Licht, Natur, Architektur: Ganzheitliche Lichtplanung verstehen und anwenden 9783035624175, 9783035624083

In this planning guide, the renowned lighting designer Ulrike Brandi documents all her findings on the topics of lightin

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Licht, Natur, Architektur: Ganzheitliche Lichtplanung verstehen und anwenden
 9783035624175, 9783035624083

Table of contents :
Inhalts
Vorwort von Ian Ritchie
Einleitung
NATUR
EVOLUTION
WAHRNEHMUNG
KULTUR
NACHHALTIGKEIT
GESUNDHEIT
DUNKELHEIT
DYNAMIK
KOMPOSITION
ATMOSPHÄRE, MAGIE
Dank
Glossar
Ulrike Brandi
Werkverzeichnis
Literatur
Impressum

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ULRIKE BRANDI

LICHT NATUR ARCHITE K TUR Ganzheitliche Lichtplanung verstehen und anwenden

BIRKHÄUSER

7 8

Vorwort von Ian Ritchie Einleitung

NATUR 10 Von der Natur lernen: Tageslicht verstehen und integrieren  12  Phänomen: Was macht den Tageshimmel hell?  14  Hintergrund: Das Besondere des Tageslichts  16  Praxiswissen: Beleuchtungs­stärken, Sonnen­stände, Tages­licht­quotienten  22  Umsetzung: Tages- und Kunstlicht im Trident Park, Malta

EVOLUTION 24 Evolution und Innovation: Die Entwicklung des Auges  26  Phänomen: Wie entstehen Glanz und Glitzern?  27  Hintergrund: Entwicklung und Aufbau des menschlichen Auges  30 Praxiswissen: Beobachten, Ausprobieren und Licht entwerfen –   eine Methodik  34  Umsetzung: Varianten eines Lichtthemas in der Elbphilhar­monie Hamburg

WAHRNEHMUNG 36 Zu gutem Licht gehören drei: Licht, Raum, Wahrnehmung  38  Phänomen: Wie entsteht Schatten?  40 Hintergrund: Das Zusammenspiel von Auge und Gehirn: neurologische und psychologische Aspekte von Wahrnehmung  43 Praxiswissen: Die Kunst des Hervorhebens und im Dunkeln Lassens   46 Umsetzung: Offene Rückzugs­orte – Licht und Raum im Holocaust Memorial of Names, Amsterdam

KULTUR 48 Das Licht und nicht die Leuchte sehen 50  Phänomen: Wie entsteht der Halo-Effekt?  52   Hintergrund: Wie Lichtvor­lieben in den unterschiedlichen Kulturen ent­stehen 57  Praxiswissen: Den Ort achten und die Nutzer:innen hören  60 Umsetzung: Differenzierte Lichtabsichten für die ElbphilharmoniePlaza

NACHHALTIGKEIT 62 Die Kunst, die richtige Lichtquelle zu wählen 64  Phänomen: Wie künstliches Licht entsteht: Temperaturstrahler, Entladungslampen, chemische Lichterzeugung  66  Hintergrund: Nachhaltigkeit umfasst ökologische, ökonomische und soziale Themen 70  Praxiswissen: Wie können wir nachhaltiges Licht planen?  76 Umsetzung: Das Schaufenster nach draußen, Staatstheater Oldenburg

GESUNDHEIT 78 Die biologischen Wirkungen von Licht  80  Phänomen: Semitransparenz und Opazität – ein Lichtpingpong  82  Hintergrund: Wie funktioniert die innere Uhr?  85 Praxiswissen: Gesundes Licht zum Wohnen und Arbeiten 88  Umsetzung: Wie gutes Licht hilft, gesund zu bleiben – Dauerbetrieb und Schichtdienst in der Leitzentrale Elmshorn

DUNKELHEIT 90 Wieviel Licht stört nicht?  92  Phänomen: Wie entsteht Polarlicht?  94  Hintergrund: Wir brauchen tagsüber Schatten und nachts Dunkelheit  99  Praxiswissen: Lichtverschmutzung und lauernde Gefahren: Dunkelheit mit Lichtmasterplänen gestalten 104 Umsetzung: Geringe Lichtemission ist Konzept: Mall of the Netherlands, Leidschendam

DYNAMIK 106 Lichtszenarien steuern und dimmen 108  Phänomen: Der farbige Himmel: Wellenlängen im weißen Sonnenlicht  110  Hintergrund: Warum steuert man Licht? 112 Praxiswissen: Lichtszenen, Schaltkreise und Steuerungstabellen: eine Spielwiese für Technikbegeisterte 116  Umsetzung: Der Himmel fährt mit: Tageslichtstimmungen im ICE 4 der Deutschen Bahn

KOMPOSITION 118 Die Mischung macht’s 120  Phänomen: Absorption, Reflexion und Transmission  122  Hintergrund: Abwechslung regt an. Nach welchem Licht sehnen wir uns? 126  Praxiswissen: Welche Lichtinstrumente haben wir? 128  Umsetzung: Multifunktional wie in einem Wohnzimmer: das Licht in der Centraal Station, Rotterdam

ATMOSPHÄRE, MAGIE 130 Das Immaterielle spürbar machen 132   Phänomen: Ausbreitung des Lichts in Zeit und Raum  135   Hintergrund: Magie – Wenn Raum und Licht und Gefühl im Einklang sind 137   Praxiswissen: Geborgenheit, Neugier, Ruhe: Lichtkonzepte und kollektive emotionale Grunderfahrungen 140  Umsetzung: Zwei Pole der Atmosphäre, Royal Academy of Music, London

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Dank Glossar Ulrike Brandi Werkverzeichnis Literatur



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Vorwort

Stets waren Philosophen, Wissenschaftler und Künstler bestrebt, unseren Geist von dem Schleier, der ihn umgibt, zu befreien und dadurch die Welt zu erhellen. Der durch dichte, dunkle Wolken brechende Sonnenstrahl ist eine gefühlvolle Metapher dafür, wie unser Wissen über die Jahrhunderte mit Momenten brillanter Erkenntnis tanzte. Die Dioptrik, eine reizvolle herrliche Wissenschaft, erlaubt uns, die Zukunft auf dem Weg des Infinitesimalen, also des unendlich Kleinen, zu erkunden. Gleichzeitig schauen wir weiter als je zuvor durch das segmentierte „Auge“ des James-Webb-Weltraumsteleskops in die Vergangenheit und beobachten das sich ausdehnende Weltall. Wir entdecken diese Welt hier – und jene da draußen – durch das Licht, und es ist Licht, das die stimmigen Atmosphären unseres Seelenlebens, von den 480 Nanometern (Wellenlänge) des Morgenhimmels, der unseren Biorhythmus steuert, bis zum romantischen Candlelightdinner, herbeizaubert. Was aber ist mit der Dunkelheit selbst, ohne die man vom Licht nicht sprechen kann? Sie lässt all unsere anderen Sinne hervortreten und uns zugleich innehalten — um nachzudenken, um zu schlafen. Sie erinnert uns, dass unsere Körper nicht einfach nur funktionieren, um „sehend“ unseren Weg durch die Welt zu gehen. Wir haben unsere physische Umwelt so weit illuminiert, dass es heute fast unmöglich ist, Dunkelheit im Freien zu erfahren. Wir haben den Kosmos aus den Augen verloren, unsere Rotation darin, unsere Bewegung durch ihn hindurch, und vielleicht in mancherlei Hinsicht auch uns selbst. Der Kosmos ist ganz Dunkelheit, erleuchtet von Funken flackernden Lichts: dem Sternenstaub. Staub, der unsichtbar in der Luft ist, bis ihn ein Dämmerungsstrahl oder ein Lichtbündel zu einem theatralischen Leuchtereignis werden lässt. Ich kann noch immer mit einer Kerze auf dem Tisch schreiben oder zeichnen und in ihrer Flamme den tanzenden Bewegungen der Luft zuschauen. Brauchen wir also immer dreihundert statische Kerzen? Homo sapiens hat Umweltkrisen herbeigeführt, nun ist Zeit für sapientia. Vielleicht müssen wir lernen aufzuhören, so viel zu machen, und mehr zu träumen, lieber ein wenig länger im Zwielicht zu verweilen, um Dunkelheit und Licht mehr zu schätzen, uns selbst neu wahrzunehmen und Einsichten zu gewinnen, die uns helfen, unsere künftige Lebenswelt gesünder zu gestalten. Ian Ritchie 2022

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Einleitung

Am besten lernen lässt sich vom natürlichen Licht. Die Lichtphänomene der Natur umgeben uns so selbstverständlich, dass sie oft gar nicht bewusst wahrgenommen werden. Es sind wenige grundlegende Prinzipien, die einzeln oder in Kombination miteinander die Atmosphäre schaffen. Lichtplanung ist Gestaltung unserer Lebenswelt. Sie geschieht nicht losgelöst von gesellschaftlichen und ökologischen Zusammenhängen, und ich möchte deshalb die aktuelle Bedeutung von Lichtplanung hervorheben: Die Welt mit Licht schön und abwechslungsreich zu gestalten, ist mit einem behütenden Umgang mit unserem Planeten erstaunlich gut vereinbar. Aus diesem Grund stehen die dafür wichtigen Themen Natur, Evolution, Wahrnehmung, Kultur, Nachhaltigkeit, Gesundheit, Dunkelheit, Dynamik, Komposition und Ästhetik/Magie in zehn Kapiteln dicht verwoben zusammen. Meine hier formulierte Systematik zur Lichtplanung bringt die Multidisziplinarität des Fachgebiets zum Ausdruck: Auch die Gesamt-Planungsteams in Architektur und Städtebau arbeiten längst interdisziplinär an den komplexen Bauaufgaben unserer Zeit, und ich mache immer wieder die Erfahrung, dass eine kluge Lichtplanung in diesen Teams einen konkreten Beitrag dazu leisten kann, die heraufziehende Klimakatastrophe abzuwenden. Mich begeistern außerdem die Denkmodelle der Physik, die versuchen, Erklärungen auf wenige grundsätzliche Regeln zu reduzieren. Es macht mir Freude zu zeigen, dass so variantenreiche Lichtatmosphären aus einem einfachen Baukasten weniger physikalischer Gesetze erzeugt werden können. Die chemischen Elemente, die im Periodensystem in wunderbare Ordnung gebracht sind, reichten als Bausteine ja auch für die Millionen organischer und anorganischer Stoffe aus. So ähnlich ist es mit dem Licht. Das Tageslicht als Akteur und Maßstab eröffnet das gemeinsame Verständnis von lichttechnischen Zusammenhängen, von gestalterischen Prinzipien und Freiheiten. Die Evolution des Auges, der bewusste Blick auf das Licht selbst, Nachhaltigkeit durch optimales Tageslicht im Gebäude, humanzentriertes Licht, die Balance zwischen Licht und Dunkelheit in der Nacht und intelligente Lichtsteuerungen – all diese Themen bestimmen die Profession der Lichtdesigner:innen. Dafür biete ich Strategien an, die dazu anregen, vielfältige Lichtarten zu schönen Kompositionen zusammenzufügen und auf diese Art Atmosphäre und im besten Fall eine Poesie des Lichts entstehen zu lassen. 

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Jedes der zehn Hauptthemen beginnt mit der Gegenüberstellung einer natürlichen Lichtsituation und der Umsetzung in einem meiner Projekte, für das dieses Licht­ prinzip der Ideengeber war. Dazu beschreibe ich die entsprechenden physikalischen Phänomene und biete Hintergrund- und Praxiswissen zu den jeweiligen Themenschwerpunkten. Ich kombiniere dabei neue Erkenntnisse anderer Disziplinen wie der Neurologie, Medizin, Biologie und des Umweltschutzes mit unmittelbar für die Planung nützlichen Informationen. Diese Struktur erlaubt es, das Buch nicht nur Seite für Seite zu lesen, sondern bei Bedarf auch nur einen Strang zu verfolgen, bestimmte Zusammenhänge oder praktische Tipps einfach nur nachzuschlagen und natürlich auch die Fotografien auf die Wirkung des Lichts hin genauer zu betrachten. In jedem Fall ist es mein Wunsch, allen Lichtinteressierten Inspiration für Entwürfe und Anregungen zum Weiterlesen und Ausprobieren zu geben.

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NATUR Von der Natur lernen: Tageslicht verstehen und integrieren Die Natur, das große System, in dem wir leben und agieren, ist der Ausgangspunkt meiner Überlegungen. Sie ist die Lehrmeisterin für gutes Lichtdesign. Ich widme mich deshalb dem natürlichen Licht. Seine wesentlichen Bestandteile sind Tageslicht und Nachtlicht. Das Studium der natürlichen Lichtphänomene steht am Anfang jedes Lichtentwurfs. Wir finden dort physikalische Gesetze ebenso wie ihre ästhetische Wirkung und integrieren das gewonnene Wissen in unsere Projekte.

— Der blaue Himmel über St. Peter-Ording — Die helle Decke im Trident Park, Malta

NATUR / PHÄNOMEN

Was macht den Tageshimmel hell? Blauer Himmel: Diffusion in Gas und Aerosolen Der helle blaue Himmel entsteht, weil die parallelen Sonnenstrahlen auf Luftmoleküle und Aerosole wie Staub-, Rauch- und Wasserpartikel treffen, die sie reflektieren und brechen. Dadurch verteilt sich das ursprünglich nur aus der Richtung der Sonne kommende Licht über die ganze Himmelsfläche. Es erreicht unser Auge und beleuchtet Objekte auf vielen Umwegen und aus allen Richtungen. Auf dem Mond, ohne Atmosphäre, sehen die Astronaut:innen nur das schwarze Universum und keinen blauen Himmel.

Die helle Decke: Diffuse Reflexion auf matten Oberflächen Indirektes Licht erzeugt über eine weiße Decke optische Tiefe, wenn die Lichtverteilung weich und gleichmäßig und die Oberfläche der Decke matt ist und streuend reflektiert.

— Lichtbrechung und Diffusion an Luftpartikeln in der Atmosphäre

— Streuung der Lichtstrahlen an matter Oberfläche

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„Die Herausforderung beim zeitgenössischen Tageslicht­ design liegt darin, das volle Potenzial des Designs von innen nach außen und von außen nach innen auszuloten; zwischen Raum und Oberfläche zu ver­ mitteln; und die praktischen Leistungsvorteile wie auch die Dimensionen von Ästhetik, Erfahrung und Ökologie zu feiern.“ 1 — Mary Guzo­wski, 2018

NATUR / HINTERGRUND

Das Besondere des Tageslichts Natürliches Licht erscheint im Rhythmus zwischen hellem Tag und dunkler Nacht. Im Licht zeigt sich, wie in vielen anderen Phänomenen, der Reichtum und Überfluss der Natur: seine Qualität, seine Quantität und sein Eigensinn. Eigensinn beschreibt das Tageslicht hier nicht im Sinne eines menschlichen Temperaments, sondern im Sinne einer Dynamik, des Unberechenbaren.

Spektrum, Farbwiedergabe Das kontinuierliche Spektrum der für Menschen sichtbaren Strahlung enthält jede Wellenlänge von ca. 400 bis ca. 780 Nanometer; wir sehen sie im weichen Übergang im Regenbogen oder auch im Spektrometer. Im Gegensatz dazu weist das diskontinuierliche Spektrum von LEDs oder Leuchtstofflampen einzelne unzusammenhängende Farbpeaks auf. Tageslicht hat, ebenso wie Glühlampenlicht, die beste Farbwiedergabe von Ra 100. Es gibt LEDs, die einen Farbwiedergabeindex von Ra 98 haben, aber die allermeisten Büros oder Wohnungen erhalten Licht aus LEDs mit einem Farbwiedergabeindex von nur Ra 80. Während die Ansprüche an Kameras und Bildschirme kontinuierlich und rasant steigen, berauben wir uns der Farbvielfalt und Farbbrillanz in der realen Welt. Das ist keine gute Qualität und eine bedauerliche Folge des Fokus auf Energieeffizienz im Umgang mit Licht. Natürliche Beleuchtungsstärken auf der Erde, von der Sonne erzeugt, variieren von 0,00 001–120.000 Lux; Brillanz und Weichheit existieren in Verläufen und Kontrasten. In Innenräumen leben wir meistens in Beleuchtungsstärken von ca. 200 bis 500 Lux, so schreiben es die Standards für Kunstlicht in vielen Gebäudearten vor. Das reicht zwar gerade, um bestimmte Sehaufgaben erfüllen zu können aber nicht zum täglichen Auffrischen oder Eintakten unseres zirkadianen Rhythmus und dient damit nicht unserer Gesundheit. Wir sperren so viel des wertvollen Guts Tageslicht aus, obwohl wir es CO2-frei bekommen.

— Spektrum und Schatten: Reichtum und Eigensinn von Tageslicht ist sichtbar gemacht.

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Mögliche Argumente gegen und für die Nutzung von Tageslicht sind: 1. Tageslicht erzeugt zu viel Wärme. Dennoch: Um übermäßigen Wärmeeintrag zu vermeiden, ist es deshalb klug, Himmelsrichtungen und Sonnenstände mitzudenken. 2. Tageslicht ist nicht immer verfügbar, insbesondere abends, nachts und an Wintertagen. Dennoch: Wir benutzen in Büros und Werkhallen tagsüber mehr elektrisches Licht als nachts, es „brennt“ rund um die Uhr. 3. Architekt:innen haben nach der Erfindung von elektrischem Licht die Kompetenz für Licht an Elektroingenieur:innen abgegeben. Wie in vielen anderen Disziplinen entwickelte sich auch im Umgang mit Licht so eine Euphorie „Alles-technisch-Machbare-machen-wir“, die alles andere als nachhaltig wirkt. Dennoch: Wir beginnen gerade, gute neue Erfindungen zu machen, die Natur und Technologie in Einklang bringen oder sie gleichwertig nebeneinander arbeiten lassen. Die Unkalkulierbarkeit, der „Eigensinn“ des natürlichen Lichts, der manchmal wilde Wechsel von Lichtstimmungen erzeugt, ist ein Reichtum: Wir sollten den Wert dieser Dynamiken für unsere Psyche und unsere Gesundheit verstehen lernen.

— Tageslicht in der Kathedrale von Lausanne

NATUR / PRAXISWISSEN

Beleuchtungsstärken, Sonnen­ stände, Tageslichtquotienten Von Anfang an gut, das heißt: mit Tageslicht zu belichten, ist besser, als nachträglich mit Kunstlicht zu beleuchten. Wenn Architekt:innen, Lichtplaner:innen und Klimaingenieur:innen schon im frühen Entwurfsstadium von Gebäuden zusammenarbeiten, schaffen wir es, die großzügige Globalstrahlung unter Berücksichtigung von Azimutund Höhenwinkeln der Sonne in gute Tageslichtquotienten im Innenraum zu verwandeln, ohne letzteren zu überhitzen. Bauen wir so, dass hauptsächlich Tageslicht Innenräume mit Licht versorgt, wie das in der Kathedrale von Lausanne (siehe S. 15) geschieht, dann planen wir zukunftsfähig. Um das Tageslicht in einem Gebäude zu planen und zu entscheiden, welche Richtungen für Fenster und Oberlichter sinnvoll sind, wie groß sie sein sollten und ob sie verschattet werden müssen, werfen wir einen Blick auf Geografie und Wetterkunde. Selbst der klare Himmel ist nicht überall gleich hell: Der Zenit strahlt etwa dreimal heller als der Himmel des Horizonts. Durch waagerechte Oberlichter gelangt ca. dreimal so viel Licht in einen Raum als durch senkrechte Fenster gleicher Fläche.

Sonnenstände Die Sonne wandert zur Tag- und Nachtgleiche von Ost nach West, im Sommer wandert sie von Nord-Ost nach Nord-West. Wie hoch ihre entsprechenden Azimuth- und Höhenwinkel sind, hängt vom Breitengrad des jeweiligen Ortes ab. Je näher wir von den Polen zu den Wendekreisen kommen, umso höher steigt die Sonne am Mittag. Innerhalb des nördlichen und südlichen Wendekreises, die jeweils 2.600 Kilometer nördlich bzw. südlich des Äquators liegen, kann die Sonne senkrecht über uns stehen. Sonnenstandsdiagramme zeigen die höchsten Sonnenstände an, den Verlauf der Sonnenbahn von Ost nach West für jede Tageszeit und für jeden Ort. Ob die Sonne überhaupt scheint und wie lange, zeigen Statistiken, die die Sonnenscheinwahrscheinlichkeit für die meisten Orte der Welt und im Verlauf des Jahres zeitlich differenziert erfassen.

Der Tageslichtfaktor und die Verschattung durch umliegende Gebäude Um auch die Raumtiefe mit Tageslicht gut zu versorgen, ist ein in der Höhe liegendes Fenster geeigneter als niedrigere Fenster. Das Verhältnis der Fensterglas-Flächen zu Raumgröße und -proportion ist entscheidend darüber, wie hoch der Tageslichtquotient im Raum ist und wie gleichmäßig er sich verteilt. Der Transmissionsgrad der Gläser beschreibt, wieviel Anteil des Tageslichts in den Raum einfällt; Sonnenschutzgläser haben niedrige Transmissionsgrade und wirken sich schlecht auf den Tageslichtquotienten aus.

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h ac eD

Fas sad

eD ach

d ssa Fa

60° 20° flache Wintersonne

hohe Sommersonne

— Sonnenstände

Tageslichtfaktor [%]

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12

6

0 0

2

4

6

Raumtiefe [m] ­—­ Der Tageslichtfaktor ist von Fenstergröße und -höhe abhängig.

Ost-WestOrientierung

Nord-SüdOrientierung

Innenhof als Lichtleiter

­—­ Verbauung: Verschattung, verursacht durch umliegende Gebäude

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Aus den Sonnenstandsdiagrammen ist abzulesen, wie stark umliegende Gebäude oder die Vegetation ein Haus verschatten. Sie zeigen außerdem, zu welchen Zeiten welche Art von Sonnenschutz auf welchen Seiten richtig ist. Im Süden strahlt die Sonne steiler ein, dort schützen waagerechte Lamellen optimal, während im Osten und im Westen senkrechte Lamellen meist sinnvoller sind. Flexible Verschattungssysteme wie Pergolen, Pflanzen, die im Winter Laub abwerfen, oder mechanische und thermo­mechanische Systeme sind ideal. In Abhängigkeit von Licht- und Wärmemengen lassen sie Licht gesteuert in Räume herein und sperren das im Winter dürftigere Tageslicht nicht aus. Gebäude, deren Fassaden individuell, je nach Himmelsrichtung und Verbauung konstruiert sind, folgen klug den Erkenntnissen von Tageslichtsimulationen. Es gibt noch viel zu erfinden: Bewegliche, sich verändernde Verschattungssysteme reagieren auf direkte Sonneneinstrahlung und verdunkeln Räume auch bei grauem Wetter nicht. Spannende Vorschläge machen dazu die Natur, besonders die Pflanzenwelt, sowie traditionelle regionale Bauweisen. Neue bionisch entwickelte Verschattungssysteme öffnen und schließen sich je nach Sonneneinstrahlung. Aus der Ferne wirkt das, als würde das Gebäude im Licht atmen; aus der Nähe erinnern die Geometrien der  einzelnen Segmente an Blätter von Pflanzen. Auf logische und sinnvolle Art verändern sich Reflexionen und Schatten zwischen innen und außen.

Die Europäische Norm zum Tageslicht in Innenräumen Nach diesem Überblick über die zentralen Faktoren gebe ich hier eine knappe Zusammenfassung der wichtigsten Aspekte der europäischen Norm zum Tageslicht, die Begriffe definiert und Empfehlungen für die Anwendung in der Praxis gibt. Tageslichtplaner:innen sollten früh an städtebaulichen Entwürfen und Bebauungsplänen mitwirken, um auf dieser Grundlage für eine optimale Belichtung der Quartiere zu sorgen. Substanziell ist die quantitative Aussage über die Tageslichtmenge im Raum, über den Tageslichtquotienten und seine Verteilung im Raum. Ziel ist es ja, den Raum nicht nur ganz nah am Fenster, sondern auch in der Tiefe gut zu belichten. Die Zeiten direkter Sonneneinstrahlung und die Sichtverbindung sind wichtige Aspekte, die den Raum zusätzlich lebendig machen. Die in Europa seit 2019 gültige Norm „EN 17037 - Tageslicht in Gebäuden“2 definiert Standards, die es Vertragsparteien (Bauherr:innen/Arbeitgeber:innen/Berufsgenossenschaften/Versicherungen)  ermöglichen, Tageslichtqualitäten  vertraglich  fest­zu­schrei­ben. Die Norm ist eine Empfehlung, aber keine gesetzliche Vorschrift. Die vorgeschlagenen  Einstufungen  und  die  dazugehörigen  Werte  resultieren  aus Erkenntnissen zum Einfluss von Tageslicht auf die Gesundheit des Menschen. EN 17037 definiert bestimmte Mindestbeleuchtungsstärken für die Kategorien „gering“, „mittel“ und „hoch“. Diese Werte werden in der Praxis meistens nicht überprüft, nicht nachgewiesen und leider häufig nicht eingehalten. Ein Grund dafür ist der sich immer stärker verdichtende Städtebau. Die Energieeinsparverordnungen der Länder mit den in Folge dickeren Dämmschichten sorgen für tiefere Fensterlaibungen, welche die im Laufe der Zeit lichtundurchlässiger werdenden Glasschichten der Fenster zusätzlich verschatten. Qualitäten, die ein Gebäude lichttechnisch gesünder und zukunftsfähiger machen können, werden so durch die Energiesparverordnung verhindert.

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Empfehlungen für die Tageslichtversorgung durch Tageslichtöffnungen in vertikalen und geneigten Flächen Geringe oder Mindest-Tageslichtversorgung: » In Räumen mit Fenstern sollen während 50 Prozent der Tageslichtstunden auf mindestens 50 Prozent der Fläche 300 Lux und auf mindestens 95 Prozent der Fläche 100 Lux herrschen. » Für Räume mit horizontalen Oberlichtern gilt für fast die gesamte Fläche (mindestens 95 Prozent), dass während 50 Prozent der Tageslichtstunden 300 Lux herrschen sollen. » (50 Prozent der Jahresstunden gelten als Tageslichtstunden, das ist die Hälfte der Stunden des Jahres: 365 Tage x 24 Stunden: 2 = 4380 Stunden) Mittlere Tageslichtversorgung: » In Räumen mit Fenstern sollen während 50 Prozent der Tageslichtstunden auf mindestens 50 Prozent der Fläche 500 Lux und auf mindestens 95 Prozent der Fläche 300 Lux herrschen. » Für Räume mit horizontalen Oberlichtern gilt für fast die gesamte Fläche (mindestens 95 Prozent), dass während 50 Prozent der Tageslichtstunden 500 Lux herrschen sollen. Hohe Tageslichtversorgung: » In Räumen mit Fenstern sollen während 50 Prozent der Tageslichtstunden auf mindestens 50 Prozent der Fläche 750 Lux und auf mindestens 95 Prozent der Fläche 500 Lux herrschen. » Für Räume mit horizontalen Oberlichtern gilt für mindestens 95 Prozent der Fläche, dass während 50 Prozent der Tageslichtstunden 750 Lux herrschen sollen. Eine Berechnung zum Nachweis der jeweiligen Beleuchtungsstärken bezieht den bedeckten Himmel der betreffenden Region und Jahreszeit als Lichtquelle ein. Daten dazu liefern Wetterdienste und meteorologische Institute. Das Fenster oder das Oberlicht, seine Lage, Größe, Proportion und der Transmissionsgrad seines Glases bestimmen die Lichtmenge, die in den Raum hineinfällt. Die Ergebnisse an den einzelnen Punkten des Raumes (die Berechnungsfläche liegt in 0,85 m Höhe) resultieren aus dem Lichteinfluss und dem Raumwirkungsgrad, einem Faktor aus Raumgröße, -proportion und Reflexionsgraden von Wänden, Decke und Boden.

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Kriterien zur Qualität der Sichtverbindung nach außen Ein weiteres Kriterium zur Güte des Tageslichts in Räumen ist die Sichtverbindung nach außen. Dort sind Himmel, Landschaft/Gebäude und der Boden mehr oder weniger zu sehen, auch für diese Faktoren benennt die EN 17037 verschiedene Qualitäten. Für die Qualität der Sichtverbindung gelten folgende Kriterien: » horizontaler Sichtwinkel » Außendistanz » Anzahl sichtbarer Ebenen von mindestens 75 % der Raumfläche Befinden sich vor dem Fenster gegenüberliegende Gebäude, so lässt sich aus der Tiefe des Raums nur diese Ebene sehen, dies ist eine sehr eingeschränkte Sichtverbindung. Die Verbauung wirkt sich zusätzlich auf ein weiteres Kriterium aus: die Besonnung. Sie ist besonders in Wohnräumen, Aufenthaltsräumen von Kindergärten und Schulen oder Bettenzimmern in Krankenhäusern für das Wohlbefinden wichtig.

Kriterien zur Qualität der Besonnung von Innenräumen EN 17037 schreibt die Mindestdauer der Besonnung für einen Stichtag zwischen dem 1. Februar und dem 21. März an einem bestimmten Bezugspunkt im Raum fest. Dieser liegt mindestens 1,20 m über dem Fußboden und 0,30 m über der Fensterbrüstung. Außerdem liegt er auf einer horizontalen Linie in der Mitte des Fensters, diese gedachte Linie liegt auf der Innenseite. Berücksichtigt werden nur Zeiten, während derer die Sonne über einem bestimmten Mindesteinstrahlwinkel (in Deutschland 11 Grad) in den Raum scheint.

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↗  Zum Start eines

Tageslichtprojekts

Untersuchung der Tageslichtbedingungen im Innenraum Architektur:  Ausrichtung des Gebäudes/Himmelsrichtungen Wie fügt sich das Gebäude in die Stadt/Landschaft ein? (Verbauung, Verschattung, direkte Sonneneinstrahlung) Welche Möglichkeiten gibt es für Tageslichtöffnungen in Fassade/Dach/Atrium? Nutzung des Gebäudes: Raumprogramm: Welche Raumarten funktionieren in welche Himmelsrichtungen am besten?  Tägliche Aufenthaltsdauer Tageszeit  Tätigkeit beim Aufenthalt im Gebäude Nutzergruppe: Spezifische Gruppe von Menschen  Alter Einschränkungen, besondere Bedürfnisse Check: Habe ich alle ortsspezifischen Daten erfasst? Sonnenstand  Sonnenscheinwahrscheinlichkeit Reflexionseigenschaften der Umgebung Sind weitere einzuholen?  Gibt es ein reales/virtuelles Architekturmodell/Modell der Umgebung?

NATUR / UMSETZUNG

Tages- und Kunstlicht im Trident Park, Malta In den ehemaligen Produktionshallen der Brauerei entstanden im historischen Bestand moderne Büros. Das vorher kompakte Gebäude erhielt Einschnitte mit Gärten, um die neuen Büroetagen moderat und großzügig mit Tageslicht zu versorgen. Pflanzen und starre Fensterläden mildern harte Lichteinfälle und bieten eine interessante Aussicht. Die Decken der flexibel aufteilbaren Büroebenen sind im Verhältnis zur Grundfläche relativ niedrig. Es war naheliegend, das helle Himmelszelt von Malta im Innenraum auf eine abstrakte Art fortzusetzen. So entsteht ein gleichmäßiges Grundlicht, das mit den lichtgefluteten Decken optische Höhe und Weite erzeugt. Das kann nur gelingen, wenn das Licht gleichmäßig unter der Decke verteilt ist. Der Wunsch der Bauherren nach kühleren Farbtemperaturen von 4000 K schafft Frische im Gegensatz zu der maltesischen Hitze draußen. — Die Fassade zum Innenhof

1

Guzowski, Mary. The art of architectural daylighting. London, 2018, S. 6.

2

DIN e. V. (Hrsg.) EN 17037 - Tageslicht in Gebäuden. Berlin, 2018.

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EVOLUTION Evolution und Innovation: Die Entwicklung des Auges Natur + Leben = Evolution Die Evolution ist Vorbild für unsere Lichtplanungs­ prozesse. Spielerisch neue Erfindungen mit Licht zu machen, bedeutet, neue Entwürfe zu kreieren. Die Evolution des Auges zeigt, wie das System Lebewesen mit Licht interagiert. Pflanzen nutzen Licht anders als Tiere: Die Aufnahmesysteme für Licht haben sich in der Evolution sehr unter­schiedlich entwickelt. Für die Anwendung lernen wir, wie das Auge funk­tio­ niert. Für unsere Planungsmethodik verstehen wir, dass das Ausprobieren für Innovationen unerlässlich ist.

—­ Regentropfen auf einem Gingkoblatt fokussieren das Himmelslicht. —­ Die Kugelleuchten im Großen Saal der Elbphilharmonie Hamburg strahlen in brillantem Licht.

EVOLUTION / PHÄNOMEN

Wie entstehen Glanz und Glitzern? Lichtbrechung, Glitzern, Lichtstrahlen in der Wasserlinse Wassertropfen, Glas, Linsen fokussieren auftreffende Lichtstrahlen, weil diese ihre Richtung an der Grenze zwischen dem dichteren und dem weniger dichten Medium ändern. So entsteht brillantes Licht. Die Wassertropfen auf dem Gingkoblatt sammeln das Sonnenlicht so, dass es unsere Augen gebündelt erreicht.

Lichtbrechung in dickwandigen Glaskugeln, Brillanz vor heller Fläche Die 1300 mundgeblasenen Kugeln in der Elbphilharmonie sind im Gegensatz zum Wassertropfen zwar hohl, haben aber so unregelmäßig dicke Wandstärken, dass sie wie Linsen das Licht des darüber liegenden Downlights brechen und es funkelnd in verschiedene Richtungen werfen. Es trifft entweder direkt in unsere Augen und wirkt brillant, oder es fällt erst auf Decke und Wände und erhellt diese.1

— Strahlengang bei mehrfacher Totalreflexion innerhalb von Wassertropfen und die daraus resultierende Lichtreflexion

— Lichtbrechung in einer dicken Glaskugel­ wandung und Totalreflexion am Übergang zwischen Luft und Glas

EVOLUTION / HINTERGRUND

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 ntwicklung und Aufbau E des menschlichen Auges Die Evolution des Auges zeigt, welche komplexen Fähigkeiten des Auges sich im Laufe der Zeit entwickelten und wie sie sich von denen anderer Lebewesen unterscheiden. Das hilft uns, um unsere Planungen vor einem weiteren Horizont fein auf die jeweiligen Sensoren abzustimmen. Drei Arten von Augen haben sich im Laufe der Evolution entwickelt: » das „Kameraauge“ mit einer Linse, » das „Komplexauge“ mit der Addition vieler einzelner Lichtsensoren und » das „Spiegelauge“, bestehend aus Reflektoren und Fotorezeptoren. 2

Die Entwicklung des menschlichen Auges Vor 600 Millionen Jahren entstanden erste Fotorezeptoren; das Sehpigment-Protein Opsin ordnete sich auf der ganzen Körperoberfläche als Augenflecken an. Daraufhin entstanden Fotorezeptoren mit Außenmembranen, gefolgt von ersten Synapsen zur Signalübertragung in das Gehirn. Die Netzhaut war noch nicht in der Lage, ein Bild zu erzeugen, es gab nur eine lichtdurchlässige Außenhaut. Im mittleren Kambrium entstanden verschiedene neue Fotorezeptorzellen: Zapfen, Bipolarzellen und Ganglienzellen. Vor 500 Millionen Jahren entstanden Linsen, die zur Akkommodation fähig waren: mit einer Iris und der damit einhergehenden Veränderung der Pupille. Danach bildeten sich Muskeln, um Augenbewegungen zu ermöglichen. Die Biomembran Myelin machte das Signal schneller und Rhodopsin ermöglichte die Entwicklung der Stäbchen, der Rezeptoren für sehr schwaches Licht. Das Auge leistete ab jetzt die Adaptation, die Anpassung an die Dunkelheit. 200 Millionen Jahre später verschwanden diese letzteren Fotorezeptoren für nachtaktive Wirbeltiere wieder. 3 Die Abbildung auf der nächsten Seite zeigt das menschliche Auge im Schnitt. Als die Landwirbeltiere vor 430 Millionen Jahren entstanden, passte sich ihre Augenlinse an den Brechungsindex zwischen Luft und Linsenmaterial an; gleichzeitig entwickelte sich das Augenlid. Das Sehvermögen verschiedener Lebewesen ist verwandt und gleichzeitig verschieden. Wir wissen, wie unterschiedlich sich die Augen von Wirbeltieren und Menschen entsprechend ihren Lebensbedingungen entwickelten. In der Lichtplanung spielt nicht nur das Wissen über die menschliche Sehfähigkeit, sondern auch über diejenige von Tieren eine Rolle: Wenn Vögel bestimmte Wellenlängen des weißen Lichtes kaum wahrnehmen, können wir Menschen im Außenbereich Lichtquellen einsetzen, die die Tiere durch nächtliches Licht weniger stören.

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Querschnitt des menschlichen Auges 1 Linse 2 Pupille 3 Hornhaut 4 Regenbogenhaut, Iris 5 vordere Augenkammer 6 hintere Augenkammer 7 Ziliarmuskel 8 Lederhaut 9 Aderhaut 10 Netzhaut 11 gelber Fleck 12 Bereich größter Empfindlichkeit für blaues Licht 13 Glaskörper 14 Sehnerv/blinder Fleck 15 Ganglienzellen 16 Amakrinzellen 17 Horizontalzellen 18 Bipolarzellen 19 Stäbchen 20 Zapfen 21 Pigmentepithel

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„Oliver war ein Beobachter, da­rum ist er anfangs von der Wissenschaftswelt auch nicht akzeptiert worden. Manche Leute glauben, für Wissenschaft brauche man eine Hypothese und ein kontro­l­liertes Experiment. Aber dann frage ich: Was ist denn Astronomie? Mit dem HubbleWeltraumteleskop kann man nur gucken, nur beobachten. Beob­ achten ist Teil der Wissenschaf­ ten, denn ohne Beobachtung lässt sich keine Hypothese aufstellen. Olivers Arbeit war so etwas wie das Hubble-Weltraumteleskop der Neurologie, eine Astronomie des Bewusstseins.“4 — Mary Temple Grandin, 2020

EVOLUTION / PRAXISWISSEN

Beobachten, ausprobieren und Licht entwerfen – eine Methodik So, wie die Evolution durch das Ausprobieren zur Innovation kam, eröffnen das Spiel mit Licht und das ausgiebige Betrachten der Effekte neue Entwürfe.  Als Kind wollte ich Astronomin werden, stundenlang beobachtete ich die Sterne. Ich bin kurzsichtig, und als ich mit 13 Jahren eine Brille bekam, war ich von der Vielzahl der Sterne überwältigt. Auf der Abbildung rechts erkennt man, wie ich einen Merkurtransit beobachte. Für dieses Ereignis lieh meine Mutter ein Teleskop in einem Fotogeschäft und ich lernte, eine Glasplatte mit Ruß zum Filter zu machen. Diese Methode ist unzureichend; zum Schutz der Augen vor den gebündelten Sonnenstrahlen gibt es inzwischen fertige Sonnenfilter, die zuverlässiger schützen. Heute erscheint mir das Beobachten des Himmels tags und nachts wie eine genussvolle Meditation.

— Ich beobachte den Merkurtransit am 9. Mai 1970 in Hamburg.

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Kerze im dunklen Raum Für einen Workshop an der Architectural Association in London mieteten wir einen Kellerraum und beleuchteten den ca. 80 m² großen Raum mit einer einzigen Kerze in der Mitte. Nach einiger Zeit sah man mehr als nur die Flamme, irgendwann wurde sie blendend hell, ein bisschen glänzte dann der leicht glatte Boden, schließlich erschienen die entfernten Wände. Das war ein Prozess, wie wenn sich ein Bild langsam beim Entwickeln in der Dunkelkammer zeigt: magisch. Hier erlebten wir die Fähigkeit unserer Augen, auch bei kleinster Lichtmenge zu sehen, am eigenen Leib. Dafür nahmen wir uns viel Zeit. Ich fügte weitere Kerzen hinzu, bis vier Kerzen in der Mitte des Raumes auf dem Boden standen. Die Studenten beobachteten die Veränderungen und hatten die Aufgabe, die Situation mit weißem Stift auf schwarzem Papier zu zeichnen. Im nächsten Schritt nahm ich eine große Veränderung vor: Ich stellte die vier Kerzen in die vier Ecken des Raumes. Die Wände wurden hell, sie waren präsenter, begrenzten und definierten den Raum. Die Atmosphäre veränderte sich im Zusammenspiel von Licht und Raum. Das Foto rechts oben entstand in der Domaine de Boisbuchet, als ich den Workshop „Less light is more light“ leitete. Man sieht eine der vier Kerzen in einer Raumecke und die Wirkungen, die sie auf die nähere Umgebung hat.

Veränderung des Raumes durch die unterschiedliche Position und Richtung des Lichts In der Ausstellung „Europe-Japan“ im AIT Architektursalon in Hamburg probierten wir in der Rauminstallation von Studiospazio verschiedene Lichtsituationen aus. Im ersten Bild, Mitte links, strahlt eine Pendelleuchte auf ein dichroitisches schräggestelltes Glas, Mitte rechts beleuchten zwei Tischleuchten unterschiedlicher Farbtemperatur und in verschiedenen Höhen den Raum und erzeugen eine ganz andere Stimmung.

Genießendes Hinschauen und Auf-sich-wirken-Lassen Genuss ist offenes und aufmerksames Sehen und findet in der Natur und den Projekten immer wieder statt: zwischendurch aufblitzend oder als wohliger Dauerzustand. Wer liebt nicht die Brillanz, das Gefunkel der Mondstraße? Die Mondstraße ist die Summe aller glitzernden Reflexionen auf einer bewegten Wasseroberfläche zwischen Mond und Betrachter:in. Ein Phänomen, das uns treu bleibt, denn es folgt uns, die wir am Rand des Sees spazieren gehen, und es schafft immer die kürzeste Verbindung zwischen Mond und Betrachter.

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— Eine Studentin zeichnet das Licht einer Kerze im dunklen Raum ab, Domaine de Boisbuchet

— Die unterschiedliche Position und Richtung des Lichts verändern den Raum, AIT Architektursalon, Hamburg

— Eine Mondstraße auf dem Genfer See, Schweiz

EVOLUTION / UMSETZUNG

Varianten eines Lichtthemas in der Elbphilharmonie Hamburg Die Wasseroberfläche des Genfer Sees zeigt weiche verzerrte und wiederholte Spiegelungen des Mondes. Die Fassade der Elbphilharmonie erzeugt ein Wechselbild von Himmelsabschnitten und Wolken. Sie besteht aus einer Vielzahl konvexer und konkaver Spiegel, die zwischen den Glasebenen unterschiedlich dicht bedampft sind. Von innen kann man ungehindert hinausschauen, von außen reflektiert die Fassade unterschiedlich stark. Bei jedem Wetter, jeder Tageszeit und jeder Blickrichtung „bespielt“ der Himmel die Fassade anders, und abends fügt das elektrische Licht aus dem Foyer die warmweiße Lichtkomponente hinzu. — Fassade der Elbphilharmonie mit Plaza

1 Das Urheberrecht für die Leuchten liegt bei Herzog und de Meuron. 2 Gehring, Walter J.: Wie sich das Auge entwickelte, Auf: unibas.ch/de/Aktuell/Uni-Nova/Uni-Nova-111/ Uni-Nova-111-Auge.html (21.2.2022) UNI NOVA 111/2009, Darwin und die Evolution UNI NOVA, Wissenschaftsmagazin der Universität Basel. Herausgegeben von der Öffentlichkeitsarbeit (Leitung: Hans Syfrig). S. 12. 3 Trevor D. Lamb, Shaun P. Collin, Edward N. Pugh Jr.: Evolution of the vertebrate eye: opsins, photoreceptors, retina and eye cup. In: Nature Reviews. 8, 2007, S. 960–975. 4 Zitat aus Film: Temple Grandin, Mary. In: Dokumentation: Oliver Sacks – Sein Leben, 2020, Regie: Ric Burns (Übersetzung Ulrike Brandi)

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WAHRNEHMUNG Zu gutem Licht gehören drei: Licht, Raum, Wahrnehmung Evolution + Interaktion = Wahrnehmung Wahrnehmung geschieht im Auge-Gehirn-Komplex interaktiv. Der Abgleich mit Erfahrungen hilft dem Individuum, Informationen zu verstehen und einzu­ ordnen. Die Wahrnehmung zeichnet nicht das objektive Abbild des Gesehenen auf, sondern sie integriert Erfahrung in das gesehene Bild. Das Wissen hierüber hilft in der Licht­planung, bestimmte Stimmungen mit Licht zu erzeugen und Räume auf die gewünschte Art wirken zu lassen. Schatten sind essenziell, weil ohne sie keine räumliche Wahrnehmung stattfindet.

— Licht und Schatten in The Wave, Utah erzeugen den Raum. —­ Das Dutch Holocaust Memorial of Names, Amsterdam, erzeugt variierende Raumgefühle.

WAHRNEHMUNG / PHÄNOMEN

Wie entsteht Schatten? Opazität und Mehrfachreflexion Opake Objekte in direktem Licht werfen Schatten; die Schärfe der Schattenkante hängt von der Entfernung des Objekts zur Projektionsfläche und der Größe der Lichtquelle ab: Je größer sie ist, umso weicher ist die Schattenkante. Der abgebildete Schatten in The Wave auf der linken Seite besitzt eine relativ weiche Kante. Die Sonne erzeugt aus ihrer großen Entfernung nahezu parallele Strahlen. Leuchten, die ihr Licht nicht parallel, sondern radial abstrahlen, erzeugen weniger scharfkantige Schatten. Die angestrahlte Seite der Wave reflektiert das Licht auf die gegenüberliegende Felswand und hellt sie auf. Fotograf:innen benutzen transportable Faltreflektoren, um auf die gleiche Weise Sonnenlicht umzulenken.

Diffuse Rückreflexion Jede Fuge und jeder eingravierte Buchstabe des Dutch Holocaust Memorial of Names wirft Schatten, wenn sie aus den Bodenleuchten Licht bekommen.  Würde man sie direkt von vorne beleuchten, dann ginge diese Mikro-Topografie optisch verloren, die Fläche würde dann platt und weniger lebendig wirken.

— Absorption der parallel eintreffenden Sonnenstrahlen (rot) und des aus allen Richtungen eintreffenden Himmelslichts (blau) und Strahlengang bei mehreren diffusen Reflexionen

— Strahlengang bei mehreren diffusen Reflexionen zwischen zwei gegenüberliegenden Wänden. Dabei hellt sich auch die nicht direkt beleuchtete Wand auf.

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„Auf die Dauer der Zeit nimmt die Seele die Farbe der Gedanken an.“ 1 — Marc Aurel, 121 – 180 n. Chr.

Ein Einschub in eigener Sache: Ich bin gesichtsblind, d.h. ich kann Gesichter zwar als Gesichter erkennen, aber ich kann sie nicht gut wiedererkennen. Lange Zeit wusste ich nicht, dass es das gibt, und dachte, ich wäre bei Begegnungen zu unaufmerksam. Ich habe manchmal „vorbeugend“ Unbekannte freundlich begrüßt oder ein Erkennen vorgespielt, wenn ich eine Person traf, die ich kenne, aber nicht erkannte. Ich könnte viele skurrile Geschichten erzählen. Wenn Sie mich also treffen, würden Sie mir helfen, wenn Sie sich einfach zu erkennen geben, insbesondere, wenn Sie sich eine neue Frisur oder Brille zugelegt haben. Dafür sind auch die vielen anderen Gesichtsblinden, etwa zwei Prozent der deutschen Bevölkerung, dankbar.

WAHRNEHMUNG / HINTERGRUND

 as Zusammenspiel von Auge D und Gehirn: neurologische und psychologische Aspekte von Wahrnehmung Wahrnehmung beruht auf einer komplexen Interaktion zwischen Auge und Gehirn. Im vorherigen Kapitel stand das Auge in seiner Funktion als Sensor im Fokus (siehe S. 28), hier geht es um seine Einbindung in das komplexe System des Körpers. Anders als eine Kamera ist das Auge vom Gehirn mit dessen Erwartung und Sehgewohnheit gesteuert. Diese Arbeitsweise des Auge-Gehirn-Komplexes kennend, können wir besseres Licht planen. Das menschliche Auge und die für das Sehen verantwortlichen Bereiche des Gehirns funktionieren seit langem in ihrer Entwicklung gemeinsam. Die Fotorezeptoren im Auge sind auf bestimmte Sehobjekte spezialisiert, und das Gehirn steuert den Sehvorgang. Beim Menschen beansprucht die Verarbeitung und Begleitung visueller Reize im Verhältnis zu den für andere Sinne zuständigen Arealen 60 % der Großhirnrinde. Die Menschen sind eher „Augentiere“ als „Nasen- oder Ohrentiere“. Schon im ersten Schritt des Sehens leiten die Rezeptoren der Augennetzhaut die erhaltenen Informationen bereits analysiert und sortiert an die primäre Sehrinde im Kortex. Die Informationsverarbeitung geschieht spezialisiert: Die kortikale Rezeption geschieht über den Pfad zum Scheitellappen, der für Bewegungs- und Positionswahrnehmung zuständig ist. Er hilft dem Menschen, sich und die Umwelt räumlich einzuordnen. Ein anderer Pfad leitet Signale zum unteren Schläfenlappen, der für das Erkennen von Objekten, Farben und Formen zuständig ist. Daraufhin geschieht eine weitere selektierende Verarbeitung der empfangenen Information. Hier sind die Neuronen im Kortex auf Bilder von Händen, Gesichtern und Bewegungsmustern spezialisiert.

Interaktion von Auge und Gehirn Zum Zusammenspiel spezialisierter und sinnvoll angeordneter Neuronen gehört die vorausschauende Erwartung des Gehirns an das zu Sehende. Sie ist Fluch und Segen gleichzeitig. Der Fluch besteht darin, dass wir kein objektives Bild der Realität sehen, sondern das, was das Gehirn durch die Erwartung vorbereitet und filtert. Der Segen besteht in der daraus resultierenden Geschwindigkeit, weil der Einfluss von Erfahrung auf das Bild die Vorgänge im Gehirn beschleunigt und uns so schnell reagieren lässt. Eine weitere Manipulation, die das Gehirn am Bild vornimmt, ist die Tatsache, dass der blinde Fleck nicht als Lücke im gesehenen Bild wahrgenommen wird. Das Wissen über die Faktoren, die der Wahrnehmung einer objektiven Realität ein Schnäppchen schlagen, hilft Lichtplaner:innen, negative Auswirkungen einer Lichtumgebung zu vermeiden und Vorlieben und Abneigungen Einzelner besser zu verstehen:

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„Meine Wahrnehmung ist eine Vorhersage dessen, was in der Außenwelt sein sollte.“2 Die Erwartung des Gehirns an das Bild einer bestimmten Situation entsteht aus der Millionen Jahre alten kognitiven Grundausstattung, die jeder einzelne Mensch von Geburt an besitzt und weiterentwickelt. Wie bei anderen Lernprozessen fließen individuelle Erfahrungen in die Erwartung an die Welt ein. Dies geschieht meistens unbewusst.

Wertung von Helligkeiten Im Tagebuch eines Babys3 von Daniel N. Stern fesselt den fiktiven sechs Wochen alten Joey der Reflex eines Sonnenstrahls an der Wand: „Ein Stück Raum leuchtet dort drüben. Ein sanfter Magnet zieht an und hält fest…“4 Die Sehfähigkeit ist mit sechs Wochen noch nicht perfekt, aber ein Kind erkennt bereits verschiedene Farben, Formen und Intensitätsgrade. An der Intensität seines Gefühls dem Lichteindruck gegenüber erkennt es bereits, ob es darauf zugehen oder Abstand halten soll. Es kann unterscheiden, ob es Schutz suchen oder neugierig forschen möchte. Ein schwacher Reiz, zum Beispiel eine bei Tag leuchtende Lampe, besitzt wenig Anziehungskraft. Ist der Reiz zu intensiv, zum Beispiel durch direkte Sonneneinstrahlung erzeugt, meidet ein Säugling ihn. Ein mäßig intensiver Reiz durch Sonnenlicht, wie Sonnenreflexe im Bild unten, verzaubert einen Säugling und aktiviert seine Aufmerksamkeit. Das Kind kann außerdem bereits zwischen Nah- und Fernbereich unterscheiden, der ausgestreckte Arm markiert die Grenze dazwischen. Auch dies ist ein Baustein im Erfahrungsschatz, der die Wahrnehmung schon mittels der Erwartungen des Gehirns mitprägt: „Der Raum erwärmt sich und wird lebendig. In seinem Inneren beginnen Kräfte sich langsam tanzend umeinander zu drehen. Der Tanz kommt näher und näher.“5 Das Kind starrt unverwandt auf den Lichtfleck, es hat einen visuellen Fixpunkt gefunden. Wenn ihm dieser Punkt nach einer Weile langweilig wird, wandert der Fokus seiner Aufmerksamkeit, obwohl sich die Augen nicht bewegen.

— Sonnenreflexe an der Zimmerwand

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Optische Täuschungen Optische Täuschungen klären uns darüber auf, wie das Gehirn bereits vorsortiert und bewertet, um beschleunigt die existenziell wichtige Entscheidung treffen zu können, ob bei einer Begegnung Annäherung oder Flucht die richtige Handlung ist. Schon vom Auge wird eine Bildinformation gezielt in bestimmte Areale wie das für Orientierung im Raum weitergeleitet. So ist das Gehirn hier nicht mit der räumlichen Zuordnung des Gesehenen belastet: Wo sich der Schatten auf einer Fläche zum Objekt befindet und was dies über deren Position zueinander bedeutet, ist vorab geklärt. Die Erfahrung lehrt, dass der Schatten von auf der Erde stehenden Menschen an ihren Füßen beginnt; löst sich der Schatten aber vom Fuß wie im Bild unten, scheint der Mensch zu fliegen.

Zeitwahrnehmung und Reflexion im dunklen und hellen Raum Die Bühnenbildnerin Beatrix von Pilgrim untersuchte die Wirkung von Licht auf die Zuschauer im Theater.6 Unter der Überschrift „Das Licht regiert die Wahrnehmung“ entwickelte sie, „dass Zeitwahrnehmung und Reflexion der Betrachter im dunklen und hellen Raum völlig verschieden funktionieren. […] Zu Spielbeginn wird es also dunkel, der Betrachter wartet und wird im Dunklen in einen anderen Modus versetzt, die schwarze Zauberschachtel oder der Vorhang verschwinden vor seinen Augen, und das Spiel im Kopf des Zuschauers beginnt. […] Wenn man nichts sieht, weil es komplett dunkel ist, springen die Zeitwahrnehmung und der Fluss der Erzählung. Im Film kennt man Schwarzblenden, die Lücken im Fluss der Erzählung […], die im Kopf des Zuschauers eine Vorstellung von dem aktivieren, was übersprungen wurde […]. Sie eröffnen einen Denkfreiraum für das, was hätte passieren können oder sollen, eine Aufforderung zu Vermutungen.“ 7 Der dunkle Raum spricht Fantasie und Emotionen an, während Menschen im hellen Raum, in seiner ernüchternden, sichtbaren Gegenständlichkeit, rational und vernünftig reagieren. Diese Erkenntnisse aus dem Theater gelten so auch für unsere Architektur- und Stadtumgebungen.

— Optische Täuschung: Der Schatten suggeriert, dass eine Person schwebt.

WAHRNEHMUNG / PRAXISWISSEN

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Die Kunst des Hervorhebens oder im Dunkeln Lassens Das Licht beeinflusst sehr, wie Menschen einen Raum wahrnehmen. Die Gestaltung von Hell und Dunkel hat besonders starke Wirkungen. Lädt ein heller Raum freundlich ein oder gibt es erst Licht am Ende des Tunnels? Schüchtern martialisch helle Lichtsäulen Gäste einer Veranstaltung ein oder machen glitzernde Lichtpunkte neugierig und locken Menschen heran?  Für zwei unterschiedliche Gebäudearten, Museen und Büros, zeige ich, wie hilfreich das Wissen über Wahrnehmung für die Lichtplanung ist.

Museumslicht: Hell oder dunkel? Grundsätzlich existieren zwei gegensätzliche Lichtprinzipien im  Museumsbau: Im 19. Jahr­­hundert präferieren Museumsleute das helle, tageslichtorientierte Museum, dessen mattierte Oberlichter ein weiches Himmelslicht in die Räume bringen. Die Objekte sollten in ähnlichem Licht zu sehen sein, wie die Künstler:innen es während des Malens sahen. Die zum tageslichtorientierten Museumslicht gegensätzliche Konzeption des Dunkelmuseums erlaubt dramatische Inszenierungen, fast so wie im Theater. In vielen Museen gibt es Bereiche des einen und des anderen Lichtkonzeptes. In der Museums- und Ausstellungsbeleuchtung spielt nicht nur die psychologische, sondern auch die physische Wirkung einer dunklen Umgebung eine wichtige Rolle: In einem Museum, dessen Räume dunkel gehalten sind, kommen Exponate stärker als in hellen Räumen zur Geltung, auch wenn sie relativ schwach ausgeleuchtet sind. Die Augen adaptieren an die Dunkelheit und nehmen die für empfindliche Objekte vorgeschriebene maximale Beleuchtungsstärke von 50 Lux als hell wahr. Umgekehrt verkleinern sich die Pupillen, wenn helle Lichtquellen blenden und das Sehvermögen im Dunkeln erlischt. Die dunkle Umgebung hilft, Sammlungsgut vor schädlicher Lichtstrahlung zu schützen.

Bürobeleuchtung: Weiche oder harte Helldunkel-Verläufe? Das Wissen über Kontraste und Blendung bestimmte in der Arbeitsmedizin und Ergonomie die Normen für Arbeitsplätze, um die Augen nicht zu überanstrengen. Unter diesen Vorgaben können kontrastarme Räume entstehen, in denen alle Flächen gleich hell wirken. Die Forderung der Blendungsbegrenzung sorgt dafür, dass man nirgends in eine offene Lichtquelle hineinschaut; das ist komfortabel, aber reizarm. Wenn im Laufe des Tages nie ein kleiner Sonnenstrahl in den Raum fällt, führt das leicht zu monotonem, ermüdendem Licht in Büroräumen. Mit einer fantasievollen Lichtplanung, die Lichtinseln schafft, Bereiche betont, Schattenzonen zulässt und außerdem die Normen einhält, können Büros ein ab­ wechslungsreiches Licht bekommen. Dynamische Lichtsysteme ermöglichen

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Lichtunterschiede im Verlauf des Tages. Licht unterstützt so die Transformation von Büroflächen zu neuen Arbeitsräumen, die Bereiche für konzentriertes Arbeiten am Bildschirm, für akustisch abgeschirmte Telefonate und den kommunikativen Austausch unter Kolleg:innen bieten. Wir nehmen die kontrastreiche Situation als interessant und spannend wahr, sie fordert unsere Aufmerksamkeit. Die Sonne blendet, die Schatten auf der Treppe der Uferpromenade in der Morgensonne sind kontrastreich, siehe rechts oben, im Büro wäre dieses Spektrum zu groß. Auf der Uferpromenade im Nebel ist das Sonnenlicht gedämpft, es gibt kaum Schatten, siehe rechts unten. Zwar kämpft das Auge nicht mit irritierenden Kontrasten, aber die weiche Hülle von Licht bietet kaum Reize und ermüdet das Auge auf die Dauer. In Innenräumen ist eine ausgewogene Balance zwischen kontrastreichem und weichem Licht wichtig. Die Kombination von weichem diffusem Licht mit direktem brillantem Licht schafft eine Abwechslung, die dem natürlichen Licht entspricht.

Raumwahrnehmung Beleuchtungsvarianten des gleichen Raums verändern Raumproportionen und Atmosphäre. Sie machen ihn mit einer hell beleuchteten Decke höher, frisch und freundlich; Wände treten im Licht stärker hervor, Lichtinseln geben ihm etwas Persönliches.

— Licht auf verschiedenen Flächen verändert die Raumwahrnehmung: Proportionen und Maße wirken unterschiedlich.

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— Uferpromenade in Hamburg in der Morgensonne

— Uferpromenade in Hamburg im Nebel

WAHRNEHMUNG / UMSETZUNG

Offene Rückzugsorte – Licht und Raum im Holocaust Memorial of Names, Amsterdam Das Dutch Holocaust Memorial of Names in Amsterdam erinnert an die niederländischen Juden, Sinti und Roma, die im Holocaust ermordet wurden und nie eine Grabstätte bekamen. Für jeden der über 102.000 Menschen gibt es jetzt einen Stein in der Mauer der Erinnerungsstätte. Sie liegt an einer lauten Straße, zum Straßenniveau abgesenkt vor dem Eingang des kleinen Parks Hoftuin. Im Grundriss bildet die Skulptur die Buchstaben des hebräischen Worts für „in Erinnerung an“. Die zwei Ebenen der begehbaren Skulptur sind zueinander leicht verschoben. Unten gibt es die 2 Meter hohe Backsteinmauer mit den eingravierten Namen, oben schweben hochglänzende Elemente, die die Umgebung spiegeln und immateriell erscheinen. Das Licht prägt das Raumgefühl, indem es den Wechsel von Weite und Dichte, von Freiheit und Geborgenheit begleitet. Die Abbildung zeigt, dass das Licht aus den einzelnen Bodenleuchten des Holocaust Memorial of Names wie Kerzen schimmert. Wenn der Himmel nicht den Großteil unserer Umgebung bis zum Horizont einnimmt, dann sind es Berge, Häuserschluchten, Innen- und Außenwände. In unserem Gesichtsfeld sind die vertikalen Flächen am wichtigsten für den Raumeindruck. Das zwischen zwei Wänden hin und her springende Licht im Holocaust Memorial of Names definiert den Raum, es wirkt erholsam und schafft Geborgenheit: einen Raum für Zurückgezogenheit und Nachdenken. — Das Dutch Holocaust Memorial of Names in der Abenddämmerung

1

Piazza, John; Needleman, Jacob: The Essential Marcus Aurelius. New York City, 2008.

2

Frith, Chris: Wie unser Gehirn die Welt erschafft. Heidelberg, 2010.

3

Stern, Daniel N.: Tagebuch eines Babys, München 1991, S. 24.

4

Ebd., S. 24.

5

Ebd., S. 24.

6



Von Pilgrim, Beatrix: Belichtete Zeit. Über Bilder im inszenierten Raum. In: Büscher, Barbara; Eitel Verena Elisabet; Beatrix von Pilgrim (Hrsg.), Raumverschiebung Black Box - White Cube. Hildesheim/Zürich/ New York, 2014, S. 121.

7

Ebd., S. 121.

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KULTUR Das Licht und nicht die Leuchte sehen Wahrnehmung + Menschengemachtes = Kultur Der Begriff „Kultur“ weist hier auf Sehgewohnheiten hin, die sich kulturell entwickelt haben. In der europä­ ischen Kultur sehen Menschen eher das Objekthafte, Mess­bare, und sie neigen dazu, das „immaterielle“ Licht zu übersehen. In der Lichtplanung beurteilen viele zuerst die schöne Leuchte und nicht das schöne Licht, das im Raum herrscht. Gesellschaftliche Ge­ pflogenheiten prägen unseren Umgang mit Licht. In weiten Teilen der Welt konnte ich die Ähnlichkeiten und die Unterschiede zwischen vielen Kulturen ken­nen­­­ lernen, um dieses Spektrum an Möglichkeiten dann in Lichtplanungen zu integrieren.

— Der Halo-Effekt um die Sonne ­— Die Kugelleuchten der Elbphilharmonie Hamburg werfen einen Halo-Effekt auf die Decke der Plaza.

KULTUR / PHÄNOMEN

Wie entsteht der Halo-Effekt? Der Halo-Effekt Die Lichtbrechung in der Atmosphäre erzeugt den Halo-Effekt. Der Halo-Effekt, den wir manchmal gegen den dunklen Himmel um den Mond, seltener um die Sonne herum sehen, entsteht ähnlich wie ein Regenbogen. Dadurch, dass Eiskristalle in der Luft den Weg des Lichts brechen, entsteht für uns Betrachter ein sanft schimmernder, manchmal farbiger Ring um den Mond.

Ringförmige Rückreflexion An der Decke der Plaza ist eine ringförmige Rückreflexion zu beobachten. Um die Leuchten auf der Plaza der Elbphilharmonie entsteht der Halo-Ring auf der Decke durch Reflexionen am spiegelnden Silberring der Glaskugel. Ein Teil der in die Kugel fallenden Lichtstrahlen reflektiert erst nach oben, um dann von der Decke wieder nach unten geworfen zu werden.

— Der Mensch sieht einen Lichtring (Halo-Effekt) um Sonne oder Mond durch die Lichtbrechung in Eiskristallen in der Atmosphäre.

— Die direkte Reflexion in der ringverspiegelten Kugel wirft einen Halo-Ring an die Decke und schützt das Auge vor Blendung.

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„Die Nähe zur Natur ist uns sehr wichtig, wir möchten diese Be­ ziehung zwischen dem Menschen und seiner natürlichen Umwelt für zukünftige Generationen er­ halten. […] Eigenständigkeit ist ein wichtiger Teil der finnischen Mentalität. Wir sind gern allein – allein mit der Natur.“2 — Anu Puustinen, 2013. „Die Schönheit der Landschaft – wo Sand, Wasser, Schilf, Vögel, Gebäude und Menschen irgend­ wie zusammenflossen – hat mich nie verlassen“3 — Zaha Hadid, 2006.

KULTUR / HINTERGRUND

Wie Lichtvorlieben in den unter­ schiedlichen Kulturen entstehen Woher kommen Licht-Vorlieben und Abneigungen in verschiedenen Kulturen? Licht schafft Orientierung in Zeit und Raum. Tageslicht ist ein wesentlicher Teil der uns konkret umgebenden Natur: als ortsspezifisches Licht. Die vier Elemente der frühen griechischen Philosophie waren Feuer, Wasser, Erde, Luft. Mit dem Feuer gehörte das Licht zu dieser elementaren Gruppe von Materialien oder Phänomenen. Alles Leben war von diesen „vier Elementen“ abhängig und passte sich den jeweils zur Verfügung stehenden Mengen an. Im Verlauf ihrer Ausbreitung über den Planeten begannen die Menschen, sich den unterschiedlichen Tageslichtbedingungen anzupassen und sich dabei biologisch nur wenig zu differenzieren. Die Differenzierung geschah eher kulturell: Menschen entwickelten unter verschiedenen Klima- und Landschaftsbedingungen unterschiedliche Strategien, um zu bauen, sich zu schützen und zu ernähren. Diese wiederum prägen, in Verbindung mit Landschaft und Klima, die Lebenswirklichkeit der Menschen seit Generationen.

Vorlieben und Abneigungen für warmes oder kaltes Licht In Lebensweisen, Architektur und Städtebau manifestiert sich, wie sich unterschiedliche Kulturen im Umgang mit Licht entwickelt haben; kulturell unterschiedliche Erfahrungen führen zu verschiedenen Vorlieben und Abneigungen. Am augenfälligsten ist die für warmes oder kaltes Licht, abhängig vom Breitengrad des Ortes der jeweiligen Kultur. Besonders die unterschiedlich langen Dämmerungsphasen an verschiedenen Orten der Erde prägen die Sehgewohnheiten der Menschen. Morgen- und Abenddämmerung mit dem Übergang zwischen Hell und Dunkel sind überall verschieden. Menschen, die in Äquatornähe leben, kennen den Übergang von hellem Tageslicht zur dunklen Nacht als ganz kurze Zeitspanne von wenigen Minuten. In dieser Zeit können die Augen nicht voll an die plötzliche Dunkelheit adaptieren. Daher ist für sie der Übergang zu einem unmittelbar eingeschalteten, weiterhin tageslichtweißen hellen Kunstlicht abends und nachts logisch und angenehm, sogar in Restaurants. Darüber wundern sich die Besucher:innen aus dem Norden. In der Nähe zu den Polen dauert die Dämmerung länger, und sie erlaubt es den Augen, parallel zum langsamen Dunkelwerden zu adaptieren. Es gibt eine lange Phase des orange-warmen Abendhimmels, sodass die Menschen im Norden in der Nacht ein warmes und gedämpftes Kunstlicht bevorzugen, besonders in Restaurants. Das wiederum wundert meine Bauherr:innen in Malaysia, und sie bitten mich, nicht so ein „nördlich-warmes Licht“ einzuplanen. Nicht nur der Breitengrad, sondern auch die Farben der Landschaft und Naturmaterialien sind dafür verantwortlich, welches Licht uns geläufig ist. Sie prägen unsere Verbundenheit mit einer Farb- und Lichtatmosphäre geografisch unterschiedlich.

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Gegenstandsfarben, die Lichtfarbe oder die Farbtemperatur des weißen Lichts sind typisch für Gegenden und Tageszeiten, sind im Gedächtnis des Einzelnen verankert, wecken Assoziationen und prägen die Wahrnehmung der Lichtstimmung. Wie die verschiedenen Lichtstimmungen nicht durch verschiedene Lichtquellen entstehen, sondern durch verschiedene Materialien, Farben und Glanzgrade, auf die das Licht fällt, zeigt sich in einem Praxisversuch. Auf den unteren Fotos zu Materialität und Lichtstimmungen sieht man die Konstanten des Versuchsaufbaus: den weißen Raum und die Lichtquelle in der Farbtemperatur von 2700 Kelvin, in immer gleicher Position. Die Materialien lassen sich auswechseln: gelber matter Karton, die goldene glänzende Seite einer Rettungsfolie und blauer matter Karton, neben dem links noch der gelbe liegt. Die Wirkung auf den Raum erkennt man auf allen Flächen, inklusive der Dachschräge und dem dunkelgrauen Fußboden. Ein Holztresen in einer Kneipe reflektiert wärmeres, angenehmeres Licht auf die Gesichter der dort Sitzenden als ein Glastresen oder eine blau lackierte Oberfläche. Ein unverstellter Blick und das dauernde Beobachten der Welt im Licht bauen im Gedächtnis eine Lichtbibliothek auf. In der Literatur beschreiben Autor:innen Lichtsituationen, um verschiedene durch Licht hervorgerufene Gefühle der Protagonist:innen zum Ausdruck zu bringen.

— Einfluss von Materialität auf Lichtstimmungen4

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Orientierung – Desorientierung in Raum und Zeit Dass Tageslicht emotionalen Halt, Rückversicherung über die Zeit und Orientierung bietet, zeigt eine Szene in Juli Zehs Roman Neujahr, in der ein Junge seine Eltern vermisst. Die Bedrohung des Alleingelassenseins macht er für sich erträglicher, indem er sich bezüglich der Tageszeit am Licht orientiert: „Am nächsten Morgen sind Mama und Papa weg. Henning steht auf, während Luna noch schläft. Er läuft durch die Gänge, die im Morgenlicht wieder auf ihre normale Länge geschrumpft sind, und durch den sonnendurchfluteten Saal. […] An der Farbe des Lichts kann er ungefähr erkennen, wie spät es ist. Er schaut sich Himmel, Sonne und Garten an. Das ist nicht mehr Schlafenszeit, es sind Frühstücksfarben. […] Das Zimmer wird immer dunkler. Henning kennt das; öfter schon hat er der Dunkelheit zugesehen, wenn er nicht schlafen konnte. In den Ecken wachsen Schatten. Alles bekommt ein anderes Gesicht.“5 Der folgende Text beschreibt die pragmatische Beziehung der Menschen in Somalia zu natürlichem Licht, Zeit und den daraus resultierenden Lebensgewohnheiten. Der direkte Einfluss des Tageslichts ist selbstverständlich: „Ein Freund hatte mir erklärt, dass die Zeit geändert wurde, um das Tageslicht auszunutzen […] ‚Warum steht ihr dann nicht einfach jeweils bei Tagesanbruch auf?‘ In Somalia gab es solche Gedankengänge nicht, wir organisieren nicht einfach die Zeit um. In der Nähe des Äquators geht die Sonne das ganze Jahr über ungefähr zur gleichen Zeit auf, und wie lange es dann bis zu ihrem Untergang dauert, kann man an den länger werdenden Schatten ablesen. Was hatten Uhren mit der Sonne zu tun? In westlichen Städten gibt es so viele Lampen, dass es doch gar keinen Unterschied macht, ob es Tag oder Nacht ist; die meiste Zeit ist es außerdem so bewölkt, dass man die Sonne sowieso nicht sieht. In Somalia bestimmte die Sonne unser Leben. Wenn es dunkel war, ging man zu Bett, und in der Morgendämmerung stand man auf.“6

Ortsspezifisches Licht Luft kann mit Licht angereichert sein. Das Phänomen erscheint nur an bestimmten Orten mit dafür günstigen Bedingungen. Im Film „Dutch Light“ stellen die Autoren mit der Frage, warum Maler:innen der Niederländischen Schule, wie etwa Judith Leyster (1609-1660) im Bild „Junger Flötenspieler“ und Aelbert Jacobzs Cuyp (1620-1691) im Bild „Hafen von Dordrecht“, während des Goldenen Zeitalters Szenen und Landschaften in so überwältigend intensivem Licht malten. „Es gibt einen alten Mythos, dass das Licht in Holland anders sei als an allen anderen Orten, aber das wurde nie auf die Probe gestellt. Es ist das legendäre Licht, das wir auf den Gemälden sehen. Der deutsche Künstler Joseph Beuys allerdings sagt, es hätte seinen einmaligen Glanz in den 1950erJahren verloren, was das Ende einer jahrhundertealten visuellen Kultur bedeutet.“ 7 Warum gab es dieses Licht nur dort? Es kann daran liegen, dass die niederländische Polderlandschaft mit ihren großen Wasserflächen dafür verantwortlich ist. Das Sonnenlicht wurde vom Wasser gespiegelt. Die Lichtstrahlen wurden gegen die Wolkenunterseite geworfen und von dort wieder nach unten reflektiert. Ein Lichtstrahl, der sich in anderen Gegenden nur einmal durch die Luft ausbreitet, durchfährt sie hier viermal und reichert die Luft mit Licht an. Das rechte obere Foto zeigt dieses

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Phänomen an der Nordseeküste Schleswig-Holsteins, im Landesinneren habe ich es nie außerhalb von Holland aufgespürt. Es muss eine bestimmte Konstellation von Bewölkung, Lücken zwischen den Wolken und Sonnenrichtung herrschen, um dieses einzigartig reiche Licht sehen zu können.

— Mit Licht angereicherte Luft

— Innenhof von Schloss Freudenstein bei Bozen

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„In den vor uns stehenden Zeiten schwerer Verwerfungen und großer Erschütterungen gewinnt das Bauen mit Licht eine völlig neue Bedeutung. Das Licht des wärmenden und behütenden Lagerfeuers, das uns seit An­ beginn der Menschheit über die Nacht gerettet hat, diese Licht­ stimmung, die tief in uns veran­ kert ist. Ist Licht nicht viel mehr als eine die Arbeitsleistung des Menschen optimierende Beleuch­ tung? Ist Licht nicht auch Andeu­ tung von Morgen und Abend, von Sicherheit oder drohendem Unbill […]?“ 8 — Werner Sobek, 2020

KULTUR / PRAXISWISSEN

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Den Ort achten und auf die Nutzer:innen hören – Tipps zur Konzeptentwicklung Der Erfahrungsschatz, der in Experimenten, kleinen Versuchsaufbauten und auf Reisen wächst, fließt in jedes Projekt ein; er ermöglicht es, unsere Planungsansätze ständig weiterzuentwickeln. Das örtliche natürliche Licht und die Architekturtraditionen, mit Licht umzugehen, bilden das Fundament eines jeden Lichtkonzeptes. Wie das Tageslicht uns lehrt, lehren uns Bauherr:innen und Architekt:innen, wenn wir ihnen genug Fragen stellen. Gemeinsam die Lichtplanung nicht als nachträgliche Dekoration, sondern als integrativen Bestandteil eines Gebäudes oder Stadtraums zu verstehen, ist ein weiterer Baustein erfolgreicher Lichtplanungskultur. So können wir unsere Umwelt mit Licht reich, gefühlvoll und menschennah gestalten. Wenn Lichtplaner:innen zu Beginn eines Projekts Architektur und Ort aufmerksam analysieren und betrachten, kann sich ein gutes Konzept entwickeln. Dazu gehören: Die traditionellen Bauweisen der jeweiligen Region und ihren Umgang mit Tageslicht erkunden Die japanischen Shōji (Papierschiebewände) zaubern ein sanftes Licht, das weiche Verläufe von der Fassade aus in den Raum wirft. Mediterrane Holzfensterläden fangen das Licht in der Ebene ihrer schräggestellten Lamellen und mexikanische Pergolen schützen schon den Außenraum vor zu viel Sonne und beziehen ihn in den Raum mit ein. Wie drückte sich Introvertiertheit, Privatheit, Zurückgezogenheit am Ort des Projektes in den Traditionen aus? Die Kenntnis lokaler Besonderheiten vermag es, Funktionalität, liebevolle Details und Tiefe in ein Projekt zu bringen. Die generelle Farbtemperatur des Lichts früh festlegen Weil das Empfinden angenehmer Lichtfarben kulturell verschieden ist, hilft es dem Entwurf, mit den Beteiligten früh eine Richtung zu finden. Manch einer hat dazu klare Vorstellungen, andere haben nie bewusst über Farbtemperaturen nachgedacht. In einem Raum dürfen warmes und kühleres Licht durchaus zusammenwirken, das ist nicht verboten. Eine neutralweiß angestrahlte Decke kann mit einer gemütlichen Lichtinsel eines fokussierten warmen Lichtkegels harmonieren. Ein Beispiel dafür ist der Innenhof von Schloss Freudenstein am Abend (siehe Seite 55 unten). Wenn in der blauen Stunde das Tageslicht mit zwischen 9000 und 12000 Kelvin strahlt, wirkt das Gemäuer im oberen Bereich kühl, das verstärkt den Eindruck der Behaglichkeit in den mit 2700 Kelvin deutlich wärmer beleuchteten Arkaden.  Auf die Architektur eingehen: integrieren statt dekorieren Architekt:innen entwarfen mit einer klaren Idee darüber, was das Gebäude leisten soll, wie sich das Leben darin organisiert, was für die Menschen angenehm ist und welche

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Ausdrucksformen und Materialien all dem entsprechen. Sie entscheiden über den Rhythmus und die Proportionen der Räume, die Lichtplanung kann diese überhöhen oder nivellieren. Wenn Raumhöhen relativ niedrig sind, kann indirektes Licht die Räume optisch höher ziehen. In der Grande Galerie des Naturhistorischen Museums in Paris nutzten Architekt und Lichtplanerin den Wechsel verschiedener Raumhöhen dramaturgisch: Die Besucher:innen gehen von der hellen verglasten Eingangshalle durch einen niedrigen, bewusst dunkel gehaltenen Zwischenbereich in die imposante hohe Halle mit ihren Galerien, dem Herzstück der Ausstellung. Licht integrieren heißt manchmal auch, Leuchten in Decken und Wände einzubauen, sodass die Leuchten nicht zu sehen sind. In anderen Lichtprojekten bedeutet Licht integrieren, sichtbare Lichtquellen zurückhaltend wirken zu lassen und keine Aufmerksamkeit zu beanspruchen, damit sie die Räume selbstverständlich und natürlich beleuchten. Den Bauherr:innen und Nutzer:innen zuhören Sie kennen den Alltag und das Leben in ihrer Berufspraxis oder ihrer Wohnumgebung und verfolgen bestimmte Ziele mit dem Neu- oder Umbau. Schlechte Erfahrungen mit Licht und Lichtsteuerungen in früheren Gebäuden geben klare Hinweise, was besser geplant werden soll. Lichtplaner:innen können nicht alle Abläufe in spezifischen Gebäuden kennen; es hilft deshalb, Nutzer in ihren „Vorgängerhäusern“ zu besuchen. Um in diesem Diskurs Missverständnisse zu vermeiden, ist es sinnvoll, Planungsvoraussetzungen schriftlich festzuhalten und möglichst vor der Entwurfsplanung freigeben zu lassen. Die rechts stehende „Liste der Anforderungen seitens der Bauherrschaft“ sammelt die auftretenden Fragen. Sie wird jeweils angepasst, begleitet den Lauf des gesamten Projekts und hilft so, eventuell abweichende Entscheidungen bewusst zu treffen und zugleich das übergeordnete Ziel strukturiert zu verfolgen. Um sie in Gesprächen festzulegen, empfiehlt es sich, sie raumweise abzufragen, rechts das Beispiel für ein Bürogebäude. Mit einer klaren Planungskultur Freiräume schaffen In der Praxis stehen oft andere Erfolge im Mittelpunkt eines Lichtplanungsauftrags. Jedes Projekt, in dem Bauherr:innen und ihre Planungsteams mehr als eine nur funktionierende Beleuchtungsanlage wünschen, birgt die Chance auf etwas Neues. Leider meinen wir oft, uns fehle die Zeit für eine gründliche Konzeption; wirtschaftliche und gesellschaftliche Vorgaben scheinen uns zu treiben. Auch haben sich die Leistungsbilder von Lichtplaner:innen und anderen Planenden im Laufe der letzten Jahrzehnte stark geändert – wegen immer komplexer werdender Anforderungen an Gebäude und ihr Licht, wegen aufwendigerer Planungs- und Abstimmungsprozesse, größerer Planungsteams und wegen der Digitalisierung der Planungstools. Lichtberechnungsprogramme bieten eine hohe Präzision, doch auch die Wirkungsgradmethode, bestehend aus einer Formel, verschiedenen Faktoren und einigen Konstanten, ist ein relativ einfaches Verfahren zur Berechnung guter Ergebnisse. Diese zu beherrschen, stärkt die Kompetenz von jungen Lichtplaner:innen in ihrer täglichen Arbeit.

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↗  Planungsvoraussetzungen

Anforderungen seitens der Bauherrschaft Beleuchtungsstärken Lichtsteuerung in den einzelnen Räumen/Bereichen Art der Steuerung: Dimmbarkeit der Leuchten, Lichtszenen möglich? Umweltnachweise/Energiezertifikate, wenn ja, welche? Welche Nachhaltigkeits- und Qualitätsstandards empfehle ich der Bauherr:innenschaft über übliche technische Regelwerke hinaus? Gibt es ein Design Manual des Unternehmens? Weitere Normen und andere Standards der Bauherr:in Brandschutzanforderungen

↗  Planungsvoraussetzungen

Bürogebäude

Raumbezeichnung

Mittlere Beleuchtungsstärke in lx

Gleichmäßigkeit

UGR

nach Vorgabe DIN EN

Empfehlung UBL

Eingangshalle Foyer

100

200-300

0,4

22

Empfangstheke

300

300

0,6

22

Kantine

200

200

0,4

22

Aufzugsvorraum

200

200

0,4

25

Büro

500

500

0,6

19

Konferenzraum

500

500

0,6

19

Pausenraum

100

200-300

0,4

22

Flure

100

100

0,4

25

Treppen

100

100

0,4

25

Besondere Anforderungen / Bemerkung

EG

1. bis 6. OG Einzel-/Doppelbüros, Open Space-Arbeitsplatz 500lx, Umgebung 300lx

KULTUR / UMSETZUNG

Differenzierte Lichtabsichten auf der Elbphilharmonie-Plaza Die Plaza der Elbphilharmonie ist ein öffentlicher Raum Hamburgs, der nicht den Konzertbesuchern vorbehalten ist. Sie ist in erster Linie Aussichtsplattform mit einem starken Bezug zum Himmel, zur Elbe und zur Stadt. Wir zitieren den Hamburger Wolkenhimmel, wenn die Leuchtengruppen als Lichtwolken am Himmel – der Decke der Plaza – erscheinen. Es entsteht ein lebendiger Platz, von dem aus man den Blick auf Hamburg genießen kann. Die Kugelleuchten auf der Plaza unterscheiden sich wesentlich von denen im Großen Saal, auch wenn sie sich auf den ersten Blick formal ähneln. Auch das Licht unterscheidet sich. Zuerst das Licht und dann die Leuchte zu betrachten, ist für Fachleute immer hilfreich: Die Plaza-Leuchten lenken das Licht anders, sie sind anders entblendet als die Kugeln im Großen Saal und haben unterschiedliche Lichtverteilungskurven. Sie bestehen aus gut versteckten eng bündelnden Downlights hinter der Kugel, die das Licht fokussiert über die große Höhe nach unten auf den Backsteinboden transportieren. Dadurch entstehen akzentuierte Lichtinseln statt einer gleichmäßigen Lichtsoße auf dem Boden. Das vom Boden rückreflektierte – nun rötliche – Licht würde die Decke der Plaza unerwünscht rosa einfärben. Diesen Effekt mildert jedoch der Halo-Effekt um die Kugelleuchten. Der auf die Kugel aufgedampfte Spiegelring reflektiert das Licht aus der LED und schirmt es gleichzeitig ab, sodass niemand geblendet wird. Ein gut erkennbarer Halo-Ring umgibt jede Kugel an der Decke. Manche verstehen unter Lichtplanung das Entwerfen einer Deckengrafik, als ginge es vorrangig um ein schönes Muster im Deckenspiegel. Doch dieses ist erst an zweiter Stelle wichtig, davor steht das Licht selbst im Fokus eines Lichtentwurfs. — Auf der Plaza der Elbphilharmonie gibt es Lichtwolken und Lichtinseln.

1

Das Urheberrecht für die Leuchten liegt bei Herzog & de Meuron.

2

Puustinen, Anu: Lecture: Avanto: architecture and silence, St. Petersburg, 24.5.2013.

3

Hadid, Zaha, „I don‘t do nice“. Interview mit Jonathan Glancey, www.theguardian.com, 9.10.2006.

4

Raum von Studio Spazio in der Ausstellung Dialoge Japan: Europa im AIT Architektursalon 2021.

5

Zeh, Juli: Neujahr, München 2018.

6

Dirie, Waris: Nomadentochter, München 2002.

7

Website zum Film Dutch Light: https://www.dutchlight.nl/the-myth-the-reality-the-film/ [21.2.2022].

8

Sobek, Werner: 17 Thesen. Zumtobel Group Geschäftsbericht 2019/2020, These 14.

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NACHHALTIGKEIT Die Kunst, die richtige Lichtquelle zu wählen Kultur + Rücksichtnahme = Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit findet statt, wenn Kultur mit Rück­ sichtnahme einhergeht. Was ist nachhaltige Licht­ planung? Sie beinhaltet ökologische, ökonomische und soziale Aspekte und beginnt mit dem groß­zügigen und optimalen Einsatz von Tageslicht.

— Rotglühende Lava am Fagradalsfjall in Island — Die Theaterbar des Oldenburgischen Staatstheaters leuchtet in die Stadt hinaus.

NACHHALTIGKEIT / PHÄNOMEN

Wie künstliches Licht entsteht: Temperaturstrahler, Entladungslampen, chemische Licht­er­zeugung Lava als Temparaturstrahler Der Fagradalsfjall in Island zeichnet mit glühender Lava eine leuchtende Linie in die Landschaft (siehe S. 62). Je heißer Lava ist, umso heller und weißer leuchtet sie; je abgekühlter sie ist, umso weniger hell und rötlich-wärmer strahlen die Lavaflüsse. Auch Temperaturstrahler funktionieren so. Bei Glühlampen und Halogenglühlampen glüht der Wolframdraht in Farbtemperaturen von 2600 bis 3200 Kelvin; dimmen wir sie, wird der Draht kühler und leuchtet deshalb wärmer.

Die Gasentladung in der Neonlampe Neonlampen waren die Vorläufer von Leuchtstofflampen. Im Gegensatz zur Glühlampe strahlt in der Neonlampe das Gasplasma als Lichtsäule zwischen den beiden Elektroden Licht ab. Bei einer Füllung mit Argon entsteht rosa Licht; Helium in einem gelb eingefärbten Rohr lässt die Lichtsäule gelb erscheinen. Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass nicht das ganze Glasrohr von Licht erfüllt ist, sondern lediglich der innere Bereich.

— Wie der Wolframdraht einer Glühlampe sendet die Lava Lichtstrahlen aus, weil das Material durch Erhitzung glüht.

— Im Gasplasma des Neonrohrs springen Elektronen, durch elektrischen Strom angeregt, von einer Umlaufbahn um den Atomkern auf die andere und setzen dabei Energie in Form von Licht frei.

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„Ich […] beobachte, wie schwer wir uns damit tun, überhaupt zu verstehen, dass Dinge wie Klima, Umwelt, Arbeit, soziale Gerechtig­ keit, dass das alles zusammen­ hängt […]. Gleichzeitig zeige ich auf, wie viel Kraft in Teilhabe und Selbstermächtigung steckt, also im Engagement und im Wissen, darin, mit anderen zusammen auch einfach die Schönheit des Lebens zu feiern, auch um sich immer wieder zu versichern, was es zu schützen und zu verteidigen gilt.“ 1 ­— Antje Boetius, 2021

NACHHALTIGKEIT / HINTERGRUND

Nachhaltigkeit umfasst ökologische, ökonomische und soziale Themen Zukunftsfähiges Licht unter ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten In Zeiten inflationären Gebrauchs des Worts „Nachhaltigkeit“ habe ich eine auf Licht und Lichtdesign bezogene Definition entwickelt, die ich in der Grafik zeige. Die drei thematischen Felder Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft überschneiden sich, zentral sind Leben, Sinn und Schönheit.

ÖKOLOGIE Integration des natürlichen Lichts Tag - Nacht Rhythmus Schutz der Dunkelheit Dynamik Vielfalt Reichtum Gesundheit zirkadianer Rhythmus Atmosphäre Vorbild Natur Visuelle, Nicht-Visuelle Wahrnehmung

GESELLSCHAFT Recht auf Tageslicht und Dunkelheit Sicherheit, Orientierung Licht für beeinträchtigt sehende Partizipation in Lichtprojekten Bildung über Licht Schutz Vor Reizüberflutung

Qualität Langlebigkeit Kreislaufwirtschaft Recycling Multidisziplinarität in Lichtprojekten

LEBEN SCHÖNHEIT SINN

Kultur im Umgang mit Licht Stop Greenwashing

ÖKONOMIE Potenzial von Tageslicht ausschöpfen frühzeitige Einbindung von Tageslichtplanung Fokus auf Lichtqualität Energieeffizienz Transparenz des Led-Markts Kreislaufwirtschaft Vielfalt Lichtquellen Modularität

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Die Ökologie des Lichts Den Diskurs über die ökologischen Auswirkungen von allgegenwärtigem Licht, also über „Lichtverschmutzung“, haben Astronom:innen und Naturschützer:innen angestoßen. Mediziner:innen und Chronobiolog:innen erforschen inzwischen die Auswirkungen von zu viel nächtlichem Licht auf die Gesundheit, genauso wie den Aspekt des Lichtmangels tagsüber. Natur und Menschen brauchen den Rhythmus von Hell-Dunkel auf der Erde. Wirklich nachhaltige Lichtplanung bezieht das Tageslicht weitestgehend ein, denn es ist vorhanden, ohne Ressourcen zu verbrauchen, ohne CO2 in Produktion und Gebrauch zu emittieren. Dieser Ansatz wird beim Bauen immer noch nicht ausreichend verfolgt, auch weil die energieeffizienten LEDs Licht vermeintlich gut, ausreichend und billig in Räume bringen. Im Bestreben, energieeffiziente Leuchtmittel zu bauen, haben Wissenschaft und Industrie mit der Erfindung der blauen (weißes Licht emittierenden) LED einen Meilenstein erreicht. Der erhoffte positive ökologische Effekt, eine Reduktion des Gesamtenergieverbrauchs, ist jedoch ausgeblieben. Statt Energieeinsparung zu sichern, bringt unsere auf Wachstum basierende Wirtschaft immer mehr, größere und hellere Produkte auf den Markt. Wir verbrauchen mehr und mehr elektrische Energie für Licht. Die Welt wird tags und nachts heller als je zuvor: Wir beobachten einen drastischen Rebound-Effekt, ähnlich wie wir ihn auf dem Automarkt mit zwar effizienteren, aber leistungsstärkeren Motoren kennen.

Ökonomie: Die Folgen der LED auf dem Lichtmarkt Es gibt zahlreiche Quellen, die unterschiedliche Aspekte der LED-Produktion und deren Entsorgung untersuchen, aber nicht unmittelbar vergleichbar sind. Einige relevante Informationen sind die folgenden: Weltweit produzierte die Menschheit im Jahr 2019 laut globalewaste.org 53,6 Millionen Tonnen Elektroschrott: Das waren 21 Prozent mehr als im Jahr 2014. Im Jahr 2019 wurden nur 17,4 Prozent davon gesammelt und recycelt. Für 2030 erwartet globalewaste.org 74 Millionen Tonnen Elektroschrott. 2 Jeder Deutsche produziert jährlich 19,4 Kilo Elektroschrott. Wie viel davon Lampen und Leuchten sind und wie viel davon auf die unterschiedlichen Lampenarten (Kompakt-Leuchtstofflampen, Entladungslampen, LEDs) entfallen, ist aus den Statistiken nicht stringent abzuleiten. Anhand verkaufter Lampen sehen wir nur, wie groß die Mengen an Elektroschrott in Folgejahren sein werden. Das deutsche Umweltbundesamt nennt für 2019 39.659 Tonnen verkaufte Lampen jeglicher Art, davon 10.384 Tonnen LED, im gleichen Jahr wurden 7.952 Tonnen Lampen jeglicher Art gesammelt. Diese Elektroschrottmengen wachsen, werden aber kaum recycelt. Die EU-Verordnung von 2009 zum Glühlampenverbot förderte Leuchtsysteme nur bezüglich der Lichtausbeute während des Betriebs, der Ressourcenver­ brauch für Produktion und Recycling aber blieb ignoriert. Der Lampenindustrie nützte das

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Glühlampenverbot: Auslaufende und umweltschädliche Technologien wie die Kompaktleuchtstofflampe, irreführend als „Energiesparlampe“ bezeichnet, wurden noch abverkauft. Bereits zwei bis drei Jahre später startete dann der massive Verkauf von LED-Lampen. Auf Energieeffizienz fokussiert entwickelten Konstrukteur:innen zuerst kaltweiße LEDs mit 6000 Kelvin und mehr, denn LEDs höherer Farbtemperatur haben eine ein bis zwei Prozent höhere Lichtausbeute als LEDs niedrigerer Farbtemperatur. Kaltweiße LEDs sind aber für den privaten und den gewerblichen Gebrauch meist ungeeignet. Wir erinnern uns an die kalten Lichterketten in Gärten und auf Balkons, mit denen die Bewohner Außenräume anheimelnd und freundlich gestalten wollten. Die wichtige Lichtqualität verlor gegenüber der Energieeffizienz, die alle anderen Eigenschaften von Leuchtmitteln „in den Schatten stellte“. Die Qualitätsfrage setzt jetzt jedoch weitere Nachteile der LEDs wie deren aufwendige Produktion und Entsorgung auf die Tagesordnung.

Kreislaufwirtschaft Der Markt für LEDs wächst, 2019 wurden weltweit mehr als 100 Milliarden LED-Einheiten verkauft, 50 % davon für die Beleuchtung in Gebäuden. Es wird eine jährliche Wachstumsrate von 12,5 Prozent prognostiziert, 3 und die internationale Energieagentur rechnet damit, dass die LED-Lampen bis 2025 andere Leuchtmittel vom Markt verdrängen.4 Damit steigt jedoch die Menge an LED-Abfällen rasant. Neben den Betriebsgeräten besteht die LED aus seltenen Erden und Metallen, nämlich Lutetium, Cer, Europium, Gallium, Indium, Gold und Silber, außerdem aus Kunststoffen, Keramiken, Glas, organischen Vergussmassen, Klebern und weiteren elektronischen Bauteilen. Einige dieser Rohstoffe sind selten und werden in naher Zukunft vollständig abgebaut sein. Trotzdem werden LED-Lampen bisher nicht recycelt, die wertvollen Bestandteile nicht in die Produktion zurückgeführt. Wie abenteuerlich Altlampen, insbesondere quecksilberhaltige Leuchtstofflampen, bisher unter gesundheitsgefährdenden Bedingungen im globalen Süden entsorgt werden, ist längst dokumentiert. 5 Obwohl LEDs nach den WEEE Richtlinien unter eine andere Kategorie als die toxischen Leuchtstofflampen fallen, werden sie gemeinsam gesammelt und so auch mit Quecksilber kontaminiert. Würden LED-Lampen getrennt gesammelt, könnte man sie in einem aufwendigen manuellen Test- und Recycling-Prozess demontieren und einen Großteil der Materialien für die Produktion separieren. Anteilig sind das: » Kühlkörper: 42,3 %, » Gehäuse und Anschlussteile: 21,3 %, » Elektronik im Treiber: 16 %, » Glas: 15 %, » LED Modul: 3,5 %, » Sockel und Kontaktplatte: 1,9 %6

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Seitdem LEDs als Leuchtmittel verbreitet sind, wird die vorher übliche Trennung von Leuchte (Gehäuse und Betriebsgeräte, Kabel, Stecker) und Leuchtmittel immer seltener; fast alle Bestandteile werden gemeinsam weggeworfen, statt getrennt repariert zu werden. In Frankreich macht der „French Repairability Index“ das Recht auf Reparierbarkeit inzwischen messbar. Die Ökodesign-Richtlinie, der Green Deal der EU und der Aktionsplan für Kreislaufwirtschaft der EU-Kommission sollen in Zukunft das Recht auf Reparatur und reparierbare Produkte auf Länderebene umsetzen.7 Leuchtenhersteller beginnen schrittweise ihre Produktions- und Recyclingsysteme einer Kreislaufwirtschaft anzunähern. Erst dann erfüllt dieses Leuchtmittel die Nachhaltigkeitsanforderungen.

Hi Tech – Low Tech Kann eine Gesellschaft, die hochtechnisierte Systeme und Herstellungsmethoden neben handwerklichen und analogen anwendet, erfolgreich zukunftsfähig agieren? Vielfalt bei Produkten und Techniken anzustreben, macht weniger störanfällig. Großflächige Stromausfälle zeigen, dass die Abhängigkeit von einer einzigen Energieform, der Elektrizität, für Licht, Wärme, Kommunikationstechnik und Arbeit die betroffenen Menschen massiv einschränkt. Auch die SARS-CoV-2-Pandemie lehrt, wie schnell Lieferketten an die Grenzen ihrer Belastbarkeit stoßen. Wären also Arbeitsbedingungen menschlicher, Erfindungen breiter gestreut, Recycling und Reparatur mit Rücksicht auf die Natur selbstverständlicher, wenn Wirtschafts- und Finanzsysteme kleinere Einheiten oder Betriebe nicht in wirtschaftliche Nischen verdrängen würden? Um wissenschaftliche Erkenntnisse direkt in konkrete Planungen einzubeziehen, wird jedenfalls eine stärkere Nähe von Forschung und Anwendung eine spannende Aufgabe für Wissenschaftler:innen, Lichtplaner:innen und Architekturschaffende sein. Allerd Stikker benennt die Einbeziehung dieser nicht-materiellen und schwierig messbaren Aspekte als grundlegend: „Diese Faktoren, kombiniert mit der Bevölkerungsexplosion des zwanzigsten Jahrhunderts, haben zu einer Situation geführt, wo wir uns fast ausschließlich und in großem Tempo mit materiellen und messbaren Aspekten von Innovationen befassen und nicht mit den Aspekten, die nicht materiell sind und sich nicht so leicht messen lassen, die aber mindestens genauso wichtig sind. Diese letzteren Aspekte sind ökologische, gesellschaftliche, ethische oder kulturelle Überlegungen oder beziehen sich auf die jeweils eigene Weltsicht einer Person.“ 8

NACHHALTIGKEIT / PRAXIS

Wie können wir nachhaltiges Licht planen? Um Bauherr:innen die Nachhaltigkeit ihrer Lichtanlagen und die Vorteile davon zu erläutern, brauchen wir vergleichbare Daten zu verschiedenen Aspekten von Nachhaltigkeit, die messbar sein müssen. Es gibt zwar etliche Zertifikate zur Energieeffizienz von Gebäuden, in denen Licht aber nur ein Aspekt unter vielen anderen ist. Fokussiert auf die Industrieprodukte Lampen und Leuchten entwickeln sich spezielle Zertifikate nur langsam und uneinheitlich.

Zertifikate für Nachhaltigkeit im Bauen Verbreitete Umweltzertifikate für Gebäude sind BREEAM, LEED, DGNB, DNB und der WELL Building Standard. Sie bewerten Beleuchtungsplanungen, Lampen und Leuchten mit Blick auf einen niedrigen Betriebsenergieverbrauch und enthalten nur einige wenige Kriterien zur Belichtung und Beleuchtung:  LEED: Das in den USA entwickelte Zertifikat LEED (Leadership in Energy and Environmental Design) behandelt Lichtplanung unter der Kategorie “Energy and Atmosphere” und vergibt Punkte in der Reihenfolge ihrer Gewichtung für: 1. einen niedrigen Energieverbrauch der Lichtanlage 2. die Steuerungsfähigkeit der Beleuchtung 3. die Minimierung von Lichtverschmutzung (auch bezüglich des Lichts, das aus Gebäuden herausstrahlt) DGNB: Das Zertifikat der DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen) bewertet Licht unter dem Kriterium „Gesundheit, Behaglichkeit und Nutzerzufriedenheit“ bezüglich des visuellen Komforts und bewertet hier Tageslichtverfügbarkeit, Sichtverbindung nach außen, Blend-Freiheit von Tages- und Kunstlicht, Farbwiedergabe und Besonnung. 

Bewertungskriterien für Lampen und Leuchten Die Wahl der richtigen Lichtquelle trägt zu nachhaltigen und zukunftsfähigen Lichtprojekten bei. Neben die knappe Beschreibung beispielhafter Lichtquellen stelle ich die Kriterien: 1. Gesundheit und Wohlbefinden 2. Recycling 3. Ästhetik und Lichtqualität wie Blendfreiheit, Farbwidergabe und Farbtemperatur

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4. Langlebigkeit 5. Transparenz zu Produktion und Logistik 6. eine auf das menschliche Sehen abgestimmte Lichttechnik 7. Energieeffizienz in Produktion, Betrieb und Recycling 8. der klimarelevante CO2-Ausstoß in allen Produktphasen beim Hersteller Diese Kriterien fragen wir bei Leuchtenherstellern ab, deren Leuchten wir in Projekte einplanen.

Der Nachhaltigkeitsaspekt Gesundheit und Wohlbefinden: Die Lichtquelle Sonne ist unübertroffen Großzügig mit Tageslicht versorgte Räume sind gesund. Wie angenehm wir uns in Räumen fühlen, die zwei- oder mehrseitig belichtet sind, merken wir besonders in der dunklen Jahreszeit. In allen Gebäudearten bedeutet mehr Tageslichteinfluss mehr Nachhaltigkeit. Ein gesunder Raum im vollen Spektrum des natürlichen Lichts, auf das unsere Körper angewiesen sind, sorgt für resiliente wie aktive Menschen. Hinzu kommen die Vorteile des geringeren Energieverbrauchs durch elektrisches Licht und im besten Fall weniger eingebaute Leuchten. In den vielen Slums dieser Erde haben die Blechhütten oft nicht einmal Fenster, es ist tagsüber so dunkel, dass man kaum etwas sehen und erst recht nicht lesen kann. Doch alte PET-Flaschen, mit Wasser und etwas Bleichmittel gefüllt und in passend ausgeschnittene Löcher in die Hüttendächer geklebt, fungieren als Lichtquelle. Das Sonnenlicht wird so in den Raum geleitet und gut verteilt.9

Recycling von elektrischen Leuchtmitteln: Vergleich Glühlampe – LED-Retrofit Unter dem Aspekt des Recyclings sind Glühlampen am besten. Sie bestehen lediglich aus einem Glaskolben, in dem ein Wolframdraht in einem Schutzgas (StickstoffArgon, Krypton oder Xenon) zum Glühen gebracht wird. Der Sockel ist aus Metall, der Glaskolben darin eingekittet. Das Bild der Glühlampe zeigt den minimalistischen Aufbau der Materialien (siehe S. 79). Zusammen sind das ca. 30 Gramm gut recycelbaren Materials. Die LED-Retrofitlampe ersetzt die Glühlampe in vorhandenen Leuchten, auch in Designklassikern nach dem Glühlampenverbot. Um eine LED-Retrofitlampe überall dort einschrauben zu können, wo vorher eine Glühlampe leuchtete, braucht sie einen Standardsockel wie den E27- oder E14-Sockel und einen integrierten elektronischen Treiber, der die Haushaltsspannung von 240V auf 12V oder 24V Betriebsspannung herabsetzt. Sie ist daher oft größer und schwerer als eine Glühlampe und besteht zum großen Teil aus Kunststoffen und Verbundstoffen, aus Elektronikschrott mit verklebten Platinen und anderen Materialien aus Seltenen Erden. Die Retrofit-LEDs sind Sondermüll, das Recycling ist aufwendig und teuer und geschieht bislang nur in seltensten Fällen.

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Ästhetik und Qualität des Lichts machen die Lichtquellen nachhaltig: Vergleich Neonlampe – lineare LED Je gezielter eine bestimmte Lichtqualität das Lichtkonzept ausdrückt, umso schöner und zeitloser ist sein Wert. Die orange-roten Wand- und Deckenleuchten in der Kantine des Spiegel-Verlags von Verner Panton sind Designikonen und haben den Umzug in das neue Gebäude mitgemacht. Die Ästhetik von Neonlampen ist aber nicht imitierbar, produzieren sie doch eine farbige Lichtsäule in einem Gasplasma. Wenn das Glasrohr klar ist, lässt sich bei genauem Hinsehen die Gasentladung erkennen, ein faszinierendes Schauspiel. Das Rohr erhält Tiefe und jene feine Erscheinung, die großen Kunstwerken des zwanzigsten Jahrhunderts eine besondere Aura verleiht (siehe rechts). Eine LED-Linie, in ein Kunststoffrohr verpackt, ist dagegen banal und kein angemessener Ersatz für eine Neonröhre. Es schien eine Zeit lang, dass die bunten LED-Linien die Neonlampe komplett verdrängt hätten und nur noch wenige Glasbläser, spezialisiert auf kunstvolle Schriftzüge und Zeichen, das Handwerk beherrschten. Seit 2016 findet nun eine Renaissance der Neonschriften statt. Im Betrieb verbraucht die Neonröhre zwar mehr Energie zur Erzeugung von Licht (Lumen/Watt) als die LED, sie lässt sich aber einfach reparieren.

Langlebigkeit von Lichtkonzepten Ein langlebiges Lichtkonzept muss nicht schnell ausgetauscht werden. Wesentlich für es sind eine hohe ästhetische Qualität, hochwertige Leuchten und die Orientierung an den Nutzer:innen des Gebäudes. Wenn das Konzept modulare oder flexibel verwendbare Lichtelemente vorsieht, kann man sogar Nutzungsänderungen eingehen, ohne Leuchten austauschen zu müssen. Wenn ein Konzept solche Ergänzungen und Veränderungen gut zulässt, ist die Lichtanlage langlebig.

Langlebigkeit von Leuchten Leuchten hoher Qualität sind nachhaltig, weil sie lange funktionieren und sich einfach reparieren lassen. Wenn Hersteller ihre Leuchten auch Jahrzehnte nach dem Kauf zur Reparatur annehmen, ist das nachhaltig. Ein zeitloses Leuchten-Design und eine hohe ästhetische Qualität führen dazu, dass die Leuchten nicht beim nächsten Trendwechsel sofort ausgetauscht werden. Design-Klassiker zeigen, dass Nachhaltigkeit auch Spaß und Genuss bedeutet.

Transparenz von Produktion und Logistik In der Produktion spielen Transportwege zwischen Zuliefernden, Herstellenden und Konsumierenden eine wichtige Rolle. Das Wissen über die Herkunft der verwendeten Komponenten hilft, Arbeitsbedingungen und Menschenrechte bei der Produktion dieser Teile einzuschätzen. Hinzu kommen die für die Produktion notwendige elektrische Energie (mit geringem CO2-Ausstoß produziert), die Recycelbarkeit der verwendeten Materialien und die Verwendung von austauschbaren LED-Modulen. Wer

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­— Glühlampen bestehen aus wenigen, gut wiederver­ wendbaren Materialien.

­— Historische Neonschrift

diese Kriterien gewissenhaft erfüllt, zahlt mehr. Für einzelne Hersteller sind solche Nachhaltigkeitskriterien leichter zu etablieren, wenn Planende und Verbraucher:innen nachhaltige Leuchten und Lampen mehr und mehr bevorzugen. Wir brauchen deshalb schnell gute Gesetze, und solange es diese nicht gibt, hilft jede Nachfrage der Lichtplaner:innen beim Herstellenden und jede Aufklärung der Bauherr:innen, um zukunftsfähiges Licht einzuführen.

Eine auf Wahrnehmungsphysiologie abgestimmte Lichttechnik überstrahlt nicht und ist sparsam Das genauere und holistische Betrachten der Lichtausbeute von Leuchten führt zu mehr Zukunftsfähigkeit. Die Lichtausbeute wird in Lumen pro Watt gemessen. Eine freistrahlende Leuchte hat eine höhere Lichtausbeute als eine mit Reflektor oder Linsen ausgestattete Leuchte. Wichtig ist aber, dass das Licht dort ankommt, wo es gebraucht wird. Diese Betrachtungsweise bezieht neben der technisch beschriebenen Lichtausbeute den Faktor der Nützlichkeit und der Benutzerpraxis mit ein. Die Blendungsbegrenzung sorgt nicht nur dafür, dass der Mensch nicht geblendet wird, sondern auch weniger Licht zum Sehen braucht: So einfach ist das!

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Biolumineszenz Von der Natur zu lernen, gehört zentral zu einer zukunftsfähigen Lichtplanung: Bio­ lumineszenz zu erforschen und damit zu experimentieren, eröffnet den Zugang zur effizientesten Lichterzeugungsmethode, die es gibt. Das Bild rechts zeigt Biolumineszenz von Glühwürmchen, die über einer Wiese fliegen. Glühwürmchen, leuchtende Pilze und Quallen produzieren kaum Wärme, wenn sie Licht aufgrund einer chemischen Reaktion erzeugen.

Greenwashing erkennen Wie in anderen Industrien findet Greenwashing auch im Lichtsektor statt. Der Beruf und ihre Expertise verpflichten Lichtplaner:innen, kritisch auf Informationen zu schauen und die Interessen der Akteure zu kennen. In der Praxis heißt das auch, Neues auf Eigenschaften, seine Eignung als Werkzeug wie auf Nebenwirkungen hin abzuklopfen und mit Blick auf seine Nützlichkeit und Angemessenheit sowie auf die Kreislaufwirtschaft zu bewerten.

Zertifikate für die Leuchtenindustrie Leuchtenhersteller können ihren Betrieb mit der ISO 14001 und ihre Produkte mit dem Product Life Cyle Accounting and Reporting Standard zertifizieren lassen. Solange es für das Fachgebiet Licht keine einheitlich vereinbarten Standards gibt, behelfen sich die Akteur:innen damit, im Austausch zwischen Lichtplanenden, Wissenschaftstreibenden und Leuchtenhersteller:innen eigene Maßstäbe für Nachhaltigkeit zu definieren. Das Gespräch innerhalb der Lichtbranche und bei Projekten mit Bauherr:innen, Architekturschaffenden und der Industrie bringt nachhaltige Lichtplanungen zunehmend ins Bewusstsein.

— Biolumineszenz lässt Glühwürmchen leuchten.

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NACHHALTIGKEIT / UMSETZUNG

Das Schaufenster nach draußen, Staatstheater Oldenburg Im Oldenburgischen Staatstheater entwarfen wir, in gemeinsamer Begeisterung mit den Theaterleuten für Neonschriften, einen 16 Meter langen Schriftzug in Rot. Für viele Bürger in Oldenburg ist das Theater ein zentraler Ort, und das Theater lädt alle ein. Das gemütliche und festliche Licht, das durch die großen Fenster in die Stadt leuchtet, lockt nun unabhängig von Vorstellungen in die Theaterwelt. Foyer und Bar werden zum Treffpunkt und zu einer Bühne, deren Bühnenbild sich in wechselnden Lichtszenen der Strahler vor den dunklen Wänden immer wieder verändert. Das Theater wirbt nicht durch das helle Anstrahlen seiner Fassade von außen, sondern mit einem stimmungsvollen Licht von innen. ­— Das Foyer des Oldenburgischen Staatstheaters leuchtet wie ein Schaufenster nach draußen.

1

Interview mit Boetius, Antje: Kein Grund zur Panik? Süddeutsche Zeitung. 20.6.2021.

2

Globalewaste.org, siehe auch: Forti V., Baldé C.P., Kuehr R., Bel G. The Global E-waste Monitor 2020: Quantities, flows and the circular economy potential. Bonn/Geneva/Rotterdam 2020.

3

www.grandviewresearch.com/industrie-analysis/led-lighting-market (8.1.2022).

4

www.iea.org/reports/lighting.

5

Film: Bulb Fiction, Österreich/Deutschland 2011, Drehbuch und Regie Christoph Mayr.

6

LED Lamps Recycling Technology for a Circular Economy, 25.08.2016, in: https://www.led-professional. com/resources-1/articles/led-lamps-recycling-technology-for-a-circular-economy (21.2.2022).

7

Die Sustainable Products Initiative (SPI) der EU definiert Anknüpfungspunkte, um die Herstellung von langlebigen, leichter reparierbaren, recyclingfähigen und energieeffizienten Produkten voranzutreiben.

8

Stikker, Allerd. Code Orange for life on Earth, Essay, mijnbestseller.nl, Rotterdam 2019.

9

Die Organisation Liter of Light setzt das Projekt erfolgreich um: https://literoflight.org/.

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GESUNDHEIT Die biologischen Wirkungen von Licht Nachhaltigkeit + Medizin = Gesundheit Die WHO definiert Gesundheit als „einen Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen.“1 Wir betrachten in diesem Kapitel visuelle und nicht-visuelle Wirkungen von Licht auf die Gesundheit der Menschen und erklären den zirkadianen Rhythmus und die natürlichen und technischen Möglichkeiten, diesen zu unterstützen. An der Kooperativen Leitzentrale Elmshorn zeige ich, welche positiven Effekte Architekt:innen und Licht­ planer:innen durch eine Raum- und Lichtplanung mit ausgewogenen Anteilen von Tages- und Kunstlicht erzielen können.

— „Komorebi“ ist das japanische Wort für Sonnenlicht, das durch Blätter schimmert. — Die Kooperative Regionalleitzentrale Elmshorn ist lichtdurchflutet. Trapez Architekten, Hamburg

GESUNDHEIT / PHÄNOMEN

Semitransparenz und Opazität – ein Lichtpingpong Diffuse Reflexion und Transmission an Blättern Licht durchdringt das Blätterdach und die Bäume seitlich des Waldwegs. Einige der Lichtstrahlen werden an den Blättern reflektiert, hin und her geworfen, andere direkt hindurchgelassen, transmittiert und füllen den Raum mit Licht. Opaleszenz und Opazität ergänzen sich. Auf diese Art, in der Kombination, entsteht weder eine Lichtsuppe noch ein scharfer Lichtkontrast, sondern ein ausgewogenes, freundliches und anregendes Licht.

Reguläre (spiegelnde) Reflexion im Sonnenschutzraster Das lichtlenkende Raster im Scheibenzwischenraum des Oberlichts und die bau­chigen Lamellen des Südfensters werfen direktes Sonnenlicht zurück, während das diffuse Licht des Himmels passieren kann. Damit erhält der Raum Tageslicht, ohne dass direktes Sonnenlicht den Raum aufheizt oder zu bestimmten Zeiten die Mitarbeiter blendet.

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4 1 3

2 2

— (1) Reflexion an Oberfläche (2) ungehinderter Strahlengang (3) Filter (gelbes Blatt) und Diffusor (4) Mehrfachreflexion lässt bestimmte Licht­richtungen hindurch

— Das Spiegelraster im Oberlicht wirft mittels spiegelnder Reflexion Licht in den Himmel (1) zurück und leitet andere Strahlen gerichtet nach innen (2). Beide Prinzipien funktionieren an den Lamellen der Südfassade.

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„Ein Polka-dot hat die Form der Sonne, die ein Symbol der Energie der ganzen Welt und unseres Lebens ist, und auch die Form des Mondes, der für Ruhe steht. Rund, weich, bunt, sinnlos und unbe­ kannt. Polka-dots können nicht allein bleiben; wie das kommuni­ kative Leben von Menschen, werden zwei oder drei Polkadots zu einer Bewegung… Polkadots sind ein Weg in die Unend­ lichkeit.“ 2 — Yayoi Kusama, 1978

GESUNDHEIT / HINTERGRUND

Wie funktioniert die innere Uhr? Sonne und Mond, Tag und Nacht, die Übergänge und die menschliche Gesellschaft sind die Quelle unserer Gesundheit, dies heitere Zitat steht auch für das Licht und seinen Einfluss auf unser Leben.

Visuelle und nicht-visuelle Wirkungen von Licht Während das Kapitel Evolution auf die visuelle Funktionsweise des Auges eingeht, erläutere ich hier auch die nicht-visuellen Aspekte und die Konsequenzen für ein gesundes Licht. Erkenntnisse der Medizin und der Ergonomie münden in Definitionen von richtigen Lichtumgebungen für Arbeitsplätze unter visuellen Aspekten. Sie beschreiben Anforderungen an das Licht bezüglich der Helligkeit, der Blendung und Kontraste, damit das Auge des Menschen ohne Anstrengungen seine unterschiedlichen Sehaufgaben erfüllen kann. Die resultierenden Normen und Standards sind Empfehlungen, kein Gesetz. In der Praxis sind sie jedoch dort bindend, wo Berufsgenossenschaften sie für die Gesundheitsvorsorge und den Versicherungsschutz der Arbeitnehmer:innen vorschreiben. Der Spiegel in der Installation in der Altstadt von Basel reflektiert das Sonnenlicht auch auf die Schattenseite der gegenüberliegenden Hauswand. Zum Glück „scheint uns die Sonne“ und hält uns gesund und munter. Das war nicht immer und überall so. Die Luftverschmutzung verdunkelte die Sonne seit der Industrialisierung zeitweise so sehr, dass besonders die Menschen in eng bebauten Armenvierteln und Slums wegen des daraus resultierenden Vitamin-D-Mangels an Rachitis erkrankten. Die nicht-visuellen Wirkungen von Licht auf den zirkadianen Rhythmus und die Funktionsweise der Ganglienzellen in der Netzhaut des Auges sind erst seit circa 2002 bekannt. Forscher:innen hatten erkannt, dass blaue Spektralanteile im weißen Licht den stärksten Einfluss auf den Schlaf-wach-Rhythmus haben. Inzwischen fließen diese Erkenntnisse häufig in die Lichtplanung ein, teils fundiert, teils aber auch mit übertriebenen Erwartungen an technische Lösungen. Alle Lebewesen auf der Erde haben sich dem Rhythmus von Tag und Nacht angepasst. In ihm laufen sämtliche biologischen Prozesse ab. Das sind tagsüber andere als nachts: Im Schlaf finden nicht nur Zellregeneration und Entgiftung, sondern auch die Informationsverarbeitung und das Verankern von Erinnerungen im Gehirn statt. Sobald diese Prozesse durch den Einfluss von zu viel nächtlichem Kunstlicht gestört werden, werden wir krank. Der aus circa 50.000 Zellen mit inneren Uhren bestehende suprachiasmatische Nucleus im Gehirn generiert den Rhythmus im Austausch zwischen diesen InnerenUhr-Genen und deren Proteinprodukten. Die individuellen Unterschiede von Frühaufstehern, auch „Lerchen“ genannt, und Nachtschwärmern, auch als „Eulen“ tituliert, hängen übrigens von diesen zirkadianen Genen ab. Zusätzlich zur „Master-Uhr“ des suprachiasmatischen Nucleus befinden sich in fast allen Organen und Fasern des Körpers innere oszillierende Uhren – ein

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gemeinsames Netzwerk, das den 24-Stunden-Rhythmus aber nicht punktgenau einhält, weil dieser beim Menschen etwa 10 Minuten länger dauert. Hier sorgt das natürliche Licht von Sonnenauf- und Untergang als äußerer Taktgeber für die tägliche Anpassung. Die Rezeptoren für diesen Vorgang sind die fotosensitiven Ganglienzellen, die in den neunziger Jahren in der vorderen „Schicht“ der Retina des Auges entdeckt wurden (siehe S. 28). Sie reagieren auf die Wellenlängen von circa 430 – 550 Nanometer, die der Himmel oberhalb des Morgen- und Abendrots am Horizont intensiv abstrahlt. Außerdem steuern die retinalen Ganglienzellen durch ihre Leuchtdichteempfindlichkeit die Weitung der Pupillen, die Aufmerksamkeit und die Stimmung. Während Jugendliche eine hohe Fotosensitivität besitzen, schwächt sich diese im Alter deutlich ab. So tut es älteren Menschen gut, höhere Lichtmengen zu erhalten. Diese Erkenntnis setzt sich in der Lichtplanung von Alters- und Pflegeheimen zunehmend durch. Neurologen empfehlen in Aufenthaltsräumen von Alters- und Pflegeheimen Beleuchtungsstärken von 1000-2000 Lux.

— „…freuen Sie sich doch, dass Ihnen die Sonne immer noch scheint.“ Dieter Roth, 1975

— Polka-dots eignen sich als partieller Sonnenschutz. Aus dichroitischem Material funktionieren sie farbselektiv.

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Die „Indoor Generation“, Lichtexposition und Schlaf-wach-Rhythmus Eigentlich sind Lichtmengen von circa 5000 Lux notwendig, um den zirkadianen Rhythmus zu triggern, aber so viel Licht gibt es nur im Außenraum, nicht in Gebäuden. Dennoch gilt: „Wir verbringen bis zu 90 Prozent unserer Zeit in Gebäuden, ohne Tageslicht oder frische Luft: Wir sind die ‚Indoor Generation‘.“3 „In einem digitalen Zeitalter, das rund um die Uhr läuft, ist das Tageslicht das Mittel gegen unsere zunehmende Entfremdung von der Natur.“4 Die Tendenz, spät zu schlafen und morgens müde zu sein, entsteht durch die abendliche Exposition von Menschen in Licht, die morgendliche Lichtexposition führt zu frühem Aufwachen. Diesen Zusammenhang entdeckten Forschende bei Studierenden, die sich über mehrere Wochen entweder in Gebäuden oder in Zelten und Außenräumen aufhielten. Für die Beeinflussung des Schlaf-wach-Rhythmus spielen also sowohl die Intensität als auch der Zeitpunkt der Lichtexposition eine Rolle. Die Wellenlänge von 480 nm ist immer im Zusammenhang mit anderen Wellenlängen wirksam. Eine monochrome Wellenlänge von 480 nm allein würde nicht ausreichen, um den zirkadianen Rhythmus zu triggern. Die Rezeptoren für die anderen Wellenlängen, die Zäpfchen und Stäbchen, müssen gleichzeitig angeregt werden, damit der Vorgang stattfindet. Die Einflüsse der verschiedenen Parameter sind jedoch noch nicht vollständig erforscht, sodass in der Praxis mit Annahmen gearbeitet werden muss. Die verbreitete Meinung, die Anteile blauer Wellenlängen in Handys und E-Books würden den Schlaf-wach-Rhythmus beim Lesen vor dem Schlafengehen schädlich beeinflussen, trifft aber nicht zu. Die hier ausgestrahlten Lichtmengen sind zu gering, um einen schädlichen Effekt auf den Körper zu haben. 5

— Wer sich viel draußen aufhält, erhält den besten Schutz vor vielen physischen und psychischen Krankheiten: alle Wellenlängen des Tageslichts, aber auch genügend Dunkelheit zum Schlafen.

GESUNDHEIT / PRAXISWISSEN

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Gesundes Licht zum Wohnen und Arbeiten Welchen Schwerpunkt Lichtplaner:innen jeweils bezüglich des Gesundheitsaspekts setzen, hängt von den Nutzungen, den Nutzer:innen und dem Ort, der Architektur und ihrer Umgebung ab: Für ein Bürogebäude ist der Schutz vor Blendung ein gravierenderer Aspekt als für ein Wohnhaus; für ein Seniorenheim ist eine großzügige Tagesbelichtung extrem wichtig, während Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen besonders auf Verkehrsflächen und Treppen von starken Kontrasten irritiert werden. Gesundes Licht » ist so ausgewogen, dass es die Augen nicht irritiert (visuell), » ist tagsüber hell genug und nachts dunkel genug, dass es unseren zirkadianen Rhythmus stärkt und nicht stört (nicht-visuell), » wirkt wohltuend auf unsere Psyche, regt uns an, macht uns heiter oder macht uns ruhig. Die psychischen Wirkungen von Licht nehmen wir im Wechsel der Jahreszeiten besonders deutlich wahr. Sara Teasdale beschreibt sie treffend im Gedicht „May Night“: Der Frühling ist frisch und unbekümmert Und jedes Blatt ist neu Die Welt ist voll von Mondlicht Der Flieder voll von Tau Hier in den wandernden Schatten Atme ich tief ein und singe – Mein Herz ist frisch und unbekümmert Und übervoll von Frühling6 Sara Teasdale, 1884 – 1933

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Wichtige visuelle Aspekte: Notwendige Mindestbeleuchtungsstärken, Gleichmäßigkeit und Blendungsbegrenzung Die zum Sehen notwendigen Beleuchtungsstärken richten sich nach der Tätigkeit (siehe Seite 59). Zum Lesen, Nähen, Zeichnen, Holzhacken, an schnelldrehenden Maschinen und am Bildschirm braucht man unterschiedliche Beleuchtungsstärken, meistens auf einer waagerechten, in Tischhöhe gemessenen Fläche. Eine homogene Ausleuchtung des unmittelbaren Arbeitsbereichs und die Gleichmäßigkeit der Beleuchtungsstärke im unmittelbaren Umfeld schaffen gute Sehbedingungen. Diese Anforderungen gelten nicht nur für die Arbeitsfläche, sondern auch für die vertikalen Flächen wie die Wände, denn so muss das Auge nicht ständig auf unterschiedliche Helligkeiten adaptieren. Leuchtet man aber den ganzen Raum zu gleichmäßig aus, entsteht eine langweilige und ermüdende Atmosphäre. Neben der Helligkeit und deren Gleichmäßigkeit hilft die Blendungsbegrenzung, gemessen im Unified Glare Rating (UGR), um eine komfortable Lichtsituation zu planen. Sie setzt die Leuchtdichte einer Lichtquelle ins Verhältnis zur Leuchtdichte ihrer Umgebung oder ihres Hintergrunds, zum Beispiel zur Raumdecke, und beschreibt einen empfohlenen Maximalkontrast. Die UGR-Methode ermittelt besonders bei Leuchten mit LEDs (und deren kleinen Lichtpunkten mit sehr hoher Leuchtdichte) nicht immer die tatsächlich empfundene Blendung, die von einer Leuchte ausgeht. Bei der physiologischen Blendung handelt es sich um die nachweisbare und berechenbare Minderung der Sehfunktion, während die psychologische Blendung von einer ausreichend großen Anzahl an Beobachter:innen bewertet werden muss. Außerdem bewirken kurzwellige Strahlen (kühleres Licht mit höherem Blauanteil) ein höheres Blendungsempfinden als langwellige Strahlen (wärmeres Licht mit höherem Rotanteil). 7

Wichtige nicht-visuelle Aspekte: Humanzentriertes Licht und Lichtatmosphäre Die Forschung zum zirkadianen Rhythmus machte innerhalb der letzten 15 Jahre bahnbrechende Entdeckungen. Nun wissen wir, dass das überwiegend in Innenräumen stattfindende Leben gesundheitsschädlich ist, aber auch, dass wir Licht gezielt in Therapien einsetzen können. Wenn Architekturschaffende, Stadt- und Lichtplaner:innen diese Erkenntnisse früh in ihre Überlegungen einbeziehen, können wir Tageslicht optimal in Gebäude hereinholen. Das gesündeste Licht ist ungefiltertes, spektral reichhaltiges Tageslicht. Doppelt und mehrfach verglaste Fensterscheiben absorbieren wichtige Wellenlängen und mindern die Lichtmengen erheblich: Wir sollten ihren Einsatz überdenken. Mediziner:innen empfehlen, täglich ausreichend Zeit draußen zu verbringen. Wie lange das konkret sein sollte, hängt von Jahreszeit, Wetter und Breitengraden des jeweiligen Ortes ab. Vormittagsspaziergänge sind wahrscheinlich wirkungsvoller als Nachmittagsspaziergänge, die Lichtexposition wirkt als Aufwachimpuls. Eine allgemeine Bürobeleuchtung, selbst aus sogenannten „True light- oder Vollspektrumlampen“ mit einem hohen Blauanteil, strahlt nicht genug Licht ab, um echtes Tageslicht zu ersetzen. Sogenannte

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Tageslichtlampen oder auch Lichtduschen helfen im Vergleich besser gegen Depression und Müdigkeit, da sie direkt vor der Person aufgestellt sind und daher viel mehr Lichtstrom ins Auge fällt als von der entfernten Deckenleuchte im Büro. Patient:innen halten sich 24 Stunden täglich in Bettenzimmern eines Krankenhauses auf. Dass eine angenehme Umgebung zum Heilungsprozess beiträgt, gilt besonders für das Licht: Menschen genesen von vielen Krankheiten schneller und brauchen weniger Medikamente, wenn das Licht ihren zirkadianen Rhythmus unterstützt. In Versuchsreihen und in Praxissituationen spielen Kunstlichtflächen an den Decken über den Betten den Verlauf des natürlichen Lichts in Helligkeitsabläufen und Farbtemperaturen nach. Dies fördert nicht nur eine schnellere Genesung, sondern auch eine bessere Orientierung im Krankenhausablauf und nicht zuletzt das Wohlbefinden.

1 Präambel Verfassung der WHO, 22.7.1946. 2 Kusama, Yayoi, zitiert in: Hoptman, Laura; Tatehata, Akira, Kultermann, Udo (Hrsg.): Yayoi Kusama, London 2000, S. 112. 3 “The Indoor Generation by VELUX”, 15. Mai 2018, YouGov-Studie für VELUX https://press.velux.ch/yougov-studie-fur-velux-bringt-gefahren-fur-die-indoor-generation-ans-tageslicht/ (22.02.2022). 4 Guzowski, Mary: The Art of Architectural Daylighting, Laurence King Publishing Ltd, London 2018, S. 6. 5 Foster, Russell: Light Regulation of Circadian Rhythms: Fact and Fiction and Design Implications. In: Architectural Design. Ritchie, Ian: Neuro Architecture. Designing with the mind in mind, Chichester 2020, S. 66ff. 6 Teasdale, Sara: May Night. Auf: https://www.yourdailypoem.com/listpoem.jsp?poem_id=3375 (22.02.2022). 7 Niedling, Mathias: Zum Einfluss des Spektrums auf die Blendung: Untersuchungen zur Wirkung des kurzwelligen Strahlungsanteils auf die physiologische und psychologische Blendung Technische Universitaet Berlin (Germany) ProQuest Dissertations Publishing, 2018, S. 16.

GESUNDHEIT / UMSETZUNG

Wie gutes Licht hilft, gesund zu bleiben – Dauerbetrieb und Schichtdienst in der Leitzentrale Elmshorn Polizist:innen und Feuerwehrleute arbeiten Tag und Nacht in der Kooperativen Regionalleitzentrale in Elmshorn und müssen dort hellwach sein. Sie nehmen Notrufe an, entscheiden, wie groß eine „Lage“ ist, und organisieren das Hilfsteam. Sie haben ständig vier bis fünf Bildschirme und zusätzlich eine gemeinsame große Leinwand im Blick. Arbeitsmediziner:innen und Lichtplaner:innen nennen das eine „anspruchsvolle Sehaufgabe“. Um Reflexblendungen und hohe Kontraste zu vermeiden, sperrte man in Leitwarten das Tageslicht bisher meistens aus. Hier wagten die Bauherrin und das Planerteam das Gegenteil: so viel Tageslicht wie möglich hineinzulassen. Dies gelingt nur mit gut geplanten Abschirmelementen gegen direktes Sonnenlicht in den Oberlichtern und vor den raumgroßen Fenstern. Die Kombination von Oberlicht und Fenster ist – ähnlich wie Fenster an zwei Seiten des Raums – ein Geschenk an den Raum, der Tageslichtquotient ist hervorragend gleichmäßig und ein Genuss. In solchen Räumen kann man frei atmen und nimmt am natürlichen Hell-dunkel-Rhythmus des Tages teil, selbst wenn man in Wechselschichten arbeitet. So, wie der Wald das Licht am Tag filtert, filtert in der Kooperativen Regionalleitzentrale in Elmshorn die ausgeklügelte Geometrie des Oberlicht-Blendschutzes das Licht. Das Oberlicht, die Glasfassade und die wie Wolken verteilten Leuchten erzeugen neben den Bildschirmen die Lichtatmosphäre in der Regionalleitzentrale. Der Lichtkomfort ist hoch, denn die Pendelleuchten strahlen nicht nur direkt nach unten, sondern auch indirekt, sie hellen die Decke auf. Es entstehen ähnliche Leuchtdichten von der Decke und den runden Leuchten: Direkte Blendungen und Reflexblendungen über die Bildschirme werden so ausgeschlossen, Kontraste und Helligkeit sind ausgewogen. Kontrollräume sollen eine Lichtumgebung schaffen, die einen ungestörten fokussierten Blick auf den Bildschirm ermöglicht und zugleich visuelle Erholung durch Ausblicke aus dem Fenster anbietet. — Oberlicht, Glasfassade und die wie Wolken verteilten Leuchten

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DUNKELHEIT Wieviel Licht stört nicht? Gesundheit + Rhythmus = Dark Sky Der Wechsel von intensiver Helligkeit tags und angemessener Dunkelheit nachts ist für die menschliche Gesundheit wichtig. Dies gilt auch für Pflanzen und Tiere jeweils auf ihre Art. Vom Weltall aus sehen wir die massiven Lichtmengen, die wir Menschen nachts produzieren. Was aus der Ferne so schön aussieht, verwehrt uns den Blick ins All. Wir machen Licht, um mehr zu sehen, aber wir sehen immer weniger: Eines der schönsten Naturphänomene, der Sternenhimmel, geht uns verloren. Ich zeige, welche lichttechnischen Prinzipien helfen und welche Gratwanderung zwischen dem Bedürfnis nach Orientierung und öffentlicher Sicherheit einerseits und dem Bedürfnis nach Dunkelheit andererseits zu gehen ist.

— Das Polarlicht über Tromso in Norwegen verändert sich subtil. — Die Fassade der Westfield Mall of the Netherlands, Leidschendam wirkt wie ein im Wind wehender Schal.

DUNKELHEIT / PHÄNOMEN

Wie entsteht Polarlicht? Fluoreszierendes Polarlicht Das Polarlicht entsteht, wo Sonnenwindpartikel auf Sauerstoff- und Stickstoffatome in der Atmosphäre treffen und diese zum Leuchten anregen. Die Reaktion mit Sauerstoffpartikeln produziert grüne, die mit Stickstoffpartikeln violette und blaue Wellenlängen des Lichts. Das Magnetfeld der Erde, das im Bild zu sehen ist, bildet einen Schutzschild, der über den Polen trichterförmig offen ist; daher kommen Polarlichter hier am häufigsten und stärksten vor. Die sich ändernde Intensität des Sonnenwindes führt zur ständigen Bewegung der Polarlichter.

Opazität und Schatten aus verschiedenen Lichtrichtungen Die wechselnden Lichtrichtungen lassen die weiße Fassade der Mall of the Netherlands bewegt erscheinen. Fest montierte Leuchten lösen sich in ihrem Dimm-Zustand ab, sie erzeugen unterschiedliche weiche Verläufe und lassen die Fassade bewegt erscheinen.

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— Sonnenwindpartikel interagieren mit Atomen der Atmosphäre und erzeugen Licht. 1 grünes Polarlicht 2 Magnetfeldlinien 3 Sonnenwind 4 Sonnenwindpartikel 5 Plasma

— Die opaken Fassadenreliefs werfen sich verändernde Schatten im Wechsel der Lichtrichtungen: Fassadennahes Licht von unten (6) und fassadenfernes Licht von vorne und seitlich (7) wechseln sich ab.

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„Stehe im Abendlicht, bis du durchsichtig wirst oder bis du einschläfst.“ 1 — Yoko Ono, 1970 „Du sagst Licht, ich denke Schatten.“ 2 — Sandra Praun, Aleksandra Stratimirovic, 2017

DUNKELHEIT / HINTERGRUND

Wir brauchen tagsüber Schatten und nachts Dunkelheit Auch das Mit-den-Schatten-Spielen lernen wir von der Natur. Die scheinbare Bahn der Sonne lässt alle Gegenstände wandernde Schatten werfen. Das flackernde Feuer in den Höhlen der frühen Menschen warf dramatisch zuckende Schatten an die Wände. Ohne Schatten wäre das Licht nur halb so schön. Der spielerische Umgang mit Schatten und Dunkelheit kreiert erstaunliche Atmosphären und berührende Kunstwerke.

Das Recht auf Schatten Städtebauliche Grundrisse sollten nicht nur genug Raum zwischen Gebäuden festlegen, um gute Tageslichtquotienten in den Räumen zu erzielen, sondern auch der Notwendigkeit entsprechen, im öffentlichen Raum Schatten zu spenden. Der geografische Ort und sein Klima bestimmen jeweils das Maß. Außenräume können wir nur dort nutzen, wo die Temperaturen erträglich sind und wo es Schatten gibt, wie etwa in Hamburg (siehe rechts). In vielen Gegenden der Welt haben sich Städte so aufgeheizt, dass kaum einer selbst kürzeste Strecken zu Fuß freiwillig geht. In ehemals milderen Klimazonen sterben in Großstädten viele Menschen während der sommerlichen Hitzeperioden. Der Journalist Sam Bloch untersuchte den Mangel an Schatten in Los Angeles und forderte die Anerkennung der Ressource Schatten als Gemeingut und damit als integralen Teil von Stadtplanung. Viel Schatten gibt es in Los Angeles nur in reichen Gegenden. In armen Wohngebieten gibt es auf Spielplätzen, Parkplätzen und Straßen fast keinen Baum. 3 Wie ich es auch in Kuala Lumpur beobachtet habe, bewegen sich die Menschen in Los Angeles bevorzugt mit dem Auto: Der fehlende Schatten erhöht das motorisierte Verkehrsaufkommen.

Dunkelheit: Schutz und Angst Die Dunkelheit der Nacht gewährt gleichzeitig Schutz und macht Angst. Dafür gibt es historische, kulturelle, religiöse und neurologisch-psychologische Hinweise. Statt die Nacht als Schatten der Erde im Sonnenlicht zu verstehen, deuteten die Menschen in Europa bis ins Mittelalter die Nacht unter anderem als Strafe für Sünde. Es gab auch den Glauben, die Nacht sei Gottes Beweis, dass die Hölle existiere. Hexen und Dämonen wurden der Dunkelheit als der Macht des Bösen zugeordnet. Den Beruf des Nachtwächters mit der Aufgabe, den Schlaf der Bürger:innen vor Feuer und anderen Gefahren zu behüten, gab es schon im Römischen Reich. Im 16. bis 18. Jahrhundert wurden in Europa Nachtstraftaten strenger geahndet als Straftaten, die tagsüber geschahen.4 Die tiefe Dunkelheit der Städte wurde nur spärlich durch das Licht aus den Fenstern der Häuser und aus den Handlaternen der Nachtwächter erhellt, sodass die Menschen nachts gerne zuhause blieben. Der Begriff „Nachtleben“ ist ein Wort des 17. Jahrhunderts, als ein aktives öffentliches Leben auch in der Dunkelheit begann.

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Von der neurologisch-psychologischen Seite der Dunkelheit war bereits in Kapitel Wahrnehmung unter „Zeitwahrnehmung und Reflexion im dunklen und hellen Raum“ die Rede. Eine helle Umgebung spricht die rationalen, eine dunkle Umgebung die emotionalen und fantasievollen Areale unseres Gehirns an. Dämonen und Angstszenarien können in unserer Vorstellung ungehindert wachsen, die rationale Kontrolle ist vermindert. Die Nacht schafft aber auch Geborgenheit: Evolutionär gesehen, bietet die Dunkelheit einen grundlegenden Schutz für schlafende Tiere und Menschen vor Beobachtung und Angriff von Feinden. Im Roman American Dirt von Jeanine Cummins, der in unserer zeitgenössischen Welt spielt, erleben Flüchtende aus Mexiko beide Seiten der Dunkelheit, nämlich Angst und Schutz: „Die Sonne geht vor ihnen unter […] Die Farben werden nur ganz langsam tiefer, gleiten nur ganz langsam in die Schwärze, aber als sie schließlich doch fort sind, ist die Dunkelheit tiefer und weiter als alles, was Luca je erlebt hat. […] Der Himmel ist klar, Sterne glitzern über ihnen, aber es ist Neumond. Selbst wenn er also hoch oben steht, spendet er kein Licht für ihren Weg. Ideale Umstände für das Übertreten der Grenze.“5

Gesundheit: Lichtbelästigung und Ruhestörung Alle Menschen und viele Tiere brauchen den Rhythmus von Tag und Nacht und damit die Dunkelheit, um schlafen zu können und gesund zu bleiben. In der Wachphase bereiten sich die Organe von Lebewesen auf die Aufnahme und Verarbeitung von Nahrung vor. Im Schlaf laufen die Verdauungsprozesse intensiver ab, Energieressourcen werden im Körper verteilt, gleichzeitig erfolgen lebenswichtige Aktivitäten wie die Zellreparatur oder die Entgiftung des Körpers. Im Gehirn verfestigen sich Erinnerungen und Informationsprozesse ordnen sich. Unser tägliches Funktionieren ist also entscheidend von der Qualität unseres Schlafs abhängig. Der Neurobiologe Russel Foster schreibt: „Unsere Aneignung der Nacht wurde durch die weitverbreitete kommerzielle Nutzung des elektrischen Lichts ermöglicht. Mit dieser außergewöhnlichen Res­source konnten wir der Nacht den Krieg erklären, unser Schlaf und zirkadianer Rhythmus wurden die unglücklichen Opfer davon, die Folgen für unsere Leistungsfähigkeit und Gesundheit können gravierend sein.“6

— Im heißen Sommer wirbt das Schild mit Schatten, in Hamburg ist das neu.

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Artenschutz Die systematische Reduktion nächtlicher Helligkeit und gezielte Lichtqualitäten (nach unten gerichtetes Licht, gute Entblendung, geringe Lichtmengen, tendenziell warme Lichtfarben) tragen zum Schutz von Flora und Fauna bei. Viele Pflanzen verändern ihren Wachstums- und Reproduktionshabitus, wenn sie nachts künstlichem Licht ausgesetzt sind. Infolge davon kann die Blütezeit von Pflanzen früher oder verspätet eintreffen. Dass Laub länger an den Bäumen bleibt, kann man gut beobachten, wo Straßenleuchten in den Kronen der Bäume verschwinden. Die Äste, die der Leuchte am nächsten sind, sind noch belaubt, wenn alle anderen Äste schon kahl sind. Viele Pflanzensamen brauchen ausreichend lange Dunkelperioden, um zu keimen. Pflanzen, die sich über Ausläufer oder Rhizome vermehren, werden so samenbildenden Pflanzen gegenüber in ihrer Ausbreitung bevorzugt. Amphibien bewegen sich meist nachts an Land, damit ihre Haut nicht austrocknet und die Dunkelheit sie vor Feinden schützt. Schon schwache Lichtquellen schränken ihren Orientierungssinn ein und stören sie auf der Suche nach Nahrung und Fortpflanzungspartnern. Fleischfressende Tiere verlieren ihre Jagdreviere durch Lichtbarrieren. Insekten werden vom Licht angezogen und sterben an Erschöpfung, wenn sie Kunstlichtquellen ohne Unterlass umrunden. Die Weibchen des Großen Glühwürmchens nutzen Biolumineszenz, um die Männchen über Strecken von bis zu 45 m anzulocken. Sie stehen damit in Konkurrenz zum künstlichen Licht und sind in den letzten 50 Jahren merklich seltener geworden. Zugvögel, die sich an Sternen oder dem Magnetfeld der Erde orientieren, werden vom Licht der Städte fehlgeleitet, finden ihre Flugrouten nicht oder fliegen Umwege. Vögel, die sich ausschließlich von Nachtinsekten ernähren, finden weniger Nahrung an gewohnten Orten, viele frühere Lebensräume sind für sie wegen der Lichtemissionen nicht mehr bewohnbar. Ohne die Artenvielfalt ist das Gleichgewicht des Ökosystems zerstört. Die Nahrungskette funktioniert nicht mehr, und wir berauben uns unserer fundamentalen Lebensgrundlagen, wenn die Lichtverschmutzung nicht gebremst und zurückgenommen wird.7

Dark Sky Damit wir den Blick ungetrübt in den Weltraum werfen können, gibt es verschiedene Initiativen, Richtlinien und Gesetze, die die Dunkelheit schützen und sie zurückerobern sollen. Die UNESCO, die CIE (Internationale Beleuchtungskommission) und die IAU (Internationale Astronomische Union) haben ein Maßnahmenpaket erarbeitet, um Lichtverschmutzung durch öffentliche Beleuchtung und privates Licht zu reduzieren.

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↗  Maßnahmen zur Vermeidung

von Licht­verschmutzung

Beleuchtungszeiten begrenzen Werbung zu Nachtzeiten einschränken unnötige Beleuchtung zurücknehmen Lichtrichtungen von unten und gegen den Horizont vermeiden auf Leuchten verzichten, die wie Bodeneinbauleuchten nach oben strahlen nur gut abgeschirmte Leuchten einsetzen Mehr Wissen veröffentlichen folgende Organisationen: Der „Guide to the lighting of urban areas (CIE-136-2000)“ und der „Guide on the limitation of the effects of obtrusive light from outdoor lighting installations (CIE 150–2003)“ geben weitere Empfehlungen zum Schutz vor Lichtverschmutzung. » https://cie.co.at/publications/guide-lighting-urban-areas » https://cie.co.at/publications/guide-limitation-effects-obtrusive-light-outdoor-lighting-installations-2nd-edition Die International Dark-Sky Association (IDA) sammelt Wissen, klärt auf und vergibt Gütesiegel für Leuchten, die wenig Streulicht in den Himmel werfen. » https://www.darksky.org/ Die IUCN Dark Skies Advisory Group (DSAG), eine Arbeitsgruppe der International Union for Conservation of Nature and Natural Resources (IUCN), klassifiziert Lichtschutzgebiete unter Bewertung mit verschiedenen Kriterien. » https://darkskyparks.splet.arnes.si/2009/12/18/dsag/

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Sternenparks Nächtliche Dunkelheit wird von der UNESCO als ein schützenswertes Kulturgut bezeichnet: Der sichtbare Sternenhimmel ist eine natürliche Ressource. Astronomie und Seefahrt konnten sich nur mit dem dunklen Sternenhimmel entwickeln. Die BortleSkala kategorisiert die Himmelshelligkeit über die Anzahl der Sterne, die noch mit bloßem Auge erkennbar sind. Die International Dark Sky Association  (IDA) zeichnet Sternenparks mithilfe dieser Skala in den Kategorien Gold, Silber und Bronze aus. Bortlescale-Landkarten machen sichtbar, wie massiv die Lichtverschmutzung von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zugenommen hat.

Gesetze und Regelungen zum Schutz vor Lichtverschmutzung Um die Lichtverschmutzung zu verringern, wurde 1988 auf den kanarischen Inseln mit dem Ley del Cielo das erste Gesetz zur Eindämmung von Lichtverschmutzung weltweit erlassen. Chile schuf im Jahr 1999 als erstes Land landesweite Gesetze (Norma de la Contaminación Lumínica) zur Begrenzung der Lichtverschmutzung, um so die Standorte der Observatorien zu erhalten. In Europa war Tschechien der erste Staat, der um 2010 ein Gesetz zur Dämpfung von Straßenbeleuchtungen erließ. Inzwischen existieren weltweit unterschiedliche gesetzliche Bestimmungen und Regulierungen gegen Lichtverschmutzung. Die österreichische Organisation „Helle Not“, die zur Vermeidung von Lichtsmog beitragen möchte, listet eine Vielzahl europäischer Regelungen auf.8 Die in verschiedenen europäischen Regionen geltenden Gesetze liegen überwiegend in der Verantwortung der Bundesländer und Regionen und sind zum Leidwesen einheitlicher Vorgehensweisen recht unterschiedlich.  Das Bundesimmissionsschutzgesetz in Deutschland bezieht sich auf innerstädtische Wohngebiete und regelt die Lichtemissionen, die durch Fenster oder Außenbeleuchtung ihre Nachbarschaft stören könnten. Seit etwa 2010 geschieht es in der Planungspraxis etwas häufiger als vorher, dass das Einhalten der maximal zulässigen Werte bei Lichtplanungen nachgewiesen werden muss. Siehe Maßnahmen zur Vermeidung von Lichtverschmutzung nach CIE und IAU auf Seite 97.

DUNKELHEIT / PRAXIS

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Lichtverschmutzung und lauernde Gefahren: Dunkelheit mit Lichtmasterplänen gestalten Wieviel künstliches Licht brauchen wir in der Nacht? Gute Partys funktionieren nur im (relativ) Dunkeln. Der zu helle städtische Raum vertreibt dagegen die besondere nächtliche Stimmung. Das ist nicht nötig, denn mehr Licht bedeutet nicht mehr Sicherheit. Aus der Distanz zeigt sich die stetig wachsende Lichtverschmutzung des Himmels über Hamburg. Sowohl der Hamburger Hafen als Arbeitsplatz im Freien als auch die öffentliche Beleuchtung der Verkehrswege tragen dazu bei. Eine gute Arbeitsstättenbeleuchtung wie eine gute öffentliche Beleuchtung muss die Balance zwischen einem umweltgerechten, sensiblen Licht und ausreichender Beleuchtung finden, die für ein Sicherheitsgefühl sorgt. Gezielt gesetztes, gleichmäßiges, nicht blendendes Licht braucht gar nicht besonders hell zu sein, um gute Sehbedingungen zu schaffen. Private und öffentliche Beleuchtungen strahlen jährlich immer heller. Der Blick aus dem Raumschiff auf den Golf von Mexiko zeigt die enorme globale Lichtemission. Vom Flugzeug aus kann man sehr gut erkennen, wo neue LED-Lichtanlagen und wo alte, schwächer leuchtende Anlagen stehen. Statt den Vorteil der Energieeffizienz zu nutzen und weniger Strom zu verbrauchen, machen wir die Welt zu ihrem und unser aller Schaden heller.

— Der Nachthimmel über Hamburg

­— Blick aus dem Raumschiff auf den Golf von Mexiko

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Lichtmasterpläne für Städte Die ersten Lichtmasterpläne für Städte entstanden seit 1990, zunächst mit der Motivation, die nächtliche Stadt interessant und lebenswert zu machen, Besonderheiten im Stadtbild zu betonen und aus ästhetischen und Wartungs- und Kostengründen einheitliche Beleuchtungskörper einzusetzen. In den Anfangszeiten trennten die Städte als Auftraggeber die Beleuchtung von Straßen, das sogenannte funktionale Licht, von der Beleuchtung von Fassaden und Denkmälern, dem sogenannten dekorativen Licht, und wiesen beiden getrennte Planungskompetenzen zu. Eine stimmige Atmosphäre, auch ohne Lichtdoppelungen, ist aber nur in einem ganzheitlichen Lichtkonzept realisierbar. Im Lichtmasterplan für die Expo 2000 in Hannover bewahrten wir Dunkelheit in den großzügigen Parks, die das Pavillongelände durchzogen, um Erholung von der Reizüberflutung der Ausstellung zu ermöglichen. Was im Jahr 1997 noch eine Pionierleistung war, ist inzwischen selbstverständlicher. So findet der Wunsch nach einem lebendigen Licht und einem blendfreien Ausblick über dunkle Wasserflächen und auf den Nachthimmel im Lichtmasterplan für Rotterdam einen guten Ausgleich.9

Lichtbeiräte und Gremien Masterpläne und Lichtkonzepte für Städte können die Lichtüberflutung der Welt einschränken und „zurückfahren“. Deren Lichtprinzipen, systematisch angewandt, gelten als Regeln in den entsprechenden Städten und Stadtteilen. Wenn sie kontinuierlich erneuert, durch Gremien, Lichtbeiräte lebendig gehalten werden, sind Masterpläne Werkzeuge für gutes Licht im öffentlichen Raum. Ein lebendiger Erfahrungsaustausch zwischen Expert:innen und Bürger:innen der verschiedenen Städten stärkt den bewussten Umgang mit Licht und Dunkelheit. Ein tolles überregionales Beispiel ist auch das Projekt LUCIA, eine Kooperation von Städten des Ostseeraumes, die den Wissensaustausch von Stadtverwaltungen und Planer:innen über nachhaltige öffentliche Beleuchtung pflegt und in konkreten Pilotprojekten umsetzt.10

Sicherheit In der Debatte über Sicherheit durch Licht im öffentlichen Raum vermischen sich Begriffe wie objektive Sicherheit, Sicherheitsgefühl, Kriminalitätsfurcht und Angstraum. Man unterscheidet objektive Sicherheit von subjektiver Sicherheit, in welcher der Mensch keine Angst vor einer Gefährdung verspürt. Ein Zusammenhang zwischen Kriminalität und Beleuchtung lässt sich in Studien bislang nicht nachweisen.11 Vielmehr resultieren Verbesserungen subjektiver Sicherheit nur aus qualitativ hochwertigerem Licht und nicht, wie häufig impliziert, aus höheren Leuchtdichten und Beleuchtungsstärken. Zum Beispiel empfiehlt die EN 13201-2 für Gehwege, die ausschließlich für Fußgänger vorgesehen sind, eine horizontale Beleuchtungsstärke von 5 Lux bei einem normalen Kriminalitätsrisiko, aber von 10 Lux bei einem erhöhten Kriminalitätsrisiko. Für die Sicherheit und die Umwelt wäre aber eine höhere Blendungsbegrenzung bei gleichbleibender Beleuchtungsstärke von 5 Lux weitaus sinnvoller.

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Was für verschiedene Bevölkerungsgruppen tatsächlich zu mehr subjektiver Sicherheit führt, lehren Projekte unter Bürgerbeteiligung am besten. Wenn verschiedene Disziplinen eng zusammenarbeiten, können sie auf die Bedürfnisse der dort Wohnenden spezifisch eingehen. Unterführungen sind angsteinflößend, wenn ein starker Lichtkontrast am Ausgang des Tunnels blendet. Signale sozialer Unordnung, eine fehlende soziale Kontrollperspektive, Verschmutzung und Verwahrlosung, Unübersichtlichkeit und Einsamkeit der Orte beeinflussen das subjektive Sicherheitsgefühl stärker als deren Ausleuchtung. Wir brauchen deshalb eine Beleuchtung des öffentlichen Raums, welche die Perspektive der Fußgänger:innen und Radfahrer:innen einnimmt.12

Partizipation, Gleichberechtigung Initiativen der Partizipation gehen von NGOs oder EU-Projekten aus: Plan International veranstaltet gemeinsam mit UN-Habitat im Rahmen von „Urban Programme – Sichere Städte für Mädchen“ sogenannte „Safety Walks“, bei denen die Projektteilnehmer:innen in ihren Stadtvierteln als gefährlich erlebte oder empfundene Orte schriftlich und fotografisch festhalten. „Anschließend erstellen sie Karten, auf denen sie die Orte markieren, die potenziell gefährlich für Mädchen sind. Damit treten sie an Behörden wie die Polizei, Stadträte oder Regierungsvertreter:innen heran, um Verbesserungen zu fordern. […] Mädchen und auch Jungen werden dafür aktiv in die Gestaltung und Entwicklung ihres Stadtteils mit eingebunden. Aktuell wird das Programm in 12 Ländern durchgeführt, unter anderem in Ägypten, Indien, Peru, Vietnam, Australien und Spanien.“13

— Lichtpunkthöhen in Ufernähe im Lichtkonzept Rotterdam

102

Leitlinien für Masterpläne Im Verlauf unserer Lichtmasterplanungen für verschiedene Städte haben wir folgende Leitlinien zu angemessenem, stimmungsvollem und rücksichtsvollem Licht entwickelt: Gute Entblendung/Blendungsbegrenzung (A) Eine noch bessere Entblendung, als sie in der Norm EN 13201 insbesondere von Straßenleuchten gefordert ist, entlastet die Augen, die ohne Blendung selbst bei geringen Helligkeiten besser sehen können. In der Abbildung liegt der Abstrahlwinkel der Leuchte bei unter 180 Grad. Wenig blendende einzelne Strahler, nach unten gerichtet (B) Die Lichttechnik von Strahlern, die an Multifunktionsmasten angebracht werden, erlaubt eine präzise Entblendung sowie eine differenzierte Lichtrichtung. Geringe Lichtpunkthöhen aus Pollern und niedrigen Masten (C) Geringe Lichtpunkthöhen aus Pollern und niedrigen Masten stören Vögel und Insekten weniger als große Lichtpunkthöhen. Sie befinden sich teilweise unter deren Flugbahn und schaffen in der Regel kleinere und präziser definierte Lichtkegel bei ähnlicher Beleuchtungsstärke. Licht nach Bedarf für Fußgänger (D) Das Bild zeigt, wie das Licht für Fußgänger:innen, Fahrrad- und Autofahrer:innen auf Straßen nach Bedarf heller und dunkler gesteuert werden kann. Bei geringerer Frequentierung lassen sich die Leuchten eines bestimmten Abschnitts über Bewegungsund andere Sensorik weich steuern. Nach oben gerichtetes Licht unter freiem Himmel vermeiden (E) Wenn wir im Außenraum nach oben gerichtetes Licht nur unter Überdachungen einsetzen und unter freiem Himmel vermeiden, bleibt der Himmel dunkler. Bäume von unten anzustrahlen, kam seit den 1990er-Jahren in Mode, weil die Leuchten so schön im Boden verschwinden und tagsüber eher unsichtbar sind. Es ist aber besser, andere Wege der Akzentuierung zu finden oder auf das eventuell vorhandene Streulicht zu vertrauen. Für die Anstrahlung von Gebäuden können wir Leuchten mit einem engen Halbstreuwinkel, also einem scharf abgegrenzten Lichtkegel, diagonal und nicht senkrecht auf die Fassade richten.

103

A

B

C





E 

D

DUNKELHEIT / UMSETZUNG

 eringe Lichtemission ist G Konzept: Mall of the Netherlands, Leidschendam Die Mall of the Netherlands entstand aus einem existierenden Einkaufszentrum mit Ladenstraßen unter freiem Himmel. Die Architekten zeigen die Veränderung nach Außen mit einem um den ganzen Gebäudekomplex geschlungenen gigantischen weißen „Schal“, der sich im Licht scheinbar bewegt. Mit den weichen Dimm-Stufen zwischen Licht und Schatten zeigt die Fassade Präsenz und leuchtet friedlich zurückhaltend, ohne die Anwohner zu stören. Sie trägt dazu bei, dass Menschen sich nachts im Stadtteil orientieren und sicher fühlen können. — Der Blick bei Nacht auf die Westfield Mall of the Netherlands

1

Ono, Yoko: Grapefruit: A Book of Instructions and Drawings by Yoko Ono. New York City 1970, S. 246.

2

Praun, Sandra, Stratimirovic, Aleksandra: You Say Light – I Think Shadow. Stockholm 2015.

3

Bloch, Sam: „Shade”, Places Journal, April 2019. Auf: https://doi.org/10.22269/190423 (31.3.2022).

4

Fischer, Ernst Peter: Durch die Nacht Eine Naturgeschichte der Dunkelheit, München 2015, S. 65ff.

5

Cummins, Jeanine: American Dirt. Hamburg 2020, S. 460 ff.

6 Foster, Russell: „Light Regulation of Circadian Rhythms: Fact and Fiction and Design Implications.” In: Ritchie, Ian hrsg.: Neuro Architecture. Designing with the mind in mind, Chichester 2020, S. 67. 7 Sierro, Antoine: Hell leuchtet die Nacht! Wie Lichtverschmutzung die Natur belastet. Dienststelle für Wald, Flussbau und Landschaft, Sitten 2019. 8

Siehe: https://hellenot.org/themen/gesetz-norm-und-leitfaden/#c1018 (1.5.2022).

9 Ulrike Brandi Licht, Gemeente Rotterdam (hrsg.): Rotterdamse Stijl. Lichtplan Rotterdam, Rotterdam 2011. 10

Siehe: https://lucia-project.eu/resources-for-you (30.3.2022)

11 LiTG – Fachgebiet Physiologie und Wahrnehmung: Beleuchtung und Kriminalität. Heft Nr. 45, Berlin 2021. 12 Storp, Dunja: „Von einer, die auszog, das Fürchten zu lernen. Licht und Sicherheit im Kontext der Planung“. Licht, 1/2022: S. 50ff. 13 Plan Redaktion: Sichere Städte für Mädchen. Auf: https://www.plan.de/aktuelles/kampagnen-undaktionen/safer-cities-sichere-staedte-fuer-maedchen.html (31.3.2022) – Mittlerweile gibt es Safer City Maps auch für viele deutsche Städte: https://www.plan.de/safer-cities-map/#/

107

DYNAMIK Lichtszenarien steuern und dimmen Dark Sky + Zeit = Dynamik Steuerungen eröffnen die Möglichkeit, Lichtsitua­ tionen an den Bedarf anzupassen. Das ist komfortabel und spart gegenüber starren Lichtanlagen Energie ein. Elektrisches Licht dimmen können wir schon lange, mit digitalen Leuchtmitteln wie LEDs ist es auf­wen­ diger als bei Glühlampen. Ihr Vorteil: Steueranlagen interagieren mit den Leuchten. Sie entwickeln sich weiter, und die Industrie etabliert sukzessive gemein­ same Standards. Nach guter Kenntnis der Anforderungen der Bauherrenschaft, können Planer:innen für Licht, Elektro- und Medientechnik gezielte Empfehlungen zur passenden Lichtsteuerung geben.

— Der Himmel von Berlin — Die Decken des ICE 4 zitieren das Himmelslicht im Tagesverlauf.

DYNAMIK / PHÄNOMEN

Der farbige Himmel: Wellen­ längen im weißen Sonnenlicht Die Rayleigh-Streuung im Himmel Die Rayleigh-Streuung erklärt das Himmelsblau und das Morgen- und Abendrot. Hoch am Himmel legt das Licht der Sonne eine kurze Strecke durch die Atmosphäre zurück, deren Moleküle nur wenige blaue Strahlungsanteile in andere Richtungen streuen. Tief am Himmel, morgens und abends, ist die Strecke des Sonnenlichts durch die Atmosphäre viel länger, und sehr viele hochfrequente blaue Lichtwellen streuen seitlich weg. So erreichen mehr rote lange Wellenlängen die Betrachtenden. Die Sonne und der Himmelsbereich um sie herum erscheinen rot-orange.

Akzentlicht im ICE 4: Gesteuerte RGB-W LED beleuchten die Decke Anders lassen sich mit LEDs verschiedene Farbtemperaturen erzeugen: Entweder mischt man das monochrome Licht einer roten, grünen und blauen LED, die häufig mit einer oder zwei weißen LEDs auf einer Platine kombiniert sind (RGB-W und RGBWW), oder man kombiniert zwei weiße LEDs (eine warmweiße und eine kaltweiße) miteinander.

— Streuung des Sonnenlichts: aus flachen Winkeln mit einem langen Weg durch die Atmosphäre (rot-orange Strahlen) und aus großen Winkeln mit einem kurzen Weg durch die Atmosphäre (blaue Strahlen)

— RGB-W Leuchtdioden erzeugen blaues Licht, indem nur geringe Rot- und Grün-, aber viele Blauanteile leuchten (oben) und viele Rot- und Grün-, aber kaum Blauanteile (unten) ange­ steuert werden.

109

„Manchmal denke ich an die Son­ nenuntergänge damals, auf den Feldern um unser kleines Haus im Herbst. [ … ] die sinkende Sonne im Rücken, der Himmel vor mir erst in dunstigem Rosa schimmernd und dann in einem ganz dünnen, neuen Blau, als wollte seine Schönheit nie aufhören, während das Land im Westen schon dunkel wird, fast schwarz scheint es vor der orangeglimmenden Linie des Horizonts [ … ] und am Himmel ein Widerschein immer noch, und dann, endlich, Dunkel. Damit die Seele, diese Augenblicke lang, ru­ hig sein kann. Leben, denke ich manchmal, heißt Staunen.“ 1 — Elisabeth Strout, 2019

DYNAMIK / HINTERGRUND

Warum steuert man Licht? Einer der Gründe, Lichtsteueranlagen einzusetzen, ist, dass sich im Verlauf des Tages die Akzeptanz von Farbtemperaturen und Helligkeiten des elektrischen Lichts verändert. Helles Licht in kühleren Lichtfarben, das wir tagsüber als angenehm empfinden, erscheint uns nachts als grell, kühlschrank-kalt und abweisend. Das warme, gedämpfte Licht, das wir abends mögen, wirkt tagsüber flau, dunkel und vergilbt. Im Theater wird Licht schon lange gesteuert, Licht ist dort ein wesentliches dramaturgisches Stilmittel. Die erste Lichtsteuerung in der Architektur, die täglich eine Abfolge von Lichtszenen durchläuft, haben wir 1994 in der Grande Galerie des Musée d´Histoire Naturelle in Paris realisiert. Sie nutzt eine für die Museumsinszenierung adaptierte Theatersteuerung. Über den Tag hin verändern sich der Himmel (die Glasdecke) und die Spotlichter, die den Zug der Tiere in die Arche Noah anstrahlen. Inzwischen ist ein intelligentes Lichtmanagement in der Architektur und Außenbeleuchtung eine Selbstverständlichkeit. Die Tabelle (rechts) zeigt, welche Vorteile und neuen Aspekte Lichtmanagement in unser Fachgebiet bringt.

— Kontinuierlich gesteuertes Licht in der Grande Galerie des Musée d´Histoire Naturelle, Paris

111

↗  Gründe, eine Lichtsteuerung

zu benutzen

Grund

Wie

Bereich

Beispiel

Übergeordnet Flexibilität

» Im täglichen Gebrauch » Offenheit für variable Anforderungen

Ergonomie Gesundheit

» Normen einhalten » Humanzentriertes Licht

» Büro » Krankenhaus

» Lichtfarben an zirkadianen Rhythmus anpassen » Heilungsprozess durch Lichtintensität/-farben unterstützen

Sicherheit

» Helligkeiten an Umgebung anpassen

» Straßenbeleuchtung

» Licht an Frequentierung anpassen

Stimmige Atmosphäre

» Helligkeit und Lichtfarbe ändern

» Wohnen » Büro » Restaurant

» Tagsüber hell/frisch, abends warm/gedimmt

Aufmerksamkeit

» Helligkeitsveränderungen

» Theater/Kino » Verkauf/ Werbung

» Licht geht aus: Vorstellung beginnt » Blicke lenken

Selbstbestimmung

» Individuelle Einflussnahme

» Büro

» Steuerung für einzelnen Arbeitsplatz

» Helligkeit nur nach Bedarf

» Büro

» Licht aus bei Abwesenheit » Dem Tageslicht entsprechend elektrisches Licht herunterfahren

» Öffentliche Beleuchtung » Sportstätten im Freien

» Licht an Verkehrsdichte anpassen » Manueller Schalter ein, Zeitschaltung aus

Psychologie

Ökonomie/Ökologie Energieverbrauch reduzieren

Lichtverschmutzung reduzieren

DYNAMIK / PRAXISWISSEN

 ichtszenen, Schaltkreise und L Steuerungstabellen: eine Spiel­wiese für Technikbegeisterte Für die konkrete Planung ist der erste Schritt, Erwartungen der Nutzer:innengruppe und der Auftraggeber:in zu erfragen und zu fokussieren. Zwischen der Aussage: „Wir wollen eigentlich keine Steuerung, das ist zu kompliziert und zu teuer, ein einfacher Lichtschalter reicht uns“ und dem Wunsch, jede Leuchte einzeln in Helligkeit und Farbe von überall aus ansteuern zu können, gilt es, eine praktische Anlage zu entwerfen. Die Bedienung muss auf das Bedienpersonal und deren Arbeitsumgebungen zugeschnitten sein, die Steuerung soll störungsfrei und eindeutig laufen. Beleuchtungsproben während der Planung helfen den zukünftigen Nutzer:innen, ihre Wünsche zu formulieren (siehe rechts). Das ist besonders im Museum wichtig. Wenn diese Parameter geklärt sind, können Planer:innen Lichtszenen, Schaltkreise und Steuerungstabellen aufstellen. 

Abfolgen und Lichtszenen Es existieren zwei grundsätzlich verschiedene Anwendungen für Steuerungen in der Architektur. » V  orprogrammierte Abfolgen: Man programmiert eine Abfolge, wenn man das Kunstlicht dem Tageslicht anpassen möchte oder einen Tagesverlauf nachempfinden möchte. Abläufe können im Loop wiederholt werden, bei Bedarf abgerufen oder zu vorausbestimmten Zeitpunkten oder anderen Impulsen automatisch gefahren werden. So finden wir es in Museen, Büros, Krankenhäusern und Hotels. » Vorprogrammierte statische Lichtszenen: Eine andere Art, Steuerungen einzusetzen, ist es, statische Lichtszenen vorzuprogrammieren, deren Steuergruppen bestimmte Dimm- und/oder Farbtemperaturwerte zugeordnet werden. Die Nutzer:innen rufen die jeweils gewünschte Lichtszene ab. Das ist in Vortragsräumen, multifunktionalen Räumen, Einzelbüros und Privathäusern sinnvoll.

113

Dimmen und Veränderung der Farbtemperatur Das Dimmen von LEDs erfordert mehr Technikbausteine als das von Glühlampen und Halogenglühlampen. Es gibt zwei Methoden: die Pulsweitenmodulation und die Stromdimmung. » B  ei der Pulsweitenmodulation schaltet man die LED in schneller Folge ein und aus. Menschen nehmen den zeitlichen Mittelwert wahr, bei gleicher Ein- und Ausschaltzeit von 50 % : 50 % erscheint eine 50-prozentige Lichtintensität. Die Dimmerfrequenz sollte über 400 Hz betragen, damit keine stroboskopischen Effekte auftreten, die Kopfschmerzen erzeugen können und die eine Gefahr für Menschen mit Epilepsie darstellen. » Die Stromdimmung nutzt die Tatsache, dass die Intensität des LED-Lichts relativ proportional ist zum Strom, der durch die LED fließt. Bei dieser Methode kann es nicht zu Flimmern oder zum Perlschnureffekt wie bei der Pulsweitenmodulation kommen, allerdings können Intensität und Farbtemperatur bei nebeneinander liegenden LEDs auffällig unterschiedlich sein. Die beim Dimmen der Glühlampe typische (und liebgewonnene) Veränderung der Farbtemperatur ins Warme (von 2700 Kelvin auf 2200 Kelvin) können „Dim-to-warm“ LEDs imitieren.

— Beleuchtungsprobe

114

Systeme für Lichtsteuerungen und Lichtmanagement Moderne Steuerungssysteme entwickeln sich weiter, werden kleiner und komplexer, sind einfacher zu bedienen, nicht aber einfacher einzubauen. Smart Home, Smart Building und Smart City wecken bei vielen Projekten hohe Erwartungen, die nicht jedes System erfüllen kann. Umso wichtiger ist es, sich im Planungsprozess von Anfang an Klarheit über die Ziele zu verschaffen. Wegen einer Vielzahl von Produkten verschiedener Hersteller:innen (Hard- und Software) finden Standardisierungen erst schrittweise statt. Als ein Standard für Gebäude- und Haussteuerung hat sich das KNX-System durchgesetzt. DALI (Digital Addressable Lighting Interface) ist ein spezielles Protokoll für die digitale Beleuchtungssteuerung, das die einfache Installation robuster, skalierbarer und flexibler Beleuchtungsnetzwerke ermöglicht. Das obere Schema zeigt eine DALI-Steuerung und seine Bauteile. DALI ist ein in der internationalen Norm IEC 62386 industrieweit standardisiertes Protokoll. In Gebäuden wird die DALI-Steuerung für das Licht in die allgemeine KNX-Steuerung integriert. Drahtlose Mesh-Netzwerke ermöglichen auf der Basis von Bluetooth Low Energy eine intelligente Beleuchtungssteuerung. Das untere Schema zeigt eine BluetoothSteuerung über eine App. Das Licht kann direkt über die App programmiert und gesteuert werden. Dies ist in häufig wechselnden Raumsituationen wie in Wechselausstellungen in Museen praktisch, zeitsparend und macht Spaß. Lichtsteuersysteme können Prinzipien der Kreislaufwirtschaft wie Cradle to Cradle unterstützen und ihren Beitrag für langlebige Architektur und Städtebau bei hoher Flexibilität der Infrastruktur leisten. Elektroingenieur:innen, Lichtplaner:innen, Fachleute für Gebäudeautomation bevorzugen offene und praktische Systeme. Eine intelligente Planung von Steuerungssystemen im Sinne der Nutzer:innen folgt dem Prinzip des „Less is More“. Gleichwohl darf auf sogenannte „Rückfallszenarien“, auf die man zurückgreifen kann, wenn komplexe Steuerungen ausfallen, nicht verzichtet werden.

115

Dali-Steuerung Dali-Steuerung

DALITreiber

Steuergerät Anbindung an KNXGebäudesteuerung

Schalter Tableau

Bewegungsmelder

Leuchte Leuchtmittel

DALITreiber

Zeitschalter

Tageslichtsensor

Bluetooth-Steuerung Bluetooth-Steuerung Schaltgruppen

Lichtszenen

Animation

Galerie

Lichtfarbe

Farbtemperatur

Lichtsensor

Bewegungsmelder

Gateway/ Anbindung an DALI-Steuerung

Skalierbarkeit

APP

Kalender & Timer

Sonnenauf/untergang Synchronisierung

DYNAMIK / PRAXISWISSEN

Der Himmel fährt mit: Tages­ lichtstimmungen im ICE 4 der Deutschen Bahn Die Fahrgäste der Deutschen Bahn sind tags und nachts unterwegs. Tagsüber erhalten die Wagen des ICE 4 wegen der großen beidseitigen Fenster viel Tageslicht; sie haben einen hohen Tageslichtquotienten, wenn sie nicht grade durch einen Tunnel fahren. Die Lichtszenen, die den Tagesablauf begleiten, und deren Steuerung wurden von uns auf Basis der vorhandenen linearen LED-Leuchten entworfen. Das Tageslicht verändert seine Lichtfarbe vom bläulichen Tageslichtweiß bis zum Warmweiß des Abendrots. Hier sieht man die warmweiße Innenbeleuchtung um 18:00 Uhr im ICE 4, während er durch die Abendstimmung von Hamburg fährt. Im Inneren des Zuges vollzieht das Kunstlicht die Lichtveränderungen des Himmels nach. Die direkte Komponente des Hauptlichts variiert zwischen 3000K und 4000K, während das indirekte Akzentlicht die Decke in entsprechendes pastellfarbiges Licht setzt. Die Lichtfarben basieren auf wahrnehmungspsychologischen Prinzipien, und die Zugfahrenden empfinden die am natürlichen Tagesrhythmus des Menschen orientierte Lichtsteuerung als angenehm. — Der ICE 4 fährt durch den Abend.

1

Strout, Elisabeth: Die Unvollkommenheit der Liebe. München 2019, S. 205.

119

KOMPOSITION Die Mischung macht’s Dynamik + Verbindung der Bausteine = Komposition Ob nun Tageslicht- oder Kunstlichtplanungen: Lichtprojekte beginnen mit der Analyse des Tageslichts, das im Gebäude oder im Außenraum wirkt. Aus ihr und aus den Besonderheiten von Architektur, Ort und Nutzungen entwickeln wir das Konzept für das Kunstlicht, das durchaus ähnliche Stimmungen wie Tageslicht erzeugen kann. Licht orientiert in Raum und Zeit, es gliedert in Bereiche und Abschnitte, es erfrischt, macht wach, beruhigt und akzentuiert, wenn die verschiedenen Lichtelemente gut miteinander komponiert sind.

— Morgenhimmel in St. Pauli — In der Bahnsteighalle der Rotterdam Centraal Station herrscht eine lichte Atmosphäre.

KOMPOSITION / PHÄNOMEN

Absorption, Reflexion und Transmission Absorption, Reflexion, Transmission an Boden und Wolken Morgenstimmung in St. Pauli: Der Betonboden im Vordergrund zeigt das Phänomen der Absorption von Licht. Die graue Oberfläche reflektiert nur wenig Strahlung und absorbiert sie, wandelt also einen großen Teil des sichtbaren Lichts in Wärme um. Die Oberseite der weißen Wolken reflektiert einen Teil des Sonnenlichts zurück in das Weltall. Das Wolkenpaket transmittiert in seinen unterschiedlich dichten Schichten einen anderen Teil der Strahlung, sodass nur wenig Licht auf Boden und Wasser auftrifft. Dort, wo Löcher in der Wolkendecke sind, lassen diese direktes Sonnen- und Himmelslicht hindurchscheinen, es geschieht eine fast ungehinderte Transmission der Lichtstrahlen durch die Luft.

Absorption, Reflexion, Transmission Die gleichen physikalischen Phänomene von Absorption, Reflexion und Transmission sind am Hallendach der Rotterdam Centraal Station mit anderen Materialien beobachtbar. Es absorbiert mit seinen opaken Fotovoltaik-Flächen sichtbares Licht und verwandelt es in elektrische Energie. Die Rasterpunkte im Glasdach reflektieren einen definierten Anteil von Lichtstrahlen, während die Rasterzwischenräume klar sind und den übrigen Anteil der hier auftreffenden Sonnenstrahlung in die Bahnsteighalle transmittieren. Ein Drittel des Glasdaches über der Halle ist komplett klar und transmittiert direktes Sonnenlicht in die Halle.

1 1 3

2 3

— Auf der Wolke findet Reflexion (1) statt, in ihr Transmission (2) und auf dem Boden Absorption (3).

2

— Die Photovoltaikelemente absorbieren das Sonnenlicht (3), die bedruckten Gläser reflektieren (1), die klaren Gläser transmittieren die Lichtstrahlen (2).

121

„Lass dir sagen, Kind, Die Morgensonne ist hier Uns zu begrüßen Mit einem liebenden Licht, So warm. Die Morgensonne ist hier Uns zu treffen Sie wartet auf das Aufwachen Von allen Sie hört damit nicht auf Bis du lächelst.“ 1 — Melody Gardot, 2015

KOMPOSITION / HINTERGRUND

Abwechslung regt an. Nach welchem Licht sehnen wir uns? Das Wissen über die psychologische Wirkung von Licht auf Menschen hilft uns, Licht angemessen zu planen und bestimmte Nutzungen und Nutzergruppen gezielt zu stärken. Wir wissen, dass dunklere Lichtsituationen die fantasievolle, emotionale Seite des Gehirns ansprechen, hellere Räume eher die rationale, vernunftgetriebene Seite.

Psychologische Grundbedürfnisse von Menschen gegenüber ihrem Lebensumfeld Psychologische und atmosphärische Effekte von Licht sind nicht leicht zu messen, weitere Forschung ist nötig. Ingrid Gehls Systematik der psychologischen Grundbedürfnisse von Menschen gegenüber ihrem Lebensumfeld bezieht sich auf Architektur und Städtebau und bietet uns einen praktischen Ansatz. 2 Sie definiert acht Bausteine psychologischen Wohlbefindens: 1. Kontakt zu anderen Menschen 2. Privatsphäre 3. Raum für vielseitige Erfahrungen 4. Sinnstiftung 5. Spiel 6. Struktur und Orientierung 7. persönlicher Einfluss, der Identifikation ermöglicht 8. Ästhetik und Schönheit Nicht nur der gebaute Raum allein, auch das darin herrschende Licht schafft die richtige Umgebung, um diese Grundbedürfnisse zu erfüllen. Für einige der oben genannten Bausteine nenne ich Möglichkeiten des dazugehörigen Lichts. Die Mind-Map rechts oben zeigt ein Wortfeld von Adjektiven, die uns zur Charakterisierung von Licht zur Verfügung stehen. Licht, das Kommunikation unterstützt (zu 1) Den Kontakt zu anderen Menschen fördert eine Lichtatmosphäre, die freundlich und einladend ist. Helles, frisches Licht funktioniert in Gruppenräumen von Kitas und Schulen gut, während gedämpftes, gemütliches Licht in einer Kneipe helfen kann, um eine eventuelle Schüchternheit zu überwinden. 

123

Akzentuiert

Starr Gerichtet

Kalt Kontrastreich Hell

Ordentlich

Weich

Bunt

Unbunt

Lichtcharakteristika

Brillant

Chaotisch

Dunkel Flau/Flach Warm Gleichmäßig/ Großflächig

Bewegt Diffus

— Mind-Map verschiedener Lichtcharakteristika

— Das Licht erzeugt im gleichen Raum verschiedene Ordnungen und Stimmungen.

124

Privatsphäre durch Licht (zu 2) Privatsphäre entsteht in weichen Lichtinseln, sanft modulierten Lichtunterschieden und auch in dunkleren Bereichen hinter oder zwischen helleren Arealen. Große Räume müssen nicht unbedingt durch Wände unterteilt werden; auch mit Licht unterschiedlich betonte Flächen schaffen Rückzugsorte. Ein Raum kann bei unterschiedlichem Licht verschiedene Stimmungen verbreiten. Differenziertes, lebendiges Licht (zu 3) Der Raum für vielseitige Erfahrungen entsteht im Gegensatz zu den Rückzugsorten, wenn Licht Raumflächen zu unvermittelten Bühnen für diejenigen macht, die sich gerade im hellen Licht wohler fühlen. Außerdem machen Lichtinseln Räume lebendiger. Wenn Menschen abwechselnd durch die Lichtkegel und dann wieder in dunklere Bereiche gehen, nimmt man ihre Bewegung stärker wahr, als wenn sie sich in einer immer gleichen Helligkeit bewegen. Lichtinseln definieren auch Funktionsbereiche: eine Sitzecke, einen Arbeitstisch, einen Eingang oder eine beleuchtete Skulptur. Lichthierarchie (zu 6) Struktur und Orientierung: Im öffentlichen Raum unterscheidet eine Lichthierarchie verschieden hoher Lichtpunkte Durchgangsstraßen von Quartiersstraßen und internen Wegen. Hohe Lichtpunkte wirken anonymer oder allgemeiner, niedrigere Lichtpunkte gemütlicher und anheimelnder. Beide unterstützen die Orientierung im Stadtteil und wie in Gebäuden. Die oft über 30 Meter hohen Lichtpunkte im Stadion und die Straßenbeleuchtung an Kreuzungen mit einer Höhe zwischen 16 und 18 Metern verbreiten ein gleichmäßiges, eher ungemütliches Licht. Stark befahrene Straßen haben Lichtpunkthöhen von sechs bis zwölf Metern. Quartiersstraßen und Fußgängerzonen haben Lichtpunkthöhen von drei bis fünf Metern; diese Lichtquellen sind dem „menschlichen Maß“ näher, sie erzeugen ein eher privates Licht, das Aufenthaltsqualität bietet. Menschen einbeziehen (zu 7) Persönlicher Einfluss ermöglicht Identität: Das Gefühl, an seiner Lichtumgebung selbst mitzuwirken, kann in großen Büroräumen helfen, sich an einem Platz einzurichten und ihn einzunehmen. Eine eigene Tischleuchte kann dies leisten, die jeder nach Bedarf dazuschaltet. Auch wenn die Außenbeleuchtung in Wohnsiedlungen im partizipativen Prozess mit den Bewohnern geplant wird, entsteht ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und Teilhabe.

125

Freundlich

Zurückhaltend Friedlich Gemütlich

Sicherheit ausstrahlend

Subtil/Leise Klar

Dramatisch/ Emotional

Einladend

Romantisch

Banal/Billig

Lichtatmosphäre

Beruhigend

Edel/Teuer

Technisch

Sachlich

Aufregend

Abweisend

Verwirrend Agressiv

Aktivierend/Frisch

Trostlos Angst einflößend

Auffällig/Laut

Aufdringlich

— Lichtatmosphäre in individuellen, auf den Raum abgestimmten Kompositionen

Ästhetik, Lichtharmonie (zu 8) Die Schönheit des Lichts hängt davon ab, ob und wie ein Zusammenspiel zwischen Licht, Raum und Materialien stattfindet. Das gilt für Tageslicht, Kunstlicht und deren Kombination. Die eigenen Beobachtungen zu registrieren und das eigene Wissen auszubauen, hilft dabei; aber auch Forschung und Anwendung können sich auf diesem Gebiet noch mehr vernetzen. Eine gute Lichtplanung ist einfühlsam, meist zurückhaltend und respektvoll. Jeder Ort, jede Architektur stellt die Licht-Aufgabe, die es zu erkennen gilt, neu. Eine harmonische Lichtatmosphäre entsteht in individuellen, auf den Raum abgestimmten Kompositionen. Mit ihnen erzeugen wir Lichtstimmungen, die bestimmte Signale senden und Gefühle der Behaglichkeit hervorrufen.

KOMPOSITION / PRAXISWISSEN

Welche Lichtinstrumente haben wir? Nach der Konzeption, welche Bereiche eines Raumes im Licht großflächig hell oder spotartig akzentuiert erscheinen sollen, helfen Lichtverteilungskurven, geeignete Leuchten zu wählen. Sie unterscheiden sich dadurch, dass Reflektoren und Linsen das Licht einer Lichtquelle räumlich umformen oder modellieren. Die unterschiedlichen Techniken, die klassische Makro-Optik, die miniaturisierte und die Mikro-Optik, wirken sich auf Größe und Form der Leuchten aus.

Lichtcharakteristika, Optiken und Anwendungen von Leuchten Methoden der Lichtlenkung in einer Leuchte sind: » » » »

reguläre (spiegelnde) Reflexion reguläre (optisch klare) Transmission (Refraktion) wellenoptische Prinzipien (Interferenz und Beugung, Diffraktion) Lichtstreuung in Reflexion und Transmission

Reflektoren und Refraktoren ergänzen sich in Leuchten.  Reflektoren wirken seitlich und im Hintergrund der Lichtquelle und modellieren die Hauptrichtung der Lichtverteilungskurve einer Leuchte. Refraktoren wie Linsen, Fresnellinsen, Längsprismen und Prismenzellen wirken vor der Lichtquelle und präzisieren die gewünschte Lichtverteilungskurve. Die obere Abbildung rechts zeigt schematisch, wie welche der in der Natur beobachteten physikalischen Phänomene in Reflektoren wirken. Die klassische Lichttechnik kombiniert in einer Leuchte eine Lichtquelle mit einem Reflektor und/oder einem Refraktor/einer Linse. In linearen und flächigen LED-Leuchten funktionieren aneinandergereihte Linsen und Linsenfelder gut. Die untere Abbildung rechts zeigt typische, auf diese Art modulierte Lichtstärkeverteilungskurven, die eine schnelle Auskunft über die Wirkung einer Leuchte geben und die von den Herstellern als digitale Dateien für die Lichtberechnungen zur Verfügung gestellt werden. Diffusoren machen das Licht weicher und verteilen die Leuchtdichte am Lichtaustritt auf eine größere Oberfläche; sie sind aber kein Mittel gegen Blendung, wie häufig fälschlich vermutet. Besonders gut eignen sie sich, wenn sie einen hohen Transmissionsgrad, der einen großen Lichtstromverlust vermeidet, mit einem guten Lichtstreufaktor verbinden, der vermeidet, dass sich einzelne Lichtpunkte abbilden.  Bei hinterleuchteten Lichtdecken gilt als Faustregel, den Abstand zwischen den einzelnen LEDs maximal doppelt so groß zu gestalten wie den Abstand zwischen Diffusor-Scheibe und LED-Ebene.

127

Schematische Darstellung des Lichtverlaufs in Reflektoren

— Engbündelnd

— Wandfluter

— Batwing

Typische Lichtverteilungskurven in der Architekturbeleuchtung 150°

120°

180°

150°

120°

90°

90°

150°

120°

60°

90°

90°

150°



60°

60°

900

900

1200

1200

1500



30°

30°

30°

30°

— LVK Breitstrahlend

— LVK Engbündelnd 150°

150°

120°

180°

30°



— LVK Breitstrahlend 150°

150°

120°

180°

150°

120°

120°

120° 90°

120°

90°

1500

1500

150°

600 60°

1200

180°

300

60°

900

180°

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600

600

150°

120°

300

60°

120°

150°

90°

300

30°

180°

90°

90°

90°

300

300

600

600

90°

90°

60°

300

60°

60°

60°

900

900 600

1200

60°

60° 900

C0-C180 C90-C270

1500 30°

— LVK Batwing



1200

1500 30°

30°

1200

30°

— LVK Direkt-indirekt strahlend

30°



— LVK Bandförmig

30°

KOMPOSITION / UMSETZUNG

Multifunktional wie in einem Wohnzimmer: das Licht in der Centraal Station, Rotterdam Die Bahnsteighalle der Rotterdam Centraal Station ist im Verhältnis zu ihrer Grundfläche niedrig, aber optisch hebt das hell durchscheinende Dach diese Wirkung auf: Die Halle wirkt hoch, fast wie ein Außenraum, die Fahrgäste können frei atmen und erleben das Wetter und die Jahreszeiten. Von der Bahnsteighalle hat man den Blick in die zeltförmige Eingangshalle, die zur Stadt führt. Der Bahnhof Rotterdam Centraal ist ein Beispiel für viele funktionale Anforderungen an das Licht, die mit einer angenehmen und lebendigen Atmosphäre einhergehen. Unter der Holzdecke herrscht – anders als in der Bahnsteighalle – eine anheimelnde Atmosphäre. Im Dach sind Lichtschlitze, die das großzügige Tageslicht von den Seiten ergänzen. An ihren Enden befinden sich engbündelnde Strahler, die brillantes und abwechslungsreiches Licht über die Höhe des Raums nach unten werfen. Es gibt Lichtinseln, eine Gliederung der Halle, klar erkennbare Zugänge zwischen Fernbahn, U-Bahn und Fahrradstellplätzen. Ein bemerkenswertes Lob erhielten die Architekten und ich von einem Passanten, der mich ansprach, als ich dort fotografierte: „Finden Sie den Bahnhof auch so schön? Jetzt hat Rotterdam ein Wohnzimmer.“ — Die Bahnhofshalle Rotterdam vereint verschiedene Atmosphären.

1

Songtext “Morning Sun” von Melody Gardot 2015.

2

Peters, Terri: Social sustainability in context: rediscovering Ingrid Gehl’s Bo-miljø. Cambridge, 2017, S. 371.

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ATMOSPHÄRE, MAGIE Das Immaterielle spürbar machen Komposition + Träume = Atmosphäre, Magie Die Zusammenarbeit zwischen Bauherr:innen, Architekturschaffenden, Fachplaner:innen und Handwerker:innen wird nicht nur resilient gegen anstrengende Einflüsse von außen, sondern vor allem lebendig und erfolgreich, wenn das Team eine gemeinsame Vision verfolgt. Auch die Lichtplanung bringt ihrerseits Leichtigkeit und die Freiheiten eines immateriellen Planungsgegenstands ins Projekt ein. Das Licht hat einen großen Einfluss auf die Schönheit des Entwurfs. Gemeinsame Neugier, Staunen, Träume wahr werden zu lassen und scheinbar Unmögliches zu denken: so entstehen neue, einzigartige Orte.

— Sternenhimmel über der Wüste von Utah — Im Susie Sainsbury Theatre der Royal Academy of Music, London, strahlt statt eines Kronleuchters ein raumgreifender Sternenhimmel.

ATMOSPHÄRE, MAGIE / PHÄNOMEN

Ausbreitung des Lichts in Zeit und Raum Lichtgeschwindigkeit Wenn wir Sterne sehen, blicken wir in die Vergangenheit: Die Lichtgeschwindigkeit beträgt 299 792 Kilometer pro Sekunde. Das am weitesten entfernte Himmelsobjekt, das wir mit bloßen Augen erkennen können, ist der Andromedanebel. Die 2,5 Millionen Lichtjahre von uns entfernte Spiralgalaxie enthält rund eine Billion Sterne. Was wir sehen, ist Vergangenheit, der Andromedanebel sandte dies Licht vor 2,5 Millionen Jahren aus. Kleine Lichtpunkte, kleine Lichtmengen brauchen Dunkelheit; wir sehen sie nur vor ausreichend dunklem Hintergrund. Tagsüber sehen wir keine Sterne, da es rings­ herum zu hell ist. Es gibt aber auch nachts nur noch wenige Orte auf der Welt, an denen uns das künstliche Licht nicht daran hindert, die Sterne zu sehen. Einer dieser beeindruckenden Orte ist The Wave in Utah, der, fast menschenleer, kein störendes Streulicht in die Atmosphäre schickt.

Totalreflexion Totalreflexion geschieht an der Grenzfläche zwischen einem optisch dichteren und einem dünneren Medium, wenn der Einfallswinkel des Lichtstrahls (gemessen am Lot zur Grenzfläche) relativ groß ist, also flach zur Grenzfläche auf das Material trifft. Glasfassaden können sich als undurchsichtige Spiegel erweisen, wenn wir flach darauf schauen. Dieses Phänomen nutzen wir in Lichtleitern aus Glas oder Acryl, die als dünne Einzelfasern, Rohre oder Vollstäbe gefertigt sind. In großen Querschnitten kann dann sogar Tageslicht in tiefere Geschosse eines Gebäudes geleitet werden: Die Totalreflexion bringt das Licht um Ecken und Kurven in die Lichtkristalle des Konzertsaals der Royal Academy of Music, London.

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— Die Ausbreitung von Licht erlaubt es uns, in die Vergangenheit zu schauen. Mit bloßem Auge sehen wir bis zum Andromedanebel. Wir sehen ihn jetzt allerdings, wie er vor 2,5 Millionen Jahren war. 1 Urknall 2 Hintergrundstrahlung 3 Dunkles Zeitalter 4 Erste Sterne 5 Protogalaxien 6 Spiralgalaxien 7 Andromeda 8 James Webb Teleskop 9 Hubble Teleskop 10 Auge des Menschen 11 0,38 Mio. Jahre  12 300 Mio. Jahre 13 400 Mio. Jahre 14 11300 Mio. Jahre 15 13800 Mio. Jahre

— Im Vergrößerungsglas sieht man die Totalreflexion innerhalb einer Glasfaser, die das Licht in die Kristalle leitet.

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„Wenn in unserem Dorf alte Menschen sterben, versammelte sich die Gemeinde in einem Hof, der von einer viel größeren Lampe [statt einer kleinen Petro­ leumlampe] beleuchtet war, die diejenigen, die darum herum­ tanzten, beleuchtete und ihre Schatten verlängerte, bis sie mit den Zuschauern verschmolzen, die aus der Dunkelheit jenseits des Lichts zusahen. Die wunder­ schönen sich bewegenden Muster dekorierten die Feierlichkeiten für die gerade verstorbenen Seelen.“1 — Francis Kéré, 2021

ATMOSPHÄRE, MAGIE / HINTERGRUND

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Magie – Wenn Raum und Licht und Gefühl im Einklang sind Lichterfeste Die Tatsache, dass Menschen von selbsterzeugten Lichtern in der dunklen Nacht fasziniert sind, zeigt sich in den vielen tausende Jahre alten Lichterfesten. Das chinesische Laternenfest, das das Neujahrsfest abschließt, das thailändische Loi Krathong mit den fliegenden Laternen, Diwali im Hinduismus, Obon in Japan mit den schwimmenden Laternen, Chanukka mit dem achtarmigen Leuchter, die Kerzenkrone von Santa Lucia in Schweden, das Nowruz-Fest, Weihnachten, das Osterfeuer oder der St. Martinstag mit den Laternen der laufenden Kinder sind über Jahrtausende lebendig und bleiben aus gutem Grund weiter emotional aufgeladen. Lichterfeste zeigen die Nähe und Verbundenheit der Menschen zur Natur, unabhängig davon, ob sie diese Feste zur Wintersonnenwende oder zur Tag- und Nachtgleiche feiern. Der tägliche Wechsel zwischen Licht und Dunkel­heit und die jahreszeitlichen Veränderungen prägen menschliches Leben noch immer, obwohl unsere Wahrnehmung davon seit dem Ende des neun­zehnten Jahrhunderts durch das elektrische Licht geschwächt ist. Mit der öffentlichen Gasbeleuchtung der Straßen entstand seit Beginn des neunzehnten Jahrhunderts aber auch ein Nachtleben in den Städten: „Seine eigentümliche Stimmung erhält es durch das Licht, das aus den Geschäfts- und Vergnügungslokalen, Cafés, Restaurants aufs Trottoir und die Straße fällt. Dies Licht soll Passanten und potenzielle Käufer anziehen, es ist Reklamelicht oder kommerzialisierte Festbeleuchtung, im Unterschied zur polizeilichen Ordnungsbeleuchtung der Straßenlaternen. Die Sphäre des kommerziellen Lichts verhält sich zu der des polizeilichen wie die bürgerliche Gesellschaft zum Staat.“2 Welchen Effekt diese konzertierte Lichtreklame am Times Square in New York erzeugte, schilderte Ernst May 1928: „Hier liest das Auge keine Schrift, hier unterscheidet es keine Form mehr, hier wird es nur noch geblendet durch eine Überfülle von Lichtgeflimmer, durch eine Überzahl von Lichtelementen, die sich gegenseitig in ihrer Wirkung aufheben.“3

— Lichterfest Loi Krathong in Thailand

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Licht in Bewegung und Überlagerungen, Illusionen Ich erinnere mich gern an die Vorführungen, mit denen unser Großvater uns zum Staunen brachte, wenn wir Kinder bei den Großeltern übernachteten. Vor dem Einschlafen, wir lagen schon im Bett, zauberte er mit seiner glühenden Zigarre im dunklen Zimmer Lichtringe und Figuren in die Luft. Manche kennen vielleicht ähnliche Fotos des mit Licht malenden Picasso. Der magische Effekt, dem diese Vorführung zugrunde liegt, entsteht durch eine gewisse Geschwindigkeit in der Bewegung der Zigarre. In Langzeitbelichtungen überlagern sich ebenso viele Momente und zeigen die Bahn laufender Menschen oder der Sterne. Das Gemälde des unbekannten Malers zeigt eine Landschaft in der Blauen Stunde, während der warme in kühlere Lichtfarben des Himmels übergehen. Durch die Fenster einer Ruine sieht man eine zartrosa Wolke. Für mich war diese Ruine lange Zeit meines Lebens ein intaktes Schloss. Das Schloss befindet sich nicht hinter, sondern in dem Baum: Es ist ein Baumhaus, aus dessen Fenstern warmes Kerzenlicht scheint. Die Illusion ist deshalb so stark, weil die Erfahrung warmen Lichts aus Fenstern einen Innenraum dahinter impliziert. Die Magie des Lichts wirkt jedoch nicht nur in der Dunkelheit und in der Blauen Stunde. Ein Regenbogen am helllichten Tag lässt uns staunen, erst recht, wenn er sich als Doppel-Regenbogen zeigt und der Himmel innerhalb und außerhalb des Bogens unterschiedlich dunkel ist. Sanft und faszinierend erscheinen Verläufe und Überlagerungen von Farben und Helligkeiten.

— Die Illusion des Schlosses im Baum

ATMOSPHÄRE, MAGIE / PRAXIS

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Geborgenheit, Neugier, Ruhe: Lichtkonzepte und kollektive emotionale Grunderfahrungen Die Lichtpunkthöhe, die Farbtemperatur des weißen Lichts und die Lichtverteilung der Leuchten beeinflussen das Gefühl von Geborgenheit oder von Weite in einem Innenoder Außenraum entscheidend. Es ist nachvollziehbar, dass wir Menschen uns daran gewöhnt haben, die hoch stehende Sonne zusammen mit dem hellen Himmel als allgemeines, großzügiges und aktivierendes Licht wahrzunehmen. Das Gegenteil zeigt sich in der tief stehenden Abendsonne und dann im Lagerfeuer, das schon den Höhlenmenschen Schutz und Zusammengehörigkeit vermittelte.

Geborgenheit und Festlichkeit im Schloss Sanssouci in Potsdam Besucher des Schlosses Sanssouci in Potsdam können das Phänomen der verschiedenen Lichtpunkthöhen dort ablesen. Für den privaten Gebrauch der Räume trugen Friedrich II. und seine Bediensteten Kerzenleuchter mit sich herum und stellten sie auf niedrigen Wandkonsolen ab. Für Audienzen illuminierten die mittelhohen Wandleuchten das Schloss, und für große Staatsanlässe und Konzerte erstrahlten die Kronleuchter hoch oben in der Mitte des Raumes, um zu repräsentieren und die Besucher zum Staunen zu bringen. Lichtplanung thematisiert im ersten Schritt das Licht im Raum und erst im zweiten Schritt die Leuchte und ihr Design. Leuchten unterschiedlicher Lichtverteilungskurven erzeugen ganz unterschiedliche Atmosphären, und schon kleine Unterschiede verursachen große Variationen im realen Raum.

— Kronleuchter und Kerzenleuchter im Schloss Sanssouci

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Magie der Langsamkeit Magie können wir auch in der Langsamkeit herstellen, wie es Moniek Toboesch bei ihrer Installation „Waiting for Buses and Birds” am Stationseiland Amsterdam Centraal macht. Sie zeigt Projektionen von Vögeln, die sich in Vogelschwärme und dann in Wolkengebilde verwandeln. Dabei bewegen sie sich langsam über das Glasdach. Die wartenden Fahrgäste bemerken ihre Anwesenheit nicht sofort, wenn sie dort warten, gerade darin liegt der Zauber. Die vielen Pendler erleben immer wieder neue Aspekte des Kunstwerks, es wird ihnen nicht langweilig.

Sonnenspiel, Reflexionen, Überlagerungen Richard Neutra legte kleine Seen an, von ihm als „Reflecting Pools“ bezeichnet, um aus einer zweiten Richtung Sonnenlicht in seine Gebäude strahlen zu lassen. In meinem Büro erleben wir diesen Effekt, wenn die Sonnenstrahlen die bewegte Wasseroberfläche des angrenzenden Oberhafens an der Decke abbilden.  Sie wirkt wie ein zweiter Himmel mit sich verändernden Lichterscheinungen. Das Glas des Schaufensters in Brooklyn reflektiert den blauweißen Himmel und die scharfen Konturen der Bäume, von innen strahlen die Neonbuchstaben durch den klaren Teil der Scheibe. Sie haben die gleiche warme Lichtfarbe wie das Raumlicht. Der untere Bereich der Scheibe ist von innen mattiert, sodass der Raum nur verschwommen sichtbar ist. Nur dort, wo Kondenswasser an der Scheibe herabläuft und die Mattierung „aufhebt“, gibt es eine klare Durchsicht. Das zufällige Zusammenspiel von reflektierenden und durchscheinenden Übergängen ist bei genauem Hinsehen voll feiner Überlagerungen und Poesie, und wir können es wahrnehmend „nachbauen“. Bedruckte oder bedampfte Gläser, perforierte Materialien mit Rastern, Verläufen und feinen Mustern bieten Lichtplaner:innen und Architekt:innen unzählige ästhetische Möglichkeiten, weiche Kontraste zwischen Hell und Dunkel für ein entspanntes Sehen zu schaffen. Bewusst erzeugte Spiegelungen machen Räume tiefer. Wir verwenden verschiedene Reflexionseigenschaften von Materialien zwischen matt und glänzend, opak, semitransparent und farbdurchlässig in mehreren Schichten, um grelles Licht von Fenstern und aus Leuchten umzulenken und abzuschirmen.

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— Lichtinstallation „Waiting for Buses and Birds” am Stationseiland Amsterdam Centraal

— Ein Schaufenster in Brooklyn

ATMOSPHÄRE, MAGIE / UMSETZUNG

Zwei Pole der Atmosphäre, Royal Academy of Music, London Die Royal Academy of Music zeigt zwei entgegengesetzte Pole des Lichts: hell und weich in der Angela Burgess Recital Hall; dunkel und glitzernd im Susie Sainsbury Theatre. In beiden erleben die Studierenden und die Gäste Licht und Musik im Einklang, beide breiten sich ungehindert aus und füllen gemeinsam ganze Räume. Die Angela Burgess Recital Hall wirkt hell, sie bekommt von oben und von der Seite Tageslicht. Bei den Proben ist tagsüber meistens kein Kunstlicht nötig. An der Kante zwischen Decke und Wand, dort, wo die Bühnenstrahler sitzen, befindet sich das Horizontlicht. Es streift die Decke und ist erst bei abnehmendem Tageslicht unmerklich und langsam zu sehen. Für das Susie Sainsbury Theatre wählten wir statt des klassischen Kronleuchters expandierende Sternansammlungen als Bild. Das Licht aus den Kristallen erfüllt den ganzen Raum und breitet sich aus – wie Musik. — Angela Burgess Recital Hall, Royal Academy of Music, London

1 Kéré, Francis: „Memories, Illuminated“. In: Momentum of Light. Zumtobel Group AG Geschäftsbericht 2020/2021, hrsg. von Zumtobel Group, Dornbirn, 2021. 2 Schivelbusch, Wolfgang: Lichtblicke. Zur Geschichte der künstlichen Helligkeit in 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main, 2004, S. 138. 3

Zitiert dort ebd. S. 148.

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Dank

„Was ist wichtiger“, fragt der große Panda, „der Weg oder das Ziel?“ — „Die Weggefährten!“ sagt der kleine Drache. — James Norbury 1 Ich danke: Malina Angermeier Kristina Bacht, Christine Brandi, Elisabeth Brandi, Johannes Brandi, Dorothee BrandiEffenberg, Yunjoung Cho, Béla Dizdar, Jemma, Lili und Thorsten Eppert, Lukas Esser, Ursel Etzel, Eva Henschkowski, Doris Heidhoff, Irmela Hijiya-Kirschnereit, Flora König, Katharina Kulke, Angela Lai, Tobias Langguth, Jeffrey I. Miller, Uta Oettel, Mark Raymond, Vanessa Reuwsaat, Johanna Rieckhoff, Sibylle Rieckhoff, Ian Ritchie, Ulrike Ruh, Luca Salas, Uli Schmidt, Lisbeth Skindbjerg-Kristensen, Malina, Sebastian und Susanna Stelljes, Baharak Tajbakhsh, Marina Wachs, Malte Zimmermann.

1 James Norbury, Großer Panda und kleiner Drache

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Glossar A Abschirmwinkel, Cut-off-Winkel Winkel zwischen der Horizontalen und einer Geraden, die vom Lamellenrand eines Sonnenschutzes zur Sonne oder vom Leuchtenrand zum Rand der Lichtquelle verläuft. Ein guter Abschirmwinkel vermindert Blendung einerseits und unerwünschten „Lichtübertritt“ (light spill) andererseits. Adaptation Anpassung des Auges an verschiedene Leuchtdichten im Gesichtsfeld mittels des Pupillenreflexes Additive Farbmischung Das gleichmäßige Mischen der drei Grundfarben Rot, Grün, Blau erzeugt weißes Licht. Akkomodation Anpassung des Auges durch Verformung der Augenlinse, um Objekte in unterschiedlichen Entfernungen scharf abbilden zu können. Architektur Nach Vitruv die Mutter aller Künste, basierend auf Stabilität, Nützlichkeit und Schönheit  Atmosphäre, Stimmung Wird subjektiv wahrgenommen, entsteht aber aus objektivierbarer Gestaltung: der Art und Weise, wie welche Elemente in einer Umgebung zusammengestellt sind. Das betrifft ganz besonders das Licht.  Augenklappe der Pirat:innen Hilft der Pirat:in, gleichzeitig ein Auge mit Hell- und das andere mit Dunkeladaption bereit zu haben. Das ist im Wechsel zwischen Deck und Laderaum ein Vorteil, nicht nur bei Überfällen. Azimut Der Horizontalwinkel zwischen dem Nordpunkt und einem Himmelsobjekt, im Fall von Tageslicht der Sonne, aus der Perspektive des Betrachters. Zusammen mit dem Höhenwinkel beschreibt das Azimut die Position der Sonne.

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B Beleuchtungsstärke Lux (lx): Menge des Lichtstroms, die aus allen Richtungen auf einen Punkt fällt. Belichtung und Beleuchtung Versorgung eines Ortes mit Licht. Belichtung geschieht mit Tageslicht, Beleuchtung mit künstlichem Licht.  Biolumineszenz Enzymreaktion, durch die Organismen (Glühwürmchen, Leuchtpilze) sichtbares Licht ausstrahlen. Sie ist eine der effizientesten Lichtquellen. Blendung Kann von Lichtquellen ausgehen und durch Reflexionen auf glänzenden Materialien entstehen. Blendringe, Shutter, Lamellen und Raster schützen vor dem direkten Blick in die Lampe oder die Sonne. Autoscheinwerfer und Straßenleuchten können gefährlich blenden. Bortle-Skala Weltweite Kartografierung, die den Grad an Lichtverschmutzung an einem Ort beschreibt. Brillanz Entsteht durch die Spiegelung von gerichtetem Licht auf glänzenden  oder durch die Brechung des Lichts in transparenten Materialien. D Dämmerung Der fließende Übergang des Himmelslichts im Wechsel zwischen Tag und Nacht, der aufgrund des Sonnenstandes und der Lichtstreuung in der Atmosphäre entsteht. Dark-Sky Die International Dark-Sky Association (IDA) ist eine Initiative gegen Lichtverschmutzung. DALI Digital Addressable Lighting Interface ist ein Standard für die Steuerung von Beleuchtungssystemen.

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Downlight Leuchtenart, die Licht vorwiegend nach unten auf horizontale Flächen richtet. E Entfernungsgesetz Auch photometrisches Entfernungsgesetz genannt: Die Beleuchtungsstärke als Funktion der Entfernung von einer Lichtquelle nimmt mit dem Quadrat der Entfernung ab. Erdschatten Schattenkegel, den die Erde in den Weltraum wirft und den wir als Nacht erleben. Eulumdat Europäisches Lumen Datenformat zur Beschreibung der Lichtstärkeverteilung von Leuchten. Eulum- oder LDT-Dateien beinhalten die photometrischen Eigenschaften einer Leuchte in einem standardisierten Datenformat für Beleuchtungsberechnungen. F Fading Überblendung von Lichtszenen. Einblenden ist das Aufrufen, Ausblenden das Ende der Lichtszene. Farbadaption Anpassung des Auges an die Lichtfarbe einer Umgebung. Sie schafft eine natürliche Farbwahrnehmung bei verschiedenen Farbtemperaturen des weißen Lichts. Farbtemperatur, Lichtfarbe Kelvin (K) beschreibt, wie warm oder kalt weißes Licht erscheint. Je wärmer (Glühlampe: 2700 K) das Licht ist, umso niedriger ist die Farbtemperatur, je kühler es ist (Tageslicht/Himmelslicht: über 5300 K), umso höher ist der Farbtemperaturwert. Farbwiedergabeindex Der Farbwiedergabeindex Ra (Colour Rendering Index, CRI) quantifiziert ein Qualitätsmerkmal von künstlichem gegenüber natürlichem Licht. Wenn künstliches Licht alle Spektralfarben des Sonnenlichts enthält, lässt es die Farben der beleuchteten Gegenstände natürlich erscheinen. Das Index-a steht für den allgemeinen Farbwiedergabeindex, der nur die Werte der ersten acht

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Testfarben nach DIN 6169 einbezieht, Re bezieht 14-15 Testfarben ein und ist wesentlich genauer. Filter Transmittieren selektiv einen Teil der auftreffenden Strahlung als farbiges Licht oder filtern ultraviolette und infrarote Strahlungsanteile aus. G Glanzgrad Beschreibt eine Reflexionseigenschaft von Oberflächen mit einer Skala von stumpfmatt (0-3 Glossy) bis glänzend-hochglänzend (über 100 Glossy). Globalstrahlung Die Summe aus Sonnenstrahlung und umgebender Himmelsstrahlung Glühwürmchen Leuchten durch den Leuchtstoff Luziferase und Sauerstoff. Der Prozess dieser selbstständigen Lichterzeugung heißt Biolumineszenz. Gobostrahler Leuchtenart mit zueinander verstellbaren Linsen, um Licht-Abbildungen auf Flächen mit bestimmter Größe und Distanz scharf zu projizieren. Im Museum lassen sich Flächenkonturen gezielt hervorheben, bei der Beleuchtung von Fassaden lassen sich Fenster und Eingangsflächen aussparen, um die dahinterliegenden Räume nicht mit Licht zu stören. H Halbstreuwinkel Winkel zwischen den Punkten einer Lichtstärkeverteilungskurve, bei denen die Lichtstärke auf 50 % des in der Hauptausstrahlungsrichtung gemessenen Wertes absinkt. Der Ausstrahlungswinkel ist die Grundlage für die Angabe von Lichtkegeldurchmessern. Heliodon Vorrichtung, um die Winkel der Sonneneinstrahlung auf ein Gebäude an einem festgelegten Breitengrad zu jeder Tages- und Jahreszeit im Modell zu simulieren.

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I IES-Dateien Nutzen das standardisierte photometrische Format der IES (Illuminating Engineering Society) und stellen Lichtstärkeverteilungskurven auf der Basis von Lichtmessungen so dar, dass sie in Beleuchtungsberechnungen geladen werden können. Isoluxdiagramm Stellt Beleuchtungsstärkeverteilungen auf einer Bezugsebene (Messfläche) mit Linien gleicher Beleuchtungsstärke dar. K Kerze Wurde vor 5000 Jahren erfunden. Die Lichtstärke einer Kerze beträgt 1 Candela (1cd). KNX Digitales standardisiertes System zur Gebäudesteuerung für Beleuchtung, Heizung und Lüftung Kreislaufwirtschaft Regeneratives System, das Waren nach der Konsumtion wieder in Produktionskreisläufe zurückführt. Prinzipien einer umweltschonenden Wirtschaft sind langlebige Konstruktion, Instandhaltung, Reparatur, Wiederverwendung und Recycling. Das Gegenteil zur Kreislaufwirtschaft ist die Linear- oder Wegwerfwirtschaft. L Leuchtdichte Lichtstrom, der von einer Fläche ausgesendet wird. Dies kann die Oberfläche einer Lichtquelle, eines durchscheinenden Materials oder auch eines reflektierenden Materials sein. Umgangssprachlich sprechen wir von Helligkeit oder Helligkeitseindruck.  Die Maßeinheit ist Candela pro Quadratmeter (cd/m²). Leuchtenbuch Enthält die technischen Daten der geplanten Leuchten. Es besteht aus Datenblättern, auf denen neben der Leuchtennummer Angaben zu Lichtstrom, Leistung, Lichtverteilungskurve, Farbtemperatur, Produktbild, Zubehör der jeweiligen Leuchte aufgeführt sind.

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Die Erstellung des Leuchtenbuchs ist Bestandteil der Entwurfsplanung und immer in Kombination mit Leuchtenliste und Leuchtenplan zu benutzen. Leuchtenliste Tabellarische Übersicht der geplanten Leuchten und ihrer Kosten bzw. Kostenschätzungen. Sie enthält Angaben zu Leuchtennummer, Leuchtentyp/Hersteller, Leistungsaufnahme, Stückzahl und Leuchtenpreis. Leuchtenplan Plan mit Positionen der geplanten Leuchten. Lichtplaner:innen zeichnen die Leuchtenpositionen mit der entsprechenden Leuchtennummer in den Deckenspiegel ein, eine Legende erklärt die einzelnen Leuchtentypen. Der Leuchtenplan ist die Basis, auf der das Leuchtenbuch und die Leuchtenliste erstellt werden. Lichtausbeute Das Verhältnis von abgegebenem Lichtstrom zu aufgewendeter elektrischer Leistung einer Lampe: Lumen/Watt (lm/W) Lichtgeschwindigkeit Ausbreitungsgeschwindigkeit von Licht im Vakuum. Sie beträgt 299.792.458 m/s. Die Längeneinheit Meter ist durch die Lichtgeschwindigkeit und deren festgelegten Wert definiert. Lichtinsel Hellerer Bereich auf horizontalen Flächen, der den Raum strukturiert und lebendig macht, eventuell verschiedene Nutzungen markiert oder Orientierung schafft – im Gegensatz zu einem gleichmäßig ausgeleuchteten Boden. Lichtplanungsprozess Gliedert sich wie in der Architektur in die Planungsphasen Grundlagenermittlung, Vorplanung, Entwurfsplanung, Genehmigungsplanung, Ausführungsplanung, Vorbereitung der Vergabe, Mitwirkung bei der Vergabe, Objektüberwachung und Dokumentation. Lichtschutz Begrenzung der maximalen Lichtintensität der Ultraviolett- und der Infrarotstrahlung zum Schutz von Exponaten in Museen. Lichtstärke Einheit: Candela (cd) Lichtstrom pro Raumwinkel (lm/sr).

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Lichtstärkeverteilungskurve/Lichtverteilungskurve (LVK) Beleuchtungswirkung einer Leuchte. Sie hängt vom Lichtstrom, der Anordnung der Lampe im Gehäuse, von Reflektoren und Optiken ab. Die Lichtverteilungskurve von Leuchten geht in die Software zur Lichtberechnung ein. Lichtstrom Die gesamte von einer Lichtquelle abgegebene Lichtleistung. Sie berechnet sich aus der spektralen Strahlungsleistung durch die Bewertung mit der spektralen Hellempfindlichkeit des Auges. Einheit: Lumen (lm). Lichtverschmutzung Phänomen des unkontrolliert ins Weltall geschickten Lichts, insbesondere durch die Außenraumbeleuchtung. Satellitenbilder zeigen die Helligkeit besiedelter Gebiete und die Zunahme von Lichtverschmutzung auf der Erde. M Matschlicht oder Lichtmatsch Diffuses Licht, das an der Decke klebt und den Raum indifferent und grau erscheinen lässt. Matschlicht entsteht unter Lichtdecken oder mattiert abgedeckten Leuchten und erfordert eine Ergänzung durch brillantes, gerichtetes Licht. Melatonin Schlafförderndes Hormon, das in der Zirbeldrüse gebildet wird und am Abend und in der Nacht in den Blutkreislauf ausgeschüttet wird. Zu helles künstliches Licht unterdrückt den Melatoninspiegel während der Nacht und kann Schlafstörungen verursachen. Mesopisches Sehen Übergang vom photopischen Sehen tagsüber mit den Zapfen der Netzhaut zum skotopischen Nacht-Sehen mithilfe der Stäbchen im Leuchtdichtebereich von 3 cd/m2 bis 0,01 cd/m2. Farbwahrnehmung und Sehschärfe vermindern sich gegenüber dem Tag. N Nachhaltigkeit, Zukunftsfähigkeit Im holistischen Sinn respektvolles Handeln in Bezug auf soziale, ökologische und ökonomische Bedingungen

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Nachtbürgermeister:in Für die Organisation des Nachtlebens und der Kulturszene einer Stadt zuständig, vermittelt zwischen Gastronomen, Veranstalter:innen, Anwohner:innen, Politik und Verwaltung. Normvalenzsystem System zur zahlenmäßigen Erfassung von Licht- und Körperfarben als Diagramm, das die Farborte aller Farben und Farbmischungen in Sättigungsstufen von der reinen Farbe bis zum Weiß zeigt. Dessen unterschiedliche Farbtemperaturen liegen auf der Planckschen Kurve. O OLED, organische Leuchtdiode Flächiges leuchtendes Dünnschichtbauelement aus organischem halbleitenden Material, dessen elektrische Stromdichte und Leuchtdichte geringer als bei LEDs sind. Sie haben sich seit ihrer Marktreife um das Jahr 2000 noch nicht wesentlich in der Beleuchtung von Gebäuden etabliert. P Phosphoreszenz Eigenschaft von Stoffen, nach Belichtung im Dunkeln nachzuleuchten. Diese Stoffe heißen Luminophore. Die Benennung Phosphoreszenz wird vom chemischen Element Phosphor, „Lichtträger“, abgeleitet. Photopisches Sehen Das Tag-Sehen bei Adaptation auf Leuchtdichten von über 3 cd/m2 geschieht mit den Zapfen der Netzhaut. Die Sehschärfe ist hoch, Farben können wahrgenommen werden. Polarlicht Entsteht, wenn elektrisch geladene Elektronen und Protonen des Sonnenwinds auf Sauerstoff- und Stickstoffatome in den oberen Schichten der Erdatmosphäre treffen und diese ionisieren. Durch die Energieübertragung gelangen die Elektronen auf ein höheres Energieniveau, fallen danach aber wieder zurück und erzeugen Fluoreszenz. Es treten vier verschiedene Arten von Polarlichtern auf: Corona, Vorhänge, ruhige Bögen und Bänder.

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Purpurlinie, Purpurgerade Linie, die auf der CIE-Normvalenztafel die zwei äußersten Punkte des Spektralfarbenzugs so verbindet, dass das Bild des Farbkörpers geschlossen wird. Sie verbindet das kurzwellige Violett mit dem langwelligen Rot. Die Purpurlinie ist eine theoretische Konstruktion aus der mathematischen Beschreibung der menschlichen Farbwahrnehmung, die auf den drei Farbrezeptoren für das TagSehen basiert. Q Quantensprung Änderung des Energieniveaus eines Elektrons in einem Atom, Molekül oder Festkörper. Bei diesem Übergang wird ein Photon abgestrahlt (Abregung) oder absorbiert (Anregung). R Rebound-Effekt, Bumerang-Effekt Beschreibt in der Energiewirtschaft den Effekt, dass mit effizienteren Geräten wie etwa Leuchten nicht Energieeinsparungen erzeugt, sondern Geräte höherer Leistung betrieben werden, die z. B. zu mehr Helligkeit führen. Reflexionsgrad Setzt einfallende und reflektierte Lichtintensität ins Verhältnis und hängt von der Helligkeit und Farbe einer Oberfläche ab. S Schwärzestes Schwarz Reflektiert etwa 0,05 Prozent des einfallenden Lichts, in den Federn von Paradiesvögeln in der Natur zu beobachten. Das schwärzeste synthetische Material  erreicht ein Reflexionsvermögen von 0,045 Prozent durch Nanokapillarröhren, die das Licht absorbieren. Sehkomfort Qualität einer Beleuchtung bezüglich Beleuchtungsstärke, Blendfreiheit und Farbwiedergabe

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Skotopisches Sehen Nacht-Sehen bei Adaptation auf Leuchtdichten von unter 0,01 cd/ m2. Das skotopische Sehen geschieht mit den Stäbchen hauptsächlich in der Peripherie der Netzhaut. Die Sehschärfe ist niedrig, Farbwahrnehmung ist nicht möglich, die Wahrnehmung von Bewegungen aber hoch. Sterne Im Universum gibt es nach heutiger Erkenntnis 70 Trilliarden Sterne. In Städten und bewohnten Gebieten sehen wir davon circa 100-200, in Gegenden ohne Lichtverschmutzung sehen wir mit bloßem Auge bis zu 3000 Sterne. Die Bortle-Skala klassifiziert Gegenden der Erde nach der Anzahl der dort sichtbaren Sterne. Sternenpark Landkarten auf Basis der Bortle-Skala werden kontinuierlich aktualisiert und zeigen die rasante Zunahme von Lichtverschmutzung. Inzwischen werden Sternenparks eingerichtet: Ähnlich wie Naturparks begrenzen sie den Einfluss von zu viel Licht. Der Blick in den Sternenhimmel bleibt offen und die Artenvielfalt auf der Erde wird dadurch langsamer reduziert.  T Tageslichtautonomie Anteil der Nutzungsstunden über das Jahr, in denen ein Raum ausschließlich mit Tageslicht die notwendigen Beleuchtungsstärken erhält. In diesen Stunden muss kein Kunstlicht zugeschaltet werden. Tageslichtquotient Er beschreibt das Verhältnis der Beleuchtungsstärke an einem Punkt auf einer gegebenen Ebene im Innenraum zur gleichzeitig vorhandenen Horizontalbeleuchtungsstärke im Freien, die durch direktes und indirektes Himmelslicht (ohne Sonnenlicht) bei unverbauter Himmelshalbkugel entsteht. Transmissionsgrad Ein Maß für die Durchlässigkeit eines Mediums für Wellen, definiert beispielsweise den durch ein Fensterglas transmittierten Anteil des Außenlichtes.

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U UGR, Unified Glare Rating, vereinheitlichte Blendungs­ bewertung Verfahren zur Berechnung und Vergleichbarkeit von Blendung durch überhöhte Helligkeit im Verhältnis zum Umfeld W Wandfluter Eine Einbauleuchte oder ein Strahler, der eine ganze Wand gleichmäßig ausleuchtet. Die Wände eines Raums sind für den Helligkeitseindruck häufig wichtiger als der Boden, da sie eine größere Fläche des Gesichtsfelds einnehmen. WEEE-Richtlinie 2012/19/EU (Waste of Electrical and Electronic Equipment) Regelt den Umgang mit Abfällen von Elektro- und Elektronikgeräten und definiert Mindestanforderungen, um die Geräte durch Wiederverwendung und Recycling weiter nutzbar zu machen. Weißestes Weiß Eine Wandfarbe auf der Basis von Bariumsulfat reflektiert mehr als 98 Prozent des einfallenden Lichts. Die Temperatur ihrer Oberfläche bleibt unter der Umgebungstemperatur. Wirkungsgrad Der Wirkungsgrad (η) gibt an, welcher Anteil der zugeführten Energie in Licht umgewandelt wird. Er erfasst die Effizienz einer Leuchte, ohne ihre Anwendung zu berücksichtigen und die Frage zu stellen, wo das Licht gebraucht wird. Wirkungsgradmethode / Wirkungsgradverfahren Verfahren zur Berechnung der mittleren Beleuchtungsstärke von Räumen mithilfe des Leuchtenwirkungsgrades, des Raum­ wirkungsgrades und des Lampenlichtstroms, welches die Zusammenhänge der Lichtverteilung und -wirkung im Raum aufzeigt. Die lichttechnischen Werte sind in den Datenblättern der Hersteller zu finden; der Raumwirkungsgrad ist von der Lichtstromverteilung der Leuchte, der Raumgeometrie und den Reflexionsgraden im Raum abhängig und wird mithilfe des jeweiligen Raumindex (k) und der Reflexionsgradkombination von Decke (D), Wand (W) und Boden (B) aus der Raumwirkungsgradtabelle abgelesen.

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E.A z Φ . ηB . WF n Leuchtenanzahl E Beleuchtungsstärke A Fläche z Anzahl der Lampen je Leuchte Φ Lichtstrom einer Lampe/eines Leuchtmittels ηB  Beleuchtungswirkungsgrad (= Leuchten-Betriebswirkungsgrad [= ηLB] x Raumwirkungsgrad [= ηR]) WF Wartungsfaktor n=

Y Yakamoz Türkisch: Meeresleuchten, wurde 2007 mit der Bedeutung „Widerspiegelung des Mondes im Wasser“ zum schönsten Wort der Welt erklärt. Z Zirkadianer Rhythmus  Biologischer Rhythmus innerhalb von etwa 24 Stunden, organisiert Schlafen, Nahrungsaufnahme, Fortpflanzung von Lebewesen im zeitlichen Ablauf. Zwielicht Stammt vom niederdeutschen „twelecht“ ab und bedeutet zunächst „Dämmerung“. Ende des 18. Jahrhunderts kommt „Unbestimmtheit, Unklarheit“ als Bedeutung hinzu, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dann die Bedeutung „gemischtes Licht“ aus Tageslicht und künstlichem Licht.

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Ulrike Brandi Lebenslauf Ulrike Brandi, Geschäftsführerin Ulrike Brandi Licht GmbH Designerin, Dipl. Des. Geb. 1957 in Bad Bevensen, Deutschland, lebt in Hamburg 1984 – 1988 Studium Industrial Design an der Hoch­schule für bildende Künste in Hamburg, Diplom bei Dieter Rams 1987 Gründung: Ulrike Brandi Licht Lichtplanung und Leuchtenentwicklung 1995-1996 Lehrauftrag FH Düsseldorf, FB Architektur - Innenarchitektur 1996 Umwandlung des Büros in eine GmbH, Inhaberin und alleinige Geschäftsführerin 1998-1999 Gastprofessur an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig im FB Industrial Design 2013 Gründung: Brandi Institute for Light and Design

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Publikationen Ulrike Brandi, Christoph Geissmar-Brandi: Licht für Städte – Ein Leitfaden zur Lichtplanung im urbanen Raum, Birkhäuser, 2006 Ulrike Brandi Licht Edition DETAIL: Tageslicht - Kunstlicht, Grundlagen, Ausführung, Beispiele, 2005 Ulrike Brandi, u.a. für das Deutsche Architektur Museum: Das Geheimnis des Schattens - Licht und Schatten in der Architektur, Ausstellungskatalog, 2002 Ulrike Brandi, Christoph Geissmar-Brandi: Lichtbuch, Handbuch der Lichtplanung, Birkhäuser, 2001 Mitgliedschaften seit 2022 IALD College of Fellows (FIALD) seit 2007 Lichtbeirat Hamburg seit 1994 Lighting Detectives, Transnational Tanteidan (Gründungsmitglied zusammen mit Kaoru Mende, Tokio) International Association of Lighting Designers (IALD) seit 1988 Deutsche Lichttechnische Gesellschaft (LiTG) Deutscher Werkbund (DWB)

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Werkverzeichnis, Auszug aus über 1.300 Projekten: Trident Park Malta 2022 Bauherr:in: Trident Park, Malta Architekt:in: ritchie*studio London Abb. S. 10, 23 Elbphilharmonie Hamburg 2017 Bauherr:in: ARGE Generalplaner Elbphilharmonie, Herzog & de Meuron, Höhler+Partner Architekt:in: Herzog & de Meuron, Basel, Höhler+Partner Das Urheberrecht für die Kugelleuchten liegt bei Herzog & de Meuron. Abb. S. 24, 35, 48, 61 Dutch Holocaust Memorial of Names Amsterdam 2021 Bauherr:in: Nederlands Auschwitz Comité Designer: Studio Libeskind Architekt:in: Rijnboutt Landschaftsarchitekt:in: Rijnboutt Abb. S. 36, 47 Oldenburgisches Staatstheater 2018 Bauherr:in: Staatstheater Oldenburg Architekt:in: Droste Droste & Urban, Oldenburg Abb. S. 62, 77 Kooperative Regionalleitstelle Elmshorn 2018 Bauherr:in: Kreis Pinneberg Architekt:in: Trapez Architektur Abb. S. 78, 89 Westfield Mall of the Netherlands Leidsenhage 2017 Bauherr:in: Unibail-Rodamco Nederland Winkels bv, Schiphol, Niederlande Architekt:in: MVSA Architects BV, Amsterdam Abb. S. 90, 105 ICE 4 Lichtsteuerung 2018 Auftraggeber Deutsche Bahn AG Abb. S. 106, 117 Bahnhof Rotterdam Centraal 2014 Bauherr:in: ProRail, Amsterdam Architekt:in: Benthem Crouwel, Amsterdam Abb. S. 118, 129 Royal Academy of Music London, 2018 Bauherr:in: Royal Academy of Music, London Architekt:in: Ian Ritchie Architects, London Abb. S. 130, 141

La Grande Galerie de l‘Evolution, Paris, 1994 Bauherr:in: Mission Interministerielle des Grands Travaux Architekt:in: Chemetov und Huidobro, Paris Abb. S. 110 Schloss Sanssouci, Potsdam 2013 Bauherr:in: Stiftung Preussischer Gärten und Schlösser, Potsdam Abb. S. 137 Lighting Masterplan Rotterdam, 2008 – 2011 Bauherr:in: Bureau Project Management DSV, Gemeente Rotterdam Abb. S. 101 Bahnhof Amsterdam Centraal Amsterdam 2015 Bauherr:in: ProRail, Amsterdam Architekt:in: Benthem Crouwel, Amsterdam Mercedes-Benz-Museum Stuttgart 2006 Bauherr:in: DaimlerChrysler Immobilien (DCI) GmbH Architekt:in: UNStudio, Amsterdam Flughafen München Terminal II, 2003, Satellitenterminal 2010 Bauherr:in: Flughafen München Baugesellschaft mbH Architekt:in: Koch+Partner Architekten, München EXPO 2000 Hannover, Masterplan Beleuchtung 2000 Bauherr:in: EXPO 2000 Hannover GmbH Architekt:in: A. Speer + Partner, Frankfurt/Hannover; K. Louafi, Berlin; Kienast Vogt Partner, Zürich International Airport Pudong, Phase II, Shanghai 2008 Bauherr:in: German Newway GmbH, Shanghai, China Architekt:in: ECADI, East China Architectural Design & Research Institute Co. Ltd., Shanghai

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Weiterführende Literatur Brandi, Ulrike; Geissmar-Brandi Christoph: Licht Für Städte: Ein Leitfaden zur Lichtplanung im urbanen Raum. Basel, 2006.

Leschziner, Guy: The Nocturnal Brain: Nightmares, Neuroscience, and the Secret World of Sleep. London. 2019.

Brandi, Ulrike; Licht hrsg.: Tageslicht – Kunstlicht. Grundlagen, Ausführung, Beispiele. München 2005.

Picard, Anna: Musical Architects: Creating tomorrows Royal Academy of Music. London, 2021.

Büscher, Barbara; Eitel, Verena Elisabet; Von Pilgrim, Beatrix hrsg.: Raumverschiebung Black Box - White Cube. Hildesheim/Zürich/New York, 2014.

Posch, Thomas; Freyhoff, Anja; Uhlmann, Thomas hrsg.: Das Ende der Nacht. Weinheim, 2010.

Fischer, Ernst Peter: Durch die Nacht: Eine Natur­ geschichte der Dunkelheit. München, 2015. Guzowski, Mary: The art of architectural daylighting. London, 2018. Jun’ichirō, Tanizaki: Lob des Schattens: Entwurf einer japanischen Ästhetik. Zürich, 1987.

Richter, Peter G. hrsg.: Architekturpsychologie: Eine Einführung. Dresden, 2013. Ritchie, Ian hrsg.: Neuroarchitecture. Designing with the Mind in Mind. Chichester, 2020. Schivelbusch, Wolfgang: Lichtblicke. Zur Geschichte der künstlichen Helligkeit in 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main, 2004. Torres Tur, Elías: Zenithal Light. Barcelona, 2006.

Bildnachweis Fotografien: Brandi, Johannes; Rieckhoff, Johanna: S. 36 oben, 78 oben, 84, 90 oben, 130 oben Brandi-Effenberg, Dorothee: S. 31 Cops, Marco: S. 139 oben Eppert, Thorsten: S. 48 oben Jörn Hustedt Network für Ulrike Brandi Licht: S. 48 unten, 62 unten, 78 unten (Detail) Künstler unbekannt (Privatbesitz Ulrike Brandi): S. 136 Linders, Jannes für Benthem Crouwel Architekten BV bna: S. 118 unten, 129 Orsaka, Martina für C.I.R.E.C.A Domaine de Boisbuchet: S. 33 oben ritchie*studio: S. 10 unten (Visualisierung) Ritchie, Ian, ritchie*studio: S. 23 Scott, Adam für ritchie*studio: S. 130 unten, 141 Ulrike Brandi Licht: S. 61, 55 unten, 101 (Visualisierung), 113, 137 Unsplash: S. 62 oben, 73 links, 75, 99 rechts, 110, 135 Walzl, Stephan für Oldenburgisches Staatstheater: S. 77 Zapf, Michael für Elbphilharmonie Hamburg: S. 24 unten

Grafiken: Ulrike Brandi Licht: S. 17, 28, 66, 103, 115, 123, 125, 127 Alle anderen Fotografien und Grafiken, die nicht im Nachweis aufgeführt sind, stammen von Ulrike Brandi.

Impressum

Lektorat: Ulrich Schmidt Projektkoordination: Baharak Tajbakhsh Herstellung: Anja Haering Layout, Covergestaltung und Satz: Uta Oettel Lithografie: Repromayer GmbH, Reutlingen Druck: Grafisches Centrum Cuno GmbH & Co. KG, Calbe Papier: Magno Natural, 120 g/m²

Library of Congress Control Number: 2022949697 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.

ISBN 978-3-0356-2408-3 e-ISBN (PDF) 978-3-0356-2417-5 Englische Print-ISBN 978-3-0356-2415-1 © 2023 Birkhäuser Verlag GmbH, Basel Postfach 44, 4009 Basel, Schweiz Ein Unternehmen der Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston 9 8 7 6 5 4 3 2 1

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