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German Pages 458 [460] Year 1886
Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Erstes Capitel. 1807-1827. Bis zum 20. Jahre
Zweites Capitel. 1827-1828. Vom 20.-21. Jahre
Drittes Capitel. 1828-1829. Vom 21. bis 22. Jahre
Viertes Capitel. 1829-1830. Vom 22.- 23. Jahre
Fünftes Capitel. 1830 — 1832. Vom 23. bis 25. Jahre
Sechstes Capitel. 1832. 25 tes Jahr
Siebentes Capitel. 1832-1834. Vom 25. bis 27. Jahre
Achtes Capitel. 1834-1837. Vom 27. bis 30. Jahre
Neuntes Capitel. 1837-1839. Vom 30. bis 32. Jahre
Zehntes Capitel
Elftes Capitel. 1842—1843. Vom 35. bis 36. Jahre
Zwölftes Capitel. 1843-1846. Vom 36. bis 39. Jahre
Dreizehntes Capitel. 1846. 39stes Lebensjahr
Vierzehntes Capitel. 1846-1847. Vom 39. bis 40. Jahre
Fünfzehntes Capitel. 1847-1850. Vom 40. bis 43. Jahre
Sechzehntes Capitel. 1850-1852. Vom 43. bis 45. Jahre
Siebzehntes Capitel. 1852—1855. Vom 45. bis 48. Jahre
Achtzehntes Capitel. 1855-1860. Vom 48. bis 53. Jahre
Neunzehntes Capitel. 1860-1863. Vom 53. bis 56. Jahre
Zwanzigstes Capitel. 1863-1864. Vom 56. bis 57. Jahre
Einundzwanzigstes Capitel. 1865-1868. Vom 58. bis 61. Jahre
Zweiundzwanzigstes Capitel. 1868-1871. Vom 61. bis 64. Jahre
Dreiundzwanzigstes Capitel. 1871-1872. Vom 64. bis 65. Jahre
Vierundzwanzigstes Capitel. 1872. 65. Jahr
Fünfundzwanzigstes Capitel. 1872-1873. Vom 65. bis 66. Jahre
Louis Agassiz's Leben und Briefwechsel. Herausgegeben von
Elisabeth Cary Agasfiz.
Autorisirte deutsche Ausgabe von
C. Mettenms.
Mit LoniS Agassiz's Bildniß.
Berlin. Dmck und Verlag von Georg Reimer.
1886.
Ich bin mir wohl bewußt,
daß dieses Buch weder einen so
vollständigen Bericht der persönlichen Erlebnisse, noch ein so genaues Eingehen auf wissenschaftliche Untersuchungen enthält, als der Leser nach dem zu umfassenden Titel vielleicht erwarten könnte. der Erklärung mag daher am Platze sein.
Ein Wort
Als ich anfing, die nach
folgenden Begebenheiten, Briefe und Tagebücher in erzählender Form zusammenzustellen, dachte ich zuerst kaum an eine Veröffentlichung.
Meine Hauptabsicht war, die Zerstreuung und den schließlichen Ver lust der einzelnen Papiere, welche einen unzweifelhaften Werth für die Familie haben, zu verhindern.
unter den Händen wuchs,
Aber als mir dann die Arbeit
empfand ich mehr und mehr,
daß die
Geschichte eines Lebens, welches eine so seltene Harmonie und Ein
heit des Strebens zeigt, in weiteren Kreisen von Interesse und Nutzen sein und vielleicht Manchem zur Anspornung und Ermuthig-
ung dienen könnte.
Aus diesem Grunde und in der Voraussetzung,
daß der in Europa zugebrachte Theil von Agassiz's Leben in seinem
angenommenen Vaterlande wenig bekannt sein dürfte, während über
die in Amerika verlebten Jahre in seiner alten Heimath Unkenntniß herrschen mag, habe ich mich entschlossen, das hier angesammelte
Material zu veröffentlichen. Ein Nachtheil für das Buch ergab sich daraus, daß es zum
großen Theil eine Uebersetzung ist.
Die Briefe der ersten Hälfte
sind beinah alle französisch oder deutsch geschrieben, so daß mir nur
die Wahl blieb zwischen einem aus mehreren Sprachen zusammen gesetzten Flickwerk oder der einheitlichen Anwendung der englischen
IV
Vorwort.
Sprache mit dem Nachtheil des veränderten Wortlauts").
Ich ent
schied mich für das, wie mir schien, geringere Uebel.
Nächst der, mir von meiner Familie zu Theil gewordenen Hilfe, wozu namentlich die Durchsicht des Textes von Seiten meines Sohnes
Alexander Agassiz gehört, bin ich meinen Freunden Dr. Hagen und Frau, sowie dem verstorbenen Professor Guyot für ihren Rath in einzelnen Punkten zu Dank verpflichtet.
Auch jenseits des Oceans
habe ich treue und hilfreiche Mitarbeiter gefunden.
Herr August
Agassiz, der seinen Bruder Louis einige Jahre überlebte und mit
größter Sorgfalt alles, was sich auf dessen wiflenschaftliche Laufbahn bezog, aufbewahrte, vertraute mir viele Briefe und Schriftstücke aus
den früheren Lebensjahren feines Bruders an.
Nach seinem Tode
leistete mir sein Vetter, Herr August Mayor in Neuchätel, den gleichen
Liebesdienst.
Der letztgenannte Freund hat auch auf die Bitte von Alexander Agassiz auf dem Aargletscher den Block ausgewählt, welcher jetzt
seines Vaters Grab schmückt.
Mit unermüdlicher Geduld hat Herr
Mayor Stunden mühsamen Suchens unter den Blöcken auf der Moräne, nahe der Stelle des ehemaligen „Hotel des Neuchätelois“, zugebracht, und endlich einen Stein von .so monumentaler Gestalt
gefunden, daß es keines Hammerschlages bedurfte, um ihn zu seiner Bestimmung tauglich zu machen.
Zum Schluß sei mir gestattet,
ihm, so wie Allen, die mir bei meiner Arbeit geholfen haben, hier
meinen Dank auszusprechen. Cambridge, Mass., 11. Juni 1885.
Elisabeth C. Agassiz.
*) In der vorliegenden deutschen Ausgabe sind die ursprünglich deutsch ge schriebenen Briefe nicht zurücküberseht, sondern nach dem Originalwortlaut wieder gegeben. Dagegen find, um den Umfang des Werkes etwas einzuschränken, einige wenige der englischen Briefe, die für deutsche Leser von geringerem Interesse sein bürsten, weggelassen. Anmerkung d. Nebers.
Inhalt. Erstes Capitel. 1807-1827.
Bis zum 20. Jahre.
Geburtsort. — Mütterlicher Einfluß. — Frühe Liebe zur Naturgeschichte. — Beschäftigungen des Knaben. — Häusliche Erziehung. — Erster Schulunterricht. — Ferien. -- Verzicht auf den kaufmännischen Beruf. — College in Lausanne. — Wahl eines Berufs. — Medicinische Schule in Zürich. — Leben und Studien daselbst. — Universität Heidelberg. — Unterbrechung der Studien durch Krankheit. — Rück kehr nach der Schweiz. — Beschäftigungen während der Genesung.
Seite
1
Zweites Capitel. 1827- 1828.
Vom 20.-21. Jahre.
Ankunft in München. — Vorlesungen. — Beziehungen zu den Professoren. — Schelling, Martins. Oken, Döllinger. — Beziehungen zu den Studiengenossen. — Die kleine Akademie. -- Reisepläne. — Rath der Eltern. — Ferienreise. — Dreihundertjähriges DürerJubiläum in Nürnberg..........................................................................
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Drittes Capitel. 1828- 1829.
Vom 21.-22. Jahre.
Erstes bedeutendes naturgeschichtliches Werk. — Brasilianische Fische voll Spix. — Zweite Ferienreise. - Thätigkeit während des Universitäts jahres. — Auszüge auS Dinkels Tagebuch. — Briefe nach Hause. Hoffnung mit Humboldt nach Asien zu reisen. — Philosophisches Doktordiplom. — Beendiglnlg des ersten Theils der Spix'schen Fische. — Brief voll Cuvier..................................................................
Viertes Capitel. 1829- 1830.
Vom 22.-23. Jahre.
Naturforscherversanlmlung in Heidelberg. — Besuch zu Hause. — Krank heit und Tod des Großvaters. — Rückkehr nach München. — Pläne zu zukünftigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen — Medicinische Doktor-Promotion. — Besuch in Wien. - Rückkehr nach München —
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VI
Inhalt. Seite
Briefe nach Hause. — Letzte Tage in München. — Autobiographischer
Rückblick auf das Schul- und Universitätsleben...................................
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Fünftes Capitel. Vom 23.-25. Jahre.
1830—1832.
Ein Jahr zu Hause. — Abreise nach Paris. — Aufenthalt unterwegs. — Cholera. — Ankunft in Paris. — Erster Besuch bei Cuvier. — Cuvier's Freundlichkeit. — Sein Tod. — Armuth in Paris. — Briefe nach Hause über Geldverlegenheit und über seine Arbeit. —
Sonderbarer Traum.....................................................................................
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Sechstes Capitel. 1832.
25. Jahr.
Unerwartete Hilfe in schwieriger Lage. — Briefwechsel mit Humboldt. — Exkursion an die normannische Küste — Briefwechsel über die Pro fessur in Neuchatel. — Geburtstagsfeier. — Berufung nach Neuchätel — Annahme. — Brief an Humboldt.............................................106
Siebentes Capitel. 1832-1834
Vom 25.-27 Jahre.
Antritt der Professur in Neuchätel. — Erste Vorlesung. — Erfolg als
Lehrer. — Liebe zum Unterrichten. - Einfluß auf das wissenschaft liche Leben in Neuchatel — Anträge von der Universität Heidel berg. — Ablehnung derselben — Drohende Erblindung — Brief wechsel mit Humboldt. — Verheirathung — Einladung von Char pentier. — Einladung von England. — Wollaston-Preis. — Erste Nummer der fossilen Fische. — Uebersicht des Werks...........................118
Achtes Capitel. 1834-1837 Erster Besuch in England
Vom 27 -30. Jahre
— Aufnahme bei den Männern der Wissen
schaft. — Arbeit über fossile Fische in England. — Freigebigkeit der englischen Naturforscher. — Erste wissenschaftliche Beziehungen zu Amerika. — Weiterer Briefwechsel mit Humboldt. — Zweiter Besuch in England. — Fortsetzung der fossilen Fische. — Andere
wissenschaftliche Veröffentlichungen. — Den Gletschern zugewendete Aufmerksamkeit. — Sommer bei Charpentier in Bex. — Verkauf der Originalzeichnungen der fossilen Fische. — Versammlung der Schweizer Gesellschaft. — Rede über die Eiszeit. — Briefe von
Humboldt und von Buch........................................
Neuntes Capitel. 1837-1839.
Vom 30.-32. Jahre.
Anerbietungen von Professuren in Genf und Lausanne. — Tod seines Vaters. — Errichtung einer lithographischen Druckerpresse in Neu-
142
Inhalt.
VII Seite
chatel. — Untersuchungen über den Ball der Mollusken. — Stein kerne von Schalen. - Gletschererforschungen. — Ansichten von Buckland. — Beziehungen zu Arnold Guyot. — Ihre gemeinschaftliche Arbeit in den Alpen. — Brief an Sir Philipp Egerton über die Gletschernntersuchungeil. — Sommer 1839. — Veröffentlichung der „Etudes sur les Glaciers“.................................................................. 158 Zehntes Capitel.
1839-1842.
Vom 32.-35. Jahre.
Solnmerstation mif dem Aargletscher. — Hotel des Neuchätelois. — Mit* glieder der Gesellschaft. — Arbeit auf dem Gletscher. — Besteigung der Strahleck und des Siedelhorns. — Reise nach England. — Suchen nach Gletscherspnren in Großbritannien. — Straßen von Glen Roy. — Die Allsichten der englischen Naturforscher über Agassiz's Gletscherlehre — Eindringen in den Gletscher. — Besteigung der Jungfrau.......................................................................................................171
Elftes Capitel. 1842— 1843.
Vom 35.-36. Jahre
Zoologische Arbeiten nicht von Gletscherforschungen unterbrochen. — Ver schiedene Veröffentlichungen. — Nomenclator Zoologicus. — Bibliographia Zoologiae et Geologiae. — Briefwechsel mit englischen Natur forschern. — Briefwechsel mit Humboldt. — Gletscheraufenthalt von 1842. — Briefwechsel mit dem Prinzen von Canino. — Fossile Fische aus dem rothell Sandstein. — Gletscheraufenthalt von 1843. — Tod des Führers Leuthold..................................................................191
Zwölftes Capitel.
1843- 1846.
Vom 36.-39. Jahre.
Beendigung der fossilen Fische. — Fische des rothen Sandsteins. — Ueber sicht des letzteren Werkes. — Bestimmung der Fische nach den Schä deln. — Erneuter Briefwechsel mit dem Prinzen von Canino über eine Reise in die Vereilligten Staaten. — Veränderung des Plans in Folge des Interesses, welches der König von Preußen für die Expedition zeigte. — Briefwechsel zwischen Prof. Sedgwick und Agassiz über die Entwicklungslehre. — Letzte wissenschaftliche Arbeiten in Neuchatel und Paris. — Herailsgabe des Systeme Glaciaire. — Kurzer Aufenthalt in England. — Abreise nach den Vereinigten Staaten...........................................................................................................211 Dreizehntes Capitel. 1846.
39. Jahr.
Ankunft in Boston. — Vorhergehender Briefwechsel mit Charles Lyell und John Lowell über Vorträge im Lowell-Institut. — Beziehungen zu Lowell. — Erste Reihe von Vorlesungen. — Charakter der Zuhörer-
VIII
Inhalt.
Seite schäft. — Briefe nach Hause mit einem Bericht seiner ersten Reise in den Vereinigten Staaten. — Eindrücke von den wissenschaftlichen Männern, Anstalten und Sammlungen..................................................... 232
Vierzehntes Capitel. 1846-1847.
Vorn 39.-40. Jahre.
Vorlesungen in Boston über Gletscher. — Briefwechsel mit wissenschaft
lichen Freunden in Europa. — Haus in Ost-Boston. — Haus halt. — Krankheit. — Brief an Elie de Beaumont. — Geologie und Gletscherspuren............................................................................................. 248
Fünfzehntes Capitel. 1847—1850.
Vom 40.-43. Jahre.
Exkursionen auf den Dampfern der Küstenvennessungen — Beziehungen zu Dr. Bache. — Politische Unruhen in der Schweiz. - Veränderte Beziehungen zu Preußen. — Gründung einer wissenschaftlichen Schule in Cambridge. — Literarische und wissenschaftliche Gesell schaften in Cambridge. — Anerbieten eines Lehrstuhls der Natur geschichte. — Annahme desselben. — Uebersiedlung nach Cambridge. — Anfänge des Museums. — Reise an den Oberen See — Reise bericht. — Principles of Zoology von Agassiz und Gould. — Bnefe von europäischen Freunden über dies Werk. — Wiederverheirathung. — Ankunft seiner Kinder in Amerika.................................................................. 262
Sechzehntes Capitel. 1850—1852.
Vom 43.-45. Jahre.
Dr. Bache's Anerbieten. — Erforschung der Korallenriffe von Florida. — Brief an Humboldt über die Thätigkeit in Amerika. — Anstellung an der medicinischen Schule von Charleston. — Leben im Süden. — Ansichten über die Abstammung der Menschenrassen. — Cnvier-Preis. 273
Siebzehntes Capitel. 1852-1855.
Vom 45.-48. Jahre.
Rückkehr nach Cambridge. — Beunruhigung wegen seiner Sammlung. —
Zweiter Winter in Charleston. — Krankheit. — Brief an I. Dana über die geographische Verbreitung und die geologische Reihenfolge der Thiere. — Niederlegung der Professur von Charleston. — An erbieten von Zürich. — Briefe von Oswald Heer. — Entschluß in Amerika zu bleiben. — Brief an Dana, Haldeman u. a. über Sammlungen zur Erläuterung der Verbreitung von Fischen, Schnecken rc. in den amerikanischen Flüffen. — Errichtung einer
Mädchenschule..................................................................................................... 288
IX
Inhalt.
Achtzehntes Capitel. 1855-1860.
Vom 48 —53. Jahre. Seite
Beiträge zur Naturgeschichte der Vereinigten Staaten. — Merkwürdige Subskription. — Uebersicht des Werks. — Seine Aufnahme in Eu ropa und Amerika. — Briefe darüber von Humboldt und Owen. —
Geburtstag. — Gedicht von Longfellow. — Arbeitsstätte in Na hant. — Berufung an das Musee d’histoire naturelle in Paris. — Gründung des Museums für vergleichende Zoologie in Cambridge. —
Sommerferien in Europa................................................................................303
Neunzehntes Capitel. 1860-1863.
Vom 53.—56. Jahre.
Rückkehr nach Cambridge. — Ueberführung der Sammlungen nach dem neuen Museumsgebäude. — Arbeitseintheilung. — Beziehungen zu seinen Studenten. — Ausbruch des Krieges zwischen Norden und Süden. — Interesse von Agassiz an der Erhaltung der Union. — Beginn der Veröffentlichungen des Museums. — Aufnahme des dritten und vierten Bandes der „Contributions“. — Copley-Medaille. Briefwechsel. — Wandervorlesungen im Westen. — Rundschreiben über anthropologische Sammlungen. — Brief an Ticknor über die geographische Verbreitung der Fische in. Spanien................................... 322
Zwanzigstes Capitel. 1863—1864.
Vom 56.-57. Jahre.
Briefwechsel mit Dr. Howe. — Einfluß des Krieges auf die Stellung der Neger. — Liebe zur Harvard-Universität. — Interesse an ihrer allseitigen Entwicklung. — Briefwechsel mit Emerson. — Gletscher erscheinungen in Maine.............................................................. 338
Cinundzwanzigstes Capitel. 1865—1868.
Vom 58.-61. Jahre.
Brief an seine Mutter mit der Ankündigung der brasilianischen Reise. — Skizze der Reise. — Freundlichkeit des Kaisers. — Entgegenkommen der brasilianischen Regierung. — Briefwechlel mit Karl Sumner. — Brief an seine Mutter am Schluß der brasilianischen Reise. — Brief von Martius über die Reise in Brasilien. — Rückkehr nach Cambridge. — Vorlesungen in Boston und Neu-Iork. — Sommer in Nahant. — Brief an Prof. Pierce über die Aufnahme des Bostoner Hafens. — Tod seiner Mutter. — Krankheit. — Korrespondenz mit Oswald Heer. — Sommerreise in den Westen. — Cornell-Universität. — Brief von Longfellow.........................................................................................358
Zweiundzwanzigstes Capitel. 1868-1871.
Vom 61.-64. Jahre.
Neue Subskription für das Museum. — Weitere Anbape. — Aufstellung Agassiz'S Leden und Briefwechsel.
*
X
Inhalt.
Seite neuer Sammlungen. — Schleppneh-Unternehmungen an Bord des Bibb. — Rede zum Humboldt-Jubiläum. — Gehirn-Affektion. — Arbeitseinstellung. — Arbeitskräfte am Museum. — Neue Erwer bungen. — Brief von Prof. Sedgwick. — Brief von Prof. Deshayes. — Wiederherstellung. — Vorschlag zur Haßler-Reise. — Annahme. — Wissenschaftliche Vorbereitungen zur Reise............................................ 383
Dreiundzwanzigstes Capitel. 1871— 1872.
Vom 64.-65. Jahre.
Abfahrt des Haßler. — Sargasso-Wiesen. — Tiefseeforschungen in Barba does. — Von Westindien nach Rio de Janeiro. — Monte Video. — Quarantaine. — Gletscherspuren in der Bai von Monte Video. — Der Golf von Mathias. — Tiefseeuntersuchungen beim Golf von St. George und am Kap Virgens. — Possession-Bai. — Salzteich. — Moräne. — Sandy Point. — Seefahrt durch die Meerengen. — Landschaft. — Sturm. — Borja-Bai. — Gletscher besuch. — Chorocua-Bai................................................................................399
Vierundzwanzigstes Capitel. 1872.
65. Jahr.
Picknick in der Sholl-Bai. — Feuerländer. — Smythe-Kanal. — Ver gleichung der Gletscherverhältnisfe mit denjenigen der Magellanstraße. — Ancud. — Hafen von San Pedro. — Concepcion-Bai. — Drei Wochen in Talcahuano. — Sammlungen. — Geologie. — Landreise nach-Santjago. — Aussichten von der Straße. — Bericht an Pros. Pierce über Gletscherbeobachtungen. — Ankunft in Santjago. — Wahl zum auswärtigen Mitglied des Institut de France — Valparaiso. — Die GalpagoS. — Geologische und zoologische Beobachtungen. — Ankunft in San Franzisko........................................ 421
Fünfundzwanzigstes Capitel. 1872— 1873.
Vom 65.-66. Jahre.
Rückkehr nach Cambridge. — Plan einer Sommerschule. — Agassiz's Inter esse daran. — Geschenk von Mr. Anderson. — Prospekt der PenikeseSchule. — Schwierigkeiten. — Eröffnung der Schule. — Sommer arbeit. — Schluß der Schule. — Letzte Vorlesungen am Museum. Vorlesung vor der Ackerbau-Kommission. — Krankheit. — Tod. — Begräbnißplah . ........................... '...................................................... 438
Erstes Capitel. 1907-1827. Bis zum 20. Jahre. Geburtsort. — Mütterlicher Einfluß. — Frühe Liebe zur Staturgeschichte. — Beschäftigungen des Knaben. — Häusliche Erziehung. — Erster Schulunterricht. — Ferien. — Verzicht auf den kaufmännischen Beruf. — College in Lausanne. — Wahl eines Berufs. — Medicinische Schule in Zürich. — Leben und Studien daselbst. — Universität Heidelberg. — Unterbrechung der Studien durch Krank heit. — Rückkehr nach der Schweiz. — Beschäftigungen während der Genesung.
Jean Louis Rodolphe Agassi; wurde am 28. Mai 1807 in dem Dorfe Motier am Murtner See geboren.
Sein Vater, Louis Agassi;,
war Pfarrer; seine Mutter, Rose Mayor, die Tochter eines Ar;tes, der in Cudrefin, an dem Ufer des Neuenburger Sees wohnte. In der Schwei; ;eichnen sich die Pfarrhäuser meist durch eine
freundliche und malerische Lage aus.
In besonderem Maße war
dies in Motier der Fall, wo das Pfarrhaus an einen Hügel ange
lehnt war und Aussicht über den See und die gan;e Kette der Berner
Alpen gewährte.
Es erfreute sich eines Weinbergs, der groß genug
war, um in guten Jahren einen Zuschuß ;u dem kleinen Einkommen des
Pfarrers ;u liefern, eines Obstgartens, welcher unter anderen Bäumen einen Aprikosenbaum enthielt, bfffen Früchte ihrer Fülle und ihrer tadellosen Schönheit wegen in der gan;en Umgegend berühmt waren,
eines guten Gemüsegartens und einer köstlichen Quelle, welche sich immer frisch und klar in ein großes, hinter dem Hause befindliches steinernes Becken ergoß. Dieses Steinbecken war Agassi;'s erstes Aquarium; es diente seiner ersten Fischsammlung ;ur Wohnung*). ■*) Nach seinem Tode bewiesen die Bewohner seines Geburtsorts die treue Anhänglichkeit, welche sie seinem Gedächtniß bewahrten, durch Anbringung einer Marmortafel über der Thür des Pfarrhauses von Motier, welche die Inschrift trug: J. Louis Rodolphe Agassiz, le celebre naturellste est ne dans cette tnaison le 28. Mai 1807.
Agasflz'e 8rbcn und Briefwechsel.
Erstes Capitel.
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Es scheint nicht, daß er sich durch eine frühreife Liebe zum Lernen ausgezeichnet hat. Seine Eltern, welche ihn während der
ersten zehn Jahre seines Lebens unterrichteten, waren zu einsichtsvoll,
um ihn anzutreiben, das seinem Alter entsprechende Maß von Geistes bildung zu überschreiten.
Seine Mutter, welche ihre ersten vier
Kinder in zartem Alter verloren hatte, überwachte seine Kindheit mit
ängstlicher Sorge.
Vielleicht war dies die Ursache, daß sie dem
Knaben so innig nahe trat und ein Verständniß dafür gewann, daß
seine Liebe zur Natur und besonders zu allen lebenden Wesen als eine ganz bestimmte Geistesrichtung angesehen werden mußte und
nicht nur als die, den meisten Kindern eigene Neigung, die Thiere in ihrer Umgebung zu Freunden und Spielkameraden zu machen. In späteren Jahren verlieh ihr diese Fühlung mit ihrem Sohne den
Schlüssel zu seiner Lebensarbeit, wie sie ihr zum Verständniß seiner Knabenspiele geholfen hatte.
Sie blieb seine innigste Freundin bis
zur letzten Stunde ihres Lebens und
er überlebte sie nur sechs
Jahre. Louis' Liebe zur Naturgeschichte zeigte sich schon von Kindheit an.
Als ganz kleiner Bursche hatte er außer seiner Fischsammlung
alle Arten von Lieblingsthieren: Vögel, Feldmäuse, Hasen, Kanin
chen, Meerschweinchen u. s. w., deren Familien er mit größter Sorg
falt pflegte.
Mit Hilfe seiner Kenntnisse von den Verstecken und
Lebensgewohnheiten der Fische, bildete er sich und seinen Bruder
August zu äußerst gewandten jungen Fischern aus, deren Kunst ganz
unabhängig von Angel, Netz oder Leine, nach einem eigens erfun denen Verfahren ausgeübt wurde.
Ihre Jagdgründe waren die
Löcher und Spalten unter den Steinen oder in den vom Wasser
ansgewaschenen Mauern des Seeufers.
Kein solcher Schlupfwinkel
war sicher vor ihren begehrlichen Fingern, und sie erlangten eine solche Geschicklichkeit, daß sie während des Badens die Fische selbst
im offenen Wasser greifen konnten, indem sie sie durch allerlei Kunst griffe, welchen die Fische wie einer Art von Bezauberung unter lagen, herbeilockten.
Mit solchen Unterhaltungen ergötzen sich ohne
Zweifel viele auf dem Lande lebende Knaben und dieselben wären
der Erwähnung nicht werth, wenn sich nicht darin die Einheit von Agassiz's geistiger Entwicklung von ihren ersten Regungen an zeigte. Seine Lieblingsthiere regten Fragen in ihm an, deren Beantwortung
3
Knaben- Beschäftigungen.
die Aufgabe seines Lebens wurde, und mit seiner ersten Sammlung
aus dem Murtner See fing sein genaues Studium der SüßwafserFische von Europa an, welche später Gegenstand eines seiner wich
tigen Werke wurden. Als Knabe diente ihm auch die in kleinem Maßstabe betriebene
Ausübung von allerlei Handwerken zur Unterhaltung.
Er bildete
fich damals ebensowohl zum Zimmermann, Schneider und Schuster, In den Schweizer Dörfern war es in
als zum Naturforscher aus.
jenen Tagen Sitte, daß die Handwerker von Haus zu Haus gingen,
um ihren Beruf auszuübcn.
Der Schuhmacher kam einige male
im Fahr mit all seinem Handwerkzeug und machte Schuhe für die ganze Familie; der Schneider nahm Maß zu Kleidungsstücken, welche
er im Hause anfertigte; der Böttcher fand sich vor der Weinlese ein,
um alle Tonnen und Fässer auszubessern oder neue anzufertigen und die abgenutzten Reifen zu ersetzen; kurz um den Keller für die
kommende Jahreszeit in Stand zu setzen.
Agassiz scheint in dem bei
diesen Leuten genommenen Unterricht eben so viel gelernt zu haben, Als ganz kleiner
als in demjenigen, welchen ihm sein Vater ertheilte.
Bursche konnte er ein gut passendes paar Schuhe für die Puppen
seiner Schwestern zuschneiden und zusammensetzen; auch war er kein
schlechter Schneider oder Böttcher und konnte ein vollständig wasser dichtes Fäßchen ansertigen.
Er erinnerte sich dieser an und für sich
unwesentlichen Thatsachen, weil sie einen nicht zu unterschätzenden Theil seiner Erziehung ausgemacht hatten.
Er pflegte zu sagen,
daß er seine Geschicklichkeit in allerlei Hantierungen großentheils der
Uebung des Blicks und der Hand verdanke, die er sich bei jenen
Kinderspielen angeeignet habe.
Obwohl er sich gern ruhigen Beschäftigungen im Hause hingab,
war er doch ein thatkräftiger, waghalsiger Knabe.
AIs er ungefähr
sieben Jahre alt war, lief er an einem Wintertage mit seinem Bruder August und einer Anzahl anderer Knaben in der Nähe des
Seeufers Schlittschuhe.
Die Kinder sprachen von
einer großen
Messe, welche an diesem Tage in der Stadt Murten auf der gegen
überliegenden Seite des Sees abgehalten wurde.
Herr Agassiz hatte
sich am Morgen dahin begeben, doch nicht auf dem Eis, sondern um
den See herum fahrend.
Der Gedanke, ihm dahin zu folgen, war
eine zu große Versuchung für Louis; er schlug seinem Bruder vor, 1*
4
Erstes Capitel.
mit ihm auf den Schlittschuhen hinüber zu laufen, den Vater auf
der Messe zu suchen und dann Nachmittags mit ihm heimzukehren. Sofort machten sie sich auf den Weg, während die anderen Knaben
auf dem ihnen zugewiesen Platz blieben bis zur Mittagsstunde und sich dann nach dem Dorfe zurückbegaben.
Frau Agassiz wartete auf
ihre Söhne, deren langes Ausbleiben ihr auffiel.
Man kann fich
ihren Schrecken denken, als sie auf ihre Erkundigungen bei der
zurückkehrenden Knabenschaar erfuhr, aus welches Abenteuer sie aus gegangen waren.
Der See war eine gute Drittelmeile breit und sie
wußte nicht, ob das Eis durchweg fest sei.
Mit einem Fernglas
eilte sie an eines der oberen Fenster, um zu sehen, ob sie ihre Kinder
irgendwo erspähen könnte.
Als sie ihrer schon in beträchtlicher Ent
fernung ansichtig wurde, hatte sich Louis gerade über einen im Eis befindlichen Spalt gelegt, um eine Brücke für seinen kleinen Bruder zu bilden, der dann auch über seinen Rücken hinüberkroch.
Die
Mutter schickte einen Arbeitsmann, einen vortrefflichen Schlittschuh
läufer aus, der ihnen so schnell als möglich nachfolgen sollte.
Er
holte sie ein, als sie gerade das gegenüberliegende Ufer erreicht hatten. Er dachte nicht daran, daß sie auf eine andere Weise heimkehren
könnten, als sie gekommen waren und so liefen sie auf ihren Schlitt
schuhen wieder über den See zurück.
Müde, hungrig und enttäuscht
kamen die Knaben nach Hause, ohne die Messe gesehen oder die Heim fahrt mit ihrem Vater genossen zu haben.
Als Agassiz zehn Jahre alt war, wurde er in eine Unterrichts anstalt für Knaben nach Biel geschickt und vertauschte so die leicht
gehandhabte häusliche Belehrung mit dem ernstlicheren Lernen aus einer öffentlichen Schule.
Er befand sich auf gleicher Stufe mit
seinen Altersgenossen, denn sein Vater war ein vortrefflicher Lehr
meister gewesen.
Es scheint in der That, als ob Agassiz's Leiden
schaft zum Lehren, sowie seine Liebe zu jungen Leuten und seine
Theilnahme an geistigen Bestrebungen jeder Art ein väterliches Erb-
theil gewesen sei.
Wo sein Vater auch als Pfarrer gelebt hatte, in
Motier, in Orbe und später in Conyise, überall hatte sich sein Einfluß
nicht nur von der Kanzel herab, sondern auch in den Schulen geltend gemacht.
Es existirt noch eine Silbermünze, ein in der Familie
werth gehaltenes Erbstück, welche ihm der Gemeinderath von Orbe in
Anerkennung seiner Verdienste um die dortige Schule verliehen hatte.
5
Schule in Biel.
Die Gesetze in der Bieler Schule waren ziemlich streng, aber das Leben, welches die Knaben führten, war ein gesundes und an regendes und die Spiele wurden ebenso eifrig betrieben, als das
Lernen.
Beim Rückblick auf sein Schulleben frug sich Agasfiz oft,
ob es in dem Klima oder an der Lehrmethode liege, daß das Leben in den öffentlichen Schulen in den Vereinigten Staaten so viel an greifender für die Gesundheit der Kinder sei, als dasjenige, in dem
er aufgewachsen war.
In den öffentlichen Schulen von Amerika hält
man die Knaben und Mädchen bei einer Unterrichtsdauer von fünf Stunden und ein- bis zweistündlicher häuslicher Arbeit für über bürdet.
In der Schule von Biel mußten die Knaben neun Stunden
arbeiten und waren dabei gesund und vergnügt.
Vielleicht liegt
das Geheimniß in der häufigen Unterbrechung des Unterrichts; nach zwei bis drei Lernstunden wurde
immer
Spielen oder Arbeiten eingeschoben.
Agassiz behielt sein Leben lang
eine Zwischenzeit
zum
eine angenehme Erinnerung von der Bieler Schule und ihren Lehrern.
Mit liebender Ehrfurcht, welche in reiferen Jahren in warme Freund schaft überging, sah er zu dem Direktor Rickley auf. Die Ferien wurden natürlich mit Freuden begrüßt und da
Motier nur drei und eine halbe Meile entfernt war, so pflegten Agassiz und sein jüngerer Bruder, der ihm einige Jahre später in
die Schule nachgefolgt war, den Weg dahin zu Fuß zurückzulegen. Das Leben der beiden Brüder war in ihrer Jugend so innig ver
woben, daß während vieler Jahre die Geschichte des einen auch die des anderen einschließt.
Sie besaßen alles gemeinschaftlich, und mit
ihren kleinen Ersparnissen pflegten sie Bücher zu kaufen, welche von
Louis ausgewählt wurden und welche die Grundlage seiner späteren
Bibliothek bildeten. Am ersten Ferientag befanden sich die beiden munteren blühenden Knaben schon auf ihrem Heimmarsch ehe der Morgen dämmerte und freuten sich königlich auf ihren Ferienaufenthalt, besonders wenn
die Sommerernte oder die Weinlese bevorstand. damals, wie heute noch, eine große Festzeit.
Die letztere war
Sie mag in unseren
Tagen etwas von ihrem ursprünglichen malerischen Reiz verloren
haben, aber in Agassiz's Knabenjahren galt die Weinlese mit ihrer Vereinigung von Arbeit und Lustbarkeit, noch als eine so wichtige Sache, daß während ihrer Dauer alle gewohnten Beschäftigungen
Erstes Capitel. eingestellt wurden.
An dem dazu festgesetzten Tage konnte man die
Arbeiter aus den benachbarten Kantonen, in welchen es keine Wein berge gab, herbeikommen sehen, um ihre Hilfe bei der Weinlese an zubieten. Entweder verbrachten sie die Nacht im Freien oder sie
fanden Obdach in Scheunen und Ställen.
Auf dem Fußboden des
Schuppens und der Scheune des Pfarrhauses von Motier lagerten zur Zeit der Weinlese des Abends immer so viele müde Arbeiter,
als nur irgend Platz fanden.
Für die Kinder waren diese Tage,
namentlich bei schönem Wetter, sehr genußreich.
Im Eingang des
Hauses oder in dem Wohnzimmer stand ein großer Korb hoch auf
gefüllt mit weißen und rothen Trauben, und Jung und Alt konnte
beim Kommen und Gehen nach Belieben zugreifen.
Dann gab es
allerlei Lustbarkeiten in dem Weinberg, große Becher süßen Mostes und am letzten Abend einen Ball zum Schluß des Festes.
Manchmal brachten die Knaben ihre Ferien in Cudrefin bei ihrem Großvater Mayor zu.
Er war ein freundlicher alter Mann,
sehr angesehen in seinem Beruf und seiner Wohlthätigkeit wegen sehr beliebt. Sein kleines weißes Pferd war auf allen Straßen und Feld wegen im ganzen Umkreis bekannt und er besuchte die Kranken in
allen umliegenden Dörfern.
Die Großmutter war von schwacher
Gesundheit, aber ein großer Liebling der Kinder, für welche sie immer eine große Menge von Geschichten, Versen und geistlichen Liedern vorräthig hatte.
Tante Lisette, die unverheirathete Tochter,
welche in einem langen Leben die Gastfreundschaft des Hauses in Cudrefin aufrecht hielt und von zwei Generationen von Nichten und Neffen als die beste aller Jungserntanten geliebt wurde, sorgte für das körperliche Wohl der Familienzusammenkünste, bei welchen all
jährlich das Lob ihrer vortrefflichen Küche gesungen wurde.
Das
Haus war dehnbar; alle Ankömmlinge wurden ausgenommen, ohne
Frage nach ihrer Zahl; und es kamen immer so viele als konnten, je mehr je besser und die gute Bewirthung litt dabei keine Noth.
Am Sonntag nach Ostern
war
ein
großes Volksfest.
Es
wurden in jedem Hause Eier gefärbt und Pfannkuchen gebacken. Die jungen Mädchen und Burschen des Dorfs, die ersteren in ihren schönsten Kleidern, die letzteren mit großmächtigen Sträußen von
künstlichen Blumen an ihren Hüten gingen am Mittag zusammen in die Kirche.
Nachmittags fand der übliche Wettlauf zwischen zwei
Osterfest in Gilbtest«.
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von der Dorfjugend gewählten Burschen statt.
Sie waren weiß ge
kleidet und mit bunten Bändern geschmückt.
Mit Musik an der
Spitze und einem Gefolge von jungen Leuten zogen sie in Procession
zu dem Platze, auf welchem eine Menge von Ostereiern auf der
Erde ausgebreitet war.
Auf ein Zeichen trennten sich die Läufer,
der eine, um die Eier auf dem vorgeschriebenen Laufe aufzulesen, der andere, um nach dem nächsten Dorfe und wieder zurück zu laufen.
Der Sieg fiel demjenigen zu, der seine Aufgabe zuerst ge
löst hatte und er wurde zum König des Festes ausgerufen.
Hand
in Hand kehrten dann die Läufer zurück, gefolgt von ihren Kameraden,
um an dem Tanze Theil zu nehmen, welcher jetzt vor dem Hause des Dr. Mayor stattfand.
Nach einer Weile wurden die Festlich
keiten durch kurze Anrede des ersten Musikanten in patois unter
brochen, welche damit schloß, daß er von seiner Erhöhung aus einen besonderen Tanz zu Ehren der Familie des Dr. Mayor ankündigte.
An diesem Tanz nahm die Familie nebst einigen ihrer Freunde und Nachbarn theil; die jungen Damen tanzten mit den Bauernburschen
und die jungen Herrn mit den Dorsmädchen, während die älteren einen Kreis bildeten und zusahen.
Die vier Jahre, welche Agassi; dem Wunsche seiner Eltern ge mäß in Biel zubringen sollte, gingen allmälig unter Arbeit und Er
holung zu Ende.
Ein vergilbtes abgenutztes Blatt Papier, auf
welches er während der letzten Jahre seines Schullebens seine Wünsche
in Betreff von Büchern aufschrieb, und seinen Bestrebungen
zeugt von seinen Fortschritten
im Alter von vierzehn Jahren.
„Ich
wünsche", so heißt es darauf, „in den Wissenschaften vorwärts zu kommen und dazu bedarf ich d'Anville, Ritter, ein italienisches Wörterbuch, einen griechischen Strabo, Männert und Thiersch und und außerdem die Schriften von Malte-Brun und Seyfert.
Ich
habe beschlossen, sofern es mir gestattet wird, ein Schriftsteller zu
werden und gegenwärtig kann ich in folgenden Fächern nicht vor wärts kommen:
1) In alter Geographie, denn ich kann schon alle
meine Notizbücher auswendig und habe keine anderen Bücher, als die, welche Rickley mir leiht; ich muß d'Anville oder Männert haben;
2) in neuer Geographie habe ich nur den Osterwalde, welcher nicht mit den neuen Eiutheiluugeu stimmt; dafür müßte ich Ritter oder
Malte-Brun haben; 3) für das Griechische brauche ich eine neue
8
Erstes Capitel.
Grammatik und werde den Thiersch wählen; 4) fehlt mir ein italieni
sches Wörterbuch; 5) brauche ich für das Lateinische
eine größere
Grammatik als meine bisherige und ich möchte gern die von Seyfert
haben; 6) sagt mir Herr Rickley, daß er mir, da ich Geschmack an
Geographie habe, eine griechische Stunde geben wolle (gratis), in der wir den Strabo übersetzen könnten, vorausgesetzt, daß ich mir einen verschaffen kann.
zwölf Louisd'ors haben.
Für alle diese Einkäufe müßte ich ungefähr Ich möchte bis zum Juli in Biel bleiben
und dann meine anderthalbjährige kaufmännische Lehrlingszeit in Neuchätcl abdienen.
Dann möchte ich vier Jahre auf einer deutschen
Universität zubringen und endlich meine Studien in Paris beendigen
und etwa fünf Jahre dort bleiben.
Dann im Alter von fünf nnd
zwanzig Jahren könnte ich anfangen zu schreiben."
Agassiz's Aufschreibebücher, die von seinen Eltern, welche die Entwicklung ihrer Kinder mit dem größten Interesse verfolgten, sorg
fältig aufbewahrt wurden, legen Zeugniß ab von seinen eifrigen Ar beiten, sowohl in der Schule, als auf dem College. Es ist ein
ganzer Stoß von Manuskripten, mit den Schreibheften des Schul
knaben beginnend und von den sorgfältig ausgezeichneten Berichten des Schülers der höheren Lehranstalt gefolgt, mit kurzen Unter brechungen bis zu seinem neunzehnten Jahre fortgesetzt.
Die spä
teren Bände sind beinah von Quartgröße und sehr dick; einige davon
enthalten vier- bis sechshundert engbeschriebene Seiten.
Die Hand
schrift ist klein, wahrscheinlich der Raumersparniß halber, aber sehr deutlich.
Sie sind physiologischen, pathologischen und anatomischen
Inhalts, mehr oder weniger mit allgemeiner Naturgeschichte unter mischt. Diese Bücher sind mit äußerster Sauberkeit geführt. Von Anfang an findet sich eine sorgfältige Trennung der Gegenstände
unter deutlich bezeichneten Aufschriften, in welchen sich schon eine Neigung zu geordneter Eintheilung von Thatsachen und Gedanken
offenbart. Aus der kindlichen Skizze seiner zukünftigen Pläne ist ersichtlich, daß ihm schon damals die Hoffnung dämmerte, der kaufmännischen Laufbahn, für welche er bestimmt war, zu entgehen.
Er hatte den
Reiz des Studirens kennen gelernt und seine wissenschaftlichen Nei gungen, wenn sie auch bis jetzt mehr zur Unterhaltung und noch nicht als ernstliche Forschungen betrieben worden waren, nahmen
9
College in Lausanne.
immer mehr überhand.
Er war fünfzehn Jahre alt und der Zeit
punkt, zu welchem er, einer längst getroffenen Bestimmung gemäß in das Geschäft seines Onkels Francois Mayor in Neuchätel eintreten sollte, rückte heran. Er erbat sich einen Aufschub von zwei Jahren,
die er auf dem College von Lausanne zuzubringen wünschte.
Seine
Bitte wurde von mehreren seiner Lehrer und besonders von Herrn
Rickley unterstützt, welcher in seine Eltern drang,
die auffallende,
Begabung und den Lerneifer ihres Sohnes zn berücksichtigen.
Es
kostete nicht viel Mühe, sie dazu zu überreden; war es doch nur
Mangel an Mitteln und nicht an gutem Willen, welcher ihnen eine Beschränkung in der Gewährung aller Vortheile einer guten Erziehung
für ihre Kinder auferlegte.
Es wurde also beschlossen, Louis nach Lausanne gehen zu lassen. Dort wurde seine Liebe für alles, was sich auf das Studium der
Naturgeschichte bezog, befestigt.
Professor Chavannes, Direktor des
Kantonal-Museums, an welchem er nicht nur einen interessanten Lehrer, sondern auch einen wohlwollenden Freund sand', der seine
wissenschaftlichen Neigungen theilte, besaß die einzige natnrgeschichtliche Sammlung im Kanton Waadt.
Zutritt.
Zu dieser erhielt Agassiz nun
Sein Onkel Dr. Mayor, der Bruder seiner Mutter, ein
angesehener Arzt in Lausanne, dessen Meinung großes Gewicht bei Herrn und Frau Agassiz hatte, fand auch Wohlgefallen an dem leb haften Geist des Knaben und seinem Interesse an Anatomie und
ähnlichen Gegenständen.
Er gab den Rath, daß man seinen Neffen
Medicin stndiren lassen solle, und als dieser daß College in Lausanne
durchgemacht hatte, wurde der kaufmännische Plan endgültig auf gegeben und ihm gestattet, sich dem ärztlichen Beruf, als dem seinen
Neigungen am meisten entsprechenden, zu widmen. Als Agassiz siebzehn Jahre alt war, bezog er die medicinische
Schule von Zürich.
Hier kam er zum erstenmale mit Männern
in Berührung, welche durch eigene Forschungen auch ihrem Unterricht mehr Anregung und Bedeutung verliehen.
Sehr viel verdankte er
insbesondere dem Professor Schinz, einem sehr tüchtigen, gelehrten Manne, der den Lehrstuhl für Naturgeschichte und Physiologie inne hatte, und der das wärmste Interesse an den Fortschritten seines
Schülers zeigte.
Er gab Agassiz sowohl den Schlüssel zu seiner
Privatbibliothek, als zn seiner Vogelsammlnng. Diese Vergünstigung
Erstes Capitel.
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war von großem Werth für ihn, da seine Verhältnisse ihm die An
schaffung von Büchern unmöglich machten.
Manche Stunde brachte
der junge Student damit zu, Bücher abzuschreiben, zu deren Ankauf seine Mittel nicht ausreichten, wenn auch manche davon nur fünf
Franken kosteten.
Sein Bruder August, der noch immer sein be
ständiger Gefährte war, nahm Theil an dieser Arbeit, die von seiner
Seite nur reines Liebeswerk war, denn Louis bedurfte der Bücher viel mehr zu seinem Studium, als er.
Während der zwei Jahre, welche Agassiz in Zürich zubrachte,
sah er wenig von der Gesellschaft außerhalb der Universitätsmauern. Er hatte mit seinem Bruder eine angenehme Wohnung in einem
Privathause gefunden, wo sie an dem Familienleben ihrer Hauswirthe Theil nahmen.
In Begleitung
derselben
ersten größeren Ausflug in die Alpen.
brachten oben die Nacht zu.
machte Agassiz seinen
Sie bestiegen den Rigi und
Gegen Sonnenuntergang zog sich ein
gewaltiges Gewitter unter ihnen zusammen, während auf dem Gipfel
des Berges die Luft ganz klar und ruhig blieb.
Unter dem blauen
Himmel sahen sie den Blitzen zu und hörten den Donner in den
dunklen Wolken, welche Ströme von Regen über das unten liegende Land und den Vierwaldstätter See ergossen.
Das Gewitter dauerte
bis tief in die Nacht hinein und Agassiz verweilte noch im Freien, nachdem alle seine Gefährten sich zur Ruhe zurückgezogen hatten, bis sich endlich die Wolken langsam vertheilten und das Licht des Mondes und der Sterne auf die Landschaft und den See durch
brechen ließen.
Er pflegte zu sagen, daß er auf keinem seiner späteren
Alpenausflüge Zeuge eines großartigeren und schöneren Naturschau spiels geworden sei. Seine Briefe aus Zürich haben, soweit sie erhalten blieben, nur
Jntereffe für die Familie. Nur in einem derselben berührt er eine selt same Begegnung, welche leicht den ganzen Lauf seines Lebens geändert
hätte.
Er begab sich mit seinem Bruder in den Ferien von Zürich
nach der Heimath, welche jetzt nach Orbe verlegt war, wo sich seine Eltern seit 1821 niedergelassen hatten.
Zwischen Neuchätel und
Orbe wurden sie von einem Reisewagen eingeholt.
Der Herr, welcher
der einzige Insasse war, lud sie zum Einsteigen ein, ließ sie an seinem Frühstück theilnehmen, sprach mit ihnen von ihren Studien und ihren zukünftigen Plänen und fuhr sie bis an das Pfarrhaus,
Medicinische Schule in Zürich.
wo er sich ihren Eltern vorstellte.
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Einige Tage später erhielt Herr
Agassiz einen Bries von diesem durch Zufall gemachten Bekannten, welcher damals in Gens lebte und, wie sich später herausstellte, ein
Mann in glänzenden Verhältnissen und hoher gesellschaftlicher Stellung war.
Er schrieb an Herrn Agassiz, daß er sich ganz merkwürdig
von seinem ältesten Sohn Louis angezogen fühle und wünsche, ihn
an Kindesstatt anzunehmen und für die Zukunft alle Sorge und Verantwortlichkeit für seine Erziehung und sein Fortkommen in der
Welt zu tragen.
Pfarrhaus.
Dieser Vorschlag fiel wie eine Bombe in das stille
Herr Agassiz war arm und jeder Vortheil für die Kinder
wurde mit mühsamen Opfern von Seiten der Eltern erkauft.
Wie
konnte man eine solche Aussicht für eines unter ihnen, und besonders
für ein so begabtes, von der Hand weisen? Nach sorgenvoller Ueber« legung entschloß sich der Vater jedoch mit voller Einstimmung seines
Sohnes, ein Anerbieten abzulehnen, welches, so glänzend es auch
erschien, eine Trennung bedingte und eine schiefe Stellung herbei führen konnte. Ein Briefwechsel wurde Jahrelang zwischen Louis und dem so plötzlich gewonnenen Freunde, welcher fortfuhr sich für
ihn zu interessiren, geführt. Obwohl diese Begebenheit keine weiteren Folgen hatte, so ist sie
doch erwähnenswerlh, weil sie zeigt, welch eine persönliche Anziehungs kraft Agassiz schon als Knabe unbewußt auf Andere ausübte. Von Zürich begab sich Agassiz nach der Universität Heidelberg,
wo wir ihn im Frühjahr 1826 antreffen.
An seinen Vater.
Heidelberg, d. 24. April 1826. . ... Da ich früh genug hier angekommen bin, um vor Eröffnung der Vorlesungen was von der Umgegend zu sehen, so beschloß ich, jeden Tag einen Ausflug nach einer oder der anderen Richtung zu machen, damit ich das Land kennen lerne. Es ist mir um so lieber, daß ich dies gethan habe, weil mir gesagt worden ist, daß nach
Beginn der Vorlesungen
sich keine Gelegenheit zu solchen Unter
brechungen finden wird, da wir dann genöthigt sein werden, fleißig
im Hanse hinter unserer Arbeit zu bleiben. Unser erster Ausflug war nach Neckarsteinach, zwei und eine halbe Meile von hier. Die Straße folgt dem Neckar und erhebt
12
Erstes Capitel.
sich an einzelnen Punkten kühn über den Fluß, der zwischen zwei
Hügelreihen hinfließt, die von Felsen unterbrochen werden, welche oft auf beiden Seiten hervorstehen und eine Farbe wie rothe Kreide haben.
Weiterhin verbreitert sich das Thal und eine reizende Er
höhung, von Ruinen bekrönt, zeigt sich plötzlich dem Blick inmitten einer weiten Ebene, auf welcher Schafe weiden.
Neckarsteinach selbst
ist ein kleines Dorf, welches jedoch drei Schlösser besitzt, von denen
zwei Ruinen sind.
Das dritte ist noch bewohnt und hat eine
wundervolle Aussicht.
Abends
kehrten wir im Mondschein nach
Heidelberg zurück.
An einem anderen Tage bestiegen wir „den Berg", wie man ihn hier nennt, obwohl er kaum höher als der Suchet ist.
Da man
dort nichts zu essen bekommt, so nahmen wir die nöthigen Vorräthe
mit.
Das machte uns so viel Spaß, daß ich Dir erzählen muß,
wie Alles zuging.
Des Morgens kaufte Z. auf dem Markte so viel
Kalbfleisch, Leber und Speck, als es für drei Personen aus zwei Tage nöthig war.
Diesen
Vorräthen
wurde
Salz,
Pfeffer,
Butter,
Zwiebeln, Brod und einige Krüge Bier hinzugefügt. Einer von uns nahm zwei Kochtöpfe und etwas Spiritus mit. Als wir auf dem
Gipfel unseres Berges ankamen, suchten wir einen geeigneten Platz aus und kochten da unser Mittagessen.
Es dauerte nicht lang und
ich kann nicht sagen, daß alles nach den Regeln der Kochkunst ge macht wurde.
schmeckt hat.
Aber das weiß ich, daß nie eine Mahlzeit besser ge Wir wanderten den Nachmittag auf dem Berge umher
und kamen Abends an ein Haus, in welchem wir uns das Abend essen auf dieselbe Weise zubereiteten, zur großen Verwunderung der
versammelten Hausgenossen, insbesonders einer alten Frau, die sehr
bedauerte, daß ihr Mann nicht mehr lebte, da ihn das sehr ergötzt
haben würde.
Wir schliefen an der Erde auf etwas Stroh und
kehrten am anderen Tag zum Mittagessen nach Heidelberg zurück. Am folgenden Tag gingen wir nach Mannheim, um das Theater zu besuchen.
Es ist sehr schön und gut besetzt und wir waren so
glücklich, eine vortreffliche Oper zu hören.
Sonst sah ich nichts in
Mannheim, außer dem Haus von Kotzebue und dem Platz, auf welchem
Sand hingerichtet wurde.
Heute habe ich meine Besuche bei den Professoren gemacht. Für drei von ihnen hatte ich Briefe von den Professoren Schinz und
13
Briefe aus Heidelberg.
Hirzei.
Ich wurde von allen auf die freundlichste Weise empfangen.
Professor Tiedemann,
der Kanzler, ist ein Mann etwa im Alter
des Vaters, aber jung für seine Jahre.
Er ist so wohlbekannt, daß
ich nicht nöthig habe, hier sein Lob zu singen. sagte,
Sobald ich ihm
daß ich einen Brief aus Zürich für ihn gebracht hätte,
begegnete er mir mit größter Höflichkeit, bot mir Bücher aus seiner Bibliothek an, mit einem Wort: er sagte, er wollte hier für mich
was
sein,
Professor
Schinz,
bei
in Zürich für mich gewesen sei
dem
er
studirt hatte,
früher
Nach Beginn der Vorlesungen,
wenn ich diese Herren besser kenne, will ich Euch mehr von ihnen
sagen.
Ich habe nun noch meine Wohnung, das Zimmer, den Garten
und die Hausleute zu beschreiben, u. s. wDer nächste Brief füllt diesen Rahmen aus.
An seinen Vater. 24. Mai 1826. .... Deinem Wunsche gemäß, will ich Dir nun alle möglichen
Einzelheiten über meinen Hauswirth, die Ausfüllung meiner Zeit u.f.ro.
schreiben.
Herr. .., „mein Philister", ist ein Tabakhändler in guten
Verhältnissen, der ein hübsches Haus in der Vorstadt besitzt.
Meine
Fenster übersehen die Stadt und meine Aussicht ist durch einen
Hügel begrenzt, der im Norden von Heidelberg liegt.
Hinter dem
Hause ist ein großer und schöner Garten, an dessen Ende sich ein
sehr hübsches Sommerhäuschen befindet.
Es sind auch verschiedene
Baumgruppen in dem Garten und ein mit einheimischen Vögeln ge
fülltes Bauer....
Da seit Beginn der Vorlesungen jeder Tag nur eine Wieder holung des vorhergehenden ist, so wird Dir die Beschreibung eines
einzelnen eine 'Vorstellung aller geben, besonders da ich ganz ge treulich den Studienplan verfolge, den ich mir gemacht habe.
Jeden
Morgen stehe ich um sechs Uhr auf, ziehe mich an und frühstücke. Um 7 Uhr gehe ich in meine Vorlesungen, welche Vormittags in dem
Museumsgebäude gehalten werden, neben welchem sich das anatomische Laboratorium befindet.
Wenn ich in der Zwischenzeit eine freie
Stunde habe, was zuweilen von zehn bis elf der Fall ist, so fülle
ich sie aus, indem ich anatomische Präparate mache.
davon und von
dem Museum
Ich werde Dir
ein andermal mehr sagen.
Von
Erstes Capitel.
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zwölf bis ein Uhr übe ich mich im Fechten.
Wir essen um ein Uhr,
und nachher gehe ick bis zwei spazieren und kehre dann nach Hause Von fünf bis sechs
und zu meinen Studien zurück bis fünf Uhr.
haben wir Vorlesung bei dem berühmten Tiedemann.
bade ich entweder im Neckar oder gehe spazieren.
Nach derselben
Von acht bis neun
arbeite ich wieder für mich und gehe dann, je nach Neigung in den Schweizer Klub, oder wenn ich müde bin, zu Bett.
Ich halte meine
Abendandacht und spreche im Geiste mit Euch, in dem Glauben, dass Ihr zu dieser Stunde auch Euern Louis nicht vergeßt, der Euer
immer gedenkt.
Sobald ich es weiß, denn bis jetzt kann ich es noch
nicht genau beurtheilen, will ich Euch so genau wie möglich schreiben,
wie hoch sich meine Ausgaben belaufen werden.
Manchmal wird
eine unvorhergesehene Ausgabe kommen, wie sechs Kronenthaler für die Jmmatriculationskarte.
Aber Dn kannst überzeugt sein, daß ich
mich jedenfalls aus das allernöthigste beschränken und mein Bestes
thun werde, um zu sparen.
Das Gleiche gilt für die wahrscheinliche
Dauer meines Aufenthalts in Heidelberg; ich werde denselben gewiß
nicht unnöthig in die Länge ziehen .... Die Wege der Brüder hatten sich nun zum ersten Male ge
trennt.
August kehrte von Zürich nach Neuchütel zurück, wo er in
das Geschäft eintrat.
Es begab sich jedoch, daß Louis bei einer der
ersten Bekanntschaften, die er in Heidelberg machte, nicht nur einen
gleichgesinnten Kameraden, sondern einen Freund auf Lebenszeit und
späterhin eine» Bruder fand.
Professor Tiedemann, von welchem
Agassi; so freundlich ausgenommen worden war, hatte ihm an
empfohlen, die Bekanntschaft des jungen Alerander Braun zu machen, eines eifrigen Studenten und besonderen Liebhabers der Botanik. In Tiedemann's Vorlesung am folgenden Tage wurde Agassiz Auf-
merksamkeit durch einen jungen Mann gefesselt, der neben ihm saß
und sorgfältige Notizen und Zeichnungen machte.
Es war etwas
sehr Gewinnendes in seinem ruhigen sanften Gesicht, voll Wohl
wollen und Geist.
Aus der Art, wie er der Vorlesung zuhörte und sie
niederschrieb, schloß Agassiz, daß dies der Student sein müsse, von welchem ihn« Tiedemann gesprochen hatte.
Als nach abgelaufener
Stunde sich beide erhoben, wandte sich Agassiz zu seinem Nachbar und sagte:
„Sind Sie Alexander Braun?"
„Ja, und Sie Louis
Universitätsleben in Heidelberg.
Agassiz?"
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Es scheint, daß Professor Tiedemann, der einen ebenso
scharfen Blick für Verwandtschaften in der moralischen wie in der
physikalischen Welt hatte, auch Braun angerathen hatte, die Be kanntschaft des jungen Schweizer Naturforschers zu machen, der kürz
lich eingetrosfen und voll Begeisterung für sein Studium sei.
Die
beiden jungen Leute verließen den Hörsaal zusammen und von dieser
Zeit an wurden ihre Studien, ihre Exkursionen, ihre Unterhaltungen gemeinschaftlich unternommen und betrieben.
Wenn sie auf ihren
weiten Ausflügen Exemplare aus ihren verschiedenen naturgeschichtlichen Bereichen sammelten, lernte Braun Zoologie von Agassi; und dieser hinwiederum Botanik von Braun.
Diesem Umstand ist es
vielleicht zuzuschreiben, daß Alexander Braun — später Direktor des botanischen Gartens in Berlin — besser in Zoologie bewandert war,
als andere Botaniker, während Agassiz ausgedehntes botanisches Wissen mit seiner Kenntniß des Thierreichs verband. Daß die An ziehung eine gegenseitige war, kann aus folgendem Auszug eines
Briefes von Alexander Braun an seinen Vater gesehen werden*). Braun an seinen Vater.
Heidelberg, 12. Mai 1826. .... In meinen freien Stunden gehe ich auf den Secirsaal,
wo ich mit einem anderen jungen Naturforscher, welcher als ein
sehr seltener Comet am Heidelberger Himmel erschienen ist, allerlei
Gethier zergliedere, z. B. Hunde, Katzen, Vögel und selbst kleinere Thiere, wie Schnecken, Raupen, Käfer, Würmer n. s. w.
Dazu lassen
wir uns immer von Tiedemann die besten Bücher zum Vergleiche
geben, denn er hat eine herrliche und für Anatomie ganz vollstän dige Bibliothek und ist ganz besonders freundschaftlich und gefällig gegen uns. Des Nachmittags habe ich von zwei bis drei pharmaceutische Chemie bei Geiger und von fünf bis sechs vergleichende Anatomie
bei Tiedemann.
In der Zwischenzeit gehe ich zuweilen mit dem
neuangekommenen Naturforscher (welcher Agassiz heißt und aus Orbe *) Die Briefe von A. Braun an seine Eltern, welche hier ausgenommen sind, ebenso wie die später folgenden an Agassiz und diejenigen von Agassiz an Braun sind nicht aus dem englischen in's deutsche zurücküberseht, sondern nach
den deutschen Origiualbricfe» abgedruckt.
Anmerk. d. Nebers.
Erstes Capitel.
16
ist) auf den Thier- uud Pflanzenfang, wo wir dann nicht nur alles
mögliche sammeln und kennen lernen,
sondern auch Gelegenheit
haben uns unsere Ansichten über allerlei naturhistorische Gegenstände
mitzutheilen.
Ich lerne sehr viel von ihm, denn er weiß in der
Zoologie mehr als ich.
Er kennt fast alle bekannten Säugethiere;
die Vögel erkennt er schon von weitem am Gesang und jeden Fisch, den er im Wasser sieht, weiß er zu benennen.
Wir waren schon öfter
des Morgens miteinander auf dem Fischmarkt, wo er mir alle Arten bestimmt und erklärt hat.
Er will mich auch das Ausstopfen der
Fische lehren, und dann wollen wir eine Sammlung aller einheimi
schen Fische anlegen.
Er weiß aber auch noch andere nützliche
Sachen: deutsch und französisch spricht er gleich gut und auch ziem lich fertig englisch und italienisch, weßhalb ich ihn auch schon zu
meinem Dollmetsch ernannt habe, wenn wir einmal eine Ferien reise nach Italien machen.
Auch die alten Sprachen kennt er gut.
Er studirt auch Medicin, nebenbei .... Einige Zeilen Brauns an seine Mutter, die mehrere Wochen
später geschrieben sind, zeigen, daß die erste Begeisterung, welche
sich in halb spaßhafter Weise gegen den Vater aussprach, sich zu einer ernsthaften Freundschaft ausbildete. Braun an seine Mutter.
Heidelberg, den 1. Juni 1826. . . . Ich bin jetzt sehr vergnügt, daß ich Jemanden gefunden
habe,
der gleiche Beschäftigung mit mir hat, während ich früher
meine Exkursionen meist einsam machte und mein Treiben fast ein
siedlerisch war.
Wie viel mehr ein Jeder lernt, wenn zwei das
gleiche zusammen treiben, sollte man nicht glauben.
Damit aber
auch die Zeit, welche mit den zeitraubenden mechanischen Beschäfti gungen des Pflanzeneinlegens. Aufsteckens der Käfer rc. ausgefüllt
ist, gut benützt wird, haben wir uns dahin vereinigt, daß während einer einlegt, der andere etwas vorlesen muß.
Auf diese Weise
gehen wir verschiedene deutsche und französische Bücher über Anatomie,
Physiologie, Zoologie rc. durch ....
17
Freunde und Lehrer in Heidelberg.
Agassiz's nächster Freund in Heidelberg nach Alexander Braun war Karl Schimpcr, der auch mit diesem innig befreundet und gleich demselben ein zu großen Hoffnungen berechtigender Botaniker war.
Die drei wurden bald unzertrennlich.
Außer diesen Beiden,
welche wegen ihres großen Einflusses auf sein späteres Leben hier ge
nannt sind, hatte Agassiz noch viele Freunde und Genoffen in Heidel
berg.
Er war zu anhänglicher Natur, um nicht unter seinen jungen
Landsleuten,
deren sich viele in Heidelberg befanden und welche
einen eigenen Klub und einen Turnplatz da hatten, ein beliebter Kamerad zu sein. Er nahm Theil an allen ihren körperlichen Uebun
gen und zeichnete sich sowohl als tüchtiger Turner, wie als geübter
Fechter aus. Unter den damaligen Professoren von Heidelberg war Leuckart
vielleicht der anregendste.
Seine Vorlesungen waren voll origineller
Gedanken und geistvoller Hypothesen, welche die Zuhörer theils be geisterten, theils ergötzten.
Er verstand es, die Begeisterung seiner
bedeutenderen Schüler zu beleben, und auf ihre Bitte hielt er ihnen einen besonderen Lehrkursus über einzelne Gruppen von Thieren, nicht ohne ihnen dabei ein persönliches Opfer zu bringen, denn diese
Extravorlesung wurde um sieben Uhr Morgens gehalten, und die
Studenten mußten ihren Professor oft dazu aus dem Bett holen.
Daß sie dies thun durften, ist ein Beweis der freundlichen Be
ziehungen,
die zwischen Lehrer und Schüler bestanden.
Auch mit
dem Botaniker Bischoff traten die Studiengenossen in freundschaft
lichen Verkehr.
Sie machten viele schöne botanische Exkursionen mit
ihm und verdankten ihm eine vortreffliche und gründliche Unterweisung im Gebrauch
des Mikroskops,
welches er meisterlich
handhabte.
Tiedemanns Vorlesungen waren sehr gelehrt, und Agassiz sprach
immer mit großer Achtung und Bewunderung von seinem alten Lehrer der vergleichenden Anatomie und Physiologie.
Ein anregender
Lehrer war er aber nicht, und obwohl er den Studenten die freund schaftlichste Gesinnung bewies, so hatten sie doch keine so nahen
Beziehungen zu ihm wie zu Leuckart und Bischoff.
Sehr werthvolle
Unterweisung in seinem Specialfach erhielten sie von dem Paläonto logen Bronn, dessen Vorlesungen äußerst eingehend waren, aber weniger beftuchtend auf das Denken wirkten.
Die Freunde waren froh, als
der Professor seine Vorträge wegen Zeitmangels abkürzte und ihnen Agassiz'S Leben und Briefwechsel. 2
18
Erstes Capitel.
seine wundervolle Sammlung von Versteinerungen zeigte und an die einzelnen Exemplare anknüpfend, seinen Gegenstand in allgemeinerer und praktischerer Weise entwickelte').
Unter den medicinischen Pro-
fefforen war Nägeli der anregendste, während Chclius seines bedeu tenden Rufes wegen, eine größere Zahl von Zuhörern hatte.
Wenn
es hier und da in den Hörsälen an Anregung fehlte, so füllten die Freunde diesen Mangel durch ihr eigenes
unermüdlich strebendes
Erforschen der Natur aus und suchten mit allen ihnen zu Gebot stehenden Mitteln ihren Wissensdurst zu befriedigen").
Da die weite Entfernung und die Kosten der Reise es Agassiz unmöglich machten, die Ferien bei seiner Familie in der Schweiz zuzubringen, so gewöhnte er sich bald daran, dieselben mit seinem
neuen Freunde in Karlsruhe zu verleben.
Ein anziehenderes Fa
milienleben als dasjenige, in welches er dort eingeführt wurde,
konnte es für einen jungen Mann von seinen Anlagen und Neigungen kaum geben.
Die ganze Atmosphäre des Hauses befand sich in Ein
klang mit den Bestrebungen der Freunde.
Das Haus war einfach
eingerichtet, aber reich an Büchern, an Musikalien und an Allem, was auf Geist und Phantasie anregend und förderlich wirkte. Es lag unmittelbar an einem der Stadtthore, welches in einen großen Laub
wald führte, der an und für sich schon ein vortrefflicher Fundort für einen Naturforscher war.
Einige Zimmer auf der Rückseite des
Hauses, welche durch den geräumigen Garten von dem Straßenlärm
geschützt wurden, waren der Pflege der Wiffenschaft gewidmet.
In
einem deffelben befand sich die reichhaltige Mineraliensammlung von Brauns Vater, und in den anderen hatten die Söhne und deren
Freunde ihre Arbeitsstätten aufgeschlagen.
Die Tische waren mit
Naturalien aller Art, frischen und getrockneten Pflanzen, Mikroskopen und Büchern bedeckt.
Hier brachten sie alle ihre Schätze zusammen;
hier zeichneten und untersuchten sie, secirten und ordneten ihre Samm•) Diese Sammlung wurde 1859 von dem Museum für vergleichende Ana
tomie in Cambridge, Massachusetts, angekauft, und Agasflz hatte so die Freude, seine amerikanischen Schüler mit derselben Sammlung zu unterichten, an welcher er selbst seine ersten bedeutenden paläontologischen Studien gemacht hatte. **) Das Material zu diesem Bericht über das Universitätsleben der beiden Freunde in Heidelberg hat hauptsächlich Alexander Braun nach dem Tode von Agassiz geliefert. Auch die späteren Notizen über die Professoren und das Leben
in München, 1827—1831, sind großentheils derselben Quelle entnommen.
19
Besuch in Karlsruhe.
lungen; hier verhandelten sie die Theorieen, welche in ihren jugend lichen Köpfen über das Wachsthum, den Bau und die Verwandt
schaft von Thieren und Pflanzen entstanden. Aus diesem Hause, welches ihm eine zweite Heimath wurde,
schrieb Agassi; in den Weihnachtsfericn 1826
an seinen Vater:
. . . „Mein Glück wäre vollständig, wenn mich nicht überall hin der peinliche Gedanke verfolgte,
daß Eure Entbehrungen mir den
Lebensunterhalt verschaffen; doch ist es mir unmöglich meine Aus
gaben noch weiter zu beschränken.
Ihr würdet mich von einer großen
Sorge befreien, wenn Ihr Euch diese Last durch ein Abkommen mit
meinem Onkel in Neuchatel erleichtern wolltet. Ich bin überzeugt, daß ich nach Abschluß meiner Studien bald so viel verdienen würde,
um ihm alles zurückzuzahlen. Jedenfalls weiß ich, daß Du nicht alles auf einmal bezahlen kannst und deshalb würde ich Dir sehr dankbar sein, wenn Du mir aufrichtig sagen wolltest, wie es mit unseren Hülfsquellen steht.
Ehe ich das weiß, habe ich keine Ruhe.
Im übrigen befinde ich mich wohl und geht es in gewohnter Weise weiter; ich arbeite immer so viel ich kann und ich glaube, daß alle Professoren, deren'Vorlesungen ich besuche, mit mir zufrieden sind."...
Sein Vater war ebenfalls befriedigt von seinem Betragen und seinen
Fortschritten und schrieb um diese Zeit einem Freunde: „Wir haben die bestmöglichen Nachrichten von Louis.
Muthig, fleißig und be
scheiden, verfolgt er ehrlich und kräftig sein Ziel, nämlich das Er werben des Doctorhuts für Medicin und Chirurgie."
Im Frühling 1827 erkrankte Agassi; an einem Nervenfieber, welches damals in Heidelberg epidemisch auftrat.
mehrere Tage in Gefahr.
Sein Leben war
Sobald er reisen konnte, brachte ihn Braun
nach Karlsruhe, wo die Mutter seines Freundes den Genesenden sorg
sam pflegte. Da er seine volle Kraft nicht Wiedergewann, so wurde ihm gerathen, sich in der Heimathluft zn stärken und er reiste nach Orbe, von Braun begleitet, welcher ihn nicht verließ, ehe er ihn wohl
behalten in das Elternhaus gebracht hatte.
Die folgenden Aus
züge des Briefwechsels zwischen beiden berichten über die zu Hause
verlebte Zwischenzeit.
Erstes Capitel.
20
Agassiz an Braun. Orbe 26. Mai 1827. ... Seit ich hier bin, war ich viel spazieren und habe eine große
Menge von Pflanzen gesammelt, welche aber noch nicht trocken find. Ich habe mehr als hundert Arten, ungefähr zwanzig Exemplare von
jeder Art.
Sobald sie aus der Presse genommen werden können,
werde ich Dir einige Exemplare von jeder Art mit einer Nummer versehen, schicken, damit du sie bestimmen kannst.
Möchtest Du von
irgend einer Art mehr haben, so laß es mich wissen; ebenso, ob
Schimper welche haben will ... In Neuchatel hatte ich das Glück wenigstens
dreißig Exemplare von Bombinator obstetricans
Eiern zu finden.
mit
Sage Dr. Leuckart, daß ich ihm einige bringen
werde; auch Du sollst einige haben.
Ich habe einige in feuchtem
Moos am Leben erhalten; nach vierzehn Tagen waren die Eier bei
nah so groß wie Erbsen, und die kleinen Kaulquappen bewegten fich darin in allen Richtungen.
Dann legte ich die ganze Masse von
Eiern in eine mit Wasser gefüllte Schüssel, und siehe! in ungefähr
einer Stunde schwammen ungefähr zwanzig Junge darin herum.
Ich werde keine Mühe scheuen, sie aufzuziehen und ich hoffe, wenn
ich es
recht
erzielen.
ansange,
daraus schließlich ganz
schöne Kröten zu
Meine älteste Schwester ist beschäftigt mir Zeichnungen von
den täglichen Entwicklungsstadien zu machen ... Ich secire jetzt so viele Dinge, als irgend möglich.
gung.
Es ist dies meine Hauptbeschäfti
Auch mit Oken gebe ich mich viel ab.
Seine Naturphilosophie
macht mir viel Freude. Ich sehne mich nach meinem Koffer, da ich meine Bücher brauche, welche Du wohl abgesendet hast. Inzwischen lese ich Universal-Geschichte und bin nicht faul, wie du siehst.
Aber
ich vermisse die Abende mit Dir und Schimper in Heidelberg und wünsche, ich wäre wieder bei Euch.
Ich fürchte, daß diese glückliche
Zeit, wenn sie wiederkehrt, nur zu kurz sein wird.
A. Braun an Agassiz. Heidelberg, 30. Mai 1827.
... Donnerstag den 10. Mai Abends kam ich wieder in Heidel berg an. Die medicinischen Collegien hatten meist erst in der zweiten
Woche des Mai angefangen, so daß ich wenig versäumt und fast
bereut habe, so früh zurückgekehrt zu sein.... Den letzten Nachmittag
Briefwechsel zwischen Agassiz und Braun.
21
in Basel habe ich sehr angenehm bei Herrn Röper zugebracht, dem
ich nächstens schreiben muß.
Er hat mir allerlei geschenkt, sehr viel
Schönes gezeigt und viel Lehrreiches gesagt.
Er ist überhaupt ein
echter und vortrefflicher Botaniker, kein bloßer Sammler, wie die
allermeisten; aber auch kein bloßer Beobachter wie der Dr. Bischoff, sondern einer, der denkt...
Dr. Leuckart ist ganz entzückt über die Eier der Hebammen-
Kröte und will sie belegen . . . Schweig nimmt jetzt Deine Stelle
Ich habe unlängst
in unseren gelehrten Abendversammlungen ein.
die
Pflanzenmetamorphose
vorgetragen
und
Schimper
eine sehr
schöne und ganz neue Theorie über die Bedeutung der Zirkelfaser und Lüngenfaser im Organismus, die in Zukunft gewiß Gnade vor Deinen Augen finden wird. Schimper ist noch immer höchst fruchtbar an poetischen und philosophischen Produktionen und hat fich jetzt
sogar an die Naturgeschichte des Geistes gewagt.
Auch hat er eine
neue Hypothese über die Schwanzsterne und ihren langen Schweif aufgestellt. . . . Die botanische Hauptbeschäftigung ist nun diesen
Sommer die genaue Betrachtung aller möglicher selbst der gemeinsten Pflanzen und die Erklärung alles ungewöhnlichen lind räthselhaften
in ihrem Bau.
Verschiedene Nüffe haben wir schon anfgeknackt, es
bleiben aber noch viele anderen aufzubeißen... Dr. Leuckart bittet Dich, die Hebammenkröte recht zu beobachten, ob die Eier, die sie in der Erde hat, schon befruchtet sind oder ob sie sich erst später im Wasser begatten, oder ob gar die Jungen auf
dem Lande auskriechen und was sie für Kaulquappen haben rc. Alles dies ist noch unbekannt!
Agassiz an A. Braun. Orbe, 10. Juni 1827.
... Die vorige Woche habe ich eine sehr angenehme Fahrt gegemacht.
.Du erinnerst Dich wohl, daß ich Dir öfter von einem
Herrn Pfarrer Mellet in Vallorbes sprach, der sich sehr viel mit sechsbeinigem Ungeziefer abgiebt.
Er lud mich ein, mit ihm nach
Vallorbes auf einige Tage zu gehen und Nachmittags reisten wir ab.
Ich blieb acht Tage bei ihm und brachte meine Zeit auf die
angenehmste Weise zu. Täglich gingen wir aus Insekten und Pflanzen
aus und die Ausbeute war reich, besonders an Käsern und Schmetter-
Erste- Capitel.
22
Ungen ... Die schöne Käfer- und Schmetterling-Sammlung des Herrn
Mellet habe ich sehr yenau durchgesehen.
Er hat sehr schöne Sachen,
aber fast nur Schweizer, Franzosen und einige Brasilianer — gegen dreitausend
Species.
Er hat mir mehrere gegeben und aus den
Herr Mellet kennt seine Käfer sehr
Herbst noch mehr versprochen.
genau und beobachtet ihre Sitten, ihren Aufenthalt und ihre Ver
wandlungen vortrefflich.
Schade aber, daß er ein bloßer Gucker ist
und nichts von Einthcilung, Klassen und sogar nichts von Sippen versteht, dagegen die Arten sehr genau kennt.
Ich suchte ihn zu
andere Naturalien zu sammeln in der
überreden, Schnecken und
Hoffnung, daß er vielleicht auf diese Art zu einer besseren Einsicht
kommen würde.
Er wollte aber nichts davon hören; er habe, sagt
er, genug mit feinen „Vermine“ zu schaffen ... Ich freue mich sehr
bald in Neuchatel zu sein, theils um meinen Bruder, Arnold (Guyot)
und andere Freunde zu sehen,
Schweizer Seen zu stndiren.
theils um
die Fische in unseren
Die Species Cyprinus und Corregonus
mit ihren Sippen, die Salme eingeschlossen, sind wie Du weißt, be sonders schwierig.
Ich will von jeder Art einige kleine Exemplare
in Weingeist aufbewahren, die Arten sorgfältig vergleichen und wo möglich von jeder eines seciren, um mich über ihre Identität oder
ihre specifische Verschiedenheit zu vergewissern.
Da dieselbe Art in
verschiedenen Seen verschiedene Namen hat und außerdem auch die Altersverschiedenheiten verschieden betitelt wurden, so werde ich dies
alles genau aufzeichnen.
Wenn ich damit im Reinen bin, so will
ich Dir ein Verzeichniß der Arten, die wir besitzen, schicken, mit An
gaben der verschiedenen Seen, in denen sie vorkommen.
Da ich an
dem Fischkapitel bin, so will ich Dich etwas fragen: 1) Was sind die
Kiemenbogen? 2) Was die Kiemendeckel? 3) Was, ist die Schwimm
blase bei Fischen? Was ist die cloaka bei den eierlegenden Thieren?
Was bedeutet der Sack, welcher die Eier in Bombinator obstetricans umgiebt? . . . Sage Dr. Leuckart, daß ich Corregonus umbla (wenn
er das ist) für ihn zurückgelegt habe, daß ich aber Silurus glanis nicht bekommen kann. Ich denke, Ihr fahrt fort dann und wann Abends zusammen
zukommen ... theilt mir Eure Entdeckungen mit...
Hast Du Deine
Auffütze über Pflanzen-Physiologie vollendet und was hast Du her
ausgebracht? ...
Briefwechsel zwischen Agassiz und Braun.
23
A. Braun an Agassiz. Karlsruhe, Pfingstmontag 1827. Nun bin ich in Karlsruhe. ich lege noch einen Zettel bei.
Der Pack ist noch nicht fort und
Ich habe heute vielerlei Pflanzen im
Garten erklärt; ich wollte Du wärest dabei gewesen!
Einige theils
ganz, theils halb, theils gar nicht aufgeknackte Nüffe habe ich Dir auf meinem letzten Zettel geschickt, damit Du aufmerksam wirst. Schimper
steckt jetzt ganz in der großen unergründlichen Welt der Sonne mit ihren Planeten, Monden und Kometen und steigt bis in die
Doppelsterne, Milchsterne und Nebelflecken....
Auf einem losen Blatt folgen die zu knackenden Nüsse.
Dasselbe
enthält eine lange Liste aufgeworfener Fragen, von welchen hier nur einige ausgenommen werden, um den Gedankenaustausch zwischen
Agassiz und seinem Freunde zu zeigen.
Obwohl die Mehrzahl der
von Beiden aufgeworfenen Probleme längst gelöst sind, so ist es
doch nicht uninteressant, diese jugendlichen Geister bei ihrem Suchen
nach den Gesetzen des Baus und Wachsthums zu belauschen, welche sie in dieser Zeit erst im Dämmerlicht sahen, später aber beim wei
teren Fortschritt klarer erkannten.
Diese Fragen zielen schon auf
die damals noch völlig unbekannten Gesetze der Blattstellung hin, welche gegenwärtig einen Theil des elementaren Unterrichts in der Botanik bilden'). „1) Wo ist der erste Wendepunkt des Stengels und der Wurzel
bei der Pflanze, also der erste Knoten?
2) Wie ist der Ursprung derjenigen Blätter am Stengel zu erklären, welche nicht aus deutlichen Knoten kommend, spiralig oder
zerstreut um den Stengel stehen?
3) Warum blühen
einige Pflanzen (besonders Bäume) dem
Gange der Pflanzenbildung widersprechend, noch ehe sie Blätter ge
trieben haben? (Ulmen, Kätzchenbäume, Obstbäume.) 4) In welcher Reihenfolge geschieht die Entwicklung der Organe *) Die Botanik verdankt Alexander Braun und Karl Schimper die Ent deckung dieses Gesetzes, nach welchem Blätter, wie dicht sie auch stehen, derartig um den Stamm geordnet sind, daß die Entfernungen mit mathematischer Ge nauigkeit auseinander liegen und jedem Blatt sein richtiger Raum angewiesen ist.
24
Erstes Capitel.
der Blüthe und ihre Bildung in der Knospe? (vergleiche Campanula, Papaver.) 5) Welches sind die Blätter der Spargel? 6) Was
sind
die
büschelförmigen Blätter von verschiedenen
Zapfenbäumen? (Pinus silvestris, Strobus, Larix etc.) . . .
18) Was ist das Individuum bei der Pflanze?" . . .
Der nächste Brief enthält Agassiz's Antwort auf Leuckart's Fragen
über die ihm geschickten Eier und einige weitere Bemerkungen über dieselben.
Agassi; an Braun.
Neuchatel, 20. Juni 1827.
. . . Nun sollst Du erfahren, was ich von der Hebammenkröte weiß.
Wie die Befruchtung geschieht, weiß ich nicht, aber nothwendig
muß sie auf dieselbe Art stattfinden, wie bei den übrigen Arten der Sippe Bombinator; igneus wirft beinah eben so viele Eier, die in
einem Klumpen zusammenhängen, wie obstetricans; fuscus wirft sie
in Schnüren von sich (siehe Roestels Abbildung).
Nun habe ich die
Eierklumpen von obstetricans genau angesehen; alle Eier sind in einer Schnur und hängen zusammen. Diese Schnur ist ein Schlauch, in welchem die Eier in verschiedener Entfernung eingeschlossen liegen,
und in den leeren Stellen zusammengefallen fadenartig erscheinen. Dehnt man aber den Faden aus und drückt man die Eier, so ver
ändern sie ihre Stelle, und man bemerkt deutlich, daß sie frei liegen,
und ihre eigenen, den anderen Batrachier-Eiern entsprechenden Häute ebenfalls besitzen.
Gewiß geht auch diese Art zur Zeit der Be
fruchtung in's Wasier, denn dies thun ja alle Batrachier und es ist
dies Wasser ein viel geeigneteres Medium zur Befruchtung, als die Luft ... Es ist gewiß, daß die Eier schon befruchtet waren, als wir sie in der Erde sanden, denn später fand ich mehrere, deren Eier noch nicht soweit vorgerückt waren, als die, welche Du hast, und doch habe ich vo'st ihnen nach drei Wochen Quappen bekommen.
An denjenigen Eiern, die auf der niedersten Stufe der Entwicklung
standen (wie sind sie noch früher? nescio), sah man nichts deutlich, es waren blos gelbe Kügelchen.
Nach einigen Tagen bemerkt man
zwei dunkle Fleckchen, die Stelle der Augen und ein Längsstreifen
als Andeutung des Rückgrats. Noch später trat alles klarer hervor;
Briefwechsel zwischen Agasflz und Braun.
25
man erkannte deutlich Mund- und Nasenöffnung, die Augen und den Schwanz, der in einem Halbkreis um den Leib lag.
Die Häute
waren so äußerst durchsichtig, daß man ganz deutlich den Herzschlag
und das Blut in den Gefäßen erkennen konnte; auch war das Eigelb, der Dotterkanal um ein Bedeutendes verringert.
Deutlich sah man
die Bewegungen des sich bildenden Thierchens; sie waren schnell und geschahen stoßweise. Nach drei bis vier Wochen hatten die. Eier
die Größe von Erbsen erreicht, der Schlauch war an den Stellen,
wo Eier stacken, geborsten, und die Thierlein füllten die Eihüllen vollkommen aus; sie bewegten sich beständig und sehr rasch. streifte das Weibchen die Eier von den Beinen ab.
Nun
Es war sehr
unruhig und sprang im Behälter umher, schien aber ruhiger, wenn ich ihm Wasser auswarf.
Jetzt waren die Eier bald los, ich legte
sie in ein flaches Gefäß mit frischem Wasser. Die Unruhe ward in
den Eiern immer größer und sieh! da fuhr ein Kaulquäppchen wie
der Blitz aus dem Ei, blieb verwundert stehen, staunte die Größe der
Welt an, machte einige philanthropische Bemerkungen, wedelte mit dem Schwanz und schwamm rasch fort.
Ich gab ihnen oft frisches Wasser
und zarte grüne Pflänzchen nebst Brod zu fressen.
Sie fraßen gierig.
Bisher hatte ich sie sorgfälltig durch meine Schwester in allen Ent wicklungsstufen zeichnen lassen.
Nun ging ich nach Vallorbes.
Man
versprach mir die junge Brut zu pflegen; als ich aber zurück kam, hatte man sie ganz vergessen, und ich fand alle krepirt, doch noch
nicht verwest, so daß ich sie noch in Weingeist aufheben konnte.
Die
Kiemen habe ich nicht gesehen, aber ich will darauf achten, ob sie nach innen gekehrt sind . . . A. Braun an Agassi;.
Karlsruhe, 9. August 1827. . . . Ich bin nämlich entschlossen, diesen Herbst Heidelberg zu
verlassen und die Wanderschaft nach München anzutreten und lade Dich zum Reisegefährten ein.
Nach einem ausführlichen Brief von
Döllinger lassen die Naturwissenschaften dort nichts zu wünschen übrig — auch sollen die Collegien frei sein, und das Theater kostet für den
Studio nur 24 Kreuzer. Lauter Vorzüge und Annehmlichkeiten. Das
Logis kostet ein weniges mehr als in Heidelberg; die Kost ist ebenso
wohlfeil; Bier giebt es viel und gut.
Alles dies wird Dich über-
26
Erstes Capitel.
zeugen! Bei Gruithuisen hören wir populäre Astronomie, bei Schu bert allgemeine Naturgeschichte, bei Martius Botanik, bei Fuchs Mineralogie, bei Sieber Mathematik, bei Starke Physik und bei Oken alles mögliche (er liest im Winter Naturphilosophie, Natur
geschichte und Physiologie).
Die Kliniken sollen gut sein.
Mit den
Professoren werden wir schnell gut bekannt werden; der Bibliothek fehlt kein botanisches und zoologisches Prachtwerk; die öffentlichen
Sammlungen sind sehr reich.
man nicht.
Ob Schelling auch lesen wird, weiß
Eine kleine Ferienreise in die Salzburger und Kärnthner
Alpen ist von München aus ein Leichtes.
Schreibe mir also, ob
Du bairisches Bier mit mir trinken willst und schreibe mir auch,
bis wann wir Dich in Heidelberg und Karlsruhe sehen werden.
Erinnere mich dem Pollen
alsdann an die Lehre von der Wurzel und von
der Pflanzen.
Sobald ich Antwort von Dir habe,
bestellen wir die Wohnung bei Döllinger, der sie besorgen will.
Wollen wir wieder beisammen Hausen in einer Kammer oder uns verschiedene Zellen in einem Bau nehmen, d. h. unter einem Dach?
Letzteres hat seine Vorzüge für solche Grasabrupfer und Stein klopfer, wie wir.
Klopfe nur fleißig die Felsen ab; ich habe in der
letzten Zeit viel gesammelt in Auerbach, Weinheim, Wiesloch etc. Vor allen Dingen aber betrachte recht oft den wunderbaren Bau
der Pflanzen, dieser lieblichen Kinder der Erde und wundere Dich gehörig über sie mit kindlichem Sin»; denn die Kinder wundern sich
über alle Erscheinungen der Natur, die Alten aber sind zu vornehm,
sich noch zu verwundern, ohne jedoch viel mehr zu wissen als die Kinder.
Aber der Denkende erkennt das richtige Gefühl des Kindes
und bewundert die Natur immer mehr, je weiter er in ihrer Er
kenntniß sortschreitet. . .
Zweites Capitel.
1827-1828.
Bom 20.-21. Jahre.
Ankunft in München. — Bvrlesnngen. — Beziehungen zu den Professoren. — Schelling, Martins, Oken, Döllinger. — Beziehungen zu den Studiengenossen. — Die Heine Akademie. — Reisepläne. — Rath der Eltern. — Ferienreise. —
Dreihundertjähriges Dürer-Jubiläum in Nürnberg.
Agassiz nahm seines Freundes Vorschlag mit Entzücken an, und
gegen Ende Oktober 1827 begab er sich mit Braun von Karlsruhe
nach München.
Der erste Brief an seinen Bruder folgt vollständig,
da er trotz der unreifen Bemerkungen, die er enthält, und über welche
der Schreiber in späteren Jahren selbst gelächelt haben würde, von
Interesse ist, indem er zeigt, was für Kenntnisse ein begabter, streb samer Student der Naturgeschichte in jener Zeit besaß.
An seinen Bruder August.
. . . Endlich bin ich in München.
Ich habe Dir soviel zu Damit ich nichts
sagen, daß ich kaum weiß, wo ich anfangen soll.
vergesse, will ich die Dinge in ihrer richtigen Reihenfolge vorbringen. Zunächst also meinen Reisebericht, dann will ich Dir sagen, was ich
hier treibe.
Da der Vater Dir gewiß meinen letzten Brief gezeigt
hat, fahre ich fort, wo ich dort aufgehört habe... Von Karlsruhe fuhren wir mit der Post nach Stuttgart, wo
wir einen großen Theil des Tags im Naturalien-Cabinet zubrachten, in welchem sich viele mir ganz neue Dinge sah, z. B. ein Lama, beinah so groß wie ein Esel. Du weißt, daß dieses Thier, von der Gattung Camelus, in Süd-Amerika lebt, wo es für die Eingeborenen
dasselbe ist, wie das Kamel für den Araber; d. h. es liefert ihnen
Milch, Wolle und Fleisch und wird außerdem vdn ihnen zum Reiten
und Fahren benutzt.
Dann ist ein Nordamerikanischer Büffelochse
von außerordentlicher Größe da; auch ein Elephant von Afrika und
einer von Asien; ferner eine große Menge von Gazellen, Hirschen,
Katzen und Hunden; Skelette von einem Nilpferd und einem Ele phanten und endlich die fossilen Knochen eines Mamuth.
Du weißt,
Zweites Capitel.
28
daß das Mamuth nicht mehr lebend gefunden wird, und daß die bisher von ihm endeckten Ueberreste zu der Ansicht geführt haben, daß es eine Art von fleischfressendem Elephanten war.
Es ist eine
merkwürdige Thatsache, daß einige Fischer, welche kürzlich am Ufer
des Obi in Sibirien gegraben haben, eines dieser Thiere in einer Tiefe von sechzig Fuß in einer Eisschicht eingefroren gefunden haben,
so wohl erhalten, daß es noch mit Haaren bedeckt war, wie zu seiner
Lebzeit.
Sie ließen das Eis aufthauen um das Thier heraus zu
nehmen, aber nur das Knochengerüste blieb unversehrt; das Fell zersetzte sich, sobald es mit der Luft in Berührung kam und nur ein paar Stücke sind erhalten worden, wovon eines in dem Stuttgarter Naturalienkabinet steht.
Die darauf befindlichen Haare sind so grob,
wie dünner Bindfanden und beinah einen Fuß lang.
Das ganze
Skelett ist in dem St. Petersburger Museum und ist größer, wie der größte Elephant. Man kann sich denken, was für eine Ver
heerung solch' ein Thier angerichtet haben muß, da es, wie seine Zähne zeigen, ein Carnivore war.
Aber, was ich wissen möchte, ist,
wie dies Thier so weit nach Norden wandern konnte, und dann, in welcher Weise es starb, um so einzufrieren und unzählige Jahre un versehrt zu bleiben, ohne zu verwesen.
Denn es muß einer früheren
Schöpfung angehört haben, da es nirgends lebend gefunden wird und wir kein Beispiel von dem Verschwinden irgend einer Thierart innerhalb der geschichtlichen Zeit haben. — Außerdem gab es in Stuttgart noch verschiedene Arten von fossilen Thieren. Die Vogel
sammlung ist sehr schön, aber leider sind manche davon falsch be stimmt. Ich habe einen Theil selbst berichtigt . . . Von Stuttgart gingen wir nach Eßlingen, wo wir zwei berühmte Botaniker be
suchen wollten.
Der eine war Herr Steudel, ein Mann mit dunklem
jüdischem Gesicht, lang hernnterhängendem Haar und tiefliegenden
Augen.
Er kennt jedes über Botanik erschienene Buch, hat sie alle
gelesen, aber macht sich nicht viel aus den Pflanzen selbst; kur; er ist ein rechter Stubengelehrter. Er hat ein großes Herbarium, zum großen Theil aus Pflanzen bestehend, welche er gekauft oder zum
Geschenk erhalten hat.
Der andere, Professor Hochstctter, ist ein
komischer kleiner Mann, der kräftig auf seinen hohen Stiefeln einher
schreitet und immer ein halbunterdrücktes Lächeln auf seinen Lippen hat, wenn er die Pfeife aus dem Munde nimmt.
Er ist aber ein
Reisebericht.
29
sehr guter Mann, äußerst gefällig und empfing uns mit großer Höf lichkeit.
Da wir nicht nur darauf ausgingen, die Bekanntschaft
dieser Botaniker zu machen, sondern auch einiges Heu von ihnen zu
erlangen, so stellten wir uns als echte Commis-Voyageurs vor, die getrockneten Kräuter zum Verkauf bei sich führten.
Jeder von uns
hatte einen Pack Pflanzen unter dem Arm; die meinigen waren
vorigen Sommer in der Schweiz gesammelt, diejenigen von Braun in der Pfalz.
Wir gäben jedem der Herrn einen Theil davon und
erhielten im Umtausch einige amerikanische Pflanzen von Strudel;
von Hochstetler einige aus Böhmen und aus seinem Vaterland
Mähren.
Von Eßlingen fuhren wir in dem abscheulichsten Wetter
nach Göppingen.
einmal.
Es regnete, schneite, fror und windete, alles auf
Es war sehr schade, da unsere Straße durch eines der
lieblichsten Thäler führte, welches ich je gesehen habe.
Der Neckar
fließt hindurch und an beiden Seiten erheben sich Berge von eigen
thümlicher Gestalt und bedeutender Höhe.
Die Würtembergcr nennen
diesen Gebirgszug die schwäbische Alp, aber ich glaube, daß der
Chaumont höher ist, als der höchste Gipfel dieser Alpen.
In Göp
pingen trafen wir einen alten Heidelberger Bekannten, besten Vater
eine wundervolle Sammlung von Versteinerungen, besonders von
Muscheln und Zoophyten, hat.
Er hat auch eine große Muschel
sammlung aus dem Adriatischen Meer, aber von diesen war keine einzige bestimmt.
Da wir sie kannten, machten wir es uns zur
Pflicht, sie zu ordnen und in drei Stunden war die ganze Samm lung mit Zetteln versehen.
Da er beinah von allen Arten Dou
bletten hat, versprach er uns davon auszusuchen und zu schicken, so bald er Zeit habe.
Wenn wir länger geblieben wären, so hätten
wir uns selbst nach Belieben aussuchen dürfen, denn er stellte uns seine ganze Sammlung zur Verfügung. Aber wir hatten Eile, nach
München zu kommen, deshalb baten wir ihn, uns gelegentlich zu
schicken, was er uns geben wolle. Wir setzten unsere Reise mit der Post fort, da es immer noch
regnete und die Straßen so abscheulich schlecht waren, daß wir mit dem besten Willen nicht zu Fuß gehen konnten.
Abends erreichten
wir Ulm, wo wir der späten Stunde wegen fast nur den berühmten Thurm des Domes sahen, welcher bei unserer Einfahrt in die Stadt
noch deutlich erkennbar war.
Nach dem Abendessen fuhren wir gleich
Zweites Capitel.
30
mit der Post weiter, da wir am folgenden Tage in München fein wollten.
Ich habe nie etwas schöneres gesehen, als die Aussicht
nach unserer Abfahrt von Ulm.
Der Mond war aufgegangen und
schien mit Tageshelle auf den Münsterthum.
Nach allen Seiten er
streckte sich die weite Ebene', durch keine Erhöhung unterbrochen, so weit das Auge reichen konnte, und durchschnitten von der Donau, auf welcher die Mondstrahlen glitzerten.
Wir fuhren während der
Nacht durch die Ebene und erreichten Augsburg in der Morgen dämmerung. Es ist eine schöne Stadt, aber wir hielten nur, an um zu frühstücken und sahen die Straßen nur beim Durchfahren.
Als
wir Augsburg verließen, wurden die Tyroler Alpen, obwohl sie bei
nah sieben Meilen entfernt sind, sichtbar.
In einer Entfernung von
ungefähr drei Meilen erblickt man einen ungeheuern Wald, den wir näher betrachten konnten, als wir uns München näherten, denn er
umringt in einiger Entfernung die Stadt. Wir kamen am Sonntag den 14. Nachmittags hier an ... Meine Wohnung ist vor dem Send-
linger Thor No. 37.
Ich habe ein sehr hübsches Zimmer zu ebener
Erde mit einem Alkoven, in welchem mein Bett steht.
Das Haus
ist außerhalb der Stadt an einer Allee gelegen, das ist sehr angenehm.
Ich habe nur hundert Schritte bis zu dem Krankenhaus und der
Anatomie zu gehen, das ist ein großer Vorzug bei dem herannahenden Winter.
Was mir ganz besondere Freude macht, ist, daß ich von
meinem Fenster die ganze Kette der Tyroler Alpen bis Appenzell sehen kann; und zwar sehe ich sie bester, als unsere Alpen zu Hause, weil das Land hier bis an den Fuß der Berge ganz eben ist.
Es
ist eine große Freude wenigstens einen Theil unserer Schweizer
Berge immer vor Augen zu haben.
Damit ich dies recht genießen
kann, habe ich meinen Tisch dem Fenster gegenübergestellt, so daß
jedes Mal, wenn ich den Kopf erhebe, mein Blick auf unser liebes Land fällt.
Dies hindert nicht, daß mich zuweilen etwas Heimweh
beschleicht, besonders wenn ich allein bin, aber ich hoffe, daß das vorübergehen wird, wenn ich erst regelmäßige Beschäftigung habe...
Es war ein viel anregenderes geistiges Leben, als in Heidelberg, in welches unsere Studenten in München eintraten.
Unter ihren
Profefforen befanden sich einige der originellsten Männer jener Zeit,
Männer, deren Einfluß in ganz Europa gefühlt wurde.
Döllinger
31
Beziehungen zu den Professoren in München.
trug vergleichende Anatomie und Physiologie vor; Martins und
Zuccarini Botanik.
Martins las außerdem sein sogenanntes „Reise-
Colleg", in welchem er die Studenten auf alles aufmerksam machte,
was auf Reisen zu beobachten ist.
Schelling lehrte Philosophie.
Im
ersten Semester las er über das System der Weltalter; in dem zweiten über die Philosophie der Mythologie und später über die Philosophie der Offenbarung.
Der Eindruck, welchen Schelling auf
die Freunde machte, war ein sehr tiefgehender.
Seine Redeweise
war so überzeugend, die Darstellung so klar, und seine Art, den zu entwickeln, hatte etwas so hinreißendes,
Gegenstand
Schüler nie Müdigkeit empfanden.
daß die
Oken las allgemeine Natur
geschichte, Physiologie und Zoologie, in weich' letztere seine berühmten Ansichten über Naturphilosophie eingeflochten wurden.
Seine Vor
lesungen veranlaßten lebhafte wissenschaftliche Diskussionen,
um so
mehr, als er sehr überraschende Hypothesen in seiner Physiologie vor
brachte und aus denselben Schlüffe zog, welche, wie er selbst nach wies, nicht immer in Uebereinstimmung mit der Erfahrung waren. „Aus philosophischen Gründen" pflegte er zu sagen, wenn die That
sachen seiner Theorie widersprachen „müssen wir es so annehmen".
Oken war außerordentlich freundschaftlich mit den Studenten und
Agassi;, Braun und Schimper (welcher ihnen nach München nach gefolgt war) brachten jede Woche einen Abend in seinem Hause zu, wo bei einem Glas Bier und einem Pfeifchen wissenschaftliche Dinge
besprochen oder Schriften vorgelesen
wurden.
Einmal wöchentlich
kamen sie auch zum Thee bei Professor von Martius zusammen, wo
die Unterhaltung sich in gleicher Weise wissenschaftlichen Gegenständen zuwendete,
wenn nicht die öffentlichen Tagesfragen dem Gespräch
vorübergehend eine andere Richtung gaben.
Döllinger,
Noch
beliebter war
dessen Charakter die Freunde ebenso hoch schätzten und
bewunderten,
als sein Unterricht sie begeisterte.
Sie gingen nicht
nur täglich zu ihm, sondern er kam auch oft zu ihnen und brachte Braun Pflanzen oder betrachtete Agassiz's Brütversuche, an welchen
er das lebhafteste Interesse nahm; auch war er immer bereit zu Rath
und Hülfe.
Der Umstand, daß Braun und Agassi; ihr Zimmer in
seinem Hause hatten, erleichterte den Verkehr sehr.
Dieses Zimmer
wurde bald der Sammelplatz aller strebsamer. Geister nnter den
jungen Naturforschern in München und war unter dem Namen „die
Zweites Capitel.
32
kleine Akademie" wohlbekannt.
Schimper trug nicht weniger als
die beiden anderen zu dem regen, geistigen Leben bei,
ihre Zusammenkünfte auszeichnete.
welches
Wenn auch in seiner späteren
Laufbahn nicht so glücklich, wie Agassiz und Braun, so war doch
seine Jugend ebenso vielversprechend, und diejenigen, welche ihn in jener Zeit kannten, gedenken mit Begeisterung seiner geistvollen
Die Freunde hielten abwechselnd Vorträge, be
Liebenswürdigkeit.
sonders über die Entwicklungsgeschichte von Thieren und Pflanzen.
Diese Vorträge wurden nicht nur von Studenten, sondern auch von Professoren fleißig besucht. Zn Agassiz's nahen Freunden in München gehörten außer den
schon genannten ein ausgezeichneter Zoologe und Mediciner Michahelles, dessen früher Tod in Griechenland, wo er sich als prakischer Arzt niedergelassen hatte, sehr beklagt wurde.
sein Zimmer
in eine Menagerie zu
Gleich Agassiz pflegte er
verwandeln,
in welcher er
Schildkröten und andere Thiere hielt, die er von seinen Reisen nach Italien und anderen Ländern mitgebracht hatte.
Der Name Mahir,
der auch zu dem näheren Freundeskreis gehörte, kommt in den Briefen jener Periode ost vor; er war älter als Agassiz und gab
ihm Privatstunden in Mathematik und Anleitung zu seinen medicinischen Studien. An seine Schwester Geeilt.
München, 20. Nov. 1827.
. . . Ich will Dir genau sagen, wie meine Zeit angewendet wird, damit Du, wenn Du an mich denkst, immer weißt, was
ich gerade thue.
Morgens von sieben bis neun bin ich im Kranken
haus; von neun bis elf gehe ich auf die Bibliothek, wo ich arbeite, anstatt nach Hause zu gehen.
Von elf bis ein Uhr besuche ich
Vorlesungen, nachher esse ich zu Mittag, manchmal hier, manch
mal dort, denn hier ißt jeder, d. h. jeder Fremde, in einem Kaffee
haus und bezahlt sein Essen auf der Stelle, so daß er nicht ge nöthigt ist, immer in dasselbe Lokal zu gehen.
Nachmittags habe
ich wieder Vorlesungen über verschiedene Gegenstände von zwei oder drei bis fünf Uhr.
schon dunkel ist.
Nachher gehe ich spazieren, obwohl es dann
Die Umgebungen von München sind mit Schnee
bedeckt, und seit drei Wochen sieht man viel Schlitten fahren.
Wenn
33
Briefe aus München an Eltern und Geschwister.
ich durchgefroren bin, gehe ich nach Hause und mache mich daran,
die Vorlesungen des Tages durchzuarbeiten, oder ich schreibe und lese bis acht oder neun Uhr.
Abend zu essen.
Dann gehe ich ins Kaffeehaus, um zu
Nach dem Abendessen bin ich froh, nach Hause und
zu Bett zu kommen.
Dies ist mein gewöhnlicher Tageslauf mit der einzigen Aus
nahme, daß Braun und ich zuweilen einen Abend bei einem oder
dem anderen Professor zubringen, wo wir mit großem Eifer über Dinge reden, von denen wir oft nichts verstehen.
Dies vermindert
aber die Lebhastigkeil des Gesprächs in keiner Weise.
erzählen uns die Herren von ihren Reisen u. s. w.
Noch öfter
Ich habe beson
dere Freude an unseren Besuchen bei Herrn von Martins, weil er uns von seiner Reise nach Brasilien erzählt, von welcher er vor einigen Jahren zurückgekommen ist und wundervolle Sammlungen
mitgebracht hat, die er uns zeigt, wenn wir ihn besuchen.
Am
Freitag ist hier Markt, und ich versäume es nie die Fische daselbst zu besehen und meine Sammlung zu vergrößen.
Ich habe schon
verschiedene bekommen, die es in der Schweiz nicht giebt.
Während
meines kurzen Aufenthalts hier, habe ich bereits das Glück gehabt,
eine neue Art zu entdecken, von welcher ich eine sehr genaue Be schreibung gemacht habe, die in einem naturwissenschaftlichen Blatt
gedruckt wird.
Wenn meine liebe Cecile hier wäre, würde ich sie
bitten, dieselbe schön für mich zu zeichnen.
Das wäre nett.
Nun
muß ich einen Fremden bitten, dies zu thun, und die Zeichnung wird dann nicht denselben Werth in meinen Augen haben... An seinen Bruder August.
München, 26. Dec. 1827.
. . . Nachdem ich so lange auf Nachrichten von Dir gewartet habe, hat Dein Brief mich sehr glücklich gemacht.
Ich war etwas
trübselig und bedurfte einer Aufheiterung.
... Da meine naturwissenschaftlichen Mittheilungen Dich nicht langweilen, will ich Dir noch allerlei dahingehöriges erzählen und Dich außerdem bitten, mir einen Gefallen zu thun. Ich habe kürzlich
eine herrliche Otter ausgestopft; in nächster Woche werde ich einen Biber erhalten, und alle meine kleinen Kröten aus Neuchatel habe ich
gegen Reptilien aus Brasilien und Java umgetauscht. Agassiz'S Leden und Briefwechsel.
Einer unserer 3
Zweites Capitel.
34
hiesigen Professoren, der eine Naturgeschichte der Reptilien veröffentlicht, will meine Beschreibung dieser Gattung und meine Beobachtungen
darüber in sein Werk einschalten.
Er hat schon die Zeichnungen der
Eier, welche Cöcile für mich gemacht hat und ebenso die Abbildungen,
welche Brauns Schwester mir während meines Aufenthalts in Karls ruhe gemalt hat, lithographiren lassen. Meine Fischsammlung hat sich auch sehr vermehrt, aber leider habe ich keine Doubletten von den Arten, die ich mit hierher gebracht habe.
Ich habe sie schon alle
vertauscht.. Ich würde Dir deshalb sehr dankbar sein, wenn Du mir
noch einige davon verschaffen wolltest.
Ich werde Dir sagen, welche
Arten ich haben möchte und wie Du sie mir schicken sollst.
Ich habe
in Cudrefin noch verschiedene Gläser ans starkem grünen Glas stehen. Wenn Du diese geholt hast, so fülle sie mit Spiritus und stecke so
viele Zische hinein, als Du findest.
Schiebe immer zwischen zwei
Exemplare etwas ein, damit sie sich nicht reiben; umwickle die Gläser mit Heu, packe sie in eine Keine Kiste und schicke sie durch eine gute
Gelegenheit oder auf die wenigst kostspielige Weise.
(Hier folgt die
Liste der gewünschten Arten)... Es wird Dich interessiren zu hören,
daß ich mit einem jungen Dr. Born eine Anatomie und Naturge schichte der Süßwasserfische ausarbeite. Wir haben schon eine Menge von Material gesammelt, und ich denke, daß wir im Frühjahr oder im Lauf des Sommers die erste Lieferung veröffentlichen können. Das wird uns etwas baares Geld für eine kurze Ferienreise ein
bringen. Ich rathe Dir ernstlich Deine Mußestunden mit Studien aus
auszufüllen.
Lies viel und nur gute und nützliche Bücher ... Be
denke, daß statistische und politische Kenntnisse allein den wahren
Kaufmann von dem bloßen Händler unterscheiden und ihn in feinen Unternehmungen leiten . . . Ein Kaufmann, der die Produkte eines Landes, seine Hülfsquellen, seine Handels- und politischen Verbin
dungen mit anderen Ländern kennt, wird sich viel weniger auf falsche
und schlecht begründete Spekulationen von zweifelhaftem Erfolg einlaffen...
Die letzten Zeilen dieses Briefes verrathen den ruhelosen, nach Abenteuern und weiteren Feldern der Thätigkeit und Untersuchung dürstenden Geist.
Wenn auch vorübergehend durch das befriedigen-
35
Briefe von der Mutter.
bete geistige Leben in München beruhigt, regte er sich immer von Zeit zu Zeit wieder und erregte bei den Freunden zu Hause manche Sorge, wie wir in der Folge sehen werden.
Der Brief, welcher durch
den hier nachfolgenden beantwortet wird, hat sich nicht gefunden.
Von seiner Mutter. Orbe, 8. Januar 1828. . . . Dein Brief traf mich in Cudrefin, wo ich zehn Tage zu
gebracht habe.
Mit welcher Freude erhielt ich ihn — und doch
las ich ihn mit einer gewiffen Traurigkeit, denn es war ein Ton von Heimweh, ich möchte beinah sagen von Unzufriedenheit darin ...
Glaube mir, mein lieber Louis, Deine Stimmung ist eine ungerechte. Du siehst alles in trübem Lichte.
Bedenke, daß Du Dich gerade in
der Stellung befindest, die Du für Dich erwählt hast; wir haben
uns Deinen Plänen in keiner Weise widersetzt.
Wir sind im Gegen
theil mit Bereitwilligkeit auf dieselben eingegangen, haben zu allen Deinen Vorschlägen Ja und Amen gesagt und nur darauf bestanden, daß Du einen Beruf ergreifen solltest, der uns über Deine Zukunft beruhigte; denn wir sind überzeugt, daß Du zu viel Thatkraft und
Pflichtgefühl hast, um nicht Deinen Platz in der Gesellschaft ehren haft auszufüllen. Du hast uns vor einigen Monaten mit der Ver sicherung verlassen, daß zwei Jahre genügen würden, um Deine medicinischen Studien zu vollenden. Du hast diejenige Universität gewählt, an welcher Deiner Ansicht nach Dein Zweck am besten erreicht werden
könnte; wie kommt es nun, daß Du nur mit Unlust der Ausübung des ärztlichen Berufs entgegensiehst? Hast Du ernsthaft überlegt,
ehe Du daran dachtest, diesen Berus bei Seite zu schieben? Wir
können in einen solchen Schritt wirklich nicht einwilligen. Du würdest dadurch unsere gute Meinung von Dir, diejenige Deiner Familie und des Publikums wesentlich beeinträchtigen.
Du würdest als ein
wankelmüthiger, unüberlegter junger Mensch betrachtet werden, und eine solche Befleckung Deines Rufes würde für uns ein tödtlicher Schlag sein. Es giebt nur einen Weg um aus diesen Schwierig keiten herauszukommen, und es ist der einzige nach meiner Meinung.
Vollende Deine medicinischen Studien mit allem Eifer, dessen Du
fähig bist, und dann, wenn Deine Neigung noch unverändert ist, so bleibe bei Deiner Naturgeschichte. Gieb Dich derselben ganz hin, wenn 3*
Zweites Capitel.
36 das Dein Wunsch ist.
Wenn Du zwei Pfeile in Deinem Köcher hast,
so wird es Dir um so leichter werden, Dir eine Stellung zu erwerben.
Dein Vater denkt eben so, wie ich . . . Auch bist Du nicht dazu
gemacht, allein zu leben, mein Sohn. wirkliches Glück zu finden.
Nur am eigenen Heerd ist
Je schneller Du mit Deinen Studien
fertig wirst, um so eher kannst Du Dein Zelt ausschlagen, Deinen
blauen Schmetterling fangen und ihn in eine liebende Hausfrau ver
wandeln.
Zwar wirst Du keine Rose ohne Dornen pflücken.
Leben besteht allenthalben aus Freuden und Leiden.
Das
Unseren Mit
menschen so viel Gutes wie möglich zu erweisen, ein gutes Gewissen
haben, sich ein ehrenhaftes Auskommen zu erwerben und unsere Um gebung glücklich zu machen, — das ist wahres Glück; alles übrige
sind nur Nebendinge und Hirngespinste... An seine Mutter.
München, 3. Februar 1828. . . . Du weißt wohl, mit wem Du sprichst, liebe Mutter, und
wie Du Deine Angel auswersen mußt, damit der Fisch anbeißt. Wie Du es schilderst, geht mir nichts über häusliches Glück und
ich bin überzeugt, daß der Gipfel der Glückseligkeit im Familien-
zu finden ist, umgeben von kleinen Würmern, von denen man zärt
lich geliebt wird.
Ich hoffe auch mit der Zeit dieses Glück zu er
leben ... Aber der Mann der Wissenschaft darf erst Ruhe genießen, wenn er sie durch seine Arbeit verdient hat, denn wenn er sich einmal festgeankert hat, dann hat die Freiheit und Thatkraft, durch welche große Geister gefördert werden, ein Ende.
Deshalb habe ich mir
vorgenommen, unverheirathet zu bleiben, bis meine Arbeit mir eine
friedliche und glückliche Zukunft sichert.
Ein junger Mann hat zu viel
Unternehmungsgeist, um sich so früh in Gefangenschaft zu begeben;
er giebt manche Freuden aus, welche er haben könnte und würdigt diejenigen, welche er hat, nicht nach ihrem richtigen Werthe.
Man
sagt, daß der Taugenichts dem gesetzten Manne vorausgchen müsse.
Ebenso glaube ich, daß um den vollen Genuß eines seßhaften Lebens zu haben, man zuerst eine Weile den Vagabunden gespielt haben muß.
Dies bringt mich auf den Gegenstand meines letzten Briefes zurück.
Es scheint, daß Du mich mißverstanden hast, denn Deine Antwort
gewährt mir ja gerade alles das, was ich verlange. Du meinst, daß
Briefe an die Eltern.
37
ich dem Studium der Medicin ganz entsagen wolle? Im Gegentheil, dieser Gedanke ist mir nie gekommen, und Du sollst meinem Versprechen
gemäß in einiger Zeit einen Doktor der Medicin zum Sohn haben. Was mir widerstrebt, ist der Gedanke die Medicin als Erwerbsmittel
zn betreiben, und in dieser Beziehung lässest Du mir freien Lauf,
gerade wo ich es wünschte.
Das heißt, Du willigst ein, daß ich
mich ganz der Naturgeschichte widme, wenn diese Laufbahn mir,
wie ich es hoffe, günstigere Aussichten eröffnet. , Ich brauche zum Beispiel nur noch zwei oder drei Jahre, um auf Kosten der Re-
girung um die ganze Welt zu reisen.
Ich stehe dafür ein, daß
keine einzige Gelegenheit mir entgegen soll, interessante Beobachtungen oder schöne Sammlungen zu machen, so daß man mich unter die jenigen einreihen kann, welche dies Gebiet der Wissenschaft erweitert
Wenn ich das erreiche, ist meine Zukunft gesichert, und ich
haben.
werde befriedigt zurückkehren und bereit alles zu thun, was Du wünschest.
Und selbst wenn inzwischen die Medicin größere An
ziehung für mich gewonnen haben sollte,
so wird es dann noch
immer Zeit sein, mit Ausübung derselben anzufangen.
Es scheint
mir, daß dieser Plan durchaus nicht unausführbar ist.
Ich bitte
Dich, darüber nachzudenken und mit dem Vater und meinem Onkel davon zu sprechen. ..
Ich bin ganz wohl und so glücklich, wie möglich, denn ich schwelge
hier in meinen Lieblingsstudien und habe alle Förderungsmittel zur Hand.
Wenn Dir mein Neujahrsbrief trübselig vorkam, so war das
nur eine vorübergehende Wolke, durch die Erinnerungen, welche der
Tag erweckt, veranlaßt. .. Von seinem Vater.
Orbe, 21. Febrnar 1828. Der letzte Brief Deiner Mutter, lieber Louis, war die Ant wort auf einen von Dir, mit welchem er sich kreuzte und der uns
in Betreff Deines Wohlseins und Deiner Zuftiedenheit, sehr erfreu lich war.
Doch fehlt unserer Befriedigung noch etwas.
Sie würde
vollständiger sein, wenn Du nicht eine Manie hättest, unaufhaltsam
in die Zukunft hineinzugallopiren.
Ich habe Dir das oft vorgestellt,
und Du würdest Dich viel besser dabei befinden, wenn Du meine
Ermahnungen mehr beherzigen wolltest.
Wenn es aber eine nnheil-
Zweites Capitel.
38
bare Krankheit bei Dir ist, so zwinge wenigstens Deine Eltern nicht, sie zu theilen.
Wenn es durchaus nöthig zu Deinem Glück ist, daß
das Eis der beiden Pole unter Deinen Schritten knistert, oder daß
Du Dein Hemd in der tropischen Sonne trocknest, so warte wenigstens
bis Dein Koffer gepackt und Dein Paß ausgefertigt ist, ehe Du uns davon sprichst.
Fange damit an, Deinen ersten Zweck zu erreichen,
Dir das Diplom eines Doktors der Medicin und Chirurgie zu ver schaffen.
Für's erste will ich von nichts anderem hören, das ist
genug auf einmal.
Erzähle uns in Deinen Briefen von Deinen
Freunden, von Deinem persönlichen Leben, Deinen Bedürfniffen
(welche ich immer bereit bin zu befriedigen), Deinen Freuden, Deinen Gefühlen für uns, aber beunruhige uns nicht mit Deinen philosophischen Syllogismen.
Meine Philosophie besteht darin, meine
Pflichten in meiner Sphäre zu erfüllen, und selbst dem kann ich
nicht ganz nachkommen ... Die Waadtländische
ein
„Gemeinnützige Gesellschaft" hat kürzlich
ganz neues Vorhaben angekündigt, das der Gründung
öffentlichen Bibliotheken.
von
Ein Ausschuß von acht Mitgliedern, von
welchen ich die Ehre habe, eines zu sein, ist unter der Präsidentschaft von Herrn Deleffart zur Ausführung dieses Plans ernannt. Was hälft Du von dieser Sache? Mir scheint sie etwas bedenklich. Ich sollte meinen,
daß ehe wir die Leute zum Lesen veranlassen, wir
darnach trachten müßten, sie dazu vorzubereiten, mit Nutzen zu
lesen... An seinen Vater.
München, 9. März 1828. . . . Was Du mir von der „Gemeinnützigen Gesellschaft" sagst,
hat eine Fluth von Gedanken in mir angeregt, über welche ich Dir schreiben will, wenn sie etwas mehr gereift sind... Ich könnte von meinem Aufenthalt hier gar nicht befriedigter
sein.
Ich führe ein einförmiges, aber sehr angenehmes Leben, fern
von der großen Masse von Studenten, die ich nur wenig sehe.
Wenn
unsere Vorlesungen vorüber sind, treffen wir uns in Brauns Zimmer
oder in dem meinigen mit drei oder vier nahen Bekannten und sprechen über wiffenschastliche Dinge.
Jeder bringt einen Gegenstand
vor, den er entwickelt und welcher nachher gemeinschaftlich abgehan-
Briefe an seine Eltern. beit wirb.
39
Diese Uebungen sinb sehr lehrreich.
Ich für meinen
Theil habe angefangen, einen Kursus in ber Naturgeschichte ober
vielmehr in ber reinen Zoologie zu halten.
Braun trägt uns Botanik
vor, unb ein anberer aus unserem Kreise, Mahir, ein vortrefflicher Mensch, lehrt uns abwechselnb Mathematik ober Physik.
In zwei
Monaten will uns unser Freunb Schimper, welchen wir in Heibelberg
zurückgelassen haben, nachkommen, unb er wirb bann unser Professor
ber Philosophie sein.
Auf biese Weise werben wir eine kleine Uni
versität bilben, inbem wir uns gegenseitig belehren unb zugleich bas, was wir schon wissen, grünblicher lernen, weil wir genöthigt werben,
es anschaulich barzustellen.
Jebe Zusammenkunft bauert zwei bis
brei Stunben, währeub welcher ber jeweilige Professor seine Weisheit ohne Hülfe von Büchern ober Notizen auskramt.
Du wirst Dir
benken können, wie nützlich cs für uns ist, auf biese Weise öffentlich unb mit Zusammenhang sprechen zu lernen.
Diese Erfahrung ist
uns Allen boppelt wichtig, ba wir nichts sehnlicher wünschen als
früher ober später in Wirklichkeit Profefforen zu werben, nachbem wir
als Stubenten ben Professor gespielt haben. Dies bringt mich naturgemäß wieber auf meine Pläne zurück. Dein Brief ließ mich so tief bie Beunruhigung empfinben, bie ich
Euch burch meine Reiseleibenschaft verursacht habe, baß ich nicht barauf zurückkommen will; aber ba es meine Absicht war, mir auf biese Weise einen Namen zu machen, ber mir eine Profeffur ein
bringen sollte, so wage ich jetzt einen anberen Vorschlag.
Wenn es
mir gelingen sollte, mich währenb meiner Stubienzeit burch ein be-
beutenbes Werk bekannt zu machen, willst Du bann einwilligen, baß ich währenb eines Jahres nur Naturwissenschaften stubire unb bann eine Profeffur ber Naturgeschichte annehme, unter ber Bebingung, baß ich vorher zu ber verabrebeten Zeit zum Doktor promovire? Das ist, in Deutschlanb wenigstens, unumgänglich nöthig zur Errei
chung meines Wunsches.
Du wirst mir einwenben, baß, ehe ich an
etwas weiteres benke, ich biese Bebingung erfüllen sollte. Aber laß mich sagen, baß je klarer man ben Weg vor sich sieht, um so sicherer ist man, sich nicht zu verirren ober eine falsche Richtung ein zuschlagen, unb um so besser kann man bie Stationen unb Ruhepunkte
eintheilen ...
Zweites Capitel.
40
Von seinem Vater. Orbe, 25. März 1828.
Ich habe ein langes Gespräch mit Deinem Onkel über Dich gehabt.
Er mißbilligt Deine Briefe, deren Inhalt ich ihm mitge
theilt habe, gar nicht und besteht nur, wie wir es auch thun, auf der Nothwendigkeit eines bestimmten Berufs zur Sicherung Deiner
finanziellen Lage.
Die Naturwissenschaften, so anziehend und erhaben
fie auch sein mögen, bieten keine sichere Gewähr für die Zukunft.
Sie mögen ohne Zweifel eine goldene Brücke für Dich sein, und Du magst ihnen einen sehr hohen Flug verdanken, aber es könnten auch widrige Geschicke eintreten oder unerwarter Verlust an Popularität
oder vielleicht ein, Deine Philosophie bedrohender Umsturz Dich als
modernen Ikarus von Deinen Höhen herabschleudern, und dann
würdest Du nicht bedauern, in Deinem Köcher die Mittel zum Brot erwerb zu haben.
Zugegeben, daß Du im Augenblick eine unüber
windliche Abneigung gegen die Ausübung des ärztlichen Berufs hast, so ist doch nach Deinen beiden letzten Briefen augenscheinlich, daß
Du dieselbe Abneigung gegen jeden anderen, Gelderwerb versprechenden
Beruf hegst; außerdem ist es jetzt zu spät, um noch eine andere
Wahl zu treffen. Da dem so ist, so wollen wir nun mit einem Wort zum Einverständniß kommen: Laß die Wissenschaften den Ballon sein, mit welchem Du durch höhere Regionen zu reisen ge denkst, aber laß die Arzneikunst und Chirurgie Deine Fallschirme sein. Ich glaube, lieber Louis, Du wirst gegen diese Art, die Frage zu betrachten und zu entscheiden, nichts einwenden können.
Indem
ich dem Herrn Professor der Zoologie mein Compliment mache, habe ich noch die Freude ihm mitzutheilen, daß sein Onkel von der Art, aus welche er seine Abende zubringt, sehr erfreut ist und ihm von
Herzen zu seiner Wahl einer Erholung Glück wünscht. von diesem Kapitel.
Nun genug
Ich schließe es, indem ich Dir von Herzen Muth,
Gesundheit, Erfolg und vor Allem Zufriedenheit wünsche...
Die Osterferien wurden zu einer kleinen Reise benutzt, über
welche der folgende Brief berichtet. Die Reisegesellschaft bestand aus Agassi;, Braun und Schimper und zwei anderen Studenten, welche jedoch nicht während des ganzen Ausflugs bei ihnen blieben.
Serienreife.
41
Dürer-Jubiläum.
An seinen Vater. München, 16. Mai 1828. . . . So angenehm meine Osterreise auch war, so will ich Dir
doch nur einen kurzen Bericht davon schreiben, denn mein Genuß hing so mit meinen speciellen Studien zusammen, daß die Einzel
heiten nur langweilig für Dich sein würden.
Reisebegleiter waren.
Ich theile Dir daher nur unsere Abenteuer
mit, welche nichts mit denen von
sängern gemein haben.
Du weißt, wer meine
fahrenden Rittern oder Minne
Wären diese Herren wieder ins Leben zurück
gekehrt und hätten uns in Blousen, mit Ranzen oder Botanisirbüchsen auf unseren Rücken und mit Schmetterlingsnetzen in unseren
Händen einhermarschiren sehen, anstatt mit Lanzen und Schilden,
so würden sie sicher mitleidig auf uns herabgeschaut haben. Den ersten Tag kamen wir bis Landshut, wo sich früher die Universität befand, ehe sie nach München verlegt wurde.
uns unterwegs viele Frühlingspflanzen zu finden.
Wir freuten
Das Wetter war
herrlich und die Natur schien ihren Jüngern entgegen zu lächeln. Wir hielten uns unterwegs nur einen Tag in Regensburg auf, um
Berwandte von Braun zu besuchen, denen wir versprachen, auf der Rückkehr einige Tage bei ihnen zu bleiben. Da wir in Nürnberg erfuhren, daß das Dürerfest, welches uns hauptsächlich zu dieser Reise veranlaßt hatte, erst in acht bis zehn Tagen stattfinden würde,
beschlossen wir die dazwischenliegende Zeit in Erlangen zu verleben, wo wie Pu weißt, auch eine Universität ist. Ich weiß, nicht, ob ich Dir schon gesagt habe, daß unter den deutschen Studenten die Aus übung der Gastfreundschaft gegen die von einer anderen Universität
kommenden, eine heilige Pflicht ist. Es gilt als ein Zeichen von Stolz und Verachtung, diese Gastfreundschaft abzulehnen. Wir begaben uns deshalb in eines der Vereinigungs-Kaffeehäuser und erhielten sofort
unsere Wohnungskarten.
Wir brachten sechs Tage in Erlangen aus
sehr angenehme Weise zu und machten jeden Tag eine botanische Exkursion.
Wir besuchten auch die Professoren der Zoologie und
Botanik, welche wir schon in München gesehen hatten, und von welchen
wir sehr herzlich empfangen wurden.
Der Professor der Botanik,
Dr. Koch, lud uns zu einem vortrefflichen Mittagessen ein und gab
uns viel seltene Pflanzen, die wir noch nicht besaßen, und Herr Wagner war so gütig uns das Museum und die Bibliothek eingehend
42
Zweites Capitel.
zu zeigen.
Endlich kam der Tag, welcher znr Feier des dreihundert
jährigen Geburtstags von Dürer bestimmt war.
Es war Alles
darauf eingerichtet das Fest zu einem äußerst glänzenden zu machen, und das Wetter war sehr günstig.
Ich bezweifle, daß je zuvor so
viele Maler an einem Ort vereinigt waren.
Alle Nationen hatten
Vertreter geschickt; Russen, Italiener, Franzosen, Deutschere, waren da.
Außer den Schülern der Münchener Akademie der schönen Künste, war wohl jedes Individuum, das malen kann, sei es auch nur die kleinste
Skizze, gekommen, um dem großen Meister seine Huldigung darzu bringen.
Es gingen alle in Prozession zu dem Platz, auf welchem
das Denkmal errichtet werden soll, und die Magistratsherren der
Stadt legten die ersten Steine zu dem Sockel.
Zu meiner Ergötzung
verbanden sie diese Steine mit einem Mörtel, der auf großen sil-
bernen Schüffeln dargereicht wurde und aus seinem zerstoßenem Porzellan mit Champagner angerührt war.
Abends waren alle
Straßen illuminirt ; es gab Bälle, Concerte und Schauspiele, so daß wir uns hätten verdoppeln oder viertheilen lassen müssen, um Alles zu sehen.
Wir blieben einige Tage länger in Nürnberg, um die übrigen Merkwürdigkeiten der Stadt besonders die herrlichen Kirchen zu sehen und kehrten dann nach Regensburg zurück.
Drittes Capitel. 1828-1829. Vom 21. bis 22. Jahre. Erstes bedeutendes naturgeschichtliches Werk. — Brasilianische Fische von Spix. — Zweite Ferienreise. — Thätigkeit während des Nniversitätsjahres. — Aus züge ans Dinkels Tagebuch. — Briefe nach Hause. — Hoffnung mit Humboldt nach Asien zu reisen. — Philosophisches Doktordiplom. — Beendigung deS ersten Theils der Spix'schen Fische. — Brief von Cuvier.
Nicht ohne eine bestimmte Absicht hatte Agassiz vor einigen
Wochen an seinen Vater geschrieben: „Sollte es mir im Laufe meiner Studien gelingen, mich durch ein hervorragendes Werk bekannt zu
machen, würdest Du dann nicht cinwilligen, daß ich während eines Jahres nur Naturwissenschaften studirte?" Ohne Wissen seiner Eltern,
Brasilianische Fische.
43
welchen er eine erfreuliche Ueberraschung zu bereiten hoffte, war
er thatsächlich seit Monaten mit dem ersten Werk beschäftigt, welches ihm in der wissenschaftlichen Welt einen Namen machte, nämlich mit der Beschreibung der brasilianischen Fische, die Martins und Spix
von ihrer berühmten Reise nach Brasilien mitgebracht hatten. Dies war das Geheimniß, auf welches in dem nächsten Brief angespielt
wird.
Zu seiner Enttäuschung kam dies Unternehmen durch einen
Zufall zur Kenntniß seiner Eltern, ehe es ganz ausgeführt war. Er konnte es nie ganz verwinden, daß sein kleines Komplott ver
rathen wurde, ehe der richtige Augenblick zur Enthüllung eingetreten
war.
Das Buch war lateinisch geschrieben und wurde Cuvier ge
widmet*).
An seinen Bruder.
München, 27. Znli 1828.
. . . Verschiedene Arbeit, welche ich angefangen habe, halten mich hier gefangen. Voraussichtlich werde ich während der Ferien keinen Fuß rühren und sogar einen kleinen Ausflug nach Tyrol auf
geben, welchen ich zur Erholung von den Beschäftigungen geplant hatte, die mich jetzt hier festhalten, von denen ich mich aber im Lauf der Ferien frei zu machen hoffe.
Sei nicht böse, daß ich Dir
nicht gleich sage, was das für Arbeiten sind. Wenn Du es erfährst, wirst Du mir hoffentlich verzeihen, daß ich Dich so lange im Dun
keln gelassen habe. Ich habe auch dem Vater nichts darüber mit getheilt, obwohl er mich in seinem letzten Brief fragt, was ich jetzt arbeite.
Noch einige Monate Geduld, dann werde ich Dir einen
genauen Bericht über meine Thätigkeit seit meiner Ankunft hier
geben, und ich bin überzeugt, daß Du dann mit mir zufrieden sein wirst. Vor Einem will ich Dich nur warnen: Setze Dir nicht etwa in den Kopf, daß ich plötzlich die Narrenkappe anlegen und Dich mit dem Doktorhut überraschen werde; das wäre etwas übereilt und daran denke ich noch nicht ... Ich möchte Dich erinnern, daß Du den Sommer nicht vorübergehen lässest, ohne mir die Fische zu ver schaffen, von denen ich Dir ein Vcrzeichniß in meinem letzten Brief *) Selecta genera et species piscium quos collegit et pingendos curavit Dr. J. W. de Spix. Digessit, descripsit et observationibus illustravit Dr. L. Agassiz.
44
Drittes Capitel.
geschickt habe, welches Du hoffentlich nicht verlegt hast.
Du würdest
mir große Freude machen, wenn Du sie mir so bald wie möglich
schicken wolltest.
Laß Dir sagen warum.
Herr Cuvier hat die Ver
öffentlichung eines vollständigen Werkes über alle bekannten Fische angezeigt, und in dem Prospektus fordert er alle Naturforscher, welche
sich mit Ichthyologie beschäftigen, auf, ihm Fische aus dem Lande,
in dem sie leben, zu schicken.
Er erwähnt diejenigen, welche ihm
schon Sammlungen geschickt haben und verspricht Doubletten vom Pariser Museum für weitere Zusendungen.
Er nennt auch die
Länder, von welchen er Beiträge erhalten und bedauert, daß er noch
nichts aus Baiern hat.
Nun besitze ich verschiedene Exemplare von
allen einheimischen Arten und habe sogar etwa zehn entdeckt, deren Vorkommen hier noch nicht bekannt war, und dann noch eine für die Wiffenschaft ganz neue, die ich Cyprinus uranoscopus genannt habe
wegen der Stellung der Augen,
die
sich auf der Oberseite des
Kopfes anstatt an den Seiten befinden — im übrigen dem Gründ
ling sehr ähnlich.
Ich dachte, ich könnte mich auf keine bessere Weise
in die wissenschaftliche Welt einführen, als indem ich Cuvier meine
Fische nebst den Beobachtungen, die ich über ihre Naturgeschichte gemacht habe, schickte.
Wenn ich denselben nun noch die seltenen
Schweizer Arten beifügen könnte, die Du mir verschaffen kannst, so
wäre mir das sehr erwünscht.
Also laß mich nicht im Stich.
Von seinem Bruder.
Neuchatel, 25. August 1828. ... Deinen erfreulichen Brief vom 27. Juli erhielt ich zu rechter
Zeit mit großem Entzücken.
Seine Geheimnisse sind mir aber von
Dr. Schinz enthüllt worden, welcher zu der Versammlung der Natur
forscher nach Lausanne kam, wo er Vater und Onkel traf, gegen welche
er sich in überschwängliche Lobeserhebungen über ihren Sohn und Neffen ergoß und ihnen mittheilte, womit Du Dich jetzt hauptsächlich beschäftigtest. Ich wünsche Dir Glück, mein lieber Bruder, aber ich ge
stehe, daß von uns allen ich am wenigsten erstaunt bin, denn meine Ahnungen in Betreff Deiner gehen noch weit über all' dies hinaus und
ich hoffe, daß sie bald zu Wirklichkeiten werden.
Ich kann Dich auf
richtig versichern, daß die hartnäckigsten Widersacher Deiner natur geschichtlichen Pläne anfangen, auf Deine Seite überzugehen.
Unter
Briefe an die Geschwister.
45
diesen befindet sich mein Onkel hier, der nie anders als mit Be Was willst Du mehr? Ich gab ihm
geisterung von Dir spricht.
Deinen Brief zu lesen, und seither hat er mich wenigstens ein duzendmal gefragt ob ich nicht vergessen hätte, Dir den verlangten Zuschuß zu schicken und mich gemahnt, cs nicht zu verschieben.
Ich habe
bis zu diesem Augenblick gezögert, Dir zu schreiben, weil es mir
nicht gelungen ist, Deine Fische zu bekommen, und ich immer noch hoffte, Deinen Auftrag aussühren zu können.
allem Eifer und allem Fleiß, dessen
angenommen, aber ganz umsonst. int Spiel gehabt zu haben.
Ich habe mich mit
ich fähig bin, dieser Sache
Der Teufel scheint seine Hand
Die Zeit der Sälblinge ist seit zwei
Monaten vorüber, und es sind keine zu erblicken.
Was die Forellen
betrifft, so glaube ich nicht, daß innerhalb der letzten sechs Wochen eine einzige in der ganzen Stadt gegessen worden ist.
Ich bin
den Fischern immer auf den Fersen und verspreche ihnen das dop
pelte und dreifache des Werthes der Fische, die ich haben möchte,
aber sie sagen mir alle, daß sic nichts als Hechte fangen. in Cudrefin wegen Lampreten, fand aber keine.
Ich war
Rudolph") hat
täglich ohne Erfolg in dem Bach gerudert. Ich ging nach Sauge — keine Aale, nichts als Barsche und einige kleine Seekatzen. Zwei ganze Sonntage lang habe ich mich mit der Angelruthe in der
Hand bemüht Braffen und Kaulbarsche rc. zu fangen.
Ich bekam
einige wenige, aber sie waren nicht werth abgeschickt zu werden. Nun ist es für dieses Jahr vorbei, und es bleibt uns nichts mehr übrig als Trauer für sie anzulegen. Ich verspreche Dir aber, daß ich, sobald das Frühjahr kommt, an die Arbeit gehen will, und daß Du Alles erhalten sollst, was Du wünschest.
Wenn sich trotz aller Bemühungen Deine
Hoffnungen nicht verwirklichen lassen, so soll es mir sehr leid thun,
aber sei überzeugt, daß es nicht meine Schuld ist. An seine Schwester Cvcile.
München, 29. Okt. 1828. ... Ich habe Dir nie von der Sache geschrieben, die mich so
erfüllt hat, aber nun das Geheimniß verrathen ist, darf ich nicht
länger darüber schweigen.
Damit Du verstehen kannst, warum ich
*) Ein erfahrener alter Schiffer.
Drittes Capitel.
46
mich auf eine solche Arbeit eingelassen habe, will ich auf ihre Ent
stehung zurückgehen.
Im Jahre 1817 schickte der König von Baiern
zwei Naturforscher, Herrn Martins und Herrn Spix auf eine For
schungsreise nach Brasilien.
Von Hernl Martius, bei welchem ich
meine Mittwoch-Abende zubringe, habe ich Euch oft erzählt.
1821
kehrten diese Herren mit vielen neuen Entdeckungen, welche sie der Reihe nach veröffentlichten, in ihr Vaterland zurück.
Herr Martius
gab colorirte Abbildungen von allen unbekannten Pflanzen, die er auf seiner Reise gesammelt hatte, heraus, während Herr Spix meh
rere Foliobände über die Affen und Reptilien von Brasilien ver
öffentlichte, in welchen die Thiere meist in Lebensgröße gezeichnet und gemalt waren. Es war seine Absicht, eine vollständige Naturge
schichte von Brasilien herauszugeben, aber zum Bedauern aller Natur forscher starb er 1826.
Herr Martius, der sehr wünschte, die Ar
beit, welche sein Reisegefährte angefangen hatte, vollendet zu sehen,
übertrug einem Erlanger Professor die Bearbeitung der Muscheln,
und diese erschienen im vorigen Jahre.
Als ich nach München kam,
fehlte -nur noch die Bearbeitung der Fische und Insekten und Herr
Martins, welcher durch die Professoren, die mich kannten, von mir
gehört hatte, hielt mich für würdig, die Arbeit von Spix fortzusetzen, und trug mir auf, die Naturgeschichte der Fische zu bearbeiten.
Ich
zögerte eine Weile, diesen ehrenvollen Auftrag anzunehmen, weil ich
fürchtete, daß diese Beschäftigung mich zu sehr von meinen Studien abziehen möchte; aber aus der anderen Seite schien die Gelegenheit
sich durch ein großes Unternehmen bekannt zu machen, zu günstig, Der erste Band ist schon fertig und vor
um abgewiesen zu werden.
einigen Wochen hat der Druck begonnen.
Du wirst Dir vorstellen,
was es mir für eine Freude gewesen wäre, ihn unsern lieben Eltern
zu schicken, ehe sie eine Silbe davon gehört oder nur etwas von der
Aufforderung gewußt hätten.
Aber ich hoffe, daß die verfrühte Ent
hüllung meines Geheimnisses, (ich hatte allerdings Herrn Schinz kein
Schweigen auferlegt, weil ich nicht ahnte, daß er jemand von der Familie sehen würde) Deine Freude beim Empfang des ersten Werkes
Deines Bruders Louis,
welches ich Dir bis Ostern zu senden
hoffe, dicht beeinträchtigen wird.
schon fertig.
Fünfzig kolorirte Foliotaseln sind
Wird es nicht merkwürdig sein, wenn das größte und
schönste Werk in Vaters Bibliothek ein von seinem Sohn Louis ge-
47
Briefe an den Vater.
schriebenes ist?
Wäre das nicht eben so gut, als seine Recepte beim
Apotheker liegen zu sehen? Freilich wird mir diese erste Arbeit wenig
einbringen oder, genau genommen gar nichts,
denn da Herr von
Martins alle Ausgaben übernommen hat, wird ihm auch der Gewinn
zufallen.
Auf meinen Antheil werden einige Abdrücke des Werkes
fallen, und diese werde ich den Freunden geben, welche das größte Anrecht darauf habe».
An seinen Vater schreibt Agassiz um diese Zeit über seine Ar beit:
„Ich bin in diesem Sommer sehr beschäftigt gewesen und ich
kann Dir aus guter Quelle sagen, (ich habe
es
von einem
der
Professoren selbst gehört) daß die Professoren, deren Vorlesungen ich besucht habe, mich mehr als einmal als einen der fleißigsten und
kenntnißreichsten Studenten der Universität erwähnt und gesagt haben,
daß ich Auszeichnung verdiene.
Ich sage das nicht aus Prahlerei,
sondern nur damit Du nicht denkst, ich verliere meine Zeit, weil ich mich hauptsächlich mit Naturwissenschaften beschäftige.
Ich hoffe Dir
noch zu beweisen, daß mit einem Doktorhut als Mitgift, die Natur-
wiffenschasten einem Menschen zum Broderwerb dienen können, eben
so gut als zur Freude seines Lebens" ...
Im September gestattete sich Agassiz eine kleine Unterbrechung in seiner Arbeit.
Der folgende Brief berichtet über
diese zweite
Ferienreise.
An seinen Vater. München, 26. Sept. 1828.
. . . Das akademische Unterrichtsjahr ging mit dem August zu Ende, und unsere Profefforen hatten
schlossen, als ich meine Alpenreise antrat.
kaum ihre Vorlesungen
ge
Braun, welcher ungeduldig
war, München zu verlassen, hatte sich schon am vorhergehenden Tag aufgemacht und mir versprochen auf der Straße nach Salzburg an
dem ersten Ort, der ihm zu einem Ruhepunkt gefiele, auf mich zu
warten.
Damit ich ihn nicht aufhielte, bat ich einen Freund mich
eine Tagereise zu fahren, in der Hoffnung, Braun am ersten Tage an den lieblichen Ufern des Chiemsees
einzuholen.
Meine Reise
gefährten waren der jüngere Schimper (Wilhelm), von dem ich Dir
48
Drittes Capitel.
gesprochen habe, (er machte vor zwei Jahren eine botanische Reise
nach dem südlichen Frankreich und den Pyrenäen) und Mahir, der uns fuhr, und der mir sehr befreundet ist. und treibt mit Begeisterung Physik.
Er studirt Medicin
Er gab mir
den
ganzen
Winter Privatstunden der Mathematik und war ein Mitglied unserer wissenschaftlichen Versammlungen.
Braun
war auch nicht allein
ausmarschirt, und seine zwei Reisegefährten gehören ebenfalls zu unseren Freunden.
Der eine ist Trettenbacher, ein Mediciner, der
sehr zu Sophismen und Paradoxen neigt, aber sich mit großer Gut-
müthigkeit durch Beweise widerlegen läßt, obwohl er fest glaubt, daß er recht hat, ein äußerst guter Kerl dabei, der sich vortrefflich aus Alterthümer versteht. Der andere ist ein junger Student, Namens More aus dem früheren Departement Mt. Tonnerre, welcher sich ganz den Naturwissenschaften widmet und sich zum reisenden Natur
forscher ausbilden will.
Du wirst Dir denken können, daß mich dies
zu ihm hinzieht, aber da er erst ein Anfänger ist, bin ich gewisser
maßen sein Lehrer. Am Morgen unserer Abreise war herrliches Wetter. Während wir schnell dahin fuhren, überließen wir uns allerlei Vermuthungen,
wo wir unsere Reisegefährten treffen würden.
Wir hofften, daß wir
noch an diesem Tage den Chiemsee erreichen und sie da auf einer der hübschen Inseln einholen könnten, aber am Nachmittag änderte sich das Wetter, und wir waren genöthigt in Rosenheim, einem
reizenden, am Inn gelegenen Städtchen, wo ich diesen aus der Schweiz stammenden Fluß zum ersten Mal sah, Schutz vor dem strömenden Regen zu suchen. Am folgenden Tag fuhr uns Mahir
bis an das Ufer des Chiemsees.
Dort trennten wir uns von ihm
und nahmen ein Boot, um die Inseln zu erreichen, auf welchen wir
aber zu unserer Enttäuschung Braun und seine Gefährten nicht
trafen.
Wir vermutheten, daß das schlechte Wetter des vorher
gehenden Tages (es hatte hier die ganze Nacht geregnet) sie ge nöthigt habe, um den See herumzugehen.
Um sie aber noch einzu
holen, ehe sie Salzburg erreichten, behielten wir unsern Schiffer und
ließen uns an das gegenüberliegende Ufer in die Nähe von Graben stadt rudern, wo wir um 10 Uhr Abends ankamen.
Im Laufe des
Nachmittags hatte sich das Wetter etwas aufgeklärt und die Aussicht war prachtvoll, als wir von den Inseln abfuhren und sie in der
Zweite Serienreife. Dämmerung verschwinden sahen.
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Ich sammelte anch allerlei werth
volle Auskunft über die Bewohner des Wassers in diesem See.
Unter anderem war ich sehr erfreut, eine Seekühe zn sehen, welche
von einem der Fischer gefangen worden war und auch eine Art von Wels, der sich in der Schweiz nicht fbtbet, und welchen die Fischer
hier „unserer lieben Frauen Fisch" nennen, weil er nur am Ufer einer Insel vorkommt, auf der sich ein Kloster befindet, dessen Nonnen
ihn für einen großen Leckerbissen halten.
Am dritten Tag erreichten wir Traunstein, wo trotz des Sonn
tags ein großer Pferdemartt war.
Es machte uns vielen Spaß, die
lustigen Tyroler mit den Hahnenfedern auf ihren spitzen Hüten zu sehen, wie sie in den Straßen sangen und jodelten mit ihren Schätzen am Arm. Ab und zu ließen sic eine spöttische Bemerkung über unsere Bekleidung fallen, welche diesen Leuten, die nie etwas anderes als
ihre eigene Heimath gesehen haben, und welche einen Ausflug von ihren Bergen auf den Jahrmarkt in der nächsten Stadt als eine
große Reise betrachten, lächerlich genug erschienen sein mag.
Es war
Mittag, als wir in Traunstein eintrafen, und von da nach Salzburg sind es nur noch fünf Meilen. Ehe man die Festung erreicht, muß
man an dem großen Zollhaus an der bairischen Grenze vorbei gehen.
Da wir fürchteten von den schwerfälligen österreichischen Beamten zn lange aufgehaltcn und dadurch verhindert zu werden, die Stadt vor Thorschluß zu erreichen, beschlossen wir bis zum anderen Morgen zu
warten und die Nacht in Adelstätten zuzubringen, einem netten Dorf eine Meile von Salzburg, dem letzten bairischen Ort. Die Nacht brach herein, als wir uns einem Wäldchen näherten, welches uns das
Dorf verbarg.
Hier frugen wir einen Bauern, wie weit wir noch
zu gehen hätten, und als er unsere Fragen beantwortet hatte, sagte er uns, offenbar in freundlicher Absicht, daß wir gute Gesellschaft
im Dorfe finden würden, denn vor wenigen Stunden seien drei
Handwerksburschen vorbeigekoinmen.
Dann fügte er noch bei, daß
wir gewiß froh sein würden, Kameraden zu finden und einen lustigen
Abend mit ihnen zuzubringen.
Wir wunderten uns nicht, daß man
uns für Handwerksburschen hielt, da hier Jedermann, der zu Fuß reist und einen Ranzen auf dem Rücken trägt, als der arbeitenden Klasse angehörend betrachtet wird ... Als wir in dem Dorfe an
kamen, waren wir entzückt zu sehen, daß die drei Handwerksburschen Agckssiz'S Leten und Briefwechsel.
4
Drittes Capitel.
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unsere Reisegefährten waren, welche gleich uns von Traunstein ge
kommen waren,
wo wir uns im Gedränge verfehlt hatten, und
die auch in Adelstätten übernachten wollten, um dem Zollhaus zu entgehen.
Am Montag endlich, um 10 Uhr, überschritten wir die
lange Brücke der Salza zwischen den Weißröcken mit gelben Auf
schlägen, welche da Wache standen.
An der bairischen Grenze hatten
wir das Zollhaus kaum beachtet, da unsere Studentenkarten genügten,
um uns durchzulassen; hier im Gegentheil waren dieselben eine be sondere Veranlassung zu strenger Untersuchung. Bücher bei Ench?" war die erste Frage.
„Habt Ihr verbotene
Zu gutem Glück hatte ich,
ehe wir die Brücke erreichten, Trettenbacher gerathen, sein Liederbuch in
dem Futter seines Stiesels zu verbergen.
Ich bin überzeugt, daß man
es ihm sonst weggenommen und ihn nicht eingelassen hätte. Durchsuchung von Brauns Ranzen fand
Bei der
einer der Beamten eine
Muschel von der Art, wie sie massenhaft an dem Ufer des Neuen burger Sees gesammelt werden.
Sofort wollte der Mann auf das
Amt gehen und fragen, ob wir dafür nicht Zoll bezahlen müßten, da wir gewiß diese Muscheln zur Herstellung falscher Perlen mitge
nommen hätten und davon jedenfalls noch einen größereren Vorrath
bei uns führten.
Wir hatten die größte Mühe ihm begreiflich zu
machen, daß nur fünfzig Schritte vom Zollamt entfernt die Ufer des
Flufses von diesen Muscheln
besät seien . . . Nachdem
die Unter
suchung überstanden war, mußten wir noch unsere Börsen ausleeren,
um nachzuweisen, daß wir Geld genug zu unserer Reise hätten und nicht genöthigt sein würden, »ns durchznbetteln. dieser Weise durchsucht wurden,
Während wir in
machte ein anderer Beamter eine
Inspektionsreise um uns her, nm unsere Haltung rc. zu beobachten ... Nachdem wir so zwei Stunden auf Kohlen gestanden waren, erhielten
wir unsere Pässe zurück und wanderten weiter.
Um ein Uhr erreichten
wir Salzburg, hungrig wie Wölfe, aber am Thor wurden wir aber mals angehaltcn, mußten unsere Pässe abgeben und erhielten Scheine
dafür, welche uns die polizeiliche Erlaubniß, in der Stadt bleiben zu dürfen, verschaffen sollten.
Vom Gasthof schickten wir den Kellner,
um die Erlaubnißkarten zu holen, aber er kehrte unverrichteter Sache
zurück und bedeutete uns, daß wir selbst hingehen und dieselben in Empfang nehmen müßten.
Die Sache habe aber keine Eile; es ge
nüge, wenn wir in drei bis vier Stunden kämen!
Weiter hatten wir
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Zweite Ferienreise.
keine Schwierigkeiten, nur wurde es zur Bedingung unseres Bleibens
Diese Be
gemacht, daß wir nicht in Studentenanzügen erschienen. kleidung, sagte man uns, sei in Oesterreich verboten.
More wurde
ersucht, sein Haar zu schneiden, sonst würde cs ihm gratis gekürzt;
dann bedeutete man uns noch, daß es sich für unser Alter nicht schicke,
ohne Halsbinden umherzngehen.
Glücklicherweise hatte ich
zwei bei mir, und Braun band sein Taschentuch um den Hals.
Es
wunderte mich auch, daß wir nicht in das Fremdenverzeichniß ein
getragen wurden, welches allabendlich erscheint.
Nachher fanden wir,
daß dies mit anderen Studenten auch so gehalten wurde, obwohl andere Personen, die mit derselben Fahrgelegenheit ankamen, selbst Kinder, pflichtgemäß aufgezählt wurden.
Es scheint, daß diese Vor
sichtsmaßregel den Zweck hat, Versammlungen von Studenten zu ver
hindern . . .
Der Brief schließt eilig ab, um mit der nächsten Post befördert zu werden und der Schluß des Reiseberichtes, wenn er je geschrieben
wurde, ist nicht erhalten.
Einige Auszüge aus den Briefen von
Agassiz's Freund Braun an seine Eltern, welche hier einen Platz verdienen, werfen ein Licht auf das Universitätsleben des nächsten Jahres").
Alexander Braun an seinen Vater.
Heute, lieber Vater, will ich Dir in Kürze erzählen, wie un sere Zeit in diesem Semester eingerichtet ist. Die Zeit des mensch lichen Bewußtseins fängt um halb sechs Uhr an.
Ich halte es für
einen nicht unbedeutenden Fortschritt in der Lebensverfassnng dieses
Winters, daß ich gelernt habe, regelmäßig früh anfzustchen. Die Stunde von sechs bis sieben ist der Mathematik gewidmet — und
es wird auch wirklich ihre Bestimmung erfüllt, wenn nicht der Pro
fessor verschläft oder Agassiz an's Bett angewachscn ist — ein Zu fall, der sich jetzt am Anfang des Semesters noch zuweilen ereignet. Von sieben bis acht thut man nach Belieben und frühstückt dabei. Zn Agassiz's neuer Haushaltung wird der Kaffe gekocht in einer
Maschine, worin unter Tags allerlei altes Wildpret zum Skelettiren *) Siehe Leben von Alerander Braun von C. Mettenius.
4*
Drittes ßnpitel.
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abgekocht und dann Abends wieder der Thee bereitet wird.
Um
acht Uhr gehe ich in die medicinische Klinik zu Ringseis und schaue ein wenig zu, wie man die Kranken traktirt.
Da Ringseis ein ganz
neues medicinisches System eingeführt hat, so ist das nicht ohne allgemeines physiologisches Interesse. - Um
zehn Uhr liest Stahl
Mathematik und Bewegungslehre als ersten Theil der Physik.
Dies
hören wir alle miteinander, sowie die darauffolgende specielle Natur geschichte der Amphibien bei Magier,
wöchentlich vorkommt.
welche
aber nur zweimal
Von zwölf bis eins haben wir nichts be
stimmtes vor, gedenken aber einzelne Kapitel der Vorlesungen von
Döllinger zu besuchen, besonders wenn er an die Sinnesorgane kommt.
Um ein Uhr gehen wir zum Mittagessen, welches nun einen
guten, bestimmten Platz gefunden hat, nachdem wir vorher überall hemm gegessen hatten für 9—24 Kreuzer.
Wir haben einen Tisch
in einem Privathause gesunden, wo wir nicht mit zu vielen anderen, meist bekannten Leuten zusammen sind und ein reinliches und gutes
Essen für 13 Kreuzer haben. Nach dem Essen gehen wir zu Dr. Waltl, woselbst wir die Chemie nach Gmelin's Handbuch durchnehmen, und uns von ihm die nöthigen Experimente vormachen lassen.
Von 3—4
wollen wir in der nächsten Woche die Entomologie bei Dr. Berthy ansangen.
Samstags, wo fast alle Kollegien aussetzen, besuchen wir
wir von 2—4 die Experimental - Physiologie bei Dr. Oesterrcicher,
einem jungen Docenten, der über den Kreislauf des Blutes geschrieben hat.
Da Agassiz zu Hause auch viele Thiere zergliedert, so machen
wir auch Fortschritte in der vergleichenden Anatomie. Um 4 Uhr gehen wir nur deshalb noch einmal in Okens Naturphilosophie,
damit wir gute Plätze für die darauf folgende Stunde bei Schelling besitzen.
Wir müssen freilich unsere Ohren zuweilen einigem Unsinn
preiSgeben.
Bei Schelling hören wir Philosophie der Offenbarung.
Das wird Euch sonderbar lauten, denn bisher hat man gar nicht
geglaubt, daß dies nur ein der philosophischen Erörterung fähiger
Gegenstand sei. — Um 6 Uhr gehen wir nach Hause und uun fangen die PrivatKollegien an.
Etliche Male bläut uns Agassiz einige französische
Regeln und Formeln ein; etliche male repetiren wir Anatomie; etliche male lese ich dem Wilhelm Schimper allgemeine Naturgeschichte.
Später werde ich die Naturgeschichte der Gräser und Farnkräuter
Auszüge aus Dinkel s Tagebuch.
vornehmen.
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Zweimal wöchentlich liest uns Karl Schimper, der
schneller, als ich dachte, wieder gekommen ist, die Morphologie der
Gewächse, ein höchst wichtiges Kollegium über einen noch gar nicht
bekannten Gegenstand.
Er hat dabei 12 Zuhörer.
Agassiz will uns
an einigen Sonntagen Naturgeschichte der Fische lesen ...
Ziemlich im Anfang des Jahres 1828 hatte Agassiz die Bekannt schaft des Künstlers Joseph Dinkel gemacht.
Ein gemeinsam auf
dem Land verlebter Tag, an welchem Dinkel unter der nnmittelbaren Leitung des jungen Naturforschers eine lebhaft gefärbte Forelle nach dem Leben malte, führte eine Verbindung herbei, welche viele Jahre
ununterbrochen fortdauerte.
Dinkel begleitete Agassiz später als sein
Zeichner auf verschiedenen Reisen und war beinah anhaltend be schäftigt, sowohl Abbildungen für die „Poissons Fossiles“ und die
„Poissons d’Eau douce“,
als auch für seine Monographien und
kleineren Abhandlungen zu machen.
Die beiden größeren Werke,
von denen das letztgenannte unbeendet geblieben ist, waren schon damals im Entstehen.
Nicht Dinkel allein war mit Herstellung der
Tafeln für die Süßwasser-Fische beschäftigt; auch I. C. Weber, der damals unter Agassiz's Leitung Abbildungen für die Spix'schen Fische machte, widmete seine freien Stunden demselben Gegenstand.
Dinkel erzählt von Agassiz's Studentenleben in dieser Zeit:
„Ich war bald vier bis fünf Stunden täglich beschäftigt Süß-
wasser-Fische für ihn nach dem Leben zu malen, während er neben
mir saß oder stand, zuweilen seine Beschreibungen niederschreibend,
zuweilen mich anleitend ... Er wurde nie ärgerlich, obwohl die Versuchung manchmal groß war, sondern behielt immer seine Selbst beherrschung und machte Alles ruhig, mit einem freundlichen Lächeln
für Jedermann und einer helfenden Hand für diejenigen, welche einer
solchen bedurften.
Er war damals kaum zwanzig Jahre alt und war
schon der hervorragendste unter den Münchener Studenten. Alle liebten ihn und hatten große Achtung vor ihm. Ich habe ihn wiederholt in dem Schweizerklub gesehen und habe ihn unter den flotten Studenten beobachtet.
Er liebte lustige Gesellschaft, war
aber selbst meist zurückhaltend und nie lärmend.
Er suchte sich die
begabten und gutunterrichteten Studenten ans und verlor nicht gern
seine Zeit mit gewöhnlichem Gespräch.
Oft, wenn er eine Anzahl
Drittes Capitel.
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von
Studenten auf einen leeren Vergnügungszug auögehen sah,
sagte er zu mir: Da gehen sie mit den anderen Burschen; ihr Motto
ist:
„Ich gehe mit den andern".
Ich will meinen eigenen Weg
gehen, Herr Dinkel, aber nicht allein das: ich will ein Führer der
anderen sein."
In all' seinem Thun war eine ganz merkwürdige
Leichtigkeit und Ruhe. Sein Studirzimmer war ganz das eines echten deutschen Studenten. Es war groß mit mehreren breiten
Fenstern; die Ausstattung bestand in einem Bett, etwa einem halben Duzend Stühlen und einigen Tischen zu seinem und seiner Künstler Gebrauch.
Dr. Alex. Braun und Dr. Schimper wohnten in dem
selben Hause und schienen sein Arbeitszimmer zu theilen.
Da sie
Botaniker waren, brachten sie auch von allen ihren Exkursionen
viel Eingesammeltcs mit, und diese ganze Ausbeute wurde in dem Studirzimmer aus Bett, Stühle oder Fußboden niedergelegt.
Alle
Stühle waren mit Büchern belegt, nur ein einziger blieb frei für den zweiten Künstler, während ich an einem Stehpult zeichnete. Kein Besucher konnte sich niedersetzen, und oft war kaum Platz zum
Stehen oder Herumgehen. Figuren bemalt, katuren beifügten.
Die Wände waren weiß und mit allerlei
welchen wir Künstler noch Skelette und KarriKurz, es war ganz originell.
Es dauerte einige
Zeit, ehe ich die wirklichen Namen seiner Freunde ausfindig machen
konnte, denn jeder hatte einen Spitznamen: Molluske, Cyprinus, Rhabarber rc." Von diesem Streifblick in die „kleine Akademie", kehren wir zu Agassiz's eigenen Berichten in die Heimath zurück.
Sein nächster
Brief zeigt, daß seine Privatsammlungen einen bedenklichen Umfang für eine Privatwohnung angenommen hatten. Auf mannigfaltige Weise zusammengebracht, theils selbst gesammelt, theils im Umtausch gegen Doubletten erworben, theils als Zahlung für das Bestimmen und
Ordnen von Exemplaren des Münchener Museums erhalten, hatte
feine Sammlung im Vergleich zu seinen spärlichen Mitteln, einen bedeutenden Geldwerth erlangt und eine noch viel höhere wissen
schaftliche Bedeutung.
Sie bestand aus Fischen, aus einigen seltenen
Säugethieren, Reptilien, Muscheln, Vögeln, aus einem Herbarium von etwa dreitausend Pflanzenarten, die er selbst gesammelt hatte und aus einem kleinen Mineralienkabinet.
Nachdem er die ver
schiedenen Bestandtheile in einem Brief an seine Eltern anfgezählt,
Briefe nach Hause
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fährt er fort: „Ihr werdet Euch denken können, daß alle diese Dinge mir im Wege sind,
da ich mich ihrer seht nicht annehmen kann,
und da sie aus Mangel an Pflege und Platz alle aufeinandergehänft
und der Gefahr ausgesetzt sind, zu verderbe».
Ans meinem Ver-
zeichniß seht Ihr, daß die ganze Sammlung auf zweihundert Louisd'ors geschätzt ist, und das ist eine so niedrige Schätzung, daß selbst die
jenigen, welche natm geschichtliche Gegenstände verkaufen, nicht zögern würden,
sie zu diesem Preise zu nehme«.
Ihr werdet daher be
greifen, wie sehr es mir am Herzen liegt, sie zu erhalten.
Könntet
Ihr nicht einen Raum für mich finden, wo man sie aufstellen
könnte? Ich habe daran gedacht, das; mein Onkel in Neuchätel viel leicht die Güte hätte, mir einige große Regale in dem Oberstübchen
seines Hauses in Cndrefin aufmachen zu lassen.
Weit entfernt eine
Last zu sein oder unangenehme Gerüche zu verbreiten, würde meine
Sammlung vielmehr, wenn sie in Kästen unter Glas untergebracht oder in anderer geeigneter Weise aufgestellt wäre, eine Zierde des
Hauses bilden.
Seid so gut und schlagt es ihm vor, und wenn er
einwilligt, so will ich Euch sagen, was ich zu der Einrichtung bedarf. Bedenkt, daß davon zum großen Theil die Erhaltung meiner Samm
lung abhängt und antwortet mir so bald als möglich." Agassi; beschleunigte jetzt nach Kräften die Vorbereitungen zu seiner Doctorpromotion und die Beendigung der brasilianischen Fische, in der Hoffnung dann endlich sein Verlangen nach einer Forschungs
reise befriedigen zu können.
Diese Hoffnung kommt in dem nächsten
Briefe nach Hause zum Ausdruck. Die erste Hälfte dieses langen Schreibens ist hier übergangen, weil sie sich nur auf die Samm
lungen und die denselben zu widmende Sorgfalt bezieht.
An seinen Vater.
14. Febr. 1829. . . . Nun muß ich aber von wichtigeren Dingen sprechen, nicht
von dem, was ich besitze, sondern von dem, was ich werden will. Laß mich zuerst auf einige Punkte zurückkommen, die in unserem früheren Briefwechsel schon besprochen sind, welche aber jetzt ein
gehender behandelt werden müssen. 1. Du erinnerst Dich, daß als ich zuerst die Schweiz verließ, ich Dir versprach, in zwei Jahren den Doctortitel zu erwerben und
Drittes Capitel.
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(nach Beendigung meiner Studien in Paris) vorbereitet zu sein, meine Prüfung vor dem Gesundheitsrath (Conseil de Santo) zu be
stehen und mit der ärztlichen Praxis anzufangen. 2.
Du wirst eben so wenig vergessen haben, daß Du dies nur
verlangtest, damit ich einen Beruf hätte, und daß Du mir ver sprachst, Dich meinen Wünschen nicht entgegen zu stellen, wenn ich
im Stande wäre, mir einen Weg als Schriftsteller oder Naturforscher zu bahnen.
Ich weiß sehr wohl, daß in diesem letzteren Falle
Dir der Gedanke, daß ich mich von meinem Vaterlande und von
Allen, die mir lieb sind, trennen müßte, sehr störend wäre; aber Du
kennst mich genug, um vorauszusetzen, daß ich mir freiwillig eine
solche Verbannung auferlegen würde.
Laß uns betrachten, ob diese
Schwierigkeit nicht zu unserer beiderseitigen Zufriedenheit zu lösen und
welches der sicherste Weg wäre zur Erreichung des Ziels, das ich mir seit Beginn meiner mcdicinischen Studien vorgesetzt habe. Wäge alle meine Gründe ab, denn es hängt davon mein Seelenfrieden und
mein zukünftiges Glück ab.
Prüfe
mein Verhalten in Hinsicht
meines'Vorschlags nach jeder Seite, mit Einschluß meines Verhältnisies als Sohn und Waadtländer Bürger, und ich bin überzeugt, Du wirst mit mir übereinstimmen.
Mein Ziel und die Mittel, durch welche ich cs zu erreichen glaube, sind folgende: Ich wünsche, daß man von Lonis Agassi; sagen könne, er war der erste Naturforscher seiner Zeit, ein guter Bürger und ein guter Sohn, geliebt von allen, die ihn kannten.
Ich fühle in mir die Kraft einer ganzen Generation diesem Ziele
nachzustreben und ich werde es erreichen, wenn mir die Mittel nicht
fehlen. Laß uns nun sehen, worin diese Mittel bestehen.
(Hier folgt
die Zusammenstellung der Gründe, welche ihn eine. Professur der
Naturgeschichte der Ausübung des ärztlichen Berufs vorziehen ließen und die Darlegung feiner Absicht, sich in Deutschland zum Doktor der
Philosophie machen zu lassen.)
Aber wie eine Professur erlangen,
wirst Du sagen, das ist die wichtige Frage? Ich antworte, daß der
erste Schritt dazu ist, mir einen europäischen Namen zu machen, und dazu bin ich auf dem richtigen Wege.
Erstens wird mich mein
Werk über die brasilianischen Fische, welches im Begriff ist zu er
scheinen, in vortheilhafter Weise bekannt machen.
Ich bin über
zeugt, daß es gut ausgenommen werden wird, denn auf der Ver-
57
Hoffnung mit Humboldt nach Asien zu reisen.
sanunlung deutscher Naturforscher und Aerzte im vorigen September
in Berlin wurde der bereits fertige Theil vorgelegt und in einer mir ganz unerwarteten Weise gelobt.
Auch die Professoren, denen
ich bekannt bin, sprachen auf der Versammlung in sehr günstiger Weise von mir.
Zweitens werden gegenwärtig zwei naturwissenschaftliche Expe ditionen ausgerüstet, eine durch Herrn von Humboldt,
dessen Ruf
Dir sicher bekanirt ist. Es ist derselbe, der mehrere Jahre mit Herrn
Bonpland die Acquatorialgebiete von Süd-Amerika erforschte.
Er
hat einige Jahre in Berlin zugcbracht nnd ist jetzt im Begriff eine
Reise in den Ural, den Kaukassus und in den Umkreis des Kaspischen
Meeres zu unternehmen.
Braun, Schimpcr und ich sind ihm als
Reisebegleiter vorgeschlagen worden, aber unsere Bewerbung kann zu
spät kommen, denn Humboldt hat diese Reise schon lange beschlossen und hat wahrscheinlich die Naturforscher schon ausgewählt, welche
ihn begleiten sollen.
Wie glücklich wäre ich, wenn ich mich an
dieser Expedition in ein Land, dessen Klima durchaus nicht ungesund ist, betheiligen dürfte, unter der Leitung eines Mannes, dem der Kaiser von Rußland Hülfe und Schutz zu allen Zeiten und in allen Verhältnissen zugesagt hat.
Die zweite Expedition geht in ein gleich
falls gesundes Land, welches den Reisenden ebenso wenig mit Gefahren bedroht, nämlich nach Südamerika.
Sie wird unter der Leitung
von Herrn Ackermann unternommen, welcher als bedeutender Land wirth nnd als Staatskauzler des Großherzogs von Baden bekannt ist.
Ich würde lieber mit Humboldt gehen; aber wenn ich bei
diesem zu spät komme, so hoffe ich sicher, mich der zweiten Expe dition anschließen zu können.
So hängt also die Sache, wie Du siehst, nur von Deiner Einwilligung ab. Die Reise soll zwei Jahre dauern.
Nach Ablauf dieser Zeit kann ich, glücklich nach Hause
znrückgekehrt, die erwählte Laufbahn mit aller erwünschten Förderung
weiter verfolgen.
Wenn sich in Lausanne, welches ich jedem anderen
Ort vorziehen würde, eine Stellung für mich fände, könnte ich mein Leben dem Unterricht meiner jungen Landsleute widmen, in ihnen
den bei uns so vernachlässigten Sinn für Wissenschaft und Beob
achtung wecken und auf diese Weise nützlicher wirken, als ich es als Arzt thun würde.
Die Verwirklichung dieser Gedanken kann miß
lingen, aber bei der gegenwärtigen Sachlage sind die Aussichten dazu
Drittes Capitel.
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günstig.
Deshalb bitte ich Dich meine Pläne ernstlich zu erwägen,
mit meinem Onkel in Lausanne darüber zu berathen und mir dann gleich zu schreiben, was Du davon hältst . . .
Trotz des heißen Verlangens nach Reisen, welches sich in diesem Brief ausspricht, wird es sich doch späterhin zeigen, wie die ruhe
losen Bestrebungen der Kindheit und Jugend, welche im Grunde nur
die Aeußerung der noch unentwickelten Liebe
zur Forschung
waren, sich zu dem festen Lebensziel des Mannes ausbildeten, der monatelang in seinem Studierzimmer eingeschlossen bleiben konnte und sein Mikroskop nur verließ, um zu essen oder zu schlafen — eine so zurückgezogene Lebensweise, wie sie nur je von einem eifrigen
Gelehrten geführt wurde. Von seinem Vater.
Orbe, 23. Febr. 1829. . . . Wir haben Deinen Brief vom 14. nicht ohne tiefe Be wegung gelesen und ich kann leicht verstehen, daß Du in der Vor
aussicht des Eindrucks, welchen er uns machen würde, so lange mit
Schreiben gezögert hast.
Doch hattest Du unrecht dies zu thun.
Hätten wir früher etwas von Deinen Plänen gewußt, so hätten wir Deiner Wahl des Herrn von Humboldt zuvorkommen können, dessen Expedition mir in jeder Beziehung der des Herrn Ackermann vor zuziehen scheint. Die erstere umfaßt ein weiteres Feld und betrifft
noch mehr die Geschichte des Menschen, als die der Thiere; die letztere beschränkt sich auf eine Exkursion längs der Seeküste, wo
zwar ohne Zweifel eine reiche Ausbeute für die Naturwissenschaften,
aber viel weniger für die Philosophie zu machen sein wird. Wie das aber auch sein mag, Deine Eltern, wenn sie auch mit Trauer an den Tag der Trennung denken, werden Deinen Plänen kein Hinder
niß in den Weg legen, sondern Gott bitten, Dich zu behüten . . .
Der nachfolgende Brief von Alexander Braun an seinen Vater zeigt uns, wie die Pläne, welche von Agassiz bei seinen Eltern so
dringend befürwortet und von
ihnen so freundlich ausgenommen
wurden, zuerst Gestalt im Geiste der Freunde gewannen.
Vereitelung der Reisepläne.
59
Braun an seinen Vater.
München, 15. Febr. 1829. Am vorigen Donnerstag war ich bei Oken.
Es wurde zuerst
über die Bedeutung der Medicin gesprochen, welcher Oken eine lange,
spaßige Lobrede hielt, dann von der russischen Unkultur und allmälig kamen wir auf den Ural und ans Humboldt's Reise und die vielen jungen Naturforscher, welche gewiß gerne mitgingen. ob wir denn keine Lust hätten, uns zu melden.
Oken fragte,
Dies bejahten wir
und sagten, wenn er bewirken könne, daß Humboldt uns mitnähme,
so seien wir jeden Tag bereit, abzureisen.
Oken gab uns wenig
Hoffnung, doch versprach er in unserem Interesse an Humboldt zu schreiben.
Darauf gingen wir sehr vergnügt nach Hause.
spät in der Nacht und Mondschein.
Es war
Agassiz wälzte sich vor Freude
im Schnee und wir kamen überein, daß, wenn auch die Aussicht auf
unser Mitgenommenwerden keine große sei, cs doch schon gar nicht zu verachten wäre, daß Humboldt uns auf diese Art kennen lernte,
und wir, wenn wir ihn später einmal sehen, zu ihm sagen könnten: „Wir sind diejenigen,
deren Begleitung Sic damals verschmäht
haben." Mit dieser Aussicht mußten sich die Freunde genügen lassen,
denn nachdem sie einige Wochen zwischen freudiger Erwartung und drohender Enttäuschung geschwebt hatten, erlosch die schöne Hoffnung.
Oken hatte fein Versprechen erfüllt und an Humboldt geschrieben, um sie ihm dringend anzuempfehlen. Humboldt antwortete, daß seine Pläne endgültig festgesetzt seien, und daß er nur zwei Assistenten
erwählt habe, die ihn begleiten würden, — Ehrenberg und Rose.
In Verbindung mit diesem vereitelten Plan folgt hier der Ent wurf eines Briefes von Agassiz an Cnvier, wahrscheinlich zu einer etwas früheren Zeit geschrieben.
Obwohl nur ein Bruchstück, so ist
es doch der Erguß desselben leidenschaftlichen Verlangens nach einem nur der Wissenschaft gewidmeten Leben und zeigt, daß die Humboldts-
Reise nur die Veranlassung war, einem längst bestehenden Vorsatz
bestimmtere Gestalt zu geben.
1828 geschrieben sein.
Dem Inhalt nach muß dieser Brief
Nachdem ein Bericht über seine Anfangs
studien gegeben ist, der hier nur eine Wiederholung sein würde,
fährt er fort: „Ehe ich meinen Brief schließe, gestatten Sie, daß ich
60
Drittes Capitel.
mir von Ihnen, den ich wie einen Vater verehre, und dessen Werke mir
bisher der einzige Führer gewesen sind, einen Rath erbitte.
Vor
fünf Jahren wurde ich auf die mediciuische Schute nach Zürich ge schickt.
Nach
den paar
ersten Vorlesungen
über Anatomie und
Zoologie konnte ich nur noch an Skelette denken.
In kurzer Zeit
lernte ich scciren und hatte für mich eine kleine Sammlung von Thierschädeln der verschiedensten Klassen hergcstcllt.
Ich brachte zwei
Jahre in Zürich zu, studirte alles, was ich in dem Museum vorfand, und secirte so viele Thiere, als ich mir verschaffen konnte.
Ich habe
mir zu dieser Zeit sogar einen Affen in Weingeist aus Berlin kommen lassen, um das Nervensystem desselben mit demjenigen des Menschen zu vergleichen.
Alle meine geringfügigen Mittel verwendete ich, um
so viel wie möglich zu sehen und zu lernen.
Dann beredete ich
meinen Vater mich nach Heidelberg gehen zu lassen, wo ich ein Jahr
lang Tiedemann's Vorlesungen über Anatomie des Menschen besuchte. Ich brachte beinah den ganzen Winter in dem anatomischen Labo ratorium zu.
Den folgenden Sommer besuchte ich die Vorlesungen
von Leuckart über Zoologie und diejenigen von Bronn über Ver
steinerungen.
Noch während ich in Zürich war, bemächtigte sich
meiner eines Tages das Verlangen naturwissenschaftliche Reisen zu machen, und in Heidelberg nahm dasselbe nur zu.
Meine häufigen
Besuche in dem Frankfurter Museum und alles, was ich dort über Rüppell hörte, befestigte meinen Vorsatz noch mehr als das, was ich zuvor gelesen hatte.
Ich sah mich im Geiste als Rüppell's Be
gleiter; seine Thatkraft, die zu überwindenden Schwierigkeiten, alles war mir gegenwärtig, als ich die Schätze betrachtete, die er aus der
Wüste von Afrika mitgebracht hatte.
Die Vorstellung der bewäl
tigten Schwierigkeiten und die innere Befriedigung, die mir daraus erwuchs, dienten dazu, alle meine Studien in Einklang mit meinen
Neisegedanken zu bringen. Ich fühlte, daß es zur Erreichung meines Zweckes wichtig wäre, meine medicinischeu Studien zu beenden, und deshalb kam ich vor an
derthalb Jahren nach München. Doch konnte ich mich nicht entschließen, den Naturwissenschaften zu entsagen.
Ich besuchte einige pathologische
Vorlesungen, fing aber bald an, sie zu vernachlässigen und indem
ich mich von neuem ganz meiner Neigung hingab, hörte ich regel mäßig die Vorlesungen von Döllinger über vergleichende Anatomie,
61
Brief nit Cuvier.
diejenigen von .Oken über Naturgeschichte,
diejenigen von Fuchs
über Mineralogie-^ und besuchte außerdem astronomische, physikalische, chemische und mathematische Vorträge.
In dieser Abwendung von
medicinischen Studien wurde ich unterstützt durch den Vorschlag des Herrn von Martins, die Fische zu beschreiben, welche Spix aus Bra silien gebracht hat.
Ich willigte um so lieber ein, als Ichthyologie
schon immer mein Lieblingsstudium war.
Ich habe dieselben aber
nicht so sorgfältig bearbeiten können, als ich gewünscht hätte, weil es Herrn von Martins angelegen war, die Derösfentlichnng dieses
Werkes zn beschleunigen und . er mich daher zu möglichster Eile an trieb.
Ich hoffe jedoch, daß ich keine groben Fehler gemacht habe,
welche ich um so eher vermeiden konnte, da ich einen Leitfaden an den Bemerkungen hatte, welche Sie die Güte hatten, ihm auf die
Tafeln von Spix zu schreiben.
Einige dieser Tafeln waren nicht
sehr genau; sie sind bei Seite gestellt und neue Zeichnungen gemacht worden.
Ich bitte, daß Sie dieses Werk, wenn Sie es erhalten,
nachsichtig beurtheilen, als
jungen Mannes. fertig zu werden..
den ersten literarischen Versuch eines
Ich hoffe im Laufe des nächsten Sommers damit
Einstweilen möchte ich Sie bitten, mir einen
väterlichen Rath über die Richtung, welche meine Studien dann
nehmen sollten, zu geben.
Muß ich mich dem Studium der Medicin
widmen? Es ist wahr, daß ich kein Vermögen habe, aber ich würde gerne mein Leben hingeben, wenn ich dadurch der Wissenschaft dienen könnte.
Obwohl ich bis jetzt noch keine Ahnung habe, wo die Mittel
Herkommen könnten, mit welchen ich eines Tages in ferne Länder zu reisen gedenke, so habe ich mich doch während der letzten drei
Jahre darauf vorbereitet, jede Minute aufbrechen zu können.
Ich
habe gelernt, alle Arten von Thiere abzuziehen, auch sehr große. Ich habe mehr als hundert Skelette von Vierfüßlern, Vögeln, Rep
tilien und Fischen gemacht; ich habe die verschiedenen Flüssigkeiten zur Aufbewahrung von Thieren, welche besser nicht abgezogen werden, geprüft und habe darüber nachgedacht, wie man sich in Ländern, wo man solche Hülfsmittel nicht hat, im Nothfall behelfen könnte.
Ich
habe einen jungen Freund') als Reisebegleiter herangezogen und in
ihm dieselbe Liebe zu den Naturwissenschaften geweckt. Er ist ein vor*) Wilhelm Schimper, Bruder von Karl.
62
Drittes Capitel.
trefflicher Jäger und hat auf meine Anregung Zeichenstunden ge
nommen, so daß er jetzt im Stande ist, alle wünschenswerthen Gegen stände nach der Natur zu skizziren.
Wir bringen oft entzückende
Augenblicke auf unseren eingebildeten Reisen in unbekannte Länder zu und bauen uns viele Luftschlöffer.
Verzeihen Sie mir, wenn ich
Ihnen von Plänen spreche, welche auf den ersten Blick kindisch er scheinen; es fehlt nur ein bestimmter Anlaß, um ihnen Wirklichkeit
zu verleihen; deshalb komme ich zu Ihnen, um mir rathen zu lassen.
Mein Verlangen ist so groß, daß ich die Nothwendigkeit empfinde, es Jemanden auszusprechen, der mich verstehen wird,
und Ihre
Theilnahme würde mich zum glücklichsten Sterblichen machen. werde von
Ich
dem Gedanken an eine naturwissenschaftliche Reise so
verfolgt, daß sie sich mir unter tausend Gestalten vorstellt, und alles,
was ich unternehme, zielt auf dieses Ende hin.
Ich habe vor einem
halben Jahr die Werkstätten eines Schmidtes und eines Zimmer manns besucht, um den Gebrauch von Hammer und Axt zu lernen,
und ich übe mich auch im Fechten, im Gebrauch von Bajonett und Säbel.
Ich bin stark und kräftig, kann schwimmen und fürchte mich
nicht vor anhaltenden Märschen.
Ich bin auf botanischen und geo
logischen Ausflügen während einer ganzen Woche zwölf bis fünfzehn
Stunden täglich gegangen und habe dabei einen schweren Ranzen,
mit Pflanzen und Steinen gefüllt, auf dem Rücken getragen.
Kurz ich
scheine mir ganz gemacht zum reisenden Naturforscher. Ich muß nur noch lernen, den Ungestüm zu mäßigen, welcher mich fortreißt. Ich bitte Sie nun, mein Führer zu sein."
Der unbeendigte Brief bricht plötzlich ab und trägt weder Unter schrift noch Adreffe.
Vielleicht verlor der Schreiber den Muth und
schickte ihn nie ab.
Ein Brief von Cuvier an Martius von 1827,
welcher sich unter Agassiz's Briesen aus dieser Zeit fand, enthält die Anmerkungen zu den Fischen von Spix, auf welche in jenem
Schreiben Bezug genommen ist.
Es bleibt daher kein Zweifel, daß
dasselbe an den großen Meister gerichtet war, welcher während seines
ganzen Lebens einen so mächtigen Einfluß auf Agassiz ausübte. Im Frühjahr 1829 doctorirte Agassiz in der philosophischen Fakultät.
Er that dies nicht in der Absicht, sich dadurch die medi-
cinische Promotion zu ersparen, sondern zum Theil aus Rücksicht auf Martins, welcher wünschte, daß der Name seines jugendlichen
Brief an seinen Bruder.
63
Mitarbeiters auf dem Titelblatt der brasilianischen Fische mit einem
Dr. davor erscheine, zum Theil, weil er glaubte, dann später mehr Aussicht auf eine Professur zu haben.
Ueber seine Erlebnisse bei
dieser Gelegenheit berichtet der folgende Brief:
An seinen Bruder. München, 22. Mai 1829. . . . Da es nöthig für mich war, sofort meine Prüfung zu be
stehen, und da hier die für Promotionen bestimmten Tage schon auf zwei Monate hinaus mit Beschlag belegt waren, beschloß ich die
Sache in Erlangen abzumachen.
Um nicht allein gehen zu müssen
und auch um das Vergnügen ihrer Gesellschaft zu haben, überredete
ich Schimper und Michahelles ein Gleiches zu thun.
Braun hatte
auch gewünscht dabei zu sein, sich aber nachträglich entschlossen noch
zurückznbleiben.
Wir stellten unseren Antrag an die Fakultät in
einem langen lateinischen Brief, (weil, wie Du weißt, es unter
Gelehrten Brauch ist, in derjenigen Sprache zu sprechen und zu schreiben, von welcher man am wenigstens versteht) erbaten uns die
Erlaubniß, unsere Prüfung schriftlich zu machen und nur zu dem Colloquium und der Promotion nach Erlangen zu kommen.
Unser
Gesuch wurde bewilligt unter der Bedingung, daß wir das Ver
sprechen gäben, (jurisjurandi loco polliciti sumus), die vorgelegten Fragen ohne Hülfe und ohne Benutzung von Büchern zu beant
worten.
Unter anderem hatte ich ein natürliches System der Zoo
logie zu entwickeln, die Beziehungen zwischen der Geschichte der Menschen und der Naturgeschichte nachzuweisen, die wahre Grund
lage und Grenzen der Naturphilosophie zu bestimmen u. s. w.
Als
Jnangural-Dissertation legte ich einige allgemeine und neue Betrach
tungen vor über die Bildung des Knochengerüstes in dem gesammten Thierreich, von den Infusorien, Mollusken und Insekten bis zu den Wirbelthieren.
Die Examinatoren waren mit meinen Antworten so
weit zufrieden, daß sie mir mein Diplom am 23. oder 24. April zu schickten, ohne das Colloquium und die Promotion abzuwarten.
Sie
schrieben mir dazu, daß meine Prüfung so befriedigend ausgefallen sei, daß ich das Diplom ohne Rücksicht auf das mündliche Examen erhielte.
Der Dekan der Fakultät fügte hinzu, daß er hoffe, mich
bald als Professor zu sehen, und daß ich als solcher ebenso die Zierde
64
Drittes Capitel.
meiner Universität sein gewesen
sei.
Zch
würde,
als ich es bisher als Student
muß versuchen,
seine
Erwartungen
nicht zu
täuschen. . . In einem Briefe seines Bruders heißt es in Beziehung hierauf:
„Gestern Abend, lieber Louis, erhielt ich Deine zwei Diplome. Ich wünsche Dir von ganzem Herzen Glück zu Deinem Erfolg.
Ich
werde dem Großvater das für ihn bestimmte Exemplar schicken, und
ich stelle mir schon seine Freude vor, welche aber noch größer sein würde, wenn statt Philosophie das Wort Medicin darauf stände."
Der erste Theil des Werkes über brasilianische Fische war jetzt beendet, und er hatte die Freude es seinen Eltern als Vorläufer
seiner eigenen Ankunft zu schicken.
Nach dem Besuch der Natur
forscherversammlung in Heidelberg sollte er einen Monat zu Hause
verleben, ehe er zu Beendigung seiner Studien nach München zurück kehrte. An seine Eltern. München, 4. Juli 1829. . . . Ich hoffe, daß wenn Ihr diesen Brief lest, Ihr bereits den
ersten Theil meiner brasilianischen Fische aus Genf erhalten habt...
Ich wage zu hoffen, daß dieses Werk mir einen Namen machen wird, und ich erwarte mit Ungeduld Cuvier's Kritik darüber . . . Der beste Weg zur Erreichung der verschiedenen Ziele, welche ich im Auge habe, ist, glaube ich, auf der begonnenen Laufbahn weiter zu
wandern und so bald wie möglich meine Naturgeschichte der Süß
wasserfische von Deutschland und der Schweiz zu veröffentlichen.
Ich
gedenke sie in einzelnen Lieferungen erscheinen zu lassen, von denen
jede zwölf colorirte Tafeln, begleitet von sechs Bogen Text enthalten soll . . . Bis Mitte September wird eine Versammlung aller Natur
forscher und Aerzte Deutschlands stattfinden, zu welcher auch aus
wärtige Gelehrte cingeladen sind.
Eine ähnliche Versammlung ist
in den letzten zwei oder drei Jahren in anderen hervorragenden
Städten Deutschlands abgehalten worden. in Heidelberg sein.
In diesem Jahr soll sie
Könnte man sich eine bessere Gelegenheit wün
schen, um den Plan eines Werkes bekannt zu machen?
Ich könnte
sogar die Originalzcichnungen von Arten, welche sich nur in der
Briefe von und nach Hause.
65
Umgegend von München finden und so zu sagen den Naturforschern
noch unbekannt sind, vorzeigen.
In Heidelberg werden sich Engländer,
Dänen, Schweden, Russen und sogar Italiener einfinden.
Wenn ich
vorher alles einrichten und ein gedrucktes Circular meines Werkes
vertheilen könnte, so wäre ich des Erfolges sicher... In jenen Tagen kostspieligen Briefportos diente ein Briefblatt
oft für verschiedene Familienglieder. Brief
von
Hause
enthält
Der
hauptsächlich
nächste enggeschriebene Familienangelegenheiten,
schließt aber mit einem Postskript von Frau Agassiz, worin sie ihrem Sohne ihr Entzücken über sein Diplom nnd die Vollendung seines
Buches ausspricht. Von seiner Mutter. 16. August 1829. . . . Der Raum, welchen Dein Bruder mir gelassen hat, ist
sehr ungenügend für alles, was ich Dir zu sagen habe, lieber Louis, und für meinen Dank für das eben so süße, wie tiefempfundene
Glück, welches Dein Erfolg uns bereitet hat. ist schon ein Lohn für Deine Anstrengungen.
Unsere Befriedigung
Wir erwarten mit
Ungeduld den Augenblick, wo wir Dich sehen werden und mit Dir sprechen können. Deine Briefe enthalten manche Lücken, und wir
schämen uns oft, daß wir so wenig Eingehendes über Dein Buch mittheilen können.
Dn wirst Dich wundern, daß wir es noch nicht
erhalten haben. Gedenkt der Herr in Genf es zu lesen, ehe er es uns schickt oder hat er am Ende das Packet nicht erhalten? Wir be unruhigen uns darüber... Lebe wohl, lieber Sohn; ich habe keinen Platz mehr, außer zu einem herzlichen Gruß für Dich.
Eine ehren
volle Erwähnung Deines Namens in der Lausanner Zeitung hat uns viele erfreuliche Glückwünsche eingetragen . . .
An seinen Vater.
August 1829.
... Ich hoffe, Ihr habt inzwischen mein Buch erhalten.
Ich
kann mir die Verzögerung um so weniger erklären, als Cuvier, dem ich es auf demselben Wege geschickt habe, mir seine Ankunft bereits mitgetheilt hat.
Ich schließe seinen Brief ein, da ich hoffe, es wird 5
Agasfij S Lede» und Briefwechsel.
Drittes Capitel.
66
Euch Freude machen zu lesen, was einer der größten Naturforscher
unserer Zeit über mich schreibt. Cuvier an Louis Agassiz.
Paris, König!. Garten 3. Aug. 1829. . . . Sie und Herr von Martins haben mir eine Ehre erwiesen,
indem Sie meinen. Namen an den Eingang eines so bewunderungs würdigen Werkes, wie das eben veröffentlichte, sehen.
Sowohl die
Wichtigkeit und die Seltenheit der darin beschriebenen Arten, als die Schönheit der Abbildungen werden das Werk zn einem bedeutenden
in der Ichthyologie machen, und nichts könnte den Werth desselben
so erhöhen, als die Genauigkeit Ihrer Beschreibungen.
Es wird
mir für meine Geschichte der Fische von größtem Nutzen sein.
Ich
hatte »»ich schon in der zweiten Ausgabe meines „Regne animal“
darauf bezogen.
Ich werde alles thun, was in meiner Macht steht,
um den Verkauf in Fluß zu bringen, theils indem ich es Liebhabern, die in mein Haus kommen, zeige, theils indem ich in Zeitschriften die Aufmerksamkeit darauf lenke.
Ich sehe mit großem Interesse Ihrer Geschichte der Fische der Alpen entgegen.
Sie wird nicht verfehlen, eine große Lücke in diesem
Theil der Naturgeschichte auszufüllen — besonders in verschiedenen
Abtheilungen der Salmgattungen.
Die Abbildungen von Bloch,
ebenso wie die von Meidinger und von Marsigli sind ganz unge Wir besitzen hier den größten Theil der Arten, so daß cs mir leicht sein wird, die Aechtheit der Charaktere zu prüfen. Nur
nügend.
ein Künstler, der an Ort und Stelle nach frisch aus dem Wasser
kommenden Exemplaren arbeitet,
kann die Farben genau treffen.
Sie werden ohne Zweifel auch viel über die Entwicklung, Gewohn heiten und den Nutzen aller dieser Fische beizufügen haben.
Vielleicht
würden Sie gut thun, sich zuerst auf eine Monographie der Salme zu beschränken.
Mit meinem Dank für die versprochenen Schriftstücke
bitte ich Sie,
die Versicherung meiner aufrichtigen Achtung und
warmen Zuneigung anzunehmen.
B. G. Cuvier. Endlich kam der langerwartete Moment, in welchem das Erst
lingswerk des jungen Naturforschers in die Hände der Eltern ge-
Briefe von und nach Hause.
langte.
67
Die Empfangsnachricht ist in einer kurzen, eiligen Zuschrift
enthalten.
Von seinem Vater.
Orbe, 31. August 1829. Ich beeile mich, mein lieber Sohn, die Ankunft Deines schönen
Werkes anzuzeigen, welches uns am Donnerstag, erreicht hat.
Es
fehlt mir an Worten, nm Dir die Freude auszudrücken, welche es
mir gemacht hat.
In zwei Zeilen, denn ich habe nur einen Augen
blick Zeit, wiederhole ich meine dringende Bitte,
daß Du Deine
Heimkehr so viel wie möglich beschleunigen mögest . . . Dein alter Vater, der mit offenen Armen Deiner harrt, schickt
Dir die herzlichsten Grüße . . .
Viertes Capitel. 1829-1830.
Bom 22.- 23. Jahre.
Naturforscherversammlung in Heidelberg. — Besuch zu Hause. — Krankheit iinb Tod des Großvaters. — Rückkehr nach München. — Pläne zu zukünftigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen. — Medicinische Doktor-Promotion. — Be such in Wien. — Rückkehr nach München. — Briefe nach Hanse. — Letzte Tage in München. — Autobiographischer Rückblick ans das Schul- und Nniversitatsleben.
An seine Eltern. Heidelberg 25. September 1829. . . . Die Zeit unseres Wiedersehens ist jetzt ganz nahe gerückt.
Befreit von der Sorge über die Gegenstände, welche ich hier vor zeigen wollte, kann ich jetzt ganz ruhig bei Euch sein und die Ruhe
und Freiheit genießen, nach der ich mich schon lange sehne.
Die
Anspannung des Geistes, welche die Anstrengung zur rechten Zeit fertig zu werden, mit sich brachte, hat alle Gedanken verdrängt,
welche mir im rnhige» Zustand gegenwärtig sind. Ich will Euch nicht schreiben, was ich in letzter Zeit gethan habe (ein kurzer Brief 5*
Viertes Capitel.
68
aus Frankfurt wird Euch Andeutungen gegeben haben), noch was für Beziehungen ich in Heidelberg angeknüpft habe, noch in welcher
Weise ich empfangen worden bin.
Das sind Dinge, die sich besser
mündlich berichten lassen ... Ich gedenke morgen oder übermorgen
hier abzureisen und werde einige Tage in Karlsruhe bleiben, um meine Sachen in Ordnung zu bringen und dann die Heimreise so schnell wie möglich machen.
Im folgenden Monat finden wir Agassi; wieder zu Hause in dem Pfarrhause zu Qrbe.
Nach der ersten Freude und Unruhe des
Wiedersehens, brachte er seine Zeit hauptsächlich mit Ordnen seiner Sammlungen in Cudrefin zu, wo sein Großvater ihm Raum dazu
angewiesen hatte.
Bei dieser Arbeit half ihm die ganze Familie,
welcher die damit verbundene wissenschaftliche Belehrung sehr genuß reich war.
Aber die Freude wurde gestört durch die Krankheit und
den Tod des guten alten Großvaters, unter besten Dach Kinder und Enkel gewohnt waren, sich zu versammeln.
Agassiz an Braun. Orbe, 3. December 1829.
... 3d) will eine Stunde dieses letzten Abends, den ich in Orbe zubringe, darauf verwenden mich mit Dir zu unterhalten.
Du wirst
Dich gewiß wundern, daß ich noch hier bin und dann mit Recht zürnen, daß ich noch nicht geschrieben habe.
Du weißt schon, daß
ich meine Sammlungen in Cudrefin aufgestellt, und daß ich sehr
vergnügte Tage bei meinem Großvater zugebracht habe.
Leider aber
liegt mein guter Großvater sehr krank danieder, und selbst wenn ich
heute bester« Nachrichten von ihm erhalten habe, so liegt doch in dem Gedanken, von ihm Abschied nehmen zu müssen in einem Augenblick, wo er vielleicht auf dem Todtenbett liegt, etwas sehr drückendes...
Zch habe jetzt mein letztes Pflanzenpack zngemacht, und nun liegt mein ganzes Herbar, dreißig Päcke, geordnet da.
Dir danke ich es, lieber
Alex, daß es da liegt und es thut mir wohl, es zu wissen und es Dir sagen zu können.
Weich' eine Folge herrliä)cr Erinnerungen
war es für mich, dies alles wieder durchzublättern.
Zch habe das
69
Rückkehr nach München.
ganze Leben, welches wir zusammengelebt, wieder genossen und noch
viel schöner, wo möglich, als es in Wirklichkeit war, frei von allen störenden Nebensachen.
Jedes Gespräch, jeder Gang war mir wieder
gegenwärtig und in allem sah ich, wie sich unsere Gemüther ent gegenkamen und immer fester verbanden; in Dir kann ich meine ganze geistige Entwicklung, wie in einem Spiegel durchschauen, denn
Dir nnd Deinem Umgänge verdanke ich es, daß ich auf diesem Weg der herrlichsten und dauerhaftesten Genüsse wandle.
Schön ist's, eine
solche Vergangenheit übersehen zu können, wenn uns die Zukunft
so freundlich entgegenlächelt . . .
Agassiz kehrte nach München zurück, um dem Titel des Doktors der Philosophie den des Doktors der Medicin hinzuzufügen.
Ein
Fall von Somnambulismus, den er zu beobachten Gelegenheit hatte,
und der ihm Krankheit oder wenigstens abnorme Thätigkeit des Gehirns unter neuen Gesichtspunkten zeigte, scheint seinen medicinischen Studien
einen frischen Anstoß gegeben zu haben, und eine Zeitlang neigte er zu dem Glauben, daß er den ärztlichen Beruf, welchen er bisher nur
als eine Sache der Nothwendigkeit betrachtet hatte, auch mit Liebe ergreifen würde.
Arzt.
Aber der Naturforscher war stärker in ihm als der
In diesem selben Winter wurde ihm, während er sich mit Ernst
auf seinen Beruf vorbereitete, eine Sammlung fossiler Fische von dem Direktor des Münchener Museums übergeben.
Die Folge wird
zeigen, mit welchem Eifer er sich auf dies neue Gebiet der Unter suchung warf.
In seinem fruchtbaren Geist gestaltete sich sofort der
Plan zu seinem Werk über die „Poissons fossiles“, welches ihn einige
Jahre später in die erste Reihe der europäischen Gelehrten stellte. An seinen Bruder.
München, 18. Januar 1830.
. . . Meine Absicht Medicin zu studiren steht jetzt fest.
Ich
fühle, wie vieles geschehen kann, um diesem Fache die Berechtigung,
eine Wissenschaft zu sein, welche es sich schon lange angemaßt hat,
wirklich zu verleihen.
Die innige Verbindung der Medicin mit den
Naturwissenschaften und die Aufklärung, welche daraus für dieselbe zu hoffen ist, sind es, welche mich veranlassen, in meinem Entschluß
auszuharren.
Um Zeit zu gewinnen und das Eisen zu schmieden,
Viertes Capitel.
70
so lange es heiß ist (fürchte nicht, daß es kalt werden könnte; das Holz welches das Fener nährt, ist gut), habe ich Euler, mit dem ich sehr befreundet bin, vorgeschlagen, die medicinischen Vorlesungen mit mir zu wiederholen.
Seither bringen wir alle Abende zusammen zu,
abwechselnd deutsche und französische medieinische Bücher lesend, und
trennen uns selten vor Mitternacht.
Aus diese Weise hoffe ich, im
Laufe des Sommers mit meinen medieinischen Studien fertig zu
werden, obwohl ich mich den ganzen Tag meiner Arbeit über Fische widme.
Ich werde dann mein Doktorexamen noch in Deutschland
bestehen und nachher in Lausanne ein gleiches machen.
Ich hoffe,
daß die Mutter mit diesem Entschluß zufrieden sein wird.
Mein
Charakter und -bisheriges Verhalten werden ihr ein Bürge sein, daß
ich ihn ausführe. Noch wichtiger als meine nächtlichen Studien ist meine Tages arbeit.
Meine erste Pflicht ist die brasilianischen Fische zu vollenden.
Es ist zwar nur eine Ehrenarbeit, aber sie muß beendigt werden und kann dazu dienen, künftige Arbeiten einträglich für mich zu machen.
Ich widme ihr die Vormittage und glaube sicher, daß ich
bis Ostern damit fertig sein werde.
Nach reiflicher Ueberlegnng bin
ich zu dem Schluß gekommen, daß es am besten fein wird, wenn ich meine Süßwasser-Fische ganz beendige, ehe ich sie einem Verleger anbiete.
Wenn alle Auslagen bestritten sind, könnte ich, voraus
gesetzt, daß der erste Verleger sic nicht zu meinen Bedingungen annähmc, sie ruhig als sichere Anlage znrückbehalten . . . Den Text zu diesem Werk schreibe ich des Nachmittags.
Die größte Schwierig
keit lag in der Ausführung der Tafeln, aber auch da war mir das Glück wunderbar günstig.
Ich sagte Dir schon, daß ich außer voll
ständigen Zeichnungen der Fische, auch die Skelette und die Anatomie
der Weichtheile darstellen wollte, welche von dieser Thierklasse noch nicht abgebildet sind.
Die Schwierigkeit war nun, jemanden zu
finden, der es versteht, solche Dinge zu zeichnen.
Da habe ich jetzt
den glücklichsten Fund gethan und bin überaus befriedigt. Mein früherer Künstler fährt fort die Fische zu zeichnen, ein zweiter zeichnet
die Skelette (er ist schon seit mehreren Jahren in derselben Weise
für ein Werk über Kriechthiere beschäftigt) und ein junger Arzt, der ein vortrefflicher Zeichner ist, macht mir die anatomischen Zeichnungen.
Ich für meinen Theil überwache ihre Arbeit während ich an meinem
Pläne zu weiteren wissenschaftlichen Arbeiten.
71
Text schreibe, und so schreitet das Werk mit großen Schritten voran. Damit ist aber meine Thätigkeit noch nicht zu Ende.
Da ich mit
Erlaubniß des Museum-Direktors eine der schönsten fossilen Samm
lungen Deutschlands zu meiner Verfügung habe, und es mir auch
gestattet ist, die Exemplare, wenn ich sie gebraucht, mit nach Hause zu nehmen, so habe ich es unternommen den ichthyologischen Theil
der Sammlung zu veröffentlichen.
Ich lasse diese Exemplare mm
auch gleich zeichnen, da es mir weiter keinen Unterschied macht, ein
oder zwei Personen anzuleiten.
An keinem anderen Ort wie hier,
wo die Akademie der Künste so viele Zeichner zusammenführt, würde
ich so gute Gelegenheit haben, ein solches Werk zu vollenden.
Da
ich mich damit auf ein ganz neues Gebiet begebe, auf dem bisher niemand etwas von Bedeutung geleistet hat, bin ich des Erfolges
sicher, um so mehr als Cuvier, der allein diese Arbeit machen könnte,
(aus dem einfachen Grunde, daß alle anderen Naturforscher bisher
die Fische vernachlässigt haben) sich nicht damit befaßt.
Dazu kommt
noch, daß dieses Werk gerade jetzt für die Bestimmung der verschie denen geologischen Perioden nöthig gebraucht wird.
Schon früher,
auf der Versammlung in Heidelberg bin ich dazu aufgefordert worden. Der Direktor des Bergbaus in Straßburg, Herr Voltz, hat mir sogar angeboten,
mir die ganze Sammlung fossiler Fische des dortigen
Museums nach München zu schicken.
Ich habe Dir damals nichts
davon gesagt, weil es keinen Zweck gehabt hätte.
Aber nun, da es
in meiner Macht steht, dieses Vorhaben ausznführen, wäre ich ein
Narr, wenn ich die Gelegenheit, die sich gewiß nicht zum zweiten Mal in so günstiger Weise darbieten wird, fahren ließe.
Es ist
daher meine Absicht ein allgemeines Werk über fossile Ichthyologie
vorzubereiten.
Ich hoffe alle Arbeiten, von denen ich oben gesprochen
habe, bis Ende des Sommers, d. h. im Laufe des Juli zu vollenden, wenn mir 100 Lou sd'ors zur Verfügung gestellt werden.
Ich werde
dann zwei Werke in Bereitschaft haben, die mir sicher eintausend Louisd'ors einbringen.
Es ist das eine niedrige Schätzung, denn
selbst die Tagcslitcratur wird so hoch bezahlt.
leicht ausrechnen.
Du kannst es Dir
Für jede Tafel mit begleitendem Text werden
drei Louis bewilligt; meine fossilen Fische werden zweihundert und und meine Süßwasser-Fische ungefähr einhundert und fünfzig Tafeln enthalten . . .
Viertes Capitel.
72
Dieser Brief machte offenbar einen günstigen Eindruck auf die Geschäftshäupter der Familie in Ncuchatel, denn derselbe wurde an
die Eltern befördert mit folgenden Worten, welche der Bruder auf die letzte Seite schrieb:
„Ich beeile mich, lieber Vater, Dir diesen
vortrefflichen Brief meines Bruders ;u senden, welchen ich soeben
erhalten habe.
Hier ist er mit großem Interesse gelesen worden, und
besonders der Onkel Francois Mayor erkennt sowohl Stetigkeit als solide Grundlage in seinen Entwürfen und Unternehmungen."
Es liegt etwas rührendes, aber auch ergötzliches in Agassiz's Bemühungen, seinen ausgedehnten wissenschaftlichen Plänen den An
schein berechnender Klugheit zu geben.
Es geschah dies in aller Auf
richtigkeit, und doch ist er bis an sein Lebensende immer am Rande
des Abgrunds hingewandelt, alles daran setzend, da er in sich die Kraft zum Erfolg fühlte, welcher seine Wagniffe rechtfertigen mußte.
Seine persönlichen Bedürfnisse waren äußerst mäßig; zu derselben in welcher er zwei
Zeit,
bis drei Künstler aus seinen geringen
Mitteln besoldete, bereitete er sich sein einfaches Frühstück in seinem
Zimmer und aß Mittags für wenige Kreuzer im billigsten Speise haus.
Aber wo die Wissenschaft in Frage kam,
kannte er von
früher Jugend bis in das hohe Alter keine andere Sparsamkeit, als
die eines
ebenso kühnen
als sorgfältig überlegten Kostenauf
wandes.
Der vorherige Brief an seinen Bruder enthielt die Geschichte
seiner Arbeit während des ganzen Winters 1830. cinischen Studien trotz
Daß seine medi-
der Fortführung von zwei großen Werken
über fossile und lebende Fische nicht vernachlässigt wurden, kann aus dem folgenden Bericht über seine medicinischen Thesen geschlossen
werden.
Nach seinem Tod schrieb Prof. v. Siebold aus München
an seinen Sohn Alexander Agassi;: „Wie ernstlich Agassiz sich dem Studium der Medicin widmete, zeigen seine Thesen (vierundsiebzig an Zahl), von welchen nach dem vorgeschriebenen Gebrauch ein Ver-
zeichniß mit seiner Einladung große Anzahl derselben erstaunt.
gedruckt wurde.
Ich bin über die
Sie behandeln anatomische, patho
logische, chirurgische und geburtshülsliche Fragen, materia medica
und medicina forensis und die Beziehungen der Botanik zu diesen Gegenständen.
Eine dieser Thesen interessirte mich besonders.
Sie
Medkinische Doktor-Promotion. lautet:
„Focmina humana supcrior mare*).“
wie Ihr Vater diesen Satz auslegte.
73 Ich möchte wissen,
In dem letzten Brief, welchen
ich an ihn richtete, (1873) befragte ich ihn über diesen Gegenstand. Der Brief ist aber leider unbeantwortet geblieben!" Kurz vor
seiner Doktorpromotion schrieb Agassiz an seinen
Bruder: „Ich bin setzt entschlossen Medicin und Naturwissenschaften nebeneinander zu betreiben.
Ich danke Dir von ganzem Herzen für
Dein uneigennütziges Anerbieten, aber ich werde es nicht gebrauchen,
da ich mit meinem Verleger, Herrn Cotta in Stuttgart, in gutem Einvernehmen bin.
Ich hoffe sicher, daß er meine Werke annehmen
wird, da er gewünscht hat, sie zur Durchsicht zu erhalten.
Ich habe
ihm alles geschickt und bin überzeugt, daß er die Pille verschlucken wird.
Meine Bedingungen könnten allenfalls Veranlassung zu einiger
Zögerung geben, aber ich hoffe, daß er daraus eingehen wird.
Für
die fossilen und die Süßwasser-Fische zusammen habe ich zwanzig
tausend Schweizer Franken verlangt.
Sollte er diese nicht bewilligen,
so werde ich mich an einen anderen Verleger wenden." Am dritten April erhielt Agassiz sein Diplom als Doktor der
Mediein.
Einige Tage später meldet er seiner Mutter, daß ihr lang
gehegter Wunsch erfüllt sei.
An seine Mutter.
München im April 1830. . . . Mein heutiger Brief muß an Dich gerichtet sein, denn Dir verdanke ich es, daß ich dem jetzt erreichten Ziel nachgestrebt habe, und ich muß Dir meinen Dank aussprechen, daß Du meinen Eifer angestachelt hast. Ich bin sicher, daß Dir nie ein Brief von mir so
viel Freude gemacht hat, als dieser es thun wird und ich sann in Wahrheit sagen, daß auch ich nie einen mit größerer Befriedigung geschrieben habe.
Gestern habe ich meine medicinische Prüfung be
endigt, nachdem ich allen Anforderungell der Fakultät nachgekommen war . . . Die ganze Ceremonie hat neun Tage gedauert.
Am
Schluß, als mein Fall berathen wurde, wurde ich zum Zimmer
hinausgeschickt.
Bei meinem Wiedereintritt sagte der Dekan zu mir:
“) Diese These war im Widerspruch zu einer Okeuscheu ausgestellt. Aniiierk. d. Nebersetz.
74
Viertes Capitel.
»die Fakultät ist sehr (mit Nachdruck) zufrieden mit Ihren Ant
worten; sie wünscht sich Glück, daß sie einem jungen Manne, der sich schon einen so ehrenvollen Ruf erworben hat, ihr Diplom ver
leihen kann.
Am Samstag, nachdem Sie Ihre Thesen vertheidigt
haben, werden Sie in der Aula von dem Rektor der Universität
zum Doktor gemacht werden."
Der Rektor fügte dann noch hinzu,
daß er es als den schönsten Moment seines Rektorats betrachte, mir den Titel, den ich so wohl verdient hätte, zu verleihen.
Nächsten
Samstag also, zur selben Zeit, als Du diesen Brief erhältst, wird die Disputation begonnen haben, und um zwölf Uhr werde ich im
Besitze meines Diploms sein. meinetwegen, liebe Mutter.
Entschlage Dich nun aller Sorgen
Du siehst, daß ich mein Wort gehalten
habe . . . Schreibe bald; in wenigen Tagen gehe ich auf einige
Monate nach Wien . . .
Von seiner Mutter. Orbc, 7. April LS30. Ich kann Dir nicht genug danken, mein lieber Louis, für die Freude, welche Du mir bereitet hast, durch die glückliche Beendigung Deiner mediciuischen Prüfnngcn, womit Du Dir nun eine eben so
ehrenvolle als gesicherte Laufbahn angebahnt hast.
Es ist ein Blatt
mehr in dem Lorbcerkranz, den Du Dir schon erworben hast, und in meinen Augen das köstlichste von allen.
Du hast Dich mir zu lieb
einer zeitraubenden und mühsamen Aufgabe unterzogen; läge es in meiner Macht, so würde ich Dich gern belohnen, aber ich kann nicht
einmal sagen, daß ich Dich dafür mehr liebe als zuvor, denn dies ist unmöglich.
Meine ängstliche Sorge für Deine Zukunft ist ein
Beweis meiner zärtlichen Liebe zu Dir.
Es hatte mir nur Eines
gefehlt, um mich zur glücklichsten Mutter zu machen, und dies, mein Louis, hast Du mir jetzt gegeben. Möge Gott es Dir lohnen, indem er Dir allen möglichen Erfolg in der Heilung Deiner Mitmenschen
schenkt.
Möge» die Segenswünsche, welche das Andenken eines guten
Arztes ehren, Dir zu Theil werden, weil sie in höchstem Maße das Loos Deines Großvaters waren.
Warum kaun er heute nicht unter
uns sein, um mein Glück, meinen Louis als Doktor der Medicin
zu sehen, zu theilen! . . .
75
Bericht über den Aufenthalt in Wien.
Agassiz wurde nach weniger als zwei Monaten durch die Ankunft
des Herrn Cotta in München, mit dem eine persönliche Zusammen
kunft ihm wünschenswerth schien, aus Wien zurückgernfen.
Der ein
zige Brief, welcher anS der Zeit des Wiener Aufenthalts erhalten
ist, zeigt daß derselbe reich an Interesse und Belehrung war. An seinen Vater.
Wien, den 11. Mai 1830. . . . Seit meiner Ankunft hier habe ich so viel gesehen, daß ich
kaum weis;, was ich zuerst berichten soll, ob meine Erlebnisse oder die dadurch angeregten Gedanken.
Nirgends habe ich besser gegrün
dete, und großartigere Anstalten gesehen, und ich glaube auch nicht, daß irgendwo den Fremden eine so weitgehende Benutzung solcher
Anstalten gestattet ist, wie hier.
Ich spreche von der Universität,
den Spitälern, den Bibliotheken und Sammlungen aller Art.
Anch
so schöne Kirchen habe ich nie znvor gesehen und ich habe mehr als
einmal empfunden, was das für ein Unterschied ist, ob man zwischen kahlen Wänden oder in würdig ausgestatteten Räumen einem Gottes
dienst beiwohnt.
Kurz, ich wäre entzückt von meinem Aufenthalt in
Wien, wenn ich nur den Gedanken los werden könnte, daß ich immer von einem unsichtbaren Netz umgeben bin, welches jeden Augenblick
bereit ist, sich um mich zuzuziehcn.
Abgesehen davon, ist hier das
einzige Unbehagen für einen Fremden, der daran nicht gewöhnt ist, daß er genöthigt ist, sich an öffentlichen Orten jeder Kritik der Zu stände und noch mehr der Personen zu enthalten.
In wissenschaftlicher
Beziehung bin ich ganz besonders befriedigt von meinem hiesigen Besuch.
Ich habe die Behandlung der Augen und das Operiren
derselben gelernt und suche mich noch weiter darin zu unterrichten. Was die Medicin betrifft, so sind die hiesigen Aerzte, obwohl gut,
doch nicht besser als andere, die ich kenne, und da ich es nicht für
nöthig halte, daß ein junger Arzt sich mit einer Menge verschiedener Heilmethoden vertraut macht, bemühe ich mich mehr, den Patienten
und seine Krankheit genau kennen zu lernen, als die verschiedenen
Arzneimittel, welche in einzelnen Fällen angewendet werden.
Chi
rurgie und Geburtshülfe sind schwach besetzt, aber man hat Gelegen heit viele interessante Fälle zu sehen.
Während der letzten vierzehn Tage habe ich oft die naturge-
76
Viertes Capitel.
schichtlichen Sammlungen besucht, meistens des Nachmittags.
Wenn
ich Dir erzählen wollte, wie ich dort erwartet, und wie ich bei
meinem ersten Besuch empfangen wurde und seither gefeiert worden
bin (als Ichthyologus primus seculi — wie sie sagen) so würde Dich das vielleicht ermüden und eingebildet von mir erscheinen, was ich beides vermeiden will.
Aber das wird Dir nicht gleichgültig sein,
daß Cotta geneigt scheint, meine Fische anzunehmen.
Er war einige
Tage in München, und Schimper hat mit ihm gesprochen und hat die Angelegenheit mit einigen Worten mehr gefördert, als es mir
mit vielem Schreiben gelungen ist.
Da Cotta noch einige Wochen
in München bleibt, gedenke ich bald dahin znrückzukehren, um dieses
Geschäft zum Abschluß zu bringen.
Dann werde ich meinen Zweck
erreicht haben und von diesem Herbst ab ein unabhängiges Einkommen erhalten.
Ich habe mich im verflossenen Winter oft über die Unge
wißheit der Mittel beunruhigt, bei den großen Auslagen, die mein
Werk erforderte.
Wenn jedoch Cotta keine andere Bedingung macht,
als die, daß ich eine Anzahl von Subskribenten aufbringe, so bin ich sicher, diese in sechs Monaten zu erlangen.
Ihr könnt also mein
bisheriges Thun als eine glückliche Spekulation betrachten, und eine,
die mich auf den Gipfel meiner Wünsche bringt, indem sie die Aus führung meiner Entwürfe ermöglicht . . .
Ein Brief an seinen Brnder vom 29. Mai, gleich nach der Rückkehr nach München geschrieben, giebt einen Rückblick über den
Wiener Aufenthalt mit Einschluß der persönlichen Erlebnisse, die er
gezögert hatte, seinem Vater zu schreiben.
Sie sind wichtig, weil
sie zeigen, welche Stellung er schon im Alter von dreiundzwanzig
Jahren
unter den wissenschaftlichen Männern einnahm.
„Alles",
sagt er, „war mir als einem Fremden zugänglich, und zu meiner
großen Ueberraschung wurde ich als schon bekannter Genoffe empfangen.
War es nicht schmeichelhaft ohne alle Empfehlung und von allen wissenschaftlichen Männern in Wien ausgesucht und bewillkommnet zu werden und dann vorgestellt und überall cingeführt?
In dem
Museum waren mir nicht nur die Säle jederzeit geöffnet, sondern auch die Schränke und sogar die Gläser, so daß ich alles zur Unter suchung heraus nehmen konnte.
In dem Spital dehnten einige der
Professoren ihre Güte so weit aus, daß sie mich einluden, sie bei
Wohnungsveränderung der Eltern.
ihren Privatkrankenbesuchen zu begleiten.
können, ich
welche Vortheile
sah."
Nachdem
Du wirst Dir denken
daraus zog und
ich
77
wie viele Dinge
er dann noch über seine geschäftlichen Be
ziehungen zu Cotta berichtet, fügt er bei: „Also sei ganz beruhigt meinetwegen.
Ich habe genug Stränge an meinem Bogen und
brauche mir über die Zukunft keine Sorgen zu machen. zige, was mich beunruhigt, ist,
nächst unerreichbar scheint, Museums zu erhalten.
Das Ein
daß mein größter Wunsch zu
nämlich
die Direktion
eines
großen
Wenn ich mit Cotta fertig bin, werde ich
anfangen, meine Sachen einzupacken und hoffe dann gegen Ende August mein Angesicht heimwärts wenden zu können.
Früher kann
ich kaunr wegkommcn, da ich angefaugen habe, zu meiner Uebung die Lust haben, zuzu
zoologische Vorlesungen zu halten für alle,
hören, und ich möchte den Kursus gern vor meiner Abreise vollenden.
Ich trage vor, ohne mir auch nur den Gedankengang aufzuschreiben, aber dies bedarf der Vorbereitung.
Du siehst daraus, daß ich meine
Zeit nicht verliere." Der nächste Brief von Hause zeigt eine wichtige Veränderung in den Familienverhältnissen an. Sein Vater war von seiner Pfarrei
in Orbe nach Concise berufen worden, einer kleinen Stadt an dem nordwestlichen Ufer des Neuenburger Sees.
Von seinem Mutter. Orbe, Juli 1830. . . . Seit Dir Dein Vater am 4. Juni geschrieben hat, lieber
Louis, haben wir keine Nachrichten von Dir gehabt und daraus
schließe ich, daß Du mit besonderem Eifer arbeitest, um Deine An gelegenheiten in Deutschland abzuwickeln und sobald als möglich
nach Hause zu kommen.
Wie sehr Du Dich aber auch eilen magst,
hier wirst Du uns doch nicht
mehr finden.
Vor vier Tagen ist
Dein Vater Pastor von Concise geworden, und gestern sind wir dort
gewesen, um unsere neue Heimath zu sehen.
Sie könnte nicht schöner
sein, und alle, die den Ort kennen, halten die Pfarrei für die beste
im Kanton.
Es ist ein Weinberg, ein schöner Obstgarten mit reich
tragenden Bäumen und ein vortrefflicher Gemüsegarten dabei . . . Auch das Haus ist sehr gut eingerichtet.
Alle Zimmer gehen auf
den See, der kaum eine Schußweite von den Fenstern entfernt ist ...
78
Viertes Capitel.
Die Vorderseite des Hauses ist mit Jasmin bewachsen, besten-Ranken
bis zum Dach hinauf reichen . . . Dieses stille Pfarrhaus gewann Frau Agassiz sehr lieb.
Ihr
ruhiges Leben ist in einem Brief geschildert, welchen ihre Tochter
viele Jahre später schrieb.
„Mit neuem Eifer kehrte die Mutter
hier zu ihrem Spinnrad zurück.
Sie spann vortrefflich und mit
In früheren Zeiten war es in meines Großvaters
großer Vorliebe.
Haus Sitte, daß jede Frau im Hause, ob Herrin oder Dienerin,
ihr Spinnrad hatte und ihre eigene Aussteuer anfertigte.
Später
spann die Mutter für ihre Kinder und sogar für ihre Enkel.
Wir
besitzen alle, als werthgehaltenes Andenken an sie, Tafelleinen, welches sie gesponnen hat.
Es war eine Freude, sie an ihrem Spinnrad zu
sehen; sie war so anmuthig, und der Faden ihrer Gedanken schien,
so zu sagen, den zarten und feinen Faden ihrer Arbeit, der sich
unter ihrer Berührung von der Spindel abwickelte, zu folgen."
Agassiz wurde durch seine schriftstellerischen Arbeiten länger in München zurückgehalten, als er erwartet hatte, und der November war schon weit vorgerückt, ehe er mit seinen Vorbereitungen zur Ab
reise fertig war. An seine Eltern. 9. November 1830. . . . Deinem Wunsch zufolge (dies bezieht sich auf Agassiz's Vorschlag in einem früheren Briefe einen
Studienfreund
mitzu
bringen) werde ich keinen Freund mitbringen. Ich sehne mich danach
die Freuden des Familienlebens zu genießen.
Von einer Person
werde ich jedoch begleitet werden, welche ich gerne gut unterbringen
möchte.
Es ist dies der Künstler, welcher meine Zeichnungen macht.
Wenn kein Zimmer für ihn im Hause frei ist, so kann er anderswo
wohnen; aber ich wünsche, Ihr könntet mir ein helles Zimmer auweisen, worin ich den Tag über arbeiten, und wo er neben mir zeichnen könnte.
Erschrick nicht, ich habe nicht für seinen Unterhalt
zu sorgen, aber es wäre ein großer Vortheil für mich, wenn ich ihn
im Hause haben könnte. Da ich nicht gern meine Zeit mit dem mechanischen Theil meiner Arbeit verlieren möchte, so bitte ich Dich, lieber Vater,
mir einen geschickten Jungen zu «biethen, ungefähr
79
Vorbereitungen zur Abreise von München.
fünfzehn Jahre alt, denn ich anstellen könnte, um mir Skelette und
ähnliche Dinge zu reinigen.
Endlich werdet Ihr verschiedene Kisten
von mir erhalten; laßt sie uneröffnet bis ich komme ohne die Fracht dafür zu bezahlen — diese gehört zu den unbefriedigendsten Aus
gaben, — und ich möchte nicht, daß Ihr einen unerfreulichen Ge danken in Verbindung mit meinen Sammlungen hättet.
Meine Angelegenheiten mit Cotta sind alle geordnet, und ich
habe sogar eine vortheilhaftere Uebcreinkunft mit ihm abgeschlossen, als ich zu hoffen wagte — ich soll eintausend Louisd'ors erhalten, wovon sechshundert beim Erscheinen der ersten Lieferung ausgezahlt werden,
und vierhundert terminweise beim Fortgang der Veröffentlichung.
Wenn ich nicht in Eile gewesen wäre die Sache abzuschließen, um
über jeden Zweifel hinaus zu sein, hätte ich vielleicht noch günstigere Bedingungen erzielen können.
Immerhin hoffe ich Dich durch das,
was Ich erreicht, mit den Naturwissenschaften auszusöhnen.
Was
mir nun »och zu thun bleibt, wird höchstens eine Arbeit von sechs
Monaten sein, während deren ich auch das Material für mein zweites Werk über die fossilen Fische zu sammeln hoffe.
Auch davon
habe ich schon mit dem Verleger gesprochen und er will es unter
vortheilhaftere» Bedingungen annehmen, als ich hätte stellen können. Thue Dein möglichstes, um mir Subskribenten zu verschaffen, damit
wir bald unsere typographischen Einrichtungen treffen können . . . Die Antwort des Vaters zeigt, trotz des scherzhaften Tones,
daß die Aussicht, nicht nur den Naturforscher und seine Sammlungen,
sondern auch den Künstler und einen Gehülfen zu beherbergen, einige Bestürzung verursachte.
Von seinem Vater.
Concise, 16. November 1830. . . . Du sprichst von Weihnachten als der Zeit Deiner An kunft; sagen wir statt dessen Neujahr, denn Du wirst natürlich einige Tage in NrnchLtel zubringen, um mit Deinem Bruder zu sein und die Herren Conlon re. zu sehen, wirst dann nach Cudrefin gehen und
einen Blick auf Deine Sammlungen werfen, dann nach Concise, nach
Montagny, Orbe, Lausanne, Genf re.: der Herr Doktor wird überall begehrt und gefeiert werden.
Und während all dieser unerläßlichen
Viertes Capitel.
80
Ausflüge, auf welche ich wenigstens einen Monat rechne, ist es klar
wie Sonnenlicht,
daß Du zu regelmäßiger Arbeit nicht kommst,
wenn nicht gar die Zeit ganz verloren geht.
Und nun, um des
Himmels willen, was willst Du, oder was sollen wir indessen mit
Deinem Maler anfangen?
Und das ist noch nicht alles.
Obwohl
der Tag von Cecile's Hochzeit noch nicht festgesetzt ist, so ist es doch wahrscheinlich, daß dieselbe im Januar stattfindet, und daß Du dazu
hier sein wirst.
Wenn Du Dich auf den Umsturz im Hause be
sinnen wirst, den Deine Ausrüstung für Biel und Bern und andere
Orte hcrvorrief, so wirst Du Dir eine Vorstellung von dem. Zustand unserer kleinen und großen, oberen und unteren Zimmer machen
können, wenn die Arbeiten für die Aussteuer beginnen.
Wo willst
Du inmitten eines ganzen Heeres von Schneiderinnen, Näherinnen,
Spitzenklöpplerinnen, Putzmacherinnen, — den Troß von helfenden Freundinnen ganz abgerechnet — Deinen Maler und Gehülfen hin stecken? Wo wolltest Du oder wo könntest Du unter all den Seiden stoffen , dem Leinenzeug und den Spitzen rc. Deine Besitzthümer (ich
wage nicht sie aufzuzählcn) unterbringcu?
Was mich betrifft, so
habe ich bereits — trotz der Nähe des Winters — einen großen Nagel in der Bodenkammer angebracht, um daran mein Chorhemd und Kragen aufzuhängen.
Höre also, was Dir Dein Vater an
empfiehlt: Bringe Deine Angelegheiten in München in Ordnung, laß nichts ungeschehen und laß nichts zurück, als Deinen Maler.
Du kannst ihn von hier aus nachkommen lassen, sobald Du seiner
bedarfst. An seiner Vater.
München, 26. November 1830. . . . Wenn Du diese Zeilen erhältst, bin ich nicht mehr in
München.
Mit Hülfe eines letzten Wechsels auf Herrn Eichthal habe
ich alles abgemacht und hoffe übermorgen abzureisen.
die Richtigkeit Deiner Bemerkungen
Ich erkenne
vollständig an, lieber Vater,
aber da Du von einem falschen Gesichtspunkt ausgehst, so stimmen
sie nicht ganz zu den obwaltenden Verhältnissen. Ich gedenke bis zum Beginn des Sommers bei Euch zu bleiben,
nicht nur in der Absicht an dem Text meines Buches zu arbeiten, sondern hauptsächlich, um alle fossilen Sammlungen in der Schweiz
81
Beziehungen zu Dinkel.
zu benutzen.
Dazu brauche ich nothwendig einen Zeichner, der Dank
meinem Verleger, nicht von mir besoldet wird, und der mich in Zu kunft begleiten muß, wohin ich auch gehe.
Da Du keinen Platz für
ihn im Hause hast, so sei so gut und sieh, wo er in der Nachbarschaft untergebracht werden kann. Ich brauche höchstens täglich einen Blick
aus das werfen, was er gemacht hat.
Ich kann ihm sogar Arbeit
auf mehrere Wochen geben, während derer meine Gegenwart dann gar nicht nöthig ist.
Wenn sich eine bedeutende Sammlung von
Fossilien in Zürich befinden sollte, so kann ich ihn dort lassen, bis er seine Arbeit beendet hat;
dann kann er mir nachkommen.
hängt dies alles von den Verhältnissen ab.
Es
Jedenfalls soll er Dir
nicht zur Last fallen und noch weniger unser Familienleben stören.
Damit ich' alle meine Zeit mit Euch verleben kann, werde ich jetzt nichts mitbringen, was ich nicht unumgänglich nöthig gebrauche.
Später werden wir sehen, wo ich mein Museum errichten kann. Besuche denke ich nicht vor dem Frühjahr.
An
Ich kann den Gedanken
an eine Unterbrechung nicht ertragen, ehe ich die erste Lieferung meiner Fische beendet habe.
Der fragliche Künstler war Herr Dinkel, dessen Beziehungen zu der Familie sich sehr freundschaftlich gestalteten.
Die Verbindung
zwischen ihm und Agassi; dauerte sechszehn Jahre und wurde nur durch Agassiz's Abreise nach Amerika unterbrochen.
Während dieses
ganzen Zeitraums war Dinkel beschäftigt, für ihn zu zeichnen, manch mal in Paris, manchmal in England, manchmal in der Schweiz, kurz wo es Abbildungen von lebenden oder fossilen Thieren zu machen gab.
In einem viel später geschriebenen Briefe sagt Dinkel
in Bezug auf den durch Agassiz's Uebersiedelung nach Amerika ver anlaßten Abbruch ihres Verkehrs: „Ich war lange unglücklich über
diese Trennung... er war ein gütiger, edelgesinnter Freund; er war wohlthätig und wenn er Millionen besessen hätte, so würde er sie alle für seine Forschungen verwendet und seinen Mitmenschen so
viel Gutes als irgend möglich erwiesen haben." Einige Stellen aus Braun's Briefen vervollständigen das Ka
pitel dieser Münchener Jahre, die so reich an Plänen und an Er fahrungen waren und gewissermaßen das Vorspiel zu dem geistigen
Leben der beiden Freunde bildeten, Agassiz'ö Leben und Briefwechsel.
welche diese Zeit gemeinsam 6
Viertes Capitel.
82 verbracht hatten.
Die Auszüge zeigen, mit welchem,
mit einiger
Traurigkeit gemischten, Ernst sie dem Ende ihres Zusammenseins
entgegengingen.
Braun an seinen Vater. München, 7. Nov. 1830. Wenn ich jetzt von München wegginge, so müßte ich mich von Agassiz und Schimper trennen, was weder für mich gut und nütz
lich, noch gegen sie freundschaftlich wäre . . . Wir wollen die kurz zugemesiene Zeit, die wir jetzt so ganz ruhig, so ganz unter uns
zusammen verleben können, nicht noch verkürzen, sondern vielmehr,
so lange sie dauert, möglichst benutzen, wechselseitig von einander
zu lernen, uns zu befestigen auf der rechten Bahn und immer enger für's ganze Leben zu verbinden.
Agassiz bleibt noch bis Ende des
Monats; er wird uns in dieser Zeit noch Anatomie vortragen, und ich will noch manches Zoologische von ihm lernen.
Außerdem ist
eines sicher; nämlich, daß wir unsere medicinischen Studien hier viel
ruhiger und ununterbrochener wiederholen können, als in Karlsruhe. Dazu kommt noch der Vortheil, den uns hier der Besuch der Spitäler
gewährt... Die Zeit vergeht uns neuerdings auf das angenehmste,
denn Agassiz hat mehrere Körbe voll Bücher von Cotta bekommen,
darunter Göthe's und Schiller's sämmtliche Werke, das Konversations lexikon, medicinische und naturgeschichtliche Schriften.
Wie viele
Bücher kann man bekommen dafür, daß man Eines schreibt! werden natürlich von seinem Honorar abgezogen. wir den ganzen Tag nichts, als Goethe lesen.
Sie
Gestern thaten
Ein kurzer von ihm selbst diktirter Bericht über Agassiz's Uni versitätsleben mag die Darstellung dieses Zeitraums beschließen.
Er
war oft gebeten worden, einige Lebenserinnerungen niederzuschreiben,
aber er war immer so von der Gegenwart erfüllt, in welcher jeder
Tag seine Aufgaben brachte, daß ihm wenig Zeit zum Rückblick blieb, und er nie dazu kam das folgende Bruchstück zu vervollständigen.
Dasselbe schließt einige schon erzählte Thatsachen ein, ist aber doch
wörtlich wiedergegeben,
weil es gleichsam eine Znsammenfaffung
seiner geistigen Entwicklung bis zu dieser Zeit giebt.
Rückblick auf die geistige Entwicklung.
83
„Ich bin mir bewußt, daß ich zu verschiedenen Zeiten meines Lebens verschiedene Mittel angewendet und verschiedene Systeme in
meinen Studien verfolgt habe.
Es mag mir daher gestattet sein,
die Ergebnisse meiner Erfahrung als einen Beitrag zu der Aus stellung einer gründlichen Methode zur Förderung des Naturstudiums
mitzutheilen. „Am Anfang, als ich noch ein Knabe von zwölf Jahren war,
machte ich es wie die meisten Anfänger.
Ich sammelte alles, was
mir unter die Hände kam und versuchte mit Hülfe der Bücher und
der Autoritäten, die mir zu Gebot standen, die Namen der Gegen stände ausfindig zu machen.
Mein größter Ehrgeiz in dieser Zeit
war, die Pflanzen und Thiere meines Vaterlands richtig mit dem
lateinischen Namen zu bezeichnen und allmälig diese Kenntniß auch auf die Produkte anderer Länder auszudehnen.
Dies schien mir in
jenen Tagen das berechtigte Ziel und die eigentliche Arbeit eines Naturforschers.
Die Schreibcbücher, in welche ich die Namen aller
Thiere und Pflanzen, welche ich kennen lernte, eintrug, sind noch in meinem Besitz, und ich besinne mich sehr gut, daß ich damals ernst
lich hoffte, mir dieselbe oberflächliche Bekanntschaft mit der ganzen Schöpfung zu erwerben.
Ich wußte damals nicht, wie viel wichtiger
es für den Naturforscher ist, den Bau von einigen wenigen Thieren zu verstehen, als das ganze Feld der wissenschaftlichen Nomenklatur zu beherrschen. Seit ich ein Lehrer geworden bin und die Fortschritte
der Studirenden beobachtet habe, habe ich gesehen, daß sie alle auf dieselbe Weise anfangen. Aber wie viele sind in diesem Streben alt geworden, ohne je einen höheren Begriff von der Erforschung der Natur zu gewinnen und haben ihr Leben mit der Bestimmung der Arten und der Erweiterung der wissenschaftlichen Namengebung zu
gebracht!
Lange ehe ich die Universität bezog, und ehe ich anfing
Naturgeschichte unter der Leitung von Männern zu studiren, welche in der ersten Hälfte diefes Jahrhunderts Meister in der Wiffenfchast
waren, bemerkte ich, daß wenn auch Nomenklatur und Klassifikation,
wie man damals annahm, einen wichtigen Theil der Naturgeschichte und so zu sagen ihre technische Sprache bilden, doch das Studium
der lebenden Wesen in ihren natürlichen Verhältnissen von unendlich größerem Werth sei.
In dem Alter von fünfzehn Jahren brachte
ich die meiste Zeit, welche ich von den klassischen und mathematischen 6*
Viertes Capitel.
84
Studien erübrigen konnte, damit zu, die benachbarten Wälder und Wiesen nach Vögeln, Insekten und Land- und Süßwasser-Mollusken
zu durchjagen.
Mein Zimmer wurde zu einer kleinen Menagerie,
und das Steinbecken an dem Brunnen in unserem Hof zu einem
Behälter für alle Fische, die ich fing-
Mein liebster Zeitvertreib be
stand in Sammeln, Fischen, Aufziehen von Raupen, aus denen ich schöne Schmetterlinge erzielte.
Was ich von den Lebensgewohnheiten
der Süßwasser-Fische in Central-Europa weiß, habe ich beinah alles in jener Zeit gelernt, und ich kann hinzufügen, daß als ich späterhin
Zutritt zu einer großen Bibliothek erhielt und die Werke von Bloch
und Lacepede, die einzigen eingehenden Schriften, welche damals über Fische vorhanden waren, zu Rathe ziehen konnte, ich mich immer wunderte, daß sie so wenig mir noch nicht bekanntes über
ihre Gewohnheiten und ihr Thun und Treiben enthielten. „Die ersten Vorlesungen über Zoologie hörte ich 1823 in Lau
sanne. Sie bestanden hauptsächlich in Auszügen aus Cuvier's „Hegne animal“ und Lamarck's „Animaux sans vertebres“. Ich
bemerkte nun zum ersten Male, daß die Gelehrten in ihrer Klassi fikation von einander abweichen.
Bei dieser Entdeckung eröffnete
sich ein unendliches Feld des Lernens vor mir, und ich sehnte mich
nach einiger Kenntniß der Anatomie, damit ich selbst sehen könne,
wo die Wahrheit liege.
Während der zwei Jahre, die ich in der
medicinischen Schule von Zürich zubrachte, widmete ich mich aus schließlich dem Studium der Anatomie, Physiologie und Zoologie unter der Leitung der Professoren Schinz und Hirzel.
Daß ich nicht
im Stande war, mir Bücher zu kaufen, war vielleicht kein so großes
Unglück als es mir damals schien; wenigstens bewahrte es mich vor zu großer Abhängigkeit von geschriebener Autorität.
Ich verwendete
alle meine Zeit darauf, Thiere zu zergliedern und menschliche Anatomie
zu studiren, vergaß auch dabei meine Lieblingsbeschäftigungen, Fischen und Sammeln nicht.
Immer war ich mit Lieblingen umgeben und
in jener Zeit flogen etwa vierzig Vögel in meinem Studirzimmer umher und hatten da keine andere Behausung als einen großen Tannenbaum in der Ecke.
als ein plötzlich
Ich entsinne mich noch meines Kummers,
hereintretender Besucher einen meiner Lieblinge
zwischen die Thür und den Fußboden einklemmte und tödtete, ehe ich ihn befreien konnte.
Professor Schinz's Privatsammlung von
Rückblick auf das Schul- imb Universitätsleben.
85
Vögeln war mein täglicher Zufluchtsort, und ich beschrieb damals
jeden Vogel darin, da ich nicht einmal die Anschaffung eines Text
buches über Ornithologie erschwingen konnte.
Ich schrieb auch eigen
händig zwei Bände von Lamarck's Animaux sans vertebres ab, da ich kein Geld hatte, mir das Buch zu kaufen, und mein lieber Bruder
schrieb mir die Hälfte des dritten Bandes ab.
Allmälig lernte
ich, daß das Studium der Dinge selbst viel anziehender war, als die Bücher, nach denen mich so gelüstete, und als mir .später große Bibliotheken zugänglich wurden, begnügte ich mich gewöhnlich damit,
die natnrgeschichtlichen Werke durchzublättern,
die Abbildungen zu
betrachten und mir die Titel aufzuschreiben, damit ich sie zu Rathe'
ziehen und vergleichen könne, wenn ich Gelegenheit haben würde, die
betreffenden Dinge in der Natur zu beobachten. „Nachdem ich aus diese Weise zwei Jahre in Zürich zngcbracht hatte, wurde ich durch den großen Ruf der Lehrer Tiedemann,
Leuckart, Bronn u. a. nach Heidelberg gezogen.
Zwar mußte ich noch
immer einen Theil meiner Zeit der Medicin opfern, aber während ich in meinem Berufsstudium durch eine fleißige Beschäftigung mit Anatomie und Physiologie vorwärts kam, besuchte ich die Vorlesungen
von Leuckart über Zoologie und die von Bronn über Paläontologie. Die Veröffentlichung von Goldfuß's großem Werke über die Petrefakten Deutschlands begann damals gerade und eröffnete mir eine neue Welt. Obwohl ich mit Cuvier's Regne Animal bekannt war,
so hatte ich doch seine „Recherche« sur les ossements fossiles“ noch
nicht gesehen und das Studium der fossilen Ueberreste schien mir nur eine Erweiterung des zoologischen Gebietes.
Ich hatte keine Vor
stellung davon, daß dasselbe innig mit der Geologie zusammenhing und nahe Beziehung zu der Frage des allmäligen Auftretens der
Thiere aus Erden hatte.
Die weitere philosophischere Anschauung der
Natur als einer einheitichen großen Welt, war mir noch ganz fremd; ich betrachtete das Studium der Thiere nur von dem Standpunkt der beschreibenden Zoologie aus,
wurde.
wie sie in jenen Tagen gelehrt
Zu dieser Zeit machte ich jedoch die Bekanntschaft von zwei
jungen Botanikern, Braun und Schimper, welche beide seither in den
Annalen der Wissenschaft Bedeutung erlangt haben.
Die Botanik
hatte in jenen Tage» einen neuen Aufschwung genommen durch die von Göthe ausgehenden bedeutenden Anregungen.
Die Metamor-
86
Viertes Capitel.
phose der Pflanzen war das Hauptstudium meiner Freunde, und ich
konnte mich der Wahrnehmung nicht verschließen, daß die beschrei bende Zoologie nicht das letzte Wort in unserer Wissenschaft ge
sprochen habe, und daß eine große allgemeine Betrachtung, wie sie
die Botaniker anbahnten, auch für die Zoologie eintreten muffe. Das innige Zusammenleben mit deutschen Studenten zeigte mir,
daß ich meine philosophische Ausbildung vernachlässigt hatte, und als im Jahre 1828 die neue Universität in München sich aufthat mit Schelling als Professor der Philosophie, Oken, Schubert und Wagler
als Profefforen der Zoologie, Döllinger als Prof, der Anatomie und Physiologie, Martius und Zuccarini als Prof, der Botanik, Fuchs
und Kobell als Prof, der Mineralogie, beschloß ich mit meinen zwei
Freunden dahin zu gehen und an neuen Quellen der Wissenschaft zu schöpfen. Während der Jahre, die ich in München zubrachte, widmete ich mich beinah ausschließlich den verschiedenen' Zweigen
der Naturgeschichte und vernachlässigte mehr und mehr meine me-
dicinischen Studien, weil mein Vertrauen, mir in der Welt eine Stelle als Naturforscher zu erkämpfen, sich befestigte, und ich daher berechtigt war, meiner starken Neigung nach dieser Richtung hin zu
folgen.
Meine Erfahrungen in München waren mannigfaltig.
Bei
Döllinger lernte ich die Genauigkeit der Beobachtung würdigen. Da ich in seinem Hause wohnte, gab er mir persönliche Anleitung in dem Gebrauch des Mikroskops und zeigte mir seine eigene Me
thode der embryologischen Forschung.
Er war schon der Lehrer von
Karl Ernst von Baer gewesen, und obwohl der Schüler den Lehrer
überholte und der Stolz der wissenschaftlichen Welt wurde, ist es nicht mehr als billigt daran zu denken, daß er diesem die erste
Einführung in das Studium embryologischer Vorgänge verdankte.
Döllinger war sowohl ein sorgfältiger, genauer und ausdauernder Beobachter, als ein tiefer Denker, aber er war eben so lässig mit seiner Feder als thätig mit seinem Gehirn.
Er theilte seinen
Schülern ohne Rückhalt und Knauserei von seinem geistigen Kapital
mit, und nichts machte ihm mehr Freude, als sich mit einigen wenigen
Studenten zu einem ruhigen Gespräch über wiffenschaftliche Dinge niederzusetzen oder einen Ausflug
mit ihnen
in die Felder vor
der Stadt zu machen und ihnen während des Gehens die Ergebnisse irgend einer neuen Untersuchung, die er gemacht, mitzutheilen.
Er
Rückblick auf das Schul- und llniversitätsleben.
87
war zufrieden, wenn er sich von seinen Zuhörern verstanden sah und
sorgte für keine weitere Veröffentlichung seiner Forschungen.
Ich
könnte viele Meisterwerke in unserer Wissenschaft auszählen, welche
zunächst von keiner anderen Grundlage ausgingen, als von diesen anregenden Gesprächen.
Niemand hat den Einfluß, welchen Döllinger
auf diese indirekte Weise auf den fortschreitenden Gang der Wissen schaft ausübte, wärmer anerkannt, als der Forscher, den ich bereits als seinen größten Schüler anführte: von Baer.
In der Einleitung
seines Werkes über Embryologie bezeugt er dankbar, was er seinem
alten Lehrer schuldet. Ein Meister
„Einer der anziehendsten Professoren war Oken.
in der Kunst des Lehrens, übte er einen beinah unwiderstehlichen
Einfluß aus seine Schüler aus.
Wenn er das ganze Universum aus
seinem eigenen Gehirn aufbaute und von a priori gefaßten Vor
stellungen den Zusammenhang der drei Reiche,
in welche er alle
lebenden Wesen eintheilte, ableitete, die Thiere wie durch Magie in
Uebereinstimmung einer aus den entgliederten Körper des Menschen gegründeten Analogie klassifizirte, schien es uns Zuhörern, als ob der
langwierige mühsame Prozeß
des Anhäufens genauer
eingehender
Kenntnisse nur die Arbeit von Pedanten sein könnte, während ein
muthiger, beherrschender Geist sich die Welt aus seiner eigenen macht
vollen Vorstellung aufbaute. Gedanken
aufzuzwingen,
Theorien,
als
Die Versuchung der Natur die eigenen
ihre Geheimnisse mehr
durch glänzende
durch geduldiges Erforschen der vorliegenden That
sachen zu erklären, leitet uns noch immer irre.
Aus der Schule der
Naturphilosophen entsprang (wenigstens in unseren Tagen) jener an maßende
Glaube
an die Fähigkeit
des menschlichen Geistes
die
Natur abstrakt zu erfassen, welcher jetzt noch die Genauigkeit unserer Klassifikation beeinträchtigt und uns verhindert, die natürlichen Be
ziehungen, welche alle lebenden Wesen verbindet, richtig zu deuten.
Und doch würde der junge Naturforscher jener Tage, welcher nicht bis zu einem gewissen Grad dem geistigen Aufschwung unterlag, welchen
die Naturphilosophie der wissenschaftlichen Bestrebung verlieh, einen fördernden Theil seiner Ausbildung entbehrt haben.
Zwischen dem
Manne, welcher wie Oken versucht, das ganze System der Natur
nach vorgefaßten Meinungen auszubauen und demjenigen, welcher während er seine Vorstellungen den Thatsachen unterordnet,
doch
Vierte« Capitel.
88
fähig ist, diese Thatsachen zu verallgemeinern und ihre verständlichen Beziehungen zu erkennen, ist ein großer Unterschied.
Kein denkender
Naturforscher kann die ihm im Lause seiner Untersuchungen fort
während aufsteigenden Fragen nach dem Ursprung und dem tieferen Zusammenhang aller lebenden Wesen zum Schweigen bringen, aber
der echte Forscher wird bei allem Suchen nach der Lösung
dieser
großen Probleme, doch zugeben, daß das einzige wahre wissenschaft
liche System dasjenige ist, in welchem der Gedanke, der intellektuelle Aufbau aus den Thatsachen hervorwächst und auf diese gegründet ist.
Das große Verdienst der Naturphilosophen liegt in der von ihnen
dusgehenden Anregung.
Sie haben viel dazu beigetragen unser
Zeitalter von der geringen Meinung der wissenschaftlichen Bedeutung
der Naturgeschichte zu befreien, welche im vorigen Jahrhundert vor herrschte.
Sic nährten einen Geist der Unabhängigkeit bei den Be
obachtern; aber auch einen abenteuerlichen Geist, der für die ganze
Schule verderblich wurde.
Ein Forscher ist als
solcher verloren,
wenn er glaubt, daß er ungestraft Meinungen aufstellcn dürfe, für
die er keine Beweise aufbringen kann.
Es war eine eigenthümliche
Erfahrung für den Geist Tag für Tag den Vorlesungen Okens bei
zuwohnen und
gleichzeitig diejenigen von Schelling zu hören, in
welchen die ganze Philosophie von dem negativen Standpunkt einer
a priori Lehre zu der positiven Grundlage einer historischen Wissen schaft erhoben wurde.
Er entwickelte seine Ansichten in einer Reihen
folge ausgezeichneter Vorlesungen während vier aufeinander folgender Jahre. „Unter meinen Studiengenossen waren viele junge Leute, welche jetzt einen hohen Rang in den verschiedenen Gebieten der Wissenschaft
einnehmen und andere, zu
den gleichen Hoffnungen berechtigende,
deren früher Tod ihre Arbeit in dieser Welt verkürzte.
Einige von
nns hatten zu dieser Zeit schon gelernt selbstständig zu
arbeiten,
nicht nur Vorlesungen zu besuchen und aus Büchern zu lernen.
Es
herrschte ein lebhafter Wetteifer unter uns; wir kamen oft zusammen,
um unsere Beobachtungen zu besprechen; wir machten häufig Exkur sionen in die Umgegend; wir hielten abwechselnd in unserem Kreise
Vorträge und hatten nicht selten die Befriedigung unsere Universitäts professoren unter unseren Zuhörern zu sehen.
Diese Uebungen waren
von dem größten Werth für mich, weil sie mir als Vorbereitung
89
Rückblick auf daS Schul- und NuiversilätSlebeu.
dienten, später vor einer größeren Zuhörerschaft zu reden.
Gewöhn
lich waren die Vorlesungen in meinem Studirzimmer.
Dasselbe
nahm bequem fünfzehn bis zwanzig Personen auf, und sowohl die
Studenten als die Professoren nannten unsere Wohnung „die fleiiie Akademie".
In diesem Zimmer bereitete ich alle die Skelette zu,
welche auf den Tafeln von Wagler's „Natürliches System der Repti
lien" dargestellt sind.
Auch empfing ich da einmal den Besuch des
großen Anatomen Meckel, welchen Döllinger zu mir schickte, um meine anatomischen Präparate, besonders die vielen Fischfkelette anzusehen, welche ich von Süßwasser-Fischen gemacht hatte.
Neben mir arbeiteten
gewöhnlich zwei Künstler; einer war beschäftigt verschiedene natur
geschichtliche Gegenstände zu zeichnen, der andere fossile Fische.
Ich
hatte immer einen nnd zuweilen zwei Künstler in meinem Sold; das war mit meinem Einkommen von 250 Dollar im Jahr nicht
leicht durchzuführen.
Aber da die Zeichner noch ärmer waren als
ich, so brachten wir cs doch fertig mit einander anszukommen. Mein Mikroskop hatte ich mir mit schriftstellerischer Arbeit erworben.
„Ich hatte kaum die Herausgabe der brasilianischen Fische be endet, als ich anfing die älteren Naturforscher zu studiren.
Professor
Döllinger schenkte mir ein Exemplar von Bondelet, welches lange
Zeit mein Entzücken war.
Die Naivetät seiner Erzählung und
die Genauigkeit seiner Beschreibungen fiel mir eben so auf, als die
Treue der Holzschnitte, von welchen einige bis auf diesen Tag die
besten Abbildungen der dargestellten Arten enthalten.
Seine Gelehr
samkeit überwältigte mich; ich hätte gern, wie er, alles gelesen, was vor meiner Zeit geschrieben war, aber unter den Verfassern waren
einige, die mich langweilten, und ich gestehe, daß in jenen Jahren Sinne zu diesen gehörte.
und eingebildet vor.
Er kam mir trocken, pedantisch, dogmatisch
Von Aristoteles dagegen, dessen Zoologie ich
gelesen und seither immer nach einem Zeitraum von zwei bis drei
Jahren wiedergelesen habe, war ich entzückt.
Ich muß mir aber
doch die Gerechtigkeit widerfahren lassen, hinznzufügen, daß nachdem
ich mehr von der Geschichte der Naturwissenschaft wußte, ich auch Sinne verehren lernte.
Aber von einem Studenten, der in den
Werken von Cuvier bewandert ist, dagegen die früheren Fortschritte
der Zoologie wenig kennt, kann man kaum verlangen, daß er die Verdienste des großen Reformators der Naturgeschichte richtig wür-
90
Vierte- Capitel.
Seine Mängel waren leicht bemerkbar, und es erforderte eine
digt.
genauere Bekanntschaft mit dem allmäligen Wachsthum der Wissen schaft von Aristoteles an, als ich sie besaß, um zu verstehen, welch'
großen und wohlthätigen Einfluß Sinne auf die moderne Naturge schichte ausgeübt hat. „Ich kann nicht ohne tiefe Dankbarkeit auf mein Leben in
München zurückblicken.
Die Stadt war überreich an Hülfsmitteln
für die Jünger der schönen Künste, der Wissenschaften und der Philo sophie.
Sie war in jener Zeit hervorragend wegen ihrer Regsamkeit,
sowohl im öffentlichen als im akademischen Leben.
Der König schien
liberal; er war ein Freund der Dichter und Künstler und strebte
danach allen Ruhm Deutschlands an seiner neuen Universität zu ver einigen.
Ich erfreute mich daher während einiger Jahre des Vor
bilds der bedeutendsten Geister und der Anregung, welche aus dem Zusammenwirken von Männern, die in den verschiedensten Gebieten
menschlicher Wiffenschast in gleichem Maße glänzten,
hervorgeht.
Unter solchen Verhältnissen wird ein Mann entweder in die Stellung
eines Nachfolgers unter die Reihen derjenigen treten, die sich um einen Meister sammeln, oder er wird danach streben, selbst ein Meister
zu werden. „Die Zeit war gekommen, zu welcher selbst die kleine Einnahme,
die ich aus einem erborgten Kapital bezog, aufhören mußte.
Ich war
jetzt vierundzwanzig Jahr alt, war Doktor der Philosophie und der
Medicin und Verfasser eines Quartbands über brasilianische Fische. Ich hatte ganz Süddeutschland durchwandert, Wien besucht und aus
gedehnte Gebiete der Alpen durchforscht.
Ich kannte jedes lebende
und fossile Thier in den Museen von München, Stuttgart, Tübingen,
Erlangen, Würzburg, Karlsruhe und Frankfurt, aber meine Aus
sichten waren so dunkel wie je, und ich hatte keine Hoffnung mir
auf andere Weise einen Weg in der Welt zu bahnen, als durch die Ausübung des ärztlichen Berufs.
So verließ ich im Jahre 1830
die Universität und ging nach Hause mit der Absicht mich der prak
tischen Medicin zu widmen, im Vertrauen, daß meine theoretischen Kenntnisse und mein Uebung in der Kunst des Beobachtens mir bei der neuen Ausgabe, der ich entgegenging, durchhelfen würden."
91
Aufenthalt in der Heiniath.
Fünftes Capitel. 1830 — 1832. Vom 23. bis 25. Jahre. Ein Jahr zu Hause. — Abreise nach Paris. — Aufenthalt unterwegs. — Cholera. — Ankunft in Paris. — Erster Besuch bei Cnvier. — Cuvier's
Freundlichkeit. — Sein Tod. — Armuth in Paris. — Briefe nach Hause über Geldverlegenheiten und über seine Arbeit. — Sonderbarer Traum.
Am 4. December 1830 verließ Agassiz München - in Gesellschaft
von Dinkel, und
nach
kurzen Aufenthalten
in St. Gallen und
Zürich, welche dem Ansehen und Zeichnen von fossilen Fischen ge widmet waren, erreichte er Concise am 30. des Monats.
So sehn
süchtig auch seine Ankunft zu Hause erwartet wurde, so war doch
sein Vater, wie wir schon gesehen haben, nicht ohne Furcht, daß die Anwesenheit des Naturforschers nebst Künstler, Sammlung und Ar
beitsmaterial eine Störung in dem ruhigen Psarrhause verursachen würde.
Aber alle Besorgniß schwand bei der Freude der Wieder
vereinigung, und Agassiz war bald mit seinem Zeichner, seinen Fossi
lien und all seiner wissenschaftlichen Ausrüstung unter dem väter lichen Dache eingerichtet. So brachte er beinah ein Jahr zu Hause zu mit ichthyologischen Studien, namentlich mit Fortsetzung seiner Ar beit über die fossilen und die Süßwafser-Fische von Central-Europa.
Es fehlte ihm nicht ganz an Patienten in dem Dorfe und dessen Umgebung; für's erste hatte er aber noch keine Aussicht auf dauernde
ärztliche Beschäftigung. Inzwischen erschien es ihm von Tag zu Tag nothwendiger, daß er seine Arbeit in Paris fortführte, in dem großen
Mittelpunkt des wissenschaftlichen Lebens, wo sich ihm das weiteste
Feld zur Vergleichung und Untersuchung eröffnen würde.
Dort
meinte er auch mit dem größten Vortheil seine medicinischen Studien
fortsetzen und abschließen zu können.
Das größte Hinderniß für
eine solche Verpflanzung lag in seiner Mittellosigkeit. Doch fehlte es ihm nicht ganz an einer verfügbaren Summe, besonders seit die Einrichtungen über Veröffentlichung seiner Werke ihm theilweise die
Mittel zur Fortsetzung derselben lieferten.
Sein großmüthiger Onkel
Fünftes Capitel.
92
fügte noch eine Summe bei und ein alter Freund seines Vaters H. Christinat, ein Schweizer Geistlicher,
dessen
großer
Liebling
Agassiz seit seiner Kindheit war, nöthigte ihn auch zur Annahme eines Beitrags zur Förderung der Arbeit, für welche er das leb hafteste Interesse empfand.
Immerhin waren die Aussichten, mit
welchen er im September 1831 nach Paris abreiste, vom finanziellen Standpunkt aus trübe genug, in anderer Beziehung aber um so
hoffnungsreicher.
Unterwegs machte er verschiedene Aufenthalte und
verband dabei wie gewöhnlich die Berufszwecke mit wissenschaftlichen,
den Besuch der Spitäler mit dem der Museen.
Vielleicht war er
etwas zu geneigt anzunehmen, daß die günstigsten Bedingungen für seine medicinischen Studien immer in der Nähe der reichsten Samm
lungen zu finden seien. schen Zweck,
Doch hatte er einen bestimmten medicini
der darin bestand, die Behandlung und Begrenzung
der Cholera, welche damals zum ersten Male mit erschreckender Hef
tigkeit ihren Einzug in West-Europa hielt, so weit wie möglich
kennen zu lernen.
Da er cs für wahrscheinlich hielt, daß er den
ärztlichen Beruf noch einige Jahre sortsetzen würde, glaubte er, daß
eingehende Beobachtungen über diese Geißel von großer Wichtigkeit für ihn sein würden.
Seine Briefe aus dieser Zeit an seinen Vater
sind voll von diesem Gegenstand und von seinen Bemühungen die
geeignetsten Mittel zur Bewahrung und Abwehr kennen zu lernen. Die folgenden Zeilen an seine Mutter zeigen jedoch, daß man zu Hause Beunruhigung darüber empfand, daß durch seine Aufenthalte
unterwegs die geringen Mittel, die den Studien in Paris bestimmt waren, aufgezehrt werden möchten.
An seine Mutter.
Karlsruhe, November 1831.
... Gestern kam ich von einem Ausflug nach Würtemberg zurück, und obwohl ich schon wußte, welche Vorsichtsmaßregeln überall gegen
die Cholera getroffen waren, so glaube ich doch nicht, daß meine Reise
eine überflüssige war und bin überzeugt, daß meine Beobachtung nicht ohne Interesse für mich, und wie ich hoffe auch nicht ohne Nutzen für andere sein wird.
Da Dein Brief so dringend ist, will
ich jedoch meine Abreise keinen Augenblick mehr verschieben.
Zwischen
heute und morgen werde ich alle aus dem Naturalienkabinet ent-
Studien ans der Reise nach Paris.
93
liehenen Exemplare ordnen und dann sofort abfahren . . . Im Ver
hältniß zu der vorhergegangenen Sorge ist meine Fxeude über die Aussicht nach Paris zu kommen, nun, da ich besser ausgerüstet bin,
dort zu erscheinen, um so größer.
Ich habe alles Material, was ich
noch für meine fossilen Fische zu erlangen wünschte, aus den Samm
lungen von Karlsruhe, Heidelberg und Straßburg erhalten und habe meine Kenntnisse in der Geologie so weit ausgedehnt, daß ich mich
wenigstens ohne Verlegenheit an Gesprächen über die neusten For
schungen betheiligen kann.
Außerdem war Braun so gütig, mir eine
ausgezeichnete, von ihm selbst ausgesuchte Sammlung zu geben, die
mir bei meinen Untersuchungen auf diesem Gebiet als Grundlage
und Führer dienen sollte.
Ich lasse sie in Karlsruhe, da ich sie jetzt
nicht gebrauche ... Ich habe auch das Naturalienkabinet in Karls
ruhe und die mineralogische Sammlung von Brauns Vater benutzt.
Außer den von Dinkel gemachten Zeichnungen habe ich meine Arbeit um einhundert und einundsiebenzig Seiten französischen Manuskripts
(ich habe die Seiten eben gezählt), welche ich zwischen meinen Exkur sionen und inmitten anderer Beschäftigungen geschrieben habe, be
reichert ... Eine so reiche Ausbeute hätte ich nicht vorausgesehen ...
So vorbereitet kam er mit seinem Künstler am 14. December 1831 in Paris an.
Am 18. schreibt er seinem Vater: „Dinkel und
ich hatten eine sehr angenehme Reise, aber gestern, am Tag nach unserer Ankunft, war ich so müde, daß ich kaum Hand oder Fuß
bewegen konnte.
Nichtsdestoweniger habe ich den Abend sehr ange
nehm in dem Hause des Herrn Cuvier, der, als er von meiner An kunft hörte, mich sogleich einladen ließ, zugebracht. Zn meiner Ueber«
raschung fühlte ich mich da gar nicht als Fremdling, sondern beinah
wie bei alten Bekannten.
Meine Adresse Rue Copeau (Hotel du
Jardin du Roi, No. 4) habe ich Dir schon mitgetheilt.
Zufällig
wohnt Mr. Perrotet, ein reisender Naturforscher auch da und hat mich gleich auf das aufmerksam gemacht, was mir am nöthigsten zu wissen ist.
Auch andere Bekannte fand ich hier im Hause vor
Ich bin sehr billig untergebracht und bin im Bereich von vielen
Dingen, deren Nachbarschaft mir sehr wichtig ist.
Die medicinische
Schule ist zum Beispiel nur zehn Minuten von meiner Wohnung,
der Jardin des plante« nicht zweihundert Schritte entfernt, während
Fünftes Capitel.
94
das Spital (de la Pitie) wo die Herren Andral und Lesfranc lehren, sich mir gegenüber befindet.
Heute oder morgen werde ich meine
Briefe abgeben und dann ernstlich zu arbeiten anfangen."
Obwohl er von Anfang an von allem, was das wissenschaftliche Leben in Paris betraf, sehr befriedigt war, so zeigt doch der nächste Brief, daß der junge Schweizer sich nicht gleich in der großen fran
zösischen Hauptstadt heimisch fühlte. An feine Schwester Olympe. Paris, Januar 1832.
. . . Die Erwartungen, welche ich bei meinem Hierherkommen hegte, haben sich mehr als erfüllt.
In wissenschaftlichen Dingen
habe ich alles gefunden, was ich in Paris voraussetzte, (meine Er
wartungen sind sogar noch übertroffen worden) und außerdem bin
ich überall mit Höflichkeit empfangen und es sind mir alle Arten von Aufmerksamkeiten erwiesen worden.
Besonders die Herren Cuvier
und Humboldt behandeln mich bei allen Gelegenheiten als ihres gleichen und erleichtern
mir die Benutzung der wissenschaftlichen
Sammlungen, so daß ich überall arbeiten kann, als ob ich zu Hause wäre.
Und doch ist es nicht dasselbe.
Diese außerordentliche aber
förmliche Höflichkeit fröstelt mich an, anstatt mich heimisch zu machen;
es fehlt die Herzlichkeit, und offen gestanden, möchte ich am liebsten fortgehen, wenn mich nicht der Reichthum des Materials, den ich hier zu meiner Belehrung benutzen kann, festhielte.
Des Morgens
höre ich die klinischen Vorlesungen in der Pitie . . . Um zehn oder elf Uhr frühstücke ich und gehe dann in das natnrhistorische Museum,
wo ich bis Dunkelwerden bleibe.
Zwischen fünf und sechs esse ich
zu Mittag und wende mich dann solchen medicinischen Studien zu,
zu denen kein Tageslicht erforderlich ist.
So vergehen meine Tage
mit großer Regelmäßigkeit, einer wie der andere.
Ich habe es mir
zur Vorschrift gemacht, erst nach dem Mittagessen auszugehen, da ich sonst zu viel Zeit verliere . . . Den Sonnabend Abend bringe
ich bei Herrn Cuvier zu. . . Das Heimweh, welches zwischen den Zeilen dieses Briefes zu
lesen ist, — vielleicht durch die dem Schreiber noch fremde Art der konventionellen Gesellschaft hervorgerusen — schwand unter dem Ein-
95
Beziehungen zu (Sumer.
fluß des reichen geistigen Lebens, welchem er sich täglich mehr hin
gab.
Cuvier's freundliche Aufnahme war nur eine Aeußerung des
liebevollen Interesses, welches er von Anfang an für ihn gehabt zu haben scheint.
Nach wenigen Tagen räumte er Agasfiz und dessen
Künstler einen Winkel in einem seiner eigenen Arbeitsräume ein und kam oft um beide durch einen Blick auf ihre fortschreitende Arbeit zu ermuntern. Dieses Verhältniß dauerte bis zu Cuvier's Tod fort, und Agassi;
erfreute sich während mehrerer Monate der wissenschaftlichen Theil nahme und persönlichen Freundschaft des großen Meisters, welchen
er von Kindheit an verehrt hatte, und dessen Name immer auf seinen
Lippen war, so lange er selbst in dieser Welt noch wirkte.
Der fol
gende, zwei Monate später geschriebene Bries an seinen Onkel giebt eingehendere Berichte über die Beziehungen zu Cuvier.
An Dr. Mayor. Paris, Februar 1832. ... Ich habe auch eine gute Nachricht zu melden, welche wie
ich hoffe, zu günstigen Ergebnissen für mich führen wird. Ich glaube
Dir vor meiner Abreise nach Paris gesagt zu haben, daß meine Hauptsorge war, daß man mir nicht gestatten würde, die fossilen
Fische und ihre Skelette in dem Museum zu untersuchen oder gar zu beschreiben.
Da ich wußte, daß Cuvier ein Werk über diesen Gegen
stand zu schreiben beabsichtigte, setzte ich voraus, daß er sich diese Sammlung Vorbehalten würde.
Ich dachte halb und halb, daß er,
wenn er mein Werk schon so weit vorgeschritten sähe, mir vielleicht Vorschlägen würde, es gemeinschaftlich mit ihm zu beenden — doch selbst dies wagte ich kaum zu hoffen.
Es war in Rücksicht darauf
und mit dem Wunsche mein Material zu vermehren und dadurch mehr Aussicht auf Erfolg bei Herrn Cuvier zu haben, daß
ich
so dringend wünschte, mich in Straßburg und Karlsruhe aufzu halten, wo ich Sammlungen wußte, deren Durchsicht für meine Ar
Der Erfolg hat meine Erwartung weit über Ich beeilte mich Herrn Cuvier mein Material noch am Tage
beit wichtig wären. troffen.
meiner Ankunft zu zeigen.
Er empfing mich sehr höflich, aber etwas
zurückhaltend und gab mir gleich die Erlaubniß alle Sammlungen
des Museums zu sehen.
Aber da ich wußte, daß er alles, dessen er
Fünftes Capitel.
96
bei Abfassung seines Buches bedurfte, in seinen Privatsammlungen
hatte, so blieb ich in einem unbehaglichen Zustand der Ungewißheit, da die Beendigung seines Werks jede Aussicht auf einen Absatz des
meinigen vernichtet haben würde.
Vorigen Sonnabend brachte ich
den Abend bei ihm zu, und als wir über wissenschaftliche Dinge
sprachen, forderte er seinen Sekretair auf, eine Mappe mit Zeich
nungen herbeizubringen.
Er zeigte mir den Inhalt: es waren Zeich
nungen von fossilen Fischen und Notizen, welche er im britischen
Museum und anderswo gemacht hatte.
Nachdem er dieselben mit mir
durchgesehen hatte, sagte er, er hätte mit Befriedigung beobachtet, in welcher Weise ich diesen Gegenstand behandelte. Ich sei ihm aller
dings zuvorgekommen, denn er habe beabsichtigt, späterhin dieselbe Sache zu unternehmen, aber da ich ihr schon so viel Fleiß gewidmet und meine Arbeit so gut gemacht habe, so wolle er seinen Vorsatz
aufgeben und alles Material, welches er gesammelt habe und alle sein Vorarbeiten mir zur Verfügung stellen.
Du wirst Dir denken können mit welch' neuem Eifer dies mich für meine Arbeit erfüllt hat, um so mehr, als Cuvier, Humboldt
und verschiedene andere bedeutende Männer, welche sich dafür interessiren, mir versprochen haben, meinetwegen mit einem Verleger (mit
Levrault,
der geneigt scheint, die Veröffentlichung zu übernehmen,
wenn der Friede anhält) zu sprechen und mich dringend zu empfehlen.
Um meinen Zweck zu erreichen ohne andere Beschäftigungen zu ver
nachlässigen, arbeite ich regelmäßig fünfzehn Stunden im Tage, manch mal auch ein bis zwei Stunden mehr; so hoffe ich zur rechten Zeit
an das rechte Ziel zu gelangen. Das ihm von Cuvier anvertraute Pfand erwies sich als ein
Legat.
In nicht ganz drei Monaten nachdem er diesen Brief ge
schrieben, ging Agassi;, wie er öfter zu thun pflegte, eines Morgens in des Meisters Studierzimmer um mit ihm zu arbeiten.
Es war
Sonntag, und er war mit einer Sache beschäftigt, die Cuvier ihm
aufgetragen und dabei gesagt hatte: „Sie sind jung und haben dazu Zeit genug, ich aber habe keine übrig."
Sie arbeiteten dann bis elf
Uhr zusammen, worauf Cuvier Agassi; einlud, bei ihm zu frühstücken. Nachdem er eine Zeit lang am Frühstückstisch im Gespräch mit den
Damen zugebracht hatte, während Cuvier seine Briefe und Zeitungen
Tod von Cuvier.
97
durchsah, kehrten sie in das Stndirzimmer zurück und arbeiteten an ihren verschiedenen Beschäftigungen weiter bis Agassiz fünf Uhr
(seine Esfensstunde) schlagen hörte.
Er sprach sein Bedauern aus,
daß er mit seiner Arbeit nicht ganz fertig geworden sei, sagte aber,
sein Mittageffen warte nicht auf ihn, da er an einem Studenten
tisch theilnehme; er wolle jedoch bald wiederkehren und seine Arbeit beendigen.
Cuvier antwortete, daß er sehr wohl daran thäte, seine
Mahlzeiten regelmäßig einznnehmen.
die Arbeit und fügte hinzu: Sie, daß Arbeit tobtet."
Er rühmte seine Hingabe an
„Seien Sie vorsichtig und bedenken Dies waren die letzten Worte, welche
Agassiz von seinem geliebten Lehrer hörte.
Am folgenden Tag als
Cuvier auf die Tribüne der Kammer der Abgeordneten ging, fiel er,
vom Schlage gerührt, nieder und wurde nach Hause getragen.
Agassiz
sah ihn nicht mehr*).
Um die Darstellung von Agassiz's persönlichen Beziehungen zu
Cuvier, wie er sie in späteren Jahren selbst erzählt hat, nicht zu unterbrechen, ist hier dem Bericht des Lebenslaufs um zwei bis drei
Monate voransgeeilt worden. ordnung zurück.
Kehren wir nun zur richtigen Zeit
Der Brief an seinen Onkel erregte natürlich zu
Hause große Freude.
Nachdem er ihn gelesen, schreibt sein Vater:
(Februar 1832) „Nun da Dir die Mappe von Herrn Cuvier anver traut ist, wird sich Dein Plan vermuthlich bedeutend erweitert haben und Deine Arbeit zu einem doppelten Bande anwachsen; erzähle mir
so viel davon, als ich verstehen kann, was freilich wenig genug ist." — Der Brief der Mutter bei dieser Gelegenheit spricht die zärtlichste Theilnahme und Dankbarkeit aus. Inzwischen wurde die Freude an seiner wissenschaftlichen Thätig
keit durch eine fortwährende Sorge verbittert.
Die spärlichen Mittel,
welche ihm zu Gebot standen, konnten auch bei der äußersten Spar
samkeit auf die Dauer die nöthigen Ausgaben für ihn und seinen Künstler, für die nöthigen Bücher, Zeichenmaterialien, u. s. w. nicht decken.
Er war in beständiger Angst, daß er gezwungen sein würde,
Paris zu verlassen, seine Untersuchungen über fossile Fische aufzugeben *) Dieser Ausspruch vou Cuvier: „Arbeit tödtet" erinnert in merkwürdiger Weise an Johannes Müllers Wort: „An der Arbeit klebt Blut". Das eine scheint das Echo des anderen. (Siehe Gedächtnißrede auf Joh. Müller von Rudolf Birchow S. 38.) AgMz's Leben und Brieswechjel.
7
Fünftes Capitel.
98
und die. im Gang befindliche Anfertigung der kostbaren Tafeln ein
stellen zu lassen.
Ein zufälliges Ereigniß veranlasste ihn zur Ent
hüllung des mißlichen Standes seiner Angelegenheiten, welche er den Lieben zu Hause gerne so lange als möglich verborgen hätte. Sein Bruder hatte ihn um Besorgung eines Buches gebeten, und da er
daffelbe nicht erhielt, frug er mit einiger Verwunderung, warum der Auftrag vernachlässigt worden sei.
Agassiz's nächster Brief giebt die
Erklärung. An seinen Bruder.
Paris, März 1832. . . . Hier ist das Buch, um welches Du mich gebeten hast. Es kostet achtzehn Franken.
Es thut mir sehr leid, wenn es zu spät
kommt, aber ich konnte es nicht ändern . . . Erstens hatte ich nicht Geld genug, um es zu bezahlen, wenn ich nicht ohne einen Pfennig
bleiben wollte.
Du wirst Dir denken können, daß nachdem die Holz
rechnung für den Winter bezahlt ist, mir von meinen monatlichen zwei hundert Franken, von denen fünf Louisd'ors immer meinem Gefährten
zufallen, wenig zu anderen Ausgaben übrig bleibt.
Nicht nur, daß ich
nichts übrig habe — mein monatlicher Zuschuß ist immer schon am Anfang verbraucht.
Neben dieser Ursache des Aufschubs hast Du
aber auch keine Vorstellung, was es heißen will, in Paris etwas auf-
zutreibcn, wenn man da fremd ist . . . Du hast mich schon wieder holt gefragt, wie ich in den Häusern empfangen worden bin, welche ich empfohlen war.
an
Aufrichtig gesagt, bin ich, nachdem ich
die Briefe abgegeben, gar nicht mehr hingegangen, weil ich in meiner
Lage keine Zeit zu Besuchen erübrigen kann. Eine andere vortreff liche Ursache, um wegzubleiben, ist, daß ich keinen Rock habe, in dem
ich mich sehen lassen kann . . . Sonnabend vor acht Tagen bot mir M. de Forussac die Herausgabe der zoologischen Abtheilung des
„Bulletin" an.
Sie würde mir wohl tausend Franken einbringen,
würde aber täglich zwei bis drei Stunden Arbeit erfordern. Schreibe
mir bald, was Du davon hältst.
Inmitten all der crmuthigenden
Dinge, welche mich aufrecht erhalten und meinen Eifer beleben, bin
ich doch niedergedrückt durch die Kehrseite meiner Lage.
Dieser Brief gab Veranlassung zu dem folgenden.
Brief von der Mutter.
99
Von seiner Mutter.
März 1832. ... So sehr Dein Brief an Deinen Onkel uns erfreute, so betrübend
war uns derjenige an Deinen Bruder.
Es scheint, mein liebes Kind,
daß Du äußerst beschränkt in Deinen Mitteln bist.
Ich verstehe
das aus persönlicher Erfahrung, und in Deinem Fall habe ich es vorausgesehen; diese Wolke hat mir immer Deine Aussichten ver dunkelt.
Ich muß heute einmal mit Dir von Deiner Zukunst reden,
die mich oft beunruhigt.
Du kennst das Herz Deiner Mutter zu
gut, um ihre Gedanken mißzuverstehen, selbst wenn deren Aeußerung Dir nicht gefallen sollte.
Trotz der Kenntnisse, die Du Dir durch
anhaltende» Fleiß erworben hast, trotz Deiner Beziehungen zu her
vorragenden Männern und der Anerkennung, die Deine Fähigkeiten gefunden, bist Du doch in dem Alter von fünf und zwanzig Jahren noch darauf angewiesen, von glänzenden Hoffnungen zu leben.
Wenn Du
ein Einkommen von 50,000 Franke» hättest, so wäre das alles ganz
schön; aber in Deiner Lage mußt Du durchaus eine Beschäftigung
haben, die Dich in den Stand setzt, zu leben und Dich von der un erträglichen Last der Abhängigkeit von anderen zu befreien. Vom heutigen Tage an, lieber Louis, mußt Du ernstlich darauf denken, dies zu erreichen, wenn Du es durchführen willst, die erwählte Laufbahn
in ehrenvoller Weise weiter zu verfolgen.
Sonst werden beständige
Verlegenheiten Deinen Genius so lähmen, daß Du nichts Großes
mehr leisten kannst.
Wen» Du unseren Rath befolgst, wird vielleicht
der Erfolg Deiner naturwissenschaftlichen Arbeiten etwas später ein
treten, aber dann um so sicherer.
Zeige uns, daß Du die Arbeit,
der Du schon so viel Zeit gewidmet hast, mit der Möglichkeit der
Selbsterhaltnng vereinigen kannst.
Es scheint mir nach Deinem
Brief an Deinen Bruder, daß Du in Paris mit keinem Menschen verkehrst.
Die Ursache davon scheint mir eine traurige, aber sie ist
unwiderleglich, und da sie nicht zu ändern ist, mußt Du Deinen Aufenthaltsort wechseln und in Dein Vaterland zurückkehren. Du
hast in Paris bereits alle die Männer gesehen, die zu sprechen Du für nöthig hieltest.
Wenn Du in Bezug auf ihr Wohlwollen Dich
nicht in einem großen Irrthum befindest, so wirst Du in der Schweiz
eben so sicher auf dasselbe rechnen können, wie in Paris, und da Du Dich doch nicht in ihrer Gesellschaft bewegst, so werden Deine Be7*
Fünftes Capitel.
100
Ziehungen mit ihnen, auch wenn Du hundert Meilen entfernt bist,
dieselben sein wie jetzt.
Du mußt deshalb Paris verlassen und nach
Genf, Lausanne oder Neuchätel oder in irgend eine andere Stadt kommen, wo Du Vorlesungen halten kannst.
beste Weg für Dich.
Das scheint mir der
Wenn Du, ehe Du Dich dauernd irgendwo
niederlässest, Deinen Platz in dem Pfarrhaus wieder einnehmen
willst, so wirst Du uns immer bereit finden, alle Einrichtungen zu Deiner Bequemlichkeit zu treffen.
Hier kannst Du in vollständiger
Ruhe und ohne Kosten leben. Noch zwei Gegenstände sind es, die ich mit Dir besprechen
möchte, obwohl Du mich dabei vielleicht nicht so leicht verstehen wirst. Du hast das schöne öffentliche Gebäude gesehen, welches in Neuchätel
errichtet wird.
Es wird in diesem Jahre fertig werden, und ich höre,
daß das Mufeum hinein kommen soll. Ich glaube, daß die Samm lungen sehr unvollständig sind, und die Stadt Neuchätel ist reich
genug, um etwas an die Ergänzung dieser Lücken zu wenden.
Es
ist mir eingefallen, daß dies eine vortreffliche Gelegenheit wäre, Deine
in Spiritus befindlichen Exemplare unterzubringen.
Gegenwärtig
sind sie ein todtes Kapital, welches Mühe, Geld und großen Aufwand an Gläsern, Spiritus, Transportkosten verursacht, von der Miethe für das Zimmer, in welchem sie aufbewahrt sind, ganz zu schweigen.
Alles dies, abgesehen von den dadurch herbeigezogenen Besuchern, ist eine zu große Last für Dich, von der Du Dich befreien kannst, wenn Du diese sich darbietende Gelegenheit benützest. Zu diesem Zweck mußt Du Dich mit Herrn Conlon in Einverständniß setzen, damit
er nicht eine andere Wahl trifft.
Dein Bruder, der am Ort ist,
könnte die Verhandlungen für Dich führen . . . Endlich kommt mein letztes Anliegen; es betrifft Herrn Dinkel.
Es ist ein Glück, daß Dein Künstler ein so durchaus netter Mensch ist; nichtsdestoweniger müßtest Du es der Kosten wegen möglich machen, ohne ihn auszukommen.
Ich sehe, daß Du mich bestürzt
anblickst, aber wenn ein Opfer zu bringen ist, müssen wir es ganz bringen und den Baum mit den Wurzeln ausreißen.
großes Uebel, mehr auszugeben, als man einnimmt . . .
Es ist ein
Arbeit über fossile Fische.
101
An seine Mutter. Paris, 25. März 1832.
. . . Es ist richtig, liebe Mutter, daß ich sehr eingeschränkt bin, daß ich viel weniger Geld habe, als ich wünsche oder auch als
ich brauche; auf der anderen Seite veranlaßt mich dies aber nur, um so eifriger zu arbeiten und hält mich von Zerstreuungen ab, die
mich sonst vielleicht verlocken würden.
... In Beziehung auf meine Arbeit liegen aber die Dinge nicht ganz so, wie Du meinst, besonders was mein Bleiben hier und
mein Verhältniß zu Herrn Cuvier betrifft.
Zwar hoffe ich sicher,
daß ich weder sein Wohlwollen noch seine Protektion verlieren würde, wenn ich von hier wegginge.
Im Gegentheil ich bin überzeugt, daß
er der erste sein würde, der mir zur Annahme einer Professur oder
irgend einer anderen Vortheilhaften Stelle riethe, wenn ich auch da durch dem Ort meiner gegenwärtigen Thätigkeit noch so fern gerückt
würde; und daß er mir nach wie vor seinen Rath angedcihen ließe. Aber was mir nicht bliebe, ist der Vortheil, den ich ihm verdanke, alle Sammlungen Hier zu untersuchen. Dies kann ich nirgends haben als in Paris, da ich — selbst wenn er seine Einwilligung
dazu gäbe — weder hundert Gentner fossiler Fische, deren ich zur
Vergleichung bedarf, -noch tausende von Fischskeletten, welche allein
fünfzig große Kisten füllen würden, mitschleppen könnte.
Dies ist
es, was mich nöthigt hier zu bleiben, bis ich meine Arbeit beendet
habe.
Ich muß noch beifügen,
daß Herr Elie dc Beaumont die
Güte gehabt hat, die fossilen Fische der Sammlung der Ecole des
Mines zu meiner Verfügung zu stellen, und daß Herr Brongniart mir dasselbe Anerbieten in Bezug auf seine Sammlung gemacht
hat, welche
eine
der schönsten einem Privatmanne gehörigen
in
Paris ist . ..
Was meine Sammlungen betrifft, so hatte ich schon daran ge
dacht,
entweder die waadtländische oder die Regierung der Stadt
NeuchLtel zu bitten, sie in ihre Museen aufzunehmen, unter der Be dingung, daß sie die Ausstellung und Erhaltung übernehmen und
sie zur Belehrung des Publikums benutzen würden.
Es würde mir
leid thun, alles Anrecht auf dieselben zu verlieren, weil ich hoffe, daß
sie schließlich doch noch eine andere Bestimmung finden werden. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß ich noch erleben werde, die ver-
Fünftes Capitel.
102
schiedenen Theile der Schweiz in Zukunft durch ein engeres Band verbunden zu sehen, und im Falle einer solchen Bereinigung würde
eine
wirklich
helvetische
Universität eine
Nothwendigkeit werden.
Dann wäre es mein Wunsch, daß meine Sammlung die Grundlage
der für die Vorlesungen nothwendigen Anschaffungen bildete.
Es
ist wirklich eine Schande, daß die Schweiz, welche reicher und aus gedehnter ist, als manches kleine Königreich, keine Universität hat,
während manche Staaten, die kaum halb so groß sind, deren zwei besitzen; z. B. das Großherzogthum Baden, dessen eine Universität,
die Heidelberger,
zu
den
ersten in Deutschland
gehört.
Wenn
ich je in eine Stellung komme, die mir gestattet dies zu thun, so werde ich jede Anstrengung machen, um meinem Lande die größte aller Wohlthaten zu verschaffen, nämlich die einer geistigen Einheit,
welche nur aus einem hohen Grade der Civilisation und aus der
Ausstrahlung von, in einem Centralpunkt vereinigten, Kenntnissen hervorgehen kann.
Ich habe auch die Frage wegen Dinkel in Betracht gezogen, und
wenn ich mich nach Abschluß meines Werkes nicht in einer besseren Lage befinde und keine bestimmte Aussichten habe, die das Bcibe-
halten eines Künstlers rechtfertigen, — nun dann müssen wir uns
eben trennen!
Ich habe mich schon lang darauf vorbereitet, indem
ich ihn nur zu Dingen beschäftigte, die für die Herausgabe der
ersten Lieferungen unerläßlich sind, in der Hoffnung, daß diese mir die Mittel für die Abbildungen, welche ich fürderhin brauche, ver
schaffen werden. Zu meiner Rechtfertigung, daß ich ihn von Anfang
an beschäftigte und diese Ausgabe bis jetzt fortgesetzt habe, kann ich
in Wahrheit sagen, daß es größtentheils seine Zeichnungen waren, die Herrn Cuvier in den Stand setzten, mein Werk zu beurtheilen und ihn dahin brachten mir seine Materialien abzutreten. Ich sah
deutlich voraus, daß in diesen Abbildungen meine einzige Aussicht Cuvier gegenüber lag, und es war nicht ohne Grund, daß ich darauf
bestand, Dinkel mit nach Straßburg und Karlsruhe zu nehmen.
Hätte ich dies nicht gethan, so würde Herr Cuvier wohl immer noch
den Vorrang vor mir haben. beruhigt.
Nun ist mein Geist in dieser Beziehung
Wenn ich nur mit der Veröffentlichung eben so viel
Glück habe! Herr Cuvier redet mir dringend zu, mein Werk der Akademie
Ankunft von Braun in Paris.
vorzulegen,
103
um eine Besprechung seines Inhalts zu veranlassen.
Zuerst muß ich es aber beendigen, und das ist keine leichte Aufgabe. Aus diesem Grund bedauere ich meine Mittellosigkeit besonders — ohne dieselbe hätte ich schon alle Abbildungen machen lassen, und der Bericht der Akademie, der als eine Empfehlung gilt, würde sicher die Herausgabe sehr fördern.
Nach dieser Seite habe ich mir
schon lange Einschränkungen auferlegt. München einen Künstler hatte,
August weiß, daß ich in
der mir die dort zurückgelassenen
Dinge zeichnen sollte, und daß ich ihn bei meiner Abreise von Concise
seine Arbeit abbrechen ließ.
Wenn die jetzige Stockung im Buch
handel fortdauert, so werde ich gezwungen sein, Dinkel auch zu ent lassen; denn wenn ich keine Aussicht habe, mit der Veröffentlichung
zu beginnen,
häufen.
so muß ich aufhören,
vorläufiges Material anzu
Sollte der Handel sich wieder heben, so wird mir doch
vielleicht die Freude zu Theil, vor meiner Abreise von Paris alles vollendet zu sehen.
Ich glaube, ich vergaß Dir Brauns Ankunft hier, sechs Wochen nach der meinigen, mitzutheilen.
Sein Kommen war mir eine dop
pelte Freude, da er seinen jüngeren Bruder mitbrachte, einen reizenden Burschen und ausgezeichneten Schüler der polytechnischen Schule in Karlsruhe.
Er gedenkt Berg-Ingenieur zu werden und will hier die
jenigen Sammlungen, welche sich auf seinen Berufszweig beziehen,
studircn.
Du kannst Dir nicht vorstellen, welche Erhebung und
welches Glück mir meine Beziehungen zu Alexander gewähren; er ist so gut und dabei mit seinen Gedanken so ans das höchste ge
richtet, daß es ein wahrer Segen für mich ist, ihn zum Freunde zu haben.
Wir empfinden beide unsere Trennung von Karl Schimper
sehr, welcher trotz seines lebhaften Wunsches, sich uns in Karlsruhe
anzuschließen und nach Paris zu begleiten, nicht im Stande war, München zu verlassen . . .
Hier folgen mehrere an seinen Vater gerichtete Seiten in Er
widerung des von demselben ausgesprochenen Wunsches, daß Louis ihm so viel von seiner Arbeit mittheilen möchte, als er verstehen könnte.
Diese Belehrung, welche der Sohn dem Vater zu Theil
werden läßt, hat etwas rührendes, weil sie zeigt, mit welchem Ent zücken Louis dem leisesten Zeichen der väterlichen Theilnahme an
Fünftes Capitel.
104
seinen Lieblingsstudien, welche zu Hause so lange mit Zweifel und
Mißtrauen betrachtet worden waren, entgcgenkam.
Der ganze Brief
ist hier nicht mitgetheilt, da er nur eine elementare Abhandlung über
Geologie enthält; aber der Schluß, welcher von den speciellen Unter
suchungen handelt, mit welchen er gerade beschäftigt war, ist nicht ohne Interesse. „Der Zweck unserer Forschungen über fossile Thiere ist, nach zuweisen, welche Geschöpfe zu jeder dieser verschiedenen geologischen
Epochen gelebt haben, ihre Charaktere und ihr Verhältniß zu den jetzt lebenden zu erkennen, in einem Wort, sie in unserer Vorstellung wieder ins Leben zu rufen.
Hauptsächlich sind es die Fische, welche
ich vor den Blicken der Wißbegierigen wieder auferstehen lassen
möchte, indem ich ihnen zeige, welche Arten in jeder Epoche gelebt haben, wie sie gestaltet waren und wie ihre Lebensweise vermuthlich beschaffen war.
Du wirst die Schwierigkeiten meiner Arbeit besser
verstehen, wenn ich Dir sage, daß mich bei manchen Arten nur ein
einzelner Zahn, eine Schuppe, ein Rückgrat bei dem Wiederanfban aller Charaktere leitet, obwohl wir zuweilen auch so glücklich sind,
Arten mit Floßfedern und vollständigen Skeletten zu finden . . .
„Verzeih, wenn ich Dich mit meiner langen Auseinandersetzung ermüdet habe, aber Du weißt, wie gern man über Dinge spricht, die einen interessiren, und das Vergnügen von Dir über solche Gegen stände befragt zu werden, ist ein so seltenes für mich, daß ich dem
Wunsch nicht widerstehen konnte,
die Sache von allen Seiten zn
beleuchten, damit Dir verständlich werde, welchen Eifer und welche Begeisterung diese Forschungen entzünden." In diesen Zeitraum fällt ein seltsamer Traum, welchen Agassiz
in seinem Werk über die fossilen Fische erwähnt*).
Er ist sowohl
psychologisch interessant, als weil er zeigt, wie ihn schlafend und wachend immer seine Arbeit beschäftigte.
Er war während vierzehn
Tagen bemüht gewesen, den undeutlichen Abdruck eines fossilen Fisches
auf einer Steinplatte zu entziffern.
Müde und unbefriedigt schob er
zuletzt die Arbeit bei Seite und versuchte sie aus seinen Gedanken zu verbannen.
Bald darauf wachte er in einer Nacht mit der Ueber-
*) Recherches sur les poissons fossiles. Vol. IV. Tab. 1, pp. 20, 21.
Cyclopona spinosum Agassiz.
105
Seltsamer Traum.
zeugung auf, daß er im Schlaf seinen Fisch ganz deutlich mit allen fehlenden Kennzeichen gesehen habe.
Aber wenn er versuchte, das
Bild festzuhaltcn, so entschwand cs ihm.
Nichtsdestoweniger ging
er am anderen Morgen früh in den Jardin des Planlos in der Hoff
nung, daß er bei dem erneuten Anblick des Abdrucks etwas erblicken würde, was ihn auf die Spur der gehabten Vision bringen würde. Aber vergeblich — die Sache blieb so dunkel, wie zuvor. nächsten Nacht sah er den Fisch wieder,
Ergebniß.
In der
aber ohne befriedigendes
Als er erwachte, verschwand es seinem Gedächtniß wie
das erste 'Mal.
In der Erwartung,
daß
dieselbe Erfahrung sich
wiederholen möchte, legte er die nächste Nacht vor dem Schlafengehen
Papier und Bleistift neben sein Bett.
Wirklich erschien ihm gegen
Morgen der Fisch wieder im Traum, zuerst undeutlich, aber nachher
mit solcher Klarheit, Stellung blieb.
daß ihm
kein Zweifel über seine zoologische
Noch halb im Traum, in vollständiger Dunkelheit
zeichnete er die Charaktere auf das neben ihm liegende Papier.
Des
Morgens war er sehr erstaunt in seiner nächtlichen Skizze Züge zu
finden, welche er bei dem Fischabdruck durchaus nicht beachtet und für ganz unmöglich gehalten hatte. Er eilte in den Jardin des Planlos, und von seiner Zeichnung geleitet, gelang es ihm die Ober
fläche des Steines, unter welcher Theile des Fisches verborgen lagen, wegzumeißcln.
Als der Fisch ganz frei lag, stimmte er mit seiner
Zeichnung und mit dem Traum überein, und es wurde ihm nicht schwer, ihn zu bestimmen.
Agassi; erwähnte dies Ergebniß oft als
Bekveis für die wohlbekannte Thatsache, daß wenn der Leib ruhe,
der ermüdete Geist die Arbeit, zu welcher er vorher unfähig war,
wieder zu leisten vermöchte.
106
Sechstes Capitel.
Sechstes Capitel.
1832. 25tes Jahr. Unerwartete Hilfe in schwieriger Lage. — Briefwechsel mit Humboldt. — Exkur sion an die normannische Küste. — Erster Anblick der See. — Briefwechsel über die Professur in Nenchatel. — Geburtstagsfeier. — Berufung nach Nenchstel. — Annahme. — Brief an Humboldt.
Das Opfer der Entlassung seines Künstlers wurde Agassiz nicht
auferlegt, obwohl er sich darauf vorbereitet hatte.
Gleichwie vor der
Morgendämmerung die Finsterniß am tiefsten ist, so erfolgt auch im menschlichen Leben auf die größte Angst und Noth ost die uner
wartetste Hilfe.
Von einer solchen Erfahrung berichtet der nächste
Brief.
An seine Eltern. Paris, März 1832.
... Ich bin noch so überrascht und aufgeregt über das, was sich eben ereignet hat, daß ich kaum meinen Augen traue. In einer Nachschrift zu meinem letzten Brief erwähnte ich, daß
ich gestern Herrn von Humboldt besuchte, den ich lange nicht gesehen hatte, daß ich ihn aber nicht zu Hause traf. Bei früheren Besuchen hatte ich ihm von meiner Lage gesprochen und ihm gesagt, daß ich nlcht
wüßte, wie ich mich gegen meinen Verleger verhalten solle.
Er bot
mir an, an denselben zu schreiben und hat es auch vor mehr als zwei
Monaten gethan.
Weder er, noch ich, erhielten darauf eine Antwort.
Diesen Morgen kam nun, gerade als ich ausgehen wollte, ein Brief von Herrn von Humboldt, der mir schreibt, daß ihn das Ausbleiben
der Antwort von Cotta sehr beunruhige und daß er fürchte, die Angst
und Ungewißheit, die ich darüber empfinden müßte, könnte meine Arbeit beeinträchtigen; er bäte mich daher das einliegende Anlehen
von tausend Franken anzunehmen ...£>! wenn meine Mutter für einen Augenblick vergessen wollte, das es sich um den berühmten Herrn v. Humboldt handelt und den Muth fände, einige Zeilen an
ihn zu schreiben, wie dankbar würde ich ihr sein!
Ich glaube, daß
107
Brief von Humboldt.
cs von ihr noch besser ausfallen würde, als von dem Vater, der es ohne Zweifel korrekter machen würde, aber nicht gerade so, wie ich
es wünsche.
Humboldt ist so gut, so nachsichtig, daß Du nicht
zögern solltest, ihm zu schreiben, liebe Mutter.
Colombier No. 22.
Er wohnt Rue du
Die Adresse ist ganz einfach: Herr von Hnm-
boldt. . . In der Aufregung des Augenblicks ist dieser Brief nicht einmal
unterschrieben. Die folgenden Zeilen von Humboldt an Frau Agassiz, welche
diese als kostbaren Besitz verwahrte, zeigen, daß sie in Folge der Bitte ihres Sohnes Muth gefaßt und einen Dankbrief geschrieben
hatte. Von Humboldt an Fran Agassiz. Paris, 11. April 1832.
Ich müßte Ihren Sohn schelten, verehrte Frau, daß er den kleinen Beweis von Theilnahme, welchen ich ihm zeigen konnte, erwähnt hat; und doch wie kann ich über einen so rührenden, zartfühlenden Brief, wie ich ihn eben von Ihnen erhalten habe, klagen? Nehmen
Sie meinen wärmsten Dank dafür.
Wie glücklich sind Sie, daß Sie
einen Sohn von so ausgezeichneten Talenten, so mannigfaltigen und gründlichen Kenntnissen haben, der dabei so bescheiden ist, als ob er
gar nichts wüßte — und dies in unseren Tagen, wo die Jugend sich durch kalte und anmaßende Eigenliebe auszeichnet. Man wäre berechtigt, an der Welt zu verzweifeln, wenn ein junger Mann mit
den bedeutenden Fähigkeiten und dem einnehmenden und liebens würdigen Wesen ihres Sohnes nicht seinen Weg machen sollte. Ich
billige den Neuchäteler Plan sehr und hoffe im Nothfall zu dessen Gelingen beizutragen.
Man muß im Leben nach einer festen Stellung
trachten. Bitte, entschuldigen Sie die Kürze dieser Zeilen und nehmen
Sie die Versicherung meiner Hochachtung. Humboldt.
Der Brief, welcher eine solche Last von den Schultern Louis' und seiner Eltern nahm, lautete:
108
Sechstes Capitel. Humboldt an Agassiz*). Paris, 27. März 1832. Ich bin recht unruhig darüber, mein theuerster Herr Agassiz, daß
ich noch immer ohne Briefe von Cotta bin.
selig er im Schreiben ist.
Sie wissen, wie saum
Gestern, Montags, habe ich auf's neue
dringend in Ihrer Sache (ein für die Wissenschaft so wichtiges Unter nehmen) an Cotta geschrieben und auf das wechselweise Erscheinen von
Heften der fossilen- und Süßwasser-Fische gedrungen.
Indeß bin ich
nicht ohne Sorge, daß Ihnen und Ihren Freunden der verlängerte
Aufenthalt hier schwer fällt.
Einen so arbeitsamen,
talentvollen,
liebenswürdigen Mann als Sie, muß man nicht in einer Lage lassen, wo Mangel an Heiterkeit die Arbeit stört.
Sie verzeihen es meinem
guten, Ihnen freundlichen Willen gewiß, wenn ich Sie, theuerster Herr Doctor, dringend bitte, von dem anliegenden kleinen Kredit recht bald Gebrauch zu machen. Sie würden mehr für mich thun.
Es ist ein Vorschuß, der in
Jahren nicht abgetragen werden braucht, und den ich, wenn ich weg gehe, oder auch früher, gern vermehren werde.
So elend klein auch
die Summe ist, kann sic doch vielleicht angenehm sein.
Es würde
mich tief schmerzen, wenn Ihnen meine Zudringlichkeit, eine Bitte des engsten Vertrauens, ein Geschäft wie zwischen zwei Freunden un
gleichen Alters mißfällig würde.
Ich möchte einem jungen Manne
Ihres Gehaltes nur angenehme Eindrücke hinterlassen. Mit freundschaftlicher Hochachtung
Ihr Alexander Humboldt. Bei diesem Brief wurden folgende Dankzeilen beinah unleserlich mit Bleistift gekritzelt gefunden.
Wenn sie auch nicht gerade so ab
geschickt wurden, wie sie hier stehen, so sind sie doch augenscheinlich
der erste Ausdruck von Agassiz's Empfindung. Mein Wohlthäter und Freund!
Es ist zu viel auf einmal, als daß ich aussprechen könnte, wie
tief Ihr heutiger Brief mich gerührt hat.
Ich war eben bei Ihnen
*) Nach dem ausnahmsweise deutsch geschriebenen Originalbries ausge nommen. D. Uebers.
Reise in die Normandie.
und wollte es versuchen Ihnen zu danken.
109
Ich muß warten, es zu
thun bis ich das Glück habe, Sie zu treffen.
In welchem Augen
blick ist mir Ihre Hülfe zu Theil geworden! Ich lege Ihnen einen
Brief von meiner lieben Mutter bei, aus dem Sie meine ganze Lage ersehen können.
Zwar willigen meine Eltern jetzt darein, daß ich
mich ganz den Naturwissenschaften widme, und ich bin befreit von
dem peinigenden Gedanken gegen ihren Wunsch und Willen zu han Aber die Mittel mir zu helfen fehlen ihnen; daher wird mir
deln.
vorgeschlagen, in die Heimath zurückzukehren und entweder in Genf oder Lausanne Vorträge zu halten.
Bereits hatte ich meinen Ent
schluß hingeschrieben, diesem Vorschlag im Lauf des nächsten Sommers zu folgen.
Ich schickte mich an, nur noch das Nothwendigste von
den hiesigen Fossilien durch Herrn Dinkel zeichnen zu lassen und mich
dann von diesem treuen Gefährten zu trennen.
Am Sonntag wollte
ich Ihnen diesen Entschluß mitlheilen, und nun erhalte ich heute
Ihre Sendung.
Stellen Sie sich vor, welche Gefühle mich durch
dringen mußten, als ich mich entschlossen hatte, allem dem zu ent sagen, was mir bisher als das Höchste und Wünschenswertheste er
schienen war, ganz unerwartet durch eine gütige hülfreiche Hand
errettet sehe und wieder der Hoffnung leben darf, alle meine Kräfte der Wiffenschaft zu widmen — so werden Sie sich einen Begriff
des Zustandes machen könne», in welchen mich Ihr theurer Brief verseht hat . . .
Bald nach diesem Ereigniß machte Agassiz einen kurzen Ausflug mit Braun und Dinkel an die Küste der Normandie, der Erwähnung verdient, weil er dabei zum ersten Mal die See sah.
Er schrieb
nach Hause: „Fünf Tage lang trieben wir uns an der Küste zwischen Havre und Dieppe herum.
Reichthümer gesehen.
Endlich habe ich nun die See und ihre
Von dieser Exkursion, deren Zustandekommen
ich schon halb aufgegeben hatte, bringe ich neue Gedanken, erweiterte
Anschauungen und eine genauere Kenntniß der großartigen Natur erscheinungen mit, welche der Ocean in seiner Ausdehnung dar
bietet."
Inzwischen reiste die von ihm gehegte Hoffnung auf eine natur geschichtliche Professur in seiner Heimath zu einer bestimmten Aus sicht.
Sein erster Brief in dieser Angelegenheit an Herrn Louis
Sechstes Capitel.
110
de Coulon, einen bekannten Naturforscher und später einer seiner wärmsten Freunde in Neuchätel — muß kurz vor Empfang der
Humboldt'schen Zeilen, welche ihn von seinen Geldverlegenheiten be freiten, geschrieben sein.
Agassiz an Louis de Coulon. Paris, 27. März 1832.
. . . Als ich das Vergnügen hatte, Sie im vorigen Sommer zu sehen,
sprach
ich einigemale
meinen
ans,
lebhaften Wunsch
mich in Ihrer Nähe niederzulafsen, und die Absicht, einige Schritte zu thun, um den an Ihrem Lyceum zu errichtenden Lehrstuhl der Naturgeschichte zu erhalten.
Diese Angelegenheit muß inzwischen
weiter gefördert worden fein, als sie es im vorigen Jahr war, und Sie würden mich durch eine Auskunft darüber sehr verpflichten.
Ich
habe mit Herrn v. Humboldt, den ich öfter sehe, und der sich freund
lich für meine Aussichten interessirt und mich mit seinem Rath unter
stützt von meiner Absicht gesprochen. Er meint, daß unter den ob waltenden Verhältnissen und besonders in Rücksicht auf meine Lage vorläufige Maßregeln getroffen werden sollten.
Ueber einen anderen
Punkt von großer Wichtigkeit für mich, möchte ich noch mit Ihnen sprechen.
Obwohl Sie nur einen kleinen Theil davon gesehen haben,
so wissen Sie doch, daß ich auf meinen verschiedenen Reisen, theils
durch meine Beziehungen zu anderen Naturforschern,
theils
durch
Umtausch, eine sehr schöne naturwissenschaftliche Sammlung zusammen gebracht habe,
die besonders reich an denjenigen Thierklassen ist,
welche in Ihrem Museum weniger vollständig vertreten sind.
Meine
Sammlung könnte deshalb die Lücken derjenigen der Stadt Neuchätel ausfüllen, und die letztere mit mehr als genügenden Lehrmitteln zu
naturwissenschaftlichen Vorlesungen versehen.
Sollte also eine Ver
mehrung Ihrer zoologischen Sammlung in Ihren Plänen für das Lyceum liegen, so wage ich zu glauben, daß die meinige dem Zweck
vollständig entsprechen würde.
In diesem Falle würde ich sie Ihnen
anbieten, da die Kosten der Erhaltung und Aufstellung meine Mittel weit überschreiten.
Ich muß darauf bedacht sein, mich von dieser
Last zu befreien, obwohl es mir schwer wird, mich von den Begleitern
meiner Studien, welche fast allen meinen Untersuchungen zur Grund-
Bericht über die Professur in NenchLtel.
läge dienten, zu trennen.
111
Ich habe auch hierüber mit Herrn von
Humboldt gesprochen, der so gut ist, sich dafür zu interessiern und
sogar Schritte bei der Regierung thun will, um den Ankauf zu ver
mitteln.
Sie würden mir den größten Dienst erweisen, wenn Sie mich
in allen diesen Angelegenheiten berathen und mir besonders folgende Fragen beantworten wollten: 1) Von wem die Ernennung des Pro
fessors abhängt? 2) Wer den Ankauf der Sammlung zu besorgen hat? 3) Was Sie meinen, daß ich in Bezug auf beides thun solle? Sie werden leicht begreifen, daß ich meine Sammlungen nur unter der
Bedingung abgeben kann, daß mir der freie Gebrauch derselben ge stattet wird" ... Die Antwort auf diesen Brief war nicht nur höflich, sondern herzlich, aber es verging doch einige Zeit, ehe ein endgültiger Ent schluß getroffen wurde. Inzwischen zeigt das folgende Schreiben,
welche Zweifel und Versuchungen Agassiz einen Augenblick in seiner
Entscheidung schwankend machten.
Der Tod von Cuvier war dazwischen
getreten.
Agassiz an Humboldt. Paris, Mai 1832.
... Ich wollte nicht schreiben, ehe ich bestimmte Nachrichten von NeuchLtel hatte.
Vor zwei Tagen erhielt ich einen sehr erfreu
lichen Brief von Herrn von Coulon, dessen Inhalt ich mich beeile,
Ihnen mitzutheilen. Er sagt mir, daß er dem.Erziehungsrath die Errichtung eines Lehrstuhls der Naturgeschichte vorgeschlagen
habe, der mir angeboten werden solle. ausgenommen worden.
Der Vorschlag sei freundlich
Das Bedürfniß nach einer solchen Profeffur
wurde einstimmig anerkannt, aber der Präsident erklärte, daß weder
die Beschaffenheit der Schatzkammer die Errichtung
derselben in
diesem Jahre gestatte, noch der Vorschlag dem Staatsrath vor Er
öffnung des Lyceums gemacht werden könne. Herr v. Coulon wurde beauftragt, mir zu danken und mich zu
bitten, diese Stelle im Auge zu behalten.
Sollte ich aber eine sofor
tige Anstellung vorziehen, so zweifelt er nicht, daß sich die Sache anstatt durch die Stadt, die es jetzt noch nicht kann, durch Subskription erreichen ließe, in welchem Falle ich dann mein Amt gleich antreten
Sechstes Capitel.
112
könnte.
Er erbittet sich eine schnelle Antwort, um alle erforderlichen
Vorbereitungen zu treffen.
Wie gerne hätte ich Sie über verschie
dene Vorschläge, die mir in den letzten Tagen hier gemacht worden sind, zu Rathe gezogen und mein Thun Ihrer Beistimmung unter worfen, wenn nicht hier wie in Neuchätel eine sofortige Antwort
verlangt worden wäre. .Obwohl ich mich mehr durch meinen Instinkt als durch andere Erwägungen leiten ließ, so hoffe ich doch, die rich
tige Entscheidung getroffen zu haben.
In Fällen, wo man nicht
weit genug sieht, um ein sicheres Urtheil durch Ueberlegung zu ge winnen, ist das Gefühl am Ende der beste Berather. innere Antrieb sagte mir:
Und der
„Geh nach Neuchätel; bleib nicht in
Paris."
Aber ich spreche in Räthseln; ich muß mich deutlicher
erklären.
Vorigen Montag schickte Levrauit nach mir, um mir vor
zuschlagen, daß Valenciennes und ich die Veröffentlichung der Cuvierschen Fische gemeinsam unternehmen sollten ... Ich sollte noch in
dieser Woche eine bestimmte Antwort geben.
Ich habe es reiflich
überlegt und bin zu der Entscheidung gekommen, daß das unbedingte
Eingehen einer solchen Verbindlichkeit mich von meinem nächsten Ziel und von dem, was ich als die Aufgabe meines Lebens betrachte,
abl.enken würde.
Die schon veröffentlichten Bände des Systems der
Ichthyologie liegen zu weit ab von dem Weg, welchen ich bei meinen
Forschungen zu verfolgen gedenke.
Endlich scheint es mir, daß an
einem zurückgezogenen Orte wie Neuchätel,
alle in mir liegenden
Keime eine unabhängigere und individuellere Entwicklung
nehmen
werden, als in diesem ruhelosen Paris, wo Hindernisse und Schwierig keiten mich vielleicht nicht von meinen Vorsätzen abziehen, aber sie doch stören und ihre Aussühruilg verzögern könnten.
Ich will des
halb meine Antwort an Levrault dahin abgeben, daß ich nur ein zelne Theile der Arbeit übernehmen wolle, deren Auswahl mir in Anbetracht meines Interesses an den fossilen- und Süßwasser-Fischen überlassen bleiben und mir zugleich gestattet werden solle, diese Samm
lungen mit nach der Schweiz zu nehmen und dort zu bearbeiten. Von Paris aus würde es
auch nicht so leicht sein, mich nach
Deutschland zu begeben, während ich Neuchätel als eine vorläufige Station betrachten dürfte, von welcher ich an eine deutsche Universität berufen werden könnte . . .
Vorträge.
113
Geburtstagsfeier.
Während Agasfiz solchergestalt hoffnungsvoll auf den Erfolg seiner Verhandlungen mit NeuchLtel wartete, hatte er sich mit seinen
Freunden, den beiden Braun, ein Junggesellenleben
eingerichtet,
welches dem mit Alexander und den Gefährten in München ge
führten sehr ähnlich war.
Der kleine Gasthof, in dem sie wohnten,
hatte sich mit deutschen Aerzten angefüllt, welche nach Paris ge kommen waren, um die Cholera in den Spitälern zu studiren.
Unter
denselben waren Studiengcnossen aus der Heidelberger und Münchner Universitätszeit, und auf ihr Ersuchen fingen Agassi; und Braun wieder an, Privatvorträge über Zoologie und Botanik zu halten.
Es herrschte dabei der ungezwungenste kameradschaftliche Ton und
Ein solcher
vollkommenste Freiheit der Einrede und Erörterung.
Gedankenaustausch wirkte äußerst anregend und führte zu innigen Beziehungen zwischen den Vortragenden und ihren Zuhörern.
Am
Vorabend von Agassiz's Geburtstag (28. Mai) bereitete ihm seine
Zuhörerschaft eine angenehme Ueberraschung.
Als er von einem
Spaziergang in der Dämmerung nach Hause zurückkehrte, fand er Braun in seinem Zimmer.
Er setzte seine Wanderung noch eine
Weile innerhalb seiner vier Wände fort, und Braun ging neben ihm, ihn in ein ernstes Gespräch ziehend, bis er ihn auf ein er
in das Fenster zog und es öffnete. Auf der Straße unten standen die Gefährten und sangen ein zu Ehren
folgtes Zeichen plötzlich
Agassiz's componirtes Lied.
Ties ergriffen wendete er sich von dem
Fenster ab, gerade zur Zeit, um die die Treppe herauf Kommenden zu empfangen und ihre guten Wünsche entgegen.zu nehmen. Sie führten ihn dann in ein anderes Zimmer, welches sie mit Blumen
geschmückt, und woselbst sie Agassiz's Namen, aus Rosen gewunden, zwischen zwei an der Wand gekreuzten Bundesfahnen angebracht hatten.
Hier wurde das Abendessen aufgetragcn, und der Abend ver
lief auf das heiterste unter Gesängen und Trinksprüchen, nicht nur
auf den Held des Festes und auf nahe und ferne Freunde, sondern auch auf den Fortschritt der Wissenschaft, auf die Freiheit des Volkes
und die Unabhängigkeit der Nationen.
Es konnte in jenen Tagen
keine Zukammenkunst zwischen begeisterten jungen Deutschen und
Schweizern stattfinden, ohne daß sich patriotische Bestrebungen dabei
kundgaben. Agassiz's Leben und Brieswechsel.
8
Sechstes Capitel.
114
Agassiz an Louis von Conlon. Paris, 4. Juni 1832.
Ihr freundlicher Brief hat mich sehr erfreut, und ich beeile mich ihn zu beantworten.
Was Sie schreiben, erfüllt mich nm so mehr
mit Befriedigung, als es mir die Aussicht eröffnet, mich in naher
Zukunft in Ihrer Nachbarschaft niederzulassen und die Früchte meiner Arbeit meinem Vaterlande zu widmen.
Sie vermuthen richtig, daß
Cuvier's Tod meine Stellung hier wesentlich verändert hat.
Ich bin
in der That schon aufgefordert worden, sein Fischwerk in Verbindung
mit Herrn Valenciennes fortzusetzen, der mir dieses Anerbieten am
Tage, nachdem ich Ihren Brief erhielt, machte.
Die mir gebotenen
Bedingungen waren sehr verlockend, aber mein Charakter ist zu
wenig französisch, und es verlangt mich zu sehr danach,
in der
Schweiz zu leben, um nicht die Stellung vorzuziehen, die Sie mir
anbieten können, wie gering auch der Gehalt sein möge; wenn ich nur wirklicher Noth enthoben werde.
Ich erwähne dies als Ant
wort auf diejenige Stelle Ihres Briefes, welche diese Frage berührt. Ich füge bei, daß ich Ihnen ohne Rückhalt anZehöre, wenn nicht innerhalb der nächsten vierzehn Tage das Drängen der Pariser die
Oberhand gewinnt.
Sobald ich kann, schreibe ich Ihnen, daß ich
im Stande war abzulehnen.
Sie werden leicht begreifen, daß ich
nicht kurzweg ein Anerbieten zurückweisen kann, welches denjenigen, die es machen, so glänzend erscheint. Aber ich werde mich auf das äußerste zurückhalten. Mein Verhalten in Betreff meiner Ver öffentlichungen wird Ihnen gezeigt haben, daß ich nicht aus persön lichem Interesse nach einer einträglichen Stelle trachte, daß ich im
Gegentheil immer bereit sei» würde, die Mittel, die mir zu Gebote stehen, für die Förderung der Anstalt, die mir anvertraut ist, zu
verwenden. Meine Arbeit wird mich noch vier bis fünf Monate in Paris
sesthalten; nachher kann ich frei über meine Zeit verfügen.
Die
Zeit, zu der ich gern meine Vorlesungen anfangen möchte, ist nicht mehr entfernt, und wenn Ihre Landsleute der Errichtung der neuen
Professur günstig gesinnt sind, meine ich, müßten wir sie nicht lau werden lassen. Aber Sie haben mir so viele Güte erwiesen, daß ich die Entscheidung über diesen Punkt ruhig Ihnen, im Verein mit
Ihren Frenndcn, überlassen kann, um so mehr als Sie bereit sind,
Briefwechsel über die Professur in NeuchLtel.
115
meine Interessen zu verwalten, bis Sie einen Erfolg sehen, welchen
Sie freundlichst als einen Gewinn für Ihre Anstalt betrachten, während er für mich die Verwirklichung des ernstlichen Wunsches ist, Alles was ich kann, zur Förderung der Wissenschaft und der Belehrung der Jugend zu thun . . .
Der nächste Brief von Coulon (18. Juni 1832) meldet, daß da die Summe von achtzig Louisd'ors auf drei Jahre bewilligt worden
sei, theils von der Stadt, hauptsächlich aber von Privatpersonen, nun die Professur der Naturgeschichte dem jungen Landsmann sofort angc-
boten werden könne.
Zum Schluß sagt er: „Ich kann leicht begreifen,
daß die glänzenden Anerbietungen, welche Ihnen in Paris gemacht
worden sind, ein starkes Gegengewicht gegen unsere kleine naturge
schichtliche Professur in Neuchätel bilden und Sie schwankend gemacht haben, besonders da Ihre wissenschaftliche Laufbahn dort einen so guten Anfang genommen hat.
Auf der anderen Seite aber, dürfen
Sie nicht an unserer Freude zweifeln über die Aussicht, Sie in Neuchätel zu haben, nicht nur wegen der Freundschaft, die viele
Menschen hier für Sie empfinden, sondern wegen des Glanzes, welchen eine solche Besetzung des naturgeschichtlichen Lehrstuhls unserer An
stalt verleihen wird. Dessen sind sich die Unterzeichner unserer Liste wohl bewußt und es erklärt die schnelle Ausfüllung derselben. Wir sind alle sehr gespannt auf Ihre Entscheidung und bitten Sie daher,
uns so bald wie möglich Nachricht zu geben." — Ein Brief von Humboldt an Coulon aus dieser Zeit zeigt, mit welcher Theilnahme
derselbe die Angelegenheiten Agassiz's verfolgte. Humboldt an Louis von Coulon. Potsdam, 25. Juli 1832.
... Ich komme nicht mit einer Bitte, sondern wünsche nur meinen wärmsten Dank auszusprechen für Ihr edles und groß müthiges Verhalten gegen den jungen Gelehrten, Herrn Agassi;, der
einer solchen Aufmunterung und Unterstützung von Seiten Ihrer Regierung sehr würdig ist.
Er ist ausgezeichnet durch seine Talente,
durch die Mannigfaltigkeit und Gründlichkeit seiner Kenntnisse und durch die in unserer Zeit besonders schätzbare Liebenswürdigkeit seines
Wesens.
Sechstes Capitel.
116
Durch unseren gemeinsamen Freund, Herrn von Buch, weiß ich seit vielen Jahren, daß Sie Naturgeschichte mit ebenso viel Eifer als Erfolg studiren, und daß Sie schöne Sammlungen zusammengebracht
haben, welche Sie anderen mit großer Hochherzigkeit zur Verfügung
stellen.
Es freut mich,
daß Sie Ihr Wohlwollen einem jungen
Manne zuwenden, der mir so lieb ist, und den der berühmte Cuvier,
besten Verlust wir immer beweinen müssen, mit derselben Wärme empfohlen haben würde, denn seine gute Meinung war, ebenso wie die meine, auf die bewunderungswürdigen Werke von Agassiz, welche
nun beinah beendet find, gegründet . . . Ich habe Herrn Agassiz dringend gerathen, die Anerbietungen, welche ihm nach Cuvier's Tode gemacht worden sind, nicht anzu
nehmen, und seine Entscheidung ist meinem Rath zuvorgekommen. Welches Glück wäre es für ihn und für die Vollendung der vortreff lichen Werke, die ihn beschäftigen, wenn er sich noch in diesem Jahr an den Usern Ihres Sees niederlasten könnte.
Ich zweifle nicht
daran, daß ihm der wirksame Schutz Ihres würdigen Statthalters
zu Theil werden wird, dem ich diese Bitte aussprechen werde, und
der mich und meinen Bruder mit einer Freundschaft beehrt, die mir sehr werthvoll ist. Leopold von Buch, der sich beinah so sehr wie ich für Herrn Agassiz und seine Arbeit über fossile Fische interessirt,
(die wichtigste, welche je unternommen wurde und eben so eingehend auf zoologische Charaktere als auf geologische Ueberreste) hat mir. ehe er von Berlin nach Wien abreiste, versprochen, seine Bitten mit
den meinigen zu vereinigen . . .
Der nächste Brief von Agassiz an seinen einflußreichen Freund
ist nach seiner endgültigen Annahme der Neuchäteler Professur ge schrieben. Agassiz an Humboldt. Paris, Juli 1832.
. . . Bei Empfang Ihres lieben Briefes hätte ich gar zu gern Ihnen unmittelbar geantwortet und gemeldet, wie erfreulich sich alles in Neuchätel gestaltet hat.
Ihre Briefe an Herrn v. Coulon und
an General v. Pfuel haben Wunder gethan; dafür hält man aber auch mich jetzt dort für ein blaues Meerwunder, und ich werde mich
Neue Klassifikation der Fische.
117
gn strengen müssen durch meine Gegenwart die Fama nicht Lügen zu strafen.
Es ist wohl auch recht so, dann kann ich nicht verleitet
werden, in der Hingabe an meine Aufgabe nachzulafsen.
Der eigent
liche Grund aber, warum ich nicht gleich geschrieben, ist der, daß ich
so viele Beweise der hilfreichen Theilnahme und der freundlichsten Aufmunterung nicht durch einen leeren Brief erwiedern wollte. wünschte Ihnen die Ergebniffe
Ich
meiner Untersuchungen, namentlich
über die fossilen Fische mitzutheilen, und dazu war es nothwendig eine Revision meiner Mappe und eine Zählung meiner Tabellen
vorzunehmen, um alles in wenigen Sätzen aussprechen zu können. Ich habe Ihnen schon gesagt,
daß die Untersuchung der lebenden
Fische mich bewog, eine neue Klassifikation derselben vorzuschlagen, in der die bestehenden Familien nach anderen Rücksichten als die bis
herigen, gegenseitig eine mir viel natürlicher scheinende Stelle erhalten haben.
Ich legte Anfangs
keinen besonderen Werth auf meine
Klassifikation . . . Nur schien es mir Vortheilhaft Charaktere zu be nutzen, welche bei den fossilen Fischen häufig wiederkehren und welche mich in den Stand setzten, Ueberreste zu bestimmen, die sonst keiner
besonderen Berücksichtigung werth erachtet wurden . . . Dabei blieb
ich eine geraume Zeit stehen und in der speciellen Untersuchung be fangen, achtete ich selbst noch nicht auf das Gebäude, das sich un bewußt erhob. Als ich nun die Vergleichung der fossilen Arten in
Paris vollendet hatte, wollte ich zur leichteren Uebersicht eine Tabelle derselben machen nach der Reihenfolge der geologischen Formation,
in der Absicht die charakteristischen Arten genauer zu bezeichnen und bei der Aufzählung mehr hervorzuheben. Wie freudig überrascht war ich, als ich auf einmal unerwartet gewahr wurde, daß die einfachste
Aufzählung der fossilen Fische in der Reihenfolge der Formation
zugleich
der volle Ausdruck der natürlichen Verwandschaften der
Familien unter sich sei; daß man daraus die genetische Entwicklung
der ganzen Klasse in der Schöpfungsgeschichte ausgesprochen sieht, daß das Hervortretcn der Gattungen und Arten in den verschiedenen
Familien darin bestimmt ist; mit einem Worte, daß die genetische Aufeinanderfolge der Fische mit ihrer zoologischen Klassifikation voll kommen übereinstimmt, und daß eben diese Klassifikation die von
mir vorgeschlagene ist.
Hier ist also nicht mehr von einer über
wiegenden Anzahl gewisser Gattungen und Arten zur Charakteristik
118
Siebentes Capitel.
der Formationen die Rede, sondern von bestimmten, in bestimmter Reihe
aufeinanderfolgenden Organisationsverhältnissen,
die durch
alle Formationen nach bestimmter Richtung durchgehen und an den
hervorgebrachten Organismen und ihren Gebilden wieder erkennbar
sind . . . Sollten meine Schlüffe durch keine späteren Entdeckungen nMgestoßen oder modificirt werden, so wäre damit eine neue Bahn
für die Petrefaktenkunde eröffnet.
Wollen Sie meine Entdeckung
mittheilen, so wäre mir dies um so willkommener, als ich noch nicht
weiß, bis wann ich mit der Herausgabe ansangen kann, und es
dürfte doch Manchen interessiren, davon zu hören.
Dieses Re
sultat scheint mir das wichtigste, abgesehen davon, daß ich an fünf hundert ausgestorbene Arten, theils aus Bruchstücken restaurirt, und mehr als fünfzig ausgestorbene Gattungen und drei ebenfalls nicht mehr repräsentirte Familien wieder hergestellt habe.
Cotta hat mir sehr artig geschrieben, er könne jetzt unmöglich
etwas neues unternehmen; er wolle lieber umsonst bezahlen, was er auch wirklich gethan hat, indem er mir fünfzehnhundert Franken zukommen ließ.
Dadurch ist es möglich geworden, Dinkel in Paris
zu lassen, um noch alles zu zeichnen.
Obgleich es mir oft hart vor
kommt, muß ich mich doch darein fügen, abgeschloffene Untersuchungen
in das Pult verschließen zu muffen . . .
Siebentes Capitel. 1832-1834. Vom 25. bis 27. Jahre. Antritt der Professur in NeuchLtel. — Erste Vorlesung — Erfolg als Lehrer. — Liebe zum Unterrichten. — Einfluß auf das wissenschaftliche Leben in Neu
chLtel. — Anträge von der Universität Heidelberg. — Ablehnung derselben. — Drohende Erblindung. — Briefwechsel mit Humboldt. — Verheirathung. — Ein ladung von Charpentier. — Einladung nach England. — Wollaston Preis. —
Erste Nummer der fossilen Fische. — Uebersicht des Werkes.
Im folgenden Herbst trat Agassiz seinen Lehrstuhl in NeuchLtel an.
Seine Eröffnungsrede „über das Verhältniß der verschiedenen
Zweige der Naturgeschichte zu einander und
die zur Zeit vorherr-
119
Antrittsrede in NeuchLtel.
schenken Richtungen in der Wissenschaft" wurde am 12. Nov. 1832 in dem Rathhause gehalten.
Nach dem Eindruck, welchen die Zu
hörer, der Ueberlieferung nach, davon behielten, muß diese Antrittsrede sich durch denselben weiten Ueberblick über allgemeine Gesetze, welche
Agassiz's spätere Lehrweise charakterisirte, ausgezeichnet haben.
In
seiner Behandlung gewannen die Thatsachen ihre richtige Stellung als Theile eines Ganzen und wurden nie nur als specielle oder ver einzelte Erscheinungen dargestellt. als Lehrer ganz unzweifelhaft.
welcher von Jugend an
Lebens war.
Von Anfang an war sein Erfolg
Jetzt hatte er den Beruf gefunden,
bis in das hohe Alter die Freude seines
Unterrichten wurde bei ihm zur Leidenschaft, und die
Macht, welche er über seine Schüler ausübte, eigenen Begeisterung bemessen werden.
konnte nach seiner
Er war sowohl in geistiger,
als in gesellschaftlicher Beziehung ein Demokrat im besten Sinne
des Wortes.
Mit Entzücken streute er die höchsten Ergebnisse seines
Denkens und seiner Forschungen mit vollen Händen aus und wußte
sie dem Verständniß der jüngsten und ungeschultesten anzupassen. Auf seinen späteren Reisen in Amerika pflegte er dem Führer einer Landkutsche oder irgend einem Arbeiter, der am Weg Steine klopfte,
mit
demselben Eifer von
den Erscheinungen der Gletscherwelt zu
erzählen, den er bei Verhandlungen mit Fachgenoffen über die wich tigsten Fragen an den Tag legte.
Den einfachsten Fischer weihte
er in seine wiffenschaftlichen Gedanken ein, indem er ihm die inner
sten Geheimnisse des Baus und der Entwicklungsgeschichte der Fische
erklärte, bis der Mann seinerseits in Begeisterung gerieth und anfing, sich in Mittheilungen aus dem Vorrath seiner eigenen ungeschulten
Beobachtungen zu ergehen.
Agassiz's fester Glaube an die Empfäng
lichkeit selbst des unentwickelsten Volksgeistes für die höchsten Natur
wahrheiten wirkte ansteckend, und er schuf oder entwickelte das, woran er glaubte. In Neuchätel übte die Anwesenheit des jungen Professors sofort
einen anregenden Einfluß aus.
Die kleine Stadt wurde plötzlich
zum Mittelpunkt wissenschaftlicher Thätigkeit.
Es wurde eine Gesell
schaft zur Förderung der Naturwiffenschaften ins Leben gerufen.
Die
wissenschaftlichen Sammlungen, welche schon unter Herrn v. Coulon einen bedeutenden Werth erlangt hatten, nahmen jetzt eine immer größere Ausdehnung an und gestalteten sich zu einem wohlgeordneten
Siebentes Capitel.
120
Museum.
An Herrn v. Coulon fand Agassiz einen edelgesinnten
Freund und kenntnißreichen Kollegen, der an seinen höchsten Bestre bungen theil nahm und immer bereit war, alle seine Bemühungen
zur Förderung der Wissenschaft zu unterstützen.
Sie arbeiteten zu
sammen an der Errichtung, Erweiterung und Eintheilung des natur
geschichtlichen Museums, welches bald als eine der ersten Anstalten dieser Art bekannt wurde.
Außer dem Unterricht, den Agassiz in dem Gymnasium er
theilte, versammelte er noch einen kleinen Kreis von Freunden und Nachbarn um sich, welchen er im Winter Vorträge über Botanik,
Zoologie
und
Naturphilosophie hielt.
Diese
belehrenden
Unter
haltungen gingen in der ungezwungensten und formlosesten Weise
vor sich und wurden in späteren Jahren bei seinen eigenen und den Kindern seiner Freunde fortgesetzt.
Bei diesen letzteren entnahm er
den Lehrstoff vorwiegend aus dem Gebiet der Geologie und Geo
graphie in Verbindung mit Botanik, und bei günstigem Wetter
wurden die Stunden meist im Freien gegeben.
Man kann sich leicht
vorstellen, welche Freude es für die jugendliche Schaar von Knaben
und Mädchen gewesen sein muß, große Spaziergänge auf die Berge und Felder zu machen, namentlich auf den hinter Neuchätel auf steigenden Chaumont, und so während des vergnüglichen Umher
streifens ihren Unterricht zu erhalten, der an die von der nächsten Umgebung gebotenen Gegenstände und Thatsachen anknüpste. Von einem erhöhten Standpunkt aus, welcher eine weite Aussicht gestattete,
erklärte ihnen Agassiz die Bildung der Seen, Inseln, Ströme, Quellen, Wasserbehälter, Hügel und Thäler. Er behauptete immer,
daß physikalische Geographie den Kindern viel besser in der nächsten Umgebung
ihrer Heimath, als durch Bücher, Karten oder selbst
Globen beigebracht werden könnte.
Auch bedurfte er keiner mannig
faltigen Landschaft zu seinem Unterricht.
Eine wellenförmige Er
hebung des Bodens, einiger Gegensatz von Hügel und Thal, eine
Wasserfläche mit den Flüßen, welche sie speisen, ein beliebiger Felsen spalt, der als Wasserbehälter dient, finden sich überall, und der Zusammhang der Thatsachen läßt sich eben so gut an kleineren, als
an größeren Beispielen nachweisen. Wenn es nicht möglich war, die Stunden im Freien zu geben, versammelten sich die Kinder um einen großen Tisch, wo jedes
Art und Weise des Unterrichts.
121
vor sich seine Exemplare von Steinen und Fossilien oder Blumen,
Früchten und getrockneten Pflanzen liegen hatte.
Jedem Kind wurde
dann der Reihenfolge nach noch einzeln erklärt, was zuerst allen
gemeinschaftlich vorgetragen war.
Wenn von fernen oder tropischen
Gegenden die Rede war, so wurde keine Mühe gescheut, um ein schlagendes Material Herdeizuschaffen und die Kinder lernten auf
diese Weise Datteln, Bananen, Cocosnüssc und andere Früchte kennen,
die in jenen Tagen in einer kleinen Kontinentalstadt nicht leicht zu haben waren.
Natürlich durften dann zum Schluß der Stunde die
Exemplare zu gründlicherem Kennenlernen verzehrt werden, was bei
den Kindern besonderen Beifall fand.
Ein großer hölzerner Globus,
auf dessen Oberfläche die verschiedenen Theile der Erde, welche zur
Besprechung gelangten, gezeigt werden konnten, diente zur besseren Veranschaulichung.
Die Kinder mußten auch ihren Theil zur Be
lehrung beitragen, indem sie das, was gerade erklärt worden war,
ihrerseits beschrieben und auffuchten.
Sie nahmen ihre Sammlungen
mit nach Hanse, und als Vorbereitung für die nächste Stunde wurde ihnen aufgetragen, einige ungewöhnliche Exemplare zu bestimmen und beschreiben, ohne sich dabei helfen zu lassen.
Nie herrschte Lange
weile in der Klasse. Agassiz's lebhafte, klare und anziehende Lehr weise erweckte in den kleinen Schülern die eigenen Kräfte der Beob
achtung und eröffnete wenigstens einigen von ihnen dauernde Quellen des Genusses. Der Unterricht, welchen er den älteren Schülern ertheilte, be ruhte auf der gleichen Methode und war für dieselben nicht weniger
Im Winter trug er meist Zoologie und damit verwandte
anziehend.
Gegenstände vor, im Sommer Botanik und Geologie und benutzte die schönen Tage zu Exkursionen und praktischer Belehrung auf den
Feldern.
Prof. Louis Favre sagt von diesen Exkursionen, die manch
mal in die Schluchten von Seyou, manchmal in die Wälder des
Chaumont führten:
„Es waren Festtage für das junge Volk, das
an seinem Professor einen theilnehmcnden Gefährten voll Kraft, Lust
und Heiterkeit hatte, dessen Begeisterung in ihnen die heilige Flamme
der Wissenschaft entzündete." Es dauerte nicht lange bis Agassiz's wachsendes Ansehen ihm
Berufungen nach anderen Orten eintrug. Heidelberg.
Eine der ersten kam von
122
Siebentes Capitel.
Professor Tiedemann an Louis Agassi;.
Heidelberg, 4. Dec. 1832. ... Sm verflossenen Herbst, da ich das Vergnügen hatte, Sie in Karlsruhe zu sehen, machte ich Ihnen den Vorschlag, Vorlesungen
über die Naturgeschichte der Thiere an hiesiger Universität zu halten. Professor Leuckart, der bisher hier die Zoologie vortrug, ist nach Freiburg versetzt, und Sie würden also der Einzige sein, der hier
Zoologie lehrt.
Bei dem starken Besuch der Universität läßt sich auf
eine große Zahl von Zuhörern rechnen.
Die zoologische Sammlung,
die wie Sie wiffcn, nicht unbedeutend ist, steht Ihnen zur Benutzung
offen.
Prof. Leuckart bezog ein Gehalt von fünfhundert Gulden.
Dieses Gehalt ist nun disponibel und ich zweifle nicht, daß die Re gierung es Ihnen geben würde.
Sie haben sich Kenntnisse erworben,
um als tüchtiger akademischer Lehrer wirken zu können.
Mein Rath
ist daher, daß Sie sich nicht an ein Gymnasium oder Lyceum fixiren; das sagt einem wissenschaftlich gebildeten Mann auf die Dauer nicht zu und dabei läßt sich kein Wirkungskreis für einen tüchtigen Ge
lehrten hoffen. Gehen Sie nun reiflich mit sich über einen so wichtigen Gegen stand, der das Wirken Ihres Lebens betrifft, zu Rathe.
mir das Resultat Ihrer Berathung baldigst mit.
Theilen Sie
Sind Sie zur
Annahme meines Vorschlags geneigt, so hoffe ich, daß Sie hier nm Ostern als Professor extraordinarius, mit einem jährlichen Gehalt von fünfhundert Gulden, einen ihren Kenntnissen angemessenen Wirkungs
kreis finden.
Das Honorar für Vorlesungen und literarische Arbeiten
kann Shnen im Jahr auch noch 1500 Gulden abwerfen. entschloffen auf meinen Vorschlag einzugehen,
Sind Sie
so senden Sie mir
Ihre Snaugural-Dissertatjon und machen Sie mich bekannt mit Ihren literarischen Arbeiten, um bei dem Kuratorium die nöthigen Schritte zu thum Sehen Sie diesen Vorschlag als einen Beweis
der Hochschätzung Ihrer literarischen Bestrebungen und meiner Zu neigung zu Ihrer Persönlichkeit an . . . In seinem nächsten Brief an Humboldt holt Agassiz dessen Rath
über den Ruf nach Heidelberg ein und drückt seine Freude über
die warme Aufnahme aus, welche ihm in Neuchätel zu Theil ge worden war.
123
Bries an Humboldt.
Agassi; an A. von Humboldt. December 1832.
. . . Endlich bin ich in Neuchätel und zwar habe ich heute vor vier Wochen meine Vorlesungen angefangen. Ich bin hier auf
eine Art empfangen worden, wie ich es nie gedacht hätte, die mir nur durch Ihr Wohlwollen und Ihre freundliche Empfehlung zu Theil werden konnte. Haben Sie meinen innigsten Dank für Ihre Bemühungen und für Ihre fortdauernde Theilnahme, und lassen Sie mich Ihnen mit den Jahren und durch meine Arbeit mehr als durch Worte zeigen, daß es mir ernst ist um die Wissenschaft, und daß
mein Gemüth nicht unempfänglich ist für so großartige Aufmunterung, wie sie mir von Ihnen zu Theil wurde. Meinen Brief
aus Karlsruhe
werden Sie
erhalten haben.
Könnte ich Ihnen nur alles das sagen, was ich über die Entwicklungs
geschichte der Erde, über die Folgenreihe ihrer Geschöpfe und über die genetische Klassifikation derselben gedacht und beobachtet habe. Es läßt sich so schwer in gedrängter Kürze schreiben.
Ich will es
aber doch versuchen, sobald meine Vorlesungen mich weniger in An
spruch nehmen und meine Auge» weniger angegriffen sind.
Wenn
ich heute nicht etwas wenigstens äußerlich wichtigK zu melden hätte, würde ich mit Schreiben noch gewartet haben.
Dieses betrifft bei
folgenden Brief (das Anerbieten einer Professur in Heidelberg). Glauben Sie, daß ich darauf keine Rücksicht nehmen solle, so lassen Sie mich, wenn Sie keine Zeit zum Antworten haben, Ihre Meinung
durch Stillschweigen wissen. Ich will dann alle die guten Gründe anführen, die mich bestimmen können vor der Hand lieber in Neuchätel zu bleiben. werden.
Ich glaube im voraus, daß Sie dieselben billigen
Da mir meine Vorlesungen wenig Zeit rauben werden,
kann ich um so mehr auf meine Arbeiten verwenden.
Dann ist die
Lage von Neuchätel herrlich zu Beobachtungen über die Entwicklungs geschichte der Thiere, wie ich vorhabe, sie über mehrere Klaffen zu
machen; dann habe ich hier die Hoffnung mich der Bürde meiner Sammlung zu entledigen, und endlich ffnde ich hier die Ruhe, deren meine angegriffene Gesundheit bedarf.
Diese günstigen Umstände
sind für mich ein Hauptbeweggrund zu dem Wunsche hier zu bleiben;
auch bin ich überzeugt, daß mehrere Personen hier mich mit der
größten Bereitwilligkeit unterstützen würden,
wenn meine Pubsi?
124
Siebentes Capitel.
kationen sonst nicht zu Stande kommen könnten.
Was die Publikation
meiner Fische betrifft, so werde ich am Ende hier das Lithographiren der Tafeln am besten selbst leiten können. Ich habe darüber eben jetzt an Cotta geschrieben und ihm vorgeschlage», er solle mir die Kosten
der Lithographirung allmälig vorschießen, ich wolle ihm alles be
sorgen und mich vor der Hand mit einer geringen jährlichen Unter stützung begnügen.
Bei dem allmäligen Verkaufe soll er mir dann
nach und nach auch meine Kosten ersetzen; auf Honorar mache ich
nur dann Anspruch, wenn der Absatz des Werkes ihm die Zahlung eines solchen möglich macht. Ich erwarte nun seine Antwort. Dieser Vorschlag schien mir am geeignetsten, weil es doch am Ende haupt sächlich darauf ankommt, daß die Werke publizirt werden.
Seitdem ich hier bin, sind mit Hülfe des Herrn Coulon einige
wiffenschaftliche Bestrebungen gemacht worden.
Wir haben bereits
eine naturwissenschaftliche Gesellschaft gestiftet') und ich hoffe, wenn Sie uns im nächsten Jahre die Ehre Ihres Besuches gönnen, so sollen Sie diesen Keim wenigstens schon auf der Neige zwischen Laub
und Blüthe finden, ohne daß er inzwischen in Kraut aufgeschossen wäre.
Herr Coulon sagt mir, er habe vorgestern mit Herrn Mont-
mollin, dem Schatzmeister, wegen des Ankaufs meiner Sammlung gesprochen, und dieser wolle darüber an Herrn AnMon schreiben ...
Wollen Sie die Güte haben, gelegentlich Herrn AnMon ein Wort darüber zu sagen? . . . Außerdem daß diese Sammlung gewiß für die hiesige Anstalt von großem Nutzen wäre, würde mir durch den
Ankauf ein großer Vorschub geleistet zu meinen ferneren Unter suchungen, die ich mit achtzig Louis, dem Betrag der Subskription
für meine Anstellung nicht in einem so ausgedehnten Maßstabe fort
setze» kann, als ich möchte.
Ich erwarte jetzt mit Sehnsucht die
Antwort von Cotta auf meinen letzten Vorschlag; diese mag nun aber ausfallen, wie sie will, so lasse ich doch das Lithographiren der Tafeln unmittelbar nach Neujahr anfangen, da dieselben nothwendig
unter meinen Augen und meiner Leitung ansgeführt werden müssen. Ich kann es thun,
da mir mein Onkel Dr. Mayor in Lausanne
achtzig Louis dazu giebt, die Summe welche Weber, mein ehemaliger
Lithograph in München für ein Jahr verlangt. *) Societe des Sciences naturelles de Neuchätel.
Ich habe ihn also
Brief von Humboldt an Conlon.
dazu kommen lassen und erwarte ihn um Neujahr.
125
Mit meinem
Gehalt kann ich dann Dinkel erhalten, der mir jetzt in Paris die letzten Versteinerungen, die ich beschrieben habe, zeichnet...
Eine andere Antwort auf diesen Brief, als die in dem folgenden an Herrn Coulon enthaltene, ist nicht gefunden worden.
A. v. Humboldt an Coulon.
Berlin, 21. Januar 1833.
. . . Es macht mir große Freude den schmeichelhaften Empfang anzuerkennen, den Sie und Ihre Mitbürger Herrn Agassiz zu Theil
werden ließen, der so hoch in der Wissenschaft dasteht und deflen geistige Bedeutung durch seinen liebenswürdigen Charakter noch erhöht wird.
Man schreibt mir von Heidelberg, daß die Stelle von Prof.
Leuckart unserem jungen Freund angeboten werden soll.
Er ist von
Herrn Tiedemann vorgeschlagen worden und nichts könnte ehrenvoller
für ihn sein; dennoch hoffe ich, daß er den Ruf ablehnen wird.
Er
sollte einige Jahre in Ihrem Lande bleiben, wo eine großherzige
Theilnahme ihm die Veröffentlichung seines Werkes erleichtert, welches
für Zoologie und Geologie von gleicher Bedeutung ist.
Ich habe
mit Herrn Aneillon gesprochen und habe ihm eine officielle Notiz,
den Ankauf der Agassiz'schen Sammlung betreffend, zukommen lasten.
Die Schwierigkeit wird hierbei, wie in allen menschlichen Dingen in der Prosa des Lebens, im Gelde liegen.
Herr An?illon schreibt mir
diesen Morgen: „Ihr Schreiben zu Gunsten des Herrn Agassiz ist ein wissenschaftlicher Creditbrief, welchem wir zu entsprechen suchen werden. Die gleichzeitige Erwerbung eines bedeutenden Mannes
und einer bedeutenden Sammlung würde ein doppelter Sieg für die Regierung von Neuchütel sein. Ich habe von dem Staatsrath einen Bericht verlangt über die Mittel dies zu erreichen und ich hoffe, daß auch Privatpersonen dazu beitragen werden."
Sie sehen also, daß
diese Angelegenheit wenigstens auf gutem Wege ist.
Ich glaube
aber nicht, daß die Königliche Schatzkammer fürs erste mehr als
tausend Preußische Thaler dazu hergeben wird . . . In Betreff des Rufes nach Heidelberg war Agassiz's Entscheidung
schon getroffen.
Ein Brief an seinen Bruder von Ende December
erwähnt, daß ihm eine Professur an der Universität in Heidelberg
Siebentes Capitel.
126
durch die Hoffnung seine Sammlung in NeuchLtel zu verkaufen und dadurch von einer schweren Last befreit zu werden, ausgewogen würde. Agassiz wurde in dieser Zeit von einem großen Unglück bedroht.
Schon in Paris hatten seine Augen angefangen, von der Anstrengung der Arbeit am Mikroskop zu leiden.
Jetzt wurden sie ernstlich krank
und während einiger Monate war er genöthigt, seine Thätigkeit ein zustellen und sich sogar des Briefschreiben zu enthalten.
In dieser
Zeit, während er in ein verdunkeltes Zimmer gebannt war, übte er
seine fossilen Studien nur durch das Tastgefühl aus und benutzte
sogar die Zungenspitze, um die Eindrücke herauszufühlen, wenn die Finger nicht feinfühlig genug waren.
Er sagte später, daß er in
jener Zeit ganz überzeugt gewesen sei, auf diese Weise sein Tast
gefühl zu einer solchen Ausbildung zu bringen, daß der Verlust des Gesichts ihn nicht genöthigt haben würde, seine Arbeit aufzugeben. Nach einigen Monaten besserten sich seine Augen, und obwohl er zu
Zeiten von der Wiederkehr desselben Uebels bedroht war, so konnte
er doch sein ganzes Leben hindurch seine Augen anhaltender ge
brauchen, als die meisten Menschen. immer frei vortrng, scheinen
Seine Vorlesungen, die er
nicht ans längere Zeit unterbrochen
worden zu sein.
Der folgende Brief von Agassiz an Humboldt ist einem rohen unvollendeten Entwurf entnommen, welcher (vielleicht der kranken Augen wegen) liegen blieb und erst im folgenden Mai beendet wurde. Obwohl unvollständig, so erklärt er doch Humboldt's Antwort, die
nicht nur an sich interessant ist, sondern auch Licht auf Agassiz's Thun in diesem Zeitraum wirst. Agassiz an Humboldt.
NeuchLtel, 27. Januar 1833.
Tausend Dank für Ihren letzten lieben Brief.
Ich kann Ihnen
gar nicht sagen, welche große Freude er mir verursacht und wie es mich erhebt und zu stets erneuter Thätigkeit anspornt, mit Ihnen auf
einem so vertrauten Fuße verkehren zu dürfen.
Seit ich Ihnen ge
schrieben habe, hat sich mir einiges bestimmter gestaltet, namentlich
ist mein Vorsatz, die fossilen Fische hier herauszugeben, reif ge
worden.
Es bleiben mir nur noch einige Skrupel, über welche ich
Sie um Rath fragen wollte.
Ich kann jetzt, da Cotta todt ist, nicht
127
Brief an Humboldt.
warten bis ich eine Uedereinkunst mit seinem Nachfolger getroffen
habe. Ich lasse also die Süßwasser-Fische liegen und betreibe die an deren um so eifriger. Bei genauer Prüfung habe ich zu meinem
Erstaunen gesehen, daß sich hier alle Mittel zur Herausgabe eines solchen Werks finden: zwei gute Lithographen und zwei Druckereien, von welchen beide sehr schöne Lettern besitzen.
Ich habe Weber
kommen lassen, um die Tafeln zu stechen oder aus Stein zu zeichnen; er wird bis Ende des Monats hier sein.
Dann lasse ich gleich an
fangen und hoffe im Mai die erste Lieferung herausgeben zu können.
Die größte Schwierigkeit bleibt jetzt die Versendung der Hefte und
ein Absatz, der mir möglich macht, sie regelmäßig aus einander folgen zu lassen.
Ich halte es für besser, gleich mit der Veröffentlichung
des Ganzen zu beginnen, als einen Auszug vorauszuschicken.
Die
Arten können nur durch gute Abbildungen anschaulich gemacht wer
den, und ein Auszug erfordert immer umständlichere Erklärungen; gebe ich aber gleich die Bilder, so kann ich den Text kürzer fassen
und die allgemeinen Ergebnisse als Einleitung der ersten Lieferung vorausschicken.
So denke ich in zwölf Lieferungen, jede mit zwölf
Tafeln Folio, und etwa zehn Bogen Text alles genau bekannt machen
zu können. Die Kosten würden sich nach genauer Erkundigung bei den hiesigen Druckern so hoch belaufen, daß siebzig Abnehmer voll kommen hinreichen würden, einhundert und fünfzig Exemplare drucken
zu lassen, wenn die Lieferung zu einem Louisd'or angesetzt wird. Nun fragt es sich, ob ich nicht mehr Exemplare drucken lassen sollte?
Ich will die Steine der Kosten wegen nicht aufbewahren. Versendung der Hefte und Einziehung des
Wegen
Geldes könnten Sie
mir vielleicht eine Buchhandlung in Leipzig oder. Berlin anweisen, welche das Werk unter billigen Bedingungen für Deutschland in Kom mission nähme? Wegen des Betriebs in England habe ich gestern an Lyell geschrieben, und morgen werde ich an Levrault und Bossange
schreiben.
Ueberhaupt thun jetzt Magistrats- und Privatpersonen sehr viel
hier für den öffentlichen Unterricht und ich bin überzeugt, daß wenn
es möglich ist, man mir früher oder später meine Sammlung ab kauft, obwohl neuerdings nicht mehr davon die Rede war*). *) Seine Sammlung wurde schließlich im Frühling 1833 von der Stadt NeuchLtel angekauft.
Siebentes Capitel.
128
Zur nähern Beschreibung meiner Familie der [Lepidostei,
zu
welcher alle vorkreiolichen Knochenfische gehören, wünsche ich sehr einen
Polypterus Bichir und einen Lepidosteus osseus oder irgend eine an dere Art, die ausschließlich der Jehtwelt angehört, zu seciren.
Bis
her konnte ich nur Skelette und die äußeren Theile untersuchen und beschreiben.
Wenn es Ihnen möglich wäre, mir ein Exemplar von
beiden zukommen zu lassen, so würden Sie mir den größten Dienst
erweisen.
Wenn es nicht anders anginge, erbiete ich mich, die Prä
parate wieder zurückzustellen.
Ich bitte recht dringend darum.
Wer
den Sie nur nicht unwillig wegen der vielen Bitten, die dieser Brief enthält, und sehen Sie darin nur meinen sehnlichen Wunsch meiner Bestimmung nachzukommen, wobei Sie mir schon so oft und freund lich geholfen haben. Humboldt an Agassiz. Sans-Souci, 4. Juli 1833.
Ich bin glücklich über Ihren Erfolg, mein lieber Agassiz, glück lich über Ihren liebenswürdigen Brief vom 22. Mai, glücklich in der
Hoffnung, im Stande gewesen zu sein, etwas zu thun, was die Sub skription fördern kann.
Der Name des Kronprinzen schien mir doch
von Wichtigkeit für Sie.
Ich
habe mit Schreiben gezögert, nicht
weil ich einer der Verfolgtesten Männer in Europa bin (die Verfol
gung geht immer crescendo; es giebt keinen Gelehrten in Preußen oder Deutschland, der, wenn er etwas vom König oder von Herrn von Altenstein zu erbitten hat, es nicht für nöthig hielte, mich zu seinem Agenten und Bevollmächtigten zu machen), sondern weil es
nöthig war, die Rückkehr des Kronprinzen von seiner militärischen Rundreise
abzuwarten und Gelegenheit zu finden,
ihn
allein zu
sprechen, welche nicht eintritt, wenn ich bei dem König bin. Ihr Prospekt ist sehr interessant und läßt allen, die Sie mit
Material versorgt haben, volle Gerechtigkeit widerfahren.
Mich unter
diesen zu nennen, war ein liebevoller Betrug, die Täuschung eines edlen Herzens, wie das Ihre; ich bin Ihnen darüber etlvas böse*).
*) Die wenigen Worte, welche die Zurückweisung von Seiten Humboldt's veranlaßten, waren folgende. Nachdem Agassiz alle genannt hatte, von denen er Hülfe durch Mittheilung von Exemplaren oder aus andere Weise erhalten hatte, schließt er: „Endlich verdanke ich Herrn von Humboldt nicht nur wichtige
129
Brief von Humboldt.
Hier ist der Anfang des Verzeichnisses.
Ich denke die Verwal
tung der Provinzial-Bergwerke wird noch drei bis vier Abdrücke nehmen.
Wir haben noch keine Antwort von daher.
Sie nicht über die Kürze des Verzeichnisses ...
Erschrecken
Ich bin leider der
am wenigsten geeignete Mann zur Sammlung von Subskribenten, da ich außer dem Hofe niemand sehe und genöthigt bin, drei bis vier
Tage in der Woche außerhalb der Stadt zuzubringen.
Wegen dieser
Unfähigkeit bitte ich Sie, mir durch den Herausgeber nur meine eigenen drei Abdrücke zu senden und die anderen unmittelbar den
auf der Liste genannten Personen zu schicken und nur auf jeden Ab druck zu schreiben, daß der Adressat auf der Liste des Herrn v. Hum
boldt subskribirt hat. Trotz all meiner Zuneigung für Sie, lieber Freund, würde es mir unmöglich sein, die Vertheilung Ihrer Lieferungen zu über
nehmen.
Die Buchhandlungen von Dümmler oder von Duncker
und Humblot würden Ihnen in Berlin nützlich sein.
Es wird mir
schwer zu glauben, daß Sie sicher zwischen diesen literarischen See
räubern durchschiffen werden!
Ich habe ein kurzes Eulogium Jhreß
Werks in die Berliner Staats-Zeitung einrücken lassen.
Sie sehen,
daß ich Ihre Interessen nicht vernachlässige, und daß ich aus Liebe zu Ihnen sogar Journalist werde. Sie haben versäumt, in Ihrem Prospektus zu sagen, ob Ihre Tafeln lithographirt sind, wie ich fürchte, und auch ob sie colorirt sind, was mir unnöthig erscheint. Sind Ihre herrlichen Originalzeichnungen in Ihrem Besitz geblieben oder sind Sie in den Verkauf Ihrer Sammlungen eingeschlossen?...
Ich konnte Ihren Brief an den König nicht gebrauchen und habe ihn unterdrückt.
Sie sind in Bezug auf die Form der Anrede
schlecht berathen worden.
„Erhabener König"
klingt zu poetisch.
Wir haben hier die prosaischsten und unterthänigsten Formeln.
Herr
von Pfuel wird wohl einen Erz-Preußen bei sich haben, der Ihnen die Formeln des Briefs sagen kann. Die Anrede muß sein: „Allerdurch lauchtigster, großmächtigster König, — allergnädigster König und
Herr".
Dann fangen Sie an: „Euer königlichen Majestät wage ich
Aufzeichnungen über fossile Fische, sondern so mancherlei freundliche Hilfe in Bezug auf mein Werk, daß ich fürchten würde, durch eine Aufzählung sein Zart gefühl zu verletzen." Dies wird denjenigen, die die Sachlage kennen, kaum als eine Uebertreibung erscheine».
Agassiz'S Leben und Briefwechsel.
130
Siebentes Capitel.
meinen lebhaftesten Dank für die allergnädigst bewilligte Unter
stützung zum Ankauf meiner Sammlung für das Gymnasium in Neuchätel tiefgerührt allerunterthänigst zu Füßen zu legen. gut; sagen Sie nur: vieler Güte".
Wüßte
Der weitere Verfolg Ihres Briefes war sehr
ich zu schreiben" ic.
„so vieler Gnade zu entsprechen", statt „so
Sie müssen mit den Worten schließen: „Ich ersterbe
in tiefster Ehrfurcht Euer Königlichen Majestät allerunterthänigster, getreuster —Das Ganze auf klein Folio, gesiegelt und auf der Außenseite adressirt: „An des Königs Majestät, Berlin." Schicken Sie
den Brief nicht durch mich, sondern officiell durch Herrn von Pfuel').
Der Brief an den König ist nicht durchaus nothwendig, aber er wird Freude machen, denn der König liebt jedes Zeichen der An
hänglichkeit aus dem Lande, welches jetzt das Ihrige geworden ist.
Der Brief kann auch unserer Bitte in betreff des Ankaufs einiger Abdrücke förderlich sein, welche wir an den König stellen wollen, sobald die erste Lieferung erschienen ist.
Hätte ich heute des Königs Namen
für Sie erlangt (was große Schwierigkeiten gehabt hätte, da der König alle Subskriptionen haßt), so würde uns das für die Folge
geschadet haben.
Es scheint mir, daß ein Dankbrief von Ihnen an
Herrn AnMon auch ganz angebracht wäre. ben, daß es dazu zu spät wäre...
Sie müssen nicht glau
Ich schreibe Ihnen den pedan
tischsten Brief in Beantwortung Ihres so anziehenden.
Es muß
Ihnen sonderbar vorkommen, daß ich Ihnen französisch schreibe, wäh rend Sie, ein Franzose der Abstammung oder vielmehr der Sprache nach, vorziehen, deutsch zu schreiben. Bitte, sagen Sie mir, ob Sie die deutsche Sprache, welche Sie mit solcher Reinheit schreiben, schon
als Kind gelernt haben?
Es freut mich zu sehen,
scheinen lassen.
daß Sie Ihr Werk gleich ganz er
Eine Zerstückelung würde zu endlosen Verzögerun
gen geführt haben.
Aber, um's Himmelswillen, schonen Sie Ihre
Augen; es sind die unsrigen. —
Ich habe die Subskriptionen in
Rußland nicht versäumt, habe aber bis jetzt noch keine Antwort.
Den Namen des Herrn von Buch habe ich auf's Gerathewohl auf meine Liste gesetzt.
Er ist abwesend; man sagt, daß er in diesem
Sommer nach Griechenland gehen wolle.
Bitte machen Sie es sich
*) Es wird den Lesern bekannt sein, daß Neuchätel damals unter preußischer
Oberhoheit war.
Brief von Humboldt.
131
zur Vorschrift, keine Exemplare Ihres Werkes zu verschenken.
Wenn
Sie dieser Neigung nachgcben, ruiniren Sie sich pekuniär. Ich wollte,
ich hätte bei Ihren Vorlesungen zuhören können.
Was Sie mir davon sagen, entzückt mich, obwohl ich Lust habe, mit
Ihnen zu zanken wegen der Metamorphosen unserer Erde, welche sich sogar in Ihren Titel eingeschlichen haben.
Ich sehe aus Ihrem
Brief, daß Sie an dem Gedanken innerer Lebensprozesse der Erde festhalten, daß Sie die aufeinanderfolgenden Formationen als ver
schiedene Phasen des Lebens betrachten, die Felsen als Produkte einer
Umwandlung.
Ich meine, eine solche symbolische Sprache müsse mit
größter Vorsicht angewendet werden.
Ich kenne diesen Gesichtspunkt
der alten „Naturphilosophie"; ich habe ihn ohne Vorurtheil geprüft, aber nichts scheint mir unvergleichbarer als die sich bei Bildung des
Kelchs und der Blüthe äußernde Lebenskraft der Pflanzenmetamor phose und die aufeinanderfolgenden Bildungen von Schichten und
Conglomeraten.
Gewiß herrscht eine Ordnung in den aufeinander
folgenden Schichten.
Zuweilen ist es eine Abwechslung
derselben
Substanz, eine innere Ursache, zuweilen sogar eine Reihenfolge von Entwicklungen, die aus der ceutralen Gluth hervorgehen; aber kann
der Ausdruck Leben auf diese Art von Bewegung angewendet wer den?
Kalk bringt keinen Sandstein hervor. Ich weiß nicht, ob das,
was die Physiologen Lebenskraft nennen,
existirt als
etwas ver
schiedenes oder gar entgegengesetztes von der physikalischen Kraft, die wir in aller Materie erkennen. Ich glaube, der Lebensprozeß ist
nur eine besondere Art der Wirkung oder Einschränkung dieser physi
kalischen Kräfte, eine Wirkung, deren Natur wir noch nicht ganz er gründet haben.
Ich glaube,
es giebt nervöse Stürme (elektrische),
gleich denjenigen, welche die Atmosphäre entzünden, aber die beson dere Kraft, welche wir eine organische nennen, in welcher jeder Theil
Ursache oder Wirkung wird, scheint mir verschieden von den Verän derungen, denen unser Planet unterworfen war.
Ich breche hier ab,
denn ich fühle, daß ich Sie langweile, und Sie sind mir zu lieb, als
daß ich mich dieser Gefahr aussetzen möchte.
Außerdem schwebt ein
bedeutender Mann, wie Sie, mein lieber Freund, über den mate riellen Dingen nnd
wohl!
läßt philosophische Zweifel gelten.
Leben Sie
Rechnen Sie auf das bischeu Lebe», was mir noch bleibt,
nnd auf meine freundschaftliche Ergebenheit.
Mit sechs und zwanzig v*
Siebentes Capitel.
132
Jahren und im Besitz so vieler Kenntnisse treten Sie erst in das Leben ein, während ich mich vorbereite, daraus zu scheiden.
Ich
verlasse diese Welt in einem ganz anderen Zustand, als ich ihn in
meiner Jugend erhofft hatte. dosteus nicht vergessen.
Ich werde den Bichir und den Lepi-
Denken Sie immer daran, daß Ihre Briefe
mir sehr große Freude machen . . . P. 8.
Sehen Sie sich die neue Lieferung von Poggendorf sorg
fältig an; Sie werden wundervolle Entdeckungen von Ehrenberg (mikroskopische) über die Verschiedenheit des Baus zwischen dem Ge hirn und den Bewegungsnerven, sowie über den Krystall, welcher die
Silberschicht des Bauchfells von Esox lucius bildet, finden.
Im Oktober 1833 fand Agassiz's Hochzeit mit Cecilie Braun, der Schwester seines langjährigen Freundes, Alexander Braun, statt. Er bezog mit seiner Frau eine kleine Wohnung in Neuchätel, wo sie
ihren Haushalt in einfachster Weise begannen und so sparsam lebten,
als es ihre beschränkten Mittel erforderten.
Frau Agassiz's seltene
künstlerische Befähigung, die bisher den botanischen Arbeiten ihres
Bruders gewidmet war, fand nun ein neues Feld zur Bethätigung. Sie war durch das Zeichnen von naturhistorischen Gegenständen an
Genauigkeit gewöhnt und hatte eines Künstlers Blick für Farbe und
Form.
Einige der schönsten Zeichnungen in den fossilen- und Süß
wasser-Fischen sind von ihrer Hand.
Den ganzen Sommer hindurch
hatte Agassiz trotz seines Augenleidens das Fortschreiten dieser Werke
geleitet.
Seine beiden Künstler, Dinkel und Weber, waren fortwäh
rend mit Anfertigung der Tafeln beschäftigt, der erstere in Paris,
der zweite in Neuchätel. Obwohl Agassi; zu dieser Zeit erst sechs und zwanzig Jahre alt war, so zeigt doch sein Briefwechsel, daß das Interesse der wissen
schaftlichen Männer durch ganz Europa sich ihm und seinen Werken zuwendete.
Von bedeutenden Forschern seines eigenen Landes, von
solchen aus Frankreich, Italien, Deutschland, England und selbst von
Amerika, dem fernen Eldorado der Naturforscher jener Tage, kamen
Anerbietungen zur Mitwirkung, begleitet von fossilen Fischen oder von Zeichnungen seltener oder einziger Exemplare.
Er war in allen
Museen Europa's als ein unermüdlicher Arbeiter und Sammler be
kannt, der überall Material zur Vergleichung suchte.
Brief von Buckland.
133
Unter den Briefen ans dieser Zeit ist einer von Charpentier, einem der Pioniere der Lehre von der Eiszeit, unter dessen Auspicien
Agassiz zwei Jahre später seine Untersuchungen über die Natur der
Gletscher begann.
Er schreibt aus der Nachbarschaft von Bex, seiner
Heimath im Rhonethal, dem klassischen Lande der Gletscherforschung; aber er spricht nur von den Gegenständen, die damals von Hauptinter
esse für Agassiz waren und lädt ihn ein, zu ihm zu kommen und die fossilen Fische zu sehen, welche in der Nachbarschaft vorkämen und gewisse Erscheinungen der Hebung und Plutonischen Bewegung daselbst
zu untersuchen.
Er ahnte nicht, daß der junge Zoologe demnächst auf
seinem eigenen Forschungsfelde mit ihm zusammentreffen würde.
Agassiz erhielt nun auch dringende Einladungen von den engli schen Naturforschern, von Buckland, Lyell, Murchison u. a. nach
England zu kommen und ihre wundervollen Sammlungen fossiler
Ueberreste zu untersuchen.
Von Professor Buckland an Agassiz.
Oxford, 25. December 1833.
... Ich würde sehr gern das geringfügige Material, welches ich im Museum von Oxford in Bezug auf fossile Fische besitze, in Ihre Hände legen, und ich wünsche auch sehr, daß Sie die fossilen Fische,
sowohl in den verschiedenen Provinzial-Museen Englands, als in
Sir Philipp Egerton hat eine sehr große Sammlung von Fischen von Engi und Oeningen, welche er gern zu London zu sehen bekämen.
Ihrer Verfügung stellen möchte.
Ebenso wie ich, würde er Ihnen gern
Zeichnungen senden, aber Zeichnungen, die ohne Kenntniß der ana tomischen Einzelheiten, deren Sie bedürfen, gemacht sind, können das
nicht darstcllen, was der Künstler selbst nicht beobachtet.
Anch ein
zelne Exemplare würde ich Ihnen gern senden, wenn ich sie vor den barbarischen Händen der Zollbeamten zu sichern wüßte. Was ich
Ihnen nun als bestes Mittel, alle Sammlungen in England zu
sehen, und zur selben Zeit weitere Subskriptionen auf Ihr Werk zu erlangen, Vorschlägen würde, wäre, daß Sie selbst nach England
kämen und der britischen Versammlung zur Förderung der Wiffenschaften im nächsten September beiwohnten.
Da würden Sie alle
Naturforscher Englands treffen, und ich zweifle nicht daran, daß Sie unter denselben ejne ganze Menge Subskribenten finden würden.
Sie
Siebentes Capitel.
134
werden auch eine neue Fundgrube fossiler Fische in der Thonschicht der Kohlenformation von Newhavcn, an den Ufern des Forth bei
Edinburg, sehen.
Dann sollten Sie daranf Bedacht nehmen, die
Museen von Jork, Whitby, Scarborough und Leeds und die Samm lung von Sir Philipp Egerton auf Ihrer Hin- oder Rückreise nach
Edinburg zu sehen.
Ebenso könnten Sie die Museen von London,
Cambridge und Oxford besuchen.
Ueberall giebt es fossile Fische, und
das Reisen ist in England mit der Post so bequem und billig und
geht so schnell, daß Sie in sechs oder noch weniger Wochen alles ausführen können, was ich vorgeschlagen habe.
Da ich sicher hoffe,
daß Sie in den Monaten August und September hierher kommen,
sage ich jetzt nichts von anderen Mitteln, die Zeichnungen oder Exemplare unserer englischen fossilen Fische in Ihre Hände zu brin
gen.
Ich vergaß die sehr reiche Sammlung fossiler Fische in dem
Museum des Herrn Marshall in Brighton zu erwähnen, wo Sie,
glaube ich, das wöchentlich abgehende Dampfschiff nach Rotterdam eben so leicht nehmen könnten, als in London und so innerhalb
weniger Tage von London nach Neuchätel kommen könnten . . . Agassi; an Professor Buckland.
... Ich danke Ihnen herzlich für die wichtige Auskunft über die reichen Sammlungen Englands, die Sie so gütig waren, mir zu geben. Ich will mich, wo möglich, einrichten, dieselben in diesem Jahre zu besuchen, und in diesem Falle möchte ich Sie um einige
Empfehlungsbriefe bitten, welche, mir die eingehende Untersuchung derselben erleichtern würden.
Nicht, daß ich einen Augenblick an der
Liberalität der englischen Naturforscher zweifle. Alle Gelehrten des Kontinents, welche Ihre Museen besucht haben, rühmen die Freund lichkeit, mit welcher ihnen die seltensten Gegenstände anvertraut wur den, und ich weiß sehr wohl, daß die Engländer darin mit allen anderen Nationen wetteifern und sie sogar übertreffen.
Aber man
muß solche Gunst durch wissenschaftliche Arbeiten verdient haben; ein
Anfänger kann darauf keinen Anspruch machen und sie nur als freie
Gabe hinnehmen ...
Einige Monate später erhielt Agassiz einen sehr erfreulichen
und handgreiflichen Beweis des Interesses, welches die englischen Naturforscher für seine Arbeit hegten.
Verleihung des Wollaston-Preises.
135
Charles Lyell an Louis Agassiz.
Somerset House, London, 4. Febr. 1834. . . . Es macht mir das größte Vergnügen, Ihnen eine gute Nachricht zu verkünden. Die Geologische Gesellschaft von London hat
mich beauftragt, Sie zu benachrichtigen, daß der von Dr. Wollaston gestiftete Preis Ihnen für dies Jahr verliehen worden ist.
Wollaston
hat uns die Summe von eintausend Pfund gegeben mit der Bitte, die Zinsen oder ungefähr siebenhundert und fünfzig Franken jedes
Jahr zur Beförderung der zoologischen Wissenschaft zu verwenden. Ihr Werk über Fische ist von dem Vorstand der Geologischen Gesell
schaft dieses Preises würdig erfunden worden, da I)r. Wollaston sich
dafür aussprach, daß er auch für unbeendete Arbeiten vergeben werden könnte.
Die Summe von dreißig Guineen ist in meine
Hände gelegt worden, aber ich mochte Ihnen das Geld nicht senden,
ehe ich genau wußte, wo Sie sich aufhielten und wo Sie es aus gezahlt zu haben wünschten.
Vermuthlich wird Ihnen ein Wechsel
auf ein Schweizer Bankhaus erwünscht sein. Ich kann Ihnen heute den Auszug aus der Anrede des Präsi
denten, in welcher Ihr Werk erwähnt ist, noch nicht schicken, werde
ihn aber bald erhalten.
Inzwischen bin ich beauftragt, Ihnen zu
sagen, daß die Gesellschaft die Annahme Ihres herrlichen Werkes als Geschenk ablehnt, daß sie aber auf dasselbe subskribiren will und
schon einen Abdruck beim Buchhändler bestellt hat . . . Agassiz an Lyell. Ncuchätel, 25. März 1834.
. . . Sie können sich nicht vorstellen, welche Frende Ihr Brief mir gemacht hat.
Der Preis, welcher mir zugetheilt wurde, ist mir
eine so unerwartete Ehre und zugleich eine so willkommene Hilfe,
daß ich meinen Augen nicht traute, als ich mit Thränen des Dankes und der Erleichterung Ihren Brief las.
Einem Gelehrten gegenüber
brauche ich mich meiner Dürftigkeit nicht zu schämen, da ich das wenige, was ich besaß, ganz für meine wissenschaftlichen Forschungen
verwendet habe.
Ich zögere deshalb nicht, Ihnen zu bekennen, daß
Ihre Gabe mir zu keiner Zeit größere Freude hätte machen können.
Großmüthige Freunde haben mir geholfen, die erste Lieferung meiner „Fossilen Fische" erscheinen zu lassen; die Tafeln zu der zweiten sind
Siebentes Capitel.
136
fertig, aber ich war sehr in Verlegenheit, wie ich eine genügende
Anzahl von Abdrücken herstellen lasten könnte, ehe der Betrag für
die Ansgabe der ersten Lieferung etngegangen ist.
Der Text ist
auch fertig, so daß ich jetzt in vierzehn Tagen mit der Vertheilnng
beginnen kann, und wenn der Umlauf einmal hergestellt ist, hoffe ich, daß der Ertrag der vorausgehenden Lieferung mich immer in Stand
setzen wird, die nächstfolgende ohne Unterbrechung zu veröffentlichen.
Ich rechne sogar darauf, daß diese Einnahme mir die Mittel liefern wird, in Bälde eine Reise nach England zu machen.
Wenn kein
Hinderniß eintritt, hoffe ich dieselbe im Laufe des nächsten Sommers
auszuführen und bei der nächsten Versammlung der englischen Natur forscher anwesend zu sein. . Mein Lebensglück wird durch diese Geldsorgen nicht beeinträchtigt,
aber ich bin zuweilen genöthigt mehr zu arbeiten, als ich gut kann
oder als ich vrrnünftiger Weise thun sollte . . . Die zweite Lieferung der „Fossilen Fische" enthält den Anfang der Anatomie der Fische, aber nur derjenigen Theile, die in fossilem Zustande gesunden werden.
Ich habe mit den Schuppen angefangen; später behandle ich die
Knochen und die Zähne.
Dann kommt die Fortsetzung der Be
schreibung der Ganoiden und Scomberoiden, und ein weiterer Bogen enthält eine Skizze meiner Klassifikation der Fische. Die Tafeln
haben sogar noch mehr Erfolg, als die der ersten Lieferung. Wenn alles gut geht, so wird die dritte Lieferung nächsten Juli erscheinen. Es verlangt mich danach, Ihre reichen Sammlungen zu besuchen; ich hoffe, daß sobald es mir möglich wird, dies zu thun, ich das gute
Glück haben werde, Sie in London anzutreffen . . .
Die erste Lieferung der fossilen Fische war in den wissenschaft lichen Kreisen mit Begeisterung ausgenommen worden. Elie de Beau
mont schreibt im Juni 1834 an Agasfiz: „Ich habe Ihre erste Lie
ferung gelesen; sie verspricht ein Werk, welches eben so wichtig für die Wissenschaft, als bedeutend in feiner Ausführung ist.
Lassen Sie
sich nicht durch Hindernisse irgend welcher Art entmuthigen; sie werden vor dem allgemeinen Beifall weichen, welchen ein so vortreff liches Werk erwecken wird.
Ich werde immer froh sein, wenn ich
Helsen kann eines derselben zu besiegen." Es mag am Platze sein, hier eine kleine Skizze dieses Werkes,
Uebersicht des Werkes über die fossilen Fische.
137
welches während der nächsten zehn Jahre (1833—1843) weitergeführt wurde, zu geben.
Die Widmung bezeugt in kurzen Worten des
Verfassers Verehrung für Humboldt, und die Dankbarkeit, welche er ihm zollte.
„Diese Seiten verdanken Ihnen ihr Dasein; nehmen
Sie die Widmung derselben an."
Der Titel giebt in großen Zügen
den umfassenden Zweck des Werkes an: „Untersuchungen über fossile Fische: enthaltend eine Einleitung in das Stadium dieser Thiere;
vergleichende Anatomie derjenigen
organischen Systeme, .welche die Bestimmung der fossilen Arten er
leichtern; eine neue Klassifikation der Fische, welche ihre Beziehungen zu der Reihenfolge der Formationen ausdrückt; Erklärung der Gesetze
ihrer Aufeinanderfolge und ihrer Entwicklung während aller Ver änderungen der Erde,
begleitet von allgemeinen geologischen Be
trachtungen; endlich die Beschreibung von ungefähr tausend Arten, welche nicht mehr existiren und deren Merkmale nach den in den
Erdschichten enthaltenen Ueberresten wieder anfgedeckt worden sind."
Die durchaus neuen Ergebnisse, welche in diesem Werk enthalten sind, waren: Erstens, die Neugestaltung der Einthettung der ganzen
Klasse der Fische, fossiler und lebender und besonders die Trennung der Ganoiden als bestimmte Ordnung von allen anderen Fischen; zweitens, die Anerkennung derjenigen Verbindungen von Reptilien- und Vogel-Charakteren bei den Fischen früherer Erd-Epochen, welche den
Verfasser veranlaßten, sie prophetische Typen zu nennen und drittens seine Entdeckung einer Analogie zwischen den embryologischen Phasen
der höheren gegenwärtigen Fische und des allmäligen Auftretens der ganzen Klasse auf Erden, indem die Entwicklungsstufe des Indivi duums und die Stufenreihe des
paläontologischen Auftretens eine
bestimmte gegenseitige Uebereinstimmung erkennen lassen.
Da diese
umfassenden Gesetze Licht auf andere Klaffen des Thierreichs neben
derjenigen der Fische geworfen haben, so kann man sagen, daß ihre
Entdeckung sowohl die allgemeine Zoologie, wie die Ichthyologie ge
fördert habe. Die Einleitung ist gewissermaßen das Vorspiel zu diesem um
fassenden Kapitel der Naturgeschichte in dem gleichzeitigen Auftreten
der vier großen Ordnungen des Thierreichs: Strahlthiere, Weichthiere, Gliederthiere und Wirbelthiere.
Dann kommt die Entwicklung
nach Ordnungen innerhalb derjenigen Klaffe, bei welcher der Wirbel-
138
Siebentes Capitel.
thierplan zuerst ausgedrückt war,
nämlich der Fische.
Allen Ein-
theilungen und Untereintheilnngen zu Grunde liegt der durchschnitt liche Charakter der Klasse in der Vergangenheit und Gegenwart; die
Placoiden und Ganoiden charakterisiren durch
die Verbindung von
Reptilien- und Fisch-Charakteren die früheren geologischen Epochen,
während in den späteren die einfachen Knochenfische, die Cycloiden und Ctenoiden das Uebergewicht erlangen.
ersten Male
seine
„synthetischen
Hier bringt Agassi; zum
oder prophetischen Typen"
vor,
nämlich frühe Typen, welche gewissermaßen in großem Umriß Züge zeigen,
aber
die später in verschiedenen Gruppen sich weiter ausbilden
nie wieder in einer zusammentrcffen.
Nicht weniger über
raschend, als diese allgemeinen Gesichtspunkte über die Verhältnisse
des Baus, ist die Klarheit und Einfachheit, mit welcher die Ver
breitung der ganzen Klasse der Fische in Bezug auf die geologischen
Formationen oder in anderen Worten zu der physischen Geschichte der Erde gezeigt ist.
Beim Lesen dieses einleitenden Kapitels wird
jeder, der Agassi; als öffentlichen Lehrer kennt, beinah seine Stimme hören,
wie er, seiner Gewohnheit gemäß,
die lange Reihe der
lebenden Wesen in ihrem allmäligen Auftreten auf der Erde vor führte.
Seine ganze künftige Arbeit in der Ichthyologie, und man
möchte beinah sagen in der allgemeinen Zoologie, ist hier im Umriß enthalten.
Die Einzelheiten in diesem Werk, die zugleich zu so umfassenden
Schlußfolgerungen führten und so genau ins Einzelne gehen, können nur den Fachmann interessiren, aber die Verallgemeinerungen werden
auf jeden
denkenden Geist
eine gewisse Anziehung ausüben.
handelt von dem anatomischen,
sammenhang zwischen der ganzen Klasse der Fische, und der fossilen,
Es
zoologischen und geologischen Zu
der lebenden
und diese wird durch zahlreiche Tafeln erläutert
und durch die Ergebnisse der embryologischen Studien noch weiter
beleuchtet. „Trotz dieser auffallenden Unterschiede", sagt der Verfasser im
Eingang des fünften Kapitels über die Verhältnisse der Fische im Allgemeinen, „ist es nichtsdestoweniger für den aufmerksamen Beob
achter augenscheinlich, daß Ein Gedanke die Entwicklung der ganzen Klasse geleitet hat, und daß alle Abweichungen zu dem ursprüng lichen Plane zurückführen, so daß selbst wenn in der gegenwärtigen
Uebersicht des Werkes über die fossilen Fische. Schöpfung der Faden abgerissen scheint,
man
ihn
139 immer wieder
finden kann, wenn man sich in das Bereich der fossilen Ichthyologie kegiebt')." Nachdem er gezeigt hat, wie die gegenwärtige Schöpfung ihm
den Schlüssel zu vergangenen Schöpfungen gegeben hat,
wie das
vollständige Skelett der lebenden Fische die zerstreuten Ueberreste der
früheren erklärt, besonders derjenigen, deren weicher knorpeliger Ban
der Zerstörung am meisten ausgesetzt war, giebt er zwei Methoden an, die Klasse im ganzen zu erforschen; entweder durch das auf sie
angewendete Studium der vergleichenden Anatomie, wobei die ganze
Geschichte der Klaffe, lebend nnd fossil, in die Vergleichung einge schlossen werden muß, oder mit Hilfe der vergleichenden Embryologie. „Die Ergebnisse dieser beiden Methoden", fügt er hinzu, „ergänzen und
controlliern sich gegenseitig."
In allen seinen späteren Forschungen
ging in der That die Geschichte des Individuums Hand in Hand
mit der Geschichte der Klaffe.
Er prüfte immer seine zoologischen
Beobachtungen durch seine embryologischen Forschungen. Nach einer sorgfältigen Beschreibung der Rückensaite in ihrer
embryologischen Entwicklung zeigt er, daß ein gewisser Parallelismus
zwischen den Entwicklungsstufen der Wirbelsäule in den verschiedenen Fischgruppen und den Phasen ihrer embryologischen Entwicklung der
höheren Fische existire.
Im weiteren Verfolg zeigt er eine gleiche
Uebereinstimmung zwischen der Entwicklung des Flossensystems bei den verschiedenen Fischgruppen und dem allmäligen Wachsthum und der
Differenzirung der Flossen bei dem Embryo der höheren lebenden Fische").
„Es muß also," schließt er, „wie wir oben gesagt haben,
eine gewisse Analogie
oder
vielmehr ein gewisser Parallelismus
zwischen der embryologischen Entwicklung der Cycloiden und Ctenoiden
nnd der genetischen oder paläontologischen Entwicklung der ganzen Klasse angenommen werden.
Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet,
wird niemand bestreiten, daß die Form der Schwanzflosse von hoher
Bedeutung für zoologische und paläontologische Betrachtungen ist, da sie zeigt, daß derselbe Gedanke, derselbe Plan, welcher heute die Bil dung des Embryo leitet, sich auch in der stnfenweisen Entwicklung
der zahlreichen Schöpfungen, welche früher die Erde bevölkert haben,
*) Recherches sur les poissons fossiles. Vol. I. chap. V, pp. 92, 93. **) Recherches sur les poissons fossiles. Vol. I. chap. V, pag. 102.
140
Siebentes Capitel.
offenbart hat."
In der Vorrede sagt Agassiz: „Es ist mir gelungen,
die Gesetze der Reihenfolge und der organischen Entwicklung der Fische durch alle geologischen Epochen hindurch anzngebcn. Dle Wissenschaft kann hinfort, wenn sie die Veränderungen dieser Klasse von einer Formation zur anderen sicht, den Fortschritt der Organi
sation in einer großen Abtheilung des Thierreichs durch eine voll ständige Reihe von Zeitaltern der Erde verfolgen."
Diese Ansichten
sind nicht unverträglich mit Agassiz's Stellung als hervorragender
Gegner der Descendenz- oder Darwin'schen Theorie.
Entwicklung
war nach seiner Ansicht Entwicklung eines Planes, der in dem Bau zum Ausdruck gelangte und nicht die Umwandlung einer Gestaltung
zur anderen.
Nach seiner Auffassung war diese Umwandlung auf
intellektuelle nicht auf materielle Ursachen gegründet.
Er faßt seine
Ueberzeugung in betreff dieser Frage wie folgt, zusammen'): „Solche Thatsachen verkünden laut Grundsätze, welche in der Wissenschaft
noch nicht zur Sprache gekommen sind, welche aber dem Beobachter durch paläontologische Forschungen immer überzeugender vor Augen geführt werden. Ich spreche von den Beziehungen der Schöpfung zu dem Schöpfer.
Erscheinungen, welche in der Reihenfolge ihres
Auftretens innig verbunden und doch keinen genügenden Grund in
sich für ihr Auftreten haben; eine unendliche Mannigfaltigkeit von Arten ohne irgend ein gemeinsames materielles Band, die sich in einer Weise gruppiren, daß sie die bewunderungswürdigste fort
schreitende Entwicklung, an welche unsere eigene Species anknüpft, veranschaulichen: sind dies nicht unbestreitbare Beweise von dem Dasein einer höheren Intelligenz, deren Macht allein eine solche
Ordnung der Dinge hergestellt haben kann? . . . „Mehr als fünfzehnhundert Arten fossiler Fische, welche ich kennen gelernt habe, sagen mir, daß die Arten nicht unmerklich in
einander übergehen, sondern daß sie unerwartet erscheinen und ver schwinden, ohne direkte Beziehung zu ihren Vorgängern; denn ich denke, daß niemand ernstlich behaupten wird, daß die zahlreichen
Typen der Cycloiden und Ctenoiden, welche beinah alle gleichzeitig
mit einander vorhanden sind, von den Placoiden und Ganoiden ab stammen.
Eben so gut könnte man behaupten, daß die Säugethiere
*) Recherches sur les Poissons fossiles, Vol. L C-hap. VI. pp. 171, 171. „Essay on the Classification of Fisches.“
Uebersicht des Werkes über die fossilen Fische.
141
und der Mensch mit ihnen direkt von den Fischen abstammen.
Alle
diese Arten haben eine bestimmte Epoche ihres Auftretens und Ver schwindens; ihre Existenz ist sogar auf eine bestimmte Zeit beschränkt.
Und doch stellen sie, als ein ganzes, zahlreiche mehr oder weniger nahe Verwandschaften dar, eine bestimmte Ordnung in einem gege benen Organisationssystem, welches innigen Zusammmenhang mit
der Lebensweise jeder Ordnung und selbst jeder Art hat.
Ein unsicht
barer Faden wickelt sich durch alle Zeiten ab durch diese unendliche
Mannigfaltigkeit hindurch und zeigt uns als Endergebniß eine fort laufende Entwicklung, deren Endziel der Mensch ist, während die vier
Klassen der Wirbelthiere die Mittelstufen desselben bilden, und die Gesammtheit der wirbellosen Thiere die beständig hinzugefügten Be gleiter sind." Die Schwierigkeiten, welche es bereitete, so ausgedehnte und scharfe Vergleiche durchzuführen, wie sie zur Herstellung des orga
nischen Zusammenhangs zwischen den fossilen Fischen aller geologischen
Formationen und
denjenigen der gegenwärtigen Welt erforderlich
waren, mag uns der Verfasser selbst auseinander sehen").
„Da ich
selbst keine fossilen Fische besaß und für immer auf den Erwerb so
kostbarer Sammlungen verzichtete, war ich genöthigt, die Materialien zu meiner Arbeit in allen Sammlungen Europa's die solche Ueber«
reste enthielten, zu suchen.
Ich habe daher zahlreiche Reisen nach
Deutschland, England und Frankreich gemacht, um die Gegenstände meiner Forschungen zu untersuchen, zu beschreiben und abzubilden
Aber trotz der Zuvorkommenheit, mit welcher selbst die kostbarsten Exemplare zu meiner Verfügung gestellt worden
sind, hatte doch
diese Art des Arbeitens einen ernstlichen Nachtheil, welcher darin bestand, daß ich selten im Stande war, die verschiedenen Exemplare derselben Art aus
den verschiedenen Sammlungen direkt zu ver
gleichen, und daß ich mich oft genöthigt sah, meine Bestimmung aus
dem Gedächtniß oder nach einfachen Notizen oder in dem gün
stigsten Falle nur nach meinen Zeichnungen zu machen.
Es ist un
möglich, sich die Mühe, die Erschöpfung aller Kräfte vorzustellen,
die eine solche Arbeitsweise mit sich bringt.
Die Eile der Reise
und der damit zusammenhängende Mangel der allergewöhnlichsten k) Recherches sur les poissons fossiles.
Vol. I.
Addition ä la Preface.
Achtes Capitel.
142
Erleichterungsmittel zur Beobachtung, haben meine Aufgabe vielfach
erschwert.
Ich rechne daher auf Nachsicht für diejenigen meiner Be
stimmungen, welche'eine spätere, mit Muße gemachte Untersuchung berichtigen mag, und ebenso für die Beschreibungen, welche zuweilen den Stempel der Uebereilung, mit welcher sie gemacht worden sind, tragen."
Vielleicht war es diese Erfahrung in Agassiz's früherem Leben,
welche ihn so dringend wünschen ließ, ein Museum für vergleichende Zoologie in Amerika zu gründen, — ein Musenm so reich an um
fassendem Material, daß der Forscher nicht nur alle Klassen des Thierreichs innerhalb seines Museums antrifft, sondern daß dieselben
auch in solcher Fülle vertreten sind, daß viele Exemplare zu Zwecken des Studiums und der Vergleichung geopfert werden können.
Er
war entschloffen, daß kein Wissensdurstiger rathlos vor der Thüre
der Erkenntniß stehen bleiben sollte, wie es ihm oft gegangen war, wenn man ihm das Eine kostbare Exemplar zeigte, welches nicht von
seiner Stelle entfernt werden, ja nicht einmal an Ort und Stelle untersucht werden durfte, weil es das einzige seiner Art war.
Achtes Capitel. 1834-1837.
Vom 27. bis 30. Jahre.
Erster Besuch in England. — Aufnahme bei den Männern der Wissenschaft. — Arbeit über fossile Fische in England. — Freigebigkeit der englischen Natur forscher. — Erste wissenschaftliche Beziehungen mit Amerika. — Weiterer Brief wechsel mit Humboldt. — Zweiter Besuch in England. — Fortsetzung der „Fossilen Fische". — Andere wissenschaftliche Veröffentlichungen. — Den Gletschern zugewendete Aufmerksamkeit. — Sommer bei Charpentier in Bex. — Verkauf der Original - Zeichnungen der fossilen Fische. — Versammlung der Schweizer Gesellschaft. — Rede über die Eiszeit. — Briefe von Hmnboldt und von Buch.
Im August 1834 konnte Agassi; den langgehegten Wunsch be friedigen, nach England zu gehen.
Er wurde von den dortigen Ge
lehrten mit herzlicher Theilnahme empfangen, welche nicht einen Tag
oder auch nur eine Stunde des dortigen Aufenthaltes unansgefüllt
143
Erster Aufenthalt in England.
Der folgende Brief von Buckland enthält eines der vielen, ihm
ließ.
bei seiner Ankunft gewordenen Anerbieten der Gastfreundschaft und
des freundschaftlichen Rathes.
Dr. Buckland an Agassiz.
Oxford, 26. August 1834.
. . . Es freut mich von Ihrer glücklichen Ankunst in London zu hören, und ich schreibe, um Ihnen zu sagen, daß ich in Oxford
bin, und daß ich glücklich sein werde, Sic zu empfangen und Ihnen ein Bett in meinem Hause anzubieten, wenn Sie gleich hierher
kommen.
Ich erwarte morgen Nachmittag die Herren Arago und
Pentland aus Paris.
Es wird mich glücklich machen, Ihnen am
Donnerstag oder Freitag unser Oxforder Museum zu zeigen und mit Ihnen nach Edinburg zu gehen. Sir Philipp Egerton hat eine schöne Sammlung von fossilen Fischen bei Chester, welche Sie auf
Ihrer Reise besuchen sollten.
Ich habe halb und halb mit ihm ver
abredet, am Montag 1. September bei ihm zu sein, aber ich glaube,
es wäre besser für Sie, am Sonnabend hinzugehen, damit Sie Zeit haben, Zeichnungen von seinen fossilen Fischen zu machen.
An welchem Tag ich Oxford verlasse, kann ich noch nicht be stimmt sagen, ehe ich Herrn Arago gesehen habe, den Sie hoffentlich
bei Ihrer Ankunft in Oxford bei mir treffen werden . . .
Bitte,
kommen Sie gleich, wenn Sie Oxford erreichen, mit Ihrem Gepäck in mein Haus in Christ Church . . .
Agassi; blickte immer mit Entzücken auf seinen Besuch in London zurück.
Seine lebenslange Freundschaft mit Buckland, Sedgwick,
Murchison, Lyell u. A., die gleiche Interessen und Bestrebungen hatten,
wurde damals angeknüpst.
Er konnte kaum den zahlreichen gesell
schaftlichen und wissenschaftlichen Einladungen Folge leisten, welche ihm nach der Versammlung in Edinburg zu Theil wurden. Von Dr. Buckland geführt, dem nicht nur jede öffentliche und
Privatsammlung, sondern auch jedes seltene Exemplar im ganzen
Lande bekannt gewesen zu sein scheint, wanderte er von einem Schatz
zum andern. Jeder Tag brachte eine Entdeckung, bis er unter der Last der Anhäufung neuen Stoffs beinah genöthigt war, die Arbeit,
Achtes Capitel.
144
welche er so gut vorgerückt glaubte, von neuem zu beginnen.
Er
hätte durch eine solche Fülle von Hilfsmitteln, welche auf unzählige
neue Pfade wiesen, von denen er nicht wußte, wo sie hinführten, wohl entmuthigt werden können, wenn die Großmuth der englischen Naturforscher ihm nicht gestattet hätte, aus sechzig oder mehr Samm lungen zweitausend Exemplare fossiler Fische auszusuchen, und sie
nach London zu schicken, wo er durch die Güte der Geologischen Ge sellschaft die Erlaubniß erhielt, dieselben in Somerset House nieder
zulegen.
Nachdem die Maffe des Materials einmal gesichtet und ge
ordnet war, wurde die Arbeit der Vergleichung und Bestimmung verhältnißmäßig leicht.
Er ließ sofort seinen getreuen Künstler Dinkel
kommen, welcher ohne Zögern anfing, die Exemplare, welche neues
Licht auf die Geschichte der fossilen Fische warfen, zu zeichnen.
Diese
Arbeit hielt ihn mehrere Jahre in England zurück.
Agassi; gewann in dieser Zeit zwei Freunde,
deren Theil
nahme und Mitwirkung ihm in Zukunft bei seinen wiflenschaftlichen
Arbeiten nnschätzbar waren.
Sir Philipp Egerton und Lord Cole
(Earl of Enniskillen) waren im Besitz von zwei der werthvollsten
Sammlungen fossiler Fische in Großbritannien').
Ihre kostbarsten
Exemplare wurden Agassiz zur Verfügung gestellt, um ihn bei seinen Forschungen zu unterstützen.
Seinem Künstler war es gestattet,
monatelang in ihren Sammlungen zu zeichnen, und selbst nach Agassiz's Uebersiedlung nach Amerika versäumten sie nie, ihn an dem Gewinn des Zuwachses ihrer Museen theilnehmen zu. lassen. Von
dieser Zeit an ist der Briefwechsel mit beiden, besonders mit Sir
Philipp Egerton ein getreues Bild, sowohl des immer zunehmenden
Interesses, als auch der Schwierigkeiten seiner wiflenschaftlichen Lauf bahn.
Ungern und mit manchem rückwärts gewendeten Blick verließ
Agassiz England im Oktober und kehrte zu seinen Vorlesungen nach
Neuchatel zurück, so viele Exemplare fossiler Fische mit sich nehmend,
als für den Fortschritt seines Werks unerläßlich war.
Jede Stunde
des folgenden Winters, die seine Berufsarbeiten ihm frei ließen, wurde den fossilen Fischen gewidmet.
Ein Brief aus dieser Zeit von Prof. Silliman in New-Haven, Connecticut, bildet den Anfang seiner Beziehungen zu seiner künf-
') Dieselben sind jetzt im Besitz des britischen Museums.
Anfang der Beziehungen zu Amerika.
145
tigen Heimath in Neu-England und kündet ihm seine ersten Sub skribenten ans diesem Lande an.
Aale College, New-Haven,
Vereinigte Staaten von N.-Amerika, 22. April 1835.
. . . Aus Boston hatte ich die Ehre, Ihnen unter dem 6. Mär» für Ihren Brief vom 5. Januar zu danken und für das herrliche
Geschenk Ihres Werkes über fossile Fische — Lieferung 1—22 nebst Tafeln —.
Ich
machte eine Anzeige dieses Werkes in der April
nummer des Journals') und ließ BackweÜ's Bericht über Ihren Be
such in Mantell's Museum abdrucken. In Boston war ich im Interesse Ihres Werkes thätig und habe
das Vergnügen, Ihnen folgende Unterzeichner zu nennen:
Die Harvard-Universität in Cambridge (Cambridge ist nur vier Meilen von Boston entfernt) durch den Präsidenten Hon. Josiah
Quincy. Das Boston-Athenäum durch seinen Bibliothekar.
Benjamin Green, Esq., Präsident der naturforschenden Gesell schaft in Boston.
Ich werde mich noch an einige andere Anstalten und Individuen wenden, wage aber nicht bestimmte Versprechungen an meine Be
mühungen zu knüpfen . . . Als er diesen Brief las, ahnte Agassiz nicht, wie bekannt diese fernliegendcn Orte ihm werden sollten, und wie oft er in späteren
Jahren die vier Meilen zwischen Cambridge und Boston bei Tag und Nacht zu Fuß zurücklegen würde. Humboldt an Agassiz.
Berlin, Mai 1835. Ich bin sehr zu tadeln, daß ich Sie so vernachlässige, lieber
Freund, aber wenn Sie den Kummer bedenken, der mich nieder drückt") und mich oft unfähig macht, meine wissenschaftlichen Ver bindungen aufrecht zu erhalten, so werden Sie nicht so unfreundlich
sein, mir mein langes Schweigen übel zu nehmen.
Die hohe Ach-
*) Das „American Journal of Science and Art. **) Wege» des TodeS seines Bruders, Wilhelm von Humboldt. 10
Ag.issiz's Leben und Briefwechsel.
146
Achtes Capitel.
hing, welche ich für Ihre Talente und Ihren Charakter habe, ist
Ihnen zu gut bekannt, und Sie wissen auch sehr wohl, weich' warme Freundschaft ich für Sie hege,
um auch nur einen Augenblick zu
fürchten, daß ich Sie vergessen könnte. Ich habe das Wesen, welches ich am meisten liebte, und welches
mir allein noch einiges Interesse in diesem dürren Lande einflößte,
langsam hinwelken sehen.
Vier lange Jahre hat mein Bruder an
einer Schwäche der Muskeln gelitten, welche mich immer fürchten ließ, daß der Sitz des Uebels die medulla oblongata sei. sein Schritt fest, sein Kopf vollständig
klar.
Doch war
Die höheren intel
lektuellen Fähigkeiten hatten nichts von ihrer Energie verloren.
Er
arbeitete zwölf bis dreizehn Stunden täglich, las und diktirte, denn
ein nervöses Zittern der Hand verhinderte ihn, sich der Feder zu be-dienen.
Von einer zahlreichen Familie umgeben, an einem Orte,
den er sich, so zu sagen, selbst geschaffen und in einem Hause woh
nend, welches er mit antiken Statuen ausgeschmückt hatte, von den Geschäften zurückgezogen, hing er immer noch am Leben. Die Krank
heit, welche ihn vor zehn Tagen hinraffte, — eine Brustentzündung — war nur ein sekundäres Symptom seines Uebels. Er starb ohne
Schmerzen, mit einer Charakterstärke und einer Heiterkeit der Seele, welche der höchsten Bewunderung würdig waren.
Es ist hart, einen
so bedeutenden Geist während zehn langen Jahren gegen die physische
Zerstörung ankämpfen sehen
zu müssen.
Man sagt, daß man bei
großem Kummer sich mit verdoppelter Energie dem Studium der Natur zuwcnden müsse.
Der Rath ist leicht zu geben, aber es giebt
Zeiten, in denen selbst der Wunsch nach einer Zerstreuung fehlt. Mein Bruder hinterläßt zwei Werke, welche wir zu veröffent lichen gedenken: eines über die Sprachen und die alte Indische Kolo
nisation des Asiatischen Archipelagus, das andere über den Bau der
Sprachen im Allgemeinen und
den Einfluß dieses Baues auf die
geistige Entwicklung der Nationen.
Dies letztere Werk zeichnet sich
durch große Schönheit des Styls aus.
Wir werden bald mit der
Herausgabe ansangen. Der ausgedehnte Briefwechsel meines Bruders mit allen Ländern, über welche sich seine philologischen Studien er streckten, bringt mir gegenwärtig eine solche Vermehrung von Ge
schäften und Pflichten, daß ich nur diese wenige Zeilen an Sie richten kann, lieber Freund, als Zeichen meiner fortdauernden Zuneigung
147
Brief von Humboldt.
und, wie ich hinzufügen darf, meiner Bewunderung Ihrer hervor
ragenden Werke.
Es ist eine Freude, den wachsenden Ruhm der
jenigen, die wir lieben, zu verfolgen; und wer verdiente den Erfolg mehr als Sie, dessen Charakterstärke Sie vor aller literarischen Selbst
liebe bewahrt? Ich danke Ihnen für das wenige, was Sie mir von Ihrem häuslichen Leben gesagt.
Als großer und tiefer Naturforscher
gelobt und anerkannt zu werden, genügt nicht; das häusliche Glück muß auch dabei sein . . . Ich bin eben dabei, ein langwieriges und mühsames Werk abzuschließen; eine kritische Prüfung der Geographie des Mittelalters,
wovon fünfzig Bogen schon gedruckt sind. Bände schicken, sobald sie erscheinen.
Ich werde Ihnen die
Ich habe Ihre vierte Lieferung
verschlungen; die Tafeln sind beinah noch schöner, als die vorher
gehenden, und der Text, obwohl ich ihn erst flüchtig durchgesehen habe, hat mich sehr interessirt, besonders der analytische Katalog von Bolca und die sehr philosophischen Betrachtungen über Fische im Allgemeinen, S. 57—64.
Die Letzteren sind auch in Betreff des
Styls bedeutend. Herr von Buch, der mich eben verlassen hat, grüßt Sie herzlich. Nichtsdestoweniger betrachtet er ihre Art, den Text in Bruchstücken aus verschiedenen Bänden herauszugeben, als geradezu diabolisch. Auch ich beklage mich ein wenig darüber, aber in aller Demuth. Ich
vermuthe, daß dies mit der Schwierigkeit zusammenhängt, mit einer Familie abzuschließen, so lange sich täglich noch neues Material in Ihren Händen ansammelt.
Fahren Sie darum fort, wie bisher. Nach meinem Urtheil ist Herr Agassi; nie im Unrecht . . .
Der obige Brief, obwohl im Mai geschrieben, erreichte Agassiz
nicht vor Ende Juli, als er wieder auf dem Weg nach England war, von wo seine Antwort datirt.
Agassiz an Humboldt.
London, Oktober 1842.
. . . Ich kann Ihnen die Freude nicht aussprechen, die ich bei
Lesung Ihres Briefes empfand (der mir leider erst bei meiner Durch reise in Karlsruhe Ende Juli übergeben wurde) ...
Zu erfahren, io»
148
Achtes Capitel.
daß ich Ihre Gedanken und noch dazu in Tagen der Prüfung und
des Kummers, wie Sie sie durchgemacht haben, beschäftigte, erhebt mich in meinen eigenen Augen und verdoppelt meine Hoffnung für
die Zukunft.
Und gerade jetzt bei den Schwierigkeiten, auf welche
ich bei Beendigung meiner Aufgabe in England stoße, ist mir eine
solche Aufmunterung besonders erquickend.
Ich bin jetzt seit beinahe
zwei Monaten hier und hoffe vor meiner Abreise die Beschreibung
von allem, was ich im vorigen Jahre in der geologischen Gesellschaft
Da ich weiß, daß Sie in
zusammengebracht habe, zu vollenden.
Paris sind, kann ich der Versuchung nicht widerstehen, Sie dort zu
besuchen.
Wenn Ihr Aufenthalt dort
sich um einige Wochen ver
längern sollte, so würde meine Rückreise direkt über Paris gehen.
Ich möchte Ihnen gern erzählen, was ich gethan und wie ich gelebt habe, seit wir uns nicht gesehen haben.
Es mag wohl eine große
Unvorsichtigkeit gewesen sein, daß ich mich in ein, im Verhältniß zu meinen Mitteln, so großes Unternehmen, wie es meine fossilen Fische
sind, einließ. Aber nachdem ich es einmal angefangen, habe ich keine
Wahl mehr.
Meine einzige Sicherheit liegt in dem Erfolg.
Ich
habe die bestimmte Ueberzeugung, daß ich mein Werk zu einem glück
lichen Ausgang bringen werde, obwohl ich Abends oft nicht weiß, wie
die Mühle den nächsten Tag weiter arbeiten soll . . . Zu meinem großen Glück hat die „British Association“ auf
Antrag von Buckland, Sedgwick und Murchison für dieses Jahr wieder die Summe von einhundert Guineen zur Unterstützung der Forschungen über die fossilen Fische Englands ausgesetzt, und ich
hoffe, daß ein bedeutender Theil dieser Summe mir zugewendet wer
den wird, in welchem Falle ich in den Stand gesetzt sein würde, eine große Anzahl der Zeichnungen, deren ich bedarf, anfertigen zu lassen.
Wenn ich in Frankreich nur halb so viele Subskribenten
gewonnen hätte, als in England, so wäre ich gesichert; aber bis
jetzt hat Herr Bailliere nur fünfzehn Abdrücke untergebracht . . . Meine Arbeit schreitet gut voran; ich werde bald alle mir bekannten
Arten, die sich schon ungefähr auf neunhundert belaufen, beschrieben
haben.
Wenn meine Aufgabe hier beendet ist, muß ich
einige
Wochen nach Paris, um verschiedene tertiäre Arten mit lebenden zu vergleichen und mich von ihrer specifischen Identität zu überzeugen. Dann komme ich an das Ordnen aller meiner Aufzeichnungen.
In
149
Weitere Veröffentlichungen.
meinen langen Ferien werde ich Zeit haben, dies mit größter Sorg
falt zu thun . . . Agassiz's zweiter Aufenthalt in England, während dessen dieser Brief geschrieben ist, wurde hauptsächlich daraus verwendet, die Ar
beiten seines Künstlers zu überwachen, dem er nun noch einen zweiten in Herrn Weber zugesellte, welcher schon früher für ihn in München gearbeitet hatte.
Er wohnte auch
der Versammlung der British
Association in Dublin bei, hielt sich einige Tage in Oulton Park auf,
um die Sammlung Sir Philipp Egerton's
noch einmal zu sehen,
machte eine zweite große Rundreise nach allen anderen fossilen Fischen Englands und Irlands und kehrte nach Neuchütel zurück, seine zwei
Künstler in England mit reichlicher Arbeit zurücklassend. Während er so sein Werk über fossile Fische mit Eifer und in
Anbetracht seiner kleinen Mittel mit beinah erschreckender Kühnheit
fortsetzte, fand er doch noch Zeit für verschiedene andere Untersuchun
gen.
Während des Jahres 1836 erschien trotz der weitergehenden
Veröffentlichung der „Poissons Fossiles“, sowohl sein Prodromus der
Klasse der Echinodermen in den Memoiren der naturforschenden Ge sellschaft in Neuchatel, als seine von Abbildungen begleitete Abhand
lung über die fossilen Echini des Neocom des Neuchäteler Jura. Nicht lange nachher veröffentlichte er in den Schriften der Helveti schen Gesellschaft seine Beschreibung der der Schweiz eigenthümlichen
fossilen Echini und ließ auch die erste Lieferung eines umfangreiche ren Werks, der „Monographie d’Echinodermes“ erscheinen.
Während
dieses Jahres wurde ihm ein neuer Beweis der Theilnahme der englischen Naturforscher durch die Verleihung der Wollaston-Medaille von Seiten der Londoner geologischen Gesellschaft gegeben.
Der Sommer 1836 war ein ereignißreicher für Agassiz — der Anfang eines neuen glänzenden Kapitels in seinem Leben.
Die
Aufmerksamkeit der Laien wie der Gelehrten war in gleicher Weise
aus die eigenthümlichen Erscheinungen der Bewegung der Gletscher und ihres Vorrückens in £ie Alpenthäler gerichtet.
Ein Bauer hatte
seltsame Mittheilungen gemacht von Blöcken, welche auf dem Rücken des Eises fortgetragen worden waren, von dem abwechselnden Zurück
treten und Vorrücken der Gletscher, die heute in engere Grenzen zu sammenschrumpfen und sich dann wieder in die anstoßenden Gebiete
Achtes Capitel.
150
ergießen durch eine noch unerklärte Kraft der Ausdehnung und Zu sammenziehung.
Wissenschaftliche Männer waren auf die Bedeutung
dieser Thatsachen aufmerksam geworden, hatten sie aber nur als eine lokale Erscheinung ausgefaßt.
Benetz und Charpentier waren die
ersten, welche ihre ausgedehntere Bedeutung erkannten.
Der erstere
wies die früheren Grenzen der Alpengletscher aus Grund der von denselben zurückgelassenen Spuren von Trümmerwerk und abgelösten
Felsstücken nach.
Charpentier ging noch weiter und behauptete, daß
alle die erratischen Blöcke, welche über die Ebene der Schweiz und
an den Abhängen des Jura zerstreut sind, durch das Eis und nicht
durch Wasser, wie man früher annahm, dahin geführt worden seien. Agassi; gehörte zu denjenigen, welche diese Hypothese als un wahrscheinlich und unhaltbar betrachteten.
Doch war er begierig, den
Sachverhalt an Ort und Stelle zu sehen, und Charpentier erbot sich dabei mit Freuden zu seinem Führer.
Er brachte daher die Sommer
ferien von 1836 in dem freundlichen Städtchen Bex im Rhonethal
zu.
Hier verlebte er einige Wochen mit Untersuchungen, welche ihm
auch zur Erholung von den anstrengenderen sitzenden Studien dienten.
Er kam in der Erwartung, seine Zweifel bestätigt zu finden und
seinen Freund Charpentier von seinen Irrthümern zurückzubringen. Aber nachdem er mit ihm die Gletscher der Diablerets besucht hatte, sowie diejenigen des Chamounixthals und die Moränen des großen
Rhonethals mit den bedeutendsten seiner Seitenthäler, kam er zu dem Schluß, daß der einzige Irrthum Charpentier's in einer zu be grenzten Auslegung der betreffenden Naturerscheinungen läge.
Während dieses sonst höchst erfreulichen Sommers war ihm die
erneute Sorge nicht erspart, daß er genöthigt sein würde, die Heraus gabe der fossilen Fische einzustellen, da die Mittel zur Fortführung fehlten. Er schrieb deshalb aus Bex an Sir Philipp Egerton wegen
des Verkaufs seiner Originalzeichnungen, des einzigen Eigenthums, welches er besaß.
„Es ist vollständig unmöglich für mich", schreibt
er, „auch nur eine Lieferung mehr erscheinen zu lassen, bis der Ver kauf erfolgt ist ... Ich würde ganz zufriehen sein, wenn ich für die
ganze Sammlung von Zeichnungen nur die Summe erhielte, welche
ich dafür ausgegeben habe, vorausgesetzt, daß ich diejenigen Exem plare, welche noch lithographirt werden müssen, behalten dürfte, bis dies geschehen ist."
Lehre von der Eiszeit.
151
Sir Philipp gab sich alle Mühe, das britische Museum zu dem Ankauf zu veranlassen.
ES gelang ihm damals nicht, aber schließ
lich wurde die Sammlung gekauft und von einem seiner Verwandten,
dem großmüthigen Lord Francis Egerton dem britischen Museum ge
schenkt.
Um es inzwischen Agassiz möglich zu machen, Dinkel weiter
arbeiten zu lassen, schlugen Sir Philipp und Lord Cole ihm vor, die Ausgaben für den Künstler zu bestreiten, so lange er noch Exemplare aus ihren eigenen Sammlungen, die für das Werk gebraucht wur
den, zeichnete.
Diese Zeichnungen sollten dann natürlich späterhin
ihr Eigenthum bleiben. Während seines Aufenthaltes in Bex war Agassiz's Phantasie und Geist lebhaft durch die dortigen Gletschcrspuren angeregt worden. Bei seiner Rückkehr nach Nenchätel im Winter 1837 untersuchte er von Neuem die Abhänge des Jura und fand,
da ganz ebenso verhielten.
daß die Dinge sich
Obwohl er mit unvermindertem Eifer
seine verschiedenen Arbeiten über Fische, Strahlthiere und Mollusken wieder aufnahm, so eröffnete sich daneben doch seinem fruchtbaren Geist
ein neues Feld der Naturbeobachtung.
Als die Schweizer Versamm
lung in Neuchätel im folgenden Sommer zusammenkam, überraschte der junge Präsident, von welchem die Mitglieder neue Aufschlüsse
über fossile Fische erwartet hatten, die Anwesenden mit der Darstel lung einer Eiszeitlehre, nach welcher die lokalen erratischen Erschei nungen in den Schweizer Thälern eine kosmische Bedeutung erhielten. Es verdient beachtet zu werden, daß die ersten großen Umrisse, welche
Agassiz als junger Mann, von seiner geistigen Arbeit entwarf, den
Grundstein zu dem späteren Gebäude bildeten.
Wie der allgemeine
Standpunkt, von welchem all seine späteren zoologischen Forschungen ausgehen, in der Vorrede zu seinen „Poissons fossiles“ angedeutet
ist, so entwickelt er in seiner Eröffnungsrede an die versammelten Schweizer Naturforscher die Lehre von der Eiszeit, wie er sie am
Schluffe seines Lebens betrachtete, nachdem er die darauf hindeutenden
Erscheinungen auf drei Kontinenten beobachtet hatte. In dieser Rede spricht er seine Ueberzeugung aus, daß in Folge einer vorübergehen
den Schwankung in der Temperatur der Erde eine große Gletscher
periode die ganze Oberfläche der Erde mit einer Eisschicht bedeckt habe, welche sich mindestens vom Nordpol bis nach Central-Europa
und Asien erstreckte.
„Ein sibirischer Winter", sagt er, „beherrschte.
Achtes Capitel.
152
eine Zeit lang die Welt, welche vorher mit einer reichen Vegetation
bedeckt und mit großen Säugethieren, ähnlich denjenigen, welche jetzt die warmen Regionen von Indien und Afrika bewohnen, bevölkert
war.'
Der Tod hüllte die ganze Natur in ein Leichentuch, und die
Kälte, welche ihren höchsten Grad erreicht hatte, gab dieser Eismafse
auf dem Höhepunkt der Spannung die größtmöglichste Härte."
In
dieser neuen Darstellung wurde das zerstreute Vorkommen der erra tischen Blöcke nicht als lokale Erscheinung, sondern „als eines der Phänomene betrachtet, welche mit der großen Veränderung, die das
Fallen der Temperatur auf der Erde vor dem Beginn unserer Epoche
herbeiführte, zusammenhing."
Hiermit war wahrlich den früheren Erklärern des Wanderns der erratischen Blöcke, welche dasselbe den Fluthen, angeschwollenen
Flüssen und schwimmendem Eis zuschrieben, der Fehdehandschuh hin
geworfen.
Mancher berühmte Geologe war auf der Versammlung
anwesend, unter anderen Leopold von Buch, der seine mit Verach tung gemischte Entrüstung über diese nach seiner Meinung unreifen Ansichten eines unerfahrenen Beobachters kaum zurückhalten konnte.
Es mag unterhaltend gewesen sein, den Erörterungen zuzuhören,
welche sich nachher in der geologischen Sektion zwischen Leopold von Buch, Charpentier und Agassiz entspannen.
Elie de Beaumont,
welcher der vierte fein sollte, kam erst später nach.
Die Meinungs
verschiedenheiten störten jedoch das herzliche Verhältniß nicht, welches zwischen Leopold von Buch und seinem jungen Gegner bestand.
Agassiz's Verehrung und Bewunderung für von Buch war damals, wie während seines ganzen späteren Lebens, tief und aufrichtig. Aber nicht nur bei den Männern, die diese Fragen zu ihrem
speciellen Studium gemacht hatten, stieß Agassiz auf Widerspruch. Die Briefe feines geliebten Mentors Humboldt aus dem Jahre 1836
zeigen, wie sehr derselbe bedauerte, daß sein junger Freund auch nur
einen Theil seiner Arbeitskraft von der Zoologie ab- und einem Felde
der Forschung zuwandte, welches er damals mehr für eine Sache
der Theorie, als der wirklichen Beobachtung hielt. Er war vielleicht durch die Voreingenommenheit seines Freundes von Buch in seinem Urtheil beeinflußt.
„Leopold
von Buch wüthet
über Ihre utrb
Charpentier's Moränen", sagt er in einem seiner Briefe, „da er,
wie Sie wohl wissen, diesen Gegenstand für feinen ausschließlichen
Brief von Humboldt. Besitz hätt.
153
Aber auch ich, obwohl ich neuen Ansichten durchaus
nicht so grimmig gegenüberstehe und bereit bin zu glauben, daß die
erratischen Blöcke nicht alle auf dieselbe Weise fortbewegt worden sind, neige doch zu dem Glauben, daß die Moränen ihre Entstehung mehr lokalen Ursachen verdanken." Der nächste Brief von Humboldt zeigt, daß ihn die Befürchtung ernstlich beunruhigte, daß dies neue anziehende Feld der Thätigkeit
Agassiz von seinen ichthyologischen Untersuchungen abbringen möchte. Humboldt an Agassiz.
Berlin, 2. December 1837. In diesem Augenblick, lieber Freund, habe ich durch Herrn von
Werther, den Kabinetsminister, Ihre achte und neunte Lieferung mit
einer guten Anzahl Textbogen erhalten.
Ich beeile mich, Ihnen
meinen wärmsten Dank auszusprechen, und ich wünsche dem Publikum
Glück zu Ihrem etwas späten Entschluß, einen umfangreicheren Text antheil zu geben.
Man soll weder dem König, noch dem Volke, noch
seinem liebsten Freunde schmeicheln.
Daher mache ich Sie in der
Voraussetzung, daß Ihnen dies noch nicht nachdrücklich genug gesagt
worden ist, darauf aufmerksam, daß gerade die Personen, welche Ihr Werk am meisten bewundern, sich fortgesetzt über die fragmentarische Art seines Erscheinens beklagen, welche diejenigen zur Verzweiflung
bringt, denen es an Muße fehlt, Ihre zerstreuten Blätter in die richtige Ordnung zu bringen*). Ich glaube, Sie würden gut thun, eine Zeit lang mehr Text
als Tafeln drucken zu lassen.
Sic könnten dies um so eher thun,
als Ihr Text vortrefflich, voll neuer und wichtiger Gedanken und mit bewunderungswürdiger Klarheit geschrieben ist. Der liebens würdige Bries (wieder ohne Datum), welcher Ihrem Pack voraus
ging, hat mir einen traurigen Eindruck gemacht.
Ich sehe, daß Sie
wieder krank sind; Sie klagen über Kongestionen nach dem Kopf und den Augen.
Um's Himmels willen, seien Sie vorsichtig mit Ihrer
Gesundheit, welche uns allen so theuer ist.
Ich fürchte, Sie arbeiten
*) In Folge der Unregelmäßigkeit mit welcher Agassiz sein Material erhielt und verarbeiten konnte, war er oft mit einigen Abschnitten seines Werkes vor ausgeeilt oder zurückgeblieben, so daß sein Text und seine Tafeln nicht Schritt miteinander hielten, was seinen Lesern viele Unbequemlichkeiten verursachte.
154
Achtes Capitel.
zu viel und (soll ich es aufrichtig sagen?) Sie wenden Ihre geistige
Thätigkeit zu vielen Gegenständen aus einmal zu.
Ich glaube, Sie
müßten Ihre intellektuelle und auch Ihre finanzielle Kraft auf das schöne Werk über die fossilen Fische concentriren.
Wenn Sie das
thun, werden Sie der positiven Geologie einen größeren Dienst er weisen, als durch diese allgemeinen (doch etwas eisigen) Betrachtun
gen über die Umwälzungen einer früheren Welt; Betrachtungen, welche, wie Sie wohl wissen, nur diejenigen überzeugen, von welchen
sie ausgehen.
Indem Sie bedeutende Summen aus England an
nahmen, sind Sie, so zu sagen, Verpflichtungen eingegangen, denen
Sie nur durch die Beendigung des Werkes, welches gleichzeitig ein
Denkmal Ihres Ruhmes und ein Grenzstein in der Geschichte der Wissenschaft sein wird, nachkommen.
So bewunderungswürdig und
genau auch Ihre Arbeiten über andere fossile Ueberreste find, so
werden doch Ihre Zeitgenossen vor allem die fossilen Fische von Ihnen beanspruchen.
Sie werden sagen, daß dies Sie zum Sklaven
anderer mache; das mag sein, aber dies ist einmal die erfreuliche
Lage der Dinge hienieden. Bin ich nicht seit dreiunddreißig Jahren angetrieben worden, mich mit diesem langweiligen Amerika zu be
schäftigen, und werde ich nicht sogar jetzt noch, nachdem ich zweiund
dreißig Bände der großen Ausgabe in Folio und in Quart und zwölfhundert Tafeln veröffentlicht habe, täglich beleidigt, weil ein
Band der historischen Abtheilung fehlt?
Wir Schriftsteller sind die
Knechte eines willkürlichen Herrn, den wir uns unbesonnener Weise erwählt haben, der uns zuerst schmeichelt und schön thut und uns
dann tyrannisirt, wenn wir nicht nach seinem Geschmack arbeiten.
Sie sehen, mein lieber Freund, daß ich den alten Brummer spiele und, aus die Gefahr hin, mir Ihr Mißfallen zuzuziehen, mich aus Seiten des despotischen Publikums stelle . . . Was die allgemeine oder periodische Abnahme der Temperatur
auf der Erde betrifft, so habe ich es nie für nöthig gehalten, des Mammuths wegen jenen plötzlichen Frost, von welchem Cuvier zu
sprechen pflegte, anzunehmen.
Was ich in Sibirien gesehen habe,
und was auf der Expedition des Kapitain Beechey an die Nordwest
küste Amerikas beobachtet worden ist, beweist einfach, daß eine Schicht gefrorenen Bodens in den Spalten vorhanden ist, in welcher (sogar
jetzt) das Muskelfleisch jedes Thieres, welches zufällig hinein gefallen
155
Brief von Humboldt.
ist, unversehrt erhalten bleiben würde. Erscheinung.
Es ist eine einfache lokale
Mir scheint die Zusammenwirkung der geologischen
Erscheinungen nicht das Vorherrschen dieser eisigen Oberfläche zu
beweisen, auf welcher Sie Ihre Blicke weiter wandern lassen, sondern
eine sehr hohe Temperatur, welche sich beinah bis zn den Polen er streckte, eine Temperatur, welche Organismen, wie sie jetzt in den Tropen leben, hervordrachte. Ihr Eis erschreckt mich und so gerne ich Sie hier bewillkommnen möchte, mein lieber Freund, so denke
ich doch, daß vielleicht Ihrer Gesundheit wegen, und auch damit Sie dieses immer so häßliche Land wenigstens nicht mit einer Schnee-
und Eisdecke sehen (int Februar), Sie besser thun würden, zwei Mo nate später mit dem ersten Grün zu kommen. Dieser Gedanke wurde mir durch einen Brief von M. d'O. eingegeben, welcher mich etwas
beunruhigte, da der Zustand Ihrer Augen' Sie veranlaßte, sich einer anderen Hand zum Schreiben zu bedienen.
Bitte, denken Sie nicht
daran zu reisen, ehe Sie wieder ganz hergestellt sind.
Ich schließe
diesen Brief, in welchem gewiß keine Zeile enthalten ist, welche nicht die warme Freundschaft und hohe Achtung, welche ich für Sie hege,
ausdrückt.
Die Herrlichkeit Ihrer letzten Lieferungen, der achten und
neunten, läßt sich nicht aussprechen. Wie vortrefflich ausgeführt sind Ihre Macropoma, der Ophiopris procerus, Mantell's großes Thier, die eingehenden Einzelheiten von Dercetis, Psammodus . . . Wir
besitzen nichts ähnliches über die Wirbelthiere.
Ich habe auch ange
fangen, Ihren Text zu studiren, der so reich an wohlgeordneten That
sachen ist, die Monographie der Lepidostei, die Stelle über die Knochenfische und, lieber Agassiz, ich wollte kaum meinen Augen trauen: fünf und sechzig fortlaufende Seiten des dritten Bandes
ohne Unterbrechung!
Sie werden das Publikum verwöhnen.
Aber,
mein guter Freund, Sie kennen schon zweitausend Arten; „claudite jam rivos!“ Sie sagen, Ihr Werk könne fortgesetzt werden, wenn
Sie zweihundert Subskribenten hätten. Wenn Sie aber fortfahren, zwei Zeichner zu halten, so sage ich, als praktischer Mann, Ihnen voraus, daß es nicht weiter gehen kann. Sie können nicht einmal veröffentlichen, was Sie in den letzten fünf Jahren gesammelt
haben.
Bedenken Sie, daß indem Sie versuchen eine Uebersicht
aller fossilen Fische zu geben, welche jetzt in Sammlungen existiren,
Sie ein Phantom verfolgen, welches Ihnen immer entflieht.
Ein
156
Achtes Capitel.
solches Werk könnte innerhalb fünfzehn Jahren kaum beendet werden, und außerdem
ist das
unbestimmtes Ding.
jetzt ein
Könnten
Sie stch nicht so weit überwinden, das zu veröffentlichen, was in Ihrem Besitz ist?
Rufen Sie alle Ihre Künstler zurück.
Mit dem
Ruf, den Sie in Europa genießen, wird Ihnen alles gern geschickt
werden, was eine wesentliche Veränderung in Ihren Ansichten über
gewisse Organismen veranlassen könnte.
Wenn Sie fortfahren, zwei
Gesandte in fremden Ländern zu unterhalten, werden die Mittel, welche Sie zum Lithographiren und Drucken bestimmt haben, bald
aufgebraucht sein.
Sie werden mit häuslichen Schwierigkeiten zu
kämpfen haben, und im Alter von sechzig Jahren (erzittern Sie beim
Anblick dieser Zahl) werden Sie so ungewiß darüber sein, wie heute, ob Sie, auch nur in Ihren Zeichnungen alles haben, was bei Lieb
habern existirt.
Wie wollen Sie einen Ocean ausschöpfen, in welchem
die Arten sich ins Unendliche vermehren? Beendigen Sie zuerst, was
Sie jetzt, in diesem December 1837 haben, und dann, wenn der Gegenstand nicht langweilig wird, veröffentlichen Sie die Nachträge im Jahr 1847.
Sie dürfen nicht vergessen,
daß die Nachträge
zweierlei enthalten müssen: Erstens Gedanken, welche einige Ihrer
früheren Ansichten berichtigen; zweitens neue Arten. Art des Nachtrags wird wirklich begehrt werden.
Nur die erste Ferner müssen
Sie Ihre geistige Unabhängigkeit wieder gewinnen und sich nicht mehr von Herrn von Humboldt schelten lassen. Es wird Ihnen wenig nützen, wenn ich mit Ihrer vierzehnten Lieferung von der Bühne dieser Welt abtreten sollte. Wenn ich meinerseits zu einem Fossil geworden bin, werde ich Ihnen doch als Geist erscheinen mit den
Seiten, welche Sie einzureihen versäumten, und mit dem Band jenes
ewigen Amerika, welchen ich dem Publikum schulde, unter dem Arm. Ich schließe mit einem Scherz, damit mein Brief Ihnen nicht ganz
wie eine Predigt erscheint.
Tausend herzliche Grüße.
Also kein Eis
mehr, nichts von Echinodermen, um so mehr von Fischen und Zurückrufung der Gesandten in partibus; ferner große Strenge gegen die Buchhändler, eine höllische Bande.
Ich habe zwei oder drei davon
umgebracht.
A. von Humboldt. Ich seufze bei dem Gedanken an die Mühe, welche meine schreck
liche Schrift Ihnen verursachen wird.
Brief von Leopold von Buch.
157
Ein Brief aus derselben Zeit von L. von Buch zeigt, daß so sehr er auch über Agassiz's heterodoxe Geologie wüthete, er doch dessen sonstigen Arbeiten die wärmste Theilnahme entgegenbrachte. Leopold von Buch an Louis Agassiz. 22. December 1837.
. . . Bitte lassen Sie mich wieder in der Gunst meines unbe kannten Wohlthäters in Ihrer Mitte hergestellt sein.
Durch einen
großen Irrthum sind die Berichte der Gesellschaft, die mir aus NeuchLtel zukamen, wieder zurückgeschickt worden.
Da es auf dem Post
amt wohl bekannt ist, daß ich die Stöße von belehrenden Journalen, die mir aus Frankreich zugeschickt werden, nicht behalte, weil das
Porto dafür viel zu hoch für meine Mittel ist, nahm man als aus daß dies Journal, wofür die Postgebühren mehrere
gemacht an,
Thaler betrugen, auch zu jenen ersteren gehörten. sehr leid.
Es thut mir
Ich weiß nicht einmal, was das Journal enthielt, aber
ich sehe voraus, daß es Aufsätze von Ihnen, voll Genie und Feuer Ihre Art die Natur zu betrachten gefällt mir, und ich
eifer brachte.
glaube, Sie werden der Wissenschaft große Dienste durch Ihre Beob
achtungen erweisen. Ihr richtiges Urtheil wird Ihnen zeigen, daß dies der rechte
Weg zu Ruhm und Ehre ist, der jenem anderen, zu eitlen Analogien und Spekulationen führenden, dessen Zeit längst vorüber ist, bei
weitem vorzuzichen ist.
Ich bedaure zu hören, daß Sie sich nicht
wohl fühlen, und daß Ihre Augen den Dienst versagen.
Herr von
Humboldt sagt mir, daß Sie hier im Monat Februar ein besseres Klima suchen.
Sie werden es vielleicht finden, Dank unseren Oefen.
Aber da wir noch reichlich Eis in den Straßen haben, werden Ihre Gletscheransichten in dieser Jahreszeit keinen Absatz bei uns finden.
Ich möchte Ihnen eine Abhandlung oder Monographie von mir, die ich soeben über Spirifer und Orthis veröffentlicht habe, zukommen lassen, aber da ich niemanden Porto für ein Werk bezahlen lassen will,
welches seiner Natur nach nur von beschränktem Jntereffe sein kann,
so will ich Ihre Ankunst abwarten, um Ihnen diese Beschreibungen
zu geben.
Ich warte auf die weiteren Lieferungen Ihrer fossilen
Fische, welche noch nicht gekommen sind. Humboldt spricht ost mit mir davon. O, wie viel lieber sehe ich Sie auf einem Gebiete,
158
Neuntes Capitel.
welches ganz ihr eigenes ist, als auf einem, wo Sie den gemäßigten und vorsichtigen Gang, welchen Saussure in der Geologie eingeführt hat, unterbrechen.
Sie werden das aber alles noch einmal überlegen
und werden die Ansichten von Saussure und Escher mit mehr Respekt Hier wendet sich alles den Infusorien zu.
behandeln.
Ehrenberg
hat gerade entdeckt, daß eine zwanzig Fuß tiefe, scheinbar sandige
Ablagerung unter der Lüneburger Heide, ganz aus einer Art von
Infusorien besteht, welche in der Umgebung von Berlin noch jetzt vor
kommen. Diese Schicht ruht auf einer braunen Ablagerung, die eine
Dicke von zehn Fuß haben soll.
Dieselbe besteht in einem Fünftel
ihrer Tiefe aus dem Blüthenstaub von Tannen, der jetzt noch ent zündbar ist.
Das übrige sind Infusorien.
So haben diese Thiere,
welche mit dem unbewafineten Auge nicht gesehen werden können,
die Kraft, Bergketten zu errichten . . .
Neuntes Capitel. 1837-1839.
Vom 30. bis 32. Jahre.
Anerbietungen von Professuren in Genf und Lausanne. — Tod seines Vaters. — Errichtung einer lithographischen Druckerpresse in Neuchätel. — Untersuchungen über den Ball der Mollusken. — Steinkerne von Schalen. — Gletschererfor schungen. — Ansichten von Buckland. — Beziehungen zu Arnold Guyot. — Ihre gelneinschaftliche Arbeit in den Alpen. — Brief an Sir Philipp Egerton über die Gletscheruntersuchungen. — Sominer 1839. — Veröffentlichung der „ Ktudes sur les Glaciers*.
So viel Widerspruch und unliebsame Auslegung Agassiz's ge wagte Behandlung der Gletschererscheinungen auch erfahren mußte, so hatte dieselbe doch ihrer Originalität und Beredsamkeit wegen
großen Eindruck gemacht.
Vielleicht verdankte er es diesem Umstand,
daß er um diese Zeit von verschiedenen Seiten dringend ausgesordert wurde, Neuchätel mit einem ausgedehnteren Wirkungskreis zu ver
tauschen.
Eine dieser Anerbietungen, die durch den liebevollen Sinn,
in welchem sie gemacht wurde, besonders verlockend war, kam ans Genf von Professor de la Rive.
Anerbieten einer Professur in Genf.
159
Auguste de la Rive an Louis Agassiz. Genf, 12. Mai 1836.
. . . Ich habe Ihre Rede noch nicht erhalten und hoffe, daß Sie sie mir ohne Verzug schicken werden, denn ich bin ungeduldig
sie unseren Lesern mitzutheilen.
Ich hoffe auch, daß Sie nicht ver
gessen werden, was Sie mir für die „Bibliotheque .Universelle“ versprochen haben.
Es verlangt mich sehr nach Ihrer Mitwirkung,
um so mehr, als dieselbe diejenige mehrerer bedeutender Gelehrten,
deren Beiträge ich mir kürzlich gesichert habe, verstärken wird. Wenn ich Sie mit einem Briefe ermüde, so geschieht dies jedoch nicht nur, um Sie an Zhr Versprechen in betreff der Bibliotheque
Universelle zu erinnern, sondern wegen einer anderen wichtigeren und dringenderen Angelegenheit. Die Sache ist! diese: Unsere aka demischen Vorlesungen sind gerade unter günstigen Verhältniffen er
öffnet worden.
Die Zahl der Studenten hat sehr zugenommen, und
besonders haben wir viele aus Deutschland und England.
Dieser
Umstand läßt uns um so mehr erkennen, wie wichtig es ist, unseren Lehrkörper zu vervollständigen, und dies schnell und mit Klugheit zu thun.
Ich will nicht den Diplomaten mit Ihnen spielen, sondern
aufrichtig und ohne Umschweife sagen, daß Sie mir der eine haupt
sächliche und unerläßliche Mann dazu scheinen.
Nachdem ich mit
einigen einflußreichen Männern hier gesprochen habe, bin ich über
zeugt, daß, wenn Sie sagen:
„Ich will kommen", folgende Bedin
gungen für Sie zu erlangen sein werden: Erstens ein regelmäßiger Gehalt von dreitausend Franken, außer den Gebühren der Studenten, welche sich in Folge Ihres Rufes, Ihrer Lehrweise und der Neuheit
Ihrer Vorlesungen gewiß auf mindestens zweitausend Franken be laufen werden.
Zweitens: Der erledigte Lehrstuhl ist für Geologie
und Mineralogie; wenn Sie es aber wünschen sollten, so wird de
la Planche fortfahren, die Mineralogie zu lehren, und Sie werden
dafür Paläontologie oder irgend einen anderen Gegenstand, den Sie
für geeignet halten, eintreten lassen.
Fügen Sie dann noch eine
öffentliche Vorlesung für das große Publikum, Damen u. s. w., bei, welche Sie, wie in NeuchLtel, im Winter halten könnten, so haben
Sie noch eine neue Einnahmequelle.
Es werden hier gewöhnlich
fünfzig Franken für eine Reihe von fünfundzwanzig bis dreißig Vor
lesungen gezahlt.
Sie werden einsehen, daß Sie für solche Vorträge
Neuntes Capitel.
160
hier einen mindestens eben so großen Zuhörerkreis hätten, als in
NeuchLtel.
Es ist dies um so wahrscheinlicher, als Pictet todt ist
und Rossi und de Castella aufgehört haben, öffentliche Vorträge zu halten, so daß die Ihrigen einem vorhandenen Bedürfniß entgegen kommen würden.
Es hat sich noch Niemand als Erbe jener Herren
gemeldet, obwohl die Erbschaft eine schöne ist.
Einige Professoren
sind zu beschäftigt, andere haben nicht das dazu erforderliche Talent
und so sind sie bis jetzt nicht ersetzt.
Sie haben zu solchen Vor
trägen ganz besondere Gaben und die glückliche Wahl von Gegen ständen, die gegenwärtig vor allen beliebt sind. Kommen Sie also, um dies reiche Feld zu bebauen, ehe andere sich dazu melden. End
lich will ich noch zur Vervollständigung Ihres Büdgets sagen, daß die „Bibliotheque Universelle“, welche fünfzig Franken für den
Bogen bezahlt, Ihnen immer offen steht.
Sie könnten darin die
Früchte Ihrer schöpferischen Muße anbringen, und es müßte Ihnen
leicht werden, dabei noch weitere tausend Franken zu erwerben. Hiermit haben Sie nun eine genaue und vollständige Darlegung der Verhältnisse und können sehen, was Sie hier zu erwarten haben.
Der Augenblick ist günstig; es äußert sich eine den Wissenschaften förderliche Bewegung unter uns.
Diesen Winter wird dem Ge
meinderath ein Plan zur Errichtung eines großen Gebäudes für
Museum und Bibliothek vorgelegt.
Die Ausführung soll nächsten
Sommer beginnen und Sie wissen, wie wichtig uns Ihr Rath in dieser Sache sein würde.
Es kann auch die Rede auf einen Direktor
für das Museum kommen und auf eine Wohnung für ihn in dem
Neubau; Sie werden nicht in Zweifel sein, wem eine solche Stelle angeboten würde. Aber lassen wir die Zukunft aus dem Spiel und beschränken uns auf die Gegenwart.
schlag Ihnen gefällt . . .
Sie her!
Ueberlegen Sie, ob mein Vor
Soffen Sie sich überzeugen und kommen
Opfern Sie die Hauptstadt einer Provinzialstadt.
In
Berlin würden Sie ohne Zweifel glücklich und geehrt sein; in Genf
wären Sie der glücklichste und geehrteste.
Denken Sie an —, der
in Genf als Stern erster Größe glänzte und in Paris nur ein Ge stirn zweiten oder dritten Ranges ist.
Das würde nun freilich Ihr
Fall nicht sein; nichtsdestoweniger bin ich überzeugt, daß in Genf, wo Sie ein zweiter de Sauffure sein würden, Ihre Stellung eine
glänzendere wäre. Ich weiß wohl, daß diese Beweggründe der wissen-
Ruf nach Lausanne.
161
schastlichen Selbstsucht wenig Gewicht bei Ihnen haben, wähne sie nur, um nichts unberührt zu lassen.
ich er
Aber meine Hoff
nung beruht mehr auf den anderen Gründen, die ich zuerst angeführt
habe.
Sie kommen aus dem Herzen, und bei Ihnen spricht das Herz
eben so viel mit, als der Verstand.
Doch genug! Ich will Sie nicht
mit weiteren Auseinandersetzungen ermüden. Ich denke, ich habe Ihnen alle für Ihre Entscheidung wichtigen Gesichtspunkte angeführt. Seien
Sie so gut, mich so bald wie möglich wiffen zu fassen, was Sie zu thun gedenken.
Bitte, sprechen Sie nicht von dem Inhalt dieses
Briefes, und bedenken Sie, daß es nicht der Rektor der Akademie von Genf, sondern der Professor Auguste de la Rive als Privatperson ist, der Ihnen schreibt.
Schnelligkeit und Stillschweigen sind es
also, die ich Ihnen anempfehle, während wir auf Ihr von uns so erwünschtes Ja warten . . .
Noch verlockender muß das officielle Anerbieten einer Proseffur in Lausanne gewesen sein, das zwei Monate später kam und durch die
dringenden Bitten von Verwandten und Freunden unterstützt wurde, welche von der Ansicht ausgingen, daß Agassi; der Familienbande
wegen und aus Patriotismus in den Kanton zurückkehren müsse, in welchem er seine Kindheit verlebt hatte. Aber er hatte seinen Wirkungs kreis bei den NenchLtelern gefunden und hielt Stand gegen alle Ueber«
redungskünste. Er blieb dem Posten treu, den er erwählt hatte und verließ ihn erst, als er — wie er damals meinte, auf kurze Zeit — nach Amerika ging. Die Bürger von NeuchLtel bewiesen ihm ihre Anerkennung seiner Anhänglichkeit durch einen warmen Dankbries und
baten ihn zugleich, die Summe von sechstausend Franken, die ihm
ratenweise in den nächsten drei Jahren ausgezahlt werden sollte, anzunehmen.
Der Sommer von 1837 war ein trauriger für Agasfiz und seine Familie.
Sein Vater starb in Con?ise in verhältnißmäßig jungen
Jahren, von einem Fieber dahingerafft.
Das hübsche Pfarrhaus,
an welchem die ganze Familie so sehr hing, ging in andere Hände über, und Frau Agassiz sand von nun an ihre Heimath abwechselnd bei ihren Kindern.
Im Jahre 1838 gründete Agassiz eine lithographische Druckan stalt in Neuchätel, welche viele Jahre unter seiner Leitung sortgeführt Agassiz'- Leben und Briefwechsel. 11
Neuntes Capitel.
162 wurde.
Bis dahin waren seine Tafeln in München lithographirt
worden.
Ihre Ausführung in solcher Entfernung veranlaßte viele
Unbequemlichkeiten und manche Verluste an Zeit und Geld durch
das Hin- und Hersenden der Korrekturblätter.
Die Anstalt wurde
beinah nur durch ihn in fortwährender Thätigkeit erhalten; seinen
eigenen Anstrengungen zu diesem Zweck kam noch die Großmuth anderer zu Hülfe.
Er hatte das Glück, als Haupt der Anstalt einen
sehr geschickten lithographischen Künstler, Herkules Nicolet, zu ge
winnen, der viel Erfahrung in der Darstellung naturhistorifcher Gegenstände hatte und besonders in der neuerfundenen Kunst der
chromatischen Lithographie bewandert war.
Agassi; war nun nach allen Richtungen in Thätigkeit.
Neben der
Erfüllung seiner Pflichten als Professor ließ er seine fossilen Fische, seine Süßwasser-Fische und seine Untersuchungen über fossile Echino-
dermen und Mollusken drucken und die Tafeln unter seiner eigenen Leitung Herstellen.
Die Ausführung dieser Tafeln durch H. Nicolet
war für jene Zeit eine bewunderungswürdige. Professor Arnold Guyot sagt in seiner Gedächtnißrede auf Agassiz von den Tafeln zu den Süß-
wasser-Fischen: „Wir bewundern ihre Schönheit und die Vorzüglichkeit
ihrer Farbe und Zeichnung doppelt, wenn wir bedenken, daß dieselben beinah die ersten Versuche der neuersundenen Kunst der Lithochromie
waren und zu einer Zeit angefertigt wurden, in welcher Frankreich und Belgien einem Werk von viel geringerem Werth große Beloh nungen ertheilten, als hervorragender Leistung auf diesem Kunstgebiet. Diese Fülle von Arbeit konnte kaum von Agassiz allein fortge führt werden.
In Eduard Desor, der sich 1837 zu ihm gesellte,
gewann er auf viele Jahre einen vertrauten Genossen seiner wissen schaftlichen Arbeiten.
Ein oder zwei Jahre später vereinigte sich
Karl Vogt mit dem Häuflein von Forschern und Künstlern, das sich
um Agassiz
gesammelt hatte.
H. Ernst Favre sagt von diesem
Zeitraum: „Agassiz entwickelte während dieser Jahre eine so unglaub
liche Thatkraft, wie sie in der Geschichte der Wissenschaft vielleicht
kein zweites Mal vorkommt." Zu den wichtigsten zoologischen Untersuchungen dieser Zeit ge
hören diejenigen über Mollusken.
Die Methode, welche er beim
Studium dieser Klaffe anwendete, war zu eigenthümlich und charak teristisch, um unerwähnt zu bleiben. Die Wissenschaft der Conchylio-
163
Untersuchungen über Mollusken.
logte war bisher nur auf die Untersuchung der leeren Schalen ge gründet gewesen.
Dieses Verfahren schien Agassiz oberflächlich.
In
dem Verlangen, mehr von dem Verhältniß des Thieres zu seiner äußeren Hülle zu wissen, überlegte er, daß das innere Absormen der
Schalen wenigstens die Gestalt ihrer früheren Bewohner wiedergeben würde.
Für den technischen Theil dieser Arbeit sand er einen vortreff
lichen Bildner, Stahl, der längere Zeit citier der Angestellten seiner lithographischen Anstalt war, bis er dauernde Beschäftigung im Jardin
des Plantes fand.
Mit dessen Hülfe und der von Henri Ladame,
Professor der Chemie und Physik in Neuchatel, der die zarten Metalllegirungen herstellte, in welchen die erste Absormung geschah, erhielt Agassiz Abdrücke, an welchen die Gestalt des Thieres, das zu den Schalen gehörte, vollständig wiedergegeben war. Diese Methode ist
seither in allgemeinen Gebrauch übergegangen.
Dieselbe gab ihm
ein neues Mittel an die Hand, das Verhältniß zwischen fossilen und
lebenden Mollusken kennen zu lernen und leistete ihm große Dienste bei der Bearbeitung seiner „Etudes critiques sur les Mollusques fossiles“ — einem Quartband mit beinah einhundert Tafeln. Der folgende Brief an Sir Philipp Egerton berichtet über die
vielseitigen und zahlreichen Unternehmungen dieser Zeit und über die mit denselben verbundenen Schwierigkeiten. Louis Agassiz an Sir Philipp Egerton.
Neuchatel, 10. August 1832.
. . . Diese letzten Monate sind eine Zeit der Prüfung für mich gewesen, und ich war genöthigt, meinen Briefwechsel ganz aufzugeben, um den immer zunehmenden Anforderungen meiner Arbeit nachzu kommen. Sie wissen, wie schwierig es ist, einen ruhigen Augenblick und ein freies Gemüth zum Schreiben zu finden, wenn man von
gedruckten oder lithographirten Korrekturblättern verfolgt wird und außerdem genöthigt ist, unaufhörlich Beschäftigung für zahlreiche An gestellte vorzubereiten.
Ich glaube, ich habe Ihnen schon geschrieben,
daß ich eine lithographische Anstalt hier gegründet habe, um alles unter meinen eigenen Augen zu haben und die ewigen Verzögerun gen zu vermeiden, welche meine Arbeit dadurch erlitt, daß die Tafeln in München lithographirt wurden ... Ich hoffe, daß meine neuen
Publikationen so gut aufgenommen werden mögen, daß sie mich in 11'
Neuntes Capitel.
164
der Fortführung einer in ihrer Art einzigen Anstalt rechtfertigen, welche
ich nur im Jntereffe der Wiffenschast und mit Gefahr meines Frie dens und meiner Gesundheit gegründet habe.
Daß ich Ihnen alle
diese Einzelheiten mittheile, geschieht nur, um mein Stillschweigen zu erklären, welches nicht durch Nachlässigkeit verursacht wurde, sondern
durch die Anforderungen eines Unternehmens, von dessen Erfolg meine ganze Existenz abhüngt ...
In dieser Woche werde ich dem
Sekretär der Britischen Versammlung zur Förderung der Wiffenschast
alles zukommen lassen, was ich inzwischen veröffentlicht habe, da ich leider nicht im Stande bin, es selbst zu bringen, wie ich gehofft
hatte.
Sie würden mich sehr verpflichten, wenn Sie einen Blick auf
diese verschiedenen Arbeiten werfen wollten, welche, wie ich hoffe, Ihr Jntereffe nach mancher Seite beanspruchen können.
Zunächst kommt
die zehnte Lieferung der fossilen Fische, obwohl der ganze Vorrath
der Abdrücke erst einige Wochen später versandt wird; dann die sieben ersten Tafeln meiner Seeigel, die mit großer Sorgfalt gestochen find. Eine dritte Reihe von Tafeln bezieht sich auf kritische Studien über
fossile Mollusken, die wenig oder unrichtig gekannt sind, und auf
ihre Steinkerne.
Es ist das eine ganz neue Seite des Studiums
der Muscheln, welche Licht auf die Organisation von Thieren, die
bisher nur nach ihren Schalen gekannt waren, wirst. Ich habe eine Sammlung von Abdrücken für die Geologische Gesellschaft gemacht. Dieselbe ist seit einiger Zeit eingepackt, aber meine letzte Reise
nach Paris hat mich bisher an der Absendung verhindert. Sobald ich einen freien Augenblick habe, werde ich den Katalog machen und nachsenden.
Wenn Sie nach London gehen, so versäumen Sie nicht,
sie zu betrachten; die Ergebnisse sind merkwürdig genug.
Endlich sind die Tafeln für die erste Lieferung meiner „Süßwaffer-Fische" zum
großen Theil fertig und meiner Sendung nach Newcastle beigefügt
worden... Bei der Ausführung der Tafeln ist ein neues Ver fahren angewendet; sie sind in verschiedenen Tönen auf verschiedenen
Steinen gedruckt, wodurch eine merkwürdige Gleichheit der Farbe in allen Abdrücken erzielt wurde . . . Das sind die neuen Beglaubigungsbriefe, mit welchen ich mich
einführe, indem ich meinen Dank ausspreche für die Ehre, die mir durch die Ernennung zum Mitglied der Londoner Royal Society
erwiesen wurde.
Wenn unbegrenzte Hingebung an die Interessen
Reise in die Alpen.
165
der Wissenschaft ein genügendes Recht aus solche Auszeichnung er wirken könnte, so wäre ich weniger erstaunt über die Ankündigung,
welche Ihr letzter Bries enthielt.
Der für den Kandidaten Ihrer
Wahl so schmeichelhafte Beschluß hat einen Wunsch befriedigt, welchen
ich auf Jahre hinaus kaum zu hegen gewagt hätte — den Wunsch,
Mitglied einer so berühmten Körperschaft zu werden . . . Jedesmal, wenn ich schreibe, wünsche ich, daß ich mit der Hoff nung schließen könnte, Sie bald zu sehen; aber ich muß ununter brochen arbeiten.
Das ist mein Loos, und das Glück, welches ich
darin finde, verleiht allen meinen Beschäftigungen einen Reiz, so
zahlreich fie auch sein mögen . . . Während Agassiz so seine zahlreichen zoologischen Arbeiten mit
unermüdlicher Thätigkeit förderte, blieben die Gletscher, deren be gleitende Erscheinungen seine Phantasie so angeregt hatten, seinem Geiste immer gegenwärtig. Im August 1838, ein Jahr nachdem er
der Versammlung der Schweizer Naturforscher seine umfassende Lehre von der Verbreitung des Eises über die ganze nördliche Erdhälste
vorgetragen hatte, unternahm er zwei wichtige Reisen in die Alpen;
die erste in das Haslithal, die zweite zu den Montblanc-Gletschern. Auf beiden begleitete ihn sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Desor, dessen Unerschrockenheit und Eifer kaum hinter dem {einigen zurück stand, und sein Künstler Dinkel nebst einigen wenigen Schülern und Freunden.
Diese Reisen sind eine Art von Vorspiel zn den ausge
dehnteren Aufenthalten in den Alpen und der Reihe voll Beobach
tungen, die er in späteren Jahren mit seinen Genossen fortsetzte, und
die so viel Aufmerksamkeit erregten.
Aber obwohl Agassiz bei dieser
ersten Forschungsreise nur die allereinfachsten Hilfsmittel zur Beob
achtung mitnahm, so wurde sie doch ganz wissenschaftlich betrieben. Der Umriß zu dem Bilde,
welches er auszuführen gedachte, lag
seinem Geist schon fertig vor; die Bedeutung der Erscheinungen war
ihm klar; er suchte nur den Zusammenhang.
Auch hierbei wendete
er seine vergleichende Methode an und suchte den Fußstapfen des Eises nachzuspüren, wie er die Bruchstücke seiner fossilen Fische zu sammengesetzt hatte, bis die zerstreuten Thatsachen, in ihre natür liche Ordnung geschoben, ihre Geschichte von Anfang bis zum Ende
selbst erzählten.
Neuntes Capitel.
166
Bei seinen Forschungen im Jahre 1838 fand er allenthalben dieselben Erscheinungen: die ausgehöhlten, geschliffenen Oberflächen, die abgerundeten und geglätteten Felsen, die oft weit über die gegen wärtigen Grenzen der Gletscher hinaus liegen; die alten Moränen,
welche längst vom Eise befreit, doch noch die früheren Grenzen des
selben anzeigen; die weit über ihren ursprünglichen Standort hinaus getragenen erratischen Blöcke, die in einer Anordnung und Stellung
lagern, welche die Mitwirkung des Wassers bei ihrer Fortbewegung ausschließen.
Trotz der damit verbundenen Ermüdungen und Ge
fahren hatten diese Exkursionen doch einen großen Reiz für Männer, welche bei allem Ernst ihrer Bestrebungen noch genug jugendlichen
Unternehmungsgeist besaßen, um mit Wonne allen Abenteuern ent gegenzugehen. Agassiz selbst war erst einunddreißig Jahre alt.
Als
eifriger Fußgänger hatte er seine besondere Lust an beschwerlichen
Märschen und an Leistungen im Klettern.
Sein Freund Dinkel
erzählt, daß als sie sich eines Tages in Grindelwald aufhielten, um Erfrischungen zu sich zu nehmen, sie einen älteren Reisenden trafen, der
— nachdem er eine zeitlang
ihren munteren Gesprächen zugehört
hatte, in welchen „Agassiz" fortwährend zur Rede gestellt wurde —
frug, ob dies der Sohn des berühmten Professors von NeuchLtel sei. Die Antwort versetzte ihn in höchstes Erstaunen; er konnte kaum
glauben, daß der junge Mann vor ihm der durch ganz Europa
berühmte Naturforscher sei. An diese Reise anknüpfend, findet sich der erste Versuch eines englischen Briefes unter Agassiz's Papieren. gerichtet und enthält folgende Stelle:
Er war an Buckland
„Seit ich die Gletscher sah,
bin ich in einer ganz schneeigen Stimmung und möchte die ganze
Oberfläche der Erde mit Eis bedecken und die ganze frühere Schöpfung durch die Kälte tobten.
Ich bin in der That ganz überzeugt,
daß das Eis bei jeder vollständigen Erklärung der großen Um wälzungen, welche die Erdoberfläche von Europa erfuhr, zu Hilfe
genommen werden muß."
Im Hinblick auf ihr späteres gemein
schaftliches Arbeiten in den alten Gletscherbetten und Moränen von England, Schottland, Irland und Wales, ist Buckland's damalige Antwort merkwürdig: „Es thut mir leid, daß ich die neue Theorie,
welche Sie aufstellen, um die Fortbewegung der Blöcke zu erklären, nicht ganz annehmen kann; auch vorausgesetzt,
daß sie genügen
Beziehungen zu Arnold Guyot.
167
würde, um diese Erscheinungen in der Schweiz zu erklären, so ließe
sie sich doch nicht auf die Granitblöcke und Kiesablagerungen in
England anwenden, welche ich nur mit Hilfe von Wasserflächen er klären kann." In demselben Sommer schreibt Frau Buckland, während
einer mit ihrem Manne unternommenen Reise durch die Schweiz, aus Interlaken:
. Wir haben einen schönen Ausflug in das
Oberland gemacht, haben Gletscher gesehen rc., aber Dr. Buckland ist
weiter als je davon entfernt, mit Ihnen übereinzustimmen."
Wir
werden später sehen, wie vollständig er sich zu Agassiz's Gletscher
lehre in ihrer weitesten Ausdehnung bekehrte. Ein Freund, der bis jetzt in dieser Biographie kaum genannt ist,
war von Anfang an der nächste Theilnehmer an Agassiz's
Gletscherarbeiten.
befreundet gewesen.
Arnold Guyot und er waren von Kindheit an Während der Universitätszeit waren beide ge
trennt, da Guyot in Berlin studirte, während Agassi; in München
war, aber sie wurden in NeuchLtel Kollegen, einige Jahre nachdem
Agassiz sich da niedergelassen hatte.
Von dieser Zeit an erlitt ihr
Verkehr kaum eine Unterbrechung; sie kamen ziemlich zu gleicher Zeit nach Amerika und ließen sich schließlich da als akademische Lehrer nieder, der eine an dem Harvard College in Cambridge, Massachusetts,
und der andere an dem College von New-Jersey in Princeton.
Sie
theilten alle ihre Jntereffen, und als beide alte Männer waren,
brachte Guyot Agassiz's letztem Unternehmen, der Errichtung einer Sommerschule in Penikese, eine warme und thätige Theilnahme ent
gegen, wie er sie in seiner Jugend für seines Freundes Plan, eine
dauernde wissenschaftliche Sommerstation in den Hochalpen zu errichten, gezeigt hatte. Bei einem kurzen Besuch, den Agassiz im Frühjahr 1838 in
Paris machte, setzte er Gnyot, der damals da wohnte, seinen ganzen
Plan auseinander und überredete ihn, einen bestimmten Theil der Forschungen zu übernehmen. In Folge dessen studirte Guyot die
Struktur und die Bewegung des Eises auf einer sechswöchentlichen Exkursion durch die Central-Alpen, während Agassiz den früheren Grenzen
der Gletscher im Berner Oberland und dem Wallis und
nachher in dem Chamounixthal nachspürte.
Am Schluß ihrer beider
seitigen Reisen trafen sie sich, um ihre Beobachtungen zu vergleichen
in der französischen geologischen Gesellschaft in Porrentruy, wo Agassiz
168
Neuntes Capitel.
einen Bericht über die allgemeinen Ergebnisse der Forschungen dieses
Sommers abstattete, während Guyot eine Schrift vorlas, deren In
halt nie vollständig veröffentlicht wurde, über die Bewegung der Gletscher und ihre innere Beschaffenheit, mit Einschluß der lamellen
artigen Struktur des EiseS, der sogenannten blauen Streifen tief in den unteren Theilen der Gletschermaffe').
In den folgenden Jahren
ihrer gemeinschaftlichen Gletscherforschungen übernahm Guyot als seinen Antheil die specielleren geologischen Untersuchungen, die Verbreitung
der erratischen Blöcke und der Gletschertrift in Zusammenhang mit der früheren Ausdehnung der Gletscher.
Dies führte ihn von den
Zentralstationen der Beobachtung ab in entlegenere Thäler an den
Nord- und Südabhängen der Alpen, wo er das Vorrücken der Glet scher nach den Ebenen von Central-Europa einerseits und denjenigen
von Nord-Italien andererseits verfolgte.
Da sein Antheil an dem
Unternehmen ein so vereinzelt betriebener war, wird sein Name selten unter der Schaar von Forschern, die sich schließlich ans dem Aar
gletscher niederließen, genannt.
Dennoch war seine Arbeit ein wesent
licher Bestandtheil der gemeinschaftlichen Untersuchungen, welche zu sammenhängend zu Ende geführt wurden. Die Ergebniffe der Arbeiten
in den einzelnen Abtheilungen wurden beständig mitgetheilt und ver glichen, und Agasfiz ging mit dem Gedanken um, dieselben in einer
Gesammtveröffentlichung zu vereinigen, deren erster Theil das Glet schersystem von ihm selbst enthalten sollte, der zweite die erratischen Blöcke der Alpen von Guyot, der dritte und letzte sollte die errati schen Erscheinungen außerhalb der Schweiz von Desor bringen.
der erste Band dieses geplanten Werkes wurde beendet.
Nur
Unvorher
gesehene Umstünde verhinderten die Fortsetzung und die fünftausend von A. Guyot als Vorbereitung zu seinem Theil der Arbeit gesam
melten Felsstücke der erratischen Blöcke der Schweiz sind gegenwärtig
in dem College von New-Jersey in Princeton aufbewahrt. In dem folgenden Sommer (1839) erwählte Agassiz die Kette
des Monte Rosa und Matterhorn zu
einem ausgedehnteren und
systematischeren Beobachtungsfeld. Die bisherige, aus Agassiz, Desor,
Bettanier, einem Künstler und zwei oder drei weiteren Freunden bestehende Gesellschaft wurde bei dieser Gelegenheit durch den Geo-
*) Siehe Metnoir of Louis Agassiz by Arnold Guyot für die United States National Academy of Science geschrieben p. 38.
Brief tut Sir Philipp Egerton.
logen Studer vermehrt.
169
Dieser war bisher ein mächtiger Gegner
von Agassiz's Ansichten gewesen und seine während dieser Expedition
vollzogene Bekehrung zu der Gletschertheorie wurde von allen Be theiligten als größerer Sieg angesehen, als irgend ein über die Ge fahren der Eis- und Schneeregionen erkämpfter Erfolg.
Der folgende
Brief giebt einen Bericht über die Erlebniffe dieser Reise. Louis Agassi; an Sir Philipp Egerton. 10. September 1839. . . . Unter diesen Verhältnissen glaubte ich nichts Besseres thun
zu können, als einige Wochen in der Einsamkeit der Hochalpen zu
zubringen.
Ich verlebte ungefähr vierzehn Tage in der Gletscher
region, bestieg jeden Tag ein neues Eisfeld und versuchte die Wände unserer höchsten Gipfel zu erklimmen.
Auf diese Weise untersuchte
ich der Reihe nach alle Gletscher, die von der majestätischen Höhe
des Monte Rosa und des Matterhorn heruntersteigen,
deren zahl
reiche Kämme ein riesenhaftes Amphitheater bilden, welches sich über den ewigen Schnee erhebt.
Nachher besuchte ich das Eismeer, welches
sich unter dem Namen des Aletschgletschers von der Jungfrau, dem Mönch und dem Eiger nach Stieg herab ergießt.
Von da ging ich
an den Rhonegletscher, ließ mich dann mit meinem Hauptquartier auf dem Grimsel-Hospiz nieder und verfolgte von da den Aargletscher bis an den Fuß des Finsteraarhorns. Dabei stellte ich die wichtigste
Thatsache fest, die ich über das Vorrücken der Gletscher in Er
fahrung brachte, nämlich daß die Hütte, welche Hugi im Jahre 1827 am Fuß des Abschwungs errichtete, jetzt viertausend Fuß weiter unten steht. Obwohl der Abfall des Gletschers nur ein unbedeutender ist, so ist doch die Hütte durch das Eis mit erstaunlicher Schnelligkeit
vorwärts geschoben worden, und noch merkwürdiger ist es, daß diese Schnelligkeit sich gesteigert hat, denn im Jahre 1830 war die Hütte nur einige hundert Fuß von dem Felsen entfernt, im Jahre 1836
war sie schon um zweitausend Fuß vorgerückt und in den letzten drei
Jahren hat sich diese Entfernung
verdoppelt.
Auf dieser neuen
Grundlage haben sich nicht nur meine Ansichten über die Gletscher und die sie begleitenden Erscheinungen bestätigt, sondern ich habe
auch die Untersuchungen über eine Menge von Einzelheiten vervoll ständigt und die Befriedigung gehabt, einen meiner hartnäckigsten
Neuntes Capitel.
170 Gegner, Herrn Studer,
der mich auf einem Theil meiner Exkur
sionen begleitete, von der Richtigkeit meiner Beobachtungen zu über zeugen . . . Der Winter 1840 war vollständig ausgefüllt durch die Vorbe reitungen zu der Veröffentlichung der „Etudes sur les Glaciers“, welche
vor Ablauf des Jahres nebst einem Atlas von zweiunddreißig Tafeln Der Textband enthielt eine geschichtliche Zusammenfassung
erschienen.
von allem, was
bisher in der Erforschung der Gletscher geleistet
worden, und einen Bericht über die von Agassiz und seinen Gefährten während
der letzten drei oder vier Jahre auf den Gletschern der
Alpen gemachten Beobachtungen. die Spitzen, Tische,
schaffenheit,
Ihre Struktur, ihre äußere Be aufliegenden Blöcke,
Schuttkegel,
Klüfte und Spalten sowohl, als ihre Bewegungen, ihre Bildungs weise und die Temperatur in ihrem Innern wurden der Reihe nach behandelt.
Am interessantesten vom Gesichtspunkt des Verfassers, und
dem Leser am meisten neues bringend, waren die Schlüßkapitel über die
frühere Ausdehnung
der Schweizer Gletscher und
über
das
einstige Vorhandensein einer unermeßlichen, ununterbrochenen Eisdecke, welche die ganze nördliche Halbkugel bedeckte. bisher so weitgehende Schlüsse aus
Schweizer Thäler gezogen.
Niemand hatte
den lokalen Erscheinungen der
„Die Oberfläche von Europa",
sagt
Agassiz, „welche früher mit einer tropischen Vegetation geschmückt und
von Truppen großer Elephanten, unförmlicher Nilpferde und riesen hafter Raubthiere bevölkert war, wurde plötzlich von einem großen Eismantel verhüllt, der gleichmäßig Höhen und Ebenen, Seen und
Meere bedeckte.
Ueber alles Leben und alle Bewegung einer groß
artigen Schöpfung senkte sich die Stille des Todes.
verstummten,
die Flüffe stockten
Die Quellen
in ihrem Lauf, die Strahlen der
Sonne, welche auf dieses Eisfeld fielen (wenn fie es überhaupt er
reichten), begegneten nur dem Hauch des Winters aus Norden, und
die Todesstille wurde nur durch das Krachen der Spalten, die sich auf der Oberfläche dieses Eismeers öffneten, unterbrochen')."
Der
Verfasser sucht dann nachzuweisen, daß bei dem Schmelzen dieser
allgemeinen Eisdecke
das Eis sich am längsten an den geschützten
Stellen der Berge erhalten hatte, und daß alle diese Haltepunkte beim
*) Etudes sur les Glaciers.
Chap. XVIII. p. 315.
Soimnerstatio» auf dem Aargletscher.
171
Rückzug nun in den gegenwärtigen Alpen Verbreitungsmittelpunkte für die zerstreuten Trümmer und Felsstücke geworden sind, welche
allenthalben mit einer Art von Regelmäßigkeit längs gewisser Linien
und auf bestimmten Flächenräumen von Nord- und Central-Europa
sich zerstreut vorfinden.
Wie er diese Gedanken bei seinen weiteren
Forschungen verfolgte, wird später gezeigt werden.
Zehntes Capitel. Sommerstation auf dem Aargletscher. — Hotel des Neuchätelois. — Mitglieder der Gesellschaft. — Arbeit auf dem Gletscher. — Besteigung der Strahleck und des Siedelhorns. — Reise nach England. — Suchen nach Gletscherspuren in Groß-Britanien. — Straßen von Glen-Roy. — Die Ansichten der englischen Naturforscher über Agassiz's Gletscherlehre. — Brief von Humboldt. — Sommer 1841 auf dem Gletscher. — Eindringen in den Gletscher. — Besteigung der Jungfrau.
Im Sommer 1840 nahm Agassiz seinen ersten dauernden Auf enthalt auf den Alpen. Bisher waren die äußeren Erscheinungen, das Verhältniß des Eises zu seiner Umgebung und sein Einfluß auf
dieselbe das hauptsächliche Studium gewesen.
Jetzt wurde der Glet
scher selbst zum Hauptgegenstand der Forschung, und Agassiz nahm
die verschiedensten Instrumente zur Messung der Temperatur mit; Barometer, Thermometer, Hygrometer und Psychrometer, außer dem einen Bohr-Apparat, mit besten Hilfe die selbstregistrirenden Thermometer in die Tiefe des Gletschers eingesenkt werden konnten.
Auch an Mikroskopen zum Untersuchen der Insekten und Pflanzen,
welche in diesen Eisregionen vorkommen könnten, fehlte es nicht. Das Grimsel-Hospiz wurde zur Niederlage für die Vorräthe erwählt,
und als Führer dienten Jakob Leuthold und Johann Währen.
Beide
hatten Hugi auf seiner Besteigung des Finsteraarhorns im Jahre 1828 begleitet und waren gründlich vertraut mit den Gefahren der
Alpenbesteigungen.
Der untere Aargletscher sollte der Schauplatz der
fortgesetzten Beobachtungen sein und der Mittelpunkt, von dem aus
die Besteigung der benachbarten Gipfel unternommen werden sollte. Auf der großen Mittelmoräne daselbst stand ein ungeheurer Block von
172
Zehntes Capitel.
Glimmerschiefer.
Seine obere Fläche stand so weil vor, daß sie ein
Dach bildete, und indem die Reisegefährten dieselbe auf einer Seite
mit einer Steinmauer abschlosten, den Fußboden durch einen scharf sinnigen Aufbau von flachen Steinplatten erhöhten und auf der Vorderseite eine Decke vor den Eingang als Vorhang aufzogen, ver
wandelten sie den Block in eine rohe Hütte, in welcher sechs Personen Schlafraum fanden.
Eine Vertiefung in dem außerhalb liegenden
Felsen diente als Küche und Speisezimmer, während ein leerer Raum unter einem anderen großen Block als Keller zur Aufbewahrung von Vorräthen benutzt wurde. So war der Wohnsitz beschaffen, der später
hin unter dem Namen Hotel des Neuchätelois so bekannt wurde.
Seine ersten Bewohner waren Louis Agassiz, Eduard Desor, Karl Vogt, Francois von Pourtales, Celestin Nicolet und Henri de Coulon.
Er gewährte wahrscheinlich ein ebenso gutes Obdach, als sie in der alten Hütte von Hugi gefunden hätten, wo sie eine vorübergehende
Wohnung zu finden gehofft hatten.
Diese Hoffnung hatte sich nicht
bewährt, denn die Hütte war aus ihrer letzten Gletscherreise zertrüm
mert worden.
Die Trümmer lagen zweihundert Fuß unter der Stelle,
an welcher die Reisenden im vorhergehenden Jahre noch die Wände hatten stehen sehen. Die Arbeit wurde sofort unter die verschiedenen Mitglieder der Gesellschaft vertheilt. Agassiz selbst, von seinem jungen Freund und Lieblingsschüler Franyois von Pourtales unterstützt, übernahm als
seinen Antheil die meteorologischen Beobachtungen und besonders diejenigen über die innere Temperatur der Gletscher").
Die mikro
skopischen Untersuchungen des rothen Schnees und des darin enthal tenen organischen Lebens fielen Karl Vogt zu; die Flora der Glet scher und der umgebenden Felsen studirte Nicolet, und Desor die eigentlichen Gletschererscheinungen und die Moränen.
Der Begleiter
und Gehülfe des letzteren auf seinen weiten und mühevollen Exkur
sionen war Henri von Coulon. *) Siehe die Temperaturtafeln und Messungen in Agassiz's „Systeme Glaciaire“. Die Ergebnisse sind auch in einer Schrift von Desor „Sejour dans les Glaciers“ mitgetheilt, welche eine Sammlung sehr anziehender und unterhaltender Artikel über die in-mehreren auf einanderfolgenden Sommern von Agassiz und seinen wissenschaftlichen Gefährten unternommenen Exkursionen und Aufenthalten
in den Alpen enthält.
173
Arbeit auf dem Gletscher.
Zu wissenschaftlichen Auseinandersetzungen ist hier nicht der ge
Der Leser findet über die Ergebnisse von Agasfiz's For
eignete Ort.
schungen über die Gletscher der Alpen, welchen er während zehn
Jahren so viel Zeit und Kraft widmete, Aufschluß in den zwei größe ren Werken über diesen Gegenstand, den „Etudes sur les Glaciers“
und dem „Systeme Glaciaire“.
Ueber die in diesen Jahren von ihm
und seinen Gefährten vollbrachte Arbeit giebt Guyot folgenden kurzen
Bericht').
„Die Stellung von achtzehn der vorstehendsten Felsen
wurde durch sorgfältige Triangulirung von einem geschickten Ingenieur bestimmt und Jahr um Jahr gemessen, um die Schnelligkeit der Be
wegung eines jeden Theiles festzusteüen.
Die Unterschiede in der
Bewegung des oberen und des unteren Theiles des Gletschers und die Veränderung der Bewegung in den verschiedenen Jahreszeiten
wurde beobachtet; es wurde berechnet, wie weit der Gletscher je in einem Jahre abschmolz, und alle damit zusammenhängenden Erschei
nungen näher beobachtet.
Alle umliegenden Gipfel, die Jungfrau,
das Schreckhorn, das Finsteraarhorn, die bis dahin größtentheils für
unbesteigbar galten, wurden erstiegen und die Grenzen der Gletscher
wirkung entdeckt; kurz, alle physikalischen Gesetze der Gletscher wur den an's Licht gebracht."
Nach dieser Abschweifung kehren wir zu den persönlichen Erleb
nissen zurück.
Nachdem eine Reihe von Tagen auf das Studium
der lokalen Erscheinungen verwendet war, richteten die Arbeitsge nossen ihre Aufmerksamkeit auf den zweiten Theil ihres Programms, welcher in der Besteigung der Strahleck bestand, von deren Höhe sie auf der entgegengesetzten Seite herabsteigen und den Grindelwald erreichen wollten. Eines Morgens, gegen Ende August, weckten ihre Führer sie der Verabredung gemäß um drei Uhr — eine Stunde
früher, als sie gewöhnlich aufbrachen.
Der erste Blick ins Freie
erregte ein allgemeines Gefühl frostiger Enttäuschung, denn die Gesellschaft sah
sich
von
einem
Nebelwall
eingeschlossen.
Aber
Leuthold, der Feuer machte und das Frühstück zubereitete, sprach ihnen Muth ein — vor der Sonne würde der Nebel weichen.
Und
richtig, nach einigen Augenblicken erschienen nach einander die Gipfel des Schreckhorns, des Finsteraarhorns, des Oberaarhorns
e) Siehe Biographical Sketch by Prof. A. Guyot.
Zehntes Capitel.
174
des Altmanner und des Scheuchzerhorns von den ersten Strahlen
der Morgensonne erhellt, wie Inseln über dem Nebelmeer, welches sich
vor
allmälig zurückzog und etwa
dem
drei Stunden
eindringenden
erreichten
sie
Lichte ver
den Fuß
der
schwand.
In
Strahleck.
Die beiden Führer Leuthold und Währen hatten noch
drei Männer zur Hülfe mitgenommen, so daß nun fünf Führer vor handen waren, von denen sich keiner als überflüssig erwies, da zahl
reiche Messungsinstrumente mitgenommen wurden, die sorgfältig ge tragen werden mußten.
Beim Beginn des Aufstiegs ging die Ge
sellschaft in langer Reihe, einer hinter dem anderen, bis die Abhänge so steil wurden, und der weiche Schnee, in welchem sie bei jedem
Schritt bis an die Kniee versanken, so tief, daß die Führer zu dem gewöhnlichen Mittel griffen, alle Theilnehmer an einander zu binden.
Nur die zwei Hauptführer, Leuthold und Währen, blieben einzeln, nm den Schnee vor den Anderen wegzuräumen, Stufen in das Eis zu hauen und durch Zuruf oder Winken vor den verborgenen Ge
fahren auf dem Pfade zu warnen. Um neun Uhr, nach einer Stunde anstrengenden Kletterns, waren sie auf der kleinen, gleichmäßig mit
ewigem Schnee bedeckten Fläche, welche der Gipfel der Strahleck bildet, angelangt. Der Tag war herrlich.
Ueber ihnen der klare blaue Himmel,
sahen sie zu ihren Füßen das Grindelwaldthal, unter und neben sich
die Scheideck und das Fauihorn, den pyramidalen Umriß des Niesen und die Kette des Stockhorns.
Vor ihnen lagen die großen Massen
des Eiger und Mönch, und im Südwesten erhob sich die Jungstau über der langen Kette der Viescherhörner. Nach dem ersten stummen
Entzücken und Staunen über den herrlichen Anblick überließ die kleine Schaar, die sich nun von ihren Banden befreite und ihre In strumente aufstellte, lauten Lustausbrüchen.
In dem Tagebuch des
jüngsten der Gesellschaft, des sechzehnjährigen Franz von Pourtales
lesen wir: „Die Führer fingen an sich zu balgen und wir zu tanzen, als wir plötzlich ein Gemsenweibchen mit ihrem Jungen erblickten, welches den benachbarten Grat erstieg, und gleich darauf streckten drei oder vier weitere Gemsen ihre Hälse hinter einem Felsen hervor,
als ob sie sehen wollten, was hier vorginge.
Athemlos hielten die
Tänzer und Kämpfer an in der Furcht, diese scheuen Thiere durch
die kleinste Bewegung zu vertreiben.
Sie kamen uns in bequeme
175
Besteigung der Strahleck und des Siedelhorns.
Schußweite nahe,
dann über den gegenüberliegenden
gallopirten
Bergrücken und verschwanden hinter der Höhe."
Mehr als eine Stunde brachten die Wanderer aus der Spitze der Strahleck zu und machten Beobachtungen und Messungen.
Dann,
nachdem sie geruht und die mitgebrachten Erfrischungen verzehrt hatten, bereiteten sie sich auf den Abstieg vor, der steiler war und
zum größten Theil aus einer langen Eisbahn bestand. Es wurden wieder Alle zusammengebunden, und wo es irgend ging, ließen sie statt des mühsamen Gehens das einfachere Herunterschleifen ein treten. „Sobald wir unterhalb der Schneeabhänge waren," sagt das Tagebuch des jungen Pourtales, „dienten uns die beinah verticalen
Felsen oder die mit Gras bedeckten Streifen als Weg und führten uns auf den Grindelwaldgletscher.
Um den Gletscher selbst zu erreichen,
mußten wir eine zwanzig Fuß weite und sehr tiefe Kluft auf einer Eisbrücke überschreiten, die ein bis zwei Fuß breit und gegen das Ende zerbrochen war, so daß wir hinüber springen mußten.
auf dem Gletscher hatten wir leichtes Spiel.
Einmal
Es ging im Sturm
schritt vorwärts und wir waren bald auf dem Touristenweg."
Als sie Nachmittags drei Uhr das Dorf Grindelwald erreichten, wollten ihnen die Leute im Gasthof nicht glauben, daß sie den Aargletscher
diesen Morgen verlassen hatten.
Vom Grindelwald kehrten sie über
die Scheideck nach der Grimsel zurück, besuchten unterwegs den oberen
Grindelwaldgletscher, den Schwartzwald- und den Rosenlauigletscher,
um zu sehen, wie viel dieselben seit ihrem letzten Besuch vorgerückt
Nach einer kurzen Rast auf dem Grimscl-Hospiz kehrte Agassiz
seien.
mit einigen seiner Begleiter in die Hütte am Aargletscher zurück, um
Stangen in die früher zu diesem Zweck in das Eis gebohrten Löcher zu treiben. Er hoffte mit Hilfe dieser Stangen in den nächstfolgenden Jahren die Schnelligkeit der Bewegung des Gletschers zu erkennen.
Die Arbeit dieses Sommers schloß mit der Besteigung des Siedel horns.
Bei allen diesen Besteigungen wurden die äußersten An
strengungen gemacht, um herauszubringen, wie weit die Wirkung des
Eises auf diesen Berggipfeln verfolgt und die Grenzen bestimmt werden könnten, an welchen die abgeschliffene Oberfläche aufhörte und den rauhen und eckigen Felsen Platz machte,
die nicht durch
das Eis geformt und geglättet waren. Agassiz war kaum von den Alpen zurückgekehrt, als er nach
Zehntes Capitel.
176
England abreiste.
Er war schon lange der Ansicht, daß in den
Hochlanden von Schottland, dem seenreichen Bergland des nördlichen England und den Bergen von Wales und Irland dieselben Erschei
nungen anzutreffen sein würden, als in den Alpenthälern.
Dr. Buck
land hatte sich ihm bei seinem Suchen nach Gletscherspuren zum Führer angeboten, wie er früher für ihn den fossilen Fischen in Groß britannien nachgespürt hatte.
Als daher die Versammlung der British
Association in Glasgow, welcher sie beide beigewohnt hatten, beendigt war, begaben sie sich zusammen in die Hochlande. In einer Vor
lesung, welche Agassiz wenige Monate vor seinem Tode in seiner Sommerschule in Penikese hielt, kam er mit jugendlicher Begeisterung
auf diese Reise zurück.
Als er der wissenschaftlichen Vereinsamung
gedachte, in welcher er sich damals befand, da alle hervorragenden
Geologen der Zeit mit ihm in Widerspruch standen, sagte er: Unter den älteren Naturforschern hielt es nur einer mit mir. Dr. Buckland, Dekan von Westminster, der auf meine dringende Bitte in die Schweiz
gekommen war, nur in der Absicht, meine Beweise zu sehen, und der sich daselbst vollständig von der ftüheren Ausdehnung des Eises überzeugt hatte, erklärte sich bereit mich auf meiner Jagd nach
Gletschern in Großbritannien zu begleiten.
Wir gingen zuerst in die
Hochlande von Schottland, und es ist eine der schönsten Erinne rungen meines Lebens, daß als wir uns dem Schloß des Herzogs
von Argyll näherten, welches in einem den Schweizer Thälern nicht
unähnlichen Thale stand, ich zu Buckland sagte:
„Hier werden wir
unsere ersten Gletscherspuren finden", wir beim Einfahren in das
Thal richtig über eine alte Endmoräne kamen, welche den Eingang
desselben einnahm."
Kurz, Agassiz fand,
wie er erwartet hatte,
daß in den Bergen von Schottland, Wales und dem Norden von
England an vielen Stellen Endmoränen quer durch die Thäler lagen,
und Seitenmoränen dieselben einfaßten, wie in der Schweiz.
Auch
fehlte keine der damit gewöhnlich verbundenen Gletschererscheinungen. Die charakteristischen Spuren, welche das Eis zurückläßt, die ihm
jetzt so genau bekannt waren, wie dem Jäger die Spur des Wildes,
fanden sich allenthalben. Die eigenthümlichen Schrammen, Furchen und Aushöhlungen; die abgeschliffenen Steinflüchen; die Lämmerselsen; die wie von einem scharfen Instrument in gleichmäßiger Höhe abge
schnittenen Felsen, seien sie von hartem oder weicherem Gestein; die
Gletscherforschungen in England.
177
nicht geschichteten Ablagerungen; die Vertheilung loser Massen in den
alten Gletscherbetten: alles stimmte mit dem, was er bereits von der
Gletscherwirkung wußte, überein.
Er besuchte die berühmten „Roads
of Gien Roy“ in den Grampian-Bergen, wo schon so viele Geologen eine Lanze gebrochen hatten für die Vertheidigung ihrer Lehren über
Senkung und Hebung von alten Meeresoberflächen und Buchten, die
sich zu einer Zeit bildeten, in welcher Glen Roy und die benachbarten Thäler noch als Fjorde und Flußmündungen betrachtet wurden. Agassi;
erkannte in diesen gleichlaufenden Terrassen die Ufer eines Gletscher
sees, der eine Zeitlang durch Nachbargletscher, welche aus geschützteren Thälern Herabstiegen, in seinem Bett zurückgehalten worden war. Diese Terrassen bezeichneten den allmälig niedriger werdenden Stand des
Wassers, wie er durch das Nachgeben dieser Schranken, das dasselbe entweichen ließ, bedingt war"). Die Zeugnisse für das Vorkommen
der Gletscher waren so deutlich, daß in Agassiz's Seele kein Zweifel darüber blieb, daß Glen Roy und die angrenzenden Glens oder
Thäler das Ablaufbett für 7>ie vielen Gletscher waren, welche früher
die westlichen Reihen der Grampian-Berge einnahmen.
Er kehrte
von diesem Ausflug mit der Ueberzeugung zurück, daß alle Gebirgs
gegenden in Großbritannien Mittelpunkte von Glctscherausbreitungen gewesen seien, und daß die Triftmassen und erratischen Blöcke, die über
die ganze Gegend zerstreut waren, ganz denselben Ursachen ihre Ent
stehung verdankten, wie die gleichen Erscheinungen in der Schweiz. Am 4. November 1840 hielt er eine Vorlesung in der geologischen Gesellschaft in London, in welcher er die wissenschaftlichen Ergebnisse
dieser Exkursionen zusammenfaßte.
Dr. Buckland, der ein eifriger
Anhänger seiner Lehre geworden war, denselben Gegenstand folgen. Agassi;:
ließ einen Vortrag über
Vor dieser Versammlung schrieb er an Taymouth Castle, 15. Okt. 1840.
. . . Lyell hat Ihre Lehre in toto angenommen!!
Als ich ihm
einen prachtvollen Moränenhaufen zwei Meilen von seines Vaters *) Genauere Angaben finden sich in Agassiz's Schrift „the Glacial Theory and its Recent Progress“ in den Edinburgh New Philosophical Journal, October 1842, begleitet von einer Karte der Umgegend von Glen Roy. Ferner in einem Artikel betitelt: Parallel Roads of Glen Roy in Scotland, im zweiten Band von Agassiz's „Geological Sketches“. Agdssiz'ö Leben und Briefwechsel. 12
Zehntes Capitel.
178
Hause zeigte, stimmte er ihr sogleich bei und fand darin die Lösung
einer Menge von Schwierigkeiten, die ihn sein ganzes Leben beun
Und nicht nur diese, sondern ähnliche Moränen und
ruhigt hatten.
Trümmer von Moränen, welche die Hälfte der anstoßenden Graf schaften bedecken, werden durch Ihre Lehre erklärt, und er ist auf
meinen Vorschlag eingegangen, daß er sie sofort alle aus eine Karte
der Gegend aufnehmen nnd in einer Abhandlung beschreiben solle,
die am Tage nach der Ihrigen in der geologischen Gesellschaft zur Vorlesung kommen wird.
Ich gedenke meine Zustimmung in einem
aus den Ihren folgenden Vortrag auszusprechen, in welchem ich ein Verzeichniß der Oertlichkeiten, an denen ich, seit ich Sie verlassen, ähnliche Ueberreste von Gletschern in Schottland und in verschiedenen
Theilen von England beobachtet habe, geben will. Es finden sich große Kiesbänke in den Kalksteinthälern der mitt leren Moordistrikte von Irland.
den ich vergessen habe.
Sie haben einen bestimmten Namen,
Ohne Zweifel sind es Moränen.
Wenn
Sie, ehe Sie diese Zeilen erhalten, noch keine davon gesehen haben, so gehen Sie hin*).
Aber es lohnt sich nicht einen Umweg zu
machen, um mehr als eine zu sehen, denn die anderen sind nur eine Wiederholung.
Ich hoffe, Sie werden uns am 20. in Edinburg
nicht fehlen . . .
Ein etwas später geschriebener Brief von Agassiz zeigt, wie er die Wahrnehmung machte, daß seine Ansichten sich allmälig bei seinen Freunden in England Bahn brachen.
Lonis Agassiz an Sir Philipp Egerton. 24. November 1840. . . . Unsere Versammlung am Mittwoch verlief sehr gut. Keine
von meinen Angaben wurde umgestoßen, wenn auch Whewell und Murchison einen Widerspruch versuchten; ihre Einwendungen waren
aber so weit hergeholt, daß sie keinen Eindruck machten.
Es war mir
jedoch ganz erfreulich, dem Versuch eines ernstlichen Widerstands zu
begegnen,
weil mir dies Gelegenheit gab, auf der Genauigkeit
*) Agassiz
war damals in Florence
Court,
dem Sitz
Enniskillen in der Grafschaft Fernlanagl) in Irland.
des Grafen von
Auch dort hatte er Ge
legenheit interessante Gletschererscheinungen zu beobachten.
Brief von Humboldt.
179
meiner Beobachtungen und der Schwäche der dagegen vorgebrachten Einwendungen zu bestehen.
Dr. Buckland entwickelte große Bered
Er beherrscht den Gegenstand jetzt vollständig.
samkeit.
Es macht mich glücklich, Ihnen sagen zu können, daß jetzt alles endgültig mit Lord Francis abgemacht ist*) und daß mir das neuen
Muth
giebt und meine Kraft verdoppelt.
schrieben, um ihm zu danken.
Ich habe ihm eben ge
Den morgenden Tag werde ich den
Versteinerungen widmen, die Lord Enniskillen mir geschickt hat.
Ich
werde Ihnen ein Verzeichniß davon zukommen lassen . . .
Obwohl etwas außer der Zeitsolge mag hier ein Brief von Humboldt eingefügt werden, welcher zeigt, daß auch er anfing Agassiz's Gletscherlehre mit mehr Nachficht zu'betrachten.
Humboldt an Louis Agassiz. Berlin, 15. August 1840. Ich fühle mich als Schuldigsten aller Sterblichen, theuerster
Freund!
Es giebt kaum drei Personen auf der Welt, deren Er-
innnerung und Anhänglichkeit mir mehr werth ist, als die Ihre, oder für die ich mehr Liebe und Bewunderung empfände, und doch lasse ich ein halbes Jahr hingehen, ohne Ihnen ein Lebenszeichen zu
geben, ohne meinen warmen Dank für die herrlichen Gaben,
die
mir von Ihnen zugegangen sind, auszudrücken**).
Es geht mir einigermaßen wie meinem republikanischen Freund, der keine Briefe mehr beantwortet, weil er nicht weiß, wo er an
fangen soll. Jahr.
Ich erhalte durchschnittlich fünfzehnhundert Briefe im
Ich diktire nie, denn ich hasse dieses Auskunftsmittel.
Wie
kann man an einen Gelehrten diktiren, den man hochachtet? Ich lasse mich verleiten den Personen, die ich am wenigsten kenne, und deren Unwille am drohendsten ist, zu antworten.
Meine näheren
Freunde (und ich habe keinen lieberen als Sie) leiden durch mein
Ich rechne mit Grund aus ihre Nachsicht.
Der Ton
Ihres vortrefflichen Briefes zeigt mir, daß ich recht habe.
Sie ver-
Stillschweigen.
*) Der Verkauf seiner Originalzeichnungen von fossilen Fischen an Lord Ftancis Egerton betreffend. **) Wahrscheinlich die Tafeln zu den Süßwasser-Fischen oder eine andere illustnrte Veröffentlichung.
Zehntes Capitel.
180
wöhnen mich.
Ihre Briefe bleiben immer warm und liebevoll.
erhalte wenige derartige.
Ich
Da zwei Drittel der Briefe, die an mich
gerichtet werden, (zum Theil Abschriften von Schreiben, die an den
König und den Minister gerichtet sind) unbeantwortet bleiben, werde
ich getadelt und als emporgekommener Höfling und von der Wiffenschaft Abtrünniger bezeichnet.
Diese Bitterkeit in
dem Verhalten
gegen mich vermindert meinen eifrigen Wunsch, mich nützlich zu machen, nicht.
Ich handle viel öfter, als ich schreibe.
Ich weiß,
daß ich gerne Gutes thue, und dieses Bewußtsein giebt mir Ruhe trotz meines überbürdeten Lebens.
Sie sittd glücklich,
mein lieber
Agassiz, in der einfachen und doch 'angesehenen Stellung, die sie sich
geschaffen haben. Sie müssen Befriedigung darin finden als Familien
vater, als berühmter Gelehrter, als Begründer und Anreger so vieler neuer Gedanken, so vieler großer und edler Anschauungen.
Ihr bewunderungswürdiges Werk über fossile Fische geht seinem Ende entgegen.
Die letzte Lieferung, die so reich an Entdeckungen
ist, und der Prospektus, welcher den wahren Standpunkt dieser aus gedehnten Veröffentlichung erklärt, haben allen durch das unregel mäßige Erscheinen erregten Unwillen beruhigt.
Da ich Sie lieb habe,
freue ich mich über diese ruhigere Atmosphäre, die Sie um sich her
gestellt haben.
Die herannahende Vollendung der fossilen Fische
befreit mich auch von der Befürchtung,
daß
ein zu großer Eifer
Ihnen unersetzliche Verluste verursachen möchte. Sie haben nicht nur gezeigt, was ein Talent, wie das Ihre ausführen kann, sondern auch wie ein hoher Muth über scheinbar unüberwindliche Hinderniffe
siegen kann. Wie soll ich Worte finden, um Ihnen zu sagen, wie sehr unsere Bewunderung durch Ihr neues Werk über die Süßwasser-Fische ge
stiegen ist?
Nie ist etwas bewunderungswürdigeres und vollkomme
neres in Zeichnung und Farbe erschienen.
Diese chromatische Litho
graphie übertrifft alles, was wir bisher gehabt haben.
Geschmack hat diese Veröffentlichung geleitet!
Welcher
Und die kurzen Be
schreibungen, welche jede Tafel begleiten, tragen auffallend zu dem
Reiz und dem Genuß dieses Studiums bei. wärmsten Dank, lieber Freund.
Nehmen Sie meinen
Ich habe nicht nur Ihren Brief
und das Exemplar dem Könige überreicht, sondern auch ein Zettel
chen über das Verdienst eines solchen Unternehmens beigefügt. Der
Brief von Humboldt.
181
König!. Kabinetsrath schreibt mir officiell, daß der König dieselbe Anzahl von Abdrücken von den Süßwasser-Fischen bestellt habe, wie von den fossilen Fischen; das wären also zehn. hat den Auftrag schon erhalten.
Herr von Werder
Das ist allerdings nur eine kleine
Unterstützung, aber es ist alles, was ich erreichen konnte, und diese
wenigen Exemplare, zu welchen Sie des Königs Namen als Sub skribenten haben, werden Ihnen immer nützlich sein.
Ich kann diesen Brief nicht schließen, ohne Sie um Entschuldi gung zu bitten wegen einiger vielleicht zu scharfen Ausdrücke, welche
ich in meinen früheren Briefen über Ihre großartigen geologischen Anschauungen fallen ließ. Gerade die Uebertreibung in meinen Wor
ten muß Ihnen gezeigt haben, wie wenig Gewicht ich auf meine Einwendungen legte ... Ich habe immer den Wunsch zu lernen.
Von Jugend an zu glauben gelehrt, daß die Organisation vergan
gener Zeiten einen etwas tropischen Charakter hatte, war ich natür lich über diese eisige Unterbrechung sehr bestürzt und rief zuerst
Aber sollten wir nicht immer aus eine freundschaftliche
„Ketzerei!"
Stimme wie die Ihre hören?
Alles was über diese Sache gedruckt
wird, interessirt mich; wenn Sie daher kürzlich irgend etwas voll ständiges über die Ergebnisse Ihrer geologischen Gedanken veröffent
licht haben, so haben Sie die Güte, es mir durch einen Buchhändler zu senden . . .
Soll ich Ihnen etwas von meinen eigenen veralteten Werken sagen? An meiner „Geographie des fünfzehnten Jahrhunderts" fehlt der fünfte Band (Examen critique). erscheinen.
Er wird diesen Sommer
Ich lasse auch den zweiten Band eines neuen Werks
unter dem Titel „Central-Asien"
drucken.
Es ist keine
zweite
Ausgabe der „Asiatischen Fragmente", sondern ein neues, davon ganz verschiedenes Werk. Die fünf und dreißig Bogen des letzten Bandes sind erscheinen.
gedruckt,
aber beide Bände werden erst zusammen
Sie werden beurtheilen können, was es für Schwierig
keiten macht, in Paris drucken zu lassen und hier oder in Teplitz die Korrekturen zu machen.
Jetzt fange ich gerade an,
die erste
Lieferung meiner Ideen zu einer physikalischen Weltbeschreibung unter dem Titel „Cosmos" in deutscher Sprache drucken zu lassen.
ist keineswegs eine Wiederholung der Vorlesungen, gehalten habe.
Es
die ich hier
Der Gegenstand ist derselbe, aber die Darstellung
Zehntes Capitel.
182
erinnert durchaus nicht an öffentliche Vorträge; es hat, als Buch,
einen ernsteren und erhabeneren Styl.
Ein „gesprochenes Buch" ist
immer ein ungenügendes, eben so wie abgelesene Vorträge, wenn sie auch noch so gut vorbereitet sind, nicht befriedigen. Veröffent lichte Vorlesungen sind mir ein Gräuel.
Cotta
druckt auch einen
deutschen Band „Physikalisch-geographische Erinnerungen" von mir,
der manch unveröffentlichtes über die Vulkane der Anden, über Strö mungen rc. bringt. zu versteinern!
Und dies alles in dem Alter, wo man anfängt
Es ist sehr gewagt!
Möge dieser Brief Ihnen und
Frau Agassiz beweisen, daß ich nur an den Extremitäten versteinere — das Herz ist noch warm. Erhalten Sie mir Ihre Freundschaft, die mir so theuer ist.
A. von Humboldt.
Im folgenden Winter, oder vielmehr in den ersten Tagen März 1841, besuchte Agassiz
in Gesellschaft von Desor den Aargletscher
und den Rosenlauigletscher.
Er wollte die Stangen nachsehen, die
er im vorigen Sommer auf dem Aargletscher eingepflanzt hatte und
die Winter- und Sommer-Temperatur sowohl an der Oberfläche, als im Innern des Eises vergleichen.
Aber sein Hauptzweck war, zu
untersuchen, ob während der Winterfröste von der Unterseite der Gletscher noch Wasser abfließe.
Diese Thatsache würde von entschie
denem Einfluß auf die Lehre sein, welche das Schmelzen und die Bewegung der Gletscher hauptsächlich ihrer untern Fläche zuschrieb
und sie durch die innere Erdwärme erklärte.
Obwohl Agassiz von
der Jrrthümlichkeit dieser Ansicht überzeugt war, wünschte er doch,
sich die Beweise dafür bei dem Gletscher selbst zu holen. Die Reise dahin war natürlich in dieser Jahreszeit eine sehr schwierige, aber
das Wetter war schön, und sie legten sie sicher zurück, wenn auch nicht ohne große Beschwerden.
Sie fanden kein Wasser außer dem
reinen und durchsichtigen Quellenwasser, welches nie zufriert.
Gletscher lag todt in den Banden des Winters.
Der
Die Ergebnisse
dieser Reise sind in dem „Systeme Glaciaire“ mitgetheilt.
Eine interessante Beschreibung von dieser Exkursion und von dem Aussehen der Gletscher im Winter findet sich in E. Desors „Sejours dans les Glaciers“. Als sie an der Aar Hinaufstiegen, müßten sie häufig verengte
Winterreise in die Gletscher.
183
Flüsse auf natürlichen Schneebrücken überschreiten, und als sie sich der Handeck auf erschreckend steilen Schneeabhängen näherten, fanden
sie kaum den dünnen Wasserstrahl, der allein von dem herrlichen Wasserfall des Sommers übrig geblieben war. Auf dem Aar gletscher fanden sie das Hotel des Neuchätelois in Schnee begraben, und die ganze Oberfläche des Gletschers, sowie die ihn umgebenden
Gipfel waren mit derselben weißen Decke überzogen.
Das Finster
aarhorn allein stand schroff und schwarz aus dieser weißen Welt hervor,
da der Schnee aus seinen abschüssigen Wänden nicht haftet. Anblick war viel einförmiger als im Sommer.
Der
Die Spalten mit
ihrem in der Tiefe wundervoll blauen Eis waren geschlossen; die
rauschenden Ströme waren verstummt; die Blöcke und Moränen sahen nur ab und zu aus der allgemeinen Bedeckung hervor.
Der
Himmel war wolkenlos, die Luft durchsichtig, aber der Glanz der eintönigen weißen Oberfläche war für die Augen und die Haut
äußerst schmerzhaft, und nöthigte die Wanderer, doppelte Schleier einzuhüllen.
ihre Köpfe in
Den Rosenlauigletscher fanden sie
weniger mit Schnee bedeckt, als den Aargletscher, und obwohl die herrliche Eishöhle, die den Reisenden wegen ihrer azurblauen Farbe
so bekannt ist, unzugänglich war, so konnten sie doch in die Tiefe
blicken und sehen, daß das Strombett trocken war. Die Reise wurde in einer Woche beendet und verlief ohne Mißgeschick.
Im Sommer 1841 hielt sich Agassiz länger in den Alpen auf, als je zuvor.
Die hauptsächlichen Gegenstände der Untersuchung
in diesem Jahr waren der innere Bau dieser ungeheuern beweglichen Eisfelder, die Hauptbedingungen
ihres Entstehens und ihrer Fort
dauer, der Einfluß des in ihrem.Innern befindlichen Wassers auf
ihre Bewegung und die Wirkung ihrer direkten Berührung mit den Betten und Wänden der Thäler, die sie einnahmen. Die Thatsache
ihrer früheren größeren Ausdehnung und ihrer gegenwärtigen Schwan
kung konnte als feststehend betrachtet werden. übrig, diese Thatsache mit Hinweis
stattfindenden Vorgänge zu erklären.
Es blieb nur noch
auf die in der Eismasse selbst
Kurz, die Untersuchung ging
aus dem Bereich der Geologie in das der Physik über.
Es war
Agassiz, der wie er oft sagte, kein Physiker war, sehr angelegen die
Mitwirkung der tüchtigsten Männer in diesem Fach zu erlangen und ihnen die Beobachtung zu erleichtern, indem er ihnen die Ergebnisse
Zehntes Capitel.
184
der vielen bereits gemachten Untersuchungen mittheilte. Außer seinen gewöhnlichen Mitarbeitern Desor und Vogt hatte er sich als Gast den bedeutenden Physiker Profeffor James D. Forbes von Eoinburg
eingeladen, der seinen Freund Heath aus Cambridge mitgebracht
hatte*).
Auch Escher
von der Linth nahm später im Sommer
thätigen Antheil an den Beobachtungen.
Seinen Arbeitern hatte
Agassiz noch einen Obergehülfen des Ingenieurs Kahli aus Biel zugesellt, welchem letzteren er seine Pläne mitgetheilt, und der ihm
einen tüchtigen Arbeiter geschickt hatte zur Leitung bei den Bohr unternehmungen und Hülfe bei den Messungen rc.
Als Künstler
nahm Agassi; in diesem Jahr Jakob Burkhardt mit, einen persön lichen Freund und früheren Studiengenossen aus München, der einige
Zeit auf der dortigen Kunstschule zugebracht hatte.
Er beteiligte sich
später als Zeichner zu verschiedenen Zeiten an Agassiz's Arbeiten, und nachdem sich beide in Amerika niedergelassen hatten, wurde er ein
ständiges Mitglied von Agassiz's Haushalt, begleitete ihn auf seinen Reisen, und blieb in ununterbrochenen freundschaftlichen Beziehungen zu ihm bis zu seinem Tode im Jahre 1867.
Freund und ein warmherziger Mensch,
Er war ein treuer
deflen trockener Verstand
durch eine humoristische Ader belebt wurde, die ihn zu einem sehr
unterhaltenden und anziehenden Gesellschafter machte. Da es in Hinsicht auf das diesjährige besondere Arbeitspro gramm nöthig war, in das Innere des Gletschers einzudringen und wo möglich dessen Berührungspunkt mit der Thalsohle zu erreichen,
hatte Agassi; einen größeren Bohr-Apparat als den bisher ge brauchten nach der Hütte auf dem Aargletscher bringen lassen. Die Ergebnisse der damit angestellten. Experimente sind in dem „Systeme Glaciaire“, welches 1846 mit vier und zwanzig Foliotafeln und zwei Karten erschien, mitgetheilt. Sie waren von dem höchsten Jntereffe hinsichtlich der inneren Struktur und Temperatur des Eises und
der Durchdringungsfähigkeit seiner Masse, die, wie es sich erwies, allenthalben der Lust und dem Wasser zugänglich war.
Einmal
sank der Bohrer, welcher hundert und zehn Fuß tief eingetrieben war, plötzlich zwei Fuß tiefer und zeigte dadurch an, daß er einen *) Da die Eindrücke des Herrn Forbes erst in Verbindung mit seinen
eigenen späteren und unabhängigen Untersuchungen bekannt gemacht wurden, ist es unnöthig hier auf dieselbe zu verweisen.
185
Eindringen in den Gletscher.
offenen in der Tiefe des Eises
verborgenen Raum erreicht hatte.
gleichzeitige Aufsteigen von Luftblasen bewies,
Das
daß.diese so
plötzlich eröffnete Gletscherhöhle nicht luftdicht gegen atmosphärische Einflüffe von außen verschlossen war.
Aber das, was ihm seine Instrumente aus diesen unbekannten Regionen berichteten, genügte Agassiz nicht. der sogenannten Gletscherbrunnen
Er beschloß, sich in einen
herunterzulaffen
das Innere des Gletschers zu besuchen.
persönlich
und
Zu diesem Zweck war er
genöthigt, den Strom, welcher in den Brunnen floß, in ein neues Bett zu leiten, das er dazu graben ließ.
Nachdem dies gethan war,
ließ er einen starken Dreifuß über die Oeffnung aufstellen, und dann wurde er, auf einem Brette sitzend, welches an ©eilen festgebunden war,
in den Brunnen heruntergelassen, während sein Freund Escher platt
an dem Rande des Abgrunds lag, um das Herablassen zu leiten und auf jeden Mahnruf zu horchen.
Agassiz wünschte besonders zu sehen,
wie weit die lamellenartige oder gebänderte Struktur des Eises (die sogenannten blauen Bänder) die Mäste des Gletschers durchdringt.
Die Beschaffenheit des Gletschers in dieser Beziehung war von Guyot
beobachtet und beschrieben worden,
aber Forbes hatte die Aufmerk
samkeit von neuem darauf gelenkt, da
er glaubte,
Beschaffenheit des Gletschers damit zusammenhänge.
daß
die innere
Als Agassiz vor
dieser seltsamen Entdeckungsreise von seinen Freunden Abschied nahm,
wurde verabredet,
daß man ihn herunterlassen sollte, bis er rufen
würde, daß er aufgezogen sein wolle.
Er wurde glücklich und ohne
Zwischenfall in eine Tiefe von achtzig Fuß Herabgelaffen.
gegnete
Da be
ihm eine unvorhergesehene Schwierigkeit in Gestalt einer
Eiswand,
welche den Brunnen in zwei Behälter theilte.
Er ver
suchte zuerst in dem größeren weiterzukommen, aber da er sand, daß sich derselbe wieder in verschiedene kleine Gänge spaltete, ließ er sich
wieder soweit Hochziehen, um in den kleineren zu gelangen und setzte in demselben seinen in die Tiefe gehenden Lauf fort, ohne einem Hinderniß zu begegnen.
Vollständig
durch
blauen Streifen in Anspruch genommen,
die
die Beobachtung der noch
immer an den
glänzenden Eiswänden sichtbar waren, wurde er erst der nahenden
Gefahr durch das plötzliche Eintauchen feinet Füße in Master ge wahr.
Er ließ den Nothschrei erschallen, aber feine Freunde ließen
ihn in den eiskalten Strudel hinab,
anstatt ihn aufzuziehen.
Der
Zehntes Capitel.
186
zweite Ruf wurde verstanden, und sie zogen ihn nicht ohne große Schwierigkeiten aus einer Tiefe von einhundert und fünf und zwanzig Fuß in die Höhe.
Eiszapfen,
Namentlich brachten die Spitzen der ungeheuren
durch welche
er seinen Weg steuern mußte, ihm bei Er sagte später: „Hätte ich alle
seinem Auszug ernstliche Gefahr. Gefahren
dieses Unternehmens
vielleicht nicht dazu entschlossen.
vorhergewußt,
so hätte ich
mich
Jedenfalls würde ich keinem, der
nicht einen treibenden wissenschaftlichen Grund dazu hat, rathen,
folgen."
meinem Beispiel zu
Ans dieser gefährlichen Reise ver
folgte er den lamellenartigen Bau bis zu einer Tiefe von achtzig Fuß und noch darüber, doch wurde derselbe in größerer Tiefe un
deutlicher.
Der Aufenthalt auf dem Gletscher wurde durch mehrere Exkur sionen unterbrochen, unter anderen durch die Besteigung des Ewig
schneehorns von Agassiz, Forbes und Heath, geführt von Jakob Leuthold.
Bei ihrer Rückkehr planten sie ihre berühmte Besteigung
der Jungftau.
Die daran theilnehmende Gesellschaft bestand aus
zwölf Personen: Agassiz, Desor, Forbes, Heath, de Chatelier aus
Nantes,
de Pury
aus
NeuchLtel,
Agassiz und sechs Führern;
außer
früheren Schüler
einem
von
den bekannten und bewährten
Freunden Leuthold und Währen waren noch vier andere zugezogen
worden.
Ferner schloffen sich zwei Reisende an, die darum gebeten
halten. Die Wanderer verließen das Grimsel-Hospiz am 27. August um vier Uhr morgens.
Nachdem sie das Oberaarjoch überschritten, stie
gen sie zu der schneeigen Hochebene herab,
welche den
Viescher
Gletscher speist. In diesem großartigen, von den Gipfeln der Viescherhörner umrahmten Amphitheater machten
ihr Mittagsmahl ein.
sie Rast
und nahmen
Als sie über die Schneeselder schritten,
be
merkten sie, während sie mit vollständiger Sicherheit auf einer schein
bar festen Masse gingen, einzelne fensterartige Oeffnungen in dem Schnee.
Bei näherer Untersuchung derselben blickten sie in einen
weiten offenen Raum, der mit sanftem blauen Licht erfüllt war. Es ergab sich,
daß sie auf einer hohlen Kruste gewandert waren,
und daß die kleinen Fenster einem tiefen Spalt auf der anderen Seite dieser Eishöhle gegenüber lagen, durch welchen das Licht ein
drang, die ganze Höhle erfüllte und von ihren Eiswänden die wun-
Besteigung der Jungfrau.
dervoll sich spiegelnde Farbe erhielt*). und Firnfelder
überschritten
hatten,
187
Nachdem sie die Schnee-
brachte sie
ein
ermüdender
Marsch von fünf Stunden zu den Sennhütten von Möril, wo sie übernachten wollten.
Der Schlaf,
folgenden Tages stärken sollte,
genehmen Zwischenfall gestört.
der sie zn der Anstrengung des wurde jedoch durch einen unan
Die Leiter, welche Jakob Leuthold,
als er das letzte Mal im Jahre 1832 mit Hugi dagewesen war,
zurückgelaffen hatte, und die er zum Weiterkommen nicht entbehren konnte, war von einem Bauern aus Viesch weggenommen worden. Zwei Boten wurden im Lauf der Nacht in das Dorf geschickt, um
sie zurückzuverlangen.
Der erste kehrte ohne Erfolg zurück;
dem
zweiten wurden so viele Androhungen nachdrücklichster Bestrafung von der ganzen Gesellschaft mitgegeben, daß er seinen Zweck erreichte
und endlich mit dem wiedererworbenen Schatz aus seinem Rücken Sie hatten inzwischen zwei Stunden verloren.
erschien.
Uhr hatten sie aufbrechen wollen, und jetzt war es fünf.
Um drei Jakob er
mahnte sie daher, sich möglichst zu eilen und forderte jeden,
sich
einem
bleiben.
Gewaltmarsch nicht
gewachsen fühlte,
auf,
der
zurückzu
Keiner wollte davon etwas hören, und so machten sie sich
auf den Weg. An dem Mörilsee und seinen Eisbergen vorbei, erreichten sie
den Aletschgletscher mit seinen Schneefeldern,
wo
die
wirklichen
Schwierigkeiten und Gefahren des Aufstiegs beginnen sollten.
In
diesem großen, halbrunden, von der Jungftau, dem Mönch und den niedrigeren Gipfeln dieser Berggruppe eingeschloffenen Raum liegt
das Aletscher Firnmeer.
Da dieser Platz einen natürlichen Ruhe
punkt zwischen dem bereits überwundenen mühsamen Steigen und
den noch zu erklimmenden ungeheuren Abhängen darbot, nannten sie
ihn Le Repos und machten da kurze Rast. Hier ließen sie auch alle unnöthigen Lasten zurück und nahmen nur etwas Brod und Wein
für den Fall, der Erschöpfung, einige meteorologische Instrumente und
die für den Alpenbesteiger unentbehrliche Leiter, Beil und
Seile mit.
Zu ihrer linken, im Westen des Kessels öffnete sich ein
breiter Durchgang zwischen der Jungfrau und dem Kranzberg, auf welchem eine Reihe von übereinanderliegenden Terrassen unterschieden
*) Der Eindruck ist vortrefflich von Desor geschildert in seinem Bericht dieser Exkursion „Sejour dans les Glaciers“ p. 367.
Zehntes Capitel.
188
werden konnte.
Nun ging es in der üblichen Weise weiter über
mehr oder weniger abschüssige Abhänge, wo sie in den weichen Schnee einsanken oder sich Stufen in das Eis hauen ließen; über offene
Spalten, die sie auf der Leiter überschritten oder über die gefähr
licheren, durch eine Schneedecke verdeckten, über die sie vorsichtig Hin
schritten, mit Seile an einander gebunden.
Aber es kamen keine
Hindcrniffe, die den erfahrenen Bergsteiger, der sicheren Schritt hatte
und schwindelfrei war, hätte zurückschrecken können, ehe sie eine Höhe erreichten, von welcher sich die Spitze der Jungfrau in scheinbar unerklimmbarer Vereinzelung von allem um sie her ablöste.
Allen
außer den Führern erschien ein weiteres Vorrücken durch das Chaos von Abgründen, von Schnee, Eis nnd Felsen unmöglich. Leuthold dagegen blieb ganz ruhig und zuversichtlich und sagte ihnen, daß er
ganz klar sähe, welchen Weg sie verfolgen müßten.
Er begann mit
einer offenen Schlucht, die unabsehbar tief, aber nicht zu weit war,
um von ihrer • drei und zwanzig Fuß langen Leiter überspannt zu werden.
Auf der anderen Seite dieser Schlucht erhob sich unmittel
bar eine steile Wand von gefrorenem Schnee.
Ueber diese Wand
bahnten Leuthold und Währen den Weg, indem sic Stufen ein schnitten und als sie halbwegs oben waren, ein Seil herunter ließen,
welches sie festhielten, während ihre Gefährten das andere Ende an der Leiter befestigten, die dann den Nachfolgenden als Geländer diente. Auf der Höhe angekommen, befanden sie sich auf einer Terrasse, von welcher aus ein weniger steiler Abhang auf den Roththalsattel führte, der auf einer Seite einen Blick in das Aletschthal,
auf der anderen in das Roththal gestattet.
Von diesem Punkt aus
wurde der Aufstieg immer steiler und ging langsamer von statten,
da jeder Tritt ausgehauen werden
mußte.
Die Schwierigkeiten
wurden noch durch den aufsteigenden Nebel und die durchdringende
Kälte vermehrt.
Leuthold hielt die Gesellschaft nahe am Rande des
Grats zusammen, weil da das Eis der Axt leichter.nachgab, aber
er setzte ihre Nervenstürke auf eine harte Probe, da der Abgrund ihnen immer vor Augen blieb, außer wenn der Nebel ihn verdeckte.
Sie konnten ihre Alpenstöcke durch den überhängenden Rand von
fest gefrorenem Schnee stoßen nnd durch das dadurch entstandene Loch auf den gerade unter ihnen liegenden Kessel sehen.
Einer von
den Führern blieb zurück, weil er den Anblick des nahen Abgrundes
189
Besteigung der Jungfrau.
Als sie sich ihrem Ziele näherten,
nicht länger ertragen konnte.
fürchteten sie, daß am Ende der Nebel sie des höchsten Genuffes berauben möchte, um welchen sie so vielen Gefahren getrotzt hatten.
Aber plötzlich — gerührt von ihrer Ausdauer, sagt Desor, — lüftete sich der Nebelschleier und die Spitze der Jungfrau, in ihrer einsamen
Größe, erhob sich vor ihnen.
Noch war eine gewiffe Entfernung zu
überwinden, ehe sie den Fuß des höchsten Gipfels erreichten.
Hier
hielten sie zaudernd an, denn obwohl die Spitze nur wenige Fuß hoch über ihnen lag, waren sie doch von derselben durch einen
schroffen und
scheinbar
unübersteigbaren Grat
Selbst
getrennt.
Agassi;, der nicht leicht entmuthigt war, sagte, als er zu diesem höchsten Punkte der Festung, die sie erklimmt hatten, aufsah:
können wir nicht hingelangen."
„Da
Statt aller Antwort warf Leuthold
alles von sich, was seine Bewegungen einschränkte, steckte seinen Alpenstock als Enterhaken über den Grat, und während er im Vor
wärtsgehen den Schnee niedertrat, um diesen schwindeligen Pfad für die Nachfolgenden zu ebnen, war er in einem Augenblick auf der
Spitze.
Dieser berühmte Gipfel spitzt sich auf seiner äußersten Höhe
so zu, daß nur eine Person aufeinmal darauf stehen kann, und selbst
für diese muß der Schnee erst sestgetreten werden.
Als Leuthold,
dessen ruhige, vor nichts, zurückweichende Kühnheit ansteckend war,
zurückkehrte, hals er einem nach dem anderen auf die Stelle, auf welcher er gestanden hatte.
Der Nebel, dessen Wirkung sie so ge
fürchtet hatten, trug nur noch zu der Schönheit der Aussicht von
diesem erhabenen Standpunkt bei.
Massen von Dunst stiegen vom
Roththal nach Südwesten auf, aber anstatt vorzurücken und sie ein
zuhüllen, blieben die Nebelwolken in kleiner Entfernung von ihnen stehen, von einem Lustzug aus der Ebene angehalten.
Da die
Temperatur unter dem Gefrierpunkt war, gefroren die Dunsttropfen
in dieser Nebelwand zu Eiskrystallen, welche im Sonnenlicht wie Gold glitzerten und alle Farben des Regenbogens widerstrahlten. Als die ganze Gesellschaft wieder am Fuß der obersten Spitze
versammelt war, gab Leuthold jedem etwas Wein, und sie ruhten im Schnee, ehe sie ihren gefahrvollen Abstieg begannen.
Das ein
zige lebende Wesen, welches sie sahen, war ein Habicht, der.über ihre» Köpfen kreiste; von Pflanzen fanden sie nur einige Flechten
an Stellen, wo die Oberfläche des Felsens frei lag.
Es war vier
Zehntes Capitel.
190
Uhr Nachmittags, als sie ihren Rückweg antratcn, dem eisigen Ab
hang ihr Angesicht zuwendend und rückwärts nach den Stufen, —
siebenhundert im Ganzen — fühlend, die beim Aufsteigen eingehauen worden waren.
In ungefähr einer Stunde erreichten sie die Roth-
thalspitze, wo die größten Schwierigkeiten des Aufstiegs begonnen hatten und die größten Gefahren des Abstiegs überwunden waren.
Sie waren so begeistert von dem Erfolg des Tages und achteten so wenig auf die geringeren Gefahren nach den viel bedeutenderen, die sie überstanden hatten, daß sie nun in unbedachter Weise vorwärts eilten.
Jakob, der ebenso vorsichtig wurde, wenn andere sorglos
waren, als er kühn war, wenn andere Aengstlichkeit verriethen, mahnte sie fortwährend durch seinen Zuruf:
„Hübschle! nur immer
hübschle!" Um sechs Uhr waren sie wieder auf Le Repos, nachdem sie in
zwei Stunden die Strecke zurückgelegt, zu der sie im Hinweg sechs
gebraucht hatten.
Der Abend brach nun herein, aber das Tages
licht wurde durch Mondschein ersetzt, und als sie den Gletscher er
reichten, war ein sanfter silberner Schein über denselben ausgegossen, der nur hier und da durch den schwarz darüber liegenden, riesen haften Schatten eines benachbarten Berges unterbrochen wurde. Gegen neun Uhr, gerade als sie denjenigen Theil des Gletschers
überschritten hatten, der wegen seiner zahlreichen Spalten, am ge fährlichsten war, wurden sie durch einen fernhertönenden Jodler
ermuntert. Es war der Ruf eines Bauern, der ihnen mit Vorräthen entgegengeschickt war, für den Fall, daß sie von Hunger und Mü
digkeit erschöpft sein sollten. Das willkommenste was er brachte, war ein großer, mit frischer Milch gefüllter Holzeimer. Man kann
sich die kleine Schaar, wie sie im Mondlicht den Bauern umringte und abwechselnd aus seinem Eimer trank, bis der Vorrath erschöpft war, so lebhaft vergegenwärtigen, daß man ihre Erquickung und Freude mitempfindet. Nachdem sie sich so gestärkt hatten, machten sie sich auf den letzten Theil ihrer Reise, der noch drei Meilen be trug, und um halb elf Uhr kamen sie auf den Sennhütten von Möril
an, welche sie bei Tagesanbruch verlassen hatten. Am folgenden Morgen brach die Gesellschaft auf, und Agassiz und Desor, von ihrem Freund Escher von der Linth begleitet, kehrten
aus das Grimsel-Hospiz zurück und begaben sich dann nach einer
Zoologische Veröffentlichungen.
Tagesrast noch einmal in das Hotel des Neuchätelois.
191 Sie blieben
bis zum 5. September auf dem Gletscher und benutzten diese Tage noch
zur Vervollständigung ihrer Messungen und zur Einpflanzung einer Reihe von Stangen in den Gletscher, die ihnen dazu dienen sollten,
die Schnelligkeit seiner Bewegung im Laufe des Jahres und die verhältnißmäßige Beschleunigung dieser Bewegung an genau bezeich
neten Stellen zu bestimmen.
So endete einer der ereignißreichsten
Besuche, welchen Agassiz und seine Gefährten dem Gletscher gemacht
hatten').
Elftes Capitel. 1842—1843.
Vom 35. bis 36. Jahre.
Fortsehung der zoologischen Arbeiten neben den Gletscherforschungen. — Derschiedene Veröffentlichungen. — „Nomenclator Zoologicus“. — „Bibliographia Zoologiae et Geologiae“. — Briefwechsel mit englischen Naturforschern. — Briefwechsel mit Humboldt. — Gletscher-Aufenthalt von 1842. — Briefwechsel mtt dem Prinzen Canino über eine Reise in die Vereinigten Staaten. — Fossile Fische aus dem rothen Sandstein. — Gletscher-Aufenthalt von 1843. — Tod des Führers Leuthold.
Wenn auch die Gletscherforschungen allmälig eine hervorragende
Bedeutung in Agassiz's wissenschaftlichem Leben gewannen, so nahmen doch seine zoologischen Arbeiten und namentlich seine ichthyologischen Untersuchungen einen beinah ununterbrochenen Fortgang.
Seine Ver
öffentlichungen über fossile Mollusken"), über tertiäre Muscheln'"), über lebende und fossile Echinodermens) nebst vielen kleineren Mono graphien über specielle Gegenstände, wurden alle während der beweg*) Wenn auch nicht, oder nur ausnahmsweise, wörtlich wieder gegeben, so ist dieser Bericht doch größtentheils Desor's Sejour dans les Glaciers ent nommen. **) Etudes critiques sur les Mollusques Fossiles 4. No, 4° mit hundert Tafeln. ***) Iconographie des Coquilles Tertiaires reputees identiques sur les vivants 1. No, 4°, 14 Tafeln. t) Monographie d’Echinodermes vivants et fossiles 4 nos., 4°, 37 Tafeln.
Elftes Capitel.
192
testen Zeit seiner Gletscherforschungen vollendet.
Noch erstaunlicher ist
es, ihn neben diesen neuen Untersuchungen, die er mit so viel Be geisterung verfolgte, mit scheinbar so trockenen und langweiligen Ar
beiten, wie sein „Nomenclator Zoologicus“ und seine „Bibliographia Zoologiae et Geologiae“ beschäftigt zu sehen. Das erstere Werk, ein großer Ouartband mit einem Index*), ent hält eine Aufzählung aller Gattungen des Thierreichs mit der Ety
mologie ihrer Namen, der Namen derjenigen, die sie zuerst benannt hatten und dem Tage ihrer Veröffentlichung.
Er gewann dazu die
Mitwirkung anderer Naturforscher und unterwarf, so weit es anging,
jede Abtheilung der Durchsicht eines in dem betreffenden Fache her
vorragenden Mannes. In seinem an den Präsidenten des Akademieraths, Baron von Chambrier, gerichteten Briefe, mit welchem er den Nomenclator der
Bibliothek der Neuchateier Akademie überreichte, sagt er darüber: . . . „Haben Sie die Güte für die Bibliothek der Akademie die
fünfte Lieferung eines Werkes über die Quellen zoologischer Kritik,
dessen Veröffentlichung ich jetzt begonnen habe, anzunehmen.
Es
ist ein Werk der Geduld, welches langwierige und mühsame Arbeiten
erforderte.
Ich hakte den Plan dazu in meinen ersten Studienjahren
gefaßt und seither nicht aus den Augen verloren.
Ich gebe mich
der Hoffnung hin, daß es der Verwirrung steuern wird, welche das
Gebiet der zoologischen Synonymie zu überschwemmen droht.
Mein
Buch wird den Titel „Nomenclator zoologicus“ führen." Die Bibliographia (4 Bände) war in gewiffem Sinne eine Er gänzung des Nomenclator und enthielt ein Verzeichniß aller Autoren,
die in dem letzteren aufgeführt sind, nebst Anzeigen ihrer Werke. Sie erschien etwas später und wurde von der englischen Ray Society i. I. 1848 veröffentlicht, nachdem Agassiz Europa schon verlaffen und sich in die Vereinigten Staaten begeben hatte.
Auch das Material
zu diesem Werk hatte sich seit Jahren bei ihm angesammelt.
Da er
mehr und mehr die Wichtigkeit eines solchen Verzeichniffes als Leit
faden für die Studenten erkannte, wendete er sich an alle Natur forscher in allen Theilen Europa's und bat um Mittheilungen über
die wissenschaftliche Bibliographie ihrer Länder, und es gelang ihm !) Der Index wurde auch einzeln in einem Octavband gedruckt.
Zusammenhang der vielseitigen Thätigkeit.
193
endlich, alle bekannten Werke und alle zerstreuten Abhandlungen über
Zoologie und Geologie mit möglichster Vollständigkeit zu katalogisiren. Da er nicht im Stand war, dieses kostbare, über wenig einträgliche Material selbst zu veröffentlichen, so war er sehr froh, es der Ray
Society
zu überlassen.
Die ersten drei Bände wurden mit Ver
besserungen und Hinzufügungen von H. E. Strickland herausgegeben,
welcher vor dem Erscheinen des vierten Bandes starb, dessen Veröffent lichung schließlich sein Schwiegervater Sir William Jardine übernahm.
Die Fähigkeit, mehrere Gegenstände auf einmal zu behandeln, welche Agassiz in so hohem Grade besaß, hatte nichts mit oberfläch
Für ihn hatte jede Arbeit nur eine
licher Leichtfertigkeit gemein. Bedeutung.
Sie war in seinen Gedanken nie zusammenhanglos, und
deshalb konnte er von seinen Gletschern zu seinen fossilen Thieren übergehen und von der fossilen zu der lebenden Welt mit dem Ge
fühl, verwandte Gegenstände zu behandeln, die durch dieselben Ge setze mit einander verbunden seien.
Nirgend zeigt sich dies klarer,
als in den Berichten der NeuchLteler naturwissenschaftlichen Gesell
schaft, einer Gesellschaft,, welche er selbst in den ersten Monaten nach
Antritt seiner Professur gründen half, und welcher er immer eine große Anhänglichkeit bewahrte.
Von 1833 bis 1846 wohnte er den
Sitzungen derselben regelmäßig bei.
Hier finden wir ihn jeden Monat
seine philosophisch den Gegenstand erfassenden Vorträge halten, die entweder von Thieren
in
ihren vielseitigen Beziehungen handeln
oder Einzelheiten des Baues in der eingehenden Weise des Fach manns beschreiben.
Er stellt die organischen Wesen in ihrer geolo-
schen Reihenfolge, in ihrer geographischen Verbreitung und in ihrer embryonischen Entwicklung dar; er führt die Gesetze der Klassifikation vor und gestaltet sie neu.
Zuweilen erläutert er die fossile Welt
durch die lebende, dann wieder findet er in der fernen Vergangenheit
den Schlüssel zu den Erscheinungen der Gegenwart. Geschichte der
Eiszeit
und
weist
auf
ihr
Er erzählt die
Schlußkapitel in dem
nächsten Alpenthal hin, indem er die Beschaffenheit deffelben durch
das Vorkommen ähnlicher Erscheinungen in fernen Welttheilen in Zu sammenhang bringt. Aber wie umfaffcnd und wie verschiedenartig auch
die Gegenstände sind, die er behandelt, so werden sie doch unter seiner Berührung alle mit einander verwandt, werden untergeordnete Theile
eines Ganzen, welches er in seiner Gesammtheit zu verstehen trachtet. Agassij's Leben und Briefwechsel. 13
Elftes Capitel.
194
Einige Auszüge aus seinem Briefwechsel aus dieser Zeit werden die verschiedenen Richtungen, in welchen er damals arbeitete, an
schaulich machen.
Der nächstfolgende Brief ist von Edward Forbes,
einem der frühsten Forscher der Tief-See-Fauna, den Agassi; um Hilfe bei seiner Arbeit über Echinodermen gebeten hatte.
Edward Forbes an Louis Agassiz. Edinburg, 13. Februar 1841.
. . . Ein Brief von Ihnen war mir eine sehr große Freude, und mit Vergnügen habe ich den Auftrag ausgeführt, den Sie mir gaben. Es wäre früher geschehen, wenn die Stürme in der nahen See nicht
so heftig gewesen wären, so daß ich erst vor drei Tagen im Stande
war, mir einen lebenden Seeigel zu verschaffen, nach welchem ich die gewünschten Zeichnungen machen lassen konnte... Sie haben alle Geo logen hier gletschernärrisch gemacht, und Großbritanien wird jetzt von
ihnen in ein Eishaus verwandelt.
Einige unterhaltende und sehr
ungereimte Versuche Ihren Ansichten zu widersprechen, sind von ein zelnen Pseudo-Geologen gemacht worden; unter anderen hat der
arme ... eine Abhandlung in der Royal Society hier verlesen, in welcher er behauptet, daß alle Erscheinungen, die Sie den Gletschern
zuschreiben, durch Eisblöcke verursacht worden sind, welche bei der Sündsluth hierher getrieben wurden! und daß die Fossilien der pleistocenen Zeit Mollusken re. waren, welche auf die Eisblöcke geklettert
und gegen ihren Willen in das wärmere Meer getrieben worden seien!! Meiner Ansicht nach liegt einer der besten Beweise für die Wahrheit
Ihrer Lehre in dem entschieden arktischen Charakter der pleistocenen Fauna, welche der Eiszeit zugeschrieben werden muß und dadurch ganz verständlich wird.
Ich beabsichtige mir im Lauf des Sommers Aus
kunft über diesen Punkt zu verschaffe«, um eine Masse geologischer Beweise für Ihre Lehre aufzubringen. Dr. Traill sagt mir, daß Sie daran denken, im kommenden
Sommer England wieder zu besuchen.
Wenn Sie das thun, so
hoffe ich Sie zu sehen, da ich Ihnen eine Menge von Dingen zn
zeigen habe, wozu die Zeit nicht ausreichte, als Sie das letzte Mal hier waren.
Ich warte mit Sehnsucht auf die nächste Lieferung
Ihrer Geschichte der Echinodermen . . .
Brief von Murchison über die Eiszeit.
195
Von Sir Roderick Murchison an Agassiz. 13. Juni 1842.
. . . Ihre Briefe haben mir großes Vergnügen gemacht, zu nächst weil sie mir die Versicherung geben, daß Ihr Eifer für die Ichthyologie nicht nachgelassen hat, und daß Sie der britischen Ver sammlung davon solch nachdrückliche Beweise geben wollen, und dann
weil Sie noch immer mit Begeisterung Ihre bewunderungswürdigen
Gletscherforschungen fortsetzen. Ihrer Führung
Ich wäre entzückt, wenn ich unter
einen Spaziergang auf dem Aargletscher machen
könnte, aber ich wage noch nicht, es zu versprechen.
Selbst wenn
ich mich noch so sehr beeilen wollte, zweifle ich, ob es möglich wäre,
Ihre Schweizer Versammlung zur rechten Zeit zu erreichen.
Mög
licherweise könnte ich Sie noch nach Ihrer Rückkehr in Ihrer Gletscher
wohnung finden, aber selbst dies hängt von Umständen ab, über die ich nicht gebieten kann.
Ich schicke Ihnen diesen Brief durch meinen Freund, den Ad
miral Sir Charles Malcolm, der auf seiner Reise nach Genf durch Neuchütel kommt.
Er bringt Ihnen auch einen Abdruck meiner letzten
Rede, welche ich Sie bitte anzunehmen und ganz zu lesen.
Sie
werden sehen, daß ich ehrlich und in Uebereinstimmung mit meinem eigenen Glauben gegen Ihr Eis ankämpfe, daß ich aber Ihre großen
Verdienste nicht aus den Augen verliere.
Mein Schlußsatz wird Sie
und alle Ihre Freunde überzeugen, daß wenn ich im Unrecht bin,
es nicht von vorgefaßten Meinungen herkommt, sondern nur, weil ich nach — wie Sie es nennen werden — unvollständigen Beweisen urtheile.
Ihr „Venez voir!“ klingt mir noch in den Ohren.
Murchison blieb noch viele Jahre ein Gegner der Lehre von
der Eiszeit in ihrem weiteren Umfange.
In der Rede, welcher der
obige Brief Erwähnung thut, (Address at tlie Anniversary Meeting of the Geological Society of London 1842)') kommt folgende Stelle
vor: „Einmal zugegeben, daß Agassiz's tiefste Schweizerthäler, wie der ungeheure Genfer See, früher mit Eis und Schnee angefüllt
waren, giebt es keinen Halt mehr.
Von dieser Hypothese ausgehend,
kann man die Ost- und Nordsee, das südliche England und halb *) Auszug ou-5 beut Bericht in Yol. 33 des Edinburgh New Philosophien! Journal.
Elftes Capitel.
196
Deutschland und Rußland mit ähnlichen Eisfeldern anfüllen, auf deren
Oberfläche alle nordischen erratischen Blöcke fortgetragen worden sind. So lange die größere Anzahl der praktischen Geologen von Europa der
weiteren Ausdehnung einer Eiszeit aus der Erde entgegen sind, ist wenig Gefahr, daß diese Lehre die Geister zu sehr einnehmen könnte... Das
Vorhandensein von Gletschern in Schottland und England