Lobmeyr 1823: Helles Glas und klares Licht 9783205124979, 3205988124, 9783205988120

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Lobmeyr 1823: Helles Glas und klares Licht
 9783205124979, 3205988124, 9783205988120

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bohlauWien

L O B M E Y R 1823

Helles Glas und klares Licht

bohlauWien Köln Weimar

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Lobmeyr : helles Glas und klares Licht / [Peter Rath], — Wien ; Köln ; Weimar : Böhlau 1998 I S B N 3-205-98812-4 Umschlaggestaltung: Cornelia Steinborn Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 1998 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H und Co. K G , Wien • Köln • Weimar Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefreiem Papier Druck: Holzhausens N f G . , Wien

Gewidmet all den Generationen unserer treuen Kunden in aller Welt, für welche wir, stets zusammen mit unseren vielen Mitarbeitern, unser Bestes gegeben haben. Gewidmet unseren Frauen und Familien, die oft unbedankt auf so manche Bequemlichkeit des Lebens verzichtet haben. Gewidmet den kommenden Generationen, die abschätzen lernen müssen, wie wertvoll so ein altes Haus für eine sinnhafte Lebensgestaltung sein kann.

INHALT

Vorwort — S. D. Fürst Karl von und zu Schwarzenberg

D I E FIRMENGESCHICHTE

HELLES GLAS

KLARES LICHT

ANHANG

9

Geleitbrief - Prof. Dr. Franz Eckert

11

Einleitung

13

Josef Lobmeyr sen. (1823-1855)

21

Josef & Ludwig Lobmeyr (1855-1917)

36

Stefan Rath sen. (1902—1960)

61

Hans Harald Rath (1938-1968)

92

Harald, Peter und Stefan Rath (seit 1968)

122

Jos. Zahn & Co. (Übernahme ab 1972)

174

Die Geschichte des Glases

187

Das Werden eines Lobmeyr-Glases

237

Der Luster

255

Ein Uberblick zur historischen Entwicklung des Lusters

256

Die fachmännische Herstellung

276

Zum Abschluß

311

Die Archive der Firma Lobmeyr — Uberblick

317

Verzeichnis der wichtigsten Lobmeyr-Tafelservice

318

Kurzer Auszug aus Lobmeyrs Referenzen fiir Hohlglas

321

Auszug aus der Kunden- und Projektliste Lobmeyr-Luster

322

Hütten, die Lobmeyr beschäftigte

325

Mitarbeiter

326

Ausstellungen moderner Glauskünstler bei Lobmeyr - seit 1969

328

Karten

330

Literaturauswahl

332

Register

335

Abbildungsnachweis

347

Stammbaum

348

Zeittafel

350

VORWORT

i: Fürst Schwarzenberg mit Harald und Peter Rath im Lokal Kärntnerring 4.

Es gibt wenige Namen, die so sehr Wien in seiner großen Zeit symbolisieren wie Lobmeyr. Lobmeyr bedeutete nicht nur einen Glaskaufmann, der in Wien durch seine Entwürfe und Anregungen sowie durch die Architekten und Künstler, die er beschäftigte, bestimmend in der Entwicklung des Glases im 19. Jahrhundert wirkte, sodaß ohne ihn die künstlerische Entwicklung des böhmischen Glases gar nicht vorstellbar ist. Lobmeyr war auch gleichsam ein Synonym für die bürgerliche Kultur Wiens. Es waren Namen wie Bösendorfer und Lobmeyr, die der kaiserlichen Haupt- und Residenzstadt Wesen und Glanz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufsetzten. Ihr Mäzenatentum und ihre Offenheit für die Kunst ihrer Zeit ist nie wieder erreicht worden. Was damals geschaffen wurde, sollte Maßstab und nicht nur zu nutzendes Erbe sein. Wie nur wenigen Häusern gelang es Lobmeyr, diese Stellung auch durch Generationen zu halten. Der Schreiber dieser Zeilen, der die Freude und Ehre hatte, seit Stefan Rath sen. die Familie und das Haus zu kennen, weiß, wie schöpferisch Lobmeyr auch im 20. Jahrhundert war. Den Respekt, den der alte Herr Rath bei seinen Mitarbeitern und Auftraggebern genoß, die Fähigkeit, trotz Krieg und Chaos, trotz Untergang seiner Welt, die schönsten Werke in Osterreich und der Tschechoslowakei zu schaffen und erneut eine Tradition zu gründen, gehört zu den wunderbarsten Geschichten Wiener Unternehmertums. Die bemerkenswerte Weiterentwicklung der Lusterformen durch Hans Harald Rath und die neuen Werkstätten, die von seinen Söhnen gegründet und übernommen wurden, zeugen vom weiterhin innovativen Geist des Hauses. Ein Gang durch das kleine Museum auf der Kärntnerstraße, welches sich im obersten Stockwerk des bekannten Geschäftes befindet, ist allein wegen der Namen der Kunden ein Gang durch die österreichische Geschichte, wie VORWORT

9

auch jedes Glas in seiner Form die Entwicklung und den Geist seiner Zeit widerspiegelt. Die Namen der Künstler aber, die diese Gläser gestalteten, sind jene Namen, die heute Wien in der ganzen Welt rühmen und von denen wir wissen, daß ohne sie die Geburt moderner Architektur und modernen Designs unvorstellbar wäre. Karl Fürst zu Schwarzenberg

IO

H E L L E S GLAS U N D K L A R E S L I C H T

GELEITBRIEF

Lieber, unvergeßlicher Hans Harald Rath! Unsere Lebenswege haben sich im Jahr 1965 gekreuzt — zwanzig Jahre nach dem Ende der Barbarei und drei Jahre vor Deinem viel zu frühen Tod. Damals hast Du in New

J L WMikJ T F R Mät) Ii« I* A

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York für Dein Haus die Lusterlieferung an die m e t ver-

1

handelt; zur gleichen Zeit hast Du als einer der Grün-

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2: Luster für die Kirche der

dungsväter den World Crafts Council aus der Taufe gehoben, dem Du als österreichischer Vertreter bis zu Deinem Tod angehörtest. Weltgeltung des Kunsthandwerks, Weltgeltung Deines

Barmherzigen Brüder in Graz,

geliebten Unternehmens und Weltgeltung österreichischer

ein besonders gelungenes

Qualität waren Deine Lebensanliegen, deren Erfüllung

Projekt von Hans Harald Rath

Du damals näherkommen durftest. Philosoph, Herr altösterreichischer Prägung, Meister Deines Faches und königlicher Kaufmann — so hast Du durch Dein Leben den Weg gewiesen, den Deine Söhne in den drei Jahrzehnten seit Deinem Tod unbeirrt weitergegangen sind. Als 1971 der große Sitzungssaal im Kreml durch Lobmeyr beleuchtet wurde, haben wir alle Deiner gedacht. Der weite Horizont und die humanistischen Wurzeln Deiner Unternehmerphilosophie sind der Firma Lobmeyr ebenso erhalten geblieben wie das Festhalten an höchsten österreichischen Qualitätsmaßstäben. Die kompromißlose Nachordnung jeglicher Gewinnmaximierung hinter die Anforderungen von Geschmack, Tradition und Produktqualität hat das Unternehmen vor aller Gigantomanie, vor jeglichem ungeregeltem Wachstum bewahrt. Der internationale Ruf der Lobmeyr-Produkte, ihre Noblesse und Authentizität, die Verbindung von Steinschönauer Tradition und zukunftsweisendem Design sind und bleiben unnachahmlich. Schönheit und Stil lassen sich mit Konsum und Kommerz nicht vereinbaren. Ein vollendetes Werkstück zu verkaufen, war für Dich, lieber Hans Harald Rath, immer ein geheimer Schmerz, fast wie eine Kindesweglegung, geGELEITBRIEF

II

mildert nur durch die respektvolle Behandlung, welche der Käufer Dir und Deinem Produkt angedeihen ließ. Wer heute ein Lobmeyr-Stück zur Hand nimmt - nicht schnell über den Ladentisch, sondern sinnend und schauend —, der begreift diese Einstellung und versteht auch, warum D u lebenslang darauf bestanden hast, den Firmenwortlaut

»j. & l .

l o b m e y r «

ohne Vordruck mit der

Hand zu zeichnen. Als Inhaber einer der vier Wiener Firmen, die schon vor der Gründung des Wiener Handelsregisters bestanden haben, warst D u dazu berechtigt. So möchte auch ich Dir heute diesen Gruß senden, im festen Glauben daran, daß Lobmeyr auch im 2 1 . Jahrhundert alle Anforderungen einer veränderten Zeit und Gesellschaft meistern wird, ohne das geistige Erbe zu verspielen, das D u uns allen hinterlassen hast.

Dein dankbarer Prof. Dr. Franz Eckert, Baden b. Wien

12

H E L L E S GLAS U N D KLARES L I C H T

EINLEITUNG

Wenn eine weltweit anerkannte Wiener Firma - noch dazu in fünfter Generation in ununterbrochener Folge in Familienbesitz - das 175jährige Gründungsjubiläum begehen kann, erscheint es in dieser schnellebigen Zeit angebracht, kurz innezuhalten. Durch eine Bestandsaufnahme unserer Produkte, die in lebendiger Tradition entstanden sind, soll die Vergangenheit dokumentiert werden, aus der Darstellung der Jetztzeit wird man vielleicht erkennen können, wohin der alte und doch junggebliebene Lobmeyr hinsteuert. Es begann alles, als Josef Lobmeyr, aus Grieskirchen in Oberösterreich stammend, 1823 seinen kleinen Laden im Hause »Zur Kaiserin von Österreich« in der Wiener Weihburggasse eröffnete. Schon sehr bald danach wurde es sein Geschäftsziel, seinen Kunden als Glasverleger zu dienen. Es ist dies eine Firmenphilosophie, die wir bis heute — und hoffentlich auch in Zukunft — als Begründung für den Welterfolg so vieler unserer Glasformen und Luster sehen dürfen. Seit den Zeiten unserer kurzen Erfahrung mit dem Betrieb eigener Glashütten in Slawonien um 1850 hat Lobmeyr stets in fremden Spezialhütten seiner Wahl erzeugen lassen, eben als »Verleger in Glas«. Lediglich die Raffinerie, ein eigener, aber mit den besten Meistern geführter Veredelungsbetrieb für Glasgravierung, Schliff und zeitweise auch für Glasmalerei, war ab 1851 bzw. dann wieder ab 1918 für Lobmeyr direkt tätig. Daneben engagierte man immer bedeutende, selbständige Meister als Heimarbeiter für gewisse Service oder für einzelne Prunkstücke. Die Möglichkeit des direkten Eingreifens der Inhaber oder der Entwerfer in den Produktionsablauf ist uns so wichtig, daß für unsere Produktion gerade das gestaltende Handwerk stets von grundlegender Bedeutung ist. EINLEITUNG

13

14

H E L L E S GLAS U N D K L A R E S

LICHT

Oft unterschätzt wird die Freude gemeinsamen Schaffens, die die Inhaber mit bedeutenden Designern ihrer Zeit in einer passionierten Zusammenarbeit erleben durften. Nicht über Honorare, über Verträge wurde etwa zwischen Theophil Hansen und Ludwig Lobmeyr, zwischen Josef HofFmann und Stefan Rath, oder zwischen Oswald Haerdtl und Hans Harald Rath gesprochen, sondern über die stolzen Ergebnisse in Glas, über den gemeinsamen Erfolg. Solche gemeinsamen Ergebnisse zeigte Lobmeyr dann bei internationalen Ausstellungen, gelungene Arbeiten gingen in die Glasgeschichte ein ... Unsere Aufgaben sehen wir im Bewahren - gleichzeitig aber auch in der andauernden Neu- und Weiterentwicklung! Das eine ist die Wurzel, das andere ist die Knospe, aus der allein nachhaltiges Bestehen begründet werden kann. Niemals galt es, Modisches, Kurzlebiges oder gar Billiges anzubieten. Ehrlich Handwerkliches und eine preisgerechte Qualität sind es, die die Marke und den Namen Lobmeyr in aller Welt ausmachen; keine falsche Werbung soll dem Kunden Falsches vortäuschen. Wir bemühen uns, zu führen, nicht zu verführen. So finden sich unzählige Klassiker in unserem Verkaufsprogramm, die schon über 100 Jahre lang und noch heute Gültigkeit haben, so wie zur Zeit ihrer Entstehung. Ein eminent wichtiger Aspekt scheint uns die persönliche Mittlerrolle unserer Firma (und deren Inhaber) zwischen der Produktion und dem Kunden. Einerseits sind wir eng mit dem Glasmacher am Ofen, viel mehr noch mit unseren Graveuren, Schleifern und Lustergürtlern verbunden, andererseits ist die persönliche Einbeziehung des auftragerteilenden Kunden von größter Wichtigkeit. Dazu bedarf es eines gewissen Feingefühls und eines 3 (linke Seite): Die Lustergruppe im Foyer der neuen Metropolitan Opera in New York, 1966,

umfangreichen Fachwissens über unser faszinierendes Material - Glas

die wir laufend von Generation zu Gene-

ration überliefert haben. Nur so gelingt es, bleibende

richtungsweisendes Symbol für

Freude zu vermitteln, festliche Tischkultur und repräsen-

die »Lobmeyridee« der Moderne

tatives Licht zu schaffen. EINLEITUNG

15

Besonders wichtig erscheint es uns, stets Produkte für den direkten Gebrauch anzubieten. Auch wenn viele unserer Werke in den bedeutendsten Museen der Welt zu sehen sind, sollen diese Arbeiten nie als Kunst angesehen werden, sie sind vielmehr Kunsthandwerk im guten alten Sinn. Wenn wir uns stets rege an großen Ausstellungen in Osterreich, in Europa und Ubersee beteiligen, so gilt es, mit speziellen Kreationen bestes österreichisches Handwerk zu dokumentieren, in diesem Sinn auch Schulung zu betreiben und die schier unbegrenzten Möglichkeiten, die im Glas schlummern, aufzuzeigen. Es darf als Glück bezeichnet werden, daß alle bisherigen Generationen sowohl Zeichnungen als auch Gläser in großer Vielfalt, ja sogar vereinzelte Lusteroriginale aufbewahrt und damit unsere Historie prachtvoll dokumentiert haben. Für das Publikum und für den forschenden Wissenschaftler zählt hier das »Wiener Glasmuseum« im Stammhaus in der Kärntnerstraße und das — derzeit noch zweigeteilte - Archiv von Hütten-Formschnitten, Korrespondenzen und Ehrendokumenten. Den noch immer in Böhmen verwahrten, international anerkannten Teil des Wiener Gesamtarchives hoffen wir in Kürze wieder nach Wien überstellen zu können. Als Zeichen unserer Verantwortung, das Erbe zu bewahren und weiterzureichen, können wir mit gewissem Stolz auf das wohl einmalige Geschäftslokal in der Kärntnerstraße 26, aber auch auf die Übernahme und Renovierung der Firma Jos. Zahn & Co. in der Salesianergasse 9 verweisen. Beide Wiener Architekturjuwele haben wir, zusammen mit dem Architekten Roderich Proksch und unter der Bauleitung von Stefan Rath, in den letzten zehn Jahren sowohl in der Innenraumgestaltung als auch Portal und Fassaden liebevoll renovieren lassen. Was uns aber im besonderen prägt, ist die Liebe zum Detail, bei den Produkten, aber auch bei den vielen, oft ehrenamtlichen Bemühungen um eine Belebung der allgemeinen Glas- und Handwerkskultur. Nicht nur, was wir l6

HELLES GLAS UND KLARES

LICHT

heute verkaufen, zählt, auch was wir mit unseren hochqualifizierten Mitarbeitern durch Restaurierung wieder lebendig machen können, liegt uns besonders am Herzen. Wir danken mit diesen Zeilen in besonderem Maße unseren Frauen und Kindern für ihre Geduld und ihre Mithilfe, unseren Mitarbeitern, mit denen wir Glasideen erst verwirklichen können, den vielen Entwerfern und unseren treuen Kunden. Besonders danken wir S. D. Karl Fürst von und zu Schwarzenberg und unserem Freund Prof. Dr. Franz Eckert für die Vorwortgestaltungen. Hohe Anerkennung gebührt Herrn Dr. Peter Rauch und seinem Team beim Böhlau Verlag, wo aus unserem Material dieses Buch entstanden ist. Dies ist eine Familienchronik, eine Jubiläumspublikation und ein Handbuch zugleich. Die Autoren sind die drei derzeitigen Inhaber Harald, Peter und Stefan Rath, zusammen mit ihren drei Söhnen Andreas, Leonid und Johannes; es ist daher ein sehr persönliches Buch geworden. Die Kapitel über Josef Lobmeyr sen. sowie über Josef und Ludwig Lobmeyr sind dem Buch »100 Jahre österreichische Glaskunst« von Robert Schmidt entnommen. Das Kapitel über Stefan Rath basiert auf dem Band »Stefan Rath — Lobmeyr« von 1962. Nach der gelungenen Wiener Konferenz der Internationalen Vereinigung für die Geschichte des Glases im August 1991 war von den Museen in Düsseldorf, Prag und Wien angeregt worden, die Firmenarchive der alten Firma gemeinsam wissenschaftlich zu bearbeiten und diese mit einer Wanderausstellung zum Jubiläum 1998 zu publizieren. Aus verschiedenen Gründen ist es bisher zu einer solchen Zusammenschau nicht gekommen. Dieses Buch soll daher, aus der Feder unserer Familienmitglieder stammend, den 175 Jahre jungen Betrieb einem breiten, glasinteressierten Publikum nahebringen, soll anregen, unser Geschäft und unser Wiener Glasmuseum allein oder mit Freunden zu besuchen. EINLEITUNG

Harald Rath nach Robert Schmidt

JOSEF L O B M E Y R SEN.

GESCHÄFT UND

(1823-1855)

FAMILIE

Das älteste noch vorhandene Geschäftsbuch der Firma Josef Lobmeyr beginnt am 1. Februar 1823. Da nicht genau festzustellen ist, an welchem Tag Lobmeyr seinen beschei-

F

»

04

denen Glaserladen in der Weihburggasse in Wien eröffnete - es kann auch schon im November 1822 gewesen sein —, datiert die zu Weltruhm gelangte Firma Lobmeyr ihre Gründung auf jenen aktenmäßig belegten 1. Februar 1823.

4: Josef Lobmeyr sen., der Grün-

Josef Lobmeyr wurde am 17. März 1792 in Grieskirchen

der, nach einem Gemälde von

(Oberösterreich) als Sohn des dortigen bürgerlichen Fär-

Franz Eybl, 1867

bermeisters Mattias Lobmeyr und seiner Ehefrau Theresia, geb. Hölzlin geboren. Seine Lehrjahre verbrachte er bei seinem Großonkel, der den größten Einkehrgasthof im Orte hatte und nebenbei die Glaserei betrieb. Dann war er als Geselle beim Glaser im nahen Lambach (zwischen Linz und Salzburg) tätig. Aber es zog ihn weiter in die Hauptstadt. Er fand zuerst um 1818 bei einem Glaser in einer der südlichen Wiener Vorstädte Beschäftigung, dann im Geschäft Hohenrieder am Graben. Die Abhängigkeit behagte jedoch dem lebendigen, unternehmungslustigen Geist ganz und gar nicht. 300 Gulden hatte er sich erspart, weitere 300 Gulden borgte er sich dazu und eröffnete damit kurz vor oder nach dem Beginn des Jahres 1823 einen kleinen Laden in der Weihburggasse, im Hause »Zur Kaiserin von Österreich«, einem der besten damaligen Gasthöfe Wiens (das heutige Hotel »Kaiserin Elisabeth«), Das Glück war dem fleißigen und soliden Geschäftsmann hold; bald war der Laden zu klein, und schon Anfang 1824 übersiedelte er in das schräg gegenüberliegende Eckhaus Kärntnerstraße Nr. 940, in dem er ein auf die Weihburggasse gehendes Gewölbe bezog. Einige Jahre JOSEF LOBMEYR SEN.

21

später mietete er im gleichen Haus ein Mittelgewölbe in

5: Einreichplan zum Geschäfts-

der Kärntnerstraße dazu, das durch dunkle Magazin-

portal ca. 1842 im Haus N r 940,

räume mit dem alten Lokal verbunden war, bis es ihm gelang, im Jahr 1844 den kleinen Laden mit dem großen Eckgeschäft zu tauschen, sodaß er nunmehr über die gesamte Häuserfront zwischen Weihburggasse und Kärntnerstraße verfügte. In diesen Räumen blieb das Geschäft dann 72 Jahre lang bis zum Abbruch des Hauses. Als Lobmeyr das Geschäft gründete, war er weder Meister noch Bürger. Beides holte er im Jahr 1824 nach. Sein Meisterstück muß er zur Zufriedenheit der Beschaumeister ausgeführt haben, denn im Meisterbuch der bürgerlichen Glaser und Glashändler in der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien findet sich folgender Passus: »1824, den 29. Juli ist der Herr Joseph Lobmayer gebürtig von Grieskirchen in Oberösterreich dem hiesigen Mittel der bürgl. Glaser und Glashändler einverleibt worden, hat das Gewerb nach Zurücklegung seiner Befugniss von den bl. Magistrat als Neues Bürgerrecht erhalten und es in der Stadt auszuüben. Philipp Lechtaller, Obervorsteher.« Am 13. August 1824 wurde ihm der Bürgerbrief ausgehändigt. Einige Jahre später, am 19. August 1827, fand die Trauung Josef Lobmeyrs mit der am 6. Dezember 1803 gebo22

FIRMENGESCHICHTE

Weihburggasse, Ecke Kärntnerstraße

renen Wiener Kleinbürgerstochter Aloisia Dobrafsky in der erzbischöflichen Churkapelle zu St. Stephan statt. Die junge Frau war ebenso energisch wie umsichtig, ebenso klug wie bildungseifrig. Sie leitete mit großer Umsicht das Geschäft, wenn ihr Mann verreist war, führte den großen Haushalt und versorgte die Kinder. Die Zahl der Gesellen, die nach damaligem Brauch Wohnung und volle Verköstigung im Hause hatten, wuchs rasch, sodaß bald an die dreißig Personen zu versorgen waren. Von den neun Kindern, denen Frau Aloisia das Leben schenkte, überlebten sie nur fünf: Josef (geb. am i. Februar 1828), Ludwig (geb. am 2. August 1829), Franz (geb. am 15. Oktober 1830), Louise (geb. am 25. April 1832) und Mathilde (geb. am 14. März 1839). Es mag von Interesse sein, was Ludwig Lobmeyr in seinen Aufzeichnungen von der damaligen Lebens- und Geschäftsführung im Hause seiner Eltern erzählt: »Das Geschäft wurde, nachdem die Gesellen ein einfaches Frühstück erhalten hatten, um 7 Uhr eröffnet; um 12 Uhr ging ein Teil derselben, um halb 1 Uhr der andere zum Mittagstisch, und als wir zwei älteren Brüder nicht mehr zur Schule gingen, speiste je einer von uns an dem einen und anderen Gesellentisch mit. Die Eltern und anderen Geschwister kamen um 1 Uhr daran. Um 5 Uhr war für uns Familie Jausenkaffee, um 8 Uhr wurde das Geschäft gesperrt, dann nachtmahlten wir und die Gesellen gesondert. An Sonn- und Feiertagen dagegen war nicht nur gemeinsamer Tisch, sondern auch regelmäßig unser jeweiliger Hauslehrer, dann gelegentlich die Großeltern oder sonst wer zugegen ... Nach des Vaters Tode entfiel der Sonntagstisch, dann wurden die Verheirateten ganz freigelassen, auch konnte sich jeder sein Wohnen selbst besorgen, und als bald die Mutter starb, erhielten alle Kostgeld. Mit dem alten Brauch war's zur beiderseitigen Befriedigung aus, er hatte sich überlebt, wenigstens für unser Haus.« Josef Lobmeyr, der auch unter seinen Berufsgenossen rasch zu Ansehen gelangte, da er schon 1835

Untervor-

steher der Genossenschaft Glaser, Glashändler und GlasJOSEF LOBMEYR SEN.

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Schleifer in Wien fungierte, ließ seinen Kindern eine höchst sorgfältige Erziehung angedeihen. Die beiden älteren Söhne traten nach Absolvierung der Schule als Lehrlinge in das väterliche Geschäft ein, wurden - den Innungsvorschriften gemäß — zu Gesellen freigesprochen und mußten ihr Meisterstück machen. Der älteste Sohn Josef widmete sich bald mehr den Schreibarbeiten, während Ludwig von früh auf große Neigung zum Zeichnen besaß und sich daher mehr mit den künstlerischen Aufgaben des Geschäftes befaßte. Beide aber mußten sie, wie die übrigen Angestellten, auch als Verkäufer im Laden tätig sein. Am 2. August 1838 wurde das gesamte Warenlager und die Gewölbeeinrichtung der Konkurrenzfirma Janke & Görner am Kohlmarkt für 8.400 Gulden aufgekauft. Und zu Beginn des Jahres 1848 (nach der Erstürmung des Hauses »Zum Fürsten Metternich« durch rebellierende Studenten und der Zerstörung der Auslagen und Einrichtungen im März) wurde dann nach Zeichnungen des Architekten Wapperle die gesamte Front des Geschäftshauses mit ihren großen Schaufenstern und Eingängen an der Weihburggasse und Kärntnerstraße ebenso wie die gesamte Inneneinrichtung neu und gestaltet. Von da an war das Geschäft nicht nur das erste, sondern auch das weitaus ansehnlichste seiner Art in Wien. Das schöne Aquarell Rudolf Alts aus dem Jahr 1889 gibt ein ausgezeichnetes Bild des stattlichen Hauses; das »Portale« allerdings, die Schaufensterfront, zeigt den im Jahr 1860 durch Siccardsburg hergesteilen Zustand. Aus den Jahren davor stammt die liebenswürdig-biedermeierliche Geschäftskarte, die sowohl das damalige Äußere des Hauses, mit dem Fürsten Metternich an der Ecke, als auch das für die Zeit sicher sehr ansehnlich eingerichtete Innere des Ladens zeigt. Aus dem Text dieser Geschäftskarte geht aber auch hervor, daß Lobmeyr inzwischen seine Tätigkeit nicht mehr lediglich auf den Glashandel beschränkt hatte; er nannte sich nun »Besitzer der Glasfabriken Marienthal und Zwechewo in Slavonien«. 24

FIRMENGESCHICHTE

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ÙRST

6: Die Geschäftskarte Josef Lobmeyrs mit Fassade und dem alten »G'wölb«, um 1843 im Hause »Zum Fürsten Metternich«, zeigt die ins jetzige Lokal übersiedelten Eichenstellagen und das alte Verkaufspult.

metterne

Zusammen mit einem gewissen Joseph Kempf pachtete Lobmeyr im Jahr 1837 die dortige, der gräflich Pejacsevichschen Herrschaft gehörende Glashütte in Marienthal gegen eine Pachtsumme von 1000 Gulden auf 12 Jahre. Lobmeyr scheint aber weder große Freude noch großen Gewinn damit gehabt zu haben. Kempf war Direktor der Hütte, ließ sich aber bald Unregelmäßigkeiten zuschulden kommen, sodaß er gerichtlich belangt und entlassen werden mußte. Daraufhin engagierte Lobmeyr als Leiter der Hütte Georg Trnka, der bereits auf der in Bergreichenstein im Böhmerwald gelegenen Glasfabrik von Johann Baptist Eisner & Sohn tätig gewesen war. Die Hütte brauchte ständig Zuschüsse; Lobmeyr mußte jedes Jahr nach dem Rechten sehen, konnte aber nicht helfend eingreifen, weil ihm die technischen Vorkenntnisse fehlten. Noch vor 1839 war der unternehmerische Mann nach Paris und London JOSEF LOBMEYR SEN.

2$

gefahren und dabei in Frankreich in die Glasfabrik St. Louis gekommen, wo — wir folgen jetzt den Aufzeichnungen Ludwig Lobmeyrs — »brillantiertes Pressglas als epochemachende Neuigkeit in Menge erzeugt wurde. So wurden wohl eine Maschine und Pressmodelle in Marienthal angefertigt, welche sich aber als untauglich erwiesen. Es gelang dem Vater, sich Maschinen und Formen aus Frankreich zu verschaffen, die taugten. Aber unser Glas war zu hart, unsere Erzeugnisse waren nicht mit den französischen zu vergleichen.« Derartige Mißerfolge aber konnten Lobmeyr nicht von seinen Zielen abbringen. Im Gegenteil, als sich im Jahr 1841 die Möglichkeit bot, noch eine weitere Glashütte zu betreiben, griff er sofort zu. Es handelte sich um das nicht allzuweit von Marienthal gelegene Zwechewo, wo er mit einem gewissen Karl Sigismund Hondl zusammen eine Glasfabrik errichtete. Am 24. August 1841 schlössen dann Lobmeyr und Hondl in Wien einen Gesellschaftsvertrag ab. Die Firma hieß Hondl & Lobmeyr; die abgebildete Geschäftskarte zeigt eine Ansicht der Hütte mit allen zugehörigen Wohn- und Werksgebäuden. (Beide Hüttenplätze wurden von Beate und Peter Rath am 22. August 1997 wiederentdeckt und genauestens kartographiert.) Hondl, der bisher eine andere Glashütte — in Jankowacz bei Daruvar - betrieben hatte, übernahm die Oberaufsicht gegen ein jährliches Gehalt von 600 Gulden, die brauchbaren Materialien und Werkzeuge der aufgelassenen Hütte wurden entsprechend dem realen Wert als bare Einlage übernommen, ebenso wurden etliche Arbeiter von dort hier wieder eingestellt. Die besseren, feineren Artikel sollten — gemäß dem oben angeführten Kontraktparagraphen — in Zwechewo gearbeitet werden. Wegen der stets mangelhaften Buchführung mußte Lobmeyr häufig nach Slawonien reisen, wobei er immer einen seiner Söhne mitnahm; 1848 wurde dann Ludwig Lobmeyr allein mit der Ordnung der dortigen Geschäfte betraut. Als die zwölfjährige Pacht von Marienthal im Jahr 1848 ablief, erneuerte Lobmeyr sie nicht. Ab 1850 war ein Prozeß gegen Hondl anhängig, der unendlichen Aufwand an 26

FIRMENGESCHICHTE

Zeit und Mühe kostete und damit endete, daß vom 5. Juli 1851 an die Firma Lobmeyr Alleinbesitzerin der Hütte war. Josef Lobmeyr erlebte das ersehnte Ende des Unternehmens nicht mehr. Erst im Januar 1857 konnte Ludwig Lobmeyr das »slavonische Abenteuer«, wie er es selbst nennt, endgültig liquidieren. Das hineingesteckte Kapital war zwar gerettet, aber um den Preis von Ludwig Lobmeyrs Gesundheit, die durch die anstrengenden Reisen Zwechewo i üve££)iruk VUCHIN8AN

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nach Marienthal und Zwechewo dauerhaft angegriffen war. Uber die Liquidierung des Hüttenbetriebes ist eine spannende Familiengeschichte überliefert: Als Ludwig mit einigen tausend Gulden in harter Silbermünze, dem Verkaufsgeld der Hütte, nach Wien zurückkehren wollte, wurde er von den Räuberbanden im Bakonyerwald gewarnt. Sein Fuhrwerk mit dem schweren Geldkoffer wurde dann tatsächlich überfallen. Ludwig spielte vorerst den nachgiebigen und einsichtigen Kavalier und lud die Räuber sogar zu einem Abschiedsmahl. Dort wurde jede

7: Die Hüttenkapelle auf der

Menge Champagner, Tokayer und Schnaps serviert. Als

Geschäftskarte von 1850 und

die Geldräuber dann allesamt betrunken waren, gelang

heute

dem Juniorchef unbemerkt die Flucht. Unbeschadet erreichte er mit seinem Silberschatz Wien und erfuhr hier eine besondere Belobigung durch seine Mutter. Seit 1851 aber hatte Lobmeyr bereits seine Fühler in eine andere Richtung ausgestreckt. Um nicht von anderen Firmen abhängig zu sein, errichtete er in Blottendorf bei Haida eine eigene Raffinerie. Ein Verwalter überwachte die Weisungen des Wiener Hauses und sorgte für den Versand der fertig verzierten Gegenstände nach Wien. Es war wohl das erste Mal, daß eine auswärtige Firma den Mut hatte, dort ein Zweigunternehmen für den eigenen Bedarf zu gründen. Diese direkten Beziehungen zum nordböhmischen Glasbezirk sind bis heute aufrecht; später trat lediglich Steinschönau an die Stelle von Blottendorf. Über die privaten Lebensverhältnisse Josef Lobmeyrs und seiner Familie seien hier nur noch einige wenige Angaben gemacht. Anfang 1849 erwarb Lobmeyr ein Landhaus in Währing, das von nun an, durch Sohn Ludwig völlig umgebaut und JOSEF LOBMEYR SEN.

2-7

renoviert, der Familie als Sommerwohnung diente, während man im Winter jetzt in der Seilergasse wohnte. Am 28. Mai 1851 heiratete Louise Lobmeyr den Glasfabrikanten Wilhelm Kralik in Eleonorenhain bei Winterberg (Böhmerwald). Durch diese Heirat knüpften beide Familien, die seit Jahrzehnten bereits in regem geschäftlichem Kontakt miteinander gestanden hatten, nun auch enge verwandtschaftliche Beziehungen. Die jüngste Tochter Mathilde vermählte sich am 26. November 1864 mit dem angesehenen Wiener Geschäftsmann August Rath. Der jüngste Sohn aus dieser Ehe war Stefan Rath, der spätere Inhaber der Firma. Am 8. Mai 1855 erlag Josef Lobmeyr unerwartet einem Gehirnschlag. Er wurde am 10. Mai auf dem Friedhof zu St. Marx begraben. Formell war das Geschäft schon seit längerer Zeit dem erstgeborenen Sohn Josef übertragen worden, der seinen Bruder Ludwig am 21. April 1860 als Gesellschafter aufnahm. Seitdem fuhrt die Firma den Namen J. & L. Lobmeyr, der bald Weltgeltung erlangen sollte und bis heute seinen ehrenvollen Klang behauptet hat. »Josef Lobmeyr, dessen Bildung von Haus aus gering, dessen Rührigkeit und Weltsinn aber bewunderungswürdig stark waren und sich auf seine Söhne vererbte, denen er alles bot, was sich damals auf Schulen lernen ließ, war einer von jenen Altwienern, die das Pfahlbürgertum abstreiften und auch ins Ausland gingen, um zu lernen.« (Eduard Leisching: »Ludwig Lobmeyr«, Wiener Drucke, 1925, S.5)

DAS

WERK

Der Schwerpunkt der Tätigkeit von Josef Lobmeyr lag im Verlagsgeschäft, das er als Vermittler zwischen Produzenten und Konsumenten führte. Natürlich war er anfänglich in der Hauptsache von Erzeugnissen der ihn beliefernden böhmischen und anderen Hütten abhängig. Aber wir werden sehen, daß er schon frühzeitig auf die 28

FIRMENGESCHICHTE

8: Papierschnitte aus der frühe-

besondere Form und Art der Waren, die er bestellte, Ein-

sten Zeit als Arbeitsunterlage für

fluß nahm.

die Glashütte; hier das erste Burgservice Nr. 2

Die Glasproduktion jener Zeit, während der Josef Lobmeyr sein Geschäft in Wien leitete, also von 1823-1855, ist klar gekennzeichnet durch das Wort »Biedermeierstil«. Die Gründung des Hauses fiel genau in die Zeit, in der sich die letzten Ausläufer des Empirestils mit ihren ruhigen Formen, ihrer relativ schlichten Dekoration und dem bevorzugt verwendeten farblosen Glas mit Tendenzen der Biedermeierzeit zu vermischen begannen, deren immer stärkere Farbenfreudigkeit gegen Mitte des Jahrhunderts oft in richtige Farbenorgien ausartete - nicht nur in der Farbigkeit des Glases selbst, sondern auch in der Bemalung, die sich in der Erfindung immer neuer, möglichst komplizierter Schliffdekorationen auch am farblosen Glas überbot. Natürlich konnte sich Lobmeyr, als Kind seiner Zeit, dem Einfluß dieser Modeströmung nicht entziehen. Was neu, was Mode war, mußte er seiner Kundschaft vorfuhren, sonst hätte er geschäftlich nicht arrivieren können. Der Ausdruck »retrospektiv« des späteren Historismus JOSEF LOBMEYR SEN.

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fehlte damals noch im Wortschatz des Bildungsbürgertums. Aus dem ersten Geschäftsbuch Lobmeyrs aus dem Jahr 1823 erfahren wir wenigstens einige der Quellen, von denen er sein Glas bezog: Silberberg, Ernstbrunn und Neuwelt. Neuwelt war die beste Glashütte Nordböhmens, die dem Grafen Harrach gehörte. Man stellte dort geschnittenes und geschliffenes Glas, Farbenglas, Malerei, Vergoldung, eingeglaste Pasten u.a. her. Silberberg war eine von Josef Meyr 1771 errichtete, später vom Grafen Bucquoy übernommene Hütte in der südböhmischen Herrschaft Gratzen, die neben geschliffenem Kristallglas seit 1820 als Spezialität das rote und schwarze Hyalith erzeugte. Dann kamen die Meyrschen Hütten in Adolf (gegründet 1816) und Eleonorenhain (gegründet 1833) bei Winterberg im Böhmerwald hinzu. Die Hütten der Familie Meyr wurden im Laufe der Zeit die Hauptlieferanten der Firma Lobmeyr, sowohl für das Rohglas wie auch für die veredelte Ware. Man sieht, daß Josef Lobmeyr gleich von Anfang an die besten böhmischen Glashütten für sein junges Unternehmen engagierte und sie hier nach eigenen »Mustern und Zeichnungen« arbeiten ließ. Er nahm schon damals persönlichen Anteil an der Formgebung und Dekoration der Waren. So bestellte er u.a. brillantierte Becher und Ranft-Service. Die Ranft-Service sind von jener gefälligen Form, die hauptsächlich durch die zierlich bemalten Becher Kothgassers bekannt geworden ist. Die erste Eintragung im Geschäftsbuch vom 1. Februar 1823 ist ein Service für 12 Personen; solche Service waren damals recht reichhaltig, sie bestanden aus sechs Wasserflaschen, sechs Weinflaschen, zwölf Bechern und je zwölf Gläsern für Champagner, Bordeaux, Madeira, Tokaier und Likör — natürlich alle in verschiedenen Größen und Formen. Die im Österreichischen Museum für angewandte Kunst in Wien verwahrten 18 Folianten der »Werkzeichnungen« geben einen ausgezeichneten Überblick über das Aussehen der Service, die Josef Lobmeyr verkaufte. 52 verschiedene Servicearten wurden von ihm angeführt; sämt30

FIRMENGESCHICHTE

9: Ranftbecher mit Darstellung der Wiener Karlskirche von Anton Kothgasser, ca. 1830 (Sammlung Lobmeyr)

liehe Einzelformen dieser Service sind im Firmenarchiv, in genauen Papierschnitten, die als Muster für Nachbestellungen dienten, erhalten. (In den Textabbildungen haben wir einige dieser Papierschnitte zusammengestellt, die für die Frühzeit, von 1825—1830, besonders charakteristisch sind. Schlichtere und komplizierte Formen wechseln einander ab.) Im ganzen werden 32 Muster als »böhmisch« bezeichnet, sechs als »englisch«, drei als »belgisch« und eines als »französisch«. Diese letzteren vier Muster wurden erst 1850 aufgenommen. Das »mit flachen Prismen geschliffene« Service Nr. 52 wird als »nach eigenen Zeichnungen« beschrieben. Dieser io: Zeichnung »Mustertafel«: Biedermeierluster um 1840

Zusatz kommt sonst nur noch ein einziges Mal bei den Servicen dieser frühen Zeit vor, u.zw. bei dem glatten, »nach belgischem Muster« um 1850 hergestellten Service Nr. 7. Wir gehen sicherlich nicht fehl in der Annahme, daß es sich hier um erste Versuche Ludwig Lobmeyrs handelte, der später, von 1854 an, die Mehrzahl der neuen Service selbst zeichnete. Sicher ist wohl, daß die Formen — mit den von der Wiener Firma gewünschten Veränderungen und Verbesserungen — in den mit Lobmeyr besonders liierten böhmischen Hütten in Auftrag gegeben wurden. Auch die eigenen slawonischen Hütten der Firma werden einen Teil davon übernommen haben. (Ein Musterschutz an der Produktion existierte damals noch nicht.) Neben diesen Trinkservicen figurieren in den »Werkzeichnungen« besondere »Dessertservice«, die aus Deckeldosen, Tellern, Kompottschalen, Kännchen, hohen Aufsätzen, Vasen und Blumenständern, den Leuchtern und sonstigen zahlreichen Formen bestehen. Sie traten aber erst ab 1845 auf; später, nach 1860, korrespondierten sie im Dekor genau mit den Trinkservicen. Mit der Zeit erweiterte Lobmeyr seine Geschäftsverbindungen. Aus dem »Bericht über die erste allgemeine österreichische Gewerbsproduktenausstellung im Jahr 1835« erfahren wir, daß er Kommissionslager für Johann Meyr in JOSEF LOBMEYR SEN.

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y¿

FIRMENGESCHICHTE

Adolf, für Friedrich Egermann in Haida sowie ftir Joseph Lötz bei Bergreichenstein unterhielt. Bei allen diesen Ausstellungsobjekten handelte es sich in erster Linie um Luxus- und Gebrauchswaren aus Kristall- und Farbenglas mit Schliffdekor. Spiegel haben sicherlich von Anfang an einen bedeutenden Teil des Lobmeyrschen Glashandels ausgemacht. Aus dem Ausstellungsbericht der zweiten allgemeinen österrreichischen Gewerbsproduktenausstellung von 1839 wird ersichtlich, daß Lobmeyrs Tätigkeit in Marienthal sich nicht auf Preßglas beschränkte, sondern daß er die Techniken des Farbenglases, des Uberfangs, der Schmelzfarbenbemalung, der Vergoldung und Versilberung sowie des Schliffes beherrschte. Wie die besonders prunkvollen Erzeugnisse ausgesehen haben, davon gibt uns die bereits erwähnte, auf Seite 25 abgebildete, zwischen 1842 und 1848 entstandene Geschäftskarte eine Vorstellung, auf der Tafelaufsätze, Kannen, große Prunkvasen, Gläser u.a. in den üblichen überreichen Formen jener Zeit abgebildet sind. Auf der dritten allgemeinen österreichischen Gewerbeausstellung in Wien 1845 stellte Josef Lobmeyr »Bronzeluster mit Krystall-Prismen behängt, Wandleuchter, Gasluster, Lampen von geschliffenem Farbenglase mit Bronze montiert« aus. Er erhielt dafür wieder eine ehrenvolle Erwähnung. Die Luster und übrigen Beleuchtungskörper bildeten einen erheblichen Teil des Geschäftes. Die in der Abbildung (Seite 31) wiedergegebene Lusterzeichnung ist eine typische »Mustertafel«, der abgebildete Luster dürfte, nach dem Charakter der Blumenvase im oberen Teil zu schließen, um 1840 entstanden sein. Klarer Aufbau, Leichtigkeit Ii (linke Seite): Großer geschliffener Kristallkrug, mit großer Wahrscheinlichkeit ein Produkt

im Behang und eine sichere Berechnung der Wirkungsmöglichkeiten des Lichtes auf die verschieden geformten Glasbehänge, Prismen, Pyramiden usw. lassen sich gut

aus der Lobmeyrschen Glas-

erkennen. Die Metallteile sind dabei auf das möglichste

hütte Zwechewo in Slawonien

Minimum reduziert.

um 1850

Sehr oft hat Lobmeyr - wie übrigens auch seine NachJOSEF LOBMEYR SEN.

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folger - nach alten Mustern gearbeitet; gerade für den Luster hat das 18. Jahrhundert so unübertroffen gute Lösungen gefunden, daß man einfach nichts Besseres mehr schaffen konnte, solange die Kerzenbeleuchtung in Gebrauch war. Alle Versuche, den Glasluster umzugestalten, sind gescheitert. Im 18. und letzten Band der im Österreichischen Museum für angewandte Kunst aufbewahrten »Werkzeichnungen ausgeführter Gegenstände von J. & L. Lobmeyr« ist eine ganze Reihe von Lustern abgebildet; in den Beschriftungen der meisten Stücke hat Ludwig Lobmeyr offen erklärt, daß sie nach alten Mustern gezeichnet worden sind. Der erste offizielle Lusterauftrag, den die Firma in den 1840er Jahren erhielt und der vorwiegend aus Glas bestehende Luster aus österreichischer Erzeugung vorschrieb, war für den Ballsaal der österreichischen Botschaft in St. Petersburg bestimmt. Im Jahr 1848 siegte Lobmeyr in einem Wettbewerb um die Beleuchtungseinrichtung des Palais des Vizekönigs von Ägypten gegen die englische Konkurrenz. Es wurde ein im wahrsten Sinne des Wortes großartiger Auftrag für Krön- und Wandleuchter, der die Firma auf lange Monate hinaus beschäftigte. Die Kerzen mußten durch lange Tulpen (Vanusen) gegen Luftzug geschützt werden. Die Werkzeichnungen führte der Sohn Ludwig Lobmeyr aus; die Glasteile wurden in böhmischen Hütten (Harrach) in Auftrag gegeben, die Bronzeteile nach den von Lobmeyr angefertigten Modellen von Sigmund Wand in Wien gegossen. Im November 1849 war die Arbeit fertig und Josef Lobmeyr jun. begab sich mit einem Bronzearbeiter nach Kairo, um die Luster, Wandleuchter und Kandelaber zusammenzusetzen und aufzustellen. Im Jahr 1854 hatte die Firma u.a. auch für die Ausstattung des Palazzo Reale im damals noch zur Monarchie gehörenden Venedig zu arbeiten. Ehe wir von Josef Lobmeyr sen. Abschied nehmen, müssen wir noch auf eine Quelle hinweisen, die über jene Verkaufswaren Aufschluß gibt, die zur damaligen Zeit als die kunstvollsten angesehen wurden. Im Technischen Mu34

FIRMENGESCHICHTE

seum für Industrie und Gewerbe in Wien ist eine große Anzahl von Gläsern erhalten, die teils aus dem 1819 gegründeten »Technischen Kabinett« des Kronprinzen Erzherzog Ferdinand, teils aus dem »Fabriksprodukten-Kabinett der k.k. Technischen Hochschule« stammen. Das Kabinett hatte den Zweck, »zur fortlaufenden Orientierung eine möglichst praktische Übersicht über den jeweiligen Zustand der inländischen Industrie zu geben«. Wir haben es also mit einer Musterschau dessen zu tun, was in technischer und künstlerischer Hinsicht damals ganz besonders geschätzt wurde. Unter den jetzt im Technischen Museum aufbewahrten Glasarbeiten befindet sich eine ganze Reihe von Stücken, die nach den alten Inventaren in der Zeit von 1837 bis 1852 von Josef Lobmeyr gekauft worden sind. Wir finden da die üblichen farbigen Uberfanggläser, mit reicher Vergoldung, mit Schliff, mit opaker und durchsichtiger Malerei, natürlich auch geschliffenes Kristallglas. Es ist sehr bedauerlich, daß sich nur ganz wenige Arbeiten erhalten haben, die mit Sicherheit als Produkte aus dieser ersten Periode des Josef Lobmeyr nachzuweisen sind; noch schwieriger wird der Nachweis zu Erzeugnissen aus den eigenen Hütten in Slawonien. (In der Familie wird die Geschichte überliefert, daß nach dem Tod des Vaters seine beiden Söhne den Großteil dieses alten Lagers auf Wagen verladen ließen und auf die Mülldeponie verbrachten — so überzeugt war man von der Verpflichtung, dem Kunden ständig stilistisch Neues präsentieren zu müssen.)

JOSEF LOBMEYR SEN.

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JOSEF & LUDWIG

LOBMEYR

Harald Rath nach Robert Schmidt

( 1 8 5 5 - 1 9 1 7 )

D I E FIRMA UNTER DER L E I T U N G VON JOSEF LOBMEYR JUN.

1855-1864

Nach dem Tod des Gründers der Firma im Mai 1855 übernahm der älteste Sohn, Josef, die Leitung. Im Verhältnis der beiden Brüder Josef und Ludwig änderte sich nichts; wie schon seit Jahren führte Josef den rein kaufmännischen Betrieb, während Ludwig für die künstlerische Weiterentwicklung tätig war. Im Herbst 1851 fuhren beide Brüder zur ersten Weltausstellung nach London, wo sie mit Freuden feststellten, daß die böhmische Glasindustrie neben der übrigen Konkurrenz durchaus bestehen konnte. Auf der Hinreise besuchten sie eine große belgische Glasfabrik — vermutlich

12: Moscheenampel mit

Val St. Lambert —, deren erstaunliche Arbeitsteilung sie

Emailmalerei, Vorbild für die

beeindruckte; die Rückreise ging über Paris.

islamisierenden Serien von

Nach dem Tod des Vaters erhielt die Firma bedeutende Aufträge, u.a. für die königliche Burg in Ofen, die Josef selbst ablieferte. Einige Jahre später, u.zw. am 12. Oktober 1859, nahm Josef seinen Bruder Ludwig dann als Gesellschafter in die Firma auf, die bald darauf, am 21. April 1860, unter dem noch heute gültigen Namen »J. & L. Lobmeyr« eingetragen wurde. Acht Tage darauf wurde den beiden Inhabern der Firma der Titel »k.k. Hofglaser und Hofglaswarenhändler« verliehen, der bis zum Ende der Monarchie in Geltung blieb. Nun beteiligte sich die Firma J . & L. Lobmeyr auch zum ersten Mal an einer Weltausstellung, u.zw. an der zweiten Londoner Ausstellung im Jahr 1862. Ludwig schreibt in seinen Erinnerungen: »Unsere Ausstellung war ... tatsächlich glitzernd, denn die vielen Gegenstände von Glas mit Bronzefassung, die Arm- und Kronleuchter mit ihren stets zitternden Glasbehängen, machten sie lebendi36

FIRMENGESCHICHTE

Lobmeyr

iy. Josef Lobmeyr jun. Daguerreotypie aus dem Jahr 1849 »nach seiner Rückkehr aus Egypten«

ger als irgend eine andere. Wir erzielten dadurch auch guten geschäftlichen Erfolg.« Diese Ausstellung spornte die Firma an, nach höheren künstlerischen Zielen zu streben und sich nicht mit dem Erreichten zufriedenzugeben. Der amtliche Katalog der Weltausstellung widmet der Firma J . & L. Lobmeyr eine ausführliche Erwähnung. Danach waren folgende Waren zu sehen: Luster, Armleuchter, Girandolen 1. in mittelalterlicher bzw. Renaissanceart, aus Kristallglas mit vergoldetem Eisen; 2. im Rokokostil, aus geschliffenem Kristallglas, reich verziert, mit vergoldeter Bronze; 3. aus Alabasterglas; 4. aus reich geschliffenem Kristallglas, teilweise in englischer Art, nach eigenen Zeichnungen. Weiters Trinkgefäße aus dünnem Kristallglas mit feiner Gravierung, Dessertservice aus geschliffenem und geschnittenem Kristallglas, mit Bronze montiert; Spiegel mit reich geschliffenen Glasrahmen. JOSEF & LUDWIG LOBMEYR

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Eine Vorstellung der Lobmeyrschen Ausstellung in London 1862 mag die gezeigte Abbildung vermitteln. (Der abgebildete Spiegel ist heute noch im Geschäft zu sehen.) Die im Osterreichischen Museum für angewandte Kunst verwahrten »Werkzeichnungen ausgeführter Glasgegenstände« der Firma lassen erkennen, daß die Zeit von etwa 1855 bis 1864 künstlerisch äußerst fruchtbar gewesen ist. Während von der Gründung der Firma bis zum Tod des alten Josef Lobmeyr 52 Trinkservice-Formen gefuhrt wurden und davon nur ein Service (Nr. 52; mit »flachen Prismen geschliffen«) als »nach eigenen Zeichnungen« ausgeführt bezeichnet wurde, entstanden in den folgenden neun Jahren rund 40 neue Service, großteils nach »eige-

14: J. & L. Lobmeyr auf der

nen Zeichnungen«. Wir können daher zu Recht anneh-

Weltausstellung London 1862.

men, daß Ludwig Lobmeyr selbst der entwerfende Zeichner gewesen ist. Hier zeigte sich der deutliche Stilwandel des Glases besonders gut. Die Muster mit dem schweren »Schilder-, Knorren-, Walzenschliff« im bisherigen Biedermeierstil traten stark in den Hintergrund, wogegen die glatten, teilweise mit Goldrändern versehenen Formen sowie der »Schälenschliff«, d.h. also eine schlichtere Facettierung, bei weitem überwogen. Die Gravierung, der Glasschnitt, war die zweite große Neuerung dieser Ubergangszeit; während bisher der schwere Schliff bevorzugt wurde, zeichnete Ludwig Lobmeyr jetzt immer häufiger Muster mit Gravierung. So um 1857 ein Service Nr. 69 mit Schilf- bzw. Weinlaubgravierung. Auch mit der Umzeichnung älterer Serviceformen beschäftigte sich Ludwig in dieser Zeit. So wurde das abgebildete Service Nr. 4 aus dem Jahr 1835 von ihm 1856 neu überarbeitet; hier fand er zu klassisch reinen Formen, die den zeitlosen Charakter des Selbstverständlichen besitzen und heute noch begeisterte Kunden finden. Außer den Trinkservicen, die stets unbestritten den Grundstock des Geschäftes ausgemacht haben, wurden natürlich auch andere Gegenstände in dieser Zeit formal weiterentwickelt. Das ersehen wir wieder aus den betref38

FIRMENGESCHICHTE

15: In 18 Bänden hat Ludwig Lobmeyr um 1892 seine neuesten Entwürfe im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie veröffentlicht.

16: Das Musselinglasservice

fenden Blättern der »Werkzeichnungen«. Die Dessertser-

Nr. 4 von 1856, nach Entwurf

vice, die fast immer den Trinkservicen entsprachen, zeig-

von Ludwig Lobmeyr, zählt heute, noch nach mehr als 140 Jahren zu den echten Klassikern.

ten schwere Formen mit Schliff, vielfach auch noch mit der reichen Farbigkeit der Biedermeierjahre, Renaissancegravierungen und enthielten ebenso Teile aus gewöhnlichem grünem Glas. Daneben fanden sich geschliffene und geschnittene Kristallpokale nach älteren Mustern, Flakons, Sturzflaschen, Likörsätze, Waschtischkrüge, Vasen nach französischen, englischen, venezianischen und böhmischen Vorbildern, natürlich auch Luster und die unzähligen anderen Gegenstände, die aus Glas hergestellt werden können. JOSEF & LUDWIG LOBMEYR

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Die beiden Brüder hatten große Pläne. Im Jahre 1862 kauften sie ein Grundstück an der Ecke Ringstraße/Weihburggasse, dort, wo heute das Palais Henckel-Donnersmarck steht. Sie wollten hier ein repräsentatives Geschäftshaus errichten und ließen die Pläne dazu von den berühmten Erbauern der Hofoper, Siccardsburg und Van der Nüll anfertigen. Der Gesundheitszustand Josef Lobmeyrs verschlechterte sich allerdings in einem solchen Maße, daß der Plan aufgegeben und das Grundstück wieder verkauft wurde. Aus demselben Grund wurde schließlich auch ein anderes Projekt nie realisiert, nämlich die Errichtung einer eigenen, mit allen technischen Errungenschaften des Auslands ausgestatteten Fabrik in Böhmen. Siccardsburg war bereits im Jahre 1860 von Josef Lobmeyr herangezogen worden, um dem alten Geschäftslokal eine neue Ladenfront zu geben. Dieses »Portale«, wie es auch das Aquarell Rudolf von Alts zeigt, blieb dann bis zum Abbruch des Hauses im Jahre 1895 bestehen. Nach längerem Leiden, das durch die schwere Krankheit und den Tod der Mutter wohl nicht unwesentlich beeinflußt wurde, starb Josef am 2. Juni 1864. Sein Bruder Ludwig setzt ihm in seinen Erinnerungen in kurzen Worten ein schönes Denkmal. Er schreibt: »Unser Zusammenwirken war gewiß stets das denkbar beste. Der Bruder war wohl weichen Gemütes, aber nicht empfindsam, nachsichtig gegen andere, aber sehr streng gegen sich selbst, ein tüchtiger Charakter durch und durch.« Ein Porträt von der Meisterhand Franz Eybls zeigt Josef Lobmeyr.

D I E FIRMA J. &

L . LOBMEYR UNTER DER

LUDWIG LOBMEYRS

FÜHRUNG

(1864-1917)

Ludwig Lobmeyr wurde am 2. August 1829 als zweiter Sohn geboren. Mit zwölf Jahren kam er in die Realschule des k.k. Polytechnischen Instituts, in der er zwei Jahrgänge absolvierte, um anschließend (1843-44) die kommerzielle Abteilung dieses Instituts zu besuchen. Zugleich belegte er 4O

FIRMENGESCHICHTE

17: Das zweite Geschäftshaus Nr. 940, Ecke Kärntnerstraße und Weihburggasse im Jahre 1889, nach einem Aquarell von Rudolf v. Alt

Kurse für Physik und Chemie, ging in die Zeichenschule Professor Zimmermanns im St. Anna-Gebäude und lernte Französisch, Italienisch und Englisch. Bereits am 13. September 1840, also mit elf Jahren, trat er als Glaserlehrling in das Geschäft seines Vaters ein. Hier absolvierte er nun seine praktische Schule. A m 17. September 1843 wurde er zum Gesellen freigesprochen, wie der erhalten gebliebene - allerdings erst am 23. Februar 1858 ausgestellte - Lehrbrief besagt. Am 17. Mai 1858 - also erst drei Jahre nach dem Tod des Vaters - wurde Ludwig Lobmeyr (nach dem Meisterbuch der bürgerlichen Glaser und Glashändler) »zum Meister einverleibt«, und am Tag darauf wurde ihm »ein Glasergewerbe für die innere Stadt und das Bürgerrecht verliehen«. Im Geschäft selbst hatten 18: Handzeichnung Ludwig

beide Söhne sich anfangs mit dem Verkauf zu befassen;

Lobmeyrs zu einem Glasluster,

wo es aber etwas zu zeichnen gab, war stets der jüngere

um 1850

Sohn Ludwig bei der Hand, während Josef mehr Neigung für die Schreibarbeiten zeigte. So dürfte etwa Mitte des 19. Jahrhunderts die Zeichnung eines Lusters entstanden sein, die einem Skizzenbuch Ludwigs entnommen ist, das vielseitige Motive, besonders aber Zeichnungen nach alten Gläsern aufweist. (1996 erhielt die Firma ein Photo dieses Lusters aus den U S A mit dem Hinweis, daß dieser seinerzeit für Kaiser Maximilian von Mexiko ausgeführt wurde und heute noch existiere.) Die abgebildete Skizze beweist eine außergewöhnliche Geschicklichkeit in der zeichnerischen Darstellung. Von früh auf wurden die Söhne auf Reisen mitgenommen: von der Mutter aufVergnügungs- und Erholungsreisen ins Gebirge, vom Vater auf Geschäftsreisen, besonders zu den Glashütten in Slawonien. Ab 1847 hielt sich Ludwig dann jedes Jahr für mehrere Monate in Marienthal und Zwechewo auf, um dort nach dem Rechten zu sehen. Diese verantwortungsvollen Missionen trugen viel dazu bei, ihn frühzeitig zur Selbständigkeit und Entschlußfreudigkeit zu erziehen und durch den ständigen Kontakt mit den Hüttenleuten, Schleifern, Graveuren und Malern seine technischen Kenntnissse zu vertiefen. JOSEF & LUDWIG LOBMEYR

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Aber auch böhmische Glashütten besuchte er häufig; im Revolutionsjahr 1848, in dem er und sein Bruder Josef der Nationalgarde beitraten und als Gardisten die Verteidigung des belagerten Wien und seine Einnahme am 31. Oktober miterlebten, kam er zum ersten Mal nach Neuwelt. Im nächsten Jahr besuchte er die Josefinenhütte und lernte Haida und Steinschönau im nordböhmischen Glasveredelungsgebiet kennen, das später für die Firma von großer Bedeutung werden sollte. Natürlich war er auch häufig in Adolf und Eleonorenhain, den Fabriken der Firma Meyr's Neffe, mit der das Haus Lobmeyr von Anfang an in reger Geschäftsverbindung gestanden und durch die Heirat der Schwester Louise Lobmeyr mit Wilhelm Kralik besonders eng verbunden war. Die Hauptmenge des Rohglases bezog Lobmeyr von dort, und auch ein großer Teil der fertig veredelten Ware wurde nach Zeichnungen und Anweisungen Lobmeyrs ausgeführt. Im Herbst 1851 unternahm Ludwig dann mit dem Bruder zusammen die Reise zur Londoner Weltausstellung. Eine weitere größere Reise führte ihn 1854 in die Schweiz und nach Oberitalien, wo er die schon erwähnte Lieferung seines Hauses fiir den Palazzo Reale in Venedig überwachte. Im Spätherbst 1855 besuchte Ludwig mit seinem Schwager Kralik die erste Pariser Weltausstellung, die, obwohl sie größer als die Londoner Ausstellung von 1851 war, nicht so viel Eindruck auf ihn machte. 1860 trat Ludwig als Gesellschafter in die Firma ein, die nun den Namen J. & L. Lobmeyr annahm. 1862 folgte die Beteiligung der Firma an der zweiten Londoner Weltausstellung, die, wie schon erwähnt, Ansporn für künstlerisch hochwertige Leistungen war. Alles, was damals von überragender Qualität war - etwa die Arbeiten der Firma Steigerwald in München, von Hofmann in Prag oder von A. Tacchi's Nachfolger in Frankfurt a. M. — folgte, wie Lobmeyr sagte, mehr oder minder dem böhmischen Stil. Ludwig Lobmeyr machte sich nun mit Eifer an den Entwurf neuer Service. Sein Schwager Kralik, dem er die Zeichnungen zur Ausführung übersandte, kritisierte sie scharf und schrieb — vielfach wohl zu Recht —, Lob42

FIRMENGESCHICHTE

meyrs Muster seien diffizile Drechslerarbeit, aber keine Glasmacherarbeit. Durch das verständnisvolle Zusammenwirken beider Teile wurden die Schwierigkeiten schließlich überwunden.

A U F S C H W U N G - D I E P E R I O D E VON 1 8 6 4 BIS 1 9 0 2

Nach dem Tod des Bruders Josef am 2. Juni 1864 dachte Ludwig ernstlich daran, das Geschäft aufzulösen, zumal es mit seiner eigenen Gesundheit nicht zum besten bestellt war. Auf gutes Zureden hin entschloß er sich dann aber doch dazu, das Geschäft allein weiterzuführen. Nachdem nun auch seine jüngste Schwester Mathilde im November 1864 geheiratet hatte, war er völlig allein; er löste den alten Lobmeyrschen Haushalt auf, behielt nur einen Diener und führte von nun an das Leben eines Junggesellen. Während der zweiten Londoner Weltausstellung im Jahre 1862 erhielt Professor Rudolf v. Eitelberger vom damaligen Ministerpräsidenten Erzherzog Rainer den Auftrag, einen Plan für die Errichtung eines Kunstgewerbemuseums in Wien vorzulegen. Eitelberger arbeitete das Konzept aus, der Kaiser genehmigte das Projekt, und am 12. Mai 1864 wurde, vorerst im Ballhaus, das »Osterreichische Museum für Kunst und Industrie« eröffnet. Lobmeyr war einer der ersten Wiener Kunstgewerbetreibenden, die sich freudig und tatkräftig dem neugegründeten Institut anschlössen. Er stellte seine neuesten Erzeugnisse jeweils im Museum aus, und so gestaltete sich ein immer engeres Verhältnis zum Haus und zu dessen Leitern. Als Mitglied des Kuratoriums und der Gesellschaft zur Förderung der Kunstgewerbeschule leistete Lobmeyr wertvolle Dienste. Gleichzeitig hatten die vom Museum ausgehenden Strömungen aber auch großen Einfluß auf seine eigene Tätigkeit. Eine ganze Reihe von Lehrern der Kunstgewerbeschule gehörte später zum Stab der Künstler, die für das Haus Lobmeyr arbeiteten. JOSEF & LUDWIG LOBMEYR

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Gleich nachdem Ludwig Lobmeyr die Leitung der Firma übernommen hatte, setzte er sich mit dem nun in Wien lebenden dänischen Architekten Theophil v. Hansen in Verbindung, der für lange Zeit einer der wichtigsten Mitarbeiter des Hauses werden sollte. Hansen, einer der glühendsten Verfechter der Renaissancebewegung, dessen bedeutendste Wiener Bauten (Börse, Akademie der bildenden Künste, Parlamentsgebäude) allerdings erst später entstanden, kam dem Wunsch Lobmeyrs gern nach und entwarf Bronzeaufsätze mit Figuren und Ornamenten, welche gravierte Glasschalen trugen. Die Bronzeaufsätze wurden von der Wiener Firma D. Hollenbach's Nef-

¡¡y

fen ausgeführt. Weiter zeichnete Hansen im Jahr 1864 Muster für ein neues Glasservice, Nr. 95, aus Kristallglas

19: Theophil v. Hansen, sig-

»mit griechischer Gravierung«, das bei schlichten, schlan-

nierte Handzeichnung von 1866,

ken Umrißformen einen gravierten Arkanthusfries mit

zu dem Service »mit griechischer

Wappen sowie eine Mäanderborte und Blattkelchmotive

Gravierung«

aufwies. Daneben aber zeichnete Lobmeyr selbst in diesem Jahr wieder eine Reihe von Servicen, u.a. ein Service »mit Blätterschliff«, d.h. mit hocherhabenen Palmetten, für den kaiserlichen Hof (Nr. 100), sowie das ausgezeichnete Service Nr. 96, mit rundbogig schließendem »Schälenschliff«. Diese Jahre standen übrigens stark unter dem Zeichen der Pariser Weltausstellung von 1867, für die Lobmeyr umfangreiche Vorkehrungen traf, denn hier wollte er bessere und bedeutendere Leistungen zeigen als fünf Jahre zuvor in London. Die oben erwähnten Bronzeaufsätze Hansens waren schon für diese Ausstellung bestimmt, ebenso ein weiteres Service (Nr. 103) »mit griechischer Gravierung«, das nach Hansens Zeichnungen im Jahre 1866 entstand. Aus dem wundervollen Material des fehlerlosen, klaren Kristallglases sind wohlproportionierte, elegant gezeichnete Gläser, Kannen und Flaschen entstanden, die in ihrer Erlesenheit unübertroffen sind. Unsere Abbildung zeigt eine Handzeichnung Hansens zur Kanne, die ein klassisches Beispiel für die klare, penible Arbeitsweise der damaligen Architekten ist. Um in Paris aber nicht einseitig präsent zu sein, wandte 44

FIRMENGESCHICHTE

20: Das älteste Service für den

sich Lobmeyr auch an Professor Friedrich Schmidt (1825—

Wiener Hof, Nr. 2 »Pris-

1891), den Erbauer des Wiener Rathauses, der einen Pokal

menschlifF«, um 1835. Noch heute werden die kostbaren Gläser bei Staatsanlässen verwendet.

entwarf, sowie an den Architekten Josef Storck, den späteren Direktor der Kunstgewerbeschule. Er zeichnete damals einige Kronleuchter und Kandelaber. Vieles aber wurde wieder von Lobmeyr selbst entworfen. Die Lobmeyrsche Ausstellung war etwa die drittgrößte auf dem Gebiet des Glases. Die Jury in Paris ehrte die Leistung mit JOSEF & LUDWIG LOBMEYR

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einer silbernen Medaille; geschäftlich hatte sich die Ausstellung für die Firma mehr als gelohnt. Natürlich ermutigten Lobmeyr solche ideellen und materiellen Erfolge. Die Herstellung neuer Serviceformen wurde intensiviert, zwischen 1867 und 1873, als die nächste Weltausstellung stattfand, entstanden nicht weniger als 50 neue Trinkservice, die bis auf sieben alle nach eigenen Zeichnungen hergestellt wurden. Dazu zählen u.a. ein glattes Service mit sehr stark profiliertem Schaft als »nach französischen Mustern« gezeichnet (Nr. 112), eines mit Fleckenschliff »nach böhmischem Muster« (Nr. 115) sowie eines mit sehr komplizierten Drechselformen »mit russischer Gravierung«. Im Jahre 1872 wurde für die Wiener Weltausstellung 1873 das »Kaiser-Service« geschaffen. Die Formen der von Lobmeyr selbst gezeichneten Service sind sehr mannigfaltig; wir begegnen u.a. »im Vierpaß und achteckig geblasenen« Gläsern. Besonderes Gewicht wurde jetzt auf den Schliff und die Gravierung gelegt. Häufig begegnet man dem »Schälenschliff«, dem »Fleckenschliff«, »feinen Hohlkehlen«, »Knorren«, »Brillantbändern«, »brillantierten Feldern und Schildern«; bei den Gravierungen gibt es »Mäander«, »Linien«, »Sternchen«, »netzartige Gravierung« sowie mehrfach die sogenannte »Renaissancegravierung«. Weiters treten noch Goldränder und vergoldetes Flechtwerk hinzu. Ein sehr gutes, formal wie in Schliff und Schnitt reiches Service ist das im Jahre 1871 von Lobmeyr selbst gezeichnete Service Nr. 136, das die Bezeichnung trägt: »bergkrystallartig mit Knorren und flachen Walzen geschliffen, mit feinen Bouquets graviert«. Hier wird zum ersten Mal bewußt auf den Bergkristall als Vorbild hingewiesen. Und in der Tat waren es die reichen Bestände an Bergkristallgefäßen in der kaiserlichen Schatzkammer, die nun die Produktion des Hauses Lobmeyr und seiner entwerfenden Künstler in stärkstem Maße beeinflußten. Als eine der wichtigsten Arbeiten dieser Zeit sei noch der nach Entwürfen von Storck 1870 ausgeführte Pokal angeführt, der im Auftrag von Nikolaus Dumba für den Wiener Män46

FIRMENGESCHICHTE

2.1: J . & L. Lobmeyr auf der

nergesangsverein geschaffen wurde. Die Silberarbeit daran

Wiener Weltausstellung 1873;

stammte von Haas.

Blick in den riesigen Stand in der Galerie der Rotunde mit seiner überwältigenden Objektvielfalt

Für die Wiener Weltausstellung 1873, die übrigens mit dem 50jährigen Bestehen der Firma zusammenfiel, steckte sich Lobmeyr verständlicherweise die höchsten Ziele. Er wollte eine großartige Schau zeigen. Alle Kräfte wurden eingesetzt, alle geeigneten Künstler und Handwerker herangeholt, Lobmeyr selbst arbeitete und zeichnete unermüdlich. Von den acht dem österreichischen Kunstgewerbe vorbehaltenen Abteilungen in einer der beiden gewaltigen Galerien neben der Mittelrotunde war mehr als die Hälfte der Firma Lobmeyr zugewiesen worden. Das Photo gibt ein anschauliches Bild von der wahrhaft überwältigenden Fülle der Ausstellung. Im Zentrum hing ein Kronleuchter für 96 Kerzen, das Gestell aus vergoldetem Eisen, das Ganze mit Glasleisten und Rosetten bedeckt und sehr reich mit breiten, geschliffenen Glassteinen behängt, daneben waren Luster aus Bronze und Glas nach Entwürfen von Professor Storck und Architekt Teirich sowie nach JOSEF & LUDWIG LOBMEYR

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eigenen Vorlagen angebracht, sodaß ein wahrer Wald an Lustern entstand. An den Wänden hingen neben den vier Spiegeln mit den anmutigen, von Professor Eisenmenger gemalten Amoretten andere mit geschliffenen, gravierten und folienbelegten Glasrahmen. Ferner befanden sich hier Spiegel in geschnitzten und vergoldeten Holzrahmen. Im Mittelraum standen zwei Schränke mit dem überaus vornehm wirkenden Kaiser-Service, daneben Pulte mit einfacheren, feinen und feinsten Kristallglasgegenständen; dazwischen belebte der Glasbehang zahlreicher Armleuchten durch sein Funkeln und Glitzern das Bild. Auf dem in der Hauptgalerie stehenden Tisch wurde Theophil Hansens großer Tafelaufsatz samt den dazugehörigen Trinkgefäßen präsentiert. Hansen war übrigens nicht dazu zu bewegen, für seine Leistung ein Honorar von Lobmeyr anzunehmen. Dank Lobmeyrs energischer, zielbewußter Arbeit war die Ausstellung bereits am Eröffnungstag (i. Mai) fertig aufgebaut. Daß sie beim Publikum staunenden Beifall, beim Kaiser huldvollste Anerkennung fand, braucht nicht besonders betont zu werden. Aufgrund dieses großen Erfolges erhielt Lobmeyr den Orden der Eisernen Krone III. Klasse. Um die hervorragende Hilfe seines Schwagers Kralik richtig zu würdigen, hatte die Anmeldung folgendermaßen gelautet: »Ausstellung von J. & L. Lobmeyr in Wien und von Wilhelm Kralik, Glasfabrikant in Adolf— Firma Meyr's Neffe in Verbindung mit J. & L. Lobmeyr«. Unmittelbar nach Ausstellungseröffnung kam es zum berüchtigten Börsenkrach, durch den der größte Teil des österreichischen Publikums als Käufer ausschied. Dann brach die Cholera aus und hielt einen großen Teil der ausländischen Besucher von einem Besuch ab. So blieb von den Ausstellungsstücken das meiste unverkauft und wanderte im Herbst wieder in die Lobmeyrschen Magazine zurück, wo es sich zum Teil heute noch befindet, zum Teil später unter Verlusten seine Käufer fand. Doch verweilen wir noch kurz bei den Ausstellungsobjekten, die den Weltruf und die führende Stellung des 48

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22: Klassisches Trinkservice Nr. 98 mit Schälenschliff nach einer Zeichnung von Ludwig Lobmeyr

Hauses Lobmeyr in der Glasindustrie begründeten bzw. festigten. Ein großes Objekt, das auf der Ausstellung Aufsehen erregte, war das vollständige Tischservice für sechs Personen, das auf Vorschlag Eitelbergers im Jahre 1871 vom Kaiser in Auftrag gegeben worden war. Die Vorlagen für die Gravierung, die dazugehörenden Aufsätze, eine große Blumenschale und die silbervergoldeten Fassungen waren 1870 von Professor Josef Storck hergestellt worden; die Formen für die Krüge, Flaschen und Gläser hatte Lobmeyr selbst gezeichnet. Das Service wurde später in zwei eigens dafür angefertigten Glasschränken in jenem Saal der Wiener Hofburg ausgestellt, in dem Kaiser Franz Joseph die ausländischen Botschafter empfing. »Noch heute ist es in den Schausammlungen der ehemaligen Hoftafel- und Silberkammer ausgestellt.« (1925) Der Katalog der Ausstellung nennt weiter noch eine Unmenge anderer Arbeiten, Service, Vasen, Schalen und Krüge mit Gravierung und Vergoldung, nach Entwürfen verschiedener Künstler, ferner Blumenvasen, Toilettegläser »in weißem oder grünlichem opakem Glase (Beinglas oder Seladon), mit reichen Ornamenten bunt bemalt«; zuletzt Humpen und andere Trinkgefäße aus grünlichem Glas, nach alten deutschen Mustern mit Wappen und anderen Verzierungen in Emailfarben von Anton Ambrosius Egermann in Haida gemalt. Alles in allem zeigte die Lobmeyrsche Ausstellung eine staunenswerte Reichhaltigkeit an Formen und dekorativer Ausstattung; wenn wir von einigen Dingen absehen, die heute als geschmackliche Entgleisungen anmuten, die aber der damaligen Mode entsprachen, so müssen wir der Leistung Lobmeyrs speziell auf seinem ureigensten Gebiet, dem des Glasschnittes auf Kristallglas, Anerkennung zollen. Das höchste Lob kam wohl von Jakob von Falke, der 1873 Ludwig Lobmeyr als den Mann bezeichnete, »den wir binnen kurzem als den Regenerator des böhmischen Glases werden betrachten müssen«. Die Vielseitigkeit der böhmischen Glasproduktion spiegelte sich in den Objekten der Firma »Meyr's Neffe in JOSEF & LUDWIG LOBMEYR

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Adolf in Verbindung mit J. & L. Lobmeyr in Wien«. Neben dem gravierten und geschliffenen Kristallglas spielte das farbige Glas die Hauptrolle: durchsichtiges Farbenglas, opake Glasarten (Beinglas, Celeste, Victoriablau, Seladon); Glas mit Renaissance-, persischen und maurischen Ornamenten, Blumenvasen mit Figurenmalerei auf Gold- oder farbigem Grund, Bier- und Punschsätze aus dunkelgrünem Glas mit Gold und Emailfarben in alter venezianischer Art. Die Entwürfe stammten fast durchwegs von Wiener Künstlern, so von Hansen, Storck, Teirich, von den Architekten Girard und Rehländer, J. Salb, von C. Rahl, Bitterlich, Marie Ritter und Eisenmenger. Auch Ludwig Lobmeyr trat vielfach als Entwerfer auf. Graveure wurden als Werksangestellte nicht eigens angeführt, wie sonst bei eigenen Ausstellungen Lobmeyrs üblich. Sehr schmerzlich war ftir Ludwig Lobmeyr, daß eine Arbeit nicht rechtzeitig zur Ausstellung fertig wurde, die ihm besonders ans Herz gewachsen war. Das waren eine Kanne, ein Becher und eine Platte, von Oberbaurat Friedrich Schmidt entworfen, die Lobmeyr seiner Vaterstadt Wien als Geschenk widmen wollte. Mit einer prunkvollen Fassung in vergoldetem Silber, mit Email, Perlen und Edelsteinen geschmückt, bot besonders der Körper der Kanne mit seiner gotisierenden Buckelung große technische Schwierigkeiten, die jedoch unter Kraliks Leitung glänzend bewältigt wurden. Die aufwendige Goldschmiedearbeit nahm aber so lange Zeit in Anspruch, daß das Ganze erst nach Schluß der Weltausstellung, im Jahr 1874, fertig wurde und ins Rathaus geliefert werden konnte. (Diese Garnitur gilt heute leider als »verschollen«.) Für Ludwig Lobmeyr lieferte die Weltausstellung die Anregung zur Herausgabe der ersten zusammenfassenden Abhandlung über das Glas, die unter dem Titel »Die Glasindustrie, ihre Geschichte, gegewärtige Entwicklung und Statistik« 1874 bei W. Spemann in Stuttgart erschien. Für die Abfassung des geschichtlichen Teils gewann er Dr. Albert Ilg, Kustos am Österreichischen Museum für Kunst und Industrie, den statistischen Teil bearbeitete Wendelin Boeheim. 5O

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Dieser idealen Zusammenarbeit von Industriellen, Künstlern und Wissenschaftlern waren die damaligen Höchstleistungen — übrigens nicht nur die des Hauses Lobmeyr, sondern auch anderer Wiener Kunstgewerbefirmen — zu verdanken; Osterreich erfreute sich von da ab auf kunstgewerblichem Gebiet auch im Ausland eines hervorragenden Rufes. Zur damaligen Zeit waren die Weltausstellungen für die fortschrittlichen Firmen immer ein Ansporn, Produkte von höchster Qualität herzustellen. Lobmeyr war stets bestrebt, daß neben Glanzstücken auch die künstlerisch einwandfreie und technisch tadellos ausgeführte Gebrauchsware reichlich vertreten war. So beteiligte er sich 1876 an der Ausstellung in Philadelphia, die übrigens geschäftlich keinen Erfolg brachte, sowie an der im selben Jahr stattfindenden »Deutschen Kunst- und Kunstindustrie-Ausstellung« in München. Ein Handschreiben König Ludwigs II. war ihm eine wertvollere Auszeichnung als jede Ordensdekoration. Als im Mai 1877 sein Schwager und langjähriger treuer Mitarbeiter Wilhelm Kralik starb, dachte Lobmeyr selbst häufig von seinen Leiden geplagt - erneut daran, das Geschäft aufzulösen. Dennoch war er im Jahre 1878 wieder mit einer bedeutenden Kollektion auf der Pariser Weltausstellung vertreten. Durchsichtige Farbgläser in allen Spielarten, die durch Schliff, Bemalung und Vergoldung dekoriert wurden, sowie der Schnitt auf Kristallglas standen diesmal im Vordergrund. Eine besondere, bereits 1876 erstmals ausgeführte Spezialität auf der Pariser Ausstellung war weiters das irisierende Glas. Auf Anraten der Fürstin Pauline Metternich verzierte er diese Gläser mit zarten Goldrändern. Wilhelm Kralik war im Jahre 1875 in den Besitz einer Erfindung gekommen, die ein in den Glasfabriken von J. G. Zahn in Sladno tätiger Chemiker, Dr. L. O. Pantotsek, bereits um 1850 gemacht hatte. Kralik verbesserte das noch unvollkommene Verfahren und erreichte einen bis dahin unbekannten metallischen oder perlmuttartigen Schimmer. JOSEF & LUDWIG LOBMEYR

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Das Verfahren besteht darin, daß man in einer Blechtrommel gewisse Salze verdampfen läßt und die vom Ofen kommenden, weißglühenden Gegenstände in diesen Trommeln den Dämpfen aussetzt. Lobmeyr zeichnete nun für dieses irisierende Glas neue Formen »mit gebuckelten Flächen«, bei denen das leuchtende Schimmern besonders gut in Erscheinung treten konnte. Die Form erinnert an alte gebuckelte, süddeutsche Goldschmiedearbeiten; die Technik ist schwierig und kompliziert: Damit die Holzformen in den scharfen Kanten vom glühenden, fast flüssigen Glas nicht verbrannt werden, müssen sie an den betreffenden Kanten mit Metallstegen ausgelegt werden. Diese Neuheit des irisierenden Glases erregte in Paris großes Aufsehen. Lobmeyr gehörte der Wettbewerbskommission, dem Ausstellungskomitee und - als Vizepräsident - der Glas-Jury an; er selbst nahm nicht am Wettbewerb teil. Es scheint nur berechtigt, daß der geschäftliche Erfolg der Pariser Ausstellung für die Firma außerordentlich gut ausfiel. Im Osterreichischen Museum für Kunst und Industrie, dessen Weihnachtsausstellung die Firma seit dem Jahr 1873 regelmäßig beschickte, veranstaltete Lobmeyr im Frühjahr 1879 eine große Schau, um den Wienern seine aktuellen Erzeugnisse zu präsentieren. 1875 entstand die ovale »Tritonschale«, sicherlich eine der schönsten Arbeiten jener Zeit. Der Entwurf der Figur stammte von A. Kühne, das elegante Randornament hatte Storck gezeichnet, der Schnitt war Karl Pietsch zu verdanken. Derart erstaunliche Leistungen wie etwa diesen »Triton« mit seiner energischen, unendlich lebendigen Modellierung suchen wir selbst in den Meisterwerken des 18. Jahrhunderts vergebens. Von Karl Pietsch stammte u.a. auch die Gravierung der großen Schale mit reicher figürlicher Darstellung, die zur Widmungsgabe gehörte, die die Osterreichischen Handels- und Gewerbekammern Kronprinz Rudolf zu seiner Vermählung am 10. Mai 1881 überreichten. Das Ganze bestand aus einer Reihe von Prunkgefäßen mit emaillierter Goldschmiedefassung, ausgeführt in den Jahren 52

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23: Ovale Schale »Männlicher

1877-1880. Der Entwurf zur erwähnten Schale ent-

Triton«, 1875 nach Entwurf

stammte der gemeinsamen Arbeit von Professor A. Eisen-

von August Kühne und

menger (figurale Komposition) und Architekt J. Salb (Or-

Josef v. Storck graviert.

nament). Kronprinz Rudolf fand an der Leistung derartiges Gefallen, daß er zusammen mit seinem Schwager, Prinz Philipp von Coburg, bei Lobmeyr eine große Bestellung verschiedenartigster Pokale, Schüsseln und Gefäße in Auftrag gab, die als Geschenk zur Silberhochzeit des belgischen Königspaares bestimmt waren. Aus Anlaß dieser Silberhochzeit wurde die Weltausstellung 1885 in Antwerpen veranstaltet, und die dem belgischen Königspaar zuvor übergebenen Geschenke wanderten gleich dorthin weiter. Zuvor hatte sich Lobmeyr bereits an den Ausstellungen inTriest und London (1884) beteiligt; das Jahr 1888 brachte gleich vier Ausstellungen, in Wien (Osterreichische GeJOSEF & LUDWIG LOBMEYR

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werbeaustellung),

Barcelona,

Brüssel und

München

(zweite Kunstgewerbeausstellung). Bei letzterer fungierte Lobmeyr wieder als Obmann der österreichischen Kommission. 1893 beschickte er die Weltausstellung in Chicago sowie eine kleine österreichische Kunstgewerbeausstellung in Genf, im Folgejahr die große Pariser Weltausstellung 1900. Hier hatte Ludwig Lobmeyr, bereits über siebzig, zum letzten Mal selbst die Leitung seiner Firmenschau in Händen; später überließ er derartige Arbeiten seinem Neffen Stefan Rath, der bereits seit 1894 neben ihm tätig war. Es ist bedauerlich, daß die besten Stücke kaum ausreichend photographisch dokumentiert sind; viele sind zum Teil ins Ausland gelangt und somit nicht mehr greifbar. So müssen wir uns auf das Wenige beschränken, das entweder im Original oder wenigstens in guten Reproduktionen vorhanden ist. Ein Prunkteller, den Ludwig Lobmeyr nebst einem zugehörigen Pokal seiner Schwester Mathilde und ihrem Gatten August Rath im Jahr 1889 zur silbernen Hochzeit geschenkt hatte (beide befinden sich noch heute im Firmenmuseum), ringt dem Betrachter durch seine überreiche figurale und ornamentale Gravierung Bewunderung ab. Der Gesamtentwurf und das üppige Ornament stammten von Moritz Knab, den Schnitt führte Franz Ulimann in Steinschönau aus. Was aus dem

figürlichen

Tiefschnitt an plastischer Wirkung herauszuholen ist, zeigte der gleiche Glasschneider dann in der Prunkschale mit den »Vier Jahreszeiten«, die in den Jahren 1894—1896 entstanden ist. Die reiche Mittelkomposition mit den elegant gezeichneten Frauenkörpern und den begleitenden Kinderfiguren stammte wieder von Eisenmenger. Ein Vergleich der gravierten Schale mit der Zeichnung zeigt, mit welcher verständnisvollen Anpassungsfähigkeit der Glasschneider den Intentionen des Künstlers gefolgt ist. In der Randverzierung sehen wir in sternförmigen Gebilden die zwölf Tierkreiszeichen, umgeben von Blumenranken, die eine eigenartig reizvolle Mischung aus alten RenaissanceAkanthusranken und naturalistischen Blumenzweigen darstellen. Mit großem Interesse konstatiert man, wie hier

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24: Eine der prächtigen Moscheenampeln in Hochemailmalerei, ca. 1880 nach Vorbildern ausgeführt, die Josef Lobmeyr jun. 1848 in Kairo gesehen hatte.

die Renaissanceformen, die über 20 Jahre lang den Lobmeyrschen Glasschnitt dominiert hatten, neuen Ornamentideen zu weichen begannen. Es war die Zeit, in der in Wien der »Secessionsstil« die junge Künstlergeneration in ihren Bann zog. In der Folgezeit wurde dann die Emailmalerei, offenbar auf den Rat Friedrich Pechts hin, forciert. Vor allem die Ornamentik des Orients wirkte hier wegweisend, die man auf den Ausstellungen in London, Paris und Wien gleichsam neu entdeckt hatte. So entstanden jetzt in rascher Folge ganze Serien arabischer, persischer, türkischer und maurischer Gefäße, nach den Ornamentzeichnungen von Girard und Rehländer, Moritz Knab und Franz Schmoranz (Professor an der Prager JOSEF & LUDWIG LOBMEYR

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Kunstgewerbeschule); die Formen folgten meist eigenen Zeichnungen Lobmeyrs. Die Bände 15 und 16 der »Werkzeichnungen« im Osterreichischen Museum für Kunst und Industrie geben eine genaue und umfassende Ubersicht über diesen Zweig der Produktion, der unserem heutigen Geschmack zwar ziemlich fern steht, stets aber achtbare Leistungen aufweist. Eine der beliebtesten dieser orientalischen Formen war die sogenannte »Alhambra«-Serie, die 1888 unter der Anleitung F. Schmoranz' von Moritz Knab gezeichnet wurde. Nach dem Tod von Franz Schmoranz entwarf auch dessen Bruder Gustav, Herausgeber des angesehenen Tafelwerkes über »Altorientalische Gefäße« (Wien 1898) und Professor an der Prager Kunstgewerbeschule, eine Reihe von Gefäßen, die sich enger als die bisherigen Serien an die altorientalischen Originale hielten und zum ersten Mal auf der Pariser Weltausstellung 1900 gezeigt wurden. Ebenfalls von M . Knab stammten die Entwürfe zu einer reichhaltigen Serie von Gefäßen »aus eisengrünem Glas mit versilberter Gravierung in indischem Style«. Natürlich entstand daneben in den 1870er und 1880er Jahren noch eine erstaunliche Zahl anderer Arbeiten, die wir hier nur streifen können, weil sie für den großen Entwicklungsgang des Hauses Lobmeyr lediglich von untergeordneter Bedeutung sind. Dazu gehören die bunte Figurenmalerei ebenso wie Versuche mit Platindekor, zum Teil in Form gewaltiger antikisierender Ziervasen. Erwähnt seien ferner die »Minnesängerserie« und die »Parzivalserie«, die 1888 bzw. 1889 nach Entwürfen von Dr. Richard Kralik, einem Neffen Ludwig Lobmeyrs, in Emailmalerei auf grünem bzw. rosa Glas ausgeführt wurden. Die überquellende Erfindungsgabe und Entwurfsfreudigkeit gilt ja als eines der hervorstechendsten Merkmale jener retrospektiv ausgerichteten Zeit. Für die Art dieser freien Anlehnung und Umarbeitung älterer Vorbilder ist besonders das sogenante »Service mit hohlabgeschrägten Kanten« kennzeichnend. Schon sehr früh durfte die Firma Service für den kai56

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serlichen Hof liefern. So — noch zu Zeiten Josef Lobmeyrs des Alteren — ein verhältnismäßig einfaches, in Ecken geschliffenes Service für die Suiten, weiter das sogenannte »Prismenschliff-Service« mit kostbarem Schliffdekor, und schließlich - noch üppiger — das »Blätterschliff-Service«, das um das Jahr 1850 entstanden ist. Im Jahr 1890 wurde auf Anregung Kaiser Franz Josephs von Ludwig Lobmeyr noch das sogenannte »Musselin-Service« mit schmalen Goldrändern und graviertem kaiserlichem Adler (Nr. 193) gezeichnet und ausgeführt. Es schmückte regelmäßig die Hoftafel, zusammen mit dem berühmten Vermeil-Service von Bienais. Auch die Service für die k.k. Kriegsmarine wurden stets von Lobmeyr ausgeführt. Es war selbstverständlich, daß auch die Mitglieder des Kaiserhauses, in erster Linie der Protektor des Osterreichischen Museums für Kunst und Industrie, Erzherzog Rainer (1873), dem Hof in ihren Bestellungen folgten, daß die österreichische Aristokratie und der vornehme österreichische Bürgerstand der fuhrenden Glasfirma ihre Aufträge gaben, und daß der Kundenkreis des Hauses Lobmeyr sich weiter über die ganze Welt erstreckte. Die Höfe von Belgrad, Sofia und Athen, Kronprinz Ruprecht von Bayern sowie viele Mitglieder des deutschen, italienischen und englischen Hochadels gehörten zu den ständigen Abnehmern der Firma, die jedem dieser Aufträge eine besondere künstlerische Note zu geben verstand. Auch das Osterreichische Museum für Kunst und Industrie besaß eine große Anzahl Lobmeyrscher Werke aus dieser und späteren Perioden; so führte der von Bruno Bucher herausgegebene Katalog der Glassammlung des Museums (1888) bereits etwa 50 Gläser an, die in der Zeit von 1868 bis 1884 entstanden sind. Ein Zweig der Tätigkeit des Hauses Lobmeyr, von dem wir früher bereits gesprochen haben, darf auch hier nicht unerwähnt bleiben: die ungemein reiche Produktion von Kronleuchtern, Arm- und Wandleuchtern, denen u.a. der ganze letzte Band der »Werkzeichnungen« gewidmet ist. JOSEF & LUDWIG LOBMEYR

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Wir finden hier eine große Zahl von Lustern »nach alten Modellen«, sehr viele auch »nach eigenen Zeichnungen«. Daß Ludwig trotzdem immer wieder neue Varianten und interessante Formabwandlungen auch für den Luster geschaffen hat, ist selbstverständlich, denn auf ein reines Kopieren hätte er sich nicht eingelassen. (Anders verhielt es sich natürlich, wenn es sich um die oft an ihn herangetragene Aufgabe handelte, reine Ergänzungen zu Lusterserien herzustellen - etwa zu den aus, später leider vergoldetem, Stahl und Bergkristall bestehenden Arbeiten in der Hofburg.) Eine große Zahl von Schlössern und Privathäusern im Inund Ausland durfte Lobmeyr mit Beleuchtungskörpern ausstatten; eine der wichtigsten Aufgaben war die Ausstattung der Schlösser Linderhof und Herrenchiemsee, die im Auftrag König Ludwigs II. von Bayern in den Jahren 1881-1886 ausgeführt wurde. In der Spiegelgalerie des Schlosses Herrenchiemsee hängen allein 33 Luster aus vergoldeter ziselierter Bronze mit schwer geschliffenem Kristallbehang zu je 36 Kerzen von der Decke herab. Dieses Lichtermeer, durch die Doppelreihe der großen holzgeschnitzten und vergoldeten Kandelaber an den Wänden auf 2500 Kerzen verstärkt, muß wahrlich einen überwältigenden Eindruck vermittelt haben, als der König an einem einzigen Abend völlig allein die erleuchtete Galerie durchwandelte. In der Konstruktion zwar abweichend, aber im Aufbau nicht stark differierend sind die Luster, die für die neue, wenn auch längst nicht so lebendige Gasbeleuchtung zu kreieren waren und die ganz ähnlich dann auch für elektrisches Licht gearbeitet wurden. Die delikate Wirkung des Zusammenklanges der Kristallglasbehänge mit versilberten oder stählernen Gerüstteilen, die an alten Lustern häufig zu finden ist, setzte natürlich auch Lobmeyr bei vielen seiner Arbeiten ein. Z u den ersten Lustern für elektrisches Licht, die überhaupt angefertigt wurden, gehören die, welche er auf der Interji?

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2y. Erster elektrischer Luster mit Kohlenfadenlampen von Thomas A. Edison von 1882, nach Entwurf Ludwig Lobmeyr (noch in Familienbesitz)

nationalen Elektrischen Ausstellung in Wien im Jahr 1883 präsentierte. Lobmeyr ging hierbei richtigerweise von dem Gedanken aus, daß die Glühbirnen im Gegensatz zu den aufrechtstehenden Kerzen hängend angebracht werden müßten, und schuf aus diesem Prinzip heraus neue Formen. Die wichtigsten Aufträge, die Lobmeyr in Wien für Beleuchtungskörper erhielt, betrafen das Rathaus (nach Angaben Friedrich von Schmidts in vergoldeter Bronze, die Glasbehänge mit farbigen Glasfäden in venezianischer Art verziert, 1889) und den Redoutensaal in der Hofburg. JOSEF & LUDWIG LOBMEYR

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(Aus einer Erwähnung in »Le Figaro« von 1883 geht hervor, daß der Wiener Hofball in den Redoutensälen bereits in elektrischem Licht von über 1000 Edisonlampen erstrahlte. Da auf den noch vorhandenen Werkszeichnungen die ältesten Lampensorten eingezeichnet sind, kann davon ausgegangen werden, daß es sich hier um die Lobmeyrluster handelt, die dann 1892 als neu verdrahtet erwähnt werden. Es ist tragisch, daß gerade diese Luster beim Großbrand von 1992 vom Feuer total zerstört wurden.) Übrigens stammt die Mehrzahl der Luster in den Prunk- und Zeremonienräumen und den sonstigen Appartements der Hofburg und in Schönbrunn ebenfalls von Lobmeyr. Ein Teil der Luster der Münchner Residenz, ein großer Teil der Luster im Dresdner Schloß sind Lobmeyrsche Erzeugnisse. Als Fünfiindsechzigjähriger hatte Lobmeyr im Jahre 1894 seinen Neffen Stefan Rath zu sich ins Geschäft geholt. Nach dem Einlangen des von höchster Stelle erteilten Abbruchbescheides für das Lobmeyrsche Familienhaus wollte Ludwig das Geschäft schließen. Hier war es nun sein Freund, der Architekt Otto Wagner, der ihn überzeugen konnte, mit der Firma und der Wohnung in das neu errichtete Haus Ecke Kärntnerstraße/Schwangasse (heutiges Stammhaus) zu übersiedeln und sich gleichzeitig in der Familie einen Nachfolger zu suchen. Acht Jahre später, 1902, räumte er dann dem Neffen die Stellung eines Gesellschafters ein. Mehr und mehr hatte er die Zügel in die Hände des Jüngeren gelegt, und nun ging die Leitung der Firma fast allein auf Stefan Rath über. Ludwig Lobmeyr blieb zwar nominell Inhaber und Leiter des Hauses, aber die letzten 15 Jahre bis zu seinem Tod am 25. März 1917 hatte er kaum noch aktiv in die Geschäftsführung eingegriffen. Die Schilderung dieser Periode von 1902 bis 1917 ist daher einem neuen Kapitel vorbehalten.

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Harald Rath

STEFAN

RATH SEN.

(1902-I960)

Dank der strengen Ausbildung, die Stefan Rath noch ganz im Geist des 19. Jahrhunderts von seinem Onkel Ludwig Lobmeyr erhalten hatte, gelang es ihm, die Firma zu einem neuen Höhenflug zu fuhren. Der »alte Herr« betonte immer wieder den Grundsatz: »Rechne mit dem Rechenstift, aber zeichne mit dem Zeichenstift.« Wo wäre das österreichische Glas geblieben, ohne den passionierten Fleiß dieses Menschen, der so hart war gegen sich selbst und stets so hilfreich und liebenswürdig anderen gegenüber? Stefan Rath wurde am 19. Mai 1876 in Wien als Sohn der jüngsten Schwester des Firmeninhabers, Mathilde, geboren. Sein Vater war der angesehene Industrielle August Rath, dessen Stadthaus in der Walfischgasse 14 heute noch 26: Stefan Rath 1951, nach Rückkehr aus Steinschönau, wieder an seinem Arbeitstisch in der Kärntnerstraße

der Sitz der Schamottewarenfirma Rath ist. Nach Absolvierung der Unterrealschule und der Wiener Handelsakademie sollte er auf Wunsch des Vaters ein »Eisenmensch« werden. Um »von der Pike auf zu lernen«, kam er vorerst nach Graz in eine Eisenhandlung. Der Eisenhandel interessierte ihn aber nur wenig, dafür umso mehr die Stadt Graz mit allem, was sie kulturell zu bieten hatte. Durch seine Briefe scheint dieses besondere Interesse für das Schöne auch seinem kinderlosen Onkel Ludwig Lobmeyr zu Ohren gekommen zu sein; dieser ließ Stefans Eltern wissen, daß er es mit dem inzwischen fast ^jährigen Neffen »versuchen wolle«. Voller Begeisterung kam Stefan Rath also gegen Ende 1894 nach Wien. Vormittags zeichnete er an der Kunstgewerbeschule Architekturdetails nach Gipsabgüssen, abends besuchte er die Kurse flir technisches Zeichnen und Stillehre. Nachmittags war er regelmäßig im Geschäft tätig, wobei er gleich im ersten Jahr seiner Tätigkeit die schwierige Übersiedlung der Firma in das neu errichtete Haus in der Kärntnerstraße 26 miterlebte und sich dabei besonders bewährte. Er half im Packraum, in den Zeichenbüros und im Verkaufsladen aus, wobei er alles erlernen mußte, was für einen zukünfS T E F A N RATH S E N .

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tigen Chef des Hauses notwendig erschien. Auf kaiserlichen Wunsch mußte damals die Kärntnerstraße verbreitert werden. Das Lobmeyrhaus Nr. 940 war eines der letzten Barockhäuser, die bis weit in die Mitte der neu geplanten Prachtstraße vorragten — es mußte abgerissen werden. Dieser für die Familie so schmerzhafte Verlust des Geschäfts- und Geburtshauses bewog Ludwig, die neuen, galerieartigen Schauräume sowie seine von Theophil v. Hansen eingerichtete Wohnung in der Schwangasse (heute Marco-d'Aviano-Gasse) nur anzumieten. Aus einem Teil der Gelder, die Lobmeyr als Entschädigung für das Abrißhaus erhielt, wurde im Gebäudekomplex der »Kaiser Jubiläumshäuser« in Dornbach der »Lobmeyrhof« als privater Vorläufer der späteren gemeinnützigen Gemeindewohnungen errichtet. Nach einem Freiwilligenjahr beim 6. Dragonerregiment in Brünn und Göding arbeitete Stefan Rath vormittags im Spezialatelier Hofrat von Storcks, der sich besonders intensiv mit dem strebsamen, begeisterungsfähigen Juniorchef befaßte. Es waren, wie ihm schien, die letzten Jahre einer geschmacklich und künstlerisch relativ ruhigen, ja problemlosen Epoche. Der Onkel ließ seinen Neffen bereits 1897 selbständig die Skizzen für die Beleuchtungskörper im Oberen Belvedere ausführen, die als Luster für die Wohnung Erzherzog Franz Ferdinands dienen sollten. Bald auch durfte Stefan an den berühmten geselligen »Herrenabenden« seines Onkels teilnehmen, zunächst an jenen, an denen er die Herren des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie, der Kunstgewerbeschule und der Akademie um sich versammelte. Es werden wohl an die 1500 Gäste gewesen sein, die er in den Jahren 1880 bis etwa 1905 alle zwei Wochen zum Abendessen lud. Einmal im Jahr waren auch Damen geladen; so erzählt man sich die Geschichte, daß eine Dame, die schon lange versucht hatte, endlich einmal eingeladen zu werden, beim Weggehen ihr kleines Lobmeyrglas vergaß, das der Gastgeber seinen Gästen stets als Erinnerung speziell anfertigen ließ - es war ihr letzter Besuch. Bei einem »Akademieabend«, erinnert sich Stefan Rath, 62

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kam er zwischen dem Radierer Wilhelm Unger und dem Bildhauer Edmund Helmer, den Schöpfer des Goethedenkmals und Mitgestalter des neuen Lobmeyrportals in der Kärntnerstraße, zu sitzen. Damals war er noch der Uberzeugung, alles, was sein Onkel gemacht habe, sei so ausgezeichnet, daß man es nur reproduzieren könne. Die beiden Herren entgegneten darauf ziemlich energisch, Rath sei da gründlich auf dem Holzweg. Die Stärke Lobmeyrs sei niemals nur die Erhaltung der Tradition gewesen, sondern das Vermögen, an der Spitze zu marschieren - Stefan Rath hat sich diesen Grundsatz ein Leben lang zu Herzen genommen. Um die Jahrhundertwende setzte dann eine Kunst- und Geschmacksrevolution ein, die im Grunde bis heute nicht zum Stillstand gekommen ist. In Deutschland nannte man die Bewegung auf dem Gebiet des Kunstgewerbes nach der Zeitschrift »Jugendstil«, in Frankreich »Art nouveau«, in Rußland »Dekadenskij Stil«. Auf der Pariser Weltausstellung im Jahr 1900, bei der Stefan Rath für die Lobmeyrausstellung verantwortlich zeichnete, wurde ihm erstmals bewußt, daß die Firma Lobmeyr Gefahr lief, von ihrer Stellung an der Spitze der österreichischen Glaskunstindustrie verdrängt zu werden. Die große Zeit der Renaissancebewegung im Historismus war endgültig vorüber, eine Neuorientierung war unausweichlich; da sich der beinahe 71jährige Ludwig Lobmeyr dazu kaum mehr in der Lage sah, mußte der Jüngere in die Bresche springen. Es ist Ludwig Lobmeyr hoch anzurechnen, daß er sich diesen »Neuerungen« nicht widersetzte, sondern den Jüngeren klug gewähren ließ, ja ihn 1902 sogar als Teilhaber in die Firma aufnahm. Stefan Rath wurde nun zur treibenden Kraft in der dritten Epoche der künstlerischen Entwicklung des Hauses Lobmeyr. In erster Linie kam es nun auf die Auswahl der Künstler an. Gewiß gab es dabei einige mißglückte Experimente, aber es gelang bald, ausgezeichnete Kräfte zu gewinnen, die bei der Formgebung wie beim Dekor den besonderen Charakter des Materials berücksichtigten und dem Stil der Zeit entsprechend zu arbeiten verstanden. Rath selbst hatte keinen S T E F A N RATH S E N .

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geringen persönlichen Anteil an dieser künstlerischen Reorganisation. 1903 heiratete er die aus einer angesehenen Industriellenfamilie stammende Marianne Saldier, die ihm 1904 die Zwillinge Hans Harald und Marianne schenkte. Sie starb in der Blüte ihrer Jahre am 27. 9. 1911 an einer Lungenentzündung in der Villa in Purkersdorf; Stefan Rath konnte über diesen Schicksalsschlag nie ganz hinwegkommen. Für den Durchbruch des neuen Stils in Wien war die Berufung Felician von Myrbachs zum Direktor der Wiener Kunstgewerbeschule von großer Bedeutung. Er hatte den Weitblick und die Courage, Josef Hoflfmann, Kolo Moser und Alfred Roller, die alle in Kontakt zu Gustav Klimt standen, als Lehrer an die Schule zu berufen. Zunächst, gesteht Rath ein, stand er der neuen Strömung ziemlich ratlos gegenüber; sein Onkel Ludwig lehnte die neue Richtung, wie nicht anders zu erwarten, völlig ab (»Die Rotzbuben«), Der Secessionsstil hatte keinen nachhaltigen Einfluß auf die Lobmeyrschen Erzeugnisse. Die Berufung Arthur von Skalas zum Museumsdirektor brachte eine aus England kommende Strömung nach Wien. In Nancy waren damals Emile Gallé und später Daum Frères als Glaskünstler tätig. Tiffany in New York und Baron Max Spaun, Glasfabrikant bei Loetz in Klostermühle im Böhmerwald, erzeugten märchenhaft irisierende Produkte. Lobmeyr beschränkte sich darauf, einige dieser wunderbaren, ja phantastischen Effekte auszuwählen und entsprechende neue Formen in »gemäßigtem Jugendstil« oder in der Art ostasiatischer Keramik zu zeichnen. Es war dies die erste Begegnung mit der »Moderne«, diesem seither so weitumspannenden Begriff. Für die Beteiligung an der Weltausstellung zeichnete Stefan Rath einige einfache, schmucklose Trinkservice, Toiletten- und Schreibtischgarnituren und erbat vom Kunstgewerbeschüler Gustav Schneider und von Rudolf Marschall Skizzen und Ideen für die Gravierung und für neue Formen. Jedenfalls brauchte Rath es nicht zu be64

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-sji

J. & I.. LOBMEYR

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reuen, daß er sich mit den »Künstlergläsern« nie wirklich anfreunden konnte, da diese Mode eine doch rasch vorübergehende Erscheinung war. Die Weltausstellung 1900 hatte nicht die erwartete Entscheidung zwischen den alten Stilen und der neuen Zeit gebracht. Ein Großteil der Aussteller bewegte sich auf ausgetretenen Pfaden, und auch die Exponate der Firma Lob-

27: Briefpapier der Firma

meyr waren konservativ gehalten. Ludwig war über die

Lobmeyr mit eigenen Glas-

teilweise harte Kritik aus Kunstkreisen, die erstmals seine

formen, wie sie bei Loetz in

fuhrende Stellung in Zweifel zogen, dermaßen enttäuscht,

Klostermühle in Auftrag gegeben wurden

daß er erneut daran dachte, die Firma zu schließen. Es ist ein unbestrittenes Verdienst Stefan Raths, daß er bereits 1901 zusammen mit dem Bildhauer Otto Hofner eine große Anzahl von Entwürfen ausführte. Dann kam es im Osterreichischen Museum für Kunst und Industrie zur ersten »modernen« Lobmeyrausstellung mit glatten, schmucklosen Exponaten. Es folgten, zusammen mit den Schülern aus dem Atelier Myrbach, die ersten zaghaften Versuche, neue Schalen mit natürlich gravierten Tierdarstellungen zu zeigen. Trotz ihres sicherlich nicht niedrigen Preises wurden diese neuen Formen zu einem ungeahnten Publikumserfolg und versetzten Rath in die Lage, in Böhmen eine große Anzahl geschickter Glasgraveure zu beschäftigen. Die von Hofner stammenden Modelle »Seifenblasenbub« und das »Schmetterlingmädchen« wurden beide viele hundert Male ausgeführt und in die ganze Welt verkauft. Es hatte sich eine Art »Kristallstil« herausgebildet. Dennoch war der Stil der Gesamtpalette noch immer uneinheitlich. Hatte bei der 1904 stattfindenden Internationalen Ausstellung in Turin bei Lobmeyr noch der »Secessionsstil« überwogen, so standen 1906 im österreichischen Pavillon auf der Simplon-Ausstellung in Mailand die neuen massiven, teilweise mit Figurengravierung versehenen Kristallgefäße nach Zeichnungen von Hofner und Stefan Rath im Mittelpunkt. Besonderes Aufsehen erregte hier der von Stefan gezeichnete »Mailänderluster«. Er ist einer der ersten elektrischen Luster, bei denen die Glühlampen nun im Luster angebracht sind, und nicht mehr wie Kerzen außen stehend oder als Lampenarme hängend. STEFAN RATH SEN.

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Aus diesem noch im Stil Louis-seize-Luster gehaltenen Modell entwickelte einige Jahre später Josef Hoffmann seinen epochalen, aus poliertem Eisen geschnittenen und mit eigenwilliger Kristallausstattung versehenen »Kölner Luster« für die Werkbundausstellung 1914. Diese neue Entwurfstätigkeit wurde aber erst systematisiert, als Stefan Rath 1910 die Bekanntschaft Josef Hoffmanns machte und später dann auch Michael Powolny, Alfred Roller, Oskar Strnad, Rudolf von Larisch, E. J. Wimmer-Wisgrill, Anton Hanak und Franz Cizek ken-

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felsl raH £ S i l üüp I P p l f l S LI ^ B

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nenlernte — kurz all jene bedeutenden Künstler, die die Kunstgewerbeschule damals zur ersten Anstalt ihrer Art auf der Welt machten. Kurz darauf, 191z anläßlich der Tagung des Deutschen Werkbundes in Wien, wurde der »Österreichische Werkbund« gegründet, zu dessen Mitbegründern und Vorstand Stefan Rath zählte.

28: Einer von zwei Lustern in poliertem Eisen und geschliffe-

Bei einigen prominenten Serviceaufträgen kam wieder

nem Kristallglas für die Werk-

die ältere Stilrichtung zu Ehren. Eines dieser Service mit

bundausstellung 1914 in Köln;

Barockornament, nach einem alten »Lavabeau« gezeich-

Entwurf Josef Hoffmann.

net, ist heute noch an den österreichischen Botschaften in Verwendung und wird nach alter Tradition in Heimarbeit graviert. Hoffmann wieder zeichnete eine große Anzahl von Schwarzweißdekoren, die der damaligen Mode entsprachen und mit dieser wieder verschwanden. Die Technik der aus schwarzschillernder Malerei herausgeätzten »Bronzitdekore« war an der Glasfachschule in Steinschönau von Professor Hugo Max entwickelt worden. Auch andere Künstler, wie L. H. Jungnickel, Massanetz und Urban Janke lieferten für diese Technik Zeichnungen. Daneben schuf Hoffmann einen eigenen massiven Stil mit Tintenfaß, Jardinieren und den Pokalen auf Säulenfüßen mit Würfelschliff. Das letzte große Service, das in historischem Stil bei Lobmeyr in Auftrag gegeben wurde, war für den Gebrauch des Thronfolgers Franz Ferdinand im Belvedere bestimmt. Die Formen waren vom Erzherzog selbst in der Glassammlung des Osterreichischen Museums für Kunst und Industrie ausgewählt worden, auch für die Gravie66

FIRMENGESCHICHTE

29 (rechte Seite): Gläserserie »Bronzit C« nach Entwurf von Josef Hoffmann 1914

STEFAN RATH SEN.

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rung wurde ein altes Muster im Laub- und Bandelwerkstil (nach einem Glas aus dem Reichenberger Museum) bestimmt. Stefan Rath war bei Glasservicen und Lustern der Auffassung, daß genaue Nachbildungen der alten Formen in Detail und Technik vollkommen gerechtfertigt seien, wenn es gelte, Einrichtungen für alte Räume zu schaffen. Dazu wurde auf Wunsch ein in China bemaltes Porzellanservice geliefert. Noch zwei Tage vor der Abreise des Erzherzogs und seiner Gemahlin nach Sarajevo wurde Rath empfangen, um Muster für weitere Gläser zum Gebrauch bei offiziellen Anlässen vorzulegen. Der Auftrag umfaßte Gläser für 50 Personen; die Stücke sollten mit Wappen und einer Ornamentgravierung versehen sein. Auf die Bemerkung des Erzherzogs, das alles sei ja gar nicht so teuer, soll die Erzherzogin entgegnet haben: »Franzi, Franzi, das sagt man so keinem Wiener Glashändler.« Nach dem Attentat von Sarajevo, bei dem der Thronfolger und seine Frau getötet wurden, kam dieser Auftrag dann allerdings nicht mehr zur Ausfuhrung. Es sei hier erwähnt, daß die Firma Lobmeyr für viele andere Mitglieder der Familie Habsburg, besonders für Erzherzog Friedrich, aber auch für die Aristokratie, für ausländische Höfe und Industrielle arbeitete. So wurden etwa die Könige von Schweden, Griechenland und Rumänien, der Kaiser von Siam, der Khedive von Ägypten und der Maharadscha von Baroda beliefert. Die Kundenliste der Firma umfaßte zu Anfang des Jahrhunderts die meisten wichtigen Namen der Epoche. Beginnend ab 1910 bis zur Ausstellung zur Werkbundtagung in Köln 1914 entstanden gemeinsam mit den Künstlern der »Wiener Werkstätte« die bedeutendsten kostbaren Arbeiten, die einen eigenständigen Weg für die spätere »Art deco«-Präsentation bereiten sollten. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der »Ära Powolny«. Es zeigte sich, daß dieser feinsinnige Keramiker ebenso imstande war, gelungene Entwürfe für Glasgravierungen zu liefern. Diese Becher, Dosen und Vasen wurden viele Jahre hindurch in die ganze Welt geliefert. Wichtig für das weitere Schaffen von Lobmeyr war die Verbindung 68

FIRMENGESCHICHTE

30: Schon 1917 entstanden die ersten Schnitte zu diesem neuen Musselinglasservice Nr. 238 nach Entwurf von Josef Hoffmann, unter »The Patrician« bekannt.

mit Oswald Dittrich und Professor Oskar Strnad. Ihm verdankt die Firma die Entwürfe für zahlreiche Dosen und Aufsätze; später folgten noch zwei Service, originelle Blumenpokale und ein schlichtes, stapelbares Becherservice. Noch wichtiger aber waren für Stefan Rath und seine Firma Strnads große Fachkenntnis und seine objektive, stets positive Kritik. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges ging diese Aufbauphase abrupt zu Ende. Stefan Rath wurde an die Karpatenfront eingezogen, konnte aber aufgrund des schlechten Gesundheitszustandes seines Onkels bereits 1916 nach Wien zurückkehren. Vorerst beschäftigte er sich mit der Verbesserung der sogenannten »Kriegserinnerungsartikel«: Becher mit bemalten Schriftfriesen für die Türkei und Bulgarien. Besonders kostbar ist der »Schriftenbecher« nach einem Entwurf von Professor Rudolf v. Larisch. Weiters setzte eine völlige S T E F A N RATH S E N .

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Neuorientierung im Charakter des Glases ein: War vor dem Krieg das schwere, massiv geschliffene Kristallglas kultiviert worden, wandte sich Lobmeyr nun dem genauen Gegenteil, den dünn geblasenen Formen zu. Auch die Grundideen zum Glockenkelchservice Nr. 238 von Josef HofFmann entstanden bereits 1917. Gerade auf die Weiterentwicklung des Lusters hatte Stefan Rath von jeher sein besonderes Augenmerk gerichtet. Dabei kam ihm ab 1905 die Geschäftsverbindung mit den Lusterfabrikanten Reinhold, Franz Friedrich und Adolf Palme in Steinschönau zugute. Auch in Wien bestand eine Bronzelusterherstellung, die jetzt erweitert werden konnte. Schon Raths Großvater hatte sich mit dem Phänomen »Glasluster« befaßt. Die ersten Modelle waren im Stil des Biedermeiers gehalten; auf diese folgten dann freie Nachbildungen der für das 18. Jahrhundert so charakteristischen »Maria-Theresien-Luster«, die seither oft von Unberufenen kopiert wurden, sodaß die Ergebnisse nichts mehr mit dem Stil der Zeit der Kaiserin zu tun haben. Stefan Rath glaubte an die Berechtigung des authentischen Rückgriffs auf die alten Vorbilder aus dem 18. Jahrhundert, an Zeichnung, Metallgestell, Behang und all die vielen Regeln, die es einzuhalten gilt. Ganz wichtig waren für ihn authentische Kopien für die Beleuchtung alter Paläste und Barockkirchen. Daneben bemühte sich Stefan Rath jedoch gemeinsam mit den jungen Architekten seiner Zeit um neue elektrische Luster, meist ohne Verwendung der elektrischen Kerze, die er als Surrogat empfand. 1914 wurde in Karlsbad die 1907 gegründete Filiale aus dem bisherigen Haus »Zum Pelikan« ins »Haus Ostende« verlegt. Karl Bachmayer war der örtliche Leiter, assistiert aus Wien von Anton Zobl. In diesem Jahr feierte das Osterreichische Museum für Kunst und Industrie sein 5ojähriges Bestehen. Bei dieser Ausstellung präsentierte Lobmeyr natürlich seine neuesten Erzeugnisse. Bei den üblichen Jahresausstellungen waren Österreichs führende Handwerksbetriebe mit ihren besten neuen Arbeiten vertreten. 7O

FIRMENGESCHICHTE

31: Das Haus Steinschönau Nr. 69 der Firma »J. & L. Lobmeyrs Neffe Stefan Rath«, heute Glasmuseum

Kurz vor seinem Tod am 25. März 1917 meinte Ludwig Lobmeyr, er sei überzeugt, sein Neffe würde sein Lebenswerk in seinem Sinne weiterfuhren. Genau darum hat sich Stefan, nun Alleininhaber, dann auch stets redlich bemüht. Bei seiner Rückkehr nach zwei Jahren Frontdienst mußte Stefan Rath erkennen, daß Lobmeyr fast seine gesamten bisherigen Heimarbeiter in Böhmen verloren hatte. Uber Anraten des alten Freundes Franz Friedrich Palme kaufte er 1918 daher in Steinschönau das große alte Barockhaus Nr. 69, das 1769 von Franz Vogel erbaut worden war, eines der schönsten Patrizierhäuser Nordböhmens (es wurde 1948 verstaatlicht und beherbergt heute das städtische Glasmuseum). Hier gründete er die Firma »J. & L. Lobmeyrs Neffe Stefan Rath« als Filial- und Graveurwerkstättenbetrieb. Professor Witzmann adaptierte das Haus und konzipierte Ausstellungsräume, Wohnung, Werkstätte und Garten. Das Haus wurde zu einer Sehenswürdigkeit Nordböhmens. Stefan Rath vereinigte dort die besten Meistergraveure und Schleifer aus Europa und Ubersee. Nach dem Tod seines Onkels konzentrierte Stefan, im Bewußtsein einer alten, ruhmreichen Tradition, alle Energie auf die Schaffung neuer, dem modernen Formempfinden entsprechender Erzeugnisse. Ein neues Ideal für die Glaskunst entstand. Bisher war die Formgebung der Gläser stets von der nachfolgenden Veredelung durch Schliff und STEFAN RATH SEN.

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Schnitt abhängig gewesen; die Form war gleichsam nur das untergeordnete Rohmaterial. Jetzt besann man sich darauf, daß die Form selbst ein vollkommenes, in sich fertiges, von jeder späteren dekorativen Zutat unabhängiges Kunstwerk sein sollte. Allerdings standen auch hier wieder ältere Erzeugnisse Pate: die zarten, geblasenen venezianischen Gläser des 16. Jahrhunderts, die eine Ästhetik des Kunstgewerbes verkörpern, die in unserer Zeit auf möglichste Schlichtheit der funktionellen Form, auf möglichste Sparsamkeit im Ornament und auf eine zwanglose Gestaltung des Materials abzielt. In die Linie dieser Schöpfungen gehört auch der eiförmige Deckelpokal auf anmutig bewegtem Stengel und mit neuartigem Dekor in Form eines Schriftbandes, gemalt mit klarem Transparentemail, der auf einen Entwurf Stefan Raths zurückging. Ganz auf die Glasmachertechnik hin entworfen waren die von Michael Powolny bei Loetz in Klostermühle 1918 geschaffenen Blumengefäße aus tiefblauem, wundervoll leuchtendem Glas; an den vier Seiten waren dreifache Henkel herausgezogen. Etwas später entstand bei Loetz eine Serie von Vasen aus opakfarbigem Glas, grün, orange, opalweiß, mit schwarzem Abschlußfaden und dreifiißigen Untersätzen. Natürlich aber wurde auch jetzt — der altbewährten Tradition des Hauses folgend — an der Vervollkommnung des Glasschnittes gearbeitet. Auch hier war die Tätigkeit Powolnys von höchster Bedeutung. Der Künstler, der seit 1912 als Professor an der Kunstgewerbeschule des Osterreichischen Museums für Kunst und Industrie tätig war, hatte bereits vor dem Krieg, im Jahr 1913, die ersten Kontakte zu Stefan Rath geknüpft. Bereits damals lieferte er bemerkenswerte Entwürfe ftir den Glasschnitt und blieb von allergrößtem Einfluß auf die künstlerische Entwicklung dieser Technik. Seine Arbeit folgte dem Stil des beginnenden 20. Jahrhunderts in einer besonderen Wiener Ausprägung und mit der speziellen Note einer sympathischen Künstlerindividualität. Vielpubliziert sind seine Arbeiten wie etwa die große, zwölfeckige ovale Fruchtschale mit vier weibli72

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32: Michael Powolny, Deckeldose mit Glockenfuß, graviert mit den zwölf Monatsbildern (Sammlung Lobmeyr)

chen Figuren, für zwei als Seitenstücke dazu bestimmte Vasen sowie für einen Pokal mit der Darstellung der zwölf Monate. Bekannt sind auch eine Serie mit Putten gravierter Becher, die den Stephansdom und die Karlskirche zeigen, der Becher »Glück Gesundheit Freude« von 1917, ein Stammbaumbecher der Familie Rath und viele kleine Gravierungen für besondere Anlässe. Ebenfalls aus dieser Zeit stammen von Professor Otto Prutscher zwei schlichte Service mit wenig Schliff und Firmensignet, die im Auftrag der Böhlerwerke entstanden. Hatte die Zeit Ludwig Lobmeyrs von 1870 bis 1880 starkes Gewicht auf absolute Fehlerlosigkeit und die Reinheit des Glases sowie auf die Exaktheit und Uniformität aller Arbeiten gelegt, so schätzte man in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg wieder den großen Reiz, der in gewissen kleinen Unregelmäßigkeiten liegt, an denen die Handarbeit erkennbar wird. Wieder nahm man sich alte Bergkristallarbeiten des 16. und 17. Jahrhunderts zum Vorbild. Man erkannte, daß ihr besonderer Reiz nicht zuletzt darauf beruht, daß man die Spuren des Schleifrades auf den Oberflächen beläßt. Gerade die Glasgravierung wirkt auf makellosem Glas fast körperlos, sie »schwimmt«, während die zarten Reifelspuren eines Auftreibholzes für die Gravierung einen reizvollen, wesenhaften Halt und Grund abgeben, ähnlich wie beim Metallgefäß der Hammerschlag. Neben verschiedenen anderen Lehrern und Absolventen beschäftigte Lobmeyr in der Zwischenkriegszeit auch eigene, im Geschäft angestellte Zeichner. Der erste war Urban Janke, weiters sind Arnold Eiselt und Oswald Dittrich zu nennen, Adolf Engel, Julius Zimpel (ein Neffe Klimts) und Rudolf Rothemund. Sie alle hatten Gelegenheit, sich auch selbständig mit Entwürfen zu betätigen. 1920 wurde der Kontakt zu Jaroslav Horejc, Professor an der Prager Kunstgewerbeschule, besonders wichtig. Von diesem Künstler stammt eine bedeutende Reihe von geschnittenen Gläsern, die die spezifisch slawische Eigenart klar in Erscheinung treten ließ: der »Bacchantenbecher« oder der »Früchtebecher« von 1922, später »Der STEFAN RATH SEN.

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Tanz« sowie die Vase »Drei Göttinnen«. Alle vier Becher waren dann, mit einem Schriftenbecher des damaligen Rektors Professor Frantisek Kysela — als einzige, aber alle anderen Glasarbeiten weit überragende Repräsentanten der Firma »J. & L. Lobmeyr's Neffe Stefan Rath« - im tschechoslowakischen Pavillon der Pariser Ausstellung von 1925 zu sehen. Als eine weitere, langfristige Vorbereitung auf diese wichtige Ausstellung können Stefan Raths Versuche hinsichtlich einer neuen Emailtechnik gelten. Er experimentierte damit, wie beim Metall alle Teile der Fläche mit Email zu decken. Die dazu notwendigen und bisher zur Verfugung stehenden Transparentemails waren in den Farben zu blaß. Versuche mit reinem Metallemail an der Wiener Kunstgewerbeschule unter dem Emailmaler Kaivach schlugen vorerst fehl. Der Firma Carl Drobnik & Söhne in Haida gelang es schließlich im Herbst 1921, ein brauchbares Grundemail in drei leuchtenden Farben herzustellen. Zuletzt gelangen auch die Rottöne, und Rath verpflichtete die Wiener Kunstgewerbeschülerin Lotte Fink nach Steinschönau. In unermüdlicher Arbeit gelangen einige prächtige Werke, die den satten Harmonien alter kirchlicher Glasmalereien vergleichbar waren. Diese Experimente und die Neubelebung der Hinterglasmalerei, oftmals in Zusammenarbeit mit Lotte Fink, nahmen einen großen Teil von Raths Zeit in Anspruch. Erste Ergebnisse konnten 1922 auf der Deutschen Gewerbeschau in München gezeigt werden. Der Emailbecher »Bacchus und Ariadne« von 1924, der dann in Paris präsentiert wurde, stellt einen Höhepunkt dieser schwierigen Technik dar und ist heute noch Teil der Firmensammlung. Langsam ging es wieder bergauf. Im Februar 1923 konnte die Firma Lobmeyr ihr hundertjähriges Bestehen feiern. Eduard Leisching, Direktor des Osterreichsichen Museums für Kunst und Industrie in Wien, hielt am 1. März die Laudatio. Der Vortrag, der durch eindrucksvolle Lichtbilder bereichert wurde, begann mit den Worten: »Die Erinnerung an den hundertjährigen Bestand des 7 4

FIRMENGESCHICHTE

33: Seltenes Emailglasgefäß -

Hauses Lobmeyr ist keine Privatangelegenheit der Nach-

Entwurf und Ausfuhrung Lotte

kommen des oberösterreichischen Glasergesellen Josef

Fink für die große Ausstellung 1925 in Paris; Beispiel für eine neue Glasmalerei

Lobmeyr ...« Stefan Rath präsentierte an diesem Abend stolz seine beiden nun neunzehnjährigen Kinder Marianne und Hans Harald an seiner Seite. Im Vorraum zum Vortragssaal fand eine von Professor Witzmann und Professor Powolny organisierte Ausstellung statt. Gezeigt wurden die Höchstleistungen aus der S T E F A N RATH S E N .

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Periode von 1870 bis 1923 sowie Zeichnungen und Erinnerungsgegenstände der Firmeninhaber und ihrer Mitarbeiter. Es war kein lärmendes Fest, sondern eine schlichte, würdige Feier. Infolge des Umsturzes, der Nordböhmen der neu entstandenen Tschechoslowakei einverleibte, mußte man das dortige Unternehmen unter einer eigenen Firma ins Leben rufen. Die Leitung übernahm der Fachlehrer der Fachschule Steinschönau, Otto Pietsch, der Sohn des hervorragenden Graveurs Karl Pietsch. In den Werkstätten des Hauses, die durchwegs elektrifiziert waren, wurde nun eine Reihe von jüngeren Kräften ausgebildet. Der Großteil der Glasgravierung, darunter zuletzt auch Hochschnittversuche, wurde aber nach wie vor in Heimarbeit, zumeist in Steinschönau, ausgeführt. Um diese Zeit entstanden Porträtköpfe in altbyzantinischem Stil und Hochschnittarbeiten, die durch die meisterliche Leistung Wilhelm von Eiffs aus Stuttgart zu neuen Ehren gekommen waren. Auf den besten Arbeiten wurde mit der seit 1860 registrierten »Gittermarke« signiert, wobei auch der ausführende Graveur mit seinem Monogramm aufscheinen durfte. Die bedeutendsten Glasschneider waren: August Bischof, August Helzel, Richard Horn, Otto Jahnel, der dann nach Wien in die Kärntnerstraße kam, Otto Pietsch jun., Max Rößler, Otto Weidlich sowie die Glasmaler Josef Eiselt und Josef Lenhardt. Mehrere Mitglieder der Familie Janke waren für Lobmeyr als Vertreter tätig gewesen, Urban Janke ging als Zeichner nach Wien (siehe die Mitarbeiterliste im Anhang). Zwischen den »Lobmeyrianern« (den verdienten Mitarbeitern) und ihrem Chef Stefan Rath bestand ein besonders herzliches Verhältnis, das u.a. auch bei den Mitarbeiterjubiläen seinen Ausdruck fand. So war etwa Anton Zobl über 60 Jahre, der Lusterkettler Eder über 50 Jahre im Dienste der Firma. Die von Leisching so schön umschriebene »leitende Idee des Hauses Lobmeyr« kam dann im Jahr 1925 mit der Verleihung des Grand Prix bei der Exposition Internationale des Arts Decoratifi et Industrieis Modernes in Paris sowie mit 7 6

FIRMENGESCHICHTE

- - A R T S DECORATIFS .-r INDUSTRIELS M O D E R N E S P A R Í S 1925 LE JURY INTERNATIONAL DES RECOMPENSES DÉCERNE UN D I P L Ô M E de G R A N D

PRIX

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34: Urkunde zum Grand Prix fur die Leistungen in Glas an der Pariser Ausstellung von 1925, bei der Stefan Rath all sein Können einsetzte

dem Erscheinen des Buches »100 Jahre österreichische Glaskunst« von Robert Schmidt zur höchsten Blüte. In dem von Josef Hoffmann geplanten österreichischen Pavillon war der Firma Lobmeyr ein eigener Raum zugeteilt worden, der von Professor Strnad mustergültig eingerichtet wurde. Strnad hatte auch die Vorjury über. Der Raum war auf die Farben Schwarz, Weiß, Pfauenblau und Gold abgestimmt, die Türen trugen die Hinterglasbilder von Lotte Fink, die auch kobaltblaue Vasen mit weißen, gewischten Emailfiguren bemalt hatte. Nahezu alle Abteilungen der Wiener Kunstgewerbeschule waren durch Lehrer und Schüler vertreten: Hoffmann, Strnad, Larisch, Powolny (mit seinen nachempfundenen polierten Hochschnittgläsern in Anlehnung an die mittelalterlich-ägyptischen »Hedwigsgläser«), die Hanakschule durch Ena Rottenberg (die Vasen mit Schwarzemail und Rot zeigte) und die Cizekschule (durch eine 43 cm hohe, kubistische Glasplastik von O. E. Wagner). Die Präsentation zeugte von der jahrelangen Arbeit des Chefs mit seinen Künstlern und Handwerksmeistern, da es für Lobmeyr galt, aus einer solchen internationalen »Kunstschlacht« als Sieger hervorzugehen. Stefan Raths Idee war es, möglichst alle Glastechniken künstlerisch aufbereitet zu zeigen: schwere geschliffene Prunkstücke, Vasen und Dosen, reiche moderne Gravierung, Schwarzlotmalerei und Emailarbeiten. STEFAN RATH SEN.

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An hauchdünnen Musselingläsern und Ziergläsern von Haerdtl mit hohlem Balusterstengel wurde die Wesenlosigkeit des dünnen Materials auf die Spitze getrieben. Trinkservice von Hoffmann, Strnad und Oswald Haerdtl, ein Spiegel und ein zarter Beleuchtungskörper wurden gezeigt, Arbeiten von Vally Wieselthier (Sockelvase »Die Königin von Saba«), Hilda Jesser und Raths Tochter Marianne (bergkristallartige Gefäße in den Glasfarben der seltenen Erden, die bei Moser in Karlsbad entstanden waren, der gerade mit diesen neuen Schmelzen experimentierte). Einen völlig anderen Charakter wiesen die Gravierungen nach Entwürfen von Rudolf Rothemund auf, moderne Variationen alter Chinoiserienthemen. Sie alle trugen dazu bei, dem unermeßlichen Glasschatz dieser Schau seine kompakte klare Wirkung zu verleihen. Es gab Ankäufe der kostbarsten Stücke durch das Osterreichische Museum für Kunst und Industrie, das Metropolitan Museum New York (»Früchtebecher«), das Musée des Arts Décoratifs Paris (»Der Tanz«) sowie von Museen aus Stockholm (»Die drei Göttinnen«) und Prag. Aus dem noch vorhandenen Auftragsbüchlein geht herFIRMENGESCHICHTE

35: Gefäße mit bergkristallartig geschliffener Oberfläche, nach Entwurf von Marianne Rath, ausgeführt in den verschiedenen Glasfarben der »seltenen Erden«

36: Mittelstück der Lobmeyr-

vor, daß die kostbarsten Stücke, wie etwa das Mittelstück

präsentation in Paris 1925,

»Welle—Woge« nach einem Entwurf von Ena Rottenberg,

»Die Welle-Woge« nach einem Entwurf der Hanakschülerin Ena Rottenberg

sich gleich zweimal verkauften. Wichtig war auch, daß die internationale Kunstpresse sich überaus lobend und sehr genau mit den einzelnen Arbeiten auseinandersetzte (»... sodaß man nichts vom Reißbrettentwurf an diesen Gläsern spürt, sondern wie bei den besten alten Gläsern, Idee und Ausführung wie von einer Hand und aus einem Guß erscheinen«). Viele der Originalexponate dieser Ausstellung befinden sich noch heute in der Familiensammlung in Wien und sind der Öffentlichkeit zugänglich. In den Jahren nach 1925 beteiligte sich Lobmeyr erfolgreich an verschiedenen Ausstellungen in Brüssel, Mailand, London und anderswo. In dieser Zeit war Ena Rottenberg eifrig für die Firma tätig. Neben der Prunkschale »Welle— STEFAN RATH SEN.

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Woge« waren Flakons mit gepreßten Köpfchen besonders typische skulpturelle Arbeiten. Besonderen Anklang fand der von Professor WimmerWisgrill mit einem Service und einem Beleuchtungskörper aus gepreßten Glasschalen gestaltete Raum »For Two« im Osterreichischen Museum für Kunst und Industrie. Die Ausstellung, die 1932 in Wien anläßlich der Tagung des Deutschen Werkbundes stattfand, besorgte Professor Strnad für Lobmeyr. Der ganze Raum, einschließlich der Decke, war in schwarzem Moire ausgeschlagen, die Gläser wurden von unten angestrahlt, die wenigen Beleuchtungskörper glosten nur schwach. Neben der Pariser Ausstellung bezeichnete Strnad, der routinierte Ausstellungsgestalter, diese beiden Arbeiten als seine schwierigsten Inszenierungen. Ein eigenes Kapitel stellt die lange, fruchtbare Zusammenarbeit mit Professor Carl Witzmann von der Kunstgewerbeschule dar, mit dem Stefan Rath eng befreundet war. 1914 übernahm er die Installation des Lobmeyr-Saales in der anläßlich des fünfzigjährigen Bestandes des Osterreichischen Museums für Kunst und Industrie veranstalteten Gedächtnisausstellung. 1918 folgte, wie bereits erwähnt, die Adaptierung des erworbenen Hauses in Steinschönau, 1924 kam es mit ihm zur Ausführung der Beleuchtungskörper für das Theater in der Josefstadt, dessen beweglicher Mittelluster beim Publikum heute noch höchsten Beifall findet. Einen wesentlichen Einfluß übte dabei Max Reinhardt aus, den Rath auf diese Weise kennenlernte, ebenso wie Hugo von Hofmannsthal, für dessen Sohn Raimund er später ein Prunkservice aus Glas und grün bemaltem monogrammiertem Porzellan für dessen Schloß Leopoldskron ausführte; auch kostbare Kristalluster wurden für diesen Kunden gezeichnet und gefertigt. Im Auftrag von Architekt Witzmann entstanden Luster für das Apollo- und Scalakino, für die Volksoper, für zahllose Kaffeehäuser in Wien und in den Provinzstädten, Luster für Räume im Wiener Rathaus und so mancher besonders kreative Luster für Privatkunden. Witzmann darf 80

FIRMENGESCHICHTE

37: Das 1929 nach Entwurf von

als eigentlicher Gründer des damals neuen Typus des Wie-

Adolf Loos entstandene Becher-

ner Kaffeehauses angesehen werden.

service mit feinem, seidenmatt gehaltenem Steindlschliff am Boden ist weltbekannt.

Bereits in eine neue Ära weist das von Adolf Loos 1929 für Lobmeyr entworfene Becherservice mit Steindlschliffboden, das noch heute als »Designerleistung« par excellence zu gelten hat. Die Entwicklung dieses Services beweist nachhaltig das Können des Glasverlegers Lobmeyr. Loos lieferte nur seine epochale Idee, als weißes Blatt Papier mit 5 eingezeichneten Rechtecken, ab. Erst nach Rückfrage durch Stefan Rath war Loos, anfangs entrüstet über solche Ignoranz, bereit, die Skizze als Entwurf zu seinem Trinkservice zu erklären. Jede weitere Ausführung überließ er vertrauensvoll dem Glasfachmann Stefan Rath, der ihn dann sogar von seiner Idee des Tier- und Blumendekors im Boden abbrachte und stattdessen auf den aus der Empirezeit bekannten Steindlschliff drängte. Dieser funktionell wirkende Schliff verhindert ein Zerkratzen des BoSTEFAN RATH SEN.

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dens. Das Service wurde zu einem großen Erfolg und ging, 20 Jahre später, als typischer Kaufhausbecher in die Automatenproduktion so mancher fremden Fabrik; andererseits sind die von Lobmeyr noch heute hergestellten Originale bei Profidesignern trotz des hohen Preises besonders begehrt und werden immer wieder abgebildet. Die Verbindung mit Oswald Haerdtl begann lange bevor dieser eine Professur an der Kunstgewerbeschule übernahm. Für Stefan Rath war seine außergewöhnliche Begabung schon sehr früh zu erkennen. Seine erste große Bewährungsprobe war sein Beitrag zur Pariser Ausstellung. Sein Service Nr. 240, in den USA als »Ambassador« bekannt, steht in den Sammlungen des Museums of Modern Art in New York; die hohe Champagnerflöte gilt als eines der wohl schönsten modernen Gläser überhaupt. John Foster Dulles hatte dieses Service jahrelang in Gebrauch. Ganz außergewöhnlich sind seine »Kugeldosen«, die, in

38: Flasche und Glas aus dem Service Nr. 240, links die eingedrückte Kugeldose und eine überhohe Vase mit Hohl-

vier Größen hergestellt, auch mit Lüsterfarben bemalt an-

baluster. Exponate aus der Aus-

geboten werden, und seine extravaganten hohen Vasen-

stellung Paris 1925 (Sammlung

kelche. Haerdtl war bis zu seinem Tod für Lobmeyr tätig,

Lobmeyr).

auch er vertrat die beiden Richtungen des brillantmassiven und des reflektierenden, hauchzarten Glases. Seine besondere Leistung galt aber schon ab 1925 der überaus kreativen Behandlung des Themas »Repräsentationsbeleuchtung«. Seine Luster gehören zu den handwerklich feinst ausgeführten, schwierigsten Modellen, die Lobmeyr für spezielle Kunden und Ausstellungen in diesem Jahrhundert ausgeführt hat. Der Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 traf Lobmeyr als Luxusbetrieb überaus hart. Hatte Stefan einen Großteil seines Vermögens mit Ende des Ersten Weltkrieges verloren, so wurde nun das für Experimente gedachte freie Kapital besonders knapp. Zweimal war er nahe daran, das Geschäft liquidieren zu müssen. Die Filiale in Karlsbad wurde 1934 aufgelöst. 1937 hatte sich die Lage so weit konsolidiert, daß Lobmeyr an der Pariser Weltausstellung teilnehmen konnte. Die Firma stellte gemeinsam mit der Wiener Silberfirma J . C. Klinkosch aus. Die Installation übernahm Oswald 82

FIRMENGESCHICHTE

39: Die Vase »Prinz Eugen zu Pferd«, 1942 zusammen mit der Entwerferin Lore Vogler entstanden, von August Bischof graviert, war Lieblingsarbeit von Stefan Rath.

Haerdtl, der einen fragilen Luster für fünf elektrische Kerzen mit Blattrispengehängen entwarf. Der Ausstellungsraum lag etwas tiefer als die anderen Säle, sodaß man ihn, bevor man die wenigen Stufen hinunterschritt, zur Gänze überblicken konnte. Die kostbaren Gläser kamen auf schwarzen Tischplatten besonders gut zur Geltung. In diesem Jahr heirateten beide Kinder; Marianne, die wie ihr Bruder seit 1924 im Geschäft tätig gewesen war, befaßte sich nun nur mehr sporadisch mit Entwürfen. Verzweifelt über die politische Entwicklung, zog sich Stefan Rath 1938 mehr und mehr nach Steinschönau zurück. Um den »Ariergesetzen« zu entsprechen, übergab er seinem Sohn Hans Harald die alleinige Führung der Firma J. & L. Lobmeyr in Wien. STEFAN RATH SEN.

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Während die Firma hier in den folgenden Kriegsjahren fast ausschließlich mit großen Lusteraufträgen beschäftigt war (siehe Kapitel »Hans Harald Rath«), kam es in Zusammenarbeit mit Lore Vogler in Böhmen zur Ausführung einer Reihe von überaus kostbaren gravierten Gläsern. Den Anfang machte »Siegfried« in Hochschnitt, es folgten »Daphne« auf einer rechteckigen Vase, 1944 der »Prinz Eugen«, »Merkur«, der »Europateller«, außerdem ein Kelch in fast sakraler Form, zu dem Lore Vogler die Tierkreiszeichen »Löwe«, »Steinbock« und »Stier« zeichnete, die in poliertem Hochschnitt ausgeführt wurden. Nach langem Zögern entschloß sich Stefan Rath im Februar 1945, nach Steinschönau zu übersiedeln und dort die Ereignisse abzuwarten. Da die Bombenangriffe auf Wien ständig zunahmen, wollte man die wichtigsten Teile des Wiener Zeichenarchivs, weiters etwa 450 Glasmuster und die Privatbibliothek - 1 9 Kisten - mitnehmen. Dresden war gerade zerstört worden, die Russen standen bei Mährisch-Ostrau. Stefan wollte alles versuchen, um den Betrieb in Steinschönau »für sich, für seine Kinder, für Osterreich« zu erhalten. Am 19. Februar war es soweit. Nach zweitägiger, abenteuerlicher Fahrt traf er in Steinschönau ein; erst nach acht Tagen folgte das schon verloren geglaubte Gepäck. Am 9. Mai wurde der Sieg der Alliierten gefeiert, am 20. Juni fand die erste radikale Ausweisung der deutschen Bevölkerung statt. Es gelang ihm, fast alle seine Leute zu behalten, »sie haben nicht gehungert, nicht gefroren, sie waren bei steigendem Verdienst stets voll beschäftigt. Wir bildeten geradezu eine Familie.« Allerdings erlebte er auch schreckliche Tage, so furchtbar, daß er meinte, nie wieder lachen zu können. Seine immer wieder geäußerte Meinung formulierte er so: »Es gibt keine wirklich schlechten Menschen, nur unsägliche Dummheit, die immer wieder so vieles zerstört.« Aus dem reinen Werkstättenbetrieb machte er nun ein eigenständiges Geschäft. Das Rohglas bezog er von Hütten in Karlsbad, von der Vetterhütte Steinschönau, aus Schützendorf und Blumenbach. Gemeinsam mit seinem 84

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Sohn, der ihn immer wieder besuchte, wies er die Prager Stellen unermüdlich auf die Einmaligkeit des kleinen Betriebes hin. Steinschönau wurde Anlaufpunkt für viele Kunden, auch aus Übersee. Damals wagte er sich erstmals an die Ausführung geschnittener Porträts (König Faruk, Juan und Evita Peron, Abraham Lincoln sowie Eleanor Roosevelt). Die Entwürfe stammten von Wilhelm Rößler, Erika Heller und Rudolf Görtier, der die wunderbare Fauna auf den beiden »Peronvasen« zeichnete, sowie später von der jungen Prager Studentin Vera Liskova. Man wollte nun Raths Tätigkeit auf die gesamte tschechoslowakische Glasindustrie ausdehnen und der Firma dafür monatlich Aufträge im Wert von Kc 40.000 erteilen ; ein Vertrag wurde unterschrieben, konnte aber infolge der Februarereignisse von 1948 nie in Kraft treten. In der zweiten Etappe kam es dann zur Verstaatlichung des böhmischen Betriebes. Auf eigenen Vorschlag kam ein »Veduci«, der Betriebsleiter Miroslav Hulcer ins Haus; Stefan Rath erhielt ein Gehalt, vergleichbar mit jenem eines Hochschulprofessors. Als verstaatlichter Betrieb erfuhr man nun jede nur mögliche Förderung seitens der offiziellen Prager Stellen. Es gab laufend Staatsaufträge: 61 cm hohe Deckelvasen mit dem böhmischen Löwen und mit Porträts und Schriften graviert, wie etwa für den Kaiser von Äthiopien, ein Service für dessen Sohn, den Herzog von Harrar, Geschenke für Mao Tse-tung und Tschou En-lai, Stalin- und Leninporträts in Hochschnitt und Intagliogravierung. Der Betrieb in Böhmen war angesichts der Verhältnisse fast eine Staatsnotwendigkeit geworden. Sobald sich die Produktion einigermaßen konsolidiert hatte, nahm Stefan Rath wieder Verbindung mit seinem New Yorker Importeur A. J. Van Dugteren auf. Diese Geschäfte liefen teilweise direkt über die staatliche »Glasexport« in Reichenberg (Liberec), teilweise als Kompensationsgeschäfte wieder über das Wiener Stammhaus, das nun zunehmend auch in Osterreich produzieren konnte. Uber diese Vertretung erreichte Steinschönau 1949 die S T E F A N RATH S E N .

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Einladung zu einer Lobmeyrausstellung im Museum of

40: Über Veranlassung des Ver-

Modern Art. Die Ausstellung zeigte Entwürfe von Loos,

treters in U S A , Van Dugteren,

Hoffmann und Haerdtl, Liskova und Wieselthier und

kam es 1949 zur aufsehenerre-

wurde nach der New Yorker Präsentation in den wichtigsten Städten der U S A gezeigt. Erst später konnte Rath ermessen, welch hohe Auszeichnung das für Lobmeyr bedeutete. Ankäufe aus der Ausstellung, wie etwa die goldlüstrierte Champagnerflöte von Haerdtl, Flasche, Becher und Kompotteller aus dem Loosservice, Teile aus dem Service Nr. 238 von Hoffmann stehen heute noch im »Designers Room« des Museum of Modern Art als Beispiele für die erste Stunde des »Industrial Design«. Im folgenden Jahr zeigte eine Ausstellung im Metropolitan Museum vor allem dekorierte Stücke; auch hier kam es zu namhaften Ankäufen für die Sammlung. Der Name »Lobmeyr« galt nun auch in den Vereinigten Staaten wieder als Spitzenmarke. 1950 gewann Stefan Rath mehr und mehr den Eindruck, daß es nun Zeit sei, nach Wien zurückzukehren. Z u m Abschied von Böhmen wollte er noch in Prag eine große Lobmeyrausstellung gestalten, quasi als Rechenschaftsbericht über seine Leistungen von 1945 bis 1950. Veranstalter war das Prager Kunstgewerbemuseum mit seinem Direktor Emanuel Poche, dem sich Rath stets ver86

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genden Ausstellung von Lobmeyrgläsern im Museum of Modern Art.

4i: Blick in die Abschiedsausstellung von 1950, die Stefan Rath im Großpriorats-Palais in Prag vor seiner Rückkehr nach Wien veranstalten konnte

bunden gefühlt hatte. Zur Eröffnung der liebevoll gestalteten Ausstellung in den herrlichen Räumen des Kapitelsaales im ehemaligen Großprioratspalais der Malteserritter auf der Prager Kleinseite stand Rath an der Seite des Osterreichischen Gesandten. Die Ausstellung wurde zu einem überwältigenden Erfolg. »Wir haben Osterreich sicher keine Schande gemacht«, lautete die typische Selbsteinschätzung des »alten Herrn«. Begleitet vom Streichquartett der Prager Philharmonie auf alten Instrumenten lieferten die Kristallschätze unter glitzernden Lustern und mit dem von Stefan Rath bei Ausstellungen immer besonders einfühlsam gedeckten Tisch den luxuriösen Hintergrund zu einem kultivierten kleinen Fest. Die Kritiken in der Tagespresse waren durchwegs positiv. Kurz nach der Eröffnung versammelten sich alle Glasmacher, Schleifer, Kugler, Graveure, die in dieser Zeit mit STEFAN RATH S E N .

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soviel Hingabe für Lobmeyr gearbeitet hatten und die mit Autobussen aus Steinschönau, Karlsbad, Schützendorf und aus Mähren gekommen waren, um ihren Chef. Ein Jahr später, am 13. Dezember 1951, übersiedelte Stefan Rath nach zahlreichen Behördenschikanen und einem tränenreichen Abschied nach Wien. Er konnte sein gesamtes persönliches Eigentum über die Grenze bringen, dazu auch einige hochwertige Kristallstücke, die zu diesem Zweck aus der Verstaadichungsmasse herausgelöst worden waren. Völlig überrumpelt wurde er jedoch durch eine Übernahmebestätigung für die treuhändisch an das Prager Museum übergebenen Archivbestände der Wiener Stammfirma. Hier war fälschlich angeführt: »bis 1948 Eigentum der Wiener Firma J. & L. Lobmeyr« bzw. »auf Grund der Nationalisierung der Firma J. & L. Lobmeyr«. Tatsache war und ist natürlich, daß die Wiener Firma und deren Eigentum, mit dem Alleininhaber Hans Harald Rath, niemals verstaatlicht werden konnte und daß auch Stefan Rath seit 1938 nur mehr für seine eigene Steinschönauer Firma »Lobmeyr's Neffe Stefan Rath« zeichnungsberechtigt war. Trotz der Schreiben zweier Kulturminister und mündlicher Erklärungen seitens der Direktorin des Kunstgewerbemuseums und des Nachfolgeunternehmens Crystalex, und ungeachtet der oftmaligen Einschaltung der österreichischen Botschaft in Prag konnte eine Freigabe bisher nicht erreicht werden. Nur die Zeit und ehrlicher guter Wille werden das geteilte Archiv wieder vereinen können. Nach seiner Rückkehr wohnte Stefan Rath wieder in seiner alten Wohnung am Stubenring, ging täglich ins Geschäft und leitete im 1. Stock, zusammen mit dem Zeichner Bendel und ab 1957 mit seinem Enkel Harald, die Hohlglasabteilung sowie die Betreuung der Graveurwerkstätte im Haus. Bis dahin hatte sein Sohn, zuerst über Tirol dann mit der Hütte in Salzburg, sowohl die Glasqualität wieder auf Vorkriegsniveau, als auch die Lusterabteilung neuerlich zu höchster Blüte gebracht. Im Auf88

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trag des Bundeskanzleramtes wurden nun gravierte Kristallstücke als Geschenke für Sir Anthony Eden, Maurice Schumann und andere prominente Staatsgäste und Service für die österreichischen Botschaften in aller Welt ausgeführt. Für das Unterrichts- und Handelsministerium sowie für die Stadt Wien hatte Lobmeyr interessante Aufgaben zu lösen. Ein Kristallschild mit Wiener Stadtwappen wurde in den Grundstein der Stadthalle eingemauert, in großer Zahl entstanden gravierte Becher und Pokale für die österreichischen Industrieunternehmen. Mit Freude verfolgte Stefan Rath die Entwicklung des modernen Kristallusters, die sein Sohn mit zunehmendem Erfolg betrieb. Skizzen zu Lustern mit Blattrispen, Luster für Barockkirchen, für den Großen Musikvereinssaal in Wien und für die Grazer Oper, für Schloß Eggenberg in Graz und für Private zeugen weiterhin vom nicht erlahmenden Einfluß auf die Auftragsentwicklung. Der Tag der Unterzeichnung des Staatsvertrages 1955 war für den Seniorchef besonders berührend, kam doch der US-Außenminister John Foster Dulles persönlich in die Kärntnerstraße, um sein Haerdtl-Service zu ergänzen und um der Firma zum großen neuen Opernluster zu gratulieren. Konrad Adenauer beehrte die Firma mit seinem Besuch, Kaiser Haile Selassie empfing eine Abordnung, um selbst Glas zu bestellen. Immer wieder sprach Rath mit Begeisterung über »sein Glas«, ging mit den Enkelkindern stundenlang durch die Sammlungen des Museums für angewandte Kunst, des Kunsthistorischen Museums und der neu eingerichteten Kaiserlichen Schatzkammer. So erklärte er die beiden Wirkungsmöglichkeiten des Glases aus dem griechischen Vokabel »Lithos chyte« - »geschmolzener Stein«; »geschmolzen«, das ist das hauchdünne, fließende Musselinglas, bei »Stein« denkt man an den bearbeiteten Halbedelstein mit seiner tiefen Brillanz. Stets habe er sich bemüht, diese grundverschiedenen Stile möglichst kompromißlos auseinanderzuhalten. Je vielseitiger Glas heute gebraucht und eingesetzt wird, desto trivialer scheint es als Stoff zu werden. Nur die gezielt STEFAN RATH SEN.

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künstlerische, persönliche Verarbeitung vermag den Zauber aus frühen Zeiten zu erhalten und die vielen Stunden gekonnter menschlicher Arbeit zu rechtfertigen, die Lobmeyr in ein solch edel gearbeitetes Kristallstück investiert. Sein Leben lang war Stefan Rath bei jedem Hüttenbesuch aufs neue von der meisterlichen Arbeit am Ofen fasziniert. So sagte er in einem seiner letzten Vorträge: »Ja was ist eigentlich Kunst? Ich habe nie den Ehrgeiz gehabt, ein Künstler zu heißen. Mir genügte es, der Leiter eines vorbildlichen Handwerksbetriebes gewesen zu sein, denn vor dem Handwerk habe ich von Jugend auf den größten Respekt gehabt, und ich habe mich für alle Art Handwerk glühend interessiert. Nicht für das >Kunst