat eine herrliche und für Anatomie ganz vollstän­ dige Bibliothek und ist ganz besonders freundschaftlich und gefällig gegen uns. Des Nachmittags habe ich von zwei bis drei pharmaceutische Chemie bei Geiger und von fünf bis sechs vergleichende Anatomie

bei Tiedemann.

In der Zwischenzeit gehe ich zuweilen mit dem

neuangekommenen Naturforscher (welcher Agassiz heißt und aus Orbe *) Die Briefe von A. Braun an seine Eltern, welche hier ausgenommen sind, ebenso wie die später folgenden an Agassiz und diejenigen von Agassiz an Braun sind nicht aus dem englischen in's deutsche zurücküberseht, sondern nach

den deutschen Origiualbricfe» abgedruckt.

Anmerk. d. Nebers.

Erstes Capitel.

16

ist) auf den Thier- uud Pflanzenfang, wo wir dann nicht nur alles

mögliche sammeln und kennen lernen,

sondern auch Gelegenheit

haben uns unsere Ansichten über allerlei naturhistorische Gegenstände

mitzutheilen.

Ich lerne sehr viel von ihm, denn er weiß in der

Zoologie mehr als ich.

Er kennt fast alle bekannten Säugethiere;

die Vögel erkennt er schon von weitem am Gesang und jeden Fisch, den er im Wasser sieht, weiß er zu benennen.

Wir waren schon öfter

des Morgens miteinander auf dem Fischmarkt, wo er mir alle Arten bestimmt und erklärt hat.

Er will mich auch das Ausstopfen der

Fische lehren, und dann wollen wir eine Sammlung aller einheimi­

schen Fische anlegen.

Er weiß aber auch noch andere nützliche

Sachen: deutsch und französisch spricht er gleich gut und auch ziem­ lich fertig englisch und italienisch, weßhalb ich ihn auch schon zu

meinem Dollmetsch ernannt habe, wenn wir einmal eine Ferien­ reise nach Italien machen.

Auch die alten Sprachen kennt er gut.

Er studirt auch Medicin, nebenbei .... Einige Zeilen Brauns an seine Mutter, die mehrere Wochen

später geschrieben sind, zeigen, daß die erste Begeisterung, welche

sich in halb spaßhafter Weise gegen den Vater aussprach, sich zu einer ernsthaften Freundschaft ausbildete. Braun an seine Mutter.

Heidelberg, den 1. Juni 1826. . . . Ich bin jetzt sehr vergnügt, daß ich Jemanden gefunden

habe,

der gleiche Beschäftigung mit mir hat, während ich früher

meine Exkursionen meist einsam machte und mein Treiben fast ein­

siedlerisch war.

Wie viel mehr ein Jeder lernt, wenn zwei das

gleiche zusammen treiben, sollte man nicht glauben.

Damit aber

auch die Zeit, welche mit den zeitraubenden mechanischen Beschäfti­ gungen des Pflanzeneinlegens. Aufsteckens der Käfer rc. ausgefüllt

ist, gut benützt wird, haben wir uns dahin vereinigt, daß während einer einlegt, der andere etwas vorlesen muß.

Auf diese Weise

gehen wir verschiedene deutsche und französische Bücher über Anatomie,

Physiologie, Zoologie rc. durch ....

17

Freunde und Lehrer in Heidelberg.

Agassiz's nächster Freund in Heidelberg nach Alexander Braun war Karl Schimpcr, der auch mit diesem innig befreundet und gleich demselben ein zu großen Hoffnungen berechtigender Botaniker war.

Die drei wurden bald unzertrennlich.

Außer diesen Beiden,

welche wegen ihres großen Einflusses auf sein späteres Leben hier ge­

nannt sind, hatte Agassiz noch viele Freunde und Genoffen in Heidel­

berg.

Er war zu anhänglicher Natur, um nicht unter seinen jungen

Landsleuten,

deren sich viele in Heidelberg befanden und welche

einen eigenen Klub und einen Turnplatz da hatten, ein beliebter Kamerad zu sein. Er nahm Theil an allen ihren körperlichen Uebun­

gen und zeichnete sich sowohl als tüchtiger Turner, wie als geübter

Fechter aus. Unter den damaligen Professoren von Heidelberg war Leuckart

vielleicht der anregendste.

Seine Vorlesungen waren voll origineller

Gedanken und geistvoller Hypothesen, welche die Zuhörer theils be­ geisterten, theils ergötzten.

Er verstand es, die Begeisterung seiner

bedeutenderen Schüler zu beleben, und auf ihre Bitte hielt er ihnen einen besonderen Lehrkursus über einzelne Gruppen von Thieren, nicht ohne ihnen dabei ein persönliches Opfer zu bringen, denn diese

Extravorlesung wurde um sieben Uhr Morgens gehalten, und die

Studenten mußten ihren Professor oft dazu aus dem Bett holen.

Daß sie dies thun durften, ist ein Beweis der freundlichen Be­

ziehungen,

die zwischen Lehrer und Schüler bestanden.

Auch mit

dem Botaniker Bischoff traten die Studiengenossen in freundschaft­

lichen Verkehr.

Sie machten viele schöne botanische Exkursionen mit

ihm und verdankten ihm eine vortreffliche und gründliche Unterweisung im Gebrauch

des Mikroskops,

welches er meisterlich

handhabte.

Tiedemanns Vorlesungen waren sehr gelehrt, und Agassiz sprach

immer mit großer Achtung und Bewunderung von seinem alten Lehrer der vergleichenden Anatomie und Physiologie.

Ein anregender

Lehrer war er aber nicht, und obwohl er den Studenten die freund­ schaftlichste Gesinnung bewies, so hatten sie doch keine so nahen

Beziehungen zu ihm wie zu Leuckart und Bischoff.

Sehr werthvolle

Unterweisung in seinem Specialfach erhielten sie von dem Paläonto­ logen Bronn, dessen Vorlesungen äußerst eingehend waren, aber weniger beftuchtend auf das Denken wirkten.

Die Freunde waren froh, als

der Professor seine Vorträge wegen Zeitmangels abkürzte und ihnen Agassiz'S Leben und Briefwechsel. 2

18

Erstes Capitel.

seine wundervolle Sammlung von Versteinerungen zeigte und an die einzelnen Exemplare anknüpfend, seinen Gegenstand in allgemeinerer und praktischerer Weise entwickelte').

Unter den medicinischen Pro-

fefforen war Nägeli der anregendste, während Chclius seines bedeu­ tenden Rufes wegen, eine größere Zahl von Zuhörern hatte.

Wenn

es hier und da in den Hörsälen an Anregung fehlte, so füllten die Freunde diesen Mangel durch ihr eigenes

unermüdlich strebendes

Erforschen der Natur aus und suchten mit allen ihnen zu Gebot stehenden Mitteln ihren Wissensdurst zu befriedigen").

Da die weite Entfernung und die Kosten der Reise es Agassiz unmöglich machten, die Ferien bei seiner Familie in der Schweiz zuzubringen, so gewöhnte er sich bald daran, dieselben mit seinem

neuen Freunde in Karlsruhe zu verleben.

Ein anziehenderes Fa­

milienleben als dasjenige, in welches er dort eingeführt wurde,

konnte es für einen jungen Mann von seinen Anlagen und Neigungen kaum geben.

Die ganze Atmosphäre des Hauses befand sich in Ein­

klang mit den Bestrebungen der Freunde.

Das Haus war einfach

eingerichtet, aber reich an Büchern, an Musikalien und an Allem, was auf Geist und Phantasie anregend und förderlich wirkte. Es lag unmittelbar an einem der Stadtthore, welches in einen großen Laub­

wald führte, der an und für sich schon ein vortrefflicher Fundort für einen Naturforscher war.

Einige Zimmer auf der Rückseite des

Hauses, welche durch den geräumigen Garten von dem Straßenlärm

geschützt wurden, waren der Pflege der Wiffenschaft gewidmet.

In

einem deffelben befand sich die reichhaltige Mineraliensammlung von Brauns Vater, und in den anderen hatten die Söhne und deren

Freunde ihre Arbeitsstätten aufgeschlagen.

Die Tische waren mit

Naturalien aller Art, frischen und getrockneten Pflanzen, Mikroskopen und Büchern bedeckt.

Hier brachten sie alle ihre Schätze zusammen;

hier zeichneten und untersuchten sie, secirten und ordneten ihre Samm•) Diese Sammlung wurde 1859 von dem Museum für vergleichende Ana­

tomie in Cambridge, Massachusetts, angekauft, und Agasflz hatte so die Freude, seine amerikanischen Schüler mit derselben Sammlung zu unterichten, an welcher er selbst seine ersten bedeutenden paläontologischen Studien gemacht hatte. **) Das Material zu diesem Bericht über das Universitätsleben der beiden Freunde in Heidelberg hat hauptsächlich Alexander Braun nach dem Tode von Agassiz geliefert. Auch die späteren Notizen über die Professoren und das Leben

in München, 1827—1831, sind großentheils derselben Quelle entnommen.

19

Besuch in Karlsruhe.

lungen; hier verhandelten sie die Theorieen, welche in ihren jugend­ lichen Köpfen über das Wachsthum, den Bau und die Verwandt­

schaft von Thieren und Pflanzen entstanden. Aus diesem Hause, welches ihm eine zweite Heimath wurde,

schrieb Agassi; in den Weihnachtsfericn 1826

an seinen Vater:

. . . „Mein Glück wäre vollständig, wenn mich nicht überall hin der peinliche Gedanke verfolgte,

daß Eure Entbehrungen mir den

Lebensunterhalt verschaffen; doch ist es mir unmöglich meine Aus­

gaben noch weiter zu beschränken.

Ihr würdet mich von einer großen

Sorge befreien, wenn Ihr Euch diese Last durch ein Abkommen mit

meinem Onkel in Neuchatel erleichtern wolltet. Ich bin überzeugt, daß ich nach Abschluß meiner Studien bald so viel verdienen würde,

um ihm alles zurückzuzahlen. Jedenfalls weiß ich, daß Du nicht alles auf einmal bezahlen kannst und deshalb würde ich Dir sehr dankbar sein, wenn Du mir aufrichtig sagen wolltest, wie es mit unseren Hülfsquellen steht.

Ehe ich das weiß, habe ich keine Ruhe.

Im übrigen befinde ich mich wohl und geht es in gewohnter Weise weiter; ich arbeite immer so viel ich kann und ich glaube, daß alle Professoren, deren'Vorlesungen ich besuche, mit mir zufrieden sind."...

Sein Vater war ebenfalls befriedigt von seinem Betragen und seinen

Fortschritten und schrieb um diese Zeit einem Freunde: „Wir haben die bestmöglichen Nachrichten von Louis.

Muthig, fleißig und be­

scheiden, verfolgt er ehrlich und kräftig sein Ziel, nämlich das Er­ werben des Doctorhuts für Medicin und Chirurgie."

Im Frühling 1827 erkrankte Agassi; an einem Nervenfieber, welches damals in Heidelberg epidemisch auftrat.

mehrere Tage in Gefahr.

Sein Leben war

Sobald er reisen konnte, brachte ihn Braun

nach Karlsruhe, wo die Mutter seines Freundes den Genesenden sorg­

sam pflegte. Da er seine volle Kraft nicht Wiedergewann, so wurde ihm gerathen, sich in der Heimathluft zn stärken und er reiste nach Orbe, von Braun begleitet, welcher ihn nicht verließ, ehe er ihn wohl­

behalten in das Elternhaus gebracht hatte.

Die folgenden Aus­

züge des Briefwechsels zwischen beiden berichten über die zu Hause

verlebte Zwischenzeit.

Erstes Capitel.

20

Agassiz an Braun. Orbe 26. Mai 1827. ... Seit ich hier bin, war ich viel spazieren und habe eine große

Menge von Pflanzen gesammelt, welche aber noch nicht trocken find. Ich habe mehr als hundert Arten, ungefähr zwanzig Exemplare von

jeder Art.

Sobald sie aus der Presse genommen werden können,

werde ich Dir einige Exemplare von jeder Art mit einer Nummer versehen, schicken, damit du sie bestimmen kannst.

Möchtest Du von

irgend einer Art mehr haben, so laß es mich wissen; ebenso, ob

Schimper welche haben will ... In Neuchatel hatte ich das Glück wenigstens

dreißig Exemplare von Bombinator obstetricans

Eiern zu finden.

mit

Sage Dr. Leuckart, daß ich ihm einige bringen

werde; auch Du sollst einige haben.

Ich habe einige in feuchtem

Moos am Leben erhalten; nach vierzehn Tagen waren die Eier bei­

nah so groß wie Erbsen, und die kleinen Kaulquappen bewegten fich darin in allen Richtungen.

Dann legte ich die ganze Masse von

Eiern in eine mit Wasser gefüllte Schüssel, und siehe! in ungefähr

einer Stunde schwammen ungefähr zwanzig Junge darin herum.

Ich werde keine Mühe scheuen, sie aufzuziehen und ich hoffe, wenn

ich es

recht

erzielen.

ansange,

daraus schließlich ganz

schöne Kröten zu

Meine älteste Schwester ist beschäftigt mir Zeichnungen von

den täglichen Entwicklungsstadien zu machen ... Ich secire jetzt so viele Dinge, als irgend möglich.

gung.

Es ist dies meine Hauptbeschäfti­

Auch mit Oken gebe ich mich viel ab.

Seine Naturphilosophie

macht mir viel Freude. Ich sehne mich nach meinem Koffer, da ich meine Bücher brauche, welche Du wohl abgesendet hast. Inzwischen lese ich Universal-Geschichte und bin nicht faul, wie du siehst.

Aber

ich vermisse die Abende mit Dir und Schimper in Heidelberg und wünsche, ich wäre wieder bei Euch.

Ich fürchte, daß diese glückliche

Zeit, wenn sie wiederkehrt, nur zu kurz sein wird.

A. Braun an Agassiz. Heidelberg, 30. Mai 1827.

... Donnerstag den 10. Mai Abends kam ich wieder in Heidel­ berg an. Die medicinischen Collegien hatten meist erst in der zweiten

Woche des Mai angefangen, so daß ich wenig versäumt und fast

bereut habe, so früh zurückgekehrt zu sein.... Den letzten Nachmittag

Briefwechsel zwischen Agassiz und Braun.

21

in Basel habe ich sehr angenehm bei Herrn Röper zugebracht, dem

ich nächstens schreiben muß.

Er hat mir allerlei geschenkt, sehr viel

Schönes gezeigt und viel Lehrreiches gesagt.

Er ist überhaupt ein

echter und vortrefflicher Botaniker, kein bloßer Sammler, wie die

allermeisten; aber auch kein bloßer Beobachter wie der Dr. Bischoff, sondern einer, der denkt...

Dr. Leuckart ist ganz entzückt über die Eier der Hebammen-

Kröte und will sie belegen . . . Schweig nimmt jetzt Deine Stelle

Ich habe unlängst

in unseren gelehrten Abendversammlungen ein.

die

Pflanzenmetamorphose

vorgetragen

und

Schimper

eine sehr

schöne und ganz neue Theorie über die Bedeutung der Zirkelfaser und Lüngenfaser im Organismus, die in Zukunft gewiß Gnade vor Deinen Augen finden wird. Schimper ist noch immer höchst fruchtbar an poetischen und philosophischen Produktionen und hat fich jetzt

sogar an die Naturgeschichte des Geistes gewagt.

Auch hat er eine

neue Hypothese über die Schwanzsterne und ihren langen Schweif aufgestellt. . . . Die botanische Hauptbeschäftigung ist nun diesen

Sommer die genaue Betrachtung aller möglicher selbst der gemeinsten Pflanzen und die Erklärung alles ungewöhnlichen lind räthselhaften

in ihrem Bau.

Verschiedene Nüffe haben wir schon anfgeknackt, es

bleiben aber noch viele anderen aufzubeißen... Dr. Leuckart bittet Dich, die Hebammenkröte recht zu beobachten, ob die Eier, die sie in der Erde hat, schon befruchtet sind oder ob sie sich erst später im Wasser begatten, oder ob gar die Jungen auf

dem Lande auskriechen und was sie für Kaulquappen haben rc. Alles dies ist noch unbekannt!

Agassiz an A. Braun. Orbe, 10. Juni 1827.

... Die vorige Woche habe ich eine sehr angenehme Fahrt gegemacht.

.Du erinnerst Dich wohl, daß ich Dir öfter von einem

Herrn Pfarrer Mellet in Vallorbes sprach, der sich sehr viel mit sechsbeinigem Ungeziefer abgiebt.

Er lud mich ein, mit ihm nach

Vallorbes auf einige Tage zu gehen und Nachmittags reisten wir ab.

Ich blieb acht Tage bei ihm und brachte meine Zeit auf die

angenehmste Weise zu. Täglich gingen wir aus Insekten und Pflanzen

aus und die Ausbeute war reich, besonders an Käsern und Schmetter-

Erste- Capitel.

22

Ungen ... Die schöne Käfer- und Schmetterling-Sammlung des Herrn

Mellet habe ich sehr yenau durchgesehen.

Er hat sehr schöne Sachen,

aber fast nur Schweizer, Franzosen und einige Brasilianer — gegen dreitausend

Species.

Er hat mir mehrere gegeben und aus den

Herr Mellet kennt seine Käfer sehr

Herbst noch mehr versprochen.

genau und beobachtet ihre Sitten, ihren Aufenthalt und ihre Ver­

wandlungen vortrefflich.

Schade aber, daß er ein bloßer Gucker ist

und nichts von Einthcilung, Klassen und sogar nichts von Sippen versteht, dagegen die Arten sehr genau kennt.

Ich suchte ihn zu

andere Naturalien zu sammeln in der

überreden, Schnecken und

Hoffnung, daß er vielleicht auf diese Art zu einer besseren Einsicht

kommen würde.

Er wollte aber nichts davon hören; er habe, sagt

er, genug mit feinen „Vermine“ zu schaffen ... Ich freue mich sehr

bald in Neuchatel zu sein, theils um meinen Bruder, Arnold (Guyot)

und andere Freunde zu sehen,

Schweizer Seen zu stndiren.

theils um

die Fische in unseren

Die Species Cyprinus und Corregonus

mit ihren Sippen, die Salme eingeschlossen, sind wie Du weißt, be­ sonders schwierig.

Ich will von jeder Art einige kleine Exemplare

in Weingeist aufbewahren, die Arten sorgfältig vergleichen und wo möglich von jeder eines seciren, um mich über ihre Identität oder

ihre specifische Verschiedenheit zu vergewissern.

Da dieselbe Art in

verschiedenen Seen verschiedene Namen hat und außerdem auch die Altersverschiedenheiten verschieden betitelt wurden, so werde ich dies

alles genau aufzeichnen.

Wenn ich damit im Reinen bin, so will

ich Dir ein Verzeichniß der Arten, die wir besitzen, schicken, mit An­

gaben der verschiedenen Seen, in denen sie vorkommen.

Da ich an

dem Fischkapitel bin, so will ich Dich etwas fragen: 1) Was sind die

Kiemenbogen? 2) Was die Kiemendeckel? 3) Was, ist die Schwimm­

blase bei Fischen? Was ist die cloaka bei den eierlegenden Thieren?

Was bedeutet der Sack, welcher die Eier in Bombinator obstetricans umgiebt? . . . Sage Dr. Leuckart, daß ich Corregonus umbla (wenn

er das ist) für ihn zurückgelegt habe, daß ich aber Silurus glanis nicht bekommen kann. Ich denke, Ihr fahrt fort dann und wann Abends zusammen­

zukommen ... theilt mir Eure Entdeckungen mit...

Hast Du Deine

Auffütze über Pflanzen-Physiologie vollendet und was hast Du her­

ausgebracht? ...

Briefwechsel zwischen Agassiz und Braun.

23

A. Braun an Agassiz. Karlsruhe, Pfingstmontag 1827. Nun bin ich in Karlsruhe. ich lege noch einen Zettel bei.

Der Pack ist noch nicht fort und

Ich habe heute vielerlei Pflanzen im

Garten erklärt; ich wollte Du wärest dabei gewesen!

Einige theils

ganz, theils halb, theils gar nicht aufgeknackte Nüffe habe ich Dir auf meinem letzten Zettel geschickt, damit Du aufmerksam wirst. Schimper

steckt jetzt ganz in der großen unergründlichen Welt der Sonne mit ihren Planeten, Monden und Kometen und steigt bis in die

Doppelsterne, Milchsterne und Nebelflecken....

Auf einem losen Blatt folgen die zu knackenden Nüsse.

Dasselbe

enthält eine lange Liste aufgeworfener Fragen, von welchen hier nur einige ausgenommen werden, um den Gedankenaustausch zwischen

Agassiz und seinem Freunde zu zeigen.

Obwohl die Mehrzahl der

von Beiden aufgeworfenen Probleme längst gelöst sind, so ist es

doch nicht uninteressant, diese jugendlichen Geister bei ihrem Suchen

nach den Gesetzen des Baus und Wachsthums zu belauschen, welche sie in dieser Zeit erst im Dämmerlicht sahen, später aber beim wei­

teren Fortschritt klarer erkannten.

Diese Fragen zielen schon auf

die damals noch völlig unbekannten Gesetze der Blattstellung hin, welche gegenwärtig einen Theil des elementaren Unterrichts in der Botanik bilden'). „1) Wo ist der erste Wendepunkt des Stengels und der Wurzel

bei der Pflanze, also der erste Knoten?

2) Wie ist der Ursprung derjenigen Blätter am Stengel zu erklären, welche nicht aus deutlichen Knoten kommend, spiralig oder

zerstreut um den Stengel stehen?

3) Warum blühen

einige Pflanzen (besonders Bäume) dem

Gange der Pflanzenbildung widersprechend, noch ehe sie Blätter ge­

trieben haben? (Ulmen, Kätzchenbäume, Obstbäume.) 4) In welcher Reihenfolge geschieht die Entwicklung der Organe *) Die Botanik verdankt Alexander Braun und Karl Schimper die Ent­ deckung dieses Gesetzes, nach welchem Blätter, wie dicht sie auch stehen, derartig um den Stamm geordnet sind, daß die Entfernungen mit mathematischer Ge­ nauigkeit auseinander liegen und jedem Blatt sein richtiger Raum angewiesen ist.

24

Erstes Capitel.

der Blüthe und ihre Bildung in der Knospe? (vergleiche Campanula, Papaver.) 5) Welches sind die Blätter der Spargel? 6) Was

sind

die

büschelförmigen Blätter von verschiedenen

Zapfenbäumen? (Pinus silvestris, Strobus, Larix etc.) . . .

18) Was ist das Individuum bei der Pflanze?" . . .

Der nächste Brief enthält Agassiz's Antwort auf Leuckart's Fragen

über die ihm geschickten Eier und einige weitere Bemerkungen über dieselben.

Agassi; an Braun.

Neuchatel, 20. Juni 1827.

. . . Nun sollst Du erfahren, was ich von der Hebammenkröte weiß.

Wie die Befruchtung geschieht, weiß ich nicht, aber nothwendig

muß sie auf dieselbe Art stattfinden, wie bei den übrigen Arten der Sippe Bombinator; igneus wirft beinah eben so viele Eier, die in

einem Klumpen zusammenhängen, wie obstetricans; fuscus wirft sie

in Schnüren von sich (siehe Roestels Abbildung).

Nun habe ich die

Eierklumpen von obstetricans genau angesehen; alle Eier sind in einer Schnur und hängen zusammen. Diese Schnur ist ein Schlauch, in welchem die Eier in verschiedener Entfernung eingeschlossen liegen,

und in den leeren Stellen zusammengefallen fadenartig erscheinen. Dehnt man aber den Faden aus und drückt man die Eier, so ver­

ändern sie ihre Stelle, und man bemerkt deutlich, daß sie frei liegen,

und ihre eigenen, den anderen Batrachier-Eiern entsprechenden Häute ebenfalls besitzen.

Gewiß geht auch diese Art zur Zeit der Be­

fruchtung in's Wasier, denn dies thun ja alle Batrachier und es ist

dies Wasser ein viel geeigneteres Medium zur Befruchtung, als die Luft ... Es ist gewiß, daß die Eier schon befruchtet waren, als wir sie in der Erde sanden, denn später fand ich mehrere, deren Eier noch nicht soweit vorgerückt waren, als die, welche Du hast, und doch habe ich vo'st ihnen nach drei Wochen Quappen bekommen.

An denjenigen Eiern, die auf der niedersten Stufe der Entwicklung

standen (wie sind sie noch früher? nescio), sah man nichts deutlich, es waren blos gelbe Kügelchen.

Nach einigen Tagen bemerkt man

zwei dunkle Fleckchen, die Stelle der Augen und ein Längsstreifen

als Andeutung des Rückgrats. Noch später trat alles klarer hervor;

Briefwechsel zwischen Agasflz und Braun.

25

man erkannte deutlich Mund- und Nasenöffnung, die Augen und den Schwanz, der in einem Halbkreis um den Leib lag.

Die Häute

waren so äußerst durchsichtig, daß man ganz deutlich den Herzschlag

und das Blut in den Gefäßen erkennen konnte; auch war das Eigelb, der Dotterkanal um ein Bedeutendes verringert.

Deutlich sah man

die Bewegungen des sich bildenden Thierchens; sie waren schnell und geschahen stoßweise. Nach drei bis vier Wochen hatten die. Eier

die Größe von Erbsen erreicht, der Schlauch war an den Stellen,

wo Eier stacken, geborsten, und die Thierlein füllten die Eihüllen vollkommen aus; sie bewegten sich beständig und sehr rasch. streifte das Weibchen die Eier von den Beinen ab.

Nun

Es war sehr

unruhig und sprang im Behälter umher, schien aber ruhiger, wenn ich ihm Wasser auswarf.

Jetzt waren die Eier bald los, ich legte

sie in ein flaches Gefäß mit frischem Wasser. Die Unruhe ward in

den Eiern immer größer und sieh! da fuhr ein Kaulquäppchen wie

der Blitz aus dem Ei, blieb verwundert stehen, staunte die Größe der

Welt an, machte einige philanthropische Bemerkungen, wedelte mit dem Schwanz und schwamm rasch fort.

Ich gab ihnen oft frisches Wasser

und zarte grüne Pflänzchen nebst Brod zu fressen.

Sie fraßen gierig.

Bisher hatte ich sie sorgfälltig durch meine Schwester in allen Ent­ wicklungsstufen zeichnen lassen.

Nun ging ich nach Vallorbes.

Man

versprach mir die junge Brut zu pflegen; als ich aber zurück kam, hatte man sie ganz vergessen, und ich fand alle krepirt, doch noch

nicht verwest, so daß ich sie noch in Weingeist aufheben konnte.

Die

Kiemen habe ich nicht gesehen, aber ich will darauf achten, ob sie nach innen gekehrt sind . . . A. Braun an Agassi;.

Karlsruhe, 9. August 1827. . . . Ich bin nämlich entschlossen, diesen Herbst Heidelberg zu

verlassen und die Wanderschaft nach München anzutreten und lade Dich zum Reisegefährten ein.

Nach einem ausführlichen Brief von

Döllinger lassen die Naturwissenschaften dort nichts zu wünschen übrig — auch sollen die Collegien frei sein, und das Theater kostet für den

Studio nur 24 Kreuzer. Lauter Vorzüge und Annehmlichkeiten. Das

Logis kostet ein weniges mehr als in Heidelberg; die Kost ist ebenso

wohlfeil; Bier giebt es viel und gut.

Alles dies wird Dich über-

26

Erstes Capitel.

zeugen! Bei Gruithuisen hören wir populäre Astronomie, bei Schu­ bert allgemeine Naturgeschichte, bei Martius Botanik, bei Fuchs Mineralogie, bei Sieber Mathematik, bei Starke Physik und bei Oken alles mögliche (er liest im Winter Naturphilosophie, Natur­

geschichte und Physiologie).

Die Kliniken sollen gut sein.

Mit den

Professoren werden wir schnell gut bekannt werden; der Bibliothek fehlt kein botanisches und zoologisches Prachtwerk; die öffentlichen

Sammlungen sind sehr reich.

man nicht.

Ob Schelling auch lesen wird, weiß

Eine kleine Ferienreise in die Salzburger und Kärnthner

Alpen ist von München aus ein Leichtes.

Schreibe mir also, ob

Du bairisches Bier mit mir trinken willst und schreibe mir auch,

bis wann wir Dich in Heidelberg und Karlsruhe sehen werden.

Erinnere mich dem Pollen

alsdann an die Lehre von der Wurzel und von

der Pflanzen.

Sobald ich Antwort von Dir habe,

bestellen wir die Wohnung bei Döllinger, der sie besorgen will.

Wollen wir wieder beisammen Hausen in einer Kammer oder uns verschiedene Zellen in einem Bau nehmen, d. h. unter einem Dach?

Letzteres hat seine Vorzüge für solche Grasabrupfer und Stein­ klopfer, wie wir.

Klopfe nur fleißig die Felsen ab; ich habe in der

letzten Zeit viel gesammelt in Auerbach, Weinheim, Wiesloch etc. Vor allen Dingen aber betrachte recht oft den wunderbaren Bau

der Pflanzen, dieser lieblichen Kinder der Erde und wundere Dich gehörig über sie mit kindlichem Sin»; denn die Kinder wundern sich

über alle Erscheinungen der Natur, die Alten aber sind zu vornehm,

sich noch zu verwundern, ohne jedoch viel mehr zu wissen als die Kinder.

Aber der Denkende erkennt das richtige Gefühl des Kindes

und bewundert die Natur immer mehr, je weiter er in ihrer Er­

kenntniß sortschreitet. . .

Zweites Capitel.

1827-1828.

Bom 20.-21. Jahre.

Ankunft in München. — Bvrlesnngen. — Beziehungen zu den Professoren. — Schelling, Martins, Oken, Döllinger. — Beziehungen zu den Studiengenossen. — Die Heine Akademie. — Reisepläne. — Rath der Eltern. — Ferienreise. —

Dreihundertjähriges Dürer-Jubiläum in Nürnberg.

Agassiz nahm seines Freundes Vorschlag mit Entzücken an, und

gegen Ende Oktober 1827 begab er sich mit Braun von Karlsruhe

nach München.

Der erste Brief an seinen Bruder folgt vollständig,

da er trotz der unreifen Bemerkungen, die er enthält, und über welche

der Schreiber in späteren Jahren selbst gelächelt haben würde, von

Interesse ist, indem er zeigt, was für Kenntnisse ein begabter, streb­ samer Student der Naturgeschichte in jener Zeit besaß.

An seinen Bruder August.

. . . Endlich bin ich in München.

Ich habe Dir soviel zu Damit ich nichts

sagen, daß ich kaum weiß, wo ich anfangen soll.

vergesse, will ich die Dinge in ihrer richtigen Reihenfolge vorbringen. Zunächst also meinen Reisebericht, dann will ich Dir sagen, was ich

hier treibe.

Da der Vater Dir gewiß meinen letzten Brief gezeigt

hat, fahre ich fort, wo ich dort aufgehört habe... Von Karlsruhe fuhren wir mit der Post nach Stuttgart, wo

wir einen großen Theil des Tags im Naturalien-Cabinet zubrachten, in welchem sich viele mir ganz neue Dinge sah, z. B. ein Lama, beinah so groß wie ein Esel. Du weißt, daß dieses Thier, von der Gattung Camelus, in Süd-Amerika lebt, wo es für die Eingeborenen

dasselbe ist, wie das Kamel für den Araber; d. h. es liefert ihnen

Milch, Wolle und Fleisch und wird außerdem vdn ihnen zum Reiten

und Fahren benutzt.

Dann ist ein Nordamerikanischer Büffelochse

von außerordentlicher Größe da; auch ein Elephant von Afrika und

einer von Asien; ferner eine große Menge von Gazellen, Hirschen,

Katzen und Hunden; Skelette von einem Nilpferd und einem Ele­ phanten und endlich die fossilen Knochen eines Mamuth.

Du weißt,

Zweites Capitel.

28

daß das Mamuth nicht mehr lebend gefunden wird, und daß die bisher von ihm endeckten Ueberreste zu der Ansicht geführt haben, daß es eine Art von fleischfressendem Elephanten war.

Es ist eine

merkwürdige Thatsache, daß einige Fischer, welche kürzlich am Ufer

des Obi in Sibirien gegraben haben, eines dieser Thiere in einer Tiefe von sechzig Fuß in einer Eisschicht eingefroren gefunden haben,

so wohl erhalten, daß es noch mit Haaren bedeckt war, wie zu seiner

Lebzeit.

Sie ließen das Eis aufthauen um das Thier heraus zu

nehmen, aber nur das Knochengerüste blieb unversehrt; das Fell zersetzte sich, sobald es mit der Luft in Berührung kam und nur ein paar Stücke sind erhalten worden, wovon eines in dem Stuttgarter Naturalienkabinet steht.

Die darauf befindlichen Haare sind so grob,

wie dünner Bindfanden und beinah einen Fuß lang.

Das ganze

Skelett ist in dem St. Petersburger Museum und ist größer, wie der größte Elephant. Man kann sich denken, was für eine Ver­

heerung solch' ein Thier angerichtet haben muß, da es, wie seine Zähne zeigen, ein Carnivore war.

Aber, was ich wissen möchte, ist,

wie dies Thier so weit nach Norden wandern konnte, und dann, in welcher Weise es starb, um so einzufrieren und unzählige Jahre un­ versehrt zu bleiben, ohne zu verwesen.

Denn es muß einer früheren

Schöpfung angehört haben, da es nirgends lebend gefunden wird und wir kein Beispiel von dem Verschwinden irgend einer Thierart innerhalb der geschichtlichen Zeit haben. — Außerdem gab es in Stuttgart noch verschiedene Arten von fossilen Thieren. Die Vogel­

sammlung ist sehr schön, aber leider sind manche davon falsch be­ stimmt. Ich habe einen Theil selbst berichtigt . . . Von Stuttgart gingen wir nach Eßlingen, wo wir zwei berühmte Botaniker be­

suchen wollten.

Der eine war Herr Steudel, ein Mann mit dunklem

jüdischem Gesicht, lang hernnterhängendem Haar und tiefliegenden

Augen.

Er kennt jedes über Botanik erschienene Buch, hat sie alle

gelesen, aber macht sich nicht viel aus den Pflanzen selbst; kur; er ist ein rechter Stubengelehrter. Er hat ein großes Herbarium, zum großen Theil aus Pflanzen bestehend, welche er gekauft oder zum

Geschenk erhalten hat.

Der andere, Professor Hochstctter, ist ein

komischer kleiner Mann, der kräftig auf seinen hohen Stiefeln einher­

schreitet und immer ein halbunterdrücktes Lächeln auf seinen Lippen hat, wenn er die Pfeife aus dem Munde nimmt.

Er ist aber ein

Reisebericht.

29

sehr guter Mann, äußerst gefällig und empfing uns mit großer Höf­ lichkeit.

Da wir nicht nur darauf ausgingen, die Bekanntschaft

dieser Botaniker zu machen, sondern auch einiges Heu von ihnen zu

erlangen, so stellten wir uns als echte Commis-Voyageurs vor, die getrockneten Kräuter zum Verkauf bei sich führten.

Jeder von uns

hatte einen Pack Pflanzen unter dem Arm; die meinigen waren

vorigen Sommer in der Schweiz gesammelt, diejenigen von Braun in der Pfalz.

Wir gäben jedem der Herrn einen Theil davon und

erhielten im Umtausch einige amerikanische Pflanzen von Strudel;

von Hochstetler einige aus Böhmen und aus seinem Vaterland

Mähren.

Von Eßlingen fuhren wir in dem abscheulichsten Wetter

nach Göppingen.

einmal.

Es regnete, schneite, fror und windete, alles auf

Es war sehr schade, da unsere Straße durch eines der

lieblichsten Thäler führte, welches ich je gesehen habe.

Der Neckar

fließt hindurch und an beiden Seiten erheben sich Berge von eigen­

thümlicher Gestalt und bedeutender Höhe.

Die Würtembergcr nennen

diesen Gebirgszug die schwäbische Alp, aber ich glaube, daß der

Chaumont höher ist, als der höchste Gipfel dieser Alpen.

In Göp­

pingen trafen wir einen alten Heidelberger Bekannten, besten Vater

eine wundervolle Sammlung von Versteinerungen, besonders von

Muscheln und Zoophyten, hat.

Er hat auch eine große Muschel­

sammlung aus dem Adriatischen Meer, aber von diesen war keine einzige bestimmt.

Da wir sie kannten, machten wir es uns zur

Pflicht, sie zu ordnen und in drei Stunden war die ganze Samm­ lung mit Zetteln versehen.

Da er beinah von allen Arten Dou­

bletten hat, versprach er uns davon auszusuchen und zu schicken, so­ bald er Zeit habe.

Wenn wir länger geblieben wären, so hätten

wir uns selbst nach Belieben aussuchen dürfen, denn er stellte uns seine ganze Sammlung zur Verfügung. Aber wir hatten Eile, nach

München zu kommen, deshalb baten wir ihn, uns gelegentlich zu

schicken, was er uns geben wolle. Wir setzten unsere Reise mit der Post fort, da es immer noch

regnete und die Straßen so abscheulich schlecht waren, daß wir mit dem besten Willen nicht zu Fuß gehen konnten.

Abends erreichten

wir Ulm, wo wir der späten Stunde wegen fast nur den berühmten Thurm des Domes sahen, welcher bei unserer Einfahrt in die Stadt

noch deutlich erkennbar war.

Nach dem Abendessen fuhren wir gleich

Zweites Capitel.

30

mit der Post weiter, da wir am folgenden Tage in München fein wollten.

Ich habe nie etwas schöneres gesehen, als die Aussicht

nach unserer Abfahrt von Ulm.

Der Mond war aufgegangen und

schien mit Tageshelle auf den Münsterthum.

Nach allen Seiten er­

streckte sich die weite Ebene', durch keine Erhöhung unterbrochen, so weit das Auge reichen konnte, und durchschnitten von der Donau, auf welcher die Mondstrahlen glitzerten.

Wir fuhren während der

Nacht durch die Ebene und erreichten Augsburg in der Morgen­ dämmerung. Es ist eine schöne Stadt, aber wir hielten nur, an um zu frühstücken und sahen die Straßen nur beim Durchfahren.

Als

wir Augsburg verließen, wurden die Tyroler Alpen, obwohl sie bei­

nah sieben Meilen entfernt sind, sichtbar.

In einer Entfernung von

ungefähr drei Meilen erblickt man einen ungeheuern Wald, den wir näher betrachten konnten, als wir uns München näherten, denn er

umringt in einiger Entfernung die Stadt. Wir kamen am Sonntag den 14. Nachmittags hier an ... Meine Wohnung ist vor dem Send-

linger Thor No. 37.

Ich habe ein sehr hübsches Zimmer zu ebener

Erde mit einem Alkoven, in welchem mein Bett steht.

Das Haus

ist außerhalb der Stadt an einer Allee gelegen, das ist sehr angenehm.

Ich habe nur hundert Schritte bis zu dem Krankenhaus und der

Anatomie zu gehen, das ist ein großer Vorzug bei dem herannahenden Winter.

Was mir ganz besondere Freude macht, ist, daß ich von

meinem Fenster die ganze Kette der Tyroler Alpen bis Appenzell sehen kann; und zwar sehe ich sie bester, als unsere Alpen zu Hause, weil das Land hier bis an den Fuß der Berge ganz eben ist.

Es

ist eine große Freude wenigstens einen Theil unserer Schweizer

Berge immer vor Augen zu haben.

Damit ich dies recht genießen

kann, habe ich meinen Tisch dem Fenster gegenübergestellt, so daß

jedes Mal, wenn ich den Kopf erhebe, mein Blick auf unser liebes Land fällt.

Dies hindert nicht, daß mich zuweilen etwas Heimweh

beschleicht, besonders wenn ich allein bin, aber ich hoffe, daß das vorübergehen wird, wenn ich erst regelmäßige Beschäftigung habe...

Es war ein viel anregenderes geistiges Leben, als in Heidelberg, in welches unsere Studenten in München eintraten.

Unter ihren

Profefforen befanden sich einige der originellsten Männer jener Zeit,

Männer, deren Einfluß in ganz Europa gefühlt wurde.

Döllinger

31

Beziehungen zu den Professoren in München.

trug vergleichende Anatomie und Physiologie vor; Martins und

Zuccarini Botanik.

Martins las außerdem sein sogenanntes „Reise-

Colleg", in welchem er die Studenten auf alles aufmerksam machte,

was auf Reisen zu beobachten ist.

Schelling lehrte Philosophie.

Im

ersten Semester las er über das System der Weltalter; in dem zweiten über die Philosophie der Mythologie und später über die Philosophie der Offenbarung.

Der Eindruck, welchen Schelling auf

die Freunde machte, war ein sehr tiefgehender.

Seine Redeweise

war so überzeugend, die Darstellung so klar, und seine Art, den zu entwickeln, hatte etwas so hinreißendes,

Gegenstand

Schüler nie Müdigkeit empfanden.

daß die

Oken las allgemeine Natur­

geschichte, Physiologie und Zoologie, in weich' letztere seine berühmten Ansichten über Naturphilosophie eingeflochten wurden.

Seine Vor­

lesungen veranlaßten lebhafte wissenschaftliche Diskussionen,

um so

mehr, als er sehr überraschende Hypothesen in seiner Physiologie vor­

brachte und aus denselben Schlüffe zog, welche, wie er selbst nach­ wies, nicht immer in Uebereinstimmung mit der Erfahrung waren. „Aus philosophischen Gründen" pflegte er zu sagen, wenn die That­

sachen seiner Theorie widersprachen „müssen wir es so annehmen".

Oken war außerordentlich freundschaftlich mit den Studenten und

Agassi;, Braun und Schimper (welcher ihnen nach München nach­ gefolgt war) brachten jede Woche einen Abend in seinem Hause zu, wo bei einem Glas Bier und einem Pfeifchen wissenschaftliche Dinge

besprochen oder Schriften vorgelesen

wurden.

Einmal wöchentlich

kamen sie auch zum Thee bei Professor von Martius zusammen, wo

die Unterhaltung sich in gleicher Weise wissenschaftlichen Gegenständen zuwendete,

wenn nicht die öffentlichen Tagesfragen dem Gespräch

vorübergehend eine andere Richtung gaben.

Döllinger,

Noch

beliebter war

dessen Charakter die Freunde ebenso hoch schätzten und

bewunderten,

als sein Unterricht sie begeisterte.

Sie gingen nicht

nur täglich zu ihm, sondern er kam auch oft zu ihnen und brachte Braun Pflanzen oder betrachtete Agassiz's Brütversuche, an welchen

er das lebhafteste Interesse nahm; auch war er immer bereit zu Rath

und Hülfe.

Der Umstand, daß Braun und Agassi; ihr Zimmer in

seinem Hause hatten, erleichterte den Verkehr sehr.

Dieses Zimmer

wurde bald der Sammelplatz aller strebsamer. Geister nnter den

jungen Naturforschern in München und war unter dem Namen „die

Zweites Capitel.

32

kleine Akademie" wohlbekannt.

Schimper trug nicht weniger als

die beiden anderen zu dem regen, geistigen Leben bei,

ihre Zusammenkünfte auszeichnete.

welches

Wenn auch in seiner späteren

Laufbahn nicht so glücklich, wie Agassiz und Braun, so war doch

seine Jugend ebenso vielversprechend, und diejenigen, welche ihn in jener Zeit kannten, gedenken mit Begeisterung seiner geistvollen

Die Freunde hielten abwechselnd Vorträge, be­

Liebenswürdigkeit.

sonders über die Entwicklungsgeschichte von Thieren und Pflanzen.

Diese Vorträge wurden nicht nur von Studenten, sondern auch von Professoren fleißig besucht. Zn Agassiz's nahen Freunden in München gehörten außer den

schon genannten ein ausgezeichneter Zoologe und Mediciner Michahelles, dessen früher Tod in Griechenland, wo er sich als prakischer Arzt niedergelassen hatte, sehr beklagt wurde.

sein Zimmer

in eine Menagerie zu

Gleich Agassiz pflegte er

verwandeln,

in welcher er

Schildkröten und andere Thiere hielt, die er von seinen Reisen nach Italien und anderen Ländern mitgebracht hatte.

Der Name Mahir,

der auch zu dem näheren Freundeskreis gehörte, kommt in den Briefen jener Periode ost vor; er war älter als Agassiz und gab

ihm Privatstunden in Mathematik und Anleitung zu seinen medicinischen Studien. An seine Schwester Geeilt.

München, 20. Nov. 1827.

. . . Ich will Dir genau sagen, wie meine Zeit angewendet wird, damit Du, wenn Du an mich denkst, immer weißt, was

ich gerade thue.

Morgens von sieben bis neun bin ich im Kranken­

haus; von neun bis elf gehe ich auf die Bibliothek, wo ich arbeite, anstatt nach Hause zu gehen.

Von elf bis ein Uhr besuche ich

Vorlesungen, nachher esse ich zu Mittag, manchmal hier, manch­

mal dort, denn hier ißt jeder, d. h. jeder Fremde, in einem Kaffee­

haus und bezahlt sein Essen auf der Stelle, so daß er nicht ge­ nöthigt ist, immer in dasselbe Lokal zu gehen.

Nachmittags habe

ich wieder Vorlesungen über verschiedene Gegenstände von zwei oder drei bis fünf Uhr.

schon dunkel ist.

Nachher gehe ich spazieren, obwohl es dann

Die Umgebungen von München sind mit Schnee

bedeckt, und seit drei Wochen sieht man viel Schlitten fahren.

Wenn

33

Briefe aus München an Eltern und Geschwister.

ich durchgefroren bin, gehe ich nach Hause und mache mich daran,

die Vorlesungen des Tages durchzuarbeiten, oder ich schreibe und lese bis acht oder neun Uhr.

Abend zu essen.

Dann gehe ich ins Kaffeehaus, um zu

Nach dem Abendessen bin ich froh, nach Hause und

zu Bett zu kommen.

Dies ist mein gewöhnlicher Tageslauf mit der einzigen Aus­

nahme, daß Braun und ich zuweilen einen Abend bei einem oder

dem anderen Professor zubringen, wo wir mit großem Eifer über Dinge reden, von denen wir oft nichts verstehen.

Dies vermindert

aber die Lebhastigkeil des Gesprächs in keiner Weise.

erzählen uns die Herren von ihren Reisen u. s. w.

Noch öfter

Ich habe beson­

dere Freude an unseren Besuchen bei Herrn von Martins, weil er uns von seiner Reise nach Brasilien erzählt, von welcher er vor einigen Jahren zurückgekommen ist und wundervolle Sammlungen

mitgebracht hat, die er uns zeigt, wenn wir ihn besuchen.

Am

Freitag ist hier Markt, und ich versäume es nie die Fische daselbst zu besehen und meine Sammlung zu vergrößen.

Ich habe schon

verschiedene bekommen, die es in der Schweiz nicht giebt.

Während

meines kurzen Aufenthalts hier, habe ich bereits das Glück gehabt,

eine neue Art zu entdecken, von welcher ich eine sehr genaue Be­ schreibung gemacht habe, die in einem naturwissenschaftlichen Blatt

gedruckt wird.

Wenn meine liebe Cecile hier wäre, würde ich sie

bitten, dieselbe schön für mich zu zeichnen.

Das wäre nett.

Nun

muß ich einen Fremden bitten, dies zu thun, und die Zeichnung wird dann nicht denselben Werth in meinen Augen haben... An seinen Bruder August.

München, 26. Dec. 1827.

. . . Nachdem ich so lange auf Nachrichten von Dir gewartet habe, hat Dein Brief mich sehr glücklich gemacht.

Ich war etwas

trübselig und bedurfte einer Aufheiterung.

... Da meine naturwissenschaftlichen Mittheilungen Dich nicht langweilen, will ich Dir noch allerlei dahingehöriges erzählen und Dich außerdem bitten, mir einen Gefallen zu thun. Ich habe kürzlich

eine herrliche Otter ausgestopft; in nächster Woche werde ich einen Biber erhalten, und alle meine kleinen Kröten aus Neuchatel habe ich

gegen Reptilien aus Brasilien und Java umgetauscht. Agassiz'S Leden und Briefwechsel.

Einer unserer 3

Zweites Capitel.

34

hiesigen Professoren, der eine Naturgeschichte der Reptilien veröffentlicht, will meine Beschreibung dieser Gattung und meine Beobachtungen

darüber in sein Werk einschalten.

Er hat schon die Zeichnungen der

Eier, welche Cöcile für mich gemacht hat und ebenso die Abbildungen,

welche Brauns Schwester mir während meines Aufenthalts in Karls­ ruhe gemalt hat, lithographiren lassen. Meine Fischsammlung hat sich auch sehr vermehrt, aber leider habe ich keine Doubletten von den Arten, die ich mit hierher gebracht habe.

Ich habe sie schon alle

vertauscht.. Ich würde Dir deshalb sehr dankbar sein, wenn Du mir

noch einige davon verschaffen wolltest.

Ich werde Dir sagen, welche

Arten ich haben möchte und wie Du sie mir schicken sollst.

Ich habe

in Cudrefin noch verschiedene Gläser ans starkem grünen Glas stehen. Wenn Du diese geholt hast, so fülle sie mit Spiritus und stecke so

viele Zische hinein, als Du findest.

Schiebe immer zwischen zwei

Exemplare etwas ein, damit sie sich nicht reiben; umwickle die Gläser mit Heu, packe sie in eine Keine Kiste und schicke sie durch eine gute

Gelegenheit oder auf die wenigst kostspielige Weise.

(Hier folgt die

Liste der gewünschten Arten)... Es wird Dich interessiren zu hören,

daß ich mit einem jungen Dr. Born eine Anatomie und Naturge­ schichte der Süßwasserfische ausarbeite. Wir haben schon eine Menge von Material gesammelt, und ich denke, daß wir im Frühjahr oder im Lauf des Sommers die erste Lieferung veröffentlichen können. Das wird uns etwas baares Geld für eine kurze Ferienreise ein­

bringen. Ich rathe Dir ernstlich Deine Mußestunden mit Studien aus­

auszufüllen.

Lies viel und nur gute und nützliche Bücher ... Be­

denke, daß statistische und politische Kenntnisse allein den wahren

Kaufmann von dem bloßen Händler unterscheiden und ihn in feinen Unternehmungen leiten . . . Ein Kaufmann, der die Produkte eines Landes, seine Hülfsquellen, seine Handels- und politischen Verbin­

dungen mit anderen Ländern kennt, wird sich viel weniger auf falsche

und schlecht begründete Spekulationen von zweifelhaftem Erfolg einlaffen...

Die letzten Zeilen dieses Briefes verrathen den ruhelosen, nach Abenteuern und weiteren Feldern der Thätigkeit und Untersuchung dürstenden Geist.

Wenn auch vorübergehend durch das befriedigen-

35

Briefe von der Mutter.

bete geistige Leben in München beruhigt, regte er sich immer von Zeit zu Zeit wieder und erregte bei den Freunden zu Hause manche Sorge, wie wir in der Folge sehen werden.

Der Brief, welcher durch

den hier nachfolgenden beantwortet wird, hat sich nicht gefunden.

Von seiner Mutter. Orbe, 8. Januar 1828. . . . Dein Brief traf mich in Cudrefin, wo ich zehn Tage zu­

gebracht habe.

Mit welcher Freude erhielt ich ihn — und doch

las ich ihn mit einer gewiffen Traurigkeit, denn es war ein Ton von Heimweh, ich möchte beinah sagen von Unzufriedenheit darin ...

Glaube mir, mein lieber Louis, Deine Stimmung ist eine ungerechte. Du siehst alles in trübem Lichte.

Bedenke, daß Du Dich gerade in

der Stellung befindest, die Du für Dich erwählt hast; wir haben

uns Deinen Plänen in keiner Weise widersetzt.

Wir sind im Gegen­

theil mit Bereitwilligkeit auf dieselben eingegangen, haben zu allen Deinen Vorschlägen Ja und Amen gesagt und nur darauf bestanden, daß Du einen Beruf ergreifen solltest, der uns über Deine Zukunft beruhigte; denn wir sind überzeugt, daß Du zu viel Thatkraft und

Pflichtgefühl hast, um nicht Deinen Platz in der Gesellschaft ehren­ haft auszufüllen. Du hast uns vor einigen Monaten mit der Ver­ sicherung verlassen, daß zwei Jahre genügen würden, um Deine medicinischen Studien zu vollenden. Du hast diejenige Universität gewählt, an welcher Deiner Ansicht nach Dein Zweck am besten erreicht werden

könnte; wie kommt es nun, daß Du nur mit Unlust der Ausübung des ärztlichen Berufs entgegensiehst? Hast Du ernsthaft überlegt,

ehe Du daran dachtest, diesen Berus bei Seite zu schieben? Wir

können in einen solchen Schritt wirklich nicht einwilligen. Du würdest dadurch unsere gute Meinung von Dir, diejenige Deiner Familie und des Publikums wesentlich beeinträchtigen.

Du würdest als ein

wankelmüthiger, unüberlegter junger Mensch betrachtet werden, und eine solche Befleckung Deines Rufes würde für uns ein tödtlicher Schlag sein. Es giebt nur einen Weg um aus diesen Schwierig­ keiten herauszukommen, und es ist der einzige nach meiner Meinung.

Vollende Deine medicinischen Studien mit allem Eifer, dessen Du

fähig bist, und dann, wenn Deine Neigung noch unverändert ist, so bleibe bei Deiner Naturgeschichte. Gieb Dich derselben ganz hin, wenn 3*

Zweites Capitel.

36 das Dein Wunsch ist.

Wenn Du zwei Pfeile in Deinem Köcher hast,

so wird es Dir um so leichter werden, Dir eine Stellung zu erwerben.

Dein Vater denkt eben so, wie ich . . . Auch bist Du nicht dazu

gemacht, allein zu leben, mein Sohn. wirkliches Glück zu finden.

Nur am eigenen Heerd ist

Je schneller Du mit Deinen Studien

fertig wirst, um so eher kannst Du Dein Zelt ausschlagen, Deinen

blauen Schmetterling fangen und ihn in eine liebende Hausfrau ver­

wandeln.

Zwar wirst Du keine Rose ohne Dornen pflücken.

Leben besteht allenthalben aus Freuden und Leiden.

Das

Unseren Mit­

menschen so viel Gutes wie möglich zu erweisen, ein gutes Gewissen

haben, sich ein ehrenhaftes Auskommen zu erwerben und unsere Um­ gebung glücklich zu machen, — das ist wahres Glück; alles übrige

sind nur Nebendinge und Hirngespinste... An seine Mutter.

München, 3. Februar 1828. . . . Du weißt wohl, mit wem Du sprichst, liebe Mutter, und

wie Du Deine Angel auswersen mußt, damit der Fisch anbeißt. Wie Du es schilderst, geht mir nichts über häusliches Glück und

ich bin überzeugt, daß der Gipfel der Glückseligkeit im Familien-

zu finden ist, umgeben von kleinen Würmern, von denen man zärt­

lich geliebt wird.

Ich hoffe auch mit der Zeit dieses Glück zu er­

leben ... Aber der Mann der Wissenschaft darf erst Ruhe genießen, wenn er sie durch seine Arbeit verdient hat, denn wenn er sich einmal festgeankert hat, dann hat die Freiheit und Thatkraft, durch welche große Geister gefördert werden, ein Ende.

Deshalb habe ich mir

vorgenommen, unverheirathet zu bleiben, bis meine Arbeit mir eine

friedliche und glückliche Zukunft sichert.

Ein junger Mann hat zu viel

Unternehmungsgeist, um sich so früh in Gefangenschaft zu begeben;

er giebt manche Freuden aus, welche er haben könnte und würdigt diejenigen, welche er hat, nicht nach ihrem richtigen Werthe.

Man

sagt, daß der Taugenichts dem gesetzten Manne vorausgchen müsse.

Ebenso glaube ich, daß um den vollen Genuß eines seßhaften Lebens zu haben, man zuerst eine Weile den Vagabunden gespielt haben muß.

Dies bringt mich auf den Gegenstand meines letzten Briefes zurück.

Es scheint, daß Du mich mißverstanden hast, denn Deine Antwort

gewährt mir ja gerade alles das, was ich verlange. Du meinst, daß

Briefe an die Eltern.

37

ich dem Studium der Medicin ganz entsagen wolle? Im Gegentheil, dieser Gedanke ist mir nie gekommen, und Du sollst meinem Versprechen

gemäß in einiger Zeit einen Doktor der Medicin zum Sohn haben. Was mir widerstrebt, ist der Gedanke die Medicin als Erwerbsmittel

zn betreiben, und in dieser Beziehung lässest Du mir freien Lauf,

gerade wo ich es wünschte.

Das heißt, Du willigst ein, daß ich

mich ganz der Naturgeschichte widme, wenn diese Laufbahn mir,

wie ich es hoffe, günstigere Aussichten eröffnet. , Ich brauche zum Beispiel nur noch zwei oder drei Jahre, um auf Kosten der Re-

girung um die ganze Welt zu reisen.

Ich stehe dafür ein, daß

keine einzige Gelegenheit mir entgegen soll, interessante Beobachtungen oder schöne Sammlungen zu machen, so daß man mich unter die­ jenigen einreihen kann, welche dies Gebiet der Wissenschaft erweitert

Wenn ich das erreiche, ist meine Zukunft gesichert, und ich

haben.

werde befriedigt zurückkehren und bereit alles zu thun, was Du wünschest.

Und selbst wenn inzwischen die Medicin größere An­

ziehung für mich gewonnen haben sollte,

so wird es dann noch

immer Zeit sein, mit Ausübung derselben anzufangen.

Es scheint

mir, daß dieser Plan durchaus nicht unausführbar ist.

Ich bitte

Dich, darüber nachzudenken und mit dem Vater und meinem Onkel davon zu sprechen. ..

Ich bin ganz wohl und so glücklich, wie möglich, denn ich schwelge

hier in meinen Lieblingsstudien und habe alle Förderungsmittel zur Hand.

Wenn Dir mein Neujahrsbrief trübselig vorkam, so war das

nur eine vorübergehende Wolke, durch die Erinnerungen, welche der

Tag erweckt, veranlaßt. .. Von seinem Vater.

Orbe, 21. Febrnar 1828. Der letzte Brief Deiner Mutter, lieber Louis, war die Ant­ wort auf einen von Dir, mit welchem er sich kreuzte und der uns

in Betreff Deines Wohlseins und Deiner Zuftiedenheit, sehr erfreu­ lich war.

Doch fehlt unserer Befriedigung noch etwas.

Sie würde

vollständiger sein, wenn Du nicht eine Manie hättest, unaufhaltsam

in die Zukunft hineinzugallopiren.

Ich habe Dir das oft vorgestellt,

und Du würdest Dich viel besser dabei befinden, wenn Du meine

Ermahnungen mehr beherzigen wolltest.

Wenn es aber eine nnheil-

Zweites Capitel.

38

bare Krankheit bei Dir ist, so zwinge wenigstens Deine Eltern nicht, sie zu theilen.

Wenn es durchaus nöthig zu Deinem Glück ist, daß

das Eis der beiden Pole unter Deinen Schritten knistert, oder daß

Du Dein Hemd in der tropischen Sonne trocknest, so warte wenigstens

bis Dein Koffer gepackt und Dein Paß ausgefertigt ist, ehe Du uns davon sprichst.

Fange damit an, Deinen ersten Zweck zu erreichen,

Dir das Diplom eines Doktors der Medicin und Chirurgie zu ver­ schaffen.

Für's erste will ich von nichts anderem hören, das ist

genug auf einmal.

Erzähle uns in Deinen Briefen von Deinen

Freunden, von Deinem persönlichen Leben, Deinen Bedürfniffen

(welche ich immer bereit bin zu befriedigen), Deinen Freuden, Deinen Gefühlen für uns, aber beunruhige uns nicht mit Deinen philosophischen Syllogismen.

Meine Philosophie besteht darin, meine

Pflichten in meiner Sphäre zu erfüllen, und selbst dem kann ich

nicht ganz nachkommen ... Die Waadtländische

ein

„Gemeinnützige Gesellschaft" hat kürzlich

ganz neues Vorhaben angekündigt, das der Gründung

öffentlichen Bibliotheken.

von

Ein Ausschuß von acht Mitgliedern, von

welchen ich die Ehre habe, eines zu sein, ist unter der Präsidentschaft von Herrn Deleffart zur Ausführung dieses Plans ernannt. Was hälft Du von dieser Sache? Mir scheint sie etwas bedenklich. Ich sollte meinen,

daß ehe wir die Leute zum Lesen veranlassen, wir

darnach trachten müßten, sie dazu vorzubereiten, mit Nutzen zu

lesen... An seinen Vater.

München, 9. März 1828. . . . Was Du mir von der „Gemeinnützigen Gesellschaft" sagst,

hat eine Fluth von Gedanken in mir angeregt, über welche ich Dir schreiben will, wenn sie etwas mehr gereift sind... Ich könnte von meinem Aufenthalt hier gar nicht befriedigter

sein.

Ich führe ein einförmiges, aber sehr angenehmes Leben, fern

von der großen Masse von Studenten, die ich nur wenig sehe.

Wenn

unsere Vorlesungen vorüber sind, treffen wir uns in Brauns Zimmer

oder in dem meinigen mit drei oder vier nahen Bekannten und sprechen über wiffenschastliche Dinge.

Jeder bringt einen Gegenstand

vor, den er entwickelt und welcher nachher gemeinschaftlich abgehan-

Briefe an seine Eltern. beit wirb.

39

Diese Uebungen sinb sehr lehrreich.

Ich für meinen

Theil habe angefangen, einen Kursus in ber Naturgeschichte ober

vielmehr in ber reinen Zoologie zu halten.

Braun trägt uns Botanik

vor, unb ein anberer aus unserem Kreise, Mahir, ein vortrefflicher Mensch, lehrt uns abwechselnb Mathematik ober Physik.

In zwei

Monaten will uns unser Freunb Schimper, welchen wir in Heibelberg

zurückgelassen haben, nachkommen, unb er wirb bann unser Professor

ber Philosophie sein.

Auf biese Weise werben wir eine kleine Uni­

versität bilben, inbem wir uns gegenseitig belehren unb zugleich bas, was wir schon wissen, grünblicher lernen, weil wir genöthigt werben,

es anschaulich barzustellen.

Jebe Zusammenkunft bauert zwei bis

brei Stunben, währeub welcher ber jeweilige Professor seine Weisheit ohne Hülfe von Büchern ober Notizen auskramt.

Du wirst Dir

benken können, wie nützlich cs für uns ist, auf biese Weise öffentlich unb mit Zusammenhang sprechen zu lernen.

Diese Erfahrung ist

uns Allen boppelt wichtig, ba wir nichts sehnlicher wünschen als

früher ober später in Wirklichkeit Profefforen zu werben, nachbem wir

als Stubenten ben Professor gespielt haben. Dies bringt mich naturgemäß wieber auf meine Pläne zurück. Dein Brief ließ mich so tief bie Beunruhigung empfinben, bie ich

Euch burch meine Reiseleibenschaft verursacht habe, baß ich nicht barauf zurückkommen will; aber ba es meine Absicht war, mir auf biese Weise einen Namen zu machen, ber mir eine Profeffur ein­

bringen sollte, so wage ich jetzt einen anberen Vorschlag.

Wenn es

mir gelingen sollte, mich währenb meiner Stubienzeit burch ein be-

beutenbes Werk bekannt zu machen, willst Du bann einwilligen, baß ich währenb eines Jahres nur Naturwissenschaften stubire unb bann eine Profeffur ber Naturgeschichte annehme, unter ber Bebingung, baß ich vorher zu ber verabrebeten Zeit zum Doktor promovire? Das ist, in Deutschlanb wenigstens, unumgänglich nöthig zur Errei­

chung meines Wunsches.

Du wirst mir einwenben, baß, ehe ich an

etwas weiteres benke, ich biese Bebingung erfüllen sollte. Aber laß mich sagen, baß je klarer man ben Weg vor sich sieht, um so sicherer ist man, sich nicht zu verirren ober eine falsche Richtung ein­ zuschlagen, unb um so besser kann man bie Stationen unb Ruhepunkte

eintheilen ...

Zweites Capitel.

40

Von seinem Vater. Orbe, 25. März 1828.

Ich habe ein langes Gespräch mit Deinem Onkel über Dich gehabt.

Er mißbilligt Deine Briefe, deren Inhalt ich ihm mitge­

theilt habe, gar nicht und besteht nur, wie wir es auch thun, auf der Nothwendigkeit eines bestimmten Berufs zur Sicherung Deiner

finanziellen Lage.

Die Naturwissenschaften, so anziehend und erhaben

fie auch sein mögen, bieten keine sichere Gewähr für die Zukunft.

Sie mögen ohne Zweifel eine goldene Brücke für Dich sein, und Du magst ihnen einen sehr hohen Flug verdanken, aber es könnten auch widrige Geschicke eintreten oder unerwarter Verlust an Popularität

oder vielleicht ein, Deine Philosophie bedrohender Umsturz Dich als

modernen Ikarus von Deinen Höhen herabschleudern, und dann

würdest Du nicht bedauern, in Deinem Köcher die Mittel zum Brot­ erwerb zu haben.

Zugegeben, daß Du im Augenblick eine unüber­

windliche Abneigung gegen die Ausübung des ärztlichen Berufs hast, so ist doch nach Deinen beiden letzten Briefen augenscheinlich, daß

Du dieselbe Abneigung gegen jeden anderen, Gelderwerb versprechenden

Beruf hegst; außerdem ist es jetzt zu spät, um noch eine andere

Wahl zu treffen. Da dem so ist, so wollen wir nun mit einem Wort zum Einverständniß kommen: Laß die Wissenschaften den Ballon sein, mit welchem Du durch höhere Regionen zu reisen ge­ denkst, aber laß die Arzneikunst und Chirurgie Deine Fallschirme sein. Ich glaube, lieber Louis, Du wirst gegen diese Art, die Frage zu betrachten und zu entscheiden, nichts einwenden können.

Indem

ich dem Herrn Professor der Zoologie mein Compliment mache, habe ich noch die Freude ihm mitzutheilen, daß sein Onkel von der Art, aus welche er seine Abende zubringt, sehr erfreut ist und ihm von

Herzen zu seiner Wahl einer Erholung Glück wünscht. von diesem Kapitel.

Nun genug

Ich schließe es, indem ich Dir von Herzen Muth,

Gesundheit, Erfolg und vor Allem Zufriedenheit wünsche...

Die Osterferien wurden zu einer kleinen Reise benutzt, über

welche der folgende Brief berichtet. Die Reisegesellschaft bestand aus Agassi;, Braun und Schimper und zwei anderen Studenten, welche jedoch nicht während des ganzen Ausflugs bei ihnen blieben.

Serienreife.

41

Dürer-Jubiläum.

An seinen Vater. München, 16. Mai 1828. . . . So angenehm meine Osterreise auch war, so will ich Dir

doch nur einen kurzen Bericht davon schreiben, denn mein Genuß hing so mit meinen speciellen Studien zusammen, daß die Einzel­

heiten nur langweilig für Dich sein würden.

Reisebegleiter waren.

Ich theile Dir daher nur unsere Abenteuer

mit, welche nichts mit denen von

sängern gemein haben.

Du weißt, wer meine

fahrenden Rittern oder Minne­

Wären diese Herren wieder ins Leben zurück­

gekehrt und hätten uns in Blousen, mit Ranzen oder Botanisirbüchsen auf unseren Rücken und mit Schmetterlingsnetzen in unseren

Händen einhermarschiren sehen, anstatt mit Lanzen und Schilden,

so würden sie sicher mitleidig auf uns herabgeschaut haben. Den ersten Tag kamen wir bis Landshut, wo sich früher die Universität befand, ehe sie nach München verlegt wurde.

uns unterwegs viele Frühlingspflanzen zu finden.

Wir freuten

Das Wetter war

herrlich und die Natur schien ihren Jüngern entgegen zu lächeln. Wir hielten uns unterwegs nur einen Tag in Regensburg auf, um

Berwandte von Braun zu besuchen, denen wir versprachen, auf der Rückkehr einige Tage bei ihnen zu bleiben. Da wir in Nürnberg erfuhren, daß das Dürerfest, welches uns hauptsächlich zu dieser Reise veranlaßt hatte, erst in acht bis zehn Tagen stattfinden würde,

beschlossen wir die dazwischenliegende Zeit in Erlangen zu verleben, wo wie Pu weißt, auch eine Universität ist. Ich weiß, nicht, ob ich Dir schon gesagt habe, daß unter den deutschen Studenten die Aus­ übung der Gastfreundschaft gegen die von einer anderen Universität

kommenden, eine heilige Pflicht ist. Es gilt als ein Zeichen von Stolz und Verachtung, diese Gastfreundschaft abzulehnen. Wir begaben uns deshalb in eines der Vereinigungs-Kaffeehäuser und erhielten sofort

unsere Wohnungskarten.

Wir brachten sechs Tage in Erlangen aus

sehr angenehme Weise zu und machten jeden Tag eine botanische Exkursion.

Wir besuchten auch die Professoren der Zoologie und

Botanik, welche wir schon in München gesehen hatten, und von welchen

wir sehr herzlich empfangen wurden.

Der Professor der Botanik,

Dr. Koch, lud uns zu einem vortrefflichen Mittagessen ein und gab

uns viel seltene Pflanzen, die wir noch nicht besaßen, und Herr Wagner war so gütig uns das Museum und die Bibliothek eingehend

42

Zweites Capitel.

zu zeigen.

Endlich kam der Tag, welcher znr Feier des dreihundert­

jährigen Geburtstags von Dürer bestimmt war.

Es war Alles

darauf eingerichtet das Fest zu einem äußerst glänzenden zu machen, und das Wetter war sehr günstig.

Ich bezweifle, daß je zuvor so

viele Maler an einem Ort vereinigt waren.

Alle Nationen hatten

Vertreter geschickt; Russen, Italiener, Franzosen, Deutschere, waren da.

Außer den Schülern der Münchener Akademie der schönen Künste, war wohl jedes Individuum, das malen kann, sei es auch nur die kleinste

Skizze, gekommen, um dem großen Meister seine Huldigung darzu­ bringen.

Es gingen alle in Prozession zu dem Platz, auf welchem

das Denkmal errichtet werden soll, und die Magistratsherren der

Stadt legten die ersten Steine zu dem Sockel.

Zu meiner Ergötzung

verbanden sie diese Steine mit einem Mörtel, der auf großen sil-

bernen Schüffeln dargereicht wurde und aus seinem zerstoßenem Porzellan mit Champagner angerührt war.

Abends waren alle

Straßen illuminirt ; es gab Bälle, Concerte und Schauspiele, so daß wir uns hätten verdoppeln oder viertheilen lassen müssen, um Alles zu sehen.

Wir blieben einige Tage länger in Nürnberg, um die übrigen Merkwürdigkeiten der Stadt besonders die herrlichen Kirchen zu sehen und kehrten dann nach Regensburg zurück.

Drittes Capitel. 1828-1829. Vom 21. bis 22. Jahre. Erstes bedeutendes naturgeschichtliches Werk. — Brasilianische Fische von Spix. — Zweite Ferienreise. — Thätigkeit während des Nniversitätsjahres. — Aus­ züge ans Dinkels Tagebuch. — Briefe nach Hause. — Hoffnung mit Humboldt nach Asien zu reisen. — Philosophisches Doktordiplom. — Beendigung deS ersten Theils der Spix'schen Fische. — Brief von Cuvier.

Nicht ohne eine bestimmte Absicht hatte Agassiz vor einigen

Wochen an seinen Vater geschrieben: „Sollte es mir im Laufe meiner Studien gelingen, mich durch ein hervorragendes Werk bekannt zu

machen, würdest Du dann nicht cinwilligen, daß ich während eines Jahres nur Naturwissenschaften studirte?" Ohne Wissen seiner Eltern,

Brasilianische Fische.

43

welchen er eine erfreuliche Ueberraschung zu bereiten hoffte, war

er thatsächlich seit Monaten mit dem ersten Werk beschäftigt, welches ihm in der wissenschaftlichen Welt einen Namen machte, nämlich mit der Beschreibung der brasilianischen Fische, die Martins und Spix

von ihrer berühmten Reise nach Brasilien mitgebracht hatten. Dies war das Geheimniß, auf welches in dem nächsten Brief angespielt

wird.

Zu seiner Enttäuschung kam dies Unternehmen durch einen

Zufall zur Kenntniß seiner Eltern, ehe es ganz ausgeführt war. Er konnte es nie ganz verwinden, daß sein kleines Komplott ver­

rathen wurde, ehe der richtige Augenblick zur Enthüllung eingetreten

war.

Das Buch war lateinisch geschrieben und wurde Cuvier ge­

widmet*).

An seinen Bruder.

München, 27. Znli 1828.

. . . Verschiedene Arbeit, welche ich angefangen habe, halten mich hier gefangen. Voraussichtlich werde ich während der Ferien keinen Fuß rühren und sogar einen kleinen Ausflug nach Tyrol auf­

geben, welchen ich zur Erholung von den Beschäftigungen geplant hatte, die mich jetzt hier festhalten, von denen ich mich aber im Lauf der Ferien frei zu machen hoffe.

Sei nicht böse, daß ich Dir

nicht gleich sage, was das für Arbeiten sind. Wenn Du es erfährst, wirst Du mir hoffentlich verzeihen, daß ich Dich so lange im Dun­

keln gelassen habe. Ich habe auch dem Vater nichts darüber mit­ getheilt, obwohl er mich in seinem letzten Brief fragt, was ich jetzt arbeite.

Noch einige Monate Geduld, dann werde ich Dir einen

genauen Bericht über meine Thätigkeit seit meiner Ankunft hier

geben, und ich bin überzeugt, daß Du dann mit mir zufrieden sein wirst. Vor Einem will ich Dich nur warnen: Setze Dir nicht etwa in den Kopf, daß ich plötzlich die Narrenkappe anlegen und Dich mit dem Doktorhut überraschen werde; das wäre etwas übereilt und daran denke ich noch nicht ... Ich möchte Dich erinnern, daß Du den Sommer nicht vorübergehen lässest, ohne mir die Fische zu ver­ schaffen, von denen ich Dir ein Vcrzeichniß in meinem letzten Brief *) Selecta genera et species piscium quos collegit et pingendos curavit Dr. J. W. de Spix. Digessit, descripsit et observationibus illustravit Dr. L. Agassiz.

44

Drittes Capitel.

geschickt habe, welches Du hoffentlich nicht verlegt hast.

Du würdest

mir große Freude machen, wenn Du sie mir so bald wie möglich

schicken wolltest.

Laß Dir sagen warum.

Herr Cuvier hat die Ver­

öffentlichung eines vollständigen Werkes über alle bekannten Fische angezeigt, und in dem Prospektus fordert er alle Naturforscher, welche

sich mit Ichthyologie beschäftigen, auf, ihm Fische aus dem Lande,

in dem sie leben, zu schicken.

Er erwähnt diejenigen, welche ihm

schon Sammlungen geschickt haben und verspricht Doubletten vom Pariser Museum für weitere Zusendungen.

Er nennt auch die

Länder, von welchen er Beiträge erhalten und bedauert, daß er noch

nichts aus Baiern hat.

Nun besitze ich verschiedene Exemplare von

allen einheimischen Arten und habe sogar etwa zehn entdeckt, deren Vorkommen hier noch nicht bekannt war, und dann noch eine für die Wiffenschaft ganz neue, die ich Cyprinus uranoscopus genannt habe

wegen der Stellung der Augen,

die

sich auf der Oberseite des

Kopfes anstatt an den Seiten befinden — im übrigen dem Gründ­

ling sehr ähnlich.

Ich dachte, ich könnte mich auf keine bessere Weise

in die wissenschaftliche Welt einführen, als indem ich Cuvier meine

Fische nebst den Beobachtungen, die ich über ihre Naturgeschichte gemacht habe, schickte.

Wenn ich denselben nun noch die seltenen

Schweizer Arten beifügen könnte, die Du mir verschaffen kannst, so

wäre mir das sehr erwünscht.

Also laß mich nicht im Stich.

Von seinem Bruder.

Neuchatel, 25. August 1828. ... Deinen erfreulichen Brief vom 27. Juli erhielt ich zu rechter

Zeit mit großem Entzücken.

Seine Geheimnisse sind mir aber von

Dr. Schinz enthüllt worden, welcher zu der Versammlung der Natur­

forscher nach Lausanne kam, wo er Vater und Onkel traf, gegen welche

er sich in überschwängliche Lobeserhebungen über ihren Sohn und Neffen ergoß und ihnen mittheilte, womit Du Dich jetzt hauptsächlich beschäftigtest. Ich wünsche Dir Glück, mein lieber Bruder, aber ich ge­

stehe, daß von uns allen ich am wenigsten erstaunt bin, denn meine Ahnungen in Betreff Deiner gehen noch weit über all' dies hinaus und

ich hoffe, daß sie bald zu Wirklichkeiten werden.

Ich kann Dich auf­

richtig versichern, daß die hartnäckigsten Widersacher Deiner natur­ geschichtlichen Pläne anfangen, auf Deine Seite überzugehen.

Unter

Briefe an die Geschwister.

45

diesen befindet sich mein Onkel hier, der nie anders als mit Be­ Was willst Du mehr? Ich gab ihm

geisterung von Dir spricht.

Deinen Brief zu lesen, und seither hat er mich wenigstens ein duzendmal gefragt ob ich nicht vergessen hätte, Dir den verlangten Zuschuß zu schicken und mich gemahnt, cs nicht zu verschieben.

Ich habe

bis zu diesem Augenblick gezögert, Dir zu schreiben, weil es mir

nicht gelungen ist, Deine Fische zu bekommen, und ich immer noch hoffte, Deinen Auftrag aussühren zu können.

allem Eifer und allem Fleiß, dessen

angenommen, aber ganz umsonst. int Spiel gehabt zu haben.

Ich habe mich mit

ich fähig bin, dieser Sache

Der Teufel scheint seine Hand

Die Zeit der Sälblinge ist seit zwei

Monaten vorüber, und es sind keine zu erblicken.

Was die Forellen

betrifft, so glaube ich nicht, daß innerhalb der letzten sechs Wochen eine einzige in der ganzen Stadt gegessen worden ist.

Ich bin

den Fischern immer auf den Fersen und verspreche ihnen das dop­

pelte und dreifache des Werthes der Fische, die ich haben möchte,

aber sie sagen mir alle, daß sic nichts als Hechte fangen. in Cudrefin wegen Lampreten, fand aber keine.

Ich war

Rudolph") hat

täglich ohne Erfolg in dem Bach gerudert. Ich ging nach Sauge — keine Aale, nichts als Barsche und einige kleine Seekatzen. Zwei ganze Sonntage lang habe ich mich mit der Angelruthe in der

Hand bemüht Braffen und Kaulbarsche rc. zu fangen.

Ich bekam

einige wenige, aber sie waren nicht werth abgeschickt zu werden. Nun ist es für dieses Jahr vorbei, und es bleibt uns nichts mehr übrig als Trauer für sie anzulegen. Ich verspreche Dir aber, daß ich, sobald das Frühjahr kommt, an die Arbeit gehen will, und daß Du Alles erhalten sollst, was Du wünschest.

Wenn sich trotz aller Bemühungen Deine

Hoffnungen nicht verwirklichen lassen, so soll es mir sehr leid thun,

aber sei überzeugt, daß es nicht meine Schuld ist. An seine Schwester Cvcile.

München, 29. Okt. 1828. ... Ich habe Dir nie von der Sache geschrieben, die mich so

erfüllt hat, aber nun das Geheimniß verrathen ist, darf ich nicht

länger darüber schweigen.

Damit Du verstehen kannst, warum ich

*) Ein erfahrener alter Schiffer.

Drittes Capitel.

46

mich auf eine solche Arbeit eingelassen habe, will ich auf ihre Ent­

stehung zurückgehen.

Im Jahre 1817 schickte der König von Baiern

zwei Naturforscher, Herrn Martins und Herrn Spix auf eine For­

schungsreise nach Brasilien.

Von Hernl Martius, bei welchem ich

meine Mittwoch-Abende zubringe, habe ich Euch oft erzählt.

1821

kehrten diese Herren mit vielen neuen Entdeckungen, welche sie der Reihe nach veröffentlichten, in ihr Vaterland zurück.

Herr Martius

gab colorirte Abbildungen von allen unbekannten Pflanzen, die er auf seiner Reise gesammelt hatte, heraus, während Herr Spix meh­

rere Foliobände über die Affen und Reptilien von Brasilien ver­

öffentlichte, in welchen die Thiere meist in Lebensgröße gezeichnet und gemalt waren. Es war seine Absicht, eine vollständige Naturge­

schichte von Brasilien herauszugeben, aber zum Bedauern aller Natur­ forscher starb er 1826.

Herr Martius, der sehr wünschte, die Ar­

beit, welche sein Reisegefährte angefangen hatte, vollendet zu sehen,

übertrug einem Erlanger Professor die Bearbeitung der Muscheln,

und diese erschienen im vorigen Jahre.

Als ich nach München kam,

fehlte -nur noch die Bearbeitung der Fische und Insekten und Herr

Martins, welcher durch die Professoren, die mich kannten, von mir

gehört hatte, hielt mich für würdig, die Arbeit von Spix fortzusetzen, und trug mir auf, die Naturgeschichte der Fische zu bearbeiten.

Ich

zögerte eine Weile, diesen ehrenvollen Auftrag anzunehmen, weil ich

fürchtete, daß diese Beschäftigung mich zu sehr von meinen Studien abziehen möchte; aber aus der anderen Seite schien die Gelegenheit

sich durch ein großes Unternehmen bekannt zu machen, zu günstig, Der erste Band ist schon fertig und vor

um abgewiesen zu werden.

einigen Wochen hat der Druck begonnen.

Du wirst Dir vorstellen,

was es mir für eine Freude gewesen wäre, ihn unsern lieben Eltern

zu schicken, ehe sie eine Silbe davon gehört oder nur etwas von der

Aufforderung gewußt hätten.

Aber ich hoffe, daß die verfrühte Ent­

hüllung meines Geheimnisses, (ich hatte allerdings Herrn Schinz kein

Schweigen auferlegt, weil ich nicht ahnte, daß er jemand von der Familie sehen würde) Deine Freude beim Empfang des ersten Werkes

Deines Bruders Louis,

welches ich Dir bis Ostern zu senden

hoffe, dicht beeinträchtigen wird.

schon fertig.

Fünfzig kolorirte Foliotaseln sind

Wird es nicht merkwürdig sein, wenn das größte und

schönste Werk in Vaters Bibliothek ein von seinem Sohn Louis ge-

47

Briefe an den Vater.

schriebenes ist?

Wäre das nicht eben so gut, als seine Recepte beim

Apotheker liegen zu sehen? Freilich wird mir diese erste Arbeit wenig

einbringen oder, genau genommen gar nichts,

denn da Herr von

Martins alle Ausgaben übernommen hat, wird ihm auch der Gewinn

zufallen.

Auf meinen Antheil werden einige Abdrücke des Werkes

fallen, und diese werde ich den Freunden geben, welche das größte Anrecht darauf habe».

An seinen Vater schreibt Agassiz um diese Zeit über seine Ar­ beit:

„Ich bin in diesem Sommer sehr beschäftigt gewesen und ich

kann Dir aus guter Quelle sagen, (ich habe

es

von einem

der

Professoren selbst gehört) daß die Professoren, deren Vorlesungen ich besucht habe, mich mehr als einmal als einen der fleißigsten und

kenntnißreichsten Studenten der Universität erwähnt und gesagt haben,

daß ich Auszeichnung verdiene.

Ich sage das nicht aus Prahlerei,

sondern nur damit Du nicht denkst, ich verliere meine Zeit, weil ich mich hauptsächlich mit Naturwissenschaften beschäftige.

Ich hoffe Dir

noch zu beweisen, daß mit einem Doktorhut als Mitgift, die Natur-

wiffenschasten einem Menschen zum Broderwerb dienen können, eben

so gut als zur Freude seines Lebens" ...

Im September gestattete sich Agassiz eine kleine Unterbrechung in seiner Arbeit.

Der folgende Brief berichtet über

diese zweite

Ferienreise.

An seinen Vater. München, 26. Sept. 1828.

. . . Das akademische Unterrichtsjahr ging mit dem August zu Ende, und unsere Profefforen hatten

schlossen, als ich meine Alpenreise antrat.

kaum ihre Vorlesungen

ge­

Braun, welcher ungeduldig

war, München zu verlassen, hatte sich schon am vorhergehenden Tag aufgemacht und mir versprochen auf der Straße nach Salzburg an

dem ersten Ort, der ihm zu einem Ruhepunkt gefiele, auf mich zu

warten.

Damit ich ihn nicht aufhielte, bat ich einen Freund mich

eine Tagereise zu fahren, in der Hoffnung, Braun am ersten Tage an den lieblichen Ufern des Chiemsees

einzuholen.

Meine Reise­

gefährten waren der jüngere Schimper (Wilhelm), von dem ich Dir

48

Drittes Capitel.

gesprochen habe, (er machte vor zwei Jahren eine botanische Reise

nach dem südlichen Frankreich und den Pyrenäen) und Mahir, der uns fuhr, und der mir sehr befreundet ist. und treibt mit Begeisterung Physik.

Er studirt Medicin

Er gab mir

den

ganzen

Winter Privatstunden der Mathematik und war ein Mitglied unserer wissenschaftlichen Versammlungen.

Braun

war auch nicht allein

ausmarschirt, und seine zwei Reisegefährten gehören ebenfalls zu unseren Freunden.

Der eine ist Trettenbacher, ein Mediciner, der

sehr zu Sophismen und Paradoxen neigt, aber sich mit großer Gut-

müthigkeit durch Beweise widerlegen läßt, obwohl er fest glaubt, daß er recht hat, ein äußerst guter Kerl dabei, der sich vortrefflich aus Alterthümer versteht. Der andere ist ein junger Student, Namens More aus dem früheren Departement Mt. Tonnerre, welcher sich ganz den Naturwissenschaften widmet und sich zum reisenden Natur­

forscher ausbilden will.

Du wirst Dir denken können, daß mich dies

zu ihm hinzieht, aber da er erst ein Anfänger ist, bin ich gewisser­

maßen sein Lehrer. Am Morgen unserer Abreise war herrliches Wetter. Während wir schnell dahin fuhren, überließen wir uns allerlei Vermuthungen,

wo wir unsere Reisegefährten treffen würden.

Wir hofften, daß wir

noch an diesem Tage den Chiemsee erreichen und sie da auf einer der hübschen Inseln einholen könnten, aber am Nachmittag änderte sich das Wetter, und wir waren genöthigt in Rosenheim, einem

reizenden, am Inn gelegenen Städtchen, wo ich diesen aus der Schweiz stammenden Fluß zum ersten Mal sah, Schutz vor dem strömenden Regen zu suchen. Am folgenden Tag fuhr uns Mahir

bis an das Ufer des Chiemsees.

Dort trennten wir uns von ihm

und nahmen ein Boot, um die Inseln zu erreichen, auf welchen wir

aber zu unserer Enttäuschung Braun und seine Gefährten nicht

trafen.

Wir vermutheten, daß das schlechte Wetter des vorher­

gehenden Tages (es hatte hier die ganze Nacht geregnet) sie ge­ nöthigt habe, um den See herumzugehen.

Um sie aber noch einzu­

holen, ehe sie Salzburg erreichten, behielten wir unsern Schiffer und

ließen uns an das gegenüberliegende Ufer in die Nähe von Graben­ stadt rudern, wo wir um 10 Uhr Abends ankamen.

Im Laufe des

Nachmittags hatte sich das Wetter etwas aufgeklärt und die Aussicht war prachtvoll, als wir von den Inseln abfuhren und sie in der

Zweite Serienreife. Dämmerung verschwinden sahen.

49

Ich sammelte anch allerlei werth­

volle Auskunft über die Bewohner des Wassers in diesem See.

Unter anderem war ich sehr erfreut, eine Seekühe zn sehen, welche

von einem der Fischer gefangen worden war und auch eine Art von Wels, der sich in der Schweiz nicht fbtbet, und welchen die Fischer

hier „unserer lieben Frauen Fisch" nennen, weil er nur am Ufer einer Insel vorkommt, auf der sich ein Kloster befindet, dessen Nonnen

ihn für einen großen Leckerbissen halten.

Am dritten Tag erreichten wir Traunstein, wo trotz des Sonn­

tags ein großer Pferdemartt war.

Es machte uns vielen Spaß, die

lustigen Tyroler mit den Hahnenfedern auf ihren spitzen Hüten zu sehen, wie sie in den Straßen sangen und jodelten mit ihren Schätzen am Arm. Ab und zu ließen sic eine spöttische Bemerkung über unsere Bekleidung fallen, welche diesen Leuten, die nie etwas anderes als

ihre eigene Heimath gesehen haben, und welche einen Ausflug von ihren Bergen auf den Jahrmarkt in der nächsten Stadt als eine

große Reise betrachten, lächerlich genug erschienen sein mag.

Es war

Mittag, als wir in Traunstein eintrafen, und von da nach Salzburg sind es nur noch fünf Meilen. Ehe man die Festung erreicht, muß

man an dem großen Zollhaus an der bairischen Grenze vorbei gehen.

Da wir fürchteten von den schwerfälligen österreichischen Beamten zn lange aufgehaltcn und dadurch verhindert zu werden, die Stadt vor Thorschluß zu erreichen, beschlossen wir bis zum anderen Morgen zu

warten und die Nacht in Adelstätten zuzubringen, einem netten Dorf eine Meile von Salzburg, dem letzten bairischen Ort. Die Nacht brach herein, als wir uns einem Wäldchen näherten, welches uns das

Dorf verbarg.

Hier frugen wir einen Bauern, wie weit wir noch

zu gehen hätten, und als er unsere Fragen beantwortet hatte, sagte er uns, offenbar in freundlicher Absicht, daß wir gute Gesellschaft

im Dorfe finden würden, denn vor wenigen Stunden seien drei

Handwerksburschen vorbeigekoinmen.

Dann fügte er noch bei, daß

wir gewiß froh sein würden, Kameraden zu finden und einen lustigen

Abend mit ihnen zuzubringen.

Wir wunderten uns nicht, daß man

uns für Handwerksburschen hielt, da hier Jedermann, der zu Fuß reist und einen Ranzen auf dem Rücken trägt, als der arbeitenden Klasse angehörend betrachtet wird ... Als wir in dem Dorfe an­

kamen, waren wir entzückt zu sehen, daß die drei Handwerksburschen Agckssiz'S Leten und Briefwechsel.

4

Drittes Capitel.

50

unsere Reisegefährten waren, welche gleich uns von Traunstein ge­

kommen waren,

wo wir uns im Gedränge verfehlt hatten, und

die auch in Adelstätten übernachten wollten, um dem Zollhaus zu entgehen.

Am Montag endlich, um 10 Uhr, überschritten wir die

lange Brücke der Salza zwischen den Weißröcken mit gelben Auf­

schlägen, welche da Wache standen.

An der bairischen Grenze hatten

wir das Zollhaus kaum beachtet, da unsere Studentenkarten genügten,

um uns durchzulassen; hier im Gegentheil waren dieselben eine be­ sondere Veranlassung zu strenger Untersuchung. Bücher bei Ench?" war die erste Frage.

„Habt Ihr verbotene

Zu gutem Glück hatte ich,

ehe wir die Brücke erreichten, Trettenbacher gerathen, sein Liederbuch in

dem Futter seines Stiesels zu verbergen.

Ich bin überzeugt, daß man

es ihm sonst weggenommen und ihn nicht eingelassen hätte. Durchsuchung von Brauns Ranzen fand

Bei der

einer der Beamten eine

Muschel von der Art, wie sie massenhaft an dem Ufer des Neuen­ burger Sees gesammelt werden.

Sofort wollte der Mann auf das

Amt gehen und fragen, ob wir dafür nicht Zoll bezahlen müßten, da wir gewiß diese Muscheln zur Herstellung falscher Perlen mitge­

nommen hätten und davon jedenfalls noch einen größereren Vorrath

bei uns führten.

Wir hatten die größte Mühe ihm begreiflich zu

machen, daß nur fünfzig Schritte vom Zollamt entfernt die Ufer des

Flufses von diesen Muscheln

besät seien . . . Nachdem

die Unter­

suchung überstanden war, mußten wir noch unsere Börsen ausleeren,

um nachzuweisen, daß wir Geld genug zu unserer Reise hätten und nicht genöthigt sein würden, »ns durchznbetteln. dieser Weise durchsucht wurden,

Während wir in

machte ein anderer Beamter eine

Inspektionsreise um uns her, nm unsere Haltung rc. zu beobachten ... Nachdem wir so zwei Stunden auf Kohlen gestanden waren, erhielten

wir unsere Pässe zurück und wanderten weiter.

Um ein Uhr erreichten

wir Salzburg, hungrig wie Wölfe, aber am Thor wurden wir aber­ mals angehaltcn, mußten unsere Pässe abgeben und erhielten Scheine

dafür, welche uns die polizeiliche Erlaubniß, in der Stadt bleiben zu dürfen, verschaffen sollten.

Vom Gasthof schickten wir den Kellner,

um die Erlaubnißkarten zu holen, aber er kehrte unverrichteter Sache

zurück und bedeutete uns, daß wir selbst hingehen und dieselben in Empfang nehmen müßten.

Die Sache habe aber keine Eile; es ge­

nüge, wenn wir in drei bis vier Stunden kämen!

Weiter hatten wir

51

Zweite Ferienreise.

keine Schwierigkeiten, nur wurde es zur Bedingung unseres Bleibens

Diese Be­

gemacht, daß wir nicht in Studentenanzügen erschienen. kleidung, sagte man uns, sei in Oesterreich verboten.

More wurde

ersucht, sein Haar zu schneiden, sonst würde cs ihm gratis gekürzt;

dann bedeutete man uns noch, daß es sich für unser Alter nicht schicke,

ohne Halsbinden umherzngehen.

Glücklicherweise hatte ich

zwei bei mir, und Braun band sein Taschentuch um den Hals.

Es

wunderte mich auch, daß wir nicht in das Fremdenverzeichniß ein­

getragen wurden, welches allabendlich erscheint.

Nachher fanden wir,

daß dies mit anderen Studenten auch so gehalten wurde, obwohl andere Personen, die mit derselben Fahrgelegenheit ankamen, selbst Kinder, pflichtgemäß aufgezählt wurden.

Es scheint, daß diese Vor­

sichtsmaßregel den Zweck hat, Versammlungen von Studenten zu ver­

hindern . . .

Der Brief schließt eilig ab, um mit der nächsten Post befördert zu werden und der Schluß des Reiseberichtes, wenn er je geschrieben

wurde, ist nicht erhalten.

Einige Auszüge aus den Briefen von

Agassiz's Freund Braun an seine Eltern, welche hier einen Platz verdienen, werfen ein Licht auf das Universitätsleben des nächsten Jahres").

Alexander Braun an seinen Vater.

Heute, lieber Vater, will ich Dir in Kürze erzählen, wie un­ sere Zeit in diesem Semester eingerichtet ist. Die Zeit des mensch­ lichen Bewußtseins fängt um halb sechs Uhr an.

Ich halte es für

einen nicht unbedeutenden Fortschritt in der Lebensverfassnng dieses

Winters, daß ich gelernt habe, regelmäßig früh anfzustchen. Die Stunde von sechs bis sieben ist der Mathematik gewidmet — und

es wird auch wirklich ihre Bestimmung erfüllt, wenn nicht der Pro­

fessor verschläft oder Agassiz an's Bett angewachscn ist — ein Zu­ fall, der sich jetzt am Anfang des Semesters noch zuweilen ereignet. Von sieben bis acht thut man nach Belieben und frühstückt dabei. Zn Agassiz's neuer Haushaltung wird der Kaffe gekocht in einer

Maschine, worin unter Tags allerlei altes Wildpret zum Skelettiren *) Siehe Leben von Alerander Braun von C. Mettenius.

4*

Drittes ßnpitel.

52

abgekocht und dann Abends wieder der Thee bereitet wird.

Um

acht Uhr gehe ich in die medicinische Klinik zu Ringseis und schaue ein wenig zu, wie man die Kranken traktirt.

Da Ringseis ein ganz

neues medicinisches System eingeführt hat, so ist das nicht ohne allgemeines physiologisches Interesse. - Um

zehn Uhr liest Stahl

Mathematik und Bewegungslehre als ersten Theil der Physik.

Dies

hören wir alle miteinander, sowie die darauffolgende specielle Natur­ geschichte der Amphibien bei Magier,

wöchentlich vorkommt.

welche

aber nur zweimal

Von zwölf bis eins haben wir nichts be­

stimmtes vor, gedenken aber einzelne Kapitel der Vorlesungen von

Döllinger zu besuchen, besonders wenn er an die Sinnesorgane kommt.

Um ein Uhr gehen wir zum Mittagessen, welches nun einen

guten, bestimmten Platz gefunden hat, nachdem wir vorher überall hemm gegessen hatten für 9—24 Kreuzer.

Wir haben einen Tisch

in einem Privathause gesunden, wo wir nicht mit zu vielen anderen, meist bekannten Leuten zusammen sind und ein reinliches und gutes

Essen für 13 Kreuzer haben. Nach dem Essen gehen wir zu Dr. Waltl, woselbst wir die Chemie nach Gmelin's Handbuch durchnehmen, und uns von ihm die nöthigen Experimente vormachen lassen.

Von 3—4

wollen wir in der nächsten Woche die Entomologie bei Dr. Berthy ansangen.

Samstags, wo fast alle Kollegien aussetzen, besuchen wir

wir von 2—4 die Experimental - Physiologie bei Dr. Oesterrcicher,

einem jungen Docenten, der über den Kreislauf des Blutes geschrieben hat.

Da Agassiz zu Hause auch viele Thiere zergliedert, so machen

wir auch Fortschritte in der vergleichenden Anatomie. Um 4 Uhr gehen wir nur deshalb noch einmal in Okens Naturphilosophie,

damit wir gute Plätze für die darauf folgende Stunde bei Schelling besitzen.

Wir müssen freilich unsere Ohren zuweilen einigem Unsinn

preiSgeben.

Bei Schelling hören wir Philosophie der Offenbarung.

Das wird Euch sonderbar lauten, denn bisher hat man gar nicht

geglaubt, daß dies nur ein der philosophischen Erörterung fähiger

Gegenstand sei. — Um 6 Uhr gehen wir nach Hause und uun fangen die PrivatKollegien an.

Etliche Male bläut uns Agassiz einige französische

Regeln und Formeln ein; etliche male repetiren wir Anatomie; etliche male lese ich dem Wilhelm Schimper allgemeine Naturgeschichte.

Später werde ich die Naturgeschichte der Gräser und Farnkräuter

Auszüge aus Dinkel s Tagebuch.

vornehmen.

53

Zweimal wöchentlich liest uns Karl Schimper, der

schneller, als ich dachte, wieder gekommen ist, die Morphologie der

Gewächse, ein höchst wichtiges Kollegium über einen noch gar nicht

bekannten Gegenstand.

Er hat dabei 12 Zuhörer.

Agassiz will uns

an einigen Sonntagen Naturgeschichte der Fische lesen ...

Ziemlich im Anfang des Jahres 1828 hatte Agassiz die Bekannt­ schaft des Künstlers Joseph Dinkel gemacht.

Ein gemeinsam auf

dem Land verlebter Tag, an welchem Dinkel unter der nnmittelbaren Leitung des jungen Naturforschers eine lebhaft gefärbte Forelle nach dem Leben malte, führte eine Verbindung herbei, welche viele Jahre

ununterbrochen fortdauerte.

Dinkel begleitete Agassiz später als sein

Zeichner auf verschiedenen Reisen und war beinah anhaltend be­ schäftigt, sowohl Abbildungen für die „Poissons Fossiles“ und die

„Poissons d’Eau douce“,

als auch für seine Monographien und

kleineren Abhandlungen zu machen.

Die beiden größeren Werke,

von denen das letztgenannte unbeendet geblieben ist, waren schon damals im Entstehen.

Nicht Dinkel allein war mit Herstellung der

Tafeln für die Süßwasser-Fische beschäftigt; auch I. C. Weber, der damals unter Agassiz's Leitung Abbildungen für die Spix'schen Fische machte, widmete seine freien Stunden demselben Gegenstand.

Dinkel erzählt von Agassiz's Studentenleben in dieser Zeit:

„Ich war bald vier bis fünf Stunden täglich beschäftigt Süß-

wasser-Fische für ihn nach dem Leben zu malen, während er neben

mir saß oder stand, zuweilen seine Beschreibungen niederschreibend,

zuweilen mich anleitend ... Er wurde nie ärgerlich, obwohl die Versuchung manchmal groß war, sondern behielt immer seine Selbst­ beherrschung und machte Alles ruhig, mit einem freundlichen Lächeln

für Jedermann und einer helfenden Hand für diejenigen, welche einer

solchen bedurften.

Er war damals kaum zwanzig Jahre alt und war

schon der hervorragendste unter den Münchener Studenten. Alle liebten ihn und hatten große Achtung vor ihm. Ich habe ihn wiederholt in dem Schweizerklub gesehen und habe ihn unter den flotten Studenten beobachtet.

Er liebte lustige Gesellschaft, war

aber selbst meist zurückhaltend und nie lärmend.

Er suchte sich die

begabten und gutunterrichteten Studenten ans und verlor nicht gern

seine Zeit mit gewöhnlichem Gespräch.

Oft, wenn er eine Anzahl

Drittes Capitel.

54

von

Studenten auf einen leeren Vergnügungszug auögehen sah,

sagte er zu mir: Da gehen sie mit den anderen Burschen; ihr Motto

ist:

„Ich gehe mit den andern".

Ich will meinen eigenen Weg

gehen, Herr Dinkel, aber nicht allein das: ich will ein Führer der

anderen sein."

In all' seinem Thun war eine ganz merkwürdige

Leichtigkeit und Ruhe. Sein Studirzimmer war ganz das eines echten deutschen Studenten. Es war groß mit mehreren breiten

Fenstern; die Ausstattung bestand in einem Bett, etwa einem halben Duzend Stühlen und einigen Tischen zu seinem und seiner Künstler Gebrauch.

Dr. Alex. Braun und Dr. Schimper wohnten in dem­

selben Hause und schienen sein Arbeitszimmer zu theilen.

Da sie

Botaniker waren, brachten sie auch von allen ihren Exkursionen

viel Eingesammeltcs mit, und diese ganze Ausbeute wurde in dem Studirzimmer aus Bett, Stühle oder Fußboden niedergelegt.

Alle

Stühle waren mit Büchern belegt, nur ein einziger blieb frei für den zweiten Künstler, während ich an einem Stehpult zeichnete. Kein Besucher konnte sich niedersetzen, und oft war kaum Platz zum

Stehen oder Herumgehen. Figuren bemalt, katuren beifügten.

Die Wände waren weiß und mit allerlei

welchen wir Künstler noch Skelette und KarriKurz, es war ganz originell.

Es dauerte einige

Zeit, ehe ich die wirklichen Namen seiner Freunde ausfindig machen

konnte, denn jeder hatte einen Spitznamen: Molluske, Cyprinus, Rhabarber rc." Von diesem Streifblick in die „kleine Akademie", kehren wir zu Agassiz's eigenen Berichten in die Heimath zurück.

Sein nächster

Brief zeigt, daß seine Privatsammlungen einen bedenklichen Umfang für eine Privatwohnung angenommen hatten. Auf mannigfaltige Weise zusammengebracht, theils selbst gesammelt, theils im Umtausch gegen Doubletten erworben, theils als Zahlung für das Bestimmen und

Ordnen von Exemplaren des Münchener Museums erhalten, hatte

feine Sammlung im Vergleich zu seinen spärlichen Mitteln, einen bedeutenden Geldwerth erlangt und eine noch viel höhere wissen­

schaftliche Bedeutung.

Sie bestand aus Fischen, aus einigen seltenen

Säugethieren, Reptilien, Muscheln, Vögeln, aus einem Herbarium von etwa dreitausend Pflanzenarten, die er selbst gesammelt hatte und aus einem kleinen Mineralienkabinet.

Nachdem er die ver­

schiedenen Bestandtheile in einem Brief an seine Eltern anfgezählt,

Briefe nach Hause

55

fährt er fort: „Ihr werdet Euch denken können, daß alle diese Dinge mir im Wege sind,

da ich mich ihrer seht nicht annehmen kann,

und da sie aus Mangel an Pflege und Platz alle aufeinandergehänft

und der Gefahr ausgesetzt sind, zu verderbe».

Ans meinem Ver-

zeichniß seht Ihr, daß die ganze Sammlung auf zweihundert Louisd'ors geschätzt ist, und das ist eine so niedrige Schätzung, daß selbst die­

jenigen, welche natm geschichtliche Gegenstände verkaufen, nicht zögern würden,

sie zu diesem Preise zu nehme«.

Ihr werdet daher be­

greifen, wie sehr es mir am Herzen liegt, sie zu erhalten.

Könntet

Ihr nicht einen Raum für mich finden, wo man sie aufstellen

könnte? Ich habe daran gedacht, das; mein Onkel in Neuchätel viel­ leicht die Güte hätte, mir einige große Regale in dem Oberstübchen

seines Hauses in Cndrefin aufmachen zu lassen.

Weit entfernt eine

Last zu sein oder unangenehme Gerüche zu verbreiten, würde meine

Sammlung vielmehr, wenn sie in Kästen unter Glas untergebracht oder in anderer geeigneter Weise aufgestellt wäre, eine Zierde des

Hauses bilden.

Seid so gut und schlagt es ihm vor, und wenn er

einwilligt, so will ich Euch sagen, was ich zu der Einrichtung bedarf. Bedenkt, daß davon zum großen Theil die Erhaltung meiner Samm­

lung abhängt und antwortet mir so bald als möglich." Agassi; beschleunigte jetzt nach Kräften die Vorbereitungen zu seiner Doctorpromotion und die Beendigung der brasilianischen Fische, in der Hoffnung dann endlich sein Verlangen nach einer Forschungs­

reise befriedigen zu können.

Diese Hoffnung kommt in dem nächsten

Briefe nach Hause zum Ausdruck. Die erste Hälfte dieses langen Schreibens ist hier übergangen, weil sie sich nur auf die Samm­

lungen und die denselben zu widmende Sorgfalt bezieht.

An seinen Vater.

14. Febr. 1829. . . . Nun muß ich aber von wichtigeren Dingen sprechen, nicht

von dem, was ich besitze, sondern von dem, was ich werden will. Laß mich zuerst auf einige Punkte zurückkommen, die in unserem früheren Briefwechsel schon besprochen sind, welche aber jetzt ein­

gehender behandelt werden müssen. 1. Du erinnerst Dich, daß als ich zuerst die Schweiz verließ, ich Dir versprach, in zwei Jahren den Doctortitel zu erwerben und

Drittes Capitel.

56

(nach Beendigung meiner Studien in Paris) vorbereitet zu sein, meine Prüfung vor dem Gesundheitsrath (Conseil de Santo) zu be­

stehen und mit der ärztlichen Praxis anzufangen. 2.

Du wirst eben so wenig vergessen haben, daß Du dies nur

verlangtest, damit ich einen Beruf hätte, und daß Du mir ver­ sprachst, Dich meinen Wünschen nicht entgegen zu stellen, wenn ich

im Stande wäre, mir einen Weg als Schriftsteller oder Naturforscher zu bahnen.

Ich weiß sehr wohl, daß in diesem letzteren Falle

Dir der Gedanke, daß ich mich von meinem Vaterlande und von

Allen, die mir lieb sind, trennen müßte, sehr störend wäre; aber Du

kennst mich genug, um vorauszusetzen, daß ich mir freiwillig eine

solche Verbannung auferlegen würde.

Laß uns betrachten, ob diese

Schwierigkeit nicht zu unserer beiderseitigen Zufriedenheit zu lösen und

welches der sicherste Weg wäre zur Erreichung des Ziels, das ich mir seit Beginn meiner mcdicinischen Studien vorgesetzt habe. Wäge alle meine Gründe ab, denn es hängt davon mein Seelenfrieden und

mein zukünftiges Glück ab.

Prüfe

mein Verhalten in Hinsicht

meines'Vorschlags nach jeder Seite, mit Einschluß meines Verhältnisies als Sohn und Waadtländer Bürger, und ich bin überzeugt, Du wirst mit mir übereinstimmen.

Mein Ziel und die Mittel, durch welche ich cs zu erreichen glaube, sind folgende: Ich wünsche, daß man von Lonis Agassi; sagen könne, er war der erste Naturforscher seiner Zeit, ein guter Bürger und ein guter Sohn, geliebt von allen, die ihn kannten.

Ich fühle in mir die Kraft einer ganzen Generation diesem Ziele

nachzustreben und ich werde es erreichen, wenn mir die Mittel nicht

fehlen. Laß uns nun sehen, worin diese Mittel bestehen.

(Hier folgt

die Zusammenstellung der Gründe, welche ihn eine. Professur der

Naturgeschichte der Ausübung des ärztlichen Berufs vorziehen ließen und die Darlegung feiner Absicht, sich in Deutschland zum Doktor der

Philosophie machen zu lassen.)

Aber wie eine Professur erlangen,

wirst Du sagen, das ist die wichtige Frage? Ich antworte, daß der

erste Schritt dazu ist, mir einen europäischen Namen zu machen, und dazu bin ich auf dem richtigen Wege.

Erstens wird mich mein

Werk über die brasilianischen Fische, welches im Begriff ist zu er­

scheinen, in vortheilhafter Weise bekannt machen.

Ich bin über­

zeugt, daß es gut ausgenommen werden wird, denn auf der Ver-

57

Hoffnung mit Humboldt nach Asien zu reisen.

sanunlung deutscher Naturforscher und Aerzte im vorigen September

in Berlin wurde der bereits fertige Theil vorgelegt und in einer mir ganz unerwarteten Weise gelobt.

Auch die Professoren, denen

ich bekannt bin, sprachen auf der Versammlung in sehr günstiger Weise von mir.

Zweitens werden gegenwärtig zwei naturwissenschaftliche Expe­ ditionen ausgerüstet, eine durch Herrn von Humboldt,

dessen Ruf

Dir sicher bekanirt ist. Es ist derselbe, der mehrere Jahre mit Herrn

Bonpland die Acquatorialgebiete von Süd-Amerika erforschte.

Er

hat einige Jahre in Berlin zugcbracht nnd ist jetzt im Begriff eine

Reise in den Ural, den Kaukassus und in den Umkreis des Kaspischen

Meeres zu unternehmen.

Braun, Schimpcr und ich sind ihm als

Reisebegleiter vorgeschlagen worden, aber unsere Bewerbung kann zu

spät kommen, denn Humboldt hat diese Reise schon lange beschlossen und hat wahrscheinlich die Naturforscher schon ausgewählt, welche

ihn begleiten sollen.

Wie glücklich wäre ich, wenn ich mich an

dieser Expedition in ein Land, dessen Klima durchaus nicht ungesund ist, betheiligen dürfte, unter der Leitung eines Mannes, dem der Kaiser von Rußland Hülfe und Schutz zu allen Zeiten und in allen Verhältnissen zugesagt hat.

Die zweite Expedition geht in ein gleich­

falls gesundes Land, welches den Reisenden ebenso wenig mit Gefahren bedroht, nämlich nach Südamerika.

Sie wird unter der Leitung

von Herrn Ackermann unternommen, welcher als bedeutender Land­ wirth nnd als Staatskauzler des Großherzogs von Baden bekannt ist.

Ich würde lieber mit Humboldt gehen; aber wenn ich bei

diesem zu spät komme, so hoffe ich sicher, mich der zweiten Expe­ dition anschließen zu können.

So hängt also die Sache, wie Du siehst, nur von Deiner Einwilligung ab. Die Reise soll zwei Jahre dauern.

Nach Ablauf dieser Zeit kann ich, glücklich nach Hause

znrückgekehrt, die erwählte Laufbahn mit aller erwünschten Förderung

weiter verfolgen.

Wenn sich in Lausanne, welches ich jedem anderen

Ort vorziehen würde, eine Stellung für mich fände, könnte ich mein Leben dem Unterricht meiner jungen Landsleute widmen, in ihnen

den bei uns so vernachlässigten Sinn für Wissenschaft und Beob­

achtung wecken und auf diese Weise nützlicher wirken, als ich es als Arzt thun würde.

Die Verwirklichung dieser Gedanken kann miß­

lingen, aber bei der gegenwärtigen Sachlage sind die Aussichten dazu

Drittes Capitel.

58

günstig.

Deshalb bitte ich Dich meine Pläne ernstlich zu erwägen,

mit meinem Onkel in Lausanne darüber zu berathen und mir dann gleich zu schreiben, was Du davon hältst . . .

Trotz des heißen Verlangens nach Reisen, welches sich in diesem Brief ausspricht, wird es sich doch späterhin zeigen, wie die ruhe­

losen Bestrebungen der Kindheit und Jugend, welche im Grunde nur

die Aeußerung der noch unentwickelten Liebe

zur Forschung

waren, sich zu dem festen Lebensziel des Mannes ausbildeten, der monatelang in seinem Studierzimmer eingeschlossen bleiben konnte und sein Mikroskop nur verließ, um zu essen oder zu schlafen — eine so zurückgezogene Lebensweise, wie sie nur je von einem eifrigen

Gelehrten geführt wurde. Von seinem Vater.

Orbe, 23. Febr. 1829. . . . Wir haben Deinen Brief vom 14. nicht ohne tiefe Be­ wegung gelesen und ich kann leicht verstehen, daß Du in der Vor­

aussicht des Eindrucks, welchen er uns machen würde, so lange mit

Schreiben gezögert hast.

Doch hattest Du unrecht dies zu thun.

Hätten wir früher etwas von Deinen Plänen gewußt, so hätten wir Deiner Wahl des Herrn von Humboldt zuvorkommen können, dessen Expedition mir in jeder Beziehung der des Herrn Ackermann vor­ zuziehen scheint. Die erstere umfaßt ein weiteres Feld und betrifft

noch mehr die Geschichte des Menschen, als die der Thiere; die letztere beschränkt sich auf eine Exkursion längs der Seeküste, wo

zwar ohne Zweifel eine reiche Ausbeute für die Naturwissenschaften,

aber viel weniger für die Philosophie zu machen sein wird. Wie das aber auch sein mag, Deine Eltern, wenn sie auch mit Trauer an den Tag der Trennung denken, werden Deinen Plänen kein Hinder­

niß in den Weg legen, sondern Gott bitten, Dich zu behüten . . .

Der nachfolgende Brief von Alexander Braun an seinen Vater zeigt uns, wie die Pläne, welche von Agassiz bei seinen Eltern so

dringend befürwortet und von

ihnen so freundlich ausgenommen

wurden, zuerst Gestalt im Geiste der Freunde gewannen.

Vereitelung der Reisepläne.

59

Braun an seinen Vater.

München, 15. Febr. 1829. Am vorigen Donnerstag war ich bei Oken.

Es wurde zuerst

über die Bedeutung der Medicin gesprochen, welcher Oken eine lange,

spaßige Lobrede hielt, dann von der russischen Unkultur und allmälig kamen wir auf den Ural und ans Humboldt's Reise und die vielen jungen Naturforscher, welche gewiß gerne mitgingen. ob wir denn keine Lust hätten, uns zu melden.

Oken fragte,

Dies bejahten wir

und sagten, wenn er bewirken könne, daß Humboldt uns mitnähme,

so seien wir jeden Tag bereit, abzureisen.

Oken gab uns wenig

Hoffnung, doch versprach er in unserem Interesse an Humboldt zu schreiben.

Darauf gingen wir sehr vergnügt nach Hause.

spät in der Nacht und Mondschein.

Es war

Agassiz wälzte sich vor Freude

im Schnee und wir kamen überein, daß, wenn auch die Aussicht auf

unser Mitgenommenwerden keine große sei, cs doch schon gar nicht zu verachten wäre, daß Humboldt uns auf diese Art kennen lernte,

und wir, wenn wir ihn später einmal sehen, zu ihm sagen könnten: „Wir sind diejenigen,

deren Begleitung Sic damals verschmäht

haben." Mit dieser Aussicht mußten sich die Freunde genügen lassen,

denn nachdem sie einige Wochen zwischen freudiger Erwartung und drohender Enttäuschung geschwebt hatten, erlosch die schöne Hoffnung.

Oken hatte fein Versprechen erfüllt und an Humboldt geschrieben, um sie ihm dringend anzuempfehlen. Humboldt antwortete, daß seine Pläne endgültig festgesetzt seien, und daß er nur zwei Assistenten

erwählt habe, die ihn begleiten würden, — Ehrenberg und Rose.

In Verbindung mit diesem vereitelten Plan folgt hier der Ent­ wurf eines Briefes von Agassiz an Cnvier, wahrscheinlich zu einer etwas früheren Zeit geschrieben.

Obwohl nur ein Bruchstück, so ist

es doch der Erguß desselben leidenschaftlichen Verlangens nach einem nur der Wissenschaft gewidmeten Leben und zeigt, daß die Humboldts-

Reise nur die Veranlassung war, einem längst bestehenden Vorsatz

bestimmtere Gestalt zu geben.

1828 geschrieben sein.

Dem Inhalt nach muß dieser Brief

Nachdem ein Bericht über seine Anfangs­

studien gegeben ist, der hier nur eine Wiederholung sein würde,

fährt er fort: „Ehe ich meinen Brief schließe, gestatten Sie, daß ich

60

Drittes Capitel.

mir von Ihnen, den ich wie einen Vater verehre, und dessen Werke mir

bisher der einzige Führer gewesen sind, einen Rath erbitte.

Vor

fünf Jahren wurde ich auf die mediciuische Schute nach Zürich ge­ schickt.

Nach

den paar

ersten Vorlesungen

über Anatomie und

Zoologie konnte ich nur noch an Skelette denken.

In kurzer Zeit

lernte ich scciren und hatte für mich eine kleine Sammlung von Thierschädeln der verschiedensten Klassen hergcstcllt.

Ich brachte zwei

Jahre in Zürich zu, studirte alles, was ich in dem Museum vorfand, und secirte so viele Thiere, als ich mir verschaffen konnte.

Ich habe

mir zu dieser Zeit sogar einen Affen in Weingeist aus Berlin kommen lassen, um das Nervensystem desselben mit demjenigen des Menschen zu vergleichen.

Alle meine geringfügigen Mittel verwendete ich, um

so viel wie möglich zu sehen und zu lernen.

Dann beredete ich

meinen Vater mich nach Heidelberg gehen zu lassen, wo ich ein Jahr

lang Tiedemann's Vorlesungen über Anatomie des Menschen besuchte. Ich brachte beinah den ganzen Winter in dem anatomischen Labo­ ratorium zu.

Den folgenden Sommer besuchte ich die Vorlesungen

von Leuckart über Zoologie und diejenigen von Bronn über Ver­

steinerungen.

Noch während ich in Zürich war, bemächtigte sich

meiner eines Tages das Verlangen naturwissenschaftliche Reisen zu machen, und in Heidelberg nahm dasselbe nur zu.

Meine häufigen

Besuche in dem Frankfurter Museum und alles, was ich dort über Rüppell hörte, befestigte meinen Vorsatz noch mehr als das, was ich zuvor gelesen hatte.

Ich sah mich im Geiste als Rüppell's Be­

gleiter; seine Thatkraft, die zu überwindenden Schwierigkeiten, alles war mir gegenwärtig, als ich die Schätze betrachtete, die er aus der

Wüste von Afrika mitgebracht hatte.

Die Vorstellung der bewäl­

tigten Schwierigkeiten und die innere Befriedigung, die mir daraus erwuchs, dienten dazu, alle meine Studien in Einklang mit meinen

Neisegedanken zu bringen. Ich fühlte, daß es zur Erreichung meines Zweckes wichtig wäre, meine medicinischeu Studien zu beenden, und deshalb kam ich vor an­

derthalb Jahren nach München. Doch konnte ich mich nicht entschließen, den Naturwissenschaften zu entsagen.

Ich besuchte einige pathologische

Vorlesungen, fing aber bald an, sie zu vernachlässigen und indem

ich mich von neuem ganz meiner Neigung hingab, hörte ich regel­ mäßig die Vorlesungen von Döllinger über vergleichende Anatomie,

61

Brief nit Cuvier.

diejenigen von .Oken über Naturgeschichte,

diejenigen von Fuchs

über Mineralogie-^ und besuchte außerdem astronomische, physikalische, chemische und mathematische Vorträge.

In dieser Abwendung von

medicinischen Studien wurde ich unterstützt durch den Vorschlag des Herrn von Martins, die Fische zu beschreiben, welche Spix aus Bra­ silien gebracht hat.

Ich willigte um so lieber ein, als Ichthyologie

schon immer mein Lieblingsstudium war.

Ich habe dieselben aber

nicht so sorgfältig bearbeiten können, als ich gewünscht hätte, weil es Herrn von Martins angelegen war, die Derösfentlichnng dieses

Werkes zn beschleunigen und . er mich daher zu möglichster Eile an­ trieb.

Ich hoffe jedoch, daß ich keine groben Fehler gemacht habe,

welche ich um so eher vermeiden konnte, da ich einen Leitfaden an den Bemerkungen hatte, welche Sie die Güte hatten, ihm auf die

Tafeln von Spix zu schreiben.

Einige dieser Tafeln waren nicht

sehr genau; sie sind bei Seite gestellt und neue Zeichnungen gemacht worden.

Ich bitte, daß Sie dieses Werk, wenn Sie es erhalten,

nachsichtig beurtheilen, als

jungen Mannes. fertig zu werden..

den ersten literarischen Versuch eines

Ich hoffe im Laufe des nächsten Sommers damit

Einstweilen möchte ich Sie bitten, mir einen

väterlichen Rath über die Richtung, welche meine Studien dann

nehmen sollten, zu geben.

Muß ich mich dem Studium der Medicin

widmen? Es ist wahr, daß ich kein Vermögen habe, aber ich würde gerne mein Leben hingeben, wenn ich dadurch der Wissenschaft dienen könnte.

Obwohl ich bis jetzt noch keine Ahnung habe, wo die Mittel

Herkommen könnten, mit welchen ich eines Tages in ferne Länder zu reisen gedenke, so habe ich mich doch während der letzten drei

Jahre darauf vorbereitet, jede Minute aufbrechen zu können.

Ich

habe gelernt, alle Arten von Thiere abzuziehen, auch sehr große. Ich habe mehr als hundert Skelette von Vierfüßlern, Vögeln, Rep­

tilien und Fischen gemacht; ich habe die verschiedenen Flüssigkeiten zur Aufbewahrung von Thieren, welche besser nicht abgezogen werden, geprüft und habe darüber nachgedacht, wie man sich in Ländern, wo man solche Hülfsmittel nicht hat, im Nothfall behelfen könnte.

Ich

habe einen jungen Freund') als Reisebegleiter herangezogen und in

ihm dieselbe Liebe zu den Naturwissenschaften geweckt. Er ist ein vor*) Wilhelm Schimper, Bruder von Karl.

62

Drittes Capitel.

trefflicher Jäger und hat auf meine Anregung Zeichenstunden ge­

nommen, so daß er jetzt im Stande ist, alle wünschenswerthen Gegen­ stände nach der Natur zu skizziren.

Wir bringen oft entzückende

Augenblicke auf unseren eingebildeten Reisen in unbekannte Länder zu und bauen uns viele Luftschlöffer.

Verzeihen Sie mir, wenn ich

Ihnen von Plänen spreche, welche auf den ersten Blick kindisch er­ scheinen; es fehlt nur ein bestimmter Anlaß, um ihnen Wirklichkeit

zu verleihen; deshalb komme ich zu Ihnen, um mir rathen zu lassen.

Mein Verlangen ist so groß, daß ich die Nothwendigkeit empfinde, es Jemanden auszusprechen, der mich verstehen wird,

und Ihre

Theilnahme würde mich zum glücklichsten Sterblichen machen. werde von

Ich

dem Gedanken an eine naturwissenschaftliche Reise so

verfolgt, daß sie sich mir unter tausend Gestalten vorstellt, und alles,

was ich unternehme, zielt auf dieses Ende hin.

Ich habe vor einem

halben Jahr die Werkstätten eines Schmidtes und eines Zimmer­ manns besucht, um den Gebrauch von Hammer und Axt zu lernen,

und ich übe mich auch im Fechten, im Gebrauch von Bajonett und Säbel.

Ich bin stark und kräftig, kann schwimmen und fürchte mich

nicht vor anhaltenden Märschen.

Ich bin auf botanischen und geo­

logischen Ausflügen während einer ganzen Woche zwölf bis fünfzehn

Stunden täglich gegangen und habe dabei einen schweren Ranzen,

mit Pflanzen und Steinen gefüllt, auf dem Rücken getragen.

Kurz ich

scheine mir ganz gemacht zum reisenden Naturforscher. Ich muß nur noch lernen, den Ungestüm zu mäßigen, welcher mich fortreißt. Ich bitte Sie nun, mein Führer zu sein."

Der unbeendigte Brief bricht plötzlich ab und trägt weder Unter­ schrift noch Adreffe.

Vielleicht verlor der Schreiber den Muth und

schickte ihn nie ab.

Ein Brief von Cuvier an Martius von 1827,

welcher sich unter Agassiz's Briesen aus dieser Zeit fand, enthält die Anmerkungen zu den Fischen von Spix, auf welche in jenem

Schreiben Bezug genommen ist.

Es bleibt daher kein Zweifel, daß

dasselbe an den großen Meister gerichtet war, welcher während seines

ganzen Lebens einen so mächtigen Einfluß auf Agassiz ausübte. Im Frühjahr 1829 doctorirte Agassiz in der philosophischen Fakultät.

Er that dies nicht in der Absicht, sich dadurch die medi-

cinische Promotion zu ersparen, sondern zum Theil aus Rücksicht auf Martins, welcher wünschte, daß der Name seines jugendlichen

Brief an seinen Bruder.

63

Mitarbeiters auf dem Titelblatt der brasilianischen Fische mit einem

Dr. davor erscheine, zum Theil, weil er glaubte, dann später mehr Aussicht auf eine Professur zu haben.

Ueber seine Erlebnisse bei

dieser Gelegenheit berichtet der folgende Brief:

An seinen Bruder. München, 22. Mai 1829. . . . Da es nöthig für mich war, sofort meine Prüfung zu be­

stehen, und da hier die für Promotionen bestimmten Tage schon auf zwei Monate hinaus mit Beschlag belegt waren, beschloß ich die

Sache in Erlangen abzumachen.

Um nicht allein gehen zu müssen

und auch um das Vergnügen ihrer Gesellschaft zu haben, überredete

ich Schimper und Michahelles ein Gleiches zu thun.

Braun hatte

auch gewünscht dabei zu sein, sich aber nachträglich entschlossen noch

zurückznbleiben.

Wir stellten unseren Antrag an die Fakultät in

einem langen lateinischen Brief, (weil, wie Du weißt, es unter

Gelehrten Brauch ist, in derjenigen Sprache zu sprechen und zu schreiben, von welcher man am wenigstens versteht) erbaten uns die

Erlaubniß, unsere Prüfung schriftlich zu machen und nur zu dem Colloquium und der Promotion nach Erlangen zu kommen.

Unser

Gesuch wurde bewilligt unter der Bedingung, daß wir das Ver­

sprechen gäben, (jurisjurandi loco polliciti sumus), die vorgelegten Fragen ohne Hülfe und ohne Benutzung von Büchern zu beant­

worten.

Unter anderem hatte ich ein natürliches System der Zoo­

logie zu entwickeln, die Beziehungen zwischen der Geschichte der Menschen und der Naturgeschichte nachzuweisen, die wahre Grund­

lage und Grenzen der Naturphilosophie zu bestimmen u. s. w.

Als

Jnangural-Dissertation legte ich einige allgemeine und neue Betrach­

tungen vor über die Bildung des Knochengerüstes in dem gesammten Thierreich, von den Infusorien, Mollusken und Insekten bis zu den Wirbelthieren.

Die Examinatoren waren mit meinen Antworten so

weit zufrieden, daß sie mir mein Diplom am 23. oder 24. April zu­ schickten, ohne das Colloquium und die Promotion abzuwarten.

Sie

schrieben mir dazu, daß meine Prüfung so befriedigend ausgefallen sei, daß ich das Diplom ohne Rücksicht auf das mündliche Examen erhielte.

Der Dekan der Fakultät fügte hinzu, daß er hoffe, mich

bald als Professor zu sehen, und daß ich als solcher ebenso die Zierde

64

Drittes Capitel.

meiner Universität sein gewesen

sei.

Zch

würde,

als ich es bisher als Student

muß versuchen,

seine

Erwartungen

nicht zu

täuschen. . . In einem Briefe seines Bruders heißt es in Beziehung hierauf:

„Gestern Abend, lieber Louis, erhielt ich Deine zwei Diplome. Ich wünsche Dir von ganzem Herzen Glück zu Deinem Erfolg.

Ich

werde dem Großvater das für ihn bestimmte Exemplar schicken, und

ich stelle mir schon seine Freude vor, welche aber noch größer sein würde, wenn statt Philosophie das Wort Medicin darauf stände."

Der erste Theil des Werkes über brasilianische Fische war jetzt beendet, und er hatte die Freude es seinen Eltern als Vorläufer

seiner eigenen Ankunft zu schicken.

Nach dem Besuch der Natur­

forscherversammlung in Heidelberg sollte er einen Monat zu Hause

verleben, ehe er zu Beendigung seiner Studien nach München zurück­ kehrte. An seine Eltern. München, 4. Juli 1829. . . . Ich hoffe, daß wenn Ihr diesen Brief lest, Ihr bereits den

ersten Theil meiner brasilianischen Fische aus Genf erhalten habt...

Ich wage zu hoffen, daß dieses Werk mir einen Namen machen wird, und ich erwarte mit Ungeduld Cuvier's Kritik darüber . . . Der beste Weg zur Erreichung der verschiedenen Ziele, welche ich im Auge habe, ist, glaube ich, auf der begonnenen Laufbahn weiter zu

wandern und so bald wie möglich meine Naturgeschichte der Süß­

wasserfische von Deutschland und der Schweiz zu veröffentlichen.

Ich

gedenke sie in einzelnen Lieferungen erscheinen zu lassen, von denen

jede zwölf colorirte Tafeln, begleitet von sechs Bogen Text enthalten soll . . . Bis Mitte September wird eine Versammlung aller Natur­

forscher und Aerzte Deutschlands stattfinden, zu welcher auch aus­

wärtige Gelehrte cingeladen sind.

Eine ähnliche Versammlung ist

in den letzten zwei oder drei Jahren in anderen hervorragenden

Städten Deutschlands abgehalten worden. in Heidelberg sein.

In diesem Jahr soll sie

Könnte man sich eine bessere Gelegenheit wün­

schen, um den Plan eines Werkes bekannt zu machen?

Ich könnte

sogar die Originalzcichnungen von Arten, welche sich nur in der

Briefe von und nach Hause.

65

Umgegend von München finden und so zu sagen den Naturforschern

noch unbekannt sind, vorzeigen.

In Heidelberg werden sich Engländer,

Dänen, Schweden, Russen und sogar Italiener einfinden.

Wenn ich

vorher alles einrichten und ein gedrucktes Circular meines Werkes

vertheilen könnte, so wäre ich des Erfolges sicher... In jenen Tagen kostspieligen Briefportos diente ein Briefblatt

oft für verschiedene Familienglieder. Brief

von

Hause

enthält

Der

hauptsächlich

nächste enggeschriebene Familienangelegenheiten,

schließt aber mit einem Postskript von Frau Agassiz, worin sie ihrem Sohne ihr Entzücken über sein Diplom nnd die Vollendung seines

Buches ausspricht. Von seiner Mutter. 16. August 1829. . . . Der Raum, welchen Dein Bruder mir gelassen hat, ist

sehr ungenügend für alles, was ich Dir zu sagen habe, lieber Louis, und für meinen Dank für das eben so süße, wie tiefempfundene

Glück, welches Dein Erfolg uns bereitet hat. ist schon ein Lohn für Deine Anstrengungen.

Unsere Befriedigung

Wir erwarten mit

Ungeduld den Augenblick, wo wir Dich sehen werden und mit Dir sprechen können. Deine Briefe enthalten manche Lücken, und wir

schämen uns oft, daß wir so wenig Eingehendes über Dein Buch mittheilen können.

Dn wirst Dich wundern, daß wir es noch nicht

erhalten haben. Gedenkt der Herr in Genf es zu lesen, ehe er es uns schickt oder hat er am Ende das Packet nicht erhalten? Wir be­ unruhigen uns darüber... Lebe wohl, lieber Sohn; ich habe keinen Platz mehr, außer zu einem herzlichen Gruß für Dich.

Eine ehren­

volle Erwähnung Deines Namens in der Lausanner Zeitung hat uns viele erfreuliche Glückwünsche eingetragen . . .

An seinen Vater.

August 1829.

... Ich hoffe, Ihr habt inzwischen mein Buch erhalten.

Ich

kann mir die Verzögerung um so weniger erklären, als Cuvier, dem ich es auf demselben Wege geschickt habe, mir seine Ankunft bereits mitgetheilt hat.

Ich schließe seinen Brief ein, da ich hoffe, es wird 5

Agasfij S Lede» und Briefwechsel.

Drittes Capitel.

66

Euch Freude machen zu lesen, was einer der größten Naturforscher

unserer Zeit über mich schreibt. Cuvier an Louis Agassiz.

Paris, König!. Garten 3. Aug. 1829. . . . Sie und Herr von Martins haben mir eine Ehre erwiesen,

indem Sie meinen. Namen an den Eingang eines so bewunderungs­ würdigen Werkes, wie das eben veröffentlichte, sehen.

Sowohl die

Wichtigkeit und die Seltenheit der darin beschriebenen Arten, als die Schönheit der Abbildungen werden das Werk zn einem bedeutenden

in der Ichthyologie machen, und nichts könnte den Werth desselben

so erhöhen, als die Genauigkeit Ihrer Beschreibungen.

Es wird

mir für meine Geschichte der Fische von größtem Nutzen sein.

Ich

hatte »»ich schon in der zweiten Ausgabe meines „Regne animal“

darauf bezogen.

Ich werde alles thun, was in meiner Macht steht,

um den Verkauf in Fluß zu bringen, theils indem ich es Liebhabern, die in mein Haus kommen, zeige, theils indem ich in Zeitschriften die Aufmerksamkeit darauf lenke.

Ich sehe mit großem Interesse Ihrer Geschichte der Fische der Alpen entgegen.

Sie wird nicht verfehlen, eine große Lücke in diesem

Theil der Naturgeschichte auszufüllen — besonders in verschiedenen

Abtheilungen der Salmgattungen.

Die Abbildungen von Bloch,

ebenso wie die von Meidinger und von Marsigli sind ganz unge­ Wir besitzen hier den größten Theil der Arten, so daß cs mir leicht sein wird, die Aechtheit der Charaktere zu prüfen. Nur

nügend.

ein Künstler, der an Ort und Stelle nach frisch aus dem Wasser

kommenden Exemplaren arbeitet,

kann die Farben genau treffen.

Sie werden ohne Zweifel auch viel über die Entwicklung, Gewohn­ heiten und den Nutzen aller dieser Fische beizufügen haben.

Vielleicht

würden Sie gut thun, sich zuerst auf eine Monographie der Salme zu beschränken.

Mit meinem Dank für die versprochenen Schriftstücke

bitte ich Sie,

die Versicherung meiner aufrichtigen Achtung und

warmen Zuneigung anzunehmen.

B. G. Cuvier. Endlich kam der langerwartete Moment, in welchem das Erst­

lingswerk des jungen Naturforschers in die Hände der Eltern ge-

Briefe von und nach Hause.

langte.

67

Die Empfangsnachricht ist in einer kurzen, eiligen Zuschrift

enthalten.

Von seinem Vater.

Orbe, 31. August 1829. Ich beeile mich, mein lieber Sohn, die Ankunft Deines schönen

Werkes anzuzeigen, welches uns am Donnerstag, erreicht hat.

Es

fehlt mir an Worten, nm Dir die Freude auszudrücken, welche es

mir gemacht hat.

In zwei Zeilen, denn ich habe nur einen Augen­

blick Zeit, wiederhole ich meine dringende Bitte,

daß Du Deine

Heimkehr so viel wie möglich beschleunigen mögest . . . Dein alter Vater, der mit offenen Armen Deiner harrt, schickt

Dir die herzlichsten Grüße . . .

Viertes Capitel. 1829-1830.

Bom 22.- 23. Jahre.

Naturforscherversammlung in Heidelberg. — Besuch zu Hause. — Krankheit iinb Tod des Großvaters. — Rückkehr nach München. — Pläne zu zukünftigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen. — Medicinische Doktor-Promotion. — Be­ such in Wien. — Rückkehr nach München. — Briefe nach Hanse. — Letzte Tage in München. — Autobiographischer Rückblick ans das Schul- und Nniversitatsleben.

An seine Eltern. Heidelberg 25. September 1829. . . . Die Zeit unseres Wiedersehens ist jetzt ganz nahe gerückt.

Befreit von der Sorge über die Gegenstände, welche ich hier vor­ zeigen wollte, kann ich jetzt ganz ruhig bei Euch sein und die Ruhe

und Freiheit genießen, nach der ich mich schon lange sehne.

Die

Anspannung des Geistes, welche die Anstrengung zur rechten Zeit fertig zu werden, mit sich brachte, hat alle Gedanken verdrängt,

welche mir im rnhige» Zustand gegenwärtig sind. Ich will Euch nicht schreiben, was ich in letzter Zeit gethan habe (ein kurzer Brief 5*

Viertes Capitel.

68

aus Frankfurt wird Euch Andeutungen gegeben haben), noch was für Beziehungen ich in Heidelberg angeknüpft habe, noch in welcher

Weise ich empfangen worden bin.

Das sind Dinge, die sich besser

mündlich berichten lassen ... Ich gedenke morgen oder übermorgen

hier abzureisen und werde einige Tage in Karlsruhe bleiben, um meine Sachen in Ordnung zu bringen und dann die Heimreise so schnell wie möglich machen.

Im folgenden Monat finden wir Agassi; wieder zu Hause in dem Pfarrhause zu Qrbe.

Nach der ersten Freude und Unruhe des

Wiedersehens, brachte er seine Zeit hauptsächlich mit Ordnen seiner Sammlungen in Cudrefin zu, wo sein Großvater ihm Raum dazu

angewiesen hatte.

Bei dieser Arbeit half ihm die ganze Familie,

welcher die damit verbundene wissenschaftliche Belehrung sehr genuß­ reich war.

Aber die Freude wurde gestört durch die Krankheit und

den Tod des guten alten Großvaters, unter besten Dach Kinder und Enkel gewohnt waren, sich zu versammeln.

Agassiz an Braun. Orbe, 3. December 1829.

... 3d) will eine Stunde dieses letzten Abends, den ich in Orbe zubringe, darauf verwenden mich mit Dir zu unterhalten.

Du wirst

Dich gewiß wundern, daß ich noch hier bin und dann mit Recht zürnen, daß ich noch nicht geschrieben habe.

Du weißt schon, daß

ich meine Sammlungen in Cudrefin aufgestellt, und daß ich sehr

vergnügte Tage bei meinem Großvater zugebracht habe.

Leider aber

liegt mein guter Großvater sehr krank danieder, und selbst wenn ich

heute bester« Nachrichten von ihm erhalten habe, so liegt doch in dem Gedanken, von ihm Abschied nehmen zu müssen in einem Augenblick, wo er vielleicht auf dem Todtenbett liegt, etwas sehr drückendes...

Zch habe jetzt mein letztes Pflanzenpack zngemacht, und nun liegt mein ganzes Herbar, dreißig Päcke, geordnet da.

Dir danke ich es, lieber

Alex, daß es da liegt und es thut mir wohl, es zu wissen und es Dir sagen zu können.

Weich' eine Folge herrliä)cr Erinnerungen

war es für mich, dies alles wieder durchzublättern.

Zch habe das

69

Rückkehr nach München.

ganze Leben, welches wir zusammengelebt, wieder genossen und noch

viel schöner, wo möglich, als es in Wirklichkeit war, frei von allen störenden Nebensachen.

Jedes Gespräch, jeder Gang war mir wieder

gegenwärtig und in allem sah ich, wie sich unsere Gemüther ent­ gegenkamen und immer fester verbanden; in Dir kann ich meine ganze geistige Entwicklung, wie in einem Spiegel durchschauen, denn

Dir nnd Deinem Umgänge verdanke ich es, daß ich auf diesem Weg der herrlichsten und dauerhaftesten Genüsse wandle.

Schön ist's, eine

solche Vergangenheit übersehen zu können, wenn uns die Zukunft

so freundlich entgegenlächelt . . .

Agassiz kehrte nach München zurück, um dem Titel des Doktors der Philosophie den des Doktors der Medicin hinzuzufügen.

Ein

Fall von Somnambulismus, den er zu beobachten Gelegenheit hatte,

und der ihm Krankheit oder wenigstens abnorme Thätigkeit des Gehirns unter neuen Gesichtspunkten zeigte, scheint seinen medicinischen Studien

einen frischen Anstoß gegeben zu haben, und eine Zeitlang neigte er zu dem Glauben, daß er den ärztlichen Beruf, welchen er bisher nur

als eine Sache der Nothwendigkeit betrachtet hatte, auch mit Liebe ergreifen würde.

Arzt.

Aber der Naturforscher war stärker in ihm als der

In diesem selben Winter wurde ihm, während er sich mit Ernst

auf seinen Beruf vorbereitete, eine Sammlung fossiler Fische von dem Direktor des Münchener Museums übergeben.

Die Folge wird

zeigen, mit welchem Eifer er sich auf dies neue Gebiet der Unter­ suchung warf.

In seinem fruchtbaren Geist gestaltete sich sofort der

Plan zu seinem Werk über die „Poissons fossiles“, welches ihn einige

Jahre später in die erste Reihe der europäischen Gelehrten stellte. An seinen Bruder.

München, 18. Januar 1830.

. . . Meine Absicht Medicin zu studiren steht jetzt fest.

Ich

fühle, wie vieles geschehen kann, um diesem Fache die Berechtigung,

eine Wissenschaft zu sein, welche es sich schon lange angemaßt hat,

wirklich zu verleihen.

Die innige Verbindung der Medicin mit den

Naturwissenschaften und die Aufklärung, welche daraus für dieselbe zu hoffen ist, sind es, welche mich veranlassen, in meinem Entschluß

auszuharren.

Um Zeit zu gewinnen und das Eisen zu schmieden,

Viertes Capitel.

70

so lange es heiß ist (fürchte nicht, daß es kalt werden könnte; das Holz welches das Fener nährt, ist gut), habe ich Euler, mit dem ich sehr befreundet bin, vorgeschlagen, die medicinischen Vorlesungen mit mir zu wiederholen.

Seither bringen wir alle Abende zusammen zu,

abwechselnd deutsche und französische medieinische Bücher lesend, und

trennen uns selten vor Mitternacht.

Aus diese Weise hoffe ich, im

Laufe des Sommers mit meinen medieinischen Studien fertig zu

werden, obwohl ich mich den ganzen Tag meiner Arbeit über Fische widme.

Ich werde dann mein Doktorexamen noch in Deutschland

bestehen und nachher in Lausanne ein gleiches machen.

Ich hoffe,

daß die Mutter mit diesem Entschluß zufrieden sein wird.

Mein

Charakter und -bisheriges Verhalten werden ihr ein Bürge sein, daß

ich ihn ausführe. Noch wichtiger als meine nächtlichen Studien ist meine Tages­ arbeit.

Meine erste Pflicht ist die brasilianischen Fische zu vollenden.

Es ist zwar nur eine Ehrenarbeit, aber sie muß beendigt werden und kann dazu dienen, künftige Arbeiten einträglich für mich zu machen.

Ich widme ihr die Vormittage und glaube sicher, daß ich

bis Ostern damit fertig sein werde.

Nach reiflicher Ueberlegnng bin

ich zu dem Schluß gekommen, daß es am besten fein wird, wenn ich meine Süßwasser-Fische ganz beendige, ehe ich sie einem Verleger anbiete.

Wenn alle Auslagen bestritten sind, könnte ich, voraus­

gesetzt, daß der erste Verleger sic nicht zu meinen Bedingungen annähmc, sie ruhig als sichere Anlage znrückbehalten . . . Den Text zu diesem Werk schreibe ich des Nachmittags.

Die größte Schwierig­

keit lag in der Ausführung der Tafeln, aber auch da war mir das Glück wunderbar günstig.

Ich sagte Dir schon, daß ich außer voll­

ständigen Zeichnungen der Fische, auch die Skelette und die Anatomie

der Weichtheile darstellen wollte, welche von dieser Thierklasse noch nicht abgebildet sind.

Die Schwierigkeit war nun, jemanden zu

finden, der es versteht, solche Dinge zu zeichnen.

Da habe ich jetzt

den glücklichsten Fund gethan und bin überaus befriedigt. Mein früherer Künstler fährt fort die Fische zu zeichnen, ein zweiter zeichnet

die Skelette (er ist schon seit mehreren Jahren in derselben Weise

für ein Werk über Kriechthiere beschäftigt) und ein junger Arzt, der ein vortrefflicher Zeichner ist, macht mir die anatomischen Zeichnungen.

Ich für meinen Theil überwache ihre Arbeit während ich an meinem

Pläne zu weiteren wissenschaftlichen Arbeiten.

71

Text schreibe, und so schreitet das Werk mit großen Schritten voran. Damit ist aber meine Thätigkeit noch nicht zu Ende.

Da ich mit

Erlaubniß des Museum-Direktors eine der schönsten fossilen Samm­

lungen Deutschlands zu meiner Verfügung habe, und es mir auch

gestattet ist, die Exemplare, wenn ich sie gebraucht, mit nach Hause zu nehmen, so habe ich es unternommen den ichthyologischen Theil

der Sammlung zu veröffentlichen.

Ich lasse diese Exemplare mm

auch gleich zeichnen, da es mir weiter keinen Unterschied macht, ein

oder zwei Personen anzuleiten.

An keinem anderen Ort wie hier,

wo die Akademie der Künste so viele Zeichner zusammenführt, würde

ich so gute Gelegenheit haben, ein solches Werk zu vollenden.

Da

ich mich damit auf ein ganz neues Gebiet begebe, auf dem bisher niemand etwas von Bedeutung geleistet hat, bin ich des Erfolges

sicher, um so mehr als Cuvier, der allein diese Arbeit machen könnte,

(aus dem einfachen Grunde, daß alle anderen Naturforscher bisher

die Fische vernachlässigt haben) sich nicht damit befaßt.

Dazu kommt

noch, daß dieses Werk gerade jetzt für die Bestimmung der verschie­ denen geologischen Perioden nöthig gebraucht wird.

Schon früher,

auf der Versammlung in Heidelberg bin ich dazu aufgefordert worden. Der Direktor des Bergbaus in Straßburg, Herr Voltz, hat mir sogar angeboten,

mir die ganze Sammlung fossiler Fische des dortigen

Museums nach München zu schicken.

Ich habe Dir damals nichts

davon gesagt, weil es keinen Zweck gehabt hätte.

Aber nun, da es

in meiner Macht steht, dieses Vorhaben ausznführen, wäre ich ein

Narr, wenn ich die Gelegenheit, die sich gewiß nicht zum zweiten Mal in so günstiger Weise darbieten wird, fahren ließe.

Es ist

daher meine Absicht ein allgemeines Werk über fossile Ichthyologie

vorzubereiten.

Ich hoffe alle Arbeiten, von denen ich oben gesprochen

habe, bis Ende des Sommers, d. h. im Laufe des Juli zu vollenden, wenn mir 100 Lou sd'ors zur Verfügung gestellt werden.

Ich werde

dann zwei Werke in Bereitschaft haben, die mir sicher eintausend Louisd'ors einbringen.

Es ist das eine niedrige Schätzung, denn

selbst die Tagcslitcratur wird so hoch bezahlt.

leicht ausrechnen.

Du kannst es Dir

Für jede Tafel mit begleitendem Text werden

drei Louis bewilligt; meine fossilen Fische werden zweihundert und und meine Süßwasser-Fische ungefähr einhundert und fünfzig Tafeln enthalten . . .

Viertes Capitel.

72

Dieser Brief machte offenbar einen günstigen Eindruck auf die Geschäftshäupter der Familie in Ncuchatel, denn derselbe wurde an

die Eltern befördert mit folgenden Worten, welche der Bruder auf die letzte Seite schrieb:

„Ich beeile mich, lieber Vater, Dir diesen

vortrefflichen Brief meines Bruders ;u senden, welchen ich soeben

erhalten habe.

Hier ist er mit großem Interesse gelesen worden, und

besonders der Onkel Francois Mayor erkennt sowohl Stetigkeit als solide Grundlage in seinen Entwürfen und Unternehmungen."

Es liegt etwas rührendes, aber auch ergötzliches in Agassiz's Bemühungen, seinen ausgedehnten wissenschaftlichen Plänen den An­

schein berechnender Klugheit zu geben.

Es geschah dies in aller Auf­

richtigkeit, und doch ist er bis an sein Lebensende immer am Rande

des Abgrunds hingewandelt, alles daran setzend, da er in sich die Kraft zum Erfolg fühlte, welcher seine Wagniffe rechtfertigen mußte.

Seine persönlichen Bedürfnisse waren äußerst mäßig; zu derselben in welcher er zwei

Zeit,

bis drei Künstler aus seinen geringen

Mitteln besoldete, bereitete er sich sein einfaches Frühstück in seinem

Zimmer und aß Mittags für wenige Kreuzer im billigsten Speise­ haus.

Aber wo die Wissenschaft in Frage kam,

kannte er von

früher Jugend bis in das hohe Alter keine andere Sparsamkeit, als

die eines

ebenso kühnen

als sorgfältig überlegten Kostenauf­

wandes.

Der vorherige Brief an seinen Bruder enthielt die Geschichte

seiner Arbeit während des ganzen Winters 1830. cinischen Studien trotz

Daß seine medi-

der Fortführung von zwei großen Werken

über fossile und lebende Fische nicht vernachlässigt wurden, kann aus dem folgenden Bericht über seine medicinischen Thesen geschlossen

werden.

Nach seinem Tod schrieb Prof. v. Siebold aus München

an seinen Sohn Alexander Agassi;: „Wie ernstlich Agassiz sich dem Studium der Medicin widmete, zeigen seine Thesen (vierundsiebzig an Zahl), von welchen nach dem vorgeschriebenen Gebrauch ein Ver-

zeichniß mit seiner Einladung große Anzahl derselben erstaunt.

gedruckt wurde.

Ich bin über die

Sie behandeln anatomische, patho­

logische, chirurgische und geburtshülsliche Fragen, materia medica

und medicina forensis und die Beziehungen der Botanik zu diesen Gegenständen.

Eine dieser Thesen interessirte mich besonders.

Sie

Medkinische Doktor-Promotion. lautet:

„Focmina humana supcrior mare*).“

wie Ihr Vater diesen Satz auslegte.

73 Ich möchte wissen,

In dem letzten Brief, welchen

ich an ihn richtete, (1873) befragte ich ihn über diesen Gegenstand. Der Brief ist aber leider unbeantwortet geblieben!" Kurz vor

seiner Doktorpromotion schrieb Agassiz an seinen

Bruder: „Ich bin setzt entschlossen Medicin und Naturwissenschaften nebeneinander zu betreiben.

Ich danke Dir von ganzem Herzen für

Dein uneigennütziges Anerbieten, aber ich werde es nicht gebrauchen,

da ich mit meinem Verleger, Herrn Cotta in Stuttgart, in gutem Einvernehmen bin.

Ich hoffe sicher, daß er meine Werke annehmen

wird, da er gewünscht hat, sie zur Durchsicht zu erhalten.

Ich habe

ihm alles geschickt und bin überzeugt, daß er die Pille verschlucken wird.

Meine Bedingungen könnten allenfalls Veranlassung zu einiger

Zögerung geben, aber ich hoffe, daß er daraus eingehen wird.

Für

die fossilen und die Süßwasser-Fische zusammen habe ich zwanzig­

tausend Schweizer Franken verlangt.

Sollte er diese nicht bewilligen,

so werde ich mich an einen anderen Verleger wenden." Am dritten April erhielt Agassiz sein Diplom als Doktor der

Mediein.

Einige Tage später meldet er seiner Mutter, daß ihr lang­

gehegter Wunsch erfüllt sei.

An seine Mutter.

München im April 1830. . . . Mein heutiger Brief muß an Dich gerichtet sein, denn Dir verdanke ich es, daß ich dem jetzt erreichten Ziel nachgestrebt habe, und ich muß Dir meinen Dank aussprechen, daß Du meinen Eifer angestachelt hast. Ich bin sicher, daß Dir nie ein Brief von mir so

viel Freude gemacht hat, als dieser es thun wird und ich sann in Wahrheit sagen, daß auch ich nie einen mit größerer Befriedigung geschrieben habe.

Gestern habe ich meine medicinische Prüfung be­

endigt, nachdem ich allen Anforderungell der Fakultät nachgekommen war . . . Die ganze Ceremonie hat neun Tage gedauert.

Am

Schluß, als mein Fall berathen wurde, wurde ich zum Zimmer

hinausgeschickt.

Bei meinem Wiedereintritt sagte der Dekan zu mir:

“) Diese These war im Widerspruch zu einer Okeuscheu ausgestellt. Aniiierk. d. Nebersetz.

74

Viertes Capitel.

»die Fakultät ist sehr (mit Nachdruck) zufrieden mit Ihren Ant­

worten; sie wünscht sich Glück, daß sie einem jungen Manne, der sich schon einen so ehrenvollen Ruf erworben hat, ihr Diplom ver­

leihen kann.

Am Samstag, nachdem Sie Ihre Thesen vertheidigt

haben, werden Sie in der Aula von dem Rektor der Universität

zum Doktor gemacht werden."

Der Rektor fügte dann noch hinzu,

daß er es als den schönsten Moment seines Rektorats betrachte, mir den Titel, den ich so wohl verdient hätte, zu verleihen.

Nächsten

Samstag also, zur selben Zeit, als Du diesen Brief erhältst, wird die Disputation begonnen haben, und um zwölf Uhr werde ich im

Besitze meines Diploms sein. meinetwegen, liebe Mutter.

Entschlage Dich nun aller Sorgen

Du siehst, daß ich mein Wort gehalten

habe . . . Schreibe bald; in wenigen Tagen gehe ich auf einige

Monate nach Wien . . .

Von seiner Mutter. Orbc, 7. April LS30. Ich kann Dir nicht genug danken, mein lieber Louis, für die Freude, welche Du mir bereitet hast, durch die glückliche Beendigung Deiner mediciuischen Prüfnngcn, womit Du Dir nun eine eben so

ehrenvolle als gesicherte Laufbahn angebahnt hast.

Es ist ein Blatt

mehr in dem Lorbcerkranz, den Du Dir schon erworben hast, und in meinen Augen das köstlichste von allen.

Du hast Dich mir zu lieb

einer zeitraubenden und mühsamen Aufgabe unterzogen; läge es in meiner Macht, so würde ich Dich gern belohnen, aber ich kann nicht

einmal sagen, daß ich Dich dafür mehr liebe als zuvor, denn dies ist unmöglich.

Meine ängstliche Sorge für Deine Zukunft ist ein

Beweis meiner zärtlichen Liebe zu Dir.

Es hatte mir nur Eines

gefehlt, um mich zur glücklichsten Mutter zu machen, und dies, mein Louis, hast Du mir jetzt gegeben. Möge Gott es Dir lohnen, indem er Dir allen möglichen Erfolg in der Heilung Deiner Mitmenschen

schenkt.

Möge» die Segenswünsche, welche das Andenken eines guten

Arztes ehren, Dir zu Theil werden, weil sie in höchstem Maße das Loos Deines Großvaters waren.

Warum kaun er heute nicht unter

uns sein, um mein Glück, meinen Louis als Doktor der Medicin

zu sehen, zu theilen! . . .

75

Bericht über den Aufenthalt in Wien.

Agassiz wurde nach weniger als zwei Monaten durch die Ankunft

des Herrn Cotta in München, mit dem eine persönliche Zusammen­

kunft ihm wünschenswerth schien, aus Wien zurückgernfen.

Der ein­

zige Brief, welcher anS der Zeit des Wiener Aufenthalts erhalten

ist, zeigt daß derselbe reich an Interesse und Belehrung war. An seinen Vater.

Wien, den 11. Mai 1830. . . . Seit meiner Ankunft hier habe ich so viel gesehen, daß ich

kaum weis;, was ich zuerst berichten soll, ob meine Erlebnisse oder die dadurch angeregten Gedanken.

Nirgends habe ich besser gegrün­

dete, und großartigere Anstalten gesehen, und ich glaube auch nicht, daß irgendwo den Fremden eine so weitgehende Benutzung solcher

Anstalten gestattet ist, wie hier.

Ich spreche von der Universität,

den Spitälern, den Bibliotheken und Sammlungen aller Art.

Anch

so schöne Kirchen habe ich nie znvor gesehen und ich habe mehr als

einmal empfunden, was das für ein Unterschied ist, ob man zwischen kahlen Wänden oder in würdig ausgestatteten Räumen einem Gottes­

dienst beiwohnt.

Kurz, ich wäre entzückt von meinem Aufenthalt in

Wien, wenn ich nur den Gedanken los werden könnte, daß ich immer von einem unsichtbaren Netz umgeben bin, welches jeden Augenblick

bereit ist, sich um mich zuzuziehcn.

Abgesehen davon, ist hier das

einzige Unbehagen für einen Fremden, der daran nicht gewöhnt ist, daß er genöthigt ist, sich an öffentlichen Orten jeder Kritik der Zu­ stände und noch mehr der Personen zu enthalten.

In wissenschaftlicher

Beziehung bin ich ganz besonders befriedigt von meinem hiesigen Besuch.

Ich habe die Behandlung der Augen und das Operiren

derselben gelernt und suche mich noch weiter darin zu unterrichten. Was die Medicin betrifft, so sind die hiesigen Aerzte, obwohl gut,

doch nicht besser als andere, die ich kenne, und da ich es nicht für

nöthig halte, daß ein junger Arzt sich mit einer Menge verschiedener Heilmethoden vertraut macht, bemühe ich mich mehr, den Patienten

und seine Krankheit genau kennen zu lernen, als die verschiedenen

Arzneimittel, welche in einzelnen Fällen angewendet werden.

Chi­

rurgie und Geburtshülfe sind schwach besetzt, aber man hat Gelegen­ heit viele interessante Fälle zu sehen.

Während der letzten vierzehn Tage habe ich oft die naturge-

76

Viertes Capitel.

schichtlichen Sammlungen besucht, meistens des Nachmittags.

Wenn

ich Dir erzählen wollte, wie ich dort erwartet, und wie ich bei

meinem ersten Besuch empfangen wurde und seither gefeiert worden

bin (als Ichthyologus primus seculi — wie sie sagen) so würde Dich das vielleicht ermüden und eingebildet von mir erscheinen, was ich beides vermeiden will.

Aber das wird Dir nicht gleichgültig sein,

daß Cotta geneigt scheint, meine Fische anzunehmen.

Er war einige

Tage in München, und Schimper hat mit ihm gesprochen und hat die Angelegenheit mit einigen Worten mehr gefördert, als es mir

mit vielem Schreiben gelungen ist.

Da Cotta noch einige Wochen

in München bleibt, gedenke ich bald dahin znrückzukehren, um dieses

Geschäft zum Abschluß zu bringen.

Dann werde ich meinen Zweck

erreicht haben und von diesem Herbst ab ein unabhängiges Einkommen erhalten.

Ich habe mich im verflossenen Winter oft über die Unge­

wißheit der Mittel beunruhigt, bei den großen Auslagen, die mein

Werk erforderte.

Wenn jedoch Cotta keine andere Bedingung macht,

als die, daß ich eine Anzahl von Subskribenten aufbringe, so bin ich sicher, diese in sechs Monaten zu erlangen.

Ihr könnt also mein

bisheriges Thun als eine glückliche Spekulation betrachten, und eine,

die mich auf den Gipfel meiner Wünsche bringt, indem sie die Aus­ führung meiner Entwürfe ermöglicht . . .

Ein Brief an seinen Brnder vom 29. Mai, gleich nach der Rückkehr nach München geschrieben, giebt einen Rückblick über den

Wiener Aufenthalt mit Einschluß der persönlichen Erlebnisse, die er

gezögert hatte, seinem Vater zu schreiben.

Sie sind wichtig, weil

sie zeigen, welche Stellung er schon im Alter von dreiundzwanzig

Jahren

unter den wissenschaftlichen Männern einnahm.

„Alles",

sagt er, „war mir als einem Fremden zugänglich, und zu meiner

großen Ueberraschung wurde ich als schon bekannter Genoffe empfangen.

War es nicht schmeichelhaft ohne alle Empfehlung und von allen wissenschaftlichen Männern in Wien ausgesucht und bewillkommnet zu werden und dann vorgestellt und überall cingeführt?

In dem

Museum waren mir nicht nur die Säle jederzeit geöffnet, sondern auch die Schränke und sogar die Gläser, so daß ich alles zur Unter­ suchung heraus nehmen konnte.

In dem Spital dehnten einige der

Professoren ihre Güte so weit aus, daß sie mich einluden, sie bei

Wohnungsveränderung der Eltern.

ihren Privatkrankenbesuchen zu begleiten.

können, ich

welche Vortheile

sah."

Nachdem

Du wirst Dir denken

daraus zog und

ich

77

wie viele Dinge

er dann noch über seine geschäftlichen Be­

ziehungen zu Cotta berichtet, fügt er bei: „Also sei ganz beruhigt meinetwegen.

Ich habe genug Stränge an meinem Bogen und

brauche mir über die Zukunft keine Sorgen zu machen. zige, was mich beunruhigt, ist,

nächst unerreichbar scheint, Museums zu erhalten.

Das Ein­

daß mein größter Wunsch zu­

nämlich

die Direktion

eines

großen

Wenn ich mit Cotta fertig bin, werde ich

anfangen, meine Sachen einzupacken und hoffe dann gegen Ende August mein Angesicht heimwärts wenden zu können.

Früher kann

ich kaunr wegkommcn, da ich angefaugen habe, zu meiner Uebung die Lust haben, zuzu­

zoologische Vorlesungen zu halten für alle,

hören, und ich möchte den Kursus gern vor meiner Abreise vollenden.

Ich trage vor, ohne mir auch nur den Gedankengang aufzuschreiben, aber dies bedarf der Vorbereitung.

Du siehst daraus, daß ich meine

Zeit nicht verliere." Der nächste Brief von Hause zeigt eine wichtige Veränderung in den Familienverhältnissen an. Sein Vater war von seiner Pfarrei

in Orbe nach Concise berufen worden, einer kleinen Stadt an dem nordwestlichen Ufer des Neuenburger Sees.

Von seinem Mutter. Orbe, Juli 1830. . . . Seit Dir Dein Vater am 4. Juni geschrieben hat, lieber

Louis, haben wir keine Nachrichten von Dir gehabt und daraus

schließe ich, daß Du mit besonderem Eifer arbeitest, um Deine An­ gelegenheiten in Deutschland abzuwickeln und sobald als möglich

nach Hause zu kommen.

Wie sehr Du Dich aber auch eilen magst,

hier wirst Du uns doch nicht

mehr finden.

Vor vier Tagen ist

Dein Vater Pastor von Concise geworden, und gestern sind wir dort

gewesen, um unsere neue Heimath zu sehen.

Sie könnte nicht schöner

sein, und alle, die den Ort kennen, halten die Pfarrei für die beste

im Kanton.

Es ist ein Weinberg, ein schöner Obstgarten mit reich­

tragenden Bäumen und ein vortrefflicher Gemüsegarten dabei . . . Auch das Haus ist sehr gut eingerichtet.

Alle Zimmer gehen auf

den See, der kaum eine Schußweite von den Fenstern entfernt ist ...

78

Viertes Capitel.

Die Vorderseite des Hauses ist mit Jasmin bewachsen, besten-Ranken

bis zum Dach hinauf reichen . . . Dieses stille Pfarrhaus gewann Frau Agassiz sehr lieb.

Ihr

ruhiges Leben ist in einem Brief geschildert, welchen ihre Tochter

viele Jahre später schrieb.

„Mit neuem Eifer kehrte die Mutter

hier zu ihrem Spinnrad zurück.

Sie spann vortrefflich und mit

In früheren Zeiten war es in meines Großvaters

großer Vorliebe.

Haus Sitte, daß jede Frau im Hause, ob Herrin oder Dienerin,

ihr Spinnrad hatte und ihre eigene Aussteuer anfertigte.

Später

spann die Mutter für ihre Kinder und sogar für ihre Enkel.

Wir

besitzen alle, als werthgehaltenes Andenken an sie, Tafelleinen, welches sie gesponnen hat.

Es war eine Freude, sie an ihrem Spinnrad zu

sehen; sie war so anmuthig, und der Faden ihrer Gedanken schien,

so zu sagen, den zarten und feinen Faden ihrer Arbeit, der sich

unter ihrer Berührung von der Spindel abwickelte, zu folgen."

Agassiz wurde durch seine schriftstellerischen Arbeiten länger in München zurückgehalten, als er erwartet hatte, und der November war schon weit vorgerückt, ehe er mit seinen Vorbereitungen zur Ab­

reise fertig war. An seine Eltern. 9. November 1830. . . . Deinem Wunsch zufolge (dies bezieht sich auf Agassiz's Vorschlag in einem früheren Briefe einen

Studienfreund

mitzu­

bringen) werde ich keinen Freund mitbringen. Ich sehne mich danach

die Freuden des Familienlebens zu genießen.

Von einer Person

werde ich jedoch begleitet werden, welche ich gerne gut unterbringen

möchte.

Es ist dies der Künstler, welcher meine Zeichnungen macht.

Wenn kein Zimmer für ihn im Hause frei ist, so kann er anderswo

wohnen; aber ich wünsche, Ihr könntet mir ein helles Zimmer auweisen, worin ich den Tag über arbeiten, und wo er neben mir zeichnen könnte.

Erschrick nicht, ich habe nicht für seinen Unterhalt

zu sorgen, aber es wäre ein großer Vortheil für mich, wenn ich ihn

im Hause haben könnte. Da ich nicht gern meine Zeit mit dem mechanischen Theil meiner Arbeit verlieren möchte, so bitte ich Dich, lieber Vater,

mir einen geschickten Jungen zu «biethen, ungefähr

79

Vorbereitungen zur Abreise von München.

fünfzehn Jahre alt, denn ich anstellen könnte, um mir Skelette und

ähnliche Dinge zu reinigen.

Endlich werdet Ihr verschiedene Kisten

von mir erhalten; laßt sie uneröffnet bis ich komme ohne die Fracht dafür zu bezahlen — diese gehört zu den unbefriedigendsten Aus­

gaben, — und ich möchte nicht, daß Ihr einen unerfreulichen Ge­ danken in Verbindung mit meinen Sammlungen hättet.

Meine Angelegenheiten mit Cotta sind alle geordnet, und ich

habe sogar eine vortheilhaftere Uebcreinkunft mit ihm abgeschlossen, als ich zu hoffen wagte — ich soll eintausend Louisd'ors erhalten, wovon sechshundert beim Erscheinen der ersten Lieferung ausgezahlt werden,

und vierhundert terminweise beim Fortgang der Veröffentlichung.

Wenn ich nicht in Eile gewesen wäre die Sache abzuschließen, um

über jeden Zweifel hinaus zu sein, hätte ich vielleicht noch günstigere Bedingungen erzielen können.

Immerhin hoffe ich Dich durch das,

was Ich erreicht, mit den Naturwissenschaften auszusöhnen.

Was

mir nun »och zu thun bleibt, wird höchstens eine Arbeit von sechs

Monaten sein, während deren ich auch das Material für mein zweites Werk über die fossilen Fische zu sammeln hoffe.

Auch davon

habe ich schon mit dem Verleger gesprochen und er will es unter

vortheilhaftere» Bedingungen annehmen, als ich hätte stellen können. Thue Dein möglichstes, um mir Subskribenten zu verschaffen, damit

wir bald unsere typographischen Einrichtungen treffen können . . . Die Antwort des Vaters zeigt, trotz des scherzhaften Tones,

daß die Aussicht, nicht nur den Naturforscher und seine Sammlungen,

sondern auch den Künstler und einen Gehülfen zu beherbergen, einige Bestürzung verursachte.

Von seinem Vater.

Concise, 16. November 1830. . . . Du sprichst von Weihnachten als der Zeit Deiner An­ kunft; sagen wir statt dessen Neujahr, denn Du wirst natürlich einige Tage in NrnchLtel zubringen, um mit Deinem Bruder zu sein und die Herren Conlon re. zu sehen, wirst dann nach Cudrefin gehen und

einen Blick auf Deine Sammlungen werfen, dann nach Concise, nach

Montagny, Orbe, Lausanne, Genf re.: der Herr Doktor wird überall begehrt und gefeiert werden.

Und während all dieser unerläßlichen

Viertes Capitel.

80

Ausflüge, auf welche ich wenigstens einen Monat rechne, ist es klar

wie Sonnenlicht,

daß Du zu regelmäßiger Arbeit nicht kommst,

wenn nicht gar die Zeit ganz verloren geht.

Und nun, um des

Himmels willen, was willst Du, oder was sollen wir indessen mit

Deinem Maler anfangen?

Und das ist noch nicht alles.

Obwohl

der Tag von Cecile's Hochzeit noch nicht festgesetzt ist, so ist es doch wahrscheinlich, daß dieselbe im Januar stattfindet, und daß Du dazu

hier sein wirst.

Wenn Du Dich auf den Umsturz im Hause be­

sinnen wirst, den Deine Ausrüstung für Biel und Bern und andere

Orte hcrvorrief, so wirst Du Dir eine Vorstellung von dem. Zustand unserer kleinen und großen, oberen und unteren Zimmer machen

können, wenn die Arbeiten für die Aussteuer beginnen.

Wo willst

Du inmitten eines ganzen Heeres von Schneiderinnen, Näherinnen,

Spitzenklöpplerinnen, Putzmacherinnen, — den Troß von helfenden Freundinnen ganz abgerechnet — Deinen Maler und Gehülfen hin­ stecken? Wo wolltest Du oder wo könntest Du unter all den Seiden­ stoffen , dem Leinenzeug und den Spitzen rc. Deine Besitzthümer (ich

wage nicht sie aufzuzählcn) unterbringcu?

Was mich betrifft, so

habe ich bereits — trotz der Nähe des Winters — einen großen Nagel in der Bodenkammer angebracht, um daran mein Chorhemd und Kragen aufzuhängen.

Höre also, was Dir Dein Vater an­

empfiehlt: Bringe Deine Angelegheiten in München in Ordnung, laß nichts ungeschehen und laß nichts zurück, als Deinen Maler.

Du kannst ihn von hier aus nachkommen lassen, sobald Du seiner

bedarfst. An seiner Vater.

München, 26. November 1830. . . . Wenn Du diese Zeilen erhältst, bin ich nicht mehr in

München.

Mit Hülfe eines letzten Wechsels auf Herrn Eichthal habe

ich alles abgemacht und hoffe übermorgen abzureisen.

die Richtigkeit Deiner Bemerkungen

Ich erkenne

vollständig an, lieber Vater,

aber da Du von einem falschen Gesichtspunkt ausgehst, so stimmen

sie nicht ganz zu den obwaltenden Verhältnissen. Ich gedenke bis zum Beginn des Sommers bei Euch zu bleiben,

nicht nur in der Absicht an dem Text meines Buches zu arbeiten, sondern hauptsächlich, um alle fossilen Sammlungen in der Schweiz

81

Beziehungen zu Dinkel.

zu benutzen.

Dazu brauche ich nothwendig einen Zeichner, der Dank

meinem Verleger, nicht von mir besoldet wird, und der mich in Zu­ kunft begleiten muß, wohin ich auch gehe.

Da Du keinen Platz für

ihn im Hause hast, so sei so gut und sieh, wo er in der Nachbarschaft untergebracht werden kann. Ich brauche höchstens täglich einen Blick

aus das werfen, was er gemacht hat.

Ich kann ihm sogar Arbeit

auf mehrere Wochen geben, während derer meine Gegenwart dann gar nicht nöthig ist.

Wenn sich eine bedeutende Sammlung von

Fossilien in Zürich befinden sollte, so kann ich ihn dort lassen, bis er seine Arbeit beendet hat;

dann kann er mir nachkommen.

hängt dies alles von den Verhältnissen ab.

Es

Jedenfalls soll er Dir

nicht zur Last fallen und noch weniger unser Familienleben stören.

Damit ich' alle meine Zeit mit Euch verleben kann, werde ich jetzt nichts mitbringen, was ich nicht unumgänglich nöthig gebrauche.

Später werden wir sehen, wo ich mein Museum errichten kann. Besuche denke ich nicht vor dem Frühjahr.

An

Ich kann den Gedanken

an eine Unterbrechung nicht ertragen, ehe ich die erste Lieferung meiner Fische beendet habe.

Der fragliche Künstler war Herr Dinkel, dessen Beziehungen zu der Familie sich sehr freundschaftlich gestalteten.

Die Verbindung

zwischen ihm und Agassi; dauerte sechszehn Jahre und wurde nur durch Agassiz's Abreise nach Amerika unterbrochen.

Während dieses

ganzen Zeitraums war Dinkel beschäftigt, für ihn zu zeichnen, manch­ mal in Paris, manchmal in England, manchmal in der Schweiz, kurz wo es Abbildungen von lebenden oder fossilen Thieren zu machen gab.

In einem viel später geschriebenen Briefe sagt Dinkel

in Bezug auf den durch Agassiz's Uebersiedelung nach Amerika ver­ anlaßten Abbruch ihres Verkehrs: „Ich war lange unglücklich über

diese Trennung... er war ein gütiger, edelgesinnter Freund; er war wohlthätig und wenn er Millionen besessen hätte, so würde er sie alle für seine Forschungen verwendet und seinen Mitmenschen so

viel Gutes als irgend möglich erwiesen haben." Einige Stellen aus Braun's Briefen vervollständigen das Ka­

pitel dieser Münchener Jahre, die so reich an Plänen und an Er­ fahrungen waren und gewissermaßen das Vorspiel zu dem geistigen

Leben der beiden Freunde bildeten, Agassiz'ö Leben und Briefwechsel.

welche diese Zeit gemeinsam 6

Viertes Capitel.

82 verbracht hatten.

Die Auszüge zeigen, mit welchem,

mit einiger

Traurigkeit gemischten, Ernst sie dem Ende ihres Zusammenseins

entgegengingen.

Braun an seinen Vater. München, 7. Nov. 1830. Wenn ich jetzt von München wegginge, so müßte ich mich von Agassiz und Schimper trennen, was weder für mich gut und nütz­

lich, noch gegen sie freundschaftlich wäre . . . Wir wollen die kurz zugemesiene Zeit, die wir jetzt so ganz ruhig, so ganz unter uns

zusammen verleben können, nicht noch verkürzen, sondern vielmehr,

so lange sie dauert, möglichst benutzen, wechselseitig von einander

zu lernen, uns zu befestigen auf der rechten Bahn und immer enger für's ganze Leben zu verbinden.

Agassiz bleibt noch bis Ende des

Monats; er wird uns in dieser Zeit noch Anatomie vortragen, und ich will noch manches Zoologische von ihm lernen.

Außerdem ist

eines sicher; nämlich, daß wir unsere medicinischen Studien hier viel

ruhiger und ununterbrochener wiederholen können, als in Karlsruhe. Dazu kommt noch der Vortheil, den uns hier der Besuch der Spitäler

gewährt... Die Zeit vergeht uns neuerdings auf das angenehmste,

denn Agassiz hat mehrere Körbe voll Bücher von Cotta bekommen,

darunter Göthe's und Schiller's sämmtliche Werke, das Konversations­ lexikon, medicinische und naturgeschichtliche Schriften.

Wie viele

Bücher kann man bekommen dafür, daß man Eines schreibt! werden natürlich von seinem Honorar abgezogen. wir den ganzen Tag nichts, als Goethe lesen.

Sie

Gestern thaten

Ein kurzer von ihm selbst diktirter Bericht über Agassiz's Uni­ versitätsleben mag die Darstellung dieses Zeitraums beschließen.

Er

war oft gebeten worden, einige Lebenserinnerungen niederzuschreiben,

aber er war immer so von der Gegenwart erfüllt, in welcher jeder

Tag seine Aufgaben brachte, daß ihm wenig Zeit zum Rückblick blieb, und er nie dazu kam das folgende Bruchstück zu vervollständigen.

Dasselbe schließt einige schon erzählte Thatsachen ein, ist aber doch

wörtlich wiedergegeben,

weil es gleichsam eine Znsammenfaffung

seiner geistigen Entwicklung bis zu dieser Zeit giebt.

Rückblick auf die geistige Entwicklung.

83

„Ich bin mir bewußt, daß ich zu verschiedenen Zeiten meines Lebens verschiedene Mittel angewendet und verschiedene Systeme in

meinen Studien verfolgt habe.

Es mag mir daher gestattet sein,

die Ergebnisse meiner Erfahrung als einen Beitrag zu der Aus­ stellung einer gründlichen Methode zur Förderung des Naturstudiums

mitzutheilen. „Am Anfang, als ich noch ein Knabe von zwölf Jahren war,

machte ich es wie die meisten Anfänger.

Ich sammelte alles, was

mir unter die Hände kam und versuchte mit Hülfe der Bücher und

der Autoritäten, die mir zu Gebot standen, die Namen der Gegen­ stände ausfindig zu machen.

Mein größter Ehrgeiz in dieser Zeit

war, die Pflanzen und Thiere meines Vaterlands richtig mit dem

lateinischen Namen zu bezeichnen und allmälig diese Kenntniß auch auf die Produkte anderer Länder auszudehnen.

Dies schien mir in

jenen Tagen das berechtigte Ziel und die eigentliche Arbeit eines Naturforschers.

Die Schreibcbücher, in welche ich die Namen aller

Thiere und Pflanzen, welche ich kennen lernte, eintrug, sind noch in meinem Besitz, und ich besinne mich sehr gut, daß ich damals ernst­

lich hoffte, mir dieselbe oberflächliche Bekanntschaft mit der ganzen Schöpfung zu erwerben.

Ich wußte damals nicht, wie viel wichtiger

es für den Naturforscher ist, den Bau von einigen wenigen Thieren zu verstehen, als das ganze Feld der wissenschaftlichen Nomenklatur zu beherrschen. Seit ich ein Lehrer geworden bin und die Fortschritte

der Studirenden beobachtet habe, habe ich gesehen, daß sie alle auf dieselbe Weise anfangen. Aber wie viele sind in diesem Streben alt geworden, ohne je einen höheren Begriff von der Erforschung der Natur zu gewinnen und haben ihr Leben mit der Bestimmung der Arten und der Erweiterung der wissenschaftlichen Namengebung zu­

gebracht!

Lange ehe ich die Universität bezog, und ehe ich anfing

Naturgeschichte unter der Leitung von Männern zu studiren, welche in der ersten Hälfte diefes Jahrhunderts Meister in der Wiffenfchast

waren, bemerkte ich, daß wenn auch Nomenklatur und Klassifikation,

wie man damals annahm, einen wichtigen Theil der Naturgeschichte und so zu sagen ihre technische Sprache bilden, doch das Studium

der lebenden Wesen in ihren natürlichen Verhältnissen von unendlich größerem Werth sei.

In dem Alter von fünfzehn Jahren brachte

ich die meiste Zeit, welche ich von den klassischen und mathematischen 6*

Viertes Capitel.

84

Studien erübrigen konnte, damit zu, die benachbarten Wälder und Wiesen nach Vögeln, Insekten und Land- und Süßwasser-Mollusken

zu durchjagen.

Mein Zimmer wurde zu einer kleinen Menagerie,

und das Steinbecken an dem Brunnen in unserem Hof zu einem

Behälter für alle Fische, die ich fing-

Mein liebster Zeitvertreib be­

stand in Sammeln, Fischen, Aufziehen von Raupen, aus denen ich schöne Schmetterlinge erzielte.

Was ich von den Lebensgewohnheiten

der Süßwasser-Fische in Central-Europa weiß, habe ich beinah alles in jener Zeit gelernt, und ich kann hinzufügen, daß als ich späterhin

Zutritt zu einer großen Bibliothek erhielt und die Werke von Bloch

und Lacepede, die einzigen eingehenden Schriften, welche damals über Fische vorhanden waren, zu Rathe ziehen konnte, ich mich immer wunderte, daß sie so wenig mir noch nicht bekanntes über

ihre Gewohnheiten und ihr Thun und Treiben enthielten. „Die ersten Vorlesungen über Zoologie hörte ich 1823 in Lau­

sanne. Sie bestanden hauptsächlich in Auszügen aus Cuvier's „Hegne animal“ und Lamarck's „Animaux sans vertebres“. Ich

bemerkte nun zum ersten Male, daß die Gelehrten in ihrer Klassi­ fikation von einander abweichen.

Bei dieser Entdeckung eröffnete

sich ein unendliches Feld des Lernens vor mir, und ich sehnte mich

nach einiger Kenntniß der Anatomie, damit ich selbst sehen könne,

wo die Wahrheit liege.

Während der zwei Jahre, die ich in der

medicinischen Schule von Zürich zubrachte, widmete ich mich aus­ schließlich dem Studium der Anatomie, Physiologie und Zoologie unter der Leitung der Professoren Schinz und Hirzel.

Daß ich nicht

im Stande war, mir Bücher zu kaufen, war vielleicht kein so großes

Unglück als es mir damals schien; wenigstens bewahrte es mich vor zu großer Abhängigkeit von geschriebener Autorität.

Ich verwendete

alle meine Zeit darauf, Thiere zu zergliedern und menschliche Anatomie

zu studiren, vergaß auch dabei meine Lieblingsbeschäftigungen, Fischen und Sammeln nicht.

Immer war ich mit Lieblingen umgeben und

in jener Zeit flogen etwa vierzig Vögel in meinem Studirzimmer umher und hatten da keine andere Behausung als einen großen Tannenbaum in der Ecke.

als ein plötzlich

Ich entsinne mich noch meines Kummers,

hereintretender Besucher einen meiner Lieblinge

zwischen die Thür und den Fußboden einklemmte und tödtete, ehe ich ihn befreien konnte.

Professor Schinz's Privatsammlung von

Rückblick auf das Schul- imb Universitätsleben.

85

Vögeln war mein täglicher Zufluchtsort, und ich beschrieb damals

jeden Vogel darin, da ich nicht einmal die Anschaffung eines Text­

buches über Ornithologie erschwingen konnte.

Ich schrieb auch eigen­

händig zwei Bände von Lamarck's Animaux sans vertebres ab, da ich kein Geld hatte, mir das Buch zu kaufen, und mein lieber Bruder

schrieb mir die Hälfte des dritten Bandes ab.

Allmälig lernte

ich, daß das Studium der Dinge selbst viel anziehender war, als die Bücher, nach denen mich so gelüstete, und als mir .später große Bibliotheken zugänglich wurden, begnügte ich mich gewöhnlich damit,

die natnrgeschichtlichen Werke durchzublättern,

die Abbildungen zu

betrachten und mir die Titel aufzuschreiben, damit ich sie zu Rathe'

ziehen und vergleichen könne, wenn ich Gelegenheit haben würde, die

betreffenden Dinge in der Natur zu beobachten. „Nachdem ich aus diese Weise zwei Jahre in Zürich zngcbracht hatte, wurde ich durch den großen Ruf der Lehrer Tiedemann,

Leuckart, Bronn u. a. nach Heidelberg gezogen.

Zwar mußte ich noch

immer einen Theil meiner Zeit der Medicin opfern, aber während ich in meinem Berufsstudium durch eine fleißige Beschäftigung mit Anatomie und Physiologie vorwärts kam, besuchte ich die Vorlesungen

von Leuckart über Zoologie und die von Bronn über Paläontologie. Die Veröffentlichung von Goldfuß's großem Werke über die Petrefakten Deutschlands begann damals gerade und eröffnete mir eine neue Welt. Obwohl ich mit Cuvier's Regne Animal bekannt war,

so hatte ich doch seine „Recherche« sur les ossements fossiles“ noch

nicht gesehen und das Studium der fossilen Ueberreste schien mir nur eine Erweiterung des zoologischen Gebietes.

Ich hatte keine Vor­

stellung davon, daß dasselbe innig mit der Geologie zusammenhing und nahe Beziehung zu der Frage des allmäligen Auftretens der

Thiere aus Erden hatte.

Die weitere philosophischere Anschauung der

Natur als einer einheitichen großen Welt, war mir noch ganz fremd; ich betrachtete das Studium der Thiere nur von dem Standpunkt der beschreibenden Zoologie aus,

wurde.

wie sie in jenen Tagen gelehrt

Zu dieser Zeit machte ich jedoch die Bekanntschaft von zwei

jungen Botanikern, Braun und Schimper, welche beide seither in den

Annalen der Wissenschaft Bedeutung erlangt haben.

Die Botanik

hatte in jenen Tage» einen neuen Aufschwung genommen durch die von Göthe ausgehenden bedeutenden Anregungen.

Die Metamor-

86

Viertes Capitel.

phose der Pflanzen war das Hauptstudium meiner Freunde, und ich

konnte mich der Wahrnehmung nicht verschließen, daß die beschrei­ bende Zoologie nicht das letzte Wort in unserer Wissenschaft ge­

sprochen habe, und daß eine große allgemeine Betrachtung, wie sie

die Botaniker anbahnten, auch für die Zoologie eintreten muffe. Das innige Zusammenleben mit deutschen Studenten zeigte mir,

daß ich meine philosophische Ausbildung vernachlässigt hatte, und als im Jahre 1828 die neue Universität in München sich aufthat mit Schelling als Professor der Philosophie, Oken, Schubert und Wagler

als Profefforen der Zoologie, Döllinger als Prof, der Anatomie und Physiologie, Martius und Zuccarini als Prof, der Botanik, Fuchs

und Kobell als Prof, der Mineralogie, beschloß ich mit meinen zwei

Freunden dahin zu gehen und an neuen Quellen der Wissenschaft zu schöpfen. Während der Jahre, die ich in München zubrachte, widmete ich mich beinah ausschließlich den verschiedenen' Zweigen

der Naturgeschichte und vernachlässigte mehr und mehr meine me-

dicinischen Studien, weil mein Vertrauen, mir in der Welt eine Stelle als Naturforscher zu erkämpfen, sich befestigte, und ich daher berechtigt war, meiner starken Neigung nach dieser Richtung hin zu

folgen.

Meine Erfahrungen in München waren mannigfaltig.

Bei

Döllinger lernte ich die Genauigkeit der Beobachtung würdigen. Da ich in seinem Hause wohnte, gab er mir persönliche Anleitung in dem Gebrauch des Mikroskops und zeigte mir seine eigene Me­

thode der embryologischen Forschung.

Er war schon der Lehrer von

Karl Ernst von Baer gewesen, und obwohl der Schüler den Lehrer

überholte und der Stolz der wissenschaftlichen Welt wurde, ist es nicht mehr als billigt daran zu denken, daß er diesem die erste

Einführung in das Studium embryologischer Vorgänge verdankte.

Döllinger war sowohl ein sorgfältiger, genauer und ausdauernder Beobachter, als ein tiefer Denker, aber er war eben so lässig mit seiner Feder als thätig mit seinem Gehirn.

Er theilte seinen

Schülern ohne Rückhalt und Knauserei von seinem geistigen Kapital

mit, und nichts machte ihm mehr Freude, als sich mit einigen wenigen

Studenten zu einem ruhigen Gespräch über wiffenschaftliche Dinge niederzusetzen oder einen Ausflug

mit ihnen

in die Felder vor

der Stadt zu machen und ihnen während des Gehens die Ergebnisse irgend einer neuen Untersuchung, die er gemacht, mitzutheilen.

Er

Rückblick auf das Schul- und llniversitätsleben.

87

war zufrieden, wenn er sich von seinen Zuhörern verstanden sah und

sorgte für keine weitere Veröffentlichung seiner Forschungen.

Ich

könnte viele Meisterwerke in unserer Wissenschaft auszählen, welche

zunächst von keiner anderen Grundlage ausgingen, als von diesen anregenden Gesprächen.

Niemand hat den Einfluß, welchen Döllinger

auf diese indirekte Weise auf den fortschreitenden Gang der Wissen­ schaft ausübte, wärmer anerkannt, als der Forscher, den ich bereits als seinen größten Schüler anführte: von Baer.

In der Einleitung

seines Werkes über Embryologie bezeugt er dankbar, was er seinem

alten Lehrer schuldet. Ein Meister

„Einer der anziehendsten Professoren war Oken.

in der Kunst des Lehrens, übte er einen beinah unwiderstehlichen

Einfluß aus seine Schüler aus.

Wenn er das ganze Universum aus

seinem eigenen Gehirn aufbaute und von a priori gefaßten Vor­

stellungen den Zusammenhang der drei Reiche,

in welche er alle

lebenden Wesen eintheilte, ableitete, die Thiere wie durch Magie in

Uebereinstimmung einer aus den entgliederten Körper des Menschen gegründeten Analogie klassifizirte, schien es uns Zuhörern, als ob der

langwierige mühsame Prozeß

des Anhäufens genauer

eingehender

Kenntnisse nur die Arbeit von Pedanten sein könnte, während ein

muthiger, beherrschender Geist sich die Welt aus seiner eigenen macht­

vollen Vorstellung aufbaute. Gedanken

aufzuzwingen,

Theorien,

als

Die Versuchung der Natur die eigenen

ihre Geheimnisse mehr

durch glänzende

durch geduldiges Erforschen der vorliegenden That­

sachen zu erklären, leitet uns noch immer irre.

Aus der Schule der

Naturphilosophen entsprang (wenigstens in unseren Tagen) jener an­ maßende

Glaube

an die Fähigkeit

des menschlichen Geistes

die

Natur abstrakt zu erfassen, welcher jetzt noch die Genauigkeit unserer Klassifikation beeinträchtigt und uns verhindert, die natürlichen Be­

ziehungen, welche alle lebenden Wesen verbindet, richtig zu deuten.

Und doch würde der junge Naturforscher jener Tage, welcher nicht bis zu einem gewissen Grad dem geistigen Aufschwung unterlag, welchen

die Naturphilosophie der wissenschaftlichen Bestrebung verlieh, einen fördernden Theil seiner Ausbildung entbehrt haben.

Zwischen dem

Manne, welcher wie Oken versucht, das ganze System der Natur

nach vorgefaßten Meinungen auszubauen und demjenigen, welcher während er seine Vorstellungen den Thatsachen unterordnet,

doch

Vierte« Capitel.

88

fähig ist, diese Thatsachen zu verallgemeinern und ihre verständlichen Beziehungen zu erkennen, ist ein großer Unterschied.

Kein denkender

Naturforscher kann die ihm im Lause seiner Untersuchungen fort­

während aufsteigenden Fragen nach dem Ursprung und dem tieferen Zusammenhang aller lebenden Wesen zum Schweigen bringen, aber

der echte Forscher wird bei allem Suchen nach der Lösung

dieser

großen Probleme, doch zugeben, daß das einzige wahre wissenschaft­

liche System dasjenige ist, in welchem der Gedanke, der intellektuelle Aufbau aus den Thatsachen hervorwächst und auf diese gegründet ist.

Das große Verdienst der Naturphilosophen liegt in der von ihnen

dusgehenden Anregung.

Sie haben viel dazu beigetragen unser

Zeitalter von der geringen Meinung der wissenschaftlichen Bedeutung

der Naturgeschichte zu befreien, welche im vorigen Jahrhundert vor­ herrschte.

Sic nährten einen Geist der Unabhängigkeit bei den Be­

obachtern; aber auch einen abenteuerlichen Geist, der für die ganze

Schule verderblich wurde.

Ein Forscher ist als

solcher verloren,

wenn er glaubt, daß er ungestraft Meinungen aufstellcn dürfe, für

die er keine Beweise aufbringen kann.

Es war eine eigenthümliche

Erfahrung für den Geist Tag für Tag den Vorlesungen Okens bei­

zuwohnen und

gleichzeitig diejenigen von Schelling zu hören, in

welchen die ganze Philosophie von dem negativen Standpunkt einer

a priori Lehre zu der positiven Grundlage einer historischen Wissen­ schaft erhoben wurde.

Er entwickelte seine Ansichten in einer Reihen­

folge ausgezeichneter Vorlesungen während vier aufeinander folgender Jahre. „Unter meinen Studiengenossen waren viele junge Leute, welche jetzt einen hohen Rang in den verschiedenen Gebieten der Wissenschaft

einnehmen und andere, zu

den gleichen Hoffnungen berechtigende,

deren früher Tod ihre Arbeit in dieser Welt verkürzte.

Einige von

nns hatten zu dieser Zeit schon gelernt selbstständig zu

arbeiten,

nicht nur Vorlesungen zu besuchen und aus Büchern zu lernen.

Es

herrschte ein lebhafter Wetteifer unter uns; wir kamen oft zusammen,

um unsere Beobachtungen zu besprechen; wir machten häufig Exkur­ sionen in die Umgegend; wir hielten abwechselnd in unserem Kreise

Vorträge und hatten nicht selten die Befriedigung unsere Universitäts­ professoren unter unseren Zuhörern zu sehen.

Diese Uebungen waren

von dem größten Werth für mich, weil sie mir als Vorbereitung

89

Rückblick auf daS Schul- und NuiversilätSlebeu.

dienten, später vor einer größeren Zuhörerschaft zu reden.

Gewöhn­

lich waren die Vorlesungen in meinem Studirzimmer.

Dasselbe

nahm bequem fünfzehn bis zwanzig Personen auf, und sowohl die

Studenten als die Professoren nannten unsere Wohnung „die fleiiie Akademie".

In diesem Zimmer bereitete ich alle die Skelette zu,

welche auf den Tafeln von Wagler's „Natürliches System der Repti­

lien" dargestellt sind.

Auch empfing ich da einmal den Besuch des

großen Anatomen Meckel, welchen Döllinger zu mir schickte, um meine anatomischen Präparate, besonders die vielen Fischfkelette anzusehen, welche ich von Süßwasser-Fischen gemacht hatte.

Neben mir arbeiteten

gewöhnlich zwei Künstler; einer war beschäftigt verschiedene natur­

geschichtliche Gegenstände zu zeichnen, der andere fossile Fische.

Ich

hatte immer einen nnd zuweilen zwei Künstler in meinem Sold; das war mit meinem Einkommen von 250 Dollar im Jahr nicht

leicht durchzuführen.

Aber da die Zeichner noch ärmer waren als

ich, so brachten wir cs doch fertig mit einander anszukommen. Mein Mikroskop hatte ich mir mit schriftstellerischer Arbeit erworben.

„Ich hatte kaum die Herausgabe der brasilianischen Fische be­ endet, als ich anfing die älteren Naturforscher zu studiren.

Professor

Döllinger schenkte mir ein Exemplar von Bondelet, welches lange

Zeit mein Entzücken war.

Die Naivetät seiner Erzählung und

die Genauigkeit seiner Beschreibungen fiel mir eben so auf, als die

Treue der Holzschnitte, von welchen einige bis auf diesen Tag die

besten Abbildungen der dargestellten Arten enthalten.

Seine Gelehr­

samkeit überwältigte mich; ich hätte gern, wie er, alles gelesen, was vor meiner Zeit geschrieben war, aber unter den Verfassern waren

einige, die mich langweilten, und ich gestehe, daß in jenen Jahren Sinne zu diesen gehörte.

und eingebildet vor.

Er kam mir trocken, pedantisch, dogmatisch

Von Aristoteles dagegen, dessen Zoologie ich

gelesen und seither immer nach einem Zeitraum von zwei bis drei

Jahren wiedergelesen habe, war ich entzückt.

Ich muß mir aber

doch die Gerechtigkeit widerfahren lassen, hinznzufügen, daß nachdem

ich mehr von der Geschichte der Naturwissenschaft wußte, ich auch Sinne verehren lernte.

Aber von einem Studenten, der in den

Werken von Cuvier bewandert ist, dagegen die früheren Fortschritte

der Zoologie wenig kennt, kann man kaum verlangen, daß er die Verdienste des großen Reformators der Naturgeschichte richtig wür-

90

Vierte- Capitel.

Seine Mängel waren leicht bemerkbar, und es erforderte eine

digt.

genauere Bekanntschaft mit dem allmäligen Wachsthum der Wissen­ schaft von Aristoteles an, als ich sie besaß, um zu verstehen, welch'

großen und wohlthätigen Einfluß Sinne auf die moderne Naturge­ schichte ausgeübt hat. „Ich kann nicht ohne tiefe Dankbarkeit auf mein Leben in

München zurückblicken.

Die Stadt war überreich an Hülfsmitteln

für die Jünger der schönen Künste, der Wissenschaften und der Philo­ sophie.

Sie war in jener Zeit hervorragend wegen ihrer Regsamkeit,

sowohl im öffentlichen als im akademischen Leben.

Der König schien

liberal; er war ein Freund der Dichter und Künstler und strebte

danach allen Ruhm Deutschlands an seiner neuen Universität zu ver­ einigen.

Ich erfreute mich daher während einiger Jahre des Vor­

bilds der bedeutendsten Geister und der Anregung, welche aus dem Zusammenwirken von Männern, die in den verschiedensten Gebieten

menschlicher Wiffenschast in gleichem Maße glänzten,

hervorgeht.

Unter solchen Verhältnissen wird ein Mann entweder in die Stellung

eines Nachfolgers unter die Reihen derjenigen treten, die sich um einen Meister sammeln, oder er wird danach streben, selbst ein Meister

zu werden. „Die Zeit war gekommen, zu welcher selbst die kleine Einnahme,

die ich aus einem erborgten Kapital bezog, aufhören mußte.

Ich war

jetzt vierundzwanzig Jahr alt, war Doktor der Philosophie und der

Medicin und Verfasser eines Quartbands über brasilianische Fische. Ich hatte ganz Süddeutschland durchwandert, Wien besucht und aus­

gedehnte Gebiete der Alpen durchforscht.

Ich kannte jedes lebende

und fossile Thier in den Museen von München, Stuttgart, Tübingen,

Erlangen, Würzburg, Karlsruhe und Frankfurt, aber meine Aus­

sichten waren so dunkel wie je, und ich hatte keine Hoffnung mir

auf andere Weise einen Weg in der Welt zu bahnen, als durch die Ausübung des ärztlichen Berufs.

So verließ ich im Jahre 1830

die Universität und ging nach Hause mit der Absicht mich der prak­

tischen Medicin zu widmen, im Vertrauen, daß meine theoretischen Kenntnisse und mein Uebung in der Kunst des Beobachtens mir bei der neuen Ausgabe, der ich entgegenging, durchhelfen würden."

91

Aufenthalt in der Heiniath.

Fünftes Capitel. 1830 — 1832. Vom 23. bis 25. Jahre. Ein Jahr zu Hause. — Abreise nach Paris. — Aufenthalt unterwegs. — Cholera. — Ankunft in Paris. — Erster Besuch bei Cnvier. — Cuvier's

Freundlichkeit. — Sein Tod. — Armuth in Paris. — Briefe nach Hause über Geldverlegenheiten und über seine Arbeit. — Sonderbarer Traum.

Am 4. December 1830 verließ Agassiz München - in Gesellschaft

von Dinkel, und

nach

kurzen Aufenthalten

in St. Gallen und

Zürich, welche dem Ansehen und Zeichnen von fossilen Fischen ge­ widmet waren, erreichte er Concise am 30. des Monats.

So sehn­

süchtig auch seine Ankunft zu Hause erwartet wurde, so war doch

sein Vater, wie wir schon gesehen haben, nicht ohne Furcht, daß die Anwesenheit des Naturforschers nebst Künstler, Sammlung und Ar­

beitsmaterial eine Störung in dem ruhigen Psarrhause verursachen würde.

Aber alle Besorgniß schwand bei der Freude der Wieder­

vereinigung, und Agassiz war bald mit seinem Zeichner, seinen Fossi­

lien und all seiner wissenschaftlichen Ausrüstung unter dem väter­ lichen Dache eingerichtet. So brachte er beinah ein Jahr zu Hause zu mit ichthyologischen Studien, namentlich mit Fortsetzung seiner Ar­ beit über die fossilen und die Süßwafser-Fische von Central-Europa.

Es fehlte ihm nicht ganz an Patienten in dem Dorfe und dessen Umgebung; für's erste hatte er aber noch keine Aussicht auf dauernde

ärztliche Beschäftigung. Inzwischen erschien es ihm von Tag zu Tag nothwendiger, daß er seine Arbeit in Paris fortführte, in dem großen

Mittelpunkt des wissenschaftlichen Lebens, wo sich ihm das weiteste

Feld zur Vergleichung und Untersuchung eröffnen würde.

Dort

meinte er auch mit dem größten Vortheil seine medicinischen Studien

fortsetzen und abschließen zu können.

Das größte Hinderniß für

eine solche Verpflanzung lag in seiner Mittellosigkeit. Doch fehlte es ihm nicht ganz an einer verfügbaren Summe, besonders seit die Einrichtungen über Veröffentlichung seiner Werke ihm theilweise die

Mittel zur Fortsetzung derselben lieferten.

Sein großmüthiger Onkel

Fünftes Capitel.

92

fügte noch eine Summe bei und ein alter Freund seines Vaters H. Christinat, ein Schweizer Geistlicher,

dessen

großer

Liebling

Agassiz seit seiner Kindheit war, nöthigte ihn auch zur Annahme eines Beitrags zur Förderung der Arbeit, für welche er das leb­ hafteste Interesse empfand.

Immerhin waren die Aussichten, mit

welchen er im September 1831 nach Paris abreiste, vom finanziellen Standpunkt aus trübe genug, in anderer Beziehung aber um so

hoffnungsreicher.

Unterwegs machte er verschiedene Aufenthalte und

verband dabei wie gewöhnlich die Berufszwecke mit wissenschaftlichen,

den Besuch der Spitäler mit dem der Museen.

Vielleicht war er

etwas zu geneigt anzunehmen, daß die günstigsten Bedingungen für seine medicinischen Studien immer in der Nähe der reichsten Samm­

lungen zu finden seien. schen Zweck,

Doch hatte er einen bestimmten medicini­

der darin bestand, die Behandlung und Begrenzung

der Cholera, welche damals zum ersten Male mit erschreckender Hef­

tigkeit ihren Einzug in West-Europa hielt, so weit wie möglich

kennen zu lernen.

Da er cs für wahrscheinlich hielt, daß er den

ärztlichen Beruf noch einige Jahre sortsetzen würde, glaubte er, daß

eingehende Beobachtungen über diese Geißel von großer Wichtigkeit für ihn sein würden.

Seine Briefe aus dieser Zeit an seinen Vater

sind voll von diesem Gegenstand und von seinen Bemühungen die

geeignetsten Mittel zur Bewahrung und Abwehr kennen zu lernen. Die folgenden Zeilen an seine Mutter zeigen jedoch, daß man zu Hause Beunruhigung darüber empfand, daß durch seine Aufenthalte

unterwegs die geringen Mittel, die den Studien in Paris bestimmt waren, aufgezehrt werden möchten.

An seine Mutter.

Karlsruhe, November 1831.

... Gestern kam ich von einem Ausflug nach Würtemberg zurück, und obwohl ich schon wußte, welche Vorsichtsmaßregeln überall gegen

die Cholera getroffen waren, so glaube ich doch nicht, daß meine Reise

eine überflüssige war und bin überzeugt, daß meine Beobachtung nicht ohne Interesse für mich, und wie ich hoffe auch nicht ohne Nutzen für andere sein wird.

Da Dein Brief so dringend ist, will

ich jedoch meine Abreise keinen Augenblick mehr verschieben.

Zwischen

heute und morgen werde ich alle aus dem Naturalienkabinet ent-

Studien ans der Reise nach Paris.

93

liehenen Exemplare ordnen und dann sofort abfahren . . . Im Ver­

hältniß zu der vorhergegangenen Sorge ist meine Fxeude über die Aussicht nach Paris zu kommen, nun, da ich besser ausgerüstet bin,

dort zu erscheinen, um so größer.

Ich habe alles Material, was ich

noch für meine fossilen Fische zu erlangen wünschte, aus den Samm­

lungen von Karlsruhe, Heidelberg und Straßburg erhalten und habe meine Kenntnisse in der Geologie so weit ausgedehnt, daß ich mich

wenigstens ohne Verlegenheit an Gesprächen über die neusten For­

schungen betheiligen kann.

Außerdem war Braun so gütig, mir eine

ausgezeichnete, von ihm selbst ausgesuchte Sammlung zu geben, die

mir bei meinen Untersuchungen auf diesem Gebiet als Grundlage

und Führer dienen sollte.

Ich lasse sie in Karlsruhe, da ich sie jetzt

nicht gebrauche ... Ich habe auch das Naturalienkabinet in Karls­

ruhe und die mineralogische Sammlung von Brauns Vater benutzt.

Außer den von Dinkel gemachten Zeichnungen habe ich meine Arbeit um einhundert und einundsiebenzig Seiten französischen Manuskripts

(ich habe die Seiten eben gezählt), welche ich zwischen meinen Exkur­ sionen und inmitten anderer Beschäftigungen geschrieben habe, be­

reichert ... Eine so reiche Ausbeute hätte ich nicht vorausgesehen ...

So vorbereitet kam er mit seinem Künstler am 14. December 1831 in Paris an.

Am 18. schreibt er seinem Vater: „Dinkel und

ich hatten eine sehr angenehme Reise, aber gestern, am Tag nach unserer Ankunft, war ich so müde, daß ich kaum Hand oder Fuß

bewegen konnte.

Nichtsdestoweniger habe ich den Abend sehr ange­

nehm in dem Hause des Herrn Cuvier, der, als er von meiner An­ kunft hörte, mich sogleich einladen ließ, zugebracht. Zn meiner Ueber«

raschung fühlte ich mich da gar nicht als Fremdling, sondern beinah

wie bei alten Bekannten.

Meine Adresse Rue Copeau (Hotel du

Jardin du Roi, No. 4) habe ich Dir schon mitgetheilt.

Zufällig

wohnt Mr. Perrotet, ein reisender Naturforscher auch da und hat mich gleich auf das aufmerksam gemacht, was mir am nöthigsten zu wissen ist.

Auch andere Bekannte fand ich hier im Hause vor

Ich bin sehr billig untergebracht und bin im Bereich von vielen

Dingen, deren Nachbarschaft mir sehr wichtig ist.

Die medicinische

Schule ist zum Beispiel nur zehn Minuten von meiner Wohnung,

der Jardin des plante« nicht zweihundert Schritte entfernt, während

Fünftes Capitel.

94

das Spital (de la Pitie) wo die Herren Andral und Lesfranc lehren, sich mir gegenüber befindet.

Heute oder morgen werde ich meine

Briefe abgeben und dann ernstlich zu arbeiten anfangen."

Obwohl er von Anfang an von allem, was das wissenschaftliche Leben in Paris betraf, sehr befriedigt war, so zeigt doch der nächste Brief, daß der junge Schweizer sich nicht gleich in der großen fran­

zösischen Hauptstadt heimisch fühlte. An feine Schwester Olympe. Paris, Januar 1832.

. . . Die Erwartungen, welche ich bei meinem Hierherkommen hegte, haben sich mehr als erfüllt.

In wissenschaftlichen Dingen

habe ich alles gefunden, was ich in Paris voraussetzte, (meine Er­

wartungen sind sogar noch übertroffen worden) und außerdem bin

ich überall mit Höflichkeit empfangen und es sind mir alle Arten von Aufmerksamkeiten erwiesen worden.

Besonders die Herren Cuvier

und Humboldt behandeln mich bei allen Gelegenheiten als ihres­ gleichen und erleichtern

mir die Benutzung der wissenschaftlichen

Sammlungen, so daß ich überall arbeiten kann, als ob ich zu Hause wäre.

Und doch ist es nicht dasselbe.

Diese außerordentliche aber

förmliche Höflichkeit fröstelt mich an, anstatt mich heimisch zu machen;

es fehlt die Herzlichkeit, und offen gestanden, möchte ich am liebsten fortgehen, wenn mich nicht der Reichthum des Materials, den ich hier zu meiner Belehrung benutzen kann, festhielte.

Des Morgens

höre ich die klinischen Vorlesungen in der Pitie . . . Um zehn oder elf Uhr frühstücke ich und gehe dann in das natnrhistorische Museum,

wo ich bis Dunkelwerden bleibe.

Zwischen fünf und sechs esse ich

zu Mittag und wende mich dann solchen medicinischen Studien zu,

zu denen kein Tageslicht erforderlich ist.

So vergehen meine Tage

mit großer Regelmäßigkeit, einer wie der andere.

Ich habe es mir

zur Vorschrift gemacht, erst nach dem Mittagessen auszugehen, da ich sonst zu viel Zeit verliere . . . Den Sonnabend Abend bringe

ich bei Herrn Cuvier zu. . . Das Heimweh, welches zwischen den Zeilen dieses Briefes zu

lesen ist, — vielleicht durch die dem Schreiber noch fremde Art der konventionellen Gesellschaft hervorgerusen — schwand unter dem Ein-

95

Beziehungen zu (Sumer.

fluß des reichen geistigen Lebens, welchem er sich täglich mehr hin­

gab.

Cuvier's freundliche Aufnahme war nur eine Aeußerung des

liebevollen Interesses, welches er von Anfang an für ihn gehabt zu haben scheint.

Nach wenigen Tagen räumte er Agasfiz und dessen

Künstler einen Winkel in einem seiner eigenen Arbeitsräume ein und kam oft um beide durch einen Blick auf ihre fortschreitende Arbeit zu ermuntern. Dieses Verhältniß dauerte bis zu Cuvier's Tod fort, und Agassi;

erfreute sich während mehrerer Monate der wissenschaftlichen Theil­ nahme und persönlichen Freundschaft des großen Meisters, welchen

er von Kindheit an verehrt hatte, und dessen Name immer auf seinen

Lippen war, so lange er selbst in dieser Welt noch wirkte.

Der fol­

gende, zwei Monate später geschriebene Bries an seinen Onkel giebt eingehendere Berichte über die Beziehungen zu Cuvier.

An Dr. Mayor. Paris, Februar 1832. ... Ich habe auch eine gute Nachricht zu melden, welche wie

ich hoffe, zu günstigen Ergebnissen für mich führen wird. Ich glaube

Dir vor meiner Abreise nach Paris gesagt zu haben, daß meine Hauptsorge war, daß man mir nicht gestatten würde, die fossilen

Fische und ihre Skelette in dem Museum zu untersuchen oder gar zu beschreiben.

Da ich wußte, daß Cuvier ein Werk über diesen Gegen­

stand zu schreiben beabsichtigte, setzte ich voraus, daß er sich diese Sammlung Vorbehalten würde.

Ich dachte halb und halb, daß er,

wenn er mein Werk schon so weit vorgeschritten sähe, mir vielleicht Vorschlägen würde, es gemeinschaftlich mit ihm zu beenden — doch selbst dies wagte ich kaum zu hoffen.

Es war in Rücksicht darauf

und mit dem Wunsche mein Material zu vermehren und dadurch mehr Aussicht auf Erfolg bei Herrn Cuvier zu haben, daß

ich

so dringend wünschte, mich in Straßburg und Karlsruhe aufzu­ halten, wo ich Sammlungen wußte, deren Durchsicht für meine Ar­

Der Erfolg hat meine Erwartung weit über­ Ich beeilte mich Herrn Cuvier mein Material noch am Tage

beit wichtig wären. troffen.

meiner Ankunft zu zeigen.

Er empfing mich sehr höflich, aber etwas

zurückhaltend und gab mir gleich die Erlaubniß alle Sammlungen

des Museums zu sehen.

Aber da ich wußte, daß er alles, dessen er

Fünftes Capitel.

96

bei Abfassung seines Buches bedurfte, in seinen Privatsammlungen

hatte, so blieb ich in einem unbehaglichen Zustand der Ungewißheit, da die Beendigung seines Werks jede Aussicht auf einen Absatz des

meinigen vernichtet haben würde.

Vorigen Sonnabend brachte ich

den Abend bei ihm zu, und als wir über wissenschaftliche Dinge

sprachen, forderte er seinen Sekretair auf, eine Mappe mit Zeich­

nungen herbeizubringen.

Er zeigte mir den Inhalt: es waren Zeich­

nungen von fossilen Fischen und Notizen, welche er im britischen

Museum und anderswo gemacht hatte.

Nachdem er dieselben mit mir

durchgesehen hatte, sagte er, er hätte mit Befriedigung beobachtet, in welcher Weise ich diesen Gegenstand behandelte. Ich sei ihm aller­

dings zuvorgekommen, denn er habe beabsichtigt, späterhin dieselbe Sache zu unternehmen, aber da ich ihr schon so viel Fleiß gewidmet und meine Arbeit so gut gemacht habe, so wolle er seinen Vorsatz

aufgeben und alles Material, welches er gesammelt habe und alle sein Vorarbeiten mir zur Verfügung stellen.

Du wirst Dir denken können mit welch' neuem Eifer dies mich für meine Arbeit erfüllt hat, um so mehr, als Cuvier, Humboldt

und verschiedene andere bedeutende Männer, welche sich dafür interessiren, mir versprochen haben, meinetwegen mit einem Verleger (mit

Levrault,

der geneigt scheint, die Veröffentlichung zu übernehmen,

wenn der Friede anhält) zu sprechen und mich dringend zu empfehlen.

Um meinen Zweck zu erreichen ohne andere Beschäftigungen zu ver­

nachlässigen, arbeite ich regelmäßig fünfzehn Stunden im Tage, manch­ mal auch ein bis zwei Stunden mehr; so hoffe ich zur rechten Zeit

an das rechte Ziel zu gelangen. Das ihm von Cuvier anvertraute Pfand erwies sich als ein

Legat.

In nicht ganz drei Monaten nachdem er diesen Brief ge­

schrieben, ging Agassi;, wie er öfter zu thun pflegte, eines Morgens in des Meisters Studierzimmer um mit ihm zu arbeiten.

Es war

Sonntag, und er war mit einer Sache beschäftigt, die Cuvier ihm

aufgetragen und dabei gesagt hatte: „Sie sind jung und haben dazu Zeit genug, ich aber habe keine übrig."

Sie arbeiteten dann bis elf

Uhr zusammen, worauf Cuvier Agassi; einlud, bei ihm zu frühstücken. Nachdem er eine Zeit lang am Frühstückstisch im Gespräch mit den

Damen zugebracht hatte, während Cuvier seine Briefe und Zeitungen

Tod von Cuvier.

97

durchsah, kehrten sie in das Stndirzimmer zurück und arbeiteten an ihren verschiedenen Beschäftigungen weiter bis Agassiz fünf Uhr

(seine Esfensstunde) schlagen hörte.

Er sprach sein Bedauern aus,

daß er mit seiner Arbeit nicht ganz fertig geworden sei, sagte aber,

sein Mittageffen warte nicht auf ihn, da er an einem Studenten­

tisch theilnehme; er wolle jedoch bald wiederkehren und seine Arbeit beendigen.

Cuvier antwortete, daß er sehr wohl daran thäte, seine

Mahlzeiten regelmäßig einznnehmen.

die Arbeit und fügte hinzu: Sie, daß Arbeit tobtet."

Er rühmte seine Hingabe an

„Seien Sie vorsichtig und bedenken Dies waren die letzten Worte, welche

Agassiz von seinem geliebten Lehrer hörte.

Am folgenden Tag als

Cuvier auf die Tribüne der Kammer der Abgeordneten ging, fiel er,

vom Schlage gerührt, nieder und wurde nach Hause getragen.

Agassiz

sah ihn nicht mehr*).

Um die Darstellung von Agassiz's persönlichen Beziehungen zu

Cuvier, wie er sie in späteren Jahren selbst erzählt hat, nicht zu unterbrechen, ist hier dem Bericht des Lebenslaufs um zwei bis drei

Monate voransgeeilt worden. ordnung zurück.

Kehren wir nun zur richtigen Zeit­

Der Brief an seinen Onkel erregte natürlich zu

Hause große Freude.

Nachdem er ihn gelesen, schreibt sein Vater:

(Februar 1832) „Nun da Dir die Mappe von Herrn Cuvier anver­ traut ist, wird sich Dein Plan vermuthlich bedeutend erweitert haben und Deine Arbeit zu einem doppelten Bande anwachsen; erzähle mir

so viel davon, als ich verstehen kann, was freilich wenig genug ist." — Der Brief der Mutter bei dieser Gelegenheit spricht die zärtlichste Theilnahme und Dankbarkeit aus. Inzwischen wurde die Freude an seiner wissenschaftlichen Thätig­

keit durch eine fortwährende Sorge verbittert.

Die spärlichen Mittel,

welche ihm zu Gebot standen, konnten auch bei der äußersten Spar­

samkeit auf die Dauer die nöthigen Ausgaben für ihn und seinen Künstler, für die nöthigen Bücher, Zeichenmaterialien, u. s. w. nicht decken.

Er war in beständiger Angst, daß er gezwungen sein würde,

Paris zu verlassen, seine Untersuchungen über fossile Fische aufzugeben *) Dieser Ausspruch vou Cuvier: „Arbeit tödtet" erinnert in merkwürdiger Weise an Johannes Müllers Wort: „An der Arbeit klebt Blut". Das eine scheint das Echo des anderen. (Siehe Gedächtnißrede auf Joh. Müller von Rudolf Birchow S. 38.) AgMz's Leben und Brieswechjel.

7

Fünftes Capitel.

98

und die. im Gang befindliche Anfertigung der kostbaren Tafeln ein­

stellen zu lassen.

Ein zufälliges Ereigniß veranlasste ihn zur Ent­

hüllung des mißlichen Standes seiner Angelegenheiten, welche er den Lieben zu Hause gerne so lange als möglich verborgen hätte. Sein Bruder hatte ihn um Besorgung eines Buches gebeten, und da er

daffelbe nicht erhielt, frug er mit einiger Verwunderung, warum der Auftrag vernachlässigt worden sei.

Agassiz's nächster Brief giebt die

Erklärung. An seinen Bruder.

Paris, März 1832. . . . Hier ist das Buch, um welches Du mich gebeten hast. Es kostet achtzehn Franken.

Es thut mir sehr leid, wenn es zu spät

kommt, aber ich konnte es nicht ändern . . . Erstens hatte ich nicht Geld genug, um es zu bezahlen, wenn ich nicht ohne einen Pfennig

bleiben wollte.

Du wirst Dir denken können, daß nachdem die Holz­

rechnung für den Winter bezahlt ist, mir von meinen monatlichen zwei­ hundert Franken, von denen fünf Louisd'ors immer meinem Gefährten

zufallen, wenig zu anderen Ausgaben übrig bleibt.

Nicht nur, daß ich

nichts übrig habe — mein monatlicher Zuschuß ist immer schon am Anfang verbraucht.

Neben dieser Ursache des Aufschubs hast Du

aber auch keine Vorstellung, was es heißen will, in Paris etwas auf-

zutreibcn, wenn man da fremd ist . . . Du hast mich schon wieder­ holt gefragt, wie ich in den Häusern empfangen worden bin, welche ich empfohlen war.

an

Aufrichtig gesagt, bin ich, nachdem ich

die Briefe abgegeben, gar nicht mehr hingegangen, weil ich in meiner

Lage keine Zeit zu Besuchen erübrigen kann. Eine andere vortreff­ liche Ursache, um wegzubleiben, ist, daß ich keinen Rock habe, in dem

ich mich sehen lassen kann . . . Sonnabend vor acht Tagen bot mir M. de Forussac die Herausgabe der zoologischen Abtheilung des

„Bulletin" an.

Sie würde mir wohl tausend Franken einbringen,

würde aber täglich zwei bis drei Stunden Arbeit erfordern. Schreibe

mir bald, was Du davon hältst.

Inmitten all der crmuthigenden

Dinge, welche mich aufrecht erhalten und meinen Eifer beleben, bin

ich doch niedergedrückt durch die Kehrseite meiner Lage.

Dieser Brief gab Veranlassung zu dem folgenden.

Brief von der Mutter.

99

Von seiner Mutter.

März 1832. ... So sehr Dein Brief an Deinen Onkel uns erfreute, so betrübend

war uns derjenige an Deinen Bruder.

Es scheint, mein liebes Kind,

daß Du äußerst beschränkt in Deinen Mitteln bist.

Ich verstehe

das aus persönlicher Erfahrung, und in Deinem Fall habe ich es vorausgesehen; diese Wolke hat mir immer Deine Aussichten ver­ dunkelt.

Ich muß heute einmal mit Dir von Deiner Zukunst reden,

die mich oft beunruhigt.

Du kennst das Herz Deiner Mutter zu

gut, um ihre Gedanken mißzuverstehen, selbst wenn deren Aeußerung Dir nicht gefallen sollte.

Trotz der Kenntnisse, die Du Dir durch

anhaltende» Fleiß erworben hast, trotz Deiner Beziehungen zu her­

vorragenden Männern und der Anerkennung, die Deine Fähigkeiten gefunden, bist Du doch in dem Alter von fünf und zwanzig Jahren noch darauf angewiesen, von glänzenden Hoffnungen zu leben.

Wenn Du

ein Einkommen von 50,000 Franke» hättest, so wäre das alles ganz

schön; aber in Deiner Lage mußt Du durchaus eine Beschäftigung

haben, die Dich in den Stand setzt, zu leben und Dich von der un­ erträglichen Last der Abhängigkeit von anderen zu befreien. Vom heutigen Tage an, lieber Louis, mußt Du ernstlich darauf denken, dies zu erreichen, wenn Du es durchführen willst, die erwählte Laufbahn

in ehrenvoller Weise weiter zu verfolgen.

Sonst werden beständige

Verlegenheiten Deinen Genius so lähmen, daß Du nichts Großes

mehr leisten kannst.

Wen» Du unseren Rath befolgst, wird vielleicht

der Erfolg Deiner naturwissenschaftlichen Arbeiten etwas später ein­

treten, aber dann um so sicherer.

Zeige uns, daß Du die Arbeit,

der Du schon so viel Zeit gewidmet hast, mit der Möglichkeit der

Selbsterhaltnng vereinigen kannst.

Es scheint mir nach Deinem

Brief an Deinen Bruder, daß Du in Paris mit keinem Menschen verkehrst.

Die Ursache davon scheint mir eine traurige, aber sie ist

unwiderleglich, und da sie nicht zu ändern ist, mußt Du Deinen Aufenthaltsort wechseln und in Dein Vaterland zurückkehren. Du

hast in Paris bereits alle die Männer gesehen, die zu sprechen Du für nöthig hieltest.

Wenn Du in Bezug auf ihr Wohlwollen Dich

nicht in einem großen Irrthum befindest, so wirst Du in der Schweiz

eben so sicher auf dasselbe rechnen können, wie in Paris, und da Du Dich doch nicht in ihrer Gesellschaft bewegst, so werden Deine Be7*

Fünftes Capitel.

100

Ziehungen mit ihnen, auch wenn Du hundert Meilen entfernt bist,

dieselben sein wie jetzt.

Du mußt deshalb Paris verlassen und nach

Genf, Lausanne oder Neuchätel oder in irgend eine andere Stadt kommen, wo Du Vorlesungen halten kannst.

beste Weg für Dich.

Das scheint mir der

Wenn Du, ehe Du Dich dauernd irgendwo

niederlässest, Deinen Platz in dem Pfarrhaus wieder einnehmen

willst, so wirst Du uns immer bereit finden, alle Einrichtungen zu Deiner Bequemlichkeit zu treffen.

Hier kannst Du in vollständiger

Ruhe und ohne Kosten leben. Noch zwei Gegenstände sind es, die ich mit Dir besprechen

möchte, obwohl Du mich dabei vielleicht nicht so leicht verstehen wirst. Du hast das schöne öffentliche Gebäude gesehen, welches in Neuchätel

errichtet wird.

Es wird in diesem Jahre fertig werden, und ich höre,

daß das Mufeum hinein kommen soll. Ich glaube, daß die Samm­ lungen sehr unvollständig sind, und die Stadt Neuchätel ist reich

genug, um etwas an die Ergänzung dieser Lücken zu wenden.

Es

ist mir eingefallen, daß dies eine vortreffliche Gelegenheit wäre, Deine

in Spiritus befindlichen Exemplare unterzubringen.

Gegenwärtig

sind sie ein todtes Kapital, welches Mühe, Geld und großen Aufwand an Gläsern, Spiritus, Transportkosten verursacht, von der Miethe für das Zimmer, in welchem sie aufbewahrt sind, ganz zu schweigen.

Alles dies, abgesehen von den dadurch herbeigezogenen Besuchern, ist eine zu große Last für Dich, von der Du Dich befreien kannst, wenn Du diese sich darbietende Gelegenheit benützest. Zu diesem Zweck mußt Du Dich mit Herrn Conlon in Einverständniß setzen, damit

er nicht eine andere Wahl trifft.

Dein Bruder, der am Ort ist,

könnte die Verhandlungen für Dich führen . . . Endlich kommt mein letztes Anliegen; es betrifft Herrn Dinkel.

Es ist ein Glück, daß Dein Künstler ein so durchaus netter Mensch ist; nichtsdestoweniger müßtest Du es der Kosten wegen möglich machen, ohne ihn auszukommen.

Ich sehe, daß Du mich bestürzt

anblickst, aber wenn ein Opfer zu bringen ist, müssen wir es ganz bringen und den Baum mit den Wurzeln ausreißen.

großes Uebel, mehr auszugeben, als man einnimmt . . .

Es ist ein

Arbeit über fossile Fische.

101

An seine Mutter. Paris, 25. März 1832.

. . . Es ist richtig, liebe Mutter, daß ich sehr eingeschränkt bin, daß ich viel weniger Geld habe, als ich wünsche oder auch als

ich brauche; auf der anderen Seite veranlaßt mich dies aber nur, um so eifriger zu arbeiten und hält mich von Zerstreuungen ab, die

mich sonst vielleicht verlocken würden.

... In Beziehung auf meine Arbeit liegen aber die Dinge nicht ganz so, wie Du meinst, besonders was mein Bleiben hier und

mein Verhältniß zu Herrn Cuvier betrifft.

Zwar hoffe ich sicher,

daß ich weder sein Wohlwollen noch seine Protektion verlieren würde, wenn ich von hier wegginge.

Im Gegentheil ich bin überzeugt, daß

er der erste sein würde, der mir zur Annahme einer Professur oder

irgend einer anderen Vortheilhaften Stelle riethe, wenn ich auch da­ durch dem Ort meiner gegenwärtigen Thätigkeit noch so fern gerückt

würde; und daß er mir nach wie vor seinen Rath angedcihen ließe. Aber was mir nicht bliebe, ist der Vortheil, den ich ihm verdanke, alle Sammlungen Hier zu untersuchen. Dies kann ich nirgends haben als in Paris, da ich — selbst wenn er seine Einwilligung

dazu gäbe — weder hundert Gentner fossiler Fische, deren ich zur

Vergleichung bedarf, -noch tausende von Fischskeletten, welche allein

fünfzig große Kisten füllen würden, mitschleppen könnte.

Dies ist

es, was mich nöthigt hier zu bleiben, bis ich meine Arbeit beendet

habe.

Ich muß noch beifügen,

daß Herr Elie dc Beaumont die

Güte gehabt hat, die fossilen Fische der Sammlung der Ecole des

Mines zu meiner Verfügung zu stellen, und daß Herr Brongniart mir dasselbe Anerbieten in Bezug auf seine Sammlung gemacht

hat, welche

eine

der schönsten einem Privatmanne gehörigen

in

Paris ist . ..

Was meine Sammlungen betrifft, so hatte ich schon daran ge­

dacht,

entweder die waadtländische oder die Regierung der Stadt

NeuchLtel zu bitten, sie in ihre Museen aufzunehmen, unter der Be­ dingung, daß sie die Ausstellung und Erhaltung übernehmen und

sie zur Belehrung des Publikums benutzen würden.

Es würde mir

leid thun, alles Anrecht auf dieselben zu verlieren, weil ich hoffe, daß

sie schließlich doch noch eine andere Bestimmung finden werden. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß ich noch erleben werde, die ver-

Fünftes Capitel.

102

schiedenen Theile der Schweiz in Zukunft durch ein engeres Band verbunden zu sehen, und im Falle einer solchen Bereinigung würde

eine

wirklich

helvetische

Universität eine

Nothwendigkeit werden.

Dann wäre es mein Wunsch, daß meine Sammlung die Grundlage

der für die Vorlesungen nothwendigen Anschaffungen bildete.

Es

ist wirklich eine Schande, daß die Schweiz, welche reicher und aus­ gedehnter ist, als manches kleine Königreich, keine Universität hat,

während manche Staaten, die kaum halb so groß sind, deren zwei besitzen; z. B. das Großherzogthum Baden, dessen eine Universität,

die Heidelberger,

zu

den

ersten in Deutschland

gehört.

Wenn

ich je in eine Stellung komme, die mir gestattet dies zu thun, so werde ich jede Anstrengung machen, um meinem Lande die größte aller Wohlthaten zu verschaffen, nämlich die einer geistigen Einheit,

welche nur aus einem hohen Grade der Civilisation und aus der

Ausstrahlung von, in einem Centralpunkt vereinigten, Kenntnissen hervorgehen kann.

Ich habe auch die Frage wegen Dinkel in Betracht gezogen, und

wenn ich mich nach Abschluß meines Werkes nicht in einer besseren Lage befinde und keine bestimmte Aussichten habe, die das Bcibe-

halten eines Künstlers rechtfertigen, — nun dann müssen wir uns

eben trennen!

Ich habe mich schon lang darauf vorbereitet, indem

ich ihn nur zu Dingen beschäftigte, die für die Herausgabe der

ersten Lieferungen unerläßlich sind, in der Hoffnung, daß diese mir die Mittel für die Abbildungen, welche ich fürderhin brauche, ver­

schaffen werden. Zu meiner Rechtfertigung, daß ich ihn von Anfang

an beschäftigte und diese Ausgabe bis jetzt fortgesetzt habe, kann ich

in Wahrheit sagen, daß es größtentheils seine Zeichnungen waren, die Herrn Cuvier in den Stand setzten, mein Werk zu beurtheilen und ihn dahin brachten mir seine Materialien abzutreten. Ich sah

deutlich voraus, daß in diesen Abbildungen meine einzige Aussicht Cuvier gegenüber lag, und es war nicht ohne Grund, daß ich darauf

bestand, Dinkel mit nach Straßburg und Karlsruhe zu nehmen.

Hätte ich dies nicht gethan, so würde Herr Cuvier wohl immer noch

den Vorrang vor mir haben. beruhigt.

Nun ist mein Geist in dieser Beziehung

Wenn ich nur mit der Veröffentlichung eben so viel

Glück habe! Herr Cuvier redet mir dringend zu, mein Werk der Akademie

Ankunft von Braun in Paris.

vorzulegen,

103

um eine Besprechung seines Inhalts zu veranlassen.

Zuerst muß ich es aber beendigen, und das ist keine leichte Aufgabe. Aus diesem Grund bedauere ich meine Mittellosigkeit besonders — ohne dieselbe hätte ich schon alle Abbildungen machen lassen, und der Bericht der Akademie, der als eine Empfehlung gilt, würde sicher die Herausgabe sehr fördern.

Nach dieser Seite habe ich mir

schon lange Einschränkungen auferlegt. München einen Künstler hatte,

August weiß, daß ich in

der mir die dort zurückgelassenen

Dinge zeichnen sollte, und daß ich ihn bei meiner Abreise von Concise

seine Arbeit abbrechen ließ.

Wenn die jetzige Stockung im Buch­

handel fortdauert, so werde ich gezwungen sein, Dinkel auch zu ent­ lassen; denn wenn ich keine Aussicht habe, mit der Veröffentlichung

zu beginnen,

häufen.

so muß ich aufhören,

vorläufiges Material anzu­

Sollte der Handel sich wieder heben, so wird mir doch

vielleicht die Freude zu Theil, vor meiner Abreise von Paris alles vollendet zu sehen.

Ich glaube, ich vergaß Dir Brauns Ankunft hier, sechs Wochen nach der meinigen, mitzutheilen.

Sein Kommen war mir eine dop­

pelte Freude, da er seinen jüngeren Bruder mitbrachte, einen reizenden Burschen und ausgezeichneten Schüler der polytechnischen Schule in Karlsruhe.

Er gedenkt Berg-Ingenieur zu werden und will hier die­

jenigen Sammlungen, welche sich auf seinen Berufszweig beziehen,

studircn.

Du kannst Dir nicht vorstellen, welche Erhebung und

welches Glück mir meine Beziehungen zu Alexander gewähren; er ist so gut und dabei mit seinen Gedanken so ans das höchste ge­

richtet, daß es ein wahrer Segen für mich ist, ihn zum Freunde zu haben.

Wir empfinden beide unsere Trennung von Karl Schimper

sehr, welcher trotz seines lebhaften Wunsches, sich uns in Karlsruhe

anzuschließen und nach Paris zu begleiten, nicht im Stande war, München zu verlassen . . .

Hier folgen mehrere an seinen Vater gerichtete Seiten in Er­

widerung des von demselben ausgesprochenen Wunsches, daß Louis ihm so viel von seiner Arbeit mittheilen möchte, als er verstehen könnte.

Diese Belehrung, welche der Sohn dem Vater zu Theil

werden läßt, hat etwas rührendes, weil sie zeigt, mit welchem Ent­ zücken Louis dem leisesten Zeichen der väterlichen Theilnahme an

Fünftes Capitel.

104

seinen Lieblingsstudien, welche zu Hause so lange mit Zweifel und

Mißtrauen betrachtet worden waren, entgcgenkam.

Der ganze Brief

ist hier nicht mitgetheilt, da er nur eine elementare Abhandlung über

Geologie enthält; aber der Schluß, welcher von den speciellen Unter­

suchungen handelt, mit welchen er gerade beschäftigt war, ist nicht ohne Interesse. „Der Zweck unserer Forschungen über fossile Thiere ist, nach­ zuweisen, welche Geschöpfe zu jeder dieser verschiedenen geologischen

Epochen gelebt haben, ihre Charaktere und ihr Verhältniß zu den jetzt lebenden zu erkennen, in einem Wort, sie in unserer Vorstellung wieder ins Leben zu rufen.

Hauptsächlich sind es die Fische, welche

ich vor den Blicken der Wißbegierigen wieder auferstehen lassen

möchte, indem ich ihnen zeige, welche Arten in jeder Epoche gelebt haben, wie sie gestaltet waren und wie ihre Lebensweise vermuthlich beschaffen war.

Du wirst die Schwierigkeiten meiner Arbeit besser

verstehen, wenn ich Dir sage, daß mich bei manchen Arten nur ein

einzelner Zahn, eine Schuppe, ein Rückgrat bei dem Wiederanfban aller Charaktere leitet, obwohl wir zuweilen auch so glücklich sind,

Arten mit Floßfedern und vollständigen Skeletten zu finden . . .

„Verzeih, wenn ich Dich mit meiner langen Auseinandersetzung ermüdet habe, aber Du weißt, wie gern man über Dinge spricht, die einen interessiren, und das Vergnügen von Dir über solche Gegen­ stände befragt zu werden, ist ein so seltenes für mich, daß ich dem

Wunsch nicht widerstehen konnte,

die Sache von allen Seiten zn

beleuchten, damit Dir verständlich werde, welchen Eifer und welche Begeisterung diese Forschungen entzünden." In diesen Zeitraum fällt ein seltsamer Traum, welchen Agassiz

in seinem Werk über die fossilen Fische erwähnt*).

Er ist sowohl

psychologisch interessant, als weil er zeigt, wie ihn schlafend und wachend immer seine Arbeit beschäftigte.

Er war während vierzehn

Tagen bemüht gewesen, den undeutlichen Abdruck eines fossilen Fisches

auf einer Steinplatte zu entziffern.

Müde und unbefriedigt schob er

zuletzt die Arbeit bei Seite und versuchte sie aus seinen Gedanken zu verbannen.

Bald darauf wachte er in einer Nacht mit der Ueber-

*) Recherches sur les poissons fossiles. Vol. IV. Tab. 1, pp. 20, 21.

Cyclopona spinosum Agassiz.

105

Seltsamer Traum.

zeugung auf, daß er im Schlaf seinen Fisch ganz deutlich mit allen fehlenden Kennzeichen gesehen habe.

Aber wenn er versuchte, das

Bild festzuhaltcn, so entschwand cs ihm.

Nichtsdestoweniger ging

er am anderen Morgen früh in den Jardin des Planlos in der Hoff­

nung, daß er bei dem erneuten Anblick des Abdrucks etwas erblicken würde, was ihn auf die Spur der gehabten Vision bringen würde. Aber vergeblich — die Sache blieb so dunkel, wie zuvor. nächsten Nacht sah er den Fisch wieder,

Ergebniß.

In der

aber ohne befriedigendes

Als er erwachte, verschwand es seinem Gedächtniß wie

das erste 'Mal.

In der Erwartung,

daß

dieselbe Erfahrung sich

wiederholen möchte, legte er die nächste Nacht vor dem Schlafengehen

Papier und Bleistift neben sein Bett.

Wirklich erschien ihm gegen

Morgen der Fisch wieder im Traum, zuerst undeutlich, aber nachher

mit solcher Klarheit, Stellung blieb.

daß ihm

kein Zweifel über seine zoologische

Noch halb im Traum, in vollständiger Dunkelheit

zeichnete er die Charaktere auf das neben ihm liegende Papier.

Des

Morgens war er sehr erstaunt in seiner nächtlichen Skizze Züge zu

finden, welche er bei dem Fischabdruck durchaus nicht beachtet und für ganz unmöglich gehalten hatte. Er eilte in den Jardin des Planlos, und von seiner Zeichnung geleitet, gelang es ihm die Ober­

fläche des Steines, unter welcher Theile des Fisches verborgen lagen, wegzumeißcln.

Als der Fisch ganz frei lag, stimmte er mit seiner

Zeichnung und mit dem Traum überein, und es wurde ihm nicht schwer, ihn zu bestimmen.

Agassi; erwähnte dies Ergebniß oft als

Bekveis für die wohlbekannte Thatsache, daß wenn der Leib ruhe,

der ermüdete Geist die Arbeit, zu welcher er vorher unfähig war,

wieder zu leisten vermöchte.

106

Sechstes Capitel.

Sechstes Capitel.

1832. 25tes Jahr. Unerwartete Hilfe in schwieriger Lage. — Briefwechsel mit Humboldt. — Exkur­ sion an die normannische Küste. — Erster Anblick der See. — Briefwechsel über die Professur in Nenchatel. — Geburtstagsfeier. — Berufung nach Nenchstel. — Annahme. — Brief an Humboldt.

Das Opfer der Entlassung seines Künstlers wurde Agassiz nicht

auferlegt, obwohl er sich darauf vorbereitet hatte.

Gleichwie vor der

Morgendämmerung die Finsterniß am tiefsten ist, so erfolgt auch im menschlichen Leben auf die größte Angst und Noth ost die uner­

wartetste Hilfe.

Von einer solchen Erfahrung berichtet der nächste

Brief.

An seine Eltern. Paris, März 1832.

... Ich bin noch so überrascht und aufgeregt über das, was sich eben ereignet hat, daß ich kaum meinen Augen traue. In einer Nachschrift zu meinem letzten Brief erwähnte ich, daß

ich gestern Herrn von Humboldt besuchte, den ich lange nicht gesehen hatte, daß ich ihn aber nicht zu Hause traf. Bei früheren Besuchen hatte ich ihm von meiner Lage gesprochen und ihm gesagt, daß ich nlcht

wüßte, wie ich mich gegen meinen Verleger verhalten solle.

Er bot

mir an, an denselben zu schreiben und hat es auch vor mehr als zwei

Monaten gethan.

Weder er, noch ich, erhielten darauf eine Antwort.

Diesen Morgen kam nun, gerade als ich ausgehen wollte, ein Brief von Herrn von Humboldt, der mir schreibt, daß ihn das Ausbleiben

der Antwort von Cotta sehr beunruhige und daß er fürchte, die Angst

und Ungewißheit, die ich darüber empfinden müßte, könnte meine Arbeit beeinträchtigen; er bäte mich daher das einliegende Anlehen

von tausend Franken anzunehmen ...£>! wenn meine Mutter für einen Augenblick vergessen wollte, das es sich um den berühmten Herrn v. Humboldt handelt und den Muth fände, einige Zeilen an

ihn zu schreiben, wie dankbar würde ich ihr sein!

Ich glaube, daß

107

Brief von Humboldt.

cs von ihr noch besser ausfallen würde, als von dem Vater, der es ohne Zweifel korrekter machen würde, aber nicht gerade so, wie ich

es wünsche.

Humboldt ist so gut, so nachsichtig, daß Du nicht

zögern solltest, ihm zu schreiben, liebe Mutter.

Colombier No. 22.

Er wohnt Rue du

Die Adresse ist ganz einfach: Herr von Hnm-

boldt. . . In der Aufregung des Augenblicks ist dieser Brief nicht einmal

unterschrieben. Die folgenden Zeilen von Humboldt an Frau Agassiz, welche

diese als kostbaren Besitz verwahrte, zeigen, daß sie in Folge der Bitte ihres Sohnes Muth gefaßt und einen Dankbrief geschrieben

hatte. Von Humboldt an Fran Agassiz. Paris, 11. April 1832.

Ich müßte Ihren Sohn schelten, verehrte Frau, daß er den kleinen Beweis von Theilnahme, welchen ich ihm zeigen konnte, erwähnt hat; und doch wie kann ich über einen so rührenden, zartfühlenden Brief, wie ich ihn eben von Ihnen erhalten habe, klagen? Nehmen

Sie meinen wärmsten Dank dafür.

Wie glücklich sind Sie, daß Sie

einen Sohn von so ausgezeichneten Talenten, so mannigfaltigen und gründlichen Kenntnissen haben, der dabei so bescheiden ist, als ob er

gar nichts wüßte — und dies in unseren Tagen, wo die Jugend sich durch kalte und anmaßende Eigenliebe auszeichnet. Man wäre berechtigt, an der Welt zu verzweifeln, wenn ein junger Mann mit

den bedeutenden Fähigkeiten und dem einnehmenden und liebens­ würdigen Wesen ihres Sohnes nicht seinen Weg machen sollte. Ich

billige den Neuchäteler Plan sehr und hoffe im Nothfall zu dessen Gelingen beizutragen.

Man muß im Leben nach einer festen Stellung

trachten. Bitte, entschuldigen Sie die Kürze dieser Zeilen und nehmen

Sie die Versicherung meiner Hochachtung. Humboldt.

Der Brief, welcher eine solche Last von den Schultern Louis' und seiner Eltern nahm, lautete:

108

Sechstes Capitel. Humboldt an Agassiz*). Paris, 27. März 1832. Ich bin recht unruhig darüber, mein theuerster Herr Agassiz, daß

ich noch immer ohne Briefe von Cotta bin.

selig er im Schreiben ist.

Sie wissen, wie saum­

Gestern, Montags, habe ich auf's neue

dringend in Ihrer Sache (ein für die Wissenschaft so wichtiges Unter­ nehmen) an Cotta geschrieben und auf das wechselweise Erscheinen von

Heften der fossilen- und Süßwasser-Fische gedrungen.

Indeß bin ich

nicht ohne Sorge, daß Ihnen und Ihren Freunden der verlängerte

Aufenthalt hier schwer fällt.

Einen so arbeitsamen,

talentvollen,

liebenswürdigen Mann als Sie, muß man nicht in einer Lage lassen, wo Mangel an Heiterkeit die Arbeit stört.

Sie verzeihen es meinem

guten, Ihnen freundlichen Willen gewiß, wenn ich Sie, theuerster Herr Doctor, dringend bitte, von dem anliegenden kleinen Kredit recht bald Gebrauch zu machen. Sie würden mehr für mich thun.

Es ist ein Vorschuß, der in

Jahren nicht abgetragen werden braucht, und den ich, wenn ich weg­ gehe, oder auch früher, gern vermehren werde.

So elend klein auch

die Summe ist, kann sic doch vielleicht angenehm sein.

Es würde

mich tief schmerzen, wenn Ihnen meine Zudringlichkeit, eine Bitte des engsten Vertrauens, ein Geschäft wie zwischen zwei Freunden un­

gleichen Alters mißfällig würde.

Ich möchte einem jungen Manne

Ihres Gehaltes nur angenehme Eindrücke hinterlassen. Mit freundschaftlicher Hochachtung

Ihr Alexander Humboldt. Bei diesem Brief wurden folgende Dankzeilen beinah unleserlich mit Bleistift gekritzelt gefunden.

Wenn sie auch nicht gerade so ab­

geschickt wurden, wie sie hier stehen, so sind sie doch augenscheinlich

der erste Ausdruck von Agassiz's Empfindung. Mein Wohlthäter und Freund!

Es ist zu viel auf einmal, als daß ich aussprechen könnte, wie

tief Ihr heutiger Brief mich gerührt hat.

Ich war eben bei Ihnen

*) Nach dem ausnahmsweise deutsch geschriebenen Originalbries ausge­ nommen. D. Uebers.

Reise in die Normandie.

und wollte es versuchen Ihnen zu danken.

109

Ich muß warten, es zu

thun bis ich das Glück habe, Sie zu treffen.

In welchem Augen­

blick ist mir Ihre Hülfe zu Theil geworden! Ich lege Ihnen einen

Brief von meiner lieben Mutter bei, aus dem Sie meine ganze Lage ersehen können.

Zwar willigen meine Eltern jetzt darein, daß ich

mich ganz den Naturwissenschaften widme, und ich bin befreit von

dem peinigenden Gedanken gegen ihren Wunsch und Willen zu han­ Aber die Mittel mir zu helfen fehlen ihnen; daher wird mir

deln.

vorgeschlagen, in die Heimath zurückzukehren und entweder in Genf oder Lausanne Vorträge zu halten.

Bereits hatte ich meinen Ent­

schluß hingeschrieben, diesem Vorschlag im Lauf des nächsten Sommers zu folgen.

Ich schickte mich an, nur noch das Nothwendigste von

den hiesigen Fossilien durch Herrn Dinkel zeichnen zu lassen und mich

dann von diesem treuen Gefährten zu trennen.

Am Sonntag wollte

ich Ihnen diesen Entschluß mitlheilen, und nun erhalte ich heute

Ihre Sendung.

Stellen Sie sich vor, welche Gefühle mich durch­

dringen mußten, als ich mich entschlossen hatte, allem dem zu ent­ sagen, was mir bisher als das Höchste und Wünschenswertheste er­

schienen war, ganz unerwartet durch eine gütige hülfreiche Hand

errettet sehe und wieder der Hoffnung leben darf, alle meine Kräfte der Wiffenschaft zu widmen — so werden Sie sich einen Begriff

des Zustandes machen könne», in welchen mich Ihr theurer Brief verseht hat . . .

Bald nach diesem Ereigniß machte Agassiz einen kurzen Ausflug mit Braun und Dinkel an die Küste der Normandie, der Erwähnung verdient, weil er dabei zum ersten Mal die See sah.

Er schrieb

nach Hause: „Fünf Tage lang trieben wir uns an der Küste zwischen Havre und Dieppe herum.

Reichthümer gesehen.

Endlich habe ich nun die See und ihre

Von dieser Exkursion, deren Zustandekommen

ich schon halb aufgegeben hatte, bringe ich neue Gedanken, erweiterte

Anschauungen und eine genauere Kenntniß der großartigen Natur­ erscheinungen mit, welche der Ocean in seiner Ausdehnung dar­

bietet."

Inzwischen reiste die von ihm gehegte Hoffnung auf eine natur­ geschichtliche Professur in seiner Heimath zu einer bestimmten Aus­ sicht.

Sein erster Brief in dieser Angelegenheit an Herrn Louis

Sechstes Capitel.

110

de Coulon, einen bekannten Naturforscher und später einer seiner wärmsten Freunde in Neuchätel — muß kurz vor Empfang der

Humboldt'schen Zeilen, welche ihn von seinen Geldverlegenheiten be­ freiten, geschrieben sein.

Agassiz an Louis de Coulon. Paris, 27. März 1832.

. . . Als ich das Vergnügen hatte, Sie im vorigen Sommer zu sehen,

sprach

ich einigemale

meinen

ans,

lebhaften Wunsch

mich in Ihrer Nähe niederzulafsen, und die Absicht, einige Schritte zu thun, um den an Ihrem Lyceum zu errichtenden Lehrstuhl der Naturgeschichte zu erhalten.

Diese Angelegenheit muß inzwischen

weiter gefördert worden fein, als sie es im vorigen Jahr war, und Sie würden mich durch eine Auskunft darüber sehr verpflichten.

Ich

habe mit Herrn v. Humboldt, den ich öfter sehe, und der sich freund­

lich für meine Aussichten interessirt und mich mit seinem Rath unter­

stützt von meiner Absicht gesprochen. Er meint, daß unter den ob­ waltenden Verhältnissen und besonders in Rücksicht auf meine Lage vorläufige Maßregeln getroffen werden sollten.

Ueber einen anderen

Punkt von großer Wichtigkeit für mich, möchte ich noch mit Ihnen sprechen.

Obwohl Sie nur einen kleinen Theil davon gesehen haben,

so wissen Sie doch, daß ich auf meinen verschiedenen Reisen, theils

durch meine Beziehungen zu anderen Naturforschern,

theils

durch

Umtausch, eine sehr schöne naturwissenschaftliche Sammlung zusammen­ gebracht habe,

die besonders reich an denjenigen Thierklassen ist,

welche in Ihrem Museum weniger vollständig vertreten sind.

Meine

Sammlung könnte deshalb die Lücken derjenigen der Stadt Neuchätel ausfüllen, und die letztere mit mehr als genügenden Lehrmitteln zu

naturwissenschaftlichen Vorlesungen versehen.

Sollte also eine Ver­

mehrung Ihrer zoologischen Sammlung in Ihren Plänen für das Lyceum liegen, so wage ich zu glauben, daß die meinige dem Zweck

vollständig entsprechen würde.

In diesem Falle würde ich sie Ihnen

anbieten, da die Kosten der Erhaltung und Aufstellung meine Mittel weit überschreiten.

Ich muß darauf bedacht sein, mich von dieser

Last zu befreien, obwohl es mir schwer wird, mich von den Begleitern

meiner Studien, welche fast allen meinen Untersuchungen zur Grund-

Bericht über die Professur in NenchLtel.

läge dienten, zu trennen.

111

Ich habe auch hierüber mit Herrn von

Humboldt gesprochen, der so gut ist, sich dafür zu interessiern und

sogar Schritte bei der Regierung thun will, um den Ankauf zu ver­

mitteln.

Sie würden mir den größten Dienst erweisen, wenn Sie mich

in allen diesen Angelegenheiten berathen und mir besonders folgende Fragen beantworten wollten: 1) Von wem die Ernennung des Pro­

fessors abhängt? 2) Wer den Ankauf der Sammlung zu besorgen hat? 3) Was Sie meinen, daß ich in Bezug auf beides thun solle? Sie werden leicht begreifen, daß ich meine Sammlungen nur unter der

Bedingung abgeben kann, daß mir der freie Gebrauch derselben ge­ stattet wird" ... Die Antwort auf diesen Brief war nicht nur höflich, sondern herzlich, aber es verging doch einige Zeit, ehe ein endgültiger Ent­ schluß getroffen wurde. Inzwischen zeigt das folgende Schreiben,

welche Zweifel und Versuchungen Agassiz einen Augenblick in seiner

Entscheidung schwankend machten.

Der Tod von Cuvier war dazwischen

getreten.

Agassiz an Humboldt. Paris, Mai 1832.

... Ich wollte nicht schreiben, ehe ich bestimmte Nachrichten von NeuchLtel hatte.

Vor zwei Tagen erhielt ich einen sehr erfreu­

lichen Brief von Herrn von Coulon, dessen Inhalt ich mich beeile,

Ihnen mitzutheilen. Er sagt mir, daß er dem.Erziehungsrath die Errichtung eines Lehrstuhls der Naturgeschichte vorgeschlagen

habe, der mir angeboten werden solle. ausgenommen worden.

Der Vorschlag sei freundlich

Das Bedürfniß nach einer solchen Profeffur

wurde einstimmig anerkannt, aber der Präsident erklärte, daß weder

die Beschaffenheit der Schatzkammer die Errichtung

derselben in

diesem Jahre gestatte, noch der Vorschlag dem Staatsrath vor Er­

öffnung des Lyceums gemacht werden könne. Herr v. Coulon wurde beauftragt, mir zu danken und mich zu

bitten, diese Stelle im Auge zu behalten.

Sollte ich aber eine sofor­

tige Anstellung vorziehen, so zweifelt er nicht, daß sich die Sache anstatt durch die Stadt, die es jetzt noch nicht kann, durch Subskription erreichen ließe, in welchem Falle ich dann mein Amt gleich antreten

Sechstes Capitel.

112

könnte.

Er erbittet sich eine schnelle Antwort, um alle erforderlichen

Vorbereitungen zu treffen.

Wie gerne hätte ich Sie über verschie­

dene Vorschläge, die mir in den letzten Tagen hier gemacht worden sind, zu Rathe gezogen und mein Thun Ihrer Beistimmung unter­ worfen, wenn nicht hier wie in Neuchätel eine sofortige Antwort

verlangt worden wäre. .Obwohl ich mich mehr durch meinen Instinkt als durch andere Erwägungen leiten ließ, so hoffe ich doch, die rich­

tige Entscheidung getroffen zu haben.

In Fällen, wo man nicht

weit genug sieht, um ein sicheres Urtheil durch Ueberlegung zu ge­ winnen, ist das Gefühl am Ende der beste Berather. innere Antrieb sagte mir:

Und der

„Geh nach Neuchätel; bleib nicht in

Paris."

Aber ich spreche in Räthseln; ich muß mich deutlicher

erklären.

Vorigen Montag schickte Levrauit nach mir, um mir vor­

zuschlagen, daß Valenciennes und ich die Veröffentlichung der Cuvierschen Fische gemeinsam unternehmen sollten ... Ich sollte noch in

dieser Woche eine bestimmte Antwort geben.

Ich habe es reiflich

überlegt und bin zu der Entscheidung gekommen, daß das unbedingte

Eingehen einer solchen Verbindlichkeit mich von meinem nächsten Ziel und von dem, was ich als die Aufgabe meines Lebens betrachte,

abl.enken würde.

Die schon veröffentlichten Bände des Systems der

Ichthyologie liegen zu weit ab von dem Weg, welchen ich bei meinen

Forschungen zu verfolgen gedenke.

Endlich scheint es mir, daß an

einem zurückgezogenen Orte wie Neuchätel,

alle in mir liegenden

Keime eine unabhängigere und individuellere Entwicklung

nehmen

werden, als in diesem ruhelosen Paris, wo Hindernisse und Schwierig­ keiten mich vielleicht nicht von meinen Vorsätzen abziehen, aber sie doch stören und ihre Aussühruilg verzögern könnten.

Ich will des­

halb meine Antwort an Levrault dahin abgeben, daß ich nur ein­ zelne Theile der Arbeit übernehmen wolle, deren Auswahl mir in Anbetracht meines Interesses an den fossilen- und Süßwasser-Fischen überlassen bleiben und mir zugleich gestattet werden solle, diese Samm­

lungen mit nach der Schweiz zu nehmen und dort zu bearbeiten. Von Paris aus würde es

auch nicht so leicht sein, mich nach

Deutschland zu begeben, während ich Neuchätel als eine vorläufige Station betrachten dürfte, von welcher ich an eine deutsche Universität berufen werden könnte . . .

Vorträge.

113

Geburtstagsfeier.

Während Agasfiz solchergestalt hoffnungsvoll auf den Erfolg seiner Verhandlungen mit NeuchLtel wartete, hatte er sich mit seinen

Freunden, den beiden Braun, ein Junggesellenleben

eingerichtet,

welches dem mit Alexander und den Gefährten in München ge­

führten sehr ähnlich war.

Der kleine Gasthof, in dem sie wohnten,

hatte sich mit deutschen Aerzten angefüllt, welche nach Paris ge­ kommen waren, um die Cholera in den Spitälern zu studiren.

Unter

denselben waren Studiengcnossen aus der Heidelberger und Münchner Universitätszeit, und auf ihr Ersuchen fingen Agassi; und Braun wieder an, Privatvorträge über Zoologie und Botanik zu halten.

Es herrschte dabei der ungezwungenste kameradschaftliche Ton und

Ein solcher

vollkommenste Freiheit der Einrede und Erörterung.

Gedankenaustausch wirkte äußerst anregend und führte zu innigen Beziehungen zwischen den Vortragenden und ihren Zuhörern.

Am

Vorabend von Agassiz's Geburtstag (28. Mai) bereitete ihm seine

Zuhörerschaft eine angenehme Ueberraschung.

Als er von einem

Spaziergang in der Dämmerung nach Hause zurückkehrte, fand er Braun in seinem Zimmer.

Er setzte seine Wanderung noch eine

Weile innerhalb seiner vier Wände fort, und Braun ging neben ihm, ihn in ein ernstes Gespräch ziehend, bis er ihn auf ein er­

in das Fenster zog und es öffnete. Auf der Straße unten standen die Gefährten und sangen ein zu Ehren

folgtes Zeichen plötzlich

Agassiz's componirtes Lied.

Ties ergriffen wendete er sich von dem

Fenster ab, gerade zur Zeit, um die die Treppe herauf Kommenden zu empfangen und ihre guten Wünsche entgegen.zu nehmen. Sie führten ihn dann in ein anderes Zimmer, welches sie mit Blumen

geschmückt, und woselbst sie Agassiz's Namen, aus Rosen gewunden, zwischen zwei an der Wand gekreuzten Bundesfahnen angebracht hatten.

Hier wurde das Abendessen aufgetragcn, und der Abend ver­

lief auf das heiterste unter Gesängen und Trinksprüchen, nicht nur

auf den Held des Festes und auf nahe und ferne Freunde, sondern auch auf den Fortschritt der Wissenschaft, auf die Freiheit des Volkes

und die Unabhängigkeit der Nationen.

Es konnte in jenen Tagen

keine Zukammenkunst zwischen begeisterten jungen Deutschen und

Schweizern stattfinden, ohne daß sich patriotische Bestrebungen dabei

kundgaben. Agassiz's Leben und Brieswechsel.

8

Sechstes Capitel.

114

Agassiz an Louis von Conlon. Paris, 4. Juni 1832.

Ihr freundlicher Brief hat mich sehr erfreut, und ich beeile mich ihn zu beantworten.

Was Sie schreiben, erfüllt mich nm so mehr

mit Befriedigung, als es mir die Aussicht eröffnet, mich in naher

Zukunft in Ihrer Nachbarschaft niederzulassen und die Früchte meiner Arbeit meinem Vaterlande zu widmen.

Sie vermuthen richtig, daß

Cuvier's Tod meine Stellung hier wesentlich verändert hat.

Ich bin

in der That schon aufgefordert worden, sein Fischwerk in Verbindung

mit Herrn Valenciennes fortzusetzen, der mir dieses Anerbieten am

Tage, nachdem ich Ihren Brief erhielt, machte.

Die mir gebotenen

Bedingungen waren sehr verlockend, aber mein Charakter ist zu

wenig französisch, und es verlangt mich zu sehr danach,

in der

Schweiz zu leben, um nicht die Stellung vorzuziehen, die Sie mir

anbieten können, wie gering auch der Gehalt sein möge; wenn ich nur wirklicher Noth enthoben werde.

Ich erwähne dies als Ant­

wort auf diejenige Stelle Ihres Briefes, welche diese Frage berührt. Ich füge bei, daß ich Ihnen ohne Rückhalt anZehöre, wenn nicht innerhalb der nächsten vierzehn Tage das Drängen der Pariser die

Oberhand gewinnt.

Sobald ich kann, schreibe ich Ihnen, daß ich

im Stande war abzulehnen.

Sie werden leicht begreifen, daß ich

nicht kurzweg ein Anerbieten zurückweisen kann, welches denjenigen, die es machen, so glänzend erscheint. Aber ich werde mich auf das äußerste zurückhalten. Mein Verhalten in Betreff meiner Ver­ öffentlichungen wird Ihnen gezeigt haben, daß ich nicht aus persön­ lichem Interesse nach einer einträglichen Stelle trachte, daß ich im

Gegentheil immer bereit sei» würde, die Mittel, die mir zu Gebote stehen, für die Förderung der Anstalt, die mir anvertraut ist, zu

verwenden. Meine Arbeit wird mich noch vier bis fünf Monate in Paris

sesthalten; nachher kann ich frei über meine Zeit verfügen.

Die

Zeit, zu der ich gern meine Vorlesungen anfangen möchte, ist nicht mehr entfernt, und wenn Ihre Landsleute der Errichtung der neuen

Professur günstig gesinnt sind, meine ich, müßten wir sie nicht lau werden lassen. Aber Sie haben mir so viele Güte erwiesen, daß ich die Entscheidung über diesen Punkt ruhig Ihnen, im Verein mit

Ihren Frenndcn, überlassen kann, um so mehr als Sie bereit sind,

Briefwechsel über die Professur in NeuchLtel.

115

meine Interessen zu verwalten, bis Sie einen Erfolg sehen, welchen

Sie freundlichst als einen Gewinn für Ihre Anstalt betrachten, während er für mich die Verwirklichung des ernstlichen Wunsches ist, Alles was ich kann, zur Förderung der Wissenschaft und der Belehrung der Jugend zu thun . . .

Der nächste Brief von Coulon (18. Juni 1832) meldet, daß da die Summe von achtzig Louisd'ors auf drei Jahre bewilligt worden

sei, theils von der Stadt, hauptsächlich aber von Privatpersonen, nun die Professur der Naturgeschichte dem jungen Landsmann sofort angc-

boten werden könne.

Zum Schluß sagt er: „Ich kann leicht begreifen,

daß die glänzenden Anerbietungen, welche Ihnen in Paris gemacht

worden sind, ein starkes Gegengewicht gegen unsere kleine naturge­

schichtliche Professur in Neuchätel bilden und Sie schwankend gemacht haben, besonders da Ihre wissenschaftliche Laufbahn dort einen so guten Anfang genommen hat.

Auf der anderen Seite aber, dürfen

Sie nicht an unserer Freude zweifeln über die Aussicht, Sie in Neuchätel zu haben, nicht nur wegen der Freundschaft, die viele

Menschen hier für Sie empfinden, sondern wegen des Glanzes, welchen eine solche Besetzung des naturgeschichtlichen Lehrstuhls unserer An­

stalt verleihen wird. Dessen sind sich die Unterzeichner unserer Liste wohl bewußt und es erklärt die schnelle Ausfüllung derselben. Wir sind alle sehr gespannt auf Ihre Entscheidung und bitten Sie daher,

uns so bald wie möglich Nachricht zu geben." — Ein Brief von Humboldt an Coulon aus dieser Zeit zeigt, mit welcher Theilnahme

derselbe die Angelegenheiten Agassiz's verfolgte. Humboldt an Louis von Coulon. Potsdam, 25. Juli 1832.

... Ich komme nicht mit einer Bitte, sondern wünsche nur meinen wärmsten Dank auszusprechen für Ihr edles und groß­ müthiges Verhalten gegen den jungen Gelehrten, Herrn Agassi;, der

einer solchen Aufmunterung und Unterstützung von Seiten Ihrer Regierung sehr würdig ist.

Er ist ausgezeichnet durch seine Talente,

durch die Mannigfaltigkeit und Gründlichkeit seiner Kenntnisse und durch die in unserer Zeit besonders schätzbare Liebenswürdigkeit seines

Wesens.

Sechstes Capitel.

116

Durch unseren gemeinsamen Freund, Herrn von Buch, weiß ich seit vielen Jahren, daß Sie Naturgeschichte mit ebenso viel Eifer als Erfolg studiren, und daß Sie schöne Sammlungen zusammengebracht

haben, welche Sie anderen mit großer Hochherzigkeit zur Verfügung

stellen.

Es freut mich,

daß Sie Ihr Wohlwollen einem jungen

Manne zuwenden, der mir so lieb ist, und den der berühmte Cuvier,

besten Verlust wir immer beweinen müssen, mit derselben Wärme empfohlen haben würde, denn seine gute Meinung war, ebenso wie die meine, auf die bewunderungswürdigen Werke von Agassiz, welche

nun beinah beendet find, gegründet . . . Ich habe Herrn Agassiz dringend gerathen, die Anerbietungen, welche ihm nach Cuvier's Tode gemacht worden sind, nicht anzu­

nehmen, und seine Entscheidung ist meinem Rath zuvorgekommen. Welches Glück wäre es für ihn und für die Vollendung der vortreff­ lichen Werke, die ihn beschäftigen, wenn er sich noch in diesem Jahr an den Usern Ihres Sees niederlasten könnte.

Ich zweifle nicht

daran, daß ihm der wirksame Schutz Ihres würdigen Statthalters

zu Theil werden wird, dem ich diese Bitte aussprechen werde, und

der mich und meinen Bruder mit einer Freundschaft beehrt, die mir sehr werthvoll ist. Leopold von Buch, der sich beinah so sehr wie ich für Herrn Agassiz und seine Arbeit über fossile Fische interessirt,

(die wichtigste, welche je unternommen wurde und eben so eingehend auf zoologische Charaktere als auf geologische Ueberreste) hat mir. ehe er von Berlin nach Wien abreiste, versprochen, seine Bitten mit

den meinigen zu vereinigen . . .

Der nächste Brief von Agassiz an seinen einflußreichen Freund

ist nach seiner endgültigen Annahme der Neuchäteler Professur ge­ schrieben. Agassiz an Humboldt. Paris, Juli 1832.

. . . Bei Empfang Ihres lieben Briefes hätte ich gar zu gern Ihnen unmittelbar geantwortet und gemeldet, wie erfreulich sich alles in Neuchätel gestaltet hat.

Ihre Briefe an Herrn v. Coulon und

an General v. Pfuel haben Wunder gethan; dafür hält man aber auch mich jetzt dort für ein blaues Meerwunder, und ich werde mich

Neue Klassifikation der Fische.

117

gn strengen müssen durch meine Gegenwart die Fama nicht Lügen zu strafen.

Es ist wohl auch recht so, dann kann ich nicht verleitet

werden, in der Hingabe an meine Aufgabe nachzulafsen.

Der eigent­

liche Grund aber, warum ich nicht gleich geschrieben, ist der, daß ich

so viele Beweise der hilfreichen Theilnahme und der freundlichsten Aufmunterung nicht durch einen leeren Brief erwiedern wollte. wünschte Ihnen die Ergebniffe

Ich

meiner Untersuchungen, namentlich

über die fossilen Fische mitzutheilen, und dazu war es nothwendig eine Revision meiner Mappe und eine Zählung meiner Tabellen

vorzunehmen, um alles in wenigen Sätzen aussprechen zu können. Ich habe Ihnen schon gesagt,

daß die Untersuchung der lebenden

Fische mich bewog, eine neue Klassifikation derselben vorzuschlagen, in der die bestehenden Familien nach anderen Rücksichten als die bis­

herigen, gegenseitig eine mir viel natürlicher scheinende Stelle erhalten haben.

Ich legte Anfangs

keinen besonderen Werth auf meine

Klassifikation . . . Nur schien es mir Vortheilhaft Charaktere zu be­ nutzen, welche bei den fossilen Fischen häufig wiederkehren und welche mich in den Stand setzten, Ueberreste zu bestimmen, die sonst keiner

besonderen Berücksichtigung werth erachtet wurden . . . Dabei blieb

ich eine geraume Zeit stehen und in der speciellen Untersuchung be­ fangen, achtete ich selbst noch nicht auf das Gebäude, das sich un­ bewußt erhob. Als ich nun die Vergleichung der fossilen Arten in

Paris vollendet hatte, wollte ich zur leichteren Uebersicht eine Tabelle derselben machen nach der Reihenfolge der geologischen Formation,

in der Absicht die charakteristischen Arten genauer zu bezeichnen und bei der Aufzählung mehr hervorzuheben. Wie freudig überrascht war ich, als ich auf einmal unerwartet gewahr wurde, daß die einfachste

Aufzählung der fossilen Fische in der Reihenfolge der Formation

zugleich

der volle Ausdruck der natürlichen Verwandschaften der

Familien unter sich sei; daß man daraus die genetische Entwicklung

der ganzen Klasse in der Schöpfungsgeschichte ausgesprochen sieht, daß das Hervortretcn der Gattungen und Arten in den verschiedenen

Familien darin bestimmt ist; mit einem Worte, daß die genetische Aufeinanderfolge der Fische mit ihrer zoologischen Klassifikation voll­ kommen übereinstimmt, und daß eben diese Klassifikation die von

mir vorgeschlagene ist.

Hier ist also nicht mehr von einer über­

wiegenden Anzahl gewisser Gattungen und Arten zur Charakteristik

118

Siebentes Capitel.

der Formationen die Rede, sondern von bestimmten, in bestimmter Reihe

aufeinanderfolgenden Organisationsverhältnissen,

die durch

alle Formationen nach bestimmter Richtung durchgehen und an den

hervorgebrachten Organismen und ihren Gebilden wieder erkennbar

sind . . . Sollten meine Schlüffe durch keine späteren Entdeckungen nMgestoßen oder modificirt werden, so wäre damit eine neue Bahn

für die Petrefaktenkunde eröffnet.

Wollen Sie meine Entdeckung

mittheilen, so wäre mir dies um so willkommener, als ich noch nicht

weiß, bis wann ich mit der Herausgabe ansangen kann, und es

dürfte doch Manchen interessiren, davon zu hören.

Dieses Re­

sultat scheint mir das wichtigste, abgesehen davon, daß ich an fünf­ hundert ausgestorbene Arten, theils aus Bruchstücken restaurirt, und mehr als fünfzig ausgestorbene Gattungen und drei ebenfalls nicht mehr repräsentirte Familien wieder hergestellt habe.

Cotta hat mir sehr artig geschrieben, er könne jetzt unmöglich

etwas neues unternehmen; er wolle lieber umsonst bezahlen, was er auch wirklich gethan hat, indem er mir fünfzehnhundert Franken zukommen ließ.

Dadurch ist es möglich geworden, Dinkel in Paris

zu lassen, um noch alles zu zeichnen.

Obgleich es mir oft hart vor­

kommt, muß ich mich doch darein fügen, abgeschloffene Untersuchungen

in das Pult verschließen zu muffen . . .

Siebentes Capitel. 1832-1834. Vom 25. bis 27. Jahre. Antritt der Professur in NeuchLtel. — Erste Vorlesung — Erfolg als Lehrer. — Liebe zum Unterrichten. — Einfluß auf das wissenschaftliche Leben in Neu­

chLtel. — Anträge von der Universität Heidelberg. — Ablehnung derselben. — Drohende Erblindung. — Briefwechsel mit Humboldt. — Verheirathung. — Ein­ ladung von Charpentier. — Einladung nach England. — Wollaston Preis. —

Erste Nummer der fossilen Fische. — Uebersicht des Werkes.

Im folgenden Herbst trat Agassiz seinen Lehrstuhl in NeuchLtel an.

Seine Eröffnungsrede „über das Verhältniß der verschiedenen

Zweige der Naturgeschichte zu einander und

die zur Zeit vorherr-

119

Antrittsrede in NeuchLtel.

schenken Richtungen in der Wissenschaft" wurde am 12. Nov. 1832 in dem Rathhause gehalten.

Nach dem Eindruck, welchen die Zu­

hörer, der Ueberlieferung nach, davon behielten, muß diese Antrittsrede sich durch denselben weiten Ueberblick über allgemeine Gesetze, welche

Agassiz's spätere Lehrweise charakterisirte, ausgezeichnet haben.

In

seiner Behandlung gewannen die Thatsachen ihre richtige Stellung als Theile eines Ganzen und wurden nie nur als specielle oder ver­ einzelte Erscheinungen dargestellt. als Lehrer ganz unzweifelhaft.

welcher von Jugend an

Lebens war.

Von Anfang an war sein Erfolg

Jetzt hatte er den Beruf gefunden,

bis in das hohe Alter die Freude seines

Unterrichten wurde bei ihm zur Leidenschaft, und die

Macht, welche er über seine Schüler ausübte, eigenen Begeisterung bemessen werden.

konnte nach seiner

Er war sowohl in geistiger,

als in gesellschaftlicher Beziehung ein Demokrat im besten Sinne

des Wortes.

Mit Entzücken streute er die höchsten Ergebnisse seines

Denkens und seiner Forschungen mit vollen Händen aus und wußte

sie dem Verständniß der jüngsten und ungeschultesten anzupassen. Auf seinen späteren Reisen in Amerika pflegte er dem Führer einer Landkutsche oder irgend einem Arbeiter, der am Weg Steine klopfte,

mit

demselben Eifer von

den Erscheinungen der Gletscherwelt zu

erzählen, den er bei Verhandlungen mit Fachgenoffen über die wich­ tigsten Fragen an den Tag legte.

Den einfachsten Fischer weihte

er in seine wiffenschaftlichen Gedanken ein, indem er ihm die inner­

sten Geheimnisse des Baus und der Entwicklungsgeschichte der Fische

erklärte, bis der Mann seinerseits in Begeisterung gerieth und anfing, sich in Mittheilungen aus dem Vorrath seiner eigenen ungeschulten

Beobachtungen zu ergehen.

Agassiz's fester Glaube an die Empfäng­

lichkeit selbst des unentwickelsten Volksgeistes für die höchsten Natur­

wahrheiten wirkte ansteckend, und er schuf oder entwickelte das, woran er glaubte. In Neuchätel übte die Anwesenheit des jungen Professors sofort

einen anregenden Einfluß aus.

Die kleine Stadt wurde plötzlich

zum Mittelpunkt wissenschaftlicher Thätigkeit.

Es wurde eine Gesell­

schaft zur Förderung der Naturwiffenschaften ins Leben gerufen.

Die

wissenschaftlichen Sammlungen, welche schon unter Herrn v. Coulon einen bedeutenden Werth erlangt hatten, nahmen jetzt eine immer größere Ausdehnung an und gestalteten sich zu einem wohlgeordneten

Siebentes Capitel.

120

Museum.

An Herrn v. Coulon fand Agassiz einen edelgesinnten

Freund und kenntnißreichen Kollegen, der an seinen höchsten Bestre­ bungen theil nahm und immer bereit war, alle seine Bemühungen

zur Förderung der Wissenschaft zu unterstützen.

Sie arbeiteten zu­

sammen an der Errichtung, Erweiterung und Eintheilung des natur­

geschichtlichen Museums, welches bald als eine der ersten Anstalten dieser Art bekannt wurde.

Außer dem Unterricht, den Agassiz in dem Gymnasium er­

theilte, versammelte er noch einen kleinen Kreis von Freunden und Nachbarn um sich, welchen er im Winter Vorträge über Botanik,

Zoologie

und

Naturphilosophie hielt.

Diese

belehrenden

Unter­

haltungen gingen in der ungezwungensten und formlosesten Weise

vor sich und wurden in späteren Jahren bei seinen eigenen und den Kindern seiner Freunde fortgesetzt.

Bei diesen letzteren entnahm er

den Lehrstoff vorwiegend aus dem Gebiet der Geologie und Geo­

graphie in Verbindung mit Botanik, und bei günstigem Wetter

wurden die Stunden meist im Freien gegeben.

Man kann sich leicht

vorstellen, welche Freude es für die jugendliche Schaar von Knaben

und Mädchen gewesen sein muß, große Spaziergänge auf die Berge und Felder zu machen, namentlich auf den hinter Neuchätel auf­ steigenden Chaumont, und so während des vergnüglichen Umher­

streifens ihren Unterricht zu erhalten, der an die von der nächsten Umgebung gebotenen Gegenstände und Thatsachen anknüpste. Von einem erhöhten Standpunkt aus, welcher eine weite Aussicht gestattete,

erklärte ihnen Agassiz die Bildung der Seen, Inseln, Ströme, Quellen, Wasserbehälter, Hügel und Thäler. Er behauptete immer,

daß physikalische Geographie den Kindern viel besser in der nächsten Umgebung

ihrer Heimath, als durch Bücher, Karten oder selbst

Globen beigebracht werden könnte.

Auch bedurfte er keiner mannig­

faltigen Landschaft zu seinem Unterricht.

Eine wellenförmige Er­

hebung des Bodens, einiger Gegensatz von Hügel und Thal, eine

Wasserfläche mit den Flüßen, welche sie speisen, ein beliebiger Felsen­ spalt, der als Wasserbehälter dient, finden sich überall, und der Zusammhang der Thatsachen läßt sich eben so gut an kleineren, als

an größeren Beispielen nachweisen. Wenn es nicht möglich war, die Stunden im Freien zu geben, versammelten sich die Kinder um einen großen Tisch, wo jedes

Art und Weise des Unterrichts.

121

vor sich seine Exemplare von Steinen und Fossilien oder Blumen,

Früchten und getrockneten Pflanzen liegen hatte.

Jedem Kind wurde

dann der Reihenfolge nach noch einzeln erklärt, was zuerst allen

gemeinschaftlich vorgetragen war.

Wenn von fernen oder tropischen

Gegenden die Rede war, so wurde keine Mühe gescheut, um ein­ schlagendes Material Herdeizuschaffen und die Kinder lernten auf

diese Weise Datteln, Bananen, Cocosnüssc und andere Früchte kennen,

die in jenen Tagen in einer kleinen Kontinentalstadt nicht leicht zu haben waren.

Natürlich durften dann zum Schluß der Stunde die

Exemplare zu gründlicherem Kennenlernen verzehrt werden, was bei

den Kindern besonderen Beifall fand.

Ein großer hölzerner Globus,

auf dessen Oberfläche die verschiedenen Theile der Erde, welche zur

Besprechung gelangten, gezeigt werden konnten, diente zur besseren Veranschaulichung.

Die Kinder mußten auch ihren Theil zur Be­

lehrung beitragen, indem sie das, was gerade erklärt worden war,

ihrerseits beschrieben und auffuchten.

Sie nahmen ihre Sammlungen

mit nach Hanse, und als Vorbereitung für die nächste Stunde wurde ihnen aufgetragen, einige ungewöhnliche Exemplare zu bestimmen und beschreiben, ohne sich dabei helfen zu lassen.

Nie herrschte Lange­

weile in der Klasse. Agassiz's lebhafte, klare und anziehende Lehr­ weise erweckte in den kleinen Schülern die eigenen Kräfte der Beob­

achtung und eröffnete wenigstens einigen von ihnen dauernde Quellen des Genusses. Der Unterricht, welchen er den älteren Schülern ertheilte, be­ ruhte auf der gleichen Methode und war für dieselben nicht weniger

Im Winter trug er meist Zoologie und damit verwandte

anziehend.

Gegenstände vor, im Sommer Botanik und Geologie und benutzte die schönen Tage zu Exkursionen und praktischer Belehrung auf den

Feldern.

Prof. Louis Favre sagt von diesen Exkursionen, die manch­

mal in die Schluchten von Seyou, manchmal in die Wälder des

Chaumont führten:

„Es waren Festtage für das junge Volk, das

an seinem Professor einen theilnehmcnden Gefährten voll Kraft, Lust

und Heiterkeit hatte, dessen Begeisterung in ihnen die heilige Flamme

der Wissenschaft entzündete." Es dauerte nicht lange bis Agassiz's wachsendes Ansehen ihm

Berufungen nach anderen Orten eintrug. Heidelberg.

Eine der ersten kam von

122

Siebentes Capitel.

Professor Tiedemann an Louis Agassi;.

Heidelberg, 4. Dec. 1832. ... Sm verflossenen Herbst, da ich das Vergnügen hatte, Sie in Karlsruhe zu sehen, machte ich Ihnen den Vorschlag, Vorlesungen

über die Naturgeschichte der Thiere an hiesiger Universität zu halten. Professor Leuckart, der bisher hier die Zoologie vortrug, ist nach Freiburg versetzt, und Sie würden also der Einzige sein, der hier

Zoologie lehrt.

Bei dem starken Besuch der Universität läßt sich auf

eine große Zahl von Zuhörern rechnen.

Die zoologische Sammlung,

die wie Sie wiffcn, nicht unbedeutend ist, steht Ihnen zur Benutzung

offen.

Prof. Leuckart bezog ein Gehalt von fünfhundert Gulden.

Dieses Gehalt ist nun disponibel und ich zweifle nicht, daß die Re­ gierung es Ihnen geben würde.

Sie haben sich Kenntnisse erworben,

um als tüchtiger akademischer Lehrer wirken zu können.

Mein Rath

ist daher, daß Sie sich nicht an ein Gymnasium oder Lyceum fixiren; das sagt einem wissenschaftlich gebildeten Mann auf die Dauer nicht zu und dabei läßt sich kein Wirkungskreis für einen tüchtigen Ge­

lehrten hoffen. Gehen Sie nun reiflich mit sich über einen so wichtigen Gegen­ stand, der das Wirken Ihres Lebens betrifft, zu Rathe.

mir das Resultat Ihrer Berathung baldigst mit.

Theilen Sie

Sind Sie zur

Annahme meines Vorschlags geneigt, so hoffe ich, daß Sie hier nm Ostern als Professor extraordinarius, mit einem jährlichen Gehalt von fünfhundert Gulden, einen ihren Kenntnissen angemessenen Wirkungs­

kreis finden.

Das Honorar für Vorlesungen und literarische Arbeiten

kann Shnen im Jahr auch noch 1500 Gulden abwerfen. entschloffen auf meinen Vorschlag einzugehen,

Sind Sie

so senden Sie mir

Ihre Snaugural-Dissertatjon und machen Sie mich bekannt mit Ihren literarischen Arbeiten, um bei dem Kuratorium die nöthigen Schritte zu thum Sehen Sie diesen Vorschlag als einen Beweis

der Hochschätzung Ihrer literarischen Bestrebungen und meiner Zu­ neigung zu Ihrer Persönlichkeit an . . . In seinem nächsten Brief an Humboldt holt Agassiz dessen Rath

über den Ruf nach Heidelberg ein und drückt seine Freude über

die warme Aufnahme aus, welche ihm in Neuchätel zu Theil ge­ worden war.

123

Bries an Humboldt.

Agassi; an A. von Humboldt. December 1832.

. . . Endlich bin ich in Neuchätel und zwar habe ich heute vor vier Wochen meine Vorlesungen angefangen. Ich bin hier auf

eine Art empfangen worden, wie ich es nie gedacht hätte, die mir nur durch Ihr Wohlwollen und Ihre freundliche Empfehlung zu Theil werden konnte. Haben Sie meinen innigsten Dank für Ihre Bemühungen und für Ihre fortdauernde Theilnahme, und lassen Sie mich Ihnen mit den Jahren und durch meine Arbeit mehr als durch Worte zeigen, daß es mir ernst ist um die Wissenschaft, und daß

mein Gemüth nicht unempfänglich ist für so großartige Aufmunterung, wie sie mir von Ihnen zu Theil wurde. Meinen Brief

aus Karlsruhe

werden Sie

erhalten haben.

Könnte ich Ihnen nur alles das sagen, was ich über die Entwicklungs­

geschichte der Erde, über die Folgenreihe ihrer Geschöpfe und über die genetische Klassifikation derselben gedacht und beobachtet habe. Es läßt sich so schwer in gedrängter Kürze schreiben.

Ich will es

aber doch versuchen, sobald meine Vorlesungen mich weniger in An­

spruch nehmen und meine Auge» weniger angegriffen sind.

Wenn

ich heute nicht etwas wenigstens äußerlich wichtigK zu melden hätte, würde ich mit Schreiben noch gewartet haben.

Dieses betrifft bei­

folgenden Brief (das Anerbieten einer Professur in Heidelberg). Glauben Sie, daß ich darauf keine Rücksicht nehmen solle, so lassen Sie mich, wenn Sie keine Zeit zum Antworten haben, Ihre Meinung

durch Stillschweigen wissen. Ich will dann alle die guten Gründe anführen, die mich bestimmen können vor der Hand lieber in Neuchätel zu bleiben. werden.

Ich glaube im voraus, daß Sie dieselben billigen

Da mir meine Vorlesungen wenig Zeit rauben werden,

kann ich um so mehr auf meine Arbeiten verwenden.

Dann ist die

Lage von Neuchätel herrlich zu Beobachtungen über die Entwicklungs­ geschichte der Thiere, wie ich vorhabe, sie über mehrere Klaffen zu

machen; dann habe ich hier die Hoffnung mich der Bürde meiner Sammlung zu entledigen, und endlich ffnde ich hier die Ruhe, deren meine angegriffene Gesundheit bedarf.

Diese günstigen Umstände

sind für mich ein Hauptbeweggrund zu dem Wunsche hier zu bleiben;

auch bin ich überzeugt, daß mehrere Personen hier mich mit der

größten Bereitwilligkeit unterstützen würden,

wenn meine Pubsi?

124

Siebentes Capitel.

kationen sonst nicht zu Stande kommen könnten.

Was die Publikation

meiner Fische betrifft, so werde ich am Ende hier das Lithographiren der Tafeln am besten selbst leiten können. Ich habe darüber eben jetzt an Cotta geschrieben und ihm vorgeschlage», er solle mir die Kosten

der Lithographirung allmälig vorschießen, ich wolle ihm alles be­

sorgen und mich vor der Hand mit einer geringen jährlichen Unter­ stützung begnügen.

Bei dem allmäligen Verkaufe soll er mir dann

nach und nach auch meine Kosten ersetzen; auf Honorar mache ich

nur dann Anspruch, wenn der Absatz des Werkes ihm die Zahlung eines solchen möglich macht. Ich erwarte nun seine Antwort. Dieser Vorschlag schien mir am geeignetsten, weil es doch am Ende haupt­ sächlich darauf ankommt, daß die Werke publizirt werden.

Seitdem ich hier bin, sind mit Hülfe des Herrn Coulon einige

wiffenschaftliche Bestrebungen gemacht worden.

Wir haben bereits

eine naturwissenschaftliche Gesellschaft gestiftet') und ich hoffe, wenn Sie uns im nächsten Jahre die Ehre Ihres Besuches gönnen, so sollen Sie diesen Keim wenigstens schon auf der Neige zwischen Laub

und Blüthe finden, ohne daß er inzwischen in Kraut aufgeschossen wäre.

Herr Coulon sagt mir, er habe vorgestern mit Herrn Mont-

mollin, dem Schatzmeister, wegen des Ankaufs meiner Sammlung gesprochen, und dieser wolle darüber an Herrn AnMon schreiben ...

Wollen Sie die Güte haben, gelegentlich Herrn AnMon ein Wort darüber zu sagen? . . . Außerdem daß diese Sammlung gewiß für die hiesige Anstalt von großem Nutzen wäre, würde mir durch den

Ankauf ein großer Vorschub geleistet zu meinen ferneren Unter­ suchungen, die ich mit achtzig Louis, dem Betrag der Subskription

für meine Anstellung nicht in einem so ausgedehnten Maßstabe fort­

setze» kann, als ich möchte.

Ich erwarte jetzt mit Sehnsucht die

Antwort von Cotta auf meinen letzten Vorschlag; diese mag nun aber ausfallen, wie sie will, so lasse ich doch das Lithographiren der Tafeln unmittelbar nach Neujahr anfangen, da dieselben nothwendig

unter meinen Augen und meiner Leitung ansgeführt werden müssen. Ich kann es thun,

da mir mein Onkel Dr. Mayor in Lausanne

achtzig Louis dazu giebt, die Summe welche Weber, mein ehemaliger

Lithograph in München für ein Jahr verlangt. *) Societe des Sciences naturelles de Neuchätel.

Ich habe ihn also

Brief von Humboldt an Conlon.

dazu kommen lassen und erwarte ihn um Neujahr.

125

Mit meinem

Gehalt kann ich dann Dinkel erhalten, der mir jetzt in Paris die letzten Versteinerungen, die ich beschrieben habe, zeichnet...

Eine andere Antwort auf diesen Brief, als die in dem folgenden an Herrn Coulon enthaltene, ist nicht gefunden worden.

A. v. Humboldt an Coulon.

Berlin, 21. Januar 1833.

. . . Es macht mir große Freude den schmeichelhaften Empfang anzuerkennen, den Sie und Ihre Mitbürger Herrn Agassiz zu Theil

werden ließen, der so hoch in der Wissenschaft dasteht und deflen geistige Bedeutung durch seinen liebenswürdigen Charakter noch erhöht wird.

Man schreibt mir von Heidelberg, daß die Stelle von Prof.

Leuckart unserem jungen Freund angeboten werden soll.

Er ist von

Herrn Tiedemann vorgeschlagen worden und nichts könnte ehrenvoller

für ihn sein; dennoch hoffe ich, daß er den Ruf ablehnen wird.

Er

sollte einige Jahre in Ihrem Lande bleiben, wo eine großherzige

Theilnahme ihm die Veröffentlichung seines Werkes erleichtert, welches

für Zoologie und Geologie von gleicher Bedeutung ist.

Ich habe

mit Herrn Aneillon gesprochen und habe ihm eine officielle Notiz,

den Ankauf der Agassiz'schen Sammlung betreffend, zukommen lasten.

Die Schwierigkeit wird hierbei, wie in allen menschlichen Dingen in der Prosa des Lebens, im Gelde liegen.

Herr An?illon schreibt mir

diesen Morgen: „Ihr Schreiben zu Gunsten des Herrn Agassiz ist ein wissenschaftlicher Creditbrief, welchem wir zu entsprechen suchen werden. Die gleichzeitige Erwerbung eines bedeutenden Mannes

und einer bedeutenden Sammlung würde ein doppelter Sieg für die Regierung von Neuchütel sein. Ich habe von dem Staatsrath einen Bericht verlangt über die Mittel dies zu erreichen und ich hoffe, daß auch Privatpersonen dazu beitragen werden."

Sie sehen also, daß

diese Angelegenheit wenigstens auf gutem Wege ist.

Ich glaube

aber nicht, daß die Königliche Schatzkammer fürs erste mehr als

tausend Preußische Thaler dazu hergeben wird . . . In Betreff des Rufes nach Heidelberg war Agassiz's Entscheidung

schon getroffen.

Ein Brief an seinen Bruder von Ende December

erwähnt, daß ihm eine Professur an der Universität in Heidelberg

Siebentes Capitel.

126

durch die Hoffnung seine Sammlung in NeuchLtel zu verkaufen und dadurch von einer schweren Last befreit zu werden, ausgewogen würde. Agassiz wurde in dieser Zeit von einem großen Unglück bedroht.

Schon in Paris hatten seine Augen angefangen, von der Anstrengung der Arbeit am Mikroskop zu leiden.

Jetzt wurden sie ernstlich krank

und während einiger Monate war er genöthigt, seine Thätigkeit ein­ zustellen und sich sogar des Briefschreiben zu enthalten.

In dieser

Zeit, während er in ein verdunkeltes Zimmer gebannt war, übte er

seine fossilen Studien nur durch das Tastgefühl aus und benutzte

sogar die Zungenspitze, um die Eindrücke herauszufühlen, wenn die Finger nicht feinfühlig genug waren.

Er sagte später, daß er in

jener Zeit ganz überzeugt gewesen sei, auf diese Weise sein Tast­

gefühl zu einer solchen Ausbildung zu bringen, daß der Verlust des Gesichts ihn nicht genöthigt haben würde, seine Arbeit aufzugeben. Nach einigen Monaten besserten sich seine Augen, und obwohl er zu

Zeiten von der Wiederkehr desselben Uebels bedroht war, so konnte

er doch sein ganzes Leben hindurch seine Augen anhaltender ge­

brauchen, als die meisten Menschen. immer frei vortrng, scheinen

Seine Vorlesungen, die er

nicht ans längere Zeit unterbrochen

worden zu sein.

Der folgende Brief von Agassiz an Humboldt ist einem rohen unvollendeten Entwurf entnommen, welcher (vielleicht der kranken Augen wegen) liegen blieb und erst im folgenden Mai beendet wurde. Obwohl unvollständig, so erklärt er doch Humboldt's Antwort, die

nicht nur an sich interessant ist, sondern auch Licht auf Agassiz's Thun in diesem Zeitraum wirst. Agassiz an Humboldt.

NeuchLtel, 27. Januar 1833.

Tausend Dank für Ihren letzten lieben Brief.

Ich kann Ihnen

gar nicht sagen, welche große Freude er mir verursacht und wie es mich erhebt und zu stets erneuter Thätigkeit anspornt, mit Ihnen auf

einem so vertrauten Fuße verkehren zu dürfen.

Seit ich Ihnen ge­

schrieben habe, hat sich mir einiges bestimmter gestaltet, namentlich

ist mein Vorsatz, die fossilen Fische hier herauszugeben, reif ge­

worden.

Es bleiben mir nur noch einige Skrupel, über welche ich

Sie um Rath fragen wollte.

Ich kann jetzt, da Cotta todt ist, nicht

127

Brief an Humboldt.

warten bis ich eine Uedereinkunst mit seinem Nachfolger getroffen

habe. Ich lasse also die Süßwasser-Fische liegen und betreibe die an­ deren um so eifriger. Bei genauer Prüfung habe ich zu meinem

Erstaunen gesehen, daß sich hier alle Mittel zur Herausgabe eines solchen Werks finden: zwei gute Lithographen und zwei Druckereien, von welchen beide sehr schöne Lettern besitzen.

Ich habe Weber

kommen lassen, um die Tafeln zu stechen oder aus Stein zu zeichnen; er wird bis Ende des Monats hier sein.

Dann lasse ich gleich an­

fangen und hoffe im Mai die erste Lieferung herausgeben zu können.

Die größte Schwierigkeit bleibt jetzt die Versendung der Hefte und

ein Absatz, der mir möglich macht, sie regelmäßig aus einander folgen zu lassen.

Ich halte es für besser, gleich mit der Veröffentlichung

des Ganzen zu beginnen, als einen Auszug vorauszuschicken.

Die

Arten können nur durch gute Abbildungen anschaulich gemacht wer­

den, und ein Auszug erfordert immer umständlichere Erklärungen; gebe ich aber gleich die Bilder, so kann ich den Text kürzer fassen

und die allgemeinen Ergebnisse als Einleitung der ersten Lieferung vorausschicken.

So denke ich in zwölf Lieferungen, jede mit zwölf

Tafeln Folio, und etwa zehn Bogen Text alles genau bekannt machen

zu können. Die Kosten würden sich nach genauer Erkundigung bei den hiesigen Druckern so hoch belaufen, daß siebzig Abnehmer voll­ kommen hinreichen würden, einhundert und fünfzig Exemplare drucken

zu lassen, wenn die Lieferung zu einem Louisd'or angesetzt wird. Nun fragt es sich, ob ich nicht mehr Exemplare drucken lassen sollte?

Ich will die Steine der Kosten wegen nicht aufbewahren. Versendung der Hefte und Einziehung des

Wegen

Geldes könnten Sie

mir vielleicht eine Buchhandlung in Leipzig oder. Berlin anweisen, welche das Werk unter billigen Bedingungen für Deutschland in Kom­ mission nähme? Wegen des Betriebs in England habe ich gestern an Lyell geschrieben, und morgen werde ich an Levrault und Bossange

schreiben.

Ueberhaupt thun jetzt Magistrats- und Privatpersonen sehr viel

hier für den öffentlichen Unterricht und ich bin überzeugt, daß wenn

es möglich ist, man mir früher oder später meine Sammlung ab­ kauft, obwohl neuerdings nicht mehr davon die Rede war*). *) Seine Sammlung wurde schließlich im Frühling 1833 von der Stadt NeuchLtel angekauft.

Siebentes Capitel.

128

Zur nähern Beschreibung meiner Familie der [Lepidostei,

zu

welcher alle vorkreiolichen Knochenfische gehören, wünsche ich sehr einen

Polypterus Bichir und einen Lepidosteus osseus oder irgend eine an­ dere Art, die ausschließlich der Jehtwelt angehört, zu seciren.

Bis­

her konnte ich nur Skelette und die äußeren Theile untersuchen und beschreiben.

Wenn es Ihnen möglich wäre, mir ein Exemplar von

beiden zukommen zu lassen, so würden Sie mir den größten Dienst

erweisen.

Wenn es nicht anders anginge, erbiete ich mich, die Prä­

parate wieder zurückzustellen.

Ich bitte recht dringend darum.

Wer­

den Sie nur nicht unwillig wegen der vielen Bitten, die dieser Brief enthält, und sehen Sie darin nur meinen sehnlichen Wunsch meiner Bestimmung nachzukommen, wobei Sie mir schon so oft und freund­ lich geholfen haben. Humboldt an Agassiz. Sans-Souci, 4. Juli 1833.

Ich bin glücklich über Ihren Erfolg, mein lieber Agassiz, glück­ lich über Ihren liebenswürdigen Brief vom 22. Mai, glücklich in der

Hoffnung, im Stande gewesen zu sein, etwas zu thun, was die Sub­ skription fördern kann.

Der Name des Kronprinzen schien mir doch

von Wichtigkeit für Sie.

Ich

habe mit Schreiben gezögert, nicht

weil ich einer der Verfolgtesten Männer in Europa bin (die Verfol­

gung geht immer crescendo; es giebt keinen Gelehrten in Preußen oder Deutschland, der, wenn er etwas vom König oder von Herrn von Altenstein zu erbitten hat, es nicht für nöthig hielte, mich zu seinem Agenten und Bevollmächtigten zu machen), sondern weil es

nöthig war, die Rückkehr des Kronprinzen von seiner militärischen Rundreise

abzuwarten und Gelegenheit zu finden,

ihn

allein zu

sprechen, welche nicht eintritt, wenn ich bei dem König bin. Ihr Prospekt ist sehr interessant und läßt allen, die Sie mit

Material versorgt haben, volle Gerechtigkeit widerfahren.

Mich unter

diesen zu nennen, war ein liebevoller Betrug, die Täuschung eines edlen Herzens, wie das Ihre; ich bin Ihnen darüber etlvas böse*).

*) Die wenigen Worte, welche die Zurückweisung von Seiten Humboldt's veranlaßten, waren folgende. Nachdem Agassiz alle genannt hatte, von denen er Hülfe durch Mittheilung von Exemplaren oder aus andere Weise erhalten hatte, schließt er: „Endlich verdanke ich Herrn von Humboldt nicht nur wichtige

129

Brief von Humboldt.

Hier ist der Anfang des Verzeichnisses.

Ich denke die Verwal­

tung der Provinzial-Bergwerke wird noch drei bis vier Abdrücke nehmen.

Wir haben noch keine Antwort von daher.

Sie nicht über die Kürze des Verzeichnisses ...

Erschrecken

Ich bin leider der

am wenigsten geeignete Mann zur Sammlung von Subskribenten, da ich außer dem Hofe niemand sehe und genöthigt bin, drei bis vier

Tage in der Woche außerhalb der Stadt zuzubringen.

Wegen dieser

Unfähigkeit bitte ich Sie, mir durch den Herausgeber nur meine eigenen drei Abdrücke zu senden und die anderen unmittelbar den

auf der Liste genannten Personen zu schicken und nur auf jeden Ab­ druck zu schreiben, daß der Adressat auf der Liste des Herrn v. Hum­

boldt subskribirt hat. Trotz all meiner Zuneigung für Sie, lieber Freund, würde es mir unmöglich sein, die Vertheilung Ihrer Lieferungen zu über­

nehmen.

Die Buchhandlungen von Dümmler oder von Duncker

und Humblot würden Ihnen in Berlin nützlich sein.

Es wird mir

schwer zu glauben, daß Sie sicher zwischen diesen literarischen See­

räubern durchschiffen werden!

Ich habe ein kurzes Eulogium Jhreß

Werks in die Berliner Staats-Zeitung einrücken lassen.

Sie sehen,

daß ich Ihre Interessen nicht vernachlässige, und daß ich aus Liebe zu Ihnen sogar Journalist werde. Sie haben versäumt, in Ihrem Prospektus zu sagen, ob Ihre Tafeln lithographirt sind, wie ich fürchte, und auch ob sie colorirt sind, was mir unnöthig erscheint. Sind Ihre herrlichen Originalzeichnungen in Ihrem Besitz geblieben oder sind Sie in den Verkauf Ihrer Sammlungen eingeschlossen?...

Ich konnte Ihren Brief an den König nicht gebrauchen und habe ihn unterdrückt.

Sie sind in Bezug auf die Form der Anrede

schlecht berathen worden.

„Erhabener König"

klingt zu poetisch.

Wir haben hier die prosaischsten und unterthänigsten Formeln.

Herr

von Pfuel wird wohl einen Erz-Preußen bei sich haben, der Ihnen die Formeln des Briefs sagen kann. Die Anrede muß sein: „Allerdurch­ lauchtigster, großmächtigster König, — allergnädigster König und

Herr".

Dann fangen Sie an: „Euer königlichen Majestät wage ich

Aufzeichnungen über fossile Fische, sondern so mancherlei freundliche Hilfe in Bezug auf mein Werk, daß ich fürchten würde, durch eine Aufzählung sein Zart­ gefühl zu verletzen." Dies wird denjenigen, die die Sachlage kennen, kaum als eine Uebertreibung erscheine».

Agassiz'S Leben und Briefwechsel.

130

Siebentes Capitel.

meinen lebhaftesten Dank für die allergnädigst bewilligte Unter­

stützung zum Ankauf meiner Sammlung für das Gymnasium in Neuchätel tiefgerührt allerunterthänigst zu Füßen zu legen. gut; sagen Sie nur: vieler Güte".

Wüßte

Der weitere Verfolg Ihres Briefes war sehr

ich zu schreiben" ic.

„so vieler Gnade zu entsprechen", statt „so

Sie müssen mit den Worten schließen: „Ich ersterbe

in tiefster Ehrfurcht Euer Königlichen Majestät allerunterthänigster, getreuster —Das Ganze auf klein Folio, gesiegelt und auf der Außenseite adressirt: „An des Königs Majestät, Berlin." Schicken Sie

den Brief nicht durch mich, sondern officiell durch Herrn von Pfuel').

Der Brief an den König ist nicht durchaus nothwendig, aber er wird Freude machen, denn der König liebt jedes Zeichen der An­

hänglichkeit aus dem Lande, welches jetzt das Ihrige geworden ist.

Der Brief kann auch unserer Bitte in betreff des Ankaufs einiger Abdrücke förderlich sein, welche wir an den König stellen wollen, sobald die erste Lieferung erschienen ist.

Hätte ich heute des Königs Namen

für Sie erlangt (was große Schwierigkeiten gehabt hätte, da der König alle Subskriptionen haßt), so würde uns das für die Folge

geschadet haben.

Es scheint mir, daß ein Dankbrief von Ihnen an

Herrn AnMon auch ganz angebracht wäre. ben, daß es dazu zu spät wäre...

Sie müssen nicht glau­

Ich schreibe Ihnen den pedan­

tischsten Brief in Beantwortung Ihres so anziehenden.

Es muß

Ihnen sonderbar vorkommen, daß ich Ihnen französisch schreibe, wäh­ rend Sie, ein Franzose der Abstammung oder vielmehr der Sprache nach, vorziehen, deutsch zu schreiben. Bitte, sagen Sie mir, ob Sie die deutsche Sprache, welche Sie mit solcher Reinheit schreiben, schon

als Kind gelernt haben?

Es freut mich zu sehen,

scheinen lassen.

daß Sie Ihr Werk gleich ganz er­

Eine Zerstückelung würde zu endlosen Verzögerun­

gen geführt haben.

Aber, um's Himmelswillen, schonen Sie Ihre

Augen; es sind die unsrigen. —

Ich habe die Subskriptionen in

Rußland nicht versäumt, habe aber bis jetzt noch keine Antwort.

Den Namen des Herrn von Buch habe ich auf's Gerathewohl auf meine Liste gesetzt.

Er ist abwesend; man sagt, daß er in diesem

Sommer nach Griechenland gehen wolle.

Bitte machen Sie es sich

*) Es wird den Lesern bekannt sein, daß Neuchätel damals unter preußischer

Oberhoheit war.

Brief von Humboldt.

131

zur Vorschrift, keine Exemplare Ihres Werkes zu verschenken.

Wenn

Sie dieser Neigung nachgcben, ruiniren Sie sich pekuniär. Ich wollte,

ich hätte bei Ihren Vorlesungen zuhören können.

Was Sie mir davon sagen, entzückt mich, obwohl ich Lust habe, mit

Ihnen zu zanken wegen der Metamorphosen unserer Erde, welche sich sogar in Ihren Titel eingeschlichen haben.

Ich sehe aus Ihrem

Brief, daß Sie an dem Gedanken innerer Lebensprozesse der Erde festhalten, daß Sie die aufeinanderfolgenden Formationen als ver­

schiedene Phasen des Lebens betrachten, die Felsen als Produkte einer

Umwandlung.

Ich meine, eine solche symbolische Sprache müsse mit

größter Vorsicht angewendet werden.

Ich kenne diesen Gesichtspunkt

der alten „Naturphilosophie"; ich habe ihn ohne Vorurtheil geprüft, aber nichts scheint mir unvergleichbarer als die sich bei Bildung des

Kelchs und der Blüthe äußernde Lebenskraft der Pflanzenmetamor­ phose und die aufeinanderfolgenden Bildungen von Schichten und

Conglomeraten.

Gewiß herrscht eine Ordnung in den aufeinander­

folgenden Schichten.

Zuweilen ist es eine Abwechslung

derselben

Substanz, eine innere Ursache, zuweilen sogar eine Reihenfolge von Entwicklungen, die aus der ceutralen Gluth hervorgehen; aber kann

der Ausdruck Leben auf diese Art von Bewegung angewendet wer­ den?

Kalk bringt keinen Sandstein hervor. Ich weiß nicht, ob das,

was die Physiologen Lebenskraft nennen,

existirt als

etwas ver­

schiedenes oder gar entgegengesetztes von der physikalischen Kraft, die wir in aller Materie erkennen. Ich glaube, der Lebensprozeß ist

nur eine besondere Art der Wirkung oder Einschränkung dieser physi­

kalischen Kräfte, eine Wirkung, deren Natur wir noch nicht ganz er­ gründet haben.

Ich glaube,

es giebt nervöse Stürme (elektrische),

gleich denjenigen, welche die Atmosphäre entzünden, aber die beson­ dere Kraft, welche wir eine organische nennen, in welcher jeder Theil

Ursache oder Wirkung wird, scheint mir verschieden von den Verän­ derungen, denen unser Planet unterworfen war.

Ich breche hier ab,

denn ich fühle, daß ich Sie langweile, und Sie sind mir zu lieb, als

daß ich mich dieser Gefahr aussetzen möchte.

Außerdem schwebt ein

bedeutender Mann, wie Sie, mein lieber Freund, über den mate­ riellen Dingen nnd

wohl!

läßt philosophische Zweifel gelten.

Leben Sie

Rechnen Sie auf das bischeu Lebe», was mir noch bleibt,

nnd auf meine freundschaftliche Ergebenheit.

Mit sechs und zwanzig v*

Siebentes Capitel.

132

Jahren und im Besitz so vieler Kenntnisse treten Sie erst in das Leben ein, während ich mich vorbereite, daraus zu scheiden.

Ich

verlasse diese Welt in einem ganz anderen Zustand, als ich ihn in

meiner Jugend erhofft hatte. dosteus nicht vergessen.

Ich werde den Bichir und den Lepi-

Denken Sie immer daran, daß Ihre Briefe

mir sehr große Freude machen . . . P. 8.

Sehen Sie sich die neue Lieferung von Poggendorf sorg­

fältig an; Sie werden wundervolle Entdeckungen von Ehrenberg (mikroskopische) über die Verschiedenheit des Baus zwischen dem Ge­ hirn und den Bewegungsnerven, sowie über den Krystall, welcher die

Silberschicht des Bauchfells von Esox lucius bildet, finden.

Im Oktober 1833 fand Agassiz's Hochzeit mit Cecilie Braun, der Schwester seines langjährigen Freundes, Alexander Braun, statt. Er bezog mit seiner Frau eine kleine Wohnung in Neuchätel, wo sie

ihren Haushalt in einfachster Weise begannen und so sparsam lebten,

als es ihre beschränkten Mittel erforderten.

Frau Agassiz's seltene

künstlerische Befähigung, die bisher den botanischen Arbeiten ihres

Bruders gewidmet war, fand nun ein neues Feld zur Bethätigung. Sie war durch das Zeichnen von naturhistorischen Gegenständen an

Genauigkeit gewöhnt und hatte eines Künstlers Blick für Farbe und

Form.

Einige der schönsten Zeichnungen in den fossilen- und Süß­

wasser-Fischen sind von ihrer Hand.

Den ganzen Sommer hindurch

hatte Agassiz trotz seines Augenleidens das Fortschreiten dieser Werke

geleitet.

Seine beiden Künstler, Dinkel und Weber, waren fortwäh­

rend mit Anfertigung der Tafeln beschäftigt, der erstere in Paris,

der zweite in Neuchätel. Obwohl Agassi; zu dieser Zeit erst sechs und zwanzig Jahre alt war, so zeigt doch sein Briefwechsel, daß das Interesse der wissen­

schaftlichen Männer durch ganz Europa sich ihm und seinen Werken zuwendete.

Von bedeutenden Forschern seines eigenen Landes, von

solchen aus Frankreich, Italien, Deutschland, England und selbst von

Amerika, dem fernen Eldorado der Naturforscher jener Tage, kamen

Anerbietungen zur Mitwirkung, begleitet von fossilen Fischen oder von Zeichnungen seltener oder einziger Exemplare.

Er war in allen

Museen Europa's als ein unermüdlicher Arbeiter und Sammler be­

kannt, der überall Material zur Vergleichung suchte.

Brief von Buckland.

133

Unter den Briefen ans dieser Zeit ist einer von Charpentier, einem der Pioniere der Lehre von der Eiszeit, unter dessen Auspicien

Agassiz zwei Jahre später seine Untersuchungen über die Natur der

Gletscher begann.

Er schreibt aus der Nachbarschaft von Bex, seiner

Heimath im Rhonethal, dem klassischen Lande der Gletscherforschung; aber er spricht nur von den Gegenständen, die damals von Hauptinter­

esse für Agassiz waren und lädt ihn ein, zu ihm zu kommen und die fossilen Fische zu sehen, welche in der Nachbarschaft vorkämen und gewisse Erscheinungen der Hebung und Plutonischen Bewegung daselbst

zu untersuchen.

Er ahnte nicht, daß der junge Zoologe demnächst auf

seinem eigenen Forschungsfelde mit ihm zusammentreffen würde.

Agassiz erhielt nun auch dringende Einladungen von den engli­ schen Naturforschern, von Buckland, Lyell, Murchison u. a. nach

England zu kommen und ihre wundervollen Sammlungen fossiler

Ueberreste zu untersuchen.

Von Professor Buckland an Agassiz.

Oxford, 25. December 1833.

... Ich würde sehr gern das geringfügige Material, welches ich im Museum von Oxford in Bezug auf fossile Fische besitze, in Ihre Hände legen, und ich wünsche auch sehr, daß Sie die fossilen Fische,

sowohl in den verschiedenen Provinzial-Museen Englands, als in

Sir Philipp Egerton hat eine sehr große Sammlung von Fischen von Engi und Oeningen, welche er gern zu London zu sehen bekämen.

Ihrer Verfügung stellen möchte.

Ebenso wie ich, würde er Ihnen gern

Zeichnungen senden, aber Zeichnungen, die ohne Kenntniß der ana­ tomischen Einzelheiten, deren Sie bedürfen, gemacht sind, können das

nicht darstcllen, was der Künstler selbst nicht beobachtet.

Anch ein­

zelne Exemplare würde ich Ihnen gern senden, wenn ich sie vor den barbarischen Händen der Zollbeamten zu sichern wüßte. Was ich

Ihnen nun als bestes Mittel, alle Sammlungen in England zu

sehen, und zur selben Zeit weitere Subskriptionen auf Ihr Werk zu erlangen, Vorschlägen würde, wäre, daß Sie selbst nach England

kämen und der britischen Versammlung zur Förderung der Wiffenschaften im nächsten September beiwohnten.

Da würden Sie alle

Naturforscher Englands treffen, und ich zweifle nicht daran, daß Sie unter denselben ejne ganze Menge Subskribenten finden würden.

Sie

Siebentes Capitel.

134

werden auch eine neue Fundgrube fossiler Fische in der Thonschicht der Kohlenformation von Newhavcn, an den Ufern des Forth bei

Edinburg, sehen.

Dann sollten Sie daranf Bedacht nehmen, die

Museen von Jork, Whitby, Scarborough und Leeds und die Samm­ lung von Sir Philipp Egerton auf Ihrer Hin- oder Rückreise nach

Edinburg zu sehen.

Ebenso könnten Sie die Museen von London,

Cambridge und Oxford besuchen.

Ueberall giebt es fossile Fische, und

das Reisen ist in England mit der Post so bequem und billig und

geht so schnell, daß Sie in sechs oder noch weniger Wochen alles ausführen können, was ich vorgeschlagen habe.

Da ich sicher hoffe,

daß Sie in den Monaten August und September hierher kommen,

sage ich jetzt nichts von anderen Mitteln, die Zeichnungen oder Exemplare unserer englischen fossilen Fische in Ihre Hände zu brin­

gen.

Ich vergaß die sehr reiche Sammlung fossiler Fische in dem

Museum des Herrn Marshall in Brighton zu erwähnen, wo Sie,

glaube ich, das wöchentlich abgehende Dampfschiff nach Rotterdam eben so leicht nehmen könnten, als in London und so innerhalb

weniger Tage von London nach Neuchätel kommen könnten . . . Agassi; an Professor Buckland.

... Ich danke Ihnen herzlich für die wichtige Auskunft über die reichen Sammlungen Englands, die Sie so gütig waren, mir zu geben. Ich will mich, wo möglich, einrichten, dieselben in diesem Jahre zu besuchen, und in diesem Falle möchte ich Sie um einige

Empfehlungsbriefe bitten, welche, mir die eingehende Untersuchung derselben erleichtern würden.

Nicht, daß ich einen Augenblick an der

Liberalität der englischen Naturforscher zweifle. Alle Gelehrten des Kontinents, welche Ihre Museen besucht haben, rühmen die Freund­ lichkeit, mit welcher ihnen die seltensten Gegenstände anvertraut wur­ den, und ich weiß sehr wohl, daß die Engländer darin mit allen anderen Nationen wetteifern und sie sogar übertreffen.

Aber man

muß solche Gunst durch wissenschaftliche Arbeiten verdient haben; ein

Anfänger kann darauf keinen Anspruch machen und sie nur als freie

Gabe hinnehmen ...

Einige Monate später erhielt Agassiz einen sehr erfreulichen

und handgreiflichen Beweis des Interesses, welches die englischen Naturforscher für seine Arbeit hegten.

Verleihung des Wollaston-Preises.

135

Charles Lyell an Louis Agassiz.

Somerset House, London, 4. Febr. 1834. . . . Es macht mir das größte Vergnügen, Ihnen eine gute Nachricht zu verkünden. Die Geologische Gesellschaft von London hat

mich beauftragt, Sie zu benachrichtigen, daß der von Dr. Wollaston gestiftete Preis Ihnen für dies Jahr verliehen worden ist.

Wollaston

hat uns die Summe von eintausend Pfund gegeben mit der Bitte, die Zinsen oder ungefähr siebenhundert und fünfzig Franken jedes

Jahr zur Beförderung der zoologischen Wissenschaft zu verwenden. Ihr Werk über Fische ist von dem Vorstand der Geologischen Gesell­

schaft dieses Preises würdig erfunden worden, da I)r. Wollaston sich

dafür aussprach, daß er auch für unbeendete Arbeiten vergeben werden könnte.

Die Summe von dreißig Guineen ist in meine

Hände gelegt worden, aber ich mochte Ihnen das Geld nicht senden,

ehe ich genau wußte, wo Sie sich aufhielten und wo Sie es aus­ gezahlt zu haben wünschten.

Vermuthlich wird Ihnen ein Wechsel

auf ein Schweizer Bankhaus erwünscht sein. Ich kann Ihnen heute den Auszug aus der Anrede des Präsi­

denten, in welcher Ihr Werk erwähnt ist, noch nicht schicken, werde

ihn aber bald erhalten.

Inzwischen bin ich beauftragt, Ihnen zu

sagen, daß die Gesellschaft die Annahme Ihres herrlichen Werkes als Geschenk ablehnt, daß sie aber auf dasselbe subskribiren will und

schon einen Abdruck beim Buchhändler bestellt hat . . . Agassiz an Lyell. Ncuchätel, 25. März 1834.

. . . Sie können sich nicht vorstellen, welche Frende Ihr Brief mir gemacht hat.

Der Preis, welcher mir zugetheilt wurde, ist mir

eine so unerwartete Ehre und zugleich eine so willkommene Hilfe,

daß ich meinen Augen nicht traute, als ich mit Thränen des Dankes und der Erleichterung Ihren Brief las.

Einem Gelehrten gegenüber

brauche ich mich meiner Dürftigkeit nicht zu schämen, da ich das wenige, was ich besaß, ganz für meine wissenschaftlichen Forschungen

verwendet habe.

Ich zögere deshalb nicht, Ihnen zu bekennen, daß

Ihre Gabe mir zu keiner Zeit größere Freude hätte machen können.

Großmüthige Freunde haben mir geholfen, die erste Lieferung meiner „Fossilen Fische" erscheinen zu lassen; die Tafeln zu der zweiten sind

Siebentes Capitel.

136

fertig, aber ich war sehr in Verlegenheit, wie ich eine genügende

Anzahl von Abdrücken herstellen lasten könnte, ehe der Betrag für

die Ansgabe der ersten Lieferung etngegangen ist.

Der Text ist

auch fertig, so daß ich jetzt in vierzehn Tagen mit der Vertheilnng

beginnen kann, und wenn der Umlauf einmal hergestellt ist, hoffe ich, daß der Ertrag der vorausgehenden Lieferung mich immer in Stand

setzen wird, die nächstfolgende ohne Unterbrechung zu veröffentlichen.

Ich rechne sogar darauf, daß diese Einnahme mir die Mittel liefern wird, in Bälde eine Reise nach England zu machen.

Wenn kein

Hinderniß eintritt, hoffe ich dieselbe im Laufe des nächsten Sommers

auszuführen und bei der nächsten Versammlung der englischen Natur­ forscher anwesend zu sein. . Mein Lebensglück wird durch diese Geldsorgen nicht beeinträchtigt,

aber ich bin zuweilen genöthigt mehr zu arbeiten, als ich gut kann

oder als ich vrrnünftiger Weise thun sollte . . . Die zweite Lieferung der „Fossilen Fische" enthält den Anfang der Anatomie der Fische, aber nur derjenigen Theile, die in fossilem Zustande gesunden werden.

Ich habe mit den Schuppen angefangen; später behandle ich die

Knochen und die Zähne.

Dann kommt die Fortsetzung der Be­

schreibung der Ganoiden und Scomberoiden, und ein weiterer Bogen enthält eine Skizze meiner Klassifikation der Fische. Die Tafeln

haben sogar noch mehr Erfolg, als die der ersten Lieferung. Wenn alles gut geht, so wird die dritte Lieferung nächsten Juli erscheinen. Es verlangt mich danach, Ihre reichen Sammlungen zu besuchen; ich hoffe, daß sobald es mir möglich wird, dies zu thun, ich das gute

Glück haben werde, Sie in London anzutreffen . . .

Die erste Lieferung der fossilen Fische war in den wissenschaft­ lichen Kreisen mit Begeisterung ausgenommen worden. Elie de Beau­

mont schreibt im Juni 1834 an Agasfiz: „Ich habe Ihre erste Lie­

ferung gelesen; sie verspricht ein Werk, welches eben so wichtig für die Wissenschaft, als bedeutend in feiner Ausführung ist.

Lassen Sie

sich nicht durch Hindernisse irgend welcher Art entmuthigen; sie werden vor dem allgemeinen Beifall weichen, welchen ein so vortreff­ liches Werk erwecken wird.

Ich werde immer froh sein, wenn ich

Helsen kann eines derselben zu besiegen." Es mag am Platze sein, hier eine kleine Skizze dieses Werkes,

Uebersicht des Werkes über die fossilen Fische.

137

welches während der nächsten zehn Jahre (1833—1843) weitergeführt wurde, zu geben.

Die Widmung bezeugt in kurzen Worten des

Verfassers Verehrung für Humboldt, und die Dankbarkeit, welche er ihm zollte.

„Diese Seiten verdanken Ihnen ihr Dasein; nehmen

Sie die Widmung derselben an."

Der Titel giebt in großen Zügen

den umfassenden Zweck des Werkes an: „Untersuchungen über fossile Fische: enthaltend eine Einleitung in das Stadium dieser Thiere;

vergleichende Anatomie derjenigen

organischen Systeme, .welche die Bestimmung der fossilen Arten er­

leichtern; eine neue Klassifikation der Fische, welche ihre Beziehungen zu der Reihenfolge der Formationen ausdrückt; Erklärung der Gesetze

ihrer Aufeinanderfolge und ihrer Entwicklung während aller Ver­ änderungen der Erde,

begleitet von allgemeinen geologischen Be­

trachtungen; endlich die Beschreibung von ungefähr tausend Arten, welche nicht mehr existiren und deren Merkmale nach den in den

Erdschichten enthaltenen Ueberresten wieder anfgedeckt worden sind."

Die durchaus neuen Ergebnisse, welche in diesem Werk enthalten sind, waren: Erstens, die Neugestaltung der Einthettung der ganzen

Klasse der Fische, fossiler und lebender und besonders die Trennung der Ganoiden als bestimmte Ordnung von allen anderen Fischen; zweitens, die Anerkennung derjenigen Verbindungen von Reptilien- und Vogel-Charakteren bei den Fischen früherer Erd-Epochen, welche den

Verfasser veranlaßten, sie prophetische Typen zu nennen und drittens seine Entdeckung einer Analogie zwischen den embryologischen Phasen

der höheren gegenwärtigen Fische und des allmäligen Auftretens der ganzen Klasse auf Erden, indem die Entwicklungsstufe des Indivi­ duums und die Stufenreihe des

paläontologischen Auftretens eine

bestimmte gegenseitige Uebereinstimmung erkennen lassen.

Da diese

umfassenden Gesetze Licht auf andere Klaffen des Thierreichs neben

derjenigen der Fische geworfen haben, so kann man sagen, daß ihre

Entdeckung sowohl die allgemeine Zoologie, wie die Ichthyologie ge­

fördert habe. Die Einleitung ist gewissermaßen das Vorspiel zu diesem um­

fassenden Kapitel der Naturgeschichte in dem gleichzeitigen Auftreten

der vier großen Ordnungen des Thierreichs: Strahlthiere, Weichthiere, Gliederthiere und Wirbelthiere.

Dann kommt die Entwicklung

nach Ordnungen innerhalb derjenigen Klaffe, bei welcher der Wirbel-

138

Siebentes Capitel.

thierplan zuerst ausgedrückt war,

nämlich der Fische.

Allen Ein-

theilungen und Untereintheilnngen zu Grunde liegt der durchschnitt­ liche Charakter der Klasse in der Vergangenheit und Gegenwart; die

Placoiden und Ganoiden charakterisiren durch

die Verbindung von

Reptilien- und Fisch-Charakteren die früheren geologischen Epochen,

während in den späteren die einfachen Knochenfische, die Cycloiden und Ctenoiden das Uebergewicht erlangen.

ersten Male

seine

„synthetischen

Hier bringt Agassi; zum

oder prophetischen Typen"

vor,

nämlich frühe Typen, welche gewissermaßen in großem Umriß Züge zeigen,

aber

die später in verschiedenen Gruppen sich weiter ausbilden

nie wieder in einer zusammentrcffen.

Nicht weniger über­

raschend, als diese allgemeinen Gesichtspunkte über die Verhältnisse

des Baus, ist die Klarheit und Einfachheit, mit welcher die Ver­

breitung der ganzen Klasse der Fische in Bezug auf die geologischen

Formationen oder in anderen Worten zu der physischen Geschichte der Erde gezeigt ist.

Beim Lesen dieses einleitenden Kapitels wird

jeder, der Agassi; als öffentlichen Lehrer kennt, beinah seine Stimme hören,

wie er, seiner Gewohnheit gemäß,

die lange Reihe der

lebenden Wesen in ihrem allmäligen Auftreten auf der Erde vor­ führte.

Seine ganze künftige Arbeit in der Ichthyologie, und man

möchte beinah sagen in der allgemeinen Zoologie, ist hier im Umriß enthalten.

Die Einzelheiten in diesem Werk, die zugleich zu so umfassenden

Schlußfolgerungen führten und so genau ins Einzelne gehen, können nur den Fachmann interessiren, aber die Verallgemeinerungen werden

auf jeden

denkenden Geist

eine gewisse Anziehung ausüben.

handelt von dem anatomischen,

sammenhang zwischen der ganzen Klasse der Fische, und der fossilen,

Es

zoologischen und geologischen Zu­

der lebenden

und diese wird durch zahlreiche Tafeln erläutert

und durch die Ergebnisse der embryologischen Studien noch weiter

beleuchtet. „Trotz dieser auffallenden Unterschiede", sagt der Verfasser im

Eingang des fünften Kapitels über die Verhältnisse der Fische im Allgemeinen, „ist es nichtsdestoweniger für den aufmerksamen Beob­

achter augenscheinlich, daß Ein Gedanke die Entwicklung der ganzen Klasse geleitet hat, und daß alle Abweichungen zu dem ursprüng­ lichen Plane zurückführen, so daß selbst wenn in der gegenwärtigen

Uebersicht des Werkes über die fossilen Fische. Schöpfung der Faden abgerissen scheint,

man

ihn

139 immer wieder

finden kann, wenn man sich in das Bereich der fossilen Ichthyologie kegiebt')." Nachdem er gezeigt hat, wie die gegenwärtige Schöpfung ihm

den Schlüssel zu vergangenen Schöpfungen gegeben hat,

wie das

vollständige Skelett der lebenden Fische die zerstreuten Ueberreste der

früheren erklärt, besonders derjenigen, deren weicher knorpeliger Ban

der Zerstörung am meisten ausgesetzt war, giebt er zwei Methoden an, die Klasse im ganzen zu erforschen; entweder durch das auf sie

angewendete Studium der vergleichenden Anatomie, wobei die ganze

Geschichte der Klaffe, lebend nnd fossil, in die Vergleichung einge­ schlossen werden muß, oder mit Hilfe der vergleichenden Embryologie. „Die Ergebnisse dieser beiden Methoden", fügt er hinzu, „ergänzen und

controlliern sich gegenseitig."

In allen seinen späteren Forschungen

ging in der That die Geschichte des Individuums Hand in Hand

mit der Geschichte der Klaffe.

Er prüfte immer seine zoologischen

Beobachtungen durch seine embryologischen Forschungen. Nach einer sorgfältigen Beschreibung der Rückensaite in ihrer

embryologischen Entwicklung zeigt er, daß ein gewisser Parallelismus

zwischen den Entwicklungsstufen der Wirbelsäule in den verschiedenen Fischgruppen und den Phasen ihrer embryologischen Entwicklung der

höheren Fische existire.

Im weiteren Verfolg zeigt er eine gleiche

Uebereinstimmung zwischen der Entwicklung des Flossensystems bei den verschiedenen Fischgruppen und dem allmäligen Wachsthum und der

Differenzirung der Flossen bei dem Embryo der höheren lebenden Fische").

„Es muß also," schließt er, „wie wir oben gesagt haben,

eine gewisse Analogie

oder

vielmehr ein gewisser Parallelismus

zwischen der embryologischen Entwicklung der Cycloiden und Ctenoiden

nnd der genetischen oder paläontologischen Entwicklung der ganzen Klasse angenommen werden.

Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet,

wird niemand bestreiten, daß die Form der Schwanzflosse von hoher

Bedeutung für zoologische und paläontologische Betrachtungen ist, da sie zeigt, daß derselbe Gedanke, derselbe Plan, welcher heute die Bil­ dung des Embryo leitet, sich auch in der stnfenweisen Entwicklung

der zahlreichen Schöpfungen, welche früher die Erde bevölkert haben,

*) Recherches sur les poissons fossiles. Vol. I. chap. V, pp. 92, 93. **) Recherches sur les poissons fossiles. Vol. I. chap. V, pag. 102.

140

Siebentes Capitel.

offenbart hat."

In der Vorrede sagt Agassiz: „Es ist mir gelungen,

die Gesetze der Reihenfolge und der organischen Entwicklung der Fische durch alle geologischen Epochen hindurch anzngebcn. Dle Wissenschaft kann hinfort, wenn sie die Veränderungen dieser Klasse von einer Formation zur anderen sicht, den Fortschritt der Organi­

sation in einer großen Abtheilung des Thierreichs durch eine voll­ ständige Reihe von Zeitaltern der Erde verfolgen."

Diese Ansichten

sind nicht unverträglich mit Agassiz's Stellung als hervorragender

Gegner der Descendenz- oder Darwin'schen Theorie.

Entwicklung

war nach seiner Ansicht Entwicklung eines Planes, der in dem Bau zum Ausdruck gelangte und nicht die Umwandlung einer Gestaltung

zur anderen.

Nach seiner Auffassung war diese Umwandlung auf

intellektuelle nicht auf materielle Ursachen gegründet.

Er faßt seine

Ueberzeugung in betreff dieser Frage wie folgt, zusammen'): „Solche Thatsachen verkünden laut Grundsätze, welche in der Wissenschaft

noch nicht zur Sprache gekommen sind, welche aber dem Beobachter durch paläontologische Forschungen immer überzeugender vor Augen geführt werden. Ich spreche von den Beziehungen der Schöpfung zu dem Schöpfer.

Erscheinungen, welche in der Reihenfolge ihres

Auftretens innig verbunden und doch keinen genügenden Grund in

sich für ihr Auftreten haben; eine unendliche Mannigfaltigkeit von Arten ohne irgend ein gemeinsames materielles Band, die sich in einer Weise gruppiren, daß sie die bewunderungswürdigste fort­

schreitende Entwicklung, an welche unsere eigene Species anknüpft, veranschaulichen: sind dies nicht unbestreitbare Beweise von dem Dasein einer höheren Intelligenz, deren Macht allein eine solche

Ordnung der Dinge hergestellt haben kann? . . . „Mehr als fünfzehnhundert Arten fossiler Fische, welche ich kennen gelernt habe, sagen mir, daß die Arten nicht unmerklich in

einander übergehen, sondern daß sie unerwartet erscheinen und ver­ schwinden, ohne direkte Beziehung zu ihren Vorgängern; denn ich denke, daß niemand ernstlich behaupten wird, daß die zahlreichen

Typen der Cycloiden und Ctenoiden, welche beinah alle gleichzeitig

mit einander vorhanden sind, von den Placoiden und Ganoiden ab­ stammen.

Eben so gut könnte man behaupten, daß die Säugethiere

*) Recherches sur les Poissons fossiles, Vol. L C-hap. VI. pp. 171, 171. „Essay on the Classification of Fisches.“

Uebersicht des Werkes über die fossilen Fische.

141

und der Mensch mit ihnen direkt von den Fischen abstammen.

Alle

diese Arten haben eine bestimmte Epoche ihres Auftretens und Ver­ schwindens; ihre Existenz ist sogar auf eine bestimmte Zeit beschränkt.

Und doch stellen sie, als ein ganzes, zahlreiche mehr oder weniger nahe Verwandschaften dar, eine bestimmte Ordnung in einem gege­ benen Organisationssystem, welches innigen Zusammmenhang mit

der Lebensweise jeder Ordnung und selbst jeder Art hat.

Ein unsicht­

barer Faden wickelt sich durch alle Zeiten ab durch diese unendliche

Mannigfaltigkeit hindurch und zeigt uns als Endergebniß eine fort­ laufende Entwicklung, deren Endziel der Mensch ist, während die vier

Klassen der Wirbelthiere die Mittelstufen desselben bilden, und die Gesammtheit der wirbellosen Thiere die beständig hinzugefügten Be­ gleiter sind." Die Schwierigkeiten, welche es bereitete, so ausgedehnte und scharfe Vergleiche durchzuführen, wie sie zur Herstellung des orga­

nischen Zusammenhangs zwischen den fossilen Fischen aller geologischen

Formationen und

denjenigen der gegenwärtigen Welt erforderlich

waren, mag uns der Verfasser selbst auseinander sehen").

„Da ich

selbst keine fossilen Fische besaß und für immer auf den Erwerb so

kostbarer Sammlungen verzichtete, war ich genöthigt, die Materialien zu meiner Arbeit in allen Sammlungen Europa's die solche Ueber«

reste enthielten, zu suchen.

Ich habe daher zahlreiche Reisen nach

Deutschland, England und Frankreich gemacht, um die Gegenstände meiner Forschungen zu untersuchen, zu beschreiben und abzubilden

Aber trotz der Zuvorkommenheit, mit welcher selbst die kostbarsten Exemplare zu meiner Verfügung gestellt worden

sind, hatte doch

diese Art des Arbeitens einen ernstlichen Nachtheil, welcher darin bestand, daß ich selten im Stande war, die verschiedenen Exemplare derselben Art aus

den verschiedenen Sammlungen direkt zu ver­

gleichen, und daß ich mich oft genöthigt sah, meine Bestimmung aus

dem Gedächtniß oder nach einfachen Notizen oder in dem gün­

stigsten Falle nur nach meinen Zeichnungen zu machen.

Es ist un­

möglich, sich die Mühe, die Erschöpfung aller Kräfte vorzustellen,

die eine solche Arbeitsweise mit sich bringt.

Die Eile der Reise

und der damit zusammenhängende Mangel der allergewöhnlichsten k) Recherches sur les poissons fossiles.

Vol. I.

Addition ä la Preface.

Achtes Capitel.

142

Erleichterungsmittel zur Beobachtung, haben meine Aufgabe vielfach

erschwert.

Ich rechne daher auf Nachsicht für diejenigen meiner Be­

stimmungen, welche'eine spätere, mit Muße gemachte Untersuchung berichtigen mag, und ebenso für die Beschreibungen, welche zuweilen den Stempel der Uebereilung, mit welcher sie gemacht worden sind, tragen."

Vielleicht war es diese Erfahrung in Agassiz's früherem Leben,

welche ihn so dringend wünschen ließ, ein Museum für vergleichende Zoologie in Amerika zu gründen, — ein Musenm so reich an um­

fassendem Material, daß der Forscher nicht nur alle Klassen des Thierreichs innerhalb seines Museums antrifft, sondern daß dieselben

auch in solcher Fülle vertreten sind, daß viele Exemplare zu Zwecken des Studiums und der Vergleichung geopfert werden können.

Er

war entschloffen, daß kein Wissensdurstiger rathlos vor der Thüre

der Erkenntniß stehen bleiben sollte, wie es ihm oft gegangen war, wenn man ihm das Eine kostbare Exemplar zeigte, welches nicht von

seiner Stelle entfernt werden, ja nicht einmal an Ort und Stelle untersucht werden durfte, weil es das einzige seiner Art war.

Achtes Capitel. 1834-1837.

Vom 27. bis 30. Jahre.

Erster Besuch in England. — Aufnahme bei den Männern der Wissenschaft. — Arbeit über fossile Fische in England. — Freigebigkeit der englischen Natur­ forscher. — Erste wissenschaftliche Beziehungen mit Amerika. — Weiterer Brief­ wechsel mit Humboldt. — Zweiter Besuch in England. — Fortsetzung der „Fossilen Fische". — Andere wissenschaftliche Veröffentlichungen. — Den Gletschern zugewendete Aufmerksamkeit. — Sommer bei Charpentier in Bex. — Verkauf der Original - Zeichnungen der fossilen Fische. — Versammlung der Schweizer Gesellschaft. — Rede über die Eiszeit. — Briefe von Hmnboldt und von Buch.

Im August 1834 konnte Agassi; den langgehegten Wunsch be­ friedigen, nach England zu gehen.

Er wurde von den dortigen Ge­

lehrten mit herzlicher Theilnahme empfangen, welche nicht einen Tag

oder auch nur eine Stunde des dortigen Aufenthaltes unansgefüllt

143

Erster Aufenthalt in England.

Der folgende Brief von Buckland enthält eines der vielen, ihm

ließ.

bei seiner Ankunft gewordenen Anerbieten der Gastfreundschaft und

des freundschaftlichen Rathes.

Dr. Buckland an Agassiz.

Oxford, 26. August 1834.

. . . Es freut mich von Ihrer glücklichen Ankunst in London zu hören, und ich schreibe, um Ihnen zu sagen, daß ich in Oxford

bin, und daß ich glücklich sein werde, Sic zu empfangen und Ihnen ein Bett in meinem Hause anzubieten, wenn Sie gleich hierher

kommen.

Ich erwarte morgen Nachmittag die Herren Arago und

Pentland aus Paris.

Es wird mich glücklich machen, Ihnen am

Donnerstag oder Freitag unser Oxforder Museum zu zeigen und mit Ihnen nach Edinburg zu gehen. Sir Philipp Egerton hat eine schöne Sammlung von fossilen Fischen bei Chester, welche Sie auf

Ihrer Reise besuchen sollten.

Ich habe halb und halb mit ihm ver­

abredet, am Montag 1. September bei ihm zu sein, aber ich glaube,

es wäre besser für Sie, am Sonnabend hinzugehen, damit Sie Zeit haben, Zeichnungen von seinen fossilen Fischen zu machen.

An welchem Tag ich Oxford verlasse, kann ich noch nicht be­ stimmt sagen, ehe ich Herrn Arago gesehen habe, den Sie hoffentlich

bei Ihrer Ankunft in Oxford bei mir treffen werden . . .

Bitte,

kommen Sie gleich, wenn Sie Oxford erreichen, mit Ihrem Gepäck in mein Haus in Christ Church . . .

Agassi; blickte immer mit Entzücken auf seinen Besuch in London zurück.

Seine lebenslange Freundschaft mit Buckland, Sedgwick,

Murchison, Lyell u. A., die gleiche Interessen und Bestrebungen hatten,

wurde damals angeknüpst.

Er konnte kaum den zahlreichen gesell­

schaftlichen und wissenschaftlichen Einladungen Folge leisten, welche ihm nach der Versammlung in Edinburg zu Theil wurden. Von Dr. Buckland geführt, dem nicht nur jede öffentliche und

Privatsammlung, sondern auch jedes seltene Exemplar im ganzen

Lande bekannt gewesen zu sein scheint, wanderte er von einem Schatz

zum andern. Jeder Tag brachte eine Entdeckung, bis er unter der Last der Anhäufung neuen Stoffs beinah genöthigt war, die Arbeit,

Achtes Capitel.

144

welche er so gut vorgerückt glaubte, von neuem zu beginnen.

Er

hätte durch eine solche Fülle von Hilfsmitteln, welche auf unzählige

neue Pfade wiesen, von denen er nicht wußte, wo sie hinführten, wohl entmuthigt werden können, wenn die Großmuth der englischen Naturforscher ihm nicht gestattet hätte, aus sechzig oder mehr Samm­ lungen zweitausend Exemplare fossiler Fische auszusuchen, und sie

nach London zu schicken, wo er durch die Güte der Geologischen Ge­ sellschaft die Erlaubniß erhielt, dieselben in Somerset House nieder­

zulegen.

Nachdem die Maffe des Materials einmal gesichtet und ge­

ordnet war, wurde die Arbeit der Vergleichung und Bestimmung verhältnißmäßig leicht.

Er ließ sofort seinen getreuen Künstler Dinkel

kommen, welcher ohne Zögern anfing, die Exemplare, welche neues

Licht auf die Geschichte der fossilen Fische warfen, zu zeichnen.

Diese

Arbeit hielt ihn mehrere Jahre in England zurück.

Agassi; gewann in dieser Zeit zwei Freunde,

deren Theil­

nahme und Mitwirkung ihm in Zukunft bei seinen wiflenschaftlichen

Arbeiten nnschätzbar waren.

Sir Philipp Egerton und Lord Cole

(Earl of Enniskillen) waren im Besitz von zwei der werthvollsten

Sammlungen fossiler Fische in Großbritannien').

Ihre kostbarsten

Exemplare wurden Agassiz zur Verfügung gestellt, um ihn bei seinen Forschungen zu unterstützen.

Seinem Künstler war es gestattet,

monatelang in ihren Sammlungen zu zeichnen, und selbst nach Agassiz's Uebersiedlung nach Amerika versäumten sie nie, ihn an dem Gewinn des Zuwachses ihrer Museen theilnehmen zu. lassen. Von

dieser Zeit an ist der Briefwechsel mit beiden, besonders mit Sir

Philipp Egerton ein getreues Bild, sowohl des immer zunehmenden

Interesses, als auch der Schwierigkeiten seiner wiflenschaftlichen Lauf­ bahn.

Ungern und mit manchem rückwärts gewendeten Blick verließ

Agassiz England im Oktober und kehrte zu seinen Vorlesungen nach

Neuchatel zurück, so viele Exemplare fossiler Fische mit sich nehmend,

als für den Fortschritt seines Werks unerläßlich war.

Jede Stunde

des folgenden Winters, die seine Berufsarbeiten ihm frei ließen, wurde den fossilen Fischen gewidmet.

Ein Brief aus dieser Zeit von Prof. Silliman in New-Haven, Connecticut, bildet den Anfang seiner Beziehungen zu seiner künf-

') Dieselben sind jetzt im Besitz des britischen Museums.

Anfang der Beziehungen zu Amerika.

145

tigen Heimath in Neu-England und kündet ihm seine ersten Sub­ skribenten ans diesem Lande an.

Aale College, New-Haven,

Vereinigte Staaten von N.-Amerika, 22. April 1835.

. . . Aus Boston hatte ich die Ehre, Ihnen unter dem 6. Mär» für Ihren Brief vom 5. Januar zu danken und für das herrliche

Geschenk Ihres Werkes über fossile Fische — Lieferung 1—22 nebst Tafeln —.

Ich

machte eine Anzeige dieses Werkes in der April­

nummer des Journals') und ließ BackweÜ's Bericht über Ihren Be­

such in Mantell's Museum abdrucken. In Boston war ich im Interesse Ihres Werkes thätig und habe

das Vergnügen, Ihnen folgende Unterzeichner zu nennen:

Die Harvard-Universität in Cambridge (Cambridge ist nur vier Meilen von Boston entfernt) durch den Präsidenten Hon. Josiah

Quincy. Das Boston-Athenäum durch seinen Bibliothekar.

Benjamin Green, Esq., Präsident der naturforschenden Gesell­ schaft in Boston.

Ich werde mich noch an einige andere Anstalten und Individuen wenden, wage aber nicht bestimmte Versprechungen an meine Be­

mühungen zu knüpfen . . . Als er diesen Brief las, ahnte Agassiz nicht, wie bekannt diese fernliegendcn Orte ihm werden sollten, und wie oft er in späteren

Jahren die vier Meilen zwischen Cambridge und Boston bei Tag und Nacht zu Fuß zurücklegen würde. Humboldt an Agassiz.

Berlin, Mai 1835. Ich bin sehr zu tadeln, daß ich Sie so vernachlässige, lieber

Freund, aber wenn Sie den Kummer bedenken, der mich nieder­ drückt") und mich oft unfähig macht, meine wissenschaftlichen Ver­ bindungen aufrecht zu erhalten, so werden Sie nicht so unfreundlich

sein, mir mein langes Schweigen übel zu nehmen.

Die hohe Ach-

*) Das „American Journal of Science and Art. **) Wege» des TodeS seines Bruders, Wilhelm von Humboldt. 10

Ag.issiz's Leben und Briefwechsel.

146

Achtes Capitel.

hing, welche ich für Ihre Talente und Ihren Charakter habe, ist

Ihnen zu gut bekannt, und Sie wissen auch sehr wohl, weich' warme Freundschaft ich für Sie hege,

um auch nur einen Augenblick zu

fürchten, daß ich Sie vergessen könnte. Ich habe das Wesen, welches ich am meisten liebte, und welches

mir allein noch einiges Interesse in diesem dürren Lande einflößte,

langsam hinwelken sehen.

Vier lange Jahre hat mein Bruder an

einer Schwäche der Muskeln gelitten, welche mich immer fürchten ließ, daß der Sitz des Uebels die medulla oblongata sei. sein Schritt fest, sein Kopf vollständig

klar.

Doch war

Die höheren intel­

lektuellen Fähigkeiten hatten nichts von ihrer Energie verloren.

Er

arbeitete zwölf bis dreizehn Stunden täglich, las und diktirte, denn

ein nervöses Zittern der Hand verhinderte ihn, sich der Feder zu be-dienen.

Von einer zahlreichen Familie umgeben, an einem Orte,

den er sich, so zu sagen, selbst geschaffen und in einem Hause woh­

nend, welches er mit antiken Statuen ausgeschmückt hatte, von den Geschäften zurückgezogen, hing er immer noch am Leben. Die Krank­

heit, welche ihn vor zehn Tagen hinraffte, — eine Brustentzündung — war nur ein sekundäres Symptom seines Uebels. Er starb ohne

Schmerzen, mit einer Charakterstärke und einer Heiterkeit der Seele, welche der höchsten Bewunderung würdig waren.

Es ist hart, einen

so bedeutenden Geist während zehn langen Jahren gegen die physische

Zerstörung ankämpfen sehen

zu müssen.

Man sagt, daß man bei

großem Kummer sich mit verdoppelter Energie dem Studium der Natur zuwcnden müsse.

Der Rath ist leicht zu geben, aber es giebt

Zeiten, in denen selbst der Wunsch nach einer Zerstreuung fehlt. Mein Bruder hinterläßt zwei Werke, welche wir zu veröffent­ lichen gedenken: eines über die Sprachen und die alte Indische Kolo­

nisation des Asiatischen Archipelagus, das andere über den Bau der

Sprachen im Allgemeinen und

den Einfluß dieses Baues auf die

geistige Entwicklung der Nationen.

Dies letztere Werk zeichnet sich

durch große Schönheit des Styls aus.

Wir werden bald mit der

Herausgabe ansangen. Der ausgedehnte Briefwechsel meines Bruders mit allen Ländern, über welche sich seine philologischen Studien er­ streckten, bringt mir gegenwärtig eine solche Vermehrung von Ge­

schäften und Pflichten, daß ich nur diese wenige Zeilen an Sie richten kann, lieber Freund, als Zeichen meiner fortdauernden Zuneigung

147

Brief von Humboldt.

und, wie ich hinzufügen darf, meiner Bewunderung Ihrer hervor­

ragenden Werke.

Es ist eine Freude, den wachsenden Ruhm der­

jenigen, die wir lieben, zu verfolgen; und wer verdiente den Erfolg mehr als Sie, dessen Charakterstärke Sie vor aller literarischen Selbst­

liebe bewahrt? Ich danke Ihnen für das wenige, was Sie mir von Ihrem häuslichen Leben gesagt.

Als großer und tiefer Naturforscher

gelobt und anerkannt zu werden, genügt nicht; das häusliche Glück muß auch dabei sein . . . Ich bin eben dabei, ein langwieriges und mühsames Werk abzuschließen; eine kritische Prüfung der Geographie des Mittelalters,

wovon fünfzig Bogen schon gedruckt sind. Bände schicken, sobald sie erscheinen.

Ich werde Ihnen die

Ich habe Ihre vierte Lieferung

verschlungen; die Tafeln sind beinah noch schöner, als die vorher­

gehenden, und der Text, obwohl ich ihn erst flüchtig durchgesehen habe, hat mich sehr interessirt, besonders der analytische Katalog von Bolca und die sehr philosophischen Betrachtungen über Fische im Allgemeinen, S. 57—64.

Die Letzteren sind auch in Betreff des

Styls bedeutend. Herr von Buch, der mich eben verlassen hat, grüßt Sie herzlich. Nichtsdestoweniger betrachtet er ihre Art, den Text in Bruchstücken aus verschiedenen Bänden herauszugeben, als geradezu diabolisch. Auch ich beklage mich ein wenig darüber, aber in aller Demuth. Ich

vermuthe, daß dies mit der Schwierigkeit zusammenhängt, mit einer Familie abzuschließen, so lange sich täglich noch neues Material in Ihren Händen ansammelt.

Fahren Sie darum fort, wie bisher. Nach meinem Urtheil ist Herr Agassi; nie im Unrecht . . .

Der obige Brief, obwohl im Mai geschrieben, erreichte Agassiz

nicht vor Ende Juli, als er wieder auf dem Weg nach England war, von wo seine Antwort datirt.

Agassiz an Humboldt.

London, Oktober 1842.

. . . Ich kann Ihnen die Freude nicht aussprechen, die ich bei

Lesung Ihres Briefes empfand (der mir leider erst bei meiner Durch­ reise in Karlsruhe Ende Juli übergeben wurde) ...

Zu erfahren, io»

148

Achtes Capitel.

daß ich Ihre Gedanken und noch dazu in Tagen der Prüfung und

des Kummers, wie Sie sie durchgemacht haben, beschäftigte, erhebt mich in meinen eigenen Augen und verdoppelt meine Hoffnung für

die Zukunft.

Und gerade jetzt bei den Schwierigkeiten, auf welche

ich bei Beendigung meiner Aufgabe in England stoße, ist mir eine

solche Aufmunterung besonders erquickend.

Ich bin jetzt seit beinahe

zwei Monaten hier und hoffe vor meiner Abreise die Beschreibung

von allem, was ich im vorigen Jahre in der geologischen Gesellschaft

Da ich weiß, daß Sie in

zusammengebracht habe, zu vollenden.

Paris sind, kann ich der Versuchung nicht widerstehen, Sie dort zu

besuchen.

Wenn Ihr Aufenthalt dort

sich um einige Wochen ver­

längern sollte, so würde meine Rückreise direkt über Paris gehen.

Ich möchte Ihnen gern erzählen, was ich gethan und wie ich gelebt habe, seit wir uns nicht gesehen haben.

Es mag wohl eine große

Unvorsichtigkeit gewesen sein, daß ich mich in ein, im Verhältniß zu meinen Mitteln, so großes Unternehmen, wie es meine fossilen Fische

sind, einließ. Aber nachdem ich es einmal angefangen, habe ich keine

Wahl mehr.

Meine einzige Sicherheit liegt in dem Erfolg.

Ich

habe die bestimmte Ueberzeugung, daß ich mein Werk zu einem glück­

lichen Ausgang bringen werde, obwohl ich Abends oft nicht weiß, wie

die Mühle den nächsten Tag weiter arbeiten soll . . . Zu meinem großen Glück hat die „British Association“ auf

Antrag von Buckland, Sedgwick und Murchison für dieses Jahr wieder die Summe von einhundert Guineen zur Unterstützung der Forschungen über die fossilen Fische Englands ausgesetzt, und ich

hoffe, daß ein bedeutender Theil dieser Summe mir zugewendet wer­

den wird, in welchem Falle ich in den Stand gesetzt sein würde, eine große Anzahl der Zeichnungen, deren ich bedarf, anfertigen zu lassen.

Wenn ich in Frankreich nur halb so viele Subskribenten

gewonnen hätte, als in England, so wäre ich gesichert; aber bis

jetzt hat Herr Bailliere nur fünfzehn Abdrücke untergebracht . . . Meine Arbeit schreitet gut voran; ich werde bald alle mir bekannten

Arten, die sich schon ungefähr auf neunhundert belaufen, beschrieben

haben.

Wenn meine Aufgabe hier beendet ist, muß ich

einige

Wochen nach Paris, um verschiedene tertiäre Arten mit lebenden zu vergleichen und mich von ihrer specifischen Identität zu überzeugen. Dann komme ich an das Ordnen aller meiner Aufzeichnungen.

In

149

Weitere Veröffentlichungen.

meinen langen Ferien werde ich Zeit haben, dies mit größter Sorg­

falt zu thun . . . Agassiz's zweiter Aufenthalt in England, während dessen dieser Brief geschrieben ist, wurde hauptsächlich daraus verwendet, die Ar­

beiten seines Künstlers zu überwachen, dem er nun noch einen zweiten in Herrn Weber zugesellte, welcher schon früher für ihn in München gearbeitet hatte.

Er wohnte auch

der Versammlung der British

Association in Dublin bei, hielt sich einige Tage in Oulton Park auf,

um die Sammlung Sir Philipp Egerton's

noch einmal zu sehen,

machte eine zweite große Rundreise nach allen anderen fossilen Fischen Englands und Irlands und kehrte nach Neuchütel zurück, seine zwei

Künstler in England mit reichlicher Arbeit zurücklassend. Während er so sein Werk über fossile Fische mit Eifer und in

Anbetracht seiner kleinen Mittel mit beinah erschreckender Kühnheit

fortsetzte, fand er doch noch Zeit für verschiedene andere Untersuchun­

gen.

Während des Jahres 1836 erschien trotz der weitergehenden

Veröffentlichung der „Poissons Fossiles“, sowohl sein Prodromus der

Klasse der Echinodermen in den Memoiren der naturforschenden Ge­ sellschaft in Neuchatel, als seine von Abbildungen begleitete Abhand­

lung über die fossilen Echini des Neocom des Neuchäteler Jura. Nicht lange nachher veröffentlichte er in den Schriften der Helveti­ schen Gesellschaft seine Beschreibung der der Schweiz eigenthümlichen

fossilen Echini und ließ auch die erste Lieferung eines umfangreiche­ ren Werks, der „Monographie d’Echinodermes“ erscheinen.

Während

dieses Jahres wurde ihm ein neuer Beweis der Theilnahme der englischen Naturforscher durch die Verleihung der Wollaston-Medaille von Seiten der Londoner geologischen Gesellschaft gegeben.

Der Sommer 1836 war ein ereignißreicher für Agassiz — der Anfang eines neuen glänzenden Kapitels in seinem Leben.

Die

Aufmerksamkeit der Laien wie der Gelehrten war in gleicher Weise

aus die eigenthümlichen Erscheinungen der Bewegung der Gletscher und ihres Vorrückens in £ie Alpenthäler gerichtet.

Ein Bauer hatte

seltsame Mittheilungen gemacht von Blöcken, welche auf dem Rücken des Eises fortgetragen worden waren, von dem abwechselnden Zurück­

treten und Vorrücken der Gletscher, die heute in engere Grenzen zu­ sammenschrumpfen und sich dann wieder in die anstoßenden Gebiete

Achtes Capitel.

150

ergießen durch eine noch unerklärte Kraft der Ausdehnung und Zu­ sammenziehung.

Wissenschaftliche Männer waren auf die Bedeutung

dieser Thatsachen aufmerksam geworden, hatten sie aber nur als eine lokale Erscheinung ausgefaßt.

Benetz und Charpentier waren die

ersten, welche ihre ausgedehntere Bedeutung erkannten.

Der erstere

wies die früheren Grenzen der Alpengletscher aus Grund der von denselben zurückgelassenen Spuren von Trümmerwerk und abgelösten

Felsstücken nach.

Charpentier ging noch weiter und behauptete, daß

alle die erratischen Blöcke, welche über die Ebene der Schweiz und

an den Abhängen des Jura zerstreut sind, durch das Eis und nicht

durch Wasser, wie man früher annahm, dahin geführt worden seien. Agassi; gehörte zu denjenigen, welche diese Hypothese als un­ wahrscheinlich und unhaltbar betrachteten.

Doch war er begierig, den

Sachverhalt an Ort und Stelle zu sehen, und Charpentier erbot sich dabei mit Freuden zu seinem Führer.

Er brachte daher die Sommer­

ferien von 1836 in dem freundlichen Städtchen Bex im Rhonethal

zu.

Hier verlebte er einige Wochen mit Untersuchungen, welche ihm

auch zur Erholung von den anstrengenderen sitzenden Studien dienten.

Er kam in der Erwartung, seine Zweifel bestätigt zu finden und

seinen Freund Charpentier von seinen Irrthümern zurückzubringen. Aber nachdem er mit ihm die Gletscher der Diablerets besucht hatte, sowie diejenigen des Chamounixthals und die Moränen des großen

Rhonethals mit den bedeutendsten seiner Seitenthäler, kam er zu dem Schluß, daß der einzige Irrthum Charpentier's in einer zu be­ grenzten Auslegung der betreffenden Naturerscheinungen läge.

Während dieses sonst höchst erfreulichen Sommers war ihm die

erneute Sorge nicht erspart, daß er genöthigt sein würde, die Heraus­ gabe der fossilen Fische einzustellen, da die Mittel zur Fortführung fehlten. Er schrieb deshalb aus Bex an Sir Philipp Egerton wegen

des Verkaufs seiner Originalzeichnungen, des einzigen Eigenthums, welches er besaß.

„Es ist vollständig unmöglich für mich", schreibt

er, „auch nur eine Lieferung mehr erscheinen zu lassen, bis der Ver­ kauf erfolgt ist ... Ich würde ganz zufriehen sein, wenn ich für die

ganze Sammlung von Zeichnungen nur die Summe erhielte, welche

ich dafür ausgegeben habe, vorausgesetzt, daß ich diejenigen Exem­ plare, welche noch lithographirt werden müssen, behalten dürfte, bis dies geschehen ist."

Lehre von der Eiszeit.

151

Sir Philipp gab sich alle Mühe, das britische Museum zu dem Ankauf zu veranlassen.

ES gelang ihm damals nicht, aber schließ­

lich wurde die Sammlung gekauft und von einem seiner Verwandten,

dem großmüthigen Lord Francis Egerton dem britischen Museum ge­

schenkt.

Um es inzwischen Agassiz möglich zu machen, Dinkel weiter

arbeiten zu lassen, schlugen Sir Philipp und Lord Cole ihm vor, die Ausgaben für den Künstler zu bestreiten, so lange er noch Exemplare aus ihren eigenen Sammlungen, die für das Werk gebraucht wur­

den, zeichnete.

Diese Zeichnungen sollten dann natürlich späterhin

ihr Eigenthum bleiben. Während seines Aufenthaltes in Bex war Agassiz's Phantasie und Geist lebhaft durch die dortigen Gletschcrspuren angeregt worden. Bei seiner Rückkehr nach Nenchätel im Winter 1837 untersuchte er von Neuem die Abhänge des Jura und fand,

da ganz ebenso verhielten.

daß die Dinge sich

Obwohl er mit unvermindertem Eifer

seine verschiedenen Arbeiten über Fische, Strahlthiere und Mollusken wieder aufnahm, so eröffnete sich daneben doch seinem fruchtbaren Geist

ein neues Feld der Naturbeobachtung.

Als die Schweizer Versamm­

lung in Neuchätel im folgenden Sommer zusammenkam, überraschte der junge Präsident, von welchem die Mitglieder neue Aufschlüsse

über fossile Fische erwartet hatten, die Anwesenden mit der Darstel­ lung einer Eiszeitlehre, nach welcher die lokalen erratischen Erschei­ nungen in den Schweizer Thälern eine kosmische Bedeutung erhielten. Es verdient beachtet zu werden, daß die ersten großen Umrisse, welche

Agassiz als junger Mann, von seiner geistigen Arbeit entwarf, den

Grundstein zu dem späteren Gebäude bildeten.

Wie der allgemeine

Standpunkt, von welchem all seine späteren zoologischen Forschungen ausgehen, in der Vorrede zu seinen „Poissons fossiles“ angedeutet

ist, so entwickelt er in seiner Eröffnungsrede an die versammelten Schweizer Naturforscher die Lehre von der Eiszeit, wie er sie am

Schluffe seines Lebens betrachtete, nachdem er die darauf hindeutenden

Erscheinungen auf drei Kontinenten beobachtet hatte. In dieser Rede spricht er seine Ueberzeugung aus, daß in Folge einer vorübergehen­

den Schwankung in der Temperatur der Erde eine große Gletscher­

periode die ganze Oberfläche der Erde mit einer Eisschicht bedeckt habe, welche sich mindestens vom Nordpol bis nach Central-Europa

und Asien erstreckte.

„Ein sibirischer Winter", sagt er, „beherrschte.

Achtes Capitel.

152

eine Zeit lang die Welt, welche vorher mit einer reichen Vegetation

bedeckt und mit großen Säugethieren, ähnlich denjenigen, welche jetzt die warmen Regionen von Indien und Afrika bewohnen, bevölkert

war.'

Der Tod hüllte die ganze Natur in ein Leichentuch, und die

Kälte, welche ihren höchsten Grad erreicht hatte, gab dieser Eismafse

auf dem Höhepunkt der Spannung die größtmöglichste Härte."

In

dieser neuen Darstellung wurde das zerstreute Vorkommen der erra­ tischen Blöcke nicht als lokale Erscheinung, sondern „als eines der Phänomene betrachtet, welche mit der großen Veränderung, die das

Fallen der Temperatur auf der Erde vor dem Beginn unserer Epoche

herbeiführte, zusammenhing."

Hiermit war wahrlich den früheren Erklärern des Wanderns der erratischen Blöcke, welche dasselbe den Fluthen, angeschwollenen

Flüssen und schwimmendem Eis zuschrieben, der Fehdehandschuh hin­

geworfen.

Mancher berühmte Geologe war auf der Versammlung

anwesend, unter anderen Leopold von Buch, der seine mit Verach­ tung gemischte Entrüstung über diese nach seiner Meinung unreifen Ansichten eines unerfahrenen Beobachters kaum zurückhalten konnte.

Es mag unterhaltend gewesen sein, den Erörterungen zuzuhören,

welche sich nachher in der geologischen Sektion zwischen Leopold von Buch, Charpentier und Agassiz entspannen.

Elie de Beaumont,

welcher der vierte fein sollte, kam erst später nach.

Die Meinungs­

verschiedenheiten störten jedoch das herzliche Verhältniß nicht, welches zwischen Leopold von Buch und seinem jungen Gegner bestand.

Agassiz's Verehrung und Bewunderung für von Buch war damals, wie während seines ganzen späteren Lebens, tief und aufrichtig. Aber nicht nur bei den Männern, die diese Fragen zu ihrem

speciellen Studium gemacht hatten, stieß Agassiz auf Widerspruch. Die Briefe feines geliebten Mentors Humboldt aus dem Jahre 1836

zeigen, wie sehr derselbe bedauerte, daß sein junger Freund auch nur

einen Theil seiner Arbeitskraft von der Zoologie ab- und einem Felde

der Forschung zuwandte, welches er damals mehr für eine Sache

der Theorie, als der wirklichen Beobachtung hielt. Er war vielleicht durch die Voreingenommenheit seines Freundes von Buch in seinem Urtheil beeinflußt.

„Leopold

von Buch wüthet

über Ihre utrb

Charpentier's Moränen", sagt er in einem seiner Briefe, „da er,

wie Sie wohl wissen, diesen Gegenstand für feinen ausschließlichen

Brief von Humboldt. Besitz hätt.

153

Aber auch ich, obwohl ich neuen Ansichten durchaus

nicht so grimmig gegenüberstehe und bereit bin zu glauben, daß die

erratischen Blöcke nicht alle auf dieselbe Weise fortbewegt worden sind, neige doch zu dem Glauben, daß die Moränen ihre Entstehung mehr lokalen Ursachen verdanken." Der nächste Brief von Humboldt zeigt, daß ihn die Befürchtung ernstlich beunruhigte, daß dies neue anziehende Feld der Thätigkeit

Agassiz von seinen ichthyologischen Untersuchungen abbringen möchte. Humboldt an Agassiz.

Berlin, 2. December 1837. In diesem Augenblick, lieber Freund, habe ich durch Herrn von

Werther, den Kabinetsminister, Ihre achte und neunte Lieferung mit

einer guten Anzahl Textbogen erhalten.

Ich beeile mich, Ihnen

meinen wärmsten Dank auszusprechen, und ich wünsche dem Publikum

Glück zu Ihrem etwas späten Entschluß, einen umfangreicheren Text­ antheil zu geben.

Man soll weder dem König, noch dem Volke, noch

seinem liebsten Freunde schmeicheln.

Daher mache ich Sie in der

Voraussetzung, daß Ihnen dies noch nicht nachdrücklich genug gesagt

worden ist, darauf aufmerksam, daß gerade die Personen, welche Ihr Werk am meisten bewundern, sich fortgesetzt über die fragmentarische Art seines Erscheinens beklagen, welche diejenigen zur Verzweiflung

bringt, denen es an Muße fehlt, Ihre zerstreuten Blätter in die richtige Ordnung zu bringen*). Ich glaube, Sie würden gut thun, eine Zeit lang mehr Text

als Tafeln drucken zu lassen.

Sic könnten dies um so eher thun,

als Ihr Text vortrefflich, voll neuer und wichtiger Gedanken und mit bewunderungswürdiger Klarheit geschrieben ist. Der liebens­ würdige Bries (wieder ohne Datum), welcher Ihrem Pack voraus­

ging, hat mir einen traurigen Eindruck gemacht.

Ich sehe, daß Sie

wieder krank sind; Sie klagen über Kongestionen nach dem Kopf und den Augen.

Um's Himmels willen, seien Sie vorsichtig mit Ihrer

Gesundheit, welche uns allen so theuer ist.

Ich fürchte, Sie arbeiten

*) In Folge der Unregelmäßigkeit mit welcher Agassiz sein Material erhielt und verarbeiten konnte, war er oft mit einigen Abschnitten seines Werkes vor­ ausgeeilt oder zurückgeblieben, so daß sein Text und seine Tafeln nicht Schritt miteinander hielten, was seinen Lesern viele Unbequemlichkeiten verursachte.

154

Achtes Capitel.

zu viel und (soll ich es aufrichtig sagen?) Sie wenden Ihre geistige

Thätigkeit zu vielen Gegenständen aus einmal zu.

Ich glaube, Sie

müßten Ihre intellektuelle und auch Ihre finanzielle Kraft auf das schöne Werk über die fossilen Fische concentriren.

Wenn Sie das

thun, werden Sie der positiven Geologie einen größeren Dienst er­ weisen, als durch diese allgemeinen (doch etwas eisigen) Betrachtun­

gen über die Umwälzungen einer früheren Welt; Betrachtungen, welche, wie Sie wohl wissen, nur diejenigen überzeugen, von welchen

sie ausgehen.

Indem Sie bedeutende Summen aus England an­

nahmen, sind Sie, so zu sagen, Verpflichtungen eingegangen, denen

Sie nur durch die Beendigung des Werkes, welches gleichzeitig ein

Denkmal Ihres Ruhmes und ein Grenzstein in der Geschichte der Wissenschaft sein wird, nachkommen.

So bewunderungswürdig und

genau auch Ihre Arbeiten über andere fossile Ueberreste find, so

werden doch Ihre Zeitgenossen vor allem die fossilen Fische von Ihnen beanspruchen.

Sie werden sagen, daß dies Sie zum Sklaven

anderer mache; das mag sein, aber dies ist einmal die erfreuliche

Lage der Dinge hienieden. Bin ich nicht seit dreiunddreißig Jahren angetrieben worden, mich mit diesem langweiligen Amerika zu be­

schäftigen, und werde ich nicht sogar jetzt noch, nachdem ich zweiund­

dreißig Bände der großen Ausgabe in Folio und in Quart und zwölfhundert Tafeln veröffentlicht habe, täglich beleidigt, weil ein

Band der historischen Abtheilung fehlt?

Wir Schriftsteller sind die

Knechte eines willkürlichen Herrn, den wir uns unbesonnener Weise erwählt haben, der uns zuerst schmeichelt und schön thut und uns

dann tyrannisirt, wenn wir nicht nach seinem Geschmack arbeiten.

Sie sehen, mein lieber Freund, daß ich den alten Brummer spiele und, aus die Gefahr hin, mir Ihr Mißfallen zuzuziehen, mich aus Seiten des despotischen Publikums stelle . . . Was die allgemeine oder periodische Abnahme der Temperatur

auf der Erde betrifft, so habe ich es nie für nöthig gehalten, des Mammuths wegen jenen plötzlichen Frost, von welchem Cuvier zu

sprechen pflegte, anzunehmen.

Was ich in Sibirien gesehen habe,

und was auf der Expedition des Kapitain Beechey an die Nordwest­

küste Amerikas beobachtet worden ist, beweist einfach, daß eine Schicht gefrorenen Bodens in den Spalten vorhanden ist, in welcher (sogar

jetzt) das Muskelfleisch jedes Thieres, welches zufällig hinein gefallen

155

Brief von Humboldt.

ist, unversehrt erhalten bleiben würde. Erscheinung.

Es ist eine einfache lokale

Mir scheint die Zusammenwirkung der geologischen

Erscheinungen nicht das Vorherrschen dieser eisigen Oberfläche zu

beweisen, auf welcher Sie Ihre Blicke weiter wandern lassen, sondern

eine sehr hohe Temperatur, welche sich beinah bis zn den Polen er­ streckte, eine Temperatur, welche Organismen, wie sie jetzt in den Tropen leben, hervordrachte. Ihr Eis erschreckt mich und so gerne ich Sie hier bewillkommnen möchte, mein lieber Freund, so denke

ich doch, daß vielleicht Ihrer Gesundheit wegen, und auch damit Sie dieses immer so häßliche Land wenigstens nicht mit einer Schnee-

und Eisdecke sehen (int Februar), Sie besser thun würden, zwei Mo­ nate später mit dem ersten Grün zu kommen. Dieser Gedanke wurde mir durch einen Brief von M. d'O. eingegeben, welcher mich etwas

beunruhigte, da der Zustand Ihrer Augen' Sie veranlaßte, sich einer anderen Hand zum Schreiben zu bedienen.

Bitte, denken Sie nicht

daran zu reisen, ehe Sie wieder ganz hergestellt sind.

Ich schließe

diesen Brief, in welchem gewiß keine Zeile enthalten ist, welche nicht die warme Freundschaft und hohe Achtung, welche ich für Sie hege,

ausdrückt.

Die Herrlichkeit Ihrer letzten Lieferungen, der achten und

neunten, läßt sich nicht aussprechen. Wie vortrefflich ausgeführt sind Ihre Macropoma, der Ophiopris procerus, Mantell's großes Thier, die eingehenden Einzelheiten von Dercetis, Psammodus . . . Wir

besitzen nichts ähnliches über die Wirbelthiere.

Ich habe auch ange­

fangen, Ihren Text zu studiren, der so reich an wohlgeordneten That­

sachen ist, die Monographie der Lepidostei, die Stelle über die Knochenfische und, lieber Agassiz, ich wollte kaum meinen Augen trauen: fünf und sechzig fortlaufende Seiten des dritten Bandes

ohne Unterbrechung!

Sie werden das Publikum verwöhnen.

Aber,

mein guter Freund, Sie kennen schon zweitausend Arten; „claudite jam rivos!“ Sie sagen, Ihr Werk könne fortgesetzt werden, wenn

Sie zweihundert Subskribenten hätten. Wenn Sie aber fortfahren, zwei Zeichner zu halten, so sage ich, als praktischer Mann, Ihnen voraus, daß es nicht weiter gehen kann. Sie können nicht einmal veröffentlichen, was Sie in den letzten fünf Jahren gesammelt

haben.

Bedenken Sie, daß indem Sie versuchen eine Uebersicht

aller fossilen Fische zu geben, welche jetzt in Sammlungen existiren,

Sie ein Phantom verfolgen, welches Ihnen immer entflieht.

Ein

156

Achtes Capitel.

solches Werk könnte innerhalb fünfzehn Jahren kaum beendet werden, und außerdem

ist das

unbestimmtes Ding.

jetzt ein

Könnten

Sie stch nicht so weit überwinden, das zu veröffentlichen, was in Ihrem Besitz ist?

Rufen Sie alle Ihre Künstler zurück.

Mit dem

Ruf, den Sie in Europa genießen, wird Ihnen alles gern geschickt

werden, was eine wesentliche Veränderung in Ihren Ansichten über

gewisse Organismen veranlassen könnte.

Wenn Sie fortfahren, zwei

Gesandte in fremden Ländern zu unterhalten, werden die Mittel, welche Sie zum Lithographiren und Drucken bestimmt haben, bald

aufgebraucht sein.

Sie werden mit häuslichen Schwierigkeiten zu

kämpfen haben, und im Alter von sechzig Jahren (erzittern Sie beim

Anblick dieser Zahl) werden Sie so ungewiß darüber sein, wie heute, ob Sie, auch nur in Ihren Zeichnungen alles haben, was bei Lieb­

habern existirt.

Wie wollen Sie einen Ocean ausschöpfen, in welchem

die Arten sich ins Unendliche vermehren? Beendigen Sie zuerst, was

Sie jetzt, in diesem December 1837 haben, und dann, wenn der Gegenstand nicht langweilig wird, veröffentlichen Sie die Nachträge im Jahr 1847.

Sie dürfen nicht vergessen,

daß die Nachträge

zweierlei enthalten müssen: Erstens Gedanken, welche einige Ihrer

früheren Ansichten berichtigen; zweitens neue Arten. Art des Nachtrags wird wirklich begehrt werden.

Nur die erste Ferner müssen

Sie Ihre geistige Unabhängigkeit wieder gewinnen und sich nicht mehr von Herrn von Humboldt schelten lassen. Es wird Ihnen wenig nützen, wenn ich mit Ihrer vierzehnten Lieferung von der Bühne dieser Welt abtreten sollte. Wenn ich meinerseits zu einem Fossil geworden bin, werde ich Ihnen doch als Geist erscheinen mit den

Seiten, welche Sie einzureihen versäumten, und mit dem Band jenes

ewigen Amerika, welchen ich dem Publikum schulde, unter dem Arm. Ich schließe mit einem Scherz, damit mein Brief Ihnen nicht ganz

wie eine Predigt erscheint.

Tausend herzliche Grüße.

Also kein Eis

mehr, nichts von Echinodermen, um so mehr von Fischen und Zurückrufung der Gesandten in partibus; ferner große Strenge gegen die Buchhändler, eine höllische Bande.

Ich habe zwei oder drei davon

umgebracht.

A. von Humboldt. Ich seufze bei dem Gedanken an die Mühe, welche meine schreck­

liche Schrift Ihnen verursachen wird.

Brief von Leopold von Buch.

157

Ein Brief aus derselben Zeit von L. von Buch zeigt, daß so sehr er auch über Agassiz's heterodoxe Geologie wüthete, er doch dessen sonstigen Arbeiten die wärmste Theilnahme entgegenbrachte. Leopold von Buch an Louis Agassiz. 22. December 1837.

. . . Bitte lassen Sie mich wieder in der Gunst meines unbe­ kannten Wohlthäters in Ihrer Mitte hergestellt sein.

Durch einen

großen Irrthum sind die Berichte der Gesellschaft, die mir aus NeuchLtel zukamen, wieder zurückgeschickt worden.

Da es auf dem Post­

amt wohl bekannt ist, daß ich die Stöße von belehrenden Journalen, die mir aus Frankreich zugeschickt werden, nicht behalte, weil das

Porto dafür viel zu hoch für meine Mittel ist, nahm man als aus­ daß dies Journal, wofür die Postgebühren mehrere

gemacht an,

Thaler betrugen, auch zu jenen ersteren gehörten. sehr leid.

Es thut mir

Ich weiß nicht einmal, was das Journal enthielt, aber

ich sehe voraus, daß es Aufsätze von Ihnen, voll Genie und Feuer­ Ihre Art die Natur zu betrachten gefällt mir, und ich

eifer brachte.

glaube, Sie werden der Wissenschaft große Dienste durch Ihre Beob­

achtungen erweisen. Ihr richtiges Urtheil wird Ihnen zeigen, daß dies der rechte

Weg zu Ruhm und Ehre ist, der jenem anderen, zu eitlen Analogien und Spekulationen führenden, dessen Zeit längst vorüber ist, bei

weitem vorzuzichen ist.

Ich bedaure zu hören, daß Sie sich nicht

wohl fühlen, und daß Ihre Augen den Dienst versagen.

Herr von

Humboldt sagt mir, daß Sie hier im Monat Februar ein besseres Klima suchen.

Sie werden es vielleicht finden, Dank unseren Oefen.

Aber da wir noch reichlich Eis in den Straßen haben, werden Ihre Gletscheransichten in dieser Jahreszeit keinen Absatz bei uns finden.

Ich möchte Ihnen eine Abhandlung oder Monographie von mir, die ich soeben über Spirifer und Orthis veröffentlicht habe, zukommen lassen, aber da ich niemanden Porto für ein Werk bezahlen lassen will,

welches seiner Natur nach nur von beschränktem Jntereffe sein kann,

so will ich Ihre Ankunst abwarten, um Ihnen diese Beschreibungen

zu geben.

Ich warte auf die weiteren Lieferungen Ihrer fossilen

Fische, welche noch nicht gekommen sind. Humboldt spricht ost mit mir davon. O, wie viel lieber sehe ich Sie auf einem Gebiete,

158

Neuntes Capitel.

welches ganz ihr eigenes ist, als auf einem, wo Sie den gemäßigten und vorsichtigen Gang, welchen Saussure in der Geologie eingeführt hat, unterbrechen.

Sie werden das aber alles noch einmal überlegen

und werden die Ansichten von Saussure und Escher mit mehr Respekt Hier wendet sich alles den Infusorien zu.

behandeln.

Ehrenberg

hat gerade entdeckt, daß eine zwanzig Fuß tiefe, scheinbar sandige

Ablagerung unter der Lüneburger Heide, ganz aus einer Art von

Infusorien besteht, welche in der Umgebung von Berlin noch jetzt vor­

kommen. Diese Schicht ruht auf einer braunen Ablagerung, die eine

Dicke von zehn Fuß haben soll.

Dieselbe besteht in einem Fünftel

ihrer Tiefe aus dem Blüthenstaub von Tannen, der jetzt noch ent­ zündbar ist.

Das übrige sind Infusorien.

So haben diese Thiere,

welche mit dem unbewafineten Auge nicht gesehen werden können,

die Kraft, Bergketten zu errichten . . .

Neuntes Capitel. 1837-1839.

Vom 30. bis 32. Jahre.

Anerbietungen von Professuren in Genf und Lausanne. — Tod seines Vaters. — Errichtung einer lithographischen Druckerpresse in Neuchätel. — Untersuchungen über den Ball der Mollusken. — Steinkerne von Schalen. — Gletschererfor­ schungen. — Ansichten von Buckland. — Beziehungen zu Arnold Guyot. — Ihre gelneinschaftliche Arbeit in den Alpen. — Brief an Sir Philipp Egerton über die Gletscheruntersuchungen. — Sominer 1839. — Veröffentlichung der „ Ktudes sur les Glaciers*.

So viel Widerspruch und unliebsame Auslegung Agassiz's ge­ wagte Behandlung der Gletschererscheinungen auch erfahren mußte, so hatte dieselbe doch ihrer Originalität und Beredsamkeit wegen

großen Eindruck gemacht.

Vielleicht verdankte er es diesem Umstand,

daß er um diese Zeit von verschiedenen Seiten dringend ausgesordert wurde, Neuchätel mit einem ausgedehnteren Wirkungskreis zu ver­

tauschen.

Eine dieser Anerbietungen, die durch den liebevollen Sinn,

in welchem sie gemacht wurde, besonders verlockend war, kam ans Genf von Professor de la Rive.

Anerbieten einer Professur in Genf.

159

Auguste de la Rive an Louis Agassiz. Genf, 12. Mai 1836.

. . . Ich habe Ihre Rede noch nicht erhalten und hoffe, daß Sie sie mir ohne Verzug schicken werden, denn ich bin ungeduldig

sie unseren Lesern mitzutheilen.

Ich hoffe auch, daß Sie nicht ver­

gessen werden, was Sie mir für die „Bibliotheque .Universelle“ versprochen haben.

Es verlangt mich sehr nach Ihrer Mitwirkung,

um so mehr, als dieselbe diejenige mehrerer bedeutender Gelehrten,

deren Beiträge ich mir kürzlich gesichert habe, verstärken wird. Wenn ich Sie mit einem Briefe ermüde, so geschieht dies jedoch nicht nur, um Sie an Zhr Versprechen in betreff der Bibliotheque

Universelle zu erinnern, sondern wegen einer anderen wichtigeren und dringenderen Angelegenheit. Die Sache ist! diese: Unsere aka­ demischen Vorlesungen sind gerade unter günstigen Verhältniffen er­

öffnet worden.

Die Zahl der Studenten hat sehr zugenommen, und

besonders haben wir viele aus Deutschland und England.

Dieser

Umstand läßt uns um so mehr erkennen, wie wichtig es ist, unseren Lehrkörper zu vervollständigen, und dies schnell und mit Klugheit zu thun.

Ich will nicht den Diplomaten mit Ihnen spielen, sondern

aufrichtig und ohne Umschweife sagen, daß Sie mir der eine haupt­

sächliche und unerläßliche Mann dazu scheinen.

Nachdem ich mit

einigen einflußreichen Männern hier gesprochen habe, bin ich über­

zeugt, daß, wenn Sie sagen:

„Ich will kommen", folgende Bedin­

gungen für Sie zu erlangen sein werden: Erstens ein regelmäßiger Gehalt von dreitausend Franken, außer den Gebühren der Studenten, welche sich in Folge Ihres Rufes, Ihrer Lehrweise und der Neuheit

Ihrer Vorlesungen gewiß auf mindestens zweitausend Franken be­ laufen werden.

Zweitens: Der erledigte Lehrstuhl ist für Geologie

und Mineralogie; wenn Sie es aber wünschen sollten, so wird de

la Planche fortfahren, die Mineralogie zu lehren, und Sie werden

dafür Paläontologie oder irgend einen anderen Gegenstand, den Sie

für geeignet halten, eintreten lassen.

Fügen Sie dann noch eine

öffentliche Vorlesung für das große Publikum, Damen u. s. w., bei, welche Sie, wie in NeuchLtel, im Winter halten könnten, so haben

Sie noch eine neue Einnahmequelle.

Es werden hier gewöhnlich

fünfzig Franken für eine Reihe von fünfundzwanzig bis dreißig Vor­

lesungen gezahlt.

Sie werden einsehen, daß Sie für solche Vorträge

Neuntes Capitel.

160

hier einen mindestens eben so großen Zuhörerkreis hätten, als in

NeuchLtel.

Es ist dies um so wahrscheinlicher, als Pictet todt ist

und Rossi und de Castella aufgehört haben, öffentliche Vorträge zu halten, so daß die Ihrigen einem vorhandenen Bedürfniß entgegen­ kommen würden.

Es hat sich noch Niemand als Erbe jener Herren

gemeldet, obwohl die Erbschaft eine schöne ist.

Einige Professoren

sind zu beschäftigt, andere haben nicht das dazu erforderliche Talent

und so sind sie bis jetzt nicht ersetzt.

Sie haben zu solchen Vor­

trägen ganz besondere Gaben und die glückliche Wahl von Gegen­ ständen, die gegenwärtig vor allen beliebt sind. Kommen Sie also, um dies reiche Feld zu bebauen, ehe andere sich dazu melden. End­

lich will ich noch zur Vervollständigung Ihres Büdgets sagen, daß die „Bibliotheque Universelle“, welche fünfzig Franken für den

Bogen bezahlt, Ihnen immer offen steht.

Sie könnten darin die

Früchte Ihrer schöpferischen Muße anbringen, und es müßte Ihnen

leicht werden, dabei noch weitere tausend Franken zu erwerben. Hiermit haben Sie nun eine genaue und vollständige Darlegung der Verhältnisse und können sehen, was Sie hier zu erwarten haben.

Der Augenblick ist günstig; es äußert sich eine den Wissenschaften förderliche Bewegung unter uns.

Diesen Winter wird dem Ge­

meinderath ein Plan zur Errichtung eines großen Gebäudes für

Museum und Bibliothek vorgelegt.

Die Ausführung soll nächsten

Sommer beginnen und Sie wissen, wie wichtig uns Ihr Rath in dieser Sache sein würde.

Es kann auch die Rede auf einen Direktor

für das Museum kommen und auf eine Wohnung für ihn in dem

Neubau; Sie werden nicht in Zweifel sein, wem eine solche Stelle angeboten würde. Aber lassen wir die Zukunft aus dem Spiel und beschränken uns auf die Gegenwart.

schlag Ihnen gefällt . . .

Sie her!

Ueberlegen Sie, ob mein Vor­

Soffen Sie sich überzeugen und kommen

Opfern Sie die Hauptstadt einer Provinzialstadt.

In

Berlin würden Sie ohne Zweifel glücklich und geehrt sein; in Genf

wären Sie der glücklichste und geehrteste.

Denken Sie an —, der

in Genf als Stern erster Größe glänzte und in Paris nur ein Ge­ stirn zweiten oder dritten Ranges ist.

Das würde nun freilich Ihr

Fall nicht sein; nichtsdestoweniger bin ich überzeugt, daß in Genf, wo Sie ein zweiter de Sauffure sein würden, Ihre Stellung eine

glänzendere wäre. Ich weiß wohl, daß diese Beweggründe der wissen-

Ruf nach Lausanne.

161

schastlichen Selbstsucht wenig Gewicht bei Ihnen haben, wähne sie nur, um nichts unberührt zu lassen.

ich er­

Aber meine Hoff­

nung beruht mehr auf den anderen Gründen, die ich zuerst angeführt

habe.

Sie kommen aus dem Herzen, und bei Ihnen spricht das Herz

eben so viel mit, als der Verstand.

Doch genug! Ich will Sie nicht

mit weiteren Auseinandersetzungen ermüden. Ich denke, ich habe Ihnen alle für Ihre Entscheidung wichtigen Gesichtspunkte angeführt. Seien

Sie so gut, mich so bald wie möglich wiffen zu fassen, was Sie zu thun gedenken.

Bitte, sprechen Sie nicht von dem Inhalt dieses

Briefes, und bedenken Sie, daß es nicht der Rektor der Akademie von Genf, sondern der Professor Auguste de la Rive als Privatperson ist, der Ihnen schreibt.

Schnelligkeit und Stillschweigen sind es

also, die ich Ihnen anempfehle, während wir auf Ihr von uns so erwünschtes Ja warten . . .

Noch verlockender muß das officielle Anerbieten einer Proseffur in Lausanne gewesen sein, das zwei Monate später kam und durch die

dringenden Bitten von Verwandten und Freunden unterstützt wurde, welche von der Ansicht ausgingen, daß Agassi; der Familienbande

wegen und aus Patriotismus in den Kanton zurückkehren müsse, in welchem er seine Kindheit verlebt hatte. Aber er hatte seinen Wirkungs­ kreis bei den NenchLtelern gefunden und hielt Stand gegen alle Ueber«

redungskünste. Er blieb dem Posten treu, den er erwählt hatte und verließ ihn erst, als er — wie er damals meinte, auf kurze Zeit — nach Amerika ging. Die Bürger von NeuchLtel bewiesen ihm ihre Anerkennung seiner Anhänglichkeit durch einen warmen Dankbries und

baten ihn zugleich, die Summe von sechstausend Franken, die ihm

ratenweise in den nächsten drei Jahren ausgezahlt werden sollte, anzunehmen.

Der Sommer von 1837 war ein trauriger für Agasfiz und seine Familie.

Sein Vater starb in Con?ise in verhältnißmäßig jungen

Jahren, von einem Fieber dahingerafft.

Das hübsche Pfarrhaus,

an welchem die ganze Familie so sehr hing, ging in andere Hände über, und Frau Agassiz sand von nun an ihre Heimath abwechselnd bei ihren Kindern.

Im Jahre 1838 gründete Agassiz eine lithographische Druckan­ stalt in Neuchätel, welche viele Jahre unter seiner Leitung sortgeführt Agassiz'- Leben und Briefwechsel. 11

Neuntes Capitel.

162 wurde.

Bis dahin waren seine Tafeln in München lithographirt

worden.

Ihre Ausführung in solcher Entfernung veranlaßte viele

Unbequemlichkeiten und manche Verluste an Zeit und Geld durch

das Hin- und Hersenden der Korrekturblätter.

Die Anstalt wurde

beinah nur durch ihn in fortwährender Thätigkeit erhalten; seinen

eigenen Anstrengungen zu diesem Zweck kam noch die Großmuth anderer zu Hülfe.

Er hatte das Glück, als Haupt der Anstalt einen

sehr geschickten lithographischen Künstler, Herkules Nicolet, zu ge­

winnen, der viel Erfahrung in der Darstellung naturhistorifcher Gegenstände hatte und besonders in der neuerfundenen Kunst der

chromatischen Lithographie bewandert war.

Agassi; war nun nach allen Richtungen in Thätigkeit.

Neben der

Erfüllung seiner Pflichten als Professor ließ er seine fossilen Fische, seine Süßwasser-Fische und seine Untersuchungen über fossile Echino-

dermen und Mollusken drucken und die Tafeln unter seiner eigenen Leitung Herstellen.

Die Ausführung dieser Tafeln durch H. Nicolet

war für jene Zeit eine bewunderungswürdige. Professor Arnold Guyot sagt in seiner Gedächtnißrede auf Agassiz von den Tafeln zu den Süß-

wasser-Fischen: „Wir bewundern ihre Schönheit und die Vorzüglichkeit

ihrer Farbe und Zeichnung doppelt, wenn wir bedenken, daß dieselben beinah die ersten Versuche der neuersundenen Kunst der Lithochromie

waren und zu einer Zeit angefertigt wurden, in welcher Frankreich und Belgien einem Werk von viel geringerem Werth große Beloh­ nungen ertheilten, als hervorragender Leistung auf diesem Kunstgebiet. Diese Fülle von Arbeit konnte kaum von Agassiz allein fortge­ führt werden.

In Eduard Desor, der sich 1837 zu ihm gesellte,

gewann er auf viele Jahre einen vertrauten Genossen seiner wissen­ schaftlichen Arbeiten.

Ein oder zwei Jahre später vereinigte sich

Karl Vogt mit dem Häuflein von Forschern und Künstlern, das sich

um Agassiz

gesammelt hatte.

H. Ernst Favre sagt von diesem

Zeitraum: „Agassiz entwickelte während dieser Jahre eine so unglaub­

liche Thatkraft, wie sie in der Geschichte der Wissenschaft vielleicht

kein zweites Mal vorkommt." Zu den wichtigsten zoologischen Untersuchungen dieser Zeit ge­

hören diejenigen über Mollusken.

Die Methode, welche er beim

Studium dieser Klaffe anwendete, war zu eigenthümlich und charak­ teristisch, um unerwähnt zu bleiben. Die Wissenschaft der Conchylio-

163

Untersuchungen über Mollusken.

logte war bisher nur auf die Untersuchung der leeren Schalen ge­ gründet gewesen.

Dieses Verfahren schien Agassiz oberflächlich.

In

dem Verlangen, mehr von dem Verhältniß des Thieres zu seiner äußeren Hülle zu wissen, überlegte er, daß das innere Absormen der

Schalen wenigstens die Gestalt ihrer früheren Bewohner wiedergeben würde.

Für den technischen Theil dieser Arbeit sand er einen vortreff­

lichen Bildner, Stahl, der längere Zeit citier der Angestellten seiner lithographischen Anstalt war, bis er dauernde Beschäftigung im Jardin

des Plantes fand.

Mit dessen Hülfe und der von Henri Ladame,

Professor der Chemie und Physik in Neuchatel, der die zarten Metalllegirungen herstellte, in welchen die erste Absormung geschah, erhielt Agassiz Abdrücke, an welchen die Gestalt des Thieres, das zu den Schalen gehörte, vollständig wiedergegeben war. Diese Methode ist

seither in allgemeinen Gebrauch übergegangen.

Dieselbe gab ihm

ein neues Mittel an die Hand, das Verhältniß zwischen fossilen und

lebenden Mollusken kennen zu lernen und leistete ihm große Dienste bei der Bearbeitung seiner „Etudes critiques sur les Mollusques fossiles“ — einem Quartband mit beinah einhundert Tafeln. Der folgende Brief an Sir Philipp Egerton berichtet über die

vielseitigen und zahlreichen Unternehmungen dieser Zeit und über die mit denselben verbundenen Schwierigkeiten. Louis Agassiz an Sir Philipp Egerton.

Neuchatel, 10. August 1832.

. . . Diese letzten Monate sind eine Zeit der Prüfung für mich gewesen, und ich war genöthigt, meinen Briefwechsel ganz aufzugeben, um den immer zunehmenden Anforderungen meiner Arbeit nachzu­ kommen. Sie wissen, wie schwierig es ist, einen ruhigen Augenblick und ein freies Gemüth zum Schreiben zu finden, wenn man von

gedruckten oder lithographirten Korrekturblättern verfolgt wird und außerdem genöthigt ist, unaufhörlich Beschäftigung für zahlreiche An­ gestellte vorzubereiten.

Ich glaube, ich habe Ihnen schon geschrieben,

daß ich eine lithographische Anstalt hier gegründet habe, um alles unter meinen eigenen Augen zu haben und die ewigen Verzögerun­ gen zu vermeiden, welche meine Arbeit dadurch erlitt, daß die Tafeln in München lithographirt wurden ... Ich hoffe, daß meine neuen

Publikationen so gut aufgenommen werden mögen, daß sie mich in 11'

Neuntes Capitel.

164

der Fortführung einer in ihrer Art einzigen Anstalt rechtfertigen, welche

ich nur im Jntereffe der Wiffenschast und mit Gefahr meines Frie­ dens und meiner Gesundheit gegründet habe.

Daß ich Ihnen alle

diese Einzelheiten mittheile, geschieht nur, um mein Stillschweigen zu erklären, welches nicht durch Nachlässigkeit verursacht wurde, sondern

durch die Anforderungen eines Unternehmens, von dessen Erfolg meine ganze Existenz abhüngt ...

In dieser Woche werde ich dem

Sekretär der Britischen Versammlung zur Förderung der Wiffenschast

alles zukommen lassen, was ich inzwischen veröffentlicht habe, da ich leider nicht im Stande bin, es selbst zu bringen, wie ich gehofft

hatte.

Sie würden mich sehr verpflichten, wenn Sie einen Blick auf

diese verschiedenen Arbeiten werfen wollten, welche, wie ich hoffe, Ihr Jntereffe nach mancher Seite beanspruchen können.

Zunächst kommt

die zehnte Lieferung der fossilen Fische, obwohl der ganze Vorrath

der Abdrücke erst einige Wochen später versandt wird; dann die sieben ersten Tafeln meiner Seeigel, die mit großer Sorgfalt gestochen find. Eine dritte Reihe von Tafeln bezieht sich auf kritische Studien über

fossile Mollusken, die wenig oder unrichtig gekannt sind, und auf

ihre Steinkerne.

Es ist das eine ganz neue Seite des Studiums

der Muscheln, welche Licht auf die Organisation von Thieren, die

bisher nur nach ihren Schalen gekannt waren, wirst. Ich habe eine Sammlung von Abdrücken für die Geologische Gesellschaft gemacht. Dieselbe ist seit einiger Zeit eingepackt, aber meine letzte Reise

nach Paris hat mich bisher an der Absendung verhindert. Sobald ich einen freien Augenblick habe, werde ich den Katalog machen und nachsenden.

Wenn Sie nach London gehen, so versäumen Sie nicht,

sie zu betrachten; die Ergebnisse sind merkwürdig genug.

Endlich sind die Tafeln für die erste Lieferung meiner „Süßwaffer-Fische" zum

großen Theil fertig und meiner Sendung nach Newcastle beigefügt

worden... Bei der Ausführung der Tafeln ist ein neues Ver­ fahren angewendet; sie sind in verschiedenen Tönen auf verschiedenen

Steinen gedruckt, wodurch eine merkwürdige Gleichheit der Farbe in allen Abdrücken erzielt wurde . . . Das sind die neuen Beglaubigungsbriefe, mit welchen ich mich

einführe, indem ich meinen Dank ausspreche für die Ehre, die mir durch die Ernennung zum Mitglied der Londoner Royal Society

erwiesen wurde.

Wenn unbegrenzte Hingebung an die Interessen

Reise in die Alpen.

165

der Wissenschaft ein genügendes Recht aus solche Auszeichnung er­ wirken könnte, so wäre ich weniger erstaunt über die Ankündigung,

welche Ihr letzter Bries enthielt.

Der für den Kandidaten Ihrer

Wahl so schmeichelhafte Beschluß hat einen Wunsch befriedigt, welchen

ich auf Jahre hinaus kaum zu hegen gewagt hätte — den Wunsch,

Mitglied einer so berühmten Körperschaft zu werden . . . Jedesmal, wenn ich schreibe, wünsche ich, daß ich mit der Hoff­ nung schließen könnte, Sie bald zu sehen; aber ich muß ununter­ brochen arbeiten.

Das ist mein Loos, und das Glück, welches ich

darin finde, verleiht allen meinen Beschäftigungen einen Reiz, so

zahlreich fie auch sein mögen . . . Während Agassiz so seine zahlreichen zoologischen Arbeiten mit

unermüdlicher Thätigkeit förderte, blieben die Gletscher, deren be­ gleitende Erscheinungen seine Phantasie so angeregt hatten, seinem Geiste immer gegenwärtig. Im August 1838, ein Jahr nachdem er

der Versammlung der Schweizer Naturforscher seine umfassende Lehre von der Verbreitung des Eises über die ganze nördliche Erdhälste

vorgetragen hatte, unternahm er zwei wichtige Reisen in die Alpen;

die erste in das Haslithal, die zweite zu den Montblanc-Gletschern. Auf beiden begleitete ihn sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Desor, dessen Unerschrockenheit und Eifer kaum hinter dem {einigen zurück­ stand, und sein Künstler Dinkel nebst einigen wenigen Schülern und Freunden.

Diese Reisen sind eine Art von Vorspiel zn den ausge­

dehnteren Aufenthalten in den Alpen und der Reihe voll Beobach­

tungen, die er in späteren Jahren mit seinen Genossen fortsetzte, und

die so viel Aufmerksamkeit erregten.

Aber obwohl Agassiz bei dieser

ersten Forschungsreise nur die allereinfachsten Hilfsmittel zur Beob­

achtung mitnahm, so wurde sie doch ganz wissenschaftlich betrieben. Der Umriß zu dem Bilde,

welches er auszuführen gedachte, lag

seinem Geist schon fertig vor; die Bedeutung der Erscheinungen war

ihm klar; er suchte nur den Zusammenhang.

Auch hierbei wendete

er seine vergleichende Methode an und suchte den Fußstapfen des Eises nachzuspüren, wie er die Bruchstücke seiner fossilen Fische zu­ sammengesetzt hatte, bis die zerstreuten Thatsachen, in ihre natür­ liche Ordnung geschoben, ihre Geschichte von Anfang bis zum Ende

selbst erzählten.

Neuntes Capitel.

166

Bei seinen Forschungen im Jahre 1838 fand er allenthalben dieselben Erscheinungen: die ausgehöhlten, geschliffenen Oberflächen, die abgerundeten und geglätteten Felsen, die oft weit über die gegen­ wärtigen Grenzen der Gletscher hinaus liegen; die alten Moränen,

welche längst vom Eise befreit, doch noch die früheren Grenzen des­

selben anzeigen; die weit über ihren ursprünglichen Standort hinaus­ getragenen erratischen Blöcke, die in einer Anordnung und Stellung

lagern, welche die Mitwirkung des Wassers bei ihrer Fortbewegung ausschließen.

Trotz der damit verbundenen Ermüdungen und Ge­

fahren hatten diese Exkursionen doch einen großen Reiz für Männer, welche bei allem Ernst ihrer Bestrebungen noch genug jugendlichen

Unternehmungsgeist besaßen, um mit Wonne allen Abenteuern ent­ gegenzugehen. Agassiz selbst war erst einunddreißig Jahre alt.

Als

eifriger Fußgänger hatte er seine besondere Lust an beschwerlichen

Märschen und an Leistungen im Klettern.

Sein Freund Dinkel

erzählt, daß als sie sich eines Tages in Grindelwald aufhielten, um Erfrischungen zu sich zu nehmen, sie einen älteren Reisenden trafen, der

— nachdem er eine zeitlang

ihren munteren Gesprächen zugehört

hatte, in welchen „Agassiz" fortwährend zur Rede gestellt wurde —

frug, ob dies der Sohn des berühmten Professors von NeuchLtel sei. Die Antwort versetzte ihn in höchstes Erstaunen; er konnte kaum

glauben, daß der junge Mann vor ihm der durch ganz Europa

berühmte Naturforscher sei. An diese Reise anknüpfend, findet sich der erste Versuch eines englischen Briefes unter Agassiz's Papieren. gerichtet und enthält folgende Stelle:

Er war an Buckland

„Seit ich die Gletscher sah,

bin ich in einer ganz schneeigen Stimmung und möchte die ganze

Oberfläche der Erde mit Eis bedecken und die ganze frühere Schöpfung durch die Kälte tobten.

Ich bin in der That ganz überzeugt,

daß das Eis bei jeder vollständigen Erklärung der großen Um­ wälzungen, welche die Erdoberfläche von Europa erfuhr, zu Hilfe

genommen werden muß."

Im Hinblick auf ihr späteres gemein­

schaftliches Arbeiten in den alten Gletscherbetten und Moränen von England, Schottland, Irland und Wales, ist Buckland's damalige Antwort merkwürdig: „Es thut mir leid, daß ich die neue Theorie,

welche Sie aufstellen, um die Fortbewegung der Blöcke zu erklären, nicht ganz annehmen kann; auch vorausgesetzt,

daß sie genügen

Beziehungen zu Arnold Guyot.

167

würde, um diese Erscheinungen in der Schweiz zu erklären, so ließe

sie sich doch nicht auf die Granitblöcke und Kiesablagerungen in

England anwenden, welche ich nur mit Hilfe von Wasserflächen er­ klären kann." In demselben Sommer schreibt Frau Buckland, während

einer mit ihrem Manne unternommenen Reise durch die Schweiz, aus Interlaken:

. Wir haben einen schönen Ausflug in das

Oberland gemacht, haben Gletscher gesehen rc., aber Dr. Buckland ist

weiter als je davon entfernt, mit Ihnen übereinzustimmen."

Wir

werden später sehen, wie vollständig er sich zu Agassiz's Gletscher­

lehre in ihrer weitesten Ausdehnung bekehrte. Ein Freund, der bis jetzt in dieser Biographie kaum genannt ist,

war von Anfang an der nächste Theilnehmer an Agassiz's

Gletscherarbeiten.

befreundet gewesen.

Arnold Guyot und er waren von Kindheit an Während der Universitätszeit waren beide ge­

trennt, da Guyot in Berlin studirte, während Agassi; in München

war, aber sie wurden in NeuchLtel Kollegen, einige Jahre nachdem

Agassiz sich da niedergelassen hatte.

Von dieser Zeit an erlitt ihr

Verkehr kaum eine Unterbrechung; sie kamen ziemlich zu gleicher Zeit nach Amerika und ließen sich schließlich da als akademische Lehrer nieder, der eine an dem Harvard College in Cambridge, Massachusetts,

und der andere an dem College von New-Jersey in Princeton.

Sie

theilten alle ihre Jntereffen, und als beide alte Männer waren,

brachte Guyot Agassiz's letztem Unternehmen, der Errichtung einer Sommerschule in Penikese, eine warme und thätige Theilnahme ent­

gegen, wie er sie in seiner Jugend für seines Freundes Plan, eine

dauernde wissenschaftliche Sommerstation in den Hochalpen zu errichten, gezeigt hatte. Bei einem kurzen Besuch, den Agassiz im Frühjahr 1838 in

Paris machte, setzte er Gnyot, der damals da wohnte, seinen ganzen

Plan auseinander und überredete ihn, einen bestimmten Theil der Forschungen zu übernehmen. In Folge dessen studirte Guyot die

Struktur und die Bewegung des Eises auf einer sechswöchentlichen Exkursion durch die Central-Alpen, während Agassiz den früheren Grenzen

der Gletscher im Berner Oberland und dem Wallis und

nachher in dem Chamounixthal nachspürte.

Am Schluß ihrer beider­

seitigen Reisen trafen sie sich, um ihre Beobachtungen zu vergleichen

in der französischen geologischen Gesellschaft in Porrentruy, wo Agassiz

168

Neuntes Capitel.

einen Bericht über die allgemeinen Ergebnisse der Forschungen dieses

Sommers abstattete, während Guyot eine Schrift vorlas, deren In­

halt nie vollständig veröffentlicht wurde, über die Bewegung der Gletscher und ihre innere Beschaffenheit, mit Einschluß der lamellen­

artigen Struktur des EiseS, der sogenannten blauen Streifen tief in den unteren Theilen der Gletschermaffe').

In den folgenden Jahren

ihrer gemeinschaftlichen Gletscherforschungen übernahm Guyot als seinen Antheil die specielleren geologischen Untersuchungen, die Verbreitung

der erratischen Blöcke und der Gletschertrift in Zusammenhang mit der früheren Ausdehnung der Gletscher.

Dies führte ihn von den

Zentralstationen der Beobachtung ab in entlegenere Thäler an den

Nord- und Südabhängen der Alpen, wo er das Vorrücken der Glet­ scher nach den Ebenen von Central-Europa einerseits und denjenigen

von Nord-Italien andererseits verfolgte.

Da sein Antheil an dem

Unternehmen ein so vereinzelt betriebener war, wird sein Name selten unter der Schaar von Forschern, die sich schließlich ans dem Aar­

gletscher niederließen, genannt.

Dennoch war seine Arbeit ein wesent­

licher Bestandtheil der gemeinschaftlichen Untersuchungen, welche zu­ sammenhängend zu Ende geführt wurden. Die Ergebniffe der Arbeiten

in den einzelnen Abtheilungen wurden beständig mitgetheilt und ver­ glichen, und Agasfiz ging mit dem Gedanken um, dieselben in einer

Gesammtveröffentlichung zu vereinigen, deren erster Theil das Glet­ schersystem von ihm selbst enthalten sollte, der zweite die erratischen Blöcke der Alpen von Guyot, der dritte und letzte sollte die errati­ schen Erscheinungen außerhalb der Schweiz von Desor bringen.

der erste Band dieses geplanten Werkes wurde beendet.

Nur

Unvorher­

gesehene Umstünde verhinderten die Fortsetzung und die fünftausend von A. Guyot als Vorbereitung zu seinem Theil der Arbeit gesam­

melten Felsstücke der erratischen Blöcke der Schweiz sind gegenwärtig

in dem College von New-Jersey in Princeton aufbewahrt. In dem folgenden Sommer (1839) erwählte Agassiz die Kette

des Monte Rosa und Matterhorn zu

einem ausgedehnteren und

systematischeren Beobachtungsfeld. Die bisherige, aus Agassiz, Desor,

Bettanier, einem Künstler und zwei oder drei weiteren Freunden bestehende Gesellschaft wurde bei dieser Gelegenheit durch den Geo-

*) Siehe Metnoir of Louis Agassiz by Arnold Guyot für die United States National Academy of Science geschrieben p. 38.

Brief tut Sir Philipp Egerton.

logen Studer vermehrt.

169

Dieser war bisher ein mächtiger Gegner

von Agassiz's Ansichten gewesen und seine während dieser Expedition

vollzogene Bekehrung zu der Gletschertheorie wurde von allen Be­ theiligten als größerer Sieg angesehen, als irgend ein über die Ge­ fahren der Eis- und Schneeregionen erkämpfter Erfolg.

Der folgende

Brief giebt einen Bericht über die Erlebniffe dieser Reise. Louis Agassi; an Sir Philipp Egerton. 10. September 1839. . . . Unter diesen Verhältnissen glaubte ich nichts Besseres thun

zu können, als einige Wochen in der Einsamkeit der Hochalpen zu­

zubringen.

Ich verlebte ungefähr vierzehn Tage in der Gletscher­

region, bestieg jeden Tag ein neues Eisfeld und versuchte die Wände unserer höchsten Gipfel zu erklimmen.

Auf diese Weise untersuchte

ich der Reihe nach alle Gletscher, die von der majestätischen Höhe

des Monte Rosa und des Matterhorn heruntersteigen,

deren zahl­

reiche Kämme ein riesenhaftes Amphitheater bilden, welches sich über den ewigen Schnee erhebt.

Nachher besuchte ich das Eismeer, welches

sich unter dem Namen des Aletschgletschers von der Jungfrau, dem Mönch und dem Eiger nach Stieg herab ergießt.

Von da ging ich

an den Rhonegletscher, ließ mich dann mit meinem Hauptquartier auf dem Grimsel-Hospiz nieder und verfolgte von da den Aargletscher bis an den Fuß des Finsteraarhorns. Dabei stellte ich die wichtigste

Thatsache fest, die ich über das Vorrücken der Gletscher in Er­

fahrung brachte, nämlich daß die Hütte, welche Hugi im Jahre 1827 am Fuß des Abschwungs errichtete, jetzt viertausend Fuß weiter unten steht. Obwohl der Abfall des Gletschers nur ein unbedeutender ist, so ist doch die Hütte durch das Eis mit erstaunlicher Schnelligkeit

vorwärts geschoben worden, und noch merkwürdiger ist es, daß diese Schnelligkeit sich gesteigert hat, denn im Jahre 1830 war die Hütte nur einige hundert Fuß von dem Felsen entfernt, im Jahre 1836

war sie schon um zweitausend Fuß vorgerückt und in den letzten drei

Jahren hat sich diese Entfernung

verdoppelt.

Auf dieser neuen

Grundlage haben sich nicht nur meine Ansichten über die Gletscher und die sie begleitenden Erscheinungen bestätigt, sondern ich habe

auch die Untersuchungen über eine Menge von Einzelheiten vervoll­ ständigt und die Befriedigung gehabt, einen meiner hartnäckigsten

Neuntes Capitel.

170 Gegner, Herrn Studer,

der mich auf einem Theil meiner Exkur­

sionen begleitete, von der Richtigkeit meiner Beobachtungen zu über­ zeugen . . . Der Winter 1840 war vollständig ausgefüllt durch die Vorbe­ reitungen zu der Veröffentlichung der „Etudes sur les Glaciers“, welche

vor Ablauf des Jahres nebst einem Atlas von zweiunddreißig Tafeln Der Textband enthielt eine geschichtliche Zusammenfassung

erschienen.

von allem, was

bisher in der Erforschung der Gletscher geleistet

worden, und einen Bericht über die von Agassiz und seinen Gefährten während

der letzten drei oder vier Jahre auf den Gletschern der

Alpen gemachten Beobachtungen. die Spitzen, Tische,

schaffenheit,

Ihre Struktur, ihre äußere Be­ aufliegenden Blöcke,

Schuttkegel,

Klüfte und Spalten sowohl, als ihre Bewegungen, ihre Bildungs­ weise und die Temperatur in ihrem Innern wurden der Reihe nach behandelt.

Am interessantesten vom Gesichtspunkt des Verfassers, und

dem Leser am meisten neues bringend, waren die Schlüßkapitel über die

frühere Ausdehnung

der Schweizer Gletscher und

über

das

einstige Vorhandensein einer unermeßlichen, ununterbrochenen Eisdecke, welche die ganze nördliche Halbkugel bedeckte. bisher so weitgehende Schlüsse aus

Schweizer Thäler gezogen.

Niemand hatte

den lokalen Erscheinungen der

„Die Oberfläche von Europa",

sagt

Agassiz, „welche früher mit einer tropischen Vegetation geschmückt und

von Truppen großer Elephanten, unförmlicher Nilpferde und riesen­ hafter Raubthiere bevölkert war, wurde plötzlich von einem großen Eismantel verhüllt, der gleichmäßig Höhen und Ebenen, Seen und

Meere bedeckte.

Ueber alles Leben und alle Bewegung einer groß­

artigen Schöpfung senkte sich die Stille des Todes.

verstummten,

die Flüffe stockten

Die Quellen

in ihrem Lauf, die Strahlen der

Sonne, welche auf dieses Eisfeld fielen (wenn fie es überhaupt er­

reichten), begegneten nur dem Hauch des Winters aus Norden, und

die Todesstille wurde nur durch das Krachen der Spalten, die sich auf der Oberfläche dieses Eismeers öffneten, unterbrochen')."

Der

Verfasser sucht dann nachzuweisen, daß bei dem Schmelzen dieser

allgemeinen Eisdecke

das Eis sich am längsten an den geschützten

Stellen der Berge erhalten hatte, und daß alle diese Haltepunkte beim

*) Etudes sur les Glaciers.

Chap. XVIII. p. 315.

Soimnerstatio» auf dem Aargletscher.

171

Rückzug nun in den gegenwärtigen Alpen Verbreitungsmittelpunkte für die zerstreuten Trümmer und Felsstücke geworden sind, welche

allenthalben mit einer Art von Regelmäßigkeit längs gewisser Linien

und auf bestimmten Flächenräumen von Nord- und Central-Europa

sich zerstreut vorfinden.

Wie er diese Gedanken bei seinen weiteren

Forschungen verfolgte, wird später gezeigt werden.

Zehntes Capitel. Sommerstation auf dem Aargletscher. — Hotel des Neuchätelois. — Mitglieder der Gesellschaft. — Arbeit auf dem Gletscher. — Besteigung der Strahleck und des Siedelhorns. — Reise nach England. — Suchen nach Gletscherspuren in Groß-Britanien. — Straßen von Glen-Roy. — Die Ansichten der englischen Naturforscher über Agassiz's Gletscherlehre. — Brief von Humboldt. — Sommer 1841 auf dem Gletscher. — Eindringen in den Gletscher. — Besteigung der Jungfrau.

Im Sommer 1840 nahm Agassiz seinen ersten dauernden Auf­ enthalt auf den Alpen. Bisher waren die äußeren Erscheinungen, das Verhältniß des Eises zu seiner Umgebung und sein Einfluß auf

dieselbe das hauptsächliche Studium gewesen.

Jetzt wurde der Glet­

scher selbst zum Hauptgegenstand der Forschung, und Agassiz nahm

die verschiedensten Instrumente zur Messung der Temperatur mit; Barometer, Thermometer, Hygrometer und Psychrometer, außer­ dem einen Bohr-Apparat, mit besten Hilfe die selbstregistrirenden Thermometer in die Tiefe des Gletschers eingesenkt werden konnten.

Auch an Mikroskopen zum Untersuchen der Insekten und Pflanzen,

welche in diesen Eisregionen vorkommen könnten, fehlte es nicht. Das Grimsel-Hospiz wurde zur Niederlage für die Vorräthe erwählt,

und als Führer dienten Jakob Leuthold und Johann Währen.

Beide

hatten Hugi auf seiner Besteigung des Finsteraarhorns im Jahre 1828 begleitet und waren gründlich vertraut mit den Gefahren der

Alpenbesteigungen.

Der untere Aargletscher sollte der Schauplatz der

fortgesetzten Beobachtungen sein und der Mittelpunkt, von dem aus

die Besteigung der benachbarten Gipfel unternommen werden sollte. Auf der großen Mittelmoräne daselbst stand ein ungeheurer Block von

172

Zehntes Capitel.

Glimmerschiefer.

Seine obere Fläche stand so weil vor, daß sie ein

Dach bildete, und indem die Reisegefährten dieselbe auf einer Seite

mit einer Steinmauer abschlosten, den Fußboden durch einen scharf­ sinnigen Aufbau von flachen Steinplatten erhöhten und auf der Vorderseite eine Decke vor den Eingang als Vorhang aufzogen, ver­

wandelten sie den Block in eine rohe Hütte, in welcher sechs Personen Schlafraum fanden.

Eine Vertiefung in dem außerhalb liegenden

Felsen diente als Küche und Speisezimmer, während ein leerer Raum unter einem anderen großen Block als Keller zur Aufbewahrung von Vorräthen benutzt wurde. So war der Wohnsitz beschaffen, der später­

hin unter dem Namen Hotel des Neuchätelois so bekannt wurde.

Seine ersten Bewohner waren Louis Agassiz, Eduard Desor, Karl Vogt, Francois von Pourtales, Celestin Nicolet und Henri de Coulon.

Er gewährte wahrscheinlich ein ebenso gutes Obdach, als sie in der alten Hütte von Hugi gefunden hätten, wo sie eine vorübergehende

Wohnung zu finden gehofft hatten.

Diese Hoffnung hatte sich nicht

bewährt, denn die Hütte war aus ihrer letzten Gletscherreise zertrüm­

mert worden.

Die Trümmer lagen zweihundert Fuß unter der Stelle,

an welcher die Reisenden im vorhergehenden Jahre noch die Wände hatten stehen sehen. Die Arbeit wurde sofort unter die verschiedenen Mitglieder der Gesellschaft vertheilt. Agassiz selbst, von seinem jungen Freund und Lieblingsschüler Franyois von Pourtales unterstützt, übernahm als

seinen Antheil die meteorologischen Beobachtungen und besonders diejenigen über die innere Temperatur der Gletscher").

Die mikro­

skopischen Untersuchungen des rothen Schnees und des darin enthal­ tenen organischen Lebens fielen Karl Vogt zu; die Flora der Glet­ scher und der umgebenden Felsen studirte Nicolet, und Desor die eigentlichen Gletschererscheinungen und die Moränen.

Der Begleiter

und Gehülfe des letzteren auf seinen weiten und mühevollen Exkur­

sionen war Henri von Coulon. *) Siehe die Temperaturtafeln und Messungen in Agassiz's „Systeme Glaciaire“. Die Ergebnisse sind auch in einer Schrift von Desor „Sejour dans les Glaciers“ mitgetheilt, welche eine Sammlung sehr anziehender und unterhaltender Artikel über die in-mehreren auf einanderfolgenden Sommern von Agassiz und seinen wissenschaftlichen Gefährten unternommenen Exkursionen und Aufenthalten

in den Alpen enthält.

173

Arbeit auf dem Gletscher.

Zu wissenschaftlichen Auseinandersetzungen ist hier nicht der ge­

Der Leser findet über die Ergebnisse von Agasfiz's For­

eignete Ort.

schungen über die Gletscher der Alpen, welchen er während zehn

Jahren so viel Zeit und Kraft widmete, Aufschluß in den zwei größe­ ren Werken über diesen Gegenstand, den „Etudes sur les Glaciers“

und dem „Systeme Glaciaire“.

Ueber die in diesen Jahren von ihm

und seinen Gefährten vollbrachte Arbeit giebt Guyot folgenden kurzen

Bericht').

„Die Stellung von achtzehn der vorstehendsten Felsen

wurde durch sorgfältige Triangulirung von einem geschickten Ingenieur bestimmt und Jahr um Jahr gemessen, um die Schnelligkeit der Be­

wegung eines jeden Theiles festzusteüen.

Die Unterschiede in der

Bewegung des oberen und des unteren Theiles des Gletschers und die Veränderung der Bewegung in den verschiedenen Jahreszeiten

wurde beobachtet; es wurde berechnet, wie weit der Gletscher je in einem Jahre abschmolz, und alle damit zusammenhängenden Erschei­

nungen näher beobachtet.

Alle umliegenden Gipfel, die Jungfrau,

das Schreckhorn, das Finsteraarhorn, die bis dahin größtentheils für

unbesteigbar galten, wurden erstiegen und die Grenzen der Gletscher­

wirkung entdeckt; kurz, alle physikalischen Gesetze der Gletscher wur­ den an's Licht gebracht."

Nach dieser Abschweifung kehren wir zu den persönlichen Erleb­

nissen zurück.

Nachdem eine Reihe von Tagen auf das Studium

der lokalen Erscheinungen verwendet war, richteten die Arbeitsge­ nossen ihre Aufmerksamkeit auf den zweiten Theil ihres Programms, welcher in der Besteigung der Strahleck bestand, von deren Höhe sie auf der entgegengesetzten Seite herabsteigen und den Grindelwald erreichen wollten. Eines Morgens, gegen Ende August, weckten ihre Führer sie der Verabredung gemäß um drei Uhr — eine Stunde

früher, als sie gewöhnlich aufbrachen.

Der erste Blick ins Freie

erregte ein allgemeines Gefühl frostiger Enttäuschung, denn die Gesellschaft sah

sich

von

einem

Nebelwall

eingeschlossen.

Aber

Leuthold, der Feuer machte und das Frühstück zubereitete, sprach ihnen Muth ein — vor der Sonne würde der Nebel weichen.

Und

richtig, nach einigen Augenblicken erschienen nach einander die Gipfel des Schreckhorns, des Finsteraarhorns, des Oberaarhorns

e) Siehe Biographical Sketch by Prof. A. Guyot.

Zehntes Capitel.

174

des Altmanner und des Scheuchzerhorns von den ersten Strahlen

der Morgensonne erhellt, wie Inseln über dem Nebelmeer, welches sich

vor

allmälig zurückzog und etwa

dem

drei Stunden

eindringenden

erreichten

sie

Lichte ver­

den Fuß

der

schwand.

In

Strahleck.

Die beiden Führer Leuthold und Währen hatten noch

drei Männer zur Hülfe mitgenommen, so daß nun fünf Führer vor­ handen waren, von denen sich keiner als überflüssig erwies, da zahl­

reiche Messungsinstrumente mitgenommen wurden, die sorgfältig ge­ tragen werden mußten.

Beim Beginn des Aufstiegs ging die Ge­

sellschaft in langer Reihe, einer hinter dem anderen, bis die Abhänge so steil wurden, und der weiche Schnee, in welchem sie bei jedem

Schritt bis an die Kniee versanken, so tief, daß die Führer zu dem gewöhnlichen Mittel griffen, alle Theilnehmer an einander zu binden.

Nur die zwei Hauptführer, Leuthold und Währen, blieben einzeln, nm den Schnee vor den Anderen wegzuräumen, Stufen in das Eis zu hauen und durch Zuruf oder Winken vor den verborgenen Ge­

fahren auf dem Pfade zu warnen. Um neun Uhr, nach einer Stunde anstrengenden Kletterns, waren sie auf der kleinen, gleichmäßig mit

ewigem Schnee bedeckten Fläche, welche der Gipfel der Strahleck bildet, angelangt. Der Tag war herrlich.

Ueber ihnen der klare blaue Himmel,

sahen sie zu ihren Füßen das Grindelwaldthal, unter und neben sich

die Scheideck und das Fauihorn, den pyramidalen Umriß des Niesen und die Kette des Stockhorns.

Vor ihnen lagen die großen Massen

des Eiger und Mönch, und im Südwesten erhob sich die Jungstau über der langen Kette der Viescherhörner. Nach dem ersten stummen

Entzücken und Staunen über den herrlichen Anblick überließ die kleine Schaar, die sich nun von ihren Banden befreite und ihre In­ strumente aufstellte, lauten Lustausbrüchen.

In dem Tagebuch des

jüngsten der Gesellschaft, des sechzehnjährigen Franz von Pourtales

lesen wir: „Die Führer fingen an sich zu balgen und wir zu tanzen, als wir plötzlich ein Gemsenweibchen mit ihrem Jungen erblickten, welches den benachbarten Grat erstieg, und gleich darauf streckten drei oder vier weitere Gemsen ihre Hälse hinter einem Felsen hervor,

als ob sie sehen wollten, was hier vorginge.

Athemlos hielten die

Tänzer und Kämpfer an in der Furcht, diese scheuen Thiere durch

die kleinste Bewegung zu vertreiben.

Sie kamen uns in bequeme

175

Besteigung der Strahleck und des Siedelhorns.

Schußweite nahe,

dann über den gegenüberliegenden

gallopirten

Bergrücken und verschwanden hinter der Höhe."

Mehr als eine Stunde brachten die Wanderer aus der Spitze der Strahleck zu und machten Beobachtungen und Messungen.

Dann,

nachdem sie geruht und die mitgebrachten Erfrischungen verzehrt hatten, bereiteten sie sich auf den Abstieg vor, der steiler war und

zum größten Theil aus einer langen Eisbahn bestand. Es wurden wieder Alle zusammengebunden, und wo es irgend ging, ließen sie statt des mühsamen Gehens das einfachere Herunterschleifen ein­ treten. „Sobald wir unterhalb der Schneeabhänge waren," sagt das Tagebuch des jungen Pourtales, „dienten uns die beinah verticalen

Felsen oder die mit Gras bedeckten Streifen als Weg und führten uns auf den Grindelwaldgletscher.

Um den Gletscher selbst zu erreichen,

mußten wir eine zwanzig Fuß weite und sehr tiefe Kluft auf einer Eisbrücke überschreiten, die ein bis zwei Fuß breit und gegen das Ende zerbrochen war, so daß wir hinüber springen mußten.

auf dem Gletscher hatten wir leichtes Spiel.

Einmal

Es ging im Sturm­

schritt vorwärts und wir waren bald auf dem Touristenweg."

Als sie Nachmittags drei Uhr das Dorf Grindelwald erreichten, wollten ihnen die Leute im Gasthof nicht glauben, daß sie den Aargletscher

diesen Morgen verlassen hatten.

Vom Grindelwald kehrten sie über

die Scheideck nach der Grimsel zurück, besuchten unterwegs den oberen

Grindelwaldgletscher, den Schwartzwald- und den Rosenlauigletscher,

um zu sehen, wie viel dieselben seit ihrem letzten Besuch vorgerückt

Nach einer kurzen Rast auf dem Grimscl-Hospiz kehrte Agassiz

seien.

mit einigen seiner Begleiter in die Hütte am Aargletscher zurück, um

Stangen in die früher zu diesem Zweck in das Eis gebohrten Löcher zu treiben. Er hoffte mit Hilfe dieser Stangen in den nächstfolgenden Jahren die Schnelligkeit der Bewegung des Gletschers zu erkennen.

Die Arbeit dieses Sommers schloß mit der Besteigung des Siedel­ horns.

Bei allen diesen Besteigungen wurden die äußersten An­

strengungen gemacht, um herauszubringen, wie weit die Wirkung des

Eises auf diesen Berggipfeln verfolgt und die Grenzen bestimmt werden könnten, an welchen die abgeschliffene Oberfläche aufhörte und den rauhen und eckigen Felsen Platz machte,

die nicht durch

das Eis geformt und geglättet waren. Agassiz war kaum von den Alpen zurückgekehrt, als er nach

Zehntes Capitel.

176

England abreiste.

Er war schon lange der Ansicht, daß in den

Hochlanden von Schottland, dem seenreichen Bergland des nördlichen England und den Bergen von Wales und Irland dieselben Erschei­

nungen anzutreffen sein würden, als in den Alpenthälern.

Dr. Buck­

land hatte sich ihm bei seinem Suchen nach Gletscherspuren zum Führer angeboten, wie er früher für ihn den fossilen Fischen in Groß­ britannien nachgespürt hatte.

Als daher die Versammlung der British

Association in Glasgow, welcher sie beide beigewohnt hatten, beendigt war, begaben sie sich zusammen in die Hochlande. In einer Vor­

lesung, welche Agassiz wenige Monate vor seinem Tode in seiner Sommerschule in Penikese hielt, kam er mit jugendlicher Begeisterung

auf diese Reise zurück.

Als er der wissenschaftlichen Vereinsamung

gedachte, in welcher er sich damals befand, da alle hervorragenden

Geologen der Zeit mit ihm in Widerspruch standen, sagte er: Unter den älteren Naturforschern hielt es nur einer mit mir. Dr. Buckland, Dekan von Westminster, der auf meine dringende Bitte in die Schweiz

gekommen war, nur in der Absicht, meine Beweise zu sehen, und der sich daselbst vollständig von der ftüheren Ausdehnung des Eises überzeugt hatte, erklärte sich bereit mich auf meiner Jagd nach

Gletschern in Großbritannien zu begleiten.

Wir gingen zuerst in die

Hochlande von Schottland, und es ist eine der schönsten Erinne­ rungen meines Lebens, daß als wir uns dem Schloß des Herzogs

von Argyll näherten, welches in einem den Schweizer Thälern nicht

unähnlichen Thale stand, ich zu Buckland sagte:

„Hier werden wir

unsere ersten Gletscherspuren finden", wir beim Einfahren in das

Thal richtig über eine alte Endmoräne kamen, welche den Eingang

desselben einnahm."

Kurz, Agassiz fand,

wie er erwartet hatte,

daß in den Bergen von Schottland, Wales und dem Norden von

England an vielen Stellen Endmoränen quer durch die Thäler lagen,

und Seitenmoränen dieselben einfaßten, wie in der Schweiz.

Auch

fehlte keine der damit gewöhnlich verbundenen Gletschererscheinungen. Die charakteristischen Spuren, welche das Eis zurückläßt, die ihm

jetzt so genau bekannt waren, wie dem Jäger die Spur des Wildes,

fanden sich allenthalben. Die eigenthümlichen Schrammen, Furchen und Aushöhlungen; die abgeschliffenen Steinflüchen; die Lämmerselsen; die wie von einem scharfen Instrument in gleichmäßiger Höhe abge­

schnittenen Felsen, seien sie von hartem oder weicherem Gestein; die

Gletscherforschungen in England.

177

nicht geschichteten Ablagerungen; die Vertheilung loser Massen in den

alten Gletscherbetten: alles stimmte mit dem, was er bereits von der

Gletscherwirkung wußte, überein.

Er besuchte die berühmten „Roads

of Gien Roy“ in den Grampian-Bergen, wo schon so viele Geologen eine Lanze gebrochen hatten für die Vertheidigung ihrer Lehren über

Senkung und Hebung von alten Meeresoberflächen und Buchten, die

sich zu einer Zeit bildeten, in welcher Glen Roy und die benachbarten Thäler noch als Fjorde und Flußmündungen betrachtet wurden. Agassi;

erkannte in diesen gleichlaufenden Terrassen die Ufer eines Gletscher­

sees, der eine Zeitlang durch Nachbargletscher, welche aus geschützteren Thälern Herabstiegen, in seinem Bett zurückgehalten worden war. Diese Terrassen bezeichneten den allmälig niedriger werdenden Stand des

Wassers, wie er durch das Nachgeben dieser Schranken, das dasselbe entweichen ließ, bedingt war"). Die Zeugnisse für das Vorkommen

der Gletscher waren so deutlich, daß in Agassiz's Seele kein Zweifel darüber blieb, daß Glen Roy und die angrenzenden Glens oder

Thäler das Ablaufbett für 7>ie vielen Gletscher waren, welche früher

die westlichen Reihen der Grampian-Berge einnahmen.

Er kehrte

von diesem Ausflug mit der Ueberzeugung zurück, daß alle Gebirgs­

gegenden in Großbritannien Mittelpunkte von Glctscherausbreitungen gewesen seien, und daß die Triftmassen und erratischen Blöcke, die über

die ganze Gegend zerstreut waren, ganz denselben Ursachen ihre Ent­

stehung verdankten, wie die gleichen Erscheinungen in der Schweiz. Am 4. November 1840 hielt er eine Vorlesung in der geologischen Gesellschaft in London, in welcher er die wissenschaftlichen Ergebnisse

dieser Exkursionen zusammenfaßte.

Dr. Buckland, der ein eifriger

Anhänger seiner Lehre geworden war, denselben Gegenstand folgen. Agassi;:

ließ einen Vortrag über

Vor dieser Versammlung schrieb er an Taymouth Castle, 15. Okt. 1840.

. . . Lyell hat Ihre Lehre in toto angenommen!!

Als ich ihm

einen prachtvollen Moränenhaufen zwei Meilen von seines Vaters *) Genauere Angaben finden sich in Agassiz's Schrift „the Glacial Theory and its Recent Progress“ in den Edinburgh New Philosophical Journal, October 1842, begleitet von einer Karte der Umgegend von Glen Roy. Ferner in einem Artikel betitelt: Parallel Roads of Glen Roy in Scotland, im zweiten Band von Agassiz's „Geological Sketches“. Agdssiz'ö Leben und Briefwechsel. 12

Zehntes Capitel.

178

Hause zeigte, stimmte er ihr sogleich bei und fand darin die Lösung

einer Menge von Schwierigkeiten, die ihn sein ganzes Leben beun­

Und nicht nur diese, sondern ähnliche Moränen und

ruhigt hatten.

Trümmer von Moränen, welche die Hälfte der anstoßenden Graf­ schaften bedecken, werden durch Ihre Lehre erklärt, und er ist auf

meinen Vorschlag eingegangen, daß er sie sofort alle aus eine Karte

der Gegend aufnehmen nnd in einer Abhandlung beschreiben solle,

die am Tage nach der Ihrigen in der geologischen Gesellschaft zur Vorlesung kommen wird.

Ich gedenke meine Zustimmung in einem

aus den Ihren folgenden Vortrag auszusprechen, in welchem ich ein Verzeichniß der Oertlichkeiten, an denen ich, seit ich Sie verlassen, ähnliche Ueberreste von Gletschern in Schottland und in verschiedenen

Theilen von England beobachtet habe, geben will. Es finden sich große Kiesbänke in den Kalksteinthälern der mitt­ leren Moordistrikte von Irland.

den ich vergessen habe.

Sie haben einen bestimmten Namen,

Ohne Zweifel sind es Moränen.

Wenn

Sie, ehe Sie diese Zeilen erhalten, noch keine davon gesehen haben, so gehen Sie hin*).

Aber es lohnt sich nicht einen Umweg zu

machen, um mehr als eine zu sehen, denn die anderen sind nur eine Wiederholung.

Ich hoffe, Sie werden uns am 20. in Edinburg

nicht fehlen . . .

Ein etwas später geschriebener Brief von Agassiz zeigt, wie er die Wahrnehmung machte, daß seine Ansichten sich allmälig bei seinen Freunden in England Bahn brachen.

Lonis Agassiz an Sir Philipp Egerton. 24. November 1840. . . . Unsere Versammlung am Mittwoch verlief sehr gut. Keine

von meinen Angaben wurde umgestoßen, wenn auch Whewell und Murchison einen Widerspruch versuchten; ihre Einwendungen waren

aber so weit hergeholt, daß sie keinen Eindruck machten.

Es war mir

jedoch ganz erfreulich, dem Versuch eines ernstlichen Widerstands zu

begegnen,

weil mir dies Gelegenheit gab, auf der Genauigkeit

*) Agassiz

war damals in Florence

Court,

dem Sitz

Enniskillen in der Grafschaft Fernlanagl) in Irland.

des Grafen von

Auch dort hatte er Ge­

legenheit interessante Gletschererscheinungen zu beobachten.

Brief von Humboldt.

179

meiner Beobachtungen und der Schwäche der dagegen vorgebrachten Einwendungen zu bestehen.

Dr. Buckland entwickelte große Bered­

Er beherrscht den Gegenstand jetzt vollständig.

samkeit.

Es macht mich glücklich, Ihnen sagen zu können, daß jetzt alles endgültig mit Lord Francis abgemacht ist*) und daß mir das neuen

Muth

giebt und meine Kraft verdoppelt.

schrieben, um ihm zu danken.

Ich habe ihm eben ge­

Den morgenden Tag werde ich den

Versteinerungen widmen, die Lord Enniskillen mir geschickt hat.

Ich

werde Ihnen ein Verzeichniß davon zukommen lassen . . .

Obwohl etwas außer der Zeitsolge mag hier ein Brief von Humboldt eingefügt werden, welcher zeigt, daß auch er anfing Agassiz's Gletscherlehre mit mehr Nachficht zu'betrachten.

Humboldt an Louis Agassiz. Berlin, 15. August 1840. Ich fühle mich als Schuldigsten aller Sterblichen, theuerster

Freund!

Es giebt kaum drei Personen auf der Welt, deren Er-

innnerung und Anhänglichkeit mir mehr werth ist, als die Ihre, oder für die ich mehr Liebe und Bewunderung empfände, und doch lasse ich ein halbes Jahr hingehen, ohne Ihnen ein Lebenszeichen zu

geben, ohne meinen warmen Dank für die herrlichen Gaben,

die

mir von Ihnen zugegangen sind, auszudrücken**).

Es geht mir einigermaßen wie meinem republikanischen Freund, der keine Briefe mehr beantwortet, weil er nicht weiß, wo er an­

fangen soll. Jahr.

Ich erhalte durchschnittlich fünfzehnhundert Briefe im

Ich diktire nie, denn ich hasse dieses Auskunftsmittel.

Wie

kann man an einen Gelehrten diktiren, den man hochachtet? Ich lasse mich verleiten den Personen, die ich am wenigsten kenne, und deren Unwille am drohendsten ist, zu antworten.

Meine näheren

Freunde (und ich habe keinen lieberen als Sie) leiden durch mein

Ich rechne mit Grund aus ihre Nachsicht.

Der Ton

Ihres vortrefflichen Briefes zeigt mir, daß ich recht habe.

Sie ver-

Stillschweigen.

*) Der Verkauf seiner Originalzeichnungen von fossilen Fischen an Lord Ftancis Egerton betreffend. **) Wahrscheinlich die Tafeln zu den Süßwasser-Fischen oder eine andere illustnrte Veröffentlichung.

Zehntes Capitel.

180

wöhnen mich.

Ihre Briefe bleiben immer warm und liebevoll.

erhalte wenige derartige.

Ich

Da zwei Drittel der Briefe, die an mich

gerichtet werden, (zum Theil Abschriften von Schreiben, die an den

König und den Minister gerichtet sind) unbeantwortet bleiben, werde

ich getadelt und als emporgekommener Höfling und von der Wiffenschaft Abtrünniger bezeichnet.

Diese Bitterkeit in

dem Verhalten

gegen mich vermindert meinen eifrigen Wunsch, mich nützlich zu machen, nicht.

Ich handle viel öfter, als ich schreibe.

Ich weiß,

daß ich gerne Gutes thue, und dieses Bewußtsein giebt mir Ruhe trotz meines überbürdeten Lebens.

Sie sittd glücklich,

mein lieber

Agassiz, in der einfachen und doch 'angesehenen Stellung, die sie sich

geschaffen haben. Sie müssen Befriedigung darin finden als Familien­

vater, als berühmter Gelehrter, als Begründer und Anreger so vieler neuer Gedanken, so vieler großer und edler Anschauungen.

Ihr bewunderungswürdiges Werk über fossile Fische geht seinem Ende entgegen.

Die letzte Lieferung, die so reich an Entdeckungen

ist, und der Prospektus, welcher den wahren Standpunkt dieser aus­ gedehnten Veröffentlichung erklärt, haben allen durch das unregel­ mäßige Erscheinen erregten Unwillen beruhigt.

Da ich Sie lieb habe,

freue ich mich über diese ruhigere Atmosphäre, die Sie um sich her­

gestellt haben.

Die herannahende Vollendung der fossilen Fische

befreit mich auch von der Befürchtung,

daß

ein zu großer Eifer

Ihnen unersetzliche Verluste verursachen möchte. Sie haben nicht nur gezeigt, was ein Talent, wie das Ihre ausführen kann, sondern auch wie ein hoher Muth über scheinbar unüberwindliche Hinderniffe

siegen kann. Wie soll ich Worte finden, um Ihnen zu sagen, wie sehr unsere Bewunderung durch Ihr neues Werk über die Süßwasser-Fische ge­

stiegen ist?

Nie ist etwas bewunderungswürdigeres und vollkomme­

neres in Zeichnung und Farbe erschienen.

Diese chromatische Litho­

graphie übertrifft alles, was wir bisher gehabt haben.

Geschmack hat diese Veröffentlichung geleitet!

Welcher

Und die kurzen Be­

schreibungen, welche jede Tafel begleiten, tragen auffallend zu dem

Reiz und dem Genuß dieses Studiums bei. wärmsten Dank, lieber Freund.

Nehmen Sie meinen

Ich habe nicht nur Ihren Brief

und das Exemplar dem Könige überreicht, sondern auch ein Zettel­

chen über das Verdienst eines solchen Unternehmens beigefügt. Der

Brief von Humboldt.

181

König!. Kabinetsrath schreibt mir officiell, daß der König dieselbe Anzahl von Abdrücken von den Süßwasser-Fischen bestellt habe, wie von den fossilen Fischen; das wären also zehn. hat den Auftrag schon erhalten.

Herr von Werder

Das ist allerdings nur eine kleine

Unterstützung, aber es ist alles, was ich erreichen konnte, und diese

wenigen Exemplare, zu welchen Sie des Königs Namen als Sub­ skribenten haben, werden Ihnen immer nützlich sein.

Ich kann diesen Brief nicht schließen, ohne Sie um Entschuldi­ gung zu bitten wegen einiger vielleicht zu scharfen Ausdrücke, welche

ich in meinen früheren Briefen über Ihre großartigen geologischen Anschauungen fallen ließ. Gerade die Uebertreibung in meinen Wor­

ten muß Ihnen gezeigt haben, wie wenig Gewicht ich auf meine Einwendungen legte ... Ich habe immer den Wunsch zu lernen.

Von Jugend an zu glauben gelehrt, daß die Organisation vergan­

gener Zeiten einen etwas tropischen Charakter hatte, war ich natür­ lich über diese eisige Unterbrechung sehr bestürzt und rief zuerst

Aber sollten wir nicht immer aus eine freundschaftliche

„Ketzerei!"

Stimme wie die Ihre hören?

Alles was über diese Sache gedruckt

wird, interessirt mich; wenn Sie daher kürzlich irgend etwas voll­ ständiges über die Ergebnisse Ihrer geologischen Gedanken veröffent­

licht haben, so haben Sie die Güte, es mir durch einen Buchhändler zu senden . . .

Soll ich Ihnen etwas von meinen eigenen veralteten Werken sagen? An meiner „Geographie des fünfzehnten Jahrhunderts" fehlt der fünfte Band (Examen critique). erscheinen.

Er wird diesen Sommer

Ich lasse auch den zweiten Band eines neuen Werks

unter dem Titel „Central-Asien"

drucken.

Es ist keine

zweite

Ausgabe der „Asiatischen Fragmente", sondern ein neues, davon ganz verschiedenes Werk. Die fünf und dreißig Bogen des letzten Bandes sind erscheinen.

gedruckt,

aber beide Bände werden erst zusammen

Sie werden beurtheilen können, was es für Schwierig­

keiten macht, in Paris drucken zu lassen und hier oder in Teplitz die Korrekturen zu machen.

Jetzt fange ich gerade an,

die erste

Lieferung meiner Ideen zu einer physikalischen Weltbeschreibung unter dem Titel „Cosmos" in deutscher Sprache drucken zu lassen.

ist keineswegs eine Wiederholung der Vorlesungen, gehalten habe.

Es

die ich hier

Der Gegenstand ist derselbe, aber die Darstellung

Zehntes Capitel.

182

erinnert durchaus nicht an öffentliche Vorträge; es hat, als Buch,

einen ernsteren und erhabeneren Styl.

Ein „gesprochenes Buch" ist

immer ein ungenügendes, eben so wie abgelesene Vorträge, wenn sie auch noch so gut vorbereitet sind, nicht befriedigen. Veröffent­ lichte Vorlesungen sind mir ein Gräuel.

Cotta

druckt auch einen

deutschen Band „Physikalisch-geographische Erinnerungen" von mir,

der manch unveröffentlichtes über die Vulkane der Anden, über Strö­ mungen rc. bringt. zu versteinern!

Und dies alles in dem Alter, wo man anfängt

Es ist sehr gewagt!

Möge dieser Brief Ihnen und

Frau Agassiz beweisen, daß ich nur an den Extremitäten versteinere — das Herz ist noch warm. Erhalten Sie mir Ihre Freundschaft, die mir so theuer ist.

A. von Humboldt.

Im folgenden Winter, oder vielmehr in den ersten Tagen März 1841, besuchte Agassiz

in Gesellschaft von Desor den Aargletscher

und den Rosenlauigletscher.

Er wollte die Stangen nachsehen, die

er im vorigen Sommer auf dem Aargletscher eingepflanzt hatte und

die Winter- und Sommer-Temperatur sowohl an der Oberfläche, als im Innern des Eises vergleichen.

Aber sein Hauptzweck war, zu

untersuchen, ob während der Winterfröste von der Unterseite der Gletscher noch Wasser abfließe.

Diese Thatsache würde von entschie­

denem Einfluß auf die Lehre sein, welche das Schmelzen und die Bewegung der Gletscher hauptsächlich ihrer untern Fläche zuschrieb

und sie durch die innere Erdwärme erklärte.

Obwohl Agassiz von

der Jrrthümlichkeit dieser Ansicht überzeugt war, wünschte er doch,

sich die Beweise dafür bei dem Gletscher selbst zu holen. Die Reise dahin war natürlich in dieser Jahreszeit eine sehr schwierige, aber

das Wetter war schön, und sie legten sie sicher zurück, wenn auch nicht ohne große Beschwerden.

Sie fanden kein Wasser außer dem

reinen und durchsichtigen Quellenwasser, welches nie zufriert.

Gletscher lag todt in den Banden des Winters.

Der

Die Ergebnisse

dieser Reise sind in dem „Systeme Glaciaire“ mitgetheilt.

Eine interessante Beschreibung von dieser Exkursion und von dem Aussehen der Gletscher im Winter findet sich in E. Desors „Sejours dans les Glaciers“. Als sie an der Aar Hinaufstiegen, müßten sie häufig verengte

Winterreise in die Gletscher.

183

Flüsse auf natürlichen Schneebrücken überschreiten, und als sie sich der Handeck auf erschreckend steilen Schneeabhängen näherten, fanden

sie kaum den dünnen Wasserstrahl, der allein von dem herrlichen Wasserfall des Sommers übrig geblieben war. Auf dem Aar­ gletscher fanden sie das Hotel des Neuchätelois in Schnee begraben, und die ganze Oberfläche des Gletschers, sowie die ihn umgebenden

Gipfel waren mit derselben weißen Decke überzogen.

Das Finster­

aarhorn allein stand schroff und schwarz aus dieser weißen Welt hervor,

da der Schnee aus seinen abschüssigen Wänden nicht haftet. Anblick war viel einförmiger als im Sommer.

Der

Die Spalten mit

ihrem in der Tiefe wundervoll blauen Eis waren geschlossen; die

rauschenden Ströme waren verstummt; die Blöcke und Moränen sahen nur ab und zu aus der allgemeinen Bedeckung hervor.

Der

Himmel war wolkenlos, die Luft durchsichtig, aber der Glanz der eintönigen weißen Oberfläche war für die Augen und die Haut

äußerst schmerzhaft, und nöthigte die Wanderer, doppelte Schleier einzuhüllen.

ihre Köpfe in

Den Rosenlauigletscher fanden sie

weniger mit Schnee bedeckt, als den Aargletscher, und obwohl die herrliche Eishöhle, die den Reisenden wegen ihrer azurblauen Farbe

so bekannt ist, unzugänglich war, so konnten sie doch in die Tiefe

blicken und sehen, daß das Strombett trocken war. Die Reise wurde in einer Woche beendet und verlief ohne Mißgeschick.

Im Sommer 1841 hielt sich Agassiz länger in den Alpen auf, als je zuvor.

Die hauptsächlichen Gegenstände der Untersuchung

in diesem Jahr waren der innere Bau dieser ungeheuern beweglichen Eisfelder, die Hauptbedingungen

ihres Entstehens und ihrer Fort­

dauer, der Einfluß des in ihrem.Innern befindlichen Wassers auf

ihre Bewegung und die Wirkung ihrer direkten Berührung mit den Betten und Wänden der Thäler, die sie einnahmen. Die Thatsache

ihrer früheren größeren Ausdehnung und ihrer gegenwärtigen Schwan­

kung konnte als feststehend betrachtet werden. übrig, diese Thatsache mit Hinweis

stattfindenden Vorgänge zu erklären.

Es blieb nur noch

auf die in der Eismasse selbst

Kurz, die Untersuchung ging

aus dem Bereich der Geologie in das der Physik über.

Es war

Agassiz, der wie er oft sagte, kein Physiker war, sehr angelegen die

Mitwirkung der tüchtigsten Männer in diesem Fach zu erlangen und ihnen die Beobachtung zu erleichtern, indem er ihnen die Ergebnisse

Zehntes Capitel.

184

der vielen bereits gemachten Untersuchungen mittheilte. Außer seinen gewöhnlichen Mitarbeitern Desor und Vogt hatte er sich als Gast den bedeutenden Physiker Profeffor James D. Forbes von Eoinburg

eingeladen, der seinen Freund Heath aus Cambridge mitgebracht

hatte*).

Auch Escher

von der Linth nahm später im Sommer

thätigen Antheil an den Beobachtungen.

Seinen Arbeitern hatte

Agassiz noch einen Obergehülfen des Ingenieurs Kahli aus Biel zugesellt, welchem letzteren er seine Pläne mitgetheilt, und der ihm

einen tüchtigen Arbeiter geschickt hatte zur Leitung bei den Bohr­ unternehmungen und Hülfe bei den Messungen rc.

Als Künstler

nahm Agassi; in diesem Jahr Jakob Burkhardt mit, einen persön­ lichen Freund und früheren Studiengenossen aus München, der einige

Zeit auf der dortigen Kunstschule zugebracht hatte.

Er beteiligte sich

später als Zeichner zu verschiedenen Zeiten an Agassiz's Arbeiten, und nachdem sich beide in Amerika niedergelassen hatten, wurde er ein

ständiges Mitglied von Agassiz's Haushalt, begleitete ihn auf seinen Reisen, und blieb in ununterbrochenen freundschaftlichen Beziehungen zu ihm bis zu seinem Tode im Jahre 1867.

Freund und ein warmherziger Mensch,

Er war ein treuer

deflen trockener Verstand

durch eine humoristische Ader belebt wurde, die ihn zu einem sehr

unterhaltenden und anziehenden Gesellschafter machte. Da es in Hinsicht auf das diesjährige besondere Arbeitspro­ gramm nöthig war, in das Innere des Gletschers einzudringen und wo möglich dessen Berührungspunkt mit der Thalsohle zu erreichen,

hatte Agassi; einen größeren Bohr-Apparat als den bisher ge­ brauchten nach der Hütte auf dem Aargletscher bringen lassen. Die Ergebnisse der damit angestellten. Experimente sind in dem „Systeme Glaciaire“, welches 1846 mit vier und zwanzig Foliotafeln und zwei Karten erschien, mitgetheilt. Sie waren von dem höchsten Jntereffe hinsichtlich der inneren Struktur und Temperatur des Eises und

der Durchdringungsfähigkeit seiner Masse, die, wie es sich erwies, allenthalben der Lust und dem Wasser zugänglich war.

Einmal

sank der Bohrer, welcher hundert und zehn Fuß tief eingetrieben war, plötzlich zwei Fuß tiefer und zeigte dadurch an, daß er einen *) Da die Eindrücke des Herrn Forbes erst in Verbindung mit seinen

eigenen späteren und unabhängigen Untersuchungen bekannt gemacht wurden, ist es unnöthig hier auf dieselbe zu verweisen.

185

Eindringen in den Gletscher.

offenen in der Tiefe des Eises

verborgenen Raum erreicht hatte.

gleichzeitige Aufsteigen von Luftblasen bewies,

Das

daß.diese so

plötzlich eröffnete Gletscherhöhle nicht luftdicht gegen atmosphärische Einflüffe von außen verschlossen war.

Aber das, was ihm seine Instrumente aus diesen unbekannten Regionen berichteten, genügte Agassiz nicht. der sogenannten Gletscherbrunnen

Er beschloß, sich in einen

herunterzulaffen

das Innere des Gletschers zu besuchen.

persönlich

und

Zu diesem Zweck war er

genöthigt, den Strom, welcher in den Brunnen floß, in ein neues Bett zu leiten, das er dazu graben ließ.

Nachdem dies gethan war,

ließ er einen starken Dreifuß über die Oeffnung aufstellen, und dann wurde er, auf einem Brette sitzend, welches an ©eilen festgebunden war,

in den Brunnen heruntergelassen, während sein Freund Escher platt

an dem Rande des Abgrunds lag, um das Herablassen zu leiten und auf jeden Mahnruf zu horchen.

Agassiz wünschte besonders zu sehen,

wie weit die lamellenartige oder gebänderte Struktur des Eises (die sogenannten blauen Bänder) die Mäste des Gletschers durchdringt.

Die Beschaffenheit des Gletschers in dieser Beziehung war von Guyot

beobachtet und beschrieben worden,

aber Forbes hatte die Aufmerk­

samkeit von neuem darauf gelenkt, da

er glaubte,

Beschaffenheit des Gletschers damit zusammenhänge.

daß

die innere

Als Agassiz vor

dieser seltsamen Entdeckungsreise von seinen Freunden Abschied nahm,

wurde verabredet,

daß man ihn herunterlassen sollte, bis er rufen

würde, daß er aufgezogen sein wolle.

Er wurde glücklich und ohne

Zwischenfall in eine Tiefe von achtzig Fuß Herabgelaffen.

gegnete

Da be­

ihm eine unvorhergesehene Schwierigkeit in Gestalt einer

Eiswand,

welche den Brunnen in zwei Behälter theilte.

Er ver­

suchte zuerst in dem größeren weiterzukommen, aber da er sand, daß sich derselbe wieder in verschiedene kleine Gänge spaltete, ließ er sich

wieder soweit Hochziehen, um in den kleineren zu gelangen und setzte in demselben seinen in die Tiefe gehenden Lauf fort, ohne einem Hinderniß zu begegnen.

Vollständig

durch

blauen Streifen in Anspruch genommen,

die

die Beobachtung der noch

immer an den

glänzenden Eiswänden sichtbar waren, wurde er erst der nahenden

Gefahr durch das plötzliche Eintauchen feinet Füße in Master ge­ wahr.

Er ließ den Nothschrei erschallen, aber feine Freunde ließen

ihn in den eiskalten Strudel hinab,

anstatt ihn aufzuziehen.

Der

Zehntes Capitel.

186

zweite Ruf wurde verstanden, und sie zogen ihn nicht ohne große Schwierigkeiten aus einer Tiefe von einhundert und fünf und zwanzig Fuß in die Höhe.

Eiszapfen,

Namentlich brachten die Spitzen der ungeheuren

durch welche

er seinen Weg steuern mußte, ihm bei Er sagte später: „Hätte ich alle

seinem Auszug ernstliche Gefahr. Gefahren

dieses Unternehmens

vielleicht nicht dazu entschlossen.

vorhergewußt,

so hätte ich

mich

Jedenfalls würde ich keinem, der

nicht einen treibenden wissenschaftlichen Grund dazu hat, rathen,

folgen."

meinem Beispiel zu

Ans dieser gefährlichen Reise ver­

folgte er den lamellenartigen Bau bis zu einer Tiefe von achtzig Fuß und noch darüber, doch wurde derselbe in größerer Tiefe un­

deutlicher.

Der Aufenthalt auf dem Gletscher wurde durch mehrere Exkur­ sionen unterbrochen, unter anderen durch die Besteigung des Ewig­

schneehorns von Agassiz, Forbes und Heath, geführt von Jakob Leuthold.

Bei ihrer Rückkehr planten sie ihre berühmte Besteigung

der Jungftau.

Die daran theilnehmende Gesellschaft bestand aus

zwölf Personen: Agassiz, Desor, Forbes, Heath, de Chatelier aus

Nantes,

de Pury

aus

NeuchLtel,

Agassiz und sechs Führern;

außer

früheren Schüler

einem

von

den bekannten und bewährten

Freunden Leuthold und Währen waren noch vier andere zugezogen

worden.

Ferner schloffen sich zwei Reisende an, die darum gebeten

halten. Die Wanderer verließen das Grimsel-Hospiz am 27. August um vier Uhr morgens.

Nachdem sie das Oberaarjoch überschritten, stie­

gen sie zu der schneeigen Hochebene herab,

welche den

Viescher

Gletscher speist. In diesem großartigen, von den Gipfeln der Viescherhörner umrahmten Amphitheater machten

ihr Mittagsmahl ein.

sie Rast

und nahmen

Als sie über die Schneeselder schritten,

be­

merkten sie, während sie mit vollständiger Sicherheit auf einer schein­

bar festen Masse gingen, einzelne fensterartige Oeffnungen in dem Schnee.

Bei näherer Untersuchung derselben blickten sie in einen

weiten offenen Raum, der mit sanftem blauen Licht erfüllt war. Es ergab sich,

daß sie auf einer hohlen Kruste gewandert waren,

und daß die kleinen Fenster einem tiefen Spalt auf der anderen Seite dieser Eishöhle gegenüber lagen, durch welchen das Licht ein­

drang, die ganze Höhle erfüllte und von ihren Eiswänden die wun-

Besteigung der Jungfrau.

dervoll sich spiegelnde Farbe erhielt*). und Firnfelder

überschritten

hatten,

187

Nachdem sie die Schnee-

brachte sie

ein

ermüdender

Marsch von fünf Stunden zu den Sennhütten von Möril, wo sie übernachten wollten.

Der Schlaf,

folgenden Tages stärken sollte,

genehmen Zwischenfall gestört.

der sie zn der Anstrengung des wurde jedoch durch einen unan­

Die Leiter, welche Jakob Leuthold,

als er das letzte Mal im Jahre 1832 mit Hugi dagewesen war,

zurückgelaffen hatte, und die er zum Weiterkommen nicht entbehren konnte, war von einem Bauern aus Viesch weggenommen worden. Zwei Boten wurden im Lauf der Nacht in das Dorf geschickt, um

sie zurückzuverlangen.

Der erste kehrte ohne Erfolg zurück;

dem

zweiten wurden so viele Androhungen nachdrücklichster Bestrafung von der ganzen Gesellschaft mitgegeben, daß er seinen Zweck erreichte

und endlich mit dem wiedererworbenen Schatz aus seinem Rücken Sie hatten inzwischen zwei Stunden verloren.

erschien.

Uhr hatten sie aufbrechen wollen, und jetzt war es fünf.

Um drei Jakob er­

mahnte sie daher, sich möglichst zu eilen und forderte jeden,

sich

einem

bleiben.

Gewaltmarsch nicht

gewachsen fühlte,

auf,

der

zurückzu­

Keiner wollte davon etwas hören, und so machten sie sich

auf den Weg. An dem Mörilsee und seinen Eisbergen vorbei, erreichten sie

den Aletschgletscher mit seinen Schneefeldern,

wo

die

wirklichen

Schwierigkeiten und Gefahren des Aufstiegs beginnen sollten.

In

diesem großen, halbrunden, von der Jungftau, dem Mönch und den niedrigeren Gipfeln dieser Berggruppe eingeschloffenen Raum liegt

das Aletscher Firnmeer.

Da dieser Platz einen natürlichen Ruhe­

punkt zwischen dem bereits überwundenen mühsamen Steigen und

den noch zu erklimmenden ungeheuren Abhängen darbot, nannten sie

ihn Le Repos und machten da kurze Rast. Hier ließen sie auch alle unnöthigen Lasten zurück und nahmen nur etwas Brod und Wein

für den Fall, der Erschöpfung, einige meteorologische Instrumente und

die für den Alpenbesteiger unentbehrliche Leiter, Beil und

Seile mit.

Zu ihrer linken, im Westen des Kessels öffnete sich ein

breiter Durchgang zwischen der Jungfrau und dem Kranzberg, auf welchem eine Reihe von übereinanderliegenden Terrassen unterschieden

*) Der Eindruck ist vortrefflich von Desor geschildert in seinem Bericht dieser Exkursion „Sejour dans les Glaciers“ p. 367.

Zehntes Capitel.

188

werden konnte.

Nun ging es in der üblichen Weise weiter über

mehr oder weniger abschüssige Abhänge, wo sie in den weichen Schnee einsanken oder sich Stufen in das Eis hauen ließen; über offene

Spalten, die sie auf der Leiter überschritten oder über die gefähr­

licheren, durch eine Schneedecke verdeckten, über die sie vorsichtig Hin­

schritten, mit Seile an einander gebunden.

Aber es kamen keine

Hindcrniffe, die den erfahrenen Bergsteiger, der sicheren Schritt hatte

und schwindelfrei war, hätte zurückschrecken können, ehe sie eine Höhe erreichten, von welcher sich die Spitze der Jungfrau in scheinbar unerklimmbarer Vereinzelung von allem um sie her ablöste.

Allen

außer den Führern erschien ein weiteres Vorrücken durch das Chaos von Abgründen, von Schnee, Eis nnd Felsen unmöglich. Leuthold dagegen blieb ganz ruhig und zuversichtlich und sagte ihnen, daß er

ganz klar sähe, welchen Weg sie verfolgen müßten.

Er begann mit

einer offenen Schlucht, die unabsehbar tief, aber nicht zu weit war,

um von ihrer • drei und zwanzig Fuß langen Leiter überspannt zu werden.

Auf der anderen Seite dieser Schlucht erhob sich unmittel­

bar eine steile Wand von gefrorenem Schnee.

Ueber diese Wand

bahnten Leuthold und Währen den Weg, indem sic Stufen ein­ schnitten und als sie halbwegs oben waren, ein Seil herunter ließen,

welches sie festhielten, während ihre Gefährten das andere Ende an der Leiter befestigten, die dann den Nachfolgenden als Geländer diente. Auf der Höhe angekommen, befanden sie sich auf einer Terrasse, von welcher aus ein weniger steiler Abhang auf den Roththalsattel führte, der auf einer Seite einen Blick in das Aletschthal,

auf der anderen in das Roththal gestattet.

Von diesem Punkt aus

wurde der Aufstieg immer steiler und ging langsamer von statten,

da jeder Tritt ausgehauen werden

mußte.

Die Schwierigkeiten

wurden noch durch den aufsteigenden Nebel und die durchdringende

Kälte vermehrt.

Leuthold hielt die Gesellschaft nahe am Rande des

Grats zusammen, weil da das Eis der Axt leichter.nachgab, aber

er setzte ihre Nervenstürke auf eine harte Probe, da der Abgrund ihnen immer vor Augen blieb, außer wenn der Nebel ihn verdeckte.

Sie konnten ihre Alpenstöcke durch den überhängenden Rand von

fest gefrorenem Schnee stoßen nnd durch das dadurch entstandene Loch auf den gerade unter ihnen liegenden Kessel sehen.

Einer von

den Führern blieb zurück, weil er den Anblick des nahen Abgrundes

189

Besteigung der Jungfrau.

Als sie sich ihrem Ziele näherten,

nicht länger ertragen konnte.

fürchteten sie, daß am Ende der Nebel sie des höchsten Genuffes berauben möchte, um welchen sie so vielen Gefahren getrotzt hatten.

Aber plötzlich — gerührt von ihrer Ausdauer, sagt Desor, — lüftete sich der Nebelschleier und die Spitze der Jungfrau, in ihrer einsamen

Größe, erhob sich vor ihnen.

Noch war eine gewiffe Entfernung zu

überwinden, ehe sie den Fuß des höchsten Gipfels erreichten.

Hier

hielten sie zaudernd an, denn obwohl die Spitze nur wenige Fuß hoch über ihnen lag, waren sie doch von derselben durch einen

schroffen und

scheinbar

unübersteigbaren Grat

Selbst

getrennt.

Agassi;, der nicht leicht entmuthigt war, sagte, als er zu diesem höchsten Punkte der Festung, die sie erklimmt hatten, aufsah:

können wir nicht hingelangen."

„Da

Statt aller Antwort warf Leuthold

alles von sich, was seine Bewegungen einschränkte, steckte seinen Alpenstock als Enterhaken über den Grat, und während er im Vor­

wärtsgehen den Schnee niedertrat, um diesen schwindeligen Pfad für die Nachfolgenden zu ebnen, war er in einem Augenblick auf der

Spitze.

Dieser berühmte Gipfel spitzt sich auf seiner äußersten Höhe

so zu, daß nur eine Person aufeinmal darauf stehen kann, und selbst

für diese muß der Schnee erst sestgetreten werden.

Als Leuthold,

dessen ruhige, vor nichts, zurückweichende Kühnheit ansteckend war,

zurückkehrte, hals er einem nach dem anderen auf die Stelle, auf welcher er gestanden hatte.

Der Nebel, dessen Wirkung sie so ge­

fürchtet hatten, trug nur noch zu der Schönheit der Aussicht von

diesem erhabenen Standpunkt bei.

Massen von Dunst stiegen vom

Roththal nach Südwesten auf, aber anstatt vorzurücken und sie ein­

zuhüllen, blieben die Nebelwolken in kleiner Entfernung von ihnen stehen, von einem Lustzug aus der Ebene angehalten.

Da die

Temperatur unter dem Gefrierpunkt war, gefroren die Dunsttropfen

in dieser Nebelwand zu Eiskrystallen, welche im Sonnenlicht wie Gold glitzerten und alle Farben des Regenbogens widerstrahlten. Als die ganze Gesellschaft wieder am Fuß der obersten Spitze

versammelt war, gab Leuthold jedem etwas Wein, und sie ruhten im Schnee, ehe sie ihren gefahrvollen Abstieg begannen.

Das ein­

zige lebende Wesen, welches sie sahen, war ein Habicht, der.über ihre» Köpfen kreiste; von Pflanzen fanden sie nur einige Flechten

an Stellen, wo die Oberfläche des Felsens frei lag.

Es war vier

Zehntes Capitel.

190

Uhr Nachmittags, als sie ihren Rückweg antratcn, dem eisigen Ab­

hang ihr Angesicht zuwendend und rückwärts nach den Stufen, —

siebenhundert im Ganzen — fühlend, die beim Aufsteigen eingehauen worden waren.

In ungefähr einer Stunde erreichten sie die Roth-

thalspitze, wo die größten Schwierigkeiten des Aufstiegs begonnen hatten und die größten Gefahren des Abstiegs überwunden waren.

Sie waren so begeistert von dem Erfolg des Tages und achteten so wenig auf die geringeren Gefahren nach den viel bedeutenderen, die sie überstanden hatten, daß sie nun in unbedachter Weise vorwärts eilten.

Jakob, der ebenso vorsichtig wurde, wenn andere sorglos

waren, als er kühn war, wenn andere Aengstlichkeit verriethen, mahnte sie fortwährend durch seinen Zuruf:

„Hübschle! nur immer

hübschle!" Um sechs Uhr waren sie wieder auf Le Repos, nachdem sie in

zwei Stunden die Strecke zurückgelegt, zu der sie im Hinweg sechs

gebraucht hatten.

Der Abend brach nun herein, aber das Tages­

licht wurde durch Mondschein ersetzt, und als sie den Gletscher er­

reichten, war ein sanfter silberner Schein über denselben ausgegossen, der nur hier und da durch den schwarz darüber liegenden, riesen­ haften Schatten eines benachbarten Berges unterbrochen wurde. Gegen neun Uhr, gerade als sie denjenigen Theil des Gletschers

überschritten hatten, der wegen seiner zahlreichen Spalten, am ge­ fährlichsten war, wurden sie durch einen fernhertönenden Jodler

ermuntert. Es war der Ruf eines Bauern, der ihnen mit Vorräthen entgegengeschickt war, für den Fall, daß sie von Hunger und Mü­

digkeit erschöpft sein sollten. Das willkommenste was er brachte, war ein großer, mit frischer Milch gefüllter Holzeimer. Man kann

sich die kleine Schaar, wie sie im Mondlicht den Bauern umringte und abwechselnd aus seinem Eimer trank, bis der Vorrath erschöpft war, so lebhaft vergegenwärtigen, daß man ihre Erquickung und Freude mitempfindet. Nachdem sie sich so gestärkt hatten, machten sie sich auf den letzten Theil ihrer Reise, der noch drei Meilen be­ trug, und um halb elf Uhr kamen sie auf den Sennhütten von Möril

an, welche sie bei Tagesanbruch verlassen hatten. Am folgenden Morgen brach die Gesellschaft auf, und Agassiz und Desor, von ihrem Freund Escher von der Linth begleitet, kehrten

aus das Grimsel-Hospiz zurück und begaben sich dann nach einer

Zoologische Veröffentlichungen.

Tagesrast noch einmal in das Hotel des Neuchätelois.

191 Sie blieben

bis zum 5. September auf dem Gletscher und benutzten diese Tage noch

zur Vervollständigung ihrer Messungen und zur Einpflanzung einer Reihe von Stangen in den Gletscher, die ihnen dazu dienen sollten,

die Schnelligkeit seiner Bewegung im Laufe des Jahres und die verhältnißmäßige Beschleunigung dieser Bewegung an genau bezeich­

neten Stellen zu bestimmen.

So endete einer der ereignißreichsten

Besuche, welchen Agassiz und seine Gefährten dem Gletscher gemacht

hatten').

Elftes Capitel. 1842—1843.

Vom 35. bis 36. Jahre.

Fortsehung der zoologischen Arbeiten neben den Gletscherforschungen. — Derschiedene Veröffentlichungen. — „Nomenclator Zoologicus“. — „Bibliographia Zoologiae et Geologiae“. — Briefwechsel mit englischen Naturforschern. — Briefwechsel mit Humboldt. — Gletscher-Aufenthalt von 1842. — Briefwechsel mtt dem Prinzen Canino über eine Reise in die Vereinigten Staaten. — Fossile Fische aus dem rothen Sandstein. — Gletscher-Aufenthalt von 1843. — Tod des Führers Leuthold.

Wenn auch die Gletscherforschungen allmälig eine hervorragende

Bedeutung in Agassiz's wissenschaftlichem Leben gewannen, so nahmen doch seine zoologischen Arbeiten und namentlich seine ichthyologischen Untersuchungen einen beinah ununterbrochenen Fortgang.

Seine Ver­

öffentlichungen über fossile Mollusken"), über tertiäre Muscheln'"), über lebende und fossile Echinodermens) nebst vielen kleineren Mono­ graphien über specielle Gegenstände, wurden alle während der beweg*) Wenn auch nicht, oder nur ausnahmsweise, wörtlich wieder gegeben, so ist dieser Bericht doch größtentheils Desor's Sejour dans les Glaciers ent­ nommen. **) Etudes critiques sur les Mollusques Fossiles 4. No, 4° mit hundert Tafeln. ***) Iconographie des Coquilles Tertiaires reputees identiques sur les vivants 1. No, 4°, 14 Tafeln. t) Monographie d’Echinodermes vivants et fossiles 4 nos., 4°, 37 Tafeln.

Elftes Capitel.

192

testen Zeit seiner Gletscherforschungen vollendet.

Noch erstaunlicher ist

es, ihn neben diesen neuen Untersuchungen, die er mit so viel Be­ geisterung verfolgte, mit scheinbar so trockenen und langweiligen Ar­

beiten, wie sein „Nomenclator Zoologicus“ und seine „Bibliographia Zoologiae et Geologiae“ beschäftigt zu sehen. Das erstere Werk, ein großer Ouartband mit einem Index*), ent­ hält eine Aufzählung aller Gattungen des Thierreichs mit der Ety­

mologie ihrer Namen, der Namen derjenigen, die sie zuerst benannt hatten und dem Tage ihrer Veröffentlichung.

Er gewann dazu die

Mitwirkung anderer Naturforscher und unterwarf, so weit es anging,

jede Abtheilung der Durchsicht eines in dem betreffenden Fache her­

vorragenden Mannes. In seinem an den Präsidenten des Akademieraths, Baron von Chambrier, gerichteten Briefe, mit welchem er den Nomenclator der

Bibliothek der Neuchateier Akademie überreichte, sagt er darüber: . . . „Haben Sie die Güte für die Bibliothek der Akademie die

fünfte Lieferung eines Werkes über die Quellen zoologischer Kritik,

dessen Veröffentlichung ich jetzt begonnen habe, anzunehmen.

Es

ist ein Werk der Geduld, welches langwierige und mühsame Arbeiten

erforderte.

Ich hakte den Plan dazu in meinen ersten Studienjahren

gefaßt und seither nicht aus den Augen verloren.

Ich gebe mich

der Hoffnung hin, daß es der Verwirrung steuern wird, welche das

Gebiet der zoologischen Synonymie zu überschwemmen droht.

Mein

Buch wird den Titel „Nomenclator zoologicus“ führen." Die Bibliographia (4 Bände) war in gewiffem Sinne eine Er­ gänzung des Nomenclator und enthielt ein Verzeichniß aller Autoren,

die in dem letzteren aufgeführt sind, nebst Anzeigen ihrer Werke. Sie erschien etwas später und wurde von der englischen Ray Society i. I. 1848 veröffentlicht, nachdem Agassiz Europa schon verlaffen und sich in die Vereinigten Staaten begeben hatte.

Auch das Material

zu diesem Werk hatte sich seit Jahren bei ihm angesammelt.

Da er

mehr und mehr die Wichtigkeit eines solchen Verzeichniffes als Leit­

faden für die Studenten erkannte, wendete er sich an alle Natur­ forscher in allen Theilen Europa's und bat um Mittheilungen über

die wissenschaftliche Bibliographie ihrer Länder, und es gelang ihm !) Der Index wurde auch einzeln in einem Octavband gedruckt.

Zusammenhang der vielseitigen Thätigkeit.

193

endlich, alle bekannten Werke und alle zerstreuten Abhandlungen über

Zoologie und Geologie mit möglichster Vollständigkeit zu katalogisiren. Da er nicht im Stand war, dieses kostbare, über wenig einträgliche Material selbst zu veröffentlichen, so war er sehr froh, es der Ray

Society

zu überlassen.

Die ersten drei Bände wurden mit Ver­

besserungen und Hinzufügungen von H. E. Strickland herausgegeben,

welcher vor dem Erscheinen des vierten Bandes starb, dessen Veröffent­ lichung schließlich sein Schwiegervater Sir William Jardine übernahm.

Die Fähigkeit, mehrere Gegenstände auf einmal zu behandeln, welche Agassiz in so hohem Grade besaß, hatte nichts mit oberfläch­

Für ihn hatte jede Arbeit nur eine

licher Leichtfertigkeit gemein. Bedeutung.

Sie war in seinen Gedanken nie zusammenhanglos, und

deshalb konnte er von seinen Gletschern zu seinen fossilen Thieren übergehen und von der fossilen zu der lebenden Welt mit dem Ge­

fühl, verwandte Gegenstände zu behandeln, die durch dieselben Ge­ setze mit einander verbunden seien.

Nirgend zeigt sich dies klarer,

als in den Berichten der NeuchLteler naturwissenschaftlichen Gesell­

schaft, einer Gesellschaft,, welche er selbst in den ersten Monaten nach

Antritt seiner Professur gründen half, und welcher er immer eine große Anhänglichkeit bewahrte.

Von 1833 bis 1846 wohnte er den

Sitzungen derselben regelmäßig bei.

Hier finden wir ihn jeden Monat

seine philosophisch den Gegenstand erfassenden Vorträge halten, die entweder von Thieren

in

ihren vielseitigen Beziehungen handeln

oder Einzelheiten des Baues in der eingehenden Weise des Fach­ manns beschreiben.

Er stellt die organischen Wesen in ihrer geolo-

schen Reihenfolge, in ihrer geographischen Verbreitung und in ihrer embryonischen Entwicklung dar; er führt die Gesetze der Klassifikation vor und gestaltet sie neu.

Zuweilen erläutert er die fossile Welt

durch die lebende, dann wieder findet er in der fernen Vergangenheit

den Schlüssel zu den Erscheinungen der Gegenwart. Geschichte der

Eiszeit

und

weist

auf

ihr

Er erzählt die

Schlußkapitel in dem

nächsten Alpenthal hin, indem er die Beschaffenheit deffelben durch

das Vorkommen ähnlicher Erscheinungen in fernen Welttheilen in Zu­ sammenhang bringt. Aber wie umfaffcnd und wie verschiedenartig auch

die Gegenstände sind, die er behandelt, so werden sie doch unter seiner Berührung alle mit einander verwandt, werden untergeordnete Theile

eines Ganzen, welches er in seiner Gesammtheit zu verstehen trachtet. Agassij's Leben und Briefwechsel. 13

Elftes Capitel.

194

Einige Auszüge aus seinem Briefwechsel aus dieser Zeit werden die verschiedenen Richtungen, in welchen er damals arbeitete, an­

schaulich machen.

Der nächstfolgende Brief ist von Edward Forbes,

einem der frühsten Forscher der Tief-See-Fauna, den Agassi; um Hilfe bei seiner Arbeit über Echinodermen gebeten hatte.

Edward Forbes an Louis Agassiz. Edinburg, 13. Februar 1841.

. . . Ein Brief von Ihnen war mir eine sehr große Freude, und mit Vergnügen habe ich den Auftrag ausgeführt, den Sie mir gaben. Es wäre früher geschehen, wenn die Stürme in der nahen See nicht

so heftig gewesen wären, so daß ich erst vor drei Tagen im Stande

war, mir einen lebenden Seeigel zu verschaffen, nach welchem ich die gewünschten Zeichnungen machen lassen konnte... Sie haben alle Geo­ logen hier gletschernärrisch gemacht, und Großbritanien wird jetzt von

ihnen in ein Eishaus verwandelt.

Einige unterhaltende und sehr

ungereimte Versuche Ihren Ansichten zu widersprechen, sind von ein­ zelnen Pseudo-Geologen gemacht worden; unter anderen hat der

arme ... eine Abhandlung in der Royal Society hier verlesen, in welcher er behauptet, daß alle Erscheinungen, die Sie den Gletschern

zuschreiben, durch Eisblöcke verursacht worden sind, welche bei der Sündsluth hierher getrieben wurden! und daß die Fossilien der pleistocenen Zeit Mollusken re. waren, welche auf die Eisblöcke geklettert

und gegen ihren Willen in das wärmere Meer getrieben worden seien!! Meiner Ansicht nach liegt einer der besten Beweise für die Wahrheit

Ihrer Lehre in dem entschieden arktischen Charakter der pleistocenen Fauna, welche der Eiszeit zugeschrieben werden muß und dadurch ganz verständlich wird.

Ich beabsichtige mir im Lauf des Sommers Aus­

kunft über diesen Punkt zu verschaffe«, um eine Masse geologischer Beweise für Ihre Lehre aufzubringen. Dr. Traill sagt mir, daß Sie daran denken, im kommenden

Sommer England wieder zu besuchen.

Wenn Sie das thun, so

hoffe ich Sie zu sehen, da ich Ihnen eine Menge von Dingen zn

zeigen habe, wozu die Zeit nicht ausreichte, als Sie das letzte Mal hier waren.

Ich warte mit Sehnsucht auf die nächste Lieferung

Ihrer Geschichte der Echinodermen . . .

Brief von Murchison über die Eiszeit.

195

Von Sir Roderick Murchison an Agassiz. 13. Juni 1842.

. . . Ihre Briefe haben mir großes Vergnügen gemacht, zu­ nächst weil sie mir die Versicherung geben, daß Ihr Eifer für die Ichthyologie nicht nachgelassen hat, und daß Sie der britischen Ver­ sammlung davon solch nachdrückliche Beweise geben wollen, und dann

weil Sie noch immer mit Begeisterung Ihre bewunderungswürdigen

Gletscherforschungen fortsetzen. Ihrer Führung

Ich wäre entzückt, wenn ich unter

einen Spaziergang auf dem Aargletscher machen

könnte, aber ich wage noch nicht, es zu versprechen.

Selbst wenn

ich mich noch so sehr beeilen wollte, zweifle ich, ob es möglich wäre,

Ihre Schweizer Versammlung zur rechten Zeit zu erreichen.

Mög­

licherweise könnte ich Sie noch nach Ihrer Rückkehr in Ihrer Gletscher­

wohnung finden, aber selbst dies hängt von Umständen ab, über die ich nicht gebieten kann.

Ich schicke Ihnen diesen Brief durch meinen Freund, den Ad­

miral Sir Charles Malcolm, der auf seiner Reise nach Genf durch Neuchütel kommt.

Er bringt Ihnen auch einen Abdruck meiner letzten

Rede, welche ich Sie bitte anzunehmen und ganz zu lesen.

Sie

werden sehen, daß ich ehrlich und in Uebereinstimmung mit meinem eigenen Glauben gegen Ihr Eis ankämpfe, daß ich aber Ihre großen

Verdienste nicht aus den Augen verliere.

Mein Schlußsatz wird Sie

und alle Ihre Freunde überzeugen, daß wenn ich im Unrecht bin,

es nicht von vorgefaßten Meinungen herkommt, sondern nur, weil ich nach — wie Sie es nennen werden — unvollständigen Beweisen urtheile.

Ihr „Venez voir!“ klingt mir noch in den Ohren.

Murchison blieb noch viele Jahre ein Gegner der Lehre von

der Eiszeit in ihrem weiteren Umfange.

In der Rede, welcher der

obige Brief Erwähnung thut, (Address at tlie Anniversary Meeting of the Geological Society of London 1842)') kommt folgende Stelle

vor: „Einmal zugegeben, daß Agassiz's tiefste Schweizerthäler, wie der ungeheure Genfer See, früher mit Eis und Schnee angefüllt

waren, giebt es keinen Halt mehr.

Von dieser Hypothese ausgehend,

kann man die Ost- und Nordsee, das südliche England und halb *) Auszug ou-5 beut Bericht in Yol. 33 des Edinburgh New Philosophien! Journal.

Elftes Capitel.

196

Deutschland und Rußland mit ähnlichen Eisfeldern anfüllen, auf deren

Oberfläche alle nordischen erratischen Blöcke fortgetragen worden sind. So lange die größere Anzahl der praktischen Geologen von Europa der

weiteren Ausdehnung einer Eiszeit aus der Erde entgegen sind, ist wenig Gefahr, daß diese Lehre die Geister zu sehr einnehmen könnte... Das

Vorhandensein von Gletschern in Schottland und England