Literaturwissenschaftliche Interpretation und historische Exegese: Die Erzählung von David und Batseba als Fallbeispiel 9783170314924, 9783170314931, 3170314920

Es gehört schon lange zu den grundlegenden Einsichten der Bibelwissenschaft, dass biblische Texte poetische Merkmale auf

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Literaturwissenschaftliche Interpretation und historische Exegese: Die Erzählung von David und Batseba als Fallbeispiel
 9783170314924, 9783170314931, 3170314920

Table of contents :
Titelseite
Impressum
Inhalt
Vorwort
Einleitung
1. Einführung in den Problemhorizont
1.1 Terminologische Vorbemerkungen
1.1.1 Literary Approach/„Literarische“ Interpretation – Was heißt hier „literary“/„ literarisch“?
1.1.2 Zum Gebrauch des Begriffes „synchrone Auslegung“
1.2 Wichtige frühe Stimmen zur literarischen Inter-pretation biblischer Erzähltexte
1.2.1 Frühe Positionen auf Seiten der Exegese
1.2.2 Erich Auerbach als wichtige Stimme auf Seiten der Literaturwissenschaft
1.2.3 Zusammenfassung und Ausblick
1.3 Eröffnung des weiteren Problemhorizonts
1.3.1 David J.A. Clines: Das Alte Testament als Literatur
1.3.2 Krister Stendahl: Die Bibel als Klassiker und normative Schrift
1.3.3 Helmut Utzschneider: Rezeptionsorientierung der Text-Leser-(Autor-) Beziehung
1.3.4 Christof Hardmeier: Kommunikationspragmatik bib-lischer Erzählliteratur
1.3.5 Erhard Blum: Das „israelitische Paradigma“ des Erzählens
1.3.6 Zusammenfassung und Ausblick
2. Literaturwissenschaftliche und kommunikations-theoretische Kategorien und Konzeptionen
2.1 Literaturtheoretische Grundrichtungen
2.1.1 Formalismus
2.1.2 Werkinterpretation und New Criticism
2.1.3 Strukturalismus
2.1.4 Rezeptionsästhetik/Reader-Response Criticism
2.1.5 Zusammenfassung und Ausblick
2.2 Literarische und nicht-literarische Erzählkommunikation: Was ist Erzählung?
2.2.1 Zu Genettes Kategorien Diegese, Diskurs und Narration
2.2.2 Erzählökonomie und Ordnung des Diskurses (im lite-raturwissenschaftlichen Sinn)
2.2.3 Text und Textdiskurs
2.3 Zum Unterschied zwischen literarischer und nicht-literarischer Erzählkommunikation
2.3.1 Mittelbare und unmittelbare Mitteilung
2.3.2 Poetizität als ästhetische Kategorie
2.3.3 Fiktionalität als textpragmatische Kategorie
2.4 Zusammenfassung und Ausblick
3. Zum Grundverständnis biblischer Erzähltexte bei Vertretern des Literary Approach
3.1 Zum Textverständnis bei Jan Fokkelman
3.1.1 Biblische Erzählungen als autonome literarische Kunst – und ihr Verhältnis zur Historizität
3.1.2 Der Leser als Dialogpartner des von ihm abhängigen Textes
3.1.3 Stil und Struktur und das „Zwölf-Stufen-Modell“
3.1.4 Kritische Würdigung
3.2 Zum Textverständnis bei Robert Alter
3.2.1 Biblische Erzählungen als antike literarische Texte – und ihr Verhältnis zur Historizität
3.2.2 Poetizitätsmerkmale biblischer Erzählungen
3.2.3 Anleitung zum „intelligenten Lesen“
3.2.4 Kritische Würdigung
3.3 Zum Textverständnis bei Meir Sternberg
3.3.1 Biblische Erzählungen als intentionale Mitteilungs-literatur – und ihr Verhältnis zur Historizität
3.3.2 „Fiction and History“ und das Konzept des „inspirierten Autors“
3.3.3 Leseraktivität und Leserlenkung: „gap-filling“ und „foolproof composition“
3.3.4 Kritische Würdigung
3.4 Zum Textverständnis bei Shimon Bar-Efrat
3.4.1 Biblische Erzählungen als literarische Kunstwerke – und ihr Verhältnis zur Historizität
3.4.2 Analyse der Erzählmethoden und historisch-exege-tische Fragestellungen
3.4.3 Narratologisch-philologische Analyse
3.4.4 Kritische Würdigung
3.5 Zum Textverständnis bei David M. Gunn
3.5.1 Biblische Erzählung als literarische Textwelten – und ihr Verhältnis zur Historizität
3.5.2 Analyse narratologischer Erzähltextgestaltung
3.5.3 Sozial verantwortliche Lesung: „reading against the grain“
3.5.4 Kritische Würdigung
3.6 Zusammenfassung und Ausblick
4. Paradigmatische Positionen in der exege-tischen Forschung zur sog. Thronfolge-geschichte (TFG)
4.1 Leonhard Rost: Die TFG als prosalomonische Erzählung
4.2 Gerhard von Rad: Die TFG als Anfang der Geschichtsschreibung
4.3 Lienhard Delekat: Die TFG als königskritische Streitschrift
4.4 Ernst Würthwein: Antisalomonische Grundschrift und prosalomonische Redaktion
4.5 Zusammenfassung und Ausblick
5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba
5.1 Übersetzung von 2Sam 11 und textkritische Anmerkungen
5.1.1 Übersetzung von 2Sam 11
5.1.2 Anmerkungen zum hebräischen Text von 2Sam 11
5.2 Narratologische Analyse von 2Sam 11
5.2.1 Szenische Gestaltung (und Lokalaspekte)
5.2.2 Zeit-Aspekte: Ordnung, Dauer und Frequenz
5.2.3 Poetologische Merkmale in Lexematik und Semantik
5.3 Literarkritische Auslegung und literarische Interpretation von 2Sam 11 im Vergleich
5.3.1 Exemplarische neuere literarkritische Positionen zu 2Sam 11
5.3.2 Literary Approaches zu 2Sam 11
5.3.3 Zusammenfassung
6. Fallstudien Teil II: 2Sam 12,1-25 (Natans Strafrede, Tod des ersten Kindes und Geburt Salomos)
6.1 Übersetzung von 2Sam 12 und textkritische Anmerkungen zu V. 1-25
6.1.1 Übersetzung von 2Sam 12
6.1.2 Anmerkungen zum hebräischen Text von 2Sam 12,1-25
6.2 Narratologische Analyse von 2Sam 12,1-25
6.2.1 Szenische Gestaltung von 2Sam 12 (mit Tempus- und Lokalaspekten)
6.2.2 Anmerkungen zu 2Sam 12 unter Berücksichtigung poetologischer Merkmale
6.2.3 Personencharakterisierung
6.3 Literarkritische Auslegung und literarische Inter-pretation von 2Sam 12,1-25 im Vergleich
6.3.1 Exemplarische neuere literarkritische Positionen zu 2Sam 12,1-25
6.3.2 Literary Approaches zu 2Sam 12,1-25
6.3.3 Zusammenfassung
7. Zusammenfassung und Ausblick: Biblische Erzähltexte als mitteilende Literatur und die Grenzen der Literary Approaches
Literatur
Stichwort-Register

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Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament Band 211

Herausgegeben von Walter Dietrich Ruth Scoralick Reinhard von Bendemann Marlis Gielen Heft 11 der elften Folge

Andreas Käser

Literaturwissenschaftliche Interpretation und historische Exegese Die Erzählung von David und Batseba als Fallbeispiel

Verlag W. Kohlhammer

1. Auflage 2016 Alle Rechte vorbehalten © W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Print: ISBN 978-3-17-031492-4 E-Book-Format: pdf: ISBN 978-3-17-031493-1 Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Inhalt Vorwort ...................................................................................................... 11 Einleitung .................................................................................................. 13 ERSTER HAUPTTEIL: Grundlegung ................................................... 17 1. Einführung in den Problemhorizont ......................................... 17 1.1 Terminologische Vorbemerkungen ..................................................... 1.1.1 Literary Approach/„Literarische“ Interpretation – Was heißt hier „literary“/„ literarisch“? ........................................... 1.1.2 Zum Gebrauch des Begriffes „synchrone Auslegung“ .................... 1.2 Wichtige frühe Stimmen zur literarischen Interpretation biblischer Erzähltexte ........................................................................... 1.2.1 Frühe Positionen auf Seiten der Exegese ......................................... 1.2.1.1 Meir Weiss ....................................................................................... 1.2.1.2 Luis Alonso Schökel ......................................................................... 1.2.1.3 James Muilenburg ............................................................................ 1.2.2 Erich Auerbach als wichtige Stimme auf Seiten der Literaturwissenschaft ....................................................................... 1.2.3 Zusammenfassung und Ausblick ..................................................... 1.3 Eröffnung des weiteren Problemhorizonts .......................................... 1.3.1 David J.A. Clines: Das Alte Testament als Literatur ....................... 1.3.2 Krister Stendahl: Die Bibel als Klassiker und normative Schrift ............................................................................. 1.3.3 Helmut Utzschneider: Rezeptionsorientierung der Text-Leser-(Autor-) Beziehung ................................................. 1.3.4 Christof Hardmeier: Kommunikationspragmatik biblischer Erzählliteratur .................................................................................. 1.3.5 Erhard Blum: Das „israelitische Paradigma“ des Erzählens ............ 1.3.6 Zusammenfassung und Ausblick .....................................................

18 18 20 21 22 22 23 24 25 27 27 27 29 30 32 34 36

2. Literaturwissenschaftliche und kommunikationstheoretische Kategorien und Konzeptionen ........................... 37 2.1 Literaturtheoretische Grundrichtungen ............................................... 2.1.1 Formalismus .................................................................................... 2.1.2 Werkinterpretation und New Criticism ............................................

37 38 39

6

Inhalt

2.1.3 Strukturalismus ................................................................................ 2.1.4 Rezeptionsästhetik/Reader-Response Criticism .............................. 2.1.5 Zusammenfassung und Ausblick ..................................................... 2.2 Literarische und nicht-literarische Erzählkommunikation: Was ist Erzählung? ............................................................................... 2.2.1 Zu Genettes Kategorien Diegese, Diskurs und Narration ............... 2.2.2 Erzählökonomie und Ordnung des Diskurses .................................. 2.2.3 Text und Textdiskurs ....................................................................... 2.3 Zum Unterschied zwischen literarischer und nicht-literarischer Erzählkommunikation .......................................................................... 2.3.1 Mittelbare und unmittelbare Mitteilung ........................................... 2.3.2 Poetizität als ästhetische Kategorie .................................................. 2.3.3 Fiktionalität als textpragmatische Kategorie .................................... 2.4 Zusammenfassung und Ausblick .........................................................

43 44 48 49 49 52 53 55 55 56 57 60

3. Zum Grundverständnis biblischer Erzähltexte bei Vertretern des Literary Approach ...................................... 62 3.1 Zum Textverständnis bei Jan Fokkelman ............................................ 3.1.1 Biblische Erzählungen als autonome literarische Kunst – und ihr Verhältnis zur Historizität ................................................... 3.1.2 Der Leser als Dialogpartner des von ihm abhängigen Textes .......... 3.1.3 Stil und Struktur und das „Zwölf-Stufen-Modell“ ........................... 3.1.4 Kritische Würdigung ........................................................................ 3.2 Zum Textverständnis bei Robert Alter ................................................ 3.2.1 Biblische Erzählungen als antike literarische Texte und ihr Verhältnis zur Historizität ................................................... 3.2.2 Poetizitätsmerkmale biblischer Erzählungen ................................... 3.2.3 Anleitung zum „intelligenten Lesen“ ............................................... 3.2.4 Kritische Würdigung ........................................................................ 3.3 Zum Textverständnis bei Meir Sternberg ............................................ 3.3.1 Biblische Erzählungen als intentionale Mitteilungsliteratur – und ihr Verhältnis zur Historizität ................................................... 3.3.2 „Fiction and History“ und das Konzept des „inspirierten Autors“ ........................................................................ 3.3.3 Leseraktivität und Leserlenkung: „gap-filling“ und „foolproof composition“ .................................................................. 3.3.4 Kritische Würdigung ........................................................................ 3.4 Zum Textverständnis bei Shimon Bar-Efrat ....................................... 3.4.1 Biblische Erzählungen als literarische Kunstwerke – und ihr Verhältnis zur Historizität ...................................................

62 64 67 69 72 73 75 77 77 78 79 80 84 86 89 90 91

Inhalt

7

3.4.2

Analyse der Erzählmethoden und historisch-exegetische Fragestellungen ................................................................................ 92 3.4.3 Narratologisch-philologische Analyse ............................................. 93 3.4.4 Kritische Würdigung ........................................................................ 94 3.5 Zum Textverständnis bei David M. Gunn ........................................... 95 3.5.1 Biblische Erzählung als literarische Textwelten – und ihr Verhältnis zur Historizität ................................................... 96 3.5.2 Analyse narratologischer Erzähltextgestaltung ................................ 99 3.5.3 Sozial verantwortliche Lesung: „reading against the grain“ ............ 100 3.5.4 Kritische Würdigung ........................................................................ 102 3.6 Zusammenfassung und Ausblick ......................................................... 103

ZWEITER HAUPTTEIL: Fallstudien an 2Sam 11 und 12 .............. 106 4. Paradigmatische Positionen in der exegetischen Forschung zur sog. Thronfolgegeschichte (TFG) ................ 106 4.1 Leonhard Rost: Die TFG als prosalomonische Erzählung ................. 4.2 Gerhard von Rad: Die TFG als Anfang der Geschichtsschreibung ........................................................................... 4.3 Lienhard Delekat: Die TFG als königskritische Streitschrift ............. 4.4 Ernst Würthwein: Antisalomonische Grundschrift und prosalomonische Redaktion ................................................................. 4.5 Zusammenfassung und Ausblick .........................................................

108 110 113 115 117

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba ............... 120 5.1 Übersetzung von 2Sam 11 und textkritische Anmerkungen .............. 5.1.1 Übersetzung von 2Sam 11 ............................................................... 5.1.2 Anmerkungen zum hebräischen Text von 2Sam 11 ........................ 5.2 Narratologische Analyse von 2Sam 11 ............................................... 5.2.1 Szenische Gestaltung (und Lokalaspekte) ....................................... 5.2.1.1 Double-stage action und Zweiheit der Hauptpersonen ................... 5.2.1.2 Die erzählerische Durchführung der Botengänge – mit Anmerkungen zur „semantischen Implikation“ ......................... 5.2.2 Zeit-Aspekte: Ordnung, Dauer und Frequenz .................................. 5.2.2.1 Tempusmarker und Chronologie ..................................................... 5.2.2.2 Zum Verhältnis von Erzählzeit zu erzählter Zeit .............................. 5.2.2.3 Frequenz (mit Anmerkungen zu den Redeebenen narrativer Texte) .............................................................................. 5.2.3 Poetologische Merkmale in Lexematik und Semantik ..................... 5.2.3.1 Lexematische und semantische Bezüge ............................................

121 122 126 131 132 135 137 143 144 148 150 153 153

8

Inhalt

5.2.3.2 Phraseologische Wendungen und Phraseoschablonen .................... 5.2.3.3 Weitere Beispiele für uneigentliche Ausdrucksweise ....................... 5.2.4 Personencharakterisierung ............................................................... 5.2.4.1 Charakterisierung Batsebas ............................................................. 5.2.4.2 Charakterisierung Joabs .................................................................. 5.2.4.3 Charakterisierung Davids ................................................................ 5.2.4.4 Charakterisierung Urijas ................................................................. 5.3 Literarkritische Auslegung und literarische Interpretation von 2Sam 11 im Vergleich ................................................................... 5.3.1 Exemplarische neuere literarkritische Positionen zu 2Sam 11 ........ 5.3.1.1 Alexander A. Fischer: David und Batseba ....................................... 5.3.1.2 Randall Bailey: David in Love and War .......................................... 5.3.2 Literary Approaches zu 2Sam 11 .................................................... 5.3.2.1 Meir Sternberg ................................................................................. 5.3.2.2 Robert Alter ..................................................................................... 5.3.3 Zusammenfassung ...........................................................................

159 172 173 173 174 175 175 176 178 178 181 186 187 200 203

6. Fallstudien Teil II: 2Sam 12,1-25 (Natans Strafrede, Tod des ersten Kindes und Geburt Salomos) ........................ 207 6.1 Übersetzung von 2Sam 12 und textkritische Anmerkungen zu V. 1-25 .............................................................................................. 6.1.1 Übersetzung von 2Sam 12 ............................................................... 6.1.2 Anmerkungen zum hebräischen Text von 2Sam 12,1-25 ................ 6.2 Narratologische Analyse von 2Sam 12,1-25 ....................................... 6.2.1 Szenische Gestaltung von 2Sam 12 (mit Tempusund Lokalaspekten) .......................................................................... 6.2.1.1 Szenische Gliederung von 2Sam 12,1-25 ......................................... 6.2.1.2 Zweiheit der Personen und Gewichtung der Erzählebenen ............. 6.2.1.3 Zeitstruktur der Erzählung ............................................................... 6.2.2 Anmerkungen zu 2Sam 12 unter Berücksichtigung poetologischer Merkmale ................................................................ 6.2.2.1 Zu Aufbau und Funktion der Natanparabel ..................................... 6.2.2.2 Zum Aufbau der Strafrede Natans ................................................... 6.2.2.3 Das lexematische Spiel mit dem Namen Batseba als narratologische Positionierung .................................................. 6.2.2.4 Anmerkungen zu den weiteren Szenen ............................................. 6.2.3 Personencharakterisierung ............................................................... 6.2.3.1 Charakterisierung JHWHs ............................................................... 6.2.3.2 Charakterisierung Natans ................................................................ 6.2.3.3 Charakterisierung Davids ................................................................

208 208 212 214 215 215 216 216 218 219 223 228 229 231 231 232 232

Inhalt

6.3 Literarkritische Auslegung und literarische Interpretation von 2Sam 12,1-25 im Vergleich .......................................................... 6.3.1 Exemplarische neuere literarkritische Positionen zu 2Sam 12,1-25 .............................................................................. 6.3.1.1 Timo Veijola: Salomo – der Erstgeborene Bathsebas ..................... 6.3.1.2 Randall C. Bailey: David in Love and War ..................................... 6.3.2 Literary Approaches zu 2Sam 12,1-25 ............................................ 6.3.2.1 Jan Fokkelman ................................................................................. 6.3.2.2 David M. Gunn ................................................................................ 6.3.3 Zusammenfassung ............................................................................

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233 234 235 239 245 246 254 257

7. Zusammenfassung und Ausblick: Biblische Erzähltexte als mitteilende Literatur und die Grenzen der Literary Approaches ............................. 264 Literatur ...................................................................................................... 269 Register ....................................................................................................... 294

Vorwort Eine frühere Fassung dieses Buches wurde im Juli 2007 von der Evangelischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Ich freue mich, dass ich nun meine Arbeit in einer Neufassung als Diskussionsbeitrag einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung stellen kann. Das verdanke ich vor allem Prof. Dr. Walter Dietrich und seinem Interesse an meiner Forschung. Ich danke ihm und auch Frau Prof. Ruth Scoralick als Herausgeber der BWANT für die freundliche Aufnahme in die Reihe. Prof. Dr. Erhard Blum, seit langer Zeit mein wertgeschätzter Lehrer, hat die Entstehung der Dissertation ausdauernd begleitet und mich für ihre Überarbeitung beraten. Dafür danke ich ihm sehr. Herrn Prof. Dr. Heinz-Dieter Neef möchte ich in diesem Zusammenhang danken, dass er sich der Mühe des Zweitgutachtens zur Dissertation unterzog. In der Beschäftigung mit literaturwissenschaftlichen Zugängen zu biblischen Erzähltexten kreuzen sich mehrere Linien meines persönlichen Interesses, vor allem an biblischen Erzähltexten, an Sprache an sich und ihren Funktionsweisen, und an methodologischen Fragestellungen. Dabei verdanke ich wesentliche Impulse zur Theorie der Literatur sowie die Entdeckung von Gérard Genette Prof. Dr. Hans Vilmar Geppert, die Einführung in die Phraseolexemik Prof. Dr. Wolfgang Fleischer, wertvolle Einsichten in die Erzählanalyse Prof. Dr. Elisabeth Gülich, und schließlich die Erkenntnis, wie bedeutsam Erzählen für die Lebensbewältigung ist, einer von Prof. Dr. Christof Hardmeier durchgeführten Tagung zu diesem Thema in Greifswald. Besonders wertvoll waren mir die vielen anregenden Diskussionen über Fragen der linguistischen Pragmatik mit Prof. Dr. Wolfram Bublitz, dem ich auch herzlich für alle persönliche Ermutigung danke. Ferner gebührt mein Dank der Internationalen Hochschule Liebenzell für das Zeitkontingent zur Forschung, meinen Kolleginnen und Kollegen für die partielle Entlastung von Aufgaben und den Theologiestudierenden Stefanie Schwarz und Timo Moullion sowie dem Lektor Herrn Florian Specker vom Kohlhammer-Verlag für die engagierte Hilfe bei der Erstellung der Druckvorlage. Ein besonderes Dankeschön geht schließlich an meine Frau Sandra und meine beiden Kinder Hanna und Miriam, die mich bei der Arbeit an diesem Projekt freundlich und geduldig unterstützt und ertragen haben. Seit Abschluss meines Dissertationsprojektes hat sich die Literatur zum Thema noch einmal sprunghaft vermehrt. Einiges davon konnte ich berücksichtigen, anderes musste aus Zeitgründen unberücksichtigt bleiben. Auch wenn ein solcher Beitrag aus diesen und anderen Gründen immer „Stückwerk“ bleibt, bin ich doch der Hoffnung und Zuversicht, dass er Anstöße für die weitere Diskussion dieses für die exegetische Methodenreflexion wichtigen Themas sein wird.

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Vorwort

Die Schreibung der biblischen Eigennamen folgt den Loccumer Richtlinien, die Abkürzungen dem TRE-Abkürzungsverzeichnis von Siegfried Schwertner (IATG, 2. Aufl. 1992). Die deutschen Bibeltexte sind in der Regel kursiv gesetzt; es handelt sich um meine eigene Übersetzung. Die Zunft der Exegeten und die der Literaturwissenschaftler besteht maßgeblich auch aus Exegetinnen und Literaturwissenschaftlerinnen. Auch ein großer Teil der Hörer und Leser biblischer Erzähltexte sind, genau genommen, Hörerinnen und Leserinnen. Analoges gilt auch für andere Personenbezeichnungen in diesem Buch (Autor, Erzähler, Künstler, Adressat, Rezipient, Interpret etc.). Wenn aus Gründen der Lesbarkeit nicht immer auch die grammatische Femininform verwendet wird, so gelten in der Regel diese Bezeichnungen doch für Frauen wie Männer gleichermaßen. Schömberg, Pfingsten 2016

Andreas Käser

Einleitung Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich mit der Anwendung von Methoden und Fragestellungen aus der Literaturwissenschaft auf biblische Erzähltexte. Sie behandelt Grundfragen der Möglichkeit einer Applikation neuzeitlicher literaturwissenschaftlicher Interpretationszugänge auf altorientalische Traditionsliteratur, wie sie im Alten Testament überliefert ist. Am Fallbeispiel des Abschnitts 2Sam 11 und 12 aus den Daviderzählungen soll zum einen gefragt werden, welches Erschließungspotential solche Ansätze im Blick auf die unbestreitbare Poetizität solcher Erzählungen haben. Zum anderen müssen mögliche Grenzen derartiger Zugänge angesichts der spezifischen Pragmatik und der komplexen Genese biblischer Texte ausgelotet werden. Wie sich zeigen wird, besteht die Bedeutung der hier verfolgten Fragestellung darin, dass es dabei letztlich um das grundlegende Textverständnis geht, welches die jeweiligen interpretatorischen Zugänge zu den Texten leitet. Seit einigen Jahrzehnten sieht sich die historisch1 ausgerichtete Exegese in dieser Hinsicht herausgefordert durch literaturwissenschaftlich orientierte Textinterpretationen. Diese literaturwissenschaftlichen Interpretationen haben den Anspruch, die alttestamentlichen Texte in einem wesentlichen, aber von der historischen Exegese vernachlässigten Aspekt wahrzunehmen: in ihrer poetischen, ästhetisch-kunstvollen Gestaltung. Gern wird ein solcher Zugang, zumal wenn er sich als „holistisch“ und am „Text selbst“ orientiert sieht, den diachronen Analysen mit ihren oft wenig konsensfähigen Hypothesen gegenüber gestellt. Hermeneutisch sind entsprechende Arbeiten nicht unbedingt durch ein spezifisch theologisches Interesse bestimmt, sondern häufig durch einen gleichsam zeitlos-kulturellen Zugang zu den biblischen Texten, indem diese eben „als Literatur“ gelesen werden. Dieses Konzept der „Bibel als Literatur“ konnte sich vor allem innerhalb der englischsprachigen Forschung etablieren. Auch in der deutschsprachigen Exegese wird es zunehmend rezipiert, hier jedoch überwiegend nicht als Alternative zur historischen Exegese, sondern als eine wünschenswerte Erweiterung der ‚traditionellen‘ Fragestellungen (s.o. z. B. H. Utzschneider2). Auch im Blick auf solche methodisch vermittelnde Positionen ist allerdings die Frage nach dem (jeweils) zugrundliegenden Textverständnis zu stellen. Dementsprechend ist die Aufgabe der vorliegenden Arbeit in dreierlei Hinsicht zu bestimmen: Es muss nach den Voraussetzungen der „literaturwissenschaftlichen Interpretationen“ gefragt, ihre konkrete Anwendung auf biblische Texte nachvollzogen und die Angemessenheit im Rahmen wissenschaftlicher Exegese bewertet werden. 1

2

Zu einer Problematisierung des Begriffs „historisch-kritisch“ vgl. Blum, Exegetik 11, Anm. 2. Blum bezeichnet ihn als pleonastisch, „weil die ‚Kritik‘ (bezogen sowohl auf den Gegenstand als auch auf die eigene Urteilsbildung) bei jedem wissenschaftlichen Anspruch, ja bereits in der Kategorie des ‚Historischen‘, mitgesetzt ist.“ In diesem Sinn wird auch in dieser Arbeit der Begriff „historische Exegese“ verwendet. Vgl. 1.3.3.

14

Einleitung

Angesichts der allenthalben spürbaren methodologischen Verunsicherungen in der alttestamentlichen Wissenschaft, die Helmut Utzschneider eine „Orientierungskrise“3 der klassischen Exegese nennt, und die zu einem guten Teil mit dem Aufblühen literaturwissenschaftlicher Ansätze zusammenhängt, liegt der Nutzen, sich dieser Aufgabe zu stellen, auf der Hand. Verschiedentlich wurde das Erstarken literarischer Ansätze gar als „Wende“, als „Paradigmenwechsel“ oder, so bei Krister Stendahl – mit inhaltlicher Füllung – als „shift from history to story“4 bezeichnet. Die Bezeichnung „Paradigmenwechsel“ ist jedoch insofern kritisch zu betrachten, als sie eine Art Ablösung alter Zugänge durch neue nahelegt, was faktisch so nicht stimmt. Solche Rede offenbart aber gleichwohl ein zunehmendes Unbehagen an herkömmlichen exegetischen Vorgehensweisen. Fasst man „Paradigma“ mit Thomas S. Kuhn5 als ein vorherrschendes, bestimmendes und prägendes Denkmuster auf, so verdeutlicht das virulente Nebeneinander historischer Exegese und literarischer Interpretation jedenfalls die prägende Kraft unterschiedlicher paradigmatischer Grundhaltungen.6 Solche Unterschiede der Zugänge spiegeln sich schon sprachlich wider, nämlich in einer auffällig konsequent praktizierten – jedoch m.W. nirgends methodologisch reflektierten – komplementär distribuierten Zuordnung der Begriffe „Auslegung“ und „Interpretation“. Beide Begriffe bezeichnen zwar 3

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Utzschneider, Text – Leser – Autor, 224. Kennzeichnend seien zum einen „KonsensVerlust und Theorievermeidung“, wobei sich Ersteres besonders hinsichtlich literargeschichtlicher Modelle ergebe, Letzteres in dem von ihm bedauerten Ausbleiben einer Diskussion um eine „Polyinterpretabilität“ biblischer Texte erweise. Zum anderen äußere sich die Orientierungskrise in „[u]ngenügende[n] Alternativen und Theorieüberfrachtung“; Ansätze aus nichttheologischen Disziplinen wie etwa der Literaturwissenschaft seien mit Methodensprache überfrachtet und würden daher skeptisch-ablehnend behandelt. Schließlich sei ein „Akzeptanz-Verlust“ der exegetischen Disziplin schlechthin Indiz für die Orientierungskrise. Traditionelle Exegese werde nicht mehr außerhalb ihrer Disziplin wahrgenommen. An ihren Rändern dagegen entstünden eigenständige „kontextuelle“ exegetische Formen wie etwa das Bibliodrama. „Gemeinsam ist diesen neuen Formen biblisch-exegetischer Praxis, daß sie an der personen- und gruppenbezogenen Wahrnehmung der Texte mehr interessiert sind als an ihrer historischen Genese oder Bedeutung.“ Vgl. Utzschneider, Text – Leser – Autor, 225-227. Stendahl, Bible, 40, dort mit der Näherbestimmung: „(…) the Bible as story, theology as story“. Gunn/Fewell sprechen vom „major epistemological shift“, nämlich einem „shift from historical to literary criticism“; mit „literary criticism“ bezeichnen sie literaturwissenschaftliche Kritik (Gunn/Fewell, Narrative, 9f.). Vom „Paradigmenwechsel“ sprechen etwa Ryken, Bible 3, und Klement, Beobachtungen, 9. Der Begriff „Paradigmenwechsel“ geht zurück auf Thomas S. Kuhns Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (deutsch 1973), dessen Postskriptum von 1969 besonders pointiert seine Position verdeutlicht. Kuhn geht davon aus, dass wissenschaftlicher Fortschritt sich nicht schleichend vollzieht, sondern in sich phasenweise vollziehenden Umwälzungen (Revolutionen), Krisen, die zu einer veränderten Sicht der Dinge führen. – Bei Kuhn ist der Begriff ausschließlich auf die Naturwissenschaft bezogen. Vgl. die konkreten Unterschiede der beiden Zugangsweisen an ein und demselben Text in den Fallbeispielen Kap. 5 und 6, die mit Grundhaltungen in der Textinterpretation verbunden sind.

Einleitung

15

einen analytischen und erklärenden Umgang mit Texten, sie werden aber bis dato keineswegs normativ-definitorisch voneinander unterschieden. Wohl aber erfahren sie in verschiedenen Verwendungszusammenhängen und unterschiedlichen scientific communities komplementäre Bevorzugung, und das weist darauf hin, dass mit ihnen offensichtlich auch unterschiedliche Ansprüche und Konzeptionen verbunden sind. Im Umgang mit einem literarischen Werk, etwa mit Goethes Faust, spricht man gewöhnlich von „Interpretation“. Den exegetischen Umgang mit biblischen Texten (und den juristischen Umgang mit Gesetzestexten) hingegen nennt man in der Regel „Auslegung“ (bzw. „Exegese“). Eine Anwendung des Begriffes „Auslegung“ auf Goethes Faust hingegen würde auf literaturwissenschaftlicher Seite ein gewisses Unbehagen auslösen. Und im Rahmen der etablierten Exegese vermeidet man es, von „Interpretation“ zu sprechen.7 Dies hat zu tun mit bestimmten Textbegriffen und mit bestimmten Ansprüchen an die eigene Zugangsweise. „Auslegung/Exegese“ indiziert einen Anspruch auf die Erhellung des Textsinns von Texten, die als normative Größen gesehen werden. „Interpretation“ hingegen legt das Gewicht auf die ästhetischen Funktionen von Texten.8 Der zunehmende Gebrauch der Bezeichnung „Interpretation“ in Bezug auf biblische Texte ist in der Regel solchen Ansätzen vorbehalten, die ästhetische Gesichtspunkte in den Blick nehmen. In der Tat liegen historischen und literarischen Zugängen je unterschiedliche Textbegriffe zugrunde: verschiedene Sichtweisen zur Textproduktion, zur Textgenese, zur Textbedeutung, zur Textkommunikation und zur Textrezeption. Diese unterschiedlich gelagerten konzeptionellen Vorentscheidungen wirken z.T. beträchtlich auf die aus ihrer Textanalyse resultierenden Ergebnisse. Für die Untersuchung konkreter Anwendungen der unterschiedlichen Zugänge zu biblischen Erzähltexten bietet sich in besonderer Weise der Textbereich an, den Leonhard Rost als „das schönste Werk hebräischer Erzählkunst“9 bezeichnet 7

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9

Hierfür lassen sich allerdings auch Gegenbeispiele finden. Fischer, Wege, etwa verwendet „Auslegung“, „Exegese“ und „Interpretation“ synonym, etwa unter Kap. 3.1 Traditionelle Weisen der Auslegung: 3.1.1 Frühformen der Schriftinterpretation; 3.1.3 Die frühchristliche Bibelauslegung; 3.1.4 Die jüdische Exegese des Mittelalters. Utzschneider/Nietsche, Arbeitsbuch, versuchen eine terminologische Differenzierung. Sie sehen in „Interpretation“ einen der Exegese folgenden Arbeitsschritt, vergleichbar dem einer homiletischen Besinnung: „Die Vielfalt der Perspektiven, die auf den Text eröffnet wurde, soll zu einer Interpretation zusammengefaßt werden, in der die wissenschaftliche Auslegung sich dem weiteren Horizont aktueller und geistlicher Fragestellungen öffnet“ (25) und widmen diesem abschließenden Methodenschritt ein ganzes Kapitel: Resümierende und weiterführende Interpretation (286-295). Wenn man so will, findet sich hier einer der seltenen Glücksfälle, dass die Etymologie Übereinstimmung mit der aktuellen Bedeutung zeigt: „Aus-legung“ und „Ex-egese“ unterstellen i.d.R. dem biblischen Text ein ihm innewohnenden Sinngehalt, der – analog zum sog. Containermodell der Semantik – ent-deckt, ent-schlüsselt, aus-gelegt, herausgearbeitet werden muss. Der Hauptaspekt von „Interpretation“ hingegen geht über ‚Analyse und Erklärung von Vorfindlichem‘ hinaus, vielmehr geht es um ‚Deutung‘, die zugleich eine Ver-mittlung, ein Über-setzen, z.T. auch ein Über-tragen impliziert. Rost, Überlieferung, 139.

16

Einleitung

hat, nämlich die sog. Thronfolgeerzählung. Der Erzählabschnitt hieraus, der in der einschlägigen Diskussion geradezu paradigmatischen Rang erhalten hat, und an dem sich in besonderer Weise verschiedene Zugänge erprobt haben, ist die Erzählung von David und Batseba, der Geburt des Kindes, der Strafrede Natans und dem Tod des Kindes in 2Sam 11 und 12. Unbestreitbar handelt es sich hier um ein Glanzstück biblischer Erzählkunst: ein Stoff, aus dem Romane sind, meisterhaft in Form gebracht. Der Umgang mit diesen beiden Kapiteln reicht von komplexen textgenetischen Modellen bis zur Annahme einer Texteinheitlichkeit, ihre Genre-Verortungen von Historiographie bis zu „Literatur“. Die vorliegende Studie will einen Beitrag zur konzeptionellen Klärung literaturwissenschaftlich orientierter Zugänge zum AT leisten. Dementsprechend ist sie durchgehend paradigmatisch angelegt: im eher „theoretischen“ ersten Teil („Grundlegung“) mit einigen „klassischen“ Vorreitern dieser Forschungsrichtung aus der zweiten Hälfte des 20. Jh.s und der Vorstellung repräsentativer Positionen, im exegetischen zweiten Teil („Fallstudien“) mit exemplarischen historisch-exegetischen und literarischen Analysen der Erzählepisoden in 2Sam 11 und 12. Im Rahmen einer solchen Arbeit und angesichts der Fülle an Literatur, die in den letzten Jahren von Seiten bzw. in Reflexion der literary approaches erschienen ist, kann keine umfassende Einführung in die literaturwissenschaftliche Exegese gegeben werden. In der paradigmatischen Orientierung bleiben notgedrungen auch wichtige Aspekte der darauf bezogenen Forschungsgeschichte unberücksichtigt. Ich verweise hier daher auf eine Reihe guter Forschungsüberblicke, die noch zu einer Zeit entstanden sind, als die Beiträge zum Thema einigermaßen überblickt werden konnten, und die die Zeit der Entstehung und ersten Verbreitung der literary approaches nachzeichnen: Culley, Exploring New Directions (1985); David M. Gunn, New Directions in the Study of Biblical Hebrew Narrative (1987); Paul R. House, The Rise and Current Status of Literary Criticism of the Old Testament (1992); David J.A. Clines und J. Cheryl Exum, The New Literary Criticism (1993); Gerd Schunack, Neuere literaturkritische Interpretationsverfahren in der anglo-amerikanischen Exegese (1996); sowie Manfred Oeming und Anne-Ruth Pregla, New Literary Criticism (2001). Gleiches gilt auch für die prooftexts, die beiden Kapitel 2Sam 11f. Auch für sie kann bei der vorliegenden Anlage der Untersuchung nur eine überschaubare Auswahl von Beiträgen behandelt werden. Für die neuere Forschung an den Samuelbüchern sei auf den wertvollen Forschungsüberblick von Walter Dietrich verwiesen, der in drei Teilen in ThR erschien: Von den ersten Königen Israels. Forschung an den Samuelbüchern im neuen Jahrtausend. ThR 77.2 (2012) 135-170; 77.3 (2012) 263-316; 77.4 (2012) 401-425. Man darf hier auch insbesondere auf die für die nächsten Jahre geplanten Kommentare von Walter Dietrich (BKAT) und David Tsumura (NICOT) zum zweiten Samuelbuch gespannt sein, die beide breit angelegt sind. Ausdrücklich möchte ich noch den Samuel-Kommentar von David G. Firth nennen, dessen Vorgehen in der Analyse des Textes stark von dem Erzähltexttheoretiker Gérard Genette geprägt ist. Darin trifft er sich mit meinem Vorgehen und wir stehen uns auch in vielen unserer Analyseergebnisse nahe.

ERSTER HAUPTTEIL: Grundlegung 1.

Einführung in den Problemhorizont

Dass biblische Texte poetische Merkmale aufweisen, gehört schon lange zu den grundlegenden Einsichten der Bibelwissenschaft.1 Neu aber ist, dass in den literarischen Interpretationen, die mit Namen wie Meir Sternberg, Robert Alter oder David M. Gunn verbunden sind, biblische Texte wie bzw. als Literatur (im Sinne von Dichtung/Belletristik) betrachtet werden.2 Dabei handelt es sich entgegen früheren poetologischen Beobachtungen an biblischen Texten um einen umfassenden „Genrewechsel“ in der Forschungsperspektive dieser Texte: Sie werden von Glaubensdokumenten zu literarisch-ästhetischen Objekten. Als Wegbereiter des Literary Approach innerhalb der Bibelwissenschaft wirkten in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts u.a. die Exegeten Meir Weiss (2.1.1) und Luis Alonso Schökel (2.1.2), und – in gewisser Hinsicht – auch James Muilenburg (2.1.3). Wichtige Impulse von Seiten der Literaturwissenschaft bezog dieser Ansatz aus einem frühen und von Exegeten viel beachteten Beitrag des Romanisten Erich Auerbach (2.2). Nach Darstellung der wichtigen frühen Stimmen zur literarischen Interpretation biblischer Texte soll der weitere Problemhorizont damit eröffnet werden, dass verschiedene – in ihrer Bandbreite sehr unterschiedliche – Positionen dargestellt werden, die als Reaktion auf die Herausforderung der Exegese durch die literaturwissenschaftlichen Ansätze zu verstehen sind. Diese sind verbunden mit Namen wie Clines (3.1), Stendahl (3.2), Utzschneider (3.3), Hardmeier (3.4) und Blum (3.5). Zunächst aber müssen zwei terminologische Klärungen vorangestellt werden: Zum einen gilt es klarzustellen, dass die Begriffe „literarischer Zugang“ 1

2

Man denke hier etwa an Lowth und Herder. Robert Lowth beschrieb den Parallelismus memborum in seinen Oxforder Vorlesungen von 1741 (als De sacra poesi [sic] Hebraeorum 1753 erschienen). Herder lässt sich von Lowth in seiner Forderung nach ästhetischer Betrachtung des Alten Testaments anregen, was seinen Niederschlag in seinem Werk Vom Geist der ebräischen [sic] Poesie (1782/83) findet. Dieses wiederum prägte später H. Gunkel. Herder vermerkt die poetische Gestaltung verschiedener alttestamentlicher Gattungen, sogar alttestamentlicher „Geschichtsschreibung“: „Wer die historischen Schriften des A. T. aus den frühesten Zeiten liest, wird (…) kaum leugnen (…), dass hier (…) auch in die simpelste Erzählung poetische Redensarten einfließen (…), daß die Erzählung selbst alle Simplicität des poetischen Stils in Bindewörtern und Wiederholungen liebt; am meisten auch, daß die Rundung, der Umriß der ganzen Erzählung poetisch ist.“ Paul R. House unterscheidet in der Einleitung seines Sammelbandes zu Beiträgen literarischer Interpretation Beyond Form Criticism, 3-22, folgende drei Phasen: Seeds of a Discipline (1969-1974), Roots for a Discipline (1974-1981) und Flowering of the Discipline (1981-1989). Inzwischen müsste man als eine weitere Phase ein Spreading/Expanding bzw. Fruit Yielding of the Discipline anfügen.

Grundlegung

18

und „literarische Interpretation“ in der Arbeit für die verschiedenen Ausprägungen eines literaturwissenschaftlich orientierten Umgangs mit biblischen Texten gebraucht wird, der weder mit dem vielgestaltigen Bereich „narrativer Exegesen“ noch mit „literarkritischen“ Zugängen zu verwechseln ist (1.1). Zum anderen muss der in der Exegese weit verbreitete Sprachgebrauch, der literarische Interpretationen und/oder Endtextauslegungen mit einem unpräzisen Begriff von „synchroner Analyse“ gleichsetzt, kritisch hinterfragt werden (1.2).

1.1

Terminologische Vorbemerkungen

1.1.1 Literary Approach/„Literarische“ Interpretation – Was heißt hier „literary“/„ literarisch“? Für literaturwissenschaftlich orientierte Zugangswege zur Bibel gibt es keine einheitliche Terminologie. Es haben sich verschiedene Bezeichnungen etabliert: „Literary Criticism“3 und „New Literary Critcism (NLC)“,4 „Literary Approach“5 und „New Directions“,6 „neuere literaturkritische Interpretationsverfahren“7 und „neuere literaturwissenschaftliche Methoden“,8 um nur einige zu nennen.9 Dabei ist eine Abgrenzung zu dem, was sich hinter den Begriffen „Rhetorical Criticism“, „Discourse Analyses“ oder „Linguistische Analyse“ verbirgt, nicht immer klar zu vollziehen. Hierin zeichnet sich zum einen die Vielfalt, aber eben auch die Unüberschaubarkeit des vielschichtigen Aufbruchs dieser neueren Diskussion ab. Aufgrund ihrer Vielfältigkeit ist es auch nicht verwunderlich, dass einige der Bezeichnungen pluralisch formuliert sind. Zwei Homonymien sorgen in der Diskussion nicht selten für Missverständnisse. Das englische „literary“ wie auch das deutsche „literarisch“ sind insofern doppeldeutig, als es sich bei beidem sowohl um einen analytischen Umgang mit Texten unter Anwendung literaturwissenschaftlicher Methoden handeln kann, als auch um eine schöpferische literarische Tätigkeit, etwa als literarische Nacherzählung oder Ausgestaltung biblischer Erzählungen. Zum anderen irritiert relativ häufig die Doppeldeutigkeit von „literary critic“ bzw. 3 4 5 6 7 8 9

House in der Einleitung zu Beyond Form Criticism (1992). Clines/Exum, New Literary Criticism (1993), und Oeming/Pregla, New Literary Criticism (2001). Alter, Literary Approach (1973), und Berlin, Characterization (1982). Culley, Exploring New Directions (1985), und Gunn, New Directions (1987). Schunack, Neuere literaturkritische Interpretationsverfahren (1996). Klement, Beobachtungen (1993). Im Begriff NLC setzen sich Oeming/Pregla ausdrücklich ab von D.J. Clines/Ch. Exum, The New Literary Criticism and the Hebrew Bible (1993); Clines/Exum verstehen „NLC“ als Oberbegriff für verschiedene literaturwissenschaftliche Ansätze wie ReaderResponse Criticism oder Dekonstruktion (zu literaturtheoretischen Grundrichtungen vgl. Kap. 3), Oeming/Pregla hingegen sehen ihn als „eigenständige methodische Zugangsweise”; dies., New Literary Criticism 2, Anm. 5.

1. Einführung in den Problemhorizont

19

„Literary Criticism“ in der angelsächsischen Literatur, die nicht nur Bezeichnung für ‚Literarkritiker‘ bzw. ‚Literarkritik‘, sondern ebenso auch für ‚Literaturkritiker‘ bzw. ‚Literaturkritik‘ sein kann.10 Zunächst einige klärende Anmerkungen zum Homonym „literarisch/literary“: Kategorial von literaturwissenschaftlich orientierten Zugängen zu biblischen Texten zu unterscheiden und daher nicht Gegenstand dieser Arbeit sind literarische Verarbeitungen von biblischen Texten im Sinne narrativer Theologie, im Rahmen poetischen Wirkens oder als Ergebnis philosophischen Schaffens, bzw. die Analyse solch „literarischen“ Umgangs. Programmatische Aufsätze zu literarischer Verarbeitung biblischer Texte stammen von Harald Weinrich Narrative Theologie (1973) und Johann Baptist Metz Kleine Apologie des Erzählens (1973); sie regten in Abgrenzung zu einem vorrangig diskursiven Umgang mit biblischen Texten Anfang der 70er Jahre eine „Narrative Theologie“ an. Begründet wird narrative Theologie nicht nur mit der breiten Erzählliteratur der Bibel selbst; es wird auch der praktisch-theologische Gesichtspunkt ins Feld geführt, dass der Mensch für Erzähltes in besonderer Weise empfänglich sei. So gibt es einschlägige Literatur zu Erzählpredigten, aber auch Romane über biblische Personen und Erzählungen zu bestimmten Aspekten biblischer Texte. W.J. Hollenweger etwa ist für sog. narrative Exegesen auf der Grundlage fundierter Textarbeit bekannt, z. B. mit Konflikt in Korinth. Für die romanhafte Gestaltung großer biblischer Gestalten sei für das Alte Testament beispielhaft Hermann Kochs Amosroman Wenn der Löwe brüllt, für das Neue Testament Gerd Theißens Der Schatten des Galiläers genannt. Kleinformen narrativer „Auslegung“ gibt es zur Genüge und in allen Varianten. Sie reichen vom freiem Umgang mit dem biblischen Text, etwa Thomas Manns Moses-Novelle Das Gesetz,11 bis zu gebundenerem Umgang mit der Textvorlage, beispielsweise in Leszek Kolakowskis literarisch-philosophischer Interpretation von Gen 22 Abraham oder eine höhere Trauer.12 Exemplarisch für die Analyse literarischen Umgangs mit biblischen Texten sei hier die Arbeit von Pia Eckstein König David (1999) genannt, in der sie unter der Überschrift Literatur generiert Literatur einen großen Abschnitt der Frage widmet, wie die König-David-Geschichte im Roman des 20 Jh. verarbeitet wurde. Namentlich befasst sie sich mit Stefan Heyms Roman Der König David Bericht (1972) und mit Joseph Hellers Roman God Knows (1984). Indem diese und andere Autoren den biblischen Texten zubilligen, Kunst zu sein, könnten diese auch als Kunst betrachtet werden. Dabei ist sich Eckstein einer Differenz

10

11 12

Die Bezeichnung „alttestamentliche Literaturgeschichte“, die insbesondere mit den Namen Hermann Gunkel (Kultur der Gegenwart 1906), Budde (1909), J. Hempel (1930-34) und A. Lods (1950) verbunden ist, meint im Grunde das, was in der Regel unter „Gattungsgeschichte“ gefasst wird. Vgl. zu Thomas Manns Textverarbeitungsstrategien: Käser, Redaktor. Häufig werden in literarischer und philosophischer Verarbeitung biblischer Texte Probleme, wie sie sich aus neuzeitlicher Sicht an den Texten ergeben, aufgegriffen, oft werden erzählerische Lücken als Ansatzpunkt gewählt, und nicht selten wird der biblische Text gegen den Strich gelesen. Paradebeispiele sind hier Heyms König David Bericht und Manns Moses-Novelle.

20

Grundlegung

zwischen biblischer und neuzeitlicher Literatur bewusst.13 Der Zielpunkt des Interesses bleibt für Eckstein bei aller Differenz die Generierung moderner Literatur auf Grund der biblische Vorlage: „Denn schließlich entspricht der Bibeltext in keiner Weise unserem herkömmlichen Verständnis von Literatur, sondern ist ein Konglomerat verschiedener Elemente aus verschiedenen Zeiten, mit verschiedenen Autoren und ebenso unterschiedlichen Überarbeitungen. Dennoch scheinen die Texte zu funktionieren und rufen eine stete literarische Auseinandersetzung hervor.“14 So fordert Eckstein, den Literaturbegriff so zu weiten, dass er solcherart „Literatur“ inkludieren kann. Nicht in ihrem Interessenhorizont liegt die Frage nach einer ursprünglichen Kommunikationssituation biblischer Erzähltexte: „Außerdem liegt das Erkenntnisinteresse auf keinen Fall darin zu ergründen, wie der Bibeltext zur Zeit seiner Entstehung gelesen und interpretiert wurde. Ein solches Vorgehen würde ihn nur als kulturhistorisches Relikt betrachten.“15 Die vorliegende Untersuchung befasst sich mit literaturwissenschaftlichen Fragestellungen und Vorgehensweisen im analytischen Umgang mit biblischen Texten. In diesem Sinne werden auch im Folgenden die Bezeichnungen „literarisch“, „literary“ und „literaturwissenschaftlich“ gebraucht. Von daher sind in dieser Arbeit auch die Bezeichnungen „literaturwissenschaftliche(r) Interpretation/Zugang“, „literarische(r) Interpretation/Zugang“ und Literary Approach synonym zu verstehen.

1.1.2 Zum Gebrauch des Begriffes „synchrone Auslegung“ Das dichotome Begriffspaar „Synchronie/Diachronie“ geht zurück auf Ferdinand de Saussure, ist also der Sprachwissenschaft entlehnt.16 In der Linguistik gilt – in Anlehnung an de Saussure – eine synchrone Betrachtung als eine, die die funktionalen und strukturalen Relationen zwischen den koexistierenden Elementen des betrachteten Systems zu erfassen sucht. Dieses betrachtete System kann z. B. der Sprachzustand der Gegenwart oder aber auch irgendeines Zeitpunkts der Vergangenheit sein.17 Eine diachrone Betrachtung hingegen beschreibt die entwicklungsgeschichtlichen (durch interne oder externe Faktoren determinierten) Zusammenhänge, bezieht sich also etwa auf die Beschreibung und Erklärung von Sprachveränderungen im Verlaufe einer Zeit.18 13 14 15 16 17

18

Vgl. Eckstein, König David, bes. 13ff. Ebd., 13. Ebd., 13f. Vgl. auch den Abschnitt Strukturalismus 2.1.3. So geben deutsche Wörterbücher der Gegenwartssprache in synchroner Weise die Wortbedeutungen des aktuellen Sprachgebrauches an, während etwa das Mittelhochdeutsch-Wörterbuch von Lexer, ebenfalls in synchroner Weise, die Wortbedeutungen der deutschen Sprache, wie sie im 13. und 14. Jh. gesprochen wurde, behandelt. Wellmann, Art. „Sprachwissenschaft“, 447. Für die Sprachgeschichtsschreibung bedeutet dies: „[Z]unächst synchrone historische Querschnitte, dann ein deskriptiver Vergleich, schließlich ein Erklärungsversuch für die beobachteten Strukturveränderungen unter

1. Einführung in den Problemhorizont

21

Angewandt auf den Umgang mit Texten – etwa in der Literaturwissenschaft oder Exegese – kann sich „synchron“, ganz analog zur sprachwissenschaftlichen Verwendung des Begriffs, auf die Betrachtung jeder gegebenen oder rekonstruierten Textfassung beziehen, sei es Endtext oder eine „Vorstufe“, aber auch – z.T. unter Einbeziehung textpragmatischer Aspekte – auf seine näheren und weiteren Kontexte.19 Die gebräuchliche Gleichsetzung von „Synchronie“ mit „Endtextexegese“ ist daher irreführend. Wenngleich faktisch für einen Teil literaturwissenschaftlicher Textanalysen zutrifft, dass ihre synchrone Sicht sich vor allem auf den sog. Endtext bezieht, so ist eine „Endtextexegese“ allenfalls ein möglicher Sonderfall von synchroner Betrachtungsweise.20 Es ist also festzuhalten, dass die Kategorie der Synchronie nicht beschränkt werden kann auf die Endstufe einer Textgenese; vielmehr können synchrone Fragestellungen dezidiert auf jede Phase einer Textgenese angewandt werden. Auch die Gleichsetzung von „Endtextexegese“ bzw. von „synchroner Interpretation“ mit „werkimmanenter Interpretation“ (2.1.2) ist problematisch. Weder „Endtextexegese“ im Besonderen noch „synchrone Auslegung/Interpretation“ im Allgemeinen ist notwendigerweise eingeschränkt auf Grundsätze des literaturwissenschaftlichen Ansatzes der Werkimmanenz, die unter Ausblendung entstehungsgeschichtlicher Aspekte den Text an sich betrachten will. Eine synchrone Lesung muss weder notwendig Fragen nach der Entstehungsgeschichte noch Fragen nach der Kommunikation/Rezeption eines vorfindlichen oder wie auch immer ermittelten Textes aus den Augen verlieren. So gehören zu sinnvollen Fragestellungen synchroner Analysen nicht nur die Einbeziehung weiterer textueller Kontexte, in die der Text eingebettet ist; es müssen auch Aspekte der Textpragmatik und der zeitlich-räumlichen Verortung (Kultur, Zeitgeschichte etc.) des Textes mitbedacht werden.

1.2

Wichtige frühe Stimmen zur literarischen Interpretation biblischer Erzähltexte

Als Einstieg in die Entfaltung des „Problemhorizonts“ sollen drei „Pioniere“ einer literarischen Interpretation in der alttestamentlichen Wissenschaft vorgestellt werden: Meir Weiss (Jerusalem), Luis Alonso Schökel, (Salamanca, Rom)

19 20

Nutzung aller Hilfsmittel, die von den (…) Nachbarwissenschaften bereitgestellt werden“; vgl. ebd. Als methodische Grundsätze für das Verhältnis von historischer und deskriptiver Sprachwissenschaft hat Hans Wellmann für die Sprachwissenschaft formuliert: „(1) Methodisch muß die Diachronie der Synchronie folgen. (2) Faktisch geht das Zusammenspiel der geschichtlichen Veränderung dem Zustand der ‚antreffbaren sprachlichen Einheit der Struktur‘ (H. Glinz 1971) voraus.“ Vgl. hierzu Wellmann, Art. „Sprachwissenschaft“, 447. Auf die „sachliche(n) Engführung“ einer solchen Gleichsetzung hat Erhard Blum wiederholt hingewiesen, besonders in seinem Beitrag Von Sinn und Nutzen der Kategorie „Synchronie“ in der Exegese. Dieser Aufsatz trägt zu einer grundlegenden Klärung der Kategorien „synchron“ und „diachron“ bei.

Grundlegung

22

und James Muilenburg (New York). Alle drei Exegeten haben sich erstmals in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts mit einschlägigen Publikationen von den seinerzeit vor allem in der deutschsprachigen Forschung dominierenden Zugängen der sog. „Formgeschichte“ abgesetzt. In der Sache verbindet sie das Anliegen, das exegetische Augenmerk weniger auf typische Gattungsmuster, Formen oder Formeln zu richten, als auf die Individualität und die Poetizität der Einzeltexte. Sodann ist ein literaturwissenschaftlicher Beitrag zu nennen und zu skizzieren, dem von der alttestamentlichen Wissenschaft viel Beachtung zuteil wurde, nämlich die Studie zu Gen 22 in dem literaturwissenschaftlichen ‚Klassiker‘ Mimesis (1946) von Erich Auerbach.

1.2.1 Frühe Positionen auf Seiten der Exegese 1.2.1.1 Meir Weiss Der jüdische Bibelwissenschaftler Meir Weiss ist unbestritten einer der bedeutenden Vorreiter der literarischen Interpretation. Bereits 1963 wählt Weiss in seinem wichtigen Aufsatz Einiges über die Bauformen des Erzählens21 einen textimmanenten Ansatz im Sinn der Werkinterpretation, den er gegen den historisch-kritischen Zugang in der Exegese wendet. Er plädiert für eine ganzheitliche Lesung des vorfindlichen Textes unter der Annahme von Texteinheitlichkeit und unter Einbeziehung aller seiner Elemente. Seine Kritik gilt dabei besonders einer Engführung der formgeschichtlichen Fragestellung: der Gefahr, dass die Texte nicht in ihrer Individualität wahrgenommen werden. Der Beitrag von Weiss, der sich deutlich gegen gängige Paradigmen des Faches sperrte, war seiner Zeit weit voraus. Bereits 1967 auf Hebräisch, 1984 schließlich dann auf Englisch, erschienen weiterführende methodische und methodologische Ausführungen in The bible from within. The Method of Total Interpretation. Hier erprobt Weiss nicht nur die Anwendung konkreter sprach- und literaturwissenschaftlicher Kategorien (words and phrases, images, sentences and sequences, literary units: structure), er reflektiert auch die methodologischen Aspekte eines textinternen Zugangs im Rahmen exegetischer Textarbeit. In diesem Zusammenhang finden sich bei ihm auch ausführliche Bezugnahmen auf die literaturwissenschaftliche Forschung seiner Zeit. Weiss sucht deutlich die wissenschaftliche Ausschlussfähigkeit seiner Überlegungen an die Literaturwissenschaft. Insgesamt gibt Weiss auch hier der ganzheitlichen Texterschließung im Sinne der Werkinterpretation und des close reading den Vorrang. Er selbst nennt dieses methodische Vorgehen auch „total interpretation“. Das Ziel eines solchen Vorgehens sei

21

Weiss, Einiges über die Bauformen, 456-475.

1. Einführung in den Problemhorizont

23

to prove that the Biblical poem, like any poem, manifests an artistic unity of form and content which can be grasped only through close reading – by the ceaseless endeavour to elucidate the whole work in relation to its parts, and the parts to the whole. In the end, method dissolves into meaning, and we understand the poem.22

1.2.1.2 Luis Alonso Schökel Ebenfalls 1963 erschien auch ein maßgebliches Werk von Luis Alonso Schökel: Estudios de Poética Hebrea.23 Der Alttestamentler und Literaturwissenschaftler Alonso Schökel erprobt in dieser seiner Dissertation literaturwissenschaftliches Instrumentarium an prophetischen Texten, besonders an Jesaja. Er verfolgt einen formalistisch-strukturalistischen Ansatz und untersucht die Stilistik des Klangmaterials, des Rhythmus, des Parallelismus, der Synonymie und der Antithese. Weiter finden sich bei ihm Ausführungen zu Bildern, Struktur und Gliederung, zu literarischen Gattungen und Topoi. Vorsichtig, aber doch deutlich bezeichnet er prophetische Texte als „Literatur“. Methodisch setzt er in der prophetischen Literatur die Möglichkeit von größeren Einheiten, die sich bis über mehrere Kapitel erstrecken, voraus.24 Er wendet sich gegen die damals gängige Annahme, prophetische Reden seien ursprünglich Kurzeinheiten ohne einheitlichen Aufbau und nicht von den Propheten selbst schriftlich fixiert. Dort, wo „echte innere Struktur“ und „Spuren einer kompositorischen Arbeit“ zu erkennen seien, dürfe „man mit vollem Recht die Existenz eines Autors für das Ganze, also eines Verfassers, annehmen“, unbeschadet dessen, ob es sich um den Propheten selbst oder einen Schüler, „der die Dichtung überarbeitet hat“, handle.25 Alonso Schökel spricht also dezidiert von „Dichtung“. Alonso Schökel arbeitet im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zur biblischen Bildsprache heraus, dass Exegeten oft biblische Texte am Maßstab westlicher akademischer Sprache messen. So kommt es bei ihm zum „Empfinden der Absonderlichkeit den malerischen und oft fremdartigen Bildern der hebräischen Literatur gegenüber“.26 Alonso Schökel stellt die Angemessenheit eines solchen Vergleichs in Frage: „Ein berechtigter Vergleich aber wäre nur gegeben, wenn man Dichtung mit Dichtung vergleicht.“27 Im Vergleich zu akademischer Sprache empfindet man die biblische Bildwelt als kühn und ungezügelt. Ein Vergleich aber mit moderner Literatur, etwa mit Rimbaud, zeige, „wie sehr die hebräischen Dichter ihre Phantasie zügeln“.28 Von diesem Standpunkt aus beurteilt Alonso Schökel nun die literarischen Qualitäten biblischer Propheten: Jesaja etwa sei ein „gewiegter Stilist“, ein „sorgfältige(r),

22 23

24 25 26 27 28

Weiss, Bible, 46. Barcelona 1963; auf Deutsch ist von den drei Teilen der Estudios Teil 2 zugänglich: Das Alte Testament als literarisches Kunstwerk (1971); später wird sich Muilenburg (vgl. 1.2.1.3) genau auf diesen Beitrag beziehen. Vgl. Alonso-Schökel, Estudios, 383. Ebd. Ebd., 362. Ebd., 363. Ebd.

Grundlegung

24

feinfühlige(r) Schriftsteller“.29 Jeremia und Hosea hier stark profilierte Autoren, Micha hingegen weise „einen Mangel an literarischer Persönlichkeit“ auf.30 Alonso Schökel ist der Gattungskritik verpflichtet, an der er vor allem die Strukturanalyse schätzt.31 Er nimmt bei seinen gattungskritischen Überlegungen jedoch biblische Prophetentexte als Literatur ernst und sieht ihre Autoren bzw. die Gestalter größerer Einheiten dezidiert als Dichter. Seine Estudios gehören zu den ersten ausführlichen Adaptationen literaturwissenschaftlicher Fragen auf biblische Texte. Auf dieses Werk wird sich später auch James Muilenburg beziehen und es als „an encyclopedic compendium of linguistic and rhetorical phenomena“ loben,32 und auch David Clines und David M. Gunn sind von ihm maßgeblich geprägt.33 Die Forderungen nach einem „close reading“, einem „holistic reading“ bzw. einer ganzheitlichen Interpretation des Textes, wie sie Meir Weiss vertrat, und die Konzentration auf eingängige Betrachtung stilistischer und ästhetischer Merkmale des Textes, wie sie Alonso Schökel einbrachte, mehren sich dann in den 70er Jahren. Dies geschieht dann vor allem im angelsächsischen Bereich und in den Niederlanden, allerdings nicht selten ohne unmittelbaren Rekurs auf literaturwissenschaftliche Forschung.

1.2.1.3 James Muilenburg Ein Meilenstein auf dem Weg der literaturwissenschaftlichen Zugänge in die Exegese ist der Vortrag von James Muilenburg mit dem programmatischen Titel Form Criticism and Beyond, den er 1968 auf der SBL-Tagung in Berkeley, California, hielt.34 Muilenburg plädiert hier für eine genauere Betrachtung rhetorischer Techniken in Bibeltexten. Man habe es bei diesen Texten mit „literature of a very high quality“35 zu tun, bei der Stilistik und Ästhetik eine größere Rolle spielten, als bisher gemeinhin angenommen worden sei, und für deren Erschließung es einer „literary sensitivity“36 bedürfe. In diesen Texten begegnet uns „a responsible and proper articulation of words in their linguistic patterns and their precise formulations“; diese gelte es sorgfältig zu ermitteln, weil man sich hierüber „texture and fabric of the writer’s thought“ annähern könne.37 Die Bezeichnung dieses Ansatzes als „Rhetorical Criticism“ stammt von Muilenburg selbst.38

29 30 31 32 33 34 35 36 37 38

Ebd., 358. Ebd., 433. Vgl. ebd., 380f. Muilenburg, Form Criticism and Beyond, 7. Vgl. Gunn, New Directions, 67f. Veröffentlicht in JBL 88 (1969), 1-18; wieder abgedr. in: House, Beyond Form Criticism, 49-69. Ebd., 6. Ebd., 9. Ebd., 6. Seine Schüler Jared J. Jackson und Martin Kessler behielten ihn bei in dem von ihnen herausgegebenen Sammelband: Rhetorical Criticism: Essays in Honour of James Muilenburg. PTMS 1, Pittsburgh 1974.

1. Einführung in den Problemhorizont

25

Bei Muilenburg steht die Untersuchung einzelner textueller Gestaltungsmerkmale, wie etwa Refrain, Partikel, Vokative, Wiederholungen, Schlüsselwörter, im Vordergrund. Die rhetorische Analyse, für die er plädiert, sieht er als Ergänzung zur Formkritik – nicht als deren Alternative oder Ablösung.39 Doch er weist darauf hin, dass s. E. die formkritischen Analysen oftmals das Eigenprofil die biblischen Texte vernachlässigten, und forderte, den Einzeltexten selbst mehr Aufmerksamkeit zu widmen und die in ihnen ermittelten rhetorischen Merkmale für die Exegese fruchtbar zu machen.40 Muilenburgs Rhetorical Criticism ist kein literaturwissenschaftlicher Ansatz im eigentlichen Sinne. Jedoch befördert die von ihm geforderte Wende von einer vorwiegend auf form- und gattungsgeschichtlichen Fragen konzentrierten Exegese hin zu einer bewussten Wahrnehmung der ästhetischen Qualitäten biblischer Texte eine neue Sicht auf die biblischen Texte in ihrer vorliegenden Form. Nach Paul R. House sind es drei Gründe, weshalb dieser Ansatz von Muilenburg dem Literary Criticism Vorschub leistete: Erstens habe die Bekanntheit Muilenburgs dem Rhetorical Criticism zu großer Akzeptanz verholfen. Die Verbindung von Formkritik und rhetorischer Kritik habe sodann bei einer Reihe von Exegeten mit primär historischer Fragerichtung zu einer neuen Hinwendung zum Text selbst geführt. Und drittens habe die Fokussierung des Rhetorical Criticism auf linguistische Details weitere textorientierte Untersuchungen zum AT vorangetrieben.41 Muilenburg konzentriert sich, ganz ähnlich wie Meir Weiss, ganz auf den Text selbst. Die Frage nach der Leserrolle und die Dimension textlicher Argumentationsstrategien im Blick auf den Leser/die Leserin spielen bei ihm noch kaum eine Rolle. Dies rückt dann etwa bei seinem Schüler Dale Patrick ins Blickfeld.42 Es ist in jedem Fall Muilenburgs Verdienst, die exegetische Zunft auf die Engführung aufmerksam gemacht zu haben, die eine einseitige Betonung formgeschichtlicher Fragestellungen mit sich bringt. Seine Forderung, die Texte selbst und ihr Eigenprofil zu beachten, stellt eine wichtige Wegmarke auf dem Weg zu den Literary Approaches dar.

1.2.2 Erich Auerbach als wichtige Stimme auf Seiten der Literaturwissenschaft Auf einen Beitrag von Seiten der Literaturwissenschaft wird in der Exegese in so beachtlichem Maße rekurriert, dass dessen Betrachtung in unserem Zusammenhang unumgänglich ist. Es handelt sich um Erich Auerbachs Die Narbe des Odysseus. Auerbach war jüdischer Romanist und lehrte vor seiner Amtsenthebung durch die Nationalsozialisten in Marburg. Sein Hauptwerk Mimesis (1946), in dem er dem Verhältnis von Wirklichkeit und Literatur anhand verschiedener Beispiele der Literaturgeschichte nachspürt, entstand im türkischen 39 40 41 42

Muilenburg, Form Criticism, 18. Vgl. Sprinkle: Literary Approaches, 299. Vgl. House, Beyond Form Criticism, 48. Vgl. Dale Patrick und Allen Scult: Rhetoric and Biblical Interpretation (1990).

Grundlegung

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und amerikanischen Exil; besagter Beitrag bildet das erste Kapitel dieses vielbeachteten Werkes. Auerbach vergleicht die Erzählung von Isaaks Bindung (Gen 22) mit der Heimkehr des Odysseus im 19. Gesang von Homers Odyssee. Er ermittelt in den beiden Werken zwei verschiedene Stilarten, die s. E. beide eine konstitutive Wirkung auf die europäische Wirklichkeitsdarstellung ausgeübt hätten. Die beiden Stile stellen in ihrer Gegensätzlichkeit Grundtypen dar: auf der einen Seite [Homer] ausformende Beschreibung, gleichmäßige Beleuchtung, lückenlose Verbindung, freie Aussprache, Vordergründlichkeit [sic], Eindeutigkeit, Beschränkung im Geschichtlich-Entwickelnden und im Menschlich-Problematischen; auf der anderen [Gen 22] Hervorarbeitung einiger, Verdunkelung anderer Teile, Abgerissenheit, suggestive Wirkung des Unausgesprochenen, Hintergründlichkeit [sic], Vieldeutigkeit und Deutungsbedürftigkeit, weltgeschichtlicher Anspruch, Ausbildung der Vorstellung vom geschichtlich Werdenden und Vertiefung des Problematischen.43

Auerbach zeigt auf, dass die biblische Erzählung von Isaaks Bindung in ihrer konsequenten Ausrichtung auf ein erzählerisches Ziel hin äußerst einheitlich gestaltet sei. Diese konsequente Einheitlichkeit habe aber andererseits – anders als in Odysseus Rückkehr – entscheidende Leerstellen des Erzählens zur Folge: Es wird erzählerisch nur herausgearbeitet, was für das Ziel der Handlung wichtig ist, der Rest bleibt im Dunkel; die entscheidenden Höhepunkte der Handlung werden allein betont, das Dazwischenliegende ist wesenlos; Ort und Zeit sind unbestimmt und deutungsbedürftig; die Gedanken und Gefühle bleiben unausgesprochen, sie werden nur aus dem Schweigen und fragmentarischen Reden suggeriert; das Ganze, in höchster und ununterbrochener Spannung auf ein Ziel gerichtet, und insofern viel einheitlicher, bleibt rätselvoll und hintergründig.44

Hier nimmt Auerbach vorweg, was später unter der Bezeichnung „Erzählökonomie“ in der Erzähltextforschung ab Mitte der 70er Jahre näher beschrieben wurde. Auerbachs analytischer Zugang ist dezidiert literaturwissenschaftlich. Fragestellungen der historischen Exegese liegen nicht in seinem Betrachtungshorizont. Seine Beobachtungen zu den beiden Vergleichstexten, die aus heutiger Sicht etwas plakativ wirken, haben sehr deutlich grundsätzliche Unterschiede verschiedener Arten des Erzählens aufgezeigt. Seine Beobachtungen wurden von vielen Exegeten als hilfreiche Anregung empfunden, den Stil biblischer Erzählungen neu wertzuschätzen. Die Rezeption von Auerbachs Beitrag geschah auf erstaunlich breiter Basis. Auerbach hat so wesentlich zur Beobachtung und Beschreibung biblischer Erzähltexte im Sinne einer Literaturbetrachtung beigetragen.

43 44

Auerbach, Mimesis, 26. Ebd., 14.

1. Einführung in den Problemhorizont

27

1.2.3 Zusammenfassung und Ausblick Wir haben uns einige der frühen exegetischen und literaturwissenschaftlichen Stimmen vor Augen geführt, die in der einen oder anderen Weise für den Literary Approach wichtig wurden, indem sie literaturwissenschaftliche Fragestellungen in die Betrachtung biblischer Texte einbrachten. Sie alle hatten Wirkung auf die späteren Hauptvertreter literaturwissenschaftlicher Analyse biblischer Texte. Meir Sternberg etwa hatte als Literaturwissenschaftler Kenntnis von Auerbachs Mimesis und schließt an seine Überlegungen an. Auch Robert Alter nennt Auerbachs Mimesis seine „ultimate inspiration“ und bekennt, dass dieses Werk ihn nachhaltig geprägt habe. Meir Weiss inspirierte in besonderer Weise Shimon Bar-Efrat. Auf Alonso-Schökel werden sich, neben Muilenburg, auch David Clines und David M. Gunn beziehen. Und Muilenburg bewirkte, vor allem bei einer Reihe von angelsächsichen Kollegen, eine Änderung der Blickrichtung von der Gattungskritkik auf die rhetorischen Strategien biblischer Einzeltexte und damit in neuer Weise auf die Texte selbst. Auch wenn sich die skizzierten Ansätze deutlich in dem Punkt treffen, dass sie einen entscheidenden Beitrag zur Beförderung und Durchsetzung literaturwissenschaftlicher Ansätze geleistet haben, wird doch auf den ersten Blick deutlich, dass hier sehr unterschiedliche Textverständnisse vertreten werden. Es ist also notwendig, in einem nächsten Schritt genauer zu klären, mit welchen Fragehorizonten sich die literaturwissenschaftlichen Zugänge befassen.

1.3

Eröffnung des weiteren Problemhorizonts

Gleichsam im Erbe der vor allem in den 1960er Jahren ausgearbeiteten methodischen Zugänge stehen die neueren Vertreter eines dezidierten Literary Approach zu biblischen Erzähltexten, deren Textverständnis noch eingehend zu besprechen sein wird (Kap. 3). Zur Verdeutlichung des methodischen Problemhorizonts, innerhalb dessen die dabei vorausgesetzten Textbegriffe zu erörtern sein werden, sollen zunächst jedoch einige Positionen vorgestellt werden, die in Aufnahme des literarischen Zugangs (Clines und Utzschneider) bzw. in kritischer Reaktion darauf (Stendahl, Hardmeier, Blum) das für alttestamentliche Texte angemessene Textverständnis z.T. in pointierten Entgegensetzungen zu bestimmen suchen.

1.3.1 David J.A. Clines: Das Alte Testament als Literatur David J.A. Clines vertritt in seinem Beitrag Story and Poem: The Old Testament as Literature and as Scripture (1980) die These, dass die Bibel in erster Linie als Literatur zu lesen sei. Clines charakterisiert sie als “arguably the greatest and

28

Grundlegung

certainly the most influential literary work of world civilization”.45 Es ist nach Clines nicht möglich, die Bibel als Schrift zu lesen, ohne sie zugleich als Literatur zu betrachten; umgekehrt bleibe sie aber stets Literatur, unabhängig davon, ob sie als Heilige Schrift anerkannt würde.46 Selbst dann also, wenn die Bibel als Heilige Schrift verstanden werde, müsse der Zugang zu ihr über ihren literarischen Charakter erfolgen: „The distinction between the Bible as literature and the Bible as scripture is largely artificial. The church can properly hear its Bible as scripture only when it reads it as literature.”47 Folgerichtig plädiert Clines dann auch dafür ein, biblische Texte vorrangig mit Methoden der Literaturwissenschaft und der Sprachwissenschaft zu analysieren. Dieser Zugang solle allen historischen und theologischen Fragestellungen vorgeordnet sein. Genauerhin vertritt Clines einen rezeptionsorientierten Ansatz. Die Bibel spreche als autonome Literatur den Leser/die Leserin über alle zeitlichen und kulturellen Grenzen hinweg „direkt“ an. Zwar begegneten biblische Narrativik und Poetik dem heutigen Leser und der heutigen Leserin als Textmonumente der Vergangenheit, er/sie könne und brauche sich dabei aber nicht in die Situation der Erstleser/Erstleserinnen hineinzuversetzen, denn diese literarischen Texte würden, wie andere gute Literatur, die zeitliche Differenz von selbst überbrücken: „Any literature worth the name jumps the time-gap of its own accord.“48 Solche imaginative Literatur generiere eine eigene Welt; wenn der Leser oder die Leserin sich auf diese literarische Welt einlasse und Aspekte dieser alternativen Welt für seine/ihre eigene Welt realisiert haben wolle, komme es – hier nimmt Clines Anleihe bei Gadamer – zu einer Horizontverschmelzung zwischen literarischer und erlebter Welt. In solchen Begegnung mit der Schrift findet nach Clines ein „Hören auf die Schrift“ statt, die sich s. E. nicht unterscheidet von einem Hören auf andere große literarische Werke: „[T]he ‚authority‘ of the Bible as Scripture is experienced in no different way from that in which the ‚authority‘ of any great literary work is felt.“49 Bei Clines wird rezeptionsorientierte Literaturbetrachtung zum Hauptprinzip der Schriftbetrachtung erklärt. In dieser Sicht entziehen sich biblische Texte der Erwartung einer eindeutigen Botschafts- und Wahrheitsvermittlung. Clines sympathisiert mit postmodernen Denkvorraussetzungen.50 Die konsequente Forderung einer rezeptionsorientierten Betrachtung der Bibel als Literatur ist seit Clines eines der Themen, die maßgeblich die literaturwissenschaftlichen Zugänge zur Bibel bestimmen.

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Clines, Story and Poem, 116. “If one cannot, or should not, read the bible as Scripture except as literature (…) may one read the Bible as literature and not as Scripture at all? Yes, and this is why the distinction between ‚as literature‘ and ‚as scripture‘ is not wholly artificial” (ebd., 117). Ebd., 115. Ebd., 127. Ebd., 117. So nennt er später die Sammlung seiner Aufsätze „On the way to the Postmodern“ (1998).

1. Einführung in den Problemhorizont

29

1.3.2 Krister Stendahl: Die Bibel als Klassiker und normative Schrift Auch der schwedische Neutestamentler Krister Stendahl ging 1983 in einem Vortrag vor der Society of Biblical Literature unter dem Titel The Bible as a Classic and the Bible as Holy Scripture51 der Frage einer Verhältnisbestimmung von „religiösen“ und „literarischen“ Zugängen zur Schrift nach. Er stellt, wie Clines, zunächst fest, dass in der westlichen Kultur die Bibel als Klassiker angesehen werde. Diese Beachtung als Klassiker aber sei immer schon verbunden mit dem Wissen, dass die Bibel die „Heilige Schrift“ der Kirche (bzw. der Synagoge) sei: „It is as Holy Scripture that the Bible is a classic in our culture (…) and it is a classic exactly as that special kind of classic.“52 Mit Verweis auf Ricoeur53 betont er den affektiven Aspekt der Bibel. Sie ziele auf die Imagination des Lesers/der Leserin, aber auch auf dessen/deren Willen und Handeln. Gerade das sei Ausdruck des normativen Charakters der Bibel: „[T]he normative nature (…) is an irreducible component in the kind of classic that the Bible is“,54 und dies ungeachtet der Frage, wie man sich gegenüber einer solchen Normativität verhalte. Im normativen Anspruch unterscheide die Bibel sich dann auch von anderen großen literarischen Werken, wie etwa von Homer oder Shakespeare. Ausgehend von der Feststellung, die Bibel sei Klassiker, und zwar in ihrer Bedeutung als Heilige Schrift, zeigt Stendahl auf, dass eine Betrachtung der „Bibel als Literatur“ zu kurz greife: „[T]here is something artificial in the idea of ‚the Bible as literature‘“,55 und zwar dann, wenn man sie lediglich als literarischen Klassiker lese und dabei den ihr inhärenten normativen Anspruch außer Acht lasse. Damit unterscheidet Stendahl sich fundamental vom Ansatz Clines. Literaturwissenschaftlichen Analysen gesteht Stendahl zu, dass sie neue Aspekte biblischer Texte erschlössen, die bisherige Lesungen übersehen hätten. Er kritisiert aber, dass sie dazu tendierten, deren normativen Aspekt auszublenden.56 Dies liegt s. E. daran, dass moderne Literaturen einen solchen Anspruch nicht vertreten: „[T]he literary models have been non-normative genres.“57 Hier trifft er in der Tat den wunden Punkt solcher Adaptionen literaturwissenschaftlicher Methoden auf biblische Texte, auf den später besonders Erhard Blum aufmerksam machen wird: dass die literary approaches in der Regel die Unterschiede zwischen biblischer Literatur und den modernen Literaturen unreflektiert übergehen.

51 52 53 54 55 56 57

JBL 103 (1984), 3-10. Wieder abgedruckt in: House, Beyond, 39-46. Zit. nach House. Stendahl, Bible as a Classic, 43. Paul Ricoeur: Toward a Hermeneutic of the Idea of Revelation. HTR 70 (1977), 1-37. Angabe bei Stendahl, in: House, Beyond 42, Anm. 3. Stendahl, Bible as a Classic, 44. Ebd., 43. [T]he more recent preoccupation with ‚story‘ tends to obscure exactly the normative dimension” (ebd., 44). Ebd., 45.

30

Grundlegung

Stendahl insistiert darauf, dass vom normativen Aspekt weder in einer Betrachtung der Bibel als Heilige Schrift noch in ihrer Betrachtung als Klassiker abgesehen werden dürfe. Zugleich lehnt er eine unreflektierte Rezeptionsorientierung, wie sie etwa von Clines vertreten wird, ab. Vielmehr gehe es darum, die ursprüngliche Intention der Texte zu erschließen; diese müssten dem heutigen Leser/der heutigen Leserin offengelegt werden. Es brauche eine „serious attention to original intentions of texts“ und eine „full attention to what it [the Scripture] meant in the time of its conception and what the intention of the authors might have been“.58 Eine literaturwissenschaftliche Betrachtung, die die Normativität und Heiligkeit der Schrift bewusst ausblenden wolle, sei zur Suche nach der ursprünglichen Intention zumindest wegen einer „historical honesty“ verpflichtet.59

1.3.3 Helmut Utzschneider: Rezeptionsorientierung der Text-Leser-(Autor-) Beziehung Helmut Utzschneider befasst sich in seinem Beitrag Text – Leser – Autor: Bestandsaufnahme und Prolegomena zu einer Theorie der Exegese (1999) mit der Frage nach rezeptionsorientierten Bibelzugängen im Vergleich zur traditionellen Exegese. Zunächst skizziert Utzschneider die übliche Zuordnung literarkritischer Ansätze zu „Diachronie“, da ihr Interesse hauptsächlich auf der Genese des Bibeltextes liege, und literaturwissenschaftlicher Zugänge zur „Synchronie“, weil sie in der Regel den Endtext als Ausgangspunkt ihrer Betrachtung wählten. Er weist aber zu Recht anschließend darauf hin, dass eine solche Klassifizierung zu kurz greift. Zu einer genaueren Beschreibung sowie zu einer besseren Kommunikation vorhandener Ansätze schlägt Utzschneider vor, zur Etablierung eines „Koordinatensystems“ auf die von Umberto Eco geprägten Begriffe der intentio auctoris (Senderseite), intentio operis (Textseite) und intentio lectoris (Empfängerseite) zurückzugreifen. Innerhalb dieser Überlegungen plädiert Utzschneider für einen offeneren, leserbezogeneren Textbegriff in der Bibelwissenschaft. Exegese solle in erster Linie eine „literarisch-ästhetische“ und erst dann eine historische sein.60 Utzschneider führt den Textbegriff der „Diachroniker“ auf ein „kommunikatives Textmodell“ mit starkem Interesse an der jeweiligen Autorenintention zurück, innerhalb dessen es auf die ursprüngliche Kommunikationssituation und Intention der jeweiligen Vorstufen (Quellen, Redaktionen) des Endtextes ankomme. Für die „Synchroniker“ hingegen gelte der Endtext als „selbständige historische Größe“, als „Text im strengen Sinne“, der als Grundlage einer Interpretation dienen könne und ohne Rekurs auf eine Autorenintention auskomme. So sieht Utzschneider das, was er „Endtextexegese“ (im Sinne eines werkimmanenten Ansatzes) nennt, als um den Aspekt der Textkommunikation ergänzungsbedürftig. Dabei gelangt auch er zu einer 58 59 60

Ebd., 45f. Ebd., 46. Die „Intention“ schwankt bei Stendahl zwischen Textintention und Autorenintention. Utzschneider, Text – Leser – Autor, 238.

1. Einführung in den Problemhorizont

31

rezeptions- und zugleich werkorientierten Sichtweise und fordert einen Textbegriff, „der 1. die Selbständigkeit des Textes berücksichtigt, der 2. seine kommunikative Einbindung in eine Leserbeziehung nicht vernachlässigt und der 3. den Text nicht auf die enge, auktoriale Ursprungssituation einschränkt“.61 Den Vorzug erhält aber bei Utzschneider letztlich die intentio lectoris: Biblische Texte sollen als „ästhetische Subjekte“62 gesehen werden, die sich sowohl gegenüber der Autorenintention als auch gegenüber den Lesern als autonome Größen verhalten. Es gehe nicht um eine Kommunikation zwischen Autor und Leser, vielmehr sei ein biblischer Text „Sendersubjekt und Organon zugleich“.63 Dieser Abkopplung der intentio operis vom Autor entspricht dann auch ein verändertes Bild der Text-Leser-Beziehung. Abgelöst von einer Autorenintention, schließt bei Utzschneider nun die Text-Leser-Kommunikation neben dem „Leser der Ursprungssituation“64 jeden erdenklichen Leser des Textes mit ein, so etwa zeitgenössische westliche Leserinnen und Leser, aber auch historisch operierenden Exegeten und Exegetinnen. In der unmittelbaren Applikation verschiedener Leser verliere der Textsinn der „auktoriale(n) Ursprungssituation“ seine Eindeutigkeit. Daher sollten die Texte als „Potentiale“ gesehen werden, die „aufgenommen, umgesetzt und transformiert“ werden müssen. Utzschneider vertritt die Ansicht, dass dies der intentio operis selbst entspreche: „[P]roduktive Rezeption (…) ist ein ästhetisch-literarisches Primärphänomen. Sie ist durch die Texte selbst immer schon provoziert.“65 Auch eine besondere Betonung einer normativen Funktion biblischer Texte – wie sie Stendahl vertreten hat – steht nach Utzschneider gegen die Textintention: Biblische Texte sollen doch nicht nur, ja nicht einmal in erster Linie regulieren und beschränken, sondern begeistern, motivieren und inspirieren. Dies könnten sie nur, wenn sie für ihre Leser offen und anschließbar sind.66

Dass solcher Lesung Grenzen gesetzt werden müssen, sieht auch Utzschneider; er hält die intentio lectoris eingebunden in die intentio operis, so dass in der Interpretation auch deutlich würde, „was nicht oder nicht mehr geht“,67 denn es müssten sich – mit U. Eco gesprochen – die Vermutungen, die der Leser/die Leserin zum Text anstellt, jeweils „an der Kongruenz des Textes bewähren“.68 Ausgehend von diesen Grundannahmen folgert Utzschneider, dass wissenschaftliche Exegese nicht mehr in erster Linie „historische“, sondern in einer neuen Leserorientiertheit „literarisch-ästhetische“ Disziplin sein müsse. Sie bleibe jedoch insofern „historisch“, als die Beschreibung jeder Kommunikationssituation zwischen Text und Leser „von den ersten erreichbaren Lesern bis zu den gegenwärtigen Rezipienten und Interpreten“ eine historische sei. 61 62 63 64 65 66 67 68

Ebd., 226. Ebd., 228. Ebd. Ebd. Ebd., 234. Ebd. Ebd., 235. Ebd., 234f.

32

Grundlegung

Utzschneiders Modell sucht einen ‚dritten Weg‘ zwischen einer rein autorenbezogenen und einer rein rezipientenorientierten Interpretation zu gehen. Allerdings ist zu fragen, ob mit dem Konzept einer Kommunikation von autonomem Kunstwerk (als „ästhetisches Subjekt“) und dessen Leser/Leserin die Weichen nicht doch grundsätzlich im Sinne eines rezeptionsästhetischen Textbegriffs gestellt sind.

1.3.4 Christof Hardmeier: Kommunikationspragmatik biblischer Erzählliteratur Einen ganz anderen Ansatz vertritt Christof Hardmeier, zu dessen Verdiensten es gehört, Grundlagen der Linguistik, vor allem der Texttheorie, der Erzähltextanalyse und der Textpragmatik, für die Exegese fruchtbar gemacht zu haben.69 Hardmeiers Anliegen ist es, „dem Eigensinn und der Wirkkraft der biblischen Texte auf die Spur [zu] kommen“,70 indem man sie als kommunikative Sprachhandlungen erfasst. Die Besonderheit verschrifteter Erzählkommunikation entgegen anderen Sprechhandlungen sieht Hardmeier darin, dass es keiner Zeitgleichheit der Kommunikationspartner bedarf, d. h. dass das „RaumZeit-Kontinuum der Sprechsituation“ aufgehoben sein kann. Erzählungen böten ein zweifaches Kommunikationsangebot: „[E]s wird eine erzählte Welt generiert und die Rezipienten werden durch diese Welt geleitet.“71 Den vorfindlichen Text fasst er mit der Metapher der „Partitur“, dessen „sprachförmige“ Oberfläche auf Kommunikationsangebote des Autors hin analysiert werden müsse. Hierzu fordert Hardmeier eine „Lese-Hermeneutik der Behutsamkeit“,72 mit der in empirisch-deskriptivem Vorgehen die im Text liegenden autorseitigen Kommunikationssignale73 so genau wie möglich ermittelt werden. Zwar sei für biblische Erzähltexte der ursprüngliche Kommunikationszusammenhang nicht expliziert, doch könnten aus textinternen Signalen gewisse „Rückschlüsse auf den textexternen Funktions- und Handlungszusammenhang eines Textes“74 gezogen werden, und zwar deshalb, weil dieser Handlungsrahmen die Gestaltung des

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Vgl. bes. Texttheorie und biblische Exegese. Zur Rhetorischen Funktion der Trauermetaphorik in der Prophetie (1978) sowie das Kapitel „Erzähltextanalytische Grundlagen“ in seiner Habilitationsschrift Prophetie im Streit vor dem Untergang Judas (1990). Unlängst hat Hardmeier mit dem ersten Band Textwelten der Bibel entdecken. Grundlagen und Verfahren einer textpragmatischen Literaturwissenschaft der Bibel (2003) eine umfangreiche Einleitung in die „textempirische“ Erschließung biblischer Erzähltexte im Rahmen kommunikationstheoretischer Überlegungen vorgelegt. In besonderer Weise nimmt Hardmeier Anleihen bei E. Gülich, U.M. Quasthoff und W. Raible, sowie bei S.J. Schmidt. Hardmeier, Textwelten 1/1, 17. Ebd., 65. Vgl. ebd., 36ff. Bei Hardmeier: „texturanzeigende Signale“; eine Definition auf S. 83, vgl. auch das gesamte Kap. 4 (ebd., 81-135). Ebd., 50.

1. Einführung in den Problemhorizont

33

Textes maßgeblich mitbestimmt habe.75 Der Einfluss der konkreten Kommunikationssituation in Bezug auf die Entstehung von Erzähltexten (sei es, dass ein Text in der konkreten Situation entsteht oder die Situation bei der Entstehung präfiguriert wird) sei so groß, dass er immer Spuren hinterlasse.76 Die Kommunikationssituation der Texte ist dabei die „Schnittstelle (…) zwischen textintern konstruierten Welten und den soziohistorischen Verhältnissen, in denen sie kommuniziert worden sind“.77 Daraus ergebe sich, dass jedem Text auch ein Quellenwert bezüglich dieser Kommunikationssituation zukommt.78 Die von Hardmeier geforderte Leseaskese bezieht sich auch darauf, dass der Leser oder die Leserin die Texte mit der Vorannahme einer kohärenten und im Blick auf eine bestimmte Adressatenschaft plausibel angelegten erzählten Welt analysieren solle. Die intendierte Adressatenschaft unterscheide sich vom modernen Leser/der modernen Leserin;79 dieser/diese könne allerdings in behutsamer Textwahrnehmung im Leseprozess die Textwelt prozedural konstruieren.80 Hardmeier macht für die konkrete Ermittlung der autorseitigen Signale eine weitere Voraussetzung, die besonders in seiner Habilitationsschrift deutlich wird. Er sieht biblische Erzähltexte als „Erinnerungsliteratur“ bzw. „geschichtsbezogene Traditionsliteratur“,81 die – bewusst wie unbewusst – mitunter mehr an der kommunikationsrahmenden Gegenwart als an der in der Erzählung enthaltenen dargestellten Zeit orientiert sei: Aus zurückliegenden Widerfahrnissen entstünden „Artefakte“ mit Bezug auf die Gegenwart.82 Wenngleich mit solcher 75 76

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Vgl. v.a. seinen Abschnitt 3.2 Der Handlungsrahmen und die steuernden Faktoren des Texterzeugungsprozesses – das kommunikative Handlungsspiel (KHS); ebd., 49ff. Hierzu gehören etwa „narrative ‚Zugzwänge‘“ (vgl. Hardmeier, Prophetie, 49f.), durch Hörerorientierung gesteuerte Gliederungssignalisierungen, Detaillierung und Kondensierung der Erzählung (vgl. ebd., 60-82). Hardmeier, Textwelten 1/1, 51. „Dementsprechend dokumentieren Texte primär konkrete kommunikative Handlungsvollzüge ihrer Autoren und die damit verbundenen Intentionen, was für den Quellenstatus sowohl biblischer als auch anderer historischer Texte von größter Tragweite ist“ (ebd., 50). Ähnlich: „Das primär Historische ist die Autorperspektive des Erzählten zum Zeitpunkt der Produktion des Textes, die sich in seiner spezifischen Struktur niederschlägt, und nicht der Informationsgehalt des Erzählten als solcher“ (Hardmeier, Prophetie, 18). So sei etwa bezüglich der erzählerischen Technik der Gestaltschließung (eventuelle Hörerfragen werden „vorausschauend“ beantwortet) vorauszusetzen, dass solche Fragen nicht für den heutigen Leser beantwortet werden. Dies habe zur Folge, dass der Text wiederum ganz andere Fragen, die im heutigen Interessenhorizont liegen, mitunter unbeantwortet lässt. Damit nimmt Hardmeier Anleihen an den Reader-Reponse Criticism (vgl. die Ausführungen hierzu im Abschnitt zu literaturwissenschaftlichen Grundpositionen). Er verwehrt sich aber dagegen, die Sicht autonomer „Objekte“ dieser Methode mitzutransportieren und an die biblischen Erzähltexte anzulegen. Hardmeier, Textwelten 1/1, 23, Anm. 48. „Je nach Intention des Autors und dementsprechend nach der Funktion seiner Erzählung, aber auch aufgrund unbewußter Erfahrungsextrapolationen aus der Erzählgegenwart in die erzählte Vergangenheit tragen und erhalten deshalb die einzelnen kognitiven Teilstrukturen einer Erzählung unweigerlich Züge und Färbungen dieser Erzählgegenwart selbst“ (Hardmeier, Prophetie, 37). Ohne dies hier genauer ausführen zu können, sei beispielhaft verwiesen auf Hardmeiers These in Bezug auf die sog. ABBJ-

34

Grundlegung

Voraussetzung die Forderung Hardmeiers nach einer intersubjektiv überprüfbaren Vorgehensweise eine leichte Relativierung erfährt, so lässt er doch dem Eigenwert biblischer Texte neue Aufmerksamkeit zukommen. Mit seinem Ansatz leistet er nicht nur einen entscheidenden Beitrag zur Methodendiskussion, sondern bietet auch brauchbare und sinnvolle Vorschläge zu exegetischen Verfahrensweisen an.

1.3.5 Erhard Blum: Das „israelitische Paradigma“ des Erzählens Erhard Blum hat in verschiedenen Beiträgen die Unterscheidung biblischer Erzähltexte von historiographischen Texten und fiktionaler Literatur maßgeblich in der Textgrammatik ermittelt. In seiner Bestimmung der Besonderheit biblischen Erzählens nimmt er seinen Ausgang bei den in der Moderne vorfindlichen Kategorien der Historiographie einerseits und der ‚schönen Literatur‘ andererseits. Blum zeigt auf, dass eine unmittelbare Anwendung sowohl der einen wie der anderen Kategorie auf biblische Erzähltexte letztlich anachronistisch ist und der Eigenart biblischer Erzähltexte nicht gerecht wird. Vielmehr handle es sich bei biblischen Erzähltexten um verschriftetes Erzählgut im Modus traditionalen Erzählens. Blum bezeichnet die besondere Art und Weise biblischen Erzählens als „israelitische[s] Paradigma“.83 Solches Erzählen könne nicht als Histographie vereinnahmt werden. Zugleich hält er aber fest, dass es sich um „Mitteilungsliteratur mit Geltungsanspruch“84 handelt, und solche könne nicht als Literatur vereinnahmt werden. Blum nimmt in zwei Beiträgen, Ein Anfang der Geschichtsschreibung? Anmerkungen zur sog. Thronfolgegeschichte und zum Umgang mit Geschichte im alten Israel (1996) und zuletzt in Historiographie oder Dichtung? Zur Eigenart alttestamentlicher Geschichtsüberlieferung (2005) seinen Ausgang bei einer kritischen Auseinandersetzung mit einer klassischen These Gerhard v. Rads, die besagt, bei der Thronfolgegeschichte handle es sich um alte Geschichtsschreibung, genauer: um den Beginn historiographischen Schreibens überhaupt.85 Blum stellt eine solche Zuordnung dieses und anderer biblischer Erzähltexte zur Geschichtsschreibung in Frage. Von grundlegender Bedeutung ist dabei der Vergleich mit der frühen griechischen Geschichtsschreibung, in der Blum (mit anderen) das neuzeitliche Verständnis von Historie und Historio-

83 84 85

Erzählung (Erzählung von der assyrischen Bedrohung und der Befreiung Jerusalems; 2Reg 18,9f.*13-19,37*), die sich aus solcher Vorannahme ergeben kann: „Die thematische Geschichte der ABBJ-Erzählung von der Bedrohung und Befreiung Jerusalems ist in ihrer Gesamtanlage primär an einer aktuellen Problem- und Erfahrungskonstellation der Erzählgegenwart orientiert und nicht am historischen Geschehen von 701. Sie ist deshalb als fiktive Geschichte mit historischem Anspruch zu betrachten“ (ebd., 167). Blum, Anfang, 14-20, und Historiographie, 72-75. Blum, Historiographie, 75. So vertreten in seinem Aufsatz Der Anfang der Geschichtsschreibung im Alten Israel (1944); vgl. auch die Ausführungen zu G.v. Rad im Abschnitt 4.2.

1. Einführung in den Problemhorizont

35

graphie wesentlich vorgezeichnet sieht. Den entscheidenden Unterschied zwischen den frühen griechischen Geschichtsschreibern und der biblischen Überlieferung (zwischen denen er durchaus inhaltliche und kompositionelle, z.T. auch entstehungszeitliche Entsprechungen sieht) bestimmt er dahingehend, dass es sich um grundsätzlich voneinander „verschiedene Kommunikationsformen“86 handle. Dies spiegle sich besonders im Verhältnis von Autor und Rezipienten zum Text, d. h. in der Pragmatik der Texte wider. Mit exemplarischem Verweis auf die Proömien von Hekataios von Milet und Herodot von Halikarnassos zeigt Blum auf, dass zum Wesen einer historiographischen Darstellung ein auktoriales Ich gehört, mit dem sich der Historiograph nicht nur aus seiner Darstellung heraus zu erkennen gibt, sondern das kritische Verhältnis seiner Darstellung zum Dargestellten (bzw. zu den jeweiligen Quellen) thematisiert und damit zugleich seinen Rezipienten die Möglichkeit zu kritisch distanziertem Urteil eröffnet. Demgegenüber betont Blum, dass der biblische Erzähler sich im Paradigma traditionalen Erzählens bewege. Von daher erkläre sich der verschiedentlich früher schon festgestellte Befund, dass in biblischen Erzähltexten kein erzählendes Ich greifbar sei. Solches Erzählen, das Blum das „israelitische Paradigma“ nennt, sei ein ganzheitliches Erzählen, „das keine Distanzierung von Kommunikanten und Text, von Darstellung und Wirklichkeit vorsieht“.87 Damit bleibe auch – anders als bei der Historiographie – die kritische Rückfrage an das Erzählte und dessen Authentizität aus. So hätten Angehörige der traditionalen Erzählgemeinschaft solchen Texten auch einen Geltungsanspruch zugeschrieben: „Zugleich impliziert dieses Zurücktreten des Autors hinter bzw. in seinen Text dessen ‚un-mittelbaren‘ Geltungsanspruch, der sich eben nicht über das vorgeschaltete urteilende Subjekt des Erzählers vermittelt präsentiert. Auf Seiten der intendierten Rezeption entspricht dem eine ‚ganzheitliche‘ Hermeneutik, die elementar auf Identifikation, Einverständnis etc. ausgerichtet ist.“88 Biblische Überlieferung habe also Anspruch auf Wahrheit; zugleich sehe traditionales Erzählen aber keinen Widerspruch von kunstvoller Textgestaltung und Wirklichkeitsdarstellung. Von hier aus ergebe sich auch ein kritischer Blick auf die Beschreibung dieser Art des Erzählens als „poetische Erzählungen“; dies markiere „immer schon den Außenstandpunkt des neuzeitlichen Interpreten.“89 An dieser Stelle ist die pointierte Formulierung Blums eines grundsätzlichen Problems der Anwendung literaturwissenschaftlicher Fragestellungen auf biblische Erzähltexte hervorzuheben: Es scheint mir eine Grundproblematik mancher der sog. literaturwissenschaftlichen Ansätze in der Exegese zu sein, dass sie diesen elementaren Zusammenhang überspringen und das Modell autonomer Kunst auf die biblischen Texte projizieren.90

Blum insistiert auf der Unterscheidung zwischen „Poetizität“ als semantischer Kategorie und „Fiktionalität“ als textpragmatischer Kategorie und stellt 86 87 88 89 90

Blum, Historiographie, 73. Blum, Anfang, 16. Blum, Historiographie, 73. Blum, Anfang, 23. Ebd.

Grundlegung

36

heraus, dass von Merkmalen der Poetizität nicht auf einen im neuzeitlichen Sinne literarischen Charakter einer biblischen Erzählung geschlossen werden könne. Innerhalb dieses Modells sind biblische Erzähltexte nach Blum weder Literatur im Sinne fiktionaler, autonomer Kunstwerke noch Historiographie, sondern ein Drittes: Literatur, die dem allgemeinen traditionalen Erzählen entspricht und dabei Anspruch auf Wahrheit hat und zugleich kunstvoll ausgestaltet ist.91

1.3.6 Zusammenfassung und Ausblick Der Vergleich zwischen Clines und Stendahl zeigt, dass hinter einer Rede von Bibel als Literatur überaus unterschiedliche Konzepte stehen können; während Stendahl auf dem normativen Anspruch der Bibel insistiert, lehnt Clines die Kategorien „Anspruch“ und „Intentionalität“" für eine Interpretation biblischer Texte dezidiert ab. Als eine der Aufgabenstellungen ergibt sich hieraus die Notwendigkeit, die jeweils präsupponierten Grundansichten sog. literarischer Betrachtung biblischer Erzähltexte zu ermitteln. Die Forderung, biblische Erzähltexte in ihren spezifischen kommunikationspragmatischen Zusammenhängen zu sehen, wie sie von Hardmeier und Blum vertreten wird, drängt überdies zu einer umfassenden kritischen Reflexion von solchen literarischen Zugangsweisen, die ebendiese Aspekte der kommunikativen Einbettung biblischer Erzähltexte übergehen, indem sie die Bibel als autonomes literarisches Kunstwerk interpretieren – wie dies etwa ausgeprägt bei Clines und – bedingt – auch bei Utzschneider der Fall ist. Damit ist hinreichend deutlich, dass es in der Diskussion der literaturwissenschaftlichen Zugänge zu biblischen Texten primär nicht um die Angemessenheit eines bestimmten methodischen Instrumentariums geht, sondern um den adäquaten Textbegriff. Die breite Aufgabenstellung, die sich hieraus ergibt, liegt in der methodologischen Reflexion der – den Ansätzen jeweils zugrundeliegenden – Konzeptionen von Produktion und Rezeption biblischer Erzähltexte begründet. Dies fordert zu einer eingehenderen Betrachtung dieser Parameter und der mit ihnen verbundenen Kategorien heraus. Entsprechend bietet es sich an, zunächst Problemstellungen der literaturwissenschaftlichen und kommunikationspragmatischen Diskussion zu erörtern. In die Betrachtung müssen – neben dem, was Erzählung sei – vor allem die Begriffe „Poetizität“ und „Fiktionalität“, die Frage nach der Intentionalität sowie nach Rezipientenkonzeptionen betrachtet werden. Dies muss dann insbesondere im Hinblick auf mögliche Unterschiede zwischen literarischer und nichtliterarischer Kommunikation reflektiert werden.

91

Vgl. des weiteren Blum, Historiographie oder Dichtung? und dens., Notwendigkeit und Grenzen historischer Exegese – Plädoyer für eine alttestamentliche „Exegetik“, bes. der Abschnitt Eine Fundamentalalternative: biblische Texte als autonome Literatur? 28-33. In diesen Beiträgen präfiguriert Blum auch die grundlegenden Fragen nach der spezifischen Textpragmatik biblischer Erzähltexte.

2.

Literaturwissenschaftliche und kommunikations-theoretische Kategorien und Konzeptionen

Eine Diskussion um die Angemessenheit literaturwissenschaftlicher Zugänge zu biblischen Texten kann auf die Beschreibung und Klärung einschlägiger fachwissenschaftlicher Kategorien und Distinktionen der Literaturwissenschaft nicht verzichten. Deshalb beschäftigt sich dieses Kapitel mit grundlegenden literaturwissenschaftlichen Konzeptionen und Kategorien. Zunächst werden Grundrichtungen der Literaturtheorie dargestellt, die direkt oder indirekt auch neuere literarische Zugänge zum AT prägen. Vorgestellt werden – in forschungsgeschichtlicher Abfolge – Formalismus (3.1.1), Werkinterpretation und New Criticism (3.1.2), Strukturalismus (3.1.3) und schließlich Rezeptionsästhetik sowie Reader-Response Criticism. Daran schließt sich ein Abschnitt über Grundfragen der Erzählkommunikation an. Den Anfang macht der Begriff der „Erzählung“ selbst (3.2.1). Als hilfreich für eine definitorische Bestimmung werden sich hier insbesondere terminologische Differenzierungen von Gérard Genette erweisen. Es folgen sodann – unter den Stichworten Erzählzwang/Erzählökonomie und Ordnung des Diskurses – grundlegende Beschreibungskategorien von Erzählung, die sowohl auf literarisches wie auf nicht-literarisches Erzählen anwendbar sind (3.2.2). Sodann wird die Unterscheidung von Text und Diskurs im linguistischen Sinne zur Ausführung kommen (3.2.3). Weil für die vorliegende Fragestellung die Distinktion von literarischem und nicht-literarischem Erzählen wesentlich ist, ist dem ein eigener Abschnitt gewidmet. Einführend werden Merkmale mittelbarer und unmittelbarer Mitteilung herausgestellt (3.3.1). Sodann wird das Merkmal der Poetizität als ästhetische Kategorie (3.3.2) und die Fiktionalität als textpragmatische Kategorie (3.3.3) betrachtet. Diese beiden Begriffe werden sich für die Bewertung literaturwissenschaftlicher Ansätze in der Exegese als besonders wichtig erweisen.

2.1

Literaturtheoretische Grundrichtungen

Die Literaturwissenschaft hat in ihrer Geschichte eine ganze Reihe von verschiedenen literaturtheoretischen Konzeptionen hervorgebracht, die zum Teil sehr unterschiedliche Gewichtungen für die Literaturbetrachtung setzen. Nun kann im Rahmen unserer Fragestellung nach literaturwissenschaftlichen Ansätzen in der Interpretation biblischer Erzählungen keine umfassende Darstellung der Geschichte literaturwissenschaftlicher Schulen erfolgen, vielmehr muss hier eine gewisse Auswahl getroffen werden. Die Konzentration auf Formalismus, Werkinterpretation/New Criticism, Strukturalismus und Rezeptions-

Grundlegung

38

ästhetik/Reader-Response Criticism folgt dabei hauptsächlich zwei Kriterien. Zum einen haben diese Strömungen paradigmatischen Charakter; es kann an ihnen gezeigt werden, was als jeweiliges Proprium der Literaturbetrachtung gilt, welche Rolle die Grundkonstituenten der Erzählkommunikation jeweils spielen und welchen Voraussetzungen die einzelnen Größen unterliegen. Zum anderen spielen diese Literaturtheoretien für die Betrachtung der Literary Approaches eine wichtige Rolle, sei es, dass diese direkte Anleihen an diesen Schulen nehmen, oder dass sie – ohne unmittelbaren Rekurs auf sie – Konzeptionen vertreten, die mit diesen vergleichbar sind. Poststrukturalistische und dekonstruktivistische Ansätze spielen in den vergangenen Jahren für den Literary Approach eine zunehmend größere Rolle. Sie wären eine eigene umfassende Untersuchung wert und bleiben daher hier ausgespart.

2.1.1 Formalismus Die literaturkritische Richtung des Formalismus1 wandte sich insbesondere gegen außerliterarische Betrachtungen unter Berücksichtigung biographischer, soziologischer, psychologischer, theologischer etc. Faktoren, die die sog. Positivistische Literaturwissenschaft2 dominiert hatten. Der Positivismus war in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s die vorherrschende Strömung in der Literaturwissenschaft. Die positivistische Literaturtheorie war in besonderem Maße an der Entstehungsgeschichte literarischer Texte interessiert. Sie suchte nach Einflüssen, Vorbildern und Parallelen (Stoff- und Motivgeschichte). Ihr besonderes Interesse galt empirischen Fakten und historischen Kausalitäten; sie brachte dabei umfangreiche und genaue Dichterbiographien hervor. Sie erklärte die Literaturgeschichte aus Gesetzmäßigkeiten (etwa Epochenwechsel). Der Formalismus hingegen sieht das Spezifikum von Literatur darin, dass der literarischen Sprache eine andere kommunikative Rolle als der Alltagssprache zukommt. Poetische Sprache sei, anders als in der außerliterarischen Sprache, „autonom“, „autotelisch“ oder „desautomatisiert“. In formalistischer Sicht werden in literarischer Sprache gewohnte Reihenfolgen und Semantiken durchbrochen, woraus „literarische“ Mehrdeutigkeit und Unbestimmtheit entsteht; literarische Sprache hat damit einen Komplexitätsüberschuss gegenüber der Alltagssprache. Nach Roman Jakobson liegt die spezifische Funktion poetischer Sprache in ihrer Selbstreferenzialität. In der Literatur sei die „Zentrierung auf die Sprache um

1

2

Vgl. hier bes. Zapf, Literaturtheorie, 128-136. Der Begriff „Formalismus“ bezieht sich zunächst auf den sog. Russischen Formalismus, eine literaturwissenschaftliche Richtung im ersten Drittel des 20. Jh.s. Weil diese Schule viele Analogien und z.T. ihre Fortsetzung im Prager Strukturalismus findet, soll auch dieser hier mitbetrachtet werden. Andere, wie etwa Koppe, Grundbegriffe, 27ff., ordnen hingegen den Prager Strukturalismus dem allgemeinen Strukturalismus (vgl. 2.1.3) zu. Vgl. den Überblick „Positivistische Literaturwissenschaft“ von Dieter Gutzen, Einführung, 140-163. Vgl. auch den Art. „Positivismus“, Wilpert, Sachwörterbuch, 701.

2. Literaturwissenschaftliche Kategorien und Konzeptionen

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ihrer selbst willen“3 besonders ausgeprägt. Solche poetische Sprache verweise nicht über sich hinaus, sondern richte ihre Aufmerksamkeit auf sich selbst. Diese Gewichtung poetischer Sprache führt schließlich zu einer „Deviationsästhetik“: Für den Formalisten wird besondere Widerständigkeit des Sprachgebrauchs entgegen der Alltagssprache oder besondere semantische Abweichung vom gewohnten Sprachgebrauch nach dem Prinzip der Entautomatisierung geradezu zum Qualitätsmerkmal für gute Literatur. Für unsere Fragestellung gilt es auf jeden Fall festzuhalten, dass der Nachweis poetischer Sprache in formalistischer Sicht einen Text als „Literatur“ kennzeichnet; inwieweit dieser Schluss ohne weiteres zulässig ist, wird noch zu prüfen sein.

2.1.2 Werkinterpretation und New Criticism Auch die deutsch-schweizerische „Werkinterpretation“4, als deren Begründer der Züricher Literaturwissenschaftler Emil Staiger gilt,5 ist – wie der formalistische Ansatz – als Gegenbewegung zu biographischer und psychologisierender Literaturbetrachtung zu verstehen. Literarische Werke sind in der Sicht der Werkinterpretation autonome Kunstwerke, deren entstehungsgeschichtliche Seite nicht als relevant für die Interpretation gesehen wird. So formuliert Wolfgang Kayser in Das sprachliche Kunstwerk (1948): „Das sprachliche Kunstwerk lebt als solches und in sich.“6 Der Werkinterpretation geht es in erster Linie um eine von extrinsischen Aspekten unabhängige werkimmanente Auslegung von Literatur. Für den literarischen Kunstcharakter spielen besonders die Konzepte von Einheit und Stil eine große Rolle. Emil Staiger nennt als Kriterium für gute Literatur die Einheit auf allen Ebenen eines literarischen Werkes bzw. auf allen Ebenen literarischen Schaffens. Diese Einheit bezeichnet Staiger auch als Stil: Wir nennen Stil das, worin ein vollkommenes Kunstwerk – oder das ganze Schaffen eines Künstlers oder auch einer Zeit – in allen Aspekten übereinstimmt. (…) Im Stil ist das Mannigfaltige eins. Er ist das Dauernde im Wechsel. (…) Kunstgebilde sind vollkommen, wenn sie stilistisch einstimmig sind.7

Aufgabe der Interpretation – nach Sicht der Werkinterpretation – ist es nun, diesen Stil aufzuzeigen. In der Interpretation eines literarischen Werks wird nachgezeichnet, wie Merkmale verschiedener Ebenen wie Aufbau, Reim, Wortwahl, Morphematik, Klang etc. zu einem geschlossenen Ganzen verbunden sind. Eine solche Interpretation basiert auf einem zirkulären Verstehen, d. h. sie steht in der Tradition der Hermeneutik. Daher wird die Werkinterpretation auch häufig mit dem Begriff „literarische Hermeneutik“ gefasst.

3 4 5 6 7

Jakobson, Linguistik und Poetik, 151. Vgl. hierzu die Einleitung von Jürgen H. Petersen in: Gutzen, Einführung, 126-139. Die Grundbegriffe der Poetik, 1946, und: Die Kunst der Interpretation, 1955. Kayser, Kunstwerk, 397. Staiger, Interpretation, 14.

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Grundlegung

Der Werkinterpretation entspricht im angloamerikanischen Bereich der sog. New Criticism8, deren Wegbereiter ursprünglich zunächst literaturpsychologische, d. h. rezeptionsorientierte Interessen verfolgte: Im Rahmen der zunehmenden Akademisierung der Literaturkritik mit dem Interesse einer stärkeren wissenschaftlichen Fundierung der Disziplin untersuchte I.A. Richards in den 20er Jahren in Literaturkursen in Cambridge systematisch die Reaktionen von Literaturstudenten auf ihnen unbekannte literarische Texte. Weil die studentischen Reaktionen überaus große Unterschiede in der literarischen Kompetenz der Studenten aufzeigte, was Richards auf einen Mangel an einer Basis verbindlicher Standards zurückführte, forderte er als Konsequenz – für eine propädeutische Interimsphase – die Beschränkung auf eine genaue Beobachtung und Beschreibung der Texte unter Vernachlässigung extrinsischer (biographischer etc.) Aspekte. Damit entstand nicht nur die Methode des close reading, die sein Schüler F.R. Leavis weiter ausbaute, sondern Richards wurde – unbeabsichtigt – zum Wegbereiter für die Literaturtheorie des New Criticism, indem seine Übergangsforderung sich verselbständigte und zur Maxime erhoben wurde.9 Passend zur Fokussierung auf werkimmanente Aspekte literarischer Werke gewannen Textbeobachtungsprinzipien des oben skizzierten Formalismus, besonders vermittelt durch die beiden USA-Emigranten René Wellek aus Prag und Roman Jakobson aus Moskau, für die angloamerikanische Literaturwissenschaft an Bedeutung. So hielt William Empson, ebenfalls Richards-Schüler – in Aufnahme formalistischer Ansichten – Ambiguität für das Spezifikum von Literatur. In Seven Types of Ambiguity (1930 und 1947)10 stellt er dar, wie eindeutige Sprachbedeutungen durch Ironie, Paradoxie etc. mit Mehrdeutigkeit geladen werden. Für Empson verweisen literarische Aussagen nur scheinbar auf eine außertextuelle Welt und sind als solche Als-Ob-Aussagen. Ein literarisches Werk besteht demnach aus einem Gesamtsystem zusammengehöriger Aussagen. Die Textwelt wird durch ein Höchstmaß an sprachlicher Bedeutungsintensität und struktureller Komplexität gebildet. Diese in sich autonome Struktur käme ohne außertextuelle Referenz aus. Sie müsse daher auch ganz unabhängig von einem Bezug auf außersprachliche Wirklichkeit für sich betrachtet werden. Dabei gilt als wichtiges methodologisches Grundprinzip, den Text in seiner Einzigartigkeit wahrzunehmen. Nach John Crowe Ransom11 beziehen sich in einem literarischen Text zwei Ebenen aufeinander: die der Struktur und die der Textur. Struktur bezeichnet bei ihm die signifikanten und denotativen Aspekte der Sprache und damit den paraphrasierbaren logischen Gehalt des Textes. Textur ist dann die für Literatur besonders kennzeichnende und sie von nichtliterarischen Texten abgrenzende konnotative Seite der Sprache, die nicht paraphrasiert werden kann. 8 9

10 11

Vgl. zum gesamten Abschnitt bes. Zapf, Literaturtheorie, 147-154. Beide Begriffe werden nicht selten auch synonym gebraucht; genau genommen bezeichnet aber New Criticism eher die Schulrichtung und „close reading“ eine Methode, die nicht auf eine bestimmte Schule festgelegt ist. Empson, William, Seven types of ambiguity, New York 1947 (rev. from British 1930 edition). Vgl.die Darstellung bei Zapf, Literaturtheorie, 150f.

2. Literaturwissenschaftliche Kategorien und Konzeptionen

41

Das Gedicht, so Ransom, ist wie ein Haus. Seine Struktur ist der Rohbau, seine Textur sind die Farben, die Einrichtung, die äußere Ausgestaltung etc. Und es ist die Textur, die die poetische Sprache von nichtpoetischer, insbesondere von wissenschaftlicher Sprache unterscheidet.12

In der späteren Entwicklung des New Criticism führte die zunehmende Konzentration auf formale und stilistische Merkmale literarischer Texte zu einer Vernachlässigung inhaltlicher Aspekte. Eine solche Engführung findet sich ausgeprägt bei Cleanth Brooks, einem späten, bis in die 60er Jahr stark rezipierten Vertreter des New Criticism, dessen Ansatz so zusammengefasst werden kann: „Die Essenz eines Textes ist seine Form.“13 Werkorientierte Literaturbetrachtung, wie sie in der Werkinterpretation und dem New Criticism betrieben wird, ist vom Interesse geleitet, objektive Verfahren der Literaturbetrachtung zu entwickeln und zu erproben; dem entspricht die methodische Vorentscheidung, sich allein auf den vorliegenden Text zu konzentrieren. Beobachtete Dissonanzen und Ambivalenzen im Text werden dann, unter Annahme übergeordneter, einheitskonstituierender Strukturprinzipien, „integrativ“ interpretiert. Dabei sollen zugleich die Besonderheiten einzelner literarischer Werke zur Geltung kommen. Für die werkorientierte Interpretation spielt die Kategorie des Autors keine Rolle mehr. Dieser ist seit dem Aufsatz The Intentional Fallacy (1946) von William K. Wimsatt und Monroe C. Beardsley in Frage gestellt.14 Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom „Tod des Autors“.15 Es ist nun nicht mehr der Autor, der als sinnkonstituierende Größe gesehen wird. Vielmehr wird dem literarischen Text selbst ein ihm innewohnender eigener Sinn zugeschrieben.16 Nach Wimsatt und Beardsley ist es darum konsequent der poetische Text selbst, der Gegenstand und Bezugsgröße der Interpretation sein müsse, nicht der Autor und dessen kommunikative Intention. Die Bedeutung des Textes sei von dessen Urheber unabhängig, wie auch der Text selbst: „It is detached from the author at birth and goes about the world beyond his power to intend about it or control it“.17 Wimsatt und Beardsley halten der bis dato traditionellen Sicht in der Literaturwissenschaft entgegen:18 Poesie müsse zum einen einer vom Autor unabhängigen kritischen Würdigung unterzogen werden. Es müsse zum andern überhaupt der Sinn einer Rückfrage an die Intention in Frage gestellt werden, denn wenn ein poetisches Stück gelungen sei, dann könne der Kritiker im Text 12 13 14 15

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17 18

Zapf, Literaturtheorie, 150. Vgl. die Darstellung bei Zapf, Literaturtheorie, 152ff.; Zitat S. 153. In: Dies., The Verbal Icon. Vgl. den gleichnamigen Essay von Roland Barthes: La Mort de l’auteur (1968). Es waren vor allem Barthes und Foucault, die später die Kritik von Wimsatt und Beardsley weiter entwickelten. Willem S. Vorster bezeichnet diese Wende als „Paradigmenwechsel“ in der Literaturwissenschaft: „In literary circles a shift in terms of a paradigm shift (…) has taken place through the years from interest in the author as the producer of the meaning of a text, to the text as something which has meaning quite apart from what the author intended, to the reader as the constructor of meaning“ (Vorster, Readings, 352). Wimsatt/Beardsley, Intentional Fallacy, 5. Vgl. ebd., 4f.

42

Grundlegung

selbst die Intention erkennen; sei es hingegen nicht gelungen, dann hätte der Ermittlungsversuch einer Intention anhand werksexterner Aussagen kaum noch etwas mit dem Stück zu tun.19 (3.) Poetik sei selbstfunktional, wenn es gelungene Poetik ist: „Poetry succeeds because all or most of what is said or implied is relevant; what is irrelevant has been excluded.“20 (4.) Wesentlicher als der Autor sei in jedem Fall der „dramatic speaker“.21 (5.) Das Werk habe sich bei seiner Entstehung vom Autor gelöst und sei jetzt unabhängig von ihm wirksam: „The poem belongs to the public.“22 Wimsatt und Beardsleys erachten die tatsächliche Absicht des Autors im Grunde als irrelevant für die Beurteilung des von ihm geschriebenen literarischen Textes. In dieser Linie argumentiert auch Ricœur in seinem Aufsatz Philosophische und theologische Hermeneutik (1974), in dem er eine semantische Autonomie des Textes, d. h. eine Lösung des Textes von Autor, von ursprünglichen Zuhörern und von ursprünglicher Referenz, herausstellt. Eine Absicht habe ein Autor nur einen kurzen Moment, die Textaussage lebe aber unabhängig vom Autor weiter; und die Wirkung dieses Textes werde durch Lösung vom Kontext vergrößert: [Es] macht die Schrift den Text gegenüber der Intention des Autors autonom. Was der Text bedeutet, fällt nicht mehr mit dem zusammen, was der Autor sagen wollte. (…) Dieselbe Entgrenzung gilt nun aber auch für den, der den Text aufnimmt.23

Mit dieser Sicht kehrten sich die Vertreter der Werkinterpretation und des New Criticism von der Frage nach einer intentio auctoris ab. Im New Criticism erfuhr dies mit der Tendenz zu einer Unbegrenztheit von Textauslegung ihre deutlichste Ausprägung. Besonders prominent hat sich später Umberto Eco für eine Wiederbegrenzung der Beliebigkeit von Interpretation eingesetzt. In seinem Aufsatz Interpretation und Geschichte wendet sich Eco mit dem Hinweis darauf, „daß die Rechte der Interpreten während der vergangenen Jahrzehnte zu stark betont wurden“24, gegen eine semiotische Entgrenzung in leserorientierter Interpretationspraxis. Dabei plädiert er für einen abgleichenden Rückbezug nicht auf eine intentio auctoris, sondern auf eine intentio operis: Man könnte einwenden, die einzige Alternative zu einer radikal leserorientierten Interpretationstheorie sei das Postulat, eine gültige Interpretation ziele stets auf die ursprüngliche Absicht des Autors. Doch (…) habe ich eine dritte Möglichkeit zwischen der Absicht des Autors (die kaum zu ergründen und oft für die Textinterpre-

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„If the poet succeeded in doing it, then the poem itself shows what he was trying to do. And if the poet did not succeed, then the poem is not adequate evidence, and the critic must go outside the poem – for evidence of an intention that did not become effective in the poem“ (ebd., 4). Ebd. Eine Größe, die sie nicht näher bestimmen lässt. Es macht aber den Eindruck, als meinten sie das, was Wolfgang Kayser mit seiner Unterscheidung von Autor und der im Werk begegnenden Erzählerstimme aufzeigen möchte. Vgl. Kayser, Wer erzählt den Roman? (1957). Wimsatt/Beardsley, Intentional Fallacy, 5. Ricœur, Hermeneutik, 28f. Eco, Zwischen Autor und Text, 29.

2. Literaturwissenschaftliche Kategorien und Konzeptionen

43

tation irrelevant ist) und der Absicht des Interpreten vorgeschlagen (…) Es gibt eine 25 Textintention.

Mit dieser Theorie zur Eigenintention literarischer Texte ersetzt er das Problem der Ergründung einer Autorenintention durch eine heimliche Anthropomorphisierung des literarischen Texts. Doch damit löst sich das Problem nicht wirklich, denn es bleibt fraglich, ob es tatsächlich eine Textintention unabhängig von einer Autorenintention geben kann.

2.1.3 Strukturalismus Der literaturwissenschaftliche Strukturalismus26 greift Grundeinsichten des New Criticism und zugleich des Formalismus auf und führt sie weiter. Vor allem französische Theoriemodelle des Strukturalismus wandten Ergebnisse solcher linguistischer Forschung auf Literatur an, die Sprache vorwiegend als ein Struktursystem von Zeichen auffasste und Kategorien zu ihrer Beschreibung erarbeitete. Als bedeutendste Primärquelle des Strukturalismus – wie auch schon des Prager Strukturalismus27 – kann Ferdinand de Saussure gelten, dem die Einführung einiger grundlegender Begriffe in die Linguistik zu verdanken ist: langue und parole zur Unterscheidung zwischen dem Sprachsystem als abstrakter Größe und der konkret angewandten Sprache; Synchronie und Diachronie, um Aspekte der Betrachtung einer vorfindlichen Sprache von solchen ihrer historisch-genetischen Vorstufen zu differenzieren,28 weiter die Begriffe Signifikant und Signifikat als Unterscheidung der beiden analytisch zu trennenden arbiträr verbundenen Größen von sprachlichem Zeichen und dem, was es bezeichnet; und schließlich Syntagma und Paradigma als Beschreibungskategorien für die Beziehung sprachlicher Elemente, Ersteres als Kombination von Elementen zu kohärenter sprachlicher Zeichenfolge, Letzteres als Selektionsmöglichkeit vergleichbarer sprachlicher Elemente. In der Tradition des Formalismus wandte einer der wichtigsten Vertreter des Strukturalismus, Roman Jakobson, die Begriffe Syntagma und Paradigma auf die Beschreibung der poetischen Funktion von Sprache an: Über die Bedeutung durch eine gewöhnliche syntagmatische Abfolge von sprachlichen Zeichen in der Alltagssprache hinaus hat poetische Sprache nochmals die Dimension paradigmatischer Bedeutungserweiterungen. Dies macht dann nach Jakobson die Literarizität und Poetizität eines Textes aus. Diese Sicht gilt heute weithin als Konsens.

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26 27 28

Eco, Zwischen Autor und Text, 30f. (Hervorhebung von Eco). Vgl. auch die Abschnitte Drei Intentionstypen in Eco, Grenzen, 35-39, sowie Intentio operis vs. intentio auctoris, 148-152. Vgl. bes. Zapf, Literaturtheorie, 155-165. Der Strukturalismus ist zunächst ein Verfahren der Linguistik und fand erst später Eingang in die Literaturtheorie. Vgl. Anm. oben. Vgl. auch Abschnitt 1.1.2 zu „Synchronie“.

44

Grundlegung

Vermittelt durch Robert Scholes, besonders durch dessen Einführung in den literarischen Strukturalismus in englischer Sprache29, und Jonathan Culler, der strukturalistische Erkenntnisse systematisch zur Anwendung brachte30, löste der Strukturalismus auch im angloamerikanischen Bereich den bis dahin dominanten New Criticism mehr und mehr ab.

2.1.4 Rezeptionsästhetik/Reader-Response Criticism In der Rezeptionsästhetik31 rückt der Leser und die Leserin ins Blickfeld literaturwissenschaftlicher Ansätze, und das als konstitutive Größe in der Kommunikation literarischer Werke. Der „Tod des Autors“ führte zur „Geburt des Lesers“, und dieser ist der „Zielpunkt“ des literarischen Textes, wie es Roland Barthes ausdrückte.32 Bedeutung wird nun nicht mehr im Werk an sich verortet, sondern wird maßgeblich der Leseraktivität zugeordnet. Wolfgang Iser formuliert: Bedeutungen literarischer Texte werden überhaupt erst im Lesevorgang generiert; sie sind das Produkt einer Interaktion von Text und Leser und keine im Text versteckten Größen, die aufzuspüren allein der Interpretation vorbehalten bleibt.33

Damit wird die Rezeptionsästhetik zugleich auch zur Interpretationskritik. Die Rezeptionsästhetik und der Reader-Response Criticism sind insbesondere mit den Namen Stanley Fish, Hans-Robert Jauß und Wolfgang Iser verbunden, die seit den späten 60er und vor allem in den 70er Jahren maßgeblich zu deren theoretischen Grundlegung beigetragen haben. (1) Jauß gilt als einer der führenden Theoretiker der Rezeptionstheorie. Bereits in seinem Aufsatz Literaturgeschichte als Provokation (1970), der auf seine 1967 gehaltene Antrittsvorlesung in Konstanz zurückgeht, und der als Wegmakierung zur Rezeptionsästhetik gilt, gebraucht Jauß den Begriff „rezeptionsästhetische Theorie“. In seinem späteren grundlegenden Werk Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik (1982), besonders in dessen dritten und letzten Teil, spielt dann der Begriff des ästhetischen Erwartungshorizonts und dessen Wandel eine große Rolle: Der Sinn, den der historisch ferne Text für uns wiedergewinnen kann, entfaltet sich nicht allein aus Implikaten seines ursprünglichen Horizonts, sondern in gleichem Maße aus dem späteren Horizont der Erfahrung des Interpreten.34 29 30 31 32

33

Scholes, Structuralismus. Z. B. Culler, Poetics. Vgl. bes. Zapf, Literaturtheorie, 180-188. Vgl. Barthes, Tod 193: „Die Einheit eines Textes liegt nicht in seinem Ursprung, sondern in seinem Zielpunkt (…). Die Geburt des Lesers ist zu bezahlen mit dem Tod des Autors.“ Iser, Appellstruktur, 7. Problematisch an einer solchen Aussage ist, dass dadurch suggeriert wird, es gäbe den Text unabhängig von seiner Bedeutung/seinen Bedeutungen, d. h. den Text als feste, gegebene Größe, der eine Bedeutung (erst) zuzuordnen ist (vgl. 2.2.3).

2. Literaturwissenschaftliche Kategorien und Konzeptionen

45

Jauß geht es dabei aber noch um einen Dialog mit Literatur, der zur Korrektur und Erweiterung des eigenen Horizonts beitragen soll.35 Daran misst sich für Jauß dann auch die Qualität von Literatur: Je weniger ein literarisches Werk den Leser/die Leserin zum Horizontwandel herausfordere, desto trivialer sei es.36 (2) Wolfgang Iser gehört, wie Jauß, zur sog. Konstanzer Schule. Iser untersucht ausführlich das Verhältnis des Lesers oder der Leserin zu fiktionaler Literatur. Zu seinen Grundannahmen gehört, dass Darstellungen imaginärer Welten in literarischen Texten schematisiert, schemenhaft, unvollständig und mit Unbestimmtheiten versehen sind, die jeweils die Leseraktivität stimulieren. So komme es zu einer Differenz zwischen den expliziten Aussagen literarischer Texte und den Konnotationen, an deren Größe und Stimulationskraft sich für Iser auch die literarische Qualität entscheidet. Literarischen Texten sei eine Appellstruktur einkomponiert; die charakteristische Leseraktivität, die solchen Appellstrukturen folge, fasst er in den Begriff „impliziter Leser“. Dabei hält Iser fest, dass jede(r) konkrete Leser/Leserin die vorgegebene „Partitur“ auf verschiedene Weise verwirklicht. Den Begriff des „impliziten Lesers“37 entwickelte Wolfgang Iser 1972 im Rahmen von Überlegungen zur „Theorie literarischer Wirkung“38. Dieser Begriff bezeichnet bei Iser weder einen konkreten Leser bzw. eine konkrete Leserin noch ein Leserkonstrukt, sondern vielmehr ein textimmanentes Rollenangebot: Das Konzept des impliziten Lesers ist ein transzendentales Modell, durch das sich allgemeine Wirkungsstrukturen fiktionaler Texte beschreiben lassen. Es meint die im Text ausmachbare Leserrolle, die aus einer Textstruktur und einer Aktstruktur 39 besteht.

Isers Konzept steht im Interessenhorizont rezeptionsorientierter Interpretation von Literatur; er entwickelt es am modernen Roman, der sich durch „Nähe zur empirischen Wirklichkeit seiner Leser“40 auszeichnet, und in dem „die Sinnkonstitution des Textes zu einer unverkennbaren Aktivität des Lesers wird.“41 Iser legt also fiktionale Literatur zu Grunde, deren Produktion in zeitlicher, 34 35

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Jauß, Ästhetische Erfahrung, 670. „Zu einem Dialog gehören nicht allein zwei Gesprächspartner, sondern auch die Bereitschaft, den anderen in seiner Andersheit zu erkennen und anzuerkennen … Literarisches Verstehen wird erst damit dialogisch, daß die Alterität des Textes vor dem Horizont der eigenen Erwartung gesucht und anerkannt, daß nicht eine naive Horizontverschmelzung vorgenommen, sondern die eigene Erwartung durch die Erfahrung des anderen korrigiert und erweitert wird.“ Jauß, Ästhetische Erfahrung, 671. Vgl. Jauß, Literaturgeschichte, 178. Vgl. Iser, Der implizite Leser, pointiert aufgenommen und weitergeführt in: ders.: Der Akt des Lesens, bes. Leserkonzepte und das Konzept des impliziten Lesers, 50-67. Ähnlich ist der Begriff des „intendierten Lesers“ zu verstehen, den Erwin Wolff mit seinem gleichnamigen Beitrag Der intendierte Leser in Unterscheidung zum „realen Leser“ eingeführt hat. Bei Wolff ist der Begriff nicht auf einen real vorgestellten Adressaten bezogen, sondern er bezeichnet damit eine abstrakte Größe, die sich als „Leseridee (…) im Geiste des Autors bildet“ (Wolff, Leser, 166). Iser, Leser, 7f. Iser, Akt, 66. Iser, Leser, 7. Ebd.

Grundlegung

46

kultureller und lebensweltlicher Nähe zu ihren Rezipienten steht. Der Leser, dem die im Roman verhandelten sozialen und historischen Normen vertraut sind, soll deren abweichende Behandlung innerhalb des Romans erkennen. Die Abweichung entsteht nach Iser dadurch, dass Normen innerhalb fiktionaler Literatur entpragmatisiert werden und ihre Rolle als Regulative verlieren, indem das von ihnen Bewirkte im fiktionalen Kontext zur Diskussion gestellt wird, und zwar meist dadurch, dass die Normen hinterfragt werden. Für den Leser bedeutet dies, dass „dessen Aktivität insoweit beansprucht wird, als er die vom bekannten Horizont sich abkehrende Zielrichtung des Romans als dessen Sinn konstituieren muß“.42 Zwischen implizitem und konkretem Leser bleibt nach Iser immer eine Differenz. Der implizite Leser ist gleichsam die „Rolle“, die dem wirklichen Leser vom Text her angeboten bzw. aufgedrängt wird, und zu der er einen Standpunkt beziehen muss: Als Rollenangebot des Textes ist das Konzept des impliziten Lesers keine Abstraktion von einem wirklichen Leser, sondern eher die Bedingung einer Spannung, die 43 der wirkliche Leser erzeugt, wenn er sich auf die Rolle einläßt.

In dem Rollenangebot des Textes wird der Leser also aufgrund seiner eigenen Dispositionen und Vorverständnisse nie aufgehen können (und auch nicht sollen). Die Leserrolle kann immer nur „selektiv realisiert“ werden, wobei sich aber jede Realisierung „immer vor dem Hintergrund der im Text parat gehaltenen Wirkungsstrukturen“ vollzieht.44 Es gibt nach Iser also ein untrennbares Zusammenspiel der vom Text vorgegebenen affektiven Wirkungsstrukturen („Textstruktur“) und deren (partielle) Einlösung bzw. Übersetzung im Leser („Aktstruktur“): Das Konzept des impliziten Lesers umschreibt daher einen Übertragungsvorgang, durch den sich die Textstrukturen über die Vorstellungsakte in den Erfahrungshaus45 halt des Lesers übersetzen.

(3) Ein dritter Vertreter des rezeptionsorientierten Literaturansatzes, der von Vertretern literaturwissenschaftlicher Ansätze an biblischen Erzähltexten breit rezipiert wurde, ist Stanley Eugene Fish. Er steht Pate für die amerikanische Variante der Rezeptionsästhetik, dem Reader-Response Criticism. Fish, einer der bekanntesten amerikanischen Literaturtheoretiker, wendet sich in den ausgehenden 60er Jahren gegen eine Überbewertung der inhärenten Bedeutung literarischer Werke, und betont, dass die persönliche Reaktion des Lesers/der Leserin bei der Lektüre eines literarischen Werkes ein wesentlicher Aspekt der Bedeutungskonstitution selbst ist. Diese Überlegungen führte er zunächst in einer Vorlesung über Miltons Paradise Lost aus, die 1967 in die Schrift Surprised by Sin: The Reader in Paradise Lost mündete. Die aktive Leserbeteiligung, die Fish hier herausstellt, ist begrifflich in der Bezeichnung Reader-Response Criticism gefasst. Später gelangt Fish zu der subjektivistischen Sicht, ein literarisches 42 43 44 45

Ebd., 8. Iser, Akt, 64. Ebd., 56. Ebd., 67.

2. Literaturwissenschaftliche Kategorien und Konzeptionen

47

Werk sei letztlich Produkt seines Lesers/seiner Leserin, und die Interpretationsbreite eines solchen Kunstwerkes werde von den sog. „interpretive communities“ festgelegt. Betrachten wir zunächst die frühen Überlegungen Fishs zur Leserbeteiligung im Prozess des Lesens, die er in seiner Schrift Literature in the Reader. Affective Stylistics (1970)46 darlegte. Unter dem Begriff einer „affektiven Stilistik“ analysiert Fish die Leseerfahrung, die ein Leser/eine Leserin bei einem streng linearen und ggf. verlangsamten Verlauf der Textrezeption macht, und bei der im Leser/in der Leserin sukzessive ein „Bedeutungserlebnis“ entfaltet wird. Die Kurzformel für diesen Zugang lautet: Der Text ist das, was er bewirkt. Als Rezipient bedarf es nach Fish hierzu des „informierten Lesers“.47 Dieser hat nach Fish eine Reihe von Voraussetzungen zu erfüllen: Der informierte Leser ist jemand, der 1. ein kompetenter Sprecher der Sprache ist, aus der der Text aufgebaut ist, 2. in vollem Besitz des ‚semantischen Wissens ist, (…) das ein erwachsener Leser (…) zu seiner Verstehensaufgabe mitbringt.‘ Dies schließt ein Wissen ein (erprobt durch die Erfahrung sowohl als Sprecher als auch als Verstehender) von lexikalischen Einheiten, Zusammensetzungsmöglichkeiten, idiomatischen Ausdrücken, fachspezifischen Dialekten, etc.; 3. über literarische Kompetenz verfügt.48

Der informierte Leser oder die informierte Leserin ist die Annäherung eines tatsächlichen Lesers, „der alles in seiner Macht Stehende tut, um sich zu informieren“49, und der damit einen idealen Leser/eine ideale Leserin darstellt. Im Interesse, einen Text möglichst gut verstehen zu können, müsse ein tatsächlicher Leser/eine tatsächliche Leserin, wenn er/sie unterschiedliche Literatur lese, die Positionen verschiedener informierter Leser/Leserinnen einnehmen, was ihm/ihr, je nach seinen/ihren Voraussetzungen, mehr oder weniger gut gelingen könne. Bei der Lektüre von Miltons Paradise Lost spiele es etwa eine Rolle, ob der Leser/die Leserin von religiösem oder atheistischem Interesse bestimmt sei: nach Fish kann man z. B. nicht einfach zeitweise eine religiöse Grundeinstellung einnehmen.50 In jedem Fall aber sei der „informierte Leser“ gewillt, in einem Prozess der Selbstbeobachtung durch die vom Text evozierten Reaktionen während des Lesevorgangs seine eigene Kompetenz zu steigern: In a peculiar and unsettling (to theorists) way, it is a method which processes its own user, who is also its only instrument. It is self-sharpening and what it sharpens is you. In short, it does not organize materials, but transforms minds.51

In einer späteren Phase seiner Wirksamkeit rückt für Fish der Einzelleser in den Hintergrund und die Rolle der reading community bei der Lektüre und Interpretation literarischer Werke in den Vordergrund. Wie der Einzelleser ein literarisches Werk interpretiere, ist nach Fish nun nicht mehr nur eine Sache 46 47 48 49 50

51

Später neu abgedruckt im Sammelband Is there a Text in this Class, S. 21-67. Fish, Literature/Literatur. Vgl. auch Iser, Akt 55-60 und Zapf, Literaturtheorie 187f. Fish, Literatur 215; das Zitat im Zitat stammt von Ronald Wardhaugh, Reading: A Linguistic Perspective. New York 1969, 92, vgl. Fish, Literatur 212f. Fish, Literatur 216. Vgl. Fish, Literatur 217. Fish, Literature 160f. zit. nach Iser, Akt 58.

Grundlegung

48

seiner individuellen Sichtweise, sondern hängt auch von der Lesergemeinschaft ab, der er angehört. Diese Position spiegelt sich in dem programmatischen Untertitel seiner Aufsatzsammlung Is There a Text in This Class? The Authority of Interpretive Communities, die 1980 erschien. Dargestellt hat er diese Position besonders in seinem Beitrag Interpreting the Variorum, der 1976 erschien.52 Ein Textverständnis konstituiere sich maßgeblich aus einem Diskurs verschiedener Einzelleser innerhalb einer soziologischen (z. B. einer religiösen) Bezugsgruppe. Diese community of readers lenkt die Auslegung, indem sie etwa die Auslegungsrichtung vorgebe oder der Auslegung Grenzen setzt, auch wenn solche eigentlich vom literarischen Text nicht vorgegeben sind. Solche Lesergemeinschaften geben also wesentliche Regulative für die Lektüre des einzelnen Lesers/der einzelnen Leserin. Je länger, je mehr, verschiebt Fish den Fokus wieder vom Leser zur Textproduktion. So schreibt er im Vorwort des 1980 erschienenen Sammelbandes: Indeed, it is interpretive communities, rather than either the text or the reader, that produce meanings (…) Interpretive communities are made up of those who share interpretive strategies not for reading but for writing texts.53

Im ersten der beiden Sätze finden wir seine ältere Position. Im zweiten Satz wird deutlich, wie nun die interpretive community auf Produktionsgemeinschaften bezogen wird.

2.1.5 Zusammenfassung und Ausblick Den großen nach-positivistischen und vor-dekonstruktivistischen Literaturtheorien des 20 Jh.s ist gemeinsam, dass sie den autorseitigen bzw. entstehungsgeschichtlichen Komponenten von Literatur eine untergeordnete Rolle zuschreiben. Für wesentlich wird zunächst das Werk selbst erachtet. Dies gilt für den Formalismus, die Werkinterpretation bzw. den New Criticism sowie für den Strukturalismus. In all diesen Literaturtheorien spielen Fragen der Kommunikation zwischen literarischem Text und Leser/Leserin eine große Rolle. Die Betonung der Konstituenten dieser Beziehung verschiebt sich in der Werkinterpretation vom Autor/von der Autorin zum literarischen Werk und in der Rezeptionsästhetik vom literarischen Werk zum Leser/zur Leserin. Besonders die Forschung des Formalismus und des Strukturalismus hat wesentlich zur theoretischen Fundierung von Textanalyseverfahren beigetragen. Zu den Schwächen dieser beiden Richtungen gehört, dass sie dabei die kommunikativen Aspekte von Sprache aus dem Auge verloren haben. Die Werkinterpretation hat in ihrer Textorientiertheit die Beliebigkeit psychologisierender Interpretation positivistischer Prägung in ihre Grenzen verwiesen. Zu den Verdiensten der Rezeptionsästhetik schließlich gehört es, die konstitutive Rolle des Lesers/der Leserin beschrieben und dieser Gewicht verliehen zu haben.

52 53

Im Sammelband S. 147-173. Fish: Text in This Class?, 14.

2. Literaturwissenschaftliche Kategorien und Konzeptionen

49

Allen hier skizzierten Literaturtheorien liegt die Konzeption von Literatur als autonomer Kunst zugrunde. Der Leser/die Leserin wird von einer „unmittelbaren“ Kommunikation zwischen ihm/ihr und dem Autor/der Autorin entkoppelt. Diese literaturtheoretischen Modelle beziehen sich auch dezidiert auf literarische Werke (oder aber sie behandeln nicht-literarische Werke als „Literatur“). Dies muss als Problemanzeige für eine Adaption solcher Modelle auf biblische Traditionsliteratur festgehalten werden.

2.2

Literarische und nicht-literarische Erzählkommunikation: Was ist Erzählung?

Da sich die vorliegende Arbeit auf Erzähltexte konzentriert, muss geklärt werden, was unter Erzählen und Erzählung zu verstehen ist. Dies erfolgt in mehreren Schritten. Zunächst soll (2.2.1) eine definitorische Bestimmung von „Erzählung“ erfolgen, die sowohl literarisches wie nicht-literarisches Erzählen umfasst. Dies geschieht im Anschluss an die Terminologie Gérard Genettes, die er zwar anhand einer literarischen Erzählung ermittelt hat, welche aber gleichermaßen auf nicht-literarisches Erzählen anwendbar ist. Gleichermaßen für beide Erzählarten gültig sind Ordnungsstrukturen des Erzählens, wie sie in der Erzähltextanalyse (z. B. bei Genette) und der neueren Erzählforschung (etwa bei Elisabeth Gülich) ermittelt wurden (2.2.2). Der in der neueren Forschung wichtige Aspekt der Unschärfe von Textwahrnehmung – auch dieser Begriff ist sowohl auf literarische wie auf nicht-literarische Texte anwendbar –, wird sodann am Begriff des Diskurses im linguistischen Sinn aufgezeigt (2.2.3). Der wichtigen Klärung der jeweiligen Spezifika literarischen und nicht-literarischen Erzählens ist dann im Anschluss ein eigener Abschnitt gewidmet (2.3).

2.2.1 Zu Genettes Kategorien Diegese, Diskurs und Narration Gero von Wilpert fasst in seinem Sachwörterbuch der Literatur das, was „Erzählung“ ist, in die weite Definition: Sie sei „allg[emeine] mündl[iche] oder schriftl[iche] Darstellung des Verlaufs von wirklichen oder erdachten Geschehnissen; nicht genauer zu bestimmende Form der Epik“.54 Diese Definition enthält einige grundlegende Feststellungen: „Erzählung“ kann mündlich oder schriftlich erfolgen, und sie kann wirkliche oder erdachte Geschehnisse darstellen. Dabei muss die Erzählung den „Verlauf (…) von Geschehnissen“ keineswegs chronologisch nachzeichnen, wie dies im nächsten Abschnitt (2.2.2) noch

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Wilpert, Sachwörterbuch, Art. „Erzählung“, 266.

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Grundlegung

ausgeführt wird.55 Ebenso wenig ist sie auf eine bestimmte Perspektive beschränkt. Wilperts Definition bezieht sich auf literarische „Erzählung“ und ordnet sie daher der Epik zu. Dies aber schließt den alltäglichen Normalfall des Erzählens, das gesamte Segment mitteilender Erzählformen aus. Mitteilendes Erzählen dient zumeist der alltäglichen Orientierung und Kommunikation (etwa die Mitteilung von Erlebnissen), verfolgt dabei aber in keiner Weise literarische Interessen. Mitteilendes Erzählen ist aber keineswegs nur dem Alltags vorbehalten. Es begegnet auch im wissenschaftlichen Kontext; man denke nur an Fallbeispiele, wie sie in der Rechtswissenschaft vorkommen, oder blicke auf die geschichtswissenschaftliche Forschung mit neueren Untersuchungen zu narrativer Historiographie, die zeigt, welche große Rolle Erzählen in der Geschichtsdarstellung einnimmt.56 Daher muss für eine allgemeine Erzähldefinition, die sowohl literarisches als auch nicht-literarisches Erzählen umfasst, von dieser Engführung abgesehen werden. Wir halten daher – formuliert in Anlehnung an Wilpert – zunächst fest: Erzählen ist eine mündliche oder schriftliche, literarische oder nicht-literarische Darbietung von wirklichen oder erdachten Geschehnissen. Wesentliche Hilfen für eine Spezifizierung des Erzählbegriffes bietet Gérard Genette, der in Die Erzählung (1976; dt. 21998; dt. 32010) grundlegend narratologische Begriffe zur Beschreibung von Erzähltexten beschrieben bzw. entwickelt hat (siehe auch 2.1.). Genette differenziert den Erzählbegriff in den narrativen Text (Diskurs), den narrativen Inhalt (Diegese) und den Akt des Erzählens (Narration) aus. Nach Genette ist die materialiter vorliegende Narration die „Erzählung“ im eigentlichen Sinn; er nennt sie den „Diskurs der Erzählung".57 Dieser „Diskurs“ kann mündlich oder schriftlich begegnen. Was er enthält, nämlich die Abfolge der realen oder fiktiven Ereignisse, die diesem „Diskurs“ zugrunde liegen, bezeichnet Genette als histoire oder diégèse (dt. „Geschichte“/„Diegese“, engl. „story“/„diegesis“). Den narrativen Akt, der den realen oder fiktiven „Diskurs“ hervorbringt – also den Vorgang des Erzählens, oder: Das Erzählen einer „Diegese“ – bezeichnet Genette schließlich als narration (dt. „Narration“, engl. „narrating“).58 Genette greift mit seiner Begrifflichkeit auf die Unterscheidung von Tzvetan Todorov zwischen „Erzählung als Diskurs“ und „Erzählung als Geschichte“ zurück; für Letzteres verwendet er den Begriff Diegese „in dem Sinne wie er von den Theoretikern der kinematographischen Erzählung verwendet wird“ als

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Als eines der raffiniertesten Beispiele neuzeitlicher Literatur kann Faulkners Absalom, Absalom angesehen werden. Der Verlauf der Erzählung geht dort in der Regel quer oder entgegengesetzt zum Verlauf der zugrundeliegenden Handlungsereignisse, zum Teil in mehrfachen Rekursen auf ein und dasselbe Ereignis. Vgl. etwa Hayden White, der in Die Bedeutung der Form (dt. 1990) narrativen Strukturen in der Historiographie nachspürt. Vgl. ebenso sein früheres Werk Auch Klio dichtete oder die Fiktion des Faktischen (dt. 1986). In der französischen Version wird dieser récit, in der englischen „narrative“ genannt. Seine Unterscheidung bezieht er aus dem sog. Russischen Formalismus. Dort spricht Tomashevsky von „fabula“, „story“ und „sujet“ (engl. „plot“, „discourse“, „narrative“; dt. „Fabel“, „Geschichte“); vgl. Ska, Fathers, 5.

2. Literaturwissenschaftliche Kategorien und Konzeptionen

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eine Art Synonym.59 Diesen Begriff setzt er zugleich ab von der auf Plato beruhenden Bezeichnung Diegesis als dialogfreie Erzählung im Gegensatz zur Mimesis.60 Der Genette’sche Begriff Diskurs ist deutlich zu unterscheiden zum einen vom Diskursbegriff der Sprachwissenschaft, wie er in 3.1 verhandelt wird, und zugleich vom geisteswissenschaftlichen Diskurs im Sinne einer Diskurstheorie im Anschluss an Habermas. So kann die vorläufige Definition nun erweitert werden: Eine Erzählung (Diskurs) ist eine mündliche oder schriftliche, literarische oder nicht-literarische Darbietung von wirklichen oder erdachten Geschehnissen (Diegese), die durch den Akt des Erzählens (Narration) hervorgebracht wird. Wo es um eine genaue Differenzierung – vor allem von Diskurs und Diegese – geht, schließe ich mich in dieser Arbeit der Begrifflichkeit Genettes an. Weiterhin verwende ich aber „Erzählen“/„Erzählung“/„Erzähltext“ für das Ergebnis des „Erzählens“ von „Erzählinhalten“, dort, wo dieser unspezifische Gebrauch dem Verständnis keinen Abbruch tut. Hier soll noch kurz auf Unterschiede zwischen mündlichem und schriftlichem Erzählen in einigen wesentlichen Punkten hingewiesen werden. Während dem Hörer in mündlicher Erzählkommunikation an der Entstehung des „Textes“ eine aktive Mitgestaltungsrolle zufällt (etwa durch Einwürfe, Fragen, Bestätigungen), ist in verschrifteter Kommunikation die Unmittelbarkeit von Textproduktion und Textrezeption entkoppelt. Eine Erzählung muss daher dann auch im Prozess ihrer Verschriftung – wie die Erzählforschung der letzten vier Jahrzehnte herausgearbeitet hat61 –, sehr viel gründlicher mögliche Reaktionen oder Erwartungen von Lesern/Leserinnen oder Hörern/Hörerinnen vorwegnehmend mitbedenken als dies in mündlicher Kommunikation der Fall ist. Stringenz und Schlüssigkeit sind bei verschrifteten Erzählungen in besonderer Weise notwendig, da die Möglichkeit zur Rückfrage an den Erzähler entfällt und die direkte Kommunikation durch eine Kommunikation zwischen „Text“ und Rezipient/Rezipientin abgelöst wird.62 Durch die Situation einer entkoppelten Kommunikation kann es dann auch zu zeitlichen, räumlichen, sprachlichen und/oder weltanschaulichen Differenzen zwischen intendiertem und tatsächlichem Leser kommen.

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Vgl. Genette, Erzählung, 16 mit Anm. 2 (3. Aufl., 12). Vgl. ebd., 201 (3. Aufl., 183). Vgl. Gülich, Ansätze zu einer kommunikationsorientierten Erzähltextanalyse (1976), sowie eine Reihe anderer Beiträge von Elisabeth Gülich, z.T. zusammen mit Wolfgang Raible, mit Uta M. Quasthoff (z. B. Story-telling in conversation; 1986) und mit Heiko Hausendorf (Vertextungsmuster Narration; 2000); dann auch Beiträge von K. Ehrlich, wie etwa Erzählen im Alltag (1980), und besonders Gabriele Lucius-Hoene und Arnulf Deppermann, Rekonstruktion narrativer Identität (2002). So entfallen beispielsweise die Möglichkeiten zu Modulation, Betonung und nonverbale Signale wie z. B. Gestik und Mimik. Ist in mündlicher Kommunikation etwa durch die Stimmlage eine ironische Bemerkung oft gut als solche zu erkennen, so ist dies in verschrifteter Form oft sehr viel schwieriger. – Rückfragen an den Autor sind auch bei verschrifteten Texten über Leserbriefe etc. denkbar.

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Grundlegung

2.2.2 Erzählökonomie und Ordnung des Diskurses (im literaturwissenschaftlichen Sinn) Das Hauptaugenmerk der Erzähltextanalyse und der Erzähl- und Gesprächsforschung ist auf die Analyse des Diskurses in seinem Verhältnis zur Diegese gerichtet. Für die Beobachtung, in welcher Weise der Diskurs die Diegese zur Umsetzung bringt, hat sich ein großer Begriffskanon eingebürgert, der hier nicht im Einzelnen entfaltet werden kann. Besondere Beachtung fällt in der erzähltechnischen Forschung dem zu, was sich auch bei Genette als Hauptkategorien der Erzählanalyse findet: das Tempus, der Modus und die Stimme. (1) Unter Tempus versteht Genette alle erzählerischen Techniken, die mit Ordnung, Dauer, Frequenz des Erzählten im Diskurs zusammenhängen. Stellt man sich die Differenz von Diegese und Diskurs vor Augen, ist es beinahe selbstredend, dass im Rahmen der Diskursgestaltung die Tempusbeziehungen zwischen Diegese und Diskurs variiert werden können. Hier bietet sich bei der Textproduktion ein überaus interessantes Gestaltungsfeld. Auf Seiten der Textinterpratation bietet dies dann entsprechend ein ergiebiges Beobachtungsfeld. Es kommt nicht nur zu verschiedenen Graden von Zeitdehnungen und -raffungen (Dauer), der Diskurs kann gegenüber der Diegese auch die Chronologie verändern, Zeitsprünge machen, Parallelhandlungen hintereinander stellen, Lücken lassen (Ordnung). Ebenso kann ein und dasselbe Ereignis mehrmals erzählt werden (Frequenz). Die Kombinationsmöglichkeiten all dieser Aspekte sind unbegrenzt. (2) Modus umfasst bei Genette Formen und Stufen der narrativen Darstellung, darunter die Aspekte von Perspektive, die in der neueren Erzählforschung mit dem Kunstwort Fokalisierung bezeichnet werden. „Fokalisierung“ entspricht in etwa dem „point of view“ älterer Erzähltextforschung und antwortet auf die Frage: „Wo steht die Kamera, welche die Diegese filmt, und wohin filmt sie?“ Steht die „Kamera“ außerhalb der Diegese, handelt es sich um eine Nullfokalisierung; diese entspricht der älteren Bezeichnung der auktorialen Erzählung. Befindet sie sich jedoch innerhalb der Diegese, so gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: sie ist an die Sicht einer der handelnden Personen gebunden (interne Fokalisierung) oder personenunabhänig (externe Fokalisierung). In der nicht-literarischen Erzählung entspricht die Fokalisierung der Sicht des Erzählers selbst (Nullfokalisierung), eine literarische Erzählung hingegen kann prinzipiell jede Fokalisierung wählen, auch beliebig zwischen verschiedenen Fokalisierungen wechseln. (3) Zur Stimme rechnet Genette die narrative Situation oder Instanz und damit den oder die Erzähler (auf den verschiedenen Erzählebenen) und seinen/ihren realen oder virtuellen Adressaten; darunter fällt auch die Zeit der Narration. Die Begrifflichkeiten von Tempus und Modus sind bei Genette Beschreibungskategorien für die Beziehung von Diegese und Diskurs, Stimme hingegen bezieht er auf das Verhältnis von Narration und Diskurs bzw. Narration und

2. Literaturwissenschaftliche Kategorien und Konzeptionen

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Diegese.63 Die Begrifflichkeit Genettes hat in der Erzähltextanalyse breite Adaptation erfahren und erweist sich als wertvolles Instrument zu einer genauen Erfassung des Diskurses von Erzählungen. Ergänzend hierzu sind Erkenntnisse einer kommunikationsorientierten Erzählanalyse hilfreich: Elisabeth Gülich, zuletzt als Linguistin an der Universität Bielefeld, die sich umfassend mit nicht-literarischem mündlichen Erzählen befasst hat, benennt die wichtigsten „Zugzwänge“ des Erzählers im Blick auf seine(n) Zuhörer, welche die Gestaltung seines Diskurses bei der Rekonstruktion von Erfahrung oder Erleben steuern: Detaillierungszwang, Relevanzsetzungs- und Kondensierungszwang sowie Gestaltschließungszwang.64 Einzelheiten, die für das Verständnis wichtig sind und das Erzählte plausibel machen, müssen in besonderen Einzelzügen geschildert werden (Zwang zur Detaillierung). Es darf – vice versa – nicht alles gleichermaßen detailliert werden, daher kommt es im Diskurs zu einem unterschiedlichen Detaillierungsniveau der Diegese (Relevanzsetzung und Kondensierung). Schließlich muss eine einmal eröffnete Erzählung einschließlich ihrer begonnenen Einzelzüge auch zu einem für den Hörer jeweils erkennbaren Ende gelangen (Gestaltschließung). Diese Zugzwänge gelten gleichermaßen auch für die Konstruktion fiktiven Erlebens und fiktiver Erfahrungen: Es macht hier bei der Gestaltung des Diskurses im Blick auf Hörer/Hörerinnen und Leser/Leserinnen keinen prinzipiellen Unterschied, ob eine „tatsächliche“ oder eine fiktive Diegese zugrunde liegt. Solche Zugzwänge übernehmen Steuerungsfunktionen für die konkrete Formung des Diskurses und können daher auch in der Analyse des Diskurses als hilfreiche Beschreibungskategorien Anwendung finden; in der Überschrift zu diesem Abschnitt sind sie in den Begriff der Erzählökonomie gefasst.65

2.2.3 Text und Textdiskurs Erzählungen begegnen in mündlicher oder schriftlicher Form. Das, was materialiter dem Hörer akustisch als Schallwellen oder dem Leser optisch als Buchstaben- und Wortfolge begegnet, wird von ihm sinnhaft als „Text“ entschlüsselt. Dieser Vorgang ist höchst komplex.66 Er ist Untersuchungsgegenstand der neueren Linguistik, aber auch anderer Disziplinen, wie etwa der Gehirnforschung. Auch die Frage, was denn ein „Text“ sei, gehört zu den gewichtigen Fragestellungen der neueren Linguistik. Sie wird dort im Zusammenhang mit der Frage nach dem Diskursbegriff geführt und bezieht sich gleichermaßen auf literarische wie nicht-literarische Texte.67 Die Text-Diskurs-Forschung beschäf63 64

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Vgl. Genette, Erzählung, 155ff. Gülich, Erzählen, in Rekurs auf Kallmeyer/Schütze, Zur Konstitution von Kommunikationsschemata (1977). Gleiches gilt auch für die Konstruktion fiktiven Erlebens und fiktiver Erfahrungen. Vgl. auch Käser, Inkohärenz oder Erzählökonomie? Vgl. Bublitz: Pragmatik, 31ff. (Was tun wir, wenn wir verstehen?) Vgl. zur Diskussion Fix (et al), Brauchen wir einen neuen Textbegriff?, und darin besonders den Aufsatz von Michael Klemm Ausgangspunkte: Jedem seinen Textbegriff?

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Grundlegung

tigt sich, vereinfacht gesagt, mit der Frage, wie ein Text funktioniert: Wie wird ein materialiter vorliegender „Text“ als Sinngebilde rezeptorenseitig nachgebildet und entschlüsselt, und vice versa, wie können bestimmte Gedanken in eine materiale Textförmigkeit als reproduzierbare Größe überführt werden. Im ersten der beiden genannten Möglichkeiten, dem Entschlüsselungsvorgang von Texten, entsteht zwischen dem von Leser bzw. Hörer wahrgenommenen „Textmaterial“ und ihm als Rezipienten selbst etwas neues, drittes: Eine Art roter Faden, der sich aus dem Diskurs zwischen „Text“ und Rezipient entwickelt. Widdowson hat in seinem Beitrag Discourse Analysis (1995) hierfür den Begriff „Diskurs“ geprägt. Es handelt sich dabei um eine Größe, die nahe an dass herankommt, was Genette in der literaturwissenschaftlichen Analyse als „Diegese“ bezeichnet hatte. Widdowsons Begriff ist allerdings strikt von Genettes Diskurs-Begriff zu unterscheiden, denn Genettes Begriff bezieht sich gerade auf den vorliegenden Text (vgl. 2.2.1). Widdowson hingegen sieht den Textdiskurs als eine Größe, die sich auf die Beziehung „zwischen“ Textproduzent und Text einerseits und auf die Beziehung von Text und Textrezipient andererseits bezieht.68 „Diskurs“ werde bestimmt durch den Gebrauch eines „Textes“ in einer bestimmten Situation, in einem bestimmten Kontext. Für die Empfängerseite heiße das hinsichtlich dieses Textes: „[discourse] is a matter of deriving meaning from text by referring it to contextual conditions, to the beliefs, attitudes, values which represent different versions of reality“.69 Der Leser bzw. Hörer müsse also einen Text erfassen, ermitteln, nachbilden und interpretieren, in anderen Worten: einen Diskurs aufgrund dieses Textes realisieren.70 Ein und derselbe Text gebe dabei deshalb sogar Anlass zu verschiedenen Diskursen, weil verschiedene Leser verschiedene Diskurse in ein und denselben Text lesen. Die Diskursdiskussion ist insofern für unseren Fragehorizont von Nutzen, als sie eine Differenz zwischen Produktionsprozess und Text als dessen materiales Ergebnis auf Seiten des Senders einerseits, und einen Unterschied von Text und Rezeptionsprozess auf Seiten des Empfängers andererseits festhält: The discourse which the writer intends the text to record as output is (…) always likely to be different from the discourse which the reader derives from it. In other words, what a writer means BY a text is not the same as what a text means TO a reader.71

Der linguistische Diskursbegriff nach Widdowson sichert damit die Differenz zwischen einem „Text an sich“ und diesem „Text“ im Autor einerseits und im Leser oder Hörer andererseits, d. h. er zeigt auf, dass sich Kommunikationsprozesse letztlich nicht vereindeutigen lassen. Hier liegt auch der Gewinn für die Analyse von Erzähltexten: Selbst bei der Annahme, dass ein Autor bestimmte Inhalte vermitteln und Wirkungen beim Rezipienten hervorrufen möchte mittels seines „Textes“, so muss bei diesem Kommunikationsprozess mit mehr oder weniger großen Unschärfen gerechnet werden. Ein Rezipienten, der sich bemüht, einen Text möglichst gut zu verstehen, wird auch bei größter Sorgfalt und 68 69 70 71

Vgl. zum gesamten Absatz Widdowson, Discourse analysis, besonders 164 u. 168. Ebd., 168. Vgl. ebd., 164. Ebd.

2. Literaturwissenschaftliche Kategorien und Konzeptionen

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Mühe des Autors bei der Produktion dieses Textes, seine Mitteilungsziele sorgsam bedacht textlich umzusetzen, nicht den mit dem Diskurs des Autors identischen Textdiskurs ermitteln (können), und daher dessen „Text“ auch immer „falsch“ verstehen.

2.3

Zum Unterschied zwischen literarischer und nicht-literarischer Erzählkommunikation

Bisher wurden Aspekte von Erzählung behandelt, die sowohl auf literarisches wie nicht-literarisches Erzählen anwendbar sind, wenngleich auch hier schon gelegentlich ein Hinweis erfolgen musste, wo es zu Unterschieden kommt. Wo aber liegen nun die Hauptunterschiede zwischen beiden „Arten“ des Erzählens? Es gibt Fälle, in denen sich eine literarische Erzählung schnell und eindeutig als solche zu erkennen gibt, etwa durch Einleitungsphrasen wie „es war einmal“ oder durch die Überschrift Roman, Novelle, Erzählung. Typisch für literarische Erzählung ist auch die besondere Verwendung von Sprache, wie sie im Formalismus und Strukturalismus (vgl. 2.1.1 und 2.1.3) theoretisch beschrieben worden ist; gängige Beschreibungskategorien sind die der Poetizität oder Ästhetizität (2.3.2). Diese bieten jedoch kein hinreichendes Kriterium zur Unterscheidung von literarischem und nicht-literarischem Erzählen, denen jeweils spezifische Kommunikationspragmatiken zugrunde liegen (2.3.1). Insbesondere spielt dabei der Begriff der Fiktionalität (3.3.2) eine entscheidende Rolle.

2.3.1 Mittelbare und unmittelbare Mitteilung Der Hauptunterschied zwischen literarischem und nicht-literarischem Erzählen ist aber nicht auf der „Textoberfläche“ des Diskurses zu suchen, sondern macht sich in erster Linie an einer unterschiedlichen Kommunikationsart fest. Die entscheidende Distinktion liegt also im Bereich der Textpragmatik. Während nichtliterarisches Erzählen den unmittelbaren Zweck verfolgt, Sachverhalte, Erlebnisse und Erfahrungen mitzuteilen und Handlungsanweisungen zu geben, verfolgt nicht-fiktionales Erzählen keinen unmittelbaren Zweck der Mitteilung. Damit hängt die Frage der Referentialität zusammen: Der Diskurs nicht-literarischen Erzählens rekurriert auf tatsächliche Geschehnisse – mit dem Anspruch, diese mitzuteilen (oder, in Lügen oder Fehlwahrnehmung, mit Rekurs auf eine Diegese, wie sie hätte stattfinden können – aber eben mit dem Anspruch der unmittelbaren Referenz). Literarisches Erzählen hingegen steht in einem nichtmittelbaren Verhältnis zur außertextuellen Wirklichkeit – ohne den Anspruch einer unmittelbaren Mitteilung.

Grundlegung

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2.3.2 Poetizität als ästhetische Kategorie Für die Frage, was Literatur zur Literatur mache, haben die verschiedenen Literaturtheorien, wie oben deutlich wurde, vor allem formale Kriterien bestimmt. Hierzu gehört die Kategorie „Poetizität“, die sich in spezieller Weise auf den Kunstcharakter von Texten bezieht.72 Der Begriff der „Poetizität“ entwuchs dem literarischen Formalismus (vgl. 2.1.1) und bezog sich ursprünglich vor allem auf die poetische Funktion von Sprache im Gegenüber zu ihrer alltäglichen Verwendung, eine Unterscheidung, die bereits schon eine Distinktion textpragmatischer Kategorien (Alltagssprache versus Literatur) voraussetzt.73 Der Grad an Poetizität wurde in der formalistischen und strukturalistischen Literaturtheorie zum wesentlichen Kriterium für die Bestimmung der ästhetischen Qualität literarischer Werke.74 Während der formalistische Ansatz den Grad des Unterschieds zwischen literarischer Sprache und Alltagssprache zum Wertmaßstab für Literatur macht, sind es in anderen Theorien eher inhaltlich-formal orientierte Forderungen, die den Begriff „Poetizität“ bestimmen. Gero von Wilpert nennt als Poetizitätsmerkmale etwa: a) hinsichtlich des Gehalts: Bedeutsamkeit, Anschaulichkeit, Veredelung, Distanzierung, Fülle und Tiefe, innere Gesetzlichkeit und Wahrheit sowie der Ausdruck e[iner] geschlossenen Weltanschauung; b) hinsichtlich der Gestalt: Lebendigkeit, Abwechslung in der Einheit, harmon[ische] Gliederung.75

Das Problem dieser „Merkmale“ ist, dass es sich um Wertungen handelt, die sich einem Anhalt als objektive Literaturmerkmale weitgehend entziehen. In den kurzen Ausführungen kommt bereits zum Tragen, dass die Frage nach der „Poetizität“ mitbedingt ist von der jeweils vorausgesetzten Literaturtheorie. Es muss kritisch gesehen werden, dass solche relativen Wertmaßstäbe als Beurteilungskriterien für die Bestimmung von Literatur angewandt werden. Mehr noch stellt es ein Problem dar, dass sich Merkmale von Poetizität auch an nicht-literarischen Texten feststellen lassen, so dass „Poetizität“ eine Affinität zur allgemeinen Rhetorik hat und nicht als hinreichendes distinktives Merkmal von Literatur gelten kann.76 Von daher sind die Überlegungen von Siegfried J. Schmidt von größter Bedeutung, wenn er in Abgrenzung zu textlichen Ästhetizitäts- bzw. Poetizitätsbestimmungen eine kommunikationstheoretische Einbindung dieser Begriffe vorschlägt. Ausgangspunkt ist auch bei ihm die Überlegung, inwieweit sich literarische Kommunikation (und die anderer Bereiche der Kunst) von nicht72

73 74 75 76

Vgl. zum gesamten Absatz: Kasics, Literatur, 94. Hierhin gehören auch die Kategorien „Literarizität“ und „Ästhetizität“ sowie auch die „Stilisierung“, die sich ursprünglich auf die klassizistische Um-Schreibung von Texten bezog, jetzt aber in einem allgemeineren Sinn literarische Gestaltungsmittel wie Reduktion, Schematisierung etc. bezeichnet (vgl. Wilpert, Art. „Stilisierung“, 892). Vgl. den Abschnitt „Fiktionalität“ 2.3.3. Vgl. Wilpert, Art. „Poetizität“, 692. Wilpert, Art. „Ästhetik“, 8. Gewisse Grade an Ästhetizität in nichtliterarischen Texten werden regelmäßig eingestanden; vgl. etwa (als Beispiel für viele) Koppe, Grundbegriffe, 222, Anm. 31.

2. Literaturwissenschaftliche Kategorien und Konzeptionen

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ästhetischer Kommunikation unterscheidet. Diesen Unterschied macht er zunächst in den Konventionen fest. Für nicht-ästhetische Kommunikation könne konventionell sowohl eine Monovalenz ihrer Aussagegestalt als auch ein Tatsachenbezug vorausgesetzt werden. Dem entgegen zeichne sich literarische (wie andere ästhetische) Kommunikation durch die aufeinander bezogenen Kriterien „Ästhetizität“ sowie „Polyvalenz“ aus. Es gelte für ein ästhetisches Kommunikationssystem, dass die in ihm kommunikativ handelnden Aktanten bei der Produktion, Vermittlung, Rezeption und Verarbeitung von Primärkommunikaten der Ä-Konvention [ästhetische Konvention] und der P-Konvention [Polyvalenz-Konvention] folgen.77

Schmidt ermittelt also das entscheidende Kriterium für eine Distinktion von Literatur und Nicht-Literatur rezeptorseitig: in konventionalisierten Gesetzmäßigkeiten für den Umgang mit Literatur, bei denen andere Normen, Ansprüche und Erwartungen gelten als in der sachbezogenen, mitteilenden Kommunikation.

2.3.3 Fiktionalität als textpragmatische Kategorie Die neuere begriffliche Klärung von Fiktionalität verdankt sich in erster Linie kommunikationstheoretischen Arbeiten78 der 70er Jahre, die zu einer hilfreichen Abgrenzung des Begriffs Fiktionalität von dem der Fiktivität beitrugen, indem sie im „Bezugsrahmen“ der Kommunikationstheorie einen kategorialen Unterschied zwischen beiden herausarbeiteten. Jürgen Landwehr etwa unterscheidet systematisch zwischen „fiktiv“, „fingiert“ und „fiktional“79. Entscheidendes Kriterium für Fiktivität sei die intentionale Umdeutung des Seinsmodus von Gegenständen oder Sachverhalten in einem gegebenen Bezugsrahmen.80 Geschieht eine solche Umdeutung zum Zweck der Täuschung, ist sie 77

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Schmidt, Theorie, 377. Primärkommunikate = von den Kommunikationsteilnehmern als ästhetisch eingeschätzte Kommunikate; Ä-Konvention = ästhetische Konvention; PKonvention = Polyvalenz-Konvention; T-Konvention = tatsachenbezügliche Konvention; M-Konvention = Monovalenz-Konvention. Die Definition für ästhetische Konvention lautet: „Für die Teilnehmer an ästhetischer Kommunikation im Rahmen unserer Gesellschaft ist es gegenseitig unterstelltes Wissen, daß Teilnehmer an ästhetischer Kommunikation bereit und in der Lage sein müssen, unter Vernachlässigung der TKonvention primär gemäß solchen Werten, Normen und Bedeutungsregeln zu handeln, die nach der von den Teilnehmern an ästhetischer Kommunikation in der Teilnahmesituation unterstellten Ästhetik als ästhetisch relevant gelten“ (ebd., 371). Viele der dortigen Ausführungen geschahen im Anschluss an die Sprechakttheorie. Sowohl „fiktiv“ als auch „fingiert“ kann sich sowohl auf „Fiktion“ wie auch auf „Fiktivität“ beziehen. Eindeutiger ist da die Zuordnung von „fiktional“ zu „Fiktionalität“. Trotz der Klärungsversuche in den 70er Jahren wird auch weiter indifferent von „Fiktionalität“ und „Fiktivität“ gesprochen, so etwa Hamm, Poesie (1981), 51ff. „,Fiktiv‘ sind Gegenstände und Sachverhalte, die von einem Individuum entgegen dessen zu einem bestimmten Zeitpunkt geltenden Auffassung vom Seinsmodus dieser Gegenstände und Sachverhalte intentional für einen bestimmten Zeitraum in eben diesem Seinsmodus umgedeutet werden“ (Landwehr, Text, 176).

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Grundlegung

„fingiert“.81 „Fiktionalität“ hingegen beschreibt Landwehr als abhängig von Kommunikationssituationen. Er nennt als entscheidendes Kriterium für „Fiktionalität“ die Fiktivität einer der Kommunikationskonstituenten. Durch einen Bezug zu etwa einem fiktiven Produzenten werden Äußerungen fiktional.82 Ein solches Kriterium konstituiert dann auch den kommunikativen Sonderstatus von Literatur, und damit entziehen sich auch die in ihr enthaltenen Äußerungen der Überprüfbarkeit.83 In diesem Sinne ist „fiktional“ die Opposition zu „mit Wahrheitsanspruch“.84 Hier ergeben sich Berührungen mit Gabriel. Er arbeitet als konstitutives Element „fiktionaler Rede“ heraus, dass sie keinen Anspruch auf außertextuelle Bezüge erhebt: Sie sei „nicht-behauptende Rede, die keinen Anspruch auf Referenzialisierbarkeit oder auf Erfülltheit erhebt“.85 An Gabriels Definition anknüpfend, formuliert Wiklef Hoops: „Fiktionale Rede heißt diejenige Rede, die nach dem erklärten Willen des Autors weder Sprachakte des Autors enthält noch insgesamt als ein Sprachakt aufzufassen ist.“86 Hoops nennt als wesentliche Implikate dieser These, dass der Autor in der Textgestaltung frei ist. Entsprechend könne aber auch keine „richtige“ Rezeption eingefordert werden. Ferner sei der Wirklichkeitsgehalt und -bezug prinzipiell offen. Der Rezipient dürfe eine außertextuelle Referenz nicht erwarten. Für Hoops bezieht sich die Kategorie „Fiktionalität“ auf den Text als Gesamtheit. Signale für die Fiktionalität eines Textes finden sich dann nicht nur (bedingt) textimmanent, sondern z. B. auch in entsprechenden Vorworten, Überschriften, Betitelungen oder etwa in der Aufmachung eines Buches.87 Hier finden wir also in einer besonders hilfreichen Zuspitzung „Fiktionalität“ als textpragmatische Kategorie herausgearbeitet. Dies und oben skizziertes Konventionenmodell Schmidts sind quasi zwei Seiten einer Medaille. Sowohl Hoops als auch Schmidt stellen heraus, dass es in kommunikativer Hinsicht keinen prinzipiellen Unterschied zwischen ästhetischer und nichtästhetischer Kommunikation gibt, dass es aber via Konvention/Fiktionalität einen kategorialen Unterschied zwischen dem Umgang mit nicht-ästhetischen zum Umgang mit ästhetischen Texten gibt. In dieser Sicht handelt es sich auch bei „Fiktionalität“ einerseits und „Wirklichkeitsgehalt/-bezug“ andererseits deutlich um kategorial nicht zu vergleichende Größen, so dass sich von daher 81 82

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84 85 86 87

Vgl. ebd., 181. Vgl. Landwehr, Text, bes. 180ff. Die Definition für „Fiktionalität“ lautet: „,Fiktionalität‘ bezeichnet daher eine Relation der Äußerung zu diesen Konstituenten, deren notwendige und hinreichende Bedingung die Fiktivität einer und mindestens einer der Konstituenten ist“ (Landwehr, Text, 180). „Diese ausgewählten, beliebig vermehrbaren Belege für die poetologische, aussagenlogische und kommunikationstheoretische Begründung der Fiktionalität als eines der differenzierenden Merkmale der Literatur zeigen bei aller Verschiedenheit der theoretischen Fundierung die Übereinstimmung darin, daß den Aussagen in literarischen Texten ein Sonderstatus zukommt: das Kriterium der Überprüfbarkeit oder Verifizierbarkeit kann auf sie nicht angewandt werden.“ (Landwehr, Text, 159). Vgl. ebd., 143. Gabriel, Fiktion, 28 u.ö. Die dichtesten Ausführungen S. 28ff. Hoops, Fiktionalität, 296. Vgl. ebd., 297, aber auch Genette, Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches (2002).

2. Literaturwissenschaftliche Kategorien und Konzeptionen

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auch eine Opposition zwischen beiden Größen verbietet. So können fiktionale Texte, die als solche keinen Anspruch auf Wirklichkeitsreferenz erheben, durchaus in hohem Maße Nicht-Fiktives enthalten und der Wirklichkeit entsprechen – sie können also hinsichtlich ihrer Wirklichkeitsreferenz beschrieben und klassifiziert werden.88 Nicht-literarische Texte hingegen können entgegen ihrem Eigenanspruch in mehr oder weniger hohem Maße auch die Wirklichkeit, auf die vorgeblich referiert wird, verfehlen. Fiktivität ist in fiktionalen, aber auch in nicht-fiktionalen Texten zu finden, ebensolches gilt für den Wirklichkeitsbezug. Es gibt etwa Novellen, Romane, die als Abbild der Wirklichkeit gelten könnten, wenn sie nicht ausdrücklich als fiktional gekennzeichnet wären, z. B. durch die Gattungsbezeichnung „Roman“. Entscheidendes Kriterium ist also der von den Kommunikationspartnern konventional erhobene bzw. respektierte Anspruch: Ihrem Anspruch nach referieren nicht-fiktionale Texte auf Wirklichkeit, fiktionale aber erheben diesen Anspruch nicht.89 Eine Verhältnisbestimmung von „Poetizität“ und „Fiktionalität“ ist durchaus problematisch. Das haben die vorhergehenden Ausführungen gezeigt.90 Als wesentlich ist hier festzuhalten, dass zwischen diesen beiden Begriffen eine kategoriale Differenz besteht. „Fiktionalität“ ist ein konstitutives Moment literarischer Kommunikation. Sie besagt aber nichts über die ästhetische Qualität eines Textes. Es ist durchaus möglich, dass ein fiktionaler Text nur ein geringes Maß an Poetizitätsmerkmalen aufweist. Dem entgegen ist „Poetizität“, wie strukturalistische Untersuchungen gezeigt haben, durchaus auch kennzeichnend für Teile nicht-literarischer Kommunikation. So kann auch von der textästhetischen Beschreibungsgröße der „Poetizität“ keineswegs auf die textpragmatisch-funktionale Größe der „Fiktionalität“ rückgeschlossen werden.

88 89

90

Vgl. Hoops, Fiktionalität, 302. Einen hohen Grad an Wirklichkeitsbezug hätte demnach etwa ein historischer Roman. Auf eine saubere Unterscheidung hat 1930 übrigens schon Roman Ingarden hingewiesen: „Es hängt natürlich von der Art ab, wie das [literarische] Werk aufgefaßt wird (…) Immer bleibt der Bezug auf das Repräsentierte, und immer wird das, was sich für einen anderen Gegenstand ausgibt, in seiner Unechtheit, in seinem ‚bloß den Anderen Repräsentieren‘ miterfaßt, solange natürlich der Leser die quasi-urteilsmäßigen Behauptungssätze nicht (fälschlich) für echte Urteile hält und nicht aus einem Werke ‚der schönen Literatur‘ einen Tatsachenbericht oder ein wissenschaftliches Werk macht“ (Ingarden, Kunstwerk, 260). Auf traurige Weise musste unlängst Charlotte Kerr den Fiktionalitätsanspruch erleben: Der Schweizer Autor Hugo Loetscher hatte ihrer Auffassung nach über den Tod und die Beerdigung ihres verstorbenen Mannes Friedrich Dürrenmatt in seinem Buch „Lesen statt Klettern. Aufsätze zur literarischen Schweiz“ eine ganze Reihe falscher Aussagen in seiner Darstellung gemacht. Das Gericht wies die Klage der Dürrenmatt-Witwe ab und gab Loetscher mit der Begründung recht, dass es sich bei der „Darstellung“ um Literatur handle und damit Kunstfreiheit gewährt werden müsse. Vgl. den Artikel Der Witwe bleibt am Ende nur die Aufregung. Charlotte Kerr verliert vor dem Landgericht Berlin Prozess gegen Hugo Loetscher im Schwarzwälder Boten vom 06.04.2005. Zu verschiedenen Verhältnisbestimmungen vgl. z. B. Kasics, Literatur, 145f., Anm. 205.

Grundlegung

60

2.4

Zusammenfassung und Ausblick

Der Blick auf die großen literaturtheoretischen Strömungen der Literaturwissenschaft des 20 Jh.s hat unterschiedliche Gewichtungen literaturwissenschaftlicher und kommunikationspragmatischer Koordinaten und deren Verhältnisbestimmung untereinander aufgezeigt. Als besonders markante Entwicklungslinie hat sich die Abwendung von Fragen um den Autor über die Fokussierung von Fragen um die Erzähltexte selbst bis schließlich hin zur Leserorientierung der Literaturwissenschaft erwiesen. Die zunehmende Autonomisierung literarischer Werke von deren Autor entkoppelt diese Texte mehr und mehr von ihrem Kommunikationsrahmen und von der Frage nach ihrer Intention. Literaturbetrachtung wird zunehmend auf eine (spezielle Art der) Kommunikation zwischen Rezipient und Text beschränkt; insgesamt erhält in der Literaturtheorie der Leser/die Leserin und seine/ihre Rezeption immer mehr den Vorzug. Es muss für die Anwendung dieser Literaturtheorien in der konkreten Interpretation immer im Blick bleiben, dass es sich um Theorien handelt, die an literarischen Texten und für literarische Texte erprobt wurden. Als Problemanzeige ist anzumerken, dass Literary Approaches in der Regel mit der Anwendung von Literaturtheorien biblische Erzähltexte (reflektiert oder unreflektiert) als literarische Texte behandeln. Die Distinktion zwischen literarischem und nicht-literarischem Erzählen gehört zum Dreh- und Angelpunkt für Grundentscheidungen zur Interpretation. Mit Blick auf diese wesentliche Unterscheidung sollen folgende Punkte festgehalten werden: (1) Die Kategorie „Poetizität“, ein am Text nachweisbares Merkmal, kann nicht als hinreichendes Kriterium zur Unterscheidung von literarischen und nicht-literarischen Texten gelten91, wenngleich in der Regel der Grad an „Poetizität“ in literarischen Texten höher ist als in nicht-literarischen. Von einem hohen Poetizitätsgrad eines Erzähltextes kann nicht direkt darauf geschlossen werden, ob es sich um einen fiktionalen oder einen nicht-fiktionalen Text handelt. Poetizität hängt an Gestaltungsmerkmalen von Text und Plot, während hingegen Fiktionalität mit der intendierten und faktischen Rezeption von Texten zu tun hat und damit dem Bereich der Textpragmatik angehört. (2) Für den interpretativen Umgang mit mitteilendem Erzählen erweisen sich die Kategorien „Intention“ und „Referentialität“ als grundlegende und nicht aufgebbare Voraussetzungen Verstehen von Mitteilungsliteratur kann entsprechend auch nur dann gelingen, wenn es zu einer möglichst ungebrochenen Botschaftsübermittlung zwischen Sender und Empfänger kommt. Besonders nichtliterarische Erzählungen, bei der durch eine Kommunikationsentkopplung gravierende kulturelle und/oder zeitliche Differenzen zum Leser/zur Leserin entstehen, stehen in der Gefahr, dass ihr Mitteilungscharakter verkannt wird. Be91

Diesem Missverständnis unterliegt etwa Adele Berlin, die biblische Erzähltexte anhand von Poetizitätsmerkmalen als Literatur klassifiziert: „To my mind it qualifies as literature because of its artful verbal expression and compelling ideas. Certainly it is not a ‚naïve recording‘, as Kugel would have us believe”, Berlin, Controversy, 324.

2. Literaturwissenschaftliche Kategorien und Konzeptionen

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sonders aus dem Grund, dass die beiden Erzählformen sich mitunter nicht anhand äußerer Merkmale unterscheiden lassen92, scheint mir dies ein großes Problem bei den Literary Approaches darzustellen. (3) Als wichtigstes Merkmal zur Unterscheidung von mitteilenden und nicht-literarischen Texten erweist sich die Kategorie der „Fiktionalität“. Es geht dabei um den jeweiligen Anspruch des Textes und um die Frage, ob diesem Anspruch mit der jeweiligen Rezeption Genüge getan wird. Ein historischer Roman, der den Anspruch hat, Literatur zu sein, kann zwar als Mitteilungsliteratur gelesen werden, wäre dann aber in seinem Selbstanspruch missverstanden. Und ein mitteilender Text kann als literarischer Text gelesen werden, wäre damit aber in seinem Eigenanspruch nicht getroffen.93 Die Kategorie „Fiktionalität“ ist nicht notwendig ein dem Text inhärentes Merkmal, sie kennzeichnet einen Erzähltext in seiner kommunikativen Funktion. Nach dieser Grundlegung im Bereich literaturwissenschaftlicher Fragen zu literarischer und nicht-literarischer Erzählkommunikation geht es im folgenden Kapitel um konkrete literarische Ansätze von bedeutenden Vertretern des Literary Approach. Dabei wird zu prüfen sein, welche Konzeptionen und Kategorien die jeweiligen Ansätze voraussetzen, wie sie damit umgehen, und zu welchen Konsequenzen dies im Textverständnis führt.

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Der Satz „Stich dich nicht an der roten Rose!“ kann, betrachtet man ihn isoliert von seiner kontextuellen Einbindung, sowohl nicht-literarische (Warnung vor den Dornen) wie literarische Aussage (etwa als Warnung vor den Gefahren, die von einer schönen, fremden Frau ausgehen) sein; die Zuordnung entscheidet sich letztlich am jeweiligen kommunikativen Kontext. Für das Spiel mit diesen Zusammenhängen vgl. etwa den Gedichtband von Handke Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt. Dort erscheint die Aufstellung eines Fußballteams (59). Dies ist seiner Textgattung nach nicht-literarisch und nicht-fiktional, wird aber durch seine Einordnung in den Gedichtband zu einem literarischen, d. h. fiktionalen Text. Nun kann er nicht mehr angemessen als Information über die Aufstellung dieses Teams an einem bestimmten Spieltag gelesen werden. Ein ähnliches Beispiel im Handkeband ist das Gedicht Japanische Hitparade vom 25. Mai 1968. Hier ist einfach die entsprechende Liste des im Titel Genannten abgedruckt.

3.

Zum Grundverständnis biblischer Erzähltexte bei Vertretern des Literary Approach

Nach der Profilierung der Problemstellung und den begrifflichen Klärungen kann nun der material-analytische Teil der Arbeit einsetzen. Die exemplarische Prüfung einschlägiger Textbegriffe konzentriert sich auf die Exegeten Jan Fokkelman und David M. Gunn sowie auf die Literaturwissenschaftler Robert Alter und Meir Sternberg. Die Wahl gerade dieser vier Vertreter des Literary Approach ergibt sich aus drei Gründen. Zum einen handelt es sich um maßgebliche Repräsentanten von literaturwissenschaftlichen Zugängen. Zum andern unterscheiden sie sich untereinander in ihren Ansätzen so deutlich, dass sie die Bandbreite konkreter Ansätze des Literary Approach verdeutlichen. Sie alle vertreten wegweisende und prägende Positionen, die maßgeblich die Strömung der literaturwissenschaftlichen Zugänge mitbestimmen und gleichsam als paradigmatische Positionen betrachtet werden können. Die Profilierung der Unterschiede ihrer Ansätze beugt somit dem Vorurteil vor, es handle sich bei dem Literary Approach um eine einheitliche Bewegung. Zum dritten haben alle vier Vertreter eigene Interpretationen zu 2Samuel 11 und 12 vorgelegt, so dass nicht nur die theoretischen Grundlagen ihrer Textbegriffe zur Darstellung kommen werden, sondern in einem späteren Durchgang (Kap. 5 und 6) auch deren konkreter Umgang mit biblischen Erzähltexten analysiert werden kann. Zunächst aber ist nach deren grundlegendem Verständnis von „Text“ zu fragen.

3.1

Zum Textverständnis bei Jan Fokkelman

Jan Fokkelman (Amsterdam) steht für umfassende und genaue Textarbeit im Sinne eines konsequent textzentrierten Zugangs zu biblischen Erzählungen. Mit seiner Monographie „Narrative Art in Genesis. Specimens of Stylistic and Structural Analysis“ (NAG; 1975) war er einer der ersten Exegeten, der größere alttestamentliche Textbereiche dezidiert und ausschließlich einer synchronen literarischen Interpretation unterzogen hat. Es folgten vier umfangreiche Bände „Narrative Art and Poetry in the Books of Samuel. A Full Interpretation Based on Stylistic and Structural Analyses“ (NASP; 1981–1993). Zuletzt hat sich Fokkelman in drei Bänden auch poetischer Texte (Psalmen und Hiobdichtung) angenommen (1998–2003). Ganz im Sinne des New Criticism formuliert Fokkelman programmatisch: „[A] literary work of art (…) deserves, even demands an intrinsic approach.“1 1

NAPS I, 424. Jan Fokkelmans Umgang mit biblischen Erzähltexten entspricht in weiten Teilen dem, was als methodische Grundlage des New Criticism gelten kann. Allerdings ist er, wie sich zeigen wird, nicht auf diesen festgelegt. Inwieweit Fokkelman dem Ansatz des New Criticism bewusst folgt, ist schwer zu ermitteln. Der Bezug auf

3. Biblische Erzähltexte bei Vertretern des Literary Approach

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Auch seine Sicht dieser Texte als autonome literarische Kunstwerke und dem damit korrespondierenden (von ihm sog.) „leeren“ Leser entsprechen der Sicht des New Criticism.2 Eine Interpretation3 müsse ihren Ausgang bei den Texten selbst nehmen und allen diachronen Fragestellungen vorgelagert sein.4 Ein solches Vorgehen sei das „normative centre“5 der verschiedensten Möglichkeiten, mit Texten umzugehen, während etwa Fragen nach dem historischen Hintergrund oder theologischen Gehalt dieser Texte extrinsische Fragestellungen seien. Dem uns überkommenen Text gelte die Aufmerksamkeit der Analyse, Beschreibung und Bewertung, und dies insbesondere in der Beobachtung struktureller und stilistischer Merkmale des Textes, die aufgrund ihrer bewussten Gestaltung einen besonderen Anknüpfungspunkt für die Interpretation dieser Texte bieten.6 Ein

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entsprechende Literatur ist bei Fokkelman zu fragmentarisch, als dass sich darüber eine klare Entscheidung treffen lässt. Im Großen und Ganzen jedoch macht es den Eindruck, als seien die Anleihen eher partiell (wenn nicht z.T. zufällig). Dennoch sind die Analogien zum NC am deutlichsten. In Teilen seiner Ausführungen, besonders in seinem Buch Reading Biblical Narrative, finden sich auch eine Reihe von Entsprechungen zum Reader-Response Criticism. Dieses Textmodell erfährt bei ihm durchaus eine Entwicklung. NAG (Narrative Art in Genesis) zeigt noch deutlich eine größere Methodenoffenheit. Die intentio auctoris und die Historizität der den Texten zugrunde liegenden Ereignisse werden noch in die Überlegungen einbezogen; dies spielt in den zentralen Ausführungen in NAPS II kaum noch eine Rolle. Programmatisch formuliert er – hier übrigens im Sinne der Rezeptionsästhetik – in NAPS I, 423: „The true text is the text which is read, the story or poem which has its say. And it can only have its say in and due to our reading, and its success is dependent on and proportional to the quality of listening.” Es geht Fokkelman um den Text und seine Rezeption, nicht um seine Produktion oder Genese. Biblische Texte sind für ihn literarische Kunstwerke („story or poem“). Und diese beinhalten eine Botschaft, deren „Erfolg“ maßgeblich vom Leser abhängt. Der Begriff „Interpretation“ hat bei Fokkelman eine gewisse Unschärfe. In NAG, 1, unterscheidet er „Interpretation“ nur insofern von „Exegese“, als sich letztere mit religiösen Texten befasst, nicht aber, weil es sich etwa um andere Vorgehensweisen handeln würde. Interpretation ist das Vorgehen (so zumeist in seinen methodologischen Ausführungen gebraucht) und das Ergebnis des Umgangs mit Texten (so etwa im Untertitel der NAPS). Fokkelman gebraucht „Interpretation“ aber auch als Opposition zu „Beobachtung“, die sich allerdings im Vollzug der Arbeit am Text nicht genau voneinander trennen lassen (NAPS I, 14). Doch ordnet er der Beobachtung die „form analysis“ (NAPS I, 15) zu, während die Interpretation eine „actual interpretation“ sei [was auch immer das genau heißen mag] (NAPS I, 15). Diachrone Überlegungen hätten zwar ihr eigenes Recht und seien wichtig. Es solle aber die Interpretation nicht erst nach Rekonstruktionsversuchen von Textvorstufen einsetzen oder gar vor allem an solchen durchgeführt werden, denn diese hätten immer hypothetischen Charakter. Jedoch würden diachrone Erklärungen dann für die Interpretation unentbehrlich, wenn diese auf Widerständigkeiten in der Endtextfassung stoße, was bei Fokkelman konkret heißt, dass die „structural means“ (NAG, 2) des Interpreten erschöpft sein müssen. NAG, 1. Dies sei nur ein mögliches Vorgehen, das zum Ziel habe „to recognize its intrinsic values and give it a chance to speak for itself“ (NAG, 4). Fokkelmans Vorgehen in den NAPSBänden jedoch erweckt den Eindruck, dass es sich um das Vorgehen im Umgang mit Texten handle. Strukturelle Beobachtungen sollen nach Fokkelman der Klärung des

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Grundlegung

solches Vorgehen habe methodisch kontrolliert und nachvollziehbar und so lange als möglich intrinsisch zu geschehen und soll hermeneutisch-spiralförmig voranschreiten. Zwar habe es einen historischen Anlass für die Erzählungen gegeben, und die Welt der ursprünglichen Entstehungssituation zeige noch Spuren in den Erzählungen, jedoch seien die Erzählungen ohne die historischen Fragestellungen für sich lesbar und auch in erster Linie so zu lesen. Fokkelman verweist hier auf Gadamer7, der einen Text als sprechend bezeichnet, insofern der ihn erschaffende Künstler oder die Künsterlin es so eingerichtet habe, dass der Leser/die Leserin nicht mehr nach dem ursprünglichen Akt des Sprechens frage. Literarische Texte lösen sich als Ergebnis von Schreibkunst von ihren Autoren ab und sprechen aus sich heraus. In diesem Konzept der intentio operis8 ist auch die Zeitdifferenz zwischen seiner Entstehung und seiner Rezeption partiell aufgehoben. Dies aber bedeutet eine tiefgreifende Vorentscheidung zum Textmodell: Der Text ist nicht Bestandteil einer Kommunikation von Subjekten, sondern der Text wird selbst zum Subjekt. Damit spielt bei Fokkelman zwar der Leser/die Leserin eine große Rolle, und das in einer bestimmten Sicht, nicht aber ein Adressat, der Teil einer (direkten) Kommunikation wäre.

3.1.1 Biblische Erzählungen als autonome literarische Kunst – und ihr Verhältnis zur Historizität Schon in der Vorrede zu NAG bezeichnet Fokkelman die Erzählungen der Genesis dezidiert als „literarische Kunst“. Fokkelman begründet das hauptsächlich damit, dass dies dem Leserempfinden entspreche und dieses Empfinden durch die vorgelegten Analysen bestätigt werde. Von einem literarischen Kunstwerk könne man dann sprechen, wenn ein Text als „organic whole (…) invites us to a positive opinion of its own value“.9 Auch die Heideggersche Unterscheidung der Sprachverwendung in Alltag und in Literatur (dort würde Sprache „verbraucht“, hier „gebraucht“10) wird als Begründung herangezogen. Biblische Erzähltexte hätten einen deutlichen Überschuss über den Verbrauchscharakter von Alltagssprache hinaus. Das vorfindliche „artistic shaping“,11 das Fokkelman in NAG als (mutmaßlich) bewusste, vor allem strukturelle, Ausgestaltungsarbeit der Autoren sieht,12 verpflichte uns, diese Texte ebenso als

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Prozesses zwischen Text und Leser/Leserin dienen. Indem der Leseprozess zeitlich-linear eine Summe von Eindrücken beim Leser/bei der Leserin hinterlasse, sei die deskriptive Beschreibung von Stil und Struktur zugleich eine „Beschreibung“ der „experience“ (NAG, 5) des Lesers/der Leserin. Mit Gadamer wird dann auch die Fokussierung der ästhetischen Qualität der Texte im Rahmen seiner Wirkungshermeneutik aufgerufen. Hinter dem Begriff der intentio operis steht die Annahme, dass ein wahres Kunstwerk für sich selbst spreche. Vgl. auch die Ausführungen zu Umberto Eco. NAG, 5, Anm. 11. Ebd., 6, Anm. 15. Ebd., 5. Vgl. ebd., 7. Das Werk sei in erster Linie „the product of an artistic imagination“ (NAPS I, 6).

3. Biblische Erzähltexte bei Vertretern des Literary Approach

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literarische Kunstwerke ernst zu nehmen.13 Und im Sinne des New Criticism und literaturwissenschaftlicher Hermeneutik charakterisiert Fokkelman das sprachliche Kunstwerk als Organismus mit enger Korrelation zwischen dem Ganzen und seinen Teilen.14 Indem Form und Inhalt einander entsprächen, könnten über die Beschreibung der Form zugleich substantielle inhaltliche (d. h. auch: theologische) Aspekte ermittelt werden. Dieser „Geschlossenheit“ entspräche dann auch die „Comprehensiveness“ seines Ansatzes.15 Auf solche Grundannahmen des New Criticism verweist er auch in NAPS I unter dem Stichwort „narrative dialectics“.16 Hier ist besonders seine Betonung des überindividuellen Charakters von Kunstwerken hervorzuheben. Fokkelman unterscheidet den Produktionsprozess („creation of a text“) grundlegend vom Rezeptionsprozess („recreation of a text“) des Textes.17 Der Text kopple sich als Ergebnis seines Entstehungsprozesses von seinem Produzenten ab und „is going to lead a life of its own“18, indem er in den infiniten Prozess seiner „recreation“19 mündet. Während Fokkelman in NAG eine Untersuchung der Produktion thematisiert, die aber einer genauen Untersuchung des Textes selbst nachgeschaltet sein muss, spielt dies in NAPS nur noch eine sehr untergeordnete Rolle. In NAG äußert er sich auch noch ausführlicher über die Tätigkeit der Autoren, die in den Texten ihren Niederschlag findet. Sie hätten das „raw ‚historical‘ material“ bewusst „ideologisch“ gestaltet, womit er implizit für sie auch die Möglichkeit einer Unterscheidung von Geschichtsmaterial und Tendenz voraussetzt. Sie hätten dabei drei „Wahrheiten“ miteinander verbunden: die historische, die fiktionale und die religiöse.20 So gebe es für die biblischen Erzählungen keine Gegensätzlichkeit zwischen dem, was wir als „Fiktionalität“ einerseits und „Historizität“ andererseits bezeichneten. Diese „besondere Fiktionalität“ beinhalte eben auch Historizität.21 Und dies unterscheide sie denn doch von westlicher fiktionaler Literatur. Diese Beobachtung ändert aber für Fokkelman nicht grundsätzlich etwas daran, mit biblischen Erzählungen genau wie mit besagten modernen westlichen Erzählungen umzugehen. In den biblischen Erzählungen läge uns also kein ungebrochenes Abbild der realen Welt vor, sondern eine „world-in-words“, eine „story“ oder ein „system of meanings“.22 Zwar sei für biblische Zeit eine freie Erfindung des Königs

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Vgl. ebd., 5. In diesem Zusammenhang verweist er auf E. Lämmerts Formulierung der „sphärischen Geschlossenheit des Erzählwerks“ (ebd., 6, Anm. 14). Ebd., 6. Hier bei Fokkelman der Hinweis auf die „Total-Interpretation“ bzw. „integral(izing) interpretation“ von Meir Weiss (ebd., 6, Anm. 13). NAPS I, 419. NAG, 2f. Ebd., 3. Ebd. „Their creative work arranges the historical, the fictional and the religious truths in one perspective“ (ebd., 7f.). Ebd., 7; s. auch Anm. 19. NAPS I, 2.

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Grundlegung

David nicht denkbar, doch handle es sich in der biblischen Darstellung keineswegs um Historiographie.23 David sei fiktional porträtiert („fictionally“) aber nicht fingiert/fiktiv („fictitious“).24 Der Autor wollte keine historiographische Darstellung in unserem Sinn schreiben, kein „account of David ‚in the context of his time‘“, sondern: „He wanted to fathom and adapt his material, the historical David, in such a way that his result would be of universal human value and that the past would flow over into the present.“25 Die Autoren hätten also die Erzählungen bewusst ausgestattet mit „didactic quality“26 und „transtemporal values“.27 Diese überzeitlichen Werte28 liegen im Text verborgen und warten auf die entschlüsselnde Aneignung durch Leser. Der Text wird durch „adäquates“ „erfolgreiches“ Lesen29 und Interpretieren lebendig und operativ. Dieser Aufgabe müssen sich jede Generation und jeder Leser je neu stellen. Nach Fokkelman sei die Thronfolgegeschichte wie Oedipus Rex, die Bhagavad Gita oder Macbeth „made to speak now“.30 Das kunstfertig geschaffene Werk sei überzeitlich konzipiert, um bekannt zu werden, und es würde die über allem wichtige Frage nach seiner Aussage31 deshalb – „from head to toe“ und in Klarheit32 – beantworten, weil im Vollzug seiner Entstehung genau diese Frage prädisponiert gewesen sei. Den Einwand, ein solches Kunstwerk käme in erster Linie aus der Vergangenheit, sieht er als zweitrangig, die Forderung, es müsse „in the context of its own time“ verstanden werden, bezeichnet er als „leere Phrase“.33 Eine biblische 23

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Vgl. ebd., 424. Schwer einzuordnen ist dann aber die Bemerkung, der dort gezeichnete David sei sehr wahrscheinlich ein „accurate portrayal of the historical David“ (ebd.) und die Darstellung Davids und der historische David entsprächen sich „in much the same way as an X-ray photograph covers a normal photograph“ (ebd., 425). Ebd. Hier bleibt die Frage ungeklärt, welche Gegenwart denn gemeint sei, die des Autors oder die des Lesers. Es verwischt sich genau dieser Unterschied in der Annahme einer zeitlosen Kunst – so dass diese Offenheit vielleicht gewollt ist? Ebd., 424. Ebd., 425. „IISam teaches us not about the historical David, but about the highest values in the narrated David (as shown or as violated by him) which are the same as those of our own human existence“ (ebd., 424). NAG, 3. NAPS I, 423. Hier argumentiert Fokkelman mit einer bestimmten Textsorte, nämlich „schöner“, fiktionaler Literatur. „What do you mean? What are you actually saying?“ (ebd., 1). Ebd., 2. Vgl. ebd., 422. Die Frage nach dem Auslegungskontext hält Fokkelman für nicht wesentlich. Der Kontext einer bestimmten Zeit an sich sei sowieso nicht zu ermitteln; selbst bei großer Informationsdichte über die Zeit Davids sei eine Ermittlung eines „context of David’s time“ nicht möglich. Kontexte einer bestimmten Zeit seien allenfalls ein arbiträres mentales Konstrukt „fabricated by some person who needs something to hold on“ (ebd.), und Verständnis könne einerseits kontextübergreifend funktionieren (wobei er hier nur Beispiele aus der Neuzeit innerhalb westlicher Kultur anführt), andererseits aber auch kontextimmanent scheitern. Diese Generalisierung einer berechtigten Skepsis wird zu einem unangemessenen Skeptizismus. Dann überführt er sich selbst, indem er indirekt doch eingesteht, dass „Nähe“ zu einem Text durch einen Vorstellungsraum befördert wird, die sich aus einer Reihe von Darstellungen aus einer

3. Biblische Erzähltexte bei Vertretern des Literary Approach

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Erzählung sei zwar in ihrer Entstehung verbunden mit einer uns zutiefst fremden und zeitlich wie räumlich entfernten Kultur, ihre Referenz auf diese sei aber vernachlässigbar, und der Text bilde eine neue in sich geschlossene Welt, die nun Objekt der Betrachtung werden müsse.34 Sowohl historische als auch theologische Rückfragen an den Text seien „extrinsic problem-formulations which quickly and unnoticed create a false horizon“.35 Solange der Historiker und der Theologe sich des Textes als narrativer Kunst und des extrinsischen Charakters seiner Fragerichtung gewahr bleibe, könne der Text allerdings auch gewisse in analytischer Unterscheidung verschiedene geschichtliche, theologische usw. Aspekte preisgeben. Die Gefahr falscher Fragestellungen sehe man theologischerseits etwa bei von Rad und bei Ridout.36 Man dürfe nicht eine Disziplin gegen die andere ausspielen; diese narrative Kunst enthalte verschiedenste Aspekte in sich: „[I]t is capable of uniting all such aspects in one linguistic structure which, as a living organism resists its being devided up.“37 Man müsse der „unity and the multifacedness of the literary work of art from within“38 gerecht werden.

3.1.2 Der Leser als Dialogpartner des von ihm abhängigen Textes Der „leere“ Leser39 ist das dem Textbegriff korrespondierende Idealbild des Lesers biblischer Erzählungen. Ein solcher nähert sich dem Text mit der größtmöglichen Unvoreingenommenheit, Demut und Offenheit und mit großer

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bestimmten Zeit bildeten, während sich Distanz aus einem Mangel an solchen Vorstellungen ergibt: „The curios thing is that a period of time for which we have important accounts such as the 6th century B.C. of the Judaeans is much ‚nearer‘ to us than a dark century such as the third century B.C. in Palestine.“ So kommt denn auch Fokkelman unter der Hand nicht ohne gewisse Konzepte eines vergangenheitlichen Kontextes aus. Vgl. Fokkelman, Reading, 206f. NAPS I, 425. Eine Formulierung, die man mit Recht als Anfrage auch an Fokkelman stellen könnte, ob er mit seiner Betonung des Kunstwerkcharakters im Sinne eines autonomen Kunstwerkes nicht genauso extrinsische Schemata anlegt. Von Rad sehe das Werk a priori als Geschichtswerk, entkleide es seiner Kunstform, schwäche damit die Einheit des Werkes und erzähle es im Sinne der Thronfolgehypothese nach. Dann setze er als zweite Klimax mit seiner theologischen Interpretation eine gänzlich anorganische Überstruktur hinzu. Schließlich nenne er als „Mangel“, dass das Geschichtswerk so sehr „im Persönlichen und Familiären verankert“ sei. Den anderen Fehler mache Ridout, der vom rhetorical criticism herkomme: Seiner Meinung nach könne 2Sam 9ff., als Schlüssel für den Gesamtabschnitt, nur theologisch ausgelegt werden. Wer aber so argumentiere, „isolates and absolutizes the religious elements and is therefore only partially occupied with the text“ (NAPS I, 427). Ebd. Ebd. Dies entspricht genau der Sichtweise von Meir Weiss, bei dem Fokkelman Anleihen nimmt. Der ideale Leser ist „open and empty“ (ebd., 2).

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Grundlegung

Leseerfahrung.40 Dass dies eine Idealvorstellung ist, weiß auch Fokkelman. So muss sich sein Leser gleichsam selbst überlisten und beständig neu selbst entleeren, um den Text wirklich verstehen zu können. Auf diesen Leser kommt es entscheidend an. Das Werk habe zwar seine „intentionality“ und sein „speaking“,41 es sei aber hilflos jeder Art von falscher Zugangsweise ausgeliefert und in seiner richtigen Rezeption auf den Leser angewiesen. Dabei gelte: „For the text the reader is either a blessing or a curse.“42 Um ein „good reader“43 zu werden, brauche es gewisse Kompetenzen und Qualitäten; hierzu gehöre zum einen: „He commits himself totally“, zum anderen: „his attitude is positive“ und des Weiteren: „he is nonetheless open and empty.“44 Die Anforderungen an den Leser für die Begegnung („contact“, „encounter“ u.a.) mit dem Text sind bei Fokkelman also hoch.45 Je größer die „Selbstentleerung“ des Lesers, desto stärker sei seine Aufnahmefähigkeit für den Text und das Begegnungserleben.46 Die offene Dialoghaltung verhindere, lediglich die eigenen Gedanken im Text wiederzufinden;47 es gelte a priori anzunehmen „that the text is different from what you yourself believe“.48 Die Begegnung von Text und Leser führe zu einem „expanding field of intersubjectivity“,49 einer „confluence“ oder „convergence“.50 Eine offene Leserhaltung sei dann auch die Grundlage dafür, dass eine Interpretation an Wert gewinnt.51 Störfaktoren dieser Text-Leser-Begegnung sind nach Fokkelman etwa, wenn eine Analyse zu schnell und oberflächlich erfolgt52, wenn sie zu stark von „knowledge“ bestimmt ist53, wenn sie mit methodischer

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„The nursery for the true interpretation is the literary experience“ (ebd., 5). Ebd., 2, Anm. 2. Fokkelman, Reading, 206. Ebd. 23. NAPS I, 2. Der Leser/die Leserin soll in der Begegnung mit dem Text diesen ernst nehmen, ihn „as well as possible“ lesen (ebd., 15), in eine „discussion“, einen „living contact“ (ebd., 423) treten, ihm „with an open and unbiased mind“ (ebd., 2), mit „loving attention“ (ebd., 4), „carefully, in an attitude of confidence“ (NAG, 8), „an attitude of respect and even compassion“ (NAPS I, 419) begegnen, und er/sie solle im Zuge der „uniqueness“ (ebd., 3 u.ö.) des Textes auch die Andersartigkeit des Partners erwarten. Vgl. ebd., 4. Vgl. ebd., 5. Ebd. In besonderer Zuspitzung in Fokkelman, Reading, 207: „The Bible is so complex that it differs by definition from any religious belief.“ Ebd., 15. Ebd., Anm. 25. „The more careful the reading, the more valid the interpretation“ (ebd., 2). Wenn der Leser sich zu schnell mit einem Gesamtbild zufriedengibt, das er aus Teilbeobachtungen ermittelt hat; vgl. Fokkelman Reading, 206. Kenntnisse zu Sprache, Kultur und Religion seien zwar nicht unwichtig, hätten aber im Zuge der Interpretation sich als verfügbare Werkzeuge im Hintergrund zu halten, bis sie vom Text selbst als erforderlich erwiesen würden. Diese vom Werk selbst aufgerufenen Untersuchungen seien aber im Vergleich zur Interpretationstätigkeit dann „homework, prolegomena, forming implementation, etc.“ (NAPS I, 3, Anm. 3).

3. Biblische Erzähltexte bei Vertretern des Literary Approach

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Engführung54 oder durch eine skeptisch-kritische Haltung gegenüber dem Text stattfindet.55 Damit zeichnet Fokkelman ein Bild von einem hochgradig reflektierenden Leser, der mit analytischer Distanz die Texte betrachtet. Um aber dem literarischen Charakter der Texte gerecht zu werden, gehörten auch die intuitiven, emphatischen und erlebnisorientierten Elemente einer Rezeption dazu.56 Diese müssten aber letztlich durch eine distanzierte, vernünftige Betrachtung in immerwährender hermeneutischer Abgleichung aller Ergebnisse und Eindrücke der Interpretation gesteuert werden.57 Dies bezeichnet Fokkelman auch als den „loyalen“58 oder „kreativen“ Leser.59 Ein solcher „mustergültiger“60 Leser ist also nicht ein unbedarfter, kunstgenießender Leser, sondern ein gebildeter, geübter, wissenschaftlicher Leser.

3.1.3 Stil und Struktur und das „Zwölf-Stufen-Modell“ Stilistische und strukturelle Analysen bilden bei Fokkelman die entscheidende Grundlage für die Interpretation von Texten. Beide Aspekte sind auch im Untertitel der NAPS-Bände enthalten, einer beeindruckend umfangreichen Gesamtanalyse der Samuelbücher: „a full interpretation based on stylistic and structural

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Statt mit vorgeschalteten Methodensystemen die Texte zu betrachten, solle mit Hilfe von Prinzipien, Prämissen und Vermutungen und literaturwissenschaftlichem Instrumentarium im Vollzug des Lesefortschritts die dem Text angemessene Methode selbst erst entwickelt und je verfeinert werden (vgl. ebd., 4.7). Die Annahme, ein Text stecke voller Probleme, reduziere die Lesererfahrung, denn „[s]tories and poems are written for instruction and amusement, not to create problems“ (ebd., 4). Vermeintliche Probleme mit dem Text seien häufig Probleme des Lesers/der Leserin, die sich aus der „great difference in time and environment between us and the Bible“ (ebd., 5) ergeben. Eine wohlwollende Begegnung mit dem Text würde auch erweisen, dass der MT, den Fokkelman seiner Interpretation zugrunde legt, „is rather sound and requires much less intervention than is usually assumed and practised“ (ebd., 8). „[Biblical] Stories and poems are no mere rational products (…) they are not written by intellectuals as such nor for suchlike“ (ebd., 6). Sie erfordern „the reader’s total involvement“ (ebd., 5) d. h. „a response as a whole person with the complete application of our facilities“ (ebd., 423). Die „current“ Begegnung mit ihnen sollte „rather an experimential happening“ sein, und zwar als ein „dynamic process of experiencing“ (ebd., 7). – „The experience of a work of art by the whole person is a colourful and comprehensive process which is nonetheless characterized by a balance between feeling and reason, the imagination and intuition“ (ebd.). Das letzte Wort müsse aber doch die Vernunft als „watchdog“ (ebd.) haben, und zwar während des letzten Arbeitsschrittes, der Niederschrift der Analyse: „In this phase our reason has a formidable influence and can and must weigh everything we have experienced in the work on a fine balance“ (ebd.). Fokkelman, Reading, 20. Hinter „loyal reader“ verbirgt sich die Forderung einer genauen Kenntnisnahme des vorliegenden Textes. Vgl. NAPS I, 6. Im Original: „immaculate“ (ebd., 2).

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Grundlegung

analyses.“61 Was in NAG noch in vagen Ansätzen zu finden ist, nämlich dass das deskriptive Nachvollziehen von Stil und Struktur62 zugleich eine „Beschreibung“ der „experiences“63 des Lesers sei, der diesen Eindrücken zeitlich-linear begegnet, wird zunehmend zu einem ausgefeilten Konzept Fokkelmans und überholt auch mehr und mehr seine ursprüngliche Forderung danach, dass der jeweilige Text die jeweilige Methode zu bestimmen hätte. In NAPS I umfasst „Stil“ bei ihm zunächst jeden Niederschlag künstlerischer Textgestaltung in Textur, Struktur und Komposition.64 In einem engeren Sinn bezieht Fokkelman „Stil“ auf die „lower levels of the work“65, auf Klänge, Silben, Wörter, Syntagmen, Phrasen, Sätze und Wortgruppen. „Struktur“ hingegen beziehe sich dann vor allem auf die höheren Ebenen, so etwa Sequenzen oder Strophen, Szenen und Akte. Dies entwickelt Fokkelman in NAPS II zu einem linguistischen Stufenmodell weiter, das er als „methodic foundation“66 seinen Interpretationen voranstellt67: Diese ermögliche eine „transparent and testable interpretation“68 und habe zum Ziel ein „greater understanding of the mechanism and the complexity of that constitution of meaning“.69 Dieses „ladder model“ beinhalte zwölf Stufen von den kleinsten Betrachtungseinheiten, der Morphematik, zu immer größeren Einheiten, etwa dem Satz und der Szene. Jede Ebene sei in der nächsthöheren Ebene enthalten.70 Die Ebenen 1-6 („sounds, syllables, words, phrases, clauses,

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Der Anspruch, der in der Formulierung „a full interpretation“ steckt, ist sehr hoch. Bei Fokkelman findet sich bei keinem dieser beiden Begriffe ein Anschluss an die linguistische bzw. literaturwissenschaftliche Diskussion; es macht den Anschein, als seien sie selbstgestrickt. NAG, 5. Vgl. NAPS I, 16: „[E]verything about a genuine work of art is style“, und zwar unabhängig davon, wie viel davon bewusst oder nicht bewusst gestaltet wurde, wie viel davon aus traditionellen stilistischen Mitteln entlehnt ist oder neu geschaffen wurde. Indem Wörter wie Bausteine in das Gesamtkunstwerk aufgenommen werden, erhielte „each element a new function and a particular aspect“ (ebd.) und dies mache insgesamt den Stil aus. „The artistic process of giving meaning reaches into every nook and cranny of a successful work of art“ (ebd.). Stil ist dabei „the tangential plane between form and content“ (ebd.). Während bei der Textproduktion der Künstler den Inhalt seiner „Vision“ „under the spell of a form“ bringen müsse (ebd.), gilt nach Fokkelman bezüglich des Leseprozesses: „style is the happening of the observed form’s converting and flowering into multi-dimensional semantics, as a well-rooted tree drives the sap upward and developes its crown“ (ebd.). Ebd. Nun gibt es also doch auch bei Fokkelman explizit eine methodische Grundlage. „[T]here is present in the background a text model, which continually accompanies my reading and, as a theoretical entity, has become concrete and operational in the interpretations offered her“ (NAPS II, 1). Wobei hier eingewandt werden muss, dass vor allem eine Textanalyse nachvollziehbar ist, aber das Modell für die eigentliche Interpretationstätigkeit, wie Fokkelman auch an anderer Stelle schreibt, nicht greift. NAPS II, 7. Semantik sei ab Ebene 3 vollständig operativ, die Ebenen 5 und 6 deckten sich nicht selten. Auf Ebene 7 gruppierten sich Sätze zu „clusters“, etwa Erzählerrede, und, wenn lang genug, auch Personenrede (die, wenn sie zu kurz ist, eher zu Level 6 gehöre). Level

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sentences“) umfassen das Gebiet der traditionellen Grammatik (Textur und Stil). Die Ebenen 7-12 („sequences/speeches, scene-parts, scenes, acts, sections/cycles, book or composition“) sind auf die Komposition und Struktur bezogen und umfassen die sog. Textgrammatik. Sie erweiterten die Reichweite linguistischer wie semiotischer Analyse und reduzierten Fehlinterpretationen.71 Zu den Vorteilen dieses Textmodells72 rechnet Fokkelman, dass es die Sprachgestalt des Textes ernst nehme, grundsätzlich auf jeden Text und jede Gattung anwendbar sei und einen Text umfassend beschreiben könne. Fehlannahmen würden bei sorgfältiger Analyse der jeweils höheren Ebene(n) korrigiert. Vor allem sei es ein Vorzug, dass es unabhängig von inhaltlichen Überzeugungen und damit auch neutral und vorurteilsfrei bezüglich ideologischer, religiöser, moralischer oder philosophischer Aspekte sei, was sich als besonderer „Segen“ erweise, da es solcherlei „jamming stations“ (Störsender) der Interpretation ausschalte. Ferner könne mit Hilfe des Modells aufgezeigt werden, „how and where textual elements are multi-functional“.73 Die Grenzen des Modells74 nennt Fokkelman selbst: dass es weder „final categories of interpretation“ noch Kategorien für ästhetische und moralische Beurteilung der literarischen und inhaltlichen Qualitäten des Textes abgebe. Wenn die Ebenen schrittweise nach oben abgearbeitet sind, müsse eine vom Modell nicht mehr erfasste „eigentliche“ Interpretation einsetzen.75 So schafft also das Stufenmodell „nur“ eine methodisch kontrollierte Grundlage für die tatsächliche Interpretation. Ob es sich denn nun um ein Vorgehensmodell oder eher um ein Beschreibungsmodell für die Interpretation handelt, bleibt in der Schwebe. Während

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8 begegne nur in längeren Erzählungen. Ein eigener interpretativer Horizont des Ganzen sei ab Level 9 gegeben. „Until recently, before the era of text grammar, whenever the exegete went beyond the range of the sentence he was abandoned by theory and thrown on his own resources, his good intentions and his own concepts of faith, which all too often had the opportunity of unobtrusively guiding his reading“ (ebd., 8). Vgl. ebd., 6f. Ebd., 11. Sein Beispiel: ‫ המלחמה‬und ‫ החזקה‬in 2Sam 11,15 und 25 zeige auf der dritten Ebene die gewöhnlichen Wortbedeutung. Auf Ebene 4 sei festzustellen, dass sie sich in chiastischer Stellung befinden. Dies wiederum helfe zu entdecken, dass auf Ebene 7 zwei Reden Davids als Anfang und Ende einer Szene fungieren, die selbst wiederum chiastisch aufgebaut sei (ABC x CBA) etc. Für Fokkelman ist also dieses Wortpaarauf mehreren höheren Ebenen aktiv. Je höher man bei dem „vertical movement through the hierarchy of the text“ komme, desto mehr Gewicht müsse man ihnen beimessen. Ein weiteres Beispiel, eine „semantic exercise“ (ebd., 15) mit der weisen Frau aus Thekoa, zeige „that meaning units can be subject to drastic transformations and can acquire an enormous radius of action on higher levels“ (ebd., 14). „Thus the semiotic exercise has shown how a story is a metaphoric-metonymic force-field which can really show to full advantage when analysis (the horizontal consideration of each stratum) and synthesis (the integration of the levels as a vertical movement) go hand in hand“ (ebd., 17). Vgl. ebd., 7. „The real interpretation or exercise of literary criticism does not start until we place the work as a whole in subsequent horizons, which may be of historic, psychological or spiritual nature“ (ebd.). Hier begegnet übrigens eine Aussage über das, was Interpretation sei.

Grundlegung

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Fokkelman zum Teil den Eindruck erweckt, es gehe um ein „Abarbeiten“ des Schemas, spricht er aber auch davon, dass „[i]n practice the interpretative work becomes an hodge-podge in which everything gets tossed about“.76 In jedem Fall gehe es bei dem Modell nicht um die Ordnung des Textes an sich, sondern um die Ordnung als Akt des Lesers bwz. der Leserin. Das Modell helfe zu einer bewussten, klar strukturierten Vorgehensweise der Analyse, die schrittweise erfolgt, und die jeweils neu entscheiden könne, ob sie – bezogen auf das Stufenmodell – vertikal oder horizontal vorgehe. Sie ermögliche ein Arbeiten in Phasen, Einzelschritten und Portionen, sie ermögliche Überblick, Innehalten, Ordnung, Distanz. Dadurch steige die Nachprüfbarkeit. Das Anliegen Fokkelmans ist es, dass der Interpret mit der Methode länger bewusst und methodisch kontrolliert innerhalb des Textes bleiben kann.77 Das Analysevorgehen im Rahmen des Modells entspricht Fokkelmans Leserkonzept, das, wie oben angemerkt, alle Aspekte einer Rezeption unter die Herrschaft vernunftgesteuerter distanzierter Betrachtung zu stellen hat, wobei Ausdauer, Selbstkritik, Verwerfen von Annahmen und ständiger Neubeginn nötig sei.78 Dies aber stehe insgesamt in „dialektischem“ Zusammenhang mit (und in bewusster Gegensteuerung zu) intuitiven Lesereindrücken, „subjective, caprious, associative, fancyful, arbitrary and chaotic reading“.79 Es geht Fokkelman also um eine Steuerung des Leseverhaltens, das kreative Elemente integrativ mit einbezieht und doch zu methodisch gesicherten Ergebnissen gelangt.

3.1.4 Kritische Würdigung Fokkelman folgt in den Hauptlinien seiner methodologischen Argumentation den Grundsätzen des New Criticism. Hierzu gehören in erster Linie sein textinterner Zugang, verbunden mit einer ablehnenden Haltung gegenüber textgenetischen Fragestellungen, sowie das Verständnis biblischer Erzähltexte als 76 77

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Ebd., 8. „[To] avoid partial assimilation of anything foreign, integrate the results of his textural analysis into higher levels and all the time beware of letting his view be swayed by previously preferred or halfway adopted concepts of non-textural nature“ (ebd., 8). Je länger ein Abgleichen des Textes mit/in seinem religiösen oder historischen Kontext und mit der eigenen Überzeugung hinausgezögert werden könne, desto weniger würden von dort aus sperrige Einzelheiten geglättet: „He [the interpreter] can wait considerably longer in investigation his subject within the framework or against the background of the history or the religion of Israel, the Sitz im Leben of the genre, the sociological or theological position of the suspected author, etc. “ (ebd., 9). „To distinguish and parenthesize his [the reader’s] own prejudices and patterns of expectation is his never-ending hermeneutic exercise“ (ebd., 2). Annahmen über Strukturen als „search model“, als „temporary relief“ können Anhaltspunkte zur Weiterarbeit bieten; wenn sie erschöpft sind, muss nach dem Prinzip „trial and error“ (NAPS II, 2) eine neue Suche beginnen: „he [the reader] must abandon such a structure or pattern and be prepared once again to go round the hermeneutic circle with an open mind“ (ebd.). Ebd., 2.

3. Biblische Erzähltexte bei Vertretern des Literary Approach

73

autonome Kunstwerke. In seinem methodischen Vorgehen dominieren strukturalistische Anleihen. Insgesamt aber stellt Fokkelmans literaturtheoretische Grundlegung eine Art Patchwork dar, in dem sich theoretische Überlegungen verschiedener literaturtheoretischer Grundrichtungen verbinden. Kritisch zu sehen ist die starke Betonung formaler Gesichtspunkte in der Textauslegung; bisweilen ist die Gewichtung von Strukturmerkmalen gegenüber inhaltlichen Überlegungen zu groß. Fragen an Fokkelman ergeben sich aber insbesondere aus der Gleichsetzung biblischer Texte mit moderner Literatur, aus der Verwischung der Zeitdifferenz zwischen Text und heutigem Leser und aus der Engführung des methodischen Vorgehens. Seine anfängliche Methodenkritik ist hier im Grunde durch sein eigenes Vorgehen überholt. Problematisch ist dabei nicht nur sein Literatur- sondern auch sein Leserbegriff. Fokkelman sieht zwar die ursprüngliche historische Verankerung der Texte, umgeht aber methodologisch eine Reflexion dieses Zeit-, Sprach- und Kulturunterschiedes, indem sein Idealleser die „world-in-words“ des Textes erfassen soll, statt sich mit der unwiederbringlich verlorenen Vergangenheit zu beschäftigen.80 Fokkelman erkennt also nur einen allgemeinen Leser an, nicht aber eine Reflexion der intendierten Adressaten. Stattdessen erklärt er die historische Fragestellung zur „biggest trap“81 beim Versuch, „richtig“ zu lesen. Folgerichtig gelangt er immer mehr in das Fahrwasser rezeptionsästhetischer Ansätze, indem sich schließlich auch der Text selbst verändert.82 Als besonderes Problem ist festzuhalten, dass Fokkelman aus poetischen Qualitäten des Textes, wie sie im Rahmen neuerer literaturwissenschaftlicher Ansätze, besonders der NC beschrieben worden sind, auf ein fiktionales Textmodell moderner Literatur schließt. Hier legt er eine Textkommunikation zugrunde, die dem Mitteilungscharakter biblischer Erzähltexte nicht gerecht wird.

3.2

Zum Textverständnis bei Robert Alter

Robert Alter gehört zu den bekanntesten und wichtigsten Vertretern des Literary Approach. Er ist Professor für Hebräische Literatur und Vergleichende Literaturwissenschaft an der University of California in Berkeley. Der Schwerpunkt seiner Forschung liegt auf europäischen Novellen und zeitgenössischer amerikanischer und hebräischer Literatur. In einem „informal colloquium“ an der Universität von Standford beschäftigte er sich 1971 mit biblischen Erzähltexten. Das rege Interesse daran führte zu einer Ausweitung seiner Studien, die in sein Buch The Art of Biblical Narrative mündete, das 1981 ediert wurde und zu einem Klassiker für unser Thema wurde (2011 erschien eine überarbeitete Fassung). Wenige Jahre später folgte mit The Art of Biblical Poetry (1985) das Pendant dazu mit Ausführungen zu poetischen Texten der Bibel. Sein World of 80 81 82

Vgl. Fokkelman Reading, 206f. Ebd., 205. „The text travels through constantly changing times and contexts, always meeting new audiences (…) [and] itself also changes“ (ebd., 22f.).

Grundlegung

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Biblical Literature (1991) greift die Diskussion auf, die durch seine vorherigen Publikationen ausgelöst worden war, und pointiert manches, enthält aber keine grundlegenden Änderungen gegenüber seinen früheren Positionen. Neben seinen methodologisch ausgerichteten Schriften ist für unseren Zusammenhang auch Alters Übersetzung und Auslegung zu den Samuelbüchern (und 1Kön 1f.), die 1991 unter dem Titel The David Story erschienen sind, interessant, weil dort seine methodologischen Grundlagen an dem für die vorliegende Untersuchung relevanten Textbereich erprobt sind. So gehört es zu seinem Anliegen, die Samuelbücher aus Sicht eines Literaturwissenschaftlers zu erhellen, der im Lesen literarischer Texte zuhause ist und „deeply excited by the extraordinary narrative art“83 dieser Erzählung ist. Wie wichtig ihm die literarische Dimension dieser Texte ist, zeigt auch, dass er Faulkner als besseren Leser der Daviderzählungen bezeichnet als Rost; Faulkner hatte den Stoff in seinem großen dramatischen Werk „Absalom, Absalom“ verarbeitet. Immer wieder betont Alter, wie faszinierend doch diese Erzählung gestaltet sei. Sie sei eine der herausragendsten Erzählungen, die uns aus dem alten Orient überliefert worden seien. Auch innerhalb der hebräischen Bibel habe sie eine besondere Stellung: „[N]owhere is the Bible’s astringent narrative economy, its ability to define characters and etch revelatory dialogue in a few telling strokes, more brilliantly deployed.“84 Zugleich will Alter aber daran festhalten, dass die Niederschrift einen deutlichen Bezug zu realen Ereignissen habe; der Autor habe niedergeschrieben, „what he knew or thought he knew of the portentous historical events“.85 Alter nimmt an, der Autor habe sich selbst als Historiker gesehen, auch wenn er nicht chronistisch oder annalistisch vorgegangen sei. Er sei zwar überzeugt gewesen von der Legitimität der davidischen Dynastie, zeige sich aber nicht als Apologet der Davididen. Er sei genauer Beobachter, sowohl der politischen Ereignisse als auch des menschlichen Lebens an sich. Dass der Text auch heute noch eine breite Basis an Identifikationsmöglichkeiten biete, beweise die Kompetenz des Autors nicht nur zu scharfsinniger Beobachtung allgemeinmenschlichen Erlebens, sondern zugleich zu deren adäquater Darstellung. Seine Art des Erzählens zeige deutlich Freude an der Darstellung („writerly pleasures“86); das historische Material habe er mit einem Überschuss über enges historiographisches Interesse hinaus literarisch gestaltet, wie besonders eine Reihe von an sich überflüssigen Details zeige, z. B. die Verzweiflung Paltiels, als er sich von Michal trennen muss (2Sam 3,16). Alter steht in seinen Ausführungen der historisch-kritischen Exegese sehr distanziert gegenüber.87 Er bezeichnet sie mit einer Metapher aus der Archäologie als „excavative scholarship“88 und findet deren Ergebnisse unbefriedigend. Insbesondere lehnt er die Meinung vieler Exegetinnen und Exegeten ab, der historisch-kritische Zugang sei der notwendige erste Schritt oder gar der einzige 83 84 85 86 87 88

Alter, David Story, xxxiii. Ebd., ix. Ebd., xxiv. Alter, David, xxii. Vgl. etwa Alter, Genesis, XLI. Vgl. auch ebd., 13 (2. Aufl., 14).

3. Biblische Erzähltexte bei Vertretern des Literary Approach

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Weg zum Verständnis biblischer Erzählungen. Jedoch schließt er diachrone Überlegungen nicht grundsätzlich aus.89 Für die Schlusskapitel des zweiten Samuelbuches etwa kommt auch Alter nicht umhin, mit einer Einfügung zu rechnen. Er gesteht zu, dass dieser Abschnitt aus vier verschiedenen Quellen zusammengearbeitet sei. Alter rechnet, wie er in seinem Genesis-Kommentar expliziert, mit Entstehungsbedingungen der atl. Bücher, die sich von unseren deutlich unterscheiden: „The biblical conception of a book was clearly far more open-ended than any notion current in our own culture.“90 Letztlich aber spielt das für seine Interpretation der Texte keine Rolle.

3.2.1 Biblische Erzählungen als antike literarische Texte – und ihr Verhältnis zur Historizität Alter beantwortet die Frage, ob es sich bei den Daviderzählungen um fiktionale Literatur oder Historiographie handle, mit einer Synthese: Es sei „intertwining of history and fiction“91, und zwar sowohl „historicized fiction“ als auch „fictionalized history“.92 Tendenziell neigt er dem Letzteren zu: It is perhaps less historicized fiction than fictionalized history – history in which the felling and the meaning of events are concretely realized through the technical resources of prose fiction.93

Die Daviderzählung basiere auf historischen Fakten, sei aber durch einen begabten Autor literarisch ausgestaltet.94 Der Gestaltungswille des Schreibers im Zuge der Textproduktion95 zeige sich etwa an der Wortwahl, dem geschickten Wechsel von Erzählperspektiven und vor allem in der Gestaltung von Dialogen, die Alter zumeist für erfunden hält. Das Ergebnis solcher Gestaltung sei „an imaginative reenactment of the historical event“.96 Historische Ereignisse würden also literarisch nachvollzogen. Diesen Prozess nennt er auch „transmutation of history into fiction“.97 Dies ist nach Alter in Analogie zu Shakespeares literarischem Vorgehen zu erklären: als imaginativer Nachvollzug von Geschichte, dem es zwar auf die Erhellung des geschichtlichen Ereignisses ankomme, nicht aber darauf, eine im strengen Sinne historische Darstellung dieses Ereignisses zu

89 90 91 92

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Vgl. hierzu seine diachronen Anmerkungen in David Story, x.f. Alter, Genesis, XL. Alter, Art, 35 (Aufl. 2, 40). Ebd., 24f. 41 u.ö. (2. Aufl., 27f. 47 u.ö.), in Anlehnung an Schneidaus Formulierung „historicized prose fiction“, ebd., 24 (2. Aufl., 27). Wenn Alter von „fiction“ spricht, meint er damit „Literatur“ an sich, wo er von „fictional characters“ spricht, meint er „literarisch gestaltete Charaktere“ (vgl. ebd., 12f). Ebd., 41 (2. Aufl., 47). Vgl. ebd., 35 (2. Aufl., 40). Bezeichnend ist der Beginn des ersten Kapitels seiner „Art“: „What role does literary art play in the shaping of biblical narrative? A crucial one (…)“ (ebd., 3 [2. Aufl., 1]). Ebd., 41 (2. Aufl., 47). Ebd., 36 (2. Aufl., 41).

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Grundlegung

bieten.98 Die Daviderzählungen bezögen sich auf bekannte Ereignisse, seien aber mit volkstümlichen Elementen durchzogen und hätten theologische Zuspitzungen erhalten.99 Die Daviderzählungen, die Alter zu den Meisterwerken antiker Literatur rechnet, stellten daher einen Aufbruch imaginativer Tätigkeit dar.100 Diese Texte seien in Abgrenzung zur nichtjüdischen Welt, die sich der Form der Epik bediente, ganz bewusst in Prosa gestaltet worden.101 Geschrieben seien sie am Hof Salomos als prosalomonische Schrift. Sie markierten einen Beginn politischer Literatur, und konzentrierten sich auf individuell gezeichnete, machterhaltende und machtkonservierende Charaktere. Anders als Fokkelman bezieht Alter diachrone Überlegungen, auch wenn sie für ihn eine untergeordnete Rolle spielen, in die literarische Betrachtung mit ein und sieht in den speziellen Entstehungsbedingungen biblischer Texte deutliche Differenzen zu modernen Texten.102 Hier merkt er auch zu Sternberg kritisch an, dieser sehe biblische Texte in vorschneller Analogie zu moderner Romanliteratur als Produkt einzelner unabhängiger Autoren an.103 Mit Todorov wendet er sich gegen eine unreflektierte Anwendung stillschweigender, naiv-ästhetischer Vorstellungen von Stileinheitlichkeit, Widerspruchslosigkeit, Fortschrittslosigkeit (von Handlung und Charakteren) und Wiederholungslosigkeit auf die antiken biblischen Erzähltexte.104 Die Möglichkeit redaktioneller Bearbeitungen biblischer Texte rechnet er zu den spezifischen Bedingungen der Entstehung biblischer Erzähltexte, die einen deutlichen Unterschied zu moderner Autorenliteratur markierten.105 Innerbiblisch müsse man nicht nur zwischen verschiedenen Perioden und Gattungen unterscheiden, sondern auch zwischen verschiedenen Autoren eines bestimmten Textes.106 Nichtsdestoweniger geht es Alter um eine ganzheitliche Lektüre.107

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Shakespeare habe historische Ereignisse zum Ausgang genommen, diese aber durch Ausgestaltung etwa durch erfundene Charaktere, die zur Hervorhebung der Hauptcharaktere dienten; so sei auch der Autor der Daviderzählungen vorgegangen. Vgl. ebd. Vgl. ebd., 37 (2. Aufl., 42). Vgl. ebd. Vgl. ebd. (2. Aufl.), 28: „What is crucial for the literary understanding of the Bible is that this impulse to shape a different kind of narrative in prose had powerfully constructive consequences in the new medium that the ancient Hebrew writers fashioned for their monotheistic purposes.“ Dies hat, wie die Anmerkungen zu Story zeigen, aber kaum eine Auswirkung auf die Betrachtungsweise des Textes. Dort spielen nämlich diachrone Überlegungen im Grunde keine Rolle. Vgl. ebd., 19 (2. Aufl., 20). Vgl. ebd., 21 (2. Aufl., 23). Zu den Techniken von „Textbearbeitung“ äußert sich Alter verschiedentlich. Als Beispiel sei seine Ausführung zur Interpolation von Gen 38 genannt; diese nennt er „the result (…) of careful splicing of sources or traditions by J, who is a brilliant literary artist“ (ebd., 10). Vgl. ebd., 17 (2. Aufl., 18). Vgl. ebd., 11.

3. Biblische Erzähltexte bei Vertretern des Literary Approach

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3.2.2 Poetizitätsmerkmale biblischer Erzählungen Besonderen Wert legt Alter auf die Beschreibung von Poetizitätsmerkmalen biblischer Erzähltexte. Einige solcher Merkmale, maßgeblich morphematischlexematische Stichwortverbindungen, spielen bei Alter im Rahmen von Überlegungen zur Textkohärenz größerer literarischer Abschnitte eine wichtige Rolle. Als Beispiel mag seine Analyse der Erzählung von Juda und Tamar (Gen 38) in ihrem vorliegenden Kontext gelten. Dieses Erzählkapitel, das in diachron orientierten Zugängen in der Regel aus seiner Textumgebung isoliert wird, beschreibt Alter in seinen Einbindungen in diesen Kontext und ermittelt so seine Funktion für diesen Kontext und die des Kontextes für den Text. So stellt er etwa heraus, dass hier Juda und Josef hinsichtlich ihres ethischen Verhaltens kontrastiert würden, oder Juda und Jakob hinsichtlich ihres Umgangs mit Trauer, und dass es mannigfaltige thematische Verbindungen gebe, wie den Betrug der Brüder gegenüber Jakob und den Betrug der Tamar gegenüber Juda. Alter verweist darauf, dass wichtige Erkenntnisse dazu schon im Midrasch Bereshit Rabba 84,11f. zu finden seien: die Stichwortverbindung von ‫הַ כֶּר־נא‬ erkenne doch! (Gen 37,32 und 38,25), womit Juda seinen Vater und Tamar den Juda auffordert, oder ‫ גְּ ִדי‬Zicklein (Gen 27,9.16 bzw. Gen 38,17.20; 38,23), mit dem Jakob seinen Vater und Tamar den Juda betrügt. Allerdings grenzt sich Alter vom didaktischen Duktus der Midrasch-Auslegung ab und sieht den Text im Gegensatz zu den Midraschim als narratives Kontinuum. Die gleiche Wortwahl, die einen Zusammenhang herstelle – Alter spricht hier auch von „interconnectedness“ – ist für ihn ein deutliches Kennzeichen, dass eine enge Verbindung zwischen Kap. 38 und seinem Rahmen intendiert sei.108 So spielen in Alters Sicht Wortwahl, Klang, Syntax und andere Gestaltungsmerkmale eine entscheidende Rolle für die Kohärenz und für die Bedeutung des Textes. In seiner eigenen Übersetzung (The David Story), achtet er dann entsprechend auch auf eine möglichst genaue Wiedergabe von Wortwiederholungen oder ausdrucksstarker Syntax. Eines der Anliegen Alters ist es, eine theoretische Fundierung biblischer Poetik zu schaffen. Diese sei in der Vergangenheit nur bruchstückhaft an exemplarischen Texten geschehen. Alter beklagt, dass dabei strukturalistische Versuche wenig ergiebig gewesen seien. Solche hätten vielmehr die eigentlichen Charakteristika und die ihnen eigentümlichen literarischen Konventionen überlagert.

3.2.3 Anleitung zum „intelligenten Lesen“ Alter spricht sich gegen eine bloß applizierende Lesung aus, indem er die Distanz des heutigen Lesers zum biblischen Text betont, und, wie Todorov für grie108

Vgl. ebd., 10f. Er bleibt jedoch zugleich bei diachronen Überlegungen, indem er in diesen Wortverbindungen eine „brillante“ Verbindungsleistung verschiedener Quellen sieht; damit sei auch eine rein mechanische Interpolation des Textes ausgeschlossen.

Grundlegung

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chisch-antike Texte, eine unreflektierte Einpassung der Texte in moderne Rezipientenanschauungen ablehnt. Er selbst nennt als sein Anliegen, eine Anleitung zum intelligenten Lesen biblischer Erzähltexte geben zu wollen.109 Für eine „intelligente“ Lesung dieser Texte bedürfe es aber eines „close readings“, das die „disziplinierte Aufmerksamkeit“110 auf die Art und Weise der Darstellung lenkt: Wie wird Sprache gebraucht, was ist der erzählerische point of view, wo wechselt die Perspektive, wie ist Syntax eingesetzt, wie Töne und Klänge, wie wird mit Morphemen (z. B. durch Wiederholung, Anknüpfung) gearbeitet etc.? Deutlich grenzt er sich von einer rein „imaginativen Impression“ der Texte, wie sie für rezeptionsästhetische Lesungen kennzeichnend ist, ab. Personencharakterisierungen etwa seien nur dann genau nachzuvollziehen, wenn man auf die Details ihrer Charakterisierung achte. Mit Überlegungen des Reader-Response Criticism aber stimme er darin überein, dass er narrative biblische Literatur als kohärentes Kontinuum auffasst, das im Prozess des Lesens kontinuierliche „Revision“ erfordere, etwa eine Abgleichung von Leservorannahmen mit neu hinzukommenden Informationen. Dies setze eine gewisse Indeterminiertheit voraus, wie sie naturgemäß allen Erzählungen zu eigen ist. So verdeutliche die alte Überlegung zu „Thema“ und ihrer Ergänzung durch „Rhema“, wie nähere Ausführungen im Laufe der Erzählung (einige der) zuvor offengelassene Unbestimmtheiten einschränken. Intelligent muss der Leser im Sinne Alters auch deshalb sein, weil Alters Ansatz voraussetzt, dass sich das Potential eines Textes hochgradig auch aus Nichtexpliziertem erschließt. Ein weithin gemeinsames Kennzeichen seiner Ausführungen ist, dass er viel mit Analogien, Parallelen, Wiederholungen, Kontrasten oder knappen Andeutungen arbeitet. Die thematischen und inhaltlichen Verbindungen, die Alter herstellt, sind vom Text selbst nicht expliziert, sondern müssen vom Leser ermittelt werden. Alter zeigt damit auch auf, dass der Leser ein gegenüber den handelnden Personen privilegierter Leser ist. Besagte Zusammenhänge kann der Protagonist auf Erzählebene nicht kennen. Zugleich setzt Alter voraus, dass bei der Textproduktion damit gerechnet wurde, dass ein Leser Indizien zu solchen Verknüpfungen erkennen kann. Insgesamt geht es Alter nicht um eine formalistische Interpretation, vielmehr arbeitet er mit sprachlich-formalen und mit inhaltlichen Argumenten.

3.2.4 Kritische Würdigung Alter, der sich der Methode des close reading verpflichtet, beschränkt dieses Vorgehen nicht auf den Grundsatz der Werkinterpretation, Rückfragen hinter den Text zu unterlassen. Vielmehr spielen Fragen nach der Autorentätigkeit, nach der Textintention etc. eine wichtige Rolle. Die historische Dimension gehört – trotz formulierter Vorbehalte gegenüber historischer Exegese – zu den Grundlagen seines literarischen Interpretationszugangs. 109 110

Sein Buch sei als „a guide to the intelligent reading of biblical narrative“ zu verstehen. Ebd., ix (2. Aufl., xiii). Ebd., 12 (2. Aufl., 13).

3. Biblische Erzähltexte bei Vertretern des Literary Approach

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Besonders ist hervorzuheben, dass bei Alter die Unterscheidung von mitteilender und literarischer Erzählung gewahrt bleibt. Biblische Erzähltexte gehören für Alter vor allem mitteilender Literatur an.111 Nichtsdestotrotz gesteht er ihnen aber einen spielerischen Überschuss zu, der über die direkte Mitteilungsabsicht hinaus gehe. Auch die Frage nach der Intention der biblischen Erzähltexte wird bei Alter beantwortet: Es sei das Ziel dieser Texte „to reveal the imperative truth of God’s works in history and of Israel’s hopes and failings“.112 Wenn Alter auch mit einem Spielraum für „pleasurable invention for its own sake“113 rechnet, der weder im Dienste historischer noch theologischer Intention steht, so hält er doch daran fest, dass die biblischen Erzähltexte ihrem eigenen Verständnis nach einen Wahrheitsanspruch gegenüber dem Leser vertreten. Dieser Leser habe mit Umsicht den Text in seiner Gesamtheit wahrzunehmen und die Textintention – das Regulativ der Interpretation – zu ermitteln.

3.3

Zum Textverständnis bei Meir Sternberg

Mit dem dezidierten Anliegen literaturwissenschaftlicher Theoriebildung analysierten die beiden Tel-Aviver Literaturwissenschaftler Meir Sternberg und Menakkem Perry die David-Batseba-Erzählung. Das taten sie zunächst ganz unabhängig von der neueren exegetischen Diskussion um die Erzählung. Sie stellten die von der Erzählung ausgelegte ironische Brechung Davids heraus, die nach ihrer Sicht maßgeblich von Unbestimmtheitsstellen in der Erzählung, sog. „gaps“ befördert wurde. Ihr Beitrag erschien in der ersten Ausgabe der Zeitschrift Hasifrut (‚Die Literatur‘) 1968 auf Hebräisch unter dem Titel The King Through Ironic Eyes: The Narrator’s Devices in the Story of David and Batseba and Two Excurses on the Theory of the Narrative Text.114 Im Rahmen dieser Zeitschrift wurde die Debatte dann auch fortgesetzt.115 Der jüdische Exeget 111

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„The Bible presents a kind of literature in which the primary impulse would often seem to be to provide instruction (…) not merely to delight. If, however, we fail to see that the creators of biblical narrative were writers who, like writers elsewhere, took pleasure in exploring the formal and imaginative resources of their fictional medium, perhaps sometimes unexpectedly capturing the fullness of their subject in the very play of exploration, we shall miss much that the biblical stories are meant to convey“ (ebd., 46 [2. Aufl., 54]). Ebd. (2. Aufl., 53). Ebd. In: Hasifrut 1 (1968), 263-292. Dieser Beitrag wurde späer Grundlage von Kap. 6 der Poetics: Gaps, Ambiguity and the Reading Process. Meir Sternberg und Menakhem Perry, Caution, a Literary Text! Problems in the Poetics and the Interpretation of Biblical Narrative (hebr.): Hasifrut 2 (1970), 679-682. B. Arpali, Caution: A Biblical Story! Comments on the Story of David and Bathsheba and on the Problems of Biblical Narrative (hebr.): Hasifrut 2 (1970), 580-597, Uriel Simon, An Ironic Approach to a Bible Story: On the Interpretation of the Story of David and Bathsheba (hebr.): Hasifrut 2 (1970), 598-607 und abermals Sternberg und Perry: Caution, a Literary Text! Problems in the Poetics and the Interpretation of Biblical Narrative (hebr.): Hasifrut 2 (1970), 608-663. In Folgenummern derselben Zeitschrift

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Grundlegung

Uriel Simon, der selbst früh mit der Methode des „close reading“ arbeitete und dabei primär von der Endgestalt des Textes ausging, bezeichnete den Ansatz von Perry und Sternberg als unangemessen: Eine literaturwissenschaftliche Betrachtung biblischer Texte verfehle schlicht und ergreifend deren Gattung. Es handle sich hier eben nicht um novellistische Literatur, sondern um Geschichtsschreibung. Auch Boaz Arpali warf seine Bedenken ein, und dies mit dem programmatischen Titel Caution: A Biblical Story! Auf diese beiden Beiträge antworteten Sternberg und Perry mit dem Aufsatz: Caution: A Literary Text!, in dem sie die Einwürfe Simons und Arpalis zu widerlegen suchten. Dass die Diskussion auf Hebräisch geführt wurde, ist offensichtlich der Grund dafür, dass sie zunächst von der internationalen Forschung unbemerkt vonstattenging und von ihr erst Mitte der 80er Jahre wahrgenommen wurde, nachdem Sternberg seine Poetics of Biblical Narrative (1985) in englischer Sprache veröffentlicht hatte. Dieses Buch wurde denn bald zu einem wichtigen methodologischen Grundlagenwerk zum Thema.

3.3.1 Biblische Erzählungen als intentionale Mitteilungsliteratur – und ihr Verhältnis zur Historizität Sternberg verortet biblische Erzähltexte, die er dezidiert als Literatur bezeichnet, als Bestandteil einer Kommunikation: as a functional structure, a means to a communicative end, a transaction between the narrator and the audience on whom he wishes to produce a certain effect by way of certain strategies.116

Hinter ihnen stehe ein Autor, der zum Zweck der Kommunikation mit der Leserschaft bei der Produktion seines Werkes narratologische Strategien als Mittel einsetzt, um damit eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Diese Intention des Autors117 habe der Leser, will er den Text richtig verstehen, zu ermitteln: Like all social discours, biblical narrative is oriented to an addressee. Hence our primary business as readers is to make sense of it, so as to explain the what’s and the how’s in terms of the why’s of communication.118

Aufgrund der Annahme, dass biblische Erzähltexte als Teil eines kommunikativen Prozesses zwischen Autor und Leser zu gelten haben und die Text-

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118

erschienen von Sternberg eine ganze Reihe weiterer Beiträge, die er, wie die beiden o.g. Beiträge, dann seinen Poetics zugrunde legte. Sternberg, Poetics, 1. Eine Autorenintention aber begegnet uns allerdings nur als „embodied“ oder „objectified intention“. So liefert der Text ein Netzwerk von Anhaltspunkten über die Intention des Senders. In dieser Hinsicht unterscheide sich die Bibel nicht von anderen literarischen oder nichtliterarischen Botschaften, außer hinsichtlich ihres spezifischen Zwecks und ihrer besonderen formalen Kennzeichen. (Dies sei im Großen und Ganzen auch deckungsgleich mit der Position von Wimsatt und Beardsley, ebenso mit der linguistischen Pragmatik und der Sprechakttheorie.) Ebd.

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bedeutung an die Autorenintention rückgebunden ist, wird nach Sternberg die Ermittlung von Autorenintention zu einer Aufgabe historischer Rekonstruktion. Der Ausleger, der nicht unmittelbarer Teil der Ursprungssituation ist und keinen unmittelbaren Zugang zum soziokulturellen Kontext der Bibel hat, muss die Intention historisch rekonstruieren. Einwänden, man könne sich einer ersten Kommunikationssituation mit der ursprünglichen Autorenintention, dem Textsinn und dem Hörerverständnis nicht annähern, hält Sternberg die grundsätzliche Möglichkeit entgegen, Gesetzmäßigkeiten fremder Kulturen (zumindest in Annäherung) zu erlernen, so auch die des Alten Testaments. Von dieser „historischen“ Positionierung aus grenzt sich Sternberg von verschiedenen Richtungen des Umgangs mit biblischen Erzähltexten ab, wie er etwa im New Criticism, durch formalistische Zugänge und mit der historischkritischen Methode betrieben wird. Seine Formalismus- und Strukturalismuskritik richtet sich gegen die Tendenz, Erzählungen ohne Beachtung des kommunikativen Kontextes und damit ihrer Intention zu lesen und literarische Mittel unabhängig von ihrer Funktion, ihrer Rolle und Bedeutung herauszuarbeiten und aufzulisten. Es gehe nicht in erster Linie nur um die Frage, welche Stilmittel im Text vorkämen, sondern was sie bewirkten. Der Wert von Stilmitteln ergebe sich erst durch ihren kommunikativen Zusammenhang; würde der nicht beachtet, praktiziere man lediglich eine zum historisch-exegetischen Vorgehen weitere Variante von Textatomisierung: „Unless firmly anchored in the relations between narrator and audience, therefore, formalism degenerates into an new mode of atomism.“119 Besonders ausführlich grenzt sich Sternberg vom New Criticism ab. Für seine eingehenden methodologischen Überlegungen nimmt Sternberg seinen Ausgang bei den für den New Criticism beispielhaften Thesen (Methodological Considerations120) von Gros Louis, die einen rein textorientierten, auf die Textwelt beschränkten, intrinsisch und struktural vorgehenden Literary Approach fordern. Bis auf die Annahme von Texteinheit als sinnvolle Voraussetzung zur Textbetrachtung lehnt Sternberg diese Thesen ab und plädiert für ein Zusammenspiel von synchronen und diachronen Fragestellungen.121 Ein 119 120

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Ebd., 2. Die Thesen lauten in Übersetzung: 1. Ein Zugang zur Bibel, der die Bibel als Literatur betrachtet, bedeutet, den Nachdruck auf den Text selbst zu legen – nicht auf seine historischen oder textuellen Hintergründe, nicht auf die Umstände, die den Text in die vorfindliche Form brachten, nicht auf seine religiösen und kulturellen Fundamente. 2. Der Literaturwissenschaftler geht von der Einheitlichkeit im Text aus. 3. Ein Literaturwissenschaftler nimmt seinen Ausgang in einem primären Interesse, wie das Werk strukturiert und organisiert ist. 4. Literaturwissenschaftler sind in erster Linie interessiert an der literarischen Realität des Textes und nicht an dessen historischer Realität. Wir fragen: Ist es wahr? – nicht in der realen Welt, sondern in der fiktionalen [gemeint: fiktiven; A.K.] Welt, die durch die Erzählung gebildet worden ist. 5. Die literarische Realität der Bibel kann mit denselben Methoden der Literaturwissenschaft untersucht werden, die auch an jedem anderen Text Anwendung finden. Vgl. ebd., 6f. Vgl. bes. den Abschnitt Discourse and Source, 7-23. Nach Sternberg will die „sourceoriented inquiry“, also die quellenorientierte Rückfrage, die Welt der Bibel, wie sie wirklich war, ermitteln. Der Theologe wolle ein Gesamtbild altisraelitischer Religion, der Historiker wolle wissen, was in der israelitischen Geschichte passiert, der Linguist wolle das Sprachsystem erfassen, das damals galt. Der Text-Genetiker konzentriere sich auf

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Grundlegung

entscheidender Grund für die Ablehnung des New Criticism im Blick auf biblische Erzählungen sei auch, dass dem New Criticism ein fiktionales Textmodell zugrunde liegt, das Sternberg für die biblische Erzählliteratur ablehnt.122 Als problematisch erweise sich vor allem der tendenziell ahistorische Ansatz des New Criticism, dadurch dass er an Autorenintention nicht interessiert ist. Sternberg bezeichnet eine solche Verweigerung als Anachronismus, da jede Literatur ein Kommunikationsmodell voraussetze, in dem ein Sprecher mit Wirkabsicht vertreten sei.123 Von daher sei folgende Aussage von Gros Louis zweifelhaft: „Wir wissen als Literaturwissenschaftler, daß die Autorenintention, seine Ziele, mit denen er seiner zeitgenössischen Hörerschaft schreibt, und seine religiösen Überzeugungen tatsächlich eine geringe Rolle in der LW spielt.“124 Er sage dies in missverstandener Aufnahme von Wimsatt/Beardsley: The Intentional Fallacy (1946), die sich aber u.a. gegen Überbetonung biographischer

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den Prozess, der den biblischen Text erzeugt und geformt hat: die Herkünfte und Merkmale des Materials (Dokumente, Traditionen) die in die Bibel gelangten, der Übergang von mündlicher zu schriftlicher Arbeit, die Veränderungen durch Interpolation, Abschreibfehler etc. In jedem dieser Fälle liege das Objekt des Interesses hinter dem Text, auf einem Zustand oder Entwicklungsstand, der zur Zeit der Quelle(n) (Material, Vorläufer, ermöglichende Bedingungen) biblischen Schreibens herrschte, und den die Bibeltexte jetzt wiederum reflektieren. Hingegen möchte die „discourse-oriented analysis“, also die textorientierte Analyse, nicht die Realitäten hinter dem Text verstehen, sondern den Text selbst als Muster von Sinn und Wirkung. Leitfragen seien dabei: Was bezeichnet ein bestimmtes Sprachphänomen – Metapher, Epigramm, Dialog, Märchen, Buch – in diesem Kontext? Was sind die Gesetze, die die Transaktion zwischen Erzähler und Leser steuern? Sind die operativen Gesetze etwa die von Prosa oder Vers, Parabel oder Chronik, Allwissenheit oder realistischer Begrenztheit, historischer oder fiktiver Literatur? Was für eine Weltsicht entwirft der Erzähler? Warum entfaltet er die Handlung in dieser speziellen Reihenfolge und von diesem speziellen Gesichtspunkt aus? Was wird erzielt durch die Auslassungen, Redundanzen, Doppeldeutigkeiten, durch Alternationen zwischen Szene und Zusammenfassung oder durch Gebrauch von gehobener Sprache und Umgangssprache? Wie hängt das Werk zusammen? Wie steht der Teil zum Ganzen und Form zu Funktion? Als Beispiel für einen schlecht begründeten und widersprüchlichen Ansatz im Sinne des New Criticism nennt Sternberg David Robertson, The Old Testament and the Literary Critic (Sternberg, Poetics, 4). Nach Sternberg ist der Nutzen des New Criticism für die Diskussion in der biblischen Erzählliteratur kaum zu unterschätzen. Er zeigt aber auf, dass der New Criticism wie zur Zeit seiner Entstehung als Gegenzug zu älteren literaturwissenschaftlichen Zugängen auch in der Phase seiner Adaption in die exegetische Diskussion vor allem polemischen Charakter hat und so keine eigene in sich geschlossene Theorie bietet, stattdessen die eigenen Positionen durch Wiederholung zementiert und eine Anpassung an die Bedingungen der Bibelwissenschaft verweigert. Solches Vorgehen sei verständlich, kann aber höchstens das Problem verdeutlichen, nicht aber eine alternative Theorie bieten. Eine solche sei aber die Forderung der Stunde. Wenngleich Sternberg einen rein rezeptiv orientierten Umgang auch mit moderner Literatur abzulehnen geneigt ist, so gibt es aber doch einen solchen Umgang, vor allem dann, wenn nicht der intendierte Leser im Blick ist. So greift er mit seiner pauschalen Kritik am New Criticism zu kurz, hat aber in Hinsicht auf eine unreflektierte Applikation solcher Modelle auf biblische Erzähltexte den problematischen Punkt getroffen. Übersetzung nach Zit. von Gros Louis, Methodological Consideration 16, bei Sternberg, Poetics, 8.

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Eigenaussagen der Autoren zu ihrem Werk wenden.125 Da es solche biographischen Eigenaussagen für Bibeltexte nicht gibt, läuft diese Kritik in der Bibelwissenschaft ins Leere. Hätten Wimsatt und Beardsley nur die Bibel als Literaturkorpus vor sich gehabt, wären sie nach Sternberg nicht zu einem solchen Ergebnis gekommen. Sternberg führt illustrativ vor allem linguistische Überlegungen ins Feld, um sowohl einen Ahistorismus wie einen Antirekonstruktionismus in der literaturwissenschaftlichen Textbetrachtung als grundlegend falsch zu markieren. Ahistorische Ansätze griffen nämlich schon beim Phänomen „Sprache“ nicht mehr: Bibelhebräisch muss historisch rekonstruiert werden, denn die für literarische Interpretation relevante Semantik und Grammatik des Bibelhebräischen ist nicht im Text selbst gegeben, sondern wird schon vorausgesetzt. So verhalte es sich auch hinsichtlich Kunstkonventionen, Wirklichkeitsmodellen und Wertesystemen. Auch solche müssten historisch ermittelt werden.126 Integraler Bestandteil der Textinterpretation sei also die Anwendung historischer Rekonstruktion. Literaturwissenschaftler übersähen leicht, wie sehr sie auf eine solche Rekonstruktion angewiesen seien, und welch große Rolle hierfür auch „external evidences“127 spielten.128 Die Ablehnung von Überlegungen zur Textgenese bei manchen Literaturwissenschaftlern sei von daher unhaltbar. Sie erkläre sich allenfalls durch die zwei Jahrhunderte der Unverhältnismäßigkeit ihrer Überbetonung im exegetischen Bemühen. Diese unausgewogene Methodenanwendung mache auch plausibel, dass literaturwissenschaftliche Ansätze als Gegenschlag zur dortigen Atomisierung tendenziell auf einen Holismus umschwenken. Textgenese dürfe aber keineswegs als eine der möglichen Fragerichtungen ausgeblendet werden, sondern müsse eine Möglichkeit bieten, um etwaige Inkongruenzen im Text zu erklären.129 Sternberg hält dem entgegen, dass synchrone und diachrone Zugangsweisen nicht voneinander zu trennen 125 126

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Zu Wimsatt und Beardsley vgl. 2.1.2. Hierzu gehören nach Sternberg Fragen wie: Ist etwa eine Metapher gebräuchlich oder ist sie neu geprägt? Das jeweilige Ergebnis habe dann Auswirkungen auf die Interpretation. Ähnliches gilt auch für Dialoge, Wiederholungen, Auslassungen, Ringstrukturen, Zeitstrukturen, Erzählhaltung. Zu letzterem etwa sei die Frage entscheidend, ob eine allwissende Erzählhaltung bereits der Normalfall war oder es sich um eine Innovation handle. Hierzu zählt Sternberg etwa den Vergleich mit außerbiblischer altorientalischer Literatur, altorientalisches Kunstverständnis, Grundlagen monotheistischer Theologie und Datierung des Kanons. Im Gegenzug erwiesen sich historisch-exegetische Ansätze nicht selten als Zugänge, die wichtige Aspekte aus der historischen Interpretation aussparten und den Text anachronistischen Normen unterwerfen. Als Beispiel nennt Sternberg 1Sam 13,1 „Saul war ein Jahr alt, als er König wurde“: Zwar ist eine Kultur denkbar, in der jemand einjährig zum König wird, jedoch gebe es verschiedene Anhalte, wonach ein Fehler in der Zahlenangabe am plausibelsten erscheine. In diesem Fall wiege die Forderung nach Einfachheit das Postulat der Texteinheitlichkeit auf; „Texteinheitlichkeit“ müsse eher als eine Arbeitshypothese denn als kategorischer Imperativ verstanden werden. – Der Hauptunterschied bezüglich textgenetischer Fragen liege zwischen Literaturwissenschaftlern bzw. Literaturwissenschaftlerinnen, Exegeten bzw. Exegetinnen und Vertretern bzw. Vertreterinnen anderer Disziplinen hauptsächlich im Zweck der Fragestellung.

Grundlegung

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sind, sondern sich vielmehr überlappen und ergänzen. Eine Diskursanalyse setze eben die Rückfrage (hinsichtlich Sprachsystem, kulturellem Milieu, Theologie, Datierung, Entwicklungen im Kanon, Herkunft, Überlieferung) „hinter“ den Text voraus. Diese hintergründig-impliziten Dimensionen operierten dann als Parameter für die Interpretation. Je genauer unsere Kenntnisse darüber seien, desto mehr Sinn entdeckten wir im Text. In der Rückfrage seien wir aber v.a. auf die Diskursanalyse angewiesen, denn der Großteil der Informationen darüber ist der Bibel selbst entnommen. Eine Ermittlung der textvorläufigen Informationen, d. h. zugleich eine Bewegung vom Text zu den Implikaten, die in bzw. „hinter“ dem Text liegen, kann nur durch Interpretation geschehen. Es gibt methodisch keine positive Setzung solcher Hintergründe. Man sei immer wieder auf den Text selbst geworfen. Ist man sich der Verwobenheit synchroner und diachroner Fragestellungen bewusst, so ergebe sich des Weiteren daraus, dass der Historiker damit rechnen muss, dass die Bibel literarisch gestaltet sei und deshalb manches stilisiert ist, und der Sprachforscher müsse etwa damit rechnen, dass Sprache auch außerhalb der Sprachnorm Verwendung findet. Den schwersten Stand habe der „Text-Genetiker“, der die Aufgabe diachroner Dekomposition besonders einfühlsam mit der Beachtung diachroner Kunst der Komposition abgleichen müsse. Jede diachrone Hypothese stehe oder falle mit der Stichhaltigkeit der synchronen Analyse. Damit hat Sternberg eine methodologische Grundforderung eines angemessenen Umgangs mit biblischen Erzähltexten auf den Punkt gebracht.

3.3.2 „Fiction and History“ und das Konzept des „inspirierten Autors“ Sternberg geht ausführlich der Frage nach, ob biblische Erzähltexte der Literatur oder der Historiographie zuzurechnen sind.130 Hierfür setzt er sehr grundlegend an, zeigt es als Kategorienfehler auf, wenn „history-writing is wedded to and fiction-writing opposed to factual truth“ und erklärt: For history-writing is not a record of fact – of what ‚really happened‘ – but a discourse that claims to be a record of fact. Nor is fiction-writing a tissue of free inventions but a discourse that claims freedom of invention. The antithesis lies not in the presence or absence of truth value but of the commitment of truth value. The difference between truth value and truth claim is fundamental.131

Dass Historiographie weithin gesehen würde als Reproduktion dessen, was wirklich geschah, und Literatur als Produktion von Erfundenem, führe zu der falschen Annahme, historiographische Texte seien Faktenlieferanten und literarische Texte seien historisch unglaubwürdig. Diese Gegenüberstellung sei schon deshalb unhaltbar, weil dann Geschichtsschreibung zu Literatur werden müsste, sobald man ihr Fehler nachweisen könne, bzw. Romane zu Geschichtsschreibung würden, wenn die in ihnen dargestellte Welt den geschichtlichen 130 131

Vgl. bes. den zweiten Abschnitt des ersten Kapitels Fiction and History, 23-35. Sternberg, Poetics, 31.

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Fakten entspräche. Das entscheidende distinktive Kriterium sei vielmehr der Wahrheitsanspruch: Literatur beansprucht nicht, Fakten zu erzählen; sie kann eine Welt erfinden, muss es aber nicht. Historiographie beansprucht, Fakten zu erzählen bzw. die vorfindliche Welt darzustellen, ihre Darstellung kann diese aber auch verfehlen. Eine Unterscheidung von Literatur und Historiographie kann nun gerade nicht an äußeren Merkmalen festgemacht werden, da es sich nicht um formale, sondern um funktionale Unterschiede handelt. Der Unterschied sei im Zweck des jeweiligen Genres zu suchen: [H]istory and fiction make functional categories that may remain constant under the most assorted formal variations and are distinguishable only by their overall sense of purpose.132

Indem nun Sternberg den Eigenanspruch des Textes als maßgebliches Unterscheidungskriterium und die Nichtunterscheidbarkeit beider Darstellungsweisen anhand formaler Merkmale herausgestellt hat, zeigt Sternberg auf, dass biblische Erzählungen formal Merkmale von Poetizität aufweisen, zugleich aber den Anspruch haben, die Wahrheit zu sagen, bzw. die (einzig wahre) Geschichte zu erzählen. Biblische Erzähltexte sind nach Sternberg nicht nur Historiographie, sondern sie zeigen zugleich den Anfang von Historiographie („pocket-size example of the very rise of historiography“), deren Spezifikum es sei, das Volk Israel durch den erzählerischen Nachvollzug seiner Geschichte zu definieren und zur Erinnerung anzuhalten. Rhetorisch betonten die biblischen Texte immer wieder den eigenen Wahrheitsanspruch – etwa durch narratologische Rückbindung gegenwärtiger Vorfindlichkeiten an die Vergangenheit, oder durch Verweise auf „Quellen“, deren öffentliche Zugänglichkeit behauptet wird. Voraussetzung und zugleich kommunikative Absicht der Texte sei es, zu zeigen, dass Gott Herr der Geschichte ist. Im geschichtlichen Kontext der Entstehungssituation dieser Texte sei es undenkbar, die Texte als fiktionale Texte zu lesen, denn das hieße, Gott zu einer literarischen Figur zu verkürzen. Die Frage, wie denn der Autor Geschichtlichkeit beanspruchen und gleichzeitig über Dinge berichten könne, die er eigentlich nicht wissen kann (versteckte Taten Gottes, persönliche Gedanken etc.), weist Sternberg mit dem Argument zurück, dass das Interesse am Text als Quelle anachronistisch sei. Es gehöre einfach zur Voraussetzung dieser Art von Erzählliteratur, dass deren Erzähler allwissend ist, eine Allwissenheit, die der Allwissenheit Gottes korrespondiere; ihr Anspruch auf Authentizität beruhe auf göttlicher Inspiration. Biblische Erzähler erwiesen sich dabei als quasi-prophetische Autoren: „The Hebrew historian never claimed to be a prophet (…) but neither did he disclaim the prophet’s range of knowledge.“133 Hier aber liege auch der entscheidende Unterschied zu heutigen literarischen Konventionen: In der Moderne ist ein allwissender Erzähler ein Kennzeichen fiktionaler Literatur, im alttestamentlichen Kontext hingegen garantiere er Authentizität. 132 133

Ebd., 39. Ebd., 32f.

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Grundlegung

Auf diese Weise verbindet Sternberg im Modell des inspirierten Autors, der einerseits quasi-historischen Anspruch hat und zum anderen mit poetischen Erzählmitteln gestaltet, den ungebrochenen Wahrheitsanspruch biblischer Erzählungen mit Privilegien poetologischer Gestaltungsmerkmale.134 In diesem Sinne kann er auch von biblischen Erzähltexten als Literatur/literarische Werke reden.

3.3.3 Leseraktivität und Leserlenkung: „gap-filling“ und „foolproof composition“ Sternberg geht davon aus, dass die biblischen Autoren in der Gestaltung ihrer Texte die Kommunikation mit dem Leser im Blick hatten. Als ein fundamentales Kennzeichen der auf den Leser hin angelegten poetologischen Ausgestaltung ermittelt er sog. Leer- oder Unbestimmtheitsstellen bzw. gaps.135 Die Grundannahme lautet: „the literary work (…) establishes a system of gaps that must be filled in.“136 Es blieben etwa Kausalverhältnisse der erzählten Handlung nicht selten unausgesprochen, und das nicht nur deshalb, weil die Darstellung des Erzählten notwendig fragmentarisch ist, sondern auch, weil gaps bewusst als Stilmittel eingesetzt werden. Ein gap ist nach Sternberg „a lack of information about the world – an event, motive, causal link, character trait, plot structure, law of probability – contrived by a temporal displacement“.137 Eine Leerstelle bedeutet zugleich eine Diskontinuität auf der Textseite. Der Leser habe im Vollzug des Lesens bestimmte in der Erzählung nicht explizit ausgeführte aber von der Handlung, dem inneren Gefälle etc. nahegelegte Verbindung, Ergänzung oder Schlussfolgerung selber zu ziehen. Die Einbindung von nicht in jeder Hinsicht explizit verknüpften Aussagen in ein Textganzes legt die Ermittlung von Verbindungen durch den Leser nahe, um eine geschlossene literarische Welt zu konstruieren. Dabei habe man mit Wahrscheinlichkeiten zu rechnen, letztlich bleibt aber jedes „gap-filling“ hypothetisch. Dem Leser begegnen die Informa134 135

136 137

Sternberg spricht auch von „multifunktionalem Diskurs“, in dem Ideologie, Historiographie und Ästhetik ineinander verwoben sind. Vgl. v.a. das Kapitel Gaps, Ambiguity and the Reading Process, ebd., 186-229. „Leer-“ oder „Unbestimmtheitsstelle“ gehört zu den entscheidenden Begriffen der Rezeptionsästhetik, v.a. verbunden mit den Namen Hans-Robert Jauß und Wolfgang Iser (im Anschluss an Roman Ingarden). Isers Ansatz beschreibt u.a. den Akt des Lesens als einen interaktiven Prozess zwischen Text und Leser/Leserin, zwischen Leserlenkung durch den Text und ihre Hypothesenbildungen. Nach Ingarden, Kunstwerk, bes. 261-270.395-400, werden Leerstellen in der Regel vom Leser/von der Leserin kaum empfunden, würden aber doch maßgeblich die Rezeption eines Kunstwerkes prägen und wesentlich Literatur und ihre Offenheit überhaupt bestimmen: „Man könnte sagen, daß ein jedes literarische Werk in Bezug auf die Bestimmung der in ihm dargestellten Gegenständlichkeiten prinzipiell unfertig sei und eine immer weitergehende Ergänzung fordere, die aber textmäßig nie zu Ende geführt werden kann.“ Vgl. Ingarden, Kunstwerk, 266f. Sternberg, Poetics, 186. Ebd., 235.

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tionen des Textes sukzessive, die Sinnbildung geschehe jeweils mit den bisher gegebenen Informationen: In its withholding and gapping of information, the text makes use of the reader’s reluctance or inability to wait until the end for closure that may never come. Instead, he endeavors at each stage to pattern the materials already presented as logically and completely as possible, even to anticipate what the future holds, constantly attempt138 ing to infer from the given to the hidden.

Damit spiele der Erzähler, indem er etwa manchmal Schlussfolgerungen nahelegt, die mit nachfolgenden Textinformationen wieder in Frage gestellt werden. Diese Leserführung gehöre maßgeblich zum Wesen des literarischen Werkes hinzu; es ginge nicht nur darum, das Ende der Handlung zu erfahren, sondern gerade auch darum, wie die Handlung zur Darstellung kommt und was während des kontinuierlichen Leseprozesses im Leser selber passiert: [T]he effect produced on the reader by a literary text does not rest only on the final conclusions he reaches on turning the last page; it embraces all the impressions, true 139 or false, generated in the course of his reading.

Komplexere Werke seien oft auch herausfordernder im Blick auf diese Fülle von Leerstellen, so dass die aktive Leserrolle von leichten bis zu komplizierten Prozessen reicht: This gap-filling ranges from simple linkages of elements, which the reader performs automatically, to intricate networks that are figured out consciously, laboriously, hesitantly, and with constant modifications in the light of additional information disclosed in the later stages of the reading.140

Sternberg unterscheidet von den gaps die blanks.141 In beiden Fällen handelt es sich um Leerstellen; gaps aber seien Auslassungen relevanter Einzelheiten, um Interesse zu wecken, blanks hingegen Auslassungen irrelevanter Einzelheiten, weil sie nicht erwähnenswert bzw. uninteressant sind. Nach Sternberg tendierten Literarkritiker dazu, gaps als blanks zu behandeln; dann erklärten sie die entsprechende Diskontinuität im Text mit Problemen in der Textüberlieferung, besonders wenn sie den Schreiber als inkompetent betrachten. Historiker hingegen tendierten dazu, aus blanks gaps zu machen und Fragen aufzuwerfen, die der Text gar nicht stellen wollte. Beide Formen von Leerstelle seien schwer auseinanderzuhalten; an ihrer sauberen Unterscheidung entscheide sich aber die Qualität von Textinterpretation. Was Sternberg unter gaps fasst, ist durchaus mehr, als üblicherweise unter „Leerstelle“ des Textes verstanden wird. Für die David-Batseba-Erzählung (2Sam 11) ermittelt Sternberg als gaps gerade das Wesentliche der Erzählung: „the essentials are precisely what the narrator chooses to withhold.“142 In einem Zusammenspiel zwischen dem, was gesagt wird, und dem, was mitgedacht werden muss, würde eine vom Leser eruierbare Spannung aufgebaut, die den ironischen Charakter dieses Erzählabschnittes gene138 139 140 141 142

Ebd., 198f. Ebd., 199. Ebd., 186. Vgl. ebd., bes. 236f. Ebd., 192.

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riere. Dabei lebe die Erzählung ganz wesentlich auch von dem, was nicht ausgesprochen worden sei: [The narrator] takes advantage of the fact that the reader himself will have to provide whatever has been left out. And the system of gaps, developed primarily to direct attention to what has not been communicated, becomes the central device whereby the narrator gradually establishes his ironic framework.143

Die Erzählung würde dabei entscheidend von der Inkongruenz zwischen der Darstellung und dem Nichtdargestellten leben. Für Sternberg ist auch der biblische Erzähltext Kunstwerk. Als solches verweigere er die Rückfrage an das hinter der Darstellung stehende dargestellte Geschehen. Viele der „Fakten“ lasse das Kunstwerk absichtlich in der Schwebe. Es ginge nicht darum, das Dargestellte komplett rekonstruieren zu können, sondern die Art der Darstellung und ihre Funktion zu empfinden und zu erfassen. So sagt Sternberg in Bezug auf die vom Erzähler offengelassene Frage, ob Urija vom Ehebruch weiß oder nicht: [T]o the reader who approaches this story as the work of art it is, any clear-cut choice between the two possibilities matters far less than a clear view of the ways in which the text produces an undecided fluctuation and interplay between the hypotheses, and of the functions of this undecidability. Rather than inviting himself to the narrative on his own terms, he will accept the narrator’s invitation in the spirit in which it is extended: as a challenge to participate in the making of sense under a 144 well-defined and demanding set of rules.

Ein „gap-filling“ dürfe dabei also keineswegs in die Beliebigkeit gestellt sein, sondern müsse durch den Text gedeckt sein. Dieser jedoch gebe in der Regel dafür erkennbare Leitlinien und Richtungen vor: „literature is remarkable for its powers of control and validation.“145 Als regulative Größen seien etwa die Gesetze und Regularien der dargestellten Welt, geläufige kulturelle Konventionen, die Richtung der vorgegebenen Erzählstrategien usw. zu berücksichtigen.146 Diese regulative Kraft des Textes fasst Sternberg im Schlagwort „foolproof composition“.147 Seine Definition lautet:

143 144 145 146

147

Ebd. Ebd., 202f. Ebd., 187. Vgl. die detaillierte Auflistung ebd., 189. Als Beispiel für eine nicht-angemessene Leerstellenfüllung nennt Sternberg den rabbinischen Vorschlag, der der moralischen Entlastung Davids dienen sollte, dass Batseba vor Urijas Feldeinsatz von diesem den Scheidebrief erhalten hätte und somit eine Geschiedene gewesen sei (vgl. ebd., 188). Vgl. auch die Ausführungen von Oberhänsli-Wiedmer, Talmudischer Midrasch, zum entsprechenden Abschnitt Midrasch Schabbat 56a. Gegen eine solche Lesung sprächen mehrere Gründe. Es drängt der dargestellten Welt ein Gesetz (Scheidung vor der Schlacht) auf, das aber nicht dieser, sondern vielmehr der Welt des (anachronen) Lesers entspricht, es hat keine Verankerungen in textuellen Details und es gerät in Konflikt mit anderen textlichen Gegebenheiten. Die Problematisierung der leserweltlichen Ausrichtung des gap-filling zeigt, dass bei Sternberg auch bezüglich der Leerstellen die historische Differenz zum intendierten Leser beachtet bleibt. Vgl. hierzu bes. ebd., 48-56.230-235.

3. Biblische Erzähltexte bei Vertretern des Literary Approach

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By foolproof composition I mean that the Bible is difficult to read, easy to underread and overread and even misread, but virtually impossible to, so to speak, counterread.148

Erzählstrang, Weltordnung und Wertesystem in den Erzählungen seien so eindeutig, dass sie nicht gegen den Strich gelesen werden können, solange der Leser nicht mit Ignoranz geschlagen sei oder aber eine gegenläufige Lesung absichtlich herbeiführen wolle. Die dahinterstehende Hauptstrategie des Erzählens sei ein „maneuvering between the truth and the whole truth“.149 Auf der einen Seite sage der uneingeschränkt vertrauenswürdige biblische Erzähler die Wahrheit. Auf der anderen Seite sage der Erzähler aber nicht die komplette Wahrheit, sondern übe sich in der Kunst der Implikation. Die „foolproof composition“ stelle nun sicher, dass ein Leser das unbedingt erforderliche Minimum an Wahrheit in einer „minimal reading“150 erfasse. Der „cunning reader“151 versteht es, kunstfertig sich dem „implied reading“ und damit einem „rounded understanding“152 zu nähern. Er müsse das Ziel verfolgen, sich so nah wie möglich und unter Beachtung des transkulturalen Aspekts an die intendierte Leserrolle einzufinden. Indem er die Implikate des Textes während des Leseprozesses in richtige Schlussfolgerungen münden lässt, kommt er auch der „ganzen Wahrheit“ nahe. Hierzu bedarf es nach Sternberg des Ideals des gebildeten Lesers, möglichst sowohl literaturwissenschaftlicher als auch historischer Kompetenz im Umgang mit dem Text – und das möglichst in einer Person.

3.3.4 Kritische Würdigung Sternberg beeindruckt durch sein hohes Maß an methodologischer Reflexion. Insbesondere die Diskussion der historischen Fragedimension macht Sternbergs Ansatz anschließbar an die exegetische Methodendiskussion. Sternberg bietet eine klare Reflexion literaturwissenschaftlicher Begriffe in ihrer Applikation auf biblische Erzähltexte. Insbesondere wahrt er deutlich den kategorialen Unterschied zwischen der Poetizität eines Textes und dem Fiktionalitätsbegriff: Biblische Erzähltexte hätten eine ausgeprägte Poetizität, ohne dabei fiktionale Texte zu sein. Diese Ausdifferenzierung zeichnet seinen Ansatz gegenüber vielen der Literary Approaches deutlich aus. Sternberg hält ferner an einer Kommunikation zwischen Autor und Leser sowie an den mit der kommunikativen Verortung biblischer Erzähltexte verbundenen Kategorie der Intention fest. Zugleich erfordere es einer Lesung, welche den textinhärenten Sinn zu ergründen sucht. Das ist im Rahmen literaturwissenschaftlicher Interpretation biblischer Texte eine seltene aber begrüßenswerte Position. In seiner Meinung, dass die Bibel als „foolproof composition“ nur 148 149 150 151 152

Ebd., 50; zum Leser als „overreader“ vgl. 50.54.236; als „underreader“ vgl. 50-56.201.203.452. Ebd., 51 u.ö. Ebd., 234. Ebd., 52. Ebd., 234.

Grundlegung

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schwer misszuverstehen sei, ist Sternberg m. E. etwa zu zuversichtlich. Auch in der Theorie erzählerischer Leerstellen schießt Sternberg über das Ziel hinaus (vgl. hierzu die Ausführungen in 5.3.2.1). Mit dem Konzept des inspirierten Autors legt Sternberg eine nachalttestamentliche Beschreibungskategorie an diese Texte an. Blum weist zu Recht darauf hin, dass diese Sicht anachronistisch in die Überlieferungsgeschichte hineinprojiziert sei und sich als Aufgabenstellung hieraus ergebe, für die Anonymität biblischer Erzähltexte eine angemessene historische Erklärung zu finden.153

3.4

Zum Textverständnis bei Shimon Bar-Efrat

Als einer der profiliertesten Kenner biblischer Erzählkunst kann Shimon BarEfrat, lange Zeit Leiter der Biblischen Studien an der Hebrew University Secondary School in Jerusalem, gelten. Bar-Efrat beschäftigt sich mit alttestamentlichen Texten als literarischen Kunstwerken. Von ihm erschienen in den vergangenen Jahren wesentliche Beiträge zur Analyse alttestamentlicher Erzählungen in deutscher Übersetzung. 2006 lag sein Werk „Wie die Bibel erzählt. Alttestamentliche Texte als literarische Werke verstehen“ vor (hebräisch schon 1979 und genau ein Jahrzehnt später englisch unter dem Titel „Narrative Art in the Bible“). In diesem Buch entfaltet Bar-Efrat in einer breit angelegten Darstellung „Bauformen“ der Erzählung: Erzählerrolle, handelnde Personen, Erzählhandlung, Zeit- und Raum-Aspekte und Erzählstil werden analysiert und beschrieben. Bar-Efrat schließt mit seinem Werk an die allgemeine Literaturwissenschaft an, und trifft sich hier am dichtesten mit E. Lämmerts Klassiker „Bauformen des Erzählens“. In seiner Forschung ist er in besonderer Weise angeregt durch mündliche und schriftliche Beiträge von Meir Weiss.154 Schon im Folgejahr nach Vorliegen dieser seiner Narratologie erschien, als konkrete Anwendung der narratologischen Grundbegrifflichkeit an einer biblischen Großerzählung, der erste Band seines Samuelkommentars „Das Erste Buch Samuel. Ein narratologisch-philologischer Kommentar“ auf Deutsch, dem 2009 der zweite Band „Das Zweite Buch Samuel“ mit gleichem Untertitel folgte. Beide waren bereits 1996 auf Hebräisch erschienen.155

153 154

155

Vgl. Blum, Anfang? 19, bes. Anm. 40. Vgl. sein Vorwort in: Wie die Bibel erzählt, 17. Wichtige ältere Beiträge Bar-Efrats, die in englischer Sprache vorliegen: Literary Modes and Methods in the Biblical Narrative in view of 2 Samuel 10-20 and 1 Kings 1-2: Immanuel 8 (1978) 19-31. Und: Some Observations on the Analyses of Structure in Biblical Narrative: VT 30 (1980) 154-173.

3. Biblische Erzähltexte bei Vertretern des Literary Approach

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3.4.1 Biblische Erzählungen als literarische Kunstwerke – und ihr Verhältnis zur Historizität Bar-Efrat bezeichnet biblische Erzählungen als „literarische Kunstwerke“, die auf eine „künstlerische Gestaltung“ zurückgehen, und die man daher einer „literarischen Untersuchung“ unterziehen müsse.156 Dabei richtet er sein Augenmerk besonders auf formale und strukturelle Aspekte der sprachlichen Gestaltung von Erzähltexten. Die Art und Weise, wie in einem Text Inhalte zur Darstellung kommen, bestimmt nach Bar-Efrat wesentlich, wie die Inhalte von der Erzählung gewichtet werden und wie sie dementsprechend vom Leser wahrgenommen werden. Die Techniken und Formen des Erzählens, die auf künstlerischen Gestaltungswillen zurückgeführt werden können, müssen nach Bar-Efrat einer sorgfältigen Analyse unterzogen werden, um das literarische Kunstwerk in seiner Aussage zu verstehen. Inhalt und Form sind nach Bar-Efrat untrennbar verwoben.157 Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer genauen Analyse dieser formalen Aspekte: Diese Aspekte der Erzählung, das heißt, die Art und Weise, wie der Erzählstoff geordnet und dargestellt ist, dürfen nicht unterschätzt werden. Die Themen, Werte und Inhalte der Erzählung bestehen nicht unabhängig von den Erzähltechniken, die ihre Eigenart ebenso bestimmen wie der Inhalt. Die Techniken vermitteln die Bedeutung der Fakten. Sie können das Erzählmaterial hervorheben oder herabsetzen, ein Thema in den Vordergrund stellen oder in den Hintergrund drängen. Sie verweisen auf kausale und andere Verbindungen von Ereignissen und sind das vorrangige Mittel, durch das die Erzählung auf die Lesenden einwirkt, ihre Einstellung zu und Reak158 tion auf das Erzählte beeinflusst.

Für Bar-Efrat sind die biblischen Erzählungen literarische Verarbeitungen des Lebens an sich, aus denen nicht direkt auf hinter den Erzählungen liegende Ereignisse zurückgeschlossen werden kann, wenngleich sich die Erzählungen „sich als Geschichte präsentieren“.159 In der Einleitung zum ersten Band seines Samuelkommentars klärt Bar-Efrat am Beispiel der Samuel-Saul-David-Erzählungen die Frage nach der Historizität so, dass er die erzählerische Darstellung als „literarische Wahrheit“ kennzeichnet; Überlegungen zur historischen Dimension der Inhalte dieser Erzählungen seien dieser Frage nachgeordnet und daher nicht Aufgabe des Auslegers: Es ist nicht die Aufgabe des Exegeten, das Ausmaß der Entsprechung zwischen dem in der Erzählung Beschriebenen und dem in Wirklichkeit Geschehenen zu bestimmen. Seine Aufgabe ist es, die Schrift auszulegen, nicht über ihre Wahrhaftigkeit zu befinden. Die Wahrheit des Buches Samuel ist eine literarische (…). Anders als der Historiker sieht der Exeget in der Schrift kein Mittel, die historische Realität zu rekonstruieren, sondern es geschieht umgekehrt: historisches Wissen sowie Wissen aus anderen Gebieten helfen ihm, die Schrift zu verstehen. Wichtiger als die Frage, was tatsächlich geschah, ist die Frage, welche Ereignisse präsentiert und wie sie 156 157 158 159

Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 17. 19. Vgl. Bar-Efrat, Das Erste Buch Samuel, 10. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 20. Bar-Efrat, Das Erste Buch Samuel, 9 (dort in anderer Wortfolge).

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Grundlegung dargestellt worden sind. Die Klärung dieser Frage beleuchtet die Auffassung über die Geschichte und ihre Bedeutung sowie die Anschauungen über Gott, den 160 Menschen und die Welt, die im Buch zu Tage treten.

Als historische Dimension bleiben dann in jedem Fall die „Auffassung“ bzw. „Anschauung“ der Erzähler über Gott, Mensch, Welt und Geschichte, wie sie sich in ihrer literarischen Verarbeitung spiegeln.

3.4.2 Analyse der Erzählmethoden und historisch-exegetische Fragestellungen Bar-Efrat entstammt der exegetischen Zunft und ist sich der klassischen historischen Fragestellungen der Exegese gewahr. Bei aller Wertschätzung ihrer Ergebnisse weist Bar-Efrat aber mit seinem Werk darauf hin, dass eine solche Fragerichtung allein die Texte nicht in ihrem Vollsinn erfasst und auch ihrem Wesen nicht gerecht wird, schon gar nicht ihrer „Schönheit“, „Ästhetik“ und „künstlerische(n) Qualität“161 die zustehende Wertschätzung entgegenbringt. Um das „Wesen biblischer Erzählungen“ zu durchdringen, müssten diese eben auch einer grundlegenden literarischen Analyse unterzogen werden. Und eine solche Untersuchung biblischer Erzähltexte nach narratologischen Gesichtspunkten sieht Bar-Efrat als gleichberechtigt neben der historischen Frage nach der Genese dieser Texte: Die unterschiedlichen historischen Ansätze haben zweifellos sehr zu unserem Wissen über Welt und Literatur der Bibel beigetragen. Aber der literarische Zugang und seine Methoden sind nicht weniger wichtig. Schließlich ist das Sein der Erzählungen gleichermaßen interessant wie ihr Werden. Wer ihr Sein untersuchen will, muss den Weg der literarischen Analyse gehen. Ohne Rückgriff auf die Methoden und Werkzeuge der Literaturwissenschaft ist es nicht möglich, das Wesen biblischer Erzählungen vollständig zu erfassen, das Geflecht ihrer einzelnen Bestandteile zu ver162 stehen oder in ihre Innenwelt vorzudringen.

Gleichwohl bleibt sich Bar-Efrat dabei der Überlieferungsprozesse dieser Texte bewusst, die in den Erzählungen selbst Spuren hinterlassen. Für die Samuelbücher fasst er dies in die treffende Formel: „Das Buch Samuel ist kein einheitliches, aber ein vereinheitlichtes Buch.“163 Besonders gut wird seine Sicht auf diese Spuren in einem Abschnitt zu „Dubletten und Widersprüche“ in der Einleitung zu seinem ersten Samuelkommentar deutlich.164 Dort führt er aus, dass die biblischen Erzählungen der Samuelbücher aus einer „Fülle (…) schriftlichen oder mündlichen Quellenmaterials, das in das Buch Eingang gefunden hat“, besteht. Die Entstehung geht zurück auf „viele Hände (…), die verfassten und gestalteten, zusammenstellten und ordneten, hinzufügten und zusammen160 161 162 163 164

Bar-Efrat, Das Erste Buch Samuel, 9. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 17; Das Erste Buch Samuel, 10; Wie die Bibel erzählt, 19. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 20. Bar-Efrat: Das Erste Buch Samuel, 9. Ebd., 26f. Die folgenden Zitate finden sich auf diesen beiden Seiten.

3. Biblische Erzähltexte bei Vertretern des Literary Approach

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strichen. (…) So entwickelte sich das Buch, bis der letzte Verfasser oder Redaktor ihm die Endform verlieh.“ In solcher Art und Weise der literarischen Verarbeitung des „Lebens“ blieben schließlich Widersprüche im Erzähltext stehen, die aber mit dem Leben zusammenpassten, das auch in vielen seiner Aspekte widersprüchlich sei. Dies gelte insbesondere für die Zeit, in der die Texte entstanden seien: Literarische Werke, die ihre Materialien auswählen und ordnen, schaffen künstliche Konsequenz, aber die Bibel ist hier nicht akribisch. Widersprüche zwischen Einzelheiten störten die Verfasser und Redaktoren nicht, weil die damalige Auffassung über Einheitlichkeit und logische Konsequenz sich von der heute gängigen unterscheidet.165

In dem Bewusstsein des längeren Entstehungsprozesses befasst sich BarEfrat in seiner Erzählformanalyse daher auch mit Fragen der Textüberlieferung. Zwar nimmt er für die Auslegung der Samuelbücher den Masoretischen Text als Grundlage, befragt aber wiederholt andere Textversionen dort, wo der MT besondere Schwierigkeiten aufweist. Der Schwerpunkt in seinen Samuelkommentaren liegt aber alles in allem in der Betrachtung der „Endgestalt des Buches Samuel, so wie es inmitten des Volkes Israel im Verlauf der Generationen bekannt war, und wie es die jüdische und die Gesamtkultur beeinflusst hat und bis heute beeinflusst“.166 Das Vorgehen in seinen Samuelkommentaren macht dann ihrem Untertitel „narratologisch-philologischer Kommentar“ alle Ehre. Bei allem Wissen um eine Textgeschichte richtet Bar-Efrat den Fokus auf die Analyse der vorliegenden Erzählungen mit ihren Bauformen und ihrer sprachlichen Ausformung.

3.4.3 Narratologisch-philologische Analyse Die Untertitel der beiden Samuelkommentare Bar-Efrats bezeichnen treffend das Charakteristikum seines Zugangs. Er analysiert biblische Erzählungen unter narratologischen und philologischen Gesichtspunkten. Sein Vorgehen kann mit Recht als close reading bezeichnet werden. Bar-Efrat beobachtet jede Feinheit in den Erzählungen. In seiner Sicht können solche „Kunstwerke“ nur durch eine sehr genaue Lesung erschlossen werden: „Die Auslegung versucht, durch genaues Beobachten von Wortwahl, Satzbau, Erzählstruktur usw. die besonderen Merkmale der literarischen Gestaltung an den Tag zu bringen.“167 Sein Kommentar selbst wird dann genau diesem Programm gerecht. Viele Details werden hervorgehoben, was den Ausdruck, die grammatischen Formen, die Wahl von Wörtern, die Perspektive des Erzählens etc. angeht. Das wird aber bei Bar-Efrat immer mit einem starken inhaltlichen Bezug getan. In seinen Samuelkommentaren ist das Zusammenspiel von Form und Inhalt besonders in den

165 166 167

Ebd, 27. Ebd., 9. Bar-Efrat, Das Erste Buch Samuel, 7.

Grundlegung

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zusammenfassenden Einleitungen zu den Bibelabschnitten in erhellender Weise herausgearbeitet. In den folgenden Anmerkungen zu den Einzelversen werden philologische Beobachtungen mit narratologischen Überlegungen verknüpft. Bar-Efrat greift dabei minutiös alle wichtigen Lexeme und Phrasen auf und gibt kurze, prägnante Erklärungen dazu. Er bezieht dabei die mittelalterlichen jüdischen Kommentatoren ein, besonders die, die exegetisch um den Textsinn bemüht sind, allen voran Raschi.168 Häufig verwendet Bar-Efrat treffende parallele biblische Formulierungen zur Erklärung der Wortbedeutung des im Text vorliegenden Lexems. Eine Vielzahl von Aspekten der erzählerischen Gestaltung, die die Zeitstruktur der Erzählung, die Perspektivierung im Erzählen, den Gebrauch von Motiven, Parallelen, Wiederholungen, den Einsatz und die Funktion von Figurenrede innerhalb des Erzählerberichtes etc. betreffen, sowie Hinweise in der Erzählung auf Metakommentierungen des Erzählers, werden von Bar-Efrat beobachtet, aufgegriffen und erklärt. Bestechend ist dabei, dass er viele der Textschwierigkeiten, die in diachronen Analysen tendenziell als Inkohärenzen gesehen werden, mit oft sehr einfachen Erklärungen für eine synchrone Lesung plausibilisiert.

3.4.4 Kritische Würdigung Shimon Bar-Efrat verbindet in seinen Textanalysen in einzigartiger Weise exegetische Fertigkeiten mit literaturwissenschaftlichen Kenntnissen. In seinem Ansatz folgt er der literaturwissenschaftlichen Schule des close reading und macht dabei scharfe Beobachtungen am vorliegenden Text. Damit wird er dem gerecht, was er selbst als Programm für die Interpretation biblischer Erzählungen formuliert: Der sparsame Stil der Erzählungen, der sich darin ausdrückt, dass mit wenigen Worten viel gesagt wird, nötigt den Leser, jede Einzelheit, jedes Wort, jede Verbindung zu berücksichtigen, um aufzudecken, was deren Bedeutung ist.169

Bar-Efrat ist sich bewusst, dass biblische Erzählungen in ihrer Entstehung textgenetische Prozesse durchlaufen: Die Dubletten und Widersprüche bezeugen die Fülle des schriftlichen oder mündlichen Quellenmaterials, das in das Buch Eingang gefunden hat. Auch die Unterschiede im Stil und in der Erzählweise, ebenso die Vielfalt der literarischen Gattungen des Buches – Erzählungen, Lieder, Listen und kurze Nachrichten – bestätigen, dass viele Hände zur Entstehung des Werkes beigetragen haben.170

Dennoch bleibt er selbst sehr zurückhaltend, was textgenetische Modelle angeht, und stellt daher keine in dieser Hinsicht „weitgehenden Hypothesen“ auf: „Der Kommentar strebt danach, so nahe wie möglich an der Schrift zu bleiben, um

168 169 170

Vgl. Bar-Efrat, Das Erste Buch Samuel, 33-36. Bar-Efrat, Das Erste Buch Samuel, 26. Ebd., 27.

3. Biblische Erzähltexte bei Vertretern des Literary Approach

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die exegetischen Entscheidungen von ihr her zu treffen.“171 Folgerichtig konzentriert er sich in seinen Analysen auf die Endgestalt des Textes, wie er im MT vorliegt, und diskutiert diese nur an den Stellen, wo der Text s. E. offensichtliche Schwierigkeiten bereitet. Das ist aber nur selten der Fall, weil Bar-Efrat eine Fülle linguistischer Erklärungen bereit hat, eine Textkohärenz auch bei scheinbar schwierigen Stellen herzustellen. Bar-Efrat nimmt für seine Textbeobachtungen implizit einen historischen Leser an und erklärt dem modernen Leser die Textprobleme, die sich für diesen daraus ergeben, dass er viele der Phänomene nicht unmittelbar entschlüsseln kann. Von allen in diesem Kapitel genannten Vertretern literaturwissenschaftlicher Ansätze bei der Interpretation biblischer Erzähltexte verbindet er m. E. am eindrucksvollsten und gelungensten die Exegese mit der Literaturwissenschaft. Beidem verhilft er zur Entfaltung. Das Ergebnis ist eine Erhellung der biblischen Erzählungen: ihrer Poetik, ihres Stils, ihrer Erzählstrategien und Erzählabsichten und ihrer literarischen Schönheit.

3.5

Zum Textverständnis bei David M. Gunn

Der Alttestamentler David M. Gunn, Professor am Columbia Theological Seminary (Atlanta/Georgia), vertritt in seiner gemeinsam mit seiner Kollegin Danna Nolan Fewell von der Perkins School of Theology (Dallas/Texas) vorgelegten methodologischen Einführung Narrative in the Hebrew Bible (1993)172 einen konsequent leserbezogenen Interpretationsansatz.173 Sie greifen narratologische Beschreibungsgrößen von Alter, Berlin, Bar-Efrat und Sternberg auf, grenzen sich aber von diesen Vertretern des Literary Approach insofern ab, als sie textliche Sinnbildung ganz vom Text auf den Leser hin verlagern: Meaning is not something out there in the text waiting to be discovered. Meaning is always, in the last analysis, the reader’s creation (…) we are unwilling to advocate the possibility of definitive meanings.174

Gunn/Fewell betonen die Subjektivität jeder Interpretation und explizieren diese auch in Bezug auf ihre eigenen Interpretationsvorschläge: 171 172

173 174

Ebd., 10. Gunn/Fewell verbinden methodologische Diskussion mit Fallbeispielen an konkreten Texten. Sie nehmen den Ausgang bei der Auslegungsgeschichte von Gen 4 (Kain und Abel) und zeigen anhand verschiedener „Lesarten“, dass Interpretation explizierte wie nichtexplizierte Werte zugrunde liegen. In verschiedenen Kapiteln rücken verschiedene „literary devices“ ins Visier: Charaktere (damit verbinden sie auch Gott und den Erzähler selbst), Konzepte von Handlung/plot, narrative language (Wiederholung, Ambiguität, Multivalenz, Metaphorik, Allusionen). Schließlich behandeln sie unter dem Stichwort „Leser und Verantwortung“ die Frage der ideologischen Dimension von Erzählungsinterpretation: Welche Werte sind in verschiedenen Lesungen wirksam? Zum Erzählbegriff von Gunn/Fewell vgl. vor allem das einleitende Kapitel „Strategies for Reading“ in Gunn/Fewell, Narrative, 1-33. Ebd., xi.

96

Grundlegung We are not offering the correct way of reading the Bible. Rather we are suggesting lines of interpretation and reading method for people of our own times who share something of our own culture. Our hope is to provoke enlivening engagement with biblical stories.175

Das Ziel einer Auseinandersetzung mit biblischen Erzählungen sehen sie maßgeblich darin, im Gegenüber zu diesen Texten zu sozial verantwortbaren eigenen Positionen zu finden.

3.5.1 Biblische Erzählung als literarische Textwelten – und ihr Verhältnis zur Historizität Ausgangspunkt der methodologischen Überlegungen von Gunn/Fewell bilden allgemeine Betrachtungen von Erzählung bzw. Erzählen als Grundkonstituente menschlichen Daseins: „Stories order and reorder our experience (…) they reveal the way things are in the real world (…) [or] create the real world.“176 Sie betonen dabei nicht nur die regulativen Elemente von Erzählen für den Alltag; Gunn/Fewell geht es dabei auch besonders um die subversiven (z. B. sozialkritischen) und um die performativen Aspekte, die ihres Erachtens die explikatorischen Dimensionen von Erzählen überwiegen. Als typische Merkmale von Erzählung177 ermitteln sie erstens die Konstruktion einer kohärenten Textwelt, die vorwiegend durch handelnde Personen geprägt ist178, zweitens eine Handlung als konstitutives Element, welche die Zeitdimension voraussetzt und damit die Erzählung von Lyrik, Gesetzestexten etc. abgrenzt, sowie drittens Poetizitätsmerkmale wie Wiederholung oder Rhythmus, mit denen die Erzeugung von Multivalenz verbunden sei.179 Während nach Gunn/Fewell Poetizitätsmerkmale auch in nichterzählenden Texten vorkämen, zählen sie Charakter und Plot zu den distinktiven Merkmalen für die Gattung der Erzählung. Die Frage der Qualität hingegen entscheide sich maßgeblich an der Lesererwartung und sei deshalb letztlich nicht als textinterne Größe zu ermitteln. Biblische Erzählungen sollen nach Gunn/Fewell im Gefälle dieser allgemeinen Charakterisierung von „Erzählung“ gesehen und auch gelesen werden. Den 175 176

177

178 179

Ebd., 33. Vgl. Gunn/Fewell,1. In King David, 13f. war gegenüber sozialkritischer Lektüre der Aspekt der Unterhaltung noch vordergründiger. Dort beschreibt Gunn den Charakter der sog. TFG-Erzählung als eine „story, and a fine and entertaining one“ (13) und präzisiert dann dahingehend, dass es sich wahrscheinlich um eine „traditional story“ (14) handle. Gunn/Fewell unterscheiden nicht grundsätzlich zwischen „story“ und „narrative“, verwenden aber letzteren als Gattungsbegriff in Abgrenzung zu nicht-erzählenden Texten; vgl. S. 2. Problematisch erscheint mir, dass Gunn/Fewell auch den Erzähler und den Leser/die Leserin als Charaktere einstufen; dies ist eine Vermischung der Ebenen. Vgl. ebd. 2. „[A] complex figure of speech can lure us to make connections between what otherwise seem extraneous plot elements“, ebd. 3. Dieses Verfahren versucht Elemente, die in literarkritischer Hinsicht als Anhalt für Überlegungen zur Textgenese gesehen werden, in einer integrativen Lesung als bedeutender Bestandteil des Erzähltextes zu sehen.

3. Biblische Erzähltexte bei Vertretern des Literary Approach

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historisch-kritischen Zugang zu biblischen Erzähltexten erachten sie für ihre eigene Interpretation, die als eine konsequent rezeptionsorientierte Lesung bezeichnet werden kann, für unerheblich: „We do not think that historical-critical analysis, interesting as it might be, is a necessary major precondition of our reading.“180 Der historischen Forschung werfen sie vor, nicht nur weithin ergebnislos zu sein, sondern auch falsche Ziele zu verfolgen. Hierzu zählt nach Gunn/Fewell, dass die Überbetonung gattungskritischer Fragestellungen die Sicht auf konkrete Einzeltexte und deren „inner workings of the stories themselves“181 versperre. Insbesondere sei es aber der Grundfehler der historischen Forschung, den Versuch der einen richtigen Interpretation zu unternehmen, die einer mutmaßlichen ursprünglichen Intention gerecht werden wolle. Der historisch-kritische Anspruch auf „Ursprünglichkeit“ sei zum einen deshalb problematisch, weil die Frage offenbleibe, bei welchem Stadium der Rückfrage das „Original“ erreicht sei. Zum anderen sei diese Fragehinsicht zumeist mit einer Abwertung des überkommenen Textes verbunden. Ferner kritisieren Gunn/Fewell am methodischen Vorgehen bei der Ermittlung literarischer Quellen und Vorstufen, dass diese zumeist auf beliebigen ästhetischen Prämissen fußten, bei denen in der Regel die Möglichkeit von Spannungen und Widersprüchen innerhalb eines Werkes sowie der von Ironie kategorisch abgelehnt würden. Insgesamt führe der Mangel an externer Kontrollmöglichkeit etwa durch datierbare Texte oder historische Berichte zu Zirkelschlüssen: Mit hypothetischen Vorannahmen würden Texte analysiert und mit den Ergebnissen wiederum das zugrunde gelegte Modell bestätigt. Besonders schwierig sei, dass die Ergebnisse eines solchen Verfahrens beanspruchten, die „wahre“ Textbedeutung ermittelt zu haben. Einer der Folgen solchen Vorgehens sei, dass Textinterpretation nur noch exegetischen Spezialisten vorbehalten werde, Laien hingegen qua definitionem keine ernstzunehmende Interpretation vorlegen könnten.182 Überhaupt fordern Gunn/Fewell, den – wie sie es nennen – positivistischen Historizitätsbegriff der historischen Exegese einer grundlegenden Revision zu unterziehen: „[H]istory may be better thought of as an ideological and social construct, inevitably subjective, and existing on a continuum with notions such as ‚myth‘ and ‚fiction‘.“183 Gunn/Fewells Ablehnung der Möglichkeit objektiver Darstellung von Wirklichkeit beziehen sie dabei nicht nur auf biblische Erzählungen, sondern auch auf Teile historiographischen Schreibens: „The difference between fiction and non-fiction (…) is not always clear, even when dealing with modern genres

180 181 182

183

Gunn/Fewell, Narrative, 11. Ebd., 5. Gunn/Fewell sehen das Problem dahingehend, dass eine der Folgen des exegetischen Elfenbeinturms ist „to take the possibility of serious initiative in interpretation out of the hands of laypersons and keep it firmly in the hands of scholars. Scholars alone could conduct the arcane arguments about sources and redactional. They then could tell others the results of their research. To read the Bible one had to be constantly reading the scholars“; ebd., 8. Gunn/Fewell, ebd., 11.

98

Grundlegung

of ‚history‘ or ‚biography‘.“184 Auch neuzeitliche Historiographie sei ideologisch gefärbt und interpretiere schon durch die Konstituierung von Kausalbeziehungen zwischen verschiedenen Ereignissen, so dass zwischen dem, was tatsächlich passierte, und der erzählten Welt deutliche Unterschiede blieben. Letztlich gebe es Geschichten und Geschichte nur in der subjektiven Darstellung von Erzählern und Historikern. Dass die historisch-kulturelle Frage den Leser aber wieder einholt, sind sich auch Gunn/Fewell bewusst: „The Bible, like all other writings, is a product of culture (…). Modern readers may find some of the social attitudes and practices encoded in the text strange.“185 Doch braucht es nach Gunn/Fewell letztlich keiner historischen Rekonstruktion dieser Kontexte. Die mit dem Erzähltext verbundene Sperrigkeit gegenüber dem kulturellen System des modernen Lesers soll diesen vielmehr zu einer eigenen, sozial verantwortbaren Positionierung herausfordern. Gunn/Fewell sehen in ihrem eigenen Zugang die vermeintlichen Schwächen des historischen Zugangs ausgeglichen. Indem sie den Endtext als alleinigen Ausgangspunkt der Interpretation wählen, schließen sie die Probleme genetischer Rückfragen von vornherein aus: „Where historical criticism sought meaning in the origins or sources of biblical texts, we take the final form (itself a notion not free of problems) as our primary text.“186 Gunn/Fewell setzen dem Anspruch der historischen Exegese des Weiteren entgegen, dass zum einen biblische Erzähltexte nicht eine einzige richtige Bedeutung hätten, zum anderen es nicht die eine einzige richtige Methode zur Interpretation biblischer Erzähltexte (und anderer Texte) gebe; allenfalls finde die interpretatorische Beliebigkeit ihre Grenze in den allgemein anerkannten Lesekonventionen der jeweiligen Interpretationsgemeinschaft. Mit der sich hieraus ergebenden Methoden- und Interpretationsvielfalt falle dann auch die Beschränkung der Interpretation biblischer Erzähltexte auf die Fachwelt. Nach Fewell/Gunn sind biblische Erzähltexte wie moderne Literatur zu lesen, weil zu den Lesekonventionen westlicher Gesellschaften auch die subjektive Lesung literarischer Texte als multivalente Literatur gehöre. Solche Literatur beinhalte Allgemeinmenschliches und biete seinen Lesern Identifikationsmöglichkeiten: Instead of attempting to reconstruct an ancient ‚history‘ we read these narratives as we might read modern novels or short stories, constructing a story world in which questions of human values and belief (and theology) find shape in relation to our own (and our readers’) world(s).187

184 185 186 187

Ebd., 6; überhaupt stehen sie der Möglichkeit einer Gradbestimmung des historischen Wertes eines Textes kritisch gegenüber; vgl. ebd., 5f. Ebd., 193. Ebd., 9. Ebd.

3. Biblische Erzähltexte bei Vertretern des Literary Approach

99

Auch dekonstruktivistische Auslegung gehöre zu den legitimen Zugangsweisen: „[W]e understand texts to be inherently unstable, since they contain within themselves the threads of their own unraveling.“188

3.5.2 Analyse narratologischer Erzähltextgestaltung Schon in den 70er Jahren hat sich Gunn mit narrativer Stilistik befasst.189 Auch in seiner Story of King David finden sich ausführliche Überlegungen zu Genre, Motivik und Stilistik (Patterns, Inclusio, Wiederholungen, Wortwahl, Vorausdeutungen etc.). Ähnliche „narrative devices“ rücken auch bei Gunn/Fewell in die Betrachtung, so besonders in den Kapiteln Characters and Narrators (cp. 3), Designs on the Plot (cp. 5) und The Lure of Language (cp. 7). Dabei lehnen sich die Überlegungen zu den handelnden Personen und zum point of view vor allem an Ausführungen von Adele Berlin an, die zu Erzähler, Charaktere, Plot, RaumZeit-Gefüge und Stil an Shimon Bar-Efrat. Alle Ausführungen zu narratologischen Gestaltungselementen stehen unter der Annahme, dass der Leser eine entscheidende Mitgestaltungsrolle im Leseprozess einnimmt: „Readers seem to have a powerful urge to make sense.“190 Von daher rechnen Gunn/Fewell auch mit Leerstellen wie gaps oder Präsuppositionen in biblischen Erzähltexten: The events of the plot are often explicitly connected by the narrator in terms of cause and effect. Where this is not done, readers tend to supply causality, or at least coherence, for themselves.191

188

189

190 191

Ebd., 10. Die weitere Begründung lautet: „Language is always slipping. In order to make a point, the narrator must always imply the counterpoint. To construct the narrative world the narrator must suppress something – something that a suspicious reader may choose to dig up. ‚Deconstructive‘ criticism seeks to expound the gaps, the silences, the contradictions, which inhabit all texts, like loose threads in a sweater, waiting to be pulled.“ Ebd. In Narrative Patterns hat er narrative Techniken und deren mögliche enge Verbindung zur mündlichen Vorgeschichte der Richter- und Samuelbücher untersucht. Schon hier hat er Stereotypen aus dem Bereich der TFG gestreift, die er in Traditional Composition weiter ausführte. Ein Aspekt dieses Beitrags ist die motivgeschichtliche Verortung des Briefmotivs in Blick auf den Urija-Brief in 2Sam 11. Sein Argument ist, dass eine ganze Reihe von Abschnitten der TFG nach narrativen Stereotypen gestaltet ist, die z.T. durch andere atl. Erzähltexte als solche ausgewiesen werden können. Eine Anhäufung solcher Stereotypen, verbunden mit kompositionellen und poetischen Merkmalen, machten die Klassifizierung der TFG als traditionales Material im Sinne einer „story-telling tradition“ (229) plausibel. Motivgeschichtliche Überlegungen finden sich auch in seinem King David (in dem er die literarische Seite der TFG besonders hervorhebt, vgl. z. B. S. 37f.) bezüglich „David und die Zerujasöhne“, die „Gerichtsparabel“, die „Frau, die den Tod bringt“, die „Frau und Spione“, die „zwei Boten“ und den „Todesbrief“. Vgl. Gunn, King David, 38-48. Gunn/Fewell, Narrative, 3. Und, an anderer Stelle, formulieren sie: „[O]ur propensity for order drives us to make sense of what we read“ (vgl. ebd., 102). Ebd., 2.

100

Grundlegung

In ihren Ausführungen gebrauchen Gunn/Fewell häufig moderne Begrifflichkeiten der Erzähltextanalyse. So weisen sie darauf hin, dass in biblischen Erzählungen Personen in bestimmten Abschnitten als flache, in anderen wiederum als komplexere Charaktere dargestellt werden können.192 Oder sie stellen heraus, dass biblische Erzählungen zumeist die Erwartung eines klaren Erzählanfangs, eines herausragenden Höhepunktes und eines deutlich markierten Schlusses enttäuschen. Vielmehr gebe es häufig „shifting boundaries“,193 so dass das Ende einer Erzählung zugleich Anfang einer anderen Erzählung sein könne, ja dass Erzählungen in größere Erzählungen ganz eingebettet sein könnten. Besonders ihren Ausführungen zum Erzähler und zu den Charakteren liegen deutlich moderne Erzählkonzeptionen zugrunde, indem sie die Möglichkeit einer Brechung der (direkten) Reden der handelnden Personen gegenüber der Erzählebene als Normalfall ansehen.194 Insbesondere wird ihr dekonstruktivistischer Ansatz deutlich, wenn ihrer Meinung nach in biblischen Erzähltexten mitunter JHWH als Charakter selbst in kritisches Licht gestellt würde.195

3.5.3 Sozial verantwortliche Lesung: „reading against the grain“196 In der Sicht von Gunn/Fewell gibt es, wie bereits angemerkt, nicht die eine Wahrheit; Bedeutung und Sinn sind vielmehr eine Frage der jeweiligen Perspektive der Interpretation, die durch das jeweils zugrundeliegende Wertesystem gesteuert wird: „Criticism, by whatever name, is a value-laden enterprise.“197 Die Gesamtheit des Wertesystems, das Überlegungen, Entscheidungen und Wertungen der Interpretation bestimmt, bezeichnen Gunn/Fewell als „ideology“198. Bezüglich solcher steuernder Werte sprechen sie von „ideology“. Ein solches „fundamental framework of assumptions that defines the parameters of the real and the self“199 finde sich sowohl in den Texten selbst, im Umgang mit den Texten sowie auf der methodologischen Metaebene. Jede Narratologie sei ideologisch, jedes „Verstehen“ eines Textes. Überfällig sei ein gesteigertes Bewusstsein für die Abhängigkeit interpretatorischen Vorgehens von Subjektivität und Kontextualisierung; zu lange sei die westliche akademische Welt bestimmt gewesen von „white, male, and upper or middle class“.200 Dies sei durch verstärkte Ideologiereflexion zu überwinden.

192 193 194 195 196 197 198 199 200

Vgl. ebd., 75f. Ebd., 111. Vgl. ebd., 63-68. Vgl. ebd., 81-89. Ebd., 204. Ebd., XII. Vgl. ebd., 190. Zu Wertesystemen wie zu ihren Funktions- und Wirkungsweisen vgl. auch Woronowicz, Variable Wertesysteme. Gunn/Fewell, Narrative, 190. Ebd.

3. Biblische Erzähltexte bei Vertretern des Literary Approach

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In der Textrezeption gehe es besonders um die Aufgabe des Lesers, die Werte, die ihm in einer Erzählung begegnen, in kritische Beziehung zu seinen eigenen zu setzen. Die Reaktion auf solch vorgegebene Wertesysteme wiederum hängt vom eigenen Wertesystem ab und kann von Zustimmung über partielle Kritik bis zur Ablehnung der repräsentierten Textwelt gehen. Je mehr ein im Text vorfindliches Wertesystem mit dem des Lesers übereinstimme, desto größer sei die Identifikation des Lesers mit dem Text. Besonders effizient sei die Rezeption, wenn der Leser sich in Teilen mit dem Text identifizieren könne; die sperrigen Elemente in der Kommunikation des Lesers mit dem Text würden dann besonders zu einer Positionsbildung (durch Infragestellung oder Bestätigung) der Leserwerte herausfordern und Veränderungsprozesse des Denkens in Gang setzen: „In such instances, whether our reading modifies or confirms our views, we are challenged and, to some degree, changed.“201 Als regulatives Kriterium der verschiedenen Lesarten fordern Gunn/Fewell das Prinzip der sozialen Verantwortlichkeit.202 Es sei nicht richtig, nur dem Angebot des Textes zu folgen; die Möglichkeit kritischer Sichtweisen aus anderer Perspektive müsse mit in Betracht gezogen werden, denn „the experience of neglected and/or oppressed members of society are also valid standards of critical investigation.“203 Im Blick auf biblische Erzähltexte könne es daher – gegen das Identifikationsangebot des Textes selbst – etwa zur Identifizierung mit den Kanaanitern statt mit den Israeliten kommen. Oder es könne eine Identifikation mit der Situation Hagars – gegen die unverständliche Aufforderung Gottes in die Knechtschaft Abrahams zurückzukehren – stattfinden. Eine Interpretation, welche die Gegensätzlichkeiten zwischen biblischer Erzählung und eigenem Wertesystem festhalte, habe daher ihren besonderen Wert: „The result is interpretation that expresses a conflict, or at least conversation between modern and ancient contexts and values.“204 Besonders aber für den religiösen Leser biblischer Texte, der geistliche Wegweisung in diesen Texten sucht, komme es bei solchen Lesungen zu Konflikten zwischen Aussagen des als heilig empfundenen Textes zu eigenen Werten. So könne der heutige Leser androzentrischen und patriarchalen Werten, wie sie etwa Gen 2f. zugrunde liegen, nicht zustimmen. Solche Konflikte haben für Gunn/Fewell letztlich die Konsequenz, dass die Heiligkeit biblischer Texte abzulehnen sei: „We can either accept the patriarchal biblical text as sacred and content ourselves with exposing its patriarchy (…) or we can expose its patriarchy and reject it as sacred and authoritative.“205 Zu einem sozial verantwort201

202 203 204 205

Ebd., 192; Gunn/Fewell argumentieren weiter: „If the pint of ideology is to ‚constitute, adjust, and/or transform social subjects‘ (Kavanagh […]) then the point of ideologically aware criticism is to determine how any given discourse is doing that and exactly which constitutive social conditions or values are at stake. In the process such criticism shares ideology’s potential to shape both the critic (the reader) and the critic’s reader“ (ebd.). Genau das ist auch Gegenstand der Reflexion von Danna Nolan Fewell in Bible and Ethics of reading. Gunn/Fewell, Narrative, 191. Ebd., 193. Ebd., 197; an anderer Stelle (ebd., 204) beschreiben Gunn/Fewell das Dilemma wie folgt: „For people who believe in social equality and yet for whom the Bible is a source of

Grundlegung

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lichen Handeln als Leser gehört es nach Gunn/Fewell, hier die Texte gegen den Strich zu lesen, bis dahin, Gott in seinem Handeln in Frage zu stellen: „Tensions and contradictions within the text, and between text and reader, may challenge us to re-enter the garden with our eyes opened, even if that means eventually running up against the contradictory, unstable character of God.”206 Dekonstruktivistische Leseweisen der Bibel seien in ihr selbst bereits angelegt: in Stimmen von Unterdrückten, in Positionen und Sichtweisen aus ungewöhnlicher Perspektive, und indem die Werte einer Erzählung durch Werte einer anderen Erzählung dekonstruiert würden.207 Im Namen des Wertes sozialer Gleichheit sei es eine Forderung sozialer Verantwortlichkeit, die biblischen Texte ggf. gegen den Strich zu lesen: „Reading against the grain is a call to responsibility.“208 Damit begründen sie eine Hermeneutik, die soziale Gerechtigkeit als regulatives Moment hat. So kann das, was die Texte sagen, sich in dem, was sie bewirken, zum Gegenteil kehren: These texts may be saying that patriarchy is a mandatory way of life, that men are more important than women, that one group of people is superior, that one class is more deserving (…). What they may be doing is reinforcing these ideas in the contemporary world.209

Die Welt der Bibel helfe uns, unsere eigene Welt klarer zu sehen und motiviere damit zu veränderndem Engagement.

3.5.4 Kritische Würdigung Gunn/Fewells rezeptionsorientierter Interpretationsansatz kann als postmodern bezeichnet werden. Die Regulative des Textes als Lenkung für den Leser, wie sie etwa Sternberg konstatiert, spielen für ihre Lesung keine Rolle. Mit ihrer Konzeption des Literary Approach umgehen sie genau die Problemstellungen

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207

208 209

religious authority, reading has become a complicated matter. Critical readers cannot naively accept the Bible as an unmediated word of liberation. Jewish or Christian readers trying to be faithful to their traditions cannot easily reject the Bible as an unredeemable word of subjugation.“ Ebd., 201; zuvor hatten Gunn/Fewell weiter ausgeholt: „Most commentators, for obvious theological reasons, want to ‚protect‘ God, to remove the divine character from scrutiny, much as God pronounces the tree of the knowledge of good and evil to be off limits to the humans in the garden. Some readers, however, are willing to pluck the fruit, eager to learn what the knowledge of good and evil is all about“ (ebd). Diese Sichtweise ist konsequent umgesetzt in Gunn, Security. Dort geht Gunn der Frage nach, wer David sei, und zwar anhand einer Reihe von Bibeltexten aus 1Sam 16 – 1Reg 2, 1Chr 10-29 und Esra-Nehemia. Dabei entwirft er ein Konglomerat von David-Bildern, die eine klare Beantwortung der Frage, wer David sei, offenlassen muss. David ist neben dem „süßen Psalmisten Israels“ (ebd.,133ff.) und dem „Mann nach Gottes Herzen“ (ebd.,137ff.) eben auch der „Mann des Blutes“ (ebd.,139ff.). Der Artikel endet mit der (rhetorischen) Frage: „Must it always end thus, David’s story – not with praise and thanksgiving but judgment and claims to righteousness?“ Vgl. auch die Rezension von Peter D. Miscall, Response. Ebd., 204. Ebd., 205.

3. Biblische Erzähltexte bei Vertretern des Literary Approach

103

der Disziplin, die sie in ihrer Kritik an der historischen Exegese scharf herausgestellt hatten. Biblische Erzähltexte entkoppeln sie ihrer historischen Zusammenhänge. Aus der Not, dass bezüglich dem „ancient ‚history-like‘ writing“ unsere Kenntnis der Quellen, der literarischen Konventionen, des sozialen Hintergrunds von Erzähler wie Rezipienten etc. sehr gering ist, machen sie die „Tugend“, diese Dimension aus ihrer Rezeptionstheorie weitmöglichst auszuklammern.210 Auch Fragen ursprünglicher Textpragmatik werden qua definitionem ausgeblendet, ebenso liegt die Ermittlung möglicher Textintentionen nicht in ihrem Fragehorizont. In diesem Sinne stehen sie ganz in der Tradition des NC. Die Beliebigkeit des interpretatorischen Vorgehens, und besonders die Freude daran, die Texte gegen den Strich zu lesen, tragen deutlich dekonstruktivistische Züge. Zur Begrenzung der Beliebigkeit in der Interpretation biblischer Erzähltexte fordern Gunn/Fewell als einziges Kriterium das der sozialen Verantwortung. Was als angemessene Interpretation im Sinn von Gunn/Fewell also zu gelten hat, wird an einer sozialethischen Setzung gemessen; hierauf beschränken sich auch ihre dezidiert hermeneutischen Überlegungen. Indem vorausgesetzt wird, dass biblische Erzähltexte als autonome Kunstwerke zu lesen seien, stellen sich entsprechend keine Fragen nach einer interpretatorischen Angemessenheit im Blick auf den Text, seine Intention und seinen Anspruch. Das scheint mir deutlich zu kurz gegriffen zu sein. Gunn/Fewell übergehen in ihren Ausführungen die Kategorie der Fiktionalität; dass sowohl Geschichten wie auch Geschichte mit jeweils unterschiedlichem Anspruch auftreten können, wird bei ihnen nicht reflektiert. Merkmale der Poetizität nehmen sie als Bestätigung, biblische Erzähltexte der Literatur zuzuordnen; dies aber wird nur am Rande expliziert. Die Frage nach der Verhältnisbestimmung von literarischer und nicht-literarischer Erzählung wird nicht gestellt. Das Problem der diachronen Abgrenzung biblischer Erzähltexte wird zwar gestreift, nicht aber zufriedenstellend beantwortet. Ihrer Forderung, biblische Erzähltexte als Literatur zu lesen, liegen nicht wirklich Sachgründe zugrunde; Ausgangspunkt ihrer Methodologie ist vielmehr die These, dass solche Texte wie moderne Literatur gelesen werden können. Mit dem Versuch, Probleme exegetischer Forschung auf diese Weise gründlich zu umgehen, sind sie m. E. über das Ziel hinausgeschossen.

3.6

Zusammenfassung und Ausblick

Alter nimmt in seinen erzähltextanalytischen Ausführungen Anleihen sowohl an Vorgehensweisen des New Criticism wie auch des Strukturalismus. Gunn bewegt sich z.T. in den Grundlinien des Reader-Response Criticism, geht aber in 210

Trotz der expliziten Ablehnung solcher Fragerichtungen begegnen auch bei Gunn/Fewell solche Überlegungen; z. B. verorten sie biblische Erzähltexte in „an intellectual and economic elite“ (ebd., 193).

104

Grundlegung

seinen Ausführungen über diesen hinaus, indem bei ihm dekonstruktivistische Tendenzen sichtbar werden. Dies betrifft insbesondere die JHWH-kritische Lesung in manchen biblischen Erzählungen, aber auch die contratendenzielle Interpretation seines „Ideallesers“. Sehr viel schwerer lassen sich Fokkelman und Sternberg zuordnen. Fokkelman steht in der Hauptlinie seiner Methodologie den Grundlagen des New Criticism nahe. Die konkrete Arbeit am Text erfolgt in großer analogischer Nähe zu strukturalistischen Grundlinien. Fokkelmans Leserkonzeption setzt zwar eine Rückbindung an strukturelle Textbeobachtungen voraus, eine Nähe zum Reader-Response Criticism ist aber nicht von der Hand zu weisen. Sternbergs Ansatz ist deutlich der eigenständigste. Wenngleich die zugrundeliegende Methode des close reading dem methodischen Vorgehen des New Criticism und die gap-Theorie dem des Reader-Response Criticism entspricht, entzieht sich sein Gesamtansatz der einfachen Zuordnung zu einer der literaturtheoretischen Grundrichtungen. Fokkelman behandelt biblische Erzählungen als autonome literarische Kunstwerke. Der Leser müsse mit einer solchen Erzählung in ein dialogisches Verhältnis treten; dabei gelten sprachlich-strukturelle Textbeobachtungen als Ausgangspunkt der Interpretation. Robert Alter hält insofern an der historischen Dimension biblischer Erzählungen fest, dass er sie als antike literarische Texte bezeichnet. Der Leser sei zu einer historisch reflektierten Lektüre dieser Texte und ihrer Poetizitätsmerkmale herausgefordert. Meir Sternberg, sieht in biblischen Erzähltexten intentionale Mitteilungsliteratur, die aber in Analogie zu moderner Literatur mit Mitteln der Leserlenkung arbeitet. David M. Gunn ermittelt biblische Erzähltexte als literarische Textwelten, die von einem hohen narratologischen Gestaltungswillen geprägt seien. Die weltanschaulichen Differenzen zwischen der dargestellten Welt und dem modernen, sozial-verantwortlichen Leser müssten aber damit überwunden werden, dass die Texte gegebenenfalls gegen deren Eigenaussagen zu lesen seien. In Bezug auf die textpragmatische Dimension biblischer Erzähltexte umgehen auffälliger Weise die beiden Exegeten Fokkelman und Gunn am deutlichsten die Notwendigkeit einer Rückbindung an die ursprüngliche Kommunikationssituation biblischer Erzähltexte. Die ausführlicheren Überlegungen zur zeitlichen und kulturellen Differenz finden sich bei den beiden Literaturwissenschaftlern Alter und Sternberg. Für die weitere Arbeit werden einige Problemstellungen deutlich. Zum einen ist dies die Frage nach der Angemessenheit einer Leserzentrierung, die nicht nach der historischen Dimension biblischer Erzähltexte fragt. Dies betrifft in erster Linie den Ansatz von Fokkelman, Alter und Gunn. Wenn die historische kommunikative Einbindung biblischer Erzähltext maßgeblich mit der Intention dieser Erzähltexte verbunden ist, so ist zu fragen, inwieweit eine solche Intention in rezeptionsorientierter Lesung noch nachvollziehbar oder überhaupt von Interesse ist. Zum anderen ist zu untersuchen, wie die textliche Abgrenzung biblischer Erzähltexte innerhalb dieser Ansätze in der konkreten Textarbeit erfolgt. Diese Überlegung gehört zu den wesentlichen Fragen diachron orientierter exegetischer Forschung, ist aber in den texttheoretischen Ausführungen der dargestellten Vertreter als Fragestellung übergangen.

3. Biblische Erzähltexte bei Vertretern des Literary Approach

105

Des Weiteren sind die theoretischen Ausführungen der jeweiligen Vertreter mit deren konkreter Textarbeit zu vergleichen und zu prüfen, inwiefern sie ihren eigenen Ansprüchen und Vorgaben gerecht werden. Nachdem bei allen Vertretern des Literary Approach ein Hauptaugenmerk auf den poetologischen Merkmalen biblischer Erzähltexte liegt, ist insbesondere interessant, inwiefern solche Merkmale am konkreten Textbereich 2Sam 11f. erkannt und beschrieben wurden.

ZWEITER HAUPTTEIL: Fallstudien an 2Sam 11 und 12 4.

Paradigmatische Positionen in der exegetischen Forschung zur sog. Thronfolgegeschichte (TFG)

Im zweiten Hauptteil der Untersuchung geht es um eine vergleichende Analyse der konkreten Anwendung verschiedener (exegetischer wie literarischer) interpretatorischer Ansätze, im Besonderen um die Auswirkung jeweils zugrundeliegender Konzeptionen der Textproduktion, Textrezeption und des Textes selbst auf die Interpretation. Als Beispiele dienen die Episoden von 2Sam 11 und 12 innerhalb der Daviderzählungen: David und Batseba (2Sam 11), die Gerichtsrede Natans, der Tod des ersten Kindes und die Geburt Salomos (2Sam 12). Sie eignen sich dafür in besonderer Weise, weil sie zum einen in exponierten literarischen Analysen interpretiert wurden und zum anderen als Teil der sog. „Thronfolgegeschichte Davids“ (TFG) zu einer literargeschichtlich rekonstruierten größeren Einheit gehören, die exegetisch intensiv bearbeitet wurde und in der diachrone Hypothesenbildungen sich gleichwohl als einigermaßen übersichtlich erweisen. Zunächst werden orientierend klassische Positionen der exegetischen Forschung zur TFG vorgestellt (Kap. 0). Die Divergenzen der markanten Deutungen von L. Rost, G. von Rad, L. Delekat und E. Würthwein, demonstrieren ad oculos, wie wenig auch die methodische Rückbindung an die mutmaßliche Autorenintention per se Eisegesen zu vermeiden mag, und wie sehr die der Exegese vorgeordnete Konzeption von „Text“ mit den verbundenen Modellen von dessen Produktion, Kommunikation und Rezeption die Ergebnisse der Auslegung steuern. Anschließend kommen die Beispieltexte 2Sam 11 und 12 (Kap. 5 und 6) unter das Vergrößerungsglas. Dabei folgt die Analyse jeweils dem gleichen fünfteiligen Verfahren: Am Anfang steht, nach einer Übersetzung der Abschnitte und textkritischen Anmerkungen, eine eigene narratologische Analyse. Die ausführlichen Textbeobachtungen zu Diskurs und Diegese der jeweiligen Abschnitte1 (szenische Gestaltung, Raum- und Zeitaspekte, Personencharakterisierung und poetologische Merkmale, insbesondere in semantischen und lexikalisch-morphologischen Bezügen) dienen als Grundlage für einen geschärften Blick auf jeweils zwei konkrete neuere Interpretationen der Literarkritik und des Literary Approach. Für die literarischen Zugänge können die vier in Kap. 3 auf ihr Textverständnis näher befragten Forscher herangezogen wer1

Zu den Distinktionen von Genette vgl. den Abschnitt 2.2.1.

4. Paradigmatische Positionen zur Thronfolgegeschichte

107

den: für 2Sam 11 die beiden Literaturwissenschaftler Sternberg und Alter, für 2Sam 12 die beiden „Alttestamentler“ Fokkelman und Gunn. Den Schluss bilden dann die Vergleiche zwischen literarkritischer Auslegung und literarischer Interpretation. Seit Leonhard Rosts Arbeit Die Überlieferung von der Thronnachfolge Davids (1944) wird 2.Sam 11f. als Teil eines größeren Erzählwerks verstanden, der sog. „Thronfolgegeschichte Davids“. Die TFG umfasst in der Abgrenzung Rosts den Textbestand 2Sam 9–20 (ohne 21–24) und 1Reg 1–2. Diese Kapitel unterscheiden sich durch ein eigenes stilistisches und thematisches Profil von ihrer weiteren Texteinbindung. Die Diskussion zur TFG nach Rost betrifft nicht nur deren Textumfang, ihre zeitliche Verortung (Datierungsversuche vom 10. bis ins 4. Jh.), ihr Thema (z.T. in Frage gestellt), sie dreht sich auch um die Einschätzung der Tendenz (von prodynastisch bis antidynastisch), die „Genre“-Zuordnung (von Historiographie bis literarische Erzählung), um Überlegungen zu weisheitlichen Einflüssen in der TFG und zum Verhältnis der TFG zur sog. „Aufstiegsgeschichte Davids“ (AG) und die Entstehungsgeschichte (verschiedene literarkritische und redaktionsgeschichtliche Modelle).2 Die Darstellung der Problemsituation auf Seiten der exegetischen Forschung zur TFG konzentriert sich im Rahmen dieser Untersuchung auf paradigmatische Positionen, die verschiedene grundsätzliche Ausprägungen von Textkonzeptionen ersichtlich machen.3 Zunächst wird als entscheidender forschungsgeschichtlicher Ausgangspunkt der neueren exegetischen Diskussion L. Rosts grundlegende Rekonstruktion dieser kunstvollen Erzählung zur Sprache kommen, die s. E. ad majorem gloriam Salomonis geschrieben wurde (4.1). Rost hat ein in sich geschlossenes Erzählwerk herausgearbeitet und steht dabei programmatisch für einen Ansatz, der das Kriterium des Autorenstils ins Zentrum rückt. Im Anschluss daran soll die theologische Deutung der TFG durch Gerhard von Rad skizziert werden (4.2), dessen Untersuchungen auf Rost basieren und der sich in besonderer Weise mit dem Verständnis der sog. theologischen Deutestellen in der TFG befasst. Programmatisch für von Rad ist die Fokussierung auf die theologischen 2

3

Rost ging von einer Kompilation dreier vorliegender Quellen durch einen Autor aus; dieser habe die Quellen weitgehend unverändert eingearbeitet (vgl. 4.1). Auch M. Noth vermutete, dass ein Autor verschiedene Vorlagen verarbeitete. Schichtenmodelle hingegen vertreten etwa Smend, Veijola, Dietrich, Spieckermann oder Becker. Dabei spielt die Frage nach dem Verhältnis zum sog. Deuteronomistischen Geschichtswerk (DtrG) eine entscheidende Rolle. Die Modelle reichen von dtr Überarbeitung der TFG bis zu nach-dtr Verortung der TFG. Das sog. Göttinger Schichtenmodell (v.a. Smend und – in Erweiterung – Dietrich) etwa sieht als literarische Größen des deuteronomistischen Geschichtswerk DtrH (historische Grundfassung des Werkes), DtrN (nomistische Überarbeitung) und DtrP (prophetische Überarbeitung), letztere mit der schmalsten Textbasis. Cross vertritt ein Blockmodell mit Dtr1 und Dtr2. Für eine Einheitlichkeit der TFG plädieren etwa Van Seters (ohne Literary Approach!) und McKenzie. Wie schon R. Ficker (1977), fragen neuere Hypothesen auch nach dem Verhältnis von AG (*1Sam 16 – 2Sam 5) und TFG, so etwa Kaiser und Van Seters. Eine detaillierte Übersicht über die Forschungsgesichte zur TFG bieten Walter Dietrich und Thomas Naumann, Die Samuelbücher (1995).

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

108

Stellen der TFG zur Ermittlung ihrer Tendenz und ihre dezidierte Einordnung als Historiographie. Für eine Position, die der Deutung von Rost diametral entgegengesetzt ist, steht Lienhard Delekat, der die TFG als davidkritische und antimonarchische Streitschrift versteht (4.3); er steht programmatisch für die Forschungsrichtung der Tendenzkritik. Für redaktionskritische bzw. redaktionsgeschichtliche Ansätze4 wird exemplarisch E. Würthweins literarkritische Auflösung dieses Widerspruchs mit seiner Zuordnung der unterschiedlichen Tendenzen zu verschiedenen redaktionellen Schichten stehen (4.4).

4.1

Leonhard Rost: Die TFG als prosalomonische Erzählung

Leonhard Rost begründet in seinem Buch Die Überlieferung von der Thronnachfolge Davids (1926) – ein Buch, das auf lange Zeit forschungsgeschichtliche Weichenstellung gegeben hat5 – in klassischer Form die Grundthese, dass die TFG ein in sich geschlossenes Erzählwerk darstellt, das ursprünglich eigenständig war, und jetzt in einen größeren Zusammenhang gestellt ist. Rost lässt die TFG schon mit 2Sam 6,16.20 (Michal) und 7,11b.16 (Dynastieverheißung) beginnen und mit 1Reg 2,46 enden, er nimmt aber 2Sam 21–24 aus.6 In der Sicht Rosts ist die TFG eine in sich geschlossene Darstellung, ein erzählerisches Meisterwerk, subtil, aufwendig, kunstvoll gestaltet, planvoll aufgebaut und mit politischer Tendenz, dezidiert „in majorem gloriam Salomonis“.7 Der Verfasser, der nach Rost noch dicht an den erzählten Ereignissen stand (unter Salomo und an dessen Hof), habe ältere Quellen in sein Werk integriert, meist ohne diese zu verändern. Zu diesen eingearbeiteten Vorlagen gehören die Ladeerzählung, die Natansweissagung und der Ammoniterkriegsbericht. Die Ladeerzählung (1Sam 4,1b-18a.19-21; 5,1-11bα.12; 6.1-3bα.4.10-14.16.19–7,1; 2Sam 6,1-15.17-20a.),8 die sich von ihrer Umgebung durch einen selbstständigen und einheitlichen Wortschatz, sowie einen bewusst schlichten Stil abhebe, sei eine Kultlegende des Jerusalemer Ladeheiligtums. Sie erzählt die Geschichte der Lade von der Wegführung aus Silo bis zu ihrer Aufstellung in 4

5 6

7 8

Langlamet und Hentschel, die in der Linie dieser literarkritischen Forschungsrichtung zu sehen sind, bringen im Blick auf die vorliegende Fragestellung nichts grundsätzlich Neues gegenüber Würthweins Position (und in Folge der von Dietrich und Kratz). – Die Positionen von Bailey und von Veijola werden im Zusammenhang mit der Arbeit am Fallbeispiel 2Sam 11f berücksichtigt, auch die einschlägigen literarkritischen Fragen zu den beiden Kapiteln 11 und 12 werden dort behandelt. Vgl. 5.3.1.2 und 6.3.1.2 zu Bailey, 6.3.1.1 zu Veijola. Zuletzt hat Seiler, Die Geschichte von der Thronfolge Davids, erneut auf Rost rekurriert und im Großen und Ganzen dessen Thesen gestützt. Rost, Überlieferung, 107f.137. Der Umfang nach Rost im Einzelnen: 2Sam 6,16.20ff.; 7.11b.16; 9,1-10,5 (10,6-11,1); 11,2-12,7a.13-25 (26-31); 13,1-14,24; 14,28-18,17; 18,19-20,22; 1Reg 1,1-2,1.5-10.12-27a.28-46. Ebd., 128. Ebd., 46.

4. Paradigmatische Positionen zur Thronfolgegeschichte

109

Jerusalem. Ihr Verfasser gehörte nach Rost wahrscheinlich zur Ladepriesterschaft und schrieb zur Zeit Davids oder zu Beginn der Regierungszeit Salomos. Die zweite Quelle, die Weissagung Natans (2Sam 7), sei mehrfach überarbeitet worden und weise demnach verschiedene Schichten auf.9 Die dritte der älteren Quellen, der Ammoniterkriegsbericht, umfasst nach Rost 2Sam 10,6b-11,1 und 12,26-31. Es handle sich um eine ehemals eigenständige Quelle, einen wahrscheinlich für das Staatsarchiv angefertigten Kriegsbericht. Der Verfasser der TFG habe ihren Anfang durch die ausführlichere Einleitung (10,1-6a) ersetzt und die Erzählung von David und Batseba (11,2-12,25) eingeschoben. Die mehrmals variierte eindringliche Frage von 1Reg 1 ‫מי שׁב על־כסא דוד‬ (wer wird auf dem Thron Davids sitzen?) fasst nach Rost das Thema der gesamten Erzählung zusammen.10 Das Ende in 1Reg 2,46b halte fest, dass das Königtum nun stabil in der Hand Salomos liegt; am Anfang der Thronfolgeerzählung hingegen stehe die Negation: die Kinderlosigkeit der Saulstocher (!) Michal (2Sam 6,16.20ff.), später positiv gewendet in der Dynastieverheißung an David (2Sam 7,11b.16). Die TFG behandle also schwerpunktmäßig die Vorgeschichte der Thronfolge (2Sam 9,13-22) und die Vorgeschichte des Thronfolgers (2Sam 11–12) und komme mit der Thronbesteigung Salomos und dessen Konsolidierung als König zu ihrem Ziel. Man kann sagen, dass eine thematischinhaltliche Bestimmung bei Rost den Ausschlag zur Textabgrenzung gibt. Innerhalb dieses nun eingegrenzten Textes spielt für Rost die Frage nach dem Stil eine wichtige Rolle. So weist er immer wieder auf die Kunstfertigkeit der Erzählung hin. Seine Frage nach narrativen Zusammenhängen und stilistischen Besonderheiten11 stellt im Rahmen exegetischer Forschung seiner Zeit eine methodische Besonderheit dar. Insgesamt tendiert er aber trotz aller Beobachtung kunstfertiger literarischer Gestaltung dazu, die TFG als Geschichtsschreibung zu verstehen, die – in der Begrifflichkeit Genettes gesprochen – in ihrer Diegese literarische Merkmale aufweist: „So ist es doch das Wahrscheinlichere, dass hier wirkliche Geschichtstatsachen erzählt werden, allerdings in einem stark stilisierten Gewand.“12 9

10 11

12

Der Abschnitt V. 1-7 weise möglicherweise zwei Schichten: 1-4a und 4b-7 auf. Inhaltlich handle es sich um die Fortsetzung der Ladeerzählung, die Verse gehörten aber wegen ihres abweichenden Stils nicht zur alten Quelle. Von der Natansweissagung V. 8-17 stamme die älteste Schicht (11b.16) aus der Zeit Davids (TFG); die zweite Schicht (8.10-11a.12.14-17) sei ein Kommentar aus der Zeit des Endes des Nordreichs und die dritte Schicht (13) eine dtr Erweiterung. Vom Gebet Davids (V. 18-29) stamme die älteste Schicht (18-21.25.[26.]27-29) wohl aus der Zeit Davids – es handle sich aber um eine von 7,11b.16 unabhängige Überlieferung; die V. 22-24 seien exilische Zusätze. Die kurze Notiz über JHWHs positives Verhältnis zur Daviddynastie (7,11b.16) ist nach Rosts Auffassung sukzessive kommentiert und erweitert worden. Vgl. ebd., 86-89. So etwa beim Vergleich von Urijas Tod mit dem des Abimelech ben Jerubbaal in 11,21; dieser Vergleich ist nach Rost neben 6,20; 9,8; 13,13, 14,14 u.v.a. eines der „zahlreichen treffenden Bilder, die eingestreut sind wie die Blümlein auf den Auen“; Rost, Überlieferung, 113. Rost, Überlieferung, 126. Allerdings nötigt ihn der von ihm ermittelte literarische Charakter der Erzählung zur ernsthaften Überlegung, „ob hier wirkliche Geschichte oder

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

110

Neben inhaltlichen Gesichtspunkten, die zur Textabgrenzung der TFG führten, ist für Rost der Autorenstil ein wichtiges Kriterium zur Ermittlung von Quellen. Gleicher Stil lasse auf gleichen Autor schließen. Umgekehrt seien verschiedene Autoren zu vermuten, wo Brüche im Stil auszumachen sind. So formuliert Rost etwa: „Weiter ist der Übergang von 12,25 zu 26 so plötzlich und unvermittelt, daß man kaum glauben kann, ein Schriftsteller habe in einem Zug beide Verse nacheinander geschrieben.“ Hinsichtlich der Kompositionsgeschichte kann Rost allerdings von der „schriftstellerischen Methode“13 des Erzählers sprechen, vorgefundenes Material unverändert in seine Erzählung aufzunehmen. Dies etwa, wenn es dessen eigener Konzeption „einen geeigneten Rahmen oder Stütze“ bot14 oder wenn der Bekanntheit des Stoffes wegen eine Aufnahme nötig oder naheliegend war.15 Besonders Ersteres treffe für 2Sam 11,2ff. zu.

4.2

Gerhard von Rad: Die TFG als Anfang der Geschichtsschreibung

Gerhard von Rad hat sich in seiner bekannten Untersuchung Der Anfang der Geschichtsschreibung im Alten Israel (1944) nicht nur an Rosts Abgrenzung der TFG und ihre entstehungsgeschichtliche Verortung im 10. Jh., sondern auch an dessen thematische Einordnung als „Geschichte der Thronfolge“, und die prosalomonische und prodavidische Deutung angeschlossen.16 Als „Einsatz und Absprung unseres Geschichtsschreibers“17 sieht von Rad, wie Rost, die Spannung zwischen der Kinderlosigkeit Michals und der Dynastieverheißung durch Natan.18 Im Folgenden schildere der Verfasser der TFG, wie JHWH die Bewahrung der Dynastie durchführt.19 Dabei aber, und das ist das Besondere an dem Ansatz von Rads, bezeichnet er den Erzähler der TFG dezidiert als „Historiker“ und dessen Werk als „Geschichtswerk“. Sein Verständnis dieser frühen Form eigentlicher alttestamentlicher Historiographie (bei von Rad auch: Geschichtserzählung bzw. Geschichtsschreibung) profiliert von Rad in Abgrenzung zur ätiologischen Kultsage und zur Helden-

13 14 15 16 17 18 19

bloßes Spiel der Phantasie, Wahrheit oder Dichtung vorliegt“, eine Frage, die schwer zu entscheiden sei. In diesem Zusammenhang bemerkt Rost, dass man David den Ehebruch mit Batseba ohne historischen Anhalt wohl kaum nachsagen hätte können. Vgl. ebd. Ebd., 109. Ebd., 108. Vgl. ebd., 109. Zu neuerer Auseinandersetzung mit dem Aufsatz von Rads vgl. die Beiträge in Blum, Das Alte Testament – ein Geschichtsbuch? (2005). Von Rad, Anfang, 160. Vgl. ebd., 159f. Diese Perspektive würde ihre Eindeutigkeit verlieren, rechnete man die Natanweissagung (2Sam 7) nicht zum Textbereich der TFG.

4. Paradigmatische Positionen zur Thronfolgegeschichte

111

sage.20 Zwar gesteht er letztgenannten Gattungen durchaus zu, dass sich in ihnen Kenntnisse geschichtlicher Ereignisse spiegeln mögen. Doch ermittelt er kategoriale Unterschiede zwischen den älteren Ätiologien und der Geschichtsschreibung. Die Kultätiologie sei von Lokalkolorit geprägt und von rein kultischen Interessen geleitet, habe aber keine allgemein-politische Dimension – für von Rad ein Proprium eigentlicher Historiographie. Die Heldensage stehe schon in größerer Nähe zur Historiographie, rücke aber vor allem JHWH als eigentlichen Helden in den Mittelpunkt des Erzählens, dessen wundersames Eingreifen in die geschichtliche Welt verherrlicht werden soll.21 Anders als in der Heldensage, in der JHWH auf wundersame Weise eingreife und dabei gleichsam als Hauptperson wirke, stehe in der TFG eine dichte Kausalkette geschichtsimmanenten menschlichen Handelns im Vordergrund der Erzählung. Dies ist umgriffen vom Handeln JHWHs (concursus divinus), ohne dass dieser wunderhaft eingreift.22 Während die Sage typischerweise als Einzelsage vorkomme, begegneten in der TFG größere Geschehenszusammenhänge, die nach Ort, Raum und Personen größere Erzählbögen spannten. Zwar verschaffe der Erzähler dem Leser „Ruhepunkte“,23 aber die Einzelteile der Erzählung seien auf die größere, zusammenhängende Erzähleinheit hin angelegt. In der Sage begegneten handelnde Personen nicht als individuelle Charaktere, sondern vielmehr als Typen; in der TFG hingegen sind es komplexe und differenzierte Charaktere, die über lange Erzählzusammenhänge begegnen und z.T. bis zu ihrem Tod narrativ nachgezeichnet werden. Eine solche komplexe, schillernde Gestalt sei – neben David – etwa Joab.24 Von Rad erklärt die veränderte Darstellungsweise im Rahmen eines Entwicklungsmodells der Theologiegeschichte durch das Konzept der salomonischen Aufklärung. Der „Schock“ der Staatswerdung mit ihrer Veränderung der politisch-sozialen Wirklichkeit und die Öffnung gegenüber der außerisraelitischen Welt werde in der TFG verarbeitet, indem der Erzähler neue Welterfahrungen und deren Konsequenzen durchspiele.25 20 21 22

23 24

25

Vgl. von Rad, Anfang, 150f.154-159. Von Rad spricht von der „naiven Wundergläubigkeit der Heldensage“; vgl. ebd., 186. „[Es] spricht sich [hier] eine ganz bestimmte Auffassung über das Verhältnis Gottes zur Geschichte aus. (…) [W]ie ganz anders nun hier bei der Geschichtsschreibung! Es geschieht kein Wunder, es tritt auch kein charismatischer Führer auf, sondern die Ereignisse wickeln sich ab, ganz nach ihrer immanenten Gesetzlichkeit.“ Vgl. von Rad, Anfang, 184f. Von Rad, Anfang, 184. Es wundert kaum, dass beispielsweise bei Joab redaktionsgeschichtliche Hypothesen ihren Anhalt finden. Vgl. etwa den Abschnitt Davidfreundliche und joabfeindliche Überarbeitung in Würthwein, Erzählung, 43-48. Dies setzt für die Salomonische Zeit eine Zeit wirtschaftlicher, religiöser, sozialer und politischer Blüte voraus. Vgl. auch von Rad, Anfang, 188, Anm. 44. In einem solchen Milieu habe sich die uns hier vorliegende Geschichtsschreibung rasch entwickeln können, so schnell, dass ihre Genese nicht nachzuvollziehen sei, sondern nur ihr Ergebnis zur Kenntnis genommen werden könne: „Die ‚Entstehung‘ der altisraelitischen Geschichtsschreibung lässt sich nicht darstellen. Sie ist zu einem bestimmten Zeitpunkt da, und zwar steht sie da vor uns in ihrer vollkommensten Gestalt“; ebd., 149f.

112

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

Gegenüber der dtr Geschichtsschreibung, die auf einer Metaebene alle Könige qualifiziert (er tat, was gut war/was nicht gut war in den Augen JHWHS; 1Reg 11,6; 14,22; 15,26 u.a.), zeichne sich die TFG gerade durch große Zurückhaltung in der Deutung und Beurteilung aus: [Ihr Verfasser] lobt David nicht, er tadelt Absalom nicht; die Ereignisse nehmen ihren Lauf, aber der Leser merkt doch sehr bald, daß er nicht vor einem Spiel blinder Zufälle steht. Absaloms und Davids Geschick erfüllen sich.26

Es begegne in der Darstellung dieses „Historikers“27 eine Auffassung von Schuld und Vergeltung im Sinne des ius talionis, das die Erzählung im Hintergrund durchzieht: „Schicksale sind in dem ernsten Sinn des Wortes, die sich erfüllen, nicht willkürliche und unpersönliche, sondern jedesmal als Sühne für große Schuld. Es ist eine straff gespannte Kette von Sünde und Leid, die an dem Leser vorüberzieht.“28 Dass die Handlung weitgehend geschichtsimmanent im Muster des Tun-Ergehen-Zusammenhangs gehalten ist, dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich nicht um ein skeptisch-pessimistisches Werk handle, sondern doch um theologische Geschichtsschreibung, indem die profane Historie mit kontrapunktischen „Deutestellen“ durchsetzt und damit theologisiert ist. Von Rad legt für seine Interpretation besonderes Gewicht auf die theologischen Aussagen auf der Ebene des Erzählers: 2Sam 11,27b; 12,24b.25.; 17,14b.29 Diese seien „Signale, die vor einem allzu einlinigen Verständnis des ganzen Werkes warnen wollen“.30 Diese drei theologischen Deutestellen ragen aus der Erzählung heraus31 und seien gerade deshalb besonders bedeutsam. Weil gerade diese „Deutestellen“ in anderen Modellen gegenläufig – in der Regel als spätere Zusätze – interpretiert werden, soll auf sie kurz im Einzelnen eingegangen werden. Die erste sog. Deutestelle ist 2Sam 11,27b: In den Augen JHWHs aber war die Sache böse, die David getan hatte. Diese Aussage hängt nach von Rad insofern eng mit der Erzählsubstanz zusammen, als nach den unerhörten erzählten Vorfällen nicht kommentarlos zum nächsten Thema übergeleitet werden könne. 26 27 28 29

30 31

Von Rad, Anfang, 179. Ebd. Ebd. Zu den theologischen Urteilen der TFG vgl. von Rad, 181ff. Von JHWH ist auch an anderen als den Deutestellen die Rede. Allerdings handelt es sich hier nicht um Erzählerdeutungen, daher bezieht sie von Rad nicht in seine Argumentation mit ein. Zu nennen sind hier etwa: 2Sam 12,7.9.11.13f. (Natan) – 2Sam 12, 13 (Bekenntnis Davids); 2Sam 16,7f. (Fluch Schimis) – 2Sam 16,11f. (Reaktion Davids); 1Reg 1,36f. (Benaja zu Salomo); 1Reg 1,48 (David im Bericht des Jonatan); 1Reg 2,15b (Adonija zu Batseba). Von Rad, Anfang, 182. „Man hat fast den Eindruck, als unterbräche er [der Erzähler] nur ungern den Bericht von den völlig geschichtsimmanenten Gegenständen (…)“, 182. Übrigens hat bereits Rost die Zurückhaltung des Erzählerurteils und die Deutestellen bemerkt und den Sachverhalt expliziert: „[es] fällt (…) besonders ins Auge, daß nur an drei Stellen (…) der Erzähler ein Urteil über den Zusammenhang irdischen Geschehens mit göttlichem Empfinden und Willensentschlüssen fällt. Sonst tritt er mit seinen eigenen Anschauungen ganz zurück hinter seinem Werk, indem er solche Urteile den handelnden Personen in den Mund legt.“ Rost, 128f.

4. Paradigmatische Positionen zur Thronfolgegeschichte

113

Das zweite Deutewort, nach von Rad ebenfalls fest in der Erzählsubstanz verankert, findet sich in 2Sam 12,24b.25: Und JHWH liebte ihn [Salomo]. Und er sandte durch den Propheten Natan hin, und der gab ihm den Namen Jedidja um JHWHs willen. Erzählerisch war nach V. 15 (JHWH schlug das Kind) Aufschluss darüber zu erwarten, ob auch das zweite Kind unter dem Vorzeichen des Vergehens stehe. Unter dem Vorwissen der Leser, dass Salomo auf den Thron gekommen ist, stelle sich die Frage nach JHWHs Stellung ihm gegenüber um so mehr. V. 24 (JHWH liebte ihn [Salomo]) löse diese Spannung auf. Die dritte Deutestelle, 2Sam 17,14b (JHWH aber hatte es angeordnet, um den guten Rat Ahitofels zunichte zu machen, damit der Herr das Unheil über Abschalom brächte), ist, nach von Rad, ein klassischer Beleg für menschliches Handeln in Kausalzusammenhängen, das von Gottes Wirken umklammert ist. Auch hier sieht von Rad die Aussage narrativ verankert: Der Auszug Davids aus Jerusalem habe sich „in den sakralen Formen eines Bußganges vollzogen“32 und das Handeln JHWHs erweise sich als Reaktion auf das Gebet Davids (15,31). Ferner bedürfe die Aussage in 16,23 (Ahitofels Rat galt soviel, wie wenn man das Wort Gottes befragte) einer Erklärung, ebenso wie der Meinungsumschwung Abschaloms gegenüber 17,4 (Das Wort [Ahitofels] war recht in den Augen Abschaloms) nun den Rat Huschais dem des Ahitofel vorzuziehen (17,14).33 Die Deutestellen erweisen nach von Rad die TFG als theologisches Geschichtswerk: Er [der Autor] zeigt (…) eine Abfolge von Geschehnissen, in der die immanent kausale Kette ganz dicht geschlossen ist; so dicht, dass das Menschenauge überhaupt keine Lücke mehr findet, in der Gott hätte eingreifen können. Und doch hat er heimlich alles gewirkt, alle Fäden lagen in seinen Händen, sein Wirken umschloss die großen politischen Ereignisse gleicherweise wie die verborgenen Entschlüsse der Herzen.34

4.3

Lienhard Delekat: Die TFG als königskritische Streitschrift

Lienhard Delekat hat 1967 in der Festschrift für Leonhard Rost unter dem Titel Tendenz und Theologie der David-Salomo-Erzählung einen Aufsatz vorgelegt, in dem erstmals dezidiert eine antidavidische und antisalomonische, ja insgesamt eine königskritische Tendenz der TFG vertreten wird. In der textlichen Abgrenzung der TFG schließt sich Delekat an Rost an. Ganz anders aber ist seine Deutung der TFG: Nach Delekat hat die „David-Salomo-Erzählung“ zum

32 33

34

Von Rad, Anfang, 184. Alle drei Stellen weisen demnach substantielle Bezüge zur Handlung auf. Des Weiteren ist zu bedenken, dass Erzählerdeutungen sich schon deshalb von der Handlung abheben, weil sie sich per se auf einer Metaebene befinden. Von Rad, Anfang, 185.

114

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

Ziel, den „David-Mythos“35 zu destruieren und die unangefochtene, gefestigte Königsherrschaft Salomos als illegitim und nicht-gottgewollt herauszustellen. Der Erzähler, der unter Salomo das Ideal eines Loyalitätsabbruchs gegenüber der davidischen Dynastie und eine freiwillige Rückkehr des Volkes zum „eigentlichen König Jahwe“ für nicht mehr realisierbar gehalten hätte, hege jedoch noch die Hoffnung auf einen gewaltsamen Umsturz, in dessen Folge es zu einer Rückkehr Israels zu JHWH kommen könnte. Einen Ansatz zu solchen (wünschenswerten) revolutionären Umbrüchen habe der Erzähler im gescheiterten Abschalomaufstand verwirklicht gesehen. Es ist nach Delekat also die Hoffnung auf einen zukünftigen Durchbruch solcher Art, die der antisalomonischen Streitschrift zugrunde liegt. Das methodische Vorgehen Delekats beruht auf der Unterscheidung der „historischen“ Personen und Ereignisse von der Aussageabsicht des Verfassers. Für diese Differenz gibt es nach Delekat eine Reihe von Indizien, so etwa die gegensätzliche Beurteilung des späten David durch das Volk (positiv) und durch den Erzähler (negativ). Diese Tendenz der Erzählung, die das historische Bild Davids und Salomos überlagert, sei (1) aus expliziten Erzähleraussagen, (2) aus Stoffauswahl und Darstellung sowie (3) aus der Leserlenkung zu ermitteln. Dabei geht Delekat davon aus, dass in der TFG eine abgerundete Erzählung vorliegt: „Die Erzählung ist ein literarisches Meisterwerk. Ein Versehen in Darstellung und Stoffauswahl ist ausgeschlossen.“36 Daher sei es signifikant, was aus der Fülle des potentiellen Erzählstoffes ausgewählt und was verschwiegen werde, und wie dies präsentiert werde. Delekat legt bei der Analyse dann besonderes Gewicht auf die Redeteile der Erzählung, „denn hier konnten die Erzähler am freiesten formen“37. So findet er etwa die Erzählerstimme in Teilen der Rede der Frau aus Tekoa und in anderen Reden. In Delekats Aufsatz selbst sind die Fragestellungen von Erzählstoff und dessen Darstellung eng verwoben mit der Frage nach der Leserlenkung. Als Leser setzt Delekat „wehrhafte israelitische Bauern mit ihrer dörflichen Jahwe-Sittlichkeit“38 voraus und sucht dann nach Anhalten im Text, die auf die Wertvorstellungen der vorausgesetzten Leserschaft abzielen und deren Stellungnahme herausfordern. Die David-Salomo-Erzählung rechnet Delekat formal der Gattung Heldensage zu; die Lesererwartung des Heldenruhmes werde aber gebrochen, denn die 35

36 37 38

Das Nichtöffentliche sei historisch unzuverlässiger: die Batseba-Geschichte, die Palastintrige, die Frau aus Tekoa. Lese man die TFG ohne diese Teile, ändere sich das Davidbild. David sei dann zu Beginn seiner Herrschaft als Statthalter der Besatzung unter Achisch akzeptiert, nicht aber als der erkorene Volkskönig wie Saul. Anders als sein Sohn Abschalom, dem die „volle herzliche Zuneigung und Gefolgschaft seines Volkes“ zukam, sei er nicht uneingeschränkt anerkannt gewesen. Von daher bekomme auch die Klage Davids Wäre ich statt deiner gestorben, Abschalom! einen anderen Klang als nur den eines weichlichen Vaters: „Das Königtum (…) hätte seinem Sohn gehört, nicht ihm“; Delekat, Tendenz, 30. Delekat, Tendenz, 27. Vgl. ebd. Ebd.

4. Paradigmatische Positionen zur Thronfolgegeschichte

115

„Helden“ der Erzählung würden in schlechtes Licht gerückt: David erweise sich nicht nur als Heerführer und Richter unfähig, er gebe auch leichtfertig seinen Neigungen nach und bringe schließlich aus Nachgiebigkeit gegenüber einer Frau eine „Ehebrecherin und ihren Sohn auf den Thron des Gesalbten Jahwes“.39 Salomo, der also illegitim auf diesen Thron gelangt sei, erweise sich als dessen unwürdig, indem er kurz nach des Vaters Tod „seinen Bruder, den rechtmäßigen Thronfolger, und zwei andere Männer unter scheinheiligem Vorwand kaltblütig ermorden [lässt]“.40 Nach Delekat werden auch die Aussagen am Erzählende, anhand derer Rost die Thematik der Gesamterzählung bestimmte, gebrochen: Die Art und Weise, wie etwa Davids Ehebruch und Mord an Urija, und wie die Palastintrige, Salomos Thronbesteigung mit den sie konsolidierenden Morden erzählt würden, „erklären nicht, warum die Herrschaft fest in Salomos Hand lag, sondern lassen diese Tatsache vielmehr als unerklärlich, als Ärgernis erscheinen“.41 An der Darstellung der Batseba-Geschichte 2Sam 11 und besonders der Palastintrige 1Reg 1f. werde deutlich, dass der Erzähler (…) jedenfalls an die Gotterwähltheit Salomos nicht glaubt. Vielmehr hat Nathan Salomo über Bathseba und den alternden David ohne jeden Auftrag Jahwes als seinen persönlichen Schützling auf den Thron gebracht.42

Delekat geht mit seiner These der kritischen Erzählertendenz so weit, dass er in der Darstellung des milden Umgangs JHWHs mit Davids Schwächen, besonders mit dem offenkundig verwerflichem Vergehen ein „untergründiger Groll des Erzählers gegen Jahwe unverkennbar“ sei.43 Die Erzählerkritik gegen JHWH richte sich dagegen, dass er zu allem „willenlos Ja sag[t]“44, was David tut.

4.4

Ernst Würthwein: Antisalomonische Grundschrift und prosalomonische Redaktion

Ein gänzlich anderes Lösungsmodell im Umgang mit den vorfindlichen erzählerischen Spannungen der TFG bieten verschiedene literarkritische Ansätze, deren methodisches Vorgehen im Grundsatz von einer Scheidung der Gesamterzählung in verschiedene in sich „schlüssige“ Schichten gekennzeichnet ist. Als häufiges Kriterium dient dabei die zuvor aufgezeigte forschungsgeschichtlich virulente Frage nach der Tendenz der Erzählung (positiv bei Rost, von Rad und anderen, negativ bei Delekat und anderen). Exemplarisch für den redaktionskritischen Lösungsansatz, wie er im Grundansatz ähnlich auch bei anderen 39 40 41 42 43 44

Ebd. Ebd., 28. Ebd. Ebd., 33. Ebd., 34. Ebd.

116

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

Bibelwissenschaftlern oder Bibelwissenschaftlerinnen, so etwa Timo Veijola oder Walter Dietrich ausgeprägt ist, soll hier die Analyse von Ernst Würthwein skizziert werden. Ernst Würthwein stellt in seinem Buch Die Erzählung von der Thronfolge Davids – theologische oder politische Geschichtsschreibung? (1974) ein redaktionsgeschichtliches Modell einer antiköniglichen Grunderzählung und einer prodavidischen und prosalomonischen Redaktion vor. Für die von ihm ermittelte und als beinahe konsistent beschriebene königsfeindliche Grunderzählung teilt er die Tendenz, die Delekat für die Gesamterzählung ausgemacht hatte: Geradezu boshaft (…) erscheinen die Einzelheiten, mit denen die Erzählung ausgestaltet ist, (…) bei der alles andere als Wohlwollen gegenüber David dem Verfasser die Feder geführt hat.45

Eine spätere Bearbeitung dieser antiköniglichen Grundschicht habe die negative Sicht Davids und Salomos durch entlastende Zusätze wieder ausgeglichen. Maßgeblich geschieht das nach Würthwein v.a. in sekundären Passagen im textlichen Umfeld des Abschalom-Aufstandes, nicht zuletzt dadurch, dass Personen wie Joab oder Ahitofel kritisch redigiert worden seien.46 Zur nachträglichen redaktionellen Abschwächung des ursprünglich negativen Davidbildes rechnet Würthwein insbesondere auch die theologischen Deutestellen, die in der Gesamtinterpretation bei von Rad eine tragende Rolle gespielt hatten. Würthwein nimmt für die von ihm angenommene Grundschicht Anleihen an der von Delekat ermittelten königskritischen Tendenzermittlung. Es lasse sich weder in 1Reg 1f. noch in 2Sam 11 eine salomofreundliche Tendenz erkennen. Vielmehr betreibe die Darstellung, die Salomo als Kind eines Ehebruchs kennzeichne, „eine deutliche Entmythisierung seines Königtums“.47 Diese sei keine Einzelstimme, sondern nehme eine breite königskritische Haltung auf, wie sie sich in den Ereignissen der Reichsteilung manifestiere. Es handle sich um eine literarische Auseinandersetzung mit einer neueren Entwicklung, die das davidisch-salomonische Königreich mit sich gebracht habe, und die in ihrer Ausrichtung gegen überkommenes altisraelitisches Ethos „nicht im Einklang stand mit alt-israelitischen Vorstellungen von dem Verhältnis politischer Führung und Volk“.48 Die Erzählung sei keine historische Erzählung, sondern unter dem Diktat unverhohlen kritischer Einstellung zu Davids Königtum frei erzählerisch gestaltet.49 Man müsse den Anschuldigungen, die im Bericht um David, Salomo und Batseba impliziert sind, deutlich mehr Gewicht beilegen, als das etwa Rost tat:

45 46 47 48 49

Würthwein, Erzählung, 22. Vgl. bes. den Abschnitt Davidfreundliche und joabfeindliche Überarbeitung, Würthwein, Erzählung, 43-48. Ebd., 49. Ebd., 59. Vgl. ebd., 22.

4. Paradigmatische Positionen zur Thronfolgegeschichte

117

Man wird nicht darüber hinwegsehen können, daß diese ganze Affäre erzählt ist, um die Gestalt einzuführen, die am Ende ihren Sohn auf den Thron bringt und selber eine höchst ehrenvolle und mächtige Stellung einnimmt.50

Es dränge sich die unumgängliche Frage nach der Tendenz der Erzählung auf, dass die Erzählung selbst keinen Beitrag leistet, die spätere hohe Bestimmung Salomos erzählerisch zu begründen. Würthwein scheidet die Deutestellen von Rads in 2Sam 11,27b, 12,24 und 17,14 als spätere Nachträge aus; indem diese Stellen so nicht mehr der TFG zugehören, entfällt für sie jegliche interpretatorische Relevanz. Die Deutestelle 2Sam 11,27, die bei von Rad noch als positive Wende des Vorhergehenden empfunden worden sei, hält Würthwein für eine dem Kontext eingepasste dtr Formel der Beurteilung von Königen.51 Das Urteil über Salomo und JHWH liebte ihn in 2Sam 12,24 erweise sich nicht nur durch späten Sprachgebrauch als Zusatz, sondern auch dadurch, dass es in 1Reg 1f keine Rolle mehr spiele.52 Auch die Frömmigkeit Davids im AbschalomAufstand, sowie der negative Abgang Ahitofels sei das „Resultat einer späteren Übermalung“53 mit Hilfe der dritten Deutestelle. Darüber hinaus destruiere die Aufnahme des weit verbreiteten Briefmotivs das Vorurteil einer königsfreundlichen Einstellung des Verfassers. Der mit dem Motiv verbunden Vertrauensbruch Davids zeige diesen als „orientalische[n] Despot (…) sinnlich, zügellos und skrupellos“.54

4.5

Zusammenfassung und Ausblick

Die dargestellten Untersuchungen befinden sich zum Teil auf unterschiedlichen Frageebenen. Leonhard Rost und Gerhard von Rad betonen die Tendenz der TFG, die sie von Aussagen her bestimmen, die z.T. bei Ernst Würthwein und anderen Vertretern redaktionsgeschichtlicher Modelle, etwa Walter Dietrich und Reinhard Gregor Kratz, ausgeschieden werden. Dabei sind besonders die „Deutestellen“ (von Rad) und die Strafansage Natans (*2Sam 12,1ff.) von Ausgrenzungen betroffen. Zwar ist auch unter redaktionsgeschichtlichem Blickwinkel die Frage nach der Tendenz wesentlich. Sie wird aber nicht auf den vorliegenden größeren Erzählabschnitt bezogen. Vielmehr wird sie zu einem Kriterium der Ermittlung verschiedener homogener Schichten im Text. Methodisch geht es hier um die Frage nach dem Umgang mit den empfundenen Spannungen im größeren Erzählzusammenhang der TFG, verbunden mit der Frage der (synchronen wie diachronen) Abgrenzung des Textes. Werden die Stellen, die David bzw. Salomo in positiver oder in negativer Sicht zeigen, im Rahmen einer zusammenhängenden Erzählung gedeutet, wie dies bei Rost oder von Rad der Fall ist, so orientiert sich die Interpretation an den überwiegend 50 51 52 53 54

Ebd., 19. Vgl. ebd., 23. Vgl. ebd., 49. Vgl. ebd., 50. Ebd., 23.

118

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

dynastiebejahenden Aspekten der Erzählung; die Stellen, die David und Salomo in negatives Licht setzen, tragen in dieser Sicht zu einer Komplexität der Personen und der Handlung bei. Die Grundannahme einer „Einheitlichkeit“ der TFG motiviert diese paradigmatischen Positionen zu einer Auslegung, welche die Uneinheitlichkeiten der Erzählung integrativ in die Interpretation mit einbezieht. Wenn Rost hinsichtlich verschiedener Themen und verschiedener Stile im Bereich der TFG zu einem Modell einer Verarbeitung verschiedener Quellen durch einen Autor gelangt, so ist dies Reflex des Ansatzes, die auf Textebene festgestellten „Spannungen“ auf einer höheren Warte integrativ aufzulösen. In derselben Linie ist auch die theologische Deutung von Rads zu sehen. Er verbindet die weitgehend geschichtsimmanente Darstellung mit den theologischen Aussagen auf Erzählerebene in dem Modell einer theologischen Geschichtsschreibung und integriert auf diese Weise die „herausragenden“ Deutestellen in eine Gesamtinterpretation. Auch Delekat interpretiert die TFG weitgehend ohne textliche Ausgrenzungen, tut dies aber im Rahmen eines anderen Erklärungsmodells, indem er eine signifikante Differenz zwischen der Darstellung und den tatsächlichen Ereignissen betont. Ein anderer Umgang mit den empfundenen Textunebenheiten der TFG, der bei Rost im Ansatz schon vorliegt, findet sich in ausgeprägter Form in redaktions- bzw. kompositionsgeschichtlichen Modellen. Während Rost verschiedene Vorlagen ermittelt, aber noch die Verarbeitung durch einen Autor betont, so legen andere Exegeten und Exegetinnen den Schwerpunkt nicht auf eine produzierende und redigierende Hand am Ende des Produktionsprozesses, sondern auf die Genese des Textes, genauer: auf die Frage nach Vorstufen des vorliegenden Textes. Die entscheidende Frage der Textinterpretation, nämlich welcher Textbereich interpretiert wird, erhält in textgenetischen Modellen insofern besondere Brisanz, als nicht nur verschiedene (Vor-)Stufen eines überlieferten Textes potentiell einer Interpretation unterzogen werden können, sondern insbesondere, als die Ermittlung bestimmter Vorstufen schon immer ein Ergebnis vorhergehender Interpretation darstellt. Solche Modelle verfahren also in besonderer Weise zirkulär, insofern die entsprechende Vorentscheidung maßgeblich das interpretatorische Vorgehen steuert. Infolge der Entscheidung, die theologischen Deutestellen als mutmaßlich spätere theologisierende Zusätze von der zu interpretierenden Textsubstanz zu subtrahieren, gelangt Würthwein zu einem theologielosen Bild der (Ursprungs-)Erzählung. Dem liegt die Annahme einer homogenen Primärerzählung (hier bezogen auf den Gegensatz von immanenter und transzendenter narratologischer Darstellung) zugrunde. Dies gilt auch für die Scheidung mithilfe des Kriteriums verschiedener Tendenzen, wie dies etwa bei Würthwein der Fall ist. Eine jeweilige Schicht hat in diesem Deutungshorizont auch eine einheitliche Tendenz aufzuweisen. In diesem Modell wird Tendenzkritik also zum methodischen Verfahren einer literarkritischen Scheidung in verschiedene in sich einheitlichen Textschichten. Einige Probleme einer Textdeutung, wie sie etwa von Würthwein vertreten wird, sollen abschließend noch einmal festgehalten werden: (1) Es fällt auf, dass die Ausscheidungen von Textteilen mit einer Reduktion der narrativen Komplexität der synchronen Texteinheit verbunden ist. Dies betrifft etwa die Charakterisierung der Personen: David wird einseitig auf einen schlechten König redu-

4. Paradigmatische Positionen zur Thronfolgegeschichte

119

ziert, und Batseba auf eine politisch ambitionierte, intrigante Persönlichkeit. (2) Ein methodisches Vorgehen, das die empfunden Unebenheiten eines Textes verschiedenen Händen zuweist, hat die Neigung, unbewusst ein bestimmtes Bild von Textkohärenz der Analyse vorzuschalten. Es ist zu vermuten, dass solche Kohärenzvorstellungen auf einer neuzeitlichen Projektion beruhen. (3) Wenn eine von Würthwein (und anderen) postulierte königskritische Grundschicht vorausgesetzt wird, muss unter anderem erklärt werden, wo diese antidavidische und antisalomonische Erzählung aufgeschrieben werden konnte; dies ist jedenfalls nur schwer im Umkreis des Königshofes denkbar. (4) Die systematische Ausgrenzung der Deutestellen bringt vor allem die Frage auf, ob für die entstehungszeitliche Verortung der Erzählung eine quasi säkulare politische Erzählung überhaupt denkbar wäre, in der JHWH ausgespart bleibt. Wie sollen altorientalische Leser mit der Wirklichkeit dieser Geschichte umgehen, wenn für sie eine Wirklichkeit ohne Gott gar nicht vorstellbar ist?55 Exemplarisch wurden paradigmatische Konzeptionen, wie sie der Auslegung der TFG zugrunde liegen, aufgezeigt und Hinweise auf methodische Voraussetzung der Divergenzen dieser Deutungen gegeben. Im Folgenden konzentriert sich die Untersuchung auf einen interessanten Textbereich innerhalb der TFG, nämlich auf 2Sam 11 und 12. Alle vorgenannten Deutungen beruhen auf Textbeobachtungen. Sie gelangen jedoch zu höchst unterschiedlicher Interpretationen ihres „Materials“. Dies fordert zu einer gründlichen Analyse des „Textes“ von 2Sam 11 und 12 auf. Mit geschärftem Blick können anschließend konkrete literarkritische Analysen und literarische Interpretationen von 2Sam 11 und 12 untersucht und nach ihren methodischen Vorannahmen hin befragt werden.

55

Wenn, wie in Würthweins Modell, die heimliche Intention des Erzählers darin bestünde, die Hoffnung auf JHWHs kommendes Handeln zugunsten Israels zum Ausdruck zu bringen oder aber – umgekehrt – die davidische Dynastie als Strafe JHWHs zu deuten, hätte er diese Intention gründlich verfehlt.

5.

Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

Die Erzählung von David und Batseba eignet sich in besonderer Weise für die Untersuchung, wie literaturwissenschaftliche Ansätze im Vergleich zu historisch-kritischen Zugängen biblischer Erzählungen analysieren. Nicht umsonst wurde sie auch von allen wichtigen Vertretern des Literary Approach untersucht. Sie hat unübersehbar ihre besonderen Reize. Diese liegen zunächst im Stoff, in der Diegese, begründet: Macht, Ränke, Scheitern und Versagen gehören zu den faszinierenden Erzählthemen, und immerhin geht es um den großen König David und die Vorgeschichte zum Thronnachfolger Salomo, und damit ist die Erzählung auch religiös brisant. Auch der Diskurs der Erzählung fasziniert die wissenschaftlichen Leser: Die narratologische Durchführung der „Story“ gehört zu den großen Meisterleistungen der Weltliteratur. Das Ziel dieses Kapitels ist es, „Text“-Konzeptionen neuerer literarkritischer Positionen mit denen von Literary Approaches zu vergleichen. Dies soll nicht abstrakt, sondern an konkreten Textbeispielen erfolgen. Dieser Vergleich wird anhand paradigmatischer Positionen erfolgen. Die Wahl fällt dabei für die klassische kritische Auslegung auf Timo Veijola und Randall C. Bailey. Beeindruckend sind bei Veijola besonders die politisch-historischen Implikationen seiner Hypothese (vgl. Abschnitt 6.3.1.1). Bailey imponiert mit einer Feintarierung der von ihm angenommenen Schichten der Erzählung (5.3.1.2) – ein Beispiel für Literarkritik par excellance. Dass die Episode auch ganz anders gelesen werden kann, demonstrieren die Literaturwissenschaftler Sternberg (5.3.2.1) und Alter (5.3.2.2), die beide im ersten Hauptteil dieses Buches auf ihren „Text“-Begriff hin untersucht wurden (3.2 und 3.3). Während Alter einen eigenen Kommentar zu den Samuelbüchern vorlegte, dient Sternberg die David-Batseba-Erzählung als Fallbeispiel für eine Theorie erzählerischer Leerstellen. Sternberg behandelt unseren Abschnitt dabei besonders ausführlich. Der Betrachtung konkreter Auslegung bzw. Interpretationen sind aber zunächst eine Übersetzung und eine eigene Analyse des Textes vorgeschaltet. Ein sorgfältiger Blick auf das „Material“ ist unabdingbar als Vorbereitung auf die verschiedenen Möglichkeiten im Umgang mit diesem Erzähltext in den konkreten Interpretationsmodellen. Die Übersetzung des Textes versucht schon die narratologisch wichtigen Merkmale in Semantik und Lexematik zu berücksichtigen. Es folgen sodann Anmerkungen zum hebräischen Textbestand (Abschnitt 1). Sodann erfolgt eine ausführlichere Analyse unter narratologischen Gesichtspunkten mit dem Ziel, den Text zu erhellen und den Blick für Feinheiten zu schärfen, sowohl für die Textelemente, die in den Interpretationen als maßgebliche Interpretamente herangezogen werden, als auch für solche Aspekte, die sich den Interpretationsmodellen entgegenstellen. Allerdings handelt es sich nicht um eine umfassende Interpretation des Textes. Es geht vielmehr um

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

121

die Erarbeitung einer Grundlage für die Diskussion der Frage nach der analytischen Erfassung verschiedener „Text“-Begriffe. Das gleiche Verfahren, zunächst den Text, dann dessen narratologische Analyse, sodann literarkritische und literarische Ansätze und diese im Vergleich zu betrachten – dies sei als Ausblick auf Kapitel II gesagt – wird für die Folgeepisoden in 2Sam 12 dann noch einmal aufgenommen.

5.1

Übersetzung von 2Sam 11 und textkritische Anmerkungen

Der Übersetzung des Textabschnitts muss eine Bemerkung zu deren Funktion vorangestellt werden. Übersetzung ist bekanntermaßen wegen syntaktischer, semantischer und phraseologischer Inkompatibilitäten zwischen der Ausgangssprache und der Zielsprache unumgänglich immer ein Vorgang der Übertragung. Die Diskussionen um die Richtigkeit von Übersetzungen zeigen, dass aber nicht immer selbstverständlich ist, nach welchen Kriterien übersetzt werden solle. M. E. müssen solche Kriterien maßgeblich davon bestimmt sein, welchem Zweck die Übersetzung dienen soll. Erst wenn der Zwecck geklärt ist, kann man prüfen, ob die Übersetzung angemessen ist. In unserem Rahmen ist der Zweck einer Übersetzung, eine Grundlage für die narratologische Analyse des hebräischen Textes zu erstellen. Das ist der Grund, weshalb die Übersetzung einige sprachliche Unebenheiten enthält. Es sind vor allem drei Faktoren, die aufgrund dieser Vorentscheidung den deutschen Stil beeinträchtigen: (1) Zum einen wurden die Möglichkeiten hypotaktischer Ausdrucksweise des Deutschen nur zurückhaltend genutzt, damit die parataktische Ausdrucksform des Hebräischen besser erkennbar bleibt. Aus gleichem Grund wurde der nominale Stil des Hebräischen weitgehend beibehalten. (2) Zum anderen versucht die Übersetzung, lexematische Bezüge des Hebräischen auch ins Deutsche zu retten, indem gleiche hebräische Lexeme möglichst mit gleichen deutschen Lexemen wiedergegeben werden; das ist nur bedingt möglich, und eine Übersetzung mit dem Zweck der Leserfreundlichkeit müsste sich an vielen dieser Stellen für andere Formulierungen entscheiden. Als Lesehilfe und als Vorbereitung für die Analyse werden textinterne lexematische Bezüge des Erzählabschnittes durch in Klammern gesetzte hebräische Grundmorpheme1 gekennzeichnet. Dabei sind aber nicht alle, sondern nur die wichtigsten lexematischen Bezüge berücksichtigt. (3) Ein besonderes Problem bei der Übersetzung bieten schließlich phraseologische Wendungen (vgl. hierzu 5.2.3.2). Wo möglich, werden sie durch entsprechende deutsche Wendungen gleicher sprachlicher Funktion ausgedrückt, wenn diese sich nicht zu sehr vom Hebräischen unterscheiden; wo das deutsche Äquivalent aber zu sehr abweichen würde, bleibt – auf Kosten des deutschen Ausdrucks – der hebräische Phraseologismus erhalten. 1

Es steht also dort in der Regel nicht die konkrete Textform.

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

122

An einigen Stellen der Übersetzung wurde aber auch der genau umgekehrte Weg beschritten, nämlich dass bei der Übersetzung von der Form der hebräischen Vorlage abgewichen wurde, um die Funktion der Ausdrucksweise ins Deutsche zu transportieren. Das betrifft vor allem die Textpassagen, die unter 5.2.3.2 Abschnitte (1) und (2) behandelt werden. Es handelt sich dabei um Sätze, die im hebräischen Text als Frage formuliert sind, ihrer Funktion nach aber keine solche sind, sondern besonders starke Vorwürfe zum Ausdruck bringen. Diese Sätze wurden so ins Deutsche gesetzt, dass der Vorwurf sogleich erkennbar ist. Die Gliederung innerhalb der Verse folgt grundsätzlich der syntaktischen Aufteilung von Wolfgang Richters Biblica hebraica transcripta2. Während Richter fortlaufend lateinische Buchstaben gebraucht, werden in Abweichung von ihm hier die Vershälften in Orientierung an der masoretischen Verseinteilung (Atnach und Soph Pasuq) mit lateinischen, die weiteren syntaktischen Unterteilungen sodann mit griechischen Buchstaben gekennzeichnet. Die Erzählebenen (vgl. 5.2.2.3) sind dadurch gekennzeichnet, dass die Reden (E2) gegenüber der Erzählerebene (E1) eingerückt werden. Ist in den Reden wiederum Rede eingebettet (E3), so ist dies gegenüber E2 erneut eingerückt. Textstellen, die in den Anmerkungen zum hebräischen Text behandelt werden, sind mit Circensus versehen.

5.1.1 Übersetzung von 2Sam 11 1a

α

β

γ δ b 2a

α β γ δ

b 3a

α β

b

α β

2

Und es geschah zur Wiederkehr des Jahres, zur Zeit des Auszugs (‫ )יצא‬der Könige°, da sandte (‫ )שׁלח‬David Joab und seine Knechte (‫ )עבד‬mit ihm und ganz Israel, und sie verheerten die Ammoniter und belagerten Rabba; David aber blieb (‫ )ישׁב‬in Jerusalem. Und es geschah zur Zeit des Abends, als David von seinem Lager (‫ )משׁכב‬aufstand und sich auf dem Dach (‫ )גג‬des Hauses (‫ )בית‬des Königs erging, da sah er eine Frau (‫)אשׁה‬, die sich gerade wusch, vom Dach (‫ )גג‬herab°; und die Frau (‫ )אשׁה‬war von sehr schönem Aussehen. Und David sandte (‫)שׁלח‬ und holte Erkundigung ein über die Frau (‫;)אשׁה‬ und man sagte: Das ist doch (‫ )הלוא‬Batseba, die Tochter Eliams, die Frau (‫ )אשׁה‬Urijas, des Hethiters.

Richter, Biblia Hebraica transcripta V, 408-418.

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba 4a

α β γ δ ε

b 5a b

α β γ δ

6a

α β

b 7a b

8a

α β γ

b

α β

9a

α β

b 10a

α β

b

α β γ

11a

α β γ

δ

b

α β γ

12a

α β γ

Und David sandte (‫ )שׁלח‬Boten (‫)מלאך‬ und er nahm sie und sie kam zu ihm° und er lag (‫ )שׁכב‬mit ihr° – sie aber reinigte sich gerade von ihrer Unreinheit – und sie kehrte zurück in ihr Haus (‫)בית‬. Und die Frau (‫ )אשׁה‬wurde schwanger, und sie sandte (‫)שׁלח‬ und sie meldete es David und sagte: Ich bin schwanger°. Da sandte (‫ )שׁלח‬David zu Joab: Sende° (‫ )שׁלח‬Urija, den Hethiter, zu mir; und Joab sandte (‫ )שׁלח‬Urija zu David. Als Urija zu ihm° kam, fragte David nach dem Wohlergehen (‫ )שׁלום‬Joabs, dem Wohlergehen (‫ )שׁלום‬des Volkes und dem Wohlergehen (‫ )שׁלום‬des Krieges (‫)מלחמה‬. Und David sagte zu Urija: Geh hinab (‫ )ירד‬in dein Haus (‫)בית‬ und wasche deine Füße.° Und es ging hinaus (‫ )יצא‬Urija aus dem Haus (‫ )בית‬des Königs, und es ging hinaus (‫)יצא‬, ihm nach, das Geschenk des Königs. Und Urija lag (‫ )שׁכב‬am Eingang des Hauses (‫ )בית‬des Königs mit allen° Knechten (‫ )עבד‬seines Herrn (‫;)אדון‬ aber er ging nicht hinab (‫ )ירד‬in sein Haus (‫)בית‬. Und sie meldeten David Folgendes: Urija ging nicht hinab (‫ )ירד‬in sein Haus (‫)בית‬. Und David fragte Urija: Du hast doch (‫ )הלוא‬einen langen Weg hinter dir! Wärst du doch (‫ )מדוע‬hinabgegangen (‫)ירד‬ in dein Haus (‫!)בית‬ Urija antwortete David: Die Lade und Israel und Juda wohnen (‫ )ישׁב‬in Hütten und mein Herr (‫ )אדון‬Joab und die Knechte (‫ )עבד‬meines Herrn (‫)אדון‬ weilen auf freiem Feld. Und ich, ich sollte in mein Haus (‫ )בית‬kommen um zu essen (‫)אכל‬, zu trinken (‫)שׁתה‬ und zu liegen (‫ )שׁכב‬mit meiner Frau (‫?)אשׁה‬ So wahr du lebst und beim Leben deiner Seele! Ganz bestimmt werde ich dies° nicht tun! Da sagte David zu Urija: Bleibe (‫ )ישׁב‬auch heute noch hier, morgen aber will ich dich entsenden (‫)שׁלח‬.

123

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

124 b

α β

13a

α β γ δ

b

α

β 14a

α β

b 15a b

α

β γ δ 16a b

α β

17a

α β γ

b 18a b 19a b

20a

α β γ δ

b

α β

21a

α

β

γ

Und Urija blieb (‫ )ישׁב‬in Jerusalem an jenem Tag und am folgenden.° Und David rief ihn und er aß (‫ )אכל‬vor ihm und er trank (‫)שׁתה‬ und er machte ihn betrunken, und er ging hinaus (‫ )יצא‬am Abend um zu liegen (‫ )שׁכב‬auf seinem Lager (‫)משׁכב‬ mit den Knechten (‫ )עבד‬seines Herrn (‫)אדון‬, aber in sein Haus (‫ )בית‬ging er nicht hinab (‫)ירד‬. Und es geschah am Morgen, da schrieb David einen Brief an Joab, und er sandte (‫ )שׁלח‬ihn durch Urija. Und er schrieb in den Brief Folgendes: Stellt° Urija an die Front°, wo der Kampf (‫ )מלחמה‬am heftigsten (‫ )חזק‬ist, und zieht euch hinter ihm zurück°, dass er erschlagen wird (‫)נכה‬ und stirbt (‫)מות‬. Und es geschah, als° Joab die° Stadt unter Beobachtung stellte, da stellte er Urija an den Ort, von dem er wusste, dass dort kriegstüchtige Männer seien. Und die Männer der Stadt unternahmen einen Ausfall (‫)יצא‬ und kämpften gegen Joab und es fiel [eine Reihe] vom Volk, von den Knechten (‫ )עבד‬Davids, und es starb (‫ )מות‬auch Urija der Hethiter. Da sandte (‫ )שׁלח‬Joab und meldete David alle Ereignisse des Kampfes (‫)מלחמה‬. Und er instruierte den Boten (‫ )מלאך‬folgendermaßen: Wenn du damit fertig sein wirst, alle Ereignisse des Kampfes (‫)מלחמה‬ dem König zu berichten, und es geschehen wird, dass der Zorn des Königs aufsteigt und er zu dir sagen wird: Hättet ihr euch doch nicht (‫)מדוע‬ zum Kampf (‫ )לחם‬der Stadt genähert Ihr wisst doch (‫)הלוא‬, dass von der Mauer (‫)חומה‬ herabgeschossen wird! Wer erschlug (‫ )נכה‬Abimelech, den Sohn Jerubbesheths°? Es war doch (‫ )הלוא‬eine Frau (‫)אשׁה‬, die einen Mühlstein auf ihn warf von der Mauer (‫ )חומה‬herab, so dass er starb (‫ )מות‬in Tebez!

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba δ b

α β

22a b

α β

23a

α β γ

b 24a

α

β b 25a

α β γ

δ b

α

β γ 26a

α β

b 27a

α β γ δ ε

b

Hättet ihr euch doch nicht (‫)למה‬ der Mauer (‫ )חומה‬genähert! dann sollst du sagen: Auch dein Knecht (‫ )עבד‬Urija, der Hethiter, ist tot (‫)מות‬. Und der Bote (‫ )מלאך‬ging und er kam° und meldete David all das, wozu ihn Joab gesandt (‫ )שׁלח‬hatte. Und der Bote (‫ )מלאך‬sagte° zu David: Als die Männer uns überlegen waren, da unternahmen sie einen Ausfall (‫)יצא‬ zu uns aufs Feld, und wir drängten sie zurück bis zum Eingang des Tores. Da schossen die Schützen° auf deine Knechte° (‫)עבד‬ von der Mauer (‫ )חומה‬herab, und es starben (‫[ )מות‬welche] von den Knechten (‫ )עבד‬des Königs, und auch dein Knecht (‫ )עבד‬Urija, der Hethiter, ist tot (‫)מות‬. Da sagte David zu dem Boten (‫)מלאך‬: So sollst du zu Joab sagen: Lass diese Sache nicht böse sein in deinen Augen (‫)אל ירע בעיניך את הדבר הזה‬, denn so und so (fr)isst (‫ )אכל‬das Schwert! Verstärke (‫ )חזק‬deinen Kampf (‫)מלחמה‬ gegen die Stadt und reiße sie ein! So stärke (‫ )חזק‬ihn! Und die Frau (‫ )אשׁה‬Urijas hörte, dass Urija, ihr Mann, tot (‫ )מות‬war, und sie hielt Totenklage über ihren Gatten. Und als die Trauer vorübergegangen war (‫)עבר‬, da sandte (‫ )שׁלח‬David und nahm sie auf in sein Haus (‫)בית‬, und sie wurde ihm zur Frau (‫)אשׁח‬, und sie gebar ihm einen Sohn, aber es war die Sache, die David getan hatte, böse in den Augen JHWHs (‫)וירע הדבר אשׁר עשׂה דוד בעיני יהוה‬

125

126

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

5.1.2 Anmerkungen zum hebräischen Text von 2Sam 11 1aα

3

4 5

Die Textüberlieferung in V. 1 schwankt in der Frage, ob Könige oder Boten zum Krieg ausziehen. Das Problem spiegelt sich besonders deutlich im Codex Leningradensis (L): dieser verbindet die beiden Lesungen als ‫ הַ מַּ לְ ֿאכִ ים‬in einer Art „Zwitterpunktierung“3 und bezeichnet damit weder eindeutig Könige noch Boten. Der weitaus größte Teil der masoretischen Handschriften legt aber mit der Vokalisation ‫ הַ ְמּ ָלאכִ ים‬nahe, Könige zu lesen. Diese Lesung wird durch eine Reihe von Übersetzungen gestützt (LXX, Vetus Latina in einigen Hss, Targum, Vulgata, sowie – allerdings im Singular – einige syrische Kodices). Der entscheidende inhaltliche Grund für die Lesung Könige ist, dass es sich bei ‫ יצא‬um ein Ausziehen in den Krieg handelt4, wie die Vulgata mit dem erklärenden Zusatz ad bella procedere expliziert, und die persönliche Führung des Heeres nach 1Sam 8 dezidiert zu den maßgeblichen Aufgaben des Königs gehört (und er [sc. der König] soll vor uns her ausziehen und unsere Kriege führen; V. 20).5 Gegen die Lesung als Boten spricht zudem, dass die phraseologische Wendung „ins Feld ziehen“ in Verbindung mit Boten nicht belegt ist. Wenn ‫יצא‬ im Zusammenhang mit ‫ מלאך‬zu finden ist, geht es üblicherweise um himmlische Boten, so in 2Reg 19,35 und im 3. und 7. Nachtgesicht Sacharjas in Sach 2,7; 5.5. Wo wiederum von einer Botensendung durch David die Rede ist, geht es nicht um Kriegszüge (so etwa 2Sam 2,5 ‫)וישׁלח דוד מלאכים‬. In Anbetracht dieses Befundes scheint mir die Lesung als Könige am wahrscheinlichsten, und die Variante Boten ließe sich m. E. gut durch eine spätere Textänderung zur partiellen Entlastung Davids erkären – denn würde es sich um eine Zeit handeln, in der Boten ins Feld ziehen, könnte David ruchlos in Jerusalem bleiben. Kurz sei an dieser Stelle auf die Frage nach der inhaltlichen Bestimmung der Wendung ‫( לתשׁובת השׁנה‬zur Wiederkehr des Jahres) in 1aα hingewiesen. Ein Deutungsvorschlag lautet: als der Auszug sich Der Text des Codex Leningradensis wird korrekt wiedergegeben ab BHS3 (verbesserte Auflage 1987), zuvor ‫הַ ְמּלאכִ ים‬, so auch in der Ausgabe von A. Dotan. – Der Zwittervokalisation entspräche auch die These Polzins, dass es sich hier um ein „conscious wordplay“ handelt, bei dem beide Bedeutungen in der Schwebe gehalten werden sollen. Vgl. die ausführliche Diskussion des Problems bei Polzin, David 109-112 (Zit. 112). Diese Bedeutung hat ‫ יצא‬auch eindeutig in Dtn 20,1; 21,10; 1Sam 8,20; Jes 42,13; Sach 14,3; Hi 39,21. Einige weitere Beispiele: Gen 14 (bes. V. 8 und 17f.), Num 21,33 (Og, der König von Basan). Auch die Achischrede an David in 1Sam 29,6 setzt voraus, dass Heerführung Aufgabe des Königs ist. – David zieht z. B. gegen die Aramäer (10,17) ins Feld. Der ältere David zieht auch gegen die Philister mit aus (21,15), wird aber dann durch den Beschluss der Soldaten von der Teilnahme am Krieg befreit (V. 17).

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

2aδ

3bβ

4aγ

6

7 8 9 10 11

127

jährte. McCarter6 und Kimchi7 beziehen dabei die Formulierung ‫ לתשׁובת השׁנה לעת צאת המל)א(כים‬auf 10,6 und meinen damit den Auszug der Könige gegen die Ammoniter. Grätz und Smith sehen hingegen einen Bezug zu 10,2 und deuten entsprechend den Auszug als den der Boten zu den Ammonitern.8 Ungeachtet der Frage, ob es sich um Boten oder Könige handelt, ist (mit Stoebe9) gegen beide Lesungen einzuwenden, dass sich die meisten Belege der Wendung ‫ תשׁובת השׁנה‬eindeutig auf eine Jahreszeit beziehen, die für Kriegsführung geeignet ist (1Reg 20,22.26; 1Chr 20,1; wohl auch 2Chr 36,10) – also das Frühjahr –, nicht aber allgemein auf die Jährung eines Ereignisses. ‫[( מעל הגג‬und er sah eine Frau sich waschen] vom Dach herab) hat in der gesamten syrischen Überlieferung keine Entsprechung. Die Vetus Latina hat in einer Handschrift (L115) per porticum (über die Säulenhalle hinweg), die Vulgata adverso super solarium suum (vorn über seinen Söller/Altan). McCarter sieht die variierende Position der Wendung in LXXL (und er sah vom Dach eine Frau sich waschen) als Indiz für deren sekundären Charakter und hält die syrische Version für die wahrscheinlichste10. Mir scheint die durch MT bezeugte Parallelisierung von ‫על הגג‬/‫ מעל הגג‬in V. 2, als gewollte Bezugnahme auf das zweimalige ‫ מעל החומה‬in V. 20f. ursprünglich zu sein.11 Dies wird dadurch gestützt, dass auch die durch Textverderbnis entstandene Lücke in 4QSama in jedem Fall eine längere Version als die syrische enthalten haben muss. Die Näherbestimmung Urijas als ‫( ]נ[ושׂא כלי יואב‬Waffenträger Joabs), die 4Q Sama mit Josephus (Ant.7.7.1) gegen den MT gemeinsam hat, ist als späterer Zusatz zu werten, der von 1Sam 21,4.6 beeinflusst sein dürfte. Anstelle von ‫( ותבוא אליו‬und sie kam zu ihm – so auch in 4Q Sama) bezeugt die LXX zusammen mit L115.117 David als handelndes Subjekt in der Formulierung und er ging zu ihr ein. Das aber wäre eine Tautologie zu der nachfolgenden Aussage und er schlief mit ihr. Das Vor- und Nachfeld der Stelle ist bestimmt von Waw-Consecutiva 3.m.Sg., so dass die genannte LXX-Variante sich darin grammatisch einreiht, entweder aus einem Versehen, oder um absichtlich den die McCarter, II Samuel, 285 mit Verweis auf die Parallele 1Chr 19,9, die ausdrücklich von Königen spricht (auf S. 279 hat McCarter als Bezugsvers fälschlich 10,2 angegeben; an dieser Stelle ist aber gerade von Boten die Rede). Vgl. Smith, Samuel, 316. Smith, Samuel, 316.318 mit Verweis auf Grätz, Geschichte der Juden I, 254. Stoebe, II Samuelis, 277 („die Zeit der Frühlingsäquinoktien“). Vgl. McCarter, II Samuel, 279. McCarter rechnet nicht mit stilistisch gewollten Doppelungen, die m. E. in biblischen Erzähltexten häufig Verwendung finden; so lässt er auch – mit einer LXX-Version gegen die gesamte Textbezeugung – das ‫ לעת‬in der Formulierung ‫ לעת הערב‬mit der Begründung aus, es sei durch ‫ לעת צאת‬beeinflusst (vgl. ebd.).

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

128

4aε

5bδ

6aβ

8aγ

9aβ

11baβ

12 13 14 15

Reihe durchbrechenden grammatischen Wechsel zur Femininform zu beseitigen, oder aus inhaltlichen Gründen – um Batseba zu entlasten. 4QSama lässt in der Formulierung und sie reinigte sich von ihrer Unreinheit das breit bezeugte spezifizierende und explikative ‫מטמאתה‬ aus und liest folglich: und sie reinigte sich. M. E. handelt es sich schlicht um eine phraseologische Kurzfassung der vom MT bezeugten längeren Formulierung. Trifft diese Annahme zu, so gibt es keinen semantischen Unterschied zwischen beiden Versionen. Das von den meisten Texten bezeugte ‫( הרה אנוכי‬ich bin schwanger) begegnet in 4Q Sama in umgekehrter Reihenfolge (vgl. auch GBO ἐγώ εἰμι [ἐν γαστρὶ ἔχω]) und wird dort eingeleitet mit [‫הנ]ה‬. Die Umstellung ist damit zu erklären, dass in einer Partizipialkonstruktion mit ‫ הנה‬das Personalpronomen ‫ אנוכי‬regelmäßig vor dem Partizip steht.12 Wegen der besseren Bezeugung und wegen der Prägnanz der Aussage halte ich die MT-Version ‫ הרה אנוכי‬für die wahrscheinlichere. Die von 4Q Sama bezeugten Adhortativ-Langform ]‫]שׁ[לחה‬unterscheidet sich semantisch allenfalls insofern von ‫( שׁלח‬sende!), als Adhortative gegenüber den Imperativkurzformen im biblischen Hebräisch den Aspekt freundlicher Nachdrücklichkeit enthalten (,doch‘, ‚bitte‘).13 Die Herausgeber der Qumranhandschriften schlagen aufgrund einer langen Textlücke die in Anlehnung an Josephus (rekonstruierte) Ergänzung ‫ ושׁכב עם אשׁתך‬vor; sie weisen darauf hin, dass 4QSama auch in anderen Fällen mit Josephus gegen die restliche Überlieferung stehen.14 Das wäre möglich, jedoch wäre eine solche Formulierung wohl kaum ursprünglich, weil mit ihr einer der narratologischen Kunstgriffe des Erzählabschnittes zerstört würde15. Das ‫([ כל‬mit) allen (Knechten)] fehlt, obwohl in der lucianischen LXX-Rezension vorhanden, in der LXX selbst, und kann auch – so die Rekonstruktion – aus Platzgründen nicht in 4QSama gestanden haben. Die Auslassung mag inhaltlich-logische Gründe haben, sind doch auch noch andere Knechte im Feld und damit nicht alle in Jerusalem. Weil aber ‫כל‬, wie an vielen seiner Belege gezeigt werden kann, keine exklusiv-umfassende Aussage ist, ist es m. E. mit der Mehrheit der Überlieferung als ursprünglich im Text zu belassen. Die Herausgeber des Qumrantextes schlagen aufgrund des Abstandes in der Zeile vor, in 4QSama mit der üblichen Formulierung

So z. B. Gen 24,13.43; 25,32; 48,21; 50,5; Ex 3,13; 4,23; 7,17 u.ö. Vgl. dazu auch den Aufsatz von Ernst Jenni in: A. Lemaire (Hg.), Congress Volume Basel (VT.S 92), Brill, Leiden 2006. Vgl. Discoveries XVII, 140. Vgl. die Ausführungen unten. Auch in der Diskussion darum, ob ein Geschenk hinter Urija hinausgehen könne, verkennen die Herausgeber die poetologische Gestaltung des Textes, indem sie urteilen: „a gift going out ‚after‘ Uriah makes for an awkward scene“; Discoveries XVII, 140. Daher ist ihr Vorschlag, ‫ משׁרת המלך‬zu lesen, abzulehnen.

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

11bγ

12bβ

15bα

15bβ

16a

16

129

(vgl. 1Sam 20,3; 25,26; 2Sam 15,21; 1Reg 22,14) ‫ חי יהוה וחי נפשׁך‬zu lesen. Entgegen dieser Rekonstruktion ziehe ich die schwierigere aber gut bezeugte Lesart ‫ חיך וחי נפשׁך‬vor. Diese Formulierung spitzt inhaltlich auch die Aussage Urijas zu, wie die Interpretation zeigen wird. Das ‫ את‬in der Kombination ‫ את־הדבר‬fehlt in zwei Handschriften der MT-Überlieferung; vgl. auch die gleiche Auslassung in V. 25 in einigen Handschriften. ‫[ וממחרת‬und am nächsten (Tag)] rechnen L115 wie auch SA V. 13 zu. In dieser Lesung ergibt sich folgender zeitlicher Ablauf: (1) An dem Tag, der auf Erzählebene als jener Tag (12bα) – und in der Rede Davids als heute (12aβ) – bezeichnet wird, findet das Gespräch zwischen David und Urija statt, bei dem Urija aufgefordert wird, noch in Jerusalem zu bleiben. (2) Am folgenden Tag (12bβ) = morgen (12aγ) lädt David Urija zum Essen ein. (3) Am Morgen (14aα) des dritten Tages schließlich entsendet David Urija. Allerdings entspricht damit die Ankündigung Davids in V. 12aβγ, Urija am folgenden Tag zu entsenden, nicht dem dann berichteten Ablauf (Sendung am übernächsten Tag). M. E. ist V. 12b proleptisch zu lesen, so dass es sich nicht um drei, sondern nur um zwei Tage handelt (vgl. dazu die Ausführungen unten), daher entscheide ich mich für die MT-Fassung. ‫( הבו‬gebt!) leitet sich von ‫( יהב‬geben) her, LXX (außer GL) übersetzt hier εἰσάγαγε (Imperativ Aorist Sg.) führe/bringe hinein! Singularisch formulieren auch L115.117.93.94 und die syrische Überlieferung. Dieser Singular dürfte eine sekundäre sachlogische Angleichung sein, die besonders an den Empfänger dieser Nachricht, Joab, denkt, der eine Einzelperson ist.16 Anstelle von ‫( אל מול פני‬in Richtung auf die Vorderseite/zur Spitze von etwas hin) bezeugen wenigen Handschriften des MT, die LXX, L93.94.115.117 sowie S ‫( אל פני‬in Richtung auf, auf/vor etwas hin). Die Unterschiede der beiden Formulierungen sind unwesentlich. Die vom MT bezeugte Formulierung ist lediglich etwas konkreter in der Angabe der Richtung. In L115.117 fehlt die komplette Aussage und zieht euch hinter ihm zurück, dass er geschlagen wird. Dabei bleibt die Hauptaussage erhalten, die Verfahrensweise wird jedoch offen gehalten. Mir scheint die vom MT bezeugte lange Briefversion, die die Kaltblütigkeit des Plans deutlicher zum Ausdruck bringt, die ursprüngliche zu sein. ‫( בשׁמור‬als/während Joab bewachte) wird in wenigen Handschriften als ‫( כשׁמור‬nachdem Joab bewacht hatte) bezeugt. Das ist entweder als Verlesung zu deuten, oder die Änderung erfolgte aufgrund des Bedürfnisses, die Handlungen Joabs in eine zeitliche Abfolge zu stellen.

Zu diesem Phänomen vgl. die Ausführungen zu „uneigentlichen Redeweisen“ 5.2.3.3.

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

130

21aα

22a

22bα/ 23aα

24aα 17 18 19

Entgegen der außergewöhnlichen Formulierung (‫שׁמר אל)־העיר‬ die Stadt beobachten, die sich (in der Mehrzahl der Handschriften) auch in 1Sam 26,15 findet, haben einige Handschriften an die geläufigere Formulierung ‫ שׁמר את‬angeglichen. Semantisch aber ist kein Unterschied zwischen beiden Formulierungen auszumachen. Gegenüber ‫ ירובשׁת‬ist – abgesehen von der korrumpierten Variante Jerobaam in GB – nur in der LXX-Überlieferung die ursprüngliche Form des Namens Jerubbaal (so neunmal im Bezugstext Jdc 9) erhalten geblieben (V. 21f.). Die Ersetzung des theophoren Namenselementes Ba’al durch ein anderes Morphem ist nicht unüblich, wie etwa die Variante Mefi-Boschet (2Sam 4,4 und mehrmals in Kap. 9.16.19.21) neben Merib-Baal (1Chr 8,34 und 9,40) zeigt.17 Hier unterscheidet sich die LXX-Version, die länger ist, deutlich von der MT-Fassung. Der überschüssige Text ist unterstrichen: Und es zog der Bote Joabs los zum König nach Jerusalem und er kam an und meldete David alles, wozu ihn Joab gesandt hatte, alle Ereignisse des Krieges. [vgl. 18b] Und es erzürnte David gegen Joab und er sagte zu dem Boten: Warum habt ihr euch der Stadt genaht, um zu kämpfen? Habt ihr nicht gewusst, dass die Schützen von der Mauer herabschießen18 würden? Wer erschlug Abimelech, den Sohn Jerubbaals? Warf nicht etwa eine Frau einen Mühlstein von der Mauer auf ihn herab so dass er starb in Tamasi? Warum also habt ihr euch der Mauer genaht? Mit der beinahe wörtlichen Wiederholung von V. 20f. – dort als zuvor von Joab präfigurierte Worte Davids, hier als Reaktion Davids – versucht die LXX, eine vom Leser u.U. empfundene erzählerische Lücke zu schließen. Der durch die lange Textdoppelung entstandene Überschuss in der LXX-Version ist daher als harmonisierender Zusatz zu sehen; die kürzere MT-Version ist zu bevorzugen.19 Zwei Handschriften des MT setzen ‫ ויבא‬von V. 22 unmittelbar vor ‫ ויאמר‬in V. 23a (in S fällt ‫ ויבא‬ganz aus). Diese Stellung entspräche zwar dem proleptischen Erzählstil mit zeitlich vorausgreifenden Erzählaussagen, der u.a. auch in V. 14 und – in besonders enger Analogie zu dieser Stelle – in V. 18 begegnet, sie scheint mir aber hier doch aufgrund ihrer schwachen Bezeugung unwahrscheinlich zu sein. Die Vokalisation von ‫מּוֹראים‬ ִ ַ‫ וַיֹּ ראוּ ה‬legt nahe, dass beides als Ab-

Vgl. dazu auch den Abschnitt „Anti-polytheistische Veränderungen“ bei Tov, Text, 222f. Lexematische Variation zu V. 20; auch bei „von … herab“ V. 21. Vgl. hierzu die Diskussion in Abschnitt 5.2.1.2.

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

131

leitung von ‫( ירה‬schießen) zu lesen ist, wie es auch für V. 20 einhellig bezeugt ist. Die vorliegende ungewöhnliche Schreibung hat ein überschüssiges Aleph; ein solches findet sich in einer Reihe von weiteren Belegen in der näheren Textumgebung (neben der Schreibung von „Könige“ am Anfang der Perikope vgl. etwa ‫ ברא‬in 12,17,20 das viele Qumranhandschriften ‫ ברה‬schreiben). Daher gehe ich hier von einer Eigenart des Schreibers dieser Handschrift aus und schließe ich mich dem Qere an. Anstelle der singularischen Formulierung ‫ אל עבדך‬lesen viele Handschriften den Plural ‫אל עבדיך‬. M..E. spitzt der Singular zu früh auf Urija zu, daher halte ich die Plural-Variante für zutreffender.

5.2

Narratologische Analyse von 2Sam 11

Die „Story“, oder wie sie Genette nennt (vgl. 2.2.1), die Diegese von 2Sam 11 kann in knappen Zügen gezeichnet werden: Während sich das Heer Davids im Krieg gegen die Aramäer befindet, bleibt David in Jerusalem zurück. Vom Dach seines Palastet beobachtet er Batseba, eine schöne Frau, deren Mann Urija als Soldat im Feld ist. David lässt sie in den Palast bringen und schläft mit ihr. Als er erfährt, dass sie schwanger ist, beordert David Urija nach Jerusalem, in der Hoffnung, dass dieser zuhause nächtigt, das Kind dann als seines angesehen und damit der Ehebruch verschleiert wird. Nachdem Urija sich aber weigert, sein Haus zu betreten, und sich auch nicht mit Nachdruck oder List dazu bringen lässt, beauftragt David den Feldherrn Joab, dafür zu sorgen, dass Urija im Kriegsgeschehen ums Leben komme. Urija selbst hat den Brief mit seinem Todesurteil zu überbringen. Nachdem Urija im Kampf gefallen ist, und Batseba ihre Trauerzeit beendet hat, heiratet David Batseba, die ihm einen Sohn gebiert. Soweit das Erzählte, die Handlung. Nun ist diese Diegese als konkreter Text entfaltet. Genette bezeichnet dies als Diskurs der erzählten Handlung. Neben den inhaltlichen Zügen muss eine narratologische Anlyse dieses Erzählabschnitts die besondere Art und Weise, wie die „Story“ narrativ entfaltet ist, in den Blick nehmen. Diese erzählerische Darstellungsweise, soll im Folgenden analytisch mithilfe narratologischer Kategorien nachgezeichnet werden. Zu den Beschreibungskategorien zählen die szenischen Gestaltung (2.1), Zeit-Aspekte Ordnung, Dauer und Frequenz (2.2), lexematische und semantische Bezüge innerhalb des Textgefüges (2.3) und die Darstellung der Charaktere (2.4). Die narratologische Analyse folgt keinem strengen Schema, sondern orientiert sich an Merkmalen, die vom Diskurs der Erzählung selbst in den Vordergrund gestellt sind, und die bei einem close reading zu Tage treten.

20

Aber offensichtlich in 13,5 von ‫ ברה‬abgeleitet.

132

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

Eine gründliche Analyse solcher narrativer Merkmale ist deshalb von großem Gewinn für die Fragestellung dieser Arbeit, da im wissenschaftlichen Umgang mit biblischen Erzählungen Auffälligkeiten des Diskurses besonders in den Fokus kommen. Manche dieser Besonderheiten können sehr verschieden interpretiert werden, wie der Abschnitt 5.3 zeigen wird. Immer wieder werden in der historischen Exegese gewisse Beobachtungen am Diskurs als Hinweise auf die Textentstehung gesehen, also diachron gedeutet, im Literary Approach hingegen als sprachliche Möglicheit gesehen oder als besonderes Stilmittel interpretiert. Wie verschiedene Zugänge zu verschiedenen Bewertungen von gleichen Textbeobachtungen führen können, lässt sich besonders gut an der sprachlichen Ausgestaltung der „Botengänge“ (2.1.3), an den Tempusaspekten (2.2), sowie am lexematischen und semantischen Netzwerk der Erzählung (2.3) demonstrieren. Wenn im Folgenden Besonderheiten und Auffälligkeiten des Diskurses mit narratologischen Analysekategorien zur Erzählung beschrieben und interpretiert werden, so bedeutet das methodisch, dass 2Sam 11 als poetologisch gestaltete Erzählung gelesen wird. Dies ist eine methodische Vorentscheidung, der eine gewisse Skepsis gegenüber Textgenesemodellen für dieses Erzählkapitel 2Sam 11 inhärent ist. Das soll an dieser Stelle offengelegt werden.

5.2.1 Szenische Gestaltung (und Lokalaspekte) In 2Sam 11 lassen sich deutliche Züge szenischer Gestaltung ausmachen. Daher bietet es sich an, den Begriff der „Szene“, der eigentlich der Dramentheorie entstammt, auf diesen narrativen Text anzuwenden. Im Drama gilt die Szene als Unterteilung des Aktes: Während einer Szene bzw. eines Auftritts bleibt in der Regel das Bühnenbild und die Personenzahl gleich. Der Auf- bzw. Abtritt von dramatis personae ist nicht selten mit einer Wendung in der Handlung verbunden. Grundlage der szenischen Gestaltung von 2Sam 11 ist die Raum- und Personenordnung. Es werden zwei klare szenische Räume eröffnet: die Haupthandlung spielt in Jerusalem, und der Parallelraum ist das Feld vor der Aramäerhauptstadt Rabba. Die handelnden Personen bekommen ein klares Auftreten und Abtreten. Ihre Kommunikation unereinander wird in auffällig ausführlicher Weise in direkter Rede dargestellt. Die Zweiheit der Personen, die weitgehend erzählerisch durchgehalten wird, und die Lokalmarker werden besonders in 2.1.2 betrachtet. Die szenische Rahmung von 2Sam 11 bildet eingangs die Exposition (A) mit der Aussendung der Soldaten und dem Verbleiben Davids in Jerusalem, und am Ende das negative Urteil Gottes über Davids Verhalten auf Erzählerebene (G). Allerdings ist Letzteres keine Szene im eigentlichen Sinn. Es ist vielmehr einem Epilog vergleichbar und fungiert als kontrapunktische Leseanweisung zur Interpretation des gesamten Erzählabschnitts. Diese abschließende Bemerkung öffnet den Vorhang, so dass ein Blick hinter die Bühne des vordergründigen Geschehens ermöglicht wird. Der Eindruck, den der Leser zunächst gewinnen

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

133

könnte, dass Davids intrigantes Handeln Erfolg zeitigt und folgenlos bleibt, wird mit dieser Bemerkung gebrochen. Sie eröffnet zugleich die Notwendigkeit, den Umgang Gottes mit dem vordergründigen Geschehen zu erzählen. Formal findet die Exposition (A) ihre eigentliche szenische Entsprechung dann auch am Ende des Folgekapitels. In diesem äußeren Rahmens bilden dann Komplikation (B) und deren (vermeintliche) Lösung (F) eine innere Rahmung. Innerhalb dieser Doppelrahmung schließlich stehen sich die beiden Lösungsversuche (C und D) und die Konfrontation Davids durch Joab (E) gegenüber; die Kontrastierung dieser beiden Blöcke spiegelt noch einmal, was (C) bereits in nuce enthält und (G) expliziert: Die „Lösungsversuche“ Davids sind zum Scheitern verurteilt. Als Zentrum, gleichsam als Mitte des gesamten Abschnittes erweist sich der Urijabrief mit der Ausführung des in ihm enthaltenen Todesurteils. Durch den beständigen Rekurs auf Urijas Tod (vgl. 5.2.2.3) sind (D) und (E) eng miteinander verbunden. (A)

Exposition (V. 1): Aussendung des Heeres, Verbleiben des Königs Hauptpersonen: Ort der Handlung: 1

(B)

David sendet das Heer unter Joabs Führung ins Feld, bleibt aber selbst in Jerusalem. Joabs Heer kämpft gegen die Ammoniter und belagert Rabba.

Komplikation (V. 2-5): Davids Ehebruch mit Batseba Hauptpersonen: Ort der Handlung: 2 3 4a 4b 5

(C)

David und Joab Jerusalem und Feld

David und Batseba Jerusalem

David beobachtet Batseba vom Dach des Palastes. David holt Erkundigungen über Batseba ein. Man meldet ihm ihre familiäre Zuordnung. David lässt Batseba holen und schläft mit ihr. Batseba kehrt zurück in ihr Haus. Batseba meldet David die Schwangerschaft

Erster „Lösungsversuch“ und sein Scheitern (V. 6-13): Urija verweigert sich dem Befehl, in sein Haus hinabzugehen. Hauptpersonen: Ort der Handlung: 6 7-9

David und Urija Jerusalem

David beauftragt Joab, Urija nach Jerusalem zu senden. Davids erster Versuch, Urija in sein Haus zu bewegen. 7 Urija tritt vor David. 8a David befehligt Urija, in sein Haus zu gehen. 8b Urija und ein Geschenk verlassen den Palast. 9 Urija nächtigt vor dem Palast und geht nicht hinab in sein Haus.

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

134 10-13

(D)

Davids zweiter Versuch, Urija in sein Haus zu bewegen 10a Urija tritt vor David. David erhält Kunde, dass Urija nicht in sein Haus hinabging. 10b David befragt Urija nach dem Grund dafür. 11 Urija verweist auf die Situation des Heeres im Feld. 12 David fordert Urija auf, noch in Jerusalem zu bleiben. 13a David macht Urija betrunken. 13b Urija nächtigt vor dem Palast und geht nicht in sein Haus hinab.

Zweiter „Lösungsversuch“ und sein Gelingen (V. 14-17): Joab kommt Davids Befehl nach, Urija ums Leben kommen zu lassen. Hauptpersonen: Ort der Handlung: 14-15

16-17

(E)

David und Joab Jerusalem und Feld

Der Urijabrief (Erzählbericht über das Senden und Briefinhalt 14 David sendet einen Brief an Joab. (zusammenfassende Vorwegnahme) 15 Inhalt des Briefes: Urija soll im Kampf sterben. Joab führt Davids Befehl aus, so dass Urija stirbt. 16 Joab platziert Urija an einer kritischen Stelle. 17 Die gegnerische Stadt macht einen Ausfall, Urija stirbt (zusammen mit anderen).

Konfrontation Davids: Vorbereitung und Durchführung (V. 18-25): Joab lässt Urijas Tod melden. Hauptpersonen: Ort der Handlung: 18-21

Joab und David (via Boten) Feld und Jerusalem

Joab instruiert den Kriegsberichterstatter. 18 Joab sendet einen Boten zu David. (zusammenfassende Vorwegnahme) 19-21 Anweisung Joabs an den Boten. 19a Anweisung (Erzählbericht) 19b-20a Präfiguration der Situation: Zorn Davids nach Berichterstattung. 20b-21a Präfiguration der Rede Davids: Sein Vorwurf: Warum seid ihr so nah an die Mauer? 21b Präfiguration der Botenantwort: Auch Urija ist tot!

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba 22-24

25

(F)

Bericht von Urijas Tod 22 Der Bote kommt zu David und gibt ihm Meldung. (zusammenfassende Vorwegnahme) 23 Der Bote berichtet vom Ausfall der Gegner, von Israels Kampf bis ans Stadttor. 24 vom Beschuss von der Mauer herab, und vom Tod Urijas. David instruiert den Boten: Joab solle es nicht tragisch nehmen und weiter gegen die Stadt vorgehen

Die vermeintliche „Lösung“ (V. 26-27a): Batseba wird Davids Frau und gebiert einen Sohn. Hauptpersonen: Ort der Handlung: 26 27a

(G)

135

Batseba und David Jerusalem

Batseba erfährt vom Tod Urijas und hält Totenklage. Nach der Trauerzeit nimmt David Batseba zur Frau; sie gebiert einen Sohn.

Urteil über Davids Handeln auf Erzählerebene (V. 27b) Perspektivenwechsel: Blick hinter die Bühne 27b

In den Augen JHWHs ist Davids Handeln böse.

5.2.1.1 Double-stage action und Zweiheit der Hauptpersonen Gleich zu Beginn der Erzählung in V. 1 (A) wird die Strategie der sog. doublestage action erkennbar. Neben der „Hauptbühne“ Jerusalem als Ausgangspunkt und Endpunkt der Exposition (und schließlich des gesamten Erzählstranges) wird dem Leser schon in V. 1 eine „Parallelbühne“ vor Augen geführt: „das Feld“, wo das israelitische Heer sich befindet, um die Stadt Rabba zu belagern. Die Parallelhandlung Jerusalem/Feld bleibt die gesamte Erzählung präsent. Dazu gibt es nicht nur in den Handlungen, die in Jerusalem spielen, entsprechende Verweise auf das Feld – und umgekehrt, Verweise in den Rabbaszenen auf Jerusalem –, sondern es sind, neben der Exposition, auch zwei weitere Szenen, innerhalb derer ein Bühnenwechsel vorgenommen wird: in V. 14-17 (D) die Bewegung von Jerusalem in die Gegend um Rabba, und vice versa, in V. 18-25 (E) vom dort nach Jerusalem. Dieselbe Bewegung findet schon – in nuce – zu Beginn der 3. Szene (C) in V. 6 statt. Insgesamt nutzen also mehrere Szenen die Möglichkeit der double-stage action. Die Räume werden vor allem durch Boten überbrückt (vgl. 5.2.1.3) – Urijas Kommen und Gehen eingeschlossen. Als Hauptpersonen stehen David für Jerusalem und Joab für Rabba. Dementsprechend treten in den Szenen mit „Bühnenwechsel“ (A, D, E)

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Fallstudien an 2Sam 11 und 12

David und Joab als Hauptakteure in Erscheinung. Urija tritt als handelnde Person zu Beginn der 3. Szene (C) auf und zu Beginn der 4. Szene (D) ab. Batseba bestimmt die szenische Innenrahmung, d. h. Szenen 2 (B) und 6 (F). Beide Schauplätze sind nicht als starres Bühnenbild ausgeführt. Schon in V. 1 sieht der Leser nicht nur Rabba vor seinem inneren Auge, sondern auch den Weg dorthin: sie verheerten das Land der Ammoniter. Auch für Jerusalem gibt es keine feste Kameraeinstellung, sieht man doch David auf dem Palast und im Palast, Batseba im Palast und in ihr Haus zurückkehren, Urija (und ein Geschenk) den Palast verlassen und vor dem Tor schlafen, und die Boten hin- und hereilen. Dennoch sind die Ereignisse in Jerusalem so perspektiviert, dass der Palast im Zentrum der Handlung steht. Diesem Haus Davids ist (zum lexematischen Spiel mit ‫ בית המלך‬vgl. 5.2.3.1) steht in Jerusalem als weiter szenische Ort das Haus Batsebas/Urijas gegenüber. Zwischen beiden Orten besteht ein inneres Gefälle, das durch den mehrfachen Hinweis, dass man vom Palast aus zu Batsebas Haus hinabgehen muss, unterstrichen wird. Beide Häuser in Jerusalem sind befestigte Wohnstätten. Sie werden kontrastiert mit der „provisorischen“ Situation im Feld, wo die Soldaten in Hütten weilen. Indem der Handlungsort Jerusalem in zwei Orte ausdifferenziert wird, folgt der Erzähler keiner statischen double-stage-Strategie. Vielmehr bilden Palast, Haus Urijas und „das Feld“ ein imaginäres Handlungsdreieck. Schon die Exposition legt nahe, dass David eigentlich Jerusalem hätte verlassen müssen, um selbst das Heer in den Krieg zu führen. Er hätte die Bequemlichkeit des Palastet gegen die Beschwerlichkeit einer provisorischen Unterkunft im Feld tauschen müssen. Damit befindet sich David in der Leserperspektive von Anfang an am falschen Handlungsort. Er verweilt stets im Palast. Diese lokale Fixierung erweckt einen statisch-passiven Eindruck von David. Ein zweiter Blick auf die scheinbare Passivität Davids zeigt, dass diese unterlaufen wird, und zwar maßgeblich durch die Botensendungen. David ist durchweg aktiver Drahtzieher des Geschehens. Dem lokal-statischen Bild Davids steht Urija entgegen. Er legt den Weg von Jerusalem ins Feld (präsupponiert) – und vice versa zurück, er betritt und verlässt zweifach den Palast. Während er dem Befehl Joabs folgt, den Weg nach Jerusalem zu beschreiten, „unterbricht“ er den von David befohlenen Gang in sein Haus gleichsam auf halbem Wege. Urija ist zwar zum Teil Spielball des Geschehens, er ist aber zugleich auch aktiver Mitgestalter des Geschehens. Diese kurzen Ausführungen zeigen, dass die Wahl der Handlungsorte und die Positionierung der handelnden Personen durchaus viele Inhalte transportiert, die so nicht im Text expliziert sind. Die Strategie der double-stage-Darstellung und der Zweiheit der Personen spielt mit der Vorstellungskraft des Lesers, der aufgrund seines Vor- und Allgemeinwissens die Kontrastierungen und deren Implikationen erkennt.

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

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5.2.1.2 Die erzählerische Durchführung der Botengänge – mit Anmerkungen zur „semantischen Implikation“ Es ist augenfällig, dass in der David-Batseba-Erzählung die Botensendung eine entscheidende Rolle spielt. Allein das Verb ‫„ שׁלח‬senden“ hat in 2Sam 11 zwölf Belege (und auch das Folgekapitel beginnt mit einer Botensendung) – das häufigste Vorkommen dieses Verbs innerhalb eines so kurzen Textabschnittes im AT. Die Diegese setzt sogar mehr als elf Botensendungen für diesen Erzählstrang voraus. Im Folgenden soll daher beobachtet werden, wie im Diskurs der Erzählung die Botensendungen narrativ durchgeführt werden. Sieht man sich die erzählerische Durchführung der einzelnen Botengänge an, die der Handlung zugrunde liegen, dann fällt auf, dass sich dort einerseits manches gleicht oder ähnelt, dass es aber auch deutliche Unterschiede in der Art der Darstellung gibt. Ein festes Schema findet sich dabei auf seiten des Diskurses nicht. Anders auf der nichtsprachlichen Seite, der Diegese; diese setzt einen immer wiederkehrenden gleichen oder zumindest ähnlichen Ablauf voraus, wie eine Botensendung und ein Botengang vonstattengeht.21 Die Kenntnis eines solchen Ablaufs auf Seiten des Lesers wird von der Erzählung vorausgesetzt. An einer Stelle der Erzählung jedoch wird der Sendungsvorgang ausführlich aufgegriffen, und zwar in der Szene, in welcher Joab einen Boten zu David sendet, um ihm den Tod Urijas zu melden (V. 18-25). Der Leser bekommt mit, wie der Bote ausführlich instruiert wird, nicht nur, welche Botschaft, sondern auch, wie er sie zu überbringen habe, und schließlich auch, auf welche vermutlich eintretende Reaktion des Empfängers er wie reagieren müsse (V. 18-21). Der Bote macht sich auf den Weg und kommt an seinem Ziel an (V. 22), wo er seinen Auftrag ausführt, und Meldung erstattet (V. 23f.). Am Ende wird der Leser Zeuge einer weiteren Botensendung, indem nun David wiederum den Boten instruiert, worüber und wie er Joab Mitteilung machen solle (V. 25). Es gehört, wie schon gesagt, zum Allgemeinwissen eines Lesers, wie solche Botengänge ablaufen. Dies gilt jedenfalls für eine solche wie der für unsere Erzählung vorausgesetzten Kultur, in der Botengänge zur Selbstverständlichkeit des Erfahrungshorizonts gehören. Daher wundert es auch nicht, dass in der Regel die Botengänge gar nicht ausführlich erzählt werden müssen, so dass die meistenvon ihnen, auch in diesem Kapitel, im Diskurs nur fragmentarisch zu finden sind. Das ist einer Ökonomie des Erzählens geschuldet, die Selbstverständlichkeiten weglässt und sich auf das Wesentliche konzentriert. Die linguistische Pragmatik hat uns gelehrt, das Leservorwissen in die Sinnbildung des Textes einzubeziehen. Mit spachpragmatischer Begrifflichkeit können solche Auslassungen in den Botengangsabläufen als „semantische Implikationen“ beschrieben werden. Für sie gilt auf Leserseite, dass kein Mangel in der Erzählung empfunden wird, da der Leser sich ggf. diese Selbstverständlichkeiten einfach imaginiert. Die Ökonomie des Erzählens geht dabei so weit, dass Botengänge manchmal nur noch angedeutet werden, ja sie reicht sogar bis zu solchen Fällen, dass sie gänzlich präsupponiert werden. Ein sprechendes Beispiel hierfür liegt uns in 21

Vgl. hierzu und zum gesamten Abschnitt: Käser, Inkohärenz oder Erzählökonomie?

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Fallstudien an 2Sam 11 und 12

V. 10 vor: Da meldeten sie David Folgendes: ‚Urija ging nicht hinab in sein Haus‘. Daraufhin fragte David Urija: ‚Hast du nicht einen langen Weg hinter dir (…)?‘ Unvermittelt, nachdem wir erfahren, dass die Boten (Plural), die semantisch impliziert sind, David Meldung geben (und das ist auch das einzige, was wir von diesem Botengang überhaupt erfahren), tritt David in ein Gespräch mit Urija ein. Doch wie die beiden in die Lage vesetzt werden, ein Gespräch miteinander zu führen, wird nicht erzählt. Die einfachste leserseitige Lösung ist, dass David Boten sendet, um Urija zu ihm in den Palast kommen zu lassen, und diese Boten Urija zu David bringen (oder zumindest veranlassen, dass Urija zu David kommt), und sich nun David und Urija von Angesicht zu Angesicht unterhalten. Denkbar ist auch, dass die gesamte Kommunikation über Boten verläuft, wenngleich das aufgrund der Lebendigkeit des Gesprächs eher unwahrscheinlich scheint. In beiden der aufgezeigten Möglichkeiten braucht es sachlogisch jedenfalls mindestens einen Botengang zwischen der ersten und zweiten Vershälfte, um entweder Urija zu David zu bringen, oder, im letzteren Fall, um die einzelnen Elemente der Unterhaltung zu übermitteln. Ein solcher findet aber keine Erwähnung. Dem Leser bleibt dieser Sachverhalt in der Regel verborgen. Für ihn bleibt trotz des fragmentarischen Diskurses die Szene schlüssig, denn er schließt die Lücke – sei es bewusst oder nicht bewusst – mit seiner Vorstellungskraft. Solcherart semantische Implikationen bzw. Präsuppositionen kommen in der Sprache allgemein sehr häufig vor22, und das deshalb, weil sie regelmäßig richtig dechiffriert werden. Textseitig haben wir es dabei mit einer Inkohärenz zu tun, die aber leserseitig in einen kohäsiven Zusammenhang gebracht wird. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die verkürzt erzählten Botengänge dieses Kapitels den Kommentatoren in der Regel nur wenig Probleme bereiten, wohl aber der ausführliche Erzählgang über die Botensendung Joabs an David, um ihm den Tod Urijas mitzuteilen (V. 18-25). Dieser beginnt mit einem Überblick über die Botensendung (V. 18), erzählt dann detailliert die Instruktion des Boten (V. 19-21), und abschließend – wiederum ausführlich – die Ausführung des Botengangs mit der Reaktion des Empfängers, David (V. 22-25). Die verschiedenen Sichtweisen zu diesem Abschnitt werden in 5.3 noch diskutiert, hier soll er unter narratologischen Gesichtspunkten analysiert werden. V. 18 fungiert als Überschrift, die den gesamten Botengang zusammenfasst. So umspannt diese Zusammenfassung zeitlich das gesamte Geschehen der nächsten Verse (bis V. 24) und ist daher, wie auch einige andere Stellen des Kapitels, proleptisch (vgl. hierzu 5.2.2.c). Zunächst wird festgestellt, dass Joab eine Botensendung vornahm und David Meldung über die Kriegsereignisse gab. Nicht genannt werden hier der Bote und der Zweck der Sendung. Der Bote ist im Verb ‫ שׁלח‬semantisch impliziert. Der Zweck der Sendung bleibt erzählerisch ein gap, den der Leser schon erahnt, und der sich in der folgenden Boteninstruktion, dass er am Ende des Kriegsbericht auch von Urijas Tod erzählen solle, inhaltlich füllen wird. Bemerkenswert ist sodann die Verbfolge von ‫וישׁלח‬ 22

Zur Diskussion und begrifflichen Ausdifferenzierung (insbesondere zur weiteren Unterscheidung von kommunikativ-pragmatischer Präsupposition und logischsemantischer Implikation) vgl. Bublitz, Pragmatik, 135-155.

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

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… ‫( ויגד‬und er sandte … und er meldete). ‫נגד‬, das stets nur im Hif′il oder dessen Passiv vorkommt, wird im Deutschen für gewöhnlich nicht-kausativisch übersetzt wird; dies aber setzt ein Verständnis dieses Mitteilungsvorgangs als semantischen Kausativ voraus: die Mitteilung an David übernimmt ja nicht Joab persönlich, er lässt sie durch einen Boten übermitteln. Von daher bietet sich auch die Übertragung in eine finale Formunlierung an: er sandte, um zu melden. Anders ist das in V. 22, wo die gleiche Verbform gebraucht wird, um zu erzählen, wie der Bote selbst nun Meldung macht; hier ist ‫ נגד‬also eindeutig nichtkausativisch zu verstehen. V. 19-21 erzählt uns besonders ausführlich, wie Joab seinen Boten instruiert. Die Einleitung V. 19a greift zeitlich vor das Ende von V. 18 zurück, und zwar an dessen Anfang. Die Details zur Diegese in V. 18 werden uns gewissermaßen nun ab V. 19 nachgeliefert. Joab präfiguriert den vermeintlichen Gesprächsverlaufs zwischen dem Boten und David; diese Präfiguration umfasst V. 19b-21. Dieser Tatbestand ist in sich schon bemerkenswert, denn Vorwegnahmen möglicher Gesprächsverläufe sind in biblischen Erzähltexten selten anzutreffen, noch dazu von dieser Länge. Es handelt sich zudem um eine der längsten Boteninstruktionen überhaupt in biblischen Erzählungen. 19b präfiguriert den Zeitpunkt, zu dem der Bote mit der Kriegsberichterstattung gegenüber David zu Ende gekommen ist. Semantisch impliziert ist darin, dass er zur Kriegsberichterstattung instruiert worden ist. V. 20 und 21a schildern die wahrscheinliche Reaktion Davids, zunächst in einer zusammenfassenden Feststellung, dass David wohl zornig werden würde, sodann, wiederum in Nachlieferung der Dateils, in einer längeren Zornesrede, von der Joab annimmt, dass David sie so (in etwa) halten werde. Die mutmaßliche Reaktion Davids ist gespickt mit Vorwürfen, dass von Joab militärische Selbstverständlichkeiten nicht beachtet worden seien. Das Überraschungsmoment, dass die „eigentliche“ Mitteilung erst gemacht werden soll, wenn David in Rage geraten ist, ist von Jaob ausdrücklich gewollt. Der Bote soll seine Meldung so abgeben, dass David über solche kriegerischen Anfängerfehler empört reagieren muss. David soll die Sinnlosigkeit der Maßnahmen vor Augen geführt werden, bevor er damit konfrontiert wird, dass er – mit dem Befehl, Urija zu töten – der eigentliche Verursacher der Missstände ist. Damit hat die ganze Szene etwas gemeinsam mit der Natankritik im Folgekapitel: David wird in beiden Fällen zunächst mit Absicht zum Zorn gereizt, um dann damit konfrontiert zu werden, dass er selbst die Schuld an dem trägt, was ihn so sehr in Rage versetzt. Die Provokation Davids ist also wichtiger Bestandteil der Boteninstruktion. Diese Feststellung ist deshalb wichtig, weil m. E. von daher V. 22 verstanden werden muss. V. 22 beginnt wieder auf Erzählerebene und teilt uns Aufbruch und Ankunft des Boten mit. Wie gewöhnlich spielt der Weg selbst keine Rolle – der Erzähler begnügt sich mit einer semantischen Implikation. Und eigentlich wäre auch die Notiz der Ankunft überflüssig, der bei Botengangerzählungen zumeist ebenfalls einfach impliziert wird, wie die überwiegende Mehrzahl der anderen Botengänge unseres Kapitels zeigen. Der Leser vollzieht jedenfall mit dieser kurzen Bemerkung den Szenenwechsel ganz unweigerlich mit. In 22bβ erfolgt dann die Feststellung, dass der Bote all das, wozu Joab ihn gesandt hatte, vorgebracht

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Fallstudien an 2Sam 11 und 12

(‫ )נגד‬habe. Wie so oft in biblischen Erzählungen wird die Ausführung des Auftrages in narrativer Variation zum Auftrag selbst erzählt. Dieses Verfahren ist für den Leser in der Regel völlig unproblematisch, in diesem Falle jedoch entstehen Leerstellen, die für verschiedene Interpretationen offen sind. Bailey etwa interpretiert sie als Anhalt für mehrfaches Wachstum des Textes.23 Im Zusammenhang einer narratologischen Analyse, die auch mit größeren Divergenzen des Diskurses zur Diegese rechnet, ist der Abschnitt aber auch synchron erklärbar: Nachdem Joab den Boten ausdrücklich dazu angewiesen hat, David zum Zorn zu reizen, dürfte sachlogisch auch die erfolgreiche Durchführung dieses Aspekts in dieser Aussage von 22bβ enthalten sein. Wie schon in dem die Szene einleitenden V. 18 haben wir es wiederum mit einer proleptischen Aussage zu tun, die zeitlich den Inhalt des folgenden Abschnitts V. 23f. überspannt. Wenn dem so ist, dann handelt es sich in diesen beiden Folgeversen um eine Kompilation eines längeren Gesprächsgangs, die sich in ihrer Form auf einen der Gesprächspartner, nämlich den Boten, beschränkt. Die anderen Gesprächsanteile sind in seiner wörtlichen Rede impliziert. Ist der tatsächliche Gesprächsverlauf (der Diegese) auf diese Weise erzählerisch kontrahiert, so ist zugleich auch das Unterfangen des Boten, David zu provozieren, präsupponiert. In der uns vorliegenden Zusammenfassung des Gespräches ist dann die anzunehmende Unterbrechung des Botenberichts durch David ebenso impliziert. Dem Diskurs selbst ist nicht zu entnehmen, ob David wirklich, wie von Joab intendiert, zornig wurde. Wir erfahren textseitig erst wieder das Ende des Gesprächs, bei dem David die Tragik der Situation abwiegelt (V. 25), nachdem er vom Tod Urijas erfahren hat. Für eine Analyse der Botengänge bot es sich methodisch an, mit diesem ausführlichsten Beleg zu beginnen, und diesen exemplarisch zu analysieren, da in ihm erzählerisch die meisten der möglichen Elemente eines Botengangs verarbeitet sind. Von hier aus wird bei einem kurzen Blick auf die weiteren Botensendungen des Kapitels sogleich deutlich, mit wie wenigen Elementen der Diskurs über eine Botensendung auskommen kann. Hierzu soll zunächst noch einmal der Abschnitt V. 18-25 schematisiert werden, um anschließend festzustellen, welche Elemente in anderen Botensendungen impliziert sein können, so sie denn für die Leserführung nicht von unmittelbarer Bedeutung sind. In der schematischen Aufgliederung dieser Botensendung steht der Buchstabe A für die Sendungsbeauftragung des Boten, B für die Ausführung des Botengangs. Die einzelnen Erzählelemente, die in der Beauftragung und der Ausführung vorkommen, sind nummeriert. Diese Elemente können verschiedenen Erzählebenen zugeordnet werden (vgl. 5.2.2.3): dem Erzählerbericht (E1) und verschiedenen Redeebenen, die in E1 eingebunden sind (E2, E3 etc.). Zugleich ist zu beachten, dass die Chronologie des 23

Vgl. 5.3.1.2. Verschiedene Versuche der narratologischen Harmonisierung des Textabschnitts durch Umstellungen des hebräischen Textes sind anschaulich zusammengestellt bei Seiler, David 242, Anm. 5. Dass dieser Abschnitt auch schon in alter Zeit Schwierigkeiten bei der Interpretation bereitet hat, zeigt ein Blick auf die LXXVersion, die MT V. 20f. weitgehend wörtlich nochmals als tatsächliche Reaktion Davids wiederholt und damit die erzählerische Lücke schließt. Vgl. die Anmerkungen zur Stelle in 5.1.2.

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

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Diskurses nicht streng der Reihenfolge der Diegese folgt und es daher zu Prolepsen (18b gegenüber 18a) und Analepsen (19ff. gegenüber 18a) kommt (vgl. 5.2.2.1). Das vorliegende Schema ist des Weiteren ergänzt um optionale Elemente der Botensendung, die in V. 18-25 nicht ausgeführt werden, aber in anderen Botenberichten desselben biblischen Kapitels eine Rolle spielen (A3 und A4). Nicht ausgeführte, aber durch vorherige Ausführung implizierte Elemente sind in geschweifte Klammern gesetzt. Der Asteriskus bei B.4* bedeutet, dass dieser Ausführungsbericht proleptisch über die Basisebene A hinausragt und zugleich identisch mit B.4 im Ausführungsbericht ist. Sendungsbericht 18a A.1 A.2 [A.3] [A.4] B.4* 18b {A.4}

Erzählbericht des Sendens und des Sendenden (Es fehlt hier die Nennung des Boten und des Zwecks der Sendung) Erzählbericht der Ausführung (Präsupponiert ist hier der Zweck der Sendung)

Boteninstruktionsbericht 19a-21 Boteninstruktion (vor oder bei der Aussendung?) A.5 in direkter Rede: 19a Erzählbericht, dass der Bote instruiert wird (Es fehlt die Instruktion zum Kriegsbericht) 19b Präfiguration des Endes der Kriegsberichterstattung 20a Präfiguration der Empfängerreaktion (abstrakt) 20aδ- Präfiguration der Empfängerreaktion (konkret) 21aδ 21bα Boteninstruktion (abstrakt) 21bβ mit konkretem Redeinhalt Ausführungsbericht 22a Erzählbericht des Gehens B.1 B.2 mit Nennung des Gehenden B.3 22bα Erzählbericht des Ankommens B.4 22bβ Erzählbericht der Befehlsausführung B.5 mit Nennung des Adressaten 23f. Rede des Boten B.6 23aα Redeeinleitung B.7 23aβ.f. Redeinhalt (Problem: Unterschied zur Instruktion 19a-21?) C= 25 Bericht der Reaktion des Empfängers A´.1-5 hier: Boteninstruktion des Empfängers 25aα Redeeinleitung 25aβ-25bγ Redeinhalt 25aβ Boteninstruktion (abstrakt) 25aγ-25bβ Boteninstruktion (konkret) 25bγ Boteninstruktion (abstrakt)

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

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Im Folgenden nun sind elf weitere Beispiele für Botengänge in 2Sam 11 aufgelistet. Keines dieser Belege enthält so viele Elemente wie das oben betrachtete Ausgangsbeispiel. Die Auflistung verdeutlicht, mit wie wenig Elementen auf Seiten des Diskurses die Erzählung über einen Botengang auskommt. (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11)

Sendung Joabs zum Feldzug (1aβ-δ24) Erkundung Davids nach Batseba (3aα-3bβ) Sendung Davids, Batseba zu holen (4aα-γ) Sendung Batsebas, die Schwangerschaft mitzuteilen (5) Sendung Davids, um Urija zu holen (6aα-7a) Botenmeldung, dass Urija nicht in sein Haus ging (10a) (Präsupponierte) Einladung Urijas durch David (präsupponiert in 10b) Einladung Urijas durch David (13aα): Befehl an Joab, Urija zu Tode zu bringen (14-17[-25]) Kunde von Urijas Tod an Batseba (26) David holt Batseba in sein Haus (27a)

A.1, A.2, A.3, B.4, {A.4} A.1, A.2, B*.4 {A.4}, B´.4; B´.6 A.1, A.2, A.3 B*.4, {A.4} A.1, A.2, B*.4, {A.4}, B.6, B.7 A.1, A.2, A.3, B.7, {A.4} B.4, B.5, B.6, B.7 keine Elemente {B.4}? A.1, A.2, A.3, A.5, {A.4},[B…], C C {B.7} A.1, A.2, A.3, B.4?, {A.4}

Die meisten Botensendungen kombinieren Elemente der Sendungsberichts mit Boteninstruktion (A) und der Durchführung (B), wobei dann immer A.1, A.2 und häufig A.3, und zumeist B.4 bzw. B*.4 und eine Präsupposition von A.4 enthalten ist. Das Beispiel (6) kommt mit einer Beschränkung ganz auf die Durchführung aus. Beispiel (10) beschränkt sich ganz auf die Empfängerreaktion (C), allerdings mit präsupponiertem Redeinhalt des Ausführungsberichts. In diesen gegenüber der Diegese stark verkürzten erzählerischen Ausführungen begegnet besonders häufig das linguistische Phänomen der Präsupposition25 bzw. der Implikation. Es geht dabei um Informationen, die im Diskurs nicht expliziert werden, die der Leser/Hörer aber aus anderen Textinformationen und aus seinem Vorwissen über die Vorgänge auf Seiten der Diegese indirekt erschließen kann. Die linguistische Pragmatik hat herausgestellt, dass dies in mündlichem und schriftlichem Erzählen häufig Verwendung findet und in aller Regel so gut „funktioniert“, das dessen Funktionsweise selten wahrgenommen wird.26 Dass Präsuppositionen/Implikationen in Erzählungen allgmein in großer Zahl vorkommen, hängt zusammen mit der Sprech- und Erzählökonomie: Sie 24 25 26

Vgl. aber noch 12,24ff. Vgl. Bublitz, Pragmatik, 135-155. Vgl. zur Diskussion des Begriffs „Funktion“ Bublitz, Pragmatik, 43ff.

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

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verdichten den Diskurs gegenüber der Diegese durch Verzicht auf uninteressante oder selbstverständliche und daher überflüssige Informationen. Ein besonders gutes Beispiel hierfür bietet der siebten der oben aufgeführten Botengänge. V. 10b informiert darüber, dass David Urija befragt. Diese Aussage setzt voraus, dass diese beiden Personen miteinander kommunizieren können. Die letzte vorhergehende Information über den Verbleib Urijas (10a) ist, dass er sich außerhalb des Palastes aufhält. Nicht erwähnt wird, dass und wie Urija wieder in den Palast kommt. Der Hörer/Leser aber schließt diese erzählerische „Lücke“ – in der Regel, ohne sich darüber im Klaren zu sein. Urija muss sachlogisch in den Palast zurückgekehrt sein, damit sich die beiden unterhalten können. Oder aber die ganze Kommunikation ist via Boten zu denken – dann wäre noch deutlich mehr präsupponiert, als nur ein Kommen Urijas in den Palast, denn ein solches Gespräch würde mehrere Botengänge kosten. Naheliegend ist für den Leser, dass David Urija rufen lässt, so wie es auch in V. 13aα, vor der nächsten erwähnten Begegnung von David und Urija, formuliert ist. In dieser Interpretation wäre ein Botengang vorausgesetzt, der keines der oben herausgearbeiteten möglichen erzählerischen Elemente eines Botengangberichts aufweist – er ist einfach schlichtweg komplett präsupponiert.27

5.2.2 Zeit-Aspekte: Ordnung, Dauer und Frequenz Auch narratologisch zu ermittelnde Aspekte von Zeit im Diskurs ergeben sich aus der Differenz zwischen Diegese und Diskurs und sind eine Folge dessen, dass eine Diegese nicht un-vermittelt in einen Diskurs gebracht werden kann. Bei der Umsetzung einer Diegese steht der Erzähler vor der Aufgabe, eine Form zu wählen, die die Inhalte inklusive seiner Schwerpunktsetzungen am besten zum Leser transportiert. Solche Umsetzungsprozesse wurden in der Erzählforschung analysiert, und für die Diskursivierung von Diegesen des Erzählers im Vorgang hat sich der Begriff der „Zugzwänge des Erzählens“ bewährt. Elisabeth Gülich benennt die wichtigsten „Zugzwänge“ des Erzählers im Blick auf sein Publikum, welche seine Gestaltung des Diskurses bei der Rekonstruktion von Erfahrung oder Erleben steuern, als „Zwänge“ zur Detaillierung, Relevanzsetzung, Kondensierung und Gestaltschließung.28 Einzelheiten, die für das Verständnis der Diegese wichtig sind und das Erzählte plausibel machen, müssen im Dikurs in besonderen Einzelzügen geschildert werden (Detaillierungszwang). Es darf – vice versa - nicht alles gleichermaßen detailliert werden, daher kommt es im Diskurs zu einem unterschiedlichen Detaillierungsniveau der Diegese (Relevanzsetzung und Kondensierung). Schließlich muss eine einmal eröffnete Erzählung einschließlich ihrer begonnenen Einzelzüge auch zu einem für den Hörer jeweils erkennbaren Ende gelangen (Gestaltschließung). Diese Zugzwänge gelten gleichermaßen für tatsächliche Ereignisse als auch für die 27 28

Vgl. zu diesem Beispiel und zu weiteren Botengängen: Käser, Inkohärenz oder Erzählökonomie? Sprachliche Beobachtungen an den Botengängen in 2Sam 11. Gülich, Erzählen, in Rekurs auf Kallmeyer/Schütze, Zur Konstitution von Kommunikationsschemata (1977).

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

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Konstruktion fiktiven Erlebens und fiktiver Erfahrungen: Es macht hier bei der Gestaltung des Diskurses im Blick auf Hörer/Leser keinen prinzipiellen Unterschied, ob eine „tatsächliche“ oder eine fiktive Diegese zugrunde liegt. Die grundsätzliche Differenz von Diegese und Diskurs ermöglicht bei der Gestaltung einer Erzählung unermessliche Möglichkeiten in den Zeitbeziehungen zwischen Diegese und Diskurs. Es kommt nicht nur zu verschiedenen Graden von Zeitdehnungen und –raffungen (Dauer), der Diskurs kann gegenüber der Diegese auch vielfach die Chronologie verändern, in jede Richtung Zeitsprünge machen, Parallelhandlungen eröffnen oder Lücken lassen (Ordnung). Ebenso kann auf ein und dasselbe Ereignis mehrmals rekurriert werden (Frequenz). Alle diese Aspekte können schließlich beliebig miteinander kombiniert werden. Schon lange weiß man, dass Lesen eine höchst anspruchsvolle Leistung des menschlichen Gehirns darstellt. Die Vorgänge der Entschlüsselung von Diskursen sind höchst komplex. Zugleich stellt man fest, dass der Hörer/Leser die Tempusaspekte einer Erzählung in der Regel entschlüsselt, ohne dabei die Gestaltung des Diskurses analytisch und „bewusst“ wahrzunehmen. Deshalb wird sich ein Hörer oder Leser dieser komplexen Vorgänge in der Regel nicht bewusst. Im Folgenden sollen nun einige der Aspekte, die zu einer Differenz vom Diskurs zu Diegese führen, bewusst wahrgenommen und analytisch aufgeschlüsselt werden. Die dabei untersuchten Aspekte des Erzählabschnitts 2Sam 11 führen, wie 5.3 zeigt, wo sie partiell erkannt werden, in literarischer und kritischer Sicht in ihrer „Auswertung“ zu unterschiedlichen Interpretationen. Daher bieten die nachfolgenden Untersuchungen eine aufschlussreiche Grundlage für den späteren Vergleich verschiedener Auslegungspositionen (vgl. 5.3).

5.2.2.1 Tempusmarker und Chronologie (1) Betrachten wir zunächst die expliziten Tempusmarker der Erzählung. Sie finden sich in der Erzählung an folgenden Stellen: 1aα 1aα 2aα 12aβ 12aγ 12bα 12bβ 13bα 14aα

‫לתשׁובת השׁנה‬ ‫לעת צאת המלאכים‬ ‫לעת הערב‬ ‫גם־היום‬ ‫ומחר‬ ‫ביום ההוא‬ ‫וממחרת‬ ‫בערב‬ ‫בבקר‬

zur Wiederkehr des Jahres zur Zeit des Auszugs der Könige zur Zeit des Abends auch heute noch und morgen an jenem Tag und am folgenden (Tag) am Abend am Morgen

Erzählerebene Erzählerebene Erzählerebene Rede Davids Rede Davids Erzählerebene Erzählerebene Erzählerebene Erzählerebene

Diese Tempusmarker lassen sich in absolute und relationale ausdifferenzieren. Die absoluten sind eingebettet in die Ebene des Erzählers, die relationalen in die Redeebene. Der relationalen Tempusbestimmung in der Davidrede

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

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auch heute noch (…) morgen (12aβ.γ) entspricht die absolute Zeitangabe im Ausführungsbericht auf Erzählerebene an jenem Tag (…) am folgenden (12bα.β). Dieser Aufforderung kommt Urija übrigens – anders, als dem Befehl, in sein Haus zu gehen (V. 8) – ohne weiteres nach. Dem ‫( בערב‬am Abend 13bα), welches das ‫ ערב‬von V. 2 wieder aufgreift, korrespondiert ‫( בבקר‬am Morgen 14aα). Die Formulierung ‫ לעת צאת המלכים‬in V. 1aα, die als Näherbestimmung der Zeitangabe ‫ לתשׁובת השׁנה‬fungiert, steht parallel zur Formulierung ‫ לעת הערב‬in V. 2aα. Soweit eine kurze formale Bestimmung der Tempusmarker. Es ist bemerkenswert, dass die ausdrücklichen Zeitangaben auf den Abschnitt V. 1-14 beschränkt bleiben, und zwar in zwei Schwerpunktsetzungen: am Beginn der Erzählung V. 1f. und am entscheidenden Höhe- und Wendepunkt der Erzählung V. 12-14. Zudem sind diese Angaben, wie gerade gesehen, aufeinander bezogen und binden somit den Erzählstrang V. 1-14 eng zusammen. Die Signifikanz dieser Feststellung wird deutlich, wenn man bedenkt, dass der Erzähler auch immer anders hätte formulieren können. Inhaltlich relevant ist, dass der Diskurs von 1aα zu 2aα zeitlich vom Großabschnitt des Jahres auf den Kleinabschnitt des Abends und damit parallel von den politischen Großereignissen auf das „private“ Leben Davids umschwenkt. V. 14 markiert den tragischen Wendepunkt der Geschichte; und leitet mit der Zeitangabe am Morgen dann auch (lokal) den Wechsel von Jerusalem nach Rabba ein. Ab V. 14 spielen über einen längeren Erzählabscchnitt Tempusmarker keine Rolle mehr. Für die Textverknüpfung dominieren ab hier andere Vertextungsmittel, etwa die lexematische „Verknüpfung“ durch das siebenfache ‫( מות‬sterben) ab V. 15 (vgl. 5.2.3.1). (2) Eine weitere „Tempus“-Besonderheit des Diskurses liegt uns in den Nominalsatzkonstruktionen vor, die das Moment der Duration und der Parallelhandlungen zum Ausdruck bringen. Hierzu liegt es auf der Hand, die Nominalsätze, zu denen auch die Partizipialsätze zu rechnen sind29, zu untersuchen. Es ist eine für das Hebräische typische sprachliche Möglichkeit bieten, Duration und Parallelhandlungen durch Nominalsatzkonstruktionen zum Ausdruck zu bringen. Die überwiegende Mehrheit der Nominalsätze des Erzählabschnittes ist in V. 1-11 zu finden (Zusammenstellung auf der nächsten Seite).30 Mit dem Partizipialsatz in 1b (David aber blieb in Jerusalem.) wird temporal wie lokal die Parallelhandlung zum Feldzug eröffnet; der Hauptort des Geschehens bleibt bis V. 14 Jerusalem. Die zeitlich parallele Feldzugssituation wird in der Rede Urijas 11a in zwei Partizipialkonstruktionen in Erinnerung gerufen und mit Davids Verbleiben in Jerusalem kontrastiert (vgl. auch Lokalmarker Jerusalem/Feld 5.2.1.1). Der Partizipialsatz in der Anrede Davids an Urija (V. 10bβ; Du hast doch einen langen Weg hinter dir!) bezieht sich auf die Überbrückung der Distanz zwischen den beiden Parallelszenerien – eine offen-

29

30

Partizipien sind Nominalformen des Verbs. Weitere Nominalsätze stehen in V. 16a (als Joab die Stadt bewachte; Partizipialsatz; Gleichzeitigkeit wegen ‫;)בּ‬ ְ 16bβ (dass dort kriegstüchtige Männer seien; Nominalsatz) und 19b (nachdem du fertig sein wirst; Partizipialsatz; Vorzeitigkeit wegen ְ‫)כּ‬.

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

146

sichtlich große Distanz, die für ihre Überwindung einen langen Zeitraum in Anspruch genommen hat, wie der durative Aspekt der Konstruktion impliziert. 1b 2aδ 4aε 5bδ

‫ודוד יושׁב‬ ‫בירושׁלם‬ ‫אשׁה‬ ‫רחצת‬ ‫והיא‬ ‫מתקדשׁ‬ ‫מטמאתה‬ ‫הרה אנכי‬

10bβ

‫הלוא‬ ‫מדרך אתה בא‬

11aβ

‫הארון‬ ‫וישׂראל ויהודה‬ ‫ישׁבים בסכות‬ ‫ואדני יואב‬ ‫ועבדי אדני‬

11aγ

‫אל־פני השׂדה חנים‬

David aber blieb in Jerusalem eine Frau, die sich gerade wusch Sie aber reinigte sich gerade von ihrer Unreinheit. Schwanger bin ich.

Partizipialkonstruktion Erzählerebene Partizipialkonstruktion Erzählerebene Partizipialkonstruktion Erzählerebene

Nominalsatz Rede Batsebas Du hast doch Partizipialkonstruktion einen langen Weg hinter Rede Davids dir! Die Lade Partizipialkonstruktion und Israel und Juda Rede Urijas wohnen in Hütten und mein Herr Joab Partizipialkonstruktion und die Knechte meines Rede Urijas Herrn weilen auf freiem Feld.

Die übrigen drei Nominalsätze beziehen sich in unterschiedlicher Weise auf Batseba. Die Aussage V. 2aδ (da sah er eine Frau, die sich gerade wusch) ist so zu deuten, dass die Waschungen Batsebas einen längeren Zeitraum ausfüllen, und der kurze Moment von Davids zufälligem Blick in diesen Zeitraum fällt. Ebenso durativ, als Grundzustand, jedoch auf einen längeren Zeitraum als V. 2aδ bezogen, ist die Aussage in 4aε zu verstehen (sie aber reinigte sich gerade von ihrer Unreinheit). Diese Aussage setzt einen Zeitraum von mehreren Tagen voraus. Bemerkenswert ist die Stellung dieser Nominalphrase: Sperrig steht sie inmitten der bewegten, fließenden Handlung der Consecutiva und setzt damit auch in formaler Hinsicht eine besondere Betonung. Inhaltlich sichert diese Aussage in V. 4aε, dass es sich in V. 2aδ um eine kultische Waschung handelt. Das entlastet Batseba von der Vermutung mancher Ausleger, sie hätte es auf David angelegt. Zum zweiten impliziert die Aussage, dass David der Vater des Kindes sein muss; der Empfängnis geht unmittelbar die Monatsregel voraus, welche wiederum die Möglichkeit ausschließt, Urija sei der Vater des Kindes. Zum dritten konnotiert die Aussage die Kritik, dass David auch insofern gegen das Gesetz verstößt, als er mit Batseba schläft, obwohl die Reinigungszeit noch nicht abgeschlossen ist.31

31

Eine Vorzeitigkeit, wie sie in manchen Übersetzungen zum Ausdruck kommt (sie hatte sich gereinigt), ist hier m. E. nicht erkennbar (Gegen Stoebe, II Samuelis 278). Ebenso wenig scheint mir eine Nachzeitigkeit möglich, so dass es sich nicht um eine Reinigung nach dem Geschlechtsverkehr handeln kann (mit Smith, 2Samuel, 318).

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

147

Der dritte, Batseba betreffende Partizipialsatz ist wörtliche Rede Batsebas: die Mitteilung ich bin schwanger (5bδ;). Der durative Aspekt dieser Aussage ist selbstredend. (3) Besondere Aufmerksamkeit verdienen im Rahmen der Untersuchung von narratologischen Tempusaspekten desweiteren fünf kurze proleptische Erzählstränge in unserem Abschnitt. 32 Sie alle werfen von einem bestimmten Ereignis der Diegese einen kurzen Blick auf eine spätere Handlung oder eine Parallelhandlung der Diegese, um dann wieder zum Ausgangszeitpunkt zurückzukehren, von dem aus die Erzählung abermals chronologisch weitergeführt wird. Etwas vereinfacht kann man sagen, dass die Zeit der Diegese im Diskurs wiederholt durchlaufen wird, so dass wir es mit einer doppelfrequentigen Erzählgang zu tun haben, indem auf ein und dieselbe Handlung der Diegese im Diskurs doppelt rekurriert wird (vgl. 5.2.2.3). Zur Funktion dieser Stellen, die einen summarischen Ausblick auf das geben, was später erzählerisch eingeholt wird, gehört es, dem Hörer/Leser Orientierung zu bieten und die Spannung zu steigern. Die Darstellung des Musters versucht, verschiedene Zeitpunkte (t) bestimmter Handlungen der Diegese zu bezeichnen (Großbuchstaben); dabei wird ersichtlich, welche Zeitpunkte der Diegese im Diskurs mehrfach durchlaufen werden. Proleptischer Erzählstrang 1: 1aα [zur Wiederkehr des Jahres, zur Zeit des Ausziehens der Könige] 1aβ da sandte David Joab (…) γ und sie verheerten die Ammoniter δ und zogen gegen Rabba zusammen 1b David aber blieb in Jerusalem Proleptischer Erzählstrang 2: 12aα Da sagte David zu Urija: β Bleibe auch heute noch hier, γ morgen aber will ich dich entsenden. 12bα Und Urija blieb in Jerusalem an jenem Tag β und am folgenden. 13aα Und David rief ihn (…) 32

Prolepse Prolepse Prolepse

Prolepse Prolepse

(t) A (t) A (t) A (t) B (t) C (t) ABC (t) D (t) D (t) D33 (t) D (t) E (t) D

Zur Prolepse vgl. besonders die ausführliche und differenzierte Analyse bei Genette, Erzählung 45-54 (3. Aufl., 39-47). Für Literatur zur „summarischen Prolepse“ vgl. Ska, Judah 29, Anm. 11. Ska setzt sich in diesem Beitrag mit der Prolepse Gen 42,7 (proleptisch gegenüber V. 8) auseinander; vgl. ebd., 28ff. 33 Den erzählerischen Ausblick innerhalb einer Rede über die Redesituation hinaus bezeichnet Ska ebenfalls als Prolepse (vgl. Our Fathers, 8; dort nennt er unter den Beispielen für Prolepse Ex 6,6-8 und 7,1-5). Ich orientiere mich hier an der Ereignisfolge, nicht aber am Redeinhalt, – also am Zeitpunkt des Redens Davids – obwohl das, was David sagt, über den Ausgangszeitpunkt seines Redens hinausweist, und führe daher nur Prolepsen ersten Grades an. Gleiches gilt für den Briefinhalt (15b) und die Boteninstruktion (22f.), die beide ebenfalls proleptischen Charakter haben, aber Prolepsen zweiten Grades sind.

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

148 Proleptischer Erzählstrang 3: 14aα [Am Morgen] 14aβ da schrieb David einen Brief an Joab, 14b und er sandte ihn durch Urija. 15a Und er schrieb in den Brief Folgendes:

Proleptischer Erzählstrang 4: 18a Und es sandte Joab 18b und meldete David alle Ereignisse des Kampfes. 19a Und er instruierte den Boten folgendermaßen: Proleptischer Erzählstrang 5: 22a Und es ging der Bote 22bα und er kam 22bβ und meldete David all das (…) 23aα Und der Bote sagte zu David:

Prolepse Prolepse

Prolepse Prolepse

Prolepse

(t) E (t) E (t) F (t) E (t) G (t) H (t) G (t) G (t) H (t) I (t) HI

Es sei hier schon darauf hingewiesen, dass sich die genaue Beobachtung proleptischer Erzählstränge für die Analyse konkreter Textinterpretationen als hilfreich erweisen wird, da in literarkritischer Sicht Prolepsen mitunter als sachliche oder sprachliche „Unstimmigkeiten" des Textes empfunden werden und als Anhalt für diachrone Textscheidungen dienen (vgl. 5.3).

5.2.2.2 Zum Verhältnis von Erzählzeit zu erzählter Zeit Um die Makrostruktur der Tempusaspekte der Erzählung unabhängig konkreter grammatischer Phänomene des Textes ganzheitlich wahrzunehmen, folgen wir der in der Literaturwissenschaft geläufigen Unterscheidung von Erzählzeit (als der Zeit des Diskurses) und erzählter Zeit (als der Zeit der Diegese).34 Ein Vergleich dieser beiden Größen eröffnet ein planares Bild der verschiedenen Zeitraffungsgrade des Diskurses. Die erzählte Zeit, die einer angenommenen Realzeit der erzählten Ereignisse (Diegese) entspricht, umfasst in diesem Erzählabschnitt einen Zeitraum von beinahe einem gesamten Jahr. Die Erzählzeit, die Genette Narration (vgl. 2.2.1) nennt, also des für das Lesen/Erzählen des Abschnittes erforderlichen Zeitraums, hingegen beträgt wenige Minuten. Der Grad der Zeitraffung, die der Diskurs mit der Diegese vollzieht, unterliegt während der Narration deutlichem Wechsel. Das Verhältnis von Diskurs und Diegese hinsichtlich der temporalen Raffung kann nur mehr oder weniger vage erfolgen, da die exakten Tempusmarker der Erzählung eher spärlich sind. Wir folgen in der Analyse der Darstellung des Diskurses: Unklar ist zunächst der temporale Bezug von 1aα zu 2a, weil 1b einen längeren Zeitraum voraussetzt und der Tempusmarker am Abend keinen bestimmten Tag dieses Zeitraums angibt, so dass die erzählte Zeit nicht genau bestimmt werden kann. Gleiches gilt auch für die Erkundigung nach der Frau in V. 3; für 34

Diese Begriffe wurden von 1948 von Günther Müller in seinem Aufsatz „Erzählzeit und erzählte Zeit“ eingeführt.

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

149

die wörtliche Rede des (präsupponierten) Boten nähert sich Erzählzeit an die erzählte Zeit an. Insgesamt sind wohl für die erzählten Ereignisse der Verse 1-3 um David, also im Hauptstrang der Handlung, wenige Tage vorauszusetzen. V. 4 erweist sich gegenüber den ersten drei Versen als zeitlich dichter; der Eindruck, dass es sich um einen kurzen Zeitraum vom Kommen Batsebas bis zu ihrer Rückkehr in ihr Haus handelt, wird durch die schnelle Verbfolge des Verses befördert. Zwischen Batsebas Rückkehr (4b) und dem in V. 5a präsupponierten Bemerken ihrer Schwangerschaft mit der anschließenden Meldung an David findet sich in der Erzählzeit eine deutliche Raffung gegenüber der erzählten Zeit. Auch für V. 6-7a verhält es sich so. Die entsprechende Realzeit von der Aussendung des (präsupponierten) Boten an Joab bis zu Urijas Ankunft ist in der Größeneinheit von Tagen anzusetzen. Dann aber entschleunigt sich die erzählte Zeit in ihrem Verhältnis zur Erzählzeit erneut. Dies gilt für die gesamte Aufenthaltsdauer Urijas (V. 7-15). Die vier Tage, an denen sich Urija in Jerusalem aufhält, sind auf die Erzählung so aufgeteilt: der erste Tag des Aufenthaltes: V. 7-9(10a?) erster Tag, V. 10(b?)-12 zweiter Tag, V. 13 dritter Tag und V. 14 Beginn des vierten Tages. Die größte Annäherung von erzählter Zeit an die Erzählzeit findet sich im Dialog von V. 10b-12a, besonders in der ausführlichen wörtlichen Rede Urijas, der fast den ganzen V. 11 umfasst. Zwischen dem Schreiben des Briefes (14a; Inhalt V. 15), der Joab bei dessen Entsendung mitgegeben wird (präsupponiert in 14b), und dem Beginn von Joabs Befehlsausführung (V. 16) ist wieder von einer Größe in Tagen auszugehen, vielleicht auch für den Zeitverlauf von der Platzierung Urijas (V. 16b) bis zu dessen Tod (17b). Wesentlich entschleunigt wird die erzählte Zeit im Gegenüber zur Erzählzeit aber wieder in der Boteninstruktion Joabs 19-21, die nahezu aus wörtlicher Rede besteht, sowie im Dialog zwischen dem Boten und David in 23-25. Die Realzeit der in diesen beiden Abschnitten vorausgesetzten Ereignisse (Sendung und Instruktion 18a-22a und 23a-25) können in Minuten angegeben werden.35 Besonders interessant hinsichtlich dieser beiden „zerdehnten“ Stellen ist, dass sie, ohne den Erzählzusammenhang zu zerstören, ausgelassen werden könnten, so dass die Abfolge V. 18.22.26 einen geschlossenen Erzählgang darstellen würde.36 Der Diskurs legt folglich besondere Betonung auf genau diese Stellen. Die Realzeit der Ereignisse, die in V. 26a-27a erzählt werden, beträgt mehrere Monate: In V. 26a erfährt Batseba vom Tod Urijas und hält die Totenklage, in V. 27aβγδ nimmt sie David in sein Haus auf und heiratet sie, in 27aε gebiert Batseba einen Sohn. Hier wird also die Erzählzeit der konkreten Erzählung gegenüber dem Erzählten deutlich beschleunigt. Die schnelle Verbfolge erinnert an die Darstellungsweise in V. 4f. (und zeigt auch deutliche thematische Bezüge, insofern es um Zeugung und Geburt des gemeinsamen Kindes von David und Batseba geht). 35 36

Zur Zeitstruktur der Verse 18 und 22 siehe die Ausführungen zu den proleptischen Erzählsträngen oben. Vgl. die Ausführungen zum Botengangschema 2.1.3 oben.

150

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

Abschließend soll noch einmal festgehalten werden, dass die Änderung des Raffungsgrades zum Normalfall des Erzählens gehört und dem eingangs (2.2) erwähnten Zwängen zur Detaillierung, Relevanzsetzung und Kondensierung entspringt.

5.2.2.3 Frequenz (mit Anmerkungen zu den Redeebenen narrativer Texte) Ein weiterer wichtiger „Tempus“-Aspekt ist der wiederholte Rekurs auf ein und dasselbe Ereignis. In unserem Abschnitt betrifft das die erzählerische Ausführung des von David ersehnten Hinabgehens Urijas in sein Haus und die Darstellung des Todes Urijas. Solche „Wiederholungsbeziehungen“ zwischen Diskurs und Diegese bezeichnet Genette mit dem Begriff „narrative Frequenz“.37 Eine der Möglichkeiten von Wiederholungsbeziehungen zwischen konkreter Erzählung und zugrundeliegender Handlung ist für unsere Erzählung von besonderer Bedeutung: die des wiederholten Rekurses auf ein und denselben Sachverhalt. Der mehrfache Rekurs auf den erwünschten Aufenthalt Urijas in seinem Haus ist vor allem bestimmt durch lexematische Bezüge und wird daher an entsprechender Stelle später behandelt (2.3.1). Hier konzentrieren wir uns auf den Rekurs auf Urijas Tod. Dieser begegnet zunächst im Befehl Davids (V. 15), dann als Ausführungsbericht auf Erzählerebene (V. 16f.), sodann als Instruktion Joabs an den Boten (V. 19-21), als Botenbericht an David (V. 23f.) und schließlich in der Bemerkung, dass Batseba vom Tod ihres Mannes erfährt (V. 26). Die synoptische Darstellung (siehe nächste Seite) versucht die Analogien (und Unterschiede) des vierfachen Rekurses deutlich zu machen. Die Bezeichnungen E1 bis E3 beziehen sich auf die Redeebenen (vgl. die Anmerkungen hierzu unter 5.2.2.3). Gerade diese Stellen, die wir hier als frequentiellen Rekurs darstellen, haben der Literarkritik Anlass zu textgenetischen Überlegungen gegeben, nicht nur, weil sie z.T. als Doppelungen empfunden werden, sondern auch, weil man ihnen sprachliche und sachliche Unstimmigkeiten unterstellt. Daher ist es hier notwendig, den Diskurs noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Hier bieten sich Anmerkungen zu den Redeebenen narrativer Texte an. Die Grundebene der Erzählung bildet der Erzählerbericht (E1). In diesen ist Personenrede der handelnden Personen eingebettet (E2). Solche wörtliche Rede kann wiederum wörtliche Rede enthalten (E3), welche abermals wörtliche Rede beinhalten kann (E4).

37

Zu „Frequenz“ vgl. Genette, Erzählung, 81-114.217f. (Zitat S. 81.) In der 3. Aufl.: 73-99.195f (Zitat S. 73). Genette bezeichnet folgende Grundmöglichkeiten von Frequenz: einmaliges Erzählen eines einmaligen Ereignisses, mehrfaches Erzählen von mehrfachen Ereignissen, einmaliges Erzählen von mehrfachen Ereignissen, und mehrfaches Erzählen eines einmaligen Ereignisses.

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba V. 15b Befehl Davids E2

Stell Urija an die Front,

V. 16f. Ausführungsbericht auf Erzählerebene E1

V. 19-21 Boteninstruktion Joabs mit Präfiguration der Reaktion Davids E2 bzw. E3

Und es geschah, als [Meldung aller ErJoab die Stadt unter eignisse des Beobachtung stellte, Kampfes] E2 da setzte er Urija an den Ort, von dem er wusste, dass dort kriegstüchtige Männer seien.

wo der Kampf am Und die Männer der stärksten ist, Stadt machten einen Ausfall und kämpften gegen Joab,

151 V. 22b-24 Botenbericht

E2 [Meldung von allem, wozu Joab ihn gesandt hatte]

Als die Männer uns überlegen waren, da machten sie einen Ausfall zu uns aufs Feld, [präfigurierte Davidrede] E3 Hättet ihr euch doch nicht der Stadt genähert um zu kämpfen? Ihr wisst doch, dass man von der Mauer herabschießt?(…)

und wir drängten sie zurück bis zum Eingang des Tores. Da schossen die Schützen auf deine Knechte von der Mauer herab,

und zieht euch hinter ihm zurück und es fiel vom Volk, von den Knechten Davids, dass er erschlagen wird und stirbt.

und es starb auch Urija der Hethiter.

Auch dein Knecht Urija, der Hethiter, ist tot. E2

und es starben welche von den Knechten des Königs, und auch dein Knecht Urija, der Hethiter, ist tot.

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

152

Zwar gehen alle diese Einbettungen auf den Erzähler von E1 zurück, doch gibt es eine Abstufung der Gewissheitsgrade für die verschiedenen Ebenen. Auf Ebene E1 kann sich der Leser der Aussagen gewiss sein; auf dieser Ebene bewegt sich der Leser also auf sicherem Terrain. Anders auf E2, denn eine handelnde Person kann auch irren oder lügen38. Der „Wahrheitswert“ der Aussage muss jeweils an E1 gemessen werden. Von E1 auf E2 gibt es zudem einen Verlust an Perspektivierungsweite. Während E1 beinahe uneingeschränkt eine umfassende, unbegrenzte Sicht auf die Ereignisse gibt, ist die Sicht der handelnden Personen beschränkt. Ab E2 und darunter drückt sich Personenrede aus, von der jeweils gilt, dass die Aussage sowohl wahr als auch falsch sein kann. Jedoch eröffnet E3 in folgender Hinsicht neue Möglichkeiten gegenüber E2: Es kann sich bei der in einer Rede eingebetteten Rede um ein Zitat oder eine präfigurierte Rede handeln, und zwar sowohl als eine fremde „Stimme“, aber auch um die Stimme der redenden Person von E2. So ermöglicht E3 besondere Nuancen erzählerischer Subtilität. Im vorliegenden Abschnitt finden sich drei Beispiele von Rede auf E3; dabei handelt es sich jeweils um präfigurierte Rede: zwei Belege, an denen die Protagonisten den jeweiligen Boten mit Meldungen instruieren, und ein Beleg für präfigurierte Rede einer „fremden Stimme“: eigene Stimme 21aβ Joab präfiguriert Botenrede 25aγ-bβ David präfiguriert Botenrede

fremde Stimme 20aδ-21aδ Joab präfiguriert Davidrede

Die auffallendste Verwendung von Rede auf E3 begegnet in der Davidrede, die Joab präfiguriert. Es handelt sich um einen Zornausbruch, den er dem Boten gegenüber, welchen er für den Kriegsbericht instruiert, gleichsam in Szene setzt, und der durch Joab auf E2 ausdrücklich als Zornreaktion Davids (auf den Kriegsbericht) markiert. Die Interpretation gerade dieser Passage ist nicht einfach. Zwar liegt es auf der Hand, dass hier eine nachvollziehbare und vom Leser auch zu erwartende Reaktion des Königs präfiguriert wird. Doch fällt die Entscheidung schwer, ob es sich um eine tatsächliche Boteninstruktion oder eine sarkastisch-ironische Bemerkung Joabs handelt. Die Lösung der Frage nach der Intention von Joabs Aussage ist allerdings auf einer anderen Ebene zu suchen, nämlich in der Kommunikation zwischen 38

So etwa die Aussage der Brüder Josephs gegenüber ihrem Vater, sie hätten den blutgetränkten Mantel Josephs gefunden; die Deutung überlassen sie dem Vater (Gen 27,32f.) Vgl. auch die Erzählung zu Sauls Tod in 2Sam 1 (E2) im Vergleich zu 1Sam 31 (E1); es handelt sich hier um eine verlässliche Darstellung des Erzählers und eine nicht verlässliche im Munde einer handelnden Person. Man vergleiche auch die Deutungsperspektive, die sich für die Aussage Natans bzw. Batsebas gegenüber David in 1Reg 1 ergibt (Du hast doch geschworen […]: Mein Sohn Salomo soll nach mir König sein […]!) – präsupponiert das einen solchen (nirgends berichteten) Schwur Davids oder reden Natan und Batseba nicht die Wahrheit? Diese Spannung wird erzählerisch nirgends befriedigend aufgelöst.

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

153

Erzähler (von E1) und Leser. Indem sowohl E2 als auch E3 auf diesen Erzähler zurückzuführen sind, muss gefragt werden, zu welchem Zweck er hier E3 in Blick auf den Leser positioniert. 39 Für den frequentiellen Rekurs auf die Umstände um Urijas Tod bedeutet dies: David gibt – als erster Rekurs auf Urijas Tod – den Befehl, Urija an die Front zu stellen und sich hinter ihm zurückzuziehen, damit er umkommt (E2). Auf Erzählerebene (E1) wird – als zweiter Rekurs – ein Bericht der Ausführung des Befehls gegeben. In diesen sind einige Details der konkreten Umsetzung des Befehls gegeben: Joab platziert Urija wissentlich an den Ort, von dem er wusste, dass dort kriegstüchtige Männer seien. Bei einem Ausfall aus der Stadt kommt Urija zusammen mit anderen Soldaten ums Leben. Offen bleibt sowohl die Frage, ob es so arrangiert war, dass sich andere hinter Urija zurückzogen, wie David angeordnet hatte, als auch die, ob es gewollt war, dass Urija nicht alleine ums Leben kam. Letzteres wäre dann einer politisch-taktischen Klugheit Joabs zuzuschreiben, die sich auch andernorts nachweisen lässt.40 Die präfigurierte Zornreaktion der Boteninstruktion Joabs (E3) präsupponiert – als dritter Rekurs –, dass der entscheidende Kampf, bei dem Urija fällt, in unmittelbarer Nähe zur Stadtmauer stattgefunden haben muss; nur so macht die Präfiguration überhaupt Sinn. Dies scheint zunächst in Widerspruch zu stehen zu der Information zu E1, dass Urija bei einem feindlichen Ausfall sein Leben ließ. Die Überwindung dieser vermeintlichen Spannung wird durch den vierten Rekurs, den Botenbericht (E2), erreicht: Urija stirbt, als die israelitischen Soldaten den Ausfall der Feinde stoppen und sie bis an die Mauer zurückdrängen können. Zwar könnte, ohne dass die zugrunde liegende Handlung Schaden nähme, versuchsweise ein Teil der Rekurse ausgelassen werden (so etwa, ohne Not, V. 18-25); die geradezu penetrante Betonung der Umstände um Urijas Tod wäre dann allerdings abgeschwächt – aber gerade darin liegt die Absicht des langen, frequentiellen Erzählgangs in vier (bzw. fünf) Rekursen.

5.2.3 Poetologische Merkmale in Lexematik und Semantik 5.2.3.1 Lexematische und semantische Bezüge Einige Lexeme begegnen mit signifikanter Häufigkeit in unserem Erzählabschnitt und sind für die Interpretation wichtig. Hierzu gehört zuallererst ‫שׁלח‬ mit 12 Belegen (vgl. das Botengangschema 5.2.1.3), gefolgt von ‫( בית‬11), ‫אשׁה‬ und ‫( עבד‬jeweils 9), ‫( מות‬7), ‫מלחמה‬/‫( לחם‬5+2), ‫( יצא‬6), ‫שׁכב‬/‫( משׁכב‬4+2), ‫ ירד‬und ‫( מלאך‬jeweils 5), ‫ישׁב‬, ‫ הלוא‬und ‫( אדון‬jeweils 4), ‫ חזק‬und ‫( אכל‬je 3) und schließlich ‫שׁתה‬, ‫ מדוע‬und ‫( נכה‬je 2 Belege).

39 40

Hierzu vgl. des Näheren die Ausführungen unter 5.2.2.3, und, zum Begriff der „Positionierung“ die Anmerkungen hierzu in 6.2.2.3. Vgl. etwa die dringende Mahnung Joabs an David, die für das Kriegsvolk beschämende Klage über den Tod seines Sohnes Abschalom einzustellen, um dessen Unterstützung nicht zu verlieren (2Sam 19,1-9).

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

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Die folgenden lexematischen und semantischen Bezüge sind an anderer Stelle ausgeführt: Zu ‫ מדוע‬und ‫ הלוא‬vgl. 5.2.3.2 Abschnitt (1), zu ‫ אכל‬vgl. 5.2.3.1 (3), zu ‫ מלאך‬5.2.1.2 und zu ‫ רחץ‬mit seinem semantischen Feld 5.2.3.1 (6). (1) Die Kombination der beiden Lexeme ‫ בית‬und ‫ ירד‬begegnet fünfmal innerhalb weniger Verse: 8aβ 9b 10aβ 10bγ 11aδ 13bβ

‫ רד לביתך‬Geh hinab in dein Haus! Befehl Davids ‫ ולא ירד אל־ביתו‬aber er ging nicht hinab in sein Haus. ‫ לא־ירד אוריה אל־ביתו‬Urija ging nicht hinab in sein Haus. ‫ מדוע לא־ירדת אל־ביתך‬Wärst du doch in dein Haus hinabgegangen! ‫ ואני אבוא אל־ביתי‬und ich sollte in mein Haus kommen? ‫ ואל־ביתו לא ירד‬aber in sein Haus ging er nicht hinab.

Erzählerebene Bericht des Boten Vorwurf Davids Erwiderung Urijas Erzählerebene

V. 8-13 ist maßgeblich bestimmt von der Frage, ob Urija in sein Haus – von dem der Leser weiß, dass sich dort Batseba befindet (vgl. V. 4b)41 – hinabgeht oder nicht. Die Häufigkeit des ausdrücklichen Rekurses hierauf entlarvt auch als das eigentliche Ziel Davids für Urijas Aufenthalt (das auf Erzählerebene nirgends als Ziel expliziert wird), nämlich dass Urija Batseba begegnet. Der Befehl Davids in V. 8aβ wird von Urija hartnäckig verweigert. Das wird dem Leser zunächst auf Erzählerebene für die erste Nacht mitgeteilt (9b). Dann wird die Sachlage in Personenreden verhandelt: in der Botenmitteilung an David (10aβ), als Vorwurf Davids an Urija (10bγ) und in der Erwiderung Urijas (11aδ), mit der er sich nun nicht mehr nur faktisch, sondern auch ausdrücklich (mit lexikalischer Variation ‫ )בוא‬gegen Davids Befehl verweigert. Auf Erzählerebene erfolgt dann in 13bβ, in Variation zu 9b (mit Satzumstellung) - auch für die zweite Nacht – die Feststellung, dass Urija nicht in sein Haus hinabging.42 Eingebettet zwischen Befehl Davids (8aβ) und erstem Erzählerbericht über die Befehlsverweigerung (9b) ist folgende bemerkenswerte Konstruktion in V. 8b: ‫אוריה מבית‬ ‫ויצא‬ 8bα ‫המלך‬ 8bβ ‫המלך‬ ‫ותצא אחריו משׂאת‬ 8bγ ‫אוריה פתח בית המלך‬ ‫וישׁכב‬

41 42

Man beachte die Variation ihr Haus/sein Haus (V. 4/V. 9 u.ö.), die sich aus der jeweiligen erzählerischen Perspektivierung ergibt. Zum Gegensatz zwischen dem Haus Urijas/Batsebas und dem Haus Davids/des Königs sowie zum Gegensatz zwischen diesen beiden Häusern und dem Feld/Weg vgl. die Ausführungen zur szenischen Gestaltung (2.1).

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

155

Die drei Zeilen sind kunstvoll aufgebaut. In den ersten beiden Aussagen ist das Hinausgehen Urijas mit dem Geschenk parallelisiert (‫ ;)יצא‬die Personifikation ist eine überaus ungewöhnliche Formulierung, die der Ironie nicht entbehrt. Das Geschenk, das Urija folgt, ist in der Leserperspektive offensichtlich als Bestechungsgeschenk erkennbar. Die erste und die letzte Aussage entsprechen sich sowohl im handelnden Subjekt (‫ )אוריה‬als auch in dessen (variierender) Positionierung zum Palast (‫מבית המלך‬/‫)פתח בית המלך‬. Alle drei Zeilen schließen mit ‫המלך‬. Von den Lexemen, die den Erzählabschnitt prägen, finden sich in V. 8b sowohl ‫יצא‬, als auch ‫ שׁכב‬und ‫בית‬/‫ בית המלך‬enthalten43. Bis Mitte 8bγ (einschließlich ‫ )וישׁכב אוריה‬bleibt noch offen, ob Urija der Anweisung Davids folgt; erst in 9aβ – zunächst präsupponiert –, dann expliziert in V. 9b, erfährt der Leser, dass Urija den Befehl verweigert. (2) Auch mit ‫‚( ישׁב‬bleiben‘) wird in unserem Erzählabschnitt gespielt: 1b ‫ודוד יושׁב ברושׁלם‬ 12aβ ‫שׁב בזה גם־היום‬ 12bα ‫וישׁב אוריה בירושׁלם‬ ‫בים ההוא‬

David aber blieb in Jerusalem. Bleibe auch heute noch hier! Und Urija blieb in Jerusalem an jenem Tag.

Erzählerebene Rede Davids Erzählerebene

Während David in Jerusalem verbleibt, weilen Lade und Volk in Hütten auf freiem Feld; die Aussage Urijas in V. 11aβ stellt den ausgesagten Sachverhalt von V. 1b in kritisches Licht – und das, ohne dass der Erzähler eine solche Kritik explizieren müsste. Auch die beiden Belege von ‫ ישׁב‬in V. 12 – auf Redeebene und auf Erzählerebene – dienen einer kritischen Lesersicht: Der Befehl Davids, anstatt zu Joab und den Soldaten zurückzukehren noch in Jerusalem zu bleiben, zielt auf einen Vertuschungsversuch seines Verbrechens. Der „Gehorsam“ Urijas ist nur ein partieller: Zwar bleibt er in Jerusalem, verweigert aber, das eigentliche Ziel Davids zu erfüllen. Alle vier Belege von ‫ ישׁב‬dienen dazu, beim Leser eine davidkritische Haltung zu evozieren. (3) Besonders ausgeprägt ist das narratologische Spiel mit der Trias ‫אכל‬, ‫שׁתה‬ und ‫‚( שׁכב‬essen, trinken, schlafen‘), das dann auch in der Natanrede 2Sam 12 wieder aufgenommen wird (vgl. die Analyse zu 2Sam 12, Kap. 6.2). In 2Sam 11 ist die Trias zweimal komplett ausgeführt: in der Rede Urijas V. 11aδ und auf Erzählerebene V. 13. Die Lesererwartung, dass David sein Ziel, das durch Urija in V. 11 formuliert wird (‫)שׁכב עם־אשׁה‬, in der Handlung von V. 13 zur Erfüllung kommt, wird über längere Zeit aufrechterhalten, und erst am Ende – mit nochmaliger erzählerischer Verzögerung durch ‫ – במשׁכבו‬gebrochen ( ‫שׁכב במשׁכב‬

43

Vgl. die Ausführungen zu ‫ שׁכב‬und ‫בית‬/‫( בית המלך‬2.3.1). Das in V. 8b zweifach verwendete ‫ יצא‬begegnet in der Erzählung noch mit drei weiteren Belegen, die im Zusammenhang mit dem Feldzug stehen: V. 1aα (zur Zeit des Auszugs der Könige); 17aα (Und die Männer der Stadt machten einen Ausfall) und V. 23aγ (Da machten sie einen Ausfall zu uns aufs Feld).

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

156

‫)עם־עבדי אדון‬.44 Dies ist, nach der Erzähleraussage in V. 9a, die zweite Brechung der Lesererwartung, Urija würde mit seiner Frau schlafen. Die lexematische Folge von ‫ שׁכב במשׁכב עם‬verweist auf Davids Vergehen: ‫( ויקם מעל משׁכבו‬V. 2aβ) und insbesondere ‫( ושׁכב עמה‬V. 4aδ). Die Verweigerung Urijas, sich Davids Plan zu fügen, stellt nicht nur Davids Ehebruch, sondern auch dessen Vertuschungsversuch in eine kritische Perspektive. Ort 2aβ E1

[Palast]

4aδ E1

[Palast]

9a E1

[vor dem Palast]

11aδ Und ich E2 sollte in mein Haus kommen, 13 [Palast/ E1 vor dem Palast]

essen, trinken

um zu essen und zu trinken

liegen

mit

Da stand David auf von seinem Lager, ‫ויקם דיד‬ ‫מעל משׁכבו‬ und er [David] mit ihr [Batseba]. lag ‫עמה‬ ‫וישׁכב‬ Und Urija lag mit allen Knechten seines Herrn. ‫וישׁכב אוריה‬ ‫את כל־עבדי אדניו‬ und zu liegen mit meiner Frau?

‫לאכל‬ ‫ולשׁתות‬ und er aß vor ihm, und er trank und er machte ihn betrunken,

‫ולשׁכב‬ ‫עם־אשׁתי‬ (und er ging mit den Knechten hinaus am seines Herrn. Abend,) um zu liegen auf seinem Lager ‫ויאכל לפניו‬ (‫)ויצא בערב‬ ‫עם־עבדי אדניו‬ ‫וישׁת וישׁכרהו‬ ‫לשׁכב במשׁכבו‬

(4) Interessant ist auch die Distribution der relationalen Bezeichnungen ‫ אדון‬und ‫עבד‬, nicht nur in Bezug auf ihr häufiges Vorkommen im Text, sondern auch deshalb, weil für ‫ אדון‬nicht an allen Stellen klar ist, wer damit bezeichnet wird: Joab oder David. Diese Unbestimmtheit ist möglicherweise vom Erzähler intendiert. In der Rede Urijas (11aγ) findet sich der einzige eindeutige – aber implizite – Bezug auf Joab als „Herrn“: Urija ist hier Knecht Joabs. Nicht eindeutig, aber naheliegend ist, dass Joab auch „Herr“ der Knechte ist. Von da aus ergibt sich, dass auch in V. 13bα Joab als deren „Herr“ gilt. Zwischen Urija und David wird erst ein eindeutiges Herren-Knecht-Verhältnis hergestellt, nachdem Urija gestorben ist (24b); dasselbe gilt auch für Soldaten, die ums Leben kommen. Dass erst ab dem Tod Urijas alle Knechte (Urija und die Soldaten) eindeutig als 44

Hier sogar mit ‫ – עם‬im Gegensatz zur Formulierung mit ‫ את‬in V. 9.

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

157

Knechte Davids identifiziert werden, und zwar auf Erzählerebene, in der Rede Joabs und des Boten, hat offensichtlich den narrativen Zweck, David bei seiner Verantwortung zu behaften.

1aβ 1aβ 9aβ 11aγ 11aγ 13bα 17aγ 21bβ 24aα 24aβ 24b

‫ וישׁלח דוד‬Da sandte David ‫ את־יואב‬Joab ‫ואת־עבדיו‬ ‫עמו‬ ‫את כל־עבדי‬ ‫אדניו‬

und seine Knechte mit ihm mit allen Knechten seines Herrn

‫ ואדני יואב‬und mein Herr Joab ‫ ועבדי אדני‬und die Knechte meines Herrn ‫ עם־עבדי‬mit den Knechten ‫ אדניו‬seines Herrn ‫ ויפל‬und es fiel(en) von ‫ מעבדי דוד‬den Knechten Davids ‫ גם עבדך‬auch dein Knecht ‫ אוריה החתי‬Urija, der Hethiter, ‫ מת‬ist tot ‫ ויאו‬es schossen ‫ המוראים‬die Schützen ‫ אל־עבדך‬auf deine Knechte ‫ וימותו‬es starben welche ‫ מעבדי המלך‬von den Knechten des Königs ‫ וגם עבדך‬auch dein Knecht ‫ אוריה החתי‬Urija, der Hethiter, ‫ מת‬ist tot

‫עבד‬

‫אדון‬

Joab

{Davi

Erzählerebene

d ?

Erzählerebene

Soldaten od. Personal? {Urija} Soldaten {Urija} Soldaten {Urija} Soldaten

?

Erzählerebene

Joab ?

Rede Urijas Rede Urijas

?

Erzählerebene

Urija

David Boteninstruktion durch Joab

Soldaten

David Botenbericht an David

Soldaten

David Botenbericht an David

Urija

David Botenbericht an David

Soldaten

David Erzählerebene

(5) ‫ מות‬durchzieht als Leitwort die zweite Hälfte des Erzählabschnittes. Wie bereits unter dem Stichwort der Frequenz ermittelt, wird auf die Ereignisse um den Tod Urijas wiederholt rekurriert. Narratologisch wird Urijas Tod damit besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Der erste Beleg von ‫ מות‬findet sich in Davids Befehl, Urija ums Leben kommen zu lassen (V. 15bγδ). Auf Erzählerebene begegnet der zweite Beleg als Ausführungsbericht des Befehls (V. 17b). Die folgenden vier Belege für ‫ מות‬stehen in dem Teil, der, wie die Überlegungen zum Botengangschema und zur Frequenz ergeben haben, mit breitester Ausführlichkeit gestaltet ist, und zwar zweimal in der von Joab präfigurierten Botenrede (21aγ.bβ), zweimal in der eigentlichen Botenrede (24aβ.b), wobei sich

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

158

jeweils einer der Belege direkt auf Urijas Tod bezieht.45 Die häufige Erwähnung des Todes Urijas, durch welche die Dramatik herausgestrichen wird, steht in scharfem Kontrast zur Kommentierung durch David (Lass diese Sache nicht böse sein in deinen Augen, denn so und so frisst das Schwert; vgl. die Ausführungen zu den drei darin enthaltenen Phrasemen). Während Davids Reaktion auf die Botschaft von Urijas Tod deutlich negativ zu werten ist, zeigt V. 26a auf Erzählerebene eine angemessene Reaktion Batsebas auf die Botschaft vom Tod ihres Mannes. Wie Batseba die Reinigungsvorschriften eingehalten hatte (V. 2aδ.4aε), hält sie auch die Totenklage. 15bγδ 17b 21aγ

‫ ונכה ומת‬dass er erschlagen wird und stirbt ‫ וימת גם אוריה החתי‬und es starb auch Urija der Hethiter. ‫ מי הכה אבימלך‬Wer schlug Abimelech (…) ‫ )…( וית בתבץ‬so dass er starb in Tebez?!

21bβ

‫ גם עבדך‬Auch dein Knecht ‫ אוריה החתי מת‬Urija, der Hethiter, ist tot.

24aβ

‫ מעבדי המלך וימותו‬Und es starben welche von den Knechten des Königs, ‫ וגם עבדך אוריה‬und auch dein Knecht ‫ החתי מת‬Urija, der Hethiter, ist tot. ‫ אשׁת אוריה ותשׁמע‬Und die Frau Urijas hörte, ‫ כי־מת אוריה אישׁה‬dass Urija, ihr Mann tot war.

24b 26a

Befehl Davids Erzählerebene durch Joab präfigurierte Davidrede durch Joab präfigurierte Botenrede Botenrede Botenrede Erzählerebene

Während für den ersten Hauptteil des Erzählstranges ‫ ירד‬und ‫ בית‬die bestimmenden Lexeme waren, ist es für den zweiten Hauptteil ‫מות‬. Sowohl ‫ירד‬/‫ בית‬als auch ‫ מות‬nehmen ihren Ausgang bei einem Befehl Davids. Der erste der Befehle erging an Urija ‫רד לביתך‬. Urija jedoch weigert sich sowohl durch sein Handeln als auch verbal dagegen, dem Folge zu leisten. Der zweite Befehl geht an Joab. Joab gehorcht und führt den Befehl Davids aus. Urija ist damit tragische Figur. Indem er sich weigert, aus Loyalität zu seinem Herrn Joab einen Befehl Davids auszuführen, wird er gerade durch diesen in den Tod geschickt; Drahtzieher hinter allem bleibt David. (6) Von den weiteren lexematischen und semantischen Bezügen seien in aller gebotenen Kürze noch folgende genannt: Auf das ‫( לקח‬einnehmen) in V. 4 wird mehrmals in Kap. 12 Bezug genommen (vgl. die Analyse zu 2Sam 12, Kap. 6.2).46 Der lexematische Bezug von ‫ רחץ‬zwischen V. 2aδ (er sah eine Frau, die sich gerade wusch) und V. 8aγ (wasche deine Füße) wird ergänzt 45 46

Zur Wirkung des Abimelechbeispiels vgl. die Ausführungen zu ‫ הלוא‬und ‫מדוע‬, 2.3.2. Vgl. zum Spiel mit diesem Lexem auch Naumann, David, 72: „Das hebr. Verb laqaḥ gewinnt hier echte Leitwortfunktion, weil es verschiedene Szenen auf eine hintergründige Weise verbindet.“

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

159

durch den semantischen Bezug in V. 4aε (sie aber reinigte sich gerade von ihrer Unreinheit; ‫ קדשׁ‬hitp.); vgl. 5.2.3.2. Auffällig ist auch die zweimalige Verwendung von ‫חזק‬47 (V. 25). Zu ‫ הלוא‬und ‫ מדוע‬vgl. den folgenden Abschnitt 5.2.3.2.

5.2.3.2 Phraseologische Wendungen und Phraseoschablonen Zu den poetologischen Merkmalen in Lexematik und Semantik des Erzählabschnittes 2Sam 11 gehört maßgeblich auch die sog. uneigentliche Redeweise. Mit diesem Begriff wird das sprachliche Phänomen gefasst, dass ein Sachverhalt verkürzt, idiomatisch oder metaphorisch zum Ausdruck gebracht werden kann. Viele Fälle uneigentlicher Redeweise werden vom Hörer/Leser nicht bewusst wahrgenommen. Die Unschärfe, die aus der Differenz zwischen der Form des Ausdrucks zu dessen Funktion entsteht, fordert in besonderer Weise zu semantischen Überlegungen heraus.48 Zu uneigentlicher Rede zählt insbesondere der Bereich der „Phraseologie“. Ein „Phraseologismus“ ist nach Wolfgang Fleischer49 das semantisch-syntaktische Gefüge von Wortgruppen, das sich durch bestimmte Eigenschaften von freien Wortverbindungen und Sätzen abgrenzt. Zu diesen Eigenschaften einer phraseologischen Wortgruppe gehört: a) sie weist sprachliche Stabilität auf (d. h. sie kommt nicht nur singulär vor) und ist damit reproduzierbar, b) ihre Einzelelemente können nicht ohne Sinnänderung durch andere Lexeme ersetzt werden, jedoch ist das Gefüge als Gesamtes paradigmatisch (d. h. lexematisch) ersetzbar, c) sie enthält in der Regel ein metaphores Element.50 Fleischer rechnet 47

48

49

50

Hi. Verstärke den Kampf!; pi. So stärke ihn! Bereits V. 15 adjektivisch bezogen auf den Kampf. Eine auffällige Häufung von ‫ חזק‬in Joabs Kampfinstruktionen an Abischai Kap. 10,11f. (4 Belege) und in Bezug auf Amnon Kap. 13,11.14 (Amnon ermächtigt sich der Tamar) und V. 28 (Abschaloms Diener sollen für den Amnonmord erstarken). Wenn sog. uneigentliche Redeweise hier gesondert behandelt wird, soll nicht der Eindruck vermittelt werden, als ginge es dabei um einen Ausnahmefall sprachlicher Darstellung. Im Gegenteil, es begegnet sehr häufig, dass Sachverhalte sprachlich nicht direkt ausgesagt werden, sondern indirekt erschlossen werden müssen. Zur Beschreibung und Bestimmung von „Phraseologie“ der deutschen Sprache ist noch immer grundlegend das wegweisende Werk von Wolfgang Fleischer, Phraseologie; vgl. für die folgenden definitorischen Ausführungen bes. S. 34f. Der Phraseologiebegriff Fleischers ist sowohl enger als auch präziser und damit brauchbarer als der des Linguisten Jarmo Korhonen; er rechnet auf der einen Seite sprichwörtliche Redensarten zu den Phraseologismen, auf der anderen Seite schließt er „präpositionale Phraseologismen“ mit ein, wie etwa von – an, um – willen, in Anbetracht, mit Hilfe von oder korrelative Konjunktionen wie entweder – oder oder sowohl – als auch (Mitschrift des Vortrags von Korhonen Typlogie der Phraseologismen am 14.7.1997 an der Universität Augsburg). – Der hier zugrunde gelegte Begriff von „Phraseologie/Phraseologismus“ unterscheidet sich deutlich vom Gebrauch des Begriffes, wie er sich wiederholt bei Christof Hardmeier findet, dahingehend, dass dieser bei Hardmeier vorwiegend auf einen (autoren-)stilbestimmenden lexematischen Gebrauch bezogen ist; vgl. z. B. Hardmeier, Geschichten, 16. Vgl. Fleischer, Phraseologie, 34f. – Diese (etymologisch diachron erklärbaren) metaphoren Elemente sind dem Sprachbenutzer auch synchron noch unmittelbar zugänglich, wenngleich mit einem häufigeren Gebrauch die Metaphorizität des Phraseologismus eine Reduktion dahingehend erfährt, dass sie kaum noch

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

160

zu den Phraseologismen in der deutschen Sprache folgende Untergruppen: (1.) Phraseolexeme mit Wortgruppenstruktur (Phraseme/Idiome/idiomatische Wendungen), die in irgendeiner Weise einen Idiomatisierungsprozess durchgemacht haben (z. B. „das Weite suchen“). (2.) kommunikative Formeln (Satzidiome/festgeprägte Sätze), so etwa in Grußformeln oder Gesprächssteuerungsformeln (z. B. „Grüß Gott!“), (3.) nicht-idiomatisierte Nominationsstereotypen, die in bestimmten Textsorten in weitgehend stabil fixierter Wortkombination begegnen (z. B. „böser Wolf“), und schließlich (4.) Phraseoschablonen, bei denen die Aussage – entgegen der syntaktischen Norm und anders als in der gewöhnlichen lexikalischen Besetzung – in erster Linie in der strukturellen Schablone steckt (hier gibt gelegentlich die Intonation Hinweise, z. B. „Du und ein Germanist?“); hierzu zählt als Sonderfall im Deutschen das Funktionsverbgefüge (z. B. „etwas zur Ausführung bringen“). Die Prinzipien, die Fleischer im Bereich der Germanistik ermittelt hat, sind auf das Hebräische anwendbar. Die Ermittlung von hebräischen Phraseologismen und deren semantische Bestimmung ist deshalb nicht einfach, weil die Differenz von Form und Funktion, die zu den wesentlichen Kennzeichen der Mehrzahl der Phraseologismen gehört, zwar zum Wissensbestand des Muttersprachlers gehört, bei sekundär erworbenen Sprachen aber jeweils erschlossen werden muss.51 Beispiele phraseologischer Redeweise in 2Sam 11 sind folgende: (1)

(2) (3) (4) (5) (6) (7) (8)

51

3bβ 10bβ 20bβ 21aβ 10bγ 20aδ 7b

(…) ‫ הלוא‬Das ist doch (…)! Du hast doch (…)! Ihr wisst doch (…)! Es war doch (…)! (…) ‫ מדוע‬Wärst du doch (…) Hättet ihr doch nicht (…)! ‫ שׁלים‬das Wohlergehen ‫ המלחמה‬des Krieges 8aγ ‫ רחץ רגליו‬seine Füße waschen 11b ‫ חיך וחי נפשׁך‬Bei deinem Leben! ‫ אם־אעשׂה‬Ganz bestimmt werde ich das nicht tun! 20aβ ‫ עלה חמה‬Zorn steigt auf 25aγ/2 ‫ )לא( ירע‬böse sein/nicht böse sein 7b ‫ בעיני‬in jemandes Augen 25aδ ‫ כזה וכזה‬so und so 25aδ ‫ אכל החרב‬das Schwert frisst

Phraseoschablone

Nominationsstereotype Phraseolexem Phraseoschablone Phraseolexem Phraseolexem Phraseoschablone Phraseolexem

wahrgenommen wird. (Gerade Phraseologismen geben übrigens diachron oft wertvolle Hinweise auf die „Welt“, etwa auf kulturelle Vorstellungen oder Bildwelten des Sprachraums, weil die Stabilität der Phraseologismen „altes Gut“ länger transportiert als die übliche Lexematik der Sprache.) Eine Möglichkeit, der Bedeutung auf die Spur zu kommen, ist der Vergleich mit analogen Formulierungen und deren Kontexten. Durch das eingeschränkte Material sind dem Grenzen gesetzt.

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

161

Zunächst betrachten wir ‫ הלוא‬und ‫ מדוע‬als Einleitung einer Phraseoschablone, die eine vorwurfsvolle Aussage bildet. Dass es Fälle gibt, in der zwar formal eine Frage eingeleitet wird, es sich aber funktional um eine Aussage handelt, wurde schon lange vor dem Aufkommen sprachpragmatischer Forschung gesehen.52 Bei genauer Analyse erweist sich dies für syntaktische Kombinationen mit ‫הלוא‬ sogar als die Regel.53 Satzgefüge, die mit der Verbindung der Lexeme ‫( ה‬Fragepartikel) und ‫( לא‬Verneinung) eingeleitet sind, folgen einer Phraseoschablone, die so fungiert, dass auf den Präsuppositions- oder Explikationsgehalt der (vordergründigen) Frage als auf einen als bekannt vorauszusetzenden Sachverhalt rekurriert wird. Dabei wird der beinhalteten Aussage nicht nur Nachdruck verliehen; in sprachpragmatischer Hinsicht konnotiert sie auch einen vorwurfsvollen Unterton. In unserem Abschnitt begegnen insgesamt vier Belege dieser Phraseoschablone: in V. 3bβ, 10bβ, 20bβ, 21aβ (Tab. nächste Seite). Ähnliches gilt für Sätze, die mit ‫( מדוע‬bzw. ‫ )למה‬eingeleitet werden.54 Nicht selten geht es bei solchen in sprachpragmatischer Hinsicht um einen Vorwurf, eine bestimmte Handlung unterlassen zu haben, die vollzogen hätte werden sollen (bei verneinter Aussage in der formalen Frage), oder sie getan zu haben, wo sie hätte unterlassen werden sollen (bei positiver Aussage der formalen Frage). In 2Sam. 11f. finden sich vier Belege für diese Phraseoschablone (zweimal mit ‫מדוע‬, einmal mit ‫למה‬, drei davon in Kap. 11 (Tab. nächste Seite). 52

53

54

So Gesenius/Kautzsch, 497 mit Beispielen zu ‫הלוא‬: „[Es gibt] einige Stellen, in denen die Frageform durchaus vom deutschen Sprachgebrauch abweicht, indem sie lediglich zum Ausdruck der Überzeugung dient, dass der Inhalt der betr. Aussage dem andern wohl bekannt ist u. unbedingt von ihm angenommen wird“ und mit Beispielen zu ‫למה‬: „Sehr häufig sind auch Fragesätze mit ‫’למּה‬, die streng genommen eine Versicherung enthalten und zur Begründung einer Bitte oder Abmahnung dienen sollen.“ Einige wenige weitere Beispiele zur Illustration: Da sagte Israel zu Joseph: Weiden nicht deine Brüder bei Sichem?/Deine Brüder weiden doch [wie du weißt] in Sichem! (‫הלוא‬ ‫ )אחיך רעים בשׁכם‬Komm, ich will dich zu ihnen senden! (Gen 37,13). – Da sagten sie [die Gefangenen] zu ihm [Joseph]: Wir haben einen Traum gehabt, aber es gibt keinen, der ihn deute. Da sagte Joseph zu ihnen: Sind die Deutungen nicht Gottes Sache?/Die Deutungen sind doch Gottes Sache [wie jeder wissen müsste]! (‫)הלוא לאלהים פתרנים‬ Erzählt mir doch! (Gen 40,8) – Und sie [die 50 Männer] kehrten zu ihm [Elisa] zurück, als er sich noch in Jericho aufhielt. Da sagte er zu ihnen: Hatte ich euch nicht gesagt: Geht nicht hin?/Ich hatte euch doch gesagt [wie ihr wisst!]: Geht nicht hin! (‫אליכם אל תלכו‬ ‫( )הלוא אמרתי‬2Reg 2,18). – Auch H.A. Brongers kommt in seiner Untersuchung zur Verwendung von ‫ הלוא‬im AT zu dem Ergebnis, dass die vermeintlichen Fragen als Aussagen zu deuten seien. Hierzu führt er auch die Beobachtung an, dass niemals mit ‫שׁאל‬, sondern meistens mit ‫ אמר‬bzw. ‫ קרא‬eingeleitet wird (vgl. Brongers, halō’, 189). Die Frageform erklärt er mit einer Schamorientierung der Kultur; zwar werde der jeweilige Sachverhalt angesprochen, doch sei die Frageform höflicher und weniger beschämend als eine direkte Aussage: „In the oriental way of thinking in colloquial speech one must avoid any statement that may possibly offend the partner. Hence the remarkable phenomenon that in cases where the partner is supposed to be fully aware of the positive content of the statement this is nevertheless preceded by the interrogative particle.” (Brongers halō’, 178). Vgl. auch die Bemerkung zu ‫ למה‬bei Gesenius/Kautzsch, Anm. oben. Einige wenige Beispiele für Vorwürfe, die mit ‫ מדוע‬eingeleitet werden: Ex 18,14; Num 12,8; Jdc 11,7; 2Sam 3,7; 1Reg 1,6.

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

162 3bβ

in der Rede des Boten in der Rede Davids

‫ הלוא־זאת בת־שׁבע‬Das ist doch Batseba!

10bβ 20bβ 21aβ

10bγ 20aδ 21aδ 12,9

‫ הלוא מדרך אתה בא‬Du hast doch einen langen Weg hinter dir! ‫ הלוא ידעתם את אשׁר־ירו‬Ihr wisst doch, dass sie (…) herabschießen! ‫ הלוא־אשׁה‬Es war doch eine Frau, ‫ השׁליכה עליו פלח רכב‬die einen Mühlstein auf ihn warf!

in der durch Joab präfigurierten Botenrede

‫ מדוע לא־ירדת אל־ביתו‬Wärst du doch hinabgegangen in dein Haus! ‫ מדוע נגשׁ אל־העיר‬Hättet ihr euch doch nicht der Stadt genähert! ‫ למה נגשׁ אל־החומה‬Hättet ihr euch doch nicht der Mauer genähert ‫ מדוע בזית את־דבר‬Hättest du doch das ‫ יהוה‬Wort JHWHs nicht verachtet!

David zu Urija David zum Boten in Joabs präfigurierter Davidrede JHWH zu David

Die Häufung der beiden Phraseoschablonen in 2Sam 11(f.) und dem eng verbundenen Text 1Reg 1f. ist signifikant: Von den acht Belegen für ‫ מדוע‬im Bereich der sog. TFG finden sich drei in 2Sam 11f. und zwei in 1Reg 1f.; von den 13 Belegen für ‫ הלוא‬vier in 2Sam 11f. und drei in 1Reg 1,13.55 Für eine Analyse sei bei den jeweils letzten beiden Belegen für die Phraseoschablonen mit ‫ הלוא‬und ‫ )למה( מדוע‬in Kap. 11 begonnen. Deren vorwurfsvoller Ton ist insofern unmittelbar erkennbar, als die Belege sich in der von Joab präfigurierten Reaktion Davids auf den Kriegsbericht des Boten, die von vornherein als Zornreaktion Davids – das einzig explizierte Gefühl in 2Sam 11! – gekennzeichnet ist, beziehen. Die beiden mit ‫ הלוא‬eingeleiteten (von Joab selbst „konzipierten“) Vorwürfe gegen Joab zielen darauf, dass es zu einem allgemein bekannten Grundwissen der Kampfführung gehört, einer Stadt bzw. deren Mauer nicht zu nahe zu kommen, um die eigenen Soldaten nicht zu gefährden.56 Dies ist nur präsupponiert, nicht expliziert. Die mit ‫ למה‬und ‫מדוע‬ 55

56

Die Belege im Einzelnen: TFG gesamt 2Sam 11f. ‫ הלוא‬13 Belege 11,3.10.20.21 ‫ מדוע‬8 Belege 11,10.20.; 12,9

1Reg 1f. 1,11.13; 2,42 1,6; 1,41

Sonst. 13,4.28; 16,19; 19,14.23 13,4; 16,10; 19,42

V. 20 in der Übersetzung von Brongers: “You must have known there would be shooting from the wall”, 180.

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

163

beginnenden Vorwürfe zielen auf das Verhalten, das nach Davids Sicht aus dem in den ‫הלוא‬-Sätzen vorausgesetzten Wissen selbstverständlich resultieren hätte sollen. Die zweimal zwei Aussagen korrelieren einander nicht nur inhaltlich, sie sind auch strukturell – in chiastischer Anordnung – aufeinander bezogen: 20aδ

Hättet ihr euch doch nicht zum Kampf der Stadt genähert! 20bαβ Ihr wisst doch, dass von der ‫ירה‬ Mauer herabgeschossen wird! 21aα Wer erschlug Abimelech, ‫נכה‬ den Sohn Jerubbesheths? 21aβ Es war doch eine Frau ‫שׁלך‬ die einen Mühlstein auf ihn warf (!‫)אשׁה‬ von der Mauer herab, 21aγ so dass er starb in Tebez! ‫מות‬ 21aδ Hättet ihr euch doch nicht der Mauer genähert!

‫נגשׁ אל־העיר‬

‫מדוע‬

‫מעל החומה‬

‫הלוא‬ ‫מי‬

‫מעל החומה‬

‫הלוא‬

‫נגשׁ אל־החומה‬

‫למה‬

An dieser Stelle sind Anmerkungen zu dem sprachlichen Mittel der Mise-enAbyme angeraten. Im Zentrum der chiastischen Anordnung steht die rhetorische Frage, wer (‫ )מי‬den Tod des Abimelech verursachte, die sogleich beantwortet wird: Es war eine Frau (‫)אשׁה‬. Das Handeln der Frau wird mit den Verben ‫נכה‬ und ‫ שׁלך‬beschrieben (als Vergleichspunkte zum ‫ ירה‬der Bogenschützen), deren Folge der Tod Abimelechs (‫ )מות‬ist. Wenngleich die Frau gewaltsam den Tod herbeiführt und damit Unglücksbringerin ist, wird die Schuld dem zugeschrieben, der sich fahrlässig einer Gefahr ausgesetzt hat, die er unter allen Umständen hätte meiden müssen. So fungiert also die Referenz auf die Abimelech-Erzählung in Joabs Rede als Erzählung in der Erzählung, als Mise-en-Abyme57 mit interpretatorischem Moment für die Haupthandlung: Auch David hätte, anstatt durch unvernünftiges Handeln sich in Gefahr zu bringen, sich Batseba fernhalten sollen, um nicht durch sie zu Fall zu kommen. Dass dieser Bezug zum Handlungsstrang gewollt ist, zeigen auch weitere Anspielungen auf den Kapitelanfang.58 Die Kombination dieser beiden Phraseoschablonen begegnet auch in 10bβγ. Auch hier geht es nicht etwa um eine schlichte Frage, die etwa in der Sicht des Lesers als rhetorische Frage erkannt werden könne, nicht jedoch von Urija – im Gegenteil: Auch Urija kann den vorwurfsvollen Unterton der Phraseoschablone empfinden: 57 58

Vgl. hierzu die Ausführungen bei Polzin, David 37f. und Ska, Our Fathers, 47-53. So etwa das zweimalige ‫( מעל החומה‬V. 20f.), das dem ‫על־גג‬/‫ מעל הגג‬von V. 2 korrespondiert. Sodann der Gegensatz von oben und unten, wobei David auf dem Dach und Batseba unterhalb, die Frau auf der Mauer und Abimelech unterhalb ist. (Solcherlei chiastische Bezüge finden sich auch im Vergleich der Natanparabel mit seiner „Sachhälfte“; vgl. die Ausführungen hierzu.) ‫ נגשׁ אל‬begegnet in Ex 19,5 in der Bedeutung ‚sich einer Frau geschlechtlich nähern‘; so ist eine sexuelle Konnotation in 20aδ.21aδ jedenfalls nicht ausgeschlossen.

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

164 10bβ 10bγ

‫ הלוא מדרך אתה בא‬Du hast doch einen langen Weg hinter dir! ‫ מדוע לא־רדת אל־ביתו‬Wärst du doch hinabgegangen in dein Haus!

David zu Urija

Der Vorwurf Davids und die scharfe Entgegnung Urijas (siehe hierzu unten) machen deutlich, dass hier eine offene Konfliktsituation vorliegt. Urija konfrontiert David also nicht nur mit seiner faktischen Weigerung, der Aufforderung Davids, nach Hause zu gehen, nachzukommen, sondern auch mit einer ausgesprochenen Verweigerung. Wirft man von hier aus einen Blick auf den ersten Beleg der ‫הלוא‬Phraseoschablone in V. 3, so bringt dies Licht in die Diskussion um die sich aus erzählerischer Unschärfe ergebende Frage, wer denn die Aussage in 3bβ mache, etwa ein (unerwähnter) Bote59 oder David selbst. Der Text expliziert das sprechende Subjekt nicht: 3aα 3aβ 3bα 3bβ

Und David sandte und erkundigte sich nach der Frau, und er [man/der Bote oder David?] sagte: Ist diese nicht Batseba?/Das ist doch Batseba!

Indem in unserer Deutung die Phraseoschablone als (verwunderte) Aussage fungiert, muss es sich um einen Botenbericht handeln, der David eine Kunde übermittelt, die diesem eigentlich bekannt hätte sein sollen.60 Damit ist David auch unmissverständlich ins Bild gesetzt, dass es sich um eine verheiratete Frau handelt. Indem er sie dann holen lässt, wird sein Handeln deutlich mit dem Normenkodex, auf den die Aussage rekurriert, kontrastiert. Betrachten wir auf einer höheren Warte noch einmal das Spiel mit der Lesererwartung, das der Gebrauch der beiden Phraseoschablonen indiziert. In V. 20 und V. 21 korrelieren die beiden Phraseoschablonen (doppelt durchgeführt) dahingehend, dass jeweils das konkret vorgeworfene Fehlverhalten (‫למה‬/‫מדוע‬-Schablone) durch Befolgen der Kenntnis einer Selbstverständlichkeit (‫הלוא‬-Schablone) hätte verhindert werden können: Weil der Feind von der Mauer Wurfgeschosse und Mühlsteine werfen kann, hat man sich der Mauer fernzuhalten. Analog funktioniert auch der Vorwurf Davids an Urija in V. 10: Wer von einer weiten Reise kommt, geht selbstverständlich nach Hause. Durch die narratologische Parallelisierung der beiden ersten ‫הלוא‬Phraseoschablonen ergibt sich eine zuspitzende Kontrastierung der jeweiligen Verhaltensreaktion, wobei jede dieser Reaktionen wiederum der eigentlich zu erwartenden Reaktion entgegenläuft:

59

60

Die beiden Möglichkeiten, die Stoebe, II Samuelis, 280, nennt (unpersönliche Übersetzung versus Bezug auf das „selbstverständlich fortgelassene Objekt“ zu ‫)וישׁלח‬ sind keine wirklichen Alternativen. So auch ebd.; er nennt es, mit Verweis auf Brongers (bei diesem keine eigene Übersetzung hierzu), einen „Ausdruck der Verwunderung und Überzeugung, daß die Sache eigentlich bekannt sein müßte“.

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba Bote zu David:

Lesererwartung:

Das ist doch Batseba (…), die Frau Urijas!

David lässt ab, da es sich um eine verheiratete Frau handelt.

David zu Urija: Lesererwartung: Du hast doch einen Urija genießt die häuslangen Weg hinter dir! lichen Annehmlichkeiten, weil er eine weite Reise hinter sich hat.

165 Erzählerbericht über Davids Verhalten: Und David sandte Boten, und er nahm sie (…) und er schlief mit ihr. Urija zu David: Ich sollte in mein Haus kommen, um (…) mit meiner Frau zu schlafen? Ganz gewiss werde ich dies nicht tun!

Während zu erwarten wäre, dass David von seinem Vorhaben ablässt, als er von Batsebas ehelicher Bindung erfährt, David aber dennoch Ehebruch begeht, wäre zu erwarten, dass Urija nach der langen Reise die häuslichen Annehmlichkeiten bei seiner eigenen Frau in Anspruch nimmt, der dies jedoch verweigert. In dieser durch die Phraseoschablone (…) ‫ הלוא‬bewirkten Gegenüberstellung tritt Urijas Verhalten als besonders konsequent (und edel?), Davids Verhalten als besonders niederträchtig hervor. Strukturell fällt die ‫הלוא‬-Aussage in 3bβ insofern aus dem Rahmen, als ihr die ‫מדוע‬-Ergänzung fehlt: Was also (‫)מדוע‬, wenn Batseba verheiratet ist (‫?)הלוא‬ Hier weiß der implizierte Leser aufgrund seines Verhaltenskodex die Antwort. Zur besonderen erzählerischen Raffinesse gehört es, dass genau auf diesen Verhaltenskodex explizit rekurriert wird – und zwar in einer „nachgeschobenen“ ‫מדוע‬-Aussage in der JHWH-Rede 12,9: Hättest du doch das Wort JHWHs nicht verachtet! Alle Belege der beiden Phraseoschablonen werden dazu eingesetzt, David kritisch zu beleuchten. (2) In einem zweiten Druchgang soll nun die Nominationsstereotype das Wohl-

ergehen des Krieges betrachtet werden. Im Erzählerbericht erscheint die triadische Nachfrage Davids nach dem Wohlergehen Joabs, des Volkes und des Krieges (V. 7b): ‫וישׁלח דוד‬ ‫לשׁלום יואב‬ ‫ולשׁלום העם‬ ‫ולשׁלום המלחמה‬

David fragte nach dem Wohlergehen Joabs, dem Wohlergehen des Volkes und dem Wohlergehen des Krieges.

Im Gegensatz zur Frage nach dem ‫ שׁלום‬von Personen, die auch andernorts begegnet (z. B. Gen 37,14 – dort auch nach dem ‫ שׁלום‬von Tieren; 1Sam 17,18; Esth 2,11), ist die Formulierung ‫ שׁלום המלחמה‬nicht nur ungewöhnlich, sondern auch singulär im AT; d. h. es gibt für deren nähere Beschreibung kein direktes

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Vergleichsmaterial. Während in 1Reg 20,18 oder Koh 3,8 ‫ שׁלום‬und ‫ מלחמה‬ausdrücklich in einen Gegensatz gestellt sind, verwundert die Zusammenbindung der beiden Lexeme zu einem Ausdruck. Die Frage, die sich hieraus ergibt, ist die, ob es sich hier um die Aufnahme einer gebräuchlichen Formulierung handelt, d. h. um eine reproduzierbare Wortverbindung, oder ob es sich um ein singuläres Wortspiel handelt, das etwa mit einem ironischen Unterton behaftet sei. Nun gibt es innerhalb des Erzählstrangs keinerlei Anhalt für eine Ironisierung des Kriegsgeschehens an sich. Ungeachtet einer Entscheidung für eine (m. E. wahrscheinliche) phraseologische Nominationsstereotype oder für eine (ironische) Sonderfügung hat die Formulierung im Rahmen der Trias die Funktion, David als besonders interessiert am Wohlergehen anderer zu zeigen. Dieses Interesse jedoch erweist sich insofern als nur vordergründig, indem der Leser – obwohl Davids tatsächliches Anliegen nirgends expliziert ist – weiß, dass es David hintergründig um seine eigenen Interessen, und nicht die anderer, geht. Insofern ironisiert die Trias insgesamt Davids geschildertes Verhalten. (3) In V. 8aγ fordert David Urija – mit einem Phraseoloexem – auf: Wasche deine Füße! Obwohl der Bezug auf den langen Weg (10bβ) (auch) eine wörtliche Bedeutung des Ausdrucks aufruft, steht der Ausdruck seine Füße waschen metonymisch für ‚Annehmlichkeiten genießen‘. Zu diskutieren ist, welche semantische Breite darin enthalten ist. In den Auslegungen zur Stelle werden Bedeutungen ermittelt, die von ‚Erfrische dich!‘/‚Mach es dir bequem!‘ bis zur direkten Aufforderung ‚Schlafe mit deiner Frau!‘61 Nachdem an der semantischen Bestimmung dieser phraseologischen Wendung unterschiedliche Deutungen von Davids Aufforderung und Urijas anschließendem Verhalten liegt, muss die Aussage genauer in den Blick genommen werden: Vergleicht man den zweiteiligen Befehl Davids in 8aβγ mit dem Ausschnitt aus der Begründung Urijas, weshalb er nicht in sein Haus gegangen ist, entsprechen sich die beiden Teile folgendermaßen: Befehl Davids 8aβγ Rede Urijas 11aδ ‫רד לביתך‬ ‫אבוא אל־ביתי‬ Geh in dein Haus Ich sollte in mein Haus kommen ‫ורחץ רגליך‬ ‫לאכל ולשׁתות ולשׁכב עם־אשׁתי‬ und wasche deine Füße! um zu essen, zu trinken und mit meiner Frau zu schlafen? Indem Urijas Aussage direkt auf Davids Aufforderung bezogen wird, oder mit Verweis auf die mögliche Dual-Bedeutung ‚die Scham‘ für ‫רגלים‬62, schlie61 62

Ersteres z. B.: Budde, Smith, 318, Hertzberg, 254, Letzteres Isaac Abrabanel; Simon 1967:214??; Brüggemann, 274. So deutlich in Ex 4,25 (Mose als „Blutbräutigam“) und vermutlich Jes 6,2 (Serafim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel: […] mit zweien deckten sie ihre Füße ‫)רגליו‬. Ferner bezeichnet ‫( שׂער הרגלים‬Jes 7,20) u.U. das Schamhaar. Zwar sexuell konnotiert, aber nicht notwendig auf die Scham bezogen, ist die Formulierung ‫פשׂק את־‬ ‫‚( רגלים‬die Füße/Beine spreizen‘) in Hes. 16,25. Deutlich hingegen die Formulierungen

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

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ßen einige, dass ‫ רחץ רגליך‬als direkte Aufforderung zum ehelichen Verkehr zu verstehen sei. Nun zeigt aber eine Untersuchung der übrigen atl. Belege, dass der phraseologische Gebrauch der Wendung an keiner Stelle des AT eine sexuelle Konnotation aufweist, hingegen aber in der Regel mit Essen, Ruhen – insgesamt mit Gastfreundschaft63 – verbunden ist (so Gen 18,4; 19,2; 24,32; 43,24; Ri 19,21).64 So gehört essen und trinken zum direkten semantischen Feld des Phraseolexems die Füße waschen; nicht aber mit seiner Frau schlafen. Von diesem allgemeinen Befund ausgehend erweist sich ebendieser Ausdruck im Munde Urijas als überraschender Überschuss. Aufgrund dieses Befundes gibt es - auf Ebene der handelnden Personen – zwei Möglichkeiten der Interpretation: Entweder nennt Urija das ‫שׁכב עם אשׁה‬ unbedarft als weiteres Beispiel häuslichen Wohlergehens, oder aber er spielt hier wissentlich an auf Davids Ehebruch, was bedeuten würde, dass es sich um eine implizite Kritik an David handelt. Letzterem neige ich zu. Diese Alternativen verschwimmen allerdings auf Erzählerebene insofern wieder, als dass lexematisch-semantische Spiel Teil der Figurenpositionierung des Erzählers ist. In der Leserperspektive also ist die Anspielung auf Davids Ehebruch in jedem Fall eindeutig, unabhängig von der Frage, ob Urija naiv oder informiert ist; auf Erzählerebene befindet sich hier also deutliche Kritik an David. Dies gilt im Übrigen auch schon für E2: Ungeachtet der Frage, aus welcher Motivation Urija argumentiert, er stellt sich in jedem Fall gegen Davids ausdrücklicher Aufforderung, in sein Haus zu gehen. (4) In der Rede Urijas findet sich der Schwursatz: So wahr du lebst! Ganz bestimmt werde ich dies nicht tun! (‫)וחי נפשׁך אם אעשׂה את־הדבר הזה חיך‬. Es handelt sich hierbei um eine Phraseoschablone, die noch genauerer Untersuchung bedarf.65 Dieser Schwursatz ist phraseologisch und folgt der Phraseoschablone

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‫‚ מימי רגלַיִ ם‬Urin‘ in Jes 36,12 und – die Rede ist von der Nachgeburt – ‫ מבין רגליה‬in Dtn 28,57. Bei der Wendung ‫ סכך( הסך רגלים‬hi. ‚bedecken‘) in Jdc 3,24 und 1Sam 24,4, die nach allgemeiner Vermutung ‚seine Notdurft verrichten‘ bedeutet, handelt es sich um ein gänzlich anderes Phraseolexem. Auch einem Verweis auf eine etwaige sexuelle Konnotation von ‫ רגלות‬in Ruth 3,4.7 steht der Befund des sonstigen Gebrauchs des Phraseolexems unserer Stelle entgegen. Vgl. hierzu unten. Interessant ist besonders ein Vergleich unseres Erzählstranges mit der Textumgebung von Gen 43,24, weil in der erzählerischen Ausführung auch die Frage nach Wohlergehen (des Vaters) (vgl. 7b) und das Berauschen beim Gastmahl (vgl. V. 13) begegnet. In Ex 30,19.21 und 40,31 finden sich drei Belege nicht-phraseologischen, d. h. lexematischen Gebrauchs vom (kultischen) Waschen der Füße im priesterlichen Dienst. Auch dem Beleg Cant 5,3 (Mein Kleid habe ich ausgezogen, sollte ich es wieder anziehen? Meine Füße habe ich gewaschen, sollte ich sie wieder schmutzig machen?) liegt der Literalsinn der Aussage zugrunde: Die Geliebte würde erneut ihre Füße beschmutzen, wenn sie die Tür öffnen und auf die Straße treten würde. – In der Aussage Abigails in 1Sam 25,41 (Siehe, deine Magd ist bereit, den Knechten meines Herrn zu dienen und ihnen die Füße zu waschen.) handelt es sich um einen Phraseologismus, der in Parallele zum Dienen steht, aber in der nächsten Textumgebung nicht näher bestimmt wird. Zum Schwur im AT und dessen verschiedene Elemente vgl. die ausführliche Studie von Johannes Klein, Beschworene Selbstverpflichtung. Klein schwankt in der Einschätzung unserer Stelle: S. 230 Anm. 472 meldet er Zweifel an, ob es sich hier tatsächlich um

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von bedingten Selbstverfluchungen, deren Langform drei Hauptelemente zeigt: 1.) eine Beteuerungsformel, in der eine bedeutende Gewährsperson genannt wird, in deren Interesse auch der später genannte Schwurinhalt steht (so wahr ich lebe, so wahr JHWH lebt, so wahr der Pharao lebt), 2.) eine bedingte Selbstverfluchung/Selbstverwünschung (Gott tue mir dies und das), und 3.) den?? Inhalt des Schwures (oft eingeleitet mit ‫אם‬/‫)אם לא‬. Die Phraseoschablone der bedingten Selbstverfluchung benötigt aber nicht alle drei Elemente der Langform, um ihre Redefunktion wahrzunehmen. Sie besteht sogar in den allermeisten Fällen nur aus zwei der drei möglichen Elemente,66 gelegentlich auch nur aus einem. Für den Phraseologismus in der Rede Urijas in V. 11b ergibt sich folgender Aufbau: 11bαβ Bei deinem Leben Ø 11bγ wenn ich diese Sache täte!

‫ חיך וחי נפשׁך‬Beteuerungsformel Ø Selbstverfluchung ‫ אם אעשׂה את־הדבר הזה‬Schwurinhalt

Der einleitenden Beteuerungsformel folgt – elliptisch – der Schwurinhalt. In der Beteuerungsformel ‫( חיך וחי נפשׁך‬Bei deinem Leben und deiner Seele!/So wahr du lebst!) beziehen sich beide Satzaussagen auf David.67 Der Schwurinhalt ‫( אם אעשׂה את־הדבר הזה‬wenn ich diese Sache täte!) setzt eine mitgedachte Selbstverfluchung voraus, wie sie in Langformen der bedingten Selbstverfluchung zu finden ist, etwa in 2Reg 6,31: ‫( כה יעשׂה יהוה לי וכה יסוף‬so tue mir JHWH und so füge er hinzu).68 Eine Langform der bedingten Selbstverfluchung in der Rede Urijas ist in etwa so zu denken: Dein Leben und das Leben deiner Seele als Gewähr: JHWH tue mir dies und das/Ich sei verflucht, wenn ich dies täte. Die Phraseoschablone hat die Funktion, semantisch zum Ausdruck zu bringen: Ganz gewiss werde ich dies nicht tun! Die besondere Wirkung dieser Aussage besteht nun darin, dass Urijas später erzähltes Schicksal in mehreren Punkten gerade in einer Umkehrung seiner Beteuerung liegt. Zunächst kommt die Tragik schon darin zum Tragen, dass Urijas Schwurinhalt gemäß dem üblichen Gebrauch bedingter Selbstverfluchung eigentlich genau dem Interesse der Gewährsperson David entsprechen müsste –

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einen Schwur handelt, da der „Adressat[] wenig Anlass [… hat], die Aussage[] zu bezweifeln, eine Selbstverpflichtung also gegenstandslos ist.“ Auf S. 248 stuft er unsere Stelle dennoch als Schwur ein. Vgl. dazu die Ausführungen bei Gesenius/Kautzsch, Hebräische Grammatik, 494f., dort allerdings noch ohne sprachpragmatische Überlegungen zur Funktion von Phraseologismen. – Es finden sich auch einige Belege bedingter Selbstverfluchungen oder bedingter Fremdflüche mit expliziter Redeeinleitung Und es schwor (…) (z. B. 1Sam 19,6; 28,10.) Belege, bei denen das Element des Schwurinhaltes alleine steht, sind z. B. Jes 5,9, eingeleitet mit ‫ ; אם־לא‬22,14, eingeleitet mit ‫אם‬. Wiederholt wurde vorgeschlagen, mit 1Sam 20,3 und 25,26 „statt des sonst unerhörten Aֶ‫( “חַ י‬so Gesenius/Kautzsch, Grammatik, 494, Anm. 1) zu lesen: ‫חי־יהוה וחי נפשׁך‬. Abgesehen davon, dass das „Unerhörte“ weiterhin im zweiten Satzglied ‫חי נפשׁך‬ verbleiben würde, halte ich diese Emendation nicht für notwendig. Vgl. etwa die Varianten 2Sam 3,35; 1Reg 2,23 in der 1. Person (bedingte Selbstverfluchung); 1Sam 3,17 in der 2. Person (hier: Verwünschungsformel).

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diesem aber, wie der Leser weiß, geradezu entgegensteht. Und damit wird David, der doppelter Gewährsmann der Beteuerungsformel ist, für den Fall, dass Urija in sein Haus hinabginge, zum Urheber der Todes Urijas, gerade weil Urija die Bedingung seines Schwurs eingehalten hat. Bei deinem [Davids] Leben [mir geschehe dies und das] wenn ich diese Sache [hinabgehen in sein Haus, um zu essen, zu trinken und mit seiner Frau zu schlafen] täte

Durch David als Urheber findet Urija den Tod weil er nicht in sein Haus hinabgegangen ist, um zu essen, zu trinken, und mit seiner Frau zu schlafen

Indem Urijas Schwur als konsequentes Handeln dargestellt wird, bewirkt diese implizierte Gegenüberstellung der bedingten Selbstverwünschung Urijas mit dem nachfolgenden Handeln Davids, dass David auf Erzählerebene dem Leser gegenüber in negatives Licht gerückt wird. Dies ist, wie das Sprachspiel und er aß, und er trank und er machte ihn betrunken davidkritisch zu verstehen, ohne dass David ausdrücklich genannt wird. (5) Mit ‫עלה חמה‬/‫( חרה אף‬Zorn steigt auf/entbrennt) in V. 11,20aαβ und 12,5a finden sich zwei Phraseolexeme, die sich semantisch entsprechen.69 Das Wortgruppenlexem ‫ חרה אף‬gehört zu den sog. Somatismen,70 bei ‫ עלה חמה‬handelt es sich um eine Personifikation.71 ‫ עלה חמה‬begegnet im Zusammenhang des von Joab präsupponierten Zornausbruchs Davids als Reaktion auf die Botenmeldung von Verlusten beim Kampf um Rabba. Die Formulierung ‫ – חרה אף‬auf Erzählerebene – bezieht sich auf Davids Zornausbruch als Reaktion auf das unerhörte Handeln des Reichen gegenüber dem Armen im Gleichnis Natans. 11,20aαβ 12,5a

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‫ ויהי אם תעלה חמת המלך‬Und wenn dann der Zorn Rede Joabs des Königs aufsteigt ‫ ויחר־אף דוד באישׁ מאד‬Da erzürnte David sehr Erzählerebene über den Mann.

‫ אף‬und hmx fungieren in vielen Fällen als Synonyme; so, bes. in Dtn, Jer und Hes, in einer sog. Zwillingsformel (Dtn 9,19; 29,22.27; Jer 7,20; 21,5; 32,32.37; 33,5; 36,5; 42,18; 44,6; Hes 5,15; 22,20; 25,14) und häufig in (synonymer) Parallele (Gen 49,7; Ps 6,2; 37,8; 38,2; 78,38; 90,7; Prov 15,1; 21,24; 27,4; 10,25; Jes 14,6; 30,27; 34,2; Jer 10,10; Hes 5,13; 7,8; 13,13; 20,8.21; Hos 13,11; Am 11; Hab 3,8.12). ‚Zorn/Grimm‘ wird mit der Nase ‫ אף‬in Verbindung gebracht („sinnlich als ein Rauch in der Nase gedacht“ Gesenius/Buhl, 590). Ein Reflex davon ist noch in Ex 38,18 zu ersehen: ‫( תעלה חמתי באפי‬mein Grimm wird in meiner Nase aufsteigen). Sekundär auch zur direkten Bezeichnung des Gefühls „Zorn“. Zu Belegen mit der Bedeutung ‚im Zorn entbrennen‘ vgl. 1Sam 11,6; 17,28; 20,30; 2Sam 6,7; 12,5; Gen 39,19; 44,18; Ex 11,8; 22,23; 32,12, Num 11,1; Ri 9,30 und öfter, „elliptisch“ (nur ‫ חרה‬ohne ‫אף‬, in der Regel mit ‫ )ל‬z. B. in 1Sam 15,11; 18,8; 20,7; 2Sam 3,8; 6,8; 13,21; 19,43; Gen 4,5f.; 31,36; 34,7; 45,5; Num 16,15; Ps. 18,8 Jona 4,1; 4,4; 4,9 und öfter. ‫ עלה חמה‬rechne ich hier unter die Phraseologismen, obwohl der Formulierung streng genommen das Kriterium der Stabilität fehlt, insofern ‫ עלה‬paradigmatisch ersetzt werden kann: Zorn kann sich wenden Gen 27,44, er kann sich legen, sich ergießen (Jer 10,25), sich abwenden (Jer 18,20), ausbrechen (Jer 23,19) usw. – Umgekehrt begegnet auch die Kombination ‫עלה אף‬, z. B. in Ps 78,31 und (hi.) Prov 15,1; Ez 24,8.

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Beides – sowohl der präfigurierte wie der tatsächliche Zorn in V. 11,20aαβ und 12,5a – entspricht der zu erwartenden Lesererwartung angesichts der Botschaften, die David erhält. Allerdings spielt die Rede vom Zorn in Joabs präfigurierter Davidreaktion geradezu mit dem Leservorwissen, dass David den Tod eines Soldaten nicht nur in Kauf nimmt, sondern kaltblütig als Mord befohlen hatte. Auf diesem Hintergrund erfährt Joabs Aussage in der Leserperspektive eine Ironisierung: Sie wird unter den Hand zur Kritik an Davids Vorgehen. Bemerkenswert ist nun, dass sich auf Erzählerebene keine Ausführung des von Joab präfigurierten Zorns Davids findet. Diese Beobachtung ist im Zusammenhang mit der nicht unproblematischen Frage, wie wörtlich der Botenbericht zu verstehen ist, zu diskutieren: Soll der Botenbericht wörtlich verstanden werden, d. h. fügt der Bote – anders als ihm von Joab aufgetragen – die Botschaft vom Tod Urijas nahtlos an den Bericht über die Kriegsereignisse an, oder ist die Botenrede in V. 23 als Zusammenfassung des Berichts zu sehen, womit eine tatsächliche Zornreaktion Davids präsupponiert wäre? In der Leserführung sind dies jedoch insofern keine wirklichen Alternativen, als bei beiden Möglichkeiten die eigentliche Zuspitzung in der Formulierung Davids in V. 25a (Lass diese Sache nicht böse sein in deinen Augen, denn so und so frisst das Schwert!) liegt. Ob als alleinige Reaktion (bei chronologisch-wörtlichem Verständnis) oder als Stimmungsumschwung Davids (unter Voraussetzung einer Präsupposition): In beiden Fällen kontrastiert diese Bemerkung Davids dem von Joab präfigurierten Zorn Davids. Auch hier kommt in der Leserperspektive David in kritisches Licht. (6) Einer weiteren Betrachtung muss das Phraseoloxem böse sein/nicht böse sein in jmds. Augen unterzogen werden. Anstatt des durch Joabs Vorwegnahme in der Boteninstruktion zu erwartenden Berichtes über einen Zornausbruch Davids erfährt der Leser also nur Davids Anweisung, was der Bote an Joab melden solle. Diese Boteninstruktion Davids enthält drei Phraseologismen, die alle dazu beitragen, Davids Bemerkung eine vordergründige Leichtigkeit zu geben, als handle es sich um eine lapidare Angelegenheit, während der Leser ja auf Erzählerebene bereits ins Bild gesetzt ist über das intrigante Vorgehen des Protagonisten. 25a

α β γ δ

Da sagte David zu dem Boten: So sollst du zu Joab sagen: Lass diese Sache nicht böse sein in deinen Augen, denn so und so (fr)isst (‫ )אכל‬das Schwert.

1. Phrasem 2. Phrasem 3. Phrasem

Zunächst zu dem Phrasem in V. 25aγ (‫)אל ירע בעיניך את הדבר הזה‬. In 1Sam 18,8 wird der Bericht über die Reaktion Sauls auf das Lied der Frauen, das David über ihn stellt, so formuliert: ‫( ויחר לשׂאול מאד וירע בעיניו הדבר הזה‬und es entbrannte Sauls Zorn sehr und diese Sache war böse in seinen Augen). Hier

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sind zwei Phraseologismen in Parallele gestellt, die beide auch in unserem Abschnitt begegnen. Der von Joab präfigurierte Zorn Davids hätte ähnlich formuliert sein können, denn der erwartete Zorn setzt ebenso ein Missfallen voraus. Es ist aber gerade nicht böse in Davids Augen, was geschah, denn David hat sein Ziel erreicht. Dass die Botschaft an Joab die Anweisung erhält, es nicht böse sein zu lassen in seinen Augen, unterstreicht die Kaltherzigkeit Davids in dieser Situation besonders: Der Tod einer ganzen Reihe von Soldaten sei nicht tragisch zu nehmen. Nachdem die Erzählung auf Ebene der Textakteure zum Abschluss gekommen ist, gibt der Erzähler in V. 27b – mit Blick hinter die Kulissen des zuvor erzählten vordergründigen Geschehens – eine, und zwar die einzige ausdrückliche Beurteilung des Geschehens: ‫( וירע הדבר אשׁר עשׂה דוד בעיני יהוה‬und es war die Sache, die David getan hatte, böse in den Augen JHWHs). Diese Formulierung auf Erzählerebene greift die Formulierung in der Rede Davids bewusst auf und macht deutlich: Das geschehene Unrecht bleibt, bei allen Versuchen Davids, die Angelegenheit zu vertuschen, nicht verborgen, schon gar nicht dem HERRN. Dieses Unrecht ist auch nicht leichtfertig zu übergehen, sondern wiegt in Gottes Urteil schwer. JHWH ist auch Garant, dass das Unrecht dann gesühnt werden wird.72 (7) Ein weiteres Beispiel für eine Phraseoschablone ist die Zwillingsformel ‫כזֹ ה‬ ‫( וכזֶה‬so und so, bald so – bald so, bald diesen – bald jenen, hier und da, dies und das) in V. 25. Sie kommt in dieser Form nur noch in Jdc 18,4, 1Reg 14,5 vor. Diese Formulierung trägt dazu bei, Davids Aussage mit dem zu kontrastieren, was als richtiges Verhalten des Königs zu erwarten gewesen wäre. Die Aussage, das Schwert fresse mal diesen, mal jenen, klingt harmlos, ist es aber – der Leser ist darüber im Bilde – nicht. Selbst in der Rede eines unbedarften Dritten hätte der Ausdruck eine zynische Dimension. Umso mehr im Munde des Urhebers von Urijas Tod. Die Zwillingsformel wird in 12,8 in der Formulierung ‫כהנה וכהנה‬ wieder aufgegriffen. (8) Am Schluss der Betrachtung phraseologischer Wendungen steht das Phraseolexem das Schwert frisst. ‫ אכל‬in phraseologischer Verwendung ‫אכל‬ ‫החרב‬,73 das an die anderen Belege dieses Verbs im Text anknüpft, ist sowohl eine Personifikation, als dem Schwert eine menschliche Tätigkeit zugesprochen wird, als auch ein metonymischer Ausdruck, insofern Schwert hier für ‚Krieg‘ steht. Der personifizierende Aspekt der Wendung schiebt scheinbar die Verantwortung des Todes Urijas von Personen (und dem eigentlichen Urheber – David) auf das Schwert. Auch die Metonymie fungiert als Verharmlosung des

72

73

Vgl. zu diesem Phraseolexem auch die Aufnahme in der kontrapunktischen Passage bei der Flucht Davids vor Abschalom in 2Sam 15,25f. Dort formuliert ein demütiger und sich selbst erniedrigender David, der sein Schicksal in die Hände JHWHs legt: Wenn ich Gnade finde in den Augen des HERRN (‫)חן בעיני יהוה אם־אמצא‬, dann wird er mich zurückkehren lassen (…). Wenn er aber so spricht: Ich habe kein Gefallen an dir – siehe, er mag mit mir tun, wie es gut ist in seinen Augen (‫)יעשׂה־לי כי טוב בעיניו‬. Vgl. auch 2Sam 2,26 und 18,8; Letzteres im Zusammenhang einer doppelten Personifikation: Und der Wald fraß mehr vom Volk als das Schwert fraß (…).

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Fallstudien an 2Sam 11 und 12

unerhörten Sachverhaltes. Beide Aspekte stehen in deutlichem Kontrast zur kaltblütigen Intrige Davids. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Alle genannten Phraseologismen – mit Ausnahme des Belegs in V. 27b – stehen in wörtlicher Rede. Der Beleg in V. 27b greift aber in ironischer Brechung einen der Phraseologismen in Personenrede auf. Während es im gesamten Abschnitt (auch hier mit Ausnahme von V. 27b) keine explizite Kritik an David gibt, so dienen alle Belege von Phrasemen doch dazu, auf subtile, unterschwellige Weise Kritik an David zu üben, und zwar in ihrer Leserlenkung. Die Signale für den Leser sind so deutlich, dass diesem nicht nur eine davidkritische Haltung nahegelegt wird, nein, sie wird ihm förmlich aufgedrängt.

5.2.3.3 Weitere Beispiele für uneigentliche Ausdrucksweise (1) Als erstes Beispiel für uneigentliche Redeweise soll der semantische Kausativ betrachtet werden, für den sich einige Beispiele in unserem Textabschnitt finden.74 Es handelt sich dabei um eine sprachliche Erscheinung, die immer wieder im Zusammenhang mit bedeutenden Personen begegnet: Es wird so formuliert, als habe eine Einzelperson selbst eine bestimmte Sache ausgeführt, die aber eigentlich auf ihre Anweisung hin von anderen getan worden ist. Wenn Joab die Stadt bewachte (V. 16a), dann ließ er sie durch seine Soldaten bewachen. Entsprechend ist die Bemerkung und sie kämpften gegen Joab (V. 17aβ) so zu verstehen, dass sie gegen das Heer Joabs Kampf führten, nicht nur gegen ihn selbst. Und wenn David Joab auffordern lässt: Verstärke deinen Kampf (V. 25bα), so ist damit der Kampf des Heeres gemeint. Wenn es in V. 5bβγ von Batseba heißt: Und sie meldete es David und sagte: (…), dann ließ sie vermutlich melden, ebenso David, wenn V. 13aα überihn aussagt, er habe Urija gerufen. Zwei Belege dieser Redeform stellen in besonderer Weise heraus, dass der Ehebruch deutlich zu Lasten Davids geht, weil er für die jeweilige Handlung verantwortlich ist: wenn David Erkundigungen über Batseba einholen lässt (und er [David] erkundigte sich nach der Frau; V. 3aβ) und wenn er Batseba (fest-) nehmen lässt: Und er [David] nahm sie [Batseba]; 4aβ). Für dieses „Nehmen“ Batsebas wird David durch Natan ausdrücklich zur Rechenschaft gezogen (‫לקח‬ mit mehreren Belegen in Kap. 12). Für V. 14aβ wäre es ebenso möglich, eine solche Redeform anzunehmen, so dass David den Brief nicht selber schrieb, sondern ihn schreiben ließ; d. h. man kann aus V. 14aβ nicht sicher schließen, ob vorausgesetzt wird, dass David selbst des Schreibens mächtig gewesen sei. (2) Ein weiteres Phänomen der uneigentlichen Redeweise, das in unserem Textabschnitt begegnet, ist das Stilmittel der Personifikation. Auf die Personifikationen von Zorn und Schwert in den Phraseolexemen ‫ עלה חמת‬Zorn steigt auf 74

Dieses sprachliche Phänomen ist bisher selten beschrieben worden. Menge, Repetitorium, 189, Abschnitt 293, behandelt es unter dem Begriff „kausatives Aktiv“. In Käser, Then David Wrote a Letter, plädiere ich für den Begriff „semantisches Kausativ“.

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

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(20aβ) und ‫ אכל החרב‬es frisst das Schwert (25aδ) ist schon eingegangen worden. Ein besonders ungewöhnliches Beispiel für personifizierte Rede findet sich in V. 8bβ und es ging hinaus (‫)יצא‬, ihm nach, ein Geschenk des Königs. Dieser Ausdruck ist parallelisiert zu dem vorhergehenden und es ging hinaus (‫ )יצא‬Urija aus dem Haus des Königs. David lässt Urija ein Geschenk zukommen, das offensichtlich dazu beitragen soll, dass Urija Davids Willen tut, und von daher als Bestechungsgeschenk zu verstehen ist. Ob Urija selbst das damit verbundene Ansinnen Davids durchschaut, bleibt offen. In der Leserperspektive trägt die Formulierung von V. 8bβ als Baustein zu einer davidkritischen Haltung bei. (3) Unser Text birgt noch weitere Beispiele für uneigentliche Redeweise. In V. 9aβ etwa wird deutlich, dass ‫ כל‬nicht im exklusiven Sinn eine Gesamtheit bezeichnet: Urija kann nicht im wörtlichen Sinn mit allen Knechten seines Herrn vor dem Palast des Königs genächtigt haben, wo doch viele der Knechte im Feld sind. Ebenso wenig ist weilt Israel und Juda in Hütten (V. 11aβ), sondern nur ein Teil davon. Bemerkt soll noch werden, dass in der Anrede an den König in V. 24aβ in der dritten Person über ihn gesprochen wird (und es starben welche von den Knechten des Königs) und im nächsten Satzteil nahtlos wieder zu einer direkten Anrede gewechselt werden kann (und auch dein Knecht […] ist gestorben). Diese Beobachtung ist deshalb nicht unwesentlich, weil solches mitunter als Anhalt für literarkritische Überlegungen dient.

5.2.4 Personencharakterisierung Vier Personen spielen für die Handlung die entscheidende Rolle: David, Urija, Joab und Batseba. Die namentliche Nennung dieser Personen (David: 23 Belege; Urija: 20 Belege; Joab: 13 Belege; Batseba: ein Beleg [V. 3, dann wieder 12,24]) entspricht etwa auch der Gewichtung ihres aktiven Anteils an der Handlung. Darüber hinaus begegnen in 2Sam 11 verschiedene Boten, insbesondere der Bote Joabs; alle Boten aber bleiben unpersönlich und schemenhaft. Die dramatis peronae werden gleich in den ersten Versen eingeführt. David und Joab sind bereits als bekannte Größen vorauszusetzen. Batseba und Urija hingegen betreten in diesem Kapitel zum ersten Mal die Bühne.

5.2.4.1 Charakterisierung Batsebas Batseba tritt als handelnde Person in den Hintergrund des Geschehens. Ihr Name wird nur in V. 3 in der Botenrede genannt; sonst begegnet sie als ‫ אשׁה‬mit 9 Belegen: V. 2(2x).3(2x).5.11.21.26.27.75 Die Waschung, die Batseba vornimmt (V. 2aδ), wird mit der Bemerkung über die kultische Reinigung (V. 4aε) näher bestimmt. Wo Batseba die Waschung versieht, wird nicht gesagt (entgegen vielen Kommentaren, die diese 75

Außer in der Einleitung zum Bußpsalm Davids (Ps 51,2), der Bezug nimmt auf 2Sam11f., begegnet Batseba in 1Reg 1f. (mit 5 bzw. 3 namentlichen Belegen) und – als Bat-Schua – in 1Chr. 3,5.

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auf einem Dach verorten). Dass David sie baden sieht, liegt offensichtlich daran, dass der Palast höher lag als ihr Haus (vgl. die Formulierung ‫)ירד‬. In der Schilderung des Ehebruchs (V. 4aα-δ) ist David handelndes Subjekt. Das ‫ לקח‬von 4aβ legt nahe, dass Batseba keine andere Wahl hatte, als mitzugehen.76 V. 4b.5 schildert Batseba als Handelnde: Sie kehrt zurück in ihr Haus (V. 4b) und gibt David Meldung über ihr Schwangersein (V. 5b). In V. 26 wird erzählt, dass sie vom Tod ihres Mannes erfährt und Totenklage hält. In V. 27aα-δ ist David wieder handelndes Subjekt: Er nimmt sie nach der Trauerzeit in sein Haus auf und heiratet sie. In 27aε geht die Handlung wieder auf Batseba über: Sie bringt einen Sohn zur Welt; allerdings ist die Formulierung sie gebar ihm einen Sohn zugleich ausdrücklich davidzentriert. Über Schuld oder Unschuld Batsebas expliziert der Text nichts. Nicht wenige Exegeten haben Batseba eine Mitschuld am Ehebruch gegeben oder gar von bewusster Intrige Batsebas gesprochen. Die Argumente entstammen erzählerischen Lücken: Batseba habe sich absichtlich öffentlich gebadet, sie sei mit dem Besuch im Palast und dem Beischlaf einverstanden gewesen, sie habe die Schwangerschaft gewollt und als Erfolg an David gemeldet. Dies alles aber ist in der Erzählung nicht expliziert. Subtiler ist die Frage, ob Batseba sich nicht hätte wehren oder schreien können, als die Boten sie nahmen. Auch gibt es Überlegungen, ob sie die Meldung von ihrer Schwangerschaft nicht auch an ihren Gatten statt an David hätte geben können – immerhin ist sie gerade bei der Mitteilung der Schwangerschaft die aktiv Handelnde. Aber auch hierfür ist keine Antwort expliziert. Vielmehr bietet sich an, der Darstellung zu folgen, die David als in allem handelnde Person schildert, und damit auch die Verantwortung für den Ehebruch zuschreibt (obwohl auch das nicht expliziert wird). Batseba hingegen wird in der Einhaltung der kultischen Reinigung und der Trauerzeit als vorbildlich gezeichnet.

5.2.4.2 Charakterisierung Joabs Joab ist, wie David, sehr konturiert gezeichnet. Der Exposition ist zu entnehmen, dass er im Ammoniterfeldzug tatkräftig ans Werk geht. Dem Befehl Davids, Urija zu senden (V. 6aβ), kommt Joab unverzüglich nach. Auch dem Mordbefehl Davids leistet Joab Folge. Die Ausführung Joabs unterscheidet sich jedoch – folgt man der Darstellung auf Erzählerebene, der Boteninstruktion Joabs und dem Botenbericht an David – in einer Hinsicht deutlich von der Befehlsformulierung: Nirgends wird in Bezug auf die Ausführung von einem Rückzug anderer Soldaten berichtet, vielmehr wird ausdrücklich (und mehrfach) festgehalten, dass einige Soldaten ums Leben kommen. Die Befehlsformulierung erweckt aber vielmehr den Anschein, als dass Urija allein ums Leben hätte kommen sollen. Joab ist offensichtlich dem Befehl nicht unmittelbar nachgekommen. Joab handelt vielmehr politisch klug: Wäre Urija allein ums 76

Zu dieser Einschätzung gelangt auch Rudnig, Batscheba, 223: „In 2Sam 11f. ist Batschebas Rolle passiv: sie erduldet oder erleidet Davids Handlungen …“ Auch Naumann, David, 72, kommt zu diesem Ergebnis: „Das Kommen Batsebas zu David (…) wird (…) kaum freiwillig zu nennen sein.“

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

175

Leben gekommen, dann hätte dies Argwohn erregt. In dieser Hinsicht wird Joabs kluge Ausführung von Davids Befehl dessen kurzsichtiger Anordnung gegenübergestellt. Auch in der Darstellung der Konfrontation Davids mit Urijas Tod ist Joab als starkes Gegenüber zu David gezeichnet. Besonders in der Boteninstruktion wird deutlich, dass Joab mit dem König und dessen Reaktion spielt: Der Bote soll zunächst das allgemeine Kriegsgeschehen darstellen, bis der König zornig wird, und ihn dann mit der Botschaft von Urijas Tod besänftigen. Hier wird Joab mit zynischen Zügen gezeichnet, als eigenständige Größe im Gegenüber zum König David.

5.2.4.3 Charakterisierung Davids David wird in diesem Kapitel sehr kritisch gesehen. Die kritische Beleuchtung Davids beginnt damit, dass er zuhause bleibt, während seine Soldaten zum Kampf ausziehen, statt den Feldzug anzuführen, wie dies die Einleitung V. 1aα nahelegt.77 Während seine Soldaten im Feld ihre Arbeit verrichten, hält David Mittagsschlaf. Obwohl er über die Verwandtschaftsverhältnisse Batsebas aufgeklärt wird, lässt er sie holen, und obwohl es seine Aufgabe sein müsste, die Kriegerfrauen zu schützen, missbraucht er seine Macht, um Ehebruch zu begehen. Anstatt die Angelegenheit mit Urija zu klären, versucht er, den Ehebruch zu vertuschen. Zwar kommt dieses Ansinnen des Königs nicht direkt zum Ausdruck, aber es wird in seinem verzweifelten Versuch, Urija in dessen Haus zu bewegen, deutlich. Zudem verfügt der Leser über das Vorwissen um Batsebas Schwangerschaft und Davids Vaterschaft. Zweimal wendet David mit dem Ziel der Vertuschung – für den Leser durchschaubar – eine List an: zunächst im Versuch der Bestechung Urijas, dann im Versuch, ihn durch Trunkenheit zu überlisten. Im Mordbefehl und in der Reaktion auf die Mitteilung von Urijas Tod begegnet dem Leser ein kaltblütiger, gefühlloser David. Dies wird besonders dadurch pointiert, dass das von Joab in der Boteninstruktion präfigurierte Entsetzen Davids über Kriegsverluste ausbleibt, David stattdessen diese Verluste nur mit einer zynischen Bemerkung kommentiert. David wird in 2Sam 11 in überaus schlechtes Licht gestellt.

5.2.4.4 Charakterisierung Urijas Die Person des Urija begegnet außer in der Heldenliste Davids in 2Sam 23,39 (und par. 1Chr 11,4), sowie in der Beurteilung Davids, dass er in der Sache mit 77

Interessant für die Darstellung der Ereignisse in 11,1 ist die Art und Weise, wie 18,2 (Und David sandte das Volk aus […] Und der König sagte zum Volk: Auch ich will ganz bestimmt mit euch ausziehen) formuliert ist: Nach der eigentlichen Aussendung erklärt David seine Absicht, mit in den Krieg zu ziehen. Analog hierzu wäre also selbst noch nach der Formulierung in 11,1aα-δ mit einer Teilnahme Davids am Ammoniterfeldzug zu rechnen.

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

176

Urija nicht nach Gottes Willen gehandelt hat (1Reg 15,5) nur hier in 2Sam 11 und 12. Urija ist in der Zeichnung der Erzählung seinem Kriegsherrn Joab gegenüber loyal. Hingegen sperrt er sich gegen den ausdrücklichen Befehl Davids, in sein Haus hinabzugehen. Die Verweigerung vollzieht er nicht nur (mehrmals) faktisch, sondern auch verbal gegenüber David. Seine Begründung nimmt Bezug auf die Lade, die nicht in einem Haus wohnt, und auf das Kriegsvolk, das auf freiem Feld kampiert.78 Diesen gegenüber handelt er solidarisch. In diesem Handeln wird er als konsequent charakterisiert. Mit seiner konsequenten Verweigerungshaltung ist unmittelbar und faktisch Kritik am König David verbunden, gegen dessen Befehl er sich stellt. Die Frage allerdings, worauf sich die Kritik genau bezieht, ist schwer zu beantworten. Entweder geht es ihm allgemein um die konsequente Einhaltung einer Solidaritätsgesinnung bzw. des Kriegsrechtes; dann unterstellt Urija dem König eine Verletzung dieser Größen, indem er dessen alltäglichen Luxus anprangert. Oder aber, wie V. 11aδ vermuten lassen kann, kritisiert Urija im Speziellen – mit dem direkten Verweis ‫ – שׁכב עם אשׁה‬indirekt den begangenen Ehebruch; dies würde voraussetzen, dass Urija von diesem Kenntnis gehabt hat. Oder aber es spielen beide Aspekte eine Rolle. Eine Explikation bleibt der Erzähltext zwar schuldig, in der Leserperspektive allerdings kommen beide Aspekte zum Tragen: Davids Handeln – sowohl das Verbleiben im Palast mit dessen Vorzügen als auch der Ehebruch mit Batseba – wird deutlich in ein kritisches Licht gestellt. An Urija wird die Inkonsequenz Davids konturiert.

5.3

Literarkritische Auslegung und literarische Interpretation von 2Sam 11 im Vergleich

Die eigene Analyse von 2Sam 11 im Abschnitt 5.2 folgte weitgehend dem Instrumentarium zur Beschreibung von narratologischen Verfahren, wie es von Gérard Genette erarbeitet worden war, und konzentrierte sich bei der Beschreibung daher auf die Differenz von dem vorliegenden Text, dem Diskurs, zu der ihm zugrundeliegenden Diegese. Eine der Grundannahmen bei dieser Analyse war, dass Erzählökonomie als ein leitendes Prinzip bei der Textproduktion gelten kann. Diese steuert die Art und Weise des Erzählens – einerseits im Blick auf die Leserschaft, andererseits im Blick auf die Ziele der Erzählung –, indem sie den erzähltechnischen Zwängen zur Detaillierung, Relevanzsetzung, Kondensierung und Gestaltschließung folgt. Die narratologische Analyse diente der Vorklärung und markiert daher den Standpunkt, von dem aus der Vergleich konkreter neuerer literarkritischer Auslegungen und literarischer Interpretationen unternommen wird. Bei jedem Versuch einer unvoreingenommenen

78

Hutzli, Nähe, 84, schließt hieraus eine „Nähe des Hetiters zur Gottheit Jhwh“.

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

177

Betrachtung bleibt doch immer auch das eigene Vorverständnis leitend, das daher offengelegt werden sollte. Der Vergleich von literarkritischen Auslegungen und literarischen Interpretationen von 2Sam 11 muss sich auf einige exemplarische Auslegungen beschränken. Im Rahmen dieser Untersuchung geht es nicht um eine umfassende Darstellung der verschiedenen vorliegenden Auslegungen zum zweiten Samuelbuch, vielmehr sollen typische Vorgehensweisen bei der Textbetrachtung analysiert werden, die charakteristisch sind für die verschiedenen Standpunkte und Vorentscheidungen zum jeweiligen Textbegriff. Als exemplarisch zu gelten haben für den literarkritischen Zugang in jedem Fall die zwei Arbeiten zu 2Sam 11 von Alexander A. Fischer und Randall C. Bailey, deren Veröffentlichungen zeitlich eng beieinanderliegen: Alexander A. Fischer: David und Batseba. Ein literarkritischer und motivgeschichtlicher Beitrag zu II Sam 11 (1989), und Randall C. Bailey: David in Love and War. The Pursuit of Power in 2Sam 10-12 (1990). Diese beiden Beiträge werden in einem ersten Durchgang dieses Kapitels dargestellt und gewürdigt (5.3.1). Im Anschluss daran kommen unter 5.3.2 exemplarische Vertreter des Literary Approach zu 2Sam 11 zur Darstellung. Allen voran ist hier der Beitrag Gaps, ambiguitiy and the reading-process von Meir Sternberg zu betrachten. Dieses Kapitel aus seinem Buch Poetics of Biblical Narrative bietet eine besonders ausführliche Betrachtung der David-Batseba-Erzählung. Auch Robert Alter hat im Rahmen seiner literaturwissenschaftlichen Auslegung der Samuelbücher eine Interpretation dieser Erzählung vorgelegt, die sodann betrachtet werden soll. Abschließend sollen die beiden Zugangsweisen, die literar-historische und die literaturwissenschaftliche, miteinander verglichen werden (5.3.3). Vorwegnehmend sei schon bemerkt, dass literarkritische Fragestellungen zu 2Sam 11 sich vor allem auf V. 1, V. 10b-12, V. 19-24 und V. 27b konzentrieren.79 Die „Scharnierfunktion“ (Rost) von V. 1 zwischen dem Ammoniterkriegsbericht und der David-Batseba-Erzählung80 evoziert die Diskussion der jeweiligen Zuordnung des Verses oder von Versteilen. V. 10b-12 – insbesondere V. 11a (die Weigerung Urijas gegenüber David, in sein Haus hinabzugehen, und besonders Urijas Verweis auf die Lade vor Rabba) – wird nicht selten als spätere Bearbeitung gesehen81. Für V. 19-24 (die Boteninstruktion Joabs und der Kriegsbericht des Boten vor David) wird vor allem die in der Joabrede präfigurierte Reaktion Davids als „Textproblem“ diskutiert sowie eine dtr Erweiterung erwogen. Schließlich halten viele Exegeten und Exegetinnen V. 27b, die Wertung von Davids Verhalten auf der Metaebene der Erzählung, für einen dtr Zusatz. Das 79 80

81

Zu einer ausführlichen Darstellung verschiedener Positionen der diachronen Forschung zu 2Sam 11 vgl. Seiler, Thronfolge, 241-257. Vgl. die Darstellung literarkritischer Fragen zu V. 1 bei ebd., 223-240, im Zusammenhang mit dem Ammoniterkriegsbericht (bei ebd., 2Sam 10,1-19 und 12,26-31). Seiler schlägt V. 1a dem Ammoniterkriegsbericht zu (vgl. ebd., 240). Bailey, David, 95f. sieht sie als redaktionelle Verbindung der parallelen Einheiten 8-10a und 13, Fischer, David, 52-55, für eine königsfeindliche Nachinterpretation; vgl. die Darstellung der beiden Positionen im Anschluss. Vgl. auch die Darstellung bei Seiler, Thronfolge, 244-248.

178

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

sind dann auch die Textstellen, die für einen Vergleich von literarkritischen Überlegungen und von literaturwissenschaftlicher Interpretation besonders ergiebig sein werden.

5.3.1 Exemplarische neuere literarkritische Positionen zu 2Sam 11 5.3.1.1 Alexander A. Fischer: David und Batseba In seinem Beitrag David und Batseba. Ein literarkritischer und motivgeschichtlicher Beitrag zu II Sam 11 (1989) stellt Alexander A. Fischer die These G. v. Rads in Frage, dass der Erzähler so gute Kenntnisse der Ereignisse am Hof zeige, dass die Erzählung als historisch zuverlässig gelten könne. Dazu untersucht Fischer 2Sam 11 unter literarkritischem und motivgeschichtlichem Blickwinkel und kommt zu dem Ergebnis, dass die Grundschicht der Erzählung eine kunstvolle Komposition sei, die um das Brief-Wandermotiv (und zudem um das Motiv des orientalischen Herrschers, der sich einer Untertanin bemächtigt) herum angelegt worden wäre. Die Erzählung von David und Batseba sei allenfalls als „Geschichtserzählung“ zu bezeichnen, die – in einem sehr allgemeinen Sinne – „geschichtliche Erfahrungen reflektiert“.82 Zwar hatte auch G. von Rad neben der Bezeichnung „Geschichtswerk“ auch von „Erzählung“ gesprochen, war aber von einer „Verlässlichkeit“ der Darstellung ausgegangen.83 Fischers Begriff der „Erzählung“ bezieht sich hingegen nicht allein auf die Art und Weise narrativer Darstellung, sondern konnotiert bereits den Aspekt der Fiktionalität. Fischer identifiziert im ersten Teil seines Beitrags, in dem er sich mit Fragen der Literarkritik befasst, V. 10b-12 aufgrund sprachlicher und inhaltlicher Beobachtungen als davidkritischen Nachtrag84. In seinem Abschnitt zur Motivgeschiche argumentiert Fischer maßgeblich damit, dass das Briefmotiv, welches sich durch seine exponierte Stellung als Ausgangspunkt und Anlass der Erzählung zu erkennen gebe, sich nicht als historisch zuverlässig erweise, dadurch dass es als sog. Wandermotiv zu identifizieren sei. Zunächst wenden wir uns Fischers literarkritischen Ausführungen über V. 10b-11 zu. Fischer sieht in der Erzählung eine klare narratologische Konzep-

82

83

84

Damit meint Fischer „die mit dem Königtum verbundene Ambivalenz seiner Machtfülle, die einerseits zur Sicherung des Reiches erforderlich ist und andererseits die Gefahr des Machtmißbrauchs in sich birgt“; Fischer, David, 58; Fischer bezweifelt ausdrücklich, dass historische Ereignisse zuverlässig berichtet würden. Von Rad, Anfang, 178. Der Kontext: „Der Historiker (…) muß ein Mann gewesen sein, der eine genaue Kenntnis der Verhältnisse und Vorgänge bei Hofe hatte. Seine Schilderung atmen eine Lebensnähe, der gegenüber jeder Zweifel an der Verlässlichkeit seiner Wiedergabe verstummen muß.“ Auch von Rad spricht von „Erzählungszusammenhang“/„Erzählungsstoff“ (mehrmals 174f.). Vgl. den Untertitel „Ein literarkritischer und motivgeschichtlicher Beitrag zu II Sam 11“.

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

179

tion und eine Klarheit des Erzählfortganges.85 Diese Klarheit macht er dann zum Maßstab für die Beurteilung der Erzählung. So entspricht nach Fischer etwa V. 10bα deshalb nicht der Klarheitskonzeption, weil dort unvermittelt von einem Gesprächsgang zwischen David und Urija erzählt wird, ohne dass zuvor von einer Begegnung der beiden berichtet worden wäre. Während dies in der narratologischen Analyse in 5.2.1.2 als Präsupposition erklärt werden konnte, sieht Fischer es als Indiz für einen sekundären Nachtrag. Fischer nimmt nicht wahr, dass die Erzählung eine nicht geringe Anzahl weiterer solcher Präsuppositionen aufweist, und das – entgegen seinem ausdrücklichen Verweis – gerade bei der erzählerischen Ausformung der Botengänge. Daher ist eine gewisse Unstimmigkeit in der Argumentation Fischers festzuhalten, wenn er an dieser Stelle mit einem „Bruch“ in der Erzählung argumentiert, das analoge sprachliche Phänomen aber an anderen Stellen unberücksichtigt lässt. Gleiches gilt für Fischers Argument, dass sich aus dem Verhältnis von heute und morgen (V. 12aβγ) und der nachfolgenden Erzählung ein zeitlich unklarer Handlungsverlauf ergebe, da Urija genau am Tag seiner Entsendung in den Palast geladen würde. Für Fischer spricht das für eine Ausscheidung von V. 10b-12 (mit Ausnahme des ‫)ממחרת‬.86 Wie in der narratologischen Analyse oben aufgezeigt(5.2.2.1c), handelt es sich aber hierbei um einen von mehreren proleptischen Erzählgängen, und die Einladung Davids in V. 13 kann ohne weiteres dem heute von V. 12 zugeordnet werden. Problematisch ist also auch hier, dass diese Stelle für Fischer Anlass zu literarkritischer Scheidung gibt, während er die anderen, analog gestalteten proleptischen Erzählgänge offensichtlich als „klar“ empfindet und diese keinen Einfluss auf seine Interpretation haben. Besonders problematisch ist die von Fischer angewandte „Methode“, versuchsweise besagte Verse auszuscheiden, dann eine Handlungsstringenz festzustellen und von daher den ausgeschiedenen Abschnitt als sekundär zu ermitteln. Damit würde grundsätzlich jede Art narratologischer Redundanz, wie etwa ein mehrmaliger Rekurs auf ein und dasselbe Geschehen, wie er in 5.2.2.3 beschrieben wird, des Zusatzes verdächtig werden können. Auch die Lade in V. 11 kann für Fischer nicht zum ursprünglichen Textbestand gerechnet werden. Nach Fischer müsste ihre Erwähnung dann auch in der Exposition notwendig zu erwarten sein. Dagegen ist einzuwenden, dass auch andere wesentliche Elemente der Erzählung nicht in der Exposition enthalten sind oder anderweitig ausführlich eingeführt werden (so etwa Batseba und Urija als Hauptpersonen); daher lässt sich nicht mit einer „präzisen Expositionstechnik“87 gegen die Ursprünglichkeit von V. 11 argumentieren. Ferner muss V. 11 keineswegs so verstanden werden, als habe David „alle ihm (…) zur Verfügung stehenden Streitkräfte aufgeboten“88. Dagegen ist einzuwenden,dass nicht einmal das ‫ כל‬in der Exposition (ganz Israel) in einem exklusiv-umfassen85

86 87 88

Vgl. hierzu seine Formulierungen „Unklarheit im Handlungsablauf“, „Unklarheit im Erzählgang“, „klare Handlungsabfolge“, „Genauigkeit des Erzählers“, „präzise Expositionstechnik“ (52f.) und „literarische Geschlossenheit“ (51). Vgl. hierzu die textkritische Anmerkung zu V. 12bβ. Fischer, David, 53. Ebd.

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

180

den Sinne zu verstehen ist, da ja eine ganze Reihe handelnder Personen in Jerusalem verbleiben, und gleiches gilt auch für das ‫( כל‬alle Knechte seines Herrn) in V. 9aβ89. Schließlich halte ich auch Fischers Schlussfolgerung, dass durch V. 11 „redaktionell in einen ganz Israel aufbietenden Jahwekrieg“90 umstilisiert wurde, für überzogen. Die Ausgrenzung von V. 10b-12 stützt Fischer mit weiteren Argumenten, die alle davon ausgehen, dass ein Ergänzer „Spannungen in Kauf genommen hat“91. Hierzu gehört nach Fischer etwa, dass künstlich zwischen Heerbann (Israel und Juda; 11aβ) und königlichem Söldnerheer (Knechte Davids 11aγ) unterschieden werde. Zu den s. E. spannungserzeugenden Elementen der Redaktion rechnet Fischer auch die Aussage Urijas, er werde nicht in sein Haus hinabgehen, um zu essen und zu trinken, wo er doch genau dieses in V. 13 tue. Damit füge sich diese Aussage Urijas nicht in den weiteren Erzählgang ein, sondern erweise sich als Bruch, den der Ergänzer in Kauf genommen habe. Dem aber ist entgegenzusetzen, dass ‫ אכל‬und ‫ שׁתה‬sprachlich ganz abhängig sind von ‫ירד בית‬. Es ist also das Hinabgehen in das Haus, was Urija hartnäckig verweigert, nicht das Essen und Trinken an sich. Hier missdeutet Fischer den Text. Wäre V. 10b-12 allerdings nichts desto trotz tatsächlich eine redaktionelle Ergänzung, wie Fischer annimmt, so wäre sie jedenfalls in lexematisch-stilistischer Perspektive meisterhaft in den Kontext eingearbeitet (vgl. 5.2.3.1 und 5.2.3.2). Was Fischer m. E. treffend beschreibt, ist das narratologische Ziel von V. 10b-12. Es liege darin, dass Urija als moralisch integer und vorbildlich charakterisiert werden soll, um Davids Verhalten als verwerflich zu pointieren. Fischer interpretiert dies aber nun gerade nicht als integralen Bestandteil der Erzählung, sondern konstatiert diese „Fixierung auf eine einzelne Person“ und die „moralische Beurteilung der Handlungsweise des Königs“ als fremde, und damit sekundäre Elemente gegenüber dem „Grundbestand“ der Erzählung92. Dem ist entgegenzustellen, dass durchaus mit der Möglichkeit zu rechnen ist, dass bestimmte Elemente nur an einer einzigen Stelle der Erzählung zum Ausdruck gebracht werden könnten. Was die ausführliche Charakterisierung betrifft, die Fischer zu literarkritischen Überlegungen Anlass bietet, so ist eine solche Fokussierung auf eine Einzelperson etwa auch für Joab festzustellen – also gerade keine singuläre Erscheinung in unserem Erzählabschnitt. Und auch Joab ist durch seine erzählerische Charakterisierung eine innere Distanz zum königlichen Befehl abzuspüren. Fischer stellt fest, dass die „Rezipienten mit dem reinen Handlungsablauf konfrontiert (werden)“93, und dass die Erzählung kein moralisches Urteil abgibt. Das ist m. E. aber nur zum Teil richtig. Es ist n der Tat gerade typisch für hebräisches Erzählen, dass Urteile vorwiegend indirekt gefällt werden. Dennoch werden Urteile gefällt; die Steuerung der Lesereinstellung zu diesem Zweck geschieht gerade durch die Art und Weise, wie die 89 90 91 92 93

Vgl. die textkritische Anmerkung zu V. 9aβ. Ebd. Ebd., 54. Ebd., 54f. Ebd., 55.

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

181

Ereignisse zur Darstellung kommen. In diesem Diskurs ist durchgängig ein kritischer Unterton zu erkennen; der Erzählabschnitt ist daher alles andere als sachlich-neutral. Für V. 27b merkt Fischer an, dass es nicht um moralische, sondern um theologische Davidkritik gehe. Allerdings ist dazu kritisch anzumerken, dass beides in Bezug auf die Beurteilung des königlichen Verhaltens hier nicht voneinander zu trennen ist. Die weitere Interpretation von V. 27b bei Fischer ist schlüssig. Fischer sieht es als problematisch an, die Wendung als deuteronomistisch zu identifizieren; er interpretiert die Stelle synchron als textliche Bezugnahme auf die Davidrede von V. 25a. Die nun folgenden motivgeschichtlichen Ausführungen seines Beitrags (Teil III und IV seines Buches) haben wenig mit seinen vorangegangenen literarkritischen Überlegungen zu tun. Hier argumentiert Fischer mit der These, dass die Historizität des Erzählten grundsätzlich in Frage zu stellen ist, wenn ein darin enthaltenes Motiv sich als Wandermotiv erweise.94 Sowohl das Briefmotiv wie auch das Frauenbemächtigungsmotiv seien aber als Wandermotive einzustufen. Ersteres sieht Fischer als zentrales Motiv von 2Sam 11, und er geht davon aus, dass es auch als der entstehungsgeschichtliche Ausgangspunkt des ganzen Erzählabschnittes anzusehen sei. Mit diesem Motiv sei ein anderes verzahnt worden, nämlich das des orientalischen Herrschers, der sich einer ihm untergebenen fremden Frau bemächtigt. Fischer hat natürlich damit Recht, dass diese beiden Motive in altorientalischen Erzählungen wiederholt vorkommen. Es ist aber zu problematisieren, wie Fischer von einem mehrfachen Vorkommen eines „Motivs“ auf eine historische Implausibilität des Erzählten schließt. Betrachtet man Fischers motivgeschichtliche Überlegungen noch einmal von einer höheren Warte, so ist die folgende Beobachtung interessant, die eine Unstimmigkeit in seiner Argumentation aufzeigt: Er geht von einer kunstfertigen narratologischen Komposition des Abschnittes 2Sam 11 aus, die als Ringstruktur um den Urijabrief angelegt ist, und – mit Ausnahme von V. 10b-12 – literarische Geschlossenheit aufweist. Fischer argumentiert also maßgeblich mit narratologischen Kategorien. Diese aber wendet er gegen den narrativen Gang der Erzählung selbst.

5.3.1.2 Randall Bailey: David in Love and War War es bei Fischer das Briefmotiv, das er als Ausgangspunkt der Entstehung von 2Sam 11 ermittelte, so ist es bei Randall C. Bailey ein Geburtserzählungsformular. Der Erzählung einer Geburt liegen nach Bailey drei Verben zugrunde, die das Geburtsformular konstituieren, nämlich ‫הרה‬, ‫ ילד‬und ‫קרא‬. Ausgehend von einer Kurzfassung der Geburtserzählung, die diese drei Verben enthielt, sei die Erzählung später ergänzt worden. Die Interpolationen hätten dabei jeweils ein Hindernis auf dem Weg zur nächsten Station und dessen Überwindung erzählt: zwischen ‫ הרה‬und ‫ ילד‬der Mord und die Heirat vor der Geburt des unehelichen

94

Zur Verwendung geprägter Motive am Beispiel von 2Sam 11 vgl. Naumann: David als exemplarischer König.

182

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

Kindes, und zwischen ‫ ילד‬und ‫ קרא‬Natans Gericht über das davidische Haus, der Tod des Kindes als Teilstrafe und die Geburt Salomos.95 Bailey ermittelt ein zweites gestalterisches Prinzip: die Verbindung zweier zunächst eigenständiger Paralleleinheiten V. 6-13 und V. 14-25 zu einer kohärenten Einheit in V. 6-25. S. E. ist hier eine kompositionelle Technik angewandt worden, die Schlüsselbegriffe beider Einheiten zu ihrer Verbindung verwendet und zugleich ambivalente Begriffe der beiden Einheiten aufzulösen versucht habe. Die eigentliche David-Batseba-Erzählung beginnt nach Bailey mit V. 2. Dem ‫( ויהי‬V. 2a) schreibt er disjunktive Funktion zu96, was die Erzählung von V. 1 abtrennt. Dieser Argumentation ist entgegenzuhalten, dass ‫ ויהי‬auch zu Beginn von V. 1 steht – was dann ebenso disjunktiv zum Ammoniterkrieg gelesen werden könnte – und zudem mit noch drei weiteren Belegen im Textabschnitt begegnet (V. 2.14.16), Belege, die von Bailey nicht disjunktiv gedeutet werden. Auch der Sicht, dass die unbestimmte Zeitangabe in V. 2 der Erzählung märchenhaften Charakter gäbe, wie Bailey annimmt, kann ich nicht zustimmen. Den Abschnitt V. 2-5 hält Bailey für einheitlich und zum ursprünglichen Textbestand gehörend. Bailey ermittelt drei Gruppen zu je drei Verben, die das Handeln Davids bzw. Batsebas charakterisieren: ‫קום‬, ‫ הלך‬und ‫ ירא‬sowie ‫שׁלח‬, ‫דרשׁ‬ und ‫( אמר‬V. 2f.) für das Handeln Davids, und ‫שׁלח‬, ‫ נגד‬und ‫( אמר‬V. 5) für Batsebas Handeln97. Jeweils eines dieser Verben bestimme als Schlüsselwort den Ton der Erzählung und nähme ihren Fortgang vorweg. Das erste dieser Schlüsselworte, ‫( הלך‬hitp.), signalisiere dem Leser, dass er im Erzählfortgang mit einem unpässlichen Benehmen zu rechnen habe.98 Für die nächsten beiden Dreiergruppen diene ‫ – שׁלח‬jeweils in Balance mit ‫ אמר‬gehalten99 – als Schlüsselwort. Dass ‫ שׁלח‬nicht nur in Bezug auf David, sondern auch auf das Handeln Batsebas gebraucht werde, charakterisiere sie als einflussreiche Person.100 Nach Bailey ließen sich auch sonst keine Anzeichen einer Unterlegenheit oder einer

95 96 97 98

99

100

Vgl. Bailey, David, 102. „The unit opens with the disjunctive wyhy. This suggests a break between the events in V. 1 and those in 2f.“ Vgl. ebd., 85f. Bailey nennt drei weitere Belege von ‫ הלך‬hitp. in Bezug auf David (1Sam 23,13; 25,15 und 30,31), die jeweils problematische Situationen schilderten. Bailey vermutet für alle vier Belege einen editorischen Eingriff der Endredaktion. Wie Bailey selbst feststellt, ist ‫ הלך‬hitp. in der Regel positiv konnotiert (z. B. ‚wandeln vor Gott‘). Vgl. ebd., 86. Das ‫ אמר‬der zweiten Dreiergruppe interpretiert Bailey als ein Reden Davids: Es sei eine Art Selbstgespräch, ein Überlegen, ob es sich um Batseba handelt. Dies sei Indiz, dass David besonders an der politischen Dimension der Liaison interessiert gewesen sei. Vgl. ebd., 87. Die Argumentation im Einzelnen: ‫ שׁלח‬müsste in Bezug auf Batseba nicht gebraucht werden; der Gebrauch zeige Signifikanz; alle DtrH-Belege von ‫ שׁלח‬mit Frauen als Subjekt zeigten Frauen mit Macht und Einfluss: Rahab, Debora, Delil und Jezebel. Auch die genealogische Einordnung Batsebas markiere sie als gewichtige Persönlichkeit, wie auch so bedeutende Frauen wie Debora, Hulda oder Michal genealogisch verankert sind. Die Aufbesserung des sozialen Status von Personen kenne der Leser bereits aus 1Sam 19 und 25 sowie 2Sam 3,2-5. Vgl. ebd., 86-88.

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

183

Verzweiflung Batsebas erkennen101. Auch mache der partizipiale Einschub und sie reinigte sich gerade von ihrer Unreinheit (V. 4), deutlich, dass David und Batseba von der Konsequenz ihrer Tat gewusst hätten. Hier scheinen, nach Bailey, „deliberate political overtones and motivations“102 durch. Batseba hätte es darauf angelegt, schwanger zu werden, weil sie damit auf einen sozialen Aufstieg gehofft habe. Des Weiteren zeige die Genealogie V. 3 die Zugehörigkeit Batsebas zu einer einflussreichen Familie – als Tochter Eliams ist sie implizit Enkelin Ahitofels103. Auch das spricht, nach Bailey, für eine politisch motivierte Heirat104, zumal David bereits mehrmals Frauen mit hoher sozialer Stellung geheiratet habe. Baileys Argumentation überschätzt m. E. die eigenständige Handlungsfähigkeit Batsebas. M. E. legt der Text selbst eher nahe, dass Batseba zum Spielball Davids wird, was besonders deutlich in der Formulierung ‫( ויקחה‬V. 3) zum Ausdruck kommt: David nahm sie bzw. ließ sie nehmen (semantischer Kausativ), eine Formulierung, die für Batsebas Handeln keinen Spielraum lässt. Neben den Indizien für eine politisch motivierte und beidseitig gewollte Liaison, die Bailey in V. 2-5 ausmacht, spielt für seine These die Aussage Bathsabes in 1Reg 1,17: Mein Herr, du selbst hast deiner Magd geschworen bei JHWH, deinem Gott, dass Salomo, dein Sohn, König sein wird nach dir, und: „er wird sitzen auf meinem Thron“. Nach Bailey beziehe sich Batseba hier auf dasselbe Abkommen, das für die Ereignisse in 2Sam 11,2ff. vorauszusetzen sei. Wenn etwa Batseba in 2Sam 11,5 die Botschaft übermittle: Ich bin schwanger, so signalisiere sie die Erfüllung ihrer Verpflichtung hinsichtlich dieses Vertrags. Hierzu ist kritisch anzumerken, dass Salomo in 1Reg 1,17 namentlich genannt ist; wenn es sich hier um einen Vertragstext handelt, so ist die Geburt Salomos bereits vorausgesetzt. Hinzu kommt das Problem, dass nirgends erzählerisch ausgeführt ist, dass David Salomo den Thron in Aussicht gestellt hatte. Es liegt uns in dieser Aussage zunächst eine Behauptung Batsebas (auf Erzählerebene 3105) vor. Indes bleibt offen, ob David diese Zusage tatsächlich je gemacht hat. Bailey gelangt nun aufgrund seiner These zum Liasionsvertrag zu der Vermutung, dass Davids Heirat mit Batseba sowie der Ammoniterfeldzug zeitlich dem Abschalomaufstand nachgeordnet werden müsse. Nicht nur habe 101

102

103 104 105

Bailey argumentiert mit den qal-Formen im Abschnitt; würde Batseba zu Handlungen veranlasst werden, wären Hif′il-Formen (Kausative) zu vermuten. Schwer nachzuvollziehen ist Baileys Aussage, dass auch das ‫ וישׁכב עמה‬Batseba als willige, ebenbürtige Partnerin herausstelle; vgl. ebd., 88. Ebd. Bailey verweist auf weitere Schwangerschaften aus verbotenen Beziehungen, in denen jeweils die Frau(en) als Drahtzieher fungierte(n): Lot und seine Töchter (Gen 19,29-38) sowie Juda und Tamar (Gen 38,13-30). Besonders groß sei die Affinität zur Juda-Tamar-Erzählung. Auch Tamar wollte ihren Status verbessern, sie drängte auf eine Vereinbarung vor dem Geschlechtsverkehr und gab in gleicher Weise Meldung wie Batseba: (‫שׁלח‬/‫)אנכי הרה‬. Vgl. ebd., 89. Insofern es sich bei dem Eliam in 2Sam 23,24 um die gleiche Person handelt wie in 11,3. Mit Verweis auf 1Sam 19 und 25 sowie 2Sam 3,2-5; es ginge hier um eine politische Intrige, „in which sex becomes a tool of politics“; ebd., 88. Vgl. zum Verlässlichkeitsgrad der Aussagen auf E3 den Exkurs zu den Redeebenen unter 5.2.2.3.

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2Sam 10,2 deutliche Anklänge auf 17,27, es sei auch höchst unwahrscheinlich, dass Ahitofel gegen seinen (in vorliegender Fassung der TFG etwa 12-jährigen) Enkel den Aufstand Abschaloms unterstützt habe. Für viel wahrscheinlicher hält es Bailey, dass das Abkommen zwischen David und Batseba, den Sohn der Verbindung als Thronnachfolger zu bestimmen, auf die Rehabilitierung von Ahitofels Familie nach dessen Selbstmord (17,23) sowie am Aufstand beteiligter anderer Sippen, etwa aus Hebron, abgezielt habe. So sei die Heirat Batsebas Ausdruck politischer Machtkonsolidierung durch geschickte Heiratspolitik. Damit sei auch das Verhältnis des Rahmens (Ammoniterkriegsbericht) zur Binnenerzählung eine thematische Verbindung von Außenpolitik und Innenpolitik.106 Dabei nehme die Darstellung Anleihen an die dtr Darstellung von 1Sam 8,11-18, die sowohl in kriegs- wie in innenpolitischer Hinsicht von Ausbeutung und Machtmissbrauch des Königs gegenüber seinen Untertanen spricht. Im Abschnitt 11,6-25 ermittelt Bailey zwei ihrer Struktur nach parallele Einheiten, nämlich V. 6-13 („Plan A“) und V. 14-25 („Plan B“).107 Entgegen der traditionellen Lesung, dass David erst nach dem Scheitern des Vertuschungsversuches zum Mord als einer „Notlösung“ greift, meint Bailey, dass es David von Anfang an darauf angekommen sei, Urija zu töten, um Batseba heiraten zu können. Diese Überlegung steht im Gefälle seiner Interpretation von V. 2-5 als politisch motivierte Tat. Sie fußt maßgeblich darauf, dass Bailey davon ausgeht, dass die von ihm konstatierte Parallele der Abschnitte V. 6-13 und V. 14-25 in struktureller Hinsicht zugleich bedeutet, dass für beide Textstellen gleiche innere Motivation Davids anzunehmen sei.108 Dies versucht er mit der Wendung ‫ ותצא אחריו משׂאת המלך‬in V. 8b zu untermauern. Mit Verweis auf Jdc 20,38.40, Jer 6,1 sowie 4. Lachischbrief Z. 10, interpretiert Bailey ‫ משׂאה‬als ‚Signal‘, so dass die Wendung folgendermaßen zu übersetzen sei: „and the one to give the signal to the king followed him“109. Dieser Beobachter sei beauftragt gewesen, Urija in situ bei der Verletzung des Kriegsrechts110 zu ertappen, auf das Urija in V. 11 selbst verwiesen hatte, um ihn dann rechtmäßig exekutieren zu können. Baileys literarkritische Überlegungen sind ganz maßgeblich davon bestimmt, dass es sich bei den beiden Abschnitten V. 6-13 und 14-25 um streng strukturparallele Einheiten handelt. Unter der impliziten Voraussetzung, sie 106 107

108

109 110

Gegen Gunn, der die thematischen Antipoden in Öffentlichkeit und Privatbereich sieht. Vgl. Gunn, King David, 88ff. Vgl. Bailey, David, 91-99. Zu den Parallelen vgl. 91-93, bes. 93 (mit Übersicht); dort sind die Parallelen zusammenfassend wie folgt angegeben: Setting plan into motion (6//14), Communication between David and other key actor (7//15a), Instructions of David (8a//15b), Implementation of plan – thwarted/successful (8b-9//16-17), Informing David of results (10a//18-24), David’s reaction to information (10b-13//25). Insbesondere zu Letzterem ist die Begründung der Parallele nicht überzeugend; vgl. ebd., 95. „[T]he identical structures for Plans A and B suggest that there has been no shift in motivation on David’s part as the ‚traditional‘ interpretation would have us believe“, ebd., 98. Ebd., 97f. Bailey nennt 1Sam 21,5 (Enthaltsamkeit von Kriegern wird vorausgesetzt) und Jos 7,6-26 (Konsequenzen von Tabuverletzungen im Heilskrieg werden aufgezeigt). Vgl. ebd., 96f.

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

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seien ursprünglich analog gestaltet gewesen, nimmt er Überlängen gegenüber dem jeweiligen Parallelabschnitt zum Anlass, dtr Zusätze zu ermitteln. Die Überlängen sind nach Bailey zum einen in der Berichterstattung an David (10a//18-24), zum anderen in der Reaktion Davids auf diesen Bericht (10b-13//25) zu finden. Der Deuteronomist habe nach Bailey vorwiegend in additivem Verfahren V. 10b-12 (wegen der „Kriegsterminologie“) sowie V. 19-21 (wegen des „Jdc-Zitates“) in die Erzählung eingepasst und theologisch überlagert.111 Ausgehend von diesen Überlegungen versucht Bailey, die Genese der Erzählung noch weiter zurückzuverfolgen: Die beiden dtr Zusätze hätten zwei ursprünglich voneinander unabhängige Erzählungen miteinander verbunden; so verknüpft nach Bailey V. 10b-12 die unabhängigen Erzählabschnitte V. 6-10a und V. 13, und V. 19-21 die beiden Abschnitte V. 14-18 und V. 23-25. Besonders aufschlussreich ist die Interpretation Baileys von V. 19-24. Dieser Abschnitt erweise sich aufgrund der Überlänge gegenüber seiner parallelen Entsprechung als Zusatz. Auch am Text selbst versucht Bailey diese These zu untermauern, mit folgenden Argumenten: (1.) habe David schon V. 18 Meldung erhalten, so dass die Boteninstruktion nachklappt, (2.) ist auch die zweite Erwähnung der Meldung in V. 22 nachgelagert, ebenso auch der Inhalt der Meldung V. 23-24, (3.) stimmen die Details der Kriegsberichterstattung von V. 17.20.23 nicht überein, (4.) ist V. 21 ein Zitat aus Jdc 9,50-53, und (5.) tritt Joabs antizipierte negative Reaktion Davids nicht ein. Dies alles indiziere – nach Bailey –, dass V. 18 mehrfach erweitert worden sei. Dieses Vorgehen Baileys verdeutlicht, wie er seiner Analyse einen Textbegriff zugrunde legt, wonach auf alle erzählerischen Optionen verzichtet wird, die nicht einer strengen Stringenz, Struktur und Chronologie folgen. Daher verwundert es nicht, dass Bailey seine Textbeobachtungen geradezu gegenläufig zu den Ergebnissen der oben vorgelegten narratologischen Analyse (5.2) interpretiert. Auch im letzten Abschnitt, der die Heirat und die Geburt des Kindes erzählt (V. 26-27a)112, sieht Bailey seine These bestätigt, dass David und Batseba eine Vereinbarung miteinander getroffen hatten. Der Plan, der in V. 3f. initiiert und in V. 6-17 ausgeführt werde, strebe in V. 27 seiner Vollendung zu – würde aber, wie das Fehlen der Namensgebung des Kindes zeige, nicht ganz vollständig zur Ausführung kommen. Wie in V. 2-5 signalisiere der Verfasser durch die in der Verbfolge ausgedrückte Symmetrie des Handelns von David und Batseba, dass beide gleichermaßen aktiv handelnde Personen seien. Man kann sich hier allerdings kaum Baileys Auffassung anschließen, dass das ‫( ותהי לו אשׁה‬V. 27a) „clearly signals her independent action“113. Die Formulierung sie wurde seine Frau unter Verwendung des Verbs ‫ היה‬ist zu wenig ausdrucksstark, als dass ein aktives Handeln Batsebas daraus geschlossen werden kann. Auch bekräftige nach Bailey die Art und Weise, wie über Batsebas Trauer gesprochen wird, die These eines Komplotts. Ihre Trauer werde trivialisiert, da ‫ – אבל‬anders als ‫– ספד‬ keinen emotionalen Aspekt konnotiere, sondern sich lediglich auf den Trauer111 112 113

Dtr rechnet er ferner V. 22 und V. 27b zu. Vgl. ebd., 99-101. Ebd., 99.

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ritus als solchen beziehe. Hier setzt Bailey, im Gegensatz zu den vorhergehenden Beispielen, auf Seiten Batsebas große Passivität voraus. Man vergleiche aber Gen 37,34f. dafür, dass das Verb durchaus in emotional bedeutsamen Kontexten verwendet wird. Ebenso problematisch scheinen mir Baileys Überlegungen, dass der Erzähler mit ‫ אסף‬schlicht die weitere Einverleibung einer verheirateten einflussreichen Frau (nach Abigail 1Sam 25, und Michal 2Sam 3) in Davids Harem signalisiere, oder dass das Fehlen von ‫ הרה‬innerhalb des Abschnitts zeige, dass die Geburt eines Kindes schon von Beginn an intendiert gewesen sei, indem das ‫ ילד‬von V. 27 auf das erzählerisch weit vorgelagerte ‫ הרה‬von V. 5 rückbezogen sei. Blickt man auf Baileys Argumentationsgang, so ist folgende Unstimmigkeit festzuhalten: Auf der einen Seite verwehrt er sich dezidiert gegen eine psychologisierende Auslegung der Erzählung. Im Interesse des Erzählers stünden nicht sexuelle Lust oder andere psychologische Erwägungen des Innenlebens der Personen. Beides sei vom Erzähler ausgespart und daher nur Spekulation auf Leserseite114. Auf der anderen Seite argumentiert er genau mit einem solchen Innenleben, nämlich, dass Batseba eine starke, eigenbestimmte Frau gewesen sei, mit dem festen Willen, mit David eine Ehe zu beginnen und ihren Sohn als Thronfolger zu installieren. Baileys Vorgehen ist von einer sorgfältigen Sichtung des Textes geprägt. Seine Feinbeobachtungen sind sehr scharf. Doch dann bestimmen inhaltliche Vorentscheidungen und strukturelle Überlegungen in bedeutendem Maße die Interpretation seiner Beobachtungen, so dass er im Ganzen gesehen dem Text selber gerade nicht folgt, sondern in seiner Interpretation hinter diesen zurückgreift.

5.3.2 Literary Approaches zu 2Sam 11 Dass die Erzählung von David und Batseba in 2Sam 11, die durch die ihr zugrunde liegende Handlung, durch die Dramatik der Darstellung, durch die „großen“ Themen Krieg, Liebe, Macht, Intrige und Mord fasziniert, große Beachtung bei sog. Literary Approaches gefunden hat, verwundert kaum. Diese Erzählung drängt sich dem literarisch interessierten Leser geradewegs auf. Nachfolgend sollen stellvertretend zwei solcher Positionen dargestellt und kritisch gewürdigt werden. Es handelt sich dabei zum einen um die Interpretation von Meir Sternberg, der die David-Batseba-Erzählung als Grundlage wählte, um eine Theorie zu erzählerischen Leerstellen im Text zu entwickeln. Zum anderen geht es um die Interpretation von Robert Alter, die er im Rahmen seiner literaturwissenschaftlichen Auslegung der Samuelbücher vorlegte.

114

Vgl. ebd., 83f.

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

187

5.3.2.1 Meir Sternberg Sternberg widmet das sechste Kapitel seiner Poetics of Biblical Narrative, das den Titel Gaps, ambiguitiy and the reading-process trägt, einer literarischen Analyse von 2Sam 11.115 Das Hauptaugenmerk richtet er dabei auf die Leerstellen des Erzähltextes. Sternberg sieht Literatur als ein „System of gaps“.116 Gap-filling sei Bestandteil der aktiven Leserrolle, um die Textwelt zu konstruieren und Kausalzusammenhänge herzustellen.117 Dies funktioniere vermittels Hypothesenbildung. Dabei müsse der Leserhypothese, welche die meisten Elemente sinnvoll zu verbinden vermag, jeweils der Vorzug gegeben werden. Diese Leserleistung der Leerstellenfüllung ist nach Sternberg nicht arbiträr, sondern ein durch innertextliche Vorgaben geleiteter Prozess. Im folgenden Abschnitt soll zunächst Sternbergs Interpretation der DavidBatseba-Erzählung dargestellt werden. Weil Sternbergs Ansatz, vor allem seine gap-Theorie, für literaturwissenschaftliche Erzähltextanalyse in besonderer Weise wichtig geworden ist, wird sein Ansatz auch in besonderer Breite dargestellt und kritisch gewürdigt (5.3.2.1). Sternberg stellt für 2Sam 11 eine doppelte Selbstbeschränkung des Erzählers fest. Zum einen erzählt er zwei Verbrechen Davids, ohne sie namentlich zu nennen, und all das begegnet im Gewand einer neutralen Darstellung: entgegen anderen biblischen Erzähltexten finde sich keine Erzählerkommentierung und kein Erzählerurteil, sei es direkt, oder vermittels dramatis personae (wie etwa Tamars Urteil und Verhalten gegenüber Amnon in 2Sam 13).118 Die zweite Limitierung liege darin, dass der Erzähler – „[o]mniscient but far from omnicommunicative“119 – sich auf die Beschreibung äußeren Geschehens beschränke und sich über das Innenleben der handelnden Personen ausschweige.120 Der Leser aber müsse, um die Handlung überhaupt verstehen zu können, Emotionen, Leidenschaft, Angst und Intrige voraussetzen, könne dies aber nur aus Äußerlichkeiten erschließen. So steht für Sternberg also das Wesentliche zwischen den Zeilen: „the main story is for the most part implied rather than stated.“121 Die Differenz zwischen der eigentlichen Handlung und der Art ihrer Darstellung, die Spannung zwischen dem Formulierten und dem nichtgesagten Eigentlichen, das bilde das „ironic framework“, auf das die Erzählung aufbaue.122 Die gaps lägen 115 116 117 118

119 120 121 122

Zur Entstehungsgeschichte dieses Kapitels vgl. die Einleitung zu 3.3. Sternberg, Poetics, 186. Vgl. auch die Ausführungen zum Textbegriff Sternbergs 3.3. Diese Aussage ergibt sich bei Sternberg daraus, dass er Kap. 11 im Grunde von 12,1-25 isoliert betrachtet. Dort urteilt Natan sehr deutlich über David. Man könnte aber davon sprechen, dass ein solches indirektes Urteil durch dramatis personae so weit wie möglich hinausgezögert wird. Sternberg, Poetics, 190. Solche „inside views“ seien hingegen in anderen Erzählungen durchaus zu finden, etwa 2Sam 12,19; 13,15; vgl. ebd., 191. Ebd. „The suppression of essentials, the narrator’s pseudo-objectivity, and the tone rendering the horror as if it were an everyday matter: all these create an extreme ironic discordance between the tale’s mode of presentation and the action itself, as reconstructed and evaluated by the reader“ (ebd.) – „In the David and Bathsheba context, however, the

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genau an den Schlüsselstellen, die für den Fortschritt der dramatischen Handlung und zugleich für die Bedeutungs- und Sinnermittlung durch den Leser entscheidend seien. Sternberg konzentriert sich zunächst auf die „ironische Exposition“ in V.1.123 Beim ersten Blick begegneten scheinbar belanglose Informationen im annalistischen Stil. Erst bei genauerem Hinsehen zeige sich die ironische Dimension, die diese Exposition eröffne. Sternberg argumentiert mit der Überlänge des ersten Versteils, der einige für die David-Batseba-Erzählung im Grunde überflüssige Details beinhalte, gegenüber dem zweiten Halbvers. Das Leserbedürfnis nach Symmetrie lenke die Aufmerksamkeit auf jedes einzelne Wort des zweiten Teils.124 Die Auflistung der Personen(gruppen) im ersten Teil mache den Eindruck, als sei David allein in Jerusalem verblieben, und werfe, verbunden mit der ausdrücklichen Erwähnung, dass Könige auszögen, die Frage auf, was denn der König allein in Jerusalem mache, wo doch die ganze Nation im Krieg sei, insbesondere, wo die Norm für die Beurteilung von Königen in deren Kriegsgeschick liege.125 Dieser hier durch den Kontrast zwischen dem Kriegsgeschehen einerseits und dem in Jerusalem verbliebenen König andererseits eröffnete ironische Rahmen ziehe sich durch die ganze Erzählung. Der Krieg als Parallelhandlung sei nicht nur ein „realistic pretext“ sondern es gehe dabei auch um die Konstruktion von „metaphorical linkages“.126 Dies zeige sich noch einmal besonders deutlich am Abschluss der Rahmenerzählung Kap.12,26-31. Der Erzähler verzichte dabei zugunsten von Struktur und Thema auf die chronologische Darstellung der Ereignisse. Zunächst würden die familiären Angelegenheiten zu Ende erzählt (Geburt und Tod des ersten Kindes, Geburt Salomos), dann das Ende des Krieges, und zwar in einer Art und Weise, die glauben lasse, es handle sich um ein Nacheinander: „the narrator (…) manipulates the sequence as to introduce the victory only after bringing the personal story to an end.“127 Die verzögerte Darstellung des Kriegsendes ermögliche dann nicht nur die erzählerische Kontinuität der privaten Ereignisse um David, sondern aktiviere auch noch einmal eine

123 124 125

126

127

essentials are precisely what the narrator chooses to withhold. Crafty and devious, he takes advantage of the fact that the reader himself will have to provide whatever has been left out. And the system of gaps, developed primarily to direct attention to what has not been communicated, becomes central device whereby the narrator gradually establishes his ironic framework. The incongruity between the scales of importance and representation makes for ironic understatement“ (ebd., 192f.). Vgl. hierzu ebd., 193-196. Hier ist zu fragen, ob es ein solches Bedürfnis tatsächlich (regelmäßig) gibt, oder ob die Behauptung eines solchen einfach recht gut in den Argumentationsgang Sternbergs passt. Die Feststellung Sternbergs, dies sei der erste Krieg, den David nicht persönlich anführe, ist falsch, denn in Kap. 10,7ff. ist es auch Joab allein, der den Ammoniterfeldzug führt; vgl. auch die Bemerkung 2Sam 21,17. Ebd., 195. Dass weder der Ausbruch des Krieges noch der abschließende Sieg notwendige Bedingung für den David-Batseba-Plot sei, wie Sternberg 196 konstatiert, ist so zu kurz gegriffen, wo doch, wie Sternberg selbst feststellt, der Krieg als Parallelhandlung notwendiger Bestandteil des Plots ist – ohne die Rahmung würde dieses Kriegsgeschehen erzählerisch in der Luft hängen. Ebd., 196.

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interpretatorische Kraft für die David-Batseba-Erzählung: Wie der König die Früchte des Einsatzes eines Untergebenen erntet und der Stadt Rabba seinen eigenen Namen gibt, so hatte er auch die Frau eines Untergebenen gestohlen und dafür gesorgt, dass sie nach seinem eigenen Namen genannt würde.128 Die Auswahl und Anordnung des Materials sei alles andere als zufällig: Die Platzierung von Davids „(buchstäblich) nominaler Eroberung“129 – anstelle der tatsächlichen durch Joab – an das Ende der Erzählung fungiere als abschließender ironisierender Kommentar zur Gesamterzählung. Die rahmende Kriegserzählung könne daher als indirektes Mittel zur Gestaltung der David-Batseba-Episode erwiesen werden. Nachdem V.1 durch die ironische Gegensätzlichkeit Davids Verbleiben in der Stadt bereits in Frage stellt, stelle auch die „Siesta“ und der anschließende Spaziergang auf dem Dach den König in kritisches Licht.130 Die erzählerische Auslassung von Gedanken und Gefühlen sei gerade hier besonders greifbar. Die Bemerkung und die Frau war von sehr schöner Gestalt bezeichnet Sternberg als „presented in the narrator’s impersonal style“.131 Die Beweggründe für Davids Erkundigungen und das Senden nach der Frau blieben indeterminiert, die Gefühle müsse der Leser aus der Handlung ermitteln. In der Folge werde genau diese Indetermination in den Dienst der Leserlenkung gestellt. Der Erzähler erzähle in einer „matter-of-fact registration, far from speaking out against the king’s conduct“,132 und auch die Schlussfolgerung, dass es sich bei Davids Vorgehen um Ehebruch handle, müsse der Leser selber ziehen. Schließlich überlasse der Erzähler auch die Verurteilung der Tat dem Leser. Für V. 4 stellt Sternberg einen weiteren „clash between matter and manner in the discourse“ fest.133 Besondere Beachtung schenkt er dabei der Zustandsbeschreibung sie reinigte sich gerade von ihrer Unreinheit mit seiner ungewöhnlichen Platzierung im Erzählgang, deren Erklärung eine besondere Anstrengung des Lesers zur Kohärenzbildung erfordere. Zunächst bezöge sie sich im sukzessiven Leseprozess auf die Anmerkung V. 2, dass Batseba bade. Sodann kann sie, im weiteren Lesevorgang, als Hinweis verstanden werden, dass David zwar Ehebruch beging, nicht aber die Reinheitsgesetze verletzte. Man verstehe die Aussage dabei zunächst so: „and he did not transgress the laws of menstrual purity.“134 Erst mit V. 5 würde dann retrospektiv deutlich, dass es darum geht, die Vaterschaft Davids zu vertuschen, denn Urija kann so, obwohl dies nicht ausdrücklich gesagt wird, als Vater ausgeschlossen werden. Die Aussage und er 128 129 130

131 132 133 134

Vgl. ebd. Ebd. Bemerkenswerterweise spielt die in der Auslegung mitunter aufgebrachte Frage, ob es Batseba nicht gemerkt haben müsste, beobachtet zu werden, oder ob sie es gar darauf angelegt hatte, für die Hypothesenbildung bei Sternberg keine Rolle. Dies kann allerdings durchaus auch Davids eigene Sicht sein. Ebd., 197. Diese Differenz wird umso größer, als Sternberg die Beschreibung von Emotionen und Befindlichkeiten besonders hervorhebt. Ebd., 198. Diese Auffassung ist m. E. etwas weit hergeholt. Zwar verwundert die Anordnung tatsächlich, aber ob man deshalb als Leser/Leserin auf eine solche Frage kommt, ist anzuzweifeln.

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schlief mit ihr werde dadurch zu einer unausgesprochenen Verurteilung.135 Auf die Explikation dieses Urteils verzichte der Erzähler, lege es aber dem Leser nahe: „Yet once again the indictment is pieced out by the reader, while the ‚innocent‘ narrator can deny having had any hand in it.“136 Sternbergs Argumentation basiert hier durchgängig auf einer sequentiellen Lesung des Textes als time-art und auf leserseitigen hypothetischen Schlussfolgerungen aus bisherigen Informationen des Textes im Leseprozess. In diesem Duktus geht Sternberg auch einer weiteren Frage nach: Weshalb wurde Urija nach Jerusalem beordert? Obwohl die Frage nach dem Warum im Zentrum des Leserinteresses stünde, bleibe auch sie durch die Erzählung indeterminiert. Das gebe Raum für verschiedene Interpretationsmöglichkeiten, für ein „potential gap-filling“.137 Zunächst kann der Leser die Möglichkeit nicht ausschließen, David habe positive Absichten, wenn er Urija nach Jerusalem kommen lässt. Da ist die freundlich anmutende Nachfrage nach dem Ergehen, die scheinbar fürsorgende Entlassung Urijas zur Erholung in seinem eigenen Heim, und schließlich ein Geschenk Davids für Urija. Erst wenn der Leser die Möglichkeiten der häuslichen Erholung zu Ende denke, werde er von einem „shock of enlightenment“ überrascht und erkenne „the kings real and diabolic scheme“,138 seine Vaterschaft vertuschen zu wollen. Von hier aus werde dann die zunächst noch denkbare Möglichkeit, David habe in guter Absicht gehandelt, endgültig eliminiert. Im kontinuierlichen Vollzug des Lesens erhält der Leser Informationen, aus denen er Folgerungen ziehen muss: [M]aking this value-laden inferences is not just a license that the reader may take or leave at will. Given the pressures of coherence, it is a responsibility that he must assume.139

Nachfolgende Informationen des Textes können die Folgerungen entweder bestätigen oder enttäuschen, ggf. die Frage in der Schwebe halten. Als Beispiel für eine Enttäuschung einer Lesererwartung nennt Sternberg V. 8, wonach es kurzfristig danach aussehe, als ginge Davids Plan auf, weil Urija den Palast verlässt. Dieselbe Technik werde in V. 13 nochmals angewandt, wo Urija wieder den Palast verlässt, diesmal in betrunkenem Zustand. Doch auch hier wird die Lesererwartung bald gebrochen: „the sequence of the text is exploited to arouse expectations which will be immediately dashed in an ironic collapse.“140 Sternberg zeigt an der David-Batseba-Erzählung aber auch auf, dass manche der Leerstellen, die eröffnet werden, verschiedene Optionen für das Gap-filling 135

136 137

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„This gap-filling wholly resolves the collocation of the troublesome phrase with ‚and lay with her‘, and what was previously taken as an objective and impartial recording of external facts now turns into a covert indictment“ (ebd.). Ebd. Ebd., 199. Sternberg nennt die Möglichkeit, David könne seine Schuld eingestehen und um Vergebung bitten wollen; als negative Möglichkeiten nennt er, Davids Ziel könne sein, Urija einzuschüchtern oder zu bestechen. Ebd., 200. Ebd., 201. Ebd., 200.

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bewusst in Balance halten141. Ein erstes großes Beispiel hierfür findet er in der Frage, die der Abschnitt V. 6-13 aufwerfe, ob Urija von Ehebruch und Schwangerschaft seiner Frau weiß oder nicht. Für beide Möglichkeiten seien hier Anhalte im Text zu finden,142 aber die Erzählung entziehe sich absichtlich einer expliziten Antwort auf diese Frage: „The narrative deliberately creates this impossibility of deciding between the two alternative systems of gap-filling.“143 Schlüsselverse sind für Sternberg V. 9 und V. 11. V. 9 erzählt, dass Urija nicht in sein Haus hinabgeht. Was sind seine Beweggründe hierzu? Ist er einfach loyal gegenüber seinen Kriegskameraden und gehorsam gegenüber dem Kriegsgesetz – und zugleich völlig umwissend über die Situation seiner Frau? Oder tut er das, weil er über die Lage im Bilde ist, und es handelt sich um eine bewusste Weigerung gegen Davids Vertuschungsversuche? Für die Hypothese, Urija sei unwissend, spreche, dass der Vertuschungsversuch Davids keinen Sinn mache, wenn die Nachricht über Davids Ehebruch schon an die Öffentlichkeit gelangt und Urija zu Ohren gekommen sein könnte. Der Text schließe aber auch die gegenläufige Lesung nicht aus: David könnte Gerede vermuten oder auch davon wissen. Auch Urija könnte in Jerusalem davon erfahren haben, etwa von den involvierten Boten. Dies wiederum spreche dafür, dass Urija von der Schwangerschaft weiß und Davids Plan vereiteln möchte. Ähnlich doppeldeutig lasse sich V. 11 lesen: Ist Urija unwissend, erscheint er als mit seinen Kameraden solidarischer Soldat, der sich weigert, den Anweisungen des obersten Kriegsherrn Folge zu leisten. Damit übe er zwar indirekt Kritik an Davids konkreter Anweisung, merke aber nicht, dass er Davids Dilemma vergrößere. Umgekehrt wäre denkbar, dass er dies absichtlich tue, um sich an David für das Vergehen an seiner Frau zu rächen.144 Kunstfertig schaffe auf diese Weise der Erzähler „a multiple and hence multifunctional character“.145 Diese Charakterisierung ist unmittelbar verbunden mit einer Wertung Davids, die in jedem Fall negativ ausfalle. Die Möglichkeit einer Lesung Urijas als eines pflichtbewussten, „idealistischen“ Soldaten146 – 141 142

143 144

145 146

Vgl. ebd., 201-209. Sternberg widmet umfangreiche Ausführungen dieser Frage. Im Vollzug des sukzessiven Lesevorgangs fänden sich Anhalte für die eine wie die andere Lesung, umgekehrt würden aber auch beide Lesungen durch konkrete Textaussagen in Frage gestellt. An verschiedenen Textabschnitten spielt Sternberg beide Möglichkeiten durch; eine besondere Rolle spielen dabei V. 9 und 11. Ebd., 202. Sternberg argumentiert hier u.a. mit der Indeterminiertheit der Bezugsgröße zu ‫ אדון‬an einigen Stellen in den Aussagen Urijas, verbunden mit dem eindeutigen Bezug auf Joab (anstatt auf David) in V. 11. Beide Möglichkeiten spielt er durch, und stellt fest, dass in jeder der beiden möglichen Lesarten diese Redeweise Ironie bewirke und sich (auf Ebene der Erzählung) gegen David richte. – Anzumerken ist hier allerdings, dass es sich bei ‫אדון‬ um einen relationalen Begriff handelt, und dass die Bezeichnung Joabs als „mein Herr“ nicht zugleich ausschließen muss, dass Urija nicht auch David als „seinen Herrn“ sieht. Ebd., 208; Kursive von Sternberg. An die Behauptung, Urija zeige idealistische Solidarität, ist anzufragen, ob sein Verhalten nicht eher aus kriegsrechtlichen Erwägungen motiviert sein dürfte. Zwar findet sich in anderen biblischen Texten keine explizite Rechtsgrundlage für den Heimataufenthalt von Soldaten in Kriegszeiten, aber es legt die Darstellung ähnlich

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Fallstudien an 2Sam 11 und 12

der im Rahmen der Hypothese von dessen Unwissenheit147 besonders profiliert würde – setze David als Müßiggänger in Kontrast zur Kriegstruppe im Feld.148 Die zweite mögliche Lesung ist die, dass er in Kenntnis der Situation sei.149 Dann würde er als betrogener Ehemann seine Entrüstung hinter enormer Selbstbeherrschung verbergen – und diese Selbstbeherrschung kontrastiere wiederum Davids Müßiggang.150 In diesem Fall begegne uns in Urija eine besonders komplex gezeichnete Persönlichkeit: ein Realstratege, der gegen David die Form der stillen Rache wirksam zur Anwendung bringe.151 Zwar seien die beiden Konzepte – das des wissenden und komplexen bzw. das des ahnungslosen und naiven Urija – nicht miteinander vereinbar, der Erzähler halte sie in Hinblick auf den Leser aber absichtlich so in der Schwebe. Er setzt gleichzeitig beide Konzepte erzählstrategisch “for maximum effect” ein, um beide jeweils unterschiedlich nuancierten davidkritischen Spitzen zeitgleich

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gelagerter Sachverhalte – etwa in der Erzählung von Davids Aufenthalt bei den Priestern von Nob (1Sam 21,5-10) oder die Kriegsgesetzbestimmungen in Dtn 23,10-15 nahe – dass sexuelle Enthaltsamkeit der Soldaten in einer Kriegssituation geboten war. Einige Argumente Sternbergs: David scheint von Urijas Unwissenheit auszugehen; seine Anweisung an Urija, in sein Haus hinabzugehen, mache dann den meisten Sinn. Auch dass Urija offensichtlich arglos den Brief übermittelt, spricht für seine Unwissenheit; hätte er etwas gewusst oder geahnt, hätte er wohl den Brief geöffnet und wäre geflohen. – Triebe man die gap-Überlegungen im Sinne Sternbergs weiter, ließen sich aber auch ganz gegenläufige Erklärungen konstruieren, etwa: Urija, verzweifelt an den Machenschaften seiner Frau, begeht „Selbstmord“; daran anschließen könnte man dann ein „twofold gap-filling“, ob Urija dann damit den Ruf seiner Frau rettet, indem er eine öffentliche Aufdeckung des Ehebruchs verhindert, oder ob er gerade dem Ruf seiner Frau schaden will, indem er als bekannt voraussetzt, dass der Ehebruch nicht geheim ist, und dies damit verstärkt, bekannt zu machen, dass nicht er der Vater sein kann, weil er nicht in sein Haus hinabging. Solcherlei Überlegungen ließen sich mühelos potenzieren und auch dekonstruktivistisch verwerten. Sternberg sieht dies als Fortsetzung der in V. 1 aufgebauten ironischen Spannung. V. 1 hatte den König in der Stadt in Opposition zu der Nation im Krieg bzw. Davids konkretes (falsches) Verhalten in Opposition zu dem abstrakten Konzept (angemessenen) Königseins gestellt. Hier wird David mit dem Konzept des exemplarischen Soldaten kontrastiert. Neben der Feststellung, dass einige Boten in die Angelegenheit involviert waren, irritierten auch einige Verhaltensweisen Urijas. So habe er die Anweisung Davids, die ja beinahe einem Befehl gleichgekommen war, weder kommentiert noch befolgt. Dass er erst am nächsten Tag auf konkrete Rückfrage Davids hin eine Erklärung dazu abgebe, spreche dafür, dass Urija sich entschuldige „for actions he has performed for other reasons“ (ebd., 206). – Hierzu ist zu sagen, dass der Abschnitt auch anders gelesen werden könnte: Aus dem „Nichthinabgehen“ Urijas lässt sich Davids scheinbare Aufforderung als „Angebot“ lesen; eine Kommentierung seines Verhaltens wird für Urija erst durch die Nachfrage Davids nötig. Vgl. ebd., 208. Dies tut er nach Sternberg, indem er sich ausschweigt, aber mit seinem Handeln Davids Ratlosigkeit steigert. Problematisch an dieser Sicht ist, dass Urija – führt man die Linie dieser Überlegung weiter – durch die Überbringung des Briefes doch eher wieder als Naivling erscheint. Das Ende scheint also nicht recht zum Bild des komplexen Realisten zu passen. Entsprechend zeichnet Sternberg dann auch überraschend einen weniger komplexen als einen naiv-resignativen Urija, der sich widerstandslos in sein Schicksal fügt.

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einzusetzen: „Because of the reader’s inability to decide between the two mutually exclusive portraits, the figure of Uriah comes to operate in both directions at once.“152 Beide Stränge der doppelten Leseweise stellen nach Sternberg gemeinsam David in kritisches Licht. Diese Kritik ist in der Erzählung nicht offen geäußert. Sie geschehe vielmehr höchst geschickt auf indirektem Wege. Der Erzähler verwende dazu die Strategie, einen scheinbar objektiven „Bericht“ der Ereignisse zu bieten und auf ein ausdrückliches Urteil über Davids Verhalten zu verzichten: In order to preserve his pseudo-objective tone and assumed artlessness, the narrator does not pass direct judgement on the king’s actions, nor does he even turn his 153 characters into overt normative mouthpieces.

Durch die Art und Weise, wie Urija dargestellt wird, und die oben beschriebene Wirkung der erzählerischen gaps, wird David auf subtile Weise in kritisches Licht gerückt. Das Urteil des Erzählers bleibt schwer fassbar hinter der Fassade vorgeblicher „Naivität“ des Erzählten verborgen. Das Spiel mit dem doppelt-gegenläufigen Hypothesenentwurf zu Urija bestätige in besonderem Maße die Regel: „The sharper the ambiguity of event, character, and position, the more hidden the narrator’s true face.“154 Wenn mit der gleichen Wortfolge zwei (oder mehr) gegenläufige Lesungen aktualisiert werden können, so hätte das letztlich zum Ziel, den Leser immer wieder auf den Text an sich („concrete texture“155) zu verweisen, indem durch dieses erzählerische Spiel jedes Detail zu Bedeutung, Wichtigkeit und Interessantheit gelangt. Für Sternberg ist jedoch von diesem Text her die Ambiguität letztlich nicht zu entscheiden. Sternberg demonstriert das Spiel der Erzählung mit den Leserhypothesen an einem weiteren Beispiel: der Frage, was David denkt, dass Urija denkt.156 Dies eröffne Raum für drei Leserhypothesen: 1.) David gehe davon aus, dass Urija in Unkenntnis der Sachlage ist. 2.) Er gehe davon aus, dass Urija Kenntnis von Batsebas Schwangerschaft hat. 3.) Er weiß nicht, genauso wenig wie der Leser, ob Urija im Bilde ist oder nicht. Die erste Variante werde dadurch gestützt, dass David den Brief an Joab mit dem „Todesurteil“ Urijas durch Urija selbst übermitteln lässt. David ist in dieser Lesung nur ein „farbloser“ Charakter, der lediglich auf die Lösung seines Problems aus ist und den Ehebruch vertuschen will. Im Rahmen der zweiten Variante hingegen erscheint er als „a ruthless but passionate and heroic king – a figure of grandeur and drama conspicuously unlike the colorless schemer of Hypothesis 1“.157 David wäre hier ein Tyrann, der sich an Urija für dessen höhnische Behandlung rächt. Die dritte Lesung bringe die ersten beiden in „David’s own psychology“ in Konflikt: Das Innenleben des 152 153

154 155 156 157

Ebd. Ebd., 207. Wobei hier an Sternberg die Frage zu stellen ist, wie sich die Feststellung der „assumed artlessness“ zu seinem Nachweis der erzählerisch durchkonstruierten Narration verhalte. Ebd. Ebd., 209. Vgl. ebd., 209-213. Ebd., 212.

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Protagonisten müsse beide der aufgeworfenen Fragen gegeneinander abwägen. Das führe zu einer hohen Komplexität dieses Erzählabschnitts. Alle drei Lesungen weisen nach Sternberg ironische Merkmale auf und tragen davidkritische Züge. Die ambige Darstellung lasse der Leseraktivität großen Raum und löse die aufgeworfenen Fragen letztlich nicht wirklich auf. Diese Kunstfertigkeit im Umgang mit „dual or multiple systems of gap-filling“ schließt für Sternberg die Erzählung in 2Sam 11 an moderne Literatur an. Die oben dargelegte Unbestimmtheit des Textes, aus der sich eine Vieldeutigkeit des Lesers ergibt, ist für Sternberg Ergebnis bewusster literarischer Gestaltung der Erzählung. Auch den Abschnitt zur Botensendung von Joab an David (V. 15-27) analysiert Sternberg unter diesen Gesichtspunkten. Für Sternberg klaffen jeweils die Anweisungen und ihre Durchführung auseinander. Das betreffe Joab im Umgang mit Davids Befehl, sowie dem Boten im Umgang mit Joabs Befehl. Der ausführliche Bericht, wie Joab die Anweisungen Davids im Kriegsgeschehen zur Ausführung bringt, scheine zunächst redundant. Bei genauer Betrachtung aber werde der feine Unterschied zwischen Befehl und Ausführung deutlich. Dieser sei Anhalt für den Leser, in der zunächst scheinbar nur additiven Erzählweise die Opposition Joabs gegen David zu entdecken. Verdeckt zwischen den beiden textlichen Entsprechungen – der Anweisung Davids und der Durchführung Joabs –, wolle der Erzähler darauf hinaus, dass Joab den Befehl – „implementing it in spirit rather than to the letter“158 – in „verbesserter“ Variante zur Ausführung bringt. Unter politisch-strategischen Gesichtspunkten sei es besser, wenn einige Leute ums Leben kämen und Urijas Tod als Unglück erscheine, als wenn nur er als Einzelperson im Kampf sterbe, so dass die Verschwörung offenkundig würde. Daher lasse Joab nicht, wie von David eigentlich gefordert, die Soldaten hinter Urija den plötzlichen Rückzug antreten.159 Analog sei die anschließende Boteninstruktion Joabs und die Durchführung des Botengangs zu lesen. Joab wolle vor dem Boten den wahren Zweck seiner Sendung zurückhalten.160 Die Instruktion sehe vor, dass zunächst viele Einzelheiten des Kampfes zu erzählen seien. Dies sei eine Strategie Joabs, David „auf den Arm zu nehmen“ („to play a harmless but stinging joke on the king“161). Ziel sei, Davids Zorn zu erregen und Joabs scheinbare Fehler zu kritisieren. Dann erst solle die für David entscheidende Mitteilung vom Tod Urijas erfolgen. 158 159

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161

Ebd., 214. Wie wir in der Analyse z. St. oben sahen, gibt es auch andere Möglichkeiten, diese scheinbare Differenz zu erklären. Auch wäre es sachlogisch denkbar, dass es sich um ein Versehen handelt, wenn mehrere Personen sterben, oder, dass eine wortwörtliche Erfüllung des Befehls weder intendiert war noch möglich sein kann, da es schwerlich denkbar ist, tatsächlich eine Einzelperson allein im Kampfgeschehen zurückzulassen. Dass David durch einen Brief und Joab durch einen Boten sendet, ist sachlogisch und erzähltechnisch bedingt. Urija darf nichts von dem im Brief enthaltenen Befehl wissen. Die präfigurierte Davidrede, die für den Leser/die Leserin wichtig ist, ist nur via mündliche Botschaft möglich. – Bezüglich der These Sternbergs, dass Joab den Boten in Unwissenheit halten wollte, ist zumindest zu fragen, ob dies nicht durch die Art und Weise der Darstellung in Frage gestellt wird. Immerhin ordnet Joab für den vorherzusehenden Fall, dass David zornig würde, die zu gebende Information, dass auch Urija tot sei, an. Dies muss den Boten zumindest stutzig machen. Ebd. 215

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Dahinter stehe wiederum die Strategie des Erzählers, David und sein Verhalten in indirekter Weise anzuprangern: Der Kriegsbericht brächte ihn in Rage, solange er sie nicht mit seinem Vertuschungsmanöver in Verbindung bringe. Während Joab aber wissentlich und geschickt Davids Plan befördere, auch wenn er mit ihm nicht einverstanden ist, verderbe und durchkreuze der Bote – dienstbeflissen und sicherheitsbedürftig – Joabs Absicht, indem er die Reihenfolge der Informationen vertausche. Zunächst scheine auch der Ausführungsbericht (V. 22-24) des Joabbefehls redundant, zeige aber dann, dass auch der Bote sich für eine sinngemäße Ausführung entscheide (jedoch ohne den Sinn richtig verstanden zu haben), und zwar mit dem persönlichen Ziel, den zu erwartenden Zornesausbruch Davids von vornherein zu vermeiden. Hierzu bediene er sich einer leichten Manipulation des Kriegsberichtes: Zur Entkräftigung des Einwandes, weshalb die Krieger so nahe an die Mauer herangegangen seien, erzähle er vom Ausfall der Feinde und deren Zurückdrängung an das Tor der Stadt. Dass er am Ende der Ausführungen auch gleich die Information vom Tod Urijas gebe, hänge mit seiner Unwissenheit zusammen, und mit dem Ausbleiben der Notwendigkeit, erst eine Zornreaktion abzuwarten.162 Dass David nicht zornig wurde, habe der Bote sicherlich als Erfolg gewertet.163 Nach Sternberg lassen sich die Differenzen der verschiedenen Aussagen über die Kriegshandlung auf Erzählerebene, in der Joabinstruktion und im Botenbericht – die er hier ebenfalls „gaps“ nennt – nur sinnvoll erklären, wenn man die innere Logik und die Intention des Boten ermittle und nachvollziehen könne.164 Auch der summarische Vers 22 bekomme retrospektiv einen ironischen Unterton, indem der Leser ja wüsste, dass der Bote eben nicht genau die Instruktion befolgt habe. Er gebe entweder die Sicht des Unschuld vortäuschenden Erzählers wieder oder die Sicht des Boten, der meine, den Auftrag in verbesserter Fassung ausgeführt zu haben.165 An dieser Stelle sei angemerkt, dass Sternbergs Interpretation sich für die Botensendung durch Joab stark von der in 5.2 vorgelegten narratologischen Analyse dieses Erzählstrangs unterscheidet. Sternberg ordnet die Interpretation seiner Beobachtungen ganz dem Gedanken einer ironisierenden Leserlenkung unter. Alles, was im Diskurs in irgendeiner Weise als Inkohärenz gesehen werden kann, wird dahingehend ausgelegt, dass es sich hier um subtile Hinweise des Erzählers handle, die Davids Verhalten kritisieren sollen. In der narratologischen Analyse in 5.2.2 wurden besonders für diesen Abschnitt weitgehend gegenläufige Erklärungen gegeben. Und wenn Sternberg am Ende auch für das Urteil in V. 27b konstatiert, dass der Erzähler sich letztlich bedeckt halte, indem 162 163 164

165

Auch Sternberg hat seine besonderen Probleme mit der wahrscheinlich unklarsten Stelle des Textes. Zwar wird von einem Zorn David nichts gesagt, doch bleibt die Möglichkeit offen, dass dieser einfach präsupponiert ist. Siehe die Analyse zur Stelle. Dem ist entgegenzuhalten, dass sich dies auch erzähltechnisch mit Blick auf den Leser/die Leserin plausibel erklären lässt: Der Erzähler gibt die Details des Geschehens erst nach und nach preis, und das eben auf verschiedenen Ebenen der Erzählung. Hier ist einzuwenden, dass mit der größtmöglichen Verläßlichkeit (gegen erzählerische Irreführung) auf der Erzählebene am ehesten zu rechnen ist. Wenn man so will, schenkt Sternberg dem Boten hier mehr Glauben als dem Erzähler.

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er sich hinter ein Urteil Gottes zurückziehe, um keine eigene direkte Aussage zum Geschehen zu machen,166 ist m. E. nicht unmittelbar nachzuvollziehen. Es macht den Eindruck, als müsse Sternberg hauptsächlich den bisherigen Duktus seiner Argumentation einfach bis zum letzten Vers hin durchhalten. Sternbergs Ausführungen zu 2Sam 11 stehen ganz im Zeichen seiner „gap“Theorie. Auch in der jetzt vorliegenden Form als Kap. 6 seiner Poetics of Biblical Narrative ist noch ganz klar das schon in der Erstfassung verfolgte Hauptanliegen zu erkennen, intendierte gaps als eines der wesentlichen Merkmale von Literatur zu beschreiben. Er zeichnet dabei das Bild eines Erzählers,167 der sich jedes direkten Urteils entzieht, indem er mit Ironie arbeitet. Diese Ironie werde vermittels der gaps aufgebaut, indem der Text Anhalt für eine gegenläufige Lesung biete, die der Leser parallel zur tatsächlich dargestellten Handlung zu lesen habe. Dann könne er die Erzählung mit Hilfe dieser gedachten Ergänzung interpretieren. Sternberg ist ein scharfer Beobachter von Details der Erzählung. Er geht bei seiner Analyse von einer Kohäsion der Erzählung aus, die in einer Interaktion des Textes mit dem Leser entsteht: Er bezieht gleichsam eine durch Unbestimmtheit des Innenlebens, der Gedankenwelt und der Befindlichkeit der dramatis personae vermutete bewusste Hintergründigkeit des Dargestellten als untrennbare Parallele zu den durch den Text dargebotenen Informationen in die kohäsiv-kohärente Lesung mit ein. Aufgrund dieser Vorannahme finden die Stellen der Erzählung, die als „inkohärent“ gesehen werden können, im Rahmen seiner Hypothese der bewussten, ironisierenden Strategie des Erzählers, ihre Erklärung. Uriel Simon168 hat schon früh gegen diesen „ironic approach“ Sternbergs eingewandt: 1.) Zwar gebe es gaps, aber man dürfe auf sie keine umfassende Argumentation aufbauen. Da etwa das Innenleben der Akteure (Gefühle) in den biblischen Erzählungen nur sparsam, zumeist indirekt zum Ausdruck gebracht wird, gehe Sternberg von falschen Voraussetzungen aus. 2.) Die isolierte Behandlung von 2Sam 11 lässt den größeren Kontext unbeachtet; er sei jedoch kein abgeschlossener Text im Sinne einer Kurzgeschichte, sondern Teil eines größeren Zusammenhangs mit entsprechenden Abgrenzungsproblemen. 3.) Literaturwissenschaftliche Betrachtung verfehle die Gattung. Es handle sich eben nicht um novellistische Literatur, sondern um Geschichtsschreibung. Mir scheint Simons Einwurf in den ersten beiden Punkten berechtigt. Fraglos arbeitet die Erzählung mit Leerstellen, wie wir oben gezeigt haben. In der Tat ist an Sternberg aber anzufragen, ob bei ihm nicht das gap-filling ein zu hohes Maß an Aufmerksamkeit erhält. Die Grundvoraussetzung, die Sternberg macht, dass das für den Leser Entscheidende in den Emotionen und Beweggründen der dramatis personae liegt, scheint mir zu stark durch psychologi166

167 168

„Yet even here the narrator has, as it were, not said a thing. Not on his own authority, at least. For the attitude expressed is God’s, and though it carries sufficient weight to open the eyes of the naivest reader, the narrator is still careful to quote it with due (and distancing) acknowledgment“ (ebd., 219). Vgl. die Ausführungen zu Sternbergs Textbegriff (3.3). Vgl. Simon, Ironic Approach.

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sierende Überlegungen im Sinne moderner Literaturbetrachtung beeinflusst und an den biblischen Erzähltext herangetragen.169 Das Entscheidende unserer Erzählung liegt m. E. nicht darin, was die Personen denken oder fühlen, sondern dass der Leser den Ehebruch und den Mord Davids mitgeteilt bekommt. Die erste dieser beiden wesentlichen Mitteilungen erhält der Leser in V. 4 durch das ‫וישׁכב עמה‬, was verbunden ist mit dem Leser-Vor-Wissen darum, dass es sich bei der Frau um ‫ אשׁת אוריה‬handelt. Auch wenn die Erzählung das nicht ausdrücklich als Ehebruch deklariert, es ändert nichts daran, dass die Erzählung dem Leser mitteilt, dass es sich bei Davids Vorgehen um Ehebruch handelt. Es ist zum einen zweifelhaft, ob der Unterschied zwischen Angelegenheit und Darstellungsweise in V. 4 wirklich so groß ist, wie Sternberg festhalten will. Seine Feststellung „nothing seems to have happened“ ist trotz der Kürze der Darstellung mit ihrer schnellen Verbfolge nicht haltbar. Viel eher werden wir aufgrund der Prägnanz der Darstellung mit der Wucht des Inhalts konfrontiert. Zum anderen lässt sich feststellen, dass nicht erst mit der Feststellung der Schwangerschaft in V. 5 Davids Verhalten als Fehlverhalten deutlich wird. Dass David ethisch verwerflich handelt, ist dem Leser schon mit V. 4 gewiss; so kann dies nicht lediglich als „objective and impartial recording of external facts“ (198) angesehen werden. Würde Sternberg seine Betrachtung mehr auf die „harten Tatsachen“ als auf die „gaps“ richten, so müsste er größeres Gewicht auf die deutliche Leserlenkung der Ehebruchsaussage ‫ וישׁכב עמה‬legen. Diese präsupponiert ein Leserwissen darum, dass es nicht vertretbar ist, in Abwesenheit des Ehegatten wissentlich dessen Frau zu verführen. So steht auch die Rückholung Urijas schon unter dem Eindruck dieses Ehebruchs, und es wird dem Leser schwer möglich sein, die Frage nach dem Wohlergehen und das Hinabsenden ins Haus einfach als wohlwollende Geste Davids zu verstehen, denn er rechnet seit der Rückkehr Urijas mit einer Intentionalität von Davids Handeln – wohl gemerkt: in Bezug auf den Ehebruch. Dies gilt auch für das Argument Sternbergs, der Erzähler schweige sich über ein Urteil aus und stelle die Angelegenheit in „neutralem“ Stil dar: Die Verletzung der Normen, die erzählt wird, ist dazu zu gravierend. Auch für einen Erstleser ist nicht anzunehmen, dass eine wertneutrale Lesung solchen Verhaltens möglich gewesen sein könnte. Die Sachlage ist unerhört. Auch die Fortsetzung in Kap. 12 zeigt in Natans Reaktion deutlich, dass dieses Verhalten Davids als massive Normverletzung empfunden worden ist – es bedarf keiner weiteren Explikation etwa 169

Ähnlich gelagert – was die psychologisierende Betrachtung des Kapitels angeht – ist der Beitrag David and Bathsheba von H. Hirsch Cohen. Auch Hirsch Cohen liest zwischen den Zeilen nach „additional meanings hidden beneath the surface“ (143): „Psychology (…) can be effectively used as tool[ ] in biblical studies (…) to unearth the human element that may lie hidden in a mass of detail or in the terseness of a biblical sentence“ (142). So stellt er fest, dass David nie „in love with Bathsheba“ war (142); Davids Verhalten sei vermutlich durch die Hitze begünstigt worden: „The feelings of love and lust (…) were heightened by the hot, dry weather or by a sirocco-type heat wave“, was eine Selbstkontrolle reduzierte. Die Batseba-Affäre markiere den Wendepunkt in Davids Leben: „From that time on, there was only retrogression“ (148). Es ist etwas verwunderlich, dass Hirsch Cohen dafür keine weitere Erklärung gibt und die biblische „übernatürliche“ Erklärung durch Gottes Eingreifen verschweigt.

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darüber, dass Natans Vorwurf gerechtfertigt sei. Von daher mag die Darstellung zwar in Teilen den Anschein von „Neutralität“ haben, ist aber schon (spätestens) mit der Schilderung des Ehebruchs de facto nicht mehr neutral sondern (selbstredend) wertend. Wenn Sternberg etwa für V. 7-13 konstatiert, dass vordergründig die Gastfreundschaft Davids zunehme, es aber tatsächlich um das wachsende Bedenken Davids, ob er seinen Plan durchführen könne, gehe, dann ist zumindest zu fragen, ob es wirklich die „Angst“ ist, die thematisch den Abschnitt bestimmt, oder ob Sternberg nicht zu viel hineinliest.170 Solcherlei Detailfragen liegen jedoch gar nicht im Fragehorizont des Erzählers und sind in diesem Abstraktionsgrad doch wohl eher an den Text herangetragen. Vielmehr scheint der Erzählstrang unter der Voraussetzung formuliert zu sein, dass es sich denn so zugetragen hat – unabhängig davon, ob tasächlich oder als gedachte Handlung. Zunächst sollte eine Lesung doch davon bestimmt sein, den vom Diskurs gegebenen Informationen zu folgen. Wenn weder Urija, noch einer der anderen Charaktere, noch die Erzählerstimme dies expliziert, müsste dies auch zunächst – bis zum Erweis des Gegenteils – als Ausgangspunkt der Lesung genommen werden. Dies gilt analog auch im Hinblick auf Sternbergs Überlegungen, dass die Hypothese, Urija wisse nichts vom Ehebruch, dadurch weiter gestützt werde, dass Urija selbst nicht expliziert, dass er davon wisse. Aus Sternbergs Sicht hätte die Erzählung formulieren können: „Und Urija wusste es nicht“, wenn sie die Frage, ob Urija denn von dem Ehebruch wusste oder nicht, nicht hätte in der Balance halten wollen. Wenn aber der Erzähler eine solche von Sternberg aufgeworfene Frage gar nicht im Blick hatte, dann hatte er auch keinen Anlass, so oder gegenteilig zu formulieren. Auch hier ist Sternberg entgegenzuhalten, dass man zunächst dem textlich Gegebenen folgen sollte. Die Informationen des Diskurses sollten zunächst als konkreter Anhalt zur Leserlenkung interpretiert werden, bevor sie auf ihre eventuelle Hintergründigkeit befragt werden. Überlegungen zur Hintergründigkeit des Textes haben zwar ihr gewisses Recht, dürfen aber nicht zu weit getrieben werden. Sternberg jedoch stützt in hohem Maße seine Argumentation auf Sachverhalte und Hintergründigkeiten, die nicht im Text selbst stehen. Je mehr diese Hintergründigkeiten das Innenleben, die Motive, die Befindlichkeit – also im Großen und Ganzen psychologische Fragehinsichten – betreffen, desto mehr entfernt sich dies von den durch den Text tatsächlich vorgegebenen Präsuppositionen zu einem gap-filling zweiter Ordnung. Je weiter man mit solcherlei Vermutungen zur Hintergründigkeit des Textes spielt, desto mehr lassen sich darauf aufbauend weitere Vermutungen formulieren und desto weniger gibt konsequenterweise auch der Text selbst Antworten auf die aufgeworfenen Fragen. Diese Art von gaps, wie sie uns hier beschrieben werden, steht qualitativ und quantitativ auf einer anderen Ebene als die vom Erzähltext vorgegebenen Präsuppositionen, die aus der Ökonomie des Erzählens erklärbar sind (vgl. 5.2.1.2). 170

Mit mit dem Schreiben des Briefes V. 13 ist vorausgesetzt, dass Davids Plan gescheitert ist. Von daher mag man als Leser/Leserin vorsichtig auch auf Davids Gefühllage in der Begegnung mit Urija zurückfragen; dies ist aber keine zentrale und keine notwendige Frage, wenn man dem Verlauf der Erzählung folgt.

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Mögliche Kontrollfragen, ob denn eine solche Offenheit des Textes in altorientalischen Erzählungen intendiert sein kann, oder auch die Frage, ob die Erzählung nicht auch ohne angenommene Doppelhintergründigkeit plausibel und schlüssig als Davidkritik gelesen werden kann, und nicht zuletzt die Frage, ob denn hier nicht ein Merkmal moderner Literatur in diese Erzählung hineingelesen wird – lassen es eher fraglich erscheinen, ob man Sternbergs Vorgehen im Blick auf biblische Erzähltexte in dieser Weise folgen darf. Besonders die Möglichkeit, dass Texte eine bewusst ambige Lesung anbieten und die Auflösung zweier gegenläufiger Leserannahmen verweigerten, scheint doch stark Anleihen an moderne literaturwissenschaftliche Überlegungen zu nehmen. Sternberg selber bezeichnet denn auch folgerichtig den Text als „work of art“ und besagte Technik als Basisprinzip literarischer Texte überhaupt.171 Die Verwendung dieser Begrifflichkeit verdeutlicht, wie sehr Sternberg biblische Erzähltexte mit moderner Literatur ineins sieht. Ein weiterer kritischer Punkt bei Sternberg ist, dass er sich zu stark auf die Einzelcharaktere konzentriert. Er beobachtet deren Handeln und Reden minutiös genau. Dabei tritt bei ihm aber in den Hintergrund, dass diese Einzelcharaktere ganz im Dienste des Erzählers stehen. Und dieser formuliert im Blick auf den Leser, der, was das Wissen über das Geschehen der Erzählung betrifft, (so gut wie) immer den handelnden Personen gegenüber privilegiert ist. Konsequent zu Ende gedacht, finden wir in der Erzählung eine Allgegenwart der Erzählerstimme, und zwar auch auf den der Erzählebene untergeordneten Ebene der erzählten Reden.172 Der Erzähler gestaltet die ganze Erzählung mit Blick auf den Leser. Dass die Erzählung in Hinblick auf den Leser als „Interaktionspartner“ formuliert ist, bedeutet zugleich, dass der Informationsgehalt des gesamten Diskurses für den Leser gedacht ist, nicht etwa für handelnde Personen innerhalb der Erzählung. So etwa ließen sich die von Sternberg postulierten gaps, die aus dem Vergleich der Kriegsberichte auf Erzählerebene, in der Joabinstruktion und in der Botenrede ergeben, mühelos im Konzept der Erzählpositionierung gegenüber dem Leser erklären (vgl. 5.2.2.3). Der Leser erhält nach und nach durch den Erzähler ein immer weiterreichendes Gesamtbild des Kriegsgeschehens. Der Informationsgehalt wird einfach auf verschiedenen Ebenen der Erzählung angereichert. Nimmt man die Annahme ernst, dass es in erster Linie um die Informationsmitteilung an den Leser geht und nicht um die Frage, wieviel an Information an die handelnden Personen der Erzählung gelangt, so kommt man ohne die Annahme bewusster gaps und manipulierter Befehlsausführungen mühelos aus.173 Zu den Stärken von Sternbergs methodologischen Überlegungen gehört unbestreitbar, dass er historische Fragestellungen mit literaturwissenschaftlichen verbindet. Auch hat er Interesse an dem historischen Leser und an dem tatsäch171 172 173

Vgl. Sternberg, Poetics, 202f. Vgl. zur Positionierung 6.2.2.3. Es ist damit zu rechnen, dass manche der Leerstellen- oder Inkongruenzempfindungen des heutigen Lesers oder der heutigen Leserin dadurch entstehen, dass die Erzählung in ihrer Erstkommunikation auf einen bekannten Stoff rekurriert, und die Erzählung auch aus diesem Grund nicht alle sachlogischen „Lücken“ der Darstellung schließen muss.

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lichen Autor, wie an vielen Stellen seiner Poetics of Biblical Narrative deutlich wird (vgl. auch 3.3.1/2). Diachrone Fragen allerdings spielen in Sternbergs Analyse von Kap. 11 keine Rolle. Er interpretiert das ganze Kapitel in synchroner Sicht. Indem Sternberg die Eröffnung in V. 1 als ironischen Rahmen, der sich über die ganze Erzählung hin erstreckt und die Opposition zwischen dem tatsächlichen König David und dem Königsideal aufrechterhält, kennzeichnet, sieht er diesen Vers als integralen Bestandteil der gesamten Erzählung an. Die Verweigerung eines expliziten Erzählerurteils über David nimmt nach Sternberg hier seinen Ausgang und zieht sich bis in die Aussage V. 27b, wo sich der Erzähler hinter einem Urteil Gottes verstecke. Auch dieser letzte Versteil des Kapitels ist nach Sternberg integrativer Bestandteil der Erzählung. Bemerkenswert ist, dass er aufgrund der Vorannahmen seiner Lesung den gesamten Textbereich V. 19-25 nach den Aussagen von V. 18 als im Grunde überflüssig bezeichnet, und dabei als besonders redundant die Joabinstruktion sieht.174 Aber auch dies erklärt er nicht diachron, sondern synchron: als Ergebnis erzählerischer Absicht Sicher ist es kein Zufall, dass Sternberg gerade diesen Erzählabschnitt auf über 30 Buchseiten umfassend analysiert. Kap. 11 ist auch in der Sicht historisch-kritischer Exegetinnen und Exegeten als weitgehend geschlossene Erzählung zu sehen. Dies ist anders bei Kap. 12, welches für literarkritische Überlegungen wesentlich mehr Anhalt bietet. Zu diesem Kapitel sind dann allerdings auch Sternbergs Anmerkungen nur noch spärlich gestreut.175

5.3.2.2 Robert Alter Robert Alter legte in seinem Buch The David Story eine eigene Übersetzung der Samuelbücher und eine Kommentierung der Daviderzählungen vor, deren erklärtes Ziel es ist, „to throw light on this book as someone trained in literature“ (XXXIII). Seine Textbeobachtungen sind zwar eklektisch und z.T. etwas spärlich, zeigen aber ein außerordentliches literarisches Interesse am biblischen Erzähltext, das kulturelle Aspekte in semantische Überlegungen einbezieht. Alter geht, wie auch Sternberg, von der Einheitlichkeit der Erzählung in 2Sam 11 (und darüber hinaus auch Kap. 12) aus. Er lehnt – mit Verweis auf Merkmale der Poetizität, die das Stück als eine „brilliant realization of this crucial pivotal episode“ kennzeichneten – alle literarkritischen Überlegungen ab: „such efforts are best passed over in silence, for the powerful literary integrity of the text speaks for itself.“176 174 175

176

Vgl. Sternberg, Poetics, 191. Besonders hat er sich geäußert zu 12,1-14 (zumeist aber in einer Beschränkung auf die geschlossene Parabel-Erzählung und den folgenden Abschnitt V. 5-7a), daneben gibt er auch einige Anmerkungen zu V. 26-31. Alter, David, 249; die Kommentierung zu 2Sam 11 findet sich S. 249-256. Zusammenfassend schreibt Alter über die literarischen Erzählmittel: „The deployment of thematic key words, the shifting play of dialogue, the intricate relation between instruction and their execution, the cultivated ambiguities of motive, are orchestrated with a richness that scarcely has an equal in ancient narrative“ (ebd.).

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Die Kürze der folgenden Ausführungen über Alter ergibt sich einerseits daraus, dass Alter selbst die David-Batseba-Erzählung sehr knapp behandelt. Zum anderen aber sind viele der Details der Erzählung von den vorhergehenden Ausführungen über Sternberg bekannt und können daher nun sehr kurz gehalten werden. Alter sieht V. 1 als integralen Bestandteil der Erzählung. Er macht das vor allem an innertextuellen Bezügen fest, die er als literarische Stilmittel deutet: ‫ לעת צאת‬finde seine ironische Aufnahme in ‫ לעת ערב‬von V. 2, und ‫ ישׁב‬stünde in Opposition zu ‫יצא‬. Das Textproblem bei ‫( מלאכים‬V. 1) hält er, mit Verweis auf Polzin, der ein Oszillieren der Bedeutung als literarisches Spiel beschreibt,177 in einer Art Schwebe: Während „Könige“ die wahrscheinlichere Lesung sei, scheine dennoch „the ghost of ‚messengers‘“178 hindurch. Die Häufigkeit des ‫ שׁלח‬nimmt Alter als Hinweis darauf, dass es sich nicht um eine moralische „Parabel“, sondern um eine Erzählung mit politischer Dimension handle. Es sei eine „story anchored in the realities of political history (…) concerned with the institutionalization of the monarchy“ (249). Die Wendung ‫( לעת ערב‬V. 2) zeige, dass David ungebührlich lange im Bett gelegen habe. Zwischen dem ‫ מעל‬in V. 2 (zweimal) und seinen Belegen in V. 20.21.24 stellt er einen literarischen Bezug her. Dass der Ausländer Urija als vorbildlicher Soldat in Kontrast zu David gestellt würde, bezeichnet Alter als Ironie. Für V. 4 stellt er besonders den Personenwechsel in der Verbfolge heraus und folgert: „When the verb ‚come on‘ or ‚come into‘ has a masculine subject and ‚into‘ is followed by a feminine object, it designates a first act of sexual intercourse.“179 Bei Alter fällt Batseba eine aktive Rolle im Ehebruch zu; dies ergebe sich zudem aus ihrem opportunistischen Verhalten in 1Reg 1f. Dass bei der Sendung nach Batseba Boten im Spiel sind, zeige, dass der Ehebruch bei Hof kein Geheimnis habe sein können. Und die Reinigung Batsebas erkläre das Bad auf dem Dach (das der Text nicht ausdrücklich nennt)180 und zeige, dass Urija nicht der Vater des Kindes sein könne. Für die Formulierung ‚sich die Füße waschen‘ in der Frage Davids an Urija (V. 8) spricht sich Alter gegen eine sexuell konnotierte metaphorische Deutung aus. Es sei „in the biblical world“181 üblich, sich nach einer Reise die staubigen Füße zu waschen. Dafür sieht er ein synekdochisches Verhältnis zum Bad Batsebas, das nahelege, dass nach dem Fußbad „other refreshments of the body will ensue“.182 Das Geschenk des Königs deutet er als eine Mahlzeit, mit der die Hoffnung Davids verbunden sei, dass sie Batseba und Urija in amouröse Stimmung ver177

178 179 180

181 182

Polzin formuliert: „the verse clearly doubles back on itself in a marvelous display of narrative virtuosity: at a time when kings go forth, David did not, making it a time, therefore, when messengers must go forth“; zit. nach Alter, David, 249. Ebd. Ebd., 251. Dass Alter hier unreflektiert von einem „Dach“ ausgeht, zeigt eine leichte Oberflächlichkeit der Textbetrachtung. Ein weiteres Beispiel dafür ist sein Kommentar zu V. 5. Das Ich bin schwanger seien die einzigen Worte, die Batseba spricht – im Text hingegen spricht es ein präsupponierter Bote. Vgl. ebd. Ebd. Ebd.

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setze. Für die Formulierung um zu liegen (V. 9) beschreibt auch Alter, wie eine Lesererwartung geweckt wird, die durch die Fortsetzung des Satzes aber gebrochen werde. Auch der in historisch-kritischen Auslegungen umstrittene V. 11a gibt Alter keinen Anlass zu einer Rückfrage hinter den Text. Bezüglich der rhetorischen Frage „(…) und ich sollte in mein Haus hinabgehen um zu essen und zu trinken und bei meiner Frau zu liegen?“ fasst Alter Sternbergs gapfilling mit der doppelten Annahme (Urija weiß Bescheid bzw. weiß nicht Bescheid) zusammen und stellt diesem die Position Moshe Garsiels gegenüber, wonach Urija zunächst nichtsahnend ist, nach der ersten Nacht bei den Knechten aber über den Ehebruch informiert worden sei. Dies zeige sich auch darin, dass Urija in seinem Schwur nur von mein Herr redet und nicht von mein Herr, der König. Dass Urija vor David aß, zeige eine hierarchische Distanz. In der Formulierung er machte ihn betrunken zeige sich Davids letzter Versuch, sein ursprüngliches Ziel zu erreichen. Die Anweisung zum Mord gebe David, um den Ehebruch zu vertuschen. Bei dem Brief habe es sich um eine kleine, versiegelte Schriftrolle gehandelt. Während im Falle von Urijas Unwissenheit dieser keinen Anlass gehabt habe, die Rolle zu öffnen, akzeptiere Urija im Falle einer Kenntnis der Hintergründe resigniert über seine Frau und über seine Ohnmacht gegenüber David sein Schicksal. Im Anschluss an Sternberg sieht er eine Variation zwischen Ausführungsanweisung und der Durchführung der kriegerischen Aktion zur Tötung Urijas. Nach Alter ist dies „a vivid demonstration of the ambiguous effecting of ends through the agency of others which is one of the great political themes of the story“.183 Joab, den Alter als umsichtigen Befehlshaber charakterisiert, habe erkannt, dass der Befehl in vorliegender Form nicht durchführbar sei, ohne dass ein Mordverdacht aufkäme, und habe daher den Ablauf der Durchführung geändert. Für die in Joabs Boteninstruktion genannte Abimelech-Passage vermutet Alter einen Grundsatztopos der Soldatenausbildung, Mauern nicht zu nahe zu kommen. Dass eine Frau genannt werde, weise zurück auf Batseba als Ursache der disaströsen Ereigniskette. Es handle sich dabei aber nicht notwendig um ein Urteil des Erzählers, sondern es ist ein Urteil Joabs. Die Aussage „und auch dein Knecht Urija, der Hethiter, ist tot“, sei die Nachricht, auf die David warte. Indem Joab dies „in the anticipatory ‚script‘ that he dictates to the messenger“184 platziert, gebe er das Geheimnis auch an den Boten preis.185 Dies täte er u.U., um es bei Gelegenheit gegen den König einsetzen zu können.186 Zudem munitioniere er damit den Boten, eventuelle ungünstige Reaktionen Davids abweisen zu können. Alter konstruiert auch aus den drei Stellen, die über das Kriegsgeschehen handeln, eine Gesamthandlung. Der Bote, der wisse, dass David auf die Todesbotschaft warte, wolle Davids Zorn umgehen und komme daher möglichst schnell zur Nachricht von Urijas Tod. So zeige die Erzählung, wie bekannt Davids Vergehen war. Davids Antwort „das Schwert frisst bald so, bald so“ sei die implizite Zustimmung zur 183 184 185 186

Ebd., 254. Ebd., 255. Dies ist natürlich ein gewisser Widerspruch zu dem von Alter angenommenen Verfahren Joabs, den Urijamord so zu inszenieren, dass die Sache geheim bleibt. Aber das könnte er auch, ohne dass der Bote Mitwisser ist.

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

203

Planänderung durch Joab. Das „verstärke den Kampf“ (V. 25) verweise zurück auf die Aussage in V. 15 „wo der Kampf am stärksten ist“; ebenso verweise der Satz David sandte und holte sie in sein Haus und sie wurde seine Frau (V. 27) auf V. 4: David sandte (…) und nahm sie und sie kam zu ihm und er lag bei ihr. Die Dauer der Trauerzeit veranschlagt Alter mit sieben Tagen; Batseba habe es eilig, Davids Frau zu werden, bevor man ihr die Schwangerschaft ansehen könne. V. 27b beschreibt er als „explicit moral judgment of David’s actions“187 und sieht dies als Einleitung zu Natans Auftreten in Kap. 12. Auffällig ist insgesamt, dass Alter in seinen knappen Ausführungen doch auch besonders an den schwierigen Stellen einem gewissen Zwang zu ausführlicherer Erklärung folgen muss. Dies betrifft vor allem V. 11 und V. 21-25.

5.3.3 Zusammenfassung Die Textabschnitte in 2Sam 11, die sowohl in der Perspektive literarkritischer Exegese wie in der Perspektive literaturwissenschaftlicher Interpretation große Aufmerksamkeit erhalten, weil sie als „schwierige“ Stellen empfunden wurden, sind, wie eingangs des Kapitels schon festgehalten, (1.) der Übergang vom Ammoniterkriegsbericht zur David-Batseba-Erzählung (V. 1), (2.) ein Teil aus dem Redewechsel zwischen David und Urija (V. 10b-12, besonders V. 11), (3.) die Boteninstruktion Joabs und der Botenbericht an David (V. 19-24) und schließlich (4.) die „Deutestelle“ am Ende des Kapitels (V. 27b). An diesen Stellen treten auch die Differenzen in den unterschiedlichen Zugangsweisen besonders deutlich zutage. Der Vergleich wird sich daher besonders auf diese Stellen zu konzentrieren haben. (1) Den Übergang vom Ammoniterkriegsbericht zur David-Batseba-Erzählung (V. 1) sieht Rost dem Ammoniterkriegsbericht zugehörig, schreibt ihm aber erzählerische Scharnierfunktion zu: Daß die Verbindungslinien [vom Folgetext 11,2ff.] zu 11,1 sehr enge sind, kann nicht geleugnet werden. Der Gedankenfortschritt ist ganz glatt. Größte stilistische Ähnlichkeit ist vorhanden.188

Auch Bailey grenzt den Abschnitt zwischen V. 1 und V. 2 ab, schlägt, wie Rost, V. 1 dem Ammoniterkriegsbericht zu189, und lässt die eigentliche Erzählung mit V. 2 beginnen. Er begründet dies u.a. mit einem disjunktiven Verständnis von ‫ ויהי‬in V. 2, ebenso mit der Indeterminiertheit der Zeitangabe in der Einleitung des Abschnitts.190 Beide sprachlichen Indizien, die Bailey ins Feld führt, sind aber deshalb nicht recht plausibel, weil sie in V. 1 analog zu finden sind; diesen aber sieht er nicht gegen das Ende von Kap. 10 hin abgegrenzt. Für Sternberg hingegen stellt sich die Frage einer diachronen Abgrenzung von V. 1 187 188 189 190

Ebd., 256. Rost, Überlieferung, 76. Vgl. Bailey, David, 49. Vgl. ebd., 85.

204

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

gar nicht. Den Vers interpretiert er als integralen Bestandteil der David-BatsebaErzählung. In diesem Vers sieht er die ironische Spannung angelegt, die sich durch die gesamte Erzählung hindurchzieht: David erscheint bereits hier in kritischem Licht. Auch Alter sieht V. 1 als Beginn des Erzählabschnitts und macht besonders sprachlich-stilistische Beobachtungen geltend, indem er herausstellt, dass zwei Elemente aus V. 1 in der Folgeerzählung – ironisch gebrochen – wieder aufgenommen werden. Die Literarkritik sieht die Dinge hier also anders als der Literary Approach. Erstere stellen Fragen der Textgenese vorne an. Sie diskutieren die Zuordnung von V. 1 zur Rahmenhandlung und widmen sich anschließend dem sog. Einschub, der an V. 1 anknüpft. Letztere kommen in ihren Überlegungen von der Haupterzählung her, und stoßen dann auf die Schwierigkeit, dass V. 2 kein absoluter Erzählanfang sein kann, weshalb sich ihnen die Hinzunahme von V. 1 zur Erzählung nahelegt. (2) Kommen wir zu dem Abschnitt V. 10b-12, einem Teil des Redewechsels zwischen David und Urija, innerhalb dessen V. 11 das besondere Interesse literarkritischer Forschung erregt. Während Rost innerhalb der David-BatsebaErzählung von Einheitlichkeit ausgeht, greift Bailey tief in den Erzählbestand ein. Bailey argumentiert mit der Doppelstruktur in der Parallele von V. 6-13 und V. 14-25. In dieser Parallele sei V. 10b-13 und V. 25 jeweils eine Reaktion Davids auf einen Botenbericht. Dabei habe der Textbereich V. 10b-13 Überlänge gegenüber V. 25 und sei daher als additiv eingefügter Zusatz zu sehen. Ebenso wie V. 11 gehöre V. 10b zur dtr Redaktionsschicht. V. 10b-12 verbinde nun in der vorliegenden Fassung die beiden ursprünglich unabhängigen Einheiten V. 6-10a und V. 13. Für Sternberg gehört V. 11 mit V. 9 zu den Schlüsselstellen in der Generierung der doppelten Unbestimmtheit, ob Urija denn von dem Ehebruch wusste oder nicht, ob er ein idealer Soldat sei oder ein auf Rache sinnender betrogener Ehemann, und ob er entsprechend auf das Kriegsvolk und die Lade im Feld verweist, um aus Solidarität gegenüber den Kameraden den Gehorsam zu verweigern, oder um sich in stillem Protest an David zu rächen. Was bei Sternberg zur narratologischen Technik einer beabsichtigten Ambivalenz gehört, dient Bailey, der nicht an Kohärenzen des vorliegenden Erzählabschnittes interessiert ist, als Ansatzpunkt für eine diachrone Scheidung des Textes. (3) Auch die Boteninstruktion Joabs und der Botenbericht an David (V. 19-24) zeitigt im Vergleich der verschiedenen Zugangsweisen interessante Perspektiven. Aus denselben Gründen einer strukturellen Überlänge, mit denen Bailey schon V. 10b-12 als redaktionellen Zusatz ausgrenzte, erweise sich auch V. 19-21 als späterer Zusatz zum Text.191 Inhaltlich ergeben sich nach Bailey Textstörungen dadurch, dass die Boteninstruktion gegenüber dem Mitteilungserhalt Davids in V. 18, sowie eine zweite Meldung in V. 22 überschüssig sind. Ferner sei unstimmig, dass die Aussagen über den Kriegsverlauf V. 17.20.23 191

Dieser Textbereich gehört bei Bailey zu V. 18-24, der konstatierten strukturellen Parallele zu V. 10a, wobei Bailey auch hier die Überlänge als Ausgangspunkt nimmt, einen Zusatz zu vermuten.

5. Fallstudien Teil I: 2Sam 11 – David und Batseba

205

sich jeweils unterscheiden. Weil auch noch der von Joab präfigurierte Zorn Davids schließlich ausbleibe, müsse der Abschnitt eine mehrfache Überarbeitung erfahren haben.192 Ganz anders Sternberg. Er sieht in dem Abschnitt eine narratologisch ausgefeilte Beschreibung eines intentionalen Handelns Joabs und des Boten. Wie Joab den brieflichen Mordbefehl (V. 15) anders – und zwar taktisch geschickter als in der Anweisung – ausführe, dem entspechend ändere auch der Bote die Instruktion durch Joab. Während Joab in seiner Instruktion (V. 19-21) darauf abziele, mit der erwarteten Reaktion Davids zu spielen, ziele die gegenüber der Instruktion veränderte Ausführung des Boten darauf, den zu erwartenden Zorn zu vermeiden. Sternberg geht also davon aus, dass durch den Text, wie er vorliegt, erzählerisch die verschiedenen Charaktere profiliert werden sollen. Dabei nimmt er die sperrigen Feinheiten und scheinbaren Redundanzen deutlich wahr, interpretiert sie aber konsequent synchron. Die Schwierigkeiten des Textes gehören in seiner Interpretation zur narratologischen Strategie der Erzählung. Ähnlich sieht auch Alter die Variation der Kriegsberichte, die Variation von Mordbefehl und dessen Ausführung, sowie die Variation von Boteninstruktion und deren Durchführung. Er erklärt sie durch verschiedene Intentionen der handelnden Personen: Joab habe vorsichtig-klug gehandelt und wolle durch die Boteninstruktion signalisieren, dass sein Mitwissen auch gegen den König eingesetzt werden könne.193 Der Bote wolle aber den Zorn vermeiden und weiche von der vorgegebenen Reihenfolge ab. Den Abimelech-Exkurs sieht Alter als Topos der Soldatenausbildung. Die dort genannte Frau sei aber bewusste Bezugnahme darauf, dass auch in Davids Fall die Ursache des Unglücks auf eine Frau zurückgehe. Den Bezug schreibt er aber dem Urteil Joabs zu und nicht dem des Erzählers. Fasst man noch einmal zusammen, so argumentiert Bailey für den Abschnitt V. 19-21 analog zur Problemstelle V. 10b-12 mit Strukturparallelen und dtr Terminologie. Es kommen hier bei ihm aber schließlich auch narratologischinhaltliche Überlegungen hinzu, die er aber genau gegen den vorliegenden Text wendet. Bei ihm kann immer nur eine Version der Varianten „stimmen“, und von ihr aus werden die anderen als „falsch“ entlarvt. Sternberg und Alter hingegen deuten die Variationen als eine genaue erzählerische Darstellung bewusster Veränderung der zuvor erteilten Aufträge durch die handelnden Personen. Sie interpretieren die als „Textprobleme“ empfundenen Stellen als narratologische Techniken, Charaktere zu profilieren. (4) Wenden wir uns schließlich dem Abschluss des Kapitels (V. 27b) zu, der Stelle, die von Rad als „Deutestelle“ bezeichnet hatte. Während für Rost dieser Halbvers integral zur Erzählung gehörte, rechnet Bailey V. 27b mit 192

193

Gerade dieser Textbereich wird in der literarkritischen Forschung häufig umgestellt. Aufschlussreich ist die gute Zusammenstellung verschiedener Versuche bei Seiler, Geschichte, 242, Anm. 5, für die Seiler feststellt: „Bei keinem dieser Rekonstruktionsversuche kann jedoch schlüssig erklärt werden, wie es zu jenen Umstellungen gekommen sein soll.“ Die dort zusammengestellten Versuche gehen interessanterweise alle von Überlegungen zu erzählerischer Kohärenz aus. Diese Deutung kann auch Alter nicht recht plausibilisieren; vgl. Alter, David, 255.

206

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

V. 10b.11.19-22 dem Deuteronomisten zu. Deutlich trete hier das dtr Bemühen um Einpassung der Erzählung in dtr Theologie hervor. Für Sternberg bildet V. 27b den Abschluss der eigentlichen David-Batseba-Erzählung; mit diesem Vers beschließt Sternberg auch seine Interpretation. Den ironisierenden Erzähler, der sich über die ganze Erzählung hin mit einem direkten Urteil bedeckt halte und seine Kritik stets indirekt zum Ausdruck bringe, sieht Sternberg auch hier als nur indirekt wertend, indem er sich hinter einem Urteil Gottes verstecke. So passt sich in Sternbergs Interpretation der inhaltlich-formal doch hervorstechende Halbvers in das für das gesamte Kapitel konstatierte Bild vom nur indirekt urteilenden Erzähler. Anders urteilt hier Alter. Bei ihm ist V. 27b ausdrücklich ein wertendes Urteil und offene Kritik am Handeln Davids. Alter deutet V. 27b als Schwellenvers zu Kap. 12: er sei narratologische Grundlage für das Auftreten Natans. Ein Blick auf den Vergleich zwischen Zugängen der historisch-kritischen Exegese und des Literary Approach macht deutlich, dass die textinterpretatorische Perspektive des Literary Approach bei Sternberg und Alter durchgängig von der Präferenz für eine synchrone Endtextlesung geleitet ist, während beim historisch-kritischen Zugang Baileys die diachrone Fragerichtung dominiert. Auf Seiten des literaturwissenschaftlichen Zugangs leitet das Bedürfnis nach Sinngebung durch den vorliegenden Text die Interpretation. Dort liegen den Überlegungen die Suche nach Kohärenz und Kohäsion194 zugrunde. „Textschwierigkeiten“ werden beobachtet, aber sie werden der Gestaltung durch den Verfasser zugerechnet. Es sind besonders solche Stellen, an denen dann Sternberg verschiedene gaps ausmachen will, deren Annahme zu weitreichenden Erweiterungen des „Textes“ über sich selbst hinausführt. Anders bei Bailey: Die Schwierigkeiten des Textes werden akribisch gesucht und im Sinne einer genau entgegengesetzten Fragerichtung eingesetzt. Die empfundenen Spannungen werden dahingehend aufgelöst, als die mit ihnen verbundenen Textteile je verschiedenen Autoren zugeschrieben werden. Dahinter steht das unausgesprochene Konzept vom Erzähler, der einfältig-kohärent und einlinigspannungsfrei streng nach vorgegebenen Topoi, Schablonen und Genres eine farblos-unspannende Erzählung kreiert. Was hingegen als Unebenheit des Textes empfunden wird, verortet Bailey als Ergebnis einer redaktionellen Tätigkeit, die in additivem Vorgehen Textvorlagen verbunden hat und dabei ihre Spuren hinterließ.

194

Vgl. zur Begrifflichkeit Bublitz, It utterly boggles the mind: knowledge, common ground and coherence, und ders., The user as ‚cyberego‘. Text, hypertext and coherence.

6.

Fallstudien Teil II: 2Sam 12,1-25 (Natans Strafrede, Tod des ersten Kindes und Geburt Salomos)

Dieses Kapitel folgt in der Anlage der Vorgehensweise von Kap. 5 (zu 2Sam 11). Zunächst erfolgt eine Übersetzung von 2Sam 12,1-25 mit textkritischen Anmerkungen (zur Begründung der Textwahl vgl. die Einleitung zu Kap. 5, zur Begründung der Art der Übersetzung vgl. die Einleitung zu 5.1). Anschließend wird der Textbereich einer narratologischen Analyse unterzogen, und zwar zum einen insbesondere im Blick auf Besonderheiten, die der Text selbst evoziert, und zum anderen im Blick auf Textphänomene, die in der historischen Auslegung und der literarischen Interpretation eine Rolle spielen. Im Vergleich mit Kap. 11 haben die Befunde in 2Sam 12 historische Exegesen zu deutlich mehr und divergierenderen diachronen Schichtungsmodellen angeregt. Neben (wiederum) R.C. Bailey (6.3.1.2) werden dazu die Analysen von L. Rost und vor allem T. Veijola vorgestellt (6.3.1.1). Im Anschluss an Argumente von E. Würthwein betrachtet Veijola den ganzen Abschnitt von 11,27b-12,24a als literarisch sekundär, womit Salomo zum erstgeborenen Sohn Batsebas avanciert – mit allen Konsequenzen für das Bild Davids, Salomos und JHWHs. Hierdurch werden Plots entworfen, die sich vom vorliegenden Diskurs deutlich unterscheiden, und deren Plausibilität durchaus in Frage zu stellen sind. Der wohl gewichtigste Beitrag der vorwiegend endtextorientierten Literary Approaches zu 2Sam 12 kommt von J. Fokkelman. Bei ihm verbinden sich subtile Textbeobachtungen mit einer tendenziellen Dekontextualisierung der Erzählung in einer Lesung als „autonomen Kunstwerks“ im Sinne des New Criticism (6.3.2.1). Eine andere Möglichkeit neuerer literarischer Lesung demonstriert D.M. Gunn, der für den Endtext an Lienhard Delekat anknüpft und in der Darstellung JHWHs ein gehöriges Maß an Ambivalenz und unterschwellige Ironie entdecken will (6.3.2.2). In einem abschließenden Teil (6.3.3) werden die literarkritischen Auslegungen und die literarischen Interpretationen von 2Sam 12,1-25 einem Vergleich unterzogen, der noch einmal deutlich machen wird, welche prägende Rolle paradigmatische Grundentscheidungen des Textverständnisses und Textzugangs spielen.

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

208

6.1

Übersetzung von 2Sam 12 und textkritische Anmerkungen zu V. 1-25

Zu Grundentscheidungen der Übersetzung (Übersetzungsziel, Verseinteilung etc.) und zur Darstellungsweise (z. B. die hebräischen Lexeme zur Kennzeichnung innertextlicher lexematischer Bezüge) sei hier verwiesen auf die Einleitung zur Übersetzung von Kap. 11 (5.1).

6.1.1 Übersetzung von 2Sam 121 1a b

α

β γ δ ε 2 3a

α

β γ δ b

α

β γ δ 4a

α

β γ δ b

α

β 5a b

α

β γ 6a b

1

α

Da sandte (‫ )שׁלח‬JHWH Natan° zu David und er kam (‫ )בוא‬zu ihm° und er sagte zu ihm: Zwei Männer waren in einer Stadt, der eine reich und der andere arm. Der Reiche hatte Schafe und Rinder in großer Zahl. Der Arme hatte nichts, außer ein einziges, kleines Schaf, das er erworben hatte. Und er zog es groß (‫ חיה‬pi.) und es wuchs auf mit ihm und mit seinen Söhnen zusammen. Von seinem Bissen aß es (‫)אכל‬, von seinem Becher trank es (‫)שׁתה‬ und in seinem Schoß (‫ )חיק‬lag es (‫)שׁכב‬ und es war ihm wie eine Tochter° (‫)בת‬. Da kam (‫ )בוא‬ein Besucher zum reichen Mann und es reute ihn (‫)חמל‬, von seinen Schafen und seinen Rindern zu nehmen (‫)לקח‬, um es dem Wanderer zuzubereiten (‫)עשׂה‬, der zu ihm gekommen war (‫)בוא‬. Da nahm (‫ )לקח‬er das Schaf des armen Mannes und bereitete es (‫ )עשׂה‬dem Mann, der zu ihm gekommen war (‫)בוא‬, zu. Da entbrannte David sehr im Zorn (‫ )חרה אף‬über diesen Mann und er sagte zu Natan: Beim Leben JHWHs! (‫)חי יהוה‬ Des Todes (‫ )מות‬sei der Mann, der dies getan hat (‫!)עשׂה זות‬ Und das Lamm soll er siebenfach° (‫ )שׁבעתים‬ersetzen, dafür, dass er dies getan hat (‫)עשׂה את־הדבר הזה‬,

Zur Verseinteilung vgl. die Anmerkung zur Übersetzung von 2Sam 11 (5.1.1).

6. Fallstudien Teil II: 2Sam 12,1–25 β 7a

α

β b

α

β γ 8a

α

β b

α

β 9a

α

β γ b 10a b

α

β

11a

α

β γ δ b 12a b 13a

α

β b

α

β

und weil es ihn nicht reute (‫!)חמל‬ Da sagte Natan zu David: Du bist der Mann! So spricht JHWH, der Gott Israels: Ich habe dich zum König° über Israel gesalbt und ich habe dich aus der Hand Sauls gerettet. Ich habe dir das Haus (‫)בית‬ deines Herrn (‫ )אדון‬gegeben (‫)נתנ‬ und die Frauen (‫ )אשׁה‬deines Herrn (‫)אדון‬ in deinen Schoß (‫)חיק‬ und ich habe dir das Haus (‫ )בית‬Israel und Juda gegeben (‫– )נתנ‬ und wenn es zu wenig war, hätte ich dir dies und das noch hinzugefügt. Warum (‫ )מדוע‬hast du das Wort (‫ )דבר‬JHWHs verachtet (‫)בזה‬ indem du das Böse in seinen Augen° tatest (‫?)לעשׂות הרע בעינו‬ Urija, den Hethiter, hast du mit dem Schwert (‫ )חרב‬erschlagen (‫)נכה‬, und seine Frau (‫)אשׁה‬ hast du dir zur Frau genommen (‫)לקח לאשׁה‬ und ihn hast du getötet (‫)הרג‬ durch das Schwert (‫ )חרב‬der Ammoniter. Und jetzt! Es soll das Schwert (‫ )חרב‬nicht weichen von deinem Hause (‫ )בית‬für immer, dafür, dass du mich verachtet (‫)בזה‬ und die Frau (‫ )אשׁה‬Urijas, des Hethiters genommen hast (‫)לקח‬, damit sie dir zur Frau (‫ )אשׁה‬werde. So spricht JHWH: Siehe, ich lasse gegen dich Böses (r‫ )רעה‬erstehen aus deinem Hause (‫!)בית‬ Ich werde deine Frauen (‫)אשׁה‬ vor deinen Augen (‫ )לעיניך‬wegnehmen (‫)לקח‬ und werde sie deinem Nächsten geben (‫)נתן‬, dass er mit deinen Frauen (‫ )אשׁה‬schläft (‫)שׁכב‬ vor dieser Sonne (‫)לעיני השׁמשׁ‬. Denn du hast es im Verborgenen getan (‫)עשׂה‬ aber ich will dies tun (‫)עשׂה את־הדבר הזה‬ vor ganz Israel und vor der Sonne (‫)שׁמשׁ‬. Da sagte David zu Natan: Ich habe gesündigt gegen JHWH. Da sagte Natan zu David: Ja, JHWH hat vorüberziehen lassen deine Sünde;

209

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

210 γ 14a

b 15a b

α

β 16a b

α

β γ δ 17a b

α

β 18a

α

β b

α

β γ δ ε ζ η θ ι 19a

α

β γ δ b

α

β γ δ 20a

α

β γ δ

du wirst nicht sterben (‫!)מות‬ Aber: Weil du die Feinde° JHWHs aufgebracht (‫ )נאץ נאצת‬hast° in dieser Sache (‫)הדבר הזה‬, ja, deswegen wird der Sohn, der dir geboren wurde, ganz gewiss sterben° (‫)מות ימות‬. Dann ging Natan in sein Haus (‫)בית‬. Und JHWH schlug das Kind, das die Frau (‫ )אשׁה‬Urijas dem David geboren hatte, und es wurde schwer krank Da suchte David Gott um des Knaben willen und David fastete (‫)ויצום צום‬ und er ging (‫)בוא‬ und nächtigte und schlief (‫ )שׁכב‬auf der Erde. Da kamen die Ältesten des Hauses (‫ )בית‬zu ihm um ihn von der Erde aufzurichten, aber er wollte es nicht und er aß nicht mit ihnen Brot (‫)לא ברא לחם‬. Am Morgen des siebten (‫ )שׁביעי‬Tages aber starb (‫ )מות‬das Kind. Die Knechte (‫ )עבד‬Davids fürchteten sich, es ihm mitzuteilen, dass der Knabe gestorben war (‫)מות‬, denn sie sagten sich: Siehe, als der Knabe am Leben war (‫)חי‬ redeten wir ihm zu, aber er wollte nicht auf unsere Stimme hören! Wie sollen wir ihm sagen: Das Kind ist gestorben (‫?)מות‬ Er wird sich Böses (‫ )עשׂה רעה‬antun! David aber sah, dass seine Knechte (‫ )עבד‬flüsterten, und David erkannte, dass das Kind gestorben war (‫)מות‬. Da fragte David seine Knechte (‫)עבד‬: Ist das Kind gestorben (‫?)מות‬ Sie antworteten: Es ist gestorben (‫!)מות‬ Da stand David auf von der Erde und er wusch sich und salbte sich und wechselte seine Kleider.

6. Fallstudien Teil II: 2Sam 12,1–25 ε b

α

β γ δ 21a

α

β b

α

β γ δ ε ζ 22a

α

β γ δ b

α

β γ δ 23a

α

β γ b

α

β 24a

α

β γ b

α

β γ 25a

α

β b 26a b 27a b

α

β γ 28a

α

Und er kam ins Haus (‫ )בית‬JHWHs und betete an. Dann kam er in sein Haus (‫)בית‬ und er bat und sie setzten ihm Brot (‫ )לחם‬vor und er aß (‫)אכל‬. Und es sagten seine Knechte (‫ )עבד‬zu ihm: Was ist das, was du da tust (‫?)הדבר הזה אשׁר עשׂה‬ Als das Kind noch am Leben war (‫)חי‬, hast du gefastet (‫)צום‬ und geweint (‫)בכה‬. Und als das Kind gestorben war (‫)מות‬ bist du aufgestanden und hast Brot gegessen (‫!)אכל לחם‬ Da sagte er: Als das Kind noch am Leben war (‫)חי‬, habe ich gefastet (‫)צום‬ und geweint (‫)בלה‬, denn ich sagte mir: Wer weiß, vielleicht wird JHWH mir gnädig sein und das Kind bleibt am Leben (‫)חיה‬. Aber jetzt ist es gestorben (‫!)מות‬ Wozu sollte ich fasten (‫?)צום‬ Kann ich ihn etwa noch zurückbringen? Ich werde zu ihm gehen, aber er wird nicht zu mir zurückkehren! Da tröstete David Batseba, seine Frau (‫)אשׁה‬, und er kam zu ihr und schlief (‫ )שׁכב‬mit ihr und sie gebar einen Sohn und nannte ihn Salomo. Und JHWH liebte ihn. Und er sandte (‫ )שׁלח‬durch Natan, den Propheten, und er nannte ihn (‫ )קרא שׁם‬Jedidja und zwar um JHWHs willen. Joab aber kämpfte gegen Rabba der Ammoniter und er nahm die Königsstadt ein. Und es sandte (‫ )שׁלח‬Joab Boten zu David und er sagte: Ich habe gegen Rabba gekämpft, und habe schon die Wasserstadt eingenommen. Und jetzt! Sammle den Rest des Volks,

211

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

212 β γ b

α

β 29a

α

β b

α

β 30a

α

β γ δ b 31a

α

β

γ b

belagere die Stadt und nimm sie ein, damit nicht ich es bin, der die Stadt einnimmt und mein Name über ihr ausgerufen werde (‫)קרא שׁם‬. Da sammelte (‫ )אסף‬David das ganze Volk und ging nach Rabba und kämpfte gegen die Stadt und nahm sie ein. Und er nahm (‫ )לקח‬die Krone ihres Königs von seinem Haupt herab – ihr Gewicht war ein Talent Gold und sie hatte einen Edelstein – und sie war auf dem Haupt Davids. Das Beutegut der Stadt ließ er hinausgehen (‫ )יצא‬in sehr großer Menge und das Volk, das in ihr war, ließ er hinausgehen (‫)יצא‬ und er stellte sie an die Steinsäge, an die eisernen Pickel und an die eisernen Äxte und ließ sie an den Ziegelformen arbeiten (‫)עבר‬. So tat er (‫ )עשׂה‬allen Städten der Ammoniter, dann kehrte David und das ganze Volk nach Jerusalem zurück.

6.1.2 Anmerkungen zum hebräischen Text von 2Sam 12,1-25 1a

1bα

3bδ

6a

Wenige Handschriften fügen ‫ הנביא‬als erklärenden Zusatz ein, vgl. LXX und die syr. Übersetzung; vgl. die Formulierung ‫נתן הנביא‬ V. 25aα. Von den meisten HSS wird in 12.1a Natan als bekannt vorausgesetzt. LXX in der lucianischen Rezension ergänzt eine direkte Aufforderung Natans zum Rechtsspruch (sprich mir doch dieses Urteil). Dies scheint (mit Smith, gegen McCarter) nicht ursprünglich zu sein. Mit einem solchen Einschub wird gerade die erzählerische Raffinesse, dass David die Parabel Natans als Rechtsfall missversteht, geschmälert. Wenige Handschriften ändern das unikale ‫( כבת‬wie eine Tochter) zu ‫( לבת‬als Tochter) – im Sinne einer Adoption (so nur noch in Esther 2,7.15) – ab. Diese Minderheitsvariante ist als Abschreibfehler zu erklären. Das von einigen Handschriften des Targum bezeugte vierzigfach beruht vermutlich auf einer Verschreibung von vierfach (‫)אַ ְרבַּ ﬠְ תָּ יִ ם‬. Die LXX-Überlieferung (mit Ausnahme der lucianischen) bezeugt ἑπταπλασίονα (siebenfach). Dies ist die lectio difficilior gegenüber der vierfachen Ersetzung gemäß der masoretischen Überlieferung, die der Bestimmung Ex 21,37 zur Ahndung eines Diebstahls von Kleinvieh entspricht: Wenn jemand ein Rind oder ein Schaf stiehlt und

6. Fallstudien Teil II: 2Sam 12,1–25

9aα

11aδ 13bγ

14a

14b

2

3

213

es schlachtet oder verkauft, soll er fünf Rinder erstatten für das eine Rind und vier Schafe für das eine Schaf.2 Die Übereinstimmung mit dem Bundesbuch scheint mir daher eine theologisch motivierte Korrektur gegenüber der schwierigeren Lesart zu sein, welche die LXX bewahrt hat. Die Auffassung von Coxon3, dass sich in der LXXÜberlieferung die mutmaßlich ursprüngliche Fassung ‫ ִשׁבְ ﬠָ תַ יִם‬erhalten hat, hat m. E. ein hohes Maß an Plausibilität. Diese These geht von einem intendierten lexematischen Anklang an den Namen ‫ בת־שׁבע‬aus. Das wird gestützt durch die auffällige Attributierung des Lammes im Gleichnis: Mit ‫( בת‬in der Wortverbindung ‫ )כבת‬wäre dann eine deutliche Anspielung auch auf den ersten Namensbestandteil gegeben (vgl. die Ausführungen in 5.2.2.3). Das ‫ בעינו‬in seinen Augen ist nach der Randmasora des Codex L, wie ihn die BHS bietet, als ‫ בעיני‬in meinen Augen zu lesen. Erstere Lesart wird bestätigt durch die ausführlichere Formulierung ‫( בעיני אדני‬in den Augen des Herrn) in zwei masoretischen Handschriften. Auch die syrische Überlieferung und einige Hss des Targum bestätigen den Konsonantenbestand des MT ‫בעינו‬. Mit Smith (und gegen McCarter, der beide Lesungen ablehnt, weil s. E. JHWH nicht über sich in der dritten Person sprechen kann) entscheide ich mich für die im MT nach BHS vorliegende Formulierung. Die Schreibung ‫ לרעיך‬gegenüber ‫( לרעך‬nach de Rossi in vielen Hss) erklärt sich als Pleneschreibung in Pausastellung. Die Auflösung der asyndetischen Fügung ‫ לא תמות‬durch waw copulativum ist durch spätere Angleichung an die geläufigere Sprachform zu erklären. Eine kausative Bedeutung von ‫ נאץ‬im Sinne von „zur Lästerung veranlassen“ ist nicht belegt. Auch LXX liest nichtkausativisch: du hast erzürnt/erbittert/aufgebracht (figura etymologica mit παροξύνω). Das Problem hängt mit der Einfügung von ‫ איבי‬zusammen (dazu im Folgenden). 4Q Sama liest ‫את דבר יהוה‬. Das ‫ איבי‬lässt sich aber schwer als Verlesung von ‫ דבר‬erklären. Die These einer Einfügung „to prevent repetition of an apparently blasphemous phrase in the public reading“ (Smith, Samuel, 325, mit Verweis auf Geiger, Urschrift, 267), erscheint mir am wahrscheinlichsten; vgl. die analoge Einfügung von ‫ לאיבי‬in die bedingte Selbstverfluchung Davids 1Sam 25,22. 4Q Sama überliefert die Hof’al-Form ‫ יומת‬es muss getötet werden. Gegenüber der vom MT bezeugten Form sind zwei Buchstaben vertauscht, so dass ‫ יומת‬als Schreibfehler gedeutet werden könnte. Möglich wäre auch, dass hier semantisch verstärkt werden sollte: Das

In der Auslegungsgeschichte wurde auch eine symbolische Deutung der Vierzahl erwogen, nämlich als Anklang an die vier gestorbenen Söhne Davids: das namenlose Kind Batsebas, Amnon, Abschalom und Adonija. Vgl. Coxon, Bathsheba 247-250; Coxon hat auch schon auf die Analogie der Trias essen, trinken, schlafen V. 3b zu 11,11.13 hingewiesen.

214

15bα und 16a

16c

17bβ

24aβ

6.2

Fallstudien an 2Sam 11 und 12 Kind muss nicht nur sterben, es muss getötet werden; JHWHs aktives Eingreifen würde damit konkreter zum Ausdruck gebracht. Da im Erzählabschnitt in der näheren Textumgebung aber zumeist das semantische Kausativ verwendet wird (vgl. die Ausführungen 5.2.3.3 Abschnitt 1), scheint mir die vom MT bezeugte Textform am wahrscheinlichsten. Anstelle des Tetragramms (Gottesname) in 12,15 bezeugen 4Q Sama, die lucianische LXX-Rezension und eine Handschriften der LXX die Gottesbezeichnung (‫ אלהים‬bzw. ὁ θεός). Vice versa steht in einigen LXX-Handschriften, dem Targum und der Vulgata in 12,16 statt der Gottesbezeichnung der Gottesname. Möglicherweise ist dies durch das sprachliche Bedürfnis zur Dissimilation bedingt. Der MT-Fassung ist jeweils der Vorrang zu geben. 4Q Sama verstärkt den Trauerritus: ‫( וישׁכב בשׁק ארצה‬ohne ‫ )לין‬und er legte sich, in Sacktuch gehüllt, auf den Boden, konstruiert aber auch schon zuvor anders: keine figura etymologica mit ‫ צום‬und statt PerfektFolgen Waw-Imperfekte (‫בוא‬, ‫לין‬, ‫)שׁכב‬. Auch die LXX überliefert in allen Hss ἐν σάκκῳ, ebenso die Vetus Latina in zwei Handschriften (L93.94). V. 20 expliziert im MT, dass David die Kleidung wechselt. Dies präsupponiert, dass David Trauerkleider trug, so dass dies vorher in V. 16 nicht ausdrücklich gesagt zu werden brauchte. Viele masoretische Hss und 4Q Sama haben ‫( ברא‬vgl. 1Sam 2,29 hi. mästen?) anstelle des zu erwartenden ‫( ברה‬vgl. Kap. 13,6.10). Die Form hat kein Qere und ist offensichtlich eine mögliche Nebenform. Der Codex Leningradensis verzeichnet in seiner Randmasora ‫ ותקרא‬als Qere für ‫ ויקרא‬und vermutet Batseba anstelle von David als Namensgeber(in). Vgl. aber den analogen Wechsel der Personen in 2Sam 11,4; dort wird vice versa von LXX ein Personenwechsel von Batseba zu David vorgenommen. Das macht die vorliegende Form ‫ ויקרא‬wahrscheinlich.

Narratologische Analyse von 2Sam 12,1-25

Der Erzählabschnitt 2Sam 12 unterscheidet sich erzähltechnisch deutlich vom vorhergehenden Kapitel. 2Sam 12 knüpft, als dessen Fortsetzung, eng an die David-Batseba-Erzählung an. Dieses Kapitel ist aber, wie die Analyse der lexematischen Textverknüpfungen zeigen wird, auch formal vom vorhergehenden abhängig. 11,27b (Aber in den Augen JHWHs war die Sache böse, die David getan hatte) weckt die Erwartung des Lesers, dass JHWH eingreifen müsse. Das wird hier erfüllt. In einer knappen Beschreibung heißt das auf Seiten der Diegese: JHWH lässt die Schuld Davids nicht ungeahndet. Er sendet den Propheten Natan, um die Schuld Davids aufzuweisen. David bekennt seine Sünde und Natan spricht ihm die Vergebung zu. Es wird ihm aber der Tod des Kindes, das ihm Batseba geboren hatte, angekündigt. Zunächst versucht David, Gott umzu-

6. Fallstudien Teil II: 2Sam 12,1–25

215

stimmen, doch fügt er sich schließlich in das Gericht. Nach der Schilderung dieses dramatischen Eingreifens JHWHs schließt sich der Erzählbogen in doppelter Weise: in der Erzählung der Geburt des Thronfolgers Salomo als „Auflösung“ der Ereignisse von Kap. 11, und im Bericht vom Ende des Ammoniterkriegs als Conclusio zu den in 11,1 vorausgesetzten und in Kap. 10 erzählten Geschehnissen.

6.2.1 Szenische Gestaltung von 2Sam 12 (mit Tempus- und Lokalaspekten) 6.2.1.1 Szenische Gliederung von 2Sam 12,1-25 2Sam 12 kann klar in vier Szenen gegliedert werden. Dem Schuldaufweis Natans (A) folgt die Krankheit und der Tod des Kindes (B). Sodann wird die Geburt Salomos (C) erzählt. Anschließend erfahren wir das Ende der Ammoniterkriege (D). (A)

Konfrontation Davids: Natan weist Davids Schuld auf (V. 1-15a) 1a.bαβ 1bγ-4 5-6 7-12

13a 13b-14 15a (B)

Auftritt Natans Natan: Die Natanparabel David: Zornreaktion und Gerichtsurteil Davids Natan: Strafrede Natans 7bβ-8b Präambel 9-10a 1. Orakel 10b-12 2. Orakel David: Schuldbekenntnis Davids Natan: Vergebung und Strafansage: Tod des Kindes Abtritt Natans

„Komplikation“: Krankheit und Tod des Kindes (V. 15b-23) 15b 16 17 18a 18b.19 20 21 22f.

Krankheit des Kindes Davids Trauerritus Versuch der Ältesten, David aufzurichten Tod des Kindes Angst der Ältesten, es David mitzuteilen und Davids Erkennen Ende des Trauerritus Davids Anfrage der Ältesten und Beendigung des Trauerritus Erklärung Davids: das Kind wird nicht zu ihm zurückkommen

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

216 (C)

„Lösung“: Geburt Salomos (V. 24f.)

24a.bβ

Tröstung Batsebas, Schwangerschaft, Geburt und Namensgebung 24aα-γ Zeugung Salomos 24bαβ Geburt Salomos und Namensgebung: Salomo JHWHs Verhältnis zu Salomo 24bγ Salomo unter positivem Urteil JHWHs 25 Sendung Natans und Namensgebung: Jedidja

24bγ.25

(D)

Ende des Krieges gegen die Ammoniter (V. 26-31)

6.2.1.2 Zweiheit der Personen und Gewichtung der Erzählebenen Das szenische Gestaltungsmittel der Personenzweiheit ist in Szene A (V. 1–15a) konsequent durchgehalten. Natan tritt in V. 1a auf und in V. 15a ab. Dazwischen wechselt die Rede zwischen Natan und David und ist kaum durch Kommentierungen auf der Erzählerebene unterbrochen. Der größere Redeanteil liegt bei Natan. Die Redeanteile Davids finden sich in V. 5f. in seiner Zornreaktion und seinem Gerichtsurteil, sowie (im Kontrast hierzu) in V. 13a in seinem Schuldbekenntnis. Der Unterschied zwischen beiden Aussagen Davids zeigt deutlich die durch den Propheten bewirkte Änderung in Davids Gesinnung. Auch die Folgeszene B (V. 15b–23) ist nach dem Prinzip der Personenzweiheit gestaltet, wenngleich es sich bei den Ältesten des Hauses nicht um einen einzelnen Charakter, sondern um eine Personengruppe handelt. In diesem Abschnitt spielen neben der wörtlichen Rede auch die Kommentare auf Erzählerebene eine größere Rolle. Die nun folgende wichtige Szene C (V. 24f.) – zugleich Grund und Auflösung des Erzählstrangs ab 2Sam 11,1f. – unterscheidet sich in seiner narrativen Darstellung deutlich von der vorhergehenden szenischen Gestaltung. Dieser Abschnitt bewegt sich ausschließlich auf Erzählerebene und nennt fünf der handelnden Personen (David, Batseba, Salomo, Natan und JHWH) des Erzählabschnitts 2Sam 11 und 12. Schließlich hat auch der dann folgende Erzählgang über das Ende des Ammoniterkriegsberichtes keinen im eigentlichen Sinne szenischen Charakter.

6.2.1.3 Zeitstruktur der Erzählung Wie für die David-Batseba-Erzählung in 5.2.2, so soll nun für den David-NatanAbschnitt beobachtet werden, wie sich der konkrete Erzählverlauf in seinen Zeitbezügen zu der dahinterliegenden Handlung verhält. Es geht also um das Verhältnis von Diskurs und Diegese in ihren zeitlichen Bezügen. 2Sam 12 schließt inhaltlich – sozusagen als dessen Explikation – an das Erzählerurteil von 11,27b an. JHWH, in dessen Augen Davids Handeln verwerflich war, ahndet die Vergehen des Königs. Allerdings ist an der Kapitelgrenze ein großer Zeitsprung festzustellen. Während 11,27b sich bereits schon auf Ereignisse

6. Fallstudien Teil II: 2Sam 12,1–25

217

bezieht, die weit vor der Geburt des ersten Sohnes liegen, ist die in Kap. 12 einsetzende Handlung zeitlich der Geburt des ersten Kindes nachgeordnet. Die Versgrenze überspannt damit einen Zeitraum von rund zehn Monaten. Wir haben es mit einer starken Raffung der Zeit zu tun. Die erste Szene, die sich von Natans Auftritt bis zu dessen Abtritt erstreckt (V. 1–15a), besteht aus einem ausführlichen Redewechsel. Erzählzeit und erzählte Zeit liegen hier nahe beieinander, die Zeitspanne des Diskurses entspricht in etwa dem der Diegese. Mit der narrativen Dehnung ist eine Relevanzsetzung dieses Abschnitts verbunden. Die Details werden damit deutlich hervorgehoben. Innerhalb des erzählten Gespräches ergeben sich besonders interessante temporale Aspekte. Die Parabel, die Natan erzählt, greift zeitlich zurück auf den Ehebruch Davids mit Batseba, ist also in temporaler Hinsicht analeptisch. Die Strafrede Natans überspannt – zugleich analeptisch wie proleptisch – den Zeitraum von Davids Salbung zum König (V. 7b) bis zu künftigen Ereignissen in den kommenden Generationen (V. 10). In dieser Hinsicht ergibt sich eine strukturelle Analogie zur Natanrede in Kap. 7, die allerdings in ihrer pround analeptischen Dimension noch weiter vorausreicht bzw. zurückgreift. Der Redeteil Natans zum Schluss des Dialogs zwischen David und Natan (V. 13b– 14) bezieht sich auf den Tod des Kindes, ein Ereignis, das in zeitlicher Nähe zu Natans Auftritt steht. Die Begegnung zwischen Natan und David ist dialogisch gestaltet.4 Auf der Ebene des Erzählers kommt, allerdings nicht mehr so ausgeprägt wie in der vorhergehenden Szene, die Erzählzeit der erzählten Zeit nahe. Das ändert sich in der nächsten Szene, die von Krankheit und Tod des Kindes handelt (V. 15b-23). Der Diskurs wird gegenüber der Diegese wieder gerafft. Ein Zeitraum von mehreren Tagen wird durch diese Verse überspannt. Innerhalb der Szene wechseln die temporalen Beziehungen zwischen Erzähltem und Erzählung mehrfach. Daher müssen die Abschnitte im Einzelnen betrachtet werden. Zunächst ist festzustellen, dass der Diskurs zu wenig Hinweise gibt, wie groß die Zeitspanne zwischen Natans Abgang und der Krankheit des Kindes zu denken ist. Die narratologische „Apposition“ (Dann ging Natan in sein Haus. Und JHWH schlug das Kind; V. 15) vermittelt dem Leser jedoch den Eindruck eines unmittelbaren Aufeinanderfolgens. Von der Erkrankung des Kindes (V. 15b) bis zu seinem Tod (V. 18a) liegt jedoch die Zeitspanne von einer Woche. Hierzu liegt diskursseitig wieder eine genaue Zeitangabe vor. Gegenüber dieser Raffung wird im anschließenden Abschnitt, in dem David vom Tod des Kindes erfährt (V. 18b.19), auf Erzählerebene die Darstellungszeit wieder gedehnt. Beim vorausgesetzten Geschehen geht es um eine kurze Zeitspanne, die im Diskurs auch ausführlich erzählt wird. Wieder ist damit eine Relevanzsetzung verbunden. V. 20 überbrückt in leichter Zeitraffung eine erzählte Zeit von wenigen Stunden: David beendet die Trauerriten, betet an, kehrt in sein Haus zurück und isst. Der vom Dialog geprägte Abschnitt V. 21a-23 entschleunigt wiederum das Zeitverhältnis von Erzählung und Erzähltem. Erzählte Zeit und Erzählzeit kom-

4

Die Redewechsel des Abschnitts V. 1-14: V. 1 ‫ ;ויאמר ]נתן[ לוֹ‬V. 5 ‫ ;ויאמר ]דוד[ אל־נתן‬V. 7 ‫ ;ויאמר נתן אל־דוד‬V. 13a ‫ ;ויאמר דוד אל־נתן‬V. 13b ‫ויאמר נתן אל־דוד‬.

218

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

men sich, wie dies auch in der ersten Szene des Kapitels im Dialog zwischen Natan und David der Fall war, sehr nahe. Hingegen findet sich in Szene C (V. 24f.) eine starke Zeitraffung. Der Diskurs überbrückt im Erzählerbericht in wenigen Zeilen einen Zeitraum der Diegese von mehreren Monaten bis zur Geburt Salomos. Für den Zeitpunkt schließlich, zu dem Natan zur Namensgebung auftritt, gibt der Diskurs keinen konkreten Anhalt. Namensgebungen finden in der Regel bald nach der Geburt statt. Natans Auftritt liegt aber nach dem Zeitpunkt, an dem Batseba ihren Sohn „Salomo“ genannt hat. Während für die Namensgebung durch die Eltern eines Kindes keine Zeitangabe gegeben werden muss, weil der ungefähre Zeitpunkt zum Allgemeinwissen eines Erstadressaten gehört, ist für die Namensgebung durch Natan auch vom urprünglichen Adressaten keine Zeitangabe zu ermitteln. Für das Verständnis des Sachverhalts ist es nicht nötig, diesen Zeitpunkt zu kennen, eine Zeitangabe ist also irrelevant. Nachdem der Erzählgang um Davids Ehebruch mit Batseba, der Geburt des ersten Kindes, der Strafansage Natans, und schließlich der Geburt des Thronfolgers zu Ende geführt ist, wird nunmehr in Szene D (ab V. 26) der Erzählfaden vom Ammoniterkriegsbericht wieder aufgenommen. V. 26a knüpft inhaltlich noch einmal bei den in 11,1aγδ geschilderten Ereignissen an. Es handelt sich um eine klassische Wiederaufnahme. Sie ist im Zusammenhang der narratologischen Gesamtkonzeption von 2Sam 11f. als analeptischer Rekurs zu verstehen.

6.2.2 Anmerkungen zu 2Sam 12 unter Berücksichtigung poetologischer Merkmale Die poetologischen Merkmale in Lexematik und Semantik von Kap. 12 unterscheiden sich von denen in Kap. 11 in einer Hinsicht ganz deutlich: Während sie innerhalb der David-Batseba-Erzählung im Großen und Ganzen „in sich ruhten“, handelt es sich bei der überwiegenden Mehrheit der lexematischen Auffälligkeiten in Natan-David-Erzählung um Rückverweise auf 2Sam 11. Dies gilt auch für alle Belege, die der Phraseologie zuzuordnen sind, von denen es aber deutlich weniger gibt als in Kap. 11. Wie auch schon in 5.2.3 für 2Sam 11, so soll auch für 2Sam 12 die Analyse poetologischer Merkmale schwerpunktmäßig erfolgen. Wie oben herausgestellt, bilden der Auftritt Natans in 12,1 und sein Abtritt in V. 15 den formalen Rahmen der Natanszene. Im Folgenden soll dieser Redewechsel unter besonderer Berücksichtigung poetologischer Merkmale, etwa lexematischer und semantischer Bezüge und Phraseologismen, betrachtet werden. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei der Natanparabel (6.2.2.1) und der Strafrede Natans (6.2.2.2). Sodann soll das lexematische Spiel mit dem Namen Bat-Sheba unter dem Blickwinkel narratologischer Positionierung betrachtet werden (6.2.2.3). Abschließend folgen einzelne Anmerkungen zu den weiteren Szenen des Kapitels (6.2.2.4).

6. Fallstudien Teil II: 2Sam 12,1–25

219

6.2.2.1 Zu Aufbau und Funktion der Natanparabel Die Natanparabel (V. 1bβ-4) skizziert in strengem Aufbau ein offensichtliches Unrecht: Ein reicher Mann mit großem Viehbesitz nimmt das einzige Schaf eines armen Mannes, um es seinem Gast zum Gastmahl zu bereiten. Dem großen Viehbesitz des Reichen wird das kleine Schaf des Armen gegenübergestellt. Die Charakterisierung des Schäfchens sticht ins Auge. In appositioneller Folge wird die Kostbarkeit, Vertrautheit und Einzigartigkeit dieses Tieres herausgestellt. Der Arme besitzt nichts außer dem einzigen, kleinen, erworbenen Schäfchen. Sein Besitzer ist ganz deutlich als sehr armer Mann gekennzeichnet: er hatte nichts (V. 3a). Von diesem Nichts nun erwirbt er dennoch dieses eine Schaf, das ihm so viel wert ist, dass er einen solch hohen Einsatz gibt. Die Betonung der Tatsache, dass der Mann es sich trotz seiner Armut erworben hat, bildet die Opposition zur späteren unrechtmäßigen und gewaltsamen Aneignung dieses Schäfchens durch den Reichen (V. 4). Das Heranwachsen und Ergehen des Schäfchens wird so geschildert, als handle es sich bei ihm um einen Familienangehörigen. Es erhält den Rang eines Kindes. Die Spitzenaussage am Ende der Schilderung heißt: es war ihm wie eine Tochter (‫)כבת‬5. Es gibt keinen anderen Belege in biblischen Erzählungen, dass Tiere so anthropomorphisiert werden. Vorbereitet wird diese Aussage durch anschauliche Beispiele für die Vertrautheit zwischen dem Armen und dem Schaf. Dies erfolgt unter Aufnahme der Verben ‫שׁכב‬/‫שׁתה‬/‫ אכל‬und deren Reihenfolge aus Kap. 11: Von seinem Bissen aß es, von seinem Becher trank es, und in seinem Schoß lag es (V. 3b). Die Charakterisierung des Armen ist deutlich länger als die des Reichen und zielt darauf, die Sympathien des Hörers auf den Armen zu lenken. Dem Fühlen und Handeln des Reichen ist V. 4 gewidmet. Auslöser der Komplikation ist ein Besucher des Reichen. Aufgrund der kulturell gebotenen Gastfreundschaft muss ihm der Reiche ein Gastmahl auftischen. Doch es reut ihn, dafür etwas von seinem Viehbestand anzutasten. Dabei handelt es sich um eine Gefühlsregung, die ganz im Kontrast zur Grundbefindlichkeit des armen Mannes steht. Dem Besucher wird in einer einzigen Hinsicht narratologisch breiter Raum eingeräumt, indem er dreimal lexematisch ausdifferenziert wird: Iֶ‫( הל‬Besucher), ַ‫( אֹ ֵרח‬Wanderer), ‫( אישׁ הבא‬der Mann, der gekommen ist). Alle drei Belege stehen in direktem sprachlichen Bezug zum Reichen, indem dreimal betont wird, dass er zu diesem gekommen ist (V. 4). Dennoch tritt der Besucher nicht als eigenständiger Charakter auf. Wir erfahren weder etwas über sein Handeln, sein Denken, sein Fühlen, noch wissen wir Ziel und Zweck seiner Reise und seiner Einkehr beim Reichen. Dem Reichen, dem es leid tut (‫)חמל‬, von seinem Viehbestand zu nehmen (‫)לקח‬, nimmt ausgerechnet das Schäfchen des armen Mannes, um es dem Wanderer zuzurichten (‫)עשׂה‬. Auffällig ist hier die Doppelung von ‫ עשׂה‬und ‫לקח‬, zunächst bezogen auf das unterbliebene richtige, dann auf das falsche Handeln

5

So nur noch in Esther 2,7.15, aber dort auf eine Person bezogen. Zur Anspielung auf den Namen Bat-Sheba vgl. den Abschnitt 6.2.2.3.

220

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

des Reichen.6 Besondere Beachtung verdient der Gebrauch des Verbs ‫חמל‬ („Mitleid haben“, „etwas nicht über sich bringen.“). Den Reichen reut es, von seinem Besitz zu nehmen. In der Anklage Davids wird später das ‫ חמל‬wieder aufgegriffen (V. 6), aber anders zugeordnet. David wirft dem reichen Mann vor, dass es ihm eben nicht reute, nämlich dem Armen dessen Schaf zu nehmen. Dieses sprachliche Spiel mit der Semantik von ‫ חמל‬funktioniert also durch einen Wechsel der Bezugsgrößen des Verbs. Der Reiche hat innere Hemmungen, von seinem großen und unpersönlichen Besitz etwas abzutreten. Vielmehr hätte er eine solche Hemmung aber haben sollen, als er Zugriff nahm auf ein „Familienmitglied“ des Armen. David versteht, wie seine Reaktion zeigt, die von Natan vorgelegte Geschichte als einen konkreten Rechtsfall. Die sprachliche Gestaltung der „Natanparabel“ gibt Hinweise darauf, dass es sich nicht um eine konkrete Rechtsangelegenheit handelt: die Unbestimmtheit der handelnden Personen und des Ortes, die Überzeichnung der Situation, die personifizierende Beschreibung des Schäfchens. Dies alles sind Fiktionalitätssignale. Die Parabel referiert also nicht auf einen außertextuellen Sachverhalt, sie stellt vielmehr einen fiktiven Sachverhalt vor. Es ist ihr kommunikatives Ziel, Davids Reaktion in einer entsprechenden Weise herauszufordern. Das gelingt. Er gerät über das unerhörte Verhalten des reichen Mannes in Rage und fällt ein begründetes Todesurteil (V.5f.). Damit schießt er allerdings über das Ziel hinaus, denn die eigentliche Strafe läge in einer mehrfachen Ersetzung des entwendeten Schafes. Natan wendet schließlich dieses harte Urteil Davids über den Mann (‫)האישׁ‬, der dies getan hat, gegen David selbst: ‫ – אתה האישׁ‬Du bist der Mann! (V. 7). Es steht dem Leser von vorneherein – und David im Nachhinein – ganz klar vor Augen, dass die Erzählung vom Armen und Reichen als Bildhälfte den Ereignissen aus 2Sam 11 auf der Sachhälfte entspricht. Diese Entsprechung steht ganz außer Frage, und sie ist zunächst grundsätzlich festzuhalten, bevor die Einzelanalyse Unebenheiten im Verhältnis von der Bildhälfte und der Sachhälfte feststellt. Das Gleichnis funktioniert also, ungeachtet der „Unstimmigkeiten“, die im Folgenden ermittelt werden. Solche finden sich zunächst in der Konzeption des Personen-Arsenals des Gleichnisses. Als „Personen“ treten auf bzw. werden genannt: der Reiche, der Arme, das Schaf, die Herde, der Wanderer, die Kinder. Der Reiche auf Seiten der Bildhälfte findet seine dichteste Entsprechung 6

Beide Verben begegnen an weiteren Stellen des Kapitels: ‫ עשׂה‬V. 4(2x).5.6.9.12(2x). 18.21.31 und ‫ לקח‬V. 4(2x).9.10.11.30. Zu ‫ עשׂה‬im Einzelnen: Die Formulierung ‫עשׂה את‬ ‫ הדבר הזה‬in 12,6; 11,11 (1. Pers. Sg.), – variiert in 11,27b ‫ – הדבר אשׁר עשׂה‬wird aufgegriffen in 12,12 (1. Pers. Sg.) und zwar in der Strafandrohung gegen David mit JHWH als handelndem Subjekt; vgl. auch die semantisch anderen Bezüge bei gleicher Wortkombination in 12,21 ‫( מה־הדבר הזה אשׁר עשׂיתה‬in der Frage der Knechte an David bezüglich seines Verhaltens nach dem Tod des Kindes) und besonders in 12,9 ‫מדוע בזית את‬ ‫דבר יהוה לעשׂות הרע‬. Sonst begegnet ‫ עשׂה‬noch in verschiedenen Zusammenhängen in 12,4.5.12.18.31. Die Kombination mit ‫( רעע‬11,27) bzw. ‫( רע‬12,9) oder ‫( רעה‬12,18) ist augenfällig. Die ungewöhnliche Verwendung von ‫‚ עשׂה‬zum Essen zubereiten‘ in der Bildhälfte des Gleichnisses erklärt sich über den Zielbezug. Es soll lexematisch eine Verbindung zur Sachhälfte hergestellt werden, und zwar über V.27b: Aber es war die Sache, die David getan hatte (‫)עשׂה‬, böse in den Augen JHWHs.

6. Fallstudien Teil II: 2Sam 12,1–25

221

in David auf der Sachhälfte: Die Herzlosigkeit des reichen Mannes im Gleichnis entspricht dem Verhalten Davids in der (erzählten) Realität. Explizit wird David von Natan dann auch mit dem Reichen identifiziert (V. 7a). Schwieriger verhält es sich schon mit der Deutung des Armen der Bildhälfte. Für eine Identifizierung mit Urija spricht die Rivalität zwischen David und Urija als Analogie zum Konflikt der zwei Männer, die in einer Stadt leben. Eine solche Annahme legt dann auch die Identifikation des Schafes mit Batseba nahe. Wie Urija und Batseba verheiratet sind, leben Armer und Schaf in innigster Gemeinschaft miteinander. Dementsprechend wäre dann die Herde als Harem Davids zu deuten. Urija hat eine Frau, David hat bereits viele (vgl. auch V. 8.11); dennoch beraubt er Urija seiner einzigen. In dieser Deutung aber ergeben sich auch deutliche Sperrigkeiten zwischen der Bildhälfte und der Sachhälfte. Das Schaf im Gleichnis wird zwar in Kategorien geschildert, die auf ein Liebesverhältnis bezogen werden können (besonders: es schlief in seinem Schoß), steht aber, vom Erzählgang her, auf der Ebene der Kinder des Armen. Urija und Batseba hingegen sind ein Ehepaar. Weiter sind inhaltlich deutliche Unterschiede auszumachen: während V. 3 die Emotionalität der Beziehung zwischen Schaf und armem Mann herausstellt, findet sich in der Sachhälfte kein Anhalt für Emotionen zwischen Urija und Batseba. Noch schwieriger miteinander in Einklang zu bringen ist die Tatsache, dass in der Parabel das Schaf stirbt, in der Sachhälfte jedoch die ihm entsprechende Batseba am Leben bleibt, Urija hingegen stirbt. Identifiziert man zur Gegenprobe Urija mit dem Schaf und Batseba mit dem Armen, dreht man nicht nur die soziale Stellung von Mann und Frau auf den Kopf, es ließe sich dann auch die Herde des Reichen nicht mehr erklären. Daher entfällt diese Möglichkeit der Entsprechung. Die größten Schwierigkeiten, eine Analogie zwischen Bild- und Sachhälfte des Gleichnisses herzustellen, ergeben sich bei dem Wanderer, für den der Reiche das Schaf nimmt und (zu)bereitet. Setzt man den Reichen mit David gleich, so schließt dies eine Identifikation des Wanderers mit Urija aus.7 David bereitet Urija nicht etwas zu, was zugleich einem anderen schadet. Der Wanderer ist nicht mit einer der handelnden Personen in der Sachhälfte zu identifizieren. Er entwickelt im Gleichnis kein Eigenprofil. Er ist erzählerisch nur eingeführt, damit das ungeheuerliche Handeln des Reichen einen Auslöser hat. In diesem Sinne wurden verschiedentlich Überlegungen vorgetragen, dass der Wanderer die Begierde Davids symbolisieren könne. Eingangs hatten wir festgehalten, dass das Gleichnis Natans bei David seine intendierte Wirkung erzielt, ihn seines Fehlverhaltens zu überführen. Auch dem Leser leuchtet es unmittelbar ein, dass die Handlung des Gleichnisses die in 2Sam 11 erzählte Handlung widerspiegelt und dass das Verhalten des reichen Mannes in der Parabel auf Davids Handeln zu beziehen sei. Die nähere Betrachtung des Gleichnisses hat zutage gebracht, dass die Bildhälfte mit der Sachhälfte nicht ohne weiteres deckungsgleich ist. Die Bezüge zwischen den beiden Ebenen sind sehr viel komplexer, als dass sie durch einfache Analogien hergestellt werden könnten. Es geht dem Erzähler aber gar nicht um genaue 7

Allerdings gibt es folgenden Stichwortbezug: Urijas Kommen zu David (11,4) auf der Sachhälfte; es kommt aber auch Batseba zu David (11,7).

222

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

Entsprechungen. Sperrigkeiten zwischen Bild- und Sachhälfte stören nicht, solange die wichtigsten Eckpunkte des Vergleichs erkennbar bleiben. Noch wichtiger: es geht um die Wirkung der Parabel. Sie soll David auf eine indirekte Weise der Sünde überführen. Trotz der Inkongruenzen zwischen „Fall“ und „Bild“ erfüllt das Gleichnis Natans seine kommunikative Intention. Im Lichte dieser kommunikativen Funktion werden die Inkongruenzen nicht nur verständlich, sie erweisen sich sogar als notwendige Voraussetzung dieser Art von Kommunikation: Es gehört zum Merkmal von Gleichnissen, mit Hilfe der Bildhälfte eine Situation zu verfremden, um auf der Sachhälfte bestimmte Sachverhalte zu verdeutlichen. Dabei müssen sie zwangsläufig mit Inkongruenzen arbeiten. Die Analogie zur Sachhälfte bleibt in den Kernpunkten aber so deutlich erhalten, dass die Unebenheiten zumeist erst bei dem Versuch einer analytischen Auflösung ins Auge fallen. Gleichnishaftes Reden bewegt sich zwischen notwendiger Verfremdung der Sache im Bild und erkennbarer Parallele zwischen Bild und Sache: Hätte Natan sein Gleichnis erzählerisch zu eng an Davids Situation angebunden, hätte dieser ihn „durchschaut“ und wäre seinem Gleichnis emotional nicht gefolgt. Jedes Gleichnis enthält Elemente sowohl der Kongruenz und als auch der Inkongruenz. Auf der Bildhälfte finden sich aber neben den Hauptaussagen auch assoziative Elemente, die sich zumeist aus erzählerischen Zwängen innerhalb der bildlichen Darstellung ergeben, die nicht eins zu eins übertragbar sind. Entscheidend ist aber nicht etwa eine Vereindeutigung, sondern die kommunikative Wirkung einer Parabel.8 M. E. ist die Natanparabel als konkreter Teil der prophetischen Konfrontation Davids durch Natan zu lesen. Die oben dargestellten Überlegungen bewegen sich in diesem Deutungsrahmen. Zu einer ganz anderen Sicht gelangt Robert Polzin.9 Er setzt eine literarische Indeterminiertheit des Textes voraus und argumentiert damit zugunsten einer Offenheit des Gleichnisses über die konkret geschilderte Situation hinaus. Sowohl die Natanparabel, als auch das ‫ אתה האשׁ‬seien auf die gesamte „Karriere“ Davids zu beziehen. Im Gleichnis würden sowohl der Arme, als auch der Reiche, wie auch der Wanderer als ‫אישׁ‬ bezeichnet. Mit dem ‫ אתה האישׁ‬rufe Natan alle drei Möglichkeiten zugleich auf: David sei der Wanderer, insofern er von Gott Sauls Königtum und Frauen erhalten habe, er sei der Reiche, was seine Schuld betreffe, und er sei der Arme, indem auch seine Frauen weggenommen würden. Darüber hinaus sieht Polzin verschiedene Phasen „of the LORD’s multiple explanation of the parable“10: So sei in einer der möglichen Lesarten Gott selbst der Reiche, welcher Saul – dem Armen – sein Schäfchen, d. h. sein Königtum sowie seine Frauen wegnehme. Polzin erwähnt eine Reihe von weiteren Bezügen des Gleichnisses über die 8

9 10

Gegen den von Jülicher konstatierten Gegensatz zwischen der Kongruenz in einem Punkt bei Parabeln und der Auslegung Zug um Zug in der Allegorie (vgl. die Verschärfung bei Luise Schottroff für die ntl. Parabeln). Die Annahme, es läge einer Parabel ein einziges tertium comparationis zugrunde, ist eine überzogene Position der Formgeschichte. Vgl. zum literaturwissenschaftlichen Umgang mit Metaphorik auch den Abschnitt Über die Interpretation der Metapher, Eco, Grenzen, 191-216, und Ricoeur, Metapher. Polzin, David, 122-126. Ebd., 125.

6. Fallstudien Teil II: 2Sam 12,1–25

223

Situation des engeren Kontextes hinaus, so etwa zum Lied Hannas 1Sam 2,7f. (vgl. die Stichwörter arm, reich, Thron). Insgesamt kommt er zu dem Ergebnis: „[T]he heart of Nathan’s parable is a multifaceted meditation on kingship that transcends the narrow boundaries of David’s present sins.“11 Diese Entgrenzung des Textes halte ich für zu weitreichend. Die wesentlichen Züge des Gleichnisses erschließen sich m. E. über die in der Textumgebung geschilderte Situation, d. h. über den kommunikativen Rahmen des Gespräches zwischen David und Natan, innerhalb dessen die Parabel verortet ist. Form und Funktion der Parabel lassen sich deutlich abheben von der Form und Funktion ihres narrativen Kontextes innerhalb des Diskurses. Die Natanparabel erweist sich als fiktionaler Text. Hier bietet es sich an – wie Erhard Blum vorschlägt –, zu unterscheiden zwischen Erzählformen, die an innertextlichen Merkmalen als fiktionale Texte erkennbar sind – wie Gleichnisse, Fabeln und Märchen – und solchen, die so erzählt sind, dass sie als Abbild der Wirklichkeit gelten könnten, wenn sie nicht ausdrücklich als fiktional gekennzeichnet wären (z. B. durch die Gattungsbezeichnung „Roman“). Fiktionales Erzählen, das sich als solches im Diskurs zu erkennen gibt, bezeichnet Blum als Fiktionalität erster Ordnung; scheinbar abbildendes Erzählen, das die Fiktivität des Erzählten nicht offenlege, als Fiktionalität zweiter Ordnung.12

6.2.2.2 Zum Aufbau der Strafrede Natans Der Aufbau der Strafrede Natans birgt verschiedene Probleme. Zum einen gibt es mehrere inhaltliche Doppelungen, die z.T. gleiche oder ähnliche Formulierungen aufweisen, vor allem in V. 7b-10. Zum anderen findet sich ein doppelter Redeeinsatz durch die Botenspruchformel in V. 7bα und 11aα, wobei der ersten Botenspruchformel der Schuldaufweis und die Gerichtsansage folgen, der zweiten nur die Gerichtsansage (und Begründung). Die vorliegende Analyse schließt sich in ihrer Gliederung an Jan Fokkelman an.13 Fokkelman unterteilt die Strafrede in Präambel (V. 7bβ-8b), 1. Orakel (V. 9-10a) und 2. Orakel (V. 10b-12). Es ergeben sich dabei allerdings insbesondere folgende zwei Probleme: Das zweite Orakel setzt in dieser Aufteilung mit einer an Satzanfänge für gewöhnlich nicht gebrauchten Formulierung ein (‫ )עקב כי‬und die Botenspruchformel (V. 11aα) kommt in der Mitte des zweiten Orakels zu stehen. Dennoch gibt es eine Reihe von Gründen, die für diese Einteilung sprechen. Dies ist v.a. der doppelte Einsatz mit dem Vorwurf der JHWHVerachtung (‫ )בזה‬V. 9aα und 10bα, zum anderen die thematische Schwerpunktsetzungen der beiden Orakel: der Aufweis und die Ahndung des Mordes Urijas im ersten Orakel und des Ehebruchs mit Batseba im zweiten Orakel. Dessen unberührt bleiben die beiden Vergehen in beiden Orakeln miteinander verbunden.

11 12 13

Ebd. Vgl. Blum, Historiographie, 78f. mit Anm. 55. Vgl. NAPS I, 71ff.

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

224 Präambel (V. 7bβ-8b)

1. Orakel (V. 9-10a)

2. Orakel (V. 10b-12)

‫כה אמר יהוה אלהי ישׂראל‬ ‫אנכי משׁחתיך למלך על ישׂראל‬ ‫ואנכי הצלתיך מיד שׁאול‬ ‫ואתנה לך את בית אדניך ואת נשׁי אדניך בחיקך‬ ‫ואתנה לך את בית ישׂראל ויהודה‬ ‫ואם מעט ואספה לך כהנה וכהנה‬ ‫מדוע בזית את דבר יהוה לעשׂות הרע בעיני‬ ‫את אוריה החתי הכית בחרב‬ ‫ואת אשׁתו לקחת לך לאשׁה‬ ‫ואתו הרגת בחרב בני עמון‬ ‫ועתה לא תסור חרב מביתך עד עולם‬ ‫עקב כי בזתני‬ ‫ותקח את אשׁת אוריה החתי להיות לך לאשׁה‬ ‫כה אמר יהוה‬ ‫הנני מקים עליך רעה מביתך‬ ‫ולקחתי את נשׁיך לעיניך‬ ‫ונתתי לרעיך‬ ‫ושׁכב עם נשׁיך לעיני השׁמשׁ הזאת‬ ‫כי אתה עשׂית בסתר‬ ‫ואני אעשׂה את הדבר הזה נגד כל ישׂראל ונגד השׁמשׁ‬

7bα 7bβ 7bγ 8aα 8aβ 8b 9aα 9aβ 9aγ 9b 10a 10bα 10bβ 11aα 11aβ 11aγ 11aδ 11b 12a 12b

Die Präambel (V. 7bβ-8b) der in die Natanrede eingebetteten JHWH-Rede blickt zurück auf Segenserweise Gottes gegenüber David: JHWH hat David zum König über Israel gesalbt, er hat ihn aus der Gewalt Sauls befreit, er hat ihm das Haus seines Herrn [d. h. Sauls Haus] und dessen Frauen gegeben und das Haus Israel und Juda. Die ersten beiden Aussagen – die Salbung zum König14 und die Errettung vor Saul – stehen mit ihrer jeweiligen Einleitung durch ‫ אנכי‬in Parallele und greifen inhaltlich auf den Saul-David-Zyklus zurück. Auch die nächsten beiden Versteile (V. 8a) sind parallel gebaut (zweifaches ‫)ואתנה לך את בית‬. Dass hier davon die Rede ist, dass JHWH die Frauen Sauls in den Schoß Davids gegeben hätte, findet keine Entsprechung im Saul-David-Zyklus und ist deshalb bemerkenswert; die Formulierung ‫ בחיקך‬spielt auf das ‫ ובחיקו‬in der Natanparabel (V. 3) an. Am Ende der Präambel steht die optative Formulierung wenn es nicht genug war, hätte ich dir dies und das hinzugegeben.15 Auf dem Hintergrund

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15

Zu ‫משׁחתיך למלך על־ישׂרעל‬, vgl. die Formulierungen in 15,17, die allerdings in der 3. Person formuliert ist: ‫( וימשׁחך יהוה למלך על־ישׂרעל‬vgl. dort auch V. 1). Überhaupt gibt es mannigfaltige Bezüge zwischen 1Sam 15 und 2Sam 12. Auch in 1Sam 15 ist das Vergehen Sauls eingebettet in einen Kriegsbericht (gegen die Amalekiter). Auch hier geht es um ein unrechtmäßiges Nehmen (‫ )לקח‬allerdings von ‫( צאן ובקר‬V. 21) – genau die Formulierung in der Bildhälfte 2Sam 12,4 (dreimal in diesem Zusammenhang ‫חמל‬ V. 3.9.15; vgl. 2Sam 12,4[.6]); die Begründung für das Urteil lautet: ‫יען מאסת את־דבר יהוה‬ (V. 23; vgl. V. 26, dort mit ‫ ;)כי‬vgl. hierzu 2Sam 12,14 ‫אפס כי־נאץ נאצת … יהוה בדבר הזה‬. Sowohl Sauls wie Davids Sündenbekenntnis beginnt mit ‫( חטאתי‬1Sam 15,24.25.30; 2Sam 12,13). Zum unikalen ‫ כהנה וכהנה‬vgl. die analoge Zwillingsformel ‫ כזה וכזה‬in 11,25, neben Jdc 18,4 und 1Reg 14,5 eines von drei atl. Belegen.

6. Fallstudien Teil II: 2Sam 12,1–25

225

dieser Wohltaten JHWHs gegenüber David werden Davids Vergehen im Folgenden besonders herausgestellt. Das erste Orakel (V. 9-10a) beginnt mit dem Vorwurf, dass David das Wort JHWHs verachtet habe (zur Phraseoschablone mit ‫ מדוע‬vgl. 5.2.3.2). Auffällig ist die Formulierung ‫דבר יהוה‬, nicht nur, weil hier die Gottesrede in die 3. Person wechselt,16 sondern in erster Linie aufgrund der Frage, auf welches Wort die Formulierung hier rekurriert.17 Die dreifache Exemplifikation des JHWH verachtenden Vergehens – a) David habe Urija, den Hethiter, mit dem Schwert erschlagen, b) seine Frau sich zur Frau genommen, c) ihn durch das Schwert der Ammoniter erschlagen – hebt den Mord an Urija hervor. Zwar waren es, wie der Leser weiß, die Ammoniter, die ihn getötet haben.18 Aber die beiden hier vorliegenden Formulierungen (als semantische Kausative; vgl. 5.2.3.3 Abschnitt 1) machen unmissverständlich David als Urheber des Mordes verantwortlich. Dabei ist die zweite der beiden Aussagen nur scheinbar redundant gegenüber der ersten; sie ergänzen sich gegenseitig: Es war David, und zwar mittels der Ammoniter, der Urija erschlug.19 Gerahmt von diesen beiden Aussagen steht die Anklage, dass David sich Urijas Frau zur Frau (‫ )לאשׁה‬genommen hat. Bemerkenswert ist, dass hier der gewöhnliche Ausdruck für ‚heiraten‘ verwendet wird (vgl. auch 11,27 ‫ ותהי לו־לאשׁה‬oder etwa Jer 29,6). Daraus ergibt sich als Problemanzeige, dass die Formulierung für sich genommen eher die Heirat als den Ehebruch bezeichnet. Von V. 10b.12a her aber wird deutlich, dass auf den Ehebruch angespielt wird (vgl. den nächsten Abschnitt). Dem Gesprächssteuerungssignal ‫ ועתה‬folgt V. 10 die Gerichtsankündigung: Es soll nicht weichen das Schwert von deinem Haus für immer. Die Formulierung ‫ עד־עולם‬rekurriert auf 2Sam 7; auch dort steht sie mehrfach in Verbindung mit dem Haus Davids.20 Das schon in V. 9 doppelt genannte Schwert (‫)חרב‬, das David gegen Urija gewendet hatte, wendet JHWH nun gegen Davids 16 17 18

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20

Vgl. dazu auch das folgende ‫בעינו‬, das jedoch textlichen Schwankungen unterliegt ‫בעיני‬ ‫)אדני‬. Die Vielzahl lexematischer und sachlicher Entsprechungen des gesamten Abschnitts zu Dtn 20–24 ist bemerkenswert und wären einer Untersuchung wert. Dort ist allerdings im Kriegsbericht keine Rede von ‫חרב‬, nur in der Beschwichtigung Davids in der Boteninstruktion. Hier wird die Formulierung V. 10 vorbereitet, die auf V. 9 Bezug nimmt. Zum hilfreichen Begriff der „doppelten Kausalität“ vgl. den Beitrag von Seeligmann, Menschliches Heldentum. Allerdings ist bei Seeligmann der Begriff auf Gottes Handeln bezogen, das direkt expliziert oder geschichtsimmanent erzählt werden kann. – Zu einer ganz anderen Auslegung, die David in Schutz nimmt und das Ergehen Urijas diesem selbst zur Last legt, kommt Midrasch Schabbat 56a: „,Ihn selbst hast du durch das Schwert der Ammoniter erschlagen‘, ebenso wie du [David] nicht für das Schwert der Ammoniter strafbar bist, so bist du auch nicht für den Hethiter Uria strafbar. Welches ist der Grund? Majestätsbeleidigung beging er, denn er sagte in seiner Gegenwart (…): ‚Mein Herr Joab (…)‘“; zit. nach Oberhänsli-Widmer, Talmudischer Midrasch, 6. In 2Sam 7 geht es um den ewigen Bestand des Hauses (‫)עד־עולם‬, genau das, was Saul aufgrund von Schuld versagt geblieben war (vgl. 1Sam 13,13). Die Formulierung begegnet sechsmal in 2Sam 7, davon dreimal in Bezug auf [‫בית ]דוד‬. In 2Sam 12 wird der in 2Sam 7 zugesagte Bestand nicht aufgelöst, findet aber seine Einschränkung, indem Schwierigkeiten als Gericht angedroht werden.

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Fallstudien an 2Sam 11 und 12

Haus. Im Sinne eines ius talionis wird Gleiches mit Gleichem vergolten.21 Dieses personifizierte Schwert betrifft nicht nur David selbst, sondern sein ganzes Haus. Stand im ersten der beiden Orakel der Mord an Urija im Zentrum der Anklage, so ist es im zweiten Orakel (V. 10b-12) der Ehebruch Davids mit Batseba. Dass die Annahme des ‫ עקב כי‬als absoluter Satzanfang nicht ohne Probleme ist, darauf wurde schon hingewiesen. Dennoch ist eine solche Lesung möglich (vgl. die dritte Anmerkung zu 6.3.2.1). Der ersten Begründung der Gerichtsansage (dafür, dass du mich verachtet hast) folgt eine Explikation der JHWH-Verachtung: indem du die Frau Urijas, des Hethiters, genommen hast, damit sie dir zur Frau werde. Auch hier bleibt, wie im Ausdruck ‫‚( לקח לו לאשׁה‬sich zur Frau nehmen‘) in V. 9aγ, noch unbestimmt, ob sich ‫( תקח אשׁת אוריא ]…[ להיות לך לאשׁה‬du hast die Frau Urijas […] genommen, damit sie deine Frau werde) auf den Ehebruch bezieht. Dies wird in der Strafansage durch ‫( אתה עשׂית בסתר‬du hast es im Geheimen getan) vereindeutigt. Erneut mit der Botenspruchformel eingeleitet, folgt die Strafansage für den Ehebruch: In überbietender Umkehrung von 11,4aβ ist es nun JHWH selbst, der vor Davids Augen und vor den Augen dieser Sonne (deiktisch)22 dessen Frauen nimmt und seinem Nächsten gibt, damit er mit ihnen schlafe.23 JHWH kehrt die Verborgenheit24 in Öffentlichkeit. Diese Strafansage wird sich erfüllen, wenn Abschalom Davids Harem in Besitz nimmt (16,20ff.).25 Theologisch bemerkenswert ist, dass JHWH als unmittelbarer Urheber der Strafe (‫את־הדבר הזה‬26) genannt wird. 21 22

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Vgl. das Talionsprinzip Num 24,19-21: wer einen Mann erschlägt, soll sterben (V. 21). Auffällig ist die Doppelung (‫נשׁיך לעיני)ך‬, wobei ‫ לעיני‬jeweils einen anderen Bezug hat. Diese Doppelung findet ihre Entsprechung in dem zweifachen ‫ נגד‬in V. 12. Dies ist synonym gebraucht, vgl. die Parallelisierung von ‫ נגד השׁמשׁ‬mit ‫לעיני השׁמשׁ‬. Eine weitere Frage ist die nach dem deiktischen ‫ ;השׁמשׁ הזאת‬erzähllogisch muss demnach die Begegnung Natan-David im Freien, jedenfalls mit Blick auf die Sonne, stattgefunden haben. Zugleich ist der Bezug zu 8aα deutlich: Es geht jeweils um mehrere Frauen, die in den Schoß eines anderen gegeben werden. Auch der lexematische Verweis auf die beiden aufeinander bezogenen Verse 11,25a und 27b liegt auf der Hand: Redeeinleitung (‫ כא‬in Verbindung mit ‫)אמר‬, ‫רעה‬/‫רעע‬, ‫עינים‬, vgl. auch die Verknüpfungen der näheren Textumgebung, etwa ‫ את־הדבר הזה‬in 11,25 und 12,12, ‫ עשׂה‬in 11,27 und 12,12 sowie ‫חרב‬ in 11,25 und 12,9. ‫ סתר‬findet sich als Lexem in relativer Häufung in Dtn 27–32 (mit etwa 7 Belegen); Dtn 27,24 trifft genau die Sachlage des hier geschilderten Falls: Verflucht sei, wer seinen Nächsten im Verborgenen erschlägt! Man bemerke auch die Verwendung von ‫ נכה‬und ‫רעה‬. Es macht ganz den Eindruck, als würde dies durch die entsprechenden Anklänge in der Formulierung hier aufgerufen. Dies geschieht nach 16,22 ‫( על־הגג‬vgl. 11,2 zweimal in Variante) und ‫ לעיני כל־ישׂראל‬vgl. ‫ נגד כל־ישׂראל‬12,12 Hier könnte man eine Einfügung zwischen ‫ לעיני‬in 12,11 und ‫כל־ישׂראל‬ in V. 12 erwägen. In gleicher Formulierung wie 11,11 (Urija zu David, bezogen auf den Geschlechtsverkehr), 11,25 (David zum Boten, bezogen auf die Kriegshandlung), 12.6 (David zu Natan, bezogen auf die Tat des Reichen), 12,21 (Frage der Knechte an David, bezogen auf dessen Verhalten nach dem Tod des Kindes). Die syntaktischen Bezüge sind

6. Fallstudien Teil II: 2Sam 12,1–25

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Auf Davids prägnantes Schuldbekenntnis ich habe gesündigt vor JHWH (V. 13aβ) antwortet Natan mit dem doppelten Zuspruch, dass JHWH Davids Schuld vergibt (13bβ) und dass David – entgegen dem von ihm selbst gesprochenen Todesurteil – nicht sterben wird (13bγ). Allerdings ist als Problem einer narrativen Inkohärenz festzuhalten, dass die vorhergehende Strafansage, insbesondere die Formulierung ‫( לעתיניך‬vor deinen Augen), ein Weiterleben Davids voraussetzt. Die weitere Strafansage bezieht sich auf den Tod des Kindes (V. 14).27 Die ungewöhnliche Formulierung ‫( יהוה העביר חטאתך‬JHWH hat vorüberziehen lassen deine Sünde) findet ihre lexematische Entsprechung in V. 31: ‫( והעביר אותם במלכן‬und er ließ sie an Ziegelformen arbeiten). Abschließend soll noch eine Alternative zu der oben dargestellten Unterteilung der beiden Orakel zwischen V. 10a und 10b aufgezeigt werden. Es sprechen nämlich auch gute Gründe dafür, eine Unterteilung des Abschnitts zwischen V. 10 und V. 11 vorzunehmen und V. 9f. als einen in sich geschlossenen, durchstrukturierten Abschnitt aufzufassen, in dessen Zentrum der Gerichtsspruch steht. Es ergäbe sich folgende Struktur: ‫מדוע בזית את דבר יהוה לעשׂות הרע בעיני‬ ‫את אוריה החתי הכית בחרב‬ ‫ואת אשׁתו לקחת לך לאשׁה‬ ‫ואתו הרגת בחרב בני עמון‬ ‫ועתה לא תסור חרב מביתך עד עולם‬ ‫עקב כי בזתני‬ ‫ותקח את אשׁת אוריה החתי להיות לך לאשׁה‬

9aα 9aβ 9aγ 9b 10a 10bα 10bβ

V. 9aα und 10bα bilden einen ersten Rahmen; ihre Zusammengehörigkeit ist erkennbar durch ‫בזה‬, die Infinitivkonstruktion und das aufeinander bezogene ‫מדוע‬/‫עקב כי‬. V. 9aβ und 9b zum einen und 9aγ und 10bβ zum andern stehen sowohl thematisch als auch lexematisch miteinander in Beziehung und bilden jeweils eine Klammer. So ergibt sich eine besondere Ringstruktur von drei ineinander greifenden Klammern und dem Gerichtsspruch V. 10a im asymmetrischen „Zentrum“ 28: Und jetzt: nicht wird weichen das Schwert von deinem Haus auf ewig. Darüber hinaus wäre das Textgewebe durch Nebenbezüge enger geknüpft, die z.T. quer zur Verklammerung verlaufen: ‫ חרב‬in 9aβ, 9b und 10a (d. h. hier ist das „Zentrum“ miteinbezogen) sowie ‫ אוריה החתי‬in 9aβ und 10bβ (was zweite und dritte Klammer miteinander verbindet). Verstärkt wird die Zusammengehörigkeit des Abschnitts (also der zwei Verbrechen in einem

27 28

jeweils verschieden, dennoch operiert die Phrase als textverknüpfendes Element (vgl. auch die Häufung in Kap. 14: V. 13.15.20.21). Zu den Schwierigkeiten der Formulierung ‫ נאץ את־איבי יהוה‬vgl. die textkritischen Anmerkungen z. St. Noch „glatter“ wäre die Sache, wenn V. 9b und V. 10a vertauscht wären; dann würde der Gerichtsspruch tatsächlich ins Zentrum rücken. Eine weitere problemfreiere Lösung wäre auch, wenn V. 10bβ nach V. 9b rücken würde; dann stünde der Gerichtsspruch betont kurz vor dem Abschluss der Inclusio und die beiden Verbrechen wären nacheinander doppelt parallelisiert.

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Fallstudien an 2Sam 11 und 12

Spruch) durch das ‫לעשׂות הרע בעיני‬, das in der Formulierung und von der Sache auf 2Sam 11,27b rekurriert, wo bemerkenswerter Weise die beiden Verbrechen singularisch in der Formulierung ‫ הדבר‬zusammen genommen werden.

6.2.2.3 Das lexematische Spiel mit dem Namen Batseba als narratologische Positionierung Die Zornreaktion Davids (vgl. 5.2.3.2 Abschnitt 5) auf den vermeintlichen Rechtsfall und sein Rechtsspruch verdeutlichen Davids Rechtsempfinden und kontrastieren ihn in dieser Situation mit seiner kaltblütigen und gefühllosen Charakterisierung in Kap. 11. David spricht – eingeleitet durch eine bedingte Selbstverfluchung mit JHWH als Gewährsperson (vgl. ebd.) – das Todesurteil. Die von David zugleich geforderte siebenfache (‫ ) ִשׁבְ ָﬠתַ יִ ם‬Erstattung des Schäfchens (vgl. die textkritische Anmerkung oben) bildet in der Kombination mit der Schilderung des Schäfchens als ‫ בת‬im Gleichnis ein lexematisches Spiel mit dem Namen Bat-Scheba.29 Die beiden Bestandteile des lexematischen Bezuges auf den Namen Batseba sind Teil verschiedener Reden. In der Situation, wie sie uns in der Erzählung geschildert wird, ist ein absichtlicher Anklang Davids auf den Namen ausgeschlossen. Dies führt zu der wichtigen Frage, auf welcher Ebene denn das lexematische Spiel funktioniert: Es ist also von Bedeutung für den Leser. Es ist nicht nur die Erzählerebene (E1) vom Erzähler gestaltet. Auch die darin enthaltenen Reden (E2 usw.) gehen in ihrer Ausgestaltung auf den Erzähler von E1 zurück (vgl. die Ausführungen in 5.2.2.3). So sind die in solchen Erzählungen enthaltenen Dialoge immer schon im Blick auf die intendierte Zuhörerschaft des Erzählers gestaltet.30 Für diesen Gestaltungswillen des Erzählers von E1 auf allen Ebenen bietet sich der Begriff der Positionierung an, wie ihn Gabriele Lucius-Hoene und Arnulf Deppermann im Zusammenhang der Analyse persönlicher Identitätsmuster anhand von narrativen Interviews beschrieben haben. Lucius-Hoene zeigen auf, dass in mündlicher Erzählung persönlicher Widerfahrnisse der Erzähler alle in der Erzählung vorkommenden Einzelheiten in den Dienst der Zuweisung seiner sozialen Position und Identität gegenüber dem Zuhörer stellt - diesen Vorgang bezeichnen sie als „Positionierung“: Es ist das erzählende Ich, welches die Figuren der Geschichte positioniert und ihre Positionierungsakte innerhalb der Ereigniskette in einer bestimmten Weise darstellt. Damit formt es die Art und Weise, wie die Figuren in der Handlung der Geschichte 29

30

Ein solcher Bezug wäre aber keinesfalls für die Ebene der Handlung und die darin vorkommenden Personen bestimmt, sondern allein im Blick auf den (gegenüber den handelnden Personen „privilegierten“) Leser formuliert. – In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass das Kind am siebten Tag ‫ ;ביום השׁביעי‬V. 18) stirbt. Erkennbar wird dies z. B. an Äußerungen wie „er sagte: komm her, setzt dich hier her, du Soundso“ (Ruth 4,1), die beim Leser/bei der Leserin die Kenntnis dieser Person voraussetzt, oder in der zusammenfassenden Bemerkung „er sagte so und so“, was beim Leser oder bei der Leserin das Wissen um den Gesprächsinhalt zur Voraussetzung hat. In Erzählungen enthaltene Dialoge sind nicht im Blick auf die dort kommunizierenden Personen gestaltet, sondern im Blick auf die Zuhörer erster Ordnung.

6. Fallstudien Teil II: 2Sam 12,1–25

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erscheinen und agieren. Auch ihre sprachlichen Positionierungshandlungen werden ihnen vom erzählenden Ich in dieser Weise in den Mund gelegt. Damit nimmt das erzählende Ich durch seine Darstellung selbst Positionierungen der Figuren seiner Geschichten vor, die meist implizit im Erzählen aufscheinen (…).31

Zwar haben wir es bei der Erzählung der TFG nicht mit einem in Erscheinung tretenden erzählenden Ich zu tun; übertragbar ist der Begriff der Positionierung aber insofern, als auch hier der Erzähler als Gestalter aller Einzelzüge seiner Erzählung konsequent intentional formuliert und gestaltet, und zwar im Hinblick auf einen bestimmten Leser. So ist das lexematische Spiel mit dem Namen Batseba als Positionierung innerhalb der Kommunikation zwischen Autor und Leser zu erklären.

6.2.2.4 Anmerkungen zu den weiteren Szenen Im Rahmen der narratologischen Analyse sollen nun noch zu zwei Abschnitten poetologische Gesichtspunkte erarbeitet werden: zu dem Erzählgang über Krankheit und Tod des Kindes (V. 15b-23) und dem über die Geburt des Thronfolgers Salomo (V. 24f.). Der Bericht von der Krankheit und dem Tod des Kindes, das hier noch einmal dezidiert als Kind der Frau Urijas gekennzeichnet wird, folgt unmittelbar auf die Natanszene. Die Gestaltung dieser Szene ist auffällig „redundant“. Die Erzählebenen E1 bis E3 kreisen um Davids sowohl menschliches, als auch gottesfürchtiges Verhalten während der Krankheit des Kindes und nach dessen Tod. David setzt sich vor Gott32 für das Kind ein (V. 16). Seine Selbstminderungsriten unterstreichen, wie sehr er hofft, dass das Kind am Leben bleibt. Besonders das Liegen auf dem Boden und sein Fasten33 stehen in Kontrast zu Davids ‫משׁכב‬34 und seinem Festmahl mit Urija in Kap. 11. Während das Dienstpersonal sich vergeblich müht, David zum Aufstehen35 und zum Essen36 zu bewegen, solange der Sohn am Leben ist, beendet David umgehend diese Trauerriten, sobald er vom Tod des Kindes erfährt. Die Frage nach dem Hintergrund dieses Verhaltens, die beim Leser aufgeworfen wird, wird narrativ eingeholt: Die Scheu des Dienstpersonals, David vom Tod des Kindes zu unterrichten, wird nicht nur auf Erzählerebene (E1) berichtet, sie wird auch auf der Ebene der Reden (E2) thematisiert. Interessant ist hierbei besonders, wie die Angst des Personals, die Nachricht vom Tod zu übermitteln, geschildert wird37 31 32 33 34 35 36

37

Lucius-Hoene, Deppermann, Rekonstruktion, 205. ‫ אלהים‬in Kap. 11f. nur hier und in 12,7. Die figura etymologica ‫ ויצם צום‬steht in chiastischer Analogie zu der von V. 14: ‫מות ימות‬. Zur Bedeutung von ‫ שׁכב‬für den größeren Textbereich vgl. die Anmerkung zu 2Sam 11,1. Gespielt wird mit ‫ קום‬q./hi. Für ‫ ברא‬ist ‫ ברה‬zu lesen. Mit dem ‫ ברה לחם‬findet sich ein Verweis nach 13,5. Dort wird aus dem weiteren Zusammenhang deutlich, dass das phraseologische Brot essen allgemein für ‚essen‘ steht und nicht auf Brot beschränkt ist. Zum ‫ כי־מת‬vgl. nächster Vers und 11,26; während Batseba über ihren Mann nach dessen Tod trauerte (das Trauern wird kurz genannt: ‫)ספד על‬, trauert David vor dem Tod des Kindes (die Trauer wird ausführlich erzählt). –‫ נגד‬auch 11,11.18.22; eine „Innensicht“ bezüglich der Boten aber nur hier.

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Fallstudien an 2Sam 11 und 12

und wie das Personal Davids mögliche Reaktion auf die Nachricht phraseologisch präfiguriert: ‫( ועשׂה רעה‬Er wird Unheil anrichten oder: Er wird sich etwas antun38); die Befürchtung, mit der Spannung erzeugt wird, erweist sich als unbegründet. Die narrativen Anspielungen auf die Überbringung der Nachricht von Urijas Tod (2Sam 11,18ff.) sind deutlich: Bei beiden Todesnachrichten wird eine Reflexion über eine mögliche Reaktion Davids auf die Botenmitteilung erzählt, hier wie dort tritt die vorweggenommene mögliche Reaktion Davids nicht ein. Während David aber den Tod Urijas – unmenschlich – gewünscht hatte, hatte er – menschlich – auf die Abwendung des Todes bei seinem Kind gehofft. Dass der Erzähler auch das (in Kap. 11 ausgeblendete) Innenleben des Protagonisten und anderer handelnder Personen darstellen kann, macht V. 18f. deutlich. David wird menschlich gezeichnet; die Art der Darstellung evoziert geradezu das Mitleid des Lesers für David. Wenn David nach dem Tod des Kindes die Trauerriten beendet und anbetet39, so wird ein König vor Augen gemalt, der auf das Gnädigsein Gottes setzt, aber keine Vorwürfe erhebt, als dieses ausbleibt, sondern sich in den Willen Gottes fügt. V. 24ff. ließe sich auch ohne den vorhergehenden Abschnitt 18b-23 lesen, wie das in literarkritischen Analysen mitunter festgestellt wird. Damit aber würde ein wesentlicher Teil der menschlichen Zeichnung Davids verloren gehen.40 Ab V. 24f. ändert sich noch einmal der Erzählstil: die Aussagen bewegen sich ausschließlich auf Erzählerebene. Batseba wird ein Sohn geboren41, den David Salomo nennt.42 Ausdrücklich wird Batseba hier als seine Frau benannt. Das dies erstmals geschieht, also dass sie erst hier als seine Frau bezeichnet werden kann, wirft nochmals ein kritisches Licht auf die vorhergehende Handlung. Die erste explizite Kommentierung auf Erzählerebene nach 11,27b bildet einen Kontrast zu dieser Stelle: Und JHWH liebte ihn. Noch einmal, wie in 12,1, sendet JHWH Natan. Das ‫ וישׁלח )…( נתן‬am Ende des Kapitels bildet mit dem Kapitelbeginn eine Inclusio. Natan nennt den Sohn Jedidja. Dieser Sohn ist JHWHs Liebling.43

38 39

40

41 42 43

‫ עשׂה‬kombiniert mit Derivaten von ‫ רעע‬auch in 11,27 und 12,9; hier mit anderer Semantik und anderer Zielrichtung. Als sachliches Problem sei die Erwähnung des Hauses JHWHs benannt; der Tempel ist in den Daviderzählungen nicht vorausgesetzt. Auf Ebene des Dtr müsste vom Zelt die Rede sein. Auch in 1Reg 2 ist ein Tempel vorausgesetzt. Konrad Rupprecht stellte die These auf, dass es einen JHWH-Tempel gegeben habe. Es seien beim Tempelbau keine Fundamentarbeiten beschrieben, von daher sei der Tempel wohl nur ausgebaut worden. Der Abschnitt 18b-23 erzählt genau in der Art, wie Sternberg für Kap. 11 seine Leerstellenfüllung vornimmt: Das Innenleben der Personen (sowohl das der Boten, wie das Davids) wird offengelegt: ihre Bedenken, ihr Überlegen. Das ‫ ויבא אליה וישׁכב עמה‬entspricht dem ‫ ותבא אליו וישׁכב עמה‬in 11,4, das ‫ ותלד בן‬dem ‫ותלד לו‬ ‫ בן‬in 11,27a. Eine Namensnennung für das erste Kind war nicht erwähnt worden. Der Befund, dass Jedidja nur hier erwähnt wird, ist in der Tat bemerkenswert und wirft die Frage auf, weshalb dieser Name im Weiteren keine Rolle mehr spielt.

6. Fallstudien Teil II: 2Sam 12,1–25

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6.2.3 Personencharakterisierung Drei handelnde Personen bestimmen den Erzählabschnitt 2Sam 12,1–25: JHWH, Natan und David. Die „Ältesten des Hauses“ treten als Nebenfiguren auf. Batseba tritt nicht als handelnde Person im eigentlichen Sinne in Erscheinung. Sie wird, nicht namentlich, sondern als Davids Frau, in V. 24 nur kurz erwähnt. Zu den Hauptpersonen im Einzelnen:

6.2.3.1 Charakterisierung JHWHs Mit dem Erzählerkommentar in 11,27b tritt JHWH als die Handlung bestimmende Person in den Vordergrund: er selbst ist es, der Natan zu David sendet um ihn für die im Verborgenen begangenen Vergehen zur Rechenschaft zu ziehen (V. 1a: da sandte JHWH Natan zu David). Er ist es, der das Kind schlägt (V. 15b: und JHWH schlug das Kind). Von ihm wird schließlich auch ausdrücklich gesagt, dass er den Thronfolger liebt (V. 24b: und JHWH liebte ihn), und dass er, um dies zu bestätigen, Natan nochmals zu David sendet (V. 25a). Neben den Aussagen auf der Erzählerebene geht es auch in zwei der Personenreden zentral um JHWH als handelnde Person. So beruft sich David in seinem Rechtsspruch V. 5f. – in Unwissenheit über das Ziel der Natanparabel – auf JHWH als Gewährsperson. In V. 13a bekennt David seine Vergehen, die wie Kap. 11 erzählt, gegen Personen gerichtet waren, als Sünde gegen JHWH. Zentral ist dann der Zuspruch der Vergebung durch Natan in 13b (Ja, JHWH hat vorüberziehen lassen deine Sünde und du wirst nicht sterben!). David, der nach dem Tod des Kindes im Haus JHWHs anbetet (V. 20a), erklärt auf Nachfrage der Ältesten des Hauses, dass er Hoffnung auf Rettung des Kindes durch JHWHs Gnade gehegt hatte (V. 22b), er fügt sich dann aber in JHWHs Willen.44 JHWH wird zum einen als konsequent charakterisiert. Er schweigt nicht zum Unrecht des Königs, der zugleich sein „Liebling“ ist, sondern deckt es auf und ahndet es. JHWH sagt als langfristige Folge Gewalt innerhalb der Dynastie und Ehebruch in der Königsfamilie voraus. Auch die unmittelbare Folge des Vergehens, nämlich der Tod des aus dem Ehebruch hervorgegangenen Kindes, zeigt JHWH als harten Richter. Zum andern aber verdeutlicht der Erzählgang in 2Sam 11 die Vertrauenswürdigkeit JHWHs. Weder der Ehebruch noch das an Urija begangene Unrecht sind JHWH egal. Was David unter Ausnutzung seiner Macht getan hatte, weist JHWH deutlich wieder in seine Grenzen. So zeigt diese Erzählung auch auf, wer in Israel das eigentliche Sagen hat. JHWH ist aber auch am Ergehen Davids interessiert. Unmittelbar auf das Sündenbekenntnis, mit dem David die Anklagepunkte JHWHs anerkennt, folgt die Schuldvergebung. Auch im Verhalten Davids vor und nach dem Sterben des Kindes wird deutlich, dass er die Souveränität JHWHs anerkennt, dass er ihn als vertrauenswürdig sieht und in der Anbetung ihm die Ehre gibt.

44

Vgl. hierzu den Abschnitt 2Sam 16,10-12. David lässt Schimis Fluch über sich ergehen und gibt sich dann dem Willen JHWHs anheim.

232

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

Es muss noch besonders betont werden, dass die in die Natan-Rede eingebettete JHWH-Rede, die V. 7b–12 umfasst, den größten Redeanteil einer handelnden Person sowohl in Kap. 11 als auch in Kap. 12 ausmacht. Gerade in dieser JHWH-Rede wird JHWH als geschichtsmächtig Handelnder in Vergangenheit (Salbung Davids zum König, Befreiung aus der Gewalt Sauls usw.) und Zukunft gezeichnet.

6.2.3.2 Charakterisierung Natans Natan begegnet an zwei, bzw. – in der Rost’schen Abgrenzung der TFG –, drei entscheidenden Stellen der TFG: in 2Sam 7 (Dynastieverheißung), an unserer Stelle und in 1Reg 1f. (Thronbesteigung Salomos). In jedem dieser Fälle tritt er als Gegenüber zu David auf, in besonderer Weise jedoch in 2Sam 12. Mit seiner Sendung durch JHWH wird David für das scheinbar gelingende intrigante Verhalten doch zur Rechenschaft gezogen. Natan hat die Aufgabe, David mit seinem Fehlverhalten zu konfrontieren und ihm in einer Strafansage die Konsequenzen dieses Verhaltens aufzuzeigen. Mit der Natanparabel wird David seines Vergehens überführt. Die Tatsache, dass dieser den Zielpunkt von Natans Parabel anfangs fehlinterpretiert, und gerade dadurch letztlich die Anklage hören kann, charakterisiert Natan als rhetorischen Meister. Natan lässt sich auch insofern von der königlichen Autorität nicht beeindrucken, als er unverhohlen die Strafansage JHWHs gegenüber David mitteilt. Natan ist als Prophet autoritatives Gegenüber zum König. Wie Natan der Sendung zur Strafansage JHWHs Folge leistet, so tut er dies auch nach der Geburt Salomos. Im Auftrag JHWHs expliziert er in der Namensgebung Jedidja (Liebling JHWHs) die Zuneigung JHWHs zu Salomo (V. 25.24b). Damit wird deutlich, dass Natan nicht von Sympathie oder Antipathie gegenüber dem König geleitet ist, sondern ganz im Auftrag JHWHs und im Gehorsam ihm gegenüber handelt.

6.2.3.3 Charakterisierung Davids David erhält in der Schilderung von Kap. 12,1-25 seine Menschlichkeit und Würde zurück. In der Reaktion Davids auf den vermeintlichen Rechtsfall, den Natan ihm vorträgt, wird deutlich, dass David doch noch ein ausgeprägtes Rechtsempfinden hat; in Bezug auf sein eigenes Verhalten war das in 2Sam 11 nicht mehr erkennbar. Die Schilderung der unerhörten Vorgänge in der Natanparabel, die er als Rechtsfall missversteht, erregen unweigerlich seinen Zorn. Dies steht in deutlichem Kontrast zu Kap. 11. Dort war eine durch Joab im Blick auf den Leser präfigurierte Zornreaktion auf den Kriegsbericht über Verluste in den eigenen Reihen ausgeblieben. Stattdessen hatte David den Bericht vom Tod mehrerer Soldaten in zynischer Weise herabgespielt. An der Zornreaktion in Kap. 12 jedoch wird deutlich, dass David nach wie vor Unrecht als solches erkennen kann. Auf die Konfrontation durch Natan antwortet David unmittelbar mit einem uneingeschränkten Schuldbekenntnis. Dass sich David in den Willen JHWHs fügt, zeigt sein demütiges Verhalten vor und nach dem Tod des Sohnes. Er praktiziert Buß- und Trauerriten, wie

6. Fallstudien Teil II: 2Sam 12,1–25

233

Fasten und Nächtigen auf dem Boden. Die Erzählung gibt keinen Anhalt dafür, dass er dies mit manipulativer Absicht täte. Als der Sohn stirbt, gibt David in der Anbetung JHWH die Ehre, und zeigt, dass er die Strafe JHWHs aus dessen Hand annimmt, indem er die Trauerriten einstellt. Damit steht die Charakterisierung Davids in 2Sam 12,1-25 in deutlichem Kontrast zu seiner Charakterisierung in 2Sam 11: Während er dort seine Machtposition ausnutzt und seinen Neigungen nachgeht, vor dem Mord an Urija nicht zurückschreckt und in seiner Reaktion auf die Todesbotschaft als zynisch gekennzeichnet wird, wird uns in 2Sam 12 ein König geschildert, der seinen Pflichten nachkommt, der den Schutz des Schwachen durchzusetzen gewillt ist, und der, überführt von seiner Schuld, sein Vergehen gegenüber JHWH anerkennt und sich demütig in dessen Willen fügt.

6.3

Literarkritische Auslegung und literarische Interpretation von 2Sam 12,1-25 im Vergleich

Der Textabschnitt 2Sam 12 hat, weit mehr als 2Sam 11, zu einer beachtlichen Anzahl entstehungsgeschichtlicher Modelle angeregt. Nicht selten wurde etwa die gesamte Natanszene in Frage gestellt, manchmal auch nur einzelne Verse ausgeschieden.45 Von literarkritischer Ausgrenzung ist aber darüber hinaus auch der Textbereich 2Sam 12,15b-24bα sowie der Folgetext 12,24bβ.25 betroffen. Das soll beispielhaft an Beiträgen von Timo Veijola (6.3.1.1) und Randall C. Bailey (6.3.1.2) verdeutlicht werden. Veijola hat für 2Sam 12 weitreichende literarkritische Scheidungen vorgenommen und kann daher als sprechendes Beispiel für historisch-kritisches Vorgehen gesehen werden. Randall C. Baileys Analyse in seinem Buch David in Love and War hat den Vorzug, dass er sowohl 2Sam 11 als auch 2Sam 12 einer literarkritischen Analyse unterzieht und sich daher für unsere Untersuchung der beiden Textbereiche anbietet. Einführend sollen die klassischen Sichtweisen von Leonhard Rost und Lienhard Delekat skizziert werden, die dazu helfen, die Textanhalte für literarkritische Beobachtungen in 2Sam 12 schärfer wahrzunehmen. Sie erhalten kein eigenes Unterkapitel, und kommen nur sehr knapp zur Darstellung, da sie nicht zu den neueren, sondern ganz klar zu den älteren Positionen literarkritischer Betrachtungsweise von 2Sam 12 gehören. Stellvertretend für Literary Approaches zu 2Sam 12 werden die Auslegungen von Jan Fokkelman (6.3.2.1) und David M. Gunn (6.3.2.2) zur Darstellung kommen. Fokkelman hat sich in seinem ausführlichen Kommentar der Herausforderung gestellt, auch diesen Textbereich zu analysieren, der für literaturwissenschaftliche Betrachtung weniger ergiebig ist als die eigentliche David-Batseba-Erzählung. Auch David M. Gunn hat sich in The Story of King 45

Für die ältere Forschungsgeschichte z. B. Kittel, Schwally, Greßmann, Cook für Ersteres und Wellhausen, Smith, Klostermann, Budde für Letzteres; vgl. Rost, Überlieferung, 92. Besonders betroffen ist die Natanrede in V. 7b-12.14.

234

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

David (1982) in verschiedenen Zusammenhängen mit 2Sam 12,1-25 auseinandergesetzt. Die Darstellung der verschiedenen interpretatorischen Zugangsweisen beschränkt sich in unserer Untersuchung auf den Abschnitt V. 1-25. Das hat vor allem ganz praktische Gründe: literaturwissenschaftliche Auslegungen konzentrieren sich weitgehend auf diesen Textabschnitt. Bei den Folgeversen nimmt die Ergiebigkeit unserer Fragestellung deutlich ab.

6.3.1 Exemplarische neuere literarkritische Positionen zu 2Sam 12,1-25 Für Leonhard Rost zeigt schon der „zweimalige Anfang der Drohung“ in V. 7b und 11, dem noch ein dritter in V. 14 folge, dass der Abschnitt nicht einheitlich sei. Die ersten beiden hätten „so verschiedenen Inhalt, daß ihr Nebeneinanderstehen nicht angängig ist“.46 Die erste stelle den Mord an Urija in den Mittelpunkt und drohe das Schwert aus dem eigenen Hause an (V. 10), die zweite den heimlichen Ehebruch und drohe „öffentliche Vergeltung“ an.47 Dabei sei klar, dass „beide Drohungen nebeneinander nicht wohl möglich sind“.48 Was das methodische Vorgehen zu einer Überprüfung der beiden Drohreden angeht, schlägt Rost vor, zum einen nach vorne hin mit der Parabel abzugleichen, als auch nach hinten hin mit dem Fortgang der TFG. Dabei sieht er die Parabel für ursprünglich an, weil der Erzähler auch andernorts Vorliebe für gleichnishaftes Reden zeige. Der Schwerpunkt der Parabel läge nun im Raub des Lammes, und der Urteilsspruch Davids bezöge sich auf ebendiesen Raub. Für einen Bezug zum Mord an Urija gebe es in der Parabel nicht genügend Anhaltspunkte.49 Auch im Fortgang der Thronfolgegeschichte gebe es eine zu geringe „Fülle“ an Schwerttoten, die eine Formulierung V. 10a (das Schwert soll nicht weichen ewig) rechtfertigen würde.50 Und bei dem Tod des Erstgeborenen der Batseba sei kein Schwert im Spiel. Daher sei auf die erste Drohrede V. 7b-10 zu verzichten. Die zweite Drohrede finde hingegen ihre Erfüllung in der TFG in 2Sam 16,21, und könne von daher möglicherweise älter sein. Darum sei ihr in dieser Perspektive der Vorrang vor der ersten Drohrede zu geben (Dahinter steht bei Rost eine Entweder-Oder-Entscheidung). Sie entfalle aber, beziehe man V. 12f. mit ein. Dort bekenne David in einem Redewechsel seine Sünde und erhalte eine Zusage der Vergebung, verbunden mit der Ankündigung des Todes 46 47 48

49 50

Rost, Überlieferung, 92. Ebd., 93. Während Kittel etwa deshalb die zweite einem späteren Redaktor zuschreibt, geht Rost einen Schritt weiter, indem er auch die erste einer späteren und die zweite einer dritten Redaktion zuordnet; vgl.ebd., 93. Aber sind nicht gerade in der Bildhälfte Raub und Mord miteinander verbunden? Jedenfalls wird das Zubereiten des Schäfchens besonders betont. Hier übergeht Rost den phraseologischen Charakter der Wendung und argumentiert mit einem wortwörtlichen Verständnis. Dabei ist auch in 2Sam 11 selbst der Gebrauch von ‫ חרב‬in der „Botenbeschwichtigung“ durch David metonymisch zu verstehen.

6. Fallstudien Teil II: 2Sam 12,1–25

235

des Kindes. Rost erscheint es nun als unwahrscheinlich, dass vorher zwei ganz unabhängige „viel schwerere Strafen“51 genannt sein können. Lienhard Delekat geht davon aus, dass es der Erzähler unbegreiflich findet, dass JHWH Salomo auf den Thron gebracht habe. Nach Delekat deutet hierauf besonders die Natanrede und die Reaktion Davids (2Sam 12) hin: „Dies Stück Erzählung ist ein Labyrinth von Unbegreiflichkeiten.“52 Zu diesen Unbegreiflichkeiten gehöre, dass Natan so spät komme, dass er den Mord nicht anklage, dass ein einfaches Schuldbekenntnis Davids zur Vergebung reiche und schließlich, dass JHWH – entgegen altisraelitischer Anschauung – ein Kind als Ersatz töten könne. Davids Fasten und Beten erscheine eher als ein Versuch, der Bloßstellung durch JHWH vor dem Volk zu entgehen, und die Frage bleibe offen, wo denn David die durch das Gleichnis und ihn selbst geforderte Wiedergutmachung geleistet habe?53 Delekat erwägt des Weiteren die Möglichkeit, dass der reiche Mann im Gleichnis mit JHWH in Verbindung gebracht werden und so als „der eigentlich Schuldige“ erscheinen könne. „Hätte er nicht tatsächlich Davids Mordintrige gegen Urija leicht vereiteln können?“54 Durch „die ungünstige Beleuchtung, in die der David-Salomo-Erzähler David rückt, bekommt diese Solidarität Jahwes etwas Unheimliches“.55 JHWH lasse David und Salomo gewähren, er stelle sich im Abschalomaufstand sogar gegen das Volk auf die Seite Davids, und er verhindere nicht, dass Salomo Thronfolger werde. In den „Erwähnungen Jahwes scheint eine bewusste Kränkung enthalten zu sein: Willst du wirklich zu allem willenlos Ja sagen?“56 So unterstellt Delekat dem Erzähler deutlich JHWH-kritische Töne.

6.3.1.1 Timo Veijola: Salomo – der Erstgeborene Bathsebas Timo Veijola greift weiter in den Erzählbestand ein und sieht die direkte Fortsetzung von V. 11,27a mit V. 12,24bβ.26-31 gegeben. Im Rahmen seiner These, dass es sich bei dem eigentlichen Erstgeborenen der Erzählung um Salomo handelt, die er in seinem Beitrag Salomo – der Erstgeborene Bathsebas (1979) vertritt, sieht er nach Ausscheidung von 11,27b–12,24bα sowie 24bγ-25 eine kohärente Erzählung mit „mehr erzählerische[r] Geschlossenheit und inhaltliche[r] Schärfe“57 als die uns jetzt vorliegende: David nimmt Batseba in sein Haus auf, sie wird seine Frau, gebiert einen Sohn und nennt diesen Salomo (11,27a.12,24bβ). Danach gehe der Erzähler nahtlos zum Fortgang der Ammoniterkriege weiter. Zunächst sei die Namensgebung durch Natan (V. 24bγ-25)

51 52 53

54 55 56 57

Ebd., 95. Delekat, Tendenz, 32. Delekat fragt weiter, ob es sich denn hier nicht nahelege, dass er einen solchen Batseba gegenüber geleistet habe, und bemerkt, nicht ohne Ironie: „Er hat sie zur Königsmutter gemacht für den Mord an ihrem Gatten. Das war eine feine vierfache Rückerstattung!“ (Delekat, Tendenz, 33). Ebd. Ebd. Ebd., 34. Veijola, Salomo, 103.

236

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

und die David-Natan-Szene (11,27b-15a)58, hernach dann die „Legende vom Tod des ersten Kindes“59 (12,15b-24bα) hinzugefügt worden. Sie sei einem fähigen, weisheitlichen Bearbeiter im Dienste des Hofes zu verdanken, „der dem mächtigsten Exponenten der davidischen Dynastie eine anstoßfreie Herkunft fabrizierte“.60 Die Bedeutung des Ersatznamens „Salomo“ als „sein Ersatz“ sei dezidiert als Anspielung auf Urija verstanden worden. Diese Bedeutung könne aufgrund der späteren redigierenden Textbearbeitung nun auf einen (fiktiven) früheren Sohn der Batseba bezogen werden und entlaste ihn von dem Makel eines Zusammenhangs von Salomos Geburt mit einem Mord. Die ursprüngliche TFG sei also nicht, wie Rost annimmt, in majorem gloriam Salomonis geschrieben worden. Vielmehr schildere der „alte“ Thronfolgeerzähler in subtiler Form Ehebruch und Mord ohne jede theologische (oder sonstige) Kommentierung, wie er auch in 1Reg 1f. die Machenschaften der „ehrgeizigen Mutter“ Batseba und des „intriganten Propheten“ Natan61 nicht kommentiere, wohl aber in der Leserperspektive ins Zwielicht stelle: „Er hat es uns überlassen, das Urteil über den theologischen und moralischen Wert der geschilderten Vorgänge zu bilden.“62 Veijola geht für die Natan-David-Szene (12,1-15a) mit Verweis auf Schwally, Budde, Greßmann u.a. davon aus, dass deren sekundärer Charakter erwiesen sei.63 Für den Abschnitt 12,15b-24a nimmt er Beobachtungen Würthweins zum Ausgang, wonach zum einen die Namensgebung des ersten Sohnes auffälliger Weise fehle (eine Namensgebung würde nie ohne Grund nicht berichtet) und zum anderen die Geburt zweier Kinder den zeitlichen Rahmen des Ammoniterkrieges sprengten.64 Zu ersterem bemerkt Veijola, dass eine Namensgebung vom Leser mit „etwas Sinn für die hebräische Erzählkunst“65 zu erwarten wäre. So müsse es einen besonderen Grund haben, wenn diese nicht erzählt würde. Die Möglichkeit, dass eine Namensnennung für den Erzählgang hier nicht wesentlich sei, wie dies in 1Reg 3,16-20 bei der Erzählung vom weisen Urteil Salomos, oder in 2Reg 4,8-37 beim Sohn der Sunemiterin der Fall ist, 58 59 60 61 62 63

64

65

Über eine nähere entstehungsgeschichtliche Einordnung in ihrem Verhältnis dieser beiden Einfügungen untereinander finden sich bei Veijola keine Angaben. Ebd., 102. Ebd., 101. Ebd., 104. Ebd., 105. Vgl. ebd., 87. Die Natan-David-Szene könne die Erzählung vom Erstgeborenentod kaum bekannt gewesen sein; die Strafankündigung V. 10-12 enthalte keinen Hinweis auf den Tod des Kindes. Erst die spätere deuteronomistische Überleitung 13f. gleiche mit der nachfolgenden Erzählung aus. Vgl. 87f. Veijola sieht auch 11,27b als dtr Kommentierung. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Bemerkung 11,27 nicht klassisch deuteronomistisch ist. Auch finden sich in Kap. 11.13-19 ansonsten keine deuteronomistischen Textstücke. Das Fehlen der Namensgebung ist für Veijola ein besonders gewichtiges Argument: Die Frage nach dem Namen stelle sich in 11,27a. Hier argumentiert Veijola mit einer Lesererwartung und deren Enttäuschung; als Gegenfrage könnte gestellt werden, wie es sich dann in seiner Version mit der Lesererwartung der Ahndung des Geschehens von Kap. 11 verhalte; diese würde dann enttäuscht werden. Ebd., 85.

6. Fallstudien Teil II: 2Sam 12,1–25

237

lehnt Veijola ab. Die TFG habe als „Familiengeschichte Davids“66 ein ausgeprägtes Interesse an biographischen Details des Königshauses und hätte somit den Namen genannt, so es denn einen gegeben hätte. Der Möglichkeit, das Kind habe aufgrund seiner kurzen Lebenszeit noch gar keinen Namen erhalten, setzt Veijola die Überzeugung entgegen, man habe die Namensgebung stets kurz nach der Geburt vorgenommen. So kommt er zu dem Ergebnis, dass in beiderlei Hinsicht „der Bericht somit seine historische Unwahrscheinlichkeit“ offenbare. Historische wie formgeschichtliche Überlegungen sprächen dafür, dass dieses Kind einen Namen gehabt haben müsse. Den eigentlichen Namen sieht Veijola in V. 24b überliefert: Es handle sich nämlich um Salomo selbst. Das ‫ ותלד בן‬sei eine „dem Kontext geschickt angepasste Wiederaufnahme“67 der Formulierung aus 11,27a und erweise V. 11,27b–12,24a als sekundär. Das durch die Auslassung des besagten Abschnittes sich ergebende Problem, dass nun David zum Subjekt der Namensgebung werde (‫)ויקרא‬, löst Veijola mit der Präferenz für die gelegentliche bezeugte feminine Variante ‫ותקרא‬, da bis ins 9. Jh. üblicherweise die Namensgebung Aufgabe der Mutter gewesen sei.68 66 67

68

Ebd., 86. Ebd., 87. Zur „Wiederaufnahme“ vgl. den maßgeblichen Artikel von Curt Kuhl, Die „Wiederaufnahme“ – ein literarkritisches Prinzip? Kuhl greift hier auf die 1929 von Harold Wiener als „resumptive repetition“ bezeichnete Technik zurück, die dieser wie folgt charakterisiert hatte: „Where an editor desired to incorporate something, he frequently inserted it, and then resumed the original narrative, repeating the last phrase before the break with more or less accuracy“ (The Composition of Judges II 11 to I Kings II 46, Leipzig 1929, zit. nach Person, Reassessment 239“). Kuhl stellt die These auf: „Läßt sich in einer Reihe von Fällen der Nachweis führen, daß das zwischen gleichlautenden Sätzen oder Satzteilen gewissermaßen Eingeklammerte nicht zum Kontext gehört, sondern anderen Ursprungs ist, so dürfte sich hieraus für die Textkritik ein einigermaßen brauchbarer und objektiver Maßstab ergeben“ (Kuhl, Wiederaufnahme, 3). Die Wiederholung sei zumeist „dadurch bedingt (…), daß in den ursprünglichen Text ein Einschub erfolgt ist, und daß nach solchem Einschub der ursprüngliche Faden der Erzählung durch Wiederholung der letzten Worte, ja ganzer Sätze und zum Teil sogar größerer Abschnitte, wieder aufgenommen wird“ (Kuhl, Wiederaufnahme 2). Seither ist in kritischer Sicht ein zwischen einer Aussage und ihrer Wiederaufnahme liegende Textabschnitt einer nachträglichen Einfügung verdächtig. Allerdings könnte dieses Verfahren, einen zunächst nicht weitergeführten Faden später wieder aufzunehmen, auch in synchroner Hinsicht plausibel gemacht werden. So sieht es auch Person, Reassessment, 239: „Wiederaufnahme is not necessarily a redactional technique to alert the reader where an insertion occurs. It is rather a technique which alerts the reader that the text will return to a previous topic after an interruption, whether that interruption was caused by a redactional insertion or simply the same author’s change of topic. This function is consistent with the function of a common feature of everyday conversation to which Wiederaufnahme is closely related – that is, restarts.“ Dies entspreche nicht nur der Norm des 9. Jh., dass Frauen die Namensgebung übernahmen, sondern die Leserin oder der Leser würde sowieso nach 11,26-27a die feminine Form erwarten; die maskuline Form sei im Zuge des Einschubs, der sich auf das Handeln Davids konzentriere, eingebracht worden. Dieses Argument Veijolas überzeugt bei dem sonst häufigeren Personenwechsel nicht recht und ist doch eher als Zirkelschluss im Rahmen seiner These zu sehen. – Veijola untermauert die feminine Lesung mit dem psychologischen Argument, dass man bei David „keine besondere Lust

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Fallstudien an 2Sam 11 und 12

Indem nun in seinem Modell Salomo zum erstgeborenen Sohn Batsebas avanciert und dessen Namensgebung auf Batseba zurückgeht, kommt Veijola zu weitreichenden Folgerungen. Die Bedeutung des Namens „sein Ersatz“ könne sich nicht auf das verstorbene Kind beziehen, denn diese sei nicht so wichtig, dass eine Erinnerung an es wachgehalten werden müsse.69 Er bezöge sich vielmehr auf Urija.70 Batseba habe ihn aus zwei Gründen gewählt: Erstens sei Salomo für Batseba die Rettung aus der Notlage, in die sie als Witwe – nichtsahnend über die wahren Hintergründe des Todes ihres Gatten – zu geraten drohte. Zweitens konnte sie in der Öffentlichkeit damit Urija als Vater glauben machen und Davids Ehre retten, ein skrupelloses Vorgehen, wie es sich später auch in Batsebas intrigantem Verhalten in 1Reg 1 zeige. Dieser Bezug zu Urija sei nach der Inthronisation Salomos jedoch als anstößig empfunden worden. So spiegle der Text zwei Versuche wider, die Anspielung auf Urija zu vertuschen: zum einen der Versuch einer Umbenennung Salomos in Jedidja (V. 12,24bγ-25 – die Verse erwiesen sich durch ihre Glossenhaftigkeit als Nachtrag), der sich jedoch nicht durchsetzen konnte, zum anderen die erzählerische Einfügung der Geburt eines ersten Kindes, die recht erfolgreich die Anspielung von „sein Ersatz“ weg von Urija auf ein fingiertes erstes Kind Batsebas gelenkt habe. Bezüglich der eingangs genannten zweiten Schwierigkeit der Chronologie, die Veijola in der Erzählung Kap. 11f. ausmacht, nämlich der Unmöglichkeit der Geburt zweier Kinder während der Belagerungszeit Rabbas, rechnet Veijola nicht mit der Möglichkeit eines erzählerischen Rückgriffs ab V. 12,26 (vgl. 5.2.2), genauso wenig wie er mit der Möglichkeit einer Präsupposition (vgl. 5.2.1.3) eines nicht bestimmten Zeitraumes in V. 12,24aβ rechnet. Für den Ammoniterkrieg geht Veijola (mit guten Argumenten) von einem überschaubaren Zeitraum aus. Es sei jedenfalls zu erwarten, dass er einen erzählerischen Rückgriff „dem Leser irgendwie kenntlich gemacht“71 hätte. Nach Veijola bleibt es daher bei einer „zeitliche[n] Diskrepanz, die nicht wegzuerklären ist“.72 Für V. 12,24a (Und es tröstete David Batseba, seine Frau, und er kam zu ihr und er schlief mit ihr) nimmt Veijola eine Lesung an, die keine Präsupposition

69 70

71 72

zur Namengebung“ erwarten könne, da die Geburt aufgrund ihrer Vorgeschichte „kein besonders fröhliches Ereignis“ gewesen sie. Dieses Argument könnte auch gegen Veijolas Position selbst – dass das Kind eben einen Namen gehabt haben müsse – gewendet werden. Gegen Gerleman und Stamm. – Dieser Einwand Veijolas macht unter der Hand doch ein Verschweigen der Namensgebung in erzähltechnischer Hinsicht wieder plausibel. Die Begründung Veijolas: „Wenn die Bedeutung des Namens ‚sein Ersatz‘ ist und wenn dem Vorgänger Salomos der historische Boden entzogen ist, dann kann der Name sinnvoll nur als Anspielung auf den gefallenen Ehemann Batsebas, den Hethiter Uria, aufgefaßt werden“ (103). Dies ist im Rahmen seiner These schlüssig, doch kommt dieses Ergebnis auch erst aufgrund seiner These zustande. Hier, wie an anderen Stellen, befindet sich Veijola im Zirkelschluss. – Neuerdings hat Särkiö, Batscheba, 260f., vorgeschlagen, den Namen Salomo von der „Jerusalemer Stadtgottheit Schalim“ herzuleiten und ihn als „Kandidat[en] des jebusitischen Jerusalem“ bei der Thronnachfolge Davids einzustufen. Auch das erscheint mir weder notwendig noch plausibel. Veijola, Salomo, 93. Ebd., 95.

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eines dazwischenliegenden Zeitraumes zulässt.73 Mit dieser Annahme interpretiert er das Fasten vor dem Tod des Kindes damit, dass der Erzähler zum Ziel hatte, „dem Leser psychologisch verständlich zu machen, wie David unmittelbar nach dem Tod des Kindes zu Batseba gehen konnte“.74 Dabei habe er „die biologische Unwahrscheinlichkeit der Sache kaum bemerkt“.75 Der Bearbeiter unseres Textes, der die Erzählung vom Tod des Erstgeborenen eingefügt habe, weise eine „erhebliche geistige Verwandtschaft mit einer anderen, breiteren Bearbeitungsschicht innerhalb der Thronfolgeerzählung“76 auf. Es handle sich um die umfangreiche Bearbeitung, die nach Würthwein in Anlehnung an Langlamet Ahitofel in ein ungünstiges Licht stellen sollte, welcher auch das „Deutewort“ (von Rad) in 2Sam 17,14b als integraler Bestandteil zugehöre. Beide seien sehr konsequent verfahrend, im Dienst des Hofes und – betrachte man die aufgeklärten Züge Davids, die sich in Trauer/Nichttrauer äußerten – unter weisheitlichem Einfluss, so dass gar eine Identifikation der beiden nicht von der Hand zu weisen wäre. Dies werde umso wahrscheinlicher, als die Vereitlung des Rates Ahitofels durch JHWH (2Sam 17,14b) in seinem theologischen Gehalt dem durch JHWH bewirkten Tod des ersten Kindes entspräche.77

6.3.1.2 Randall C. Bailey: David in Love and War Randall C. Bailey legt in seinem David in Love and War (1990) dem Abschnitt 2Sam 11,2–12,15 ein sog. Geburtsformular mit den dafür charakteristischen Verben ‫ ילל‬und ‫ קרא‬als übergeordnetes strukturierendes Schema zugrunde, in das die kompositionelle Verknüpfung von zwei Paralleleinheiten einkomponiert worden sei.78 Für den Abschnitt V. 12,5-14 sind dies nach Bailey die Einheiten V. 5-7a und 13-14. Diese Bearbeitung zeige ein Interesse an der Verbindung zur gesamten Davidüberlieferung von 1Sam 16 bis 2Sam 24, indem vergangene Ereignisse zusammengefasst werden und mit Hilfe des Schemas von Prophe73

74 75 76 77

78

In Veijolas Interpretation lasse der Erzähler Batseba sieben Tage nach der Geburt des ersten Kindes wieder schwanger werden, da er aufgrund des zeitlichen Problems eine schnelle Abfolge erzielen müsse; dies spreche „für den legendarischen Charakter der Erzählung und müsse[n] als Tribut betrachtet werden, den der Ergänzer zollen mußte, als er zwei Geburten während des Ammoniterkrieges unterbringen wollte. Er konnte nicht bis zu dem nächsten Monat warten, weil er wußte, daß der Ammoniterfeldzug sich durch seine Einmischung sowieso in eine bedenkliche Länge ausdehnte.“ (ebd., 98) Hier wäre allerdings an Veijola zu fragen, ob dieser Erzähler, wenn ihm denn das chronologische Problem, so wie Veijola es sieht, bewusst war, nicht auch eine von Veijola geforderten Hinweis auf einen erzähltechnischen Rückgriff geben hätte können, sofern es sich tatsächlich um ein erzählerisches Problem handelt. Ebd., 98. Ebd. Ebd., 102. Als stützendes Argument vergleicht Veijola zu 12,15b die beiden weiteren Belege von ‫ נגף‬in den Daviderzählungen; sowohl 1Sam 25,38 (schrittweiser Tod Nabals) als auch 1Sam 26,10 (im Argument Davids gegen eine Tötung Sauls) seien wahrscheinlich Zusätze. Vgl. 99f. Vgl. auch die Ausführungen zu Bailey unter Literarkritische Positionen zu 2Sam 11 (5.3.1.2).

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Fallstudien an 2Sam 11 und 12

zeiung und Erfüllung kommende Ereignisse vorweggenommen sind. Die dtr Bearbeitung sei vorwiegend additiv vorgegangen, die vorgegebene Tradition habe sie kaum verändert; es ging ihr um eine Einpassung in die dtr Theologie. Dtr rechnet Bailey V. 11,10b.11.19-22.27b sowie V. 12,7b.8.9b-12.16-23 zu.79 Diese Bearbeitung habe wohl als schriftliche Vorlage eine Frau-des-UrijaErzählung vorgefunden, die mit der Erzählung eines Soldatenmords und der Heirat Davids mit der Frau dieses Soldaten verbunden worden war. Dieses Material sei prophetisch bearbeitet worden: angefügt sei eine Auseinandersetzung des Propheten mit dem König über die Befolgung des Gesetzes, wobei aber der Aspekt der Umkehr keine Rolle spiele. Dtr habe dieses Material mit zwei Erzählungen überlagert: einer zur Heirat Davids und Batsebas, eine weitere zum Tod des Kindes. Der gesamte Abschnitt Kap. 10-12 zeige die dtr Haltung gegenüber dem Königtum im Sinne von 1Sam 8: Nach außen werde David durch militärische Exzesse schuldig (10,1–11,1 und 12,26-31), nach innen durch Missbrauch und Unterdrückung (11,2–12,25). Die David-Batseba-Erzählung sei in der Linie der politisch motivierten Eheschließungen Davids mit Michal, Abigail und Maacha zu sehen. Die eigentliche Heirat sei nach dem Abschalomaufstand zu verorten; aus theologischen Gründen, d. h. um das Folgende durch die Natanrede theologisch zu kommentieren, sei sie an ihrem jetzigen Ort in der Gesamterzählung platziert. V. 11,27b sei weder Ende der Erzählung (von Rad) noch Erzählanfang (Budde) sondern erweise sich als (wahrscheinlich) dtr Nahtstelle, die mit möglichst allgemeiner Formulierung alle Aspekte so in sich vereine, dass sie zugleich nach vorne wie nach hinten verweise.80 Die Parabel von V. 12,1-7a sei wegen der Unstimmigkeiten zwischen der Bildhälfte und der Sachhälfte gegenüber der David-Batseba-Urija-Erzählung sekundär. Die drei hervorstechendsten Unterschiede seien zum einen, dass die Parabel weder einen Hinweis auf einen Mord noch einen Ehebruch enthalte, zum anderen, dass der Reiche aus Habsucht, David hingegen aus Begehrlichkeit handle, zum dritten, dass die sympathische Zeichnung des Lämmchens in der Parabel nicht mit Batseba übereinstimme, „who at the very least cooperated with David in adultery“.81 Der Abschnitt 1-7a gehöre aber dennoch einer vor-dtr Bearbeitung an, denn er zeige keine dtr Spuren (gegen die Zuordnung von Dietrich und Veijola zu DtrP). Erstens gäbe es bei Dtr kein Konzept eines juridischen Königs, wie er sich im Text spiegelt. Zweitens finde sich in Davids Erlass V. 5 ein Bundesbuchzitat (Ex 21,37), was bedeute, dass Dtr an dieser frühen Bearbeitung noch nicht beteiligt gewesen sei. Ein Vergleich mit Texten, die ebenso mit dem „pattern“ der Königstäuschung arbeiten (2Sam 14,1-17; 15,3-4; 1Reg 3,16-28; 20,33-45), zeige deutlich größere Ähnlichkeit zur prophetischen Auseinandersetzung mit dem König (besonders zu 1Reg 20, aber auch zu 79 80 81

Vgl. auch die Tabelle Bailey, David, 122. Vgl. Bailey, David, 104f.; Bailey nennt als weitere Beispiele dieser redaktionellen Technik der Nahtstellengestaltung 2Sam 10,6a.15a.19; vgl. ebd., 67-71. Ebd., 106. Zu solch einer Beurteilung Batsebas allerdings gibt der Text selbst keine Anhalte. Vielmehr wird David alleine verantwortlich gemacht, was in jedem Fall Batseba von diesem Vorwurf entlastet.

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2Sam 15), als zu den unter weisheitlichem Einfluss stehenden Abschnitten aus 2Sam 14 und 1Reg 3, so dass prophetischer Einfluss zu vermuten sei. Da die Differenzen zwischen Bild- und Sachhälfte aber größer als etwa in 2Sam 14 und 1Reg 20 – und dies „unusual for this genre“82 sei, müsse sie zeitlich später als die Vergleichstexte verortet werden. So ergebe sich folgendes Bild der Entstehung: Eine allgemein bekannte Parabel über den Missbrauch des Armen durch den Reichen werde von einer vor-dtr, (wahrscheinlich) prophetischen Redaktion, der es um die Rolle des Propheten, den König auf seine Verantwortung gegenüber JHWH zu behaften, ging – basierend auf 1Sam 8; 13; 15, und in Anlehnung an andere Modelle der Königsüberführung –, um eine Basis für die Selbstverurteilung Davids zu schaffen.83 Für den Abschnitt 5-15a stellt Bailey die gleiche kompositionelle Technik heraus, die er auch in 11,1;12,26-31, in 11,6-13, und in 11,14-25 findet. Den Abschnitten sei mehreres gemeinsam: Sie verbänden zwei Paralleleinheiten, die auch alleine stehen könnten. Zum zweiten stelle in drei dieser vier Abschnitte jeweils die erste der beiden Einheiten David in ungünstigeres Licht als die zweite. Drittens würden alle vier Abschnitte Ambiguitäten vereindeutigen.84 Wie 12,26 und 12,29.31 David zunächst nicht im Krieg, dann im Krieg zeigen, und wie 11,17f. und 11,25 David zunächst nicht in das Geschehen einbezögen, dann aber als Ermutiger für das Kriegsgeschehen schilderten, so werde auch in 12,5-6 in der selbstgerechten Anklage David zunächst negativ, in 12,13a mit dem Sündenbekenntnis deutlich positiver dargestellt. Während die Reden in 12,27-28; 11,10b-11; 11,18-24 jeweils die sie umgebenden Paralleleinheiten über Stichwortbezüge zusammenhalten, ginge der Redeteil in V. 7b-12, der die beiden Paralleleinheiten V. 5-7a und V. 13a-14 (die sich wiederum in das Schema Reaktion Davids/Antwort Natans V. 5-6.7a; 13a.13b-14 unterteilen) verknüpfe, weit über diese Funktion hinaus: er sei Bindeglied für den gesamten Textbereich 1Sam 16 bis 2Sam 20. Bailey begründet ausführlich, weshalb V. 7b-12 die beiden Erzählkomplexe 1Sam 16 – 2Sam 8 und 2Sam 13–20 voraussetze. V. 7b-8 umfasse in einer Rezitation der großen Taten JHWHs an David durch deren Parallelisierung zur Aufstiegsgeschichte den „Materialblock“ 1Sam 16 – 2Sam 8.85 Mit 12,9-10

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Ebd. Vgl. ebd., 105-109. Zu unserem Bereich schreibt Bailey: „As noted above, the parable to which David reacts in 12.5-6 does not fit the situation described in 11.2-27a. In the speech of Nathan, however, there is mention of the wife of Uriah incidents (12.9,10) which clarifies the issues“ (ebd., 109). Die Salbung beziehe sich auf 1Sam 16, die Rettung vor Saul auf 1Sam 18–26, die Formulierung Israel und Juda auf den Bund Davids mit den Ältesten Israels und Judas in 2Sam 5,1-3. Problematisch sind Baileys Zuordnung des verbleibenden Rests von V. 8 auf territoriale Expansionen 2Sam 5.8 und die Zuordnung der Formulierung die Frauen deines Herrn, die er nicht auf eine (gedachte) Haremsübernahme durch David nach dem Modell von 2Sam 16,22 sieht, sondern für die er andere Referenzen für wahrscheinlich hält, etwa: 1Sam 18,7 (die tanzenden Frauen, die David über Saul erheben), 1Sam 25 (Heirat Abigails nach dem Tod ihres Mannes), 1Sam 18 und 2Sam 3,14-16 (Heirat Michals) oder die Übernahme des Hauses Ischboschets in 2Sam 2f. (vgl. 110); hiergegen

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Fallstudien an 2Sam 11 und 12

folge die spezifische Anklage wegen Urija und der Frau Urijas.86 Die beiden Verse hätten zum einen die Funktion, das Natanorakel mit den in Kap. 11 berichteten Ereignissen und zugleich mit der Liste der großen Taten Gottes zu verbinden. Die Verse folgten dem für DtrH charakteristischen Schema von Prophetie und Erfüllung und verbänden die Strafansage von Schwert und Frauenraub mit dem Erzählgang 2Sam 13–20. Die enge Parallelität zur Abschalomtat 2Sam 16,22 lasse annehmen, dass der folgende Erzählkomplex V. 13-20 diesem Orakel schon vorgelegen habe. V. *7b-12 gehörten also zu Dtr. Jedoch nimmt Bailey die Doppelung von ‫ בזה‬und der „Heirat“ mit der Frau Urijas in V. 9.10 zum Anhalt, V. 9b als redaktionell (Dtr) zu kennzeichnen, da er die Art und Weise des Mordes gegenüber V. 9aα modifiziere und auf den Ammoniterkrieg hin spezifiziere. So erweise sich V. 9b als Redaktion eines vorgegebenen Textes. V. 9a hingegen gehöre aufgrund seiner Spezifikation der Anklage die Formulierung ‫ אתה האישׁ‬als Teil der ursprünglichen Erzählung zu V. 7a. Die Verse 13-15 seien die direkte Reaktion auf die in V. 9a von Natan aufgeworfene Frage „Warum hast du das Wort JHWHs verachtet?“. David reagiere mit einem Schuldbekenntnis, auf das die Strafansage Natans gegen das in 11,27a erwähnte Kind folge. Dabei sei nicht klar, ob V. 13-15 Teil der prophetischen Reaktion auf die David-Batseba-Heirat sei (also ursprünglich zu 12,1-7a gehöre) oder eine zu V. 1-7a parallele Tradition darstelle. Wegen seiner Nichtübereinstimmung mit dtr Theologie sieht Bailey es als Teil einer vor-dtr Erzählung, um die Dtr „herumarbeiten“ musste. Entgegen der üblichen Szenenabgrenzung mit dem Abgang Natans nach V. 12,15a argumentiert Bailey für eine Hinzunahme von V. 15b; dieser sei fester Bestandteil der Einheit V. 13-15. Dies begründet er zunächst mit zwei sprachlichen Argumenten: ‫ נגף‬würde, ließe man es am Beginn einer Einheit stehen, entgegen seinem gewöhnlichen Gebrauch verwendet werden.87 ‫ אנשׁ‬stünde in allen seinen anderen Belege in Verbindung mit Gerichtsworten; der Gebrauch von ‫ אנשׁ‬sei daher als Teil der Gerichtsrede 12,13b-15 konsistent gegenüber seinen Vergleichsbelegen.88 Ein

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ist einzuwenden, dass der Text jedoch im Grunde das zweite ‫ אדון‬durch die Parallelisierung mit ‫ בית אדוניךב‬nur auf Saul selbst beziehen lässt. Wohl gemerkt: nicht Batseba. Die genaue Unterscheidung führt bei ihm zur Annahme von zwei unabhängigen Einheiten: der David-Batseba-Erzählung und der Urija-Frau-desUrija-Erzählung. Vgl. ebd., 83-100.121f. Das Wort werde für gewöhnlich in Kriegszusammenhängen gebraucht; die Niederlage eines Kriegspartners finde dann seine Erklärung darin, dass JHWH ihn geschlagen hat. In den Belegen, wo es sich auf Krankheit bezieht, stehe es nie am Anfang einer Einheit, sondern eher am Ende. – Dann wäre immerhin die Frage zu stellen, ob V. 15b nicht als Fortsetzung zu 11,27b gesehen werden könnte. Dies geht aber, wie Bailey ausdrücklich schreibt (vgl. ebd., 111), deshalb nicht, weil 11,27b ja schon ausgeschieden wurde. Hier muss man fragen, inwieweit Bailey gegenläufige Beobachtungen ernst nimmt. Solche exegetische Arbeit im sukzessiven Ausschlussverfahren erscheint mir nicht unproblematisch. Die anderen Beispiele fänden sich in Micha, Jesaja, Jeremia. Es ginge jeweils um die Beglaubigung prophetischen Gerichts, indem JHWH einzelne oder Gruppen mit unheilbarer Krankheit belege. – Es ist ein von Bailey gern gebrauchtes Argumentationsmuster, mit Konsistenzen kleiner Einheiten quer zum vorliegenden Text

6. Fallstudien Teil II: 2Sam 12,1–25

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drittes Argument für die Zugehörigkeit von V. 15b zu V. 13-15a sei, dass die Aussage V. 14b über das Kind (‫ הבן הילוד לך‬der Sohn, der dir geboren wurde) recht allgemein gehalten ist, in V. 12,15b jedoch dann spezifiziert wird in der Formulierung ‫את־הילד אשׁר ילדה אשׁת־אוריה לדוד‬. Würde man die beiden Phrasen voneinander trennen, wäre die erste Einheit zu allgemein und die Verbindung zu den Ereignissen V. 16f. in Frage gestellt.89 Insgesamt lasse sich V. 15b am besten als Fortsetzung der prophetischen Strafankündigung in V. 13b-14 erklären. V. 16-23 schreibt Bailey dem Deuteronomisten zu. Der prophetische Abschnitt 12,13-15, den Dtr vorgefunden habe, hätte sich mit der Ansage einer Verschiebung der Strafe auf die nächste Generation allein aufgrund des Bekenntnisses von David V. 13a begnügt. Für Dtr sei dies theologisch inakzeptabel, daher habe er – mit 1Reg 21,(25-)27 als Modell – den Abschnitt V. 16-23 konstruiert, mit dem er zum einen habe zeigen können, dass David in ausreichender Weise Umkehr praktiziert habe, und zum anderen, dass die Sünde von Kap. 11 gesühnt sei. Dies entspreche dem dtr Bemühen, für ein Bestehen der davidischen Dynastie zu argumentieren, solange der Bund eingehalten würde (vgl. 2Sam 7,15f. und 1Reg 8,25f.). Bailey begründet diese Rekonstruktion mit für ihn typischen „Konsistenz“Argumenten.90 Wie der Vergleich mit Dtn 1,41, Jos 7,20, 1Reg 8,47f. zeige, reiche für Dtr ein Bekenntnis allein nicht aus. Dies erweise die nächste Analogie zu 2Sam 12,13-23, nämlich 1Reg 21,27-29. Der Gebrauch des Verbs ‫ בקשׁ‬sei hier gegenüber den Vergleichstexten ungewöhnlich. Erstens wäre hier ‫ פלל‬zu erwarten, zweitens passe hier nicht die übliche Semantik von ‫ בקשׁ‬im Sinn von „jemanden aufsuchen, um ihm etwas anzutun“, drittens werde ‫ בקשׁ‬in Bezug auf die Gottheit dann gebraucht, wenn es sich um erfolgversprechende oder gewünschte Bestrebungen handelt. Andere Texte mit Trauerriten hätten keine Belege für das Liegen auf dem Boden und die Weigerung, aufzustehen. Solches

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zu hantieren. Die Möglichkeit einer außergewöhnlichen Sprachverwendung scheidet dann kategorisch aus. Diese Argumentation ist in zweierlei Hinsicht unstimmig: Erstens könnte genau den Bezug, den V. 15b deutlich zum Folgenden herstellt, als Argument für eine Zusammengehörigkeit von V. 15b mit dem Folgetext dienen. Zweitens hatte er die Beobachtung einer Spezifikation in einem weiteren Vers zuvor als gegenteiliges Argument gebraucht: Aufgrund eben einer solchen Spezifizierung von V. 9b gegenüber V. 9a (die Verbindung des Todes Urijas mit dem Ammoniterkrieg) scheidet er hier die beiden Versteile voneinander und ordnet sie verschiedenen Schichten zu. „Konsistenz“ meint bei Bailey, dass inhaltliche, lexematische oder strukturelle Gefüge als festes Schema in verschiedenen Einheiten vorkommen (müssen) (vgl. etwa die gesamte Argumentation zum Abschnitt V. 16-23). Sein Verfahren ist dann ein Subtraktionsverfahren: Das, was gegenüber den Vergleichstextschemata nicht „konsistent“ ist, erweist er als redaktionell oder zumindest als Anhalt zu literarkritischen Überlegungen. Das Problem: Dieses Vorgehen lässt keine literarischen, theologischen oder sonstigen Besonderheiten in einer jeweils synchronen Lesung prophetischer, deuteronomistischer etc. Bearbeitung zu. Dass solche Besonderheiten aber eben im überkommenen Text zu finden sind, macht plausibel, dass es auch in einer möglichen Textvorgeschichte solche gegeben haben mag. Das Konsistenzargument erweist sich als äußerst problematisch.

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Fallstudien an 2Sam 11 und 12

Verhalten sei hingegen in Erzählungen zur Umkehr zu finden (1Reg 21,27: Gerichtsaufschub; Jona 3,5: Gerichtsabwendung). Die Phrase ‫ חטא ליהוה‬in 13a komme zumeist im Zusammenhang von Strafbegründung, nicht aber im Zusammenhang mit Strafaufschub vor.91 An zwei Stellen, wo die Phrase als Bekenntnis vorkomme, habe sie keinen Einfluss auf eine Abwendung der Schuld (Dtn 1,41; Jos 7,20). An zwei anderen Stellen, in denen das Bekenntnis mit Rettung verbunden ist, gehörten weitere Elemente mit hinzu: in Jdc 10,15 das Beenden falschen Verhaltens und die Umkehr, in 1Sam 7,6 eine Bundesschlusszeremonie – was bedeute, dass für den Redaktor dieser Einheiten es über das Bekenntnis hinaus zusätzlicher Taten bedurfte, die zur Umkehr zu JHWH führten.92 Während es zunächst also so scheinen mag, als handle es sich bei Davids Verhalten um reine Trauerriten, ergäben sich bei näherem Hinsehen, besonders in V. 22, Anhaltspunkte, dass es sich um ein „Flehen“ („supplication“) als dtr geforderte Zusatzleistung über das reine Bekenntnis hinaus handle. David versuche, im Sinne israelitischer Religiosität, die Gottheit zu beeinflussen. Für die Einheit V. 24-25,93 die das letzte der drei Elemente des nach Bailey alles umspannenden Geburtsformulars enthält (‫)קרא‬, sieht Bailey mit Anhalt an einem von ihm konstatierten nicht ganz glatten Übergang von V. 16-23 zu 24f. zwei Probleme für V. 24aα (Und David tröstete Batseba, seine Frau) in Bezug auf einen Anschluss an die vorhergehende Erzählung. Erstens liege in V. 16-23 der Fokus ausschließlich auf David, während Batseba keine Rolle spiele; dies sei überraschend, wo ihr doch in V. 11,26f. solche Aufmerksamkeit zuteilwerde. Zweitens blieben die Akteure des Abschnitts V. 24aβ-25 unbestimmt, würde man V. 24aα ausscheiden.94 Dieser Befund sei kombiniert mit einer weiteren Besonderheit: dem Vorliegen eines weiteren, aber irregulären Geburtsformulars innerhalb des übergeordneten Geburtsschemas. Dieses enthalte in V. 12,24aβ eine auffällige Redundanz (mit zwei sexuellen Konnotationen: ‫ בוא‬und ‫שׁכב‬95) und erwähne keine Schwangerschaft (es fehlt ‫)הרה‬. In Kombination mit der in 2Sam 11,27 ausbleibenden Namensgebung des ersten Kindes betone dies, dass dieser zweite sexuelle Akt zur Geburt des Thronfolgers führe, Salomo also dezidiert nicht aus dem Ehebruch hervorgegangen sei. In Abgrenzung von Veijola sieht Bailey demnach die Auffälligkeit in 11,27 (im Vergleich zu 12,24) 91 92

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Bailey führt an: Gen 37,34; 2Sam 13,37; 14,2; 19,2; 1Chr 7,22; 2Chr 35,34; vgl. 183, Anm. 171. Dies würde bestätigt durch die siebte Bitte des Tempelweihgebets Salomos in 1Reg 8,47f., eine Stelle, die in der Regel DtrH zugerechnet wird; diese setze ebenfalls voraus, dass dem Bekenntnis die Umkehr folgen müsse (vgl. ebd., 115). Vgl. ebd., 116-120. Beide Argumente sind aus erzähltechnischer Perspektive zu widerlegen. Letzteres ist zwar in sich logisch, doch ist es absurd, die Nominalformen der handelnden Subjekte eines syntaktischen Zusammenhangs auszuklammern und dann deren Fehlen zu beklagen. Zu ersterem ist anzumerken, dass der Trauer Batsebas in 11,26f. zwar Aufmerksamkeit gewidmet wurde, dies aber nicht bedeuten muss, dass die gleiche erzählerische Perspektivierung hier abermals zu erwarten sei. Vielmehr liegt hier eine Art erzählerische Komplementarität vor: Geschildert wird Batsebas Trauer um Urija und Davids Trauer um das Kind. Wobei ersteres nicht notwendig sexuell konnotiert sein muss.

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nicht als Anhalt für eine literarkritische Scheidung, sondern als stilistisches Mittel.96 Die Nichtnennung des Namens beim ersten Kind diene dazu, narrative Spannung zu erzeugen und zu betonen, dass Salomo keine „Frucht“ des Ehebruchs ist. Die vorliegende Struktur habe also die Funktion, die davidische Linie zu entlasten. Zudem lege die erzählerische Anlage, verglichen mit 1Reg 1,13 nahe, dass dem Geschehen ein politischer „Deal“ zwischen David und Batseba zugrunde liege.97 Die David-Batseba-Erzählung stehe in starker Affinität sowohl zur JudaTamar-Erzählung (Gen 38) wie zur David-Abigail-Nabal-Erzählung (1Sam 25). So sei die Heirat von David mit Batseba in derselben Linie zu sehen wie seine Heirat mit Michal, Abigail und Maacha. Im Lichte der politischen Dimension müsse der Name „Salomo“ als Infinitivus constructus mit Personalsuffix 3.m.Sg. („his [or its] completion“) in der Bedeutung von „deal is accomplished“ gelesen werden. Zeitlich seien die der Erzählung zugrunde liegenden Ereignisse am ehesten nach dem Abschalomaufstand anzusiedeln.98

6.3.2 Literary Approaches zu 2Sam 12,1-25 Viele Vertreter des Literary Approach haben sich intensiv mit der DavidBatseba-Erzählung in 2Sam 11 auseinandergesetzt. Dieses Kapitel hat besonders auffällig literarisch-novellistische Züge, und literaturwissenschaftliche Ansätze erprobten sich zunächst an solchen Textbereichen, deren Analogien zum üblichen Betätigungsfeld dieser Zugänge am größten sind. Für das Kap. 12 ist das etwas anders. Während die Natanparabel noch relativ großes Interesse bei den literarischen Interpretationen weckt, finden die anderen Textbereiche von Kap. 12 wesentlich weniger Beachtung.99 Umso begrüßenswerter ist es, dass Jan 96

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Während Bailey sonst stark mit „narrative patterns“ argumentiert, stellt er sich mit (dem schwach ausgeführten) Verweis auf die verzögerte Namensnennung Moses in Ex 2,10 (aufgrund der ätiologischen Anwendung des Namens – hier sieht Bailey die narrative Entsprechung zur „Verzögerung“ der Namensnennung in 2Sam 11f., die ja im vorliegenden Text keine Verzögerung ist.) gegen die narrative-pattern-Argumentation von Veijola, der ja das Argument der Notwendigkeit der Namensgebung (durch die Mutter) aufgrund des gewöhnlichen Geburtsformulars als eine Hauptsäule (neben des chronologischen Problems der Belagerung Rabbas im Vergleich mit den zwei Geburten) der Ausscheidung von 11,27b–12,23 verwendet. „Thus, Solomon is the heir apparent, produced as the consummation of a deal between David and Bathsheba“ (ebd., 120). Wobei Bailey hier ein neues zeitliches Problem kreiert, denn der Thronfolger Salomo muss ein gewisses Alter erreicht haben, um auf den Thron seines Vaters David gelangen und der Darstellung in 1Reg 1ff. entsprechen zu können. So konzentriert sich die Interpretation von Sternberg auf Kap. 11 und die Parabel. Die Natanrede ist gänzlich ausgenommen. Gunn erwähnt an zwei Stellen (King David 65 und 138, Anm. 8), dass es Unsicherheiten hinsichtlich der Vorgeschichte der Natanperikope gibt. Berlin bezieht die Formulierung „Frau des Urija“ (in 2Sam 12,9.10.15) in ihre Überlegungen zur Charakterisierung Batsebas mit ein. Das ist aber die einzige Erwähnung aus der Natanperikope (vgl. Berlin, Poetics, 27-33). Am ausführlichsten nimmt noch McKenzie, dessen Zuordnung zu den Literary Approaches aber nicht

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

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Fokkelman ein geschlossenes Kommentarwerk geschaffen hat, und sich dabei der Herausforderung auch jener Textbereiche stellt, die andere umgehen. Daher bietet es sich an, seine Auslegung genauer zu betrachten (6.3.2.1). Auch David M. Gunn hat sich in The Story of King David (1982) dem Abschnitt 2Sam 12,1-25 gewidmet, jedoch nicht in einer geschlossenen Abhandlung, sondern sukzessive in verschiedenen Zusammenhängen. Seine Interpretation dieses Abschnitts wird in 6.3.2.2 dargestellt.

6.3.2.1 Jan Fokkelman Jan Fokkelman behandelt 2Sam 12 im ersten Band seiner mehrbändigen Samuelauslegung Narrative Art and Poetry in the Books of Samuel mit dem Titel King David. In seiner stilistisch-strukturell orientierten Auslegung hält er den Abschnitt 11,27b bis 12,15b für den wichtigsten Kern der Gesamterzählung 2Sam 11–12. Das ergebe sich zum einen daraus, dass hier Gott selbst der Protagonist sei, was sich sonst in der TFG nirgends finde. Zum anderen werde dies unterstrichen durch eine doppelte Rahmenbildung um diesen Erzählabschnitt. Den inneren Rahmen sieht Fokkelman im Kommen und Gehen Natans (12,1b und V. 15a), wobei Natan als Instrument Gottes im Erzählfokus stehe. Den äußeren Rahmen bildeten 11,27b und 12,15b mit Gott als handelndem Subjekt.100 Der Abschnitt innerhalb des inneren Rahmens bestehe ganz aus direkter Rede.101 Das Wechselschema Natan – David – Natan – David – Natan bilde wiederum eine Inklusio. Vor allem komme Natan zu Wort. Dessen drei Redeteile sind nach Fokkelman als Einleitung (die Parabel V. 1bβ-4), als formal wie inhaltlich im Zentrum stehende Hauptrede („central speech“; V. 7-12), und als Conclusio (V. 13bβ-14) zu charakterisieren. Es sind bei Fokkelman strukturelle Merkmale, mit denen er die Bedeutung dieses Gesamtabschnitts untermauert. Bei seiner Interpretation der Natanparabel spielt dann der Erzählstil eine große Rolle. Fokkelman betrachtet zunächst Davids Reaktion auf die Gleichnisrede Natans. Diese Reaktion zeige, dass David die „story“ als tatsächliches Ereignis verstehe. Daraus folgert Fokkelman, die Rede Natans biete keinen Anhalt dafür, dass es sich um einen fiktiven Fall handle:

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unproblematisch ist, die gesamte Natanperikope in seiner „Davidbiographie“ ins Visier (König David, 190f.). Er sieht 2Sam 1–12 als Einheit und nimmt die Aussagen der Natanperikope, die auf die folgenden Ereignisse in Kap. 13–20 anspielen, als Hinweis für eine spätere Zufügung in Kap. 11f.: V. 7b-12 würden zeigen, dass dem Verfasser Kap. 13–20 bekannt waren, umgekehrt finde sich aber kein Rückbezug von Kap. 13–20 auf unsere Stelle. Für 11,27b Gott als handelndes Subjekt anzunehmen ist nicht unproblematisch, handelt es sich doch um eine auf Erzählebene konstatierte Sichtweise und nicht direkt um ein Handeln Gottes. Grammatikalisch ist genau genommen, die Sache, die David getan hatte in personifizierter Ausdrucksweise „handelndes“ Subjekt. Offensichtlich subsumiert Fokkelman hier auch die Redeeinleitungen.

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From David’s reaction it is evident that Nathan’s story contains none of the linguistic or stylistic devices which would indicate the story’s being fictitious. This would 102 be in contradiction to the prophet’s intent.

Es ginge daher bei einer Interpretation der Parabel methodisch darum, den Text „[on] the first level“103 zunächst so auszulegen, wie ihn auch David gehört habe – und zwar als ein tatsächlich geschehenes Ereignis: „… we should, in the first place, listen to his account just as David does, as a historical event.“104 Der Umgang Fokkelmans mit diesem ersten Redeteil Natans, den er selbst „parable“ nennt,105 entspricht dann aber mehr der Beschreibung eines literarischen Werks als dem Bericht eines tatsächlichen Geschehens: Er ermittelt Chiasmen, Symmetrien, Alliterationen und andere Auffälligkeiten in der Lautung, ja sogar Reime. Auch die Zusammenfassung am Ende seiner Analyse entspricht der Beschreibung eines fiktiven literarischen Textes: [W]e have encountered a small universe with its own high values. These are cogently delivered, being rendered in a literary fashion, and together they form a truth, which remains worthwhile and valid when, later, the veil is withdrawn.106

Nach Fokkelman lässt sich die Parabel in drei Abschnitte gliedern: die Einleitung (V. 1bβ-3aα), einen Mittelteil (Schilderung des Armen und seines Lammes V. 3aβ-b) und einen Schluss („Diebstahl“ des Reichen V. 4). Für den Gegensatz zwischen dem Reichen und dem Armen würden in einem ersten Durchgang ein Versabschnitt, in einem zweiten zwei Versabschnitte verwendet, für die Schilderung des Armen drei, und schließlich für die des Reichen vier. Dies, verbunden mit einer Reihe stilistischer Mittel, steigere beständig den Kontrast von Armem und Reichem: „Its effect is that two men who began as neighbours differ increasingly and are constantly being driven further apart.“107 Fokkelman führt eine Fülle von stilistischen und formalen Textbeobachtungen an, die er dann inhaltlich mit einer psychologisierenden Auslegung verbindet. Für den gesamten Abschnitt bestimmt Fokkelman, gestützt durch das Leitwort ‫( יחד‬mit ausdrücklichem Verweis auf Ps 133,1) als Hauptthema die Frage nach der Sozialgemeinschaft, eines „being together“. Der Arme stehe für vorbildliches Sozialverhalten, der Reiche für Isolation und soziale Inkompetenz.108 So zeige etwa die stilisierte Charakterisierung des Armen in seinem Bezug zum Schaf in V. 3, wie sehr beide ihr Zusammensein genießen:

102 103 104 105 106 107 108

Fokkelman, NAPS I, 72. Ebd., 76. Ebd., 72. Auf S. 76 bezeichnet er es als „the account of an actual event“. Mit „historical“ ist also bei ihm offensichtlich gemeint, dass das Ereignis sich „tatsächlich“ ereignet hat. Ebd., 72. Ebd., 76. Ebd., 73. Die Opposition von Sozialverhalten und Unfähigkeit zu sozialer Kompetenz deutet sich schon strukturell in der Gesamtanlage an: „The two men of the introduction disperse („two“ becomes „one…one“) and therefore, in essence, form a duality“; dies würde besonders profiliert durch die Schilderung der intimen Atmosphäre im Hause des Armen: „the twosome of pauper and sheep grows into a unity in an atmosphere of warmth and care. This unity is practical and emotional, and, therefore, existential“ (ebd., 74).

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Fallstudien an 2Sam 11 und 12 In V. 3b and 3d, it is the man himself who is represented by cimmō…lō, and in the middle, in V. 3c, three concrete details about him are provided, ‚his own bread…his own cup…his lap‘, followed by the sheep’s enjoyment of them, ‚it ate…drank…slept‘. Both deeply enjoy this togetherness, and the man now not only has „his sons“, but is also in possession of „a daughter“.109

Diese Aussage in V. 3bα110 – die nach Fokkelman poetisch ist – erweise sich bei genauer sprachlich-stilistischer Analyse als das Zentrum des Mikroabschnitts: This balance, too, denotes 3c as being the centre. This line is the zenith, since the description here attains the level of poetry due to its terse, unified rhythm and density of phonetic devices, e.g., rhyme and the alliteration of all consonants.111

Der arme Mann werde als fürsorgend und hingebungsvoll geschildert, das Lamm wachse in einer liebevollen Atmosphäre auf. Man könne diesen zweiten Teil auch als „the wealth of the poor man“ betiteln, dem dann im letzten Abschnitt „the poverty of the rich man“ gegenübergestellt sei. Diese Armut des Reichen, die der Grund dafür sei, weshalb kein Miteinander der beiden Männer möglich sei, bestehe in seinem Egoismus, der sich in sozialer Isolation und Besitzdenken äußere. Das Besitzstreben komme darin zum Ausdruck, dass er keines seiner Tiere nehme und zubereite: „The rich man’s ego has so strongly identified itself with his possessions that he cannot part with even one of his own animals.“112 Dabei hätte gerade er die Möglichkeit gehabt, aus seiner sozialen Isolation herauszutreten, indem er Besuch erhalte. Diese Chance jedoch verpasse er aufgrund seiner Besitzorientiertheit: The appearance of a guest has the deeper meaning that now the rich man too gets the chance for contact, togetherness, and intimacy. He does not recognize this opportunity and only creates a problem for himself: do I or don’t I want to slay one of my own animals?113

Gerade die Tatsache, dass der Besucher dreimal ausdrücklich genannt werde, betone die besondere Möglichkeit des Kontakts: This means that the rich man’s reality offers him possibilities for contact from all sides. Someone is even coming to visit him, rather than that he should have to pay someone a visit.114

Diese Chance aber verpasse der „Nabal redivivus“ aufgrund seines Egoismus und seines kalten Herzens. So ergibt sich nach Fokkelman insgesamt das Bild zweier Nachbarn, die sich immer weiter auseinander bewegten: der Arme, der gebe und teile, auf der einen Seite, und der Reiche, der unfähig sei zu geben und zu teilen, auf der anderen Seite. Der gesamte Abschnitt sei kompakt und mit sehr einfachen narrativen Elementen literarisch-stilistisch gestaltet, er sei in sich geschlossen und autonom, und seine „stylistic compactness (…) ensures a rich 109 110 111 112 113 114

Ebd. Die Verszählung der Abschnitte erfolgt bei Fokkelman nach einem anderen Schema, nämlich der durchgängigen Nummerierung mit a,b,c etc. Ebd. Ebd., 75. Ebd. Ebd.

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production of meanings“. So hält Fokkelman im ersten Durchgang seiner Interpretation der Natanparabel seine These, sie habe keine Fiktionalitätshinweise, selbst nicht aufrecht. Fokkelman hält die Natanparabel hinsichtlich ihrer intendierten Wirkung als gelungen: Natan habe David in seiner Funktion als vertrauenswürdiger königlicher Berater dazu Anlass gegeben, die Parabel als tatsächliches Ereignis, als „report of a theft“115, zu interpretieren.116 Natan erreiche damit genau sein Ziel: David beschäftige sich mit der „story“ als konkretem Fall, und zwar unmittelbar in seiner Funktion als Richter. Bemerkenswert sei nun aber, dass David anders gezeichnet wird, als man es von einem guten Richter erwarten würde. Er erleide einen Zornausbruch, leiste einen Schwur und zeige im sofort ergehenden doppelten Richtspruch, dass er der gebotenen Abwägung und kritischen Distanz entbehre.117 Dies erweise seinen Seelenzustand der Unausgeglichenheit und Verunsicherung, der, auf den in Kap. 11 geschilderten Ehebruch und Mord zurückzuführen sei. Auch der doppelte Gerichtsspruch Davids sei durch Davids Unterbewusstsein gesteuert; das doppelte Vergehen Davids finde hier seinen Weg aus der Verdrängung.118 So entspreche der in der Ausdrucksweise genereller gehaltene erste Gerichtsspruch dem Mord,119 der zweite dem Ehebruch und der Heirat (11,2-4.27). Die treffende Charakterisierung des Reichen durch David am Ende von V. 6 (weil er kein Mitleid hatte) sei ein Beispiel für das untrügliche, unbewusste Wissen des Menschen über das eigene Selbst. Mit dem Du bist der Mann lüfte Natan den Schleier und konfrontiere David mit seiner 115 116

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Ebd., 79. Selbst bei einer Lesung als konkretem Fall ist es mehr als der Bericht eines Diebstahls. Es ist eine Zwangsentwendung fremden Gutes. Nach Fokkelman wendet Natan zwei Methoden an, David zu einem „guten Hörer“ zu machen: Er spricht in der Autorität als Prophet, und er wählt ein Ereignis außerhalb von Davids Welt, was diesen bereit macht, sich unbedarft auf den Fall einzulassen. David sei dann auch ein „guter Hörer“, der sich auf die Sache ganz, d. h. auch emotional, einlasse. Vgl. ebd. An anderer Stelle kann (und dies sei als Beispiel für die gelegentlichen Inkohärenzen der Ausführungen Fokkelmans angeführt) Fokkelman der Reaktion Davids etwas Sympathisches abgewinnen, indem Davids Gerechtigkeitssinn offenbar würde: „Although his reaction may be somewhat exaggerated, its basis is real and sound. The parable makes a strong appeal to his feeling of righteousness, and this feeling appears to be alive and well“ (ebd.). In erstaunlicher Breite argumentiert Fokkelman mit den psychoanalytischen Kategorien „energy“, Überreaktion, Projektion, Kompensation, Ersatzhandlung etc. – ein Abschnitt, der sehr an die Art und Weise des gap-fillings von Sternberg erinnert. David wird geschildert als durch Mord und Ehebruch tief verunsicherter Mann, der seitdem ungeheure Energie aufwenden muss, diese zu verbergen und sich zugleich mit seiner Eigenbefindlichkeit zu beschäftigen. Dieselbe „indivisible life energy“ macht sich nun in unangemessenem Ärger Luft. Dieselbe Kraft, die David den Mord an Urija anordnen ließ, ist es, die ihn nun das Todesurteil aussprechen lässt – ein unbewusster Versuch, sein inneres Gleichgewicht wiederherzustellen: „David attempts to secure his own equilibrium in this magical-pathological way. The great satisfaction which he hopes to gain by the condemnation of another is meant to fill the emptiness brought in David’s soul by Uriah’s liquidation“ (ebd., 77f.). Insgesamt geht aus Fokkelmans Ausführungen nicht hervor, wie genau er den Bezug zu dem Mord sieht: über ‫ ?הדבר הזה‬Oder über das Stichwort ‫ ?מות‬Oder einfach, weil die zweite Urteils-Aussage eher auf den Ehebruch zielt?

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Schuld. David müsse erkennen „that life without death is impossible“.120 David, zu Tode erschrocken, erlebe die schwierigste Stunde seines Lebens, indem er dem Tode ins Angesicht sehen müsse, was nach Fokkelman bedeutet, dass er sich als materialistisch gesinnte Seele erkenne und nur durch die schmale Todespforte, dem „death of a very strong ego“, zum Leben zurückfinden könne, „where the poor in spirit experience mutual love and understanding“.121 Zu Fokkelmans methodischem Vorgehen ist hier anzumerken, dass seine Betrachtung der ersten Ebene unter analytischen Gesichtspunkten zunächst ausblendet, was für den Leser immer schon präsent ist: dass der geschilderte „Fall“ in einem direkten textuellen Zusammenhang zu dem vorher Berichteten steht und auf diesen referiert. Daher bleiben dem Leser (anders als zunächst für David auf Ebene der Erzählung) auch die Fiktionalitätssignale nicht verborgen. Der Leser kann von daher schon gar nicht „mit den Ohren Davids“ hören.122 Für David allerdings, und hier hat Fokkelman Recht, wandelt sich die Natanrede V. 1-4 erst durch den Schuldaufweis und die ihm korrelierende Selbsterkenntnis Davids zur Parabel: „12:1-4 suddenly becomes a parable.“123 So analysiert er in einem zweiten, gesonderten Interpretationsdurchgang diesen Abschnitt nun als Parabel. Der Reiche entspräche (zunächst) David, der Arme Urija, das Lamm Batseba und die Herde dem Harem Davids. Fokkelman weist auch auf das ‫ בת‬und die Verbfolge „essen – trinken – schlafen“ hin, die Bildhälfte mit der Sachhälfte in engeren Bezug setzen. Er stellt aber ebenso fest, dass nicht jeder Einzelzug des Gleichnisses eine Entsprechung in der „Realität Davids“ haben müsse. So sei etwa die Gleichsetzung von David mit dem Reichen nur die halbe Wahrheit. Vielmehr trage David auch Anteile des armen Mannes in sich: „The poor man and the rich man are two of David’s forms and modes of existence.“124 Natan, mit didaktischer, pädagogischer und therapeutischer Kompetenz ausgestattet, ermögliche David, sich zunächst mit dem Armen zu identifizieren. Indem nun die gute Seite angesprochen werde und als Leitbild dienen könne, entfalte die Parabel zunächst ihre Heilkraft: „the whole parable begins to restore wholeness to a chaotic soul.“125 Erst dann kommt Natan seiner eigentlichen Aufgabe nach, David mit seiner „dunklen Seite“ zu konfrontieren. David, der nun das Gleichnis als „guter Hörer“ wahrnehme, „who 120

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Ebd., 77. Dies ist gemeint im Sinne des Perls’schen Mottos „[t]o suffer one’s death and to be reborn is not easy“ (ebd., 78). – Es macht den Anschein, als hätte Fokkelman vom Psychoanalytiker Fritz Perls, Gestalt Therapy Verbatim, 1971 (Angabe bei Fokkelman, NAPS I, 78, Anm. 4 [im Fließtext fälschlich als Anm. 9 markiert]), auch das Konzept der kreativen Energie für die Auslegung unseres Abschnitts entlehnt. Ebd., 78. Spätere Ausführungen legen dann nahe, dass Fokkelman die Lage Davids doch ernster einschätzt, wenn er zu V. 13 schreibt: „The death sentence which David pronounced (…) is nullified by the judicial authority which is yet higher than the king“ (ebd., 87). Hinzu kommt, dass die Reaktion Davids auf die Erzählung, die zeigt, dass er die Parabel als konkreten Fall sieht, ja zeitlich-linear nachgeordnet ist. Fokkelmans Ausgangspunkt einer Lesung auf Ebene des „realen“ Verständnisses Davids ist von daher erst möglich, nachdem die Leserin bzw. der Leser über V. 7 hinausgekommen ist. Ebd., 78. Ebd., 80. Ebd.

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puts his heart into the matter, gets very involved, and feels pity“,126 und der, dessen Gerechtigkeitssinn angesprochen worden sei, kann nun mit seiner Schuld konfrontiert und ihrer überführt werden.127 In einem weiteren interpretatorischen Schritt bezieht Fokkelman schließlich die Parabel auf den heutigen Leser. Anregung nimmt er dazu in der Hörerrolle und Hörbereitschaft Davids, die dem modernen Leser als Rollenangebot dienen könne. Wie David die Parabel ernst nehme und ihr alles für ihn Wesentliche entnehme, so könne der heutige Leser mit ernsthafter Hörbereitschaft und Respekt den alttestamentlichen Texten begegnen.128 Die Parabel biete hierfür einen besonders guten Anknüpfungspunkt, sei doch die im Gleichnis genannte Stadt, in der die beiden Nachbarn zusammenleben „the soul, David’s life, and our life“. Von hier aus könne übertragen werden: „Everyone has the choice to live either as the poor man or as the rich man and to change his course at any moment.“129 Gerade durch die Vermeidung von Referentialität entfalte das Gleichnis seinen „universal value“.130 Fokkelman isoliert hier also für diesen zusätzlichen Interpretationsgang die Parabel von ihrer kontextuellen Einbindung und interpretiert sie im Sinne des New Criticism als autonomes Kunstwerk; Einzelelemente der Textumgebung dienen dann vorwiegend als assoziative Illustrationshilfen. Unter der Überschrift „Nathan’s central discourse: two oracles of doom“ wendet sich Fokkelman dem Abschnitt V. 7-12 zu. Die Exegese habe sich bislang von der masoretischen Verseinteilung, die die Struktur der Schicksalsorakel zerstört habe, in die Irre führen lassen. Anstatt V. 10bα (das neben V. 9aα zweite du hast verachtet) und V. 10bβ (das neben V. 9aγ zweite du hast die Frau genommen) der Gerichtsansage 10a (das Schwert soll nicht weichen von deinem Haus auf ewig) zuzuschlagen, müsse dieser Halbvers auf die Aussage des folgenden Verses bezogen werden. Die richtige Verseinteilung ergebe dann – nach einer Präambel (V. 7bβ-8b) – ein zweiteiliges Orakel: ein erstes Orakel wegen des Mordes an Urija (V. 9a-10a), ein zweites Orakel wegen Davids Ehebruch (V. 10b-12). Nach Fokkelman liegt also der Einschnitt zwischen V. 10a und V. 10b. Diese Zweiteilung und ihre thematische Reihenfolge entspräche dem doppelten Urteil Davids in V. 5bγ (der Mann, der dies getan hat, ist ein Sohn des Todes) und V. 6a (das Lamm soll er siebenfach erstatten),131 die Binarität entspräche auch der doppelten Motivation in V. 6bα (dafür, dass er diese Sache 126 127

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Ebd., 79. Ob eine solche psychologisierende Deutung überhaupt in der Intention des Autors liegen könne, liegt – aufgrund seines Textverständnisses – nicht in Fokkelmans Fragehorizont. Hier arbeite er ganz in den Linien des NC. Vgl. ebd., 82, Anm. 6; der Gedanke stamme von Alonso Schökel. Der Artikel, auf den sich Fokkelman bezieht: David y la mujer de Tecua: 2 Sm 14 como modelo hermenéutico. Bib. 57 (1976), 192-205. Fokkelman, NAPS I, 80. Die sich daran anschließenden Ausführungen Fokkelmans arbeiten stark mit psychologisierenden Allgemeinplätzen, vgl. ebd., 80f. Ebd., 81. Siehe oben zur Stelle; dort geht bei Fokkelman nicht klar hervor, wie er denn zu der doppelten Zuordnung kommt. Vielleicht war diese binäre Auslegung für V. 5 motiviert von seiner Beobachtung in V. 7-10.

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getan hat) und V. 6bγ (weil es ihm nicht leid tat) und reflektiere zugleich die beiden Verbrechen von Kap. 11 – das gewichtigere der beiden, der Mord, an erster Stelle. Für die Präambel macht Fokkelman gute Beobachtungen struktureller Bezüge innerhalb der Präambel selbst und von ihr in die weitere Textumgebung. Gott sei der allein Handelnde, David der allein Empfangende. Thematisch werde David als König herausgestellt, was der Botenformel korreliere, die signalisiere, dass es sich um eine Angelegenheit von nationaler Bedeutung handle. Der Bezug auf Ereignisse der Vergangenheit diene als Hintergrund, von dem her David beurteilt werde. Hinsichtlich der Abgrenzung der beiden Orakel argumentiert Fokkelman zunächst inhaltlich gegen die klassische Versteilung: Es gebe keinen logischen Zusammenhang zwischen V. 10a und V. 10bβ;132 die eigentliche Logik der Aufteilung liege darin, dass die jeweilige Sünde sich in der Strafe spiegle. Schwert werde mit Schwert geahndet, so gehöre die Strafe von V. 10a zur Schuld von V. 9aβγ-b. Die Strafe von V. 11aαγ133 gehöre zur Schuld von V. 10bβ, denn Ehebruch werde mit der Schändung des königlichen Harems geahndet. Dieses Schema werde strukturell unterstrichen durch die Doppelung des Gerichtswortes an den Einzelnen134 mit Schuldaufweis und darauf basierendem Schuldspruch. Im ersten Gerichtswort ist der Schuldaufweis lang, der Schuldspruch kurz, im zweiten vice versa. Beide beginnen nach Fokkelman mit der Betonung der religiösen Dimension von Davids Verhalten (namentlich ‫בזה‬, eingeleitet mit dem Wortpaar warum/darum) und nennen das spezifische Verbrechen. Dass David Gott bzw. sein Wort verachtet, und dies, wie die fünfmalige Nennung von Israel zeige, nationale Dimension habe, erkläre, weshalb das Strafmaß das Schuldmaß deutlich übersteige. Entsprechend der Ausgangsüberlegung Fokkelmans, dass es sich um zwei Gerichtsworte zu den zwei Vergehen handle, differenziert er V. 9aγ und V. 10bβ inhaltlich aus. Letzteres gehe gegen Ehebruch und Heirat Davids, Ersteres hingegen bezöge sich nur auf die Heirat; diese setze ja den Mord voraus, der die Aussage V. 10bβ rahme, und der im Fokus dieses ersten Gerichtsworts stehe.135 Auch zu Schuldbekenntnis, Vergebung und Bestrafung in V. 11-15 führt Fokkelman eine Reihe guter struktureller Beobachtungen an:136 das binäre Prinzip, welches das ganze Kapitel durchziehe, sei auch in

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Zu der Aussage kann Fokkelman nur kommen, weil er inhaltlich zwischen 9aγ und 10bβ differenziert; sonst müsste er auch einen logischen Zusammenhang zwischen der Aussage 9aγ zu 10a verneinen, was er aber nicht tut. Die Angabe bei Fokkelman (11b-f) ist offensichtlich ein Versehen. Mit Verweis auf Westermann, Grundformen prophetischer Rede, München 21964. Fokkelman sieht die Reihenfolge 9aβ und 9aγ als chronologisch. Mit 9b wird aber die Chronologie wieder unterbrochen, so dass ein chronologisches Argument für einen ausschließlichen Bezug auf die Heirat nicht sehr stichhaltig erscheint. – Zu der Ausdifferenzierung der Bezüge 11,2-4 (Ehebruch) einerseits und 11,27 (Heirat) andererseits ist anzumerken, dass bei gleicher Begrifflichkeit (bei Umstellung des ‫ לקח‬in Verbindung mit Inf.cs. von ‫ )היה‬kaum nicht die gleiche Sache gemeint sein kann. Manchmal gewinnt man den Endruck, als seien die Anwendungen der Strukturbeobachtungen etwas gepresst, wenn Fokkelman etwa in der chiastischen Stellung von ‫ יהוה‬und ‫( חטא‬13aβ und 13bβ) das Gleichgewicht von Schuld und Vergebung ausgedrückt sieht: „The chiasmus creates a balance between V. 13b and 13d

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Natans drittem Redeteil, der Conclusio (V. 13bβ-14) zu finden. Genauerhin sei sie in den zwei doppelten Cola enthalten, deren erstes Paar sich auf die Vergebung (und das Nicht-Sterben), das zweite auf die Bestrafung (und das Sterben) beziehe. Für das zweimalige ‫ נאץ‬der figura etymologica in V. 14 konstatiert Fokkelman eine kausative Pi’elbedeutung, ohne dabei ein Textproblem wahrzunehmen.137 Dass David gerade den Feinden Anlass gegeben hat, Gott zu lästern, könne eben nicht vergeben werden, deshalb könne auch das Kind nicht am Leben bleiben. V. 16-25 unterteilt Fokkelman in zwei Abschnitte: das Ereignis selbst (V. 16-20) und dessen Interpretation (V. 21-23). Für ersteren Teil ermittelt Fokkelman eine Ringstruktur: wie schon 11,14-25 habe dieser Abschnitt eine dreifache Rahmung. In seiner Mitte stünden die Überlegungen der Knechte zu einer „catastrophic expectation“. Diese wieder sei chiastisch aufgebaut.138 Maßgeblich für die richtige Interpretation der Normabweichung Davids im Trauerritus, die den Knechten als unverständlich erscheint, ist nach Fokkelman vor allem V. 16a und V. 22ff. Die Funktion von V. 16a sei die einer Überschrift („a sort of a title“).139 Diese enthalte ein Erzählerurteil, das den gesamten Abschnitt interpretiere und Davids Verhalten in positives Licht stelle.140 Die Bestätigung finde sich dann in V. 22ff.: dort würden die Motive und die Intention Davids offen gelegt. Es zeige sich, dass David Hoffnung auf Erbarmen hege, dabei aber nicht gegen Gott aufbegehre, sondern dessen Urteil des Ersatztodes respektiere; besonders V. 23 zeige, dass sein ungewöhnliches Handeln nichts Frivoles an sich hat. David bekomme mit seiner nun rechtmäßigen Frau ein Kind, dessen Name Salomo (V. 24) ‫( שׁלום‬Frieden) impliziere und den nun im Hause einkehrenden Frieden zum Ausdruck bringe: „His name expresses how a situation of happiness and peace can come about after the horrors of the triangle DavidBathsheba-Uriah have taken place.“141 Der von Natan überbrachte Name Jedidja (Salomo als der von JHWH Geliebte) deute literarisch auf den Thronwechsel in

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which is the balance between sin and forgiveness, and shows as reversal how the committing of the sin is undone by God’s grace“ (Fokkelman, NAPS I, 87). Vgl. ebd., 451. Zu der von Fokkelman konstatierten großen Übereinstimmung im jeweiligen Zentrum der beiden Ringstrukturen in der Frage nach der Erwartung einer Katastrophe kann er nur kommen, indem er annimmt, dass Joab die von ihm präfigurierte Davidreaktion fürchtet: „There, Joab feared his king’s indignant criticism and would then have calmed him by reporting Uriah’s death to him“ (ebd., 90). M. E. aber handelt es sich nicht um einen furchtsamen Joab, eher macht es den Eindruck, als wolle Joab einen Trumpf ausspielen. Ebd., 88. Zutreffend sind Fokkelmans Beobachtungen des Kontrastes zwischen dem hier geschilderten David und dem David von Kap. 12; während David 11,25 im Blick auf den Tod von Soldaten Zynismus an den Tag lege, zeige 12,23 Davids Ernsthaftigkeit, sogar Überlegungen im Blick auf das eigene Sterben. Einleuchtend ist auch der von Fokkelman bemerkte Kontrast zwischen dem ‫ בקשׁ‬hier und dem öfter vorkommenden ‫לקח‬. Ebd., 92.

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1Reg 1 voraus. Den das Kapitel abschließenden Bericht über das Ende des Ammoniterkriegs (V. 26-31) sieht Fokkelman als erzählerischen „flashback“.142 Fokkelman fasst abschließend seine strukturellen, lexikalischen und thematischen Beobachtungen zusammen, indem er noch einmal umfangreiche Bezüge der einzelnen Szenen von 2Sam 11 und 12 benennt. Fokkelman ermittelt für die Gesamterzählung nun rückblickend vier Szenen: (I) 11,2-13; (II) 11,14-27a; (III) 11,27b–12,15; (IV) 12,16-25. I und II gehörten deshalb eng zusammen, weil II die Handlung von I unmittelbar fortsetze. II und IV seien über die Bezüge von 12,9f. zu 11,14ff.27 verbunden. I und IV sowie II und IV seien über thematische und lexikalische Bezüge verknüpft. Schließlich seien I und IV dadurch aufeinander bezogen, indem sie den Rahmen bildeten.143

6.3.2.2 David M. Gunn David M. Gunn beschäftigt sich in seinem Buch The Story of King David (1982) mit unserer Erzählung aus 2Sam 11f., u.a. in einem Abschnitt mit der Überschrift „Complication“.144 Auch in dem gemeinsam mit Danna Nolan Fewell verfassten Buch Narrative in the Hebrew Bible wird 2Sam 11f. im Zuge von Interpretationen anderer biblischer Erzählungen immer wieder mitbehandelt.145 Gunn verortet die Erzählung von 2Sam 11 und 12 im Erzählganzen der sog. TFG;146 diese verbinde verschiedene Perspektiven auf David, nämlich die private und die politische Seite Davids.147 Nach Gunn träfen sich diese beiden Perspektiven in besonderer Weise in unserem Erzählabschnitt. Die Art und Weise, wie sich David Batsebas ermächtigt, gehöre zu den sehr privaten Vorgängen. Und doch habe diese private Sphäre Davids eine besondere politischen Seite: schließlich gehe es um die Geburt des Thronfolgers, und, in der Folgeerzählung, um die Gefährdungen für diesen Thronfolger durch Versuche von verschiedenen Konkurrenten, auf den Thron zu gelangen. Neben dem Themenpaar „Privatleben“ und „Politik“ sieht Gunn die TFG besonders von den Themen „giving and grasping“ bzw. „giving and taking“ bestimmt.148 Dabei sei David besonders erfolgreich, solange er gebe; proble142

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Ebd., 94. Als Belege für ähnliche Erzählschlüsse nennt Berlin, Poetics, 109: die Erzählung der Geburt Obeds, Sohn der Ruth und des Boas (Ruth 4,14-16), die der Zwillinge Perez und Serach, Söhne von Juda und Tamar, die Geburt Ikabods, Sohn des Pinhas, des Enkels Elis (1. Sam 4,22) und die Mitteilung der Kinderlosigkeit Michas in 2Sam 6,23. In der Tat zeigt besonders 1Sam 4ff. Ähnlichkeiten thematisch-struktureller Art zu 2Sam 10–12: Eingebettet in die Erzählung vom Verlust der Lade an die Philister im Kriegsgeschehen (4,1-11) und dem Aufenthalt der Lade im Philisterland (ab 5,1ff.), steht nach der Erzählung vom Tod Elis (aufgrund des Botenkriegsberichts) die Geburt seines Enkels (4,12-22). Vgl. bes. ebd., 93. Vgl. Gunn, King David, 97f. Auch auf den Folgeseiten, bes. zu Kap. 13, äußert er sich immer wieder zu Kap. 11f. Vor allem S. 82.87.165ff. Als Textbereich ermittelt Gunn Kap. 9–20 und 1Reg 1–2 sowie, dem vorgeschaltet, 2Sam 2,8 bzw. 2,12 bis 4,12 bzw. 5,3. Vgl. bes. King David, 88-94 und, einleitend, 14. Vgl. bes. 94ff.

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matisch werde Davids Leben jedoch insbesondere dann, als er Batseba gewaltsam nehme. So gelte: „The manner in which he gains, loses or bestows status is highly significant.“149 Die Erzähllinie bestünde thematisch dann darin, dass David, obwohl ihm das Königreich gegeben werde (2Sam 2-5), sich gewaltsam Batseba nehme. Die Fortführung dieser Erzähllinie finde sich in der Vergewaltigung Tamars, der Ermordung Amnons, dem Aufstand Abschaloms, bis David schließlich der Thron genommen werde (2Sam 15-18). Die Folgeerzählung bis 1Reg 1f., die als Familiengeschichte gestaltet sei, verarbeite dabei die zweifelhafte Art und Weise, wie sich David Batseba bemächtigt habe: The way in which he does this [= gain Bathsheba] is then almost caricatured in the subsequent events within his own family. (…) The pattern of intrigue, sex and violence in the Bathsheba episode is played out at length in the subsequent story within David’s own family. (…) The final episode (…) then shows the death of the king in the context of political intrigue where the theme of grasping predominates, expressed in terms of David as well as of others (notably Solomon). The kingdom is effectively taken from David. Ironically the agent of seizure is Bathsheba, the benefactor [sic!] her son.150

Die Parabel Natans stelle genau dieses Thema ins Zentrum: Es gehe zentral um die Kritik am gewaltsamen Nehmen. Wie der reiche Mann das Lamm des armen Mannes nehme, habe David Batseba genommen. Dies stehe in deutlichem Kontrast zu den Ereignissen aus Kap. 2–5, wo David sein Königreich empfangen habe. Aus Natans Perspektive sei klar, dass JHWH, der David das Königreich gegeben habe, die Gewalttat Davids nicht ohne Konsequenzen für dieses Königreich hinnehmen könne. Das unmittelbare Signal dieser Konsequenz sei der Tod des aus dem Ehebruch hervorgegangenen Kindes. Die weiteren Konsequenzen bestimmten die Folgekapitel: Beständig wiesen die dort berichteten Ereignisse zurück auf die gewaltsame Aneignung von Batseba. Was die erzählten Ereignisse in 2Sam 12 betrifft, stellt Gunn heraus, dass es eine deutliche Spannung gebe zwischen diesen Folgen für David einerseits und Davids Schuldbekenntnis und Natans Vergebungszuspruch andererseits. Gunn erklärt dies im Rahmen der vorliegenden Fassung der Erzählung151 als erzählungsimmanente Spannung zwischen JHWHs Vergebungs- und Segenshandeln an David und seinem letztlich nirgends aufgehobenen Vergeltungshandeln.152 Die Folgen der Schuld würden immerhin ausführlich geschildert; Gunn bezeichnet dies als „the long term outworking of the pattern of violence“.153 Der Erzählgang sperre sich jedenfalls sowohl gegen ein einfaches Vergeltungsschema als auch eine uneingeschränkte Verurteilung Davids. David werde erstens in der Sicht des Lesers durch sein bedingunsloses Schuldeingeständnis rehabilitiert: es „functions powerfully to reinstate him in the 149 150 151 152

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Ebd., 95. Ebd., 89. „[P]resent narrative“, ebd. Den Textbereich der Gerichtsrede Natans unterzieht Gunn keiner eingehenden Betrachtung. Allerdings stellt er Bezüge der Aussagen von V. 10 und V. 11 in die Folgekapitel 13ff heraus, die s. E. noch die Beziehungen zwischen 2Sam 11f. und 1Reg 1f übertreffen: Vgl. ebd., 82. Ebd.

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reader’s estimation“.154 Zweitens sei am Ende der Erzählung Davids Beziehung zu Batseba legitimiert und ihr Sohn Salomo bzw. Jedidja stehe in JHWHs Gunst (JHWH liebte ihn), und der Leser wisse, dass dieser schließlich den Thron besteigen werde. Und vom Ende der Erzählung her werde Urija zu einer Spielfigur im Geschehen degradiert. Als besonders problematisch sieht Gunn, wie die Erzählung die Rolle bzw. den Charakter JHWHs herausarbeitet. Er schließt sich hier Delekat an, der JHWH mit dem reichen Mann, David mit dem Gast, und Urija mit dem Lamm identifiziert (vgl. 4.3). Nach Gunn charakterisiert die Erzählung JHWH mit ironischem Blick. JHWH sei gewissermaßen mitverantwortlich für das Verhalten seines Erwählten und Schützlings. Weiter bestätigt er Davids falsches Handeln, indem er Salomos Emporkommen und Blüte bewirke. Allerdings bewege sich gerade Salomo in 1Reg 1f. wieder in der „pattern of seizure and violence“155, was Gunn als Spätfolge der Schuld Davids interpretiert. So werde die Spannung zwischen Vergebung und Segen einerseits und der Vergeltung andererseits letztlich nicht aufgelöst. Das aber bedeutet, nach Gunn, dass JHWH als Charakter durchaus kritisch-ambivalent präsentiert werde: „The narrator’s treatment of Yahweh as a character in the story retains a measure of ambivalence if not an undercurrent of irony.“156 Der Ammoniterkriegsbericht, der im Vorfeld der David-Batseba-Erzählung schon Ton und „setting“ vorgegeben habe, bilde im Nachfeld Rückbezüge auf die David-Batseba-Episode und verweise zugleich auf die folgenden Erzählabschnitte. Zum einen werfe die Aufforderung des Generals Joab an den König David zur Einnahme der Stadt ein ironisches Licht auf David, gehe es doch darum, nun endlich das nachzuholen, was nach 11,1 selbstverständlich zu tun gewesen wäre. Zugleich habe die Erstürmung und Einnahme Rabbas bemerkenswerten Symbolcharakter: Sie bereite den Weg für die „Einnahme“ Tamars und die Ermordung Amnons.157 Schließlich werde gerade von 2Sam 13 her 2Sam 11f. noch einmal profiliert, besonders aufgrund der unterschiedlichen Art und Weise der Darstellung analoger Handlungen. Emotionen, die in 2Sam 11 so gut wie keine Rolle spielen, sind in Kap. 13 besonders stark ausgeführt. Wo 2Sam 11 einen knappen Handlungsverlauf schildert, findet sich in Kap. 13 eine ausgedehnte Erzählung.158

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Ebd., 98. Ebd. Ebd. Vgl. auch Gunn/Fewell, Narrative, 160f.167: Wie Bar-Efrat die Stellung von Gen 38 in seiner textlichen Umgebung als bewusste literarische Platzierung erklärt (Bar-Efrat, Art. 3-12), nutzen auch Fewell und Gunn den „Rahmen“ von 2Sam 11f. für eine kontrastive Interpretation der David-Batseba-Episode: Während das Haus Israel gesichert ist/wird, beginnt das Haus des Königs zu zerbröckeln, und während Davids Leute Rabba einnehmen und ihren Pflichten nachgehen, geht David seinen Lüsten nach und nimmt Batseba ein. Vgl. Gunn, King David, 98f.

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6.3.3 Zusammenfassung Noch mehr als für 2Sam 11 verspricht ein Vergleich diachroner Auslegungen mit literaturwissenschaftlichen Interpretationen von 2Sam 12 Aufschlüsse über die Unterschiede im Zugang beider Richtungen zu geben, denn für dieses Kapitel aus dem Zweiten Samuelbuch wird die Diskussion um „Textprobleme“ besonders stark geführt. Bei den Passagen, an denen die Unterschiede in der Interpretation besonders deutlich zutage treten, handelt es sich um zwei größere Erzählabschnitte und um einen kurzen, aber gewichtigen Erzählgang: (1.) die gesamte Natan-David-Perikope (V. 1-15a), (2.) die Erzählung vom Tod des ersten Kindes (V. 15b-24bα) und (3.) den Abschnitt zur Geburt Salomos (V. 24bβ.25). (1) Betrachten wir zunächst die Auslegungen zur Natan-David-Perikope V. 1-15. Während der Kern des Erählgangs zum Tod des Kindes in historischkritischer Sicht tendenziell als ursprünglich eingestuft wird, wird die NatanDavid-Perikope als Ganzes oder in Teilen zumeist in Frage gestellt. Als Argument für eine literarkritische Ausscheidung der ganzen Szene wird etwa genannt, dass der Tod des Kindes doch eine erlebbare Bestrafung für die begangene Schuld darstelle und es demnach keiner vorherigen verbalen Strafandrohung bedarf. Ebenso vertrage sich der Vergebungszuspruch nicht mit dieser Bestrafung Davids. 159 Aber nur wenige literarkritische Vertreter scheiden die ganze Szene aus. Als Grundbestand in der Natanszene wird in den meisten Fällen zumindest die eigentliche Parabel, und daneben das Natanwort V. 7a (Du bist der Mann) und die Antwort Davids V. 13 (Ich habe gesündigt gegen JHWH) gesehen.160 159

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So etwa Seiler, Geschichte, 265f. „Wahrscheinlich vermißten Spätere ein Schuldeingeständnis des Königs und vor allem den Zuspruch von Jahwes Vergebung in der Erzählung; sie versuchten, dies durch die Begegnung zwischen Natan und David nachzutragen.“ (ebd., 266). Seiler weist darauf hin, dass ein Anschluss von 12,15b an 11,27b gut passe, da damit in beiden Halbversen von JHWH die Rede sei. Damit „rettet“ er 11,27b für die ursprüngliche Erzählung. Vgl. ebd., Anm. 42. So etwa Fritz Stolz, Samuel, 239f. Stolz nimmt die gesamte Natanszene zunächst aus und sieht V. 15b-25 als mutmaßlich ursprünglichsten Erzählbestand. In einer zweiten Stufe sei V. 1-5.7a.13ff. eingefügt, also: die Parabel mit Davids Urteil (ohne die Forderung nach Erstattung des Schafes) und Natans direkte Antwort (Du bist der Mann), sodann wieder im direkten Anschluss das Schuldbekenntnis Davids. Später sei durch V. 6 erweitert worden, wobei der Ergänzer mit der Erstattung des Lammes sicherstellen wollte, dass für den Raub eines Lammes (mit Verweis auf Ex 22,7) die Todesstrafe nicht gerechtfertigt sei. Diese Einfügung beruht nach Stolz auf Ignoranz des Interpolators: „Aber damit ist das Bild der Parabel isoliert von dem, was es verdeutlichen soll, betrachtet; der Kommentator hat den Text nicht verstanden“ (Stolz, Samuel, 241). Sind die in der Analyse vorgestellten Überlegungen zu einem Spiel mit dem Namen ‫בת־שׁבע‬ (in Verbindung mit der Lesung siebenfach) richtig, dann spräche das für eine bewusste leserorientierte Formulierung; eine Abschwächung des Strafmaßes muss dann nicht die Hauptursache für diesen Versteil sein. (Das sagt aber noch nichts über die Einheitlichkeit hinsichtlich der Entstehung des Abschnitts aus.) Es gibt auch andere Argumente für eine synchrone Lesung der Stelle: Hertzberg, Samuelbücher, 253ff., der ebenso V. 7a und 13

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Für Leonhard Rost etwa gehört die Parabel (V. 1-4) und der Redewechsel zwischen David und Natan (V. 5-7a.13ff.) zum ursprünglichen Erzählbestand. Allerdings seien die Unterschiede zwischen der ersten (V. 7b-10) und der zweiten Drohrede (V. 11f.) so groß, dass sie nicht nebeneinander bestehen könnten. Für die Androhung des Schwertes in V. 7b-10 sieht Rost in der Parabel selbst keinen Anhalt, daher scheidet er diesen Abschnitt aus. Die zweite Drohrede vertrage sich indes nicht mit dem in der dritten Drohrede angekündigten Tod des Kindes (V. 14). Daher sei auch V.11f. nicht zum ursprünglichen Textbestand zu rechnen. Zusammenfassend kann man sagen: Es sind vor allem inhaltliche Spannungen zu dem von ihm als Grundschicht angenommenen Text, die ihn veranlassen, V. 7b-12 literarkritisch auszuscheiden. Veijola sieht den gesamten Abschnitt V. 1-15a als sekundär an. Sodann hält er den verbleibenden Text des Abschnitts 11,27b-12,24a für jünger als den Grundbestand von Kap. 11. Als Anhalt für die Ausscheidung von V. 1-15a dienen ihm, wie auch Rost, die Drohreden, insbesondere V. 10-12, weil in ihnen kein Hinwies auf den Tod des Kindes zu finden sei. Daher könne V. 1-15a der Erzählung vom Tod des ersten Kindes nicht bekannt gewesen sein, und werde erst durch V. 13f. dtr angeglichen. Bailey sieht die Parabel, das Gerichtsurteil Davids und den ersten Teil der Erwiderung Natans (V. 1-7a) gegenüber der David-Batseba-Erzählung als sekundär. Enscheidend sind für ihn inhaltliche Gründe: Besonders die Parabel erweise sich in mehreren Punkten als sperrig gegenüber der vorausgehenden Erzählung. Allerdings ist nach Bailey dieser Abschnitt schon vor-dtr, weil das Bild eines Recht sprechenden Königs und das Bundesbuchzitat in V. 5 nicht zu Dtr passten. Näherhin sieht er V. 5-7a als Paralleleinheit zu V. 13f., die durch den Abschnitt V. 7b-8.9b-12 (V. 9a sei demgegenüber älter) zusammengehalten werde. Schließlich gelangt er für V. 1-7a.13-15 (allerdings mit V. 15b als prophetische Bearbeitung) zur gleichen Abgrenzung wie Rost. Anders als Rost, der die beiden Drohreden V. 7b-10 und V. 11f. als unvereinbar in diachrones Verhältnis gesetzt hatte, gehören diese Abschnitte bei Bailey (mit anderer Abgrenzung in die Untereinheiten V. 7b-8 und V. 9b-12) zur gleichen dtr Kompositionsschicht, die zum einen die Paralleleinheiten, zum anderen aber die beiden großen Davidtraditionen verbänden. Betrachten wir nun im Vergleich hierzu literaturwissenschaftlich orientierte Auslegungen. Gunn behandelt den Abschnitt V. 1-15a als weitgehend integralen Bestandteil der Erzählung. Die Spannung zwischen Schuldbekenntnis und Vergebung einerseits zu den Gerichtsandrohungen und Folgen für David andererseits (und dies bei Gunn schon im Ausblick auf die Folgekapitel der TFG bis 1Reg 2) erklärt er als erzählerische Spannung, welche die theologische Spannung zwischen dem Segenshandeln JHWHS an David und dem (unaufgehobenen) Vergeltungshandelns JHWHS aufrecht erhalten wolle. Auch für Fokkelman gehört V. 1-15 als Gesamtheit zur Grunderzählung. Er sieht die Parabel und Natans Drohrede als textliche Einheit, indem er beiden als ursprünglich und den Rest als „spätere Weiterführung“ kennzeichnet, hält es für „begreiflich und nötig, wenn vom König dafür gesorgt wird, daß nicht nur der Reiche, sondern auch der Arme zu seinem ‚Recht‘ kommt“ (ebd., 256f.).

6. Fallstudien Teil II: 2Sam 12,1–25

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Elementen verschiedene Funktionen zuschreibt, die dem gleichen Ziel dienen sollen. Das Ziel sei, Davids Schuld aufzuweisen. Die Funktion des Gleichnisses schildert Fokkelman als eine Art therapeutischen Vorgang, als sanfte Vorbereitung auf den eigentlichen, direkten Schuldaufweis in V. 7-12. Für den letztgenannten Abschnitt ermittelt Fokkelman – wie Rost – zwei Orakel, jedoch mit anderer Textabgrenzung: Während Rost V. 7b-10 als erste und V. 11f. als zweite Drohrede untergliedert, ist bei Fokkelman V. 7bβ-8b Präambel zu den beiden Orakeln V. 9a-10a und V. 10b-12b. Mit dieser Gliederung versucht er die von Rost als unvereinbar empfundenen Spannungen zu glätten: Fokkelmans erstes Orakel bezieht sich ganz auf den Mord an Urija, sein zweites ganz auf den Ehebruch. Dies betrifft sowohl die darin enthaltenen Schuldaufweise wie die Strafansagen. Damit allerdings verlagert er die Schwierigkeiten auf eine andere Ebene. Da ist zunächst das sprachliche Problem, das entsteht, wenn das zweite Gerichtswort mit der begründenden Präposition ‫ עקב כי‬eingeleitet wird. Es ist schwer denkbar, dass diese Formulierung als absoluter Beginn gebraucht werden kann.161 Zudem wird das Gerichtswort „unterbrochen“ durch die Botenspruchformel. Beide Probleme versucht Fokkelman nun wiederum auszuräumen. Zu ersterem merkt er nur an, es handle sich bei ‫ עקב‬um eine ironische Wiederaufnahme desselben Wortes im Munde Davids von V. 6. Das eigentliche sprachliche Problem übergeht er. Zum zweiten bemerkt er: „10sq … has rather preserved the envoy’s message in the original place, between the accusation and the announcement of punishment.“ Für das erste Gerichtswort sei die Botenspruchformel an den Anfang gerückt, ja – hier macht er aus der Not eine Tugend – sogar vor die Präambel. Dies aber kann, so muss kritisch angemerkt werden, keine ausreichende Begründung für die ungewöhnliche Stellung der Botenspruchformel im ersten Gerichtswort sein. Beide sprachlichen Probleme fänden ihre bessere Erklärung in einer Abgrenzung mit Ende von V. 10 und einem Neueinsatz in V. 11. (2) Nun zur Erzählung vom Tod des ersten Kindes (V. 15b-24bα). Veijola sieht in diesem Abschnitt den jüngsten Zusatz zu Kap. 12, der noch nach Geburt und Namensgebung Salomos (24bγ-25) und nach der David-Natan-Szene (11,27b– 12,15a) hinzugefügt worden sei. Er stamme von einem weisheitlichen Bearbeiter, der das Ziel gehabt habe, die Geburt Salomos, die in der ursprünglichen TFG-Version despektierlich erzählt worden sei, in besseres Licht zu rücken. Es sind zwei Argumente, die Veijola dafür vorbringt: die fehlende Namensgebung und das chronologische Problem von zwei Geburten „während“ eines Ammoniterkrieges. Den m. E. plausiblen Vorschlag Buddes, der Verfasser habe den begonnenen Erzählstrang zu David/Batseba zunächst beendet, um dann erzäh161

‫ עקב כי‬kommt nur hier und in Am 4,12 vor. Im Amosbeleg bildet es nach üblicher Satzteilung auch einen absoluten Anfang. In manchen Gerichtsankündigungen kommt die begründende Präposition auch am Anfang, so z. B. 1Reg 11,11 (‫ )יען‬und 2Reg 1,16 (‫ )יען … לכן‬mit einleitender Botenspruchformel; auch 1Reg 21,20bβ ließe sich als begründende Einleitung zur Gerichtsansage V. 21 lesen. ‫ עקב‬allein in Anfangsstellung etwa Num 14,24 (als Beginn einer Apposition vor einer Heilszusage) und Dtn 7,12 als Beginn der begründenden Einleitung zu einer Heilszusage.

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

260

lerisch zum Ammoniterkriegsgeschehen zurückzukehren, wischt Veijola mit dem Argument vom Tisch, dass dies dem gehobenen literarischen Stil des Erzählers widerspreche: „Es fällt aber nicht leicht, dem erzählerisch sehr hochstehenden Verfasser der Thronfolgeerzählung eine derartig gezwungene Lösung zuzumuten.“162 Gegen Veijola ließe sich aber sagen, dass gerade das Spiel mit den Tempusaspekten, wie wir sie oben (6.2.1 und vgl. auch 5.2.2) herausgestellt haben, Kennzeichen eines gehobenen Erzähstils ist. Bailey schreibt V. 15b der prophetischen Überarbeitung von V. 13-15 zu, in der die Strafe für Davids Vergehen auf nachfolgende Generationen verschoben werde. V. 16-23 schreibt Bailey sodann Dtr zu, der damit theologisch nachgebessert habe und die Strafverschiebung in einen direkten Tun-ErgehensZusammenhang für David selbst umgewandelt habe. Das Verhalten Davids sei daher nicht als Trauerritus zu verstehen, sondern als dtr gefordertes Flehen, das notwendig einem Sündenbekenntnis folgen müsse. Im Übrigen sieht Bailey, wie Veijola auch, den Abschnitt als in sich einheitlich. Blicken wir nun auf die literaturwissenschafltiche Interpretation. Leider äußert sich Gunn zu knapp zu besagtem Abschnitt als dass seine Sicht hierzu ermittelt werden könnte. Für Fokkelman indes bildet der Abschnitt V. 16-23 eindeutig einen integralen Bestandteil des gesamten Erzählabschnitts 2Sam 11f. Er sieht V. 16-23 über thematische und lexikalische Bezüge eng mit der Erzählung verknüpft. Insbesondere sei V. 16-25 mit 2Sam 11,2-13 verbunden; diese beiden Textabschnitte seien als Rahmenbildung erkennbar. Die Einheitlichkeit innerhalb von V. 16-23 untermauert Fokkelman mit Beobachtungen zu einer Ringstruktur, mit welcher der Abschnitt gestaltet sei. (3) Schließlich zum Abschnitt über die Geburt Salomos (V. 24bβ.25). Veijola scheidet V. 24bγ-25 als nachträgliche Glosse aus. Überhaupt bleibt bei ihm vom gesamten Textbereich 11,27b-12,25 nur V. 24bβ, und das nach Konjektur: und sie nannte seinen Namen Salomo. V. 27aα falle als Wiederaufnahme aus, 2Sam 12,1-25 verdanke sich insgesamt verschiedenen Versuchen, die Geburtsgeschichte Salomos von seinen Makeln zu entlasten. Für Bailey gehört V. 24f. zur Grundschicht. Die Abgrenzung zum vorhergehenden Text liegt bei ihm zwischen V. 23 und V. 24. Es sind erzähltechnische und inhaltliche Argumente, die er dafür ins Feld führt. Nach vorne hin werde die Abgrenzung durch den abrupten Wechsel der Personen, die im Fokus stehen, deutlich: bis V. 23 sei dies David, ab V. 24 Batseba. V. 24aα gehöre notwendig zu V. 24f. dazu, da hier die Personen eingeführt würden, die für die Verben der folgenden Versteile die inneren Subjekte bildeten. Dass bei Bailey V. 24f. (anders als bei Veijola) als Einheit gesehen wird, hängt an seiner These, dass der Erzählung ein Geburtsformular als Ordnungsprinzip zugrunde liegt, dessen dritten Bestandteil (‫ )קרא‬er als Schlüsselwort des Abschnitts V. 24f. sieht. Für Fokkelman ist V. 24f. gleichsam das (vorübergehende) Happy-End des Erzählabschnitts 2Sam 11f. Mit Salomo sei kurzfristig der Frieden ins Haus Davids zurückgekehrt. Auch Gunn interpretiert V. 24f. im Gefälle des gesamten Erzählabschnitts 2Sam 11f.. Für die auch von ihm empfundenen Spannungen 162

Veijola, Salomo, 93.

6. Fallstudien Teil II: 2Sam 12,1–25

261

findet er synchrone Erklärungen. Besonders V. 24, der Batseba nun als legitime Frau Davids zeige, verhindere beim Leser eine platte Vorstellung eines Vergeltungsschemas.163 Die im Erzählzusammenhang vorliegenden Spannungen werfen nach Gunn ein ungünstiges Licht auf JHWH selbst, indem dieser zum einen Mitverantwortung für das Handeln seines Erwählten trage, zum anderen dessen falsches Verhalten schließlich sogar belohne, indem der Thronfolger ausgerechnet als Sohn Batsebas zur Welt käme. Kehren wir noch einmal zurück zu Veijola. Er grenzt aus 2Sam 11 und 12 einen Gutteil des Textes aus, nämlich 11,27b–12,24bα.24bγ.25. Damit erhält Veijola in der Tat eine straffere, prägnantere Erzählung.164 Dies liegt zum einen ganz einfach daran, dass die Erzählung nun deutlich kürzer ist. Es braucht dann nicht zu verwundern, dass mit der Herausnahme der Konfrontation Davids durch Natan und des Todes des Kindes als explizite Strafe für Davids Verhalten die von Veijola ermittelte narrative Version keine Kommentierung des Geschehens von Kap. 11 mehr enthält. Folgerichtig kommt Veijola deshalb auch innerhalb seiner zirkulären Argumentation zu dem Schluss: Er [der Thronfolgeerzähler] kommentiert das unerhörte Geschehen nicht einmal mit einem halben Wort – sei es theologischer oder moralischer Art –, sondern geht unter völligem Stillschweigen (…) zum letzten Akt des Ammoniterkrieges über (…).165

Somit ergibt sich zwar ein glatter Übergang, doch entstehen deutliche theologische Fragen und Probleme. Indem die gesamte Natanszene ausgeschieden wird, entfällt die unmittelbare Konfrontation Davids mit JHWH.166 Da in der Sicht des Lesers – mit Salomo als Thronfolger vor Augen – dies eine schlimme Geschichte ist, drängt sich die Frage auf, welches Gottesbild die von Veijola eruierte Textversion impliziert. Die einzige Bewertung JHWHs wäre dann die Zuneigung zu dem Kind, das aus dem Ehebruch hervorgeht, während Gott zum Verbrechen selbst schweigt. Als Anfrage an Veijola ist daher zu formulieren, ob eine solch JHWH-kritische Stimme innerhalb der altorientalischen Welt überhaupt denkbar wäre. Auch die Frage nach der Schuld bleibt in Veijolas Ausgrenzung unbeantwortet.167 163 164

165 166 167

Dies ist also gerade die analoge Sicht zu Bailey, vgl. zu V. 16-23, allerdings im Rahmen einer synchronen Analogie. Veijola findet seine Annahme einer antisalomonischen Tendenz in der Grundschicht der TFG bestätigt; doch auch hier präfiguriert die Vorannahme zugleich auch die textgenetische Analyse. Ebd., 104. Diese ist vergleichbar mit der Konfrontation Nabots durch Elia; ohne den Propheten bliebe auch hier der Mord ungeahndet. Dietrich weist in seiner Dissertation (FRLANT 108, 132) den Natanblock dem von ihm sog. DtrP zu und schlägt eine Fortsetzung von 11,27a mit 12,15b-25 vor (erst später, OBO 176, S. 42 schließt er sich Veijola an). Damit bleibt jede Deutung auf der Metaebene aus, wobei diese etwas plausiblere Version immer noch daran „krankt“, dass JHWH zu den Taten Davids schweigt. Die Frage entsteht, wie denn das Fasten motiviert sein könnte ohne den prophetischen Schuldaufweis. Entweder handelt es sich dann um ein selbstmotiviertes non-verbales Schuldbekenntnis oder David inszeniert das Ganze. (Davids Antwort an die Knechte lässt die Schuldfrage nicht erkennen, es sieht dann hier

262

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

Mit Veijolas ermittelter Textversion sind vordergründig einige der Probleme gelöst. Etwa wäre die schwierige Begründung des Lästerns der Feinde (V. 14) umgangen. Und das Problem der Dauer des Ammoniterfeldzuges, wie es sich Veijola stellte, ist auch gelöst. Er hatte aus der Folge der erzählten Ereignisse geschlossen, dass die vorliegende Erzählung von der Geburt beider Kinder vor dem Ende des Ammoniterfeldzuges ausgehe, und das aber nicht sein könne. Hierzu aber ist einzuwenden, dass auch in Erzählteilen, die Veijola nicht ausscheidet, Achronien enthalten sind. Es sei nur auf die oben (5.2.2) ausgeführten proleptischen Erzählstränge verwiesen, in denen in nuce vorliegt, was in 2Sam 12 an Tempusordnung zugrundeliegt. Es werden eben synchron verlaufende Ereignisse erzähltechnisch nicht immer in einem strengen Nacheinander verarbeitet. Ein sprechendes Beispiel hierfür liegt in 2Sam 11,14f. vor, wo zunächst erzählt wird, dass David einen Brief geschrieben hat und ihn sendet (V. 14), und erst danach, in einem zweiten Erzählanlauf, welchen Inhalt dieser Brief gehabt hat (V. 15).168 Bei einer Zusammenschau des Vergleichs der exemplarischen Zugänge auf Seiten historischer Exegese und literaturwissenschaftlicher Interpretation lässt sich, wie schon für 2Sam 11, feststellen, dass auf beiden Seiten Spannungen im Text wahrgenommen werden, dass sich aber die Erklärungen dieser Spannungen innerhalb jeweils unterschiedlicher Modelle bewegen. Den Lösungsvorschlägen von Bailey und Veijola liegt ein diachrones Texterklärungsmodell zugrunde. Fokkelman und Gunn als Vertreter des Literary Approach lösen die Spannungen auf der Ebene einer synchronen Textbetrachtung. Waren aber bei Kap. 11 tendenziell die diachronen Überlegungen schwächer an Überzeugungskraft, so fehlt es für Kap. 12 den Literary Approaches an ebensolcher, wobei die Textabgrenzung von Fokkelman in der Natanrede hierzu eine Ausnahme bildet, da sie eine ernst zu nehmende Alternative zu bisherigen Lesungen bietet. Dabei aber erkauft er sich diese andere Textabgrenzung mit einem neuen Textproblem, unter anderem dem einer Fehlplatzierung der Botenspruchformel. Viel deutlicher als beim Vergleich beider Ansätze zu Kap. 11 wird bei Kap. 12, dass die Gesamtanalyse großer Erzählabschnitte eine Stärke der literarhistorischen Zugänge ist. Im Rahmen der an solchen Gesamterzählungen ermittelten Modelle diachroner Schichtung wird auch der kleine Erzählabschnitt 2Sam 11f. in den Blick genommen und schärft den Blick für Textprobleme. Solche sind, jedenfalls bei den hier gewählten Vertretern des literaturwissenschaftlichen Ansatzes, deutlich schwächer ausgeprägt. Fokkelman ist etwa nicht an den Bezügen von V. 9a zur Aufstiegsgeschichte interessiert, während dies für Bailey eine bedeutende Rolle spielt. Das hängt mit einer diachron orientierten Gesamtsicht über den kleinen Erzählausschnitt hinaus zusammen, die den Blick

168

so aus, als hätte er die Trauer inszeniert, um die Schuldfrage auszublenden.) Schwer denkbar ist die Möglichkeit, dass solche Texte tatsächlich ohne deutlich formulierte „Moral“ auskommen, indem einfach erzählt wird, was sich eben ereignet hat, und die Ereignisse für sich selbst sprechen. Vgl. auch die Analyse z. St.

6. Fallstudien Teil II: 2Sam 12,1–25

263

auf solche dafür relevanten Feinheiten schärft, sie aber dann im Sinne des Modells verwendet, dem die Beobachtung auch zu verdanken ist. Es liegt in der Konsequenz seines Ansatzes, dass Fokkelman keine Antwort auf die Frage nach dem Ziel der Erzählung gibt. Gerade diese Frage aber steht im Hintergrund aller Überlegungen bei Veijola und Bailey. Bei ihnen wird ständig ausgelotet, welche Schicht oder welche Bearbeitung dazu dienen solle, David in kritisches Licht zu stellen oder ihn zu entlasten. Die Frage der Tendenz wird wieder innerhalb des eigenen Paradigmas, d. h. für literarkritische Überlegungen fruchtbar gemacht. Wenn dann etwa die Fortsetzung von V. 7a mit V. 10ff., mit V. 13ff., mit V. 15b oder mit V. 24 plausibel gemacht werden kann, ergibt sich allerdings daraus die Rückfrage an die Praxis der Textscheidung selbst, ob denn das Argument eines schlüssigen Anschlusses und eines daraus entstehenden als kohärenter empfundenen Textes als ein hinreichendes Kriterium für Textscheidungen gesehen werden kann. Hier erkauft sich das literarkritische Paradigma die Einheitlichkeit auf Kosten einer Entprofilierung der Erzählung. In literaturwissenschaftlicher Perspektive werden in unseren Beispielen die Spannungen nicht durch Textausgrenzungen gelöst. Es ist beinahe eine logische Notwendigkeit, dass sich ohne diachrone Zuordnung von empfundenen Spannungen und unter synchronen Erklärungsversuchen diese notwendig auf die Ebene der Handlung und auf die dargestellten Personen niederschlagen. Die JHWH-kritischen Töne bei Gunn sind z. B. damit zu erklären, dass er nicht mit dem Modell eines Textwachstums rechnet, bei dem man David entlastende Stücke nachträglich einbrachte, sondern dass er solche Entlastung im Rahmen des unerhörten Geschehens als Zumutung empfindet, die nun ihrerseits JHWH in die Kritik bringen. Die Erklärungsmodelle beider Zugangsweisen nehmen ihren Ausgang bei demselben Text, nicht selten bei denselben „Textschwierigkeiten“, kommen aber zumeist innerhalb ihrer tragenden Modelle zu Ergebnissen, die diesen Modellen entsprechen. Die Wahrnehmung des Textes wird dabei maßgeblich von den zugrunde gelegten Modellen gesteuert. Eines ist den Zugängen dabei aber gemeinsam: dass sie – zumeist ohne dies zu explizieren – einen Textsinn voraussetzen und mit dem Willen zu einer kohärenten Sinnbildung diese Texte analysieren und interpretieren.

7.

Zusammenfassung und Ausblick: Biblische Erzähltexte als mitteilende Literatur und die Grenzen der Literary Approaches

Die Stimmen, die biblische Erzähltexte wie Literatur oder dezidiert als Literatur behandeln, machen eine Reflexion der Frage, inwieweit literaturwissenschaftliche Ansätze, die an moderner Autorenliteratur herausgebildet wurden, auf biblische Traditionsliteratur anwendbar sind, unumgänglich. Vorliegende Arbeit hat sich dieser Aufgabe gestellt und ist dieser Fragestellung, in einem ersten Hauptteil, grundlegend, und, in einem zweiten Hauptteil, in Anwendung auf den Erzählabschnitt 2Sam 11f. und in Reflexion konkreter interpretatorischer Ansätze zu diesem Erzählabschnitt nachgegangen. Die Einführung in den Problemhorizont der literarischen Interpretation biblischer Erzähltexte hat auf die Bandbreite solcher interpretatorischer Fragestellungen und Modelle hingewiesen. In der Diskussion literaturwissenschaftlicher Kategorien und Fragestellungen wurden zunächst allgemeine literaturtheoretische Grundrichtungen aufgezeigt, sodann wesentliche Kategorien der literarischen Erzählkommunikation behandelt. Hier wurden auch essentielle Unterschiede zwischen literarischer und nicht-literarischer Erzählkommunikation deutlich. Die Betrachtung konkreter Textkonzeptionen bedeutender Vertreter des Literary Approach hat gezeigt, dass sie z.T. beträchtliche Unterschiede aufweisen, die im Zusammenhang mit einer jeweils unterschiedlichen Gewichtung text-, kommunikations- und literaturwissenschaftlicher Konzeptionen stehen. Die Analyse paradigmatischer Positionen der Exegese zur sog. TFG eruierte verschiedene Grundmodelle des exegetischen Umgangs mit biblischen Erzähltexten. Insbesondere die Analyse von 2Sam 11 und 2Sam 12 und die Untersuchung sowohl literarischer Interpretationen als auch exegetischer Auslegungen zu diesen Erzählabschnitten machte deutlich, in welch hohem Maße text-, literatur- und kommunikationstheoretische Vorannahmen den konkreten Umgang mit dem Text bestimmen. Wenn auch der Blick auf paradigmatische Positionen der exegetischen Forschung sowie der sog. Literary Approaches gezeigt hat, dass keine der beiden Richtungen als einheitliche „Bewegung“ verstanden werden kann, und sich von daher pauschalisierende Urteile verbieten, können dennoch einige grundsätzliche Punkte festgehalten werden. Nach Sicht der klassischen Exegese ist damit zu rechnen, dass sich die Textproduktion biblischer Erzähltexte von der Textentstehung neuzeitlicher Literatur unterscheidet.1 Für erzählende Literatur der Neuzeit ist für gewöhnlich 1

Allerdings ist auch neuere Literatur nicht immer von einer Hand und aus einem Guss geschrieben. Das erste frühromantische Werk etwa, Die Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, ist unter Wackenroders Namen veröffentlicht, nachweislich aber von Tieck nach Wackenroders Tod katholisch redigiert; die

Zusammenfassung und Ausblick

265

ein bestimmter Autor namhaft zu machen, zumeist können Entstehungszeit und ort benannt werden und nicht selten gibt es für den entstehungsgeschichtlichen Hintergrund, mithin sogar für die innere und äußere Verfassung des Autors während des Produktionsprozesses hinreichende Informationen. Ganz anders bei biblischer Traditionsliteratur. Für diese sind in der Regel weder die entstehungsgeschichtlichen Kontexte noch der Autor/die Autoren unmittelbar greifbar. Für moderne Literatur bestimmter Epochen liegen z.T. literaturtheoretische Reflexionen der Epoche – mitunter sogar des Autors selbst – vor, die für die Interpretation der Text entscheidende Hilfe geben können. Mit dem Wissen um das Programm einer „progressiven Universalpoesie“ wird man Hardenbergs „Ofterdingen“ interpretatorisch mehr gerecht als ohne Kenntnis romantischer Konzeptionen, und literaturtheoretische Grundlegungen des Naturalismus im Hintergrund werden eine Ipsen-Interpretation erleichtern. Bei biblischer Erzählliteratur liegt dem Interpreten/der Interpretin allein der Text vor. Nur aus ihm selbst kann er/sie den Versuch unternehmen, zugrunde liegende Erzählkonventionen (oder -theorien) zu erschließen. Diese sind dann wiederum an den Texten zu erproben und gegebenenfalls zu modifizieren, der Interpret/die Interpretin bleibt aber stets diesem zirkulären Vorgehen verhaftet, das von den Texten ausgeht und auf diese zurückführt. Der literarische Umgang mit biblischer Traditionsliteratur zeigt, dass als größter gemeinsamer Nenner zwischen biblischen Erzählungen und neuzeitlicher Literatur große Analogien in der narratologischen Ausgestaltung zu sehen sind. Unbestritten finden sich in biblischen Erzählungen deutliche Merkmale von Poetizität: ein kunstfertiger Umgang mit Sprache, Wortspiel, Motivik, szenische Gestaltung, Spannung, Tragik etc. Es sind insbesondere solche Poetizitätsmerkmale biblischer Erzähltexte, von dem sich literarische Interpretationen dazu anregen lassen, Methoden des Umgangs mit modernen Texten auch auf biblische Erzählungen anzuwenden und diese zu interpretieren, als seien sie fiktionale Literatur. Dieser Rückschluss aber erweist sich gerade als die Hauptproblematik sog. Literary Approaches. Literaturwissenschaftliche und kommunikationspragmatische Kategorien und Konzeptionen lassen sich zwar auf biblische Erzähltexte insoweit anwenden, wie sie sich auch für nicht-literarische Erzählung als tragfähig erweisen. entsprechende Bearbeitung ist nur mutmaßlich zu rekonstruieren (vgl. Benz, Nachwort Herzensergießungen; Köhler, Poetischer Text; Pikulik, Frühromantik). Komplizierter noch ist die Sachlage bei Achim von Arnims Kronenwächter. Fragmente aus Arnims Nachlass wurden in Anlehnung an konzeptionelle Überlegungen Arnims zur Romankonzeption zu einem inkohärenten Ganzen zusammengestellt; ungeklärt ist, ob der jetzige zweite Teil tatsächlich als Fortsetzung des ersten Teils zu gelten hat oder eine frühere Arbeitsvorstufe zu diesem darstellt (vgl. Geppert, Kronenwächter). Als Beispiel für intertextuelle Erzählproduktion, die Versatzstücke literarischer und nicht-literarischer Texte mehr oder minder wörtlich in den Erzähltext übernimmt, sei Thomas Manns MoseErzählung Das Gesetz genannt (vgl. Käser, Moses-Novelle). Für eine redaktionelle Bearbeitung von vermeintlich sorgfältig überliefertem Volksgut soll beispielhaft die z.T. einschneidende Bearbeitung der Brüder Grimm bei der Herausgabe ihrer Märchensammlung stehen.

266

Fallstudien an 2Sam 11 und 12

Eine angemessene Adaption findet aber dann ihre Grenzen, wenn es sich um Kategorien und Konzeptionen handelt, die sich ausschließlich auf literarische Erzählungen beziehen. Insbesondere betrifft das die Kategorie der Fiktionalität, die geradezu die Opposition zu mitteilendem Erzählen darstellt, und daher keineswegs auf biblische Erzählungen anwendbar ist. Der Fehlschluss liegt insbesondere darin, dass Literary Approaches von Merkmalen der Poetizität fälschlich auf einen fiktionalen Charakter biblischer Erzähltexte schließt. Poetizität ist eine Kategorie, die sowohl für literarisches als auch nicht-literarisches Erzählen festgestellt werden kann, und die auf einer kategorial anderen Ebene als die der Fiktionalität liegt. Damit dürfen biblische Erzähltexte aber keineswegs als fiktionale Literatur eingestuft werden. Die Großerzählung, der die Textabschnitte 2Sam 11 und 12 angehören, wollen als Geschichte Davids verstanden werden, nicht als David-Roman. Gleichwohl ist nicht zu bestreiten, dass diese Erzählung etwas von einem „David-Roman“ hat. Dies liegt daran, dass traditionales Erzählen in Israel einen hohen Poetizitätsgrad aufweist. Die Erzähler haben Freude an der Ausgestaltung von Einzelzügen der Handlung, besonders auch von Dialogen der handelnden Personen. Und es ist festzustellen, dass innerhalb der Erzählung, die als Geschichte verstanden werden will, Züge der Fiktivität zu finden sind. Eines der Paradebeispiele hierfür ist die Natanparabel, die wir einer eingehenden Untersuchung unterzogen haben (vgl. 6.2.2.1). Daneben gibt es aber eine ganze Reihe weiterer Abschnitte, die als fiktive Erzähleinheiten gekennzeichnet sind, so etwa die Rede der weisen Frau aus Tekoa, in deren Zentrum eine fingierte Familiengeschichte steht (2Sam 14,6ff.), mit deren Hilfe sie erreicht, dass David Absalom wieder nach Jerusalem kommen lässt. Aber das sind Erzählungen innerhalb der Großerzählung, und sie sind vom Erzähler/von den Erzählern der Haupthandlung als fiktive Einheiten markiert. Der Anspruch der Großerzählung, eine „Geschichte Davids“ zu sein, bleibt davon unberührt. Zu den konstitutiven Größen von Mitteilungsliteratur gehören unabdingbar die Kategorien der Intentionalität und der Referentialität. Beide Größen werden durch den Kontext des mitteilenden Erzählens bestimmt und bestimmbar. Das Problem hinsichtlich biblischer Erzähltexte besteht darin, dass die Basis textexterner Evidenzen äußerst gering und der Zugriff auf die ursprüngliche Kommunikationssituation kaum möglich ist. Auch dies verleitet dazu, im Umgang mit solchen Texten auf literaturtheoretische Textmodelle zurückzugreifen, die intentionale und referentielle Aspekte des Erzähltextes ausblenden oder negieren und genau jene Größen in den Vordergrund rücken, die den modernen Leser in der unmittelbaren Begegnung mit dem Bibeltext am greifbarsten sind, nämlich den Text selbst und seine modernen Rezipienten. Dieses Vorgehen ist zwar verständlich, verfehlt aber geradewegs den angemessenen Umgang mit dem Mitteilungscharakter biblischer Erzähltexte. Diesen Unterschied verdeutlicht besonders der Vergleich zwischen Bailey einerseits sowie Sternberg und Fokkelman andererseits im Umgang mit dem Erzählabschnitt 2Sam 11 und 12. Während im exegetischen Ansatz von Bailey vor allem Fragen im Umkreis des Autors im Vordergrund stehen (welche Theologie er hat, welche morphematischen und phraseologischen Eigenheiten bei ihm zu vermuten sind, welche Vorstellung von Texteinheitlichkeit bei ihm

Zusammenfassung und Ausblick

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anzunehmen ist, und, bezogen auf die redaktionellen Überarbeitungen, welche Textverarbeitungsmodelle zugrunde gelegt werden können), so sind es auf Seiten der literarischen Interpretationen in erster Linie Fragehinsichten, die sich auf den Text (Fokkelman) bzw. auf den Leser (Sternberg) konzentrieren. Verbunden mit der Frage nach dem präsupponierten entstehungsgeschichtlichen Modell des jeweiligen interpretatorischen Zugangs ist notwendig das Problem der diachronen Abgrenzung des der Interpretation zugrunde gelegten Erzähltextes von dessen kontextueller Einbindung. Eine solche textliche Abgrenzung wird z. B. bei Sternberg faktisch vollzogen, indem sich seine Interpretation auf 2Sam 11 beschränkt; sie wird aber nicht problematisiert. Auch Fokkelman schließt sich in seiner endtextorienterten Interpretation de facto der diachronen Abgrenzung dieser TFG an, jedoch ebenfalls ohne methodische Reflexion. Dass hingegen in der exegetischen Forschung die Frage der Textabgrenzung methodisch-systematisch reflektiert vollzogen wird, ist als deutlicher Vorzug dieses Ansatzes zu werten. In dieser Hinsicht hat etwa die Tendenzkritik – sowohl innerhalb von Schichtenmodellen als auch ohne literarkritische Scheidung innerhalb der TFG – das größere Ganze im Blick und gelangt damit zu einem konturierteren Bild der Charaktere, der Handlung usw., wobei die sich daraus jeweils ergebenden „Spannungen“ in diachronen exegetischen Ansätzen dann in den unterschiedlichen Lösungsmodellen mehr oder weniger aufrechterhalten oder (etwa auf Schichten) „verteilt“ werden. Als Vorzug der literarischen Interpretationsansätze ist hingegen zu werten, dass die Fokussierung auf poetologische Merkmale des Textes in einer maßgeblich synchron orientierten Sicht eines bestimmten Erzählabschnittes empfundene „Textschwierigkeiten“ mitunter plausibel als gestalterische Mittel zu erklären vermögen, die z.T. ernst zu nehmende Alternativen zu diachronen Erklärungsversuchen darstellen. Um dem Eigenanspruch biblischer Erzähltexte gerecht zu werden, muss weiterhin die Frage nach Intentionalität, Referentialität und damit der primären Kommunikationssituation eine Grundforderung verantwortbaren exegetischen Handelns bleiben. Dies erweist sich zwar als der unzugänglichere Zugang, der in seinen Rekonstruktionsversuchen mit dem Eingeständnis der dauerhaften Vorläufigkeit leben muss, wird aber in seiner Fragestellung dem mitteilenden Charakter biblischer Erzähltexte gerecht. Entsprechend ist die Interpretation biblischer Erzähltexte vieler der Literary Approaches als autonome Kunst bzw. fiktionale Literatur im Blick auf deren Selbstanspruch ein kritisch zu bewertender Punkt. Werden jedoch literarische Kategorien zur Beschreibung und Analyse biblischer Erzähltexte, wie sie die Literary Approaches ins Zentrum interpretatorischen Umgangs mit diesen Texten gerückt haben, im Bewusstsein des zu den kommunikativen Grundlagen gehörenden mitteilenden Charakters dieser Texte angewandt, können sie auch innerdisziplinär nachhaltig zu einem geschärften Blick auf biblische Erzähltexte beitragen.

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Stichwort-Register

Abschalomaufstand 114, 116f., 183f., 235, 240, 245, 255 Adressat s. Leser Aktstruktur 45f Alliteration 247f. Allusion, Anspielung 95, 163, 167, 213, 225, 230, 236, 238, 246 Ambiguität, Ambivalenz 40f., 54, 57, 78, 82, 95, 178, 182, 191, 193f., 199-202, 204, 207, 241, 256 Ambivalenz s. Ambiguität Ammoniterkriegsbericht 108f., 122, 127, 133, 136, 147, 174f., 177, 182-184, 188f., 203, 211f., 215f., 218, 225, 235f., 238f., 242f., 254, 256, 259-262 Anachronismus, Achronismus 34, 82f., 85, 88, 90 Analepse 141, 217f. Analogie 78, 150f., 160, 164, 175, 179, 185, 194, 203, 205, 213f., 217, 221f., 224, 229, 243, 245, 256, 265 Äquivalenz 121 Ästhetik, Ästhetizität 13, 15, 17, 24f., 30-32, 37, 44f., 55-59, 64, 71, 76, 86, 92, 97 Ästhetisches Subjekt s. auton. Kunstwerk Aufstiegsgeschichte Davids 107, 241, 262 Ausführungsbericht 141f., 145, 150f., 157, 195, 202 Autonomes Kunstwerk, ästhetisches Subjekt 28, 31f., 34-36, 38-40, 42, 49, 60, 62-67, 73, 103f., 207, 248, 251, 267 Autor, Erzähler 20, 23f., 30-33, 35, 39, 41f., 44, 48f., 51-55, 58, 60, 64-66, 70, 74-76, 78, 80-90, 92, 94-96, 98100, 103, 106f., 110-115, 118, 143, 153, 155f., 159, 167, 171, 178, 186200, 202, 205f., 217, 221, 228-230, 234f., 239, 251, 260, 264-266 Autorenintention s. intention lectoris Bauformen des Erzählens 90-93 Bedeutung, Bedeutungskonstitution 15, 20, 40-44, 46f., 50, 57, 71, 77, 91f., 94, 97f., 100, 126, 160, 163, 166f., 169, 188, 201, 213, 228, 236, 238, 245, 253

Bedingte Selbstverfluchung 168, 213, 228 Beteuerungsformel 168f. Bezugsrahmen 13, 15, 32f., 52, 57, 60, 73, 110f., 117f., 121, 192f., 196, 222f. Bildhälfte 220-222, 224, 234, 240, 250 Bindeglied s. Scharnierstelle Botengangschema, Botensendung, Boteninstruktion 123-127, 132, 134-143, 147-154, 157f., 162, 164, 169f., 173175, 177, 179, 185, 194, 199, 202205, 225, 230 Botenspruchformel, Botenrede 223, 226, 252, 259, 262 Brief, Briefmotiv 99, 117, 124, 129, 131, 133f., 147-149, 172, 178, 181, 192194, 198, 202, 205, 262 Brüche s. Spannungen Bühne s. szenische Gestaltung Bund 241, 243f. Bundesbuch 213, 240, 258 Charaktere s. dramatis personae Chiasmus 71, 163, 229, 247, 252f. Chronologie 52, 140, 144-148, 185, 238, 252 Close reading, holistic reading, total interpretation 13, 22-24, 40, 65, 78, 80, 93, 104, 131 Conclusio 215, 246, 253 Dauer, Duration 52, 131, 145-147, 149, 203, 262 Dekodierung, Entschlüsselung 53f., 66, 95, 144 Dekonstruktivismus 18, 38, 48, 99f., 102-104, 192 Denotation 40, 248 Detaillierung 33, 53, 138, 143, 150, 176 Determination, Monovalenz 20, 54, 57, 222, 226, 241 Deutestelle, Erzählerurteil, Metakommentierung 94, 107, 112f., 116-119, 177, 187, 193, 200, 202f., 205, 216, 231, 253, 261 Deviationsästhetik 39 Diachronie 13, 20f., 30, 43, 63, 75-77, 81, 83f., 94, 103f., 106, 117, 132, 148, 159f., 177, 200, 203f., 206f., 257

Register Dialog 45, 51, 67-69, 74f., 82f., 104, 129, 138-140, 143, 149, 179, 200, 217f., 223, 225, 228, 266 Diegese 49-53, 55, 106, 109, 120, 131, 137, 139-144, 147-150, 176, 214, 216-218 Discourse analysis, Erzähltextforschung 16, 18, 26, 32, 49, 51-54, 84, 100, 103, 187 Diskurs 37, 49-55, 106, 120, 131f., 137f., 140-150, 176, 181, 195, 198f., 207, 216-218, 223 Dissonanz 41 Distinktion 28, 37, 55-57, 60, 72, 85, 96, 106 Doppeldeutigkeit s. Ambiguität Double-stage action 135f. Dramatis personae, Charaktere 75f., 95f., 99f., 111, 131f., 173-175, 187, 196, 198f., 205, 220, 231f., 267 Dubletten 92, 94 Duration s. Dauer Dynastieverheißung s. Natanweissagung Empfänger 30, 54, 60, 129, 137f., 141f. Endgestalt, Endtext, Endtextegese 8, 18, 21, 30, 63, 93, 95, 98, 206f., 267 Entautomatisierung 39 Entgrenzung 42, 223 Entschlüsselung s. Dekodierung Erzählebene, Erzählerebene 112, 118, 122, 132, 135, 139, 144-146, 150f., 153-155, 157f., 167, 169f., 171, 174, 183, 191, 195, 199, 216f., 228-230, 231 Erzähler s. Autor Erzählerkommentar s. Deutestelle Erzählerurteil s. Deutestelle Erzählforschung, Gesprächsforschung 49, 51f., 143 Erzählökonomie, Erzählzwang 26, 37, 52f., 137, 142f., 176, 198 Erzählperspektive, point of view, Fokalisierung 33, 50, 52, 75, 78, 93, 99, 135, 198 Erzählstrang 89, 135, 137, 145, 147-149, 158, 166f., 195, 198, 216, 259, 262 Erzählte Zeit, Erzählzeit 148f., 217 Erzähltextforschung s. discourse analysis Erzählwerk 65, 107f. Erzählzwang s. Erzählökonomie Exemplifikation 225 Explikation 32, 45, 70, 75, 78, 86, 95f., 99, 103, 112, 114, 126, 133, 136, 140, 142, 144f., 152, 154f., 161f., 164-168,

295 171f., 174, 176, 179, 188-191, 193, 197f., 200f., 203, 206, 214, 216, 221, 223, 225f., 230-232, 247f., 261, 263 Exposition 132f., 135f., 174, 179, 188 Fabel 50, 223 Figurenrede, Personenrede 70, 94, 150, 152, 154, 172, 231 Fiktionalität zweiter Ordnung 223 Fiktionalität 34-37, 45f., 50, 55, 57-61, 65f., 73, 75, 79, 82, 84-86, 89, 97, 103, 178, 220, 223, 249f., 265-267 Fiktivität 53, 57-59, 66, 81f., 144, 220, 223, 236, 246., 266 Fokalisierung s. Erzählperspektive Formalismus 23, 37-39, 43, 48, 50, 55f., 78, 81 Formgeschichte, Gattungskritik, Form Criticism, 17, 19, 22, 24f., 27, 97, 222, 237 Frequenz 52, 131, 143f., 147, 150-153, 157 Gap, Leerstelle, Gap-filling 26, 79, 8690, 99, 104, 138, 140, 186-206, 230, 249 Gattung, Genre 16f., 22f., 29, 59, 61, 71, 72, 76, 80, 85, 94, 96, 97, 99, 107, 111, 114, 196, 206, 223, 241 Gattungskritik s. Formgeschichte Geburtsformular, Geburtsgeschichte 181, 239, 244f., 260 Geltungsanspruch s. Normativität Genre s. Gattung Gerichtsspruch s. Natan-Orakel Geschichtserzählung, Geschichtswerk 87, 107, 110, 113, 178 Geschichtsschreibung s. Historiographie Geschlossenheit s. Gestaltschließung Gesprächsforschung s. Erzählforschung Gesprächssteuerung 160, 225 Gestaltschließung(szwang) 33, 53, 65, 143, 176, 179, 181, 235 Gestaltung(swille) 75, 91, 104, 189, 194, 206, 215ff., 220, 228f., 240, 265f. Gleichnis, Parabel 82, 99, 163, 169, 200f., 212f., 215, 217-224, 228, 231f., 234f., 240f., 245-251, 255, 257-259, 266 Grundbestand, Grunderzählung, Grundschrift 115-117, 180, 257f. Heilige Schrift 28-30 Heldensage, Sage 111, 114 Hermeneutik der Behutsamkeit 32 Hermeneutik 13, 29, 32, 35, 39, 42, 44, 64f., 69, 72, 102f., 251

296 Historiographie, Geschichtsschreibung 16f., 20, 33-36, 50, 65-67, 74f., 80, 84-86, 97f., 107-113, 118, 178, 196 holistic reading s. close reading Hörer s. Leser Horizontverschmelzung 28, 45 Idiomatik s. Phraseologie Impliziter Leser 45f. Indeterminiertheit, Unbestimmtheit 26, 38, 45, 49, 54, 63, 66, 78f., 86, 156, 159, 164, 182, 189-191, 194, 196, 199, 203f., 220, 222, 226, 244 Inklusio, Ringstruktur, Rahmenbildung 83, 99, 133, 163, 181, 218, 227, 230, 246, 248, 253f., 260 Inkohärenz, Textstörung 53, 94f., 138, 177, 195f., 201, 204-206, 227, 249, 253, 257, 262f., 265, 267 Inkongruenz 83, 88, 199, 222 Intentio lectoris, Autorenintention 30f., 43, 78, 80-82, 106, 119, 229, 251, 266 Intentio operis, Werkintention 30f., 42f., 64 Intention, Intentionalität 30-36, 41-43, 57, 60, 68, 71, 78-82, 89, 97, 103f., 152, 195, 197, 205, 222, 253, 266f. Intentional Fallacy 41f., 82 Interpolation 76f., 82, 181, 257 Interpretation 18-21 Interpretative community s. Lesergemeinschaft Ironie 40, 51, 79, 87f., 97, 152, 155, 166, 170, 172, 187-192, 194-196, 200f., 204, 206f., 235, 255f., 259 Israelitisches Paradigma 34-36 JHWH-Kritik 104, 235, 261, 263 JHWH-Rede 165, 224, 232 Kohärenz (s. auch Inkohärenz) 33, 43, 77f., 95f., 99, 119, 182, 189f., 196, 204-206, 235, 263 Kohäsion 138, 196, 206 Kommunikationssituation 20, 30-33, 58, 81, 104, 266f. Kommunikationstheorie 32, 37ff., 56-58, 264 Komposition s. Redaktion Kondensierung 33, 53, 143, 150, 176 Königskritik 113-119, 175, 232, 261 Konnotation 40, 45, 146, 161, 163, 166f., 178, 181f., 185, 195, 201, 244 Konvention 57-59, 77, 83, 85, 88, 98, 103, 265 Ladeerzählung 108f. Leerstelle s. gap Leitwort s. Schlüsselbegriff

Register Leseerfahrung 47, 68 Leser, Hörer, Adressat 30-32, 44-49, 6769, 77f., 84-86 Lesererwartung 96, 114, 155f., 164f., 170, 190, 202, 214, 236 Lesergemeinschaft, reading community, interpretative community 15, 47f. Leserkompetenz 47, 68, 89, 113, 136f., 142, 144, 154, 165f., 169f., 225 Leserlenkung 53, 86-89, 102, 104, 114, 172, 189, 195, 197f. Lexematik 94, 121, 153-172, 180, 213, 218f., 225-230 Lexematische Verknüpfung s. Stichwortverbindung Linguistik s. Sprachwissenschaft Linguistik 18, 20, 24f., 32, 43, 53f., 70f., 83, 95, 137, 142 Literarische Qualitätsmerkmale (s. auch Literarizität) 23, 25, 39, 45, 56, 59, 64, 71, 73, 92, 96 Literarisches Kunstwerk, literary work of art 23, 28, 36, 39, 47, 62-67, 70, 86, 88, 90-93, 104 Literarizität, Poetizität 13, 22, 35-37, 43, 55-57, 59f., 77f., 85, 89, 96, 103f., 165f. Literarkritische Scheidung 87, 96, 106119, 150, 173, 178-186, 233-245, 267 Literaturtheorie 37-49, 56, 60 Material s. Stoff Metakommentierung s. Deutestelle Metaphorik, Metapher 23, 32, 71, 74, 82f., 95, 109, 159, 188, 201, 222 Methodologie 14, 36, 73, 80, 89, 100, 199 Metonymie 71, 166, 171, 234 Mimesis 25-27, 51 Modus 34, 52, 57 Monovalenz s. Determination Morphematik 39, 70, 77f., 121, 130, 266 Motiv, Motivgeschichte 38, 94, 99, 117, 178-181, 265 Narration 49-52, 148 Narratologisches Spiel 79, 87, 110, 136, 155f., 158, 164, 167, 169, 198, 201, 220, 228f., 260, 265 Natan-Orakel, Strafrede, Strafansage, Schuldaufweis, Gerichtsspruch 215, 217-228, 242, 249-252, 259, 261 Natanweissagung, Dynastieverheißung 108-110, 225, 236, 243 New Criticism s. Werkinterpretation New Directions 16, 18

Register Nicht-literarisches Erzählen 37, 49-61, 103, 264-266 Nominalphrase 146 Nominationsstereotype 160, 165f. Normativität 15, 29f., 31, 34-36, 58, 63, 79, 85f. Novelle 19, 55, 59, 73, 265 Offenheit s. Indeterminiertheit Ordnung des Diskurses, Ordnungsprinzip 38, 49, 52f., 72, 131, 143ff., 260, 262 Palastintrige 114f. Parabel s. Gleichnis Parallele 17, 23, 38, 52, 78, 94, 127, 132, 135, 144f., 147, 155, 164, 171, 173, 177, 182, 184f., 188, 196, 204f., 222, 224, 226f., 239, 241f., 258 Paraphrase 40 Partitur 32, 45 Personenrede s. Figurenrede Personifikation 155, 169, 171-173, 220, 226, 246 Phraseologie, Idiomatik 47, 121, 126, 128, 159-172, 218, 229f., 234, 266 Phraseoschablone 160-171, 206, 225 Poetizität s. Literarizität Point of view s. Erzählperspektive Pointierung 175, 180 Polyvalenz s. Ambiguität Positionierung 136, 153, 155, 167, 199, 218, 218f. Poststrukturalismus 38 Präfiguration 33, 130, 134, 139, 141, 151-153, 157f., 161f., 170f., 175, 177, 194, 205, 230, 232, 253, 261 Präsupposition, semantische Implikation 89, 99, 137-143, 161, 170, 179, 198, 238 Prolepse 129f., 138, 140f., 147f., 179, 217, 262 Protagonist 78, 152, 170, 194, 230, 246 Rahmenbildung s. Inklusio Rahmenhandlung 184, 188f., 200, 204, 218, 260 Raum 132-136, 145, 215f. Reader-Response-Criticism s. Rezeptionsästhetik Reading community s. Lesergemeinschaft Redaktion, Komposition 30, 76, 93, 107f., 110f., 115-118, 177, 180, 182, 204, 206, 234, 240-244, 258, 265, 267 Redeebene s. Erzählebene Redundanz 82, 179, 194f., 200, 205, 225, 229, 244 Referentialität, Referenz 38, 40, 42, 55, 58-60, 67, 163, 241, 251, 266f.

297 Regulativ 31, 46, 48, 79, 88, 96, 101f Rekonstruktion 53, 63, 81, 83, 98, 107, 143, 205, 229, 243, 267 Rekurs 24f., 30, 50, 55, 133, 144, 147, 150, 153f., 157, 161, 164f., 179, 199, 218, 225, 228, 254 Relevanzsetzung 53, 143, 150, 176, 217 Reproduktion 54, 84, 159, 166 Retrospektive 189, 195 Rezeptionsästhetik, Reader-ResponseCriticism 18, 28, 30-32, 37f., 40, 44-48, 63, 73, 78, 86, 102-104 Rhetorical Criticism 18, 24f., 67 Rhetorik, Rhetorische Strategie 24f., 27, 32, 56, 85, 232 Rhetorische Frage 102, 163, 202 Ringstruktur s. Inklusio Roman 45f., 55, 59, 61, 76, 84, 223, 265f. Sachhälfte 163, 220-222, 240f., 250 Sage s. Heldensage Salomonische Aufklärung 111 Scharnierstelle, Scharnierfunktion 177, 203, 241 Schlüsselbegriff, -stelle, Leitwort 25, 182, 188, 191, 204, 247, 257f., 260f. Schuldaufweis s. Natan-Orakel Schuldbekenntnis, Sündenbekenntnis 215f., 224, 227, 231f., 235, 241f., 252, 255, 257f., 260f. Selbstreferentialität 38 Semantische Implikation s. Präsupposition Semantischer Kausativ 183 Semiotik 42, 71 Sender 30f., 54, 60, 71, 80 Signifikant 40, 43 Signifikat 43 Spannung 26, 46, 87, 110, 147, 192, 204, 230, 265 Spannungen, Brüche, Widersprüche 92-94, 97, 108, 110, 113, 115, 117f., 152f., 180, 187, 206, 255f., 258-263 Sprachakt, Sprechakt 57f., 80 Sprachfunktion 15, 20, 32f., 38, 42f., 53f., 56, 59, 61, 66, 77, 81f., 85, 88, 94, 121f., 142, 147, 159-161, 164, 166, 168, 182, 187, 219-223, 228, 241f., 245, 249, 253, 259 Sprachsystem 43, 81, 84 Sprachwissenschaft, Linguistik 20f., 28, 32, 37, 43, 49, 51, 53, 137, 142 Steuerungsfunktion s. Leserlenkung Stichwortverbindung, lexematische Verknüpfung 17, 77, 121, 131f., 145, 150, 208, 214, 218

298 Stil

17, 23, 26, 39, 64, 69-72, 76, 90, 94f., 107-110, 118, 121, 130, 180, 188, 201, 203f., 230, 246-248, 260 Stimme 198f., 261 Stoff, Material 16, 38, 65f., 74, 87, 9194, 99, 110, 114, 119f., 178, 189, 199, 240f. Story s. Diegese Strafansage, Strafrede s. Natan-Orakel Struktur 50, 63f., 67, 69-73, 81, 91, 93f., 104, 148f., 160, 184-186, 188, 204f., 216-218, 227, 239, 243, 245f., 251254, 260 Strukturalismus 43f., 55f., 59, 73, 77, 81, 103f. Sündenbekenntnis s. Schuldbekenntnis Symmetrie 185, 188, 227, 247 Synchronie 18, 20f., 30, 43, 62, 81, 83f., 94, 117f., 140, 159, 181, 200, 205f., 237, 243, 257, 261-263, 267 Syntagma 43, 70 Syntax 77f., 121f., 159-161, 226, 244 Szenische Gestaltung, Bühne 107, 131136, 154, 173, 202, 215f., 265 Tempus, Tempusmarker 52, 132, 144153, 215-218, 262 Tendenz, Tendenzkritik 65, 107f., 113118, 235, 261, 263, 267 Text 30-32, 53-55, 57-59, 67-69 Textbegriff s. Textmodell Textgenese 15, 21, 83, 92, 96, 118, 132, 140, 185, 204, 263 Textgrammatik 34, 71, 246 Textkommunikation 15, 20f., 30-38, 4961, 64, 73, 80-82, 86, 89, 101, 104, 106, 143, 152, 199, 222, 229, 264-267 Textmodell 30, 62-105, 266 Textpragmatik 13, 21, 32-36, 55, 60, 103, 137f., 142 Textrezeption 15, 21, 28, 30-32, 35, 4448, 51, 54, 57f., 60f., 65, 68, 78, 97, 101, 106 Textschichten 107-109, 115, 117f., 120, 243, 267 Textsinn, Textbedeutung 15, 31, 81, 94, 97, 263 Textstörung s. Inkohärenz Textur 24, 32, 40f., 70-72, 193 Textwachstum s. Textgenese Textwelt 33, 40, 81, 96-99, 101, 104, 187 Thronfolgegeschichte (TFG) 96, 99, 106-119, 162, 184, 229, 232, 234, 236f., 246, 254, 258f., 261, 264, 267 Tod des Autors 41, 44

Register Topos 202, 205 Total interpretation s. close reading Traditionsliteratur, traditionales Erzählen 13, 34-36, 49, 99, 264-266 Trauerritus 214f., 217, 229f., 232f., 243f., 253, 260 Tun-Ergehen-Zusammenhang (TEZ) 112, 260 Überschuss 38, 64, 74, 79, 130f., 167, 204 Übersetzung 46, 74, 77, 120-122, 200 Uneigentliche Redeweise 159-173 Unschärfe s. Indeterminiertheit Variante, Variation 52, 81, 85, 109, 126f., 130f., 140, 154f., 168, 196f., 202, 205, 212, 220, 226, 237 Verfremdung 222 Verschriftung 51 Wahrheitsanspruch s. Normativität Werintention s. intention operis Werkimmanenz 21, 30, 39f. Werkinterpretation, New Criticism 22, 39-43, 48, 78, 62f., 65, 72, 81f., 103f., 207, 251 Widersprüche s. Spannungen Wiederaufnahme 218, 237, 260 Wiederholung 17, 25, 76-78, 83, 94-96, 99, 130, 150, 237 Wirklichkeitsgehalt, Wirklichkeitsbezug 58f. Zeitraffung und Zeitdehnung 52, 144, 148-150, 217f. Zeitstruktur 143-152, 216-218 Zweiheit der Personen 132, 135f., 216 Zwillingsformel 169, 171, 224 Zwitterpunktierung 156 Zwölf-Stufen-Modell 69-72