Lexikon der Germanistischen Linguistik [2nd compl. rev. and enl. edition] 9783110960846, 9783484103931

Die Neufassung des LGL soll einen Überblick über die Sprachgermanistik zu Beginn der achtziger Jahre geben. Die Bezüge z

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Lexikon der Germanistischen Linguistik [2nd compl. rev. and enl. edition]
 9783110960846, 9783484103931

Table of contents :
Vorwort
Abkürzungen
Siglen
I. Allgemeine Bestimmung und Erforschung von Sprache
1. Sprachphilosophie, von Kuno Lorenz
2. Aspekte einer Theorie der Sozialkommunikation, von Thomas Luckmann
3. Semiotik, von Achim Eschbach
4. Sprachtheorie, von Renate Bartsch / Theo Vennemann
5. Theorie der Spracherforschung, von Wolf Paprotté / Karl-Dieter Bünting
6. Theorie der Sprachbeschreibung, von Werner Kummer
7. Geschichte der Linguistik, von Hans Arens
II. Sprachstrukturen
8. Strukturelle Linguistik, von Joachim Ballweg
9. Phonetik, von Georg Heike / Eike Thürmann
10. Phonemik, von Werner H. Veith
11. Graphetik, von Hans Peter Althaus
12. Graphemik, von Hans Peter Althaus
13. Sprachzeichenkonstitution, von Helmut Henne / Helmut Rehbock
14. Morphemik, von Heinrich Weber
15. Wortbildung, von Peter v. Polenz
16. Idiomatik, von Dorothea Heller
17. Onomastik, von Friedhelm Debus
18. Lexikalische Semantik, von Herbert Ernst Wiegand / Werner Wolski
19. Syntax, von Franz Hundsnurscher
20. Textlinguistik, von Werner Kallmeyer / Reinhard Meyer-Hermann
III. Kommunikatives Handeln
21. Theorie des sprachlichen Handelns, von Volker Heeschen
22. Theorie der nonverbalen Kommunikation, von H. Helfrich / H. G. Wallbott
23. Texttheorie, von Inger Rosengren
24. Sprechakttheorie, von Günther Grewendorf
25. Rhetorik, von Helmut Rehbock
26. Linguistische Stilistik, von Ulrich Püschel
27. Gesprochene Sprache und Gesprächsanalyse, von Gerd Schank / Johannes Schwitalla
28. Geschriebene Sprache, von Otto Ludwig
29. Sprache in Massenmedien, von Erich Straßner
30. Sprache in Institutionen, von Konrad Ehlich / Jochen Rehbein
IV. Soziale Aspekte
31. Soziolinguistik, von Hugo Steger
32. Soziolekt, von Karl-Heinz Bausch
33. Sprachnorm, von Klaus Gloy
34. Sprachbarrieren, von Bernhard Badura / Peter Gross
35. Standardsprache, von Siegfried Jäger
36. Umgangssprache, von Ulf Bichel
37. Sondersprachen, von Dieter Möhn
38. Fachsprachen, von Walther von Hahn
V. Individuelle Aspekte
39. Sprachbiologie, von Renate Bielefeld-Kuschinski
40. Neurolinguistik, von Anton Leischner
41. Psycholinguistik, von Hans-Martin Gauger
42. Idiolekt, von Göran Hammarström
43. Spracherwerb, von Els Oksaar
44. Sprachabbau, von Alexander Fellmann
VI. Areale Aspekte
45. Areallinguistik, von Jan Goossens
46. Dialekt, von Heinrich Löffler
47. Westniederdeutsch, von Hermann Niebaum
48. Ostniederdeutsch, von Dieter Stellmacher
49. Westmitteldeutsch, von Hartmut Beckers
50. Ostmitteldeutsch, von Wolfgang Putschke
51. Nordoberdeutsch, von Erich Straßner
52. Westoberdeutsch, von Wolfgang Kleiber
53. Ostoberdeutsch, von Rudolf Freudenberg
54. Deutsche Sprachinseln, von Peter Wiesinger
VII. Ethnische und politische Aspekte
55. Ethnolinguistik, von Johann Knobloch
56. Sprachlenkung/Sprachkritik, von Walther Dieckmann
57. Nationalsprache, von Oskar Reichmann
58. Deutsche Sprache in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, von Manfred W. Hellmann
59. Deutsche Sprache in Österreich und in der Schweiz, von Wolfgang Mentrup / Peter Kühn
60. Deutsche Sprache außerhalb des geschlossenen deutschen Sprachgebiets, von Heinz Kloss
VIII. Historische Aspekte
61. Historiolinguistik, von Winfried P. Lehmann
62. Sprachstadium, von Georg Objartel
63. Deutsche Sprache und germanische Sprachen, von Roland Ris / Elmar Seebold
64. Althochdeutsch, von Stefan Sonderegger
65. Altniederdeutsch, von Gerhard Cordes
66. Mittelhochdeutsch, von Kaj B. Lindgren
67. Mittelniederdeutsch, von John Evert Härd
68. Frühneuhochdeutsch, von Werner Besch
69. Deutsche Standardsprache des 17./18. Jahrhunderts, von Ilpo Tapani Piirainen
70. Deutsche Standardsprache des 19./20. Jahrhunderts, von Hans Eggers
71. Deutsche Standardsprache der Gegenwart, von Hans Glinz
72. Tendenzen der deutschen Gegenwartssprache, von Günther Drosdowski / Helmut Henne
IX. Kontrastive Aspekte
73. Kontrastive Linguistik, von Gerhard Nickel
74. Sprachtypologie, von Wolfgang Dressler
75. Sprachkontakt/Mehrsprachigkeit, von Michael G. Clyne
76. Interferenzlinguistik, von János Juhász
77. Klassische Sprachen und deutsche Gesamtsprache, von Hans-Friedrich Rosenfeld
78. Germanische Sprachen und deutsche Gesamtsprache, von Horst H. Munske
79. Romanische Sprachen und deutsche Gesamtsprache, von Helmut Lüdtke
80. Slawische Sprachen und deutsche Gesamtsprache, von Günter Bellmann
X. Literarische Aspekte
81. Linguistische Poetik, von Roland Posner
82. Literatursprache, von Günter Saße
83. Deutsche Literatursprache des Mittelalters, von Harald Burger
84. Deutsche Literatursprache der frühen Neuzeit, von Georg Objartel
85. Deutsche Literatursprache des Barock, von Herbert Blume
86. Deutsche Literatursprache von der Aufklärung bis zum Sturm und Drang, von Wilhelm Große
87. Deutsche Literatursprache von der Klassik bis zum Biedermeier, von Wolfgang Frühwald
88. Deutsche Literatursprache vom Jungen Deutschland bis zum Naturalismus, von Erwin Leibfried
89. Deutsche Literatursprache der Moderne, von Karl Eibl
90. Deutsche Literatursprache der Gegenwart, von Helmut Heißenbüttel
91. Literarische Sprachspiele, von Ludwig Harig
XI. Anwendungsbereiche
92. Angewandte Linguistik, von Wolfgang Kühlwein
93. Grammatikographie, von Dieter Cherubim
94. Lexikographie, von Helmut Henne
95. Orthographie/Orthophonie, von Hans Peter Althaus
96. Sprachstatistik, von Pantelis Nikitopoulos
97. Sprachmittlung: Übersetzen und Dolmetschen, von Karl-Richard Bausch
98. Maschinelle Sprachübersetzung, von Wolfram Wilss
99. Computerlinguistik, von Peter Eisenberg
100. Sprachtherapie, von Elimar Schönhärl
101. Didaktik des Muttersprachunterrichts, von Gisela Wilkending
102. Fremdsprachendidaktik, von Uta Gosewitz / Hans-Jürgen Krumm
103. Didaktik der Linguistik, von Horst Sitta
Register

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Lexikon der Germanistischen Linguistik

Lexikon der Germanistischen Linguistik Herausgegeben von Hans Peter Althaus, Helmut Henne, Herbert Ernst Wiegand

2., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage

Max Niemeyer Verlag Tübingen

1. Auflage 1973 ISBN 3-484-10186-5 ISBN 3-484-10187-3 ISBN 3-484-10188-1 ISBN 3-484-1089-X ISBN 3-484-10267-5

Gesamtausgabe, Leinen Studienausgabe, Bd. 1 Studienausgabe, Bd. 2 Studienausgabe, Bd. 3 Studienausgabe, Bde. 1-3

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Lexikon der germanistischen Linguistik / hrsg. von Hans Peter Althaus . . . - 2., vollst, neu bearb. u. erw. Aufl. - Tübingen : Niemeyer, 1980. ISBN 3-484-10393-0 N E : Althaus, Hans Peter [Hrsg.]

ISBN 3-484-10393-0 3-484-10389-2 3-484-10390-6 3-484-10391-4 3-484-10392-2 3-484-10396-5

(Gesamtausgabe, (Studienausgabe, (Studienausgabe, (Studienausgabe, (Studienausgabe, (Studienausgabe,

Leinen) Bd. 1) Bd. 2) Bd. 3) Bd. 4) Bde. 1—4)

© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1980 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany. Satz und Druck: Allgäuer Zeitungsverlag G m b H , Kempten/Allgäu · Einband: Heinr. Koch, Tübingen

VORWORT

Das L G L hat seit seinem ersten Erscheinen im Jahre 1973 eine breite Resonanz erfahren. Bei der nun notwendig gewordenen zweiten Auflage ist die Konzeption, Handbuch und Lexikon zu verbinden, beibehalten worden. Jedoch ist der systematische Aufbau durch die Erweiterung um zwei Kapitel und insgesamt 30 neu aufgenommene Artikel verbessert. Bei dieser Erweiterung und Ergänzung sind die in den zahlreichen Rezensionen formulierten Vorschläge dankbar berücksichtigt. Die aus der ersten Auflage übernommenen Artikel sind überprüft und - soweit notwendig - überarbeitet oder neu gefaßt. Die Neufassung des L G L soll einen Überblick über die Sprachgermanistik zu Beginn der achtziger Jahre geben. Die Bezüge zu Philologie und Literaturwissenschaft sind dabei ebenso gesucht wie zu den Nachbarwissenschaften und Anwendungsgebieten. Die Darstellung richtet sich nicht nur an die Fachkollegen, sondern auch und in erster Linie an Studierende und Lehrer. D e m Versuch, wissenschaftliche Ergebnisse im Zusammenhang zu vermitteln, sollen die vergleichbare Anlage der Artikel, die Querverweise und das Register dienen, das die sachliche Gliederung alphabetisch erschließt. A m Ende einer Arbeit, die sich als schwieriger und umfangreicher erwiesen hat als zunächst vorauszusehen war, stehen der Dank an Autoren und Verlag und die Hoffnung, daß die zweite Auflage ebenso freundlich aufgenommen werden möge wie die erste. Im Januar 1980 Η . P. Althaus, T r i e r · H . Henne, Braunschweig· Η . E . Wiegand, Heidelberg

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort Abkürzungen Siglen

V XI XIII

I. Allgemeine Bestimmung und Erforschung von Sprache 1. Sprachphilosophie, von Kuno Lorenz 2. Aspekte einer Theorie der Sozialkommunikation, von Thomas Luckmann . 3. Semiotik, von Achim Eschbach . . . 4. Sprachtheorie, von Renate Bartsch / Theo Vennemann

1 28 41 57

5. Theorie der Spracherforschung, von Wolf Paprotte / Karl-Dieter Bünting . 6. Theorie der Sprachbeschreibung, von Werner Kummer 7. Geschichte der Linguistik, von Hans Arens

82 91 97

II. Sprachstrukturen 8. Strukturelle Linguistik, von Joachim Ballweg 9. Phonetik, von Georg Heike / Eike Thürmann 10. Phonemik, von Werner H . Veith . . . 11. Graphetik, von Hans Peter Althaus . . 12. Graphemik, von Hans Peter Althaus . 13. Sprachzeichenkonstitution, von Helmut Henne / Helmut Rehbock . . .

109 120 129 138 142 151

14. 15. 16. 17. 18.

Morphemik, von Heinrich Weber . . . Wortbildung, von Peter v. Polenz . . Idiomatik, von Dorothea Heller . . . Onomastik, von Friedhelm Debus . . Lexikalische Semantik, von Herbert Ernst Wiegand / Werner Wolski . . . 19. Syntax, von Franz Hundsnurscher . . 20. Textlinguistik, von Werner Kallmeyer / Reinhard Meyer-Hermann

159 169 180 187 199 211 242

III. Kommunikatives Handeln 21. Theorie des sprachlichen Handelns, von Volker Heeschen 22. Theorie der nonverbalen Kommunikation, von H . Helfrich / H . G. Wallbott 23. Texttheorie, von Inger Rosengren . . 24. Sprechakttheorie, von Günther Grewendorf 25. Rhetorik, von Helmut Rehbock . . . 26. Linguistische Stilistik, von Ulrich Püschel

259 267 275 287 293 304

27. Gesprochene Sprache und Gesprächsanalyse, von Gerd Schänk / Johannes Schwitalla 28. Geschriebene Sprache, von Otto Ludwig 29. Sprache in Massenmedien, von Erich Straßner 30. Sprache in Institutionen, von Konrad Ehlich / Jochen Rehbein

313 323 328 338.

VIII

Inhaltsverzeichnis

IV. Soziale Aspekte 31. 32. 33. 34.

Soziolinguistik, von Hugo Steger . . . Soziolekt, von Karl-Heinz Bausch . . Sprachnorm, von Klaus Gloy Sprachbarrieren, von Bernhard Badura / Peter Gross

347 358 363 368

35. 36. 37. 38.

Standardsprache, von Siegfried Jäger . Umgangssprache, von U l f Bichel . . . Sondersprachen, von Dieter Möhn . . Fachsprachen, von Walther von Hahn

375 379 384 390

V. Individuelle Aspekte 39. Sprachbiologie, von Renate BielefeldKuschinski 40. Neurolinguistik, von Anton Leischner 41. Psycholinguistik, von Hans-Martin Gauger

397 406 421

42. Idiolekt, von Göran Hammarström 43. Spracherwerb, von Eis Oksaar . . . . 44. Sprachabbau, von Alexander Fellmann

428 433 440

VI. Areale Aspekte 45. Areallinguistik, von Jan Goossens 46. Dialekt, von Heinrich Löffler 47. Westniederdeutsch, von Hermann Niebaum 48. Ostniederdeutsch, von Dieter Stellmacher 49. Westmitteldeutsch, von Hartmut Beckers

445 453 458 464 468

50. Ostmitteldeutsch, von Wolfgang Putschke 51. Nordoberdeutsch, von Erich Straßner 52. Westoberdeutsch, von Wolfgang Kleiber 53. Ostoberdeutsch, von Rudolf Freudenberg 54. Deutsche Sprachinseln, von Peter Wiesinger

474 479 482 486 491

VII. Ethnische und politische Aspekte 55. Ethnolinguistik, von Johann Knobloch 56. Sprachlenkung/Sprachkritik, von Walther Dieckmann 57. Nationalsprache, von Oskar Reichmann 58. Deutsche Sprache in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen

501 508 515

Demokratischen Republik, von Manfred W . Hellmann 59. Deutsche Sprache in Österreich und in der Schweiz, von Wolfgang Mentrup / Peter Kühn 60. Deutsche Sprache außerhalb des geschlossenen deutschen Sprachgebiets, von Heinz Kloss

519

527

537

VIII. Historische Aspekte 61. Historiolinguistik, von Winfried P. Lehmann 62. Sprachstadium, von Georg Objartel 63. Deutsche Sprache und germanische Sprachen, von Roland Ris / Elmar Seebold

547 557

564

64. Althochdeutsch, von Stefan Sonderegger 65. Altniederdeutsch, von Gerhard Cordes 66. Mittelhochdeutsch, von Kaj B . Lindgren

569 576 580

Inhaltsverzeichnis 67. Mittelniederdeutsch, von John Evert Härd 68. Frührteuhochdeutsch, von Werner Besch 69. Deutsche Standardsprache des 17./18. Jahrhunderts, von lipo Tapani Piirainen

584 588 598

70. Deutsche Standardsprache des 19./20. Jahrhunderts, von Hans Eggers . . . . 71. Deutsche Standardsprache der Gegenwart, von Hans Glinz 72. Tendenzen der deutschen Gegenwartssprache, von Günther Drosdowski / Helmut Henne

IX

603 609

619

IX. Kontrastive Aspekte 73. Kontrastive Linguistik, von Gerhard Nickel 74. Sprachtypologie, von Wolfgang Dressler 75. Sprachkontakt/Mehrsprachigkeit, von Michael G . Clyne 76. Interferenzlinguistik, von JänosJuhäsz 77. Klassische Sprachen und deutsche G e -

633 636 641 646

samtsprache, von Hans-Friedrich Rosenfeld 78. Germanische Sprachen und deutsche Gesamtsprache, von Horst H . Munske 79. Romanische Sprachen und deutsche Gesamtsprache, von Helmut Lüdtke . 80. Slawische Sprachen und deutsche G e samtsprache, von Günter Bellmann . .

653 661 672 680

X. Literarische Aspekte 81. Linguistische Poetik, von Roland Posner 82. Literatursprache, von Günter Säße . . 83. Deutsche Literatursprache des Mittelalters, von Harald Burger 84. Deutsche Literatursprache der frühen Neuzeit, von Georg Objartel 85. Deutsche Literatursprache des Barock, von Herbert Blume 86. Deutsche Literatursprache von der Aufklärung bis zum Sturm und Drang, von Wilhelm Große

687 698 707 712 719

725

87. Deutsche Literatursprache von der Klassik bis zum Biedermeier, von Wolfgang Frühwald 88. Deutsche Literatursprache vom Jungen Deutschland bis zum Naturalismus, von Erwin Leibfried 89. Deutsche Literatursprache der Moderne, von Karl Eibl 90. Deutsche Literatursprache der Gegenwart, von Helmut Heißenbüttel . . . 91. Literarische Sprachspiele, von Ludwig Harig

732

740 746 752 756

XI. Anwendungsbereiche 92. Angewandte Linguistik, von Wolfgang Kühlwein 93. Grammatikographie, von Dieter Cherubim 94. Lexikographie, von Helmut Henne . 95. Orthographie/Orthophonie, von Hans Peter Althaus 96. Sprachstatistik, von Pantelis Nikitopoulos 97. Sprachmittlung: Ubersetzen und D o l metschen, von Karl-Richard Bausch . Register

761 768 778 787 792 797

98. Maschinelle Sprachübersetzung, von Wolfram Wilss 99. Computerlinguistik, von Peter Eisenberg 100. Sprachtherapie, von Elimar Schönhärl 101. Didaktik des Muttersprachunterrichts, von Gisela Wilkending 102. Fremdsprachendidaktik, von Uta Gosewitz / Hans-Jürgen Krumm . . 103. Didaktik der Linguistik, von Horst Sitta

802 808 815 821 830 836 843

ABKÜRZUNGEN Allgemein übliche oder im Text erklärte A b k ü r z u n g e n sind nicht aufgeführt.

A Abi. abl. abs. Adj. AE ae. afrz. agerm. ags. ahd. Akk. aksl. alem. an. and. anl. aprov. App. AR An. as. ausl. Aux BE BN D , Dat. Dekl. Dem. dt. e. EK eis. EN Et. f. fahd. F1N fmhd. FN fnhd. frk. fmhd. frz. Fs. G, Gen. germ. GewN gr· GTG

Akkusativ Ableitung ablativus absolutus Adjektiv Amerikanisches Englisch altenglisch altfranzösisch altgermanisch angelsächsisch althochdeutsch Akkusativ altkirchenslawisch alemannisch altnordisch altniederdeutsch altniederländisch altprovenzalisch Appellativum Abhängigkeitsrelation Artikel altsächsisch auslautend Auxiliarkomplex Britisches Englisch Beiname Dativ Deklination Demonstrativum deutsch englisch Endkategorie elsässisch Eigenname Etymologie Femininum frühalthochdeutsch Flurname frühmittelhochdeutsch Familienname frühneuhochdeutsch fränkisch frühneuhochdeutsch französisch Festschrift Genetiv germanisch Gewässername griechisch generative Transformationsgrammatik

hd. holst. hom. idg. ie. Ind. inl. Int. isl. it., ital. Jh. Κ Konj. Konjug. Konv. Kt. lat. LE LS lux. LV m. MA Ma., Maa. mal. Mask. md. Mda. mdal. me. meckbg. mfränk. mfrz. mhd. mlat. mmk. mnd. mnl. Mot. mp. mslfrk. m.-vp. Ν η. nass. nd. ndl. ne. Neutr.

hochdeutsch holsteinisch Homer indogermanisch indoeuropäisch Indikativ inlautend Interferenz isländisch italienisch Jahrhundert Karte Konjunktiv Konjugation Konversion Karte Latein, lateinisch lexikalische Einheit lexikalische Semantik luxemburgisch Lautverschiebung Maskulinum Mittelalter M u n d a r t , Mundarten mittelalterlich, mundartlich Maskulinum mitteldeutsch Mundart mundartlich mittelenglisch mecklenburgisch mittelfränkisch mittelfranzösisch mittelhochdeutsch mittellateinisch mittelmärkisch mittelniederdeutsch mittelniederländisch Motiviertheit mittelpommersch moselfränkisch mecklenburgisch-vorpommersch N a m e , N o m e n , Nominativ, Norden Neutrum nassauisch niederdeutsch Niederländisch Neuenglisch Neutrum

XII

Abkürzungen

nfränk., nfrk. niederfränkisch nfrz. neufranzösisch nhd. neuhochdeutsch niederländisch nl. nmk. nordmärkisch neuniederdeutsch nnd. nordoberdeutsch nobd. Nominativ Nom. norw. norwegisch NP Nominalphrase npr. niederpreußisch nsächs. niedersächsisch Numerus Num. Objekt, Osten Ο obd. oberdeutsch ofrk. ostfränkisch ostmitteldeutsch omd. Ortsname ON ond. ostniederdeutsch ostoberdeutsch oobd. onomasiologisches Paradigma OP op. ostpommersch OV-Sprachen Objekt-Verb-Sprachen Partizip Pan. Pers. Person PIE Proto-Indoeuropäisch Plural PL Personenname PN port. portugiesisch Proprium Pr. Präfix Präf. Präs. Präsens Prät. Präteritum Pronomen Pro. Person Ps. Satzqualifikator Q rheinfränkisch rhfrk. RN Rufname

rom. S Sgskt. SM smk. SN sofrk. SP srhfrk. sth. stl. strukt. SVOSprachen SZ TG tk. TN tosk. u. Ugspr. umgel. ÜN V VN VO-Sprachen VP Vp. vp.

w

WB westf. wg. wmd. wien. wobd. Zus.

romanisch Satz, Subjekt, Süden Singular sanskrit semantisches Merkmal südmärkisch Siedlungsname südostf ränkisch semasiologisches Paradigma südrheinfränkisch stimmhaft stimmlos strukturell Subjekt-Verb-Objekt-Sprachen Sprachzeichen Transformationsgrammatik türkisch Tiername toskanisch unten Umgangssprache umgelautet Ubername Verb Vorname Verb-Objekt-Sprachen Verbalphrase Versuchsperson vorpommersch Westen Wortbildung westfälisch westgermanisch westmitteldeutsch wienerisch westoberdeutsch Zusammensetzung

SIGLEN

AA AAAS AASF AB, ABG AGPsych AJS AK Akzente AL ALA ALASH ALH Alternative AMH ANF AnL ANP ANPB AP APNK APQ Argument ASR AUC b : e, BE BF BfD BJP BJSP BL BLI BNF Brain BSAP CACM CLex CLTA Code Cognition Communications Cortex CTL

American Anthropologist. Journal of the American Anthropological Association. Washington, Philadelphia American Association for the Advancement of Science. Dallas Suomalaisen Tiedeakatemian Toimituksia. Annales Academiae Scientiarum Fennicae. Series B. Helsinki Archiv für Begriffsgeschichte. Bausteine zu einem historischen Wörterbuch der Philosophie. Bonn Archiv für die gesamte Psychologie = Archiv für Psychologie. Frankfurt/M. The American Journal of Sociology. Chicago Archiv für Kulturgeschichte. Köln, Wien Akzente. Zeitschrift für Dichtung. München Archivum Linguisticum. Α Review of Comparative Philology and General Linguistics. Glasgow Atlas linguistique et ethnographique de l'Alsace. Paris Acta Linguistica Academiae Scientiarum Hungaricae. Budapest Acta Linguistica Hafniensia. International Journal of Structural Linguistics. Revue internationale de linguistique structurale. Kopenhagen Alternative. Zeitschrift für Literatur und Diskussion. Berlin Acta medica Hokkajado. Sapporo Arkiv för nordisk filologi. Lund Anthropological Linguistics. Bloomington/Ind. Archives of Neurology and Psychiatry. Chicago Acta Neurologica et Psychiatrica Belgica. Brüssel Archiv für Philosophie. Stuttgart Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Seit 1948 vereinigt mit der Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie. Berlin American Philosophical Quarterly. Pittsburgh Das Argument. Zeitschrift für die Philosophie und Sozialwissenschaften. Berlin American Sociological Review. Washington (A) Acta Universitatis Carolinae. Praha Betrifft Erziehung. Das aktuelle pädagogische Magazin. Weinheim, Berlin, Basel Biuletyn Fonograficzny. Bulletin phonographique. Poznan Blätter für den Deutschlehrer. Frankfurt/M. British Journal of Psychiatry. Ashford/Kent British Journal of Social and Clinical Psychology. Cambridge Brain and Language. New York Beiträge zur Linguistik und Informationsverarbeitung. München, Wien Beiträge zur Namenforschung. Heidelberg Brain. Journal of Neurology. London Bulletin de la Societe d'Anthropologie de Paris. Paris Communications of the Association for the Computing Machinery. Philadelphia Cahiers de lexicologie. Revue internationale de lexicologie generale et appliquee. Paris Cahiers de linguistique theorique et appliquee. Bucarest Kodikas/Code. An International Journal of Semiotics. Tübingen Cognition. An International Journal of Cognitive Psychology. The Hague, New York Communications. £cole Pratique des Hautes fitudes. Centre d'fitudes des Communications de Masse. Paris Cortex. Journal devoted to the study of nervous system and behaviour. Varese/ Italy Current Trends in Linguistics. The Hague

XIV

Siglen

DaF DD DDG DDr DMW DS ds DSA dst DST Dtl DU DVLG DWA DZNH EC ELA EPhy ERev Erkenntnis ETL Euphorion FL FMLS FoL FoPh Forum FZPT Germ L GHMC GL Glossa Glotta GQ GRM GW HBV Hesperts HL HSCP HSS IASL IC Idiomatica IESS IF IJAL IJb IJSL Inquiry

Deutsch als Fremdsprache. Zeitschrift zur Theorie und Praxis des Deutschunterrichts für Ausländer. Dresden Diskussion Deutsch. Zeitschrift für Deutschlehrer aller Schulformen in Ausbildung und Praxis. Frankfurt/M. Deutsche Dialektgeographie. Marburg Deutscher Drucker. Stuttgart Deutsche Medizinische Wochenschrift. Stuttgart Danske Studier. Kebenhavn deutsche spräche. Zeitschrift für Theorie, Analyse und Dokumentation. Berlin Deutscher Sprachatlas. Marburg 1927-1956 deutsche Studien. Vierteljahreshefte. Lüneburg Deutsche Studien. Meisenheim a. Glan Deutsch lernen. Zeitschrift für den Sprachunterricht mit ausländischen Arbeitnehmern. Mainz Der Deutschunterricht. Beiträge zu seiner Praxis und wissenschaftlichen Grundlegung. Stuttgart Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. Stuttgart Deutscher Wortatlas. Gießen Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. Organ der deutschen Gesellschaft für Neurologie und der deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie. Leipzig Cours de linguistique generale. Edition critique. 1968 ff. Etudes de linguistique appliquee. Paris Ergebnisse der Physiologie. München Educational Review. Birmingham Erkenntnis. Annalen der Philosophie und der philosophischen Kritik. Leipzig Eunomia. Ephemeridis Listy Filologicke supplemantum. Praha Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte. Heidelberg Foundations of Language. International Journal of Language and philosophy. Dordrecht Forum for Modern Language Studies. St. Andrews Folia Linguistica. Acta Societatis Linguisticae Europeae. The Hague Folia Phoniatrica. Journal International de Phoniatrie. Basel, New York Forum. Organ des Zentralrats der FDJ. Berlin Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie. Freiburg/Schweiz Germanistische Linguistik. Berichte aus dem Forschungsinstitut für deutsche Sprache, Deutscher Sprachatlas. Marburg/Lahn, Hildesheim Gazette Hebdomadaire de Medecine et de Chirurgie. Paris General Linguistics. University Park/Pa. Glossa. Α Journal of Linguistics. Burnaby/B.C. Glotta. Zeitschrift für Griechische und Lateinische Sprache. Göttingen German Quarterly. Appleton/Wisc. Germanisch-Romanische Monatsschrift. Neue Folge. Heidelberg Germanica Wratislaviensia. Wroclaw Hessische Blätter für Volkskunde. Gießen Hesperis. Archives berberes et bulletin de l'institut des hautes etudes marocaines. Paris Historiographia Linguistica. International Journal for the History of Linguistics. Amsterdam Harvard Studies in Classical Philology. Cambridge/Mass. Historischer Südwestdeutscher Sprachatlas. Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Tübingen Information and Control. New York (u.s.w.) Idiomatica. Veröffentlichungen der Tübinger Arbeitsstelle „Sprache in Südwestdeutschland". Tübingen International Encyclopedia of the Social Sciences. New York Indogermanische Forschungen. Zeitschrift für Indogermanistik und allgemeine Sprachwissenschaft. Berlin International Journal of American Linguistics. Baltimore Indogermanisches Jahrbuch. Berlin International Journal of the Sociology of Language. An International Review. The Hague Inquiry. An Interdisciplinary Journal of Philosophy and the Social Sciences. Oslo

Siglen IPKF

XV

Forschungsbericht des Instituts f ü r Phonetik und Kommunikationsforschung der Universität Bonn. Bonn IPM Information, Processing and Management. O x f o r d , N e w Y o r k , Paris, Frankfurt IRAL International Review of Applied Linguistics and Language Teaching. Revue internationale de linguistique appliquee: Enseignement des langues. Internationale Zeitschrift f ü r angewandte Linguistik in der Spracherziehung. Heidelberg ISB Interlanguage Studies Bulletin. Utrecht ISR Information, Storage, Retrieval. A n International Journal. O x f o r d ISSJ International Social Science Journal. Paris ITL I T L . Tijschrift van het Instituut voor Toegepaste Linguistiek. Leuven IZAS Internationale Zeitschrift f ü r Allgemeine Sprachwissenschaft. Leipzig JACM Journal of the Association f o r Computing Machinery. N e w Y o r k JAPA Journal of the American Psychoanalytic Association. N e w Y o r k JASA Journal of the Acoustical Society of America. JASA Journal of the American Statistical Association. Washington, D . C . JASI Journal of the American Society for Information Science. N e w Y o r k JCL Journal of Child Language. Cambridge JDS Jahrbuch der deutschen Sprache. Leipzig JEGP The Journal of English and Germanic Philology. Urbana/Ill. JEP Journal of Educational Psychology. Baltimore J exp Psychol Journal of experimental psychology. Washington JfH Journal f ü r Hirnforschung. Internationales Journal f ü r Neurologie; Organ des Instituts für Hirnforschung und allgemeine Biologie. Neustadt/Schwarzwald. Berlin JFL Jahrbuch f ü r fränkische Landesforschung. Kallmünz/Obf. JlG Jahrbuch für internationale Germanistik. Bad H o m b u r g (usw.) JIPA Journal of the International Phonetic Association. London JL Journal of Linguistics. The Journal of the Linguistic Association of Great Britain. London, New York JN Journal of Neurophysiology. Springfield JNNP Journal of N e u r o l o g y , Neurosurgery and Psychiatry. London JP The Journal of Philosophy. N e w Y o r k JPL The Journal of Philosophical Logic. Toronto. Dordrecht JPr Journal of Pragmatics. A n Interdisciplinary Quarterly of Language Studies. Amsterdam JSALS Journal of the South African Logopedic Society. Johannesburg JSHR Journal of Speech and Hearing Research. Washington, D . C . JSI Journal of Social Issues. Boston/Mass. J SPS Journal of Social Psychology. JVLVB Journal of Verbal Learning and Verbal Behaviour. N e w Y o r k Kantstudien Kantstudien. Philosophische Zeitschrift der Kantgesellschaft. Berlin KBGL Kopenhagener Beiträge zur Germanistischen Linguistik. Kopenhagen Kratylos Kratylos. Kritisches Berichts- und Rezensionsorgan für indogermanische und allgemeine Sprachwissenschaft. Wiesbaden Kursbuch Kursbuch. Frankfurt/M. KZSS Kölner Zeitschrift f ü r Soziologie und Sozialpsychologie. Köln-Opladen LAB Linguistische Arbeitsberichte. Leipzig LABB Linguistische Arbeiten und Berichte. Berlin Langages Langages. Revue trimestrielle. Paris Language Language. Journal of the Linguistic Society of America. Baltimore LB Linguistische Berichte. Forschung, Information, Diskussion. Braunschweig LBij Leuvense Bijdragen. Tijdschrift voor Germaanse Filologie. Leuven Lexis Lexis. Revista de linguistica y literatura. Pontificia Universidad Catolica del Peru. Departemente de Humanidades. LFon Logopedie en Foniatrie. Groningen LgS Language Sciences. Bloomington/Ind. LI Linguistic Inquiry. Cambridge/Mass. LiLi Zeitschrift f ü r Literaturwissenschaft und Linguistik. Göttingen Lingua Lingua. International Review of General Linguistics. Revue internationale de linguistique generale. Amsterdam Linguistics Linguistics. A n International Review. The Hague

XVI

Siglen

Linguistique LiS LL LS LSpr LuD MDGV Meta Mind ML MLQ MLR MSpr Mu, Muttersprache ND NdJ NdK NdM NdW Nervenarzt Neurology Neuropsychologia NGM NHP NI NLH NM NMWP NS Nusa OBST OL Onoma Orbis PädF PAS PB PBB(H) PBB(T) PBML PD PF Phonetica PL PNJ Poetica Poetics PPh PR Praxis PRev

La Linguistique. Revue Internationale de linguistique generale. Paris Language in Society. Cambridge, London, New York Language Learning. A Journal of Applied Linguistics. Ann Arbor/Mich. Language and Speech. Teddington/Middlesex Lebende Sprachen. Zeitschrift für fremde Sprachen in Wissenschaft und Praxis. Berlin Linguistik und Didaktik. München Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes. Frankfurt/M. Meta. Journal des traducteurs. Translator's Journal. Montreal Mind. A Quarterly Review of Psychology and Philosophy. Oxford Modern Languages. Journal of the Modern Language Association. London Modern Language Quarterly. Seattle/Washington Modern Language Review. Cambridge Moderna Spräk. Stockholm Muttersprache. Zeitschrift zur Pflege und Erforschung der deutschen Sprache. Mannheim, Zürich Nachrichten für Dokumentation. Frankfurt/M. Niederdeutsches Jahrbuch. Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. Neumünster Korrespondenzblatt des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. Neumünster Niederdeutsche Mitteilungen. Lund Niederdeutsches Wort. Kleine Beiträge zur niederdeutschen Mundart und Namenkunde. Münster Der Nervenarzt. Heidelberg, Berlin Neurology. Minneapolis Neuropsychologia. An International Journal. Oxford National Geographie Magazine. Washington Neue Hefte für Philosophie. Göttingen Namenkundliche Informationen. Leipzig New Literary History. Α Journal of Theory and Interpretation. Charlottesville/Virginia Neuphilologische Mitteilungen. Bulletin de la Societe Neophilologique de Helsinki. Helsinki Neusprachliche Mitteilungen aus Wissenschaft und Praxis. Berlin Die neueren Sprachen. Zeitschrift für Forschung, Unterricht und Kontaktstudium auf dem Fachgebiet der modernen Fremdsprache. Frankfurt/M. Nusa. Linguistic Studies in Indonesian and Languages in Indonesia. Jakarta Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie. Universität Osnabrück Orbis Litterarum. International Review of Literary Studies. Copenhagen Onoma. Bulletin d'information et de bibliographie des sciences onomastiques. Louvain Orbis. Bulletin international de documentation linguistique. Louvain Pädagogische Forschungen. Heidelberg Proceedings of the Aristotelian Society. London Physikalische Blatter. Weinheim Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur. Halle/S. Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur. Tübingen The Prague Bulletin of Mathematical Linguistics. Praha Praxis Deutsch. Zeitschrift für den Deutschunterricht. Velber/Hannover Prace Filologiczne. Warszawa Phonetica. Internationale Zeitschrift für Phonetik. International Journal of Phonetics. Basel, New York Papers in Linguistics. Edmonton, Champaign/Ill. Psychiatria et Neurologia Japonica. Tokyo Poetica. Zeitschrift für Sprach- und Literaturwissenschaft. München Poetics. International Review for the Theory of Literature. The Hague Perception and Psychophysics. Austin Philosophische Rundschau. Tübingen Praxis des neusprachlichen Unterrichts. Berichte aus Universität und Schule. Dortmund The Philosophical Review. Ithaca, N.Y.

Siglen Proc Nat AcadSci PSML PsychBul Psychiatry PsychRev PTL QJEP Reformatio RGG Rio RM RN RV RZLG SANP Science ScS SDv Semiotica SG SGG, SGGand SiL Skandinavistik SL SN SNe Sprachdienst Speculum Sprache Sprachforum Sprachkunst Sprachpflege Sprachwissenschaft StL STZ SuS SW SWJA TCLC TCLP TESOL Theoria TL TLL TLP TPS TPV TSSLW TT

XVII

Proceedings of the Academy of Sciences of the United States of America. Washington Prague Studies in Mathematical Linguistics. Prague, München Psychological Bulletin. Washington Psychiatry. Journal for the study of interpersonal progress. Washington Psychological Review. Lancaster/Pa. A Journal for Descriptive Poetics and T h e o r y of Literature. Amsterdam Quarterly Journal of Experimental Psychology. Cambridge Reformatio. Evangelische Zeitschrift für Kultur und Politik. Bern D i e Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. Tübingen Revue Internationale d'Onomastique. Paris Revue de Medecine. Paris Revue Neurologique. Paris Rheinische Vierteljahresblätter. Mitteilungen des Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande an der Universität B o n n . B o n n Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte = Cahiers d'histoire des litteratures romanes. Heidelberg Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie. Zürich Science. American Association for the Advancement of Science. Washington Scandinavian Studies. Publication of the Society for the Advancement of Scandinavian Study. Menasha Sprache und Datenverarbeitung. Tübingen Semiotica. Association Internationale de Semiotique. T h e Hague Studium Generale. Berlin (usw.) Studia Germanica Gandensia. G e n t Studies in Linguistics. Dallas/Tex. Skandinavistik. Zeitschrift für Sprache, Literatur und Kultur der nordischen Länder, Glückstadt Studia Linguistica. Revue de Linguistique Generale et Comparee. Lund Studia Neophilologica. Α Journal of Germanic and Romanic Philology. Uppsala Sociolinguistics Newsletter. Missoula, M o n t . Sprachdienst. Hrsg. von der Gesellschaft für deutsche Sprache. Wiesbaden Speculum. Α Journal of Mediaeval Studies. Cambridge/Mass. Die Sprache. Zeitschrift für Sprachwissenschaft. Wien Sprachforum. Zeitschrift für angewandte Sprachwissenschaft. B o n n Sprachkunst. Beiträge zur Literaturwissenschaft. Wien Sprachpflege. Zeitschrift für gutes Deutsch. Leipzig Sprachwissenschaft. Heidelberg Studium Linguistik. Kronberg/Ts. Sprache im technischen Zeitalter. Stuttgart Sprache und Sprechen. Beiträge zur Sprechwissenschaft und Sprecherziehung. Ratingen, Kastellaun, Düsseldorf Soziale Welt. Zeitschrift für Wissenschaft und Praxis des sozialen Lebens. Göttingen Southwestern Journal of Anthropology. Albuquerque, N . M . Travaux du Cercle Linguistique de Copenhague. Copenhague Travaux du Cercle Linguistique de Prague. Prague Teachers of English to Speakers of O t h e r Languages Quarterly. Washington Theoria. Swedish Journal of Philosophy and Psychology. Lund Theoretical Linguistics. Berlin, N e w Y o r k Travaux de Linguistique et de Litterature. Paris Travaux Linguistiques de Prague. Prague Transactions of the Philological Society. O x f o r d Theologie und Philosophie. Vierteljahresschrift. Freiburg Travaux de la Societe des Sciences et des Lettres de Wroclaw. Wroctaw Taal en Tongval. Driemaandelijkse tijdschrift voor de Studie van de Nederlandse volks-en streektalen. Bosvoorde

XVIII

Siglen

VR WB WfB Word WPB WR WS1 WuW WW WZUG WZUJ WZUL WZUR ZD ZDA ZDB ZDL ZDM ZDP ZDPh ZDS ZDW ZfD ZfP ZfS ZFSL ZGL ZGNP ZHG ZMF ZPF ZP ZPPK ZPSK ZRP, ZRPh ZS ZSP ZVS

Vox Romanica. Annales Helvetici Explorandis Linguis Romanicis Destinati. Bern Weimarer Beiträge. Weimar Wolfenbütteler Beiträge. Frankfurt/M. Word. Journal of the Linguistic Circle of New York. New York Working Papers in Bilingualism. Die Wissenschaftliche Redaktion. Mannheim Die Welt der Slaven. Halbjahresschrift für Slawistik. Wiesbaden Wort und Wahrheit. Freiburg/Brsg. Wirkendes Wort. Deutsche Sprache in Forschung und Lehre. Düsseldorf Wissenschaftliche Zeitschrift der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe. Greifswald Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität. Jena Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität. Leipzig Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe. Rostock Zielsprache Deutsch. Zeitschrift für Unterrichtsmethodik und angewandte Sprachwissenschaft. München Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur. Wiesbaden Zeitschrift für deutsche Bildung. Frankfurt/M. Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Wiesbaden Zeitschrift für deutsche Mundarten. Berlin Zeitschrift für deutsche Philologie. Berlin Zeitschrift für deutsche Philologie. Berlin Zeitschrift für deutsche Sprache. Berlin Zeitschrift für deutsche Wortforschung. Berlin Zeitschrift für Deutschkunde. Leipzig Zeitschrift für Psychologie. Leipzig Zeitschrift für Soziologie. Stuttgart Zeitschrift für französische Sprache und Literatur. Wiesbaden Zeitschrift für Germanistische Linguistik. Berlin Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie. Berlin Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde. Kassel Zeitschrift für Mundartforschung. Wiesbaden Zeitschrift für philosophische Forschung. Meisenheim am Glan Zeitschrift für Pädagogik. Weinheim Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik. Halle Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung. Berlin Zeitschrift für romanische Philologie. Tübingen Zeitschrift für Slawistik. Berlin Zeitschrift für slavische Philologie. Heidelberg Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung auf dem Gebiet der Indogermanischen Sprachen. Göttingen

I A L L G E M E I N E B E S T I M M U N G UND ERFORSCHUNG VON SPRACHE

1. Sprachphilosophie 1. E i n f ü h r u n g 2.

E b e n e n der S p r a c h b e t r a c h t u n g . Z e i c h e n s o r t e n

3 . W e l t und S p r a c h e . B e d e u t u n g und G e b r a u c h der S p r a c h z e i c h e n 4. D i e R o l l e d e r S p r a c h p h i l o s o p h i e in P h i l o s o p h i e und Linguistik 5 . B i b l i o g r a p h i e (in A u s w a h l )

1. Einführung 1.1.

Begriffsbestimmung, historisch und systematisch

D i e S. als eine eigenständige philosoph. Disziplin wie Natur- und Moralphilosophie, die auf die antike θεωρία - πρäξις-Unterscheidung zurückgehen und seit der stoischen Disziplinengliederung nach den Gebieten φϋσις und ήθος (neben λόγος, aber hier schließt sich traditionell nur die Logik sowie eine Lehre von der logischen oder rationalen Grammatik und der psychologischen oder empirischen Rhetorik, keine eigenständige S. an, wenn man von der durchaus selbständigen, auch im Mittelalter wirksam gewesenen Lehre von den Zeichen bei Aristoteles und in der Stoa einmal absieht) eine bis heute wirksame Einteilung der Philosophie darstellen, ist in ihrer besonderen, für alle vom Sprechen abhängigen Tätigkeiten - seien dies speziell wissenschaftliche oder auch andere, z . B . künstlerische — konstitutiven Rolle erst ein Resultat des 20. J h s . und zwar im Zusammenhang der Ausbildung des Werkzeugs der l o g i s c h e n A n a l y s e s p r a c h l i c h e r A u s d r ü c k e in der Analytischen Philosophie, ganz besonders bei Ludwig Wittgenstein, zumal man die historischen Vorstufen im 19. J h . , von Bolzano bis de Saussure und Wundt, gerade dort, wo es nicht um logische, sondern um z . B . poetische Analyse geht, erst langsam in ihrer allgemeinen semiotischen Bedeutung zu würdigen beginnt. Diese späte Selbständigkeit der S. ist nicht auf einen Mangel an philos. Interesse an der Sprache zurückzuführen - schon im Lehrgedicht des Parmenides, also am Beginn unserer philos. Tradition, wird bemerkt: „[den Dingen] haben die Menschen je einen Namen gegeben, bezeichnend für jedes D i n g " (Diels, Fragm. Β 19) - , eher schon ist sie Ausdruck der besonderen Schwierigkeit jeder Untersuchung, die ihren Gegenstand zugleich als Hilfsmittel einsetzen muß. Sprache kann

nicht in derselben Weise zum Gegenstand einer Disziplin werden, wie selbst Recht oder Religion es können, weil zum Reden darüber zwar juridisches bzw. religiöses Sprechen durchaus entbehrlich ist, irgendein Sprechen aber eingesetzt werden muß. So finden sich Reflexionen über Sprache sowohl beiläufig und verstreut wie in kürzeren und auch längeren zusammenhängenden Exkursen in beinahe jeder philos. Abhandlung, gleichgültig aus welcher Epoche und in welchem philos. Traditionszusammenhang, auch wenn die Abgrenzung zur Logik auf der einen Seite - nur die B e deutungen der Sprachzeichen und deren Beitrag für die Bestimmung der Wahrheit von Sätzen interessieren (heute: Semantik) - und zur Psychologie auf der anderen Seite - nur die Funktionen der Sprachzeichen für die Denkprozesse bei Sprecher und H ö r e r interessieren (heute: Pragmatik) oft undeutlich bleibt und entsprechend häufig Anlaß zu streitigen Auseinandersetzungen gibt (ζ. B . der zwischen einer rationalistischen und einer empiristischen Position ausgefochtene Streit zwischen Leibniz und Locke auf dem Hintergrund einer Einheit logisch-erkenntnistheoretischer mit sprachtheoretischen Überlegungen bei Leibniz und einer Einheit psychologisch-erkenntnistheoretischer mit sprachtheoretischen Überlegungen bei L o c k e ) , bei der die Eigenständigkeit des Phänomens Sprache jenseits logischen und psychologischen Zugriffs (von den erst neuzeitlichen physikalischen Aspekten, etwa in der Phonologie, einmal ganz abgesehen) meist nur im Bereich dessen, was die traditionelle Grammatik behandelt hat (heute: Syntax), gesehen wird. Es wäre aber voreilig, daraus zu schließen, daß erst mit dem 'linguistic turn' der Analytischen Philosophie eine über die Behandlung der Syntax hinausgehende speziell 'sprachwissenschaftliche' Methode erarbeitet worden wäre, man Sprache als einen s e m i o t i s c h e n G e g e n s t a n d , an dem logische und psychologische Eigenschaften nur Teilaspekte bilden, vorher nicht gesehen hätte (vgl. Art. 3). Speziell in der P o e t i k , den U b e r legungen im Anschluß an die gleichnamige Lehrschrift des Aristoteles und damit Vorläufer der systematischen Kunstwissenschaften, sind Sprachzeichen in ihrer Rolle als eigenständige Bausteine, und zwar zur Herstellung von (literarischen) 'Kunst'-Werken, ausgiebig behandelt worden, auch wenn in der Neuzeit zunächst meist nur die

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7. Altgemeine Bestimmung und Erforschung von Sprache

historischen Aspekte beachtet und in einer historischen Sprach- sowie einer historischen Literaturwissenschaft wissenschaftlicher Methode zugänglich gemacht wurden (vgl. zur Vorgeschichte Apel 1963). Nicht verwunderlich ist es daher, daß die die Herausbildung der Sprachwissenschaft (= Linguistik) als einer selbständigen zunächst historischen Wissenschaft (Beginn mit der Entdeckung der indogerm. Sprachverwandtschaft durch William Jones 1786; vgl. Art. 7) um die Wende vom 18. zum 19. Jh. begleitenden philos. Reflexionen über die Sprache ebenfalls erst einmal innerhalb einer Philosophie der Geschichte oder einer Philosophie des in historischen Prozessen sich verwirklichenden Geistes auftraten, Linguistik und S. daher praktisch, paradigmatisch im Werk Wilhelm v. Humboldts, eine unauflösliche Einheit gebildet haben. Allmählich erst, in dem Maße, in dem sich eine methodisch ausdrücklich am Postulat fortschreitenden e m p i r i s c h e n Gehalts orientierende Sprachwissenschaft auf diejenigen Überlegungen nicht mehr einläßt, die die Herkunft der ersichtlich ebenfalls hauptsächlich sprachlichen wissenschaftlichen Hilfsmittel betreffen, weil damit die Beschränkung auf empirischer Kontrolle unterworfene Untersuchungsgegenstände durchbrochen würde, kann S. als eine eigenständige, an der Aufdeckung der begrifflichen Grundlagen, also des r a t i o n a l e n R a h m e n s jeden Redens über Sprache arbeitende Disziplin sich ausbilden, zum letzten Mal vor der von der Analytischen Philosophie durchgesetzten sprachkritischen Neuorientierung in der enzyklopädischen „Philosophie der symbolischen Formen" von Ernst Cassirer. In traditioneller, diesen Unterschied einer positiven von einer reflexiven Fragestellung nicht anzeigenden Terminologie erforscht man in der S. das 'Wesen' der Sprache, in der Sprachwissenschaft hingegen ihre natürlichen Eigenschaften. Fast unvermeidlich ist es dann, bei empirisch gut bestätigten universellen Eigenschaften, den sogenannten 'language universals', zu fragen, ob sie vielleicht 'wesentlich', also schon begrifflich zur Sprache gehören, ohne zu bemerken, daß eben dieser Frage ein noch nicht explizierter, insbesondere die empirischen Untersuchungen leitender Sprachbegriff vorausgeht, den zu klären die angemessenere Aufgabenstellung wäre. Wird so verfahren und die von einer traditionellen Terminologie ausgelöste Irreführung vermieden, ergeben sich Überlegungen, die als P h i l o s o p h i e d e r L i n g u i s t i k oder spezieller noch als W i s s e n s c h a f t s t h e o r i e d e r L i n g u i s t i k (nämlich, wenn die Linguistik bereits in der Gestalt einer wissenschaftlichen Theorie vorliegt, die gewissen gegenwärtig akzeptierten Standards für - empirische - Theorien genügt; vgl. Art. 4 bis 6) ein Teilgebiet der S. ausmachen, das

natürlich nicht als die gesamte begründeter Rede zugängliche S. ausgegeben werden darf, will man nicht philosophische Reflexion über andere als wissenschaftliche Rede einer Begründungszusammenhänge aufzeigenden Gestalt für unfähig erklären; z.B. dem noch immer verbreiteten romantischen Dogma folgend: Uber Dichtung läßt sich angemessen nur dichterisch reden (F. Schlegel 1800). Natürlich wäre es ebenso unsinnig zu glauben, daß allein deshalb, weil jede Wissenschaft sprachlich verfaßt ist, wissenschaftliche Probleme sich auf Probleme der wissenschaftlichen Sprache zurückführen ließen, auch wenn speziell für Logik und Psychologie, der besonderen Sprachgebundenheit ihrer Gegenstände wegen, der Versuch einer linguistischen Behandlung ihrer Probleme und damit insbesondere der Versuch einer Einbettung der S. - bei J. J. Katz (1966) sogar der Philosophie im Ganzen, sofern sie als Wissenschaft von Begriffssystemen verstanden wird - in die Linguistik selbst gegenwärtig immer wieder unternommen wird. Erst wenn deutlich gemacht wird, daß in der S. die Bedingungen der Möglichkeit von Philosophie und Wissenschaft und natürlich auch der anderen sprachlich verfaßten Kulturleistungen infrage stehen, ist es nicht mehr überraschend, wenn sprachphilos. Überlegungen überall auch als Bestandteil allgemein philos. Reflexionen angetroffen werden. Und verständlich ist es dann, daß die Frage nach der Möglichkeit von Sprache als Frage nach den logisch-systematischen G r ü n d e n für das Sprechen nicht durch die Suche nach seinen sachlich-kausalen oder -finalen U r s a c h e n , die in eigenen empirischen Wissenschaften, von den biologischen Grundlagen des Sprechens - in der 'Physio-Linguistik' (die aber gegenwärtig nicht als Teil der Linguistik angesehen wird; vgl. Art. 39 u. 40) — und von seinen psychologischen und soziologischen Grundlagen - in der PsychoLinguistik (vgl. Art. 41) und in der Sozio-Linguistik (vgl. Art. 31) - erfolgt, beantwortet werden kann. 1.2.

Gegenstandsbestimmung

Ausgangspunkt jeder sprachphilos. Überlegung ist die bereits auf Piaton im Kratylos zurückgehende Beobachtung, daß jedes Sprechen durch zumindest zwei Aspekte charakterisiert werden kann, einen S a c h b e z u g , kraft dessen die Äußerungen auf Gegenstände bezogen sind, und einen P e r s o n b e z u g , kraft dessen die Äußerungen stets Sprecher-Hörer-bezogen auftreten. Statt nun gleich unter dem ersten Gesichtspunkt, der die R e p r ä s e n t a t i o n s l e i s t u n g e n des Sprechens zum Gegenstand hat, die Logik (im weitesten Sinn) beginnen zu lassen und unter dem zweiten Gesichtspunkt, der die K o m m u n i k a t i o n s -

1. Sprachphilosophie leistungen des Sprechens zum Gegenstand hat, die Psychologie (ebenfalls im weitesten, ethologische Überlegungen einschließenden Sinn), wodurch die Eigenständigkeit des Phänomens Sprache und erst recht das oben charakterisierte Interesse der S. aus dem Blick geriete, ist es angemessener, zunächst weitere begriffliche Zusammenhänge aufzusuchen, in die sich Sprechen einfügen läßt. Grundlegend ist hier die Unterordnung des Sprechens unter das Handeln, wobei Sprechhandlungen näherhin als Z e i c h e n h a n d l u n g e n bestimmt werden können, d . s . solche Handlungen, deren Ausführung ( = Aktualisierung) bei bzw. mit der Ausführung auf jeweils einen a n d e r e n Gegenstand verweisen; dabei braucht dieser andere Gegenstand, die B e d e u t u n g der Zeichenhandlung, durchaus nicht gegenwärtig vorhanden zu sein, es kann sich ζ. B . um eine zukünftige, erst noch zu aktualisierende Handlung handeln, etwa das Linksabbiegen an einer Kreuzung, wenn vor der Kreuzung als Zeichenhandlung der Fahrtrichtungsanzeiger entsprechend betätigt wurde. Aber, wie das Beispiel zeigt, sind nicht alle Zeichenhandlungen ein Sprechen, wie es üblicherweise verstanden wird; man unterscheidet daher verbale oder W o r t s p r ä c h e von nichtverbaler Sprache, zu der dann auch Mimik, Gestik und andere 'Ausdrucks'bewegungen gehören (vgl. Art. 22). Macht man sich jetzt noch klar, daß jede Handlung a u c h als Zeichenhandlung auftreten kann (in der Theorie nichtverbaler Kommunikation als 'action language' thematisiert), nämlich als Zeichen für sich selbst, ζ. B . als Aufforderung, sie erneut zu aktualieseren, so kann in einer grundsätzlichen Erklärung Sprache als dasjenige Mittel verstanden werden, mit dem ein Einzelnes, die Aktualisierung einer Handlung (token), als Fall eines Allgemeinen, der Handlung als Schema genommen (type), begriffen wird: S p r a c h e i s t d e r s y m b o l i s c h e Aspekt von H a n d l u n g e n . Damit ist zugleich deutlich, daß Repräsentation ohne Kommunikation blind und Kommunikation ohne Repräsentation leer bleibt, beide Aspekte sind nur für theoretische Zwecke voneinander isolierbar. Es bereitet nun auch keine weitere begriffliche Schwierigkeit, einen Prozeß der Verselbständigung des symbolischen Aspekts von Handlungen ins Auge zu fassen, der sowohl historisch wie systematisch untersucht werden kann und bis zu den v e r b a l e n Z e i c h e n h a n d l u n g e n führt. Diese verbalen Zeichenhandlungen sind durch eine d o p p e l t e A r t i k u l a t i o n (Martinet 1960, auch: duality of structure, Lyons 1968; vgl. Art. 13) ausgezeichnet, worunter man eine semiotische Gliederung der Zeichenhandlungen bzw. der Resultate dieser Handlungen, der Zeichen i. e. S. - i m Unterschied zu Zeichen als Prozeß auch M a r k e genannt - versteht, nämlich ihren Aufbau aus ein-

3

fachen Zeichenhandlungen (syntaktische Gliederung), die ihrerseits das Resultat einer Kombination endlich vieler, nicht notwendig selbständige Zeichenhandlungen darstellender Grundzeic h e n (im Unterschied zu den echten, Bedeutung tragenden Zeichen, auch F i g u r e n genannt, Prieto 1966) bilden. J e nach dem Medium, in dem die Grundzeichen auftreten, spricht man von phonematischer oder graphematischer Gliederung (vgl. Art. 10 u. 12) - natürlich gibt es auch andere Medien, z . B . eine kineidetische Gliederung im T a n z , etwa im Kathakali - , wobei die Lautzeichen bzw. Schriftzeichen selbst noch physikalisch oder psychologisch weiter analysiert werden können. Es gehört ebenfalls zu dem Verselbständigungsprozeß des symbolischen Aspekts von Handlungen, also der (phylogenetischen, ontogenetischen und logisch-genetischen) Entwicklung von Zeichen - diese müssen als zugleich einzeln und allgemein verstanden werden, insofern jedes 'Zeichenvorkommen' als Vertreter jedes anderen Zeichenvorkommen desselben 'Zeichentyps' gilt, was aber nicht damit verwechselt werden darf, daß als bloße Figuren, also nicht in ihrer Rolle als Zeichen, die Zeichenvorkommen (tokens) durchaus unterschieden werden können - , daß unter den Handlungen, die sie 'symbolisieren' oder 'bedeuten', diejenigen begrifflichen Differenzierungen vorgenommen werden, die ζ. B . Dinge als besonders stabile 'Handlungsknoten', nämlich durch Identifikation aller 'Handlungen mit einem D i n g ' , etwa B A U M durch Identifikation zwischen BAUM-SEHEN, BAUM-FÄLLEN, BAUME R K L E T T E R N etc., auszugrenzen erlauben. Diese Überlegung ist geeignet, in moderner, einen handlungstheoretisch fundierten Sprachbegriff benützenden Fassung die in der Tradition seit Humboldt geführte Auseinandersetzung um den Vorrang zwischen Verbum und N o m e n zu rekonstruieren und Cassirer zu bestätigen, wenn er resümiert: „nimmt man ( . . . ) an, daß der Zweck der Sprache in nichts anderem liegen könne, als darin, bestimmte in der Vorstellung gegebene Unterschiede äußerlich zu bezeichnen so hat die Frage einen guten Sinn, ob es Dinge oder Tätigkeiten, Zustände oder Eigenschaften gewesen seien, die von ihr zuerst hervorgehoben worden seien. Im Grunde aber verbirgt sich in dieser Art der Fragestellung nur der alte Fehler einer unmittelbaren Verdinglichung der geistig-sprachlichen Grundkategorien ( . . . ) Dagegen gewinnt das Problem sofort einen anderen Sinn, wenn man darauf reflektiert, daß „ D i n g e " und „Zustände", „Eigenschaften" und „Tätigkeiten" nicht gegebene Inhalte des Bewußtseins, sondern Weisen und Richtungen seiner Formung sind. Dann zeigt sich, daß weder die einen, noch die anderen unmittelbar wahrgenommen und, gemäß dieser Wahrnehmung, sprachlich bezeichnet werden können, sondern daß nur die zunächst undifferenzierte Mannigfaltigkeit der sinnlichen Eindrücke in der Richtung auf die eine oder andere Denk- und Sprachform bestimmt werden kann. Diese Bestimmung zum Gegenstand oder zur Tätigkeit, nicht die bloße Benennung des Gegen-

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/ . Allgemeine Bestimmung

und Erforschung von Sprache

standes und der Tätigkeit ist es, die sich, wie in der logischen Arbeit der Erkenntnis, so auch in der geistigen Arbeit der Sprache ausdrückt. Nicht darum handelt es sich daher, ob der Akt der Benennung zuerst Dinge oder Tätigkeiten als an sich seiende Bestimmtheiten der Wirklichkeit ergreift, sondern darum, ob er in Zeichen der einen oder der anderen sprachlich-gedanklichen Kategorie steht, - ob er gleichsam sub specie nominis oder sub specie verbi erfolgt." (Cassirer

1923, 236f.) Eine weitere grundlegende begriffliche Unterscheidung betrifft den Zusammenhang von S p r e c h e n u n d S p r a c h e , also der sprachlichen Äußerungen als Resultaten der Sprechhandlungen einerseits und den Abstraktionen aus diesen Äußerungen durch Identifikation zwischen ihnen bei gleicher Zeichengestalt, also unter Vernachlässigung ihres Situationsbezugs (da sind Sprachfehler, Akzente usw. eingeschlossen) andererseits. Beide Ebenen, die der Sprache als Verhalten und die der Sprache als S y s t e m (behaviour und system, Lyons 1968; parole und langue, F. de Saussure 1916) einfach wie token und type einander gegenüberzustellen, übersieht, daß schon die Äußerungen natürlich nur als Fälle eines Typs überhaupt Gegenstand der Untersuchung werden können, als Gleichheit zwischen Äußerungen aber neben gleicher Zeichengestalt auch Gleichheit der relevanten nicht wortsprachlichen Umstände bei der Äußerung, des K o n t e x t e s , erforderlich ist, während für die Untersuchung des Sprachsystems nur die Zeichengestalten unter Einschluß ihrer gegebenenfalls relevanten wortsprachlichen Umgebung, ihres K o t e x t e s , herangezogen werden. Selbstverständlich können zahlreiche Zwischenstufen der Abstraktion eingenommen werden, je nachdem, wie zwischen sprachlichen, aber nicht wortsprachlichen Umständen, etwa Berücksichtigung prosodischer (z.B. Betonung) oder paralinguistischer (z.B. Lautstärke) Aspekte, unterschieden wird, ganz abgesehen davon, daß die Entscheidung darüber, was als jeweils relevanter Umstand zu gelten hat, natürlich Gegenstand schwer entscheidbarer Kontroversen ist. So können z.B. innerhalb eines Sprachsystems durch Berücksichtigung verschiedener Relevanzkriterien Dialekte, Idiolekte oder auch Soziolekte als Subsysteme voneinander abgegrenzt werden (vgl. Art. 32, 42 u. 46). Eine besondere Rolle spielt hier der historische Wandel eines Sprachsystems, der als durch Ubergangsregeln ('Gesetze' des Sprachwandels, z.B. Lautgesetze) regierte Sequenz jeweils verschiedener Sprachsysteme dargestellt werden kann, was seit de Saussure (1916) als diachronische (= historische) und synchronische (= systematische) Sprachbetrachtung unterschieden wird, ohne daß es bisher gelungen wäre, die diachronischen Aspekte voll in die Darstellung einer Sprache als System mit einzubeziehen, vermutlich weil dazu der Zusammenhang von Sprechen und Spra-

che in der systematischen Darstellung selbst explizit gemacht werden müßte (vgl. Cherubim 1975 u. Art. 62). Dazu aber genügt es nicht, in einer eigenen wissenschaftlichen Beschreibungssprache über ein Sprachsystem den für Äußerungen unentbehrlichen Situationsbezug durch Beschreibung der relevanten Umstände und deren Verknüpfung mit Beschreibungen der fraglichen Äußerungen auszudrücken - das pragmatische Fundament des Sprachsystems wäre auf den semantischen Gehalt einer Wissenschaftssprache zurückgeführt, ohne deren pragmatische Herkunft thematisieren zu können - , vielmehr müssen die verbalen Zeichenhandlungen unter Einschluß von Kontext und Kotext, ganz im Sinne von Wittgensteins (PU § 7f) Vorschlag, S p r a c h s p i e l e als Muster menschlicher Sprachverwendung einzuführen, ausgehend von 'elementaren' Handlungszusammenhängen so weit rekonstruiert werden, daß sie als rationales Modell für Sprache (de Saussures faculte de langage) auf den verschiedenen Abstraktionsstufen zwischen parole und langue taugen. So erst gewinnt die von Noam Chomsky (1965) getroffene Unterscheidung zwischen S p r a c h k o m p e t e n z (linguistic competence) und S p r a c h p e r f o r m a n z (linguistic performance), mit der ein Sprachvermögen als Vermögen, nach nicht notwendig bewußt gemachten Regeln ein potentiell unbegrenztes Korpus von - mündlichen oder schriftlichen Äußerungen hervorzubringen, den logischen Grund — und nicht etwa die empirische Ursache wie zuweilen, auch durch Chomsky selbst, suggeriert (vgl. Chomsky 1970) - für die Sprechhandlungen abgeben soll, ihr methodisches Gewicht: die mit der Sprachkompetenz gesetzten Erzeugungsregeln sind eben diese in den Rekonstruktionen der verbalen Zeichenhandlungen, etwa als 'Sprachspiele', bewußt gemachten Muster menschlicher Sprachverwendung. 2. Ebenen der

Sprachbetrachtung.

Zeichensorten 2.1.

Sprachebenen

2.1.1. Objekt- und Metasprache Für die Rekonstruktion der verbalen Zeichenhandlungen und ihrer Produkte, der Sprachzeichen, mit deren Hilfe ein Modell für ein Sprachsystem aufgebaut werden soll, ist es von entscheidender Wichtigkeit, welche Einheiten - es handelt sich hier selbstverständlich immer um Typen nicht um Vorkommen (tokens) - den Ausgangspunkt bilden sollen. Der ältere empiristische Vorschlag, mit einzelnen Äußerungen, definiert als Redestück einer Person von Sprechpause bis Sprechpause (Harris 1951) und damit als 'singuläres' Datum, zu beginnen, ist deshalb unbrauchbar; nur Typen

1. Sprachphilosophie

von Sprachzeichen kommen infrage. Andererseits ist es ebenso wertlos, mit begrifflichen Konstruktionen ohne Rücksicht auf das tatsächliche Sprachverhalten zu beginnen. Die klassische, auch heute noch die methodologische Diskussion beherrschende Alternative, grundsätzlich zwischen einem empiristischen und einem rationalistischen Ansatz entscheiden zu sollen, ist für sprachphilos., die Sprache der Theorie ja ebenfalls betreffende Reflexionen besonders ungeeignet, weil voreilig. Wir finden uns in Situationen gelingender und mißlingender S p r a c h v e r w e n d u n g vor, und diese Praxis ist es, die wir verstehen wollen: „The total speech act in the total speech situation is the only actual phenomenon which, in the last resort, we are engaged in elucidating" (Austin 1962, Lect. XII).

Dann aber dürfen auch die begrifflichen Hilfsmittel für die Untersuchung der Sprachverwendung der gegenwärtigen Forschungspraxis nicht einfach entnommen, vielmehr müssen sie als selbst sprachliche - es liegt ein besonderer Fall, nämlich wissenschaftliche Sprachverwendung vor - ihrerseits geklärt werden. Beide Ebenen, Sprache als O b j e k t s p r a c h e oder Gegenstand der Untersuchung, und Sprache als M e t a s p r a c h e oder Mittel der Untersuchung stehen zugleich infrage. Diese Situation darf aber natürlich nicht dazu verführen, diese Unterscheidung selbst - sie wird bereits in der Scholastik seit Ende des 12. Jhs. unter den Titeln einer Verwendung von Sprachzeichen in suppositio formalis und suppositio materialis getroffen (Boschenski 1956, § 27), was heute als Verwendung (use) und Erwähnung (mention) eines Zeichens unterschieden ist - im Verlauf der sprachphilos. Reflexionen zu vernachlässigen oder gar von Anfang an das ganze Unternehmen einer Klärung der Sprachverwendung für notwendig in einem methodischen Zirkel befindlich zu halten. Einerseits nämlich beruhen die gegenwärtigen Resultate über die Leistungsfähigkeit wissenschaftlicher Theorien gerade auf einer genauen Beachtung des Unterschieds von Sprache der Theorie und Untersuchungssprache, andererseits ist wiederum schon die U m g a n g s s p r a c h e , eine natürliche Sprache in ihrer alltäglichen Verwendung, durch die Existenz von Sprachzeichen ausgezeichnet, die auf allen Sprachstufen zugleich, also objektsprachlich, metasprachlich, metametasprachlich etc., d.h. 'typenlogisch' systematisch mehrdeutig, verwendet werden, wobei man metametasprachlichen Gebrauch, ζ. B. beim Äußern der Aussage die Wortverbindung ,dies Haus' benennt ein Haus, auch als sprachreflexiven Gebrauch bezeichnet. Beide Phänomene bedürfen einer adäquaten Erklärung. Das hier eingeschlagene Verfahren einer Rekonstruktion der Sprechhandlungen muß daher so verstanden werden, daß die Sprachverwendung

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durch geeignete S p r a c h e i n f ü h r u n g rekonstruiert wird, eine Tätigkeit der Reflexionsstufe, auf der die in der Einführung gewonnenen Sprechhandlungen als Mittel der Darstellung für die Sprechhandlungen in ihrer Verwendung auftreten. Da nun solche Einführungen in einem Essay wie hier nicht wirklich vollzogen, sondern wiederum nur beschrieben werden können, entsteht eine die S. charakterisierende grundsätzliche methodische Schwierigkeit: die verwendete Beschreibungssprache wird vom Autor als zuverlässig, sowohl dem Leser gegenüber verständlich wie dem Gegenstand gegenüber adäquat, angesehen, obwohl erst nach einer vom Leser vorzunehmenden Elimination der Beschreibungen zugunsten der Spracheinführungshandlungen selbst, ihrer Erzeugung also, ihre Tauglichkeit einem Bewährungstest unterzogen werden kann. An dieser Stelle nun muß es grundsätzlich offen bleiben, ob die hier konkret vorliegenden Beschreibungen tatsächlich eindeutig eliminierbar sind oder ob sie nicht vielmehr je nach Leser verschiedene Interpretationen erlauben, die es verbieten, den fraglichen Spracheinführungshandlungen vor einem ausdrücklich hergestellten Konsens zwischen den Lesern und dem Autor und den Lesern untereinander, d.i. ihrer erkenntnistheoretischen Sicherung, einen selbständigen Status, d. i. ihre ontologische Unabhängigkeit, zuzubilligen. Die Gegenstände, die hier in der Beschreibung als Spracheinführungshandlungen 'vorgestellt' werden, 'gibt' es erst dann, wenn diese Beschreibungen verstanden sind, was selbst erst durch einen eigenen Prozeß zu sichern ist und nicht als von selbst stattfindendes Ereignis angesehen werden darf. Ontologie und Erkenntnistheorie sind in einem pragmatischen Ansatz anfänglich ununterscheidbar, weil eine Theorie der Zeichen zugleich eine Theorie vom Bezeichneten und von der Zeichengebung sein muß: ,,Erkennbarkeit (im weitesten Sinne) und Sein sind nicht bloß metaphysisch dasselbe, sondern sind synonyme Begriffe" ( C . S . P e i r c e 5.257).

Damit ist die ältere, auf Morris (1946) zurückgehende, nach dem Kriterium steigender Komplexität geordnete Reihenfolge für die Untersuchung von Sprachzeichen: Syntax, Semantik, Pragmatik (im ganzen der auf die verbalen Zeichen beschränkte Teil der S e m i o t i k , der allgemeinen Zeichentheorie), ganz im Sinne der besonders von Bar-Hillel (1970) geforderten Carnaps Dictum „pragmatics is the basis for all of linguistics" (1942, S. 13) folgenden Umorientierung umgekehrt worden (vgl. Schneider 1975). Nicht durch Hinzufügung weiterer Gesichtspunkte, ausgehend von reinen Strukturbeschreibungen der Sprachzeichengestalten, danach Berücksichtigung ihrer Bedeutungen und zum Schluß erst Einbezie-

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/. Allgemeine Bestimmung und Erforschung von Sprache

hung von Sprecher und Hörer in Situationen des Gebrauchs der Sprachzeichen, kann ein angemessenes Verständnis der Sprachverwendung gewonnen werden; nur umgekehrt, durch schrittweise Abstraktion, darf man hoffen, z . B . auch sonst unzugängliche syntaktische Phänomene durch ihre pragmatische Herkunft erklären zu können. Als Beispiel mag die verschiedene oberflächensyntaktische Einbettung eines Satzes in einen anderen Satz dienen, etwa Birgit liebt Peter, der Anne liebt versus Peter, den Birgit liebt, liebt Anne (Posner 1972); beide Sätze sind semantisch äquivalent, pragmatisch hingegen hat der nicht eingebettete Satz in dem Sinne Vorrang vor dem eingebetteten, daß sich in direkt kommentierenden Folgesätzen, etwa verneinend durch das stimmt nicht, nur auf den nichteingebetteten Satz Bezug nehmen läßt. 2.1.2.

Logische und grammatische

Struktur

Da man nicht erwarten kann, daß die Spracheinführungshandlungen schon im ersten Schritt die Komplexität der Sprachverwendungshandlungen darstellen können werden, ist es zweckmäßig, eine weitere terminologische Unterscheidung anzubringen, die ursprünglich dem Instrumentarium der Analytischen Philosophie seit Russell und Moore entstammt, dem hier verfolgten Zweck jedoch angepaßt verwendet wird. Es handelt sich um denjenigen Unterschied in der Behandlung von Sprachzeichen, der durch l o g i s c h e A n a l y s e versus g r a m m a t i s c h e A n a l y s e sprachlicher Ausdrücke (vgl. Carnap 1931) ausgedrückt wird. Damit war ursprünglich so viel gemeint, daß die grammatische Struktur von Sprachzeichen häufig zu irreführenden Rückschlüssen auf die, im Fall assertorischer Sätze, dargestellte Wirklichkeit verführe (z.B. Löwen sind säugende {Tiere] grammatisch analog zu Löwen sind wirkliche [Tiere], Moore 1922, chap VI), es deshalb darauf ankomme, diejenige Struktur aufzudecken, die 'der Wirklichkeit entspreche', und diese Struktur hieß dann logisch. Beim Wittgenstein der Philosophischen Untersuchungen ist dieser Unterschied von grammatischer und logischer Struktur durch die Termini O b e r f l ä c h e n g r a m m a t i k und T i e f e n g r a m m a t i k ersetzt worden, was nach dem Scheitern des rein oberflächensyntaktisch, an Sprachzeichenverteilungen orientierten Programms des strengen Strukturalismus in der Linguistik (von Bloomfield 1933 bis Harris 1951) von Chomsky für seinen Aufbau einer g e n e r a t i v e n T r a n s f o r m a t i o n s g r a m m a t i k mit ihren zwei Schritten: Formationsregeln (meist als 'rewriting rules', also Ersetzungsregeln, notiert, wobei erst die letzte Ersetzung die objektsprachlichen Zeichen eines Lexikons einführt) zur Herstellung der Tie-

fenstruktur, danach Transformationsregeln zur Erzeugung der Oberflächenstruktur (mit anschließender phonematischer bzw. graphematischer Repräsentation durch eigene Regeln) übernommen wurde (vgl. Art. 19). Dabei war, gewiß ein Erbe des ursprünglichen strukturalistischen Programms, zunächst auch die Tiefenstruktur als rein syntaktische Struktur ohne jeden Bezug auf die Bedeutungen der Sprachzeichen intendiert, immerhin aber doch so verstanden, daß bereits durch die Tiefenstruktur eines Sprachzeichens seine Bedeutung eindeutig bestimmt ist, die Transformationsregeln also semantisch neutral sind. Eine noch gegenwärtig andauernde Debatte darüber, wie daraufhin der Ubergang von der Syntax zur Semantik nun eigentlich vorzunehmen sei, ob durch Zuordnung ausgewählter Grundbedeutungen und ihrer Komposition mithilfe von 'Projektionsregeln' zu den Sprachzeichen der Tiefenstruktur - eine von der i n t e r p r e t a t i v e n S e m a n t i k (Katz 1972 u.a.) bislang allerdings vergeblich versuchte 'Übersetzung' der in der Tiefenstruktur erzeugten, ja bereits aus Ketten von lexikalischen Einträgen mit Angabe ihrer Herstellungsweise bestehenden Sprachzeichen in eine der Absicht nach universelle Begriffssprache - oder durch Identifizierung der syntaktischen Tiefenstruktur mit der semantischen Repräsentation der Sprachzeichen - eine von der gene r a t i ven^Se m a n t i k (Lakoff 1971, McCawley 1968 u.a.) verfolgte Strategie, bei der die Chomskyschen Formationsregeln für die Tiefenstruktur auf die Tauglichkeit zur Herstellung einer semantischen Repräsentation überprüft und entscheidend abgeändert werden müssen - am augenfälligsten ließ sich die Schwäche von Chomskys Tiefenstruktur am Unvermögen aufdecken, eine adäquate Behandlung der Quantoren zu liefern, ζ. B. sollte der formallogisch und damit erst recht semantisch nichtäquivalenten Vertauschung von Einsquantor und Allquantor bei der Aktiv-Passiv-Transformation des Satzes jeder in diesem Raum spricht mindestens zwei Sprachen in mindestens zwei Sprachen werden von jedem in diesem Raum gesprochen keine Differenz in der Tiefenstruktur entsprechen; Quantoren aber sind keine Prädikatausdrücke, was in der generativen Semantik zuerst von Keenan (1973) durchgesetzt wurde - , ist bislang zugunsten der generativen Semantik mit ihrer konsequent vollzogenen Abkehr vom Primat der Syntax vor der Semantik ausgegangen; Syntax ist wieder Oberflächensyntax, die ihr zugrundeliegende Tiefenstruktur aber eine semantische Repräsentation der Sprachzeichen. Alles wird davon abhängen — nämlich um bei der syntaxunabhängigen Charakterisierung semantischer Eigenschaften von Sprachzeichen nicht hinter die Einsicht des Strukturalismus in der

1. Sprachphilosophie Sprachwissenschaft z u r ü c k z u f a l l e n , d a ß bei Strafe einer blinden u n d d a m i t u n b e g r ü n d b a r e n W i e d e r k e h r traditioneller, im wesentlichen an den aristotelischen Kategorien (Substanz, Q u a n t i t ä t , Q u a l i tät, Relation etc.) u n d den d a v o n abgeleiteten Redeteilen orientierten G r a m m a t i k t h e o r i e n v o r der E n t s t e h u n g einer wissenschaftlichen Beschäftigung m i t d e r Sprache w e d e r p s y c h o l o g i s c h e n o c h o n t o l o g i s c h e A n n a h m e n den Leitfaden f ü r die W a h l der s p r a c h t h e o r e t i s c h e n G r u n d b e g r i f f e abgeben d ü r f e n - , o b auch d e r nächste Schritt ü b e r z e u g e n d eingelöst w e r d e n k a n n , nämlich die Tief e n s t r u k t u r als ihrerseits pragmatisch b e s t i m m t e z u erweisen mit d e m Resultat, d a ß die p r a g m a t i schen Eigenschaften d e r Sprachzeichen z u einem Teil ü b e r ihre semantische T i e f e n s t r u k t u r die O b e r f l ä c h e n s y n t a x b e s t i m m e n , z u einem a n d e r e n Teil jedoch erst ü b e r die W a h l b e s t i m m t e r T r a n s f o r m a t i o n s r e g e l n f ü r den Ü b e r g a n g von der Tief e n s t r u k t u r z u r O b e r f l ä c h e n s t r u k t u r anstelle a n d e rer T r a n s f o r m a t i o n s r e g e l n . D e n n natürlich ist die O b e r f l ä c h e n s t r u k t u r d u r c h die T i e f e n s t r u k t u r nicht eindeutig b e s t i m m t . Erst d a n n w i r d auch der gegenwärtig nicht geklärte Z u s a m m e n h a n g v o n S a t z s e m a n t i k u n d T e x t l i n g u i s t i k (vgl. A r t . 20) b z w . von f o r m a l e r S e m a n t i k (vgl. M o n t a g u e 1970, Schnelle 1973) u n d S p r e c h a k t t h e o r i e (vgl. Searle 1969, W u n d e r l i c h 1976 u . A r t . 24) u n t e r d e m einheitlichen G e s i c h t s p u n k t einer pragmatischen Basis f ü r Semantik u n d Syntax ü b e r die semantische F u n d i e r u n g der Syntax h i n a u s sich befriedigend herstellen lassen. I m m e r h i n aber hat schon der erste, von der generativen Semantik v o l l z o g e n e Schritt d a z u g e f ü h r t , die semantische T i e f e n s t r u k t u r mit d e r logischen S t r u k t u r d e r Sprachzeichen zu identifizieren (Lakoff 1971), so d a ß n u r n o c h der W i t t g e n s t e i n s c h e W e g , diese logische S t r u k t u r pragmatisch z u g e w i n n e n , gegangen z u w e r d e n b r a u c h t . U n d genau das ist jetzt die Rolle der S p r a c h e i n f ü h r u n g s h a n d l u n g e n , w i e die Sprachspiele Wittgensteins, n u r in m e t h o d i s c h e r O r d n u n g - d u r c h E r z e u g u n g einer logischen S t r u k t u r der Sprachzeichen - als ' V e r g l e i c h s o b j e k t e ' ( P U § 130 ff.) f ü r die S p r a c h v e r w e n d u n g s h a n d l u n g e n — die g r a m m a t i s c h e S t r u k t u r der Sprachzeichen - z u dienen. D a m i t w i r d d a n n endlich auch d e n im P r a g m a tismus b e s o n d e r s von C . S. Peirce (vgl. 5 . 5 4 6 f f . ) u n d G . H . M e a d (1934) e n t w i c k e l t e n , v o m Z u s a m m e n h a n g zwischen K o m m u n i k a t i o n u n d R e präsentation h e r b e s t i m m t e n h a n d l u n g s t h e o r e t i schen A u f f a s s u n g e n von Sprache, die in der Linguistik selbst bislang w e n i g E i n f l u ß g e w o n n e n haben - die gesamte S p r e c h a k t t h e o r i e w u r d e ähnlich wie die m o d e r n e f o r m a l e Logik faktisch o h n e B e z u g auf die V o r w e g n a h m e n bei Peirce a u f g e b a u t - das ihnen z u s t e h e n d e G e w i c h t beigemessen.

2.2. 2.2.1.

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Spracheinführung Artikulation

Auf der e r s t e n S t u f e d e r S p r a c h e i n f ü h r u n g s h a n d l u n g e n , die der g e n a n n t e n Rolle w e g e n , E i n z e l h a n d l u n g e n als Fälle eines H a n d lungsschemas begreifen z u k ö n n e n , w a s auf eine G l i e d e r u n g dieser Schemata in schematische Bestandteile, d a r u n t e r e t w a vokale Schemata, hinausläuft, A r t i k u l a t i o n e n heißen sollen, w e r d e n Zeichen erzeugt, die als verbale Zeichen entsprec h e n d A r t i k u l a t o r e n heißen (vgl. L o r e n z 1976, R o t h 1978) u n d dabei eine zugleich repräsentative wie k o m m u n i k a t i v e F u n k t i o n a u s ü b e n . B e r ü h m testes Beispiel sind die ' E i n w o r t ä u ß e r u n g e n ' , d. h . Ä u ß e r u n g e n o h n e semiotische B i n n e n s t r u k t u r in einfachere Z e i c h e n h a n d l u n g e n , im Bauarbeitersprachspiel Wittgensteins ( P U § 2 ) : Platte, Würfel u s w . , als einfache A u f f o r d e r u n g s h a n d l u n g e n , bes t i m m t e D i n g e zu b r i n g e n , w o b e i die U n t e r s c h e i d u n g v o n H a n d l u n g u n d D i n g ersichtlich n o c h keine Rolle spielt, als 'gleichwertige' E i n w o r t ä u ß e r u n g e n also e b e n s o Plattehringen, Würfelbringen u s w . , o d e r auch n u r a, e u s w . , z u g r u n d e gelegt w e r d e n k ö n n t e n . Es ist wichtig, sich klar zu m a c h e n , d a ß genau d e s w e g e n , w e i l diese A u f f o r d e r u n g e n nicht selbständige, d . h . z w a r ihrerseits nach Veranlassung, Z i e l s e t z u n g u s w . analysierbare, nicht aber der V e r s t ä n d i g u n g dien e n d e , H a n d l u n g e n sind, w i e e t w a n o r m a l e r w e i s e E I N E P L A T T E T R A G E N ( „ n o r m a l e r w e i s e " ist e r f o r d e r l i c h , weil j e d e H a n d l u n g a u c h als Zeichen dienen kann), sie v i e l m e h r eben eine solche, der Verständigung dienende kommunikative F u n k t i o n h a b e n , sie a u c h eine der D a r s t e l l u n g d i e n e n d e repräsentative F u n k t i o n a u s ü b e n , in diesem Fall D a r s t e l l u n g der H a n d l u n g e n (noch typ-token-neutral!) P L A T T E B R I N G E N , W Ü R F E L B R I N G E N usw. D a b e i sollen diese H a n d lungen ihrerseits als a u ß e r h a l b der speziellen S p r a c h e i n f ü h r u n g s h a n d l u n g e n e i n g e f ü h r t gelten, nämlich in eigenen L e h r - u n d L e r n s i t u a t i o n e n d u r c h V o r - u n d N a c h m a c h e n (Repetition u n d I m i t a t i o n , in empirisch-genetischer H i n s i c h t ( = Assimilation u n d A k k o m m o d a t i o n ) vgl. Piaget 1950, in logisch-genetischer H i n s i c h t vgl. L o r e n z 1970, 1976), was des auch hier ersichtlichen k o m m u n i k a t i v e n u n d repräsentativen D o p p e l a s p e k t s w e g e n nicht als s p r a c h f r e i e E i n f ü h r u n g m i ß v e r s t a n d e n w e r d e n darf: D i e H a n d l u n g s e i n f ü h r u n g geschieht - u n d das u n t e r s c h e i d e t sie v o n nicht notwendig kommunikationsbezogenen Handl u n g s v e r w e n d u n g e n - als Sonderfall nichtverbaler K o m m u n i k a t i o n , H a n d l u n g e n treten als Zeichen f ü r sich selbst auf (auch hier systematische t y p e t o k e n - Z w e i d e u t i g k e i t ! ) ; P r a g m a t i k u n d Semiotik sind hier u n d n u r hier n o c h u n g e s c h i e d e n . In beid e n Fällen aber sind die E i n f ü h r u n g s h a n d l u n g e n Mittel der Reflexion auf V e r w e n d u n g s h a n d l u n -

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I. Allgemeine Bestimmung und Erforschung von Sprache

gen, empirischen Handlungserwerb eingeschlossen, nicht etwa selbst spezielle Verwendungshandlungen. Entschließt man sich jetzt, Artikulatoren in ihrer repräsentativen Funktion W ö r t e r zu nennen, in ihrer kommunikativen Funktion hingegen S ä t z e , so ist die folgende Redeweise zulässig: In einer Äußerung Platte wird ein Wortvorkommen eines Worttyps zur Aufforderung v e r w e n d e t (Ausdruck der Metasprache!), d. h. als Satz mit der Intention, der Angesprochene möge die vom Wort dargestellte Handlung ausführen. Dabei treten auf der ersten Stufe der Einführung natürlich nur e i n f a c h e A r t i k u l a t o r e n auf, auch wenn, etwa im Beispiel Plattebringen, in der hier vorliegenden Beschreibung bereits morphophonematisch gegliederte Ausdrücke der deutschen Sprache v e r w e n d e t (Ausdruck der Metametasprache!) werden. Erst wenn auf einer späteren Stufe die Komposition von Sprachzeichen - das brauchen dann nicht nur Artikulatoren zu sein - von einer pragmatischen Normalform oder auch nur einer semantischen Normalform - ζ. Β. mit Mitteln einer K a t e g o r i a l g r a m m a t i k bei Cresswell (1973) bis hin zu den verschiedenen einzelsprachlichen oberflächensyntaktischen Fügungen ebenfalls eingeführt ist - z . B . mit Mitteln einer S t r a t i f i k a t i o n s g r a m m a t i k b e i Lamb ( 1 9 6 6 ) w e r d e n zusammengesetzte Wörter auftreten: ihre kleinsten Einheiten sind die M o r p h e m e (vgl. Art. 13), ζ. B. das durch verschiedene 'Morphe' in der Oberfläche dargestellte Pluralmorphem, ihre größten die Komplexe oder P h r a s e n , z . B . sehr bewegte See oder eine Platte bringen, während die traditionelle Einheit Wort in der Sprach V e r w e n d u n g , wird sie nicht als L e x e m verstanden, offensichtlich einzelsprachlichen Kriterien gehorcht und nur annähernd als 'kleinste freie Form' (Bloomfield 1933; vgl. Art. 13), also als kleinste zu selbständiger Äußerung taugliche Morphemkomposition verstanden werden kann; entsprechend treten dann zusammengesetzte Sätze auf: hier werden die größten Einheiten, die T e x t e , grammatisch normalerweise nicht mehr selbst als Sätze bezeichnet, sondern als Satzfolgen behandelt, weil keine syntaktischen Strukturen den Zusammenhang in der Satzfolge regieren — anaphorische Relationen zwischen Sätzen etwa sind semantischer, argumentative Relationen hingegen pragmatischer Natur. Gibt es hingegen einen solchen syntaktischen Strukturzusammenhang zwischen Sätzen, so entsteht das Problem einer pragmatischen Begründung der Unterscheidung von aus Sätzen zusammengesetzten Sätzen und bloß aus Wörtern zusammengesetzten Sätzen, z . B . die Männer, die angesprochen wurden, bringen die Platte vs. die angesprochenen Männer bringen die Platte. Zunächst jedoch hat die funktionale anstelle der gebräuchlichen strukturellen Trennung von

,Wort' und ,Satz' den Vorteil, bei Wörtern nicht mehr nach der kommunikativen Rolle ihrer Verwendung (es sei denn in Anführungszeichen, also einer Verwendung zum Zwecke ihrer Erwähnung) fragen zu müssen, und bei Sätzen nicht mehr nach dem Gegenstand, den sie repräsentieren. Das hat zur Folge, für die Frage nach den Verwendungsmöglichkeiten der Artikulatoren aufgrund ihrer Einführung — diese Verwendungsmöglichkeiten gilt es in Einführungen 2. Ordnung selbst zu rekonstruieren — die Verwendung im Satzaspekt als Pragmatik oder Sprechakttheorie von der Verwendung im Wortaspekt als Semantik begrifflich genau trennen zu können. Das in einer eigenen, der Wortsemantik gegenübergestellten 'Satzsemantik' behandelte Problem, wie Wortbedeutungen zu einer Satzbedeutung statt nur wieder zu einer Wortbedeutung zusammentreten, entpuppt sich dann als eine spezielle Frage der Pragmatik, etwa wenn die logische Verknüpfung von assertorischen Sätzen mithilfe der Junktoren (und, oder, nicht, falls etc.) zu einem zusammengesetzten assertorischen Satz nicht semantisch, durch Wahrheitsbedingungen für den zusammengesetzten Satz in Abhängigkeit von den Wahrheitsbedingungen seiner Teilsätze, sondern pragmatisch, durch Argumentationsverläufe für den zusammengesetzten Satz relativ zu seinen Teilsätzen, eingeführt wird, was in der dialogischen Logik geschieht (vgl. Lorenzen/Lorenz 1978, zur linguistischen Relevanz vgl. Schneider 1975). Und Fragen, wie die Searle's (1969) nach dem gemeinsamen 'propositionalen Gehalt' von Sätzen in verschiedenem Modus, wie z . B . Sam raucht., Sam rauche! und raucht Sam?, bleiben zweideutig, weil zwar als 'Bedeutung' der Sätze übereinstimmend die vom Wortaspekt des Artikulators Sam's Rauchen repräsentierte Handlung R A U C H E N V O N SAM auftritt; für den Satzaspekt desselben (für das Beispiel als einfach behandelbaren!) Artikulators hingegen müssen Einführung und Verwendung unterschieden werden, eine Unterscheidung, die in Wittgensteins Bauarbeitersprachspiel noch fehlt: In der Einführung, der Artikulation, versteht jemand die fragliche Handlung eben kraft der Artikulation sowohl so, daß er einen Fall als zugehörig zu einem Schema identifizieren kann, als auch so, daß er ein Schema zu aktualisieren vermag; von dieser Kompetenz kann er jetzt anderen gegenüber - sich selbst eingeschlossen, 'im Selbstgespräch' - Gebrauch machen, was im Erwerb einer 'Verwendungskompetenz' (oft irreführend mit der Performanz identifiziert), systematisch wieder in Lehr- und Lernsituationen rekonstruiert, sich niederschlägt. Die drei Modi der Beispielsätze sind solche verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten des Artikulators Sam's Rauchen im Satzaspekt. Differenzieren wir jetzt die erste Stufe der

7. Sprachphilosophie Spracheinführungshandlungen durch die U n t e r scheidung von Einführungen 1. O r d n u n g , die Artikulatoren, und solche 2. O r d n u n g , die den M o d u s der Verwendung eines Artikulators im Satzaspekt artikulieren, so stellt sich heraus, daß die verschiedenen Satzaspekte in der Verwendung eines Artikulators mit einem Einzelfall des W o n aspekts verschiedener Artikulatoren 2. O r d n u n g , den P e r f o r m a t o r e n , gleichzusetzen sind; für die Beispielsätze heißt das, daß Sam's Rauchen., Sam's Rauchen/, Sam's Rauchen f der Reihe nach als Aktualisierungen der von den Performatoren mitteilen (der Unterschied zu behaupten bleibt hier unerörtert), erbitten, fragen dargestellten speziellen H a n d l u n g e n ( = Sprechakte) verstanden werden müssen, nämlich M I T T E I L E N , DASS EINE AKTUALISIERUNG DES SCHEMAS V O R L I E G T , E I N E A K T U A L I S I E R U N G DES SCHEMAS ERBITTEN, FRAGEN, OB EINE A K T U A L I S I E R U N G DES SCHEMAS V O R LIEGT. 2.2.2.

Prädikation

Die bisher zur Verfügung gestellten Hilfsmittel reichen aus, die speziell zwischen Sprechakttheorie und formaler Semantik der erwähnten Zweideutigkeit wegen immer noch streitige Frage nach dem Status der Prädikation zu klären, nämlich o b f ü r alle Sätze, nicht n u r die assertorischen, ein propositionaler Gehalt oder A u s s a g e k e r n angenommen werden dürfe, der Resultat einer ausgezeichneten universell verfügbaren Sprechhandlung Prädikation sei, oder ob die Prädikation nur neben vielen anderen Sprechhandlungen vork o m m e , was die Auszeichnung assertorischer vor anderen Sätzen gleichwertig mit der Auszeichnung von W i s s e n s c h a f t s s p r a c h e vor anderen Sprachformen mache, die Stellung der Prädikation also nur historisch-empirisch, nicht logischsystematisch begründe. Das V o t u m für die erste Alternative kann begründet werden durch Verweis auf die einzige alle Satzmodi umfassende Sprechhandlung, nämlich die Artikulation in ihrem Satzaspekt, die aber als E i n f ü h r u n g 1. O r d n u n g mit keinem der von den Einführungen 2. O r d n u n g rekonstruierten Sprechakte ('Performationen') identifiziert werden kann, ganz in Ubereinstimmung mit Austin (1962), als er die Gegenüberstellung von performativen und konstativen Äußerungen des performativen Charakters auch jeder Feststellung wegen zugunsten der Unterscheidung von lokutionärem und (Sprecherbezogenen) illokutionärem b z w . ( H ö r e r bezogenen) perlokutionärem Anteil (locutionary meaning and illocutionary/perlocutionary force) jeder Ä u ß e r u n g aufgab (vgl. Art. 24). Damit scheint, zumindest teilweise, die Rückkehr zur logischen Analyse Freges vollzogen,

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insofern er im Fall assertorischer Sätze zwischen dem Inhalt oder Gedanken (durch ein Satzzeichen mit 'Inhaltsstrich' wiedergegeben: - A ) u n d der Behauptung oder dem Urteil (durch den Zusatz des 'Urteilsstrichs' wiedergegeben: - A ) unterscheidet: nur,,—A" bezeichnet etwas, nämlich den Gedanken als seinen 'Sinn' u n d einen Wahrheitswert, d. i. W a h r oder Falsch, als seine 'Bedeutung', , - A ' hingegen „bezeichnet nichts, sondern behauptet etwas" (Frege 1891, A n m . 7); im übrigen aber erklärt er ausdrücklich: „ F r a g e s a t z u n d B e h a u p t u n g s s a t z enthalten denselben G e d a n k e n ; a b e r der B e h a u p t u n g s s a t z enthält n o c h etwas m e h r , nämlich eben die B e h a u p t u n g . A u c h der Fragesatz enthält etwas m e h r , nämlich eine A u f f o r d e r u n g . In einem B e h a u p t u n g s s a t z ist also zweierlei zu u n t e r s c h e i d e n : d e r Inhalt, d e n er mit d e r e n t s p r e c h e n d e n Satzfrage gemein hat, u n d die B e h a u p t u n g . " (Frege 1918, 62)

Hingegen: ,,einem Befehlssatze w i r d m a n einen Sinn nicht absprechen w o l l e n ; aber dieser Sinn ist nicht derart, d a ß W a h r h e i t bei ihm in Frage k o m m e n k ö n n t e . D a r u m w e r d e ich den Sinn eines Befehlssatzes nicht G e d a n k e n n e n n e n . E b e n s o sind W u n s c h - u n d Bittsätze a u s z u s c h l i e ß e n . " ( e b d . )

Die hier klar erkennbare Unentschiedenheit Freges, zwar einerseits dem Sprechakt Behauptung einen Inhalt zu geben, der dem der entsprechenden Frage gleich ist - in seiner Symbolik vertritt , , - " den semantischen Anteil des assertorischen Satzes, , , - " seinen pragmatischen Anteil und , , A " selbst, als bloßes Satzzeichen, seinen syntaktischen Anteil —, andererseits aber wegen der fehlenden Wahrheitsfähigkeit Sprechakten wie etwa Aufforderungen n u r einen 'entsprechenden' Inhalt zuzubilligen, m u ß als U r s p r u n g der noch heute herrschenden Unklarheiten bei der Diskussion um den propositionalen Gehalt eines Satzes gelten und ist in seiner Analyse von , , - A " begründet. Einerseits nämlich hat,,—A" eine Bedeutung, er bezeichnet einen Gegenstand (und n u r , weil Frege die Disjunktion ,Funktion oder Gegenstand' als vollständig ansieht - alles, was eine leere Stelle mit sich f ü h r t , also 'ungesättigt' ist, ist ein Funktionsausdruck, z . B . ein Begriffs wort, alle übrigen Ausdrücke mit abgeschlossenem Sinn sind Gegenstandsausdrücke - müssen W a h r und Falsch als solche Gegenstände herhalten), andererseits ist , , - A " selbst, bzw. sein Sinn, der Gedanke also, Gegenstand einer Beurteilung im Sprechakt ,,—A", der als in einer Behauptung vollzogene Anerkennung der Wahrheit von - A beschrieben wird. Bedeutet , , - A " jedoch das Falsche, so sieht man, daß der mit einer Behauptung erhobene Wahrheits a η s ρ r u c h nicht mit seiner Einlösung verwechselt werden darf, Freges Gleichbehandlung der assertorischen Sätze b z w . ihres Inhalts ( = Gedankens) mit den Gegenstandsnamen läßt den von ihm selbst hervorgehobenen entscheidenden Unterschied unberücksichtigt, daß ein Ge-

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I. Allgemeine Bestimmung und Erforschung von Sprache

danke noch zur-Beurteilung ansteht, Namen hingegen nur eine semantische, keine unmittelbar pragmatische Rolle spielen. Von Wahrheit sowohl in semantischer wie in pragmatischer Hinsicht zu sprechen - Frege beruft sich auf die Notwendigkeit, die bloße Annahme der Wahrheit von ihrer Anerkennung unterscheiden zu müssen (Frege 1891) - mag der Grund dafür gewesen sein, daß der Ausdruck, ,A" durchweg syntaktisch als Satzzeichen auftritt, obwohl 'Einwortsätze' naheliegende Beispiele dafür gewesen wären, an derselben Zeichengestalt Wortund Satzaspekt zu unterscheiden. Der Lösungsvorschlag lautet, eine Artikulation resp. einen Artikulator unter ihrem Satzaspekt eine (einfache oder elementare) P r ä d i k a t i o n resp. eine (einfache oder elemente) A u s s a g e zu nennen, und den Ausdruck Artikulation resp. Artikulator künftig für eine Spracheinführungshandlung resp. ihr Produkt nur unter ihrem Wortaspekt zu verstehen. Es liegt dann auch nahe, für Aussagen und Artikulatoren verschiedene Zeichengestalt zu wählen, um pragmatische und semantische Fragestellungen deutlicher voneinander abheben zu können. Jede Prädikation - z . B . der Satzaspekt von Sam's Rauchen - ist dann tatsächlich gemeinsamer Inhalt für jede durch einen Performator artikulierbare Verwendung der Prädikation, insbesondere für eine Behauptung (d.i. ein geäußertes Urteil). 2.2.3.

Wörter im Satz.

Individuation

Auf der z w e i t e n S t u f e der S p r a c h e i n f ü h r u n g s h a n d l u n g e n ist es Aufgabe, zur Vorbereitung einer von der Artikulation unterschiedenen Darstellung der Prädikation, den Wortaspekt eines Artikulators wiederum so zu unterscheiden, daß die repräsentierte Handlung zum einen in ihrem universalen Aspekt-dem Schema-, zum anderen in ihrem singularen Aspekt — einer Aktualisierung - betrachtet wird: Artikulatoren b e n e n n e n ein Schema u n d u n t e r s c h e i d e n eine bestimmte Aktualisierung des fraglichen Schemas als zugehörig von zu diesem Schema nicht zugehörigen. Artikulatoren in ihrer benennenden Funktion heißen N o m i n a t o r e η (singular terms, zum Terminus vgl. Lorenz 1970), in ihrer unterscheidenden Funktion hingegen P r ä d i k a t o r e n (general terms, zum Terminus vgl. Carnap 1947). Für den Satzaspekt, die Prädikation und ihr Produkt, die Aussage, liefert diese Funktionsaufspaltung eines Artikulators die Möglichkeit, die gewünschte, Satz und Wort unterscheidende Zeichengebung einzuführen. Dazu bedarf es lediglich zweier spezieller Sprachzeichen - 'Wörter' mit grammatischer, nicht mit lexikalischer Bedeutung, weil nur in bestimmtem Kotext, nicht selbständig wie Artikulatoren verwendbar - , die die jeweils

abgetrennte Funktion eines Artikulators, tritt er n u r als Nominator oder n u r als Prädikator auf, übernehmen. Es sind dies der D e m o n s t r a t o r , ein uneigentlicher Nominator der 'alles' benennt, und deshalb in Verbindung mit einem Artikulator diesen als reinen Prädikator zu verwenden erlaubt (der P r ä s e n t a t o r , e i n uneigentlicher Prädikator, der 'nichts' mehr unterscheidet, und deshalb in Verbindung mit einem Artikulator diesen als reinen Nominator zu verwenden erlaubt, ließe sich auch benützen) und die K o p u l a zur eigentlichen Unterscheidung von Satz und Wort. Im Deutschen läßt sich der Demonstrator annähernd durch das Demonstrativpronomen dies, symbolisiert: , , δ " , wiedergeben (es übernimmt damit die Rolle des ,τσδε τι', d.i. dies da, als Darstellung eines noch nicht begrifflich bestimmten Einzelnen in der philosophischen Tradition), so daß mit einem Artikulator , , Ρ " , ζ. B. Sam's Rauchen, in der Verbindung ,,δΡ" der Demonstrator die nominative Funktion des zum reinen Prädikator gewordenen Artikulators , , Ρ " übernimmt: Als Verbindung zweier Wörter zu einem Wort b e n e n n t , , δ Ρ " , im Beispiel dies Rauchen Sam's, die Handlung in ihrem singularen Aspekt, also eine Aktualisierung; als Verbindung zweier Wörter zu einem Satz sagt , , δ Ρ " a u s , daß - und zur Unterscheidung schreibt man die Aussage ,,δεΡ" oder expandiert ,,δΡεΡ", mit der affirmativen Kopula ,,ε", gelesen : ist - die durch den Kontext der Äußerung 'gegebene' und durch den Demonstrator bzw. durch ,,δΡ" benannte Aktualisierung ein Fall der Handlung ist (das 'Gegebensein' der Aktualisierung schließt natürlich eine raumzeitliche Umgebung der Äußerung ein, ζ. B. eine der Äußerung zeitlich vorhergehende oder nachfolgende Aktualisierung), im Beispiel dies ist (ein Einzelfall von) Sam's Rauchen. (Mithilfe des Präsentators ,,π", umgangssprachlich am ehesten durch eine Verbalisierung des herkömmlichen .Gegenstand', d. i. des ,ens' der philosophischen Tradition, also durch 'vergegenständlicht' wiedergegeben, erhielte man als zu ,,δεΡ" streng synonyme Aussage ,,Ρεπ", im Beispiel Sam's Rauchen (als Schema) ist vergegenständlicht (= aktualisiert).) Auf den nächsten Stufen der Spracheinführungshandlungen sind weitere Differenzierungen vorzunehmen, um über die bisher gewonnenen logischen W o r t a r t e n der Nominatoren und (einstelligen!) Prädikatoren, einschließlich der als d e i k t i s c h e K e n n z e i c h n u n g e n bezeichneten, aus Demonstrator und einem Prädikator zusammengesetzten Nominatoren hinaus den Anschluß an die in natürlichen Sprachen vorkommenden, insbes. die traditionelle Grammatik bis hin zu den Begriffssystemen der zeitgenössischen Linguistik beherrschenden Einteilungen - vor allem Nomen und Nominalphrase, Verbum und Verbalphrase, Präposition - zu gewinnen und

1. Sprachphilosophie insbes. auch den Unterschied zu den S a t z t e i l e n , also der Funktion der Wortarten im Satz, darunter vor allem Subjekt und Prädikat, zu klären. Berücksichtigt man dabei, daß die bisher zur Verfügung stehenden Sätze - genauer: Aussagekerne, weil vom Performator eines Satzes abgeblendet ist - nur spezielle a f f i r m a t i v e e i n s t e l l i g e Elementaraussagen, nämlich elementare E i g e n a u s s a g e n sind (d.h. die Aussagen , , δ ε Ρ " erlauben nur die Expansion ,,δΡεΡ", nicht aber , , 6 Q e P " , so daß Aussagen wie z . B . dieser Mensch ist 'am Rauchen' noch nicht gebildet werden können), so sind bis zur heute gebräuchlichen Standardform logisch analysierter Aussagen, die demzufolge in der generativen Semantik auch für die Darstellung der Tiefenstruktur von Sätzen benutzt wird, noch eine Reihe von Erweiterungen vorzunehmen. Die logische Form einer affirmativen Elementaraussage - sie geht zurück auf Freges Rekonstruktion der traditionellen Subjekt-PrädikatZerlegung einer singulären Aussage mithilfe des mathematischen Argument-Funktions-Zusammenhangs: ein Prädikat bzw. der Prädikatausdruck ist der sprachliche Ausdruck für eine Funktion, und zwar eine Aussagefunktion, weil zusammen mit dem sprachlichen Ausdruck für das Argument, also dem als Nominator verstandenen Subjekt oder Subjektausdruck sich ein sprachlicher Ausdruck, eben die Aussage, für den Wert der Aussagefunktion ergibt, und das sind die beiden Wahrheitswerte das Wahre und das Falsche (vgl. Frege 1906, 201 ff.) - wird dargestellt durch Πι,.. .,ηιεΡ (auch mit Variablen und in mathematischer Notation durch F ( x t , . . . , x ; ) wiedergegeben), wobei n h . . .,nj Mitteilungszeichen für Nominatoren sind und Ρ ein Mitteilungszeichen für einen i-stelligen Prädikator, der in der Aussage dem System der von den Nominatoren benannten Gegenstände z u g e s p r o c h e n bzw. von ihm p r ä d i z i e r t ist. Hierbei werden die Gegenstände als u n a b h ä n g i g vom Prädikator Ρ gegeben angesehen, entweder als Elemente eines Universalbereichs 'Gegenstand überhaupt' oder - innerhalb konkreter Anwendungen - als Elemente eines Teilbereichs, etwa als Aktualisierungen der Schemata D I N G , H A N D L U N G , L E B E W E S E N usw., die durch Artikulatoren, die 'semantischen Kategorien' (semantic markers), repräsentiert schon zur Verfügung stehen müssen (ζ. B. in der linguistischen Semantik bei der Angabe von Selektionsbeschränkungen für die Komposition von Wörtern, vgl. Katz/Postal 1964; auch zusätzliche relationale Artikulatoren, wie ,bewirken', b e einflussen' usw. spielen dabei eine Rolle, etwa für die semantische Analyse des über die Kopula hinausgehenden Zusammenhangs zwischen Nominator und Prädikator in Sam raucht, Holz brennt, vgl. Chafe 1970).

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Es ist aber noch mehr vorausgesetzt: die prädizierten Gegenstände werden nicht nur als unabhängig von der gerade betrachteten Prädikation behandelt, sie sind auch individuell identifizierbar und damit nicht nur flüchtige Aktualisierungen eines den Grundbereich charakterisierenden Handlungsschemas. Um diesen Ubergang von voneinander ununterscheidbaren bloßen Aktualisierungen eines Schemas zu I n d i v i d u e n zu vollziehen - wie es u.a. auch jede formale mengentheoretische Behandlung der Semantik verlangt —, ist es erforderlich, sich klar zu machen, daß die bisher gewonnenen Artikulatoren für Handlungen wie R A U C H E N oder Dinge wie P L A T T E oder Materialien wie WASSER oder Farben wie R O T (in den letzten drei Fällen haben lediglich Identifikationen zwischen verschiedenen Handlungen stattgefunden, P L A T T E B R I N G E N mit PLATT E S E H E N etc., INS WASSER S P R I N G E N mit W A S S E R S P U R E N etc., R O T S E H E N mit R O T A N S T R E I C H E N etc.; aber auch im ersten Fall sind solche Identifikationen, z . B . zwischen R A U C H E N und R A U C H E N B E O B A C H T E N etc. zu berücksichtigen, will man nicht das Verständnis einer Handlung auf das Selbertun einschränken, was zu absurden solipsistischen Konsequenzen führen würde) lediglich 'feature universals' im Sinne von Strawson (1959) artikulieren, diese Schemata also nicht in individuelle Einheiten gliedern; und in natürlichen Sprachen gibt es auch durchaus Prädikatoren, zu deren Bedeutung nicht die Existenz individueller Instanzen gehört, z . B . die Kontinuativa (mass nouns) und alle Adjektiva. (In der Wissenschaftssprache hingegen wird z . B . aus Wasser ein Artikulator mit grundsätzlich individuellen Einheiten, den Wassermolekülen, gemacht.) Erst, wenn zusammen mit einem Artikulator , , P " noch unbegrenzt viele I n d i v i d u a t o r e n , , ι Ρ " angenommen werden, die relativ zum Ausgangsschema Z w i s c h e n s c h e m a t a artikulieren (in mengentheoretischer Metaphorik: eine Einteilung in nicht notwendig disjunkte Klassen auf dem Bereich aller Aktualisierungen) - diese I n d i v i d u a t i o n entspricht der Einführung der Unterscheidung von ,gleich' und verschieden' unter dem Titel ,divided reference' zusätzlich zur Einführung eines Artikulators (term) bei Quine (1960, § 19f.) - erlaubt die Vereinbarung, anstelle von „ P " mit den Aktualisierungen δΡ zu einem Artikulator , , P " mit den Individuen iP als seinen Aktualisierungen überzugehen - also δΡ = iP - , diejenigen Gegenstandsbereiche zur Verfügung zu stellen, die der formallogischen Standardbeschreibung als Grundlage dienen. Auch die Einf ü h r u n g a b g e l e i t e t e r A r t iku l a t o r e n ( = Klassifikatoren) durch exemplarische Einführung (vgl. Kamlah/Lorenzen 1967, Gerhardus/Kledzik/ Reitzig 1975), d.i. ostensive definition (vgl. Körner 1959), auf derart bereits gegebenen

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/. Allgemeine Bestimmung und Erforschung von Sprache

Bereichen bereitet dann keine Schwierigkeit mehr. Weiter lassen sich jetzt diejenigen Prädikatoren einer natürlichen Sprache auszeichnen, deren Individuatoren zu ihrer Bedeutung dazugehören: es sind die Individuativa (count nouns) „ P " , die im Deutschen und anderen indoeuropäischen Sprachen durch Vorsetzen des unbestimmten Artikels vor das zugehörige , , P " gebildet werden, also „neP=neein P " (während , , δ " und „ i " offensichtlich beide annähernd vom Demonstrativpronomen dies wahrgenommen sind). Andererseits gibt es sprachspezifische Individuenbereiche, durch die andere mögliche Individuatoren bestimmt sind, so etwa im Deutschen die Individuatoren der Adjektive in attributiver Stellung durch die Individuation des regierenden Nomens, z . B . dieser rote Fleck vs. dies(er Einzelfall von) Rot oder - bei Kontinuativa - dieser Tropfen Wasser vs. dies Wasser; in diesen Fällen sind die Individuatoren eines Prädikators (rot oder Wasser) nicht mit seiner Bedeutung fest verknüpft, sondern werden durch Kotext (Fleck bzw. Tropfen) und Kontext einer Äußerung, deren Bestandteil er ist, jeweils wechselnd bestimmt. 3. Welt und Sprache. der Sprachzeichen

Bedeutung

3.1.

Wahrheit

3.1.1.

Entstehung eines

und

Gebrauch

Geltungsanspruchs

Die mit den Spracheinführungshandlungen oder 'Sprachspielen' gewonnenen Gesichtspunkte zur Beurteilung menschlicher Sprachverwendung reichen jetzt schon aus, um zwei weitere, durch Wittgenstein gegenwärtig einflußreich gewordene, sachlich jedoch mindestens bis auf Humboldt zurückgehende Einsichten zu stützen: (1) Sprechen und Handeln sind derart miteinander verflochten, daß eine angemessene Behandlung des einen Bereichs den Bezug auf den anderen nicht entbehren kann; (2) im Geflecht von Sprechen und Handeln zeigt sich eine Lebensform (Wittgenstein PU § 19) oder eine Weltansicht (Humboldt III, 434), die je nach der Ebene der Sprachbetrachtung individuenspezifisch oder gruppenspezifisch, außerhalb direkten Interaktionszusammenhangs auch nationalsprachenspezifisch oder sogar sprachfamilienspezifisch ausgeprägt ist. Die eine Hälfte von (1), nämlich der für Sprechen unentbehrliche Sachbezug, ist natürlich schon immer reflektiert worden und war unter dem Titel des Zusammenhangs von kommunikativer und repräsentativer Funktion der Zeichenhandlungen Ausgangspunkt für die hier gewählte Behandlung der Spracheinführung; die andere Hälfte jedoch, der Zugang zur Welt nur im Medium der Sprache, wobei nicht unbedingt Wortsprache

vorliegen muß, ist auch heute kontrovers und wird in besonders pointierter Form bei der Auseinandersetzung um den Wahrheitsbegriff, in der Gegenüberstellung von Korrespondenztheorie und Konsenstheorie der Wahrheit (vgl. Lorenz 1972) ausgetragen. Auch hier ist es die schon für die Diskussion um den Status der Prädikation herangezogene Unentschiedenheit, den Ausdruck wahr sowohl auf einer semantischen wie auf einer pragmatischen Ebene, für den 'Gedanken' wie für das 'Urteil', im Zusammenhang der Bedeutung der Sprachzeichen wie im Zusammenhang ihres Gebrauchs, einzusetzen - und die weit verzweigte Debatte um die sogenannte 'use theory of meaning' („Man kann für eine große Klasse von Fällen der Benützung des Wortes ,Bedeutung' - wenn auch nicht für alle Fälle seiner Benützung - dieses Wort so erklären: Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache." Wittgenstein PU § 43, vgl. Parkinson 1968), mit der ein pragmatisches Fundament für die Semantik und damit eine Entscheidung auch für den Wahrheitsbegriff gesucht wird (,, ,So sagst du also, daß die Übereinstimmung der Menschen entscheide, was richtig und falsch ist?' - Richtig und falsch ist, was Menschen sagen; und in der Sprache stimmen die Menschen überein. Dies ist keine Übereinstimmung der Meinungen, sondern der Lebensform." Wittgenstein PU § 241), gehört mit in diesen Zusammenhang - , die als auslösendes Moment für diese Auseinandersetzung gelten muß (vgl. Skirbekk 1977). Bevor jedoch die Wahrheitsfrage überhaupt gestellt werden kann, ist der Weg aufzuzeigen, der von den alltäglichen Lebensvollzügen, im Handeln und Sprechen, zu einer derartigen Problematisierung des 'Selbstverständlichen', zur Aufspaltung von Sachverstand und Irrtum, von Aufrichtigkeit und Täuschung führt. Methodisch ist es nämlich unausweichlich - und die Schritte der Spracheinführung zeigen es, in Ubereinstimmung mit dem letzten Wittgenstein-Zitat - , daß der anfängliche Verwendungszusammenhang der Handlungen unter Einschluß der Zeichenhandlungen nicht individualisiert verstanden werden darf: Dieser Verwendungszusammenhang stellt eine Lebensform dar, deren Anerkennung durch Einzelne gar nicht infrage gestellt werden kann, weil erst auf seiner Grundlage individuelle Meinungen und individuelle Wünsche als unterscheidbare sich herausbilden können. Mit dem Versuch nämlich, sich der gemeinsamen Welt, in der man lebt, auch zu vergewissern, zerbricht die praktisch gelebte Gemeinsamkeit und macht einer Vielfalt theoretisch vorgestellter 'Weltbilder' Platz, in der die gemeinsame Welt nicht mehr gegebenes Faktum ist, sondern als eine erst zu erfüllende Norm erscheint, als Gegenstand der „opinion which is fated to be ultimately agreed to by all who investigate" (Peirce 5.407). In der der Vergewisserung dienen-

/. Sprachpbilosophie d e n reflexiven W e n d u n g w i r d jeder seiner H a n d lungen als seiner eigenen inne u n d d a m i t als u n terschieden (Faktum!) von denselben ( N o r m ! ) H a n d l u n g e n der a n d e r e n . R e d e n u n d H a n d e l n w i r d metasprachlich artikulierbar u n d d a m i t ü b e r h a u p t erst von e i n a n d e r t r e n n b a r : R e d e als R e d e ü b e r einen G e g e n s t a n d u n d H a n d e l n als Gegenstand v o n Rede. Die Rede ü b e r Reden und Handeln d o k u m e n tiert die Möglichkeit z u r U n a b h ä n g i g k e i t m e n s c h licher R e d e g e g e n ü b e r den einzelnen Situationen, in d e n e n jeweils g e s p r o c h e n u n d gehandelt w i r d , u n d d a m i t z u r V e r g e g e n w ä r t i g u n g auch zeitlich u n d räumlich e n t f e r n t e r G e g e n s t ä n d e . Diese einheitstiftende K r a f t der R e d e w i r d d a h e r e r k a u f t z u m einen mit ihrer K r a f t z u r Fiktion u n d z u m a n d e r e n m i t ihrer K r a f t z u r Selektion: G e g e n stände k ö n n e n in der R e d e auch b l o ß vorgestellt w e r d e n , u n d sie w e r d e n dabei auf n u r b e s t i m m t e A s p e k t e eingeschränkt, also u n a n g e m e s s e n , repräsentiert. Stets steht R e d e auf dieser Stufe im Zeichen d e r S u b j e k t i v i t ä t u n d der A b s t r a k t h e i t , A n l a ß u n d A u s d r u c k des A n s p r u c h s , beides z u ü b e r w i n d e n . Mit R e c h t f e r t i g u n g e n soll diese Ü b e r w i n d u n g gelingen, Subjektivität in O b j e k t i vität, besser: T r a n s s u b j e k t i v i t ä t , u n d A b s t r a k t h e i t in K o n k r e t h e i t , besser: A d ä q u a t h e i t , ü b e r f ü h r t w e r d e n , u n d die S p r a c h e i n f ü h r u n g s h a n d l u n g e n sind das e n t s c h e i d e n d e Hilfsmittel f ü r diese R e c h t fertigungsleistungen. D i e R e k o n s t r u k t i o n des W o r t a s p e k t s u n d d a m i t der Verständlichkeit, traditionell: des S i n n s , der S p r a c h v e r w e n d u n g s h a n d l u n g e n gibt an, w o r ü b e r geredet w i r d ; m i t der so v o r g e n o m m e n e n ' K o n s t i t u t i o n ' , also sprachlich vermittelten Bestimm u n g der G e g e n s t a n d s b e r e i c h e darf die A b s t r a k t heit der R e d e als ü b e r w u n d e n gelten. D i e R e k o n s t r u k t i o n des Satzaspekts hingegen w u r d e in zwei Schritte zerlegt: die P r ä d i k a t i o n u n d die P e r f o r m a t i o n , w o b e i die P r ä d i k a t i o n den Satzaspekt der S p r a c h e i n f ü h r u n g n o c h o h n e die erst mit der P e r f o r m a t i o n thematisierte R e k o n s t r u k t i o n von S p r a c h v e r w e n d u n g e n festhält. Solange n u n aber in der P r ä d i k a t i o n n u r (elementare) Eigenaussagen der F o r m ι Ρ ε Ρ berücksichtigt sind, handelt es sich u m streng situationsabhängige Aussagen, die keinerlei v o m Sinn des P r ä d i k a t o r s Ρ unterschiedenes G e l t u n g s p r o b l e m mit sich f ü h ren. E r s t , w e n n m i n d e s t e n s die logische S t a n d a r d f o r m e l e m e n t a r e r Aussagen erreicht ist, in der ein, e t w a einstelliger, P r ä d i k a t o r Ρ von einem u n a b hängig v o n Ρ b e s t i m m t e n individuellen G e g e n stand i Q (der I n d i v i d u e n b e r e i c h ist d u r c h die E x e m p l i f i z i e r u n g e n von Q gegeben) prädiziert ist, entsteht ein nicht auf den Sinn v o n Ρ u n d Q zurückführbares Geltungsproblem. A m Searle'schen Beispiel e r l ä u t e r t : D i e Aussage dies ist Sam's Rauchen, tritt sie als K e r n einer Ä u ß e r u n g auf, e t w a einer A u f f o r d e r u n g , R A U -

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C H E N V O N S A M zu aktualisieren, ist lediglich 'exemplarische' V e r s t ä n d i g u n g ü b e r den Sinn von Sam's Rauchen, hingegen w i r d in d e r Aussage Sam raucht, e t w a als K e r n einer Mitteilung, einem M e n s c h e n mit N a m e n Sam ( i M e n s c h = S a m ) der P r ä d i k a t o r Rauchen z u g e s p r o c h e n , w a s d u r c h a u s nicht mit der Ä u ß e r u n g selbst n u r das W i s s e n , w e r Sam ist u n d was R a u c h e n ist, exemplifiziert. D a s liegt d a r a n , d a ß mit Sam nicht eine Aktualisierung ö M e n s c h von M E N S C H b e n a n n t ist, sondern ein z u r B e d e u t u n g des I n d i v i d u a t i v u m s . M e n s c h ' gehöriges Z w i s c h e n s c h e m a i M e n s c h ( u n d auch nicht andere I n d i v i d u e n , wie sie d u r c h explizite A b ä n d e r u n g der I n d i v i d u a t o r e n von Mensch z u s t a n d e g e k o m m e n , z . B . bei Gruppe Menschen, räumliches Teil eines Menschen, zeitliches Stadium eines Menschen u s w . , vgl. die D i s kussion u m die U n t e r s c h e i d b a r k e i t von rabbit, integral part of a rabbit, rabbit stage u . a . bei Q u i n e 1960, § 12), so d a ß a n Sam weitere U n t e r scheidungen artikulierbar w e r d e n - einige 6Sam m ö g e n zugleich R A U C H E N aktualisieren, einige 6Sam zugleich K O P F u s w . (vgl. die m i t dieser ' K o i n z i d e n z ' grundsätzlich gleichwertige ' t o getherness' bei G o o d m a n 1951, V I 3) - , die m a n aber v o n Sam im g a n z e n prädiziert. D a m i t k ö n nen Aussagen „ S a m e P " als K e r n e v o n Ä u ß e r u n gen a u f t r e t e n , o h n e d a ß in der Situation der Ä u ß e r u n g I n s t a n z e n von „ P " , die zugleich das von Sam b e n a n n t e Z w i s c h e n s c h e m a aktualisieren, auch v o r k o m m e n . D e s h a l b u n d n u r deshalb k ö n nen mit eigens ausgezeichneten Ä u ß e r u n g e n , den B e h a u p t u n g e n , ü b e r solche Aussagen G e l t u n g s a n s p r ü c h e e r h o b e n w e r d e n , die g r u n d sätzlich n u r d u r c h H e r b e i f ü h r e n einer ' n e u e n ' Situation, in der diese K o i n z i d e n z statthat, einlösbar sind. Eine solche, f ü r die E i n l ö s u n g des G e l t u n g s a n s p r u c h s geeignete Situation ist n u n keine a n d e r e als die, in der Sam's Rauchen einf ü h r b a r ist. Auf diese Weise b e k o m m t die Z u s a m m e n s e t z u n g von Sam u n d Rauchen z u m bisher als einfach b e h a n d e l t e n P r ä d i k a t o r Sam's Rauchen - in logischer A n a l y s e auf d e m U m w e g ü b e r eine R e l a t i v i e r u n g von Rauchen d u r c h U m w a n d lung in einen zweistelligen P r ä d i k a t o r Rauchen von, u n d anschließende E i n s e t z u n g eines N o m i n a t o r s an die z w e i t e Stelle erreicht - eine das G e l t u n g s p r o b l e m b e t r e f f e n d e Rolle. W ä h r e n d n ä m lich Sam raucht in Situationen, w o Sam raucht e b e n s o wie in Situationen, in denen w e d e r Sam v o r k o m m t n o c h R a u c h e n passiert, sinnvoll geäußert w e r d e n k a n n , ist dies ist Sam's Rauchen auf Ä u ß e r u n g e n in Situationen der ersten A r t beschränkt.

3.1.2.

Einlösung

eines

Geltungsanspruchs

N u r in Sam raucht u n d nicht in dies ist Sam's Rauchen m a r k i e r t der N o m i n a t o r eine v o n der

14

I. Allgemeine

Bestimmung

und Erforschung

von

Situation der Äußerung unabhängige Benennung, die es erlaubt, sinnvolle aber nicht deshalb schon geltende Äußerungen über nicht zur Situation der Äußerung gehörige Gegenstände zu machen. Genauer muß man sagen, daß nur in dem Maße, in dem die Benennung äußerungsinvariant ist, ein derartiger, in der Äußerungssituation allein grundsätzlich nicht einlösbarer Geltungsanspruch entsteht, oder auch umgekehrt: die Art der Einlösung des Geltungsanspruchs entscheidet über das Ausmaß der Äußerungsinvarianz einer Benennung. So kann etwa der auch allein durch den Kontext der Äußerung markierbare Unterschied zwischen Sam raucht gelegentlich und Sam raucht gerade als verschiedene Äußerungsinvarianz des Nominators Sam verstanden werden: In der ersten Aussage benennt Sam wie üblich einen bestimmten Menschen, gleichgültig, wann und wo die Aussage geäußert wird - zur Einlösung des Geltungsanspruchs ist im allgemeinen eine raum-zeitliche Situationsänderung erforderlich in der zweiten Aussage benennt Sam nur die jeweils mit der Äußerung 'gleichzeitige' Zeitphase von Sam, gleichgültig allein, wo sie geäußert wird - hier erfolgt die Einlösung des Geltungsanspruchs in der zeitlichen Gegenwart bei im allgemeinen nur räumlicher Situationsänderung —; bedeutet hingegen Sam raucht soviel wie Sam raucht hier und jetzt (von Tricks wie Unkenntlichmachen der Person, Verbergen des Rauchvorgangs etc. dabei einmal abgesehen), so verschwindet der Unterschied zu dies ist Sam's Rauchen und damit auch jeder mit einer Behauptung erhebbare Geltungsanspruch. Es ist daher zulässig, den Sinn einer Aussage, ihre Verständlichkeit, mit dem Sinn desjenigen Artikulators zu identifizieren, der diejenige Situation artikuliert, die herbeigeführt werden muß, um den Geltungsanspruch der Aussage einzulösen. Die Geltung der Aussage hingegen, ihre V e r l ä ß l i c h k e i t , wird als Erfüllbarkeit ihres Sinns behauptet, mit der Konsequenz, daß genau in dem Maße, in dem die in einer Äußerung nur sprachlich, an den durch Nominatoren äußerungsinvariant vertretenen Individuen, 'vorgestellten' Unterscheidungen sich in 'wirkliche' überführen lassen - durch 'Vergegenwärtigung' der nur behaupteten, d.i. mithilfe der Behauptung nur sprachlich repräsentierten, Situation - die Subjektivität der Rede als überwunden gelten darf: Gemeinsames Reden und Handeln, eine im Kommunikationszusammenhang insoweit gemeinsame Welt ist wiederhergestellt. Versteht man derart die Einlösung von Geltungsansprüchen als Wiederherstellung einer durch die Differenz von Reden und Handeln - genauer: durch das Bewußtwerden dieser Differenz - verlorengegangenen gemeinsamen Welt, so kann das Verfahren einer Uberführung von

Sprache

(individueller) 'Vorstellung' in (gemeinsame) 'Wirklichkeit' im allgemeinen, nicht auf Elementaraussagen beschränkten Fall als A r g u m e n t a t i o n charakterisiert werden: Ihr 'rationaler', sich wiederum Behauptungen bedienender Teil liegt für den Spezialfall l o g i s c h z u s a m m e n g e s e t z t e r A u s s a g e n in der dialogischen Logik ausgearbeitet vor (Lorenzen/Lorenz 1978), und wird generell gegenwärtig von verschiedenen Ansätzen zu einer Argumentationstheorie aus verfolgt (vgl. die Ubersicht unter Einschluß der 'Universalpragmatik' i. S. von Habermas bei Berk 1979); ihr 'empirischer', auf nichtverbale Handlungen, z . B . Experimente, bezugnehmender Teil wird in der im Anschluß an das 'Verifikationsprinzip' (,,the meaning of a proposition can be given only by giving the rules of its verification in experience", Schlick 1936) des logischen Empirismus geführten Debatte (wobei gegenwärtig nicht mehr umstritten ist, daß rationaler und empirischer Teil sich nicht getrennt voneinander behandeln lassen) erörtert (vgl. Hempel 1965). So wenig, wie von einem Wort sein Sinn abgelöst werden kann - es wäre kein Wort, kein verständliches Sprachzeichen mehr (obwohl natürlich ein als Wort vermutetes Lautschema auf seinen Sinn hin befragt werden kann) — so wenig kann von einer Aussage ihre Geltung abgetrennt werden — sie wäre keine Aussage, kein verläßliches Sprachzeichen mehr (obwohl natürlich auch hier der bloße Geltungsanspruch auf seine Einlösbarkeit hin befragt werden kann). Wahr ist daher kein Prädikator zur Unterscheidung von Aussagen, ebensowenig wie sinnvoll ein Prädikator zur Unterscheidung von Prädikatoren ist, außer eben über bloßen Zeichengestalten, sie als Aussagen bzw. als Wort qualifizierend. Das aber war trotz der zusätzlichen verwirrenden Verwendung von wahr (neben sinnvoll) im semantischen Zusammenhang bereits der Inhalt von Freges großartiger Einsicht in die Explizierbarkeit von Wahrheit allein im pragmatischen Zusammenhang: „ E s wäre nun vergeblich, durch eine Definition deutlicher zu machen, was unter ,wahr' zu verstehen sei. Wollte man etwa sagen: ,Wahr ist eine Vorstellung, wenn sie mit der Wirklichkeit übereinstimmt', so wäre damit nichts gewonnen, denn, um dies anzuwenden, müßte man in einem gegebenen Falle entscheiden, ob eine Vorstellung mit der Wirklichkeit übereinstimme, mit anderen Worten: ob es wahr sei, daß die Vorstellung mit der Wirklichkeit übereinstimme. Es müßte also das Definierte selbst vorausgesetzt werden. Dasselbe gälte von jeder Erklärung von dieser Form: ,A ist wahr, wenn es die und die Eigenschaften hat, oder zu dem und dem in der und der Beziehung steht'. Immer käme es wieder im gegebenen Falle darauf an, ob es wahr sei, daß Α die und die Eigenschaften habe, zu dem und dem in der und der Beziehung stehe. Wahrheit ist offenbar etwas so Ursprüngliches und Einfaches, daß eine Zurückführung auf noch Einfacheres nicht möglich ist. Wir sind daher darauf angewiesen, das Eigentümliche unseres Prädikates durch Vergleichung mit anderen ins Licht zu setzen. Zunächst

/. Sprachphilosophie unterscheidet es sich von alien a n d e r e n Prädikaten d a d u r c h , d a ß es i m m e r mit ausgesagt w i r d , w e n n irgend etwas ausgesagt w i r d . W e n n ich b e h a u p t e , d a ß die S u m m e v o n 2 u n d 3 5 ist, so b e h a u p t e ich d a m i t , d a ß es w a h r ist, d a ß 2 u n d 3 5 ist ( . . . ) . D i e F o r m des B e h a u p t u n g s s a t z e s ist also eigentlich das, w o m i t w i r die W a h r h e i t aussagen, u n d w i r b e d ü r fen d a z u des W o r t e s , w a h r ' n i c h t . J a , w i r k ö n n e n sagen: selbst da, w o w i r die A u s d r u c k s w e i s e ,es ist w a h r , d a ß . . . ' a n w e n d e n , ist eigentlich die F o r m des B e h a u p t u n g s s a t z e s das W e s e n t l i c h e . " (Frege 1897, 139f.)

3.2. Die

Universalienfrage

Gleichwohl hat die von Frege im Anschluß an die Tradition durchgesetzte und mit einer systematischen Begründung für alle Zeichensorten versehene Zweiteilung der semantischen Ebene in einen Bereich des S i n n s und in einen Bereich der B e d e u t u n g - h e u t e : R e f e r e n z , um Bedeutung als Oberterminus für beide Bereiche verfügbar zu haben - die Diskussion um die Semantik als logische (vgl. Carnap 1947, Kutschera 1976) wie auch als linguistische Disziplin (Ulimann 1962, Davidson/Harman 1972, Lyons 1977) beherrscht, und zwar auch dort, wo für Eigennamen die Unabhängigkeit der Referenz vom Sinn und die Einbeziehung gewisser Prädikatoren in den Bereich der Eigennamen, nämlich solcher, die 'natural kinds', ζ. Β. Materialien oder biologische Arten, artikulieren, vertreten und als 'neue Theorie der Referenz' vorgestellt wird (vgl. S.-P. Schwartz 1977). Kernstück der philosophischen Tradition, die ernsthaft und bereits weit radikaler als von der 'neuen Theorie der Referenz' erstmals von Peirce in seiner P r a g m a t i s c h e n M a x i m e („Uberlege, welche denkbaren Wirkungen, die denkbarerweise auch praktische Auswirkungen haben könnten, der Gegenstand unseres Begriffes hat. Dann ist unser Begriff dieser Wirkungen das Ganze unseres Begriffs des Gegenstandes" 5.2; dazu erläuternd: „Begriffe von überlegtem Verhalten sind es, auf die der Pragmatizismus den intellektuellen Bedeutungsgehalt von Symbolen zurückführt, und überlegtes Verhalten ist selbstkontrolliertes Verhalten." 5.442) durch einen expliziten pragmatischen Kontext für die Semantik verlassen wurde, ist die These, daß die Gegenstände (die Welt) und die Zeichen (die Sprache) nicht unmittelbar, sondern über besondere Gegenstände, die sogenannten U n i v e r s a l i e n , miteinander verbunden sind, wobei der Streit um den Status dieser 'Universalien' (als gleichbedeutende Termini werden auch ,Idee', .Vorstellung', ,Begriff', in der Stoa ,λεκτόν', u . a . verwendet) seit dem scholastischen Streit zwischen einer 'realistischen' Position - die universalia existieren ante rem - und einer 'nominalistischen' Position - die universalia existieren post rem als bloße vox (eine vermittelnde 'konzeptualistische' Position läßt die Universalien 'zugleich mit' den Gegenständen auftreten: onto-

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logisch in re und epistemologisch - durch einen Abstraktionsprozeß - in mente, vgl. Schneider 1970) bis in die Gegenwart sich fortsetzt und noch in der Unterscheidung einer Theorie virtueller Mengen - durch Abstraktion aus Aussageformen gewonnen - von einer Theorie realer Mengen - als Wertbereich für quantifizierte Variablen von Aussageformen angenommen — sich widerspiegelt (vgl. Stegmüller 1956/57, Quine 1963). So ist auch die Langlebigkeit der aus zahllosen traditionellen Bedeutungstheorien in der Form des sogenannten 'semantischen (oder semiotischen) Dreiecks' (basic triangle) von Ogden und Richards (1923) herausdestillierten Grundstruktur zu verstehen :

symbol

referent

Die Spitze nimmt das Universale ein, Zeichen und Gegenstand bilden die einander gegenüberliegenden Fußpunkte. In pragmatischen Erweiterungen des Modells wird durch Verdoppelung der Spitze je für die Sprecher- und Hörerrolle das Dreieck zum Viereck (vgl. Ulimann 1962), in syntaktischen Verengungen hingegen wird die Spitze gänzlich eliminiert und eine direkte Verbindung von Zeichengestalt und Zeichenbedeutung hergestellt (Bloomfield 1933). Verwendet man diese Dreiteilung für alle Sprachzeichen, so erhält man Freges konsequent durchgehaltene Theorie von Sinn und Bedeutung mit ihren zahlreichen 'überflüssigen' Gegenständen. Entscheidend ist jedoch, daß für die Artikulation im Wortaspekt, also für die Darstellung von Handlungen, der typetoken Dualität der Handlungen wegen zusätzlich ein (relativ zum Schema) benennender und ein (relativ zur Aktualisierung) unterscheidender Aspekt unterschieden werden kann; bei nicht abgeleiteten, d . h . ohne Hilfe von Prädikatoren gebildeten Nominatoren, den logischen Eigennamen, d. s. Sprachzeichen in ihrer Funktion als logische Eigennamen, gibt es dann nur eine Referenz, keinen Sinn, bei Prädikatoren, d . s . Sprachzeichen in ihrer Funktion zum Unterscheiden, nur einen Sinn, keine Referenz. Das heißt jedoch nicht, daß dasselbe Zeichen nicht beide Funktionen, natürlich in verschiedenen Aussagen, ausüben kann, ζ. B. Rot ist eine Farbe und dieser Fleck ist rot. Andererseits kann in dem Augenblick, in dem R e g u l a t i o n e n als 'terminologische Bestimmungen' (Lorenzen/Kamlah 1967) oder 'Bedeutungspostulate' (Carnap 1956) einen vereinbarten sprachlichen Zusammenhang für zulässige Ubergänge in der Verwendung von Prädikatoren herstellen - ζ. B. rot => grün (in Worten: was rot ist,

16

/. Allgemeine Bestimmung und Erforschung von Sprache

ist nicht g r ü n , d . h . N i c h t g r ü n s e i n läßt sich mit Rotsein ' b e g r ü n d e n ' ) ; rot => rötlich; e b e n s o die ü b lichen L e x i k o n e r k l ä r u n g e n - eine A b s t r a k t i o n aus den P r ä d i k a t o r e n einer ganzen T e r m i n o l o g i e bezüglich der Äquivalenzrelation S y n o n y m i e v o r g e n o m m e n w e r d e n (R syn Ρ R => Ρ u n d Ρ => R sind relativ z u r T e r m i n o l o g i e zulässige Regeln), die z u a b s t r a k t e n G e g e n s t ä n d e n , den B e g r i f f e n f ü h r t . D i e E r w e i t e r u n g des S y n o n y m i e begriffs v o n P r ä d i k a t o r e n auf Aussagen f ü h r t zu S a c h v e r h a l t e n als abstrakten G e g e n s t ä n d e n , w o b e i m a n sich aber klar sein m u ß , d a ß Bestehen eines Sachverhaltes ( = , T a t s a c h e ' ) n u r Parap h r a s e f ü r Erfülltsein eines Begriffs ist.

logik ( H u g h e s / C r e s s w e l l 1968) u . a . u n t e r s u c h t . U n d i n s b e s o n d e r e Q u i n e (1951 u . a . ) h a t die T a t sache der A b h ä n g i g k e i t einer intensionalen Gleichheit zwischen P r ä d i k a t o r e n v o n einem System von B e d e u t u n g s p o s t u l a t e n , dessen H e r k u n f t keine erk e n n b a r e n Sicherheiten gegen individuelle Willk ü r u n d d a m i t U n s c h ä r f e im z u g e h ö r i g e n Gleichheitsbegriff a u f w e i s t , d a z u b e n u t z t , auf intensionale A b s t r a k t i o n e n u n d d a m i t auch auf a n a l y t i s c h e ( = begriffliche) Ä q u i v a l e n z ü b e r h a u p t z u verzichten u n d d u r c h geeignete Hierarchisier u n g der Z e i c h e n g e b u n g nichtextensionale K o texte in extensionale zu ü b e r f ü h r e n ( z u m G e s a m t z u s a m m e n h a n g vgl. Pap 1958).

D a ein Begriff v o n den i n k r a f t befindlichen o d e r i n k r a f t gesetzten t e r m i n o l o g i s c h e n Bestimm u n g e n f ü r den darstellenden P r ä d i k a t o r a b h ä n g t , die z u m gleichen P r ä d i k a t o r z e i c h e n g e h ö r e n d e V e r w e n d u n g als N o m i n a t o r aber n u r v o n der E i n f ü h r u n g des b e n a n n t e n Schemas, darf die terminologieabhängige B e n u t z u n g eines Sprachzeichens als D a r s t e l l u n g f ü r einen Begriff nicht mit der n u r v o m L e h r e n u n d L e r n e n einer H a n d l u n g abhängigen B e n u t z u n g desselben Sprachzeichens als N o m i n a t o r , s o g a r : E i g e n n a m e im logischen Sinn, identifiziert w e r d e n ( ' s o f t ' vs. 'rigid' n o m i n a t o r s , vgl. K r i p k e 1971). W e n n ganz analog aus P r ä d i k a t o r e n bez. der Äquivalenzrelation R = Ρ ^ Λ „ ^ ( Χ ) · ( - > P(x). z u K l a s s e n als abstrakten G e g e n s t ä n d e n übergegangen w i r d , so ist in diesem Fall z u beachten, d a ß R u n d Ρ als Klassifik a t o r e n z u r U n t e r s c h e i d u n g auf einem G r u n d b e reich bereits gegebener I n d i v i d u e n i Q d i e n e n : R u n d Ρ k ö n n e n d a n n nicht f ü r sich allein N o m i n a t o r f u n k t i o n a u s ü b e n , s o n d e r n n u r in attributiver Stellung relativ z u Q ; aber w e d e r w i r d R Q dann mit R n o c h P Q mit Ρ verwechselt w e r d e n .

D i e D o p p e l n a t u r v o n Schema u n d Aktualisier u n g , also von universalem u n d singularem A s p e k t jeder H a n d l u n g , läßt sich d u r c h sprachliche K o n s t r u k t i o n e n , die auf b l o ß einem dieser A s p e k t e a u f b a u e n , also e t w a die Schemata allein ' v o r a u s s e t z e n ' , u m d u r c h begriffliche o d e r klassenlogische Zergliederung zu den Aktualisierungen z u gelangen, o d e r aber die Aktualisierungen allein ' v o r a u s s e t z e n ' , u m d u r c h intensional o d e r extensional abstrahierende Z u s a m m e n f a s s u n g das Schema z u ersetzen, nicht h i n t e r g e h e n . D i e schon von der p h i l o s o p h i s c h e n T r a d i t i o n b e g r ü n d e t e Einsicht in die T h e s e v o m u n a u s s c h ö p f b a r e n (ineffabile) I n d i v i d u u m , das eben n i c h t als infima species g e f u n d e n w e r d e n k ö n n e , w i r d e r g ä n z t v o n der k o m p l e m e n t ä r e n m o d e r n e n Einsicht, d a ß eine H a n d l u n g in ihrem schematischen C h a r a k t e r nicht d u r c h A b s t r a k t i o n s v e r f a h r e n auf einem Bereich von Aktualisierungen erfaßt w e r d e n k a n n : auch ein A b s t r a k t i o n s v e r f a h r e n ist in seiner V e r w e n d u n g v o n einer allgemeinen H a n d l u n g s k o m p e t e n z abhängig, die n u r p r a k t i s c h , n i c h t theoretisch ' b e gründet' werden kann.

D i e Extension eines P r ä d i k a t o r s P , die v o n Ρ relativ z u einem I n d i v i d u e n b e r e i c h dargestellte Klasse / / P / / , k a n n e b e n s o w e n i g w i e seine Intension, der von Ρ relativ z u einer T e r m i n o l o g i e dargestellte Begriff / P / , als E r s a t z f ü r die R e f e r e n z des in N o m i n a t o r f u n k t i o n a u f t r e t e n d e n Zeichens P , also f ü r das damit b e n a n n t e Schema dienen. G l e i c h w o h l hat diese U n t e r s c h e i d u n g zu einer a u s g e d e h n t e n D i s k u s s i o n u m den logischen Z u s a m m e n h a n g zwischen P r ä d i k a t i o n e n u n t e r E i n s c h l u ß der P e r f o r m a t i o n e n u n d der P r ä d i k a tionen 2. Stufe, etwa in Gestalt der ' p r o p o s i t i o n a l attitudes' g e f ü h r t , weil u n t e r einer ' p r o p o s i t i o n a l attitude', ζ. Β. 'ich glaube, d a ß A ' die Substituierbarkeit der Aussagen d u r c h extensional äquivalente salva veritate nicht m e h r allgemein zulässig ist: M i t den P r ä d i k a t o r e n f ü r ' p r o p o s i t i o n a l attitudes' u n d auch den M o d a l o p e r a t o r e n ' m ö g l i c h ' , ' n o t w e n d i g ' u s w . w e r d e n nichtextensionale K o texte f ü r Aussagen gebildet, die m a n in verschiedenen nichtextensionalen L o g i k s y s t e m e n , z . B . der epistemischen L o g i k ( L e n z e n 1980), der M o d a l -

3.3.

Sprechen verbunden als Lehensform

mit

Handeln

Ist auf diese Weise W e l t u n d Sprache im M e d i u m d e r H a n d l u n g e n - das Peirce'sche A n g e b o t z u r D e u t u n g der U n i v e r s a l i e n , w e n n er sie als 'habits' b e z e i c h n e t ! - v e r b u n d e n , sind beide Bereiche n u r im Z u s a m m e n h a n g nichtsprachlicher u n d s p r a c h licher H a n d l u n g e n greifbar, o d e r n o c h g r u n d s ä t z licher: ist an H a n d l u n g e n ' u r s p r ü n g l i c h ' (d. h . z u Beginn der R e k o n s t r u k t i o n ) n u r ein A s p e k t (neben a n d e r e n A s p e k t e n , z . B . als A r b e i t Mittel z u r natürlichen u n d sozialen! - B e d ü r f n i s b e f r i e d i g u n g , o d e r als M u ß e A u s p r ä g u n g einer Individualität in der I n t e r a k t i o n mit ihrer U m w e l t d u r c h F ä h i g k e i t e n e r p r o b e n , aber auch als T u n — die aristotelische Kategorie des ά γ ε ι ν ! - das Selberherv o r b r i n g e n u n d als G e s c h e h n i s o d e r W i d e r f a h r nis - die aristotelische Kategorie des π ά σ χ ε ι ν - das H e r v o r b r i n g e n l a s s e n ) z u ermitteln, nämlich d a ß sie als S y m b o l das Verstehen e r m ö g l i c h e n , einer

1. Sprachpbilosophie

Einzelhandlung als Fall eines Handlungsschemas und damit eigene und fremde Tätigkeit ebenfalls als 'dieselbe' Handlung im Tun- und im Geschehnisaspekt, so ist klar, daß auch Sprachhandlungen, sind sie doch ebenfalls zunächst nur Aspekt allgemeiner Handlungen, n i c h t n u r als Zeichenhandlungen verstanden werden dürfen - ebenso wie Handlungen im allgemeinen umgekehrt immer auch Zeichenhandlungen sein können, ζ. B. wenn jemand die Handlung eines anderen 'versteht' - , auch wenn sie sofort durch eine reflexive Einstellung - durch Entdecken und damit gleichzeitiges Problematisieren des in den Äußerungen erhobenen Anspruchs, was dazu führt, Rede und Gegenstand der Rede voneinander zu trennen - , als eigenständige Zeichenhandlungen auftreten. Äußerungen 'bloß' als (verbale) Handlungen sind im Unterschied zu den Äußerungen als (verbalen) Zeichenhandlungen auf der gleichen Ebene anzusiedeln wie die Gegenstände, von denen sie sprechen oder 'handeln', wie man charakteristischerweise in diesem Zusammenhang auch sagt. Terminologisch lassen sich diese beiden Handlungsweisen durch die traditionelle Unterscheidung einer i n t u i t i v e n und einer d i s k u r s i v e n Sprachverwendung recht treffend charakterisieren, weil intuitiv gerade das Fehlen von mit einer Äußerung explizit erhobenen Ansprüchen 'anzeigt'. So einfach es nun ist, für eine Wissenschaftssprache mit ihren - zumindest der Absicht nach eigens durch methodische Einführung ausgewiesenen sprachlichen Hilfsmitteln grundsätzlich nur diskursive Sprachverwendung anzunehmen - die mündlichen und schriftlichen Äußerungen in der Wissenschaftssprache spielen sich auf einer B e s c h r e i b u n g s e b e n e relativ zu den Gegenständen, von denen sie handeln, ab, behandeln also ihre Gegenstände als semantisch oder auch nur durch Kon- und Kotext der Äußerung, also pragmatisch, in Individuen gegliedert 'gegeben' - , so schwierig ist es, für die Umgangssprache in ihrer Verwendung die Beschreibungsanteile von denjenigen Anteilen zu trennen, die in Gestalt von Sprachverwendungshandlungen verwoben mit Wahrnehmungshandlungen und anderen Umgangsformen handlungsmäßiger Bestandteil des 'behandelten' Gegenstands werden, die sich stets weiterbildende 'Perspektive' ausmachen, unter der ein Gegenstand 'bekannt' ist, und die deshalb die auf einer Konstruktionsebene befindlichen Konstruktionsanteile heißen sollen. Oft muß eine Äußerung zugleich beschreibend und konstruierend verstanden werden, etwa wenn der Sprecher nur ein Erlebnis berichtet, der Hörer den Bericht aber mit dem Anspruch auf Wahrheit auffaßt; klassisches Beispiel sind die Zeugen'aussagen' vor Gericht. Auf der Konstruktionsebene gehört ein Artiku-

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lator als Bestandteil zur dargestellten Handlung hinzu, ist gleichsam ihr lautlicher (oder schriftlicher) Anteil, ganz ähnlich wie in besonderen Ritualen verliehene Eigennamen im magischen Sprachgebrauch als Teil des benannten Gegenstands, sogar als besonders wichtiger, identitätsverbürgender Teil, angesehen werden. Kann auf der nur sprachlich verfügbaren Beschreibungsebene durch die dort entwickelten methodischen Verfahren ein mit einer Äußerung erhobener Anspruch, durch 'Vergegenwärtigung' des beschriebenen Gegenstands grundsätzlich eingelöst werden, so gibt es auf der Konstruktionsebene noch keine Ansprüche, weil hier erst das praktische (Sprechakte einschließende) Kennenlernen der Gegenstände geschieht. Es liegt eine Verallgemeinerung der von Russell eingeführten Unterscheidung zwischen ,knowledge by description' und ,knowledge by acquaintance' vor (Russell 1910/11). Poetische Handlungen wie das Erzählen (zumindest in einer der umgangssprachlichen Bedeutungen von erzählen) sind typische Beispiele für - hier sogar ausschließlich sprachliche — Handlungen auf der Konstruktionsebene, die ihre Gegenstände nur in ihrem semiotischen Anteil vergegenwärtigen; deshalb können beim Umschlag in die Beschreibungsebene die dargestellten Gegenstände, z . B . der für so viele Beispiele in der sprachanalytischen Literatur bemühte Pegasus, als n u r durch Sprachhandlungszusammenhänge konstituierte Gegenstände vorkommen: in diesem Sinne sind sie f i k t i v und nicht w i r k l i c h , nicht etwa, weil Aussagen über sie nicht wahrheitsfähig wären; eine Aussage wie Pegasus kann fliegen läßt sich sehr wohl unter Berufung auf die Erzählung von Pegasus erfolgreich behaupten (zu den Konsequenzen für nichtwortsprachliche poetische Handlungen vgl. Goodman 1968). So kann man nun auch die anfangs genannte These (2) über die im Geflecht von Sprechen und Handeln sich zeigende 'Lebensform' oder 'Weltansicht' verstehen - bei Weisgerber, der Humboldts Ansätze in seiner i n h a l t s b e z o g e n e n S p r a c h w i s s e n s c h a f t weitergeführt hat, ist Weltansicht durch Weltbild ersetzt (Weisgerber 1960) - , daß nämlich die grammatischen und lexikalischen Strukturen einer natürlichen Sprache die Gegenstandskonstitution in einer Weise bestimmen, die beim Umschlag von der intuitiven zur diskursiven Sprachverwendung nicht ohne Erweiterung der intuitiven Basis - z . B . durch Erlernen anderer natürlicher Sprachen - abgeändert werden kann. „Weltansicht aber ist die Sprache nicht bloß, weil sie, da jeder Begriff soll durch sie erfaßt werden können, dem Umfange der Welt gleichkommen muß, sondern auch deswegen, weil erst die Verwandlung, die sie mit den Gegenständen vornimmt, den Geist zur Einsicht des von dem Begriff der Welt unzertrennlichen Zusammenhanges fähig macht. Denn

18

1. Allgemeine Bestimmung und Erforschung von Sprache

erst indem sie den Eindruck der Wirklichkeit auf die Sinne und die Empfindungen in das, als Organ des Denkens eigen vorbereitete Gebiet der articulirten Töne hinüberführt, wird die Verknüpfung der Gegenstände mit den klaren und reinen Ideen möglich, in welchen der Weltzusammenhang ans Licht tritt. Der Mensch lebt auch hauptsächlich mit den Gegenständen, so wie sie ihm die Sprache zuführt, und da Empfinden und Handien in ihm von seinen Vorstellungen abhängt, sogar ausschließlich so. Durch denselben Act, vermöge welches der Mensch die Sprache aus sich heraus spinnt, spinnt er sich in dieselbe ein, und jede Sprache zieht um die Nation, welcher sie angehört, einen Kreis, aus dem es nur insofern hinauszugehen möglich ist, als man zugleich in den Kreis einer anderen Sprache hinübertritt." (Humboldt III, 224 f.)

Von dem Sapir-Schüler B. L. Whorf sind diese Gedankengänge Humboldts im Anschluß an Sapir (1949) selbst erneut formuliert und aufgrund seiner Untersuchungen speziell des Hopi, einer in Arizona noch gesprochenen Indianersprache, radikalisiert worden und münden in ein seither intensiv diskutiertes (vgl. Gipper 1972, Pinxten 1976) 'linguistisches Relativitätsprinzip': ,,The categories and types that we isolate from the world of phenomena we do not find there because they stare every observer in the face; on the contrary, the world is presented in a kaleidoscopic flux of impressions which has to be organized by our minds - and this means largely by the linguistic systems in our minds. W e cut nature up, organize it into concepts, and ascribe significances as we do, largely because we are parties to an agreement to organize it in this way - an agreement that holds throughout our speech community and is codified in the patterns of our language ( . . . ) From this fact proceeds what I have called the 'linguistic relativity principle', which means, in informal terms, that users of markedly different grammars are pointed by their grammars toward different types of observations and different evaluations of externally similar acts of observation, and hence are not equivalents as observers but must arrive at somewhat different views of the w o r l d . " (Whorf 1956, 213/221)

Dieses Prinzip besagt, daß für strukturell verschiedene Sprachen die gegenseitige Übersetzbarkeit unter Umständen davon abhängen wird, lexikalische u n d grammatische Hilfsmittel der einen Sprache auch in der anderen Sprache durch Einbeziehung 'neuer' Lebensformen zur Verfügung zu stellen. Jede Spekulation darüber, ob diese Möglichkeit sich stets verwirklichen lassen wird und ob dabei eine grundsätzliche Unbestimmtheit der Übersetzung inkauf genommen werden muß (Quine 1960, chap II), kann bloß theoretisch, etwa unter Berufung auf eine 'universale Grammatik', nicht gesichert werden. 4. Die Rolle der Sprachphilosophie und Linguistik

in

Philosophie

4.1 Russell und der logische Empirismus. Moore und der linguistische Phänomenalismus Versucht man rückblickend die zeitgenössische Gestalt der S. - zumindest diejenigen Positionen,

die der Absicht nach auf dem durch Logik und Wissenschaftstheorie geschärften methodischen Bewußtsein aufbauen, so daß Überlegungen wie die Heideggers erst über die Berührungspunkte mit Einsichten Wittgensteins in die moderne Diskussion einbezogen wurden (vgl. Apel 1973), ebenso wie die Sprachhermeneutik der Diltheyschule erst durch die Arbeiten Apels und vor allem von Wrights (vgl. 1971, 1974; zur Diskussion vgl. Apel/Manninen/Tuomela 1978) in einer sprachkritischer Reflexion unterworfenen Fassung auftritt - in ihrer Entwicklung und in ihrer Verflechtung mit traditionell philosophischen Fragestellungen einzuschätzen, so muß als erstes ihre Entstehung bei Bertrand Russell und George Edward Moore bedacht werden. Im Jahre 1900 erschien nämlich die kritische Darstellung der Philosophie Leibnizens aus der Feder Russells und der Aufsatz über den Begriff Notwendigkeit' von Moore. Mit diesen beiden Veröffentlichungen hat es die folgende, von Russell übrigens rückschauend selbst bestätigte, Bewandtnis: sie enthalten zum ersten Mal - zunächst unwirksam gebliebene Antizipationen bei Frege und Peirce beiseite gelassen die ausdrücklich formulierte Aufforderung, v o r der Erörterung philosophischer oder allgemein wissenschaftlicher Probleme eine l o g i s c h e A n a l y s e s p r a c h l i c h e r A u s d r ü c k e vorzunehmen, damit Sachfragen nicht durch sprachlich verursachte Zweideutigkeiten, Mißverständnisse oder gar Widersprüche belastet werden. Russell postuliert dabei die Analyse von Aussagen als die Basis einwandfreier Philosophie und hat dabei primär den Aufbau einer korrekten Syntax im Auge, Moore hingegen konzentriert sich bei der ebenfalls als Basis behaupteten Analyse von Aussagen auf die Bestimmung der Bedeutung aller infrage stehenden sprachlichen Ausdrücke, also primär auf den Aufbau einer korrekten Semantik. Motiviert war diese Aufforderung zur Sprachanalyse durch eine gegen Ende des letzten Jahrhunderts in England ebenso wie auf dem Kontinent immer heftiger sich äußernde Unzufriedenheit mit der herrschenden Philosophie des deutschen Idealismus. Aber wirksam werden konnte das Verfahren der Sprachanalyse erst durch den Einsatz der zur gleichen Zeit einsetzenden Bemühungen um eine moderne formale Logik, mit deren Hilfe die Werkzeuge der Sprachanalyse bereitgestellt wurden. In dieser Verbindung von logischen Werkzeugen mit einem Interesse an Verständigung zwischen Philosophie und Einzelwissenschaften setzte sich allmählich die für die gegenwärtige S. entscheidende Einsicht durch, daß ein Verständnis von Sprache die Bedingung der Möglichkeit von Philosophie und Wissenschaft ist. War es noch bei Kant das Resultat seiner Vernunftkritik, daß die Grenzen möglicher Erfahrung sich mit der Vernunft nicht überschreiten lassen, in diesem Sinne

/. Sprachphilosophie M e t a p h y s i k also nicht möglich ist, so wird jetzt die Sprache als G r e n z e m ö g l i c h e r E r f a h r u n g erk a n n t : V e r n u n f t k r i t i k kann nur als Sprachkritik auftreten. Folgerichtig erklärt W i t t g e n s t e i n , der gemeinsame Schüler Russells und M o o r e s , in sein e m ,,Tractatus logico-philosophicus" (1921): „ A l l e Philosophie ist . S p r a c h k r i t i k ' " ( T . 4 . 0 0 3 1 ) . Russell und M o o r e allerdings standen n o c h viel zu sehr im D i e n s t der Kritik an der idealistischen Philosophie des 19. J h s . und deren unzulänglichem Verständnis der Einzelwissenschaften, als daß sie die T r a g w e i t e des sprachanalytischen A n satzes und seine E i g n u n g , eine neue ' R e d e w e i s e ' in die Wissenschaften und in die P h i l o s o p h i e einz u f ü h r e n , gleich durchschaut hätten. G l e i c h w o h l zeigen die verschiedenen A k z e n t e des philosophischen Interesses bei Russell und bei M o o r e bereits den K e i m für die später zeitlich nacheinander in den V o r d e r g r u n d tretenden beiden H a u p t r i c h t u n gen der Analytischen Philosophie und der mit ihr einhergehenden S . , die sich nach Zielsetzung und M e t h o d e n l e h r e deutlich voneinander unterscheiden und häufig nicht nur ergänzt, sondern auch heftig befehdet h a b e n : Z u m einen der v o m W i e n e r Kreis h e r k o m m e n d e logische E m p i r i s m u s mit R u d o l f C a r n a p als einem seiner führenden V e r treter und ungefähr ein J a h r z e h n t später der in der O x f o r d P h i l o s o p h y sich k o n z e n t r i e r e n d e , unter anderem G i l b e r t R y l e verpflichtete linguistische Phänomenalismus, auch „ordinary language p h i l o s o p h y " genannt. Russell nämlich sieht es als seine H a u p t a u f g a b e a n , eine für die exakten Wissenschaften - das sind primär M a t h e m a t i k und P h y s i k , aber er denkt auch z . B . an die P s y c h o l o g i e - geeignete W i s s e n s c h a f t s s p r a c h e zu k o n s t r u i e r e n ; M o o r e hingegen k o n z e n t r i e r t sich ganz auf die tradierte Sprache der P h i l o s o p h i e und versucht, sie auf die U m g a n g s s p r a c h e zu reduzieren in der H o f f n u n g , so einen möglichen Sinn der p h i l o s o p h i schen Tradition freizulegen. F ü r diese e i g e n t ü m liche Polarisierung der sprachanalytischen M e t h o d e gibt es einen systematischen G r u n d : W e r sein A u g e n m e r k auf die Sprache und ihre A k t u a l i sierung in der R e d e richtet, kann nicht an ihrer Eigenschaft v o r b e i s e h e n , daß sie der gegenseitigen Verständigung dient. D i e s e aber ist ein V o n e i n a n d e r - L e r n e n und ein E i n a n d e r - L e h r e n , also ein in seiner kleinsten Einheit dialogisches V e r f a h r e n . S o werden elementare L e h r - und Lernsituationen die K e i m z e l l e für die E i n f ü h r u n g und die V e r w e n dung sprachlicher A u s d r ü c k e . D i e beiden Anteile aber, das L e h r e n u n d das L e r n e n von S p r a c h e , sind nicht s y m m e t r i s c h zueinander, wie der Sprachgebrauch nahelegen m a g , vielmehr steht der L e r n e n d e schon fertiger S p r a c h e , nämlich der v o m L e h r e n d e n geäußerten R e d e , gegenüber, w ä h r e n d der L e h r e n d e Sprache gerade erst zur V e r f ü g u n g stellt. E i n e Sprache lernen heißt daher verstehen,

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was andere reden oder was sie geredet h a b e n . E i n e Sprache lehren aber h e i ß t , anderen das R e d e n erklären. W e r andere verstehen will, m u ß j e d o c h z u v o r selbst reden k ö n n e n . W e r sein eigenes R e d e n anderen vermitteln will, ist auf ein Verstehen dieser anderen erst angewiesen, wenn es den V e r m i t t l u n g s p r o z e ß zu k o n t r o l l i e r e n , also auf sein G e l i n gen hin zu beurteilen gilt. ( H i e r b e i ist das A u f f i n den einer S t ö r u n g des empirischen L e h r - L e r n p r o zesses K e r n einer psychoanalytischen T h e o r i e zur A u f h e b u n g von ' S p r a c h z e r s t ö r u n g ' , vgl. L o r e n z e r 1970.) I m A s p e k t des Lernens von Sprache läßt sich daher das M o o r e s c h e P r o g r a m m einer D e u t u n g der überlieferten Sprache der Philosophie - oder B i l d u n g s s p r a c h e - wiederfinden, und z w a r gleich s o , daß das hierfür erforderliche SelberR e d e n - K ö n n e n in der B e h e r r s c h u n g der als Sprache der D e u t u n g verwendeten U m g a n g s s p r a c h e verkörpert ist. Russells P r o g r a m m hingegen, das vorsieht, eine für die Wissenschaft geeignete W i s senschaftssprache grundsätzlich o h n e R ü c k s i c h t auf schon vorliegenden Sprachgebrauch zu k o n struieren, ist im A s p e k t des Lehrens von Sprache enthalten, o b w o h l Russell einen G r u n d s t o c k schon beherrschter Sprache - auch hier die U m gangssprache - nicht entbehren m ö c h t e und deren E r s a t z durch eine konstruierte Sprache nicht in B e t r a c h t zieht. Beiden P r o g r a m m e n , dem R e d u k t i o n s p r o g r a m m M o o r e s und dem K o n s t r u k t i o n s p r o g r a m m Russells, liegen zwei Unterscheidungen zugrunde, die für die m o d e r n e S. z u n e h m e n d wichtiger geworden sind: Es handelt sich um U n t e r s c h e i d u n gen innerhalb der von den Beteiligten jeweils verwendeten natürlichen S p r a c h e , also der G e brauchssprache. Z u m einen nämlich w i r d der für die gegenseitige Verständigung unproblematische K e r n der G e b r a u c h s s p r a c h e (d. i. die U m g a n g s sprache) von der nur in schriftlichen Zeugnissen zugänglichen und einer Interpretation bedürftigen Sprache der philosophischen T r a d i t i o n a b g e h o b e n , und z u m anderen wird eben diese U m g a n g s sprache einer der A b s i c h t nach in allen ihren Teilen ausdrücklich eingeführten F a c h s p r a c h e ( d . i . die Sprache der Wissenschaft) gegenübergestellt. D e r Sinn dieser Unterscheidungen besteht darin, daß innerhalb der U m g a n g s s p r a c h e keine ernsthaften Verständigungsprobleme existieren, w ä h r e n d für Bildungssprache und Wissenschaftssprache, diese zwei p r o b l e m a t i s c h e n Bereiche der G e b r a u c h s sprache, Schwierigkeiten in der Verständigung bestehen, die erst einmal artikuliert und daraufhin in H i n s i c h t auf ihre E n t s t e h u n g und ihre Beseitigung genauer untersucht werden müssen. I m D i e n s t e dieser A u f g a b e stand die anfangs genannte und auch b e n ü t z t e U n t e r s c h e i d u n g einer l o g i s c h e n F o r m von einer g r a m m a t i s c h e n F o r m der W ö r t e r und Sätze. Sie soll es e r m ö g -

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1. Allgemeine Bestimmung und Erforschung von Sprache

liehen, von der F o r m der Aussagen auf die F o r m der durch sie dargestellten W i r k l i c h k e i t zu schließ e n . D a s kann aber nur dann gelingen, wenn anstelle der für die G e b r a u c h s s p r a c h e charakteristischen grammatischen S t r u k t u r , die z u F e h l e r n beim S c h l u ß auf die S t r u k t u r der W i r k l i c h k e i t führen w ü r d e ( z . B . durch N i c h t b e a c h t u n g des U n t e r s c h i e d s von E i n - und Mehrstelligkeit bei Prädikatoren in der traditionellen S u b j e k t - P r ä d i kat-Zerlegung von Sätzen), zunächst eine adäquatere Sprachstruktur aufgesucht wird, eben die logische F o r m der Sprache. N e b e n dieser n o t w e n digen K o r r e k t u r der grammatischen S y n t a x besteht eines der wichtigsten Ziele der logischen Analyse sprachlicher A u s d r ü c k e , „ i n criticizing and clarifying n o t i o n s which are apt t o be regarded as fundamental and accepted uncritically. As instances I might m e n t i o n : m i n d , matter, c o n s c i o u s ness, k n o w l e d g e , experience, causality, will, time. I believe all these n o t i o n s t o be inexact and app r o x i m a t e , essentially infected with vagueness, incapable o f f o r m i n g part o f any exact s c i e n c e . " (Russell 1956, 3 4 1 ) N a t ü r l i c h ist die hier verlangte Begriffsklärung im harten K e r n der überlieferten Sprache der P h i l o s o p h i e auch heute n o c h erst eine Aufgabe, wenngleich es schon Russell selbst gelungen ist, im R a h m e n seiner sprachanalytischen Zielsetzung das Schema einer wenigstens erst einmal syntaktisch einwandfreien Wissenschaftssprache zu entwerfen, nämlich mit der künstlichen und formalen Sprache seiner zusammen mit Alfred N o r t h W h i t e h e a d verfaßten „ P r i n c i p i a M a t h e m a t i c a " ( 1 9 1 0 - 1 3 ) , die sich der E i n s i c h t e n der m o d e r n e n formalen L o g i k und der M e n g e n l e h r e bedient. Diese formale Sprache wird in ihrem A u f bau allein dadurch gerechtfertigt, daß sie erstens widerspruchsfrei und zweitens ausreichend ist, alle bereits inhaltlich bewiesenen und damit als w a h r geltenden Aussagen der M a t h e m a t i k - A r i t h metik und Analysis sind hier gemeint - f o r m a l zu deduzieren. D a m i t wird Widerspruchsfreiheit der leitende G e s i c h t s p u n k t bei der U b e r f ü h r u n g der für wissenschaftliche Z w e c k e unexakten G e brauchssprache in eine als Wissenschaftssprache geeignete I d e a l s p r a c h e , o b w o h l dieser G r u n d allein durchaus nicht z u m A u f b a u einer formalen Sprache verpflichtet, die der in ihr verwirklichten Kalkülisierung einer inhaltlichen T h e o r i e wegen zusätzlich n o c h der F o r d e r u n g n a c h k o m m t , die Semantik einer Sprache möglichst vollständig in ihrer S y n t a x zu repräsentieren. Es entsteht dann die Schwierigkeit, eine als K a l k ü l vorliegende f o r male Sprache mit der vor der Aufstellung des K a l küls vorhandenen inhaltlichen T h e o r i e vergleichen zu m ü s s e n , o b w o h l d o c h die Kalkülisierung eigens dazu geschaffen wurde, allererst eine TTieorie, eben eine präzise f o r m a l e T h e o r i e , aufzubauen, um sie an die Stelle einer nur vage intuitiv b e g r ü n deten inhaltlichen T h e o r i e zu setzen. M i t der K o n -

s t r u k t i o n eines syntaktisch einwandfreien Schemas einer Wissenschaftssprache ist das v o r der K o n struktion von formalen Sprachen liegende P r o blem eines präzisen A u f b a u s einer vorerst n o c h inhaltlichen T h e o r i e n o c h nicht gelöst, und von Russell und auch später im logischen E m p i r i s m u s nicht m e h r gesehen oder als u n l ö s b a r betrachtet w o r d e n . So wird aus dem P r o g r a m m der K o n s t r u k t i o n einer Wissenschaftssprache unversehens eine b l o ß e D e s k r i p t i o n schon bestehenden W i s senschaftswissens mit den Mitteln einer umfassenden formalen S p r a c h e , eben der Idealsprache. U n d die Verselbständigung der U n t e r s u c h u n g f o r maler Sprachen wird z u m Ausweg aus dem D i l e m m a , ein Adäquatheitskriterium für formale Sprache gar nicht m e h r einwandfrei formulieren zu k ö n n e n . D e n n was soll es h e i ß e n , von einer ' N a t u r ' oder ' S t r u k t u r ' der W e l t zu reden, unabhängig und neben den entsprechenden E i g e n schaften der sprachlichen Darstellung. Es kann h ö c h s t e n s ein vorläufiges, durch die Gebrauchssprache repräsentiertes Wissen über die W e l t mit dem in der formalisierten Wissenschaftssprache aufgehobenen Wissenschaftswissen verglichen w e r d e n . D e r metaphysische Rest in den K o n struktionen Russells kann nur dadurch ü b e r w u n den w e r d e n , daß man darauf verzichtet, der Idealsprache R ü c k s c h l ü s s e auf die Beschaffenheit der nichtsprachlichen W i r k l i c h k e i t abzuverlangen, und stattdessen f o r d e r t , daß die Idealsprache in ihrer S t r u k t u r , der logischen F o r m , mit der S t r u k tur der U m g a n g s s p r a c h e ü b e r e i n s t i m m t . A u s dem G e g e n ü b e r von Sprache und W e l t ist ein G e g e n über zweier Sprachen g e w o r d e n . Speziell für C a r n a p zieht diese E i n s i c h t die K o n s e q u e n z nach sich, den nicht-empirischen Teil der Wissenschaftstheorie als T h e o r i e der W i s s e n schafts s p r ä c h e zu e n t w i c k e l n : Philosophie wird zu reiner W i s s e n s c h a f t s t h e o r i e , der W i s s e n s c h a f t s logik. D e n n erst d a n n , wenn philosophische A u s sagen k o n s e q u e n t auf die l o g i s c h e S y n t a x der G e b r a u c h s s p r a c h e , also die g r a m m a t i s c h e S y n tax der ursprünglich von Russell e n t w o r f e n e n Idealsprache b e s c h r ä n k t w e r d e n , läßt sich die grundsätzlich nicht verifizierbare philosophische R e d e über das Verhältnis von Sprache und W e l t als angeblicher Leitfaden für die K o n s t r u k t i o n der Idealsprache vermeiden. J e d e solche p h i l o s o p h i sche R e d e sagt in irreführender, inhaltlicher R e d e weise, was unmißverständlich sich erst in f o r m a l e r Redeweise sagen lasse. I n s b e s o n d e r e werden A u s sagen ü b e r die Bedeutungen sprachlicher A u s d r ü c k e als Aussagen der logischen S y n t a x , nur eben in mißverständlicher inhaltlicher R e d e w e i s e , aufgefaßt. D a r a n ändert sich auch nichts W e s e n t liches, w e n n später aufgrund der F o r s c h u n g e n Tarskis die mengen theoretisch aufgebaute logische Semantik gleichberechtigt neben die logische S y n tax tritt, weil dabei lediglich eine zweite formale

1. Sprachphilosophie Sprache als M e t a s p r a c h e ü b e r der ersten f o r malen Sprache, d e r O b j e k t s p r a c h e , a u f g e b a u t w i r d : als Idealsprache m u ß v o n da an das System beider f o r m a l e n Sprachen angesehen w e r d e n . D i e m e t h o d i s c h e n G r e n z e n der in diesem R a h m e n p r a k t i z i e r t e n Sprachanalyse, die darin b e s t e h e n , die Frage nach einer R e c h t f e r t i g u n g der eigenen Tätigkeit beim A u f b a u einer f o r m a l e n W i s s e n schaftssprache gar nicht m e h r stellen zu k ö n n e n , sind gleichwohl im logischen E m p i r i s m u s später e r k a n n t w o r d e n . Sie haben z u einem w a c h s e n d e n Interesse an einer behavioristisch b e g r ü n d e t e n W i s s e n s c h a f t v o m zeichenvermittelten V e r h a l t e n , der als empirische Disziplin v e r s t a n d e n e n Semiotik g e f ü h r t , die das S t u d i u m f o r m a l e r Sprachen m i t praktischen G e s i c h t s p u n k t e n ihres G e b r a u c h s anreichert. Auf diese Weise sollen als Kriterien f ü r die W a h l einer f o r m a l e n Sprache nicht m e h r b l o ß persönliche Interessen ( C a r n a p s ' T o l e r a n z p r i n z i p ' , 1934), s o n d e r n besser k o n t r o l l i e r b a r e wissenschaftliche G e s i c h t s p u n k t e z u r V e r f ü g u n g steh e n . T r o t z d e m bleibt diese p r a g m a t i s c h e W e n d e des logischen E m p i r i s m u s e x p e r i m e n t e l l - e m p i risch stecken, e b e n weil sie den R a h m e n der bes t e h e n d e n experimentellen W i s s e n s c h a f t e n m e t h o d i s c h nicht verlassen darf. P r ü f t m a n j e t z t , o b nicht das von M o o r e ausgehende, im linguistischen P h ä n o m e n a l i s m u s der O x f o r d P h i l o s o p h y sich f o r t s e t z e n d e deutlich andere Interesse bei der logischen Analyse s p r a c h licher A u s d r ü c k e zu besseren Resultaten d e r Sprachkritik g e f ü h r t hat, so fällt auf, d a ß die B e s t i m m u n g der logischen F o r m sprachlicher A u s d r ü c k e im U n t e r s c h i e d z u ihrer g r a m m a t i schen F o r m n i c h t an den A u f b a u einer diese logische F o r m als g r a m m a t i s c h e F o r m zeigenden f o r malen Sprache g e b u n d e n ist. Vielmehr erlauben bereits die g r a m m a t i s c h e n U m f o r m u n g e n , i n n e r halb der G e b r a u c h s s p r a c h e alle e n t s c h e i d e n d e n logischen U n t e r s c h i e d e bei g r a m m a t i s c h gleichartigen E r s c h e i n u n g e n z u m A u s d r u c k zu b r i n g e n . So erlaubt z . B . die Aussage Einhörner sind unwirklich im U n t e r s c h i e d z u r Aussage Löwen sind Säugetiere die s y n o n y m e U m f o r m u n g Es gibt keine Einhörner, w o m i t der g r u n d s ä t z l i c h v o n n o r m a l e n B e g r i f f s w ö r t e r n verschiedene Status des W o r t e s unwirklich nachgewiesen ist. Es bedarf also keineswegs einer Idealsprache, u m die logische F o r m sprachlicher A u s d r ü c k e z u b e s t i m m e n . Es g e n ü g t d a z u bereits die K e n n t n i s der U m g a n g s sprache. D i e p h i l o s o p h i s c h e A r b e i t M o o r e s galt d a h e r der möglichst sorgfältigen A u f d e c k u n g der in der U m g a n g s s p r a c h e i n k r a f t befindlichen inhaltlichen B e s t i m m u n g e n u n d nicht, w i e bei Russell, der A n g a b e des f o r m a l e n R a h m e n s einer f ü r wissenschaftliche Z w e c k e geeigneten Sprache. D i e aufz u s u c h e n d e n inhaltlichen B e s t i m m u n g e n der U m gangssprache, die d u r c h den u m g a n g s s p r a c h l i c h e n

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G e b r a u c h der jeweiligen A u s d r ü c k e gegeben sind, b e d ü r f e n n i c h t einmal einer eigenen R e c h t f e r t i g u n g , d e s h a l b nämlich n i c h t , weil sich in ihnen ein Alltagswissen darstellt, das jeder, d e r n o c h w e i t e r f r a g e n wollte, bereits in A n s p r u c h n e h m e n müßte. F ü r M o o r e w i e f ü r Russell k a n n das jeweils bestehende Alltagswissen u n d das b e s t e h e n d e Wissenschaftswissen d u r c h eine s p r a c h p h i l o s o p h i s c h e Reflexion nicht m e h r h i n t e r g a n g e n w e r d e n . D i e leitende Z i e l s e t z u n g , nämlich die eindeutig bes t i m m t e W e l t der überlieferten N a t u r p h i l o s o p h i e u n d der überlieferten M o r a l p h i l o s o p h i e sprachlich treu darzustellen, bleibt u n a u s g e s p r o c h e n u n d k a n n d a h e r auch nicht kritisch ü b e r p r ü f t w e r d e n . So bleibt es bei einem realistisch v e r k ü r z t e n Ideal möglichst vollständiger B e s c h r e i b u n g der einen, als eindeutig b e s t i m m t geltenden W e l t . I m linguistischen P h ä n o m e n a l i s m u s hatte m a n d a r a u f h i n e r k a n n t u n d kritisch gegen M o o r e s Vertrauen e i n g e w e n d e t , d a ß I r r e f ü h r u n g e n in allen Teilen der G e b r a u c h s s p r a c h e , auch in der U m gangssprache, a u f t r e t e n k ö n n e n ; sie z u b e h e b e n e r f o r d e r t die E i n ü b u n g in die K u n s t der A r g u m e n t a t i o n , ein v o n H a u s aus u m g a n g s s p r a c h l i c h e r o d e r auch fachsprachlicher G e b r a u c h . Bildungssprachlicher G e b r a u c h entsteht z u s a m m e n mit den p h i l o s o p h i s c h e n P r o b l e m e n der T r a d i t i o n erst, „ w e n n die Sprache feiert" (Wittgenstein, P U § 38), d e m K o n t e x t der Lebenspraxis also entz o g e n w i r d . N a t ü r l i c h d ü r f e n d a n n auch die ü b lichen p h i l o s o p h i s c h e n D e b a t t e n n i c h t als die gesuchte K u n s t der A r g u m e n t a t i o n zugelassen w e r d e n . D e r ganze infrage s t e h e n d e U n t e r s c h i e d z w i schen U m g a n g s - u n d Bildungssprache w ü r d e sonst a u f g e h o b e n . Auf irgendeine Weise m u ß der gewöhnliche Sprachgebrauch vor dem philosophischen S p r a c h g e b r a u c h ausgezeichnet w e r d e n . D a s aber soll jetzt d u r c h den empirisch feststellbaren Sprach b r a u c h (usage) in einer natürlichen Sprache geschehen. So w i r d aus d e r logischen Analyse der G e b r a u c h s s p r a c h e unversehens wieder eine g r a m m a t i s c h e Analyse ihres K e r n b e r e i c h s , eben der faktisch v e r w e n d e t e n U m g a n g s s p r a c h e , was S t r a w s o n z u g e s t e h t , o b w o h l Ryle u n e r m ü d lich darauf b e s t a n d e n h a t , d a ß die p h i l o s o p h i s c h e n U n t e r s u c h u n g e n des S p r a c h g e b r a u c h s als begriffliche v o n linguistischen U n t e r s u c h u n g e n desselben u n t e r s c h i e d e n sind. D i e Schwierigkeit besteht d a n n n u r d a r i n , d e n U n t e r s c h i e d z w i s c h e n ,Begriff' u n d . W o r t g e b r a u c h ' angesichts der gern vertretenen S y n o n y m i e beider A u s d r ü c k e zu erläutern. N u r mit einem m e t h o d i s c h e n Zirkel läßt sich die Zuverlässigkeit d e r U m g a n g s s p r a c h e sonst in Zweifel ziehen, u n d deshalb verdient die S t r u k t u r d e r U m g a n g s s p r a c h e die b e s o n d e r e A u f m e r k samkeit auch des P h i l o s o p h e n , allerdings o h n e d a ß er f ü r die V e r f a h r e n seiner B e s c h r e i b u n g n o c h eigenständig b e g r ü n d e t e H i l f s m i t t e l beibringen

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I. Allgemeine Bestimmung und Erforschung von Sprache

könnte. Auch im linguistischen Phänomenalismus werden die methodischen Grenzen der bisher praktizierten Sprachanalyse sichtbar, die dazu geführt haben, sich auf die Methoden der empirisch vorgehenden Sprachwissenschaft einzulassen, in der H o f f n u n g , den häufig n u r willkürlich aufgerafften philosophischen Beobachtungen des Sprachgebrauchs zuverlässigere linguistische Zusammenhänge entgegensetzen zu k ö n n e n . Insbesondere durch die Einbeziehung eines historischen Kontextes, der von der geschichtlichen Bewährung sprachlich tradierter Unterscheidungen zu reden erlaubt und darin eine Rechtfertigung f ü r den empirisch vorliegenden Sprachgebrauch zu finden versucht, sollen die methodischen Grenzen der sprachanalytischen Untersuchungen natürlicher Sprachen überwunden werden. N u n steht jedoch als Werkzeug f ü r die D e u t u n g sprachgeschichtlicher Ereignisse wiederum nichts anderes als noch zu rechtfertigender Sprachgebrauch, etwa der der Linguisten, zur Verfügung, so daß auch die hermeneutische Kehre des linguistischen Phänomenalismus historisch-empirisch stecken bleibt. 4.2.

Wittgensteins

Schlüsselposition

Wir sind zurückverwiesen auf die ursprüngliche Radikalisierung der sprachanalytischen Methode im Verständnis Wittgensteins, der f ü r beide Wege, den des logischen Empirismus und den des linguistischen Phänomenalismus die entscheidenden Anregungen gegeben hatte, auch wenn sie n u r in verkürzter F o r m bisher wirksam geworden sind. So kann dem „ T r a c t a t u s " die erste gelungene Verschmelzung der trotz eines übereinstimmenden sprachkritischen Ansatzes verschiedenen philosophischen Interessen bei Russell und M o o r e z u geschrieben werden, dem Interesse an der K o n struktion einer einwandfreien Wissenschaftssprache aus der Umgangssprache und dem Interesse an der Reduktion der Bildungssprache auf eben dieselbe Umgangssprache, auch wenn das herrschende Tractatus-Verständnis in ihm die erste pointierte Formulierung des Formalsprachenprogramms im logischen Empirismus sieht, so als habe Wittgenstein selbst bereits mit der Verselbständigung des Russellschen Interesses an der Konstruktion formaler Wissenschaftssprachen begonnen unter Vernachlässigung der Rolle der Umgangssprache und daher unter Verzicht auch noch auf die letzte Möglichkeit, eine solche formale Sprache in ihrem A u f b a u zu rechtfertigen. D a n n nämlich, so fährt diese gängige Wittgenstein-Interpretation f o r t , wird auch Wittgensteins in seinen „Philosophischen U n t e r s u c h u n g e n " artikulierte Selbstkritik an seinem „ T r a c t a t u s " richtig verständlich, u n d das dort bekundete Interesse an einer bloßen Beschreibung des Sprach-

gebrauchs ( P U § 109) kontrastiert wirksam mit dem alten Tractatus-Interesse, eine formale Sprache als Erklärung f ü r das Funktionieren der Gebrauchssprache zu bieten. G a n z konsequent berufen sich daher auch die Vertreter des linguistischen Phänomenalismus bei ihrem P r o g r a m m einer philosophischen U n t e r s u c h u n g natürlicher Sprachen, des alltäglichen Sprachgebrauchs, auf den Wittgenstein der „Philosophischen U n t e r suchungen". N u n ist richtig, daß „ T r a c t a t u s " u n d „Philosophische U n t e r s u c h u n g e n " jeweils auf die Ausbildung der beiden Richtungen der Analytischen Philosophie, der Verfechter einer Idealsprache im logischen Empirismus und der Verfechter der Umgangssprache im linguistischen Phänomenalismus, von größtem Einfluß gewesen sind, aber leider unter Einschluß von Mißverständnissen, die es verbieten, Wittgenstein selbst mit den Einseitigkeiten der jeweiligen Positionen zu belasten. Wittgenstein selbst hat den Zwang z u m Rechtfertigungsverzicht als Konsequenz der Positionen im logischen Empirismus und auch im linguistischen Phänomenalismus jeweils schon f r ü h durchschaut und in seinen eigenen Arbeiten tragfähige Alternativen angeboten. Er versucht aus diesem G r u n d e bereits im „ T r a c t a t u s " , den A u f b a u einer f ü r die Wissenschaft tauglichen Idealsprache sowohl von dem bestehenden Wissenschaftswissen als auch von dem bestehenden Alltagswissen methodisch unabhängig zu halten. Genau das aber wird ihm von den logischen Empiristen als Verstoß gegen seine angeblich eigenen Absichten vorgehalten. H ä t t e er, Wittgenstein, n u r nicht vergessen, die Möglichkeit einer Metasprache zu erörtern, statt sie generell für unsinnig zu erklären, so wäre auch die Rede von den Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke und damit das ganze u n angenehme Kapitel vom Verhältnis zwischen Sprache u n d Welt einer idealsprachlichen Präzisierung zugänglich gewesen. Wittgenstein sieht jedoch an dieser Stelle klarer. Zunächst läßt sich nämlich feststellen, daß im „ T r a c t a t u s " entgegen dem Anschein nicht n u r die Rolle einer Idealsprache, sondern auch die methodische Stellung der Umgangssprache erörtert wird. Z w a r geht Wittgenstein mit Russell u n d M o o r e von den I r r e f ü h rungen der Gebrauchssprache aus u n d empfiehlt anstelle dieser Gebrauchssprache die V e r w e n d u n g einer der logischen G r a m m a t i k gehorchenden Sprache. Aber bereits an dieser Stelle ist der feine Unterschied der Begründungen sowohl Russell gegenüber als auch gegenüber M o o r e unverkennbar: W e d e r beruht die I r r e f ü h r u n g darauf, falsche Rückschlüsse auf die nichtsprachliche Wirklichkeit zu erlauben, noch ist sie Folge einer ungerechtfertigten A b w e n d u n g vom alltäglichen Sprachgebrauch. Vielmehr f ü h r t die Gebrauchssprache in die Irre, w e n n „dasselbe W o r t auf verschiedene Art u n d Weise bezeichnet ( . . . ) oder ( . . . ) zwei

1. Sprachphilosophie Wörter, die auf verschiedene Art und Weise bezeichnen, äußerlich in der gleichen Weise im Satze angewandt werden" (T 3.323). Als Beispiel folgt unter anderem die bekannte Mehrdeutigkeit von ist, einmal als Kopula und ein anderes Mal als zweistelliger Prädikator, in der Bedeutung von gleich. Die Art und Weise aber, wie Wörter bezeichnen, wird weder der Praxis der Wissenschaften, noch dem Alltag entnommen, sondern Wittgenstein entwirft eine ganze, diese Rede erst begründende Theorie dazu, die unter dem Namen .Abbildtheorie' bis heute Gegenstand heftiger Kontroversen geblieben ist. Es geht dabei um nicht weniger als um eine Aufklärung darüber, in welcher Weise die Sprache als Bild der Welt verstanden werden kann, ohne sich dabei in den Fußangeln naiv realistischer Erkenntnistheorien zu verfangen. Schon im Tagebuch Wittgensteins aus dem Jahre 1914 heißt es: „ D i e S c h w i e r i g k e i t v o r m e i n e r T h e o r i e der logischen A b bildung w a r die, einen Z u s a m m e n h a n g z w i s c h e n den Z e i c h e n auf Papier und einem Sachverhalt draußen in der W e l t zu finden. Ich sagte i m m e r , die W a h r h e i t ist eine B e z i e h u n g z w i s c h e n d e m S a t z und d e m S a c h v e r h a l t , k o n n t e a b e r niemals eine s o l c h e B e z i e h u n g ausfindig m a c h e n " .

Erst wenn der Bildbegriff konsequent durch den rein logischen Prozeß der Abstraktionsbildung erfaßt wird, läßt sich diese Schwierigkeit beheben. Das hat zur Folge, daß die von einer Aussage dargestellten Sachverhalte nicht mehr als Wirklichkeitsausschnitte gelten, sondern im wesentlichen genau diese Aussage bleiben, sofern man nur berücksichtigt, daß es dabei auf die spezielle Wahl der Wörter nicht ankommt. Das Wesentliche am Satz wird im „Tractatus" das genannt, was allen Aussagen, die den gleichen Sinn darstellen können, gemeinsam ist, und das heißt der Sachverhalt (vgl. Τ 3.341). Der Sprache gegenüber stehen allein die Gegenstände, ü b e r die man redet. Das was v o n ihnen ausgesagt wird, gehört der Sprache und nur der Sprache an. Ganz konsequent werden von Wittgenstein daher auch die Aussagen selbst nicht zu den Gegenständen gezählt, sondern ihnen gegenübergestellt: Die Welt oder das Reich der Tatsachen - das sind die wahren Sachverhalte — ist von der Substanz der Welt oder dem Reich der Gegenstände streng zu unterscheiden. Die Gegenüberstellung von Welt und Sprache wird zur G e genüberstellung der Gegenstände und der Aussagen über sie. Wittgenstein war daher nur konsequent, wenn er behauptet, daß die Mittel der Gebrauchssprache - in ihrer gewöhnlichen Verwendung natürlich und nicht in ihrer philosophischen - selbst bereits ausreichen, ihre logische Syntax zu entwickeln. Diese Behauptung löst er ein durch den Hinweis auf den s i n n v o l l e n Gebrauch der Sprachausdrücke, durch den allein ihre Rolle in der logischen Syntax bestimmt werden kann. Das ist keine Auf-

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forderung zur Beschreibung alltäglichen Sprachgebrauchs wie bei Moore, sondern eine Aufforderung zur Einführung eines Sprachgebrauchs mit Mitteln der Abbildtheorie. Der Gegensatz Idealsprache—Umgangssprache ist also hier schon unterlaufen, weil eine Umgangs- wie Wissenschaftssprache gleichermaßen fundierende Theorie, eben die als Prädikations- und Abstraktionstheorie verstandene Abbildtheorie, die Regeln der logischen Grammatik - das sind die Bezeichnungsregeln für die dabei auftretenden sprachlichen Elemente - bestimmt. Trotzdem sind die methodischen Schwierigkeiten nicht behoben, denn der Status der hier fundierenden Theorie bleibt aufzuklären. Die Formulierungen im „Tractatus" sind zwiespältig: Zwar sagt Wittgenstein, daß diese Theorie sinnlos ist, eben nicht selbst Wissenschaft, sondern die Möglichkeit von Wissenschaft darlegend und damit Paradigma der philosophischen Tätigkeit - man muß die Leiter wegwerfen, nachdem man auf ihr hinaufgestiegen ist (T. 6.54) - nur kann auch dieser Appell nicht verhindern, daß die Leitersprossen hier sprachliche Mittel sind, die haltbar sein müssen, soll man sie verwenden können. Sie als ein Stück Metaphysik anzusehen, wie Kritiker des „Tractatus", oder zu loben wie Verteidiger des „Tractatus", bleibt ein Zeichen derselben methodischen Ohnmacht, die Wittgenstein daran gehindert hat, an der Vermittelbarkeit seiner wegweisenden Einsichten zu zweifeln. Und darin darf auch der Grund gesehen werden, warum die in den „Philosophischen Untersuchungen" geäußerte Kritik Wittgensteins an seinem „ T r a c t a t u s " so radikal ausgefallen ist und über das Ziel hinausschießt. Der ursprüngliche Zweifel wird nämlich von der auch später von Wittgenstein nicht fallengelassenen Uberzeugung genährt, daß Präzision und damit einwandfreie sprachliche Vermittlung einer Theorie nur in einer als formale Sprache konzipierten Wissenschaftssprache, eben einer Idealsprache, möglich ist. Aus methodischen Gründen dürfen daher die Maßnahmen zum Aufbau einer Idealsprache nicht selbst schon idealsprachlich präzisiert sein und sind es auch nicht gewesen. Muß man dann aber wirklich auf jeden damit verbundenen wissenschaftlichen Anspruch verzichten und ein methodisch gesichertes Verfahren mit dem Ziel der Ubereinstimmung unter sachverständigen und aufrichtigen Gesprächspartnern über die Stichhaltigkeit einer Theorie für unmöglich halten? Der oft erörterte Theorieverzicht beim späten Wittgenstein scheint diese Überzeugung zu bestätigen. Wer so die Spätphilosophie Wittgensteins beurteilt und Wittgenstein unterstellt, einen methodischen Zirkel in Kauf zu nehmen, nämlich weil den Bedingungen der eigenen Gebrauchssprache unmöglich zu entrinnen sei, der mißversteht den

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I. Allgemeine Bestimmung und Erforschung von Sprache

B e g r ü n d u n g s z u s a m m e n h a n g , in d e m die „ P h i l o sophischen U n t e r s u c h u n g e n " t r o t z aller scheinbaren D e m e n t i s n o c h stehen. „ T r a c t a t u s " wie „ P h i l o s o p h i s c h e U n t e r s u c h u n g e n " beginnen m i t der Einsicht in den i r r e f ü h r e n d e n C h a r a k t e r der G e b r a u c h s s p r a c h e , aber sie ziehen auf verschiedene Weise d a r a u s die K o n s e q u e n z e n . I m „ T r a c t a t u s " soll eine f o r m a l e Sprache, nämlich die den Regeln der logischen Syntax g e h o r c h e n d e Idealsprache, an die Stelle d e r i r r e f ü h r e n d e n G e b r a u c h s sprache treten, w o b e i die logische Syntax d u r c h die A b b i l d t h e o r i e eindeutig b e s t i m m t u n d d a m i t gerechtfertigt ist. N u n ist die A b b i l d t h e o r i e aber selbst gebrauchssprachlich f o r m u l i e r t . Z u ihrer Verständlichkeit bedarf es daher i n s b e s o n d e r e des Verständnisses ihres bildungssprachlichen Teils. Diese B e d i n g u n g f ü r das P r o g r a m m des „ T r a c t a t u s " soll in den „ P h i l o s o p h i s c h e n U n t e r s u c h u n g e n " eingelöst w e r d e n , u n d z w a r selbstverständlich o h n e Vorgriff auf eine n o c h nicht z u r Verf ü g u n g s t e h e n d e logische F o r m sprachlicher A u s d r ü c k e . D e r S p r a c h g e b r a u c h selbst soll jetzt o h n e V e r m i t t l u n g theoretischer K o n s t r u k t i o n e n u n d o h n e den U m w e g ü b e r eine logische F o r m allein auf d e m W e g der Sprachspiele, also der P r a g m a t i k , z u einer adäquaten Syntax u n d Semantik der G e b r a u c h s s p r a c h e f ü h r e n . N e u ist jetzt die Einheit, d a ß es nicht d e r v o m Bau f o r m a l e r Sprachen a b gelesenen Exaktheit b e d a r f , u m der Sprachkritik ihre m e t h o d i s c h e Sicherheit z u geben. D i e „ P h i losophischen U n t e r s u c h u n g e n " errichten das f ü r die A u s f ü h r u n g des P r o g r a m m s im „ T r a c t a t u s " notwendige Fundament. Die Unhintergehbarkeit der verschiedenen Sprachspiele als Teile einer L e b e n s f o r m - u n d diese Sprachspiele stellen das fragliche F u n d a m e n t dar - bedeutet dabei gerade nicht die A u s l i e f e r u n g an die faktisch v o r k o m m e n d e n Sprechweisen, vielmehr w i r d d a m i t z u m A u s d r u c k gebracht, d a ß es des E n t w u r f s eines Sprachspiels, seiner expliziten E i n f ü h r u n g u n d d a m i t B e s t i m m u n g seiner Verständlichkeit bedarf, ehe irgendeine w e i t e r f ü h r e n d e R e d e einsetzen k a n n . In d e m M a ß e , als es gelingt, d u r c h eine Fülle von Situationen, in d e n e n sprachliche A u s d r ü c k e sich e i n f ü h r e n lassen, einen h i n r e i c h e n d fein gegliederten E n t w u r f a n z u b i e t e n , der die Rolle der G e b r a u c h s s p r a c h e spielen k a n n , darf die G e b r a u c h s s p r a c h e als v e r s t a n d e n gelten; v o n einer v o r w e g ausgezeichneten E n t s p r e c h u n g v o n Welt u n d Sprache k a n n nicht m e h r geredet w e r d e n . W o h l aber k a n n jetzt versucht w e r d e n , diese p r a g matische Basis in einer auch f ü r die Linguistik f r u c h t b r i n g e n d e n Weise a u s z u b a u e n , w o b e i der Beginn mit einer semantischen R e p r ä s e n t a t i o n auch d e r P e r f o r m a t i o n e n sowie des K o n t e x t e s von Ä u ß e r u n g e n in der T i e f e n s t r u k t u r eines Sprachsystems v o n Seiten der generativen Semantik n u r ein erster Schritt sein k a n n (vgl. Bar-Hillel 1971, Lakoff 1975).

i.

Bibliographie

(in

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I. Allgemeine Bestimmung und Erforschung von Sprache

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Bestimmung

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2. Aspekte einer Theorie der Sozialkommunikation t. Vorbemerkungen 2. Erfahrung, Handeln, Zeichen 3 . D i e K o n s t r u k t i o n der S p r a c h e in der L e b e n s w e l t des Alltags 4 . S t r u k t u r e n und F u n k t i o n e n 5 . B i b l i o g r a p h i e (in A u s w a h l )

1.

Vorbemerkungen

K o m m u n i k a t i o n kann heute alles h e i ß e n . D a r u m steht in F r a g e , o b der B e g r i f f überhaupt n o c h etwas heißt. W i e andere M o d e b e g r i f f e , a n n o dazumal ζ . B . der des O r g a n i s m u s , erhebt auch dieser einen nicht völlig unglaubwürdigen Universalitätsanspruch. Als G e n e r a l m e t a p h e r verbreitet und verflacht er sich in den H u m a n w i s s e n s c h a f t e n und vor allem den Sozialwissenschaften, aber auch in den verschiedenen W e l t - und Selbstdarstellungen m o d e r n e r Intellektueller im „ K u l t u r b e t r i e b " . G e n e r a l m e t a p h e r n ist V e r w a s c h e n h e i t eigen. Sie ist eine B e d i n g u n g ihrer vereinheitlichenden F u n k t i o n in der Herstellung k o s m o l o g i s c h e r G l a u b w ü r d i g k e i t für die hochspezialisierten W i s s e n s c h a f t s p r o d u k t i o n e n , die in der m o d e r n e n Gesellschaft v o n unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten und G r u p p e n verhältnismäßig gleichförmig und oberflächlich in ihre Weltansicht eingearbeitet w e r d e n . Bei aller Vagheit weisen aber die D e n k m u s t e r , die sich in den letzten zwei J a h r z e h n t e n der W i s s e n s c h a f t s e n t w i c k l u n g mit dem B e g r i f f der K o m m u n i k a t i o n verbunden hab e n , auf eine im K e r n nicht neuartige für die W i s senschaften v o m M e n s c h e n jedoch i m m e r w i c h tige G r u n d e i n s i c h t : D e r M e n s c h ist keine fensterlose M o n a d e : Alles in seiner W e l t kann dem M e n schen etwas mitteilen. N o c h ist der M e n s c h ein leeres G e f ä ß , das die W e l t , die G ö t t e r , die „ o b j e k tiven R e i z e " und dergleichen nur auffüllen. Alles, dem sich das menschliche B e w u ß t s e i n in der W e l t z u w e n d e t , erweist sich grundsätzlich als irgendwie deutbar. Aus dem B e z u g auf diese allgemeine Einsicht in die W e i s e der menschlichen Existenz in der W e l t bezieht die k o m m u n i k a t i v e G e n e r a l m e t a p h e r ihre

Kuno Lorenz,

Saarbrücken

sinnfällige U b e r z e u g u n g s k r a f t . D a r a u s folgt jedoch keineswegs, daß sich eine T h e o r i e der K o m munikation als humanwissenschaftliche G e s a m t theorie konstituieren k ö n n e o d e r gar müsse. E s kann zwar kein Zweifel bestehen, daß sich die k o m m u n i k a t i v e n D e n k f i g u r e n zur Erhellung k o n kreter Intersubjektivität, der „ f a c e - t o - f a c e situat i o n " , anbieten. D o r t verlieren sie ihre Vagheit und werden z u m brauchbaren Paradigma (vgl. Benveniste 1966). D i e s ist gewiß b e m e r k e n s w e r t , da k o n k r e t e Intersubjektivität nicht nur der P r o t o t y p gesellschaftlicher Situationen, sondern auch die konstitutive Grundlage der P h y l o g e n e s e und der ontogenetischen Aneignung der Gesellschaftsstruktur ist. D i e heutzutage so beliebte A n w e n d u n g der M e t a p h e r über diese Situation hinaus ist j e d o c h gefährlich. W a s trägt sie zur T h e o r i e gesellschaftlicher Strukturen bei, o b man nun diese mit M a r x als G e s a m t h e i t der Produktionsverhältnisse, in geschichtlicher W i r k l i c h k e i t , mit D ü r k h e i m als Realität sui generis o d e r als eigenes S t r u k t u r niveau auffaßt? D i e ö k o l o g i s c h e G r u n d l a g e und die wirtschaftlichen und politischen H a u p t i n s t i tutionen der Gesellschaft haben mit K o m m u n i kation insofern etwas zu tun, als sie sie s o w o h l voraussetzen als auch bedingen. Sie sind aber in ihrer F u n k t i o n und in ihrem A u f b a u alles andere als k o m m u n i k a t i v e S y s t e m e . U n d was leistet die k o m m u n i k a t i v e G e n e r a l m e t a p h e r in der T h e o r i e des B e w u ß t s e i n s , o b man dieses als biopsychisches Substrat oder als B e d i n g u n g der M ö g l i c h k e i t der K o m m u n i k a t i o n sieht? D i e F o r m u n g der B e w u ß t seinsabläufe, gerade auch j e n e r , die als V o r a u s setzung k o m m u n i k a t i v e r H a n d l u n g e n selbst dien e n , g e h o r c h t nicht den Strukturprinzipien der Kommunikation. K o m m u n i k a t i o n kann also zunächst am besten als b l o ß e r T i t e l für einen P r o b l e m b e r e i c h verstanden w e r d e n , der sich auf eine E b e n e der menschlichen E x i s t e n z in der W e l t bezieht, die zwischen der des B e w u ß t s e i n s - hier in schlichter Selbstgegebenheit und nicht transzendentalphilosophisch verstanden — und der der Gesellschaft liegt. H i e r ist eine eigene S t r u k t u r e b e n e von der sie konstituierenden E b e n e des B e w u ß t s e i n s und

2. Sozialkommunikation der aus ihr k o n s t i t u i e r t e n E b e n e der Gesellschaft zu u n t e r s c h e i d e n . A u c h diese E b e n e ist n o c h d u r c h eine schwer ü b e r s c h a u b a r e Vielfalt k o n k r e t e r Phänomene gekennzeichnet. Auch wenn wir den k o s m o l o g i s c h - v e r w a s c h e n e n Universalitätsanspruch der k o m m u n i k a t i v e n G e n e r a l m e t a p h e r a u f g e b e n , behält diese n o c h i m m e r einen weiten u n d , soweit sie in genauere d e s k r i p t i v - e r k l ä r e n d e M o d e l l e ü b e r f ü h r t w i r d , z u n ä c h s t n o c h recht heterogen scheinenden A n w e n d u n g s b e r e i c h . Im nächsten Schritt der m e t h o d i s c h e n K l ä r u n g w i r d nach den S t r u k t u r i e r u n g s p r i n z i p i e n dieser E b e n e zu fragen sein. D o r t w e r d e ich h a n d l u n g s theoretische mit semiologischen Ü b e r l e g u n g e n v e r b i n d e n . N a c h einer k u r z e n D a r s t e l l u n g gewisser f o r m a l e r P r o b l e m e der B e z i e h u n g z w i s c h e n der S t r u k t u r sozialen H a n d e l n s u n d der P r o d u k tion v o n Zeichen u n d Z e i c h e n s y s t e m e n w e r d e ich die K o n s t i t u t i o n der Sprache in der gesellschaftlichen Alltagswelt im U m r i ß beschreiben. I m dara u f f o l g e n d e n Schritt w e r d e ich dann die Verf l e c h t u n g der S t r u k t u r e n verschiedener N i v e a u s in der Praxis der Alltagswirklichkeit b e t r a c h t e n . Ich w e r d e v e r s u c h e n , die F u n k t i o n b z w . den F u n k t i o n s z u s a m m e n h a n g k o m m u n i k a t i v e r Systeme, v o r allem der Sprache, in der Gesellschaft a u f z u weisen, o h n e die sozialstrukturelle B e s t i m m u n g k o m m u n i k a t i v e r Systeme, v o r allem der Sprache, aus d e m A u g e zu verlieren. A b e r zwischen diese erste K l ä r u n g u n d die dara u f f o l g e n d e systematische Analyse ist n o c h eine Ü b e r l e g u n g a n d e r e r A r t einzuschalten. W i r m ü s sen v e r s u c h e n , uns des Bereichs, d e m der P r o b l e m titel „ K o m m u n i k a t i o n " z u g e o r d n e t ist, v o r - u n d nachwissenschaftlich in e r k e n n t n i s k r i t i s c h e r A b sicht zu vergewissern. D e r u n m i t t e l b a r e A n l a ß dazu ist, d a ß die K o m m u n i k a t i o n s m e t a p h o r i k , mittelbar aber auch die genauer f o r m u l i e r t e n k o m m u n i k a t i o n s t h e o r e t i s c h e n D e n k f i g u r e n , in der gegenwärtigen Diskussionslage von V e r d i n g h c h u n g u n d O n t o l o g i s i e r u n g b e d r o h t w e r d e n . W e n n diese G e f a h r nicht g e b a n n t w i r d , ist es d u r c h a u s m ö g lich, d a ß es der k o m m u n i k a t i v e n G e n e r a l m e t a p h e r e b e n s o ergehen w i r d , wie v o r ihr der organizistischen o d e r später der m e c h a n i s c h - h o m e o s t a tischen D e n k f i g u r , u m n u r zwei Beispiele zu n e n n e n . N a c h einer steilen E r f o l g s k a r r i e r e als sozialwissenschaftliche Paradigmata w u r d e n diese t r o t z ihres partiellen E r k e n n t n i s w e r t s in die R u m p e l k a m m e r der Wissenschaftsgeschichte v e r b a n n t . Angesichts dessen, was w i r h e u t z u t a g e v o n den Prozessen der W i s s e n s c h a f t s e n t w i c k l u n g zu wissen m e i n e n , b r a u c h e n w i r nicht zu glauben, d a ß der k o m m u n i k a t i v e n G e n e r a l m e t a p h e r dieses Schicksal nicht w i d e r f a h r e n k ö n n t e . V e r d i n g h c h u n g u n d O n t o l o g i s i e r u n g der W e l t d e u t u n g s s c h e m a t a sirfd Eigenschaften der Legitim a t i o n s m e c h a n i s m e n , die seit jeher d e n A u f b a u vorwissenschaftlicher K o s m o l o g i e n u n d gesell-

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schaftlicher Ideologien b e s t i m m t h a b e n (Berger u n d L u c k m a n n 1970). A b e r auch die „galileische" W i s s e n s c h a f t der N e u z e i t h a t sich bis in die nachkantische e r k e n n t n i s - k r i t i s c h e u n d wissenschaftstheoretische B e s i n n u n g v o n deutlichen V e r d i n g l i c h u n g s s p u r e n nicht frei m a c h e n k ö n n e n . Dieser U m s t a n d ist f ü r die m e t h o d o l o g i s c h e B e g r ü n d u n g der H u m a n w i s s e n s c h a f t e n ganz b e s o n d e r s folgenreich. D i e H u m a n w i s s e n s c h a f t e n k ö n n e n ja nicht u m h i n , ihre eigenen V o r a u s s e t z u n g e n z u m T h e m a m e t h o d o l o g i s c h e r Reflexion z u m a c h e n . D a s R e c h t f e r t i g u n g s m u s t e r der H u m a n w i s s e n s c h a f t e n ist unausweichlich das einer ständigen M ü n c h hausiade. Sofern sich aber die H u m a n w i s s e n s c h a f ten i h r e r A u f g a b e nicht entziehen w o l l e n , den M e n s c h e n in seiner Gesellschaftlichkeit u n d G e schichtlichkeit z u begreifen, u n d z w a r so, d a ß sie den M e n s c h e n , wie er sich vor, n e b e n u n d nach der Wissenschaft versteht, nicht aus d e m Griff verlieren, müssen sie sich ihren wissens- u n d wissenschaftstheoretischen G r u n d p r o b l e m e n stellen. Dieses P r o b l e m t r i f f t am besten der A u s d r u c k „ e p i s t e m o l o g i s c h e Reflexivität". E p i s t e m o l o g i sche Reflexivität ist nichts anderes als die philosophische F o r m u l i e r u n g dessen, w a s sich in anderer Sicht als der k l ä r u n g s b e d ü r f t i g e Z u s a m m e n h a n g z w i s c h e n InterSubjektivität u n d K o m m u n i kation darstellt. W e n n allerdings K o m m u n i k a t i o n b z w . k o m m u n i k a t i v e K o m p e t e n z als letzte, nicht m e h r fragliche G e g e b e n h e i t der e r k e n n t n i s t h e o r e tischen B e s i n n u n g angesetzt w i r d , k a n n die m e t h o d o l o g i s c h e Selbstbesinnung der Sozialwissenschaften n u r n o c h ihre eigene „ n a i v e " T h e o r i e legitimieren o d e r in i d e o g r a p h i s c h e H e r m e n e u t i k u m s c h l a g e n . D e r G a n g der e r k e n n t n i s k r i t i s c h e n V e r g e w i s s e r u n g , der diese beiden u n z u f r i e d e n s t e l lenden L ö s u n g e n v e r m e i d e t , m u ß die L e b e n s w e l t als „ d a s vergessene S i n n e s f u n d a m e n t " der W i s senschaft a u f s u c h e n ( H u s s e r l 1962,48). D e r k a r t e sianische A u s g a n g s p u n k t jeder Ü b e r l e g u n g , die sich ü b e r ihre eigenen V o r a u s s e t z u n g e n G e w i ß heit verschaffen will, ist das eigene B e w u ß t s e i n . N u r m u ß sich das reflektierende B e w u ß t s e i n eine M e t h o d e geben k ö n n e n , die die intentionalen Leis t u n g e n des B e w u ß t s e i n s genau beschreiben k a n n , o h n e sich die in Frage gestellten w i s s e n s c h a f t lichen u n d c o m m o n - s e n s e - T h e o r i e n u n d O n t o l o gien als V o r a u s s e t z u n g e n dieses U n t e r f a n g e n s einzuverleiben. D i e von H u s s e r l e n t w i c k e l t e n M e t h o d e n der p h ä n o m e n o l o g i s c h e n e p o c h e , der verschiedenen Stufen d e r R e d u k t i o n , d e r eidetischen Variation u s w . geben intersubjektiv k o n t r o l l i e r bare R e c h e n s c h a f t ü b e r die V o r a u s s e t z u n g e n d e r phänomenologischen Beschreibung der Lebenswelt. E i n e solche B e s c h r e i b u n g soll ja die Bew u ß t s e i n s l e i s t u n g e n erhellen, auf die sich k o m m u n i k a t i v e H a n d l u n g e n u n d endlich die D e u t u n g s - u n d E r k l ä r u n g s s y s t e m e des c o m m o n sense u n d d e r W i s s e n s c h a f t e n a u f b a u e n (Schütz u n d

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I. Allgemeine Bestimmung und Erforschung von Sprache

L u c k m a n n 1973): sie m u ß also ihre R e c h t f e r t i g u n g a n d e r s w o , nämlich in der intersubjektiven K o n trolle der Selbstgegebenheiten des B e w u ß t s e i n s finden. D e r G a n g der Vergewisserung beginnt für uns, die wir uns historisch und biographisch in einem wissenschaftlichen und nicht einem m y t h i s c h e n „ u n i v e r s e o f d i s c o u r s e " vorfinden, mit der E i n sicht in die gemeinsame k o s m o l o g i s c h e A u f g a b e der N a t u r - und Sozialwissenschaften. D i e s e W i s senschaften suchen diese Aufgabe zu erfüllen, indem sie, im partiellen G e g e n s a t z zu (und partieller Ä h n l i c h k e i t mit) vorwissenschaftlichen K o s m o l o gien, bestimmten wissenschaftshistorisch und wissenssoziologisch zu analysierenden Regeln der Vernünftigkeit und der Ü b e r p r ü f b a r k e i t folgen. D i e theoretischen Leistungen, welche die V o r a u s setzungen wissenschaftlicher K o s m o l o g i e n bilden, k ö n n e n einerseits in logistischen M o d e l l e n formalisiert, andererseits aber, parallel zu den theoretischen Leistungen verschiedener historischer Ausprägungen des c o m m o n sense, in die Praxis der alltäglichen L e b e n s w e l t zurückverfolgt werden. D i e s e Praxis ist ihrerseits eine intersubjektiv-kommunikativ-gesellschaftliche und ist auch dementsprechend strukturiert, verweist aber zuletzt auf die aktiven und passiven Synthesen subjektiver, innerzeitlicher B e w u ß t s e i n s v o r g ä n g e . W e n n wir K o m m u n i k a t i o n gemeinhin als selbstverständlich voraussetzen, müssen w i r zumindest grundsätzlich in der Lage sein, die F u n d i e r u n g s schichten dieser Voraussetzungen erkenntniskritisch aufzuweisen. A u f diese W e i s e k ö n n e n wir der epistemologischen Reflexivität der sozialwissenschaftlichen T h e o r i e gerechtzuwerden versuchen (vgl. dazu L u c k m a n n 1973 b).

2. Erfahrung,

Handeln,

Zeichen

W e n n die k o m m u n i k a t i v e G e n e r a l m e t a p h e r als Aussage ü b e r die S t r u k t u r der W e l t schlechthin oder auch nur der menschlichen W e l t — verstanden wird, ist sie nichts als ein G l a u b e n s s a t z . D i e W e l t ist nicht K o m m u n i k a t i o n , und die A u f fassung, die die gesamte W e l t als C o d e versteht, gehört rechtens in die T h e o l o g i e . Es ist aber sinnvoll, die M e t a p h e r so zu verstehen, daß die k o m m u n i k a t i v e U m w e l t des M e n s c h e n den K e r n seiner L e b e n s w e l t ausmacht und daher K o m m u nikation in der ganzen L e b e n s w e l t in irgendeiner W e i s e zumindest impliziert ist. D i e A r t und W e i s e dieser I m p l i k a t i o n bedarf selbstverständlich n o c h einer näheren B e s t i m m u n g . I m m e r h i n kann schon von vornherein festgehalten w e r d e n , daß sich B e wußtsein und Mitteilung, Mitteilung und I n t e r subjektivität und InterSubjektivität und G e s e l l schaft, wechselseitig - und vielleicht in dieser Stufenfolge - bedingen. Bei Husserl stellt sich dieser Sachverhalt so dar:

„ I n der W e l t wach l e b e n d , sind w i r ständig, o b w i r darauf achten oder n i c h t , der W e l t b e w u ß t , ihrer b e w u ß t als H o r i z o n t unseres L e b e n s , als H o r i z o n t von , D i n g e n ' (realen O b j e k t e n ) , unserer wirklichen und möglichen Interessen und B e t ä t i gungen. I m m e r ausgezeichnet im W e l t h o r i z o n t ist der H o r i z o n t unserer M i t m e n s c h e n [ . . . ] E b e n zu diesem M e n s c h h e i t s h o r i z o n t gehört die allgemeine Sprache. M e n s c h h e i t ist v o r w e g als u n m i t telbare und mittelbare Sprachgemeinschaft b e w u ß t [ . . . ] O b j e k t i v e W e l t ist von vornherein W e l t für alle [ . . . ] I h r objektives Sein setzt M e n s c h e n als M e n s c h e n ihrer allgemeinen Sprache voraus [ . . . ] So sind M e n s c h e n als M e n s c h e n , M i t m e n s c h h e i t , W e l t [ . . . ] und andererseits Sprache u n t r e n n b a r verflochten und i m m e r schon in ihrer u n t r e n n b a ren Beziehungseinheit g e w i ß , o b s c h o n g e w ö h n l i c h n u r implizite h o r i z o n t h a f t " ( H u s s e r l 1962, 3 6 9 ) . D i e verschlungene B e z i e h u n g s s t r u k t u r , die B e wußtsein, Kommunikation, Intersubjektivität, Z e i c h e n s y s t e m , Gesellschaft und „ o b j e k t i v e " W e l t verbindet, ist spezifisch m e n s c h l i c h . „ K o m m u n i k a t i o n " ist natürlich auch für andere G a t t u n gen bedeutsam, wie die Verhaltensforschung bei verschiedenen G a t t u n g e n - und nicht n u r bei den in dieser H i n s i c h t in weiteren Kreisen bekannt gewordenen Primaten - eindrucksvoll gezeigt hat. Sie erfüllt eine gattungs- u n d , bei h ö h e r e n Spezies, o f t auch individuums-erhaltende F u n k t i o n . Sie ist ein wichtiger F a k t o r bei entwicklungsgeschichtlichen Selektionsprozessen, w e n n auch in verschiedener W e i s e bei verschiedenen G a t t u n g e n (vgl. z . B . G e i s t 1971). V o n b e s o n d e r e m Interesse ist natürlich die P r i m a t e n f o r s c h u n g , die e b e n s o in freier N a t u r wie unter experimentellen B e d i n g u n gen in den letzten zwanzig J a h r e n große F o r t schritte gemacht hat. D i e U n t e r s u c h u n g e n von P r e m a c k und v o m E h e p a a r G a r d n e r haben nicht nur elementare Semantisierungsprozesse n o c h einmal eindeutig nachgewiesen. D a s w a r ja s c h o n früher b e k a n n t . Sie haben vor allem gezeigt, daß unter experimentellen Bedingungen Schimpansen auch eine rudimentäre Syntax e n t w i c k e l n , b z w . lernen, wenn man nicht versucht, sie zu artikulierten Vokalisierungen anzuhalten (was bei der Lage ihrer Epiglottis nicht m e h r sehr sinnvoll scheint), sondern ihre visuell-kinetischen F ä h i g keiten ausnützt. A b e r nicht nur erzeugen die Schimpansen diese syntaktischen k o m m u n i k a tiven S y s t e m e nicht selber, sondern vermitteln sie auch nicht an Artgenossen und verwenden sie t r o t z einer gewissen individuellen semantischen Kreativität nicht untereinander, n a c h d e m sie sie von den F o r s c h e r n erlernt haben (vgl. G a r d n e r und G a r d n e r 1971; P r e m a c k 1976). Bei aller Einsicht in die recht weit z u r ü c k z u v e r folgende P h y l o g e n i e der expressiven und k o g n i tiven Voraussetzungen der Zeichenfähigkeit beim M e n s c h e n (vgl. J o l l y 1972) hat es den A n s c h e i n ,

2. Sozialkommunikation d a ß bei d e r m e n s c h l i c h e n Z e i c h e n p r o d u k t i o n , b z w . Z e i c h e n s y s t e m p r o d u k t i o n , ein äußerst bed e u t s a m e r evolutiver S p r u n g g e m a c h t w u r d e . J e denfalls ist f ü r die spezifisch m e n s c h l i c h e n , also geschichtlichen Gesellschaften der Sachverhalt z u vielschichtig, als d a ß er b i o l o g i s c h - r e d u k t i v e r f a ß t w e r d e n k ö n n t e (vgl. H i n d e 1974; R e y n o l d s 1976). M a n k a n n z w a r v e r m u t l i c h sagen, d a ß k o m m u n i kative Systeme der G a t t u n g insgesamt einen selektiven Vorteil gebracht h a b e n , b z w . d a ß im Z u s a m m e n h a n g m i t Zerebralisierung, a u f r e c h t e m G a n g , V e r ä n d e r u n g des Gesichtsfelds u n d einer gewissen V e r ä n d e r u n g der ö k o l o g i s c h e n G e b u n denheit der G a t t u n g (und der d a m i t z u s a m m e n h ä n g e n d e n sozialen V e r h a l t e n s m u s t e r ) auf „ S p r a c h e " hin selegiert w u r d e . M a n k a n n vielleicht sogar m a n c h e der elementaren Bauprinzipien menschlicher Sprachen e v o l u t i o n s t h e o r e t i s c h erklären. D a r ü b e r h i n a u s ist aber auf diesem E r k l ä rungsniveau nicht m e h r viel z u h o l e n . In m e n s c h lichen Gesellschaften erklären die k o m m u n i k a t i ven Anlagen der G a t t u n g n u r u n z u r e i c h e n d die darauf a u f g e s t u f t e gesellschaftliche (und n i c h t gatt u n g s g e m ä ß e ) K o n s t r u k t i o n v o n Zeichensystemen. Seit einiger Zeit herrscht z w a r n u n die U b e r z e u g u n g , d a ß auch die menschliche Sprache nicht v o m theologischen o d e r biologischen H i m m e l gefallen ist. D e n n o c h ist es nicht gelungen, eine völlig z u friedenstellende T h e o r i e der m e n s c h l i c h e n E r zeugung menschlicher kommunikativer Strukt u r e n zu e n t w i c k e l n . Bis in die jüngste Zeit findet m a n s p r a c h t h e o r e t i s c h e u n d semiotische Ü b e r l e g u n g e n , die k o m m u n i k a t i v e Systeme u n d insbes o n d e r e Sprache als f e r t i g k o n s t i t u i e r t e G e g e b e n heiten einer jeweiligen historisch-gesellschaftlichen Welt schlicht v o r a u s s e t z e n u n d wissenstheoretisch „ n a i v " d a r a n g e h e n , die innere S t r u k t u r dieser G e g e b e n h e i t u n d e t w a noch d e r e n diac h r o n i s c h e M o d i f i k a t i o n e n zu analysieren. Es ist nicht viel g e w o n n e n , w e n n m a n das P r o b l e m der Z e i c h e n k o n s t i t u t i o n u n d die axiomatische, völlig ungeklärte „ T i e f e n s t r u k t u r " , die a n g e b o r e n e Zeichenfähigkeit des M e n s c h e n , n u r n o c h auf einen biologischen Erklärungszusammenhang abschiebt. D a w a r der — seiner einfältigen Prämissen w e g e n m i ß g l ü c k t e , behavioristisch-lerntheoretische Vers u c h , den S p r a c h a u f b a u z u erklären, jedenfalls heroischer in d e r A b s i c h t u n d auch folgerichtiger in der A u s f ü h r u n g . D i e Suche nach d e n P r i n z i p i e n des Verhältnisses z w i s c h e n gesellschaftlich k o n s t r u i e r t e r W i r k l i c h keit, K o m m u n i k a t i o n u n d subjektiven B e w u ß t seinsleistungen m u ß bei d e r A n a l y s e der K o n s t i t u tion v o n Z e i c h e n s y s t e m e n in der m e n s c h l i c h e n L e b e n s w e l t a n s e t z e n . Dies ist eine schwierige A u f gabe. Es soll ja zweierlei geleistet w e r d e n . Z u m ersten soll p h ä n o m e n o l o g i s c h das F u n d i e r u n g s verhältnis a u f g e d e c k t w e r d e n , das zwischen s u b -

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jektiven B e w u ß t s e i n s l e i s t u n g e n u n d gesellschaftlichen K o m m u n i k a t i o n s s y s t e m e n besteht, w o b e i der m e t h o d i s c h gesicherte A u s g a n g s p u n k t die E v i d e n z des B e w u ß t s e i n s selbst ist u n d den Leitfaden einer p h ä n o m e n o l o g i s c h e n K o n s t i t u t i o n s analyse liefert. Z u m zweiten ist aber im e r f a h rungswissenschaftlichen „ u n i v e r s e of d i s c o u r s e " v o n der empirischen B e s t i m m t h e i t des Einzelbew u ß t s e i n s d u r c h ein geschichtlich k o n k r e t e s gesellschaftliches System der W i r k l i c h k e i t s k o n s t r u k t i o n u n d Realitätsvermittlung a u s z u g e h e n . D a soll der k a u s a l - f u n k t i o n a l e Z u s a m m e n h a n g von G e s e l l s c h a f t s s t r u k t u r , sozialem H a n d e l n u n d kommunikativen Akten angesprochen werden. Diese „ P a r a l l e l a k t i o n " , d e r e n Ergebnisse z u d e m g r u n d s ä t z l i c h z u r wechselseitigen D e c k u n g gebracht w e r d e n m ü ß t e n , hat den Fehler z u vermeid e n , d e n der P a n s e m i o t i s m u s (der in den letzten J a h r e n brilliante V e r f e c h t e r g e f u n d e n hat) begeht. D e n P o s i t i o n e n s o w o h l v o n Barthes als auch von E c o d ü r f t e eine I d e n t i f i k a t i o n von sozialen Zeic h e n s y s t e m e n mit gesellschaftlichen S i n n s t r u k t u ren schlechthin z u g r u n d e l i e g e n (vgl. Barthes 1964; E c o 1968). Dies k a n n , wie ja schon die Analysen archaischer Klassifikationssysteme bei LeviStrauss (vgl. Levi-Strauss 1962) h e r v o r r a g e n d d o k u m e n t i e r t e n , g r o ß e n heuristischen W e r t h a b e n . F ü r eine genaue B e s t i m m u n g der S t r u k t u r u n d F u n k t i o n v o n Z e i c h e n s y s t e m e n e m p f i e h l t es sich hingegen z u r D u r k h e i m i s c h - d e Saussureschen A u f f a s s u n g v o n Z e i c h e n s y s t e m e n als spezifischen u n d verhältnismäßig „ a u t o n o m e n " K o m m u n i kations- und Klassifikationsstrukturen zurückzuk e h r e n ( D ü r k h e i m u n d Mauss 1901/1902; de Saussure 1955). So w i e nicht alles in der W e l t „ K o m m u n i k a t i o n " ist, so besteht die W e l t erst recht nicht schlechthin aus „ Z e i c h e n " ( u n d W u n d e r n ) . Es ist richtig, d a ß alles z u m Zeichen w e r d e n k a n n , aber es m u ß ja gerade geklärt w e r d e n , u n t e r welchen B e d i n g u n g e n das geschieht. Diese B e d i n g u n g e n müssen in spezifischen Bewußtseinsleistungen des M e n s c h e n u n d in d e r spezifischen S t r u k t u r menschlichen H a n d e l n s in d e r k o n k r e t e n I n t e r subjektivität der „ f a c e - t o - f a c e s i t u a t i o n " b e g r ü n det sein. D a s ist die T h e s e , die es n u n z u beg r ü n d e n gilt. D i e Bewußtseinsleistung, die aller Z e i c h e n e r z e u g u n g u n d allem Z e i c h e n g e b r a u c h z u g r u n d e liegt, ist die A p p r ä s e n t a t i o n : D i e E r h e l l u n g der S t r u k t u r d e r A p p r ä s e n t a t i o n beginnt in d e n H u s serlschen A n a l y s e n (schon in H u s s e r l 1901, v o r allem B d . II, Teil II), w o sie n o c h in die T e r m i n o logie v o n „ A n s c h a u u n g s - u n d B e d e u t u n g s k o m p o n e n t e n " gefaßt, aber s c h o n in ihrer F u n k t i o n f ü r signifikative B e z i e h u n g e n e r k a n n t w i r d . Später w i r d sie in die G e s a m t a n a l y s e passiver S y n t h e sen u n d aktiver Bewußtseinsleistungen in W a h r n e h m u n g , U r t e i l e n u n d in der K o n s t i t u t i o n v o n

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I. Allgemeine Bestimmung und Erforschung von Sprache

InterSubjektivität eingeordnet. (Vgl. Husserl 1938, 1. Aufl., bes. 79; Husserl 1952, bes. 162ff.; vor allem aber Husserl 1950, bes. 138-149.) Nach Husserl haben vor allem Aron Gurwitsch (vgl. insbes. Gurwitsch 1957), Dorion Cairns und Alfred Schütz (vgl. hierzu vor allem Symbol, Reality and Society, in: Schütz 1962) die Tradition einer fortschreitenden, sich selbst korrigierenden Beschreibung der Bewußtseinsleistungen und ihrer Funktion im Aufbau der Lebenswelt begründet. Appräsentation als aktive Bewußtseinsleistung gründet in primitiveren appräsentativen Bewußtseinssynthesen. Diese beruhen ihrerseits auf den ursprünglichsten passiven Synthesen der Assoziation (oder „Paarung"). „In einer paarenden Assoziation ist das Charakteristische, daß im primitivsten Falle zwei Daten in der Einheit eines Bewußtseins in Abgehobenheit anschaulich gegeben sind [ . . . ] " (Husserl 1950, 142).

Dabei ist zu beachten, daß „die Bedingung der Möglichkeit jeder Einheit der Anschauung [ . . . ] " die „Einheit der Zeitanschauung" ist (Husserl 1948, 214). Schon bei dieser Form der Paarung findet sich „wesensmäßig dabei vorliegend ein intentionales Ubergreifen [ . . . ] ein wechselseitiges Sich-wecken, ein wechselseitiges Sich-überdecken nach dem gegenständlichen Sinn" (Husserl 1950, 142). „Als ihre ( i . e . , der Deckung) Leistung vollzieht sich am Gepaarten Sinnesübertragung, d. i. die Apperzeption des einen gemäß dem Sinn des anderen, soweit nicht an dem Erfahrenen verwirklichte Sinnesmomente diese Übertragung im Bewußtsein des Anders aufheben" (Husserl 1950, 142f.; Kursiv bei Husserl).

Appräsentative Paarung und die dabei zustandekommende analogische Sinnesübertragung unterscheiden sich von der einfachen Kopplung. Bei der primitiven Form der Paarung kommt es zur Einheit der Auffassung in gleichzeitiger Präsenz von zwei Daten. Auf der uns hier interessierenden Stufe der „assoziativen Einigung" kommt es hingegen zur Synthese von „Präsentem" und „ N i c h t präsentem" (Husserl 1948, 79). Das ist aber genau jene Grundstruktur des Bewußtseins, die bei der sogenannten Zeichenfähigkeit des Menschen vorausgesetzt werden muß: „Apräsentation setzt als solche [ . . . ] einen Kern von Präsentation voraus [ . . . ] beide sind so verschmolzen, daß sie in der Funktionsgemeinschaft einer Wahrnehmung stehen, die in sich zugleich präsentiert und appräsentiert [ . . . ] " (Husserl 1950, 150).

Ein Zeichen, was immer es sonst noch sein mag, ist auf jeden Fall eine Verweisung von einem präsenten Bewußtseinsdatum - und hier soll schon präzisiert werden: einem Wahrnehmungsdatum auf ein nicht präsentes Datum. Diese Verweisungsbeziehung, die nicht syntaktisch getrennt, urteilend vollzogen wird, wollen wir provisorisch

B e d e u t u n g nennen. Bevor aber dieser Begriff genauer bestimmt wird, muß zunächst die K o n stitution von S i n n in der Erfahrung und im Handeln beschrieben werden. Bewußtsein ist nichts an sich sondern von etwas. Es besteht aus fortlaufenden Synthesen, in denen sich etwas, das nicht Bewußtsein ist, präsentiert. Der Ich-Pol dieser Vorgänge scheint schon in den Identitätssynthesen der inneren Zeit als Funktionszentrum aller Bewußtseinsleistung durch. Alle Phasen, die ineinander verschmelzen, die gerade vergangene, die aktuelle (aber immer gerade entschwindende) und die vorerwartende (sich aktuell immer mehr oder minder erfüllende), sind vom Ich-Pol aus auf etwas gerichtet. Das, worauf sie gerichtet sind, das intentionale Korrelat (noema) der ablaufenden synthetischen Vorgänge (noesis) enthüllt sich in einer universalen Struktur, gleichgültig um welche Bewußtseinsabwandlung es sich handelt, wie ζ. B . wahrnehmende Darstellung, Erinnerung, fiktive Darstellung usw. Die Struktur besteht aus einem thematischen Kern, der in ein thematisches Feld eingebettet ist, das seinerseits von einem offenen Horizont umgeben ist (vgl. Husserl 1950 u. 1952; Gurwitsch 1957; James 1890, bes. Kap. I X ) . Was sich jeweils als thematischer Kern abhebt, w i e es sich in seinem Feld strukturiert, und w a r u m das und nicht etwas anderes, sind Fragen, die gewöhnlich unter den Problemtiteln Aufmerksamkeit und Relevanz behandelt werden, auf die ich hier nicht näher einzugehen brauche (vgl. Schütz 1971; Schütz und Luckmann 1973). Im Bewußtseinsstrom konstituieren sich „Erlebnisse" als thematische Kerne auf Grund passiver Synthesen. In der Konstitution dieser Erlebnisse wirken miteinander verbundene thematische, interpretative und motivationsmäßige Relevanzstrukturen mit. Die Erlebnisse enthalten nicht nur die aktuellen Kerne der Erlebnisphasen selbst. Jedes Erlebnis enthält neben aktuellen Themen auch appräsentierte thematische Bestandteile. Zum Erlebnis eines Baumes gehört nicht nur die impressiv-aktuell in unmittelbarer Evidenz gegebene Vorderansicht, sondern auch eine gleichzeitig appräsentierte Rückseite. Die inhaltliche „Füllung" der appräsentierten Bestandteile kann sehr verschiedenartig sein, darf aber allgemein als Funktion der im subjektiven Wissensvorrat unter Mitwirkung der subjektiven Relevanzstrukturen abgelagerten Vorerfahrungen angesehen werden. Bei allen Erlebnissen, die der Wirklichkeitsebene der alltäglichen Lebenswelt angehören, ist ihr jeweiliger „ T y p u s " (ein Schema zusammengehöriger, hervorstechender thematischer Elemente) a u t o m a t i s c h appräsentiert. Auch vor sozial vermittelten und in den subjektiven Wissensvorrat eingegangenen semantischen Klassifikationen, wie ζ. B . Föhre, wird der aktuell erlebten visuellen Gestalt ein charakteri-

2. Sozialkommunikation stischer Z u s a m m e n h a n g von B e r ü h r u n g s - , G e ruchs- und Gebrauchsqualitäten automatisch appräsentiert, so daß die ohnehin schon als typisch erfaßte visuelle Gestalt typisch auf andere M o d a l i täten und F u n k t i o n s z u s a m m e n h ä n g e hin aufgefüllt wird. Alle diese Synthesen und A p p r ä s e n tationen verschmelzen zur selbstverständlichen Einheit der alltäglichen G e g e n s t a n d s e r f a h r u n g . D i e inhaltliche Füllung der T y p i s i e r u n g kann wieder als eine F u n k t i o n des jeweiligen subjektiven Wissensvorrats aufgefaßt werden. Erlebnisse aller A r t , nicht nur gegenstandsbezogene, werden schon auf dieser Stufe, nämlich der Stufe a u t o m a tischer, passiver S y n t h e s e n , als typische v o r - k o n stituiert. M a n c h e Erlebnisse zeichnen sich dadurch aus, daß das Ich ihnen seine A u f m e r k s a m k e i t z u w e n det, sich aktiv mit ihnen beschäftigt. S o l c h e E r lebnisse, in denen sich das Ich sozusagen engagiert, sind unter anderem durch einen höheren G r a d der B e s t i m m t h e i t und A b g e h o b e n h e i t des E r l e b n i s k e r n s und durch größere thematische K o n g r u e n z des Erlebnisablaufs g e k e n n z e i c h n e t . Sie bilden o f f e n b a r nur einen Teil aller B e w u ß t seinsabläufe, sind aber s o w o h l für die H a n d l u n g s theorie als auch für die Z e i c h e n t h e o r i e von b e s o n derer B e d e u t u n g . W i r wollen sie E r f a h r u n g e n nennen. Erfahrungen sind aktuelle Bewußtseinsabläufe und haben als solche n o c h keinen „ S i n n " . Sinn konstituiert sich erst damit, daß sich das Ich seinen Erfahrungen nachträglich z u w e n d e t und sie in einen über die schlichte Aktualität der ursprünglichen E r f a h r u n g hinausgehenden Z u s a m m e n h a n g setzt. Sinn konstituiert sich also in der b e w u ß t erfaßten Relation zwischen der E r f a h r u n g und etwas anderem. Dieses andere kann eine andere E r f a h rung sein, die als gleich, ähnlich, entgegengesetzt, usw. erfaßt wird. D a s andere kann auch ein ganzes E r f a h r u n g s s c h e m a sein, zu dem die reflexiv erfaßte E r f a h r u n g in bezug gesetzt wird. Es kann aber auch eine höherstufige Typisierung sein, eine H a n d l u n g s m a x i m e , eine P r o b l e m l ö s u n g , eine m o ralische Legitimierung, u s w . , die der E r f a h r u n g ihren Sinn „ v e r l e i h t " . D a s W i e und W a r u m der reflexiven B e w u ß t s e i n s z u w e n d u n g e n , in denen der Sinn von Erfahrungen konstituiert wird, hängt nicht nur von der jeweiligen Situation ab - das I c h w e n d e t sich ja im reflexiven R ü c k g r i f f von der aktuellen Situation zeitweilig a b - , sondern auch v o m gesamten H a n d l u n g s z u s a m m e n h a n g , in den die Erfahrungen eingebettet sind, und schließlich von den Relevanzstrukturen des subjektiven W i s s e n s vorrats, von dem die E r f a h r u n g wie die G e s a m t situation zuallererst b e s t i m m t w i r d . Aus dem B e w u ß t s e i n s s t r o m h e b e n sich E r l e b nisse a b ; im Erlebnisablauf konstituieren sich E r fahrungen; m a n c h e Erfahrungen sind sinnvoll. M a n c h e E r f a h r u n g e n haben nun eine eigenartige

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Zeitstruktur und dadurch eine S i n n d i m e n s i o n , die sie vor allen anderen Erfahrungen auszeichnet: Erfahrungsabläufe, die v o m Ich auf ein Ziel hin gesteuert w e r d e n , nennen wir H a n d l u n g e n (vgl. die eingehende Analyse der S t r u k t u r des Handelns bei S c h ü t z 1932 und 1962). H a n d l u n g e n sind also Erfahrungsabläufe, die motiviert sind, sofern das M o t i v die E r r e i c h u n g eines Ziels ist. D a s Ziel, das P r o j e k t der H a n d l u n g , ist a b e r die im aktuellen Erfahrungsverlauf v o r w e g g e n o m m e n e , phantasierend vorgestellte , , E n d z u s t a n d s " - E r f a h r u n g . J e d e H a n d l u n g hat demnach zumindest den aktuellen Sinn, der sich in der b e w u ß t e n (aber nicht n o t w e n dig reflektierten) B e z i e h u n g zwischen der jeweiligen E r f a h r u n g (als Phase des Handlungsverlaufs) und dem appräsentierten E n t w u r f konstituiert. Selbstverständlich kann jede H a n d l u n g wie jede andere E r f a h r u n g nachträglich (das bedeutet natürlich auch, nach irgendeiner Phase, v o r ihrem „ E n d e " ) thematisiert und so in einen Auslegungsz u s a m m e n h a n g gebracht w e r d e n , in dem ihr reflexiv ein Sinn verliehen wird — also ein zusätzlicher, abgewandelter, anderer Sinn, als der, in dem sich die ursprüngliche H a n d l u n g als ein entw o r f e n e r Erfahrungsverlauf konstituiert hatte. E i n e besondere — und für die Aufhellung der K o n s t i t u t i o n von Zeichen entscheidend wichtige F o r m von Handeln ist soziales H a n d e l n . F o r m a l kann soziales H a n d e l n als jenes Handeln b e s t i m m t w e r d e n , in dessen E n t w u r f ein alter ego (oder auch ein T y p von „ A n d e r e n " o d e r eine darauf aufgestufte soziale „ S t r u k t u r " ) appräsentiert wird. A b e r es interessieren uns hier zunächst nur solche sozialen H a n d l u n g e n , deren E n t w u r f auf einen M i t m e n s c h e n in einer gemeinsamen U m w e l t bezogen ist. D i e s ist soziales H a n d e l n in k o n k r e t e r Intersubjektivität, in der „ f a c e - t o - f a c e s i t u a t i o n " . D e r H a n d l u n g s e n t w u r f ist hier auf einen b e s o n deren, leiblichen, w i e w o h l natürlich i m m e r auch in seiner T y p i k miterfaßten M e n s c h e n gerichtet. D i e A u s f ü h r u n g des jeweiligen H a n d l u n g s e n t wurfs kann i m m e r von den H a n d l u n g e n des M i t menschen beeinflußt w e r d e n . Z u r verwickelten Fundierungsstruktur sozialen H a n d e l n s als H a n d lung, E r f a h r u n g , E r l e b n i s k o m m t also n o c h die spezifische S i n n s t r u k t u r der E r f a h r u n g als b e w u ß t auf andere gerichtet und der H a n d l u n g als auf einen anderen hin e n t w o r f e n hinzu. V o r allem k o m m t aber n o c h h i n z u , daß das H a n d e l n von anderen nicht nur im E n t w u r f , sondern auch im faktischen Verlauf in einer gemeinsamen U m w e l t m i t b e s t i m m t wird. D i e s e knappe, f o r m a l e B e s c h r e i b u n g der F u n dierung appräsentativer Verweisungen und sozialen H a n d e l n s in Bewußtseinsleistungen dient zur V o r b e r e i t u n g der nun folgenden U n t e r s u c h u n g der K o n s t i t u t i o n der Sprache in der L e b e n s w e l t des Alltags. In alltäglicher k o n k r e t e r I n t e r s u b j e k tivität verbinden sich soziales H a n d e l n und

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I. Allgemeine

Bestimmung

und Erforschung

von

Sprache

Tab. 1. Appräsentation

Τ Zwei Daten in Einheit, bei Sinnesüberschiebung

Paarende Assoziation:

a) (präsent) Ρ b) (präsent) ,b'

Zwei Daten, eines präsent, das andere nicht präsent, bei , . , ... analogischer Sinnesubertragung

. Apprasentative

_ Paarung: ö

, , .. , ι, , · , a) (präsent) r b) v(nicht r präsent) ^ * ^ ' ,b;

>a' Präsentes Datum ,,weckt" das nicht-präsente: das nicht~ • , , präsente Datum wird thematisiert

, . . , n Bedeutungsbeziehung 6

. . a) (präsent) Ρ b) v (nichtr präsent) ± vr ' '

s

,b'

Tab. 2. Soziales Handeln Passive Thematisierungen

Bewußtseinsstrom

Ich-Zuwendung

Erlebnisse

Beziehungserfassung (Reflexion)

Erfahrungen

Entwurf

Sinnvolle

Erfahrungen

Handeln Entwurf auf alter ego bezogen Soziales

Handeln

Entwurf auf alter ego in gemeinsamer Umwelt bezogen Soziales Handeln in konkreter

Intersubjektivität

alter ego als Typ, als soziale „ S t r u k t u r " Anonymes soziales

Handeln

Appräsentation. Aus ihnen bilden sich Zeichen. Es mag nützlich sein, die Fundierungsverhältnisse, die die Beschreibung aufgezeigt hat, noch einmal zusammenfassend - und dementsprechend vereinfacht — darzustellen (siehe Tab. 1 und 2).

,,Die Sprache ist so alt wie das Bewußtsein - die Sprache ist das praktische, auch für andere Menschen existierende, also auch für mich selbst existierende, wirkliche Bewußtsein, und die Sprache entsteht, wie das Bewußtsein, erst aus dem Bedürfnis, der N o t d u r f t des Verkehrs mit anderen Menschen" (Marx 1953).

J. Die Konstitution der Sprache in der Lebenswelt des Alltags

Eine soziologische Theorie der Kommunikation m u ß nach wie vor der unbestreitbar zentralen Bedeutung der Sprache als dem H a u p t system der gesellschaftlichen Bewußtseinsformung, Wirklichkeitsvermittlung und Handlungsstrukturierung gerecht werden. Diese Bedeutung als Brücke zwischen Mensch, Mitmensch und „objektiver" Welt ist der Sprache in der Entwicklung des menschlichen Bewußtseins in der Gesellschaft in Konkurrenz, aber auch in partieller Uberschiebung mit anderen anlagemäßig gegebenen Möglichkeiten protozeichenhafter Verständigung, zugewachsen. Das wissenschaftliche Interesse an phylogenetischen, ontogenetischen und funktionalen Fragestellungen geht motivierend in die hier anvisierte phänomenologische Konstitutionsanalyse der Sprache ein, da ja diese einer bewußtseins- und handlungstheoretischen Abstützung der Semiotik dienen soll (ausführlicher dazu: Luckmann 1973a). Für die Analyse mag das subjektive Erleben von Lautmustern als die elementare Fun-

Die Sprache ist - um eine programmatische Wendung von Marcel Mauss zu gebrauchen — un phenomene social total. Eine sich daran ausrichtende soziologische Theorie der Kommunikation hat Sprache nicht nur unter dem Aspekt ihrer formalen Struktur zu betrachten, sondern m u ß versuchen, den Gesamtzusammenhang ihrer gesellschaftlichen E n t s t e h u n g s b e d i n g u n g e n , die Fülle ihrer sozialen F u n k t i o n e n und ihre konkrete Einbettung in das s o z i a l e H a n d e l n zu erfassen. Schon in der Sprachbetrachtung Wilhelm von H u m b o l d t s (vgl. vor allem H u m boldt 1963) verbanden sich phylogenetische, ontogenetische, funktionale und phänomenolo-' gisch-konstitutionsanalytische Perspektiven - im letzten Punkt natürlich avant la lettre, wenn auch in unverkennbarer Folge der Phänomenologie Hegels. Solche Perspektiven zeichnen sich nur wenig später auch bei Marx ab:

2. Sozialkommunikation dierungsschicht gelten. Dieses Erleben ist z w a r selbst das Ergebnis synthetischer B e w u ß t s e i n s v o r g ä n g e , in d e n e n sich W a h r n e h m u n g s g e g e n stände als K e r n e thematischer Felder k o n s t i t u i e r e n . Darauf w u r d e vorhin k u r z verwiesen. Eine e i n g e h e n d e r e B e s c h r e i b u n g der K o n s t i t u t i o n auditiver G e g e n s t ä n d e im allgemeinen als w e s e n t lich zeitlicher O b j e k t e ist hier jedoch n i c h t am P l a t z . W i r m ü s s e n jedoch im Erleben von Sprachformen zunächst ausklammern, was höherstufigen K o n s t i t u t i o n s s t u f e n a n g e h ö r t , w a s also L a u t m u s t e r erst z u S p r a c h f o r m e n m a c h t . W i r müssen v o r allem die Beziehung der einzelnen S p r a c h f o r m z u m System v o n S p r a c h f o r m e n , d a n n die E r z e u g u n g der S p r a c h f o r m in H a n d l u n g e n eines M i t m e n s c h e n u n d schließlich die E i n b e t t u n g der S p r a c h f o r m in eine Situation k o n k r e t e r InterSubjektivität ausschalten. A b e r auch d a n n weist das Erleben von L a u t m u s t e r n , als Erleben von „ n a t ü r l i c h e n V o r k o m m n i s s e n " b e t r a c h t e t , einige b e m e r k e n s w e r t e Eigenschaften auf. I m U n t e r s c h i e d z u m Erleben vieler a n d e r e r G e g e n s t ä n d l i c h k e i t e n der L e b e n s welt des Alltags präsentieren sich S p r a c h f o r m e n in einer einzigen Sinnesmodalität. Sie w e r d e n als Z e i t o b j e k t e e r f a ß t . I m G e g e n s a t z zu vielen anderen Ereignissen in der gemeinsamen U m w e l t vergehen sie in ihrer A k t u a l i t ä t s o f o r t , o b w o h l sie im M o m e n t ihrer E r z e u g u n g ein u n b e s t r e i t barer Bestandteil der intersubjektiv a u f g e b a u t e n „ o b j e k t i v e n " U m w e l t sind. D a s Erleben v o n L a u t m u s t e r n k o n s t i t u i e r t sich in f o r t l a u f e n d e r S y n c h r o n i s a t i o n v o n inneren Z e i t s y n t h e s e n u n d „ ä u ß e r e m " (d. h . , sich intentional als solcher p r ä s e n t i e r e n d e m ) A b l a u f . Es k o n s t i t u i e r t sich p o l y thetisch, Schritt f ü r Schritt, in verschiedenen A b schattungen der T o n h ö h e , L a u t s t ä r k e , R h y t h m u s u n d Melodie, aber in Einheit der A u f f a s s u n g . Diese A b s c h a t t u n g e n bilden das thematische Feld u m den K e r n d e r Lautgestalt. Diese Erlebnisse konstituieren sich von v o r n herein u n d a u t o m a t i s c h als t y p i s c h e Erlebnisse, w o b e i je nach U m s t ä n d e n irgendeine A b s c h a t t u n g thematisiert w i r d . I m jeweiligen S i t u a t i o n s z u s a m m e n h a n g k o m m t es infolge der im subjektiven W i s s e n s v o r r a t gelagerten V o r e r f a h r u n g e n d a z u , d a ß sich das Ich einem typischen t h e m a t i s c h e n K e r n der Lautgestalt in einem charakteristischen t h e m a t i s c h e n Feld solcher A b s c h a t t u n g e n z u w e n det. D a s Erlebnis von L a u t m u s t e r n wird d u r c h die I c h - Z u w e n d u n g in eine w o h l u m s c h r i e b e n e , erinn e r u n g s f ä h i g e E r f a h r u n g v e r w a n d e l t . Diese E r f a h r u n g dient als W a h r n e h m u n g s g r u n d l a g e einfacher, d a n n aber auch h ö h e r s t u f i g e r A p p r ä s e n tationen u n d s o m i t erinnerten Sinns. In der „ f a c e - t o - f a c e s i t u a t i o n " beziehen sich die Erlebnisse v o n L a u t m u s t e r n auf Ereignisse, die von den M e n s c h e n in ihrer Situation als Ereignisse in gemeinsamer Reichweite erfaßt w e r d e n . Ich er-

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lebe die L a u t f o l g e als e t w a s , das m e i n P a r t n e r in der Situation u n g e f ä h r gleich erlebt wie ich. D a s b e r u h t auf der von Schütz ausführlich analysierten lebensweltlichen G r u n d a n n a h m e d e r R e z i p r o z i t ä t der P e r s p e k t i v e n . In der „ f a c e - t o - f a c e s i t u a t i o n " h a b e ich nicht n u r das u n m i t t e l b a r e Erlebnis der L a u t f o l g e , s o n d e r n auch das u n m i t t e l b a r v e r m i t telte Erlebnis meines P a r t n e r s in der Situation. W e n n ich m i c h m e i n e m M i t m e n s c h e n a u f m e r k sam z u w e n d e , sehe ich, d a ß er d e m V o r g a n g , der mir thematisch relevant ist, B e a c h t u n g s c h e n k t . Ich habe so nicht n u r b e w u ß t e E v i d e n z v o n der p o l y t h e t i s c h e n K o n s t i t u t i o n m e i n e r Erlebnisse der L a u t f o l g e , s o n d e r n auch u n m i t t e l b a r e , d u r c h seinen Leib vermittelte E v i d e n z f ü r die p o l y t h e t i sche K o n s t i t u t i o n s e i n e r Erlebnisse der gleichen L a u t f o l g e . D i e Lautfolge w i r d als „ o b j e k t i v " erlebt u n d k a n n zugleich als H i n w e i s auf die s u b j e k tiven Erlebnisse des M i t m e n s c h e n erfaßt w e r d e n . Dieses Erlebnis der L a u t f o l g e in der „ f a c e - t o - f a c e s i t u a t i o n " k a n n also m i t h e l f e n , k o n k r e t e I n t e r s u b jektivität z u b e g r ü n d e n . Dies gilt allgemein f ü r L a u t f o l g e n in der gem e i n s a m e n Reichweite d e r P a r t n e r , also auch f ü r auditive Ereignisse, die sich nicht als v o m M i t m e n s c h e n e r z e u g t ausweisen. W e n n ich jedoch die L a u t f o l g e als v o n m e i n e m P a r t n e r in d e r Situation e r z e u g t erlebe, w i r d sie als A n z e i c h e n ü b e r ihn, als A p p r ä s e n t a t i o n seiner subjektiven E r l e b nisse e r f a ß t . Dabei verliert sie keineswegs ihre Eigenschaft als „ o b j e k t i v e s " Ereignis in einer gem e i n s a m e n U m w e l t . V o n M i t m e n s c h e n erzeugte L a u t m u s t e r sind n u r eines u n t e r vielen A n z e i c h e n , die mir in einer „ f a c e - t o - f a c e s i t u a t i o n " ü b e r sie z u r V e r f ü g u n g stehen. I m P r i n z i p k a n n jeder beliebige A s p e k t des ä u ß e r e n Verhaltens der M i t m e n s c h e n , jede beliebige H a n d l u n g u n d jedes E r zeugnis einer H a n d l u n g als A n z e i c h e n ü b e r ihr „ I n n e n l e b e n " ( d . h . , ihr B e w u ß t s e i n ) dienen. N e ben den L a u t m u s t e r n k ö n n e n G e s i c h t s a u s d r u c k , G e s t e n , G a n g , Bewegungslosigkeit o d e r auch G e ruch etwas ü b e r S t i m m u n g , A b s i c h t e n , G e s u n d h e i t s z u s t a n d , C h a r a k t e r u s w . von M i t m e n s c h e n anzeigen. D i e von M i t m e n s c h e n absichtlich o d e r u n a b sichtlich e r z e u g t e n Laute sind mit a n d e r e n A n zeichen f ü r ihre subjektiven V o r g ä n g e g e p a a r t . Sie w e r d e n zugleich mit den L a u t f o l g e n als a p p r ä s e n tative Verweise auf s e i n e Erlebnisse o d e r E r f a h rungen in m e i n e m B e w u ß t s e i n m e h r o d e r m i n d e r automatisch erfaßt. Typische Verbindungen zwischen b e o b a c h t e t e n A n z e i c h e n s y n d r o m e n u n d inneren Z u s t ä n d e n ( S t i m m u n g e n , Einstellungen, M o t i v e n , Plänen u s w . ) , w e r d e n im W i s s e n s v o r rat des Beobachters als D e u t u n g s s c h e m a t a abgelagert (vgl. S c h ü t z u n d L u c k m a n n 1973). Verschied e n e K o m b i n a t i o n e n von A n z e i c h e n k ö n n e n in ein einziges D e u t u n g s s c h e m a eingehen, auf spezifische M i t m e n s c h e n angelegte D e u t u n g s s c h e m a t a

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/. Allgemeine Bestimmung und Erforschung von Sprache

k ö n n e n verallgemeinert u n d als allgemeingültig abgelagerte D e u t u n g s s c h e m a t a in der A n w e n d u n g auf b e s o n d e r e M i t m e n s c h e n m o d i f i z i e r t w e r d e n . D i e i n t e r s u b j e k t i v sich e n t w i c k e l n d e n Relevanzs t r u k t u r e n b e s t i m m e n hierbei den G r a d der G e nauigkeit, D e u t l i c h k e i t u n d B e s o n d e r h e i t des jeweiligen D e u t u n g s s c h e m a s . D a s heißt, d a ß bei der K o n s t i t u t i o n von D e u t u n g s m u s t e r n f ü r A n z e i c h e n s y n d r o m e s o w o h l d e r e n E i n b e t t u n g in gleichzeitige o d e r n a c h f o l g e n d e H a n d l u n g s v e r l ä u f e des M i t m e n s c h e n , als auch die B e d e u t s a m k e i t dieser H a n d l u n g s v e r l ä u f e f ü r m e i n eigenes H a n d e l n bes o n d e r s w i c h t i g sind. D e u t u n g s s c h e m a t a , die das „ I n n e n l e b e n " von M i t m e n s c h e n appräsentieren, h a b e n zweifellos eine b e s o n d e r e p h y l o g e n e t i s c h e u n d o n t o g e n e t i sche B e d e u t u n g . Sie k ö n n e n g r u n d s ä t z l i c h auf jede beliebige W a h r n e h m u n g s m o d a l i t ä t , in jeder beliebigen A n z e i c h e n k o m b i n a t i o n , g e g r ü n d e t sein. Verschiedene A u s d r u c k s f o r m e n , z . B . Schreien, K n u r r e n u n d F a u s t s c h ü t t e l n , k ö n n e n als A n z e i chen des gleichen „ i n n e r e n Z u s t a n d s " erfaßt w e r d e n ; es k a n n aber auch e i n e A u s d r u c k s f o r m als H a u p t a n z e i c h e n dienen, w ä h r e n d die a n d e r e n n u r A b w a n d l u n g e n der Intensität dieses Z u s t a n d s anzeigen. F ü r die p h y l o g e n e t i s c h e Selektion der auditiven Modalität als der G r u n d l a g e f ü r ein intersubjektives System h o c h d i f f e r e n z i e r t e r A p p r ä s e n t a t i o n e n gibt es keinen G r u n d , d e r f ü r sich allein v o l l k o m m e n z u r e i c h e n d wäre. D i e Bevorz u g u n g des Lautes v o r der f ü r M e n s c h e n w i c h tigsten W e l t o r i e n t i e r u n g s m o d a l i t ä t , d e m G e sichtssinn, u n d vor dem Tasten u n d S c h m e c k e n , hängt v e r m u t l i c h mit d e m Bauplan des m e n s c h lichen K ö r p e r s , der empirischen N a t u r des T o n s u n d der f r ü h e n Ö k o l o g i e der G a t t u n g z u s a m m e n . Es w u r d e schon o f t auf die B e d e u t u n g des U m stands h i n g e w i e s e n , d a ß L a u t e u m E c k e n h e r u m , von h i n t e n , bei N a c h t , in jedem G e s u n d h e i t s z u stand u n d n e b e n allen möglichen a n d e r e n Betätig u n g e n v e r n o m m e n w e r d e n k ö n n e n . Wichtig ist aber a u c h , d a ß L a u t m u s t e r Z e i t o b j e k t e s i n d : ihre p o l y t h e t i s c h e K o n s t i t u t i o n ermöglicht in V e r b i n d u n g m i t d e n W a h r n e h m u n g s a b s c h a t t u n g e n von T o n h ö h e , T o n s t ä r k e , R h y t h m u s u s w . eine nahez u u n e r s c h ö p f l i c h e Z a h l v o n K o m b i n a t i o n e n einfacher u n d k o m p l e x e r L a u t m u s t e r . F ü r die K o n s t i t u t i o n s a n a l y s e ist ein a n d e r e r U m s t a n d n o c h wichtiger. Einerseits sind L a u t m u s t e r A u s d r u c k s f o r m e n . Mit diesem Begriff sind A n z e i c h e n gemeint, die als v o n a n d e r e n W e s e n erzeugt a u f g e f a ß t w e r d e n , w o b e i uns im vorliegenden Z u s a m m e n h a n g u n t e r diesen W e s e n n u r M i t m e n s c h e n u n m i t t e l b a r interessieren. Ausdrucksformen werden zu Elementen von D e u t u n g s m u s t e r n , die das B e w u ß t s e i n von M i t m e n schen appräsentieren. A n d r e r s e i t s sind sie „ o b jektive" Ereignisse in der gemeinsamen U m w e l t der P a r t n e r in der „ f a c e - t o - f a c e s i t u a t i o n " . D a s

h e i ß t , d a ß ich sie, abgesehen v o n meist als irrelevant e i n g e k l a m m e r t e n W a h r n e h m u n g s a b s c h a t t u n g e n , so erlebe, w i e ich a n n e h m e , d a ß sie m e i n P a r t n e r erlebt. Sie appräsentieren also das s u b j e k tive Erleben eines M i t m e n s c h e n , dienen aber z u gleich, sozusagen auf ihrer K o n s t i t u t i o n s s t u f e , als „ N a t u r e r e i g n i s s e " in einer g e m e i n s a m e n U m w e l t , als G r u n d l a g e des s y n c h r o n i s i e r t e n i n t e r s u b j e k t i v e n Erlebens der P a r t n e r in der Situation. Dies trifft f ü r den phylogenetisch wichtigsten K o n k u r r e n t e n des L a u t s , den G e s i c h t s s i n n , nicht z u . Visuell ermittelte „ N a t u r e r e i g n i s s e " in gem e i n s a m e r R e i c h w e i t e der P a r t n e r k ö n n e n selbstverständlich gemeinsam erlebt w e r d e n , nicht aber die wichtigsten visuellen A u s d r u c k s f o r m e n u n d G e s t e n . Diese w e r d e n jeweils n u r von einem P a r t n e r erlebt, nicht aber v o n d e m , dessen „ I n n e n l e b e n " sie in der Situation a p p r ä s e n t i e r e n . O b w o h l die A u s d r u c k s f o r m e n , auf d e n e n Sprache g r ü n d e t , in diesem e m i n e n t b e d e u t s a m e n Sinn „ o b j e k t i v " sind, k o n s t i t u i e r e n „ o b j e k t i v i e r t e " A u s d r u c k s f o r m e n als solche n o c h keine Z e i c h e n . Z u d e n bisher beschriebenen F u n d i e r u n g s s t u f e n hat die K o n s t i t u t i o n von Zeichen n o c h eine weitere wesentliche V o r a u s s e t z u n g : die Spiegelung des Selbst im E r l e b e n des M i t m e n s c h e n . Diese B e d i n g u n g ist n u r in der „ f a c e - t o - f a c e s i t u a t i o n " erfüllt. N u r da erleben w i r M i t m e n s c h e n direkt u n d z w a r nicht n u r mittels „ o b j e k t i v e r " D e u t u n g s m u s t e r , so wie „ n a t ü r l i c h e " Ereignisse, s o n dern auch in Schemata subjektiver S i n n z u o r d n u n gen. G e n a u e r : der Leib des M i t m e n s c h e n a p p r ä sentiert sein E r l e b e n u n d seine E r f a h r u n g e n z u gleich in typischen u n d m e h r o d e r m i n d e r einzigartigen situationsspezifischen A s p e k t e n . D a s Erleben des M i t m e n s c h e n enthält in dieser Situation selbstverständlich auch m i c h . Meist bildet sein Erlebnis v o n mir sogar den t h e m a t i s c h e n K e r n seiner E r f a h r u n g . M e i n e direkte E r f a h r u n g des M i t m e n s c h e n vermittelt m i r d a n n eine E r f a h r u n g m e i n e r selbst, in d e r jeweiligen A u f f a s s u n g s perspektive s e i n e r E r f a h r u n g . N a c h d e m lebensweltlichen P r i n z i p der R e z i p r o z i t ä t der P e r s p e k tiven n e h m e ich bis z u m G e g e n b e w e i s an, d a ß der E r f a h r u n g s v e r l a u f meines Partners v o n der gleichen A r t ist w i e der meine. C h a r l e s H o r t o n C o o l e y hat d a f ü r bekanntlich d e n t r e f f e n d e n A u s d r u c k „ l o o k i n g glass e f f e c t " g e b r a u c h t , u n d G e o r g e H e r b e r t M e a d hat den V o r g a n g strukturell u n d in seiner o n t o g e n e t i s c h e n F u n k t i o n genau beschrieben ( C o o l e y 1902 u. 1909; M e a d 1934). Sobald „ o b j e k t i v i e r t e " A u s d r u c k s f o r m e n in den intersubjektiven W i d e r s p i e g e l u n g s v o r g a n g , der soziales H a n d e l n in k o n k r e t e r I n t e r s u b j e k tivität k e n n z e i c h n e t , eingeflochten w e r d e n , sind die V o r a u s s e t z u n g e n f ü r die K o n s t i t u t i o n p r o t o t y p i s c h e r Zeichen gegeben. Eine A u s d r u c k s f o r m in gemeinsamer R e i c h w e i t e der P a r t n e r in der Situation k a n n v o m einen w i e v o m a n d e r e n a b -

2. Sozialkommunikation sichtlich hervorgebracht, von beiden gleichartig erfahren und von beiden in gleichartigen Deutungsschemata erfaßt werden. Die Partner drükken nun nicht mehr bloß einen inneren Zustand aus; sie sind auch nicht nur einem Ereignis in der gemeinsamen U m w e l t z u g e w a n d t ; sie handeln nicht nur schlicht im Wechselbezug sozialen H a n delns. Vielmehr handeln sie, um etwas auszudrücken, dessen Erfahrung sie am P a n n e r in fortlaufender Gegenseitigkeit erfahren. Sie nehmen die Auslegung ihrer Ausdruckshandlung vorweg und interpretieren gleichartige Ausdruckshandlungen des Partners mit den gleichen Deutungsschemata. Die Bedingungen für die Konstitution der Sprache in der Lebenswelt des Alltags sind also: „ O b j e k t i v i t ä t " der Lauterlebnisse, Anzeichenhaftigkeit der Lautmuster, Ausdruckshaftigkeit (d. h. appräsentativer Verweis auf „ I n n e n l e b e n " ) t y p i scher Lautmuster, typische Erzeugbarkeit der Lautmuster in Handlungen, d . h . vorentworfene Objektivierung subjektiver Erfahrungen in der „face-to-face situation". Aus diesen Bedingungen läßt sich die Konstitution von prototypischen Zeichen ableiten. Bevor aber prototypische Zeichen zu Zeichen im vollen Sinn des Begriffs w e r den, müssen sie sich paradoxerweise von gewissen Bedingungen ihres Ursprungs in der konkreten Intersubjektivität ablösen. Sprachformen sind von der Aktualität der jeweils augenblicklichen subjektiven Erlebnisse weitgehend abgelöst. Alle Ausdrucksformen w e r den mehr oder minder als Anzeichen typischer, wiederholbarer Erlebnisse erfaßt. Bei Sprachformen befördert aber die wechselseitige soziale Kontrolle der Partner im Widerspiegelungsprozeß und die subjektive Kontrolle am „ o b j e k t i v e n " Ereignis die Kongruenz von Hervorbringung und Deutung von Sprachformen. Habitualisierung und Institutionalisierung liegen in diesem Fall nahe beieinander, Sprachformen sind ferner von den räumlichen Perspektiven der konkreten „face-to-face situation" weitgehend abgelöst. Die Idealisierung, die dazu führt, daß die unterschiedlichen Auffassungsperspektiven der Partner ausgeklammert werden können, ist eine A n w e n d u n g der A n nahme der Reziprozität der Perspektiven. In Verbindung mit der gerade erwähnten zeitlichen Idealisierung, welche die Aktualität der Erlebnisse im appräsentativen Verweis einklammert, k o m m t es zur weiteren Ablösung der Sprachform ( d . h . ihrer typischen Bedeutung) von der U m w e l t g e b u n d e n heit der Erfahrungen. Ferner sind Sprachformen auch von der Individualität der Erfahrungen weitgehend abgelöst. Bis zu einem gewissen Grad gilt das schon für die gegenseitige Typisierung und Deutung der Ausdrucksformen. Die darin angelegte, begrenzte

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Anonymisierung von Sprachformen w i r d in Verbindung mit den zeitlichen und räumlichen Ablösungen verallgemeinert. Die Bedeutung wird „ o b jektiv". Darüber hinaus lösen sich Sprachformen von anderen Ausdrucksformen ab, mit denen sie ursprünglich ein expressives Syndrom bildeten. Für die objektive Bedeutung werden jene Formen grundsätzlich irrelevant. In Situationen konkreter intersubjektivität, aber auch nur dann, können andere Ausdrucksformen an die Stelle von Sprachformen treten. Außerdem können sie mit ihnen (sozusagen erneut) appräsentative Verbindungen eingehen. U n d schließlich lösen sich Sprachformen aus der konkreten Einbettung in soziales Handeln. Die Bedeutung von Sprachformen w i r d relativ unabhängig vom unmittelbaren pragmatischen Kontext der Situation. Gerade das ist der außerordentliche Vorteil der Sprachformen, daß sie in das Planen und die Koordination sozialer H a n d lungen, die über die Grenzen konkreter Intersubjektivität hinausreichen, bestimmend und stabilisierend eingehen können. Der Gebrauch von Sprachformen, das Sprechen, ist zwar H a n d l u n g ; aber die Sprache ist als ein quasi-ideales System der Infra-Struktur von nahezu allen Handlungen zu verstehen, die eine gewisse Komplexität aufweisen oder über längere Zeitspannen hin angelegt sind. Mit dieser Ablösung von den eigenen U r sprungsbedingungen werden Sprachformen als proto-typische Zeichen zu Zeichen im nahezu vollen Sinn des Wortes. (Selbstverständlich sind die Ablösungen nie absolut - außer in formalen Kalkülen. Die „context sensitivity", wie sie ζ. B. von £mile Benveniste oder Roman Jakobson betont wurde, bleibt erhalten.) „ N a h e z u " , weil noch etwas fehlt: die Systemhaftigkeit der Zeichen (vgl. dazu Art. 3). Jede konkrete soziale Beziehung, jede Abfolge sozialen Handelns, wird in subjektiven Wissensvorräten in der einen oder der anderen Weise sedimentiert. Proto-Zeichen sind selbstverständlich intersubjektiv so relevant, daß sie außerordentlich erinnerungsträchtig sind. Jedes Protozeichen erhält einen angebbaren Ort in der intersubjektiven Überlieferung b z w . Erinnerung. Das erste ist das erste, das zweite das zweite, u s w . Jedes Proto-Zeichen führt so im eigenen thematischen Feld einen Verweis auf die vorangegangenen intersubjektiv konstituierten Proto-Zeichen. Auf die Strukturierung dieser Verweise brauche ich hier nicht einzugehen. Ich erwähne nur nebenbei, daß die Konstitutionsanalyse hier gewisse Parallelen aufweist zu den verschiedenen A u f fassungen von den Bedeutungsfeldstrukturen, wie sie von den N e o - H u m b o l d t i a n e r n , der cognitive anthropology, der ethnoscience, der componential analysis usw. und auf globaler Ebene

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l. Aligemeine

Bestimmung

und Erforschung

von

von verschiedenen Kultur-Strukturalisten beschrieben oder zumindest vermutet wurden. J e denfalls ist mit der intersubjektiven K o n s t i t u t i o n von P r o t o z e i c h e n notwendig die K o n s t i t u t i o n eines Zeichensystems mitgegeben. 4. Strukturen

und

Funktionen

Sprache o h n e B e d e u t u n g s - , , S t r u k t u r " ist also schon aufgrund ihrer intersubjektiven K o n s t i t u tion u n d e n k b a r . J e d e m M e n s c h e n , der Vorfahren hat, liegt aber Sprache mit einer bestimmten Struktur ohnehin als soziale V o r g e g e b e n h e i t seiner biographischen Situation vor. M i t anderen W o r t e n : der M e n s c h ist in eine geschichtlich-gesellschaftliche L e b e n s w e l t g e b o r e n , in der die „ a l l gemeine S p r a c h e " eine ganz k o n k r e t e historische Struktur hat. Eine „ n a t ü r l i c h e " Sprache ist zwar nicht die „ m a t h e s i s universalis" schlechthin, sie ist ein Z e i c h e n s y s t e m , das für jedermann geschichtlich vorkonstituiert ist und gesellschaftlich vermittelt wird, aber zugleich ein quasi-idealer C o d e für Wirklichkeit schlechthin. Das Kind „wied e r h o l t " die Schritte der Z e i c h e n k o n s t i t u t i o n bis hin zum letzten Schritt, der K o n s t i t u t i o n des Z e i c h e n s y s t e m s . D i e V o r g ä n g e intersubjektiven Widerspiegeins, in welche Lautmuster als o b j e k tivierte Anzeichen subjektiver V o r g ä n g e eingeflochten sind, wiederholen sich beim normalen K i n d . Mit einer gewichtigen A u s n a h m e und einem entscheidenden U n t e r s c h i e d ! D i e subjektive A n eignung der Sprache vollzieht die historische H e r ausbildung der Sprachstruktur nicht nach. (Selbstverständlich haben aber „ K i n d e r s p r a c h e n " eine S t r u k t u r , an deren K o n s t i t u t i o n die K i n d e r m i t b e t e i l i g t sind. U n d selbstverständlich folgt der E r w e r b sprachlicher Strukturen auf verschiedenen N i v e a u - E b e n e n seitens des Kindes strukturellen Regeln. (Vgl. J a k o b s o n 1962; vgl. A r t . 4 3 . ) ) H i n gegen geht diese S t r u k t u r schon von vornherein in die Prozesse intersubjektiver Widerspiegelung zwischen Kind und E r w a c h s e n e n ein und wird darin nicht erst „ n e u " aufgebaut. D i e Struktur jeder „ n a t ü r l i c h e n " Sprache ist das Ergebnis einer verwickelten geschichtlichen A b f o l g e sich sedimentierender sozialer H a n d l u n g e n , in denen K o m m u n i k a t i o n stattfand. D i e Sprachstruktur und allgemeiner, die S t r u k t u r „ n a t ü r l i c h e r " Zeic h e n s y s t e m e , wird unmittelbar von der S t r u k t u r vergangener k o m m u n i k a t i v e r H a n d l u n g e n bestimmt - und somit mittelbar von den Gesellschaftsstrukturen, welche die Matrix k o m m u n i k a tiver H a n d l u n g e n bilden. Diese Strukturen k ö n nen allgemein als institutionelle Stabilisierungen menschlichen H a n d e l n s und menschlicher O r i e n tierung in der Welt angesehen werden. Es stellt sich daher die F r a g e , welche F u n k t i o n Sprache, und allgemeiner, Z e i c h e n s y s t e m e , in der L e b e n s welt des M e n s c h e n h a b e n .

Sprache D i e F u n k t i o n k o m m u n i k a t i v e r S y s t e m e ist, evolutionstheoretisch besehen, pragmatisch: die Anpassung des Verhaltens an intra- und interspezifische U m w e l t e n . D i e s gilt z w a r - d a n k der Vagheit des Anpassungsbegriffs — auch für m e n s c h liche K o m m u n i k a t i o n s s y s t e m e , aber über die B e sonderheiten der Sprache als intersubjektives, wechselseitiges und intentionales Z e i c h e n s y s t e m ist damit wenig gesagt. Z e i c h e n s y s t e m e , unter denen die Sprache das phylogenetisch, o n t o g e n e tisch und gesellschaftlich-funktional bei weitem bedeutendste ist, sind appräsentative S t r u k t u r e n , die sich intersubjektiv aufbauen, geschichtlich abgelagert sind und gesellschaftlich vermittelt werden. Daraus läßt sich die nur noch indirekt pragmatische G r u n d f u n k t i o n der Z e i c h e n s y s t e m e ablesen. In der G e s c h i c h t e der philosophischen und wissenschaftlichen Sprachbetrachtung wurde über sie unter sehr unterschiedlichen Aspekten und in verschiedenen F o r m u l i e r u n g e n doch im K e r n sehr ähnliches gesagt. Z e i c h e n s y s t e m e wirken als „ B r ü c k e n " zwischen der aktuellen Erfahrung des einzelnen und etwas anderem oder gar andersartigem. D a s „ a n d e r e " sind vergangene Erfahrungen des einzelnen (vor allem seine sozialen E r f a h r u n g e n ) , wie auch seine H a n d l u n g s e n t w ü r f e für die Z u kunft. Schon auf der subjektiven E b e n e beruhen alle verwickeiteren Sinndeutungen, vor allem aber auch Sinnstabilisierungen auf Zeit, auf der ausgeprägten und reich gegliederten M e r k z e i c h e n h a f tigkeit der Sprache und der von Sprache abgeleiteten Z e i c h e n s y s t e m e . Es ist selbstverständlich, daß subjektive Erfahrungsspeicherung nicht p r i n z i p i e l l Z e i c h e n s y s t e m e voraussetzt. A b e r e m p i r i s c h ist das doch eine wichtige F u n k t i o n sozialer Z e i c h e n s y s t e m e . D i e zeitlichen und räumlichen Idealisierungen der E r f a h r u n g und die E n t p e r s ö n l i c h u n g der Handlungen sind schon ganz allgemein in Typisierungen angelegt. Es bedarf jedoch der Z e i c h e n s y s t e m e , um solche T y p i sierungen zu verfestigen. D i e s e m a n t i s c h - t a x o n o mische Festlegung von T y p i s i e r u n g s m u s t e r n hilft der subjektiven O r i e n t i e r u n g und H a n d l u n g . Ihr evolutionärer Vorteil für eine instinkt-reduzierte G a t t u n g in einer komplizierten natürlichen und sozialen U m w e l t liegt auf der H a n d . D i e lebensweltlich-subjektive F u n k t i o n von Zeichensystemen läßt sich ungefähr wie folgt zusammenfassen: Appräsentative Verweise dienen um mit S c h ü t z zu sprechen - der U b e r b r ü c k u n g lebensweltlicher Transzendenzen räumlichen, zeitlichen und intersubjektiven C h a r a k t e r s . D a r überhinaus überwinden sozial verfestigte, sozial vermittelte und intersubjektiv verwendete appräsentative Verweisungen eines echten Z e i c h e n s y s t e m s , und empirisch vor allem der Sprache, die Vieldeutigkeit und Kurzlebigkeit b l o ß s u b j e k tiver, situationsgebundener appräsentativer V e r -

2. Sozialkommunikation Weisungen und T y p i s i e r u n g s m u s t e r . D a s befördert zunächst die Routinisierung der Strukturen subjektiven H a n d e l n s , besonders des höherstufigen, dient aber v o r allem als Voraussetzung für die routinisierte Wechselseitigkeit s o z i a l e n H a n delns (vgl. A r t . 2 1). D i e s e m a n t i s c h - t a x o n o m i s c h e Festlegung von u m w e l t l i c h , weltlich und geschichtlich relevanten Typisierungen ist entlastend - um hier einen zentralen Begriff der G e h l e n schen A n t h r o p o l o g i e zu verwenden ( G e h l e n 1964). Diese lebensweltlich-subjektive Leistung der Sprache beruht auf der Festlegung der D a r stellungsfunktion der Z e i c h e n , ihrer semantischt a x o n o m i s c h e n Fixierung im System (vgl. dazu A r t . 18). D i e Voraussetzung dafür ist, wie die Konstitutionsanalyse gezeigt hat, die A b l ö s u n g der Sprache von den Bedingungen ihres U r s p r u n g s in der k o n k r e t e n InterSubjektivität. Sprache als „ p a r o l e " setzt Sprache als „ l a n g u e " , als quasiideales Z e i c h e n s y s t e m , voraus. D a s hat o f f e n b a r Folgen für die Struktur lebensweltlicher k o m munikativer A k t e . D i e , , c o n t e x t - s e n s i t i v i t y " der Sprache zeigt sich in der vollen K o n k r e t h e i t der Situation. D a z u gehören Aktualisierungen anderer, z u m großen Teil weniger scharf strukturierter, s c h w ä c h e r institutionalisierter und der Situation fest verhafteter A u s d r u c k s f o r m e n . Die Sprachgebrauchsregeln, die Regeln sozialen H a n delns und die Regeln des G e b r a u c h s nicht-verbaler A u s d r u c k s f o r m e n verflechten sich in einer W e i s e , die heute n o c h bei weitem nicht zureichend erfaßt ist. (Vgl. z u m Beispiel T h e E t h n o g r a p h y o f C o m munication 1 9 6 4 ; D i r e c t i o n in Sociolinguistics T h e E t h n o g r a p h y of C o m m u n i c a t i o n 1972; E x plorations in the E t h n o g r a p h y of Speaking 1974; vgl. A r t . 2 2 . ) E i n e s dürfte aber im H i n b l i c k auf menschliche Gesellschaft deutlich sein: diese V e r flechtung k o m m u n i k a t i v e r Systeme im lebensw e l t l i c h - k o n k r e t e n sozialen H a n d e l n setzt die Sprache als quasi-ideales S y s t e m , als K l ä r u n g s - , B e r u f u n g s - und Vermittlungsinstanz voraus. D a s läßt sich auch etwas anders formulieren. Sprache ist s o w o h l das H a u p t m e d i u m der gesellschaftlichen K o n s t r u k t i o n der W i r k l i c h keit, als auch das H a u p t m e d i u m der V e r m i t t l u n g gesellschaftlich konstruierter W i r k l i c h k e i t ( W y g o t s k y 1969; Berger und L u c k m a n n 1970; Μ . Α . K . Halliday 1973, 1976). U n t e r beiden A s pekten erfüllt die Sprache eine Stabilisierungsf u n k t i o n , aber in unterschiedlicher W e i s e , je n a c h d e m , o b man die subjektive O r i e n t i e r u n g in der L e b e n s w e l t o d e r die S y s t e m f u n k t i o n k o m m u n i k a tiven H a n d e l n s in der Gesellschaft als Ausgangsp u n k t der B e t r a c h t u n g wählt. D i e gesellschaftliche G r u n d f u n k t i o n der Sprache beruht auf ihrer E n t s u b j e k t i v i e r u n g , auf ihrer Struktur als quasiideales Z e i c h e n s y s t e m . N u r so kann die Sprache die wichtige R o l l e der W i r k l i c h k e i t s v e r m i t t l u n g ü b e r n e h m e n , die sie in n o r m a l e n Sozialisierungs-

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vorgängen spielt. N a c h d e m Sprache in ihrer D a r stellungsfunktion früher der G a t t u n g als solcher evolutionäre Vorteile gebracht haben m u ß , ist sie im jetzigen evolutionären Stadium der G a t t u n g eine subjektive und intersubjektive B e d i n g u n g der W e l t o r i e n t i e r u n g , der Identitätsbildung und des „Uberlebens". N u n ist die W i r k l i c h k e i t nicht schlicht gegeben. Sie wird gesellschaftlich aufgebaut, in B e w u ß t seinsleistungen erfaßt, die sich in E r f a h r u n g s schemata verfestigen (vgl. Piaget 1 9 2 6 , W y g o t s k y 1962, G u r w i t s c h 1957, S c h ü t z und L u c k m a n n 1975). D i e E r f a h r u n g s s c h e m a t a sind typisierende „ P r o b l e m l ö s u n g e n " , die sich aufgrund ö k o l o gisch, gesellschaftlich und subjektiv-biographisch b e s t i m m t e r Interessenlagen e n t w i c k e l n , w o b e i aber auch kulturell o b j e k t i v i e r t e R e l e v a n z s t r u k t u ren in sie einfließen (vgl. G . H . M e a d 1934). J e n e Erfahrungsschemata, die intersubjektiv o d e r gar sozial relevant sind, werden in der A b f o l g e der G e n e r a t i o n e n als Stellungnahmen zur W i r k l i c h keit (vgl. H a r t m a n n 1959) sprachlich ausgeformt. Sobald das geschehen ist, üben sie ihrerseits einen E i n f l u ß auf individuelle E r f a h r u n g und soziales Handeln aus, in der W e i s e s o w o h l einer historisch vorgezeichneten W i r k l i c h k e i t s t o p o g r a p h i e (von P f l a n z e n t a x o n o m i e n bis zu V e r w a n d t s c h a f t s s y stemen) als auch einer H a n d l u n g s l o g i k (von B e schwörungsritualen bis z u Verkaufsgesprächen). Aus der bedeutungs-objektivierenden D a r s t e l lungsfunktion der Sprache lassen sich verschiedene, miteinander v e r b u n d e n e F u n k t i o n e n ableiten - und z w a r auf der individuellen wie gesellschaftlichen E b e n e , in diachronischer wie sync h r o n i s i e r H i n s i c h t . D i e O b j e k t i v i e r u n g der einmal e r p r o b t e n P r o b l e m l ö s u n g e n dient als G r u n d lage der gesellschaftlichen W i r k l i c h k e i t s s t ü t z u n g und der sozialen K o n t r o l l e . D i e Festlegung inhaltlich b e s t i m m t e r F o r m e n der K o m m u n i k a t i o n in gesellschaftlichen Institutionen (vgl. A r t . 3 0 ) , sozialen Schichten ( K a s t e n , Ständen, Klassen) und G r u p p e n , die semantische Aufgliederung der institutions-, Schicht- und gruppenrelevanten E r fahrungsschemata und „ P r o b l e m l ö s u n g e n " hat die offensichtliche pragmatische F u n k t i o n der Wissensvermittlung, bildet aber zugleich (neben der unmittelbar interessen-bestimmten) die k o m munikative G r u n d l a g e für G r u p p e n - , Klassenusw. B e w u ß t s e i n . A b e r aus einem gegebenen Sprachreservoir kann auch eine G e g e n - S p r a c h e entwickelt w e r d e n , deren F u n k t i o n die S t ü t z u n g , ja die M i t e n t w i c k l u n g einer G e g e n - W i r k l i c h k e i t ist (vgl. Halliday 1976). D i e Sprache ist nicht nur ein quasi-ideales B e deutungssystem, sondern auch der wichtigste T r ä ger des gesellschaftlichen Wissensvorrats und ein K o m m u n i k a t i o n s s y s t e m unter anderen. Sie ist sowohl „ W i s s e n s f o r m " wie „ H a n d l u n g s s y s t e m " . Als W i s s e n s f o r m ist die Sprache sozial (ungleich)

40

I. Allgemeine Bestimmung und Erforschung von Sprache

verteilt (vgl. Art. 34); als Handlungssystem aktualisiert sie sich in (konkreten) Situationen und (kontingenten) Abläufen. Daraus leiten sich die wichtigsten Nebenfunktionen der Sprache ab; sie betreffen die soziale Verteilung des Wissens — und soziale Ungleichheit schlechthin die sich in sprachlichen Handlungen manifestieren. Selbstverständlich entfaltet sich in den meisten sprachlichen Handlungen auch die semasiologische Grundfunktion der Sprache; oft steht sie im Vordergrund. Die semasiologische Grundfunktion der Sprache verwirklicht sich in den kommunikativen Absichten des Sprechers und in den entsprechenden Deutungen des Hörers - von Bitten und Befehlen, Fragen und Antworten, Berichten und Witzen zu wissenschaftlichen Vorträgen, Gebeten und Gerichtsurteilen (vgl. Art. 24). Jeder Sprachakt ist aber von Kundgaben begleitet, die mehr oder minder unabhängig sind von dem, was der Sprecher sagen will. Das sprachliche Zeichen wird zum Anzeichen. Aus der Symptomfülle individuellen Sprachstils, unterschiedlicher Repertoires, der Phonologie, der Intonation, dem Akzent, werden Schlüsse auf den affektiven Zustand, die Persönlichkeit und die soziale Biographie des Sprechers gezogen. Auf dieser indikativen Nebenfunktion beruht die phatische Funktion (vgl. auch Art. 81): durch Verortung des Sprechers in der sozialen Wirklichkeit kommt es zu Identifikation, Solidarität, Abneigung, Haß. Die Sprache spielt somit eine wichtige Rolle im Zusammenhang von Gruppen wie im Gruppenkonflikt (vgl. Luckmann 1978). Zeichensysteme im allgemeinen und Sprache im besonderen haben noch eine weitere gesellschaftlich wichtige Funktion. Sie sind ein Werkzeug der Legitimierung symbolischer Sinnwelten. Sprache gehört zu den Garanten „geordneter Verhältnisse". Sowohl ihr Bedeutungsrepertoire als auch ihre rhetorischen Möglichkeiten spielen eine bedeutende Rolle im Aufbau von Legitimierungsmustern auf gesamtgesellschaftlicher Ebene und bei einzelnen Institutionen, Klassen und Gruppen. Die Betrachtung der Verbindung zwischen sozial konstruierten Plausibilitätsstrukturen und Zeichensystemen führt aber weit in den Problembereich der Wissenssoziologie und überschreitet den engeren Interessenbereich der Sprach- und Kommunikationstheorie.

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3. Semiotik 1. I n f o r m a t i o n s t h e o r i e , K o m m u n i k a t i o n s t h e o r i e ,

Zei-

chentheorie 2 . G e s c h i c h t e und T e r m i n o l o g i e d e r S e m i o t i k 3. S e m i o t i k als T h e o r i e der Z e i c h e n 4 . B i b l i o g r a p h i e (in A u s w a h l )

7. Informationstheorie, Zeichentheorie

Auf-

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Y o r k 1964.

Life.

41

Kommunikationstheorie,

Zur präzisen Bestimmung des Gegenstandsbereiches der Semiotik oder Zeichentheorie ist in erster Linie eine deutliche Abgrenzung von den Interessen und Möglichkeiten der Informationstheorie und der Kommunikations- bzw. Interaktionstheorie erforderlich, mit denen Semiotik sehr häufig verwechselt wird. Auch wenn es eine häufig geübte Praxis darstellt, Semiotik auf die Termini der Informations- oder der Kommunikationstheorie zu reduzieren, was notwendigerweise in weitreichende Aporien führen muß, erweist sich der Versuch einer deutlichen Abgrenzung keineswegs als bloße terminologische Haarspalterei, sondern soll neben der Bestimmung der eigentlichen Erklärungsmöglichkeiten und Funktionen der Semiotik gleichzeitig dazu beitragen, die gerade in den letzten zehn Jahren epidemieartige ausufernde Zeichentheorie an ihre genuinen Aufgaben zu erinnern. 1.1. Das zentrale Anliegen der I n f o r m a t i o n s t h e o r i e besteht darin, eine möglichst effi-

Konstanz

zient kodierte Menge von Informationseinheiten über ein optimal ausgelegtes Informationsmedium unter ökonomisch akzeptablen Bedingungen in einer derartigen Weise an einen Informationsempfänger zu übermitteln, daß der Empfänger die Information möglichst unverzerrt dekodieren kann, oder schematisch: | S e n d e r j Kodiertafigj

!I 1

[ Dekodterung| Empfänger | Medium

>

Repertoire ι

R e p e r t o i r e 2 . . . V E R G A N G E N ( P ( e ) ) . . . wobei V E R G A N G E N = aspektualer Modaloperator. (4) Die Applikation des Suffixes m von der Kategorie V/S auf einen Ausdruck von der Kategorie V wird übersetzt in die Operation: . . . P ( e ) . . . = > . . . COMPLETE (P(e))... wobei: C O M P L E T E = aspektualer Modaloperator. Semantische Struktur: (λ χ) (STERBEN(e) • U(x, e) kim (λ y) ((λ χ) (STERBEN(e) · A(x, e) · U(y, e))) kim - s (Regel 1) (λ χ) (ETWAS(x)) (λ χ) (STERBEN(e) · A(x, e) · U((X x) (ETW A S « ) , kim -s-0 (Regel 2) sp in STERBEN(e) • A(sp, e) · υ((λ χ) (ETWAS(x)), e) in kim -s-0 (Regel 2) V E R G A N G E N (STERBEN(e) • A(sp, e) · ϋ ( λ χ) (ETWAS(x)), e)) in kim -s-ah-0 (Regel 3) C O M P L E T E (VERGANGEN (STERBEN(e) · A(sp, e) · U(X x) (ETWAS(x)), e))) in kim-s-mah - 0 (Regel 4) Der Aufbau der semantischen Struktur folgt nach dem Fregeschen Prinzip dem morpho-syntaktischen Aufbau des Ausdrucks.

k - in wen - il k •wen il

morphologische Kategorien: k in

wen-il

S

/X k

V/S

in wen-il

V

/ \ in

P2

wen

wen-il P 2 /V Ρ ,/V / \ il (P|/V)/(P 2 /V)

Ubersetzungsregeln: (5) Die Applikation des Suffixes il von der Kategorie (P!/V)/(P2/V) auf einen Ausdruck der Kategorie Pi/V wird übersetzt in die Operation: . . . P(e) · U(x, e) . . . = > . . . p(e) · INALIENABLE(e, χ )· (6) Die Applikation des Auffixes k von der Kategorie V/S auf einen Ausdruck der Kategorie V wird übersetzt in die Operation: . . . P(e) . . . => . . . INCOMPLETE (P(e))... Semantische Struktur: (λ χ) (SCHLAFEN(e) · U(x, e) wen (λ χ) (SCHLAFEN(e) · INALIENABLE(e, x)) wen-il (Regel 5) sp in SCHLAFEN(e) · INALIENABLE(e, sp) in wen-il (Regel 2) I N C O M P L E T E (SCHLAFEN(e) · INALIENA B L E ^ , sp)) k-in wen-il (Regel 6) 5.2.1.3.

Interpretation

Eine Interpretation der formalen Sprache, in der die semantischen Strukturen formuliert sind, gibt für alle semantischen Typen ihre möglichen Denotationen an und definiert die Wahrheitsbedingungen für einfache und komplexe Formeln. Aufgrund einer Interpretation sind die wichtigsten semantischen Begriffe wie „Wahrheit in einem Modell", „Referenzbezug", „Extension", „Intension", „Folgerung", „Äquivalenz", „Inkompatibilität" usw. definierbar. Zur Interpretation des angegebenen Fragments einer formalen Sprache wird eine Menge von möglichen Raum-ZeitPunkten A, eine Menge von möglichen Welten I und eine Menge von möglichen Zeitintervallen angenommen. Informell können dann Denotationsbereiche für die semantischen Typen definiert werden als: Individuen: Ereignisse: Prädikate:

Funktionen von möglichen Welten in konnexe Mengen von RaumZeit-Punkten Funktionen von möglichen Welten in zeitintervallskonnexe Mengen von Raum-Zeit-Punkten Funktionen von möglichen Welten in Wahrheitswerte

7. Geschichte

Kasusrollen: Α: Teil eines Ereignisses, von dem ein anderer Teil desselben Ereignisses funktional abhängig ist und der selbst nicht von einem Teil des Ereignisses funktional abhängig ist U : Teil eines Ereignisses, der von einem anderen Teil des Ereignisses funktional abhängig ist und von dem kein Teil des Ereignisses f u n k tional abhängig ist. ).J.

Zusammenfassung

Die morpho-syntaktische Strukturbeschreibung eines Ausdrucks ist phonologisch im Rahmen eines Systems der generativen Phonologie interpretierbar, da sie alle Informationen bereitstellt, die f ü r eine solche Interpretation notwendig sind: die Markierung der Konstituentenstruktur, die m o r phologischen Einheiten und morphologischen Grenzsignale. Das System einer generativen P h o nologie (vgl. Art. 10) w u r d e mehrfach dargestellt u n d wird daher hier nicht m e h r referiert. Eine pragmatische K o m p o n e n t e im Rahmen eines Deskriptionssystems erübrigt sich, da der grammatisierte Teil der Pragmatik durch die Ü b e r setzungsregeln f ü r M o r p h e m e mit pragmatischer Funktion erfaßt wird. D a f ü r ein Beispiel: morphologisch: pek-l-en pek

Streck Dich aus! sieb ausstrecken

I en

Verbalsuffix: p o s t u r a t i v Imperativmarker

morphologische Kategorien: pek / en

P,/V V e / V e (Ve = Variable über verbale A u s d r ü c k e ) (P,/V)/S

7. Geschichte der Linguistik 1. 2. 3. 4.

Vorbemerkung Einleitung. Linguistik: Begriff, B e g i n n , E p o c h e n Erste E p o c h e : A n t i k e u n d Mittelalter Z w e i t e E p o c h e : 15.-18. J h . : E n t w i c k l u n g z u r Sprachvergleichung

5. D r i t t e E p o c h e : 19. J h . : H i s t o r i s m u s 6. Vierte E p o c h e : R e a k t i o n auf die historische u n d naturwissenschaftliche Linguistik des 19. J h s . 7. Bibliographie (in A u s w a h l )

1.

Vorbemerkung

Die Darstellung f ü h r t n u r bis z u m Beginn struktureller Linguistik (vgl. Art. 8). T r o t z d e m m u ß sie aus Raumgründen sehr k n a p p sein. Sie ist nicht auf den Nachweis Kuhnscher „ P a r a d i g m e n " und „ R e v o l u t i o n e n " eingestellt, sondern hebt die überdauernden epistemologischen Konzepte u n d die Kontinuität der Entwicklung hervor.

der Linguistik

97

Strukturbeschreibung: pek-l-en

S

/ \ pek-l

P,V

en

(P,/V)/S

/ \ pek

P,/V

l

Ve/Ve

Lexikon: (λ x) ( A U S S T R E C K E N ( e ) · U(x, e)) pek Ubersetzungsregeln: (7) Die Applikation des Suffixes l von der Kategorie Ve/Ve auf einen Ausdruck der Kategorie Ve wird übersetzt in die O p e r a t i o n : . . . P(e) . . . = > . . . C H A N G E ( f ) · E N D (P(e), f) (8) Die Applikation des Suffixes en auf einen Ausdruck der Kategorie Ρ , / V wird übersetzt in die Operation: (λ χ) (P(e) • U(x, e)) W I L L ( s p , D O E S ( h , (Ee) ( P ( e ) - U ( h , e)))) Semantische Struktur: (λ χ) ( A U S S T R E C K E N ( e ) · U(x, e)) pek (λ χ) ( C H A N G E ( f ) · E N D ( A U S S T R E C K E N ( e ) · U(x, e ) ) f ) pek-l (Regel 7) W I L L ( s p , D O E S ( h , (Ee) ( C H A N G E ( f ) • E N D ( ( A U S S T R E C K E N ( e ) · U ( h , e)), f)))) pek-l-en (Regel 8) 6. Bibliographie

(in

Auswahl)

J . M . A n d e r s o n , O n Case G r a m m a r , L o n d o n 1977. R . Blair, Yucatec M a y a N o u n V e r b M o r p h o s y n t a x , A n n A r b o r 1964. Μ . J. Cresswell, Logics and Languages, L o n d o n 1973. R . M o n t a g u e , F o r m a l P h i l o s o p h y . Selected P a p e r s , ed. R i c h m o n d H . T h o m a s o n , Yale U P 1974.

Werner Kummer,

2. Einleitung. Epochen

Linguistik:

Begriff,

Bielefeld

Beginn,

Linguistik im Sinne von Sprachwissenschaft + -philosophie beginnt, wenn die Sprache zum Erkenntnisgegenstand gemacht wird, nicht erst seit Geltung des heutigen Wissenschaftsbegriffs, der nicht weniger zeitbedingt ist als jeder frühere. Da Menschsein mit Sprachehaben zusammenfällt, ist die Sprache dem Menschen etwas „Selbst-verständliches", ein Erkenntnisobjekt daher erst, wenn sie ihm Phänomen wird und praktisches Interesse gewinnt. Von einem solchen wird die Beschäftigung mit der Sprache bestimmt in Theorie, Fragestellung und Methode, bis schließlich im Szientismus unserer Zeit „ d i e Sprache an sich und um ihrer selbst willen" z u m Forschungs- und Experimentierobjekt geworden ist. D e r Anfang der Beschäftigung mit der Sprache ist nicht datierbar, liegt aber jedenfalls sehr viel

98

I. Allgemeine Bestimmung und Erforschung von Sprache

weiter z u r ü c k als die älteste Uberlieferung (3. J t . ) , er m u ß zumindest in die Zeit der frühesten Schrifterfindung (4. J t . ) o d e r der E r f a h r u n g , daß es neben der selbstverständlichen eigenen Sprache n o c h andere gab und Verständigung n o t w e n d i g war, fallen. M a n kann die G e s c h i c h t e der Linguistik nach Forschungsgegenstand und Betrachtungsweise u n d / o d e r Zielsetzung in 5 E p o c h e n einteilen, jedoch mit der E i n s c h r ä n k u n g , daß keines der 3 K r i terien eine scharfe Scheidung zuläßt, da keine k o pernikanische W e n d e zu einem absoluten W e c h s e l zwingt. Sie bezeichnen nur eine P r ä p o n d e r a n z , keine exklusive H e r r s c h a f t . D i e s hängt damit zus a m m e n , daß die Sprachwissenschaft durch ihren anthropologischen Gegenstand mehr von wechselnden Auffassungen und Bedürfnissen als von einer R e i h e o b j e k t i v e r E r k e n n t n i s s e (wie in P h y sik und C h e m i e ) in ihrem G a n g e b e s t i m m t wird und ihre G e s c h i c h t e daher nicht eine lineare S u m mation von E r k e n n t n i s s e n ist.

3. Erste Epoche: Antike und Mittelalter 3.1. Die Anfänge linguistischer Disziplinen Sie finden sich in den B e r e i c h e n M e s o p o t a m i e n , I n d i e n , G r i e c h e n l a n d jeweils als nationale P h i l o l o gie, gewidmet der Uberlieferung einer alten Sprac h e : des Sanskrit in I n d i e n , des Sumerischen in B a b y l o n i e n (die im O s t e n die F u n k t i o n des L a teins in E u r o p a hatten), des h o m e r i s c h e n G r i e chisch in H e l l a s . H i e r wie in Indien führte dies schließlich zur Schaffung einer G r a m m a t i k . D i e ältesten erhaltenen Zeugnisse der Linguistik sind sumerisch-akkadische W ö r t e r l i s t e n , nach S a c h gruppen geordnet, des 3 . J t s . Seit 1600 liegen altbabylonische grammatische T e x t e v o r : nach W o r t arten gegliederte V o k a b u l a r e , die schon eine perfekte K e n n t n i s der M o r p h o l o g i e beider Sprachen (besonders beim V e r b ) zeigen. T e x t e aus neub a b y l o n i s c h e r Zeit bieten eine n o c h abstraktere Strukturanalyse u n d die linguistische T e r m i n o l o gie dazu - etwa 5 0 0 J a h r e v o r der ersten griechischen G r a m m a t i k . D i e Leistung jener frühen L i n guisten w i r d nur übertroffen von der SanskritG r a m m a t i k des Pänini (5. J h . ? ) , die, zweifellos schon ein E n d p r o d u k t jahrhundertelangen Sprachdenkens, in konzisester R e g e l f o r m und G e s c h l o s senheit die G e s a m t h e i t von P h o n o l o g i e , M o r p h o logie und S y n t a x dargestellt.

3.2. Philosophische Grundlegung in Griechenland D a m i t verglichen sind die Leistungen in G r i e c h e n land dürftig, und eine Strukturanalyse wird nie erreicht. D e r G r u n d liegt in der vorwiegend philosophischen B e t r a c h t u n g der S e m a n t i k . Es beginnt die fast 2 0 0 0 j ä h r i g e Periode der B e schäftigung mit nur einer Sprache, zuerst dem

G r i e c h i s c h e n , dann dem Lateinischen, und z w a r zumeist philologisch o d e r / u n d philosophisch. A n den Anfang kann man die Frage nach dem V e r hältnis W o r t : D i n g stellen: W a r das W o n nur ein konventioneller N a m e oder w e s e n s g e m ä ß e K e n n zeichnung? A u s der U n t e r s u c h u n g ergab sich die „ E t y m o l o g i e " (s. Piatons „ K r a t y l o s " ) als V e r such der W o r t s i n n f i n d u n g . M a n glaubte, daß die W ö r t e r sich im Laufe der Zeit durch H i n z u f ü g u n g (adiectio), W e g n a h m e (detractio), Auswechslung ( i m m u t a t i o ) und Vertauschung (transmutatio) von „ B u c h s t a b e n " veränderten (s. K r a t y l o s ) und daß man mit ebendiesen Verfahren u m g e k e h r t die erste B e n e n n u n g (impositio) und ihren Sinn entdecken k o n n t e . D i e s e Auffassung blieb über 2 0 0 0 J a h r e in E u r o p a gültig, die genannten V e r ä n d e rungsarten sind n o c h lebendig im B e w u ß t s e i n F r . Schlegels, der sie ausdrücklich ablehnt (Schlegel 1808: 1. B u c h , 2 . K a p . ) , und sind gleichzeitig, nicht auf B u c h s t a b e n , sondern auf W ö r t e r b e z o gen, b e w u ß t e Verfahren von R h e t o r i k und Stilistik zur Bildung von f i g u r a e und als solche positiv (vgl. A r t . 2 5 ) , b z w . , wenn u n b e w u ß t , S p r a c h mängel ( S o l ö z i s m e n ) , also negativ; auf jeden Fall bewirken sie eine syntaktische Veränderung ( v o m o r d o n a t u r a l i s zum o r d o a r t i f i c i a l i s ) , die später ( z . B . Sanctius: M i n e r v a , 1587) e b e n s o künstlich wie in der E t y m o l o g i e wieder umgekehrt und von C h o m s k y ( 1 9 6 6 ) als T r a n s f o r m a tion einer s u r f a c e s t r u c t u r e in eine d e e p s t r u c t u r e angesehen w u r d e (vgl. A r t . 19). - W i e es keine historische Linguistik gab, so auch keine vergleichende, außer ansatzweise der D i a l e k t e mit der attischen H o c h s p r a c h e . - Eine andere, n o c h viel weiterreichende L e h r e w a r die des Aristoteles von der Sprache und den Redeteilen am Anfang von „ P e r i h e r m e n e i a s " : D i e D i n g e und die „ s e e lischen E i n d r ü c k e " von ihnen sind für alle M e n schen dieselben, w ä h r e n d die sprachlichen Z e i chen für diese E i n d r ü c k e wie deren schriftliche Fixierungen bei allen V ö l k e r n verschieden sind ein stets akuteil gebliebener Satz, der zur philosophischen G r a m m a t i k des M A s . , zur „ a l l g e m e i n e n G r a m m a t i k " des 1 7 . - 1 9 . J h s . und zur T r a n s f o r mationsgrammatik C h o m s k y s führt. A l l e Sprachen also müssen dieselben ρ a t h e m a t a (so schon bei P i a t o n ) , c o n c e p t u s , B e g r i f f e enthalten, da die D e n k m e c h a n i k aller M e n s c h e n dieselbe ist. N i c h t nur im R a h m e n der L o g i k , sondern auch der G r a m m a t i k hat des Aristoteles L e h r e v o m Aussagesatz (apöphasis, p r o p o s i t i o ) n a c h g e w i r k t : E r besteht aus ό η ο m a ( N a m e n , N o m e n , S u b j e k t ) und r h e m a ( V e r b u m , Phrase, Prädikat); das ö n o m a als N o m i n a t i v des N o m e n s ist der reine B e g r i f f und das S u b j e k t , das r h e m a , als 3 . P e r s . Präs. Prädikat, ist eine W o r t a r t ( = Satzteil), die die Zeit m i t b e z e i c h n e t , also Begriff und Z e i t , es b e steht (logisch) aus Seinsaussage + B e g r i f f o d e r , wie es später heißen w i r d , aus dem V e r b u m sub-

7. Geschickte der Linguistik stantivum s e i n (esse) + Attribut: am at = amans. 3.3.

Die Ausbildung

der

est

Grammatik

Das wenige, was Piaton und Aristoteles nebenher über Sprachliches mitteilen, läßt keinen Schluß auf den Umfang der diesbezüglichen Kenntnisse zu ihrer Zeit zu, aus denen sie schöpfen und die schon im Hinblick auf die Schulen reicher gewesen sein müssen. Demzufolge lassen sich auch die eigentlichen Leistungen der Stoiker auf dem zu philosophischen Zwecken gepflegten Gebiet der Grammatik nicht klar erkennen, zumal wir über sie nur durch spätere Doxographen unterrichtet sind. Die Sprache baut sich auf aus Einzellaut, Silbe, Wort, Satz (so schon Aristoteles). Sie unterscheiden das Bezeichnende (das Lautgebilde), das Bezeichnete (die damit verknüpfte Vorstellung) und den realen Gegenstand - eine ohne weiteres von Aristoteles ableitbare Auffassung. Sie nahmen 5 Redeteile (mere logou, partes orationis) an, gegenüber den späteren klassischen 8, untersuchten das Verhältnis von Wort und Sache, d . h . , ob die Wortform dem Begriff der Sache a n a l o g war oder nicht, also a n o m a l war, die flexivischen Formen von Nomen und Verb, die sie als semantische Kategorien aufstellten (casus, genera, modi, tempora), und die Arten des Prädikats. Langsam entsteht eine grammatische Terminologie. So wie der Streit, ob die Wörter die Dinge wesensmäßig (physei) oder konventionell (thesei) bezeichneten, seine Parallele in Indien in der MImämsa- und Sankhya-Richtung hatte, so der um Analogie oder Anomalie, der schließlich auf die Sprachstrukturen selbst übertragen wurde, die seine im arabischen Bereich zwischen Basra- und Kufa-Schule. - Durchweg vernachlässigt wurden Phonetik und Syntax. Die bedeutendste Entwicklung nahm die H o mer-Philologie, weil hier die Sprache selbst Forschungsobjekt war; hier war auch ansatzweise ein historischer und ein vergleichender Aspekt vorhanden. Die Fixierung des normalen Sprachgebrauchs der vorbildlichen Dichter und Schriftsteller, also eine deskriptive Grammatik, wurde eo ipso zur normativen Grammatik. Ihre erste, uns unter dem Namen des Dionysios Thrax (um 100 v . C h r . ) überlieferte knappe Fassung in 25 Paragraphen behandelt zum größten Teil die 8 ,Redeteile', ihre Unterarten und ,Akzidentien' (Numerus, Genus, Kasus, Modus, Tempus etc.). Die Definitionen sind gemischt semantisch, formal, funktional, syntaktisch. Diese T e c h n e g r a m m a t i k e bot einen kompletten Uberblick und eine differenzierte Terminologie, der eine Geltungsdauer wie Euklids „Elementen" beschieden war: sie reicht bis heute, da die Gliederungen und Benennungen durch römische Vermittlung

99

(Priscian) im Abendland verbindlich wurden, was der „Syntax" des Apollonios Dyskolos (2. J h . n. Chr.), trotz Priscian, nicht zuteil wurde. Die Autorschaft der T e c h n e , wie Päninis Werk der Schlußstein einer langen Entwicklung, ist zweifelhaft, und es gibt gute Gründe, sie mit di Benedetto (1958) um zwei Jahrhunderte später anzusetzen. Im Hinblick auf das, was zu Beginn der historischvergleichenden Sprachwissenschaft geschah, ist es von Interesse, daß die g r a m m a t i k o i (die Linguisten jener Zeit) im Bestreben, die Grammatik als eine echte Wissenschaft zu erweisen, von der längst etablierten Naturwissenschaft, spez. der Medizin, Fachausdrücke entliehen (Siebenborn 1976: 118-35). Etwa 1300 Jahre später bewiesen dann die Scholastiker, daß die g r a m m a t i c a (in ihrem Sinne) nicht eine a r s ( = t e c h n e ) , sondern eine s c i e n t i a sei. Dasselbe geschieht seit längerem in unserer Zeit, nur ist diesmal die (mathematisch beeinflußte) Methodologie entscheidend. 3.4.

Die aristotelische

undpriscianische

Tradition

Die Römer haben keine eigene Sprachwissenschaft entwickelt, sondern, außer Varro, die griechische adaptiert. Ihre a r s g r a m m a t i c a übersetzt exakt die gesamte Terminologie d e r t e c h n e g r a m m a t i k e . Diese Art Schrifttum muß sehr beliebt gewesen sein, denn man zählt von der Zeit der Republik bis in 6. J h . 161 römische Grammatiker. Eine a r s gliederte sich in I. Lautlehre, II. Redeteile, III. Verstöße gegen die Sprachrichtigkeit sowie poetische und stilistische f i g u r a e (s. ο. 1.2.), ein für die weitere Entwicklung wichtiger Zusatz. Für Jahrhunderte hatten Donatus (4. J h . ) und Priscianus (6. J h . ) autoritative Bedeutung, ersterer für die Anfänger (engl, a Donat ,eine Grammatik', ,ein Elementarbuch'), letzterer für die Fortgeschrittenen (engl, α Prisdanist ,ein Grammatiker'). Die eigentliche linguistische Tätigkeit des MAs bestand in der Kommentierung Priscians und der Entwicklung einer philosophischen Grammatik auf der Basis von Aristoteles' Lehre von der Identität der in allen Sprachen ausgedrückten Begriffe und d . h . der 10 universellen (und vielleicht von der griechischen Sprache hergeleiteten [s. Benveniste 1974]) Kategorien. Ihre Blüte zeitigten diese sprachlogischen Untersuchungen in den Traktaten „ D e modis significandi", hauptsächlich des 14. J h s . , einer philosophischen Semantik der Wortarten zur Begründung des von Priscian Uberlieferten. Aristoteles' Sprachdefinition wurde sehr scharfsinnig und konsequent entfaltet zu einer Lehre von den m o d i e s s e n d i (der Dinge), den m o d i i n t e l l i g e n d i (des Verstandes) und den m o d i s i g n i f i c a n d i (der Sprache), von dem Lautgebilde (vox), das durch eine Bezeichnungsfunktion zum (formal noch nicht fixierten) Wort (dictio) wird, welches erst durch die Mitbezeich-

100

/. Allgemeine Bestimmung und Erforschung von Sprache

nungsfunktion zu einer bestimmten Wortart (pars orationis) wird. D i e zuvor allein geltende ars grammatica, die weiterbestand, wurde weit zurückgelassen, die Grammatik wurde zur Sprachw i s s e n s c h a f t , weil man nicht die äußerlichen Verschiedenheiten von Sprachen, sondern den konstanten universellen Kern, die begriffliche Struktur a l l e r Sprachen anhand des universellen Lateins mit stringenter Methodik behandelte. (Die Phonetik wurde von vornherein ausgeschieden oder nur traditionell behandelt, da die philosophische Begründung hier kaum realisierbar schien. D o c h bietet ein dem Robert Grosseteste zugeschriebener Grammatiktraktat (2. H . d. 13. J h s . ) eine (meta)physische Herleitung der Laute von den Grundbewegungsarten.) D e r Gegenstand war also ein von der lebendigen Sprachwirklichkeit weit entferntes Abstraktum; dies führte u . a . später zur Ablehnung dieser Art von Linguistik; dennoch blieb das Gedankengut der g r a m m a t i c a s p e c u l a t i v a n o c h Jahrhunderte lebendig.

3.5. Linguistische

Fortschritte

Die wichtigsten, jedoch fast folgenlosen Erkenntnisse sind nicht auf diesem Boden gewachsen. Zu nennen sind hier ein Isländer des 12. J h s . , der als exakter Phonetiker seiner Muttersprache deren kompletten Phonem bestand durch Nachweise der bedeutungsdifferenzierenden Merkmale anhand von kleinsten Worteinheiten ermittelte. Ferner ist Dantes unike Einsicht in das Wesen der gesprochenen Sprache, ihre ständige Veränderung und Verästlung bis zum Idiolekt, sowie in Sprachverwandtschaften hervorzuheben ( „ D e vulgari eloquentia"). Zu erwähnen ist ferner seines Zeitgenossen T h o m a s Aquinas über Atistoteies und die Stoiker hinausgehende Theorie von der Dreiheit des W o r t e s : Ausdrucksintention, inneres W o r t , äußeres W o r t , während er das Denotat gar nicht nennt.

4. Zweite Epoche (1500-1800): Entwicklung zur Sprachvergleichung 4.1. Ausdehnung der Wissenschaft von einer auf viele Sprachen Das Ende der ersten 2000jährigen Epoche der B e handlung einer einzigen Sprache ist gekennzeichnet durch den überständigen letzten Modi-Traktat eines Polen (1500), das Ende der zweiten durch den 1. Band von Adelungs Sprachensammlung „Mithridates" (1806). Das erwachende nationale Selbstbewußtsein förderte die Beschäftigung mit den Volkssprachen, der neue Buchdruck die Verbreitung der nun entstehenden Wörterbücher und Grammatiken, die kommerzielle und missionarische Welteroberung die Kenntnis eines Sprachenkosmos: von

1492 bis 1699 erschienen Grammatiken von 63 Sprachen (Rowe 1976), eine Materialerweiterung gewaltigen Ausmaßes, jedoch Nomenklatur und Schema der lat. Grammatik blieben unverändert. Auch blieb die ganze Zeit das Latein die Sprache der Wissenschaft, die Idee einer allgemeinen Grammatik blieb lebendig, und Aristoteles blieb wirksam.

4.2. Besondere

Forschungsrichtungen

Unvoreingenommener Blick auf den neuen G e genstand läßt soziale Entwicklungsbedingungen der Sprachen (Th. Bibliander), ihre innere Verwandtschaft und lautlichen Beziehungen (J. C . Scaliger), ihre typologische Gruppierung (J. J . Scaliger) etc. sehen, wozu vor allem Sammlungen von Sprachproben dienen; doch führt die U b e r zeugung vom Hebräischen als der Ursprache zur Schaffung pseudohistorischer Genealogien in F o r m von „Sprachenharmonien", die anhand einzelner W ö r t e r beweisen sollen, daß vom Hebräischen das Griechische, von diesem Latein, von diesem das Deutsche abstamme. Auf dem lange vernachlässigten Gebiet der Phonetik machen J o h n Wallis (1653) und William Holder (1669) bedeutende Fortschritte in der Artikulationsbeschreibung, motiviert wie der Isländer des 12. J h s . und Jan Hus in seiner „Orthographia Bohem i c a " (1406?) durch das Ziel einer lautgerechten Schreibung. Die seit Piatons Beispiel herrschenden etymologischen Buchstabenspiele werden zu einer Forschung mit (zumindest postulierten) strengen Regeln umgestaltet durch Leibniz, ten Kate und schließlich Turgots Encyclopedie-Artikel „ E t y m o l o g i e " (1756), der ihre wissenschaftlichen Voraussetzungen und Methoden darstellt.

4.3. Neue

Sprachtheorien

Von diesem Hintergrund heben sich ab die großen D e n k e r jener Jahrhunderte mit ihren Erkenntnissen und Theorien. D a ist zunächst Francis Bacon mit seiner Lehre vom Zeichen, von der Einzelsprache als Spiegel eines Volksgeistes (einer Lehre, die noch eine große Zukunft haben sollte), seiner Erkenntnis des strukturellen Unterschiedes zwischen den alten und den modernen Sprachen: des synthetischen und des analytischen Typs (vgl. Art. 74) (all dies 1623 in „ D e dignitate et augmentis scientiarum"). - D e r umfassende Geist Leibnizens hat durch seine europäische Geltung wohl auch für seine linguistischen Theorien, praktischen Beispiele und Forderungen, die über mehrere Schriften verstreut sind, Aufmerksamkeit erregt; gegen Lockes Kommunikationstheorie bzw. Wortzeichen-Psychologie in „ A n Essay concerning H u man Understanding" (1690) setzt er seine „ N o u veaux Essais Sur l'entendement humain" (geschr.

7. Geschichte der Linguistik 1704); er stellt eine neue Sprachfamilie auf, die ganz Europa einnimmt, die japhetitische, und weiß auch von der Verwandtschaft des Ungarischen mit dem Finnisch-Lappischen; außerdem stellt er konkrete Forderungen an künftige linguistische Arbeit. Diese steht durchaus im Dienste der Ethnographie, Kulturgeschichte und Anthropologie. Beide, Bacon wie Leibniz, verblassen vor dem Genie Herders und der außerordentlichen Wirkung seiner neuen Ansicht von der Sprache, ihrem Entstehen, ihrem Wesen und ihrer Wirkung. Am bekanntesten wurde seine „Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1770, gedr. 1772). Dies Thema, schon in der Antike verschieden behandelt, wurde im 18. J h . geradezu aktuell. Immer noch galt die Sprache als „erfunden", aber Herder leitet sie als natürliche Folge aus dem Wesen des Menschen ab. Bemerkenswert ist seine gedankliche Nähe zu seinem Zeitgenossen Condillac bez. der sprachewirkenden Grundanlage des Menschen, bei Herder die „Besonnenheit", d . i . : bewußtes Wahrnehmen, Reflexion, bei Condillac: Wahrnehmung, Bewußtsein, Aufmerksamkeit, die zur Reflexion führt. Kurz, die Sprache wurde von beiden als anlagebedingt gesehen. Bedeutender als die Ursprungstheorie war Herders Lehre von dem die innere Sprachform bildenden Volksgeist, der sich auch in Märchen, Lied und Brauchtum schöpferisch äußerte - ein Thema, das von Humboldt, J . Grimm, F. N . Finck bis zu Whorf immer wieder behandelt wurde und an sich außerhalb der Linguistik liegt. Mit diesem Volksgeistgedanken hängt Herders Einsicht zusammen, daß die Sprache das Werkzeug, der Inhalt und die Form menschlicher Gedanken sei, daß sie der „menschlichen Kenntnis" Umriß, Gestalt und S c h r a n k e n gebe (dies die Grundlage des sog. sprachlichen Relativitätsprinzips). — Von sprachhistorischer Forschung kann noch keine Rede sein, doch wird sie schon ermöglicht durch die Bereitstellung dazu nötiger Literaturdenkmäler und Hilfsmittel seit der Mitte des 16. J h s . , und zwar auf dem Gebiet des Gotischen (seit 1597), des Angelsächsischen (seit 1562) und des Altnordischen (seit 1636). Der erste Gipfel dieser Germanistik waren George Hickes' „Institutiones grammaticae [dies war der Titel von Priscians Werk] Anglo-Saxonicae et Moeso-gothicae" (1689) und „Linguarum veterum septentrionalium Thesaurus grammatico - criticus et archaeologicus" (1705). Daneben gab es seit dem 17. J h . auch schon Ausgaben mhd. Dichtungen. 4.4.

Frankreich und die allgemeine

Grammatik

Neben dieser progressiven und die nächste Zukunft der Linguistik bestimmenden Strömung bestand die traditionelle verstärkt fort. Die Anschauungen von der Sprache in abstracto blieben

101

unverändert, Aristoteles latent gegenwärtig. Der eigenwillige Versuch des Petrus Ramus (Pierre de la Ramee) in seiner „Grammatica" (1559), an die Stelle der semantischen Ausrichtung die morphologische zu setzen, war beachtlich, aber folgenlos. Die lat. Grammatik war ex definitione die allgemeine Grammatik, wenn auch nicht immer in diesem Sinn dargestellt. Als die zu unverdientem späten Ruhm gelangte kleine (166 S.) „Grammaire generale et raisonnee [ . . . ] „von Port-Royal 1660 erschien, dominierten in Oxford noch Aristoteles und die scholastische Methode (Padley 1976: 134), und das ist kein Gegensatz, sondern Einklang. Es ist inzwischen klar erwiesen (u.a. durch R . Lakoff, 1969, und Padley, 1976), daß die G G R ganz auf der Basis der Tradition steht, von Sanctius („Minerva" 1587, die selber wieder stillschweigend Vorgänger verwertet bzw. abschreibt (Percival 1975), J . C . Scaliger bis zu Aristoteles zurück (die Verb-Auffassung). Sie hat im Grunde keinen andern Zweck als die vom Mitverfasser Lancelot schon 1644 gebotene „Nouvelle methode pour apprendre facilement et en peu de temps la langue latine", doch will sie auch, wie die Modisten, deren Theorie sie simplifiziert, die c a u s a e der sprachlichen Universalien angeben. Gewichtiger ist die umfangreiche „Grammaire generale [ . . . ] " von Beauzee (1767), die dem „Studium aller Sprachen" dienen will. Seine wie Condillacs Erkenntnis der Sprache als einer analytischen Methode ist grundlegend, doch geht er von der Analyse des Gedankens statt der Realität aus und leistet die von ihm geforderte empirische Erarbeitung der allgemeinen Grammatik aus den Einzelgrammatiken selber nicht. Es führt aber seine wie Condillacs („Essai sur l'origine des connaissances humaines", 1746) Analyse der Vorstellung zu einer neuen Theorie der Syntax. Condillac ist Herder an Geistesschärfe weit überlegen. Dies zeigt sich nicht nur bei der Behandlung des Verbums, das Herder als Urwort feiert, Condillac aber analysiert als zusammengewachsen aus der Abfolge verbaler Begriff, Tempus, Modus, Person. (Diese Lehre findet sich wieder bei H o m e T o o k e , „ Ii pea pteroenta . . . " , 1786, sowie in Bopps „Konjugationssystem", 1816). Mit mathematischer Präzision und Knappheit entwirft er ( „ L a langue des calculs", 1780, gedr. 1798) die Entwicklung von der Gesten- zur Lautsprache sowie die Rolle von zwei Faktoren: Analyse und Analogie. Letztere wird bei den Junggrammatikern' wieder eine bedeutende Rolle spielen. Wesentlich für die Signatur der Zeit ist ferner das Streben nach einem Universalalphabet oder einer aus Buchstaben oder Ideogrammen gebildeten universellen Begriffssprache. Leibniz war mit dem Gedanken beschäftigt, Comenius (Jan Komensky) gab in seiner „Panglottia" Proben seiner Vorstellung, ein Werk aber schufen nur George

102

/. Allgemeine Bestimmung und Erforschung von Sprache

Dalgarno (1661) mit „Ars signorum, vulgo Character Universalis et Lingua Philosophica" und John Wilkins (1668) mit „An essay towards a Real Character and a Philosophical Language". 4.5. Begründung der vergleichenden

Linguistik

In das 18. Jh. fällt die praktische und theoretische Begründung der eigentlichen Sprachwissens c h a f t durch zwei Ungarn, P. Sainovics und S. Gyarmathi, die 1770 bzw. 1799 in lat. Abhandlungen die schon bekannte Verwandtschaft des Ungarischen mit dem Finnischen und Lappischen „grammatice" nachweisen, d.h. anhand der Sprachstruktur, deren Ubereinstimmung neben der eines Teils des Wortschatzes eine Verwandtschaft bewies, wie man schon lange wußte. Von größter Tragweite aber sollte sich der Hinweis auf die Ähnlichkeiten im Wortschatz (Halhed 1778) und in der Struktur (W. Jones 1788) zwischen dem Sanskrit und den europäischen Sprachen erweisen. Ferner wurden bedeutende Fortschritte auf dem Gebiet der Phonetik erzielt durch W. von Kempelen in seiner Schrift „Mechanismus der menschlichen Sprache nebst der Beschreibung einer sprechenden Maschine" (1791), ein in Apparat und Text verblüffend exaktes Werk der Experimentalphonetik. — Die vergleichende Sprachwissens c h a f t erhielt auch alsbald ihre Prinzipien- und Methodenlehre 1787 durch Chr. J . Kraus anläßlich der Besprechung eines dilettantischen „Vergleichenden Vokabulars der Sprachen der ganzen Erde" von P. S. Pallas. Dieser Entwurf ist erstaunlich, weil durch nichts Ähnliches vorbereitet und doch umfassend und von dauernder Gültigkeit. Die Zielsetzung ist die komplette Erfassung literaturloser Sprachen, um die Kenntnisse von Psychologie, Geschichte und Verwandtschaft der Völker zu vermehren. Gefordert wird die zuverlässige Aufzeichnung von Phonetik, Semantik, Struktur und Geltungsbereich jeder Sprache durch ein Linguistenteam und ihre karteimäßige Erfassung. Alle methodischen und praktischen Schwierigkeiten der korrekten Aufzeichnung werden dargelegt, die möglichen Schlüsse auf Sprachverwandtschaft sehr skeptisch beurteilt. Seinem Gegenstand gemäß hat Kraus es nur mit Sprachvergleichung, nicht mit -historie zu tun. Dritte Epoche: Historismus des 19. ]hs. 5.1. Von der historisch-vergleichenden Grammatik zur Linguistik als Naturwissenschaft: von Schlegel zu Schleicher Es ist unbestreitbar, daß der romantische Literat Friedrich Schlegel (1772-1829), der in Paris Sanskrit und Persisch gelernt hatte, 1808 mit seiner Schrift „Uber die Sprache und Weisheit der Indier. Ein Beitrag zur Begründung der Alter-

tumskunde" den Beginn der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft markiert, zumal sie größte Beachtung fand. Wenn er von dem Vergleich der „inneren Struktur" als der Voraussetzung für die Erkenntnis der Sprachenverwandtschaft spricht, so ist dies nichts Neues, abgesehen von der Formulierung. Wenn er die bisherige etymologische Praxis verwirft, so war ihm Turgot mit seiner Prinzipienlehre schon vorangegangen; aber wenn er sagt: „wenn man die Sprache und ihre Entstehung wissenschaftlich, d. h. durchaus historisch, betrachten will", so ist dies eine revolutionäre neue Deutung des Begriffs Sprachwissenschaft, die für ein Jahrhundert herrschend blieb. Die Bewunderung für die überaus formenreiche „uralte Sprache" (schon bei Jones), die Uberschätzung der flektierenden Sprachen (vgl. Art. 74) als „organischer" Strukturen, die Rivalität mit der Naturwissenschaft (vergleichende Anatomie: höhere Naturgeschichte = Sprachstrukturvergleich: Genealogie der Sprachen) - all das war folgenreich: Kult des Ältesten, Suche nach der Urform der verwandten Sprachen, Gliederung der Sprachentwicklung in die prähistorische Zeit des Aufbaus und die historische Zeit des Verfalls, die Auffassung der Sprache als eines selbständigen (natürlichen) Organismus (so Schleicher), die Anpassung der Methoden an die der Naturwissenschaften, die Proklamierung menschenunabhängiger Gesetze (Junggrammatiker), - all dies charakterisiert Auffassungen und Ziele der Linguisten in den folgenden Jahrzehnten. Trotz der großen Wende blieb in der neuen Wissenschaft eines unverändert: die Ausklammerung des sprechenden Menschen, trotz den gewaltigen Fortschritten der Phonetik und der beginnenden Mundartenforschung. Diese Charakterisierung betrifft fast ausschließlich die dominierende Richtung der Linguistik, den neuen Historismus. Aber daneben bestanden weiter: Die Beschreibung einzelner Sprachen nach dem Muster der Grammatica, die bloße Sprachvergleichung, die Produktion allgemeiner Grammatiken' und die Elaborate über den .Ursprung der Sprache'. Das erste Werk der neuen Richtung, inauguriert durch Männer der Jahrgänge 1767 (Humboldt, Wilhelm Schlegel), 1772 (Fr. Schlegel), 1785 (Jacob Grimm), 1787 (Rask), 1791 (Bopp), war, nur acht Jahre nach Schlegels Signal, Franz Bopps „Uber das Konjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache" 1816, das die ältesten überlieferten Sprachzustände relativ exakt verglich, jedoch nicht ohne eine Theorie bez. der Zusammengesetztheit der Verbformen aus Verbum attributivum + Verbum substantivum (oder abstractum) + Pronomen, womit er nicht nur Home Tooke und Condillac entsprach (s.o.), sondern eine seit Aristoteles

7. Geschichte der Linguistik herrschende logische Auffassung vom Verb als linguistische Tatsache hinstellte. Die Schaffung dieses Werkes nur vier Jahre nach Erlernung des Sanskrits läßt sich kaum ohne Kenntnis der Grammatik des Pänini denken, deren erste Ausgabe 1810 erschienen war und so ein 2200 Jahre altes, nie erreichtes Grammatikmodell und eine vollendete analytische Methode bekanntmachte. Tatsächlich war Bopps Werk nicht das erste seiner Art: der Däne Rasmus Rask (1787-1832) war ihm mit dem Nachweis der Verwandtschaft (worüber er auch Regeln aufstellte) des Germanischen, Slawischen, Griechischen und Lateinischen vorangegangen: „Undersögelse om det gamle Nordiske eller Islandske Sprogs Oprindelse", preisgekrönt 1814, erschienen 1818. Was Rask, aus anderer Interessenrichtung heraus, nicht voll als einen gesetzmäßigen Lautwandel erkannte, Jacob Grimm (1785-1863) benannte es als die „germanische Lautverschiebung" in der ersten historisch-vergleichenden Grammatik, seiner „Deutschen [d. h. germanischen] Grammatik" in 4 Bdn. mit 3854 Seiten 1819-37 erschienen, einem Werk nüchternen Sammelfleißes, das doch inspiriert war von einer Art mystischer Volksgeistverehrung und Nationalstolz. Bopp und Grimm, sind, wie ihre Nachfolger, Philologen und gehen vom Text, nicht von der lebenden Sprache aus; wenn sie vom „Genius der Sprache" oder vom „unermüdlich schaffenden Sprachgeist" reden, sind dies nicht nur poetische Metaphern, sondern Ausdruck einer (unreflektierten) Grundkonzeption von der Sprache als einem selbständigen Naturwesen, lange bevor die Sprachwissenschaft in eine reine Naturwissenschaft umgedacht wurde. Das falsche Denken hat jedoch nicht die empirischen Ergebnisse der Forschung beeinträchtigt.

5.2.

Verbindung von Linguistik Wilhelm von Humboldt

und

Philosophie:

Am Anfang der neuen Epoche steht ferner Humboldt (1767-1835), der in seiner Einheit von weitester Sprachenkenntnis und tiefster denkerischer Einsicht in das Wesen alles Sprachlichen das Niveau aller Sprachforscher seiner und der späteren Zeiten hoch überragt. Schon 1812 spricht er von der Sprache als einem Organismus („daß alles in einer Sprache auf Analogie beruht und ihr Bau bis in seine feinsten Teile hinein ein organischer Bau ist"); das entspricht Cuviers Organismusbegriff mit der „correlation des formes". Wenn er scheidet zwischen Sprachvermögen, der Sprache als E r g o n und als E n e r g e i a , so entspricht dem bei Saussure l a n g a g e , l a n g u e , p a r o l e . Er erfaßt das Verstehensproblem im Sinne von K. O . Apels „transcendental conception of language communication", sieht die Sprache als subjektives

103

und objektives, individuelles und nationales Gebilde, Ausdruck eines Volksgeistes und insgesamt des Menschengeistes, den es letztlich aus der Sprache zu erkennen gilt. Er sieht die Sprache als Stoff und Form, prägt den Begriff der „ i n n e r e n F o r m " . Die Sprache erschafft dem Menschen seine Welt und schließt ihn gleichzeitig darin ein (vgl. Herder und Sapir/Whorf). Humboldt entwirft aber nicht ein ideales Bild und Programm, sondern ist sich ständig der außerordentlichen Schwierigkeiten, die die Sprache als Forschungsobjekt bietet, aus praktischer Erfahrung bewußt. Hiermit ist sein Gedankenreichtum nur angedeutet.

5.3. Neue Tendenzen und Erkenntnisse: thal, Paul, Baudouin de Courtenay,

SteinWegener

Bopp und seine Nachfolger sind gedankenarm. Sie be- und erarbeiten gewaltige Materialmengen und gewinnen eine Fülle neuer Kenntnisse über die sog. indogermanischen Sprachen ohne jede Sprachtheorie oder mit einer falschen. In seinem großen Werk „Vergleichende Grammatik des Sanskrit, Zend [für Altiranisch], Griechischen, Lateinischen, Litauischen, Gotischen und Deutschen" (in 6 Teilen, 1833-52), wozu in der 2. Aufl. 1857-63 noch Armenisch und Altslawisch kamen, erklärt er die Sprachen für „organische Naturkörper" mit einem „inneren Lebensprinzip", die sich nach bestimmten Gesetzen bilden, entwickeln und absterben. Er betrachtet seine Arbeit als Sprachanatomie und -physiologie und will, um es den angesehenen Naturwissenschaften gleichzutun, auch Gesetze aufstellen. Er ist zwar von alldem noch weit entfernt, aber so sieht er seine Arbeit. Bopps gewaltiges Werk begründete die Indogermanistik wie F. A. Pott durch „Etymologische Forschungen auf dem Gebiete der IndoGermanischen Sprachen" (2 Bde. 1833—36) die nun erst mögliche wissenschaftliche Etymologie. .Modern' wirkt er auch durch Ansätze zu einer kontextuellen Semantik und die (mögliche) Auffassung der Sprache als ein „Bezeichnungssystem" mit „Wechselbedingtheit". Schon 1861/2 folgte Bopps Vergleichender Grammatik August Schleichers (1821-68) „ C o m pendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen" in 2 Bänden. Seine Klarheit, Konsequenz und Systematik geben seinen Werken Überzeugungskraft. Er macht ernst mit der naturwissenschaftlichen Methode und geht auch darin über Bopp hinaus, daß er aus dem Formenvergleich der ältesten Stufen der verwandten Sprachen die Ursprache erschließt, die die gemeinsame Mutter sein sollte. Er komponierte sogar eine Fabel aus diesem Kunstidiom, als Anzeiger des derzeit erreichten Wissensstandes, zu-

104

/. Allgemeine Bestimmung und Erforschung von Sprache

gleich A u s d r u c k der U b e r z e u g u n g , daß mit den angewandten M e t h o d e n jedes F o r s c h u n g s z i e l erreichbar sei. D i e K o n s t r u k t i o n der idg. U r s p r a c h e setzte ein V o l k voraus, das sie einmal gesprochen h a t t e , und dieses m u ß t e einen W o h n s i t z gehabt h a b e n . Seine Lokalisierung ist bis heute k o n t r o v e r s geblieben. Schleicher ist auch der V a t e r der S t a m m b a u m theorie, d. h . der L e h r e von der allmählichen V e r zweigung (durch B i f u r k a t i o n ) v o m S t a m m der M u t t e r s p r a c h e über größere Einheiten bis zu den M u n d a r t e n - ein anschauliches D i a g r a m m . D e r Zweifel an der einheitlichen U r s p r a c h e veranlaßte später ( 1 8 7 2 ) J o h a n n e s S c h m i d t zu der sog. W e l lentheorie der Ausbreitung. G e g e n Schleichers Auffassung der Sprache und M e t h o d i k wandte sich W . D . W h i t n e y mit der Feststellung, daß die Sprache ein soziales und v o m Willen des M e n s c h e n abhängiges P r o d u k t sei und mithin die Wissenschaft von ihr keine N a t u r - , sondern eine historische Geisteswissenschaft o h n e mathematisch exakte B e w e i s m i t t e l . E r weist ferner auf den G r u n d ü b e l s t a n d seiner Zeit hin, daß die S p r a c h f o r s c h e r nicht auch zugleich Sprachdenker und daher o h n e die richtige theoretische G r u n d l a g e seien. H u m b o l d t w a r beides und nach ihm Steinthal ( 1 8 2 3 - 9 9 ) , der die ( H e r b a r t s c h e ) P s y c h o l o g i e auf die lebende Sprache anwandte. E b e n s o versuchte W i l h e l m Scherer, sprachliche Sonderart und E n t w i c k l u n g psychologisch zu erfassen und zu deuten. D i e zwischen 1840 und 1850 g e b o r e n e F o r schergeneration der August Leskien, B e r t h o l d Delbrück, Hermann Paul, Hermann Osthoff, Karl B r u g m a n n , Eduard Sievers (die sog. J u n g grammatiker) proklamiert z w a r ( O s t h o f f und B r u g m a n n 1878) die V e r w e r f u n g der bisherigen lebensfernen, rekonstruktiven Linguistik ältester T e x t e und den B e g i n n der E r f o r s c h u n g der Sprache an den Sprechern selbst, fordert die E i n b e z i e hung der P s y c h o l o g i e , beschränkt sich dann aber doch auf Lautphysiologie als das eigentlich naturwissenschaftliche G e b i e t der Linguistik und das zu allen Zeiten G l e i c h b l e i b e n d e , das die Aufstellung v o n u n b e w u ß t befolgten Lautgesetzen und Analogieverfahren, die i m m e r galten, gestattete. N u r so sei die Sprache ein Gegenstand der W i s s e n schaft. ( D i e s w a r im W e s e n schon das A r g u m e n t der M o d i s t e n gewesen; und in unserer Zeit haben Linguisten darum die Semantik ausgeklammert). D a s als ausnahmslos erklärte (und alsbald wie z u v o r die Sprache hypostasierte) Lautgesetz w a r andererseits eine K o n s e q u e n z der g r o ß e n L e i s t u n gen auf dem G e b i e t der L a u t p h y s i o l o g i e , wie sie besonders das J a h r 1876 gehäuft hatte: Sievers' „ G r u n d z ü g e der L a u t p h y s i o l o g i e " , W i n t e l e r s exakte B e s c h r e i b u n g einer M u n d a r t , das sog. V e r nersche G e s e t z , die E r k e n n u n g der Liquida sonans und der Nasalis sonans durch O s t h o f f resp.

B r u g m a n n , etc. D e r W i d e r s p r u c h gegen das neue D o g m a war stark. D i e Auseinandersetzung zeigte, daß es in W i r k l i c h k e i t ein Postulat w a r und daß W h i t n e y mit seiner D i a g n o s e recht hatte. F e r n e r zeigte sich, daß die G e l e h r t e n nicht nach ihren G r u n d s a t z e r k l ä r u n g e n , sondern nur nach ihren M e t h o d e n und Ergebnissen zu beurteilen sind und daß in einem Prinzipienstreit dieselben W o r t e auf beiden Seiten verschiedene und dabei n o c h changierende Bedeutung haben. So w a r der K a m p f der J a h r e 1 8 8 5 / 6 in m a n c h e r H i n s i c h t enthüllend. V o n den N a m e n jener G e n e r a t i o n haben b e s o n ders zwei ihre Z e i t überdauert: H e r m a n n Paul ( 1 8 4 6 - 1 9 2 1 ) durch sein W e r k , der P o l e J a n B a u douin de C o u r t e n a y ( 1 8 4 5 - 1 9 2 9 ) durch seine L e h r e v o m P h o n e m . Paul blieb nicht nur durch seine germanistischen W e r k e lebendig, s o n d e r n , auffallender n o c h , durch seine „ P r i n c i p i e n der S p r a c h g e s c h i c h t e " ( 1 8 8 0 ) , ein B u c h , das seit 1898 unverändert i m m e r neu gedruckt w i r d . N o c h imm e r herrscht die U b e r z e u g u n g , daß es keine andere wissenschaftliche Sprachbetrachtung geben k ö n n e als die historische, daher: S p r a c h g e s c h i c h t e . M i t den Prinzipien sind gemeint die „allgemeinen L e b e n s b e d i n g u n g e n " , „ d i e in allem W e c h s e l gleichmäßig vorhandenen F a k t o r e n " , m . a . W . : es handelt sich nicht um P r i n z i p i e n , sondern um F u n k t i o n s k a t e g o r i e n und E n t w i c k l u n g s f a k t o r e n , S y n c h r o n e s und D i a c h r o n e s zugleich. E s ist ein sehr vielseitiges W e r k und heute n o c h lesenswert, insbesondere alles die Syntax B e t r e f fende, sowie die „assoziative R e i h e n b i l d u n g " im H i n b l i c k auf Saussures „assoziative und syntagmatische B e z i e h u n g e n " sowie die „ A s s o z i a t i o n s g e s e t z e " , die der bedeutende Linguist M i k o l a j K r u s z e w s k i in seinen „ P r i n z i p i e n der Sprachentw i c k l u n g " , die 1884 und 1887 in T e c h m e r s „ I n ternationaler Zeitschrift für allgemeine Sprachw i s s e n s c h a f t " erschienen, behandelte, w o er u . a . auch die Zusammengesetztheit und U n b e s t i m m t heit der Spracheinheiten b e t o n t . - W a s B a u d o u i n de C o u r t e n a y betrifft, so kann man den von ihm gefundenen neuen A s p e k t der Funktionalität der sprachlichen E l e m e n t e , entwickelt seit 1877 und ausgearbeitet 1895, seinen P h o n e m b e g r i f f , der erst 10 J a h r e nach seinem T o d e zu dem neuen Z w e i g der Linguistik, der P h o n o l o g i e ( T r u b e t z k o y und der Prager Kreis) führte, als den bedeutendsten und folgenreichsten Beitrag jener G e n e r a t i o n b e z e i c h n e n . ( H e n r y Sweet hatte etwa dieselbe Idee zur selben Zeit). In dieselbe Z e i t , da der K a m p f um das Lautgesetz beginnt, 1885, fällt, weitab v o m „ j u n g g r a m m a t i s c h e n " P r o g r a m m , und k a u m beachtet, die Schrift von Philipp W e g e n e r „ U n t e r s u c h u n g e n über die G r u n d f r a g e n des S p r a c h l e b e n s " , die sich mit der Frage befaßt, wie Sprache verstanden wird, was bisher nie ein P r o b l e m gewesen war, und e n t w i c k e l t , von den verschiedenen Sprech-

7. Geschichte

Situationen ausgehend, eine neue, unabhängige Auffassung von Wort, Satz und Funktion des Gesprochenen (letzteres schon den Behaviorismus vorwegnehmend), insgesamt eine erstaunliche Leistung eines Außenseiters. Arbeiten wie die genannten markieren die beginnende Loslösung von der Einseitigkeit in Theorie und Praxis der herrschenden Richtung und ihrem Historismus. 6. Vierte Epoche: Reaktion auf die historische und naturwissenschaftliche Linguistik des 19. Jhs. 6.1. Sprache als Ausdruck Es war unumgänglich, daß eine so entschiedene, ausschließliche Richtung eine starke Gegenbewegung auslöste, die alles das hervorhob, was bisher nicht zur Geltung gekommen war: die Sprache als Ausdruck einer Weltsicht, eines Volksgeistes (den die herrschende Schule leugnete), psychischer Vorgänge allgemein, als Ausdrucksform und Schöpfung (wie die Kunst), als ein soziales Objektivgebilde, als ein System von Zeichen - insgesamt eine Abwendung vom Stofflichen, die schließlich in den reinen Strukturalismus führte. Es sind vor allem Philosophen, die zu Beginn des 20. Jhs. ihre neuen Ansichten und Deutungen der Sprache vortragen. Zuerst ist es aber der bedeutende Linguist F. N. Finck, der, ernstmachend mit der Sprache als einer analytischen Methode und Humboldts ,innerer Sprachform', aus dieser die Wesenszüge eines Volkes zu erschließen versucht. Nur ein Jahr später, 1900, erscheint Wilhelm Wundts 1. Teil seiner „Völkerpsychologie", „Die Sprache", ein umfangreiches Werk, das man heute der Psycholinguistik zuordnen würde. Auch er fußt auf der „inneren Sprachform" als der Übereinstimmung von Denk- und Sprachstruktur. Es geht ihm, nicht anders als seinen Gegnern, um die Auffindung von Gesetzen, die in der Sprache und ihrer Entwicklung wirksam sind. Neben altem Gedankengut, neu formuliert (hierauf reduziert sich heute oft der Fortschritt), finden sich auch viele neue Erkenntnisse. Den eklatantesten Gegensatz aber zur herrschenden Lehre bildete Croces („Estetica come scienza dell'espressione e linguistica generale", 1901) Verkündung der Sprache als schöpferischen Ausdrucks gleich der Kunst, der Identität von Sprach- und Kunstphilosophie, Ästhetik und Linguistik. Er übersah dabei den fundamentalen Unterschied zwischen dem Kunstwerk als einem jeweils Vollendeten und der Sprache als einem ständig Werdenden. Er fand einen Anhänger in Karl Voßler, einen Bewunderer in Sapir. (Zu derselben Zeit wird ein ältestes Konzept wieder lebendig bei Husserl [„Logische Untersuchungen, 1900/01] und Karl Marty [„Untersuchungen zur Grundlegung der allgemeinen Grammatik und Sprachphilosophie", Bd. 1,

der Linguistik

105

1908]: die allgemeine Grammatik [Husserl denkt sogar an eine apriorische], zu Husserl vgl. Art. 2.) 6.2.

Sprachtheorien

Das erkenntnistiefste Werk über die Sprache ist nicht das Husserls, sondern Ernst Cassirers „Philosophie der symbolischen Formen", Bd. 1 „Die Sprache", 1923, worin er diese neben Kunst, Mythos und wissenschaftlicher Erkenntnis als einen ,Bedeutungszusammenhang' mit eigenem konstitutiven Prinzip erkennt und das Bedeuten selbst und die Funktion des Zeichens aus dem Wesen des Bewußtseins, in dem jedes einzelne das Ganze mitrepräsentiert, herleitet. - Wiederum von der ,inneren Sprachform' und der damit verbundenen Uberzeugung ausgehend, hat Leo Weisgerber die Sprache als Ausdruck und Leistung einer Sprachgemeinschaft sowie ihre Leistungen und Schranken (im Sinne Herders und Humboldts) in zahlreichen Büchern behandelt. Er ist der Begründer der „energetischen" Sprachwissenschaft bzw. „Sprachinhaltsforschung" und vertritt wie Sapir und Whorf das sprachliche Relativitätsprinzip (vgl. Art. 55). - Breitenwirkung erzielte der Psychologe Karl Bühler mit seiner „Sprachtheorie" von 1934, einem in mancher Hinsicht sehr modernen Werk, zumal sein Kommunikationsmodell mit seiner Dreigliedrigkeit des Vorgangs (Sender, Empfänger, Gegenstand) und der dreifachen Funktion des Lautzeichens (Ausdruck, Appell, Darstellung) gewann Gültigkeit (vgl. Art. 13). - Völlig verschieden von allen neuen Konzeptionen von Sprache in Deutschland war des Amerikaners Leonard Bloomfield (1887-1949) 1933 erschienene Buch „Language", das alle Psychologie verwarf, die gesprochene Sprache nur als beobachtetes Phänomen, als reinen Mechanismus behandeln wollte (fußend auf seinen fieldwork-Erfahrungen und dem Behaviorismus). Sein Bemühhen, die Linguistik unabhängig von Hilfswissenschaften zu machen, seine synchronische Darstellung, seine Jack-and-Jill-Simplifikation waren erst befremdend, dann schulebildend. Noch bedeutender als Neuanfang ist sein Aufsatz ,,A set of postulates for the science of language" (1926). Mit ihm beginnt der amerikanische Strukturalismus wie mit Saussure der europäische (vgl. Art. 8). 7. Bibliographie Zu Abschnitt

(in Auswahl)

2

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106

I. Allgemeine

Bestimmung

und Erforschung

von

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Hans Ar ens, Bad

Hersfeld

II SPRACHSTRUKTUREN

8. Strukturelle Linguistik 1. 2. 3. 4.

A b g r e n z u n g des G e g e n s t a n d s b e r e i c h s Strukturen H a u p t s t r ö m u n g e n der strukturellen Linguistik Bibliographie (in A u s w a h l )

1. Abgrenzung

des

Gegenstandsbereichs

Es ist keinesfalls a priori klar, was unter struktureller Linguistik verstanden werden soll. In einem möglichen Verständnis könnte man damit die Gesamtheit der linguistischen Schulen u n d Richtungen meinen, die sich selbst Benennungen geben, in denen das W o r t strukturell oder strukturalistisch v o r k o m m t , oder die von anderer Seite mit diesen Etiketten versehen werden. Diese wären dann systematisch zu vergleichen und gegeneinander abzugrenzen. Angesichts des Carnapschen D i k t u m s , daß alle wissenschaftlichen Aussagen Strukturaussagen sind, erscheint dieses Verfahren jedoch nicht sehr angebracht; vielmehr wird es d a r u m gehen, einige der linguistischen Richtungen darzustellen, die die Beschreibung von Sprachstrukturen in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen stellen, gleichgültig ob dies in ihren Benennungen z u m Ausdruck k o m m t , oder ob es in programmatischen Aussagen ausdrücklich postuliert wird. 2.

Strukturen

A m Beginn jeder strukturellen Linguistik steht, bezogen auf ihren Gegenstandsbereich Sprache, der Satz: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Auf sprachliche Äußerungen angewandt heißt das, daß deren wissenschaftliche Beschreibung nicht bloß darin bestehen kann, ihre Teile zu analysieren u n d aufzuzählen, denn dann hätten zum Beispiel die beiden Sätze ! 1) Hans sieht Frieda u n d (2) Frieda sieht

Hans

identische Beschreibungen, da sie aus den selben Teilen bestehen. Eine sprachwissenschaftliche Analyse m u ß vielmehr weitergehen, sie m u ß die sprachlichen Teilausdrücke nicht einfach zu M e n gen zusammenfassen, sondern sie m u ß diesen Mengen Strukturen aufprägen. D a sich die moderne Mathematik, insbesondere seit Bourbaki, als Wissenschaft von den Strukturen versteht, werden deren Möglichkeiten der Strukturierung

als H i n t e r g r u n d benutzt, vor dem die verschiedenen linguistischen Richtungen in bezug darauf verglichen werden, welche der formalen Möglichkeiten der Strukturierung in ihnen ausgenutzt werden. 2.1 Mengen,

Teilmengen

und

Relationen

Die einfachste dieser Möglichkeiten besteht darin, daß man eine empirisch gegebene Menge von Daten in Untermengen aufteilt. Dies f ü h r t zunächst zur Erstellung einfacher Klassifikationen, zum Beispiel kann man die Menge der sprachlichen Ausdrücke {schläft, Hans, Friedrich, Katze, die, schnurrt, und, schlägt, Frieda, Hans schläft, die Katze schnurrt, die Katze schnurrt und Friedrich schläft, Hans schlägt Frieda, Frieda schlägt Hans} so klassifizieren: Hans, Friedrich, Frieda, die Katze sind Nominalausdrücke, Hans, Friedrich, Frieda sind N a m e n , Katze ist ein N o m e n , die ist eine F o r m des bestimmten Artikels, schläft, schnurrt, schlägt sind Verbalformen, und ist eine K o n j u n k t i o n , Hans schläft, die Katze schnurrt und Friedrich schläft, Hans schlägt Frieda, Frieda schlägt Hans sind Sätze. Eine solche Taxonomie ist noch keine hinreichende strukturelle Beschreibung sprachlicher Ausdrücke. Insbesondere läßt sich mit diesem Strukturmittel keine befriedigende Darstellung der internen Struktur komplexer sprachlicher Ausdrücke geben. So bekämen die Beispielsätze (1) und (2) jeweils die selbe Strukturbeschreibung. Das liegt daran, daß es eine grundlegende Eigenschaft von Mengen ist, daß die Elemente irgendeiner gegebenen Menge den gleichen Status haben, d . h . insbesondere, daß es bei einer Menge nicht auf die Reihenfolge ihrer Elemente ankommt. Will man feinere strukturelle Beschreibungen geben, so m u ß man einen Begriff der O r d n u n g einführen, die zwischen den Elementen einer Menge besteht. D a z u f ü h r t man zunächst den Begriff des geordneten Paares folgendermaßen ein: Ein geordnetes Paar mit a als erster K o m p o n e n t e und b als zweiter K o m p o n e n t e , (a,b) ist gleich der Menge { {a}, {a,b} }. Diese Menge hat genau zwei Elemente, nämlich {a} und {a,b}; dasjenige Element, das zu beiden dieser Mengen gehört, sei die erste K o m p o n e n t e des geordneten Paares, das verbleibende Element, also b, ist dann die zweite K o m p o n e n t e . Aus jedem geordneten Paar (x,y)

110

//. Spracbstrukturen

kann man die eindeutig bestimmte Menge rekonstruieren, durch die es definiert ist und umgekehrt. Geordnete n-tupel sind geordnete Paare aus einem Element und einem geordneten (n - l)-tupel, wodurch der Begriff des geordneten n-tupels oder der n-stelligen Folge auf die Definition des geordneten Paares zurückgeführt ist. Mit diesem Begriff der Folge lassen sich die Beispiele zufriedenstellender analysieren; (1) und (2) erhalten so verschiedene strukturelle Beschreibungen. Mit Hilfe des Begriffs des geordneten Paares läßt sich der Begriff der z w e i s t e l l i g e n Relation folgendermaßen einführen: Eine Relation wird aufgefaßt als eine Menge, deren Elemente geordnete Paare sind. Z . B . kann die ,Vater von'-Relation dargestellt werden als eine Menge von geordneten Paaren, deren erste Komponente jeweils ein Element der Menge derjenigen Individuen ist, die Vater von irgend jemandem sind, und deren zweite Komponente jeweils ein geeignetes Element aus der Menge derjenigen Individuen ist, die Nachkommen von irgend jemandem sind. Relationen lassen sich dann auch definieren zwischen Mengen. Im Beispiel besteht zwischen der Menge der Nominalausdrücke und der Menge der Namen die Relation der Inklusion; alle Elemente der Menge der N a m e n sind gleichzeitig auch Elemente der Menge der Nominalausdrücke, aber nicht umgekehrt. Die Menge aller ersten Komponenten einer zweistelligen Relation heißt ihr Vorbereich, die Menge aller ihrer zweiten Komponenten heißt ihr Nachbereich. Nennen wir die Menge, die den Vorbereich einer zweistelligen Relation R kennzeichnen, V, und nennen wir die Menge, die den Nachbereich dieser Relation kennzeichnet, N , so können wir auch sagen: R ist aus dem kartesischen Produkt von V und N , geschrieben V x N ; das kartesische Produkt ist folgendermaßen definiert: A Χ Β = de f {(x,y) |x 6 Α und y e B}. Man kann z . B . , um bei der ,Vater von'-Relation zu bleiben, das kartesische Produkt über der Menge der Individuen I mit sich selbst bilden, I Χ I; man sieht dann, daß die ,Vater von'-Relation eine U n termenge aus der Menge der geordneten Paare I Χ I ist. Mit dem so gewonnenen Instrumentarium können die Beispiele weiter analysiert werden; die ,Subjekt von'-Relation kann z . B . angegeben werden als eine Menge von geordneten Paaren, deren erste Komponente jeweils ein N o minalausdruck ist, deren zweite Komponente jeweils ein Satz ist, in dem dieser Nominalausdruck vorkommt und bestimmte Charakteristika aufweist (die je nach vorliegender Sprache unterschiedlich sein können, ζ. B. m u ß er im Deutschen in der Nominativform stehen, im Englischen vor dem Verb usw.). Für einige immer wiederkehrende Eigenschaften von Relationen sind Benennungen nützlich: (a) Relationen, die Teilmengen des kartesischen

Produktes zweier verschiedener Mengen Μ 1 und Μ 2 sind: R £ Μ 1 x Μ 2. Eine solche Relation heißt linkstotal genau dann, wenn sie jedem Element aus der Menge Μ 1 mindestens ein Element aus der Menge Μ 2 zuweist, sie heißt rechtstotal, wenn für alle Elemente aus Μ 2 gilt, daß sie mindestens einem Element aus Μ 1 zugewiesen werden; ist eine Relation sowohl links- als auch rechtstotal, so heißt sie bitotal; eine solche Relation heißt linkseindeutig, wenn für alle χ aus Μ 1 und für alle ζ aus Μ 1 und für alle y aus Μ 2 gilt, daß aus χ R y und ζ R y folgt, daß χ mit ζ indentisch ist; eine solche Relation heißt rechtseindeutig, wenn für alle χ aus Μ 1 und für alle y und alle ζ aus Μ 2 gilt, daß aus χ R y und χ R ζ folgt, daß y mit ζ identisch ist. Ist eine Relation sowohl linkseindeutig als auch rechtseindeutig, so heißt sie umkehrbar eindeutig oder eineindeutig. Diese Eigenschaften sind grundlegend für die Definition der verschiedenen Abbildungsbegriffe. (b) Relationen, die Teilmengen des kartesischen Produktes einer Menge mit sich selbst sind: Eine solche zweistellige Relation ist reflexiv, wenn für alle χ gilt: χ R x; eine solche Relation ist symmetrisch, wenn aus χ R y folgt: y R x. Eine solche Relation ist asymmetrisch, wenn für alle χ und y gilt, daß aus χ R y folgt, daß nicht gilt: y R x. Eine solche Relation ist identitiv oder antisymmetrisch, wenn für alle χ und für alle y gilt, daß aus χ R y und y R χ die Identität von χ und y folgt; sie ist linear, oder konnex, wenn für alle χ und f ü r alle y gilt, daß entweder χ R y oder y R χ; sie ist transitiv, wenn für alle x, alle y und alle ζ gilt, daß aus χ R y und y R ζ folgt: χ R z. Ist eine Relation sowohl reflexiv als auch symmetrisch als auch transitiv, so nennen wir sie auch eine Äquivalenzrelation. Auf den hier beschriebenen Eigenschaften bauen sich vor allem die Ordnungsstrukturen auf. Mit dem bisher eingeführten Instrumentarium können also einerseits als weitere Möglichkeit der Strukturierung die verschiedenen Arten von Abbildungen eingeführt werden; andererseits können verschiedene Möglichkeiten von Ordnungsstrukturen aufgebaut und auch dadurch eine reichere Strukturierung vorgegebener Mengen erreicht werden. 2.2.

Funktionen

Eine linkstotale, rechtseindeutige Relation f c Μ x Ν heißt Funktion (oder Abbildung). Μ heißt Definitionsbereich der Funktion (auch Argumentbereich), Ν heißt Wertebereich. Eine Funktion wird durch drei Angaben eindeutig festgelegt: die Angabe des Definitionsbereichs, die Angabe des Wertebereichs und die Angabe einer Funktionsvorschrift. So ist ζ. B. die Division eine Funktion, die dadurch charakterisiert ist, daß ihr Definitionsbereich die ganzen Zahlen sind, der

8. Strukturelle

Wertebereich sind die rationalen Zahlen, und die Funktionsvorschrift ist die entsprechende Rechenvorschrift für die Division. Ist eine Funktion bitotal und rechtseindeutig, heißt sie surjektiv (man spricht auch von einer Funktion von einer Menge auf eine Menge); ist eine Funktion linkstotal und eineindeutig, dann nennt man sie injektiv; eine Funktion, die sowohl injektiv als auch surjektiv ist, heißt bijektiv. Dieser Begriff der Funktion wird vor allem für einige spezielle Arten von Grammatiken benötigt, die sich kategorialer Syntaxen bedienen. Die für solche Syntaxen zentralen Begriffe Operator und Operand lassen sich unter Rückgriff auf den hier dargestellten Funktionsbegriff definieren (vgl. Art. 4 und 6.1., ferner Art. 19.9.). Außerdem spielt dieser Funktionsbegriff eine zentrale Rolle in den auf Frege zurückgehenden Bedeutungstheorien, insbesondere in der sogenannten intensionalen Semantik (vgl. Art. 1 und 4). 2.3.

Ordnungen

Einer vorgegebenen Menge wird eine Ordnungsstruktur aufgeprägt, wenn in ihr eine Ordnungsrelation erklärt ist. Das bedeutet im weiteren Sinn, daß es in einer Menge Elemente gibt, die nach bestimmten Gesichtspunkten vergleichbar sind. Eine Relation aus dem kartesischen Produkt einer Menge mit sich selbst, Μ x M, heißt Ordnungsrelation, wenn sie reflexiv, identitiv und transitiv ist; das Paar bestehend aus der Menge Μ und der Relation heißt dann geordnete Menge. Eine solche Relation nennt man oft auch schwache Ordnung, partielle Ordnung oder Halbordnung. Eine zweistellige Relation aus dem kartesischen Produkt einer Menge Μ mit sich selbst heißt eine strikte oder starke Ordnung, wenn die Relation irreflexiv, asymmetrisch und transitiv ist. Das Paar, bestehend aus der Menge Μ und der strikten Ordnung, heißt strikt geordnete Menge. Solche Ordnungsstrukturen sind in der Linguistik einerseits nützlich im Bereich der strukturellen Semantik, so lassen sich etwa Teilstrukturen des Wortschatzes wie zum Beispiel kochend, heiß, warm, lau, kühl, kalt mit Hilfe solcher Ordnungsstrukturen darstellen; andererseits sind die in verschiedenen Syntaxmodellen üblichen Baumdiagramme Beispiele für die Anwendung der mathematischen Theorie der Ordnungsstrukturen. Ein gängiges (Konstituenten-)Baumdiagramm ist z.B.:

/ Det Der

\

Ν

V

Radfahrer

heifit

- / " ΧNP Wrdlhrmpfd

Linguistik

111

Ein solches Diagramm repräsentiert jetzt drei Arten von Informationen über die Struktur eines Satzes: Angabe der grammatischen Kategorie jedes Konstituenten, Darstellung der hierarchischen Gruppierung der Satzteile zu Konstituenten, Darstellung der linearen Ordnung der Konstituenten von links nach rechts. Die Linien in diesem Diagramm werden Kanten oder Zweige genannt; Die Punkte, die durch die Zweige verbunden sind, heißen Knoten; Knoten sind mit Etiketten versehen, die den grammatischen Typ angeben. Was als Etikett in einem solchen Baum fungiert, hängt natürlich von der jeweiligen Sprachtheorie ab. Die Zweige der Kanten in diesem Baumdiagramm sind gerichtete Verbindungen, doch muß dies nicht ausdrücklich, etwa durch einen Pfeil, markiert werden; vielmehr nützt man die vertikale Orientierung auf dem Papier derart aus, daß die Kanten stets als von oben nach unten gerichtet aufgefaßt werden. In der Menge der Knoten eines Baumes können verschiedene Relationen definiert werden: (a) Die Dominanzrelation: Ein Knoten χ dominiert einen Knoten y genau dann, wenn es in dem Baum einen Weg entlang der Richtung der Zweige von χ nach y gibt. Die Dominanzrelation in einem Baum läßt sich also darstellen als die Menge der geordneten Paare von Knoten (x, y) für die gilt, daß χ y dominiert. Die Dominanzrelation ist transitiv; außerdem legt man für Konstituentenstrukturbäume normalerweise fest, daß sie reflexiv und antisymmetrisch ist. Die Dominanzrelation stellt nicht zwischen allen Knoten des Baumes eine Beziehung her. Dazu muß noch eine weitere Relation definiert werden. (b) Die Präzedenzrelation: Die Präzedenz- oder links-rechts-Vorgängerbeziehung ist nur definiert für solche Knoten, die nicht durch die Dominanzrelation geordnet sind. Die Präzedenzrelation ist dann diejenige Menge von geordneten Paaren von Knoten (x, y), von denen gilt, daß χ links von y steht. Wie die Dominanzrelation ist auch die Präzedenzrelation transitiv, doch folgt aus der Festlegung, daß sie nur Paare von Knoten enthält, die nicht in der Dominanzrelation enthalten sind, daß sie nicht als reflexiv festgelegt werden darf, wie die Dominanzrelation. Sie ist vielmehr irreflexiv und asymmetrisch und definiert eine strikte partielle Ordnung in der Menge der Knoten eines Baumes. Man kann einen (Konstituentenstruktur-)Baum dann definieren als ein Quintupel (K, Q , D, Ρ, E), wobei die einzelnen Teile wie folgt erklärt sind: Κ ist eine endliche, nicht leere Menge, die Menge der Knoten; Q ist eine endliche, nicht leere Menge, die Menge der Etikette; D ist eine schwache partielle Ordnung in Κ x K, die Dominanzrelation;

112

II.

Sprachstrukturen

Ρ

ist eine strikte partielle Ordnung in Κ X K , die Präzedenzrelation; Ε ist eine Funktion von Κ in Q , die Etikettierungsfunktion, die den Knoten ihre Etiketten zuordnet. Zusätzlich muß diese Struktur noch folgende drei Bedingungen erfüllen, damit sie ein Baum genannt werden kann: erstens muß es einen Knoten geben, der alle Knoten dominiert. Wir nennen einen solchen Knoten die Wurzel des Baumes, und diese Bedingung heißt Beschränkung auf e i n e Wurzel; zweitens müssen die Dominanzrelation D und die Präzedenzrelation Ρ strikt disjunkt sein; diese Bedingung heißt die Disjunktheitsbedingung; drittens gilt für einen Baum, daß es zu jedem Knoten in diesem Baum höchstens einen anderen gibt, der ihn unmittelbar dominiert, und daß außerdem verboten ist, daß sich Zweige des Baumes kreuzen; dies erreicht man durch eine Bedingung, die lautet: Wenn ein Knoten χ einem K n o ten y vorangeht, dann müssen alle Knoten, die von χ dominiert werden, allen Knoten vorangehen, die durch y dominiert werden. Diese Bedingung nennt man Verwicklungsverbot. Mit Hilfe der Dominanzrelation können bestimmte Knoten ausgezeichnet werden, z . B . der Wurzelknoten, der als Knoten definiert wurde, der in einem Baum alle Knoten dominiert. Wir können aber auch eine andere Menge von Knoten auszeichnen, nämlich diejenigen, für die gilt, daß sie keinen Knoten dominieren außer sich selbst; diese Knoten sollen Blätter heißen. Mit Hilfe der oben gemachten Festlegung über die mathematische Struktur eines Baumes läßt sich jetzt z . B . zeigen, daß die Menge der Blätter eines Baumes durch die Präzedenzrelation Ρ vollständig geordnet ist; der Baum definiert nicht nur die hierarchische Struktur eines Satzes, den er darstellt, sondern auch die lineare Abfolge seiner Teile, jedenfalls dann, wenn man die Präzedenzrelation Ρ zur Darstellung der Wortstellung benutzt. T u t man dies nicht, so muß man eine geeignete Funktion definieren, die aus der Reihenfolge der Blätter eines Strukturbaumes die Reihenfolge der Satzteile in der Oberflächenstruktur eines Satzes herstellt. Solche Bäume wie die hier vorgestellten spielen eine wichtige Rolle in der Konstituentenanalyse (IC-Analyse) des amerikanischen Strukturalismus sowie in generativen Transformationsgrammatiken, die auf Konstituentenstrukturbasis aufbauen.

2.4. Rekursive Definition und axiomatische Systeme Die bisherigen Unterscheidungen betreffen vorgegebene Mengen, denen Strukturen aufgeprägt wurden. Bei der Betrachtung einer Sprache scheint die Annahme jedoch sehr unplausibel zu sein, daß

man eine Sprache darstellen kann als eine vorgegebene Menge ihrer Ausdrücke, die in einer wie auch immer geordneten Liste gegeben ist. Dies wäre nämlich nur dann möglich, wenn die Anzahl der Ausdrücke einer Sprache endlich wäre; es läßt sich jedoch bereits für die Ausdrücke der Kategorie Satz zeigen, daß diese Menge unendlich viele Elemente hat. Aus diesem Grund benötigen wir für eine strukturelle Sprachbeschreibung ein Verfahren, das uns beliebige Elemente einer bestimmten Menge von Ausdrücken einer Sprache generiert, auch wenn diese Menge nicht endlich viele Elemente hat. Ein solches Verfahren ist eine rekursive Definition des Begriffs „ E l e m e n t einer bestimmten M e n g e " : Eine rekursive Definition besteht aus drei Schritten, nämlich einem Rekursionsanfang, in dem mindestens ein Element der zu definierenden Menge vorgegeben wird; zweitens aus dem Rekursionsschritt, d . h . der Angabe eines Verfahrens, mit dessen Hilfe man von einem Element der in Frage stehenden Menge zu einem anderen O b jekt gelangen kann, das wiederum ein Element der in Frage stehenden Menge ist; dieser Rekursionsschritt ist von der Form ,wenn χ ein Element einer bestimmten Menge Μ ist, dann ist auch das Resultat der Anwendung der Rekursionsvorschrift auf χ ein Element einer bestimmten Menge M ' ; drittens gehört zu einer rekursiven Definition einer Menge eine sogenannte Abschlußklausel, die festlegt, daß nichts ein Element der gesuchten Menge ist, außer den O b j e k t e n , die dies gemäß Klausel 1 und Klausel 2 der rekursiven Definition sind. Ein Beispiel für die Anwendung rekursiver Definitionen ist etwa die Menge der positiven Zahlen, die man so festlegen kann, daß man sagt: 1 ist eine ganze Zahl, das wäre die Basis der Rekursion, zweitens: wenn χ eine ganze Zahl ist, dann ist auch der Nachfolger von χ eine ganze Zahl, das wäre der Rekursionsschritt; drittens schließlich der Rekursionsabschluß, nichts sonst ist eine positive ganze Zahl. Auch die Syntax formaler Sprachen wird gewöhnlich durch rekursive Definitionen aufgebaut, so läßt sich zum Beispiel die Syntax der Aussagenlogik folgendermaßen angeben: 1. a ist ein einfacher Satz der Aussagelogik ( A L ) ; 2. a ) wenn χ ein einfacher Satz von A L ist, so ist x ' ein einfacher Satz von A L , b) wenn χ ein Satz von A L ist, so ist —ι (χ), die Negation von x, ein Satz von A L , c ) wenn χ und y Sätze von A L sind, dann ist χ λ y, die Konjunktion von χ und y, ein Satz von A L ; 3. nichts sonst ist ein Satz von A L . Man beachte dabei, daß sich alle anderen J u n k toren unter Rückgriff auf Negation und K o n j u n k tion definieren lassen, so daß natürlich auch x v y etc. Sätze der Aussagelogik sind. Eine ähnliche logische Struktur, wie wir sie bei der rekursiven Definition kennengelernt haben,

8. Strukturelle Linguistik weisen die sogenannten axiomatischen Systeme auf. Ein axiomatisches System läßt sich darstellen als ein Tripel (A, S, P), wobei Α eine Menge von Symbolen ist, das Alphabet, S eine Menge von ausgezeichneten Verkettungen über diesem Alphabet, die Axiome, und Ρ eine Menge von Regeln, sogenannten Produktionen oder Schlußregeln. Diese Schlußregeln gestatten es, aus den Axiomen weitere Ketten zu erzeugen, die sogenannten Theoreme des axiomatischen Systems. Von einem erweiterten axiomatischen System spricht man dann, wenn es nicht ein einfaches Alphabet gibt, sondern wenn es ein Grundvokabular und ein Hilfsvokabular gibt. Die Form der Projektionen oder Schlußregeln in solchen axiomatischen Systemen kann dann formal beschränkt werden, wodurch man verschiedene Typen von axiomatischen Systemen erhält. Solche axiomatischen Erzeugungssysteme liegen den verschiedenen Grammatiken der sogenannten Chomsky-Hierarchie zugrunde, vor allem handelt es sich dabei um mehr oder weniger geringe Abwandlungen von sogenannten Semi-Thue-Systemen. Dazu ausführlich Wall 1973, insbes. Bd. 2. 3. Hauptströmungen

der strukturellen

Linguistik

Bei dem folgenden knappen Überblick über wichtige Vertreter der strukturellen Linguistik soll vor allem gezeigt werden, wie sie den Begriff der sprachlichen Struktur explizieren und wie sich die Mittel, die sie dabei verwenden, in die oben gegebene Darstellung der Strukturierungsmöglichkeiten einordnen lassen. 3.1.

Ferdinand

de

Saussure

Die grundlegende Richtungsänderung, die die Sprachwissenschaft durch das Wirken Saussures erfahren hat, ist nur verstehbar durch Vergleich mit der Sprachwissenschaft vor Saussure. Seit den siebziger Jahren des 19. J h . dominierten die Junggrammatiker. Diese faßten im Gegensatz zu ihren Vorgängern, etwa Bopp und Grimm (vgl. Art. 7), die Sprachveränderung, deren Erforschung im Zentrum ihrer Bemühungen stand, nicht mehr als einen organischen Prozeß auf, sondern sie legten diesen Veränderungen Lautgesetze zugrunde, die sich nicht nur an der Beobachtung von Sprachzeugnissen vergangener Sprachstadien gewinnen ließen, sondern die auch in jeder lebenden Sprache als Prinzip weiterer Veränderungen zu beobachten waren. Hauptforschungsobjekt waren damit die Sprachzeugnisse, d . h . einzelne Äußerungen einzelner Sprecher bzw. Schreiber. Diese unter dem Einfluß des frühen Positivismus stehende wissenschaftliche Haltung führt jedoch zu dem Problem, daß diese Sichtweise Sprache reduziert auf die Gesamtheit aller Äußerungen, die von einer bestimm-

113

ten Gruppe von Menschen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt-zufällig-hervorgebracht ist, bzw., für weiter zurückliegende Sprachstadien - noch zufälliger-, schriftlich niedergelegt oder mündlich überliefert ist. Demgegenüber stellte Saussure, der die Sprachgeschichte als Abfolge von verschiedenen Zuständen eines Sprachsystems faßte, zunächst die Zweiteilung der Sprachwissenschaft in eine synchronische, die die einzelnen Sprachstadien zu beschreiben hat, und eine diachronische, die die Abfolge der synchronisch beschriebenen Zustände thematisiert. In bewußter Abkehrung von dem Vorgehen der Junggrammatiker wird dabei nicht eine Menge von Äußerungen in den Mittelpunkt gestellt; Saussure geht es vielmehr um das System, das diesen Äußerungen zugrunde liegt. Die einzelnen Äußerungen, die der Ebene des Sprechens (der parole) angehören, sind damit nicht mehr zentraler Gegenstand der Sprachwissenschaft; diese wird neu bestimmt als eine Systemwissenschaft, die auf der abstrakten Ebene der langue angesiedelt ist. Von dieser wiederum zu unterscheiden ist die Sprechfähigkeit (faculte de langage). Die so neu bestimmte Wissenschaft sieht damit die Sprache nicht mehr als eine bloße Ansammlung von Äußerungen an, sondern als ein System von Elementen und deren Beziehungen untereinander. Das Verhältnis von langue und parole verdeutlicht Saussure selbst am Beispiel der Symphonie im Vergleich zu den verschiedenen, unter Umständen fehlerhaften Aufführungen dieser Symphonie. Die Unterscheidung zwischen einerseits dem Sprachsystem, über das ein Sprecher verfügen kann, und andererseits seinem Gebrauch, den er von diesem System in jeweiligen parole-Aktualisierungen macht, hat sich in der Folgezeit als äußerst fruchtbarer Ansatz für die Sprachwissenschaft erwiesen, auch wenn die Unterscheidung nicht immer unproblematisch ist; auch Saussure selbst fiel an einigen Stellen der Verwechslung zum Opfer, in der methodologischen Unterscheidung zwischen langue und parole eine reale Unterscheidung zu sehen, so in seinem Diktum: D e r Satz ist der Haupttypus der Anreihung, aber er gehört dem Sprechen (parole) an und nicht der Sprache (langue). Der zweite wesentliche Gesichtspunkt der Saussurschen Theorie ergibt sich aus seiner Bestimmung der Sprachwissenschaft als Wissenschaft von der abstrakten langue: Wenn der Sprachwissenschaftler nicht mehr aktuale Äußerungen zu beschreiben hat, sondern ihnen zugrunde liegende (oder zugrunde gelegte) abstrakte Strukturen, dann kann er keine physikalische Beschreibung mehr geben. Er muß vielmehr Sprache beschreiben als eine Menge, deren Einheiten in vielfältigen Relationen zueinander stehen; eine einzelne Einheit ist dann zu beschreiben, indem man aufzeigt, an welcher Stelle in dem Beziehungsgefüge der langue sie

114

II.

Sprachstrukturen

steht. Saussure verdeutlicht dies am Beispiel des Schachspiels, w o eine F i g u r nicht g e k e n n z e i c h n e t ist d u r c h ihre F o r m o d e r ihr Material, s o n d e r n lediglich d u r c h ihre Stellung in d e m d u r c h die Regeln des Schachspiels vorgegebenen Beziehungsgefüge. D i e einzelnen Einheiten im Sprachsystem sind nach der T h e s e Saussures somit n i c h t als substantiell definierte E l e m e n t e z u b e s c h r e i b e n , sond e r n d a d u r c h , d a ß m a n ihren W e r t , ihre A b g r e n z u n g gegen ü b e r den a n d e r e n Einheiten des Systems beschreibt, d . h . d u r c h ihre negativen, nicht d u r c h ihre positiven Eigenschaften. So ist f ü r die d e u t schen V e r b e n reiten u n d leiten gleichgültig, wie der jeweilige anlautende K o n s o n a n t ausgesprochen w i r d , es ist vielmehr e n t s c h e i d e n d , das / l / u n d Irl verschiedene W e r t e im L a u t s y s t e m des D e u t s c h e n h a b e n . D a ß dies aus d e m System des D e u t s c h e n h e r r ü h r t u n d nicht einfach eine p h o n e tische T a t s a c h e ist, ergibt sich aus d e m Vergleich mit d e m System des J a p a n i s c h e n , w o [1] u n d [r] keinen unterschiedlichen p h o n e m i s c h e n W e r t haben. D e r wesentliche U n t e r s c h i e d z w i s c h e n der Sprache u n d a n d e r e n S y s t e m e n , wie d e m Schachspiel, ist n u n , d a ß die Einheiten des Sprachsystems Zeichen sind. Zeichen ist dabei f ü r Saussure eine V e r b i n d u n g eines L a u t b i l d s m i t einer Vorstellung. Diese V e r b i n d u n g ist u n t r e n n b a r : W i e m a n die Vorderseite eines Papierblattes nicht zerschneiden k a n n , o h n e die Rückseite z u z e r s c h n e i d e n , so k a n n man eine sprachliche S e q u e n z nicht a u s d r u c k s seitig segmentieren, o h n e zugleich auch die I n haltsseite z u segmentieren. In vielen Fällen liefert sogar gerade die Inhaltsseite Kriterien d a f ü r , wie auf der Zeichenaußenseite segmentiert w e r d e n m u ß . W i e die T a t s a c h e des B e d e u t u n g s w a n d e l s zeigt, ist jedoch die V e r b i n d u n g zwischen Zeichenaußenseite (signifiant) u n d Zeicheninnenseite (signifie) n i c h t u n v e r ä n d e r b a r ; sie ist nicht n a t u r gegeben, s o n d e r n implizit v e r e i n b a r t , k o n v e n tionell. E i n e der V o r a u s s e t z u n g e n d a f ü r ist die Beliebigkeit der V e r b i n d u n g von Z e i c h e n a u ß e n seite u n d Zeicheninhaltsseite, auf w e l c h e m „ i r r a tionalen P r i n z i p " das ganze System d e r Sprache b e r u h t ; diesem P r i n z i p der Beliebigkeit, d a ß z u einer ä u ß e r s t e n K o m p l i z i e r u n g der Sprache f ü h r e n w ü r d e , w i r k t ein anderes P r i n z i p d e r O r d n u n g u n d der Regelmäßigkeit entgegen, die relative M o tiviertheit von sprachlichen Z e i c h e n . A m Beispiel einer G e g e n ü b e r s t e l l u n g m a g das verdeutlicht w e r d e n : D a ß d e r Schnaps Schnaps h e i ß t , d a ß das Glas Glas heißt, d a f ü r gibt es keine B e g r ü n d u n g ; dies illustriert die Beliebigkeit der V e r b i n d u n g . D a ß aber ein Glas, das m a n regelmäßig z u m G e n u ß v o n Schnaps b e n u t z t , n i c h t klawunft heißt, s o n d e r n Schnapsglas, d a f ü r gibt es sehr w o h l G r ü n d e d e r Ö k o n o m i e , u n d das illustriert die relative Motiviertheit d e r V e r b i n d u n g . D i e O r d n u n g dieser Zeichen im S p r a c h s y s t e m

läßt sich nach Saussure v o r allem d u r c h zwei A r t e n v o n B e z i e h u n g e n darstellen, nämlich die s y n tagmatische B e z i e h u n g u n d die assoziative Bez i e h u n g , die als paradigmatische B e z i e h u n g später z u m linguistischen A l l g e m e i n g u t w u r d e . D i e s y n t a g m a t i s c h e B e z i e h u n g ist dabei die B e z i e h u n g zwischen sprachlichen Zeichen i n n e r h a l b einer K e t t e ; dabei ist v o n b e s o n d e r e r W i c h t i g k e i t , o b die jeweiligen A n r e i h u n g e n frei sind o d e r nicht u n d inwieweit d e r K o n t e x t weitere A n r e i h u n g e n in ihrer Freiheit e i n s c h r ä n k t . K o m p l i z i e r t e r z u erläutern ist das, was bei Saussure selbst u n t e r assoziative B e z i e h u n g gefaßt w i r d ; nach Saussure „assoziieren sich a u ß e r h a l b des g e s p r o c h e n e n Satzes die W ö r t e r , die irgend etwas u n t e r sich gemein h a b e n [ . . . ] u n d so bilden sich G r u p p e n , i n n e r h a l b d e r e n sehr verschiedene B e z i e h u n g e n h e r r s c h e n . " So steht z . B . das W o r t Belehrung einerseits in einer assoziativen B e z i e h u n g z u Erziehung, Unterricht, Ausbildung u s w . , d e n n letztere k ö n n e n an seiner Stelle in d e m Satz Hans hat eine Belehrung nötig, stehen, o h n e dessen g r a m m a t i s c h e S t r u k t u r zu v e r ä n d e r n , w o b e i a u c h die B e d e u t u n g n u r m a r ginal g e ä n d e r t w i r d . Andererseits steht aber Belehrung in assoziativer B e z i e h u n g z u belehren, lehren u s w . , z u Bekehrung, Bescherung, Bewährung u s w . , zu Erklärung, Beschreibung, Vertreibung u s w . D e r W e r t des Lexems Belehrung im System d e r d e u t s c h e n Sprache ergibt sich d a n n nach Saussure aus den assoziativen B e z i e h u n g e n u n d d e n möglichen s y n t a g m a t i s c h e n B e z i e h u n g e n , in d e n e n es stehen k a n n . D i e Z u r ü c k f ü h r u n g sprachlicher S t r u k t u r e n auf diese beiden G r u n d t y p e n v o n Relationen beinhaltet auch eine H y p o t h e s e ü b e r die menschliche Fähigkeit, sich ein s p r a c h liches System a n z u e i g n e n ; d e n n die A n e i g n u n g eines solchen Systems wird möglich lediglich auf G r u n d der B e h e r r s c h u n g v o n zwei T y p e n v o n O p e r a t i o n e n , nämlich d e r S e g m e n t i e r u n g s p r a c h licher Ä u ß e r u n g e n (auf verschiedenen E b e n e n ) u n d der Klassifizierung der d u r c h die Segmentier u n g ermittelten Einheiten. Saussures H a u p t v e r d i e n s t ist es zweifellos, die o b e n skizzierten G e d a n k e n als erster in einen theoretischen Z u s a m m e n h a n g gebracht z u h a b e n . D i e s e r erste E n t w u r f beeinflußte die weitere E n t w i c k l u n g d e r Sprachwissenschaft in zweierlei H i n s i c h t : Z u n ä c h s t w a r ein P r o g r a m m f ü r die k o n k r e t e Analyse einzelner S p r a c h s y s t e m e v o r gegeben; bei diesen A n a l y s e n ergaben sich P r o b l e m e , z u d e r e n L ö s u n g es n o t w e n d i g w u r d e , bes t i m m t e Begriffe der Saussureschen T h e o r i e z u interpretieren b z w . w e i t e r z u präzisieren. D i e s b e t r i f f t v o r allem die assoziative u n d die syntagmatische Relation, die einerseits inhaltlich n ä h e r z u b e s t i m m e n w a r e n , als sie es bei Saussure sind, die andererseits auch in ihren f o r m a l e n Eigenschaften n o c h nicht geklärt w a r e n ; andererseits ergaben sich zahlreiche P r o b l e m e im Z u s a m m e n -

8. Strukturelle

hang mit dem Saussureschen Zeichenbegriff, vor allem bei der Analyse polysemer und homonymer Sprachzeichen. Aus der Ausarbeitung des ersten Aspekts, also der weiteren Klärung der verschiedenen Relationen, ergab sich die Bildung verschiedener strukturalistischer Schulen, deren bedeutendste die Prager, die Kopenhagener und die auch von der behavioristischen Psychologie beeinflußte amerikanische Schule des Distributionalismus waren (dazu 3.2. ff. zu den mit dem Zeichenbegriff zusammenhängenden Problemen und deren Geschichte vgl. Art. 13). Die über eine immanente Strukturbeschreibung hinausgehenden theoretischen Ansätze Saussures wurden zunächst wenig rezipiert und werden erst in jüngster Zeit wieder aufgenommen. 3.2. Die Prager

Schule

Das Hauptarbeitsfeld des Prager Linguistenkreises - als wichtigste sind zu nennen N. S. Trubetzkoy, R. Jakobson, S. Karcevskij sowie V. Mathesius, D. Trnka, J. Vachek - lag auf den Gebieten der Phonologie und der Morphologie; wichtig war darüber hinaus die Betrachtung der Sprache unter einem funktionalistischen Aspekt, was die Vorschläge K. Bühlers, der in loser Verbindung mit dem Prager Kreis stand, aufgreift und vertieft. Das wichtigste Verdienst der Prager Schule ist aber der Ausbau der Phonologie. Trubetzkoys 1939 erschienenes Buch „Grundzüge der Phonologie", das die Konzeption der Prager Schule darlegt, wurde zum Standardwerk der vor-generativen Phonologie. Zentrum der Untersuchungen waren die Phoneme, denen die kleinsten Elemente des Schallstroms einer Äußerung entsprechen (vgl. Art. 6 u. 10). Diese sind schon bei Saussure nicht bestimmt durch ihre lautliche Substanz, sondern durch ihre Stellung im System. Für die systematischen Beziehungen zwischen Phonemen im Sprachsystem führten die Prager den Terminus Opposition ein. Bei der näheren Bestimmung jeweiliger Oppositionen stellt sich nun heraus, daß einige der Bestimmungsstücke dieser Oppositionen, wie z.B. stimmhaft vs. stimmlos, Nasal vs. Reibelaut usw. immer wiederkehren. Dies führte dazu, daß man diese Bestimmungsstücke als phonologische Merkmale auffaßte, was es erlaubte, die Phoneme aus diesen Merkmalen als Merkmalsbündel zu rekonstruieren. Damit läßt sich die Zahl der Grundelemente, die man zum Aufbau eines Lautsystems benötigt, drastisch reduzieren. Die späteren Forschungen Jakobsons haben ergeben, daß man für eine allgemeine Phonologie etwa ein Dutzend Merkmale benötigt, von denen jedoch einige nicht in allen Sprachen relevant sind. Diese Merkmale sind insofern hierarchisch geordnet, als nur einige von ihnen, so etwa vokalisch, konsonantisch, dental, labial in allen Sprachen vorkommen;

Linguistik

115

andere Merkmale kommen nur in manchen Sprachen vor und setzen das Vorhandensein dieser Grundmerkmale dann voraus. Rein theoretisch gesehen kann man nun mit n-Merkmalen 2" Phoneme konstruieren; diese extreme Ökonomie wird jedoch in keiner Sprache angetroffen. Dies läßt sich dadurch erklären, daß nicht allen kombinatorisch möglichen Merkmalskombinationen sinnvolle akustische Einheiten zugeordnet werden können. An dieser Stelle zeigt sich also, daß das völlige Absehen von der Lautsubstanz unangemessen ist. Die Ausarbeitung der phonologischen Merkmale ermöglicht es, die Phoneme beliebiger verschiedener Sprachen in einem einheitlichen System zu klassifizieren, wodurch eine kontrastive Phonologie möglich wird, die für den Fremdsprachenunterricht sehr wichtig ist. Ein zweites wichtiges Arbeitsgebiet der Prager war die Erforschung der morpho(pho)nologischen Struktur. Ein Morphonem ist (nach Bierwisch 66, 91) eine abstrakte Einheit, die alternierenden Phonemen zugrunde liegt und unter bestimmten Bedingungen in der einen oder anderen konkreten Gestalt erscheint. Als Beispiel kann man im Deutschen Alternationen wie König, Könige, willig, willige und ähnliche betrachten, in denen [x] und [g] auf ein gemeinsames Morphonem G zurückgehen, das dann im Wortauslaut nach i als [x] realisiert wird, ansonsten als [g]. Das heißt, daß hinter der schon abstrakten Ebene der Phoneme eine noch abstraktere Strukturebene anzusiedeln ist, die der Morphoneme. Dieses Konzept der Morphonologie hat durch die Vermittlung Roman Jakobsons die amerikanische Phonologie entscheidend beeinflußt, insbesondere Halle und Chomsky. Die Prager Schule hat also den strukturellen Programmentwurf Saussures auf dem Gebiet der Phonologie weitgehend realisiert, indem sie die Bestimmung der Phoneme als Systemeinheiten und die Relationen zwischen diesen Phonemen klärte. 3.3. Die Kopenhagener

Schule

Hauptmerkmale der Kopenhagener Schule, die 1933/34 von Bröndal und Hjelmslev gegründet wurde, sind einerseits, in Nachfolge Saussures, die Konzentration auf die Form, andererseits, vor allem von Bretndal beeinflußt, ein hohes Methodenbewußtsein, das zu einer sehr exakten, fast mathematischen Beschreibungsweise führte. Hauptwerk war Hjelmslevs ,,Omkring sprogteoriens grondlaeggelse", in der er die Theorie der Glossematik aufbaute. Die Saussuresche Gegenüberstellung von Inhalt und Ausdruck verallgemeinert Hjelmslev zunächst zu den Begriffen Inhalts- und Ausdrucksebene der Sprache. Für beide Ebenen unterscheidet er dann zwischen Form und Substanz und weist der Linguistik die Untersuchung der Beziehungen zwischen Inhaltsform und

116

II. Spracbstrukturen

Ausdrucksform zu. Dies wird damit begründet, daß die Substanz sowohl auf der Inhalts- als auch auf der Ausdrucksebene nur durch die Form erschlossen werden kann. Die formale Struktur sprachlicher Ausdrücke nennt Hjelmslev eine Kette. Eine Zeichenkette setzt sich dann zusammen aus einer Kette auf der Inhaltsebene und einer Kette auf der Ausdrucksebene, deren Elemente jeweils dem Sprachsystem entnommen sind. Das Verhältnis zwischen System und Kette entspricht also ungefähr dem zwischen Grammatik einer Sprache einerseits und den Sätzen andererseits. Zwischen den Komponenten, in die sich die Sätze zerlegen lassen, und den Klassen und Teilklassen von Elementen, aus denen sich das System aufbaut, bestehen nach Hjelmslev Relationen, die sich sehr allgemein charakterisieren lassen, indem man sie auf drei Grundtypen von Relationen zurückführt. Relationen zwischen Elementen im Sprachsystem nennt Hjelmslev Funktionen, und die zwei Elemente, die in einer Beziehung stehen, nennt er Funktive. Ist ein Funktiv notwendige Voraussetzung für die Anwesenheit eines anderen Funktivs, dann ist es eine Konstante; das nicht notwendige Funktiv ist eine Variable. Damit lassen sich jetzt die drei Arten von Relationen unterscheiden, nämlich die Interdependenz als Beziehung zwischen zwei Konstanten, die Determination als Beziehung zwischen einer Konstanten und einer Variablen und die Konstellation als Beziehung zwischen zwei Variablen. Diese drei Grundfunktionen wendet Hjelmslev einerseits an zur Beschreibung der Beziehungen zwischen den verschiedenen Strata seiner Theorie, also der Inhaltssubstanz und Inhaltsform einerseits und der Ausdruckssubstanz und Ausdrucksform andererseits, er wendet sie aber auch an auf die Beziehung zwischen den Elementen in sprachlichen Ausdrücken, z . B . in der Analyse von Sätzen (Beispiel nach Vater 75):

D

Ε Η

Das

alte

F I I

Haus

irrfiel

G

rasch

In diesem Beispiel wären nach Hjelmslev b und c jeweils Konstanten, zwischen denen dann das Verhältnis der Interdependenz besteht; d determiniert e (Bierwisch setzt hier eine Interdependenz an), h determiniert i, e determiniert f. Die kleinsten Elemente, in die sich ein Text zerlegen läßt, heißen die Glosseme. Entscheidend für die

weitere Entwicklung ist der Gedanke Hjelmslevs, auf der Inhaltsseite nicht bei der Zerlegung in Zeichen stehen zu bleiben, sondern diese durch sogenannte Inhaltsfiguren zu beschreiben; dieser Gedanke wurde später auch in der semantischen Komponente der Generativen Grammatik aufgegriffen. Als ein Beispiel solcher Inhaltsfiguren mag das Wort Hengst dienen, das Hjelmslev zerlegt in er + Pferd, oder Frau, das er zerlegt in sie + Mensch. Scheinbar geht Hjelmslev dabei nur soweit, wie für die kleineren Inhaltseinheiten, aus denen sich diese Figuren zusammensetzen, in der entsprechenden Sprache Wörter vorhanden sind. Dies wird heute normalerweise nicht mehr angenommen, wodurch jedoch der Status dieser sogenannten semantischen Merkmale problematisch wird. Heeschen 1972, 69, meint: „Ihre (der Glossematik) Bedeutung für den europäischen Strukturalismus dürfte darin liegen, daß sie in nie wieder erreichter Schärfe und Präzisierung den de Saussureschen Ansatz radikalisiert und somit für die europäische Linguistik Maßstäbe gesetzt hat, die von dieser nicht ignoriert werden können, so lange sie sich als strukturalistisch in der Tradition de Saussures betrachtet." Vater 1975 weist darauf hin, daß die Schärfe der Formalisierung und der Definitionen teilweise erkauft wurde durch das Ausklammern aller sozialen Zusammenhänge, die in der Saussureschen Theorie noch eine verhältnismäßig große Rolle spielten. 3.4. Der amerikanische (Distributionalismus)

Strukturalismus

Eine der wesentlichen Aufgaben der amerikanischen Sprachforscher am Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts war die Erforschung nordamerikanischer Indianersprachen, von Sprachen also, die sie selbst nicht beherrschten und die in ihrer Struktur von den indoeuropäischen Sprachen stark verschieden waren. Dafür mußten neue Analysemethoden entwickelt werden; so konnte man ζ. B. bei der Definition des Phonems nicht auf die Inhaltsseite des Zeichens zurückgreifen, da der untersuchende Linguist die Sprachen selbst nicht beherrschte. Dies traf sich mit einer Haltung, die der damals in Amerika vorherrschenden Richtung der Psychologie des Behaviorismus entsprang, nämlich einem radikalen Antimentalismus: Alle mentalistischen Aussagen, also alle Feststellungen, die nicht unmittelbar am beobachtbaren Verhalten der Sprecher überprüft werden können, gelten als fiktiv und als wissenschaftlich unzulässig. Am radikalsten hat dies Bloomfield, der Begründer des amerikanischen Strukturalismus, formuliert. Die Bedeutung wird in der Tradition des Behaviorismus auf ein Reiz-Reaktions-Schema zurückgeführt, wobei sich drei Phasen unterscheiden las-

8. Strukturelle

sen, nämlich a) praktische Ereignisse, die dem Sprechakt vorausgehen und unter Umständen stimulieren, b) der Sprechakt selbst und c) die praktischen und beobachtbaren Ereignisse, die dem Sprechakt folgen und von ihm stimuliert sind. Nach Bloomfield hat nun der Linguist nur beobachtenden Zugang zu b), wohingegen die „praktischen Ereignisse", z.B. die Situation des Sprechers, aus der die Stimuli für seinen Sprechakt erklärt werden könnten, oder die Reaktion des Hörers als Reaktion auf den Sprechakt, physiologischer bzw. psychologischer Natur und damit nicht direkt beobachtbar sind. Mit dieser Begründung wird von Bloomfield die Bedeutung als Gegenstand der linguistischen Analyse ausgeschlossen. Wenn der Linguist nicht mehr über die Bedeutung verfügt, um sie als Kriterium etwa für die Bestimmung des Phonems oder für die Segmentierung sprachlicher Äußerungen zu verwenden, so muß zum Ersatz dieser Methoden ein rein formales Verfahren angegeben werden, um diese Operationen vorzunehmen. Dies wird in Harris 1951 ausführlich dargelegt. Dieses Verfahren beruht einerseits darauf, daß der Linguist in den ihm vorliegenden Äußerungen zunächst immer wiederkehrende Segmente herauspräpariert. Darüber hinaus muß nun darauf geachtet werden, welche dieser herauspräparierten Sequenzen wiederholt vorkommen und in welcher Umgebung, d. h. mit welchen anderen Sequenzen zusammen sie vorkommen. Das heißt, er muß die Distribution der als Elemente vermuteten Sequenzen ermitteln, daher der Name. Wir haben hier also wieder die beiden Grundoperationen, die schon bei Saussure anzutreffen waren, nämlich Segmentieren und Klassifizieren. Das Problem der distributionalistischen Analyse liegt offensichtlich vor allem darin, daß bei der Klassenbildung, die nach Distributionen erfolgt, die Gefahr der Zirkularität besteht, weil eine Form Α bestimmt wird als etwas, was zusammen mit Β vorkommt und Β als etwas bestimmt wird, was zusammen mit Α vorkommt. In der sogenannten hocus-pocus versus God's truthDiskussion wurde im Distributionalismus erstmals das Problem breiter diskutiert, ob der Linguist die Struktur, die die Sprache hat, beschreibt, oder ob er ihr lediglich eine Struktur zuordnet, die dann den Status einer bequemen Konvention für die Darstellung dieser Sprache hat. J. 5. Die zeichentheoretisch Lexikologie

fundierte

Aus den bereits in 3.1. angedeuteten Schwierigkeiten des Zeichenbegriffs von Saussure bei der Beschreibung von Phrasen, die polyseme oder homonyme Sprachzeichen enthalten, entstand eine Forschungsrichtung, die sich in besonderem Maße der theoretischen Grundlagen, insbesondere

Linguistik

117

des Zeichenbegriffs annahm (vgl. Art. 13). Ausgehend von verfeinerten Zeichenbegriffen wurde dann versucht, den Wortschatz einer Sprache als strukturiertes System darzustellen, auch unter dem Einfluß der Hjelmslevschen Theorie. Dabei zeigte sich relativ deutlich, daß die adäquate Beschreibung der Struktur des Wortschatzes einen sehr viel komplizierteren Beschreibungsapparat voraussetzte, als es die oppositiven Relationen der Prager Schule, die sich in der Phonologie als so fruchtbar erwiesen, oder die drei Grundrelationen bei Hjelmslev sind. Damit trat auch ein anderer wesentlicher Gesichtspunkt deutlich an den Tag: Hatten sich bisher die Linguisten weitgehend damit begnügt, die Beziehungen zwischen den Elementen des Sprachsystems inhaltlich zu kennzeichnen, ohne sich allzusehr um die mathematischen Eigenschaften dieser Relationen zu kümmern, wobei man jedoch die Kopenhagener Schule ausdrücklich ausnehmen muß, so war dies nun nicht mehr möglich. Waren die bisher verwendeten relationalen Beschreibungen wegen der Einfachheit der darin zugrunde gelegten Operationen noch ohne genauere Erforschung der mathematischen Eigenschaften dieser Relationen beherrschbar, so zeigte sich nun, daß ein Relationensystem, das einen so komplexen Bereich wie den Wortschatz einer natürlichen Sprache beschreiben sollte, so kompliziert sein würde, daß es der Sprachwissenschaft über den Kopf zu wachsen drohte, wenn sie sich nicht über die mathematischen Eigenschaften solcher komplexen Relationssysteme Klarheit verschaffte. Für die Etablierung von semantischen Relationen in einem Wortschatz bediente sich die lexikalische Semantik dann in starkem Maße der Mittel aus der formalen Logik, insbesondere, um die Sinnrelationen zu beschreiben, die zwischen den Wörtern einer Sprache bestehen (vgl. Wunderlich, 1976, 300-308, Lyons 1968, Kap. 10; ferner unten Art. 18.3). In der lexikalischen Semantik lassen sich auch die oben in 2.1. eingeführten formalen Eigenschaften von Relationen fruchtbar machen. Geht man davon aus, daß es Sprachzeichen gibt, die Relationen bezeichnen, so lassen sich diese Sprachzeichen dann nach den formalen Eigenschaften der Relationen, die sie bezeichnen, einteilen (Sinneigenschaften). Betrachten wir als Beispiel einige zweistellige Prädikate: Vater von läßt sich z.B. kennzeichnen als Bezeichnung einer Relation, die asymmetrisch, intransitiv und irreflexiv ist; älter als ist asymmetrisch, transitiv und irreflexiv; gleich ist symmetrisch, transitiv und reflexiv (vgl. Wunderlich 76, 307). Eine semantische Beschreibung mit Hilfe von Sinnrelationen und Sinneigenschaften ist zwar noch nicht hinreichend, doch sind diese beiden Mittel gut geeignet, Strukturen des Wortschatzes zu eruieren. Will man eine darüber hinausgehende feinere Analyse vornehmen, so wird es nötig, eine

118

II. Sprachstrukturen

vollständig semantisch explizierte Beschreibungssprache zugrundezulegen, mit deren Hilfe dann die Semantik der Zeichen der natürlichen Sprache zu explizieren ist. (Zu dem Verfahren der semantischen Interpretation von solchen Beschreibungssprachen vgl. Art. 4:5.2 u. 6:5.3). 3.6. Die

Transformationsgrammatik

Das Hauptverdienst der Generativen Transformationsgrammatik liegt zweifellos auf dem Gebiet der Syntaxtheorie. Ausgehend von der Kreativitätsthese, die besagt, daß ein Sprecher einer Sprache unendlich viele Sätze potentiell verstehen und produzieren kann, wurde eine Grammatik aufgefaßt als ein formaler Simulationsmechanismus, der eben dies auch zu leisten imstande ist. Wie in 2.4. ausgeführt, eignen sich zur Spezifizierung von Mengen mit unendlich vielen Elementen rekursiv aufgebaute Formalismen, insbesondere die axiomatischen Systeme. Eine generative Grammatik im Sinne Chomskys ist damit ein axiomatisches System, wobei das Satzsymbol S als Axiom fungiert, und die Menge Ρ der Produktionsregeln besteht einerseits aus sog. Phrasenstrukturregeln (vgl. Art. 19:7), andererseits aus sog. Transformationen (dazu Art. 19:8 zur Theorie der TransformationsGrammatik s. Art. 4, 6 und 19). Entscheidend ist das Verdienst Chomskys, zum mindesten im syntaktischen Teil seiner Grammatik mathematische Verfahren bewußt angewendet zu haben (was nicht von allen seiner Nachfolger gesagt werden kann). Als problematisch erwies sich die Aufgabe, den durch die generative Grammatik beschriebenen Satzstrukturen semantische Beschreibungen zuzuordnen. Hier zeigte sich der Nachteil des Vorgehens, zunächst eine nach Einfachheitsprinzipien aufgebaute Konstituentenanalyse sprachlicher Äußerungen zu geben, ohne dabei bereits semantische Überlegungen einzubeziehen. Eine so konzipierte Syntax kann keinen Beitrag mehr leisten zu der Lösung des Problems, wie sich die Bedeutung komplexer Ausdrücke aus den Bedeutungen ihrer Teilausdrücke zusammensetzen läßt. Von diesem Gedanken ausgehend versuchten einige Transformationsgrammatiker, die sog. generativen Semantiker, als syntaktische Tiefenstruktur von Sätzen die sog. semantischen Strukturen anzusetzen (vgl. Art. 19). Für die Darstellung dieser semantischen Strukturen wurden Formeln der Prädikatenlogik erster Stufe verwendet, die dann durch geeignete Transformationen in Oberflächenstrukturen zu überführen waren. Im Rahmen dieses Programms zeigten sich zwei Probleme: Erstens waren die primitiven Prädikate der generativen Semantiker, ebenso wie schon die semantischen Merkmale in der Theorie Katz' und Fodors, nicht interpretiert, wodurch das ganze Verfahren lediglich darauf hinauslief, als seman-

tische Beschreibung der Sätze eine Ubersetzung in eine andere, ihrerseits nicht interpretierte Sprache zu geben (David Lewis nannte das polemisch „markeresisch"); zweitens erwies sich die zugrunde gelegte formale Sprache, also im besten Fall die Prädikatenlogik erster Stufe, als viel zu einfach strukturiert, um damit adäquat semantische Bezüge in natürlichen Sprachen darstellen zu können. Der Versuch, dies durch die Erfindung einer „natürlichen Logik" zu überwinden, mußte scheitern, da eine solche Logik strukturell erheblich komplexer sein müßte, als es die in den Kreisen der generativen Semantiker verbreitete Prädikatenlogik erster Stufe war; der Aufbau einer solchen „natürlichen Logik" als Analyseinstrument setzt vielmehr eine profunde Kenntnis formaler Verfahren und mathematischer Strukturen voraus. 3.7. Logisch fundierte

Grammatiken

In einer nächsten Phase der Entwicklung logisch fundierter Grammatiken kamen zunächst wesentliche Beiträge von Seiten der mathematischen Logik. Hier sind vor allem zu nennen die bahnbrechenden Arbeiten von Montague, Lewis und Cresswell. Gemeinsam ist all diesen Ansätzen, daß eine syntaktisch analysierte einzelsprachliche Struktur entweder direkt modelltheoretisch interpretiert wird oder durch eine Ubersetzung in Verbindung gesetzt wird mit einer Bedeutungsexplikationssprache der sogenannten intensionalen Logik zweiter Stufe; diese wird dann durch eine modelltheoretische Semantikkomponente interpretiert (vgl. Art. 4 u. 6). Zur Beschreibung der Oberflächenstrukturen verwenden diese Grammatiken nicht Phrasenstruktursyntaxen, sondern kategoriale Syntaxen, die den ersteren schwach äquivalent sind, d.h. die selben Satzmengen erzeugen können, jedoch insofern besser geeignet sind, als die grundlegenden syntaktischen Kategorien durch semantische Typen motiviert sind. Dadurch wird es möglich, den syntaktischen Aufbau eines Ausdrucks aus seinen Teilen so darzustellen, daß sich der Aufbau der Gesamtbedeutung des Ausdrucks aus der Bedeutung seiner Teile parallel angeben läßt. Diese Grammatiken scheinen im Moment den besten Ansatz zu bieten, um das Problem der syntaktischen und referenzsemantischen Charakterisierung von sprachlichen Ausdrücken zu lösen. Einer ihrer Hauptnachteile besteht in der erheblichen formalen Komplexität sowohl der verwendeten intensionalen Logik zweiter Stufe als auch der Ubersetzungsverfahren, die die Zuordnung zwischen dieser Logiksprache und den Oberflächenstrukturen herstellen, als auch der modelltheoretischen Semantik, mit der die intensionale Logik interpretiert wird. Aus diesem Grunde liegen im Rahmen solcher Gram-

8. Strukturelle Linguistik matiken bis jetzt auch n u r relativ wenige A u s schnitte, „ F r a g m e n t e " , v o n natürlichen Sprachen in explizit beschriebener Weise v o r . A u ß e r d e m taucht in diesen G r a m m a t i k e n ein P r o b l e m in n o c h g r ö ß e r e r Schärfe auf, das sich eigentlich auch schon bei der T r a n s f o r m a t i o n s g r a m m a t i k gestellt h a t : D i e Frage der Vermittelbarkeit d e r sprachwissenschaftlichen A n a l y s e n an die A n w e n d e r dieser W i s s e n s c h a f t , ζ . Β. Fremdsprachendidaktiker, F r e m d s p r a c h e n l e h r e r u. ä. Sicher w i r d es nicht sinnvoll sein, zu verlangen, d a ß die A n w e n d e r g r a m m a t i s c h e r A n a l y s e n sich das nötige f o r m a l e I n s t r u m e n t a r i u m z u m Verständnis dieser G r a m m a t i k e n , das erheblich u m fangreicher ist als die in 1. dargelegten G r u n d begriffe (vgl. S t e c h o w , Link u n d L ö b n e r ) , zu erarbeiten. Vielmehr m ü s s e n die im R a h m e n solcher G r a m m a t i k e n gemachten A n a l y s e n in eine z u gänglichere F o r m gebracht w e r d e n , o h n e d a ß dabei ein allzu g r o ß e r Verlust an Präzision eintritt. V e r s u c h e in diese R i c h t u n g , die zugleich die P r o blematik illustrieren, bieten f ü r das D e u t s c h e Suc h a r o w s k i 1977 u n d P r o j e k t g r u p p e V e r b v a l e n z 1980.

4. Bibliographie

(in

Auswahl)

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120

II. Sprachstrukturen

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9. Phonetik 1. 2. 3. 4. 5. 6.

1.

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Joachim Ballweg,

2. Genetischer

Definition Genetischer Aspekt Gennematischer Aspekt Energemischer Aspekt Kybernetischer Aspekt: Computeralgorithmen Bibliographie (in A u s w a h l )

Definition

Als Gegenstand der phonetischen Forschung kann — nach Ungeheuer 1968 - der signalbezogene Sprachkörper gelten, d . h . die Gesamtheit der Erscheinungen, die im K o m m u n i k a t i o n s p r o z e ß entweder als lautsprachliches Signal verwendet werden oder an der sender- u n d / o d e r empfängerseitigen Signalverarbeitung beteiligt sind. Das lautsprachliche Signal ist unter einem genetischen, gennematischen und energemischen Aspekt Gegenstand der Phonetik (zur terminologischen T r e n n u n g von genetisch, energemisch und gennematisch vgl. H a m m a r s t r ö m 1967). Außer den segmentalen sollten auch die suprasegmentalen Erscheinungen der gesprochenen Sprache gleichrangig behandelt werden. Aus Platzgründen m u ß hier darauf verzichtet werden (s. statt dessen Heike 1969b, Lehiste 1970).

Mannheim

Aspekt

Hierin gehören die allgemein-phonetischen und „ l a u t - " oder merkmalbezogenen Untersuchungen der Signalproduktion, wobei der menschliche Sprechtrakt lediglich in seiner biologisch sekundären, d . h . phylogenetisch jüngeren Funktion als Apparat der Konversion von Muskelenergie in akustische Energie (Catford 1968) gesehen wird. G e m ä ß der F u n k t i o n von O r g a n g r u p p e n f ü r die P r o d u k t i o n des Sprechschalls unterscheiden wir grundsätzlich drei Bereiche: L u f t s t r o m d y n a m i k (Initiierung), Phonation u n d Artikulation (Regulierung) (s. A b b . 1).

2.1.

Luftstromdynamik

Für die genetische Klassifikation von Sprach,,lauten" erscheint es sinnvoll, drei Parameter zu unterscheiden: O r t der L u f t s t r o m p r o d u k t i o n , Richtung des Luftstroms und subglottaler D r u c k . D e r Luftstrom ist der „ B e t r i e b s s t o f f " der Schallp r o d u k t i o n , er wird gewöhnlich in exspiratorischer Richtung von der Lungenatmung geliefert. A n t h r o p o p h o n i s c h möglich und zu paralinguistischen Funktionen genützt wird die pulmonal-inspiratorische (ingressive) L u f t s t r o m d y n a m i k , sie

Hasenraum

Palatum!harter Atvtotarrand Oberlippe löhne

Wum Imicher GaumenI

tlaumen)

Uvula (lapfchenl

Unterlippe lunge

Pharynx (Rachenram) Epiglottis /Kehldeckel) larynx!Kehltopf) Speiseröhre

Unterkiefer

Stimmbänder Glottis IStimmritx) Trachea !Luftröhre!

A b b . 1. Schematische D a r s t e l l u n g d e r menschlichen S p r e c h o r g a n e (nach L i n d n e r / W ä n g l e r )

9. Phonetik hat jedoch in keiner Sprache phonemisch-distinktiven Wert. Zur systematisch-phonetischen Klassifikation der Sprachlaute können die Parameter der Luftstromdynamik auf drei Merkmalpaare reduziert werden (Plosive stehen stellvertretend für alle pulmonal-egressiven Laute).

Bezeichnung

Plosive ρtk

Ejek- Implotive sive Schnalze p' t' k' b' d' 1 ( ^

pulmonal/nicht-p. +





glottal/nicht-g.

-

+

+

— -

egressiv/ingr.

+

+

-

-

Die glottale Luftstromproduktion erfolgt über das Heben/Senken des Larynx, die nicht-pulmonale und nicht-glottale Luftstromproduktion ist Resultat der Uberwindung des Zungensaugverschlusses im oralen Bereich. 2.2.

Phonation

Im Kehlkopf wird durch quasi-periodische Bewegungen der Stimmbänder der Primärklang gebildet, d.h. der gewöhnlich pulmonal-egressive Luftstrom wird durch rhythmischen Glottisverschluß unterbrochen und in Schwingungen versetzt, die im supraglottalen Raum resonatorisch überformt werden. Für die Sprachlautproduktion sind allgemein zwei (Ausnahmen bei Ladefoged 1971) Zustandsformen relevant: Glottale Öffnung = „stimmlos", Luftstrom passiert im allgemeinen ohne Geräuschbildung die Glottiskonstriktion und trifft im supraglottalen Raum auf eine Sekundärschallquelle; Glottaler Verschluß (Phonationsstellung) = „stimmhaft", Luftstrom wird in quasi-periodische Schwingungen versetzt und trifft - je nach Artikulationsart - im supraglottalen Raum auf eine Sekundärschallquelle (Ausnahmen: Vokale und Approximanten). Bezieht man paralinguistische Aspekte ein, auch pathologische und suprasegmentale Merkmale, müssen insgesamt vier vom Produzierenden unabhängig voneinander kontrollierbare Parameter unterschieden werden: glottale Öffnung (vollständiger Verschluß — Knarrstimme - normale Stimmhaftigkeit - teilweise Öffnung, besondere Form der Flüsterstimme - hörbare Atmung - vollständige Öffnung, Ruheatmung), Phonationsstelle (glottal - ligamental — arytenoidal - ventricular), Stimmbandspannung und -dicke (stiff = gespannt, ungespannt = slack), vertikale Larynxbewegung. Als isoliert-kontrollierbarer Parameter sollte in einem systematisch-phonetischen Merkmalsystem ein zeitabhängiges Kontinuum vorgesehen sein: Zeitpunkt des Stimmeinsatzes (VOT, voice onset time). Natürlich ist hier die nach linguistischen

121

Aspekten getroffene Segmentation Voraussetzung. Bei Ladefoged 1971 ersetzt dieses Merkmal das traditionelle der Aspiration. 2.3.

Artikulation

Der Artikulationsraum oder das Ansatzrohr (Metapher aus der Instrumentenkunde) besteht aus drei gekoppelten Resonanzräumen, dem pharyngalen, nasalen und oralen Raum. Die Resonanzeigenschaften des Mund- und Rachenraums können kontinuierlich aufgrund der Tätigkeit der Artikulatoren geändert werden. Der Nasenraum wird lediglich entweder abgekoppelt (rein orale Artikulation) oder angekoppelt entweder mit blockierter Oralpassage (Nasale) oder mit offener Oralpassage (nasalierte Vokale). Als primäre Parameter der Artikulation gelten Artikulationsart, d.h. Bildungs- und Überwindungsmodi der Konstriktion im Artikulationsraum, und Artikulationsstelle. 2.3.1.

Artikulationsart

Als linguistisch relevante Parameterwerte können aufgeführt werden: 1. totaler Verschluß der oralen Passage von bestimmter Dauer (Plosive); 2. geschlagener Verschluß, d.h kurzfristige Blockade des oralen Luftweges (sog. flaps [f, 9 , ä ] ) ; 3. intermittierender Verschluß ([B, r, R]); 4. geräuschbildender Teilverschluß, d.h. Bildung von Luftturbulenzen in der Konstriktionspassage. In diese Kategorie fallen die Frikative; 5. approximativ resonatorische Öffnung, d. h. die Querschnittfläche der Konstriktionspassage ist größer als bei geräuschbildendem Teilverschluß. In dieser Kategorie ist mit Friktionsgeräusch zu rechnen, wenn die Laute stimmlos gebildet werden, andererseits wird bei Stimmhaftigkeit die Stärke des Luftstroms so weit reduziert, daß sich keine Turbulenzen bilden ([r]-Varianten, Laterale, maximal geschlossene Vokale); 6. minimale Blockade des Luftweges, in keinem Fall geräuschbildende Turbulenzen (offene Vokale, [1]-Varianten, glottale Artikulation, [h]). 2.3.2.

Artikulationsstelle

Hier unterscheidet man (z.B. Peterson/Shoup 1966) horizontale und vertikale Artikulationsstelle als Parameter. Als linguistisch relevante Parameterwerte für die horizontale Artikulationsstelle werden aufgeführt: 1. bilabial (z.B. [m, p, w]); 2. labiodental (z.B. [f, v]); 3. (inter-)dental (ζ. B. [ö, Θ]); 4. alveolar (ζ. B. [n, d, s]); 5. palatal (z.B. [ J , ς, j], Palatal vokale). Der Palatalbereich wird, um alle möglichen signifikanten Oppositionen zu erfassen, in mehrere Realisationsbereiche

122

II.

Sprachstrukturen

(vorn-hinten) eingeteilt; 6. palato-velar (ζ. B . [a, a, e]); 7. velar (Velarvokale); 8. uvular (ζ. Β . [ κ , χ ] ) . Mit dem Parameter der vertikalen Artikulationsstelle wird in erster Linie der Öffnungsgrad bei der Vokalartikulation (Zungenhöhe und U n terkieferbewegung) erfaßt, zusätzlich vielleicht pharyngale und glottale Artikulationen ( z . B . [h, 5]). Bei den glottalen Lautproduktionen decken sich die Gliederungen nach Funktion und Organgruppen nicht mehr, da der glottale Bereich funktionsmäßig den Prozessen der Initiierung (Luftstromdynamik) und Primärklangerzeugung (Phonation) zugewiesen wurde. Als sekundärer Parameter gilt die Lippenform. Zwei Zustandsformen nehmen linguistische Relevanz an. Man spricht von gerundeten Lippen (bei gleichzeitiger Vorstülpung) und gespreizten Lippen; diesem Merkmal liegt im Substanzbereich ein Kontinuum zugrunde, das im Extrembereich des Öffnungsparameters (vertikale A.-stelle) nicht mehr unabhängig kontrollierbar ist, d . h . maximal offene Vokale werden nicht durch den Parameter der Lippenform differenziert. Ebenfalls als sekundärer Parameter gilt die retroflexe Artikulation, R - F ä r b u n g (ζ. Β . [ζ]). Für eine vollständige Klassifikation der Lautbildungen und genetisch definierten linguistischen Merkmale muß ebenfalls der Bereich der Sekundärartikulation erfaßt werden (ζ. B . glottal verstärkte Plosive in englischen Dialekten, usw.).

2.4. Methodologische

Aspekte

2.4.1. Transkription und Notation Die Klassifikation von Sprachlauten und die Definition von universal-phonetischen Merkmalsystemen nach Parametern der Signalgenese liefern traditionellerweise die Grundlage zur Verschriftung von auditiven Beurteilungen der lautsprachlichen Signale. Transkriptionssysteme basieren häufig auf signalgenetischen Theorien. D e r Bezug von genetischen Parametern zu auditiven Kategorien ist jedoch keinesfalls direkt, er umfaßt im allgemeinen die Stufen: Hören - neuro-motorische Simulierung oder tatsächliche Reproduktion Eigenbeobachtung - Zeichensetzung. Dieser V o r gang der Transkription, d. h. eigentlich die traditionelle „ O h r p h o n e t i k " schlechthin, ist keinesfalls unproblematisch, a) da die genetischen Parameter nicht notwendigerweise auditiven Parametern entsprechen müssen; b) da das „muttersprachliche Filter" des Transkribenten die Beurteilung von Produktion in L„ durchaus verzerren kann. Daher ist für möglichst genaue Notationen wiederholt ein auf Tonträgern gespeichertes akustisches Bezugssystem gefordert worden (vgl. Kardinalvokale von D . Jones). Praktikabler für umfangreiche Transkriptionsvorhaben ist die methodische Auflage der Phonometrie ( E . Zwirner),

interindividuelle Unterschiede in der Transkription auszugleichen, d. h. Texte sollen von min. 3 Abhörern bearbeitet werden.

2.4.2.

Merkmalsysteme

D e r genetische Aspekt des Sprachsignals liefert die Definitionsgrundlage für linguistisch orientierte universal-phonetische Theorien. C h o m s k y / H a l l e 1968 erweiterten das System der distinktiven Merkmale beträchtlich und definieren ihre M e r k male ungleich J a k o b s o n / H a l l e 1956 und J a k o b son/Fant/Halle 1969 ausschließlich nach genetischen Parametern des lautsprachlichen Signals. Jedes Merkmal soll einem Substanzkontinuum (physical scale) entsprechen und ist durch die B e zeichnung der Endpunkte (antonyme Adjektive) charakterisiert. Die Summe der Merkmale repräsentiert das menschliche artikulatorische Potential (articulatory capabilities of man), wenn man mit C h o m s k y / H a l l e 1968 die phonetische Darstellung als Interpretation des Sprecher/Hörers auffaßt, der einer spezifischen Sprache angehört, und die linguistisch-phonetischen Beschreibungen aller Sprachen in die Konstruktion eines universalen Merkmalsystems eingegangen sind. Es ist also keinesfalls eine antropophonische Universalität angestrebt, die alle möglichen, d . h . sowohl die linguistisch relevanten als auch alle paralinguistisch verwendeten Merkmale klassifiziert (vgl. auch die Systeme von Ladefoged 1971, Catford 1968, Peterson/Shoup 1966).

2.4.3. Forschungstendenzen in der allgemeinen Phonetik In der allgemeinen Phonetik (d. h. in der alinguistischen Phonetik) ist der genetische Aspekt ebenfalls in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. B e sondere Bedeutung haben folgende T h e m e n : (1) Akustogenese, Gesetzmäßigkeiten der Informationswandlung zwischen den Manifestationsbereichen (vom artikulatorischen Oberflächenverhalten zum akustischen Signal) und vice versa, d . h . Eigenschaften des akustischen Signals sollen aufgrund artikulatorischer Daten (Rauminhalt, Querschnittsfläche, usw.) prädiktabel gemacht werden. (2) Sprachsynthese. Signalgenetische Grundlagenforschung für vokaltraktanaloge Sprachsynthese (Perkell 1969; H e n k e 1967). (3) Perzeptionsforschung. Es scheint ein C h a rakteristikum der ungestörten menschlichen Sprachlautperzeption zu sein, empfängerseitig B e züge zur Signalgenese einzusetzen, d. h. die Signalgenese erhält möglicherweise für die Erforschung der Signalperzeption einen besonderen Stellenwert (motor theory of speech perception, Liberman et al. 1968).

9. Phonetik (4) B e s o n d e r e s Interesse k o m m t in jüngerer Zeit der Signalgenese z u , da man mit Verfahren der M u s k e l s t r o m a b l e i t u n g ( E l e k t r o m y o g r a p h i e ) unterhalb der M a n i f e s t a t i o n s b e r e i c h e , . O b e r f l ä c h e n v e r h a l t e n " Aussagen über intramuskuläre P r o zesse machen kann ( F r o m k i n 1966; Gay/Harris 1971). (5) N e u e r e U n t e r s u c h u n g e n beziehen sich auf die taktilen f e e d - b a c k - M e c h a n i s m e n bei der A r t i kulation; man kann diese Arbeiten unter den B e griff der oralen Stereognose subsumieren ( M a d i son/Fucci 1971). (6) A u c h in Bereichen der traditionellen artikulatorischen P h o n e t i k wie der Palatographie verzeichnet man in den letzten J a h r e n verstärkte wissenschaftliche Aktivität aufgrund t e c h n o l o g i scher E n t w i c k l u n g e n (beachte M ö g l i c h k e i t der elektrischen Palatographie und der M e r k m a l extraktion im genetischen B e r e i c h : Fujii/Fujimura/Kagaya 1971).

3. Gennematischer

Aspekt

H i e r i n gehören die allgemeinphonetischen ( d . h . die signalstatistischen und die akustogenetischen)

123

sowie die „ l a u t " - und m e r k m a l b e z o g e n e n U n t e r suchungen des akustischen Signals selbst.

J. 1.

Akustogenese

D i e akustischen T h e o r i e n der Sprechschallproduktion verknüpfen methodisch genetische und gennematische A s p e k t e des lautsprachlichen Signals. D e m n a c h läßt sich das phonetische Signal als P r o dukt des „ B e t r i e b s s c h a l l s " und der Filtercharakteristik des A n s a t z r o h r e s darstellen. M i t geeigneten M o d e l l e n der A k u s t i k und der elektrischen N e t z w e r k t h e o r i e und einer Fülle von einschränkenden Bedingungen ist es m ö g l i c h , mit den Signaldaten, die in einem Manifestationsbereich erh o b e n wurden ( e . g . im artikulatorischen), E i g e n schaften des lautsprachlichen Signals im angrenzenden Manifestationsbereich vorherzusagen (vgl. F a n t 1960; U n g e h e u e r 1962; Flanagan 1965). Quasiperiodische Impulssignale des durch Glottistätigkeit modulierten pulmonal-egressiven L u f t s t r o m s und/oder stochastische Rauschsignale machen den B e t r i e b s - o d e r Erregungsschall aus, der auf dem W e g zur Abstrahlung über Lippen und/oder N a s e resonatorisch ü b e r f o r m t wird. D e r

Schalldrudcsdiwingung

Stimmp'jlsc

AJVJV Filterdiarakteristik

Stimmimpulse

„ „

I

2

0

I

S p e k t r u m des abgestrahlten V o k a l s

2 '0

Frequenz in K H z Abb. 2. Schematische Darstellung der Akustogenese (nach Fant).

Artikulationsraum dient dabei als akustisches F i l ter, dessen C h a r a k t e r i s t i k ständig durch die B e wegungen der Artikulatoren (u. a. L i p p e n , Z u n g e , U n t e r k i e f e r , R a c h e n m u s k u l a t u r ) verändert wird. D i e Resonanzeigenschaften des A n s a t z r o h r e s definieren die p h o n e t i s c h e Q u a l i t ä t (i. e. linguistische Identität) des akustischen Signals und korrelieren mit F o r m a n t e n , d . h . E n e r g i e k o n z e n t r a t i o n e n im akustischen S p e k t r u m . D i e F o r m a n t e n sind nicht durch die D i m e n s i o n einzelner R e s o n a n z r ä u m e ( M u n d - , N a s e n - , R a c h e n r a u m ) definiert - das ist die irrige Auffassung der älteren A k u s t i k und P h o n e t i k - , sondern durch die R e s o n a n z c h a r a k -

teristik der gesamten Luftsäule o b e r h a l b der G l o t tis. E i n e funktionale Abhängigkeit des „ B e t r i e b s schallgenerators" von der Filtercharakteristik kann u. U . existieren (e. g. maximale Ö f f n u n g und S t i m m t o n f r e q u e n z ) , kann aber für die systematische Darstellung hier vernachlässigt werden, d . h . die Lage der F o r m a n t e n ist von der S t i m m t o n f r e q u e n z (relativ) unabhängig. D i e absolute Lage der F o r m a n t e n ist von der G e s a m t l ä n g e des A n s a t z r o h r e s abhängig (invers p r o p o r t i o n a l ) ; E r fahrungswerte zeigen, daß F r a u e n s t i m m e n durchschnittlich 2 0 % h ö h e r e F - F r e q u e n z e n als M ä n n e r stimmen aufweisen, daß die F o r m a n t e n von K i n -

124

II. Sprachstrukturen

2500 ο I

2000-

ο Υ

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1600

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ι u Ο ό300

400

~~I 600

1—Γ 800

A b b . 3. F[ und F2 der deutschen Vokale. Akustische Daten u n d N o t a t i o n nach A. Rausch, Untersuchungen z u r Vokalartikulation im Deutschen. In: Beiträge zur Phonetik ( = IPK-Forschungsberichte, 30), H a m b u r g 1972. 78/9.

derstimmen wiederum 20% über denen der Frauenstimmen liegen. Die untersten Formanten (Fi, F 2 , F 3 ) sind im akustischen Manifestationsbereich die Entsprechungen intentionaler Veränderungen der Ansatzrohrkonfiguration (Artikulationsprozeß, die Oberformanten sind in ihrer Zahl theoretisch unbegrenzt, praktisch jedoch durch die Abklingkonstante/Bandbreite des Artikulationsfilters und die spektrale Charakteristik des Betriebsschalls (Form der Glottisimpulse) determiniert. Von den O b e r formanten leitet man im allgemeinen sprecherindividuelle Merkmale ab. Eine zweidimensionale Darstellung von Vokalphonemrealisationen nach den Signalparametern F | und F 2 liefert Realisationsklassen, die oben durch die Parameter „vertikale" und „horizontale Artikulationsstelle" definiert wurden (s. Abb. 3). 3.2. Intraindividuelle

Varianz und

Koartikulation

Phonemrealisierungen und damit auch akustische Parameterwerte sind keinesfalls invariant, sondern u . a . vom unmittelbaren phonetischen Kontext, d . h . von der phonetischen Identität vorangehender und folgender Segmente abhängig. Die spektralanalytische Empirie hat Menzeraths Konzept der Koartikulation (1933) in eindeutiger Weise bestätigt, gemäß dem lautsprachliche Produktion ein Bewegungsgefüge und nicht die geregelte Abfolge von Halt und Glitt, d . h . stationärer und dynamischer Signalkomponenten ist. Im akustischen Bereich resultiert die harmonische

Dauerbewegung aller Sprechorgane im dynamischen Verhalten der Formanten, insbesondere im F 2 -Bereich. Der Formantdynamik kommt in der Perzeption gesprochener Sprache linguistische Bedeutung zu, wenn die Abweichung von einem quasi-stationären Formantteil die Unterscheidungsschwelle (DL) weit übersteigt, die man wenig exakt mit 3%—5% der jeweiligen Ausgangsfrequenz der Formanten angibt (zu beachten ist der Unterschied zwischen konvergenten und divergenten, eindimensionalen und zweidimensionalen Formantveränderungen). Innerhalb der Phonematik in Modellen der distinktiven Merkmale werden solche transgressiven Merkmalkomponenten in den Bereich der redundanten Merkmale verwiesen. Man bezeichnet diese Merkmalkomponenten auch mit dem Begriff der acoustic cues (vgl. Delattre 1968). Koartikulati ve Bedingungen beeinflussen außerdem die relative Formantlage (in bezug auf einen idealen Wert oder Mittelwert). Man kann in diesem Fall von Reduktionserscheinungen sprechen. Die in den artikulatorischen und akustischen Manifestationsbereichen angetroffene Varianz phonetischer Daten, die auf den Faktor der Koartikulation, d . h . des kontextuellen Einflusses zurückgeführt werden kann, falsifiziert keinesfalls die Invarianzhypothese für zentralere Bereiche der Sprachlautproduktion und -perzeption, gemäß der dem Inventar von linguistischen Einheiten (Phonemen) ein isomorphes Inventar von substanziellen Kategorien entspricht (neurale Befehle usw.).

9. Phonetik M o d e l l e der K o a r t i k u l a t i o n und R e d u k t i o n wurden in jüngerer Zeit u . a . von ö h m a n 1967 und L i n d b l o m 1963 vorgestellt.

3.3. Interindividuelle

Varianz und ihr Ausgleich

A u c h andere F a k t o r e n führen zu beträchtlichen Streuungen der akustischen P a r a m e t e r w e r t e , was Überlappungen der Segmentbereiche (nach M e y e r - E p p l e r 1969 P r o d u k t i o n s s y n o n y m i e g e biete) b e w i r k t . Intrasubjektive P r o d u k t i o n s s t r e u ungen k ö n n e n neben den oben erwähnten E i n flüssen des S u b s t a n z k o n t e x t e s durch den v o m Sprecher gewählten Ausprägungsgrad, suprasegmentale Bedingungen ( u . a . W o r t - und Satzakzent), die „ R e d u n d a n z inhaltlicher Z u s a m m e n h ä n g e " und kommunikationssituative G e g e b e n heiten bedingt werden.

300

«00

500

eoo V,

'00

BOO 900

1000 Hz

A b b . 4 . F o r m a n t f r e q u e n z e n englischer V o k a l e aus isoliert g e s p r o c h e n e n F.insilblern und z u s a m m e n h ä n g e n d g e s p r o c h e n e m T e x t . Beispiel (nach S h e a r m e / H o l m e s ) für intraindividuelle V a r i a n z .

I n t e r s u b j e k t i v e Produktionsstreuungen — s o weit sie auf geschlechtsbedingten biologischen G e g e b e n h e i t e n beruhen - k ö n n e n weitgehend durch Q u o t i e n t e n - und D i f f e r e n z b i l d u n g e n reduziert werden. D i e Frequenzverhältnisse F ,/Ρ^ und F 2 /F 3 sind den auditiven Qualitätsklassen (Valenzen) weit gerechter als die absoluten F o r m a n t f r e quenzen selbst. F e r n e r bieten sich F o r m a n t d i f f e renzbildungen ( F 3 - F 2 ) , die E i n b e z i e h u n g von Fo und die U m w a n d l u n g der F - F r e q u e n z e n in F o r m a n t - T o n h ö h e n - W e r t e ( M e l ) als Verfahren zur

125

R e d u k t i o n intersubjektiver P r o d u k t i o n s s t r e u u n gen im akustischen B e r e i c h an. D i e E i n b e z i e h u n g von F 3 ist jedoch für Sprachen, in denen sich V o kale systematisch und linguistisch-relevant aufgrund des M e r k m a l s „ g e r u n d e t " vs. „ g e s p r e i z t " unterscheiden, p r o b l e m a t i s c h , da die Variabilität in F j R u n d u n g s e r s c h e i n u n g e n zugeschrieben werden kann.

3.4. Verfahren der akustischen Analyse D i e akustische Analyse wird heute weitgehend apparativ betrieben und nicht m e h r - oder nur mit E D V - A n l a g e n - rechnerisch durch die F o u r i e r Zerlegung k o m p l e x e r Schalldruckschwingungen (an O s z i l l o g r a m m e n ) . Z u r V e r w e n d u n g k o m m e n Parallelfilterbänke, O k t a v - und Terzfilteranalysen, hauptsächlich aber Filterverfahren in V e r b i n dung mit T o n t r ä g e r n , so daß lautsprachliche Äußerungen von bedingter D a u e r (ca. 2 , 5 s) wiederholt mit einem Bandpaßfilter ( B a n d b r e i t e k o n ventionellerweise 4 5 H z o d e r 3 0 0 H z ) durch D i f ferenz· o d e r S u m m a t i o n s t o n b i l d u n g analysiert werden k ö n n e n . Registriert werden die jeweiligen Intensitätsverhältnisse in F u n k t i o n zur Zeit. S p e k t r o g r a m m e werden insbesondere mit d e m unter der M a r k e n b e z e i c h n u n g Sonagraph ( K a y E l e c trics) bekannten G e r ä t e t y p gefertigt. D a s S o n a gramm ist eine pseudo-dreidimensionale Darstellung mit den Parametern „ Z e i t " ( X - A c h s e ) „ F r e q u e n z " ( Y - A c h s e ) und „ I n t e n s i t ä t " (Schwärzungsgrad der auf beschichtetem Papier eingebrannten M a r k i e r u n g ) . B e i V e r z i c h t auf den Z e i t parameter lassen sich Intensitätsverhältnisse auf der horizontalen A c h s e abbilden (section) (s. A b b . 5). F ü r A n a l y s e und automatische S e g m e n t - oder M e r k m a l d e t e k t i o n hat sich auch die B e s t i m m u n g der Nulldurchgangsdichte eines Schwingungsverlaufs b e w ä h r t . Man fand, daß die N u l l d u r c h g a n g s dichte des einfachen, geklippten Signals F i und die des differenzierten und geklippten Signals weitgehend F 2 entspricht. F e r n e r eignet sich diese technisch leichter als spektralanalytische V e r f a h ren zu realisierende M e t h o d e zur E x t r a k t i o n von rein geräuschhaften S i g n a l k o m p o n e n t e n aufgrund der eindeutig höheren N u l l d u r c h g a n g s d i c h t e dieser Signale. F o u r i e r - A n a l y s e n und - T r a n s f o r m a tionen werden nach F r e q u e n z m o d u l a t i o n und A n a l o g - D i g i t a l w a n d l u n g häufig auch in E D V - A n lagen b e r e c h n e t . B e w ä h r t haben sich außerdem die Verfahren der Korrelationsanalyse.

4. Energemischer

Aspekt

H i e r h i n gehören alle linguistisch orientierten und allgemein-phonetischen U n t e r s u c h u n g e n der Signalverarbeitung während des W a h r n e h m u n g s prozesses — ganz gleich o b der lautsprachlich

126

II.

Sprachstrukturen

A b b . 5. , K o a r t i k u l a t i o n ' ; B r e i t b a n d s o n a g r a m m und I n t e n s i t ä t s a u f z e i c h n u n g .

Kommunizierende in primärer Funktion Expedient (feedback-Prozeß) oder Perzipient ist. Dem Experiment kommt innerhalb der wenig exakt definierten Bereiche der Psychoakustik, Psychophonetik, der auditiven Phonetik u. ä. besonderer Stellenwert zu. „Experiment" heißt in diesem Kontext systematische und wiederholbare Störung der lautsprachlichen Kommunikation, sei es durch die Manipulationen des Signals selbst oder durch Eingreifen in bestimmte Rückmeldeprozesse bei Perzeption oder Produktion phonetischer Signale. 4.1.

Signaldestruktion

und

Sprachsynthese

Die linguistisch orientierte Phonetik ist an der Isolierung sprachlich relevanter Signalkomponenten interessiert. Aufgrund der vielfaktorig bedingten Varianz von Zeichenrealisationen sind Beobachtungen am artikulatorischen Oberflächenverhalten und am akustischen Signal aufwendig und liefern in den wenigsten Fällen eindeutige Ergebnisse. Die systematische Signaldestruktion und die parameterkontrollierte Sprachsynthese sind methodische Voraussetzungen zur Ermittlung sogenannter auditiv-essentieller Substanzeigenschaften. Sie können darüber hinaus aus allgemeinphonetischer Sicht Aufschluß über die Modalitäten der Signalverarbeitung im Perzipierenden geben. Einige Verfahren der Destruktion und der Synthese sollen exemplarisch an Untersuchungen im Zeitbereich des Signals dargestellt werden: (1) B a n d s c h n i t t v e r f a h r e n : Durch systematische Reduktion der Dauer von natürlich gesprochenen Segmenten können sprachspezifisch auditiv-essentielle Substanzeigenschaften ermittelt werden. Heike 1969 zeigte, daß der Quantitätsopposition im Deutschen die Substanzeigenschaft „ D a u e r " zukommen kann. Vokaldauerre-

duktion von „ A a s " führt zum auditiven Eindruck „ A s " , obwohl der lose Anschluß (im Substanzbereich: beträchtliche Dauer des vokalischen Ausschwingvorgangs vor Folgekonsonanz) konstant gehalten wurde. Durch Einsetzen künstlicher akustischer Pausen führte Heike Transformationen vom T y p °[s], °[ts] —°[t] und °[f] - °[pf] - » °[p] durch. Allgemein konnte bestätigt werden (Singh 1966), daß extreme Dauerreduktion von Konsonanten zwar zu Verwechslungen hinsichtlich des Parameters „Artikulationsart" führen kann (Frikative = Plosive), daß jedoch die Merkmale „Artikulationsstelle" und „Stimmhaftigkeit" gegen Destruktionen im Zeitbereich weitgehend resistent sind (also [s] = °[t], [z] = °[d], usw.). Es zeigte sich auch bei Destruktionen im Frequenzbereich, daß linguistische Merkmale spezifische Störbeständigkeit aufweisen. Mit Bandschnittverfahren werden ebenfalls Untersuchungen zur perzeptuellen Relevanz der Formantübergänge (Transienten, transitions) bei Plosiven durchgeführt (vgl. u. a. W a m s 1957). (2) Z e i t p a ß v e r f a h r e n : Gray 1942 arbeitete mit Pendel betriebenen Quecksilberschaltern und reduzierte die Dauer von Vokalen von 0,052 s auf 0,003 s. Einige Vpn identifizierten die Vokalsignale mit statistischer Verläßlichkeit bei einer Kennzeit von 'Ader jeweiligen Wellenlänge, d. h., daß die lautsprachlich relevanten Unterformanten nicht zur Bildung des auditiven Eindrucks beigetragen haben konnten. Tiffany 1953 wies indessen nach, daß unnatürliche Verlängerung von Segmenten nicht entsprechend zur Verständlichkeit beiträgt (vgl. auch Siegenthaler 1950). Miller/Licklider 1940 extrahierten mit konstanter Frequenz Signalteile von bestimmter Dauer (picket-fence Effekt). Bei einer Extraktionsfrequenz von 10 Ausschnitten/s und nur 2 5 % Rest-

9. Phonetik

substanz sank die Verständlichkeit auf 6 0 % . Ähnliche Beobachtungen machten Garvey/Henneman 1952, die im Gegensatz zu Miller/Licklider die ursprüngliche Dauer nicht konstant hielten, sondern sie proportional zu den Extraktionen verkürzten. Erst bei einer Reduktion von 60% der Substanz sank die Verständlichkeit unter 8 0 % . (3) S p r a c h s y n t h e s e : Manipulationen der Gesamtdauer können weitgehend auch mit allen Versionen der Sprachsynthese durchgeführt werden. Der Vorteil der Anwendung von Sprachsynthese im Zeitbereich liegt in der Möglichkeit von Manipulationen individueller Signalkomponenten. So variierten Lisker/Abramson 1964 den Zeitpunkt des Einsatzes von F 0 ( V O T , voice onset time) und isolierten in vergleichend-phonetischen Untersuchungen (Hörtests) mit Sprechern verschiedener Sprachen (u.a. Thai, Englisch, Spanisch) das akustische Kennzeichen (acoustic cue) für das distinktive (redundante) Merkmal „Aspiration" und legten für spezifische Sprachen sog. Phonemgrenzen fest. Die Sprachsynthese hat sich insbesondere im Frequenz- und Intensitätsbereich zur systematischen Signalmanipulation bewährt. (4) M a n i p u l a t i o n d e r R ü c k m e l d u n g : Manipulationen der äußeren Rückmeldung beeinflussen den Produktionsablauf von phonetischen Signalen. Der Sprechende hört das von ihm produzierte Signal über Kopfhörer mit konstanter Verzögerung (DAF, delayed auditory feedback oder Lee-Effekt). Untersuchungen mit dieser Störanordnung haben wichtige Hinweise zu bestimmten lautsprachlichen Invarianten geliefert. Der Retardierungsfaktor mit maximaler Störungseffizienz (bei 0,18 s) liegt eher in der Größenordnung von Silbendauer als von Segmentdauer. Man kann folgern, daß die lautsprachliche Wahrnehmung eher im Takt von Dyaden oder Silben als im Takt von Segmenten operiert (vgl. hierzu auch die motor theory of speech perception, Liberman et al. 1963). (5) M a n i p u l a t i o n e n d u r c h A n f o r d e r u n gen an die S i g n a l v e r a r b e i t u n g : Zu den Untersuchungen im Zeitbereich, die weder Signal noch Rückmeldungsprozesse stören, gehören die Arbeiten von Wickeigren 1965, der Anforderungen an das Kurzzeitgedächtnis der Vpn stellt und Verwechslungen der Segmente nach bestimmten Merkmalmodellen interpretiert. Die Aufzählung der Stör- und Syntheseverfahren im Zeitbereich ist natürlich nicht vollständig, und die Methoden im Frequenz- und Intensitätsbereich sind zahlreicher und komplexer. Es sollte hier jedoch nur angedeutet werden, daß gerade der energemische Aspekt des phonetischen Signals für die linguistisch orientierte aber auch für die allgemeine Phonetik in den letzten Jahrzehnten besondere Bedeutung gewonnen hat.

127

4.2. Phänomenologische Analyse des lautsprachlichen Signals: Untersuchungen zur Ähnlichkeit Die oben geschilderten Verfahren basieren letztlich in der Registrierung von Hörerreaktionen auf die funktionale Leistung der Phonemrealisationen, d. h. getestet wird die semantische Distinktivität von Lauten oder ihrer Merkmale und Merkmalskomponenten. Anleihen bei der behavioristischen Lerntheorie seitens der Psycholinguistik und -phonetik lassen dem Ähnlichkeitsproblem neue Aufmerksamkeit zukommen. Phonetische Ähnlichkeit wurde in der jüngeren Vergangenheit durch die Übernahme phonemischer Größen quantifiziert, d.h. Phonemdistanz wurde durch die (gewichtete) Zahl unterschiedlicher Angaben zu den distinktiven Merkmalen wiedergegeben. Dieses Maß (D Pll ) (Saporta 1950) besitzt jedoch keine eindeutige psychische Relevanz. Untersuchungen an phonetischen Segmenten ohne weitgehend linguistisch-funktionale Voraussetzungen wurden u.a. von Ungeheuer 1962 durchgeführt. Er ermittelte anhand isolierter Segmente Ähnlichkeitsklassen, indem Vpn lediglich Aussagen zu den Kategorien „ähnlich"/,,nicht-ähnlich" machen mußten. Den Ähnlichkeitsklassen - so kann man annehmen - liegen auditive Qualitäten zugrunde, die durch Ungeheuer lediglich extensional bestimmt sind. Zur intensionalen Bestimmung - d.h. zur sachgerechten Benennung und Beschreibung ihrer Eigenart - ist man bislang kaum gelangt. Ertel 1969 überprüfte deutsche Phonem(realisationen) am Eindrucksdifferential (vgl. Osgood/Suci/Tannenbaum 1957) und ordnete deutsche Laute nach den Parametern allgemeiner und nicht spezifisch lautsprachlicher Eindrucksqualitäten (Valenz, Potenz und Erregung). In einer neueren Untersuchung mit Hilfe des Eindrucksdifferentials an synthetischen Vokalen zeigten Jerrentrup und Thürmann 1974, daß hierbei drei fundierende Qualitäten anzusetzen sind, nämlich die Dimensionen Valenz, Helligkeit und Potenz. Ähnlichkeitsskalierungen führte auch Hanson durch, der im Gegensatz zu Ungeheuer (Paardarbietungen) ein ABX-Verfahren wählte („Ist Stimulus X Stimulus Α oder Β ähnlicher?"). Urteilshäufigkeit wurde als auditive Ähnlichkeit gewertet und die Ähnlichkeitsproportion zweier Stimuli als perzeptuelle Distanz. Methodisch aufschlußreich sind die Arbeiten von Greenberg/Jenkins 1964, die ebenfalls Vpn Ähnlichkeit skalieren lassen. 5. Kybernetischer

Aspekt:

Computeralgorithmen

Mit Hilfe digitaler Signalverarbeitung versucht man, verstärkt Algorithmen für Sprachsynthese, Sprach- und Sprechererkennung zu entwickeln.

128

II. Sprach

strukturen

Im Bereich der Grundlagenforschung von besonderem Interesse sind Artikulationsmodelle, d. h. Computermodelle zur Simulation des Sprechprozesses (s. Mermelstein 1973, Coker 1976 und fürs Deutsche Heike 1977). 6. Bibliographie

(in Auswahl)

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Georg Heike /Eike Tbürmann,

Köln

10. Phonemik

10. Phonemik 1. G e g e n s t ä n d e und D e f i n i t i o n e n 2. Operationale Verfahren 3. A n w e n d u n g s b e r e i c h e 4 . B i b l i o g r a p h i e (in A u s w a h l )

1. Gegenstände

und

1.1. Verhältnis

Definitionen

Objektbereich—Metabereich

Der Gegenstand der Phonemik sind im segmentalen Bereich die kleinsten paradigmatischen Ausdruckseinheiten gesprochener Sprache in ihren Beziehungen, System- und Funktionseigenschaften; diese Einheiten heißen Phoneme. Ihnen sind syntagmatisch einzelne oder mehrere jener ausdrucksseitigen Kleinsteinheiten zuzuordnen, welche kontextfrei artikuliert bzw. perzipiert werden können, im Kontext (ζ. B. in einem Wort) aber zur En- oder Decodierung von Inhalten dienen und - kummutiert - die Inhalte verändern; solche syntagmatischen Kleinsteinheiten heißen Phone. Die Behandlung der Phone als dem Objektbereich der Phonik gehörte streng genommen also nicht zur Phonemik — eine in der linguistischen Terminologie in dieser Strenge aber nicht vollzogene Konsequenz, da dort Phonemik, Phonematik und Phonologie meist inhaltsreich gebraucht werden. Dem Objektbereich von Phonemik, Phonematik und Phonologie werden in der Regel sowohl die kleinsten artikulier- und perzipierbaren Einheiten zugeordnet als auch die eigentlich phonemischen Konstrukte von nicht sprechbaren Klassen solcher Ausdruckseinheiten. In der amerikanischen Linguistik hat die Ausfeilung der Konstruktions- und Beschreibungsebenen zu einer Berücksichtigung der phonologisch konzipierten Distinktion zwischen den realisierten Sprachzeichen (syntagmatische Deskription) und den Klassen von die Inhaltsseite nicht distinguierfähigen Zeichenvarianten (paradigmatische Deskription) geführt, so daß in der taxonomischen Linguistik zwischen etischen (Phone, Morphe, Lexe usw.) und emischen Einheiten (Phoneme, Morpheme usw.) unterschieden wird. Die dadurch hervorgerufene Unscharfe der Termini Phonemik und Phonematik kann durch den Terminus Phonologie vermieden werden. 1.2. Phonologische

Einheiten

Die Bezeichnung Phonem ist 1873 von DufricheDesgenettes in Anlehnung an grch. phönema, Laut' vorgeschlagen worden; sie hat sich rasch verbreitet (bei Havet 1876, bei Sweet 1877, bei de Saussure 1879, bei Schleicher 1881), ohne daß die westeuropäischen Ansätze über Bemühungen von Passy und Sweet hinaus zu einer genauen Absteckung des Objektbereichs oder zu modernen

129

operationalen Verfahren geführt hätten. Dies hat erst der Prager Kreis um die russ. Emigranten Kartschewski (später Genf), Jakobson (später Cambridge/Mass.) und Trubetzkoy (später Wien) geleistet. Sie fußten auf dem Ansatz der Schule von Kasan, in der durch Kruszewski (1879, 1881) und de Courtenay (1894) zwischen russ. zvuk ,Laut' und fonema ,Phonem' unterschieden worden ist. Diese Distinktion beruht auf der Erkenntnis, daß alle minimalen Ausdruckseinheiten einen phonetischen Streubereich besitzen und erst von einem näher zu bestimmenden Grenzwert an als Signal für eine andere Inhaltsseite fungieren (Skizze 1).

Die unterschiedlichen Realisationen innerhalb eines Streubereichs heißen Allophone. Die in den Jahren 1930 bis etwa 1960 zur Frage der phonolog. Einheiten geführte Diskussion läßt sich mit folgenden Beschreibungsprärogativen kennzeichnen: Linearität, Biuniquität, lokale Determinanz, Invarianz (Chomsky 1964). Linearität heißt, daß die Phoneme einer sprachlichen Äußerung mit Phonen als den Realisierungen der Phoneme korrespondieren. Die umgekehrte Fragestellung, d. h. welche Phone welchen Phonemen zugeordnet werden können, ist in der taxonomischen Phonologie nicht befriedigend gelöst worden, da bei bestimmten Alternanzen nicht zweifelsfrei zu klären ist, ob ihre Elemente bedeutungsdistinguierend sind. Solche Alternanzen bestehen ζ. B. in Faß-Fäßchen, leben —lebendig, Bach - Bäche. Ist jedes Element der Alternanzen [a - ε], [a - ε], [χ - 9] bedeutungsdistinguierend, so handelt es sich um sechs, sonst um entsprechend weniger Phoneme mit je ein bis zwei Varianten. Trubetzkoys Entscheidungskriterium der komplementären Distribution trifft segmental nur für [x] (in Umgebungen graver Vokale) und [ς] (in allen anderen Umgebungen) zu, suprasegmental auch für [a] (Nebenakzent) und [ε] (Hauptakzent), so daß insgesamt von vier Phonemen ausgegangen werden muß. Zu dem Phonem, das durch [x] und [ς] repräsentiert wird, gehört nach Morciniec im Deutschen auch [h], das in komplementärer Distribution mit [η] (in singen) steht

130

/ / . Sprachstrukturen

und nur aufgrund seiner phonetischen Unähnlichkeit (Heike 1972) zu [η] einem anderen Phonem zugeschlagen werden muß. Die phonischen Realisierungen [x, 9, h] sind somit drei Varianten zum Phonem /X/. Zur Unterscheidung von Allophon und Variante diene Skizze 2.

Phonem

Varianten

Albphone

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i:

J

J

t ' ^ h

Skizze 2

Die auf Paradigmen wie Kuchen - Kuhchen ,kleine Kuh', tauchen - Tauchen .kleines Tau' aufbauenden Einwände gegen diese Variantengruppierung sind unqualifiziert, da die Morphemgrenze nicht berücksichtigt wird; jedoch rechtfertigen Inlaut-h (Uhu) und Anlaut-ch (Chinese - hinab) ein Phonem/H/. Biuniquität heißt, daß jede Phonemsequenz repräsentiert ist durch eine unique Phonsequenz und umgekehrt. Damit sind distributionale Fragen aufgeworfen, die sich auf das Verhältnis von phonemischer und phonischer Verkettung beziehen - und zwar innerhalb morphologischer (und ggf. lexikologischer) Einheiten als auch im über die Lexemgrenzen hinausgehenden Verkettungsprozeß (Wortphonologie). Ein ungelöstes Problem ist die Wertung (Valenz) der deutschen Affrikaten und Diphthonge, d. h. ob es sich bei [ao, ae, oy] in Haus, heiß, Häuser sowie bei [pf, ts] in Pfund, Zeit insgesamt um fünf (monophonemische Wertung) oder zehn Phoneme (biphonemische Wertung) handelt. Die angefochtene Entscheidung Trubetzkoys ist zugunsten der monophonemischen Wertung ausgefallen (Kriterium der Unvertauschbarkeit, der Beschränkung der Diphthonge auf Stämme u. a.). Die lokale Determinanz läßt sich definieren als die Bestimmbarkeit von Phonemen durch Phonfolgen. Die phonetisch faßbare Realisierung der Allophone ist in der Regel ebenso umgebungsabhängig (vorhergehendes und folgendes Allophon) wie die phonisch faßbare Realisierung der

Varianten (kombinatorische Varianten). Ist dies nicht Bedingung - z . B . bei dem uvularen (Zäpfchen-)R und dem alveolaren (Zungen-)R, die im Deutschen nach Belieben substituiert werden können - , so handelt es sich um freie Varianten (die Konsequenz, auch freie Allophone zu unterscheiden, ist nicht gezogen worden). Die lokale Determinanz verlangt eine Kontrastierung der Allophone und Varianten mit den Realisierungen vorher und nachher, so daß sich daraus die Phoneme bestimmen lassen. Das Kriterium der Invarianz besagt, daß jedem Phonem eine bestimmte Anzahl dinstinktiver Merkmale in der phonischen Repräsentation des Phonems entspricht. Die Kernphoneme (Vokale) /I/ und /ü/ in Biene und Bühne unterscheiden sich durch fehlende bzw. vorhandene Lippenrundung, so daß ihre eigentlich unterscheidende Eigenschaft auf dem Merkmal(paar) [-rund] vs. [ + rund] (minus für fehlend, plus für vorhanden) basiert, d . h . das Merkmal rund ist distintiktiv. Die ) Satellitenphoneme (Konsonanten) / B - D - G / unterscheiden sich untereinander nur durch die Artikulationsstelle (labial - dental - guttural), sind ansonsten alle drei stimmhafte Plosivlaute. Sie differieren von /Ρ - Τ - Κ/ durch die Stimmhaftigkeit, von /Μ - Ν - n/ (phonetisch: [m - n - r)] durch die Plosion (aber auch durch den Gegensatz oral - nasal u. a.). Ein solches System von Phonemen mit gemeinsamen Merkmalen heißt Phonemkorrelation (Skizze 3a). Werden für die Merkmale Buchstaben und Ziffern eingesetzt (a für [ + stimmhaft, - p l o s i v ] , b für [ + stimmhaft, + plosiv], c für [ - stimmhaft, + plosiv], 1 für [ + labial], 2 für [ + dental], 3 für [ + guttural]), so können an die Stelle der die Phoneme in Skizze 3a repräsentierenden Alphabetzeichen Merkmalsymbole treten (Skizze 3b), aus denen die Ähnlichkeit bzw. U n -

Phonemkorrelationen In Alphiabetzeichen

,Μ T.timmhaft( /B plosiv ( N P

n

al

a2

a3

D

G

bl

b2

b3

κ

cl

c2

c3

k ü d dei

Ski//c 3 a

In Merkmalkombinationen

Ν

τ

cjutturcJ

Skizze 3 b

ähnlichkeit hervorgeht. Dies ist ein Prinzip, auf dem die generative Phonologie aufbaut. Phoneme werden dort als Segmente aufgefaßt, , , [ . . . ] die die minimale Anzahl distintikver Merkmalspezifikationen enthalten, die erforderlich sind, um über die phonetische Realisation von Morphemen Rechenschaft abzulegen" (Harms 1968). In letzter

10. Phonemik Konsequenz wird somit die Existenz von Phonemen und auch einer phonologischen Beschreibungsebene bestritten. l.J.

Autonome

vs. nicht-autonome

Phonologie

Im Taxonomismus ist die Phonologie a u t o n o m , d . h . die phonologische Beschreibungsebene ist nicht integriert in die grammatische Ebenenhierarchie. Die phonologischen Einheiten werden subgrammatisch klassifiziert und unabhängig von allen anderen Einheiten beschrieben. Subphonem i s c h e - und d . h . in erster Linie syntagmatische Erscheinungen sind von Interesse, wenn sie den paradigmatischen Aspekten der taxonomischen Phonologie G e w i n n bringen, z . B . bei der Aufstellung von Phonemkorrelationen; supraphonemische Einheiten dagegen unterscheiden sich durch die Bilateralität ihres Zeichencharakters grundlegend von den monolateral aufgefaßten p h o n e mischen (Phoneme haben keine Inhaltsseite, sondern sind geeignet, Inhalte zu unterscheiden), so daß die Cäsur nach oben und unten unüberwindlich ist. Die generative Grammatik bestreitet die Richtigkeit des taxonomischen Ansatzes einer autonomen Phonologie. D u r c h die Modifikation der glossematischen Dichotomie von der Ausdrucksu n d Inhaltsseite sprachlicher Zeichen in Richtung auf eine Oberflächen- und Tiefenstruktur syntaktischer Konstruktionen lassen sich p h o n o l o gische Beschreibungen in solche der syntaktischen Oberflächenstruktur integrieren. Für C h o m s k y (1967) ist somit , , [ . . . ] die phonologische K o m ponente einer generativen Grammatik [ . . . ] ein System von Regeln, die die phonetische und syntaktische Repräsentation in Beziehung setzen". Die (phonologischen) Segmente, welche im Lexikon ( C h o m s k y ) b z w . M o r p h i k o n (Harms) repräsentiert sind, heißen zugrundeliegende Segmente, alle anderen abgeleitete Segmente (Wurzel 1970). Termini wie P h o n e m , systematisches P h o n e m u. dgl. werden in neueren generativ-phonologischen Arbeiten weitgehend vermieden, um den U n t e r schied zur taxonomischen Phonologie auch terminologisch zu dokumentieren. Damit ist eine darin bestehende metasprachliche Inkonsequenz umgangen, daß bei phonologischen Beschreibungen emische Einheiten als paradigmatische Kleinsteinheiten betrachtet werden, bei morphologischen und lexikologischen Beschreibungen aber etische (Morphe, Lexe); ferner erübrigt sich die Diskussion der Valenz und der Variantenzugehörigkeit. Andererseits werden nur die Distinktivitäten beachtet zuungunsten der phonetisch-phonologischen Substanz, so daß generativ-phonologische Beschreibungen nicht in den Sprechvorgang u m setzbar sind.

2, Operationale 2.1.

131

Verfahren

Elemente

Die Feststellung der P h o n e m e b z w . der im M o r phikon (Lexikon) zugrundeliegenden Segmente geht aus von der Überlegung, daß eine Korrelation von Ausdruckseinheiten zu einer Korrelation von Inhaltseinheiten in Beziehung steht ( K o m m u t a · tion), so daß die Invarianten der Ausdrucksebene (Phoneme) durch K o m m u t a t i o n s p r o b e n ermittelt werden k ö n n e n . In dem Satz Das Gartenhaus ist eingestürzt läßt sich Gartenhaus nicht durch Kartenhaus ersetzen, ohne daß sich die Inhaltsseite des Satzes verändert; also steht die ausdrucksseitige Korrelation Gartenhaus—Kartenhaus in Relation zu einer inhaltsseitigen Korrelation ( , H a u s im Garten' - , H a u s aus Karten'). Phonologisch läßt sich die ausdrucksseitige Korrelation reduzieren auf den Gegensatz von G und K; dadurch sind G und Κ als P h o n e m e ermittelt; sie bilden eine O p p o s i t i o n (engl, contrast). Paradigmen einer ausdrucksseitigen Korrelation, die sich durch nur eine O p p o s i t i o n unterscheiden, heißen Minimalpaar; Gartenhaus und Kartenhaus bilden also ein Minimalpaar. In der generativen Phonologie wird bestritten, daß die P h o n e m e als Enden der Analyse in Betracht k o m m e n , da die Distinktion der Korrelationselemente nicht auf der O p p o s i t i o n von Phonemen (ζ. B. / G / vs. / Κ / ) beruhe, sondern auf der O p p o s i t i o n von distinktiven Merkmalen ( z . B . [ + s t i m m h a f t ] vs. [ - s t i m m h a f t ] ) der phonologischen Segmente, welche der Ausdruckskorrelation zugrundeliegen. Die Ermittlung der Phoneme und die Aufstellung eines Phoneminventars (Skizze 4)

Phoneminventar des Deutschen (biphonemische Wertung von Affrikaten und Diphthongen) Kernphoneme kurz lang i ü u I Ü Ε 0 ä ö c A a A

υ Ο

Satellitenphoneme Μ Ν L R Β D Ρ Τ V Ζ J F S s

η G Κ Χ

Η

Skizze 4

- Hauptziele der taxonomischen Phonologie entfallen zugunsten einer syntagmatisch orientierten Aufstellung aller Lautsegmente des Lexikons (Morphikons) und einer sich daran anschließenden Matrix distinktiver Merkmale (Skizze 5). Diese Matrix m u ß auch solche Segmente enthalten, die in einer Ausdruckskorrelation stehen, ohne daß damit die Relation zu einer Inhaltskorrelation verbunden ist (Substitution), d . h . P h o -

132

/ / . Sprachstrukturen Κ

ο

+ I

Χ

ο

+ I

χ

ο

+ +

ο

+ +

ο

I +

+ ο

ο

I I

+ ο

ο

+ ο

I ο

ο

+ +

I ο

Ν >

ο

I +

I ο .

ο

I I

S«i

ο

+ ο ο

Η

I ο -

ο

I + ο

+ + ο

Ch

ο

I I ο

+ + ο

Ο

Ο + ο ο

+ ι ο .

Q

ο

I + ο

+ I ο .

vok kom

ö

ο

I I ο

+ ι ο
CS/[... [-menschlich] - [-abstrakt]

7.6.

Lexikonregeln

Neben den Verzweigungsregeln enthält die Grammatik bei Berücksichtigung der Subkategorisierung Regeln, die komplexe Symbole einführen und ein Lexikon, das die idiosynkratischen Eigenschaften der lexikalischen Formative enthält (N. Chomsky 1965, 118), zu denen phonologische, syntaktische und semantische Eigenschaften gehören. Die syntaktische Information des Lexikoneintrags wird mit dem entsprechenden komplexen Symbol der präterminalen Kette verglichen, und wenn Übereinstimmung besteht, die lexikalische Einheit zusammen mit den übrigen Informationen in die präterminale Kette eingeführt; so ergibt sich die terminale Kette als Grundstruktur eines wohlgeformten Satzes einer Sprache. 7.6.1. Zusammenhang von Subkategorisierung

19. Syntax

und Lexikon: Im Zusammenwirken von PSRegeln und SK-Regeln werden Baumstrukturen abgeleitet, deren Endsymbole lexikalische Kategorien (Α, Ν , V usw.) sind, die ihrerseits zu komplexen Symbolen expandiert werden. Durch eine Lexikonregel werden den komplexen Symbolen Wörter (mit phonologischer Matrix) zugeordnet. Für Wörter gilt die Zeichenrelation: eine lautliche Charakteristik und eine syntaktischsemantische Charakteristik sind als Lexikoneintrag aufeinander bezogen. Auf der Grundlage der Merkmale des komplexen Symbols werden die Wörter mit ihrer Charakteristik in die präterminale Kette des Strukturbaums eingeführt: /\ NP / \ Art Ν 1 I 1 I CS CS

/ VP 1 V 1 1 CS

NP

— - VP

/ Art 1 Syntak.Semant. Merkm. Phonet. Merkm. I 1 der

Syntak.Semant. Merkm. Phonet. Merkm. |

1 Knabe

1 V I Γ ' Syntak.Semant. Merkm. Phonet. Merkm. I 1 schläft

d. h. die CS werden ersetzt durch Lexikoneinträge, die Wortketten ergeben.

7.7. Potenz der

Grammatik

Eine Grammatik, die aus PS-Regeln, Subkategorisierungsregeln und Lexikon besteht, vermag einen großen Teil der grammatisch richtigen Sätze einer Sprache zu erzeugen und ihnen eine Strukturbeschreibung zuzuordnen. Die Grammatikalität der Sätze wird dadurch garantiert, daß die inhärente Subkategorisierung des kategorialen Kontexts, der bei der strikten Subaktegorisierung eine Rolle spielt, im Lexikoneintrag der Verben berücksichtigt wird. 7.8. Leistung der

Phrasenstrukturgrammatik

Mit dem Regelapparat einer PSG können explizite Konstruktionsanweisungen zur Erzeugung von syntaktischen Strukturen gegeben werden, die einen großen Teil der möglichen Sätze einer Sprache charakterisieren. Die Berücksichtigung des Grammatikalitätsaspekts bringt es mit sich, daß die Bedingungen, unter denen lexikalische Einheiten im Satz verkettet werden können, weiter präzisiert werden müssen. Dies kann durch Merkmalcharakterisierung der kategorialen Endsymbole geschehen; jede Einführung eines derartigen Merkmals muß durch ein besonderes Verhalten der betreffenden syntaktischen Elemente

225

im Satz gerechtfertigt sein (N. Chomsky 1965: syntactic evidence). U m alle in einer Sprache möglichen Satzstrukturen mittels einer generativen Konstituentengrammatik zu erzeugen, bedarf es eines sehr umfangreichen Formationsteils (vgl. Heringer 1970 b), 2. Aufl. 1972). Dieser läßt läßt sich durch Einführung einer zusätzlichen Regelart, die Transformationsregeln, vereinfachen. 8. Transformationelle 8.1.

Syntax

Transformationsbegriffe

Es sind in der Forschungsliteratur mehrere Transformationsbegriffe zu unterscheiden: 1. Transformationen als Äquivalenzbeziehungen zwischen Oberflächensätzen (Z. S. Harris 1957; H . Glinz 1971); 2. Transformationen als zusätzliche Ableitungsprozesse, die auf die Ausgabenketten einer PSGrammatik einwirken (N. Chomsky 1957); 3. Transformationen als Regelsysteme, welche die Beziehungen zwischen der syntaktischen Tiefenund Oberflächenstruktur von Sätzen beschreiben (N. Chomsky 1965); 4. Transformationen als Ableitungsbeschränkungen von wohlgeformten semantischen Tiefenstrukturen zur syntaktisch-phonologischen Oberfläche hin (J. D. McCawley, G. Lakoff). 8.2. Transformationen

bei 2. S. Harris (1957)

Die Voraussetzungen für die Entwicklung dieses Transformationsbegriffs liegen im Substitutionsbegriff und im Expansionsbegriff der strukturalistischen Syntax. Transformationen basieren auf einer Äquivalenzbeziehung zwischen syntaktischen Strukturen : zwei Konstruktionen werden als Transforme voneinander angesehen, wenn sie den gleichen Elementenbestand und dieselben Kookurrenzverhältnisse aufweisen. Transformationsbeziehungen bestehen nur zwischen Konstruktionen mit gleichem Informationsgehalt. Es bestehen (nach Harris) drei Gruppen von Transformationsbeziehungen, nämlich: 1. zwischen unabhängigen Sätzen (S t ii'rl P" ist richtig * ' V .. '

Transformationen dienen dazu, die Strukturveränderungen explizit darzustellen, die zur Ausdifferenzierung einer zugrundeliegenden Struktur in verschiedenen Oberflächenformen und zur gleichen Oberflächenform von verschiedenen zugrundeliegenden Strukturen führen. S,

Er protestiert. Das ist richtig (Dem,)

5. SK wird an Dem s adjungiert mittels einer Konjunktion K:

/Oberflächenstruktur

S2

\ / Τ

und

S / \ T , T2

Beispiele: Sätze wie (1) Er im deshalb weil er (2) Da er handelt, irrt er

handelt

weisen unterschiedliche Strukturen auf, doch bestehen in (1) dieselben Bedeutungs-Beziehungen wie in (2). Sätze wie (3) Peter verspricht Hans zu kommen (4) Peter befiehlt Hans zu kommen erhalten bei einer Konstituentenanalyse dieselbe Strukturbeschreibung zugeordnet; die Beziehungsunterschiede zwischen ihnen (3) Peter will kommen; Hans soll kommen werden auf diese Weise nicht erfaßt.

Das daß er protestierte ist richtig

6. Dem s wird getilgt. Auf diese Weise können z . B . Subjektsätze abgeleitet und je nach Position von P° auch Objektsätze, indirekte Fragesätze, eingeleitete und uneingeleitete direkte Rede. Durch die Einführung eines AB-Knotens mit unterschiedlicher semantischer Charakteristik unter Präd können auch adverbiale Nebensätze abgeleitet werden, ζ. B. Kausalsätze

[kausl [kaus] Er

Präp deshalb

Dem s

AB [kaus] Κ weil

Sj

er Geld hat

lacht

Nach diesem Muster können bei entsprechender Semantik von AB abgeleitet werden: Konzessiv-

Der zunächst beschreibungstechnisch motivierte Ansatz einer tieferliegenden Strukturebene ist in der generativen Transformationsgrammatik zu einem systematischen Konzept ausgebaut und in einem umfassenden theoretischen Rahmen gestellt worden: Bedeutungsgleichheit von Sätzen deutet auf transformationelle Verwandtschaft, d.h. solche Sätze haben eine gemeinsame Tiefenstruk-

8.5. Transformationen im „Aspects"-Modell (N. Chomsky 1965) 8.5.1. Modell: Die syntaktische Tiefenstruktur ist so angelegt, daß die strukturellen Eigenschaften von Oberflächenstrukturen aus ihr auf möglichst einfache Weise ableitbar sind: 1. Grammatische Grundrelationen (Subjekt-von, Objekt-von, usw.) werden in ihr als Relationen zwischen grammatischen Kategorien (S, NP, VP, V usw.) repräsentiert. 2. Beschränkungen des kategorialen Kontexts und

19. Syntax

Selektionsbeschränkungen werden auf dieser Stufe festgelegt. 3. Die Lexikoneinheiten werden auf dieser Stufe eingeführt. Die Uberführung von Tiefenstrukturen in grammatische Sätze der Oberfläche mittels Transformationen ist durch diese Bedingungen vorprogrammiert. Das Modell einer generativtransformationellen Grammatik ( G T G ) umfaßt folgende Komponenten:

Generative Basiskomp. Formationsteil Lexikon

Phonolog. Interpret. Tiefenstruktur

Transf. Komp.

Oberfl. struktur

Semant. Interpret.

Den Kernbereich einer als autonom verstandenen Syntax bilden der Aufbau der Tiefenstrukturen (geleistet von der Basiskomponente) und die Ableitung der Oberflächenstrukturen (geleistet von der Transformationskomponente). 8.5.2. Verhältnis Syntax/Semantik: Zum Problem des Zusammenhangs von Syntax und Semantik existieren (im Rahmen der G T G ) drei Auffassungen: 1. Die syntaktische Tiefenstruktur ist die einzige für die semantische Interpretation maßgebende Ebene (N. Chomsky 1965, J . J . Katz 1972). 2. Die semantische Interpretation basiert auf der syntaktischen Tiefenstruktur, ist aber teilweise determiniert durch bestimmte Aspekte der syntaktischen Oberflächenstruktur (N. Chomsky 1971). 3. Eine autonome Ebene der syntaktischen Tiefenstruktur gibt es nicht. Die zugrundeliegenden semantischen Repräsentationen stehen durch komplexe Transformationen in Beziehung zur syntaktischen Oberflächenstruktur (J. D . McCawley 1968; J . Ross/G. Lakoff 1971). 8.6.

Rekursivität

8.6.1. Rekursive Regeln: Statt komplexe Sätze mittels generalisierter Transformationen abzuleiten, wird in den neueren Modellen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, in den Formationsteil einen Typ von Regeln einzuführen, bei dem das oberste Symbol S auch rechts des Pfeiles auftreten kann, ζ. B. NP —> S, wodurch komplexe Strukturen mit eingebetteten Sätzen bereits als Basisstrukturen erzeugt werden können (rekursive Basisregeln), ζ. B . :



VP / V

S / NP

/

Art

I

I

\ VP

\

229

warnt

V

I

I

der Hund

/

Art

ι

I

Ν

\ NP

den

\

Ν

ι

Dieb

bellt

Strukturen dieser Art werden „generalisierte Phrase-Marker" genannt (N. Chomsky 1965). Sie enthalten alle Informationen der einzelnen P-Marker und auch die Information über die Einbettungsbedingungen. Transformationen sind in diesem Modell bedeutungserhaltend (Β. H. Partee 1971). 8.6.2. Erzeugung komplexer Sätze: Die Satztypen des Deutschen können ζ. B. durch derartige rekursive Regeln in komplexen Sätzen eingeführt werden: 1. Ergänzungssätze N P —» S

(Subjekt-Sätze bei Ersetzung von Subjekt-NP durch S) (Objekt-Sätze bei Ersetzung von Objekt-NP durch S) 2. Adverbialsätze NP ^ S (bei Ersetzung einer N P , die Teil einer AB-Konstituente ist) 3. Attributsätze NP —» N P + S (bei Erweiterung einer NP durch einen Relativsatz).

Zur transformationeilen Ableitung der verschiedenartigen Oberflächenstrukturen deutscher Sätze bedient man sich einer (offenen) Liste von Transformationen, die in Abhängigkeit von den Darstellungskonventionen der Tiefenstruktur einzeln oder gebündelt Anwendung finden. Zur Ableitung einer Infinitivkonstruktion wie in dem Satz Peter kann schießen sind z . B . drei aufeinanderfolgende Transformationen notwendig (Funkkolleg, Sprache 1971/72). 1. Tilgung identischer N P (Equi-NP-deletion):

S / \ NP; VP / \ V NP I

2. Stutzkonvention (Tree-pruning-condition) S / NP

/

s

/ \ NPi VP

\ VP / \ V NP

Peter

I

| S

I

VP

I V Peter kann

Peter schieß-

kann schieß-

230

11.

Sprachstrukturen

3. Kongruenztransformation: S / NP

\ VP

/ \ V V Peter kann schießen

Pronominalisierungen: Auch Promina werden auf der Grundlage referenzidentischer Nominalphrasen in vorhergehenden Sätzen transformationell eingeführt (Pronominalisierungstransformation) (R. Radvila 1972, T. v. Dijk 1972). 8.6.3. Satzverbindungen: Auch Satzverbindungen können transformationeil erklärt werden durch Einführung einer S-rekursiven Regel S —» S (& S)"); dazu kommen noch Lexikonregeln für die verschiedenen Satzkonnektive, z.B. und, oder, aber usw. Man kann entsprechend konjunktive, disjunktive, adversative usw. Satzkoordinationen unterscheiden (P. Rosenbaum 1968, 253). Durch Anwendung einer solchen Regel entstehen Strukturen der Form S

8.7. Zyklische

Transformationen

Die ursprüngliche Bedingung, daß die Konstituentensätze vor ihrer Einbettung in den Matrixsatz entsprechend umzuformen sind, findet sich in veränderter Form in der Auffassung von der zyklischen Anordnung von Transformationen (cyclic principle). Man unterscheidet zyklische und postzyklische Transformationen. Ein Zyklus ist ein System von Regeln, die in einer bestimmten Reihenfolge auf alle vom rekursiven Formationsteil erzeugten generalisierten Phrasenmarker anzuwenden sind (P. Rosenbaum 1968, 240), beginnend mit dem „am tiefsten" eingebetteten Satz und fortschreitend zum jeweils nächsthöheren. Postzyklische Transformationen unterliegen einfacheren Gesetzmäßigkeiten; sie sind linear geordnet : Alle Anwendungen einer beliebigen Transformation gehen der Anwendung der nächsten Transformation voraus. Beispiel: Ein generalisierter Phrasemarker habe folgende Struktur

/

s/ |κ\ s

S3

Der

\

NP

VP

ι Durch Konjunktionsregeln entstehen N P - und VP-Koordinationen: Peter sagte kein Wort und Otto sagte kein Wort -· Peter und Otto sagten kein Wort

Ν es

S2 / NP

/ 1 \ Κ

Ν

VB ist klar

\ VP

I S, VP \ist schwer

S

/ NP / I \ NP Κ NP

daß es X verdient Geld

Peter zerbrach das Glas und verschüttete die Milch S \ VP

I

Β. Tilgung von Ν 1. Zyklus: - Α; - Β 2. Zyklus: + Α; - Β 3. Zyklus: + Α; - Β ergibt: Es ist klar, daß es schwer ist, Geld zu verdienen 1. Zyklus: - Α; - Β 2. Zyklus: - Α; - Β 3. Zyklus: - Α; + Β ergibt: Daß Geld zu verdienen schwer ist, ist klar

1. Zyklus: - Α; - Β 2. Zyklus: - Α; + Β 3. Zyklus: + Α; - Β ergibt: Es ist klar, daß Geld zu verdienen schwer ist

\

VP Κ VP / \ / \ V NP V NP

Ein großer Teil der syntaktischen Untersuchungen zum Dt., die vorwiegend an der Arbeitsstelle für strukturelle Grammatik entstanden, beruht auf einem modifizierten Modell nach Chomsky 1957 (M. Bierwisch 1963, Grammatik des dt. Verbs; W. Mötsch 1964, Syntax des dt. Adjektivs; W. Härtung 1964, Die zusammengesetzten Sätze des Dt.; W. Mötsch, 1965, Untersuchungen zur Apposition im Dt.). (Eine Untersuchung zum Deutschen auf der Grundlage des Modells von Chomsky 1965: R. Steinitz 1969; Adverbialsyntax. Merkmaisgrammatik und Segmenttransformationen: A. d e V . Cluver 1972).

A. Umstellung von VP

1. Zyklus: - Α; - Β 2. Zyklus: + Α; - Β 3. Zyklus: - Α; + Β ergibt: Daß es schwer ist Geld zu verdienen, ist klar

Peter zerbrach das Glas und Peter verschüttete die Milch —>

/

Transformationszyklus

besteht aus zwei Regeln:

Die zyklische Anwendung der Transformation schließt Sätze wie *Geld zu verdienen, ist klar, daß es schwer ist ''Daß es schwer ist, ist klar, Geld zu verdienen von der Erzeugung aus. 8.8. Anwendungsbeschränkungen Transformationen

für

8.8.1. Regelmerkmale. Die durch die Basis erzeugten generalisierten P-Marker werden durch Transformationen so verändert, daß am Ende nur

19. Syntax

die grammatisch richtigen Sätze der Oberfläche in Erscheinung treten (Filterfunktion der Transformationsregeln). Die Anwendung von Transformationsregeln auf die Tiefenstrukturen unterliegt bestimmten Beschränkungen. Ein Vorschlag (G. Lakoff 1970, 21) geht dahin, bei der Lexikonbeschreibung der Formative eine Subkategorisierung nach der Anwendbarkeit von Grammatikregeln vorzunehmen. Merkmale dieser Art, die die Anwendbarkeit auf bestimmte Lexikoneinheiten festlegen, nennt man Regel-Merkmale; sie sind Bestandteile der syntaktischen Information des Lexikoneintrags. 8.8.2. Der transformationellen Beziehung zwischen den Sätzen 1 2 3 4 5 Hans kauft das Buch von Peter Peter verkauft das Buch an Hans

kann Rechnung getragen werden, indem man der Verbkategorie, die in diesen Sätzen auftritt, das Regel-Merkmal [ ± FLIP] zuordnet; dieses Merkmal ermöglicht eine Transformation, durch die Subjekt-NP und PP ausgetauscht werden: NP

V

NP

VON

NP

Bei dem Versuch einer genauen Spezifizierung der syntaktischen Tiefenstruktur zeigt es sich, daß mit Prozessen unterhalb der syntaktischen Tiefenstruktur zu rechnen ist und daß Lexikoneinsetzungen auch nach dem Wirken der syntaktischen Basisregeln denkbar sind. Aufgrund solcher und ähnlicher Überlegungen gelangte man zu dem Konzept einer semantischen Tiefenstruktur (J. Ross). In der Generativen Semantik wird die Begründung der syntaktischen Information der Tiefenstruktur ( z . B . der Selektionsmerkmale) in eine semantische Basis verlagert. Im Gegensatz zum „Standardmodell" (Chomsky 1965) und zum „erweiterten Standardmodell" (Chomsky 1971) wird keine distinkte Ebene einer Tiefenstruktur angesetzt, sondern die Ebene der semantischen Struktur eines Satzes ist seine logische Tiefenstruktur. Synuk. Tiefenstruktur

Standard-Theorie

(ST) Form.-T. Lexikon

2 - Flip

3 3

4 AN

Pn

SI

PI

Semant. Interpret.

Phonolog. Interpret.

5 1

(Stelzer, (Hg.) 1973, 13)

Die Ausstattung der Lexikonbeschreibung von Formativen mit Merkmalen, die in Beziehung zu Transformationsanweisungen stehen, ist motiviert durch das Festhalten am Prinzip der monokategorialen Verknüpfung (J. Gruber 1970), das darin besteht, daß ein Formativ jeweils einen kategorialen Endknoten der Basisstruktur ersetzt. Auf diese Weise ist zwar sichergestellt, daß der Regelapparat der Basis und die damit erzeugten Basisstrukturen verhältnismäßig einfach sind, andererseits aber wird über komplexe Symbole und zusätzliche Regelmerkmale das Lexikon schwer belastet. 8.9. Transformationen im Modell einer Generativen Semantik 8.9.1. Autonome versus semantische Syntax: Das Konzept einer autonomen Syntax besteht darin, daß 1. die Syntax die generative Basis der Grammatik sei, 2. die Wohlgeformtheit von Sätzen allein durch formale Kriterien determinierbar sei, 3. syntaktische und semantische Aspekte des Satzes säuberlich auseinandergehalten werden können. Das Abrücken von dem Konzept einer (autonomen) syntaktischen Tiefenstruktur hat eine Veränderung der Auffassungen von der Tiefenstruktur zur Folge.

Syntak. Oberflächen struktur

— P,

+ Flip 1 —* 5

231

|

Erweiterte StandardTheorie (EST)

|

Form.-T. Lexikon

(Information der Oberfläche trägt zur semantischen Interpretation bei) Generative Basis-Theorie (GBT)

•P, I si

P„

I

PI P„

I

PI

Die Kritiker der Standard-Theorie sehen als erwiesen an, daß es „tieferliegende" Strukturen als die syntaktische Tiefenstruktur gibt und daß diese zugrundeliegenden Strukturen derselben formalen Natur sind, nämlich ebenfalls Phrasemarker. Die semantische Interpretation eines Satzes braucht daher nicht in einer andersartigen Beschreibungssprache (spezifische Semantiksprache, „Markeresisch") gegeben zu werden, sondern ergibt sich aus der Bedeutungsrepräsentation des Satzes selbst; diese wird in Form von P-Markern dargestellt und durch Transformationen in die Oberflächenstruktur überführt. In der Auffassung der Transformationen bestehen keine prinzipiellen Unterschiede zwischen autonomer und semantischer Syntax; sie werden aufgefaßt als Regelprozesse, durch die P-Marker auf P-Marker abgebildet werden (J. D . McCawley 1971, 178). 8.9.2. Globale Regeln: Der Transformationsbegriff hat in der generativen Semantik eine Präzisierung und Erweiterung erfahren und zwar durch die Unterscheidung von lokalen und globalen

232

II.

Sprachstrukturen

Transformationen (G. Lakoff 1971). Die Grammatikregeln einer G T G definieren die Wohlgeformtheitsbedingungen für die Sätze einer Sprache und zwar die PS-Regeln für einzelne P-Marker (wohlgeformte Tiefenstrukturen), die T-Regeln für Paare von aufeinanderfolgenden P-Markern. Transformationsregeln sind so gesehen besondere Fälle von Ableitungsbeschränkungen (derivational constraints) für benachbarte P-Markers / eine abgeleitete Struktur ist nur unter bestimmten Bedingungen (in der T-Regel spezifiziert) weiter abzuleiten: solange es sich um benachbarte P-Marker handelt, spricht man von lokalen Transformationen. Daneben sind (nach G. Lakoff 1970) auch globale T-Regeln anzusetzen, die Wohlgeformtheitsbedingungen für Konfigurationen von entsprechenden Knoten in nichtbenachbarten P-Markern in einer Derivation angeben (transderivational constraints); d. h. die Wohlgeformtheitsbedingungen für einen P-Marker sind nur auf der Grundlage der strukturellen Information mehrerer vorausliegenden P-Marker anzugeben.

9.

Inhaltssyntax

Im Hinblick auf die Beschreibung der Inhaltsstrukturen von Sätzen (Satzbedeutung) kann man mehrere theoretische Ansätze unterscheiden: 1. Versuche in der traditionellen Grammatik, Wortarten und Satzmustern inhaltliche Deutungen zu geben (Duden-Grammatik 2 1966, H. Brinkmann 1962, W. Admoni 3 1970). 2. Versuche, in einem Schichtenmodell (Morphosphäre/Nomosphäre die Zusammenhänge zwischen Ausdrucksgestalt und Satzbedeutung anzugeben (H. Glinz 1971). 3. Versuche, syntaktische Tiefenstrukturen eine semantische Interpretation zuzuordnen (Interpretative Semantik: J . Katz / J . Fodor 1972 N. Chomsky 1965). 4. Versuche, die syntaktischen Tiefenstrukturen aufzulösen und sie durch eine zugrundeliegende semantische Repräsentation zu ersetzen (Generative Semantik: A. Ross/G. Lakoff, J . D. McCawley). 5. Versuche, von einer Ausdruckssyntax her die Satzbedeutung zu ermitteln und die Satzbedeutung als Regel für den Gebrauch des Satzes zu bestimmen (H.-J. Heringer 1970a). 9.1. Traditionelle

Satzsemantik

Satzsemantische Erwägungen finden sich in der funktionalen Syntax im Zusammenhang der inhaltlichen Deutung der Satzbaupläne, Satzglieder und der kommunikativen Satzaspekte. Die logisch-grammatischen Satztypen bilden die im menschlichen Bewußtsein fixierten Sachverhalte

der objektiven Welt ab (W. Admoni 3 1970, 230), sind also wortsemantikübergreifende Konzepte. Die vier Satzmodelle H. Brinkmanns (Vorgangssatz, Handlungssatz, Adjektivsatz, Substantivsatz) sind von der inhaltlichen Leistung des jeweiligen Prädikats bestimmt (H. Brinkmann 1962, 520), d. h. die Satzsemantik ist eine Extension der Wortsemantik. Auch die Leistungsbeschreibungen der Grundformen in der Duden-Grammatik nehmen Bezug auf die inhaltliche Charakteristik der sie konstituierenden Satzglieder. Diese Satzglieder weisen verallgemeinerte Bedeutungen auf, die je nach Satztyp verschieden ausfallen können, z . B . ,,Die Rosen blühen: Das erste Glied des Satzes ( . . . ) ist ein Substantiv ( . . . ) , das seiner Wortart gemäß etwas Seiendes ( . . . ) benennt. Der Gärtner bindet die Blumen: Das Subjekt ist hier der Täter, dessen im Prädikat ausgedrücktes Verhalten sich zielstrebig einem anderen Wesen oder Ding zuwendet" (Duden-Grammatik, 1959, 872). Den oberflächenstrukturell bestimmten Satzgliedern werden auf diese Weise verhältnismäßig global formulierte inhaltliche Werte zugeordnet, die in ihrem Beziehungsgefüge die inhaltliche Leistung der Satzbaupläne bestimmen. (Ähnlich auch H. Glinz 5 1968; aber kritisch dazu Η. Glinz 1971, 62). 9.2.

Morphostruktur/Nomostruktur

9.2.1. Schichtenmodell: Mit der Übernahme eines Schichtenmodells der Sprache wird in der operationalen Satzgliedanalyse (H. Glinz) in Anlehnung an Saussures Zeichenbegriff eine lautliche (Phonomorphie) von einer geistig-begrifflichen Seite der Sprache unterschieden. Innerhalb dieser „eigentlichen Sprachstruktur" wird weiter zwischen Morphostruktur und Nomostruktur unterschieden, beide jeweils in Syntax und Lexikon gegliedert. Die Unterscheidung zwischen beiden Strukturen ergibt sich aufgrund der Beobachtung, daß syntaktische Elemente nicht in jedem Fall unmittelbar Träger von semantischer Information sind. Ζ. B. in den Sätzen Er will morgen kommen Er beabsichtigt morgen zu

kommen

zu gehört als Wort zur „eigentlichen Sprachstruktur", zählt aber, da es nur einen sprachlichen Mechanismus darstellt (H. Glinz 2 1971, 58), zur Morphostruktur; unmittelbare Informationsträger (Semanteme) gehören zur Nomostruktur. 9.2.2. Semanteme: Die Grundlage für die Analyse der Satzbedeutungen bildet der Semantembegriff (Nomosyntax des einfachen Satzes (K. Brinker 1972, 188, 193 3.). Ein Semantem ist der feste semantische Wert, den ein Wort zusammen mit bestimmten Ergänzungen als Inhaltseinheit signalisiert. Semanteme können in der Morpho-

79. Syntax Sphäre als verbale, nominale oder adjetivisch geprägte Strukturen auftreten (H. Sitta 1971, 97). Beispiel: Der Satz Ich sehe in ihm meinen Freund enthält das verbale Semantem in jemandem jemanden sehen / jemand. Verbale Semanteme bilden untereinander bedeutungsäquivalente Reihen (Klassen transformationsverbundener Semanteme: H. Glinz 1965; Klassen äquivalenter Semanteme: H. Sitta 1971). Der Semantembegriff kann auch als nomosyntaktisch konzipierter Valenzbegriff verstanden werden (K. Brinker 1972, 187). Die Grenzziehung zwischen Morpho- und Nomostruktur ist nicht eindeutig vorzunehmen (H. Glinz 2 1971, 59; H. Sitta 1971, 244) Nomosphäre und Morphosphäre können sich decken, „aber es ist nie vorauszusehen, ob und wo sie es tun und ob und wo man sie unterscheiden muß" (H. Glinz 1966, 14).

9.3. Interpretative

Semantik

9.3.1. Formalismus: Als erster systematischer Versuch, den Aufbau der Satzbedeutung im Rahmen eines integrierten Grammatikmodells darzustellen, kann die sog. „interpretative Semantik" (Katz/Fodor) angesehen werden. Die Basis der G T G als zentrale generative Komponente erzeugt Phrasenstrukturen mit kategorialen Endknoten, die durch Formative aus dem Lexikon ersetzt werden. Die Strukturinformationen des P-Markers bilden zusammen mit verschiedenen Informationen, die mit den Formativen verbunden sind, die (syntaktische) Tiefenstruktur des Satzes. Die semantische Interpretation des Satzes, d. h. die Vereinigung der Merkmalbündel der einzelnen Formative zur Gesamtbedeutung des Satzes erfolgt mittels Projektionsregeln: unter dem jeweils dominierenden Knoten erfolgt eine Amalgamierung der Merkmalbündel, bis unter dem obersten Knoten S alle Merkmalbündel vereinigt sind: S / \ NP VP / \ V NP / \ A NP

233

S / \ NP VP η, / Ο, / Ρ, η2 / 0 2 / Ρ2 η, / Ο,/ Ρ,

m, / η, / Ο, / Ρ, m2 / η2 / 0 2 / Ρ2 mj / η3 / Ο, / Ρ, F,

F,

F4

F,

Bei der Projektion sind die syntaktischen Relationen (Subjekt-von, Objekt-von) zu berücksichtigen; ihre Information geht in die Interpretation ein. Ihre inhaltliche Deutung (z.B. daß die Subjekts-NP einen „Handelnden" bezeichnen kann) erfolgt mittels der interpretativen Komponente. 9.3.2. Kritik: Die kritischen Punkte dieses Modells sind die Beschreibung der semantischen Information der Formative durch Merkmale und die Charakterisierung der Satzbedeutung als ein Konglomerat von Merkmalen (Kritik bei U. Weinreich 1970, H.-J. Heringer 1970, 86). In den früheren Darstellungen des Modells werden die Formative als Einzelwörter mit potentiell mehreren Lesarten angesehen, so daß der Projektionsprozeß, bei dem die Merkmalbündel der Einzelwörter in Abhängigkeit von der syntaktischen Strukturierung amalgamiert werden, auch noch die Funktion der Monosemierung, d.h. der Ausfilterung unverträglicher Lesarten hat (J. J . Katz 1964).

9.4.

Kasusgrammatik

Dieses Konzept geht davon aus, daß der propositionale Kern des einfachen Satzes aus einem „Prädikator" (dem Verb) besteht, mit dem eine oder mehrere Kategorien mit der semantischen Funktion von „Tiefenstruktur-Kasus" verbunden sind. Die (syntaktisch konzipierte) Tiefenstruktur hat folgende Form (M. Kürschner 1973, 116)

Anwendung von P: S \ VP V NP

Forni[

Form 2

Formj

Form,

m, m2 m3

ni n2 nj

o, o, o,

P, p2

Kinder

lieben

kleine

Tiere

Ο,/Ρ, o2/p2 Ο,/Ρ, Form* Form«

wobei Μ in etwa dem Aux einer RosenbaumGrammatik entspricht (es enthält Tempus, Modus, Hilfsverben usw.), Ρ ist die abstrakte Satzstruktur, C ist Kategorialsymbol für den Kasus, Κ ist eine Präposition, V ist lexikalische Kategorie für Verb oder Adjektiv; im Lexikon ist für jeden Prädikatorder Kasusrahmen zu spezifizieren (ζ. B. zeigen Ο , Ε, A; Hans zeigte Peter das Messer). Es werden unterschieden (Fillmore 1971) ζ. Β.

234

//.

Sprachstrukturen

1. der Auslösende einer Handlung (Agent) 2. der Erfahrene eines psychologischen Vorgangs (Experiencer) 3. das Objekt, das einer Veränderung oder Bewegung unterzogen wird, eine Empfindung auslöst oder ein Ergebnis darstellt (Object) 4. das (unbelebte) Mittel, mit dem ein Handelnder etwas tut (Instrumental) 5. der auslösende Faktor (außerhalb der Kontrolle eines Handelnden) (Causal) 6. Ursprung (Source) 7. Ziel (Goal) 8. die Lokalisierung eines Vorgangs (Place) 9. die Zeitumstände eines Vorgangs (Time) (nach Zimmermann 1972).

Über die Zahl der Kasus und ihre Benennung herrscht keine Einigkeit (vgl. M. Kürschner 1973). Die Kasus, die als spezifische Funktion von N P aufgefaßt werden, sind hierarchisch geordnet. Es wird angenommen, daß es ein endliches Repertoire solcher Kasus gibt und daß sie universal sind. Von dieser hierarchischen Ordnung sind bestimmte syntaktische Prozesse abhängig; in erster Linie die Subjekt-Auswahl: Zum Subjekt des Satzes wird diejenige N P gewählt, die mit dem ranghöchsten Kasus verbunden ist. Die formal definierte Relation „Subjekt-von" in der syntaktischen Tiefenstruktur der Chomsky-Grammatik erweist sich von der Konzeption der Tiefenkasus her gesehen als (interpretationsneutrale) Oberflächenkategorie, wie die Subjektivierungsmöglichkeiten der verschiedenenen Kasus zeigen: Agent:

Peter kauft ein Haus

Experiencer:

Peter erkennt den Mörder (Peter hat ein Erkennungserlebnis in Bezug auf den Mörder) Instrumental: Die Orgel spielt herrlich {jemand spielt herrlich auf (mit) der Orgel) Objekt: Das Buch verkauft sich schnell {Jemand verkauft das Buch schneit) Lokativ: Seine Stirn trieft von Schweiß (Schweiß trieft von seiner Stirn)

Es ergibt sich auf diese Weise eine Satztypologie auf der Grundlage der Kasuskonstellation, die sich von der auf der Grundlage der Oberflächenkasus aufgestellten (z.B. „Grundformen" der Duden-Grammatik) vor allem darin unterscheidet, daß sie keine direkte Zuordnung der morphologisch charakterisierten Kasusformen der Satzglieder zu semantischen Funktionen vornimmt, sondern Typen semantischen Funktionen in einem transformationellen Verfahren zu Konstituenten der Oberfläche zuordnet. 9.5. Generative

Semantik

9.5.1. Formallogische Basis: Die Basis einer generativen Semantik erzeugt Prädikat-ArgumentStrukturen (Notationen in Anlehnung an den Prädikatenkalkül der symbolischen Logik); die Uberführung dieser Strukturen in die Oberflächenstrukturen von Sätzen ist unter der Voraussetzung

möglich, daß es sich bei beiden um Strukturen derselben formalen Natur handelt, was sich darin ausdrückt, daß dieselbe Darstellungsform, nämlich etikettierte Strukturbäume, angewandt werden kann: Ρ

S

/ I \ Präd Arg Arg

/ V

I NP

\ NP

Als Einheiten der Basis kommen atomare Prädikate (z.B. BEWIRK, das die Bewirkungsrelation zwischen zwei Satzvariablen repräsentieren, oder K O M Z U , das als einstelliges Prädikat eine Satzvariable bindet, die einen erreichten Zustand bezeichnet; solchen Prädikaten ist eine modelltheoretische Interpretation zuzuordnen (Dowty 1972)) und Referenzvariablen in Frage, denen als syntaktische Kategorialsymbole V und N P entsprechen. Da die Grundstrukturen semantischer Natur sind, entfällt eine interpretative Komponente; die in das Lexikon der Basis einer G T G inkorporierten Selektionsmerkmale, die als syntaktische Ableitungsbeschränkungen fungieren, erweisen sich durchwegs als semantische Bedingungen (McCawley, Lakoff); Syntax und Semantik sind also nicht zu trennen. Die in der semantischen Basis erzeugten komplexen Prädikat/Argument-Strukturen repräsentieren die semantische Struktur von Sätzen. Zur Beschreibung dieser Struktur ist es notwendig, die Inhaltselemente (elements of content) und ihre Relationen zu spezifizieren, Syntax setzt, so gesehen, bereits unterhalb der Ebene der Formative an (prälexikalische Syntax). 9.5.2. Transformationen: Besondere prälexikalische Transformationen, deren wichtigste die Prädikatsanhebung (predicate raising) ist, dienen der Bündelung des semantischen Materials, das in den lexikalischen Einheiten der natürlichen Sprachen organisiert ist. Dem Satz Peter tötete den Mann, der das Gewehr trug wird folgende semantische Repräsentation zugeordnet: S

/|\ BEWIRK X S / \ KOMZU S / \ NICHT S / \ LEBEND Y

(X bewirkt, daß es dazu kommt, daß Y nicht lebendig ist) (Kritik bei Dowty 1972). Um zur Oberflächenform des Satzes zu gelangen, ist es notwendig, die über die ganze semantische Struktur verteilten Bestandteile der Verbbedeutung von töten zu einer einheitlichen Konfiguration zu sammeln (daher auch collection transformation):

19. Syntax

BEWIRK—Λ KOMZU-n NICHT-! LEBEND

Χ : NPDeskr.: X heißt Peter

Υ: NPDeskr.: Y ist der Mann, der das Gewehr trag

Ist diese K o n f i g u r a t i o n erreicht, so kann die entsprechende lexikalische Einheit aus dem L e x i k o n e n t n o m m e n und in den abgeleiteten P - M a r k e r eingeführt werden (Lexikalisierungsregel); dies geschieht auf unterschiedlichen Stufen der A b leitung. D i e N P - D e s k r i p t i o n e n regeln die E r s e t z u n g der Individuenvariablen durch lexikalisches Material. Es handelt sich nur oberflächlich b e trachtet um eine m o n o k a t e g o r i a l e E r s e t z u n g ; tatsächlich aber w e r d e n die durch die atomaren Prädikate gebundenen A r g u m e n t e bei der Ableitung stets mitberücksichtigt und parallelen T r a n s f o r m a t i o n e n u n t e r w o r f e n . Als Beispiel f ü r die E i n w i r k u n g solcher weiterer T r a n s f o r m a t i o n e n ist die S u b j e k t - B i l d u n g zu nennen (durch C h o m s k y Adjunktion): / V

I NP

\ NP

T Ö T Peter Paul

NP S / \ Peter V NP T O T Paul

(nach B a c h 1971, 8) D a s Ziel der Generativen S e m a n t i k liegt in der W e i t e r e n t w i c k l u n g von Beschreibungsmitteln der P r ä d i k a t e n - L o g i k zur Repräsentation der B e d e u tungsverhältnisse in den Sätzen natürlicher Sprachen ( L a k o f f 1971). D i e B e s t r e b u n g e n gehen dahin, den Standpunkt einer a u t o n o m e n Satzsemantik z u überwinden und den K o n t e x t der Satzverwendung in den E r k l ä rungszusammenhang aufzunehmen. Eine G r a m matik erzeugt T r i p e l n der F o r m ( C , L , S), w o b e i L die Klasse der logischen S t r u k t u r e n , S die Klasse der O b e r f l ä c h e n s t r u k t u r e n und C die Klasse der K o n t e x t e von Sätzen einer Sprache ist, in denen sie sinnvoll geäußert werden k ö n n e n ( L a k o f f 1971, G o r d o n / L a k o f f 1971).

9.6.

Weitere inhaltssyntaktische

Modelle

In einer R e i h e v o n M o d e l l e n w e r d e n , meist in Auseinandersetzung mit dem K a t z / C h o m s k y schen K o n z e p t einer T i e f e n s t r u k t u r , abweichende K o n z e p t i o n e n von T i e f e n s t r u k t u r entwickelt. D a s H a u p t g e w i c h t liegt in der Regel auf der A u s a r b e i tung einer satzsemantischen K o m p o n e n t e , die ein umfangreiches S y m b o l - und Regelinventar enthält, um den A u f b a u der zugrundeliegenden S a t z repräsentationen zu e r m ö g l i c h e n . In einem g r o ß e n

235

Teil dieser M o d e l l e wird darauf verzichtet, die F o r m a t i o n s r e g e l n z u m A u f b a u der zugrundeliegenden Repräsentationen und die Regeln für die U b e r f ü h r u n g der zugrundeliegenden Strukturen (Transformationsregeln) in k o n k r e t e einzelsprachliche O b e r f l ä c h e n s t r u k t u r e n explizit a n z u g e b e n . (Seuren 1969; H u c h i n s 1 9 7 1 ; B r e k l e 1970; C h a f e 1970; H e g e r 1971; L e e c h 1 9 6 9 . ) G e g e n ü b e r solchen V e r s u c h e n , mit F o r m a l sprachen die B e d e u t u n g von Sätzen zu beschreib e n , w e r d e n auch Auffassungen von Inhaltssyntax vertreten, die die B e d e u t u n g eines Satzes als Regel für seinen G e b r a u c h auffassen (nach W i t t g e n stein). D a B e d e u t u n g e n nicht anders als durch die Mittel der natürlichen Sprachen ausgedrückt w e r den k ö n n e n , stellen F o r m a l s p r a c h e n z u r Erfassung von „ B e d e u t u n g " einen U m w e g dar; die B e deutung von Sätzen ist nur durch andere Sätze w i e d e r z u g e b e n ; es geht daher vorrangig um den Aufweis von S y n o n y m i e r e l a t i o n e n zwischen Sätzen ( H e r i n g e r 1970). 10. Textlinguistischer

Aspekt

Sätze sind generell als F u n k t i o n s e i n h e i t e n von K o m m u n i k a t i o n s p r o z e s s e n zu verstehen und s o mit als zugrundeliegende V e r s a t z s t ü c k e v o n T e x ten. J e d e r Versuch der K o n s t r u k t i o n von Satzgrammatiken zur a u t o n o m e n Spezifizierung der semanti-syntaktischen Wohlgeformtheitsbedingungen für die Sätze einer Sprache involviert n o t wendig A b s t r a k t i o n e n von k o m m u n i k a t i o n s - und textspezifischen Q u a l i t ä t e n . D e r L o g i k der W i s senschaftsgeschichte folgend, ist i m m e r wieder der V e r s u c h gemacht w o r d e n , SatzgrammatikM o d e l l e so zu erweitern, d a ß mit ihnen auch textuelle P h ä n o m e n e adäquat erfaßbar w e r d e n , d . h . T e x t g r a m m a t i k e n auf der Basis von Satzgrammatiken zu konzipieren. Satzgrammatiken erzeugen nur Mengen von isolierten S ä t z e n ; ihre G r a m m a t i k a l i t ä t wird durch (arbiträre) M e r k m a l zuweisungen in der T i e f e n s t r u k t u r garantiert. E i n g r o ß e r Teil dieser M e r k m a l e erweist sich j e d o c h als textual motiviert. D i e Textualität von S a t z mengen manifestiert sich darin, daß die V e r k e t tung der Einzelsätze untereinander nicht beliebig ist ( K o h ä r e n z - P r o b l e m ) ; für die Aufeinanderfolge von Sätzen in T e x t e n gelten b e s t i m m t e Regularitäten, deren F o r m u l i e r u n g im R a h m e n einer S y n t a x t h e o r i e nicht geleistet werden k a n n ; es bedarf dazu einer T e x t t h e o r i e . B e i der T e x t k o n s t i tution k o m m t es ζ. B . auch zu charakteristischen Verteilungen von S a t z m u s t e r n ; die Prinzipien dieser Verteilung, zu denen T o p i c - C o m m e n t - S t r u k turierung g e h ö r e n , k ö n n e n nicht in einer Satzgrammatik enthalten sein, sondern wirken „ v o n a u ß e n " steuernd ein, z . B . im H i n b l i c k auf eine Regulierung der W o r t s t e l l u n g . In die Liste derjenigen sprachlichen

Erschei-

236

II.

Sprachstrukturen

n u n g e n , die über den R a h m e n einer S a t z g r a m m a tik hinausweisen, gehören z . B . auch textreferenzielle Bedingungen als Grundlage von Definitheit und von Pronominalisierung. Bei der U n t e r s u c h u n g von Satzzusammenhängen in T e x t e n geht man zunächst aus von Verträglichkeitsbeziehungen zwischen Satzpaaren und versucht die V e r t r ä g lichkeitsbeziehungen zwischen n-Sätzen sukzessiv zu erfassen. A n s ä t z e zur Erfassung einzelsatzübergreifender sprachlicher Strukturen bietet im R a h m e n v o n Satzgrammatiken die Behandlung z u s a m m e n g e setzter Sätze. D i e R ü c k f ü h r u n g textualer V e r k n ü p f u n g auf fortlaufende K o n j u n k t i o n von Sätzen und ihre Darstellung mit den Mitteln der Satzk o o r d i n a t i o n und Satzeinbettung ist z w a r t h e o r e tisch d e n k b a r :

%

a) Sj b)

k]

S2

S0 / \ k j S\ / \ k 2 S2 / \ k„-i Sn_2 / \ k„_, S„

Sn_,

kn_j Sn

Peter fuhr in die Stadt und Er traf seinen Freund aber Sein Freund hatte keine Zeit oder Er hatte kein Geld. Peter fuhr in die Stadt weil Er mußte aufs Fundamt weil Er hatte seine Geldbörse verloren als Er trug seinen Mantel über dem Arm.

D o c h bleibt die grundlegende Frage weitgehend ungeklärt, o b und welchen Status S 0 gegenüber den Einzelsätzen hat und die F r a g e , wie die Relationen zwischen den Einzelsätzen (an der O b e r f l ä c h e repräsentiert durch die K o n j u n k t i o n ) z u spezifizieren sind.

11. Psycholinguistischer

Aspekt

11.1. Syntaktische Aspekte des Spracherwerbs Bei den ersten sprachlich identifizierbaren Ä u ß e rungen des Kindes handelt es sich um sprachliche E i n z e l z e i c h e n mit I n t o n a t i o n s m e r k m a l e n versehen ( E i n z e l w o r t s ä t z e ) ; um den 18. L e b e n s m o n a t herum setzt der G e b r a u c h von Z w e i w o r t Sätzen e i n ; in diesem Sprachverhalten spiegelt sich ein entsprechender G e h i r n r e i f u n g s p r o z e ß , der die R e p r o d u k t i o n längerer W o r t k e t t e n und das E r fassen syntaktisch-semantischer R e l a t i o n e n ermöglicht (List 1972; L e u n i n g e r / M i l l e r / M ü l l e r 1972; R a m g e 1973). D i e syntaktische K o m p e t e n z auf dieser Stufe versucht man mit einer P / O - G r a m m a t i k (privot open class grammar) z u erfassen (S—» Ρ + Ο ) , w o bei einer kleinen Klasse von P - W ö r t e r n eine große (offene) Klasse von O - W ö r t e r n gegenübersteht (zuweilen fast ausschließlich N ; R a m g e ) . D i e s e stark vereinfachende Systematisierung ( M i l l e r /

E r w i n 1964, C h o m s k y 1964) erfaßt nur A s p e k t e der O b e r f l ä c h e n s t r u k t u r , die durch B e r ü c k s i c h t i gung von K o m b i n a t i o n s v a r i a n t e n und S u b k a t e g o risierungsansätzen und v o r allem von tiefenstrukturellen B e z i e h u n g e n ergänzt werden müssen. M i t dieser ersten U n t e r s c h e i d u n g von zwei Klassen syntaktischer E l e m e n t e ist der G r u n d gelegt zur weiteren Ausdifferenzierung nach den S u b kategorisierungs- und Selektionsregeln der E r wachsenensprache. W ä h r e n d die frühen Phasen des kindlichen Spracherwerbs verhältnismäßig gut erforscht sind, sind die weiteren Phasen des S y n taxerwerbs ( G e b r a u c h von D r e i w o r t - S ä t z e n , Satzsequenzen, T r a n s f o r m s ä t z e n ) , der o f f e n b a r von sukzessiv neukonzipierten internen H y p o t h e s e n des Kindes über die Satzerzeugung begleitet ist, in der F o r s c h u n g weniger erfaßt, o b w o h l ein sinnvoller Sprachunterricht o h n e genaue K e n n t n i s der sprachlichen Ausgangsbedingungen, die b e i m Schuleintritt gegeben sind, k a u m d e n k b a r ist. D i e anhand von Schüleraufsätzen g e w o n n e n e n A u f schlüsse über die syntaktischen M u s t e r und die B e s c h r e i b u n g des Satzbaus sind in ihrem W e r t zweifelhaft, da es sich um Sprachmaterial handelt, das unter stark restriktiven Bedingungen zustande k o m m t , nämlich in der Phase des E i n ü b e n s im G e brauch der Schriftsprache ( H e l m e r s , O e v e r m a n n ) ; zwischen der S y n t a x b e h e r r s c h u n g der gesprochenen und in der geschriebenen Sprache bestehen besonders b e i m Schulkind g r o ß e D i v e r e n z e n .

11.2. Psychologische Realität Kategorien

syntaktischer

D i e enge B e z i e h u n g zwischen der T e i l k o m p o n e n t e der sprachlichen K o m p e t e n z , die die syntaktische O r g a n i s a t i o n der R e d e steuert und b e s t i m m t e n kognitiven Leistungen, die z . B . Lernstrategien b e g r ü n d e n , äußert sich darin, daß syntaktisch strukturiertes Material leichter erlernbar ist als unstrukturiertes. H i n w e i s e auf den p s y c h o l o g i schen Status von oberflächenstrukturellen K o n s t i tuentenklassen ergeben sich aus Ratetests, m i t denen die Ubergangswahrscheinlichkeiten an K o n s t i t u e n t e n g r e n z e n gemessen werden ( W e t t l e r ) und aufgrund v o n Perzeptionstests, w o b e i zeitlich v e r s c h o b e n e Klickgeräusche von T e s t p e r s o n e n an der K o n s t i t u e n t e n g r e n z e lokalisiert werden ( A b r a m s / B e v e r 1969). I m R a h m e n der T h e o r i e der G T G geht es speziell u m den N a c h w e i s , o b einzelne von der T h e o rie postulierte K o m p o n e n t e n einer G r a m m a t i k ( z . B . Tiefenstruktur, Transformationen) psychologische K o r r e l a t e haben. D i r e k t e N a c h w e i s e sind nicht gelungen. D u r c h die E i n b e z i e h u n g einer T h e o r i e perzeptueller Strategien k ö n n e n bes t i m m t e linguistische Prinzipien, z . B . A k z e p t u a litätsgrenzen bei Selbsteinbettungen und V o r h e r r schen von R e c h t s V e r z w e i g u n g e n , e i n e p s y c h o l o -

19. Syntax

237

gische Begründung erfahren. Die Auffassung der Transformationen in der Generativen Semantik als Ableitungsbeschränkungen wird einer psychologischen Interpretation zugänglich (Ruwet 1973).

von Satzverwendungen in das formallogische System der Generativen Semantik einzubringen („Conversational Postulates", G o r d o n / L a k o f f 1971).

12. Pragmalinguistischer

12.2. Handlungstheoretischer

Aspekt

G e h t man davon aus, daß Sprache regelgeleitetes intentionales Verhalten ist (J. Searle 1969), so sind mit der Beschreibung der grammatischen W o h l geformtheitsbedingungen von Sätzen diejenigen Regeln spezifiziert, die ein Sprecher befolgt, wenn er bei der Äußerung eines Satzes einer intendierten Bedeutung eine für den H ö r e r entschlüsselbare Wortkette zuordnet. In der Funktionalen G r a m matik knüpfen sich Reflexionen über diesen Sachverhalt an bestimmte Strukturtypen von Sätzen (Aussagesatz, Aufforderungssatz, Fragesatz), die durch die Aufgaben des Satzes im kommunikativen Prozeß bedingt sind: Mitteilung, Handlungsanstoß, Auskunftsverlangen (W. Admoni 3 1 9 7 0 , 254). Aus einer solchen Beschreibung geht aber noch nicht hervor, welche kommunikative F u n k tion dieser Satz im Zusammenhang einer bestimmten Sprechsituation haben kann. Ein Fragesatz z . B . kann je nach Kommunikationskonstellation als D r o h u n g , als Aufforderung, als Warnung, usw. verstanden werden. Sätze sind daher in einem umfassenden Sprachkonzept nicht nur als formale Sprachstrukturen, sondern als Instrumente menschlichen Handelns zu beschreiben (Maas/ Wunderlich 1972).

12.1. Formalgrammatischer

Ansatz

Ein Weg, um die Situierung des Satzes in der Sprechsituation und die Angabe seines Verwendungssinnes in der linguistischen Beschreibung zu berücksichtigen, führt in die Richtung einer E r weiterung des Beschreibungsapparates der G T G durch die Einführung von dominierenden ( H y per-)Sätzen ( R o s s ; Sadock; Wunderlich), in denen die Merkmale der Sprechsituation in die Tiefenstrukturbeschreibung integriert sind. Ein solcher dominierender Satz müßte u . a . eine Spezifizierung des Sprecher-Hörverhältnisses beinhalten, das sich etwa so paraphrasieren ließe: Ich (der Sprecher) sage dir (als H ö r e r ) mit dieser Absicht und auf der Grundlage unseres gemeinsamen Vorwissens hier und jetzt folgendes: Caesar ist tot

Ansatz

Ein anderer Weg nimmt seinen Ausgang von der Betrachtung der Sprechakte als kleinsten Einheiten der Kommunikation (Searle). Sätze sind konventionelle Muster für die Realisierung von Sprechakten; die Regelarten für das Funktionieren von Sätzen sind adäquat nur im Rahmen von Sprechhandlungstheorien (Austin, Searle, Wunderlich 1972) zu behandeln, die ihrerseits integraler B e standteil von generellen Handlungstheorien sind (Leist 1972).

13. Bibliographie

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20. Textlinguistik 1. 2. 3. 4.

Definition und Zielsetzung D e r Textbegriff F o r s c h u n g s p r o b l e m e d e r Textlinguistik Bibliographie (in A u s w a h l )

1. Definition

und

Zielsetzung

Textlinguistik soll - in einer ersten N ä h e r u n g - als diejenige linguistische Disziplin charakterisiert w e r d e n , deren G e g e n s t a n d s b e r e i c h „ T e x t e " , gen a u e r „ T e x t v o r k o m m e n " natürlicher Sprachen sind, u n d d e r e n A u f g a b e darin besteht, die allen T e x t v o r k o m m e n g e m e i n s a m e n invarianten M e r k male, d . h . die „ T e x t u a l i t ä t " z u beschreiben, m . a . W . den Begriff „ T e x t in der natürlichen Sprache L " z u definieren (vgl. ähnlich van D i j k 1979, 509). D i e in dieser A r b e i t s d e f i n i t i o n enthaltene Relativierung „ i n einer ersten N ä h e r u n g " soll darauf a u f m e r k s a m m a c h e n , d a ß u n t e r d e n Linguisten, die ihre U n t e r s u c h u n g e n als „ t e x t l i n g u istische" k e n n z e i c h n e n , auch v o n dieser D e f i n i tion abweichende, heterogene Positionen über den Gegenstands- und Aufgabenbereich von „Textlinguistik" (vgl. auch Begriffe wie „ T e x t g r a m m a t i k " , engl, „ t e x t linguistics", „ t e x t g r a m m a r " , „ d i s c o u r s e g r a m m a r " , „ d i s c o u r s e analysis", f r z . „ l i n g u i s t i q u e textuelle", „ g r a m m a i r e textuelle", „ a n a l y s e du d i s c o u r s " etc.) vertreten w e r d e n . In den n a c h f o l g e n d e n A b s c h n i t t e n eines Ü b e r b l i c k s ü b e r d e n gegenwärtigen Stand der textlinguistischen F o r s c h u n g (1979) w i r d dies im einzelnen sichtbar. D i e historische E n t w i c k l u n g d e r T e x t linguistik m u ß hier w e i t g e h e n d u n b e r ü c k s i c h t i g t bleiben. Z u den seit 1973 eingetretenen Verschieb u n g e n in der Perspektive u s w . vgl. A r t . „ T e x t linguistik" in der ersten A u f l . des L G L . E i n f ü h rungen bzw. Gesamtdarstellungen: Dressler (1972), E T L I / I I (1974), S c h m i d t (1973), G ü l i c h / Raible (1977), B e a u g r a n d e (1980).

2. Der

Textbegriff

D i e o b e n e r w ä h n t e Tatsache, d a ß G e g e n s t a n d s bereich u n d A u f g a b e n b e r e i c h von Textlinguistik unterschiedlich beschrieben w e r d e n , hängt w e sentlich d a m i t z u s a m m e n , d a ß es keinen einheitlichen Textbegriff gibt. H i e r sollen zwei V e r w e n dungsweisen von „ T e x t " unterschieden werden (vgl. d e m g e g e n ü b e r Raible 1979, 6 3 f f . ) .

Münster

(a) „ T e x t " w i r d als ein P h ä n o m e n der p a r o l e b z w . der P e r f o r m a n z v e r s t a n d e n ; es h a n d e l t sich „ u m das sprachliche G e b i l d e ü b e r h a u p t , also das, w a s in einem P e r f o r m a n z a k t [ . . . ] h e r v o r g e b r a c h t w i r d , d . h . alles, w a s j e m a n d sagt o d e r w a s j e m a n d s c h r e i b t " ( G l i n z 1979, 43). W e i t e r e Spezifizierungen dieser V e r w e n d u n g s w e i s e n v o n „ T e x t " e n t hält die f o l g e n d e B e s c h r e i b u n g d u r c h H a l l i d a y / H a s a n (1976, 1): „ T h e w o r d Text is used in linguistics t o refer t o a n y passage, s p o k e n o r w r i t t e n , of w h a t e v e r length, that d o e s f o r m a unified w h o l e [ . . . ] . A text is a u n i t of language in use. It is n o t a grammatical u n i t , like a clause o r a sentence; and it is n o t d e f i n e d b y its s i z e . " In dieser V e r w e n d u n g ist „ T e x t " ein deskriptiv-empirisches Bezeichnungsmittel für objektsprachliche Gegebenheiten (vgl. van d e Velde 1979, 574). D e r B e z u g auf diese sprachlichen O b j e k t e w i r d in diesem Artikel d u r c h „ T e x t v o r k o m m e n " b z w . „Text!*' hergestellt. (b) „ T e x t " in dieser V e r w e n d u n g s w e i s e bezieht sich auf eine theoretische E i n h e i t , auf ein K o n s t r u k t auf einer theoretischen E b e n e . D i e a b s t r a k t e Einheit „ T e x t " ist ein K o n s t r u k t aus d e n Eigens c h a f t e n , welche allen T e x t e n ! g e m e i n s a m sein s o l l e n / k ö n n e n / m ü s s e n , aus den M e r k m a l e n , w e l che die T e x t h a f t i g k e i t der T e x t e i , ihre Textualität a u s m a c h e n . Diese abstrakte Entität „ T e x t " k e n n zeichnen w i r d u r c h den B e g r i f f , ,Text2". Ein Ä q u i valent u n s e r e r U n t e r s c h e i d u n g v o n T e x t ] u n d Text2 ist van D i j k s U n t e r s c h e i d u n g z w i s c h e n engl, „ t e x t " u n d „ d i s c o u r s e " : „ [ . . . ] Text. T h i s t e r m will here be used to d e n o t e t h e abstract theoretical c o n s t r u c t u n d e r l y i n g w h a t is usually called a discourse" (van D i j k 1977a, 3). D e r eingangs definierte A u f g a b e n b e r e i c h v o n Textlinguistik läßt sich nach diesen Präzisierungen r e f o r m u l i e r e n als D e f i n i t i o n v o n „ T e x t 2 in einer natürlichen Sprache L " (vgl. auch P e t ö f i 1978,37). V o r d e m H i n t e r g r u n d eines Selbstverständnisses d e r Linguistik als e m p i r i s c h e r W i s s e n s c h a f t bedarf es keiner weiteren B e g r ü n d u n g u n d E r l ä u t e r u n g , d a ß die m i t d e m Ziel der Feststellung invarianter M e r k m a l e v o r g e n o m m e n e Analyse u n d Beschreib u n g v o n T e x t e n ] die u n a b d i n g b a r e empirische V o r a u s s e t z u n g u n d G r u n d l a g e f ü r die M ö g l i c h k e i t „ T e x t 2 in L " z u definieren, darstellt (vgl. auch P e t ö f i 1978, 37). D e r wesentliche U n t e r s c h i e d zwischen d e n E x p l i k a t i o n s v e r s u c h e n von „ T e x t " besteht n u n allerdings nicht d a r i n , d a ß die einen Linguisten T e x t , , die a n d e r e n T e x t 2 b e s c h r e i b e n , z u m a l z w i s c h e n

20. Textlinguistik

diesen Zielrichtungen in bestimmter Hinsicht Determinationsrelationen existieren (vgl. auch Petöfi 1978, 37). Vielmehr sind die zwischen Textdefinitionen bestehenden teils erheblichen, teils subtilen Differenzen Korollare der Unterschiede bezüglich der jeweils zugrundegelegten Sprachtheorie b z w . Theorie der (verbal-)kommunikativen Interaktion (vgl. zu verschiedenen theoretischen Ansätzen Art. 21: Sprachliches Handeln, Art. 23: Texttheorie und Art. 24: Sprechakttheorie), worin die Text] vs. Text 2 -Differenzierung nur ein Theorie-Element darzustellen braucht. U m g e k e h r t kann, wenn ζ. B. w i e eingangs geschehen, die Definition von ,,Text2 in L " als d a s Ziel textlinguistischer Forschung angegeben w i r d , von der Text-Definition auf wesentliche Elemente der zugrundegelegten Theorie rückgeschlossen werden. Für die nachfolgenden Darlegungen wählen w i r eine der zuletzt charakterisierten Perspektive entsprechende Vorgehens weise: das Spektrum von A u f fassungen über „ T e x t " soll durch einige, notwendigerweise wenige Definitionen repräsentiert w e r den, die, soweit erforderlich, durch Einordnung in den jeweiligen sprachtheoretischen Rahmen erläutert w i r d . (Eine Diskussion von 18 Textdefinitionen findet sich in Berruto 1979.) Verbal-kommunikatives Handeln/Interagieren, d . h . kommunikatives Handeln, in welchem (auch) Sprechakte geäußert werden, ist ein komplexer Prozeß. A m Zustandekommen von K o m m u n i k a tion sind vielfältige, verschiedenartige und in unterschiedlichen Relationen zueinander stehende Faktoren beteiligt. Dieses Relationen-Gefüge w i r d in Kommunikationsmodellen veranschaulicht, die je nach zugrundeliegender Theorie teilweise unterschiedliche Faktoren enthalten und/oder die Relation der Faktoren zueinander in unterschiedlicher Weise interpretieren (vgl. K o m m u n i k a tionsmodelle z . B . in ETL I, 2 6 - 6 0 ; Meier 1969; Gülich/Raible 1977, 25). Textdefinitionen können in erster Grobeinteilung danach unterschieden werden, o b das Definiens Text] oder Text 2 als sprachliche Komponente einer verbal-kommunikativen Interaktion aufgefaßt wird ( T Y P I), oder ob damit k o m m u n i kative Einheiten gemeint sind, in denen auch nicht-verbale Mittel kommunikativ fungieren (TYP II). In der überwiegenden Mehrzahl handelt es sich um Typ-I-Definitionen. Eine weitere U n tergliederung der Typ-I-Definitionen kann danach erfolgen, ob das genus proximum als eine „Folge/ Sequenz von sprachlichen Einheiten (Sätzen, Zeichen o. ä . ) " aufgefaßt w i r d ( T y p I a), oder ob der „Ganzheitscharakter" hervorgehoben wird ( T y p I b). Definitionen des T y p s I a sind in gewisser Hinsicht charakteristisch für die erste Phase in der Entwicklung der Textlinguistik, in der es in erster Linie um empirische Motivierungen für das Postulat einer auf „ T e x t " bezogenen Grammatik ging.

243

So definiert Isenberg (1971/1974, 194) Text, als eine (kohärente) „ F o l g e von Sätzen", hebt im übrigen aber bereits die Definition von „ w o h l g e formter Text einer Sprache L " (vgl. S. 211) als Ziel textlinguistischer Forschung hervor. Isenberg widmet sich in (1971 /1974) der Beschreibung einer Reihe von Kohärenz stiftenden sprachlichen Phänomenen, die zum größten Teil noch heute im Zentrum der textlinguistischen Forschung stehen. Zum T y p I a gehört auch die seinerzeit w e g w e i sende Textdefinition von H a r w e g (1968), welche die differentia specifica „ K o h ä r e n z " des Textes durch nur einen einzigen T y p sprachlicher Phänomene zu explizieren sucht. Danach ist „ T e x t " definiert als „ein durch ununterbrochene pronominale Verkettung konstitutiertes Nacheinander sprachlicher Einheiten" (148) (vgl. unten 3.1.). Zur Kritik, die an dieser Definition b z w . an der ihr zugrundeliegenden Substitutionstheorie (vgl. unten 3 . 1 . ) geübt w u r d e , etwa derart, daß Substitution kein hinreichendes Kriterium darstelle (vgl. ETL I, 194ff.; Gülich/Raible 1977, 124ff.; Rieser 1978, 8) hat H a r w e g (1978, 254) geantwortet, daß seine Definition nicht a l s , .device for the generation of wellformed texts" gedacht sei und hinreiche, um das zu explizieren, w a s er „ R u d i m e n t ä r t e x t " nennt (vgl. dazu auch H a r w e g 1975). Ein „elaboriertes" Beispiel für eine T y p - I a Definition aus jüngster Zeit hat Brinker (1979) vorgelegt: „ D e r Terminus ,Text' bezeichnet eine kohärente Folge von sprachlichen Zeichen und/ oder Zeichenkomplexen, die nicht in eine andere (umfassendere) Einheit eingebettet ist" (3). Die Einführung einer differentia specifica „ N i c h t Einbettung" begründet Brinker damit, daß Isenbergs Definition ( s . o . ) nicht restriktiv genug sei. Brinker merkt dazu weiter an, daß er nicht die in jedem Fall gegebene Einbettung der sprachlichen Einheit in die Kommunikationssituation meint (vgl. Brinker 1979, 5). Interpretiert man die NichtEinbettungs-Bedingung ohne zusätzliche Explikationen, so ist kritisch anzumerken, daß es rein theoretisch für jeden Text,„ einen umfassenderen Text l q gibt, in welchen der Texti„ „eingebettet" ist. Eine Begrenzung von Text, „nach o b e n " erscheint problematisch. Es wäre eine kontra-intuitive Schlußfolgerung aus der Nicht-EinbettungsBedingung, daß man z . B . das Decamerone nur als Ganzes als „ T e x t " ansehen könnte, nicht jedoch seine einzelnen Geschichten. Eine überzeugende Lösung dieser Problematik haben Gülich/ Raible (1977, 53) mit der Einführung des Begriffs „Teiltext" in die W e g e geleitet (vgl. auch Longacre's (1979) Feststellung zur Aufgabe der Textlinguistik: „ i t becomes pressing to identify the boundaries of embedded discourses" [268]). Brinker weist z w a r am Rande auf die Möglichkeit hin, den Text als einen komplexen Sprechakt a u f z u -

244

II.

Sprachstrukturen

fassen (vgl. Brinker 1979, 7). Insgesamt repräsentiert Brinkers Text-Verständnis jedoch eine Position, wonach „Text" als ein Kompositum von Einheiten, meist Sätzen, aufgefaßt wird; die Perspektive dieses Ansatzes ist vom Teil (Satz) zum Ganzen (Text). Die Grenzen der Beschreibungskapazität des transphrastischen Ansatzes sind genau da gegeben, wo es um Eigenschaften des Ganzen geht, die nicht auch Eigenschaften seiner Teile sind. Wie die kommunikative Funktion eines Textes, als Ganzer gibt es offenbar eine ganze Reihe von Merkmalen von Texten ι oder Teiltexten i, welche in keiner Weise auf Merkmale der sie konstituierenden Teile zurückführbar sind. Die „Unmöglichkeit, einen tragfähigen Textbegriff zu entwickeln, wenn man nur von Erscheinungen ausgeht, die sowohl innerhalb von Sätzen als auch satzgrenzenüberschreitend im Text auftreten", wird nun auch von Isenberg (1977, 137, Anm. 10) betont, der sich von seiner früher (ζ. B. 1971/74) vertretenen, als „propositional" bezeichneten Auffassung distanziert, daß der ,,,Text' als stationäre, zeitlich unaufgegliederte Einheit zu betrachten ist" (Isenberg 1977, 119). Er plädiert nunmehr für eine „dynamische" Auffassung von „Text", der „primär als kommunikative und handlungsbezogene Einheit zu verstehen" sei. Fortschritte bei der Analyse von Texten! bzw. der Definition von Text 2 sind mit größerer Wahrscheinlichkeit von solchen Ansätzen zu erwarten, welche vom Text als einer Einheit sui generis ausgehen, d . h . die Perspektive vom Ganzen zum Teil zugrundelegen. Dies ist die den Typ-I b-Textdefinitionen gemeinsame Ausgangsposition. Halliday/Hasan (1976) beschreiben die Unterschiede zwischen der Ia- und der Ib-Position folgendermaßen: „ A text is sometimes envisaged to be some kind of super-sentence, a grammatical unit that is larger than a sentence but is related to a clause, a clause to a group and so on: by constituency, the composition of larger units out of smaller ones. But this is misleading. A text is not something that is like a sentence, only bigger; it is something that differs from a sentence in kind. A text is best regarded as a semantic unit: a unit not of form but of meaning" (If.). (Die Auffassung vom „Text" als einer semantischen - und z . B . nicht pragmatischen oder interaktionalen - Entität soll an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden.) Was die interne Struktur des Textes anbelangt, also die Phänomene betrifft, welche die Texthaftigkeit/Textualität ausmachen bzw. bewirken, nimmt Hasan (1979) eine Untergliederung durch die Begriffe „texture" und „structure" vor. Mit ersterem bezieht sie sich im wesentlichen auf sprachliche Formen wie Pronomina und Konjunktionen (vgl. dazu unten 3.1. und 3.2.). „Structure" bezieht sich auf den Handlungscharakter von Texten und den zum Vollzug von Sprechhandlungen (obligato-

risch) zugehörigen Handlungselementen (vgl. Hasan 1979, 382). Oomen, die bereits in der Anfangsphase der Textlinguistik „Text" über die Zuweisung einer „kommunikativen Funktion" definiert hat (Oomen 1972/1974,55: „Ohne kommunikative Funktion ergibt sich kein Text"), entwickelt (1979) Überlegungen weiter, welche sich zum Teil schon früher (1972/1974) - allerdings in systemtheoretischem Rahmen argumentierend - angestellt hatte: „Texte," sind für Oomen kommunikative Prozesse mit den folgenden drei wesentlichen Eigenschaften: (a) Texte, haben eine kommunikative Funktion, (b) Texte, sind dynamische Prozesse der parole und keine statischen Einheiten der langue. (c) Die kommunikativen Eigenschaften des Textes als Ganzer können nicht aus der „Summe" der Eigenschaften seiner grammatikalischen Konstituenten abgeleitet werden (vgl. Oomen 1979, 272). In (a) hebt Oomen den Charakter von Texten als Handlungseinheiten hervor, d . h . daß sie als „Warnung" oder „Erzählung" usw. fungieren. In (c) geht es um die bereits oben besprochenen Grenzen der Perspektive vom Teil zum Ganzen. Auf die in (b) vertretene Position, daß Texte keine statischen Einheiten der langue seien, soll hier etwas näher eingegangen werden, weil damit letztlich die zentrale Frage der Art der Repräsentation der invarianten Merkmale aller möglichen Texte, in Text 2 angesprochen ist, d . h . die Frage, was in Text 2 wie strukturiert enthalten sein soll. ,,,Langue' wird verstanden als virtuelles, abstraktes System von konstitutiven Regeln und Elementen für Sprechereignisse oder Texte" (Gülich/ Raible 1977, 34). Und in (scheinbarem) Gegensatz zu Oomen vertreten Gülich/Raible die Auffassung, „daß die Texte [ . . . ] nicht in der Art einer ,linguistique de la parole' betrachtet werden, weil sowohl ihre konstitutiven Elemente als auch ihre konstitutiven Regeln auf der Ebene der Langue erfaßt werden" (Gülich/Raible 1977, 40f.). Worum es Oomen (1979) wesentlich geht, ist - entgegen dem ersten Anschein der vorliegenden Formulierung - natürlich nicht die Feststellung als solche, daß Texte, keine statischen Elemente der langue seien, was sie per definitionem qua Textvorkommen nicht sein können. Oomen zielt mit ihrem Hinweis vielmehr auf die Konsequenzen für die Struktur des Theorie-Konstrukts Text 2 , die aus der empirischen Tatsache gezogen werden müssen, daß Texte, wie Oomen sie definiert, „units of communication [sind] that are produced and understood with a view to the purpose they fulfill in a larger context of communicative interaction" (273). Weil Texte in einem Kommunikationskontext fungieren, können sie nicht unabhängig von solchen Faktoren wie Situation, Hörer oder Funktion untersucht werden. Die Wechselbeziehungen

20. Textlinguistik z w i s c h e n diesen außersprachlichen Faktoren und d e m „ T e x t " als Sprechereignis k a n n und rauß nach O o m e n als d y n a m i s c h e r P r o z e ß bezeichnet w e r d e n , weil vermittels der Interaktion all dieser Faktoren die inhärenten Eigenschaften der T e x t k o m p o n e n t e n determiniert, m o d i f i z i e r t und transf o r m i e r t w e r d e n . Im Lichte dieser theoretischen Position ist es n u r k o n s e q u e n t , w e n n O o m e n den H ö r e r nicht als reinen „ D e k o d i e r e r " ( „ m e r e dec o d e r " , 273), sondern als aktiven, kreativ H a n delnden im K o m m u n i k a t i o n s p r o z e ß ansieht (vgl. d e m g e g e n ü b e r Gülich/Raible 1977, 3 6 f . ) . Den von O o m e n als empirische A r g u m e n t e gegen die H y p o t h e s e einer Entität „ T e x t 2 " im S p r a c h s y s t e m langue angeführten Tatsachen über den prozessualen C h a r a k t e r von K o m m u n i k a t i o n u s w . versuchen Gülich/Raible (1977) d a d u r c h R e c h n u n g zu tragen, daß sie z w i s c h e n textinternen und textexternen Kriterien der Textualität unterscheiden (vgl. S. 46 f.). Textintern gesehen ist danach „ T e x t " ein „ k o m p l e x e s sprachliches Zeichen, das nach den Regeln des S p r a c h s y s t e m s ( L a n g u e ) gebildet ist. Textextern gesehen w ä r e ein Text dann gleichbedeutend mit . K o m m u n i k a t i o n s a k t ' . D . h. ,Text' und . K o m m u n i k a t i o n s a k t ' bedingen sich gegenseitig" (47). Die N o t w e n d i g k e i t , z w i s c h e n textinternen und textexternen Kriterien der Textualität z u unterscheiden, macht z u m i n d e s t dies eine deutlich, d a ß es nämlich Textbildungsregeln gibt, w e l c h e nicht als R e g e l n des S p r a c h s y s t e m s (lang u e ) beschreibbar sind. Das aber bedeutet, d a ß eine Textlinguistik, die ihre A u f g a b e darin sieht, Texte als Einheiten mit einem Ä q u i v a l e n t im S p r a c h s y s t e m langue zu untersuchen, nur Teilaspekte einer vollständigen Definition von „ T e x t 2 in L " liefern k a n n - , , T e x t 2 " als sprachliche K o m ponente v e r b a l - k o m m u n i k a t i v e r Interaktion verstanden. Die Determinationsrelationen zwischen T e x t s t r u k t u r , d. h. auch Textualitätsstruktur b z w . je spezifischer K o h ä r e n z s t r u k t u r des Textes! und K o m m u n i k a t i o n s s i t u a t i o n sind keine zufälligen P e r f o r m a n z e r s c h e i n u n g e n , sondern erfolgen s y stematisch und regelgeleitet. Sie müssen deshalb in einem System v o n Textbildungsregeln m i t b e r ü c k sichtigt w e r d e n . Ein wesentlicher Schritt in R i c h tung auf eine vollständige, adäquate Definition von , , T e x t 2 " k ö n n t e deshalb u . U . darin bestehen, von einem M o d e l l a u s z u g e h e n , d a ß alle Textbildungsregeln integriert. In einem solchen M o d e l l w ü r d e das R e g e l s y s t e m langue ein Teilsystem d a r stellen, dessen Textbildungsregeln in Relation zu anderen Textbildungsregeln anderer T e i l s y s t e m e stehen b z w . fungieren (vgl. ζ . B. auch das T e x t e r z e u g u n g s m o d e l l von Schmidt 1973, 162 ff.). Petöfi (1973) hat eine Textdefinition vorgelegt, in w e l c h e r nicht interne S t r u k t u r m e r k m a l e Textualitätskriterium sind, sondern eine durch außersprachliche Kriterien determinierte G a n z h e i t : „ [ t e x t is] a sequence of spoken or written verbal

245

elements functioning as a single w h o l e , w h i c h is qualified according to some (mostly extralinguistic) criterion" (205). Eine extreme Position bezieht Bertinetto (1979, 144), der sagt: „ O n e can even go as far as s a y i n g that any given sequence of verbal signs, disconnected though it might appear, can form a T , as long as w e can find an appropriate context for i t " . Textdefinitionen vom T y p II sind seltener. Gemeinsames M e r k m a l derartiger Definitionen von „ T e x t " ist, d a ß das Definiens „ T e x t " sich nicht nur auf die verbale Komponente bezieht, sondern auf das Gesamt der in einem K o m m u n i k a t i o n s a k t k o m m u n i k a t i v fungierenden Elemente. So lautet die Textdefinition in E T L ( 1 9 7 4 ) : „ T e x t ist die G e s a m t m e n g e der in einer k o m m u n i k a t i v e n Interaktion auftretenden S i g n a l e " (45). Zum T y p II kann auch Schmidts (1973) Textdefinition gerechnet w e r d e n , insofern es ihm auch d a r u m geht, „ d e n Text nicht als rein sprachliches P h ä n o m e n zu betrachten, sondern von einem M o d u s ,Textualität' a u s z u g e h e n . Dabei kann folgende A r beitshypothese e n t w i c k e l t w e r d e n : .Textualität' ist die Bezeichnung f ü r eine zweiseitige S t r u k t u r , eine S t r u k t u r , die sowohl unter sprachlichen als auch unter sozialen A s p e k t e n betrachtet w e r d e n m u ß " (144). So unterscheidet Schmidt z w i s c h e n Textualität „ a l s S t r u k t u r m e r k m a l s o z i o - k o m m u nikativer (und somit auch sprachlicher) H a n d l u n gen von/zwischen Kommunikationspartnern" und Texten „ a l s jeweilige k o n k r e t e Realisierung der S t r u k t u r ,Textualität' in einem bestimmten K o m m u n i k a t i o n s m e d i u m " (145). Danach sind Texte stets „ T e x t e - i n - F u n k t i o n im Einbettungsrahmen k o m m u n i k a t i v e r Handlungsspiele. A l s solche sind sie stets sprachlich und sozial bestimmt und definierbar, also keine rein sprachlichen S t r u k t u r e n , die ausschließlich linguistisch definierbar w ä r e n " (145). (Vgl. unter B e z u g n a h m e auf Schmidt 1973 ähnlich auch Isenberg 1977, 144.) Der in den beiden angeführten T y p - I I - T e x t d e finitionen erkennbaren A u s w e i t u n g des T e x t b e griffs entspricht eine A u s w e i t u n g der V o r s t e l l u n gen hinsichtlich des A u f g a b e n b e r e i c h s von T e x t linguistik: „ M i t Textlinguistik bezeichnen w i r die Wissenschaft, die z u m Ziel hat, die V o r a u s s e t z u n gen und Bedingungen der menschlichen K o m m u n i k a t i o n sowie deren Organisation zu beschreiben" (ETL I, 1974, 25). In ähnlicher W e i s e stellt T i t z m a n n (1979) fest: „ A l l linguistics of c o m m u n i c a t i o n is text linguistics" (108), (ähnlich Garavelli 1979, 405). Es bedarf keiner w e i t e ren Erläuterung, d a ß damit die Brauchbarkeit des Begriffs „ T e x t l i n g u i s t i k " z u r Bezeichnung eines speziellen Ansatzes mit einem speziellen A u f g a benbereich verloren geht. D a m i t w i r d natürlich w e d e r einem sterilen Begriffspurismus das W o r t geredet und schon gar nicht die n o t w e n d i g e Ent-

246

II.

Sprachstrukturen

wicklung zu umfassenderen theoretischen Modellen kritisiert; doch verliert ein Begriff wie „ T e x t linguistik" jede diskriminatorische F u n k t i o n , wenn z . B . in einem Band über „ C u r r e n t Trends in Textlinguistics" (Dressler 1978) konservationsanalytische Untersuchungen von Schegloff (1978) enthalten sind. 3. Forschungsprobleme

der

Textlinguistik

Vollständigkeit kann bei der Darlegung der Forschungsprobleme nicht angestrebt werden. Statt dessen werden einige zentrale Problemkomplexe u n d Ergebnisse behandelt. 3.1.

Referenz

(1) Der Belesene. Für Anstrengungen hatte 8. ι nichts übrig. £ r , arbeitet nicht gern. Er l lernt nicht gern. Er\ ist neugierig und so liest ert manchmal ein Bucb2. Aber es2 muß einfach geschrieben sein, in schlichten, kurzen, direkten Sätzen. (Aus: Elias Canetti: Alle vergeudete Verehrung. Aufzeichnungen 1949-1960, S. 112.)

Zwischen den durch Kursivdruck hervorgehobenen und durch Subskripte markierten Elementen in (1) bestehen Beziehungen, welche durch Begriffe wie „ R e f e r e n z " (engl, „ r e f e r e n c e " , f r z . „reference"), „ K o - R e f e r e n z " , „Pronominalisierung", „Substitution", „Wiederaufnahme", „ V e r w e i s " etc. gekennzeichnet werden. Die damit bezeichneten Phänomene gehörten in der Anfangsphase der Textlinguistik zu den am meisten genannten empirischen Motivierungen f ü r die F o r derung nach einer eigenständigen Texttheorie/ Textgrammatik (vgl. Isenberg 1971/1974, 195). Lang (1973) weist darauf hin, daß die „ a m häufigsten als A r g u m e n t f ü r die N o t w e n d i g k e i t einer ,'Textgrammatik' ins Feld geführten Fakten [ . . . ] aus dem Bereich des Determinationssystems oder — allgemeiner noch - aus dem Bereich der Referenzbeziehungen" (290) stammen. So bezieht ζ. B. auch Sanders in seinem Plädoyer f ü r „ d i s c o u r s e " als „ n a t u r a l domain of g r a m m a r " (1970) wesentliche Argumente aus der Kritik an der offensichtlich inadäquaten Behandlung des Problems Pronominalisierung im Rahmen des satzsyntaktischen G T G - M o d e l l s , wie es z . B . Postal (1966) versucht hat. In ähnlicher Weise begründet auch Karttunen (1968) die Notwendigkeit einer „discourse gramm a r " : „ I t does not seem very reasonable, [ . . . ] , to set u p a system for deriving p r o n o u n s within a single sentence, w h e n it is obvious that, whatever the restrictions on their use are, they are only a special case of the rules for discourse in general" (2). (Vgl. ähnlich auch H i z 1969.) Gemeinsames Merkmal der in dieser Phase der Entwicklung der Textlinguistik zahllosen U n t e r suchungen z u m Problemkomplex „ R e f e r e n z " (vgl. auch Steinitz 1968/1974; Weinreich 1969 und

1974; Vater 1968; Raible 1972) ist der transphrastische Ansatz u n d die weitgehende Beschränkung auf die Untersuchung syntaktischer Regularitäten (vgl. dazu auch Isenberg 1977). So charakterisiert H a r w e g (1968) seine grundlegende Studie über „ P r o n o m i n a und T e x t k o n s t i t u t i o n " als „Versuch, den Gegenstandsbereich der formal-linguistischen Deskription über die hierarchische Stufe des Satzes hinaus zu erweitern" (10). Lang (1973) kennzeichnet diese text-syntaktische Phase zutreffend: „Gegenstand der linguistischen U n t e r s u c h u n g ist somit nicht das Referieren an sich (also das Verhältnis Zeichen - Denotat), sondern die verschiedenen Weisen von Koreferenz und Referenzdistinktion in ihrer sprachlichen Manifestation" (290). Die Schwierigkeiten b z w . Unmöglichkeit, die Beziehungen zwischen der Alte und er in (2) (2) Aber der Alte sagte nichts, höchstens klemmte er das Einglas ins Auge und mahnte . . .

ausschließlich auf der syntaktischen - und nicht auch oder vor allem semantischen und pragmatischen Ebene—zu beschreiben, mag nicht unmittelbar einleuchten. W e n n es jedoch u m Referenzketten geht wie ζ. B. ein Mädchen - dieses schutzlos daherkommende kleine Geschöpf - die Kleine der Racker usw. ist die Notwendigkeit einer Analyse auf der semantischen Ebene evident. Diese A n m e r k u n g ist zugleich ein Hinweis auf die Erkenntnisgrenzen einer (nichtsdestoweniger) grundlegenden Untersuchung, wie sie H a r w e g (1968) vorgelegt hat. N a c h H a r w e g sind die Pronomina „die f ü r den P r o z e ß der Textkonstitution verantwortlichen Ausdrucksmittel" (10). Diese Auffassung impliziert eine Umdefinition des Begriffs P r o n o m e n als „zweidimensionale Substituentia". H a r w e g unterscheidet drei T y p e n syntagmatischer Substituenten: eine Folge wie das Leben - das Leben ist eine eindimensionale Substitution, Referenzketten wie ein Mann - er oder ein Mann - dieser Mann sind zweidimensionale, u n d Referenzketten wie Hans - er oder der Mensch - er sind kontaminierte Substitutionen. Im Fall der zweidimensionalen Substitution stellt das jeweils erste Element der Referenzkette eine „ N e u e i n f ü h r u n g " in das Text-Universum dar. N a c h der Neudefinition von P r o n o m i n a als zweidimensionalen Substituentia ist z . B . das zweite Element in der Folge ein Mann - dieser Mann ein „ P r o n o m e n " . Die in Harwegs Textdefinition („ein durch ununterbrochene pronominale Verkettung konstituiertes Nacheinander sprachlicher Einheiten" [148]) enthaltene differentia specifica „ p r o n o m i n a l e V e r k e t t u n g " ist dementsprechend als „ K e t t e zweidimensionaler Substitutionen" zu verstehen. Von einer kritischen Rezeption der einschlägigen Untersuchungen von Steinitz (1968), H a r w e g (1968), Isenberg (1971/74), Weinreichs Artikel-

20. Textlinguistik

theorie (vgl. Weinreich 1969 und 1974) und Wunderlichs Überlegungen zur „Referenzsemantik" (vgl. Wunderlich 1972) ausgehend, sowie teilweise an Grundgedanken aus Bellert (1970/1974) anknüpfend, werden in ETL I Möglichkeiten für die Behandlung des Phänomens „Referenzbeziehungen" bzw. „Verweisung im Text" gezeigt, welche auch die Analyse auf der semantischen und pragmatischen Ebene mit einbezieht (vgl. ETL I 177-252). Es hat programmatischen Charakter, wenn in ETL I anstelle von Bezeichnungen wie „Proform" im allgemeinen sowie im einzelnen ,,Pro-Nomen", „Pro-Adverb", „Pro-Verb", „Pro-Satz" und,,Pro-Adjektiv" der Begriff „Verweisform" eingeführt wird. In ETL I wird die Auffassung vertreten, daß es in einer Folge ein Mann - er nicht die Funktion von er ist, das erste Element ein Mann zu substituieren, wie es die Grundauffassung der Substitutionstheoretiker ist (vgl. z . B . Roggero [1968], Crymes [1968], Harweg [1968], Gaatone [1972]). Nach ETL I hat das Element er die Funktion auf ein Mann (Bezugselement) zu verweisen. Diese Vorstellung basiert auf der Theorie, daß mit dem Äußern von er nicht derselbe Referenzakt vollzogen wird wie mit dem Äußern des Bezugselements ein Mann. Mit dem Äußern von er gibt der Sprecher dem Hörer nicht in erster Linie, sofern überhaupt, eine Instruktion zum Vollzug eines bestimmten Referenzaktes, sondern eine Konnexionsanweisung, d. h. eine Instruktion zur Herstellung einer Relation zu einem Element er die Funktion, auf ein Mann (Bezugsweisform er hieße eine solche Konnexionsanweisung, von allen semantisch-pragmatischen Zusatzbedingungen einmal abgesehen: Suche eine im Text vorangegangene Nominalgruppe, die mit er hinsichtlich Genus und Numerus kongruiert (vgl. auch in ETL I den Versuch, die Verwendungsbedingungen von er und dort in Regelsysteme zu fassen [S. 246ff.]; dazu auch die Kritik von Kolde [ 1976]). Die Prädikationsakte über er werden vermittels der durch das Äußern von er vollzogenen Konnexionsanweisungen auf den Referenzakt von ein Mann bezogen. In ETL I wird daher zur Kennzeichnung der Relationen zwischen ein Mann und er von „vermittelter Referenz" (vgl. ETL I, 216) gesprochen. Eine mit dieser Position sehr ähnliche, wo nicht identische Auffassung hinsichtlich der Funktion von Verweisformen haben in (1976) Halliday/Hasan vertreten, deren Untersuchung zur Kohäsion im Englischen die bisher wohl umfassendste Studie über Formen und Funktionen von Referenzelementen darstellt. Die Ergebnisse dieser Arbeit sind sehr weitgehend von außereinzelsprachlicher Relevanz. Halliday/Hasan (1976) beschreiben die Funktion von „reference" wie folgt: „There are certain items in every language which have the property of reference, in the specific sense in which we are using the term here; that is to

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say, instead of being interpreted semantically in their own right, they make reference to something else for their interpretation" (31). Nicht ganz einsichtig erscheint allerdings die Einführung einer Kategorie „Substitution", welche Halliday/Hasan „as the replacement of one item by another" (88) definieren und bei der Verwendung der „ProVerbs" to do oder der Form one (einer) als gegeben ansehen. In ETL I wird ferner verdeutlicht - was im übrigen ζ. B. auch schon Isenberg (1971/74) mit der Zuschreibung von (kontextsensitiven) Referenzmerkmalen zu Nominalgruppen, die als Verweisformen fungieren, zu systematisieren versuchte (vgl. ETL II, 200ff.) - , daß nämlich das Zustandekommen der Relation „Verweisung" ganz offensichtlich keine ausschließliche Funktion inhärenter Merkmale von Bezugselement und Verweisform ist; daß vielmehr, wie die Beispiele (3) und (4) veranschaulichen, die Frage der semantischen Kompatibilität der Prädikationsakte über die Verweisform er mit inhärenten semantischen Merkmalen des Bezugselements und der Prädikationen über dasselbe entscheidend ist: (3) . . . Und dann erblickte Ulrich, den lange erwarteten Gast2 aus Böhmen. In der hellen Nachmittagssonne war er2 nun deutlich zu erkennen. (4) . . . Seit fünf Tagen haue er, täglich mit zunehmender Ungeduld Ausschau gehalten.

Verweisrelationen mit referentiellen Verweisformen, also Verweisketten wie z . B . ein Herr der nächtliche Wanderer oder ein Mädchen - dieses Geschöpf- die Kleine - der Racker usw., mit Verweisformen also, deren Äußerung auch den Vollzug eines Referenzaktes darstellt, lassen sich in Typen von semantischer Kompatibilität bzw. Kontiguität untergliedern: Hasan (1979) spricht in diesem Zusammenhang von „similarity chains" (vgl. S. 372), welche aus „sense contiguities" wie Synonymie, Antonymie, Hyponymie (FruchtBanane—Orange) und Meronymie (Dollar-Cent; Gesicht—Nase—Mund) bestehe. Eine teilweise ähnliche Klassifikation hat Meyer-Hermann (1975) vorgenommen, der 6 Typen von Verweisrelationen mit referentiellen Verweisformen unterscheidet: 1. Lexematische Identität der Nomina: eine große Angst-diese Angst. 2. Lexematische Identität des Verweisform-Nomens mit einem Prädikationsbestandteil: er ist verantwortlich — diese Verantwortung. 3. Synonymie: einer von zwei Franzosen - diese Hälfte. 4. „Klassifikation": um den Staatsanwalt kaltzustellen - dieser Coup. 5. „Kategorisierung": zu Anfang gab es viele Stellenangebote-ich hatte diese Chance nicht. 6. Klassifikation auf Metaebene (vgl. auch Raible 1972, 150f.): er sagte, Frankreichs Problem Nr. 1 sei die Inflation - dies Argument. Eine umfassende, die Einwirkungen des Kontextes und der Kommunikationssituation mitberücksichtigende Darstel-

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II. Sprachstrukturen

lung derartiger semantischer Kontiguitäten steht allerdings noch aus.

tont, daß eine solche (Text-)Semantik der Konnektive im wesentlichen Bedingungen relativer Interpretation zu formulieren hat. Denn zwischen einem Satz α und einem Satz oder einer Satzfolge 3.2. Konnexion (Konnektive) b bestehe die Relation der „Konnexion", wenn a relativ zu h interpretiert wird. Da „Konnexion" Nach den sprachlichen Elementen zur Etablieein semantisches Konzept ist, handelt es sich, gerung von Referenrbeziehungen bzw. Verweisnau gesagt, nicht um die Verbindung von Sätzen, relationen behandeln Halliday/Hasan (1976) als d.h. syntaktischen Einheiten, sondern um die zweiten Typ von Formen, die dazu dienen „ K o Verbindung von semantischen Einheiten, also llision" herzustellen, die sog. „conjunctive elePropositionen. Es sind Sätze und Satzfolgen, in ments", das sind im wesentlichen die Konjunkdenen durch die Verwendung von Konnektiven tionen der traditionellen Grammatik, außerdem die Konnexion zwischen Propositionen ausgeSatzadverbien wie nichtsdestoweniger, folglich drückt wird. Van Dijks formale Definition von usw., aber auch Partikeln und bestimmte IntonaKonnexion lautet: „The property of η-tuples of tionsstrukturen. Den Unterschied zwischen der propositions such that they are connected will be Relation der Verweisung und der durch „conjunccalled connectedness or connection" (van Dijk tive elements" hergestellten Relation der conjunc1977a, 45). tion" sehen Halliday/Hasan (1976) zunächst vor allem darin, daß „conjunction" keine Such-InVan Dijk unterscheidet zwischen semantischer struktion (search instruction) gebe, sondern daß und pragmatischer Beschreibung natürlichspradurch die „conjunctive elements" spezifiziert chiger Konnektive. In der traditionellen Gramwerde, in welcher Weise das im Text Vorangeganmatik wird eine Unterscheidung der Konjunkgene mit dem im Text Nachfolgenden verbunden tionen in Typen wie „kausal", „final", „konwerde. Diese prinzipielle Feststellung bedarf allerzessiv", „der Art und Weise" usw. vorgenomdings der Relativierung und Präzisierung, denn die men. Die wesentliche Aufgabe der semantischen Relation der „conjunction" ist nicht unbedingt an Beschreibung besteht darin, diese intuitive Untereine bestimmte Abfolge innerhalb der Äußerung/ scheidung, welche auf der „Bedeutung", dem des Textes gebunden. M . a . W . wenn zwei Sätze semantischen Gehalt der Konnektive basiert, exdurch ein „conjunctive element" miteinander verplizit zu machen. Weiterhin geht es darum, die bunden sind, dann bedeutet dies nicht, daß diese zwischen diesen verschiedenen Typen/Klassen Relation nur zustandekommt, weil die Sätze in von Konnektiven bestehenden Relationen zu bedieser speziellen Reihenfolge stehen. Ein einschreiben. faches Beispiel: Peter geht nicht in die Schule, weil Bestimmte logische Konnexionstypen wie ζ. B. Glatteis ist. vs. Weil Glatteis ist, geht Peter nicht ,,Konjunktion"(&), ,,Disjunktion"(v) oder „Imin die Schule. Das gilt auch, wenn es sich um eine p l i k a t i o n " ^ ) weisen Gemeinsamkeiten mit na„conjunctive relation" handelt, welche intrinsisch türlichsprachigen Konnektiven auf. Der wesentzeitliche Abfolge impliziert. So kann ein Satz, der liche Unterschied besteht jedoch darin, daß erstere sich auf ein späteres Ereignis bezieht, vor dem Satz über Wahrheitswerte operieren, d. h. der Wahrgeäußert werden, mit dem er durch temporale heitswert der zusammengesetzten Einheit ist eine „conjunction" verbunden ist und in dem auf das Funktion der speziellen Konnexion der Wahrfrühere Ereignis Bezug genommen wird. Das Beheitswerte der Elemente der zusammengesetzten sondere der Relation „conjunction", so fassen Einheit. Natürlichsprachige Konnektive setzen Halliday/Hasan (1976) zusammen, sei „the funckeine Wahrheitswerte in Beziehung zueinander, tion they have of relating to each other linguistic sondern Propositionen und Werte von Proposielements that occur in succession but are not related tionen in möglichen Welten, also Fakten. Auf die by other, structural means" (227). Die Aufgabe Versuche, diese spezifischen Gegebenheiten nader (text-)linguistischen Forschung in bezug auf türlichsprachiger Konnektive im Rahmen von diesen Phänomenbereich besteht darin, die seman„Text-Logiken" (text logics) oder „Relevanz/ tischen und pragmatischen Bedingungen zu forKonnexions-Logiken" (relevance/connexive lomulieren, unter denen Sätze mittels „conjunctive gics) zu erfassen, sei hier nur als solche hingewieelements" oder — wie van Dijk sie nennt — durch sen (vgl. Literaturangaben dazu in den genannten „Konnektive" (connectives) miteinander verUntersuchungen von van Dijk). O b Beziehungen knüpft werden können. In der weiteren Darstelzwischen Fakten bestehen und wie sie interprelung der Fragestellungen und Resultate zum Protiert werden, hängt von der Perspektive (point of blemkomplex „Konnektive" bzw. „Konnexion" view) ab. D . h . Sätze sind in der Interpretation (als Ausdruck für die Relation) orientieren wir uns durch bestimmte Hörer/Sprecher in bestimmten an den verschiedenen wegweisenden Arbeiten van Kommunikationssituationen (dis-)konnektiert. Dijks zu diesem Thema (vgl. vor allem van Dijk Van Dijk führt für „Perspektive" den Terminus 1977, 1977a und 1978). Van Dijk (1977a, 45) be„Topik der Konversation" (topic of conversation)

20. Textlinguistik ein (vgl. van D i j k 1977a, 50). Beispielsweise w ü r d e n in (5) die beiden K o n j u n k t e nicht z u m gleichen „ T o p i k d e r K o n v e r s a t i o n " g e h ö r e n , w e s h a l b (5) als d i s k o n n e k t i e r t interpretiert w i r d : (5) W i r gehen z u m Strand u n d A u t o s sind die g r ö ß t e n U m weltverschmutzer.

Semantisch k a n n d e r Begriff „ T o p i k der K o n v e r s a t i o n " als eine M e n g e v o n P r o p o s i t i o n e n definiert w e r d e n . Auf der p r a g m a t i s c h e n E b e n e w ä r e z . B . die K e n n t n i s der S p r e c h e r / H ö r e r ü b e r diese M e n g e v o n P r o p o s i t i o n e n z u spezifizieren. O h n e u n v e r t r e t b a r e Simplifizierung k a n n auf d e m hier z u r V e r f ü g u n g s t e h e n d e n R a u m nicht auf die spezifischen M e r k m a l e der einzelnen T y p e n von K o n n e k t i v e n eingegangen w e r d e n , welche van D i j k in die drei g r o ß e n G r u p p e n „ c o n j u n c t i o n " , „ d i s j u n c t i o n " u n d „ c o n d i t i o n a l s " gliedert. In die letzte G r u p p e g e h ö r e n die K o n n e k t i v e , bei d e n e n sich die in Relation z u e i n a n d e r gesetzten F a k t e n in gewisser Weise b e d i n g e n o d e r d e t e r m i nieren. Van D i j k n e n n t eine Reihe v o n Kriterien z u r Subklassifikation der „ c o n d i t i o n a l s " , w o r u n t e r die „ k a u s a l e n " , „ f i n a l e n " , „ k o n z e s s i v e n " u s w . K o n j u n k t i o n e n fallen: 1. Intensität der Bedingungsrelation ( K o m p a t i b i l i t ä t , P r o b a b i l i t ä t , N o t w e n d i g k e i t ) ; 2. R i c h t u n g der D e p e n d e n z relation: v o m K o n j u n k t Α einer K o n n e x i o n k a n n gesagt w e r d e n , d a ß es v o m K o n j u n k t Β a b h ä n g t o d e r d e t e r m i n i e r t w i r d ; 3. Spezifizierung der möglichen W e l t e n , in d e n e n die F a k t e n z u e i n a n der in Relation s t e h e n , z . B . aktuelle W e l t , h y p o thetische aktuelle W e l t o d e r nicht-aktuelle W e l t u s w . ; 4. U n t e r s c h e i d u n g hinsichtlich der M o d a l i täten de re ( „ ü b e r die Sache") u n d de dicto ( „ ü b e r das G e s a g t e " ) . D . h . K o n n e k t i v e k ö n n e n Relationen z w i s c h e n den d u r c h die Ä u ß e r u n g e n r e p r ä sentierten F a k t e n selbst o d e r aber z w i s c h e n den R e p r ä s e n t a t i o n e n der F a k t e n , d . h . zwischen P r o positionen u n d / o d e r Sätzen a u s d r ü c k e n . Somit k ö n n e n K o n n e k t i v e d a z u d i e n e n , das T e x t - U n i v e r s u m z u organisieren (semantische K o n n e k t i v e ) o d e r d a z u , d e n T e x t selbst z u s t r u k t u r i e r e n (pragmatische K o n n e k t i v e ) (vgl. van D i j k 1977a, 67). A m Beispiel des engl. K o n n e k t i v s so (deutsch also) sollen einige A s p e k t e dieses U n t e r s c h i e d s verdeutlicht w e r d e n . Vgl. die Beispiele (6) H a r r y had t o m e e t Pierre Batmain. So h e is in Paris. Peter had an accident. So f P ) , he is in hospital. (7) Peter had an accident, so he is in hospital.

Als K o n t e x t f ü r (6) sei a n g e n o m m e n , d a ß d e r Sprecher v o n (6) als Präsident einer V e r s a m m l u n g die A b w e s e n h e i t einiger Mitglieder der Vereinig u n g zu erklären hat. D e r K u r s i v d r u c k v o n Peter u n d he soll eine starke B e t o n u n g signalisieren, d u r c h ,(P)' w i r d eine deutlich w a h r n e h m b a r e Pause m a r k i e r t . In (7) w i r d die Tatsache, d a ß Peter im K r a n k e n h a u s ist, „ n u r " als faktische K o n s e q u e n z seines Unfalls dargestellt. In (6) w i r d

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diese T a t s a c h e d a r ü b e r h i n a u s explizit als v o m Sprecher gezogene S c h l u ß f o l g e r u n g dargestellt. Dies ist auch typisch f ü r Beispiele, in d e n e n lediglich i n d i r e k t e faktische E v i d e n z gegeben ist, wie etwa in (8) Peter's car is d a m a g e d . So, h e m u s t have an accident.

In (7) d r ü c k t das so lediglich eine kausale K o n n e x i o n zwischen F a k t e n aus, auf die in d e n K o n j u n k t e n referiert w i r d , d . h . so f u n g i e r t hier als semantisches K o n n e k t i v . D a s so des z w e i t e n Teils v o n (6) v e r b i n d e t d e m g e g e n ü b e r Ä u ß e r u n gen, g e n a u e r : illokutionäre A k t e (vgl. d a z u A r t . 24: Sprechakttheorie), nämlich diejenigen von „ P r ä m i s s e " u n d „ S c h l u ß f o l g e r u n g " . In (6) f u n giert so als pragmatisches K o n n e k t i v . Ein t y p i sches M e r k m a l p r a g m a t i s c h e r K o n n e k t i v e , die auch als I n f e r e n z - A d v e r b i e n (inferential adverbs) bezeichnet w e r d e n k ö n n e n (vgl. van D i j k 1977a, 209) ist, d a ß sie nicht in K o m b i n a t i o n m i t d e m k o o r d i n a t i v e n and (und) verwendet werden können. W ä h r e n d auf der E b e n e der s y n t a k t i s c h e n u n d semantischen Analyse u n d B e s c h r e i b u n g , insbes o n d e r e w a s das P r o b l e m der „ K o o r d i n a t i o n " anbelangt, eine Reihe v o n u m f a s s e n d e n U n t e r s u c h u n g e n vorliegt (vgl. u . a . D i k 1968, Lang 1973a), ist die p r a g m a t i s c h e Analyse n a t ü r l i c h sprachiger K o n n e k t i v e b z w . die Analyse v o n K o n n e k t i v e n in p r a g m a t i s c h e r F u n k t i o n im w e sentlichen erst noch z u leisten. з.3.

Topic-Comment

/Focus

Mit d e n in der linguistischen D i s k u s s i o n h ä u f i g erscheinenden Begriffspaaren „ T h e m a — R h e m a " , , , T o p i c - C o m m e n t " o d e r „Präsupposition—Foc u s " v e r b i n d e n sich v o m A u s g a n g s p u n k t her u n terschiedliche, in ihrer E n t w i c k l u n g aber k o n v e r gierende A n s ä t z e , welche sich m i t d e m P h ä n o m e n befassen, d a ß die K o m p o n e n t e n eines Satzes h i n sichtlich ihres Aussagecharakters u n d hinsichtlich ihres I n f o r m a t i o n s w e r t e s unterschiedlichen Status h a b e n . D i e Begriffe T h e m a u n d R h e m a s t a m m e n aus der f u n k t i o n a l e n Prager Schule, f ü r welche N a m e n wie M a t h e s i u s , Firbas, Benes o d e r D a n e s stehen; das ins A u g e gefaßte G e s a m t p h ä n o m e n w i r d von ihnen als „ F u n k t i o n a l e S a t z p e r s p e k t i v e " (FSP) bezeichnet ( z u r E i n f ü h r u n g vgl. G ü l i c h / Raible 1977, 6 0 f f . ) . U n a b h ä n g i g d a v o n ist v o n H a l l i d a y die Satzanalyse nach topic u n d c o m m e n t b z w . I n f o r m a t i o n s f o c u s entwickelt w o r d e n (vgl. 1968). U n d schließlich ist im Bereich der generativen G r a m m a t i k die U n t e r s c h e i d u n g v o n P r ä s u p p o s i t i o n b z w . topic u n d f o c u s e i n g e f ü h r t w o r den (vgl. C h o m s k y 1972, L a k o f f 1971). D i e K o n vergenz dieser A n s ä t z e w i r d in allen n e u e r e n A r beiten zu diesem K o m p l e x o f f e n k u n d i g (vgl. Sgall и . a . 1973, Petöfi 1974, van D i j k 1977a). Diese

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Spracbstrukturen

K o n z e p t e beinhalten eine U n t e r s c h e i d u n g zwischen d e m , w o r ü b e r etwas gesagt wird ( T h e m a , t o p i c ) und d e m , was darüber gesagt wird ( R h e m a , c o m m e n t , focus). Diese U n t e r s c h e i d u n g verbindet sich in der F S P mit einer B e w e r t u n g des M i t teilungswertes. D a s T h e m a beinhaltet s c h o n bek a n n t e , vorauszusetzende b z w . aus dem K o n t e x t oder der Situation ableitbare I n f o r m a t i o n und das R h e m a die neue I n f o r m a t i o n . D e m entsprechend wird die F S P auch definiert als „ O r g a n i s a t i o n und Hierarchie der semantischen Einheiten entsprechend ihrem M i t t e i l u n g s w e r t " ( G ü l i c h / R a i b l e 1977, 6 1 ) . V o n einigen Vertretern dieses Ansatzes wird zur Erfassung des Mitteilungswertes neben der zweipoligen A n a l y s e nach T h e m a - R h e m a eine skalierende Analyse der einzelnen E l e m e n t e eines Satzes v o r g e n o m m e n . M i t dieser A n a l y s e nach G r a d e n von I n f o r m a t i o n s w e r t e n soll die „ k o m munikative D y n a m i k " erfaßt werden (vgl. z . B . Firbas 1964). Textlinguistisch relevant sind diese A n s ä t z e , insofern sie die K o n t e x t i n t e g r a t i o n von Sätzen behandeln. F ü r die B e h a n d l u n g der F S P b z w . der t o p i c c o m m e n t - A r t i k u l a t i o n ( T C A ) sind verschiedentlich P r o b l e m k a t a l o g e aufgestellt w o r d e n (vgl. D a h l 1974; Petöfi 1974; van D i j k 1977a, 1 1 4 f . ) , die m a n folgendermaßen zusammenfassen k a n n : - H a n d e l t es sich um eine syntaktische, semantische oder pragmatische Strukturierung? (3.3.1.) - W e l c h e s ist ihre F u n k t i o n ? ( 3 . 3 . 2 . ) - W i e w i r d sie manifestiert? ( 3 . 3 . 3 . ) - W i e ist die B e z i e h u n g zu K o n z e p t e n wie T e x t thema oder G e s p r ä c h s t h e m a ? ( 3 . 3 . 4 . ) 3 . 3 . 1 . D i e F r a g e , auf welcher grammatischen E b e n e die T C A zu behandeln sei, wird in der Regel so b e a n t w o r t e t , daß es sich dabei u m ein pragmatisches b z w . pragmatisch-textlinguistisches P h ä n o m e n handelt. D a n e s ( 1 9 6 4 ) z . B . unterscheidet drei E b e n e n der S t r u k t u r i e r u n g : die E b e n e der grammatischen S t r u k t u r des Satzes, die E b e n e der semantischen S t r u k t u r und die E b e n e der O r g a n i s a t i o n der Ä u ß e r u n g ; die F S P betrifft diese dritte E b e n e . D i e s e E b e n e n stehen miteinander in B e z i e h u n g , „ a b e r keine von ihnen steht in einer 1:1 B e z i e h u n g zu einer a n d e r e n " ( W e i ß 1975, 3 4 ) . So fällt die T C A als k o m m u n i k a t i v e s b z w . pragmatisches P h ä n o m e n nicht mit der S u b j e k t - P r ä d i k a t s t r u k t u r z u s a m m e n . B e i vielen Satzkonstruktionen konvergieren die beiden Strukturierungen, a b e r wie anhand der Passivbildung und von kontrastiven K o n s t r u k t i o n e n z u zeigen ist, sind e b e n s o andere Verteilungen von T h e m a und R h e m a m ö g l i c h (vgl. hierzu W e i ß 1975; van D i j k 1977a, 120). 3 . 3 . 2 . D e r U n t e r s c h e i d u n g von T h e m a / t o p i c und R h e m a / f o c u s liegt in der Regel die U n t e r s c h e i dung zwischen den Eigenschaften b e k a n n t / g e geben vs. neu b z w . kontextuell gebunden vs.

nicht gebunden zugrunde. D a b e i wird K o n t e x t jeweils in einem relativ weiten Sinne g e b r a u c h t , so etwa von F i r b a s ( 1 9 6 4 ) , der einen E r f a h r u n g s k o n t e x t (die gemeinsamen K e n n t n i s s e von Sprecher und H ö r e r ) , einen a d - h o c - K o n t e x t der u n mittelbaren E r f a h r u n g und den sprachlichen K o n text unterscheidet. D e r weit gefaßte K o n t e x t begriff hängt damit z u s a m m e n , daß die T C A weniger mit der V o r e r w ä h n t h e i t im engeren Sinne (im T e x t ) , als mit dem V o r w i s s e n und der dadurch bedingten Identifizierbarkeit von R e f e r e n t e n zusammenhängt (vgl. hierzu etwa D a h l 1974, 3 ; Sgall u . a . 1977, 6 8 ; van D i j k 1977a, 121). D e r artige Ü b e r l e g u n g e n laufen auf M o d e l l e der W i s senorganisation und des „ i n f o r m a t i o n p r o c e s s i n g " hinaus. So arbeiten ζ. B . Sgall u . a . mit einer V o r s t e l l u n g , w o n a c h Sprecher und H ö r e r gemeinsames V o r w i s s e n haben ( „ s t o c k o f shared k n o w l e d g e " ) und die K o m m u n i k a t i o n dem Ziel dient, in diesem B e s t a n d v o n V o r w i s s e n Veränderungen v o r z u n e h m e n ; dazu ist das A u f f i n d e n von zu verändernden P u n k t e n n o t w e n d i g , das sich durch das Aktivieren von einzelnen E l e m e n t e n vollzieht ( „ f o r e g r o u n d e d e l e m e n t s " ) und etablierte items im U n t e r s c h i e d zu modifizierenden items liefert ( 1 9 7 3 , 6 7 / 6 8 ) . A u f vergleichbare M o d e l l v o r s t e l lungen greift auch van D i j k ( 1 9 7 7 a ) z u r ü c k bei der B e s t i m m u n g der F u n k t i o n der T C A . D a m i t hat der T o p i c die F u n k t i o n , eine I n f o r m a t i o n s e i n h e i t aus dem Wissensbestand auszuwählen ( 1 1 7 ) b z w . in den V o r d e r g r u n d zu rücken ( 1 1 8 ) ; die T C A ist d e m e n t s p r e c h e n d im wesentlichen ein Resultat der Bedingungen der effektiven I n f o r m a t i o n s ü b e r mittlung und -Verarbeitung ( „ i n f o r m a t i o n processing"). B e i den Regeln für die T o p i k - S e t z u n g ist zu b e r ü c k s i c h t i g e n , daß nicht nur der textuell explizit eingeführte I n f o r m a t i o n s s t a n d eine R o l l e spielt, sondern auch weitere W i s s e n s b e s t ä n d e , die mit den eingeführten R e f e r e n z o b j e k t e n in V e r b i n d u n g z u bringen sind (vgl. van D i j k 1977a, 120). W e i t e r spielen Fragen der Position relativ z u m K o n t e x t eine R o l l e : bei b e s t i m m t e n Sätzen am A n f a n g eines T e x t e s b z w . eines T e x t a b s c h n i t t s ist vermutlich davon auszugehen, daß sie hinsichtlich der T C A neutral sind (van D i j k 1977a, 118); außerdem ist damit zu r e c h n e n , daß in b e s t i m m t e n Fällen auch der K o n t e x t über die T C A eines Satzes entscheidet (van D i j k 1977a, 123 f . ) . W e i t g e h e n d ungeklärt ist bislang n o c h , wie sich die K o n t e x t g e b u n d e n h e i t im Sinne der zweipoligen A n a l y s e nach Thema—Rhema zur k o m munikativen D y n a m i k verhält und wie diese letzte im einzelnen zu b e s t i m m e n ist. I m U n t e r s c h i e d zur K o n t e x t g e b u n d e n h e i t als einem r e t r o s p e k tiven B e z u g wird die k o m m u n i k a t i v e D y n a m i k durch den prospektiven B e z u g definiert, und z w a r durch das A u s m a ß , in w e l c h e m ein Satzelement z u r weiteren E n t w i c k l u n g der K o m m u n i k a t i o n

20. Textlinguistik

beiträgt (vgl. Gülich/Raible 1977,63 ff.). Meistens wird die Skala der kommunikativen Dynamik mit der zweipoligen Struktur so zur Deckung gebracht, daß die Extremwerte der Skala jeweils mit Thema und Rhema zusammenfallen und die übrigen Elemente den Ubergang dazwischen leisten. 3.3.3. Bei der Untersuchung der Markierungsformen für die T C A werden in der Regel Artikel und Pronomina, Betonung/Akzent/Intonation sowie die syntaktische Stellung behandelt. So stellt z . B . Nickel in Fortsetzung des Ansatzes von Halliday Regeln für den Zusammenhang zwischen Artikelselektion und Akzentverteilung in Abhängigkeit vom Merkmal „bekannt" auf (1968). Dabei gehört zu den normalerweise angewendeten Regeln, daß die thematischen Teile des Satzes relativ unbetont sind. Daneben gibt es jedoch ζ. B. Sonderakzentuierungen wie Kontrast und Emphase, welche die kontextuell bedingten Regularitäten von Thematisierung und Rhematisierung überlagern. Hinsichtlich der syntaktischen Anordnung gilt für viele Sprachen offensichtlich die Regel, daß tendentiell das Thema eher am Satzbeginn und das Rhema eher am Satzende steht (vgl. hierzu u . a . Raible 1971). Darüber hinaus gibt es Verfahren der Topicalisierung, durch welche bestimmte Satzelemente (insbesondere Nominalgruppen bzw. Aktanten) zusätzlich zur Konstruktion des Kernsatzes vorangestellt oder nachgestellt werden. Derartige Verfahren sind vor allem für mündliche Kommunikation eine wichtige Beobachtungsstelle für den Zusammenhang zwischen der T C A und der Konstitution von globaleren thematischeren Strukturen. Als Testverfahren für die Klärung der Zuschreibung von Thema und Rhema ist in der FSP ein Fragetest vorgeschlagen worden, bei welchem zu einem gegebenen Satz eine Entscheidungsfrage gesucht wird, auf die der vorliegende Satz als angemessene Antwort erscheinen kann (vgl. z . B . Gülich/Raible 1977, 74; van Dijk 1977a, 124). Die Testfrage fungiert dabei im Grunde als ein Stück Kontext, das eine besonders eindeutige Vorstrukturierung enthält. Ob damit jedoch die spezifische Vorstrukturierung anderer Kontexttypen und die gegebenenfalls davon abhängige Zuschreibung der T C A in adäquater Weise erfaßt wird, bleibt offen. Natürlich schließt ein solches Verfahren auch die Bedingungen des nichtverbalen Kontextes aus, die unter Umständen für die Strukturierung des Wissensbestandes von entscheidender Bedeutung sind (vgl. Sgall 1979, 97/98). 3.3.4. Die TCA ist ein wesentliches Strukturierungsmittel der Sequenzbildung im Sinne einer linearen Verknüpfung von Sätzen. Dementsprechend spielt die T C A auch in allen textgrammatischen Modellen eine wesentliche Rolle. Die T C A liefert eine im Hinblick auf die thematische Ent-

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wicklung des Textes selektive Strukturierung, indem sie einerseits gezielte Anknüpfungen schafft und andererseits bestimmte Fortsetzungserwartungen; dieser zweite Punkt ist allerdings erst im Zusammenhang mit makrostrukturellen Konzepten, welche globalere Programmerwartungen beinhalten, genauer zu erfassen und deshalb im Rahmen aszendent argumentierenden Ansätze nicht befriedigend zu bearbeiten. Einen für die Möglichkeiten (und Beschränkungen) dieses Ansatzes charakteristischen Vorschlag der sequenzbildenden „thematischen Progression" hat Danes vorgelegt. Danes (1974a) unterscheidet zwischen verschiedenen Progressionstypen, je nachdem ob das Thema eines Satzes ein voraufgehendes Rhema oder aber ein Thema aufgreift, ob ein Rhema gespalten wird und im Zusammenhang damit parallele Progressionsstränge auftreten usw. Ausgehend von satzgrammatischen Betrachtungen stößt die FSP durchaus zu programmatischen Einsichten in globalere textgrammatische Zusammenhänge vor, welche Wechselbeziehungen zwischen Themen und Beziehungen zu übergeordneten Themen von Textabschnitten und ganzen Texten beinhalten, die praktische Anwendung bleibt jedoch „bisher noch ganz im Rahmen dessen, was van Dijk - im Unterschied zu einer Textgrammatik - eine Sequenz-Grammatik genannt hat" (Gülich/Raible 1977, 86). 3.4.

Textgliederung

Mit Textgliederung sind die natürlichen Segmentierungen gemeint, die einen Text als Ganzes aus seiner Umgebung ausgrenzen und seine innere Strukturierung in Teiltexte/Abschnitte/Paragraphen und gegebenenfalls auch kleinere Einheiten erkennbar machen. Zwischen textueller Makrostruktur und Textgliederung besteht natürlich ein enger Zusammenhang: Textgliederung als ein Oberflächenphänomen ist einerseits ein wesentliches Mittel zur Auffindung von Makrostrukturen im Rezeptions- und Analyseprozeß, zum anderen ist sie ein notwendiges Ergebnis bei der Realisierung von Makrostrukturen bzw. allgemein bei der Anwendung von Textualitätsprinzipien im Produktionsvorgang. Die Gliederung von Texten nach Sinn- oder Funktionsabschnitten ist immer schon ein Gegenstand der Textwissenschaft und der Rhetorik gewesen, und von diesen Traditionen kann die Textlinguistik mit Sicherheit wichtige Anregungen empfangen. Bei der speziellen Behandlung der Textgliederung im Rahmen der Textlinguistik tritt jedoch ein bis dahin nicht zentraler Aspekt hervor; die Aufmerksamkeit richtet sich auf die Markierung von Grenzen und die Gestaltung von Ubergängen als eine gesonderte Komponente der Textkonstitution. Entsprechend den beiden textlinguistischen Grund-

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II.

Sprachstrukturen

ansitzen, aszendent und deszendent zu verfahren, gibt es zwei Schwerpunkte der Beschäftigung mit der Textgliederung: - zum einen stellt sich das Problem der Gliederung als Frage nach Textualitätsgrenzen im Rahmen von sequenzgrammatisch orientierten K o härenztheorien ( 3 . 4 . 1 . ) ; - zum anderen ist das Problem der Gliederung bei allen deszendent-deskriptiven Ansätzen immer gegenwärtig gewesen, so ζ. B . in der Tagmemik oder in der textlinguistisch orientierten Beschäftigung mit der gesprochenen Sprache ( 3 . 4 . 2 . ) . 3 . 4 . 1 . Ein repräsentatives Beispiel für relativ frühe Versuche, auf der Grundlage einer Theorie der Satzverkettung strukturelle Bedingungen für die Textgrenzen festzulegen, liefern die Arbeiten von Harweg. Harweg definiert ausgehend von seiner Theorie der Substitution als zentralem T e x tualitätsprinzip als Bedingung für einen strukturellen Textanfang (gegen die im konkreten Fall aus spezifischen Gründen auch verstoßen werden kann), daß der erste Satz keine Substituentia, das heißt keine Formen der Wiederaufnahme enthalten dürfe (vgl. Harweg 1968). Anders ausgedrückt: Textanfangssätze dürfen keinen Vorgängersatz benötigen. Damit sind für den strukturellen Textanfang alle nominalen Gruppen ausgeschlossen, welche Bekanntheit/Vorerwähntheit signalisieren. Als Beispiel für neuere Entwicklungen der Textabgrenzung auf der Grundlage von referenztheoretischen Textualitätsvorstellungen kann z . B . Palek (1979) angeführt werden. Palek definiert Texteinheiten ausschließlich auf der Grundlage einer referentiellen Textanalyse (283). E r stellt dabei folgende Liste der hauptsächlichen Signale für Texteinheiten zusammen: Schlußsignale, welche alle Denotata der voraufgehenden Sätze betreffen und nicht nur einzelne, ζ. B . das des letzten voraufgehenden Satzes; Anfangsmarkierungen durch neueingeführte Denotata, wobei es sich um Nominalgruppen oder um Ausdrücke der temporalen oder lokalen Referenz handeln kann; Charakterisierungen des Textes, welche eine propositionale Einstellung ausdrücken; Denotata, deren Bedeutung ausschließlich im Rahmen des Textes bestimmt ist, wobei es sich um metatextuelle Ausdrücke oder Sätze handeln kann, welche hinsichtlich ihres Generalisierungs- bzw. Abstraktionsniveaus in Kontrast zum umgebenden Text stehen. 3 . 4 . 2 . Von den deszendent vorgehenden Ansätzen sollen zum einen die Tagmemik und davon beeinflußte linguistische Modelle der Textkonstitution genannt werden und zum anderen die textlinguistisch orientierte Analyse gesprochener Sprache. I m Bereich der Tagmemik sollen einmal die Arbeiten von Pike als Beispiel für die Behandlung sozialer Ereignisse mit einer komplexen Handlungs- und Ablaufstruktur in ihrer Gesamtheit und zum anderen die Arbeiten Longacres als

Beispiel für eine Textanalyse im engeren Sinne erwähnt werden. Pike stellt fest, daß rein äußerlich gesehen ein Segment endet und ein anderes beginnt, wenn ein deutlicher Aktivitätswechsel („change in activity" 1967, 75) stattfindet, wobei es sich z . B . um einen Wechsel der Handelnden, der sich bewegenden Körperteile oder auch der Bewegungsrichtung handeln kann. Segmente, welche wesentliche Sinneinheiten darstellen, sind häufig an ihrem Beginn und/oder ihrem Ende durch besondere Aktivitäten markiert, welche anzeigen, daß wesentliche Veränderungen bevorstehen und von welcher Natur das nächste Segment sein wird (1967, 76). Wesentlich bedingt durch die Komplexität der analysierten Zusammenhänge tritt die Unschärfe der Übergänge (,,fuzzy borders" 1967, 7 7 f . ) als besonderes Problem hervor. Longacre (1968), dessen Strukturmodell weitgehend dem Pikes entspricht, unterscheidet einen Kern ( „ n u c l e u s " ) und eine Peripherie, d . h . vorbereitende und auflösende Aktivitätssegmente. Diese Struktur haben die Einheiten auf allen Hierarchieebenen, d . h . sowohl Texte als auch Paragraphen und Sätze. Die Peripherie wird weiter differenziert in eine innere und eine äußere. Man kann den Unterschied zwischen den beiden Peripherien vergröbernd so ausdrücken, daß die äußere Peripherie (also z . B . Ankündigung bzw. Abschluß) im wesentlichen die Abgrenzung gegenüber dem Kontext leistet, wogegen die innere Peripherie die darzustellende Sinnfigur eröffnet und schließt. Die Behandlung der Abgrenzung von Texten und Teiltexten ist in neueren textlinguistischen Arbeiten dadurch weiter präzisiert worden, daß der Hierarchie von Teiltexten eine Hierarchie von Gliederungsmerkmalen zugeordnet wird. So wird von Gülich/Raible (1975) folgende Hierarchie von Gliederungsmerkmalen zusammengestellt: metakommunikative Sätze (Hypersätze), Substitution auf Metaebene, Episoden- und Iterationsmerkmale, Veränderung in der Konstellation der Handlungsträger, Renominalisierung, Satzkonjunktionen und Satzadverbien (86 ff.). Diese Merkmale, mit denen die Kriterien für textuelle Einheiten von Palek weitgehend konvergieren (vgl. 3 . 4 . 1 . ) , grenzen Teiltexte auf unterschiedlichen Ebenen ab. Die textlinguistisch orientierte Analyse gesprochener Sprache hat wesentlich zur Behandlung der Gliederungssignale beigetragen. „ D i e Gliederungssignale sind dadurch gekennzeichnet, daß ihre lexikalische Bedeutung stark reduziert ist. ( . . . ) diese Signale beziehen sich vielmehr auf den Kommunikationsprozeß: sie haben kommunikative Funktion, das heißt 1) geben sie dem H ö r e r Orientierungshilfen für Aufbau und Inhalt der Rede des Sprechers, 2) dienen sie dem Sprecher als Hilfsmittel bei der Formulierung seiner R e d e " (Gülich 1970, 297). Die Gliederungssignale, die

20. Textlinguistik

den Manifestationen der äußeren Peripherie im Sinne Longacres entsprechen, kann man nach Eröffnungssignalen, Schlußsignalen und Unterbrechungssignalen (im wesentlichen Korrektursignale) differenzieren. Eine wesentliche Rolle bei der Gliederung mündlicher Texte spielen auch die prosodischen Merkmale, die zum Teil in Kombination mit den sprachlichen Gliederungssignalen auftreten (vgl. hierzu z . B . Gülich 1970, 232ff.), die aber auch unabhängig von diesen als Gliederungsmerkmal fungieren können (vgl. Dressler 1972, 79). Genauere phonetische Untersuchungen lassen erkennen, daß es sich dabei um komplexe Vorgänge handelt, bei denen die Pausenlänge, der Intensitätsgipfel der vorangehenden Intonationskontur, der Endpunkt der Tonhöhenkurve, der Tonhöhenfall und die Dauer des letzten Tonvokals eine Rolle spielen (vgl. Wunderli 1979, 334f.). J. 5. Globalstruktur

/Makrostruktur

Von Global- oder Makrostrukturen wird gesprochen im Unterschied zur Satzverknüpfung, die anhand von Satzpaaren in der transphrastischen Textlinguistik untersucht wird. Bei diesen Formen der Satzverknüpfung bzw. der linearen Verkettung handelt es sich um „kleine" Strukturierungen mit geringer Reichweite. Für diese Strukturierungsform wird allerdings nur selten die Bezeichnung Mikrostruktur verwendet (vgl. z . B . van Dijk 1977a, 143). Grund dafür ist, daß entscheidender als die Größenordnung die Tatsache ist, daß es sich um zwei unterschiedliche Strukturierungsprinzipien bzw. -dimensionen handelt (vgl. Gülich/Raible 1977, 53). Die lineare Verkettung wird an jeder Satzgrenze relevant. Makrostrukturen hingegen sind übergreifende Baumuster, welche die Gesamtgestalt betreffen. Das Zusammenwirken dieser beiden Strukturierungen ist ausschlaggebend für die Textualität (vgl. Gülich/Raible 1977; van Dijk 1977a). Bei der Beschäftigung mit dem Konzept Makrostruktur treten zwei zentrale Fragekomplexe hervor: - Wie sind Makrostrukturen zu definieren, welchen Status haben sie und wie sind sie zu repräsentieren? (vgl. 3.5.1.) - Wie ist der Zusammenhang zwischen den Makrostrukturen und der linearen Oberflächenstruktur des Textes? (vgl. 3.5.2.) 3.5.1. Bei der Bestimmung des Konzeptes M a krostruktur' sind bislang vor allem drei Aspekte hervorgetreten, für die folgende Begriffe stehen: - Kommunikative Funktion, Textfunktion, illokutionärer Aspekt, Makrosprechakt; - Konstitutive Komponenten, funktionale Kategorien; - Textthema, thematische Makrostruktur.

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Unter dem Einfluß von Bühler (1934) und Jakobson (1968) werden Texten kommunikative Funktionen wie Ausdruck, Appell, Mitteilung, Kontakt usw. zugeschrieben, wobei die Funktionen definiert sind durch die Beziehung des Textes zu den einzelnen Komponenten des Kommunikationsmodells („Appell" beinhaltet eine Ausrichtung auf den Partner, „Ausdruck" den Bezug auf den Sprecher usw.). In den konkreten Texten verbinden sich jeweils verschiedene oder alle diese Funktionen, eine davon ist jedoch in der Regel dominant, und diese bestimmt primär den Charakter des Textes. (Ein Beispiel für einen solchen Ansatz liefert Große 1976.) Die Konzeption einer dominanten Textfunktion wird auch in sprechakttheoretisch orientierten Ansätzen vertreten; dabei wird dem Text ein dominierender illokutionärer Aspekt bzw. eine Textillokution zugeschrieben, welche mögliche andere, mit Teiltexten oder auch dem Text insgesamt verknüpfte Illokutionen dominiert (vgl. Schmidt 1973, 150; Gülich 1976, 230ff.; Sandig 1978, 81, 144ff.). Soweit eine Schematisierung der Konzeption der dominanten Funktion vorgenommen wird, wird die logisch-grammatische Trennung zwischen Proposition und Modalität bzw. ähnlichen Qualifikatoren übernommen. Van Dijk (1972) stellt z . B . die Tiefenstruktur als eine Kombination aus Textqualifikator und Proposition dar, wobei der Textqualifikator wiederum eine Kombination aus einer performativen und einer modalen Komponente ist. Bei den funktionalen Komponenten bzw. Kategorien handelt es sich um konstitutive Teile eines Ablaufes, wobei zum Teil auch in Anlehnung an die „Erzählfunktionen" bei Propp (1928/1972) von „Funktionen" gesprochen wird (vgl. van Dijk 1977a; 153ff.; Zimmermann 1978, 77). Charakteristisch für dieses Vorgehen sind Strukturformeln, in denen konstitutive Komponenten zu einem Ablauf geordnet werden, wobei die einzelnen Komponenten auf Grund von Ersetzungsregeln weiter differenziert werden können; insofern ist in der Regel mit der linearen Strukturierung auch eine hierarchische verbunden. Die einzelnen Komponenten haben jeweils eine spezifische Funktion, welche für ihre Position und die Verknüpfung zwischen den Komponenten ausschlaggebend ist. Charakteristische Beispiele für ablauforientierte Makrostrukturen liefern die vielfältigen Analysen von Erzähltexten (zu dem ganzen Komplex vgl. Gülich/Raible 1977, Teil III). Longacre ζ. B. stellt für Erzählungen die folgende tagmemische Formel auf (wobei + „obligatorisch" und ± „fakultativ" bedeutet): ± Einleitung (aperture) ± Episode + Entscheidung (denouement) + Gegenentscheidung (anti-denouement) ± Schluß (closure) ± Finis (1968 Band 1,5). Sehr bekannt geworden ist weiter die Erzählformel von Labov/Waletzky,

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II.

Sprachstrukturen

welche die E l e m e n t e O r i e n t i e r u n g , K o m p l i k a t i o n , A u f l ö s u n g , Evaluation und C o d a beinhaltet ( 1 9 6 7 / 1 9 7 3 ) . Derartige ablauforientierte S t r u k t u r modelle sind in der linguistischen E r z ä h l f o r s c h u n g i m m e r wieder herangezogen und weiterentwickelt w o r d e n (vgl. z . B . van D i j k 1 9 7 4 / 1 9 7 5 ; R u m m e l hart 1975). U n t e r „ T h e m a " wird das zentrale Inhaltselem e n t b z w . die K e r n i n f o r m a t i o n verstanden, welc h e alle semantischen I n f o r m a t i o n e n des T e x t e s b z w . der betreffenden A b s c h n i t t e dominiert (vgl. u . a . van D i j k 1977, 136). D a s T h e m a wird in der R e g e l durch eine P r o p o s i t i o n oder eine p r o p o s i tionsähnliche S t r u k t u r repräsentiert, d . h . durch eine K e n n z e i c h n u n g für einen Sachverhalt und nicht für ein R e f e r e n z o b j e k t (so bei D r e s s l e r 1972. 4 0 f . ; P e t ö f i 1973; van D i j k 1977a, 1 3 3 / 1 3 4 ; B r i n k e r 1979, 9). D a s T h e m a ist einerseits ein semantischer E x t r a k t , der aus einem k o n k r e t e n T e x t durch b e s t i m m t e O p e r a t i o n e n der R e d u k t i o n zu gewinnen ist, und andererseits ein I n f o r m a t i o n s potential, das einen E r w a r t u n g s r a h m e n schafft, auf den hin einzelne Textbestandteile interpretiert werden und der s o m i t konstitutiv für die K o h ä r e n z ist. U m das mit thematischen Strukturen v e r b u n dene semantische Potential angemessen zu erfassen, werden vielfach den P r o p o s i t i o n s s t r u k t u r e n b e s t i m m t e F o r m e n der Wissensorganisation z u geordnet wie z . B . F r a m e s , d . h . R a h m e n wie „ E i n k a u f e n im S u p e r m a r k t " , „ G r o ß s t a d t " u s w . , welche die konventionell mit ihnen verbundenen Vorstellungen hinsichtlich charakteristischer M e r k m a l e , konstitutiver T e i l e , typischer Abläufe u s w . verfügbar machen (vgl. z . B . Petöfi 1973; z u m gesamten B e r e i c h des i n f o r m a t i o n processing vgl. Beaugrande 1980). 3 . 5 . 2 . M a k r o s t r u k t u r e n stellen i m m e r eine A b straktion von der k o n k r e t e n Textgestalt dar und werden in allen generativen M o d e l l e n in der T i e f e n s t r u k t u r angesiedelt. T r o t z d e m müssen das V o r h a n d e n s e i n von M a k r o s t r u k t u r e n und ihr C h a r a k t e r an der T e x t o b e r f l ä c h e zu erkennen sein (vgl. G ü l i c h / R a i b l e 1977, 5 3 f . , 7 4 ) . E i n zentrales P h ä n o m e n für das E r k e n n e n von M a k r o s t r u k t u r e n ist die Textgliederung. D a b e i k o m m e n i n s b e s o n dere Indikatoren wie A n k ü n d i g u n g e n , R o u t i n e f o r m e l n und strukturtypische Gliederungssignale in B e t r a c h t , die zumindest ansatzweise nicht nur S t r u k t u r g r e n z e n , sondern auch den C h a r a k t e r der abgegrenzten Strukturen e r k e n n b a r m a c h e n . Bis zu einem gewissen G r a d e scheinen auch t h e m a tische Strukturen über eine Gliederungsanalyse zugänglich zu sein. So zählt z . B . van D i j k eine R e i h e von O b e r f l ä c h e n p h ä n o m e n e n als Indikatoren auf, die zumindest z . T . mit den o b e n 3 . 4 . dargestellten Gliederungssignalen k o n v e r g i e r e n : T h e m e n s ä t z e ( „ T o p i c a l S e n t e n c e s " ) , die oft am A n f a n g und am E n d e s t e h e n ; M a k r o - K o n n e k t o r e n ; W i e d e r a u f n a h m e von M a k r o - P r o s i t i o n e n

und M a k r o - P r ä d i k a t e n (d. h . F o r m e n der W i e d e r aufnahme auf A b s t r a k t i o n s e b e n e ) ; A n g a b e n zu Z e i t , O r t und Modalität ( 1 9 7 7 a , 149 ff.). F ü r die Z u o r d n u n g von genau b e s t i m m t e n M a k r o s t r u k t u r e n zur T e x t o b e r f l ä c h e bestehen zur Zeit n o c h erhebliche Schwierigkeiten. F ü r die an dominanten Sprechaktfunktionen orientierten Ansätze ist auf das I n d i k a t o r e n p r o b l e m wiederholt hingewiesen worden (vgl. z . B . G ü l i c h 1976, 2 3 1 , van D i j k 1977a, 2 3 2 f f . ) . D a s gilt im Prinzip e b e n s o für die anderen F u n k t i o n s k o n z e p t e . G r o ß e ( 1 9 7 6 ) stellt ζ . B . für die T e x t f u n k t i o n e n eine K o n stituentenformel auf, welche als K e r n einen P r o p o s i t i o n s t y p und eine metapropositionale Basis (wie A u f f o r d e r u n g , V e r s p r e c h e n , V e r m u t u n g ) enthält und als zusätzliche K o m p o n e n t e n einen A p p e l l f a k t o r (ζ. B . persuasive E l e m e n t e ) , ein Präsignal ( z . B . Titel) und ggf. durch die Situation vorgegebene Handlungsregeln ( K a p . I ) . D u r c h solche V e r s u c h e wird festgestellt, welche T y p e n von textuellen P h ä n o m e n e n eine R o l l e spielen k ö n n e n , die k o n k r e t e Interpretation bleibt j e d o c h ein P r o b l e m . F ü r die G e w i n n u n g von M a k r o t h e men werden in der Regel b e s t i m m t e A b s t r a k t i o n s verfahren als eine F o r m semantischer A b b i l d u n g e n a n g e n o m m e n (vgl. ζ . B . van D i j k 1977a, 143). D a bei spielen einerseits Implikationsregeln und semantische R e l a t i o n e n wie H y p e r o n y m i e eine R o l l e , welche A b s t r a k t i o n e n als spezifische F o r m der Informationsreduzierung unter Beibehaltung eines I n f o r m a t i o n s k e r n s gestatten (vgl. ζ . B . A g r i cola 1976; van D i j k 1977a, 1 4 3 f f . ; andererseits erscheinen Vorstellungen von semantischer Ä h n lichkeit, wie sie insbesondere in der I s o t o p i e T h e o r i e entwickelt w u r d e n . N a c h dem I s o t o p i e K o n z e p t wird die Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t von T e x t e l e m e n t e n über G e m e i n s a m k e i t e n des semantischen Bestandes (dargestellt in semantischen K o m p o n e n t e n ) ermittelt; i m m e r wiederkehrende K o m p o n e n t e n dominieren b e s t i m m t e I s o t o p i e E b e n e n , zwischen denen wiederum Ä h n l i c h k e i t s beziehungen bestehen k ö n n e n (vgl. G r e i m a s 1966; K o c h 1969; Agricola 1976; Z i m m e r m a n n 1978, 6 5 f f . ; G a r c i a - B e r r i o 1979, 2 8 ) . Bei der Realisierung von M a k r o s t r u k t u r e n ist die Frage der Linearisierung von zentraler B e d e u tung. H i e r f ü r werden in M o d e l l e n mit nichtlinear geordneten Tiefenstrukturen besondere Linearisierungsprinzipien angesetzt (vgl. z . B . den B l o c k „ T e x t - O m e g a " bei Petöfi 1973). In diesen Z u s a m m e n h a n g gehören A b l a u f s c h e m a t a , wie sie u. a. die E r z ä h l m o d e l l e darstellen (vgl. auch die D e f i n i t i o n von „ s c h e m a s " als „ f r a m e s put in a serial o r d e r " bei Beaugrande 1980, K a p . V I , 1.4). F ü r eine genauere Darstellung der Linearisierungsprozesse sind solche semantischen b z w . kognitiven G r u n d r e l a t i o n e n wie räumliche und zeitliche K o n t i g u i t ä t , argumentative o d e r T e i l - G a n z e s - B e ziehungen usw. wichtig (vgl. u . a . G r o ß e 1976;

20. Textlinguistik Kap. V I I I ; Zimmermann 1978, 8 2 f f . ) , wobei es für diese Relationen jeweils so etwas wie „natürliche Abläufe" gibt, die ggf. auf die Ordnung der Weltstruktur zurückgehen (vgl. z . B . van D i j k 1977a, 103ff.); und schließlich spielen hier die Regeln des information processing eine Rolle und damit ζ. B . auch die Fragen der Topicsetzung b z w . der kommunikativen Dynamik (vgl. ζ . B . van D i j k 1977a, 114 ff.).

3.6.

Textsorten

Die Beschäftigung mit der Textsorten-Problematik hat sich zusammen mit der makrostrukturellen Orientierung entwickelt. Der zentrale Gesichtspunkt ist dabei, daß die aufzufindenden Regelsysteme zumindest partiell textsortenspezifisch sind und daß konkrete Textvorkommen, die als Material für das Auffinden von Regeln oder deren Uberprüfung dienen, stets in diesem Sinne spezifisch sind. Daneben spielt als Motiv die Anwendbarkeit von Ergebnissen der Textsortenforschung zum einen in der Sprachdidaktik und zum anderen in anderen Textwissenschaften eine Rolle (vgl. Gülich/Raible 1975, 1 4 6 f . ; Ermert 1979, 27/28). D e r Unterschied zur Typologiediskussion in anderen textbezogenen Disziplinen liegt darin, daß linguistische Modelle und Methoden auf einen verallgemeinerten Objektbereich ,Text' bezogen werden, wobei allerdings diese Ausweitung sich faktisch nur schrittweise vollzieht, insofern die Beschränkung auf schriftliche Texte und dann in einem nächsten Schritt auf monologische Texte nur zögernd aufgegeben wird (vgl. ζ . B . Sitta 1973; Zimmermann 1978; Sandig 1978; Frier 1979). Die Textsortendiskussion spiegelt im übrigen die zunehmende „Pragmatisierung" der Linguistik von sprachimmanenten Ansätzen (vgl. van Dijk/Ihwe/ Petöfi/Rieser 1971; Harweg 1968) über die Ansiedelung von Kommunikationsvorgängen in Situationen (vgl. z . B . Glinz 1971, Steger u . a . 1974; Gülich/Raible 1975; Werlich 1976 sowie G r o ß e 1976) bis hin zu handlungsorientierten Ansätzen (vgl. z . B . Sandig 1978 und Frier 1979). Für die Textsortenforschung stellen sich über die allgemeinen methodologischen und theoretischen Fragen der Textlinguistik hinaus zwei zentrale Probleme: - die Klärung des Begriffes „ T e x t s o r t e " ( 3 . 6 . 1 . ) und - die Festlegung von Merkmalen b z w . Merkmalsbereichen als Differenzierungskriterien ( 3 . 6 . 2 . ) . 3 . 6 . 1 . „ T e x t s o r t e " ist ein Systembegriff, dem konkrete Textvorkommen als Manifestationen von Textsorten gegenübergestellt werden (vgl. z . B . Gülich/Raible 1975, 144). Entscheidend für die Definition des Begriffes ist, ob er auf ein Sprachsystem oder auf ein Handlungssystem bezogen wird. Den ersten Weg wählen zum Beispiel

255

Gülich/Raible: „Textsorten als systematische Einheiten sind mit textinternen, aus dem Sprachsystem der jeweiligen Einzelsprache abgeleiteten Merkmalen zu beschreiben, Textvorkommen als Manifestationen von Textsorten mit textinternen und textexternen" (1975, 144; vgl. auch die Unterscheidung zwischen „ T e x t s t r u k t u r " und „ T e x t " als Kategorie, die neben der Textstruktur auch pragmatische Faktoren einschließt, in Zimmermann 1 9 7 8 , 6 3 f.). Andere Autoren fassen Textsorten als Sprachhandlungstypen auf und siedeln sie damit im Rahmen einer Theorie des Handlungssystems an, das in der Regel sprechakttheoretisch charakterisiert wird, aber in seinen Umrissen noch kaum deutlich ist (vgl. z . B . Sandig 1978, 69/70; Ermert 1979, 8 8 ; Frier 1979). Der Begriff „ T e x t s o r t e " wird in der Regel in eine Hierarchie von Strukturbegriffen eingeordnet. Gülich/Raible unterschieden zwischen K o m munikationsarten wie Rundfunksendung, Buch oder Zeitungsartikel, die nur durch einen Teil der möglichen externen Merkmale charakterisiert sind, Textsortenklassen wie zum Beispiel Erzählen, zu denen Textvorkommen zusammengefaßt werden, die sich zwar auf Grund der internen Merkmale unterscheiden, nicht jedoch aufgrund der externen, und schließlich Textsorten, deren Vorkommen sowohl textintern als auch textextern spezifisch sind (1975). Eine im Prinzip ähnliche Unterscheidung zwischen Kommunikationsformen (wie z . B . dem Brief) und Textsorten innerhalb dieses Bereiches trifft auch Ermert (1979). Auch den übrigen Hierarchisierungsversuchen liegen offenbar ähnlich intuitive Einteilungen zugrunde. So stellt z . B . Werlich eine Hierarchie zusammen, welche Text, Texttyp ( z . B . narrativ), Textform ( z . B . Geschichte), Textformvariante ( z . B . Witz), Kompositionsmuster (zum Beispiel politischer Witz) und weitere Varianten enthält (1976, 77); G r o ß e (1976) unterscheidet Textklassen ( z . B . sachinformierende Texte) und Texttypen ( z . B . Nachricht, Wettervorhersage usw.). Als überzuordnende Kategorie erscheint bei Frier die Diskurswelt, d . h . „die Menge aller K o m m u nikationstypen eines Erfahrungsbereichs, die jeweils im Rahmen eines Referenzsystems interpretiert werden" (1979, 19), wobei zu jeder Diskurswelt eine bestimmte Anzahl von Textsorten und eine bestimmte Anzahl von Situationen (im Sinne von soziokommunikativen Orten wie Fahrstuhl, Bahnfahrt, Gericht usw.) gehört. 3 . 6 . 2 . Bei der Bestimmung von Merkmalen bzw. Merkmalsbereichen für die Textsortendifferenzierung wird in der Regel von textexternen Konzepten ausgegangen, denen in einem zweiten Schritt dann textinterne Charakterisierungen zuzuordnen sind. Bei der Bestimmung der externen Merkmale wird jeweils Bezug genommen auf ein Kommunikationsmodell, von dem dann entweder

256

II.

Sprachstrukturen

dominierende Funktionen bzw. Illokutionen als Charakteristikum für Textsorten/Textklassen (vgl. z . B . Große 1976; Sandig 1978) oder aber eine Reihe von Situationsfaktoren, die sich zu bestimmten Konstellationen oder Situationstypen ordnen (vgl. Steger u.a. 1974; Gülich/Raible 1975; Frier 1979), abgeleitet werden. Beim Vergleich der verschiedenen Zusammenstellungen von textexternen Komponenten kristallisieren sich einige Kernbereiche heraus: - die Teilnehmer, die nach der Anzahl (vgl. Steger u.a. 1974; Frier 1979, 41/42), der Art ihrer Beteiligung (vgl. Zahl der Sprecherwechsel bei Steger u. a. 1974 sowie die Kommunikationsrichtung bei Gülich/Raible 1975), ihrer sozialen Definition (vgl. Rang bei Steger u. a., Beschaffenheit bei Erm e n (1979) und Art der Teilnehmer bei Frier 1979, 42) sowie die Art ihrer Beziehung (Bekanntheitsgrad und Art des Partnerbezuges bei Ermert und die Rollenverteilung bei Frier 1979, 40) differenziert werden;

rungskriterien sind vor allen Dingen zwei Bereiche ins Auge gefaßt worden: - Prinzipien der Auswahl aus den Regeln des Sprachsystems; hier ist an die Substitutionsstruktur, die Verwendung von Deiktika, Aufforderungsformen sowie Anrede und Grußformeln zu denken (vgl. z . B . Harweg 1968; Gülich/Raible 1975; Ermert 1979); weiter spielen bestimmte Satztypen wie narrative Sätze usw. und analoge Verknüpfungsformen bei der Unterscheidung zwischen erzählenden, beschreibenden, argumentierenden oder erklärenden Texten eine zentrale Rolle (vgl. hierzu van Dijk 1972; Werlich 1976; Große 1976; Zimmermann 1978); - die Strukturierung des Textes in Teiltexte; die unter 3.4. und 3.5. erwähnten Modelle der Textgliederung bzw. von Ablaufstrukturen sind von ihrem Ansatz her alle als textsortenspezifisch intendiert.

- der T y p von Kommunikationsprozeß (vgl. Gülich/Raible 1975, 144) bzw. der Diskursbereich (vgl. z . B . Frier 1979). Diese werden in der Regel in Anlehnung an die in der Prager Schule eingeführten „funktionalen Stile" des öffentlichen Verkehrs, der Wissenschaft, des Alltagsverkehrs, der schönen Literatur usw. definiert (vgl. Benes 1971; Riesel 1959).

4. Bibliographie (in Auswahl)

- Das Verhältnis der Beteiligten zur Kommunikationssituation - hier ist ζ. B . relevant, inwieweit die Kommunikationssituation ihnen gemeinsam ist (vgl. Gülich/Raible 1975) und eine Situationsverschränkung stattfindet (vgl. Steger u.a. 1974) und welche Fragen der lokalen und temporalen Orientierung damit zusammenhängen (vgl. Ermert 1979);

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- der Bereich der Gegenstände und Sachverhalte; dabei scheint zum einen die Frage der zeitlichen Ansiedelung besonders relevant zu sein (vgl. Steger u.a. 1974 und Gülich/Raible 1975) und andererseits Typen von Themen (vgl. z . B . Frier 1979); - der Bezug der Beteiligten zum Kommunikationsvorgang als einmaligem zeitlichem Vorgang; hier spielen der Grad der Vorbereitetheit, die Themafixierung (vgl. z . B . Steger 1974) sowie die Routine der Beteiligten (vgl. Frier 1979) eine Rolle; - die Art der Intentionen; hier handelt es sich zum einen um Unterscheidungen zwischen Stufen der Intentionali tat wie „nur kommunizieren wollen", „etwas mitteilen wollen", „bestimmte Reaktionen hervorrufen wollen" (vgl. Gülich/Raible 1975) und zum anderen um die genauere Typisierung von Wirkungsabsichten (vgl. z . B . Ermert 1979; Frier 1979). Bei der Bestimmung textinterner Differenzie-

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Ill

KOMMUNIKATIVES HANDELN

21. Theorie des sprachlichen Handelns 1. E i n l e i t u n g und Beispiele 2 . D a s P r o b l e m : Sprachliches H a n d e l n 3 . T h e o r i e des sprachlichen H a n d e l n s 4 . S c h l u ß : V o r l ä u f i g k e i t , Interdisziplinarität, D e s i d e r a t a 5. B i b l i o g r a p h i e (in A u s w a h l )

1. Einleitung und

Beispiele

Seit der Antike gelten Sprache und Handeln als Merkmale, die den Menschen vom Tier unterscheiden. Die Rhetorik „als Meisterin der Überredung" (Plat. Gorg. 453 A), insbesondere der Redner vor Gericht und in der Versammlung, kannte den Zusammenhang von Sprache und Handeln: Die wohlgeschmückte Rede hatte handlungsinitiierende Kraft. Die modernen sprachlichen Handlungstheorien gingen von der Sprechakttheorie aus (vgl. Art. 24). Der Rhetorik wurde nur selten gedacht (vgl. Art. 25 und Henne 1975, 92-102). Allerdings setzte die Untersuchung öffentlichen Redens vielfach in den Objektbereichen ein, von denen die Rhetorik ihren Ausgang nahm: Die ethnolinguistische Literatur untersuchte Stilmerkmale, Aufbau der Rede sowie Handlungszusammenhänge, in denen das Sprechen steht, und hier waren es gleichsam antike Themen, die man aufgriff, nämlich die Rede als kunstvolle Bitte, als Strategie der Konfliktregelung und das Reden in der Gerichtsverhandlung ( z . B . Albert 1972, Djawanai 1978, Frake 1972, Salmond 1976). Die Materialsammlungen, welche die Ethnolinguistik bietet, wurden bisher nicht von der Sprechakttheorie für eine Theorie des sprachlichen Handelns genutzt; andererseits verstand sich die Ethnolinguistik kaum als Beitrag zu einer solchen Theorie (vgl. Heeschen 1976 und Art. 30). Dieser Artikel wird hauptsächlich auf jenes Material zurückgreifen, um den altbekannten, aber erst von der Sprechakttheorie wieder bewußt gemachten Zusammenhang von Sprache und Handeln zu untersuchen. Die folgende Reihe von Beispielen soll als Diskussionsgrundlage dienen; die einzelnen Beispiele bilden nur die Zusammenfassung einzelner Beobachtungen. 1. Ein dreijähriges, deutsches Mädchen bittet seine Mutter direkt, wenn es etwas zu trinken haben will. Es sagt trinken!, gib mir was zu trinken! oder einfach Mama, Milch!

2. Dasselbe Mädchen erfindet immer wieder Geschichten der folgenden Art, wenn es ein Stück Schokolade haben will: Die Puppe sei heute sehr brav gewesen, sie hätte sich ohne Murren anziehen lassen, die Mutter wäre ja recht lange weggewesen, die Puppe hätte aber nicht geweint. Nun könne sie einen Trost gebrauchen. Der praktische Schluß, ein Stück Schokolade zu geben, bleibt der Mutter überlassen. 3. Ein Gururumba (Papua Neuguinea) äußert sehr oft den Wunsch nach einer kleinen Gefälligkeit: nach einem Bissen von einer Süßkartoffel, einem Zug von einer Zigarre, dem Wickelblatt für eine Zigarre, einem Stück Zuckerrohr etc. Den Wunsch kleidet er in die Form einer direkten Aufforderung: gib mir! Lehnt der Angeredete ab oder sagt, er habe nichts, dann wirft ihm der Fordernde Lüge vor und sucht nach dem verlangten Objekt. Bequemt sich der Angeredete, das Verlangte herauszurücken, dann ruft er dabei kurz und verächtlich nimm es! (Newman 1965, 52). 4. Ein Waika-Mädchen (Südamerika) geht auf ein anderes zu, das Beeren ißt, und greift nach den Beeren. Die Essende wendet sich ab und entzieht der Fordernden die Beeren, aber sie gibt freiwillig ab, als das erste Mädchen durch Wegwenden von Körper und Blick zu verstehen gibt, daß es von seiner Forderung gelassen hat (Eibl-Eibesfeldt 1976, 135). 5. Das Verhaltensmuster des vierten Beispiels findet sich gleichfalls bei den Eipo (Westneuguinea). In vielen Fällen folgte der direkten Zuwendung oder - als Substitut dafür - der gesprächseröffnenden direkten Bitte Abwendung und Ablehnung. Der ständige Austausch von kleinen O b jekten funktioniert dann am besten, wenn den O b jekten selbst keine Aufmerksamkeit, auch keine sprachliche Erwähnung zugewendet wird; das Wort als Mittel der Hervorhebung metakommunikativer Aspekte in alltäglichen Handlungsabläufen wird vermieden (Heeschen & Schiefenhövel & Eibl-Eibesfeldt). Die Deutung, die Sorenson (1976, 15) für die Fore (Papua Neuguinea) gibt, scheint auch für die Eipo gültig zu sein: Alltägliche Interaktion wird durch „common feeling, personal rapport and familiarity" geregelt: „Subtle interactive behavior, not questions or instructions, communicated needs, desires and interests. Questions, like demands, were an indication of alienation and were often treated as threats or insults."

260

/ / / . Kommunikatives

Handeln

6. W e n n ein B u r u n d i (Afrika) u m etwas bittet, t u t er es auf h ö c h s t i n d i r e k t e Weise. E r ist so v o r sichtig, d a ß er seine G e d a n k e n m e h r erraten läßt, als d a ß er sich klar a u s d r ü c k t . Er lügt, w ä h l t U m s c h r e i b u n g e n , g e b r a u c h t M e t a p h e r n . Bitten w i r d z u r h e t o r i s c h e r K u n s t . D e r direkte W u n s c h , die b l a n k e W a h r h e i t ist s c h a m v e r l e t z e n d ( R o d e g e m 1973, 17-18; vgl. A l b e r t 1972). F ü r die Agni (Afrika) verläuft ein G e s p r ä c h d a n n s c h ö n , w e n n m a n Banalitäten austauscht. Eine F r a g e k ö n n t e Schlimmes zutage f ö r d e r n , eine Bitte bloßstellen; was ü b e r Belanglosigkeiten h i n a u s g e h t , ist L ü g e u n d V o r w a n d als Einleitung z u einer Intrige (Parin u . a . 1978). Sprache d i e n t d a z u , d e n s c h ö n e n Schein einer v o n Interessen freien I n t e r a k t i o n a u f rechtzuerhalten. 2. Das Problem: 2.1. Handeln

als

Sprachliches

Handeln

Konstrukt

In allen Beispielen h a n d e l t es sich u m den gleichen, g r u n d l e g e n d e n , d e n M e n s c h e n v o n a n d e r e n Lebewesen a b s e t z e n d e n V o r g a n g : u m d e n des O b j e k t tausches, des Teilens, des G e b e n s u n d N e h m e n s . In allen Fällen k a n n a u f g r u n d allgemeiner A n n a h m e n ü b e r die N a t u r des M e n s c h e n , ü b e r kulturelle M u s t e r u n d individuelle T a k t i k e n aus d e m b e o b a c h t b a r e n Verhalten ein H a n d l u n g s z u s a m m e n h a n g k o n s t r u i e r t w e r d e n , d . h. m a n k a n n d e m Verhalten der M e n s c h e n ein M o t i v (einen G r u n d ) , Intentionalität, subjektiven Sinn u n d einen Z w e c k zuschreiben. Man wird nicht fehlgehen, wenn m a n die Beispiele in d e n g r ö ß e r e n Z u s a m m e n h a n g von primären Bedürfnissen, Appetenzverhalten u n d B e d ü r f n i s b e f r i e d i g u n g stellt; aber das ist aus den B e o b a c h t u n g s d a t e n nicht u n m i t t e l b a r erschließbar. Z u m H a n d e l n w i r d das Verhalten dad u r c h , d a ß m a n 1. B e w u ß t h e i t u n d A b s i c h t u n terstellt, 2. die V e r ä n d e r u n g eines Sachverhaltes hier den O b j e k t t a u s c h - feststellen k a n n , 3. d a ß die V e r ä n d e r u n g absichtlich unterlassen w e r d e n k a n n , 4. d a ß das Verhalten im K o n t e x t v o n p r i m ä ren B e d ü r f n i s s e n (Beispiel 1), gesellschaftlich gef o r m t e n B e d ü r f n i s s e n (Beispiel 2) o d e r , allgemeiner gesagt, im Z u s a m m e n h a n g mit einer L e b e n s f o r m steht (vgl. Beispiel 3 u n d d a z u A b s c h n i t t 2.3.), 5. d a ß die W a h l zwischen m e h r e r e n Mitteln gegeben ist, ein H a n d l u n g s z i e l zu erreichen (vgl. Beispiel 4 u n d 5), u n d d a ß 6. die H a n d l u n g m o r a lischer W e r t u n g unterliegen k a n n : m a n k a n n sie billigen o d e r mißbilligen (Beispiel 4). (Aufstellung nach W e r b i k 1978, 18-19; z u m Begriff des K o n s t r u k t s v g l . H e r r m a n n 1978.)

2.2. Soziales Handeln

und

Sprechen

„ S o z i a l " soll nach W e b e r (1976, 8) „ e i n solches H a n d e l n h e i ß e n , welches seinem von d e m o d e r d e n H a n d e l n d e n gemeinten Sinn n a c h auf das Ver-

halten anderer b e z o g e n w i r d u n d d a r a n in seinem Ablauf orientiert i s t " . Setzen w i r in den H a n d lungen des O b j e k t t a u s c h e s eine relative K o n s t a n z der a n d e r e n F a k t o r e n - e t w a des F a k t o r s M o t i v v o r a u s , d a n n weist das verbalisierte Teilstück die g r ö ß t e Verschiedenheit auf. Ü b e r a l l da, w o der H a n d e l n d e glaubt, sein Ziel d u r c h Sprechen realisieren zu k ö n n e n , hat er o f f e n b a r die g r ö ß t e Z a h l von H a n d l u n g s a l t e r n a t i v e n . In der je verschiedenen Verbalisierung k a n n der H a n d e l n d e seine Kreativität entfalten, u m sich auf den a n d e r e n z u b e z i e h e n , u m sich an d e n R e a k t i o n e n des a n d e r e n z u orientieren. D a s heißt aber nichts anderes, als d a ß soziales H a n d e l n v o r z u g s w e i s e sprachliches H a n d e l n ist. A u f g r u n d d e r Variabilität u n d Kreativität sind die Verbalisierungen i n n e r h a l b eines H a n d l u n g s z u s a m m e n h a n g e s b e w u ß t u n d voller A b s i c h t (s. A b s c h n i t t 2 . 1 . ) , es sind keine a u t o m a tisierten P r o z e s s e , keine O p e r a t i o n e n wie Signale d e r K o n t a k t s i c h e r u n g (vgl. L e o n t ' e v 1974, 18-19; z u s a m m e n f a s s e n d ü b e r Tätigkeit, H a n d l u n g , O p e r a t i o n Vahle 1978, 3 2 ^ 1 ) . D a s , was die Bez o g e n h e i t auf d e n P a r t n e r u n d die O r i e n t i e r u n g an i h m a u s m a c h t , w i r d d u r c h d e n inhaltlichen A u f bau der R e d e geleistet. D i e i n d i r e k t e Bitte des Beispiels 2 baut sich ü b e r den Inhalt des Berichtes auf. Sieht m a n v o n d e m sozialen R a n g der I n t e r a k t i o n s p a r t n e r u n d v o m G r a d e der Institutionalisier u n g u n d Ritualisierung b e s t i m m t e r Sprechereignisse ab - m a n d e n k e an Interviews, V e r h ö r e , G r ü ß e - , d a n n ergeben sich vier P r i n z i p i e n , die jene B e z o g e n h e i t u n d O r i e n t i e r u n g lenken u n d die f ü r die je verschiedene Verbalisierung v e r a n t w o r t lich sind. 1. D i e H u m a n e t h o l o g i e b e o b a c h t e t , d a ß d i r e k t e Bitten u n d A u f f o r d e r u n g e n (verbaler u n d n i c h t verbaler A r t ) in einer D y a d e , in der eine s y m m e trische B e z i e h u n g h e r r s c h t , z u n ä c h s t mit A b l e h n u n g b e a n t w o r t e t w e r d e n (Beispiel 4 u n d 5). Als E r k l ä r u n g w u r d e vorgeschlagen, (1.) d a ß ein M i n i m u m an Zeit verstreichen m u ß , in der der A u f g e f o r d e r t e Zeit hat, einen eigenen E n t s c h l u ß zu fassen, (2.) d a ß v o r jeder A u f f o r d e r u n g ein f r e u n d l i c h e r K o n t a k t etabliert sein m u ß , was v o r nehmlich d u r c h Sprechen geschieht, u n d d a ß (3.) a u f g r u n d des hergestellten K o n t a k t e s die Illusion des Einklangs auch d a n n bestehen bleibt, w e n n der K o n t a k t d u r c h Bitten u n d F o r d e r n b e d r o h t ist: N u n w ü r d e die A b l e h n u n g ein u n f r e u n d l i c h e r A k t ( H e e s c h e n & Schiefenhövel & Eibl-Eibesfeldt). I n s b e s o n d e r e da, w o N ö t e u n d W ü n s c h e alltäglicher A r t d u r c h nichtverbales V e r h a l t e n signalisiert w e r d e n (Beispiel 5), scheint die Sprache ein z u grobes Mittel z u sein. D a s „ c o n v e r s a t i o n a l e q u i l i b r i u m " ( M e r a h b i a n 1972) bricht z u s a m m e n . D e r K o n t a k t , d e n Sprache stiftet, w i r d gestört, w o das H a n d l u n g s z i e l allzu b e w u ß t angesteuert w i r d u n d die A b s i c h t u n v e r h ü l l t z u t a g e tritt. D i e K u n s t des sprachlichen H a n d e l n s bestände d a r i n , zu t u n ,

21. Theone des sprachlichen Handelns als handelte man nicht. Motiv und Zweck bleiben verdeckt; der Entschluß bleibt dem Angeredeten vorbehalten, zu dem er sich wegen des einmal etablierten Kontaktes und aufgrund sozialer Verpflichtungen und Handlungszwänge aufraffen muß. Der Abgewiesene appelliert an diese Normen : do ut des oder bei den Eipo nachdem du mir gegeben, werde ich dir geben. 2. Nach Ehrich & Saile (1972, 286; vgl. Frankenberg 1976, 16-23) dienen indirekte Sprechakte „als Techniken der Imagepflege. Mit nichtdirekten Sprechakten versucht der Sprecher sein Image oder dasjenige des Hörers zu bewahren. Unter ,Image' ist hier ,ein in Termini sozial anerkannter Eigenschaften umschriebenes Selbstbild' zu verstehen . " Zu solcher Pflege gehört, Interessen nicht bloßzulegen. Je weniger explizit die Handlungsaufforderung ist, desto leichter fällt es dem Angeredeten, Ablehnung anzustreben, und dem Fordernden, Ablehnung zu ertragen. Geschichte oder Rede (Beispiele 2 und 6) werden vordergründig anders interpretiert, jedenfalls nicht als Handlungsaufforderung. Beide Interaktionspartner bewahren das Gesicht. Das Sprechen, das den Kontakt stiftete, bewahrt auch den Konsensus, wo der Kontakt bedroht ist. Wo der Einklang zerbrach und ein Konflikt vorliegt, leisten Metaphorik und indirektes Verweisen den Aufbau eines Gespräches, in dem zunächst die guten Beziehungen entwickelt werden. Die entzweite Gruppe entwirft ein Bild von sich selber, in dem Konsensus gewahrt blieb. Wenn die Nga'da versuchen, einen Konflikt zu regeln, dann geht das Gerede gewöhnlich „round and round before hitting the heart of the problem or the intention of the speaker. Sometimes the intention is even left unsaid and the addressee, to his bewilderment, has to infer or to guess what the speaker is trying to say. This can only be understood if one considers the introductory part as a way a speaker of Nga'da attempts to ,define' his relationship with another individual" (Djawanai 1978, 21). 3. Die Art der Verbalisierung in einem Handlungszusammenhang richtet sich auch nach der Erwartbarkeit einer positiven Antwort (Laucht & Herrmann 1978). Die Erwartbarkeit hängt von den übergreifenden Zusammenhängen ab, in denen die Sprechakte fallen. So steht die direkte Bitte des ersten Beispiels im Zusammenhang der Fürsorge und Mutterpflichten; zweifellos ist es selbstverständlich, dem durstigen Kind zu trinken zu geben. Wo die Eipo kooperieren, bei Haus- und Gartenbau, sind Befehle und direkte Sprechakte die Regel (vgl. Beispiel 5): gib mir die Axt, geh mir aus dem Wege! Handlungsaufforderungen in kooperativen Tätigkeiten setzen die Erwartbarkeit einer positiven Antwort voraus. Das gemeinsame Thema (vgl. Abschnitt 3.), über das sich die Gruppe bindet, ist die nichtverbale Tätigkeit. Die

261

gemeinsame Tätigkeit legitimiert die Direktheit. Wo die Erwartbarkeit sinkt, bedarf es gesprächssichernder, den Konsensus bewahrender und bandstiftender Taktiken. Der individuelle Wunsch (Beispiel 2 und 6) muß erst noch legitimiert werden. Letzten Endes hängt die Erwartbarkeit von dem Grade der Institutionalisierung und Organisiertheit der Tätigkeiten ab, in denen die Sprechakte geschehen. Die Verantwortung für die Direktheit wird gleichsam der Institution, der sich das Individuum unterwirft, übergeben. 4. Indirekte Sprechakte gewährleisten die Kontinuität des Gesprächs (Ervin-Tripp 1976). Auf ein gib mir ein Stück Schokolade! muß die Tat folgen. Die Geschichte (Beispiel 2) gibt der Mutter Zeit für Überlegung, sie kann Fragen zum Verhalten der Puppe stellen. Das Gespräch sichert Bindung und Konsensus, was offenbar so wichtig ist, daß die Eipo und Fore es weitgehend von Handlungsaufforderungen freihalten. Jeder Dialog aber muß sich um ein Thema herum organisieren. Die bloße Anwesenheit zweier Interaktionspartner stiftet noch keinen Handlungszusammenhang. „Die [ . . . ] Wahrnehmungsprozesse haben jedoch keine ausreichende Selektivität, so daß einfache Sozialsysteme zusätzlich auf thematische Konzentration und Geschichte, d. h. auf verbale Grenzziehung, angewiesen bleiben" (Könau 1977, 144; zum Begriff des einfachen Sozialsystems s. Luhmann 1972). Durch einen Dialog differenziert sich im Wahrnehmungsraum ein potentieller Handlungsraum oder -Zusammenhang heraus. Das begonnene, thematisch nicht festgelegte, aber auf ein Thema angewiesene Gespräch genügt, einen solchen Zusammenhang zu stiften und die Regeln des Objekttausches (Beispiel 5) in Gang zu setzen: die eingestreute direkte Bitte wirkt dann nur noch wie eine Erinnerung an diese Regeln. 2.3. Situation und

Distanz

Denkt man sich die Ubergänge zwischen Formen direkter Handlungsaufforderung und einem Sprechen, das, gemessen an seinem Inhalt, keinen Bezug zu Handlungen aufweist, fließend genug, dann ergeben sich zwei Schlüsse, die das erste Paradox des sprachlichen Handelns bilden. 1. Es dürfte kaum eine sprachliche Äußerung geben, der mit Sicherheit kein Handlungscharakter zukommt, denn auch das anscheinend interesselose Gespräch kann in übergreifende Handlungszusammenhänge eingefügt sein und handlungsauslösende Kraft besitzen. 2. Obwohl Sprechen Glied in Handlungszusammenhängen ist, deuten die Prinzipien der Verbalisierung darauf hin, daß der Handlungscharakter nicht oder nicht allzu explizit im sprachlichen Material ausgedrückt wird. Das zweite Paradox bestände darin, daß sprach-

262

111. Kommunikatives

Handeln

liches Handeln zwar notwendig an bestimmte Situationen gebunden ist, daß sich aber das Sprechen im situationsenthobenen Medium der Sprache realisiert. Bayer (1977, 90) schlägt vor, „ d a s W o r t ,Situation' zur Bezeichnung der subjektiven Umweltinterpretation und -Orientierung des einzelnen Handelnden (Kommunikators) zu verwenden, soweit diese als komplexe Voraussetzung der jeweils wissenschaftlich zu erklärenden Handlung fungiert". Im Blick auf die sprachlichen Inhalte, nicht auf den auch nichtverbalen gesamten Handlungszusammenhang, hätte die Situation, zur G r u n d k a tegorie von Bayer (1977) und H y m e s (1974) erhoben (vgl. Germain 1973), nur dann erklärende Kraft, wenn sie subjektiv als psychologisches Korrelat der Zeichengenese - als Schema - fungiert und w e n n sie objektiv die „ R e d u k t i o n möglicher Beziehungsformen zwischen Interagierenden" und die „ R e d u k t i o n von Denkalternativen der Partn e r " leistet (Haug & Raumer 1974, 103). Im Einzelfall sind die erklärenden Voraussetzungen konkret zu benennen. So wurden direkte A u f f o r d e r u n gen aus den Bedingungen der Mutter-Kind-Bezieh u n g und der kooperativen Tätigkeit erklärt (Abschnitt 2.2.). Anders steht es mit den direkten Bitten der G u r u r u m b a (Beispiel 3). N e w m a n (1965, 50-61) schildert, daß die G u r u r u m b a sehr mit ihrem Besitzstande beschäftigt sind; er wird laufend gezählt, inventarisiert, markiert. D e n n o c h zählt weniger der Besitz oder die Gabe, die man erbittet, als vielmehr die Möglichkeit, die sie eröffnen, an einem ständigen Austausch teilzunehmen, was soziale Verpflichtungen verschafft und Ansehen und Status definiert. „ T h e G u r u r u m b a might m o r e accurately be characterized as ,exchange-oriented', however, for they appear m o r e concerned with controlling the flow of objects than with the objects themselves" ( N e w m a n 1965, 52). Vor diesem H i n t e r g r u n d sind die direkten Bitten zu sehen: Es sind institutionalisierte, ritualisierte Bemühungen, sich gegenseitig zu verpflichten, das Ansehen zu prüfen und den Status zu erhöhen. Es ist wieder die Institutionalisierung, welche die Direktheit legitimiert. Auf diese Weise steht die Verbalisierung selbst innerhalb einfacher Interaktionen mit der ganzen Lebensform im Zusammenhang. Es ist aber sehr die Frage, ob die Bedeutung sprachlicher Zeichen lediglich eine Funktion der Verwendungsbedingungen ist (zur Kritik an einer situativ-funktionalistischen Bedeutungstheorie vgl. Heeschen 1976). Aus ontogenetischer Sicht ist es w o h l richtig, anz u n e h m e n , daß sich Bedeutungen in Abhängigkeit von Situationen und Tätigkeiten konstituieren (zusammenfassend: Bates 1976, Bruner 1975aund b, M o e r k 1977). O h n e eine „ K o n s t a n t i s i e r u n g " ( H ö r m a n n 1978), d. h. o h n e eine sich im Gebrauch herausdifferenzierende, verbindliche, nicht nur idiolektal-individuelle Bedeutung wären die F u n k -

tionen der Sprache gerade in einzelnen H a n d lungszusammenhängen aus folgenden G r ü n d e n nicht verständlich. 1. W e n n die Wirklichkeit insgesamt gesellschaftlich konstruiert ist (Berger & L u c k m a n n 1970) und w e n n die Sprache modellhaft diese Wirklichkeit repräsentiert, dann ist nicht einzusehen, w a r u m die Bedeutung einzelner Gebrauchsweisen der Sprache funktional abhängig von spezifischen Situationen sein soll. Man täte so, als spiegele die Sprache die Wirklichkeit objektiv wider, dann wären die besonderen Gebrauchsweisen die subjektive U m d e u t u n g des objektiv Vorgegebenen. Die Abhängigkeit von der Gesellschaft, von einer bestimmten Lebensform, ist aber per definitionem schon global gegeben; innerhalb dieser globalen Abhängigkeit sind die Bedeutungen relativ konstant u n d situationsenthoben. 2. Von Motiven, Intentionen u n d Zwecken her ist die Bedeutung allein deshalb nicht zu erfassen, weil sprachliches H a n d e l n Motive kaschiert u n d Zwecke verschleiert. Die Inhalte korrelieren notwendig nicht mit der Situation. 3. Beliebigkeit und Kreativität wären nicht zu erklären. Die verschiedene Verbalisierung ist das Charakteristikum sprachlichen Handelns. Es genügt ja nicht, den verschiedensten Äußerungen immer wieder den gleichen kommunikativen Sinn z u z u o r d n e n ; das sprachliche Handeln besteht im Gebrauch einer erstaunlich großen Anzahl von Mitteln, u m einige wenige Handlungsziele zu realisieren. Es reduziert sich nicht auf die verhaltensregulierenden Funktionen des Sprechens, sondern besteht im Ausnutzen der darstellenden Funktion der Sprache (vgl. Beispiel 2 u n d 6). Von daher gesehen müssen alle Sprechereignisse O b j e k t einer Theorie des sprachlichen Handelns sein; insbesondere m u ß die Theorie den schöpferischen Gebrauch, den der Mensch von der Sprache macht, erklären k ö n n e n . 4. D e r schöpferische Gebrauch ist n u r in einem handlungsentlasteten Raum möglich. Die sprachlichen Schemata beginnen dort als Zeichen zu funktionieren, w o der Sprechende aus dem u n mittelbaren Handlungszusammenhang z u r ü c k tritt (Piaget 1975, 283), w o er, gleichsam spielend, von Trieb und H a n d l u n g abrückt, versucht, erprobt, die Realität lediglich abtastet. „Distanzierung ist die Voraussetzung f ü r jede dialogartige Auseinandersetzung" (Eibl-Eibesfeldt 1978, 336). Als distanzierendes Zeichen funktioniert die Sprache d o r t , w o sie nicht auch Träger verhaltensregulierender Elemente ist; ihre wesentliche F u n k tion wäre es, einen handlungsentlasteten Raum zu schaffen. Das wiederum bedingt, daß H a n d l u n g s ziele nicht direkt angegangen werden k ö n n e n . Die Primatenkommunikation dient noch ausschließlich der Regulierung des Verhaltens — der D o m i n a n z , der U n t e r w e r f u n g , dem Z u s a m m e n -

21. Theorie des sprachlichen Handelns halt (Marler 1973, 89; Ploog 1972, 156). Sprache entzieht sich dem Ausdruck dieser Funktion (zur hier gebrauchten Terminologie von verhaltensregulierend und kommunikativ s. Leont'ev 1971,36; zusammenfassend über Funktionen der Sprache: von Polenz 1974; Robinson 1972, 38-56; Vahle 1978, 98-115). Im Sprechen treten Handlung und die diese Handlung abbildenden Zeichen auseinander. Drohgebärde und Griff nach dem begehrten Objekt (Beispiel 4) erfordern unmittelbare Reaktion, drohende Äußerung und Bitte eröffnen die Möglichkeit der Diskussion, der Distanzierung. Wie beim Spiel ist schon für die erste Phase der Zeichengenese mit einem Abrücken von Emotionen und Trieben zu rechnen. Mit dem Erwerb des „ J a " und „ N e i n " als „ideellen Vorgängen" brauchen libidinöse und aggressive Triebimpulse nicht mehr durch Muskelkraft gegen das Objekt abgeführt zu werden. „Dieser entscheidende Schritt eröffnet die Möglichkeit der Diskussion anstelle des Angriffs - eine Errungenschaft, die nur beim Menschen vorkommt. Damit kann der soziale Verkehr von Mensch zu Mensch beginnen." (Spitz 1970, 113). Nach Rycroft (zit. bei Jappe 1971, 119) ist der Prozeß der Symbolbildung eine „Verschiebung der Besetzung von der Vorstellung eines Objektes oder einer Aktivität von primärem Triebinteresse weg auf die Vorstellung eines Objektes von geringerem Triebinteresse". Als ein solches Ersatzobjekt fungiert auch das Wort. Die Zeichengenese schildern Kaplan & Werner als einen vierfachen Prozeß des „distancing". 1. Durch den Aufbau kognitiver Schemata werden die Objekte, die in einem ersten Stadium noch definiert waren „in conative-pragmatic terms, formed and reformed through the changing affective-sensory motor patterns of the Individuum" (ebd., 44), in ich-unabhängige Dinge transformiert. Als Vehikel dieser Externalisierung dient zunehmend die Sprache. 2. Das, .distancing between person and symbolic vehicle" (ebd., 45) meint, daß die Formen der Darstellung und Referenz immer mehr von einem funktionsspezifischen Medium, der Sprache, geleistet werden. Ältere Mittel der Kommunikation wie Gesten werden durch Mittel realisiert, die vor allem anderen Zwecken dienen, etwa dem Greifen. Mit der Sprache entsteht ein Medium „relatively detached from actual commerce with things of the environment" (ebd.). 3. Das „distancing between symbolic vehicle and reference object" (ebd., 46) meint die Abkehr vom wohlbekannten Wortrealismus des Kindes. 4. Das „distancing between addressor and addressee" bezieht sich auf das Wachsen der „interpersonal distance" (ebd., 49). Kommunikation hängt nicht länger mehr davon ab, daß Sprecher und Hörer in eine Situation eingespannt sind und

263

daß folglich die Bedeutung der sprachlichen Zeichen nicht mehr vom augenblicklichen Kontext abgeleitet wird. „In other words, the greater the interpersonal distance between individuals involved in a communication situation, the more autonomous must be the symbolic vehicles in order to be understood, that is, the more communal and the less egocentric, idiosyncratic, and contextualized must the vehicles become." (ebd.). Das Problem des sprachlich Handelnden besteht also darin, daß er sich eines Mediums bedient, das seiner Natur nach die Ablösbarkeit von Augenblick und Situation erfordert; damit verschafft er sich im Moment des Sprechens Distanz zum Handlungsvorgang selbst. Folglich ist Sprechen nicht nur Teilstück und Glied in Handlungszusammenhängen, sondern ein Handeln sui generis. 2.4. Zur Geschichte

des

Problems

Die Rückbindung der Sprache an die Subjekte, die sprechen und handeln, haben mehrere linguistische, ethnolinguistische und zeichentheoretische Schulen bzw. Forscher verschiedener Disziplinen versucht. Uber verschiedene Kommunikationssysteme im Kontext der Völkerkunde unterrichtet Schmitz (1975). Die Einsicht in das Sprechen als Teil menschlichen Verhaltens führt Hymes (1972 und 1974) zu Entwürfen für eine systematische Beschreibung ethnologisch verschiedener Sprachverwendungssysteme. Uber Probleme, Themen und Theorieentwürfe der Ethnolinguistik geben die Sammelbände von Ardener (1971), Gumperz & Hymes (1972) und Bauman & Sherzer (1974) Auskunft. Ethnolinguistische Arbeiten erscheinen regelmäßig in den Zeitschriften Anthropological Linguistics und Language in Society. Eine globale Zuordnung von Sprache und Verhalten versuchen die Tagmemik (Pike 1967) und die systemic linguistics (einführend: Berry 1975-77). Uber die zeichentheoretische Fundierung der Pragmalinguistik oder Sprachpragmatik informieren Henne (1975) und Braunroth [u. a.] (1975). Zweifellos ist es das Verdienst der Arbeiten von Maas & Wunderlich (1972), im Anschluß an die Sprechakttheorie Austins und Searles (vgl. Art. 24) wieder danach gefragt zu haben, was die Menschen denn tun, wenn sie sprechen. Maas & Wunderlich (ebd.) geben selbst über ihre Vorläufer und forschungsgeschichtliche Gründe für ihre pragmatische Wende Rechenschaft. Die Sprechakttheorie als Theorie des sprachlichen Handelns litt m . E . von Anfang an unter der Enge der von Austin und Searle in philosophischer Absicht formulierten Fragen. Ungeklärt ist, wie Illokutionspotentiale methodisch sauber aus einer Äußerung oder einer Sequenz von Äußerungen herausgearbeitet werden können; wertvolle empirische Arbeiten wie die

264

111. Kommunikatives Handeln

von Martens (1974) und Frankenberg (1976) münden über sprechakttheoretische Zielsetzungen hinausgehend in gesprächsanalytische (vgl. Art. 27) Fragestellungen und Fragen einer sozialpsychologischen - nicht mehr literarischen - Textinterpretation. Fraglich ist, wieweit die explizit performativen Verben ein nicht nur kontingentes Kategoriengerüst für Handlungstypen abgeben (vgl. Baumgärtner 1977; Bayer 1977, 119-132; Ehrich & Saile 1972, 271; Henne 1975, 109; Leodolter 1975, 137-138); vom ethnolinguistischen Standpunkt sind die Verben ein europäischer Sonderfall . Sie fehlen in vielen Sprachen. Gleichwohl wird man annehmen können, daß sich die Frage des sprachlichen Handelns überall in gleicher Weise stellt (vgl. Heeschen 1978). Die Tendenz geht dahin, die Performativa als reflexives System anzusehen, so schon Frey (1965, 79): Mit ihnen wird die Beziehung der Partner und die institutionsspezifische Bedeutung einer Äußerung als Thema in den Diskurs eingeführt. Auf andere Defizienzen der Sprechakttheorie als Theorie des sprachlichen Handelns verweisen die Gesprächsanalyse (u.a. Henne & Rehbock 1979, 16-18) sowie Arbeiten, welche die Kategorie der Situation für eine Theorie der kommunikativen Interaktion zugrunde legen (Bayer 1977; Leodolter 1975; vgl. Rehbein 1977,12-57und258-281).Rehbein(1977) hat die gründlichste Arbeit zur „Handlungstheorie der Sprache" - so das Werk im Untertitel - vorgelegt. Hier wird vor allem die zeitliche Parallelität von Planbildung, Sprechen und Handeln untersucht. Demnach wäre Sprache immer Glied innerhalb komplexer Handlungsabläufe. 3. Theorie des sprachlichen

Handelns

Zur Realisierung seiner Handlungsziele nimmt der Mensch grundsätzlich einen Umweg über die Sprache. Er nutzt die Distanz, die ihm die darstellende Funktion der Sprache zum Handlungsziel und zum Interaktionspartner verschafft. Die Menschen beschnüffeln, belecken und bespringen sich nicht mehr, um sich kennenzulernen und um ihr Verhalten zu regulieren. Sie gehen den Umweg über die Sprache, um ein gemeinsames geistiges Territorium abzustecken. Sie binden sich aneinander, indem sie den Umweg über die gemeinsam konstruierte Repräsentation ihres Wissens durch Sprache gehen. Im Prozeß der Teilhabe an diesem Modell und der Konstruktion und Sicherung dieses Modells schieben sie ständig eine von Trieben und primären Impulsen entlastete Welt - gleichsam eine Pufferzone aus Abbild und Schein (vgl. Beispiel 6) - zwischen sich. Sie handeln sprachlich derart, daß über die Sprache die notwendige Bindung geschaffen wird, die zuallererst einen gemeinsamen Handlungsraum in der Kommunikationssituation von Angesicht zu Angesicht ermög-

licht. Da wo die Handlungszusammenhänge unkompliziert und vorgegeben sind, wo eine geringe Zahl von Alternativen herrscht, kann das Sprechen (gleich über welches Thema) einen Handlungszusammenhang auslösen; der Beginn des Sprechens, das Sprechen selbst ist schon eine höchst indirekte Form des Handelns (Beispiel 5). Da wo sprachlich handelnd etwas erreicht werden soll - die Veränderung eines Sachverhaltes —, ist Sprechen Probehandeln, spielerisches, distanziertes Abtasten der Realität; gleichzeitig hält es die Fiktion aufrecht, daß gar nichts erreicht werden soll, weil gesellschaftlich legitimiert ist, was erreicht werden soll: Miteinanderreden ist per definitionem der Versuch, Konsensus zu etablieren und anerkannte Begründungszusammenhänge für Zwecke und Motive zu liefern (vgl. Beispiel 2). Sprechen baut eine imaginäre Bühne auf, von der man jederzeit heruntertreten kann, wenn das Spiel nicht verstanden wird oder nicht verstanden werden soll. Sprechereignisse in Handlungszusammenhängen sind der Versuch, zwischen der Handlungsaufforderung, die den Konsensus bedroht, weil sie die Veränderung eines Sachverhaltes nach sich zieht, und dem Fortgang des Gesprächs zu vermitteln, d . h . die Fiktion eines „conversational equilibrium" aufrecht zu erhalten. Deshalb ist die Indirektheit für sprachliches Handeln charakteristisch. Dem dienen die Verbalisierungsprinzipien, die Situationsenthobenheit des sprachlichen Zeichensystems und die sprachliche Kreativität. Deshalb kann das Wort auch Maske sein, das Gefühle versteckt und Absichten verhüllt; Nöte und Interessen werden nicht kommuniziert (vgl. Weiner 1976, 86-87). Deshalb kommt Gilsenan (1976, 210-211) zu dem Schluß, daß Lügen für die Gesellschaft vital ist und daß die Sprache durch Verbergen und Andeuten „nonrelations" schafft, weil, müßte man hinzufügen, nicht die Wahrheit ökonomischer Interessen und persönlicher Handlungsantriebe ungehindert zum Ausdruck kommen darf. In gewissem Sinne ist die Sprache immer schon Etikette, die die eigenen Antriebe und Gefühle und die anderer vor dem Ausbruch bewahrt, kanalisiert und ritualisiert (Geertz 1960, 173). Wo immer das Miteinanderreden Interessen berührt, wo Gefühle der Unsicherheit und Trauer herrschen, wo sich Emotionen aufstauen, wo direkt gefordert und gehandelt wird, wo verhaltensregulierende Funktionen durchbrechen, da bedarf es der Kanalisierung und Konvention, der Etikette und Regel, mit einem Wort, der Institutionalisierung, um über die Formen der Bindung, die das Reden in alltäglichen Begegnungen schafft, ein zweites Netz des Zusammenhalts und des sozialen Einverständnisses zu werfen. Die Bitte-Handlungen (Beispiel 3) sind institutionalisiert, die Gefährlichkeit des ungeregelten Zugriffs (Beispiel 4) wurde vermieden. Das einfachste Mittel, um der

21. Theorie des sprachlichen Handelns Belastung durch Antrieb und H a n d l u n g zu entgehen, ist konventionelles Schweigen. Die westlichen Apachen schweigen, wenn die Beziehung der Partner noch unsicher oder wenn sie besonderen Belastungen ausgesetzt ist: wenn man einen Fremden trifft, wenn sich Liebespaare noch nicht genau kennen, wenn die Kinder, den Eltern vielleicht entfremdet, aus den Internaten z u r ü c k k o m m e n , während des Wutanfalls eines anderen, in Gegenwart dessen, der einen Trauerfall beklagt (Basso 1970). Die ungehemmte Klage ist verpönt, weil der Handelnde der Kontrolle der G r u p p e entgleitet. Aber da, w o ein sprachliches Genre, also eine sanktionierte Institution bereitsteht, ist selbst der vehemente Ausbruch der Trauer erlaubt: Die Siuau, die in alltäglichen Interaktionen kaum G e fühle verraten, geben bei (Feuer-)Bestattungen ihrem Affekt dramatischen Ausdruck (Oliver 1955, 232 und 275). Vorwerfen, Beleidigen, Verhöhnen und Verspotten würden den auf Sprache angewiesenen Konsensus zerstören; andererseits scheinen sie im Konfliktfall zur Aggressionsabf u h r und zur Regelung des Konfliktes nötig zu sein. So finden bei vielen Völkern institutionalisierte Rededuelle statt, die charakteristischer Weise an bestimmte Partner, bestimmte Themen und bestimmte Situationen gebunden sind (Breetborde 1975; Burridge 1969, 125; D u n d e s u. a. 1972; EiblEibesfeldt 1972, 120; Koch 1974,62). Die Sorgfalt, mit der etwa die Eskimo ihre Gesangsduelle vorbereiten, die künstlerische F o r m , die sie den Gesängen geben (Hoebel 1967), zeigen den Grad der Institutionalisierung: Es ist zurückgehaltene W u t und kontrollierter Spott. D e r durch Handeln belastete Diskurs ist durch die F o r m auf Distanz zu Motiv und Antrieb gebracht. Ein beleidigter !KoBuschmann kann auf folgende Art z u m Gegenangriff antreten. „ A b e n d s , wenn alle H o r d e n m i t glieder um ihre Feuer sitzen und jeder es hören kann, beginnt der Beleidigte laut seine Meinung über seinen Gegner k u n d z u t u n , ohne ihn direkt anzusprechen. Dieser kann still bleiben oder entsprechend antworten. Solange die Konversation indirekt ist, mischen sich die anderen H o r d e n m i t glieder nicht ein. Erst wenn die Kontrahenten einander direkt ansprechen, greifen die anderen beschwichtigend ein" (Eibl-Eibesfeldt 1972, 120). Wie bei den Eskimo durch die F o r m , so bleibt hier die Indirektheit zunächst durch die Art des A n sprechens gewahrt. Diese A r t von Rededuellen sind nur mittels des schöpferischen Zeichengebrauchs möglich, d . h . auch hier schafft das Sprechen einen entlasteten Handlungsraum, in dem sich, in der Sprache der Psychologie und H u m a n ethologie, das Interesse von einem O b j e k t primären Interesses zu einem O b j e k t abgeleiteten Interesses wendet. Handeln ist hier möglich mittels der thematisierenden, ein T h e m a organisierenden Kraft der Sprache; es wäre nicht möglich auf-

265

grund der peripheren verhaltensregulierenden Elemente. In der egalitären, an Institutionen armen EipoGesellschaft genügt es, diskret ein Bündel Bananenblätter an seine H a u s w a n d zu heften, u m Anklage gegen den zu erheben, der stahl o d e r dessen Schweine den eigenen Garten verwüsteten. Darüber hinaus gibt es keine offizielle F o r m des Anklagens; es gibt keine W o r t e für anklagen (es sei denn: ein Bündel Bananenblätter anheften), verteidigen, rechtfertigen, entschuldigen, verurteilen. Die N g a ' d a haben zwar ein offizielles D o r f gericht; Richter, Ankläger und Verteidiger fehlen. Das Gericht setzt sich aus älteren, erfahrenen D o r f b e w o h n e r n zusammen. Wie wir gesehen haben, wird der Konfliktfall höchst umständlich und indirekt vorgebracht. Erst in unserer Gesellschaft wird unverblümt angeklagt, verteidigt, verurteilt. Die Sprache, zunächst n u r Instrument der G r u p pensolidarität, der Bindung, des Ausgleichs, von direkten Handlungsaufforderungen freigehalten, wird in Institutionen z u m unverhüllten Instrument in Handlungszusammenhängen. 4. Schluß: Vorläufigkeit, Desiderata

Interdisziplinarität,

D e r vorliegende Entwurf zu einer Theorie des sprachlichen Handelns faßt einige Ergebnisse der Völkerkunde, der Ethnolinguistik, der Tiefenpsychologie, der Humanethologie und der Sprachwissenschaft zusammen. Ich glaube nicht, daß eine m e h r formale Theorie des sprachlichen H a n delns, die viele Fakten verarbeiten will, heute schon möglich ist. Man m u ß zufrieden sein, wenn sie einige Zusammenfassungen leistet u n d einige Voraussagen zuläßt. F ü r den Bereich der Verbalisierung in Handlungszusammenhängen einfacher Art w u r d e das hier versucht. Die Ergebnisse, die größtenteils an Beispielen der face-to-face communication erarbeitet w u r d e n , müssen mit dem Sprechen in Institutionen (vgl. Art. 30), Texten und Massenmedien (vgl. A r t . 29) verglichen werden. Die Theorie beruht auf alten Einsichten. Sie geht von sogenannten indirekten Sprechakten aus, erklärt diese z u m Normalfall aufgrund der Merkmale der Distanz-Bindung durch Sprache, der Kreativität, der Bedeutungshaftigkeit von sprachlichen Zeichen. Besonderer Klärung bedürfen dann die direkten Sprechakte. Die Position einer mehr der Tradition verhafteten Semantik und Systemlinguistik w u r d e mit den Versuchen, die Sprache an die sprechenden Subjekte rückzubinden, versöhnt; das Subjekt braucht ein Medium, das die Unmittelbarkeit des Augenblicks und der Situation transzendiert, u m in jeder Situation reagieren zu können und u m sein Handeln an dem der Interaktionspartner ausrichten zu k ö n n e n . Besondere Bezüge ergeben sich zur Gesprächsanalyse

266

III. Kommunikatives Handeln

(vgl. Art. 27), zur Sprache in Institutionen, zur Zeichenproblematik (vgl. Art. 3, 13) und, da die Interaktion in einfachen Sozialsystemen durch nichtverbales Verhalten geregelt oder beeinflußt ist, bzw. dieses als Substitut für Äußerungen eintreten kann, zur Theorie der nichtverbalen Kommunikation (vgl. Art. 22). Die Theorie kann vorangetrieben werden durch 1. Dokumentation ungestellter sprachlicher Interaktionen und 2. Langzeituntersuchungen von Kindern, so daß gezeigt werden kann, wie Zeichengenese und indirektes, also sprachliches Handeln einander bedingen. Nicht eingegangen wurde hier auf die ökonomischen und soziologischen Bedingungen für die Institutionalisierung von Sprechereignissen. 5. Bibliographie (in Auswahl) Ε. M. Albert, Culture Patterning of Speech Behavior in Burundi. In: Directions in Sociolinguistics. N e w York 1972, 72-105. K. Basso, To Give up on Words: Silence in the Western Apache Culture. In: SWJA 26. 1970, 213-230. E. Bates, Language and Context. N e w York 1976. K. Baumgärtner, Lexikalische systeme möglicher performative. In: Z G L 5. 1977, 257-276. K. Bayer, Sprechen und Situation. Tübingen 1977. P. L. Berger & T. Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Frankfurt/M. 1970. Μ. Berry, An Introduction to Systemic Linguistics. 2 Bde. London 1975-1977. M. Braunroth & G. Seyfert & K. Siegel & F. Vahle, Ansätze und Aufgaben der linguistischen Pragmatik. Frankfurt/M. 1975. L. B. Breetborde, Communicating Insults and Compliments in Jacaltec. In: AnL 17. 1975, 381-J03. J. S. Bruner, The Ontogenesis of Speech-Acts. In: J C L 2. 1975, 1-19. J. S. Bruner, From Communication to Language. In: J C L 3. 1975, 255-287. K. Burridge, Tangu Traditions. Oxford 1969. Directions in Sociolinguistics. Hrsg. v. J. L. Gumperz & D . H . Hymes. N e w York 1972. S. Djawanji, Participant Relationships in Nga'da Discourse. In: Nusa 6. 1978,20-33. A. Dundes & J. W. Leach & B. Ö z k ö k , The Strategy of Turkish Boys' Verbal Dueling. In: Directions in Sociolinguistics. N e w York 1972, 130-160. V. Ehrich & G. Saile, Uber nicht-direkte Sprechakte. In: Linguistische Pragmatik hrsg. v. D. Wunderlich. Frankf u n / M . 1972, 255-287. I. Eibl-Eibesfeldt, Die !Ko-Buschmann-Gesellschaft. München 1972. I. Eibl-Eibesfeldt, Menschenforschung auf neuen Wegen. Wien 1976. I. Eibl-Eibesfeldt, Grundriß der vergleichenden Verhaltensforschung. München 5 1978. S. M. Ervin-Tripp, Is Sybil there? The Structure of some American English Directives. In: LiS 5. 1976, 25-66. Explorations in the Ethnography of Speaking. Hrsg. v. R. B a u m a n & J . Sherzer. London 1974. C. O . Frake, Struck by Speech: The Yakan Concept of Litigation. In: Directions in Sociolinguistics. N e w York 1972, 106-129. H . Frankenberg, Vorwerfen und Rechtfertigen als verbale

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22. Theorie der nonverbalen Kommunikation

Bezugnahme auf Sprache. Nachdem die nonverbale Kommunikationsforschung sich als eigene Forschungsrichtung etabliert hatte, standen zuallererst Untersuchungen einzelner nonverbaler „Kanäle" im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Von daher sind große Teile der Forschung „immanent nonverbal", d.h. Bezüge zur gesprochenen Sprache fehlen. Erst jüngere Ansätze, die den verbal und nonverbal kommunizierenden Menschen als „Multikanal"-System betrachten (vgl. Birdwhistell 1970; Scherer 1974; Scherer & Wallbott 1979), zeigen wieder verstärkt Bemühungen, die engen Beziehungen und Interdependenzen zwischen Sprache und nonverbalem Verhalten zu betonen. Bisher wird „nonverbale Kommunikation" nur negativ von „verbaler Kommunikation" unterschieden . Eine positive Definition, die Phänomene wie Gestik, Mimik, Blickkontakt, Lautheit der Stimme, Pausen im Sprechverlauf etc. von gesprochener oder geschriebener Sprache abgrenzt, hat sich noch nicht durchsetzen können. Während verbale Kommunikation alles beinhaltet, was dem konventionell etablierten System der Sprache zuzurechnen ist und traditionell von Sprachwissenschaftlern untersucht wurde, umfaßt „nonverbal" letztlich das gesamte übrige Gebiet von Äußerungsformen. Das Schema in Abbildung 1 gibt einen Uberblick über im allgemeinen als nonverbal bezeichnete Verhaltensaspekte und zeigt, daß unter diesem Begriff recht unterschiedliche Phänomene subsumiert werden. Diese können den Redefluß überlagern (wie etwa alle stimmlichen Phänomene) oder unterbrechen (wie Pausen oder Verlegenheitslaute), oder sie können unabhängig von ihm existieren (wie das gesamte Bewegungsverhalten).

1. Der Begriff „nonverbale Kommunikation" 2. Modelle der „nonverbalen Kommunikation" 3. Bibliographie (in Auswahl)

1. Der Begriff,,nonverbale 1.1. Verbales und nonverbales

Kommunikation" Verhalten

Die Verwendung des Begriffes „nonverbale Kommunikation" erfreut sich zunehmender Beliebtheit (Ubersichten bisheriger Forschung bieten z.B. Argyle 1972, 1975;Hinde 1972;Weitz 1974; Siegmar» v. Feldstein 1978; Harper, Wiens u. Matarazzo 1978; Scherer u. Walbott 1979). Während noch bis vor einiger Zeit die (Allgemeine) Sprachwissenschaft sich fast ausschließlich auf die Untersuchung der das System eine Sprache („langue") beschreibenden semantisch-syntaktischen Regeln konzentriert und das Studium der den Sprachvollzug („parole") begleitenden Phänomene im wesentlichen der Ausdruckspsychologie sowie der Psychiatrie überlassen hat, wird neuerdings gerade von Linguisten immer stärker darauf hingewiesen, daß gesprochene Sprache nur unter Hinzuziehung nonverbaler Verhaltenselemente verstanden werden kann (Abercrombie 1972; Key 1972). Damit wird der Bezug zu Arbeiten aus so verschiedenen Gebieten wie der Psychiatrie (vgl. z . B . Ruesch 1956; Mahl 1968), der Soziologie (Goffman 1963, 1971), der Ethologie (Eibl-Eibesfeldt 1968; Grant 1969) und der Psychologie (Allport 1924; Landis 1924; Krout 1935; Efron 1941) hergestellt. Vor allem auch wiederentdeckte historische Arbeiten (Bell 1806; Duchenne 1862; Darwin 1872; Kleinpaul 1888) trugen dazu bei, der nonverbalen Kommunikationsforschung einen ersten, allerdings unscharfen Rahmen zu liefern. Was Linguisten verwundern wird, ist die von Seiten der Kommunikationsforscher oft geringe

Volker Heeschen,

7.2. Verhalten und

Bochum

Kommunikation

Die bisherigen Ausführungen bezogen sich lediglich auf die Abgrenzung nonverbaler von verbalen

268

III. Kommunikatives

Handeln Nonverbales Verhalten

Vokal {= von den Stirn mu. Sprech Werkzeuge r hervorgebracht bzw. abhängig)

Zeitabhängige Aspekte z.B. Sprechdauer

Stimmabhängige Aspekte z . B . Stimmqualität

Ν on vokal ( = von den Stimmu. Sprech werk zeuger unabhängig)

Kontinuität»· abhängige Aspekte z.B. Versprecher

ökologische Kanäle

chemische

Olfaktorisch gu statorisch

bewegung

Takiii

Territorialverhalten

-hallung

personale Distanz

Sitz Verteilung, Möbelarrangement

Persönliche Aufmachung Kleidung, Haare, Make u p etc.

Abb. 1: Ein Uberblick über nonverbale Verhaltensaspekte

Verhaltenselementen, während der Begriff,,Kommunikation" zunächst unberücksichtigt blieb. Es ist allerdings zu fragen, ob sich „Kommunikation" überhaupt auf den Austausch nonverbaler Signale anwenden läßt. Unterschiedliche Positionen zu dieser Frage lassen sich am besten anhand des ,,klassischen" Kommunikationsmodells von Shannon und Weaver (1949) verdeutlichen, das (grob vereinfacht) folgende Konstituenten beinhaltet: Quelle—* Sender—»Nachricht—• Empfänger—» Ziel

τ

Rauschen Abb. 2: Kommunikationsmodell nach Shannon und Weaver

Kommunikation fordert einen Sender, der auf einem Sendekanal eine Nachricht sendet, die von einem Empfänger empfangen wird. Dies verlangt einen von Sender und Empfänger zumindest partiell geteilten „ K o d e " , also festgelegte Regeln über Zuordnungen von bestimmten Zeichen zu bestimmten Bedeutungen. Der Sender enkodiert die Nachricht im Rahmen dieses Kodes, und der Empfänger dekodiert sie entsprechend. Es ist allerdings zweifelhaft, ob dieses Modell immer eindeutig auf nonverbale Verhaltensweisen anwendbar ist. Stel-

len wir uns beispielsweise eine Person vor, die sich am Kopf kratzt und dabei von einer anderen Person beobachtet wird. Um dies als Kommunikation im eigentlichen Sinne bezeichnen zu können, müßte nun gegeben sein, daß (1) der Sender durch sein Am-Kopf-Kratzen eine Bedeutung enkodiert hat, daß also das Am-Kopf-Kratzen letztlich für etwas anderes steht; daß (2) der Empfänger diese Mitteilung dekodiert bzw. sie überhaupt als Mitteilung versteht; und daß (3) beide einen Kode teilen, der ihnen sagt, wofür „Am-Kopf-Kratzen" steht. Da diese Forderungen bei nonverbalen Äußerungsformen offensichtlich nicht immer erfüllt sind, wurden verschiedene Erweiterungen und Differenzierungen vorgeschlagen, die letztlich beinhalten, daß nonverbales Verhalten nicht mit nonverbaler Kommunikation gleichgesetzt werden kann, ohne den Begriff „Kommunikation" so auszuweiten, daß er jegliche Aussagekraft verliert (zur Problematik des Kommunikationsbegriffs vgl. Art. 2 und Wiener, Devoe, Rubinow & Geller 1972). Schon in der alten deutschen Ausdruckspsychologie finden sich Versuche der Abgrenzung von Verhaltensweisen, die intentional enkodiert werden und damit eine relativ umschriebene Bedeutung übermitteln, von solchen, die nicht enkodiert werden und damit nicht „ f ü r etwas" stehen, sondern nur „sich selbst" beinhalten:

22. Theorie der nonverbalen Kommunikation Autor

„Kommunikation"

Darstellung Willkürbewegung W ö r n e r (1940) artliche Ausdrucksbewegung Strehle (1954) repräsentative Ausdrucksbewegung Buytendijk repräsentative Bewegung (1956) Ausdruck Gottschaidt (1958) Klages(1926)

„Verhalten" Ausdrucksbewegung individuelle Ausdrucksbewegung primäre Ausdrucksbewegung Ausdruck Äußerung

Hinsichtlich von Ausmaß und Art des Kodecharakters, der der nonverbalen K o m m u n i k a t i o n zugesprochen wird, kann man verschiedene A u f fassungen unterscheiden: (1) Nonverbale Kommunikation vollzieht sich mittels eines Kodes ähnlich dem des etablierten Sprachsystems. Diese Auffassung wird etwa von Trager, dem Begründer der Paralinguistik, vertreten, der zwar der Sprache die H a u p t f u n k t i o n innerhalb der menschlichen Kommunikation z u weist, sie aber in enger Beziehung zu anderen „kulturellen Systemen" sieht (1958). Auch Abercrombie (1972) spricht stimmlichem, gestischem und mimischem Verhalten, sofern es k o m m u n i k a tiv innerhalb einer konversationalen Interaktion eingesetzt wird, denselben Kodecharakter wie der Sprache zu. Dieses von ihm als „paralinguistisch" bezeichnete Verhalten, das prinzipiell die Mitteilung jeglichen Sachverhaltes gestattet (S. 69), sei weder idiosynkratisch noch universal, sondern ebenso wie die Sprache kulturell determiniert (2) Eine weiter verbreitete Auffassung ist die, daß zwar der nonverbalen Kommunikation ein Kode zugrundeliegt, dieser jedoch im Gegensatz z u m sprachlichen Kode nicht durch konventionelle Setzung zustandegekommen, sondern in ontogenetisch u n d phylogenetisch früheren Regelsystemen verankert ist. So weist T r u b e t z k o y , ein Linguist der Prager Schule, in seinen „ G r u n d zügen der Phonologie" ausdrücklich darauf hin, daß es neben den „konventionellen" Elementen „eine unübersehbare Fülle von manigfaltigen u n konventionellen Stimmgebärden" gibt, die „ i n den entlegensten Sprachen der Welt gleichbedeutend sind. Wenigstens verstehen die Europäer die Gefühle, die ein guter japanischer Schauspieler ,ausdrücken' will, selbst dann, wenn sie kein W o r t von seiner Rede verstehen, und zwar nicht n u r aus der Mimik, sondern z u m Teil auch aus dem T o n fall" (1939, 25). Dieses „ V e r s t e h e n " ist gemäß neueren Autoren im Gegensatz zur Sprache, w o es eine relativ feste Verbindung zwischen Zeichen und Bezeichnetem gibt, nicht eindeutig möglich.

269

In diesem Sinne unterscheiden Watzlawick et al. (1967) eine digitale Kodierung, bei der die Bedeutungszuordnungen kategorial und diskret sind, von einer analogen Kodierung, die in grundsätzlicher Ähnlichkeitsbeziehung z u m ausgedrückten Sachverhalt steht und kontinuierliche A b s t u f u n gen zuläßt (1971, 62). So kann beispielsweise eine Emotion sprachlich nur vergleichsweise grob quantitativ enkodiert werden als „etwas F r e u d e " oder „ s e h r viel F r e u d e " , während nonverbal ein kontinuierliches Spektrum von A b s t u f u n g e n möglich ist. Watzlawick et al. sehen die analoge K o m m u n i k a t i o n s f o r m in archaischeren Entwicklungsperioden verankert und sprechen ihr - ebenso wie T r u b e t z k o y - einen weitaus allgemeineren Geltungsbereich als der digitalen K o m m u n i k a tionsform zu. Verschiedentlich ist darüber hinaus argumentiert w o r d e n , daß nonverbalem Verhalten zwar ein Kode zugrunde liege, daß aber die Verk n ü p f u n g zwischen Zeichen und Bezeichnetem in h o h e m Maße situations- und personabhängig sei, bzw. daß die Enkodierung (und wahrscheinlich auch die Dekodierung) nonverbaler Verhaltensweisen probabilistisch geschehe (siehe Scherer 1978), d . h . eine eindeutige Beziehung zwischen Zeichen und Bedeutung nicht durchgängig gegeben ist. (3) Die stärkste Abgrenzung von sprachlichem erfährt nonverbales Verhalten, wenn es nicht als auf einem von Sender und Empfänger geteilten Kode beruhend verstanden wird. Dabei wird außerdem ein weiteres konstitutives Bestimmungsstück f ü r Kommunikation — nämlich die Absicht des Senders, mit der entsprechenden Verhaltensweise eine Nachricht zu übermitteln - aufgegeben. Beispielsweise geben für Sapir stimmliche Merkmale zwar zahlreiche Hinweise auf die Person und den Zustand eines Sprechers, sind aber „nichts anderes als der Ausdruck des Trieb- und Gefühlslebens" und „letztlich n u r Abwandlungen derjenigen instinktiven Ausdrucksformen [ . . . ] , die der Mensch mit den niederen Tieren gemein hat [ . . . ] " (vgl. Sapir 1961, 43). Diesen drei theoretischen Grundpositionen lassen sich entsprechende Forschungsstrategien der Untersuchung nonverbalen Verhaltens z u o r d n e n . Die erste Strategie besteht darin, nonverbales Verhalten als „tightly organized and self-contained social system, like language" (Duncan 1969, 121) zu untersuchen. Man kann diesen Ansatz, der mit linguistischen Methoden wie Kontrast- oder K o n textanalyse arbeitet, als „ s t r u k t u r e l l e n " bezeichnen. Untersucht wird, welche Verhaltensweisen geordnet zusammen auftreten, und ob sich größere, linguistischen Einheiten entsprechende Strukturen erarbeiten lassen. Birdwhistell, einer der Hauptvertreter dieser Richtung, geht davon aus, daß Bewegungen ein der Sprache direkt vergleichbares System bilden, wobei analog zu P h o -

270

III. Kommunikatives

Handeln

nemen, Morphemen und höheren syntaktischsemantischen Einheiten „ K i n e m e " und „Kinemorpheme" aufgefunden werden können (Birdwhistell 1966, 1967). Nonverbales Verhalten wird damit als System „in sich" verstanden und analysiert (vgl. Scheflen 1964, 1966; Condon & Ogston 1966, 1967). Dies hat zu sehr differenzierten und elaborierten Beschreibungen nonverbalen Verhaltens geführt (vgl. Pittenger, Hockett 8c Danehy 1960; M c Q u o w n et al. 1971; Scheflen 1973). Eine zweite Richtung stellt der an der Sprechakttheorie (vgl. Austin 1962; Searle 1969) orientierte Versuch dar, nonverbale Verhaltensweisen mit der Pragmatik gesprochener Sprache in Verbindung zu setzen (vgl. Art. 21). So wird im Zusammenhang mit Spracherwerbsmodellen darauf hingewiesen, daß zur Interpretation der Bedeutung kindlicher Äußerungen parasprachliche Elemente wie der Intonationsverlauf und nichtsprachliche Elemente wie Mimik oder Gestik herangezogen werden müssen (vgl. Bates et al. 1973; Ramge 1975). Durch diese Elemente wird der „illokutive" Akt der Feststellung, Aufforderung oder Frage ausgedrückt, während durch das verbale Element der „propositionale" Gehalt vermittelt wird. Eine solche Analyse braucht keinesfalls auf frühkindliche Äußerungen beschränkt zu werden, wenn man den illokutiven Akt noch allgemeiner als „pragmatische Präsupposition" (vgl. Stalnaker 1972) faßt. Die Präsupposition gibt den Modus an, in dem der propositionale Gehalt einer Äußerung zu interpretieren ist. O b w o h l Präsuppositionen prinzipiell durch verbale Elemente ausgedrückt werden können, werden in manchen Redesituationen nichtverbale Kommunikationsmittel bevorzugt. Beispielsweise wird ein Sprecher diese Kommunikationsart wählen, wenn er seine Absichten dem Hörer zwar mitteilen, aber nicht für sie zur Rechenschaft gezogen werden will. Er greift damit zu Mitteilungsformen, die nicht oder nur in geringem Maße durch Konvention festgelegt sind. Vor allem bei sog. kanaldiskrepanter Informationsübermittlung, die in Theorien zur Schizophreniegenese herangezogen wird, um das Entstehen einer ,,double-bind"-Situation zu erklären (vgl. Bugental et al. 1971), werden dem verbal Geäußerten widersprechende Mitteilungskomponenten häufig nonverbal ausgedrückt. D e r dritte Untersuchungsansatz wird von Duncan (1969) als „Validierung an externen Variablen" bezeichnet. Im Mittelpunkt dieser Vorgehensweise stehen nicht Probleme eines gemeinsamen Kodes, sondern korrelative Zusammenhänge zwischen Aspekten nonverbalen Verhaltens und Variablen wie Persönlichkeitszüge, Emotionen oder Einstellungen. Entsprechend ist das Vorgehen eher experimentell-statistisch ausgerichtet.

1.3. Information, Interaktion und

Kommunikation

Neuere Arbeiten, vor allem die von Ekman und Friesen (1969, 1972), vertreten nicht ausschließlich eine der drei dargestellten Grundpositionen. Sie unterscheiden zwischen kommunikativem, interaktivem, informativem und idiosynkratischem Verhalten (vgl. auch von Cranach 1975). Sie verstehen unter „kommunikativen" solche Verhaltensweisen, mit Hilfe derer ein Sender bewußt Informationen zu übermitteln sucht.,,Interaktives" Verhalten beinhaltet, daß eine Wirkung (welcher Art auch immer) auf den Empfänger bzw. auf die Person, die die maßgebliche Verhaltensweise wahrnimmt, erzielt wird. „Idiosynkratische" Verhaltensweisen sind personenspezifisch und können für den Sender eine Bedeutung beinhalten, liefern dem Empfänger aber keine für die jeweils konkrete Interaktion relevante Informationen über seinen Interaktionspartner. „Informatives" Verhalten schließlich umfaßt alle Verhaltensweisen, aus denen ein Empfänger potentiell Informationen über seinen Gesprächspartner entnehmen kann oder glaubt, entnehmen zu können. Die Überlappungen der verschiedenen Begriffe lassen sich in Form eines Mengen-Diagramms verdeutlichen (Abb. 3).

Abb. 3: Die Unterscheidung kommunikativen, interaktiven, informativen und idiosynkratischen Verhaltens nach Ekman und Friesen (1969).

Aus der Abbildung geht hervor, daß idiosynkratisches Verhalten gleichzeitig interaktiv (weil es vom Empfänger auf die eine oder andere Weise interpretiert wird) und daß kommunikatives Verhalten gleichzeitig idiosynkratisch sein kann (wie im Falle des Psychotikers, der versucht, sich mit einem selbst entwickelten, idiosynkratischen Kode mitzuteilen). In diesem Modell umfaßt Kommunikation im Sinne von Shannon nur einen sehr kleinen Bereich - in der Abbildung die dunkle Fläche. Die weitaus größten Bereiche bilden dagegen idiosynkratische Verhaltensweisen, die für den Emp-

22. Theorie der nonverbalen Kommunikation fänger keine interpretierbare Bedeutung haben, und informative Verhaltensweisen, die den E m p fänger zu Interpretationen aufgrund von Vorannahmen und Interpretationsregeln f ü h r e n , die vom Gesprächspartner aber nicht mit der Intention, eine Information zu übermitteln, gesendet wurden. Nonverbale Elemente können also potentiell regelhaft kodiert werden, ihr Auftreten kann andererseits aber häufig außerhalb eines von Sender und Empfänger geteilten Kodes stattfinden. Es scheint daher sinnvoll, das Studium nonverbaler Verhaltensaspekte nicht auf solche zu beschränken, die einem Kommunikationsmodell im strengen Sinne gehorchen, zumal selbst sprachliche Äußerungen nicht immer durch einen eindeutigen Kode gekennzeichnet sind. Auf diese Tatsache hat bereits Bühler (1934) in seinem O r g a n o n - M o d e l l aufmerksam gemacht, in dem er die Ausdrucksu n d Appellfunktion der Darstellungsfunktion des sprachlichen Zeichens gegenüberstellt (vgl. auch die Modifikation des Modells bei Heger 1971). Wir sind auch in diesem Beitrag nicht von der gängigen Terminologie abgewichen - zumal der Begriff „nonverbale K o m m u n i k a t i o n " inzwischen eingebürgert ist - , o b w o h l die theoretische U n t e r scheidung zwischen nonverbaler K o m m u n i k a t i o n u n d nonverbalem Verhalten im Sinne eines Shannonschen Kommunikationsmodells zu legitimieren ist. Letztlich besteht dabei allerdings die G e fahr einer Einseitigkeit, ähnlich der in der Sprachwissenschaft lange vorherrschenden ausschließlichen Betonung der Darstellungsfunktion der Sprache. Wir verstehen daher unter nonverbaler Kommunikation die Gesamtheit der im Interaktionskontext auftretenden nicht-sprachlichen Phänomene, unabhängig davon, o b ein geteilter Kode und Intentionalität des Senders gegeben sind. 2. Modelle der nonverbalen 2.1. Sender-empfängerorientierte

Kommunikation Modelle

Innerhalb des Phänomenbereichs der nonverbalen Kommunikation sind verschiedene Kriterien f ü r Ordnungsversuche und Modelle zugrundegelegt w o r d e n . Laver und Hutcheson (1972) unterscheiden zwischen vokalem Verhalten, das aus , , [ . . . ] all the actions involved in producing speech" (S. 12) besteht, und nonvokalem Verhalten, das sich zusammensetzt aus [ . . . ] all communicative activities other than speech, and therefore includes such factors as gesture, posture and so f o r t h " (S. 12). D e r vokale Bereich läßt sich weiter differenzieren in eine extralinguistische K o m p o n e n t e , die die konstitutionell bedingte Stimmausstattung des Sprechers beinhaltet (entsprechend der prälinguistischen K o m p o n e n t e bei Trager 1958), und eine paralinguistische K o m p o n e n t e , die alle in der Situation frei variierbaren Stimm- und Sprech-

271

charakteristika einschließt (Laver & Trudgill 1979). N e b e n solchen linguistisch orientierten Klassifikationsversuchen wird in Ü b e r n a h m e allgemeiner Kommunikationsmodelle o f t der Begriff des „ K a n a l s " zur O r d n u n g s g e b u n g herangezogen. Von Cranach (1975) definiert „ K a n a l " als „ m i t technischen Mitteln etwa zu Forschungszwecken vorgenommene A b t r e n n u n g einer Modalität von der gesamten K o m m u n i k a t i o n " (S. 326). Modalitäten der Kommunikation bilden für von Cranach der optisch-visuelle Bereich, der akustisch-auditive, der kinesisch-taktile, der chemisch-olfaktorische und der thermische Bereich (siehe auch Scherer 1970). Mindestens drei Dimensionen werden zur Klassifikation herangezogen (vgl. Scherer & Wallbott 1979): - die Körperorgane des Senders, die die entsprechenden Signale hervorbringen; - die Rezeptororgane des Empfängers b z w . die jeweiligen Obertragungsmodalitäten; - physikalische Phänomene (Bewegungen, Töne, Distanzen). Alle diese Differenzierungen sind im Rahmen bestimmter Fragestellungen sinnvoll und vertretbar. Leider sind solche Kanal- oder Modalitätseinteilungen oft nicht stringent durchgeführt. Sehr oft werden alle drei angesprochenen O r d n u n g s d i mensionen simultan verwendet, ohne daß die einzelnen Unterteilungen und Abgrenzungen eine Begründung erfahren. W e n n man von einem k o m munikationstheoretischen Kanal-Konzept ausgeht, scheint es unabdingbar, die verschiedenen Kanäle oder Modalitäten in einem Modell jeweils dem Sender oder dem Empfänger z u z u o r d n e n , nicht aber beide Dimensionen zu vermischen. Eine Formalisierung solcher Kanal- oder M o dalitätsmodelle bildet das Brunswicksche Linsenmodell (vgl. Scherer 1979). Dieses Modell verdeutlicht, daß der Enkodierprozeß auf Seiten des Senders keinesfalls völlig mit dem Dekodierprozeß auf Seiten des H ö r e r s korrespondiert und ermöglicht gleichzeitig die Operationalisierung von „ A u s d r u c k " und „ E i n d r u c k " mit Hilfe von Korrelationskoeffizienten. Vom Modell angenommene Beziehungen können quantitativ dargestellt und ü b e r p r ü f t werden. So können Fragen der Genauigkeit des Enkodierungs- und Dekodierungsprozesses untersucht werden oder auch die Beiträge einzelner nonverbaler Kanäle zur Eindrucksbildung abgegrenzt werden. 2.2. Funktionale

Modelle

Funktionale Modelle der nonverbalen K o m m u n i kation ziehen nicht Kanäle oder Modalitäten, sondern die Funktionen der nonverbalen Verhaltensweisen innerhalb der Interaktion als O r d n u n g s k r i terium heran. Die Funktionen nonverbalen Ver-

272

III. Kommunikatives

Handeln

Ausdrucksprozeß/ Enkodierungsprozeß

Perzeptionsprozeß

Eindrucksprozeß/ Dekodierungsprozeß

Genauigkeit der Wahrnehmung/Richtigkeit des Urteils (alle Beziehungen können als Korrelationskoeffizienten ausgedrückt werden) Abb. 4: Brunswiksches Linsenmodell (vereinfacht)

haltens werden in bezug zur gesprochenen Sprache, in bezug auf seine Aufgaben in der Regulation des Interaktionsablaufs sowie in bezug auf den Ausdruck emotionaler Befindlichkeiten, Stimmungen und Einstellungen geordnet. Eines der einflußreichsten funktionalen Modelle bildet der oben schon angesprochene Ansatz von Ekman und Friesen (1969), der im Rahmen psychiatrischer und sozialpsychologischer Fragestellungen entwickelt w u r d e . Ausgehend von der Verwendung, der Kodierung und dem U r s p r u n g einer Verhaltensweise schlagen Ekman und Friesen fünf Kategorien vor, mit denen das Repertoire nonverbalen Verhaltens umfassend beschrieben werden kann. Als Embleme bezeichnen sie nonverbale Verhaltensweisen mit definierter, verbal übersetzbarer Bedeutung. Illustratoren sind sprachbegleitende, -unterstützende oder -ergänzende Ausdrucksbewegungen. Regulatoren steuern den Interaktionsfluß sowie das reibungslose Ineinandergreifen von Sprechen und Z u h ö r e n . Affektdarstellungen ermöglichen den Ausdruck von Affekten und Emotionen. Adaptoren schließlich sind Verhaltensweisen, die der Triebabfuhr oder anderen selbstbezogenen Bedürfnissen dienen. Das gesamte System läßt sich am übersichtlichsten in Form einer Tabelle darstellen (vgl. A b b . 5). Einen ganz anderen Ansatz zur funktionalen Klassifizierung nonverbaler Verhaltensweisen wählt Scherer (1978). In Anlehnung an die M o r rissche Unterscheidung (1938) differenziert er die Funktionen nonverbalen Verhaltens im Dialog in parasemantische, parasyntaktische u n d parapragmatische. Hinzugefügt werden die dialogischen Funktionen, die zwar auch unter die parapragmatischen Verhaltensweisen eingeordnet werden könnten, aber hier ihrer Bedeutung wegen eine

gesonderte Benennung erfahren haben. U n t e r parasemantischen Funktionen werden dabei „ B e ziehungen spezifischer nonverbaler Verhaltensweisen zu den Bedeutungsinhalten der sie begleitenden verbalen Ä u ß e r u n g e n " verstanden. Parasyntaktische Funktionen beinhalten die Segmentation des Sprachflusses durch vokale und nonvokale Akte und die Synchronisation von Verhaltensweisen in den verschiedenen Kanälen. Parapragmatische Funktionen sind die Expression von Persönlichkeitszügen oder Affekten und die Reaktion auf Äußerungen oder Verhaltensweisen des Interaktionspartners. U n t e r dialogischen Funktionen schließlich werden die Regulation des Gesprächsablaufs und der Ausdruck der Relation zum Gesprächspartner verstanden. Diese Relationsfunktion ist von Mehrabian (1972) ebenfalls postuliert und in drei K o m p o n e n t e n zerlegt w o r d e n : - immediacy ( „ N ä h e " ) : Verhaltensweisen wie Vorbeugen z u m Gesprächspartner, K o p f - und Blickzuwendung, die die Einstellung (positiv vs. negativ) z u m Gesprächs- oder Interaktionspartner z u m Ausdruck bringen. - relaxation ( „ E n t s p a n n u n g " ) : Verhaltensweisen wie asymmetrische Körperhaltung ( z . B . Sitzen mit übergeschlagenen Beinen), Entspanntheit der Kopfhaltung, der H ä n d e etc., die die Statusrelationen der Interagierenden widerspiegeln. - responsivity („Responsivität"): Das Ausmaß der Bewegungsaktivität generell, das Engagement in der Interaktion z u m Ausdruck bringt. Von einer Theorie der nonverbalen K o m m u n i kation wäre zu verlangen, daß sie den Prozeß des Aussendens nonverbaler Signale, deren Erscheinungsformen und den P r o z e ß des Empfangs sowie der Weiterverarbeitung dieser Signale schlüssig zu beschreiben und zu erklären in der Lage ist. Theo-

22. Theorie der nonverbalen rien der nonverbalen Kommunikation in diesem Sinne fehlen bislang noch weitgehend. In den meisten Arbeiten werden nur einzelne, umschriebene Aspekte und Teilbereiche herausgegriffen und behandelt. Auch in diesem Beitrag konnten nur facettenartig einzelne Problemkreise angesprochen werden. Die erwähnten Theorien bzw. Theorie-Ansätze können wohl nur als erster

Kommunikation

273

Schritt hin zu elaborierten und das gesamte Spektrum nonverbalen Interaktionsverhaltens umfassenden Theorien betrachtet werden. Diesem Ziel näher zu kommen, dürfte allerdings nur über eine interdisziplinäre Zusammenarbeit aller mit dem menschlichen Interaktionsverhalten befaßten Disziplinen möglich sein.

AFFEKT-DARILLUSTRATOREN

ADAPTOREN

Verhältnis zur

direkter Z u s a m m e n -

k ö n n e n durch

gesprochenen

hang durch Illustra-

Sprache

tion des S p r a c h i n h a l t s oder rhythmische Zu-

VERWENDUNG

EMBLEME

REGULATOREN

STELLUNGEN

können durch

unabhängig v o n

angesprochene

Worte oder

spezifischen S p r a c h - Verbalisati on en

Inhalte ausgelöst

Phrasen e i n -

inhalten z u r R e g e -

Zusammenhang

werden

deutig ersetzt

lung des K o n v e r -

(Wiederholung,

werden

sationsflusses

sammenhänge

bei affektiven

Ergänzung, Widerspruch) möglich

Bewußtheit

im peripheren

meist

auf d e r gleichen

im peripheren B e -

„unbewußtes"

Bewußtheitsbereich

,,unbewußt"

Ebene bewußt

wußtheitsbereich

Auftreten möglich, B e w u ß t h e i t

wie die W o r t w a h l

meist erst nach dem Auftreten Kommunikations-

w e n i g e r explizit

k a u m intendiert

generell gegeben

intention

ü b e r l e r n t e G e w o h n - meist k e i n e h e i t e n , als s o l c h e

I n t e n t i o n (abge-

k a u m intendiert

sehen v o n T ä u schungsversuchen)

Rückmeldung

visuelle A u f m e r k -

k a u m verbale

verbale B e z u g -

k a u m verbale B e -

vom Inter-

s a m k e i t , teilweise

Bezugnahme, oft

nähme und/oder

zugnahme, Rück-

Aufmerksam-

aktion spartner

verbale B e z u g n a h m e

A u f m e r k s a m k e i t s - visuelle A u f -

m e l d u n g durch

keit, unter U m -

reduktion aus

Erfolg der

ständen verbale

merksamkeit

„Höflichkeit" äußere U m s t ä n d e

h o h e visuelle

Regulation

Bezugnahme

Zusammenhänge mit

in I n t e r a k t i o n e n

häufige V e r w e n -

Zusammenhänge

Zusammenhänge

Rollen, Interaktionsart

eher r e d u z i e r t ,

dung bei B l o c k i e -

mit R o l l e n und

mit Situationen

und d e m o g r a f i s c h e n

Zusammenhänge

rung des verbalen

Interaktionsdefini-

und U m g e b u n g ,

Variablen, außerdem

mit Einstellungen

Kanals, Zusam-

t i o n , a u ß e r d e m mit

a u ß e r d e m mit

mit E r r e g u n g

und E m o t i o n e n

m e n h ä n g e mit

demografischen

sozialen Regeln

demografischen

Variablen

und N o r m e n

i n f o r m a t i v , u. U .

Variablen A r t d e r über-

i n f o r m a t i v , oft inter-

kaum idiosynkra-

interaktiv, g e w ö h n -

mittelten I n f o r m a -

aktiv und k o m m u n i k a t i v o d e r i d i o s y n k r a -

tisch, g e w ö h n l i c h

lieh i n f o r m a t i v ,

idiosynkratisch,

tisch, meist n i c h t

i n f o r m a t i v , inter-

kaum kommunika-

meist nicht i n t e r -

interaktiv, k a u m

aktiv und k o m -

tiv

aktiv, k a u m

kommunikativ

munikativ

meist ikonisch o d e r

intrinsisch, u. U .

arbiträr o d e r

arbiträr, i k o n i s c h

generell i n t r i n -

intrinsisch

ikonisch

i k o n i s c h , meist

KODIERUNG

oft i n f o r m a t i v

kommunikativ

sisch

nicht intrinsisch URSPRUNG

kulturspezifisch

in der f r ü h e n

kulturspezifisch

gelernt

K i n d h e i t im Z u -

gelernt

erlernt

ζ. T . a n g e b o r e n

s a m m e n h a n g mit Bedürfnisbefriedigung etc. gelernt N ä h e r e E r l ä u t e r u n g e n der v e r w e n d e t e n T e r m i n i finden sich in d e m A u f s a t z v o n E k m a n & Friesen ( 1 9 6 9 ) , aus d e m dieses S c h e m a e n t n o m m e n w u r d e . A b b . 5 : Klassifikation n o n v e r b a l e n V e r h a l t e n s v o n E k m a n und Friesen ( 1 9 6 9 )

274

III. Kommunikatives

3. Bibliographie

(in

Handeln

Auswahl)

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23. Texttheorie

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23. Texttheorie

rie als eine Teildisziplin, da die Gesprächstheorie sich mit einer Teilmenge von Texten befaßt, mit Gesprächen, d . h . mit Texten, die sich durch Sprecherwechsel auszeichnen. Daß sich in letzter Zeit gerade hier eine feste und selbständige Teildisziplin entwickelt hat, hängt u . a . mit dieser grundlegenden Eigenschaft von Gesprächen zusammen, durch die sie sich von anderen Textsorten abheben. Die Gesprächstheorie soll hier als eine Teildisziplin betrachtet werden, ohne daß deshalb allzu ausführlich auf sie eingegangen wird. Für eine ausführlichere Beschreibung wird auf Art. 27 verwiesen. Die Texttheorie selbst ist ihrerseits der allgemeinen Kommunikationstheorie insofern untergeordnet (vgl. Art. 2 und 21), als der Text als sprachliches Korrelat eines Kommunikationsakts Teil eines Kommunikationsprozesses ist.

1. 2. 3. 4.

Definition und Abgrenzung Der Text im Kommunikationsprozeß Textmodelle Ein kommunikativ orientiertes Textmodell am Beispiel einiger Textanalysen 5. Bibliographie (in Auswahl)

1. Definition

und

Abgrenzung

Gegenstandsbereich der Texttheorie sind die für alle Texte gemeinsamen Regularitäten, die die Textualität eines Textes ausmachen. Dabei soll der Text als eine kommunikative, d . h . illokutive und thematische, sprachliche Einheit betrachtet werden, als sprachliches Korrelat eines Kommunikationsakts im Kommunikationsprozeß. Die Texttheorie kann gegenüber anderen verwandten Disziplinen zunächst folgendermaßen abgegrenzt werden. Die Textlinguistik ist als eine Teildisziplin der Texttheorie zu betrachten, indem sie im Prinzip nur die linguistischen Regularitäten beschreibt, die Texte als sprachliche Einheiten aufweisen (müssen), um überhaupt kohärente Texte zu sein, u. a. die referentiellen und konnektiven Beziehungen im Text (vgl. Art. 20). Die Textlinguistik setzt deshalb die Texttheorie voraus. Texttheorie und Sprechakttheorie sind interdependente Theorien. Die Sprechakttheorie beschreibt kommunikative Einheiten, die in bezug auf ihre illokutive Funktion nicht weiter aufteilbar sind. Im Prinzip handelt es sich um die kleinsten textuellen Einheiten (s. unten), d . h . um die kommunikativen Einheiten, aus denen sich Texte konstituieren. Für die Texttheorie ist deshalb eine konsistente Sprechakttheorie oder besser Sprachhandlungstheorie eine Voraussetzung, insofern die Texttheorie notwendigerweise mit der Sprachhandlungseinheit operieren m u ß . Andererseits muß eine konsistente Sprachhandlungstheorie auf bestimmten texttheoretischen Überlegungen basieren (vgl. Art. 24). Zwischen Texttheorie und Gesprächstheorie schließlich besteht wiederum ein anderes Verhältnis. Die Texttheorie umfaßt die Gesprächstheo-

H. Helfricb, H. G. Wallbott,

2. Der Text im

Gießen Gießen

Kommunikationsprozeß

Ausgehend von dem von Schmidt (1976) entwikkelten Begriff des kommunikativen Handlungsspiels und in Anlehnung an das von ihm entworfene Modell (1976, 49), kann man den Text folgendermaßen in eine übergeordnete soziale Interaktion einordnen. soziale Interaktion t sprachliche Kommunikation Τ kommunikatives Handlungsspiel τ Kommunikationsakt

I Text Anm.: eingebettet in Korrelat von Das Verhältnis zwischen Kommunikationsakt und Text soll als ein komplementäres Verhältnis gesehen werden. Kommunikationsakt und Text bedingen sich gegenseitig. (Wir sehen hier von den nicht-sprachlichen Konstituenten wie Gestik, Mimik ab.) O h n e Text kein Kommunikationsakt, ohne Kommunikationsakt kein Text (vgl. hier auch Gülich/Raible 1977a, 46f.).

276

III. Kommunikatives Handeln

Pragmatische Kompetenz,

s

^Sachverhalt^ Intention ι Situation]

Kommunikationsakt

F

Ν D

t

R

Sprachliche Kompetenz

Pragmatische \ Enkodierung /

/

Illokutionsstruktur

I

Sprachliche Enkodierung

Themenstruktur

/

TEXT

/Deko^ dierung

Ergebnis

(Rückkoppelung)

(a)^ Abb. 1

Der Text ist also eingebettet in ein kommunikatives Handlungsspiel oder - anders ausgedrückt — in einen Kommunikationsprozeß, in dem ein Sender mit einem Empfänger kommuniziert. Die Komponenten dieses Prozesses sind - außer Sender/Empfänger — Inhalt, Situation, Intention und kommunikative Kompetenz. Situationelle Faktoren sind u. a. Zeit, Raum und Kanal. Merkmale des Senders und Empfängers sind (nach Schmidt 1976, 104ff.): (a) sozio-ökonomische: Rolle, Status, wirtschaftliche Lage; (b) sozio-kulturelle, kognitiv-intellektuelle: Rolle in einem „intellektuellen Kräftefeld", Textund Weltkenntnisse, Bildung, Erfahrung, Wirklichkeitsmodelle; (c) biographisch-psychische: persönliche Kompetenzen und Dispositionen, aktuelle biographische Situationen, Pläne, Absichten etc. Hinzu kommt die Auffassung des Senders bzw. Empfängers von dem Partner hinsichtlich dieser Merkmale. Abb. 1 (aus Koch, Rosengren, Schonebohm, 1978) — von mir leicht geändert - illustriert den so beschriebenen Kommunikationsprozeß. Der Sender produziert unter Berücksichtigung der Situation, d.h. den oben aufgezählten situationeilen Faktoren, und seiner Auffassung von dem Empfänger einen Kommunikationsakt mit Hilfe seiner pragmatischen Kompetenz und realisiert ihn gleichzeitig mit Hilfe seiner sprachlichen Kompetenz. Der Empfänger dekodiert den so entstandenen Text nun umgekehrt und zuweilen gleichzeitig mit Hilfe der entsprechenden Kompetenzen unter Berücksichtigung der situationellen Faktoren und seiner Kenntnisse von dem Sender. Der Empfänger ist deshalb auch kein passiver Dekodierer. Sein Textverständnis braucht nicht mit dem Kommunikationsakt des Senders in allem übereinzustimmen. Die Reaktionen des Empfängers - die sowohl sprachlich als auch nicht-sprachlich sein können - sind das Ergebnis des Dekodierungsprozesses und können - vorausgesetzt,

J }

Störungsmöglichkeiten

daß sie den Sender erreichen - zuweilen zu neuen Texten führen (s. hierzu auch Gülich/Raible 1977 a, 30 ff.). Nach diesem Modell wird der Text erst zu einer kommunikativen Einheit im Kommunikationsprozeß. Dies bedeutet natürlich nicht, daß man die abstrakten Textstrategien, die der Konstitution von Texten zugrundeliegen, nicht beschreiben kann. Ihre generelle Natur ist die Voraussetzung für die Erzeugung und für die Rezeption von Texten, indem Texte eine Reihe von texttypischen Merkmalen aufweisen (müssen), die zusammen ihre Textualität ausmachen. Die Textualität von Texten kann aber nie befriedigend als eine nur aus Sätzen oder Propositionen aufgebaute Einheit beschrieben werden. (Vertreter einer solchen These sind u.a. Harweg 1968, 1978 und gewissermaßen Brinker 1979). Der Text muß immer als eine kommunikative Einheit, d. h. als eine thematische Einheit, die im Kommunikationsprozeß eine illokutive Funktion erfüllt, betrachtet werden. (Vertreter dieser These sind u.a. Halliday/Hasan 1976, Isenberg 1976, Schmidt 1976, van Dijk 1977, 1979, Gülich/Raible 1977 a, 1977 b, Koch/Rosengren/ Schonebohm 1978, 1979, Zimmermann 1978, Oomen 1979, Raible 1979, Viehweger 1979.) Dies bedeutet andererseits nicht, daß man die Textualität von Texten ohne Rücksichtnahme auf ihre sprachliche Form beschreiben kann. Die Beziehung zwischen Texttheorie und Systemlinguistik läßt sich am besten an der Beziehung zwischen Text und Satz veranschaulichen. Der Satz als type — egal ob es sich um einen einfachen oder einen komplexen Satz handelt - ist eine statische Einheit und eine Kategorie des Sprachsystems, die durch das Sprachsystem definiert wird. Als token ist er das Ergebnis der Anwendung der grammatischen Regeln des entsprechenden Sprachsystems. Er hat deshalb auch keine kommunikative Funktion an sich. Der Text als type (vgl. van Dijks 1977, 3, Unterscheidung zwischen text und discourse) ist eine dynamische Einheit, insofern er nur als Teil eines Kommunika-

23. Texttheorie tionsprozesses denkbar ist. Er ist somit eine pragmatische Kategorie und keine Kategorie des Sprachsystems. Als token ist er aber auch das E r gebnis der Enkodierung des Kommunikationsakts durch das Sprachsystem. E r ist aus Kategorien des Sprachsystems aufgebaut, d . h . aus Sätzen (tokens), die im Rahmen des Texts kommunikative Funktionen erhalten. Die Nahtstelle zwischen Texttheorie und Systemlinguistik ist also der Satz, der teils eine grammatische Kategorie ist, teils aber auch eine pragmatische Funktion zu erfüllen hat, die sich erst aus der übergreifenden kommunikativen Einheit des Textes ergibt. Sätze oder Satzfolgen mit dieser pragmatischen Funktion nennen wir Sprachhandlungen. Sprachhandlungen sind also nicht denkbar ohne Sätze. Sätze andererseits sind aber nicht per se Sprachhandlungen; sie werden erst zu Sprachhandlungen im Rahmen eines Textes, in dem sie bestimmte kommunikative Funktionen erfüllen (vgl. u. a. auch Schmidt 1976, 1 5 I f f . , Isenberg 1977, O o m e n 1979, 273). Als Kategorien des Sprachsystems sind sie die Träger von Propositionen, die deshalb als die grundlegenden semantischen Einheiten sowohl des Textes als auch des Satzes betrachtet werden können.

J.

Textmodelle

Es gibt eine Reihe interessanter Versuche, die Textualität von Texten als eine übergreifende Eigenschaft zu beschreiben. Hier sollen nur einige repräsentative Ansätze wiedergegeben werden. Zu nennen sind u. a. aber auch Danes, Harweg, Weinrich, Heger, Petöfi, Pike (siehe hierzu die U b e r sichten in Gülich/Raible 1977a), Halliday/Hasan (1976), Halliday (1977) und G r o ß e (1976). 3 . 1 . Interessante Ansätze finden sich bei den französischen Semiologen. D a sie sich in erster Linie mit Erzähltexten beschäftigen, ist es nicht erstaunlich, daß ihr Konzept in sehr hohem Grad handlungsorientiert ist. Als Vertreter dieser Schule soll Bremond (1973) herausgegriffen werden. F ü r ihn besteht jeder Text aus einer oder mehreren Textsequenzen (processus narratifs), deren jede wiederum drei Phasen oder Funktionen beinhaltet. Die drei Phasen (mit ihren möglichen Alternativen), aus denen jede Sequenz besteht, werden eventualite, passage ä l'acte/non passage ä l'acte und achevementHnachevement genannt. Es handelt sich also hier in erster Linie um die A b bildung einer Handlung, die konzipiert und ausgeführt wird und zu bestimmten Konsequenzen führt. Für Bremond spielen deshalb die roles narratifs eine entscheidende Rolle. E r unterscheidet zwischen dem Agenten und dem Patienten, denen der Handlungsprozeß zugeordnet wird. Zuweilen spricht er auch von dem Subjekt, dem O b j e k t und dem Prädikat, eine Terminologie, die

277

als hauptsächlich metaphorisch aufzufassen ist. Die Verknüpfungen der Sequenzen miteinander erfolgen entweder chronologisch, kausal oder implikativ. D e r Text besteht aus einer hierarchischen Struktur solcher Sequenzen. Es gibt eine Reihe Einwände gegen die K o n z e p tion Bremonds. Ein Haupteinwand ist m . E . die allzu starke Handlungsorientiertheit des Modells. Wenn die Texteinheiten als Handlungen gesehen werden, beschränkt sich die Anwendbarkeit des Modells auf ganz bestimmte Texte, deren Struktur sich als Handlungsstruktur beschreiben läßt, u. a. auf Erzähltexte. Ein generelles Textmodell aber muß auch auf andere Texte als Erzähltexte applizierbar sein. Entscheidend ist auch der Einwand Scheerers/ Winklers (1976, 19f.) gegen die Annahme Bremonds, daß bestimmte Handlungen andere Handlungen z . B . logisch implizieren. Eine Handlung kann eine andere Handlung nicht logisch implizieren. Dagegen kann natürlich ein Implikationsverhältnis angesetzt werden zwischen zwei Propositionen, die Handlungen wiedergeben. Es sollte überhaupt klarer unterschieden werden zwischen den inhaltlichen Einheiten des Texts, deren kommunikative Funktion im Text und der Verknüpfung dieser kommunikativen Einheiten untereinander. (Zu dem Funktionsbegriff s. auch Zimmermann 1978, 7 7 f f . und 9 3 f f . ) Wertvoll an Bremonds Konzeption ist die Betonung der hierarchischen Struktur des Textes und der Verknüpfungsrelationen zwischen den textuellen Einheiten. An diese Gedanken knüpft auch Zimmermann (1978, 7 7 f f . ) an, wenn er davon ausgeht, daß die Erfassung einer Textstruktur über die Relationen verlaufen muß, die zwischen den Elementen bestehen, aus denen sich ein Text zusammensetzt. Sicherlich ist es auch zweckmäßig, Aktantenbeziehungen in eine Texttheorie aufzunehmen. 3 . 2 . Eine an der generativen Grammatik orientierte Texttheorie für Erzählungen findet sich bei van D i j k (1972). Van D i j k geht von dem Begriff der Makrostruktur aus. Jeder Text hat eine solche Makrostruktur, d . h . eine semantischeTexttiefenstruktur, die nicht mit der Tiefenstruktur der Sätze identisch, sondern eine globale Bedeutungsstruktur des Textes ist. Er vertritt in seinen früheren Arbeiten aber inkonsequenterweise auch die Meinung, daß die Struktur des Textes und die Struktur des Satzes isomorph seien. Deshalb geht er davon aus, daß die Kategorien des Textes das Argument, das Prädikat und der K o n n e k t o r sind. Hinzu kommen noch ein Textqualifikator, der u . a . die illokutive Funktion des Textes widerspiegelt, und die Makro-Transformationen. Dieses Modell erklärt nicht die kommunikative Funktion des Textes. Sie wird durch den Textqualifikator nur postuliert. Dies hat seinen Grund

278

III. Kommunikatives Handeln

in der Annahme, daß die kleinste Einheit des Textes die Proposition ist. In seinen späteren Arbeiten geht van Dijk (1974) deshalb auch von einem Handlungsmodell aus und nähert sich dadurch u.a. Bremond. Die drei Hauptkategorien einer Erzählung sind Exposition, Komplikation und Auflösung. Außerdem gibt es zwei fakultative Kategorien. Auch bei van Dijk handelt es sich um eine hierarchische Struktur. Interessant ist vor allem die Weiterentwicklung des Begriffs der Makrostruktur bei van Dijk. In (1979, 518) spricht er von der Makrostruktur als „an additional level of semantic and pragmatic description which is inherently lacking in any sentence grammar". Die semantische Makrostruktur ist sozusagen das Thema des Textes. Die Makrostrukturen werden durch Propositionen wiedergegeben. Makroregeln, u.a. Tilgungsregeln, Generalisierungsregeln und Konstruktionsregeln, entscheiden darüber, was in einem Text wichtig ist, und setzen dadurch kognitive Erkenntnisse voraus. Außer auf der semantischen Ebene gibt es Makrostrukturen auch auf der pragmatischen Ebene. Ein Makro-Sprechakt wird durch eine bestimmte Sequenz von Sprechakten ausgeführt. Die semantischen und pragmatischen Makrostrukturen sind schließlich systematisch aufeinander bezogen. Die semantische Makrostruktur ist der propositionale Inhalt des MakroSprechakts, und umgekehrt ist der Makro-Sprechakt die pragmatische Funktion des Themas des Textes. Abschließend stellt er fest, daß es nicht möglich ist, eine Textgrammatik mit einer makrostrukturellen Komponente auf eine Satzgrammatik zu reduzieren. Mit dieser Weiterentwicklung des Begriffs der Makrostruktur hat van Dijk eine Erklärungsgrundlage geschaffen, die der Eigenart von Texten gerecht werden kann. Ganz ähnliche Überlegungen finden sich in Koch/Rosengren/Schonebohm (1978, 1979). 3.3. Ein interessanter Versuch, die kommunikative Funktion von Texten zu erklären, findet sich auch in Isenberg (1976, 48ff.). Dem Text können acht Merkmale zugewiesen werden: 1) gesellschaftliche Legitimität: Text als Manifestationverantwortlichen gesellschaftlichen Handelns, das durch spezifische gesellschaftliche Bedingungen legitimiert ist; 2) kommunikative Funktionalität: Text als Einheit, in der sich sprachliche Kommunikation organisiert; 3) Semantizität: Text als Form der Widerspiegelung von Sachverhalten und Sachverhaltszusammenhängen; 4) Situationshezogenheit: Text als Abbild spezifischer Merkmale einer Kommunikationssituation;

5) lntentionalität: Text als Form der Realisierung von Mitteilungs- und Wirkungsintentionen; 6) Wohlgeformtheit: Text als kohärente lineare Abfolge von nach bestimmten Prinzipien sequentiell verknüpften sprachlichen Einheiten; 7) Wohlkomponiertheit: Text als Folge von nach bestimmten Prinzipien einem Kompositionsplan gemäß selektierten und organisierten sprachlichen Einheiten; 8) Grammatikalität: Text als Folge von nach grammatischen Regeln strukturierten sprachlichen Einheiten. Eine linguistische Teiltheorie muß deshalb mindestens folgende Teiltheorien umfassen: a) Theorie der sequentiellen Textkonstitution: Explikation der sequentiellen Wohlgeformtheit b) Theorie der Textkomposition: Explikation der Wohlkomponiertheit c) Grammatiktheorie: Explikation der Grammatikalität. Isenberg geht davon aus, daß die Grammatiktheorie am geeignetsten ist, Vermittlungsinstanzen zwischen den übrigen Teiltheorien zu definieren. Diese Vermittlungsinstanzen lassen sich durch den Begriff der kommunikativen Funktion spezifizieren. Ein Text wird als eine Folge von Sätzen oder, anders ausgedrückt, als „eine Folge von diktiven Handlungen innerhalb eines komplexen Kommunikationsereignisses" (1976, 71) definiert. Jeder Satz hat eine kommunikative Funktion. „Die kommunikative Funktion eines Satzes um· faßt die Gesamtheit aller textbildungsrelevanten kommunikativen Eigenschaften des Satzes, die nicht auf die semantische, lexikalische, syntaktische und morphologisch-phonologische Struktur reduzierbar sind" (1976, 58). Die kommunikative Funktion kann sowohl linksgerichtet, rechtsgerichtet als auch zweiseitig gerichtet sein. Jede kommunikative Funktion besteht aus drei Arten von Elementen: a) kommunikative Intentionen; b) Ankündigungen, Forderungen und/oder Erwartungen des Sprechers in bezug auf den sprachlichen Kontext; c) situative Voraussetzungen des Sprechers. Die resultierenden Strukturen werden Intentionsstruktur, Verweisstruktur bzw. Voraussetzungsstruktur genannt. Für die Darstellung dieser Strukturen werden bestimmte Klassen von Variablen benötigt: Inhaltsvariablen, Verweisvariablen, Variablen für diktive Handlungen, kommunikative Prädikate, kommunikative Verknüpfungsrelationen (ζ. Β. X ist Ursache von Y), kommunikative Konnektoren (ζ. B. indem, und, simultan), operationeile Prädikate, als Ausdruck bestimmter kognitiver Operationen ( z . B . X und Y identifizieren). Die Aufgabe der Grammatik kann nun folgendermaßen beschrieben werden: „Eine

23. Texttheorie Grammatik charakterisiert Quintubel der Form (Ρ, I, C , V, S), wobei Ρ eine Prädikationsstruktur (bzw. der propositionale Inhalt) ist, I eine Intentionsstruktur, in die Ρ eingebettet ist, C eine Voraussetzungsstruktur und V eine Verweisstruktur ist. S ist eine Oberflächenstruktur (d.h. eine syntaktische Oberflächenstruktur, die durch Regeln auf eine Lautstruktur abzubilden ist)" (1976, 77). Der Ansatz Isenbergs ist interessant, insofern er der kommunikativen Funktion von Texten Rechnung trägt, indem er annimmt, daß der Text eine kommunikative Einheit ist und daß diese Einheit aus kleineren Einheiten mit bestimmten kommunikativen Funktionen aufgebaut ist. Der Grammatikbegriff wird gegenüber dem Grammatikbegriff der Systemlinguistik erweitert. Unklar bleibt dabei, wie die unterschiedlichen Regeln in eine solche Grammatik eingebaut werden sollen und welchen Status die verschiedenen Variablen in den verschiedenen Strukturen haben. 3.4. Das von Gülich/Raible (1977a, 1977b) entwickelte Textmodell verdient ebenfalls etwas eingehender beschrieben zu werden. Jeder Text hat eine Makrostruktur, die an der Textoberfläche erkennbar ist. Es gibt zwei Arten von Merkmalen, die als Gliederungsmerkmale eines Textes fungieren . Es sind dies einerseits Merkmale, die ,, auf den Faktor ,Sprachsystem' bezogen sind" (1977 b, 134) und die textintern genannt werden, andererseits Merkmale, die auf die Faktoren .Sprecher', ,Hörer', , Kommunikationssituation', ,Bereich der Gegenstände und Sachverhalte' bezogen sind und die textextern genannt werden, weil sie ein textexternes Analogon haben. Die textexternen Merkmale haben den Vorrang vor den (nur) textinternen. Ein Text kann in mehrere Ebenen aufgegliedert werden. Dies ist der Fall, wenn innerhalb eines Textes als Mitteilung eines Sprechers an einen Hörer ein Text übermittelt wird, der eine Mitteilung eines anderen Sprechers an einen anderen Hörer ist. Dieser eingebettete Text ist dann ein Text auf der zweiten Textebene. Jeder Text auf der ersten, zweiten und jeder weiteren Ebene wird durch bestimmte metakommunikative Gliederungssignale - Hypersätze - abgegrenzt, die bei der ersten Ebene fehlen können, wenn der Sprecher und Hörer gegenwärtig sind, jedoch auf der zweiten und weiteren Textebene nie fehlen dürfen. Diese metakommunikativen Signale haben als textexternes Analogon die Kommunikationssituation. Jeder Text auf einer bestimmten Ebene läßt sich weiter in Textteile aufgliedern, die in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen und durch weitere Gliederungsmerkmale abgegrenzt werden. Man kann dadurch Teiltexte verschiedenen Grades unterscheiden. Am Beispiel einer Fabel von J . Thurber „The lover and his lass" zeigen Gülich/Raible (1977 b), wie die Fabel sich durch

279

Substitution auf Metaebene zuerst in zwei Teiltexte 1. Grades, in die Fabelerzählung und die Moral, aufgliedern läßt, wie diese Teiltexte sich wiederum durch Orts- und Zeitbestimmungen und die Veränderung in der Konstellation der Handlungsträger weiter aufteilen lassen. Die darauf folgenden Textteile werden durch nur textinterne Gliederungsmerkmale abgegrenzt, z . B . durch Pronominalisierung oder durch Konjunktionen. Die Gliederungssignale niedrigeren Grades, die ein textexternes Analogon haben, bestimmen die Makrostruktur des Textes und entscheiden dadurch auch über die Texttypenzugehörigkeit des Textes. Das hier beschriebene Modell ist ein interessanter Versuch, eine globale Texttheorie aufzustellen. Wertvoll ist die Betonung der kommunikativen Einheit oder Makrostruktur des Textes. Überzeugend ist die Unterscheidung verschiedener Textebenen durch metakommunikative Signale und die Annahme, daß Texte sich hierarchisch mit Hilfe sprachlicher Gliederungssignale in Teiltexte aufteilen lassen. Die feste Verbindung zwischen sprachlicher Ausformung und kommunikativer Struktur, die durch textexterne und textinterne Gliederungsmerkmale zum Ausdruck gebracht wird, erklärt, wie es möglich sein kann, einen Text kommunikativ richtig zu interpretieren. Gegen das Modell wäre vielleicht einzuwenden, daß nicht klar zwischen kommunikativer Struktur und thematischer Struktur unterschieden wird, was zur Folge hat, daß der Status der Gliederungssignale nicht deutlich hervortritt. 3.5. Ein vor allem die inhaltliche Struktur des Textes berücksichtigendes Modell findet sich bei Agricola (1977). Er geht davon aus (1977, 14), daß jeder Text aus „einer endlichen, geordneten Menge von semantisch integrierten Textemen, d.h. Sätzen oder satzwertigen Einheiten [besteht]". Die Vereinigung der Textembedeutungen ergibt den Textinhalt. Der Textinhalt ist eine mögliche Entfaltung des Themenkerns. Die Vereinigung der Texteme geschieht über Isotopieketten und durch logische Operationen über den Propositionen der Texteme. Zwei Texte sind mögliche Varianten voneinander, wenn sie auf denselben Themenkern zurückzuführen sind. Sie können im Verhältnis der Erweiterung/Expansion (Exposetext und Volltext) oder aber im Verhältnis der Reduktion/Kondensation (Volltext und Resümeetext) zueinander stehen (vgl. hier auch Schecker 1973, 37). Wichtig dabei ist auch die Betonung der Rolle der Aktanten, um derentwillen der Text produziert wird. Interessant ist schließlich der Gedanke, daß der Themenkern sich aus einer Struktur von Elementarstrukturen (ungefähr Prädikationen) zusammensetzt, die hyperonymische Zusammenfassungen von Prädikaten bei gleichbleibender Anzahl,

280

HI. Kommunikatives Handeln

Art und Folge der Aktanten sind. Das Modell wird an einem Analysebeispiel demonstriert. Wie Agricola selbst betont, müssen in einer vollständigen Fassung mindestens auch die Konnektoren eingearbeitet werden. Unklar ist schließlich die Beziehung zwischen kommunikativer Struktur und Inhaltsstruktur. 4. Ein kommunikativ orientiertes Textmodell Beispiel einiger Textanalysen

am

Im folgenden soll an drei unterschiedlichen Texttypen, einer Erzählung, zwei Geschäftsbriefen und einem Alltagsgespräch, ein Textmodell geprüft werden, das in seinen Hauptzügen in Koch, Rosengren, Schonebohm(1978, 1979) beschrieben wurde und andere Modellvorschläge berücksichtigt. Es wird dabei kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Es soll in erster Linie gezeigt werden, wie sich die illokutive und thematische Struktur eines Textes aufeinander beziehen und wie dieser Bezug sprachlich realisiert wird. Jeder Text ist eine illokutive und thematische Einheit, die sich - um die Terminologie Gülichs/ Raibles (1977 a, 1977 b) aufzugreifen — durch textexterne Gliederungssignale abgrenzen Iäßt. Es soll davon ausgegangen werden, daß die illokutive Struktur des Textes die thematische Struktur dominiert. Der so abgegrenzte Text kann aus einer oder mehreren illokutiven Texteinheiten bestehen, die sich wiederum in Texteinheiten gliedern lassen usw. Jede Texteinheit ist somit ein Text im Text und besteht, wenn sie sich nicht in weitere Texteinheiten aufgliedern läßt, entweder aus nur einer Sprachhandlung, ζ. B. einer Bitte oder einem Vorschlag, oder aber aus mehreren Sprachhandlungen, die zusammen eine hierarchische Sprachhandlungsstruktur bilden, in der sie sich funktional aufeinander beziehen. Die Sprachhandlung konstituiert sich aus einer illokutiven Bedeutung und einem propositionalen Gehalt. Sie wird mit Hilfe des jeweiligen Sprachsystems sprachlich realisiert. Die illokutive Bedeutung entscheidet über die Abgrenzung von sowohl Sprachhandlungen als auch Texteinheiten. Eine Äußerung ist immer dann eine Sprachhandlung, wenn sie illokutiv homogen ist. Ein Text, der illokutiv homogen ist und keinen Sprachhandlungswechsel aufweist, ist immer eine Texteinheit. Ein Text, der aus mehreren Sprachhandlungen besteht, ist eine Texteinheit, wenn die Sprachhandlungen sich hierarchisch funktional aufeinander beziehen. Sollte dies nicht der Fall sein, besteht er aus mehreren Texteinheiten, so vielen Texteinheiten, wie es Sprachhandlungswechsel gibt. Die Sprachhandlung wird somit innertextuell definiert. Mehrere Sätze können zusammen eine Sprachhandlung ausmachen. Es ist aber auch möglich, daß ein Satz mehr als eine Sprachhandlung

realisiert, nämlich dann, wenn deutlich hervorgeht, daß ein Teil eines Satzes, ζ. B. eine Nominalisierung, sich auf den anderen Teil des Satzes funktional bezieht, ihn ζ. B. begründet. Da die Sprachhandlung eine zentrale Rolle für die Gliederung von Texten spielt, ist eine konsistente Sprachhandlungstypologie natürlich eine Voraussetzung für eine konsistente Texttheorie. Hier soll nicht näher auf die verschiedenen Versuche, solche Typologien aufzustellen, eingegangen werden (vgl. u.a. Art. 24, Wunderlich 1976, Searle 1976, Mötsch 1979, Rosengren 1979 b). Es muß aber darauf hingewiesen werden, daß eine solche Typologie selbstverständlich nicht von der sprachlichen Form der Äußerung ausgehen kann, sondern auf relevanten, theoretisch begründeten Kriterien aufbauen muß. Die funktionalen Beziehungen zwischen Sprachhandlungen entstehen dadurch, daß bestimmte Sprachhandlungen ausgeführt werden, um andere Sprachhandlungen z . B . zu ergänzen oder zu begründen. Es handelt sich also um Beziehungen zwischen Sprachhandlungen und nicht um Beziehungen zwischen propositionalen Gehalten. Eine Texteinheit mit einer solchen hierarchischen Sprachhandlungsstruktur hat mindestens eine dominierende Sprachhandlung, die die illokutive Funktion der ganzen Texteinheit bestimmt, z . B . eine Bitte. Die übrigen Sprachhandlungen im Text haben eine untergeordnete Funktion, indem sie sich als Sprachhandlungen auf die Bitte beziehen. So kann z . B . eine Feststellung deshalb ausgesprochen werden, um zu begründen, weshalb eine Bitte ausgesprochen wurde. Außer Sprachhandlungen, die funktional miteinander verknüpft sind, gibt es Sprachhandlungen, die sich funktional auf die Sender/Empfänger-Konstellation beziehen, z . B . Kooperationsversicherungen (s. hierzu Rossipal 1979). Der hier beschriebene theoretische Ansatz gewährleistet die Priorität der illokutiven Intention des Senders über das Thema des Textes. Der Text ist somit in erster Linie illokutiv strukturiert. Das Modell löst auch das Problem der Abgrenzung der Sprachhandlung im Text und die Beziehung zwischen Sprachhandlung und Satz. Der Sprachhandlungsbegriff muß selbstverständlich immer textuell bestimmt sein, da Sprachhandlungen nicht Kategorien des Sprachsystems sind. Andererseits müssen Sprachhandlungen mit Hilfe von Sätzen realisiert werden. Illokutiv gesehen weist der Text also folgende Struktur auf: Text Texteinheit(en) Sprachhandlung(en)

23. Texttheorie Neben der illokutiven Struktur hat ein Text auch eine thematische Struktur, die von den Propositionen des Texts getragen wird. Auf der thematischen Ebene können Texte aus mehreren Teiltexten bestehen, deren jeder einen thematischen Kern entfaltet. Für die Aufteilung in solche Teiltexte gelten textexterne Gliederungssignale wie Raum, Zeit, Handlungsträger. Sehr oft korrelieren die Teiltexte mit den Texteinheiten. Es k o m m t aber auch vor, daß Teiltexte und Texteinheiten sich überschneiden, oder aber daß eine Texteinheit, die sich nicht weiter in Texteinheiten aufgliedern läßt, aus mehreren Teiltexten besteht. Die thematische Struktur konstituiert sich einerseits aus den logisch-inhaltlichen Beziehungen zwischen den Propositionen, andererseits aus den referentiellen Beziehungen zwischen den Argumenten (der Textisotopie). Siehe hierzu auch Schecker (1973, 30), der zwischen dem synthetischen Status der Themensysteme und dem analytischen Status der Semsysteme unterscheidet. Die Relationen zwischen Propositionen sind als Zuordnungen von propositionalen Gehalten zu betrachten. Es handelt sich nicht um die Summierung zweier propositionaler Gehalte, sondern — um mit Lang (1977, 67) zu sprechen - um die Einordnung zweier propositionaler Gehalte in das „vorhandene Kenntnissystem". (Vgl. hier Lerchner 1978, der einen Text anhand von solchen Zuordnungen analysiert.) Die Art und Zahl dieser Relationen liegt keineswegs fest. Wir wollen hier jedoch vorerst davon ausgehen, daß es sich um eine sehr begrenzte Anzahl handelt. Folgende Beziehungen müssen aber sicherlich angesetzt werden: Gleichzeitigkeit, Nachzeitigkeit, Koordination, Implikation. Darüber hinaus gibt es auch andere Relationen, wie z . B . die kausale Relation, die als unsere Interpretation der Beziehung zwischen zwei Sachverhalten aufzufassen ist, nämlich daß zwischen ihnen ein Ursache-Wirkung-Verhältnis vorliegt. Eine solche Interpretation ist nur möglich, wenn es sich um eine temporale Abfolge von Sachverhalten handelt. Die kausale Relation ist also verglichen mit der temporalen Relation sekundär. (Vgl. hierzu Zimmermann 1978, 82ff., Sigurd 1978.) Die Textisotopie wird durch eine Reihe unterschiedlicher Signale versprachlicht. Hier soll nur darauf hingewiesen werden, daß die isotopische Verknüpfung zwischen den Propositionen den Relationen zwischen den Propositionen untergeordnet ist und nur im Rahmen einer relationalen Verknüpfung textkonstituierend sein kann (vgl. hierzu Zimmermann 1978,68). Auf diesem Gebiet gibt es viele Ansätze, so z . B . Danes (1976), der von dem Begriff der thematischen Progression ausgeht, Viehweger (1978), der die Struktur der nominativen Ketten analysiert, Harweg (1968,

281

1978), der den Begriff der syntagmatischen Substitution entwickelt, und viele andere. Ein relevanter textkonstituierender Faktor neben den logischen Relationen und der Textisotopie ist sicherlich auch die Aktantenbesetzung. Darunter verstehen wir die Realisierung bestimmter (Kasus-)Rollen im Kommunikationsakt (vgl. hier u . a . Bremonds Ansatz, s. oben 3.1., Gülich/ Raible, s. oben 3.4., Agricola, s. oben 3.5., Koch 1979). Auf diese Frage soll hier jedoch nicht näher eingegangen werden. 4.2. Im folgenden sollen nun vier Texte mit den Kategorien des vorgeschlagenen Modells analysiert werden. Zunächst eine kleine Erzählung, das Märchen, das die Großmutter in G. Büchners „ W o y z e c k " den Kindern erzählt: Kommt, ihr kleinen Krabben! - Es war einmal ein arm Kind und hatt kein Vater und kein Mutter, war alles tot, und war niemand mehr auf der Welt. Alles tot, und es is hingangen und hat gesucht Tag und Nacht. Und weil auf der Erde niemand mehr war, wollt's in Himmel gehn, und der Mond guckt es so freundlich an; und wie es endlich zum Mond kam, war's ein Stück faul H o l z . Und da is es zur Sonn gangen, und wie es zur Sonn kam, war's ein verwelkt Sonneblum. Und wie's zu den Sternen kam, waren's kleine goldne Mücken, die waren angesteckt, wie der Neuntöter sie auf die Schlehen steckt. Und wie's wieder auf die Erde wollt, war die Erde ein umgestürzter Hafen. Und es war ganz allein. Und da hat sich's hingesetzt und geweint, und da sitzt es noch und is ganz allein. -

Es handelt sich um die Erzählung eines Geschehens oder eines Vorgangs, weshalb wir eine zeitliche Abfolge von Handlungen erwarten können. Die Textstruktur wird in Abb. 2 illustriert. Der Text ist eine Erzählung und eine einheitliche Sprachhandlung. Die Sprachhandlung der Erzählung wird durch den Hypersatz „ K o m m t , ihr kleinen Krabben" indiziert. Vorausgesetzt ist, daß die Großmutter der Bitte der Kinder nachkommt und etwas erzählen will. Die Erzählung besteht aus einer Reihe von Propositionen, die in der Analyse teilweise zusammengehalten wurden, um die Struktur übersichtlicher zu machen, da eine weitere Aufteilung für die Wiedergabe der Textualität keine Bedeutung gehabt hätte. Der Text läßt sich mit Hilfe der eingeschobenen Ausdrücke für Intentionen in drei Teiltexte gliedern, die eine örtliche und zeitliche Abfolge von H a n d lungen wiedergeben. Vgl. die Gliederungssignale des O r t s und der Zeit bei Gülich/Raible (1977b). Die drei Teiltexte beziehen sich auf die Erde, den Himmel und wieder auf die Erde. Die beiden intentionalen Einschübe könnten ebenfalls als Teiltexte betrachtet werden. Sie haben aber dadurch, daß sie innere Zustände des Aktanten wiedergeben, einen anderen Status und funktionieren hier

282

III. Kommunikatives Handeln

Kommt, ihr kleinen Krabben, [ich erzähle ...)

Μ J-P

rr Ttiluxt 1 Erde

Teiltext 3 Erde

Teiltext 2 Himmel

Abb. 2

am ehesten als Gliederungssignale, durch die die raum-zeitlichen Veränderungen indiziert werden. Sie können deshalb auch sehr wohl im Sinne Bremonds (s. oben 3.1.) als Phase innerhalb der Texteinheiten 2 bzw. 3 betrachtet werden. Die Propositionen sind entweder koordinativ (in der Abbildung nicht markiert) oder aber kausal verbunden. Die Isotopie des Textes ist sehr einfach. Die durchgehende Verknüpfung auf der referentiellen Ebene geschieht durch das Kind. Die Teiltexte sind außerdem isotopisch einzeln verknüpft. Interessant ist die unterschiedliche Wiedergabe der vorauszusetzenden Handlungen des Kindes. N u r bei seinem Besuch auf der Sonne wird sowohl die Handlung selbst (das Gehen) als auch das Resultat dieser Handlung (die Ankunft) verbalisiert, die letztere jedoch innerhalb eines temporalen wie-Satzes, der in erster Linie auf den Hauptsatz „war's ein verwelkt Sonneblum" hinweist. Bei dem Besuch auf dem Mond und auf den Sternen wird die Handlung selbst unterdrückt und nur die Ankunft, wiederum in einem wie-Satz, realisiert. Als das Kind dann wieder die Erde aufsucht, wird weder die Handlung noch das Ergebnis der Handlung versprachlicht. Der Zustand wird direkt mit dem intentionalen Satz verbunden, auf den nun das temporale wie übertragen wird. Der hier vorliegende Text ist natürlich als (s. oben 3.5.) eine Variante neben anderen möglichen Varianten desselben Themenkerns zu betrachten. Die kausale Struktur wird nur einmal durch weil signalisiert. Im übrigen treten koordinative und temporale Konjunktionen und temporale Adverbien auf, die dazu beitragen, die H a n d lungsabfolge zu betonen. Die Syntax ist die Syntax, die Kinder verwenden, wenn sie jemandem erzählen, was sie alles getan haben. O b w o h l der kausale Zusammenhang nur schwach signalisiert

wird, interpretieren wir aber die Handlungsabfolge als kausal verknüpft. Die durchgeführte thematische Analyse des kleinen Märchens ging davon aus, daß die illokutive Funktion die der Erzählung ist, daß der Text also illokutiv homogen ist. In unserer theoretischen Konzeption setzten wir aber voraus, daß Texte zuweilen eine hierarchische Sprachhandlungsstruktur aufweisen, die die thematische Struktur überlagert. An einem einfachen Brief soll gezeigt werden, wie sich die beiden Strukturen aufeinander beziehen können. Der Brief ist ein Geschäftsbrief und lautet wie folgt:

Firma ABC Ihre Unsere Durchwahl Tel. Zeichen Zeichen 01/ F U 4 / B - m a n n 123 2345

F-stadt 1.2.1970

Betr.: Werk 111/208.2345. / - Montageversicherung U n t e r Bezug auf d e n vorletzten A b s a t z ihres Schreibens v o m 15. 12. 1969 k ö n n e n Sie aus beiliegender A u f s t e l l u n g ersehen, daß die M o n t a g e v e r s i c h e r u n g sehr w o h l auch Schadensursachen d e c k t , f ü r die wir nicht v e r a n t w o r t l i c h sind. Die T a t s a c h e , d a ß eine M o n t a g e v e r s i c h e r u n g besteht, bringt I h n e n w e s e n t liche Vorteile, o h n e daß Sie bisher bereit w a r e n , sich an d e n Kosten z u beteiligen. W i r m ö c h t e n Sie n o c h m a l s b i t t e n , die Frage einer K o s t e n b e t e i l i g u n g e r n e u t zu ü b e r p r ü f e n . Mit f r e u n d l i c h e n G r ü ß e n

X YZ Anlage

gez. B - m a n n

gez. D - m a n n

Wenn wir vorläufig von der illokutiven Struktur absehen, erhalten wir folgende thematische Struktur in bezug auf die Propositionen.

23. Texttheorie

D e c k u n g von Schadensursachen = Vorteile

Kostenbeteiligung

Implikation

für Empfänger

283

Firma ABC Α-Stadt

F ü r den Sender besteht ein solches implikatives Verhältnis. Dies ist sozusagen die A r g u m e n t a tionsstruktur des T e x t e s . D e r T e x t ist aber illokutiv in erster Linie nicht als eine solche A r g u m e n tation strukturiert, sondern hat die illokutive F u n k t i o n der Bitte an den E m p f ä n g e r , sich ( n o c h mals) zu überlegen, o b er sich nicht doch an der Versicherung beteiligen will. Es ist also das Ziel des Senders, eine Ä n d e r u n g h e r b e i z u f ü h r e n . D e s halb richtet er eine (erneute) Bitte an den E m p fänger, die durch eine Feststellung begründet wird. D i e illokutive und thematische S t r u k t u r kann wie in A b b . 3 dargestellt w e r d e n .

Ihre

Ihre

U n s e r e Zeichen

Datum

Zeichen

Nachricht

TLT AVN/Uk

1.2.1970

Betr.: Komm. 2200022-Firma

W, X-stadt

Als Anlage ubersenden wir Ihnen in 5-facher Ausfertigung die Werkstattzeichnung 9 O k 5 5 8 8 / 1 + 2. W i r bitten Sie, die V o r p r ü f u n g dieser Zeichnung nach den schwedischen Vorschriften für A - B e h ä l t e r durchzuführen. Die Fertigung der Α - B e h ä l t e r erfolgt bei der Firma P , L-stadt (Deutschland). D i e A b n a h m e wird durch den B E V - D e u t s c h l a n d durchgeführt. Beide Α-Behälter sind für die Firma W , X - s t a d t , W e r k 1, b e s t i m m t . D i e Auslieferung der Behälter soll zum 15. 4. 70 erfolgen. In Anbetracht der kurzen Lieferzeit bitten wir Sie höflich um T e r m i n a n g a b e , wann wir die vorgeprüften Zeichnungen erhalten. Im voraus besten D a n k für Ihre Bemühungen. Mit freundlichen G r ü ß e n

Empfänger < Anrede >

> Sender < Gruß

Firma X Y Z gez. K - m a n n

B e t r . : W e r k Π Ι / 2 0 8 . 2 3 4 5 . 1 - Montageversicherung FESTSTELLUNG

Begründung ^

Überprüfung

Deckung Vorteile

BITTE

Implikation

^

Beteiligung

Abb. 3

D i e E m p f ä n g e r / S e n d e r - K o n s t e l l a t i o n bestimmt den k o m m u n i k a t i v e n R a h m e n , Anrede und G r u ß grenzen den T e x t gegenüber anderen T e x t e n k o m munikativ ab. D i e B e t r i f f t - F o r m e l gibt den T h e menkern wieder. D i e beiden Strukturen sind natürlich interdependent, insofern die I l l o k u t i o n s struktur die thematische S t r u k t u r voraussetzt, diese aber wiederum von der Illokutionsstruktur überlagert und erst durch sie Teil eines K o m m u n i kationsakts wird. D u r c h die funktionalen B e z i e hungen zwischen der Feststellung und der B i t t e wird der T e x t eindeutig zu einer Bittenshandlung. Sein T h e m e n k e r n wird durch die B e t r i f f t - F o r m e l explizit gemacht. Interessant ist, daß man nicht direkt um eine Beteiligung bittet, sondern um eine U b e r p r ü f u n g der Frage der Kostenbeteiligung. D e n Sender interessiert natürlich nicht die Ü b e r p r ü f u n g an sich, sondern die Beteiligung. D i e Bitte der U b e r p r ü fung ergibt sich aus der außersprachlichen Situat i o n , in der es s c h o n eine frühere B i t t e gibt, die aber nicht erfüllt wurde. H i e r sieht man deutlich, wie die thematische S t r u k t u r des K o m m u n i k a tionsaktes von der Intention des Senders und der Situation dominiert wird.

E i n komplizierterer T e x t liegt in o b i g e m B r i e f v o r , dessen illokutive und thematische S t r u k t u r in A b b . 4 (S. 2 8 4 ) illustriert wird. D e r T e x t besteht aus vier E i n h e i t e n , einer Feststellung, zwei B i t t e n , einer D a n k e n s h a n d l u n g . T h e m a t i s c h gesehen besteht er aus zwei T e i l t e x t e n , einem T e i l t e x t , dessen T h e m e n k e r n die B e h ä l t e r sind, ihre Fertigung, A b n a h m e , B e s t i m m u n g , Auslieferung und die für sie geltenden schwedischen V o r s c h r i f t e n , und einem T e i l t e x t , dessen T h e m e n k e r n die Z e i c h n u n g ist, deren U b e r s e n d u n g , V o r p r ü f u n g usw. Z u diesem g e h ö r t auch der D a n k für die B e m ü h u n g e n , d. h . für die antizipierte V o r p r ü f u n g und T e r m i n angabe. D e r T h e m e n k e r n jedes Teiltextes wird hier vor allem durch die „ H a n d l u n g s t r ä g e r " indiziert, durch den Behälter b z w . die Z e i c h n u n g . D i e logische S t r u k t u r ist einfach. D i e V o r s c h r i f t e n in K o m b i n a t i o n mit der B e s t i m m u n g der Behälter implizieren die V o r p r ü f u n g . Diese wiederum impliziert die U b e r s e n d u n g . Interessant ist die B e z i e h u n g zwischen der illokutiven und der thematischen S t r u k t u r . W i r k ö n nen vorerst feststellen, daß die V o r s c h r i f t e n nur als (modales) Satzglied in der B i t t e auftauchen. Sie werden also nicht in einem selbständigen Satz realisiert, was an und für sich m ö g l i c h gewesen wäre. D e r erste Teiltext tritt als Feststellungen auf, die zum Teil die F u n k t i o n h a b e n , die B i t t e n zu begründen. D e r zweite T e i l t e x t wird durch die B i t ten realisiert, die als zwei separate Sprachhandlungen durch die Feststellungen auseinandergehalten w e r d e n , die aber an und für sich auch als

284

III. Kommunikatives

Handeln Empfänger^-

Sender

Anrede

- BITTE Tfmining»be

DANK hungcn

Behälter Vorprüfung/Zeichnung

Abb. 4

Teilte« 1

eine Bitte mit zwei propositionalen Gehalten hätten auftreten können. Durch die funktionalen Beziehungen zwischen den Feststellungen und den Bitten dominieren die Bitten die Texteinheiten 1 und 3. Die beiden übrigen Texteinheiten bilden sozusagen nur den Rahmen, in den die beiden Bitten eingebettet werden. Dies wird vor allem dadurch deutlich, daß sie thematisch nicht selbständig sind, sondern dem Teiltext 2 angehören. Der Text besteht jedoch illokutiv aus vier Texteinheiten, die sich funktional nicht aufeinander beziehen. Zu bemerken ist noch, daß die Dankenshandlung als Kooperationsversicherung zu verstehen ist und sich deshalb funktional auf die Sender/ Empfänger-Konstellation bezieht. Als Text ist der Brief seinerseits wiederum eine Texteinheit in einem größeren Zusammenhang, nämlich in dem schriftlichen Dialog, der zwischen den Geschäftspartnern stattgefunden hat. Hierdurch unterscheidet sich der Brief von z . B . der Erzählung und nähert sich dem Gespräch. Das Gespräch unterscheidet sich aber wiederum vom Briefwechsel durch die räumlich-zeitliche Nähe der Gesprächspartner, wodurch der Sprecher durch bestimmte Signale des Hörers in der Strukturierung seiner Äußerung bis hin zum Sprecherwechsel beeinflußt werden kann. Für eine ausführliche Beschreibung des Gesprächs und seiner Kategorien wird auf den Art. 27 und auf Henne/ Rehbock (1979) verwiesen. Hier sollen nur die Eigenschaften aufgegriffen werden, die für eine Einordnung des Gesprächs in eine allgemeine Texttheorie von Interesse sind. Das Gespräch zeichnet sich durch die Wechselbeziehung zwischen Sprecher und Hörer aus (s. Henne/Rehbock 1979, 2 2 f . ) . Das, was ein Sprecher sagt, wenn er dran ist, wird Gesprächsschritt oder turn genannt (s. Henne/Rehbock 1 9 7 9 , 2 2 f . ) . Im Prinzip ist ein Gesprächsschritt jeder Teil eines

Teilten 2

Gesprächs, der keinen Sprecherwechsel aufweist, und deshalb auch ceteris paribus mit dem einzelnen Brief in einem Briefwechsel zu vergleichen, d . h . als Texteinheit aufzufassen. Gespräche gliedern sich also vorerst in Gesprächsschritte. Eine solche Gliederung setzt aber voraus, daß man zwischen Sprecher und Hörer unterscheiden kann und solche eingeschobenen Äußerungen des H ö rers, die nur als Rückmeldungssignale oder unterstützende Kommentare aufzufassen sind, nicht als Sprecherwechsel bezeichnet. Von dem Gesprächsschritt als Äußerung des Sprechers müssen deshalb die Rückmeldung und der Kommentarschritt, d . h . Äußerungen des Hörers, die in den Gesprächsschritt eingebettet sind (zu der Definition und Abgrenzung dieser Kategorien s. u . a . Henne/Rehbock 1979, Oreström 1977, Kneip 1979), unterschieden werden. In dem Augenblick, wo der Hörer den Gesprächsschritt übernimmt, ist er dann nicht mehr Hörer, sondern Sprecher, und der bisherige Sprecher wird zum Hörer, seine Reaktionen zu Rückmeldungen und Kommentaren. Mehrere Gesprächsschritte bilden zusammen eine Gesprächssequenz (s. Henne/ Rehbock 1979, 20ff.). Ein Gesprächsschritt besteht seinerseits aus einer oder mehreren Sprachhandlungen. Außer dieser grundlegenden Aufgliederung des Gesprächs kann man zwischen einem aktiven und einem reaktiven Sprecher unterscheiden (s. hierzu Sdrensen 1978; vgl. auch Henne/Rehbock 1979, 2 0 5 f f . , die zwischen dem initiierenden/determinierenden und dem responsiven Gesprächsakt unterscheiden). Nach Sörensens (1978) System läßt sich das folgendermaßen veranschaulichen: reaktiv A^~ = = = = = = *B

Α

aktiv » Β

23. Texttheorie In dem ersten Fall reagiert Β auf einen Sprechakt von A. In dem zweiten Fall hat Β die Initiative im Gespräch übernommen und Α muß nun auf Β reagieren. In beiden Fällen hat Β den Gesprächsschritt. D e r Gesprächsschritt weist dieselbe Struktur auf wie die bisher behandelten Texte, vorausgesetzt, daß er aus mehr als einer Proposition besteht. Zwischen den Gesprächsschritten des aktiven Sprechers liegen aber auch relationale und isotopische Beziehungen derselben Art vor wie zwischen den Sprachhandlungen innerhalb eines Gesprächsschrittes. A b b . 5 illustriert die Struktur des folgenden kleinen konstruierten Gesprächs. Die relationalen und isotopischen Verknüpfungen werden aus Gründen der Übersichtlichkeit vernachlässigt. Α . : „ I c h h a b einen s c h r e c k l i c h e n D u r s t . E i n Bier w ü r d e m i r gut t u n . " B . : „ D a n n trink d o c h e i n s . " Α . : „ I c h find aber keins im K ü h l s c h r a n k . K ö n n t e s t du m i r vielleicht eins aus dem K e l l e r h o l e n ? " B . : „ I c h ? D u bist w o h l n i c h t ganz bei T r o s t . Ü b r i g e n s , da w i r gerade dabei sind. W i e w a r ' s , w e n n du dir endlich klar m a c h e n w ü r d e s t , daß ich dich nicht geheiratet h a b , um deinen D i e n e r zu s p i e l e n . " Α . : „ O k a v , o k a y , h a b ja schon v e r s t a n d e n , "

Das Gespräch besteht aus fünf Gesprächsschritten, von denen zwei hierarchisch strukturiert sind. Α ist der aktive Sprecher im ersten Teil des G e sprächs. Im vorletzten Gesprächsschritt übernimmt aber Β die aktive Rolle, wobei Α in die reaktive Rolle gedrängt wird. Das Gespräch beginnt mit zwei Feststellungen, die hier als eine Begründung einer nicht ausgesprochenen Bitte interpre-

285

tiert werden können. Der Sprecher Α möchte den Sprecher Β dazu bringen, ihm ein Bier zu holen, spricht aber nicht explizit eine Bitte aus. Es handelt sich hier also nicht um eine indirekte Bitte, sondern um zwei Feststellungen, aus denen auf den Wunsch des Sprechers geschlossen werden kann. Da es sich offensichtlich um Feststellungen handelt, kann Β sie als nur Feststellungen auffassen und einfach mit einer Feststellung antworten. Β stellt sich mit anderen Worten stur. D e r zweite Gesprächsschritt As bekommt nun durch die R e aktion Bs eine andere Funktion, als wenn er zusammen mit 1 einen Gesprächsschritt ausgemacht hätte. E r ist gewissermaßen eine Wiederholung des ersten Gesprächsschritts, indem Α es nochmals versucht, Β zu einer bestimmten Handlung zu bringen, diesmal aber mit Hilfe einer direkten Bitte, die durch eine Feststellung begründet wird. An diesem Punkt wird deutlich, wie die Interaktion zwischen den Partnern den Verlauf des Textes sowohl illokutiv als thematisch steuert. Α hätte an und für sich dasselbe auch ohne Bs Reaktion sagen können. Durch Bs Reaktion interpretieren wir aber As Äußerungen anders, als wir es getan hätten, wenn Β nichts geäußert hätte. D e r Text besteht schließlich aus zwei Teiltexten. D e r erste wird durch den Wunsch nach einem Bier dominiert und wird durch die aktive G e sprächsrolle As zusammengehalten. Β reagiert auf die Bitte As mit einer negativen Stellungnahme und ergreift gleichzeitig die Initiative. Die Zäsur zwischen den beiden Teiltexten liegt also mitten im letzten Gesprächsschritt Bs. Die Forderung Bs dominiert diesen Teiltext. Zwischen den einzelnen Propositionen liegen im Prinzip die erwarte-

VORSCHLAG B«t

m ' •ABk. tut gu


KOMMUNIKATIVE

KOMMUNIKATIVE

1

C

j Sprechakte ^ j» ι Sprachperformanz ι (Sprechen) j

j Sprachkompetenz j ι (mögliches Sprechen) ι KOMPETENZ (mögliches T U N )

\r

KOMMUNIKATIVE I |ι ι;

Φ

PERFORMANZ (Tun, Getanes) KOMMUNIKATIVES

notwendige

j

sprachliche | notwendige ,

ιj :

,

L

ί ^Kompetenz d G r u p p e j f 1

\J GRUPPENKOMPETENZ\

Abb. 2

ι

1

\

sprachliches Gruppenverhalten Sprachverkehr

1

, ' J

.GRUPPENVERHALTEN "VERKEHR mehtnotwend. Restriktionen J

377

sten Sinne) überhaupt möglich ist bzw. relativ reibungslos ablaufen kann. Mehr oder minder starkes Abweichen von diesen Restriktionen führt zu mehr oder minder starker Exkommunikation, von leichten Sanktionen (Zensuren) bis zur Ausschließung aus der Gesellschaft bzw. Gruppe. Diesen Sachverhalt kann man wie folgt verdeutlichen, wobei neben die kollektiv möglichen und verwirklichten Verhaltensweisen auch die individuellen gestellt werden müssen, da Individuum und Gesellschaft in einem dialektischen Verhältnis zueinander zu sehen sind: (s. Abb. 2). 3.3. Die Standardsprache Suhsprachen

als eine

von

vielen

Diese Beziehungen (sieht man von den nicht notwendigen Restriktionen ab) gelten nicht nur für die Standardsprache, sondern für sämtliche Subsprachen einer Sprachgemeinschaft. Die sprachliche Norm, die dem Sprachverhalten jeder Gruppe unterliegt, könnte man auch als die sprachliche Gebrauchsnorm bezeichnen bzw. als das Bündel von sprachlichen Regeln, das dem in der betreffenden Gruppe tatsächlich üblichen Sprachgebrauch unterliegt. Dies muß - trotz seiner Selbstverständlichkeit - hervorgehoben werden, weil dies nicht in vollem Umfang für die der Standardsprache zugrunde gelegte sprachliche Norm gilt. 3.4.

Gebrauchsnorm norm

und

kodifizierte

Sprach-

Diese (die Norm der Standardsprache) besteht nicht nur aus den für den Sprachverkehr notwendigen bzw. üblichen Restriktionen der sprachlichen Gruppenkompetenz, sondern sie enthält eine ganze Reihe nicht notwendiger und nicht üblicher Restriktionen, die wie folgt zustandegekommen sind: Einzelne Gelehrte oder Gelehrtenschulen haben anhand ihres eigenen Sprachgefühls, gelegentlich auch nach dem Vorbild anerkannter Schriftsteller, Regeln für den richtigen Gebrauch der Sprache aufzustellen versucht. Die Kriterien für die Erarbeitung von Regeln waren sehr verschieden. Logik, Sprachentwicklung Wohlklang, auch so vage Kriterien wie Sprachechtheit, Sprachreinheit usw. wurden und werden auch heute gelegentlich noch als Maßstäbe angelegt. Eine Auffassung der Sprache als sozio-kulturelle Variable, als gesellschaftliches Mittel zum gesellschaftlichen Zweck (schon von Leibniz vertreten), setzt sich in Deutschland erst in den allerletzten Jahren wieder durch. Die entstandenen Regelwerke dienten Jahrhunderte hindurch als Lehrbücher und hatten großen stabilisierenden Einfluß auf die Standardsprache.

378

IV. Soziale Aspekte

Besonders sie sind dafür verantwortlich, daß die heutige Standardsprache, insbesondere in ihrer geschriebenen Form, relativ starr und unlebendig geworden ist und sich von der tatsächlich verwendeten und gesprochenen Sprache auch der Gebildeten sehr stark unterscheidet. Gebrauchsnorm und kodifizierte Sprachnorm sind nicht identisch. 3.5.

Ursachen des Unterschiedes zwischen der Gebrauchsnorm und der kodifizierten Norm der Standardsprache

Daß die alten und in manchen normativen Grammatiken und Regelbüchern anzutreffenden Regeln dem heutigen Sprachgebrauch oft nicht entsprechen, kann viele Ursachen haben, z . B . : 1. Die kodifizierten Normen waren bereits für die Zeit, in der sie aufgestellt waren, falsch. Sie stimmten nicht mit dem in dieser Zeit üblichen Gebrauch überein. Dies kann verschiedene Gründe haben: a) Gebrauchsfeststellungen größeren Ausmaßes sind nicht vorgenommen worden. Der Grammatiker verließ sich zu stark auf seinen persönlichen Sprachbesitz (Sprachgefühl). Dadurch konnten Eigenheiten des durch regionale und soziale Gegebenheiten bestimmten Idiolekts in Regeln, die allgemeinverbindlich sein sollten, eindringen. b) Der Grammatiker gab sich mit den vorgefundenen Gegebenheiten nicht zufrieden, d.h., er betrieb gleichzeitig Sprachpflege, und das zum Teil mit völlig aus der Luft gegriffenen Maßstäben, unter einseitigen Gesichtspunkten (vorwiegend historischen) oder mit solchen, die für die heutige Zeit keine Gültigkeit mehr haben. 2. Da keine umfassenden Gebrauchsfeststellungen vorgenommen wurden, sind manche Eigenheiten überhaupt übersehen oder in ihrem Gewicht überschätzt worden. So gibt es z.B. keine Regeln zum obligatorischen Konjunktivgebrauch in indirekter Rede. Nicht durch Redeanweisungen bestimmte indirekte Rede verlangt aber den Konjunktiv, da er allein für die Abgrenzung von Bericht sorgt. Vergleiche z . B . : Er lobte das Buch, das sicher ein Bestseller werde. Es sei wirklich gut. Diese Art des Konjunktivgebrauchs ist aber bereits in der Klassik z.B. sehr verbreitet. 3. Es sind Neuerungen eingetreten, die von den Grammatikern übersehen worden sind. So schweigen sich die Grammatiken, um nur ein Beispiel zu nennen, auch heute weitgehend über die grammatischen Besonderheiten der erlebten Rede aus, die vor wenigen Jahrzehnten weitgehend unbekannt, heute in jedem Zeitungsroman angewandtwird. Auch können sich neben ältere Gebrauchsweisen neuere geschoben haben, wie dies z.B. beim Modusgebrauch in irrealen Vergleichssätzen der Fall ist, wo neben ursprünglich beinahe aus-

schließlich verwendetem Konjunktiv II heute der Konjunktiv I sehr stark im Vordringen ist. Der Indikativ dagegen begegnet auch heute in der Standardsprache noch selten. 4. Neuerungen sind falsch gewichtet worden, wodurch eine positive Entwicklung verhindert oder in eine Richtung gedrängt worden ist, die nicht beabsichtigt war. 5. Man hat eine zu enge Sprechergruppe gewählt, i.a. die geistige und literarische Elite, und deren Sprache zum Vorbild genommen, wobei man von den Freiheiten, die diese sich, man denke z.B. an Goethes eigenwillige Orthographie und Zeichensetzung, herausgenommen haben, zudem noch abstrahiert hat. 6. Man hat unberücksichtigt gelassen, daß die Sprache immer schon - in Parallele zur Veränderung der objektiv gegebenen historisch politischen Situation und als Folge dieser Veränderung in einem stetigen Wandel begriffen ist. 3.6. Die Grundlagen norm

der kodifizierten

Sprach-

Von wenigen Ausnahmen abgesehen wird die Sprachnorm, die der Standardsprache zugrundeliegt, bis heute von den Schulgrammatiken in keiner Weise diskutiert: Die Norm wird als Norm schlicht postuliert. Natürlich verweist man auf bestimmte Vorbilder, besonders in neuerer Zeit, wo immerhin der Versuch gemacht wird, das eigene Sprachgefühl des Sprachwissenschaftlers durch z.T. riesige Gebrauchsfeststellungen zu ,objektivieren'. Die Gebrauchsfeststellungen werden dann wissenschaftlich ausgewertet. Die sich zeigenden Regularitäten werden heute vor allem nach Kriterien ermittelt, die der Sprache als Mittel der Kommunikation gerecht zu werden versuchen. Solche Kriterien sind z.B. Verbreitung des Gebrauchs, Informationsgenauigkeit, Ökonomie usw., was natürlich schon ein gewisser Fortschritt ist, der sich in unseren heutigen Grammatiken allerdings nur zögernd widerspiegelt. Als Vorbilder werden in den normativen Grammatiken vor allem die folgenden Schriftsteller genannt, die allesamt mehr oder minder in der Tradition der Klassik stehen, deren Werke allerdings nicht einmal systematisch ausgewertet worden sind: Anzengruber, Bergengruen, Boll, Carossa, Dehmel, Dörfler, Fallada, Feuchtwanger, Fontane, von le Fort, Grillparzer, Hauptmann, Hesse, Huch, Keller, Heinrich und Thomas Mann, Rilke, Rosegger, Rückert, Scheffel, Anna Seghers, Stifter, Storm, Werfel und Wiechert. Daneben werden die Klassiker und ihre Nachfolger auch noch selbst genannt, also Lessing, Goethe, Schiller, Immermann u.a. Weite Gebiete der deutschen Literatur bleiben

36. Umgangssprache unberücksichtigt, so der Sturm und Drang, Kleist, Jean Paul, die Expressionisten, auch Frisch, Dürrenmatt oder Grass und Brecht. Wir stellen also fest, daß die Sprache, auf die sich auch heute noch die kodifizierte Sprachnorm stützt, 1. fast ausschließlich Literatursprache ist, 2. daß dabei nur ein Teil der Literatur berücksichtigt ist, der vornehmlich nach dem Grad ihrer sprachlichen Konservativität und Normentreue ausgewählt zu sein scheint. In neuerer Zeit wird gefordert, daß auch die Redeweise klar denkender Menschen im freien ernsthaften Gespräch, ohne den Zwang schriftlicher Vorlagen oder Vorbilder, allein unter dem Gesetz der Sprechbarkeit und Verständlichkeit für den Hörer berücksichtigt werde (v. Polenz 1972). Dadurch wäre eine Öffnung der erstarrten Standardsprache zu erreichen, und sie könnte, dem menschlichen Verkehr dienend und durch ihn ständig beeinflußt, ihre Funktion als wichtigstes überregionales Kommunikationsmittel möglicherweise besser erfüllen als jetzt.

4. Mißbrauch der Standardsprache schaftsinstrument

als

Herr-

Solche Ansätze, die auf einen erweiterten Spielraum der sprachlichen Norm abzielen, sind in neuester Zeit weitergeführt worden, indem grundsätzliche Toleranz gegenüber allen Varianten und Gruppensprachen als Prinzip der Sprachnormenkritik gefordert wurde, was natürlich nicht die Abschaffung einer überregional verbindlichen Sprache zum Ziel hat, sondern insbesondere gegen die Uberschätzung und Uberbewertung der sprachlichen N o r m der überregionalen Sprache der herrschenden sozialen Schichten (besonders durch die Schule, im Grunde aber durch alle Bereiche, wo überhaupt geschrieben werden muß) gerichtet ist, also gegen den Mißbrauch von Sprache als Herrschaftsinstrument und die immer noch

36. Umgangssprache 1. Dimensionendes Problemfeldes „Umgangssprache" 2. Umgangssprache als eine Art der Sprachverwendung 3. Umgangssprache als pragmatisch determinierte Varietät einer Sprache 4. Umgangssprache als areale Varietät einer Sprache 5. Diachrone Aspekte von Umgangssprachen 6. Bibliographie (in Auswahl)

1. Dimensionen des Problemfeldes ,, Umgangssprache" Jeder Versuch, eine allgemeingültige Definition von „Umgangssprache" zu geben, muß proble-

379

verbreitete Annahme, die Beherrschung der Standardsprache habe irgend etwas mit besonderen kognitiven Fähigkeiten ihrer Sprecher zu tun, bzw. Abweichungen vom Standard ließen Rückschlüsse auf das Nichtvorhandensein solcher Fähigkeiten zu.

f. Bibliographie (in Auswahl) W . Betz, Grenzen und Möglichkeiten der Sprachkritik. In: S T Z 25. 1968, 7-26. E . Coseriu, System, Norm und ,Rede'. In: E. Coseriu, Sprache, Strukturen und Funktionen. 12 Aufsätze. Tübingen 1970, 193-211. J . Habermas, Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz. In: J . Habermas u. N . Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie. Frankfun 1971, 101-141. B . Havränek, Zum Problem der Norm in der heutigen Sprachwissenschaft und Sprachkultur. In: A Prague School Reader in Linguistics. Bloomington 1964, 413-420. S. Jäger, Hochsprache und Sprachnorm. In: IdS Forschungsberichte. Mannheim 1971, 83-97. S. Jäger, Zum Problem der sprachlichen Norm und seiner Relevanz für die Schule. In: Mu 81. 1971, 162 bis 176. J . M. Meisel, Sprachnorm in Linguistik und „Sprachpflege". In: L B 13/1971,8 14. H . Moser, Sprache - Freiheit oder Lenkung? Mannheim 1967. E . Oksaar, Sprachnorm und moderne Linguistik. In: Sprachnorm, Sprachpflege, Sprachkritik. Düsseldorf 1968, 67-78. P. v. Polenz, Sprachnorm, Sprachnormung, Sprachnormenkritik. I n : L B 17/1972, 76-84. H . Rupp u. L . Wiesmann, Gesetz und Freiheit in unserer Sprache. Frauenfeld 1970. H . Steger, Sprachverhalten, Sprachsystem, Sprachnorm. In: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Jahrbuch 1970. Heidelberg, Darmstadt 1970, 11-32. A. Ströbel, Zum Verhältnis von Norm und Gebrauch bei der Zeichensetzung. In: Mu 79. 1969, 129-141.

Siegfried Jäger, Duisburg

matisch bleiben. Es handelt sich um einen vorwissenschaftlichen Begriff, der aber oft - und zwar meist Undefiniert - in sprachwissenschaftlichen Arbeiten verwendet wird. Die Analyse des jeweiligen Gebrauchs ergibt, daß in der Regel mehrere Bedeutungskomponenten im Begriff Umgangssprache zusammengefaßt sind. Wie viele und welche Komponenten ins Blickfeld kommen, hängt wesentlich von der speziellen linguistischen Fragestellung ab. O f t wird Umgangssprache als Gegenbegriff zum terminologisch klar gefaßten Gegenstand der Arbeit verwendet, daraus ergibt sich vielfach eine Art Teildefinition. Die Zusammenstellung der Bedeutungskomponenten von U m -

380

IV. Soziale Aspekte

gangssprache differiert von Arbeit zu Arbeit, und entsprechend sind die sprachlichen Fakten nicht deckungsgleich, sie sind aber (in unterschiedlichem Maße) miteinander verwandt. Mit Wittgenstein gesprochen heißt das: Die mit „Umgangssprache" bezeichneten Gegenstände „bilden eine Familie". In der Zusammenschau ergibt der Problemkreis Umgangssprache einen zusammenhängenden Komplex linguistischer und extralinguistischer Fragen. Für die Linguistik geht es dabei sowohl um die Frage von Sprachsystemen, insbesondere von Diasystemen (d. h. um das Zusammenfunktionieren verschiedener Systeme in einem übergeordneten System) als auch um Fragen der Soziolinguistik und Pragmatik. Mit der Sprachkommunikation ist in diesem Bereich die Aktionskommunikation verknüpft, und zwar so stark, daß eine methodische Trennung nur im Hinblick auf wenige Teilprobleme (z.B. im Hinblick auf einzelne regional bestimmbare Lauterscheinungen) durchführbar ist. In der Regel sind umgangssprachliche Erscheinungen nur im Gesamtrahmen der Sozialkommunikation angemessen zu betrachten. Zudem ist zu beachten, daß mehrere hier in Frage kommende Erscheinungen sowohl bei früheren Sprachstufen als auch bei der Sprache der Gegenwart nicht nur ein funktionierendes synchronisches System, sondern auch Fragen der Sprachprogrammatik betreffen. Der komplexe Charakter dieses Problemfeldes erlaubt für absehbare Zeit noch keine ausreichend vollständige und exakte Beschreibung. Solange diese nicht erreicht ist, kann auf den nicht exakt definierten Terminus „Umgangssprache" kaum verzichtet werden, wenn nicht wesentliche Spracherscheinungen unberücksichtigt bleiben sollen. Eine Forderung nach Beschränkung des terminologischen Gebrauchs von „Umgangssprache" (vgl. Radtke 1973) kann für sich allein wenig zur Lösung der Probleme beitragen. Die Beschreibung zweier aufeinander bezogener Bedeutungsvarianten von „Umgangssprache" erlaubt immerhin eine Ordnung der Phänomene und eine — wenn auch teils hypothetische - Beschreibung der Zusammenhänge im Gesamtkomplex „Umgangssprache". In der einen Variante bezeichnet „Umgangssprache" eine Art von Sprachverwendung, in der anderen eine bestimmte Varietät einer Sprache. (1) Primär bezeichnet „Umgangssprache" eine A r t der S p r a c h v e r w e n d u n g , nämlich mündliche Sprachverwendung im Wechsel mit dem gegenwärtigen anderen; d.h. Umgangssprache bezeichnet die sprachliche Funktion des Gesprächs. (2) In zweiter Linie wird mit „Umgangssprache" eine V a r i e t ä t e i n e r S p r a c h e bezeichnet, die schwerpunktmäßig im Umgange, d. h. im Gespräch, in mündlicher Kommunikation, üblich ist.

2. Umgangssprache wendung

als eine Art der

Sprachver-

2.1. Einordnung zwischen andere Arten der Sprachverwendung Umgangssprache im Sinne von Wechselgespräch hat als Gegenbegriff den der einseitigen Sprachverwendung. Manche Linguisten ziehen dieser Einteilung die in gesprochene und geschriebene Sprache als exakter vor. Aber diese Einteilungen unterscheiden sich weniger durch den Grad der Exaktheit als durch den Umfang des Gegenstandsbereichs, da „gesprochene Sprache" die einseitige Rede und auch strenger geregelte Formen der Wechselrede (vgl. Jäger 1976) mit einschließt. Weitgehende Ubereinstimmung herrscht dagegen - trotz unterschiedlicher Einteilungskriterien zwischen der Sprachverwendungsart „Umgangssprache" und der „stark situationsentlasteten gesprochenen Sprache" (Leska 1965, 435); denn die Situation des Wechselgesprächs bedingt, daß gleichzeitig außersprachliche Kommunikationsmittel zur Verfügung stehen und der direkte Bezug auf die Situation möglich ist. Aus der situativen Bedingtheit ergeben sich die linguistischen Charakteristika der Sprachverwendungsart „Umgangssprache". 2.2. Charakteristika der Umgangssprache

Sprachverwendungsart

Die Sprachverwendungsart „Umgangssprache" oder „das spontane Gespräch" (Zimmermann 1965) hat einige funktionsbedingte Kennzeichen, die demgemäß auch „jeder sozialen, regionalen und charakterologischen Verschiedenheit übergeordnet sind" (Zimmermann 1965, 15). Syntaktisch: Neigung zu kurzen Sätzen, zur Nebenordnung, zum Einschub von Interjektionen, Freiheiten des Satzbaus (bevorzugtes Ausgehen vom Ergebnis des Denkvorgangs, dem die Erklärung erst folgt: O, wie warm das ist, der See). Der Neigung zu Verkürzungen, die durch die Situation ermöglicht werden, steht ein „verschwenderischer Zug" (Wunderlich 1894) gegenüber, der bei der Suche nach einer Formulierung die Zeit füllt (Ja, was ich noch sagen wollte ...). Lautlich gesehen finden sich verstärkt Kontraktionen und Assimilationen (ham für haben). Semantisch ist der Gebrauch von Allerweltswörtern auffällig (machen, tun, Ding). Insgesamt sind - etwa im Vergleich zur Vortragssprache - größere Lässigkeit und stärkere Affektbetontheit zu beobachten. 2.3. Das Verhältnis zu Stilart und zu schichtenspezifischem Kode Bei den Kennzeichen der Sprachverwendungsart „Umgangssprache" handelt es sich nur zum klei-

36. Umgangssprache

neren Teil um Erscheinungen, die das Sprachsystem betreffen; der größere Teil besteht aus Gebrauchshäufigkeiten sprachlicher Daten, die in anderen Verwendungsarten ebenfalls vorkommen. Insofern lassen sich Spracherscheinungen, die durch die Verwendung im Umgange bedingt sind, als Stilphänomene verstehen. Jedenfalls lassen sich (selbst in der Widerspiegelung literarischer Werke) die hauptsächlich im Gespräch repräsentierte Stilart der „Rede" und die Stilart der „Schreibe" durch statistische Verfahren voneinander abheben (vgl. Winter 1967). Der von E. Riesel (1963) unter die funktionalen Stile eingeordnete Stil des Alltagsverkehrs oder „Umgangssprachstil" zeigt weitgehend die gleichen Kennzeichen wie die oben geschilderte Sprachverwendungsart „Umgangssprache". Das gilt in ähnlicher Weise für den „restringierten Kode" einer Sprache nach Bernstein, Oevermann u.a. (vgl. Art. 34: 2), der dort als soziales Merkmal in Anspruch genommen wird. Die Bedingtheit durch die Gesprächssituation bewirkt auch Ubereinstimmungen mit dem „discours familier", m. a. W. dem „sermo cotidianus" oder „sermo vulgaris" der traditionellen Rhetorik. 3. Umgangssprache als pragmatisch Varietät einer Sprache

determinierte

In den meisten Fällen wird mit „Umgangssprache" nicht direkt eine Art der Sprachverwendung bezeichnet, sondern eine Varietät einer Sprache, für die diese Art der Sprachverwendung typisch ist. Eine Verwechslung zwischen der Sprachverwendungsart „Umgangssprache" und der Bezeichnung einer Sprachvarietät als „Umgangssprache" kann einerseits durch Angabe des Zwecks vermieden werden, der die Herausbildung der Varietät bestimmt (so schon Adelung: „Sprache des gesellschaftlichen Umgangs"; vgl. Bichel 1973, 20), andererseits durch Nennung der jeweils sprachtragenden Gruppe (z.B. „Umgangssprache der Gebildeten") oder auch indirekt durch eine Orts- oder Landschaftsbezeichnung (z.B. „obersächsische Umgangssprache"). 3.1. Die Stellung der Umgangssprachen in der Gesamtsprache Die Umgangssprache wird weithin zwischen Schrift- oder Hochsprache und Mundarten als ein Drittes eingeordnet. Das läßt sich nicht halten, da die als „Umgangssprache" bezeichneten Erscheinungen großenteils nicht zwischen diese Pole einzuordnen sind. Vielmehr stellt sich die deutsche Gesamtsprache als ein Gefüge von primär pragmatisch determinierten Gruppensprachen dar, in dem die Schriftsprache einerseits und die Mundarten andererseits als Varietäten mit besonders strengen sprachlichen Normen hervortreten. Sie

38 1

eignen sich deshalb gut für linguistische Beschreibungen. Bei den übrigen Varietäten herrscht keine so übersichtliche Regelhaftigkeit. Trotzdem gibt es hier Regeln, die genaue Befolgung verlangen. Da diese Regeln von Umgangsvorschriften teils in den einzelnen Gruppen, teils z w i s c h e n verschiedenen Gruppen geprägt sind und entsprechend auch im Umgang realisiert werden, ist es naheliegend, diesen Gesamtbereich als „Umgangssprache" zu charakterisieren. Das Kennzeichen des schwerpunktmäßigen Gebrauchs im Umgange gilt allerdings auch für die Mundarten. Sie müssen danach als Sonderfälle von Umgangssprache gelten. 3.2. Die linguistische Problematik der sprachen

Umgangs-

Aus der Bestimmung von „Umgangssprache" als Sprachvarietät in Gruppen mit unmittelbarem persönlichem Kontakt (die man als primäre Umgangssprache bezeichnen könnte) und als Sprachvarietät, die im Zwischengruppenverkehr üblich ist (hier könnte man von sekundärer Umgangssprache reden), lassen sich Charakteristika ableiten, die einerseits auf der Gruppenbezogenheit und andererseits auf der Situationsbezogenheit solchen Sprachsgebrauchs beruhen. Aus diesen Zusammenhängen ergibt sich die linguistische Problematik des Problembereichs Umgangssprache. 3.2.1. Die Problematik der

Gruppenbezogenheit

Ist die G r u p p e als Ort der Umgangssprache erkannt, so ergibt sich daraus die Konsequenz, daß es nicht sinnvoll sein kann, die Umgangssprache e i n e s Menschen festzustellen. Der einzelne muß sich dem Gruppenbrauch (Autostereotyp der Gruppe) anpassen. Träger einer Umgangssprache ist also eine bestimmte Gruppe. Ein Mensch kann verschiedenen Gruppen angehören. Er ist dann - jeweils als Gruppenmitglied - Träger verschiedener Sprachvarietäten. Die in den einzelnen Gruppen gültigen sprachlichen Normen können unterschiedlicher Art sein. Es können strenge Anforderungen im phonetischen Bereich erhoben werden (etwa in den Mundarten), oder es kann große Toleranz gegenüber phonetischen Varianten und sogar gegenüber Unterschieden im phonologischen System bestehen, während auf semantische und syntaktische Eigenheiten oder auf eine „Sprachhaltung" streng geachtet wird (z.B. in Studentengruppen mit Mitgliedern aus verschiedenen Landschaften. Vgl. Steger 1964). Derartige Erscheinungen bieten sich beim Versuch linguistischer Beschreibung als ,,Variationsbreite" in derartigen Sprachformen dar. Dieser Umstand bildet ein bedeutendes Hindernis für exakte Unter-

382

IV. Soziale Aspekte

suchungen. Die Mitgliedschaft des einzelnen in verschiedenen Gruppen und die Unterschiedlichkeit sprachlicher Anforderungen in den Gruppen bedingt, daß sich meist keine klaren Grenzen zwischen den Gruppen ziehen lassen. Es herrscht kein scharf gegliedertes Gruppengefüge, sondern eher ein verflochtenes Gruppenkontinuum. Deshalb müssen bei der Betrachtung jeder derartigen gruppengebundenen Umgangssprache die benachbarten Gruppensprachen mit berücksichtigt werden. Das Verhältnis der Gruppen zueinander hat Bedeutung sowohl für den Gebrauch als auch für die Untersuchungsmöglichkeit derartiger Sprachvarietäten. Der Sprachgebrauch angesehener Gruppen eignet sich zur Verwendung als Sprache für den Zwischengruppenverkehr. Der Geltungsbereich derartiger Sprachvarietäten geht damit über den der Kleingruppe (der Gruppe unmittelbaren persönlichen Kontakts und damit des Umgangs im engen Sinne) hinaus. Deshalb erscheint hier die Bezeichnung sekundäre Umgangssprache angebracht. Bei den Trägern derart „angesehener" Varietäten pflegt das Bewußtsein zu existieren, daß es eine absolute Richtigkeit in dieser Sprache gibt. Die betreffenden Umgangssprachen verfügen über eine „Idealnorm". Prototyp dafür ist die „Umgangssprache der Gebildeten", deren Idealnorm im Deutschen der Gegenwart noch weitgehend am Schriftgebrauch der schöngeistigen Literatur des 19. Jhs. orientiert ist. Andere Umgangssprachen sind dagegen so wenig „angesehen", daß deren Träger Außenstehenden gegenüber das Bewußtsein haben, ihr Sprachgebrauch sei falsch. Derartige Umgangssprachen existieren nur als „Gebrauchsnormen" (Beispiel dafür ist u. a. das auch als „Missingsch" bezeichnete Hamburger Hochdeutsch). 3.2.2. Die Problematik

der

Situationsbezogenheit

Als „situationsentlastete" Sprache ist die Umgangssprache stark abhängig vom Situationskontext. Das zeigt sich unmittelbar, wo Sprachzeichen syntaktisch auf außersprachliche Zeichen bezogen sind ( z . B . : Ich werde ihm ..., worauf eine entsprechende Geste folgt). Darüber hinaus ist es meist notwendig, den erweiterten sprachlichen Kontext, die unmittelbar beobachtbare Situation und auch den in der sprachtragenden Gruppe vorausgesetzten Wissenshintergrund, den „Horizont" (Brinkmann 1967) zu berücksichtigen. Teils im Zusammenhang damit sind bestimmte Situationen zu beachten, in denen der Sprachgebrauch variiert. Unter der Fülle von Situationen, die für den Sprachgebrauch von Bedeutung sein können, sind zwei hervorzuheben, die in der Literatur oft genannt werden: die des gesellschaftlichen und die des täglichen Umgangs. Die Sprache des gesell-

schaftlichen Umgangs höfischer Kreise ist im 18. Jh. zum Kriterium dafür geworden, was als neuhochdeutsche Gemeinsprache gelten soll. Deshalb beschränkt sich ihr Bestand im wesentlichen auf hoffähige Inhalte. Gegenstände des alltäglichen Umgangs, die als „niedrig" eingestuft wurden (wie die Bereiche der Arbeitswelt einschließlich der Küche) und gesellschaftlich tabuierte Bereiche (wie Sterben, Krankheit, Sexus) sind in der Gemeinsprache kaum repräsentiert. Sie finden teils nur in Umgangssprachen regionaler Gruppen ihren Niederschlag (vgl. die landschaftlich variierenden Berufsbezeichnungen Fleischer, Schlachter, Metzger u.a.). Während „Umgangssprache" im 19. Jh. weitgehend mit „gesellschaftliche Umgangssprache" gleichgesetzt wurde, wird neuerdings darunter eher „nicht gesellschaftsfähige, im Umgange übliche Sprache" verstanden. Sprachuntersuchungen auf der Grundlage dieser negativen Charakterisierung führen oft zur Sammlung heterogenen Materials (vgl. die Sammlungen von Küpper 1955-1967). 4. Umgangssprache Sprache

als areale Varietät

einer

Aus der Gruppen- und Situationsgebundenheit ergibt sich, daß es areal fixierbare umgangssprachliche Erscheinungen gibt. Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß die Mundarten systematisch gesehen den Umgangssprachen zugeordnet werden müssen. Im Bereich Mundartforschung ist der Terminus „Umgangssprache" allerdings nur für nicht-mundartliche Sprachformen gebräuchlich, wobei unter Mundart eine rein mündlich und weitgehend unbeeinflußt von anderweitigem Gebrauch überlieferte Sprachvarietät eines bäuerlichen Lebenskreises verstanden wird. Während bei Mundarten die Annahme eines einschichtigen und einheitlichen Sprachgebrauchs vielfach vertretbar erscheint, ist das bei anderen (ζ. B. städtischen) Umgangssprachen nicht möglich. Hier muß der spezielle Gruppenbezug jeweils berücksichtigt werden. In einigen Landschaften wie ζ. B. im sächsischen und im schwäbischen Raum haben sich überregionale Großgruppensprachen herausgebildet. Diese sind es, die im Rahmen der Mundartforschung speziell als Umgangssprachen angesprochen werden, da im dörflichen Untersuchungsbereich weithin die Tendenz zu beobachten ist, von der überkommenen Mundart zu derartigen Sprachformen überzugehen. Es handelt sich um Sprachvarietäten, die meist in Anlehnung an den Sprachgebrauch eines zentralen Ortes (z.B. Stuttgart) und mit mehr oder weniger starker Orientierung an der Schriftnorm entstanden sind. Träger sind im ländlichen Bereich zunächst vor allem solche Personenkreise, die mehr als der Durchschnitt mit der Schrift umgehen, stärkere

36. Umgangssprache überörtliche Verbindungen haben und im Rahmen eines Dorfes als „Honoratioren" erscheinen, weshalb beispielsweise das Wort „Honoratiorenschwäbisch" geprägt worden ist. Doch sind die Verhältnisse zwischen örtlichen Kleingruppensprachen, nicht so kleinräumig fixierten Großgruppensprachen und der Gemeinsprache in verschiedenen Landschaften nicht ganz analog aufgebaut. Die Konstruktion stufenweise sich vergrößernder Sprachkreise, wie sie Engel (1962) für den schwäbischen Raum ansetzt (Mundart, provinzielle Umgangssprache, württembergische Umgangssprache), ist nicht überall vorzufinden. Eichhoff (1977) stellt in einer auf städtischen Sprachgebrauch des deutschen Sprachraums gestützten Erhebung fest, daß sich die örtlich überwiegend gebräuchliche Umgangssprache von Norden nach Süden fortschreitend der Ortsmundart annähert. Das „Dialektniveau" variiert jedoch, wie Stellmacher (1977) nachweist, nicht nur regional, sondern auch am selben Ort. Im Untersuchungsort zeigen ältere Sprecher höheres Dialektniveau als jüngere, sozial niedriger indizierte Sprecher haben höheres Dialektniveau als sozial höher indizierte, Unterhaltungsgespräche weisen höheres Dialektniveau auf als Meinungsaustauschgespräche. 5. Diachronische

Aspekte von

Umgangssprachen

Aus zweierlei Gründen läßt sich der diachronische Aspekt bei der Betrachtung umgangssprachlicher Erscheinungen kaum eliminieren. Erstens sind die Gruppen unmittelbaren persönlichen Kontakts, also die Trägerkreise primärer Umgangssprachen, die grundlegenden Träger für die Uberlieferung eines Sprachgebrauchs überhaupt. In der Variationsbreite ihres Gebrauchs sind Entwicklungstendenzen jederzeit greifbar. Hier läßt sich auch das Wechselverhältnis zwischen der sprachlichen Gruppenführung (das kann ζ. B. der Vater einer Familie sein) und dem übrigen Gruppenbrauch ablesen. Zweitens liegt in den Zwischengruppenbeziehungen ein diachronischer Aspekt, der den Beteiligten durchaus bewußt ist: Es gibt Sprachgebrauch, der erstrebt wird (etwa im Bemühen um sozialen Aufstieg). Man benutzt andererseits bewußt Sprachneuerungen und greift ebenso bewußt gelegentlich auf Veraltetes zurück. Die Orientierung am Sprachgebrauch als vorbildlich geltender Gruppen hat stets auch eine gewichtige Rolle bei der Herausbildung von Standardsprachen gespielt,

383

und Verschiebungen im Gruppengetuge können sich auch in einem Wandel des Standards niederschlagen. 6. Bibliographie

(in Auswahl)

U . Bichel, Problem und Begriff der Umgangssprache in der germanistischen Forschung. Tübingen 1973. H . Brinkmann, Die Syntax der Rede. In: Sprache der Gegenwart 1. H g . v . H . Moser [u. a.], Düsseldorf 1967, 74-94. G.

Cordes, Zur Terminologie des Begriffs »Umgangssprache*. In: Festgabe für U . Pretzel, hg. v. W . Simon [u.a.], Berlin 1 9 6 3 , 3 3 8 - 3 5 4 .

J . Eichhoff, Wortatlas der deutschen Umgangssprachen 1. Bd. Bern und München 1977. U . Engel, Sprachkreise, Sprachschichten, Stilbereiche. In: Muttersprache 72. 1962, 2 9 8 - 3 0 7 . K . - H . Jäger, Untersuchungen zur Klassifikation gesprochener deutscher Standardsprache. München 1976. P. Kretschmer, Wortgeographie der hochdeutschen U m gangssprache. Göttingen 1918. H . Küpper, Wörterbuch der deutschen Umgangssprache. Bd. 1 - 5 , Hamburg 1955-1967. C h . Leska, Vergleichende Untersuchungen zur Syntax gesprochener und geschriebener Gegenwartssprache. In: P B B ( H ) 87. 1965, 4 2 / ^ t 5 4 . H . Moser, Umgangssprache. Überlegungen zu ihren Formen und zu ihrer Stellung im Sprachganzen. In: 2 M F 27. 1960, 215-232. I. Radtke, Die Umgangssprache. In: Muttersprache 83. 1973, 161-171. E . Riesel, Stilistik der deutschen Sprache. 2. Aufl. Moskau 1963. K. Scheel, Hamburger Missingsch. In: Festgabe für U . Pretzel, hg. v. W . Simon [u. a.J, Berlin 1963, 3 8 1 - 3 8 9 . A. Schirmer, Die deutsche Umgangssprache. Stand und Ziele ihrer Erforschung. In: G R M 9. 1921, 4 2 - 5 3 . H . Steger, Gesprochene Sprache. In: Sprache der Gegenwart 1. Hg. v. H . Moser [u.a.], Düsseldorf 1967, 2 5 9 - 2 9 1 . H . Steger, Gruppensprachen. Ein methodisches Problem inhaltsbezogener Sprachforschung. In: Z M F 31. 1964, 125-138. D . Stellmacher, Studien zur gesprochenen Sprache in Niedersachsen. Marburg 1977. W . Winter, Stil als linguistisches Problem. In: Sprache der Gegenwart 1. H g . v. H . Moser [ u . a . ] , Düsseldorf 1967, 219-235. L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen. In: L . Wittgenstein, Schriften Bd. 1. Frankfun 1960. H . Wunderlich, Unsere Umgangssprache in der Eigenart ihrer Satzfügung. Weimar und Berlin 1894. H . Zimmermann, Zu einer Typologie des spontanen Gesprächs. Studien zur baseldeutschen Umgangssprache. Bern 1965.

Ulf Bichel,

Kiel

IV. Soziale Aspekte

384

37. Sondersprachen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

1. Zum

Zum Begriffsumfang Die Sprachteilhaber Die Motivation zur sprachlichen Absonderung Aufbauprinzipien Das sprachliche Inventar Kommunikative Reichweite und Sprechsituation Zum Verhältnis von Sonder- und Gemeinsprache Sondersprachen in der Literatur Zur Methodik sondersprachlicher Forschung Bibliographie (in Auswahl)

Begriffsumfang

1.1. Die Begriffsgröße ,Sondersprachen' hat ausgrenzende Funktion und signalisiert sprachliche Sonderungen gegenüber einer variablen, modellhaft gefaßten ,Gemein-(Umgangs-)sprache'. Im Vergleich mit einem solchen, allen Sprachteilhabern z . B . als Ortsmundart, Regionalsprache, Standardsprache verfügbaren Sprachbesitz bezeichnet ,Sondersprache' einen differenzierenden Ausschnitt des gesamten Sprachpotentials. Bei dieser vergleichbaren Ausgangsbasis gibt es erhebliche Unterschiede im Gebrauch des Terminus, die sich auf zwei Grundlinien reduzieren lassen : (a),Sondersprachen' umfaßt alle Sprachformen, die von sozialen, sachlich-begrifflichen, geschlechts- und altersspezifischen Sonderungen herrühren, z . B . Standes-, Berufs- und Fachsprachen, gruppenspezifische Sprachen (Hirt 1909, 239; Schirmer 1913, 1; Stroh 1952, 334; Bausinger 1972, 124). (b) Gegenüber diesem umfassenden und ursprünglichen Beschreibungsansatz trennt man nach dem Kriterium der primären Leistung sachbezogene Fachsprachen (Ausbau der Sprache für ein von der Gemeinsprache nicht erfaßtes Teilgebiet) von sozialgebundenen Sondersprachen („Sicht einer Sondergemeinschaft", Stroh 1952, 335; „verhüllende, entfernende" Funktion, Porzig 1957, 247; „ o f t geringer zusätzlicher Informationsgehalt im Vergleich zur Alltagssprache", Badura 1971, 109). 1.2. Mit dem Ziel einer arbeitsfähigen Abgrenzung werden im folgenden Kunstsprachen (Esperanto, Volapük), schichtengebundene Sprachformen als der sog. Sprachbarrierenkomplex und die Fachsprachen ausgeschlossen. Die verbleibenden ,Sondersprachen' sind Sprachbesitz von Gruppen, die ebenso wie die arbeitsteiligen Fächer objektivierte Formen gesellschaftlicher Entwicklung darstellen. Die zunehmende Bedeutung des soziolinguistischen Teilgebiets ,Sondersprachen' leitet sich von der Einschlägigkeit der menschlichen Existenz in Gruppen ab, denen eine überschaubare Anzahl der Mitglieder und ein gemeinsamer Normenvorrat zu eigen sind (Koecher 1977, 2). Dabei kann die berufliche Tätigkeit, z . B . Arbeits-

gruppe von Hausierern, das auslösende Moment für eine „Gruppengeschichte" sein. Dementsprechend begegnet in den Definitionssätzen immer wieder der Zusammenhang zwischen fach- und sozialgebundenen Sprachformen. Bausinger hat auf die Verknüpfung der sachlichen Differenzierung mit einer sozialen hingewiesen (1972, 120f.); Stroh ordnet der Berufsgemeinschaft als Zwischengröße zwischen Standes- und Fachsprache die „Berufssprache" zu (1952, 335), Riesel führt hier den Terminus „Berufsjargonismen" ein (1970, 144). In seiner Gliederung der Vollsprache unterscheidet Moser ( 1 9 6 0 , 2 3 1 ) unter dem Titel „ G r u p pen- und Sonderformen" zwischen Fachsprachen (Berufssprachen: Handwerker, Jäger, Bauern usw.; Wissenschaftliche Fachsprachen: Fachwissenschaften, Technik) und Sondersprachen (erhöhte Sondersprachen: Religion, Dichtung, Politik; Standessprachen (Klassensprachen); Spiel und Sport; Jargon; verhüllende Sondersprachen: R o t welsch, Zigeunerisch.) Demgegenüber wird von Porzig die Sprache der Jäger und Seeleute den Sondersprachen, die der Fußballspieler, Ärzte und Juristen den Fachsprachen zugeschlagen. 1.3. Gliedernde Gesichtspunkte sucht man durch die Darlegung der Sprachfunktion, durch die Klärung des Verhältnisses zu gewinnen, „in dem Subjekt und Objekt, Sprachträger und Gegenstandswelt zueinander stehen" (Stroh 1952, 334). Bausinger (1972, 124) hebt nach den Funktionen (I) „Geheimhaltung", „Abschließung", (II) „Sachorientierung", „Deskription", (III) „Gruppenorientierung", „Integration" Geheimsprachen, Fachsprachen und Kontrasprachen ab. Geht man in einem ersten Ansatz (vgl. 1.1.b.) von einer Auffassung von Sondersprache aus, die einen begrenzten Personenkreis, einen besonderen Wortschatz, den Zweck der esoterischen mündlichen Kommunikation und ein besonderes Ausdrucksbedürfnis beinhaltet (Römer · 1968, 202), so ist im Einzelfall nach (a) den Sprachteilhabern, (b) der Motivation zur sprachlichen Absonderung, (c) den sprachlichen Aufbauprinzipien, (d) dem sprachlichen Inventar, (e) der kommunikativen Reichweite und Sprechsituation und (f) den Einflüssen auf die Gemeinsprache zu fragen. 2.

Sprachteilhaber

2.1. Die Ausbildung von Sondersprachen setzt eine Interaktionsgemeinschaft voraus, wobei von einem Wechselverhältnis von gruppeneigener Sprachentfaltung und sozialer Verfestigung auszugehen ist. Auf diese Weise entwickelt sich eine unterschiedliche Opposition zu anderen Gruppen, etwa auch zur Gesamtgesellschaft (geschlossene und offene Gruppen); der Grad der Absonderung bestimmt die sprachliche Solidarität („Sprache als

37. Sondersprachen Gruppenabzeichen", Bausinger 1972, 119). Die für geschlossene Gruppen charakteristische intensive Kommunikation führt über die eigene Sprachform zu internen funktions- und rollenspezifischen Sprachmitteln. Wichtig erscheint, ob der jeweilige Sprachteilhaber seine Ausdrucksmöglichkeiten ausschließlich aus einer Seinsgruppe bezieht (bestimmte kriminelle Subkulturen) oder an mehreren Gruppen partizipiert (Berufsgemeinschaften, Schüler). 2.2. Das Ausgeschlossensein vom „bürgerlichen Stadtleben oder ländlicher Seßhaftigkeit" (Wolf 1956, 11) des Mittelalters bedingte die weitverbreitete deutsche Sprachvariante des organisierten Gaunertums, das Rotwelsch. Es bildete sich das sprachliche Grundinventar für die Schinder, Prostituierten und Kunden. Durch die gleichzeitige Benennung von sozialer Existenz (lantfarer/betler) und Handlungsweise (da durch der mensch betrogen und uberfurt wirt) im Liber vagatorum, der einschlägigen Rotwelschquelle der frühen Neuzeit (1510), wird schon früh die von der modernen Soziologie angesprochene „self-fulfilling prophecy" berührt; hiernach bedeutet die gesellschaftliche Ächtung einen entscheidenden Anstoß für eine kriminelle Entwicklung der Gruppenmitglieder. In der Geschichte der deutschen Sondersprachen sind der 30jährige Krieg und die napoleonischen Kriege wichtige Rahmenereignisse, die bei den Landsknechten und später entlassenen Soldaten zur Bildung von Räuberbanden führten. Die Biographie des 1843 verhafteten Stromers Ferdinand Baumhauer, dem die Forschung die polizeilich veranlaßte Aufzeichnung von Stromergesprächen (Spangenberg 1970) verdankt, weist durchaus Züge (Scheidung der Eltern, Konflikte am Arbeitsplatz) auf, die auch den Mitgliedern heutiger Randgruppen zukommen, wenn eine „starke Verwahrlosungsautomatik" festgestellt wird (vgl. Christiana F. 1978). 2.3. Die Tarnung früherer krimineller Vaganten als ambulante Gewerbetreibende, ζ. B. Wandermusikanten, Hausierer, Korbmacher, Kesselflicker, verweist zugleich auf weitere Sprachteilhaber des Rotwelschen, das im alltäglichen Kontakt mit dem Jiddischen (Handelsjuden), Zigeunerischen und der jeweiligen Regionalsprache zahlreiche Differenzierungen erfahren hat. Als derartige lokal-gewerbebezogene Varianten lassen sich die sog. Krämersprachen wie das „Schlausmen" Sauerländischer Sensenhändler (Jütte 1978), das „Bargunsch" der Textilkaufleute aus dem Münsterland (Veldtrup 1974) und die „Frickhöfer Krämersprache" abheben, deren Sprecher wegen der kleinen Betriebsgrößen der Heimatorte Hausierer wurden (Hausierergemeinden). Im Gefolge der Landflucht wurden die Nachkommen der Fahrenden stadtansässig, ihre Sprache („Armeleutesprache") und ihre Tätigkeiten

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bestimmten das Ansehen mancher Stadtviertel, wie das „Jenische" in Gießen, das „Mattenenglisch" in Bern (Matte für die Wohngegend, Englisch für die Unverständlichkeit) und das „Masematten" in Münster (rotw.: ,Handel und Wandel'). Der heutige sekundäre Gebrauch durch das aus der Berner Altstadt kommende Dienstpersonal, die Bauhandwerker in Münster und durch Dirnen-, Zuhälter- und Kriminellenkreise in Gießen (Gossensprache; Lerch 1976, 138) belegt exemplarisch verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten, in Gestalt von Schichtsprache, Arbeitsjargon und (neuer) städtischer Randgruppensprache. Auch die Studentensprache, deren Konturen als „ausgebildete Kastensprache" (Kluge 1958, 102) verlorengegangen sind, wies rotwelsche Anteile auf. 2.4. Ein zentrales Rekrutierungsgebiet für Sondersprachen ist der verbindende gemeinsame Arbeitsplatz; mit sondersprachlichen Anteilen auf fachlichem Substrat werden soziale Grenzen innerhalb eines Tätigkeitsbereiches markiert, z . B . Bürogemeinschaft innerhalb eines Betriebes oder Taxifahrer warnen per Funk vor einer Radarkontrolle: „ F o t o l a d e n hat eröffnet." Derartige Berufsjargonismen lassen sich u.a. bei Künstlern, Hochschullehrern, Handwerkern und Journalisten ( z . B . Sportjournalisten) feststellen. Die verschiedenen Spielarten der Soldatensprache (im Gegensatz zur militärischen Fachsprache) gehören ebenso hierher wie Hauptteile der Prostituiertensprache. Die Hamburger Sondersprachform der Hafenarbeiter, die, .Ketelkloppersprache" ist zum Zugehörigkeitsindiz für den „ K i e z " geworden. Die institutionsspezifischen Sprachfolgen einer akademischen Gruppenbildung hat Steger (1964) aufgezeigt. Schließlich ist unter dem Gesichtspunkt des gemeinsamen Arbeitsplatzes die Zwangsgemeinschaft in den Justizvollzugsanstalten zu nennen, in denen ein sog. Knastalphabet gesprochen wird. 2.5. Porzig (1957, 249) sieht die Sprache der Erotik heute nicht durch eine Sondergemeinschaft, sondern durch das Sachgebiet konstituiert, vermutet aber eine abgeschwächte Spiegelung des alten Männerbundes. Als zeitgenössische Institutionen auf diesem Gebiet sind die organisierten sexuellen Minderheiten zu nennen. Die Sprache im Bereich der Politik ist zunehmend als ein komplexes Funktionsgefüge erkannt worden, den Willen zur Absonderung glaubt Dieckmann als motivgebenden Faktor für die Sprache der Politik als Ganzes ausscheiden zu können (1969, 54), sondersprachliche Assoziationen gehen seiner Meinung nach auf mangelnde Kenntnis der institutionellen Vorgänge zurück. Gegenwärtig gibt es verstärkte Bemühungen, namentlich der Sprache der Bürokratie ihren sondersprachlichen, d . h . verschließenden Charakter zu

386

IV. Soziale

Aspekte

n e h m e n . A n s ä t z e zu G e h e i m s p r a c h e n finden sich im politischen W i d e r s t a n d (das B e r n e r M a t t e n englisch w a r im 2 . W e l t k r i e g G e h e i m c o d e der Alliierten) und in Gefangenenlagern. D i e Herausbildung von neuen politischen G r u p p i e r u n g e n , ζ . B . der „ N e u e n L i n k e n " , ist in hervorragender W e i s e an die Identifizierungsfunktion von Sprache g e k n ü p f t , zugleich wird bei einer b e s t i m m t e n Stabilität der isolierenden F u n k t i o n entgegengearbeitet. A u c h Sekten sichern das W i r B e w u ß t s e i n nicht zuletzt durch eine eigene Sprache. 2 . 6 . E i n e Gesellschaft mit einem entwickelten Freizeitbegriff bietet n e b e n den berührten beruflichen A n s t ö ß e n auch die G e l e g e n h e i t , durch einen besonderen Stil des Freizeitverhaltens die A b grenzung gegenüber der d o m i n a n t e n K u l t u r zu demonstrieren ( S c h e u c h , 2 5 ) . D i e Sprache von Schülern und J u g e n d l i c h e n im V e r b u n d mit bes t i m m t e n Kleidungs- und H a a r t r a c h t m o d e n rechnet dazu e b e n s o wie die T e i l n a h m e an der D r o g e n und A l k o h o l s z e n e , w e n n man von dem k o m m e r ziellen H i n t e r g u n d absieht. Als gesellschaftliche A n t i g r u p p e haben sich die R o c k e r profiliert (vgl. die G r u p p e n a b z e i c h e n Lederkleidung und M o t o r radfahren), o h n e d a ß ihre Sprache näher untersucht ist; P r o z e ß b e r i c h t e und V e r h ö r p r o t o k o l l e lassen auf die A u s w e i s f u n k t i o n der Sprache schließen. 3. Die Motivation

zur sprachlichen

Absonderung

3 . 1 . D e r von S c h i r m e r stammende H i n w e i s , daß die Beschäftigung mit den Sondersprachen b e s o n ders dazu beitragen k ö n n e , die „seelischen V o r gänge bei der B e n e n n u n g der A u ß e n w e l t aufzuh e l l e n " ( 1 9 1 3 , 2 f . ) , ist in der F o l g e z e i t vertieft w o r d e n . Als entscheidende A n s t ö ß e haben dabei die R e d u z i e r u n g des gesellschaftlichen K o n t a k t e s und die gruppenspezifische Sicht der U m w e l t zu gelten, in beiden Fällen trägt die Sprache w e s e n t lich zur B i n d u n g an die G r u p p e , zu einer „ W i r und die anderen M e n t a l i t ä t " bei; die B e a c h t u n g der sprachlichen G r u p p e n n o r m sichert gleichzeitig die soziale Identität des einzelnen Mitglieds. D i e „ G e m e i n s a m k e i t besonderer L e b e n s b e d i n g u n g e n " ( P o r z i g 1957, 2 1 8 ) b e w i r k t j e nach G r u p penaktivität und gesellschaftlicher Integration den Willen z u r V e r h ü l l u n g d e r I n f o r m a t i o n e n ( z . B . kriminelle S u b k u l t u r e n , H a u s i e r e r in anderssprachiger U m g e b u n g ) o d e r eine A r t psychischer D i s t a n z (ζ. B . Berufsgemeinschaften innerhalb eines F a c h e s ) . B e i der Soldatensprache spielen zwei M o t i v e eine R o l l e , z u m einen die selbstschützende D i s t a n zierung von der N ä h e des T o d e s , z u m anderen das G e f ü h l der Isolierung, des N i c h t i n f o r m i e r t s e i n s ( L o o s e 1947, 2 8 0 ) . Badura führt (a) die physische U m g e b u n g , ( b ) den historisch-kulturellen und (c)

den zeitgenössisch-sozialen Z u s a m m e n h a n g von Aktivitäten, I n t e r a k t i o n e n , N o r m e n und Interessen als F a k t o r e n für die A u s b i l d u n g gruppenspezifischen W o r t s c h a t z e s an ( 1 9 7 1 , 105). D a z u k ö n nen k o m m u n i k a t i o n s ö k o n o m i s c h e G r ü n d e , also solche der R e d u z i e r u n g der R e d u n d a n z der A l l tagssprache, treten (vgl. B a d u r a 1971, 108). 3 . 2 . D i e in der Sprache der Schüler und J u g e n d lichen eigenen M o t i v e werden unterschiedlich bewertet. Bausinger rechnet b e s t i m m t e S p r a c h f o r m e n , so die sog. b - S p r a c h e ( 4 . 2 . ) z u den K o n t r a sprachen ( 1 . 3 . ) , die durch „ W e r t a u f f a s s u n g e n und V e r h a l t e n s n o r m e n gegen die sonst allgemein in der Gesellschaft anerkannte O r d n u n g " charakterisiert seien ( 1 9 7 2 , 124). Riesel sieht hier ( 1 9 7 0 , 1 3 7 f f . ) einmal die „ n a t ü r l i c h e Eigenart j u n g e r M e n s c h e n , sich emotional-expressiv, - bildhaft und bildlich, superlativisch und h y p e r b o l i s c h , s c h e r z h a f t , s p ö t tisch, parodistisch - , auszudrücken (gesunder J u g e n d s l a n g ) " , z u m anderen die Ausflüsse einer m o ralischen und ideologischen G e f ä h r d u n g ( „ U b e r spitzung des J u g e n d s l a n g s " ) . 3 . 3 . Als ein die G r u p p e n s p r a c h e expandierendes M o t i v kann der Prestigecharakter eines G r u p penjargons gelten. D a s führt d a z u , d a ß A u ß e n stehende diesen aufgreifen. D u r c h die gesamtgesellschaftliche Adaption von gruppeneigenen S p r a c h f o r m e n entsteht der Z w a n g zur N e u s c h ö p fung. D i e sprachliche A b n u t z u n g zahlreicher affektisch begründeter N e u b i l d u n g e n im G r u p p e n verbund hat den gleichen E f f e k t . 4.

Aufoauprinzipien

4.1. So verschieden die Motivationen zur sprachlichen Absonderung auch erscheinen, die dadurch ausgelösten Anweisungen sind im Hinblick auf die gängige Gemeinsprache (1.1.) vor allem als Vermeidungsregeln zu erklären: „Sie lernten, veränderten und verbesserten bey solchen Zusammenkünfften ihre Platten- oder Spitzbubenspracbe. Sie hätten es dahin zu bringen getrachtet, daß kein deutsch-lautendes Wort mehr unter ihrer Sprache seyn mögte" (Verhörprotokoll 1745; Kluge 1901, 225). 4.2. Die sprachlichen Vermeidungsregeln im Gesamtkonzept einer „defense sociale" beziehen sich seit alters her, keineswegs auf das Deutsche beschränkt, auf die Morphokombinatorik der Gemeinsprache. Weitverbreitet ist die Praxis, Laute zu vertauschen und einzufügen, um so die Sprachform zu verfremden. Kluge (1901, 143 f.) überliefert aus dem Jahr 1620 folgende Gebrauchsanweisungen: „So ein Wort furkommet, das nur eine sylben bat keret man es nur umb. Als wann ich sagen solte: Ich muß zum Tisch nauf, sagte ich dafür: Chi sum muz schitfaun. Wann sich ein Wort anfahet auff einen consonantem, und darauff ein vocalis oder diphthongus folget, nach diesem wider ein consonans, so setzet man einen consonanten fur den andern. Als fur: Peter sag ich: Teper." usw. Bereits für die erste Hälfte des 15. Jh. ist die sog. bSprache für St. Gallen belegt (Abavebe Mabaribiaba für ,Ave Maria'), für das 16. Jh. wird sie für die Basier Schuljugend bezeugt. Im 19. Jh. schufen sich die Metzger des Pariser Quartiers La Vilette eine Geheimsprache, indem sie den Anlautkonsonanten verschoben und durch I ersetzten: quarante >

37. Sondersprachen larante-que. Jugendliche üben sich in dera-, aw-, e - , i - , o - , uund ududefu-Sprache, indem sie vor und/oder hinter jeder Silbe, jedem W o n jeweils denselben Vokal oder dieselbe Lautgruppe einfügen. Beispiele für die a-Sprache, vor jedes Wort wird ein α gesetzt: awenn adu amit amir agehn awilht (.wenn du mit mir gehn willst'). Die Ketelkloppersprache (2.4.) oder i-Sprache basiert auf dem Plattdeutschen; hier werden die anlautenden Konsonanten einer Silbe an deren Ende gesetzt und ein i angehängt: oji (,ja*), tenkli (,Kleen'), iziagietrieti (»Zigarette'). Beispiele für die ududefu-Sprache: ududefu (,du'), einklcindefein (.klein'). 4.3. Zu den Aufbauprinzipien der Sondersprachen gehört es, einige Flexions- und Wortbildungsmuster herauszugreifen und zu favorisieren (homogenisierender Effekt); man vgl. in der Gaunersprache: Blech ling (»Kreuzer'), Flößling (,Fisch'), Griffling (»Hand'), Lauschling (,Ohr'), Rundling (,Kartoffel'), Scheinling (»Auge'), Süßling (,Zucker'), Trittimg (,Schuh'); Glathart (.Tisch'), Grünhart (, Wiese'), Hartrieh (»Messer'), Senfftrich (,Bett'). Im Barguinsch: Gdppert (,Mund\ vgl. nd. gapen), Glimmert (,Zigarre'), Knackert (,Zucker 4 ), Trabbert (,Pferd'). In der Studentensprache: Esels, Flegels; gemorken (,gemerkt'), geprollen (,geprellt'), geschunken ( . g e s c h e n k t a n p u m p i g e n (.anpumpen'), berappigen (»berappen'); studentikos, burschikos. Lerchs Untersuchungen zum Jenischen belegen, daß die „zur Funktion erforderlichen Regeln" der umgebenden Gemeinsprache entnommen sind, in ähnlicher Weise gliedert Spangenberg den Sprachbesitz Baumhauers (2.2.) in einen rotwelschen Kernwortschatz und einen nicht rotwelschen Kontext mit Anteilen aus heimischer Mundart und Umgangssprache. Dabei bewirkt der sprachliche Kontakt auch neue Wortproduktionen, vgl. zig.: bickem (.kaufen'), jenisch: verbickern (.verkaufen'); derselbe sprachliche Kontakt kann zur Unsicherheit im Genusgebrauch führen, zig.: bussno m (.Ziege'), jenisch: die bussno (Lerch 156). 4.4. Analog zur Fachsprachenanalyse weisen die Forschungsresultate vorrangig den Sonderwortschatz aus, so daß sich die Gleichung Sondersprache = Sonderwortschatz anbietet (Porzig 1957, 247). Jüngere Untersuchungen von Sondersprachen deuten darauf hin, daß sich Sonderungen über den Wortschatz hinaus auf das gesamte sprachliche Zeichensystem erstrecken (Steger 1964, 131). Die erwähnte Reduktion der Alitagssprache aus sprachökonomischen Gründen (3.1.) führt zu gruppenspezifischen ,,restringierten" Codes; dafür ist die Produktivität einiger Wortbildungsmuster (4.3.) ein Beispiel. Ähnlich wie in den Wortschätzen der arbeitsteiligen Fächer begegnen in dem jeweiligen Gruppenwortschatz begrifflich gesicherte Inhaltsversparungen, da das Gruppenwon aufgrund gemeinsamer Vorerfahrungen stellvertretend für einen komplexen Sachverhalt stehen kann (Koecher, 130). 4.5. Die sprachlichen Vermeidungsregeln beziehen sich auf das gängige Bedeutungsgefüge, sie bewirken eine bewußte Umordnung des gemeinsprachlichen Bezeichnungsfeldes: ,,Die extremsten, preziösesten mit Pathos geladenen häufig archaischen Wörter der Felder werden auf die gewöhnlichen Positionen angewendet" (Steger 1964, 133). Beispiele in der Jugendsprache: ich reite vom Hof (,ich verlasse die Wohnung'), das schockt sich (,das ist interessant'), ich denk, mein Hamster strickt (,ich bin überrascht'); im Knastjargon: Zuchthauspralinen (.Frikadellen'). Wichtigstes Mittel zum Aufbau des Gruppen Wortschatzes ist die Metapher, vgl. Bilgenkrebse, »Maschinenpersonal bei der Marine', aus dem Ruder laufen .undiszipliniert sein' (Soldatensprache); Container .großes Geschenpaket', Drehscheibe .Landeskrankenhaus', Schwalbe .herausgeschmuggelte schriftliche Mittei-

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lung' (Häftlingsjargon); einen Flachmann bauen ,tödliche Drogenmenge', Ameisen ,Kleindealer', Müll .gepanschtes Rauschgift' (Drogenszene); heiß umdekorieren »Versicherungsbetrug durch Brandstiftung' (Kriminellenjargon); unter Strom setzen »jemanden alkoholisieren', einen Fließbach machen .eine Flasche an den Mund setzen und Inhalt steil abfließen lassen' (Alkoholikerjargon). Der bewußte Gebrauch von fremdsprachlichen Anteilen sichert ebenfalls die sprachliche Distanz, dies erklärt, daß sich zahlreiche rotwelsche und zigeunerische Anteile bis in die gegenwärtigen Sondersprachen erhalten haben, wobei eine gewisse Freude am Fremdartigen dazukommt, vgl.: Achille ,Essen', Hacho .unbeliebter Vollzugsbeamter', Schore ,Ware' (Häftlingsjargon); Bigge ,Brot' (Hamburger Unterwelt); Tussi ,Frau' (Jugendjargon). Bei scheinbar identischem Wortschatz in Sonder- und umgebender Gemeinsprache ist auf unterschiedliche Gebrauchsfrequenzen und emotive Gehalte zu achten. 4.6. Ein hervorragendes Mittel, eine „soziologische Intimgemeinschaft" (Spangenberg, 29) zu organisieren, sind die Personennamen. Aus dem von Baumhauer (2.2.) übergebenen Material lassen sich nach Spangenberg folgende Typen einer Stromergemeinschaft abheben: (I) Amtliche Bezeichnungen, (II) Amtliche Namen mit Herkunfts- oder charakterisierenden Erweiterungen (der Koppenhagener Bock), (III) Herkunftsbezeichnung und Erweiterungen (der lahme Magdeburger), (IV) Berufs- und Standesbezeichnungen (der Schieferdecker), (V) Spitznamen (Langnase). Diese Organisationstechnik ist auch für heutige Gruppen belegbar, so für die Stammgäste eines Lokals: Blumen-Paul, Export-Inge, Karin Jägermeister, Korn-Uschi, Ochse (großes Trinkvermögen), in der Drogenszene um den Berliner Bahnhof Zoo tauchen Linker Manne, Püppi und Stotter Max auf (Christiane F. 1978). 4.7. Ein besonderer Fall gruppeneigener Symbolökonomie sind die sog. Zinken, sie sicherten die indirekte Kommunikation der Fahrenden; die ältesten Belege aus dem 16. Jh. ähnelten den Steinmetz- und Hauszeichen, in der Folgezeit entwickelten sie sich zur Bilderschrift: „Damit war eine Art allgemeiner Postdienst für alle Fahrenden eingerichtet: die Nachrichten konnten .postlagernd' an den am Weg liegenden Stationen eingesehen werden . . . " (Puchner 22f.). Einige Zinken sind heute noch bei Landstreichern gebräuchlich. Beispiel: t .fromm tun', o o o ,man bekommt Geld'. In diesen Zusammenhang nichtverbaler Elemente gehören schließlich die in einigen Gruppen verabredeten Rauchsignale (verschiedene Positionen brennender Zigaretten in der Hand) und die besondere Nutzung der Körpersprache. 4.8. Im Bereich der Syntax ist die Frage nach der abweichenden Produktivität einzelner Verknüpfungsmuster noch nicht zu beantworten. Lerch (154 f.) weist auf die Benutzung weniger Zeitstufen im Jenischen hin und hebt den häufigen - situationsspezifischen - Gebrauch des Imperativs als Druck- bzw. Drohmittel hervor. Hier kann eine situationsbezogene Analyse mit dem Ziel einer gruppenspezifischen Handlungstypik weiterführen.

5. Das sprachliche

Inventar

5.1. Semasiologisch betrachtet erschließen die für einzelne Gruppen gesicherten Wortschätze die einschlägigen Wirklichkeitsausschnitte. So stellt Lerch (146) für das Jenische eine vorwiegende Orientierung ,,an konkreten Sachverhalten des menschlichen Daseins" fest, zu denen körperliche

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IV. Soziale Aspekte

Bedürfnisse, Kontakte mit den Behörden und das jeweilige Gewerbe rechnen. Demgegenüber besteht in Abhängigkeit von der Existenz der Fahrenden eine geringe Ausprägung der historischen und besitzenden Dimension. 5.2. Die Dokumentation des sprachlichen Inventars erfolgte vorrangig in historisch orientierten Wortschatzsammlungen. Dabei sind Tradition und Filiation des Rotwelschen besonders gut belegt. Durchgängige Beobachtungen beziehen sich auf den Synonymreichtum; er gründet in der „Freude des Spieles mit dem Wort" (Loose 1947, 286), zugleich aber in der starken Beteiligung des Affektes, ζ. B. Etappenschwein (,hinter der Front stationierter Soldat'). Die durch „grobe Stilfärbung" gekennzeichneten Berufsjargonismen weist Riesel den Vulgarismen zu (1970, 145). Die emotional aufgeladenen Jargonwörter können einzelne Stimmungen akzentuieren und erhalten erst im Sprachvollzug ihre vollen Konturen (Dankert 1969, 29). Umrisse einer Gesamtgrammatik werden in jüngeren Darstellungen (Jütte, Lerch, Spangenberg, Veldtrup) erreicht. Dort finden sich Hinweise zur Auffüllung einzelner Wortklassen, nachdem schon Bertsch (1938, 18) für die Gaunersprache eine Armut an Verben und Adjektiven gegenüber den Substantiven ermittelt hatte. 6. Kommunikative situation

Reichweite

und Sprech-

6.1. Der hier berührte Aspekt der institutionseigenen Kommunikation ist kaum ergründet. Dies liegt an der bislang vorherrschenden Art des wissenschaftlichen Zugriffs (Interview, Beobachtungen in Ausnahmesituationen, z . B . bei Verhören), die zwar zur Konturierung der jeweiligen Gruppe (als Abweichung vom Allgemeinstandard) führen kann, aber deren Handlungs- und Rollengefüge kaum aufschließt. Der Charakter der geschlossenen Gruppe erlaubt letzten Endes nur einem Gruppenmitglied die Einsicht in die arbeitsteilige Kommunikation; dies ist zugleich der Grund dafür, daß in unterschiedlichen Gruppen gleiche allgemeinsprachliche Formen mit abweichender Bedeutung begegnen (vgl. Abstecher in der Gaunersprache: .Instrument zum öffnen von Vorhängeschlössern', in der Sexualsprache: ,Messersadist'; keilen in der Gaunersprache:,schlagen', .prügeln', in der Sexualsprache: .flageliieren', in der Studentensprache: Jemanden für eine Verbindung gewinnen', in der Schülersprache: ,angestrengt lernen'). Der Eindruck der Synonymik für scheinbar einheitliche Bereiche ist abzuschwächen, Loose (1947, 279) hat diese Scheinsynonymik im Bereich der Soldatensprache auf den geringen Austausch zwischen den verschiedenen Einheiten und Waffengattungen zurückgeführt, deren besondere Existenzformen einen scharf begrenzten sprachli-

chen Wirkungshorizont bedingten. Für die Studentensprache als Ausdruck eines in „feste Gesetze" gebrachten Lebens (Götze 1928, 2) sind Komment und Kommersbuch regelnde Instanz. 6.2. Gegenüber einer kriminologischen oder philologischen Analyse geben Berichte einzelner Gruppenmitglieder unmittelbaren Aufschluß. Baumhauers Stromergespräche (2.2.) verdeutlichen die markanten Gesprächssituationen (auf der Landstraße, in der Penne, in der Wirtschaft) ebenso wie die Aufzeichnungen der Christiane F. (in der Diskothek, auf dem „Babystrich"). Für das Schlausmen waren die Bahnfahrt (Anwesenheit gruppenexterner Fahrgäste), das Wirtshaus in der Fremde und die Gegenwart von Obrigkeitspersonen typische Anlässe. 7. Zum Verhältnis von Sonder- und

Gemeinsprache

7.1. Der vorhandene Kontakt wird wechselseitig genutzt (4.3.); wesentliches Motiv für die sondersprachliche Analyse war seit jeher die Beobachtung der Übernahme in die Allgemeinsprache (Möhn 1968, 315f.), z . B . Blindgänger (,Versager') aus der Soldatensprache, Brandbrief, Bude, büffeln aus der Studentensprache. Die gruppeneigenen Sprachen, Zentren des Bedeutungswandels, enthalten zahlreiche „Anwärter" (von Wartburg 1930, 384) auf eine gemeinsprachliche Position, deren Einnahme vom Einfluß des Gruppenvorbildes und vom Bedürfnis der Gesamtgesellschaft abhängt. Aufgrund des Nachahmungseffektes konnte ein Wörterbuch der Burschensprache teilweise zugleich ein „Idiotikon der hallischen Bürgersprache" genannt werden (Burdach 1894, 4). 7.2. In der Gemeinsprache sind bei der Ubernahmeprozedur einzelne Ebenen zu unterscheiden, insbesondere wurde die literarisch-umgangssprachliche und saloppe Alltagsrede als Aufnahmemedium herausgehoben (Riesel 1970, 149), für die Sportsprache verdeutlichte Dankert (1969,30) den dichten Kontakt zwischen Fach- und Allgemeinjargon. Lerch benennt als Kontaktstellen für die bürgerliche Einvernahme des Jenischen die Nachbarschaft, Schulen und Arbeitsplätze; ein Bekanntwerden des Gruppeninventars löste neue Vermeidungsregeln bei den Originalsprechern aus (3.3.). Mittlerfunktion kommt auch den gruppensprachlichen Anteilen in den Massenmedien (Jugendzeitschriften, Film) zu. 8. Sondersprachen

in der

Literatur

8.1. Sieht man von der Instruktionsliteratur für Gruppenneulinge (z.B. Kleins „grundtliche und rechte Unterweisung" für Landsknechte, 1598) und der Aufklärungsliteratur für Außenstehende (z.B. ein von dem Central-Evidenz-Bureau der Wiener Polizei 1853 erstelltes Verzeichnis der

37. Sondersprachen Diebssprache) ab, vermag auch eine literarische Verwendung im engeren Sinne Aufschluß über den Anteil am Kommunikationsaufkommen der jeweiligen Zeit zu geben. Kluge belegt die, teilweise im Dienst der Sprachreinigung erfolgte, Verarbeitung des Rotwelschen im 16. und 17. Jh. (Moscherosch, Wencel Scherffer); daß auch Autoren aus der Universitätssphäre Rotwelsch einbrachten, lag an dem engen Kontakt von Studenten und Fahrenden während der Wanderzeit (Kleinschmidt 1975, 222). 8.2. Die Literarisierung der Sondersprachen ist noch ein Forschungsdesiderat. Vorläufig lassen sich zwei Gebrauchsformen abheben; zum einen die autobiographische Erzählung von Gruppenmitgliedern, in der Spanne von bewußter Überformung (Heines „Harzreise") bis zur Dokumentarliteratur (verschriftlichte Tonbandprotokolle: Fichte; Christiane F.), zum andern die gezielte Kennzeichnung sozialer Teilwelten (ζ. B. Falladas „ W e r einmal aus dem Blechnapf frißt" oder Plenzdorfs „ D i e neuen Leiden des jungen W . " ) . 9. Zur Methodik

sondersprachlicher

Forschung

9.1. Eine umfassende Analysenmethode für das sondersprachliche Verhalten ist noch nicht erarbeitet, insbesondere werden die „Vorbedingungen des sprachlichen Materials" (Dankert 1969, 9) zuwenig einbezogen. Einen Fortschritt bedeuten Darstellungen, die das durch Interviews gewonnene Material nach Anwendungsgebieten gliedern und somit die „in der Umgangssprache nicht vorhandene Differenzierung bestimmter Bedeutungsbereiche und Bedeutungsfelder" (Luckmann 1969, 1072) verdeutlichen. Der Thesaurus zur Sexualsprache (Bornemann 1971) folgt einer Sachsystematik von 82 Kategorien; dabei heben sich für das Vokabular des Sadomasochismus einzelne Geheimgruppen, etwa die rituellen Zusammenschlüsse der Diabolisten, ab. In seiner U n tersuchung zur Sprache einer akademischen G r u p pe konnte Steger (1964) zeigen, daß die Sonderungen über die wissenschaftliche Tätigkeit hinaus die gemeinsame Mahlzeit, Geselligkeit und sonstige Lebensgewohnheiten einbeziehen. 9.2. Die in der Sondersprachendefinition (1.1 .b.) angelegte Aussage der Symboldifferenz gegenüber der jeweiligen Gemeinsprache wirft die methodische Frage nach einer Situationstypologie auf, die den Vergleich gruppeninternen und -externen Sprachverhaltens gestattet (Koecher, 70). Diese grundsätzliche Forderung wird nur selten einzulösen sein, in jedem Fall sollte über die Auflistung in Vokabularien und Verknüpfungsregeln hinaus die Darstellung spezifischer Handlungskonstellationen erstrebt werden; bei der Rekonstruktion kann die Dokumentarliteratur (8.2.) hilfreich sein.

389

Schließlich darf die Schriftlichkeit nicht ausgespart bleiben; Angehörige sondersprachlicher Zirkel nutzen auch diese Form der Kommunikation (Zinken, Kassiber).

10. Bibliographie

(in

Auswahl)

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390

IV. Soziale

Aspekte

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38. Fachsprachen

mehr an typische Handlungs- und Sichtweisen sowie formale Positionen gebunden, so daß über einen Gegenstand in verschiedenen Situationen einmal fachsprachlich, einmal umgangssprachlich (gemeinsprachlich) kommuniziert werden kann. Beispiele hierfür sind das Phänomen einer modernen fachübergreifenden Technikersprache (keine Bindung an spezielle Fachinhalte), vereinheitlichte Terminologie vom Labor bis zum Verkauf (keine Bindung an Personengruppen) und das Gespräch des Anwalts mit dem Klienten und vor Gericht (verschiedener Sprachtyp bei gleichem Thema). Unverständlichkeit der Bedeutung vieler Fachwörter und Exklusivität der Benutzung jeweils gegenüber der Gemeinsprache sind also keine konstitutiven Merkmale der Fachsprachen. Entsprechend ist die Gleichsetzung von Fachsprache und Fachwortschatz unbefriedigend, selbst bei Hinzunahme einiger grammatischer Eigenschaften als in charakteristischem Umfang aus der Gemeinsprache entnommene. Zudem ist offenbar, daß aus einem schichtungsindifferenten Blickwinkel vieler Grammatiken heraus typisch fachsprachliche Eigenheiten fälschlich der Gemeinsprache zugerechnet werden (Hoffmann 1976). Die Beschreibung von Fachsprachen kann dagegen entsprechend dem metasprachlichen Ziel auf vielen Ebenen vorgenommen werden:

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Definitionen und allgemeine Eigenschaften Pragmatischer Rahmen Schichtung Historische Fachsprache Formale Kennzeichen Fachsprache und Gemeinsprache Bibliographie (in Auswahl)

1. Definitionen und allgemeine

Eigenschaften

Fachsprachen dienen in erster Linie der Kommunikation innerhalb von im weitesten Sinne technisch und wissenschaftlich orientierten Handlungs- und Arbeitssystemen. Häufig wird hierfür auch der etwas speziellere Terminus Berufssprachen' verwendet. Neben typischen Fachsprachen wie denen der Technik (ζ. B. Automobilbau, Datenverarbeitung) und Wissenschaften ( z . B . Medizin, Linguistik) gelten als Fachsprachen auch die der Verwaltung, der Diplomatie oder die sportlichen Regelsprachen. Entsprechend den Kommunikationsanlässen ist eine schnelle, möglichst ökonomische und eindeutige Informationsübertragung innerhalb eines Faches, fachübergreifend und nach außen beabsichtigt. Oft tritt das Interesse in den Vordergrund, einen Vorgang dokumentierbar zu machen. In der fachlichen Kommunikation kann häufig auf explizit dialogische Sprachhaltung verzichtet werden, da meist ein Partnerverhältnis l : m e h r gegeben ist, bzw. die Kommunikationspartner nicht bekannt sein müssen. Als Folge des vorwiegend zweckhaften Handlungstyps ist außerdem charakteristisch die Tendenz zur Explizitheit, Formalisierung und mehr oder weniger starken Standardisierung bzw. Normierung des Ausdrucks. Alle diese Eigenschaften verbinden die Fachsprache in vielen Situationen mit der Schriftlichkeit der Kommunikation. Als funktionelle Sprachen (Drozd 1966) sind sie weniger an typische Inhalte oder Personen (-gruppen) als viel-

Dieter Möhn,

Hamburg

- extern, durch Nennung von Fachtexten - referentiell, durch Angabe eines Sachgebiets - sprachlich, durch Besonderheiten oder nur eine typische Distribution in der Lexik Syntax Textstruktur - kommunikativ, durch Kennzeichnung von Sprechern oder Sprechergruppen sowie Kommunikationssituationen - handlungstheoretisch, durch Aufzählung von Problemstellungen oder Typen von Problemlösungsstrategien

Diese Charakterisierungen stellen zugleich in groben Zügen die Stadien der Erforschung von Fachsprachen dar.

38. Fachsprachen In der Praxis der Terminologiearbeit, N o r mung, praktischen Stilkritik oder Textinterpretation werden die weiter oben stehenden Beschreibungsansätze oft als nützlicher angesehen, obwohl es sich hier nicht um notwendige Oberflächenmerkmale handelt. Andererseits ist bei den zuletzt genannten stark theoretisch interessierten Ansätzen die Umsetzung in Textentscheidungen oft problematisch. 2. Pragmatischer

Rahmen

Da hier sowie konkret dann zu den Sprechakten ( s . u . ) nur allererste sondierende Arbeiten vorliegen, greift die folgende Reihung von allgemeinen Kennzeichnungen noch zu weit und muß in Zukunft weiter spezifiziert werden. Die Durchführung einer fachsprachlichen Sprechhandlung ist gebunden an die Legitimation, ein .Funktionär' im fachlichen Arbeitszusammenhang zu sein. Die Agenten fachsprachlicher Handlungen sind daher auch nicht als individuelle Personen oder als Personen mit je bestimmten Beziehungen zu Individuen angebbar, ihre Zahl ist nicht wesentlich für die erfolgreiche Durchführbarkeit. Es ist in der Regel auch kein Mißverständnis möglich, ob etwa die faktische Sprechhandlung nicht die intendierte ist. Die Sprechhandlung wird eingesetzt, wenn ein operational definierbarer Plan dadurch initiiert werden muß ( z . B . Einsteigen bitte! Zurückbleiben bitte!) oder nur durch ihn fortsetzbar ist (ζ. B . Durchfahrtbefehl im Zugverkehr, Informationsfragen). Diese Situationen können antizipiert werden bei dem Erwerb oder der Erarbeitung von technischem oder wissenschaftlichem Wissen (Lehrbuch, Anfertigung von Stücklisten, Experimentbeschreibung, Theorieformulierung). Die Konsequenzen der Handlung sind die Fortführung eines operationalen Plans, Aussagen über seine mögliche Durchführbarkeit etc. Konkretisiert auf Sprechakte kommen demzufolge vorwiegend solche in Frage, die - keinen individuellen Sprecher voraussetzen, - keine unmittelbare Konsequenzen auf das persönliche Verhältnis der Agenten zueinander haben, - operational Handlungen fordern oder voraussetzen. Diese Sprechakte dürften vor allem unter folgenden Typen zu finden sein (Wunderlich 1976): Direkter T y p ; erotetischer T y p ; repräsentativer T y p ; deklarationaler Typ. Entsprechend den konstitutiven Bedingungen von fachsprachlichen Sprechakten sind dann nur die folgenden Sequenzen von Äußerungen möglich: (a)-(b) fachsprachlich und (c)-(d) gemeinsprachlich, nicht dagegen (a)-(d) bzw. (c)-(b): (a) Eine arithmetische Anweisung in FORTRAN ist keine Gleichung im mathematischen Sinne.

(b) Das wußte ich allerdings noch nicht! (c) Du, ich komm' heute 'mal zum Kaffee (d) Das ist ja toll! J.

391

vorbei.

Schichtung

Der bisher entworfene T y p ,Fachsprache' kommt in der Praxis in den verschiedensten Formen vor. D . h . die beschriebenen Eigenschaften sind nie ausschließlich oder gar vollständig anzutreffen. Der bekannteste Versuch einer weiteren vertikalen Gliederung (neben der horizontalen Gliederung in die verschiedenen Fächer) ist der in eine Theorie· oder Wissenschaftssprache, eine fachliche Umgangssprache sowie eine Werkstatt- oder Verteilersprache (Ischreyt 1965). Diese Schichten unterscheiden sich vor allem in der Anwendungssituation, dem Abstraktionsgrad, der Formstufe, dem Kreis der Benutzer und der unterschiedlichen Nähe zu anderen Sprachrealisierungen wie der Gemeinsprache oder Gruppensprachen. Das Vorhandensein der Verteilersprache als konsistente Form der Fachsprache ist umstritten. з.1.

Theoriesprache

Die Theoriesprache (auch: Wissenschaftssprache) ist die strengste Form der Fachsprache. Sie stellt eine Abstraktion aus der fachlichen Umgangssprache dar. Die Formalisierung reicht über terminologische Systeme, Nomenklaturen und genormte Sprache bis zu Kunstsprachen, Plansprachen und ,formalen Sprachen' einerseits, bis zu Zahlen, Symbolen und Formeln andererseits, wobei hier die Grenze zur Nichtsprachlichkeit ζ. B . bei graphischen Darstellungen und Abbildungen oft überschritten wird. Sinn dieser Restriktionen ist eine möglichst enge und (bei jeder Reproduktion) unmißverständliche Bindung des sprachlichen Ausdrucks an einen Sachverhalt, Gegenstand, Verfahren etc. Als unerwünscht gelten z . B . gemeinsprachliche Assoziationen (statt Wagen: Kraftfahrzeug), Mehrdeutigkeit (statt Eisen: Flansch) oder Situationsgebundenheit (statt dagegen: Als Erwiderung auf die Einlassungen der Klägerseite). Die Theoriesprache soll möglichst explizit sein, d . h . mindestens zu Beginn eines Textes den Geltungsbereich und die Voraussetzungen ausdrücklich nennen (statt Das geht hier auf: Die Motoröl-Ablaßschraube befindet sich (bei den Modellen 10/76 bis 2/78) in Fahrtrichtung links unten neben den Rippen des Motorblocks). Benutzt wird diese streng hochsprachliche Form vor allem in Wissenschaft und Forschung (Fachbuch, akademischer Vortrag и.ä.), in Anleitungen, Berichten, Gesetzen und Anordnungen. Die schriftliche Form herrscht vor, gesprochene Realisierungen sind oft nur gelesene Texte. Aus dieser Ferne zur gesprochenen Sprache

392

IV. Soziale Aspekte

und zu den Bedingungen der Gemeinsprache ergibt sich eine Tendenz zur Isolierung der Fachsprache von der Gemeinsprache und durch die semantischen Eigenschaften auch gegenüber anderen Fachsprachen. 3.2. Fachliche

Umgangssprache

Die direkte Kommunikation zwischen Sprechern in einem Fachzusammenhang unter aktuellen Bedingungen (z.B. bei der Arbeit) läuft in der Regel über die Fachliche Umgangssprache, im technischen Bereich auch Werkstattsprache genannt, ab. Sie ist vor allem gekennzeichnet durch den persönlichen und räumlichen Sprechkontakt, zeitliche Kontingenz und damit einen gemeinsamen situativen Kontext (Möhn 1968). Die Fachliche Umgangssprache reicht vom saloppen Fachjargon bis zum internen Bericht oder der unmittelbaren Anweisung. Die Formalisierung schließt nur vereinfachte und verkürzte terminologische Systeme ein, durch die hier schon die optimale Informationsübertragung gewährleistet ist. Der persönliche Sprechkontakt konstituiert außerdem den gemeinsprachlichen Einfluß, dessen Hauptmerkmal die soziale Komponente im Sprechakt sein dürfte. Die Fachliche Umgangssprache kann daher auch stark dialektal gefärbt sein. Sie ist außerdem häufig mit gruppen- und sondersprachlichen Zügen durchsetzt (z.B. Jägersprache). Die Betriebspsychologie kennt seit langem besonders aus dem technischen Sektor bewußte scharfe sprachliche Abgrenzung zwischen einzelnen Labors, Betriebsteilen, Stockwerken oder zwischen Entwicklungsabteilung und Fertigung auf der eher horizontalen Ebene und umgekehrt sprachliche Orientierung auf das betriebliche Aufstiegsziel (in Richtung Wissenschaftssprache) in der vertikalen Richtung. Die Fachliche Umgangssprache hängt, in diesem Sinne vergleichbar dem restringierten Code (Bernstein 1971), wie überhaupt die Fachsprache nicht mit bestimmten sozialen Schichten oder Ausbildungsstufen zusammen. Fachliche Umgangssprache wird sowohl vom Ungelernten ( G i f f m i mol en Hammer! (auf der Baustelle)) als auch von Spezialisten gesprochen (Jetzt schaffen wir den ganzen Kram in den Nenner (Mathematiker)). 3.3.

Verteilersprache

Außer den beiden genannten Schichten ist für den technisch-industriellen Bereich sicher eine dritte Schicht, die Verteilersprache, anzunehmen. Sie dient z.B. der Verständigung in den Bereichen Lagerhaltung, Vertrieb und Verkauf und ist mitgeprägt von den Erfordernissen der gemeinsprachlichen Außenrepräsentation sowie der Werbung. Die Werbesprache selbst ist nicht zu den Fach-

sprachen zu rechnen, verwendet aber bewußt fachsprachliche Versatzstücke, so wie die Verteilersprache z.B. die Produktnamen an Werbung und Public Relation orientiert. Als eine Art Verteilersprache könnte man auch die Sprache populärwissenschaftlicher Texte ansehen, die eine Zwischenstellung zwischen Theoriesprache und Umgangssprache einnehmen müssen. Als Gegengewicht zur Isolation einzelner Fachgebiete, ihrer Sprache und Argumentation sowie unter dem Stichwort Wissenstransfer wird dieser Textgattung verstärkt Bedeutung zuerkannt. Die Beziehungen zwischen der Verteilersprache und den beiden anderen Schichten sind wenig untersucht, ebenso Umfang und Einzelzüge ihrer fachsprachlichen Merkmale. 4. Historische

Fachsprachen

Bei den historischen Fachsprachen ist durch die ungünstige Quellenlage in vielen Fällen nur eine lateinische Theorieformulierung, dagegen kein Zeugnis von Fachlicher Umgangssprache vorhanden. Damals wie heute besteht in diesen Situationen zur Dokumentation wenig Anlaß. Der Unterschied zwischen handwerklichen und wissenschaftlichen Fächern war früher erheblich größer und die frühen Zeugnisse deutscher Fachsprachen sind nicht zum Zweck der Fachkommunikation verfaßt oder überliefert (externe Quellen). Für die deutschen wissenschaftlichen Fachsprachen war entscheidend die artes-Gliederung, der enge Zusammenhang mit Theologie und Philosophie sowie der Primat der lateinischen Sprache. Für die handwerklichen Fachsprachen sind die einflußreichsten Faktoren die zünftige Verfassung (v. Hahn 1971), die weitgehend fehlende nationale Theoriesprache, die stärkere regionale Bindung und wirtschaftsgeschichtlich die Auswirkung der Einheit von Wohnung und Arbeitsplatz. Dadurch sind die Kommunikationsanforderungen und -bedingungen erheblich andere als in den späteren Manufakturen und Fabriken (zum Ganzen: Eis 1971). Wesentliche sprachliche Einflüsse auf die deutschen Fachsprachen übten im Gefolge wissenschaftlich-technischer Ubernahmen folgende andere Sprachen aus: Latein, Arabisch, Italienisch, Englisch, Französisch. Kunstsprachliche Ausdrücke werden außerdem oft an griechische Wortstämme angelehnt. 5. Formale

Kennzeichen

5.1. Lexik Das auffälligste formale Merkmal der Fachsprachen ist ohne Zweifel der eigene Wortschatz, der auch den Anlaß zu der problematischen Identifizierung von Fachsprache und Fachwortschatz (dann auch oft Sonderwortschatz genannt) gege-

38. Fachsprachen ben hat. Eine semantische Eigenart kennzeichnet hier weite Bereiche vor allem der Theoriesprache: die feste, z.T. genormte Terminologie. Durch Definition wird einem Gegenstand oder Sachverhalt ein Terminus zugeordnet, der dann von allen Beteiligten ausschließlich in diesem Sinn gebraucht wird. Beispiele: Rückumlaut (Sprachwissenschaft); Abseitsstellung (Fußballsport); Federführungshülsenrohr (technische Fachsprache, DIN). Die vom Deutschen Institut für Normung (DIN) (früher Deutscher Normenausschuß (DNA)) vorgenommenen Normierungen der Bezeichnungen haben meist noch die Eigenschaft, in einem mehr oder weniger großen terminologischen System zu stehen. Beispiel: -Lager Lager -Rolleny ^ Kegel-

\ugel-

Zylinder-

\ Rillen-

Rollenlager Kugellager

Kegelrollenlager etc. Diese Benennungsstruktur spiegelt mit den in der deutschen Sprache besonders stark ausgebildeten morphologischen Mitteln die Begriffssystematik wider, wobei jeder weiter unten stehende den gemeinsamen Oberbegriff durch die angeführten Merkmale einschränkt (Begriffsleitern, terminologische Felder). Der terminologische Charakter der Wörter ist dann von dieser Struktur abhängig, außerhalb der das Wort gemeinsprachlich sein kann. Eine Nomenklatur besteht oft aus Kunstwörtern und etikettiert eher die Gegenstände (in Chemie, Biologie, Medizin), ohne einer hierarchischen Fachsystematik sprachlich zu folgen. Nomenklaturen haben allerdings meist den Anspruch einer vollständigen Benennung oder Benennungsanweisung für alle Gegenstände des Fachgebiets. Nomenklatur und Terminologie sind oft nicht klar zu trennen. Beide Typen von Fachwörtern können dagegen selbstdeutig sein, d.h. eine Kurzfassung ihrer Definition enthalten (Schmidt 1969), ζ. B. Planspindelzahnrad (DIN), Allium acutangulum (Botanik). Die starke Benutzung von Fremdwörtern und Kunstwörtern in den Fachsprachen geht zum einen auf die lateinische Wissenschaftstradition zurück, andererseits erleichtert sie eine assoziationsfreie Bindung an die vereinbarte Definition. Solche Wörter erleichtern zudem die internationale Kommunikation, die vor allem das Ziel der International Organization for Standardization (ISO) ist. Mit einigem Recht kann man dem Fachwortschatz jede konnotative Bedeutung im fachsprachlichen Zusammenhang absprechen, eine Folge seiner Abstraktheit von Gegenständen und Redepartnern. Das gilt besonders für die häufig vorkommenden Zahlen, Symbole, Formeln und Abkürzungen in der Theoriesprache und schließt

393

nicht aus, daß Fachwörter außerhalb des Fachs stark mit Konnotationen aufgeladen sein können. Der Zwang zu sehr differenzierter Darstellung eines Gegenstandes oder Sachverhalts führt in den Fachsprachen zu einer erheblichen Erweiterung des Wortschatzes einerseits (Heller 1970) und zu morphologischen Eigenheiten andererseits (Pelka 1972): Weit mehr als in der Gemeinsprache wird von Zusammensetzungen Gebrauch gemacht, die bei drei oder mehr Kompositionsgliedern meist nur schriftlichen Gebrauchswert besitzen und in der fachlichen Umgangssprache auf dem eindeutigen Situationshintergrund verkürzt werden können. Neuerdings hat, ζ. T. nach englischem Vorbild oder als Übersetzung die Verwendung von terminologischen Wortgruppen stark zugenommen (Beispiel: Sehr hohe Programmiersprachen). Von freien Attribuierungen werden solche Termini meist durch veränderten Druck oder Vorsetzen von sog. unterschieden. Verbale Zusammensetzungen kommen in der Theoriesprache häufig nur im (substantivierten) Infinitiv oder Partizip vor. In vielen Fällen kann eine persönliche Flexionsform gar nicht gebildet werden. Beispiele: abbrennstumpfschweißen dazu pers. Form ich schweiße (ab, stumpf); sandstrahlen dazu bisweilen allerdings ich sandstrahle. Die Differenzierung von Verben wird oft durch eine starke Präfigierung erreicht. Besonders das Präfix ver- hat aber auch zuweilen die Funktion der Signalisierung fachsprachlicher Sprechakte und weniger die der semantischen Differenzierung des Inhalts (Möhn 1968). Beispiele: Verholen, verkippen. Im Zusammenhang mit der Fachlichen Umgangssprache wird der bisher dargestellten Lexik oft ein vermenschlichender metaphorischer Wortschatz gegenübergestellt. Diese Tendenz zur Ersetzung bzw. Verkürzung von Fachwörtern i. e. S. nimmt im Fachjargon noch zu. Als Beispiele werden hier oft angeführt: Personennamen für Maschinen (Petra, zugleich Akronym, Versuchsanlage der Kernphysik) oder scherzhafte Ausdrücke (Saft geben, für elektrische Spannung anlegen, Nudelstelle, für schnelle, schwer spielbare Orchesterstelle, Postkartentheorie, für Teilung der Paulusbriefe in je viele kleine Schriften). Hier wird ein Merkmal von Fachsprachen aktualisiert, das als Fachmetaphorik schon sehr früh beschrieben wurde. Beispiele: Schlitten, Kopf, Mantel, Schlüssel, Schnecke usw. Im Bedürfnis nach Metaphorik schlagen sich teils die sozialen Grundbedürfnisse der Fachlichen Umgangssprache nieder, teils liegt hier eine der sprachlichen Möglichkeiten bei Neubenennungsvorgängen überhaupt vor: Zur Erweiterung eines Fachwortschatzes dient neben Zusammensetzung, Ableitung und KunstwortSchöpfung hauptsächlich die metaphorische Benutzung gemeinsprachlicher Wörter. (Beispiele: Stimmstock, Locher, Ergologie, Polkappe). Freie

394

IV. Soziale Aspekte

Neubildungen sind selbst bei dem erheblichen Anfall an Neubenennungen von vielen tausend je Jahr außerordentlich selten (bekanntestes Beispiel: Gas). Entgegen den Vorstellungen der Praxis in Normung und Terminologiearbeit, wo meistens die strikte Entfernung aller Synonyme gefordert wird, macht die Sprachwissenschaft geltend, daß es keine sachlich zwingende .richtige' Benennung für einen Sachverhalt, Gegenstand etc. geben kann und die Zulassung nur einer Benennung oft gerade dysfunktional sein kann. Etwa müssen sehr lange Benennungen bei der mündlichen Kommunikation gekürzt werden und die Festlegung einer Benennung z . B . auf Grund theoretisch physikalischer Merkmale kann später in den betrieblichen Stufen Entwicklung, Versuche, Fertigung, Verkauf, Lagerhaltung, Verwaltung zu erheblichen Komplikationen führen, da jeweils ein anderes Merkmal als Ordnungsprinzip benutzt wird. Hier treffen, wie ζ. B. auch im Falle von Ökonomie und Genauigkeit des Ausdrucks, zwei Leitvorstellungen zusammen, die in der fachsprachlichen Praxis gegeneinander abgewogen werden müssen. 5.2. Syntax Der Satzbau der Fachsprachen ist besonders in der Theoriesprache auf wenige Muster begrenzt, die meist einer strengen Thema-Rhema-Gliederung, oft mit substantivischem Anfang folgen. Beispiel: Prozeduren sind genau festgelegte Verfahrensweisen für die Analyse von Texten. Ein spezieller Text •wird dabei Korpus genannt. Ein auffälliges Merkmal ist außerdem die Substantivierungstendenz. In einen Zusammenhang dazu kann auch die Häufung der Funktionsverbgefüge und der sinnentleerten Verben gestellt werden. Beispiel: Bei der Überprüfung der Gültigkeit dieser Hypothese ist der zu geringe Umfang an Ausgangsmaterial in Anschlag zu bringen. Es wurden nur 40 Tests dieser Berechnung unterzogen. An diesen Sätzen zeigt sich gleichzeitig der bevorzugte Gebrauch des Passivs bzw. anderer Umgehungen des persönlichen Subjekts. Entsprechend dem Gegenstandsbereich neigen besonders die technischen Fachsprachen zur Ablösung des einfachen Objekts durch präpositionale Fügungen, eine Erscheinung deren Grund (engl. Einfluß?) und Folgeerscheinungen noch wenig übersehen werden können. (Grundlegend zu 5. Hoffmann 1976.) 5.3.

Textstrukturen

Fachtexte sind meist sehr kohärente Texte, wobei diese Kohärenz explizit gekennzeichnet wird. Hauptmittel ist dabei die Wiederaufnahme oft noch durch anaphorische Elemente verstärkt (Bei-

spiel: Diese Ausdrücke der Prädikatenlogik erster Stufe haben ...). Solche Formen werden aus Gründen der Eindeutigkeit der reinen Pronominalisierung vorgezogen. Inhaltlich wird die Logik des Aufbaus oft durch starke Absatz-Gliederung des Textes und explizite Markierung der Relationen zwischen den Sätzen oder Absätzen unterstützt (Beispiele: daher, weiterhin, daneben, andererseits). Oft werden Textpartien beim Ubergang von fachlicher Umgangssprache in die Theoriesprache zu Tabellen oder Listen aufgelöst. Überhaupt liegen Fachtexten häufiger als gemeinsprachlichen Texten standardisierte Textgliederungen ζ. T. sogar mit festen Textpartien zugrunde. (Beispiele: 4. Unverträglichkeit und Nebenwirkungen: nicht bekannt geworden oder: Rechtsmittelbelehrung: . . . ) . Extrem ist diese Eigenschaft in Vordrucken und Formularen ausgeprägt, die die fachliche Aussage durch ihre Vorgaben in eine verallgemeinernde Systematik einfügen. Fachtexte besonders aus dem technischen Sektor sind meistens geschachtelte und stark deklarierte Texte. In Frage kommen dabei folgende Einbettungen des eigentlichen Textes: Kopf, Verfassername, Obertitel, Titel, Untertitel, Vorwort, Nachwort. Der Text selbst bettet häufig ein: Zitate, Verweise, andere Texte. Deklarierungen von Texten können sein: Bezug, Verteiler, Mitgeltende Schriften, Beschriftungsanweisungen, Formblattnummern, RandStichwörter, Schlüsselwörter zur Dokumentation, DK-Nummern zum Sachgebiet, Abstracts, Inhaltsverzeichnis, Register, Exemplamummern etc. Durch diesen vielfach gestaffelten Aufbau können Fachtexte jeweils als Exemplare eines der deklarierten oder einbettenden systematischen Typen person- und situationsunabhängig verstanden und bearbeitet werden. 6. Fachsprache und

Gemeinsprache

Das Verhältnis von Fachsprachen und der Gemeinsprache ist, auch unabhängig von der Frage der Definitionsebene, eines der zentralen Forschungsthemen geblieben (Möhn 1968). Die Begründung liegt in der Wichtigkeit der beiderseitigen Ubergangsphänomene: Rein praktisch der Aufbau oder die Erweiterung einer Fachsprache (oder Terminologie) durch Abgrenzung von gemeinsprachlicher Benutzung. Wissenschaftstheoretische Überlegungen zeigen aber auch, daß viel allgemeiner bei wissenschaftlichem Sprechen und bei der Theoriebildung ein Akt des Ubergangs aus der Gemeinsprache, aber auch der Rückbindung an die Gemeinsprache stattfindet (Petöfi u.a. 1975). Außerdem ist die Fachsprachendidaktik auf eine möglichst genaue Beschreibung ihres Arbeitsgebiets im Kontrast zum gewöhnlich ausschließlich gemeinsprachlichen Sprachunterricht ange-

ig. Fachsprachen wiesen. Umgekehrt studiert die Sprachwissenschaft neuerdings die Möglichkeiten von systematischer Übertragung von Fachsprachen in G e meinsprache am Objekt populärwissenschaftlicher Texte. Verbreitete terminologische Zuordnungen für das Verhältnis von Fachsprachen und Gemeinsprache sind (Hinter der öffnenden Klammer steht jeweils ein Unterbegriff): Gesamtsprache (Gemeinsprache, Fachsprachen, Sondersprachen (Gruppensprachen, Geheimsprachen)) Gesamtsprache (Gemeinsprache, Sondersprachen (Fachsprachen, Gruppensprachen, Geheimsprachen)) Gesamtsprache (Gemeinsprache (Fachsprachen, Umgangssprache) Sondersprachen (Gruppensprachen, Geheimsprachen)) Für die zweite Anordnung wird die Verständlichkeitsbarriere gegenüber der Gemeinsprache angeführt, für die dritte die These, daß nur der Fachwortschatz signifikant von der Gemeinsprache abweiche oder daß die Gemeinsprache ursprünglich aus der Überschneidung aller Fachsprachen entstanden sei. Sprachwissenschaftlich nicht vertretbar ist die Anschauung, Fachsprachen seien durch sprachliche Eigenschaften genauer als die Gemeinsprache (dann meistens: Umgangssprache). Eine pragmatische Erklärung der Fachsprachen zeigt gerade, daß die Fachsprache für Fachprobleme zwar genauer und angemessener ist, für umgangssprachliche/soziale Problemstellungen dagegen durchaus nicht und daß umgekehrt Umgangssprache für die Objektivierung technischer u.ä. Probleme ungeeignet ist, dagegen im persönlichen Bereich höchst effektiv. Hier kann der ganze Kontext (räumlich, zeitlich, sprachlich, biographisch etc.) implizit ausgenutzt werden zu einer ebenso genauen Informationsübertragung wie in den Fachsprachen für deren Handlungsmuster. Daß die Informationen u. U . ganz anderer Art sind, widerspricht dem nicht. Aus sprachpflegerischer Sicht werden die Fachsprachen gegenüber der Gemeinsprache häufig als unschön (wegen ihrer Terminologie) und monströs (wegen der Struktur theoriesprachlicher Texte) bezeichnet. Hier sollte die kommunikative Funktion vor ästhetischen Maßstäben aus anderen Textgattungen stehen. Mehr Berechtigung als diesen formalen Vorbehalten wird den Argumenten gegen die unberechtigte Benutzung von Fachsprachen eingeräumt. Soziolinguistische Studien haben den Manipulationscharakter der Verwendung fachsprachlicher Signale (Fremdwörter, lange Zusammensetzungen, Funktionsverbgefüge, Passiv etc.) in umgangssprachlicher U m gebung und für nicht-fachliche Inhalte herausgestellt.

7. Bibliographie

395

(in Auswahl)

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Walther von Hahn,

Hamburg

ν INDIVIDUELLE ASPEKTE

39. Sprachbiologie 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Definition Entwicklungsgeschichtliche Aspekte Anatomisch-physiologische Korrelate Sprachverarbeitung Grundlagen des Spracherwerbs Evolution des Sprechens und Denkens Die Rolle der Erforschung biologischer Grundlagen für die moderne Grammatiktheorie 8. Bibliographie (in Auswahl)

1.

Definition

Unter dem Terminus Sprachbiologie werden diejenigen Fragestellungen zusammengefaßt, welche die artspezifischen, anatomisch-physiologischen Voraussetzungen des Menschen zur Entwicklung, Erlernung und zum Gebrauch seiner Sprache betreffen. Damit werden diejenigen kognitiven Fähigkeiten auf ihre morphologischen und physiologischen Korrelate hin überprüft, die die besondere Beziehung der menschlichen Sprache zum Denken begründen. Die hiermit verbundenen Studienansätze lassen sich in drei Schwerpunkte gliedern: (1) Die Erforschung des Ursprungs des menschlichen Zeichengebrauchs und der möglichen Vorformen der heute bekannten Sprachstrukturen. Diese Frage ist besonders auch von der Anthropologie unter der Bezeichnung Sprachevolution untersucht worden (Schwidetzky 1973) und reicht von hier aus als Randgebietsforschung bis in den Bereich der Archäologie (Erforschung des Werkzeuggebrauchs) hinein. Die Studien zur Sprachevolution betreffen die Erforschung der menschlichen H i m - und Stimmorganentwicklung im Verlaufe der Erd- und Hominidengeschichte (Bunak 1973), die Aufhellung des Verhältnisses von Sprechen und Denken im Vergleich von Phylo- und Ontogenese (Wygotski 1969; Thorndike 1943; Langer 1942) sowie die Erforschung der Entwicklung sozialer Strukturen im Verlaufe der Hominidenentwicklung (Bunak 1973); (2) die Bestimmung des Verhältnisses menschlicher zu tierischer Kommunikation (sog. Tiersprachen), wobei die Erforschung des Biogramms (Count 1970) bzw. der organismischen Informationsverarbeitung (Drischel 1973), die Klassifikation von Zeichensystemen (Schaff 1969; Hockett 1973) und das Verhältnis von Primaten-Spracherlernung (Brown 1974; Gardner/Gardner 1974) zur sprachlichen Ontogenese des Kindes (Oksaar 1977; Lenneberg 1974) von Interesse ist. Diese Fragestellungen werden vor allem auch im Bereich der Biokybernetik (Drischel 1973), der Biopsychologie (Gazzaniga/Blakemore 1975) und der Semiotik (Sebeok et al. 1969) bearbeitet.

(3) die Bestimmung der biologischen Grundlagen jener artspezifischen kognitiven Leistungen, die der Verbindung der Lauterzeugung und -aufnähme mit einzelnen linguistischen Ebenen zugrundeliegen (Lenneberg 1967). In diesem Bereich gibt es Überschneidungen mit der Erforschung der sozialen Kognition (Israel/Tajfel 1972) und der Gedächtnisfunktionen (Kintsch 1974; vgl. Art. 40) sowie der Spracherwerbsforschung in Entwicklungspsychologie (Clark/Clark 1977) und Linguistik (Oksaar 1977; vgl. Art. 43).

Die Abgrenzung des Bereiches „Sprachbiologie" und der damit verbundenen Fragestellungen bereitet insofern Schwierigkeiten als hier zum einen ein Gebiet erstmals 1967 durch E . H . Lenneberg im Rahmen des Verhältnisses linguistischer Ebenen zueinander und zu ihren anatomisch-physiologischen Korrelaten einheitlich definiert wurde, zu dessen Erforschung im Grunde durch die zuvor erwähnten Wissenschaften - wenn auch teilweise unter anderen Gesichtspunkten - schon Erhebliches geleistet worden war, zum anderen, weil in weiten Teilen der Spracherwerbsforschung und Neurolinguistik irrtümlicherweise die Universalienfrage (Lieb 1975) mit den biologischen Grundlagen (wie durch Lenneberg umrissen und zu linguistischen Ebenen in Verbindung gebracht) gleichgesetzt wurde. Lenneberg, der sich in seinen Annahmen über die strukturellen Eigenschaften der Sprache weitgehend auf das Modell der 1965er Generativen Transformationsgrammatik beruft, definiert Sprache als eine Manifestation artspezifischer kognitiver Merkmale im Sinne eines , , [ . . . ] ubiquitären Prozesses der Kategorisierung und Extrahierung von Ähnlichkeiten" (1967, 456). Gegen die Übernahme seines Ansatzes läßt sich einwenden, daß von wissenschaftsgeschichtlicher Seite her das Modell der gTG in weiten Teilen durch adäquatere Modelle abgelöst ist und zum anderen die die heutige Linguistik determinierenden Handlungsaspekte außer acht gelassen wurden (Chomsky 1975). Somit fand eine Einengung der Betrachtung der biologischen Grundlagen dahingehend statt, daß die Aspekte der sozialen Kognition des Menschen in ihren Bezügen zu seiner Sprachfähigkeit völlig fehlen. Dieser Beitrag entwirft daher eine weitere Definition des Begriffes Sprachbiologie, der die Fragestellungen unter (1) und (2) mitberücksichtigt. Wo Ergebnisse Lennebergs zitiert werden, sind sie frei von den Prämissen des durch ihn benutzten Syntaxmodells. Anatomische Voraussetzungen menschlicher Sprache

398

V. Individuelle Aspekte

werden hier nur insofern behandelt als sie Klassen von Voraussetzungen zur Ausbildung von Sprache behandeln, für die Einzelheiten der Stimmerzeugung und -analyse (vgl. Art. 9). Für die Behandlung der Gehirnfunktionen wird im wesentlichen auf Art. 40 verwiesen. 2. Entwicklungsgeschichtliche

Aspekte

2.1. Was das Studium der notwendigen entwicklungsgeschichtlichen Schritte des Menschen zur Ausbildung und Fortentwicklung seiner besonderen Sprachfähigkeit und deren Verhältnis zum Denken betrifft, haben folgende Studienansätze zur Aufhellung dieser Probleme beigetragen: (1) Die vergleichenden kraniologischen (den knöchernen Schädel betreffend), (2) die vergleichenden zerebrologischen (das Gehirn betreffend), (3) die vergleichenden ergologischen (Arbeiten und Geräte betreffend, meist nach der Steinbearbeitung), (4) die vergleichenden phonetischen (die Stimmbildung bei Primaten betreffend), (5) die vergleichenden psychologischen (die Begriffsbildung bei Primaten bzw. Hominiden betreffend) (Bunak 1973,229).

2.2. Alle aufgefundenen Schädelfragmente fossiler Hominiden weisen zunächst nichts anderes aus als die mögliche Größe und Form des Gehirns, die Form des Schädels und den Sitz des Kopfes auf der Wirbelsäule. Vom heutigen Menschen ausgehend kann man sagen, daß eindeutig weder das absolute noch das relative Gewicht des Gehirns eine entscheidende Rolle für seine Sprachfähigkeit spielen. Die Schädelausgüsse von Funden sagen aber nichts über die Beschaffenheit der kortikalen und subkortikalen Strukturen aus, schon gar nichts über Gewebeverbindungen, die für die Sprachstrukturen als entscheidende Korrelate angesehen werden können (vgl. Art. 40). Man kann somit sagen, daß die Untersuchungen der Hirngewicht-/Körpergrößenverhältnisse kaum aufschlußreiche Ergebnisse liefern, sondern daß die entscheidenden Quotienten im Bereich der intrazerebralen Proportionen der Gewebe liegen, was jedoch aus den fossilen Schädelfragmenten nicht mehr ableitbar ist (Starck 1965). Als andere Skelettmerkmale kommen die Form der Kiefer- und Mundhöhle, die Aufhängung der Zunge, Form und Funktion der Pharynx und des Kehlkopfes in Betracht. Die folgenden entwicklungsgeschichtlichen Ergebnisse deuten auf eine allgemeine Entwicklungslinie der Stimmorgane: (1) Verkürzung des Unterkiefers als Maßstab für die Zungenbiegung, der Übergang ihrer Wurzel in die senkrechte Stellung (womit die Voraussetzung zur Bildung von Resonanzstellen im Mundraum gegeben war und damit die Grundlagen zur Vokalerzeugung); (2) die Herabdrückung des Kehlkopfes mit den Folgen dieser Abwärtsverschiebungen, die die Ausbildung bestimmter Muskeln begünstigten;

(3) die Verringerung der Massivität des Unterkiefers und damit der Kaumuskulatur, womit der Ubergang zu einer besser und schneller kontrollierbaren Muskulatur, wie sie an der heutigen Lautgebung beteiligt ist, gegeben war.

Die Untersuchungen über die Kehlkopfbeschaffenheit und die Eigenschaften der Muskulatur lassen sich aus vergleichenden Untersuchungen im Bereich der Primaten wesentlich genauer bestimmen als durch die Untersuchung fossiler Schädelfragmente. Im Gegensatz zu allen anderen Primaten hat der Mensch ein besonders fein entwikkeltes Kontrollsystem im Bereich der an der Stimmgebung beteiligten Muskulaturen (Wind 1973) und seine Muskulatur im Kehlkopfbereich unterscheidet sich erheblich von der anderer Primaten (Goerttler 1973). Die Einleitung der Entwicklung der Sprachfunktion kann aber nur in dem Zusammenwirken verschiedener Parameter gesehen werden, das schließlich eine Vielfalt in der Kombination der an der Lautbildung beteiligten Elemente ermöglichte, d.h. erst nachdem ein hinreichendes Niveau des phonetischen Apparates ausgebildet war, konnte das syntagmatische Stadium seinen Anfang nehmen. Erst die vollendete Beherrschung der Mundphonation und eine weitgehende Ausnutzung der Lippen und des vorderen Zungenteils in der Artikulation kann als das Ende der isolierten Äußerung angesehen werden, da für die Erzeugung von Ketten komplizierte ko-artikulatorische Prozesse eine Rolle spielen. Damit ist aber noch nicht ausgesagt, daß diese Entwicklung zwingendermaßen als evolutionäre Selektionslinie im Einklang mit der Entwicklung anderer kognitiver Fähigkeiten gestanden haben muß. Ebensowenig läßt sich die Sprachfähigkeit des heutigen Menschen (aller Rassen) aus einer Kenntnis der evolutionären Trends der Entwicklung des Gehirnvolumens herleiten, so daß man keine direkte Sprachentwicklungslinie von Vorgängern bis hin zum homo sapiens aufzeigen kann. Trotzdem läßt sich das Alter ähnlicher kognitiver Fähigkeiten, wie sie für den heutigen Sprachgebrauch angenommen werden können, vernünftigerweise auf einen Zeitraum von ca. 30000-50000 Jahre zurückdatieren. Aufgrund seiner Werkzeugherstellungen und der durch ihn angefertigten Zeichnungen kann man den Cro-Magnon als einen Vorläufer bezeichnen, der zu ähnlichen kognitiven Leistungen fähig war wie der homo sapiens, allerdings sagt dieses noch nichts über die mögliche Art seiner Sprache aus. 2.3. Der Gebrauch von Gegenständen und die Herstellung von Werkzeugen ist zwar nicht auf den Menschen beschränkt (Goodall 1963), aber auch die frühesten Formen der Hominiden hatten einen qualitativ und quantitativ höheren Gebrauch an Werkzeugen als irgendein heute bekannter subhumaner Primat (Miller 1964). Dennoch kann man auch hier — obwohl ähnliche kognitive Lei-

39. Sprachbiologie stungen angenommen werden können - nicht mit Gewißheit sagen, daß die Verfeinerung der Werkzeugherstellung eine simultane Entwicklungslinie mit der Sprachentwicklung durchgemacht hat. Während man für die allerfrühesten Steinzeitkulturen noch eine instinktive Arbeit, d.h. eine Kette motorischer Akte ohne die regelnde Funktion des Großhirns annehmen könnte, weisen die Erzeugnisse der Jungsteinzeit auf andere kulturelle Merkmale und die Ausprägung fester sozialer Beziehungen hin. Heutige Kulturen, die auf der Stufe der neopaläolithischen Kulturen stehen, haben grundsätzlich die gleichen Voraussetzungen neurophysiologischer Art in bezug auf die Sprachfähigkeit wie Angehörige weiter entwickelter Kulturkreise, so daß vergleichende Studien in diesem Bereich problematisch sind. Auch die Heranziehung der Ontogenese als Widerspiegelung der Phylogenese eignet sich wenig, da Sprechen und Denken nicht zwingendermaßen den gleichen Ursprung gehabt haben müssen: die Herstellung von Werkzeugen und die damit verbundenen Form- und Funktionsvorstellungen müssen nicht zwingendermaßen gleichzeitig eine große Anzahl verschiedener Bezugssysteme wie Kausalität hervorbringen . J. Anatomisch-physiologische

Korrelate

3.1. In der Untersuchung der anatomisch-physiologischen Korrelate der Sprachfähigkeit betrachtet man im Bereich der Morphologie die sog. Peripherie (mit den Parametern Gesicht, Mund, Lippen), das Zentralnervensystem (mit Kortex, Subkortex, Relativer Hirngröße, Lateralisierung), im Bereich der Physiologie die Atmung, das Phonationsvermögen, das Artikulationsvermögen, besonders die Verhältnisse der zeitlichen Steuerung und des Rhythmus. 3.2. Im Vergleich seiner peripheren Anatomie mit derjenigen anderer Wirbeltiere weist der Mensch eine hohe Spezialisierung der Muskulatur im Bereich des Gesichts- und Stimmtraktes auf. Geplante Laute werden in der neuro-muskulären Phase in muskuläre Kontraktionsmuster transformiert, in der organischen Phase gehen die Artikulationsorgane in Stellung, und der geplante Laut wird in Koordination mit der aerodynamischen Phase zur Ausführung gebracht. Diese Ausführung kontrolliert der Mensch fast gleichzeitig mit dem Sprechen über die Rückkoppelung. Die an der Lautausführung beteiligten Phasen werden in der phonetischen Terminologie auch Iniation und Regulation (Phonation und Artikulation) genannt (vgl. Art. 9). Die durchschnittliche Sprechgeschwindigkeit beträgt ca. 14 Phoneme pro sec, wobei das Sprechen dadurch erleichtert wird, daß bei der Artikulation eine Klasse der Lautbildung getroffen werden muß. Mil jeder Stimmgebung werden zugleich die sog. ektosemantischen Informationen übermittelt, d. h. zu Alter, Geschlecht, emotionalem Zustand, evtl. Schicht- oder

399

Gruppenzugehörigkeit des Sprechers (vgl. Art. 42). Da beim Übergang von einem Phonem zum anderen ca. 100 Muskeln beteiligt sind, müssen sich pro sec mehrere hundert Muskelereignisse vollziehen. Dabei zeigt sich, daß die Übergänge nicht jeweils völlig neu angesetzt werden, sondern sich als koartikulatorische Prozesse vollziehen. Solche Vorgänge sind aufgrund der enormen Geschwindigkeit, in der sie ablaufen, weitgehend automatisiert, man nennt sie Synergien.

Gegenüber dem Stimmapparat großer Affen weist derjenige des Menschen folgende Charakteristika auf: Er stellt in gewissem Sinne eine Vereinfachung in Hinblick auf die Beschaffenheit des Kehlkopfes und der Stimmlippen dar; während der Mensch nur die Ausatmungsphase für die Stimmgebung benutzt, kann der Schimpanse während der Aus- und Einatmung Laute erzeugen. Seine Stimmlippen sind voneinander unabhängig in Schwingung versetzbar und bei einigen großen Affen gedoppelt. Der Mensch verfügt demgegenüber über eine stromlinienförmige Geometrie der Luft- und festen Resonanzräume (Fink und Kirschner 1959). Durch die besondere Beschaffenheit und Funktionsweise der Stellknorpel (vgl. Art. 9) und der mit ihnen verbundenen Muskulatur können Tonumfang und Tonhöhe relativ stabil gehalten werden, was die Klassenbildung bei Lauten entscheidend fördert. 3.3. Generell eignet sich die Atmung in idealer Weise zum Nachweis physiologischer Anpassungen an artspezifisches Verhalten (Krogh 1959), so auch für die Sprechtätigkeit. Der Mensch kann die besonderen Veränderungen während des Sprechens (Ruheatmung ca. 500-600 cm 3 , Sprechatmung ca. 1500-2400 cm 3 pro Atemzug) über einen anscheinend unbegrenzten Zeitraum aufrechterhalten, Zeitgrenzen für Sprechen sind die Folge anderer Faktoren. Während des Sprechens reduziert sich die Zahl der Atemzüge pro Minute erheblich, bis auf 4 gegenüber 18-20 bei Ruheatmung. Bei der Phonation folgt einer kurzen, tiefen Einatmungsphase eine langsame, stufenweise Ausatmung, so daß ein Verhältnis von Inspiration zu Exspiration von 1:5 bis 1:10 entsteht (Lindner 1959, 153). In bezug auf die Atemtiefe ist dabei das Bewegungsniveau nach der Seite der Ein- wie auch der Ausatmung hin erweitert. Atembewegungen sind in hohem Maße psychisch beeinflußbar, man kann ζ. B . durch Erschrecken die Atmung kurzfristig zum Stillstand bringen, dieses liegt dem bekannten Phänomen zugrunde, daß es „jemandem die Sprache verschlägt".

Der Trägerimpuls der Sprache hinsichtlich ihr zuweisbarer zeitstruktureller Zusammenhänge ist der Sprachrhythmus. Dem Planen motorischer Sprechmuster wird als Zeiteinheit eine Sechstelsekunde zugeordnet, die Zeiträume, in denen sich die Stimme hebt und senkt, erstrecken sich über zwei und mehr Sekunden (Lenneberg 1967, 139f.). Für die Hypothese der Grundeinheit Rhythmus spricht, daß bei Wirbeltieren generell eine allgemein beobachtbare Rhythmizität des Hirns bzw. des Z N S der Motor vieler rhythmischer Bewegungen ist (Wall 1959). Der Sprach-

400

V. Individuelle

Aspekte

rhythmus läßt sich experimentell massiv beeinflussen, indem man die Rückkoppelung verzögert (Hörmann 1967, 71/269) bzw. die Umschaltung von linkes auf rechtes Ohr beim Hören an kritische Grenzen bringt. Allerdings kann die sensorische Rückkoppelung nicht allein für die Kontrolle des Plans grammatikalischer Einheiten und aus ihnen erzeugter Ketten angenommen werden. Korrekturen können auch vorgenommen werden, bevor die Artikulation ausgeführt wird. 3 . 4 . D i e Korrelate der m e n s c h l i c h e n Sprachfähigkeit i m G e h i r n selbst lassen sich n u r in g r o ß e n U m r i s s e n a u f z e i g e n ; u n s e r W i s s e n h i e r ü b e r ist n a c h w i e v o r sehr b e g r e n z t . D i e auffälligsten U n terschiede des menschlichen Gehirns im Vergleich z u H i r n e n niederer A r t e n s i n d s e i n e relative G r ö ß e , s e i n e tiefere u n d e x t e n s i v e r e F u r c h u n g , seine größere A n z a h l exodendritischer Synapsen, die Z u n a h m e der E n t f e r n u n g z w i s c h e n d e n Z e l l k ö r p e r n u n d eine A b n a h m e des e l e k t r o t o n i s c h e n E i n f l u s s e s ( B o n i n 1950). Die Lokalisierung der Sprachfähigkeit im Gehirn kann neueren Forschungen zufolge nicht mehr auf die hauptsächlichen kortikalen Zentren begrenzt bleiben (Brocasches, Wernickesches und supplementäres motorisches Zentrum), sondern Teile des Zwischenhirns scheinen ebenso beteiligt (vgl. Art. 40 mit Abb. 1 u. 2; für die Neubearbeitung der Funktionen des klassischen Zentrums s. Kean 1977). Für die menschliche Sprachfähigkeit ist immer wieder auf die besondere Rolle der Dominanz der linken Hemisphäre hingewiesen worden, auch im Zusammenhang mit der Rechthandpräferenz (Lenneberg 1970; Gazzaniga 1970). Auch diese Feststellungen werden durch neuere Forschungen modifiziert, so daß man nur von einer Tendenz sprechen kann. Die klinischen Befunde zum Verhältnis von Lateralisierung und Rekonstruktionsmöglichkeiten bei Aphasien sind widersprüchlich und noch nicht genügend empirisch abgesichert, um endgültige Aussagen machen zu können (vgl. Art. 40; Lenneberg 1974, 266).

4.

Spracbverarbeitung

4 . 1 . Im B e r e i c h der S p r a c h v e r a r b e i t u n g sind bisher v o r allem der a k u s t i s c h e A n a l y s a t o r u n d der Hör-Synthesebereich untersucht w o r d e n , über die K o r r e l a t e der s p r a c h l i c h e n E b e n e n in d e n G e dächtnisteilen d e s G e h i r n s u n d ü b e r das Z u s a m m e n w i r k e n v e r s c h i e d e n e r W a h r n e h m u n g e n , der E x t e r o - ( R e i z a u f n a h m e aus der A u ß e n u m w e l t ) , der I n t e r o - ( R e i z a u f n a h m e aus der I n n e n u m w e l t ) u n d der K o g n i o p e r z e p t i o n ( W a h r n e h m u n g des e i g e n e n D e n k e n s ) i m G e h i r n ist s o g u t w i e n i c h t s b e k a n n t ( C o u n t 1973 , 2 0 0 - 2 0 1 ) . M a n k a n n z w a r in f o r m a t i o n s t h e o r e t i s c h b e g r ü n d e t e B e r e c h n u n g e n ü b e r die R e i z a u f n a h m e k a p a z i t ä t v o n O r g a n i s m e n , die F l u ß m e n g e p r o S i n n e s e i n h e i t u n d die Selektionsmechanismen mit den ihnen zugrundel i e g e n d e n K a n a l k a p a z i t ä t e n anstellen ( D r i s c h e l 1973, 2 5 - 2 8 , H ö r m a n n 1967, 7 9 - 8 3 ) u n d die u n gefähre G e s a m t k a p a z i t ä t d e s G e h i r n s b e r e c h n e n , o h n e j e d o c h h i e r m i t E n t s c h e i d e n d e s ü b e r die A b läufe d e r R e i z a u f n a h m e , V e r a r b e i t u n g u n d R e -

kodierung v o n gespeicherter gesagt z u h a b e n .

Information

aus-

Die informationstheoretischen Berechnungen standen in engem Zusammenhang mit dem Entwurf der Speichermodelle des menschlichen Gedächtnisses (Atkinson/Shiffrin 1968; Neisser 1967). Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, auf die Gedächtnismodelle und die Einzelheiten der Informattonszusammenhänge einzugehen, zumal eine Synthese einzelner biokybernetischer Zusammenhänge zu konkreten Gedächtnisereignissen noch aussteht und in der nächsten Zeit wohl kaum einer Losung näher gebracht werden dürfte, hier sei auf die einschl. Lit. verwiesen: Drischel (1973) für die informationstheoretischen Zusammenhänge, Solso (1974) für die Gedächtnistheorie, Gazzaniga/Blakemore (1975) für biologische Gedächtniszusammenhänge. Mehr sprachlich orientierte Gedächtnismodelle liefern Kintsch (1974) und Glenn (1978). Für die weitere Erforschung der biopsychologischen Zusammenhänge bei der Sprachwahrnehmung wird die Ausarbeitung von Gedächtnismodellen weiterhin mitbestimmend sein. Hierbei gewinnen in letzter Zeit immer mehr solche Vorstellungen an Bedeutung, in denen das klassische Mehrspeichermodell (sensorischer, Kurzzeit- und Langzeitspeicher) modifiziert wird. C r a i k u . L o c k h a r t ( 1 9 7 2 ) h a b e n e i n e Sprachv e r a r b e i t u n g in v e r s c h i e d e n e n T i e f e n d e r A n a l y s e ( 6 7 7 ) a n g e n o m m e n , d i e s e V o r s t e l l u n g hat teilw e i s e in d e n bisher u m f a s s e n d s t e n V e r s u c h d e r Synthese v o n Wissen über Sprachverarbeitung und Gedächtnismodellen, dem Inform ationsflußmodell (information-processing-model) von Massaro ( 1 9 7 5 , 6) E i n g a n g g e f u n d e n . D a s M o d e l l M a s saros ist j e d o c h i m B e r e i c h der s e m a n t i s c h e n V e r a r b e i t u n g w e n i g k o n k r e t , d a f ü r bietet es e i n e u m f a s s e n d e D i s k u s s i o n der V e r a r b e i t u n g d e s a k u stischen Ereignisses. Die erste Stufe der Reizaufnahme ist die Feststellung eines akustischen Reizes, der verbal kodierter Information zugeordnet werden kann (Anwesenheit oder Abwesenheit). Die Aufnahme solcher Reize kann durch eine Überflutung mit verschiedenen Reizen oder durch allzu große Störgeräusche beeinträchtigt bzw. völlig unmöglich gemacht werden. Diese erste Stufe, feature-detection, die im prä-perzeptuellen Speicher ca. 250 msec, verbleiben kann, wird in einem nächsten Schritt, dem Hör-Synthese-Speicher, im Erkennen der Einheiten V, VK, KV phonologischen Regeln zugeordnet. Dabei muß bereits hier in der primären Wahrnehmung eine zeitliche Uberlagerung mit der sekundären Analyse, der eigentlichen Konzeptualisiening, angenommen werden. Bei der Sprachwahrnehmung spielt offensichtlich die Einbeziehung der Auftretenswahrscheinlichkeiten auf den einzelnen Ebenen eine tragende Rolle, wie man durch Ergänzungs- und Wiederholungstest zeigen kann; auch für diesen Bereich ist nur wenig über die konkreten Zusammenhänge mit physiologischen Korrelaten, insbesondere für höhere Ebenen nach Verlassen des prä-perzeptuellen Speichers, bekannt (Freund 1975). 4 . 3 . D a s primäre E m p f a n g s o r g a n f ü r verbal k o d i e r t e I n f o r m a t i o n ist d e r a k u s t i s c h e A n a l y s a tor, d . h . das G e h ö r m i t s e i n e n N e r v e n b a h n e n z u r K o r t e x . D e r e i n l a u f e n d e R e i z w i r d bei d e r L e i t u n g mehrfach transformiert, woran besondere Zellen-

39. Sprachbiologie

Projektionen auf den unteren und höheren Leitungsstufen beteiligt sind. Der ursprüngliche Zeitkode der akustischen Reizaufnahme wird so in einen Ortskode umgewandelt und erfährt dabei eine Erhöhung der Trennschärfe und eine Kontrastschärfung, was als die entscheidenden Entsprechungen für die Invariantenerkennung der Sprachlautwahrnehmung angesehen werden kann (Lindner 1969, 103-105). Somit kann die Untersuchung Rosenbliths (1963), der eine mögliche Unterscheidungsfähigkeit im Ohr auf 250 000 verschiedene Töne aus der Intensitäts- und Frequenzschwelle für Unterscheidung benachbarter Schritte errechnet hatte, als eine beeindruckende Zahl charakterisiert werden, die jedoch mit der Sprachlauterkennung beim Menschen nichts Wesentliches zu tun hat; eindeutig ist das Prinzip auf Identifizierung, nicht auf Unterscheidungsschwellen angelegt. Gemäß der sog. Motor-Theorie der Sprachwahrnehmung (Studdert-Kennedy/Liberman/Harris/Cooper 1970) erfolgt die Wahrnehmung über die Rückmeldung der Anweisung an die Artikulationsorgane des Hörers, in Stellung zu gehen, d . h . der einlaufende Reiz löst im Hörer selbst die Tendenz zur Artikulation aus und wird so identifiziert. StuddertKennedy (1973) hat dieses Modell dahingehend modifiziert, daß der Hörer das Lautmuster auf seine Grundtonfrequenz, Intensität und Dauer hin analysiert, d. h. in ein neurologisches Muster überführt. (Weitere Modifikationen des Modells bei Paap 1975, 159-175.) Für eine Motor-Theorie sprechen bestimmte Fehlerarten während des Schreiblernprozesses (Uberführung von Fremdartikulation in Eigenartikulation) und Ergebnisse elektromyographischer Messungen am Kehlkopf (Lullies 1972).

Die semantische Analyse von Sätzen wird von tonalen und rhythmischen Analysen überlagert (Freund 1975). Der signifikante Zusammenhang von supra-segmentalen Merkmalen und Oberflächenstrukturen ist entscheidend bei dem Erkennen zusammengehöriger Sinneinheiten (Lehiste 1970; Lea 1972). Eine wichtige Rolle spielt ferner die Registrierung der Dauer und Häufigkeit der Pausen. Auch die Sprechgeschwindigkeitsvariationen werden durch Pausen im wesentlichen geregelt, während die zeitlichen Verhältnisse bei der Artikulation außerordentlich konstant bleiben. 4.4. Bei der Wahrnehmung der gesprochenen Sprache spielen neben den akustischen Schlüsseln die visuell aufgenommenen Informationen eine wichtige Rolle. Ihnen kommt nicht nur eine Begleitfunktion oder Intensivierung der verbal übermittelten Information zu, sondern als Träger interpersoneller Informationen und als Rückmeldekanal für den Sprecher sind sie von entscheidendem Einfluß bei der Wahl von Varianten im Repertoire, bei der Einschätzung von Präsuppositionsvoraussetzungen, dem Verlauf von Themen und dem Sprecher-Hörer-Wechsel in verbalen Interaktionen. Das bisher vollständigste Modell zur Analyse der zeitlichen Abläufe und der Sprecher-Hörer-Steuerungsvorgänge hat Duncan (1973) mit seinem turn-taking-system geliefert (vgl. Art. 27). Hier wurde erstmals der Versuch

401

unternommen, die verbalen und nicht-verbalen Schlüssel im Gesprächsablauf in ihrem Bezug zueinander zu systematisieren (für eine weitere Ausarbeitung s. Sacks/Schegloff/Jefferson 1978). Die visuellen Zeichensysteme haben immer wieder Anlaß zu der Frage gegeben, ob hier vielleicht am ehesten eine Verbindung zur Primatenkommunikation zu suchen sei und man von hier aus eventuell Rückschlüsse auf die Vorformen der heutigen Kommunikation ziehen kann. Die Frage kann eindeutig dahingehend beantwortet werden, daß der wesentliche Unterschied im Benutzen des visuellen Zeichensystems bei Primaten und Menschen darin zu suchen ist, daß der Mensch die entsprechenden Parameter in hohem Maße der kognitiven Kontrolle unterwirft und solche Signale, die durch das autonome Nervensystem gesteuert werden, möglichst meidet oder nur in Verbindung mit konventionalisierten Bedeutungen benutzt (Argyle 1976). So realisiert der Mensch weitgehend kulturell voneinander unabhängige, konventionalisierte Zeichen, die Primaten in der Regel angeborene, die auf die Erreichung von Grundkategorien der Bedürfnisbefriedigung ausgerichtet sind. Körperkontakt dient in der Regel zur Einleitung ganzer Sequenzen oder der Übermittlung emotionaler Einstellungen (vgl. Art. 22). Dabei spielen Kontaktstellen und Druckstärke eine Rolle. In den meisten westlichen Kulturen ist der Körperkontakt stark altersabhängig geregelt. Die Erforschung der proxemischen Verhältnisse läßt auf einen Standardgesprächsabstand von ca. 1,65 m schließen, 60 cm bzw. 3 m sind kritische untere und obere Grenzen. Körperhaltungen sind weitgehend von der Art der sozialen Handlung abhängig, sie können außerdem im Rückmeldekanal Auslöser von Themen- oder Sprecherwechsel sein. Auch Rollenund Statusbeziehungen werden durch sie mit definiert (Argyle 1972 , 91 ff.). Birdwhistell (1968) konnte für den Menschen insgesamt 33 relevante Gesichtsteilpositionen feststellen. Während die Kopfhaltung weitgehend angeboren ist, müssen Kopfbewegungen erlernt werden. Der Blickkontakt spielt für den Interaktionsverlauf eine wichtige Rolle, allerdings gibt es auch hier kulturell sehr unterschiedliche Muster bzw. verstärkten Rückgriff auf den akustischen Kanal bei Meidung von Blickkontakt. Die Benutzung der Finger- bzw. Handbewegungen konnte bei Sprechunfähigkeit durch das Entwickeln eines die Sprache in ihren Hauptzügen ersetzenden Zeichensystems, die Taubstummensprache, als Ersatz nutzbar gemacht werden. Man kann annehmen, daß die Verbindungsmöglichkeiten der visuell aufgenommenen Information zum Sprachspeicher und die teilweise sich ergänzenden und ersetzenden Funktionen eine artspezifische Entsprechung in neurophysiologischen Strukturen haben, auch wenn hierüber nichts präzise ausgesagt werden kann. Da der Art. 22 der Paralinguistik gewidmet ist, sollen die akustischen Systeme hier nur noch kurz gestreift werden. Psychologische Faktoren können die Gehirnfunktionen in gemäßigter Form verändern und verschiedene Sprachstörungen, die temporär sind, hervorrufen. Besonders Abweichungen vom phonematischen Muster werden vom Hörer beachtet (Cook 1969). Als Akzent können sie dort bewußt gewählt werden, wo der Sprecher durch Code-Switch aus

402

V. Individuelle

Aspekte

Varianten oder Alternativen auswählen kann, sie dienen dann meistens der Selbstdarstellung. Bei dem Erlernen fremder Sprachen wird ein akzentfreies Artikulieren durch eine Abnahme der Flexibilität bezüglich der Lautmuster mit zunehmendem Alter schwieriger.

4.4. Der visuelle Kanal kann vom Menschen nicht nur in der paralinguistischen Ebene ausgenutzt werden, sondern auch für die visuell erfaßbare Kodierung verbaler Information mit Hilfe der Schrift. Diese Kodierung hat den Vorteil, daß eine Beeinträchtigung durch Störgeräusche ausgeschaltet ist, Information über lange Zeiträume hinweg aufbewahrt und weitergegeben werden kann und bei der Planung und Wahrnehmung der Mensch dem einschränkenden Zeitfaktor weitgehend entgeht. Die Möglichkeit der Ausnutzung des visuellen Kanals muß als Koordinationsmöglichkeit bezüglich Sprache zu den artspezifischen Voraussetzungen gehören, da jeder normal ausgestattete Mensch das Schreiben und Lesen erlernen kann, allerdings ist sie immer eine sekundäre Fähigkeit, da Kinder zwar spontan anfangen zu sprechen, nicht aber zu schreiben. Hierfür spricht auch, daß verbale visuelle Information sehr stabil gespeichert ist (Reed 1973), allerdings ist der Gedächtnisrepräsentant über das akustische Signal schneller zu erreichen als über das visuelle (Burrows 1972). Bei der Erfassung der Schrift sprechen ökonomische Gründe für eine Merkmalstheorie (Rumelhart 1971). Die Zeit, die benötigt wird, um von einem Fixationspunkt auf den nächsten überzugehen, beträgt 2 0 0 - 2 5 0 m sec (Massaro/Schmuller 1975, 237). Pro sec können 3 - 5 Wörter erfaßt werden. Eine systematische Erforschung der Zusammenhänge zwischen Augenbewegungen und Texterfassung, d. h. Entschlüsselung der Botschaft, steht noch aus (Massaro 1975, 236).

Sowohl der akustische als auch der visuelle Kanal unterliegen im Alter Leistungsabnahmen, d . h . die Beeinträchtigung der Analysatoren kann zu erheblichen Kommunikationsstörungen führen, ohne daß eine Aphasie vorliegen muß. 5.

Spracherwerb

5.1. Der Spracherwerb (vgl. Art. 43) kann aufgrund der Regelmäßigkeit seines Beginns, universeller Prozesse in der Stufenfolge und seiner Unabhängigkeit von bestimmten anatomischen Voraussetzungen nicht einfach als eine Folge einer erreichten motorischen Kontrolle oder das Verlassen einer Einübungsphase (Lallperiode) angesehen werden. Für die besondere Rolle der neurophysiologischen Anlagen spricht ein Zusammenhang zwischen Sprachentwicklung und einer großen Anzahl spezieller morphologischer und funktionaler Faktoren. Dabei sind hier einzelne Bereiche besser erforscht als andere. Der Beginn des Spracherwerbs liegt bei ca. 18 Monaten. Das Gehirngewicht des Kindes nimmt in der postnatalen Periode schnell zu, während der ersten zwei Le-

bensjahre um ca. 3 5 0 % , dann bis 14 Jahre nur noch 35 % (Lenneberg 1967, 198). Aus dem Material des Conel-Labors (1939-1963) geht hervor, daß die wichtigste Veränderung in der Verzweigung zwischen bestimmten Zellen besteht. Die Entfernungen zwischen den Zellen wachsen mit zunehmendem Alter und werden mit Dendriten und Nervenfilz ausgefüllt (Lenneberg 1967, 202). Obwohl die intra-organischen Vorgänge bei der Informationsleitung noch weitgehend unerforscht sind, läßt sich aufzeigen, daß alle untersuchten Parameter während der ersten Lebensjahre entscheidende Veränderungen erfahren. Wie bereits erwähnt (vgl. 3.4.), sind die Untersuchungen der Lateralisierung und ihr Zusammenhang mit der Rechthandpräferenz widersprüchlich, dieses gilt auch für ihre Beziehung zum Spracherwerb. Lenneberg (1967, 213) kommt in seiner Beurteilung zu weitaus vorsichtigeren Einschätzungen als Gardiner (1975), der mit seiner Studie an mehrsprachig aufwachsenden Kindern eine Lateralisierung schon im Alter von 8 M o n . ansetzt. Aufschluß über die Grenzen der Erlernung von Sprache erhofft man sich aus der Untersuchung von Wolßindern. Durch ein 1970 im Alter von 13,7 Jahren aufgefundenes, völlig retardiertes Kind konnte gezeigt werden, daß noch in diesem Alter eine Erlernbarkeit vorhanden ist, das Kind hat in vier Jahren ungefähr den Stand 2-3jähriger Kinder erreicht (Curtiss et al. 1974). (Für eine Zusammenfassung der früheren Fälle vgl. Malson et al. 1972 u. Panconcelli-Calzia 1955.)

5.2. Die Ursprünge der kognitiven Funktionen für den Spracherwerb liegen bereits in der präverbalen, sensomotorischen Phase, die erste Invariante ist der Erwerb der Objektkonstanz (6-18 Mon.) (Sinclair-de Zwart 1974, 284f. eine ausf. Darstellung mit Versuchen s. Bower 1974.) Vor dem Erscheinen der Sprache hat das Kind seinen perzeptiven und motorischen Egozentrismus durch eine Reihe von Dezentrierungen und Koordinationen überwunden, was in der eigentlichen Spracherwerbsperiode auf der Ebene der Raum-Zeit-Unabhängigkeitserfassung und der allmählichen Einschätzung des Hörerwissens weitergeführt wird (Bielefeld-Kuschinski 1978). Allerdings weiß man nicht, welche Gehirnveränderungen hier zugrundeliegen. Die Erforschung der Wahrnehmung von Handlungsrahmen und Kooperationsbedingungen und ihre wechselseitige Beziehung zum Spracherwerb stecken noch in den Anfängen. Trevarthen (1977) zeigte, daß das kommunikative Verhalten zwischen 6 - 1 2 Monaten in der Regel von den erwachsenen Kommunikationspartnern aufrechterhalten wird. Collis (1977) bestimmte den Zeitpunkt für visuelle Koorientierung auf 11-14 Monate. Geschlechtsspezifische Unterschiede in den neurophysiologischen Voraussetzungen konnten bisher nicht nachgewiesen werden (Oksaar 1977, 120).

Die Rolle der Umwelt im Spracherwerb besteht nicht lediglich in einer Bereitstellung zu analysierenden Materials, sondern in der Schaffung von Rahmen, die eine Förderung der dezentrierten Wahrnehmung und eine Hinwendung zu Koordination von Aufmerksamkeit und Kooperation in Handlungen ermöglichen, hierzu gehört die visuelle Ebene ebenso wie die akustische.

39. Sprachbiologie

J. Evolution des Spreebens und des Denkens Uber die Ursprünge des Sprechens und des D e n kens ist in der Vergangenheit viel Spekulatives ausgesagt worden. D a sich die Rekonstruktion über fossile Funde als fast unmöglich erwies, bestehen die methodologischen Ansätze daher heute entweder in einer Bestimmung der spezifisch menschlichen Art der Sprachvermittlung und ihren Funktionen b z w . in der Aufdeckung der Zusammenhänge zwischen Entwicklung der gesellschaftlichen Formen und Sprache. H o c k e t t ( 1 9 7 3 ) unterscheidet die f o l g e n d e n

Charakte-

ristika und ihre F u n k t i o n : S t i m m - H ö r - K a n a l (gleichzeitiges S p r e c h e n mit anderen T ä t i g k e i t e n ) ,

Breitbandübertragung

und R i c h t u n g s h ö r e n (relativ g r o ß e H ö r w e i t e und L o k a l i s a t i o n ) , A u s t a u s c h b a r k e i t ( j e d e r kann jede B o t s c h a f t ü b e r m i t t e l n ) , totale R ü c k k o p p e l u n g ( K o n t r o l l e ,

Intemalisierung),

Spezialisation ( L a u t nicht m e h r B e g l e i t e r s c h e i n u n g wie ζ . B . b e i m H e c h e l n des H u n d e s [Signal]), W i l l k ü r l i c h k e i t ( K o n ventionalität),

Diskretheit

(Klassen

von

Raum-Zeit-Unabhängige

(Loslösung

eignissen),

(offenes

Produktivität

durch Tradition

Lautereignissen),

von

aktuellen

System),

Er-

Übermittlung

(Wiedergabe der Weiterentwicklung

der

S p r a c h e durch frühere G e n e r a t i o n e n ) , D u a l i t ä t der M u s t e r bildung ( S e m a n t i z i t ä t ) . I m Vergleich aller b e k a n n t e n A r t e n der Tierkommunikation

kann

man

sehr deutlich

sehen,

daß die tierische K o m m u n i k a t i o n sich erheblich v o n d e r menschlichen

unterscheidet

und s o m i t

nicht

einfach

als

simplere F o r m d e r m e n s c h l i c h e n S p r a c h e b e z e i c h n e t w e r den k a n n . B e s o n d e r e s G e w i c h t k o m m t in diesem Z u s a m m e n h a n g i m m e r wieder der F r a g e z u , o b die S p r a c h e r l e r n u n g d u r c h A f f e n R ü c k s c h l ü s s e auf die E n t w i c k l u n g der m e n s c h lichen

Sprache

zuläßt

(Gardner/Gardner

1974;

Premack

1 9 7 3 ; ausf. B i b l i o g r a p h i e E d m o n d s o n / M a y e r t h a l e r

1978).

D i e F r a g e kann d a h i n g e h e n d b e a n t w o r t e t w e r d e n , d a ß die S p r a c h e r i e m u n g der A f f e n qualitativ e i n e andere A r t d e r K o n z e p t u a l i s i e r u n g darstellt, auch in längeren K e t t e n , die den ersten Sätzen v o n K i n d e r n zu ähneln scheinen (in c a . 2 3 M o n a t e n k o n n t e das V e r s u c h s t i e r c a . 3 4 auch k o m b i n i e r t e Z e i c h e n erlernen), handelt es sich um eine R e i h u n g v o n V o r stellungen ( B r o w n 1974 bietet einen ausführlichen V e r g l e i c h mit K i n d e r n ) . D i e A n e i g n u n g von W ö r t e r n m u ß n o c h keine P r o d u k t i v i t ä t im Sinne des m e n s c h l i c h e n R e g e l s y s t e m s s c h a f f e n . D i e b e s o n d e r e n F ä h i g k e i t e n müssen in d e m Z u s a m m e n w i r k e n d e r W a h r n e h m u n g der sozialen S t r u k t u r der U m w e l t und dem Austausch von I n f o r m a t i o n auf der I n n e n u m w e l t e b e n e beim M e n s c h e n liegen. L e o n t i e v ( 1 9 7 4 , 4 2 3 ) vertritt die A u f f a s s u n g , d a ß die M e r k m a l e h u m a n s p e z i f i s c h e r H a n d lungstypen,

die

durch

Werkzeug

und

Zeichengebrauch

b e s t i m m t sind, sich k o m p l e m e n t ä r zu e i n e m P r o z e ß

der

aktiven Sozialisierung a n g e b o r e n e r b i o l o g i s c h e r V o r a u s s e t zungen v e r h a l t e n . A k t i v e Sozialisierung ist , , [ . . . ] das R e sultat der I n t e g r a t i o n von O b j e k t e n und P h ä n o m e n e n der äußeren W e l t , in denen sich m e n s c h l i c h e F ä h i g k e i t e n vergegenständlicht

haben,

in

jene

biologischen

Prozesse".

C o u n t ( 1 9 7 0 ) sieht den w e s e n t l i c h e n U n t e r s c h i e d in der F r a g e der R a u m - Z e i t - O r g a n i s a t i o n durch O r g a n i s m e n , w o bei im G e g e n s a t z z u m gattungsgeschichtlich angeleiteten T i e r die f ü r den M e n s c h e n d e t e r m i n i e r e n d e F o r m der I n t e r a k t i o n gesellschaftlich b e s t i m m t ist, d . h . D e n k e n läge im H a n d e l n begründet.

Die Evolution der „psychologischen W e r k zeuge" des Menschen (Wygotski 1960, 2 2 5 ) muß

403

in der Verfestigung der Errungenschaften menschlicher Tätigkeit auf der Grundlage der sozialen und historischen Erfahrungen gesehen werden, die sich nicht nur in biologischen Veränderungen zeigen, sondern in der instrumentalen Funktion solcher, z . B . anatomischer Veränderungen.

6. Die Rolle der Erforschung biologischer Grundlagen für die moderne Grammatiktheorie D e r entscheidende Anstoß zur Erforschung der biologischen Grundlagen von der Linguistik her muß in der Entwicklung der Generativen Transformationsgrammatik gesucht werden. Die brillanten Ausführungen Lennebergs haben zu einer Abkehr von behavioristischen Methoden in der Spracherwerbsforschung geführt und somit die heutigen Erkenntnisse über den Spracherwerb und sein mögliches Verhältnis zur Erwachsenengrammatik erst möglich gemacht. Auch im Bereich der Aufdeckung der psychologischen Realität grammatikalischer Ebenen - besonders im Bereich der Phonemtheorie - und zur Frage des Verhältnisses von Oberflächen- und Tiefenstruktur konnten neue Erkenntnisse gewonnen werden. Von der Weiterentwicklung der Informationsflußmodelle wird sicherlich in der Zukunft eine genauere Bestimmung des Verhältnisses von grammatikalischen Ebenen und ihrem Zusammenwirken bei der Sprachwahrnehmung zu erwarten sein. D e r Ausschluß der sozialen Kognition, der durch das vorgegebene Grammatikmodell 1967 zwingendermaßen vorlag, ist inzwischen durch die Weiterentwicklung zur Sprechhandlungsgrammatik einerseits und durch die Revision der ersten Spracherwerbsmodelle andererseits aufgehoben. Während Lenneberg sich noch sehr vorsichtig über die Rolle der Umwelt bei der Entwicklung der Sprache äußerte, läßt sich heute hier bereits ein notwendiger Zusammenhang aufweisen. Die Entwicklung einer sprachlichen Interaktionstheorie auf den Grundlagen des Symbolischen Interaktionismus (Hewitt 1976) hat versucht, die Zusammenhänge zwischen dem visuellen und dem akustischen Kanal zu berücksichtigen. H i e r wird die Weiterentwicklung der Gedächtnismodelle und die Erforschung der intra-zerebralen Zusammenhänge unbedingt erforderlich sein. Betrachtet man die Beurteilung kultureller Zusammenhänge mit Sprache, so kann man sagen, daß die Erforschung der biologischen Grundlagen hier in den letzten Jahren zu einer erheblichen Modifizierung der Vorstellungen über den sprachlichen Determinismus geführt hat: soziale Isolation einzelner Gruppen und kulturelle Abweichung, die andere Realisationen aus den strukturellen Möglichkeiten gefördert hat, kann nicht als ,primitive Sprache', schon gar nicht als .primitive D e n k f o r m e n ' ge-

404

V. Individuelle Aspekte

kennzeichnet werden, die Beschreibung z.B. der Buschmannsprache sagt nichts über die potentiellen Fähigkeiten ihrer Sprecher bezüglich einer Weiterentwicklung oder Aufgabe ihrer Mittel unter anderen kulturellen Bedingungen aus. Auch die Bewertung von Sprechern mit Sprechfehlern oder Sprachstörungen hat entscheidende Impulse aus der Erforschung der artspezifischen Voraussetzungen für Sprache erfahren. Es mag sehr unbefriedigend sein, daß man bisher so wenig über die neurophysiologischen Korrelate der Sprache aussagen kann, besonders was die Konzeptualisierung betrifft, man muß aber zugleich bedenken, daß selbst bei Kenntnis der adäquaten Methoden der Zugriff zum menschlichen Gehirn strengen ethischen Auffassungen unterworfen bleibt. Die Erforschung der biologischen Grundlagen ist leider in den letzten Jahren immer wieder als eine ,umweltfeindliche' Fundierung der Grammatiktheorie angegriffen worden, dieser Vorwurf hat dazu geführt, daß eine einheitliche Konzeption, so wie sie 1967 erstmals in Angriff genommen wurde, wieder in einzelne Bereiche zerfällt und ein Zusammenhang nur schwer herstellbar ist. Es wäre zu wünschen, daß seitens der Linguistik hier wieder ein größeres Interesse an den Arbeiten aus dem Bereich der Anthropologie und der Biopsychologie entstehen würde. 8. Bibliographie (in Auswahl) S. M. Anstis, What does visual perception tell us about visual coding. In: Handbook of Psychobiology. N e w York 1975,269-317. M. Argyle, Soziale Interaktion. Köln 1972, Bodily Communication. London 1976. R. C . Atkinson, R. M. Shiffrin, Human Memory. In: K. W. Spence und J. T. Spence (Hrsg.), The Psychology of Learning and Motivation. Vol. II. N e w York 1968, 89 bis 195. E. Bates, Language and Context. N e w York 1976. R. Bielefeld-Kuschinski, O n the onset of semantic presupposition in ontogenesis. Ersch. in: D. Ingram (Hrsg.) The Child and Language Development. Vancouver. E. L. Birdwhistell, Kinesics. In: IESS 8. 1968, 379-385. E. Bizzi, Motor-Coordination: Central and peripheral Control during Eye-Hand-Movement. In: Handbook of Psychobiology. N e w York 1975, 427-^36. G. von Βοηίη, Essays on cerebral cortex. Springfield 1950. T. G . R. Bower, Development in Infancy. San Francisco 1974. R. Brown, Die ersten Sätze von Kind und Schimpanse. In: Linguistik und Psychologie. F r a n k f u n / M . 1974, 240 bis 262. V. V. Bunak, Die Entwicklungsstadien des Denkens und des Sprachvermögens und die Wege ihrer Erforschung. In: Uber die Evolution der Sprache. Frankfurt/M. 1973, 226-255. D. Burrows, Modality effects in retrieval of information from short-term memory. In: PPh 11. 1972, 365-372. W. Chafe, Meaning and the Structure of Language. Chicago 1970. N . Chomsky, Reflections on Language. Glasgow 1975.

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405

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Bielefeld-Kuschinski,

Stuttgart

406

V. Individuelle

Aspekte

40. Neurolinguistik 1. Bestimmung des Gegenstandsbereiches 2. Anatomisch-physiologische Grundlagen der Aphasie 3. Klinische Erfahrungen 4. Die Bedeutung der Neurolinguistik für den Sprachwissenschaftler und Philologen 5. Bibliographie (in Auswahl)

1. Bestimmung des

Gegenstandsbereiches

Der Terminus Neurolinguistik ist einer jener neueren Ausdrücke, der noch keine scharfe Begriffsbestimmung erfahren hat. Grewel (1966) stellt den Begriff Neurolinguistik unter den Oberbegriff der Patholinguistik und erklärt, ihre Aufgabe sei die Beschreibung der Sprachproblematik bei Hirnerkrankungen. Man dürfe die Neurolinguistik aber nicht auf die Aphasielehre beschränken, sondern es gehörten dazu auch die Apraxie, die Agnosie, die Störungen der Sprachentwicklung und das amnestische Syndrom, der Korsakow. - Der Terminus Neurolinguistik wird aber bisher sonst nur von wenigen Autoren verwendet (Gipper 1963, Hecaen und Angelergues 1965). Hecaen und Alben (1978) bezeichnen mit ihm eine Disziplin, welche versucht, die neurologischen Aktivitäten und das sprachliche Verhalten miteinander in bezug zu setzen. Die Autoren geben einen Uberblick über die neueren Versuche, linguistische Analysen bei Aphasien durchzuführen, betonen aber, daß das pathologische Sprachverhalten mehr umfaßt als nur die linguistische Struktur allein, es betreffe auch solche Komponenten des Verhaltens wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Vigilanz, Wahrnehmung und Lautemission. Die Neurolinguisten müßten sich mit den Störungen aller dieser Faktoren und mit den Wegen befassen, auf denen sie die wirksame Anwendung der grammatischen Mechanismen beeinträchtigen können. Es fällt auf, daß Hecaen und Albert nur die Arbeiten unter dem Begriff Neurolinguistik anführen, in denen bei Aphasikern, also bei organischen Hirnerkrankungen linguistische Analysen durchgeführt wurden. Sie bringen wertvolle linguistische Aussagen für den Neurologen. Die wichtigen Aussagen, welche der Neurologe dem Linguisten liefern kann, werden anscheinend nicht zur Neurolinguistik gerechnet. In diesem Artikel werden im Gegensatz zu dem Konzept von Hecaen und Albert Versuche unternommen, dem Linguisten etwas über die anatomisch-physiologischen Grundlagen der Sprache zu vermitteln. Gerade die Erforschung der pathologisch-anatomischen Hirnbefunde bei Aphasien und der Wechselwirkungen zwischen den pathophysiologischen Erscheinungen und den linguistischen Störungen der

Sprache müßten meines Erachtens ein zentrales Problem der Neurolinguistik bilden. Die bisher noch nicht ganz festgelegte Begriffsbestimmung zum Ausdruck Neurolinguistik hat den Vorteil, daß man an ihn unvoreingenommen herangehen kann. Er besteht sichtlich aus 2 Teilen, dem Teilwort Neuro- und dem Wort Linguistik. Neuro- ist in diesem Zusammenhang wohl als eine „Abkürzung" von Neurologie, der Lehre von den organischen Nervenkrankheiten, anzusehen. Linguistik ist synonym mit Sprachwissenschaft. Es ergibt sich also, daß die Neurolinguistik alle Probleme umfassen soll, die der Sprachwissenschaft durch die Erfahrungen der Lehre von den organischen Nervenkrankheiten aufgegeben werden. Die Neurolinguistik muß sich daher mit den organischen Nervenkrankheiten befassen, bei denen Störungen der Sprache in Erscheinung treten. Ihr Gebiet ist also nicht etwa die normale Sprache, sondern die pathologisch gestörte Sprache. Es erhebt sich daher gleich die Frage, ob man die Neurolinguistik nicht besser mit Patholinguistik bezeichnen sollte, einem Ausdruck, der in jüngster Zeit besonders von Peuser (1978) bevorzugt wird, oder ob man sie - wie Grewel - unter den Oberbegriff Patholinguistik subsummieren sollte. Dies wäre auch dadurch gerechtfertigt, daß sich die Neurologie, soweit sie sich überhaupt mit der Sprache beschäftigt, nur mit den Störungen dieser Leistung befaßt. Um den Rahmen der Neurolinguistik zu umreißen, muß noch auf eine wichtige Unterscheidung hingewiesen werden. Die Linguistik als Sprachwissenschaft beschäftigt sich mit der Sprache als solcher und weniger mit dem Sprechvorgang. Dieser erweckt mehr das Interesse der Phonetiker (vgl. Art. 9). Innerhalb der Neurologie hat sich eines ihrer Teilgebiete, die Aphasieforschung, mit der Sprachpathologie auseinanderzusetzen (vgl. Art. 44). In der Sprachwissenschaft ist es vor allem die angewandte Sprachwissenschaft, welche den Fragen der Patholinguistik mit Interesse entgegenkommt (vgl. Art. 92 u. 100). Es werden daher als Mittler zwischen der Linguistik und der Neurologie auf der einen Seite die angewandte Sprachwissenschaft und auf der anderen Seite die Aphasiologie einander gegenüberstehen. Sprache im eigentlichen Sinne ist die Fähigkeit, seine Gedanken in einer syntaktisch, phonologisch und semantisch richtigen Weise zum Ausdruck zu bringen, die Sprache der anderen zu verstehen, mit Sprache (metasprachlich) umzugehen, die Fähigkeit, zu schreiben und zu lesen oder das Schreiben und Lesen zu erlernen. Eine Aphasie ist eine Störung, bei der eine, mehrere oder alle diese Fähigkeiten in Verlust geraten sind. Die sinngemäßeste Ubersetzung des Terminus Aphasie ist daher Sprachverlust oder Sprachabbau (vgl. Art. 44).

40. Neurolinguistik

Um alle Mißverständnisse auszuschließen, muß noch darauf hingewiesen werden, daß ganz bestimmte Voraussetzungen gegeben sein müssen, ehe man eine Aphasie diagnostizieren darf. Bezüglich der Fähigkeit, seine Gedanken in einer syntaktisch richtigen Weise zum Ausdruck zu bringen, besteht die Voraussetzung, daß die betreffende Person einerseits über hinreichend funktionierende Sprechwerkzeuge verfügt, andererseits aber auch, daß ihre allgemeine geistige Entwicklung so weit fortgeschritten ist, daß sprachliche Formulierungen überhaupt möglich sind. Zur Fähigkeit, die Sprache der anderen zu verstehen, muß die Voraussetzung gemacht werden, daß das Gehör soweit intakt ist, daß Sprechlaute gehört werden können. Das Schreiben setzt voraus, daß eine der beiden Hände motorisch soweit beweglich ist, daß sie als Schreibhand benützt werden kann. Beim Lesen ist die Voraussetzung eine hinlängliche Sehschärfe und ein ausreichendes Gesichtsfeld. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, dann kann man manchmal gar nicht mit Sicherheit feststellen, ob eine aphatische Störung vorliegt. Um nur ein Beispiel zu geben: bei einem Blinden kann nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden, ob er, ganz unabhängig von der Blindheit, auch noch eine Alexie - eine Störung des Lesens - hat. Man muß scharf unterscheiden zwischen Störungen der Sprache und Störungen des Sprechens (vgl. Art. 44). - Die Störungen des Sprechens sind bedingt durch Funktionsstörungen im Sprechapparat, meist durch Mißbildungen oder Erkrankungen im Bereiche des Kehlkopfes, des Schlundes oder der Mundhöhle. Diese Störungen nennt man Dyslalien. Sprechstörungen können aber auch hervorgerufen werden durch Lähmungen oder Bewegungsstörungen der Muskulatur des Sprechapparates. Solche Störungen sind Funktionsstörungen der unteren motorischen Hirnnerven (des motorischen Anteils des Trigeminus, des Facialis, der motorischen Anteile des Glossopharyngeus und Vagus oder des Hypoglossus), welche den Sprechapparat innervieren. Diese Hirnnerven können ihrerseits entweder peripher oder zentral geschädigt werden, d . h . , es können entweder die im verlängerten Mark befindlichen Hirnnervenkerne oder die peripheren Hirnnerven, die von diesen Kernen ihren Ausgang nehmen, betroffen sein. Es können aber auch supranukleäre Läsionen vorliegen, d . h . , es können die Bahnen geschädigt sein, die von der motorischen Rindenregion zu jenen Hirnnervenkernen ziehen. (Aus anatomischen Gründen müssen solche Läsionen beiderseitig sein, um zu Sprechstörungen zu führen.) Es gibt aber noch ein anderes Einteilungsprinzip der genannten Sprechstörungen, nämlich nach der Art des motorischen Systems, dessen Läsion diese Sprechstörung hervorruft. Danach muß man un-

407

terscheiden zwischen pyramidalen, extrapyramidalen und zerebellaren Sprechstörungen. Das pyramidale System ist das motorische System der willkürlichen Einzelbewegungen, das extrapyramidale System das der unwillkürlichen Massenund Reaktivbewegungen und das Kleinhirn (cerebellum) das System der motorischen Koordination der Bewegungen. Alle Störungen des Sprechens, die durch Funktionsbeeinträchtigungen der motorischen Hirnnerven bedingt sind, nennt man Dysarthrien. Dyslalien und Dysarthrien sind keine Sprachstörungen, sondern Sprechstörungen, sie gehören daher im strengen Sinne nicht in den Bereich der Sprachpathologie und daher auch nicht in den Bereich der Neurolinguistik. Auf diesen Umstand ist deshalb besonders zu verweisen, weil im deutschen medizinischen Schrifttum immer noch Sprechstörungen oft als Sprachstörungen bezeichnet werden, obwohl sie im Wesen etwas anderes sind. Das gleiche gilt vom Stottern, einer Sprechrhythmusstörung, welche sehr heterogener Genese sein kann. Es ist aber auch noch eine andere Abgrenzung der Sprachstörungen erforderlich, nämlich die gegen psychopathologisch, aber nicht organisch faßbare Sprachanomalien, wie sie etwa im Verlaufe von Geisteskrankheiten (Psychosen) beobachtet werden können. Als Beispiel kann hier die Schizophasie bei den Schizophrenien genannt werden. Diese Erscheinungen gehören in den Bereich der Psychiatrie und nicht in den der Neurologie und deshalb auch nicht in den Bereich der Neurolinguistik, sie könnten aber in die Psycholinguistik (Grewel; vgl. Art. 41) und natürlich auch in die Patholinguistik (Peuser) eingereiht werden. Nach dieser wichtigen Abgrenzung des Begriffes der Neurolinguistik verbleibt die Feststellung, daß sich dieser Wissenszweig mit den pathologischen Sprachphänomenen zu beschäftigen hat, welche durch organische Hirnerkrankungen verursacht werden können. Ihr Gebiet deckt sich also großenteils mit dem der Aphasiologie. Hingegen würde ich Bedenken haben, auch - wie Grewel die Apraxien, die Agnosien und das amnestische Syndrom als solche in den Rahmen der Neurolinguistik zu stellen. Sie gehören meines Erachtens in das weitere Gebiet der klinischen Hirnpathologie, ein Ausdruck, der im deutschen Schrifttum viel verwendet wird. Er umfaßt die psychopathologischen Ausfallserscheinungen, welche durch organische, meist umschriebene Herdläsionen der Hirnrinde vorwiegend der dominanten Hirnhälfte hervorgerufen werden. Die klinische Hirnpathologie beschäftigt sich neben der Aphasie auch mit den Störungen des Rechnens, des Körperschemas, der Praxie, mit konstruktiven und optisch-gnostischen Störungen, überschreitet also den Rahmen der Sprachpathologie. Im angloamerikanischen Schrifttum ist für die-

408

V. Individuelle Aspekte

ses Gebiet der Ausdruck Neuropsychologic aufgekommen. Er wird heute auch im deutschen Sprachgebiet viel verwendet. Er erscheint mir aber deshalb terminologisch nicht richtig, weil sich dieses Gebiet ausschließlich mit Psychopathologie und nicht mit der Lehre von den normalen seelischen Abläufen, der Psychologie beschäftigt. Er müßte Neuropsychopathologie heißen. Bei der klinischen Hirnpathologie handelt es sich um ein klinisches Fach. Das Krankengut ist ein neurologisches und setzt sich ausschließlich aus organischen Hirnkrankheiten zusammen. Die Neuropsychologic umfaßt aber auch die ganze experimentelle einschließlich der tierexperimentellen Erforschung der höheren Nerventätigkeit. Darin liegt, glaube ich, ein wesentlicher Unterschied gegenüber der klinischen Hirnpathologie. Wie unklar die Abgrenzung des Begriffes Neuropsychologie aber geworden ist, beweist die Tatsache, daß in jüngster Zeit 2 Monographien mit diesem Titel erschienen sind, die sich überhaupt nicht mit der Aphasiologie befassen. (Guttmann 1972; Haider 1971) Die Beschäftigung mit den organisch bedingten Sprachphänomenen schließt naturgemäß die Frage ein, welche Teile des menschlichen Hirnes mit den Sprachvorgängen zu tun haben. 2. Anatomisch-physiologische der Aphasie

Grundlagen

Für das allgemeine Verständnis der folgenden Ausführungen wird es notwendig sein, einige Vorbemerkungen über den Bau des menschlichen Nervensystems vorauszuschicken. Es teilt sich in das zentrale und das periphere Nervensystem. Das Zentralnervensystem setzt sich aus einzelnen Neuronen (Nervenzellen) zusammen, die morphologische und funktionelle Einheiten darstellen und ein Neuronennetz bilden. Die Erregungsleitung zwischen den einzelnen Neuronen erfolgt an besonderen Kontaktstellen, die man Synapsen nennt. Das Zentralnervensystem gliedert sich in das Großhirn, das Zwischenhirn, das Mittelhirn, das Kleinhirn, das verlängerte Mark und das Rükkenmark. Die Hirnfunktionen lassen sich in primäre und sekundäre Hirnfunktionen unterteilen. Die primären Himfunktionen haben folgende allgemeine Eigenschaften: - Sie sind in der Zellstruktur der Hirnrinde zu erkennen, — sie haben daher im Hirn eine eigene umschriebene Lokalisation, — sie haben eigene Ausführungsorgane, - sie werden von allen Lebewesen selbst, ohne fremde Hilfe erlernt. Primäre Hirnfunktionen leisten folgende Systeme:

(1) (2) (3) (4) (5)

das motorische System, das sensible System, das akustische System, das optische System, das Geruchs- und Geschmackssystem.

(1) Das motorische System gliedert sich in ein pyramidales und ein extrapyramidales System. Das pyramidale System ist zuständig für die willkürlichen Einzelbewegungen. Es hat seinen Ursprung in der motorischen Region der Großhirnrinde beider Hemisphären. Von ihr geht die größte Leitungsbahn, die Pyramidenbahn aus; sie führt nach einer Kreuzung zu den Vorderhornganglienzellen des Rückenmarks. Von diesen nehmen die Neuronen ihren Ursprung, welche mit den peripheren motorischen Nerven zu den Muskeln als den motorischen Endorganen führen. Die oben schon erwähnten motorischen Hirnnervenkerne, von denen die Sprechmuskulatur versorgt wird, entsprechen den Vorderhornganglienzellen, die Kreuzung ihrer peripheren Bahnen erfolgt aber bereits im verlängerten Mark oberhalb der großen Pyramidenbahnkreuzung. Das extrapyramidale System ist für die unwillkürlichen Massen- und Reaktivbewegungen zuständig. (2) Das sensible System führt die von den sensiblen Endorganen der Haut aufgenommenen sensiblen Reize durch die langen sensiblen Hinterstrangbahnen nach einer Kreuzung über die großen im Zwischenhirn gelegenen sensiblen Ganglien zu den sensiblen Hirnregionen der hinteren Zentralregion und zu Teilen des Scheitellappens. (3) Das akustische System. Alle das Ohr treffenden akustischen Reize werden über die Hörbahn zur Hörrinde geleitet, die in den Hcschlschen Querwindungen ihren Sitz hat. Die Hörbahn enthält eine Kette von Ganglien, welche auch zur Gegenseite Verbindungen haben. (4) Das optische System. Alle optischen Reize, welche die Netzhäute der Augen treffen, werden nach teilweiser Kreuzung über die Sehbahn und die Sehstrahlung zur Sehrinde geführt, die bds. im Hinterhauptslappen ihren Sitz hat. (5) Geruchs- und Geschmacksreize werden zum Riechhirn weitergeleitet. Beim Menschen hat dieses System für die Verständigung mit der Umwelt praktisch keine Bedeutung mehr. Bestimmte Anteile des ursprünglich der Riechfunktion dienenden Hirnes, der Hippokampus, haben beim Menschen eine neue Funktion übernommen. Die sekundären Hirnfunktionen haben folgende gemeinsame Eigenschaften: - Sie sind nicht in der Grundstruktur des Hirnes verankert, - sie sind deshalb aus der Zellstruktur der Hirnrinde nicht erkennbar, - sie unterliegen der Dominanz einer überwertigen Hirnhälfte,

40. Neurolinguistik -

sie k ö n n e n v o m M e n s c h e n nicht o h n e f r e m d e H i l f e , also o h n e E r z i e h u n g , erlernt w e r d e n , — sie haben k e i n e eigenen A u s f ü h r u n g s o r g a n e , sondern sie müssen ältere S y s t e m e in A n s p r u c h n e h m e n , die ursprünglich anderen niederen, aber biologisch wichtigeren F u n k t i o n e n dienten. Z u den sekundären H i r n f u n k t i o n e n gehört vor allem die m ü n d l i c h e und schriftliche Sprache s o wie das R e c h n e n , die Praxie (die F ä h i g k e i t , sinnvolle Handlungsabläufe d u r c h z u f ü h r e n ) und die meisten G n o s i e n (das E r k e n n e n optischer E i n drücke). D a sich die N e u r o l i n g u i s t i k nur mit den p a t h o logischen Erscheinungen der Sprache zu beschäftigen hat, stehen v o r allem die anatomischen Strukturen der G r o ß h i r n h e m i s p h ä r e der d o m i nanten H i r n h ä l f t e für sie im M i t t e l p u n k t des I n t e r esses. Tausendfältige Erfahrungen haben gezeigt, daß der Verlust der Sprache durch H i r n e r k r a n k u n g e n hervorgerufen w i r d . A u c h die Bedeutung der D o m i n a n z einer H i r n h ä l f t e für die Lokalisation der Sprachfähigkeit ist ein altes K e n n t n i s g u t ( D a x 1836). D i e Ansichten über die D o m i n a n z haben sich allerdings in den letzten J a h r z e h n t e n etwas geändert. W ä h r e n d man früher dazu neigte, die Sprachfähigkeit ausschließlich in die d o m i n a n t e Hirnhälfte zu lokalisieren, spricht man jetzt eher v o n der Ü b e r w e r t i g k e i t einer H i r n h ä l f t e . V o r allem aber werden die L i n k s h ä n d e r heute etwas anders bewertet als e h e d e m . M a n glaubt nämlich nicht m e h r daran, daß der L i n k s h ä n d e r , der ja ein R e c h t s h i r n e r ist, das Spiegelbild eines R e c h t s h ä n ders, der ein L i n k s h i r n e r ist, darstellt. D i e A r b e i ten von C o n r a d ( 1 9 4 9 ) sowie H u m p h r e y und Zangwill ( 1 9 5 2 ) haben hier neue G e s i c h t s p u n k t e erbracht. B e i m L i n k s h ä n d e r ist die Unilateralität der höheren Leistungen des N e r v e n s y s t e m s , insbesondere der S p r a c h e , weniger ausgeprägt als beim R e c h t s h ä n d e r . D e r L i n k s h ä n d e r neigt also m e h r zur A m b i d e x t r i e als d e r R e c h t s h ä n d e r . D i e P r o g n o s e der Aphasie bei Linkshändern ist besser als die bei R e c h t s h ä n d e r n , denn bei L i n k s h ä n d e r n kann die ungeschädigte nicht d o m i n a n t e H e m i sphäre die S p r a c h f u n k t i o n e n eher ü b e r n e h m e n als bei R e c h t s h ä n d e r n .

409

die von Galaburda und Sanides an 3 Hirnen durchgeführt wurden, die cytoarchitektonische Struktur des Ii. Planum temporale weiter ausbreitet als die des re. In diesem Zusammenhange ist aber auf eine ältere Untersuchung von Schulze (1960) zu verweisen, der die Zellanordnung der Rindenschichten des unteren Scheitelläppchens (Gyrus supramarginalis) beider Hemisphären miteinander verglichen hat und keine Seitendifferenzen nachweisen konnte. Auch die Befunde von Campain und Minckler weisen in eine andere Richtung. Sie fanden unter 30 Hirnen die re. Hörrinde furchenreicher als die Ii. Größerer Windungsreichtum spricht aber auch für höhere Leistungsfähigkeit. Sehr bedenklich stimmen auch die Befunde von Carmon und Gombas, die nachweisen konnten, daß der diastolische Druck im Bereich der Arteria opthalmica, in dem das Auge versorgenden Gefäß, bei Rechtshändern höher ist als bei Linkshändern, was eher auf eine bessere Blutversorgung der re. Hemisphäre hinweisen würde. Schließlich hat Carmon (zit. nach Seines) in der Broca- und der Wernicke-Region eine Aminosäureanalyse vorgenommen und keine Seitendifferenzen feststellen können.

Sehr aktuell ist die F r a g e , o b sich die D o m i n a n z einer H i r n h ä l f t e anatomisch irgendwie zu e r k e n nen gibt. In letzter Zeit sind zu ihrer K l ä r u n g viele B e m ü h u n g e n u n t e r n o m m e n w o r d e n .

D i e B e f u n d e z u m m o r p h o l o g i s c h e n und p h y siologischen N a c h w e i s der D o m i n a n z sind daher widersprüchlich. V o r allem m ü ß t e n G e g e n p r o b e n bei Linkshändern vorliegen. A u c h die statistische Beweiskraft der bisher mitgeteilten B e f u n d e reicht nicht aus. V o r allem aber sprechen die Erfahrungen mit der E n t w i c k l u n g der D o m i n a n z und der M ö g l i c h keit, diese in früher Kindheit zu ändern, gegen eine praenatale Fixierung der Lateralisation. B r o w n hat i m m e r wieder darauf hingewiesen, daß der Lateralisationsprozeß ein durch das ganze L e b e n fortschreitender P r o z e ß sei. E i n e n breiten R a u m n i m m t im S c h r i f t t u m die Frage ein, wie lange im frühkindlichen Alter die Lateralität n o c h gewechselt werden k a n n . D i e Angaben schwanken zwischen dem 4 . und dem 10. L e b e n s j a h r e . Es ist aber anscheinend nicht nur das Alter des K i n des, welches die M ö g l i c h k e i t einer Ü b e r t r a g u n g der S p r a c h d o m i n a n z auf die bisher nicht d o m i nante Hirnhälfte b e s t i m m t , sondern es müssen auch andere F a k t o r e n im Spiele sein. D a f ü r sprechen B e o b a c h t u n g e n von R o b e r t s ( 1 9 5 8 ) , der ausgedehnte Hirnschädigungen der dominanten Hirnhälfte in der frühen Kindheit sah, bei denen die Sprache nicht auf die andere Seite verlagert w u r d e , andererseits a b e r b e o b a c h t e n k o n n t e , daß in m a n c h e n Fällen mit verhältnismäßig kleinen Läsionen der dominanten H e m i s p h ä r e eine U b e r tragung der D o m i n a n z auf die andere Hirnhälfte erfolgte.

So haben Geschwind und Levitzky (1968) bei 100 von ihnen untersuchten Hirnen in 6 5 % das Planum temporale, die Oberfläche des Schläfenlappens, Ii. etwas breiter gefunden als re. Uber die Händigkeit der Kranken konnte aber nichts ausgesagt werden. Teszner, Tzavaros, Gruner und Hecaen konnten diese Asymmetrien (1972) bestätigen. Wittelson und Pallie haben ähnliche Untersuchungen bei 16 Erwachsenen und 14 Kindern, davon waren 11 Neugeborene, angestellt (1973). Galaburda, Le May, Kemper und Geschwind teilten auch mit, daß sich nach Untersuchungen,

G e g e n die A n n a h m e einer praenatalen m o r p h o logischen Fixierung der Linkshirnigkeit sprechen weiter die H i n w e i s e von H e c a e n , d a ß in früher K i n d h e i t auch bei rechtshirnigen L ä s i o n e n S p r a c h störungen v o r k o m m e n , d a ß S p r a c h s t ö r u n g e n , die bei linkshirnigen L ä s i o n e n im frühen Kindesalter auftreten, g e w ö h n l i c h ausheilen und d a ß t r o t z früh e r linkshirniger Läsionen sich bei K i n d e r n die Sprache entwickeln kann.

410

V. Individuelle Aspekte

Die Überwertigkeit der Ii. Hirnhälfte für die Sprache, die Linkshirnigkeit, ist in der Regel mit einer Rechtshändigkeit gekoppelt, d . h . mit einer Bevorzugung der re. Hand und des re. Fußes bei den verschiedensten motorischen Leistungen. Es liegt allerdings ein deutlicher Unterschied zwischen der Sprachdominanz und der motorischen Dominanz darin, daß bei ersterer qualitative und bei letzterer mehr quantitative Leistungsdifferenzen bestehen. Die Händigkeit ist meist keine absolute, es bestehen fließende Übergänge zwischen reinem Rechtshänder und reinem Linkshänder. Am häufigsten ist eine stark vorwiegende Rechtshändigkeit (nach Subirana bei 38,7%) vorhanden. Händigkeit und Sprachdominanz in der entgegengesetzten Hirnhälfte sind durch viele Faktoren, nicht zuletzt aber auch durch einen erblichen Faktor, bedingt. Die Linkshirnigkeit für Sprache kommt nicht nur beim Rechtshänder vor. Roberts konnte sie auch bei ungefähr zwei Drittel der Linkshänder nachweisen. Bei Linkshändigkeit kann die Sprache aber auch beiderseits repräsentiert sein. Die Rechtshänder neigen daher viel mehr zur Unilateralität als die Linkshänder. Auf die Möglichkeit, daß die höheren geistigen Funktionen nicht unlösbar mit einer Hemisphäre verbunden sein müssen, sondern daß die Verteilung dieser Funktionen in sehr verschiedener Weise auf beide Hemisphären erfolgen kann, haben Kreindler, Fradis und Sevastopol hingewiesen. Bezüglich der Lateralisation der musikalischen Fähigkeiten wenden sich Gates und Bradshaw (1977) gegen die oft vertretene globale Meinung, daß diese nur von der nicht dominanten Hemisphäre vertreten werden. Man müsse zwei unabhängige Faktoren, den melodischen und den rhythmischen Faktor, unterscheiden. Beide erfordern verschiedene Strategien und seien in beiden Hemisphären verschieden lokalisiert. Aus tachistoskopischen Untersuchungen, bei denen sprachliche und nicht-sprachliche Reize je einem halben Gesichtsfeld dargeboten wurden, haben Hardyck, Tzeng und Wang (1978) den Schluß gezogen, daß aktive kognitive Prozesse der Lateralisation nicht unterliegen. N u r bei schon gelernten Reizen, die also schon im Gedächtnis gespeichert waren, kam es zu einer Lateralisation, eine solche blieb aber bei neuen, unbekannten Reizen aus. Interessant sind neuere Versuche von Davis und Wada (1978), die zeigen konnten, daß kortikale Reizantworten im EEG, evoked potentials, bei Anwendung akustischer Reize in der Ii. und bei Anwendung optischer Reize in der re. Hemisphäre stärkere Reizergebnisse zeitigten. Zum Nachweis der Lateralisation wird vielfach die Prüfung des d i c h o t i s c h e n H ö r e n s verwendet. Broadbent hatte (1954) gefunden, daß bei

sprachlichen Reizen, die man beiden Ohren gleichzeitig zuleitet, stets das der dominanten Hemisphäre gegenüberliegende O h r die besseren Leistungen zeigt. Die Grundversuche dieses Autors wurden dann vor allem von Kimura (1967) weiter ausgebaut, und sie wurden als geeignete Mittel für die Lateralitätsuntersuchungen des Hirnes angesehen. Es zeigte sich, daß sprachliche Reize in der Regel vom re. und Melodien vom Ii. O h r perzipiert werden. Diese Rechtsohrüberlegenheit konnte auch schon bei vierjährigen Kindern nachgewiesen werden. Dies wurde allerdings später von Satz, Racklen, Teunissen, Göbel und van der Vlugt bestritten. Sie fanden erst vom 9. Lebensjahre an signifikante Seitenunterschiede 1977

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Zurif (1974) erklärte, daß sich die Asymmetrien, welche sich bei der Untersuchung des dichotischen Hörens finden, nur auf akustischem und segmental-phonetischem Niveau nachweisen ließen. Sie fänden aber ihre Grenze auf der syntaktischen und semantischen Ebene der Sprache. Für linguistische Entscheidungen aber sei nur die Ii. Hemisphäre zuständig. Bei der Beurteilung der Intonation und der emotionalen Färbung der Töne sei die nicht dominante Hemisphäre der dominanten überlegen. Blumstein (1974) kam in dichotischen Hörversuchen auch zu dem Ergebnis, daß zwar beide Hemisphären eine akustische Analyse durchführen können, daß aber nur die Ii. Hemisphäre in der Lage sei, die akustischen Parameter der Sprache in linguistische und phonetische Parameter zu übertragen. Familienuntersuchungen des dichotischen H ö rens wurden von Bryden (1975) durchgeführt. Er fand dabei zwar Korrelationen zwischen Eltern und Kindern, aber nicht zwischen Zwillingen und zog daraus den Schluß, daß die gefundenen Seitenunterschiede mehr von Umgebungseinflüssen als von Erbanlagen abhängen. Yeni-Koneshian und Gordon stellten fest (1974), daß die Rechtsohrüberlegenheit bei dichotischen Aufgaben viel deutlicher in Erscheinung trete, wenn die Zeitdauer vergrößert werde. Sie schlossen daraus, daß bei der Lateralisierung auch Gedächtnismechanismen eine Rolle spielen. Auf die Grenzen der Beurteilung der Ohrdominanz mit Hilfe der Prüfung des dichotischen H ö rens haben schließlich Blumstein, Goodglass und Tartter (1975) hingewiesen. Bei der Nachprüfung eigener Untersuchungen ergaben sich nämlich Änderungen der Ohrüberlegenheit, bei Vokalen in 4 6 % , bei Konsonanten in 2 9 % und bei Musik in 19%. Sie vermuten, daß mehrere Faktoren zusätzlich zu den Hirnfunktionsasymmetrien beitragen, die noch unbekannt seien. Von Interesse sind auch klinische Beobachtungen bei Kranken, bei denen Balkendurchschnei-

40. Neurolinguistik düngen v o r g e n o m m e n w u r d e n . D e r B a l k e n ist ein großes K o m i s s u r e n s y s t e m , welches die beiden H i r n h ä l f t e n miteinander verbindet. Sperry und G a z z a n i g a ( 1 9 6 7 ) haben solche K r a n k e n mit eigens dafür entwickelten T e s t s untersucht. B e i diesen Patienten stand die re. Gesichtsfeldhälfte nur n o c h in V e r b i n d u n g mit d e m Ii. O c c i p i t a l e und u m g e k e h r t . D e s h a l b k o n n t e n optische R e i z e , wenn sie auf eine Gesichtsfeldhälfte fielen, nur auf die andere H i r n h ä l f t e weitergeleitet w e r d e n . T a k t i l e I n f o r m a t i o n e n gingen von der Ii. H a n d nur zur re. H i r n h ä l f t e und u m g e k e h r t . N u n ergab sich, daß G e g e n s t ä n d e , welche diese K r a n k e n auf die re. Gesichtsfeldhälfte projiziert b e k a m e n , benannt werden k o n n t e n , der K r a n k e k o n n t e auch G e genstände, welche er in die re. H a n d gedrückt b e k a m , o h n e daß er sie sah, b e z e i c h n e n . E r k o n n t e aber nicht G e g e n s t ä n d e , die er in die Ii. G e s i c h t s feldhälfte geworfen b e k a m o d e r in die Ii. H a n d gedrückt b e k a m , b e n e n n e n . D i e re. H e m i s p h ä r e w u ß t e , was sie gesehen und gefühlt hatte, k o n n t e aber diese I n f o r m a t i o n nicht verbalisieren. D i e Ii. H e m i s p h ä r e k o n n t e solche G e g e n s t ä n d e o h n e weiteres b e n e n n e n . D i e K r a n k e n k o n n t e n auch einen Gegenstand heraussuchen, dessen N a m e in die Ii. Gesichtsfeldhälfte geleitet w o r d e n war. Geschwind hat dann anhand einer klinischen Beobachtung dieses ,,Disconnection Syndrom" näher beschrieben. - Zusammen mit Kaplan (1962) führte er bei einem 41jährigen Mann, einem Rechtshänder, der eine Geschwulst mit einer Zyste im Ii. Stirnhim (Glioblastoma multiforme) hatte, eingehende Untersuchungen durch. Dieser war zeitlich desorientiert, apathisch, konfabulierte, bot einige Paraphasien und Wortfindungsstörungen. Er konnte mit der Ii. Hand nicht schreiben, machte viele Paragraphien, und es zeigten sich auch Formentstellungen der Buchstaben. Mit der re. Hand schrieb er gut. Er konnte links Gegenstände, Zahlen und Buchstaben, die man ihm in die Hand gab, zwar erkennen, konnte sie aber nicht benennen. Hingegen konnte er mit der verdeckten Ii. Hand Gegenstände heraussuchen und auch einen Gegenstand richtig zeichnen. Aufträge über mündlichen Auftrag konnte er mit der Ii. Hand nicht ausführen. Das schriftliche Rechnen war mit der Ii. Hand schwer gestört. Die Autoren erklärten diese merkwürdigen Phänomene damit, daß die beiden Hemisphären voneinander unabhängig arbeiteten. Die re. Hemisphäre war von der Sprachregion abgetrennt. Kam ein Reiz in die gleiche Hemisphäre, dann reagierte der Kranke richtig, kam er aber von der anderen Hemisphäre, dann versagte er. Postoperativ bestanden eine re.-seitige Hemiplegie und eine Aphasie. Ein Jahr später verstarb der Kranke. Pathologisch anatomisch zeigte sich, daß der Tumor in der Ii. Hemisphäre bis in die Basalganglien reichte. Der Balken war in seinen vorderen 2 /i verschmälert. In der Ii. Hemisphäre fand sich hinter der Parazentralwindung eine Infarzierung. Die Balkenschädigung ist - wie Geschwind in späteren Arbeiten (1965, 1967) mitteilte - , wahrscheinlich durch die Unterbindung der Arteria cerebri anterior während der Operation des Tumors verursacht worden. M i l n e r ( 1 9 7 0 ) , die diese „ s p l i t - b r a i n " - V e r s u c h e genau schilderte, erklärt, sie hätten gezeigt, d a ß auch die re. H e m i s p h ä r e gewisse sprachliche L e i -

411

stungen vollbringen k ö n n e . So k ö n n e die re. Seite einfache W ö r t e r unter Bedingungen buchstabieren, die eine A n t e i l n a h m e der Ii. H e m i s p h ä r e u n möglich m a c h e . E s sei nicht klar, wie diese F ä h i g keiten der re. H e m i s p h ä r e bei der rezeptiven D y s p h a s i e , die durch eine linkshirnige Läsion hervorgerufen w e r d e , erzielt w ü r d e n . M a n m ü s s e aber daran d e n k e n , daß bei G e s u n d e n o d e r bei j e m a n d e m , dessen Ii. H e m i s p h ä r e beschädigt sei, die sprachlichen F u n k t i o n e n der re. H e m i s p h ä r e g e h e m m t w ü r d e n o d e r sie interferieren bei der Tätigkeit des intakten Teiles der H e m i s p h ä r e m i t tels der K o m m i s s u r . D u r c h die B e o b a c h t u n g e n bei B a l k e n d u r c h schneidungen erhebt sich die F r a g e , welche B e deutung der B a l k e n überhaupt für die sprachlichen Leistungen hat. Dieses P r o b l e m hat Seines ( 1 9 7 4 ) ausführlich b e s p r o c h e n . E r meinte zusammenfassend, der Balken habe die Ü b e r t r a g u n g o p t i s c h e r I n f o r m a t i o n e n und L e r n v o r g ä n g e zwischen den beiden H e m i s p h ä r e n zu gewährleisten. Eine besonders interessante Beobachtung haben Diamond, Scammel, Brouwers und Weeks (1977) beschrieben. Bei ihrem Kranken wurde wegen einer unterhalb des Balkens gelegenen Zyste das mittlere Drittel des Balkens operativ entfernt. Nachher zeigte sich die Sprache verlangsamt, stereotyp, und die vorher gehobene sprachliche Ausdrucksweise - der Kranke war von Beruf Ingenieur - war verloren gegangen. D a ß die r ä u m l i c h - k o n s t r u k t i v e n Leistungen besonders bei Läsionen der hinteren Anteile der re. H e m i s p h ä r e leiden, ist allgemein b e k a n n t ( P i e r c y , H e c a e n , D e Ajuriaguerra, M c Fie und Zangwill, P i e r c y und S m y t h ) . M o s k o w i t c h ( 1 9 4 6 ) ist zu dem E r g e b n i s g e k o m m e n , daß bei bildlich dargebotenem sprachlichen Material die re. H e m i sphäre leistungsstärker sei als die Ii. W e n n A u f gaben aber eine linguistische Analyse verlangen, dann beteilige sich die re. H e m i s p h ä r e nicht daran. Sei die K o n t r o l l e , welche die Ii. H e m i s p h ä r e über die re. ausübe, durch eine B a l k e n d u r c h s c h n e i d u n g u n t e r b r o c h e n , dann werde erst die Sprachfähigkeit der re. H e m i s p h ä r e frei. C z o p f ( 1 9 6 2 ) hat bei Aphasien den W a d a - T e s t durchgeführt (vgl. unten). Wenn er mit ihm die Ii. Hemisphäre ausschaltete, verschlechterten sich die Aphasien in einigen Fällen nur geringfügig, in einem Falle aber auch schwer. Bei 10 Aphasien, bei welchen die re. Hemisphäre ausgeschaltet wurde, war nachher die Sprache fast vollkommen aufgehoben, nach Beendigung der Wirkung des Sodiumamytals kehrte sie in gleichem Maße zurück wie sie vor dem Versuch bestanden hatte. Bei anderen Kranken (9) hatte die Ausschaltung der re. Hemisphäre nur eine mäßige Verschlechterung der Aphasie. zur Folge. Es gab auch solche (3), bei denen sie keinen Einfluß auf die Aphasie hatte. Bei letzteren hatte die re. Hemisphäre sichtlich keine Bedeutung für die Sprache. D i e V e r s u c h e zeigen, d a ß die re. H e m i s p h ä r e in verschiedenem G r a d e für die Sprache B e d e u tung haben k a n n . C z o p f m e i n t e , bei einer G r u p p e

412

V. Individuelle Aspekte

seiner Kranken habe die re. Hemisphäre die Funktion der Ii. übernommen, der geschädigte Hirnteil übe wahrscheinlich eine Hemmungswirkung auf die kontralateralen Leistungen aus. Von praktischer Wichtigkeit sei daher, daß chirurgische Eingriffe an der nicht dominanten Hemisphäre bei Patienten mit einer Aphasie dann Verschlechterungen herbeiführen können. Es erhebt sich auch die Frage, ob die sprachlichen Resterscheinungen, die man bei Totalaphasien in der Regel findet, nicht Leistungen der nicht dominanten Hemisphäre sind. Es sind dies vor allem die sprachlichen Automatismen, die expressive und rezeptive Verfügbarkeit über einzelne Wörter und das Erkennen der richtigen Raumstellung von Buchstaben.

Penfield und Roberts haben (1959) durch ihre Theorie, in der auch der Thalamus und besonders das Pallidum, also Teile des Zwischenhirnes, in ihr Sprachschema einbezogen wurden, Anlaß gegeben, immer wieder nach der Bedeutung der subcortikalen Kerne und des Hirnstammes für den Sprachablauf zu forschen. Stereotaktische Reizversuche bestimmter Thalamuskerne konnten den Sprachablauf verändern. So hat Schaltenbrand (1975) über Beobachtungen berichtet,bei denen eine Reizung der ventro-lateralen und hinteren Thalamusanteile, Sprechunterbrechungen und auch ein Zwangssprechen eintraten. Er betonte, daß diese Ausfallserscheinungen in der dominanten Hemisphäre stärker waren. - Ojemann (1975) konnte bei li.-seitiger Reizung des Nucl.ventrolateralis des Thalamus

Sulcus centralis, R. anterior der A. parietal is ascendus

R. posterior der A . parietalis ascendens \ A. supramarginalis

parietooccipital is

Sulcus frontalis

^ A. angularis occipital ii

Sulcus frontalis inferior

occipital

A. frontalis ascendens""" "^A. temporalis post. Ramus ascendens der Fissura cerebri lateralis Ramus frontalis der Fissura cerebri lateralis, A. frontalis inf.

s

A. cerebralis media, der Insel aufliegend j Α. temporalis med. A. temporalis ant.

Sulcus temporalis medius

ulcus temporalis superior

A. parietalis ascendens, Fissura cerebri lateralis ( R . occipitalis)

Abb. 1. Die arterielle Versorgung des Großhirns. Das Verbreitungsgebiet der drei, die Rinde der Großhirnhemisphäre versorgenden Arterien ist verschieden getönt. Ansicht der konvexen Seite der linken Hemisphäre, Die an die Fissura cerebri lat. angrenzenden Lappen wurden etwas auseinandergedrängt, um die A. cerebralis media besser zur Darstellung zu bringen. (Entnommen aus: Pernkopf, Topographische Anatomie IV. Band. 2. Hälfte S. 649. Urban & Schwarzenberg. M ü n c h e n Berlin-Wien 1960.) mittelgrau getönt = A. cerebralis anterior; hellgrau getönt = A. cerebralis media; dunkelgrau getönt = A. cerebralis posterior. Buchstabenerklärung: a b c d di , α2 d3 e f

= Gyri orbitales = G y r u s frontalis superior = G y r u s frontalis medius = G y r u s frontalis inferior — Pars orbitalis 1 , „ f „ , . I des Gyrus tron— Pars triangularis f talis inferior = Pars opercularis J = G y r u s praecentralis = Gyrus p o s t c e n t r a l

g = Lobulus parietalis sup. et inf. h = Gyrus circumflexus (supramarginalis) i = Gyrus temporalis superior k = Gyrus angularis 1 = Gyrus temporalis medius m = Gyrus temporalis inferior η = Gyri occipitales superiores ο = Gyri occipitales laterales

40. Neurolinguistik

während stereotaktischer Operationen Störungen im Nachsprechen, Perseverationen und Wortfindungsstörungen beobachten. - Riklan und Cooper (1975) haben bei operativ gesetzten Thalamusiäsionen nur die Flüssigkeit der Sprache, ihre Erweckbarkeit und ihre Wachsamkeit beeinträchtigt gesehen, was darauf hindeutet, daß Anteile des retikulären Systems, die nicht spezifischen Thalamuskerne, geschädigt

Wahrscheinlich ist die Störung des Sprachablaufes durch Eingriffe im Bereiche des Thalamus aber nur durch eine allgemeine Hirnfunktionsstörung zu erklären (van Buren 1975). An den Beziehungen des Sprachverlustes bei den Aphasien zu Läsionen in der dominanten Hirnhälfte zweifelt heute niemand mehr. Man kann diese Lokalisation noch weiter einschränken. Es ist das Innervationsgebiet eines bestimmten Hirngefäßes, nämlich das der mittleren Hirnarterie (Art.cerebri media), welches bei den Aphasien stets betroffen gefunden wird. Die mittlere Hirnarterie entspringt aus der Arteria carotis interna, der inneren Halsschlagader. In diesem Innervationsgebiet liegen auch alle sogenannten Sprachzentren, die von der klassischen Aphasielehre angenommen worden sind. Es ist das Brocasche Zentrum (motorisches Sprachzentrum) im Fuß (Pars opercularis) der 3. Stirnwindung, das Wernickesche Zentrum (sensorisches Sprachzentrum) im hinteren Drittel der 1. Schläfen windung und die Agraphie- und Alexie,,Zentren" im unteren Scheitelläppchen, im Gyrus supramarginalis bzw. angularis. Auch für die amnestische Aphasie wurde ein Zentrum in den hinteren Anteilen der 2. und 3. Schläfenwindung angegeben. Die Art.cerebri media hat folgende oberflächliche Äste: Art.orbitofrontalis, Art.praerolandica, Art.rolandica, Art.parietalis anterior, Art.parietalis posterior, die Art.temporalis posterior und Art.angularis. Die Abb. 2 stellt das Innervationsgebiet dieses Gefäßes dar. Man sieht, daß alle angeblichen Sprachzentren von der Art.cer.med. versorgt werden. Dieses Gefäß hat aber auch einige tiefe Äste (Rami pro-

413

fundi), welche in den Hirnstamm ziehen und hier die langen motorischen Bahnen mitversorgen. Dies ist der Grund dafür, daß die Aphasien sehr häufig mit Halbseitenlähmungen der gegenüberliegenden Körperhälfte einhergehen. Seit den Untersuchungen von Penfield und Roberts (1959), die praktisch alle sogenannten Sprachzentren bei entsprechenden neurochirurgischen Indikationen entfernt haben, ohne daß es stets zu dauernden Aphasien gekommen wäre, scheut man sich, von umschriebenen Sprachzentren zu sprechen. Es zeigte sich, daß in allen Fällen, bei denen der übrige Bereich des Innervationsgebietes der Art.cer.med. intakt war, keine dauernden, sondern nur vorübergehende Aphasien auftraten, daß aber in den Fällen, bei denen der ganze Bereich des Innervationsgebietes dieses Gefäßes pathologisch verändert war, bei Entfernung eines der klassischen „Sprachzentren" eine Wiedergewinnung der Sprache nicht mehr möglich war. Die ursächlichen Beziehungen der Funktion dieses Gefäßgebietes zur Sprache gehen auch aus einem Experiment hervor, welches Wada erstmals 1949 durchgeführt hat. Wenn man in die Carotis interna, die innere Halsschlagader, der dominanten Hirnhälfte, Sodiumamythal injiziert, dann kommt es zu einer vorübergehenden Halbseitenlähmung der gegenüberliegenden Körperhälfte und zu einer Aphasie. Beide Erscheinungen sind nur vorübergehend. Injiziert man aber das Sodiumamythal in die Carotis interna der nicht dominanten Hirnhälfte, dann tritt nur eine vorübergehende Halbseitenlähmung an der Gegenseite auf. Dieser „Wadatest" ist daher eine Möglichkeit, bei zweifelhafter Dominanz die dominante Hirnhälfte von der nicht dominanten zu unterscheiden. Er wird in der Regel nur dann angewendet, wenn aus einer operativen Notwendigkeit heraus diese Entscheidung für den Neurochirurgen besonders wichtig ist. Zusammenfassend kann man daher als gesicherte Tatsache ansehen, daß das Sprachvermögen von der intakten Funktion des InnervationsgebieA. rolandica

A. praerolandica A . orbitofrontalis

A b b . 2. Versorgungsgebiet der M e diarindenaste. (Entnommen aus: K. Kohlmeyer, Apbasie-Syndrome u n d hirnlokale Zirkulationsstörungen der d o m i n a n t e n H e m i s p h ä r e im Karotisangiogramm. In: A. Leischner, Die Rehabilitation der Aphasie in den romanischen Ländern nebst Beiträgen zu Aphasieforschung. G . Thieme Verlag, Stuttgart 1970.)

^jparletalis anterior A. parientalis posterior

Gyri angularis

A. temporalis posterior A. temporalis anterior

414

V. Individuelle Aspekte

tes der mittleren Hirnarterie der dominanten Hirnhälfte abhängig ist. Die Stellung der Neurophysiologie zur Lokalisation der Aphasien umreißt Jung (1967) wie folgt: Es sei wahrscheinlich, daß spezielle Neuronensysteme in umschriebenen Hirnregionen für die erlernten Funktionen des Sprechens, Lesens und Schreibens von Bedeutung sind und daß Neuronensysteme in umschriebenen Hirnregionen solche erlernten Leistungen steuern. Alle Versuche, die Störungen der Sprache, Gnosie und Praxie auf eine einheitliche Grundstörung zurückzuführen, seien aber mißlungen. Auch lokalisierte Herde hätten meistens eine allgemeine Leistungsminderung, entsprechend dem klinischen Begriffe der Hirnleistungsschwäche, zur Folge. Die Neurophysiologie könne heute über die anatomisch lokalisierten Befunde hinaus kaum etwas über spezielle neuronale Grundlagen des Sprechens und Handelns und über die Aphasien und Agnosien sagen. Lenneberg (1972) bemerkte zur Lokalisation der Aphasien, es sei sehr wohl möglich, daß es eine beträchtliche individuelle Variation in der corticalen Topographie der Sprachrepräsentation gebe und daß der Ort der Verletzung deshalb bei einem Patienten die unmittelbare Ursache für eine bestimmte Kombination von Symptomen sei. Wenn aber die funktionelle Organisation von Patient zu Patient verschieden sei, würden die klinisch-pathologischen Korrelationen problematisch. Husson und Barbizet (1968) haben übrigens die Vermutung geäußert, daß bei sehr verschiedenen Sprachtypen (er führt als Beispiele das Russische und Chinesische an) auch verschiedene Hirnmechanismen bedeutsam sein könnten. Sie könnten daher auch gegenüber verschiedenen pathologischen Einflüssen verschieden empfindlich sein. Neben der Lokalisation der Hirnläsionen, die sprachliche Störungen verursachen können, ist auch die Natur der Störungen, die den Ausfällen einer solchen geistigen Leistung zugrunde liegen, von Interesse. Am häufigsten sind es Hirngefäßerkrankungen, besonders Hirngefäßverschlüsse, aber auch traumatische Zellschädigungen, Hirnentzündungen oder Hirngeschwülste, können, wenn sie das Innervationsgebiet der Art.cer.med. betreffen, zu Aphasien führen. Man weiß schon seit sehr langer Zeit, daß es bei der Ausbildung der aphatischen Symptome immer nur auf den Ort und nicht auf die Art der Erkrankung ankommt. In neuerer Zeit ist aber noch ein anderes Moment hinzugetreten. Mit der Entwicklung der Biochemie ist man immer mehr bestrebt, auch in die Zellvorgänge, die mit geistigen Leistungen einhergehen und die bei Störungen dieser Leistungen Veränderungen zeigen müßten, Licht zu bringen.

Allerdings scheinen in dieser Richtung erst die ersten Schritte getan zu sein. Die Vorstellung, daß der Erwerb von Gedächtnismaterial - sei es nun sprachlicher oder nicht sprachlicher Natur - mit irgendwelchen Veränderungen in der Hirnrinde einhergeht und Gedächtnisspuren, E n g r a m m e , hinterläßt, ist alt. Die Bezeichnungen dafür haben sich aber geändert. Wernicke (1874) sprach von Klangbildern und Wortbildern. Es wurden optische, akustische, kinaesthetische und motorische Bilder unterschieden. Spätere Forscher wie Brain (1961) haben die Bezeichnung Muster (pattern) bevorzugt. Hypothetisch sind nach Jung (1967) noch die neuronalen Grundlagen des Gedächtnisses. Cajal habe schon 1911 die Vermutung ausgesprochen, daß es eine Gedächtnisbahnung in den Synapsen gebe. Mehrfache Erregung fördert die synaptische Erregbarkeit, seltene Erregung mindert sie. Ungeklärt durch Synapsenbahnung bleibe aber die zeitliche Ordnung des Gedächtnisses. Bei der eigentlichen Gedächtnisleistung handle es sich um sehr viel kompliziertere Vorgänge. Offenbar spielen differenzierte Erregungsmuster in zahlreichen Neuronensystemen eine Rolle. Ein besonderes Problem stellt sich durch die klinische Tatsache, daß der Verlust von Gedächtnismaterial für die Sprache nicht einhergehen muß mit dem Verlust von Gedächtnismaterial für alle Bereiche des menschlichen Lebens. So können motorisch-amnestische Aphasien, die zwar ihre Gedanken weder in Sätzen zum Ausdruck bringen können und die Bezeichnung für die Gegenstände ihrer Umgebung nicht nennen können, doch sehr wohl in der Lage sein, mit allen diesen Gegenständen normal umzugehen und sich in ihrer Umgebung sowohl räumlich als auch zeitlich zu orientieren. Dies sind aber Leistungen, die den Besitz von Gedächtnismaterial zur Voraussetzung haben. Andererseits gibt es selten auch Aphasien, bei denen Läsionen vorliegen, die den Bereich des Innervationsgebietes der Art.cer.med. überschreiten und subcorticale Funktionsstörungen im Bereiche des limbischen Systems verursacht haben. Bei ihnen kommt es dann zu Störungen der Merkfähigkeit, die auch den nicht-sprachlichen Gedächtnisbesitz betreffen. Die Störungen des Gedächtnisses für sprachliche und nicht-sprachliche Inhalte hängen immerhin in so vielfacher Weise zusammen, daß auch die Neurolinguistik sich kurz mit der Frage befassen muß, welche organischen Grundlagen das Gedächtnis besitzt. Man muß zwischen einem Erbgedächtnis und einem Individualgedächtnis unterscheiden. Beim Individualgedächtnis wird im angloamerikanischen Schrifttum ein long time memory (Langzeitgedächtnis) und ein short time memory (Kurzzeitgedächtnis) unterschieden. Im Deut-

40. Neurolinguistik sehen kann man diesen Unterschied durch die Wörter Gedächtnis und Merkfähigkeit kennzeichnen. Im Kurzzeitgedächtnis muß man eine akustische und eine optische Gedächtnisspanne (auditory and visual memory span) unterscheiden. Gesunde haben eine längere akustische Gedächtnisspanne als eine optische. Warrington und Skallice (1969) teilten die Ergebnisse eingehender Merkfähigkeitsuntersuchungen bei einem Hirnverletzten, der nach einem Motorradunfall eine Schädelfraktur Ii. parieto-occipital mit einem subduralen Haematom erlitten hatte, mit. Er bekam eine Aphasie. Bei ihm war die akustische Merkfähigkeitsspanne viel kürzer als die optische. Er zeigte, obwohl die akustische Wahrnehmung nicht gestört war, eine hochgradige Störung beim Nachsprechen von sprachlichem Material. Das Sprachgedächtnis ist vor allem im Temporallappen zu lokalisieren. Penfield (1959) nannte die Rinde des Schläfenlappens ein Lagerhaus der Erinnerungen. Die Gedächtnisstörungen sind bei bds. Temporallappenextirpation wesentlich stärker als bei einseitiger. Uber den Mechanismus einer solchen Gedächtnisspeicherung im Temporallappen und ihre Aktivierung ist aber noch nichts Genaues bekannt. Die im Temporale zu lokalisierenden erlernten Sprachprozesse seien nach Jung (1967) eine Ausweitung von Gedächtnisprozessen. Beim Lernen und Konditionieren müsse Cortex und Subcortex zusammenarbeiten. Es fehle aber noch eine Synthese der Lernforschung und eine klare neurophysiologische Konzeption der Gedächtnisvorgänge, die über die bedingten Reaktionen eine physiologische Lernforschung begründen würde. Die Gedächtnisvorgänge blieben, so meint Jung, das größte Rätsel der Hirnfunktionen. Über das Erbgedächtnis, die genetische Information, weiß man gut Bescheid. Die Träger des Erbgutes sind die Chromosomen. Jede Zelle und jeder Organismus sind durch ihren Chromosomensatz charakterisiert. Auf ihnen sind die Gene, die Erbfaktoren, linear angeordnet. Jedes Gen enthält eine Information für die Synthese eines bestimmten Enzyms. Die Enzyme haben die Fähigkeit, Proteine mit spezifisch-katalytischen Eigenschaften zu synthetisieren. Träger der Erbeigenschaft ist die Desoxyribonucleinsäure. Sie besteht nach Watson und Crick (1953) aus 2 Ketten, die um eine gemeinsame Achse gewunden sind und so eine Doppelspirale bilden. Sie setzen sich aus einer Desoxyribose, einem Phosphat und aus heterocyklischen Stickstoffbasen, nämlich den Purinderivaten Adenin und Guanin und den beiden Pyrimidinbasen Cytosin und Thymin, zusammen (Weber 1967). Es lag nun nahe, die biochemisch und experimentell einwandfrei nachgewiesenen Grundlagen des Erbgedächtnisses auf das Individualgedächt-

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nis zu übertragen und anzunehmen, daß auch die Engramme, die organischen Gedächtnisspuren, durch Stoffwechselveränderungen der Ribonucleinsäuren bedingt sind. Hyden und Eghazi haben 1958 eine Gedächtnistheorie entwickelt, welche besagt, daß bestimmte vom Nervensystem aufgenommene Reize zu einer Ribonucleinsäurebildung führen. Diese aber synthetisiere ein bestimmtes Protein. Hyden sprach von einem Molekulargedächtnis, welches sich auf den erhöhten RNS-Purin- und Pyrimidinumsatz der beteiligten Nervenzellen stützt. Eccles (1970) distanzierte sich von dieser Anschauung, hält es aber für sicher, daß das Gedächtnis auf Engrammen beruhe, die an spezifische wieder hervorgerufene neurale Muster geknüpft seien. Die einzelnen Neurone seien an mehreren Prozessen beteiligt, so daß eine gewisse Plastizität angenommen werden müsse. Für das Zustandekommen einer bewußten Erfahrung seien etwa 200 synaptische Verbindungen im Bereiche der Hirnrinde nötig. Auch von allen neueren Forschern wird die Hydensche Hypothese abgelehnt. Jung (1967) erklärte, im Gegensatz zu den experimentell fundierten Ergebnissen der biochemischen Genetik seien alle neueren chemisch-molekularen Hypothesen für das erworbene Gedächtnis nur Spekulationen ohne experimentelle und substantielle Grundlage. Milner (1970) schrieb, die Entdeckung, daß eine ungeheure Menge von genetischen Informationen in die Nucleinsäuremoleküle hineingepreßt sind, habe die Meinung hervorgerufen, daß die gelernten Informationen ähnlich kodiert seien. Alle angestellten diesbezüglichen Versuche besagen aber nichts über die Information, welche in den Molekülen gespeichert ist. Es erscheine unwahrscheinlich, daß die RNS das Vehikel für die Information ist. Husson und Barbizet (1968) weisen auf einen wesentlichen Unterschied zwischen dem genetischen und dem menschlichen Gedächtnis hin. Das genetische Gedächtnis sei nicht zerstörbar, das menschliche Gedächtnis sei aber sehr labil. Aber selbst wenn es gelänge, ganz bestimmte Eiweißstoffwechselvorgänge für die Engrammierung von Gedächtnismaterial verantwortlich zu machen, wäre die Frage noch nicht beantwortet, warum bei den Aphasien nur bestimmte sprachliche Erinnerungen ausgeschaltet werden, und noch weniger wären die Erscheinungen der Dominanz geklärt, denn man müßte dann unterschiedliche Stoffwechselvorgänge in den beiden Hemisphären annehmen, eine Annahme, die sich durch nichts stützen ließe. D a s l i m b i s c h e S y s t e m . - Es ergibt sich noch die Notwendigkeit, auf 2 neuronale Systeme hinzuweisen, die zwar mit der Sprache und ihren Störungen nicht unmittelbar zusammenhängen,

416

V. Individuelle

Aspekte

die aber doch indirekt einen Einfluß auf sprachliche Leistungen gewinnen können. Dies sind das limbische und das reticuläre System. Gamper (1929) war der erste, der ein psychiatrisches Syndrom mit einer Läsion des Hirnstammes in Zusammenhang brachte. Er wies bei Alkoholikern, die einen Korsakow, also ein amnestisches Syndrom hatten, Zelldegenerationen in den Corpora mamillaria nach. Das amnestische Syndrom kennzeichnet sich durch einen Verlust der Merkfähigkeit, die eine Störung der örtlichen und zeitlichen Orientierung zur Folge hat. Inzwischen hat sich gezeigt, daß die Corpora mamillaria nur Teile eines großen funktionellen Systems sind, welches vom Riechhorn, dem Bulbus und Tractus olfactorius über den Fornix und den Gyrus cinguli bis zum untersten Teil des Schläfenlappens, den Gyrus hippocampus mit dem Ammonshorn und dem Nucleus amygdalae reicht und auch Beziehungen zum vorderen Hauptkern des Thalamus hat. Man hat diesem funktionellen System den Namen limbisches System (nach dem von Broca als „grand lobe limbique" bezeichneten Gyrus cinguli) gegeben. Fornix

Gyrus cinguli

Temporalpol Γ Π Gyrus dentatus Area piriformis Gyrus hippocampi Nucl. amygdalae Corp. mamillare Uncus Abb. 3. Übersicht über die Strukturen des limbischen Cortex (rot). (Entnommen aus: H . Caspers, Zentralnervensystem. In: W . D . Keidel, Physiologie, Thieme Stuttgart 1967.)

Ein amnestisches Syndrom konnte aber später nicht nur bei Läsionen der Corpora mamillaria, sondern auch bei Unterbrechung des Fornix oder bei Ausschaltung des vorderen Thalamuskernes (Hassler 1967) und bei Temporallappenextirpationen, welche das Ammonshorn mitbetrafen, beobachtet werden. Uber eine einschlägige Beobachtung aus der älteren Literatur berichtete Milner (1970). Bechtherew soll schon 1900 einen Kranken beschrieben haben, der nach einem Schlaganfall eine anterograde Amnesie bot — zeit-

lich begrenzter Gedächtnisausfall nach Beginn der Erkrankung und bei dem sich dann eine beiderseitige Läsion des Hippocampus fand. Milner selbst stellte fest, daß bei Kranken mit bds. Temporallappenresektionen zwar das unmittelbare Gedächtnis nicht gestört war, aber sie konnten Irrgartenteste nicht mehr erlernen, Hippocampusmangel habe eine Schwäche in der Speicherung von Gedächtnisinhalten zur Folge. Durch Hippocampusschädigung werde aber nur der jüngste Gedächtnisbesitz betroffen. D e r Hippocampus spiele daher möglicherweise eine Rolle bei der Konsolidierung von Gedächtnisbesitz. Milner (1970) verwies darauf, daß die Tierversuche, welche die Rolle des Hippocampus für die Speicherung von Gedächtnisinhalten zum Ziele hatten, unterschiedliche und widersprüchliche Aussagen machten. Man könne zur Lokalisation des Lernens nur sagen, daß es bei den Säugetieren von der Hirnrinde abhänge; das Gedächtnis sei weit durch das Gehirn verstreut. Die Tierversuche können aber nicht mit Sicherheit auf den Menschen übertragen werden. Das menschliche Lernen werde durch Hippocampusläsionen schwer gestört. Der Unterschied zwischen den Ergebnissen der Tierversuche und den Erfahrungen bei neurochirurgischen Eingriffen beim Menschen sei wahrscheinlich dadurch begründet, daß das limbische System, insbesondere die Hippocampusformation, beim Menschen nicht wie beim Tier vornehmlich Geruchsaufgaben zu erfüllen habe, sondern mit neuen Leistungen betraut wurde. Auch Husson (1968) betonte, daß beim Menschen und bei höheren Tieren das hippocampo-mammilläre System die Erleichterung und die Erschwerung der Engrammation übernehme. So erhielt das limbische System, welches ursprünglich nur die für Tiere so wichtigen Geruchsfunktionen ausführte, beim Menschen, bei dem die Geruchsleistungen von minderer Bedeutung sind, neue wichtige Aufgaben, nämlich die Speicherung von Gedächtnisneuerwerb. D a s r e t i k u l ä r e S y s t e m . - Die Formatio reticularis ist ein primitiver Koordinationsapparat, der aus vielen Schaltneuronen besteht. Ihre 2 Millionen undifferenzierte Neuronen haben direkte oder indirekte Verbindungen mit jedem anderen Teil des Zentralnervensystems. Die verschiedenen eintreffenden Meldungen können durch sie aufeinander abgestimmt werden (Hassler 1967). Sie reicht vom Rückenmark über das verlängerte Mark und das Mittelhirn bis in das Zwischenhirn. Von besonderem Interesse sind aufsteigende Fasern, welche Beziehungen zwischen den unspezifischen Thalamuskernen, dem lateralen Hypothalamus, zur Area praeoptica und den Septumkernen herstellen. Die unspezifischen Projektionskerne des Thalamus haben aber auch Verbindungen zum Caudatum, Putamen und Pallidum. Es

40. Neurolinguistik

Abb. 4. Schema der diffusen Großhirnprojektionen des aufsteigenden Retikulärsystems (rot), das durch die E r regungen der spezifischen Projektionsbahnen mitaktiviert wird. (Entnommen aus: H . Caspers, Zentralnervensystem, in: W . D . Keidel, Physiologie. Thieme, Stuttgart 1967.)

gibt aber auch rückläufige Bahnen, die von den corticalen Sinnesfeldern zu den spezifischen Thalamuskernen führen. Die Formatio reticularis hat einen wesentlichen Einfluß auf den Grad der Wachheit und dadurch auch auf die Aufmerksamkeit, besonders die sinnesgerichtete Aufmerksamkeit. Sie hat darüber hinaus einen allgemein aktivierenden Einfluß auf die ganze Hirnrinde. Kilmer und McCulloch (1969) bezeichnen das reticuläre System als ein Verhaltensintegrationszentrum. Störungen im limbischen System können eine Merkschwäche, Störungen in der Formatio reticularis eine Verminderung des Wachheitszustandes und eine Verminderung der Aufmerksamkeit, besonders der sinnesgerichteten Aufmerksamkeit, zur Folge haben. Beide Systeme können daher indirekt auf die sprachlichen Leistungen des Menschen Einfluß nehmen. Zusammenfassend muß man aber feststellen: Man weiß zur Zeit zwar mit einiger Genauigkeit, welche Gebiete der Hirnrinde für die sprachlichen Leistungen zuständig sind, man weiß noch genauer, bei welchen Läsionen der Hirnrinde sprachliche Ausfälle zu erwarten sind, aber man weiß letztlich nicht, durch welche biologischen Vorgänge die sprachlichen Leistungen ermöglicht werden bzw. bei welchen biochemischen Störungen sie verunmöglicht sind. 3. Klinische

Erfahrungen

Für den Sprachwissenschaftler ist es nicht uninteressant, welche klinischen Erfahrungen bisher

417

bei Sprachgestörten gemacht wurden. D a in diesem Handbuch ein eigenes Kapitel dem Sprachabbau gewidmet ist (vgl. Art. 44), kann ich mich hier auf einige Hinweise beschränken, welche für die Neurolinguistik von Bedeutung sind. An der Rheinischen Landesklinik für Sprachgestörte in Bonn hatten wir von 1962-1975 G e legenheit, 430 Aphasiker zu behandeln. Die Beobachtungszeiten lagen zwischen 3 - 1 5 Monaten. Deshalb können auch Aussagen über die sprachpathologischen Verläufe dieser Kranken gemacht werden. Dabei zeigte sich, daß in einer verhältnismäßig großen Anzahl von Aphasien, auch ausgedehnte und schwere aphatische Syndrome sich in recht gesetzmäßiger Weise zurückbildeten. Diese Besserungen sind im wesentlichen auf die bei diesen Kranken durchgeführte Sprachheilbehandlung zurückzuführen, wobei nicht übersehen werden soll, daß bei manchen Patienten sicherlich auch spontane Rückbildungstendenzen eine Rolle gespielt haben werden. Von den schwersten Aphasieformen, den Totalaphasien, bildete sich etwa ein Drittel in eine gemischte Aphasie zurück, und von diesen wandelte sich etwa ein Sechstel in eine motorisch-amnestische Aphasie um. Von diesem Syndrom aber bildeten sich eine nennenswerte Anzahl von Kranken in motorische oder amnestische Aphasien zurück. Man konnte also bei längerer Beobachtung von Aphasien häufig einen Syndromwandel und einen gesetzmäßigen Weg der Rückbildung nachweisen. Die wichtigste Erkenntnis daraus ist, daß am Beginn der aphasischen Erkrankungen in der Regel die großen kombinierten Aphasieformen stehen und daß die (nach der klassischen Aphasielehre) sogenannten reinen Formen meist erst als die Endprodukte der Rückbildung in Erscheinung treten. Durch diese Erfahrung war es notwendig, gegenüber der Einteilung der Aphasien eine ganz neue Stellungnahme zu beziehen. Die bekannten „reinen" Formen, die motorische, die amnestische und die sensorische Aphasie, erscheinen dabei als die Einzelkomponenten, welche die klinisch wirklich im Vordergrund stehenden großen Aphasiegruppen, die Totalaphasie, die gemischte Aphasie und die motorisch-amnestische Aphasie, zusammensetzen. Auf eine für den Sprachwissenschaftler besonders interessante Tatsache muß noch hingewiesen werden. Unter den Aphasikern gibt es, wie bei allen anderen Menschen, monoglotte und polyglotte. Wenn jemand mehrere Sprachen beherrscht und durch eine Hirnerkrankung eine Aphasie bekommt, dann können die von ihm gesprochenen Sprachen in sehr verschiedener Weise von der Schädigung betroffen sein. Pitres hat sich schon 1895 mit diesem Problem beschäftigt und damals die Regel aufgestellt, daß die Muttersprache der polyglotten Aphasiker bei der Rückbildung der

418

V. Individuelle

Aspekte

Sprachstörung als erste wiederkehrt. Dieser Grundsatz ist als Pitres'sche Regel in die AphasieIiteratur eingegangen. In den späteren Jahrzehnten wurde aber eine große Anzahl von polyglotten Aphasien veröffentlicht, die dieser Regel widersprachen. Dazu ist allerdings zu sagen, daß die Menge dieser Veröffentlichungen etwas täuscht, denn es wurden eben nur solche Fälle bekanntgegeben, die, weil sie etwas Besonderes zu sein schienen, der erwähnten Regel entgegenstanden. Die eigenen Erfahrungen mit polyglotten Aphasien haben mich veranlaßt, bei diesen Kranken 2 verschiedene Reaktionsweisen zu unterscheiden: eine monoglotte und eine polyglotte. Die monoglotte Reaktion besteht darin, daß, wie Pitres es beschrieb, die Muttersprache zuerst wiederkehrt und dann erst allmählich alle anderen Sprachen, die während des Lebens mehr oder weniger gut erlernt wurden, wiedergewonnen werden. Meist handelt es sich dabei um solche Menschen, die die anderen Sprachen nur mangelhaft beherrscht haben, und oft kehren dann die vorher schon beschränkten Kenntnisse in diesen Sprachen niemals mehr zurück. Bei echten Polyglotten, die mehrere Sprachen praktisch vollständig beherrschen und vor allem in diesen Sprachen auch denken können, kann man verschiedene Reaktionsweisen beobachten: (1) Es sind alle Sprachen von der Aphasie in gleicher Weise befallen, und es lassen sich in allen Sprachen die gleichen Aphasiearten nachweisen. (2) Es wird eine Sprache, welche nicht die M u t tersprache ist, bevorzugt. Sie kehrt früher zurück als die Muttersprache. Es sind sehr viele Gründe für eine solche Reaktionsweise angegeben worden, meist ist sie aus der praemorbiden Einstellung des Kranken zu der bevorzugten Sprache verständlich. (3) Die Sprachen werden gemischt. D e r Kranke wechselt also von einer Sprache immer wieder in die andere. Es k o m m t auch vor, daß die automatischen Redewendungen einer anderen Sprache entnommen werden als die willkürliche Rede. Von besonderem Interesse sind Aphasien, die, wenn sie in einer Sprache behandelt worden sind, auch Fortschritte in den anderen Sprachen, in denen sie nicht behandelt worden waren, aufweisen. Diese Hinweise auf die polyglotten Aphasien geben Gelegenheit, auf eine sehr merkwürdige und bedauernswerte Situation der Aphasieforschung hinzuweisen. Diese Wissenschaft wurde von französischen, englischen und deutschen Aphasieforschern begründet, russische und tschechische Forscher reihten sich bald an. Die heutige Aphasieliteratur besteht meist aus Arbeiten, die in der überwiegenden Mehrzahl in englischer, französischer, deutscher, russischer, rumänischer und tschechischer Sprache geschrieben werden. Von den außereuropäischen Sprachen gibt es nur im Japanischen und Hebräischen eine nennenswerte Aphasieliteratur. Das bedeutet, daß die Aphasieforschung fast ganz auf

bestimmten Gruppen der indogermanischen Sprachen, den germanischen, romanischen und slawischen Sprachen, aufgebaut ist. Einige Arbeiten über Aphasien in anderen Sprachfamilien aber konnten zeigen, wie fruchtbar solche Vergleiche sind. So haben sich Imura (1943), Ohashi (1952) und Panse und Shimoyama (1955) mit den Besonderheiten der Aphasien im Japanischen beschäftigt. Die außereuropäische Aphasieliteratur hat Halpern (1949) durch die Schilderung hebräischer Aphasiker bereichert. Neuerdings wurde von Peuser und Fittschen (1977) ein türkischer Aphasiker beschrieben. Es ist geradezu unverständlich, daß es - meines Wissens - in manchen großen Sprachfamilien, ζ. B . in den arabischen Sprachen, den mongolischen Sprachen, den Bantusprachen oder den Indianersprachen, eine Aphasieliteratur noch nicht gibt. Vereinzelte Fallbeschreibungen (Ashayeri im Persischen und Traill in einer Bantusprache), die in den letzten Jahren vorgelegt wurden, sprechen dafür, daß sich bei Anreicherung dieser Kasuistik Syndrome und Symptome nachweisen ließen, welche bisher unbekannt sind, weil die indogermanischen Sprachen mit ihren einander doch recht ähnlichen Syntax- und Flexionsverhältnissen das Auftreten solcher Erscheinungen gar nicht ermöglichen. Zur Erforschung der Aphasien in außereuropäischen Sprachen würden die Kenntnisse eines Aphasiologen, der aus der Medizin kommt, aber nicht ausreichen, bei einer solchen v e r g l e i c h e n d e n A p h a s i e f o r s c h u n g wäre die Zusammenarbeit des Aphasiologen mit Sprachwissenschaftlern eine Grundvoraussetzung.

4. Die Bedeutung der Neurolinguistik für den Sprachwissenschaftler und Philologen Abschließend soll noch einmal hervorgehoben werden, was die Neurolinguistik dem Sprachwissenschaftler und Philologen bieten kann. Durch die allgemeinen Kenntnisse der anatomischen und physiologischen Grundlagen des Sprachvermögens und seiner Störungen wird der Sprachwissenschaftler eine viel realere Grundeinstellung zu allen seinen linguistischen Überlegungen gewinnen. D i e Sprachpathologie macht ihn mit einer großen Menge von pathologischen E r scheinungen bekannt, die er in der normalen Sprache nicht beobachten kann. Ebenso wie der Mediziner, nachdem er Kenntnisse in der normalen Anatomie und Physiologie erworben hat, sich dem großen Bereich der Pathologie, der Lehre von den Erkrankungen, widmet, wäre es auch für den Sprachwissenschaftler von großem N u t z e n , wenn er sich nicht nur mit der normalen Sprache beschäftigen würde, sondern auch den Schatz kennenlernen würde, der in der Sprachpathologie schlummert. Auf ihn hat in jüngster Zeit besonders Peuser (1978) eindringlich hingewiesen. N a c h unseren eigenen Erfahrungen sind es bestimmte Fragenkomplexe der Sprachpathologie, für die die Mitarbeit des Linguisten förderlich, wenn nicht unerläßlich ist. E s ist zunächst der große Bereich der Phonemanalyse (vgl. Art. 10). Bei vielen Sprachstörungen treten pathologische Phoneme und Phonemkoppelungen auf, Erscheinungen,

40. Neurolinguistik bei denen man zunächst oft überhaupt nicht richtig unterscheiden kann, ob sie dysarthrischer oder aphasischer Natur sind. Alajouanine, Ombredane und Durand (1939) haben sie als Desintegration phonetique bezeichnet (vgl. Art. 44). Es stellt sich dabei das Problem, ob bestimmte pathologische Erscheinungen nur durch Lähmungserscheinungen der Sprechmuskulatur oder durch literale Paraphasien bedingt sind. Diese Unterscheidung kann klinisch von großer Bedeutung sein, denn sie klärt, ob es sich in dem gegebenen Fall um eine echte Sprachstörung oder nur um eine Funktionsstörung der Sprechmuskulatur handelt. Überhaupt sind die Paraphasien (vgl. Art. 44), also die Wortverstümmelungen, Wortvertauschungen oder Wortverdrehungen eine Fundgrube für linguistische Untersuchungen. Besonders in den Fällen, bei denen die Paraphasien so überhandnehmen, daß die ganze expressive Sprache nur aus solchen besteht und bei denen die Wortverstümmelungen einen so hohen Grad erreichen, daß nicht mehr zu erkennen ist, welches Wort eigentlich verstümmelt wurde, bei denen also manchmal nur noch sinnlose Silben und Silbenkombinationen geäußert werden (Jargonaphasie), ist eine wichtige linguistische Frage zu entscheiden. Es ist die, ob der Kranke mit seinen sprachlichen Äußerungen überhaupt noch einen Sinn verbindet oder ob es sich nur um Lautäußerungen ohne bestimmten Bedeutungsinhalt handelt. Eine weitere Frage ist dann stets, ob der Kranke mit dem gleichen Lautkomplex immer den gleichen Sinn verbindet oder ob der gleiche Lautkomplex seinen Sinn ändern kann. Auch Fälle mit syntaktischen Störungen, der Agrammatismus und der Paragrammatismus, können den Linguisten zu grundsätzlichen Überlegungen über den Aufbau der Sprache veranlassen. Schließlich aber wird der Einsatz des Linguisten bei fremdsprachigen oder polyglotten Aphasikern manchmal zwingend notwendig. Ein Grundsatz der klinischen Sprachpathologie lautet nämlich, daß jeder Aphasiker in seiner Muttersprache untersucht werden muß. Ebenso ist es bei polyglotten Aphasikern unumgänglich notwendig, den Kranken auch in allen Sprachen, welche der fließend beherrscht, zu untersuchen, damit festgestellt werden kann, ob sich die Aphasie auf alle diese Sprachen in gleicher oder verschiedener Weise ausgewirkt hat. Verständlicherweise wird man bei solchen Kranken die Hilfe des Linguisten nicht entbehren können. Abschließend soll betont werden, daß dieser kurze Abriß einer Neurolinguistik mehrere Zwecke verfolgt hat. Er sollte dem Sprachwissenschaftler und Philologen zeigen, daß das Medium, mit dem sich seine Wissenschaft auseinandersetzt, die Sprache, die zu den höchsten geistigen Leistungen des Menschen gehört, von der Intaktheit

4 19

bestimmter Anteile des Hirnes abhängig ist, und daß es enge anatomische und physiologische Beziehungen zum Innervationsgebiet eines bestimmten Hirngefäßes gibt. Es sollte aber auch kurz auf die Mannigfaltigkeit der sprachpathologischen Erscheinungen hingewiesen werden, welche auftreten können, wenn der genannte Hirnbereich durch eine Erkrankung teilweise oder ganz außer Funktion gesetzt worden ist. Von großer Wichtigkeit ist die Erkenntnis, daß sich für den Sprachwissenschaftler in der Neurolinguistik eine Fundgrube von Erscheinungen auftut, die er in der normalen Sprache nicht finden kann und die ihm vor allem in der normalen Muttersprache nicht angeboten werden. Es ist natürlich unmöglich, in einem räumlich so beschränkten Artikel die ganze Reichhaltigkeit der Sprachpathologie und vor allem das sehr ausgedehnte einschlägige Schrifttum darzustellen. Die wenigen Hinweise werden aber vielleicht genügen, um die Aufmerksamkeit der Sprachwissenschaftler auf die Neurolinguistik und besonders auf die Sprachpathologie zu lenken. 5. Bibliographie

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41. Psycholinguistik

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41. Psycholinguistik

hören somit anthropologisch so zentrale Themen wie Sprache und Denken (oder, etwas enger: Kognition, kognitive Fähigkeiten), Sprache und Bewußtsein, Sprache und Gedächtnis, Sprache und Affekt (dies letztere Thema wurde noch wenig untersucht). Zu ihr gehören auch zumindest wesentliche Aspekte der Untersuchung des Spracherwerbs beim Kleinkind (Erstspracherwerb; sprachliche Ontogenese; vgl. Art. 43), und der individuellen Sprachentwicklung, auch der Untersuchung des (schulischen und außerschulischen) Zweitspracherwerbs, des Bilinguismus und der Diglossie (vgl. Art. 75), der sprachlichen Ausfallerscheinungen (Aphasien; vgl. Art. 44: 4) und ihrer Therapie, ferner auch Aspekte der sprachlichen N o r m (vgl. Art. 33), der Spracherziehung und Sprachpolitik (vgl. Art. 56). Auch die Diskussion um die sog. sprachliche Relativitätshypothese, die eine Determiniertheit des „Weltbilds" durch die Sprache postuliert (W. v. H u m b o l d t , L. Weisgerber, E. Sapir, B. L. W h o r f ; vgl. Art. 55), gehört zu einer so verstandenen Psycholinguistik. Ein mögliches und verbreitetes Mißverständnis ist abzuwehren: die Psycholinguistik befaßt sich nicht ausschließlich mit dem individuellen Aspekt; ihr Interesse geht vielmehr, wie auch das der Linguistik, gerade auf das Allgemeine, auf das, was bei jedem einzelnen Individuum in sprachlicher Hinsicht so wie bei allen anderen ist, auf das beim Einzelnen für alle Typischen. Es ist also kein Zweifel: „ t h e topic of .language and psychology' is a formidably broad o n e " (Blumenthal 1970, VIII). Wenn man ausgeht von der „Standard version", auch der „revised Standard version", der generativen Transformationsgrammatik, so stellt sich die Objektzuweisung für die Psycholinguistik als scheinbar einfach dar: Objekt der Linguistik wäre die (methodisch idealisierte) sprachliche Kompetenz, Objekt der Psycholinguistik die Perfor-

1. Gegenstand 2. Richtungen 3. Linguistik und Psychologie 4. Bibliographie (in Auswahl)

1.

Gegenstand

Ziel dieses Artikels ist es, einen möglichst vollständigen, also nicht nach persönlichen Interessen auswählenden Einblick in die - überaus vielfältigen Bemühungen zu geben, die unter den Titel „ P s y cholinguistik" subsumierbar sind. Wir nehmen also den Ausdruck Psycholinguistik in einem weiten Sinn und meinen damit alle wissenschaftlichen Bemühungen, welche die komplexen Zusammenhänge zwischen Sprache und Sprechen einerseits, menschlicher Psyche andererseits zum Gegenstand haben. Es geht somit auf der einen Seite um die beiden Erscheinungsformen des Sprachlichen, die konkrete Sprachäußerung und die geschichtlich gewordene Einzelsprache, also den Sprachbesitz einer Sprachgemeinschaft; auf der anderen Seite geht es um die Psyche. Unter diesem Begriff wird dabei, je nach der philosophisch-psychologischen Richtung, die vorausgesetzt wird, Verschiedenes verstanden: die Gesamtheit der nichtkörperlichen Vorgänge (Wahrnehmungen, Erinnerungen, Denkakte, Affekte usw.) im Menschen, der „seelische Apparat", wie S. Freud sich ausdrückt, oder, wie im Behaviorismus, das von außen - also unter Ausschluß der Selbstbeobachtung (Introspektion) - zu beobachtende „Verhalten" des Menschen; im Sinne des Behaviorismus ist demnach Psycholinguistik die auf Beobachtung (und nur auf Beobachtung) beruhende Untersuchung der Zusammenhänge zwischen sprachlichem und nichtsprachlichem Verhalten. Zur Psycholinguistik in diesem weiten Sinn ge-

Anton Leischner,

Bonn

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V. Individuelle Aspekte

manz, also die „Anwendung" der sprachlichen Kompetenz im tatsächlichen Sprechverhalten. Die Psycholinguistik hätte somit die Aufgabe, diejenigen psychischen Faktoren zu untersuchen, die — zusätzlich zur rein sprachlichen Kompetenz - die Performanz bestimmen; in ihr ginge es vorzugsweise um einen Beitrag zur Erstellung einer „Theorie der Performanz". Tatsächlich liegen die Dinge nicht so einfach, denn die strikte und spezifische Trennung von Kompetenz und Performanz, wie sie Chomsky und seine Anhänger propagierten, hat sich zunehmend als unhaltbar erwiesen (vgl. Hörmann 1976, 33-59, Hermanns 1977, 223-278). Die Chomsky-Linguistik treibt die Idealisierung zu weit; sie löst die Sprache zu sehr aus ihren Verflechtungen: „man kann die Sprache nicht erfassen, wenn man nur die Sprache erfassen will" (Hörmann 1976, 57). Zudem ist die Kompetenz nicht in dieser Weise von der Performanz zu trennen; sehr verkürzt gesagt: die Sprache ist nichts anderes als ihre Verwendung. Die Unterscheidung von Performanz und Kompetenz im Sinne Chomskys bleibt zwar von historischem Interesse, ist aber für die Bestimmung des Objekts der Psycholinguistik ungeeignet. Wird, wie dies jedenfalls in einem sprachwissenschaftlichen Lexikon zweckmäßig ist, unter „Psycholinguistik" allgemein die Untersuchung von Zusammenhängen zwischen Sprache und Sprechen einerseits, „Psyche" andererseits verstanden, so ist eine klare Abgrenzung zu folgenden adjazenten Bemühungen kaum möglich: Sprachphilosophie, Soziolinguistik, Textlinguistik, Pragmalinguistik, Pädolinguistik. Auch in diesen Forschungsrichtungen spielen jene Zusammenhänge, mit Unterschieden, eine nicht unbeträchtliche Rolle. Hinsichtlich der wissenschaftlichen Disziplinierung all jener Richtungen ist, auch gerade im Sinne eines jeweils mehr oder weniger fest umrissenen Objektbereichs, noch keineswegs Einigkeit erzielt worden. Dies gilt im übrigen auch für die Linguistik selbst, die faktisch die genannten Zusammenhänge weithin ebenfalls thematisiert. Von dieser Sachlage ausgehend wäre es vielleicht angemessener, die Psycholinguistik nicht auf einen ihr spezifischen Objektbereich hin zu definieren, sondern als Produkt der Konvergenz von Interessen, Methoden und Ergebnissen der Linguistik und der Psychologie: linguistisch motiviertes Interesse am Psychischen (oder behavioristisch: am nichtsprachlichen Verhalten insgesamt) und psychologisch motiviertes Interesse am Sprachlichen. Neben der Bezeichnung Psycholinguistik gibt es auch die Bezeichnungen Sprachpsychologie bzw. Psychologie der Sprache. Diese sind älter und werden heute, nach dem Aufkommen des aus dem Englischen stammenden Ausdrucks Psycholinguistik, nicht selten in bewußter Entgegensetzung zu

Psycholinguistik verwendet. So, unter Berufung auf M. Bierwisch, von H. Hörmann, der mit Psycholinguistik einen engeren Begriff verbindet; nach Hörmann geht die Entwicklung nunmehr gerade „von der Psycholinguistik zur Sprachpsychologie". In dieser engeren Verwendung, die sich auch sonst sehr oft findet, meint Psycholinguistik eine ganz bestimmte Forschungsrichtung, die 1951 und 1953 mit zwei vom „Social Science Research Council" veranstalteten „Sommerseminaren" an der Cornell University und der Indiana University (USA) begann. Die Initiative war namentlich von dem Psychologen J . B. Carroll ausgegangen. Andere wichtige Namen sind Ch. E. Osgood, Τ. A. Sebeok, G. A. Miller, Ch. Lounsbury. Die Ergebnisse der beiden Symposien erschienen 1954: Ch. E. Osgood u. Τ . A. Sebeok, „Psycholinguistics. A survey of theory and research problems" (später, 1965, wurde der wichtige Bericht von A. R. Diebold „ A survey of psycholinguistic research 1954—1964" hinzugefügt). Diese Psycholinguistic begann als Produkt der Zusammenarbeit von behavioristisch orientierten Lerntheoretikern, Informationstheoretikern, Linguisten Bloomfieldscher Orientierung und Sozialpsychologen. Sie verlief in drei Phasen: die erste war durch die behavioristische Bloomfield-Linguistik bestimmt; die zweite durch die klar antibehavioristische, als revolutionär und besonders psychologienah empfundene Linguistik Chomskys (diese erbrachte viele, bis heute wirksame Anstöße und thematische Erweiterungen, besonders G. A. Miller ist hier zu nennen); die dritte Phase unterscheidet sich von den beiden vorhergehenden durch die progressive Emanzipation dieser Psycholinguistik von der Linguistik; zuvor eine bloße „ancilla linguisticae", begnügt sie sich nun nicht mehr, die Elemente der linguistischen Theorie auf ihre psychologische Relevanz zu untersuchen: sie wird, indem sie auch ältere Traditionen wieder aufgreift, zu einer „an den Funktionen der Sprache orientierten Psychologie" (Hörmann 1974, 155), also zur Psycholinguistik im weiteren Sinn. Hinzu kommt die Absetzung speziell von der generativen Grammatik (vgl. die glänzende Kritik von Toulmin 1971). Auch aus diesem Grund ist es unzweckmäßig, die Kennzeichnung Psycholinguistik nur für das in den fünfziger Jahren Beginnende zu nehmen. Mit Recht betont A. L. Blumenthal (1970, 172): „the modern American term ,psycholinguistics' is a natural translation for Sprachpsychologie because it typically refers to the same kind of investigations". Auch Μ. Bierwisch (1975, 1) definiert jetzt „Psycholinguistik" als den „Bereich der allgemeinen Psychologie, in dem der Bezug auf die natürliche Sprache eine konstitutive Rolle spielt".

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2. Richtungen Sieben Richtungen oder Beiträge sind, natürlich nicht ganz ohne Willkür, zu unterscheiden: (1) Die von W. Wundt beherrschte Richtung. (2) Der Beitrag von K. Bühler. (3) Das Werk von F. Kainz. (4) Der Beitrag von J. Piaget. (5) Die spezifische Psycholinguistik, die in den fünfziger Jahren in den USA im Anschluß an die Linguistik entstand und die zuvor genannten drei Phasen durchlief. (6) Die russische Sprachpsychologie, die in die dreißiger Jahre zurückreicht (L. S. Vygotskij), aber erst in den sechziger Jahren zum Durchbruch kam. (7) Die von der Psychoanalyse ausgehende Sprachverwendung und Sprachreflexion, die - bereits bei S. Freud stark, aber eher implizit angelegt - sich besonders in Frankreich entfaltet hat: namentlich J. Lacan ist hier zu nennen. Zu diesen, teilweise berührungslos nebeneinanderherlaufenden psycholinguistischen Richtungen im Folgenden einige Hinweise. (1) Am Beginn - natürlich gibt es aber Vorläufer - steht der Versuch einer Zusammenarbeit: 1860 begründete H . Steinthal mit M. Lazarus die „Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft". Steinthal war einerseits durch W. v. Humboldt, andererseits durch die atomistische, mechanistische und mathematische Auffassung der Psyche von J. F. Herbart bestimmt, die auch den Linguisten H . Paul stark beeinflußte. An nächster Stelle ist der Philosoph W. Wundt, Begründer der experimentellen Psychologie, zu nennen: „Die Sprache", 1900 (Bd. I und II der „Völkerpsychologie"). Er untersucht die Sprache im Zusammenhang mit anderen sozialen Erscheinungen (Sitten, Religionen, Mythen). Sein Ansatz ist komplex: idealistische und empiristische Elemente. Wichtig ist ihm der Assoziationsbegriff (Frequenz, Kontiguität, Intensität), auch der Apperzeptionsbegriff Kants. Letztlich ist aber seine Psychologie an der Physik orientiert. Ihn interessiert an der Sprache sowohl die lautliche Seite (Lautproduktion, Lautwahrnehmung) als auch die innere, gedankliche und die komplexen Entsprechungen zwischen beiden. Der Satz ist für ihn, von der Produktion her gesehen, die Umwandlung einer simultanen „Gesamtvorstellung" in logisch verbundene zeitlich aufeinanderfolgende Glieder. Interessante Kritik erfuhr Wundt durch den stark von dem Philosophen F. Brentano bestimmten - A. Marty. Eine umfangreiche Synthese legte bereits O . Dittrich vor: „Grundzüge der Sprachpsychologie" (1903). Eine sichtende, kritische Aufarbeitung dieser (heute fast ganz vergessenen) ersten Phase der Psycholinguistik ist ein dringendes Desiderat (vgl. die wichtigen, aber noch eher äußerlichen Hinweise bei Blumenthal 1970). (2) Von bleibender Bedeutung und in vielem moderne Ansätze vorwegnehmend ist der kom-

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plexe Beitrag des stark philosophisch orientierten, auch linguistisch hervorragend informierten Psychologen K. Bühler, der der Prager Linguistenschule nahestand und diese auch nachhaltig beeinflußte: „Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache" (1934). Dies „wahrhaft klassische Werk" (F. Kainz) ist, neben anderem, auch ein wichtiger Beitrag zur Psycholinguistik. Bedeutsam wurde besonders seine (mißverständlich sog.) „Axiomatik"; hier geht es um vier Prinzipien: „Organonmodell der Sprache; Zeichennatur der Sprache; Sprechhandlung und Sprachwerk, Sprechakt und Sprachgebilde; Wort und Satz." Das vielberufene, sich an Plato anlehnende „ O r ganonmodell" des Sprachzeichens (nicht der Sprache) mit den drei Funktionen, „Darstellung", „Ausdruck" (zuvor „Kundgabe") und „Appell", wurde von R. Jakobson interessant ergänzt: hinzukommen bei diesem die „phatische", „metalinguale" und „poetische" Funktion (vgl. Art. 81). Eine andere, noch reichhaltigere Weiterentwicklung bei E. Gülich und W. Raible 1977, 2 1 59. Außerordentlich bedeutsam, auch für die Psycholinguistik, sind Bühlers Ausführungen zum „Zeigfeld" der Sprache. Als Psychologe vertrat Bühler, mit Einschränkungen, die sog. „Gestaltpsychologie", die sich gegen Wundts Elementenlehre wandte: „nicht Vorstellungen, sondern ihre Beziehungen machen den Sinn eines Gedankens aus" (Zit. b. Ch. Bühler 1962, 33). Eine gewisse Nähe zum linguistischen Strukturalismus ist unverkennbar. (3) Das umfangreiche Werk von F. Kainz steht ein wenig außerhalb der großen Richtungen („Psychologie der Sprache", 5 Bände, 1940-1965). Kainz ist enzyklopädischer, weniger einheitlich und originell als Wundt oder Bühler. Sein Werk ist eine diskussionsfreudige Aufbereitung; ihm fehlt aber der eigentliche Anschluß an die damalige internationale Diskussion. Er erörtert unter anderem das „Wesen", die „Leistungen" und die Entstehung der Sprache, das Sprechen, das Sprachverstehen, das Gespräch, das Lesen, das Schreiben, das Sprachgefühl, auch den möglichen Zusammenhang von Sprache und „Weltbild". Zu Unrecht wird dies etwas ungleiche, aber im Ganzen gewiß wertvolle Werk allzuoft übergangen. (4) J. Piaget, Vertreter des psychologischen Strukturalismus, von nicht wenigen als der größte Psychologe unserer Zeit betrachtet, interessiert sich psycholinguistisch besonders für die kindliche Sprach- und Denkentwicklung: „Le langage et la pensee chez l'enfant" (1923); „La formation du Symbole chez l'enfant" (1946). Er betrachtet die Logik als Grundlage der Gesellschaft („la pensee logique" ist „la pensee socialisee"). Während das Denken des Erwachsenen, auch ohne Gesprächspartner, kommunikativ ist, ist das Denken des Kinds, auch in Anwesenheit anderer, „ego-

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V. Individuelle Aspekte

zentrisch". In der „egozentrischen", also noch nicht sozialisierten Phase (bis ins 7 . - 8 . Jahr) wird die Sprache durch Nachahmung, Spiel usw. eingeübt. Wichtiger noch als diese - nicht zuletzt durch Vygotskijs Kritik bekannt gewordene, von Piaget später modifizierte - Position sind Piagets Untersuchungen zur frühen kognitiven Entwicklung („sensumotorische Intelligenz", „Assimilation" und „Akkomodation", „Objektkonstanz", „Symbolbildung" usw.). Uberaus ungerecht ist es, Piaget nur im Zusammenhang mit der Diskussion, die Vygotskij mit ihm führte, zu sehen. (5) Nunmehr zur Psycholinguistik im engeren Sinn, die sich unmittelbar an die Linguistik anschließt. Ihre äußere Geschichte wurde im vorhergehenden Abschnitt skizziert. Die Aufgabenstellung wurde in der ersten Phase informationstheoretisch formuliert: Untersuchung der „Prozesse von Kodierung und Dekodierung, insofern diese Prozesse Zustände von Nachrichten mit Zuständen von Sendern und Empfängern in Verbindung bringen". ( C h . E . O s g o o d / T . A. Sebeok 1965,4). In der zweiten Phase wurden die Psychologen dieser Richtung besonders durch zwei psychologieträchtige Elemente der Linguistik Chomskys angezogen: den Begriff des „Generierens" und die Unterscheidung zwischen Kompetenz und Performanz (vgl. Hörmann 1976, 3 2 - 5 9 ) . Wichtige Namen sind hier: G . A. Miller, Ε . H . Lenneberg, dessen grundlegendes „Biological Foundations of Language" (1967) auch ein Beitrag zur Psycholinguistik ist, D . McNeill, Τ . Ε . Bever, J . A. Fodor. Eine ausgezeichnete - für Psychologen verfaßte Orientierung über diese sich an die Linguistik unmittelbar anhängende Psycholinguistik gibt, was die „syntaktische Strukturbildung" angeht, M. Bierwisch (1975). Als Beispiel für die dritte, von der Linguistik sich emanzipierende Richtung dieser Psycholinguistik sei besonders „Meinen und Verstehen. Grundzüge einer psychologischen Semantik" (1976) von H . Hörmann genannt. Im übrigen gibt es neben der generativ-mentalistischen Richtung weiterhin eine z . T . sehr verfeinerte, „neobehavioristische" Richtung. Es ist nicht leicht, zu diesen Bemühungen eine zugleich knappe, vollständige und verständliche Übersicht zu geben, denn es geht hier um zahlreiche Untersuchungsverfahren und Ergebnisse verschiedenster Art, deren Reichweite oft schwer zu beurteilen ist: jedenfalls ist sie eingeschränkt durch die jeweiligen Prämissen, allgemein auch durch die Tatsache, daß die Ergebnisse oft und unvermeidlich „in vitro", unter Ausschaltung also der in tatsächlichen Sprachäußerungen gegebenen Bedingungen des Sprechens und Verstehens erzielt wurden. Man kann also nicht einfach angeben: dies und dies ist herausgekommen. Diese Psycholinguistik befaßt sich, wie die anderen Richtungen, nur anders akzentuiert, mit den drei fundamen-

talen psychophysischen Prozessen, um die es bei der Sprache geht: Verstehen (Sprachperzeption), Sprechen (Sprachproduktion) und Erwerb dieser beiden - sich gegenseitig bedingenden - Fähigkeiten; der dritte Prozeß bleibt hier, da ihm ein eigener Artikel gilt, ganz beiseite (vgl. Art. 43). Alle Ebenen der Sprache werden, im Blick auf jene beiden Fähigkeiten, in die psycholinguistische Untersuchung einbezogen: die lautliche (Phonem, Silbe), die Ebene des Worts (ein linguistisch vielfach, besonders vom Strukturalismus, in Frage gestellter, aber offenkundig, wie gerade die Psycholinguistik zeigt, unabdingbarer Begriff) wirft viele Fragen auf; desgleichen die morphologische und besonders die syntaktische Ebene, wobei im Verlauf dieser Psycholinguistik, wie auch in der Linguistik, das Verhältnis von Syntax und lexikalischer Semantik als immer komplexer angesetzt werden mußte. Beim Lautlichen geht es um die Identifizierung der Phoneme in der Perzeption und um ihre psychische Realität überhaupt; die Ergebnisse sind z . T . uneinheitlich (vgl. Peterfalvi 50-71). Auch die (schon vor dieser Psycholinguistik begonnene und ziemlich weit getriebene) Untersuchung der Lautsymbolik wurde weitergeführt: sog. Psychophonetik (Osgood 1971, bes. Ertel 1969). Ein wichtiges Ergebnis ist hier, daß diese Lautsymbolik einen, wenn nicht universellen, so doch die Einzelsprache entschieden übergreifenden Charakter hat (hierzu Hörmann 1977, 126-133). Was die lexikalische Semantik betrifft, so ist in der Tat das komplexe Modell C h . E . Osgoods eine „glänzende Leistung des aufgeklärten' Neobehaviorismus" (Hörmann 1976, 92). Im Mittelpunkt steht dabei die Ermittlung des „semantischen R a u m s " eines Worts oder Begriffs durch das „semantische Differential". Dieses basiert auf dem Assoziationsbegriff. Die Probanden sollen Wörter oder Begriffe assoziativ auf einer Reihe bipolarer Adjektivskalen, wie z . B . groß/klein; langsam/ schnell, einstufen. So kommt Osgood durch Faktorisierung schließlich zu den drei, .Dimensionen" des „semantischen Raums": „Bewertung", „ K r a f t " , „Aktivität" („Evaluation", „ P o t e n c y " , „Activity" gleich E P A ) . Diese Dimensionen sind „semantische Merkmale" und gehören zum sogenannten „mediation process", ein vorstellungsmäßiger Vermittlungsprozeß, der für Osgood im Sinne eines Konstrukts die Bedeutung ausmacht: „mediating response . . . mediating stimulus (r m . . . s j " . Hier kommt Osgood — er stützt sich dabei auf Vorarbeiten - faktisch an die traditionelle Sicht von der Vorstellung als psychischer Größe nahe heran: „inner reponse", „representational, most easily detachable parts of responses"). Für Osgood ist also Bedeutung gleich „ r m " ; dieses ist ein unstrukturiertes Bündel von Merkmalen. Gewiß geht es bei seinen Dimensio-

41. Psycholinguistik nen mehr um konnotative Elemente als um die für die Semantik wichtigeren denotativen oder referentiellen. Gleichwohl sind Osgoods, durch S. Fillenbaum und A. Rapoport, Α . K. R o m n e y und R . G. d'Andrade weitergeführte Untersuchungen auch f ü r die Linguistik bedeutsam, zeigen sie doch den in der Linguistik oft übersehenen oder wegeskamotierten nicht abgeschlossenen, instabilen, also nicht wirklich strukturierten Charakter der Wortbedeutung. Im übrigen ist ja Konnotation nicht leicht und eindeutig von Denotation zu trennen (hierzu List 2 9 - 3 6 ; H ö r m a n n 1977, 101-122; H ö r m a n n 1976, 9 2 - 1 2 1 ; vgl. auch Art. 18). Interessante Weiterentwicklungen der Assoziationsverfahren erbrachten die Untersuchungen von J . Deese und Η . H . C l a r k . Deese befaßt sich unter diesem Gesichtspunkt auch mit den W o r t klassen, besser: Wortarten (vgl. Halbe 197-210). Im syntaktischen Bereich sind perzeptiv die sog. „Klickexperimente" von Interesse (Kopfhörer: auf der einen Seite ein Satz mit Teilsätzen, auf der anderen ein Klickgeräusch): die Probanden verschieben in ihren Angaben den Klick zumeist auf die Grenze zwischen den Teilsätzen; also Einfluß der syntaktischen Struktur auf das Gehörte (P. Ladefoged, D. E. Broadbent; M . F. Garrett, Τ. Ε. Bever, J . A. Fodor). In G. A . Millers Experimenten zu den Transformationen von der Tiefenstruktur zur Oberflächenstruktur zeigt sich größerer Zeitverbrauch bei größerer Komplexität der Transformationen. Doch sind diese und andere analoge Ergebnisse, w i e M . Bierwisch scharfsinnig zeigt, problematisch ( M . Bierwisch, 15-26). Interessanter vielleicht sind die Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Satzstruktur und gedächtnismäßigem Behalten ( „ m e m o r y s p a n " , „ m e m o r y storage"). Dies sind nur einige Hinweise auf zahlreiche, z . T . sehr komplexe und scharfsinnige U n tersuchungen, die sich insgesamt auszeichnen durch beträchtliche wissenschaftliche Disziplinierung und große Diskussionsfreudigkeit. Eine gewisse Trivialität der Ergebnisse ist jedoch nicht ganz zu übersehen; dies betrifft freilich keinesfalls alle - sich nunmehr zunehmend öffnenden - Bemühungen auf diesem Feld. (6) Die russische Psycholinguistik interessierte sich besonders für das Verhältnis von Denken und Sprechen. Sie w a r nie primär an der Linguistik orientiert. Ihre Ausrichtung w a r biologisch-physiologisch. Der Einfluß Pavlovs k a m hinzu. Geprägt w u r d e sie durch L. S. V y g o t s k i j , dessen Buch „ D e n k e n und Sprechen" (1934) aber, auch in der Sowjetunion, erst nach der Neuausgabe 1956 zu größerer W i r k u n g kam. V y g o t s k i j geht aus von der in gleicher Weise sprachlichen wie gedanklichen „Teileinheit" W o r t b e d e u t u n g ; psychologisch gesehen ist diese für ihn ein „ B e g r i f f " : „verallgemeinernde Widerspiegelung". W a s das Ver-

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hältnis von Denken und Sprechen angeht, gibt es für ihn — genetisch - ein vorintellektuelles Sprechen und ein vorsprachliches Denken. Dies gilt sowohl für die Phylogenese als auch für die O n t o genese; Denken und Sprechen verbinden sich aber von einem bestimmten Punkt der (phylo- und ontogenetischen) Entwicklung an: es k o m m t zum „ S p r a c h d e n k e n " . Die sprachliche Ontogenese verläuft für ihn vom Sozialen zum Individuellen, vom Interpsychischen also zum Intrapsychischen: emotiv-kommunikative (insofern „ s o z i a l e " ) Sprache am Anfang, dann Trennung in „ k o m m u n i k a tive" und „egozentrische" Sprache; aus der letzteren ( 3 . - 7 . J a h r ) wird - durch spezifische Verkürzung, besonders Reduktion aufs Prädikat - die „innere Sprache". Der Unterschied zu Piaget hängt wohl am verschiedenen Begriff des „ S o z i a len". Wichtig ist für V y g o t s k i j die Integration von Intellekt und Affekt im Sprachlichen. Bemerkenswert ist die Unterscheidung von „ s p o n t a n e n " (alltagspraktischen) und „wissenschaftlichen" Begriffen. In der Nachfolge Vygotskijs sind besonders A . A. Leont'ev, A. R . L u r i j a u n d Α. N . Sokolov zu nennen. Die Untersuchung wendet sich bei ihnen besonders der Genese der einzelnen Sprachäußerung, der sprachlichen Aktualgenese, im Verein damit dem „inneren Sprechen", zu. Zu letzterem gibt es zahlreiche subtile, z . T . experimentell abgestützte Untersuchungen (elektromyographische Messungen der Spannung der Sprechmuskulatur bei bloß „innerer Aktivität"). Unterschieden wird schließlich (bei Leont'ev) zwischen „innerem Sprechen", „ i n n e r e r S p r a c h e " und „innerem Programmieren" (vgl. hierzu den interessanten Brückenschlag zur „Tiefenstrukt u r " der generativen Grammatik und Semantik bei H ö r m a n n 1976, 295-309). Marxistische Elemente spielen nicht nur bei Vygotskij, sondern auch bei Leont'ev und Lurija - in der Praxis der Untersuchung - eine geringfügige Rolle (eine knappe Übersicht bei J . Prücha). (7) U m die durch S. Freud begründete Psychoanalyse haben sich Linguistik und Psycholinguistik kaum g e k ü m m e r t ; allenfalls Freuds Analyse der sprachlichen Fehlleistungen w u r d e begrüßt (Hörmann 1977, 95). Bis heute kam es zwischen Linguistik und Psychoanalyse zu keinem w i r k lichen - in die Breite und Tiefe gehenden - „ c o m m e r c i u m " . Innerhalb der Psychoanalyse selbst w u r d e die Bedeutung des Sprachthemas lange Zeit nicht erkannt. Freud hat sich ζ. B. nirgends ausschließlich und zusammenhängend über Sprachliches geäußert. Erst seit den sechziger Jahren, im Zusammenhang mit den ichpsychologischen Bemühungen, trat dies Thema allmählich in den Vordergrund. In den U S A , w o jene Bemühungen stark w a r e n : L. Peller (1966) und H . Edelheit (1968) u. a. Einen wenig überzeugenden, aber interessanten Versuch, von C h o m s k y her mit Sprach-

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V. Individuelle

Aspekte

lichem zusammenhängende T h e m e n , wie sie sich in der Psychoanalyse stellen, zu klären, unternahm dort M . Edelson (1975). In Deutschland, in verschiedene Richtungen gehend, sind u . a . zu nennen: G . Bittner (1969), G . Jappe (1971), S. u. H . C . Goeppert (1973, 1975); auch in den - besonders interessanten, weil komplexen - Arbeiten W . Lochs tritt das T h e m a hervor. Eine Sonderstellung kommt A . Lorenzer zu (1970, 1973): er sucht Freud und Marx zusammenzubringen („materialistische H e r m e n e u t i k " ) und rückt dabei die Sprachthematik an zentrale Stelle (Psychoanalyse als „Sprachveränderung", Unterscheidung „ S y m b o l " und „ K l i s c h e e " ; letzteres sei eine „unbewußte, desymbolisierte Repräsentanz"). Am frühesten setzte die psychoanalytische K o n zentrierung auf das Sprachliche in Frankreich ein. J . Lacan, der dort die allgemeine intellektuelle Diskussion z . Z t . stark dominiert und auch bei uns zunehmend beachtet wird, sucht, von der Sprache und dem klassischen (ihm durch C . LeviStrauss vermittelten) linguistischen Strukturalismus her, zu einer Bestimmung der Psyche und besonders des Unbewußten zu kommen. Eine Art „Linguistifizierung" ohne Zweifel des Gegenstands und der Methode der Psychoanalyse, wenngleich bei Lacan noch anderes hinzukommt. Sprache somit als Bedingung des U n b e w u ß t e n : „L'inconscient est structure comme un langage"; „L'inconscient est le discours de l ' A u t r e " (so die beiden berühmten Sätze). Lacan versteht diese „Linguistifizierung" als Rückkehr zu Freud. Wichtig ist ihm besonders der - gegenüber Saussure modifizierte - Begriff des „Signifikanten" und dessen Dominanz über das Signifikatum. Lacans ohne Zweifel bedeutsamer Ansatz, in einer reizvoll suggestiven, dunkel verspielten Sprache vorgetragen, ist, bei einfachem Grundgedanken, überaus komplex, schwer zu verstehen und zu bewerten. Ich stelle kurz zusammen, was sich, in meiner Sicht, aus dem W e r k Freuds an psycholinguistisch Relevantem ergibt. Also gerade umgekehrt wie bei Lacan: was können Linguistik und Psycholinguistik von der Psychoanalyse lernen? Psychoanalyse ist Praxis und T h e o r i e : in beiden Bereichen ist Sprachliches zentral. (a) P r a x i s : Revolutionär ist die Verwendung des Sprechens (nicht: der Sprache) als alleiniges Therapeutikum: „ I n der analytischen Behandlung geht nichts anderes vor als ein Austausch von W o r ten zwischen dem Analysierten und dem A r z t " (Freud, Ges. W e r k e , X I , 9). Das Sprechen im Sinne der „freien Assoziation" dient einmal der „ A b f u h r " , die das Emotionale betrifft, zum anderen der „ E r l e d i g u n g " , die ein vorwiegend, aber nicht ausschließlich rationales Verstehen meint. Das spezifische Sprechen in der analytischen Praxis ist einmal Aushängen des Handelns (es wird

nur gesprochen; Sprechen als Nicht-Handeln), andererseits „abführendes" und „erledigendes" Surrogat für Handeln (beides wäre interessant für die Pragmalinguistik). (b) T h e o r i e : In allen drei „ I n s t a n z e n " der Psyche-,,Ich", „Uber-Ich", „Es"-istdieFunktion der Sprache bedeutsam. Dies gilt namentlich für das Ich. Zum Ich gehört Bewußtsein; B e w u ß t sein, als Selbstbewußtsein, ist, nach Freud, nur möglich durch Sprache: Sprachhaftigkeit des Bewußtseins. Sprache heißt, was die W ö r t e r angeht, daß zu einer psychischen Sachrepräsentanz eine Wortrepräsentanz hinzukommt: „Uberbesetzung" ( „ W o r t " hier gleich „Wortsignifikant"). Bewußt ist allein das worthaft Besetzte. Sprache ermöglicht eine „höhere psychische Organisation", also den Menschen (hierzu bes. Freud, Ges. Werke, X , 300). Wortinhalte sind dominierend visuell, der Verbegrifflichung aber zugänglich, prinzipiell offen und plastisch. Zum „ U b e r - I c h " . Zwischen Sprache und „ U b e r - I c h " gibt es Analogien: beide werden im Sinne der Internalisierung von der U m w e l t übernommen und bedeuten den massiven Einbruch des Historisch-Gesellschaftlichen in das Biologische; beide unterliegen - als historisch gewordene - dem Wandel. Die Verbindung von Sprache und „ U b e r - I c h " erklärt den unvermeidlichen Normcharakter jeglichen Sprachbesitzes, die rational nicht auflösbare, als verpflichtend erlebte Bindung an die Erstsprache und ihre ichstärkende, Außenhalt gewährende Funktion. Sprache gehört, nach Freud, zum Bereich des VorbewußtBewußten (System B w - V b w gleich „ I c h " , Teile des „ U b e r - I c h " ; „ v o r b e w u ß t " meint: deskriptiv unbewußt, aber bewußtseinsfähig). Das „ E s " ist aber nicht sprachlos: ihm eignet eine „archaische Ausdrucksweise", eine Art Vorstufe der Sprache des „Sekundärvorgangs". Sie zeigt sich besonders in der Sprache des „manifesten T r a u m s " . Kennzeichen dieser „Ausdrucksweise" des „ P r i m ä r vorgangs": Fehlen einer Syntax, Abwesenheit der Verneinung, visuelle und durchgehend motivierte Signifikanten, D o m i n a n z des Signifikanten über das Signifikatum, Opakisierung des Signifikanten, hohe Polysemie, exorbitante Synonymie. Diese Züge sind weithin auch in der Sprache und im Sprechen des „Sekundärvorgangs" bewahrt. Die Sprache gehört z w a r - dieses konstituierend - zum „ I c h " , gründet aber auf der „ ä l t e r e n " Ausdrucksweise des „ E s " ; sie gehört insofern nicht bloß zum Rationalen und Kognitiven. Daher die psychische Doppelfunktion des Sprechens: „ A b f u h r " und „ E r l e d i g u n g " . Also wieder gerade umgekehrt wie bei Lacan: nicht Sprache als Bedingung des U n b e wußten, sondern das U n b e w u ß t e , mit seiner spezifischen Ausdrucks weise, als Bedingung, als B a sis, der Sprache (vgl. Gauger 1979). Sprache ist somit auch in der Sicht Freuds das „humanum humanissimum" ( W . Schadewaldt); auch und ge-

41. Psycholinguistik rade als solches ist sie aber einbezogen in jene Vertiefung des Begriffs vom Menschlichen, der Freuds bedeutsamster Beitrag ist zu einer realistischen, also wahrhaft „aufgeklärten" Anthropologie. 3. Linguistik und Psychologie

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tische) psychologische Orientierung offen hervor. Bei L. Bloomfield haben wir von vorneherein eine dezidierte Distanzierung vom Psychologischen, obwohl er sich, zur Begründung seines Ansatzes, gerade auf eine bestimmte Richtung der Psychologie, den Behaviorismus, beruft. Der dritte große Beweger, N . Chomsky, ist in dieser Hinsicht, wie Saussure, widersprüchlich: einerseits versteht er sein Modell (in „Aspects") als reine, unpsychologisch konzipierte Simulation ( „ n o t a model for a speaker or a hearer"), andererseits ist für ihn seine Linguistik geradezu ,,a chapter of human psychology". Letzteres ist beim „späten" Chomsky deutlicher. Auch gerade die sich ihm anschließende Psycholinguistik belegt indirekt seine psychologische Seite. In der Linguistik nach Chomsky ist eine Öffnung, unter anderem zum Psychologischen, sehr weithin zu beobachten: die Phase der autonomen Linguistik scheint beendet zu sein. Es ist bemerkenswert, daß diese Öffnungstendenz zeitlich zusammenfällt mit der Emanzipation der Psycholinguistik von der Linguistik. So sind gute Voraussetzungen gegeben für eine Rückkehr der Linguistik zu einer breiten Zusammenarbeit mit der - im Vergleich zu Wundt sehr fortgeschrittenen - Psychologie (um eine Rückkehr zum schlechten Psychologismus der älteren Schulgrammatik darf es dabei nicht gehen). Die Linguistik muß in ihrem Ansatz, von vorneherein, psychologisch, sie k a n n jedenfalls nicht apsychologisch sein, da ihr Gegenstand, Sprache als Sprachbesitz einer Gemeinschaft - in einem freilich zu präzisierenden Sinn - nichts anderes als ein Phänomen des Psychischen ist. Saussure: „ A u fond, tout est psychologique dans la langue" (Cours de linguistique generale, Introduction, Chap. II).

In der Geschichte der Linguistik sind zwei Phasen zu unterscheiden. Die erste beginnt - im Zuge des um die Wende vom 18. zum 19. J h . sich durchsetzenden Historismus - mit dem Durchbruch zur Geschichte: indogermanische historisch vergleichende Sprachwissenschaft (aus dieser gliedern sich bald Einzelsprachwissenschaften aus: germanische, romanische Sprachwissenschaft usw.). Die zweite Phase beginnt hundert Jahre später und ist — umgekehrt — ein Versuch der Emanzipation vom Geschichtlichen: Etablierung einer nichthistorischen Beschreibung, aber - im Unterschied zur unwissenschaftlichen, weil normativen, des 17. und 18. Jhs. - einer wissenschaftlichen (vgl. Art. 7). Die zweite Phase hebt im übrigen das mit der ersten Begonnene nicht auf. Die Verbindung zur Psychologie war, besonders auf ihrem Höhepunkt, während der ersten Phase ungebrochen. Dies zeigt etwa das theoretische Hauptwerk der - theoretisch an sich wenig interessierten — junggrammatischen Schule,,Prinzipien der Sprachgeschichte" (1880) von H . Paul (intensive Diskussion z . B . mit W . Wundt). Nicht anders bei den nicht-strukturalistischen Gegnern der Junggrammatiker, der „idealistischen" Schule um K. Vossler. Der Strukturalismus, der den Beginn der zweiten Phase markiert, sieht in der Sprache eine autonome Größe. Insofern setzt er dann auch die Linguistik als autonom: zuerst also eine bestimmte sprachtheoretische Option, dann, daraus abgeleitet, eine bestimmte Auffassung von Linguistik. Aus einer bestimmten Auffassung von der Sprache 4. Bibliographie (in Auswahl) ergibt sich - metalinguistisch - die strikte Verbannung alles Psychologischen aus der Linguistik. M . Bierwisch, Psycholinguistik: Interdependenz kognitiver Interessanterweise ist Saussure selbst hier noch Prozesse und linguistischer Strukturen. I n : Z f P 183. 1975, offen; mehr noch: sein Ansatz ist in gewissem 1-52. Sinn geradezu psychologisch: die notwendige und G . Bittner, Sprache und affektive Entwicklung. Stuttgart 1968. auch schon hinreichende Voraussetzung einer A . L . B l u m e n t h a l , L a n g u a g e and P s y c h o l o g , 1 1 ι ί > u ,ί.ιΐ nicht-historischen, also „synchronischen" LinAspects of Psycholinguistics. N e w Y o r k - L o n d o n - S y d guistik ist für ihn die heuristische Orientierung am n e y - T o r o n t o 1970. Sprachbewußtsein der sprechenden Subjekte (vgl. K . Bühler, Sprachtheorie, D i e Darstellungsfunktion der Gauger 1976, 73-87). Erst in der Prager Schule Sprache. Stuttgart 1965 [erstmals 1934], wird die Entpsychologisierung wirklich vollzoC h . B ü h l e r , P s y c h o l o g i e im L e b e n u n s e r e r Z e i t , H a m b u r g gen. Der Strukturalismus versteht sich dann geStuttgart-München 1962. radezu als die vom Psychologischen definitiv beR . N . C a m p e l l (et a l . , e d . ) , R e c e n t a d v a n c e s in t h e p s y c h o l ogy o f language. N e w Y o r k - L o n d o n 1978. freite Linguistik: „psychologistisch" wird das Η . H . C l a r k and Ε . V . C l a r k , P s y c h o l o g y and L a n g u a g e , gängige Schmähwort für die Stehengebliebenen. An Introduction to Psycholinguistics. N e w Y o r k - L o n Es gibt allerdings gelegentlich, innerhalb des d o n - S y d n e y 1979. Strukturalismus, so etwas wie KryptopsycholoJ . D e e s e , T h e s t r u c t u r e o f a s s o c i a t i o n s in l a n g u a g e a n d gismus. In einem Fall, in der „psychosystemathought. Baltimore 1965. tique" oder „psychomecanique" von G . GuilΗ . E d e l h e i t , S p e e c h and p s y c h i c s t r u c t u r e : t h e v o c a l - a u d i t o r y laume, tritt eine (allerdings überaus problemao r g a n i z a t i o n o f t h e e g o . I n : J A P A 17. 1 9 6 9 , 3 8 1 - 4 1 2 .

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V. individuelle Aspekte

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4 2 . Idiolekt 1. Definition des Begriffes Idiolekt 2. Relevanz des Begriffes Idiolekt 3. Bibliographie (in Auswahl)

1. Definition des Begriffes

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Idiolekt

1.1. Der Idiolekt ist die Sprache eines Individuums. Er umfaßt sowohl das sprachliche System und übrige Kenntnisse, die dem Individuum sprachliche Äußerungen ermöglichen, als auch diese Äußerungen selbst. Die Individuen nehmen an Kommunikationsakten teil, bei denen die Kommunikationspartner durch Laute oder Schriftzeichen sprachliche Inhalte vermitteln. Als solche werden die Inhalte nicht (wie die Laute oder die Schriftzeichen) von einem Individuum zum anderen übertragen, sondern sie werden durch die Laute oder Schriftzeichen vom Hörer oder Leser ermittelt (Markel 1969, Henne/Wiegand 1969, Graumann 1972, List 1972, 98-99, Ungeheuer 1972, Hennig/Huth 1975). Konkret liegt Sprache nur als Idiolekt vor, d. h. als idiolektales System (und übrige Kenntnisse des

Hans-Martin

Gauger, Freiburg i. Br.

Individuums) oder als idiolektale Äußerungen. Aufgrund der Idiolekte werden Abstraktionen (Gauger 1970, 9) wie Soziolekte (vgl. Art. 32), Dialekte (vgl. Art. 46) und Glottolekte („Sprachen") aufgestellt. Diese Abstraktionen sind umfangreicher als der einzelne Idiolekt, da kein Individuum alle Einzelheiten des Glottolekts kennt und auch nicht alle Äußerungen äußern bzw. verstehen kann. Jedes Individuum ist zugleich Sprecher und Hörer. Als Hörer beherrscht es passiv gewisse Teile des sprachlichen Systems, die es aktiv, d.h. beim Sprechen, nicht verwendet. Im weiten Sinn beziehen sich die Termini I d i o lekt und i d i o l e k t a l auf die ganze Sprache eines Individuums. Diese Termini werden jedoch auch oft im engeren Sinn verwendet; unter idiolektalen Einzelheiten sind dann nur solche zu verstehen, die einen Sprecher vom anderen unterscheiden. Wir schlagen vor, daß in die Definition des Idiolekts alles, was dem Sprecher ermöglicht, sprachliche Handlungen zu vollziehen, einbezogen wird (vgl. Art. 2l). D.h. nicht nur das sprachliche System sondern auch übrige nötige Kenntnisse werden hier berücksichtigt. (Dies impliziert

42. Idiolekt

eine sehr weite Auffassung von Linguistik.) Zu den übrigen Kenntnissen zählen wir u. a. das Wissen über proxemische (vgl. 1.2.) und kinemische (vgl. 1.2.) Verhaltensweisen (vgl. auch Art. 22). Obgleich solches Wissen zwar dem Gebiet des allgemeinen Sozialverhaltens angehört, kann es in dem Ausmaß, wie es in der sprachlichen Kommunikation verwendet wird, auch zum Gebiet der Linguistik gezählt werden. O b dieses Wissen dann idiolektal genannt werden soll, mag zwar fraglich sein. Auf alle Fälle scheint es jedoch angemessen zu sein, es in unsere Darstellung einzubeziehen. 1.2. Wir wollen zuerst Erscheinungen beim Sprecher (d.h. beim sprechenden Individuum im Unterschied zum Hörer, Schreiber und Leser) beschreiben und teilen die zu beschreibenden Merkmale folgendermaßen ein: (I) P a r a l e m e . Seit den epochemachenden Arbeiten von Trager und anderen amerikanischen Forschern (s. Graumann 1972, 1195; Crystal 1974; Schmitz 1975, 171-178) sind „paralinguistische" Erscheinungen oft behandelt worden. Es besteht jedoch über deren genaue Begriffsbestimmung keine Einigkeit. Crystal zeigt, daß verschiedene Verf. das Gebiet grundsätzlich auf sieben verschiedene Weisen abgegrenzt haben. Obgleich der detaillierte Beitrag von Crystal eine nützliche Arbeit ist, würden viele Linguisten der von ihm vorgezogenen Definition „including only non-segmental features, but excluding prosodic phonemes and voice quality" (272) nicht völlig zustimmen, da „voice quality" allgemein als paralinguistisch angesehen wird. Crystal sagt mit Recht, daß „paralanguage" bisher nie in „purely functional terms" definiert worden ist (272). Graumann (1972, 1195) hält, .sowohl die verbale oder linguistische Kommunikation [ . . . ] wie die paralinguistische, die sowohl Qualitäten der Sprechstimme wie der Sprechweise umfaßt" für sprachlich. Dagegen hält er „Vokalisationen" wie Lachen, Weinen, Husten, Rülpsen und Gähnen im Gegensatz zu Trager für nichtsprachlich (vgl. unten). Er bemerkt zutreffend, daß die paralinguistischen Erscheinungen „keine unmittelbar den Regeln der Sprache (langue) unterworfene Funktion haben" (1216). Wir schlagen folgende, soweit möglich funktionelle, Definition vor: Parasprachliche oder paralemische Eigenschaften sind diejenigen konstitutiven Eigenschaften und Erscheinungsweisen der Stimme (seien sie gelernt oder nicht), die, ohne durch sprachliche „Regeln" oder „Konventionen" (Phoneme, Silben, Prosodeme, soziolektale oder dialektale Einheiten oder Komponenten von solchen Einheiten) bedingt zu sein, dem Hörer erlauben, auf sprecherspezifische Eigenschaften zu schließen. Es kann ergänzt werden, daß die idiolektalen Eigenschaften häufig nicht-intentional sind (z.B. das Zittern der Stimme). Paralemische Eigenschaften sind (a) anato-

429

misch (Größe und Form der Sprechwerkzeuge), (b) physiologisch (physiologische Mechanismen der Sprechwerkzeuge) und (c) psychologisch (verschiedene Temperamente) bedingt. Solche Eigenschaften sind in der Hauptsache angeboren. Sie können jedoch durch mehr oder weniger bewußtes Lernen zu einem gewissen Grad geändert werden. Folgende Lauteigenschaften werden von verschiedenen Autoren genannt: (a) S t i m m q u a l i t ä t u n d A r t i k u l a t i o n s w e i s e . Sie bilden „den idiosynkratischen, relativ permanenten vokalen Hintergrund eines Individuums" (Gutknecht/Mackiewicz 1977, 96). Die Stimme kann dünn oder dick sein, was schon von Sapir erwähnt wurde (s. Schmitz 1975, 52); sie kann voll, behaucht, laut, leise, knarrend, gepreßt, heiser usw. sein. Die Aussprache kann gespannt oder ungespannt, verschliffen oder präzise usw. sein (Gutknecht/Mackiewicz 1977, 100). Es können Velarisierungen, Labialisierungen oder Nasalierungen vorkommen (vgl. ibidem). (b) T o n h ö h e . Der Höhenverlauf ist bezogen auf Bewegung, Ebene und Umfang bei verschiedenen Individuen unterschiedlich. ( c ) R h y t h m u s u n d A k z e n t u i e r u n g . Wenn diese Eigenschaften als idiolektal aufgefaßt werden sollen, muß es sich um „rhythmische Veränderungen beim Sprechen [handeln], die sich von der rhythmischen Norm der Sprache unterscheiden: Sie verstärken oder verringern beispielsweise die wahrgenommene Regelmäßigkeit einer Folge betonter Silben und erzeugen eine Stakkatosprechweise [..-1" (Gutknecht/ Mackiewicz 1977, 99).

(d) T e m p o u n d D a u e r . Sprecher können schneller oder langsamer sprechen. Sie können die Laute kürzer oder länger machen, wobei auch Tempoveränderungen für den Eindruck des H ö rers von Belang sind (vgl. ibidem). (e) Z ö g e r n u n d S c h w e i g e n . Gemeint sind hier mit einem [a] gefüllte Pausen oder andere „Zögerungs- oder Verlegenheitssignale" (Thürmann 1977, 24; vgl. auch Art. 27). Sie müssen jedoch, um unter unsere Definition zu fallen, als für einen Sprecher charakteristisch aufgefaßt werden (sonst gehören sie zu der ß-Ebene, d . h . der Ebene der Attitüden und der Register [in der Terminologie von Hammarström 1966 und 1976 b]). Demnach muß der Sprecher besonders oft oder in für ihn charakteristischer Weise zögern. Andrerseits kann besonders ausgeprägte Kontinuität (fluency) beim Sprecher auch als idiolektal aufgefaßt werden. Schweigen kann ,,,vielsagend' oder verschweigend, zustimmend oder ablehnend, wohlwollend oder feindselig" sein (Scherer 1970, 1218). Es muß jedoch wiederum betont werden, daß was uns hier interessiert der spezielle Einsatz des Schweigens durch ein Individuum ist. (f) L a c h e n usw. N u r wenn „Lachen, Weinen;

430

V. Individuelle

Aspekte

Schreien [ . . . ] ; Stöhnen, Seufzen; Husten, G ä h n e n " das Sprechen begleiten ( „ o n e talks through t h e m " ) (Schmitz 1975, 172), sind sie linguistisch interessant. Sie können dann auch in dem Sinne idiolektal sein, daß ein Sprecher sie mehr oder weniger oft oder in charakteristischer Weise verwendet. (An sich gehören sie, wenn sie überhaupt als sprachlich anzusehen sind, zu der Ebene der Attitüden und der Register.) W i r wollen jetzt die Paraleme gemäß ihren Funktionen in vier Klassen einteilen: (1) Paraleme führen dazu, daß ein Sprecher als ,freundlich', unfreundlich', ,aufdringlich', ,schüchtern', s y m p a t h i s c h ' , , u n s y m p a t h i s c h ' e i n gestuft werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, daß solche Merkmale, die sich auf die Persönlichkeit des Sprechers beziehen, sowie andere idiolektale Merkmale, durch verschiedene H ö r e r (wenigstens etwas) unterschiedlich beurteilt werden. Merkmale, die von einem Beurteiler als .schüchtern' oder ,unsympathisch' erachtet werden, können von einem anderen als .vorsichtig', oder bezüglich Sympathie oder Antipathie als neutral empfunden werden. (Auch Soziolekte und Dialekte werden von verschiedenen Sprechern unterschiedlich aufgefaßt [Hammarström 1967].) Ostwald 1963 (vgl. Tillmann 1974, 9 6 - 1 0 4 ) , ordnet gewissen Stimmqualitäten bestimmte Funktionen zu: scharf —» dramatisch, aggressiv; flach —> lustlos, resigniert, deprimiert; hohl —> leblos, zerbrochen, leer; robust —> eindrucksvoll, erfolgreich. (2) Gleichsam pauschal, mithin ohne bestimmte Eigenschaften der Persönlichkeit auszudrücken, (vgl. oben unter (1)), kennzeichnen idiolektale Lauteigenschaften ein gewisses Individuum im Unterschied zu allen anderen. Wenn man jemand kennt, hört man, daß er es ist, der spricht, auch wenn man ihn nicht sehen kann, ζ. B . wenn er vor einer geschlossenen T ü r steht, oder bei einem Telephongespräch. Tillmann betont, daß es bei einer Konversation mit mehreren Teilnehmern wichtig ist zu wissen, wer im Augenblick spricht. Dabei richtet man sich kaum nach den durchaus sichtbaren Lippenbewegungen, sondern man hört, wer spricht (Tillmann 1974, Vorwort). (3) Wenn ,jung', ,alt', ,männlich', ,weiblich' Paralemfunktionen sind, heißt dies, daß der einzelne Sprecher aufgrund seiner Sprache als mehr oder weniger jung, alt, männlich oder weiblich eingeordnet wird. Solche Funktionen konstituieren gleichzeitig spezifische Sprechergruppen. In Experimenten ist festgestellt worden, daß H ö r e r körperliche Eigenschaften wie G r ö ß e und Gewicht, ohne den Sprecher zu sehen, mit M e r k malen der Stimme in Zusammenhang bringen können (vgl. Anisfeld 1974, 1435, und Lass et al. 1978). (4) Eine bestimmte Mischung von soziolektalen

und dialektalen Lautmerkmalen („mixture of social and/or regional varieties of s p e e c h " , Garvin/Ladefoged 1963, 195) kennzeichnet den Sprecher. In einer „sekundären" Weise (vgl. H a m m a r ström 1976 a, 33) funktionieren soziolektale und dialektale Merkmale auch als idiolektale Merkmale und werden dann oft negativ bewertet, besonders wenn der H ö r e r anders spricht. Jemand klingt ζ. B . hochmütig, weil er den überhaupt als hochmütig angesehenen Dialekt der Hauptstadt spricht. Einige Bemerkungen zu dieser Einteilung: D i e Paraleme unter (2) sind in dem Sinne die „reins t e n " , daß sie nichts mit Gruppenmerkmalen zu tun haben. Die Merkmale unter (1) können wahrscheinlich als Gruppenmerkmale aufgefaßt werden, und die Paraleme unter (3) und (4) sind ohne Zweifel solche Merkmale. Es muß auch betont werden, daß .aufdringlich', ,schüchtern',,freundlich' usw. gleichsam permanent sein müssen, um als idiolektale Merkmale gelten zu können. W e n n jemand im Sprechakt momentan ,aufdringlich', »schüchtern', .freundlich' usw. klingt, gehört dies der Ebene der Attitüden an. Es mag fragwürdig sein, ob Veränderungen der Stimme während Perioden von Erkältung, körperlicher Schwäche oder besonders guter Gesundheit zum Gebiet der Linguistik gehören. Sicher ist jedoch, daß der Linguist (der Phonetiker), der sehr genaue Bestimmungen (besonders akustische Messungen) unternehmen will, solche Umstände nicht außer Acht lassen kann. Allgemein kann festgestellt werden, daß idiolektale Merkmale (im Gegensatz zu α- und ß - E i n heiten) nur „intermittent" funktionieren (vgl. Hammarström 1976a, 3 0 - 3 1 ) . D . h . der H ö r e r nimmt solche Merkmale, die den permanenten lautlichen „ H i n t e r g r u n d " des Sprechers bilden und die ja nicht von Augenblick zu Augenblick wechseln (wie z . B . die Phone), nur von Zeit zu Zeit wahr. U b e r die Paraleme, die der H ö r e r auffassen und beurteilen kann, ist der Sprecher selbst weitgehend im unklaren. Richtig, aber vielleicht etwas zugespitzt, sagt Tillmann (1974, 6 2 ) : „ D e r sprechergebundene Aspekt der phonetischen Hauptinformation existiert [ . . . ] nur für den empfangsseitigen K o m m u n i k a t o r . " (II) Ü b r i g e s p r a c h l i c h e Unterscheid u n g s m e r k m a l e . Andere Merkmale, die den Sprecher kennzeichnen, sind mit denjenigen Einheiten verbunden, die allgemein als sprachlich (und nicht parasprachlich) angesehen werden. Im p h o n e t i s c h e n Bereich bedingen Paraleme und andere Verhältnisse die idiolektale Ausprägung der Phoneme, Prosodeme und Syllabeme (Silben) (der α - E b e n e ) und die Ausprägung der Ausdruckseinheiten der Attitüden und der Register (der ß-Ebene, s. Hammarström 1 9 7 6 b , 30 [Fußnote 50], 111) ohne primär den genannten

42. Idiolekt Einheiten anzugehören, weil sie keine K o m p o nenten davon sind. (Sie sind z . B . nicht die „ d i stinktiven M e r k m a l e " der Phoneme.) Gewisse Phoneme können bei einem Sprecher besonders velarisiert oder nasaliert sein. Prosodeme können durch besonders ausgeprägte Intonation ausgesprochen werden. D e r Längenunterschied zwischen betonten und unbetonten Silben kann besonders groß sein, usw. Im m o r p h o l o g i s c h e n und im l e x i k a l i s c h e n Bereich sind eher die Lexeme als die M o r pheme in Betracht zu ziehen. Ein Individuum kann mehr oder weniger Wörter als ein anderes beherrschen. Auch wie die W ö r t e r verwendet werden ist von Belang. Schon Sapir bemerkte: „Personality is largely reflected in the choice of words [ . . . ] " (vgl. Schmitz 1975, 56). Im s y n t a k t i s c h e n Bereich kann ein Individuum über mehr oder weniger Konstruktionen verfügen. Es kann sie auch mehr oder weniger angemessen verwenden. Im s e m a n t i s c h e n Bereich ist eine größere Auswahl von möglichen Wortbedeutungen mit einem größeren Wortinventar verbunden und umgekehrt enthält ein kleines Wortinventar weniger Wortbedeutungen. Gewisse Individuen können sich deshalb nuancierter oder weniger nuanciert als andere ausdrücken. Dies betrifft die W o r t semantik. Auch die semantischen Verhältnisse bei längeren Segmenten sind natürlich von Bedeutung. Ein Individuum kann ζ. B . Sätze mit interessanterem und lebhafterem Inhalt als ein anderes Individuum formulieren. Im Bereich d e s R e g i s t e r s (des Stils; vgl. Art. 26) verfügen gewisse Individuen über situationsadäquatere Möglichkeiten als andere. Sie verwenden Redewendungen, die den Umständen besonders angemessen sind und machen deshalb auf den H ö r e r einen tieferen Eindruck. Sapir sagte: „ T h e r e is always an individual method, however poorly developed, of arranging words into groups and of working those up into larger units" (vgl. Schmitz 1975, 52).

Die Pragmalinguistik und die „Sprechakttheorie" haben sich neuerdings mit Einzelheiten der Angemessenheit und der Wirkung von Äußerungen beschäftigt (s. z . B . Hennig/Huth 1975, 1 2 - 1 3 , 17, 77, 1 1 2 - 1 1 5 ; Henne 1977; vgl. Art. 24) zwar ohne idiolektale Unterschiede besonders zu betonen. Probleme des Themas, der Interessensphäre, der Rollenperformanz (Wissenschaftler, Lehrer, Vater, Hausfrau usw.) und der Textsorten werden von Steger et al. 1974 in interessanter Weise beleuchtet (vgl. Art. 31). Gesprächsbereiche (persönliche Unterhaltung, Biertischgespräch, Laborgespräch, Konferenzen usw.) werden von Henne (1977, 69) erwähnt. Es ist klar, daß auch hier wichtige Anhaltspunkte für idiolektale Unter-

431

schiede gewonnen werden können. Ein Sprecher kann mehr oder weniger T h e m e n , Rollen oder Textsorten, gut oder schlecht, beherrschen. In dieser Hinsicht ist seine Fähigkeit von seinen k o m munikativen Erfahrungen und seinem Wissen von der Welt bedingt. (III) S p r e c h e r s p e z i f i s c h e P r o x e m e . Die Proxemik beschäftigt sich mit dem Entfernungsverhalten der Menschen relativ zu Kulturbereichen. Dabei wird auch die Sprechsituation berücksichtigt (s. Schmitz 1975, 171, 179-182). So kann ein Sprecher sich dadurch auszeichnen, daß er sich oft, und vielleicht in irritierender Weise, zu weit weg vom H ö r e r befindet. Umgekehrt kann ein Sprecher sich regelmäßig näher beim H ö r e r befinden, als in der Sprachgemeinschaft üblich ist, und deshalb einen unangenehmen Eindruck machen. (IV) S p r e c h e r s p e z i f i s c h e K i n e m e . Die Kinesik ist „das Studium des strukturierten, konventionalisierten, sichtbaren, körperlichen Verhaltens des Menschen (etwa durch Gesichtsausdruck und körperliche G e s t e n ) " (Gutknecht/ Mackiewicz 1977, 97), ob sie etwas mit der Sprache zu tun haben oder nicht. In der Kinesik wird auch die Sprechsituation berücksichtigt. Scherer 1970 ( 1 2 1 9 - 1 2 4 2 ) bietet interessante Bemerkungen über „leibliche K o p r ä s e n z " , Körperhaltung, Körperbewegungen usw., jedoch ohne die A b sicht zu haben, ihre Bedeutung für die Sprache besonders hervorzuheben, und Scherer 1977 ist ein wertvoller Beitrag zum Studium der nonverbalen Signale „ d i e den Gesprächsablauf im Dialog in nicht unwesentlichem Maße steuern", worunter „ B l i c k k o n t a k t , Gestik, Körperhaltung" (275) zu verzeichnen sind. Schmitz (1975, 174, 178) behandelt einige Grundprobleme der Kinesik. Es ist klar, daß verschiedene Gesten wie Kopfschütteln oder Gesichtsausdrücke verschiedener Art mit der Rede eng verbunden sind (vgl. auch Art. 22). Zusammenfassend können wir jetzt sagen, daß das Idiolektale beim Sprecher durch vier Arten von idiolektalen Einheiten beschrieben werden kann: (I) Paraleme, (II) übrige sprachliche Unterscheidungsmerkmale, (III) sprecherspezifische Proxeme und (IV) sprecherspezifische Kineme. Die Paraleme sind sozusagen reine idiolektale Einheiten. Die anderen Einheiten sind besondere Ausformungen von Einheiten, die an sich nicht idiolektal sind. 1.3. Es muß darauf hingewiesen werden, daß wir oben implizit angenommen haben, daß ein Sprecher nur über e i n e n Soziolekt und über e i n e n Dialekt verfügt. Sprecher können jedoch mehr oder weniger multilektal sein. E s ist sogar normal, daß er (als Hörer) eine ziemlich umfassende „passive multilektale K o m p e t e n z " hat, die größer ist als seine aktive (als Sprecher) (vgl. Schlieben-Lange 1973, 7 8 - 8 2 ) . Dieses Verhältnis bietet auch eine Möglichkeit für idiolektale Unter-

432

V. Individuelle Aspekte

schiede. Auch die Kompetenz für Jargon, Sonderund Fachsprachen (die von v. Polenz 1974, 1 ΙΟΙ 11, erwähnt werden) kann in dieser Hinsicht berücksichtigt werden. (Die Grenze zwischen solchen „Sprachen" und den oben erwähnten Begriffen Rollenperformanz und Gesprächsbereiche mag als unscharf angesehen werden.) 1.4. Was das Individuum als S c h r e i b e r betrifft, liegt eine umfassende Literatur vor. Sie ist aber zu einem großen Teil nicht linguistisch sondern graphologisch orientiert. Einzelheiten der Schrift können mit Einzelheiten der lautlichen Seite verglichen werden. Vor allem sind Schriftzeichen nebst ihren distinktiven Merkmalen mit Phonemen und ihren distinktiven Merkmalen verglichen worden (vgl. auch Art. 11 u. 12). Hierbei ist auch das Idiolektale nebenbei erwähnt worden (Hammarström 1964, 334-335). Graumann, der das Interesse an der Schrift richtig einschätzt, wendet paralinguistische Gesichtspunkte auch auf die Schrift an (1972, 1196): „In einem paralinguistischen Sinne interessieren dann den Kommunikationswissenschaftler

Schriftphänomene,

die

code- oder alphabet-irrelevante Informationen enthalten, sei es über den Schreiber (im Sinne der traditionellen Graphologie), über die Kommunikationsabsicht, über den Adressaten oder auch nur den Schreibakt."

Er macht auch den Vorschlag (1196-1197): „Als extralinguistisch wären analog diejenigen materiellen Gegebenheiten des Schriftverkehrs zu bezeichnen, die schriftunabhängig, gleichwohl kommunikative Funktionen übernehmen können, wie ζ. B. Format, Farbe, Papierart, Parfümierung, Beilagen eines Briefes."

Angesichts der weiten Auffassung von Linguistik, die wir oben vorgeschlagen haben, meinen wir indessen, daß auch solche Sachverhalte in der Linguistik berücksichtigt werden können (vgl. dazu Ermert 1979). Fährmann 1973 behandelt Einzelheiten der Schriftbeschaffenheit (Schärfe, zarte, nicht rhythmische Druckgebung, Unregelmäßigkeit, vertikale Tendenz, scharfe Winkel usw.), aufgrund derer der Leser verschiedene Schreiber unterscheidet. Die Möglichkeit, Unterschiede bei verschiedenen Lesern als idiolektal anzusehen, wollen wir hier nicht besprechen. 1.5. Außer den schon angeführten Arbeiten können für die Bestimmung des Begriffs Idiolekt Abercrombie 1969; Althaus/Henne 1971; Bach 1950, §§ 27, 37, 207, 224; Gerstenkorn 1971; Hammarström 1966, 11, 16, 51, 54, 87, 89; Heike 1969, 2 3 - 2 5 ; Henne/Wiegand 1969; Hymes 1969; Laver 1974 und Sapir 1927 benutzt werden.

1.6. In den obigen Abschnitten wurden Idiolekte synchronisch betrachtet. Die Sprache eines Individuums ändert sich jedoch fortdauernd. In dieser Hinsicht ist die Entwicklung des Kindes besonders interessant. In einer direkten diachronischen Idiolektologie kann man die sprachliche

Entwicklung bestimmter Kinder (oder bestimmter Erwachsener) Jahr für Jahr verfolgen. In einem indirekten Studium zieht man Schlüsse auf die Entwicklung aus dem gleichzeitigen Studium von Individuen, die zu einem gewissen Zeitpunkt verschiedenen Altersgruppen angehören. 2. Relevanz

des Begriffes

Idiolekt

2.1. Im Alltagsleben spielen idiolektale Merkmale eine recht bedeutende Rolle. Die Art und Weise, wie man im Vergleich mit anderen spricht, kann einem Einfluß, Stellung und Freunde verschaffen oder nicht. Daß der Idiolekt von Belang ist, zeigt sich auch in den von v. Polenz (1974, 106) zitierten Redeweisen: Sprich und ich sage dir, wer du bist! Der braucht nur seinen Mund aufzumachen, und man weiß, wes Geistes Kind er ist. Seine Sprache verrät ihn u. a. 2.2. In der synchronischen Linguistik ist das Problem der Idiolekte jedoch nur wenig berücksichtigt worden, und zwar mit einem gewissen Recht. Das Hauptziel der Linguistik ist, die Standardsprache, die Dialekte und die Soziolekte zu beschreiben. Wie bestimmte Individuen genau sprechen, ist von beschränkterem Interesse. Die individuellen (gesprochenen oder geschriebenen) Äußerungen sind deshalb jedoch nicht ohne Bedeutung. Sie sind ja vor allem das, was Linguisten direkt wahrnehmen können. Die Äußerungen bestimmter Individuen und alles, was mit diesen Äußerungen zusammenhängt, sind somit ein wichtiger Ausgangspunkt für die Generalisierungen der Linguistik. 2.3. Auch in dem diachronischen Studium spielt das Individuum eine ziemlich untergeordnete Rolle. Obgleich einerseits jede neue Erscheinung in einer Sprache zuerst von einem gewissen Individuum ausgegangen sein muß, kann dieses Individuum im allgemeinen nicht studiert werden, da seine Identität unbekannt ist und bleibt (Coseriu 1958, 45, 47, 79, 83-84, 125). Andrerseits muß angenommen werden, daß ein eingehenderes Studium der eben erwähnten diachronischen Idiolektologie gewisse Anhaltspunkte für die Diachronie der Sprache überhaupt wird liefern können. J. Bibliographie

(in Auswahl)

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43. Sprach erwerb

433

A. Bach, Deutsche Mundartforschung. 2. Aufl. Heidelberg 1950. E . Coseriu, Sincronia, diacronia e historia. El problema del cambio lingüistico. Montevideo 1958. D . Crystal, Paralinguistics. In: C T L 12. T h e Hague 1974, 265-295. Κ . Ermert, Briefsorten. Untersuchungen zur Theorie und Empirie der Textklassifikation. Tübingen 1979. R. Fährmann, Handschrift und Stimme. Ein Beitrag zur Phänomenologie des Ausdrucks von Sprechen und Schreiben. In: SuS 4. 1973, 114-126. P. L . Garvin und P. Ladefoged, Speaker identification and message identification in speech recognition. In: Phonetica 9 : 4 . 1963, 193-199. Η . - Μ . Gauger, Wort und Sprache. Sprachwissenschaftliche Grundfragen. Tübingen 1970. A. Gerstenkorn, Sprache - Kompetenz - Lekt. Vorschläge zur Terminologie. I n : Z D S 2 7 . 1971, 155-169. C . F . Graumann, Interaktion und Kommunikation. In: Handbuch der Psychologie 7: 2. Göttingen 1972, 11091262. C . Gutknecht/W. Mackiewicz, Prosodische, paralinguistische und intonatorische Phänomene im Englischen. I n : C . Gutknecht (Hrsg.), Grundbegriffe und Hauptströmungen der Linguistik. Hamburg 1977, 9 5 - 1 3 2 . G . Hammarström, Type et typeme, graphe et grapheme. In: SN 36:2. 1964,332-340. G . Hammarström, Linguistische Einheiten im Rahmen der modernen Sprachwissenschaft. Berlin, Heidelberg, New York 1966. G . Hammarström, Zur soziolektalen und dialektalen Funktion der Sprache. In: Z M F 34. 1967, 2 0 5 - 2 1 6 . G . Hammarström, Dialectal and sociolectal facts within the description of a language. In: LgS 34. 1975, 13-18. G . Hammarström, Towards more exhaustive descriptions of languages. I n : I J S L 9 . 1 9 7 6 , 2 3 - 4 1 , und Linguistics 177. 1976, 2 3 - 4 1 . [1976a] G . Hammarström, Linguistic units and items. Berlin, Heidelberg, New Y o r k 1976. [1976 b] G . Heike, Sprachliche Kommunikation und linguistische Analyse. Heidelberg 1969. H . Henne, Gesprächsanalyse - Aspekte einer pragmatischen Sprachwissenschaft. In: I P K F 65, Reihe I, Hamburg 1977, 67-92.

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43. Spracherwerb

ersten Phonemisierungs- und Symbolisierungsprozessen bis zur Bildung von Sätzen und größerer Einheiten. Durch diesen Prozeß wird deutlich, wie biologische menschliche Wesen zu sozialen menschlichen Wesen werden. Schon den frühsten Geschreien des Kindes können soziale Funktionen zugeschrieben werden: sie sind ein Kontaktinstrument zu seiner Umgebung, die mit sprachlichen und nichtsprachlichen Mitteln auf sie reagiert.

1. 2. 3. 4. 5.

1.

Begriffsbestimmungen Methodologische und theoretische Bemerkungen R ahmen bedingungen für den Spracherwerb Stadien der Sprachentwicklung Bibliographie (in Auswahl)

Begriffsbestimmungen

1.1. Sprachliche

Ontogenese

Unter der s p r a c h l i c h e n O n t o g e n e s e verstehen wir, gestützt auf biologische, pädolinguistische und psycholinguistische Forschungsergebnisse (vgl. Art. 41), die Entwicklung der Sprache im Baby- und Kleinkindalter. Sie umfaßt die ersten 4 bis 5 Lebensjahre, eine Periode von den

Göran Hammarström,

1.2. Primäre

Melbourne

Erweiterungsstufe

Die Entwicklung vom 4. bis 6. oder 7. Lebensjahr umfaßt die primäre Erweiterungsstufe. Eine derartige Grenzziehung gegenüber der sprachlichen Ontogenese soll nicht so verstanden werden, als ob erst hier eine Erweiterung des sprachlichen

434

V. Individuelle Aspekte

Repertoires stattfindet, denn auch jene Periode ist gekennzeichnet durch ständige Weiterentwicklung. Es wirken aber mehrere Faktoren mit, die einen derartigen Einschnitt rechtfertigen. Sprachlich ist diese Stufe gekennzeichnet durch die verfeinerte Verwendung lexikalischer und grammatischer Elemente, originale Wortbildungen, zunehmenden Gebrauch von hypotaktischen Konstruktionen (vgl. 4.2.3.). Kennzeichnend ist hier ferner ein im Wirkungsradius zunehmender Sozialisierungsprozeß durch Kontakte außerhalb der Familie, wie Spielgefährten und/oder Kindergarten. Es ist die Periode, in der „die kognitiven und orektischen Merkmale der Kinder in stärkerem Maße ihren individuellen Ausdruck finden" (Lewis 1970, 140). 2. Methodologische gen

und theoretische

Bemerkun-

2.1. Spracherwerb (SE) muß stets im Zusammenhang mit der sprachlichen Umgebung des Kindes gesehen werden. Die ersten Laute entwickeln sich nicht in allgemeingültige Zeichen, sondern in Einheiten, die zum Sprachsystem der Gruppe gehören, in die das Kind hineinwächst (vgl. 3.2.1.). Beim gegenwärtigen Forschungsstand gibt es keine Theorie, die dem SE-Prozeß in seiner Komplexität unter Berücksichtigung der kognitiven und sozialen Entwicklung gerecht wird. Der Einfluß der Schule Chomskys, u.a. der nativistischen Annahme von angeborenen sprachtheoretischen Universalien, hat besonders in den USA die Forschung beeinflußt. Sie ist jedoch nicht imstande gewesen, zuverlässige linguistische Modelle des SE zu entwickeln (vgl. 4.2.3.), u.a. weil sie die kognitiven Prozesse und die Situationskontexte nicht genügend berücksichtigt hat. Methodisch nicht richtig ist es ferner, wenn das Inventar und die Kompetenz des Kindes anhand Erwachsenenmodellen beurteilt wird. Die normative Annäherung an die gesprochene Sprache des Kindes mit dem Apparat der geschriebenen Sprache der Erwachsenen hat die eigentlichen Verhältnisse eher verschleiert als verdeutlicht. Auf jedem Stadium ihrer Entwicklung muß von der Eigenständigkeit der Kindersprache ausgegangen werden. 2.2. Umfangreichere Untersuchungen über die kindliche Sprachentwicklung kennen wir hauptsächlich nur aus den größeren indogermanischen Sprachen. Ihr Wert und ihre Zuverlässigkeit sind unterschiedlich, da die meisten, auch von Linguisten durchgeführten Untersuchungen, Daten zugrunde legen, die nicht selten ohne technische Hilfsmittel und ohne Rücksicht auf verschiedene Situationskontexte erhoben worden sind. Ein Verständnis des Spracherwerbs und der Sprachentwicklung eines Individuums setzt die Berücksichtigung der Tatsachen voraus, daß der

Mensch ein biologisches, soziales und kulturellgeistiges Wesen ist. Fragen des Spracherwerbs sollten daher nicht aus isolierter linguistischer, psycho- oder soziologischer Sicht behandelt werden, sondern aus der ganzheitlichen Sicht der P ä d o l i n g u i s t i k , einer Wissenschaft, deren Forschungsgegenstand die Sprache und Sprachentwicklung der Kinder im Vorschulalter ist (Oksaar 1977, 10f.). Sie umfaßt außer rein linguistischen Problemen auch psycho-, sozio- und paralinguistische Fragen sowie Kinesik (nonverbale Ausdrucksmittel wie Gestik und Mimik; vgl. Art. 22) in einer Konstellation, die sie als eigenständige Disziplin der Sprachwissenschaft ausweist. Die Grenzziehung beim Volksschulalter, bei etwa 6 bis 7 Jahren, ergibt sich nicht nur aus der Tatsache, daß die ersten 6 Lebensjahre als die erste Epoche in der Gesamtentwicklung des Kindes angesehen werden (Stern 1967, 2; Zeller 1952), sondern auch dadurch, daß bis dahin gewöhnlich e i n Sprachtyp, die gesprochene Sprache, das einzige sprachliche Mittel des Kindes ist. 3. Rahmenbedingungen 3.1. Ν europhysiologische

für den

Spracherwerb

Voraussetzungen

Eine ausführliche Ubersicht der Erkenntnisse der biologischen Aspekte des SE gibt Lenneberg (1972), wichtigere Forschungsresultate finden sich auch bei Maruszewski (1975). Der SE ist eine gattungsspezifische Fähigkeit des Menschen; ihre genaue Lokalisierung im Gehirn aber ist mit absoluter Sicherheit nicht vorzunehmen. Zahlreiche Experimente und Beobachtungen der Funktionen und der Struktur des menschlichen Nervensystems beantworten die Frage nicht, w i e die sprachliche Fähigkeit des Neugeborenen sich entwickelt. Die Annahme der Schule Chomskys von angeborenen Mechanismen, so z . B . McNeill (1966), auf Grund welcher das Kind die Klassen der Erwachsenengrammatik entdecke (durch Kenntnis der Hierarchie der Kategorien) entfernt das Problem von der wissenschaftlichen Überprüfbarkeit (vgl. 3.4.2.). Es gibt theoretisch keine Begrenzung des SE, jedes Kind kann jede Sprache lernen, es kann auch mehrere Sprachen auf einmal erwerben - dies geschieht aber immer nur, wie der multilinguale Erstspracherwerb beweist, durch soziale Kontakte, nicht allein. Die Feststellung Lennebergs, daß es eine zeitliche Begrenzung gibt im Vermögen, eine Sprache zu erwerben, und zwar die Pubertät, ist in der letzten Zeit zunehmend kritisiert worden. Laut Lenneberg ist die Pubertät deshalb als eine „kritische Periode" anzusehen, weil sich hier die Lateralisation der anfangs bilateralen Repräsentation der Sprachfunktionen im Gehirn in die dominierende, gewöhnlich linke Hemisphäre vollzieht.

4}. Spracherwerb Krashen (1973) findet nach der Analyse des Lennebergschen klinischen Materials, daß die Lateralisation schon im Alter von 5 Jahren abgeschlossen ist. Gegen die These der kritischen Periode spricht auch der Fall „Genie". Ihre Eltern hatten sie seit der Geburt von der Umgebung völlig isoliert, sie konnte nicht sprechen und reagierte nicht auf Sprache, als sie 13 ;7 Jahre alt 1970 in Los Angeles gefunden wurde. In drei Jahren hatte sie jedoch Englisch entsprechend einem dreijährigen Kind gelernt, später wurden weitere Fortschritte gemacht. Zur weiteren Diskussion s. Oksaar (1977, 73 ff.), de Villiers/de Villiers (1978, 2 lOff.). Die Frage der kritischen Periode des Spracherwerbs muß als offen angesehen werden, zu den noch nicht beantworteten Fragen gehören ferner: Hängt die Fähigkeit des SE von den Verschiedenheiten der Gehirnstruktur oder von den Gehirnfunktionen ab oder von beiden? Können Strukturen und Funktionen, die mit dem Spracherwerb zu tun haben, von denen der kognitiven Funktionen im allgemeinen isoliert werden? (Menyuk 1971, 37). Auch die Feststellung, daß die Pubertät beim Zweitspracherwerb die zeitliche Grenze sei, nach der man eine fremde Sprache nicht vollständig erwerben könne, besonders was die Aussprache betrifft, muß stark relativiert werden. Das Gegenteil ist nicht ungewöhnlich, ebenso der Umstand, daß viele Menschen eine Fremdsprache, die sie in jungen Jahren gelernt haben, nicht akzentfrei sprechen, auch wenn sie im fremden Land leben. Da gerade beim Zweitspracherwerb viele soziopsychologische Fragen eine Rolle spielen, wie die Einstellung gegenüber der Sprache und Sprachträgern, Motivation im allgemeinen, ist folgende Frage angebracht: Warum spricht man in diesem Zusammenhang immer nur von n i c h t K ö n n e n , man müßte auch von n i c h t W o l l e n reden, auch vom unbewußten. Vieles spricht dafür: die Persönlichkeit und Identität des Menschen werden während der Pubertät geformt und Sprache ist ja nicht nur ein Ausdrucks- und Kommunikationsmittel, sondern auch ein Identitätsfaktor - man hat die muttersprachliche Identität und wechselt sie nicht ohne weiteres. 3.2. Soziokulturelle

Voraussetzungen

Ohne eine sprachliche Umgebung entwickelt ein Kind keine Sprache; vgl. den oben erwähnten Fall „Genie" und die sog. Wolf-Kinder, die ohne jegliche menschliche Betreuung aufwuchsen (Oksaar 1977, 76f.). Es wird zuerst passiver, dann aktiver Teilnehmer an dem sprachlichen Interaktionsprozeß seiner Gruppe (vgl. 3.3.). Der SE wird gefördert durch Kommunikation, zuerst gewöhnlich zwischen Mutter-Kind, und ist mit gleichzeitigen visuellen, audiellen und kinemischen Komponen-

435

ten verbunden. Die sprachliche Interaktion findet in einem Situationskontext statt, in dem auch gewisse soziokulturell bedingte Verhaltensmuster gelten. Der SE ist nicht nur die Aneignung der Aussprache, der Grammatik und der Lexik einer Sprache, sondern auch gleichzeitig der Erwerb von neuen situationsbedingten Verhaltensweisen, die ebenso zur kommunikativen und interaktionalen Kompetenz des Menschen gehören. Wer z . B . das deutsche Syntagma guten Tag lernt, muß nicht nur wissen, in welcher Kombinatorik es in verschiedenen Situationen zu verwenden ist, z . B . guten Tag, Frau Müller. Er muß primär lernen, in welcher Situation es überhaupt gebraucht werden kann - beim Kommen oder beim Fortgehen oder in beiden Situationen usw. Ein Kind findet in seiner Gruppe immer auch kulturelle Muster vor, die es zusammen mit den sprachlichen zu verwenden lernt. Es erwirbt also auch Kultureme wie man grüßt, wie man seine Emotionen ausdrückt usw.

3.2.1.

Sprache der

Umgebung

Die Aneignung der sprachlich und soziokulturell bedingten Verhaltensweisen geschieht durch Anregung der Umgebung in einem Sozialisationsprozeß, in dem das Kind lernt, die Sprache nach den in der jeweiligen Gesellschaft geltenden präskriptiven und proskriptiven Normen zu verwenden. In der soziokulturellen Umwelt der Gruppe, sei es nur eine Bezugsperson oder die Familie, hört das Kind zuerst die phonetischen, lexikalisch-stilistischen und syntaktischen Eigenarten der einzelnen Sprecher, d. h. es wird mit deren idiolektalen Zügen (vgl. Art. 42) konfrontiert und nicht gleich mit einem überregionalen Kommunikationsmittel. Es hört auch einen Sprachtypus, der als „Ammen- oder Babysprache" bekannt ist (vgl. 3.2.2.1.). Sieht man die unmittelbare sprachliche Umgebung des Kindes, die auch durch soziolektale und dialektale Merkmale gekennzeichnet sein kann, als eine Mikrostruktur an und die überregionalen Kommunikationsmittel als eine Makrostruktur, so kann man den sprachlichen Sozialisationsprozeß als eine Anpassung an die Bedingungen der Makrostruktur verstehen. Die empirische Forschung hat gezeigt, daß die Sprache der Umgebung des Kindes (Familienmilieu, Spielgefährten u. a.) einen großen Einfluß auf seinen SE ausübt. Es besteht eine hohe Korrelation zwischen dem Grad des sprachlichen Stimulus seitens der Eltern (Umwelt) und dem Umfang und dem Tempo des SE. Heimkinder weisen eine spätere Entwicklung als Familienkinder auf, Zwillinge und Drillinge stehen hinter Einzelkindern zurück (vgl. dazu Spitz 1974, 284f., Oksaar 1977, 108ff., McCarthy 1954, 590f., Mittler 1971).

436 3.2.2.

V. Individuelle Aspekte Erwachsener-Kind

Interaktion

Als die wichtigste und natürlichste Form für die kindliche Entwicklung wird der Dialog angesehen (Katz/Katz 1928). Die Form und Funktion der Sprache des Kindes in konversationeller Interaktion mit Erwachsenen ist in verschiedenen Altersgruppen untersucht worden (Keenan 1974, Ryan 1973 und 1974, vgl. Oksaar 1977, 121 f.). Weniger weiß man über die Sprache der Erwachsenen in ihrer Interaktion mit Kleinkindern, ein Thema, das in den letzten Jahren zunehmend im Zentrum des Interesses gestanden hat, ist es doch die Quelle, aus der das Kind seine ersten sprachlichen Elemente bezieht. 3.2.2.1.

Sprache, gesprochen mit

Kindem

Die Sprache der Erwachsenen, die die Kleinkinder hören, ist gekennzeichnet durch eine Reihe von Eigenarten. Es handelt sich nicht nur um quantitative Tatsachen, ζ. B. daß viel mehr Fragen, Imperative und Paraphrasen verwendet werden als mit anderen Erwachsenen. Es sind vor allem qualitative Merkmale, die die Feststellung ermöglichen, daß Erwachsene in ihrer Interaktion mit Babys und Kleinkindern ein ganz spezifisches Register verwenden, das in seiner verbalen und parasprachlichen Struktur bedeutend einfacher ist als die Varianten, die Erwachsene unter sich verwenden. In diesem Register, im Deutschen etwas unzutreffend als „Ammensprache", „Kindersprache" und „Babysprache" bezeichnet, vermeidet man schwierige Konsonantenverbindungen, verwendet einfache Sätze und viele Diminutive: da Hündchen. Man spricht langsamer, in einer höheren Stimmlage und häufig in der dritten Person: Mutti kommt gleich! Uber 30 Merkmale charakterisieren dieses Register, das vor allem zwei funktionale Ziele zu vereinigen scheint: die Kommunikation zu erleichtern und Intimität und Zärtlichkeit auszudrücken. Auch der Lernprozeß wird dadurch erleichtert (vgl. Snow/Ferguson 1977, Oksaar 1977, 124ff.). 3.3. Was wird

erworben?

Das Kind erwirbt nicht nur die Fähigkeit, grammatikalische und akzeptable Äußerungen zu verstehen und zu bilden, sondern lernt auch Situationen zu beurteilen, in denen sie angebracht sind. Ist ihm die semantische Struktur des Wortes Mann klar geworden und es verwendet den Satz da kommt ein Mann richtig, muß noch gelernt werden, welche soziokulturellen Regeln den Satz guten Tag, Mann nicht zulassen und die Bildung guten Tag, Herr X fordern. Es wird die Beherrschung eines Zeichensystems (bei Mehrsprachigkeit mehrerer Zeichensysteme)

als Kommunikationsmittel erworben. Das schließt den Erwerb des Lautsystems, der Grammatik, Semantik und Lexik einer Sprache ein. Die Fähigkeit, Sprache zu verstehen, ist ursprünglicher als die Fähigkeit zu sprechen; die SE-Forschung hat aber immer noch ihren Schwerpunkt auf der Produktion. Es gibt laut Lenneberg keinen Fall, in dem jemand eine Sprache spricht, ohne sie zu verstehen, jedoch zahlreiche Fälle, wo Sprechen nicht da ist, dagegen Verständnis. Schon bei diesen Überlegungen wird deutlich, daß Chomskys linguistischer Kompetenzbegriff und seine Kompetenz/Performanz-Unterscheidung für die Erklärung des SE-Prozesses nicht ausreichen. Ebenso ist das Konzept der Tiefenund Oberflächenstruktur nicht in der Weise wie bei der Erwachsenensprache zu verwenden, da uns die Intuition für die sichere Beurteilung der sich entwickelnden Sprache fehlt. Den Begriff „kommunikative Kompetenz" differenzierend kann festgestellt werden, daß das Kind eine i n t e r a k t i o n a l e K o m p e t e n z erwirbt, d.h. die Fähigkeit, in Interaktionssituationen verbale und nichtverbale kommunikative Handlungen zu vollziehen und zu interpretieren gemäß den soziokulturellen Regeln der Gruppe (vgl. Art. 21 u. 22). Das Kind lernt auch die verbalen Handlungen („guten Tag, Frau Müller") mit den nichtverbalen zu synchronisieren (Frau Müller ansehen, Hand geben usw.). 3.4.

Wie wird Sprache erworben ?

Zwei entgegengesetzte erkenntnistheoretische Standpunkte werden zur Beantwortung dieser Frage herangezogen: Der behavioristische Ansatz - die Konditionierungstheorie mit ihren Modifikationen (Skinner, Mowrer u.a.) und der nativistische Ansatz, die „innateness" Hypothese von einem angeborenen Spracherwerbsmechanismus (LAD — language acquisition device, Chomsky, McNeill u.a.; sie hat ihre Wurzeln in der Antike). 3.4.1.

BehavioristischerAnsatz

Beim behavioristischen Ansatz ist es, wie Hörmann (1970) darlegt, schwer zu beweisen, daß durch Versuch und Irrtum eine Belohnung herbeiführende Verhaltensweise erfolgt. Nach der Autismus-Theorie erwirbt das Kind das Habit, ein gewisses Wort zu produzieren, bereits durch Hören, und zwar in angenehmen Situationen; das sekundäre Reinforcement besteht dann darin, daß es von sich aus das gehörte Wort nachahmen will und dabei autistische Befriedigung erfährt. Fälle des Sprachverständnisses ohne Produktion sprechen gegen einen derartigen SE. Andererseits darf die Rolle der Imitation nicht unterschätzt werden: Imitation ist wichtig für das Verständnis des

43. Spracherwerb Sprachsignals (Lewis 1970), für den Erwerb der Phonetik und des Wortschatzes (Ervin 1964). Es bleiben aber die Fragen: Was kommt zuerst - das Verstehen und dann die Imitation, oder führt diese zum Verständnis? Kann das Kind Sätze imitieren, ohne eigene zu bilden? - Seit Stern, Gregoire u. a. neuerdings Menyuk, Bloom hat man empirische Beweise erbracht, daß der SE nicht von Konditionierung abhängt. 3.4.2.

Nativistischer

Ansatz

Der nativistische Ansatz sieht im SE nicht den Erwerb von Habits, sondern die Entfaltung angeborener linguistischer Fähigkeiten. Das Kind verfüge über einen Regelapparat im Sinne der generativen Grammatik. Dieses kindliche Vermögen sei in den linguistischen Universalien manifestiert. Diese Hypothese, die annimmt, daß die Basiskategorien, ihre Funktionen sowie die Beziehung zwischen Tiefen- und Oberflächenstruktur im Kinde alle vorhanden seien, steht auf einem sehr unsicheren Grund. Sie isoliert den SE von anderen Erkenntnisbereichen und der soziokulturellen Umgebung des Kindes. Dem Modell wird auch entgegengehalten, nach ihm brauche das Kind gar nicht zu sprechen, um zum Erwachsenenmodell zu gelangen. Der heutige Stand der Universalienforschung kann keine Beweise für die Annahme erbringen, daß das Kind die vorhandenen Kategorien durch die jeweilige Realisierung in der Sprache seiner Umgebung aufzufüllen hat (Peizer/ Olmstedt 1969). Aus der Tatsache allein, daß ein Kind zu einer bestimmten Zeit über einen Regelmechanismus verfügt, könne weder geschlossen werden, daß es mit diesem Mechanismus geboren worden ist, noch daß es ihn nur durch Konditionierung erworben hat. Die Empirismus-Nativismus Kontroverse in der Frage des SE scheint erst durch wirklichkeitsnähere Hypothesen, die extreme Positionen vermeiden und Ansätze aus verschiedenen Richtungen verbinden, gelöst werden zu können. Laut Lenneberg (1972, 480f.) kann nur folgendes heute als angeboren betrachtet werden: Die Modi der Kategorisierung und der allgemeine Modus des Aktualisierungsprozesses; dagegen keine Merkmale, die nur für einzelne natürliche Sprachen charakteristisch sind. Die Prozesse jedoch, kraft derer sich die realisierte Struktur einer natürlichen Sprache entwickelt, können als artspezifische, angeborene Eigenschaften der biologischen Natur des Menschen angesehen werden. Die Empirie beweist: Kinder entdecken in dem Sprechen ihrer Umgebung eine Systematik, die sie nachahmen. Die Frequenz des Gehörten ist dabei auch von Belang. Der Einfluß der Vorbilder und die Entdeckung der Systematik läßt sich an den übergeneralisierten Formen der Kindersprache beobachten, vgl. Großvater sitzte und teste,

437

die analog zu früher erworbenen schwachen Verbformen gebildet werden. 3.4.3.

Konvergenz

Die Verfechter der nativistischen These berücksichtigen den Umstand nicht, daß die Frage der Sprachfähigkeit, die ja dem Menschen speziesspezifisch ist, von der Frage der Sozialisation, der Enkulturation und der kognitiven Entwicklung nicht zu trennen ist. Die Diskussionen in der Empirismus-Nativismus-Kontroverse sind beim heutigen Stand der Forschung durchweg als spekulativ anzusehen, da es keine Fakten zu Gunsten der einen oder der anderen Position gibt. Bemerkenswert ist jedoch, daß man in der modernen Empirismus-Nativismus-Debatte die Konvergenztheorie von Stern kaum berücksichtigt hat. Diese hat Stern als Vereinigung der Standpunkte beider Richtungen schon 1914 dargelegt. Er stellt fest: „Seelische Entwicklung ist nicht ein bloßes HervortretenLassen angeborener Eigenschaften, aber auch nicht ein bloßes Empfangen äußerer Einwirkungen, sondern das Ergebnis einer Konvergenz innerer Angelegenheiten mit äußeren Entwicklungsbedingungen. Diese .Konvergenz' gilt für die großen Züge wie für die Einzelerscheinungen der Entwicklung. Bei keiner Funktion oder Eigenschaft dürfte man fragen: ,Stammt sie von außen oder von innen?', sondern ,W / a u / ) , d i e o f f e n e r e n d a g e g e n erst s e k u n d ä r ( w o b e i d a s o f f e n s t e , e 1 , nicht m e h r e r f a ß t w u r d e ) : e2 > ii\l, ö2 > / o u / ; e1 > / f / . D a s S ü d w e s t f . u n t e r s c h e i d e t a l s o n o c h drei ^ - Q u a l i t ä t e n . - Z w i s c h e n d e m S ü d w e s t f . u n d d e m s t r u k t . w e i t g e h e n d identischen Ostfälischen (ohne G ö t t i n g e n - G r u b e n h a -

462

VI. Areale Aspekte

gen) liegt, unter Einschluß dieses Gebietes, ein breiter o s t w e s t f ä l i s c h e r Keil, in dem umgekehrt zuerst die offenen e 1 , e 2 ' und o 1 zu /ai/ bzw. /au/ diphthongiert wurden. Den erst sekundär erfaßten, im Diphthongierungsprozeß weniger weit (etwa bis /äi/) fortgeschrittenen e 4 und e 2b hat sich dann der alte enge Diphthong e 3 angeschlossen; ihnen korrespondiert ö 1 ( > /ou/). - Das M ü n s t e r l ä n d i s c h e (mit dem rückmonophthongierenden Gebiet um Lingen und Bentheim) nimmt dann zwischen dem Südwestf. und dem Ostwestf. eine Zwischenstellung ein. Es hat einerseits die geschlossenen e 4 und e 3 wie das Südwestf. stark diphthongiert, andererseits aber auch die offenen e l und ö 2 wie das Ostwestf.; e 2 bleibt analog dem Süden monophthongisch bzw. wird leicht diphthongiert. Es opponieren demnach e2 > Iii, dem ö1 > löl entspricht, und e 1 , e 3 , e 4 > /ai/, mit dem ό 2 > /au/ korreliert. - Das W e s t m ü n s t e r l ä n d i s c h e schließlich geht hinsichtlich der Entwicklungen e* > [(—> /e/), ό 1 > μ (—> /ö/), e 1 und e2 > lel, ö2 > löl mit den benachbarten nfrk. und nl. Maa. zusammen; auf der palatalen Seite ergibt sich eine Opposition mit i 3 > /äi/. 4. Ostfälisch 4.1. Das Ostfäl. wird im allg. mit Hilfe eines Kriteriums aus der Formenlehre begrenzt. Während nämlich im übrigen nd. Raum für das Personalpron. in den Objektkasus die dat. Einheitsformen mi, di, u(n)s, ju gelten, zeigt das Ostfäl. hierfür die Akk. mik, dik, Usch, jiik, die im Ο und S gelegentlich auch in sonst nicht ostfäl. zu nennenden Maa. erscheinen. Diese Formen weisen auf eine alte Bindung zum Binnendeutschen. Mit ihm kannte das Ostfäl. von alters her die Unterscheidung von Dat. und Akk. mi/mik, di/dik, us/iisch und ju/jük, die das Ostfäl. dann unter dem Einfluß der vereinheitlichenden nd. Maa. aufgab, wobei es jedoch seine Sonderstellung behielt, indem es sich bei diesem Prozeß gegen das übrige Nd. für die akk. Einheitsformen entschied. Diese werden jetzt allerdings, vor allem zum Nordnsächs. hin, von den Dativformen zurückgedrängt; diesem Prozeß hat sich jük, durch seine hd. Entsprechung euch gestützt, am besten widersetzen können. Das ostfäl. Ma.gebiet wird ganz grob durch folgende Linie umschlossen: sie entspricht der Ostgrenze des Westf. bis etwa Rinteln, führt dann von dort über Nienburg/Weser nach Hudemühlen (südl. Lüneburg), worauf sie der Nordgrenze des Kreises Uelzen in Richtung auf Hitzacker folgt, sie verläuft dann die Ohre abwärts bis zur Mündung in die Eibe und macht schließlich einen Bogen um Magdeburg, bis sie etwa bei Nienburg/ Bode wieder auf die Benrather Linie trifft. - Wortgeographisch bildet das Ostfäl. nur in einzelnen Fällen eine Einheit, so etwa bei der Benennung des

,Holunders', der hier durch die Typen kalken, keilken, keiseken o. ä. vertreten ist; im N O dringt aber bereits flidder vor. 4.2. Im Grunde hat das Ostfäl. den Charakter eines Übergangsgebietes, wie sich vor allem bei seiner inneren Gliederung zeigt. So bildet das H e i d e o s t f ä l i s c h e (um Uelzen bis nördl. Celle) den Übergang zum Nordnsächs.; es steht z . B . hinsichtlich der Apokope (bedd statt bedde ,Bett') und des präfixlosen Partizips auf nördl. Standpunkt. Das im SO zwischen Harz, Elbe und Ohre gelegene E l b o s t f ä l i s c h e ist dagegen als md. Vorbruchsgebiet zu bezeichnen, wie etwa die Endung des Präs. PI. auf -en oder der Präteritalausgleich nach md. Art (kam - kämen gegenüber etwa westf. kämm - kernen) zeigen. Auf bereits recht frühe Gemeinsamkeiten mit dem Md. deuten Beispiele aus der Wortgeographie (etwa Östern, hinder, swester gegenüber sonstigem ostfäl. Paschen, achter, süster) oder auch die Ortsnamen auf -leben (Bischoff 1954, 91ff.). - Mit dem südöstl. Westf. durch einige Erscheinungen verbunden ist das G ö t t i n g i s c h - G r u b e n h a g e n s c h e i m SW des Ostfäl., etwa bei der gemeinsamen Monophthongierung des aus altem ö 2 entstandenen Diphthongs zu α im S und der Beibehaltung des Zwielauts au im N , oder bei der Zurückweisung nördl. Neuerungen wie -aid > -old. Auf die mit dem Ostwestf. gleichlaufende Entwicklung der eund ό-Laute wurde schon oben hingewiesen (vgl. 3.3.). Übrig bleibt schließlich noch d a s K e r n o s t f ä l i s c h e , das sich vom nördl. Heideostfäl. u.a. durch die Bewahrung des Unterschieds von Dat. und Akk. im Sg. Fem. abhebt (der vs. de friu ,Frau'); lautlich werden diese beiden Ma.landschaften z . B . auch durch die unterschiedlich weit fortgeschrittene Diphthongierung der geschl. eund ό-Laute, die im Heideostfäl. erst die Stufe äi bzw. ou erreicht hat, im Kernostfäl. aber schon zu ai und au gelangt ist, differenziert (vgl. auch Karte 2). Bei der Diphthongierung der a l t e n « , « (ζ. B. friu ,Frau') folgt das Kernostfäl. mit dem Gött.Grubenh. weitgehend dem angrenzenden Westf.

5.

Nordniedersächsisch

5.1. Die Maa. des bisher noch nicht besprochenen westnd. Sprachgebiets sind dem Nordnsächs. zuzurechnen, das vor allem durch starke Vereinfachungen in seinem Vokal- und Formensystem gekennzeichnet ist. So bewahrt es ζ. B. von den acht as. Kurzvokalen in offener Silbe nur mehr drei. Die e- und ό-Laute sind, abgesehen vom immer diphthongischen P , im allg. monophthongisch geblieben und in jeweils eine Lautqualität zusammengefallen; eine Ausnahme bildet hier Ostholstein, das einerseits die Spaltung von e 1 beibehält und zum anderen die geschl. Längen leicht

47. Westniederdeutsch diphthongiert. Die starke Akzentkonzentration auf die Stammsilbe schließlich hatte neben einer kräftigen Tenuisaspiration im Anlaut und Lenisierung im Inlaut auch die Apokopierung der unbetonten auslautenden -e (statt sonstigem westnd. up'n diske ,auf dem Tische' nordnsächs. up'rt disk) zur Folge. Die Vereinheitlichungstendenz zeigt sich auch in der frühen Schwächung des ausl. -m > -n (und dem damit verbundenen Zusammenfall der Objektkasus) sowie in zahlreichen analog. Ausgleichungen (etwa - ausgenommen das nl. Einflußgebiet - der Unterscheidung ik was / wi weren zugunsten des Pluralvokals: ik wer / wi weren). Im Wortschatz dagegen stellt das Nordnsächs., wie sich z . B . bei der Bezeichnung der .Schusterahle' durch eis ( < wg. *alisnö) belegen läßt, gelegentlich ein ausgesprochenes Reliktgebiet dar, das zudem durch südl. und östl. lexikalische Impulse, die von der Schriftsprache ausgehen oder zumindest von ihr gefördert werden, mehr und mehr verkleinert wird; so verdrängt östl. swester die mnd. noch allg. geltende Form süster aus Schleswig-Holstein, der Lüneburger Heide und Ostfalen. Auch die alten Bezeichnungen karrt .Butterfaß' und karnmelk ,Buttermilch' ziehen sich in Richtung auf die nl. Staatsgrenze zurück. Man darf vermuten, daß diese Ost-West-Bewegung erst hier zur Ruhe kommen wird, sich letztlich also die Worträume der politischen Gliederung anpassen werden. 5.2. Gewöhnlich wird das Nordnsächs. in sieben größere Ma.gebiete untergliedert. Davon waren das O s t f r i e s i s c h e , das - wie noch heute ζ. B. in der Form hör .ihnen' oder im Wortschatz: tun .Garten' sichtbar ist - als nd. Ma. auf fries. Substrat aufzufassen ist, sowie das südl. angrenzende E m s l ä n d i s c h e Jahrhunderte hindurch stark nach W und S gerichtet; dies zeigt sich schon bei den Formen wi bunt ,wir sind' (in der Drente wi bint) und i < ji ,ihr'. Beide Ma.gruppen haben unter nl. Einfluß viel altes Wortgut bewahrt (etwa pröten .sprechen') oder von dort entlehnt ( z . B . mitschin .wahrscheinlich'). Es bestehen zwischen beiden aber auch deutliche Unterschiede, etwa emsländ. Um vs. ostfries. hüm ,ihm', röpde vs. rep ,rief' etc. Die Grenze des Emsländ. zum Westf. ist mehrfach gestaffelt: die Linie der Kürzendiphthongierung bildet mit jener der Scheidung von altlangem α und tonlangem α und einigen weiteren gleichsam einen „emsländischen Fächer" (Foerste 1957, 1865). - Charakteristika des O l d e n b u r g i s c h e n sind etwa die Bewahrung der alten Lautgestalt in -eis (hackels ,Häcksel') gegenüber ostfries.-emsländ. -sei; abweichend ist auch die syntakt. Verwendung des Dat. bzw. Akk., so oldbg. achter üsen hus ,hinter unserm Haus' gegenüber ostfries.-emsländ. achter u(n)s hits. Zur Abgrenzung vom N o r d h a n n o v e r s c h e n (zwischen Unterweser und Unterelbe) können eher lexika-

463

lische Kriterien angeführt werden; kennzeichnend ist aber auch (etwa gegenüber oldbg. er) die nordhann. Pronominalform jüm ,ihnen'. Die entscheidenden sprachl. Neuerungen des Nordhann, kamen seit mnd. Zeit aus dem O ; so drängt ostnd. uns seit dem Mittelalter das alte us zurück, ähnlich gewannen auch die Formen wörtel ,Wurzel' und öwer ,über' über ihre unumgelauteten Entsprechungen die Oberhand. Ebenfalls unter starkem ostnd., vor allem mecklbg. Einfluß steht das H o l s t e i n i s c h e , wo z . B . jümmer ,immer' weitgehend durch Ummer und jUm ,ihnen' durch er verdrängt wurden. Grammatisch und im Wortschatz bestehen große Ähnlichkeiten mit dem Nordhann. Beide Ma.gruppen tendieren zur Rundung (gUstem .gestern') und überführen oft apokopierte starke Pluralformen in die schwache Deklination (bargen ,Berge'). - Das D i t h m a r s i s c h e erweist sich in manchem als beharrsam; dies gilt sowohl für den lautl. (altes spirant, g) als auch für den lexikalischen Bereich ( z . B . gäsche ,Gevatterin' < mnd. göde). Auch das S c h l e s w i g s c h e steht im Lautsystem oft auf altem Standpunkt (spirant, g, bewahrtes sk, keine Apokope, keine Hiatdiphthongierung). Der Wortschatz dagegen ist einerseits konservativer als der des Holst., andererseits zeigt er aber auch starke hd. (etwa klen .klein'gegenüber lütt, spatz gegenüber lunk) sowie nordfries. und jütische Einwirkungen; letztere werden ebenfalls bei abweichenden präpositionalen Verbindungen ( z . B . un statt tö beim Infinitiv: dat is nü tit un plücken appeln) oder etwa bei der Auslassung des Relativpronomens (et wer dat beste, he kann dön) sichtbar.

6. Bibliographie

(in Auswahl)

Aus Platzgründen sind Spezialuntersuchungen über die einzelnen Ma.gebiete hier nicht aufgeführt; dazu sei verwiesen auf die ausführliche Bibliographie bei P. Teepe, H . Niebaum, R. Schophaus, Niederdeutsche Mundarten. In: Niederdeutsch - Sprache und Literatur. Eine Einführung. Hrsg. v. J . Goossens. Bd. 1. Neumünster 1973, 130-198. Im Anschluß daran vgl. man J.

Hartig, Niederdeutsche Bibliographie. In: N d K 77. 1970 ff. (fortlaufend).K. Bischoff, Elbostfälische Studien. Halle 1954. W . Foerste, Geschichte der niederdeutschen Mundarten. In: Deutsche Philologie im Aufriß. Bd. 1. 2. Aufl. Berlin 1957. Sp. 1730-1898.

W . Foerste, Einheit und Vielfalt der niederdeutschen Mundarten. Münster 1960. J . Goossens, Niederdeutsche Sprache - Versuch einer Definition. In: Niederdeutsch - Sprache und Literatur. Bd. 1. Neumünster 1973, 9 - 2 7 . J . Goossens, Deutsche Dialektologie. Berlin, New York 1977. J . Hartig und G . Keseling, Niederdeutsche Mundartforschung der Stammlande. In: Germanische Dialektologie. Festschrift für W . Mitzka. Bd. I. Wiesbaden 1968, 155179.

464

VI. Areale Aspekte

Η. H. Menge, Regionalsprache Ruhr: Grammatische Variation ist niederdeutsches Substrat. In: NdK 84. 1977, 48-58. H. Niebaum, Zur niedersächsisch-niederfränkischen Dialektscheide. In: Nd W 11. 1971, 45-60. B. Panzer, W. Thiimmel, Die Einteilung der niederdeutschen Mundarten aufgrund der strukturellen Entwicklung des Vokalismus. München 1971. Chr. Sarauw, Niederdeutsche Forschungen I. Kopenhagen 1921. U. Scheuermann, Sprachliche Grundlagen. In: Geschichte

Niedersachsens. Hg. v. H. Patze. Bd. 1. Hildesheim 1977, 167-258. V. M. Schirmunski, Deutsche Mundartkunde. Berlin 1962. F. Wortmann, Zur Geschichte der langen e- und ö-Laute in Niederdeutschland, besonders in Westfalen. In: Münstersche Beiträge zur Niederdeutschen Philologie. Köln, Graz 1960, 1-23. F. Wortmann, Zur Geschichte der kurzen Vokale in offener Silbe. In: Gedenkschrift Foerste. Köln, Wien 1970, 327353.

48. Ostniederdeutsch

ren versucht, doch sind diese Ansätze (vor allem Teuchert 1957/58 und 1964, Bretschneider 1962) nicht zu einer umfassenden systembezogenen, diachronischen Darstellung entwickelt worden. Über die Art der mittelalterlichen Nord-OstSiedlung gibt es zwei Auffassungen, die nicht antinomisch zu sein brauchen: 1. Von ideellen Ausgangspunkten des Altsiedellandes verbreitet sich die Siedlung in wellenartigen Vorstößen, damit Mischung und Ausgleich der verschiedenen Siedelströme ermöglichend (Th. Frings, E. Schwarz); 2. die Siedler rücken nicht im Zuge geschlossener Siedelbahnen ein, sondern gründen in weiträumiger Streusiedlung Horste - städtische Sprachinseln und flächige bäuerliche Siedelhorste - , die sich als Grundsiedlungen im Kolonisationsgebiet ausdehnen und zu größeren Siedelflächen vereinigen (Mitzka 1959). Die germanisch-slawischen Kontakte gehen bis in das 6. Jh. n.Chr. zurück und bedeuten eine lange Periode teils friedlichen Zusammenlebens, teils kriegerischer Auseinandersetzung. Von einschneidender Bedeutung war die Ostsiedlung des 12. Jhs., in deren Zuge die politischen Verhältnisse östlich von Elbe und Saale neu gestaltet wurden. Von seinem ostfälischen Stammland aus eroberte Heinrich der Löwe Mecklenburg; 1160 fiel der letzte Obotritenfürst, sein Sohn erhielt 1167 das Land als Lehen zurück, bis auf die Grafschaft Schwerin, die vorwiegend aus Ostholstein und Westfalen besiedelt wurde. An den Bischof von Schwerin überging 1170 ein Teil Pommerns (bis zur Peene und den Landgraben), den er als Vorpommern an Mecklenburg anschloß. Die Stettiner Linie des pommerschen Fürstenhauses wurde 1181 von Friedrich I. zum Reichsfürstentum erklärt, Lehnshoheit über Pommern besaßen die Markgrafen von Brandenburg, das zwischen 1150 und 1157 von Albrecht dem Bären erobert worden ist. Dieser zog neben Deutschen aus dem Altsiedelland auch Niederfranken, Holländer und Flamen ins brandenburgische Land. Das Siedelgeschehen vollzog sich in zwei großen Siedelräumen: 1. Die „Alten Lande" von der Elbe bis zur Havel-Nuthe, die Landschaften Prignitz, Ruppin, Havelland, Zauche wurden im 12. Jh. besiedelt; 2. die „Neuen Lande" östlich

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

/.

Arealdefinition Entwicklung des Ostniederdeutschen Mecklenburgisch-Vorpommersch Märkisch und Berlinisch Mittelpommersch Ostpommersch und Niederpreußisch Ostniederdeutsches Diasystem Bibliographie (in Auswahl)

Arealdefinition

Mit der Bezeichnung Ostnd. erfassen wir eine in sich gegliederte Sprachgemeinschaft, die als kommunikative Gemeinschaft Teil des sie überdachenden deutschen nationalsprachlichen Diasystems ist. Der ostnd. Dialektverband umfaßt heute ein Gebiet zwischen Elbe und Oder. Er unterteilt sich in die Dialektgruppen des Mecklenburgisch-Vorpommerschen, des Märkischen und des Mittelpommerschen. Von nur noch geschichtlicher Bedeutung sind die heute zu Polen und der UdSSR gehörenden, jenseits der Oder liegenden ehemaligen ostnd. Landschaften des östlichen Mittelpommerschen, Ostpommerns und Niederpreußens; hier fungieren jetzt als übergeordnete kommunikative Gemeinschaften die Sprachgemeinschaften des Polnischen und Russischen. Das in Teilen auch zum Ostnd. zu zählende Elbostfälische wird in Art. 47: Westniederdeutsch mit behandelt. 2. Entwicklung

des

Ostniederdeutschen

Das Ostnd. erwuchs auf Siedelboden. Die Grenze zwischen nd. Alt- und Neusiedelland (zwischen dem Sächsischen und Slawischen) markierten Elbe und Saale, von Lübeck bis Merseburg. Hier trennt ein morphologischer Gegensatz im Verbalbereich (die Einheitsformen in der 1.-3. Person Präsens Plural) den nd. Westen (-et) vom Osten (-en). Die Geschichte der nd. Siedlung östlich von Elbe und Saale ist noch nicht geschrieben. Zwar wurde die sprachliche Vergangenheit Mecklenburgs, Pommerns und Brandenburgs mit den Mitteln der traditionellen Dialektgeographie zu rekonstruie-

Hermann

Niebaum,

Münster

48. Ostniederdeutsch

465

Stralsund Rostock

Mecklenburgisch ^Vorpommersch Schwerin leustrelitz Prenzlau

/Mittel-/ 'pommersch Angermünde

Perleberg Neuruppin

Rathenow,

BERLIN Seelow

OSTNIEDERDEUTSCH

Teltow

Stand:1979

1 veir/vier

2 mei(d)en/meigen

3 madding/mädke

4 leif/lef

5 lef/lief

6 schne/schnei

Beeskow

Dahme Entwurf: 0. Stellmacher

der Havel-Nuthe-Linie, die Landschaften Teltow, Barnim, Uckermark, Lebus wurden erst ein halbes Jh. später eingenommen. Während die Besiedlung der Alten Lande punktuell erfolgte, waren in den Neuen Landen zentral gesteuerte Siedlerkräfte am Werk. Diesen positiven Siedelperioden stehen zwei negative gegenüber: im 14./15. Jh. nach Aussterben der Askanier und im 17. Jh. im Gefolge des 30jährigen Krieges. Hier wurden

weite Landesteile entvölkert, die ökonomischen Basen zerstört. Erst mit der Regentschaft des Hohenzollern Friedrich Wilhelm (1640-1688), des Großen Kurfürsten, begann eine allmähliche Konsolidierung und der Ausbau des Zentralmärkischen. Vor allem das brandenburgische Siedelgeschehen mahnt zur Vorsicht, wenn aus der modernen Dialektgeographie auf Sprachzustände und -be-

466

VI. Areale Aspekte

wegungen zur Zeit der Besiedlung geschlossen werden soll. So markiert keine wesentliche Sprachschranke die Siedlungsgrenze zwischen den Alten und den Neuen Landen; es ist zuzugeben, „daß von der ältest erreichbaren Raumgestaltung der Siedelzeit im 12./13. Jahrhundert sprachlich kein erheblicher Nachklang, vielleicht sogar keine Spur mehr faßbar ist" (Bretschneider 1962, 88). Das gilt auch für die Beurteilung der besonders von Teuchert 1944 hoch veranschlagten nl. Sprachreste, deren Anteil im Wortschatz der märkischen Dialekte nicht zu übersehen ist; ihn aber auch in der Laut- und Formenebene nachweisen zu wollen, ist nicht gelungen. Die kommunikativen Gebrauchsweisen des Ostnd. beschränken sich in unserer Zeit zunehmend auf Bereiche, in denen es auf Gruppenbindung sowie den Ausdruck von Geborgenheit und Solidarität ankommt. Ostnd. ist heute weniger sozialschichtenbezogene Sprache als Nahsprache (vgl. Gernentz 1974).

3.

Mecklenburgisch-Vorpommersch

Mecklenburg-Vorpommern, zwischen Lübecker und Pommerscher Bucht im N , der unteren Eide und unteren Oder im S, stellt sich sprachlich als ein relativ geschlossenes Gebiet dar. Eine Sonderstellung nimmt im S O das M e c k l e n b u r g - S t r e l i t z i s c h e (das alte Land Stargard) ein, das in alten Bindungen zur Mark Brandenburg und der Altmark steht. Mit Einschluß des Strelitzischen, aber bei deutlicher Abgrenzung nach W , kennt das M . - V p . die Hebung der mittleren Langvokale vor r: mi:r ,mehr', u:r , O h r ' , hii:rn ,hören'. Gemeinsam mit der Diminutivendung -mg (Mudding ,Mütterchen') und der Monophthongierung des mnd. ei > e: (de:t ,tut') sind diese Entwicklungen die Hauptkennzeichen des M . - V p . Die genauere dialektgeographische Untersuchung dieses Landes hat neben der großräumigen Geschlossenheit auch interne Sprachgrenzen ausgemacht. So unterscheidet sich das Vp. vom M. durch die Bewahrung eines im Hiat entwickelten Klusils: m. mei(d)en ,mähen' wird von vp. meigen durch eine Linie getrennt, die vom Darß über Malchin, Stavenhagen bis Penzlin verläuft. Das eigentliche M . läßt sich von der Linie Grevesmühlen—Gadebusch-Schwerin-Crivitz-Neustadt-eldeabwärts in einen westl. und östl. Bereich unterteilen. Kennwörter dieses west-östl. Gegensatzes sind ,vier' (ei/i:), .fahren' (eu/ü:), .Enterich' (Wädik/Arpel). Aufgrund wortgeographischer Verschiedenheiten ist auch ein N-S-Gegensatz, der durch die Linie Wittenburg-Crivitz-Goldberg-Friedland gekennzeichnet wird, zu erkennen. Hier stoßen aufeinander (die nördl. Bildung folgt als erste): Kütik/Harrik .Hederich', Tram/Sprat ,Leitersprosse', Trad! Lois .Wagenspur', Arnbier/Austkost,Erntefest'.

4. Märkisch und Berlinisch Die in der dialektgeographischen Literatur häufig anzutreffende Bezeichnung B r a n d e n b u r g i s c h für die Sprache des Landes zwischen Elbe und Oder in ihrem mittleren Lauf ist ungeeignet. Dieser Terminus nimmt Bezug auf die politische Raumbildung des Landes Brandenburg, das bis 1952 bestanden hat. Zu diesem Land gehörten auch die md. oder md.-nd. Gebiete des sächsischen Kurkreises und der Niederlausitz, die 1815 an Preußen gekommen waren. Abweichend von bisherigen Einteilungen soll der brandenburgische Raum nach sprachlichen Merkmalen unterteilt und als Märkisch die Landschaften bezeichnet werden, denen eine nd. Grundmundart zuzuerkennen ist. Man unterscheidet bei einem nach S hin zunehmenden md. Anteil das N o r d m ä r k i s c h e , das M i t t e l m ä r k i s c h e und das S ü d m ä r k i s c h e . Zum N m k . , dessen Beziehungen zum Altmärkischen vor allem vom Schollenischen betont werden, gehören die historischen Landschaften Prignitz, Ruppin, Uckermark, der N und Wrand des Havellandes. Die Ngrenze fällt mit der mecklenburgischen Landesgrenze zusammen, den Übergang zum M . bildet das Prignitzische; die Wgrenze wird durch Elbe und Havel gestaltet, während der S etwa durch die Linie Rathenow-Friesack-Oranienburg-Angermünde bezeichnet wird. Im Ο geht das N m k . in das M m k . über, die Grenze verläuft zwischen Templin und Angermünde. Zum M m k . gehören das (Ost-) Havelland, das Zentralmärkische mit Berlin, (Ober-)Barnim, Lebus, Teltow und BeeskowStorkow. Die Sgrenze bildet die maken/machenLinie. Das Smk. umfaßt einen Raum im Fläming und Elbe-Elster-Gebiet zwischen der maken/machen-Linie im Ν und der ik/ich-Linie im S, und zwar auf der Strecke von Coswig bis MärkischBuchholz. Die auffälligste märkische Dialektscheide ist die von der Mittelelbe südlich Magdeburgs nach N O zur Oder (die bei Angermünde erreicht wird) strebende Diphthongierungslinie bei alten Langvokalen: Dem nmk. le:f,lieb' steht der mmk. und smk. fallende Langdiphthong in li:ef gegenüber. Eine andere Diphthongierung trennt das M m k . vom Smk., nämlich der aus mnd. e 2 entwickelte Hiatdiphthong -ei: M m k . sehne:,Schnee' wird auf einer südlich Magdeburgs bis zur Dahmemündung und von dort zur Oder bei Oderberg stoßenden Linie vom smk. schnei getrennt. B e r l i n i s c h : Das ganze Mittelalter hindurch spricht und schreibt man in Berlin nd. Das ändert sich erst im 15./16. J h . , als der Blick der Stadt nicht mehr nach N , sondern nach Mittel- und Süddeutschland gerichtet ist. Die sich entwickelnde Stadtmundart ist bis auf Lautbildung und Intonation hochdeutsch. Die Öffnung Berlins zum S

48. Ostniederdeutsch vollzog sich nicht in isolierter Übernahme ostmitteldeutscher Sprachmerkmale, sondern in weitgehendem Gleichklang mit der umgebenden mmk. Landschaft.

5.

Mittelpommersch

Als Mittelpommern im engeren Sinne galt das Stettiner Umland, die ehemaligen Kreise Randow und Greifenhagen. Im weiteren Sinne umfaßt(e) das Mp. einen auf das Stettiner Haff zielenden Oderkeil, dessen südl. Grenze von der oberen Ucker bis zum Netze-Bruch reicht(e). Dieser Keil trennt Pommern in einen West- und Ostteil und ist Ergebnis zweier Siedlerströme: eine nd. Besiedlung, die die Küste erfaßte, und eine niederfränkische, die im 12. Jh. im Odergebiet nach Ν vorstieß und um 1250 die hinterpommersche Neumark erreicht hatte. Das westl. Küstengebiet bis UsedomUckermünde-Zarow Schloß sich eng ans Mecklenburgische an, reicht doch das M.-Vp. bis in den Grenzraum von Peene-Landgraben—Zarow. Gegenüber dem M.-Vp. kennt das Mp. sowohl die Bewahrung der alten vokalischen Längen mittlerer Zungenstellung (o:r ,Ohr') als auch des mnd. Diphthongs ei (deit ,tut'); als Diminutivsuffix findet sich im Mp. -ke (gegenüber m. -ing). Vom überwiegenden Teil des M. und Ostpommerschen (Op.) unterscheidet sich das Mp. durch unterbliebene Diphthongierung bei wgerm. e 4 und ό 1 (le:f,lieb', ko:ken ,Kuchen'), darin aber mit dem Nmk. zusammengehend, dessen Einschlag auch an einer Reihe von Neerlandica (ζ. B. padde ,Frosch', päde .Quecke', tass ,Scheunenraum', mier ,Ameise') abzulesen ist. Ein Teil der nl. Wörter ist bis zur pommerschen Küste vorgedrungen und hat die nd. Synonyme in Reliktlagen abgedrängt. Zugleich bezeichnet dieser süd-nördl. Vorstoß die allgemeine sprachliche Bewegungsrichtung der neuesten Zeit, in deren Gefolge auch Mitteldeutsches nach Ν gelangt ist (ζ. B. sich, uns, sali .soll').

huvve, mmk. hu:e ,bauen'). Diese Eigenart stimmt zum Westfälischen, das als ein wichtiges konstitutives Element im Op. gegolten hat. Der SW des ehemaligen Ostpommern bewahrte wie das Nmk. und Mecklenburg-Strelitzische, aber im Gegensatz zum Ν und Ο sowie dem M.-Vp. die alten Längen Insgesamt gesehen war Ostpommern ein passiver Sprachraum, dessen slawisches Substrat am deutlichsten beim π-Abfall zutage trat. Das Niederpreußische (Npr.) war der Teil Ostpreußens, der vom Frischen Haff bis zum Kurischen Haff reichte und seinen südlichsten Punkt im O s t k ä s l a u i s c h e n (um Rössel und Bischofstein) fand. Man unterschied im Npr. die Einzeldialekte des S a m l ä n d i s c h e n (um Königsberg), des O s t g e b i e t s (um Tilsit), des N a t a n g i s c h e n (um Pr. F.ylau und Braunsberg), des K ä s l a u i s c h e n (das Ermland) und den Dialekt der D a n z i g e r N e h r u n g . Das Npr. hebt sich vom Op. durch eine weitergehende ra-Apokopierung ab, eine starke Entrundung und die Senkung von « > ο vor Nasal (ons ,uns', stomp .stumpf'). Im Wortschatz hat das Npr. viele nordnd. Elemente besessen, die auf eine Besiedlung aus diesem Raum schließen lassen.

7. Ostniederdeutsches

und

Niederpreußisch

Ostpommem war der schmale west-östl. Küstenstreifen vom Stettiner Haff (fast) bis zur Danziger Bucht, dessen sprachliche Verbindung zur mecklenb.-vorpomm. Küste deutlich von der DWAKarte .Anemone' aufgezeigt wird. Als Hauptkennzeichen des Op. im Vergleich zu den westlich und südlich angrenzenden Dialekten fungierten die H-Apokopierung (sitte .sitzen'), die Bewahrung des -e als Pluralendung (alle Lüde ,alle Leute') und des -m im Dativ Singular (ju:gem .eurem'). Gegenüber dem Mmk. wies das Op. eine auffallende Hiattilgung durch Einbau eines spirantischen Gutturals bei häufiger Kürzung des vorhergehenden Langvokals auf (op. bugge /

Diasystem

Die für die einzelnen ostnd. Dialektgruppen charakteristischen Lautentwicklungen sollen anhand von Kennwörtern zusammengestellt und mit den mnd. Vorstufen verglichen werden. Das sich auf diese Weise ergebende Diasystem zeigt Übereinstimmungen und Verschiedenheiten im ostnd. Lautbereich.

Kennwörter: lieb, Schnee, Kuchen, das, Bruder, gut, machen, hinten.

Ohren,

tut,

Mnd., M.-Vp.i, Mp. 2 , Nmk.), Mmk..,, Smk. 5

ei ι ~ e:2,3 ~

Κ e1



ch-) muß im Bereich der Gaugrenzen Sundgau/Nordgau (Elsaß) und Breisgau/Ortenau (Baden-Württ.) verlaufen sein, vor dem 14. J h . noch wesentlich weiter nördlich (HSS K. 182-191). Im Südalem. kommt der West-Ostgegensatz ebenfalls schon um 1300 zum Vorschein (Müller 1960). Die histor. (extraling.) Grundlagen der alem. Gliederungsstruktur sind weithin noch aufzudecken, insbesondere diejenigen der Sundgau-BodenseeSchranke.

52. Westoberdeutsch

485

DIE "HÖCHSTALEMANNISCHE" RELIKTSTAFFELUNG

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1961,207-227, Abb. 18

4. Alemannisch im größeren

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schneie sehnte 2-form. Vb. PI. 3-form. Vb. PI.

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polit. Grenze

Karte 5. N a c h : R. Hotzenköcherle, In: Z M F 28. 2 0 7 - 2 2 7 , Abb. 5

1961,

Zusammenhang

Im deutschen u. europäischen Sprachkonnex ist das Alem. wie folgt zu charakterisieren - als Gebiet alter germanisch-romanischer Interferenz - als Reliktzone (vgl. Kolb 1957, Maurer 1952) innerhalb des Kontinentalgermanischen, wobei die archaischen Züge nach Süden zunehmen, - schließlich als Gebiet intensiven fränkischen Spracheinflusses. Das Binnengliederungssystem ist vor allem auf den seit dem Frühma. wirksamen Prozeß der Frankonisierung zurückzuführen. Daneben spielen sprachliche Innovationen eine zunehmend erkannte Rolle, wie z . B . die schon ahd. Extremverschiebung der Affrikata pf > / - , das alem. „ K e n n w o r t " (Schibboleth) Chilche < Kirihha (s. K. 6), im Lexikalischen etwa südalem. Stalden = „ A b h a n g " (Vorarbeiten 1965) u.a.m. Charakteristisch für derartige Innovationen ist jedoch, daß sie niemals über das Alem. hinaus expandierten. Dazu stimmt die geringe Einflußnahme des Alem. auf die Entstehung der nhd. Schriftsprache (Besch 1967).

Karte 6. Das alem. „ K e n n w o r t " Kilch im Spätmittelalter. Vereinfacht nach H S S , K. 114

486

VI. Areale Aspekte

5. Ausblick,

Forschungsdesiderata

Die wobd. Maa. gehören in sprachgeographischer Hinsicht zu den am besten erforschten deutschen Dialekten (ALA, SDS, SA B.Württ, SA Vorarlberg; HSS). Die historisch-politischen Hintergründe der alem. Spracheinheit, der Ausgliederung von Dialektgruppen und der Entstehung von Untergliederungssystemen, bedürfen noch weiterer Aufhellung. Dies kann nur durch Kooperation aller landesgeschichtlichen Disziplinen geschehen. Ferner bedürfen moderne sprachareale Entwicklungen der Untersuchung. Die Mechanismen der Integration und Diffusion standardsprachlicher Bezeichnungen beispielsweise, die zur Substitution regionaler (dialektaler) Varianten und zur Ausbildung neuer „Umgangssprachen" (—» Artikel 36) führen, sind auf dem Hintergrund des soziokulturellen Wandels (—» Artikel 31) zu erforschen. Daß dabei den städtischen Zentren („Stadtsprachen") eine überragende Funktion zukommt ist lange bekannt. Wir benötigen also neben den regionalen Dialektatlanten großräumige Untersuchungen zu den jüngsten arealen und sozialen Ausgleichs- und Koinebildungen im Alem. („Schwäbische", „Schweizerische" Koine?usw.). Wichtiges Material und wertvolle Anregungen liegen bereits vor (Eichhoff 1977/78; vgl. Artikel 31/32 u. 36).

6. Bibliographie

(in

Auswahl)

W e i t e r e s : S. Sonderegger 1962, G. W . Baur 1978, L G L 1 1973, 355 ff. G. W. Baur, Bibliographie z. Mda-forschung in Bad.Württ., Vorarlberg und Liechtenstein. Tübingen 1978 ( = Idiomatica 7). W. Besch, Sprachlandschaften und Sprachausgleich im 15. Jahrhundert. München 1967. E. Beyer, La palatalisation vocalique spontanee de L'Alsacien et du Badois. Strasbourg 1964. E. Beyer, R. Matzen, Atlas linguistique et ethnographique de l'Alsace. Bd. I. L'Homme. Paris 1969 ( = A L A ) .

53. Ostoberdeutsch 1. 2. 3. 4. 5.

Definition und Arealbegrenzung Synchronlinguistischer Befund Historiolinguistische Deutung Zum Forschungsstand Bibliographie (in Auswahl)

1. Definition 1.1.

und

Arealbegrenzung

Definition

„Ostoberdeutsch (oobd.)" bezeichnet im folgenden vornehmlich jenen in der Übersichtskarte zu Art. 45 graphisch dargestellten kohärenten

B. Boesch, Untersuchungen zur alemannischen Urkundensprache des 13. Jahrhunderts. Bern 1946. K. Bohnenberger, Zur Gliederung des Alemannischen. In: ZDM 19. 1924, 8 7 - 9 0 . K. Bohnenberger, Die alem. Mundart. Tübg. 1953. J . Eichhoff, Wortatlas der dt. Umgangssprachen. 2 Bde. Bern u. München 1977/78. R. Freudenberg, Der alem.-bair. Grenzbereich in Diachronie und Synchronic. Marburg 1973. R. Hotzenköcherle, Zur Raumstruktur des Schweizerdeutschen. In: Z M F 28. 1961, 2 0 7 - 2 2 7 . R. Hotzenköcherle u. a., Sprachatlas der deutschen Schweiz. Bd. Iff. Bern 1962ff. W . Kleiber, Die Grenze der alem. Mundart am nördlichen Oberrhein in sprachhistorischer Sicht. In: Festgabe f. F. Maurer. Düsseldorf 1968, 11-38. W . Kleiber, K. Kunze, H . Löffler, Historischer Südwestdeutscher Sprachatlas. 2 Bde. Bern und München 1979 ( = HSS). E. Kolb, Alem.-nordgerm. Wortgut. Frauenfeld 1957. F. Maurer u . a . , Oberrheiner, Schwaben, Südalemannen. Straßburg 1942. F. Maurer, Nordgermanen und Alemannen. 3. Aufl. Bern, München 1952. W . Mitzka, Hochdeutsche Mundarten. In: Deutsche Philologie im Aufriß. Bd. I. 1952, 6 5 5 - 7 8 4 . W . G. Moulton, Phonologie und Dialekteinteilung. In: Sprachleben der Schweiz. Bern 1963, 75-86. Ε. E. Müller, Wortgeschichte und Sprachgegensatz im Alem. Bern, München 1960. Ε. E. Müller, Zur Stellung des Schweizerdeutschen im Alem. In: Festschrift R. Hotzenköcherle. Bern 1963, 123-128. E. Ochs, Die Gliederung des Alem. In: G R M 9 . 1 9 2 1 , 5 6 - 5 8 . St. Sonderegger, Die schweizerdeutsche Mundartforschung 1800-1959. Frauenfeld 1962. St. Sonderegger, Alem. Mundartforschung. In: Germanische Dialektologie I. 1968, 1-29. O . Stoeckicht, Sprache, Landschaft und Geschichte des Elsaß. Marburg 1942. Vorarbeiten und Studien zur Vertiefung der Südwestdeutschen Sprachgeschichte. Hrsg. v. F. Maurer. Stuttgart, Freiburg 1965. R. A. Wolff, Regionale Varianten im Wortschatz der städt. Umgangssprache in Bayern u. i. Baden-Württ. In: Muttersprache 85. 1975, 325-333.

Wolfgang Kleiber,

Mainz

Dialektraum des südöstlichen Kontinental-Westgermanischen, der sich geographisch ungefähr über Österreich (ohne Vorarlberg) sowie Oberund Niederbayern erstreckt. Die diesem Raum vorgelagerten und/oder genetisch-typologisch zugehörigen sprachlichen Exklaven werden an anderer Stelle behandelt (s. Art. 54). 1.2. ,,Ostoberdeutsch"

und

„Bairisch"

Das „ O o b d . " entspricht mithin genau dem nach herkömmlicher, stammesgeschichtlich motivierter Terminologie sog. „Bairischen", allerdings ohne das Nordbair., das, insbesondere wegen

53. Ostoberdeutsch

DER OSTOBERDEUTSCHE DIALEKTRAUM L i (ohne Sprachinseln) Jnterferenzzonen: ί ί ^ ί Jnnerboirisch

BAIRISCHE KENNWÖRTER Reliktkennwörter: _

Nürnberg •f J · · · ·

Ι/V

^egensburg 'Straubing Passau

Salzburg

Innsbruck

-

es gegen

ihr

λ. -i. -L. -L. enk " euch Neuerungskennwörter: +· -•· + + -•·+ Kirchtag gegen Kirchweih Ostgermanische Lehnwörter: oooooooo Ergetag 'Dienstag · · · · · · · · · Pfinztag 'Donnerstag' tengg 'links' * — — · Fasching gegen Fastnacht

487

488

VI. Areale Aspekte

seiner „gestürzten Diphthonge" und seiner fränkischen Uberschichtung, dem Nordoberdeutschen (nobd.) zugeordnet wurde (s. Art. 51). 1.3.

Arealbegrenzung

Sieht man von den Sprachinseln ab, so verlaufen die Außengrenzen des Oobd. nach dem Stand von 1900 im S, Ο und N O entlang der kontinentalwestgerm. Sprachgrenze gegen das Italienische, Slowenische, Madjarische, Slowakische und Tschechische, wobei oobd. Gebietsanteile in den heutigen Territorien Italiens, Ungarns und der CSSR liegen. Auf Schweizer Boden findet sich die sprachlich oobd. Gemeinde Samnaun. Im W grenzt das Oobd. an das Alemannische, insbes. Schwäbische (s. Art. 52), wobei in Westtirol und nördl. davon im Bereich östl. des Lech eine breite Interferenzzone eingelagert ist. Im N W setzt sich das Oobd. gegen das Nobd. (Nordbair.) ab, wiederum in Form eines vorgelagerten Interferenzstreifens (Regensburg/Straubing) (Karte 1). 2. Synchronlinguistischer

Befund

2.1. Areal-integrierender

Aspekt

Da das Gesamtbair. (Oobd. + Nordbair.) nicht nur in der Selbsteinschätzung seiner Sprecher, sondern auch nach dem Urteil des Sprachhistorikers als „in sich geschlossener Block" (Th. Frings) mit außergewöhnlicher Tendenz zur Vereinheitlichung gesehen wird, richtet sich das Interesse auf die Erkundung etwaiger gesamtbair. Spracherscheinungen, die sodann als sprachliche Kriterien zur Abgrenzung gegen W und N W dienen könnten. Derartige Schibboleths, sog. „Kennwörter" bzw. „Kennformen", sind etwa: es ,ihr (2. PI.)', enk ,euch', Pfinztag ,Donnerstag', Ergetag ,Dienstag', tengg Jinks' sowie als oobd. Kennwort i.e. S. Kirchtag , Kirch weihfest', ferner Fasching gegenüber sonstigem Fastnacht (Karte 2). Vereinzelte, hier nicht ausdrücklich erwähnte Fälle von Kennwortverlust als Ergebnis von Innovationsprozessen ändern nichts am areal-integrierenden Charakter derartiger Schibboleths. 2.2. Areal-differenzierender

Aspekt

Innerhalb des oobd. Dialektraums lassen sich das Südbair. und das Mittelbair. als Dialektverbände unterscheiden, deren Kerngebiete zwar deutlich hervortreten, zwischen denen jedoch eine großflächige Ubergangszone (Interferenzraum) anzusetzen ist (Karte 1). Als Besonderheiten des Südbair. gegenüber dem Mittelbair. können u . a . gelten (Karte 3): die Beibehaltung von -en, etwa in machen, gegenüber mittelbair. mache,

die Bewahrung des Unterschieds zwischen d und t (Wetter/Feder) gegenüber mittelbair. Zusammenfall (Dentallenierung), die gutturale Affrikate kch in Kchnecht gegenüber mittelbair. Entsprechungen mit Gn- (Gutturallenierung). Zur gleichfalls unscharfen Scheidung des Mittelbair. gegenüber dem Nordbair. s.o. unter 1.3. sowie unter „Nordoberdeutsch". Dort wird auch auf das nordbair. Spezifikum der „gestürzten Diphthonge" eingegangen, d. h. auf mhd. ie, uo in nordbair. Breif, Brouder gegenüber oobd. Briaf, Bruader. 3. Historiolinguistische 3. 1. Das Bairische oberdeutschen

Deutung innerhalb

des

Gesamt-

Die sprachhistorische Stellung des Bair. gegenüber den benachbarten Dialekträumen ist gekennzeichnet durch auffällige Gemeinsamkeiten mit dem Westoberdeutsch(wobd.)-Alemannischen, die es gestatten, beide Sprachräume unter dem gemeinsamen Oberbegriff „Oberdeutsch" zusammenzufassen und gegen das nördlich angrenzende Mitteldt.-Fränk. abzusetzen. Diese teilweise bis heute erkennbaren Gemeinsamkeiten treten bereits zu Beginn der schriftlichen Uberlieferung (8. Jh.) auf. Soweit es sich dabei um gleichartige Innovationen handelt, wie etwa bei der voll durchgeführten Lautverschiebung, ist nach wie vor strittig, ob es sich dabei um das Ergebnis früher Ausarbeitungsvorgänge im Sinne einer Auswellung handelt (W. Mitzka) oder ob hier ein Indiz für gemeinsame (elbgermanische?) Herkunft vorliegt (E. Schwarz). Weniger problematisch sind demgegenüber diejenigen gemeinobd. Merkmale, die sich aus der gemeinsamen Ablehnung mitteldt.-fränk. Neuerungen ergeben, so etwa bis in die Gegenwart die Beibehaltung von mhd. uo, ie in obd. Bruoder, Brief gegenüber dem zur Standardsprache stimmenden mitteldt. Brüder, Brtf. Dialektraumspezifische Kennwörter lassen sich für die Anfänge schriftlicher Überlieferung nur vereinzelt nachweisen, so in vornehmlich alem. gan ,gehen', stän .stehen'. 3.2. Das Bairische

als konsistente

Einheit

Neben diesen gesamtobd. Gemeinsamkeiten hat das Oobd. differenzierende Merkmale herausgebildet, und zwar in Form jener bereits genannten areal-integrierenden gesamtbair. Schibboleths (Karte 2). Diese von der historischen Dialektologie eingehend untersuchten Kennwörter können nach E. Kranzmayer auf unterschiedliche Weise zu ihrem Status gekommen sein: (a) Es kann sich um ursprünglich weiter verbrei-

53. Ostoberdeutsch

489

DIE ISAR-DONAU-STRASSE ALS INNOVATIONSZENTRUM I S ü d b a i r i s c h e Reliktlandschaft Nordgrenze d e r O p p o s i t i o n - d - / - t -

in Feder/Wetter

Nürnberg

Μ « Μ Nordgrenze von - e n in m a c h e n . Nordgrenze dergutturolen Affrikate in K c h n e c h t

tete Spracherscheinungen handeln, die außerhalb des Bairischen verdrängt wurden und nur im relativ geschlossenen gesamtbair. Areal erhalten geblieben sind („Reliktkennwörter"). Hierzu zählen die oben genannten Pronomina es und enk (ursprünglich gemeingerm. Dualformen). (b) Andererseits können auch nachträgliche innerbair. Innovationen vorliegen, die sich entlang der Isar-Donau-Straße, von Wien über Passau und Regensburg bis München, durchgesetzt haben und von diesem Neuerungszentrum aus gegen die Ränder des bair. Dialektraums vorgedrungen sind. Soweit dieser verkehrssprachlich bestimmte Prozeß gesamtbair. Dimensionen annehmen konnte, ist es auch hier zur Ausbildung von Schibboleths („Neuerungskennwörtern") gekommen. Hierunter fällt etwa Kirchtag (s. oben 2.1.). (c) Eine Sonderstellung nehmen jene bair. Kennwörter ein, die als Entlehnungen aus dem Ostgerm, nachweisbar sind. Bei dieser Gruppe (genannt seien zu 2.1.: Pfmztag, Ergetag, tengg, vielleicht auch Fasching) hat E. Kranzmayer langobardische H e r k u n f t und die Alpenstraße als Vermittlungsweg glaubhaft gemacht. 3.3. Das Bairische in seiner

Differenzierung

Soweit sich die von der neuerungsfreudigen, ver-

kehrsoffenen Isar-Donau-Straße ausgehenden Innovationsimpulse nicht gesamtbair. durchzusetzen vermochten, mußte es zur Bildung areal-differenzierender Isoglossen abseits der dominierenden Verkehrsachse Regensburg-Wien kommen (Karte 3 u. 4). Insbesondere im S häufen sich derartige Isoglossen, was zur Konstituierung zweier konträrer Sprachräume geführt hat: eines auf Veränderungen angelegten Neu-Donau-Bair. („Mittelbair.") gegenüber einem beharrsamen Relikt-Bair. („Südbair."). In diesem Zusammenhang ist auch die oben (2.2.) dem Südbair. zugeschriebene Abwehr mittelbair. Lautveränderungen wie des Nasalschwunds in machen oder der Konsonantenschwächung bei Dentalen (Wetter) und Gutturalen (Knecht) zu sehen. Soweit das angrenzende Wobd.-Alemannische südbair. Spracherscheinungen fortsetzt (gutturale Affrikate), ist zur Erklärung auf die gleichartige verkehrsgeographische Situation alpiner Reliktlage hinzuweisen. Besonders deutlich werden die Auswirkungen verkehrsferner Randlage im W und Ν : (a) Im W des O o b d . zwischen Isar und Lech herrschen in einer relativ schmalen, bis gegen die Donau heranführenden Zone stark südbair. bestimmte Sprachverhältnisse (vgl. Karte 1), die schwerlich etwa als Ergebnis von „ V o r s t ö ß e n " aus dem südlichen Alpenraum zu deuten wären. Handelt es sich bei derartigen randständig be-

490

VI. Areale Aspekte

wahrten rückzugsbair. Merkmalen gar um einstmals gemeinobd. Erscheinungen (3.1.), so kommt es (synchronisch) zu Übereinstimmungen zwischen Westbair. und Alemannisch, die (diachronisch) ein Vordringen von Alemannismen vortäuschen können, etwa bei alemannisch-westbair. fescht ,fest'. (b) Auch der Ν des O o b d . kann, seiner Randlage entsprechend, zentralbair. Innovationen zurückweisen und dadurch Übereinstimmung mit dem S herstellen. So beschränkt sich etwa die /Vokalisierung (Karte 4) mit Hotz für Holz auf den innerbair. Bereich der Isar-Donau-Achse von München bis Wien, wogegen die gesamte Peripherie den älteren Lautstand bewahrt hat. Weitere Faktoren bei der Binnendifferenzierung des O o b d . sind einerseits das Neuerungszentrum Wien, das vom Mittelalter bis in die jüngste Vergangenheit sprachliche Veränderungen in unterschiedlicher Intensität ausgestrahlt und damit u. a. Niederösterreich zu einer gewissen Sonderstellung verholfen hat, andererseits die als „oberösterreichische Beharrsamkeitsbrücke" bezeichnete, quer zur Donaustraße vom Salzkammergut über Linz zum Mühlviertel sich erstrekkende Zone, die ebenfalls zu Archaisierungen neigt. Was die Erkundung bzw. Deutung weiterer kleinräumiger Dialektausgliederungen unter Be-

rücksichtigung der Koordinaten „Verkehrsweg" und „Territorialgrenze" angeht, so ist trotz erfolgreicher Einzeluntersuchungen (etwa durch I. Reiffenstein für Salzburg) eine zusammenfassende Darstellung derzeit noch nicht möglich. 4. Zum

Forschungsstand

Das Oobd.-Bair. ist seit den Anfängen der modernen Dialektologie (J. A. Schmeller) besonders intensiv erforscht worden, und zwar verhältnismäßig früh auch unter großräumigen Aspekten. Vor allem die Wiener Schule (zuletzt E . Kranzmayer) hat wichtige historiolinguistische Methoden erarbeitet (neben der Bearbeitung schriftlicher Quellen vor allem Lehnwort- und Ortsnamenforschung) und dabei auch diatopische Kriterien (Sprachinselforschung) mit Erfolg herangezogen. Die konsequente Anwendung einer wortsoziologischen Methode, die den diachronietheoretischen Gegensatz zwischen autochthoner Sprachentwicklung und verkehrsdynamisch determinierter Sprachausbreitung wissenschaftlich operationalisiert, ermöglicht nunmehr eine diachronisch-historiolinguistische Beurteilung synchronisch-gegenwartssprachlicher Sachverhalte. Als wesentliche Desiderata gelten nach wie vor ein abschließendes modernes Wörterbuch insbes. für den W des Dialektraums sowie eine zusam-

54. Deutsche Sprachinseln menfassende Darstellung der diatopischen Verhältnisse (Bairischer Sprachatlas). J. Bibliographie

(in

Auswahl)

Bayerisch-Österreichisches Wörterbuch. 1. Österreich. Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich. Wien 1963 ff. R . Freudenberg, Opposition und Distribution von oberdt. st ist. Zur Entwicklungsgeschichte von deutschmundartlich fest ,fest*. In: Proc. Inter. Congr. of Phonetic Sciences V . Basel, New York 1965, 300-305. R. Freudenberg, Bairische Mundartforschung. In: Germanische Dialektologie. Hrsg. von L. E . Schmitt. Wiesbaden 1968, 3 0 - 7 4 . R . Freudenberg, Der alemannisch-bairische Grenzbereich in Diachronie und Synchronic. Studien zur oberdeutschen Sprachgeographie. Marburg 1973. T h . Frings, Aufbau und Gliederung des deutschen Sprachgebietes. I n : Ders., Grundlegung einer Geschichte der deutschen Sprache. 3. Aufl. Halle/S. 1957, 3M5. M. Hornung u. F. Roitinger, Unsere Mundarten. Eine dialektkundliche Wanderung durch Österreich. Wien 1950. E . Kranzmayer, Historische Lautgeographie des gesamtbairischen Dialektraumes. Wien 1956. F.. Kranzmayer, Die bairischen Kennwörter und ihre Geschichte. Wien 1960.

54. Deutsche Sprachinseln 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

Sprachinseln und ihre Erforschung Entstehung von Sprachinseln Konstituierung des Sprachinseldialekts Bewahrung alter Sprachzustände im Sprachinseldialekt Innovationen des Sprachinseldialekts Sprachgeographische und sprachsoziologische Differenzierung in Sprachinseln Existenzbedingungen für den Sprachinseldialekt Binnensprachinseln der Neuzeit um 1930 Außensprachinseln des Mittelalters um 1930 Außensprachinseln der Neuzeit um 1930 Bibliographie (in Auswahl)

1. Sprachinseln

und ihre

Erforschung

Sprachinseln sind punktuell oder flächenhaft auftretende, relativ kleine geschlossene Sprach- und Siedlungsgemeinschaften in einem anderssprachigen, relativ größeren Gebiet. Unter linguistischen Aspekten unterscheidet man je nach der umgebenden Kontaktsprache Außensprachinseln im fremdsprachigen und Binnensprachinseln im abweichend-dialektalen eigensprachigen Gebiet. Da mit der sprachlichen vielfach eine ethnische und kulturelle Verschiedenheit verbunden ist, spricht man aus ethnokultureller Sicht auch von Kolonien bestimmter Herkunft. Nach den Entstehungszeiten in verschiedenen Perioden der allgemeinen Geschichte und der deutschen Sprachgeschichte

491

M . Lexer, Kärntisches Wörterbuch. Leipzig 1862. 0 . Maußer, Ergebnisse und Aufgaben der Mundartenforschung in Bayern. In: Bayer. Hefte f. Volkskde 5. 1918, 145-176. W . Mitzka, Hochdeutsche Mundarten. In: Deutsche Philologie im Aufriß. Hrsg. v. W . Stammler, Bd. 1. 2. Aufl. Berlin 1957, 1599-1728. W . Mitzka, Bairisch. In: Wortgeographie und Gesellschaft. Hrsg. von W . Mitzka. Berlin 1968, 185-210. 1. Reiffenstein, Salzburgische Dialektgeographie. Gießen 1955. J . Schatz, Wörterbuch der Tiroler Mundarten. Innsbruck 1955 f. J . A. Schmeller, Die Mundarten Bayerns grammatisch dargestellt. München 1821 (Neudr. mit Registerband hrsg. von O . Maußer. München 1929 f.). J . A. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch. 2. Ausg. bearb. von G . K. Frommann. München 1872-77. (Neudr. 1961). Tirolischer Sprachatlas. Hrsg. von Κ . K. Klein u. L. E . Schmitt. Innsbruck, Marburg 1965/69. Unger-Khull, Steirischer Wortschatz. Graz 1903. P. Wiesinger, Phonetisch-phonologische Untersuchungen zur Vokalentwicklung in den deutschen Dialekten. 2 Bde. Berlin 1970, insbes. 2, 303-318 ( „ D a s Bairische").

Rudolf

Frendenberg,

Marburg

trennt man mittelalterliche Sprachinseln des 12.14. Jhs. von neuzeitlichen seit dem 16. J h . , insbesondere des 18. Jhs. Während im Mittelalter deutsche Außensprachinseln nur in den benachbarten Grenzlandschaften und im Osten als Ausläufer der Ostsiedlung entstanden, erfüllen die neuzeitlichen Außensprachinseln ganz Südost- und Osteuropa und bildeten sich auch in Ubersee. Die Erforschung der Sprachinseln teilen sich in relativer Selbständigkeit die Dialektologie in bezug auf die Sprachverhältnisse, die Volkskunde hinsichdich der ethnokulturellen Erscheinungen und die historische Landeskunde bezüglich der Siedlungs-, Territorial-, Sozial- und Wirtschaftsverhältnisse. Im Mittelpunkt dialektologischer Forschungen stehen synchron die Erfassung der Sprachstrukturen und der Interferenzen mit der Kontaktsprache und diachron die Klärung der Zusammenhänge mit dem Ursprungsgebiet.

2. Entstehung

von

Sprachinseln

Sprachinseln entstehen durch einmaligen oder zeitlich gestuften mehrmaligen Einzug kleinerer oder größerer binnenländischer Bevölkerungsgruppen gleicher oder verschiedener räumlicher oder dialektaler Herkunft in bislang gar nicht oder nur schwach besiedelte, anderssprachige Gebiete. Im allgemeinen handelt es sich um Bauern und

492

VI. Areale Aspekte

Handwerker, gebietsweise auch um Waldarbeiter und Bergleute. Die Motive der Abwanderung sind mannigfaltiger Art. H a t man f ü r die mittelalterliche Abwanderung früher die Ursachen meistens im Binnenland gesucht und dafür BevölkerungsÜberschuß, wirtschaftliche N ö t e , kriegerische Bedrohungen, soziale Unterdrückung und Rechtlosigkeit verantwortlich gemacht, so betont man heute die von der Ferne ausgehenden Antriebe. Vielfach waren Grundherren bestrebt, bisher ungenutztes Land zur Vermehrung ihrer wirtschaftlichen Gewinne roden und kultivieren zu lassen, im Falle des Vorkommens von Bodenschätzen Bergleute zur Aktivierung des Bergbaus zu gewinnen oder in angriffsoffenen Lagen Wehrsiedlungen zum Schutz ihres Landes anzulegen. In jedem Fall nützten die fremden Grundherren die technische Erfahrenheit der Deutschen in Rodung, Bergbau und Kriegshandwerk und gewährten den oftmals angeworbenen Siedlern für ihre Leistungen besondere Rechte und Freiheiten wie niedere Gerichtsbarkeit, freie Richter- und Pfarrerwahl, Markt-, Zoll- und Abgabefreiheiten und Vergünstigungen im Wehrdienst. Bei der neuzeitlichen Abwanderung verbanden sich binnen- und fremdländische Antriebe, indem vor allem ausreichende Ausstattung mit G r u n d und Boden vor wirtschaftlicher Verarmung durch Erbteilungen schützte, Rechte und Freiheiten die wirtschaftliche Ausnützung durch die Großgrundbesitzer und die militärische durch die Landesherrn beendeten und garantierte Religionsfreiheit Protestanten und Sektierer vor der Zwangsrekatholisierung bewahrte. Sicherlich lockten auch Gewinnsucht und Abenteuerlust in die von Werbern vorteilhaft geschilderte Fremde. Auch von Sprachinseln selbst können vor allem wegen Bevölkerungsüberschusses und dadurch hervorgerufene wirtschaftliche Schwierigkeiten Neugründungen durchgeführt werden. Man spricht dann im Hinblick auf den Entstehungszusammenhang von primären und sekundären Sprachinseln oder von Mutter- (oder Stamm-) und Tochterkolonien. Letzterer Terminus wird auch im Falle der Siedlerherkunft aus verschiedenen Inseln angewandt, wobei die stärkste Gruppe wegen ihrer prägenden Kraft als ausschlaggebend betrachtet wird. Wirtschaftliche, politische oder religiöse Schwierigkeiten können gelegentlich überhaupt zur Weiterwanderung einer gesamten Sprachinsel führen, manchmal, wie im Falle der Sekte der Hutterer, sogar zu öfterem Ortswechsel, was man mit „mobile Sprachinsel" zu charakterisieren versucht (vgl. Rein 1977). N u r teilweise ist es der Forschung möglich, anhand historischer Dokumente die H e r k u n f t und Entstehung von Sprachinseln einwandfrei zu klären. Beim Fehlen derartiger historischer Materia-

lien wird die Heimatbestimmung primärer Inseln mit Hilfe der Sprache durch dialektgeographische Vergleiche mit dem Binnenland festzustellen versucht. 3. Konstituierung

des

Sprachinseldialekts

Die von den einzelnen ausgewanderten Gruppen mitgebrachten, mehr oder minder gleich- oder verschiedenartigen Dialekte gleichen sich bald nach der Konstituierung einer neuen Gemeinschaft wohl schon in der zweiten/dritten Generation zu einem neuen, selbständigen Dialekt aus. Dieser wird zur Zeit seiner Konstituierung dem Dialekt des binnenländischen Ursprungsgebietes um so ähnlicher sein, je enger und sprachgeographisch undifferenzierter der Herkunftsbereich der Siedler ist. Bei heterogener Siedlerherkunft werden der Dialekt der Mehrheit, Übereinstimmungen zwischen den verschiedenartigen Dialekten sowie eine eventuell vorhandene, ausgleichende höhere Sprachschicht (Verkehrsdialekt, Umgangssprache) prägend wirken, während die abweichenden Dialekte kleinerer Gruppen nur einen beschränkten Anteil zum Sprachausgleich beizusteuern vermögen. D a sich der Sprachausgleich zunächst punktuell innerhalb einer Gemeinschaft vollzieht, können in arealen Sprachinseln bei heterogener Siedlerherkunft in den einzelnen Orten unterschiedliche Dialekte entstehen, was vielfach in neuzeitlichen Sprachinseln der Fall ist. Nach seiner Konstituierung nimmt der Sprachinseldialekt seinen eigenen, vom Dialekt des Ursprungsgebietes unabhängigen Entwicklungsgang. Vielmehr tritt er in Kontakt mit der umgebenden Sprache, mit der er Interferenzen bildet, und beginnen in arealen Sprachinseln mit unterschiedlichen Dialekten teilweise ausgleichende Beziehungen untereinander. Trotz der Innovationen in der Sprachinsel und im binnenländischen Ursprungsgebiet gibt es genügend Ubereinstimmungen, die der Dialektologie die sprachliche Klassifizierung und teilweise auch die Eingrenzung des mutmaßlichen Herkunftsraumes erlauben. Vielfach stand die Herkunftsbestimmung im Mittelpunkt der Sprachinselforschung, die durch Vergleich der gegenwärtigen Sprachzustände, seit ca. 1890 anhand der Laut- und Formengeographie und seit ca. 1940 auch unter Verwendung der Wortgeographie, durchgeführt wurde. Protagonisten dieser Methodik waren Kisch (1893) bei den Siebenbürgern, Böhmer (1909) und Ehrhardt (1912/19) als Schüler von Wrede bei Binnensprachinseln, Lessiak (1914, 1944) bei den südbairischen Sprachinseln und Bohnenberger (1913) bei den Waisern. Naturgemäß kann diese Frage nur bei räumlich und dialektal relativ einheitlicher Siedlerherkunft wie im Falle der meisten Walserkolonien und der südbairischen Sprachinseln überzeugend gelöst wer-

54. Deutsche Sprachinseln

den. Bei heterogener Siedlerherkunft verhindert der Sprach ausgleich eine exakte Bestimmung des Ursprungsgebietes, worauf schon Böhmer (1909) und später besonders Schirmunski (1930) aufmerksam machten. N u r bei möglicher Mitverwendung historischer Quellen über die Siedlerherkunft können die unterschiedlichen Anteile der einzelnen Gruppen einigermaßen befriedigend aufgeschlüsselt werden. Bei sekundären Sprachinseln ist zwar die dialektale Klassifizierung möglich, aber bezüglich der Herkunft nur die Feststellung der Zusammenhänge mit der Mutterkolonie bzw. bei Entstehung durch Siedlermischung wieder die Aufschlüsselung der unterschiedlichen Anteile sinnvoll. 4. Bewahrung alter Sprachzustände im Sprachinseldialekt Wegen seiner räumlichen Trennung macht der Sprachinseldialekt spätere binnenländische Dialektinnovationen nicht mehr mit, sondern hält am mitgebrachten Zustand fest, wobei besonders auf der phonetischen und morphologischen Ebene parallele Erscheinungen der Kontaktsprache stützend wirken können. Die Konservativität gegenüber dem Binnenland ist bei mittelalterlichen Sprachinseln wegen der frühen Trennung naturgemäß größer als bei neuzeidichen. So bewahrt das im 12. Jh. entstandene Zimbrische der Sieben Gemeinden gegenüber dem südbairisch-westtirolischen Ursprungsgebiet im Laut- und Formenstand u.a. die Umlautrundung (hütta ,Hütte', rökxe ,Röcke'); das neutrale a, ä (plat ,Blatt', nät ,Naht'); die Kürze in offener Silbe (legan .legen'); ungeschwächte, unbetonte aus- und inlautende Vokale (kxqze ,Käse', hano ,Hahn', tsurjqa ,Zunge', vröl\ .Fräulein', ρςζοπιο ,Besen', galeget ,gelegt'); die Auslautverhärtung (takx: deme tage , der Tag: dem Tage'); die alveolopalatale Artikulation von mhd. s gegenüber der alveolaren von mhd. 3 (half's ,Haus' :ai/s ,aus'); anlautendes mhd. s vor /, m, n, w, p, t (zläfan ,schlafen', zmit ,Schmied", spqkx .Speck','stal .Stall'); stimmhaftes anlautendes mhd. ν (vuks ,Fuchs'); resthaft den Genitiv (dar hüt iz vat3rs ,der H u t des Vaters') und das Präteritum (ix rit ,ich ritt'). Bei der Bewahrung des neutralen a, ä, der ungeschwächten unbetonten Vokale, des anlautenden s vor Konsonanten und des anlautenden stimmhaften ν mögen dieselben Erscheinungen der romanischen Kontaktsprache stützend gewirkt haben. Die Konservativität betrifft auch das Lexikon, wo oft Wörter fortleben, die im Binnenland längst ausgestorben sind, z.B. im Zimbrischen der Sieben Gemeinden kxödan .sagen' (ahd. quedan), megalan .heiraten' (ahd. mahalen), srät ,Milchstrahl' (ahd. skrät). Die sprachliche Konservativität der mittelalterlichen Sprachinseln gegenüber dem neuernden Binnen-

493

land wurde von der historischen Dialektologie vielfach zur Rekonstruktion älterer Sprachzustände und zur Datierung sprachlicher Veränderungen und damit als sprachhistorische Quelle genutzt (Lessiak, Kranzmayer, Schwarz). Trotzdem darf das sprachliche Eigenleben der Sprachinseln nicht übersehen und dürfen diese nicht in einseitiger Beurteilung zu ,Sprachmuseen' erklärt werden. 5. Innovationen

des Sprachinseldialekts

Die Innovationen des Sprachinseldialekts vollziehen sich entweder autochthon oder als Interferenz mit der Kontaktsprache oder bei dauernder Gültigkeit der deutschen Schrift- und Standardsprache auch im Rahmen der allgemeinen deutschen Sprachentwicklung. Sie betreffen alle sprachlichen Ebenen. Bei autochthonen lautlichen Innovationen werden trotz der räumlichen Trennung oftmals Übereinstimmungen mit dem Ursprungsgebiet als Polygenese auf Grund gleicher Voraussetzungen beobachtet. Sie lassen sich bei dialektgeographischer Differenzierung einer Sprachinsel mit Hilfe noch bewahrter Zwischenstufen des genetischen Entwicklungsprozesses in Randzonen und mit Hilfe von Lehnwörtern aus der Kontaktsprache nachweisen, die noch mit der älteren Lautung entlehnt wurden und den Wandel mitmachten. So ist im Südbairischen und im Zimbrischen der Sieben Gemeinden qv für bair.-mhd. ai über noch in Foza relikthaft bewahrtes Qi polygenetisch entstanden, da auch romanische Entlehnungen diese Innovation aufweisen (plaido > plqvde .Rechtsstreit'). Lautliche Innovationen können auch über den Stand des Ursprungsgebietes hinausgehen. So werden in Teilen des Siebenbürgischen mhd. ei-ou > l-ü (sif,Seife', üx ,Auge'), während das nördl. Moselfränkische noch die Vorstufe e-ö bewahrt. Auch auf der syntaktischen und der lexikalisch-semantischen Ebene gibt es autochthone Innovationen. So bilden die westlichen Graubündner Walserkolonien den irrealen Konditionalsatz ohne Konjunktion mit der Inversion des Infinitivs und dem Konjunktiv von .tun' als verbum finitum (am bestä wä's, mä sägä tat mä's ,am besten wäre es, man täte es mir sagen'). Die südliche Walserkolonie Saley hat lexikalische Innovationen wie Briefuhemd für ,Briefumschlag' und Strahleraug für ,Sonne' hervorgebracht. Im zimbrischen Giazza vollzogen bei fehlendem Ackerbau patfgan, drpsan mit den südbair. Bedeutungen .bauen = pflügen', .dreschen' den Bedeutungswandel zu .durch den Schnee waten', .Bäume schütteln'. Die Innovationen unter dem Einfluß der Kontaktsprache als Interferenzen mit fremden Dialekten und fremder Standardsprache bei Außen-

494

VI. Areale

Aspekte

sprachinseln und mit dt. Nachbardialekten und nhd. Standardsprache bei Binnensprachinseln führen zu Umstrukturierungen auf allen E b e n e n . Interferenzen als gegenseitige Anpassung verschiedener Sprachen beruhen auf S p r a c h ö k o n o mie zur Erleichterung der sprachlichen K o m munikation im mehrsprachigen G e b i e t und k ö n nen vor allem auf der phonetischen E b e n e zu sog. ,Sprachbünden' mit identischem Inventar führen. Sie werden von zunehmendem Bilingualismus gefördert und erzeugen bei natürlichem Fortschreiten eine Mischsprache als letzte Stufe der Selbständigkeit v o r dem Aufgehen im anderen I d i o m . Als Beispiel sei aus dem südbair. Zarz der deutschslowenische Mischdialekt der mittleren und jüngeren Generation um 1920 angeführt, die den rein deutschen Satz der älteren Generation dijza qltn läife nt genoumen a sirwele ν air, D i e s e alten L e u t e haben ein Schäufelchen Feuer g e n o m m e n ' nach slowenisch-dialektalem teste stäre hdi sa uzesle subltsa uöyna zu teste stäre läife sa n&male sirbala ναίχα slowenisierten. A m zugänglichsten ist die lexikalisch-semantische E b e n e mit der A u f n a h m e von L e h n w ö r t e r n besonders aus den Bereichen Verwaltung, Handel, V e r k e h r und Wirtschaft, aber auch aus dem Alltagsleben. So bestand der zimbrische W o r t s c h a t z von Lusern um 1900 bereits aus einem Drittel r o m . L e h n w ö r t e r . F e r n e r vollzieht sich ein B e d e u tungswandel des Erbwortschatzes (ζ. B . in Lusern obröm neben . w a r u m ? ' auch ,weil' nach ital. perche, hqvrn neben , h ö r e n ' auch ,fühlen' nach ital. sentire; in der Walserkolonie B o s c o - G u r i n tsit neben ,Zeit' auch . W e t t e r ' nach ital. tempo, tsurjge neben .Zunge' auch .Sprache' nach ital. lingua). G e g e n ü b e r L e h n w ö r t e r n zeigen Lehnübersetzungen zwar n o c h eigene sprachliche Schöpferkraft, aber gleichzeitig wie der Bedeutungswandel die geistige Anpassung an die K o n t a k t s p r a c h e ( z . B . in der Walserkolonie Issime hybsp atft . G r o ß vater' nach franz. le beau pere; im zimbrischen G i a z z a darmaxxan .zerstören' nach ital. disfare, vratfla .Wiesel' nach ital. donnola). Sie leiten über zur Lehnübersetzung von Phrasen (ζ. B . in Lusern dpr khiit vö ja ,er sagt ja' nach ital. egli dice di si; in der Walserkolonie Alagna frou ds Iqbi} .zufrieden sein' nach ital. contento della vita; in der W a l serkolonie Issime ijc bi/ι slqxts .ich stehe' nach franz. je suis debout). In der Syntax erfolgt A n passung an die Satzgliedstellung und Ü b e r n a h m e von K o n s t r u k t i o n e n . So weist in Lusern der N e bensatz die Satzgliedfolge des Hauptsatzes auf (da muvtxr, bo de hat ggsuvnt za( kbin ,die M u t ter, die ihr K i n d betrauert hat' nach ital. la madre, che ha pianto suo figlio) und wird das Passivum wie im Ital. mit . k o m m e n ' gebildet (z höbe khint g s m e n t ,das H e u wird gemäht' nach ital. il fieno vierte falciato). In der M o r p h o l o g i e erfolgen V e r änderungen des G e n u s der Substantiva ( z . B . in

der Walserkolonie G r e s s o n e y der synno ,die Sonne' nach ital. il sole, in der Walserkolonie Saley der tsit .die Zeit' nach ital. il tempo, in L u sern dv opfrr .das O p f e r ' nach ital. la offerta) und der Verbalbildung, z . B . im zimbrischen G i a z z a die Schaffung einer eigenen reflexiven K o n j u g a tionsklasse nach dem ital. Infinitiv mit suffigiertem R e f l e x i v p r o n o m e n : leigasi ,sich niederlegen' nach coricarsi (liigami, leigasti, leigatsi . . . .ich lege mich nieder', ,du . . . ' ) . In der Lautentwicklung vollziehen sich parallele W a n d l u n g e n , wie ζ. B . im zimbrischen G i a z z a die Entpalatalisierung von ü > u (hutte ,Hütte', Lifte . L e u t e ' , huste , H ü t e ' ) und in der Walserkolonie Issime die D i p h t h o n g i e r u n g von i — ü — ü > ei - ou - öii (tseit ,Zeit', bout , H a u t ' , höüt , H ä u t e ' ) ; Angleichungen an ähnliche Artikulationen der Fremdsprache, wie z . B . in der Walserkolonie Rimella ie - üö > ie - üö, iö nach ital. ie — uo (vien ,vier', süö, siö , S c h u h ' ) , in der W a l serkolonie G r e s s o n e y die Aufgabe der dem Ital. fremden Affrikata pf > / oder ρ (fanna . P f a n n e ' , pqffer .Pfeffer') und in G i a z z a die Moullierung von / nach Plosiven u n d / z u Ij, j, (pljats . P l a t z ' , fjais ,Fleisch', vgl. ital. piazza, fiore), assoziative Anlehnungen von Einzelwörtern an bedeutungsgleiche und lautähnliche Entsprechungen, z . B . in G i a z z a haspal .Haspel' > aspal nach ital. aspa, nus , N u ß ' > nos nach ital. noce; sowie die Anpassung der Intonation. Gerade in phonetischer Hinsicht erzeugt Bilingualismus durch Unsicherheit eine relativ große Variationsbreite der Realisierung von P h o n e m e n . Als Angleichung an die K o n t a k t s p r a che sind auch Neutralisierungen naher P h o n e m oppositionen zu verstehen. So besaß die pfälzische Binnensprachinsel Viereck um 1880 im V o kalismus n o c h ein Vierecksystem mit den 3 P h o nemreihen läl - läl:ΙξΙ - IQI:lel - löl, das später unter nd. Einfluß durch die Neutralisierung von läl: Iql > ΙςΙ in ein D r e i e c k s y s t e m gewandelt wurde und nun unter dem Einfluß der nhd. Standardsprache auch die O p p o s i t i o n ΙΞΙ — IQI : lel - löl > lel - löl neutralisiert. D i e T r e n n u n g von autochthonen und k o n t a k t bedingten Innovationen wurde von der bisherigen F o r s c h u n g nur ungenügend durchgeführt, wie überhaupt die P r o b l e m e des Sprachkontaktes und der Interferenzbildung zu wenig Beachtung fanden. E i n e brauchbare M e t h o d e zur Feststellung autochthoner lautlicher Neuerungen als Polygenese entwickelte K r a n z m a y e r ( 1 9 6 3 ) am Beispiel bairischer Sprachinseln. W ä h r e n d die Erfassung von L e h n w ö r t e r n seit jeher üblich ist, wurden syntaktische, morphologische und phonetische Interferenzen zunächst nur in der Walserforschung von S z a d r o w s k y ( 1 9 3 1 ) , Gysling ( 1 9 4 1 ) und H o t z e n k ö c h e r l e ( 1 9 5 6 , 1971) verfolgt und werden erst jetzt intensiver aufgegriffen, u. a. in Siebenbürgen ( K r o n e r 1973), in Pladen von H ö r -

54. Deutsche Sprachinseln nung (1977) und im Zimbrischen von Heller (1978) und Meid (1979). 6. Sprachgeographische und sprachsoziologische Differenzierung in Sprachinseln In sprachgeographischer und -soziologischer Hinsicht muß zwischen punktuellen und arealen und zwischen Außen- und Binnensprachinseln unterschieden werden. Eine dialektgeographische Differenzierung fehlt im allgemeinen den punktuellen Sprachinseln. Nur bei offener Siedlungsform in Weilern oder Einzelgehöften können sich minimale Differenzierungen anbahnen, wie in der Walserkolonie Rimella (süö ~ siö ,Schuh', sgfhart ~ säßart .Schafhirte', "setsir ~ sätsil .Küchenstuhl'). Dagegen findet sich eine solche in arealen Sprachinseln, die entweder auf die Besiedlung oder auf spätere Sprachneuerung und -bewegung oder auf beides zurückgeht. In großarealen Sprachinseln bilden sich dabei wie im Binnenland je nach der Verkehrslage innovationsfreudige aktive Kernund konservative passive Randgebiete mit vermittelnden Übergangszonen. Areale Sprachinseln sollten daher zur Vermeidung falscher Interpretationen stets in ihrer Gesamtheit und nicht, wie es vielfach geschehen ist, in punktueller Auswahl untersucht werden. Eine sprachsoziologische Schichtung zwischen Dialekt und nhd. Standardsprache/Schriftsprache ist den Binnensprachinseln, einzelnen nahe dem Binnenland gelegenen punktuellen oder kleinarealen Außensprachinseln (Kostenthal, Schönwald, Dt. Brodek - Wachtl) sowie großarealen Außensprachinseln eigen. Dort dient der Dialekt als Alltagssprache, während sich das öffentliche Leben (Kirche, Schule, Verwaltung) in der Standardsprache/Schriftsprache vollzieht. In vieldialektalen, großarealen Außensprachinseln tendiert oftmals die mobile mittlere und jüngere Generation zu einem die Unterschiede überbrückenden Verkehrsdialekt, was mit der Zeit zu Sprachausgleich führt. In Binnensprachinseln wird teilweise im Verkehr mit der engeren Umgebung der dort übliche Verkehrsdialekt oder die Umgangssprache verwendet, z . B . in den Pfälzischen Kolonien in Pommern das Plattdeutsche. Lediglich in Städten als kulturellen und wirtschaftlichen Zentren großarealer Außensprachinseln findet sich eine der Sozialschichtung konforme Sprachschichtung. So gebrauchen meist die unteren Schichten einen vom sonstigen ländlich-bäuerlichen Sprachinseldialekt mehr oder minder abweichenden Stadtdialekt, die mittleren Schichten kennen einen vom nächstgelegenen Binnenland abhängigen Verkehrsdialekt und die höheren Schichten dessen Umgangssprache, wie dies ζ. B. für Iglau, Brünn und Bielitz nachgewiesen wurde. Gerade der Verkehrs-

495

dialekt strahlt dann oftmals auf die engere ländliche Umgebung der Stadt aus. Solchen Sprachinseln ist daher in beschränktem Umfang die Teilnahme am höherschichtigen binnenländischen Sprachleben möglich, was in der bisherigen Forschung nicht immer genügend berücksichtigt wurde. Eine andere sprachsoziologische Schichtung begegnet in punktuellen und kleinarealen Außensprachinseln ohne Gültigkeit der nhd. Standardund Schriftsprache. An deren Stelle tritt im öffentlichen Leben die fremde Standard- und Schriftsprache, während im Verkehr mit der fremdsprachigen Umgebung oftmals deren Dialekt als Verkehrsdialekt gebraucht wird. So kommt es dort nicht nur zum Bilingualismus sondern teilweise sogar zum Multilingualismus wie in der südbair. Zahre mit Italienisch und Friulanisch und in den Walserkolonien Issime und Gressoney mit Italienisch, Piemontesisch und Französisch. Dieser durchwegs seit der 2. Hälfte des 19. Jhs. übliche Bi- und Multilingualismus drängte das dt. Idiom vielfach von der Verwendung als Alltagssprache zurück auf die Stufe einer nur mehr familiär gebrauchten Haussprache (z.B. Walserkolonien und Zimbrische Sprachinseln in Oberitalien). Nur gelegentlich begegnen in Sprachinseln Sondersprachen mit funktional beschränkter Verwendung. So besitzt z . B . die Sekte der Hutterer in Nordamerika neben dem Dialekt und einer allerdings veralteten Form der Standardsprache für religiöse Belange eine eigene, durch spezifische Lautgebung gekennzeichnete „Predigtsprache" (vgl. Rein 1977). 7. Existenzbedingungen

für den

Sprachinseldialekt

Während in großarealen Außensprachinseln die hohe Bevölkerungszahl und seit jeher der Bezug zur nhd. Schrift- und Standardsprache die Existenz des Sprachinseldialekts gewährleisten, sind in punktuellen und kleinarealen Binnen- und Außensprachinseln weitere Voraussetzungen für dessen Existenz nötig. Grundbedingung ist trotz der neuerlichen Infragestellung seitens der Sprachinselvolkskunde (vgl. Weber-Kellermann 1977) eine sozial homogene, geschlossene Gemeinschaft selbstbewußter, kulturell eigenständiger Art, die sich trotz der Kontakte von ihrer andersartigen Umgebung bewußt absondert. Dieses Gemeinschaftsbewußtsein, das vielfach durch Jahrhunderte die Sprachinselexistenz gesichert hat, kann durch äußere Faktoren gefördert werden wie Verkehrsabgeschlossenheit in den hochalpinen südlichen Walserkolonien, politische Selbständigkeit wie in den zimbrischen Sieben Gemeinden, ethnische Abkapselung mit Vermeidung von Fremdheirat wie im ostmitteldt. Schönwald bei Gleiwitz und abweichende Religionszugehörig-

496

VI. Areale Aspekte

keit wie Katholizismus in der pfälzischen Binnenkolonie Viereck gegenüber der protestantischen Umgebung oder umgekehrt in der pfälzischen Kolonie am Niederrhein bei Kalkar. Der Abbau dieser Eigenständigkeit und Unabhängigkeit beeinträchtigt auch den Sprachinseldialekt. Die allmähliche Integration in die Umgebung durch Biund Multilingualismus führt sprachlich zu zunehmender Interferenzbildung und Anpassung an die Kontaktsprache und über eine Mischsprache schließlich zur natürlichen Auflösung als sprachinterner Prozeß („Sprachtod"), wie sich dies in der südlichen Walserkolonie Ornavasso um 1850 und im südbairischen Zarz um 1940 als Außensprachinseln sowie in der Tiroler Walserkolonie Galtür um 1860 und in den ober- und niederbayrischen pfälzischen Kolonien bei Neuburg, Pfaffenhofen und Rosenheim nach 1918 als Binnensprachinseln abspielte. Dagegen bedingt die rasche, plötzliche Umorientierung den Untergang des Sprachinseldialekts als sprachexterner Prozeß. öfters verbinden sich beide Prozesse wie gegenwärtig in der Walserkolonie Rimella und im zimbrischen Giazza. Besonders seit 1918 erfolgte bei mehreren punktuellen Sprachinseln vor allem in Italien, Jugoslawien und Polen der rasche Niedergang durch äußere Faktoren wie Aufgabe der Selbstversorgerwirtschaft, starke Mobilität durch auswärtige Beschäftigung (Pendler, Saison- und Gastarbeiter), Fremdheirat, Bevölkerungsrückgang durch Abwanderung der Jüngeren und Geburtenrückgang sowie Verkehrserschließung mit teilweiser Einführung des Fremdenverkehrs, wobei seit 1850 der fremdländische Nationalismus durch Deklassierung, Unterdrückung und Bekämpfung der dt. Idiome starken Vorschub geleistet hat. O b der gegenwärtig besonders in Italien mehrerenorts einsetzenden Sprachpflege (BoscoGurin, Gressoney, Issime, Giazza, Lusern) und Revitalisierung (Roana in den Sieben Gemeinden) bei fehlenden äußeren Existenzbedingungen längerer Erfolg beschieden sein wird, bleibt abzuwarten. Bei jeglicher Art der natürlichen Auflösung wirkt der Sprachinseldialekt in der nachfolgenden Sprache als Substrat nach. Er hinterläßt für kürzere Zeit akzentuelle und phonetische Eigenheiten und auf längere Zeit zahlreiche Wörter und örtlichkeitsnamen (Flur- und Bergnamen), die formal als Lehnwörter integriert werden (vgl. Gysling 1968 für Omavasso und Gabriel 1976 für Galtür). Eine künstliche Beendigung der Sprachinselexistenz ohne jegliche sprachliche Nachwirkungen stellt die gewaltsame Aussiedlung zahlreicher dt. Sprachinseln in den ost- und südosteuropäischen Staaten zwischen 1939 und 1946 dar. 8. Binnensprachinseln

der Neuzeit um 1930

A ' : Walserkolonien: 1 Triesenberg in Liechten-

stein (um 1300). 2 Laterns, Damüls, Großes und Kleines Walsertal, Schröcken, Tannberg in Vorarlberg (seit 1313). A2:3 Schwäbische Kolonie bei Kulm (1780-90). B': 4 Tiroler Kolonie Zillerthal bei Hirschberg (1837). B 2 : 5 Oberösterreichische Kolonie Naßwald bei Gloggnitz (1782). D: Pfälzische Kolonien: 6 Am Niederrhein bei Kalkar (1741-43). 7 Veltenhof bei Braunschweig, 8 Viereck bei Pasewalk, 9 Hoppenwalde bei Uckermünde, 10 Wilhelmine-Coccejendorf bei Schlawe (1747-49). Κ: 11 Erzgebirgische Kolonie im Oberharz um Clausthal-Zellerfeld (1520-1620). Lit.: R . Ehrhardt: Die schwäbische Colonie in Westpreußen. Marburg 1919 (1912). Th. Siebs: Die Sprache der Tiroler in Schlesien. In: Mitt. d. schles. Gesellsch. f. Volkskd. 8, 1906, 105-128. W . Glattauer: Strukturelle Lautgeographie der Mundarten im südöstlichen Niederösterreich und in den angrenzenden Gebieten des Burgenlandes und der Steiermark. Wien 1978. E. Böhmer: Sprach- und Gründungsgeschichte der pfälzischen Colonie am Niederrhein. Marburg 1909. W . Veith: Kuseler Mundart am Niederrhein - Ein dialektgeographischer Irrtum. In: Z D L 36. 1969 . 6 7 - 7 9 . P. Wiesinger: Phonetisch-phonologische Untersuchungen zur V o kalentwicklung in den dt. Dialekten. Berlin 1970. D . Karch: Braunschweig-Veltenhof - Pfälzische Sprachinsel im Ostfälischen. Tübingen 1978. E . Borchers: Sprach- und Gründungsgeschichte der erzgebirgischen Kolonie im Oberharz. Marburg 1927.

9. Außensprachinseln

des Mittelalters

um 1930

A ' : Walserkolonien in Oberitalien: 12 Issime, Gressoney, Alagna, Macugnaga, Rima, Rimella (1220-90). 13 Pomat, Saley, Ager, Bosco-Gurin (um 1210). Walserkolonien in Graubünden: 14 Rheinwald, Safien, Tenna, Tschappina, Vals, Mutten, Versam, Valendas (1270-1380). I i Obersaxen (um 1300). 16 Avers (um 1370). 17 Davos (um 1280). L i t . : Η . Kreis: Die Walser - Ein Stück Siedlungsgeschichte der Zentralalpen. Bern 1958, 2 1966. P. Zinsli: Walser Volkstum in der Schweiz, in Vorarlberg, Liechtenstein und Piemont. Frauenfeld 1968, : 1 9 7 0 . F.. Fazzini-Giovannucci: Die alemannischen Dialekte im westlichen Norditalien. Wiesbaden 1978. K. Bohnenberger: Die Mundart der deutschen Walliser im Heimattal und in den Außenorten. Frauenfeld 1913, P. Zürrer: Wortfelder in der Mundart von Gressoney. Frauenfeld 1975. G . Frey: Walserdeutsch in Saley. Frauenfeld 1970. C h . Lorez: Bauernarbeit im Rheinwald. Basel 1943. R . Hotzenköcherle: Die Mundart von Mutten. Frauenfeld 1934. L . Brun: Die Mundart von Obersaxen im Kanton Graubünden. Frauenfeld 1918.

B 1 : Zimbrisch: 18 Sieben Gemeinden bei Vicenza (1100). 19 Folgaria, Lavarone (1220) und Luserna (16. Jh.) bei Trient. 20 Dreizehn Gemeinden (Giazza) bei Verona (1280). Lit.: Ε. Kranzmayer: Laut- und Flexionslehre der deutschen Zimbrischen Mundart. Diss, (hand.), Wien 1925. Β . Schwei-

54. Deutsche

Sprachinseln

497

BINNENSPRACHINSELN DER NEUZEIT UND AUSSENSPRACHINSELN DES MITTELALTERS UM 1930

NORDSSEE

Deutsche Dialekte des B A' H ö c h s t - , H o c h - , Niederalemannisch A·' S c h w ä b i s c h B'Nordbairisch Südbairisch C Ostfränkisch Mittelbairisch D Rheinfränkisch I

E

F j 6 j Η | J

innenlandes

Κ L Μ Oberhessisch Ν Ο Moselfränkisch Ρ Ripuarisch Ο Niederhessisch R Thüringisch S Τ Zu den Zahlen der Sprachinseln U vgl die Abschnitte V 8 und 9.

Obersächsisch Schlesisch HochpreuBisch Niederfränkisch Westfälisch Ostfälisch Niedersächsisch Märkisch Mecklenburgisch Mittelpommersch Ostpommersch NiederpreuBisch

Sowjet - Union

Staatsgrenzen von 1930 Deutsche Staatsgrenzen bis 1318 Karte 1 tu Wlesingef: Deutsche Sprachinseln

AUSSENSPRACHINSELN DER NEUZEIT UM 1930

NORDSSEE

A' H ö c h s t - , H o c h - , Niederalemannisch A2 S c h w ä b i s c h B'Nordbairisch B'Südbairisch C Ostfränkisch B* Mittelbairisch D Rheinfränkisch Ε F G Η J

I C

Γ

J

I t a l i e n

c? (

Staatsgrenzen »on I i 30 Deutsche Staatsgrenzen bis '918 Karte 2 tu Wiesinger Deutsche Sprachinseln

?

[\

Κ L Μ Oberhessisch Ν Moselfränkisch Ο Ripuarisch Ρ Niederhessisch Ο Thüringisch R S Zu den Zahlen Τ der Sprachinseln U vgl Abschnitt 10. V

Obersächstsch Schlesisch HochpreuBisch Niederfränkisch Westfälisch Ostfälisch Niedersächsisch Märkisch Mecklenburgisch Mittelpommersch Ostpommersch NiederpreuBisch

498

VI. Areale Aspekte

z e r : Z i m b r i s c h e G e s a m t g r a m m a t i k . 5 B d e ( m a s c h . ) , 1951. J .

A r c h . d. Vereins f . sb. L a n d e s k d e 4 1 .

B a c h e r : D i e d e u t s c h e Sprachinsel L u s e r n . I n n s b r u c k

K l e i n : D i e B i s t r i t z e r M u n d a r t . I n : D D G 2 0 . M a r b u r g 1927,

2

1905,

W i e n 1976. B . S c h w e i z e r : Z i m b r i s c h e S p r a c h r e s t e I : T e x t e

aus G i a z z a . H a l l e 1939.

L i t . : I. B a u e r : S p r a c h l i c h e M o n o g r a p h i e der F e r s e n t a l e r d t . G e m e i n d e n im T r e n t i n o . D i s s , ( m a s c h . ) I n n s b r u c k

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P . L e s s i a k : Z w e i dt. Sprachinseln in F r i a u l : B l a d e n und die In:

Dt.

Erde

13.

1914,

132-137.

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W ö r t e r b u c h d e r dt. S p r a c h i n s e l m u n d a r t v o n pada in K a r n i e n (Italien). W i e n

Hornung: Pladen/Sap-

1972. I. G e y e r : D i e d t .

M u n d a r t von T i s c h e l w a n g ( T i m a u ) in K a r n i e n ( O b e r i t a l i e n ) . D i s s , ( m a s c h . ) , W i e n 1 9 7 6 . P . L e s s i a k : D i e d t . M u n d a r t von Z a r z in O b e r k r a i n . K l a g e n f u r t

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1959.

A.

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1895.

H.

1944,

2

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B : 26 Budweis, 27 Brünn, 28 Wischau, 29 N e b o tein bei Olmütz, 30 Bösing bei Preßburg, 31 Deutsch-Pilsen bei Gran (13. Jh.). 2

L i t . : Ε . S c h w a r z : S u d e t e n d t . S p r a c h r ä u m e . 2 M ü n c h e n 1962. F.

Beranek:

Die

Mundart

von

Südmähren

(Lautlehre).

R e i c h e n b e r g 1936. C . J . H u t t e r e r : D a s u n g a r i s c h e M i t t e l gebirge als S p r a c h r a u m . H a l l e 1963.

[B\ K\·. 32 Iglau ( 1 2 4 0 - 6 0 ) . L i t . : Ε . Schwarz: D i e volksgeschichtlichen Grundlagen der Iglauer V o l k s i n s e l . Prag 1942. R . B u d i n : Iglau - E i n e bairis c h e S p r a c h - und V o l k s i n s e l im o s t d t . R a u m . D i s s , ( m a s c h . ) , W i e n 1941. W . S t o l l e : D e r V o k a l i s m u s in den M u n d a r t e n der Iglauer S p r a c h i n s e l . M ü n c h e n 1969.

[C, B2, L]\33 Schönhengst um Landskron — Zwittau - M . Trübau - Müglitz (1240-90). Lit.: I. Benesch: Lautgeographie der Schönhengster M u n d a r t e n . B r ü n n 1938. A . K r e l l e r : W o r t g e o g r a p h i e des S c h ö n hengster L a n d e s . B r ü n n 1939.

[F, Κ, Β]: Zips (1190-1210): Oberzips um Käsmark mit Hobgarten (L), 35 Unterzips um Schmöllnitz - Göllnitz, 36 Dobschau. Lit.: J .

H.

1 4 5 - 3 1 2 . A . Scheiner: D i e Mundart der Burzenländer Sachsen. M a r b u r g 1922. Κ . K . Klein und L . F.. S c h m i t t : S i e b e n -

B': 21 Fersental bei Trient (1250-1330). 22 Pladen/ Sappada und Zahre/Sauris (13. J h . ) . 23 Tischelwang/Timau (um 1240). 24 Zarz und Deutschruth (1200-1250). 25 Gottschee (1325-60).

Zahre.

1923, 5 2 3 - 6 8 7 .

G r e b : Zipser Volkskunde. Reichenberg

1932.

E.

S c h w a r z : S u d e t e n d t . S p r a c h r a u m e . 2 M ü n c h e n 1962. J . G r e b : A szepesi felföld n e m e t nyelvjäräsa.

Budapest

1906.

G.

M r a z : A dobsinai n e m e t nyelvjaräs. B u d a p e s t 1909.

[7% Κ, B]: Siebenbürgen: 37 Altland um Mühlbach - Hermannstadt - Reps - Mediasch (1150-1310). 38 Nösnerland um Bistritz - Sächsisch-Reen ( 1 1 7 0 - 1200). 39Burzenland um Kronstadt ( 1 2 1 1 25). 40 Broos und Rumes (1150).

b ü r g i s c h - D e u t s c h e r Sprachatlas I , 1, 2 , M a r b u r g 1 9 6 1 - 6 4 .

L: 41 Kostenthal bei Leobschütz (1220), 42 Schönwald bei Gleiwitz (1269). 43 Bielitz und Wilmesau (1250-1300). L i t . : Η . W e i n e l t : S p r a c h e und Siedlung in d e r o b e r s c h l e sischen Sprachinsel K o s t e n t h a l . I n : D t . A r c h . f . L a n d e s - u. V o l k s f o r s c h u n g 2 . 1938 , 3 8 6 - 4 0 3 . K . Gusinde·. E i n e vergessne d t . Sprachinsel im p o l n i s c h e n O b e r s c h l e s i e n M u n d a r t von S c h ö n w a l d bei G l e i w i t z . B r e s l a u

Die

1911.

G.

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[L, B, 35]: 44 Kremnitz - Deutsch-Proben ( 1 3 2 8 80). L i t . : J . H a n i k a : Siedlungsgeschichte und L a u t g e o g r a p h i e des d t . H a u l a n d e s in d e r M i t t e l s l o w a k e i . M ü n c h e n 1952.

10. Außensprachinseln 10.1.

der Neuzeit

um 1930

Polen

V: 1 Dobrinerland und Weichselniederung bis Demblin (1700-1910, meist 1760-1830). U: 2 Weichsel - Wartheland um Kolo - Lodz Tomaschau. R: 3 Warthebruch um Konin. L: 4 Warthegebiet um Kaiisch-Zdunska W o l a Petrikau. [D, A2]: 5 „Schwäbische" Inseln bei Lodz, Kolo, Plotzk und Warschau (1800-05). U, V: 6 Lubliner und Cholmer Land ( 1 7 8 2 1910, meist 1860-80). U, V, L: 7 Wolhynien (1800-1900, meist 186080). [D, A2]; 8 „Schwäbische" Inseln bei Lutzk und Dubno. 9/43: 9 Anhalt-Gatsch bei Pless (1770). D: Pfälzische Inseln (1780-90): 10 Um NeuSandetz am Dunajec und um Mielec an der Wisloka. 11 Ostgalizien um Rawa-Ruska - Lemberg Przemysl - Sambor - Stryj — Stanislau - Kolomea. 12 U m Tarnopol. [B2, ß J ] : 13 Böhmische Inseln um Stryj und Kolomea (1810-50). [A2, D\: 14 „Schwäbische" Inseln bei Przemysl und Lemberg (1783-84).

L i t . : Α . S c h e i n e r : D i e M u n d a r t d e r S i e b e n b ü r g e r Sachsen.

Lit.:

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34—48. F . A . D o u b e k : D i e E r f o r s c h u n g der d t . M u n d a r t e n

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mittelalterlichen

SB

s c h u n g 3. 1 9 3 3 , 1 5 5 - 1 7 0 . G . F o s s : D i e niederdt. Siedlungs-

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in S i e b e n b ü r g e n .

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W.

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Kuhn:

Die

Siedlungsräume

H e f t e f. V o l k s - und

Siedlungsgeschichte

der

des

bäuerlichen

Kulturbodenfor-

drenses in S i e b e n b ü r g e n . I n : Z M F 2 8 . 1961, 4 3 - 7 0 . Κ . K .

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schen D ö r f e r bei L i t z m a n n s t a d t [ = L o d z ] . M a r b u r g

schwäbisch-rheinfränki-

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K . L ü c k : D i e dt. Siedlungen im C h o l m e r und

1942.

Lubliner

54. Deutsche Sprachinseln L a n d e . Plauen 1933. A . Karasek und K . L ü c k : D i e dt. Siedlungen in W o l h y n i e n . L e i p z i g 1931. A . W a c k w i t z : D i e dt. Sprachinsel A n h a l t - G a t s c h

in O b e r s c h l e s i e n

in ihrer ge-

schichtlichen E n t w i c k l u n g . Plauen 1932. G a l i z i e n . I n : H a n d wörterbuch

des

Grenz-

und

Auslanddeutschtums

III,

B r e s l a u 1 9 3 8 , 1 - 4 7 . J . K r ä m e r : die „ s c h w ä b i s c h e n " M u n d arten in G a l i z i e n . I n : 1 7 8 1 - 1 8 3 1 . G e d e n k b u c h z u r E r i n n e -

10.4.

499

Jugoslawien

D, A , B2: 31 Batschka (1722-90, meist 1760-70/ 1890). D, 10/30, 31, 33: 32 Slawonien und Syrmien (1780-1900, meist ab 1860/1921). 2

rung an die E i n w a n d e r u n g der D t . in G a l i z i e n v o r 150 J a h -

L i t . : B a t s c h k a . I n : H a n d w ö r t e r b u c h des G r e n z - und A u s -

r e n . P o s e n 1931, 1 7 8 - 1 8 9 . J . K r ä m e r : D i e M u n d a r t e n d e r

landdeutschtums

schwäbisch-alemannischen

K a t h o l i s c h e und p r o t e s t a n t i s c h e M u n d a r t e n in d e r B a t s c h k a .

Siedlungen in G a l i z i e n . I n :

K.

I,

Breslau

1933, 2 9 1 - 3 4 5 . J .

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1953, 4 3 - 4 9 . I. T a t z r e i t e r : D i e dt. M u n d a r t

Popadic: D t . Siedlungsmundarten

10.2.

aus

Slawonien/Jugosla-

w i e n . T ü b i n g e n 1978.

Tschechoslowakei

L: Ii Glätzische Insel bei Pardubitz (um 1780). K: 16 Libinsdorf bei Saar (1783). 9/33: 17 Maxdorf bei Brünn (1787). 9/33, L: 18 Deutsch-Brodek - Wachtl (um 1550). [L, ß 2 ]: 19 Olmütz (16. und 17. Jh.). [B\ Bj\: 20 Groß-Schützen an der March (1662). Q: 21 Tscherman — Groß-Ripnan bei Neutra (1858 und 1869). 9/44: 22 Fuchsloch bei Schemnitz (um 1850). C: 23 Fränkische Inseln bei Munkatsch (173048). [B\ B3}, 9/35: 24 Böhmische Inseln (1827-7») und Friedrichsdorf (1807) bei Munkatsch. L: 25 Zdenova bei Munkatsch (um 1850). B2: 26 Königsfeld - Deutsch-Mokra an der Tereschwa (1775). 9/35: 27 Rahowo an der Theiß (um 1830).

10.5.

Rumänien

D, A', B2: 33 Banat (1722-90, meist 1760-70/ 1890). A2:34 Sathmar (1712-34/1810). A': 35 Kriegsdorf/Hada bei Sathmar (1750/51). B2: 36 Franzenstal - Kimpolung (1785-88) und Wischkowo (um 1850) bei Hust. 37 Oberwischau - Borsa bei Sighet (um 1820). [B\ B2]·. 38 Siebenbürgische Landler bei Hermannstadt (1734-76). D, [Β2, B3], 10/33, 9/35: 39 Bukowina (17821843/1890). A2, D, U: 40 Bessarabien (1814-42/1930). 10/40: 41 Dobrudscha (1842-91/1932). L i t . : B a n a t . I n : H a n d w ö r t e r b u c h des G r e n z - und A u s l a n d d e u t s c h t u m s I , Breslau 1 9 3 3 , 2 0 7 - 2 8 6 . H . H a g e l : D i e B a n a ter S c h w a b e n . M ü n c h e n 1967. L . W e i f e r t : D i e d t . Siedlungen und M u n d a r t e n im S ü d w e s t b a n a t . B e l g r a d

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nische

Wei-

Mundart

neben

rheinisch-ostmitteldt.

in

Sieben-

n e l t : D i e M u n d a r t d e r D e u t s c h t u m s i n s c l L i b i n s d o r f und ihre

b ü r g e n . I n : S B Sachs. A W

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Orte:

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Deutsch-Brodek,

Döschna,

Schwanenberg.

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1 4 7 - 1 6 1 , 1 9 3 - 2 2 2 . J . W e i d l e i n : D i e dt. M u n d a r t e n in R u -

Diss. Marburg

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Lang:

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10.3.

Ungarn

der d t . M u t t e r k o l o n i e n B e s s a r a b i e n s und ihre S t a m m h e i m a t .

B2, D: 28 Ungarisches Mittelgebirge zwischen Plattensee und Donau (1700-50/1810). C: 29 Fränkische Inseln bei Waitzen. D, E, F, H, C, Α2, Β2:30 Schwäbische Türkei in den Komitaten Tolnau, Baranya und Schomodei (1710-50/1810). Lit.:

C.

J.

Hutterer:

Das

ungarische

Mittelgebirge

als

S p r a c h r a u m . H a l l e 1963. J . W e i d l e i n : D t . M u n d a r t e n der S c h w ä b i s c h e n T ü r k e i ( U n g a r n ) . I n : Z M F 2 0 . 1952, 2 1 8 - 2 3 1 .

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II,

Breslau 1936, 2 7 8 - 2 9 0 .

11. Bibliographie

(in Auswahl)

D i e L i t e r a t u r zu den e i n z e l n e n Sprachinseln ist in den A b schnitten 8. bis 10. v e r z e i c h n e t . E . G a b r i e l : D i e M u n d a r t von G a l t ü r . Beispiel e i n e r S y s t e m -

J . W e i d l e i n : D i e D t . im K o m i t a t S o m o g y ( S c h o m o d e i ) und

überlagerung.

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Boesch. Bühl

In: Alemannica 1976,95-116.

Festschrift

für

Bruno

500

VI. Areale Aspekte

F. Gysling: Welsch und Deutsch in Gressoney. In: Vox romanica 6. 1941, 111-140. F. Gysling: Fossilien der Walsermundart von Ornavasso. In: Studia neophilologica 40. 1968, 386-413. K. Heller: Sprachinselforschung aus der Sicht der allgemeinen Sprachwissenschaft. In: Salzburger Beitr. zur Linguistik 1. 1975,25-33. K. Heller: Sprachliche Interferenzerscheinungen: Zimbrisch - Deutsch - Italienisch. In: Klagenfurter Beitr. z. Sprachwiss. 4. 1978, 45-50. M . H o r n u n g : Die Bedeutung der Sprachinselkunde für die Erforschung der mundartlichen Verhältnisse im binnendeutschen R a u m . In: Z M F 32. 1965, 274-288. M . H o m u n g : Sprachmischung im ostoberitalienischen Sprachinselraum. In: Sprachliche Interferenz - Festschrift für Werner Betz. Tübingen 1977, 196-213. R . Hotzenköcherle: Umlautphänomene am Südrand der Germania. In: Fragen und Forschungen im Bereich und Umkreis der germanischen Philologie - Festgabe für Theodor Frings. Berlin 1956, 221-250. R. Hotzenköcherle: Die südwalserisch-ennetbirgischen Mundarten im Spiegel ihrer Verbalformen. In: Festschrift für Paul Zinsli. Bern 1971, 79-98. C . J . Hutterer: Grundsätzliches zur Sprachinselforschung. In: PBB 85. Halle 1963, 177-196. C . J . Hutterer: Mischung, Ausgleich und Überdachung in den deutschen Sprachinseln des Mittelalters. In: Verhandl. d. Zweiten Internat. Dialektologenkongresses I. Wiesbaden 1967, 399-405. G. J u n g b a u e r : Sprachinselvolkskunde. In: Sudetendt. Zs. f. Volksk. 3. 1930, 143-150, 196-204,244-256. G. Kisch: Die Bisiritzer Mundart verglichen mit der moselfränkischen. In: PBB 17. 1893, 347-411.

Κ. K. Klein: Hochsprache und Mundart in den deutschen Sprachinseln. In: Z M F 24. 1956, 193-229. E. Kranzmayer: Monogenetische Lautentfaltung und ihre Störungen in den bairischen Bauernsprachinseln und in deren Heimatmundarten. In: PBB 85. Tübingen 1963, 154-205. M . Kroner (Hrsg.): Interferenzen. Rumänisch-ungarischdeutsche Kulturbeziehungen in Siebenbürgen. C l u j 1973. W . Kuhn: Deutsche Sprachinselforschung-Geschichte, Aufgaben, Verfahren. Plauen 1934. W . Meid und K. Heller: Italienische Interferenzen in der lautlichen Struktur des Zimbrischen. Wien 1979. K. Rein: Religiöse Minderheiten als Sprachgemeinschaftsmodelle - Deutsche Sprachinseln täuferischen Ursprungs in den Vereinigten Staaten von Amerika. Wiesbaden 1977. V. Schirmunski: Sprachgeschichte und Siedlungsmundarten. In: G R M 18. 1930, 113-122, 171-188. E. Schwarz: Probleme alter Sprachinselmundarten. In: PBB 58. 1934, 323-390. A, Schwöb: Wege und Formen des Sprachausgleichs in neuzeitlichen ost- und südostdeutschen Sprachinseln. M ü n chen 1971. M . S z a d r o w s k y : Rätoromanisches im Bündnerdeutschen. In: Bündnerisches Monatsbl. 1931, 1-27. H . Teuchert: Grundsätzliches über die Untersuchung von Siedlungsmundarten. In: ZDM 10. 1915,409-415. I. Weber-Kellermann (Hrsg.): Zur Interethnik. Frankfurt 1978. L. Weifert: Grundsätzliche Probleme und Erkenntnisse im Lichte der südostdeutschen, insbesondere Banater M u n d artforschung. In: ZMF 27. 1960, 115-128.

Peter Wiesinger,

Wien

VII

E T H N I S C H E UND P O L I T I S C H E A S P E K T E

55. Ethnolinguistik 1. 2. 3. 4. 5.

Definition Historischer Uberblick Systematik der Sprachinhaltsforschung Leistung und W i r k u n g der Sprache Beschreibende, erklärende und angewandte Sprachwissenschaft 6. Ethnolinguistik der Natursprachen 7. Bibliographie (in Auswahl)

1.

Definition

Unter Ethnolinguistik wird heute zweierlei verstanden: (1) eine Richtung der Sprachwissenschaft, die von W. von Humboldt begründet wurde und in der Bonner Schule der Sprachinhaltsforschung weiter entwickelt worden ist (L. Weisgerber). Diese untersucht die in den „Sprachzugriffen" gewortete Welt, in der sie eine geistige Ordnung, die sprachliche „Zwischenweit" erkennt. (2) die Beschäftigung mit Natursprachen, zunächst also ein Sonderbereich der Ethnologie oder Volkskunde, die zu wechselseitiger Aufhellung von sprachlichen Erscheinungen, sozialen Gegebenheiten und Wandlungen der Sachkultur führen kann. Auch Besonderheiten des Sprachverhaltens werden untersucht, die zur Ermittlung andersartiger Denkstrukturen ausgewertet werden. Diese Richtung wurde von Franz Boas und Leonard Bloomfield begründet, von E. Sapir und B. L. Whorf ausgebaut. 2. Historischer

Überblick

Mit W. von Humboldt setzt eine sprachphilosophische Richtung ein, die es unternimmt, die typologischen Verschiedenheiten der Sprachen aufzuzeigen und diese mit unterschiedlichen Denkweisen der Völker zu motivieren. Der Geist der Sprache sei ein Abbild des Volksgeistes, der Sprache hervorbringt; Sprache ist kein Inventar von Worten mit einer Gebrauchsanweisung, der Grammatik, sondern Sprache ist schaffende Tätigkeit, Energeia. Jede Einzelsprache ist durch diesen Schöpfungsprozeß ein Ganzes, bestehend aus elementaren Gemeinsamkeiten (Universalien) und typischen Eigenarten in Lautgebung, Formenbau und Syntax. Humboldt nennt das Ergebnis dieser formenden Kraft die innere Sprachform: am deut-

lichsten tritt sie in der Etymologie eines Wortes als innere Wortform in Erscheinung, doch bezieht sich Humboldts Konzeption auf jegliche Gestaltung, die das Wirken eines gedanklichen Konzepts durch die Mittel der Lautsprache zu erkennen gibt. Humboldt, der zugleich die vergleichende Sprachwissenschaft anregte und förderte, fand in H. Steinthal einen Systematiker, der die Sprachtypologie als Systemwissenschaft schuf. Die Sprachwissenschaft selbst sollte jedoch für lange Zeit andere Wege nehmen. Die Ermittlung der indogermanischen Sprachverwandtschaft lenkte die Kräfte der Forscher in den historischen Bereich, und die Blickrichtung der Diachronie war auch dem Zeitgeist der Romantik gemäß. Die vorwiegende Beschäftigung mit der historischen Laut- und Formenlehre, aus deren Zusammenwirken sich die Entfaltung der Einzelsprachen aus einer indogermanischen Ur- (später: Grund-) spräche am deutlichsten darstellen und erklären ließ, führte zu einer nüchtern positivistischen Einstellung, zu einer Bevorzugung der laut- und formbezogenen Arbeitsweise, bei der inhaltliche Aufgabenstellungen in den Hintergrund traten. Bezeichnend hierfür ist die etymologische Forschung, die zu einer hohen Genauigkeit des Ansatzes rekonstruierter Lautformen der indogermanischen Wortwurzeln gelangte, wobei sie sich für deren Inhalte mit der Angabe vager Grundbedeutungen begnügte. Vor allem aber lenkte das Erfordernis, gerade die ältesten Belege auszuwerten, von der Beschäftigung mit den lebenden Sprachen und den mit ihnen gegebenen sozialen und ethnischen Verhältnissen ab. 3. Systematik

der

Sprachinhaltsforschung

Wenn Sprachwissenschaft aber mit einer dem Forschungsgegenstand angemessenen Weise betrieben werden soll, dann darf man nicht auf halbem Wege stehen bleiben. Der Weg der Forschung führt von der Beschreibung zur Erklärung. Somit darf sich auch die Sprachbetrachtung nicht mit der Feststellung vorhandener Systeme und Strukturen begnügen. Der äußeren Seite der Sprache, dem Material an Lauten und Lautverbindungen, das analytische Forschung aus der Zerlegung der Lautreihe in ihre Elemente gewinnt, steht die innere Seite gegenüber, an der man in traditioneller Weise Bedeutung und Sinn (als Wortbedeutung

502

VII. Ethnische und politische Aspekte

und Satzsinn) unterschied. Die philologische Beschäftigung mit alten oder neuen Sprachen verführt zu einer Auffassung, die Bedeutung sei der Lautform des Wortes zugeordnet, so wie man sie in einem alphabetisch angeordneten Wörterbuch auffinden kann, ebenso wie man den Sinn des Satzes als sekundär gegenüber seiner formalen Ausprägung ansieht, die man noch heute gern auf die F o r m e l

S —> N P + V P o d e r / Nominalphrase

Satz

\ Verbalphrase

bringt. Leo Weisgerbers Vierstufentheorie bedeutet eine Absage an die Einseitigkeit dieser Grundeinstellung. Von der Ausgangsposition der inhaltlichen Betrachtungsweise aus erweist sich das einzelne Wort wie auch jegliche Äußerung als ein sprachlicher Zugriff, als Objektivation der schaffenden Sprachkraft des Menschen, die ein Stück Um- oder Innenwelt zu einer Sprachgestalt formt und dadurch dem Einzelnen und der Sprachgemeinschaft verfügbar macht. 3. 1. Laut und Sinn Hatte die Phonetik die akustische Analyse des Sprachlauts und seine physiologischen Entstehungsfaktoren zu untersuchen, so beschäftigt sich die Phonologie ergänzend mit der bedeutungsdifferenzierenden Funktion des Einzellauts als Lautvorstellung (Phonem). Eine inhaltbezogene Betrachtungsweise erkennt im Ganzen einer Lautgestalt eine Fusionseinheit, deren Einheitlichkeit inzwischen die Phonetik durch das Prinzip der Koartikulation (Verschmelzung benachbarter Artikulationsphasen) nachgewiesen hat. Der gestalthaften Einheit entspricht ein mit dem Lautkörper gegebener und zugleich erlebbarer ganzheitlicher Sinn (Inhalt). Die im Bewußtsein des Sprachteilhabers vollzogene Gleichsetzung von Klangkörper und Inhalt wird begünstigt durch lautsymbolische Motivation (Lautbedeutsamkeit), ein Hineinhören von Sinn in den Laut: die getragene Stimmung von Abend, die erschreckende Grelle von Blitz. 3.2. Inhaltbezogene

Wortlehre

Für die Wortlehre besteht inhaltbezogene Forschung in der Ermittlung des Geltungsbereichs der Wortinhalte und ihrer Einordnung in Felder infolge der Ausgliederung aus größeren Sinnbezirken. Wo den Inhalten konkrete gemeinte g e g e n stände' gegenübergestellt werden können (wie Stuhl, Haus, Berg), erscheint das Verfahren recht einfach. Hier kann für das Bekanntwerden mit dem Inhalt die Zeigdefinition (Das ist ein...) angenommen werden. Auch für Verrichtungen und Handlungen, für sichtbare oder zu ertastende

Eigenschaften (gehen, tragen; blau, kalt) kommt man mit dieser Erkenntnisweise aus. Doch versagt sie bei systematischer Überprüfung alles Sagbaren schnell; manches läßt sich zusammenfassend aufbauen (bringen = in einer Richtung tragen; laufen = schnellere, schlendern = langsamere und dabei ziellose Fortbewegung gegenüber gehen; lau = zwischen kalt und warm), andere Inhalte können in Erklärungen vermittelt werden; Geist: ,,Im allgemeinen und philosophischen Sinne bedeutet G. zunächst im Gegensatz zum KörperlichStofflichen das Denken, die Vernunft, das Bewußtsein als die über das Materielle und TriebhaftSinnliche hinausreichende intelligente Seite des menschlichen Seins." (Brockhaus-Enzyklopädie) Die der Sprachinhaltsforschung gemäße Verfahrensweise verlangt jedoch demgegenüber die Ausgliederung der jeweiligen Wortinhalte aus einem Wortfeld. Die Erkenntnis, daß der Wortschatz einer Sprache von der Inhaltseite her feldhaft gegliedert ist, kann in Ansätzen schon auf K. Brugmann (Bedeutungsklasse, enger: Bedeutungsgruppe) und B. Delbrück zurückgeführt werden; ausgebaut wurde sie von J . Trier und L. Weisgerber. „Es gilt - [fordert dieser] - aus der jeweiligen Sprache selbst die Wortgruppen zu entnehmen, die nach dem Prinzip der wechselseitigen inhaltlichen Bestimmung zusammengehören. Diese können von durch den Gegensatz aneinander gebundenen Wortpaaren bis zu verwickelten zwei- und dreidimensionalen Feldern führen." (Weisgerber, 1963 b, 71.) 3.3. Inhaltbezogene

Wortbildungslehre

Gleichartige Funktionen der Wortableitungsmittel erlauben eine Zusammenfassung zu Wortnischen (Sport-ler, Wissenschaft-ler, Abstinenzler: männl. Personen, nach einer Betätigung benannt). Sie sind immer offen zu weiterer Nischenbildung: so kann -ling (in Zög-lmg, Täuf-ling, Lehr-ling) den sorgsam Betreuten, in Weich-ling, Feig-ling, Schwäch-ling den Träger nachteiliger Eigenschaften bezeichnen. Eine Zusammenfassung solcher Nischen nach dem lautlichen Kennzeichen gleicher Endung ergibt eine Ableitungsgruppe (alle Wörter auf -ling), eine hierarchische, d.h. vielschichtige Anordnung von Nischen, die Gleichartiges enthalten, liegt in den Wortständen vor: Berufsnamen (Sportler, Wissenschaftler, Prokurist, Bandagist, Bäcker, Schneider). Die Ornativa (Verben des Ausstattens) können verschieden gebildet sein -.füttern, tränken, bekleiden, verglasen, lackieren, sich bekreuzigen, weniger leicht kenntlich: einbinden (ein Buch mit einem Einband versehen), galvanisieren (durch elektrolytische Abscheidung mit einem Metallüberzug versehen). Abwandlungen des Grundgedankens führen zu Einbeziehung oder Aussonderung von Bildungen,

JJ. Ethnolinguistik die ein Versehensein (beauftragen, berechtigen) oder Erwirken (ermächtigen, ernennen) bezeichnen. 3.4. Inhaltbezogene

Satzlehre

Die Satzlehre zerfällt bei inhaltbezogener Sicht in die Lehre von den Denkkreisen der Wortarten und in die Untersuchung der Leistung von Satzbauplänen. Die formbezogene Betrachtung der traditionellen Grammatik konnte ebensowenig wie neuere Grammatiklehre die Denkrichtungen ermitteln, die für das Zustandekommen einer sinnvollen Äußerung in Satzform zu beachten sind. Ihre Terminologie ist zwar seit der Antike inhaltbezogen: Subjekt (der zugrundeliegende Gegenstand), Prädikat (die vorgebrachte Aussage), Dativ (Gebefall), jedoch wegen des europäischen Sprachwandels für die neueren Sprachen ungeeignet. Erst die Verbindung von sprachwissenschaftlichem und psychologischem Denken ermöglichte es, die alten grammatisch-logischen Kategorien neu zu überdenken. Neuere grammatische Schulen haben hierbei verschiedene Wege genommen. Die Vielzahl der heute diskutierten Grammatikmodelle ist symptomatisch für verschiedene Ansätze einer Neuorientierung. Für die inhaltbezogene Grammatik gilt als Grundthese, daß sprachlicher Ausdruck keinen unmittelbaren Bezug zur Welt der Dinge und Tatsachen haben kann, sondern durch den jeweiligen Akt inhaltlicher Gestaltbildung (Fusionseinheit von Lautkörper und Gemeintem) zu einem Stück sprachlicher Zwischenwelt, zu einem Ausschnitt aus einem geordneten sprachlichen Weltbild geworden ist. Daraus folgt die Aufgabe inhaltbezogener Satzlehre, die Äquivalente zu den Wortinhalten auf ihrer Ebene zu ermitteln. Das „Subjekt" der formbezogenen Grammatik wurde durch den Einschlag des Mentalismus in der grammatischen Lehre in „grammatisches" und „psychologisches" Subjekt unterschieden; inhaltlicher Betrachtung gemäß ist die Aufgliederung des (einfachen) Satzes in Thema und Rhema, von der die formalistische Betrachtungsweise moderner linguistischer Schulen (nominal phrase vs. verbal phrase) noch weit entfernt ist. Ähnliches gilt für jeden anderen Bereich der Syntax. Die inhaltliche Ausfüllung der Thema-Stelle im Satz erfolgt durch das dem Sprecher und Hörer in gleicher Weise Bekannte, dem der Sprecher als neue Aussage das Rhema hinzufügt. Formal gesehen kann dabei jede Wortart Thema oder auch Rhema sein. Die Satzbaupläne ihrerseits sind „geltende Ganzheiten von Gestalt und Inhalt" (Weisgerber, 1971, 140). „In dem muttersprachlichen Bauplan ist als von der Gestalt getragener Inhalt beschlossen eine geistige Situation, die überall dort, wo der Bauplan aktiviert wird, mit wirksam wird." (a.a. O . , S. 141).

503

4. Leistung und Wirkung der Sprache Auch die inhaltbezogene Forschung bleibt ihrem Wesen nach auf der Stufe der Beschreibung stehen. Die Sprachkraft wird also aus den statischen Objektivationen, dem geistigen Gehalt der Formen nur mittelbar erkannt. Der Schritt zur Erklärung führte zunächst zu dem Bestreben, einer Charakteristik der Sprachen die typischen Züge der Individualität der Sprachvölker zuzuordnen. Bewertende Tendenzen fanden zunächst einen Ansatz im Kulturpessimismus der Romantik: einer ideal gesehenen Urzeit der Völker entsprach der vollendete Formenbau, wie ihn noch die Sanskritsprache und das Altgriechische bewahrt hatte. Gegenüber dem verarmten Deutschen wies das Gotische noch klangvolle Endungen auf, die dort nur mit dem verwaschenen Nebensilbenvokal gesprochen wurden (habaidedun : hatten). Der (heute erschütterte) Fortschrittsglaube, deranevolutionistische Ideen anknüpfte, ließ die Sprachtypen dagegen insgesamt in einer Aufwärtsentwicklung sehen, der das Gesetz des geringsten Kraftaufwandes den Auftrieb gab. Soweit sich Bewertungen auf Ubereinstimmung von Sprachbau und Volkscharakter beriefen, sind voreilige Schlüsse gezogen worden, deren Prämissen in mühsamer Arbeit durch die neue konfrontative und kontrastive Grammatik überprüft werden müssen. Vielleicht lassen sich Ergebnisse hinsichtlich einer Ubereinstimmung von Sprachverhalten mit anderen typischen Verhaltensformen erwarten. Mit dem Schwerpunkt inhaltlicher Fragestellungen arbeitet die von M. Wandruszka begründete Interlinguistik, aus der sich ein Zweig der angewandten Sprachforschung, eine Ubersetzungswissenschaft entwickeln kann. Die energetische Sprachwissenschaft untersucht als notwendige Weiterung zunächst die Leistung der Sprachkraft innerhalb des Bereichs der Muttersprache: den Prozeß des Wortes der Welt als gemeinsame Leistung einer Sprachgemeinschaft. Die von der Sprachkraft (durch die Sprachzugriffe) geschaffene Wirklichkeit ist als sprachliche Zwischenwelt (1) interindividuell aber nicht universell, (2) konventionell aber dennoch wandelbar, (3) individuell und persönlich, aber dennoch mitteilbar und in fremde Gestaltungsformen transformierbar. Gerade durch die Gegenüberstellung muttersprachlicher und fremder Sprachinhalte können die beiderseits dafür erforderlichen Sprachzugriffe in ihrer Dynamik nachvollzogen werden, so daß die Interlinguistik zum eigentlichen Betätigungsfeld leistungsbezogener Sprachbetrachtung werden kann. Die vierte Stufe der Sprachforschung führt aus dem rein sprachlichen Bereich heraus zu den Wechselwirkungen zwischen Sprache und Individuum, Sprache und Gemeinschaft, Sprache und

504

VII. Ethnische und politische Aspekte

Umwelt. Wo Sprache in Erscheinung tritt, ist sie Mittel zum Zweck. Sprachliche Sinngestaltung (Wörter und Äußerungen ebenso wie alle Texte) haben jeweils mehrere Aufgaben, primäre und sekundäre. Die primären werden im Sinne des Organonmodells (K. Bühler, 1934, 24ff.) als Kundgabe, Auslösung und Darstellung beschrieben, wobei jeweils die Sphäre der ersten, zweiten oder dritten Person in typischer Weise ins Spiel kommt. Die sekundären Aufgaben können aus der Eigenschaft der Sprache gefolgert werden, daß sie im Vollzug der Sprechtätigkeit nie bloßes Kommunikationsmittel sein kann kraft aller der Eigenschaften, die sie von einem Code unterscheiden. Ein Code muß eindeutig sein, die Zuordnung der Codewörter zu den vereinbarten Geltungen läßt für Mehr- und Vieldeutigkeit keinen Raum. Die Offenheit für ein tieferes Verständnis, die Bezugnahme auf geprägtes Sprachgut, die vielsagende Verwendung von sprachlichen Bildern und Metaphern sowie die Wortwahl nach den Grundsätzen des Wohlklanges und der Abwechslung im Ausdruck, all dies sind Mittel von besonderer Wirksamkeit für jegliches Sprachkunstwerk, nicht minder aber in der Alltagsrede, angefangen von banalen Kalauer bis hin zu tiefsinnigen Wort- und Klangspielen. Ein Code hat keine oder nur eine zweckgebundene Redundanz: man ist sparsam mit überflüssigen Elementen. Dagegen erlaubt der reiche Schwall der sprachlichen Ausdrucksmittel eine differenzierte, auf Wirkung abzielende Auswahl, Doppelung, Wiederholung, Variation, kurz, eine Fülle von stilistischen Möglichkeiten. Dem Code mangelt die ästhetische Dimension, während Sprache von allem Anbeginn an melodisch überformte Sinnganzheit ist. Ein Code ist starr und nur durch Addition von Elementen zu erweitern, während Sprache trotz ihrer überpersönlichen Geltung der persönlichen Einwirkung überall Spielraum gewährt, wobei jede Bereicherung mannigfaltige Wechselwirkungen auslöst. Jeder neue Ansatz einer sprachlichen Wirkung hat seine Auswirkung auf die Sprachgemeinschaft wie auch eine Rückwirkung auf den sprechenden Menschen. Das klärende Wort, nach dem man sucht, um einem vorschwebenden Gedanken sprachliche Form zu geben, das ermunternde, besänftigende, tröstende oder das aufreizende, fanatisierende Wort, der Slogan in Politik und Reklame, überlegte Rede als Rat und Hilfe, Worte der Belehrung, die Wechselrede beim Meinungsaustausch oder erholsames Gespräch: in allen diesen Formen der Sprach verwendung werden Wirkkräfte des Geistes eingesetzt. Ein Kräftespiel eigener Art wogt hin und her über eine Sprachgrenze. Auswirkungen auf die Sprecher in beiden Lagern wurden leidvoll als Abgrenzungen, in Konfrontationen erlebt und erfahren, die den Gang der Weltgeschichte nur zu oft

bestimmt haben. Einer politischen Befriedung könnte gerade vermehrte Zweisprachigkeit dienlich sein. In der Aneignung des Sprachverhaltens des Nachbarvolkes liegt die Möglichkeit, einen Zugang zu der anderen Denkweise zu finden, die ja durch Sprache und ihre Erzeugnisse geprägt wurde. Im gegenseitigen Ausgleich kann so die Bevölkerung eines Grenzlandes Brücken zu den Zentren schlagen, wobei diese als Vorleistung ein großzügiges Sprachenrecht zu gewähren hätten, eine unabdingbare Voraussetzung für den Sprachenfrieden. Ein solcher Friede wäre im weiteren ebenso für die Einstellung weiter Kreise gegenüber Dialektsprechern anzustreben. Denn der Bildungsauftrag der Schule kann nicht in dem Sinne mißverstanden werden, daß der bedrohten Mundart hier jegliche Förderung versagt bliebe. Eine einseitige Haltung, die mit den Schlagworten vom restringierten Code der Unterschicht gegenüber dem elaborierten Code einer sprachlichen Mittelschicht gekennzeichnet ist, muß in gleicher Weise korrigiert werden. Aufgabe einer wirkungsbezogenen Ethnolinguistik sollte es auch sein, auf die positive Beurteilung der Ausdrucksleistung jeglicher ,Unterschicht' hinzuweisen, die mit wenigen, vielsagenden Worten das gleiche leistet, wie die zwar besser ausgebaute doch dadurch um vieles gemütsärmere Intellektualsprache. In diesem bekannten Modell ist eine sprachliche Oberschicht zu ergänzen. Man darf in ihr jene Sprachträger suchen, die ihrerseits sprachschaffend tätig sind. Doch wäre es verfehlt, eine soziologische Oberschicht mit einer sprachschöpferischen Oberschicht gleichzusetzen. Die Erfahrung lehrt, daß gerade Dichter und Schriftsteller um vieles leichter, ja vielfach ohne den institutionalisierten Bildungsweg zu beschreiten, aus allen Volksschichten heraus eine Wirksamkeit entfalten, die die Literatursprache zu bereichern und zu entwickeln vermag. 5. Beschreibende, angewandte

erklärende und Sprachwissenschaft

Wer zwischen Linguistik und Sprachwissenschaft unterscheiden wollte, könnte dafür die von der deskriptiven Linguistik geübte Beschränkung auf die synchrone Beschreibung, die Ermittlung eines gegebenen Sprachzustandes zum Anlaß nehmen. Außerhalb der Reichweite analytischer Methoden bliebe die Erkenntnis der übersummativen Einheit sprachlicher Gestalten (Knobloch 1966, 73ff.) ebenso wie die Einsicht in Leistung und Wirkung der Sprachkraft (Weisgerber 1971, 260). Daher kann Linguistik, die im Formalen befangen bleibt, dem Forschungsgegenstand Sprache nur teilweise gerecht werden. Es bleibt aber auch für die Sprachwissenschaft ein weiterer Schritt zu tun übrig. Auch der vollständigste Befund einer Beschrei-

55. Ethnolinguistik bung muß durch den Versuch einer Erklärung ergänzt werden, und es genügt auch nicht, nach dem Was einer Leistung und dem Wie einer Wirkung zu fragen, wenn nicht ein Warum die eigentlichen Gründe und Hintergründe menschlichen Sprachhandelns aufzudecken vermag. Eine jede Erklärung hat auszugehen von den durch Beschreibung ermittelten Bedingungen, angefangen bei dem Vorkommen der Laute in der Lautreihe bis hin zur soziokulturellen Umwelt der Sprachteilhaber, um zu einer Deutung festgestellter Phänomene und Wandlungen zu gelangen, die auf die Wirkungen von treibenden Kräften zurückgehen. Erkenntnisse jeglicher Forschung rechtfertigen erst dann den Aufwand, wenn sie zur Hebung menschlicher Lebensbedingungen, zur Steigerung der Lebensqualität mittelbar oder unmittelbar beitragen können. So darf sich auch Linguistik nicht in der Betrachtung von Sachverhalten erschöpfen, sondern muß versuchen, aus der Betrachtung von Leistung und Wirkung der Sprache zu vertiefter Einsicht in ihre Rolle im zwischenmenschlichen Verkehr zu kommen, um daraus Nutzanwendungen zu ziehen. Die angewandte Sprachwissenschaft beschränkt sich dabei nicht auf die Verbesserung des fremdsprachlichen Unterrichts, die freilich ihre wichtigste und problemreichste Aufgabe ist. Die Beseitigung von Sprachbarrieren im öffentlichen Leben (Vereinfachung der Amtssprache, Verbesserung und sinnvollere Anordnung von Fragebögen und anderen Schriftstücken) und besonders vor Gericht (eine Aufgabe der forensischen Linguistik), die Anleitung zur Sprachbenutzung in den Medien, wie überhaupt Sprechkunde für den Dienst in der Öffentlichkeit, ferner die Anwendung der Sprache in Verbindung mit nonverbaler Kommunikation durch Bild und Ton im Werbewesen, nicht zuletzt auch Heilung der Sprache bei Sprachstörungen (Patholinguistik) oder Heilung durch die Sprache (Logotherapie) im Rahmen einerseits der Psychotherapie und andererseits einer sich in voller Entfaltung befindlichen Gesprächsforschung sind wohl die wichtigsten und weiterführenden Bereiche, in denen Erkenntnisse der Sprachwissenschaft ihre Anwendung finden können, ü b e r die Sprache im vollen Wortsinn hinaus führt die Computerlinguistik als Linguistik „für den Computer" (Arbeit an der Erstellung und Entwicklung der Computersprachen) sowie Linguistik „durch den Computer" ( B . Spillner bei Knobloch, 1961, 487: die Hilfe des Großrechners bei der Bewältigung linguistischer Aufgaben), die auch die Versuche maschineller Übersetzung umfaßt. 6. Ethnolinguistik

der

Natursprachen

Die Unterscheidung von Kultur- und Natursprachen hat für den Linguisten eine andere Bedeutung

505

als für den Literaturforscher die Unterschiede zwischen Volks- und Kunstdichtung. Gerade die Soziolinguistik braucht zur Ausbildung ihres Schichtenmodells überprüfbare Verhältnisse von Sprachinterferenzen außerhalb des so vielen lateinisch-griechischen Einwirkungen durch alle Jahrhunderte ausgesetzten europäischen Kulturraums. In der gegenwärtigen Diskussion um sprachliche Universalien zeichnet sich eine Scheinlösung ab, wobei als allgemeinsprachlich hingestellt wird, was in Wirklichkeit unserer Vorstellung von grammatischer Substanz entspringt, die wieder nachweislich auf die antike Logik zurückgeht. Eine Bestandsaufnahme grammatischer Kategorien aus überseeischen Sprachen gehört deshalb heute mehr denn früher zu den dringendsten Erfordernissen für die Weiterentwicklung der allgemeinen Sprachwissenschaft. Wiesich diese auch auf den historischen Zweig auswirken kann, zeigt die in der Indogermanistik nach der Jahrhundertwende begonnene und noch heute nicht zu Ende geführte Diskussion um die Ablösung eines älteren Ergativsystems, wo das Subjekt eines transitiven Satzes durch einen eigenen Casus activus herausgehoben wurde, durch das nominativische Satzschema, das Zustands-, Vorgangs- und Tatverba mit dem einheitlichen Nominativ als Subjektskasus konstruiert. 6.1.

Ethnosoziolinguistische

Feldforschung

Zwei in den Vereinigten Staaten beheimatete und von dort aus in Europa übernommene linguistische Strömungen zeigen in ihrer auseinanderstrebenden Richtung die Reichweite moderner linguistischer Forschung. Haben sich die formaldeskriptiven Methoden gerade in ihrer Auswirkung auf die Computerlinguistik letzten Endes als förderlich erwiesen, so verlangt doch jegliche Sprachtheorie, die dem Forschungsgegenstand natürliche Sprachen gerecht werden will, eine Ergänzung durch induktiv gerichtete Forschung, also linguistische Feldforschung. Bei der Beschäftigung mit nordamerikanischen Indianersprachen wurde diese zeitweilig in einseitiger Weise betrieben. Zu einer gedeihlichen Durchführung erscheint es jedoch geboten, die behavioristische Technik der Konstatierung von Reaktionen auf modifizierte sprachliche Reize zugunsten einer dem natürlichen Mitteilungsprozeß wieder angenäherten Exploration aufzugeben. War schon die grammatische Ausbeute unbefriedigend, so weiß moderne ethno-, sozio- oder psycholinguistische Forschung mit den so ermittelten Daten nichts anzufangen. Man wird also einen neuen Zugang finden müssen, um den anspruchsvolleren Fragestellungen durch reichhaltigeres Material entgegenzukommen. Auch für die Fragebogenmethode der europäischen Mundartforschung gilt

506

VII. Ethnische und politische Aspekte

nach Abschluß der im Ergebnis vorprogrammierten Dialektatlanten wieder die Forderung nach Erstellung von Textganzen gegenüber den bloßen Fragebogensätzen. Zu den bemerkenswerten Ergebnissen einer Feldforschung mit Blickrichtung auf die Ethnosoziolinguistik zählt die Ermittlung von eigenen Frauensprachen, wie sie in der Indogermanistik durch die Pariser soziologische Schule für eine im Armenischen und Altgriechischen feststellbare Schicht von Wortgleichungen ermittelt wurde. Als Beleg für die von Frauen geübte Traumdeutung sei auf griech. onar, armen, anurj ,Traum' verwiesen, was eigentlich den ,Alptraum' meint, wie lat. onus ,Last' erkennen läßt. Besonders bemerkenswert ist die Ausbildung einer Frauensprache im elsässischen Jiddisch, wo die Männer sich in Zusammenhang mit der Sprache der Bibel und in der Synagoge bei Grüßen und Segenswünschen hebräischer Formeln bedienen, denen im Munde der Frauen deutsche Entsprechungen gegenüberstehen. So wird ein Gast vom Mann mit sqmltjxm ,Friede mit Euch' empfangen, während die Frau ggdlk'om ,Gut willkommen' zu sagen hat. Wer in einem neuen Gewand erscheint, wird vom Manne mit disxadis ,Möge es sich erneuern' begrüßt, die Frau aber wünscht m$t Up sglss drags ,mit Liebe sollst du es tragen'. Wenn Ungutes erwähnt wurde, muß es der Mann von seinem Gesprächspartner beschwörend mit loi αΙξίχ3?η ,nicht für Euch' abwehren, was die Frau entsprechend mit nistfar äx g3z(ugt wiedergibt. ( E . - H . Levy 1924, 199.) 6.2.

Ethnosemantik

Die ethnographische Semantik, kurz Ethnosemantik, beschäftigt sich „mit der Erforschung jener Bedeutungsphänomene einer Sprache, die kulturell belangvoll sind". (Knobloch, 1961, 276.) Die Lexeme einer Sprache liefern aus dieser Sicht heraus Linguiseme und Ethnoseme (F.. A. Nida, 1951, 8). Erstere erhalten ihren Wert aus dem Sprachsystem: die Klassenaffixe der Bantusprachen drücken Singular und Plural aus; für letztere gilt, daß sie ihr Verständnis von der in einer Sprache bewältigten soziokulturellen Umwelt beziehen: die Klasseneinteilung unterscheidet Lebendes und Lebloses, Großes und Kleines, Längliches und Rundes u . a . m . Nach einer in der Indogermanistik verbreiteten Ansicht weist der «-Stamm der Nomina auf die göttliche Sphäre: lat. equus < »et -H-o- (got. ailva-) bezeichnet das Pferd als Opfertier. Ethnosemantische Forschung vermag in historischer Sicht frühere geistige Horizonte aufzuhellen. Unter den Krankheitsnamen ist Hexenschuß noch deutlich mit dem Schadenzauber verknüpft, auf den auch Gicht zurückweist, das als gijicht zu jehan ,sprechen' gehört. In mhd. e^-üf einen jehen ,es jemand zuschieben' ist die

Verbindung zu Jemand besprechen, verzaubern' gegeben. In den Überschneidungsgebieten zweier Sprachen sind vielfache Wortzeugnisse für ältere Kulturzustände aufzufinden. Volksetymologischer Eindeutung ist mhd. pfad-hauche, pfadhouch, pfadehüch ,Räuber' zu verdanken. Es ist im böhmisch-mährischen Raum aus tschech. paduch übernommen worden und durch den Anklang an mhd. buchen ,sich ducken' als Wegelagerer' verstanden worden. In der Ursprungssprache meint es jedoch den (vom Galgen bei der Exekution) Herabgefallenen (padati,fallen'), dem nach altem Brauch das Leben geschenkt wurde. Es ergibt sich so eine genaue Parallele zu ital. scampolo ,Taugenichts', einer Verkürzung von scampaforca ,der dem Galgen Entwischte'. Sachwandel liegt folgenden Beispielen zugrunde: dt. Bundschuh lebt in tschech. puncocha .Strumpf' fort, unser Perückenmacher in russ. parikmacher .Friseur', die Kerze war zunächst ein Stück eingerollte Birkenrinde, die als Fackel, aber auch als wohlfeiler Schreibstoff (lat. charta) diente. Die Ethnosemantik wird auch die Aufgabe haben, für seltsame Wortverwendungen nach einem sinnvollen Grund zu fahnden: frz. vasistas ,Guckfenster in der Tür' ist im 18. J h . aus der deutschen Frage ,Was ist das?' (eigentlich eine Verwechslung mit der zutreffenden Frage: Wer ist da ?) übernommen worden und ins Polnische als wasysdas, ins Russische als vasisdas vorgedrungen. Nach der äußeren Ähnlichkeit mit der Infel heißt der Bürzel der Gans - im Frz. als un sot-l'y-laisse bezeichnet der Bischof, von hier aus ist Pfaffenschnitz zu verstehen. Selten kommen Entlehnungen aus Sprachen vor, die am Rande des abendländischen Kulturkreises gesprochen wurden und werden. Ein schon antikes Wanderwort ist in dt. Socken bewahrt: lat. soccus, seinerseits Lehnwort aus gr. zykchos kam aus einem westkaukasischen Dialekt nach Kleinasien und ist dem heutigen tscherkessischen foiga „Buschmesser"), weniger Verben, fast keine Adjektive. Oberacker unterscheidet bei den Entlehnungen unvermeidliche Anpassungswörter für in Europa unbekannte Sachverhalte, relativ vermeidbare Verarmungsausdrücke, bedingt durch den geringen Wortschatz vieler Einwanderer, und Assimilierungsausdrücke, welche gebräuchliche dt. Wörter verdrängen. Daneben ist diese hunsrückische, in zahllose Subdialekte und selbst Idiolekte aufgefächerte Mda. auch durch viele Neuschöpfungen gekennzeichnet, wie Dachblatt für eine Palmart mit Blättern zum Dackdecken; Sandhase; Schleppgras; oft hybride Formen wie Batatenblume, Miljebock. Im Durchschnitt ist die Stellung der Mundarten stärker, der dt. Hochsprache schwächer als in den rein deutschsprachigen Staaten. Das ist sehr deutlich in der Schweiz und mehr noch in Luxemburg, wo heute noch der Zustand herrscht, daß die Hochsprache nur beim Schreiben und in gehobener Rede (Vorträge, Predigten) gebraucht wird. Aber auch in Übersee finden wir Phänomene wie eine Ubersetzung der Evangelien ins Pennsilfaanische (1968). Außerhalb des geschlossenen Sprachgebiets, sowie im Elsaß, Lothringen und ζ. T. Belgien sind

Hochsprache wie Mundart stark von der Kontaktsprache beeinflußt. Das gilt vor allem von den „dachlosen" Mundarten, die ohne das Schutzdach der Hochsprache unmittelbar den Einflüssen der Kontaktsprache ausgesetzt sind. Das Niveau der umfangreichen Literatur, die im Ausland in dt. Sprache erschien, liegt im allgemeinen unter dem der rein dt. Staaten. Die wichtigsten Ausnahmen sind die Literaturen der dt. Schweiz und Siebenbürgens sowie die der dt. Emigranten zumal in den USA (nach 1933) sowie die einstigen Literaturen der Dt. im Baltikum, dem Elsaß und der Tschechoslowakei. Auch der übrigen dt. Literatur im Ausland kommt jedoch erhebliche Bedeutung zu, besonders vom Standpunkt einer Kultur-, zumal einer Literatursoziologie, der es weniger auf individuelle Leistungen als auf die Literatur als Funktion (Ausdruck und Werkzeug) von Gruppen ankommt. 2.3. Rechtliche Stellung der deutschen

Sprache

2.3.1. Deutsch als Amtssprache: Eine von mehreren Amtssprachen des Staates ist Dt. in der Schweiz und Luxemburg, eine von mehreren Nationalsprachen in Südwestafrika und der Schweiz. In Italien ist Dt. regionale Amtssprache im Staate. Eine öffentlich-rechtlich anerkannte, auch sprachliche Selbständigkeit einschließende Selbstverwaltung genießen die dt. Mennoniten in Paraguay und Mexiko. Vor 1940 war Dt. Amtssprache auf regionaler Grundlage u. a. in den Siedlungsgebieten der UdSSR und der Tschechoslowakei, auf personeller Grundlage für die ihrer eigenen Kulturselbstverwaltung unterstellten Dt. in Estland. 2.3.2. Recht auf Sprachpflege: Das Recht sog. bodenständiger, d. h. nicht durch jüngste Zuwanderung entstandener Gruppen auf Erhaltung ihrer Sprache wurde vor 1939 theoretisch meist bejaht, in der Praxis oft negiert. Nach 1945 wird das Recht auf Spracherhaltung umgekehrt in der Theorie - als Folge einer weitgehenden Diskreditierung älterer „minderheitenrechtlicher" oder „volksgruppenrechtlicher" Ideologien - eher kühl beurteilt, in der internationalen Praxis aber zunehmend anerkannt, und zwar z . T . aus pädagogischen - also primär außerrechtlichen - Einsichten heraus, deren sich u. a. die U N E S C O im Hinblick auf die Dritte Welt annimmt. In einer Zeit, die der Behinderung von Unterschicht-Schülern durch den restringierten Kode viel Wichtigkeit beimißt, muß die in einer anderen Haussprache des Schülers gegebene Barriere erst recht beachtet werden, gleich ob diese Haussprache nun Wolof, Ketschua oder Dt. heißt. Die Ignorierung der Haussprache impliziert eine generationenlange Diskriminierung besonders der begabungsmäßig und/oder sozial schlechtgestellten Kinder.

60. Deutsche Sprache außerhalb des geschlossenen deutschen Sprachgebiets 2.3.3. Mehrsprachigkeitsfragen: Zwei- und selbst Dreisprachigkeit sind bei den Dt. im Ausland (außer in der dt. Schweiz) ungleich viel häufiger als in den dtsprachigen Staaten. Entsprechend sind auch sprachliche Interferenzerscheinungen sehr viel zahlreicher, wie vielfach schon ein Blick in die dt. Presse im Ausland erkennen läßt. Eine vorbildliche Untersuchung über Fragen der Sprachmischung hat Fausel 1959 für die Dt. in Süd-Brasilien vorgelegt, eine über Zweisprachigkeit beim eigenen Kind in USA Leopold 1939-48. Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen stabiler, diglossischer Mehrsprachigkeit, bei der jede der beteiligten Sprachen ihre festen, ständigen und mehr oder weniger ausschließlichen Anwendungsbereiche („domains") besitzt, und einer Mehrsprachigkeit, die Ergebnis eines dynamischen Sprachwechsels ist, bei der die schwächere Sprache von der stärkeren aus einem Anwendungsbereich nach dem anderen verdrängt wird, um zum Schluß zu verschwinden (replacive bilingualism). Urteile über Vorzüge oder Schattenseiten der Zweisprachigkeit sind, selbst bei Wissenschaftlern, ungewöhnlich oft emotional motiviert. Wo eine zweisprachige Gruppe beginnt, die angestammte Sprache aufzugeben, betonen deren Verteidiger die Vorteile der Zweisprachigkeit, z . B . bei den Dt. im Elsaß und Brasilien, bei den Franzosen in Louisiana (USA) und dem Aostatal in Italien. Wohin hingegen eine bisher einsprachige Minderheit zweisprachig zu werden „droht" und dies zuweilen unter gelindem oder auch starkem staatl. Druck, betonen die Sprecher der Volksgruppe die Vorzüge der Einsprachigkeit, so bei den Dt. in Eupen-St. Vith, den Franzosen in Quebec und Welschbern. Als sicher kann gelten, daß sowohl Ein- wie auch Zweisprachigkeit ihre spezifischen Vor- wie auch Nachteile mit sich bringt, wobei die Nachteile durch die Sprachpolitik in den Schulen verstärkt werden können, was z . B . ein Vergleich zwischen dem Elsaß und Luxemburg erkennen läßt. 2.3.4. Zukunft der dt. Sprache im Ausland: Das Gesamtbild ist negativ. Außerhalb der dt. Schweiz und Luxemburgs ist die dt. Hochsprache einigermaßen fest verankert nur bei den nachstehend in absteigender Folge aufgeführten dt. Gruppen in Südtirol, Eupen-St. Vith, Nordschleswig, Südwestafrika, Paraguay (bes. Mennoniten), Rumänien, Chile. Südtirol ist das einzige Auslandsgebiet, in dem die Position der dt. Sprache in jüngster Zeit (seit 1945) im erheblichen Umfange wiedergefestigt worden ist, ohne daß aber der Stand von 1914 wiedererreicht wurde. Als Gründe für den Rückgang des Dt. als Muttersprache im Ausland sind zu unterscheiden: (a) Massenzwangswanderung (s. Polen, Sowjet-

539

union); (b) freiwillige Assimilation aus wirtschaftlichen, vielfach aber aus sozialen Motiven heraus; (c) der Spracherhaltung ungünstige Änderungen der gesellschaftlichen Struktur (z.B. Industrialisierung, räumliche Mobilisierung, Verstädterung, Kollektivierung der Landwirtschaft); (d) bewußte Vorenthaltung von Sprachenrechten; (e) Nachwirkungen der Tatsache, daß Dt. in zwei Weltkriegen die Sprache der Besiegten war, was in manchen Ländern zur regelrechten Verfolgung der dt. Sprache führte, und in einigen Ländern (z.B. Brasilien, Ungarn, Sowjetunion)einen deutlichen, zur Ablehnung angebotener Sprachenrechte führenden Furchteffekt, in anderen nur einen Vorsichts- und Indifferenzeffekt gehabt hat. 3. Deutsche Sprache als oder Amtssprache 3.1.

National-

Luxemburg

Es herrschen vor: Frz. in allen amtlichen Schriftstücken einschl. Gerichtsakten; den Straßenschildern; auf den Oberschulen, im Hochschulstudium; Frz. und Mda. im Parlament einschl. der gedruckten Kammerberichte (kein Dt. seit 1945); Frz. und Dt. in der Sachprosa (Frz. in der Rezeption, Dt. in der Produktion); Dt. in der Volksschule und in der Presse; Dt. und Mda. im Radio,,Konsum" (hingegen Radiozeit: je 2 /sDt. u. Frz., Ά Mda.). Waren vor 1940 Frz. und Dt. als Amtssprachen gleichberechtigt, so hat heute Frz. den Vorrang. Es gibt kein einheimisches Element frz. Muttersprache, aber eine lux. Lit. in drei Sprachen: Frz., Dt. und der letzeburgischen moselfrk. Mda., die zugleich jedermanns Umgangssprache ist. Versuche (etwa 1936-40 und 1945-50), Letzeburgisch zur Hochsprache mit Sachprosa und Nationalepen auszubauen, verebbten, aber in den (kath.) Kirchen weicht Dt. seit dem Vaticanum zunehmend rasch vor der Mda. zurück (provisor. mda. MesseText). Lit.: Ν . Ries, Le dualisme linguistique et psychique du peupie Luxembourgeois. Luxemburg 1911. - N . Ries, Le peuple Luxembourgeois. Diekirch 1920. - N . Welter, Mda. u. hochdte. Dichtung in Luxemburg. Luxemburg 1929. Luxemburger Wörterbuch. Luxemburg 1954 ff. - R . Bruch, Das Luxemburgische im westfränkischen Kreis. Luxemburg 1954. - R . Bruch, Grundlegung einer Geschichte des Luxemburgischen. Luxemburg 1963. - Luxemburgischer Sprachatlas. Marburg 1963. - F . Hoffmann, Geschichte der Luxemburger Mundartdichtung. 2 Bde. Luxemburg 1964—1967. D . Magenau, Die Besonderheiten der dt. Schriftsprache in Luxemburg und in den dt.sprachigen Teilen Belgiens. Mannheim 1964. - J . R . Reimen, Esquisse d'une stituation plurilingue, de Luxembourg. In: La Linguistique 1965, 8 9 - 1 0 2 .

3.2.

Belgien

Im 1919 belgisch gewordenen Gebiet von Eupen-

540

VII. Ethnische und politische Aspekte

St. Vith leben rd. 60000 Dt. mit dt. Grund- und zweisprachigen Oberschulen, und teils mittelfränk. (Eupen), teils moselfränk. (St. Vith) Mda. Dt. ist als dritte Landessprache und damit zugleich als kommunale und regionale Amtssprache vom Staat anerkannt. Im sog. altbelgischen Gebiet sprechen rd. 15000 Menschen im Gebiet von Montzen niederfränk., rd. 35000 um Arel/Arlon herum letzeburgische Mda.; als Hochsprache haben sie Frz. angenommen. Lit.: G . Kurth, La frontiere linguistique en Belgique. 2 Bde. Brüssel 1896-1898. - A. Bertrang, Grammatik der Areler Mda. Brüssel 1921. - W. Welter, Studien zur Dialektgeographie des Kreises Eupen. Bonn 1929. - G . Fittbogen, Das Schulrecht von Eupen Malmedy. Berlin 1930. W. Welter, Die niederfränk. Mdaa. im Nordosten der Prov. Lüttich. Den Haag 1933. - M. Zender, Die dt. Sprache in der Gegend von Arel. In: Dt. Archiv Lds.- u. Volksforschung 3. 1939, M O . - H . Bischoff, Geschichte d. Volksdeutschen in Belgien. Aachen 1941.

3.3. Südwestafrika

/Namibia

Dt. ist in Südwestafrika die Muttersprache von nur rd. 25 000 Menschen, wird aber auch von vielen anderen Einwohnern gesprochen. Seit 1958 ist Dt. eine der drei „Nationalsprachen", neben den beiden Amtssprachen Engl. u. Afrikaans. Südwestafrika ist außer Südafrika das einzige Überseeland mit staatl. dt. Schulen (neben dt. Privatschulen) und das einzige Überseeland, dessen einheimisches landeskundliches und hist. Schrifttum zu einem erheblichen Teil in dt. Sprache erscheint. Fast alle Dt. sind mehrsprachig; das Umgangsdt. ist davon stark beeinflußt. Lit.: Η . C. Nöckler, Sprachmischung in Südwestafrika. München 1963. - W. Bertelsmann, Die Minderheitenrechte der dtsprachigen Bevölkerung in Südwestafrika. Göttingen 1970 (Diss.).

4. Deutsche Sprache in Nord-, West- und Südeuropa 4.1.

Dänemark

Die dt. Volksgruppe in Nordschleswig (knapp 25 000 Personen) unterscheidet sich von allen anderen dt. Volksgruppen dadurch, daß die Haussprache der meisten Dt. eine dänische Mda. (s0nderjysk) ist. Von allen anderen Volksgruppen in Europa unterscheidet sie sich zusätzlich dadurch, daß sie in keiner Ortschaft die Mehrheit bildet. Sie überlebt aus einem stärkstens die Hochsprache betonenden Kulturwillen heraus, im Rahmen eines gegenüber seinen anderssprachigen Mitbürgern (auch Färingern und Eskimos) sprachenrechtlich bes. großzügigen Staates. Lit.: Η . Kardel, Fünf Jahrzehnte Nordschleswig. Apenrade 1971.

4.2.

Niederlande

Ein Gebiet im Osten der Provinz Süd-Limburg vertauschte zwischen 1890 und 1940 die dt. Hochsprache unter Beibehaltung der Mda. mit der ndl. Hochsprache. Lit.: G. Scherdin, Die Verbreitung der hochdt. Schriftsprache in Süd-Limburg. Berlin 1937.

4.3.

Frankreich

Die Entwicklung im Elsaß ist gekennzeichnet durch vier Etappen: vor 1870 langsame Zurückdrängung der dt. Hochsprache durch das Frz.; 1871-1918 kräftige Wiederfestigung des Dt., daneben stärkste Pflege der alem. Mda. als Ausdruck der Sonderart, gerade auch bei Französischgesinnten; zwischen den Weltkriegen planmäßige Zurückdrängung der dt. Hochsprache durch die Regierung: Frz. einzige Unterrichtssprache außer in Religion; Dt. Fach ab 2. Schuljahr; seit 1945 verstärkte Rückdrängung der Hochsprache (Fach heute nur ab 6. Kl.), daneben nun aber auch sytematische Rückdrängung der Mda., z.B. durch zahlreiche staatliche rein frz. Vorschulen. Heute bei den jüngeren Altersklassen nur noch rudimentäre passive Kenntnisse des Dt. Die Mda. verarmt und ist bei den Kindern in den größeren Städten verschwunden. Gegenbewegungen zur Wahrung der Dreisprachigkeit von Mda., Dt. und Frz. (R. Schickele-Kreis 1968), oder wenigstens der Zweisprachigkeit von Mda. und Frz. entfalten sich nur langsam. Im fränkischsprechenden Ost-Lothringen ist die Lage für die dt. Sprache noch ungünstiger, weil es im dt. Sprachgebiet keine kulturellen Mittelpunkte gibt, die mda. Tradition schwächer ist und Arbeiter zugewandert sind, deren lingua franca das Frz. ist oder wird. Lit.: P. Levy, Histoire linguistique d'Alsace et de Lorraine, Bd. I, II, Paris 1929. - M . Toussaint, La frontiere linguistique en Lorraine. Paris 1955. - A. Tabouret-Keller, Problemes psychopedagogiques du bilinguisme. In: Rev. internationale de pedagogie 6. 1960, 52-66. - Die Schulsprache im Elsaß. In: Europa Ethnica. 1964, 98-107. - D . Magenau, Die Besonderheiten der dt. Schriftsprache im Elsaß und in Lothringen. Mannheim 1962.

4.4.

Italien

Südtirol: In Südtirol, das 1919 zu Italien kam, betrug der Anteil der ital.sprachigen Bevölkerung 1910 nur 8%, heute 35%. Dt. Muttersprache (mit bajuw. Mda.) sind rd. 250000 Einwohner. Die eine eigene romanische Sprache sprechenden rd. 13000 Ladiner pflegen Dt. als wichtige (vor 1919 einzige) Hochsprache. Nach der Sprachunterdrückung durch den Faschismus, die selbst Familiennamen und Grabinschriften erfaßte, wurden 1947 die Sprachen-

60. Deutsche

Sprache

außerhalb

r e c h t e w i e d e r voll h e r g e s t e l l t ; S ü d t i r o l e r h i e l t z u d e m - als „ P r o v i n z B o z e n " - e i n e b e g r e n z t e A u t o nomie.

Lebendige Volkskultur; z . B .

bestanden

des geschlossenen

deutschen

Sprachgebiets

541

Lit.: F. J . Beranek, Adas der sudetendeutschen Umgangssprache. Bd. 1. Marburg 1970. - E. Schwarz, Sudetendeutsche Sprachräume. 2. Aufl. München 1962.

1 9 6 9 in 117 G e m e i n d e n 1 4 6 d t . V o l k s ( L a i e n ) b ü h nen, 7 0 Volkshochschulen. Ü b r i g e s O b e r i t a l i e n : I m seit 1 9 1 9 ital. K a n a l t a l (it. V a l C a n a l e ) leben n o c h r d . 8 0 0 D t e . m i t k ä r n t -

5.3.

Ungarn

D i e S p r a c h d t . in U n g a r n , 1 9 3 0 a m t l . n o c h 4 8 0 0 0 0 ,

n e r M d a . ; 1 9 1 0 w a r e n es 6 4 0 0 , die m e i s t e n w u r -

in W i r k l i c h k e i t r d . 7 0 0 0 0 0 P e r s o n e n , u n t e r l i e g e n

den

seit 1 8 6 7 e i n e m A s s i m i l a t i o n s p r o z e ß , d e r s c h o n

1940/41

umgesiedelt.

Uber

die r d .

10000

S p r a c h i n s e i d t . s. D e u t s c h e S p r a c h i n s e l n .

vor

Lit.: Β. Wurzer, Die dt. Sprachinseln in Oberitalien. Bozen 1969. - L. Weisgerber, Vertragstexte als sprachliche Aufgabe. Bonn 1961. - Tirolischer Sprachatlas. Hrsg. ν. Κ. K. Klein u. L. E. Schmitt. Unter Berücksichtigung der Vorarbeiten B. Schweitzers bearb. v. E. Kühebacher. 3 Bde. Marburg, Innsbruck 1965-1971.

magyarische

1 9 1 4 in A l t - U n g a r n ü b e r 1 M i l l . D t . in die Sprachgemeinschaft

geführt

hatte,

z u m a l ein i m m e r g r ö ß e r e r T e i l d e r S p r a c h d t . sich n i c h t m e h r als D t . in U n g a r n , s o n d e r n als U n g a r n mit dt. H a u s m u n d a r t e m p f a n d (vgl. E l s a ß ) .

Un-

blutige

fast

Vertreibungen

1945-48

beseitigten

das g a n z e d t . E l e m e n t im G r e n z g e b i e t u m ö d e n b u r g - S o p r o n u n d g r o ß e T e i l e ( ü b e r 2 0 0 0 0 0 ) des

5. Deutsche Sprache in Osteuropa und der Sowjetunion

fast

5.1. Polen

bes. den Siedlungen dicht u m B u d a p e s t

Die Zahl der Personen dt. Muttersprache betrug

inseln d e r s o g . D o n a u s c h w a b e n i m S ü d e n , d e r e n

1 9 3 7 r d . 9 M i l l , diesseits u n d r d . 1,4 Mill, jenseits d e r d a m a l i g e n R e i c h s g r e n z e , d a v o n 0 , 4 M i l l , im damaligen

Freistaat

Danzig.

Heute

beträgt

sie

höchstens 2 0 0 0 0 ohne erkennbare räumliche Mitt e l p u n k t e , w i e i h n n o c h bis in die 6 0 e r J a h r e h i n ein d a s G e b i e t v o n W a l d e n b u r g - W a l b r z y c h

(mit

dt. O b e r s c h u l e 1 9 5 3 - 5 7 ) gebildet hatte. E i n e dt. Z e i t u n g e r s c h i e n in B r e s l a u

1951-58.

durchweg

mittelbair.

Mda.

Sprachinseldtms. im Ungarischen

Hingegen

leben in P o l e n n o c h z w e i G r u p p e n m i t s l a w . H a u s m d a . , lutherische Masuren (rd. 8 0 - 1 0 0 0 0 0 )

und

k a t h . O b e r s c h l e s i e r ( 3 0 0 - 4 0 0 0 0 0 ) , die sich n o c h i m m e r als „ K u l t u r d t e . " e m p f i n d e n .

sprechenden Mittelgebirge, herum.

W e n i g e r betroffen w u r d e n hingegen die SprachMda.

weit überwiegend

rhein-fränk.,

nur

D t . g e w i s s e S p r a c h e n r e c h t e g e w ä h r t . A b e r d a es k a u m n o c h rein sprachdt. O r t s c h a f t e n und keine rein d t . K o l c h o s e n g i b t , g e h t das R e s t d t m .

im

M a g y a r e n t u m auf. Vielfach hält der Furchteffekt der ersten N a c h kriegszeit die Sprachdt. davon ab, g e b o t e n e M ö g lichkeiten w a h r z u n e h m e n . Sprachdt. 300000,

Die Gesamtzahl

beträgt heute noch

etwa 2 0 0 0 0 0

der bis

überwiegend den mittleren u n d älteren

Altersklassen angehörende Personen. V o m

Lit.: W . Mak, Zweisprachigkeit und Mischmda. in Oberschlesien. In: Schles. Jahrb. f. dte. Kulturarbeit 7. 1935, 41-52. - H . Bluhme, Beitr. zu dt. u. z. poln. Mda. im Oberschlesischen Industriegebiet. Den Haag 1964. - N . Reiter, Diepolnisch-dt. Sprachbeziehungen in Oberschlesien. Wiesbaden 1960. - B. Grund, Das kulturelle Leben der Dt. in Niederschlesien unter poln. Verwaltung 1947-1958. Bonn 1967. - A. Bohmann, Strukturwandel der dt. Bevölkerung im polnischen Staats- u. Verwaltungsbereich. Köln 1969.

ganz

v e r e i n z e l t s c h w ä b . ist. Seit e t w a 1 9 5 4 w u r d e n d e n

Staat

g e f ö r d e r t w i r d die w i s s e n s c h a f t l i c h e E r f o r s c h u n g des D t m s . ( V o l k s k u n d e ; D i a l e k t g e o g r a p h i e u s w . ) . Lit.: C . J . Hutterer, Zur Sprachgeographie der dt. Mdaa. in Mittelungarn. Halle 1961. - C . J . Hutterer, Das ungarische Mittelgebirge als Sprachraum. Halle 1963.

5.4.

Jugoslawien

V o n 1939 rd. 6 0 0 0 0 0 D t . - z u r M e h r h e i t „ D o n a u -

5.2.

s c h w a b e n " m i t r h e i n f r ä n k . M d a . - leben i m L a n d ,

Tschechoslowakei

vornehmlich der W o j w o d i n a , nach privaten Schät-

Die Zahl der D t . , 1937 rd. 3 , 2 Mill., betrug noch

180000,

1970 nur n o c h

zwischen

1950 85600

zungen verstreut noch rd. 2 0 0 0 0 , ohne Sprachenr e c h t e u n d in r a s c h e r A s s i m i l a t i o n b e g r i f f e n .

(amtl.)und 130000(priv. Schätzungen). Die größten G r u p p e n

leben in d e n B e z i r k e n

Falkenau-

S o k o l o v ( 1 9 6 9 Ά der E r w . ) , K o m o t a u - C h o m u t o v u n d G a b l o n c - J a b l o n e c (je V i o ) . O b w o h l 1 9 6 8 e r s t m a l s d e n D t . w i e d e r die G l e i c h b e r e c h t i g u n g m i t d e n a n d e r e n N a t i o n a l i t ä t e n z u e r k a n n t w o r d e n ist, ist d i e P o l i t i k des Staates u n v e r ä n d e r t a u f r a s c h e A s s i m i l i e r u n g d e r D t . a b g e s t e l l t . E s gibt k e i n e d t . S c h u l e n , n u r freiwillige d t . S p r a c h z i r k e l a n einigen V o l k s s c h u l e n . B e e n d e t z u sein s c h e i n t die A s s i m i l i e r u n g d e r r d . 4 0 0 0 0 e h e m . „ K u l t u r d t . " im 1 9 1 9 abgetrennten Hultschiner Gebiet.

5.5.

Rumänien

D i e d t . V o l k s g r u p p e in R u m ä n i e n ,

1930 rd. 0 , 8

Mill., genoß nach 1919 wesentlich mehr Sprachenr e c h t e als d i e in U n g a r n , s o d a ß d i e Stellung d e r d t . H o c h s p r a c h e bei ihr s t ä r k e r ist. Sie w u r d e g e s c h w ä c h t 1 9 4 0 d u r c h A u s s i e d l u n g d e r D t . aus B u kowina,

Bessarabien

und

Dobrudscha,

nach

Kriegsende durch verlustreiche zeitweise D e p o r tierungen nach der Sowjetunion ( 1 9 4 5 ) und östlich Bukarest (1951).

542

VII. Ethnische und politische Aspekte

Doch leben in Rumänien noch immer zwei größere Gruppen mit zus. knapp 400000 Personen: 200000 im 12. Jh. eingewanderte, moselfränk. Mda. sprechende sog. Siebenbürger „Sachsen" und annähernd ebensoviele pfälzer Mda. sprechende Banater „Schwaben". Das Sprachenrecht Rumäniens ist auch heute wieder relativ großzügig. Einzigartig ist die Stellung der dt. Volksgruppe, zumal der Siebenbürger, abgeschwächt auch der Banater, darin, daß ihre Literatur nach 1919 mitteleurop. Niveau erreichte und über alle politischwirtschaftlichen Wechselfälle bis heute beibehalten hat. (Seit 1968 Literaturzeitschrift „Neue Literatur", ferner seit 1959 eigenes Wissenschaftsblatt „Forschungen zur Volks- und Landeskunde"). Im Jahre 1967 erschienen 107 dt. Schulbücher u. 87 sonstige Bände: 35 Belletristik, 19 Kinderbücher, 17 Kunstbücher und Reiseführer, 9 polit. Literatur, 7 Sachbücher. L i t . : Α. Valentin, Die Banater Schwaben. München 1959. - Siebenbürgisch-Dt. Sprachatlas. Marburg, Bd. I, Teil 1, 1961, Teil 2 , 1964. - F. Teutsch, Kleine Geschichte der Siebenbürger Sachsen. Darmstadt 1965. - A . Möckel, Geschichtsschreibung u. Geschichtsbewußtsein bei den Siebenbürger Sachsen. In: Stud. ζ. Geschichtsschreibung im 19. u. 20. J h . K ö l n - G r a z 1967, 1-23. - M . Klaube, Das sächsische Minderheitensiedlungsgebiet in Südsiebenbürgen. München 1971. - Κ . K. Klein, Saxonica Castrensia. Marburg 1971. C . Göllner, Muncä si nazuinte commune. Die trecutul populatiei germane din Romania. Bukarest 1972. - Siebenbürgisch-Sächsisches Wörterbuch 1908ff. (Bd. I V , H - J . Bukarest 1972).

5.6.

Bulgarien

Die je rd. 300 dt. Siedler der Gemeinden Endsche (1899) und Bardarski Geran (1887) wurden 1943 nach Deutschland umgesiedelt. Lit.: Jahrb. d. Dobrudschadt. 7, 1962.

5.7.

Sowjetunion

Im Verhalten der Sowjetunion zu ihren sprachdt. Bürgern gab es drei Phasen: (1) Bis 1941 eine trotz religions- und wirtschaftspolitischer Intoleranz starke Förderung der dt. Sprache. Die rd. 400000 meist hess. Mda. sprechenden Wolgadt. verfügten seit 1924 über ihre eigene autonome „Wolgarepublik"; ein erheblicher Teil der rd. 0,8 Mill, übrigen Dt. lebte in 16 sog. Nationalen Rayons, d. h. Gebieten mit dt. Verwaltungssprache, deren es acht in der Ukraine, sechs in der Russischen SFSR (davon 1 in Asien), je 1 in Georgien und Aserbaidschan gab. Die meisten Siedlungen waren mda. (und konfessionell) einheitlich; es gab nd. (meist mennonitische), schwäb., rheinfränk.-hess. Ortschaften und Rayons. (2) Teils 1941 (Wolgarepublik), teils bald dar-

auf wurden fast alle Dt. aus den europ. Teilen der UdSSR nach Sowjetasien deportiert; auf europ. Boden leben Dt. nur noch um Ufa und Orenburg und in den Gebieten des Nordens (z.B. Rep. Komi). (3) Seit 1955 folgte eine allmähliche Lockerung. Doch wurde ihnen trotz der amtlichen Feststellung (1964), sie seien 1941—45 grundlos der Kollaboration angeklagt worden, die Rückkehr nach Europa verweigert - anders als allen anderen deportierten Volksgruppen, außer den Krimtataren. Es gibt wieder ein paar dt. Blätter. Dt. ist seit 1957 als Fach an den Volksschulen mit dtsprechenden Kindern zugelassen. Es gibt sowjetdt. Schriftsteller und seit 1968 sogar Schriftstellertagungen. Gleichzeitig geht infolge des Fehlens dt. Schulen und der zunehmenden räumlichen Mengung der Sprachgemeinschaften die dt. Sprache unter der Jugend rasch zurück; 1969 bezeichneten 1,8 Mill, ihre „Nationalität", davon aber nur 1,2 Mill. (67%) ihre Sprache als dt. Diskriminierend wirkt die Vorenthaltung der dt. Schul- und Verwaltungssprache in den vor 1939 entstandenen Sprachinseln Sowjetasiens (Raum Omsk, Slawgorod). Lit.: F. P. Schiller, Literatur zur Geschichte u. Volkskunde der dt. Kolonien in der Sovet-Union. Pokrowsk 1927. - J . Quiring, Die Mda. von Chortitza. München 1927 (Diss.) - V . Schirmunski, Die dt. Kolonien in der Ukraine. Geschichte, Mdaa., Volkslieder, Volkskunde. Moskau 1928. - Heimatbuch der Dt. aus Rußland. Hrsg. v. K . Stumpp. Stuttgart 1957ff. - K . Stumpp, Das Schrifttum über das D t . in Rußland. Tübingen 1. Aufl. 1963, 3. Aufl. 1971. - J . Parigi, Die Sowjetdt. Gütersloh 1965. A. Bohmann, Strukturwandel der dt. Bevölkerung im Sowjet. Staats- und Verwaltungsbereich. Köln 1970.

6. Deutsche Sprache in Übersee 6.1.

Kanada

In Kanada wurden 1971 561000 Menschen dt. Muttersprache gezählt, davon Vj in Ontario, vor allem Toronto (rd. 70000). Größere Sprachinseln: In der pennsilfaanisch-pfälz. Sprachinsel von SüdOntario (um Kitchener), seit 1800 von Dt. aus USA gegründet, seit etwa 1830 durch Dt. aus Mitteleuropa verstärkt, sprechen noch viele Erwachsene Dt., aber nur die Sekten der AltAmischen und Alt-Mennoniten übertragen es auf die Kinder. In den Prärieprovinzen schufen (seit 1874) Einwanderer aus den dt. Sprachinseln des Zarenreiches und der Donaumonarchie zahlreiche neue Sprachinseln, deren Mdaa. meist dem hess.-pfälz. Umkreis angehören; am zähesten hielten an Hochund Umgangssprache Teile der nd. („plautdietsch") sprechenden Mennoniten aus der Ukraine fest. Insgesamt mag die Zahl der Sprachinseldt. noch um 100000 liegen. Völlig ohne engl. Einfluß bleiben vorerst die rd. 6-8000, in

60. Deutsche Sprache außerhalb des geschlossenen deutschen Sprachgebiets christlich-kommunistischen Kollektivwirtschaften („Bruderhöfen") lebenden, Kärntner Mda. sprechenden Hutterer, eine in religiöser Hinsicht den Mennoniten nahestehende Sekte, deren Wanderung von Tirol über Mähren, Siebenbürgen und die Ukraine 1874 nach U S A , 1918 von dort nach Kanada geführt hat. Die seit 1945 eingewanderten rd. 4 0 0 0 0 0 Dt. leben überwiegend in Städten, seltener in ländlicher Diaspora. Der Spracherhaltung eher günstig sind die Mehrsprachigkeit des Landes und seit 1971 das amtliche Bekenntnis des Bundes zum „multiculturalism"; ungünstig die Gespaltenheit der D t . nach Herkunft, Siedlungsgebieten, Konfessionen, Bildungsgrad sowie Nachwirkungen aus zwei Weltkriegen. Lit.: Μ. Emcncau, The Dialect o f Lunenburg, Nova Scotia. In: Language 11. 1935, 140-147. - H . Kratz u. H . Milnes, Kitchener German: a Pennsylvania German Dialect. In: M L Q 14. 1953, 184-198, 2 7 4 - 2 8 3 . - J . Thiessen, Studien zum Wortschatz der kanadischen Mennoniten. Marburg 1963. - H . Wacker, Die Besonderheiten der dt. Schriftsprache in Kanada u. Australien. Mit e. Anhang über d. Besonderheiten in Südafrika und Palästina. Mannheim 1965. - M . Richter, Die dt. Mundarten in Kanada. Hin Forschungsbericht. In: Seminar 3. 1967, 6 3 - 6 5 . - Linguistic Diversity in Canadian Society. Ed. by R . Darnell, Edmonton 1971. Deutsch als Muttersprache in Kanada. Wiesbaden 1977.

6.2.

Vereinigte Staaten von

Amerika

Im Jahre 1970 war (zufolge einer Repräsentativbefragung von nur 15% der Einw.) Dt-, einschl. Pennsilfaanisch, die Kindheitssprache von 6093 100 Personen (zum Vergleich: Spanisch 7,8, Ital. 4,1 Mill.). Für die übergroße Mehrheit der im Inland Geborenen ist D t . jedoch nicht mehr die Hauptsprache (Umgangssprache) des Alltags. Das fast völlige Erlöschen des Dten. als Muttersprache (abgesehen natürlich von künftigen Einwanderern) scheint trotz dieser großen Zahlen unabwendbar; es handelt sich dabei, soweit erkennbar, um den zahlenmäßig größten Assimilationsvorgang, der sich je an einer einzigen Sprachgemeinschaft in einem einzigen Staat und einem einzigen Jahrhundert vollzogen hat. Etwa 1710-76 entstand im östlichen Pennsylvanien ein dt. Siedlungsgebiet, unter dessen fast durchweg südwestdt. Einwanderern sich eine Ausgleichsmda. auf rheinpfälz. Grundlage bildete, das „Pennsilfaanische" oder Pennsylvaniadt. Engl. Lehnworte bilden 2—8%, wurden aber dem phonologischen System der Mda. angepaßt. Etwa 1850 bis 1920 verschwand die Hochsprache erst aus der Schule, dann der Presse, zuletzt der Kanzel. Im Jahrhundert 1850-1950 entstand eine ansehnliche Mda.-Lit. Zahlreiche Tochtersiedlungen trugen die Mda. im 18. Jh. nach Süden (Virginien usw.), im 19. J h . nach Westen und nach Kanada. Die Sprecherzahl mag um 1900 bei 1 Mill, gelegen haben und liegt heute bei 2 0 0 0 0 0 . Seit etwa 1950

543

haben die letzten Eltern aufgehört, die Mda. an die Kinder weiterzugeben, abgesehen von zwei Sekten, die daneben meist auch an einem verkümmerten Schriftdt. festhalten, nämlich dem G r o ß teil der rd. 5 0 0 0 0 Altamischen (Old Order Amish, Hauptsiedlungen in Ohio) und einem Teil der 10000 Alt-Mennoniten (Old Order Mennonites). Von 1820-1970 sind rd. 6 Mill. Dt. eingewandert. Für 1910 wurde die Zahl der Sprachdt. auf mindestens 9 Mill, geschätzt; im gleichen Jahre lebte in den U S A 1,1 Mill, nicht aus Deutschland stammende Einwanderer dt. Muttersprache und deren Kinder (zweite Gen.), u . a . 3 7 4 0 0 0 aus Österreich-Ungarn, 2 4 5 0 0 0 aus dem Zarenreich, 2 6 3 0 0 0 aus der Schweiz. Im Zeitraum 1830-1900 entstanden zahllose Sprachinseln, in denen die meisten dt. Sprachlandschaften Europas vertreten waren; besonders auffällig ist die gegenüber allen anderen Auslandsgebieten außer Südafrika nicht nur absolut, sondern auch anteilsmäßig größere Zahl der nd. („plattdt.") Sprachinseln. Die meisten Sprachinseln lagen im Mittelwesten. Neben dem Mittelwesten ist besonders Texas wichtig (1970 2 4 0 0 0 0 Dt.). Aus Deutschland stammten 1970 in der ersten und zweiten Generation 3,6 Mill. Menschen. Entgegen landläufigen Annahmen wurde die dt. Sprache bis 1917 in den meisten Sprachinseln und selbst von einem Teil des Großstadtdeutschtums ( z . B . Cincinnati, St. Louis) gut bewahrt dank einer staatlichen Schulpolitik, die fast unbeschränkt die zweisprachige konfessionelle Privatschule, hie und da - ζ. B . Cincinnati, Baltimore auch die zweisprachige Staatsschule erlaubte. Winzige Gruppen von je rd. 2000 Seelen, die auf zugleich religiöser und wirtschaftlicher Grundlage am Dt. festhalten, sind die christlich-kommunistischen Hutterer in Süddakota und Montana und in schon geringerem Grade die christlich-genossenschaftliche Siedlung Amana in Iowa (1855). Unter den Millionen städtischen Dt. der ersten und zweiten Generation lebt ein ansehnliches Kulturleben in dt. Sprache fort, besonders eindrucksvoll, als 1933-39 die an Intellektuellen überreiche Emigration ins Land kam. Man zählte z . B . 1960 noch rd. 50 dt. Periodika mit einer Gesamtauflage von 300000 (1910: rd. 500 Periodika, Aufl. 3,4 Mill.), ferner 104 Sender, deren dt. Programme zus. 215 Wochenstunden umfaßten (zum Vergleich: Spanisch 4500 Wst., Ital. 582, Poln. 438). Lit.: Η . Α . Pochmann u. A . R. Schultz, Bibliography of German Culture in America to 1940. Madison, Wis. 1953. - W . Viereck, German Dialects Spoken in the U . S . and Canada. A Bibliography. In: Orbis 16. 1967, 5 4 9 - 5 6 8 , 17. 1968, 532-535. C . E. Reed u. L . W . Seifert, A Linguistic Atlas of Pennsylvanien German. Marbug 1954. - J . N . Carman, Foreignlanguage Units of Kansas. I Hist. Atlas Lawrence 1962. -

544

VII. Ethnische und politische Aspekte

G . G . Gilbert, Linguistic Atlas of Texas German. Marburg 1972. R. Sallet, Rußlanddt. Siedlungen in den Ver. Staaten. In: Jb. der D t . - A m . Hist. Ges. 31, 1931, 5-126 (auch als Buch ersch.). - W. F. Leopold, Speech Development of a Bilingual Child. Bd. 1-4. Evanston, 111. 1939-48. - A. Senn, Preliminary Survey for the Study of Swiss Dialects in America. In: Am. Council of Ling. Studies Bull. 34. 1942, 27-34. R. C. Wood, Pennsylvania High German. In: G Q 20. 1945, 299-314. - R. H . Lowie, A Case of Bilingualism. In: Word 1. 1945, 248-259. - ] . W. Frey, Amish Triple-Talk. In: AS 20. 1945, 85-98. - R. C. W o o d , Pennsilfaanisch (Pennsylvaniadt.). In: Dt. Philologie im Aufriß. Bd. 1. 1. Aufl. 1952, 785-808; 2. Aufl. 1957, 193Iff. - Α. F. Buffington u. P. A. Barba, Α Pennsylvania German Grammar. Allentown, Pa. 1954. - H . Kloss, Die dtamerikanische Schule. In: Jb. f. Amerikastudien 7. 1962, 141-175. - H . Kloss, Das Nationalitätenrecht der Ver. Staaten. Wien 1963. - H . Wacker, Die Besonderheiten der dt. Schriftsprache in den USA. Mannheim 1964. - G . G . Gilbert, The German Dialect of Kendall and Gillespie Counties. In: Z M F 32. 1965, 288-296. - H . Kloss, German-American Language Maintenance Efforts. In: Language Loyalty in the U.S. Ed. by J. A. Fishman. Den Haag 1966, 206-252. - R. Beam, Abridged Pennsylvania German Dictionary. Kleines pennsylvanischdeutsches Wörterbuch. Kaiserslautern 1970. - The German Language in America. Ed. by G . G . Gilbert. Austin, Texas 1971. - H . Kelz, Phonologische Analyse des Pennsylvaniadt. Bonn 2. Aufl. 1971. - Heinz Kloss, Atlas der im 19. und frühen 20. Jh. entstandenen deutschen Siedlungen in USA. Atlas of 19th and early 20th Century German-American Settlements. Marburg 1974. - Deutsch als Muttersprache in den Vereinigten Staaten. 1. Der Mittelwesten. Wiesbaden 1978.

6.3. Mexiko, Paraguay, Chile,

Argentinien

Mexiko: Seit 1922 wanderten dt. Mennoniten aus Kanada ein; heute leben etwa 17000 im Staate Chihuahua, 5000 im Staate Durango. Bei völliger Vernachlässigung des Bildungswesens (keine Seminare f ü r Lehrer und Prediger) sind sie halbanalphabetisch geworden, sprechen aber noch ausnahmslos ihre „plautdietsche", d . h . niederpreußische Mda. Paraguay: Die Siedlungen der rd. 30000 Dt. bildeten sich seit 1881. Ein relativ hohes Maß an Spracherhaltung wird begünstigt durch die Zweisprachigkeit des Landes (National- und Volkssprache Guarani, Amtssprache Spanisch), bei den seit 1928 eingewanderten rd. 12000 Mennoniten zusätzlich durch ihre gesetzlich (schon 1921) verankerte Selbstverwaltung, durch Bildungswillen und, soweit sie im Chaco wohnen, auch durch die geographische Lage, die sie vorerst fast unassimilierbar macht. Chile: Die seit 1850 entstandenen, rund 35000 Menschen zählenden dt. Siedlungen im Süden konnten sich dank besonderer Zähigkeit, guter Privatschulen und einer großzügigen Regierung ihre Sprache lange gut bewahren. Im Hauptgebiet am Lanquihue-See bildete sich eine Mischmda. Nach 1945 langsam beginnende Assimilation.

Argentinien: Die Zahl der D t . wird auf 0,4 Mill, geschätzt, von denen über die Hälfte in Buenos Aires lebt. Die ältesten dt. Sprachinseln, seit 1854 von Dtschweizern in der Provinz Sta. Fe geschaffen, existieren heute nicht mehr. Größere Sprachinseln (seit 1874) schufen Wolgadte. mit hess. Mda., vor allem in Entre Rios, aber auch in Prov. Buenos Aires und Pampa-Territorium, kleinere, bes. in Misiones, nach 1900 Dte. aus dem Reich. Bis gegen 1930 herauf hielt sich die dt. Sprache trotz unzulänglicher Schulverhältnisse. Seither geht Dt. zurück, doch gibt es noch immer zahlreiche Kinder, die D t . sprechen, besonders in Misiones und unter den Wolgadten. Sonstige Staaten: Kleine Siedlungen (pM = nach 1950 eingewanderte plautdietsch sprechende Mennoniten) in Britisch-Honduras (pM), Peru (Pozuzo 1857), Venezuela (Tovar 1843), Bolivien (pM), Uruguay (meist pM). Lit.: W. Nelke, Das Dt. in Uruguay. Stuttgart 1921. J. Riffel, Die Rußlanddt., insbes. die Wolgadt. am La Plata. Buenos Aires 1928. - F. Kliewer, Die dt. Volksgruppe in Paraguay, Hamburg 1941. - W. Lütge, Die Geschichte des Dtms. in Argentinien. Buenos Aires 1955. - C . Grandjot u. E. Schmidt, Die beiden Heimatsprachen der Chilenen dt. Abstammung. Santiago 1960. - W. W. Moelleken, Low German in Mexico. In: PADS 46. 1966, 31-39.

6.4.

Brasilien

Die Grenzen der dt. Sprachgemeinschaft sind hier besonders fließend, weil es Hunderttausende von N a c h k o m m e n dt. Einwanderer gibt, die neben ihrer dt. Mda. nur die portug. Sprache beherrschen, und zwar manchmal besser als die Mda., so daß ihre chronologisch „erste" Sprache ( = M u t termundart) nicht ihre funktional erste Sprache ist. Man kann die Gesamtzahl aller Personen mit dt. Muttersprache (bzw. Muttermda.) auf 1,5 Mill, schätzen. Die D t . leben vor allem in den Südstaaten, Rio Grande do Sul (seit 1824), Sta. Catharina (seit 1850) und Parana; andere dt. Siedlungen finden sich im Staate Sao Paulo und vor allem in Espirito Santo (seit 1847). Bis zum Zweiten Weltkrieg gab es zahlreiche dt. Privatschulen; später wurde D t . an den Volksschulen nur für freiwillige Sprachkurse außerhalb des eigentlichen Stundenplanes wiederzugelassen. Z . B . besuchten in Rio Grande do Sul 1935 40600 Schüler dt. Privatschulen, 1970 2600 freiwillige Dtkurse. Die so entstandene Lage (dt. Mundart und fremde Hochsprache) hat eine sprachliche Konfiguration geschaffen, die der in Pennsylvanien im Zeitraum 1850-1950, in U n garn seit 100 Jahren, im Elsaß seit 1945 ähnelt. Während in Sta. Catharina nd. Mdaa. vorherrschen, in Espirito Santo Rheinländisch und P o m mernplatt, in Parana bei seit 1877 eingewanderten

60. Deutsche Sprache außerhalb des geschlossenen deutschen Sprachgebiets Wolgadt. hess. Mda., ist unter den Dt. in Rio Grande do Sul und ihren zahlreichen Tochtersiedlungen in anderen Gliedstaaten das Hunsrückische („Hunsbucklisch") zur Koine geworden, neben der sich regional westfäl. und pommersches Platt behaupten. Zu ihren Kennzeichen gehören die Entlehnungen aus dem Portugiesischen. Die Zukunft der dt. Mdaa. und Sprache ist unsicher. Einige dt. Sprachinseln sind zu groß für eine rasche Assimilation. Vorerst gibt es noch weite ländliche Gebiete, wo D t . (Mda.) die Haussprache auch der Kinder ist, während in den Städten Dt. bei der jungen Generation weithin verschwunden ist. Lit.: Ε. Willems, A Aculturacao dos Alemaes no Brasil. In: Brasiliana, Ser. 5, Bd. 250, Sao Paulo u. R. d. J. 1946, 274-322. - Κ. H . Oberacker, Neuschöpfungen der dt. Sprachein Brasilien. In: Staden-Jahrb. 5, 1957, 1 7 5 - 1 8 3 . - E . F a u sel, Die dt.-brasilianische Sprachmisch. Probleme, Vorgang, Wortbestand. 1959. - Brückenschlag. Berichte aus den Arbeitsgebieten des Kirchl. Außenamts der E . K . D . , Bd. I Brasilien, Stuttgart 1966. - H . A. W. Banse, A Pesquisa Lingüistica no Rio Grande do Sul, Porto Alegre 1968.

6.5. Algerien, Südafrikanische

Republik

Algerien: Zahlreiche kleinere dt. Siedlungen entstanden durch Zuwanderung aus dem rechtsrheinischen Deutschland (1832-60) und dem Elsaß (vor 1870 und 1872-79). Sie waren um 1939 fast völlig französisiert und lösten sich seit 1962 durch Auswanderung auf. Südafrika: Die Zahl der D t . wird auf 40-60000 geschätzt. Von allen Gruppen dt. Sprache im Ausland ist diese, soweit sie in eigenen Siedlungen lebt, am stärksten nd. (und lutherisch) geprägt. Die wichtigste Gruppe dt. Siedlungen entstand (seit 1849) um Hermannsburg, vornehmlich in Natal, auch Transvaal; andere Siedlungen z . B . in Kaffraria (seit 1857) und bei Kapstadt (Wynberg Vlakte). Dt. hat sich dank einer für überseeische Verhältnisse großzügigen Schulpolitik des Staates generationenlang behaupten können. Südwestafrika s. unter 3.2. Lit.: Η . Kloss, Die dt. Einwanderung nach Algerien. Stuttgart 1944. - G. Tötemeyer, Südafrika, Südwestafrika. Eine Bibliographie. Freiburg i. Br. 1964. - O . F. Raum, Geschichte u. Aufgaben der dt. Schulen in der südafrikanischen Union. In: Afrikan. Heimatkalender. Windhoek 1952,58-72.

6.6.

Israel

Die schwäbische Sekte der Templer gründet 1868 bis 1873 Bauerndörfer, die mit Tochtersiedlungen zuletzt 2000 Seelen zählen; der Zweite Weltkrieg führte sie teils nach Australien, teils in die BRD. Kleinere Gruppen dt. Juden gründeten schon vor 1933 eigene Kibbuzim („Gemeinhöfe"), wie Chefziba (1923), Markenhof (1924), Givat Brenner (1928) usw. Auf die seit 1933 zahlreich ins

545

Land strömenden dt. Emigranten gehen ganze Siedlungstypen zurück, so die Kfarim Schitufim (Mittelstandsdörfer, zuerst Ramat Haschawim 1933) und die Moschawim Schitufim (zuerst Moledet 1937). Die Stellung der dt. Sprache in Israel ist paradox: einerseits für die Öffentlichkeit lange Zeit, für viele noch heute, eine verhaßte Fremdsprache, andererseits die Muttersprache der einzigen größeren Einwanderergruppe mit dem Zivilisationsniveau der Industriegesellschaft. Lit.: Η . Seibt, Moderne Kolonisation in Palästina, I Templer, II Zionisten. Leipzig 1936. - M. TurnowskiPinner, Die 2. Generation mitteleuropäischer Siedler in Israel. Tübingen 1962. - H . Kressel, The Use of Hebrew Loanwords in Spoken German in Bilingual Communities. In: Language Behavior Papers, Jerusalem. 1. 1972, 23-31.

6.7.

Australien

1972 sprachen nach Μ. Clyne in den dt. Sprachinseln, die seit 1838 von Einwanderern mit meist schlesischer Mda. in S-Australien geschaffen wurden, noch rd. 500 Personen D t . , in deren Tochtersiedlungen in Viktoria und Neusüdwales noch rd. 300-400, in den seit 1852 entstandenen, uckermärkisch oder pommerisch redenden Inseln in Queensland noch rd. 800 Personen, überall nur Ältere. In diesen Inseln mit durchweg ostdt. Mdaa. hatte sich D t . gut gehalten bis zur Aussperrung der dt. Sprache aus allen Schulen im 1. Weltkrieg. Ferner gab es 1966 in Australien, und zwar fast nur in den Städten, rd. 110000 in Deutschland und 25000 in Österreich geborene Einwanderer (dar. nur rd. 10000 vor-1945er polit. Emigranten), deren zweisprachige Kinder meist schon besser Englisch als Dt. sprechen. Lit.: A. Lodewyckx, Das Dtm. in Australien. Stuttgart 1932. - M . G . Clyne, Transference and Triggering. Observations on the Language Assimilation of Postwar Germanspeaking Migrants. Den Haag 1967. - Μ. G . Clyne, Perspectives in Language Contact. Melbourne 1972. - M. G . Clyne, Deutscher Idiolekt und deutscher Dialekt in einer zweisprachigen Siedlung in Australien. In: W W 18. 1968, 84-95.

6.8. Neuseeland,

Hawaii

Auf Neuseeland entstanden vor 1900 mehrere heute voll verenglischte Siedlungen, auf Hawaii 1881 die Siedlung Lihue. Lit.: G . Hulbe, Das Dtm. in Neuseeland. In: Volksforschung 6, 1942, 190-199. - B. L. Hoermann, Die Dt. in Hawaii. In: Volksforschung 2, 1938, 472-487.

7. Bibliographie

(in

Auswahl)

Bibliographie internationale sur le bilinguisme. International Bibliography on Bilingualism. Ed. W. F. Mackey. Quebec 1972.

546

VII. Ethnische und politische Aspekte

Bibliographisches Handbuch des Auslanddeutschtums, Lfg. I, III, V , V I I (mehr nicht ersch.). Stuttgart 1932-36. R . B ö c k h , D e r D t . Volkszahl u. Sprachgebiet in den europäischen Staaten. Berlin 1869. A . Bohmann, Bevölkerung und Nationalitäten in Südosteuropa. Köln 1969. R . Grosse u. C . J . Hutterer, Hochsprache u. Mda. in G e bieten mit fremdsprachigen Bevölkerungsteilen. Leipzig 1961. Handbuch der europäischen Volksgruppen. Hrsg. v. M . Straka. Wien 1970. Handbuch des Dtms. im Auslande. Berlin 1904, 2. Aufl. 1906. Handwörterbuch des Grenz- und Auslanddeutschtums (Α-Mas, mehr nicht ersch.). 3 Bde. Breslau 1934-38. Trotz teilweiser ideologischer Einfärbung unentbehrlich. E . Haugen, BilinguaÜsm in the Americas: A Bibliography and Research Guide. 1956. H . Kloss, Die Entwicklung neuer germanischer Kultursprachen. München 1952. Düsseldorf 2 1978. W . Kuhn, D t . Sprachinselforschg. Gesch., Aufgaben, Verfahren. 1934. W . Kuhn, Geschichte der dt. Ostsiedlung in der Neuzeit. 2 Bde. Köln 1955-57. H . Moser, Bereiche ohne deutsche Staatssprache. In: Deutsche Wortgeschichte. H g . von F . Maurer υ. Η . Rupp. Bd. 3. Berlin, New Y o r k 3 1974, 6 1 9 - 6 4 5 .

H . Moser, Eigentümlichkeiten des Satzbaus in den Außengebieten der deutschen Sprache. In: Sprache, Schlüssel zur Welt. Düsseldorf 1959, 195-220. H . Moser, Schwäbische Sprachinseln in Europa und Übersee. In: Zs. f. Württemb. Landesgeschichte 12. 1953, 91-121. A. Schwöb, Wege und Formen des Sprachausgleichs in neuzeitlichen ost- und südostdeutschen Sprachinseln. München 1971. W . Stricker, Die Verbreitung des dt. Volkes über die Erde. Leipzig 1845. F. Thierfelder, Die dt. Sprache im Ausland. 2 Bde. 2. Aufl. Berlin 1956-57. F. Thierfelder, Die dt. Sprache im Ausland. In: Aufriß der dt. Philologie. Hrsg. v. W . Stammler. Bd. 1. 2. Aufl. Berlin 1956, 499 ff. A. Verdoodt, Zweisprachige Nachbarn. Die dt. Hochsprachund Mundartgruppen in Ost-Beigien, dem Elsaß, O s t Lothringen und Luxemburg. Wien 1968. L . M . Weifert, Grundsätzliche Probleme [ . . . ] im Lichte der südostdt., insbes. der Banater Siedlungsforschg. In: Z M F 27. 1960, 115-128. A. v. Weiss, Hauptprobleme der Zweisprachigkeit. Heidelberg 1959. W . Winkler, Statistisches Handb. des gesamten Dtms. Berlin 1927.

Heinz Klos$y Mannheim

VIII HISTORISCHE ASPEKTE

61. Historiolinguistik 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.

Zweck der Historiolinguistik Fortschritte im Formalismus Universalien und Sprachtypen Ein syntaktischer Rahmen für das Verständnis der Sprachveränderung Ein semantischer Rahmen für das Verständnis der Veränderungen Vorteile einer historiolinguistischen Theorie, die Erklärungsangemessenheit ermöglicht Die für die Beobachtungsangemessenheit wichtigen Werkzeuge Werkzeuge, um Beschreibungsangemessenheit zu erreichen Die Beobachtung und Beschreibung der Sprachveränderung Lautwandel und Analogie Neuere Versuche zur Erklärung der Lautveränderung Analyse mit Hilfe distinktiver Merkmale Über die Ursachen der Sprachveränderung Probleme der Zukunft Bibliographie (in Auswahl)

/. Zweck der

Historiolinguistik

Der Hauptzweck der Historiolinguistik ist die Untersuchung der Sprachveränderung. Ihre Methoden sind die der Sozialwissenschaften, deren Ziel es ist, Phänomene korrekt zu beobachten, zu beschreiben und zu erklären. 1.1.

Beobachtungsangemessenheit

Wenn wir die Entwicklung der indoeuropäischen Sprachwissenschaft zum Maßstab nehmen, können wir behaupten, daß Beobachtungsangemessenheit um die Zeit erreicht wurde, als Verner sein Gesetz veröffentlichte (1876/77). Neben seiner allgemein bekannten Lösung eines der Hauptprobleme der germanischen Historiolinguistik bewies Verner, wie wichtig es ist, alle Elemente der Phonologie einer Sprache zu beobachten, sowohl die suprasegmentalen als auch die segmentalen. Teilproblemen in der Sprachwissenschaft mußte man noch Rechnung tragen, wie z . B . bedeckten (koverten) syntaktischen Konstruktionen, aber im allgemeinen machte Verner klar, daß man alle Sprachelemente beobachten mußte, bevor man Phänomene der Sprache angemessen beschreiben und erklären konnte.

1.2.

Beschreibungsangemessenheit

Auch vor Verners Veröffentlichung hatte man bedeutende Fortschritte in der Erlangung der Beschreibungsangemessenheit gemacht. Solche Fortschritte finden wir schon bei der Lösung von Problemen im Germanischen. Die Definition der ersten Gruppe der Ausnahmen zu Grimms Gesetz beruhte auf der Basis einer adäquateren Beschreibung der Daten als der Grimms. Kenner der Phonetik erkannten nicht nur die Beschaffenheit der Verbindungen sp, st, sk usw., in denen die Konsonanten unverändert blieben, sondern auch ihre Stellung in bezug auf die anderen phonologischen Elemente und deren Beschreibung. Ein halbes Jahrhundert lang widmeten Sprachwissenschaftler ihre Aufmerksamkeit der Beschreibung phonologischer Elemente, und im letzten Viertel des 19. Jhs. entwickelten Wissenschaftler wie Sievers, Sweet und Jespersen phonetische Darstellungssysteme, die ausführliche und genaue Beschreibungen der Verbindungen einer jeglichen Sprache ermöglichten. Diese Ergebnisse in der Phonologie verbanden sich mit den Ergebnissen der klassischen Grammatiker sowohl hinsichtlich der syntaktischen und semantischen Komponenten der Sprache, mit dem Resultat, daß man am Ende des 19. Jhs. die Methoden zur Hand hatte, diejenige Beschreibungsangemessenheit zu erreichen, die wir in den wichtigen historischen Grammatiken vorfinden, wie in denen des „Handbuchs der Altertumswissenschaft", in Wackernagels „Altindischer Grammatik" und in Brugmanns „Grundriß" (1897-1916). Wir müssen uns auch darauf besinnen, daß diese Grammatiken sich nicht auf Beschreibung der Phonologie oder der Syntax beschränken. Der Höhepunkt der Fortschritte des 19. Jhs. findet sich in Werken wie im dreibändigen „Grundriß" hrsg. von H . Paul und im „Handbuch der Altertumswissenschaft". Wie auch andere Werke der Zeit beschränken sich diese nicht nur auf die Beschreibung der Sprache, enthalten sie doch auch umfassende Beschreibungen der für ein richtiges Verständnis des Sprachgebrauchs in einer gewissen Kultur wichtigen sozialen Phänomene. Manche Monographien und Bände der von Paul und anderen geförderten Grundrisse gehören zu dem Gebiet, das man heute Soziolinguistik nennen würde. Diese Werke wurden wenigstens teilweise hinzugezogen, um Erklärungen für Sprachveränderungen zu finden.

548

VIII. Historische Aspekte

1.3.

Erklärungsangemessenheit

Erklärungsangemessenheit im eigentlichen Sinne hat man bis vor kurzem nur in der Phonologie erzielt. Dieser Erfolg war möglich, weil man einen Rahmen entworfen hatte für die Beschreibung und Erklärung phonologischer Phänomene. Obgleich der Ausdruck „Phonem" noch nicht spezifisch benutzt wurde, betrachteten Forscher wie Sievers (1. Aufl., „Grundzüge der Phonetik") diephonologischen Einheiten der Sprache als abstrakte Elemente, die in einer bestimmten Struktur angeordnet sind. Ferner bestanden diese Elemente aus Merkmalen wie Stimmton, Nasalität und Öffnungsgrad, die man hinsichtlich ihrer Rolle in der Sprachveränderung in der phonologischen Struktur einer Sprache zu einer gewissen Periode identifizieren konnte. Die Begründung, die Verner für die Veränderung stimmloser Spiranten zu stimmhaften in besonderer Umgebung lieferte, brachte eine Erklärung für eine phonologische Veränderung, die späterhin nicht verbessert worden ist, wie auch die Begründung für die Auslautgesetze im Germanischen aufgrunde des starken expiratorischen Akzents, der auf der ersten Silbe stand. Die Einführung dieses Akzents können wir zwar nicht erklären, aber dieses Unvermögen resultiert eher aus dem Mangel unserer Kenntnisse der sozialen Verhältnisse als aus der Unzulänglichkeit der Werkzeuge in der historiolinguistischen Untersuchung (vgl. Art. 31). Die Werkzeuge für Erklärungsangemessenheit phonologischer Phänomene waren somit gewissermaßen schon am Ende des 19. Jhs. benutzbar. Seitdem hat man diese Werkzeuge verbessert, wie ζ. B. die distinktiven Merkmale, die in einem Universalrahmen spezifiziert sind. Aber Verner benutzte eigentlich schon solche Merkmale, um seine Erklärung zu erreichen, wie auch Sievers in einigen beachtenswerten phonologischen Darlegungen, wie ζ. B. in seinem Gesetz über die Alternation der vokalischen und konsonantischen Allophone der Sonanten /y w r 1 m n/ im Proto-Indoeuropäischen (PIE). 2. Fortschritte im Formalismus Indem das 19. Jh. diese bemerkenswerten Fortschritte gemacht hatte, gibt es in neuerer Zeit zwei bedeutende Fortschritte in der Historiolinguistik. Der eine betrifft verbesserte Formalismen, der andere einen Rahmen für syntaktische Phänomene. Linguisten im 19. Jh. verstanden schon gewissermaßen die Bedeutung der Formalisierung. In mehreren Veröffentlichungen (bes. in „Die deutsche Sprache" 1860) schlug Schleicher einen Formalismus vor, durch den man syntaktische Elemente repräsentieren konnte, wenn er auch hauptsächlich morphologische Einheiten darstellte.

Seine Vorschläge wurden jedoch nicht aufgegriffen. Erst seit Chomskys „Syntactic Structures" 1957 bedienen sich Linguisten allgemein verschiedener Formalismen, um syntaktische Phänomene zu behandeln. Ein solcher Formalismus wird benutzt, weil man erkannt hat, daß die syntaktische Komponente, genau wie die phonologische, durch abstrakte Formen und abstrakte Einheiten repräsentiert werden kann. Die Relationen zwischen Oberflächen- und Tiefenstrukturen werden durch Transformationen repräsentiert; deshalb ordnet man viele linguistische Arbeiten der Gegenwart der „transformationalen Grammatik" zu. Die abstrakten Elemente, die die Transformationsgrammatik benutzt, ermöglichen es uns, die „zugrundeliegenden" und universalen Elemente der syntaktischen Komponente zu behandeln, so wie früher die Phoneme und die Allophone es erlaubten, die zugrundeliegenden phonologischen Merkmale zu behandeln.

3. Universalien und Sprachtypen Ein Formalismus ist jedoch nur Mittel, nicht Selbstzweck. Um ein genaues Verständnis zu erreichen, müssen wir sowohl einen Rahmen festlegen als auch die Einheiten bestimmen, aus denen der Rahmen konstruiert ist. Das gelingt uns nur durch das Studium von Sprachen, die sich in der Struktur stark unterscheiden. Typologische Untersuchungen, besonders die Greenbergs (1966), haben uns Ansätze zu solchen Rahmen gegeben. Stützen wir uns auf diesen strengen Formalismus, können wir Fortschritte bei der Erklärung von sprachlichen, besonders syntaktischen Phänomenen machen (vgl. Art. 55). Aus typologischen Untersuchungen lassen sich zwei Haupttypen von Sprachen erschließen: die, in denen Objekte Verben vorangehen (OV), und die, in denen Objekte auf die Verben folgen (VO). Jeder Typ hat besondere, kennzeichnende Konstruktionen. In den OV-Sprachen stehen die Relativkonstruktionen, Adjektive und Genitive vor den Nomina; in VO-Sprachen folgen sie auf die Nomina. Die OV-Sprachen enthalten Postpositionen, die VO-Sprachen Präpositionen. In den OV-Sprachen finden wir Komparativkonstruktionen vom Typ: Haus als hoch, in den VO-Sprachen vom Typ: höher als das Haus. Weitere Merkmale könnte man anführen, wie z.B. den Mangel von Präfixen in den OV-Sprachen. Ferner setzt man in OV-Sprachen Satzqualifikatoren (Q), wie die Interrogativ- und Negativkonstituenten, hinter das Verbum, in VO-Sprachen hingegen vor das Verbum. Wenn wir diese Konstruktionen als modifizierend ansehen, können wir ein allgemeines Prinzip der Ordnung für Sprachen darlegen:

61. Histonolinguistik # Q V ( N o b i ) (N M o d ) # / # Q V (N ob |) (N Mo PGerm f θ χ χ " neu formuliert:

Sprachveränderung

Wie bei den anderen Aufgaben in der Historiolinguistik sind auch die Arbeiten über die Ursachen der Veränderung zunehmend verbessert worden. In ihren Erörterungen des Problems unterschieden Weinreich, Labov und Herzog (1968) verschiedene Aspekte des Themas, besonders das Aktualisierungsproblem. In bezug auf dieses Problem stellen sie die Frage: „Warum finden Veränderungen struktureller Merkmale in einer bestimmten Sprache zu einer bestimmten Zeit statt, aber nicht in anderen Sprachen mit demselben Merkmal, und auch nicht in derselben Sprache zu anderen Zeiten?" Für sie ist dies das Zentralproblem, wichtiger als das Ubergangsproblem und das Einbettungsproblem. Viele Untersuchungen über die Sprachveränderung haben die Probleme nicht so genau unterschieden. Von den vorgeschlagenen Ursachen der Veränderung erwähnen wir drei: die Spracherlernung von Kindern; strukturelle Einflüsse der betreffenden Sprache; Einflüsse anderer Sprachen.

61. Historiolinguistik 13.1.

Spracherlernung

Obgleich viele Linguisten (z.B. Paul 1920: 34) Gewicht auf die Spracherlernung als Ursache der Veränderung legen, stellen sich dieser Annahme mehrere Probleme entgegen. Man findet kaum Kommunikationsschwierigkeiten bei Kindern, und es gibt nie einen Generationsbruch. Diese Probleme sind viel erörtert aber nie gelöst worden; die Generativisten haben diese Annahme wieder als den Hauptgrund der Sprachveränderung angesehen. Denn sie gehen u. a. davon aus, daß die Erlernung die Konstruktion einer Grammatik verlangt. Sie nehmen auch an, daß man während der Spracherlernungsphase versucht, die Grammatik zu vereinfachen. Demzufolge nehmen sie eine Tendenz zur Vereinfachung der Sprache an. Diese Annahme ist schon öfters diskutiert worden, besonders in bezug auf morphologische Vereinfachung. Doch zu einer Obereinstimmung, was eine einfache Sprache sei, ist man noch nicht gekommen; einige Sprachen sind in einer Komponente verhältnismäßig einfach, aber komplex in einer anderen. Also bleibt die Erklärung, daß spracherlernende Kinder Einfachheit und damit Änderungen einführen, nur eine Annahme. Die Wirkungen der Spracherlernung kann man am besten beim Einbettungsproblem beobachten. Wenn eine Veränderung angenommen wird, sind die Spracherlerner zentral daran beteiligt. So beobachtete Hermann, daß die jüngeren Sprecher in Charmey die Formen bevorzugten, die sich im Rahmen der Einbettung verändert hatten. Ein solches Verhältnis ist auch zu erwarten. Denn wenn eine Veränderung nicht von den jüngeren Sprechern angenommen wird, werden die Resultate auch nicht der Sprache einverleibt. Durch die Beschreibung eines solchen Prozesses können wir aber nicht die Anfangsveränderung erklären. 13.2. Einflüsse der internen

Struktur

Die Struktur einer Sprache, besonders ihre Unregelmäßigkeiten, hat man ebenfalls als Grund der Veränderung vorgeschlagen. Denn man hat angenommen, daß Sprachen eine Neigung zur Symmetrie aufweisen. Wenn eine Sprache drei stimmlose Verschlußlaute p t k und auch drei stimmhafte b d g enthält, aber nur zwei Nasale m und «, nimmt man an, daß der Strukturzwang einen dritten η veranlassen würde. Es gibt Beispiele solcher Entwicklungen (ζ. B. im Englischen). Die Einflüsse sind zum Teil schwer faßbar. Wenn ζ. B. eine Sprache verhältnismäßig symmetrisch in der Zahl der Phoneme ist, wie ζ. B. nhd. ρ t k b d g, so kann doch die Symmetrie in einigen Umgebungen fehlen, wie auslautend, wo in der Hochsprache nur ptk vorkommen. Einen solchen Zustand nennt man Markierung. Die merkmal-

555

haften Konsonanten, wie nhd. b d g , sind die markierten. Die Opposition zwischen den markierten, merkmalhaftigen Phonemen und den merkmallosen kann zu Veränderungen führen. Strukturelle Einflüsse sind klar beweisbar beim sporadischen Wandel, wie der Assimilation, und der Analogie. Aber wie oben bemerkt, unterscheiden sich diese Prozesse von den Sprachveränderungen, die man als den eigentlichen Lautwandel ansieht. Die Begründungen für solchen Wandel sind immer noch unbewiesen. Das gleiche gilt für den syntaktischen Wandel, z.B. für die Einführung der periphrastischen Formen in den germ. Sprachen des ersten Jahrtausends nach Chr. Die Notwendigkeit für syntaktische Neuerungen ergibt sich aus vielerlei Gründen, z.B. wenn Flexionsendungen verloren gehen, aber die Basis für die Art der Neuerungen scheint oft nicht die interne Struktur zu sein. 13.3. Einflüsse anderer

Sprachen

Besonders die Einführung neuer syntaktischer Konstruktionen, aber auch phonologische Neubildungen, hat man externen Einflüssen zugeschrieben. Auf diese Weise würde man die bemerkenswerten syntaktischen Neubildungen in den Sprachen Westeuropas im ersten Jahrtausend nach Chr. erklären, wie auch die Parallelitäten zwischen den Balkansprachen und zwischen den Sprachen des asiatischen Subkontinents. Wir nehmen an, daß in solchen Gebieten - die Sprachbünde genannt werden - bilinguale Sprecher Merkmale von einer Sprache zur anderen überführen. Anscheinend sind auf diese Weise die Mundasprachen unter dem Einfluß der dravidischen Sprecher Indiens zu OV-Sprachen geworden. Ähnlicherweise würde der Einfluß offenbar verschiedener Sprachen ein Antriebsfaktor sein, Veränderungen zu erzeugen. Weinreich, Labov und Herzog (1968) schreiben einen ähnlichen Effekt den Einflüssen verschiedener Dialekte zu. Ebenso weisen sie darauf hin, daß die Sprache eines Individuums nicht homogen ist, sondern daß jeder einzelne Sprecher über heterogene Strukturen, bzw. verschiedene Dialekte verfügt. Diese benutzt er unter verschiedenen sozialen Bedingungen. Wenn solche sozialen Bedingungen sich verändern, folgt eine Veränderung in der Sprache. Der Sprachwandel ist daher mit dem sozialen Wandel nah verknüpft. Weinreich, Labov und Herzog bringen auch Beispiele, um diese enge Verknüpfung zu beweisen, wie ζ. B. die Bewertung seines sozialen Status, die sich ein Newyorker in einer bestimmten Sprechsituation erhofft durch seinen Gebrauch von stilistischen Variablen in der Sprache, wie nachvokalischen r. Wenn nun die soziale Schicht, die eine Variante

556

VIII. Historische Aspekte

bevorzugt, dominierend bleibt, so wird eine Veränderung durchgeführt. Dieser Gesichtspunkt, den man mit vielen Ideen früherer bekannter Linguisten wie Paul und Meillet vergleichen kann, führt zu einem Verständnis vieler Verschiebungen durch Aktualisierung. Dieser Gesichtspunkt gibt auch einen Ansatzpunkt zu sorgfältigen Untersuchungen der Veränderung in heutigen Sprachen, die ihrerseits wieder zu verbessertem Verständnis des Sprachwandels wie auch des sozialen Wandels führen wird. 14. Probleme der

Zukunft

Die Historiolinguistik kann auf viele Ergebnisse stolz sein. Die Verfahren zur genealogischen Klassifikation sind ausgearbeitet worden und, wo adäquate Daten vorhanden sind wie in der indoeuropäischen Sprachfamilie, in der finno-ugrischen, afro-asiatischen und vielen anderen, ist die Klassifikation sicher. Durch diese Arbeit hat auch die Historiolinguistik viel dazu beigetragen, die Vorgeschichte, besonders auf diesen Gebieten, zu rekonstruieren; dank diesen Studien können wir jetzt verhältnismäßig sicher als die Heimat der indoeuropäischen Sprachgruppe die Gegend nördlich des Schwarzen Meeres bestimmen. Die Historiolinguistik ermöglicht es uns zudem, viele Erklärungen für sprachliche Phänomene zu geben, sie gibt darüber hinaus Anregungen zur Lösung von Problemen, die innerhalb der deskriptiven Grammatik vorliegen. Es bleiben jedoch viele Probleme zu klären, besonders innerhalb der syntaktischen und semantischen Komponente. Bei der Behandlung solcher Probleme liegt vielleicht die größte Gefahr in allzu großem Vereinfachungsbestreben. Die Anhänger bestimmter Schulen haben immer Schwierigkeiten gehabt, Extreme zu vermeiden, wie die Junggrammatiker mit ihren Lautgesetzen, die Dialekt-Geographen in der Suche nach Einzelheiten, oder die Anhänger der Substrattheorie, u.a.m. Glücklicherweise haben wir jetzt einen Rahmen für die syntaktische Forschung und auch Vorarbeiten für hoffnungsvolle Arbeit auf dem Gebiet der historischen Semantik. Wenn Linguisten jetzt über die nötige Theorie und über die nötigen Daten verfügen sowie auch die Ergebnisse der früheren Forschung berücksichtigen, haben sie immer bessere Aussichten, große Fortschritte beim Verständnis der Sprache und ihrer Veränderung zu machen.

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62. Sprachstudium

557

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62. Sprachstadium

bedeutende Veränderungen in einer Sprache nicht in jedem Augenblick auftreten, die Reihe ihrer Stadien also endlich ist. Andere Begründungen im Rahmen allgemeiner Sprachtheorien oder bestimmter Teiltheorien, z . B . Grammatiktheorien, sind ebenfalls möglich und versucht worden (vgl. 2.). Eine wichtige Rolle spielt das Konzept des Sprachstadiums in der Theorie und Praxis der Spracherforschung und -beschreibung. Synchronische Darstellungen etwa in Form von Grammatiken oder Wörterbüchern richten sich immer auf bestimmte Ausschnitte oder Aspekte von Sprachstadien (vgl. Art. 93 u. 94). U m bei diachronischen Analysen über eine ,atomistische' Behandlung einzelner Veränderungsphänomene hinauszugelangen, ist das übliche Verfahren die systematische Repräsentation (Datenkorpus) und Beschreibung mindestens zweier zeitlich getrennter Sprachzustände und deren kontrastierende Vergleichung. Die These, daß die diachronische Forschung Sprachzustandsbeschreibungen voraussetzt, ist seit Paul und Saussure weithin akzeptiert, doch steht daneben zunehmend die Auffassung, daß synchronisches und diachronisches Vorgehen sich gegenseitig bedingen oder wenigstens gleichwertig ergänzen (Nachweise bei Lieb 1970, 2 3 f . ; Cherubim 1975, 2 2 f f . ) , vereinzelt auch die U m kehrung der .Saussureschen' Annahme vom methodologischen Primat der Synchronic (Kanngießer 1976, 369f.). Wie das Verhältnis PaulSaussure zeigt, muß Ubereinstimmung in der Bedingtheitsthese allerdings nicht zusammengehen mit der Einschätzung der wissenschaftlichen Dignität der jeweiligen Untersuchungsrichtung.

1. 2. 3. 4. 5.

Problemzusammenhang und Terminologie Sprachstadium: Synchronic und Diachronie Zur Kontinuität historischer Sprachen Sprachstadium und Sprachgeschichtsschreibung Bibliographie (in Auswahl)

1. Problemzusammenhang

und

Terminologie

Eine der Aufgaben der historischen Sprachwissenschaft ist es, die Gesamtentwicklung einer Sprache chronologisch in Abschnitte zu gliedern. Wenn man nicht bei relativ willkürlichen Abschnittsbildungen, etwa nach Jahrhunderten oder nach der Abfolge von Dynastien, stehenbleiben will, stellt sich die Frage, wie aus dem Gang der Geschichte einer Sprache und aus allgemeinen Eigenschaften von Sprachveränderung Kriterien zu gewinnen sind, die Gliederungen erst sinnvoll begründen. Zunächst darf angenommen werden, daß Sprachveränderung ein zwar kontinuierlicher, aber doch nach Umfang, Qualität und Tempo nicht stets gleichmäßig verlaufender Prozeß ist (vgl. 3.). Die Ergebnisse insbesondere der Sprachgeschichtsschreibung als einer die Einzelforschung zusammenfassenden und „die für die Entwicklung einer Sprache wesentlichen Erscheinungen des Sprachwandels" (v. Polenz 1978,6) auswählenden Disziplin zeigen, daß Abschnittsbildungen tatsächlich gewisse Eigenschaften des Gegenstands erfassen (können), auch wenn die Periodisierungen je nach Kenntnisstand sowie Art und Gewichtung der herangezogenen Kriterien z . T . sehr unterschiedlich ausfallen (vgl: 4.). Der Begriff des Sprachstadiums kann daher eine mögliche sprachtheoretische Begründung erfahren, indem er an den Begriff .bedeutende Veränderung' geknüpft wird; hierbei darf darauf vertraut werden, daß

Winfried P. Lehmann,

Austin

Nimmt man eine Sprache wie ,das Deutsche' in ihrer gesamten zeitlichen Erstreckung, so ist deutlich, daß die einzelnen Sprachabschnitte aus der Perspektive des heutigen

558

VIII.

Historische

Aspekte

Betrachters nicht denselben Status haben und jeweils unterschiedliche Fragestellungen und Methoden zulassen bzw. erfordern: Vorgeschichtliche, d. h. dem Einsetzen deutschsprachiger Uberlieferung vorausliegende Abschnitte (bei denen man i. a. nicht mehr von ,Deutsch' redet) sind nur hypothetisch mit größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit zu erschließen (Methoden der inneren und sprachenvergleichenden Rekonstruktion; vgl. Art. 61 u. 63). Das gilt natürlich erst recht für zukünftige Abschnitte (prognostische Verfahren, ζ. B . Trendextrapolation). Bei vergangenen Abschnitten sind die Ausgangsdaten (Überlieferung) notwendig vorgegeben und nicht vermehrbar; hier bieten sich textbezogene Methoden (Korpusanalysen) zuvörderst an. In der Gegenwart findet sich der Betrachter mit seiner Sprache und ihren Sprechern synchronisiert'. Die jeweilige, in vollem Sinne immer auch historische, als Abschnitt offene, ,Sprache der Gegenwart' hat folgerichtig seit den programmatischen Äußerungen der Junggrammatiker (darunter Paul) für die linguistische Theoriebildung und Methodenentwicklung (Introspektion, teilnehmende Beobachtung, Interview, experimentelle Erhebungs- und Kontrollverfahren) eine überragende Bedeutung erlangt. Zu betonen ist jedoch, daß Feststellungen über allgemeine Bedingungen, Erscheinungsformen und Funktionen sprachlicher Kommunikation, so sehr sie der Anschauung der Gegenwartssprache bedürfen, grundsätzlich auf alle, d. h. auch auf vergangene, Sprachabschnitte zutreffen. Ein Verständnis vergangener Abschnitte als ,Mengen überlieferter Texte' etwa wäre zu vordergründig. D i e B e z e i c h n u n g . S p r a c h s t a d i u m ' bezieht sich auf die E i g e n s c h a f t h i s t o r i s c h e r S p r a c h e n , in v a r i ablen

Zeitabständen

jeweils einen

,neuen'

Ab-

e i n e r S p r a c h e als S t a d i e n f o l g e m o d e l l h a f t a b z u b i l den b z w . zu entwerfen und dabei grundsätzliche Probleme,

w i e das Verhältnis v o n

,innerer'

zu

.äußerer' Geschichte, zu erörtern. - W i r konzentrieren

auf die für eine T h e o r i e

der

Sprachgeschichte (des D e u t s c h e n ) wichtigen

uns m e h r

As-

pekte, w e n i g e r auf m e t h o d o l o g i s c h e F r a g e n (vgl. Art. 5 u. 6). Zur Terminologie: ,Sprachstadium' ist seit den Arbeiten von Lieb (1966 ff.) gebräuchlich geworden, der diesen Ausdruck wählt als Entsprechung zu Saussures ,etat de langue' (seit 1891). , Sprachzustand' ist seit Paul (1880) allgemein üblich und wurde auch etwa in Lommels dt. Übersetzung von Saussures ,Cours' für ,etat de langue' eingesetzt. Paul verwendet daneben in mehr oder weniger ähnlichem Sinne auch ,Entwicklungsperiode, -stadium, -stufe, -phase', ,Sprachstufe, -periode' und ,Epoche' (einer Sprache) - ein Vorrat an Bezeichnungen, der seit dem späteren 19. J h . in der deutschsprachigen Linguistik durch methodisch-perspektivischewie ,Quer(durch)schnitt', »horizontal', .statisch* (auch: »statistisch') oder synchronistisch' weiter aufgestockt wurde (vgl. Lieb 1967; Koerner 1973). - Wir verwenden ,(Sprach-)Abschnitt* als einen gegenüber den genannten B e zeichnungen neutralen Ausdruck, der lediglich »Sprache während einer gewissen Zeitspanne' meint. Vorschläge zu einem sprachtheoretisch abgestützten und zugleich etwa für die Sprachgeschichtsschreibung praktikablen Begriff,Sprachstadium' werden zweckmäßigerweise erst nach der Diskussion bisher vorliegender Konzeptionen gemacht. Im übrigen gilt die Terminologie der jeweiligen Autoren bzw. ihrer dt. Übersetzungen.

schnitt zu bilden. E i n e Sprachstadientheorie beans p r u c h t n i c h t , eine vollständige T h e o r i e ü b e r jeden einzelnen A b s c h n i t t einer Sprache zu sein; diese Theorie wird überwiegend durch

Grammatiken

u n d a n d e r e Teiltheorien geleistet. G e g e n s t a n d ein e r S p r a c h s t a d i e n t h e o r i e ist v i e l m e h r d i e g e s a m t e Entwicklungsstruktur einer historischen Sprache, d a d i e e i n z e l n e n S t a d i e n n u r in R e l a t i o n

zuein-

ander und zur vollständigen Sprache (diachron wie Im

gegebenen

R a h m e n können Erscheinungen wie

synchron)

zu

bestimmen

Sprachspal-

tung, Sprachwechsel, Reaktivierung

vergangener

Sprachabschnitte

(vgl.

sind.

Humanistenlatein),

nicht berücksichtigt werden.

Der

usw.

Gegenstands-

b e r e i c h sei h i e r b e g r e n z t a u f E i n z e l s p r a c h e n ,

die

jederzeit eine k o m p l e x e

als

Sprachgemeinschaft

Grundlage haben, (einigermaßen)

kontinuierlich

d o k u m e n t i e r t sind u n d über jeden ihrer Abschnitte sprachtheoretisch signifikante Aussagen zulassen. G e e i g n e t e r P r o t o t y p ist d a s D e u t s c h e .

Aufgaben

e i n e r S p r a c h s t a d i e n t h e o r i e in u n s e r e m S i n n e s i n d : (1) Gewisse Grundlagen b z w .

Voraussetzungen

der diachronischen wie synchronischen Linguistik zu klären; (2) Eigenschaften v o n insbesondere

das

Verhältnis

System, Varietäten, wartungsnormen

von

Sprachstadien, Stadium

Gebrauchsregularitäten,

und

und Er-

Spracheinstellungen/-be-

w e r t u n g e n herauszuarbeiten; (3) die U b e r g a n g s modalitäten zwischen aufeinanderfolgenden dien z u a n a l y s i e r e n ; ( 4 ) die

Sta-

Gesamtentwicklung

2 . Sprachstadium:

Synchronie

und

Diachronie

2.1. Für Paul ist „die ganze Prinzipienlehre der Sprachgeschichte um die Frage konzentriert: wie verhält sich der Sprachusus zur individuellen Sprechtätigkeit? wie wird diese durch jenen bestimmt und wie wirkt sie umgekehrt auf ihn zurück?" ( 1 9 7 5 , 3 3 ) . Der Sprachusus (nicht identisch mit der idealen N o r m : 4 0 4 f f . ) ist ein Steuerungsfaktor der Sprechtätigkeit, der auf der „wesentlichen Ubereinstimmung" aller ,Sprachorganismen' der Sprachgemeinschaft zu einer Zeit beruht, der es daher auch rechtfertigt, „für jede Entwickelungsperiode einer Sprache ein im wesentlichen allgemeingültiges System" aufzustellen (189). Jedoch beherrscht der Usus die Sprechtätigkeit nicht vollständig und unterliegt daher selbst der Veränderung. Sprachveränderung als fortwährende Verschiebung des Usus resultiert letztlich aus dem Zusammenwirken zahlloser Einzelvorgänge in und zwischen den individuellen Sprachorganismen. Der Usus muß erschlossen werden aus den allein beobachtbaren Äußerungen der Sprechtätigkeit. In der idealen Beschreibung von Sprachzuständen sieht P. ein sehr weitgestecktes Programm, nämlich vergleichende Beschreibung jeder einzelnen gleichzeitigen »Individualsprache* der Gemeinschaft, doch begnügt er sich für die Praxis damit, „das in einer Periode allgemein Übliche" als (nicht näher erläuterten) .Durchschnitt' einer begrenzten Menge von Individualsprachen zu bestimmen (29, 189). Unbefriedigend bleibt für P., daß ein solcher Durchschnitt den Usus nie vollständig enthält, und daß die Beschreibung gerade Ususabweichungen, die gleichsam Entwürfe für Veränderungen sind, vernachlässigen muß. Sprachzustandsbeschreibungen sind im Sinne P.s .Abstraktionen' (189), allerdings auf einer reflektierteren Basis als die

62. Sprachstadium .Abstraktionen' der von ihm kritisierten herkömmlichen deskriptiven Grammatik (24). Insgesamt haben Zustandsbeschreibungen für P. ihren Endzweck nicht in sich, vielmehr liefert deren Vergleich Material über Sprachveränderungen, an dem die kausale Erklärung ansetzt. - Beherzigenswert sind die methodischen Hinweise: (1) die Zustandsbeschreibung ist theoretisch abzusichern durch Einsicht in das , , W e sen des Sprachlebens" (31); (2) die Beschreibungssprache hat sich dem jeweiligen Sprachzustand anzupassen ( z . B . kann die nhd. Substantivflexion nicht adäquat mit der an a h d . , S t ä m m e n ' entwickelten Terminologie beschrieben werden); (3) die Beschreibung darf nicht ältere und jüngere Verhältnisse kontaminieren (ζ. B. nicht die Bedeutung eines Wortes nach seiner Etymologie bestimmen, wenn das Bewußtsein der »Grundbedeutung' bereits geschwunden ist); (4) der Vergleich von Zustandsbeschreibungen ist um so aufschlußreicher, je näher die Zustände einander stehen, da sonst die Zwischenstufen außer Kontrolle geraten, die Sprachwandel erst als Prozeß Sichtbarwerden lassen (eine Kontrastierung des Ahd. mit der nhd. Gegenwartssprache z . B . wäre nur unter ahistorisch-typologischem Aspekt sinnvoll). 2.2. Während die Saussureschen Begriffe Synchronie und Diachronie lange Zeit nur als methodische Perspektiven anerkannt wurden, entdeckt man sie neuerdings, gestützt auf die inzwischen verbesserte Quellenbasis, auch als eine bereits bei ihm angelegte sprach theoretische Unterscheidung (Lieb 1970; Jäger 1976; Chiss 1978). Für S. ist der Gegenstand linguistischer Erkenntnis nicht als Einheit vorgegeben, sondern wird erst durch die Vermittlung eines theoretischen Gesichtspunktes (EC 26 , »point de v u e " ) in definitorischer Arbeit konstituiert. In den Kategorien Synchronie und Diachronie werden Dimensionen der Sprache selbst (EC 179 „die Natur der Dinge"), die in einem ständigen Wechselspiel verbunden sind (EC 180), theoretisch gefaßt, u. z w . Sprache (,langue') einmal als den Sprechern je simultan präsentes, sozial instituiertes Sprach bewußtsein, zum andern Sprache (in Wechselwirkung mit dem Sprechen, der ,parole') als mit der Zeit notwendig veränderliche Größe (EC 112, 318). Durch das Argument des kollektiven Sprecherbewußtseins, aber vor allem durch den für S. zentralen Systemgedanken, erhält der synchronische Gesichtspunkt eine entscheidende A u f w e r tung: Sprache als homogenes System von Zeichen mit ihren Werten und (syntagmatischen w i e paradigmatischen) Beziehungen ist allein in der Synchronie, in einem Sprachzustand, gegeben (EC 188,228). Gegenstand der statischen bzw. synchronischen Linguistik ist auf der allgemeinen, übereinzelsprachiichen Ebene das allen Sprachzuständen Gemeinsame (EC 228), auf der einzelsprachlichen Ebene der konkrete Sprachzustand, sofern er homogen ist ( s . u . ) . Genau diese Stufung faßt S. in den Termini ,synchronisch' und ,idiosynchronisch' (vgl. Hjelmslev 1968, 102), wobei er anmerkt, daß für die diachronische Linguistik eine parallele Spezifikation (,idiodiachronisch*) nicht gilt, da sie (auch) Beziehungen z w i schen mehreren Einzelsprachen untersuche (EC 201). Als Gegenstand der Theorie ist der Sprachzustand definiert durch .Abwesenheit' sprachlicher Veränderung (EC 230). Für S. ist ein solcher Begriff nicht kontrafaktisch. Vielmehr sieht er sich in Übereinstimmung mit dem Bewußtsein der Sprecher, für die der Zustand die (sprachliche) .Realität' und Veränderungen .inexistent' seien; die synchronische Perspektive des Linguisten rekonstruiert also lediglich die Perspektive der Sprecher, während die diachronische Perspektive (Prospektive oder Retrospektive) die des Linguisten allein ist (EC 181 f., 198ff.)· Allerdings w i r d man dieses empirische Argument, das für den nicht-reflexiven Redeakt noch gelten mag, kaum aber für das gesamte Bewußtsein der Sprecher von ihrer Sprache, nicht überschätzen dürfen (vgl. E C 162 zur Unbe-

559

wußtheit der langue!); bedeutsamer für S. ist, daß durch eine wissenschaftlich legitime ,,konventionelle Vereinfachung" die historische Realität in der .Projektion' eines nicht minder realen momentanen Zustands als theoriefähiger Gegenstand hergestellt w i r d (EC 193 f., 231). Die methodischen Probleme der Abgrenzung des Sprachzustands ,,in der Praxis" sind demgegenüber zweitrangig: Der Zeitraum, währenddessen ,,keine bedeutende Veränder u n g " stattfindet (Zustand), ist grundsätzlich variabel, er kann auch größer sein als ein Zeitraum mit bedeutenden Veränderungen (EC 229 f.). In räumlicher Hinsicht sind notfalls Dialekte und Subdialekte auszugrenzen (EC 201), um eine annähernd einheitliche Sprachausprägung zu erhalten. Daß S. die Inhomogenität moderner Einzelsprachen keineswegs übersah, zeigen seine Ausführungen zu Schriftsprache, U m gangssprache, dialektalen Verschiedenheiten, Sprachkontakten, wissenschaftlich-technischen ,Spezialsprachen' u . a . m . (EC 59 ff., 435 ff.)» n u r wird diese Heterogenität, da von .externen' Faktoren bedingt, vom .internen', systematisierbaren Bereich der Langue-Linguistik von vornherein ausgeblendet (vgl. Bierbach 1978, 65ff.). So ergibt sich, daß der empirische Sprachzustand mit seinen ,.notwendig unpräzisen" Grenzen (EC 229) dem idealen Konstrukt Sprachzustand, der durch Homogenität und Statik ausgezeichnet und von der Sprache als System ( s . o . ) kaum unterschieden ist, unvermittelt gegenübersteht. Wie S. im Vergleich mit dem Schachspiel ausführt, hängt der .Wert' eines sprachlichen Elements ab von seiner Stellung im momentanen Gleichgewichtszustand des Systems. Der diachronische Vorgang (Spielzug) betrifft ein einzelnes Element, nicht das System en bloc, hat aber (bzw. kann haben) als Ergebnis ein .anderes' System (EC 196, 189). Die Konsequenz ist, daß es für S. z w a r eine Kontinuität der Sprachzeichen gibt, weil sie sich als Elemente verändern können (EC 165 ff.), aber keine Kontinuität des Systems: so viele „vollkommen verschiedene" Systeme wie Sprachzustände (EC 193; vgl. Engler 1975, 867). Diachronische Vorgänge finden nicht in (sondern: zwischen) Sprachzuständen statt, stehen in keiner direkten Beziehung zum System, obwohl dieses durch sie bedingt ist, sind immer vereinzelt, zufällig und ungewollt, bilden untereinander kein System (EC 227). Aus der Zufälligkeit und Ungerichtetheit von Sprachveränderung resultiert die Zufälligkeit jedes Sprachzustands, der nur aus sich heraus, nicht aus seiner Genese, verstanden werden kann (EC 181, 199). Das „synchronische Gesetz" (EC 206) konstatiert lediglich eine positive Ordnung post festum (Stellen im ,Cours', die den Gedanken einer sozial verpflichtenden Sprachnorm nahelegen, sind Zusätze der H g g . : EC 182, 203). S.s Prinzip, die Sprachentwicklung in eine Folge autonomer (System-)Zustände aufzulösen, und seine Tendenz, alles Diachronische auf Lautwandel zu reduzieren, umgekehrt alles in weitem Sinne Grammatische für die synchronische Linguistik zu reklamieren, lassen für die diachronische Linguistik kaum noch Entfaltungsmöglichkeiten (Godel 1969, 186 ff.). Zwar demonstriert S. die Unterschiede zwischen Sprachzuständen an zahlreichen Einzelbeispielen (metachronische Gleichungen), entwickelt jedoch keine kohärenten Überlegungen zu einer Methodik des Zustandsvergleichs oder zu einer Theorie der Zustandsfolge, obwohl der konzeptuelle Ansatz dazu im Begriff des Sprachzustands eigentlich gegeben war. 2.3. Lieb (1966, 3 5 6 f f . ; 1970, 3 4 f f . ) geht aus von einer Kritik an Saussures Identifikation von Sprachzustand und Sprachsystem bzw. an der damit verbundenen These von der Einzigkeit des Systems eines Sprachzustands. Anstatt primär nach der Form des Systems zu fragen, konzentriert L. (1970) sich auf die räum-zeitliche Bedingtheit der Sprache. Da

560

VIII. Histonsche Aspekte

Sprache selbst kein physischer Gegenstand ist, sieht L. sich verwiesen auf die realen Sprecher und ihre individuellen ,Verständigungsmittel' (je die „Klasse der ,nach einem System möglichen T e x t e ' n i c h t etwa Äußerungen), für die und für deren Systeme es eine „innere Grundlage" beim einzelnen Sprecher gibt (68, 162 ff.)· Ein ,Sprachstadium' wird zunächst mit Bezug auf Saussure charakterisiert als „identisch mit der Sprache während eines Zeitabschnitts, in dem sie keiner bedeutenden Veränderung unterliegt" (28 f.). .Bedeutende Veränderung' legt L. sehr eng aus: Für den Ubergang zum nächsten Stadium ist es „ausreichend, wenn im Sprachanteil eines einzigen Sprechers eine .bedeutende Veränderung' eintritt, mit der ein eben noch vorhandenes Verständigungsmittel aus der Sprache verschwindet oder ein Verständiguηgsmittel auftritt, das in der Sprache unmittelbar vorher nicht vorhanden war" (62). Der ,Sprachanteil' ist dabei die Klasse der Verständigungsmittel, über die ein Sprecher jemals verfügt. Jedes Verständigungsmittel (ein Sprecher kann simultan über mehrere verfügen) i s t , , h o m o g e n im Hinblick auf die Ausprägungen der Sprache" (61). ,Sprachausprägungen' sind z . B . geographische Dialekte. Angenommen, ein .Deutsch' und .Bairisch' Sprechender verlernt allmählich das Bairische, dann müßte nach diesen Voraussetzungen - ungeachtet paralleler Vorgänge bei anderen Individuen - bei einem bestimmten, zeitlich fixierbaren (weil von einem physiologischen Prozeß abhängigen: 46) Grad des Verlernens ein neues Stadium des Bairischen erreicht sein, und evtl. auch des Deutschen, vom dem das Bairische eine .Teilklasse' darstellt. Bei der Bestimmung von .bedeutender Veränderung' verzichtet L. auf das Kriterium der Übernahme und Verbreitung von Varianten und Neuerungen, u.a. weil dies eine quantifizierende Behandlung erfordern würde, L. jedoch an klassifikatorischen Begriffen festhält (vgl. dagegen Coseriu 1974 , 68: „letztlich jeder Wandel eine Übernahme"). Bei L.s Vorgehen muß die durchschnittliche Stadiendauer bei einer zahlenmäßig starken Sprachgemeinschaft sehr klein ausfallen. Gewisse Konsequenzen werden in Kauf genommen: Ein Stadium mit Dauer Null ist nicht ausgeschlossen, auch muß ein Sprachstadium nicht unbedingt etwas sein, das noch Minimalbedingungen von .Sprache', wie z . B . Kommunizierbarkeit. erfüllt (62. 271). In einem nicht-momentanen Stadium sind in jedem Augenblick genau dieselben Verständigungsmittel „gleichzeitig in Gebrauch", so daß letztlich in Sprachstadien qualitativ „überhaupt keine Veränderung stattfindet"; zugelassen sind lediglich „äußere Veränderungen", ζ. B. in der Zahl der Sprecher ( 1 4 6 f . , 266). Das Sprachsystem wird zunächst relativ zu einem Stadium definiert. Jedoch unterscheidet L. verschiedene Typen und Grade von Abstraktion, so daß es nicht .das' System zu einem Stadium gibt, sondern allenfalls .ein' System n-ten Grades (239). Die Flexibilität des Begriffs .System n-ten Grades' erlaubt es L. insbesondere, den Systembegriff auch auf größere Sprach abschnitte und schließlich auf die gesamte Stadienfolge einer historischen Sprache anzuwenden: „Sobald ein gewisser Abstraktionsgrad erreicht ist, kann dasselbe System bei verschiedenen Stadien wiederkehren, trotz der Veränderungen, die bei den Einzelsystemen inzwischen eingetreten sind" (222). Ein ,Systemzustand' ist die .Stellung', die das System zu einer Sprache jeweils im Abstraktionsprozeß bei einem Stadium einnimmt (250). Mit diesem Ansatz hat L . , angeregt durch Coserius Unterscheidung von .Norm', .System' und ,Typ' (1975, 143 f.), die Saussuresche Beschränkung des Systembegriffs auf Sprachzustände aufgehoben und die Theorie des Sprachsystems nicht nur für diachronische, sondern auch für kontrastiv-typologische Fragen geöffnet.

2.4. Kanngießer (1972) entwickelt ein Modell koexistierender Grammatiken, das sowohl synchronisch wie diachronisch interpretiert werden kann. Ein ,Sprachzustand' ist zusammengesetzt aus qualitativ verschiedenen, intern homogenen, aber interagierenden Gruppenkompetenzen mit nichtleerem gemeinsamem Durchschnitt (66 f.). Diese Kompetenzen sind äquivalente* Sprachkenntnisse von SprecherHörer-Gruppen, welche nicht nach sozialen Merkmalen, sondern eben nach der Beschaffenheit ihrer Sprachkenntnisse definiert sind (82 f.). Die diachronische Dimension eines Sprachzustands ist in zweifacher Hinsicht angesprochen: (1) Die Kompetenzen sind (auch) diachron strukturiert, sie repräsentieren als Ganze oder in Teilen verschiedene, jedoch simultan präsente, Entwicklungsphasen entsprechend dem Grad ihrer Innoviertheit bzw. ihres Konservatismus; die Sprecher haben ein Bewußtsein von solchen diachronen Phasenabständen (vgl. Archaismen, Modernismen, Neologismen); (2) sorgt die gruppenübergreifende Kommunikation für permanente Kompetenzveränderungen. Ein Sprachzustand ist danach „ein System von koexistierenden Entwicklungsphasen der Sprachstruktur" (202 f.). In jedem Sprachzustand gibt es neben verschieden stark innovierenden auch entsprechend retardierende Kompetenzsysteme, die allmählich erlöschen. Die Stadienfolge innerhalb eines Zustands ist bestimmt durch den sukzessiven Wegfall retardierender Systeme, und der Wegfall des letzten dieser Systeme bedeutet den Ubergang zum nachfolgenden Zustand (216). Etwas anders Kanngießer 1973, 5 6 f f . : Im Verlaufe eines Sprachzustands werden (mindestens) zwei Stadien a und b von Mitgliedern der Grammatikenfamilie disjunkt derart, daß a mit b keinen grammatischen Satz gemeinsam hat. Ein Sprachzustand erscheint so als „Tripel aus zwei disjunkten Diffusionsstadien und der Klasse der intermediären Diffusionsstadien". Die Kontinuität des Ubergangs wird zusätzlich durch eine Uberlappungsbeziehung gesichert: das Endstadium eines Zustands ist zugleich das Anfangsstadium des nachfolgenden Zustands. Den Umstand, daß benachbarte Sprachzustände selbst nicht grammatisch vollständig disjunkt sind, faßt K . unter dem Begriff ,Transgrammatizität' (1972, 219; 1973, 57). Der Grad der Transgrammatizität eines Satzes bemißt sich etwa nach der Zahl der Zustände, in denen er grammatisch ist. Damit werden Grammatizitätsbewertungen, sonst immer relativ zu einem Zustand gesetzt, auch relativ zur Zustandsfolge möglich und weitreichende Fragen eröffnet, wie die nach dem diachronischen ,Kern' einer Sprache oder die nach dem Verwandtschafts- oder Verständlichkeitsgrad von Sprachzuständen in Folge.

3. Zur Kontinuität historischer

Sprachen

Eines der Hauptprobleme für eine Stadientheorie besteht darin, historische Sprachen in wohlunterschiedene Abschnitte zu zerlegen und dennoch „eine Art von Kontinuität" (vgl. Boretzky 1977, 59ff.) begrifflich zu garantieren. Modelle, in denen Sprache qua System als statischer Zustand objektiviert wird, verfallen der Konsequenz, daß Veränderung ,zwischen' den Zuständen, jedenfalls auf die Sprache rückwirkend', erfolgt, die in jedem Zustand eine ,andere' sein muß, weil sie keine kontinuierlich veränderte sein kann (vgl. 2.2. zu Saussure; Coseriu 1974, 192, 235 kritisch zu dem auch diachronisch arbeitenden Prager

62. Sprachstadium Strukturalismus, dem jedoch u . a . die Konzeption einer dynamischen, funktional gegliederten Synchronie verdankt w i r d ) . Werden andererseits diachronische Vorgänge in Sprachstadien integriert und minimale Veränderungen nicht als Stadienübergänge gewertet, so könnte der dann notwendig werdende Begriff , bedeutende Veränderung' leicht die Vorstellung von revolutionären Entwicklungssprüngen erwecken (Marrsche These; vgl. Serebrennikow 1 9 7 3 , 2 4 6 f . ) , die schon angesichts der allgemeinen Verständigungsbedingungen und der strukturalen wie funktionalen Komplexität historischer Sprachen unangemessen ist. Kontinuität läßt sich historischen Sprachen sicher in mehrerlei Hinsicht zuschreiben: U n unterbrochene Tradition und Spracherlernung; nie abreißende Verständlichkeit, da bei jeder Veränderung tragende Bestandteile erhalten bleiben; hinreichende Ähnlichkeit der Merkmalsausprägungen benachbarter Stadien (vgl. 2.4. Transgrammatizität); Veränderlichkeit des Sprachgebrauchs bei gleichbleibender Erwartungsnorm, Veränderlichkeit der N o r m bei Stabilität des Systems, Veränderlichkeit des Systems bei Gleichheit des Sprachtyps; u s w . Dennoch kann dem Gesamteindruck der Kontinuität eine Vielzahl diskreter Mikrophänomene zugrundeliegen. Diskrete Sprachveränderungsvorgänge sind ζ . B. lexikalische Entlehnungen aus Fremdsprachen, aber auch etwa bei phonetischen , Anfangsneuerungen' dürfte das Erreichen eines bestimmten Änderungsgrades notwendig für deren W a h r n e h m u n g und intentionale Übernahme ins Sprachwissen anderer sein (Coseriu 1974, 70ff.). Insgesamt m u ß also mit der Kontinuitätsannahme zumindest bei gewissen Sprachveränderungstypen Diskretheit nicht ausgeschlossen sein. Eine strenge Kontinuierlichkeit der Sprachentwicklung im Sinne von Stetigkeit und Gleichmäßigkeit ist aber vor allem im Hinblick auf die kontextuelle Einbettung von Sprache, die Verknüpfung ihrer Geschichte mit der Geschichte der Sprachgemeinschaft, nicht zu erwarten. Auch insofern hat der Versuch, Sprachabschnitte zuunterscheiden, einegleichsam n a t ü r liche' Berechtigung.

4. Sprachstadium

und

Sprachgeschichtsschreibung

Unsere Frage nach einem für die Sprachgeschichtsschreibung brauchbaren Stadienbegriff kann so gestellt w e r d e n : (1) Welche Vorgänge rechtfertigen die Rede von einer ,bedeutenden Veränderung'? (2) Sind diese Vorgänge für alle Sprachabschnitte rekonstruierbar? (1) betrifft den Stadienübergang. Es ist offenbar sinnvoller, Stadien mit .bedeutenden Veränderungen' beginnen zu lassen b z w . diese als Ubergangsphasen anzusehen, als sie ins Zentrum von Stadien zu pia-

561

zieren. (1) ist natürlich nicht unabhängig von der Frage nach relativ stabilen Phasen der Sprachentwicklung. Sie konservieren die Resultate der Ubergänge und geben nach herkömmlicher A u f fassung einem Stadium das charakteristische Gepräge. (2) betrifft die Verfügbarkeit von Ausgangsdaten und ihre Qualität ( d . h . : erlauben sie die gewünschten Schlüsse?). U m zu Definitionsaspekten von ,Sprachstadium' zu gelangen, sind vor allem zwei Punkte zu klären, die insgesamt mit dem Problem von Sprachveränderung zu tun haben und die bei den referierten Autoren (vgl. 2.) recht unterschiedlich behandelt w e r d e n : (I) die ,Existenzmodi' von Sprache b z w . ihre sprachtheoretische Objektivation relativ zu .Sprachabschnitt'; (II) das Verhältnis von .Sprache' und ,Sprachausprägungen' b z w . .Sprachvarietäten', hier: das Problem der .Einheit' des Deutschen. (I) W i r können als konstitutive und/oder regulative Bedingungen von (a) konkreter Sprachverw e n d u n g unterscheiden: (b) Gebrauchsregularitäten, das (statistisch) .Normale' in der Realisierung; (c) Sprachsystem(e) b z w . Kompetenz(en); (d) wechselseitige Erwartungen bezüglich (Typen von) Sprach verhalten, gelernt aus k o m m u n i k a tiver Erfahrung ( z . B . eine Universitätsvorlesung ist ,so'); (e) normative Erwartungen bez. Sprachverhalten, von einer institutionalisierten' Varietät oder von einem kodifizierten Standard her; (f) affektive Einstellungen zu Sprachverhaltensweisen (vgl. Beliebtheitsskala dt. Dialekte); (g) sozialer S y m p t o m - oder Prestigewert von Sprachverhalten (vgl. kommunikative ,Aufwärtsmobilität' mittels Fremdwortgebrauchs u . a . ) ; (h) sozial-kommunikative Bedürfnisse, die Sprache/Sprachveränderung funktional bestimmen (vgl. Ausbau von Fachsprachen, von Varietäten im Freizeitbereich; Schübe lexikalischer Entlehnungen); (i) das Streben nach Kommunikationseffizienz, nach R e d u zierung des A u f w a n d e s relativ z u m Effekt (Entwicklung technischer Medien - vgl. Schrift- und Drucktechnik, Elektronik - und entsprechender Kommunikationsformen). Die bisherigen Vorschläge zum Inhalt von ,Sprachzustand' beziehen sich entweder auf (b), so Paul (,Sprachusus'), oder auf (c), so Saussure und Kanngießer. Lieb bezieht .Sprachstadium' auf eine mittlere Ebene von virtuellen Texten zwischen .Rede' und .System' (vgl. 2.3. zu .Verständigungsmittel'), u. a. mit Rücksicht auf literaturwissenschaftliche Bedürfnisse. Die textuelle Ebene ist durchaus die geeignete Analyseebene für Sprachstadien, insbesondere weil der Bezug zu (a) gewahrt bleibt und das Analyseziel nicht nur (b) oder (c) zu sein braucht, sondern alles in der Liste (b)—(i), die erweiterbar ist, sein kann. Dazu ist es allerdings erforderlich, unter .Text' alle Formen von sprachlicher (vielleicht allgemeiner: zeichenhafter) Kommunikation zu subsumieren

562

VIII. Historische

Aspekte

(vgl. Art. 20-30), also auch meta- und extrakommunikative Verhaltensweisen (wichtighier: Daten über die soziale Bewertung von Sprachveränderungsprozessen!). Ein Sprachstadium ist dann nach Aspekt (I): die Bedingungen, Erscheinungsformen und Funktionen von Texten, sofern sie keiner ,bedeutenden Veränderung' unterliegen. (II) Nach einer Phase heuristischer Reduktionen des Sprachbegriffs (Stichworte: Homogenität, Statik, Geschlossenheit, Autonomie von Sprache als System) wird neuerdings die Einsicht in die mehrdimensionale Sprachvariation (die Sprachveränderung auch in der Synchronic analysierbar macht) und die interne Gliederung von Sprachen in dynamisch interagierende Varietäten akzentuiert (grundlegend: Weinreich (u.a.) 1968, 125ff.; Forschungsüberblick: Klein 1976). Damit muß die Rede von d e r Sprache und ihren Stadien neu begründet werden. Nach Lieb gibt es ,Sprachausprägungen' als Teilklassen einer .Sprache', die beide in gleichem Sinne ,stadienfähig' sind; dabei geht die ,Sprache' anscheinend nicht vollständig in ihren .Ausprägungen' auf (1970, 60ff.; vgl. kritisch Heger 1971, 552f.). Kanngießers Durchschnittsoperation über den Einzelgrammatiken liefert zwar den Begriff ,Grammatik-Standard', der es „sinnvoll macht, von [ . . . ] einer einheitlichen Sprache zu reden" (1973, 34), nicht jedoch den einer Standardsprache', die es nach K. nicht gibt (1978, 110). Ähnlich ist für Wunderlich „das Deutsche lediglich [ . . . ] ein Konstrukt", und eine dt. .Gesamtsprache' über kein linguistisches Verfahren, auch nicht relativ zu einem ,dominierenden Dialekt', zu gewinnen; anerkannt wird die „Familie aller Soziolekte des Deutschen" (1974, 399ff.). Quasthoff wiederum verteidigt die „Redeweise von d e m System einer Einzelsprache" mit der (gewagten) These, das ,System' der wechselseitigen kommunikativen Erwartungen (vgl. oben Id) sei das relativ einheitlichste in der gesamten Sprachgemeinschaft bei einem gegebenen „Stadium der gesellschaftlichen Entwicklung" (1978, 50f.). Das linguistische Modell der Familienähnlichkeit von Varietäten u η d Sprachstadien (vgl. Wunderlich 1974, 403ff.) liefert u . E . eine Basis, von der Einheit einer Sprache wie des Deutschen synchron wie diachron — zu sprechen. Daß kein einzelner Sprecher über die ,dt. Gesamtsprache' verfügt und daß die Einheit einer Sprache nicht in allen Dimensionen des Sprachwissens jedes Sprechers präsent ist (vgl. sprachpolitische Abgrenzung!), ist demgegenüber kein zwingender Einwand. ,Sprachstadium' kann reserviert bleiben für die ganze Einzelsprache. Daneben empfiehlt sich der Terminus .Varietätenstadium' zumindest für solche Einzelsprachvarianten, denen der Status von .Sprachen' nicht abzuerkennen ist (vgl. bereits oben 2.2. Saussure zu Dialekten). Die Geschichte

der einzelnen Varietäten des Deutschen ist im wesentlichen noch zu schreiben (vgl. Art. 83-90, ferner 31-32, 35-38, 47-54). Üblicherweise werden in der Sprachgeschichtsschreibung gewisse Hierarchisierungen der Varietäten vorgenommen. In den Anfängen der Germanistik spielte z . B . fast nur die Sprache der (schönen) Literatur eine Rolle. Scherer gliederte die dt. Sprachgeschichte genau parallel zur Literaturgeschichte (1878, 12ff.; seine Periodisierung des Hochdt. liegt noch den Art. 64, 66, 68 zugrunde). Sosehr sich das inzwischen geändert hat (vgl. ζ. B. das Textsortenspektrum in Art. 68). wird doch schon allein aus Gründen der Uberlieferungslage und der Arbeitsökonomie immer die Frage nach einer .prototypischen Ausprägung' eines Sprachstadiums gestellt sein. Dieser .Prototyp' kann etwa nach folgenden Kriterien festgelegt werden: (1) ein Mindestmaß an .Systemhaftigkeit' (Einheitlichkeit in zu definierenden Bereichen von Pragmatik, Semantik, Syntaktik); (2) größte kommunikative Reichweite (Uberregionalität); (3) soziales Prestigemaximum (Vorbildfunktion); (4) größte Verwendungsintensität und -breite (am einfachsten zu definieren nach dem größten relativen Anteil einer schreibsprachlichen Varietät an sämtlichen jeweils vorauszusetzenden Textsorten; Problem: Lücken in der Uberlieferung schriftlicher Kommunikation). (4) in Kombination mit (1) sollte u . E . bestimmend sein. Texte/Textsorten, die Merkmale gesprochener Sprache enthalten, sind hierbei hoch zu bewerten. Die prototypische Ausprägung bildet das kommunikative Zentrum' eines Sprachstadiums ab. Eine gewisse interne Heterogenität der prototypischen Varietät wird sich allein schon wegen ihres Anteils an verschiedenen Textsorten ergeben. Um das Prinzip des (aktiven) ,Gleichzeitig-Verfügbar-Seins' diachronischer Varianten zu wahren (Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem; vgl. etwa generationale Schichtung), könnte eine bestimmte Entwicklungsphase des Prototyps innerhalb des Stadiums als ,stadientypisch' ausgezeichnet werden (vgl. ζ. B. das ,klassische' Mhd. um 1200). Es liegt nahe, Entwicklungsphasen innerhalb eines Stadiums nach Veränderungen im Textsortenanteil des Prototyps zu unterscheiden. Als Kriterien für Stadienübergänge können schematisch folgende Möglichkeiten gelten: (a) den Textsortenanteil des bisherigen Prototyps übernimmt ein anderer Prototyp; (b) .bedeutende Veränderung' in den .äußeren' Bedingungen der Textproduktion/-rezeption bzw. im System der Textsorten ( z . B . aufgrund neuer Medien, sozio-kultureller Umbrüche); (c) die Zahl ( S 1) der in einem bestimmten Stadium koexistierenden, gleich plausiblen, prototypischen Ausprägungen verändert sich; (d) der Prototyp verliert das Mindestmaß an Systemhaftigkeit (das ihn identifizierbar machte);

62. Sprachstudium (e) . b e d e u t e n d e V e r ä n d e r u n g ' im S y s t e m des P r o t o t y p s ( d e r als s o l c h e r w e i t e r e x i s t i e r t ) ; ( f )

be-

deutende Veränderung' im System der Varietäten (Erlöschen retardierender, Expansion innovativer Varietäten). W i e d e r u m sollte bei der

Auswahl/

G e w i c h t u n g dieser (oder weiterer) Kriterien Gesichtspunkt (4) dominieren.

der

Stadienübergänge

sind nach unseren Vorstellungen kategorial ident i s c h r e p r ä s e n t i e r t als b e d e u t e n d e V e r ä n d e r u n g e n auf textueller

Ebene.

Unzweckmäßig

erscheint

die Lokalisierung der . b e d e u t e n d e n V e r ä n d e r u n g ' in e i n e m

engen

änderungen

Bereich

von

Sprachsystemver-

(vgl. die traditionelle

Bevorzugung

v o n L a u t w a n d e l ) o d e r in e i n e m i n d i v i d u e l l e n V o r g a n g ( v g l . o b e n 2 . 3 . L i e b ) o d e r in e i n e m e i n z e l n e n h i s t o r i s c h e n E r e i g n i s o d e r P r o z e ß ( ζ . B . ist z w i schen Erfindung und sprachgeschichtlicher

Aus-

w i r k u n g des B u c h d r u c k s z u m i n d e s t eine P h a s e n verschiebung

anzunehmen).

Mit

einem

Z e i t p u n k t f ü r d e n S t a d i e n ü b e r g a n g in

festen

unserem

Sinne dürfte in der Regel nicht zu rechnen

sein

(vgl. auch K a n n g i e ß e r 1973, 5 4 gegen L i e b ) . Um

auf

die

Periodisierungsversuche

in

der

Sprachgeschichtsschreibung des D e u t s c h e n einzugehen, fehlt hier der R a u m ; vgl. den N e u a n s a t z bei M o s e r ( 1 9 5 1 ) und den U b e r b l i c k bei (1971).

Zusammenfassend

kann

gesagt

Wolf

werden,

d a ß die zeitliche G l i e d e r u n g des D e u t s c h e n u m stritten ist, aber selten ernsthaft diskutiert w u r d e . D i e n o t w e n d i g e N e u b e s i n n u n g auf die theoretischen Grundlagen, methodischen und

Aufgaben

der

Möglichkeiten

Sprachgeschichtsschreibung

(des D e u t s c h e n ) h a t e b e n erst b e g o n n e n ; vgl. z . B . S c h e n k e r ( 1 9 7 7 ) s o w i e die e i n s c h l ä g i g e n B e i t r ä g e in M o s e r ( H r s g . ) 1 9 7 7 u n d S i t t a ( H r s g . ) 1 9 7 9 .

5.

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Ohjartel,

Braunschweig

564

VIII. Historische Aspekte

63. DeutscheSprache und germanische Sprachen 1.

Problemstellung

2. Theoretische Grundlagen 3. Methodische Grundlagen 4 . D a s P r o b l e m der G r u n d s p r a c h e 5. Das Urgermanische 6. DieAusgliederungdergermanischen Einzelsprachen 7 . K o n t r a s t i v e T y p o l o g i e d e r g e r m a n i s c h e n Sprachen 8. B i b l i o g r a p h i e (in A u s w a h l )

1.

Problemstellung

1.1. Das Deutsche bildet zusammen mit dem Niederländischen, Friesischen, Englischen, Dänischen, Schwedischen, Norwegischen, Isländischen und Färörischen die Gruppe der germanischen Sprachen. Diese Gruppenbildung ist begründet durch die Ähnlichkeit dieser Sprachen, die bei den frühest belegten Stufen besonders deutlich hervortritt und sich als Folge einer Urverwandtschaft erweisen läßt. Die Verwandtschaft ist zwischen den verschiedenen germ. Sprachen unterschiedlich eng (Dt. und Nl. sind z . B . näher miteinander verwandt als Dt. und Isl.), so daß eine eingehendere Darstellung der Verwandtschaftsverhältnisse notwendig erscheint. 1.2. Die Gruppe der germ. Sprachen ist weiter verwandt mit dem Lateinischen (und damit den roman. Sprachen), den keltischen, baltischen und slavischen Sprachen, dem Griechischen, Iranischen, Indischen und einigen andern Sprachen (indogermanische Sprachfamilie). 2. Theoretische

Grundlagen

2.1. Historisch-geographisches

Sprachmodell

Es liegt im Wesen einer natürlichen Sprache, daß sie sich entwickelt. Diese Entwicklung erfolgt durch Neuerungen, die zwei wesentliche Folgen haben: 1. Die Sprachausprägungen aufeinanderfolgender Generationen unterscheiden sich, und zwar um so mehr, je weiter die Generationen auseinanderliegen (zeitliches Kontinuum). 2. Da sich Neuerungen häufig nicht über das ganze Sprachgebiet ausdehnen, bilden sie Verbreitungsgrenzen. Die Verbreitungsgrenzen verschiedener Neuerungen decken sich in der Regel nur in geringem Umfang; sie bilden vielmehr ein ungleichmäßiges Netz (räumliches Kontinuum oder Mundartkontinuum). Je weiter zwei Sprechergemeinschaften räumlich voneinander entfernt sind, desto verschiedener sind ihre Sprachausprägungen; zwischen weit auseinanderliegenden Sprechergemeinschaften kann die Verständigung erschwert, ja sogar ausgeschlossen sein. 3. Solche Verschiedenheiten werden deshalb meist durch — mehr oder weniger einheitliche - überregionale Sprachen (Hochsprachen) überbrückt.

2.2. Entstehung von

Verschiedenheiten

Zwischen verwandten Sprachausprägungen können deshalb zunächst Verschiedenheiten bestehen, die auf der natürlichen Entwicklung beruhen: 1. zeitliche (vgl. Art. 61), 2. räumliche (vgl. Art. 45), з. räumlich-zeitliche. Komplizierter ist der Vergleich von Hochsprachen, weil hierbei deren Entstehung berücksichtigt werden muß (Dt. und Nl. sind zwei Hochsprachen, die zwei verschiedenen Teilen desselben Kontinuums zugeordnet sind und von den Sprachausprägungen dieser Teile abhängen; Dt. und Dän. sind dagegen Hochsprachen, die zu zwei verschiedenen Kontinuen gehören. Die nhd. Hochsprache ist nicht die unmittelbare Fortsetzung der mhd. Literatursprache, usw.). Zu diesen Verschiedenheiten aufgrund der natürlichen Entwicklung treten solche aufgrund äußerer Umstände. Hierunter fällt vor allem der Bruch des räumlichen Kontinuums (durch Auswanderung, Untergang von Zwischengliedern и.a.): 1. Am nachhaltigsten wirkt sich dieser Bruch aus, wenn der Kontakt zwischen den Teilen völlig verlorengeht: Jede weitere Neuerung bei einem der Teile vergrößert dann im Prinzip die Verschiedenheit. 2. Ein anderes Bild ergibt sich, wenn lediglich Teile eines Kontinuums gegeneinander verschoben werden, so daß dann Sprechergemeinschaften nebeneinanderliegen, deren Sprachausprägungen sich zwar erheblich unterscheiden, die sich aber noch gegenseitig verstehen. In diesem Fall können sich spätere Neuerungen über die ,Sprachgrenze' hinweg fortsetzen und damit neue Gemeinsamkeiten und schließlich ein sekundäres Kontinuum schaffen (bei dem die alte .Sprachgrenze' von der neuen .Verbreitungsgrenze' nicht mehr - oder nicht mehr ohne weiteres - unterschieden werden kann). Als ein solches sekundäres Kontinuum ist das dt.-nl. anzusehen, da bei der Ausbreitung der germ. Stämme in Deutschland das alte Kontinuum sicher erheblich verschoben worden ist. Die dadurch entstandenen Sprachgrenzen sind heute nicht mehr erkennbar (die Auffassung, daß sich auf dem dt.-nl. Sprachgebiet Mundartgrenzen auffinden lassen, die die alten Stammesgrenzen spiegeln, muß als widerlegt gelten). 3. Ein dritter Fall ist die Trennung mit bewahrtem Kontakt zur Heimat - hier muß die sprachliche Relevanz des Kontakts von Fall zu Fall bestimmt werden. Des weiteren können Verschiedenheiten durch Unterschiede von Substraten (Sprachen einheimischer Bevölkerungen bei Einwanderung) und Superstraten (Sprachen zugewanderter Eroberer) entstehen - sowie durch entsprechend starke andersartige Fremdeinflüsse. Diese Möglichkeit spielt bei der Aufgliederung der roman. Sprachen eine wesentliche Rolle; sie wird bei der Ausgliede-

63. Deutsche Sprache und germanische Sprachen rung des G e r m , aus der idg. Sprachfamilie häufiger in Betracht gezogen (vgl. etwa Scardigli 1960), k o m m t aber f ü r die Ausgliederung der germ. Einzelsprachen kaum in Betracht (vgl. aber etwa Roth 1967). 2.3. Sprachliche

Gemeinsamkeiten

Hieraus ergibt sich zugleich, daß auch Gemeinsamkeiten verschiedener H e r k u n f t sein k ö n n e n : 1. ererbt, d . h . auf die Zeit der noch undifferenzierten (Grund-)sprache zurückgehend. In diesem Fall zeigt eine Gemeinsamkeit lediglich die Bewahrung von Älterem. 2. N e u e r u n g e n , die sich nicht über das ganze Gebiet verbreitet und damit zur Entstehung des K o n t i n u u m s beigetragen haben. In diesem Fall erweisen Gemeinsamkeiten enge Verwandtschaft (räumliche N ä h e in dem noch ungebrochenen Kontinuum). 3. N e u e r u n g e n , die nach Verschiebungen im K o n t i n u u m eingetreten sind. In diesem Fall erweisen Neuerungen lediglich eine Nachbarschaft im Verlauf der Sprachgeschichte. Die theoretische Beurteilung dieser Art von N e u e r u n g e n ist noch nicht befriedigend: Man spricht beim ungebrochenen K o n t i n u u m von .Ausbreitung', bei unverwandten Sprachen von .Entlehnung' — die Ausbreitung in einem gebrochenen Kontinuum (.Entlehnung in verwandte Sprachen') n i m m t aber in mehreren Punkten eine Zwischenstellung ein ( z . B . können Lautwandel verhältnismäßig leicht ü b e r n o m m e n werden, was bei unverwandten Sprachen n u r unter besonderen Umständen möglich ist). 4. Gemeinsamkeiten durch gleichartige Fremdeinflüsse. 5. Bei N e u e rungen m u ß schließlich die Möglichkeit der unabhängigen Parallelentwicklung berücksichtigt werden, die f ü r die Frage des Verwandtschaftsverhältnissesnichts hergeben w ü r d e (vgl. vor allem H ö f l e r 1955-1958). 3. Methodische 3.1.

Grundlagen

Schichtenmodell

Aus diesen theoretischen Grundlagen ergibt sich, daß f ü r die Beurteilung der A r t der Verwandtschaft zwischen zwei Sprachen nicht einfach der Grad der Ähnlichkeit entscheidend ist, sondern die Begründung der Gemeinsamkeiten durch im wesentlichen außersprachliche Faktoren (Bewegung der Sprechergemeinschaften, Kontakt und Ausrichtung, eventuell in bezug auf H o c h s p r a chen die politische Führungsstellung u . a . ) . Im einfachsten Fall ist n u r ein einziger Faktor relevant: 1. Wenn die Sprechergemeinschaften einer einheitlichen Grundsprache (durch Auswanderung usw.) in mehrere G r u p p e n ohne weiteren Kontakt aufgespalten werden und sich dann durch die natürliche Weiterentwicklung bei den verschiedenen G r u p p e n Tochtersprachen der G r u n d s p r a c h e her-

565

ausbilden. In der sprachgeschichtlichen Diskussion bezieht man sich auf diesen Fall mit dem Bild des Stammbaums (Stammbaumtheorie). 2. Wenn verschiedenen Sprechergemeinschaften bestimmte Stellen in einem ungebrochenen räumlichen Kontinuum zugewiesen werden k ö n n e n . Auf den Versuch, den in historischer Zeit getrennten Einzelsprachen in einem hypothetischen grundsprachlichen K o n t i n u u m solche Plätze zuzuweisen, bezieht man sich mit dem Ausdruck .Wellentheorie' (nach der wellenförmigen Ausbreitung von N e u e rungen, die dann ein K o n t i n u u m bilden). 3. In der Regel sind die Verhältnisse aber komplizierter, so daß zur Beschreibung der Verwandtschaft zweier oder mehrerer Sprachen die Aufstellung eines Modells der relevanten Faktoren in zeitlicher Schichtung notwendig ist. 3.2.

Erschließungsmethoden

D a m i t müssen wir solche Fälle, bei denen die relevanten Faktoren bekannt sind (z.B. beim Verhältnis zwischen Isl. und N o r w . ) , von solchen unterscheiden, bei denen diese Faktoren zumindest zum Teil erschlossen werden müssen ( z . B . D t . und Engl.). Eine Erschließung m u ß im wesentlichen mit sprachlichen Kriterien erfolgen, d . h . durch den Nachweis von Gemeinsamkeiten. Damit diese als relevant anerkannt werden können, müssen sie einige Bedingungen erfüllen, vor allem 1. die der Ausschließlichkeit (die entsprechende sprachliche Erscheinung darf in keiner anderen Sprachausprägung als den verglichenen v o r k o m m e n ) und 2. die der N e u e r u n g (bewahrte Altertümlichkeiten können aber zur Verifikation herangezogen werden). D a die D e u t u n g solcher Gemeinsamkeiten nicht von vornherein klar ist und immer mit Zufällen gerechnet werden m u ß ( z . B . sekundärem U n t e r gang der betreffenden F o r m in den übrigen Sprachausprägungen), werden sich die Ergebnisse in der Regel z . T . widersprechen. D e r Wert der Erschließung hängt deshalb an der Sorgfalt der Beurteilung des Befundes (lexikalische, p h o n o logische und morphologische Gemeinsamkeiten müssen verschieden beurteilt w e r d e n ; Möglichkeit der relativen Chronologie u. ä.). 4. Das Problem der

Grundsprache

Die praktische Frage der Ausgliederung der germ. Sprachen ist zunächst durch das Problem belastet, ob von einer einheitlichen germ. G r u n d s p r a c h e ausgegangen werden kann oder nicht (d. h. o b der Teil des Idg., der später das G e r m , abgab, noch einheitlich war, als er seine unterscheidenden Merkmale - wie die Lautverschiebung - entwikkelte, oder ob er bereits markant gegliedert war). In diesem Zusammenhang ist kurz auf die Auf-

566

VIII. Historische Aspekte

gliederung des Idg. einzugehen, soweit sie das Germ, betrifft: Das Germ, ist einerseits mit den italischen und kelt. Sprachen, andererseits mit den bait, und slav. Sprachen durch relevante Gemeinsamkeiten zusammengeschlossen (vgl. bes. Porzig 1954, Polome 1972), so daß es sich mit diesen Sprachen zunächst aus der idg. Grundsprache ausgegliedert haben muß. Es wäre deshalb zu fragen, ob innerhalb dieser Gruppierungen Teile des Germ, mit Teilen anderer Gruppen gegen das übrige Germ, und die übrigen Teile der betreffenden Gruppe zusammengehen. Diese Auffassung wird in der Tat von italienischer Seite vertreten: Lat. + Nordgerm, gegen Got./Ahd. + OskischUmbrisch (vgl. Molinari 1965). Die Möglichkeit einer solchen Gliederung muß berücksichtigt werden, sie kann aber nicht als gesichertes Forschungsergebnis gelten. Ebenso ist noch fraglich, ob die von Krähe (1954; 1962; 1964) aufgrund besonders der übereinstimmenden Gewässernamengebung postulierte ,alteuropäische Sprachgruppe' (Ital., Kelt., Germ., z . T . Slav, und einige schlechter bezeugte Sprachen) als Zwischenstufe in der Aufgliederung vom Gemeinidg. zu den idg. Einzelsprachen zu betrachten ist, oder ob sich die Ubereinstimmungen in der Namenbildung, im Wortschatz und ζ. T. auch in der grammatischen Struktur nicht durch zeitlich gestaffelte Berührungseffekte zwischen je zwei oder mehreren Sprachen erklären lassen (vgl. Cemodanov 1962). 5. Das

Urgermanische

Die Ausgliederung des Germ, aus der idg. Grundsprache resp. aus irgendwelchen hypothetischen Vorstufen mehrerer Einzelsprachen kann nur als ein sich über mehr als ein Jahrtausend hinziehender Differenzierungsprozeß verstanden werden. Früheste Entlehnungen in andere Sprachen (Bait., Slav., Finnisch, Lappisch u.a.), Namen- und Wortzeugnisse bei antiken Autoren ( z . B . ürus ,Auerochs' bei Caesar, säpo ,Seife' bei Plinius d . J . ) und ,Reliktformen' in den historisch bezeugten Sprachstufen (bes. in der Komposition) erlauben eine relative oder in besonders günstigen Fällen sogar eine annähernd absolute Chronologie der z . T . nur durch die komparativistische Rekonstruktion gewonnenen Zwischenstufen. Nach van Coetsem (1964; 1970) ließe sich das Germ, in wenigstens zwei deutlich geschiedene Hauptstufen ,periodisieren': I. Vor- oder Frühgerm., II. Gemein- oder Spätgerm. Hauptkriterium für den um Chr. Geburt erfolgten Ubergang von I zu II: der freie idg. Wortakzent (für das Germ, erschließbar aus dem sog. ,grammatischen Wechsel' im Zusammenhang mit der 1. Lautverschiebung) wurde dynamischer und konzentrierte sich auf die Wurzelsilbe. Damit verloren die unbetonten Silben ihre

Autonomie (vgl. Makaev 1962), was eine Reihe von lautlichen Erscheinungen wie die Wirkung sog. ,Auslautgesetze' (vgl. z . B . lat. host-i-s mit got. gast-s und ahd. gast) oder die Assimilationsvorgänge bei den sog. ,Umlauten' und ,Brechungen', ferner auch von morphologischen Änderungen (Aufgabe der akzentuell verschiedenen Paradigmen beim Nomen, Differenzierung bei den Nominal- und Verbalkomposita) zur Folge hatte. Parallel - und wohl in Wechselwirkung mit diesen Vorgängen — erfolgte eine Umgestaltung des Vokalsystems: nach dem Zusammenfall von ä und ö in der sog. e-a-Periode im 2./1. Jh. v. Chr. und nach der Einbeziehung auch von e in assimiliatorische Vorgänge mußte das aus dem Idg. übernommene Ablautsystem völlig neu strukturiert werden. Damit im Zusammenhang stehen auch die Trennung in starke und schwache Verben (mit Dentalpräteritum) und die Reduktionen im System der Verbalflexion (vgl. Meid 1971). Uber die Chronologie weiterer Neuerungen ( z . B . Ausbau der «-Deklination, Entwicklung der schwachen Adjektivflexion) herrscht noch keine Einigkeit. Den erwähnten Neuerungen wird heute für die Ausbildung des Germ, aus dem Idg. fast größere Wichtigkeit beigemessen als der sog. 1. Lautverschiebung, durch die spätestens um die Mitte des 1. vorchr. Jahrtausends das System der idg. Verschlußlaute radikal umgeändert worden ist (ähnliches findet sich auch in anderen idg. Sprachen). Die Verhältnisse im Germ, sind nach den neuesten Forschungen (vgl. die Uberblicke bei van Coetsem 1970 und Moulton 1972) so kompliziert, daß sie vollständig nur im Rahmen der vergleichenden idg. Sprachwissenschaft dargestellt werden können (einfache Beispiele: idg. ρ > germ./, vgl. lat. pater mit got. fadar, dt. Vater; idg. t > germ, p [0], vgl. lat. tres mit got. preis, dt. drei; idg. k > germ, h [x], vgl. lat. cornu mit got. baürn, dt. Horn; idg. b > germ, ρ, vgl. lat. turba mit nd. dorp, dt. Dorf·, idg. d > germ, t, vgl. lat. duo mit got. twa, dt. zwei-, idg. g > germ, k, vgl. lat. genu mit got. kniu, dt. Knie·, die idg. stimmhaften Aspiranten bh, dh, gh wurden im Germ, zu Spiranten, und zwar zu stimmlosen — f , p, X —, wenn der idg. Wortakzent unmittelbar voranging, andernfalls zu stimmhaften b, d, g [sog. grammatischer Wechsel'], vgl. z . B . idg. *'piter > got. fadar mit idg. ''bhrdter-> got. bropar, usw.). 6. Die Ausgliederung 6.1.

der germ.

Einzelsprachen

Allgemeines

Ein jeder Versuch zu einer Gliederung und Lokalisierung der germ. Einzelsprachen in früher Zeit kann nur Unvergleichbares miteinander vergleichen: sprachliche, historische und archäologische Fakten lassen sich einander nur sehr beschränkt zuordnen, weil sich Sprachgrenzen nur selten mit

6J Deutsche Sprache und germanische Sprachen solchen anderer Art decken; historische Zeugnisse bei antiken Autoren beruhen zudem häufig nicht auf Autopsie, so daß sie erst nach genauester Quellenkritik herangezogen werden dürfen (vgl. dazu als methodologische Beispiele Wagner 1967 und Hachmann 1970). Ganz besonders problematisch ist der Schluß von heutigen dialektologischen oder volkskundlichen Grenzen auf alte Sprachgrenzen (Frings 1957, Maurer 1952). Die einzelnen altgerm. Sprachen sind uns zudem aus sehr verschiedener Zeit überliefert: von den ältesten Runeninschriften aus dem 3. Jh. n.Chr. über die got. Bibelübersetzung aus dem 5-/6. Jh. bis zu dem erst in hochmittelalterlicher Zeit bezeugten Altfries. Bei einem Vergleich von Got. und Altfries, wäre also zu berücksichtigen, daß letzteres eine rund 700 Jahre längere Entwicklung hinter sich hat und während dieser Zeit nicht nur sprachinterne Neuerungen durchgemacht hat, sondern auch den vielfältigsten Einflüssen durch benachbarte Sprachen ausgesetzt gewesen sein kann. Damit erweist sich aber ein jeder Versuch im Sinne der Stammbaumtheorie (Schleicher 1860) dann als der sprachlichen Wirklichkeit inadäquat, wenn er keine sicheren Kriterien anzugeben weiß für eine Scheidung des gemeinsam Ererbten von dem gemeinsam neu Entwickelten; anderseits versagt auch die Wellentheorie, wenn sie die postulierte Ausbreitung einer gemeinsamen Neuerung nicht durch das gesamte räumliche und zeitliche Kontinuum hindurch genau belegen und durch Verweis auf außersprachliche Fakten (soziokulturelle Verhältnisse) erklären kann; andernfalls bleibt nur die Annahme paralleler Entwicklungen im Sinne der ,Entfaltungstheorie' Höflers (1955) (vgl. dazu aber Buyssens 1965) übrig. Konkret auf unsere Fragestellung bezogen heißt das, daß Unterschiede in den historisch bezeugten Einzelsprachen nicht direkt auf eine Gliederung am Ausgang der gemeingerm. Epoche zurückprojiziert werden dürfen (Argument z . B . gegen Krauses (1968) Gliederung in eine got. dags-, eine an. dagr- und eine ahd./as. tag/dag-Gruppe: der Abfall des Nominativ-s findet sich auch in späteren got. Eigennamen) oder daß gemeinsame Neuerungen, die aber in den verschiedenen Einzelsprachen zu ganz verschiedener Zeit auftreten, nicht unbedingt auf eine Epoche engerer Berührung schließen lassen. (Beispiel: got.-an. Gemeinsamkeiten wie die sog. ,Schärfung' von germ, -wwund -;;- zu an. -ggv-, -ggi-, got. -ddj-, die in den beiden Sprachgruppen weder gleichzeitig noch in allen in Frage kommenden Formen gleichmäßig bezeugt ist - Rösel (1962) denkt zwar noch an die Möglichkeit, die Erscheinung hätte im Frühan. ihren Ausgangspunkt genommen und wäre dann auf die schon über die Ostsee abgewanderten Goten übertragen worden; nach Kuhn (1969, 1944) dagegen hätten wir es mit einer rein phone-

567

tisch bedingten Entwicklung zu tun, die sich auch anderswo in der Germania findet). Besondere Schwierigkeiten bieten Phänomene wie die Umlauterscheinungen im West- und Nordgerm., die ,westgerm. Konsonantengemination' ( z . B . germ. nbran-jan > ahd. brennen), die sich ansatzweise auch im Got. und An. findet, und die 2. oder hochdeutsche Lautverschiebung (vgl. dazu die Erklärungen Höflers (1956) und z . T . auch Schützeichels (1976) im Sinne der Entfaltungstheorie gegen die alten Erklärungsversuche im Sinne der Wellentheorie). 6.2.

Gliederungsvorschläge

Die verschiedenen neueren Gliederungsvorschläge sind u.a. bei Zirmunskij (1964, 1965), Lerchner (1965), Lehmann (1966) und Kufner (1972) ausführlich diskutiert; wir geben nur wenige Hinweise: Die auf Schleicher (1860) zurückgehende Dreiteilung in Nord-, West- und Ostgerm, wurde entweder auf eine Zweiteilung reduziert oder dann auf eine Fünfgliederung erweitert: Schwarz (1951) rechnete das Got. zum Nordgerm.; die meisten seiner Argumente, bes. dasjenige der sog. .Verschärfung', konnten aber widerlegt werden (vgl. dazu aber die sehr vorsichtige Darstellung bei Zirmunskij 1964). Rösel (1965) nimmt aufgrund der aus den vom Idg. her ererbten Doppelformen getroffenen Auswahl an, daß das Ae. sich von der nördl. Gruppe (An.-Got.) gelöst und dem Südgerm. (Dt.) angenähert habe (ähnlich schon Schwarz 1951); die von der früheren Forschung gerne betonten Übereinstimmungen zwischen Got. und den obd. Dialekten des Ahd. betrachtet er dagegen als ein Produkt eines späteren Ausgleichs (got. Mission in Bayern). Maurer (1942 u.ö.) gliedert das Germ. - z . T . in Anschluß an Frings - in fünf Sprachgruppen: 1. Elbgerm. (Erminonisch, Donau-Alpen-Dt.), 2. Weser-RheinGerm. (Istväonisch, Binnendt.), 3. Nordseegerm. (Ingväonisch, Küstendt.), 4. Nordgerm., 5. Ostgerm. Die alte .westgerm.' Einheit soll also aufgegeben werden: aus Elbgerm, und Weser-RheinGerm. habe sich durch Ausgleich im Reiche der Merowinger das spätere Dt. ergeben, wogegen das Nordseegerm, nach dem Abzug der Angelsachsen im 5. Jh. bald unter südl. Einfluß gekommen sei. Maurers Argumente sind u.a. von Kuhn (1969, 1944) heftigst zurückgewiesen worden: Der Rekurs auf histor. Quellen (Tacitus) und archäologische wie volkskundliche Fakten sei unzulässig, die Gruppen der Elb- und der Weser-Rhein-Germanen ließen sich sprachlich kaum fassen, usw. Jüngere Untersuchungen aus dem Bereich des Wortschatzes (Kolb 1957, Lerchner 1965) haben dann aber bestätigt, daß das Aleman. als Teil des Elbgerm, früher in einem gewissen Kontakt mit

568

VIII. Historische Aspekte

dem Nordgerm, gestanden haben muß und daß sich das Nordseegerm, aus seinen alten Bindungen zum Nordgerm, gelöst und an den dt. Süden angenähert hat. Dieser Annahme einer schon in den ersten nachchr. Jhh. weit gediehenen Differenzierung der Germania steht die Auffassung Kuhns entgegen, wonach die ältesten überlieferten Zeugnisse (Namenmaterial, Runeninschriften) noch keine Spur einer Differenzierung von Nord- und Westgerm, erkennen ließen; vor 500 n. Chr. hätten sich lediglich das Got. und das übrige sog. ,Mittelmeergerm.' abgespaltet. Erst nach 500 hätte in der übrigen Germania der Ausgliederungsprozeß begonnen: von den Angelsachsen in England aus hätten sich Neuerungen über die Nordsee hinweg auf das Festland ausgebreitet („Meere als Sprachraummitte"), gleichzeitig hätte das Nordgerm, stürmisch zu neuern begonnen, besonders im Lautlichen. Kuhns Annahme wurde scheinbar durch die umfassende Untersuchung der ältesten Runeninschriften durch Makaev (1965) bestätigt, der in ihrer Sprache eine um 500 noch ganz einheitliche nord-westgerm. koine festzustellen glaubte. Diese Einheitlichkeit der Runensprache ist aber bedingt durch ihren Charakter als archaisierende religiöse ,Hochsprache' (vgl. dazu Heinrichs 1962); sie weist zudem keine einzige Form auf, bei der sich einer der von Rösel (1962) als für eine Gliederung relevant betrachteten Unterschiede feststellen ließe. Kuhns gegen Schwarz, Frings und Maurer gerichtete Nachweise, daß deren als Kriterien für eine Gliederung angenommene Erscheinungen zum größten Teil erst in jüngerer Zeit entstanden sind, verstärkten zwar das Mißtrauen gegen eine jede Art von Stammbaumgliederung, erwiesen aber anderseits doch wieder eine relative Einheitlichkeit des Westgerm. (vgl. dazu bes. Zirmunskij 1964); vor allem bleibt als Hauptargument die Bildung der 2. Sg. des Präteritums der starken Verben: im Westgerm, eine alte Injunktivform des idg. Aorists (vgl. Meid 1971), z . B . ae. gripe, as. gripi, ahd. griffi, im Nordgerm, wie im Got. eine alte idg. Perfektform auf-tha, vgl. ζ. B. got. graipt, an. greipt ,du griffst' (vgl. dazu Ranke 1971 [1950], Makaev 1964, Rösel 1965, der diese Differenzierung als Kriterium ablehnt). Ungelöst bleibt das Problem des sog. Ingväonischen (nach Kuhn 1968 sind die Ingväonismen im Altfries, sekundär): Nach Abzug der Angelsachsen im 5. Jh. ist jedenfalls mit vielfältigen Umschichtungen im Bereich des nordwestl. germ. Festlandes zu rechnen, möglicherweise auch mit einer sich noch spät äußernden Substratwirkung durch ausgestorbene andere idg. Sprachen (vgl. Kuhn 1962, 1969 [1961]). Trotz umfassender Untersuchungen (ζ. Β. Schützeichel 1976) noch immer strittig ist die Ausbildung des Vorahd. (2. Lautverschiebung, Aus-

bildung von rein dt. Isoglossen wie der Präp. von, usw.). 7. Kontrastive

Typologie der germ.

Sprachen

Das Dt. kann nicht nur unter dem Aspekt seiner historischen Ausgliederung aus dem Gemeingermanischen betrachtet werden; zu einer Bestimmung seiner Stellung innerhalb der Germania müssen auch die folgenden Fragestellungen berücksichtigt werden: 1. Welches sind die allg. Tendenzen in der Entwicklung der germ. Sprachen (z.B. Ubergang vom synthetischen zum analytischen Sprachtypus)? 2. Wie hängen diese Tendenzen mit der gesamteuropäischen Sprachentwicklung zusammen (z. B. Einfluß der klassischen Sprachen, später des Französischen usw.)? 3. Inwiefern hat das Dt. den Typus des ,Germ.' besser bewahrt als andere neugerm. Sprachen (z.B. Konservatismus in der Morphologie [vgl. Dal 1960], z . T . auch in der Syntax)? 4. Nach welchen rein synchronen Kriterien kann die heutige Germania gegliedert werden (der konservativen Gruppe Dt.Isländ.-Färör. wäre etwa das moderne Engl, gegenüberzustellen ; für Ansätze zu einer Gliederung nach lautlichen Kriterien vgl. etwa Frings 1967 und Göschel 1971)? Vgl. dazu die Art. 73-80. 8. Bibliographie

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ν

sravnitel'no-istoriceskoe

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64. Althochdeutsch 1. D e f i n i t i o n 2 . S p r a c h q u e l l e n , D i a l e k t e und U b e r l i e f e r u n g s o r t e 3. Sprachsystem 4 . Z u s a m m e n f a s s e n d e T y p o l o g i e der ahd. S p r a c h e 5 . B i b l i o g r a p h i e (in A u s w a h l )

1. Definition Unter Althochdeutsch verstehen wir: 1.1. Allgemein Das frühmittelalterliche Deutsch von den Anfängen einer schriftlichen Uberlieferung im 6.Π. Jh. inschriftlich und im 8. Jh. handschriftlich bis gegen das Ende des 11. Jh. 1.2. Sprachgeschichtlich Die älteste Stufe des Hochdeutschen in und nach

Roland Ris, Zürich / Elmar Seebold, Fribourg

der Wirkung der zweiten oder hochdeutschen Lautverschiebung, die das Ahd. vom vorausliegenden Spätgemeingermanischen bzw. Südgermanischen im Lautsystem der Konsonanten entscheidend abhebt und zu einer neuen Spätstufe des Altgermanischen im festländischen Süden führt. Gleichzeitig ergibt sich im Rahmen des ostfränkischen Reichsverbandes (ahd. östarrichi n. »Ostreich') seit merowingischer und karolingischer Zeit eine übergreifende Klammerbildung des Rhein-Weser-Germanischen (Istwäonisch, später Fränkisch) und Elbgermanischen (Hermionisch, später Alemannisch, Bairisch) zum mit der ahd. Sprachstufe überhaupt erst werdenden Deutschen. Demnach bedeutet Ahd. das Zusammenwachsen der älteren frühmittelalterlichen Stammessprachen der Rhein- und Ostfranken, Alemannen, Baiern sowie teilweise auch der Langobarden zu der sich erst allmählich konstituierenden neuen Spracheinheit, des Ahd. Es gibt kein Deutsch vor dem Ahd.:

570

VIII. Historische Aspekte

der Begriff Urdeutsch ist eine nicht mehr gebräuchliche Hilfskonstruktion des 19. Jh. 1.3.

Räumlich-sprachgeographisch

Die ältesten Stufen der mittel- und hochfränkischen, d.h. westmitteldeutschen Mundarten einerseits und der alemannischen und bairischen, d.h. oberdeutschen Mundarten andererseits, sowie die in ahd. Zeit erstmals faßbare, aber gleichzeitig schon absterbende Sprachstufe des Langobardischen in Oberitalien. Deutlich geschieden bleibt das Ahd. vom Altsächsischen im anschließenden Norden, während zum AltniederländischAltniederfränkischen bzw. Westfränkischen im Nordwesten und Westen ein gestaffelter Ubergang festzustellen ist. 1.4.

disc). Die sprachliche Selbstbezeichnung deutsch ist Indiz für die Genese und Entwicklung volkssprachlicher Bewußtseinswerdung.

Überlieferungstypologisch

Die älteste schriftlich bezeugte Stufe der deutschen Sprache, die sich in verschiedenen klösterlich gebundenen und mundartlich unterscheidbaren, z.T. untereinander gemischten, aber graphematisch uneinheitlichen Schreibsprachen vom 8. bis gegen Ende des 11. Jhs. zeigt, mit einem kleinen vorauslaufenden Anteil an südgermanisch-festländischen Runeninschriften. Unter ahd. Literatur versteht man das literarische, katechetische, wissenschaftliche, rechtliche und selbst das vorliterarische Schrifttum in ahd. Sprache seit seinen inschriftlichen Anfängen im 6. Jh. bis zur spätahd. Übersetzungskunst Notkers III. von St. Gallen um das Jahr 1000 und Willirams von Ebersberg um die Mitte des 11. Jhs. 1.5. Zeitliche

Differenzierung

Man unterscheidet frühahd. bis 800, normalahd. im Sinne des Ostfränkischen der Tatian-Evangelien-Ubersetzung 9. Jh. zweites Viertel in Fulda, spätahd. 10. Jh. und 11. Jh. bis zum Abschluß der ahd. Zeit um 1070. 1.6. Sprachliche

Selbstbezeichnung

Erst im Verlauf der ahd. Zeit verfestigt sich die aus der Auseinandersetzung mit der anderssprachlichen, romanischen Umgebung im Westen und Süden im frühen 8. Jh. hervorgegangene übergreifende Selbstbezeichnung f>eudisk ,zu unserer peoda, d.h. Volksgruppe gehörig', ahd. thiudisk, diutisk, latinisiert theodiscus, theotiscus (neben teutonicus nach dem frühgerm. Völkernamen Teutonia -es, zum selben Wortstamm), die dann seit frühmhd. Zeit allgemein wird (diutsch), aber auch mnl. (dietsch, duytsch) und mnd. dudesch, diidesch) gilt, ja sogar as. vorkommt (thiodisc, thiu-

2. Sprachquellen, Dialekte und orte 2.1.

Überlieferungs-

Kennzeichnung

Zwei geistige Grundströme kennzeichnen die ahd. Uberlieferung: die absterbenden, sich umwandelnden oder zu neuen Mischformen ausgebildeten Reste einer germanischen Dichtungs- und Rechtsprosatradition (Heldenlied: nur Hildebrandslied, um 800; Zauber- und Segenssprüche, Weihinschrift; Ansätze zur Rechtsprosa im Sinne der Verdeutschung von Volksrechten, Formularen und Markbeschreibungen) mit Stabreimverankerung auf der einen Seite; das LateinischChristliche in katechetischer Ubersetzungsliteratur, endreimender Bibeldichtung (Otfrid von Weißenburg, 2. Hälfte 9. Jh., kleinere Denkmäler), Legendendichtung (z.B. Georgslied) und Interpretationsliteratur (Notkers Psalter, Anfang 11. Jh., Willirams Paraphrase des Hohen Liedes um 1060) sowie das Lateinisch-Antike in der philosophisch-allegorischen Ubersetzungsliteratur (Notker von St. Gallen um 1000) auf der andern Seite. Daneben sind für das Ahd. kennzeichnend: Fast gleichzeitiges Auftreten der ersten Sprachquellen (Glossen, Glossare und Denkmäler, darunter das älteste deutsche Buch, der sog. lat.-ahd. Abrogans, ein Wörterbuch mit über 3500 Wörtern in nahezu 15000 Belegen) in den Handschriften des späten 8. und frühen 9. Jhs. im gesamten ahd. Raum mit größter Dichte im 9. Jh. (vor allem Isidorübersetzung im Westen, Interlinearversion der Benediktinerregel in St. Gallen, Murbacher Hymnen und altalem. Psalmen auf der Reichenau, Tatianübersetzung in Fulda, Otfrids von Weißenburg Evangelienharmonie, katechetische Literatur im ganzen Raum) und in spätahd. Zeit (die kommentierenden Ubersetzungswerke Notkers von St. Gallen um 1000, Willirams von Ebersberg um 1060). Bedeutende Impulse für die ahd. Sprache sind vor und nach 800 von Karl dem Großen ausgegangen. Ahd. Sprache ist immer entweder einzelmundartlich gebunden oder mischmundartlich als Mischung verschiedener Einzelmundarten durch Abschrift, Umschrift oder bewußte Umsetzung (so Hildebrandslied: bair. Grundlage, ostfränk. Abschrift, as. Ausrichtung) bestimmt. Zu einer einheitlichen Schreib- oder Schriftsprache ist es in ahd. Zeit noch nicht gekommen, wenn sich auch deutliche überregionale Vereinheitlichungstendenzen feststellen lassen.

64. Althochdeutsch 2.2. Dialekte und 2.2.1.

Hauptgruppen:

Uberlieferungsorte übergreifende

Dialekte

Ahd. Sprache erscheint in den großen Gruppen Fränkisch (Ausgangspunkt für die hauptsächlichen Veränderungen des Vokalismus; stark gestaffelte, nicht vollständige D u r c h f ü h r u n g der zweiten oder hochdt. Lautverschiebung; wesentlicher Ausstrahlungsraum auf die übrigen H a u p t gruppen sowie auf das Altsächsische), O b e r deutsch (Ausgangspunkt für die hauptsächlichen Veränderungen des Konsonantismus, im übrigen Aufnahmeraum für die fränk. und teils got. sowie langobard. Einflüsse), Langobardisch südlich der Alpen (altertümlicher Reliktraum mit engerer Verbindung zum Bair.). 2.2.2. Untergruppen: orte

Einzeldialekte

und Schreib-

Das Fränkische teilt sich, soweit es dem Ahd. zuzurechnen ist, also ohne das Altniederfränkische und das im 9. Jh. aussterbende Westfränkische im fränkisch-romanischen Westreich, in die Gruppen Mittelfränkisch (Köln, Echternach, Trier: Tenuesverschiebung am wenigsten vollständig durchgeführt, keine Medienverschiebung), Rheinfränkisch (Mainz, Frankfurt, Lorsch, Worms, Speyer: Tenuesverschiebung nicht vollständig durchgeführt, Medienverschiebung d > t nur auslautend, frühe Diphthongierung von ö und e2), Südrheinfränkisch (Weißenburg: Tenues- und Medienverschiebung nur teilweise durchgeführt, ua 9. Jh. für germ.-frühahd. ö), Ostfränkisch (Fulda, Würzburg, Bamberg, Ebersberg [Williram]: Tenuesverschiebung fast vollständig durchgeführt, aber ohne anlautend k M e d i e n v e r s c h i e b u n g d > t, frühe Diphthongierung von ö und e2). Das Oberdeutsche gliedert sich in Alemannisch (Straßburg, Murbach, Reichenau, St. Gallen: Tenuesverschiebung vollständig durchgeführt, Medienverschiebung im 8./9. Jh. weitgehend durchgeführt, germ, δ im 8-/9. Jh. als ua vertreten) und Bairisch (Augsburg, Freising, Wessobrunn, Tegernsee, Benediktbeuren, Regensburg, Passau, Salzburg, Mondsee: Tenuesverschiebung seit 8./9. Jh. vollständig durchgeführt, Medienverschiebung im 8./9. Jh. weitgehend meist auch inlautend durchgeführt, germ, ö bis ins 9. Jh. hinein als o, oo erhalten). Das Langobardische ist aus dem 7.-9. Jh. in Pavia, Bobbio und weiterer südlicher Ausstrahlung, doch ohne zusammenhängende Texte, überliefert. 3.

Sprachsystem

Die Grammatik des Ahd. ist keine Einheit. Im Zeitraum von vier Jahrhunderten sind es die immer wieder neu einsetzenden Versuche, die älteste

571

deutsche Sprachstufe verschiedener Dialekte an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten schreibsprachlich einzufangen. Dementsprechend muß eine ahd. Grammatik versuchen, die unterschiedlichen zeiträumlichen Schreibsprachsysteme darzustellen. 3. 1.

Schreibsysteme

Die im einzelnen recht verschiedenen Systeme eines geschriebenen Ahd. gründen auf verschiedenen graphematischen Adaptationserscheinungen im Bezugsbereich lateinische Schrift als H a u p t grundlage, Latinisierungstendenzen bei ahd. Sachwörtern und Namen in nicht voll volkssprachlichen Texten, Einflüsse aus der älteren Runenschrift und der angelsächsischen Schreibtradition (z.B. ahd. offan ,offen' 7./8. Jh.: germ. !>makön > ahd. mahhön ,machen' Stehen aber die harten Verschlußlaute im Anlaut, im In- und Auslaut nach Konsonant (l, r, m, n) oder in alter Geminate (tt, pp, kk), so werden sie, sofern einzelmundartlich überhaupt verschoben, zu den Affrikaten ζ (tz), pf (alem. a u c h f f f ) , k (ch, cch, ck nur obd., alem. auch χ): 5./6. Jh. germ, "talkηgerm. ~'holtagerm. *satjan 6,/7. Jh. genn. "plegan

> > > >

ahd. zeihhan η. »Zeichen' ahd. holz η. ,ΗοΙζ' vorahd. * sattjan > ahd. setzen ahd. plegan (mittel-, rhein-, südrheinfränk.) ahd. pflegan (übrige Dialekte) ,pflegen' spätalcm. flegan !r germ. kampa- > ahd. kamp (mittel-, rheinfränk.) ahd. kämpf(ost-, südrheinfränk.) ahd. champf, chamf (obd.), ,Kampf 7-/8. Jh. germ, "kamaahd. kom (fränk.) ,Korn' ahd. chorn (obd.) germ, ''folkaahd .folk (fränk.) ,Folk* ahd. folch (obd.) Dadurch entstehen gegenüber dem germ. Ausgangspunkt im Ahd. die für das Deutsche überhaupt so typischen Reibelaute und Affrikaten. Die Medienverschiebung seit dem 8. J h . erfaßt, wiederum mit obd. Schwerpunkt, die weichen Verschlußlaute d, b, g, welche wiederum in verschiedener Staffelung (ohne das Mittelfränk.) zu t, im Obd. auch z u p , k/c verschoben werden. Seit dem

64. Althochdeutsch 8. Jh. wird außerdem th (j>) in zeiträumlicher Staffelung bis ins 10./II. Jh. bair.-alem.-fränk. zu d verschoben (tber, dber, der ,der, dieser'; feld, feldh, feld n. ,Feld'). Die ahd. Konsonantensysteme zeigen demnach in verschiedener Gewichtung die intensitätsverschiedenen Tenues und Medien p-b, t-d, k-g, die Affrikaten pf, z, ck, die stl. Spirantenf, />, s, ch, die Liquide /, r, die Nasale m,n,y, und die Halbvokale w, j. Zurückgegangen sind die sth. Spiranten, die nur noch vereinzelt vorkommen (mittelfränk. ν l-, n-, r-, w- (ζ. B. hmgan > nlgan ,neigen'). Noch relativ reich vertreten ist im Ahd. der grammatische Wechsel f-b, d-t, h-g, h-ng, b-w, s-r, besonders bei den starken Verben (ahd. werdan ,werden', wirdu ,ich werde', ward ,ich wurde', wurtum,wir wurden', giwortan ,geworden'), der auf einer ursprünglichen, im Ahd. durch die verschiedenen Konsonantenentwicklungen aber verdeckten Alternanz zwischen stimmlosen mit stimmhaften Reibelauten der gleichen Artikulationsstelle beruht. 3.3.

Formensysteme

Was die Flexionsformen betrifft, durchziehen zwei Grundtendenzen die ahd. Sprachgeschichte: einerseits der langsame Abbau des vielfältigen synthetischen Formenbaus des Germanischen, anderseits die Ausbildung neuer analytischer Verbalumschreibungen für Passiv, Futur, Perfekt und Plusquamperfekt. Bei allen Vereinfachungen oder Reduktionen gegenüber dem Germ, bleibt aber doch der Befund eines äußerst differenzierten morphologischen Formenbaus in folgender Hinsicht, besonders wenn man ihn mit dem zeitlich folgenden des Mhd. vergleicht: Vielzahl von Flexionsmorphemen, nach Wortarten, Stämmen (Subst., Adj., Pron.) oder Verbalklassen (stark oder ablautend, schwach mit Dentalpräteritum und Dentalpartizip des Prät.) verschieden gegliedert, gelegentlich außerdem in mundartlicher Differenzierung; erst allmähliche Formenvereinfachung im späteren Ahd., als Folge lautlicher wie flexivischer Ausgleichstendenzen; zunächst noch 5-Kasussystem (Nom., Gen., Dat., Akk. und — nicht in allen Deklinationsklassen - Instrumental), später 4-Kasussystem (ohne Instrumental), wobei Nom. und Akk. jedoch zunehmenden Zusammenfall zeigen, teilweise auch Gen./Dat. Sg.; besonders spätahd. Tendenz zur Zweiformigkeit des Verbalplurals aller Formen (Indikativ,

573

Konjunktiv/Praes. wie Praet. der verschiedenen Klassen) seit dem 9. Jh. Trotzdem darf als Grundprinzip der ahd. Flexion und Morphemstruktur angesprochen werden: (1) Endungsflexion mit regressiver Steuerung, wenngleich die Flexion im Wortstamm als zusätzliches Prinzip durch den Primärumlaut (a/eWechsel) und den kombinatorischen Vokalwechsel (komplementäre Steuerung eil und ο/κ bzw. iu/io) sowie durch den Ablaut - alle in Verbindung mit der Endungsflexion - teilweise, aber nicht ausschließlich in Erscheinung tritt. Zum Beispiel: lamb η. .Lamm' / lembir ,Lämmer' hilfu ,ich helfe* / helfant ,sie helfen' ziuhu, -is, -it ,ich, du, er zieht' / ziohames, ziohet, ziohant ,wir, ihr, sie ziehen' Bestimmter und unbestimmter Artikel beim Substantiv fehlen noch auf weiten Strecken, wenn auch, wie beim Subjektspronomen zu Verbalformen, eine Zunahme ihrer Setzung festzustellen bleibt. (2) Vokalisch i. d. R. volle Morphemstruktur (kurz, lang oder diphthongisch [-!«]), rein konsonantische Morpheme sind selten (z.B. darf-t ,du darfst', scal-t ,du sollst'), die Nullstufe ist noch wenig verbreitet. 3.4.

Wortbildung

Die ahd. Wortbildung zeigt das germ.-idg. Prinzip von Komposition, Präfigierung und Ableitung (Suffigierung). Bei der Komposition sind entwicklungsgeschichtlich die Typen eigentliche Komposition mit Fugenvokal (tag-a-sterro, tag-a-stemo m. ,Morgenstern'), zunehmend aber ohne Fugenvokal (got-spel η. ,Evangelium') und Ausbreitung der uneigentlichen oder genitivischen Komposition (tages-sterno m.) zu sehen. Durch Akzentunterschied und Vorsilbenabschwächung entsteht ahd. der Unterschied zwischen nominalen vollen Präfixen (ür-loub m. η. ,Erlaubnis') und verbalen geschwächten Präfixen (ir-louben .erlauben'), wie er für die Geschichte des Deutschen typisch bleibt. Neben die vielen germ. Suffixe treten lat.roman. Lehnsuffixe wie -äri, -ari m. < -ärius (heil-ari m. ,Heiland'). Suffixablösung ist besonders bei den Nomina agentis im Ubergang von -co < -jan (geng-eo m. .Gänger') zu -ari (gang-ari) zu beobachten. Neue Suffixe werden durch Grammatikalisation aus ursprünglichen zweiten Kompositionsgliedern gebildet (z.B. -heit f. ,Art, Weise, Gestalt': wisheit f. .Weisheit'; lib η. ,Leib, Körper': elib .gesetzlich'). 3.5.

Syntax

Entsprechend der Uberlieferungslage und geistigen Situation des Ahd. gegenüber dem Lat. ist die

574

VIII. Historische Aspekte

ahd. Syntax in vielen Zügen von der lat. Grammatik beeinflußt, besonders in den Ubersetzungstexten, wo wir beispielsweise lat. Partizipialkonstruktionen oder eine dem Lat. mehr oder weniger streng nachfolgende Wortstellung vorfinden. Auch die Verfeinerung des Konjunktionensystems vollzieht sich in Anlehnung an das lat. Vorbild. Dennoch ist eine große Zahl von germ.-deutschen Erscheinungen zu beobachten, die den ahd. Satzbau mitbestimmen, vor allem (1) relativ große Freiheit der Wortstellung, doch mit klaren Ansätzen zu einer bestimmten Gliederung der Stellung des Prädikats in verschiedenen Satztypen (Anfangsstellung des Verbums im Frage- und Aufforderungssatz; Zweitstellung des Verbums im Hauptsatz, aber keine festere Regelung im Nebensatz). Im nominalen Bereich ist die sog. Fernstellung noch verbreitet, d. h. die Trennung zusammengehöriger Wörter im Satz, z . B . Wessobrunner Gedicht Vers 8 - 9 enti dar uuarun auh manake mit inan / cootlihhe geista ,und da waren auch manche gute Geister bei ihm*. Bei den Ubersetzungstexten heißt dies gleichzeitig vermehrter Durchbruch einer germ. -deutschen Wortstellung, z . B . Adj. + Subst. statt lat. oft Subst. + Adj.; Pronomen + Subst. statt lat. oft umgekehrt; Vorausstellung des abhängigen Genitivattributes (ζ. B. lat. fihi hominis = ahd. Tatian marines sunes); (2) gestufter grundsätzlich zunehmender Anwendungsbereich des Subjektspronomens beim Verbum, dessen Setzung stark von den Sprachschichten - bei den Ubersetzungstexten zudem von der lat. Vorlage - abhängig ist. Im Nebensatz erscheint das Subjektspronomen fast normhaft, im Hauptsatz im Sinne einer grundsätzlichen Tendenz; (3) verdeutlichende Demonstrativpronomensetzung dort, wo eine bestimmte Vorstellung ausgedrückt wird (Tatian: Iudei = ahd. thie Iudei; Iesus = ahd. ther heilant; in novissimo die = ahd. in themo iungisten tage). Damit wird über das Lat. hinaus eine klare Scheidung bestimmte/unbestimmte Form vollzogen, was nichts anderes ist als der Durchbruch des germ.-deutschen Sprachsystems, das — gerade durch die Scheidung zwischen starker und schwacher Formgebung beim Adj. - ein Oppositionsverhältnis bestimmte/unbestimmte Form oder Vorstellung kennt; (4) allmähliche Herausbildung eines Konjunktionensystems, das im Verlaufe der ahd. Zeit an Schärfe und Abstraktion gewinnt, durch das lat. Vorbild mitbestimmt ist, in den einzelnen Quellen aber sehr verschieden realisiert wird, wobei die einzelnen Konjunktionen ganz verschiedene Bedeutungen haben können. Ursprünglich nur temporale Konjunktionen gewinnen weitere kausalfinale oder konsekutive Bedeutung (ζ. B. bi thiu ,dabei, gleichzeitig' —» bithiu ,weil', bithiu thaz .damit');

(5) Entwicklung der analytischen oder periphrastischen Formen des Verbs, die sich im Ahd. für den Ausdruck der Aktionsart, des Futurums, des Perfekts und Plusquamperfekts herauszubilden beginnen. Das Ahd. folgt hier einer in allen agerm. Sprachen feststellbaren Tendenz, die durch den Einfluß des Lat.-Rom. mitbedingt ist; (6) Gebrauch des Präfixes ga/gi/ge- in perfektiver und ingressiver Bedeutung. So z . B . Tatian 2,2 bithiu uuanta ... beidu framgigiengun in iro tagun ,weil beide in ihren Tagen vorwärts gegangen waren (d. h. von fortgeschrittenem Alter waren)'. 3.6.

Lexik

Wie sehr das Ahd. auf dem Weg vom Germ, zur neuen Sprache der europäischen Mitte fränk. Ausrichtung ist, zeigt sich vor allem in seinem Wortschatz, wo die ursprünglichen wortgeographischen Gegensätze sich mehr und mehr abzugleichen beginnen und verschiedene Fremdeinflüsse vor allem aus dem Lat.-Roman, einwirken. Der ahd. Erbwortschatz zeigt Germ, im Aussterben (der pathetisch erhöhte Wortschatz der Heldendichtung und Mythologie etwa z . B . mittingart, mittilgart ,Welt, mittlerer Bezirk') oder in der Umschichtung im Hinblick auf eine neue christlich erfüllte Terminologie ( z . B . truhtln, -in ,Gefolgsherr' als altes Rechtswort, dann ,Herr', vor allem ,Christus') oder auf die Wissenschaftsterminologie der Septem artes liberales (Notker die siben büohliste). Besonders reich ist der Lehnwortschatz aus dem Lat. und Roman, vertreten: neben die vielen Sachlehnwörter (Typus becki, -in η.,Becken' < mlat. baccinum) treten Klosterlehnwörter (ordinön .ordnen, einrichten' < ordinäre) und vor allem Lehnprägungen nach lat. Muster in verschiedenen Schattierungen ( z . B . providere: forakisehan; acceptio: antfangida)·, sie gehen in die Tausende und sind noch nicht abschließend erforscht. Der ahd. Wortschatz spiegelt außerdem das Spektrum der Sprachschichten von der Volkssprache über die Rechts- und Kirchensprache zur Kloster-, Schul- und Wissenschaftssprache und zur Dichtersprache ausklingender germ, wie neu beginnender christlicher Ausrichtung.

4. Zusammenfassende 4.1.

Typologie der ahd.

Sprache

Übersetzungssprache

Ahd. ist nach seiner Erscheinungsform vor allem Ubersetzungssprache, die nicht Selbstzweck ist oder primär volkssprachliche Ausrichtung bedeutet, sondern zunächst ganz und gar dem Verständnis der Grundsprache des Lat. dient. Das ist die einheitliche Komponente von den frühesten Glossen und Interlinearversionen bis zu den spätahd.

64. Althochdeutsch M e i s t e r w e r k e n der U b e r s e t z u n g bei N o t k e r von St. Gallen und Williram von E b e r s b e r g , w e n n sie auch indirekt zur A u f w e r t u n g der V o l k s s p r a c h e führt und gleichzeitig als G r a d m e s s e r v o l k s sprachlicher B e w u ß t s e i n s w e r d u n g erscheint.

4.2.

Ubergangssprache

A h d . ist sprachlicher U b e r g a n g v o m G e r m , z u m D e u t s c h e n , o h n e beides n o c h oder schon zu sein: überlieferungsgeschichtlich so gut wie literaturhistorisch oder sprachtypologisch. D a s A h d . ist als frühmittelalterliche südliche S o n d e r f o r m des Altgermanischen mit durchgreifender U m g e s t a l tung seines Sprachsystems und W o r t s c h a t z e s aufzufassen, in neuer mitteleuropäischer K l a m m e r bildung begriffen, aber daneben mit vielen archaischen germ. F o r m u n g s m e r k m a l e n ausgestattet. A h d . ist A l t g e r m , in südlicher B r e c h u n g und Staffelung, A l t g e r m , unter l a t . - r o m a n . Sprachund Bildungseinfluß christlicher wie spätantiker A u s r i c h t u n g , weitgehend ungermanisch g e w o r den in seinen Schriftdenkmälern, gehegt und geborgen in einer bildungsweiten K l ö s t e r l i c h k e i t , die von außen aufnimmt und sich innerlich in der V o l k s s p r a c h e langsam erfüllt.

4.3.

Experimentiersprache

A h d . ist E x p e r i m e n t i e r e n in W o r t s c h a t z , D i c h tungsformen und S y n t a x . A h d . bedeutet die g r o ß e Aufbereitung des Sprachsystems und Sprachinventariums auf die spätere höfische D i c h t u n g des H o c h m i t t e l a l t e r s hin. A h d . heißt z u n e h m e n d e Vervolkssprachlichung auf ein neues Singen und Sagen und die neue Schriftlichkeit der h o c h - und spätmittelalterlichen Gesellschaft hin, o b w o h l es selbst s c h o n als verhältnismäßig reich an S p r a c h schichten bis zur Sprechsprache hin faßbar wird.

4.4.

Entlehnungssprache

A h d . heißt sprach- und bildungsgeschichtliche Entlehnung oder entlehnende Umformung. Schriftsystem, Wortbedeutung, Wortbildung, Syntax und literarischer Stil stehen unter einem übergreifenden E n t l e h n u n g s b o g e n , in den sich Altes nur n o c h am R a n d e , m e h r der F o r m als dem Sinn n a c h , einfindet. D a s g e h ö r t z u r T y p o l o g i e des A h d . : germ. F o r m p r i n z i p mit lat. E n t l e h n u n g . D i e deutsche R e z e p t i o n der A n t i k e beginnt, vor allem direkt sprachlich, mit dem Einsetzen des A h d . , d . h . zusammen mit den Anfängen eines schriftlich fixierten D e u t s c h .

lichkeit des A h d . hinaus im Verlaufe der d i a c h r o nischen E n t w i c k l u n g v o m 8. bis 11. J h . überregionale Z ü g e einer z w a r an verschiedenen O r t e n mit m e h r oder weniger deutlichen D i a l e k t m e r k malen geschriebenen, aber weitgehend im gesamten ahd. Sprachgebiet verstehbaren S p r a c h f o r m namhaft gemacht werden k ö n n e n , führen zu ein e m weitgehend positiven Ergebnis (vgl. St. S o n deregger 1978, mit L i t . ) . Vereinheitlichungstendenzen eines geschriebenen A h d . sind nämlich, von J a h r h u n d e r t zu J a h r h u n d e r t z u n e h m e n d , in allen T e i l s y s t e m e n der ältesten Stufe des D e u t schen ( S c h r e i b s y s t e m , L a u t s y s t e m , F o r m e n - und W o r t b i l d u n g s s y s t e m , L e x i k , S y n t a x ) festzustellen. A m stärksten tritt dabei eine überregionale Vereinheitlichungstendenz in der L e x i k h e r v o r : hier ist ein deutlicher Ü b e r g a n g von der sprachgeographisch-stammesmundartlich zu verstehenden Vielfalt des F r ü h a h d . im 8 . und frühen 9 . J h . zu einer A r t G e m e i n s p r a c h e des späteren 9 . bis 11. J h . v o r allem im G l a u b e n s b e r e i c h , aber auch im R e c h t s b e r e i c h und in einem ganz verschiedene Sach- und F a c h b e r e i c h e erfassenden L e h n - und F r e m d w o r t s c h a t z zu b e m e r k e n , die selbst bei einem so differenzierenden U b e r s e t z u n g s m e i s t e r wie N o t k e r von St. Gallen über alle Variationen des Translationsvorganges hinaus deutlich greifbar bleibt. Areallinguistisch ist dabei von einer fränkischen D o m i n a n z in ahd. Zeit zu sprechen, da die wesentlichen Ü b e r l a g e r u n g s p r o z e s s e (selbst in das benachbarte A s . hinein) v o m F r ä n k . ausgehen, o d e r mindestens eine R ü c k s i c h t n a h m e gegenüber dem f r ä n k . S p r a c h b l o c k aufzeigen ( z . T . N o t k e r v. St. Gallen). S o darf das A h d . innerhalb der gesamtdt. Sprachgeschichte als die erste A u f und Ausbaustufe auf dem W e g zu einer überregional vereinheitlichten deutschen Sprache verstanden werden. D a m i t tritt die rein germ. K o m p o nente auch stark z u r ü c k zugunsten einer V o l k s sprache der europäischen M i t t e , die wesentliche Impulse v o m L a t . und ihrer romanischen U m g e bung empfangen hat. A h d . erscheint so als erste relative E i n h e i t des Volkssprachlichen nördlich der A l p e n , zwischen dem R o m a n i s c h e n im W e sten und dem Slavischen im O s t e n , s o w i e in bes t i m m t e r sprachgeographischer Staffelung südlich des zunächst n o c h v o m Altsächsischen erfüllten Sprachraums an N o r d - und O s t s e e . D i e T r a g fähigkeit der relativen Sprachvereinheitlichung der ahd. Zeit erweist sich erst recht in der W i r k s a m keit überregionaler Literatursprache des Mittelh o c h d e u t s c h e n seit dem 12. J h .

Bibliographie (in Auswahl) (1)

4.5. Überregionale

Volkssprache

N e u e r e U n t e r s u c h u n g e n zur alten F r a g e , inwiefern über die mundartliche Vielfalt und Ü n e i n h e i t -

575

Grammatiken

W. Braune, Althochdeutsche Grammatik. 13. Aufl. Bearb. v. H. Eggers. Tübingen 1975. J. Franck, Altfränkische Grammatik. 2. Aufl. v. R. Schützeichel. Göttingen 1971.

576

VIII. Historische

Aspekte

Η. Penzl, Lautsystem und Lautwandel in den althochdeutschen Dialekten. München 1971. J. Schatz, Altbairische Grammatik. Göttingen 1907. J. Schatz, Althochdeutsche Grammatik. Göttingen 1927. P. Valentin, Phonologie de l'Allemand ancien. Les systemes vocaliques. Paris 1969. J. B. Voyles, The Phonology of Old High German. Wiesbaden 1976.

R. Bergmann, Verzeichnis der althochdeutschen und altsächsischen Glossenhandschriften. Berlin-New York 1973. H . Mayer, Althochdeutsche Glossen: Nachträge. Toronto 1974. W. Braune, K. Helm, Althochdeutsches Lesebuch. 16. Aufl. Bearb. ν. Ε. A. Ebbinghaus. Tübingen 1979. H . Fischer, Schrifttafeln zum althochdeutschen Lesebuch. Tübingen 1966.

(2) Wörterbücher

(4) Sprachgeschichte

Althochdeutsches Glossenwörterbuch, hrsg. ν. Taylor Starck u. J. C. Wells. Heidelberg 1972 ff. Althochdeutsches Wörterbuch, bearb. und hrsg. v. E. KargGasterstädt und Th. Frings. Berlin 1952 ff. (bisher Bd. I, A-B, 1952-1968, Bd. II/III, C - D / E - F , 1970/71 ff.). E. G. Graff, Althochdeutscher Sprachschatz oder Wörterbuch der althochdeutschen Sprache. Bd. I—VII. Berlin 1834-1846, Nachdruck Hildesheim, Darmstadt 1963 (Bd. VII = Index von H . F. Massmann). G. Köbler, Lateinisch-althochdeutsches Wörterbuch. Göttingen 1971. G. Köbler, Althochdeutsch-lateinisches Wörterbuch. Göttingen 1974. R. Schützeichel, Althochdeutsches Wörterbuch. 2. Aufl. Tübingen 1974.

H. Brinkmann, Sprachwandel und Sprachbewegungen in althochdeutscher Zeit. Jena 1931. H . Eggers, Deutsche Sprachgeschichte. Bd. I. Das Althochdeutsche. Hamburg 1963. J. Lippert, Beiträge zu Technik und Syntax althochdeutscher Übersetzungen. München 1974. St. Sonderegger, Althochdeutsche Sprache und Literatur. Eine Einführung in das älteste Deutsch. Berlin-New York 1974 (mit weit. Lit.). St. Sonderegger, Tendenzen zu einem überregional geschriebenen Althochdcutsch. In: Aspekte der Nationenbildung im Mittelalter. Nationes Bd. 1. Sigmaringen 1978, S. 229273 (mit sprachgesch. Lit.).

(3) Quellen K. Müllenhoff u. W. Scherer, Denkmäler deutscher Poesie und Prosa aus dem VIII.-XII. Jh. Bd. I—II. 3. Aufl. Berlin 1892, Nachdruck Berlin, Zürich 1964. Die kleineren althochdeutschen Sprachdenkmäler, hrsg. v. E. v. Steinmeyer. Berlin 1916, Nachdruck Berlin, Zürich 1963. E. v. Steinmeyer u. E. Sievers, Die althochdeutschen Glossen. Bd. 1-5. Berlin 1879-1922, Nachdruck Dublin-Zürich 1968-1969.

65. Altniederdeutsch 1. Definition 2. Schrift- und Lautsystem 3. Morphologie 4. Geographischer Bereich 5. Zeitliche Eingliederung 6. Lexikon 7. Syntax 8. Bibliographie (in Auswahl)

1.

Denkmäler

Das Korpus der „altniederdeutschen" Texte besteht aus den „kleineren Denkmälern", unter denen nach fränk. Vorlagen hergestellte (1) kurze Prosatexte, (2) Glosseme in lat. Texten, (3) Glossare verstanden werden. In diesem Teil des Korpus erscheint das And. demnach nur als in ein anderes lautliches und morphologisches Teilsystem umgesetzter Text und damit als Appendix der ahd. „Gebrauchsliteratur". 1.2.

(6) Reihenwerke Das Althochdeutsche von St. Gallen. Texte und Untersuchungen zur sprachlichen Überlieferung St. Gallens vom 8. bis zum 12. Jh. Hsg. von St. Sonderegger. Bd. Iff. Berlin-New York 1970ff. (bisher 5 Bde.).

Stefan Sonderegger,

Dichtungen

Mit gleichem Lautsystem und gleicher Gramma-

Zürich

tik sind auch zwei selbständige Stabreimdichtungen „Heliand" und (in Fragmenten) „Genesis" überliefert, die stilistisch nähere Verwandtschaft mit der ae. geistlichen Epik zeigen. Dieser Teil des Korpus muß als literaturgeschichtlich eigenständig und Zwischenstufe zwischen ae. und kontinentaler Literatur angesehen werden.

1.3.

Definition

1.1. Kleinere

(5) Sammelbände G. Baesecke, Kleinere Schriften zur althochdeutschen Sprache und Literatur. Bern, München 1966.

Benennung

Das And. ist jedoch durch spätere, aus ihm abzuleitende Stufen nicht nur in Lautsystem und Grammatik, sondern auch im Lexikon als nichthd. und nicht-engl. Sonderform ausgewiesen. Man kann sein System demnach definieren als (1) Sprachgruppe, wenn man die Frühstufe des Nl., die gleiches Konsonantensystem zeigt, einbezieht („Altniederdeutsch" in einem weiteren Sinne), (2) Sprache, wenn man es von der mnd. Stufe her bestimmt („Altniederdeutsch" im eigentlichen Sinne), (3) Gruppe von diatopischen Varianten des Deutschen, wenn man es von den rezenten Dialekten her bestimmt („Altsächsisch" im Sinne der historischen Stammeszuweisung).

65. Altniederdeutsch

1.4.

Darstellung

Das And. (2) ist in schriftlichen Texten nicht unmittelbar zu erfassen, sondern nur nach seinen lautlichen und grammatikalischen Teilsystemen zu erschließen. Lexikon und Satzstruktur sind weit überwiegend durch die fränk. Vorlagen oder die dichterische Sprache des „ H e l i a n d " bestimmt. Die Darstellung schreitet deshalb von den kleineren sprachlichen Einheiten zu den größeren fort.

2. Schrift- und Lautsystem 2.1.

Graphemzeichen

Grundlage ist das lat. Alphabet, c ζ y ch sind nur als Varianten benutzt, h und d können durch Querstrich variiert sein. Von festen Kombinationen dienen einige als Zeichen für Grapheme (ei, th), die meisten nur als Varianten, z . B . ie, gh; außer gleichlinigen werden auch akzentuierte und diakritische Vokalzeichen verwendet, i und u dienen je nach Position als Vokal- und Konsonantenzeichen und sind mit j bzw. ν identisch.

2.2. Konsonantische

Grapheme

Für konsonantische Grapheme sind festzulegen die einfachen Zeichen ( l r p f b m t d s n k g h i ) , dazu die feste Kombination ( t h ) , als komplementäre Positionsvarianten von ( b ) sind medial ( u ) und final ( f ) anzusetzen, Graphem ist positioneil auch ( u u ) . Alle Doppelgrapheme (außer v o n / t h h) treten distinktiv zu einfachen Graphemen auf.

2.3. Konsonantische

Phoneme

Aus dem Graphem-System läßt sich die Struktur des Phonem-Systems erschließen, wenn auch nicht alle phonetischen Merkmale mit Sicherheit festzulegen sind. Nach den Artikulationsstellen können sie grob geordnet werden: (1) Labiale stl. Plosiv /ρ/ φ sth. Frikativa /v/ φ Gleitlaut /uu/ (ausl. als /u/ vokalisiert) Φ Nasal Im!; Positionsvarianten von /v/ sind anl. /b/ und /f/, ausl. /f/. (2) Dentale/Alveolare stl. Plosiv /t/; anl. φ stl. Frikativa /θ/ Φ stl. Sibilans /s/ Φ sth. Plosiv /d/ φ Nasal /n/; inl. Relation von /θ/ und /d/ nicht klar, wahrscheinlich eine Distinktion (th φ & φ s) = /d φ d φ ζ/; ausl. ist zweifelhaft, ob überall Distinktion /t φ d φ θ/ gemeint ist, die Variierung ist weniger durchsichtig als bei den Labialen. (3) Palatale/Velare stl. Plosiv /k/ φ /g/, letzteres jedoch Zeichen für Frikativa, seine Realisation umfaßt alle spirantischen Phoneme der Reihe, soweit sie zu denen von ( h ) distinktiv sind, die Distinktion φ ( i ) Schloß Stabung nicht aus. Inl. Distinktion ( g φ h ) = sth. Frikativa /γ/ φ stl. Frikativa /x/, ausl. sind die Verhältnisse wegen

577

der spärlichen und unsicheren Variierung nicht sicher zu klären. Nach Nasal sind nur PlosivLaute möglich, das positionsbedingte ( η ) vor diesen ist als komplementäre Variante /13/ anzunehmen. (4) Die Distinktion palatal Φ velar zu bezeichnen gab es kaum Mittel (von Versuchen mit ki abgesehen), relevant wird sie nur, wo /k'/, vereinzelt auch /ggV, durch ζ und kombinierte Allographe bezeichnet, also „Zetazismus" dargestellt wird, doch ist dieser nur in wenigen Ortsnamen fest geworden und auf ein Teilgebiet beschränkt, die Texte sind davon nicht berührt. (5) Von diesem Sonderfall abgesehen erscheinen im and. Mutae-System keine Affrikaten als Phoneme.

2.4. Vokalische Grapheme und Phoneme Als vokalische Grapheme sind ( i e a ο u ) zu erkennen, doch lassen sie sich durch differierende Allographe als diskret bestimmen: (1) nur freie Varianten einfacher Zeichen, ζ . B . ( i ) ~ e , ( e ) ~a, ( a ) ~e; (2) komplementäre Varianten vor ( e a o ) oder (i u ) als folgenden Vokalzeichen, z . B . ( e = i ) , ( a = e ) , ( o = u ) , so daß indizierte Grapheme ( c ) j , ( e ) j , ( u ) c a l s D i s t i n k t i o n e n angesetzt werden müssen; (3) akzentuierte Zeichen als Allograph, also ( i ) ~ i, ( e ) ~e, ( ο ) — ό usw. (ganz singular allerdings auch als „ N e u m e n " auszulegen); (4) kombinierte Zeichen als Allographe, besonders ( e ) ~ie, ( o ) ~uo; (5) weit überwiegend variieren dagegen Kombinationen mit solchen, z . B . ( i o ) ~ ia oder ie, ( e i ) ~ ai, komplementär ( i o = iu) usw. (6) Oppositionssystem der einfachen Vokalzeichen: Uo

ύ °uo

ea

ό

a ä (7) Daraus ergibt sich je nach Position folg endes Phonemsystem: Position vor Gr Ph Gr Ph Κ + Κ 1 1 u "ο Κ ί 1 ύ ü K + (i> i I V Uo Κ e ö eie O„o Κ + Κ + nicht-(i) ej e U0 0 K ( + K ) + (i) 6 e: Κ + nicht-(i) e, e 0 Uo Κ ό e D e„ Κ ( + Κ ) + (i) 2 e> Κ ( + Κ ) + nicht-(i) a 3 ä ä

578

VIII. Historische Aspekte

Dabei ist zu beachten: (1) Ein Phonem * / o / tritt nicht auf, sondern n u r ο als komplementäre Variante zu / u / vor nicht /ts/ (Zetazismus), (7) Wortkern ( t h a ) im A.Sg.Mask. des einfachen Dem. (ae. thone = afries. thene), (8) Ausfall des Nasals vor /th/, (9) /ai/ > Iii, (10) /au/ > ae. /ea/ = afries. I i i , (11) anl. /h/ vor allen Formen des anaphorischen Wortkerns Iii, (12) Endungs-Morphemzeichen ( a n ) in G. + D.Sg.Mask. + Neutr. des 2. Dekl.-Typus. Von diesen sind auch im And. völlig durchgeführt (1-3), nur im Ansatz und diatopisch beschränkt (4-8); im Altnl. nur (1) und (11) sowie (3) bei /h f/, nur im Ansatz (4), (6), (8) sowie (3) bei Isl. Binnensächsisch muß als eine mittlere Norm angesetzt werden, obgleich es mit dem Nordseegerm. einzelne Wandlungen gemeinsam und vom Frank, starke Schreibeinflüsse übernommen hat. Im ganzen gilt es jedoch als relativ wenig weiterentwickelt und ist die Grundlage des And. der zweiten Phase und der späteren Zeitstufe geblieben. Die inneren Wandlungen betreffen besonders die Diphthonge: (1) /ai/ > / hl in jeder Position, überwiegend als Graphem ( o ) mit seltener Variante a, (3) leul > /ia/ mit der fränk. Variante ( i o ) , doch (abweichend vom Altnl.) mit der komplementären Variante /iu/ vor /i u/, dazu (4) Endungs-Morphemzeichen on in G. + D.Sg.Mask. + Neutr. des 2. Dekl.-Typus, (5) verbale Wortkerne /hav lev sag/ anstelle des fränk. Infixes lel mit Infix iil (hebbian, libbian, seggian), die übrigen /e/-Verben durchweg mit Infix /o/ ( f r a gen, klevon, swigon, folgen, hangen usw.). Das Fränk. hebt sich durch das gewandelte Konsonantensystem der Mutae am stärksten von den beiden anderen Gruppen ab, auch wenn die zweite Lautverschiebung nicht in allen Positionen die räumliche Abgrenzung erreicht hat. Es ist fast völlig frei von den spezifisch nordseegerm. Kriterien und hat in diesem Sinne auch auf die and. Schreibung, insbesondere die westfäl., eingewirkt. Auch das Altnl. teilt nicht das fränk. Konsonantensystem ; es hat jedoch mit dem Fränk. das Endungs-Morphemzeichen ( e n ) in G. + D.Sg.Mask. + Neutr. des 2. Dekl.-Typus, den ( e ) Wortkern im Dem. thena und die differenzierten Pl.-Formen des Verbs gemeinsam. In den Diphthongschreibungen neigt das Altnl. bei /ai/und /au/ mehr zu ( e ) bzw. ( o ) wie das And.; bei /e/ und l ö l ebenfalls zu ( e ) bzw. ( o ) , während das Fränk .und in seiner Nachfolge die Heliand-Schreibung, vorwiegend ( i e ) bzw. ( u o ) zeigt. Ubereinstimmend hat sich im Fränk. wie im And. die Phonemspaltung leul > /io/ φ /iu/ je nach Folge-

579

vokal durchgesetzt, während sie im Nl. nicht allgemein geworden ist (thiod Φ liudi, aber altnl. auch thiod = liodi). 5.2.

Unterteilung

In der ersten Phase sind NL und Binnensächs. einer starken Einwirkung der nordseegerm. Tendenzen ausgesetzt, die z . B . für den Ausfall von /n/ vor ( t h ) und für den Zetazismus in die zweite hinüberdauert und erst im Laufe der and. Epoche zurückgedrängt wird. In der zweiten Phase wirkt sich der Einfluß des Fränk. sowohl auf das Binnensächs. wie auf das Altnl. prägend aus; in der Spätzeit setzt ein stärkerer and. Einfluß auf das NL (und Fries.) ein. Die zweite Phase ist die eigentliche and. Periode, die sich gemäß der Verteilung der Texte in eine ,,Heliand-Zeit" (9./10. J h . ) und einespätand. Zeit (11./12. Jh.)gliedern läßt. 5.3.

Abschluß

Mit der Zeit um 1200 ist der and. Zeitraum nach vorn abgegrenzt. Der folgende wird als „Mittelniederdeutsch" bezeichnet. Die wichtigsten Kriterien sind: (1) der Umbau des kurzvokalischen Teilsystems und (2) die Abschwächung und Neutralisierung der Vokale unter 0 - A k z e n t , aus dem konsonantischen Teilsystem ist nur (3) die Neutralisation von 191 = /d/zu nennen. 6.

Lexikon

Im Verhältnis zum Mnd. ist das And. erheblich beschränkter, wie sich aus der Beschränkung des Korpus ergibt. 6.1. Kleinere

Denkmäler

Für den Bestand der kleineren Denkmäler ist zu scheiden, (1) welche Teile hd. übernommen, (2) welche aus der Vorlage in and. Teilsysteme umgesetzt, (3) welche als and. Äquivalenzen ersetzt sind. Die beiden letzten Punkte sind noch nicht vollständig untersucht. 6.2.

Heliand

Der Bestand des Heliand ist durch den Gegenstand, die Eigenart des Dichters und den Einfluß der ae. Epik bestimmt. Seine semantische Struktur ist noch nicht untersucht. Weitgehend geklärt ist die zeitliche Zwischenstellung zwischen altgerm. und christlichem Gebrauch, auch die räumliche mit stärkerer Verbindung zu einem fränk.-ae. Kreis in deutlichem Gegensatz zum Oberdeutschen.

580 7.

VIII. Historische Aspekte Syntax

F . H o l t h a u s e n , Altsächsisches W ö r t e r b u c h . Münster, Köln

Ein ausführliches, bis ins Kleinste gegliedertes Verzeichnis der syntaktischen Mittel (Wortklassen, -formen, -inhalte) und der syntaktischen Gebilde gab Behaghel 1897. Seitdem sind wohl knappe Bemerkungen zu Einzelerscheinungen gegeben (bis 1920 verzeichnet bei Holthausen 1921, später Lussky, Karg, Dal), doch gibt es keine Gesamtdarstellung. Eine neuere generative Grammatik des Heliand wurde bisher nicht veröffentlicht.

1954 [ N e u d r . 1969]. P . I l k o w , D i e N o m i n a l k o m p o s i t a der altsächsischen Bibeldichtung. Göttingen 1968. F . Karg, D a s Relativum in der Heliandhandschrift C . I n : F . Karg, Syntaktische Studien, Halle 1929, 1 8 4 - 1 9 4 . T h . K l e i n , Studien zur Wechselbeziehung zwischen altsächsischem und althochdeutschem Schreibwesen und ihrer sprach- und kulturgeschichtlichen Bedeutung. G ö p p i n g e n 1977. A . L a s c h , D i e altsächsischen Psalmenfragmente. I n : N i e d e r deutsche Studien. Festschr. f. C . B o r c h l i n g . N e u m ü n s t e r 1932. A. L a s c h , Palatales k im Altniederdeutschen. I n : N M 4 0 . 1 9 3 9 , 2 4 1 - 3 1 8 u. 3 8 7 ^ 2 3 .

8. Bibliographie 8.1.

G . F . L u s s k y , D i e mit dem Partizip des Präsens umschrie-

(in Auswahl)

benen T e m p o r a im Altsächsischen. Diss. Wisconsin 1921.

Sekundärliteratur

E . R o o t h , Saxonica. Beiträge zur niedersächsischen Sprach-

0 . Behaghel, D i e Syntax des Heliand. Prag, W i e n , Leipzig 1897 [ N e u d r u c k 1966], U . Bliesener, D i e hochdeutschen W ö r t e r in altsächsischen G l o s s e n . Diss, (ungedr.) F r a n k f u r t / M . 1955, G . C o r d e s , Z u r Frage der altsächsischen Mundarten.

In:

Z M F 2 4 . 1956, 1 - 5 1 und 6 5 - 7 8 . G . C o r d e s , Altniederdeutsches Elementarbuch. Heidelberg 1973.

1. Dal, warth kumati und Ähnliches im Heliand und in der altsächs. Genesis. I n : N d J 82. 1959, 3 1 - 3 7 . W . Foerste, Untersuchungen zur westfälischen Sprache des 9 . J h . Marburg 1950. W . F o e r s t e , Niederdeutsche Mundarten. I n : D e u t s c h e Philologie im Aufriß. 2. Aufl. B d . 1, 1 7 2 9 - 1 8 9 8 . Berlin 1966. J . H . Gallee, Altsächsische G r a m m a t i k . 2 . Aufl. v. J . L o c h ner. Halle, Leiden 1910. M . Gysseling, Proeve van een Oudnederlandse G r a m m a t i c a . I n : S G G 3 . 1961, 9 - 5 2 u. 4. 1964, 9 ^ 3 . F . H o l t h a u s e n , Altsächsisches E l e m e n i a r b u c h . 2. Aufl. H e i delberg 1921.

66. Mittelhochdeutsch 1. Allgemeines 2. P h o n e m i k 3. M o r p h e m i k 4. Syntax 5. Lexik 6. Bibliographie (in Auswahl)

1.

Allgemeines

1.1. Unter Mhd. versteht man die Sprachform, die von etwa 1050 bis 1350 im ober- und mitteldeutschen Raum benutzt wurde. Es ist die Sprache der großen Dichter des deutschen Hochmittelalters. 1.2. Der Verwendungsbereich des Deutschen erweitert sich in der mhd. Zeit beträchtlich. Natürlich ist es seit jeher die Sprache des mündlichen Alltagsverkehrs, der schriftliche Verkehr hingegen spielte sich vornehmlich auf Latein ab; in der ahd. Zeit wurde Deutsch im wesentlichen nur im Dienst der Kirche und des Unterrichts ge-

geschichte. Lund 1949. W.

Sanders,

Altsächsische

Sprache.

In:

Niederdeutsch.

Sprache und Literatur. B d . 1, 1 9 7 3 , 2 8 - 6 5 . W . Schlüter, Untersuchungen zur Geschichte der altsächsischen Sprache. I. D i e schwache Deklination. G ö t t i n g e n 1892. Ε . H . Sehrt, Vollständiges W ö r t e r b u c h zum Heliand und zur altsächsischen Genesis. Göttingen 1925 [ N e u d r . 1966],

8.2.

Editionen

Heliand. Hrsg. von E . Sievers. Halle 1878 [ N e u d r . 1935], Heliand und Genesis. H r s g . v. O . Behaghel. Halle 1882. 8. Aufl. bearb. v. W . M i t z k a . Tübingen 1965. Kleinere altsächsische Sprachdenkmäler mit anmerkungen und glossar. H r s g . v. E . Wadstein. N o r d e n , Leipzig 1899. Steinmeyer und Sievers, D i e althochdeutschen G l o s s e n . B e r lin 1 8 7 9 - 1 8 9 8 . D i e W e r d e n e r U r b a r e . H r s g . v. R . K ö t z s c h k e . B o n n 1906.

Gerhard

Cordes,

Göttingen

schrieben (vgl. Art. 64). Eine deutsche Literatur entsteht allmählich seit dem 11. Jh., zuerst in tastenden Versuchen, aber diese entwickeln sich rasch und führen schon Ende des 12. J h . zur ersten Blüte der Dichtung, zum höfischen Minnesang und ritterlichen Epos. Die Literatur war anfangs nur eine Angelegenheit der obersten Schicht in der Gesellschaft, jedoch wurde sie schon gegen Ende der Periode immer stärker auch vom städtischen Bürgertum getragen. Daneben wurden einzelne wissenschaftliche Traktate auf Deutsch abgefaßt, und im 14. J h . nahm die Prosa der Mystiker einen breiten Raum ein, die mit ihren Abstraktbildungen eine wichtige Rolle in der Herausbildung der Gelehrtensprache spielte. Seit Ende des 13. J h . faßt das Deutsche Fuß auch in den Schreibstuben der Klöster und in den Kanzleien der Fürsten und Städte und leitet so die Entwicklung der Verwaltungs- und Geschäftssprache ein. Die mhd. Periode bedeutet also literarischkulturell den entscheidenden Durchbruch der

66. Mittelhockdeutsch deutschen Sprache, während in linguistischer Sicht die Neuerungen sich vorerst nur anbahnen, die in der folgenden Periode zu einer tiefgreifenden U m gestaltung des grammatischen Systems führen. 1.3. Eine schriftsprachliche N o r m besteht noch nicht, nur gewisse Ansätze sind bemerkbar: Manche Dichter vermeiden grob dialektale Formen und benutzen Ausdrücke, die ihrer Mundart fremd sind. Innerhalb der kleineren Räume bilden sich recht feste Schreibkonventionen heraus, die besonders in den Urkunden zutage treten. 1.4. In der Praxis arbeitet man meist mit einem sog. normalisierten Mhd. Es ist insofern eine Abstraktion, als kaum Texte zu finden sind, die exakt diese Sprachform aufweisen. Sie hat sich aber als Vergleichsgrundlage bewährt und liegt den Darstellungen in Lexika und Handbüchern zugrunde. Wegen der kulturellen Schwerpunkte im Süden ist es ein ausgesprochenes O b d .

2.

Phonemik

2.1. Änderungen

seit dem

Althochdeutschen

2.1.1. Der augenfälligste Unterschied besteht in der Reduktion der unbetonten Vokale: Im Mhd. wird in der Regel e geschrieben (im Md. auch i), das offenbar einen reduzierten Vokal [o] bezeichnet. Er ist mit dem Akzent gekoppelt, steht aber in Opposition zu den anderen und bildet so ein neues Phonem. - Im Nebenton bleibt die Vokalqualität erhalten, erst im späten Mhd. treten hier einige Kürzungen ein. 2.1.2. Die im Ahd. entstandenen Umlautvokale werden durch die Reduktion endgültig phonemisiert, sie treten jetzt unabhängig von der U m gebung auf und bilden regelrechte Minimalpaare. Graphisch wird nur der Primärumlaut von a konsequent durch e bezeichnet. Für die übrigen wird meist der Buchstabe des unumgelauteten Vokals geschrieben, nur für / ü : / , das mit dem monophthongierten ahd. iu zusammengefallen ist, wird oft dieses Zeichen geschrieben. Sonst werden nur zögernde Versuche gemacht, die unterschiedliche Qualität durch ein nach- oder übergeschriebenes e oder i zu bezeichnen. 2.1.3. Im frühen Mhd. entsteht aus der Sequenz sk ein neues Phonem /s/, sonst bleibt das System der Konsonanten unverändert.

2.2. Phonemsystem hochdeutschen Vokale: kurze: iüu eöο 3 eäa

des normalisierten

lange: i: ü: u: e: ö : o : ä: a:

Mittel-

Diphthonge: ei le ou uo öu üe

581

Konsonanten: Klusile: bdgptk Affrikaten: pf ts Spiranten: νfsζsj χh Liquida: rl Nasale: m η sowie die meisten geminiert.

2.3.

Vokalismus

2.3.1. Distinktiv sind Öffnungsgrad, Artikulationsart und Länge bzw. Diphthong. 2 . 3 . 2 . Problematisch ist die Unterscheidung von fünf Öffnungsgraden bei den kurzen Vorderzungenvokalen. Historisch sind drei e-Qualitäten zu trennen, und die Reime mancher Dichter sowie die unterschiedliche Behandlung in den Mundarten bezeugen die Differenzen. Es bleibt jedoch fraglich, ob sie eine längere Zeit phonemisch distinkt bestanden haben. Graphisch wird keine Distinktion gemacht, meist wird e für alle drei Qualitäten geschrieben, nur gelegentlich wird für /ä/ ein α mit Umlautzeichen benutzt. 2 . 3 . 3 . Die Länge bleibt graphisch meist unbezeichnet, nur sporadisch treten Akzente oder Doppelschreibungen auf; in normalisierten Texten wird der Zirkumflex, für /ä:/ CE, für / ö : / ce verwendet.

2.4.

Konsonantismus

2.4.1. Distinktiv sind Artikulationsart, Artikulationsstelle, Stimmhaftigkeit und Länge. Im Auslaut verlieren die stimmhaften Obstruenten den Stimmton (Auslautverhärtung, eine Neutralisation, oft graphisch bezeichnet: lant, landes). In binnendeutschen Mundarten werden später die Oppositionen stimmhaft/stimmlos und einfach/ geminiert von einer Distinktion Lenis/Fortis überdeckt (Lenierung). 2 . 4 . 2 . Der gutturale Nasal [rj] ist noch stellungsbedingtes Allophon von /n/, mhd. lanc, langes wurde [lai)k, laggas] ausgesprochen. Erst später wird [gg] zu [r)r)] assimiliert, wodurch /r)/ phonemischen Status erhält: singen - sinnen. 2 . 4 . 3 . Altes /s/ wird im Mhd. konsequent s geschrieben, in der 2. Lautverschiebung aus t entstandenes /z/ wiederum ζ oder sz, so daß es sich offenbar um distinkte Phoneme handelt, wenn auch der artikulatorische Unterschied nicht sicher zu erschließen ist. Die Affrikata /ts/ wird ζ oder tz, seltener c geschrieben, /s/ meist sch. 2 . 4 . 4 . Für urgerm. χ wird an- und inlautend h, auslautend ch geschrieben, für in der 2. Lautverschiebung aus k entstandenes /x/ immer ch, die inlautende Opposition h/x ist jedoch nur gering belastet. In normalisierten Texten wird /v/ w.

582

VIII. Historische Aspekte

/{/ f oder v, /k/ in einigen Stellungen c geschrieben. 2.5. Änderungen vom Mittelhochdeutschen Frühneuhochdeutschen

zum

2.5.1. Silbendehnung und -kürzung. In betonten Silben waren früher alle phonotaktischen Quantitätskombinationen möglich: 1. 'VKV- 2. ' W K V - 3. 'VKKV- 4. 'VVKKVDer Vokal konnte kurz oder lang sein, gefolgt von einem oder mehreren Konsonanten. Jetzt wird Typ 1 restlos und Typ 4 oft in Typ 2 oder Typ 3 verwandelt: Kurze, offene Silben werden lang, indem entweder der Vokal oder der folgende Konsonant gedehnt wird, und in „überlangen" Silben wird vor mehrfacher Konsonanz ein langer Vokal oder Diphthong gekürzt: mhd. [ligan] > nhd. [li:gan], [hamar] > [hammar], [da:xta] > [daxta], Es entsteht eine Koppelung von Wortakzent und Silbenquantität: Alle betonten Silben sind lang, die unbetonten reduziert. 2.5.2. Apokope und Synkope führen in den obd. Mundarten zu einem Schwund des reduzierten Vokals in den meisten Stellungen. Im Md. erfolgt der Schwund nur in analogisch bedingten Typen oder besonderen Fällen. Von zwei /a/ in aufeinanderfolgenden Silben schwindet das eine: mhd. wagene > Wagen, legete > legte. Zwischen Konsonanten schwindet /a/ meistens, wenn das Ergebnis eine aussprechbare Sequenz ist: nhd. höchst - härtest, du gibst - sendest. 2.5.3. Diemd. Monophthongierung verwandelt die Diphthonge ie, üe, uo in einfache Längen i:, ü:, u:, die mit den gedehnten Langvokalen zusammenfallen: mhd. biegen > [bi:gan], küene > kühn, ruofen > rufen; im Obd. bleiben die Diphthonge. Die Hochsprache folgt dem Md. und hat das Zeichen ie als Graphem für /i:/ beibehalten. 2.5.4. Die nhd. Diphthongierung verwandelt im Obd. (außer im Alemannischen) und ostmd. die langen geschlossenen Vokale i:, ü:, u: zu ei, öu (eu), ou, mhd. ζ it > Zeit, liute > Leute, hüs > Haus. In den Mundarten fallen sie nicht mit den alten Diphthongen zusammen, die spätmhd. meist ai, äu, au geschrieben werden; vorerst liegt nur eine Änderung der Realisation vor. Als aber die Silbendehnung (und im Md. die Monophthongierung) neue Langvokale entwickeln, wird die Zahl der Phoneme um drei erhöht. In der Hochsprache fallen wiederum die neuen Diphthonge mit den alten zusammen, so daß in ihr die Phonemzahl um die drei monophthongierten verringert ist. Im ganzen hat eine Verschiebung im System stattgefunden. 2.5.5. Im Konsonantismus sind nur kleinere Änderungen zu verzeichnen. Das alte /s/ wird anlautend vor Konsonant /s/,

vor Vokal und inlautend in stimmhafter Umgebung wird es stimmhaftes [z], während es in sonstigen Stellungen mit dem mhd. /z/ als stimmloses [s] zusammenfällt. Es bestehen weiterhin zwei Phoneme, die sich jetzt durch den Stimmton unterscheiden, aber nur im Inlaut eine Opposition bilden: reisen — reißen. Spätmhd. verschwinden /h/, /j/ und /v/ (w) im In- und Auslaut; jetzt steht /h/ in komplementärer Distribution mit /x/ (außer in Fremdwörtern wie Chemie); in der Orthographie wird h ohne Lautwert nach Vokalen als Zeichen der Länge bzw. der Silbengrenze (sehen) beibehalten.

3. 3.1.

Morphemik Allgemeines

Das morphologische System des Mhd. setzt das des Ahd. fort: Die meisten Formen entsprechen lautgesetzlich den ahd., und nur wenige Wörter sind in andere Flexionsklassen übergetreten. Das alte System ist aber endgültig zerfallen: Die kennzeichnenden Merkmale vieler Formen bestanden in unterschiedlichen Vokalqualitäten, und als diese im Mhd. zu /a/ reduziert wurden, entstand eine weitgehende Homonymie. Sie führt zu einer zunehmenden Unsicherheit und verursacht, daß immer mehr Wörter Formen aufweisen, die ursprünglich zu anderen Paradigmen gehörten. Diese Analogiebildungen rufen dann im Fnhd. eine weitgehende Umgestaltung des Systems hervor.

3.2.

Substantive

3.2.1. Maskulina Stamm:

-a-

-i-

-ja-

-n-

Sg.N. A. D. G. PI. N . A . D. G.

tac tac tage tages tage tagen tage

gast gast gaste gastes geste gesten geste

hirte hirte hirte hirtes hirte hirten hirte

bote boten boten boten boten boten boten

3.2.2. Neutra: Stamm:

-a-

-es-

-ja-

-n-

Sg.N.A. D. G. PL N . A . D. G.

wort worte Wortes wort warten worte

lamp lambe lambes lember lembern lember

riche riche riches riche riehen riche

ouge ougen ougen ougen ougen ougen

66. Mittelhochdeutsch

aufgefaßt. - In der 3. P. PI. Ind. Präs. fiel das £ wegen Analogie mit den anderen Formen ab.

3.2.3. Feminina: Stamm:

-0-

-i-

-n-

Sg.N.A. D.G. PI. N . A . D.G.

gäbe gäbe gäbe gäben

kraft kraft krefte kreften

zunge zungen zungen zungen

3.5.2. Indikativ Präteritum:

Die alten Formen im S g . D . G . der -!-Stämme (krefte) kommen im frühen Mhd. außer Gebrauch, die im Sg. A. der -«-Stämme (zungen) im späten Mhd. 3.3. Artikel und

Pronomina Pi. mask. fem.

Sg· mask.

neutr.

fem.

N. A. D. G.

der den dem des

daz daz dem des

diu die der der

die die den der

diu diu den der

N. A. D. G.

min mtnen minem mines

min min minem mines

min mine miner miner

mine mine mtnen miner

miniu miniu minen miner

altez altez altem altes

altiu alte alter alter

alte alte alten alter

altiu altiu alten alter

alte alte alten alten

alte alten alten alten

alten alten alten alten

alten alten alten alten

3.4.

neutr.

Adjektive

stark: N. A. D. G.

alter alten altem altes

schwach: N. A. D. G.

alte alten alten alten

3.5.

Verben

3.5. 1. Personalformen, Indikativ Präsens Sg- 1. 2. 3. PI. 1. 2. 3.

schwache Verben: lebe lebest lebet leben lebet lebent

kenne kennest kennet kennen kennet kennent

583

starke gibe gibest gibet geben gebet gebent

In der 2. P.Sg. ist der Endung ein t hinzugefügt worden. Das Syntagma gibes du wurde unter einem Wortakzent gesprochen, wobei Reduktion und Assimilation erfolgten: gibeste, heute gibste. Als aus diesem das Pronomen wieder „losgelöst" werden sollte, wurde das t als zum Verb gehörend

Sg- 1. 2. 3. PI. 1. 2. 3.

kante kantest kante kanten kantet kanten

lebete lebetest lebete lebeten lebetet lebeten

g"P gäbe g"P gäben gäbet gäben

Die Form der 2.P.Sg. der starken Verben wird im Laufe des Mhd. durch die Analogiebildung gäbest verdrängt. 3.5.3. Die Stammformen der starken Verben weisen noch regelmäßige Ablautvokale auf: bliben, blibet, bleip, bliben, gebliben biegen, biuget, bouc, bugen, gebogen geben, gibet, gap, gäben, gegeben 4. Syntax 4.1. Die Verwendung von geschriebenem Deutsch nahm im Mhd. stark zu, und das führte zur Herausbildung typisch schriftsprachlicher Ausdrucksformen mit kompliziertem Satzbau und vielen unterordnenden Konstruktionen. Dies stellt jedoch eher einen Ausbau bestehender Möglichkeiten dar als wirkliche Neuerungen im System. 4.2. Die Substantive erhalten immer häufiger einen Artikel. Da sie ihre kennzeichnenden Kasusmerkmale verloren haben, büßt der Artikel seine deiktische Funktion ein und wird ein leeres Formwort: Es entwickelt sich eine Gruppenflexion, indem die grammatische Form nicht mehr am Substantiv allein kenntlich ist, sondern erst am Zusammenspiel der Endungen im ganzen Satzglied aus Artikel, Adjektivattribut und Substantiv. 4.3. Die im Ahd. entstandenen Perfektumschreibungen werden nun von allen Verben gebildet und stellen echte grammatische Kategorien dar. Das Passiv mit werden entwickelt eine vollständige Flexion, daneben festigt sich das Zustandspassiv mit sein. Auch weitere Hilfsverbkonstruktionen entfalten sich, erreichen aber nicht den Status von Kategorien. Der Sprachbau wird stärker analytisch. 4.4. Die ahd. Negation ne vor dem Verb wird durch ein zusätzliches Wort verstärkt, meistens durch niht, eigentlich ,kein Ding'. Die unbetonte Partikel ne wird stark reduziert und schließlich ganz aufgegeben, so daß als Negation nur nicht übrigbleibt. 4.5. Der Infinitiv trat noch im Mhd. mit Substantiven im Genitiv und mit Präpositionen im Dativ auf, besonders häufig mit zu zum Ausdruck eines Zwecks. Das Syntagma ze gebenne wurde apokopiert und als normaler Infinitiv aufgefaßt,

584

VIII. Historische Aspekte

und diese Form verdrängte auch den Genitiv. So verliert zu die Präpositionsfunktion, die nachher von einem Pronominaladverb getragen wird, und der Infinitiv schließt sich enger den Verbformen an.

dung, Eindruck, innerlich, unaussprechlich, Zufall. Manche waren jedoch nur kurzlebig, wie z . B . gegenwurf ,Objekt', underwurf .Subjekt', grözheit,Quantität', selplicheit,Identität'. 6. Bibliographie

5.

Lexik

5.1. Da schriftliche Denkmäler in größerer Zahl erst aus dem Mhd. überliefert sind, kennen wir viele alte Erbwörter nur seit dieser Zeit. Es sind aber manche Neubildungen und Entlehnungen im Mhd. aufgekommen. 5.2. In der höfischen Zeit galt Frankreich als Vorbild auf kulturellem Gebiet, und mit französischen Sitten wurden zahlreiche Lehnwörter übernommen. Ein Teil ist mit dem Verfall des Rittertums wieder untergegangen, wie z . B . buhurt ,Ritterspiel', garzün ,Page', Irisieren ,die Zügel freigeben', tjost ,Zweikampf', ein großer Teil ist aber dem Deutschen einverleibt worden, z . B . Abenteuer, fein, klar, Lanze, Melodie, Revier, Tanz, Turnier. 5.3. Die Verwendung des Deutschen für geistige und gelehrte Zwecke weckte einen Bedarf an Ausdrücken für abstrakte Begriffe. Teils wurden lateinische Lehnwörter übernommen, ζ. B. Absolution, Diät, disputieren, Exempel, Sakrament, studieren, teils wurden neue Wörter, meist Lehnübersetzungen, aus deutschen Morphemen gebildet, z . B . Nenner und Zähler, Schwindsucht. Besonders viele Neuschöpfungen haben die Mystiker geprägt, z . B . Anschauung, begreiflich, Bil-

67. Mittelniederdeutsch 1. 2. 3. 4. 5. 6.

/.

Definition Quellen Sprachraum Sprachliche Stellung Schriftsprache, Dialekte Bibliographie (in Auswahl)

Definition

Als mnd. bezeichnet man die nördlich der Lautverschiebungslinie, ganz oder hauptsächlich auf sächsischer Grundlage, erwachsenen Dialekte des 13. bis 16. Jhs. Die zeitliche Abgrenzung ergibt sich aus dem Uberlieferungsstand: Erst im 13. Jh. gelingt es dem Nd. — unter dem entscheidenden Einfluß der beiden Werke Eikes von Repgow: „Sachsenspiegel" und „Sächsische Weltchronik" - sich nach langem Schweigen gegen das Lateinische durchzusetzen; in seiner Blütezeit, die mit der Blütezeit des Hansebundes, etwa 1350-1500, zusammenfällt, erwächst es zu einer übernationalen nord-

(in Auswahl)

H . de B o o r u. R . Wisniewski, Mittelhochdeutsche Grammatik. 8. Aufl. Berlin 197S. H . Eggers, Deutsche Sprachgeschichte. Bd. 2, Das Mittelhochdeutsche. Reinbek 1965. M . Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Bd. 1 bis 3. Leipzig 1869-1878, Neudruck 1965. M . Lexer, Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch. 32. Aufl. Stuttgart 1966. O . Mausser, Mittelhochdeutsche Grammatik auf vergleichender Grundlage. Bd. 1-3. München 1932-1933. H . Mettke, Mittelhochdeutsche Grammatik, Laut- und Formenlehre. 2. Aufl. Halle 1967. V. Michels, Mittelhochdeutsches Elementarbuch. 3 . - 4 . Aufl. Heidelberg 1921. E . Oksaar, Mittelhochdeutsch. Stockholm 1965. H . Paul, Mittelhochdeutsche Grammatik. 21. Aufl. von H . Moser und I. Schröbler. Tübingen 1975. U . Pretzel, Nachträge zum mittelhochdeutschen Taschenwörterbuch. Leipzig 1959. G . Schieb, Die deutsche Sprache im hohen Mittelalter. In: Kleine Enzyklopädie, Die deutsche Sprache. Bd. 1. Leipzig 1969, 147-188. H . Stopp u. H . Moser, Flexionsklassen der mittelhochdeutschen Substantive in synchronischer Sicht. In: Z D P 86. 1967, 70-101. K. Weinhold, G . Ehrismann u. H . Moser, Kleine mittelhochdeutsche Grammatik. 15. Aufl. Wien 1968.

Kaj B. Lindgren,

Helsinki

europäischen Verkehrssprache; im Laufe des 16. Jhs. schließlich tritt es, im Takt damit, daß die politische Macht der Hanse gebrochen wird, in dem größten Teil des Gebietes schriftsprachlich hinter das Hd. zurück. 2.

Quellen

Die auf Jacob Grimm zurückgehende Bezeichnung m i t t e l n i e d e r d e u t s c h ist natürlich insofern adäquat, als es sich ja um die zwischen And. und Nnd. liegende Periode handelt; sie deutet aber zugleich eine Parallelität mit dem Mhd. an, was kaum berechtigt ist. Angemessener erschiene an sich eine Zusammenstellung mit dem Fnhd., dessen Anfänge sich nach der Meinung einiger Forscher bereits in den fünfziger Jahren des 13. Jhs. abzeichnen und das vor allem auch sprachsoziologisch dem Mnd. viel näher steht; denn während das Mhd. wesentlich als eine Kunstsprache der ritterlich-höfischen Kultur betrachtet werden kann, ist es die Sprache des städtischen Bürgertums, des Handels, des Rechts und der Verwal-

67. Mittelniederdeutsch tung, daneben auch die der Predigt und der Erbauung, die der fnhd. und - stärker noch - der mnd. Uberlieferung ihr besonderes Gepräge geben. Seit der grundlegenden und für die weitere Erforschung richtungweisenden Arbeit von Agathe Lasch, Mnd. Grammatik, basieren die sprachlichen Untersuchungen des Mnd. vorwiegend auf kanzleisprachlichem Textmaterial, was insofern berechtigt erscheint, als die literarischen Quellen in ihrer Sprachform öfters hd. oder nl. beeinflußt sind. Zum Unterschied von dem Bürgerstand im deutschen Süden beteiligten sich die norddeutschen Kaufleute und Handwerker nur wenig auf dem Gebiete der schönen Literatur und überhaupt nicht auf dem des Meistersangs; sie waren, bemerkt Wolfgang Stammler, „wehrhafte Männer, welche lieber abends nach getaner Arbeit beim Trunk in den Gildestuben wirkliche Ereignisse in Vers und Prosa hören wollten, als des Sonntags auf den harten Kirchenbänken der Meisterschule kunstreichen Gesang und zierlichen Inhalt"; daraus erklärt sich die Uberfülle von historischer Literatur - Chroniken, Annaien, historische Lieder verschiedener Arten - , die in mnd. Sprache vorhanden ist. Das mit dem Aufblühen der Hanse und dem wachsenden Wohlstand verbundene stärkere Interesse für geistige Bildung wirkte sich zunächst auch nur in Übertragungen und Bearbeitungen fremder, durch die ausländischen Hanse-Kontore vermittelter Stoffe aus; hierher gehören Dichtungen wie „Flos unde Blancflos", „Valentin und Namenlos", „ D e r vergessene S o h n " , „Narrenschip" und, allen voran, „Reinke de V o s " . Eine eigenständige nd. Dichtung wirklich hohen Ranges entsteht erst gegen Ende des 15. Jhs. durch die Werke des Braunschweigers Herman B o t e : „Schichtbuch", „ D a t boek van veleme rade", „De Koker". Auch bei den geistlichen Gedichten, Legenden und Erbauungsschriften handelt es sich zum großen Teil um Ubersetzungen und Bearbeitungen fremder, meist lateinischer oder nl., Originale. An der Spitze der geistlichen Literatur stehen die Bibelübersetzungen. Die erste vollständige nd. Bibel erschien um 1478 in Köln; sie liegt in einer westwestfäl. und einer ostwestfäl. Ausgabe vor; den Kölner Drucken folgte im Jahre 1494 die Lübecker Bibel des Steffan Arndes, „das Meisterstück des nd. Buchdrucks" (Stammler); eine dritte Ubersetzung entstand gegen Ende der Periode in Halberstadt. 3.

Sprachraum

Im Vergleich mit dem And. hat das Mnd. durch Eroberung, Siedlung und Handel seinen Geltungsbereich stark erweitert: im Osten über die

585

alte Elbe-Schwentine-Grenze hinaus bis ins Baltikum, im Norden bis zur Linie Schlei-Danewerk; für das Nord- und Ostfries, kann, jedenfalls seit dem 16. J h . , ein nd. Superstrat festgestellt werden, und schließlich ist hier auch daran zu erinnern, daß die skandinavischen Sprachen seit dem 14./15. J h . stark mit nd. Elementen durchsetzt sind. Der Gebietszunahme im Osten und Norden steht jedoch im Süden, hauptsächlich auf schriftsprachlicher Ebene, ein nicht unbedeutender Raumverlust gegenüber. Im Abschnitt Saale-Harz hat sich die Lautverschiebungslinie, die das N d . gegen das Md. abgrenzt, im Laufe des Mittelalters nördlich verschoben: Merseburg und Wittenberg gehen um die Mitte, Eisleben und Mansfeld in der zweiten Hälfte des 14. Jhs. zum Hd. über, in den Schöffenbüchern von Aken und Halle setzt das Hd. 1394 bzw. 1417 ein. Als Sprechsprache jedoch hat sich das N d . , wenn man von einer dünnen, allerdings führenden, Bevölkerungsschicht absieht, im Gebiet von Magdeburg bis in die jüngste Zeit erhalten und auch im Mansfeldischen noch lange gelebt, nachdem es in den Kanzleien für den öffentlichen G e brauch aufgegeben worden war. Es erscheint in diesem Zusammenhang nicht ohne Interesse festzustellen, daß also Luther, der hier die ersten vierzehn Jahre seines Lebens verbrachte, in nd. sprechender Umgebung aufgewachsen ist. 4. Sprachliche

Stellung

4.1. Die genetische Grundlage des Mnd. bildet natürlich das And. (As.). Einheimische Entwicklungstendenzen und nicht zuletzt auch der kontinuierliche, wenn auch zu verschiedenen Zeiten verschieden starke hd. Einfluß haben aber im Laufe der and.-mnd. Ubergangszeit das and. Sprachsystem weitgehend umgeformt. Man kann diesen Vorgang, dessen verschiedene Phasen wir wegen des fast vollständigen Mangels an Quellen nicht zu verfolgen imstande sind, zusammenfassend so beschreiben, daß das Mnd. sich, bei bewahrter struktureller Eigenart und mit dialektgeographisch und sprachsoziologisch bedingten Modifizierungen, dem binnendeutschen Sprachtypus angeglichen hat. 4.2. Die Angleichung an das Binnendeutsche tritt vor allem im W o r t s c h a t z zutage, wobei man allerdings gleich den Vorbehalt machen muß, daß es sich bei den südlichen nd. Grenzbezirken, deren sprachliche Vorgeschichte noch dunkel ist, nicht notwendig um Entlehnungen, sondern um alte lexikalische Gemeinsamkeiten handeln kann. Auch in der W o r t b i l d u n g ist das Mnd. stärker vom H d . abhängig; so sind ζ. B. die im And. häufig begegnenden Präfixe a- ,er-', at- ,zu-' und das Suffix -skepi ,-Schaft' mnd. durch die fränkischen Elemente er-, vor-, to-, -schap (-schop)

586

VIII. Historische Aspekte

ersetzt worden — gegen die Heliand-Formen ärisan, älösian, atsamne, friundskepi stehen im Mnd. errisen, vorläsen, tosamene, früntschap (-schop). 4.3. In der L a u t e n t w i c k l u n g dürfte der binnendeutsche Einfluß erst etwa seit der Mitte des 12. Jhs. eingesetzt haben. Die wichtigsten der schriftsprachlich teilweise verdeckten und einzeldialektal nicht gleichförmig durchgeführten vormnd. Veränderungen wären, außer dem Verfall der Endsilbenvokale, etwa die folgenden: a) Dehnung, zum Teil auch Senkung der kurzen Vokale vor r-Verbindungen und in haupttoniger, offener Silbe („Frühdehnung" bzw. „Tondehnung"); b) Kontraktion ia (über je) zu e (im Elbostfälischen zu i); c) durchgeführter Umlaut (orthographisch jedoch meist nur bei α gekennzeichnet); d) Kontraktion egi zu ei vor Dentalen; e) Auslautverhärtung stimmhafter Konsonanten; f) Assimilation hs zu ss; g) Ubergang f> zu d; h) Schwund (oder Reduktion) von inlautendem j, d. 4.4. Das F o r m e n s y s t e m zeigt den mit dem Ubergang zu einem analytischeren Sprachbau verbundenen Endungsverfall, der ja allen spätgermanischen Dialekten gemeinsam ist. Die Substantive werden stark oder schwach flektiert: Maskulina: Stamm: Sg. N . A. D. G. PI. N . A . D. G.

-adach dach dage dages dage dagen dage

-igast gast gaste gastes geste gesten geste

-jaherde herde herde herdes herde(s) herden herde

-nvörste vörsten vörsten vörsten vörsten vörsten vörsten

-awort worde wordes wort/ worde worden worde

-eslam lamme lammes lammer

-jabedde bedde beddes bedde

-nherte herten herten herten

lammern lammer

hedden bedde

herten herten

Neutra: Stamm: Sg. N . A . D. G. PL N . A . D. G. Feminina: Stamm: Sg. N . A. D. G. PI. N . A. D. G.

Die südliche Überschichtung zeigt sich in der Deklination darin, daß die alte sächsische Pluralendung -os der a/ja-Stimmc (and. dagos ,Tage') schriftsprachlich bereits in and. Zeit durch den fränkischen Ausgang -a (mnd. dage) zurückgedrängt wurde; seit der Mitte des 14. Jhs. taucht die Endung -s wieder auf, um dann immer produktiver zu werden; möglicherweise handelt es sich aber dabei um Entlehnung aus dem N l . (letztlich aus dem Französischen). Die Adjektive werden ebenfalls stark oder schwach flektiert; die starke Flexion ist aus nominalen und pronominalen Formen zusammengesetzt: mask. blint/ blinder A. blinden blindem/ D. blinden G. blindes PL N . A . blinde blinden D. G. blinde Sg. N .

neutr. blint

fem. blint

blint blindem/ blinden blindes blinde blinden blinde

blinde blinder

/blinde

blinder blinde blinden blinde

Von besonderer dialektaler Bedeutung ist der verschiedenartige Ausgleich von Dativ und Akkusativ der ungeschlechtigen Pronomina, der bekanntlich als ein nd. Charakteristikum gilt: Im allgemeinen haben die Dativformen mi, di, us (uns), jü auch die Funktion des Akkusativs übernommen, im Ostfälischen jedoch sind umgekehrt die Akkusativformen mek/mik, dek/dik, ösek/ üsek, jök/jük verallgemeinert worden. Aus dem H d . entlehnt ist das Reflexivpronomen sik; das And., wie auch das Ae. und das Altfries., hatten statt dessen das geschlechtige Pronomen auch in reflexivischer Funktion verwendet. Inwieweit für uns, das in den Texten mit us wechselt, hd. oder nl. Einfluß vorliegt, läßt sich kaum entscheiden. Die Personalformen des Verbs sind beim Präsens Indikativ: Sg. 1. 2. 3. PI. 1 . 2 . 3 .

schwache Verben make makest maket maket/maken

starke geve gifst/gevest gift/geft/gevet gevet/geven

beim Präteritum Indikativ: -o-

wise wise wise(n) wise(n) wise(n) wise(n) wisen wisen

hüt hüt hüt (hüde) hüt hüde hüde hüden hüde

tunge tunge(n) tungen tungen tungen tungen tungen tungen

Sg. 1. 2. 3. PI. 1 . 2 . 3 .

schwache Verben makede makedest makede make den

starke gaf gevest gaf g even

Der Wechsel zwischen -et und -en im Plural des Präsens Indikativ bildet den wichtigsten Dialektunterschied zwischen dem alten sächsischen Ge-

67. Mittelniederdeutsch biet und dem Kolonialland: Im Altland gilt -(e)t, auf kolonialem Boden das hd.-nl. gestützte -en. Die Grenze verläuft heute östlich von L ü b e c k ; es wird aber meist angenommen, daß sie sich erst spät in östlicher Richtung verschoben hat und daß Lübeck im Mittelalter zum -en-Gebiet gehörte. Die zusammengesetzten Zeiten der Vergangenheit werden durch Verbindungen der Hilfsverben hebben und sin (wesen) mit dem Partizip II gebildet; bebben hat dabei im Vergleich mit dem H d . einen ausgedehnteren Verwendungsbereich. Beim starken Verb sind die alten Ablautklassen und die reduplizierende Klasse noch erkennbar. Stammformen: Klasse I :

II: III:

IV: V: VI:

Redupi.:

riden

beden süpen binden helpen nemen geven varen beten

rüden röpen

ret bot söp bant halp nam

gaf vor bet ret rep

reden boden sopen bunden bulpen nemen geven vören beten reten repen

(ge)reden (ge)boden (ge)sopen (ge)bunden (ge)bulpen (ge)nomen (ge)geven (ge)varen (ge)heten (ge)räden (ge)röpen

4 . 5 . Die mnd. S y n t a x ist noch nur sehr unvollständig erforscht. Allgemein wird man feststellen dürfen, daß die schriftsprachliche syntaktische Struktur des Mnd. sich in der Regel nicht wesentlich von der md. unterscheidet, während der A b stand zu der obd. bisweilen größer zu sein scheint; so kennt, um dies hier nur mit einem Beispiel zu beleuchten, die mnd. Schriftsprache beim mehrgliedrigen Nebensatzprädikat fast ausschließlich Voranstellung des Finitums (Typ schal gbedodet werden), während in den obd. Texten aus derselben Zeit die Nachstellung sehr häufig vorkommt.

5. Schriftsprache,

Dialekte

5.1. So wie sich das Mnd. uns zum Studium anbietet, stellt es eine Schriftsprache dar, die zwar immer mehr oder weniger regional gefärbt ist, für d i e g e s p r o c h e n e V o l k s s p r a c h e aber nicht als repräsentativ gelten kann. Sie hatte in dem geschäftlichen Verkehr der über den weiten nordeuropäischen Raum - von London im Westen bis N o w g o r o d im Osten, Bergen und Stockholm im Norden - verbreiteten H a n s e - K o n t o r e ihre erste Voraussetzung, mußte also schon der allgemeinen Verständlichkeit wegen grundsätzlich bestrebt sein, die landschaftlichen und mundartlichen B e sonderheiten zu vermeiden. So tauchen beispielsweise die mit Sicherheit sehr alten, bis heute im Ruhrgebiet als Plurale bewahrten, westfäl. Dualformen it ,ihr', ink ,euch' (vgl. and. git, ink) in der Schrift überhaupt nicht auf, und die bereits im

587

14. J h . einsetzenden Diphthongierungen der i-, « - , ü- und der alten geschlossenen e-, ö-Vokale kommen nur durch gelegentliche Entgleisungen der Schreiber zum Ausdruck. Über die gesprochenen mnd. Mundarten wird man sich deshalb nur dann eine gewisse Vorstellung bilden können, wenn man die neuzeitlichen Mundarten und namentlich auch die vielen, zum großen Teil noch ungedruckten, in der Regel sehr dialektgetreuen Gelegenheitsdichtungen des 17. und 18. J h s . zum Vergleich heranzieht. 5.2. Eine nach heutigen Begriffen einheitliche mnd. Schriftsprache hat es nicht gegeben. Es finden sich in den Texten landschaftlich gebundene Kriterien genug, um eine Gliederung in S c h r i f t d i a l e k t e erkennen zu lassen. Diese entspricht weitgehend den älteren und jüngeren Mundartverhältnissen. Im Südwesten bildet die Weser seit alters eine deutlich wahrnehmbare Grenze zwischen dem W e s t f ä l i s c h e n (Hauptorte: M ü n ster, Osnabrück, Dortmund, Soest, Bielefeld) und d e m O s t f ä l i s c h e n (Hauptorte: Hannover, Hildesheim, Braunschweig, Goslar, Göttingen). Für den Ostflügel des ostfälischen Gebietes, den Raum Magdeburg-Halle, der seit etwa 1200 stärker unter h d . - m d . Einfluß steht und zum Teil auch im Laufe der Periode das N d . aufgibt (s. oben), hat sich die Bezeichnung E l b o s t f ä l i s c h eingebürgert. ö s t l i c h davon schließt sich das besonders im Wortschatz niederfränkisch beeinflußte B r a n d e n b u r g i s c h e an. D e r nördliche Küstendialekt, das N o r d n i e d e r s ä c h s i s c h e (Nords ä c h s i s c h e ) wird in drei Untergruppen aufgeteilt: das Ostfriesisch-Oldenburgische (von der Emsmündung zur Wesermündung), das N o r d a l b i n g i s c h e (zwischen Weser und Elbe, mit den Hauptorten Bremen, Hamburg, Lüneburg) und - auf kolonialem Boden - das O s t e I b i s c h e (Lübeck, Mecklenburg). Eine besondere Gruppe bilden die Texte aus den baltischen Provinzen, die bei ostelbischem Grundcharakter auch viele westliche Einschläge aufweisen. 5.3. In den fmnd. Texten läßt sich ein Kampf verschiedener orthographischer und sprachlicher Traditionen beobachten. Wesentlichstes Kennzeichen der ältesten Quellen, besonders der literarischen, ist der hd. Einfluß, der über Südostfalen ins weitere nd. Gebiet gewirkt hat. Ferner hat man in der Sprachform der ältesten Lübecker Stadtrecht-Redaktionen Auswirkungen einer ostfälischen orthographischen N o r m erkennen wollen; auch das Bremer Stadtrecht von 1303 scheint übrigens Bindungen mit dem Frühostfälischen aufzuweisen (sic/sec ,sich', dredde ,dritte', -schep ,-schaft', ider, ifte ,oder'). Deutlich bemerkbar ist in den nördlichen und nordöstlichen Quellen der Frühzeit schließlich eine westliche Färbung, die man lange auf die südwestfäl. (Soest, D o r t mund) Vormachtstellung um 1300 zurückführen

588

VIII. Historische

Aspekte

wollte; wie die neuere Forschung gezeigt hat, ist aber der Begriff der „westfälischen Strömung" (Lasch) zu eng gefaßt, und neben Südwestfalen werden auch die nördlichen Niederlande und das Münsterländische als sprachliche Expansionsgebiete eine wichtige Rolle gespielt haben. Eine festere schriftsprachliche N o r m , deren Grundlage die ostelbisch-lübische Umgangssprache ist, bildet sich erst seit der zweiten Hälfte des 14. Jhs. heraus, als das politisch führende Lübeck auch sprachlich tonangebend wird. Daß sich diese im ostelbischen Neuland entstandene Schriftsprache allmählich im ganzen nd. Gebiet durchsetzen kann, hängt aber nicht ausschließlich mit der Autorität Lübecks zusammen, sondern vielleicht noch mehr mit dem Umstand, daß es sich bei ihr um eine ausgesprochene Ausgleichssprache handelt, an der die verschiedenen Heimatdialekte der Siedler alle Teil haben. Kennzeichnend für diese h a n s i s c h e S c h r i f t s p r a c h e , die in den Chroniken des 14. und 15. Jhs. ihre reinste Ausprägung erhalten hat, sind u. a. die folgenden Eigenheiten: -en im Plural des Präsens Indikativ; uns statt us der Dialekte; das ostfälische mik/mek ,mich' wird durch mi, das nordalbingische jiim ,ihnen' durch em verdrängt; die westfälischen Kurzvokale i, u, «, die in offener Silbe nicht gesenkt wurden (witen ,wissen', düget .Tugend'), erscheinen seit der Mitte des 14. Jhs. auch in westfälischen Texten als e, o. In der mnd. Spätzeit, dem 16. J h . , verlagert sich der sprachliche Schwerpunkt allmählich von L ü beck nach Hamburg, wo das N d . auch am längsten als Amtssprache beibehalten wird: im Außendienst bis 1550, im inneren Verkehr bis 1600. Die früher relativ fest geregelte Schriftsprache löst sich während dieser Periode immer mehr auf, wozu vor allem der hd. Einfluß beiträgt; daneben macht sich auch ein stärkerer Einbruch des Dialekts bemerkbar - die spätere Entwicklung, die Verwendung des N d . hauptsächlich für komische Zwecke in den Rüpelszenen des Dramas, bahnt sich schon an. 6. Bibliographie

(in

Auswahl)

M . Äsdahl Holmberg, Studien zu den niederdeutschen Handwerkerbezeichnungen. Diss. Lund 1950. Κ. Bischoff, Elbostfälische Studien. Halle a. S. 1954.

K . Bischoff, Über die Grundlagen der mittelniederdeutschen Schriftsprache. In: NdJ 85. 1962, 9 f f . K . Bischoff, Zur Geschichte des Niederdeutschen südlich der ik/ich-Linie zwischen Harz und Saale. Berlin 1957. G . Cordes, Ein Neuwerker Kopialbuch aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts. Goslar 1968. G . Cordes, Schriftwesen und Schriftsprache in Goslar bis zur Aufnahme der neuhochdeutschen Schriftsprache. Hamburg 1934. T . Dahlberg, Das Niederdeutsche im skandinavischen Raum. In: W W 6. 1955/56, 193 ff. T . Dahlberg, Mittelniederdeutsche Suffixabstrakte. Göteborg 1962. W . Foerste, Das Münsterländische. In: N d W 3. 1963, 2 9 f f . W . Foerste, Die Herausbildung des Niederdeutschen. In: Festschrift für L . Wolff. Neumünster 1962, 9 ff. W . Foerste, Geschichte der niederdeutschen Mundarten. In: Deutsche Philologie im Aufriß. I. Berlin 1957, 1729ff. T h . Frings, Aufbau und Gliederung des Niederdeutschen. In: N M 6. 1950, 2 8 f f . J . E . Härd, Mittelniederdeutsch ,oder', ,oft' und Verwandtes. Eine chronologische und dialektgeographische Untersuchung. Diss. Göteborg 1967. L. Hermodson, Reflexive und intransitive Verba im älteren Westgermanischen. Diss. Uppsala 1952. G . Korlen, Die mittelniederdeutschen Texte des 13. Jahrhunderts. Diss. Lund 1945. G . Korlen, Norddeutsche Stadtrechte. I. Das Stader Stadtrecht vom Jahre 1279. Lund 1950. G . Korlen, Norddeutsche Stadtrechte. II. Das mittelniederdeutsche Stadtrecht von Lübeck nach seinen ältesten Formen. Lund 1951. G . Korlen, Zum Begriff der sog. westfälischen Strömung. In: N M 6. 1950, 84ff. A. Lasch, Mittelniederdeutsche Grammatik. Halle 1914. A. Lasch, Vom Werden und Wesen des Mittelniederdeutschen. In: NdJ 51. 1925, 55 ff. E. Rooth, Der Anteil der Schweden an der Erforschung der niederdeutschen Sprache und Literatur. In: NdJ 67/68. 1941/42, I f f . Ε. Rooth, Die Sprachform der Merseburger Quellen. In: Niederdeutsche Studien. Festschrift für C . Borchling. Neumünster 1932, 2 4 f f . E . Rooth, Saxonica. Beiträge zur niederdeutschen Sprachgeschichte. Lund 1949. C h . Sarauw, Niederdeutsche Forschungen. 1-2. Köbenhavn 1921-24. W . Stammler, Geschichte der niederdeutschen Literatur von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig, Berlin 1920. H . Teuchert, Die Sprachreste der niederländischen Siedlungen des 12. Jahrhunderts. Neumünster 1944.

John Evert Härd,

68. Frühneuhochdeutsch 1. Abgrenzungen (Definitionen) 2. Sozio-ökonomische, politische, kulturelle Gegebenheiten 3. Quellen, Quellenerschließung 4. Landschaftliche Teilsysteme und Ausgleichstendenzen

5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

Graphien, Graphematik Morphemik Syntax Lexik Entstehung der nhd. Schriftsprache Hilfsmittel Bibliographie (in Auswahl)

Göteborg

68. Frübneubocbdeutsch

1. Abgrenzungen 1.1. Zeitliche

(Definitionen) Abgrenzung

Frühneuhochdeutsch (Fnhd.) bezeichnet hier den Zeitraum von ca. 1350 bis ca. 1650. Es handelt sich dabei um gleitende Ubergänge, nicht um festlegbare Jahreszahlen. Andere Abgrenzungen sind möglich und vertretbar, je nachdem welche Kriterien (sprachimmanente, sozioökonomische, politische, geistesgeschichtliche etc.) jeweils bevorzugt bzw. kombiniert werden. (Vgl. den Uberblick über bisherige Vorschläge bei H. Wolf 1971.) Die überlieferten Texte dieser drei Jahrhunderte repräsentieren kein einheitliches Sprachsystem, insofern bereitet eine Periodisierung nach rein sprachimmanenten Gesichtspunkten ziemliche Schwierigkeiten. Verschiedene Neuerungen (in Teilsystemen) setzen, je nach Landschaft unterschiedlich, schon in mhd. Zeit ein, andere wiederum treten erst in dem hier behandelten Zeitraum auf oder finden ihre Ausprägung erst späterhin bei der endgültigen .Kodifizierung' der geschriebenen Standardsprache. Für die Begründung der hier gewählten zeitlichen Abgrenzung mag vorläufig genügen, daß um die Mitte des 14. Jhs. eine Reihe von Neuerungen (gegenüber dem Mhd.) bereits in mehreren Schreiblandschaften greifbar wird und daß um die Mitte des 17. Jhs. die überregionalen Ausgleichsvorgänge unter Einschluß des niederdeutschen Raumes und auch peripherer Zonen so weit gediehen sind, daß die Hauptelemente des nhd. Schreibsystems einigermaßen klar zutage treten. Auf dieser Basis können die Grammatiker (vgl. Art. 69: 2.1.) den Weg der Kodifizierung und Standardisierung weiter verfolgen. Letztere wird für die einzelnen Teilbereiche (Graphie, Morphologie, Lexik, Syntax) nicht gleichzeitig erreicht. Außersprachliche Gesichtspunkte, die auch andere Zeiteinschnitte zulassen, sowie Hinweise auf die Sozialgeschichte des Schreibens und Lesens und auf die Probleme im Zusammenhang mit der Mehrschichtigkeit einer Kultursprache, finden sich in 1.3.; 2.; 3.; 9. Eine weitere Untergliederung des Fnhd. ist bisher nur teilweise und mit unterschiedlichen Ergebnissen versucht worden. Von den jeweils herangezogenen einschnittbildenden Faktoren haben sicher die Auswirkungen des Buchdrucks (etwa ab 1470) und der Schriften Luthers (nach 1520) am meisten Gewicht (vgl. 9). 1.2. Räumliche

Abgrenzung

Das deutsche Sprachgebiet hat seine Ausdehnung (Kolonisation, Sprachinseln) im wesentlichen vor 1350 erfahren. In der fnhd. Periode ergeben sich nur noch geringe Veränderungen (jüngere Sprachinseln). Auf der Ebene der sprachlichen Grund-

589

schicht bilden sich unter der Einwirkung politischer, kirchlicher, wirtschaftlicher und verkehrsbedingter Raumbildungen allmählich unsere neuzeitlichen Mundartabgrenzungen heraus. Diese horizontale Kammerung bleibt dann bis zum Beginn der Industrialisierung und der intensiven Einwirkung der nhd. Schriftsprache (Schulpflicht) relativ stabil. Große Veränderungen vollziehen sich dagegen auf der Ebene der Schriftlichkeit (vgl. 1.3.). Regional geprägte Schreibtraditionen verändern im Kontakt mit anderen Schreibdialekten ihre Gestalt und Reichweite und damit auch ihren Abstand von den Basismundarten. Diese Entwicklung erfährt am Ende des 15. und in der ersten Hälfte des 16. Jhs. eine entschiedene Steigerung und Intensivierung (vgl. 9.). Als Folge einer gewissen md.-obd. Angleichung und begünstigt durch zeitgeschichtliche Faktoren kommt es zu dem Einbruch hd. Schreibsprache in den nd. Raum (vgl. Art. 67:4) und dann zur raschen Verdrängung der mnd. Schreibsprache im ehemaligen Herrschaftsgebiet der Hanse. Man darf daraus allerdings nicht den Schluß ableiten, daß das Nd. keinen Anteil an der Ausformung der nhd. Schriftsprache habe. Einwirkungen sind mittelbar schon lange vorher, zumal über die md. Kontaktzone, gegeben, besonders im Bereich der Lexik (v. Bahder 1925, Ising 1968). Im übrigen erweist sich die traditionelle Mundarteneinteilung in der diesbezüglichen Diskussion vielfach als fragwürdig oder sogar als hinderlich, weil die schriftlichen Verflechtungsvorgänge ζ. T. anderen Raumgesetzlichkeiten unterliegen und sich daher nur bedingt auf das ,Rastersystem' mundartlicher Lautgrenzen beziehen lassen (vgl. Ising 1968, Besch 1967). 1.3. Sprachsoziologische

Differenzierungen

In der fnhd. Periode wird das Latein als dominierende Schriftsprache Zug um Zug zurückgedrängt. Wir haben zwar schon früher Anzeichen für das Erwachen eines deutschen Sprachbewußtseins und für die Wertschätzung der Muttersprache, aber erst jetzt entfalten diese Ansätze ihre volle Wirkkraft, bedingt sowohl durch sozioökonomische, geistesgeschichtliche und religiöse Entwicklungen im Innern wie auch in den Nachbarnationen. Die Verwendung der lingua vulgaris (Muttersprache) anstelle des allmächtigen Latein bedarf der Legitimation. Diese wird in einem dreifachen Argumentationsschritt vor allem durch folgende Aufwertungen geliefert: (1) genealogische Annäherung der Deutschen an die antiken Völker und Sprachen (Stammessagen, neu belebt); (2) vorrangige Position des Deutschen durch zeitlich noch weitere Rückbindung an die biblische Genesis (Deutsch als die Sprache Adams); (3) ,Weihe' der Muttersprache als gleichberechtigtes

590

VIII. Historische Aspekte

Medium des Wortes Gottes durch die Reformation. Das gelehrte Beiwerk zu (1) und (2) wird vor allem von den Humanisten bereitgestellt, die sich zu einem Teil neben der Beschäftigung mit der antiken Geisteswelt nun auch der deutschen Vorzeit und der deutschen Sprache zuwenden. Besonders nachhaltig in der Wirkung war allerdings die theologisch-religiöse Legitimation. Die Bezeichnung , Muttersprache' wird im deutschen Sprachraum erst im 15. Jh. greifbar; ihr entspricht ein lat. materna lingua schon seit dem frühen 12. Jh. Deutsch erhält nun Vorrang im Urkundenwesen und in der Geschäftssprache, zunehmend auch in der religiösen Erbauungsliteratur und in den realkundlichen Sachgebieten aller Art. Man kann am Ende der fnhd. Periode von einem Siegeszug durch fast alle Lebensbereiche sprechen mit Ausnahme allerdings der Wissenschaftssprache an den Universitäten (wichtige Neugründungen im 14. bis 16. Jh.). Führend sind die Städte und die diversen herrschaftlichen Kanzleien. Die .Verschriftlichung des Lebens' betrifft nun zunehmend auch breitere soziale Gruppen. Es entstehen städtische Schulen, die vom Ende des Mittelalters an in steigendem Maße die Belange von Handel, Gewerbe und Kommunalwesen im Schreibunterricht berücksichtigen. Entsprechend verbreitert sich die Lese- und Schreibfähigkeit, forciert später durch die reformatorische Schulpolitik. Leider fehlen uns für diese wichtige Frage umfassende Angaben und Aufschlüsselungen. Papierverwendung (statt Pergament) und Drucktechnik nehmen jedenfalls dem Buch seinen ehemals besitz-elitären Charakter. Für die Gestaltung der deutschen Schreibsprache sind zunächst gewisse Traditionen aus mhd. Zeit und dialektale Bindungen maßgebend. Man kann hilfsweise von Sprechdialekt (Mundart) und Schreibdialekt sprechen, beides ist noch Dialekt (lantspräche), wenn auch auf verschiedener Ebene und mit unterschiedlicher Strukturierung und Reichweite. Im Spannungsfeld beider Größen sind eine Reihe von schreibsprachlichen Schichtabstufungen feststellbar — weit mehr als das bei einer normierten Standardsprache möglich ist. Es gibt so etwas wie eine Korrelation zwischen Schreibform und angestrebter Reichweite im Rahmen der Skala: eng-lokal, regional, überregional. (Zur Quellentypik vgl. 3.) Mit zunehmendem Abstand vom eng-lokalen (und z . T . privaten) Belang verringern sich in der Regel auch die ortsgebundenen Sprach- und Schreibformen. Nur die gut geschulten Schreiber (Schreibenden) verfügen wohl über die oberen Bereiche im ,Schreiblagen'-Repertoire, und selbst sie vermögen nicht ohne weiteres die großlandschaftlichen Barrieren in der Schriftlichkeit zu überwinden. Bei beträchtlicher sprachgeographischer

Distanz zwischen Aussteller und Adressat hilft dann nur das Ubersetzungs- bzw. Umsetzungsprinzip, und zwar noch weit in das 16. Jh. hinein. Erst mit der Fixierung der nhd. Schriftsprache (vgl. 9.) fallen auch diese Schranken. H. Moser (1969) geht etwa für die Zeit um 1500 noch von vier Schreibsprachen aus (Gemeines Deutsch, Ostmitteldeutsch, Mittelniederdeutsch, Mittelniederländisch; letzteres darf hier allerdings nur mit Einschränkungen genannt werden), verweist aber zugleich auf weitere und in der damaligen Schreibrealität wichtige Aufgliederungen, indem er mindestens acht Druckersprachen nennt: bairisch-österreichisch, schwäbisch, oberrheinisch, innerschweizerisch, ostmitteldeutsch, westmitteldeutsch, ostfränkisch (zwischen obd. u. md.), niederdeutsch. Wichtig ist ferner der Hinweis auf das Jiddische, das neben dem deutschen Grundbestand vor allem hebräischaramäische und slawische Elemente enthält und eine eigene Textüberlieferung besitzt. Wo solch vielfältige Schreibschichtungen möglich sind, ist auch von entsprechenden Abstufungen im (Aus-)Bildungsstand und in den sozialen Gruppen auszugehen. Die Bildungsschichtung ist jetzt breiter, aber auch differenzierter. An den schriftsprachlichen Ausgleichsvorgängen haben dann vornehmlich die oberen Bildungsschichten Anteil. Mit der Verschriftlichung des Lebens' ist erstmals für eine große Zahl von Deutschsprechenden die Opposition geschrieben Zement; Complice > Komplize), und die Schreibungen mit c kommen nach und nach außer Gebrauch. Aber auch zahlreiche andere Fremdwörter, zum Teil erst in der ersten Hälfte des 20. Jhs. entlehnt, werden in der Schreibung eingedeutscht: Bureau > Büro, Liqueur > Likör, Fqcon > Fasson, Maitresse > Mätresse, Couvert > Kuvert, Cakes > Keks, Cooks > Koks, Jockey > Jockei, crawlen > kraulen usw.

Dieser Prozeß der graphemischen Integration kommt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges weitgehend zum Stillstand. Ihm wirkt vor allem die Aufgeschlossenheit gegenüber Fremdsprachen im Gefolge der menschlichen und fachlichen Verständigung über die Landesgrenzen hinweg entgegen. Eindeutschungen erfolgen nur noch vereinzelt, bereits eingeleitete Eindeutschungen setzen sich nicht mehr durch und werden zum Teil nicht mehr als Nebenschreibungen im Duden registriert, z . B . Kautsch für Couch, Schef für Chef, Scharm für Charme. Auch die eindeutschende Schreibung von ph zu f breitet sich nicht mehr sonderlich aus und bleibt im wesentlichen auf die Gruppen von Telefon, Telegraf und Fotografie beschränkt. Auch der Prozeß, die Rechtschreibung durch die Beseitigung von Doppelschreibungen immer stärker zu vereinheitlichen, wird in der zweiten Hälfte des 20. Jhs. gestört, vor allem durch das Aufkommen fachsprachlicher Sonderschreibungen. Der wachsende Einfluß der Fachsprachen auf die dt. Standardsprache wird auch im Bereich der Orthographie deutlich sichtbar, am besten ablesbar an der Fachsprache der Chemie: Wird in den fünfziger Jahren zunächst Oxyd durch Oxid ersetzt, um die Klasse binärer Verbindungen (Nitrid, Sulfid, Chlorid usw.) einheitlich zu charakterisieren, so folgen alsbald einschneidende Änderungen in der Schreibung chemischer Fachausdrücke durch internationale Standardisierungen: Kobalt > Cobalt, Jod > Iod, zyklisch > cyklisch (Verbindungen) usw. (vgl. Richtsätze 1970; Internationale Regeln 1975ff.). Die neuen, von der deutschen Nomenklaturkommission der „Internationalen Union für Reine und Angewandte Chemie" festgelegten Schreibweisen, die über die Lehrbücher für Chemie bereits in den schulischen Bereich eingedrungen sind, kollidieren nun mit den bisherigen Schreibungen, da sie auch Wörter betreffen, die außerhalb der Chemie gebräuchlich sind, sei es in anderen Fachsprachen, z . B . der Technik, Botanik, Medizin, Mineralogie, sei es in der Gemeinsprache: Cadmium: Kadmium (kadmieren; verkadmen); Nikotin (nikotinarm; nikotinfrei; Nikotinvergiftung); Äther (ätherisch; ätherisieren; Äthernarkose) usw.

Nicotin: Ether:

Die Einheitsschreibung ist in der zweiten Hälfte

des 20. Jhs. starken Belastungen ausgesetzt. Anfang der 50er Jahre werden Rechtschreib-Bücher veröffentlicht, die von den amtlichen Regeln von 1901 abweichen, ζ. B. in der Schreibung der Fremdwörter griechischen Ursprungs, also etwa Theater > Teater, Rhythmus > Rytmus (Otto Basler, Deutsche Rechtschreibung; München 1951), oder in der Groß- und Kleinschreibung (Lutz Mackensen, Deutsche Rechtschreibung; Gütersloh 1954). Diese Versuche, die Rechtschreibung auf eigene Faust zu reformieren, bleiben ohne Erfolg. Unterlaufen wird aber die Einheitlichkeit der Schreibung im deutschen Sprachraum durch eine Entwicklung, die in den dreißiger Jahren mit dem Ubergang von der Fraktur zur Antiqua und der Ausbreitung des Maschineschreibens ihren Ausgang nimmt. Da die Tastatur der Schweizer Schreibmaschine vier Landessprachen gerecht werden muß, verzichtet man zugunsten der französischen Sonderzeichen ς, e und ä auf das ß und die Umlautgroßbuchstaben (Ä, ö und Ü). Seit den fünfziger Jahren setzt sich in der Schweiz der Ersatz von ß durch ss allgemein durch; auch in den Schulen wird diese Schreibung gelehrt. Auch in der 2. Hälfte des 20. Jhs. werden die Bemühungen, die deutsche Orthographie zu vereinfachen und zu verbessern, fortgesetzt („Stuttgarter Empfehlungen" 1954, „Wiesbadener Empfehlungen" 1958). Die Reformvorschläge zielen auf eine optimale Funktionserfüllung der geschriebenen Sprache ab; es soll einerseits erreicht werden, daß die Rechtschreibung leichter erlernbar wird und besser beherrscht werden kann, andererseits soll eine schnelle Uberschaubarkeit des Geschriebenen und eine leichte Erfassung der Bedeutung vom Schriftbild aus ermöglicht werden. Einmütigkeit besteht heute darüber, daß eine Reform der Rechtschreibung nur auf einem ausgewogenen Kompromiß beruhen kann, um nicht das vertraute Schriftbild allzusehr anzutasten, daß den Bedürfnissen sowohl der Schreiber- als auch der Lesergruppe Rechnung getragen werden muß und daß gesellschaftliche Faktoren, wie Schwierigkeiten bei der Umstellung, Auswirkungen im Bildungswesen, wirtschaftliche Auswirkungen, Verhältnis zur Tradition, berücksichtigt werden müssen. Für eine Reform der deutschen Rechtschreibung kommen folgende Punkte in Betracht: (1) Vereinfachung der Silbentrennung. (2) Vereinfachung der Zeichensetzung. (3) Regelung der ß/ssFrage. (4) Vereinfachung der Schreibung von Fremdwörtern. (5) Neuregelung der Zusammenund Getrenntschreibung. (6) Neuregelung der Groß- und Kleinschreibung (vgl. Drosdowski 1977). 4.

Lautung

In der ersten Hälfte des 20. Jhs. bildet sich unter

72. Tendenzen der deutschen Gegenwartssprache Zurückdrängung des mundartlichen Einschlages eine trotz mannigfaltiger Schattierungen verhältnismäßig einheitliche Aussprache heraus, die sich 1945 ff. vor allem unter dem Einfluß von Rundfunk, Film und Fernsehen und durch die Bevölkerungsvermischung nach dem Ende des 2. Weltkrieges und die erhöhte Mobilität stabilisiert. Diese stark durch das Schriftbild bestimmte Aussprache ist heute die Grundlage für die Verständigung in allen Sprechsituationen, in denen man sich nicht der Mundart oder der Umgangssprache bedient. Sie wird in der DDR (Wörterbuch der deutschen Aussprache 1964) und in der Bundesrepublik Deutschland ([Duden^Aussprachewörterbuch 1974) weitgehend übereinstimmend festgelegt. Die Bemühungen, die von Theodor Siebs (1898) für die Bühne festgelegten Aussprachenormen auch allgemein durchzusetzen, werden aufgegeben, da diese Normen noch nicht einmal von Berufssprechern beim Rundfunk und von Schauspielern auf der Bühne voll verwirklicht werden konnten. In allen anderen Sprechsituationen werden sie - jedenfalls von der großen Mehrheit der Sprecher - als übersteigert oder ungewöhnlich empfunden und abgelehnt, z.B. die Aussprache des r als Zungenspitzen-[r], etwa 'troyman (träumen), oder die artikulationsintensive Realisierung des e in Endsilben, ζ. B. 'gerben (geben). Die Entwicklung der Lautung wird vor allem durch die Reduktion des [a] in unbetonten Nebensilben bestimmt, die zu einer Fülle von Koartikulationen und Assimilationen führt (etwa haben ['ha:bn] > ['ha:bm] und ugs. > [ha:m] oder legen ['le:gn] > ['le:gi)] und ugs. > ['le:r)]), und durch die verschiedenen Artikulationen des r (vgl. Meinhold 1961; Ulbrich 1961; Winkler 1965/66). Das Zungenspitzen-[r] tritt im deutschen Sprachraum in der Gegenwart immer mehr zurück. Das seit dem 17. Jh. vordringende Zäpfchen-[R], das der Siebs erst 1957 als gleichberechtigt neben dem Zungenspitzen-[r] anerkennt, wird seinerseits in zunehmendem Maße durch das Reibe-[H] und durch Vokalisierungen verdrängt. Durch die Vokalisierung des [Ή] nach Langvokalen (ζ. T. auch schon nach Kurzvokalen) am Wortende oder vor Konsonant entstehen fallende Diphthonge mit einem dem [a] nahestehenden Laut als zweitem Bestandteil. Diese neuen Diphthonge sind für die heutige Lautung charakteristisch, etwa [de:?] (der), [ vi:E| (wir), [to:t] (Tor), [u:E] (Uhr). Die Entwicklung geht ζ. T. zum völligen Schwund des [r] unter Ersatzdehnung des vorangehenden langen Vokals (a: > a:: oder o: > o::). Charakteristisch ist auch die Umwandlung der Folge -er- am Wortende oder vor Konsonant in den Laut [t], der einen abgeschwächten a-Charakter hat und sich vom [a] durch niedrige Zungenstellung unterscheidet (etwa ['bire] bitter gegenüber ['bits] bitte oder ['leire] Lehrer gegenüber ['le:ra] Lehre).

623

Bei diesen Entwicklungen handelt es sich um sprachökonomische Erscheinungen. Der Einfluß der Schrift auf die Aussprache, der sich sonst immer wieder registrieren läßt (z.B. bei der sich ausbreitenden Aussprache von -ig als [-ik]), ist hier nicht wirksam. Obwohl das Schriftbild die [a]- und [r]-Aussprache suggeriert, setzt sich die Artikulationsschwächung durch, weil mit geringerem Aufwand der gleiche Kommunikationseffekt erreicht wird. Das Phonemsystem der deutschen Gegenwartssprache wird von diesen Veränderungen noch nicht angetastet, wohl aber durch die allmähliche Angleichung des langen offenen [ε:] an das lange geschlossene [e:]. Diese auf eine Symmetrisierung des deutschen Vokalsystems abzielende Angleichung dialektaler Herkunft breitet sich über die landschaftlichen Umgangssprachen weiter aus und führt - wie bereits im Norddeutschen und in Teilen des Mitteldeutschen (auch in einigen Gebieten Österreichs) - zu einer Fülle von Homophonen, etwa Ähre/Ehre ['e:ra], Gewähr/Gewehr [ga've:a], zäh /Zeh [tse:] (vgl. Teske 1961; Mangold 1966). Auf der Ebene der Morphologie werden von der Aufgabe der phonemischen Unterscheidung Formen des Konjunktivs I und II betroffen: gebe/gäbe ['ge:ba], nehme/nähme ['ne:ma]. Der Prozeß der Eindeutschung von Fremdwörtern durch Lautsubstitution oder Aussprache nach dem Schriftbild wird in der zweiten Hälfte des 20. Jhs. stark gehemmt (vgl. 3.). Der weitaus überwiegende Teil der Fremdwörter anglo-amerikanischer Provenienz wird lautlich nicht integriert (high, Jeans, Thriller usw.); es besteht aber die Neigung, die englischen Diphthonge [ου) und [ei] durch Monophthonge zu ersetzen, z.B. Poster f'po:ste] oder Playback ['plerbek]. Auffällig ist die Tendenz, endungsbetonte Fremdwörter, speziell aus dem Französischen, auf der ersten Silbe zu betonen, auch wenn sie nicht emphatisch gesprochen werden oder als Opposition aufgefaßt werden, also z.B. Attentat, defensiv, finanziell, materiell, Mikrophon. Die Schreibung folgt der Aussprache im allgemeinen nicht. Nur die Reduktion des [a] registriert sie zögernd und sporadisch (in Doppelschreibungen), etwa Entwicklung neben Entwickelung (in der Komposition dann nur noch Entwicklung: Entwicklungshelfer, Entwicklungsland usw.) oder schwindlig neben schwindelig (systematisch bei den Flexionsformen, etwa des Teils neben Teiles, dem Bild neben Bilde, komm! neben komme! usw.). 5.

Grammatik

5.1. Morphologie: Im Formenbau zeigen sich Tendenzen zur weiteren Vereinfachung und zum systematisierenden Ausgleich, aber auch zur Diffe-

624

VIII. Historische Aspekte

renzierung und Verdeutlichung (vgl. Moser 1967, 1970; Grosse 1971; vgl. zum Folgenden die in der Bibliographie aufgeführten Grammatiken, bes. Erben 1972). 5.1.1. Charakteristisch für die Entwicklung im Bereich der Morphologie ist der fortschreitende Abbau der Kasusformen und der Ausbau der Numerusopposition (Singular: Plural) beim Substantiv. Die Nichtkennzeichnung des Genitivs Singular mit -[e]s, die von Namen (mit adjektivischem Attribut) ihren Ausgang nahm, breitet sich von Namen und namenähnlichen Wörtern weiter aus: ein hoher Vertreter des Vatikan; die malerisch-dynamische Bewegtheit des Barock; das Vermögen des Schah; in der zweiten Hälfte des April; die Gregoriiis-Legende des doppelten Inzest; vom Geruch des Thymian; eine Periode des Anleihestau; die Erfindung des Radar.

Auch die Nichtkennzeichnung des Dativs Singular mit -e schreitet weiter voran; grammatisch wird die Kasusendung nicht mehr gefordert. Da, wo -e heute überhaupt noch möglich ist, wird es aus rhythmischen Gründen oder um stilistischer Wirkungen (Markierung als gehoben oder archaisch) gesetzt: im Grase; auf dem Meere; mit seinem Sohne. In Idiomatisierungen, in denen das -e bewahrt ist, wird es oft nicht mehr als Kasusanzeiger realisiert, ζ. B. in zu Rate ziehen oder zu Kreuze kriechen. Auch die Nichtkennzeichnung des Dativs und Akkusativs Singular mit ~[e]n nimmt in der gesprochenen Sprache stark zu und dringt in die geschriebene Sprache ein: sich einen lebensgroßen Teddybär wünschen; Attentat auf den Präsident; zum Fotograf gehen; sich am Zigarettenautomat bedienen; Rückkehr zum Planet der Affen (Filmtitel); er hat es von seinem Informant erfahren.

Dadurch wird eine Entwicklung ausgelöst, die Gruppe der sogenannten schwachen Maskulina in das -es/-e«-Paradigma überzuführen: Bär: des Bärs/die Bären; Elefant: des Elefants/die Elefanten; Mohr: des Mohrs/die Mohren; Spatz: des Spatzes/die Spatzen usw.

(Einen „Ausreißer" aus dieser Entwicklung stellt Typ ugs. für ,Bursche', ,Mann' dar: die Freundin dieses Typen; einen netten Typen sich mit einem Typen einlassen.)

kennenlernen;

Selbst das allgemein als absolut fest geltende -[e]n des Dativs Plural droht in den Sog des Abbaus der Kasusflexive zu geraten, wie sich aus den sich mehrenden Anfragen an die Sprachberatungsstelle der Dudenredaktion schließen läßt. Die Unsicherheit setzt hier bei den Substantiven auf -el ein: Montage von Büromöbel; Bretter mit Nägel; ein Buch mit sieben Siegel; aber auch: Hunderte von Interbau-Besucher. Ganz deutlich setzt sich also auch in der Gegenwartssprache die aus der Sprachgeschichte be-

kannte Tendenz fort, den Kasus nicht mehr synthetisch durch Endungen am Wortkörper anzuzeigen, sondern analytisch durch flektierende Begleitwörter (Artikel, Pronomen und/oder Adjektiv) und durch die Wortstellung und semantische Kongruenz. Der Abbau der Kasusformen ist nicht nur unter dem Aspekt der Sprachökonomie als Beseitigung von Redundanzen zu sehen. Eine Rolle spielt dabei sicherlich auch das Bestreben, die Homonymie zwischen den Kasusendungen -[e]s (Genitiv Singular), -e (Dativ Singular) und -[e]n (Genitiv, Dativ, Akkusativ Singular) und den Pluralendungen -s, -e und -[e]n zu beseitigen. Beim Numerus setzt sich dagegen die Entwicklung fort, den Plural - außer mit dem Artikel die bei den Maskulina und Neutra - synthetisch mit Hilfe verschiedener Endungen und/oder Umlaut vom Singular zu unterscheiden (-e: Tag/Tage; Wand/Wände; -er: Kind/Kinder; Wald/Wälder; -en: Frau/Frauen; -s: Kino/Kinos; Umlaut: Garten/Gärten). Endungslose Plurale werden durch den Pluralanzeiger -s verdeutlicht (Kumpels, Fräuleins, Rots), umgelautete Plurale treten neben nicht umgelautete Plurale (Bögen, Läger, Rösser). Wie sehr der Umlaut für die Singular-PluralDifferenzierung in der Gegenwartssprache genutzt wird, zeigt sich besonders deutlich an Pluralen, die heute gebildet werden, um Konkretisierungen zu schaffen oder in Fachsprachen Arten und Sorten zu unterscheiden: Zwänge; Zuwächse; Verbrauche; Feldspäte; Stäube; Leinwände. Eine Entwicklung auf ein festes Pluralsystem läßt sich nicht erkennen. Im Neuhochdeutschen bildet sich (bei den nicht abgeleiteten heimischen Wörtern) in der Pluralkennzeichnung eine grobe Ordnung nach den Genera heraus (vgl. Äugst 1975, 5ff.): Maskulina, die keine Lebewesen bezeichnen: -e (Tisch/Tische; fast 90%); Feminina: -[e]n (Lampe/Lampen; über 70%); Neutra: -e und -er (Heft/Hefte; Land/Länder; über 70% und über 20%). Dieser Konsolidierungsprozeß wird in der Gegenwartssprache unterlaufen durch die Auffüllung der stark geschwächten Gruppe der sogenannten schwachen Maskulina mit Fremdwörtern (Asylanten, Astronauten, Diversanten, Informanten, Interventen), vor allem aber durch die Kennzeichnung des Plurals mit -s. Diese Pluralbildung, bereits fest integriert durch Wörter mit vokalischem Auslaut (Nackedeis, Muttis, Uhus, Unis), breitet sich immer stärker aus, besonders durch die Verwendung in den zahlreichen Abkürzungen und Kurzwörtern (LPs, EKGs, UFOs, Jusos, Dias) und in Neuentlehnungen (Hits, Hippies, Liberos, Parkas). Das Plural-s verdeutlicht einerseits endungslose Plurale (Bengel > Bengels, Kumpel> Kumpels, Hoch > Hochs, Nein > Ν eins), andererseits drängt es das Plural-e zurück (Pulke > Pulks, Schecke > Schecks, Bestecke > Bestecks). Entgegengesetzte Entwick-

72. Tendenzen der deutschen Gegenwartssprache lungen kommen nur ganz vereinzelt vor (etwa Tests > Teste). 5.1.2. Die Flexion des Adjektivs hat sich in der deutschen Gegenwartssprache - sieht man von Schwankungen nach Indefinita (unbestimmten Zahladjektiven) und dem Personalpronomen ab eindeutig konsolidiert. Sie ist nach f o r m a l e n Gesichtspunkten geregelt: Genus, Kasus und Numerus des durch das Adjektiv charakterisierten Substantivs werden durch „starke" Endungen angezeigt (großes Glück); erfolgt die Determinierung bereits durch „starke" Endungen beim vorangehenden Artikel oder Pronomen, dann werden die „schwachen" Endungen verwendet (das große Glück). In attributiver Stellung ist in der Gegenwartssprache bis auf eine Sondergruppe von Farbadjektiven (beige, orange, lila usw.) und ganz wenige umgangssprachliche Adjektive mit vokalischem Auslaut (prima, klasse) nur noch die Beugung möglich. Bei den meist entlehnten, auf Substantive zurückgehenden Farbadjektiven besteht eine starke Tendenz zur Angleichung. Sie werden auch in geschriebener Sprache in zunehmendem Maß gebeugt: beiger Leineneinband; die erste rosane Schicht; mit olivenen Chrysoberyllen. 5.1.3. Im Bereich der Verbs setzt sich die Entwicklung fort, weniger zentrale starke Verben in die schwache Klasse überzuführen oder ganz aufzugeben: triefen (triefte, getrieft statt troff getroffen); küren (kürte, gekürt statt kor, gekoren); gären (gärte, gegärt statt gor, gegoren; mit Neigung zur semantischen Differenzierung); klimmen (klimmte, geklimmt statt klomm, geklommen; Verdrängung durch klettern); saugen (saugte, gesaugt statt sog, gesogen; mit semantischer Differenzierung); glimmen (glimmte, geglimmt statt glomm, geglommen); sieden (siedete, gesiedet statt sott, gesotten; Verdrängung durch kochen); speien (spie, gespien; Verdrängung durch spucken) usw.

Die Verringerung des Bestandes der starken Verben erklärt sich daraus, daß diese Gruppe seit langer Zeit unproduktiv ist und den Sprechern das Gefühl für ablautende Formen bei wenig gebräuchlichen Verben verlorengeht. Die zentralen, zum Grundwortschatz gehörenden starken Verben (essen, trinken, gehen, laufen, nehmen, geben usw.) sind dagegen durch den häufigen Gebrauch vor der Uberführung in die schwache Klasse geschützt. Bei den starken Verben, die in der zweiten und dritten Person Singular Präsens und im Imperativ Singular den sogenannten e/i-Wechsel haben (geben: du gibst, er gibt, gib!), besteht eine starke Tendenz, im Singular Imperativ den e/«-Wechsel aufzugeben, den Imperativ im Vokalismus also einheitlich zu gestalten: Sprech /sprecht deutlich!; helf/helft mir mal!; werf/werft den Ball rüber! In der gesprochenen Sprache kommt diese Angleichung sehr häufig vor. Sie ist wie die Verwendung

625

von brauchen ohne zu immer wieder Gegenstand sprachlicher Disziplinierungen im Gespräch. In der geschriebenen Sprache ist sie dagegen sehr selten: Helfe auch Du! (Plakat). Beim Konjunktiv setzt sich immer mehr die Umschreibung mit würde durch, da die synthetisch gebildeten Formen des Konjunktivs I nur für einen Teil des Paradigmas, synthetisch gebildete Formen des Konjunktivs II nur von starken und regelmäßigen Verben möglich sind (vgl. Bausch 1979). Die von dem Zusammenfall der Indikativund Konjunktivformen im Präteritum der schwachen Verben ausgehende Umschreibung wird auch bei den starken Verben in der Gegenwartssprache stärker genutzt. Sie ist heute auch im Konditionalsatz allgemein üblich und wird von den Grammatikern weitgehend als Norm anerkannt: Er wäre sehr froh, wenn du ihn einladen würdest (stau: einludest). Er hätte anders reagiert, wenn er ihn kennen würde (statt: kennte). Sie würde sich scheiden lassen, wenn er sie betrügen würde (statt: betröge).

Die Formen des Konjunktivs II von vielen starken Verben werden heute, da sie gehoben oder altertümlich, ja gespreizt wirken, in normalsprachlichen Texten gemieden und kommen allmählich außer Gebrauch: bärge; drösche; flöchte; flöhe; föchte; genösse; glömme; göre; gösse; hülfe /hälfe; löge; lüde; mölke; pflöge; quölle; ränge; schlänge; schlösse; schmölze; schölte; söge; schräke; schüfe; schwölle; schwüre; söffe; spänne/spönne; stäke; tröge; verdrösse; wöbe; wöge; wränge.

Auch in der indirekten Rede, wo häufig statt des Konjunktivs I, selbst wenn er formal deutlich ist, der Konjunktiv II - und zunehmend der Indikativ - gebraucht wird, dringt die Umschreibung mit würde immer stärker vor: Sie erklärte, daß das zutreffen würde (oder indikativisch: . . . zutrifft) statt: Sie erklärte, daß das zutreffe bzw. zuträfe. Die Entwicklung führt also - abgesehen von den Hilfsverben und Modalverben (sei/wäre; habe/ hätte; könne/könnte usw.) - offenbar zu einem „analytisch gebildeten Einheitskonjunktiv" mit würde (Moser 1967, 20). Die würde-Umschreibungen dienen der Verdeutlichung; durch sie werden Formen des Indikativs Präteritum und des Konjunktivs II disambiguiert (Wenn die Sirenen heulten, legten alle die Arbeit nieder). Zu der aiärde-Umschreibung könnte allerdings die in landschaftlicher Umgangssprache weit verbreitete Umschreibung mit täte in Konkurrenz treten: Wenn bloß ein hißchen Luft gehen täte (Fallada); wenn ich ein Mann wäre, tat ich sagen (Degener); Sie täten auch Herrn Einstein ... nicht glauben (Tucholsky). Außer beim Konjunktiv lassen sich auch sonst im Bereich des Verbs Tendenzen zum analytischen Sprachbau beobachten wie die Bildung von Verlaufsformen mit sein in Verbindung mit am, beim

626

VIII.

Historische

Aspekte

oder im und einem substantivierten Infinitiv, ζ. B. beim Lesen sein, im Kommen sein, am Kochen sein, und die analytischen Bildungen mit tun (vgl. Erben 1969), z.B. Ich soll was Anständiges lernen, auch wenn ich heiraten tue; Wegkriegen tut man die Pickel nicht so leicht. 5.2. Syntax: Im Satzbau der deutschen Gegenwartssprache zeichnet sich keine einheitliche Entwicklungstendenz ab. Alle vorhandenen syntaktischen Möglichkeiten werden genutzt - in den verschiedenen Funktionalstilen allerdings recht unterschiedlich - , neue Möglichkeiten werden nicht hinzugewonnen. 5.2.1. In der geschriebenen Sprache dringt nach Eggers (1962, 15, 49ff.; 1973 , 29ff.) stärker der einfache Satz vor; die Satzgefüge treten zurück, die Zeit der kunstvoll gebauten Perioden ist vorbei. Da der einfache Satz nur eine begrenzte Zahl von Satzgliedern aufnehmen kann, kommt es zur Auffüllung der Satzglieder, zum Ausbau von Substantivgruppen mit mehrgliedrigen Attributen: der Anspruch nahme

/ der Patienten

/ der Bedeutung

Kriegsführung

auf Versorgung

wirtschaftlicher

/; der Untergang

/; die Zu-

Faktoren für

/ des Tankers bei

die

stürmi-

scher See vor der bretonischen Küste /.

Geradezu typisch für die deutsche Gegenwartssprache ist die Auffüllung der Satzglieder durch vorangestellte mehrgliedrige Attribute, die dadurch zustande kommt, daß die attributiv verwendeten Partizipien und deverbativen Adjektive wie die Substantivierungen - die Fügungsmöglichkeiten der zugrundeliegenden Verben beibehalten (bei nicht deverbativen Adjektiven die Fügungsmöglichkeiten des Adjektivs in Verbindung mit der Kopula): eine / auf die Bedürfnisse der Bevölkerung abgestimmte S Politik; die / den Mietern des Hochhauses nicht zumutbare / Erhöhung der Nebenkosten; alle i in diesen Zusammenbang gehörigen /Fragen.

Bei den Präpositionsattributen springt das Schwanken im Gebrauch der Präpositionen ins Auge, das das Bestreben erkennen läßt, Beziehungen neu auszudrücken. Dominierend ist der Anschluß mit zu: zweiteiliger Film um ein junges Ehepaar{Hörzu); die Anhänglichkeit für den Betrieb (Chotjewitz); die Verbindung zur Basis; Ehrgeiz zu Unabhängigkeit und Erfolg (Praunheim); Geschlechtsverkehr zu Knaben (Praunheim); das Patriarchat in seiner Zwangsläufigkeit zu umfassenden Gewalttaten (Pilgrim); Internationale sprachwissenschaftliche Tagung zur Reform der deutschen Orthographie in Wien.

(Diese Entwicklung strahlt offenbar auf den Gebrauch der Präpositionen allgemein aus und führt zu ganz neuen Anschlüssen: das wäre, indem man zur Sexualfrage wesentlich großzügiger wurde (Fichte); Soldaten verschanzen sich gegen die chinesischen Invasionstruppen (Mannheimer Morgen). Er fragt mich kurz um mein körperliches Befinden (Sobota).

Für bestimmte abstrakte Texte, vor allem solche der Verwaltungs- und Wissenschaftssprache, ist die Auffüllung der Satzglieder kennzeichnend: Er bekundet ferner den ausdrücklichen Wunsch / der deutschen Majorität nach Festigung der maßvollen, auf internationale Verständigung gerichteten Politik der Mitte / ( D ö n hoff). Die Industriegewerkschaft Metall hat das Urteil / des Frankfurter Landgerichts über die Unzulässigkeit der Aussperrung in Arbeitskämpfen in Hessen / begrüßt (Süddeutsche Zeitung).

Nebensätze, Sätze, ja ganze Satzgefüge werden, wie diese Beispiele zeigen, nominalisiert, d.h. in Nominalblöcken zusammengerafft, um komplizierte Mitteilungsinhalte zu komprimieren und in einem Satz unterzubringen. Bei diesen Nominalisierungen gehen sogar in zunehmendem Maß Adverbien mit und erscheinen nun als Attribute von Verbalsubstantiven: die probeweise Einführung der Gleitzeit in einigen Betrieben; der beinahe Zusammenstoß zweier Maschinen über Rhein-Main; die annähernde Gleichstellung der Frau mit dem Mann.

Die Nominalisierungen haben einerseits sprachökonomische Ursachen. In einer Wortgruppe, einem Nominalblock wird zusammengepreßt, was sonst in einem Satz oder Satzgefüge ausgedrückt werden müßte. Die hypotaktische Verknüpfung von Hauptsatz und Nebensatz/Nebensätzen wird durch die „Kompaktbauweise" ersetzt bzw. ergänzt. Andererseits entspringen die Nominalisierungen dem Streben nach begrifflicher Gliederung, sind Ausdruck gedanklicher Abstraktion. Aneinandergereiht, können die Nominalblöcke, die dem Satz eine starre Linearität geben, den schnellen, geradlinigen Gedankenablauf stützen; sie können aber auch, wenn die Reihungen ausufern, die Verständlichkeit erschweren: ... mit dem Studium der Methoden zur Feststellung eventueller Verletzungen des Abkommens über die Einstellung der Kernwaffenversuche beginnen (F. A. 2 . ) .

Ermöglicht werden die Nominalisierungen dadurch, daß die Sprache eine sehr große Zahl von Substantivierungen bereitstellt — und laufend neue Substantivierungen produziert, vor allem Verbalsubstantive, die verbale Inhalte (Vorgänge, Handlungen, Zustände) nominal verfügbar machen; , ,der verbale Denkkreis wird nominal ausgebaut" (Daniels 1963, 32). Hand in Hand damit geht die Ausbreitung inhaltsarmer Verben und der Funktionsverben. Die eigentliche Aussage wird in ein Substantiv verlagert und dieses mit einem inhaltsarmen Verb verknüpft: Bei den langfristigen Rentenzahlungen wird eine jährliche Anpassung an das veränderte Preisgefüge vorgenommen. Eine weitere Bereicherung erfährt der Innenraum durch Emporen. Über die Agrarpolitik wurde eine Einigung nicht erzielt.

72. Tendenzen

Bei den Funktionsverben ist der Inhalt des Verbs verblaßt, besser: von konkreter zu abstrakter Bedeutung verschoben; das Verb hat erst einmal satzkonstitutive und insofern grammatische Funktionen (Angabe der Person, Zahl, Zeit usw.): Der neue Autoatlas kommt Ende Mai zur Auslieferung. Jede Bewegung, jede Revolution verspricht, mehr Güter zur Verteilung zu bringen. Die Vergütung der Unterhausmitglieder kam im 17. Jh. in Wegfall.

Die Funktionsverbgefüge stellen jedoch nicht nur unnötige Aufschwellungen oder stilistische Entgleisungen dar; sie ermöglichen oft differenziertere Aussagen und Nuancierungen (vgl. Kolb 1962; v. Polenz 1963; Heringer 1968). Sie können ζ. B. eine besondere Aktionsart kennzeichnen, vor allem die zeitliche Abstufung eines Vorgangs oder einer Handlung besser ausdrücken als das einfache Verb (etwa zum Stehen kommen gegenüber stehen oder zum Abschluß bringen gegenüber abschließen); sie fungieren als Faktitiva, drücken also aus, daß eine Handlung oder ein Vorgang bewirkt oder veranlaßt wird (zum Lachen bringen, zum Kochen bringen, zur Explosion bringen usw.), und sie dienen der passivischen Aussage (zum Einsatz kommen, zur Verteilung gelangen, zur Entscheidung kommen usw. = eingesetzt werden, verteilt werden, entschieden werden). Wie die mit Hilfsverben und Modalverben umschriebenen Formen können auch die Funktionsverbgefüge das Mittelfeld des Satzes umspannen und den satzschließenden Prädikatsteil liefern: Das Parfüm kommt nach wenigen Augenblicken auf der Haut voll zur Entfaltung: Das Parfüm entfaltet sich nach wenigen Augenblicken voll auf der Haut. Weiter im Vordringen ist in der geschriebenen Sprache die Ausklammerung. Bisher üblich und von den Grammatiken anerkannt war die Ausklammerung von Vergleichsgliedern (Man muß den Kopf drehen wie ein Flamingo), von Infinitivkonstruktionen (Danach fing sie an, bitterlich zu weinen), von Glied- und Attributsätzen (Sie wandte sich brüsk ah, als er auf sie zutrat) und bei Häufung gleichartiger Satzglieder oder Nebensätze (Ich drang ein in die Musik, in die Architekturen der Fugen, in die verschlungenen Labyrinthe der Sinfonien, in die harten Gefüge des Jazz). In der Gegenwartssprache werden zunehmend auch Präpositionalgruppen ausgeklammert, sei es in der Rolle von Umstandsangaben, sei es in der Rolle von Präpositionalobjekten: Er führte sie zurück ins Zimmer. Ich hin nicht gehören für ein solches leben. Sie ist stolz auf ihre Begierdelosigkeit. Alle Illusionen lösen sich in jenem Augenblick auf in ein schreckliches Vakuum.

Das Vordringen der Ausklammerung allgemein geht einerseits auf den Einfluß der gesprochenen Sprache zurück, wo der Satzrahmen nicht so streng gehandhabt wird und weitgespannte Bogen

der deutschen

Gegenwartssprache

627

im Satzbau gescheut werden. Es erklärt sich andererseits aus dem Bestreben, den starren Satzbau aufzulockern und den Satzrhythmus zu variieren. Die Ausklammerung dient also stilistischen Zwecken und wird besonders in der Literatur als Stilmittel genutzt. Sie verhindert zudem das häßliche Nachklappen des Verbzusatzes (Er fuhr ohne die Hoffnung ab, den Armen und Verzweifelten helfen zu können statt: Er fuhr ohne die Hoffnung, den Armen und Verzweifelten helfen zu können, ab). Mit eine Rolle spielt sicherlich auch das Streben nach Verständlichkeit. Die Ausklammerung schafft eine gute Ausgangsposition für die Konstruktion der folgenden Satzglieder oder Gliedsätze; sie trägt dazu bei, den Satz übersichtlicher zu gestalten und Satzglied für Satzglied sogleich verständlich zu machen. Die Vorwegnahme des Prädikats oder Prädikatsteils findet sich daher besonders häufig in wissenschaftlichen Texten, wo es darauf ankommt, dem Leser komplizierte Inhalte klar und unverschachtelt mitzuteilen. Die Tendenz geht aber nicht zur „völligen" Ausklammerung; „der Satzrahmen wird in absehbarer Zeit nicht von der Reihung verdrängt werden" (Admoni 1973, 97). 5.2.2. Im Kasussystem setzt sich die Entwicklung fort, die reinen Kasus durch präpositionale Fügungen zu ergänzen oder zu ersetzen, etwa der Gefahr/auf eine Gefahr achten; eines Verbrechens /zu einem Verbrechen nicht fähig sein; den Zielen der Partei/für die Ziele der Partei seine Interessen opfern; eine Gruppe Schlachtenbummler lauf eine Gruppe Schlachtenbummler treffen.

Diese Entwicklung entspringt dem Bestreben, die in den reinen Kasus ungeschieden beieinander liegenden Beziehungen deutlicher und differenzierter auszudrücken. Am stärksten von dieser Entwicklung betroffen ist der Genitiv (vgl. 5.1.1.), der im adverbalen Bereich seine Stellung nahezu vollständig eingebüßt hat und auch im adnominalen Bereich zunehmend Einbußen erleidet, vor allem durch Präpositionalgefüge mit von, etwa die Existenz von zwei deutschen Staaten, ein Mann von mittlerer Statur, die Hälfte von seinem Vermögen. Besonders augenfällig ist diese Entwicklung beim Genitivus possessivus: das Auto von meinem Freund (statt: das Auto meines Freundes), womit in salopper Umgangssprache die Konstruktion Dativ + Possessivpronomen konkurriert: meinem Freund sein Auto. Auch sonst wird der Genitiv in der Gegenwartssprache immer weiter zurückgedrängt (vgl. Weier 1968), besonders durch bloße Nebeneinanderstellung (appositionelles Verhältnis), etwa eine Tasse starker Kaffee statt eine Tasse starken Kaffees oder Ära Adenauer statt Ära Adenauers, in Zeitungstexten auch durch Scheinkomposita, ζ. B. Breschnew-Reise statt Reise Breschnews oder CarterBesuch statt Besuch Carters.

628

VIII. Historische Aspekte

Der Dativ, der im Laufe der neuhochdeutschen Sprachentwicklung wie der Genitiv Einbußen durch den Akkusativ erlitten hat, ist dagegen in der Gegenwartssprache in seiner Stellung nicht gefährdet. Nur ganz vereinzelt tritt heute der Akkusativ in Konkurrenz zum Dativ, etwa jmdn. kündigen neben jmdm. kündigen. Auch die Akkusativierung (Typ: jmdn. [mit etwas] beliefern statt jmdm. etwas liefern) greift in der Gegenwartssprache nicht stärker Raum. Die Präpositionalgefüge treten nicht wie beim Genitiv an die Stelle des reinen Kasus, sondern ergänzen nuancierend den Dativ, etwa jmdm. /zujmdm. etwas sagen, sich jmdm. /sich an jmdn. anschließen, etwas ist jmdm. /für jmdn. zu schwer. Ausgeprägt ist die Neigung, zwischen Empfänger (Dativ) und Adressat (Präpositionalgefüge mit an) zu differenzieren: jmdm. /an jmdn. etwas verkaufen, jmdm. / an jmdn. etwas liefern, jmdm. /an jmdn. schreiben. Die Entwicklung geht nicht auf eine Reduktion des Vier-Kasus-Systems, sondern auf eine Spaltung der obliquen Kasus. Der Genitiv steht im Begriff, als Objektkasus, als Kasus, der von der Valenz gefordert wird, unterzugehen und nur noch adnominal neben präpositionalen Fügungen als substantivisches Attribut verwendet zu werden. 5.2.3. Im Tempusbereich wird die Entwicklung dadurch bestimmt, daß das Gefühl für den inhaltlichen Unterschied zwischen Präteritum und Perfekt im Schwinden begriffen ist. Im Gebiet des sogenannten oberdeutschen Präteritumsschwunds hat das Perfekt schon früher in der g e s p r o c h e nen Standardsprache weitreichend die einzige Vergangenheitsfunktion übernommen. Da das Präteritum als Erzähltempus auch bei oberdeutschen Autoren fest ist, beginnt sich hier der inhaltliche Unterschied zwischen Präteritum und Perfekt in eine Opposition (literarische) Schriftsprache : gesprochene Sprache zu wandeln. O b sich das Perfekt in diesem Gebiet vollständig durchsetzen und auch nördlich davon weiter um sich greifen wird, ist aber zweifelhaft, da das Präteritum andererseits über seinen eigentlichen Verwendungsbereich hinaus gebraucht wird (vgl. Trier 1968; Hauser-Suida u. Hoppe-Beugel 1972; Latzel 1977), etwa: 2 « den Spätlingen zählen der blaue Herbstkrokus, der goldene Safrankrokus, die Herbstzeitlose in ihren Gartenformen, die erst vor kurzem aus den Randgebirgen zu uns kamen (Jünger).

Uberwiegend im Präteritum gebraucht werden die Verben haben und sein und die Modalverben: Ich war heute nachmittag im Schwimmbad (statt: Ich bin ... gewesen). Um 5 Uhr mußte er nach Hause gehen (statt: . . . hat er gehen müssen). Zudem besteht die Tendenz, das prägnantere Präteritum statt des sperrigen Perfekts in bestimmten

Textarten (zur schnelleren Information) zu verwenden, etwa in Nachrichtensendungen und Schlagzeilen, ζ. B . : Sie hörten Nachrichten. Wir übertrugen eine Veranstaltung des ZDF. Die deutsche Mannschaft erreichte auch in ihrem 2. Qualifikationsspiel nur ein Unentschieden; Schüler erhängte sich.

6. Wortschatz und

Wortbildung

6.1. Gegenüber den begrenzten und überschaubaren phonischen, graphischen und grammatischen Inventaren der dt. Standardsprache stellt deren Wortschatz eine offene und nur begrenzt überschaubare Größe dar (vgl. Henne 1972, 22 f. u. Art. 13). Praktisch bedeutet dies, daß man ζ. B. die grammatischen Veränderungen innerhalb eines bestimmten zeitlichen Rahmens erschöpfend angeben kann; daß aber nicht in gleicher Weise die Fluktuation des Wortschatzes eindeutig zu bestimmen ist. Deshalb sollen im folgenden einige aktuelle Tendenzen der Entwicklung des Wortschatzes nachgezeichnet werden, ohne daß damit Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird. Zunächst (1.) ist die fortdauernde V e r w i s s e n s c h a f t l i c h u n g und T e c h n i s i e r u n g hervorzuheben (vgl. Moser 1974, 578), die den standardsprachlichen Wortschatz auszeichnet. Am Beispiel der nuklearen ( < engl.-amerikan. nuclear ,den Atomkern betreffend' GWdS 4, 1900; vgl. WdGS 4, 2675) Frage soll das erläutert werden: In einem Zeitungsartikel („Die Zeit" vom 18. 5. 1979) über die fortdauernde Gefahr der Atombombe im Vergleich zur kontrollierten Kernfusion (,phys. Vorgang, der zur Bildung schwerer Atomkerne aus leichteren unter gleichzeitiger Energieabgabe führt' WdGS 3, 2075; vgl. GWdS 4, 1456) werden u.a. folgende, nur die friedliche Atomnutzung betreffende Bezeichnungen aufgeführt: Atomspaltungsreaktor, Energieausbeute, Energiequelle, Energieproduktion, Kettenreaktion, Kernenergie, Kernenergieversorgung, Kernkraftwerk, Kernspaltung, Nuklear- und Subnuklearforschung, Reaktorunfall, schlimmster Reaktorunfall.

Wie schon das Beispiel Kernfusion zeigt, (vgl. ,schwere' und ,leichtere Atomkerne'), zwänge die Erklärung der fachsprachlichen Bedeutung dieser Wörter zur Erklärung der Erklärung. Das muß hier ausgespart werden. Die Attribuierung schlimmster Reaktorunfall ist inzwischen ersetzt durch die Bildung Supergau. Dieses Wort - ein Beispiel für die zunehmende Tendenz, Abkürzungswörter ( = Initial- und Kurzwörter) einzuführen - ist im zweiten Teil der Zusammensetzung ein Initialwort, wobei g für: größter, α für: anzunehmender und » für: Unfall steht. Die Initialen, also Anfangsbuchstaben der syntaktischen Struktur, werden zusammengezogen

72. Tendenzen

und zu einem neuen Wort geformt (dessen Initialstruktur verblassen kann, vgl. Radar: radio detection and ranging). Darüber hinaus gibt es Initialwörter, deren Initialen nicht kombiniert, sondern einzeln ausgesprochen werden (vgl. ADAC für allgemeiner Deutscher Automobil Club). Kurzwörter gibt es als „Anfangswörter" (Fleischer: „Kopfwörter") (Labor für Laboratorium), „Endwörter" (Fleischer: „Schwanzwörter") (Bus für Autobus), „Silbenanfangswörter (Moped für Motor und /Wale) und „Klammerwörter" (Motel für Motorhotel) (vgl. Harlass/Vater 1974,58-62, u. Art. 15: 1.2.3.). Neben der Verwissenschaftlichung und Technisierung des standardsprachlichen Wortschatzes fällt (2.) dessen lexikalische I n t e r n a t i o n a l i s i e r u n g auf, die vor allem auf Entlehnungsvorgängen aus dem Amerikanischen und Englischen beruht (vgl. die entsprechenden Beiträge in Braun (Hrsg.) 1979). Der Antrieb, fremdsprachliche Bezeichnungen zu übernehmen, findet eine Erklärung: a) in der neuen Sache, deren Bezeichnung übernommen wird, vgl. Jeans, Beat, TieBreak; b) in dem tatsächlichen oder vermeintlichen stilistischen Mehrwert, der die Wortentlehnung kennzeichnet, vgl. Computer [ksm'pjuiti] im Vergleich zu Datenverarbeitungsanlage bzw. elektronische Rechenanlage, wobei sich ganze Wortfamilien um das entlehnte Wort bilden: —anlage, ~diagnostik, —generation, —gerecht, ~gesteuert, ~kunst, ~simulation, ~Spezialist, —isieren, ~isierung (vgl. GWdS 2, 468f.). Der Mehrwert ist darüber hinaus auch in der lexikalischen Knappheit zu finden, wie das zitierte Beispiel im Vergleich zu seinen deutschen Entsprechungen zeigt (vgl. auch Computer-Linguistik), zudem darin, daß Lexikalisierungen (wie TalkShow und Midlife-Crisis) angeboten werden, die im Deutschen nur durch längere Paraphrasen zu bezeichnen sind; c) in der Möglichkeit, eingespielte lexikalische Bedeutungen und Bedeutungsfelder zu differenzieren und zu nuancieren (vgl. Job im Verhältnis zu Beruf, Callgirl im Verhältnis zu Prostituierte). Unter dem Titel , Anglizismen in der deutschen Sprache' hat sich inzwischen ein eigenständiger und interdisziplinärer germanistisch-anglistischer Forschungsbereich etabliert (vgl. u.a. Carstensen 1979). Dieser unterscheidet „evidente Einflüsse" des Englischen auf das Deutsche, also „direkte Übernahme" als Fremd- oder Lehnwort: Rock, Groupie, Skateboard, und „latente oder verborgene' Einflüsse": Lehnübersetzung, z . B . Geburtenkontrolle (birth-control), Lehnübertragung, z . B . Titelgeschichte (coverstory), Lehnschöpfung, ζ. B. Fließheck (fastback). Zu den latenten Einflüssen zählen auch die „Bedeutungen, die ein bereits im Deutschen vorhandenes Wort unter englischem Einfluß zusätzlich annehmen kann, so daß

der deutschen

Gegenwartssprache

629

sich eine Lehnbedeutung ergibt", ζ. B. kontrollieren im Sinne von .beherrschen', realisieren im Sinne von .erkennen, vorstellen'. Zwischen Evidenz und Latenz liegen Scheinentlehnungen, wie z . B . Showmaster, Bordcase, sowie Mischkomposita, wie z . B . Spielertransfer, Popsänger. Uber diese generelle, im einzelnen zu spezifizierende Internationalisierung des Wortschatzes hinaus kann man (3.) eine spezifische Form lexikalischer S e k t o r i s i e r u n g feststellen (vgl. u.a. Moser 1974, 535ff.). Darunter ist der lexikalische Einfluß spezifischer und einflußreicher Sektoren des modernen Lebens, wie Freizeit und Reise, Sport und Spiel, Bildung und Kultur auf den Wortschatz der Standardsprache zu sehen. Am Beispiel der „Freizeit- und Reisesprache": Sie versorgt uns mit Beautyfarm, Duty-free-Shop, Intershopfladen) (!), Kurlaub, Animateuru. a.; am Beispiel der Sprache des Sports: Wörter und Wendungen wie timen ['taimsn], Timing, die Pace machen, Pausentee, Ablöse(summe) und Libero (vgl. F.A.Z. vom 27. 6. 1979: Mit der Geschicklichkeit eines Weltklasse-Libero (sie!) nahm er den CDU-Ball auf die Fußspitze . . . ) sind dazu prädestiniert, in übertragener Bedeutung auch im täglichen Leben „Verwendung zu finden" (s.o. 5.2.1.): „Das Timing des Wahlkampfes war nicht perfekt"; am Beispiel der Sprache von Bildung und Kultur: eine Förderstufe ist ,die Organisationsform des 5. und 6. Schuljahres mit einer Zusammenfassung der entsprechenden Klassen der Hauptschule, der Realschule und des Gymnasiums, wobei der Unterricht zur Feststellung der unterschiedlichen Begabungen und des Leistungsvermögens z . T . in Kursen differenziert ist' (GWdS 2, 876). Hierfür gibt es, entsprechend der Kulturhoheit der Länder, landschaftliche Synonyme, die dasselbe oder ähnliches benennen, ζ. Β. Orientierungsstufe (in Niedersachsen). Seit der Reform des Schulwesens, die curricular (Curriculum ,Theorie des Lehr- und Lernablaufs' GWdS 2, 474) gestützt ist, gibt es, überraschenderweise, Klagen über den Schulstreß, der allerdings ein altbekanntes Phänomen ist und früher Überbürdung (der Schüler mit Lehr- und Lernstoff) (Heyne, Wb. Bd. 3. 1906, 1091) hieß. In den Zusammenhang der Sektorisierung des Wortschatzes gehören u. a. auch die durch Spezialisierung bedingten neuen Berufsbezeichnungen, „Exemplarbezeichnungen", denen generalisierte „Klassenbezeichnungen" gegenübergestellt werden und die, auf der einen oder anderen Seite, eine Aufwertung implizieren: Bauschlosser, Bleischlosser, Kunststoffschlosser: Schlosser; Fensterputzer: Glas- und Gebäudereiniger; Briefträger: Postzusteller (Oksaar 1976, 100 f.).

Diesen die „moderne" Zeit tragenden Tendenzen steht eine andere entgegen: Sie soll unter den

630

VIII, Historische

Aspekte

Begriff einer (4.) lexikalischen P o p u l a r i s i e rung gefaßt werden. Damit ist angesprochen, daß die Standardsprache (und deren Sprecher, weniger deren Schreiber) sich Bereichen öffnen, die früher einem überregionalen Standard verschlossen blieben. Dazu gehören jugend- und schülersprachliche, z . T . -jargonale Wörter (methodisch und sachlich veraltet: M. u. H. Küpper 1972, vgl. Pape 1970), Lexikalisches aus Subkulturen (vgl. Bausinger 1972, 118ff.) und aufgestiegene Regionalismen: anmachen, ursprünglich eine Neubedeutung der Schüler- und Jugendsprache, wird inzwischen auch vom GWdS 1, 146 paraphrasiert: ,auf jmdn. in irgendeiner Weise einwirken u. ihn in einen bestimmten emotionalen Zustand versetzen'. In ähnlicher Weise gehören (durch-) checken (,durch-)prüfen', ticken .verstehen' („Hastu's getickt?"), gebongt ,in Ordnung und erledigt' (,,Is gebongt!") (von bongen ,an der Registrierkasse den zu zahlenden Betrag für etw. auf einen Bon tippen', GWdS 1, 416) zu dem Umgangston der Standardsprache. Auch daß man von diesem Typen (s.o. 5.1.1.) spricht, ihn bisweilen einen Chaoten nennt (vgl. Carstensen 1979, 17 bis 19), der so gern verpennt und manchmal viel Trouble macht, geht auf die Einflüsse der Jugendsprache zurück. Nahezu den Rang eines populären Modewortes nimmt Frustration .Täuschung einer Erwartung' ein, wozu es inzwischen die popularisierte Kurzform: der Frust (vgl. GWdS 2, 911) („Wo waltete die frohe Lust / wohnt heute nur der rohe Frust!" F.A.Z. 26. 9. '78) gibt. (Zu den Termini Neu wort, Typus: Kombinat, Neubedeutung, Typus anmachen und Neuprägung s. WdG 1, 14.) Die lexikalischen Tendenzen konnten nur mit wenigen Beispielen belegt werden. Vor allem das, was unter den Begriff einer lexikalischen Popularisierung gefaßt ist, bedarf des weiteren Nachweises, der hier nur in Form eines Hinweises auf solche Wörter und Wendungen wie: Trip, Message, high, Schuppen (für ,Discothek' u. ä.), auf'η Senkel gehen, auf η Putz hauen, weg vom Fenster sein, das ist nicht mein Bier, motzen, nerven, schlauchen usw.

gegeben werden kann. (Verwiesen sei auch auf die Erzählung „Äpfel auf silberner Schale" von H. J. Schädlich. In: H. J . Sch., Versuchte Nähe. Reinbek 1977, 193-195, in der Jugendjargon in der D D R literarisch verarbeitet ist.) In diesen Zusammenhang gehören auch die geläufigen Modewörter, die ζ. B. in Form der „Entzückungswörter" heute noch frequenter als früher zu sein scheinen. Entzückungswörter bauen eine superlativische Semantik auf, die dem ,Entzücken' des Sprechers Ausdruck geben soll: klasse, astrein, super, stark, steil, toff. Hiervon zu unterscheiden sind die Beglaubigungs- und Bekräftigungswörter, von denen eindeutig echt dominiert, das gram-

matisch in modal-adverbialer Funktion steht: echt gut; echt begabt; echt egal. 6.2. Wortbildungen fügen sprachliche Zeichen zu lexikalischen Einheiten und dienen kommunikativen Bedürfnissen bei der „Textkonstitution" (vgl. Art. 15:5.2.). E i n e r s e i t s ist eine „Tendenz zur Zusammenziehung und Kürzung" zu verzeichnen (Harlass/Vater 1974, 37, Beispiele S. 52f.), die u.a. durch Klammerbildungen demonstriert werden kann: Atomabkommen, Atombombe, Atommacht, Atomstrategie, Atomwaffe, Atomzeitalter usw. (vgl. Moser 1956, 229f.). In die ,Klammer', z . B . Atom- und -abkommen, ist jeweils -kernspaltung- einzusetzen; anders formuliert: diese Fügung ist implizit mitgesetzt. A n d e r e r s e i t s ist eine „Tendenz zur Erweiterung" zu verzeichnen, die Harlass/Vater 1974, 62f. u.a. durch „Präzisierungen" (Elektrorasur, ParteiMarxismus, Stadtlandschaft), „Überpräzisierungen" (Ladengeschäft, eigenverantwortlich, Liegebett), „Komposita mit intensivierendem Bestimmungswort" (Großlager, Qualitätsprismenglas, Superbombe, vollbräunend) und „Komposita mit intensivierendem Grundwort" (Kontrolltätigkeit, Sichtverhältnisse, Villenobjekt) deutlich machen. Die „fast unbegrenzte Kompositionsbildung" nennt das WdG 1, 18 „eine der Grundtendenzen unserer Gegenwartssprache". Man hat das auch als ,,Wörterbäckerdeutsch" bezeichnet. Kürzungen und Erweiterungen genügen jeweils kommunikativ-pragmatischen Anforderungen, die als solche noch nicht notwendig als zeittypisch ausgewiesen sind. Daß gewisse Tendenzen der Wortbildung auch einer solchen inhaltlichen Bestimmung unterliegen, soll - am Beispiel - demonstriert werden. In drei Bänden haben J . Erben und seine Mitarbeiter (Kühnhold/Wellmann 1973; Wellmann 1975; Kühnhold/Putzer/Wellmann 1978) „Typen und Tendenzen [der Wortbildung] in der Gegenwartssprache" (Titel) herausgearbeitet. Unter dem Begriff ,Suffixoid' fassen sie (Kühnhold u.a. 1978, 427) „suffixartige Funktionsträger", wie -reich, »voll, -stark, -schwer, -selig, -froh, -intensiv, -betont, -kräftig, -schwanger, -arm, -schwach, -los, -frei, -leer, -fest, -sicher, -tüchtig, -fähig, -aktiv, -freudig, -tauglich, -fertig, -kundig, -beständig, -echt, -gerecht, -freundlich, -bereit, -reif, -trächtig, -verdächtig, -wert, -würdig, -bedürftig, -pftichtig, -lustig, -willig, -durstig, -hungrig, -(be)gierig, -süchtig, -wütig, -versessen, -toll, -lüstern, -geil, -müde, -ähnlich, -gleich, -artig, -förmig, -färben/-farbig, -gemäß, -getreu, -widrig, -feindlich, -dicht, -orientiert, -nah, -fern, -fremd, -technisch, -eigen.

Suffixoide nehmen den Suffixen wie -lieh und -bar vergleichbare Funktionen wahr, indem sie wie diese (z.B. weltlich, furchtbar) Adjektivableitungen bilden, ζ. B. einflußreich, angstvoll. Die Verfasser sprechen a . a . O . von der „Vielfalt und Produktivität" der Adjektivbildung durch

72. Tendenzen der deutschen Gegenwartssprache Suffixoide; diese Produktivität sei bedingt durch den „wachsendefn] Bedarf an adjektivischen Qualitäts- und Relationsbezeichnungen vor allem in Technik, Wissenschaft, Publizistik, Politik und Werbung [ . . . ] " . In der Tat: Schon einige Suffixoide, wie -arm, -frei, -sicher und -aktiv, -freundlich stammen aus dem Bilderbuch der Werbung (vgl. u.a. Römer 1974, 45; Brandt 1979), wieviel mehr erst die entsprechenden Ableitungen: „im Rauch nikotinarm", ,,kalorienarme Getränke" ,,gardinenfreundliche Jalousien", „kentersicheres Boot", „waschaktive Seife". Die zeittypischsten Bildungen, wenn dieser Superlativ einmal erlaubt ist, sind die mit -arm: Das Bild des Mangels, das arm sonst vermittelt, tritt zurück hinter der, .positiven Wertungskomponente" ( a . a . O . 443): -arm is beautiful. Noch viele zeittypische Adjektivbildungen, auch aus Politik und Wirtschaft (ζ. B. lohnintensiv, kostenintensiv, ausgabenintensiv) und Literatur (ζ. B. rosen- und trümmerschwer) wären anzuführen; auch ein Vergleich mit der sprachlichen Wirklichkeit von 1800: So gibt es etwa zu -stark (Beispiel: spurtstark), zu -tüchtig (Beispiel: funktionstüchtig), -fähig (Beispiel: leistungsfähig), -aktiv (Beispiel: stoffwechselaktiv), -freudig (Beispiel: drehfreudig(er) Motor), -schwach (Beispiel: lernschwach) um 1800 „keine Entsprechungen" (a. a. O. 456). (Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die den aufgeführten Adjektivbildungen vergleichbaren „verbalen Pseudokomposita", wie schutzimpfen, staubsaugen, bergwandem, vgl. M. Asdahl-Holmberg 1976.) 7. Epilog:

Textprobleme

„Sie hören einen Mann, der einen anderen so anredet: ,Rechts - links - jetzt fern - ab - Stand gut - jetzt hinten links - rechts - Bremse - in Ordnung'". Trier (1966) 116 „zitiert" diesen Text und weist auf den Zusammenhang von Arbeit und Sprache hin, den er durch die, Anrede' eines Angestellten des T Ü V ['tyf] ( = Technischer CTberwachungs-Verein) an einen Pkw-Fahrer demonstriert. Die Germanistik hat keine verbindliche Theorie, wie dieser Text in das Gesamt standardsprachlicher Textgattungen und -arten einzuordnen ist. Deshalb ist es ein (nicht nur auf der Grundlage des zur Verfügung stehenden Raums) nahezu aussichtsloses Unterfangen, eine text- und textartenorientierte Tendenzbeschreibung der deutschen Gegenwartssprache geben zu wollen. Allgemeine Ergebnisse der Prager Funktionalstilistik (Sanders 1977), der Texttheorie (S. J . Schmidt 1973), der Texttypologie (Werlich 1975) müßten zusammengeführt und mit Untersuchungen zur Gesprächs- (Henne/Rehbock 1979) und Briefkommunikation (Ermert 1979) sowie Arbeiten zu prägnanten Textarten (Sprache in der Politik,

631

Werbung, Presse, im Rundfunk, Fernsehen usf.) verglichen werden (vgl. Art. 23 bis 30). Tendenzielle Entwicklungen sind zu sehen in einer Verschiebung der Beziehung der Textarten untereinander, der Genese neuer Textarten (Telefon, Fernsehen, Computer, CB-Funk) und deren qualitativer und quantitativer Uber- und Unterordnung (vgl. Schenker 1977). Aus dem Eingriff der Medien in die Texte resultiert u.a. das im Vergleich zu früheren Stadien unvergleichliche Tempo der Sprachveränderungen in unserer Zeit. Um auch hier wenigstens einen Hinweis zu geben: Vielleicht verabschieden sich TÜV-Angestellter und männlicher Autobesitzer mit „Tschüs!" (nachdem sie sich zuvor mit Du angeredet haben). Der Siegeslauf dieser Grußformel war dann nicht mehr aufzuhalten, als Rundfunkmoderatoren (z.B. des NDR) sich so von ihren Hörern verabschiedeten. Die Entwicklung der S p r a c h e nach vorn resultiert aus der variablen Stellung der T e x t e im gesellschaftlichen Leben. 8. Bibliographie

(in Auswahl)

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632

VIII. Historische Aspekte

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Günther Drosdowski, Mannheim Helmut Henne, Braunschweig

IX KONTRASTIVE ASPEKTE

73. Kontrastive Linguistik 1. D e f i n i t i o n und F r a g e n d e r T e r m i n o l o g i e 2 . T h e o r e t i s c h e und deskriptive K o n t r a s t i v e L i n g u i s t i k 3. A n g e w a n d t e K o n t r a s t i v e L i n g u i s t i k 4. B i b l i o g r a p h i e (in A u s w a h l )

1. Definition und Fragen der

Terminologie

Der Terminus „Kontrastive Linguistik" (KL) stellt einen Sammelbegriff dar, für den sich oft auch andere Bezeichnungen wie „Kontrastive Analysen", „Kontrastive Grammatik", „Sprachvergleich". „Komparative Linguistik" sowie „Komparatistische Linguistik" finden. Sicherlich verdankt erstgenannter Ausdruck seine Existenz in erheblichem Maße dem anglo-amerikanischen contrastive linguistics. Darüber hinaus existiert auch noch der Ausdruck „Konfrontative Grammatik". Dieser Begriff entstammt dem Kreise der Leipziger Germanisten und wurde vor allem von L. Zabrocki als eine Bezeichnung gebraucht, die „Kontrastive Grammatik" gewissermaßen mit einschließt. Er geht davon aus, daß bei der „Kontrastiven Grammatik" vor allem die Unterschiedlichkeit zwischen Strukturen herausgestellt wird. „Die

konfrontative

Grammatik

wäre

somit

eine

Art

s y n c h r o n e r vergleichender G r a m m a t i k . I h r e A u f g a b e b e s t ü n d e darin, s o w o h l Ü b e r e i n s t i m m u n g e n als auch U n t e r schiede z w i s c h e n beliebig ausgewählten

Sprachen zu

be-

s c h r e i b e n . D i e k o n t r a s t i v e G r a m m a t i k w ü r d e sich dagegen n u r mit den U n t e r s c h i e d e n befassen. I h r B e r e i c h wäre s o m i t b e g r e n z t e r als der der k o n f r o n t a t i v e n G r a m m a t i k . "

(Za-

brocki, 33.)

Dieser Terminus ist jedoch, vor allem in der anglo-amerikanischen Literatur, nicht besonders populär geworden, was wohl ζ. T . darauf zurückzuführen ist, daß die KL zwar vielleicht in vielen ihrer Abhandlungen den Schwerpunkt auf Beschreibungen von Unterschieden zwischen Sprachsystemen gesetzt haben mag, keineswegs aber nur diese untersucht und dabei etwa die Analyse von Gemeinsamkeiten ganz außer acht gelassen hätte. Außerdem schließt die KL alle Ebenen, auch die semantische, ein. Der Begriff „Konfrontative Grammatik" scheint besonders dann gerechtfertigt zu sein, wenn man darin einen Gegensatz zur sog. „Differentiellen Grammatik" sehen will. Gegen die Verwendung „Komparative", „Komparatistische" bzw. „Vergleichende

Linguistik" spricht die Gefahr der Verwechslung mit „Komparatistischer Philologie" bzw. „Komparatistik" (vgl. 2.1.). So stellt die KL Versuche dar, zwei oder mehrere Sprachen auf allen Ebenen mit Hilfe der Grundlage eines tertium comparationis systematisch miteinander zu vergleichen, wobei statt des ehrgeizigen Ziels, das gesamte System zu beschreiben, in der Praxis meistens nur Teilbereiche miteinander verglichen werden. Diese Versuche unterscheiden sich u.a. durch unterschiedliche Grade der Theorien- bzw. Praxisorientierung untereinander. 2. Theoretische Linguistik

und

deskriptive

Kontrastive

Eine Einteilung dieses Gesamtblocks der KL in zwei Hauptzweige mit jeweils zwei Unterpunkten hat Fisiak 1971 vorgeschlagen: (1) general theoretical contrastive studies (2) specific theoretical contrastive studies. So kann in Anlehnung an diese Aufteilung von einer theoretischen und deskriptiven Kontrastiven Linguistik gesprochen werden, wobei die Grenzen fließend sind. Bei ersterer kommt es zunächst darauf an, Grundvoraussetzungen für den systematischen Vergleich sprachlicher Systeme zu schaffen. Dazu gehören Begriffe wie „Äquivalenz", „Grammatikmodell , „Kongruenz", „Korrespondenz", „Universalien" etc. Darauf bauen dann die eigentlichen, detaillierten Untersuchungen systematischer Art zwischen den einzelnen Sprachen auf (deskriptive KL). 2.1.

Geschichte

Der Gedanke, Sprachen zu vergleichen, ist sehr alt und erlebte besonders im 18. und 19. J h . , vor allem in Deutschland, einen Höhepunkt in der Vergleichenden Philologie (vgl. „Komparatistik", bes. in Art. 7). Das Hauptinteresse dieser vorwiegend historisch orientierten Disziplin galt der Typologie (vgl. Art. 74) und der Rekonstruktion von Ursprachen aufgrund philologischer Vergleiche zwischen verschiedenen Sprachen. Der Schwerpunkt der Analysen lag dabei besonders auf der Phonologie bzw. der Phonetik, Morpho-

634

IX. Kontrastive Aspekte

logie und Lexis, weniger hingegen auf der Syntax. Weiterhin fehlte bei diesen diachronen komparatistischen Forschungen oft der systematische und besonders auch der strukturalistische Ansatz, was u.a. auf das Fehlen eines expliziten Grammatikmodells zurückzuführen ist. Ungeachtet dessen wurde hier, vor allem auf dem Gebiet der Sprachgeschichte, Wertvolles geleistet. Innerhalb der komparatistischen Tradition (u.a. W . v. Humboldt und J . Grimm) wurden - häufig in Verbindung mit typologischen Vergleichen — Wertungsversuche von Sprachen, z . T . unter Identifizierungsversuchen zwischen Sprache und „Volkscharakter" vorgenommen, die sich manchmal bis in die jüngste Zeit fortgesetzt haben. Im 20. J h . war es zunächst vorwiegend die Prager Schule, die sich besonders unter V . Mathesius im Rahmen ihrer funktionsorientierten Sprachwissenschaft erneut kontrastiven Problemen zuwandte. Im Vordergrund stand dabei der Gedanke, mit Hilfe analytischer Methoden zu einem besseren Verständnis des eigenen sprachlichen Systems zu gelangen. Im Prinzip sind jede Grammatik und jedes Lexikon kontrastiv in dem Sinne, daß jede Beschreibung einer Sprache bzw. ihrer Teilbereiche dem Nicht-Muttersprachler implizit als Kontrast zu seiner eigenen erscheinen wird. Moderne Sprachvergleiche im Rahmen der K L zeichnen sich im wesentlichen durch systematischen und expliziten Ansatz und ebensolches Analyseverfahren aus. Neben theoretischen Erwägungen (Sprachuniversalien, Sprachtypologie, Testen der Gültigkeit von Grammatikmodellen und anderer sprachtheoretischer Hypothesen) wirkte auf die moderne K L vor allem das wachsende Interesse an Problemen der Angewandten Linguistik ein. Weiterhin lassen sich Geschichte und Entwicklung der K L in einem klaren Abhängigkeitsverhältnis von der Entwicklung der Linguistik allgemein aufzeigen (zu letzterem Punkte vgl. u.a. Art. 4 und 5). Besonders Vorstellungen des taxonomischen Strukturalismus und der T G , jedoch auch solche der Tagmemik, Stratifikations-, Kasus- und Valenzgrammatik sowie der funktionalen Grammatik (vgl. „ R h e m a " und „ T h e m a " ) bildeten Hauptgrundlagen von Analysen der K L . Vor allem aber die alte, aber erst in der T G systematisch aufgebaute Dichotomie von „ T i e f e n " - und „Oberflächenstruktur" schien für solche Vergleiche besonders geeignet zu sein. J e nach theoretischer Ausrichtung ergaben sich dann entsprechende Schwerpunkte für Lexis bzw. Syntax und solche innerhalb dieser beiden Gebiete für den Ein- bzw. Ausschluß psychologischer und/oder soziologischer Faktoren sowie die besondere Betonung bzw. Vernachlässigung stilistischer, kultureller und semantischer Komponenten.

2.2. Heutiger Stand und Tendenzen Sie lassen sich auf folgende Weise kurz charakterisieren: Das seit Jahrzehnten rege Interesse an Problemen und Möglichkeiten der K L , das sich bei Kongressen in den dafür zuständigen Sektionsbereichen immer wieder zeigte, ist von zunehmender Tendenz. (Vgl. hierzu u.a. die in der Bibliographie aufgeführten Kongreßberichte.) Die Zahl wissenschaftlicher Projekte hat im Vergleich zu früher zugenommen. Ihre Zielsetzungen sind mannigfacher Art. Unterschiede sind nachweisbar z . B . im Grad der Anwendungsorientierung, der Anwendung unterschiedlicher Grammatikmodelle und linguistischer Auffassungen besonders im Zusammenhang mit den sog. „ B i n destrichsprachwissenschaften" und schließlich u.a. in ihrer unterschiedlichen Bindung an die Fehleranalyse. Analog zum wachsenden Interesse an pragmatischen Fragestellungen innerhalb der theoretischen Linguistik zeigt sich auch hier ein wachsendes Interesse an der kreativen Verarbeitung pragmatischer Elemente ( z . B . Deixis-Kategorien, illokutives Element, kommunikatives Handeln, kommunikative Kompetenz etc.). Allgemein pragmatisch ist auch heute die Vorstellung, daß eine Verbindung verschiedenster Ansätze, vor allem auch eine Integration wertvoller Erkenntnisse traditioneller Grammatiken, nicht ohne Aussagewert für die K L sind. Lagen früher besonders phonologische, morphologische und syntaktische Interessen bei kontrastiven Analysen vor, so stellt man heute ein Anwachsen von lexikalischen, semantischen, stilistischen, textuellen und kulturellen Aspekten bei solchen Analysen fest. Das Interesse an sprachtypologischen Fragestellungen ist auch wieder gewachsen. Insgesamt spiegelt die aktuelle Situation den Pluralismus der Perspektiven wider. Ein synchroner Schnitt gäbe gleichsam das Bild eines diachronen Querschnittes durch die Geschichte und Entwicklung der K L wieder. J e nach Zugehörigkeit zu bestimmten linguistischen Konzepten gibt es unterschiedliche Arten und Intensitäten der theoretischen Linguistik in der Korpusorientierung. Analog zur Entwicklung in der modernen Linguistik läßt sich auch hier eine stärkere Korpusorientierung feststellen. Hinzuweisen ist schließlich darauf, daß die K L nicht nur Nationalsprachen miteinander, sondern auch innerhalb einer Landessprache Dialekte sowie unterschiedliche Register miteinander vergleicht. Damit wird auch gleichzeitig das Interesse der K L an der Soziolinguistik und Dialektforschung deutlich.

2.3.

Kritik

Die Hauptkritik gegen die theoretische und deskriptive K L basiert vor allem auf dem Problem

73. Kontrastive Linguistik der schwierigen Vergleichbarkeit von Sprachen, wobei auch immer wieder das Problem der Identität von Denkinhalten zwischen den Sprachen auftaucht (Coseriu, 39-58). Im Zusammenhang damit wird auch immer wieder Kritik laut am Prinzip der Äquivalenz, die in verschiedenster Form akzeptiert oder zurückgewiesen wird. Oft wird mit dem Begriff der „Übersetzungsäquivalenz" gearbeitet, womit sich deutlich die Nähe zur Übersetzungswissenschaft ergibt. Die Kritik an der deskriptiven KL hat darüber hinaus einen Schwerpunkt in der Unvollständigkeit bisher erstellter Grammatiken sowie in der Verwendung umstrittener linguistischer Konzepte, wie z . B . dem der „Tiefen"- u. „Oberflächenstruktur". 3. Angewandte

Kontrastive

3. 1. Definition gewandten

und Stellung innerhalb Linguistik

Linguistik der An-

Innerhalb der sog. „Angewandten Linguistik" (AL) nimmt die „Angewandte Kontrastive Linguistik" (AKL) einen wichtigen Platz ein (vgl. Art. 92). Schwieriger als im theoretisch-deskriptiven Bereich läßt sich hier Fisiaks vorgeschlagene Einteilung in zwei Bereiche rechtfertigen: (1) general applied contrastive studies (2) specific applied contrastive studies. Im weiteren Sinn versteht man unter AKL jede Art von Anwendung theoretischer kontrastiver Ansätze auf alle nur möglichen Gebiete (u.a. Literatur- und UbersetzungsWissenschaft), im engeren jedoch vor allem auf solche innerhalb des Lehr- und Lernprozesses besonders von Fremdsprachen. 3.2.

Fehleranalyse

Enge Zusammenhänge bestehen zwischen der AKL und der Lernpsychologie bei der Transferbzw. Interferenzproblematik (vgl. Art. 74 u. 75). Besonders die Fehleranalyse (vgl. Art. 92) steht in einem komplementären Verhältnis zur AKL. Wurden ursprünglich auch oft Fehleranalyse und AKL gleichgesetzt, so hat sich inzwischen erstere längst verselbständigt. Grob geschätzt wird ungefähr nur noch die Hälfte aller Fehler kontrastiven Quellen zugeschrieben. Die Verselbständigung hat zu Begriffen wie interlanguage geführt (vgl. auch Corder). Neben linguistischen Faktoren spielen bei Fehlerursachen auch psychologische und soziologische Quellen eine Rolle. Besonders, jedoch nicht ausschließlich, sind die sog. intrastrukturalen Fehler auf andere als auf kontrastive Gründe zurückzuführen (z.B. „Übergeneralisierung" auf dem Wege von Analogien). Häufig ist es schwierig, kontrastive Faktoren von nichtkontrastiven zu trennen. Sie wirken oft zusammen.

3.3. Angewandte Kontrastive Fremdsprachenunterricht

Linguistik

635

und

Die Komplexität des Sprachunterrichts und besonders des Fremdsprachenunterrichts ist viel zu groß, als daß kontrastive Faktoren allein für Gelingen oder Mißlingen in kausaler oder finaler Art maßgeblich sein könnten. Dennoch sind gemäßigte Anwendungsmöglichkeiten, z . B . bei Problemen wie „linguistische Progression", „Strukturierung", bei der Erstellung von Lehrmaterialien, „Tests", „Fehlerbewertung", „Didaktik" und „Methodik" nicht zu leugnen (wegen Schaubild und weiterer Erklärungen vgl. Nickel/ Wagner 1968, 233-255; vgl. auch Art. 92). Immer wieder muß aber vor einer einseitigen Uberbewertung des kontrastiven Elements gewarnt werden. Das gilt auch für die Erstellung sog. Hierarchien von Lernschwierigkeiten (vgl. Nickel 1971, 219 bis 277). 3.4. Heutiger

Stand

Analog zu den entsprechenden Punkten im theoretischen und deskriptiven Bereich zeigt sich auch hier ein stark differenzierender und divergierender Pluralismus. In Abhängigkeit besonders vom theoretischen Bereich (Grammatikmodelle) zeigen sich hier verschiedene Tendenzen, von denen einige stärker psycho- andere stärker soziolinguistisch und pragmatisch orientiert sind. Unterschiedlich ist auch die Einschätzung der Einwirkungsmöglichkeiten der AKL auf die verschiedenen Elemente des Sprachunterrichtes. Unterschiede ergeben sich weiterhin hinsichtlich der Meinungen betreffs Kombinierbarkeit der AKL mit Fehleranalysen und der Beteiligungsmöglichkeit des kontrastiven Elementes an der Erstellung strukturierter Progressionen in Lehrmaterialien. Gemäßigte Kompromisse zwischen grammatischlinguistischen und sog. pragmatisch-situativen Einstellungen sind für die Zukunft abzusehen. 3.5.

Kritik

Die Kritik kommt u. a. aus dem Bereich der „pädagogischen Grammatik", die das kontrastive Element nur als eines von mehreren sehen will. Sie kommt weiterhin aus dem Bereich der interlanguage -Konzeption, die Fehler z . T . muttersprachenunabhängig sieht und ihnen damit gewissermaßen Universaliencharakter zuerkennen möchte. Schließlich kommt sie auch aus lernpsychologischen Sektoren. Die Minorität von Wissenschaftlern, die Erst- mit Zweitsprachenerwerb weitgehend gleichsetzen will, hat logischerweise weniger Verwendungsraum für die AKL als andere, die darin einen neuen und andersartigen Vorgang sehen. Besonders die Verfechter sog.

636

IX. Kontrastive Aspekte

„ N a t u r m e t h o d e n " und natürlicher Situationsabfolgen im Aufbau von Lehrmaterialen wollen der A K L nur einen geringen Stellenwert zubilligen. (Zur Kritik allgemein vgl. darüber hinaus auch C. James und K. Sajavaara.) 4. Bibliographie

(in

Auswahl)

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74. Sprachtypologie 1. 2. 3. 4.

1.

Definition Klassifikation von Sprachtypen Zur typologischen Charakterologie des Deutschen Bibliographie (in Auswahl)

Definition

1.1. Unter Sprachtypologie versteht man die Bestimmung allgemeiner linguistischer Kategorien als Basis für die Klassifizierung von Sprachen nach Typen unabhängig von ihrer historischen Entstehung. Die typologische Sprachvergleichung ist also von der genetischen Sprachvergleichung, d. h. von der Untersuchung des historischen Zusammenhanges miteinander nach ihrem Ursprung verwandter Sprachen scharf zu trennen. Im besonderen bedeutet Sprachtypologie die generalisierende Typologie der Sprachen nach Ähnlichkeit bzw.

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Gerhard Nickel,

Stuttgart

Unähnlichkeit des Sprachbaus. Diese Sprachvergleichung ist mit der Annahme von zweierlei Universalien verbunden: (1) von universellen Merkmalen der menschlichen Sprache schlechthin, die den Hintergrund für die Verschiedenheiten des Baus der verglichenen Sprachen bilden, (2) von universellen Kriterien, die der Typologisierung zugrunde Hegen. 1.2. Neben dieser generalisierenden Sprachtypologie als Teil der Sprachtheorie b z w . als Disziplin der allgemeinen Sprachwissenschaft gibt es aber noch die charakterologische Sprachtypologie, deren Ziel es ist, den Bau einer einzelnen Sprache mit Hilfe typologischer Kriterien zu charakterisieren (s. 3.), und die kontrastive oder konfrontierende Sprachtypologie, die einige wenige (meist zwei oder auch drei) Sprachen einander gegenüberstellt und miteinander vergleicht (vgl. Art. 73 „Kontrastive Linguistik").

74. Sprachtypologie 637 1.3. Ein hervorragendes Ziel der Sprachtypologie muß es sein, ganze Sprachsysteme miteinander zu vergleichen (whole-system-typologies). Gewöhnlich und besonders in ihrer generalisierenden Variante (1.1.) begnügt sie sich mit dem Vergleich von Teilsystemen (subsystem-typologies, vgl. 2.2.1.) aufgrund von ganz wenigen typologischen Kriterien. Oft behandelt sie überhaupt nur Teile des Inventars einer Sprache, d.h. einzelne Sprachfakten ohne Berücksichtigung ihres systemhaften Bezugs in der jeweiligen Sprache. 1.4. Schließlich sei noch die Arealtypologie erwähnt: Sie untersucht Ähnlichkeiten benachbarter, oft unverwandter Sprachen, die untereinander nicht nur Wörter und Formen entlehnen, sondern sich auch in ihrer inneren Sprachform einander angleichen. Den Begriff „innere Sprachform" führte W. von Humboldt ein, um den geistigen Gehalt der äußeren Form zu bezeichnen (vgl. Art. 76 „Interferenzlinguistik" und 45 „Areallinguistik"). (Lit. zu 1.: Dressler 1967, Ellis 1966, Uspensky 1968, Birnbaum 1975, Jucquois 1975, P. Ramat und L. Renzi: in Ramat 1976, mit weiterer Literatur.) 2. Klassifikation 2.1.

von

Sprachtypen

Forschungsgeschichte

2.1.1. Die charakterologische Sprachtypologie entstand in der Zwischenkriegszeit in der Prager Schule der strukturellen Linguistik (V. Mathesius), die konfrontierende (kontrastierende) erst nach dem Zweiten Weltkrieg ebendort (V. Skalicka) bzw. als kontrastive Linguistik in angelsächsischen Ländern .Die generalisierende Sprachtypologie hat eine wesentlich ältere Geschichte (vgl. Kuznecov 1956, und [kritisch] Coseriu 1972): Als wichtigster Wegbereiter im 18. Jh. darf der Engländer Adam Smith gelten, der die spätere Unterscheidung von analytischen und synthetischen Sprachen (3.2.2.) vorweggenommen hat. Von ihm hängen zu Beginn des 19. Jhs. die Brüder Friedrich und August Wilhelm Schlegel ab, mit denen ja auch die deutsche und europäische historische und vergleichende Sprachwissenschaft ihren Anfang genommen hat. Bis heute wirkt die auf A. W. Schlegel zurückgehende Klassifikation der Sprachen in drei Haupttypen nach, nämlich in (1) isolierende Sprachen, in denen die Wörter unveränderlich sind, (2) agglutinierende („zusammenklebende") Sprachen, in denen die Beziehungen zwischen den Wörtern durch gleichbleibende Affixe ausgedrückt werden, (3) flektierende Sprachen, in denen die Affixe verschmolzen sind und auch innere Flexion möglich ist. 2.1.2. Die wie immer nicht einfach darzustellenden Ansichten Wilhelm von Humboldts (s. Coseriu 1972) sowie die Beiträge anderer deutscher Sprachwissenschaftler des 19. Jhs. zu refe-

rieren würde zu weit führen. Bis heute wichtig ist die Klassifikation Franz Nikolaus Fincks (1909) in acht Haupttypen, der als Beispiel für jeden Typ jeweils eine Sprache beschreibt: (1) Wurzelisolierend ist z . B . die chinesische Sprache, für die die Nebeneinanderstellung unzerlegbarer Wörter, die kein Zeichen der Zugehörigkeit zu einer grammatischen Kategorie an sich tragen, typisch ist. Für die Syntax ist die Wortstellung entscheidend. (2) Stammisolierend ist das Samoanische, in dem es zum Unterschied vom Chinesischen derivationelle Affixe gibt (Typ Fisch-er), aber natürlich keine flexi vischen Affixe (Typ Rind-er). Diesem Typus kommt in gewisser Beziehung das Englische nahe. (3) Subordinierend (unterordnend) ist die türkische (oder ungarische) Sprache, für die die Agglutination lose angefügter Affixe charakteristisch ist, vgl. ev ,Haus', ev-im ,mein Haus', evim-den ,aus meinem Haus', ev-ler ,Häuser', evler-im-den ,aus meinen Häusern', wo das Türkische zum Unterschied von der deutschen Ubersetzung eine eindeutige Beziehung zwischen Form und Funktion aufweist. (4) Anreihend ist ζ. B. die am Sambesi gesprochene Bantu-Sprache Subiya, in der die Wörter im Satz ohne starre Wortfolge aneinander gereiht werden. Ihre Zusammengehörigkeit und Zugehörigkeit zu Kategorien (Klassen) wird mittels Präfixen signalisiert, vgl. etwa die Übersetzung von ,Die beiden schönen Kinder sind gekommen' ins Suaheli: wa-le die wa-toto Kinder wa-zitri schöne wa-wili zwei wa-me-kuja sind gekommen In dieser Klassensprache wird die Kongruenz durch Klassenpräfixe wie eben wa angezeigt. (5) Typisch wurzelflektierend sind die semitischen Sprachen, z . B . das Arabische, in dem die Zuordnung zu Kategorien im wesentlichen durch innere Flexion zustande kommt, nämlich hier durch vokalischen Ablaut, ζ. B. kätab ,er schrieb', kätib ,Schreiber', kitäb ,Buch'. (6) Stammflektierend sind fast alle indogermanischen Sprachen, in denen die flexivischen und derivationellen Affixe miteinander so stark verschmelzen, daß keine eindeutige Beziehung zwischen Form und Funktion besteht. Fincks Beispiel ist das Neugriechische, z . B . i kal-ί pater-es ,die guten Väter', Genitiv ton kal-όηpater-on, wo ein Affix zugleich Numerus und Kasus bezeichnet (anders als im Türkischen). (7) Gruppenflektierend sind das Georgische und andere Kaukasussprachen, in denen die Flexions-Affixe zum Unterschied von den stammflektierenden Sprachen an alle Wörter einer zu-

638

IX. Kontrastive

Aspekte

sammenhängenden Wortgruppe antreten, z.B. ,(er geht) in die Stadt der Samaritaner' entspricht lat. in urb-em Samaritano-rum, wo das AkkusativAffix nur an urb-(s) ,Stadt' tritt, aber georg. k'alak'-sa Samaritel-t'a-sa, wo das entsprechende Affix -sa auch der Genitivform ,der Samaritaner' hinzugefügt wird. (8) Inkorporierend (einverleibend) ist die grönländische Eskimosprache, in der sehr viele grammatische Elemente des Satzes dem Verbum als Affixe einverleibt werden. Eine Annäherung an diesen Typ stellt das Französische dar, wo man je ne l'entends (pas) ,ich höre ihn nicht' durchaus als einziges Wort bezeichnen kann, in dem dem Verbum drei unselbständige Affixe vorangestellt werden. Das Grönländische geht aber hier viel weiter, vgl. die Übersetzung von ,ich verschaffe mit etwas zu einer Fischschnur Geeignetes': äulisa-ut-iss'aQ-siwu-rja ,Fisch-Werkzeug-Geeignetes-Erlangung-meine'. 2.2. Kritik der modernen

Sprachtypologie

An einer solchen (bis heute tradierten) Sprachtypologie (2.1.2.) kann die moderne Linguistik sehr viel kritisieren bzw. ihre Bedeutung stark einschränken (vgl. Dressler 1967 mit Lit.). 2.2.1. Es handelt sich um eine Subsystem-Typologie (s. 1.3.), in der morphologischen Mitteln zum Ausdruck der Gliederung des Gedankens viel zu viel Gewicht beigelegt wird. Dazu werden subjektive Einteilungskriterien verwendet ohne Bezug auf eine Theorie der Sprachwissenschaft oder auch nur der Sprachtypologie. 2.2.2. Die Kriterien sind syntagmatischer Natur, d.h. es wird die Verteilung und Verbindbarkeit von Elementen auf der Zeitachse untersucht. Es ist aber auch eine paradigmatische Sprachtypologie möglich (Dressler 1967, § 3), die das Vorhandensein, die Struktur und Funktion einer Opposition prüft (vgl. 3.2.1.). 2.2.3. Die klassifikatorische Sprachtypologie (2.1.) stellt reine Idealtypen auf, die in der Wirklichkeit fast nicht vorkommen, da nahezu alle Sprachen Mischformen zwischen den Idealtypen darstellen. Um die Darstellung dieser kontinuierlichen Übergänge zu ermöglichen, müßte eine immer weitergehende Unterteilung der Idealtypen erfolgen. (Zu einer solchen Hierarchisierung vgl. Benveniste 1966, 11 Iff.). Dabei ist die Menge der verwendeten Kriterien umgekehrt proportional zu der Menge der Sprachen, die einem Typ angehören. Besser ist es hier schon, mit empirischen Durchschnittstypen im Rahmen einer topologisch ordnenden Begriffsbildung zu arbeiten, noch besser (Hempel-Oppenheim 1936, Dressler 1967 § 2) zu einer quantitativen, d.h. numerisch ordnenden Typologie vorzustoßen. D . h . es wird nicht mehr geprüft, ob ein Kriterium in Sprache Β vorhanden

ist oder nicht, sondern ob es mehr oder weniger stark vertreten ist als in Sprache A, bzw. dieser Grad wird zahlenmäßig angegeben. Der bekannteste Vertreter dieser mathematischen Sprachtypologie ist Greenberg 1957 (vgl. idem in Ramat 1976), doch vergleiche auch Krämsky 1959 und jetzt besonders Altmann-Lehfeldt 1973). Dabei ist es besonders wichtig zu wissen, wie typologische Indizes so wie etwa die Verhältnisse Wort/Morphem, Wort/Wurzel, Agglutination/Wortverbindung usw. zueinander in Beziehung stehen (vgl. auch Altmann-Lehfeldt 1973, 108ff.). 2.3. Theorie und

Methodik

2.3.1. Ein wichtiges Problem der Sprachtypologie ist: Soll man induktiv verfahren, indem man Elemente einiger weniger Sprachen abstrahierend miteinander identifiziert und die Untersuchung auf immer mehr Sprachen ausweitet (vgl. Dressler 1967)? Oder soll man deduktiv von einem apriorischen Maximalmodell ausgehen und dieses empirisch falsifizieren und verifizieren (ζ. B. Uspensky 1968)? Beides wird in der Forschungsstrategie Hand in Hand gehen müssen, vgl. auch HempelOppenheim (1936, 83f.) zur Relativität des Gegensatzes von induktiver und deduktiver Typologie. 2.3.2. Eines ist jedenfalls notwendig: die explizite Verbindung der Typologisierung mit einer möglichst konsistenten Sprachtheorie. Dazu eignet sich z . B . eine generative Theorie, die über genügend inhaltliche und formale Universalien verfügt. Einen kurzen Versuch einer generativen Typologie unternahm Ruzicka 1971, implizit auch alle Generativisten, die Syntax, Semantik oder Phonologie (vgl. 3.2.2.) in modernen Sprachen verglichen (vgl. Romporti 1977). 3. Zur typologischen Deutschen

Charakterologie

3.1. Nach Trubetzkoys

typologischer

des Definition

Genetisch ist das Deutsche eine indogermanische Sprache. Ist es dies auch noch typologisch? Uberprüfen wir diese Frage anhand der typologischen Definition des Indogermanischen durch Trubetzkoy (1939, kritisch Benveniste 1966), die sechs Punkte umfaßt. (1) Es besteht keinerlei Vokalharmonie (diese zeigt sich ζ. B. in türk. ev-ler-im-den und oda-larlm-dan, ,aus meinen Zimmern'). Ebensowenig im Deutschen. (2) Der Konsonantismus des Anlauts ist nicht ärmer als der des Inlauts und des Auslauts: Im Deutschen sind inlautende und auslautende Gruppen wie Hengst(e) im Anlaut unmöglich. Oder anlautende Gruppen wie in Pflanze gibt es aus-

74. Sprachtypologie lautend in der umgangssprachlichen Aussprache Apfl statt Apfel. Natürlich gibt es komplementäre Verteilungen: h wird im Anlaut, aber nicht im Auslaut gesprochen, dafür gibt es aber im Anlaut nicht ng oder das ch von ach. (3) Das Wort muß nicht unbedingt mit der Wurzel beginnen: vgl. Ge-sang, er-leben und andere Komposita. (4) Die Formbildung geschieht nicht nur durch Affixe, sondern auch durch vokalische Alternationen innerhalb der Stammorpheme, vgl. den Ablaut in war - gewesen und in den starken Verba wie singen - sang - ge-sung-en. (5) Außer den vokalischen spielen auch freie konsonantische Alternationen eine morphologische Rolle: Im Deutschen sehr selten, vgl. den grammatikalischen Wechsel s/r in war-gewesen. (6) Das Subjekt eines transitiven Verbums erfährt dieselbe Behandlung wie das Subjekt eines intransitiven Verbums: vgl. deu. transitiv Sie kocht das Fleisch und intransitiv Das Fleisch kocht bzw. Sie kocht vor Wut oder Es kocht in ihr. Im Georgischen würden jeweils verschiedene Fälle verwendet werden. (7) Da aber Trubetzkoys Kriterien willkürlich herausgegriffen sind und auch sonst nicht den Anforderungen an eine Sprachtypologie (vgl. 2.2., 2.3.) entsprechen, u.id da es auch sonst keine ausgearbeitete Theorie und Methodik der Typologisierung ganzer Sprachsysteme gibt, müssen wir uns mit Subsystemtypologien begnügen (1.3., 2.2.1.). 3.2.

Phonologie

Auf der lautlichen Ebene sind u. a. folgende Möglichkeiten der typologischen Charakterisierung des Deutschen gegeben: 3.2.1. Wenn wir die paradigmatischen phonologischen Oppositionen strukturalistisch untersuchen (vgl. 2.2.2., Dressler 1967, 2ff., Pottier 1968, 300ff., Jucquois 1975, 57ff.), können wir z . B . feststellen, daß wie in den anderen europäischen Sprachen (und zum Unterschied von vielen ozeanischen Sprachen) die Opposition von stimmhaften und stimmlosen Lauten vorhanden und gut vertreten ist (graphisch p : b , d : t , g : k , v : f , z : s , j:ch). Anders als z . B . in den romanischen Sprachen werden aber die Oppositionen weniger durch das Merkmal der Stimmhaftigkeit unterschieden als durch den Grad der Muskelspannung (LenisFortis), die Stimmhaftigkeit der Lenis ist meist nur fakultativ und jedenfalls nicht distinktiv. 3.2.2. Im Rahmen der generativen Phonologie (vgl. 2.3.2.) können die phonologischen Prozesse des Deutschen charakterisiert werden, z . B . der Prozeß der Schwächung unbetonter, nachtoniger Vokale. Dieser Prozeß ist im Deutschen sehr stark ausgebildet (schwächer in Bretonisch und prak-

639

tisch gar nicht in der Nachbarsprache Ungarisch), denn nach dem Akzent ist in unbetonten Silben fast immer nur e erlaubt, das bereits in langsamem Tempo zu einem zentralen Murmelvokal [a] geschwächt wird und beim flüssigen nachlässigen Sprechen meist ganz verschwindet, ζ. B. haben als [ha:bm, ha:m] (vgl. W. Dressler in Romporti 1977). 3.2.3. Fürden Vergleich phonologischer Sprachtypen besonders geeignet erscheint die jeweilige Artikulationsbasis, d.h. die charakteristischen Bewegungen der Artikulationsorgane und ihre Ruhestellung. Die deutsche Artikulationsbasis liegt z . B . weiter hinten als die französische, aber weiter vorn als die englische. Diese Zwischenstellung zeigt sich sowohl bei der neutralen Position der Zunge als auch bei dem Grad und der Energie der Lippenartikulation oder bei dem Artikulationsort der Dentale (frz. addental, dt. dentialveolar, engl, alveolar), vgl. zuletzt James (1977). 3.2.4. Relativ einfach ist auch der typologische (syntagmatische) Vergleich der Silbenstruktur, da die durchschnittliche oder die maximale Zahl der Konsonanten, die in einer Silbe dem Vokal vorausgehen und folgen können, gezählt und verglichen werden können: Die maximale Formel (K = Konsonant, V = Vokal) ist für das Deutsche K K K V K K K K in strolchst [Jtro^st], liegt also weit über der der polynesischen Sprachen mit KV (z.B. Ma-o-ri), erreicht aber nicht schwedische Konsonantenhäufungen (ζ. B. skälmskts) oder gar die mancher Indianersprachen wie Kalispel stctcsmaX^tstc. Konsonanten können (außer in pst) nie silbische Akzentträger sein (vgl. tschechisch vlk ,Wolf'). 3.3.

Morphologie

3.3.1. Auf dem Gebiet der Morphologie, wo die syntagmatische Typologie (2.2.2.) vorherrscht, ist das Deutsche im wesentlichen eine stammflektierende Sprache, hat aber auch Elemente der Wurzelflexion (2.1.2.) im vokalischen Ablaut (3.1.4.), den das Deutsche aber weniger verwendet als viele altindogermanische Sprachen wie z . B . Gotisch, Altgriechisch, Altindisch, oder gar als die semitischen Sprachen, doch hat es erheblich mehr starke Verben als das Afrikaans. In der Deklination spielt der Ablaut seit der germanischen Frühzeit keine Rolle mehr. Doch ist synchron gesehen der Umlaut dafür ein gewisser Ersatz, da die Alternation zwischen Bruder und Brüder bzw. Gebrüder usw. morphologisch bedingt ist und nicht mehr phonologisch wie im Althochdeutschen. 3.3.2. Sehr alt ist die Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Sprachen. In den analytischen Sprachen werden die grammatischen Funktionen durch eigene Wörter ausgedrückt, in

640

IX. Kontrastive Aspekte

den synthetischen Sprachen durch Stamm- oder Wurzelflexion. Das Deutsche ist weniger synthetisch als die meisten indogermanischen Sprachen, aber weniger analytisch als Französisch und Englisch, vgl. lat. capit-is, dt. des Kopf-es, f r z . de la tete, engl, of the head. Die süddeutschen Dialekte sind allerdings analytischer als die Hochsprache, denn sie ersetzen das synthetische Imperfekt (kam) durch das analytische Perfekt (ist gekommen) und umschreiben sogar den possessivischen Genitiv: dem Vater sein Haus statt des Vater-s Haus. 3.3.3. In der Kombinatorik der kleinsten morphologischen Einheiten, der Moneme, die entweder lexikalische Einheiten (Lexeme) oder gebundene grammatische Elemente (Morpheme) sind, ist das Deutsche ziemlich großzügig. Den Lexemen können Morpheme sowohl vorangestellt (präfigiert) als auch nachgestellt (suffigiert) werden, vgl. un-tröst-lich und trost-los. Für die reiche Komposition von Lexemen ist das Deutsche (etwa im Gegensatz zum Französischen) berüchtigt, vgl. Donaudampfschiffahrts ... 3.4.

Syntax

3.4.1. Auf dem Gebiet der Syntax kann eine paradigmatische Typologie (2.2.2.) nicht daran vorbeigehen, daß das Deutsche keine Aspektsprache ist, während das Lateinische und die romanischen Sprachen den perfektiven (auf die Vollendung der Verbalhandlung bezüglichen) und den imperfektiven (unvollendeten) Aspekt immerhin in der Vergangenheit unterscheiden (passe simple bzw. compose gegenüber imparfait), die slavischen Sprachen in allen Tempora, ähnlich das Englische durch seinen Gegensatz zwischen simple und expanded (progressive) form. 3.4.2. Für eine syntagmatische Typologie der Syntax ist die Wortstellung besonders wichtig. Hier ist das Deutsche eine Sprache mit relativ freier Wortstellung, mit freierer als das Englische und weniger freier als die slavischen Sprachen. Mit der Zweitstellung des Verbums (V) im Hauptsatz (wenn ein Aussagesatz) und der Endstellung in den meisten Nebensätzen, läßt sich das Deutsche nicht so starren Typen zuordnen wie das Englische oder Französische mit SVO (S = Subjekt, Ο = Objekt), das Altirische mit VSO, das Türkische mit SOV usw. Vgl. dt. Er schlägt ihn (SOV), Ihn schlägt er (OVS), Heute schlägt ihn er (xVOS), Heute schlägt er ihn (xVSO). In der generativen Syntax (vgl. Rüzicka 1971) ist aber die Wortstellung, wie sie sich in der O b e r flächenstruktur der aktuellen Rede darbietet, weniger wichtig als die Wortstellung der zugrundeliegenden Tiefenstruktur: Diese wird meist als SOV angenommen. In der satzsemantischen Basis nehmen viele Generativisten überhaupt keine syn-

tagmatische Reihenfolge der Elemente an. Neuerdings beginnt die Wortstellung der Oberflächenstruktur in der Typologie wieder stark beachtet zu werden ( z . B . Vennemann in Romporti 1977). 3.5.

Wortschatz

Im Wortschatz und in der Wortsemantik ist eine Typologie besonders schwer (Dressler 1967, 7f.). Einen interessanten Versuch hat Ullmann 1953 unternommen, der unter anderem berücksichtigt: (1) Das Verhältnis von motivierten ( d . h . semantisch syntagmatisch analysierbaren) und unmotivierten Wörtern (vgl. dt. Fleisch-er, motiviert durch Fleisch gegenüber unmotiviertem Metzger). Hier hat das Deutsche viel mehr motivierte W ö r ter als das Französische, Italienische oder auch z . T . das Englische, z . B . Schlittschuh -patin patino - skate, aber hineingehen - entrer - entrare - to go in, hinausgehen - sortir - sortire - to go out, usw. (2) Das Verhältnis partikulärer und genereller (abstrakter) Termini: hier ist das Deutsche konkreter als das Französische, während das Englische in der Mitte steht, vgl. setzen, stellen, legen mettre - to put; gehen, reiten, fahren, fliegen können mit aller—to go wiedergegeben werden; schreiben, niederschreiben — ecrire - to write, write down. (3) Den Ausdruck affektivischer Nebenbedeutungen: das Deutsche kann dazu z . B . Verkleinerungsformen (Deminutiva) verwenden, z . B . Weibchen, Weiblein. Das Italienische besitzt diese Möglichkeit in viel reicherem Maß, das Französische fast gar nicht, vgl. donnetta -petite femme, donnina /donnettina -une petite femme gracieuse, donniccinola - femme niaise. (4) Einen Vorschlag zu einer strukturellen Typologie von Wortfeldern machte Coseriu (1975). 4. Bibliographie

(in

Auswahl)

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75. Sprachkontakt /Mehrsprachigkeit

641

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75. Sprachkontakt/Mehrsprachigkeit

sungen komplizierter ist (s. z.B. Vildomec 1966, Munske 1972, Oksaar 1977). Sprachkontakt wird aus vier Perspektiven untersucht, die große Durchlässigkeit erlauben (vgl. Clyne 1972, 1975): eine (system)linguistische (Forschungsbereich Sprache), eine psycholinguistische (Forschungsbereich Individuum), eine soziolinguistische (Forschungsbereich Gemeinschaft) und eine pragmalinguistische (Forschungsbereich Kommunikationsprozeß).

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

1.

Geschichtliches Definitionen und Kategorien Linguistische Perspektive Psycholinguistische Perspektive Soziolinguistische Perspektive Pragmatische Perspektive Bibliographie (in Auswahl)

Wolfgang Dressler,

Wien

Geschichtliches

Die Historiolinguistik und Areallinguistik befassen sich schon lange mit Sprachkontaktfragen. Dennoch wird erst bei Weinreich (1953) und Haugen (1956) ein theoretischer Rahmen ausgearbeitet. Durch Anwendung sozio- und psycholinguistischer Theorien und Methoden konnte sich das Gebiet wesentlich entwickeln, und es hat zur Kenntnis beider Randdisziplinen beigetragen. 2. Definitionen

und

Kategorien

Unter Mehrsprachigkeit verstehen wir (nach Weinreich 1953, 1) den abwechselnden Gebrauch von mehr als einer Sprache. Van Overbeke (1972, 112—8) unterscheidet zwischen normativen Definitionen (die Mindestbedingungen voraussetzen), methodologischen (Minimaldefinitionen) wie „Die Zweisprachigkeit beginnt, wo der Sprecher (einer Sprache) vollständige inhalttragende Äußerungen in der anderen Sprache erzeugen kann" (Haugen 1953, 7) und beschreibenden Definitionen (die sich ebenfalls auf den Gebrauch zweier oder mehrerer Sprachen beschränken und den Typ der Mehrsprachigkeit (z.B. oral, visual; sending, receiving) näher beschreiben. Haugens Einwände gegen normative Definition, sie stellten unmögliche Ansprüche und machten die Mehrsprachigkeit zu etwas Unsichtbaren, werden heutzutage vielfach akzeptiert. Am meisten erforscht wird die Zweisprachigkeit. Handelt es sich um drei oder mehr Sprachen, so haben wir mit einem ähnlichen Prozeß zu tun, der aber angesichts der mehrfachen Beeinflus-

3. Linguistische 3.1.

Perspektive

Transferenz

Als Transferenz bezeichnen wir die Übernahme von Elementen, Merkmalen und Regeln aus einer anderen Sprache und als Transfer eine Transferenzerscheinung. (In manchen Werken wird der Terminus Interferenz angewandt für jede Abweichung von der Norm in einer Sprache, die auf Kenntnis einer anderen zurückzuführen ist.) Wir können unterscheiden zwischen verschiedenen Transferenztypen (s. auch unten Art. 76-80); Lexikalisch - die Transferenz von Lexemen (Form und Inhalt), z.B. Pizza, Steak, Fondu. Semantisch - die Transferenz von Sememen (Bedeutungseinheiten), z.B. resignieren (im Sinne von „sein Amt aufgeben", als Kopie des englischen Modells, resign, d.h. die bestehende deutsche Bedeutung wird durch interlinguale Identifikation (Weinreich 1953) nach dem englischen Modell erweitert. Betz (1949) unterscheidet zwischen: Lehnbedeutung (Transferenz einer Bedeutung auf ein einheimisches Wort, Lehnübersetzung (genaue Glied-für-Glied-Übersetzung des Vorbildes, z.B. Wolkenkratzer < skyscraper), Lehnübertragung freie Teilübertragung, z.B. Vaterland < patria). Morphematisch - die Transferenz von gebundenen Morphemen, z.B. Düsseldorfer (Adjektiv) im Englischen von Englischsprachigen in Deutschland. Phonologisch — die Transferenz eines Phonems (phonematisch) oder eines Phons (phonisch).

642

IX. Kontrastive Aspekte

Sie ist oft auf Unter- oder Überdifferenzierung zurückzuführen, (s. Weinreich 1953, 14-28). Prosodisch - die Transferenz von Nachdruck oder Intonation. Syntaktisch - die Transferenz einer syntaktischen Regel, z.B. der deutschen für die englische Verbstellung im Hauptsatz - Often came he to Germany, (s. Weinreich 1953, 2 9 ^ 6 ) . Graphematisch - die Transferenz von Graphemen, z.B. dt. shrieben für schreiben unter Englishsprachigen. (s. Clyne 1972, 41-7). 3.1.1.

Ursachen der

Transferenz

Transferenz hat sowohl linguistische wie auch soziolinguistische Ursachen. Wichtige Faktoren sind z.B. Phonemlücken und das relative Prestige einer Sprache (phonologische Transferenz), unterschiedliche Relationsregeln, Morphemfunktionsänderung, größere Explizität (syntaktische), lexikalische Unzulänglichkeit, niedrige Frequenz des entsprechenden Wortes der Empfängersprache, Synonymbedürfnis, komplexere Syntax der Empfängersprache (lexikalische Transferenz) (Weinreich 1953, Clyne 1972, 1975). 3.1.2.

Integration

Lexikalische Transfers werden oft in das phonologische, morphologische, graphematische und semantische System der Empfängersprache eingegliedert. Phonologische Integration heißt die Ersetzung von der Empfängersprache unbekannten Phonemen und phonematischen Distributionsregeln, z . B . dt. [Jvimir)Kpu:l]. Morphologische Integration umfaßt Anpassung an das Genus-, Kasus-, Numerus- und Tempussystem der Empfängersprache, z.B. die Zuordnung von Substantiven aus dem Englischen zu deutschen Genera (s. Clyne 1975, 32-3). Graphematische Integration bedeutet die Ersetzung von Graphemen, die der Empfängersprache fremd oder ungewöhnlich sind. Semantische Integration heißt die Umstrukturierung des Wortfeldes, um dem Transfer einen festen Platz im Wortschatz zu verleihen, z.B. Frühstück für ein deutsches, breakfast für ein englisches Frühstück. Im Sprachkontakt wären zu untersuchen: Integrationstyp, Integrationsgrad (denn Transfers bilden ein Integrationskontinuum) und Stabilität der Integration, (vgl. Clyne 1975 , 30-9). Eine höhere Integrationsstufe kann puristische Einstellungen, größere Familiarität mit den Gesprächspartnern oder aber Unkenntnis der Quellensprache widerspiegeln. Es werden auch Kompromißformen (Kontaminationen) zwischen Formen der beiden Sprachen

gebildet (z.B. ['Kontinent], engl. ['Kontinent], dt. [KDnti'nent]; Lunchzeit, engl, lunchtime, dt. Mittagszeit. 3.1.3.

Sprachpurismus

In Deutschland pendelt die offizielle Einstellung gegenüber Transferenzen zwischen einer kosmopolitischen, aufgeschlossenen (18. J h . , Mitte des 19. Jhs., seit 1945) und einer nationalistischpuristischen Haltung (17. Jh., frühes 20. Jh., vor allem Nazi-Zeit). 3.2.

Sprachwechsel

Sprachwechsel von einer Sprache zur anderen mitten im Satz bzw. Text, ist zurückzuführen auf: Auslösewörter, die entweder beiden Sprachsystemen angehören oder mir Elementen beider Systeme syntaktisch verbunden sind, oder soziolinguistische Variablen. Unter den Auslösewörtern befinden sich lexikalische Transfers, homophone Lexeme, Eigennamen und zwischensprachliche Kompromißformen (Clyne 1972a, 25; Hasselmo 1961; Stolt 1964, 57, 297-8). Die Auslösung findet entweder konsequent (nach dem Auslösewort) oder antizipierend (in dessen Erwartung) statt. Obwohl dieses Phänomen auch bei unverwandten Sprachpaaren erscheint, trägt ähnliche oder interlingual identifizierte Syntax, die die Sprachdistanz vermindert, zur Wahrscheinlichkeit des Sprachwechsels bei. Unter soziolinguistischen Variablen, die den Sprachwechsel auslösen, sind: Gesprächspartner, Domäne (Tätigkeitssphäre, wie z.B. Familie, Arbeit, Schule), Thema, Ort, Interaktionstyp (wie z . B . Rede, Geschäftsverhandlung, freundschaftliches Gespräch), Rollenverhältnis. Sprachwechsel ist das Gegenstück zur integrierten lexikalischen bzw. semantischen Transferenz innerhalb des Kontinuums von Sprachkontakterscheinungen. 4, Psycholinguistische 4.1. Erwerb der

Perspektive

Mehrsprachigkeit

4.1.1. Das Prinzip (Grammont 1907) ,,une personne, une langue" (das Kind identifiziert die beiden Sprachen mit verschiedenen Personen) hat sich immer wieder bewährt. Spätestens um das Alter von 3V2 Jahren können zweisprachige Kinder ihre Sprachen unterscheiden (Swain 1973). 4.1.2. Wenn man eine Sprache zu lernen beginnt, entwickelt man (Selinker 1972) eine eigene Version der Zielsprache, eine pidginisierte Interlanguage (Schumann 1974). 4.1.3. Die Sprechgewohnheiten der meisten Menschen werden zwischen dem Alter von etwa 8

75. Sprachkontakt/Mehrsprachigkeit und 10 (bis vielleicht 12) eingefroren. Penfield (1959) schreibt dies der vermindernden Plastizität des Gehirns nach dem 1. Jahrzehnt zu. Der Begriff einer „Altersgrenze" im Zweitsprachenerwerb kommt auch in linguistischen Studien der Transferenz vor (Haugen 1953, Clyne 1972). Jetzt wird die Altersgrenze vielfach durch psychologische Gewohnheitsbildung erklärt (Rosansky 1975, Krashan 1976). 4.2.

Vor- und Nachteile

der

Mehrsprachigkeit

Die Vorkriegsliteratur zum Thema hebt meist schädliche Aspekte der Mehrsprachigkeit hervor. Es handelt sich vielfach um politisch tendenziöse Studien, sozioökonomisch oder sonst unkontrollierte oder von sprach- und kulturabhängigen Intelligenztests abhängige Untersuchungen. Neuere auf statistisch durchgeführten empirischen Tests beruhende Forschungen finden im allgemeinen, daß Mehrsprachigkeit und Intelligenz unabhängig voneinander sind. Bei einigen schneiden Bilinguale am besten ab. Hervorgehoben werden schnellere Trennung von Form und Inhalt, höhere verbale Intelligenz, größere psycholinguistische Fähigkeit, Kompetenz zum divergierenden Denken. Außerdem sei die Mehrssprachigkeit Schlüssel zu mehreren Kulturen (s. Clyne 1975, 74-80). 4.3. Bilinguales

Lernen

Beweise aus verschiedenen Ländern (s. Clyne 1975, 81) weisen darauf hin, daß Kinder am besten in der dominanten Sprache lesen und schreiben lernen, daß der Transfer zur zweiten Sprache sehr schnell erfolgt, sobald sie sie beherrschen. Ebenfalls lernen zweisprachige Kinder die zweite Sprache besser, wenn sie sich der ersten mächtiger sind. Auch Kinder, die während ihrer Schulzeit das Land wechseln, garantiert zweisprachiger Unterricht Kontinuität der Erziehung ohne unnötige Unterbrechung. Mackey (1972) entwirft 450 Typen des bilingualen Unterrichts. Wir können unterscheiden zwischen: (1) Unterricht in zwei Sprachen, eine für manche Fächer und eine für andere, (2) Unterricht in zwei Sprachen, wo manche oder alle Fächer in beiden Sprachen gelehrt werden, je nach Inhalt, Lehrer, Wochentag oder Tageshälfte, (3) Unterricht in zwei Sprachen, die beide in derselben Stunde verwendet werden. 4.4.

Verhältnis zwischen den

Sprachen

4.4.1. Dominanz: Einige Psycholinguisten messen den relativen Zweisprachigkeitsgrad nach Ge-

643

schwindigkeit der Reaktion zu Tests (s. z . B . Lambert 1955, 1956). Ervin (1954) konstatiert aber unter japanisch-englischen Zweisprachigen unterschiedliche Assoziationen in beiden Sprachen, und Jakobovits (1967) lehnt Geläufigkeitsund Flexibilitätstests als Maßstäbe des relativen Bilinguismus ab, da sie den Persönlichkeits Wechsel nicht berücksichtigen. Cooper und andere (1968) gebrauchen Wortnennungs- und Assoziationstests, um den Kontext der Dominanz zu prüfen (z.B. Familie, Arbeit). 4.4.2. Interdependenz linguistischer Systeme: Lambert und seine Kollegen führten zahlreiche Versuche durch, um zu unterscheiden zwischen Compound bilinguals, deren semantische Systeme mindestens zum Teil verschmolzen sind, und coordinate bilinguals, deren Lexeme mit verschiedenen Inhalten verbunden sind. Seit 1969 werden Personen danach klassifiziert, ob sie von Kindheit an zweisprachig waren. Die Dichotomie wird jetzt vielfach abgelehnt (s. Diller 1970). 4.i.

Psycholinguistische wechsel

Versuche 2um

Sprach-

Versuche, wo Zweisprachige „mischsprachliche" Sätze lesen und bilden (Kolers 1966) und wo sie Sätze mit Sprachwechsel wiedergeben (Clyne 1975, 91), heben die Sprachneutralität des Dekodierungsprozesses und die Realität der Einheiten Satz (clause) und Phrase hervor. 4.6. Bilinguismus hei

Alternden

Viele Bilinguale kehren aus neuropsychologischen oder soziologischen Gründen durch den Prozeß des Alterns zur ersten Sprache zurück (Clyne 1977a). 5. Soziolinguistische

Perspektive

Diese umfaßt das Verhältnis Sprache und Gesellschaft, insbesondere die Fragestellung „Wer spricht welche Sprache zu wem und wann?" (Fishman 1965) (s. oben 3.2.). Der soziolinguistische Begriff Diglossie steht dem (psycho)-linguistischen Multilinguismus gegenüber. Er hebt hervor, daß jede Sprache (oder Varietät) seine gesellschaftliche Funktionen hat. Nach Kloss (1967, 1969, 99-101) beschränkt sich die Zahl gleichrangiger Sprachen einer Gesellschaft auf drei. 5.1. Diglossie und

Mehrsprachigkeit

Nach Fishman (1967) lassen sich unterscheiden: (1) Diglossie und Zweisprachigkeit, wo es sich um Zweisprachigkeit einer höheren (H) und einer niedrigeren Sprache (L) handelt, z.B. Hochdeutsch (H), Schweizerdeutsch (L) in der Schweiz.

644

IX. Kontrastive Aspekte

(2) Zweisprachigkeit ohne Diglossie: Individueller Bilinguismus ohne Funktionsverteilung der Sprachen. Das ist z.B. für die Kommunikation in Ein Wandererfamilien kennzeichnend. (3) Diglossie ohne Zweisprachigkeit: Trotz soziokultureller und sprachlicher Trennung vereinigte Gemeinschaften. Vor dem 1. Weltkrieg besaßen Elite und Volk in manchen Ländern keine gemeinsame Sprache. 5.2. Spracherhaltung

und

Sprachumstellung

5.2.1. Faktoren: Unter den Faktoren, die zur Spracherhaltung (language maintenance) führen, befinden sich religiös-gesellschaftliche Insulierung, Sprachinseln und Erfahrung mit Spracherhaltung vor der Auswanderung. Sonst gibt es „ambivalente" Faktoren, die entweder zur Spracherhaltung oder zur Sprachumstellung (language shift) führen können, z . B . Bildungsniveau der Einwanderer, Zahlenstärke, Ähnlichkeit zur dominanten Bevölkerung. (Kloss 1966). 5.2.2. Spracherhaltungsinstitutionen: Als spracherhaltungsfördernd wirken z . B . ethnische Schulen, ethnische Medien, Vereine und manche Religionsgemeinschaften. 5.3. Abstands-und

Ausbauprinzip

Sprachen können bestimmt werden nach dem Abstandsprinzip (d.h. sie können wegen der Distanz zu anderen Sprachen Anspruch auf Autonomie bekommen) oder nach dem Ausbauprinzip, wobei sie durch „Sprachplanung" die Funktionen einer Standardsprache erhalten (Kloss 1952). 5.4. Pidgin- und

Kreolsprachen

Steht eine Zielsprache mit mehreren Basissprachen in Berührung (wie unter den Gastarbeitern in der Bundesrepublik Deutschland, wo Deutsch mit Griechisch, Italienisch, Serbokroatisch, Spanisch und Türkisch Kontakt hat), kann ein Pidgin entstehen (Whinnom 1968, 106). Zu den Merkmalen von Pidgins, die niemandes Muttersprache sind, gehören beschränkter Wortschatz und Verminderung der Redundanz (DeCamp 1968, 15). Ein zur Muttersprache einer Gemeinschaft gewordenes Pidgin nennt man eine Kreolsprache (ζ.Β. Sranan in Surinam). Theorien über die Entstehung von Pidgins: Monogenese (alle Pidgins seien aus einem Ur-Pidgin entstanden, z . B . Thompson 1961); Uni Versalien (sie repräsentieren eine natürliche Stufe der Sprachentwicklung, ζ. B. Bickerton 1975). Pidgins oder Kreolsprachen werden als Kontinuum mit drei Schnittwerken betrachtet die reduzierteste Form Basilekt, den Akrolekt, der zur ehemaligen Standardsprache gravitiert, und den Mesolekt dazwischen.

5.5. Deutsch der

Gastarbeiter

Die von der Gastarbeiterwelle der 60er und frühen 70er Jahre ausgelösten sprachlichen und pädagogischen Probleme blieben lange unberücksichtigt. Zum „Basilekt" gehören folgende Charakteristiken: Wegfall von Artikel, Präpositionen, Subjektpronomen, Kopula und Hilfswesen, Verallgemeinerung einer bestimmten Verbalform, Neigung zum Weglaß gebundener Morpheme und zur Parataxis, verallgemeinerter Gebrauch von du, nix für nicht(s). Im Mesolekt ζ. B. Verallgemeinerung des bestimmten Artikels die. (Heidelberger Forschungsprojekt 1975, 1976, Gilbert und Orlovic 1975, Meisel 1975, Clyne 1968). Viele dieser Merkmale tauchen nicht nur bei ausländischen Arbeitnehmern verschiedener unverwandter Muttersprachen (keine Interferenz) sondern auch bei Deutschen auf, wenn sie zu Gastarbeitern sprechen. (vgl. Meisel 1975). Meisel (1975, 1977) lehnt „Pidgin" für das Deutsch der Gastarbeiter ab (vgl. Fox 1977). Bedeutsam ist die marginale gesellschaftliche Lage des Gastarbeiters in der Bundesrepublik Deutschland. Die Heidelberger Forschungsgruppe behandelt das Deutsch der Gastarbeiter und ungesteuerten Spracherwerb bei Italienern und Spaniern im Kommunikationskontext (einschl. Arbeit) durch Interviews und teilnehmende Beobachtung. Die Heidelberger Forschungsgruppe (1975) beschreibt Regeln nach der Reihenfolge der Erlernung und konstatiert steigende und fallende Tendenzen zu konstatieren (z.B. Präposition + Subjekt + Nominalkomplex ist eine frühe Regel, Verbalkomplex + Verbalphrase kommt später und Verbalkomplex + aux VP viel später). Verschiedene Regeln entwickeln sich entweder schnell im Anfangsstadium, gleichförmig oder erst im letzten Stadium. Folgende Faktoren üben einen Einfluß auf die Sprache aus: Kontakt mit Deutschen am Arbeitsplatz; Aufenthaltsdauer; Einreisealter; Dauer des Schulbesuchs und Qualifikationen; Wohnsituation. Bei jugoslawischen Kindern im Essen (Stölting 1977) ist Deutsch vielfach zur dominanten Sprache geworden, die Interferenzen im Serbokroatischen veranlaßt. Meisel (1977) untersucht den Regel-Erwerb bei Italienern, Spaniern und Portugiesen in Wuppertal in einer Langzeitstudie: Oft rücken bei ihnen ,,Pidgin"-Merkmale in den Hintergrund. Meyer-Ingwersen, Neumann und Kummer (1977) behandeln die Schwierigkeiten türkischer Schüler, anhand deren sie die Bedeutung des Elements des bewußten Erfassens im Unterricht betonen. Bodemann und Ostow (1975) untersuchen bei der Kommunikation zwischen Gastarbeitern und Deutschen in den Bereichen Arbeit, Gericht und Verwaltung u.a.: (1) die Rolle der „Weisen" (von der Firma als

75. Sprachkontakt/Mehrsprachigkeit Dolmetscher ausgelesene Arbeiter), die Sprachkenntnis und Berufserfolg monopolisieren, (2) du als Zeichen der Macht. (Hier wird du trotz der extremen asymmetrischen Situation in Umgang zwischen L und Η verwendet), (3) Akzentuierung und Endungen bei Schwaben in der Kommunikation mit Gastarbeitern. Hinsichtlich der Probleme der schulpflichtigen Kinder ausländischer Arbeitnehmer, sind wichtig: (1) die sprachliche Entwicklung im Deutschen, damit das Kind in deutschsprachiger Umgebung handeln kann (wo es vielleicht bleiben wird), (2) die eventuelle Reintegration des Kindes ins Schulsystem des Herkunftslandes. Besonders zweisprachige Kurse, Lehrkräfte und Lehrmaterialien müßten zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt werden, die die bikulturelle, bilinguale Situation des Kindes und dessen Familie berücksichtigen. Psychologische und soziale Probleme entstehen dadurch, daß die Kinder die Sprache und Kultur ihrer Eltern geringschätzen. Die Haussprache muß mit der geistigen Entwicklung des Kindes schritthalten. 6. Pragmatische

Perspektive

Die bisherige Forschung hat von den Ansätzen der Pragmatik und der kommunikativen Kompetenz nur wenig Gebrauch gemacht. Clyne (1977, 1978) entwickelt aufgrund interkultureller Versuche mit italienischen, griechischen und deutschsprachigen Einwanderern in Australien und einer australischen Kontrollgruppe allgemeine Regeln ( z . B . wie man überredet [vgl. auch Danet 1969] oder ironisiert, Diskurskanäle, kulturgebundene Regeln für das Abhalten von Sitzungen) und spezifischen Regeln (wo die Formel für die Realisierung des Sprechakts verschieden ist - engl, excuse me, dt. Goodbye beim Verlassen eines Restauranttisches - oder in einer Kultur nicht besteht - dt. Guten Appetit, engl. 0). Die allgemeinen Regeln scheinen leichter zu erwerben zu sein als die spezifischen. Kommunikationskonflikt ergibt sich, wo die Regel die Würde des Individuums bedroht mit Bezug auf Macht, Vertrauen oder Solidarität. Barkowski, Harnisch und Kumm (1976) weisen auf die mangelnde Interaktion zwischen Deutschen und türkischen Gastarbeitern hin, die mit dem unterschiedlichen Dialogtempo in den beiden Sprachen zusammenhängen könnte. Die Du-SieDichotomie ist schon lange Objekt vergleichender Sprachstudien ( z . B . Brown & Gilman 1960). Die pragmatische Perspektive soll die nicht-verbale Kommunikation nicht außer acht halten (s. Efron 1941). 7. Bibliographie

(in Auswahl)

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645

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646

IX. Kontrastive

Aspekte

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76. Interferenzlinguistik

minanten (Mutter-)Sprache nicht aus; i. a. hat jeder Mensch nur e i n e Muttersprache. Mehrsprachige Menschen, die mehrere Sprachen in ihrer Ganzheit, dem jeweiligen culture context (Ervin/ Osgood) entsprechend gebrauchen, sind selten. In Mehrsprachigkeitsgebieten ist häufig ein Teilbereich (z.B. die Lexik des Familienlebens) die Muttersprache, ein anderer (z.B. die Lexik der Amtssprache) die Bildungssprache. Die Int. kommt unter Mehrsprachigkeitsbedingungen in beiden/allen Richtungen zur Geltung, die Muttersprache wirkt jedoch am stärksten. Die Int. ist hier naturgemäß beim Sprachgebrauch von Menschen, deren Mutter- und Bildungssprache die gleiche ist, geringer als bei Angehörigen nationaler Minderheiten. Individuelle und soziale Faktoren bestimmen den Grad der Int. Die soziale Bewertung der Int. ist territorial unterschiedlich und verquickt sich mit der Bewertung des Dialekt- und Soziolektgebrauchs (vgl. Große/Hutterer). 2.1.2. Der Kontakt Muttersprache-Bildungssprache muß zwar nicht notwendigerweise, kann jedoch zur Int. führen. Versteht man unter Bildungssprache schlechthin die Sprache, in der man seinen Schulunterricht erhält, so wirkt diese im Sinne des unter 2.1.1. Ausgeführten kaum auf die Lexik der in der Familie gesprochenen Sprache. Ein wesentlich anderes Verhältnis besteht in sol-

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

1.

Definition Vorkommensbereiche der Interferenz Erscheinungsformen der Interferenz Der Prozeß der Interferenz Methoden der Untersuchung Erkenntnistheoretische Aspekte der Interferenz Bibliographie (in Auswahl)

Definition

Interferenz (Int.) ist die durch die Beeinflussung von Elementen einer anderen oder der gleichen Sprache verursachte Verletzung einer sprachlichen Norm bzw. der Prozeß dieser Beeinflussung. 2. Vorkommensbereiche

der

Interferenz

Eine Int. ist möglich zwischen zwei Sprachen und innerhalb einer Sprache. 2.1. Eine Int. zwischen zwei Sprachen kann vorkommen unter allgemeinen Mehrsprachigkeitsbedingungen, bei dem speziellen Kontakt Muttersprache-Bildungssprache und beim Lernen fremder Sprachen. 2.1.1. Die Mehrsprachigkeit (z.B. in ElsaßLothringen) schließt das Vorhandensein einer do-

Michael G. Clyne, Clayton

(Australien)

76. Interferenzlinguistik

chen historischen Epochen, wenn die Muttersprache auf den Stand einer wenig gelehrten Bildungssprache gehoben werden soll, so z . B . während der „Europäisierung der Germania" (Betz) und der Spracherneuerung in Ungarn (Martins). Dies sind die Zeiten, wenn die meisten Lehnprägungen entstehen. Lehnprägungen sind, bevor sie sprachimmanent werden, als Verstöße gegen die Norm aufzufassen (vgl. 5.1.). Die Richtung der Int. ist zwar i.a. Bildungssprache —> Muttersprache, die Bildungssprache nimmt jedoch muttersprachliche Elemente zu Hilfe, um neue Begriffe „durchsichtig" zu machen (vgl. aber 4.2.). 2.1.3. Beim Lernen fremder Sprachen ist der Einfluß der fremden Sprache auf die Muttersprache ein praktisch zu vernachlässigender Faktor, der entgegengesetzte Einfluß dagegen von grundlegender Bedeutung. Die Dominanz der Muttersprache ist selbst nach längerem Lernen der fremden Sprache kaum eliminierbar und deshalb ein/ das Hauptproblem des Fremdsprachenunterrichts. Eine Int. dritter und weiterer gelernter Sprachen hat bisher wenig den Gegenstand der Forschung gebildet (vgl. aber ζ. B. Stedje). 2.2. Innerhalb einer Sprache tritt die Int. i.a. als Analogie im weitesten Sinne des Wortes in Erscheinung. Bei laut-, bedeutungs- und schriftähnlichen Elementen kommen Verwechslungen vor, deren Bekämpfung bzw. Prävention Aufgabe des Schulunterrichts und der Sprachpflege ist. Beispiele: formal/formell, scheinbar Janscheinend, Seite /Saite (vgl. Müller). Die einschlägige Literatur nennt diese Erscheinung gewöhnlich nicht Int., sie ist es aber per definitionem. Als Int. innerhalb einer Sprache können auch Dialekt—» Hochsprache- bzw. interdialektale Störungen angesehen werden (vgl. Dialekt/Hochsprache-Reihe; Protze/Michalk). Das Problem ist besonders im Deutschen aktuell, weil hier so große phonische, lexikalische und z . T . auch grammatische Unterschiede bestehen wie in nur wenigen anderen Sprachen. Beispiele: die Unterschiede der Artikulation des Graphems eu im mittleren und nördlichen Teil des deutschen Sprachgebiets [ ® ] und in einem großen Teil des Südens [££]; Schornstein /Kamin /Rauchfang. Einige deutsche Dialekte (z.B. Obersächsisch) sind interferenzfähiger als andere (z.B. Niederdeutsch). Die Ursachen dafür sind wenig erforscht. — Da die einschlägige Literatur die innersprachliche Int. zum großen Teil im Rahmen der Analogie behandelt, wird im weiteren nur die Int. zwischen zwei Sprachen behandelt. 3. Erscheinungsformen

der

Interferenz

Wir unterscheiden drei Erscheinungsformen der Int.: die phonetische, die grammatische und die lexikalisch-seman tische.

647

3.1. Eine phonetische Int. erfolgt, wenn eine lautliche Eigentümlichkeit der Ausgangssprache in der Zielsprache nicht vorhanden ist, oder wenn eine lautliche Eigentümlichkeit der Ausgangssprache einer der Zielsprache mehr oder weniger ähnlich ist und deshalb mit ihr identifiziert wird. Apperzeptions- und Erzeugungsfähigkeit korrelieren hier miteinander: was man nicht oder nicht genau hört, kann man nicht oder nur schwer aussprechen, und vice versa (Kainz Bd. III, 286). Beispiele: Richtung Deutsch —» Fremdsprache: das Englische hat die präpalatalen Spiranten [s/z] und die dentalen Spiranten [θ/δ], das Deutsche dagegen nur [s/z]. Der akustische und physiologische Unterschied der engl. Laute ist für den Deutschen gering und bewirkt deshalb die Gefahr der Int.: er spricht thing so aus wie sing, wenn der Unterschied noch nicht genügend automatisiert ist. Richtung Fremdsprache —» Deutsch: im Deutschen gibt es die Laute [o/cc], im Russischen nicht. Bei geringer Übung artikuliert der Russe in bestimmten Positionen den Laut [ja] (russisches Graphem e), der ein Ergebnis der teilweisen Assimilation durch Palatalisierung und einer graphematischen Anlehnung ist. - Die phonetische Int. macht sich - übrigens in allen interlingualen Relationen — besonders bei der Wortbetonung und Intonation bemerkbar. 3.2. Eine grammatische Int. kann erfolgen, wenn eine morphologische bzw. syntaktische Eigentümlichkeit der Ausgangssprache in der Zielsprache nicht vorhanden oder die entsprechende Funktion anders strukturiert ist. Beispiele: Das Englische hat ζ. T . eine andere (festere) Gliedfolge als das Deutsche. Infolgedessen überträgt der Deutsche bei ungenügenden englischen Fertigkeiten die deutsche Gliedfolge auf die englische: Er kommt immer rechtzeitig - *He comes always in time. Im Ungarischen steht das Substantiv mit allen attributivischen Kardinalzahlen im Singular, im Deutschen - mit Ausnahme von ein — im Plural. So entsteht die Form härom könyv — *drei Buch. — Eine der charakteristischsten Erscheinungsformen der grammatischen Int. ist die bei der Valenz, so ζ. B. die aufgrund des russischen mesat'komu-libo (Dativ) gebildete deutsche Form "jemandem stören. Die syntaktische Einbettung hängt mit der Distribution bzw. der Bedeutung des Wortes zusammen, z . B . bestehen a/ + Akk.; b/ + aus + Nomen im Dativ; c/ + auf + Nomen im Dativ; usw. Daher führt nicht nur die syntaktische Valenz, sondern auch die Identität der/einer lexikalischen Bedeutung des Verbs zur Int. in der anderen Sprache, wo sie in Form einer falschen syntaktischen Fügung und/oder einer semantischen Inkompatibilität auftritt. 3.3. In interlingualer Relation ist eine methodologisch säuberliche Trennung von Lexik und

648

IX. Kontrastive Aspekte

Grammatik noch schwieriger als intralingual. Wir beschränken hier deshalb idealiter die semantische Int. auf die lexikalisch-semantische. Der Extremfall einer lexikalisch-semantischen Int. ist die Sprachmischung, z . B . wenn ein Amerikaner in einem deutschen Restaurant sagt: „Bitte, ohne potatoes!", vorausgesetzt, er kennt das Wort Kartoffel. In vielen Fällen ist es schwer zu beurteilen, ob der Gebrauch eines fremden Wortes das Ergebnis einer Int. oder aber ob das fremde Wort eben im Begriff ist, in der Sprache integriert zu werden, ζ. B. legitim für gerechtfertigt in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg im Sprachgebrauch der deutschen Linguisten. Die verbreitetste - weil natürlichste — Erscheinungsform ist die lexikalische Inkompatibilität, so z . B . die auf Analogie der deutschen kompatiblen Wörter hin gebildete französische Form *nourrir avec la bouteille anstatt nourrir au biberon. Diese Art von Bildung ist eine prinzipiell andere als die der bewußten Sprachplanung, wo die Int. als solche nur so lange besteht, bis die gemeinsame Verwendung von Lexemen sich in eine Kompatibilität verwandelt (vgl. Lauffer, 453), etwa im Ahd. menschliche Hoffnung. Ähnlich verhält es sich bei der Wortbildung, so z . B . dem Kompositum Wolkenkratzer nach skyscraper (vgl. 5.1.). Eine spezielle Form der lexikalisch-semantischen Int. ist die der sog. faux amis (falsche Freunde des Übersetzers). Im engeren Sinne sind dies solche Wörter - seltener Syntagmen - , die aus einer anderen Sprache übernommen worden sind, in der übernehmenden Sprache jedoch ihre Bedeutungsstruktur verändert haben. Beispiel: der Phonembestand des französischen Adjektivs noble und der des deutschen nobel sind einander ähnlich. Auch ihre Bedeutungsstrukturen haben Gemeinsames, das französische hat jedoch eine Realisierung ,adlig', das deutsche nicht. Infolgedessen besteht die Möglichkeit, daß ein Deutsch sprechender Franzose nobel gebraucht, wenn er einen Adligen meint. Klein erweitert den Begriff auf alle Möglichkeiten der Verwechslung infolge interlingualer Ähnlichkeiten.

4. Der Prozeß der

Interferenz

Bei jeglichem Kontakt von Sprachen spielt das Streben nach Äquivalenz eine ausgleichende Rolle. Dieser Prozeß der Konvergenz verläuft jedoch unter unterschiedlichen Umständen auf z . T . unterschiedliche Weise, und deshalb gestaltet sich auch der Prozeß der Int. unterschiedlich. 4.1. Wenn Gemeinschaften mit unterschiedlicher Muttersprache neben/miteinander leben, so ist die Konvergenz einerseits spontan, andererseits stärker als in jedweden anderen Fällen. Beispiele: Ungamdeutsche artikulieren die ungarischen Le-

nes im Anlaut oft wie Fortes, weil die in Ungarn gesprochenen odt. Dialekte im Anlaut - besonders bei den Mediae - kaum Lenes kennen. Der Prozeß der Int. auf lexikalischem Gebiet wird begünstigt durch die staatsspezifische Benennung von Institutionen und Begriffen, die in der Muttersprache keine Entsprechung 1:1 hat, so ζ. B. das für .Landeskunde' gebrauchte Wort civilisation in Frankreich. Deutschsprachige Studenten sagen dort i.a. Zivilisation und weichen damit von der auf deutschem Sprachgebiet gebrauchten Norm ab, allerdings ohne daß dadurch Kommunikationsstörungen entstehen. 4.2. Wesentlich anders verhält es sich dann, wenn die Muttersprache mit einer anderen Sprache in Kontakt kommt und diese Trägerin einer eindringenden Kultur ist. In solchen Fällen spielt die mehr oder weniger bewußte Sprachplanung eine relevante Rolle. Betz hat für diese Art von Sprachkontakt und damit von Int. ein praktikables Modell geschaffen. Er beweist anhand der ahd. Benediktinerregel, daß der Prozeß der Int. in erster Linie durch verschiedene Lehnprägungen und nur sekundär durch Lehnwörter zur Geltung kommt. Um das fremde Kulturgut und die Begriffsbildung so effektiv wie möglich eindringen zu lassen, werden „durchsichtige" Lexeme der Muttersprache zu Hilfe genommen und mit ihnen sowohl auf der Ebene der Wortbildung als auch auf der der Syntagmatik neue Kopplungen eingeführt. Die zunehmende Wirkung der internationalen Kontakte und der verbalen Medien (Presse, Rundfunk) im 20. Jh. beschleunigt den Prozeß der Int. auch ohne Sprachplanung. Da heute viele Menschen fremde Sprachen sprechen bzw. lernen, hat sich das Gewicht auf die Übernahme von Phonem- bzw. Graphemreihen verlagert, so z . B . beim amerikanischen Wort administration — Administration für die Bezeichnung der Regierung bzw. Regierungsorgane der USA. Der Prozeß der Int. geht häufig so vor sich, daß die Artikulation an die Muttersprache angelehnt wird. 4.3. Der Prozeß der Int. beim Lernen fremder Sprachen hat eine ihm eigentümliche Spezifik. Nicht nur der kulturelle Unterschied zwischen den Sprachgemeinschaften und der typologische Unterschied zwischen den Sprachen, sondern auch individuelle Eigenschaften des Lernenden und situative Umstände des Lernens wirken sich auf den Prozeß der Int. aus. So ist z . B . das Alter des Lernenden ein wesentlicher Faktor: je älter man ist, desto stärker ist die Int. der Muttersprache. Auch die Person des Lehrers kann bei der Int. mitbestimmend sein: hat der Lehrer die gleiche Muttersprache wie der Schüler, so verfügt er häufig nicht über die genügende Kompetenz, so daß der Schüler selbst von ihm interferierte Formen hört. Diese und andere Umstände erschweren die Untersuchung der Int. beim Lernen frem-

76. Interferenzlinguistik d e r Sprachen. Andererseits jedoch zeigt sich b e i m L e r n e n f r e m d e r Sprachen d e r P r o z e ß der I n t . in einer solchen F o r m , wie p r ä g n a n t sie u n t e r anderen U m s t ä n d e n nicht erscheint. Folgendes M o d e l l besitzt einen s o w o h l linguistischen als auch lerntheoretischen kognitiven W e r t u n d ist mit Eins c h r ä n k u n g e n der I s o m o r p h i e auch f ü r 4.1. u n d 4.2. gültig. 4 . 3 . 1 . Besteht zwischen E l e m e n t e n z w e i e r Sprachen eine wesentliche Ä h n l i c h k e i t , b z w . gibt es in beiden Sprachen ü b e r h a u p t eine E n t s p r e c h u n g zwischen je einer Entität b z w . S t r u k t u r , so ist - in beiden R i c h t u n g e n - eine Int. recht u n w a h r s c h e i n lich, s o n d e r n die W i r k u n g ist potentiell „ p o s i t i v " . D i e s e r Fall w i r d in d e r Literatur i . a . (positiver) T r a n s f e r g e n a n n t . Beispiel: D i e Gliedfolge des attributivischen A d j e k t i v s u n d des B e z i e h u n g s w o r t e s ist im D e u t s c h e n u n d im Englischen so gut wie identisch: der alte Mann - the old man. Allerdings k o m m t es v o r , d a ß ein u n b e w u ß t e r , k r a m p f h a f t e r Z w a n g z u r E i n h a l t u n g der N o r m S t ö r u n gen v e r u r s a c h t ; diese erscheinen i. a. in F o r m einer H y p e r k o r r e k t h e i t , z . B . * f ü r jemanden etwas schenken anstatt jemandem, weil die P r ä p o s i t i o n eine ausgeprägtere Semantik hat als d e r Dativ (vgl. auch Briere). 4 . 3 . 2 . Besteht z w i s c h e n je einer Entität z w e i e r Sprachen ein g r o ß e r U n t e r s c h i e d , b z w . gibt es f ü r einen Begriff n u r in der einen Sprache einen A u s d r u c k mit deutlichem G r e n z s i g n a l , so ist die W a h r s c h e i n l i c h k e i t einer I n t . relativ g r ö ß e r als bei 4 . 3 . 1 . D a dieser U n t e r s c h i e d als K o n t r a s t e m p f u n d e n w i r d , ist auch die M ö g l i c h k e i t der B e w u ß t m a c h u n g des U n t e r s c h i e d e s relativ g r o ß . Beispiel: I m Englischen sind die Z a h l w ö r t e r 21—99 nach ihrem dezimalen Stellenwert s t r u k t u r i e r t , i n d e m die Einser den Z e h n e r n folgen. I m D e u t s c h e n ist die R e i h e n f o l g e u m g e k e h r t u n d zwischen den Elem e n t e n steht und. Dies k a n n bei einem D e u t s c h l e r n e n d e n E n g l ä n d e r z u der F o r m *fünfzig-drei führen. 4 . 3 . 3 . Infolge der physiologischen Ä h n l i c h k e i ten der M e n s c h e n , d e r analogen E r k e n n t n i s p r o zesse u n d sozialen V e r ä n d e r u n g e n in d e n einzelnen Gesellschaften, der parallelen sprachlichen E n t w i c k l u n g e n , der gegenseitigen sprachlichen Beeinflussungen u n d anderer F a k t o r e n bestehen z w i s c h e n den Sprachen viele Ähnlichkeiten. Es k a n n sich jedoch nie u m v ö l l i g e E n t s p r e c h u n g e n h a n d e l n (mit A u s n a h m e der metasprachlichen T e r m i n i u n d einiger K o m p o s i t a ) , weil s o w o h l das P h o n e m i n v e n t a r als auch die g r a m m a t i s c h e n S t r u k t u r e n u n d die lexikalischen B e d e u t u n g s t r ä ger in jeder Sprache n u r f ü r sie charakteristische D i s t r i b u t i o n s r e g e l n besitzen. A u s s y n c h r o n i s c h e r Sicht b e d e u t e t das, d a ß zwischen d e n F u n k t i o n e n u n d D i s t r i b u t i o n e n d e r E l e m e n t e zweier Sprachen - u n d d a r u m auch ihren Feldern - die E n t s p r e c h u n g e n n u r „ Ä h n l i c h k e i t e n " sind. D i e Ä h n l i c h -

649

keit ist als das Verhältnis teilweiser E n t s p r e c h u n g und teilweiser U n t e r s c h i e d l i c h k e i t zu verstehen. J e m e h r sich das Verhältnis z u r E n t s p r e c h u n g hin verschiebt, u m so m e h r R e c h t hat m a n , von einer Ä h n l i c h k e i t z u sprechen u n d vice versa. Ist die Ä h n l i c h k e i t g r ö ß e r als bei 4 . 3 . 2 . u n d geringer als bei 4 . 3 . 1 . , so k a n n m a n v o n K o n t r a s t - M a n g e l s p r e c h e n . D i e A u f s t e l l u n g einer solchen G r u p p e ist b e g r ü n d e t (a) d u r c h die g r o ß e H ä u f i g k e i t dieser Fälle u n d (b) d u r c h das häufige A u f t r e t e n d e r Int. infolge der h o m o g e n e n H e m m u n g ( R a n s c h burgsches P h ä n o m e n ) . Beispiele: D i e D i s t r i b u t i o nen der d e u t s c h e n V e r b e n sich ausruhen u n d sich erholen sowie die der englischen to rest, to get well, to recover, to repose u n d to rally weisen s o w o h l E n t s p r e c h u n g e n als auch U n t e r s c h i e d e auf. N u r in idiomatischen W e n d u n g e n sind die K o m p a t i bilitäten fest, ζ . B. sich auf seinen Lorheeren ausruhen u n d nicht ''erholen. K e i n e m d e u t s c h e n V e r b entspricht völlig ein englisches, u n d u m g e k e h r t . W i r h a b e n es einerseits m i t einer s c h w e r z u erfassenden einzelsprachlichen R e g e l f o r m u l i e r u n g , andererseits m i t interlingualen Ü b e r l a p p u n g e n z u t u n . L e t z t e r e f ü h r e n z u einer interlingual identification (Weinreich), d e r e n Beseitigung eine A u f h e b u n g der h o m o g e n e n H e m m u n g v o r a u s s e t z t (Juhäsz 1970). Eine spezielle jedoch h ä u f i g e A r t der interlingual identification ist in solchen Fällen z u b e o b a c h t e n , w e n n die M u t t e r s p r a c h e in einer P h o n e m r e i h e solche B e d e u t u n g e n speichert, f ü r die die andere Sprache m e h r e r e P h o n e m r e i h e n besitzt. So h a b e n z . B . ,die G l i e d e r der Füße* u n d ,die G l i e d e r d e r H ä n d e ' im U n g a r i s c h e n keinen sprachlich diakritischen W e r t , beide w e r d e n d u r c h ujj a u s g e d r ü c k t , w ä h r e n d im D e u t s c h e n d a f ü r die Zehe u n d der Finger v o r h a n d e n sind. So entsteht bei einem D e u t s c h l e r n e n d e n U n g a r n die p o t e n tielle I n t . :>Beim Gehen stieß er mit dem einen Finger des linken Fußes an einen Stein.

i.

Methoden

der

Untersuchung

D a s V o r k o m m e n einer I n t . hat fast nie n u r rein sprachliche U r s a c h e n . Prinzipiell k ö n n e n z w a r sprachliche, p s y c h i s c h e , soziale u n d kulturelle F a k t o r e n u n t e r s c h i e d e n w e r d e n , eine säuberliche Isolierung, die der K o m p l e x i t ä t der E r s c h e i n u n g gerecht w i r d , ist bisher jedoch p r a k t i s c h nicht möglich gewesen. Diese E i n s c h r ä n k u n g m u ß bei den f o l g e n d e n A u s f ü h r u n g e n berücksichtigt w e r den. 5.1. D a s g r u n d l e g e n d e P r o b l e m jeder I n t . - U n t e r s u c h u n g ist das d e r N o r m b z w . das Verhältnis von Statik u n d D y n a m i k der S y n c h r o n i e in b e z u g auf die N o r m . Per d e f i n i t i o n e m kann eine V e r ä n d e r u n g d e r langue d u r c h den E i n f l u ß einer a n d e r e n Sprache n u r das s y s t e m i m m a n e n t u n d n o r m a t i v g e w o r d e n e P r o d u k t einer I n t . u n d n i c h t eine I n t . per se sein. D i e V e r ä n d e r u n g der N o r m ist eine

650

IX. Kontrastive Aspekte

diachrone, die Int. dagegen eine synchrone Erscheinung. Die Int. ist aber nur deshalb möglich, weil die Synchronic immer ein dynamisches Gebilde, d. h. „offen", ist. Die Statik einer Synchronic wird im Grunde nur so erkannt, daß die Norm sich ändert, man also die Veränderung als einen Verstoß gegen ihre Statik empfindet. Das komplizierte Verhältnis zwischen Invarianten und Variablen innerhalb der Norm sowie das zwischen Systemhaftigkeit und Norm erschwert bei dem Kontakt zweier einander kulturell nahestehender Sprachen die Feststellung einer Int. Deshalb ist die genaue Formulierung dessen, was normgemäß ist, eine wichtige Vorbedingung für die Untersuchung der Int. Die Frage, ob eine sprachliche Form noch als Int. oder schon als integrierter Bestandteil der Norm angesehen werden kann, ist in vielen Fällen nur mit starker Idealisierung zu entscheiden; die Übergänge sind zeitlich, sozial und auch individuell bedingt. (Befragungen von Informanten weisen Streuungen auf.) Die Integration kann zwar durch Sprachplanung geregelt werden; diese steht jedoch selten im Einklang mit den realen Verhältnissen: Einerseits weist die Sprachgemeinschaft ein gewisses Trägheitsmoment auf, andererseits üben heute die modernen Massenmedien einen solchen Einfluß aus, daß eine Int., wie ζ. B. teenager, ihren Int.-Charakter schnell verlieren kann. Hierher gehört übrigens auch die FremdwortProblematik (vgl. von Polenz; Schänk) und die Frage nach dem Status der Internationalismen, wo Purismus und Liberalismus wohl noch lange in Fehde miteinander liegen werden. Wichtige methodologische Beiträge zum Verhältnis zwischen Int. und Integration lieferten Betz, Wienold, Rozencvejg u. a. 5.2. Unter generellen Zweisprachigkeitsbedingungen überwiegen kulturelle und soziale Faktoren der Int. In den bisherigen Forschungen bildet oft nicht das Sprachliche den Gegenstand der Untersuchung, sondern mit Hilfe sprachlicher Int. wird auf das Psychische (z.B. Intelligenzquotient), auf das Soziale und Kulturelle geschlossen (Arsenian; Haugen; Leopold; Saer et al. u. a.). Insofern geht es nicht um Psycholinguistik und Soziolinguistik, sondern um Sprachpsychologie und -Soziologie (vgl. Artikel 75). 5.3. Die Methoden der Untersuchung der Int. beim Kontakt Muttersprache-Bildungssprache für frühere Zeiten sind von Betz ausgearbeitet worden (vgl. 4.2.). Zwischen der Int. in früheren Zeiten und der im 20. Jh. besteht zwar kein prinzipieller linguistischer Unterschied; da sich jedoch die Intensität der Int. seitdem zeitlich und räumlich geändert hat (vgl. Galinsky), bedarf es auch eines teilweise neuen Methodeninstrumentariums. Auch erlaubt der zeitliche Abstand zu früheren Perioden verbindlichere Feststellungen (Martins;

Stolt). Es ist bezeichnend, daß die heutige Problematik in dem z.Zt. modernsten Sammelband (Sprachliche Interferenz 1977) wenig zur Sprache kommt. Dies mag daran liegen, daß in der Relation Deutsch—andere Sprachen heute nur noch vereinzelt von einer Relation Muttersprache—Bildungssprache gesprochen werden kann, während z . B . das Englische, Französische und Russische bei vielen Völkern Bildungssprachen sind. Im Kontakt Hochdeutsch-Mundart ist das Problem trotz allen Ausgleichs immer noch aktuell (vgl. die Reihe Dialekt/Hochsprache). Auch für diese Relation ist methodologisch bezeichnend, daß die Literatur sie hauptsächlich unter sozialem Aspekt behandelt (Manherz). Linguistische Beschreibungen gibt es weniger für die Int. als für die Mundarten an sich. 5.4. Am schwierigsten ist es wohl, Methoden für die Untersuchung der durch die Massenmedien und unmittelbaren persönlichen Kontakte (Tourismus, Außenwirtschaft usw.) verursachten Int. auszuarbeiten. Phonisch ist allgemein gültig und darum leicht zu untersuchen, daß die fremde Form an das phonologische System bzw. an die Artikulationsbasis der Muttersprache angelehnt wird. So wird ζ. B. in Sputnik das erste Phonem so realisiert, daß die Zunge von den Alveolen zum Präpalatum verlegt und das erste Phonem der zweiten Silbe depalatalisiert wird. Bedeutend komplizierter ist jedoch die Untersuchung der lexikalischsemantischen Int. Als Grundprinzip gilt hier, daß das fremde Lexem zunächst die Bedeutung einer der Bedeutungen des Lexems der Ausgangssprache hat (z. Ii. floaten) und dann erst nach einer Integration oft ein Bedeutungswandel eintritt, so z . B . engl, slip ,Unterwäsche allgemein' - dt. Slip nur .Unterhose' bzw. ,Schlüpfer'. Besonders die unterschiedliche soziale bzw. stilistische Wertung von Lexemen mit gleicher denotativer Bedeutung (ζ. B. Kolchos) einerseits in der Ausgangssprache und im Sprachgebrauch des einen deutschen Staates, andererseits in dem des anderen deutschen Staates ist für soziolinguistische Untersuchungsmethoden von Interesse (vgl. Kristensson; Galinsky; Juhäsz 1978). Eine grammatische Int. ist relativ häufig und durch den Vergleich mit der Muttersprache leicht zu „ertappen", so z . B . der falsche Gebrauch und der Nichtgebrauch der continuous-Formen im Englischen bei Deutschen, Wortbildungsanomalien wie Campingzeltplatz u. a. 5.5. Beim Lernen fremder Sprachen wird die Int. mit linguistischen und lernpsychologischen Methoden untersucht. Die Ergebnisse werden für die Methodik des Fremdsprachenunterrichts i.a. und für das Zusammenstellen von Übungssystemen im einzelnen angewendet (Juhäsz 1965). Die bisher fruchtbarste Methode ist die rein empirische: Fehler werden gesammelt, bewertet, kate-

76. Interferenzlinguistik gorisiert und als ein Corpus betrachtet, innerhalb dessen die Frequenz der einzelnen Int.-Formen die Arbeit an Lehrbüchern und Verfahrenstechniken bestimmt (Fehleranalyse). 5.6. Zwischen Int.-Forschung und Konfrontativer (Kontrastiver) Linguistik besteht ein Aspektunterschied: die Int. ist ein spontaner Prozeß oder dessen Ergebnis, die Konfrontative Linguistik dagegen ist eine linguistische Tätigkeit. Weiterhin ist die Int., die aufgrund von Verstößen gegen die Norm festgestellt wird, für den interlingualen typologischen Unterschied bzw. für die typologische Ähnlichkeit nicht notwendigerweise repräsentativ. Schließlich haben Int.-Forschungen eine Ausgangs- und eine Zielsprache, die Konfrontative Linguistik dagegen kann sowohl reversibel als auch irreversibel sein. Int.-Forschungen erleichtern iedoch die konfrontative Analyse und vice versa. Sowohl die Int.-Forschung als auch die konfrontative Analyse haben sich mit der Frage des tertium comparationis auseinanderzusetzen, diese ist jedoch für die erste nur im Falle eines Verstoßes gegen die Norm von Bedeutung, für die letztere ist sie das grundlegende Problem (vgl. Art. 73, 74). In der Ubersetzungswissenschaft ist das Verhältnis am kompliziertesten, weil die Ubersetzung schlechthin auf der Konfrontation beruht und die Ergebnisse der Int.-Forschung berücksichtigt, die Übertragung hingegen die Methoden der Linguistik überfordert, weil sie u.a. ethnische, prosodische und andere Faktoren berücksichtigen muß. 5.7. Einen speziellen, in diesem Artikel bisher nicht genannten Gegenstand der Int.-Forschung bildet die Mehrsprachigkeit der Kinder. Die Methoden ihrer Untersuchung weichen jedoch dermaßen von denen der unter 2. erwähnten Vorkommensbereiche ab, daß sie den Rahmen des Artikels sprengen würden (vgl. Leopold; RüljeDravipa). 5.8. Int.-Untersuchungen im modernen Sinne wurden in größerem Stil erstmalig von der Prager Schule durchgeführt (vgl. Mathesius). Im Fremdsprachenunterricht waren sie allerdings schon früher ein wenn auch nicht immer bewußtes so doch implizites Verfahren der Lehrer und Lehrbuchautoren. Im Bereich des Deutschen gibt es heute schon an fast allen solchen Institutionen Forschungen, die sich mit soziolinguistischen Untersuchungen sprachlicher Kontakte und mit der Systematisierung des Deutschunterrichts an Ausländer befassen.

6. Erkenntnistheoretische

Aspekte

der

Interferenz

Das relativ große Interesse für die sprachliche Int. ist wissenschaftsgeschichtlich und -theoretisch bedingt: die internationalen Kontakte wer-

651

den intensiver und die Wissenschaften haben komplexe Erscheinungen zum Gegenstand. Insofern ist die Problematik der Int.-Forschung für zahlreiche Disziplinen von Interesse. Das zentrale Problem sei hier kurz skizziert. Die Untersuchung der Int. hängt eng mit der des Verhältnisses zwischen Denken und Sprache zusammen. Die Tatsache, daß absolute Mehrsprachigkeit, d . h . die volle Kompetenz in sämtlichen Teilbereichen mehrerer Sprachen ohne Int., selten ist, daß es so etwas wie „ein Denken in der Muttersprache" zu geben scheint, spricht für die Gültigkeit der Theorie Humboldts, m . a . W . die Int. tritt notwendigerweise bei jeglichem Sprachkontakt auf. Die neuere Forschung, vor allem die Psychologie, hat jedoch gezeigt, daß Denken und Sprache zwar eng miteinander verbunden, zwischen ihnen jedoch kein symmetrisches Verhältnis besteht. Diese — allerdings noch metaphorische - Feststellung gibt der Humboldtschen Konzeption einen ζ . T . anderen Aspekt, als die Neohumboldtianer sie auslegen. Bei der Beurteilung der Ansichten Humboldts ist zu berücksichtigen, daß sie zu einer Zeit entstanden, als es noch bedeutend weniger Kenntnisse über das Psychische gab, und Humboldt in der Sprachwissenschaft Pionierarbeit leistete. Die Sprache ist eine Existenzform des Denkens, ja sie bildet sogar ein System von Leitschemata für das Denken (Kainz Bd. IV, 311, 350). Diese Leitschemata verursachen die Int., sind jedoch ohne Hilfe nicht-sprachlicher Mittel nicht dazu imstande, das Verhalten des Menschen zu beeinflussen. Der Mensch findet für die sprachliche G e staltung seiner Gedanken nicht immer den intentionierten Ausdruck und kann sich dessen bewußt werden. Er scheint also imstande zu sein, das Verhältnis des sich in sprachlicher Form manifestierenden Gedankens zum Gegenstand des Gedankens selbst zu erkennen. D a aber der Vergleich des „sprachlichen Gedankens" mit dem Gegenstand des Gedankens außerhalb der Grenzen des Bewußtseins absurd ist, entsteht wahrscheinlich im Bewußtsein ein Verhältnis zwischen dem sprachlichen Gedanken und irgendeiner Art der Fixierung des Gegenstandes (vgl. Pavlov). Die Erforschung der Int. wäre ihrem Wesen nach gut dazu geeignet, die determinierende Rolle der Muttersprache für das Denken zu beweisen. Dies ist bisher kaum geschehen. Die Int. bewirkt vielmehr eine Unterschiedlichkeit in der Form und weniger im Inhalt des Denkens. Eine solche Interpretation ist zwar nicht ausreichend für das Verständnis des Verhältnisses zwischen Denken und Sprache; eine differenziertere Auslegung scheint aber vorläufig nicht möglich zu sein, weil die vorliegenden Kenntnisse über die Nerventätigkeit des Menschen und ihre Verflechtung mit sozialen Mechanismen noch zu gering sind und die Int. "Forschung - allerdings nicht nur diese - ihre Schlüsse

652

IX. Kontrastive Aspekte

eher aufgrund von Symptomen als aufgrund unmittelbarer Beobachtung im Rahmen einer konsistenten Theorie zieht. 7. Bibliographie

(in

Auswahl)

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Janos Juhasz,

Budapest

77. Klassische Sprachen und deutsche Gesamtsprache

77. Klassische Sprachen und deutsche Gesamtsprache 1. Definition 2. Direkte lat.-deutsche Transferenzen 3. Griech.-gotische Interferenzen und direkte griech.deutsche Transferenzen 4. Bibliographie (in Auswahl)

1.

Definition

1.1. Die Grundlagen

der lat.

Einwirkung

Die dt. Sprache ist von den klassischen Sprachen so stark beeinflußt worden wie von keiner anderen. Das gilt für die ältere Zeit vor allem, und soweit es unmittelbare Beeinflussung angeht, fast ausschließlich vom Lat. Denn direkte Berührungen gab es zunächst nur mit diesem. Es brachte dem sich vorbereitenden Dt. zuerst eine Fülle zivilisatorischer Errungenschaften, dann aber vor allem Christentum und, mit diesem eng verbunden, antike Weltbetrachtung und erhob das Dt. zur Schrift- und Buchsprache. Es vermittelte ihr damit abstraktes Denken und ermöglichte den Ausdruck eines verfeinerten Gefühlslebens sowie der religiösen und sittlichen Begriffe. Es begleitete das Dt. nicht nur durch das ganze MA., sondern beherrschte auch die Wissenschaft bis zum 18. Jh. und die Liturgie der katholischen Kirche bis in die jüngste Vergangenheit und blieb ein unerschöpfliches Reservoir für Neubenennungen im wissenschaftlichen wie im praktischen Bereich bis heute. 1.2. Die Grundlagen

der griech.

Einwirkung

Mit dem Griech. kam die dt. Sprache bis zum Ausgang des MA.s kaum direkt in Berührung. Zwar gab es immer einzelne Gelehrte im Abendland, die (etwas) Griech. konnten, und auch Werke, aus denen man sich den Anstrich griech. Kenntnisse geben konnte, aber im ganzen war selbst die griech. Schrift so wenig bekannt, daß der im Refektorium vorlesende Mönch ein im Texte griech. geschriebenes Wort mit der Wendung Graecum est, non legitur überging. Auf der anderen Seite aber war das Lat. als Bildungssprache nicht nur im allg. weithin am Griech. geschult, sondern das christliche Lat. war geradezu mit Griech. aufgeladen. Bedienten sich doch die Christen im heidnischen Rom in den ersten drei Jhh. des Griech. und war doch die frühchristl. Literatur großenteils Übersetzung aus dem Griech. Mit der Scholastik kam eine neue griech. Welle ins abendl. Latein (Aristoteles). Unmittelbare griech. Einflüsse sind im Frühund Hoch-MA. sehr gering (vgl. u. 2.2.). Einzelnes, wie das delphische „Erkenne dich selbst!", gelangt in entstellter Originalform auch in dt. Dichtung (H. v. Trimberg). Erst mit dem Huma-

653

nismus setzt wirklich direkte Einwirkung ein und hat, getragen vom humanist. Gymnasium und der humanist. Bildungsidee, aber auch von der Verankerung mancher Wissenschaften her, insbes. der Philosophie, bis zur Stunde nicht aufgehört, wenn auch der Rückgang der beiden genannten Momente sich gerade in letzter Zeit immer stärker geltend macht. 1.3. Griech.-lat.

Interferenzen

Die griech. Einwirkungen über das Lat. gehören zunächst bes. dem Bereich der christl. Religion und Sittlichkeit und der Kirche an, erstrecken sich aber auch auf die meisten Lebensbereiche. Es bilden sich Lehnmuster (Lauffer), in denen ζ. B. Reihen von Worten zunächst im Lat. mit-tas den griech. Ableitungen mit -ότης, dann im Dt. mit -heit diesen lat. nachgebildet werden. 1.4. Latein (Griechisch) als Vermittler chiger Interferenzen

drittspra-

Das Lat. vermittelt aber nicht nur Griech., sondern auch Drittsprachiges. Wir sehen dabei von den vielen Elementen ab, die schon das klass. Lat. in sich aufgenommen hatte. In der Frühzeit beobachten wir ζ. B., wie das altir. clocc, ein urspr. lautmalendes Wort für „Schelle, Glocke", zwar in das benachbarte Ags. in der Form clugge wohl unmittelbar, in das Ahd. und As. aber erst lange nach der ir. Mission als glocka bzw. glogga über mlat. clocca gelangt ist (daher der g-Anlaut; um 800). Daneben hat es bes. Mittelmeerisches, Orientalisches, Ägyptisches, Arabisches vermittelt. Letzteres war bes. wichtig, da das Arab, eine bedeutsame Mittlerrolle sowohl für die griech. Antike wie für älteres oriental. Kulturgut spielte (vgl. z . B . Natron, nitrum). Umgekehrt wird nahezu unübersehbares lat. Wortgut durch roman., bes. frz. Vermitdung und meist entsprechende Umformung bei uns heimisch. Aber auch lat. konzipierte Fremdwörter wie das aufgrund von lat. constitutio (reipublicae) bereits im 16. Jh. entlehnte Konstitution „Staatsverfassung" gewinnen eine neue Bedeutung unter dem Einfluß des Französischen (die Mitwirkung der Bürger an der Ausübung der Herrschaft). Ähnlich, wenn auch seltener, griech. Sprachgut, so nimmt z . B . χαρακτηρ „Prägung" (zunächst von Münzen), das bereits spätmhd. über das Lat. für „Schrift-, Zauberzeichen" entlehnt ist, seinen heutigen Sinn erst gegen Ende des 17. Jh.s aus dem Franz. an. Seit dem 17. und 18. Jh. finden solche Beeinflussungen auch durch andere Sprachen, bes. durch das Englische, statt. Z . B . erhält das lat. humor, zunächst eins der Haupt-Fluida, seit 1600 mit frz. Akzent auch „Temperament, Charak-

654

IX. Kontrastive Aspekte

ter", nach engl, humour im 18. Jh. die jetzige Bedeutung. 2. Direkte lat. -deutsche Transferenz' η 2.1.

Entwicklung

Das Lat. gelangt zu dem Dt. nicht in einheitlicher Form und unter gleichbleibenden Voraussetzungen in Beziehung. In der ältesten Phase, der vorahd.-westgerm., besteht ein unmittelbarer Kontakt mit Sprechern, die Lat. als Muttersprache haben, mit röm. Soldaten, Verwaltungsbeamten und Händlern, z . T . auch bereits mit röm. Christen und einer organisierten Kirche. Dieser Zeitraum dauert etwa bis 400, bis zum Beginn der eigtl. Völkerwanderung. Soweit es sich um die Berührung mit dem einfachen Manne handelt, bietet sich hier also die lat. Volkssprache, das Vulgärlat. Sie hatte sich in vielem, vor allem in der Betonung, in Quantität und Qualität von Vokalen, in Assimilation, seltener Dissimilation von Konsonanten, aber auch im Morphologischen, z . T . stark vom klass. Lat. entfernt. Das christl. Lat., das den „Deutschen" in dieser Frühzeit und etwas später entgegentritt, ist ein Spätlat., das einerseits archaisierende Züge aufweist, andrerseits bald mehr dem Hochlat., bald mehr dem Volkslat. nahesteht. Auch die lat. Bibel aus dem 2./3. Jh., die Vetus latina, die bis zum Anfang des 7. Jh.s im Abendland üblich war, sowie die sie dann allmählich ablösende Vulgata des Hieronymus aus dem späten 4. Jh. ist stark mit Vulgärlat. durchsetzt. Um 600 setzt das Mittellat. ein, eine Hochsprache aufgrund des Spätlat., die sich immer am klassischen Lat. orientiert und bereichert, aber zugleich starken volkstümlichen Einflüssen Raum läßt, indem vor allem die Aussprache sich den sich bildenden Nationalsprachen anpaßt. Diese Eigenheit hat z . T . die Reformversuche der Humanisten weit überdauert, indem z . B . die engl. Aussprache des Lat. mindestens bis gegen Ende des 19. Jh.s bewußt engl, war, so daß etwa Bismarck, der eine gute humanist. Schulung hatte, das Lat. seines vornehmen engl. Gastgebers nicht verstehen konnte. Daneben war der Wortschatz unter Beibehaltung eines gewissen Grundstammes in ständiger Erweiterung und Erneuerung begriffen, nicht zuletzt in Anlehnung an die Nationalsprachen. Man hat aufgrund der abgeschlossenen Buchstaben Α und Β des auf das dt. Sprachgebiet beschränkten Mittellat. Wörterbuches der Bayer. Akademie d. Wiss. festgestellt, daß etwa die Hälfte des Wortschatzes den Lemmata zufolge aus mlat. Neologismen besteht (J. Schneider, 11 f.). Im Bereich der Bedeutungen ließen sich gewiß noch größere Unterschiede feststellen. Auf Wortbestand und Bedeutungen wirkten u.a. die dt.lat. Transferenzen.

Das beweist aber, daß das Mlat. keine tote Sprache war, sondern als Umgangs- und Schriftsprache einer gebildeten, gewiß aber nicht undifferenzierten Schicht ein sehr aktives Leben führte, wenn ihm auch die Unterschicht fehlte, die aber durch die Beziehung zur Nationalsprache weithin ersetzt wurde. Das unterscheidet das seit dem Humanismus aufkommende Neulat. von ihm. Indem jetzt der Blick ständig rückwärts auf die klass. Zeit gerichtet und trotz Erasmus' Warnung und eigener Praxis einseitig Cicero zum Vorbild erhoben wurde, verarmte es und verlor die anpassungsfähige Beweglichkeit. Die Sprachreinigung, die gegenüber dem vielfach zum Küchenlat. entarteten Mlat. durchgeführt wurde, bewirkte eine gewisse Blutleere und hemmte den wechselseitigen Bezug zwischen Volkssprache und Lat. Von jetzt an gab es im wesentlichen nur noch lat.-dt. Transferenzen. 2.2.

Lehnworte

Wir behandeln zunächst die Lehnworte, d.h. die in lat. Lautform aufgenommenen Worte. 2.2.1. Wortgeographie: Für eine Wortgeographie umfänglicher Art bieten nur die frühen Perioden eine Handhabe, wo Dt. in Nachbarschaft mit Lateinsprachigen lebten oder den verschiedenen lokalisierbaren Strömen der Mission ausgesetzt waren. Später dringt das Lat. nicht mehr horizontal oder areal ein, sondern vertikal, von der Schicht der Bildungsträger, im MA. insbes. der Geistlichkeit, aus in die breiteren Kreise oder auch seit der mhd. Blütezeit und ähnlich seit dem 17. Jh. von den Lateinkundigen in die gesellschaftlich gehobene Schicht der Träger der weltl. nationalsprachl. Literatur, die den ersteren um 1200 immer noch als illiterati galten (Grundmann). Für die älteste Periode hat Th. Frings überzeugend gezeigt, daß der Hauptschub der Worte der Römerzeit nicht etwa von Süden aus Italien kommt, sondern von Westen an und über den Rhein, vor allem an seinem Unterlauf. Das roman. Gallien ist das große Aufmarschgebiet dieser Kultur- und Wortströme, die vielfach über Dtschld hinaus reichen und etwa den Trierer oder den Kölner Raum mit England oder mit den Niederlanden verbinden. Oft spiegeln sich in der mundartl. Verteilung der Folgeformen lat. Lehnworte Unterschiede in der Romania. So wird ζ. B. imputare „propfen, veredeln" zu nordfrz. *impotare, ndl. poten, rhein.possen, zu ostfrz. *'impodare, mhd. impfeten, rhein. (Nahe) imte, weiter südl. zu ''impare, ahd. impfön, eis. impfe. 2.2.2. Geographie der dem Lat. entlehnten Missionsworte: Seit einem bekannten Aufsatz Kluges (1909; z . T . schon bei R. v. Raumer) glaubte man, die lat. Worte griech. Ursprungs mindestens großenteils auf eine frühe arian. Mission der an der

77. Klassische Sprachen und deutsche Gesamtsprache

griech. Kirchensprache geschulten Goten, die von deren Sitzen am Schwarzen Meer donauaufwärts zu den Baiern gegangen sei, zurückführen zu können. Dazu stellte man auch einiges German., das allein bei den Goten mit ihrer unmittelbaren Kenntnis des Griech. entstanden sein könnte. Je mehr man aber den stark griech. gefärbten Charakter der alten lat. Kirchensprache erkannte und Spuren griech. Christen auch in der alten Gallia fand, um so schwächer wurde diese Argumentation. Nun hat J. Knobloch überzeugend gezeigt, daß sowohl die urspr. griech. Worte wie Teufel (διάβολος „Verleumder"), Pfaffe „Geistlicher", Pfingsten (πεντηκοστή [ήμερα]; neben frz. mundartl. pin'cöte), als auch die germ. Bedeutungslehnwörter Ostern, fasten (zur Wiedergabe von kirchl. observare), Taufe eigtl. „tief machen, eintauchen" (lat. (in)tinctio) aus der westfränk. Mission stammen. 2.2.3. Geographie mittel- und neulateinischer Entlehnungen: Da auch später Entlehnungen aus dem Mittel- und Neulat. vielfach landschaftlich begrenzt sind, lassen sich natürlich für die einzelnen Wörter geograph. Übersichten aufbereiten, wie dies z.B. von Miettinen für die in mhd. Zeit entlehnten Pra(k)tik (z.T. mit der Bedeutung „Kalender") und praktizieren oder von Kretschmer für viele heute noch lebendige Entlehnungen aus älterer und neuerer Zeit geschehen ist, z.B. Kappes, Kappus „Weißkohl" (schon seit dem 11. Jh. aus mlat. caputia zu caput) oder Almer „Schrank" (aus mlat. almaria, lat. armarium). 2.2.4. Entlehnungsperioden und Sachbereiche der lat. Entlehnung: In der ersten Entlehnungsperiode, der der Römerzeit, werden vor allem Worte aus dem Bereich der manuellen Betätigung entnommen: solche aus dem Landbau wie Sichel, Flegel, dem Gartenbau wie Kohl, Rettich, dem Weinbau wie Winzer, Trichter, dem Steinbau wie Mauer, Keller, der Mehlbereitung wie die Wasser-Mühle, der Schiffahrt wie Anker und Riemen ,Ruder', der Kochkunst wie Küche, Kessel, der Fertigung von Gebrauchsgegenständen wie Schrein, Karren, aber auch dem des Handels wie kaufen, Pfund, Transporttiere wie Esel, Maultier; nur weniges dem Kriegswesen wie Pfeil, Kampf (über ,Schlachtfeld'), aus dem Befestigungswesen wie Wall, Pfahl, aus dem (Heer-)Straßenwesen wie Straße, Meile, aus dem Staats- und Rechtswesen wie Kaiser, Zoll. Im wesentl. wandelte sich der sprachl. Unterbau, während der Oberbau erhalten blieb. Im Zusammenleben der Franken mit den romanisierten Galliern seit dem 5. Jh. fand ein lebhafter Austausch statt, der z.B. lat. brattea über fränk. *wrat(t)ja ("'waratja, "'warantja) zu frz. g(u)arance, ahd. (w)rezza, altrhfrk. rizza „Färberröte" (vgl. ritzerot) werden ließ. In der Periode der Aneignung des Christentums

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vom 6. bis zum 8./9. Jh. erfährt die dt. Sprache eine tiefgehende Wandlung, da der neue Glaube weithin im Gegensatz zu den bisherigen sittl. Normen stand und seine Dogmen wie seine an der Antike geschulte Ausdrucks weise ein wesentl. stärker abstraktes Denken erforderten. Mit den neuen sittl. Maßstäben verlangte das Christentum auch ein differenzierteres Gefühlsleben. Erst durch die erzieherische Einwirkung des mit dem Latein eng verbundenen Christentums wurde der Übergang vom German, zum Dt. vollzogen. Es kostete die Arbeit vieler Generationen, ehe ein den christlichen Vorstellungen einigermaßen adäquater Wortbereich geschaffen war. Dabei traten die verschiedenen Missionsströme in Konkurrenz miteinander. Insbesondere der ags. Missionsstrom traf im Süden auf eine ältere merowingische Kirchensprache. Es sind besonders Bedeutungslehnwörter, um die hier der Kampf geht (s.u.). Während sich im allgemeinen die süddt. Kirchensprache gut behauptet, erliegt sie in der Bezeichnung des spiritus sanctus dem ags. Ansturm: das südliche wih ätum muß dem nördlichen heilag geist weichen, wobei auch der Anklang an das ältere Bedeutungslehnwort Heiland mitwirkt. Aus der Fülle der lat. Lehnwörter dieser Zeit seien stellvertretend Messe, opfern, Pfarre, Dechant, Pfründe, Mönch einer älteren Schicht, Kreuz, Altar, Kanzel, Mette einer jüngeren genannt. Die Klosterkultur vor allem der an die erste Bekehrungszeit anschließ. Epoche etwa vom 8. Jh. an bringt Bildungsbegriffe wie schreiben, Schrift, Schule, Tinte, Tafel, Brief, Laie, eine starke Bereicherung im Wortschatz des Gartenbaus wie Birne, Rose, Lilie, Petersilie und zahlreiche Namen von Pflanzen, von denen viele der Heilkunde dienten, des Bauwesens wie Turm, Portal, Mörtel, Erker, Kamin, des Handwerks wie Schuster, Metzger, Steinmetz, der Bekleidung wie Kutte, Kappe (.Mantel mit Kapuze'), Mantel, Pelz, hunt (zunächst von Pelz), Matte. Auch im weltl. Bereich ist Lat. Amts- und Kanzleisprache bis um 1300. Daher stellen sich jetzt auch in der Verwaltung wichtige Lehnwörter ein wie Kanzler, Meier „Verwalter" (aus maior), Bulle, Titel. Die mhd. Blütezeit um 1200 steht so stark unter dem Einfluß des Frz., daß für lat. Entlehnungen wenig Raum bleibt. Um so wichtiger ist es, daß jetzt dem Frz. Suffixe entnommen werden, die aus lat. entstanden sind und diesen noch so nahe stehen, daß man den Zusammenhang unmittelbar spürt. Das führt nicht nur dazu, daß solche wieder am Lat. reguliert werden können wie z.B. die Schreibung -tat für altfrz. mhd. -tet (später frz. -te), sondern daß sie als Hilfsmittel dienen können, lat. Worte einzudeutschen. Das gilt vor allem für die dem Frz. nachgebildeten Endungen -tat

656

IX. Kontrastive

Aspekte

für Substantiva, -ieren für Verba, -ell, -är, -ös für Adjektiva und Adverbia (Lehnmuster). (Näheres vgl. Art. 79.) Die Mystik bewirkt ihre Verinnerlichung und Beseelung der dt. Sprache fast ausschließlich mit dt. Sprachmitteln, wenn auch vieles davon als Lehnübertragung oder Lehnbedeutung zu gelten hat (vgl. u.). Dagegen bedient sich das aufsteig. Bürgertum des späten MA.s in seinem Geschäftsverkehr zunächst vorwiegend des Lat., so daß die Kaufmannssprache stark mit lat. Fremd- und Lehnwörtern durchsetzt ist wie Datum, Fazit, Nota, Summe, Kopie. Bisweilen tritt auch für einen aus der vorbildl. ital. Buchführung gegen Ende des 15. Jh.s übernommenen Begriff wie Debito und Kredito eine entspr. lat. Formulierung ein wie Debet und Kredit. Wie die Sprache der Kirche weiterhin das Lat. bleibt und auch gegen Ende des MA.s und in der Neuzeit dem Dt. lat. Worte vermittelt wie z . B . Brevier (15. Jh.), Requiem (18. Jh.), so ist die Sprache der Wissenschaft bis in das 18. Jh. und ζ. T. darüber hinaus (wichtige Werke der protestantischen Theologie wurden noch im 19. Jh. lateinisch abgefaßt) lat. Gerade die Wissenschaften, die, wenn auch in begrenztem Umfang, daneben von Laien betrieben werden wie das Rechnen neben der Mathematik, führen ein bes. umfangreiches Kontingent von Entlehnungen in die Gesamtsprache ein, wie ζ. B. addieren, subtrahieren, multiplizieren, dividieren usw. Auch aus der Geheimwissenschaft der Alchemie dringen infolge des starken allg. Interesses (das zudem in Hoffnung auf prakt. Erfolg bei Fürstlichkeiten udgl. bes. groß ist) viele Worte in die Alltagssprache wie Extrakt, Essenz, Element, Mixtur, destillieren, Elixier. Mit dem Humanismus bes. des 15. und 16. Jh.s erhält das Lat. (und das Griech., s.u.) einen gewaltigen Auftrieb. Indem jetzt das Mlat. endgültig verworfen wird, macht sich der Anschluß an das klass. Lat. auch in der Entlehnung spürbar. So werden in mlat. Form übliche Fremdwörter durch neu an das klass. Lat. angeschlossene ersetzt, so etwa das spätmhd. rechtssprachl. pene, pen durch Pön in Anschluß an poena .Strafe'; mhd. marmel, mermel, marbel durch das lat. Marmor, während jenes im Kinderwort Marmel, Murmel,Klicker' fortlebt. Insbes. erfährt die bereits im MA. vorbereitete akadem. Fachsprache, soweit sie im Lehnwort zur Geltung kommt, eine weitgehende Erneuerung: Dekan, Dekanat, promovieren, relegieren erhalten ihren endgültigen Platz. Professor, das im 15. Jh. nur für die Theologen aufgekommen war (profiteri ,bekennen'), wird im 16. Jh. zur allg. Bezeichnung des ordentl. Hochschullehrers. Neu sind immatrikulieren, Collegium .Vorlesung',

Auditorium, Katheder ,Lehrstuhl', Kommilitone, Examen. Auch die Schulterminologie wird neu geprägt, wovon nur diktieren, memorieren, deklamieren, exemplifizieren, Disziplin genannt seien. Jetzt werden vor allem die lat. Monatsnamen durchgesetzt, die vorher neben den heim, nur ein sehr bescheidenes Dasein geführt hatten. So war ζ. B. Dezember neben Christmonat fast ganz ungebräuchlich gewesen. Sie dringen allmählich auch in die unteren Schichten, und in weiten bäuerlichen Bereichen Ober- und Niederdeutschlands vermag Au(g)st, au(g)sten „Ernte(n)" das alte westgerm. Ernte(n) zu verdrängen. Sehr stark weitergewirkt hat der Humanismus durch seine Neigung zur Latinisierung der Eigennamen, teils durch bloße Anhängung lat. Endung, wobei -ius bevorzugt wurde (Buschius, Vogelius), teils durch Übersetzung, wobei man die einfachen Nomina agentis auf -or, -er gern durch -ius, -icius erweiterte: Textorius, Fabricius. Nicht das 16. Jh. überlebt hat die Nachahmung der antik-römischen Dreinamigkeit wie Helius Eobanus Hessus, Johannes Crotus Rubeanus. Im 16., bes. aber im 17. und 18. Jh. bildet sich die Studentensprache, die von ihren Trägern auch als Burschensprache bezeichnet wurde. Sie verwandte das Lat. gern in scherzhafter Entstellung oder in ,makkaronischer' Mischung. Fidibus ,Zündstreifen aus Papier' ist wohl eigentlich im Anschluß an eine Horazstelle der Ablativ PI. von fides ,Saitenspiel', fidelis wird zu ,ausgelassen fröhlich' und erhält ein Substantiv Fidelität, danach wird Schwulität .Bedrängnis' zu schwül gebildet; syntakt. Bindung von Dt. und Lat. erfolgt ζ. B. in sich bene tun. Auch die griech. Adverbialendung -ikds dient gern zur Neubildung: burschikos ist in die allg. Sprache eingegangen. Aus der Studenten- wie aus der Gebildetensprache ist manches in die Dialekte eingedrungen, das, z . T . mit veränderter Bedeutung, öfter den hochsprachlichen Gebrauch überlebt, wie lat.-gr. theca zu schles. Zieche 1. „Tasche, Behältnis", 2. „Bettbezug", nass. Zieh „Kissen-, Bettdeckenüberzug"; nass. Sekret „Abort"; wien. Habemus „Rausch". Die Fachsprachen haben ihren besonderen lat. Lehnwortschatz; die der Ärzte ist stark griech. gefärbt. Das fränk.-dt. Recht wird zunächst lat. aufgezeichnet und erfährt früh lat. Einfluß (castigön, pinön; feudum „Lehen"). Das röm. Recht, das schon Barbarossa zur Stütze seines imperialen Gedankens heranzog und das seit dem 14. und 15. Jh. immer mehr von den Territorialfürsten zur Stärkung ihrer Macht gepflegt wurde, wird mit der Kammergerichtsordnung von 1495 für das Reich verbindlich. Mit seiner Schriftlichkeit leistet es dem Eindringen neuer oder der Verfestigung bisher mehr beiläufiger lat. Worte starken Vorschub

77. Klassische Sprachen und deutsche Gesamtsprache wie Alimente, Amnestie, Arrest, Delinquent, Injurie, inquirieren,Justiz, Kaution, legal, Prozeß. Während das Alamodewesen des 17. Jh.s und die Sprachkünstler des Barock das Frz. und Ital. bevorzugen, strahlt doch von der Wissenschaft und Jurisprudenz der Zeit ununterbrochen Lat. aus. Daß die großen wissenschaftl. Leistungen wie ζ. B. die bahnbrechenden natur-, völker- und staatsrechtlichen, politischen und historischen Werke S. Pufendorfs lat. erscheinen, ist selbstverständlich, aber auch Opitz schreibt seine gelehrten Arbeiten lat. oder entwirft sie doch so. Jetzt aber wird es Mode, mehr als im 16. Jh., in den dt. Text flektierte lat. Worte einzufügen. Selbst Kepler, der eine Reihe von dt. Schriften verfaßt und darin viel für eine dt. astronom. Fachsprache leistet, bringt in zehn Zeilen eines dt. Traktats neben latinisierten und flektierten Eigennamen folgende durch lat. Schrift abgehobene Ausdrücke: Medicus, Philosophus, Tractatu, Astrologia, Theologorum und er setzt immer unübertragen trirtus, quintilis, biquintilis, quincunx, semisectus, sesquadrus in den dt. Text. Gesteigert findet sich dies Prinzip in rechtlichen Urkunden wie Urteilen, Schuldschriften, Vergleichen, wo etwa Worte wie hypotheca, obligatio, contractus, concessio usw. nahezu ausnahmslos flektiert dem dt. Text eingegliedert werden. Wichtigste neu entstandene Schlagworte des späten 17. Jh.s sind Pietist und Pietismus, zunächst als Spottworte auf die Bewegung gebildet, dann aber von dieser selbst akzeptiert. Im Beginn des 18. Jh.s waren noch 30% der in Dtschld. gedruckten Bücher in lat. Sprache abgefaßt; am Ende des Jh.s sank diese Zahl auf 5 % ab. Darin spiegelt sich einmal der Übergang weiter Kreise der Wissenschaft zum Dt., andrerseits der Aufschwung der dt. Dichtung und schließl. der verstärkte Anteil des populären Schrifttums, wozu Aufklärung und Erwachen des Bürgertums geführt hatten. Auch im 18. Jh. blieb die Gebrauchsprosa vielfach von lat. Worten in der oben gekennzeichneten Weise durchsetzt. Was an wichtigen lat. Schlagworten im 18. Jh. aufkommt, ist jetzt stark franz. beeinflußt, so rational (obwohl es frz. nur rationel gibt), Rationalismus, Rationalist, wohl auch Kultur, das nach Ansätzen im 17. Jh. jetzt seinen eigentl. Gehalt gewinnt, wie später die großen Worte der frz. Revolution wie Revolution selbst im polit. und sozialen Sinne, Republik, Republikaner, Volksmajestät, Reaktion, Konstitution, Zivilisation, Fraktion, Majorität, Minorität, Veto. Die Klassik entfacht wie nie zuvor die Begeisterung für die Antike und macht sich ihren Bildungsgedanken zu eigen. In einer von Herder begründeten neuen Interpretation von Humanität sucht man „höchste Entfaltung menschlicher Kultur und Gesittung als Endziel des Handelns". Zu-

657

gleich wird Klassik und klassisch aus einem Zeitund Stilbegriff ein Ausdruck höchsten Wertes. Aber manches an Lat. Anknüpfende hat wieder nahe Beziehung zum Franz. Individualität, von Lavater zuerst gebraucht und dann in Klassik und Romantik beliebt und von Savigny durch Volksindividualität bereichert, steht neben franz. individualite. Im 19. Jh., wo das Lat. aufhört, der Darstellung wissenschaftl. Ergebnisse zu dienen (nur in der klass. Philologie werden noch lange die Doktorarbeiten auf lat. verfaßt), wird zwar der Fachwortschatz mancher Wissenschaften wie der Naturwissenschaften und der Medizin unter Verwertung lat. Bestandteile ausgebaut (bes. auch die Pharmakologie), den größten Anteil an der Einführung neuer lat. Worte aber hat die sich rapide entwickelnde Technik und mit ihr Industrie und Handel und die mit ihnen eng verbundene Reklame. Diese Entwicklung setzt sich im 20. Jh. fort, kann aber aus Raumgründen hier nicht weiter verfolgt werden (doch s. die Bibliographie). 2.3. Lehnprägungen, syntax

Lehnwendungen,

Lehn-

2.3.1. Lehnprägungen: Sind wir bisher den eigentl. Lehnworten nachgegangen, so spielen daneben doch die Lehnprägungen eine kaum minder große Rolle. Sie fallen naturgemäß nicht so sehr ins Auge und lassen sich oft nur durch genauen Vergleich der wechselseitigen Verhältnisse feststellen. Sie können hier daher nur exemplarisch behandelt werden. Lehnprägungen entstehen im Laufe der Sprachgeschichte auf zwei Wegen, einmal um einen fremden Begriff einzubürgern und ihn den Hörern oder Lesern verständlich zu machen, zum anderen um ein bereits bekanntes und eingebürgertes Lehnwort zu ersetzen und ein dt. Wort an seine Stelle zu bringen, also aus Sprachreinigungsgründen. Ersteres geschieht mehr in den früheren Perioden, letzteres besonders im 17., 18. und 19. Jh. 2.3.2. Lehnbedeutungen: Lehnbedeutungen sind bes. bei der Aneignung des Christentums und des damit verbundenen abstrakten Denkens häufig gebildet worden, so wenn Geist, urspr. ,Ekstase' für spiritus (sanctus) und für intellectus, riuwa .Schmerz, Trauer' für contritio, oder Buße, eigtl. .Besserung', dann .strafrechtl. Genugtuung' für satisfactio im Sinne der religiös-sittl. Genugtuung gebraucht wird. Andrerseits verwendet etwa Adelung 1777 Laufbahn, das noch 1741 umschrieben wird mit ,Lauf-Bahn, worinnen man um die Wette gelaufen', bewußt in übertragenem Sinn, um das franz. carriere zu ersetzen. 2.3.3. Lehnschöpfung, Lehnübertragung und Lehnübersetzung: Lehnschöpfung und Lehnübersetzung lassen sich besonders gut am Werden unserer Wochentagsnamen beobachten, die wohl aus

658

IX. Kontrastive Aspekte

Gründen der Terminbestimmung beim Handel zumeist noch vor der Christianisierung der Germanen vermittelt sind. Im Gegensatz zu dem Lehnwort Samstag aus vulgärgriech. sambaton ist das jüngere Sonnabend aus Sonntag-Abend .Vorabend des Sonntags' eine Lehnschöpfung. Demgegenüber sind Sonntag und Montag einfache Lehnübersetzungen der nach den Himmelskörpern benannten dies Solis und dies Lunae, während zur Bildung von Donnerstag und Freitag nach dies Jovis und dies Veneris erst die „Interpretatio Romana" erforderlich war, nach der Jupiter mit Donar und Venus mit Fria gleichgesetzt wurde. Lehnübertragung ist in der Frühzeit Einsiedel (ahd. einsidilio) für das lat.-griech. monachus (mit später gewandelter Geltung). 2.3.4. Lehnwendungen: Sehr häufig werden feste Wendungen, bes. Sprichwörter übernommen. Wie der Satz Irren ist menschlich dem lat. errare humanuni est nachgebildet ist, so gilt dies für einen großen Teil unserer Sprichwörter. Hier soll nur noch ein Beispiel genannt werden, wo sowohl die lat. Prägung wie die dt. dem dt. Humanismus entstammt. Unter volksetymolog. Ausdeutung bildete man im 16. Jh. Aurora habet aurum in ore; dies gab den Anlaß zu der dt. Prägung Morgenstunde hat Gold im Munde. 2.3.5. Lehnsyntax: Außerordentl. stark war der Einfluß der lat. Syntax. Vor allem lernte die dt. Sprache von ihr die (gesteigerte) Unterordnung, die bei den Lateinkundigen oft zu den berüchtigten Schachtelsätzen führt. Bei dem hochgebildeten Kaiser Maximilian I. kann man beobachten, wie ein von ihm selbst geschriebener Brief wesentl. einfacheren Bau zeigt, als einer von seinem in lat. Tradition stehenden Schreiber. Partizipialkonstruktionen, die den lat. abl. abs. zum Ausgangspunkt haben, halten sich (oder werden auch selbständig wieder neu gebildet) bis in die Gegenwart. Selbst bei Schiller heißt es: Dieses Geschäft bereinigt, eilen alle Statthalter nach ihren Provinzen. Die Endstellung des finiten Verbs im Nebensatz verdanken wir der Einwirkung des Lat. um 1500 (dagegen W. Preussler). 2.4. Gestaltung der

Entlehnungen

2.4.1. Lautsubstitution: Die Entlehnung vollzieht sich oft nur unter Lautsubstitution. Das gilt vor allem für die frühen Entlehnungen, die z . B . lat. e vielleicht unter dem Einfluß ir. Aussprache zu ϊ wandeln wie in feria zu ahd. flra, das in regulärer Entwicklung zu nhd. Feier führt. 2.4.2. Doppelentlehnung und Lautwandel: Nicht selten weist das gleiche lat. Wort im Dt. verschiedene Formen auf, die nicht in einem genetischen Verhältnis zu einander stehen können. Wir haben es dann mit doppelter (oder mehrfacher) Entlehnung zu tun, die entweder nach

Zeit oder nach Ort verschieden war. So ist ahd. tribuz,Stamm' vor der Lautverschiebung, dagegen Tribut als gelehrtes Wort erst spätmhd. entlehnt. In der bekannten noch heute lebendigen Dreiheit Pfalz, Palast, Palais sind die beiden letzteren nicht mehr aus lat. pahtium direkt entlehnt, sondern zwei Schichten der franz. Aneignung des Wortes entnommen. In der Doppelheit ahd. phorta (nhd. Pforte und Schulpforta) und porza liegt zeitliche und örtliche Schichtung vor. Häufig wird eine regulär entstandene Form später durch gelehrten Eingriff dem lat. Ausgangspunkt wieder angenähert. So steht neben häufigem mhd. salter, salm mit vulgärlat. Vereinfachung aus psalterium, psalmus das seltenere psalter, psalm, oder mhd. bredige erhält im Hinblick auf praedicare wieder anlautend p-, und das durch -t bereicherte Predigt wird durch Luthers Gebrauch fest. 2.4.3. Geschlechtswechsel: Nicht selten ist Geschlechtswechsel, der sich wie in Kreuz (crux f.) bisweilen nicht sicher erklären läßt. Gelegentlich wird er zur Bedeutungsdifferenzierung benutzt, indem z . B . nicht nur pate (aus lat. pater) als m. und f. für ,Pate' und ,Patin' verwandt wird, sondern regional sich auch pate n. für ,Patenkind' bildet. 2.4.4. Orthographie und Aussprache: Wie bereits S. 654 betont, richtet sich die Aussprache des Mlat. nach den landschaftl. Aussprachegewohnheiten, wie früher bes. das „Schwabenlatein" bekannt war. Diese Tatsache führte zu einer wichtigen Differenzierung der Schreibung für den Wandel von mhd. vorkons. s > s (s. Rosenfeld, Festschrift f. J . v. Dam, 1977). J. Griech.-gotische griech.-deutsche 3.1. Griech.-gotische

Interferenzen und Transferenzen

direkte

Interferenzen

Wie wir sahen, hat das Griech. durch Vermittlung des Lat. von der Bekehrungszeit an auf das Dt. gewirkt. Dagegen hat unmittelbare Einwirkung vor dem Humanismus nicht stattgefunden. Auch die These von einem starken durch eine got.-arian. Mission vermittelten frühen griech. Einfluß schmolz immer mehr zusammen. Dagegen bleibt ein Restbestand griech.-got. Interferenzen. Denn die beiden bairischen Wochentagsnamen Er-, Erch-tag ,Dienstag' aus Areas hemera ,Arestag' und Pfinztag ,Donnerstag' aus pempte hemera ,fünfter Tag' sind den Baiern gewiß durch got. Vermittlung zugekommen. Aber sie haben nichts mit arian. Mission zu tun. Wie den Westgermanen die Wochentagsnamen zur besseren Terminbestimmung von röm. Kaufleuten längst vor jeder Mission zugeführt sind, so haben die Baiern sie entweder von got. Händlern vom Schwarzen Meer her erhalten, oder sie haben sie von Goten, die sich nach dem Zusammenbruch des Gotenreiches zu

77. Klassische Sprachen und deutsche Gesamtsprache i h n e n f l ü c h t e t e n , gelernt. D a sie ja keinesfalls v o r der w e s t g e r m . A u f n a h m e der lat. W o c h e n t a g s n a m e n z u ihnen gelangt sein k ö n n e n , bestehen beide M ö g l i c h k e i t e n . 3.2.

Direkte

griech.-deutsche

Transferenzen

D a s G r i e c h . w i r d in D e u t s c h l a n d v o r allem d u r c h Erasmus eingebürgert, und durch Melanchthon w i r d nicht n u r das G r i e c h . u n t e r L u t h e r s Z u s t i m m u n g in den protestantischen Schulbetrieb eingegliedert, s o n d e r n er, der H o m e r f ü r den , . h u m a n s t e n D i c h t e r " erklärte, lenkte recht eigentlich den H o m e r k u l t nach D e u t s c h l a n d h i n ü b e r . Erasm u s ' f ü r die R e f o r m a t i o n so wichtige A u s g a b e des N . T e s t a m e n t s (Basel 1516) w a r das erste vollständige griech. Buch in d t . - s p r a c h i g e n L ä n d e r n . Seitdem w a r das G r i e c h . (im G e g e n s a t z z u m M A ) O b j e k t d e r G e i s t e s b i l d u n g u n d des philolog. S t u d i u m s . N a c h der M i t t e des 18. J h . s e r w ä c h s t in J . J. W i n c k e l m a n n d e r griech. K u n s t ein begeisterter K ü n d e r , u n d die N e u h u m a n i s t e n F. A . Wolf u n d A u g . B o e c k h wissen auch weitere Kreise der G e b i l d e t e n f ü r sprachlich-philologische Fragen des G r i e c h . ( H o m e r ) z u e r w ä r m e n . N i e t z s c h e f o r m t nach der M i t t e des 19. J h . s das G r i e c h e n b i l d n e u u n d vermag v o r allem auch die J u g e n d d a f ü r z u begeistern. A b e r es ist charakteristisch, d a ß sein S t i c h w o r t ,apollinisch' n o c h an die lat. Flexion v o n Apollo a n k n ü p f t (griech. gen. -önos). U . v. Wilam o w i t z - M o e l l e n d o r f f u n d W e r n e r Jäger, der m i t d e m G e d a n k e n d e r Paideia einen ,3. H u m a n i s m u s ' b e g r ü n d e t , erfüllen die G e b i l d e t e n s c h i c h t mit d e m B e w u ß t s e i n der Einzigkeit der echten griech. W e l t . All das spiegelt sich in d e n E n t l e h n u n g e n aus d e m G r i e c h i s c h e n , i n d e m e t w a W o r t e wie Mythos, Symbol, Prophet, Ekstase, Eros, Ethos, Kosmos eine neue S t o ß k r a f t g e w i n n e n . A b e r n e b e n dieser s o z u s a g e n h ö h e r e n E b e n e d e r g r i e c h . - d t . T r a n s f e r e n z e n läuft u n b e s c h a d e t der d i r e k t e n K e n n t n i s des G r i e c h . die E n t l e h n u n g griech. W o r t e in lat. F o r m weiter. So erscheint gr. ai w e i t e r als ä: Leukämie, Geodäsie, Mäander, Mänade, Phänomen, Diät, Hypnopädie; gr. oi gilt als ö: Ökonom, Ökumene, Solöcismus. Auch die A u s s p r a c h e von k- als c- v o r palatalen V o k a l e n bleibt: Solöcismus, Circe, Cerberus, Hydrocephalos „ W a s s e r k o p f " . A u c h w e n n Wieland 1766 f r z . egide aufgreift, so setzt er es in latinisiertes G r i e c h . u m a l s / i g i d e (gr. α ί γ ί ς „ S c h i l d " ) . N u r selten w i r d ein W o r t m i t oi, ai in griech. L a u t u n g ü b e r n o m m e n , ζ . B. Paranoia, Koine; gelegentlich mit seltsamer M i s c h u n g , z . B . Oidium aus ο ϊ δ ι ο ν „ E n t w i c k l u n g s f o r m des S c h i m m e l pilzes". A u c h lat. E n d u n g e n w e r d e n an griech. S t ä m m e a n g e f ü g t , ζ. B. Katalysator. U m g e k e h r t w e r d e n griech. E n d u n g e n bes. in der M e d i z i n u n d P h a r m a k o l o g i e p r o d u k t i v u n d an

659

lat. S t ä m m e a n g e h ä n g t , z . B . Appendicitis. Diese Bildungsweise, die im 18. J h . gewaltige D i m e n sionen a n g e n o m m e n hatte, wird im 19. J h . wieder zurückgedrängt. D i e s t ü r m i s c h e E n t w i c k l u n g v o r allem der T e c h n i k im 19. u n d 20. J h . b e w i r k t e einen g r o ß e n Bedarf an neuen B i l d u n g e n . D a s G r i e c h . lockte d u r c h seinen vollen Klang, d e r d a n n aber d e m B e d ü r f n i s des Lebens nach K n a p p h e i t o f t nicht e n t s p r a c h , vgl. z . B . Kinematograph, das zu Kino verkürzt wurde. G r o ß e n R a u m n e h m e n die M i s c h b i l d u n g e n ein, in d e n e n (über Suffixe hinaus) G r i e c h . m i t L a t . g e k o p p e l t w i r d wie ζ. B. in Automobil, Realgymnasium, homosexuell, Television, a u c h solche mit d t . , f r a n z . o d e r engl. Bestandteilen (auch Eig e n n a m e n ) wie frankophil, Röntgenologie, Rhinospray, Daguerrotypie. Gelegentlich w i r d Griechisches auch d u r c h das Englische e n t l e h n t : Spleen aus griech. σ π λ ή ν ,Milz' w i r d e t w a zu , W u n d e r l i c h k e i t , s o n d e r b a r e Eigenheit'. 4. Bibliographie

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78. Germanische Sprachen und deutsche Gesamtsprache

78. Germanische Sprachen und deutsche Gesamtsprache 1. T h e m a t i k 2. Sprachkontakte zwischen Standardsprachen, dargestellt am Beispiel englischer T r a n s f e r e n z e n und ihrer I n t e g r a t i o n im gegenwärtigen D e u t s c h 3. T r a n s f e r e n z e n aus germanischen Sprachen im Deutschen 4 . K o n t r a s t i v e Linguistik D e u t s c h - G e r m a n i s c h e Sprachen

661

genden Forschung ( z . B . Juhasz 1970, Burgschmidt/Götz 1974, Clyne 1975, Tesch 1978). Diese umfassende Thematik wurde bisher nur sehr partiell bearbeitet. Im folgenden wird der B e reich der Sprachkontakte zwischen Standardsprachen am Beispiel englischer Transferenzen im Deutschen schwerpunkthaft behandelt. Abschnitt 3. und 4. geben eine gegenüber der 1. Aufl. stark gekürzte, nur bibliographisch erweiterte Darstellung.

5. A u s b l i c k

6 . B i b l i o g r a p h i e (in A u s w a h l )

1.

Thematik

Unter deutscher Gesamtsprache verstehen wir Deutsch in seinem europäischen Verbreitungsgebiet vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart, als gesprochene und geschriebene Sprache, Dialekt, Fachsprache, Standardsprache; unter germanischen Sprachen entsprechend Englisch, Niederländisch, Afrikaans, Schwedisch, Dänisch, N o r wegisch, Isländisch, Jiddisch, Friesisch. W i r schließen damit aus: Deutsch in Nordamerika und Australien, d . h . die Kontakte deutscher Auswanderersprachen mit dem Englischen (vgl. u . a . C l y n e 1967, 1972, 1975, Rein 1977, Kloss 1978 u. Art. 60). Kontrastive Aspekte thematisieren (1) den Vergleich von Sprachsystemen, sei es in typologischer Hinsicht (Sprachtypologie, s. Art. 74), sei es - unter angewandtem Aspekt - als linguistische Grundlage von Sprachlehre (Kontrastive Linguistik, s. Art. 73, 101, 102) und Sprachmittlung (Übersetzungswissenschaft, s. Art. 9 7 , 98), (2) die Beschreibung historischer und gegenwärtiger Erscheinungen des Sprachkontakts i. w. S., d . h . von Interferenzen, wenn zwei Sprachsysteme in der Kompetenz eines Sprechers oder ganzer Sprechergruppen zusammentreffen, und zwar beim Zweitspracherwerb (Interferenzlinguistik, s. Art. 76) oder bei Mehrsprachigkeit ( K o n taktlinguistik, s. Art. 75). Solche Interferenzen erscheinen beim Zweitspracherwerb als N o r m verletzungen der Zielsprache, sie sind Gegenstand der Sprachlehrforschung (s. Art. 101, 102), bei Mehrsprachigkeit sind sie als Transferenzen aus einer Quell- oder Modellsprache in die Empfänger- oder Replicasprache zu beschreiben, als Innovationen, die der Integration der Empfängersprache ausgesetzt sind. Die Beschreibung der Transferenz- und Integrationsprozesse setzt (zumindest implizit) einen systematischen Sprachvergleich voraus. Die Verknüpfung der verschiedenen Disziplinen neuerer bi- und multilingualer Komparatistik tritt in Weinreichs grundlegendem Werk (1953) deutlicher hervor als in der sich später verzwei-

2. Sprachkontakte zwischen Standardsprachen, dargestellt am Beispiel englischer Transferenzen und ihrer Integration im gegenwärtigen Deutsch 2.1. Forschungsziele und

Darstellungsmodell

2 . 1 . 1 . Die Untersuchung von Kontakteinflüssen germanischer Sprachen aufs Deutsche befindet sich im Übergang von einer traditionellen Lehngutforschung (in der Nachfolge von W . Betz) zu einer strukturalistisch und soziolinguistisch orientierten Sprachkontaktforschung nach dem V o r bild von Untersuchungen bilingualer Gemeinschaften (Weinreich 1953, Haugen 1950, 1956, Clyne 1967, 1972, 1975, Oksaar 1972). Die bisher primären Fragen der Forschung „aus welcher Sprache ist was, wann, von wem und aus welchem Grunde entlehnt w o r d e n ? " (genetische Sicht) mit ihrer Einschränkung auf lexikalischsemantische Lehnprozesse und schriftliche Zeugnisse als Untersuchungskorpus werden nun erweitert und präzisiert durch folgende Gesichtspunkte: (1) In welcher Weise und aufgrund welcher empfängersprachigen Bedingungen werden Entlehnungen in die geschriebene und gesprochene Sprache integriert? (2) Welche Auswirkungen haben Transferenzund Integrationsprozesse auf die Empfängersprache (Sprachwandel), auf die Differenzierung von Subsystemen und auf die Verständigung innerhalb der Sprachgemeinschaft? (3) Wie ist der Beschreibungsapparat (Terminologie) diesen Zielen anzupassen? (4) Welches ist die Einstellung der Sprachteilnehmer gegenüber Transferenzen im Sinne einer Sprachloyalität zur Muttersprache oder zur Fremdsprache? (Zu ( 1 Η Ό vgl. B o r e t z k y 1973, Carstensen 1968, C l y n e 1967a, b, 1973, 1975, Coseriu 1977, D u c k w o r t h 1977, Fink 1975, 1976, Lüllwitz 1972, Galinsky 1977, Scherner 1974, Tesch 1978.) Diese Fragen fallen nicht mehr in den primären Arbeitsbereich von Fachvertretern der Modellsprachen, die bisher überwiegend die Forschung getragen haben - für Englisch/Deutsch: Carstensen, Galinsky, Fink in den Mittelpunkt treten

662

IX. Kontrastive

Aspekte

n u n m e h r als Gegenstand Germanistischer Linguistik die kontaktindizierten Sprachwandelprozesse im Deutschen. „ D a die Elementarform des Sprachwandels die , A d o p t i o n ' ist, d . h . die Ü b e r nahme eines sprachlichen Verfahrens aus dem Sprechen eines anderen Sprechers" (Coseriu 1977, 100), kann Sprachwandel am Beispiel von Sprachkontakten in statu nascendi beobachtet werden. 2.1.2. Andererseits ist hervorzuheben, daß der Kontakt zweier Standardsprachen, die sich in ihrer arealen Verbreitung nicht berühren (wie Deutsch und Englisch), spezifischen Bedingungen unterliegt. Die M e t h o d e n der allgemeinen, an bilingualen Gemeinschaften entwickelten Sprachkontaktforschung sind hier teils nicht relevant, teils nicht ausreichend. Beim Kontakt zwischen Deutsch und Englisch innerhalb des zentralen deutschen Sprachgebietes treten folgende Aspekte in den Vordergrund: (1) An primären Sprachkontakten ist n u r eine Minderheit berufsmäßig bilingualer Sprecher beteiligt: „Sprachkontaktleute" (Reich 1977, 199) aus Informationswesen, Wirtschaft und W e r b u n g , Unterhaltungsindustrie, internationalem Verk e h r s · und Militärwesen. Sekundär nehmen daran Sprecher mit bilingualer (Teil)kompetenz (Schulenglisch) durch kompetente Rezeption lexikalischer Transferenzen teil. Ein Großteil der Deutschsprechenden ist vom unmittelbaren K o n takt ausgeschlossen b z w . erfährt ihn n u r in wenigen Teilbereichen ( z . B . Musikszene). (2) Dies hat zur Folge, daß ein hoher Prozentsatz der eingeführten Transferenzen kurzlebig ist und die Mehrzahl der übrigen den Geltungsbereich von Fach- und Gruppensprachen nicht überschreitet. Das vor allem in der P r o d u k t - W e r b u n g (aber auch in der wissenschaftlichen Fachliteratur) benutzte Transferenz-Vokabular verfehlt häufig seinen Mitteilungszweck, da den Lesern/ H ö r e r n die bilinguale K o m p e t e n z der Autoren abgeht. In den aktiven Wortschatz der Sprachgemeinschaft dringt n u r ein Bruchteil von Transferenzen ein (Fink 1975, 1976, Clyne 1973, Pfeffer 1973). Umfangreiche Sammlungen englischer Lehnwörter im Deutschen verdecken diesen Sachverhalt ( z . B . N e s k e / N e s k e 1970). (3) Es besteht generell nicht der ökonomische und soziokulturelle D r u c k einer bilingualen Sprachsituation (Einwanderersprachen in Amerika und Australien). Mithin ist für Art und U m fang von Transferenzen vor allem die Bereitschaft der gesamten Sprachgemeinschaft verantwortlich. D a m i t gewinnt die Sprachloyalität gegenüber der Muttersprache o d e r der Kontaktsprache ausschlaggebende Bedeutung. Die den Deutschen in einem Artikel der T I M E S zugesprochene „sprachliche U n t e r w ü r f i g k e i t " (Wilss 1966, 44) scheint auch Ausfluß des nationalen Zusammenbruchs und bereitwilliger Anpassung an ags. Zivilisa-

tionsmuster, insbesondere von Seiten d e r , , S p r a c h kontaktleute". (4) Die Resultate von Sprachkontakten werden der deutschen Sprachgemeinschaft überwiegend medienvermittelt weitergegeben. Dabei spielt die schriftliche Manifestation in Presserzeugnissen eine dominierende Rolle. Transferenzen gelangen auf diese Weise relativ unintegriert in den N o r menkanon geschriebener Sprache, ohne daß die Mehrheit der Sprachteilnehmer in der Lage wäre, die fremde Phonem-Graphem-Relation f ü r eine normgerechte Aussprache zu dekodieren (Apfelsorte Delicious [di'lifas] oder [de'li:tsiui]}). Doch folgt die Schreibnorm bisher selten der in der Sprachgemeinschaft vorgenommenen Aussprache nach dem Schriftbild ( s . u . 2.3.). (5) Interferierte Standardsprachen haben die Möglichkeit, durch ihre normgebenden Institutionen auf Art und U m f a n g von Transferenzen sowie ihre Integration Einfluß zu nehmen (Schreib- und Aussprachenormierung, Sprachregelung im amtlichen Schriftverkehr etc.). 2.1.3. U m f a n g und Möglichkeiten der Transferenz ergeben sich aus der Ähnlichkeit b z w . Verschiedenheit der in Kontakt stehenden Sprachen und der Sprachhaltung der betreffenden Sprecher. D a bei Fernkontakten von Standardsprachen der bewußte Übersetzungsprozeß eine dominierende Rolle spielt, läßt sich sagen: Die Ursache von Transferenzen ist primär das Bedürfnis oder Erfordernis, die durch bestimmte Zeichen(kombinationen) in einer Sprache Α geprägten Informationen in einer Sprache Β z u m Ausdruck zu bringen. Dies geschieht in einem Vergleich von Zeichen der Sprachen Α und Β mit dem Versuch einer „interlingualen Identifikation" (Weinreich). Der Prozeß f ü h r t in der Regel zu einer Übersetzung durch semantisch äquivalente Zeichen oder Paraphrasen. Scheitert er wegen des Fehlens von Äquivalenten (Zeichen f ü r neue Sachen) oder (häufiger) wegen der spezifischen V e r k n ü p f u n g von Bedeutungselementen in Zeichen der Quellsprache, so bestehen folgende Möglichkeiten der Transferenz: (1) Ü b e r n a h m e des Lexems aus dem Text der Quellsprache in den Text der Zielsprache (lexikalische Transferenz, H a u g e n : importation, Betz: L e h n w o r t , Fink 1970: Nullsubstitution), (2) Nachbildung (Weinreich, H a u g e n : reproduction) einer M o r p h e m k o n s t r u k t i o n oder eines idiomatischen Syntagmas der Quellsprache mit den Mitteln der Zielsprache (morpho-semantische Transferenz, Betz: Lehnübersetzung, Lehnübertragung, Lehnwendung, Fink 1970: Vollsubstitution), (3) Verbindung von lexikalischer und m o r p h o semantischer Transferenz ( H a u g e n : loanblend, D u c k w o r t h 1970: Lehnverbindung, Fink 1970:

78. Germanische Sprachen und deutsche Gesamtsprache Teilsubstitution, dung),

älterer Terminus:

Hybridbil-

(4) Übertragung einer Teilbedeutung (Semem) eines Zeichens der Quellsprache auf ein ausdrucks- und/oder inhaltsseitig ähnliches Zeichen der Zielsprache (semantische Transferenz, Betz: Lehnbedeutung), (5) Bildung eines Ersatzwortes mit den Mitteln der Zielsprache ohne Anlehnung an das Konstruktionsvorbild der Quellsprache (Betz: Lehnschöpfung). B e i s p i e l e für (l}-(5): teamwork (1), Teamarbeit (3), Gruppenarbeit (2); Public Relations, PR (1), öffentliche Beziehungen, Öffentlichkeitsarbeit (2), Meinungspflege, Vertrauenswerbung (5); Show(business) (1), Showgeschäft (3), Schau W -

Soweit keine lexikalische Transferenz erfolgt, ist mithin „Interferenz in Wirklichkeit eine Form der sprachlichen Kreativität [ . . . ] , das Schaffen in einer ,Sprache B ' nach dem Muster einer ,Sprache A ' " (Coseriu 1977, 97). Lexikalische Transferenz erfolgt daneben häufig, wenn die Quellsprache und ihr soziokultureller Hintergrund als vorbildlich angesehen werden und deren Zeichen in den Augen der Sprachkontaktleute als treffender, kürzer, aktueller gelten. Sie haben im Munde des Sprechers nicht nur Darstellungs-, sondern auch Appell- und Ausdrucksfunktion. Lexikalische Transferenzen überführen neben der Inhaltsstruktur (geformte Inhaltssubstanz) ausdrucksseitige Elemente und Regeln der Quellsprache (geformte Ausdruckssubstanz) in die Empfängersprache: fremde Phoneme, Phonemrealisationen (Allophone), Phonemkombinationen und prosodische Merkmale (phonologische Transferenz, s.u. 2 . 2 . ) , fremde Grapheme, Graphemkombinationen und Graphem-Phonem-Relationen (graphematische Transferenz, s.u. 2 . 2 . ) , fremde gebundene Morpheme (morphemische Transferenz, s.u. 2.4.), fremde Wortbildungsmuster (morphologische Transferenz, s.u. 2.4.) sowie fremde syntaktische Regeln (syntaktische Transferenz, s. u. 2.6.). (Terminologie im wesentlichen nach Clyne 1975, 17ff., s.a. Art. 74.) 2 . 1 . 4 . Diese Transferenzen sind teils schon im Stadium der Verwendung durch Sprachkontaktleute, vor allem jedoch, sobald sie „durch den ,Fleischwolf' der monoglotten Personen gehen" (Kiparski in Diskussion zu Pilch 1965) der Interferenz durch die Empfängersprache (Integration) ausgesetzt (Weinreich 1953,44). Dabei treten viele jener Erscheinungen auf, die bei Englischlernern als Fehler gelten. Demgemäß neigen Deutsche mit Englischkenntnissen zur Vermeidung solcher Integration und es entstehen soziolektale Varianten, durch die sich vermeintlich Gebildete von Ungebildeten zu unterscheiden suchen.

663

Wir fassen mithin I n t e r f e r e n z als Oberbegriff zur Bezeichnung der sprachkontaktindizierten Normabweichung bzw. Innovation in einer Äußerung, sowohl den Vorgang wie den unspezifizierten Sachverhalt (Clyne 1975, 16, Galinsky 1977, 464). Die Übernahme von Regeln, Merkmalen und Elementen einer Sprache Α (Quellsprache) in eine Sprache Β (Empfängersprache) auf den verschiedenen Sprachebenen nennen wir mit Clyne 1975, 16 Transferenz(en). (Der Terminus Transfer bei Weinreich, Haugen, Clyne wird vermieden, da er in der Sprachlehrforschung, s. Art. 75, spezifisch - Übertragung identifikativer Erscheinungen - benutzt wird.) Als Integration bezeichnen wir die Interferenz der Empfängersprache gegenüber den aus Α transferierten Elementen, Merkmalen und Regeln mit dem Effekt der Rückgängigmachung von Transferenzen ( z . B . [DU] ZU [O.] S. 2.3.) oder der Abwandlung von Transferenzen ( ( « ) [a] zu [«], ticket zu ,(Flugzeug)ticket' s.u. 2 . 3 . , 2.10.). Was traditionell als Eingliederung bezeichnet wird, beinhaltet also sowohl die Integration in diesem Sinne wie die Akzeptierung von Transferenzen, z . B . [d3] in Job, wodurch das Phonemsystem des Deutschen um ein peripheres Phonem erweitert wird. (Hierzu Juhäsz 1977, 9.) Die Eingliederung von Transferenzen hat eine Neuordnung des Systems der Empfängersprache zur Folge mit Wirkung auf die vorhandenen Elemente und Regeln dieses Systems. Der Vorgang der Integration oder Akzeptierung von Transferenzen ist ein lang andauernder Prozeß, in dem zahlreiche Stufen durchlaufen und eine Vielzahl von Varianten erzeugt werden. Dabei kann es auch zur Rückgängigmachung einer Integration durch Verstärkung des Sprachkontakts kommen (Jazz [jats] > [d^css]). Wir erfassen die Integrationserscheinungen mit den Oberbegriffen phonologische, graphematische, morphemische, morphologische und semantische Integration (vgl. Clyne 1975, 3 I f f . ) . Interlingual identifizierte Phone und Morphe nennen wir mit Haugen 1956, 46 Diaphone und Diamorphe. 2.2.

Phonologische Transferenz

und

graphematische

2.2.1. Unintegrierte ( d . h . akzeptierte) phonologische Transferenzen ( z . B . die Phone [ei] und [d$] in Teenager, die Anlautkombinationen lsn-1, lsl-1, lsm-1 in Snob, Slums, smart) sind zu einem peripheren System des Deutschen zu zählen (Pilch 1965, Clyne 1975). Der phonologische Status (Phonem oder Allophon) eines transferierten Lautes in der Quellsprache ist für die Empfängersprache irrelevant. Die emischen Einheiten der Quellsprache werden als etische Einheiten aufgefaßt und erhalten je nach Integration erst im

664

IX. Kontrastive Aspekte

System der Empfängersprache einen phonologischen Status. (Boretzki 1973, 144). 2.2.2. Die phonologischen Transferenzen sind an bestimmte graphematische Manifestationen gebunden ([ez] als {a), [d$] als (g) in Teenager). Mithin werden durch sie Phonem-Graphem-Relationen der Quellsprache in die Empfängersprache transferiert. Auch sie gehören einem peripheren graphematischen System des Deutschen an. Entsprechend solchen transferierten Graphem-Phonem-Relationen finden wir neuerdings Schreibungen wie Camera, Automatic ( ( c ) für [&]) und Cigarette, Centrum ((c)für [ts]) gegenüber früherer k- bzw. z-Schreibung. Hier deutet sich die Tendenz an, graphematische Transferenzen aus einem peripheren in das zentrale System zu übernehmen. Als graphematische Transferenzen sind ferner zu werten: Genitiv-Apostroph bei Eigennamen (Müller's Bar), Abkürzung des zweiten Vornamens nach anglo-amerikanischem Vorbild (August W. Müller), Komma nach Briefanrede (Sehr geehrter Herr Müller, beiliegend ...) und Dezimalgliederung in wissenschaftlicher Literatur. 2.3. Phonologische Integration

und

graphematische

2.3.1. Phonologische Integration kann auf zweierlei Weise erfolgen: a) durch sogenannten ,Lautersatz', d.h. Ersatz des fremden Lautes durch einen benachbarten im muttersprachlichen System, wobei dessen Strukturmuster eine Art Filterwirkung ausüben; z . B . [ju[ > [o;] in toasten, Poker, Roastbeef, [ei] > [e:] in Baby, Keks < cakes (Ersatz der fremden Diphthonge durch Langvokale), [d$\ > [3] oder [/] in Job, Jeans, Jeep (Ersatz durch [3] aus dem peripheren System französischer Transferenzen Garage, Manege — oder durch [/] aus dem zentralen System), [w] > [t /-ρ/ναJob, / - z / > l-sl in Jeans, Anlautkombination lst-1, lsp-1, lsm-1, lsn-1, /j/-/zu /ft-/, ljp-1, /fm-/, /fn-/, /fl-/ in Standard, Spikes, Snob (ugs. [fnjp]), Schlips < slips, ugs. scbmoken. b) durch sogenannte „Aussprache nach dem Schriftbild" (Jazz [jats]), d. h. Ausgangsbasis der Realisation ist die graphematische Manifestation des fremden Zeichens, wobei diese nach den Graphem-Phonem-Relationen des muttersprachlichen Systems dekodiert wird. Dieser Integrationstyp beruht im allgemeinen auf Nichterkennen des Zeichens als engl. Transferenz. Er begeg-

nete zwischen den Weltkriegen und in der Nachkriegszeit häufiger: k.o. [ka'o:~\, dagegen später o.k. [o:'ke:];Jazz \jats], heute [d^tes], wobei hier inzwischen eine semantische Differenzierung zwischen deutschem \jats] und amerikanischem [d^ces] eingetreten ist. Häufige Integrationen dieses Typs sind heute { « ) als [«] statt [a] in Puzzle, Bunker, Bungalow, {a) als [a] statt [ lateinische 3.1.

Interferenzen

Allgemeines

Neben den in den vorangehenden Abschnitten behandelten direkten romanisch —> deutschen Transferenzen verzeichnen wir rom. Einflüsse auf die lateinisch —» deutschen Transferenzen, die wir als Interferenzen bezeichnen wollen (zum Begriff Juhäsz, Art. Nr. 76); sie betreffen die beiden Bereiche Wortschatz und Orthographie. In bezug auf den Wortschatz darf davon ausgegangen werden, daß die lat. Spontansprache (Umgangssprache) der ersten nachchristlichen Jahrhunderte bereits einige regionale Differenzierungen aufwies, die in den rom. Sprachen fortleben. Durch die Transferenz von Lehngut konnten solche frühen rom. Differenzierungen in das dt. Sprachgebiet projiziert werden. Bei der historischen Rückschau ergibt sich daraus eine Betrachtung des lat. Lehngutes im dt. Wortschatz unter dem Gesichtspunkt der rom. Sprachgeographie

676

IX. Kontrastive Aspekte

(Jud 1917). Bei dieser Sehweise ergeben sich folgende charakteristische Fälle: (a) das dt. Sprachgebiet setzt lat. W ö r t e r f o r t , die in der Romania durch andere verdrängt w o r den sind (Beispiele: Kauf < caupö; Pfund < pondus; eichen < acquire)·, (b) das dt. Sprachgebiet n i m m t an westeuropäischen Gemeinsamkeiten lat. H e r k u n f t teil; sind diese älteren D a t u m s , so weisen sie sowohl im G e r m , als auch im R o m . normale Lautentwicklung auf (Beispiele: vinum > dt. Wein, f r z . ν in; moneta > dt. Münze ( ö h m a n n , N M 1964, 387), f r z . monnaie; monachus > dt. Mönch, f r z . moine)\ Bei Entlehnung im späten Mittelalter oder in der Neuzeit hingegen erfahren sie n u r geringfügige lautliche Veränderungen (Beispiele: doctor > dt. Doktor, frz. docteur; restum > dt. Rest, f r z . reste; concordantia > dt. Konkordanz, frz. concordance); (c) das dt. Sprachgebiet stimmt mit einem Teil der Romania überein, während ein anderer Teil der Romania abweicht (Beispiele: presbyter > afrz. prestre, n f r z . pretre ~ dt. Priester gegenüber ital. u n d rätorom. Formen o h n e -$-: prete b z w . prer (Jud 1917, 3 u. 38 f.; Germania Romana II, 4 1 4 f . ; Trübners D t . W b . 5, 2 0 5 f . ; F E W 9, 359); media hebdoma(s) > tosk. mezzedima, rätor o m . ( G r a u b ü n d e n ) mesjamna, mesemda, dalm. misedma ~ ahd. Lehnübersetzung mittawehha > n h d . Mittwoch, gegenüber f r z . mercredi < mercuri dies (Trübners D t . W b . 4, 653f.; F E W 4, 395 b); (d) innerhalb des dt. Sprachgebietes sind mehrere auch in der Romania regional differenzierte Varianten vertreten (Beispiele: tincta > dt. Tinte ~ span.-port, tinta gegenüber frz. encre < encaustum, ndl. inkt und entsprechende rheinischwestfälische Dialektformen (Germania R o m a n a I, 158f.; II, 103-107). N u r die Fälle (c) und (d) sind als echte romanisch —» lateinische Interferenzen zu betrachten und werden im folgenden Abschnitt des näheren erörtert.

3.2.

Wortgeographie

Aus der geographischen Lage ergeben sich zwei mögliche Stoßrichtungen f ü r lateinisch—» deutsche Transferenzen: von W (späteres frz. Sprachgebiet) und von S (späteres ital.-rätorom. Sprachgebiet). Untersucht man das vorhandene Lehngut unter diesem Gesichtspunkt im Hinblick auf etwaige regionale Differenziertheit, so ergibt sich folgendes: (1) In bezug auf viele lateinisch —» deutsche Lehnwörter stimmen Frankreich und Italien überein. (2) In einer Anzahl von Fällen haben lateinisch

—> deutsche Lehnwörter Entsprechungen im Französischen, nicht aber im Italienisch-Rätoromanischen; die umgekehrte Situation ist viel seltener. Aus diesem Befund ist kein deterministischer, w o h l aber ein probabilistischer Schluß zulässig; anders ausgedrückt: zwar m u ß f ü r den Einzelfall die Möglichkeit eingeräumt werden, daß ein lat. W o r t , das in einem der beiden r o m . Sprachgebiete heute (und auch schon im Mittelalter) keine F o r t setzer aufweist, in der Spätantike dort durchaus vorhanden w a r ; andererseits kann aus dem deutlichen Uberwiegen der Übereinstimmungen mit dem Französischen geschlossen werden, daß die Entlehnungen zumeist an der Rheingrenze erfolgten. Die G r ü n d e dafür liegen im wirtschaftlichen Aufschwung u n d der hohen Exportkapazität Galliens in der Römerzeit, in der Stärke der Garnisonen am Rhein im Vergleich zur Donaugrenze, und schließlich in dem Verkehrshindernis, das die Alpen darstellen (Germania R o m a n a I, 66-80; II, 515ff.). Eine zahlenmäßig geringfügige Besonderheit stellen diejenigen Fälle dar, in denen die beiden r o m . Sprachgebiete gegenüber einer älteren lat. Phase unterschiedliche N e u e r u n g e n durchgeführt und diese in das dt. Sprachgebiet projiziert haben. So ist als Bezeichnung f ü r die Zwiebel (allium cepa) lat. cepa, caepa in Italien und Rätien durch das Diminutiv cepulla, in N o r d f r a n k r e i c h hingegen durch üniö (eigentlich „ E i n h e i t " , z u m U n terschied von dem in Zehen gespaltenen K n o b lauch) verdrängt w o r d e n . W ä h r e n d das Gros des dt. Sprachgebietes von den Alpen bis Friesland und Schleswig-Holstein mit Formen wie zibbel, sibbel, siepel, Zwiebel (Trübners D t . W b . 8, 550-553) an die ital. (dpolla) und rätorom. N e u e r u n g (tschaguola, G r a u b ü n d e n ) anschließt, greift von W her rivalisierendes üniö als ndl. ui, rhein. önn, öllich (< üniö + germ, lauch), moselfrk. ünn, lothr. enn in germ. Sprachgebiet über (Germania R o m a n a I, 99; II, 177-181, 496-498; Lüdtke 1960; F E W 14, 43-46). In einem anderen vieldiskutierten Fall, „Samstag/Sonnabend", steht die südd. F o r m (nur diese k o m m t hier in Betracht), die ahd. sambaztag lautet, in geographischem Z u s a m m e n h a n g mit f r . samedi u n d graubündnerisch sonda, sanda einerseits sowie den südosteuropäischen Formen (aksl. sgbata samt slawischen, ungarischen und rumänischen Fortsetzern) andererseits, die auf eine vulgärgriech. F o r m * σ ά μ β α τ α zurückgehen, während die südliche Romania (Pyrenäenhalbinsel, Südfrankreich, Italien einschließlich Dolomiten und Friaul) aus gr. σ ά β β α τ ο ν , σ ά β β α τ α (über lat. sabbatum) stammende Fortsetzer (span. port, säbado, aprov. sapte, it. sabato, friaul. sabide) aufweist ( F E W 11, 2 - 5 ; von W a r t b u r g 1956, 53-55 u. 59; Avedisian 1963; Germania R o m a n a I, 30ff.; II, 444-447; Skok III, s. v. sobota).

79. Romanische Sprachen und deutsche Gesamtsprache 3.3.

Entlehnungsregelung

Die sprachkulturelle Vorrangstellung Frankreichs manifestiert sich auch in zahlreichen Fremdwörtern vor allem der Wissenschaft und der Technik, die wir als Latinismen bzw. Gräzismen anzusehen gewöhnt sind. Frz. Herkunft ist an ihnen das Verfahren oder besser: Regelsystem, nach welchem lat. und griech. Wörter unbeschränkt dem deutschen Sprachschatz einverleibt werden können. Beispiele wie lat. generalis > generell, classic-itas (zu classicus) > Klassizität, regularis > regulär lassen das schlagartig erkennen: während die betreffenden Wörter einerseits nicht auf frz. *generei, ' classiate, "regulaire zurückgeführt werden können, weil diese gar nicht existieren, liegt es andererseits auf der Hand, daß der Vokalismus der deutschen Suffixe -eil, -tät, -är sich durch Herleitung aus ihren frz. Entsprechungen -el(le), -te (afrz. -tet), -aire erklärt; entsprechendes gilt für lat. -osus > dt. -ös über frz. -euxl-euse (vgl. 2.2.). (Den umgekehrten Fall lat. —> frz. Interferenz haben wir in der Wiedergabe von nfrz. c durch dt. ζ in Wörtern aus dem 16.-19. Jh. wie Offizier, exerzieren·, öhmann, NM 1937, 78f.) Das Entlehnungsverfahren läßt sich durch folgendes Regelsystem grob charakterisieren: (1) Als Grundlage dient bei Nomina der lat. Akkusativ (bei Verben der Infinitiv). (2) Einige charakteristische Suffixe werden durch ihre frz. Entsprechungen ersetzt. (3) Die lat. Flexionsendung (bei den Nomina) wird gemäß einem detaillierten Algorithmus entweder durch -e oder durch 0 (null) ersetzt. (4) Der übrige Wortkörper bleibt erhalten. Bestimmte Buchstaben und -Verbindungen werden nach festliegenden Regeln umgestaltet. Erstmals nachweisbar, wenn auch nur durch wenige Beispiele, ist dieses Entlehnungsverfahren in der altfrz. Eulaliasequenz (Ende des 9. Jhs.). Es war keine Selbstverständlichkeit, sondern mußte erfunden werden (Lüdtke 1968a, 104f.). Von Frankreich her hat es sich dann über fast ganz Europa verbreitet. Andere mit ihm konkurrierende Verfahren (Entlehnung aus dem Nominativ mit der Flexionsendung: dt. Luxus, Lokus, Cortex, Maximum; unter Abfall der Endung: declinatio > Declinatz [Rosenfeld, in: Dt. Wortgeschichte 1,2. Aufl., 347]) haben daneben existiert und leben zum Teil fort, spielen jedoch zahlenmäßig eine wesentlich geringere Rolle. 3.4.

Genus-Interferenz

Bei einer kleinen Anzahl Latinismen sowie mit gr. δδος „Weg" gebildeten Ableitungen weicht das Französische in bezug auf das grammatische Genus von den südlichen rom. Sprachen (Italienisch, Katalanisch, Spanisch, Portugiesisch) ab:

677

la minute, la seconde, la methode, la periode, la cathode, l'anode - gegenüber ital. il minuto, il secondo, il periodo, il cätodo, l'änodo. Das Deutsche folgt hier genau dem Französischen: im 15. und 16. Jh. waren Minute und Sekunde im Französischen Maskulina, im Deutschen Neutra (Schirmer 1912/13, 45; FEW 6/2, 137b); dann erfolgte übereinstimmend ein Genuswechsel. Mit dem Französischen und Deutschen geht das Rätoromanische Graubündens (minuta, secunda, metoda, perioda), das seine lat. Entlehnungen unter dt. Einfluß, sowie teilweise auch das Rumänische, das sie zumeist nach frz. Vorbild durchgeführt hat: metoda, penodä, secundä (Feminina), aber minut (Maskulinum). 3.}.

Aussprache-Interferenz

Für die Wörter, die nach den im Abschnitt 3.3. dargelegten Verfahren entlehnt werden, ergibt sich aus dem frz. Lautsystem eine einfache Betonungsregel: betont wird die letzte kein /a/ enthaltende Silbe. Das Deutsche steht vor der Wahl, entweder der frz. Betonungsregel zu folgen oder aber die Betonungsweise des lat. Wortes zu übernehmen; dadurch ergeben sich Diskrepanzen bei denjenigen Wörtern, deren Akzent im Lateinischen auf der drittletzten Silbe lag. So finden wir Endbetonung in Physik gegenüber Graphik, Statik, Polemik usw. In einigen Fällen gibt es Aussprachedubletten wie Mathematik - Mathematik (oder gar Tripletten wie Musik - Musik - Musike, abgesehen davon, daß der betonte Vokal von manchen Deutschsprachigen kurz, von anderen lang ausgesprochen wird). Hieran schließen sich Dubletten wie Motor - Motor, Pastor - Pastor an. Zwischen den beiden Betonungsweisen besteht jeweils mindestens eine der folgenden Beziehungen: Endbetonung unproduktiv volkstümlich älter peripher

ist

Betonung der Silbe ist

vorletzten

produktiv gebildet jünger zentral

(Dän.-schwed. grammatik lassen darauf schließen, daß auch im Deutschen einmal Endbetonung gegolten hat und dt. Grammatik demgegenüber eine Neuerung darstellt.) Historisch gesehen handelt es sich bei der Endbetonung um ein frz. Aussprachemodell, das zusammen mit dem Entlehnungsverfahren im Mittelalter übernommen und später im Gefolge des Humanismus modifiziert worden ist. In die gleiche historische Kategorie fällt auch die unterschiedliche deutsche Aussprache des y in Wörtern griechischen Ursprungs: volkstümliches

678

IX. Kontrastive Aspekte

/i/ geht auf prähumanistisches frz. Vorbild, gebildetes /ü/ auf Erasmus zurück. 3.6.

Orthographie

Das ahd. Orthographiesystem entstand unabhängig von direkten rom. Einflüssen, weil zur Zeit seiner Entstehung in der ersten Hälfte des 8. Jhs. noch keine rom. Texte vorlagen. Wohl aber beruhte die Verschriftung des Ahd. auf der damals im dt. Sprachgebiet herrschenden Lateinaussprache, die ihrerseits von der Lateinaussprache der rom. Nachbarn beeinflußt war, was sich bis heute z . B . in der dt. Schulaussprache des lat. c vor ae, e, i als /ts/ niederschlägt und bei der Konzeption einer ahd. Orthographie um der Klarheit der Lautbezeichnung willen zum Ausweichen auf k und ζ führte - im Gegensatz etwa zum Altenglischen, dessen Verschriftung auf der Grundlage der irischen Lateinaussprache mit c vor ae, e i als /k/ erfolgte, weshalb der Buchstabe c dort ohne Schwierigkeiten zur Bezeichnung des k-Phonems vor allen Vokalen Verwendung finden konnte (ae. cBcer „Acker" — ahd. akar, ackar). Deutlichere rom. Interferenz zeigt sich in folgenden Einzelfällen: in der Wiedergabe der Affrikata /ts/ durch den Buchstaben c (statt sonst üblichem z) in vielen fränkischen und alem. Texten, offensichtlich unter franz. Einfluß (Bergmann 1966, passim; Schützeichel 1966/67, 301 f.; Penzl 1971, passim); sodann in der Pariser Isidorhandschrift in der Verwendung von gh vor e und i, gegenüber g vor a, o, u, zur Bezeichnung von /g/ (Penzl 1959, 357; Penzl 1971, § 7.7). Ansonsten wirkte das Rom. als Katalysator für Änderungen besonders der dt. Vokalschreibung, und zwar auf folgendem kompliziertem Wege: jeder Lautwandel erfaßt natürlicherweise auch die regionale Lateinaussprache, was zu Diskrepanzen zwischen den Lateinaussprachen verschiedener Länder führt; das kann zum Anlaß für die bewußte Änderung der Lateinaussprache eines Landes mit dem Ziel der Anpassung an interregionale Normen genommen werden; daraus resultiert jedoch eine Diskrepanz zwischen den Graphem/ Phonem-Entsprechungen des Lateins und der betreffenden Volkssprache, die sich beseitigen läßt durch volkssprachliche Orthographiereform (Lüdtke 1968b, 106f.). 4. Romanisch

drittsprachige

Interferenzen

Obwohl das dt. Sprachgebiet in breiter Front an die Romania angrenzt, ist gelegentlich rom. Lehngut auf dem Umweg über das Englische zu uns gelangt. Dabei handelt es sich zumeist um Wörter, die das Englische im Mittelalter aus dem Französischen entlehnt hatte (Establishment, Party, Tennis), gelegentlich um Fachausdrücke der Seefahrt (Brise < engl, breeze < span, brisa) oder um

Wörter aus der span.-engl. Sprachkontaktzone in Nordamerika (Tornado, Pueblo). Viel häufiger kam es vor, daß über die rom. Sprachen dem Deutschen Wörter aus außereuropäischen Sprachen vermittelt wurden. Im Mittelalter sind es zunächst vor allem Arabismen, die entweder auf dem Weg über Spanien und Frankreich (Alchimie, Alkohol, Algorithmus, Almanach), über Sizilien oder über die nördlichen Mittelmeerhäfen (Venedig, Pisa, Genua, Marseille) nach Deutschland gelangten (Zucker, Sirup, Ziffer) (Steiger 1963); dabei haben mittellat. Texte eine in ihrem Ausmaß noch ungeklärte Vermittlerrolle gespielt. Türkische Wörter sind teils über Italien (tk. kösk > it. chiosco > dt. Kiosk), teils über Frankreich (Kaffee, Sultan, Odaliske) eingedrungen. Bei den Entlehnungen aus Überseesprachen (Tabak, Mais, Tee, Kakao, Schokolade) fiel die Vermittlerrolle vor allem dem Spanischen und Portugiesischen zu. Im 20. Jh. finden wir verschiedenartige Fälle frz.-engl. Interferenz. Das dt. Wort Service wird im Sinne von „Tafelgeschirr" oder (Schweiz) „Bedienungsgeld" nach frz., in der Bedeutung „Kundendienst" von manchen Deutschen nach frz., von anderen nach engl. Art ausgesprochen; das im 17. Jh. aus dem Französischen entlehnte Wort wird also jetzt von der angelsächsischen Welle mitgerissen und zu einem Anglizismus umfunktioniert. Eine entsprechende Entwicklung scheint sich auch für Appartement /Apartment und Diner/ Dinner anzubahnen (Burger 1966, 33ff.; Kratz 1968,451). 5. Bibliographie

(in Auswahl)

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Sprachen

und deutsche

Gesamtsprache

679

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Helmut Lüdtke,

Kiel

680

IX. Kontrastive Aspekte

80. Slawische Sprachen und deutsche Gesamtsprache 1. O b j e k t b e r e i c h 2 . S l a w i s c h e K o n t a k t s p r a c h e n und allgemeine Spezifik e n des s l a w i s c h - d e u t s c h e n S p r a c h k o n t a k t e s 3 . Z u r g r a m m a t i s c h e n Spezifik der slawischen I n t e g r a t e 4 . F o r m a l e Klassifikation d e r slawischen lexikalischen Integrate 5 . F u n k t i o n a l e Klassifikation der slawischen

lexikali-

schen I n t e g r a t e 6 . Situative Klassifikation der slawischen lexikalischen Integrate 7. Arealdistributive Klassifikation der slawischen lexikalischen Integrate 8 . B i b l i o g r a p h i e (in A u s w a h l )

/.

Objektbereich

Im folgenden wird versucht, eine geordnete Ubersicht über die auffälligsten Interferenzerscheinungen zu geben, die durch den Kontakt mit slaw. Sprachen in der dt. Gesamtsprache hervorgerufen worden sind. Im Zentrum der Darstellung stehen die slaw. Integrate des Dt., d. h. die in ein (Sub-)System des Dt. eingegliederten (integrierten) - hierzu Juhäsz 4.3.3. - Interferenzerscheinungen slawischer Einzelsprachen. 2. Slawische Kontaktsprachen und Spezifiken des slawisch-deutschen kontaktes

allgemeine Sprach-

Als slawische Kontaktsprachen des Dt. kommen die meisten Einzelsprachen des Slaw. in Betracht: aus dem Bereiche des Ostslaw. namentlich das Russische, unter den südslaw. Sprachen das Slowenische und das Serbokroatische sowie sämtliche Teilsprachen des Westslaw., wie Kaschubisch, Polnisch, Nieder-/Obersorbisch, Tschechisch, Slowakisch. Ferner sind als historische Kontaktsprachen untergegangene westslaw. Teilsprachen wie das Polabische und die einstigen westlichen Teile des Sorbischen zu berücksichtigen. Zu der im Einzelfall oft schwierigen Klassifikation integrierter (lexikalischer) Slawismen nach ihrer Herkunft aus vorausliegenden slaw. Einzelsprachen vgl. Bielfeldt 1965. Im Hinblick auf das slaw.-dt. Verhältnis empfiehlt sich eine Unterscheidung zwischen k u l t u ralen und s p o n t a n e n S p r a c h k o n t a k t e n . Die ersteren werden von den großen politischwirtschaftlichen Strömungen ihrer Zeit getragen. Beispiele hierfür sind der durch die Hanse vermittelte Rußlandhandel (ab 12. Jh.), die ebenfalls auf Rußland gerichteten Handels- und Reiseaktivitäten des 16./17. Jhs. sowie seit 1917 und verstärkt seit 1945 der ideologische Einfluß der Sowjetunion. Hierzu gehört ebenso die im 14./15. Jh. bestehende Vorbildstellung Böhmens. Mit der

(nicht sonderlich geeigneten) Bezeichnung kultural soll auf die maßgebliche Beteiligung der geistig-intellektuell jeweils einflußreichen Gruppen und ihrer Bildungsinstitutionen und Medien hingewiesen werden. Der sog. spontane Sprachkontakt hat demgegenüber von einer mehr als 1000 km langen, von Fehmarn bis zur Adria reichenden Nord-Süd-Linie ausgehend ein tief ostwärts gestaffeltes Areal zu seiner besonderen räumlichen Grundlage. In ihm haben sich als siedlungsbedingte Massenerscheinung engste ethnische Kontakte ergeben, beginnend im Mittelalter, nach häufigen tiefgreifenden politischen, sprachpolitischen und sozialen Veränderungen im einzelnen zwar vielfach modifiziert und eingeschränkt, doch als Gesamterscheinung bis nahe an die Gegenwart und in die Gegenwart hinein fortbestehend. Die besonderen Umstände der Misch-, Nachbarschafts- und Inselsiedlung zunächst vorwiegend illiterater deutsch- und slawischsprachiger ethnischer Gruppen haben dem slawisch-deutschen Sprachkontakt einen zusätzlichen eigenen Aspekt verliehen, der im Kontakt mit anderen Einzelsprachen in dieser Ausprägung schwerlich festzustellen ist. Die Feststellung eines verbreiteten spontanen Sprachkontaktes und seine Konfrontierung dem kulturalen Kontakt gegenüber schließt nicht aus, daß unter entsprechenden Bedingungen beide Kontakttypen auch kombiniert zur Wirkung kommen konnten und noch können, wie z . B . seit dem 19. Jh. im Sorbengebiet oder auch in den im Ural bestehenden niederdt. Sprachinseln (Klassen 1969). Grundsätzlich darf indessen festgehalten werden, daß mit den beiden Kontakttypen wohl zu unterscheidende soziale Gruppen und Schichten als Träger des Kontaktes, unterschiedliche Kontaktsituationen, unterschiedliche Typen der Zweisprachigkeit und teiweise auch unterschiedliche sprachliche Interferenzen impliziert werden. 3. Zur grammatischen Integrate

Spezifik

der

slawischen

Es ist zu fragen, auf welchen Ebenen des Sprachsystems Integrationsprozesse festgestellt werden können. Auf der Stufe der Interferenz, namentlich bei spontanem Kontakt, werden sämtliche Ebenen des Systems betroffen, seine suprasegmentalen und seine syntaktischen Regulari täten, seine Phonemik, Morphemik und Lexik. Beispielhaft dafür ist das sog. Neulausitzische, die auf allen Ebenen stark sorbisch interferierte dt. Halbmundart in der Lausitz (Michalk in: Wechselbeziehungen 126 ff.). Sobald die zweisprachigen Gruppen den Übergang zur ausschließlichen Verwendung des Dt. vollzogen haben, orientiert sich ihre Sprachverwendung an der Norm der nun maßgeblichen großlandschaftlichen dt. Umgangs-

80. Slawische Sprachen und deutsche Gesamtsprache spräche. Diese läßt lediglich eine Auswahl, und zwar ausschließlich lexikalischer Slawismen als Integrate zu, während die übrigen abgewiesen werden. Bei einem solchen Prozeß wird nur selten anders verfahren: Im ehemaligen dt. Dialekt Hinterpommerns haben die wgerm. k, g, j an der Palatalisierung des ko-arealen Kaschubischen teilgenommen (Teuchert in: Wechselbeziehungen 244 ff.), und für Wien, das im 19. J h . in großer Zahl Zuwanderer tschechischer Muttersprache angezogen hatte, ist erwiesenermaßen unter dem Einfluß des Tschech. ein „Zusammenfall der offenen und geschlossenen e-, ö- und o-Laute" und eine dementsprechende Vereinfachung des Phonemsystems eingetreten (Seidelmann in: Z D L 38. 1971, 155 ff.). Im übrigen werden — und darin besteht eine wesendiche Seite des Integrationsprozesses - die kontrastbedingt gegebenen Möglichkeiten phonemischer und phonotaktischer Interferenz durch P h o n e m s u b s t i t u t i o n beseitigt, indem für jedes Phonem und jede Phonemgruppe der interferierenden slaw. Sprache das nächstähnliche Phonem und die nächstähnliche Phonemgruppe des interferierenden D t . eintreten. Für den Fall Sowjet bedeutet dies beispielsweise, daß ein Sprecher des Dt. für das Phonem russ. is! das Phonem dt. /z/ substituieren wird, sofern er nicht einem Dialektgebiet mit Zusammenfall von Isl und /z/ zu /$/ entstammt. Es bedeutet dies weiter die Außerachtlassung des russ. Akan'e für lol und die biphonematische Auflösung des russ. palatalen Konsonantenphonems ΙυΊ als dt. Phonemfolge /w+j/. Die Regeln der slaw.-dt. Phonemsubstitution (Lautersatzlehre) sind seit P. Lessiak besonders beachtet und speziell für den spontanen Kontakt im Ostmitteldeutschen durch Eichler 1965, 13 f. ausgearbeitet worden. Es ist leicht einzusehen, daß die angedeuteten substitutiven Prozesse in unterschiedlichem Maße auftreten können und damit die Grundlage für eine a b g e s t u f t e I n t e g r a t i o n der Ausdrucksseite abgeben: Die volkssprachliche, die Anlautregeln des D t . berücksichtigende Variante /fpu:tnik/ ist in einem höheren Grade integriert als das von der Aussprachenorm geforderte /sputnik/. Dasselbe gilt für Quark gegenüber kleinarealem ostmitteldt. Twark ( < westslaw. ''tvarogb) (Bellmann 1971, 119. 135ff.). Namentlich mittelalterliche Integrate aus spontanem Kontakt zeigen eine hohe Integrationsstufe, die unter anderem durch die Beteiligung am regulären Lautwandel erreicht wurde, z . B . der nhd. Diphthongierung bei Peitsche, Jauche, Graupe, Plauze ,Lunge'. Entspechendes gilt für die integrative Behandlung der grammatischen Morpheme. Durch M o r p h e m s u b s t i t u t i o n treten z . B . anstelle russischer deutsche Derivationsmorpheme ein: Kula-

681

kentum (russ. kulacestvo), Komsomolzin (russ. komsomolka). Zahlreicher sind slaw. Flexionsmorpheme unter gegebenen Umständen des Kontaktes durch deutsche substituiert, vgl. Bielfeldt 1965: Grenze (poln. granica), Jauche (sorb. poln. Jucha), Jause (sloven, juzina), auch Datsche (russ. daca), Steppe (russ. step'), Droschke (russ. drozki). Diesen stehen Russismen später Übernahme und z . T . peripherer Systemstellung ohne flexivische Substitution gegenüber: Tundra, Nagaika, Troika, Kascha, Machorka, Wodka. Die Morphemsubstitution im Nom.Plur. unterbleibt bei Russismen-Sowjetismen, die okkasionell ζ. B . in Reportage-Texten zur Charakterisierung von NationalKolorit eingeführt sind, vgl. Hengst 1971, 6 : Moskwitschi, Texlilschitzi (russ. tekstil"scicy) T e x tilarbeiterinnen'. Sie zeigt hinsichtlich NichtVorhandenseins und Gradierung ζ. T . bemerkenswerte Varianz, vgl. Skalickä 1977: Datschas - Datschen, Troikas — Troiken, Sputniki Sputniks, Bolschewiki - Boschewiki - Bolschewiken, wobei bei dem letzten Beispiel die letztgenannte, höchstintegrierte Pluralform zugleich negativ konnotiert ist. Verschiedene Erscheinungen in der öffentlichen Sprache der D D R , die als s y n t a k t i s c h e I n t e r f e r e n z e n des Russ. angesprochen worden sind, wie etwa die quantitative Zunahme von Adjektivund Genitivattributgruppen anstelle von Substantivkomposita {genossenschaftliche Arbeit, Haus des Lehrers, Held der Arbeit) und die häufigere Verwendung bestimmter Partizipialkonstruktionen vor allem in der Ubersetzungsliteratur und in den politischen Tageszeitungen ( A u s g e h e n d von der führenden Rolle des Proletariats . . .) stellen stilistische Besonderheiten dar und berühren nicht das Sprachsystem (Kraft 1968, 65 ff.; Morgenroth 1963). Allen diesen bisher genannten Bereichen abgewiesener Interferenz oder nicht durchgängiger Integration slawischer Interferenzen steht als hauptsächliche Domäne sprachlicher Integration die des lexikalisch-semantischen Bereichs gegenüber. Für die letzten vier Jahrhunderte bis 1962 sind für das Russ. als Ausgangssprache 710 „lexikalische Lehnguteinheiten" gezählt worden, die in die dt. Schriftsprache, insbesondere in der Verwendung innerhalb der D D R , Eingang gefunden haben (Kohls 1964, 275), wobei es sich hier allerdings um eine Maximalzahl handelt, die Exotismen, Historismen, zeitweilige Entlehnungen und Lehnprägungen einschließt. Die belegten und in der Forschung diskutierten, großenteils dialektalen Entlehnungen aus dem Süd- und Westslaw. — vgl. Bielfeldt 1965 - sind nahezu in Ausschließlichkeit ebenfalls lexikalische Slawismen. So ist die Verallgemeinerung statthaft: Slawische Integrate des D t . sind lexikalische (und lexikalisch-semantische) Integrate. Unter diesen, die im folgenden

682

IX. Kontrastive Aspekte

allein einer weiteren Betrachtung unterzogen werden, stehen die Substantive an der Spitze, mit weitem Abstand gefolgt von den Verben (Eichler 1965, 169 f ü r das Ostmitteldeutsche). B. Müller (1970, 118.123) hat f ü r Substantive u n d Verben Anteile von 90,5% b z w . 6 , 3 % der in das Bair.ö s t e r r . integrierten lexikalischen Slawismen errechnet. 4. Formale Klassifikation schen Integrate

der slawischen

lexikali-

Die lexikalischen Integrate werden in L e h n w ö r t e r und Lehnprägungen unterschieden. Lehnwörter sind phonologisch u n d zumeist auch flexionsmorphologisch integrierte Lexeme der interferierenden Sprache, die im übrigen aber die Identität mit der originalen Lautkette bewahren. Ausdruck ihres Status als integrierter Einheiten ist u . a . die Fähigkeit, sog. hybride, d . h . aus slaw. und dt. Kompositionsgliedern bestehende Komposita zu bilden: Grenzhahnhof, Steppengras, Kraftdroschke. Bei der Integration substantivischer Lehnwörter ergeben sich unter den auch aus anderen Kontaktgebieten bekannten Voraussetzungen Genuswechsel und Genusvarianten, vgl. Skalickä 1977, 154: der Wodka (russ. f.), der, das Kolchos, die Kolchose (russ. Kolchos m.). Die Lehnprägungen umfassen - unter Vereinfachung der Betzschen Gliederung - Lehnübersetzungen/-übertragungen u n d Lehnbedeutungen. Was die Interferenzwirkung des Russ. betrifft, so stehen Lehnwörter und Lehnprägungen durch die Geschichte hindurch in einer bemerkenswerten quantitativen Relation. Vgl. die folgende Ü b e r sicht nach Kohls 1964, 275:

Lehnwörter bis 16. J h . 16.-17. J h . 18.Jh.-1917 1917-1933 1945-1962

12 47 166 33 59

Lehnprägungen

_ 3 3 29 358

Zu Zeiten dominierender Handels- u n d Reiseaktivitäten hat das D t . demnach vor allem Lehnwörter aus dem Russ. aufgenommen. D e r Anteil der Lehnprägungen steigt sprunghaft an, als der beherrschende ideologische Kontakt einsetzt. Vgl. die Lehnübersetzungen Friedenswacht (russ. straza tnira), Fünfjahresplan (russ. pjatiletnij plan), Kollektivwirtschaft (russ. kollektivnoe chozjaistvo), Wanderfahne russ. perechodjascee znamja), Volkskünstler (russ. narodnyj artist), als L e h n w e n d u n g mit . . . an der Spitze (russ. vo glave s ...). Weiteres hierzu unter 5 Abs. 4. Der spontane Sprachkontakt wiederum hat in der dt.

Gesamtsprache, vor allem in verschiedenen dt. Dialekten, praktisch ausschließlich zu slaw. Lehnwörtern geführt. Lehnprägungen sind hier äußerst seltene Ausnahmen, vgl. Bellmann 1971,41 f. z . B . Grünling (westslaw. *zielon-ak) ,Tricholoma equestre (ein Speisepilz)'. Lehnprägungen sind nicht leicht zuverlässig als solche identifizierbar. Es ist vielfach auch eigenständige Parallelentwicklung zu erwägen (Wilske 1964, 507; Lehmann 1972, 27. 46. 90f.). T r o t z möglicher Einschränkungen bleibt jedoch unbestritten, daß die Interferenz durch Russismen-Sowjetismen, die das D t . innerhalb der D D R erfährt, in einem gewaltigen Maß durch Lehnprägungen erfolgt, durch Lehnübersetzungen/-übertragungen u n d Lehnbedeutungen. Was speziell die letzteren angeht, so ist eine merkwürdig schillernde G r u p p e von Lexemen z u meist griechisch-lateinischer, aber auch französischer, englischer u n d selbst deutscher Etymologie betroffen, die größtenteils den sog. Internationalismen zuzurechnen sind. (Internationalismen und Analogonyme nach einem neueren Vorschlag, H e n g s t 1977.) Mit ihnen werden Lexeme nichtslawischer Etymologie gleichwohl durch russ. Sprachkontakt vorgetragen. Sie finden vor allem in das D D R - D e u t s c h Eingang u n d bilden eines von dessen Spezifiken. Vgl. hierzu 7.3. Beispiele: Agitation, Agronom, Aktivist, Athlet, Brigadier [-di:r], Dispatcher (russ. dispetcer), Intervent, Kader, Kapitulant, Kollektiv, Kombinat, Kursant, Lager (russ. lager'), Lektor, Losung (russ. lozung), Mechanisator, Meeting (russ. miting), Norm, Organ, Parade, Perspektive, Pionier, Plan, Plattform, Rationalisation, Rekonstruktion, Traktorist, Veteran. Im einzelnen hierzu Kohls 1964; Lehmann 1972. Jeder dieser Fälle bedürfte gesonderter Untersuchung. Soweit die Lexeme bereits vor dem Einsetzen des sowjetischen ideologischen Kontaktes Bestandteile des D t . waren, stellt man Integration einer - meist terminologisierten - N e u - u n d Lehnbedeutung verbunden mit hoher Frequenzsteigerung fest, z . B . Aktivist a n e r k a n n t e r N e u e r e r im Arbeitsprozeß', Brigadier ,Leiter einer Arbeitsbrigade', Pionier ,Mitglied der sozialistischen Kinderorganisation'. Bei Agitation besteht die semantische N e u e r u n g in einer (positiven) U m k o n n o t i e r u n g (Wilske 1964). P a u s c h a l i e r e n d wird man das Gesamtphänomen als interferenzbedingte ideologische P o l y s e m i e bezeichnen dürfen. Bei einigen dieser Lexeme ( z . B . Plan) wäre allerdings zu verfolgen, wieweit die ideologische Bedeutung bei den deutschsprachigen sozialistischen Theoretikern des 19. Jhs. bereits vorhanden ist. Die Interferenzwirkung w ü r d e bei ihnen lediglich in einer Reaktivierung bestehen. In anderen Fällen, w o nämlich bei der Integration ein entsprechendes „westliches" Lexem durchaus nicht

80. Slawische Sprachen und deutsche Gesamtsprache als präsent empfunden wurde, wird eher an Lehnwort-Integration und an Homonymenbildung zu denken sein, vor allem wenn man in Rechnung stellt, daß die betroffenen Lexeme durchaus einer regulären phonologischen und morphologischen Integration bedurften, ausgehend von ζ. B. russ. agitacija, perspektiva. Die weitgehende ausdruckseitige Übereinstimmung dieser Lexeme mit den westeuropäischen Entsprechungen dürfte allerdings die Integration begünstigt haben. Tatsächlich ist - zumindest für die standardsprachliche dt. Lexik - die quantitativ schwache Vertretung von Lehnwörtern slawischer Etymologie auffällig. Als Begründung ist auf die erhebliche strukturelle Verschiedenheit der slaw. Sprachen gegenüber dem Dt. hingewiesen worden, auf die zwischen beiden Seiten bestehende genetische Distanz, die sich auch in der Lexik ausdrückt (Reich 1968, 240 nach Ο . N . Kuklina). Daher spielt gegebene oder nicht gegebene Assoziierbarkeit der Ausdrucksseite einer interferierenden slaw. Lexikoneinheit bei ihrer Integration bzw. Abweisung eine Rolle. Dies konnte für den spontanen, volkssprachlichen Kontakt festgestellt werden (Bellmann 1971, 44ff.): Interferierende lexikalische Elemente erlangen um so wahrscheinlicher Integratstatus, je leichter sie durch Attraktion an Einheiten der integrierenden Sprache angeschlossen werden können. Den an der Terminologie arbeitenden Funktionären und Übersetzern bot und bietet sich hierbei das internationale, vor allem auf dem Griech.-Lat. beruhende LexemInventar an. 5. Funktionale Klassifikation kalischen Integrate

der slawischen

lexi-

Eine diachrone Fragestellung nach den Ursachen der Integration bestimmter gegebener und nicht anderer Elemente der interferierenden Sprache vermöchte - als Nebenertrag - die aktive Rolle der integrierenden Sprache wahrscheinlich zu machen, die demnach keineswegs von fremden Elementen überflutet würde, wie der Purismus befürchtet, sondern nach ihren eigenen Bezeichnungsbedürfnissen durch ihre Sprechergruppen ausgewählt und integriert, wobei das Lexikon der interferierenden Sprache als Repertoire genutzt wird. Diesen Fragen, denen hier nicht nachgegangen wird, steht unter synchronem Aspekt die funktionale Klassifikation nahe, die die Stellung der Integrate innerhalb des lexikalischen Systems der integrierenden Sprache untersucht. Es zeigt sich indessen, daß hierbei der diachrone Gesichtspunkt nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. Für die lexikalischen Slawismen im Dt. gilt, daß ihre überwiegende Anzahl 1:0-Äquivalenzen, also Bezeichnungslücken, gefüllt hat. Die Integrate sind demzufolge in jenen lexikalischen

683

Teilstrukturen anzutreffen, deren zugeordnete Sachfelder beim Kontakt eine besondere Rolle gespielt haben. Beim mittelalterlichen ethnischen Kontakt der bilingualen Zone im Osten und Südosten des Dt. gehörten dazu vornehmlich Termini der R e c h t s s ρ r ä c h e und rechtssprachliche Elemente im weiteren Sinne. Unter die letzteren sind die in den östlichen und südöstlichen Kontaktarealen anzutreffenden Nomina propria slawischer Etymologie zu rechnen. Diese aus dem Slaw. integrierten Orts-, Flur- und Personennamen stellen mit weitem Abstand innerhalb der lexikalischen Integrate die umfangreichste Gruppe dar. Die slawisch-deutsche onomastische Forschung war in den letzten Jahrzehnten überaus erfolgreich. Vgl. z . B . die Reihe Deutsch-slawische Forschungen zur Namenkunde und Siedlungsgeschichte (Halle). Hier werden im folgenden nur die Appellativa betrachtet. Appellativische rechtssprachliche Integrate sind z . B . Grenze, Kretscham, Robot, Petschat. Ein sehr großer Teil dieser Integrate ist späterhin, weil funktionslos geworden, aus der Gebrauchslexik wieder ausgeschieden und den heutigen Sprechern des Deutschen unbekannt (vgl. Powoz, Stroza, Zaude, Powednik, Supan, Starost, Temnitze u.a. - hierzu Bellmann 1971, 218ff.). Etwa zur gleichen Zeit erforderte der auf völlig anderer Grundlage verlaufende Fernhandelskontakt mit Ostslawen die Integration eines sachspezifischen h a n d e l s s p r a c h l i c h e n Vokabulars: Zobel, Nerz, Lastke, Prahm, Besemer, Tolk u.a. (Opel'baum 1971). Ein gänzlich anderer Bereich des dt. Lexikons wurde nach 1917 und mehr noch seit 1945 komplettiert durch die Integration eines aus dem Russ. bezogenen, vorwiegend i d e o l o g i s c h - g e sellschaftspolitischen Vokabulars, das für den öffentlichen Sprachgebrauch innerhalb der D D R charakteristisch geworden ist. Beispiele s. unter 4. Diese Integrate sind zunächst überwiegend Elemente einer ideologischen Fach- und Sondersprache, an der aber alle in Ausbildung und Beruf Betroffenen teilhaben. Der ideologische Charakter dieser Art Termini besteht darin, daß sie neben ihren denotierenden Bedeutungselementen vor allem werten und Partei nehmen. Sie sind Signale der Zugehörigkeit zu dem eigenen oder dem kapitalistischen „Lager". Vgl. 4. Für den öffentlichen Sprachgebrauch in der D D R gehören diese Integrate einem zentralen Bereich der Lexik an, vor allem sofern sie nicht nur auf Denotate der sowjetischen Wirklichkeit, sondern auch auf solche der D D R selbst bezogen sind. Dieser letzte Gesichtspunkt ist wichtig für die Unterscheidung einer Kategorie von Lexikoneinheiten, die als „Lehngut in ausschließlich russischen Bezügen" (Kohls 1964) oder allgemeiner als E x o t i s m e n bezeichnet werden (Opel'baum 1971,249ff.). Aus

684

IX. Kontrastive Aspekte

dem Russ. bezogene Exotismen gibt es aus älteren wie aus jüngsten Zeiten des Kontaktes. Unter den 364 von ihm untersuchten lexikalischen Einheiten, die aus dem Ostslaw. zu verschiedenen Zeiten in das Deutsche gelangt sind, nimmt Opel'baum ca. 200 Exotismen an. Das wesentliche Merkmal der Exotismen ist ihre ausschließliche Verwendbarkeit im Rahmen einer spezifischen fremden Situation. Hierzu gehören beispielsweise fremde Münz- und Maßbezeichnungen (Kopeke, Pud, Werst) und solche für sonstige landesspezifische Realien und Institutionen (Taiga, Balalaika, Byline, Bojar und die allein UdSSR-spezifischen Sowjetismen). Die Exotismen nehmen im Lexikon der interferierten Sprache einen p e r i p h e r e n Platz ein. Ihre Grenze ist offen: Subbotnik unbezahlter Arbeitseinsatz am Samstag' hat im Laufe der Zeit DDR-Spezifik erlangt. Ähnlich wohl Datsche ,Wochenendhäuschen im Grünen'. In der volkssprachlichen arealen und überarealen Verwendung können slaw. Integrate eine periphere Spezialfunktion als k o n n o t i e r t e Lexeme übernehmen. Bekanntere Beispiele hierzu sind dalli, Halunke, Kammorke ,kleines Zimmer', Kaluppe,Hütte', Nusche ,Messer', Plauze ,Lunge' (Bellmann 1971, 38 f.). Die Ausgangsformen des Slaw. sind unkonnotiert.

6. Situative Klassifikation schen Integrate

der slawischen

lexikali-

Eine situative Klassifikation berücksichtigt die jeweiligen historischen, sozialen und geographischen Bedingungen des Sprachkontaktes. Sie sollte hier schon deshalb nicht außer acht gelassen werden, da sie seit dem Zweiten Weltkrieg einen besonderen Schwerpunkt der slaw.-dt. Sprachkontaktforschung gebildet hat (Bielfeldt). 6.1. Die R e l i k t e stellen die erste situative Klasse der Integrate dar. Sie sind resthafte Sprachelemente der im Osten und Südosten in Siedlungsgemeinschaft mit zugewanderten Deutschen einst lebenden West- und Südslawen, die nach einer Periode der Zweisprachigkeit den Sprachwechsel zugunsten des Dt. vollzogen haben. Die substraten Relikte des Slaw. sind Bestandteile der superstraten dt. Dialekte geworden, an deren Entwicklung sie von ihrer Integration an teilnehmen. Zu ihnen gehören vorwiegend Integrate aus Bereichen der einfachen Haus-, Land- und Waldwirtschaft wie Maline Himbeere', Schischke ,Nadelbaumzapfen', Sabe ,Kröte', Lusche ,Regenpfütze' u.a. im Osten (Bellmann 1971) und Grude ,Ackerscholle', Kosch ,Tragkorb', Petsche ,getrocknete Birne' u.a. im Südosten (B. Müller 1970). Nach Bielfeldt 1963, 20 sind mehr als 3000 gezählt worden. Eine exemplarische Untersuchung slawischer lexikalischer

Relikte hat K. Müller 1966 für die Bezeichnungen des Nadelbaumzapfens vorgelegt. 6.2. Die nicht-autochthonen Integrate bezeichnen wir als I n f i l t r a t e und differenzieren in direkte oder Grenzinfiltrate (Grenzentlehnungen) und indirekte Infiltrate. Unter Grenzinfiltraten werden diejenigen verstanden, die unter den Bedingungen einer bestehenden Sprachgrenze als Elemente eines Adstrats im spontanen Kontakt übernommen wurden. Alte Grenzinfiltrate sind im Einzelfall schwer von Relikten zu unterscheiden. 6.3. Die indirekten Infiltrate (Fernentlehnungen) sind Reflexe von Instraten, deren Grundlage vor allem kulturelle und politische Fernwirkung jeder Art, namentlich Handelsbeziehungen, auch militärisch-kriegerische Beziehungen sind (Bielfeldt 1963, 5). Ihnen liegt insbesondere kulturaler Kontakt zugrunde. Uberwiegend als indirekte Infiltrate sind Lexikoneinheiten des Ostslaw. in das Dt. gelangt, von der mittelalterlichen, unter Beteiligung der Hanse vollzogenen Integration russischer Pelz- und Handelstermini bis zum jüngsten sowjetruss. Kontakt (Opel'baum 1971). Ein anderer Zug indirekter Infiltration aus geringerer Distanz wird durch die Bohemismen repräsentiert, die aufgrund der im 14./15. Jh. bestehenden kulturellen und politisch-militärischen Dominanz Böhmens teils für die Dauer teils vorübergehend in das Dt. integriert wurden (Bellmann 1971,53). 6.4. Integrate aller situativen Klassen können - gegebenenfalls areal, zeitlich und sozial unterschieden - mehrfache parallele Integrationsprozesse durchlaufen haben. So ist beobachtet worden, daß es oftmals dieselben Slawismen sind, die im spontanen Sprachkontakt als Relikte verschiedener slaw. Einzelsprachen in weit voneinander entfernte dt. Dialekte von Pommern/Mecklenburg bis Kärnten und Osttirol integriert wurden, ohne daß Verbreitung durch höhere diastratische Schichten (Schriftsprache, Landschaftsdialekt) stattgefunden haben kann. Beispiele hierfür sind die Slawismen für ,Himbeere' und ,Nadelbaumzapfen' (Bellmann 1971; K.Müller 1966). Auch indirekte Infiltrate können mehrfache Integration durchlaufen haben. Dies ist zu erwägen für Knute, das sowohl unmittelbar aus dem Ostslaw. als auch durch Vermittlung des Poln. das Dt. erreicht hat (Opel'baum 1971). 7. Arealdistributive Klassifikation lexikalischen Integrate

der

slawischen

Dieser Klassifikation liegt die rezente sprachgeographische Verteilung der Geltungsbereiche slawischer Integrate zugrunde. Vor allem für die Integrate aus älterer Zeit ist es wichtig zu bemerken, daß die heutigen Geltungsbereiche

80. Slawische Sprachen und deutsche Gesamtsprache nicht durch die Integration selbst, sondern durch die postintegrative areale und diastratische Entwicklung der Integrate zustande gekommen sind. Eine Grobklassifikation wird etwa zu unterscheiden haben zwischen Arealismen, gesamtsprachlichen Integraten und Internationalismen. 7.1. A r e a l i s m e n sind Einheiten, die in der Lexik der Gesamtsprache den Status von H e teronymen innehaben, d . h . nur in Teilen der Gesamtsprachfläche gelten. Dazu gehören die meisten Relikte und direkten Infiltrate und die wenigen in die Dialektebene integrierten indirekten Infiltrate (zu letzteren Opel'baum 1971, 243f.). Ihr räumlicher Geltungsbereich umfaßt minimal einen Ortsdialekt oder zwei wie im Fall von Gliske ,Lumbricus L.' nördlich Guben und maximal den überwiegenden Teil der Gesamtsprachfläche des Dt. wie Gurke (Bellmann 1971, 117. 77). 7.2. Der Geltungsbereich d e r g e s a m t s p r a c h l i c h e n I n t e g r a t e deckt sich mit der sprachlichen Außengrenze des D t . , vgl. Grenze (Bellmann 1971, 228ff.). Hierbei sind Divergenzen in Betracht zu ziehen, die durch die Berücksichtigung der Diastratik der Integrate ins Spiel gebracht werden: In einem Falle wie Peitsche liegt auf standardsprachlicher Ebene ein gesamtsprachliches Integrat vor, auf dialektaler Ebene ein Arealismus (Bellmann 1971, 174: wegen Geißel, Schwepe). 7.3. Kennzeichen der I n t e r n a t i o n a l i s m e n , der dritten arealdistributiven Klasse, ist ihre übereinzelsprachliche Geltung. Vgl. 4 Abs. 3. Zu ihnen gehören namentlich Lexikoneinheiten, die Begriffe der modernen internationalen wissenschaftlich-technischen Entwicklung bezeichnen. Es ist vorgeschlagen worden, auch diejenigen Lexikoneinheiten, die diesbezüglich das Russ. und die Sprachen der der Sowjetunion ideologisch nahestehenden Staaten gemeinsam haben, zu den Internationalismen zu rechnen (Heller 1966, 37). Innerhalb des D t . hat der Bereich der D D R an dieser Speziallexik direkten Anteil. Wir stehen damit vor der Schwierigkeit, Aktivist, Kollektiv, Intervent usw. zwar als Internationalismen, nicht zugleich aber als gesamtsprachliche Integrate zu klassifizieren. Soweit das ideologische Sondervokabular betroffen ist, gelten offensichtlich für die Diffusion dieser Art sprachlicher Interferenzen die besonderen, sprachbundartigen Verbreitungsareale. 8. Bibliographie

(in

Auswahl)

G . Bellmann, Slavoteutonica. Lexikalische Untersuchungen zum slawisch-deutschen Sprachkontakt im Ostmitteldeutschen. Berlin, N e w York 1971.

685

Η . H . Bielfeldt, Die historische Gliederung des Bestandes slawischer Wörter im Deutschen. Berlin 1963. Η . H . Bielfeldt, Pomoranische Wörter in der deutschen Mundart Hinterpommerns im 19. Jh. In: PF 18, 2. 1964, 171-184. Η . H . Bielfeldt, Die Entlehnungen aus den verschiedenen slawischen Sprachen im Wortschatz der neuhochdeutschen Schriftsprache. Berlin 1965. Η . H . Bielfeldt, Die tschechischen Lehnwörter im Deutschen. In: A U C - P h 1-3 (Slavia Pragensia. 8). Praha 1966, 123-133. Η . H . Bielfeldt, Die Wege der Verbreitung slawischer Wörter im Deutschen nach ihrer Entlehnung. In: Muttersprache 77. 1967, 80-95. E. Eichler, Etymologisches Wörterbuch der slawischen Elemente im Ostmitteldeutschen. Bautzen 1965. K. Heller, Das Fremdwort in der deutschen Sprache der Gegenwart. Untersuchungen im Bereich der Gebrauchssprache. Leipzig 1966. K. Hengst, Zum Einfluß des Russischen auf die deutsche Gegenwartssprache. In: ZS 16. 1971, 3-13. K. Hengst, Lehnwort - Internationalismus - Analogonym. In: ZS 22. 1977, 250-259. H . Klassen, Russische Einflüsse auf die deutschen Mundarien im Ural. In: W Z U R 18. 1969, 589-594. S. Kohls, Russisches lexikalisches Lehngut im deutschen Wortschatz (der letzten vier Jahrhunderte). Masch. Phil. Diss. Leipzig 1964. I. Kraft, Zum Gebrauch des attributiven Adjektivs in beiden Teilen Deutschlands mit besonderer Berücksichtigung des russischen Spracheinflusses. In: Muttersprache 78. 1968, 65-78. H . Lehmann, Russisch-deutsche Lehnbeziehungen im Wortschatz offizieller Wirtschaftstexte der D D R . Düsseldorf (1972). W. Morgenroth, Patizipialkonstruktionen im Deutsch der Gegenwart. In: W Z U G 12. 1963, 469-479. B. Müller, Zur Typisierung des Einflusses slawischer Sprachen auf den Wortschatz der deutschen Sprache. Dargestellt am Beispiel des Bairisch-Österreichischen. Hektogr. Phil. Diss. Humboldt-Univ. Berlin 1970. K. Müller, Slawische Wörter im Deutschen für den Fruchtstand der Nadelbäume. I n : Z S 11. 1966, 657-680. Ε. V. Opel'baum, Vostocnoslavjanskie leksiceskie elementy ν nemeckom jazyke [Die ostslawischen lexikalischen Elemente im Deutschen], Kiev 1971. Η . Η . Reich, Sprache und Politik. München (1968). Η . Schönfeld, Slawische Wörter in den deutschen Mundarten östlich der unteren Saale. Berlin 1963. C. Skalicka, Slawische Entlehnungen in der Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. In: PBB(H) 98. 1977, 146-169. Slawisch-deutsche Wechselbeziehung in Sprache, Literatur und Kultur. Hrsg. v. W. Kraus [u.a.], Berlin 1969. L. Wilske, Zum Wandel des Sinngehalts deutscher Wörter unter dem Einfluß des Russischen seit 1945. In: W Z U G 13. 1964, 505-508. R. Winter, Einige slawische Entlehnungen in den niederdeutschen Mundarten des ehemaligen Hinterpommern. In: W Z U R 10. 1961,271-277.

Günter Bellmann,

Mainz

χ LITERARISCHE ASPEKTE

81. Linguistische Poetik 1. 2. 3. 4. 5.

Das Verhältnis von Linguistik und Poetik Kommunikationstheoretische Grundlagen Poetische Kommunikation Das Problem einer poetischen Sprache Bibliographie (in Auswahl)

1. Das Verhältnis von Linguistik und Poetik Die Linguistik hat die Aufgabe, die Eigenschaften sprachlicher Kommunikation systematisch zu beschreiben und zu erklären. Aufgabe der Poetik ist es, die Eigenschaften poetischer Kommunikation systematisch zu beschreiben und zu erklären. Poetische Kommunikation ist sprachliche Kommunikation mit ästhetischer Funktion. Die Poetik ist daher eine Teildisziplin der Ästhetik: die Wissenschaft von den ästhetischen Möglichkeiten sprachlicher Kommunikation. Diese Aufgabenbestimmungen lassen die Frage aufkommen, ob die Poetik nicht auch als Teildisziplin der Linguistik anzusehen ist, geht es in ihr doch um die Untersuchung eines Teilaspekts sprachlicher Kommunikation. Die Antwort auf diese Frage war lange umstritten und steht weiterhin im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Die Stellungnahmen reichen von pauschaler Zustimmung bis zu völliger Ablehnung. Die Lage ist jedoch nicht ganz so kontrovers, wie es scheinen mag, denn die einzelnen Antworten sind abhängig von der jeweiligen linguistischen Konzeption ihrer Vertreter. Nimmt man den gegenwärtigen Forschungsstand der Linguistik zum Maßstab, so muß man davon ausgehen, daß die Linguistik nur über einen kleinen - wenn auch zentralen - Teilbereich der sprachlichen Kommunikation wissenschaftliche Aufschlüsse liefert. (1) Sprachliche Kommunikation ist undenkbar ohne die Annahme, daß jeder Kommunikationspartner ein System von sprachlichen Regeln ( S p r a c h s y s t e m ) beherrscht, das die Möglichkeiten seines Kommunikationsverhaltens umreißt. Die Linguistik hat daher in einer ersten heuristischen Reduktion die Regeln des Sprachsystems zu ihrem Hauptuntersuchungsgegenstand gemacht und die Regeln der Sprachverwendung, d . h . die Konventionen, die die Anwendung der Regeln des Sprachsystems in Abhängigkeit von

außersprachlichen Faktoren (besprochene Thematik sowie Wissen, Einstellungen, Absichten, kommunikative Rolle und gesellschaftlicher Status der Kommunikationspartner) determinieren, zunächst ausgeklammert. (2) Sprachliche Kommunikation ist undenkbar ohne den Austausch s p r a c h l i c h e r Ä u ß e r u n gen. Die Systemlinguistik hat sich daher in einer zweiten heuristischen Reduktion auf die Wohlgeformtheitsbedingungen für sprachliche Äußerungen konzentriert und die Anforderungen, die die zugehörigen Sprechakte an Sprecher und Hörer stellen (Identifikation von Referenzobjekten, Prädikation, Signalisierung der kommunikativen Intention, Abstufung der mitzuteilenden Informationen nach ihrer Relevanz usw.), unberücksichtigt gelassen. (3) Sprachliche Äußerungen sind am einfachsten zu untersuchen, wenn man sie in der Form s c h r i f t l i c h e r T e x t e vorliegen hat. Durch die schriftliche Fixierung werden die Äußerungen allerdings weitgehend ihrer Situationsbezogenheit entkleidet und auf Ketten sprachlicher Ausdrücke reduziert. Erst nachdem sie ihren Gegenstand durch diese dreifache Reduktion (die historische Reihenfolge läuft übrigens von 3 über 2 zu 1) gefügig gemacht hatte, konnte die Linguistik ihre Erfolge auf den Gebieten der Phonologie, Morphologie, Syntax und Semantik erzielen. Es ist klar, daß auch die Grenzen der heutigen linguistischen Untersuchungs- und Darstellungsmethoden in dieser dreifachen Reduktion begründet sind: Eine Sprachwissenschaft dieses Zuschnitts kann weder - die Situationsabhängigkeit des kommunikativen Effekts einer sprachlichen Äußerung voll erfassen, - noch dem Prozeßcharakter sprachlicher Kommunikation als einer komplexen Handlung in der Zeit gerecht werden, - und erst recht nicht die sachlichen Besonderheiten der besprochenen Thematik und den soziokulturellen Hintergrund der Kommunikationspartner einbeziehen, die erst die gesellschaftliche Relevanz der betreffenden Kommunikation bestimmen. Nun ist aber die Frage, ob eine gegebene Kommunikation ästhetische Funktion hat oder nicht, ohne Berücksichtigung der engeren Kommunikationssituation, des Vorgangscharakters der Kommunikation und der soziokulturellen Hinter-

688

X. Literarische

Aspekte

gründe meist gar nicht entscheidbar. Diese Tatsache, deren Gründe unten erläutert werden, hat dazu geführt, daß die neuere Poetik sich trotz ihrer Faszination durch die Fortschritte der Linguistik mehr am begrifflichen Rahmen der allgemeinen Zeichentheorie (Semiotik; vgl. Art. 3) als an dem der Linguistik orientiert. 2. Kommunikationstheoretische

Grundlagen

Nach Bühler (1934), Morris (1938), Jakobson (1960) und Riffaterre (1971) wirken in jedem Kommunikationsprozeß notwendig folgende Faktoren zusammen: Der S e n d e r (Sprecher, Autor) übermittelt - dem E m p f ä n g e r (Rezipient, Angesprochener, Hörer, Leser) - über einen K a n a l (physikalische Verbindung zwischen Sender und Empfänger sowie psychische Einstellung des Senders bzw. des Empfängers, auf den möglichen oder tatsächlichen Empfänger bzw. Sender) - eine N a c h r i c h t (message, Information) - die gemäß einem K o d e (Zeichensystem) - auf bestimmte D e s i g n a t e (Sachverhalte, Kontext) verweist. Alle physikalisch feststellbaren Elemente, die während eines Kommunikationsprozesses durch den Kanal transportiert werden, gehören - ohne Rücksicht auf ihre semiotische Relevanz - zur Z e i c h e n m a t e r i e . Sie ist zugleich Produkt der Sendung („output") und Ausgangspunkt der Rezeption („input"), in ihr schlägt sich die Nachricht sinnlich wahrnehmbar nieder. Ist eine Zeichenmaterie schon im Hinblick auf ein gegebenes Reproduktionsverfahren entworfen worden, so ist es möglich, einen Teil ihrer Elemente von vornherein aus der Betrachtung auszuschließen: nur das, was auch im Reproduktionsprozeß invariant bleibt, ist potentiell von semiotischer Relevanz. Auf Texte angewandt, bedeutet das, daß man im allgemeinen von den Besonderheiten eines speziellen Textexemplars (Papierunreinheiten u. ä.) abstrahieren kann. Die Nachricht ist zumeist mehrschichtig. Welche Ebenen sie enthält, hängt von der Kodierung ab. Die Schwärzungen zum Beispiel, die die Zeichenmaterie eines gedruckten Texts ausmachen, liefern vermittels ihrer kodierten Form unter anderem Informationen graphetischer, graphemischer, phonetischer, phonemischer, morphemischer, syntaktischer und semantischer Art (vgl. Art. 9 bis 20). Eine Schwärzung von der Form aber kann mithin als Zeichenmaterie für folgende Informationen dienen: (1) g r a p h e t i s c h e E b e n e : die erste, zweite, fünfte und achtzehnte Letter der Antiqua Petit kursiv in horizontaler Sequenz; (2) g r a p h e m i s c h e E b e n e : der erste, zweite,

fünfte und achtzehnte Buchstabe des lateinischen Alphabets in direkter, linearer Folge; (3.1.) p h o n e t i s c h e E b e n e , a r t i k u l a t o r i s c h p h o n e t i s c h e S c h i c h t : Lautkomplex, dessen erstes Element bei seiner Erzeugung folgende Gegebenheiten im Artikulationsraum voraussetzt: (a) Luftstrom pulmonalen Ursprungs und exhalatorischer Richtung, (b) Stimmbänder in Vibrationsposition, (c) oraler Trakt oberhalb des Kehlkopfes ohne blockierende oder wirbelbildende Verengung, (d) Absperrung des Nasenraums durch Hebung des Velums, (e) Zunge mit flachem Querschnitt in hinterer und tiefer Position, (f) Lippen ungerundet; (3.2.) p h o n e t i s c h e Ebene, akustisch p h o n e t i s c h e S c h i c h t : Lautkomplex, dessen erstes Element bei seiner Erzeugung die Luft in Bewegung folgender Art versetzt: periodische, exponential abklingende Schwingungen, deren erster und zweiter Formant in den Frequenzbereichen um 750 Hertz und um 1200 Hertz liegen; (4) p h o n e m i s c h e E b e n e : Phonemfolge, deren erstes Element durch folgende Merkmale gekennzeichnet ist: +vokalisch, -konsonantisch, -nasal, +stimmhaft, -hoch, +hinten, +tief, +lang, -gerundet, +gespannt, +akzentuiert; (5) m o r p h e m i s c h e E b e n e : Morphem aber-, (6) s y n t a k t i s c h e E b e n e : koordinierende Konjunktion; (7) s e m a n t i s c h e E b e n e : adversatives Synkategorematon. Die ebenenspezifischen Informationen sind in verschiedener Weise auf die Zeichenmaterie bezogen. Graphetische und graphemische Informationen sind direkt aus der Zeichenmaterie eines gedruckten Textes zu gewinnen. Die Informationen anderer Ebenen werden erst auf der Basis solcher Primärinformationen entschlüsselt. Semantische Informationen zum Beispiel sind nur auf dem Umweg über syntaktische und phonemische bzw. graphemische Trägerinformationen zu ermitteln. Ebenenspezifische Informationen, zu denen es keinen gültigen Kode gibt, in dem sie ihrerseits als Trägerinformationen auftreten, heißen „ E n d i n f o r m a t i o n e n " . In Nachrichten von größerer Komplexität liefert meist mehr als eine Nachrichtenebene Endinformationen. Ein normales Schreibmaschinen-Typoskript z.B. enthält Endinformationen sowohl auf der graphetischen als auch auf der semantischen Ebene: die Wahl des Schrifttyps ist irrelevant für den Inhalt, und die Wahl des Inhalts ist irrelevant für die Gestaltung der Lettern und des Satzes; aus dem Inhalt lassen sich keine Informationen ableiten, die nicht wiederum den Inhalt betreffen, auch der Schrifttyp läßt keine Rückschlüsse zu, die mehr als nur die Gestaltung der Lettern und des Satzes betreffen.

Sl. Linguistische Poetik Die semiotisch relevanten Teile der Zeichenmaterie und diejenigen Teile der Nachricht, die als Trägerinformationen für andere Teile der Nachricht fungieren, werden unter dem Begriff des Z e i c h e n t r ä g e r s zusammengefaßt. D e r Zeichenträger ist wie fast jede Nachricht mehrschichtig. Die unterste Ebene bilden die physikalischen Informationsträger, d. h. die semiotisch relevanten Elemente der Zeichenmaterie. Darüber folgen die Informationsebenen der Nachricht mit Ausnahme der Endinformationen. Der Zeichenträger bildet also die Brücke zwischen der Zeichenmaterie und den Endinformationen und spielt somit die zentrale Rolle im Rezeptionsprozeß: W e r eine Mitteilung ohne Abstriche verstehen will, muß aus der gegebenen Zeichenmaterie den Zeichenträger und aus diesem die Endinformationen rekonstruieren können. Die R e z e p t i o n eines Textes, eines Werks der bildenden Kunst, eines Musikstücks setzt voraus, daß die Zeichenmaterie auf einen rezeptionsbereiten Empfänger trifft. Rezeptionsbereit ist ein Empfänger, wenn er über eine Reihe unblockierter Kanäle verfügt und eine Anzahl von Kodes beherrscht, die er einzusetzen gewillt ist, um aus der Zeichenmaterie die Nachricht abzuleiten. In einer kurzen Anpassungsphase ermittelt der E m p fänger zu Beginn des Rezeptionsvorgangs einen passenden Ubertragungskanal: aus dem Empfänger optischer oder akustischer Reize wird ein Leser, ein Kunstbetrachter oder ein Musikhörer. Die ersten Erfolge in der Entschlüsselung der Nachricht steuern die Wahl eines geeigneten Dekodierungssystems: der Leser beginnt einen Text als Sachbuch oder als Gedicht zu lesen; der H ö r e r achtet auf den Rhythmus, auf die Melodie oder auf die Zahl der T ö n e , je nachdem, o b er ein Jazzstück, ein Lied oder aber eine Pendeluhr vor sich zu haben glaubt; der Betrachter spezialisiert sich angesichts eines Plakats auf dessen Appellcharakter, angesichts einer Plastik auf die Effekte des Perspektivenwechsels. D e r sogenannte „ h e r m e n e u t i s c h e Z i r k e l " enthüllt sich als ein trial-and-error-Verfahren. D e r Einstieg in den Verstehensprozeß geschieht nicht über ein Vorwissen, das ja seinerseits unfundiert erscheinen müßte, wenn es selber nur durch ein Vorwissen zu erlangen war usw., vielmehr setzt der Empfänger direkt an der Zeichenmaterie an. Durch die Erfahrungen während des Rezeptionsvorgangs wird die Einstellung des Empfängers fortwährend bestätigt oder in Frage gestellt, stabilisiert oder - im Rahmen seiner Möglichkeiten - korrigiert (vgl. Riffaterre 1971, J a u ß 1975, Iser 1976). In keinem dieser Fälle bedarf es einer zusätzlichen Steuerung durch den Autor, maßgeblich sind allein die Organisation der Zeichenmaterie sowie die Kanal- und Kodebeherrschung des Empfängers. Sie bestimmen, welche Infor-

689

mationen er aus seinem Gedächtnis oder aus anderen Quellen zusätzlich heranzieht (bzw. bewußt außer acht läßt), um die Nachricht zu verstehen. Will der Autor oder ein Interpret das Verständnis der Nachricht bei den Rezipienten über die Gegebenheiten der Zeichenmaterie hinaus beeinflussen, so bleibt ihm nichts anderes übrig, als neue Zeichenmaterie zu schaffen.

J. Poetische

Kommunikation

Wie läßt sich poetische Kommunikation von den anderen Arten der Kommunikation unterscheiden? Die umfassendste und zugleich treffendste Antwort auf diese Frage stammt aus dem Kreis der russischen Formalisten (vor allem von V . Sklovskij , 1 9 2 5 ) und der Prager Strukturalisten (vor allem von J . Mukarovsky, 1932). Sie gehen davon aus, daß es zwei Arten von Handlungen gibt: (1) Handlungen, die man zum erstenmal vornimmt; sie erfordern große Umsicht und setzen eine gründliche Auswertung aller die Handlung begleitenden Wahrnehmungen voraus, auch solcher, die zunächst unwesentlich scheinen mögen. (2) Handlungen, die man gewohnt ist; sie determinieren von vornherein die Struktur der Wahrnehmung, indem sie diktieren, auf welche Details man zu achten hat und auf welche nicht, wenn man das Ziel der Handlung nicht verfehlen will. An die Stelle einer vollen Erfassung aller Details des betreffenden Wirklichkeitsausschnitts tritt die gezielte Auswahl der für den Erfolg der Handlung wesentlichen Details. Alles übrige wird, falls überhaupt nötig, aus dem Gedächtnis heraus ergänzt; es wird nicht von neuem wahrgenommen, sondern allenfalls wiedererkannt. D e r Weltbezug wird automatisiert, die Gegenstände werden zu abstrakten G r ö ß e n , die nur durch den Funktionszusammenhang, in dem sie ihre jeweils begrenzte Rolle spielen, definiert sind. Jede Handlung, die man häufig wiederholt, führt also zu einer festen Strukturierung des betreffenden Wirklichkeitsausschnitts und damit zu einer Einschränkung des Weltbezugs für den Handelnden. Das gilt insbesondere für kommunikative Handlungen. Das Bestreben, eine K o m munikation erfolgreich zu Ende zu führen, zwingt die Kommunikationspartner, bestimmte Eigenschaften der Kommunikationssituation besonders zu beachten und andere zu vernachlässigen. Tritt einem eine Person immer nur in einer bestimmten Gesprächskonstellation gegenüber (sei die Person nun Schalterbeamter, Lehrer, Geschäftspartner oder Fernsehmoderator), so automatisiert sich der Bezug zu dieser Person entsprechend den Bedingungen der jeweiligen Kommunikation. Einseitigkeiten dieser Art kann man vermeiden, indem man versucht, auch außerhalb der normier-

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X. Literarische

Aspekte

ten Situationen Kontakt zu der betreffenden Person zu bekommen. Viel schwieriger als die E n t a u t o m a t i s i e r u n g des Bezugs zum Kommunikationspartner ist die Entautomatisierung des Weltbezugs, der durch den ständigen Gebrauch desselben Kodes entsteht. Wer nur eine Sprache beherrscht und an die soziokulturellen Normen seiner Gesellschaft fixiert ist, kann der Versuchung nicht widerstehen, die Welt mit dem, was sich in seiner Sprache einfach ausdrücken läßt und im Rahmen der soziokulturellen Normen bleibt, gleichzusetzen. Das Vorhandensein oder Fehlen von Lexemen, deren Verwendung eine bestimmte Gliederung der Welt nahelegt, und die Zugehörigkeit dieser Lexeme zu Wortarten, deren Verknüpfbarkeit durch die Syntax festgelegt ist, bestimmen den Rahmen, bezüglich dessen sich der Weltbezug des Sprachbenutzers entwickelt. Das Vorhandensein eines Moralkodexes, der abgestufte gesellschaftliche Sanktionen für die Verletzung soziokultureller Handlungsnormen festlegt, bestimmt den Rahmen, bezüglich dessen sich das gesellschaftliche Verhalten der Menschen entwickelt. Gäbe es keine Möglichkeiten, den sprachlichen und den soziokulturellen Kode zu verändern, so würde die Gesellschaft wegen fehlender Anpassungsfähigkeit an nicht vorkodierte Ereignisse zugrundegehen. Die Vertauschung eines fertigen Kodes mit einem anderen ist indessen keine derartige Möglichkeit, denn sie erlaubt nur das Umsteigen von einem automatisierten Weltbezug in einen anderen, nicht aber die Uberwindung der Automatisierung. Ebensowenig kann die explizite Thematisierung des betreffenden Kodes in einer wissenschaftlichen Untersuchung die Automatisierung aufheben. Das wäre so ähnlich, als wollte man einen Muskelkrampf dadurch lösen, daß man den Leidtragenden nur über die besondere Beschaffenheit des verkrampften Gewebes aufklärt. Abgesehen davon, daß bei der expliziten Thematisierung eines Kodes der Einsatz eines weiteren automatisierten Zeichensystems (Metasprache) nötig wird: die explizite Thematisierung kann dem Kodebenutzer keine Therapie ersetzen. Kommunikative wie nichtkommunikative Handlungen lassen sich nur dadurch entautomatisieren, daß man sie noch einmal vollzieht, und zwar in einem Kontext, der keinen automatischen Vollzug dieser Handlungen zuläßt. Auch die Entautomatisierung der Sprachverwendung ist demnach weder durch explizite Thematisierung noch durch einen Wechsel des Sprachsystems zu erreichen, sondern nur durch eine besondere Art seiner Verwendung: poetische Sprachverwendung. Wer einer Äußerung p o e t i s c h e F u n k t i o n zubilligt, konzentriert seine Aufmerksamkeit in

anderer Weise auf den Zeichenträger als jemand, der nur in Kommunikation tritt, - um einen Bericht zu geben oder anzuhören ( k o g n i t i v e F u n k t i o n der Sprache), - um Kontakte zu pflegen ( p h a t i s c h e F u n k t i o n der Sprache), - um Befehle auszusprechen oder entgegenzunehmen ( k o n a t i v e oder d i r e k t i v e F u n k t i o n der Sprache), - um Stellungnahmen abzugeben oder anzuhören ( e m o t i v e oder e x p r e s s i v e F u n k t i o n der Sprache) - oder auch als jemand, der sich nur über den Sprachgebrauch informiert ( m e t a s p r a c h l i c h e F u n k t i o n der Sprache). In der künstlerischen Kommunikation erhält der Zeichenträger einen Eigenwert, den er in den anderen semiotischen Prozessen nicht hat. Dort lenken die Endinformationen die Aufmerksamkeit des Rezipienten primär über den Zeichenträger hinaus: auf das Sprachsystem, das sie benutzen, auf den Sender, auf den Empfänger, auf den Kanal oder, wie meist, auf die nicht am K o m munikationsvorgang beteiligten Wirklichkeitsbereiche. Das Kunstwerk aber weist - zumindest solange es als Kunstwerk betrachtet wird - auf sich selbst zurück. In der Kunstbetrachtung wird jede Endinformation primär auf die anderen Endinformationen derselben Ebene, auf die übrigen Informationsebenen der Nachricht und auf die Zeichenmaterie zurückbezogen. Ein Gedicht, das lautmalerisch imitiert, worüber es spricht, ein Roman, in dem das Erzähltempo mit dem Tempo des erzählten Geschehens kontrastiert, ein Theaterstück, das selber zu sein vorgibt, was es darstellt, sie alle enthalten einen Uberschuß an Information, der mit den kodierten Endinformationen in Konkurrenz tritt. Diese zusätzlichen Informationen werden von den nicht vorkodierten Eigenschaften der Zeichenmaterie und der ebenenspezifischen Informationen getragen. Die Zeichenmaterie enthält in jeder Art von Kommunikation Elemente, die von keinem der üblichen Kodes als Informationsträger anerkannt werden. Diese Elemente bleiben in den semiotischen Prozessen ohne ästhetische Funktion ungenutzt. Für die Mitteilung wissenschaftlicher Nachrichten zum Beispiel ist es unerheblich, ob der Empfänger sie vom Tonband abhört oder in Morseschrift liest. Er nimmt ja gewöhnlich nicht einmal die kodierten Eigenschaften der graphetischen, graphemischen, phonetischen, phonemischen, morphemischen, syntaktischen, prosodischen usw. Trägerinformationen bewußt wahr; auch die Ubertragungsqualität (Lesbarkeit) ist für ihn zweitrangig, verglichen mit der semantischen Ebene, die die einzig relevanten Endinformationen liefert. - In der künstlerischen K o m munikation dagegen ist damit zu rechnen, daß

81. Linguistische Poetik gerade solche Elemente der Zeichenmaterie, die aus den Zeichenrepertoiren aller bekannten Zeichensysteme herausfallen, eine Funktion als Informationsträger erhalten. Die am Kunstkonsum Beteiligten bestätigen diese Auffassung durch ihr Verhalten: W e r es mit einem Kunstwerk zu tun zu haben glaubt, schenkt jedem noch so kleinen Detail der Zeichenmaterie Beachtung. Man denke an die Praxis philologischer Textedition, das Authentizitätsstreben der Musikinterpreten, das Bemühen der Galerien um eine angemessene Placierung ihrer Ausstellungsstücke, den Anspruch der Kunstliebhaber, keine noch so aufwendige Reproduktion könne das Original (bzw. den Originaldruck) ersetzen. Die gesamte Zeichenmaterie gehört im Kunstwerk potentiell zum Zeichenträger. F ü r die ebenenspezifischen Informationen gilt dasselbe wie für die Zeichenmaterie: sie haben außer ihren vorkodierten Merkmalen Eigenschaften, die in keinem der üblichen Kodes als Informationsträger anerkannt werden. Diese Eigenschaften spielen in den semiotischen Prozessen ohne ästhetische Funktion gewöhnlich keine Rolle. W e r aber ein Kunstwerk vor sich zu haben glaubt, setzt sie miteinander in Beziehung, stellt Zusammenhänge zu den vorkodierten Informationen her und mißt diesen Zusammenhängen einen Informationswert bei. Die Beeinflussung der Rezeption durch die Wechselbeziehungen zwischen den Teilen der Nachricht kann so weit gehen, daß die Informationen der semantischen Ebene in ihr Gegenteil verkehrt erscheinen (vgl. Posner 1976). Die nicht vorkodierten Eigenschaften der Zeichenmaterie und der ebenenspezifischen Informationen bilden somit zu den kodierten Eigenschaften eines poetischen Texts einen Kontext von eigenem Gewicht. Dieser Kontext stellt die zur Entschlüsselung der vorkodierten Elemente erforderlichen Kodes partiell in Frage und erschwert auf diese Weise die mit der Entschlüsselung verbundenen semiotischen Handlungen. O b w o h l die an der Rezeption beteiligten Kodes in Texten mit poetischer Funktion gewöhnlich nicht explizit thematisiert werden, ist es demnach durchaus angebracht, hier von impliziter Thematisierung zu sprechen (vgl. Mukarovskys „aktualisace", 1932). Dadurch, daß die nicht vorkodierten Elemente eines poetischen Texts die zur Rezeption verwendeten Kodes implizit thematisieren, hindern sie den Rezipienten, die bei der Dekodierung anfallenden semiotischen Handlungen automatisch ablaufen zu lassen. Die nicht vorkodierten Elemente übernehmen also die Rolle des entautomatisierenden Kontexts, auf dem die poetische Funktion des Gesamttexts beruht. Bei den implizit thematisierten Kodes handelt es sich keineswegs allein um das Regelsystem der

691

natürlichen Sprache. Im Gegenteil, das Sprachsystem ist in der Geschichte der Literatur erst relativ spät thematisiert worden. In frühen Stadien der kulturellen Entwicklung war die Entautomatisierung des durch religiöse und moralische Kodes bedingten Welt- und Gesellschaftsbezugs vordringlicher. E s ist deshalb zu betonen, daß sich nur auf der Grundlage des allgemeinen K o d e begriffs ein gemeinsamer Nenner für die poetische Funktion etwa einer griechischen Tragödie, eines mittelalterlichen Versepos und eines Bühnenstücks von Pirandello oder Handke angeben läßt. Legt man das Schichtenmodell der Nachricht zugrunde, so kann man sagen, daß die nicht vorkodierten Informationen die vorkodierten Informationen überlagern. D a alle diese Informationsebenen einschließlich der Endinformationen in den ästhetischen Zusammenhang einbezogen sein können, liegt es nahe, im Falle von Kunstwerken auch die Endinformationen und die nicht vorkodierten Informationen als Teile des Zeichenträgers zu betrachten. Selbst das hat sich jedoch als unzureichend erwiesen, denn der ästhetische Zusammenhang kann - wie es nicht erst seit J o h n Cage und Andy Warhol geschieht - auch über die Nachricht hinausgreifen und die anderen G e gebenheiten der Kommunikation einbeziehen: vom Rollenverhalten des Senders über die Rezeptionserlebnisse bestimmter Empfängergruppen und die Gepflogenheiten des Kunstmarkts bis hin zu den thematisierten Ausschnitten der Welt. Die sowjetischen Semiotiker des Dorpater Kreises um J . M . Lotman sind als erste so weit gegangen, auch diese Gegebenheiten in das Schichtenmodell zu integrieren und außersprachliche semiotische Ebenen vorzusehen, auf denen die in einem Text vorkommenden Realisierungen soziokultureller Kodes zu finden sind. A u f diesem Wege gelingt es, je nach Erfordernis den gesamten soziokulturellen Kontext in die Darstellung poetischer Kommunikation einzubeziehen. Die zum Teil erhebliche Erweiterung des Zeichenträgers in der künstlerischen Kommunikation muß sich auch in der Beschreibungsterminologie durch den erweiterten Begriffsinhalt der Termini „Zeichenmaterie" und „Zeichenträger" spiegeln. Die Besonderheiten der künstlerischen K o m munikation lassen sich nicht ohne die Annahme erklären, daß sich während der Rezeption der künstlerischen Nachricht zusätzlich zu den allgemein gültigen soziokulturellen Kodes im R e zipienten ein spezieller Kode bildet, der ihn in die Lage versetzt, auch nicht vorkodierte Eigenschaften der Zeichenmaterie und der ebenenspezifischen Informationen als Informationsträger zu interpretieren. Dieser Kode heißt „ ä s t h e t i s c h e r K o d e " . Er operiert teils auf Merkmalen der Zeichenmaterie, teils auf Merkmalen von Elementen der Nachricht, die ihrerseits durch den lin-

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X. Literarische Aspekte

guistischen Kode, den rhetorischen Kode oder andere soziokulturelle Zeichensysteme definiert sind. Für einen Rezipienten, der nicht über eine ausreichende Kenntnis der betreffenden soziokulturellen Zeichensysteme verfügt, ist der ästhetische Kode, und damit auch die ästhetische Information des betreffenden Zeichenträgers also gar nicht zugänglich. Der ästhetische Kode setzt zwar meist die Kenntnis anderer Zeichensysteme voraus, er unterscheidet sich aber von ihnen in folgender Hinsicht: er ist dem Zeichenträger, der ihn realisiert, nicht vorgegeben, sondern konstituiert sich erst in diesem, und er ist dem Rezipienten meist nicht von vornherein bekannt, sondern wird erst bei der Rezeption der Informationen, die er entschlüsseln soll, ermittelt. Der ästhetische Kode entscheidet über die semiotische Relevanz aller nicht vorkodierten Elemente und entschlüsselt sie. Der Dekodierungsvorgang ist hier also bestenfalls mit dem Entziffern einer Geheimschrift vergleichbar, zu der nur ein einziger Text und seine Verwendung bekannt sind. Da der ästhetische Kode eines Kunstwerks niemals völlig von den allgemeinen Zeichensystemen der Zeit determiniert wird, können von ihm Impulse für die Veränderung der allgemeinen Zeichensysteme ausgehen. Von den Gegebenheiten des Kunstmarkts hängt es ab, welche Teile eines werkspezifischen ästhetischen Kodes in den s t i l i s t i s c h e n K o d e der Zeit übernommen werden. Die Häufung solcher Ubernahmen führt zum Stilwandel und bestimmt auf diese Weise den Gang der Kunstgeschichte. Die unmodifizierte Wiederholung entwertet allerdings die zunächst werkspezifische ästhetische Information zum beliebig anwendbaren Stilmittel. In einem Werk, das nur auf altbekannte Weise aus altbekannten Mitteln zusammengesetzt ist, bewundert man mehr die handwerkliche als die künstlerische Leistung. Nur wer es vermag, mit nicht vorkodierten Mitteln signifikante Zusammenhänge im Zeichenträger zu schaffen, wird als Künstler anerkannt. Von der Organisation des Zeichenträgers hängt es ab, wie die Endinformationen einer künstlerischen Nachricht vom Rezipienten aufgenommen werden. Der besondere Genuß, den man bei der Kommunikation mit einem Kunstwerk verspürt, ist auf die Erfolge zurückzuführen, die sich bei der Suche nach dem ästhetischen Kode und der Entschlüsselung der ästhetischen Information einstellen. Der Nach Vollzug der internen Beziehungen im künstlerischen Zeichenträger braucht jedoch nicht zu einem In-sich-kreisen der Rezeption zu führen. Wenn der Zeichenträger danach ist, verstärkt das mehrmalige Durchlaufen der Rückkopplungsbezüge die Wirkung der Endinformationen. Wenn die Endinformationen auf

direktive oder kognitive Effekte abzielen, so können durch eine kunstgemäße Rezeption Einstellungen oder Handlungen beim Rezipienten gefördert werden, die selbst mit Kunst nichts zu tun haben. Abschließend seien die wesentlichen Eigenschaften poetischer Kommunikation noch einmal übersichtlich zusammengestellt. (1) Poetische Kommunikation e n t a u t o m a t i s i e r t den Welt- und Gesellschaftsbezug des Rezipienten. (2) Das geschieht durch die i m p l i z i t e T h e m a t i s i e r u n g sprachlicher oder außersprachlicher Kodes. (3) Die implizite Thematisierung erfolgt durch konsequente Ausnutzung der in bezug auf die beteiligten soziokulturellen Kodes redundanten Elemente der Kommunikation (sekundäre Zeichenbildung). (4) Welchen Informationswert diese Elemente in der poetischen Kommunikation erhalten, entscheidet ein ä s t h e t i s c h e r K o d e , der sich im Rezipienten beim Rückbezug der Bestandteile des Zeichenträgers aufeinander bildet. (5) Der ästhetische Kode definiert über den Faktoren der Kommunikationssituation eine S u p e r s t r u k t u r , die den ästhetischen Wert der Kommunikation ausmacht. (6) Diese Superstruktur fungiert als M o d e l l eines Wirklichkeitsausschnitts; es macht dem Rezipienten Eigenschaften dieses Wirklichkeitsausschnitts spürbar, die bei der nichtkünstlerischen Anwendung der betreffenden Kodes gewöhnlich verstellt bleiben. (7) Finden Regeln aus dem ästhetischen Kode eines Textes auch in anderen Texten Anwendung, so verlieren sie ihre poetische Funktion; aus einer poetischen Technik wird ein literarisches Stilmittel ( E n t p o e t i s i e r u n g = neuerliche Automatisierung)· Mit Hilfe dieser Kategorien lassen sich eine Reihe von Begriffen explizieren, die in der Beschreibung poetischer Texte immer wieder vorkommen: (a) Ein Text heißt „poetisch lebendig", wenn ihm nicht nur in einer, sondern in vielen historischen Situationen eine ästhetische Funktion zukommt, d.h. wenn er vor wechselndem soziokulturellem Hintergrund auf die Rezipienten entautomatisierend wirkt. (b) Eine sekundäre Information, z . B . eine metaphorische Bedeutung, ist um so „kühner", je weniger sie mit der kodierten Bedeutung ihres Trägerelements gemeinsam hat. (c) Einen soziokulturellen Kode nennt man um so „elastischer", je leichter die bezüglich seiner redundanten Elemente für die sekundäre Zeichenbildung verwendbar sind. (d) Ein poetischer Text ist um so „dichter", je

81. Linguistische Poetik größer die Komplexität der ästhetischen Superstruktur im Vergleich zu den kodierten Endinformationen: ist. (e) Ein Bestandteil einer Kommunikation ist „ästhetisch notwendig", insofern er Element ihrer ästhetischen Superstruktur ist. (f) Als „großer Künstler" gilt, wem es gelungen ist, ästhetische Kodes der Art zu schaffen, daß die Zeitgenossen oder Nachfahren bereit sind, sie teilweise oder ganz in ihre soziokulturellen Kodes zu übernehmen. (g) Als „Epigonen" bezeichnet man einen Schriftsteller, der das Leserbewußtsein von gestern mit den Stilmitteln von heute zu entautomatisieren versucht. 4. Das Problem

einer poetischen

Sprache

Die hier skizzierte Auffassung von poetischer Kommunikation ist zwar in vielen unabhängigen Ansätzen mit genügend großer Deutlichkeit formuliert worden. Trotzdem ist sie immer wieder den anfangs erwähnten heuristischen Reduktionen zum Opfer gefallen. Während diese Reduktionen bei der Erfassung anderer Arten von sprachlicher Kommunikation nur geringen Schaden anrichten können, treffen sie die poetische Kommunikation im Kern. (1) Dem Rückzug von der sprachlichen Kommunikation auf die Regeln des Sprachsystems entspricht in der linguistischen Poetik die Postulierung einer poetischen Sondersprache, die der Standardsprache (Alltagssprache, Verkehrssprache, Zwecksprache, praktische Sprache, Sprache der Prosa) gegenüberzustellen sei. Wenn sich die Alltagssprache als Sprachsystem auffassen ließe, das sich in Texten alltäglicher Kommunikation manifestiert, und die „ p o e t i s c h e S p r a c h e " als Sprachsystem, das sich in Texten manifestiert, die in Belletristik-Bänden abgedruckt und auf Dichterlesungen rezitiert werden, und wenn sich die beiden Sprachsysteme so zueinander verhielten wie zwei Dialekte des Deutschen, so hätte man sowohl das Problem der sprachlichen Sonderformen in der Literatur als auch die Frage der Abgrenzung poetischer Texte gegenüber anderen Textsorten auf einen Schlag gelöst: Jede sprachliche Sonderform wäre eine Sondersprachform, und jeder Text in gutem „Poetisch" wäre ein poetischer Text. Den Versuchungen einer derartigen Fiktion sind nicht nur Literaturtheoretiker wie Baumgärtner (1969), Bierwisch (1965), v. Dijk (1971, 1973), Dolezel (1965, 1969), Fucks (1965), Levin (1964), Sceglov und Zolkovskij (1971), sondern auch Schriftsteller wie Mallarme und Valery erlegen. Nach allem, was in Abschnitt 3 gesagt wurde, ist der Begriff einer poetischen Sprache aber ein Widerspruch in sich. Es soll nicht bestritten werden, daß es L i t e -

693

r a t u r s p r a c h e n gibt (vgl. Art. 81). Ihre unmodifizierte Verwendung ist aber gerade deshalb, weil es sich da um verfestigte Sprachsysteme handelt, eher eine Garantie für die Ausschaltung ästhetischer Effekte (vgl. Tynjanov 1929, Guillen 1971, Slavinski 1975). Hinzu kommt, daß Literatursprachen wie die poetische Kommunikation selbst historische Erscheinungen sind. Ihre Weiterentwicklung geht nach Prinzipien vor sich, die Kontinuierlichkeit ausschließen, es sei denn, man will von einer „Tradition des Traditionsbruchs" sprechen (Brang, 1964). Wer also alle zu irgendeinem Zeitpunkt poetisch lebendigen Texte einer Kulturgemeinschaft zu deren Literatur rechnet, darf aus genau diesem Grunde nicht von „der" Literatursprache dieser Kulturgemeinschaft als einheitlichem Kode reden. (2) Der Vernachlässigung des Handlungsaspekts der sprachlichen Kommunikation entspricht die Tendenz, die Poetizität eines Textes nicht an der in ihm zum Ausdruck kommenden Sensibilität des Autors oder an der sensibilisierenden Wirkung auf den Rezipienten abzulesen, sondern sie allein von den verwendeten sprachlichen Mitteln abhängig zu machen (dem Material, „woraus der Text gemacht" sei). Damit werden alle nichtsprachlichen soziokulturellen Kodes als Gegenstände impliziter Thematisierung ausgeschlossen. Die übrigbleibenden sprachlichen Verfahrensweisen werden klassifiziert und kodifiziert, und an die Stelle der mißverstandenen antiken Rhetorik (siehe Fischer, 1972) tritt eine mißverstandene moderne Linguistik in Form einer Taxonomie der poetischen Techniken. Dabei wird übersehen, daß die Automatisierung auch vor den poetischen Techniken nicht haltmacht (sekundäre Automatisierung). Zu dem Zeitpunkt, an dem eine poetische Technik im „poetischen" Kanon erfaßt worden ist, hat sie ihre poetische Funktion längst eingebüßt: Ihre Kanonisierung selbst ist ein Symptom dafür, daß sie im Zeitstil aufzugehen beginnt. (3) Auf das Fehlen eines erschöpfenden linguistischen Beschreibungsapparats schließlich ist es zurückzuführen, daß man sich an Fragen orientieren muß, zu denen linguistische Ergebnisse vorliegen. Das, „woraus der Text gemacht" sei, wird auf diese Weise noch einmal reduziert auf das, was man an dem Text linguistisch exakt beschreiben kann. Und das ist immer noch relativ wenig: auf der Stufenleiter des Schichtenmodells ist man gerade bis zur Aufzeichnung von Techniken der Metaphorisierung gelangt. Was diese Techniken aber - wenn überhaupt - poetisch macht, kann man wegen der beiden anderen Reduktionen kaum mehr artikulieren. Die Geschichte der linguistischen Versuche, poetischen Sprachgebrauch zu erfassen und zu erklären, erweist sich somit selbst als ein Parade-

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X. Literarische

Aspekte

beispiel jener Tendenz, der die Kunst sich immer wieder entgegenstellt, die jede Vorschrift verabsolutieren, jede Norm erstarren und jede Maxime petrifizieren läßt, der Tendenz der Automatisierung. 5. Bibliographie

(in

Auswahl)

Aus Platzgründen ist nachfolgend fast keiner der Titel aufgeführt, die in der Bibliographie von Art. 82 erscheinen. Die beiden Bibliographien sind daher zusammen zu benutzen.

5.1.

Bibliographien

R . W . Bailey und D . M . Burton (eds.), English Stylistics - A Bibliography. Cambridge Mass. und London 1968. R . W . Bailey und L. Dolezel (eds.), An Annotated Bibliography of Statistical Stylistics. Ann Arbor 1968. S. Baluchatyj, Teorija literatury - Annotirovannaja bibliografia. Bd. 1, Obscie voprosy. Leningrad 1928. Photomechanischer Nachdruck, New Y o r k 1966. H . Blumensath, Bibliographie zur Frage einer strukturalen Literaturwissenschaft. In: Blumensath. 1972 , 3 8 5 - 4 0 6 . M . Eckhard, Poetics in Periodicals (English and French). Tel Aviv 1974. Κ . Eimermacher, Arbeiten sowjetischer Semiotiker der Moskauer und Tartuer Schule. Kronberg 1974. K . Eimermacher und S. Shishkoff, Subject Bibliography of Soviet Semiotics: The Moscow-Tartu School. Ann Arbor 1977. A. Eschbach, Zeichen - T e x t - B e d e u t u n g . München 1974. Α. Eschbach und W . Rader, Semiotik-Bibliographie I. Frankfurt 1976. Η . H . Glade und R. Posner, Bibliographie zum Strukturalismus. In: Alternative 62/63. 1968, 2 2 9 - 2 3 1 . M . C . Glasmeier, Auswahl-Bibliographie zur Theorie der phonetischen Poesie. In: S T Z 55. 1975, 2 8 6 - 2 9 0 . J . V. Harari, Structuralists and Structuralism: A Selected Bibliography of French Contemporary Thought (1960-1970). I t h a c a / N . Y . 1971. J . Ihwe, Literaturwissenschaft und Linguistik. I n : L B 3. 1969, 3 0 - 4 4 . W . Klein, Einführende Bibliographie. In: Kreuzer und Gunzenhäuser. 1 9 7 1 , 3 4 7 - 3 6 2 . L . Τ . Milic, Style and Stylistics - An Analytical Bibliography. New Y o r k und London 1967. Y . Ozzello, T h e Syntax of Poetry - A Selected Bibliography 1960-1970. In: Sub-stance 4. Madison/Wisc. 1972, 79 bis 103. J . Peytard, Rapports et interferences de la linguistique et de la litterature. In: La Nouvelle Critique. 1968, 8 - 1 6 . A. Shukman, The Moscow-Tartu Semiotics School - A Bibliography of Works and Comments in English. In: P T L 3. 1978, 593-601. T . Todorov, Les etudes du style - Bibliographie selective. In: Poetique 2. 1970, 2 2 4 - 2 3 2 . T . Todorov, J . Levy, P. Fabbri, Bibliographie semiotique, 1964-65. In: Social Science Information 6, 2 / 3 . 1967, 77-109. Abgedruckt in Kristeva et al. 1971, 5 9 4 - 6 3 0 .

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5.2.

Sammelbände

Ε . Benes und J . Vachek (eds.), Stilistik und Soziolinguistik. Berlin 1971.

Labroisse (ed.), Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, Bd. 3 : Rezeption - Interpretation. Amsterdam 1974. J . Levy (ed.), The Theory of Verse - Teorie Verse - Teoria Stikha. Brünn 1966. J . M . Lotman (ed.), Trudy po znakovym sistemam. Bd. I

81. Linguistische Poetik Tartu 1964. Bd. II Tartu 1965. Bd. III Tartu 1967. Bd. IV Tartu 1969. Bd. V Tartu 1971. R. Macksey und E. Donato (eds.), The Structuralist Controversy - The Languages of Criticism and The Sciences of Man. Baltimore und London 1972. L. Matejka (ed.), Sound, Sign and Meaning: Quinquagenary of the Prague Linguistic Circle. Ann Arbor 1978. L. Matejka und Κ. Pomorska (eds.), Readings in Russian Poetics. Cambridge, Mass. 1971. L. Matejka und I. R. Titunik (eds.), Semiotics of Art Prague School Contributions. Cambridge/Mass, und London 1976. R. Posner und Η . - P . Reinecke (eds.), Zeichenprozesse Semiotische Forschung in den Einzelwissenschaften. Wiesbaden 1977. S. J. Schmidt (ed.), Text, Bedeutung, Ästhetik. München 1970. Th. A. Sebeok (ed.), Style in Language. Cambridge/Mass. 1960. Κ. H . Spinner (ed.), Zeichen, Text, Sinn. Zur Semiotik des literarischen Verstehens. Göttingen 1977. A. v. Stechow (ed.), Beiträge zur generativen Grammatik. Braunschweig 1971. W . - D . Stempel (ed.), Texte der russischen Formalisten. Band II: Texte zur Theorie der poetischen Sprache und der Lyrik. München 1972 [russisch und deutsch]. J. Striedter (ed.), Texte der russischen Formalisten. Band I: Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. München 1969 [russisch und deutsch]. T . Todorov (ed.), Theorie de la litterature - Textes des formalistes russes. Paris 1965. Neudruck 1966. F. Wahl (ed.), Einführung in den Strukturalismus. Frankfurt 1973. R. Warning (ed.), Rezeptionsästhetik - Theorie und Praxis. München 1975. P. Zima (ed.), Textsemiotik als Ideologiekritik. Frankfurt 1977.

5.3.

Einzeltitel

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82. Literatursprache

2. Syntaktische sprache

1. 2. 3. 4.

Einleitung Syntaktische Bestimmungen der Literatursprache Semantische Bestimmungen der Literatursprache Die pragmatische Integration syntaktischer und semantischer Bestimmungen der Literatursprache 5. Zusammenfassung 6. Bibliographie (in Auswahl)

1.

Einleitung

In den älteren, auf Hamann und Humboldt zurückgehenden Untersuchungen der Literatursprache wird diese gegenüber der ,Alltagssprache' mit Hilfe von Kategorien aus der philosophischen Ästhetik als die voll entfaltete Sprache aufgefaßt (vgl. Turk 1976). Dabei wird die ,Alltagssprache' als Sprache minderer Qualität von der Literatursprache her bestimmt. Neuere, linguistisch ausgerichtete Untersuchungen definieren dagegen von der ,Alltagssprache' aus die Literatursprache, indem sie diese als abweichende Sprache bestimmen. Auf verschiedene Weise heben diese Untersuchungen nun die Abweichung hervor, je nachdem ob sie von Strukturmerkmalen der Literatursprache, von ihrem Wirklichkeitsbezug oder vom auf sie bezogenen Verhalten der Zeichenbenutzer ausgehen. Die Versuche, die Literatursprache auf diese Weise zu definieren, lassen sich systematisch den drei Teildisziplinen der Semiotik zuordnen, die Morris aus der dreistelligen Zeichenrelation ableitet: „Pragmatik ist der Teil der Semiotik, der sich mit dem Ursprung, den Verwendungen und den Wirkungen der Zeichen im jeweiligen Verhalten beschäftigt; Semantik befaßt sich mit der Signifikation der Zeichen in allen Signifikationsmodi; Syntaktik beschäftigt sich mit Zeichenkombinationen, ohne ihre spezifischen Signifikationen oder ihre Relationen zu dem jeweiligen Verhalten zu berücksichtigen." (Morris 1973, 326, vgl. Art. 3.) Im folgenden sollen Definitionen der Literatursprache vorgestellt werden, die für die jeweilige semiotische Teildisziplin exemplarisch sind. Dabei werden zwar die im syntaktischen und semantischen Bereich offenbleibenden Probleme aufgezeigt, darüber hinaus aber werden die dort erarbeiteten wichtigen Erkenntnisse in einer pragmatischen Bestimmung der Literatursprache integriert.

Roland Posner,

Bestimmungen

der

Berlin

Literatur-

In das Gebiet der Syntaktik fallen alle diejenigen Definitionen der Literatursprache, die auf Eigentümlichkeiten der Ordnungsbeziehungen zwischen den sprachlichen Zeichen abheben und diese als Unterscheidungskriterium gegenüber anderen Sprachformen bestimmen. Den Definitionen liegt die Auffassung zugrunde, daß die Literatursprache von einer - wie auch immer festgesetzten - Sprachnorm abweiche, sei es im Positiven, indem sie zusätzliche Ordnungsbeziehungen zwischen den Sprachzeichen stifte, sei es im Negativen, indem sie die von der Sprachnorm vorgeschriebenen Ordnungsbeziehungen verletze. Roman Jakobson (1979), dessen Theorie im folgenden als Beispiel für eine syntaktische Bestimmung der Literatursprache dargestellt werden soll (vgl. auch Art. 81), wählt zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen die allgemeinen Formierungsprinzipien sprachlicher Äußerungen: die S e l e k t i o n und K o m b i n a t i o n (Jakobson 1979, 94). Der Sprecher wählt gemäß seiner Mitteilungsintention aus dem ihm zur Verfügung stehenden Inventar lexikalischer Elemente die ihm geeignet erscheinenden aus und kombiniert sie nach den Regeln der Grammatik. Auf diese Weise macht der „ S E N D E R f . . . ] dem EMPFÄNGER eine M I T T E I L U N G . Um wirksam zu sein, bedarf diese Mitteilung eines K O N T E X T S , auf den sie sich bezieht (Referenz in einer andern, etwas mehrdeutigen Nomenklatur), erfaßbar für den Empfänger und verbal oder verbalisierbar; erforderlich ist ferner ein K O D E , der ganz oder zumindest teilweise dem Sender und dem Empfänger (oder m. a. W. dem Kodierer und dem Dekodierer der Mitteilung) gemeinsam ist; schließlich bedarf es auch noch eines K O N T A K T S , eines physischen Kanals oder einer psychologischen Verbindung zwischen Sender und Empfänger, der es den beiden ermöglicht, in Kommunikation zu treten und zu bleiben." (Jakobson 1979, 88.) Diese notwendigen Konstituenten des K o m m u n i k a t i o n s p r o z e s s e s sind der Bestimmungsgrund für die verschiedenen Funktionen, die die Sprache ausüben kann. R e f e r e n t i e l l ist die Sprachfunktion, wenn die Mitteilung sich auf den Kontext bezieht und damit ein Bezug auf bestehende Sachverhalte hergestellt wird ( z . B . : Dort steht ein Autof)\

82. Literatursprache

e m o t i v ist sie, wenn der Sprecher seine eigenen Emotionen ausdrückt und sich somit sprechend auf sich selbst als den Sender bezieht ( z . B . : Aua); um eine k o n a t i v e Sprachfunktion handelt es sich, wenn der Sprecher mit seiner Aussage den Empfänger zu einer bestimmten Handlung oder Einstellung bewegen will ( z . B . : Hilfe!); p h a t i s c h ist die Sprachfunktion, wenn die Aussage der Herstellung, Aufrechterhaltung oder Unterbrechung einer kommunikativen Verbindung dient und sich somit auf den Kontakt ( z . B . : Hallo, können Sie mich hören?); m e t a s p r a c h l i c h ist sie, wenn der verwendete Kode thematisiert wird (ζ. B.: Was meinst Du mit,metasprachlich'?), und eine p o e t i s c h e F u n k t i o n liegt vor, wenn die Mitteilung sich nicht auf andere Konstituenten des Kommunikationsprozesses bezieht, sondern auf sich selbst ( z . B . : a rose is a rose is a rose [Gertrude Stein]). Jede sprachliche Äußerung ist nun dadurch gekennzeichnet, daß eine der Sprachfunktionen in den Vordergrund tritt, ohne jedoch die anderen gänzlich zu verdrängen. Was mit dem Selbstbezug der Nachricht, der „Ausrichtung auf die Botschaft um ihrer selbst willen" (Jakobson 1979, 92) gemeint ist, kann geklärt werden, wenn man sich verdeutlicht, nach welchen Gesichtspunkten der Sprecher einer nicht-literarischen Äußerung im Gegensatz zum Sprecher einer literarischen Äußerung die Sprachzeichen auswählt und kombiniert. Dem nichtliterarischen Sprecher kommt es in der Regel darauf an, seine auf eine der Konstituenten des Kommunikationsmodells bezogene Nachricht dem Hörer so mitzuteilen, daß dieser sie problemlos verstehen kann. Auf die Organisationsweise der Nachricht soll dabei möglichst wenig Aufmerksamkeit fallen, da sonst der Verstehensprozeß gehemmt würde. Auf diese Hemmung kommt es nun gerade dem literarischen Sprecher an (vgl. Sklovskij 1971). Er erreicht sein Ziel, indem er Ordnungsbeziehungen zwischen den Sprachzeichen etabliert, die die von der Grammatik gestifteten überlagern und den Rezipienten bestimmen, mit seiner Aufmerksamkeit zunächst im Zusammenhang der Textorganisation zu bleiben. Diese ,sekundären' Ordnungsbeziehungen sind das Ergebnis eines sprachlichen Formierungsprozesses, in dem Sprachelemente nicht mehr nur gemäß dem Mitteilungszweck (aus den nach den Ordnungsgesichtspunkten der Äquivalenz gebildeten verschiedenen lexikalischen Inventaren) ausgewählt und kombiniert werden, sondern indem das vorrangige Z i e l selbst die Kombination dieser Elemente zu Äquivalenzbeziehungen ist. Im Gegensatz zu einer Aussage mit praktischer Funktion ist es bei einer Aussage mit poetischer Funktion folglich nicht irrelevant, ob die primäre syntagmatische Anordnung des Sprachmaterials von einer sekundären, auf der Basis von Äquiva-

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lenzbeziehungen wie Assonanz, Reim, Parallelismus usw. operierenden Struktur überformt wird. Die berühmt gewordene Formel Jakobsons für diese Transformation des Prinzips der Äquivalenz von einem Ordnungsprinzip, das den Bereich verfügbarer Sprachmittel strukturiert, in ein Ordnungsprinzip, das die Wortfolge der Äußerung strukturiert, lautet: „Die poetische Funktion projiziert das Prinzip der Äquivalenz von der Achse der Selektion auf die Achse der Kombination." (Jakobson 1979, 94.) An mehreren Beispielen illustriert Jakobson, daß in Aussagen mit poetischer Funktion die zwischen den Elementen eines Paradigmas bestehenden Äquivalenzbeziehungen zum bestimmenden Prinzip der syntagmatischen Abfolge der Textkonstituenten werden. Eines seiner Beispiele lautet: „Ein Mädchen pflegte vom .ekligen Erik' zu sprechen. ,Warum eklig?' ,Weil ich ihn hasse.' »Aber warum nicht scheußlich, schrecklich, furchtbar, fies?' ,Ich weiß nicht wieso, aber eklig paßt besser zu ihm.'" (Jakobson 1979, 93.) Das Beispiel läßt vermuten, daß das Mädchen die Wörter nicht allein gemäß ihrem denotativen Gehalt ausgewählt und kombiniert hat, sondern daß die Ähnlichkeit im Klang für es ein wichtiges Auswahl· und Kombinationskriterium war. Jakobson bemerkt hierzu, daß das Mädchen sich „intuitiv f . . . ] an das poetische Mittel der Paronomasie" (Jakobson 1979, 93) gehalten habe. Auch in dem Wahlkampfslogan für Eisenhower I like Ike, den Jakobson analysiert, wird das von der Grammatik bestimmte Ordnungsgefüge von Äquivalenzbeziehungen auf der phonologischen Ebene der Sprache überlagert. Im Unterschied zu dem Mädchen hat der Erfinder des Wahlkampfslogans das allerdings durchaus ,bemerkt', ebenso wie Poe, in dessen Verszeile „And the Raven, never flitting, still is sitting, still is sitting" Ähnlichkeit auf Kontiguität so projiziert wird, daß ein „Laut-Bedeutungs-Nexus" (Jakobson 1979, 113) entsteht. Während in dem Ausspruch des Mädchens und in dem Wahlkampfslogan die poetische Funktion nur unterstützenden Charakter habe für die übergeordnete emotive bzw. konative Funktion, sei sie in der Verszeile des Poe-Gedichtes dominant. Die Entscheidung, ob die poetische Funktion nur „eine untergeordnete, zusätzliche, konstitutive Rolle spielt" oder „eine vorherrschende und strukturbestimmende" (Jakobson 1979, 92), kann nun nicht von Eigentümlichkeiten der jeweiligen Äquivalenzbeziehungen her gefällt werden, da es sich in allen drei Beispielen um phonologische Äquivalenzen handelt, die sich nicht auf spezifische Weise voneinander unterscheiden. Wenn es aber keine für die Literatursprache spezifischen Äquivalenzen gibt, von denen her sich begründen ließe, daß die poetische Funktion in einer literatursprachlichen Äußerung im Gegensatz zu der-

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X. Literarische Aspekte

jenigen in einer nicht-literatursprachlichen Äußerung dominant ist, liegt die Vermutung nahe, daß die Dominanzzuschreibung aufgrund ausschließlich textinterner Merkmale gar nicht möglich ist. Dies verweist auf die Notwendigkeit, die Literatursprache nicht nur von ihrer syntaktischen Struktur her zu definieren. Denn wenn die poetische Funktion kein hinreichendes Merkmal für die Bestimmung der Literatursprache sein kann, da sie nicht ausschließlich in literatursprachlichen Äußerungen aufzufinden ist, gilt es, die textimmanente Definition der Literatursprache durch eine solche zu ergänzen bzw. zu ersetzen, die weitere Konstituenten des Kommunikationsprozesses mitberücksichtigt. Häufig wird nun der K O N T E X T in die Bestimmung der Literatursprache einbezogen, indem sie als fiktionale Sprache definiert wird. Damit aber wird das Gebiet der Syntaktik verlassen und das der Semantik betreten. 3. Semantische Bestimmungen sprache

der Literatur-

Jakobson knüpft mit seiner syntaktischen Bestimmung der Literatursprache an eine Tradition an, die auf Aristoteles zurückbezogen wird, der die Literatursprache als eine ungewöhnliche Sprachform' charakterisiert, (siehe Aristoteles 1961, 61-64.) Auf Aristoteles können sich aber auch die Definitionen der Literatursprache berufen, die sie semantisch - von ihrem fiktionalen Status her gegenüber anderen Sprachverwendungsweisen abgrenzen. Denn nach Aristoteles ist „es nicht die Aufgabe des Dichters [ . . . ] , zu berichten, was geschehen ist, sondern vielmehr, was geschehen könnte und was möglich wäre nach Angemessenheit oder Notwendigkeit." (Aristoteles 1961, 39.) 3.1. Syntaktische Eigenschaften der Literatursprache als Basis für ihre semantische Bestimmung Käte Hamburger (1968) hat den Versuch unternommen, eine um erkenntnistheoretische Aspekte erweiterte Analyse struktureller Merkmale der Literatursprache mit einer semantischen Bestimmung ihres Wirklichkeitsbezugs zu verbinden. Denn auch sie will die „Sprache der Dichtung" von der „Sprache der Wirklichkeit" (Hamburger 1968, 28) nicht aufgrund von subjektiven Werturteilen, sondern aufgrund einer besonderen Sprachverwendung abgrenzen. In dreierlei Hinsicht unterscheidet sie sich dabei von Jakobson: (1) Sie wechselt den Gegenstandsbereich: für sie ist nicht die Lyrik, sondern vornehmlich die ErErzählung der Ort der Unterscheidung zwischen der , Sprache der Dichtung" und der .Sprache der Wirklichkeit'.

(2) Sie greift auf andere Unterscheidungskriterien zurück: für sie bilden nicht syntaktische Äquivalenzbeziehungen, sondern Unverträglichkeiten zwischen einzelnen Wörtern einer syntaktischen Wortabfolge die Definitionsgrundlage. (3) Sie wählt einen anderen Bezugspunkt: sie definiert die ,Sprache der Dichtung' nicht über die poetische, sondern über die referentielle Sprachfunktion. Heuristischer Ausgangspunkt für Käte Hamburgers Unterscheidung zwischen der .Sprache der Wirklichkeit' und der .Sprache der Dichtung' sind bestimmte Leseerfahrungen. „Es ist bisher in die Poetik der Gattungen, und auch in die Interpretation der einzelnen Dichtwerke, das Faktum nicht einbezogen worden, daß erzählende und dramatische Dichtung uns das Erlebnis der Fiktion oder der Nicht-Wirklichkeit vermittelt, während dies bei der lyrischen Dichtung nicht der Fall ist." (Hamburger 1968, 12.) Das unterschiedliche Erlebnis gründe nach ihrer Ansicht nun nicht in der subjektiven Einstellung des Rezipienten, sondern sei eine bloße Folge der sprachlich-grammatischen Gegebenheiten der jeweiligen Texte. Daraus leitet sie die Hypothese ab, daß „das fiktionale Erzählen als ein besonderes sprachlich-grammatisches Phänomen erkennbar" (Hamburger 1968, 111) sei. Um ihre Hypothese verifizieren zu können, modifiziert sie zunächst die traditionelle Auffassung vom Wirklichkeitsbezug sprachlicher Aussagen, indem sie ihn nicht vom ,Aussageobjekt', sondern vom ,Aussagesubjekt' her bestimmt. „Aussage ist immer Wirklichkeitsaussage, weil das Aussagesubjekt wirklich ist, weil, mit anderen Worten, Aussage nur durch ein reales, echtes Aussagesubjekt konstituiert wird." (Hamburger 1968, 45.) Das Vorkommen der erlebten Rede, der Verben des inneren Vorgangs in der dritten Person und einer Zeitstruktur, die aus der widerstreitenden Verbindung des Präteritums mit Gegenwarts- und Zukunftsadverbien gebildet ist, schließen nun nach Hamburger einen realen Autor als Aussagesubjekt aus. Um z.B. einen Satz „,Aber am Vormittag hatte sie den Baum zu putzen. Morgen war Weihnachten.'" (Zit. bei Hamburger 1968, 65) in seiner Zeitstruktur zu verstehen, könne der Leser ihn nicht auf ein außerhalb des Erzählten vorhandenes reales Aussagesubjekt (Ich-Origo) mit seinem raumzeitlichen Bezugssystem beziehen, da es dann eine widersprüchliche Aussage sei, die ein Ereignis zugleich als vergangen und zukünftig darstelle. Der Widerspruch löse sich jedoch auf, wenn das Präteritum auf das Bezugssystem fiktiver Aussagesubjekte (Ich-Origines) bezogen werde. Denn damit verliere es seine an das Raum-ZeitSystem des realen Aussagesubjekts gebundene grammatische Funktion, Vergangenes auszusagen, und könne sich deshalb mit den deikti-

82. Literatursprache sehen Zeitadverbien widerspruchsfrei verbinden. Immer dann, wenn das Präteritum mit deiktischen Zeitadverbien widerspruchsfrei verbunden werde, liege folglich eine Verschiebung des Raum-Zeit-Systems eines realen Aussagesubjekts in dasjenige fiktiver Aussagesubjekte vor. Hierdurch werde deutlich, ,,daß der Inhalt einer erzählenden Dichtung fiktiv, d . h . nicht das Erlebnisfeld des Erzählers, sondern das der fiktiven Personen ist." (Hamburger 1968, 102.) Während das Vorkommen eines Präteritums ohne temporale Aussagefunktion das von Käte Hamburger ausführlich diskutierte semanto-syntaktische Merkmal für eine hinreichende Abgrenzung der ,Sprache der Dichtung' von der ,Sprache der Wirklichkeit' ist, bestimmt sie das Vorkommen von erlebter Rede und von Verben der inneren Vorgänge in der dritten Person als eher erkenntnistheoretisches Merkmal hierfür. Zur Begründung führt sie aus, daß deren Verwendung ein reales Aussagesubjekt ausschlösse, da dieses über die Gefühle, die Gedanken, Wünsche usw. einer dritten Person keine Behauptung aufstellen könne. Folglich träten auch in diesem Fall an die Stelle eines realen Aussagesubjekts fiktive Aussagesubjekte und kennzeichneten die verwendete Sprache als ,Sprache der Dichtung'. So erweise sich z . B . ein Satz wie „ , s i e erinnerte sich in diesem Augenblick an die Worte, die sie zu ihm gesagt hatte' (Musil) [ . . . ] unmittelbar als Romansatz, als Satz des fiktionalen Erzählens, und nicht einer Aussage." (Hamburger 1968, 115.) Abgesehen von dem prinzipiellen Einwand, daß Käte Hamburger die Bedingungen der Literatursprache im Falle des Dramas und der Lyrik unzureichend analysiere, lassen sich gegen ihre Feststellung, daß anhand objektiver Textmerkmale die ,Sprache der Dichtung' von der .Sprache der Wirklichkeit' abzugrenzen sei, im wesentlichen drei verschiedene Einwände erheben: (1) Da das Präteritum auch in der .Sprache der Wirklichkeit' nicht immer nur Vorgänge bezeichne, die in der Vergangenheit lägen, könne die Tatsache, daß es in der .Sprache der Dichtung' seine präteritale Aussagefunktion verliere, nicht zum hinreichenden Bestimmungsmerkmal erhoben werden, (siehe Weinrich 1964, 21 f. u. 1966.) (2) Da das Präteritum auch innerhalb des von der ,Sprache der Dichtung' erzeugten Zeitsystems seine präteritale Aussagefunktion beibehalten könne, sei es auch dann kein hinreichendes Bestimmungsmerkmal, wenn der Einwand (1) nicht zuträfe, (siehe Rasch 1961, 71.) (3) D a die Verben der inneren Vorgänge in der dritten Person und die erlebte Rede nicht nur in der ,Sprache der Dichtung' vorkämen, sondern auch in der ,Sprache der Wirklichkeit', wenn ζ. B . der Sprecher sein Wissen um den inneren

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Zustand einer Person durch die Kenntnis ihres Tagebuchs rechtfertigen könne, sei auch deren Vorkommen kein hinreichendes Bestimmungsmerkmal für die .Sprache der Dichtung', (siehe Gabriel 1975, 60.) 3.2.

Pragmatische Eigenschaften sprache als Basis für ihre stimmung

der Literatursemantische Be-

Der Nachweis, daß die sich als nicht-hinreichend erweisenden Merkmale der Literatursprache, auf die Käte Hamburger abhebt, nicht völlig zu verwerfen sind, sondern in eine pragmatische Bestimmung integriert werden können, ohne die vorgebrachten Einwände zu ignorieren, kann erst geleistet werden, wenn der pragmatische Status der Fiktionalität geklärt ist. Hierzu ist die Untersuchung Gottfried Gabriels (1975) geeignet, obwohl er selbst sie als semantische charakterisiert. Anders als Käte Hamburger geht er nicht von objektiven Merkmalen der Sprachverwendung aus, da nach seiner Meinung die „Satzarten, die in fiktionaler Rede zur Ausführung von Sprechakten verwendet werden, [ . . . ] dieselben [sind], wie in nicht-fiktionaler Rede, z . B . im täglichen L e b e n . " (Gabriel 1975, 43.) Und anders als sie geht er auch nicht von einer „Redetheorie poetischer T e x t e " (Turk 1976, 34—56) aus, sondern von einer sprechakttheoretisch reformulierten Semantik (vgl. Art. 24), um die Frage zu beantworten, „wie fiktionale von anderen Arten der Rede (semantisch) zu unterscheiden ist." (Gabriel 1975, 61.) Gabriel analysiert demgemäß nicht, wie sich die sprachlichen Aussagen auf die Realität beziehen, sondern welche Bedingungen des Gelingens (vgl. Art. 24) mit den jeweiligen Aussagen verbunden sind. Bezugspunkt für die Bestimmung der fiktionalen Rede ist dabei die behauptende Rede. Gabriel untersucht zunächst, was sich verändert, wenn diejenigen Sprachelemente, mit denen in der behauptenden Rede Gegenstände der Wirklichkeit eindeutig identifiziert werden sollen, in fiktionaler Rede verwendet werden. Diese Sprachelemente nennt er „referenzialisierende Ausdrücke". (Gabriel 1975, 18.) Zu ihnen gehören Eigennamen, Kennzeichnungen ( z . B . : „der erste Mensch auf dem M o n d " ) , Personalpronomen, Possessivpronomen, Demonstrativpronomen, Raumdeiktika, Zeitdeiktika und plurale bestimmte Beschreibungen ( z . B . : „die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges"), (siehe Gabriel 1975, 18.) Kommen diese Ausdrücke nun in fiktionaler Rede vor, wird mit ihnen keine echte Identifizierungsabsicht verfolgt; im Gegensatz zur behaupteten Rede erheben sie folglich keinen Anspruch auf Referenzialisierbarkeit. In einem zweiten Schritt untersucht Gabriel Aussagen, in denen statt der referenzialisierenden

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X. Literansche Aspekte

Ausdrücke Prädikatoren an Subjektstelle oder in quantifizierenden Ausdrücken vorkommen. Zur Erläuterung der Termini mögen die folgenden Beispiele dienen: In dem Satz „Viele Menschen haben Karies" besteht der quantifizierende Ausdruck „viele Menschen" aus dem Quantor „viele" und dem Prädikator „Mensch" und in dem Satz „Löwen und Tiger vertragen sich bei uns sehr gut" sind die Ausdrücke „Löwe" und „Tiger" Prädikatoren an Subjektstelle. Während nun in der behauptenden Rede der Anspruch erhoben wird, daß es Gegenstände in der Wirklichkeit gibt, auf die die Ausdrücke zutreffen, fehlt in der fiktionalen Rede dieser Anspruch auf Erfülltheit. Als drittes defini torisch es Merkmal der fiktionalen Rede bestimmt Gabriel, daß die Gelingensbedingungen, die für die behauptende Rede gelten, nicht erfüllt sein müssen. So braucht die fiktionale Rede nicht wahr zu sein, ihr Sprecher braucht nicht an ihre Wahrheit zu glauben, er braucht keiner Verteidigungspflicht nachzukommen, und er unterliegt nicht der Verpflichtung, die aus seiner Rede folgenden Behauptungen zu übernehmen. (siehe Gabriel 1975, 45f.) Die drei Bestimmungsmerkmale der fiktionalen Rede faßt Gabriel zu der folgenden Definition zusammen: „ fiktionale Rede' heiße diejenige nicht-behauptende Rede, die keinen Anspruch auf Referenzialisierbarkeit oder auf Erfülltheit erhebt." (Gabriel 1975, 28.) O b diese Definition teilweise redundant ist, weil mit dem Merkmal ,nicht-behauptend' schon festgehalten wird, daß die für behauptende Rede geltende Wahrheitsbedingung von der fiktionalen Rede nicht erfüllt werden muß, kann hier nicht näher erörtert werden, (siehe Gabriel 1975, 27f.) Dagegen soll erörtert werden, was definiert wird und in w e l c h e m B e g r ü n d u n g s z u s a m m e n hang diese Definition steht. Obwohl es auf den ersten Blick so scheinen könnte, definiert Gabriel die fiktionale Rede nicht als einen objektivierbaren Gegenstandsbereich, sondern er expliziert, was es heißt, eine Rede als eine fiktionale zu rezipieren. Er analysiert demgemäß, wie unser Wissen um das, was ,Fiktionalität' ist, bei einem Text, den wir als einen fiktionalen auffassen, verhindert, daß wir dessen Aussagen als Behauptungen über wirkliche Tatsachen und Sachverhalte behandeln. Damit aber wird nicht auf semantische Eigenschaften der fiktionalen Rede abgehoben, sondern auf das Verhalten des Rezipienten ihr gegenüber. Folglich ist die pragmatische, und nicht die semantische Zeichendimension der Bestimmungsgrund für die Fiktionalität. Gabriel selbst deutet an, daß seine Untersuchung dorthin tendiere, wenn er einräumt: „Fiktionalität ist [ . . . ] kein semantisches Merkmal von Texten in dem Sinne, daß aufgrund bloßer Textanalyse entscheidbar wäre, ob ein Text fiktional ist, oder

nicht. Außerdem ist zwar in der Regel (textextern) feststellbar, daß bestimmte Behauptungen wahr oder falsch, nicht referenzialisierbar oder nicht erfüllt sind, ob man es aber überhaupt mit behauptender, Referenzialisierbarkeit oder Erfülltheit beanspruchender Rede zu tun hat, ist nicht ohne Berücksichtigung der Intention des Sprechers (Autors), der Rezeption des Hörers (Lesers) und der Konventionen einer Hörer- bzw. Lesergemeinschaft entscheidbar. An dieser Stelle geht Semantik in Kommunikationstheorie über, die festlegt oder feststellt, aufgrund welcher Sanktionen oder Konventionen bestimmte Intentionen und Rezeptionen ausgezeichnet werden." (Gabriel, 1975, 30.) 4. Die pragmatische Integration syntaktischer und semantischer Bestimmungen der Literatursprache Was Gabriel pauschal der Kommunikationstheorie zuweist, kann auf die Pragmatik eingeschränkt werden, da er nicht auf die von Jakobson analysierten kommunikationstheoretischen Grundlagen (vgl. 2.) abhebt, sondern nur auf v e r h a l t e n s b e s t i m m e n d e Normen und Sanktionen. Im Unterschied zu Gabriel soll im folgenden die auf die Pragmatik eingeschränkte Kommunikationstheorie jedoch nicht als eine bloße Hilfstheorie für ergänzungsbedürftige syntaktische und semantische Analysen fungieren, sondern sie soll - wie eingangs erwähnt - als die Disziplin gelten, in der diese Analysen integriert werden. Damit stellt sich die Frage, wie eine pragmatische Bestimmung der Literatursprache die unzulässig als hinreichend qualifizierten Ergebnisse ihrer syntaktischen und semantischen Bestimmung unter dem Gesichtspunkt zu integrieren vermag, wie verhaltensbestimmende Konventionen und Sanktionen die Produktion und Rezeption vorgängig regeln? 4.1. Die Institution , Literatur' als Rahmenbedingung der literarischen Textproduktion Mit dem Bezug auf Konventionen und Sanktionen hebe ich darauf ab, daß die Literatur nicht nur eine Ansammlung von Einzelwerken ist, sondern auch eine „sozial institutionalisierte Diskurssorte" (Schmidt 1975, 187). Diesen Tatbestand bezeichne ich im folgenden als Institution .Literatur'. (vgl. Bürger 1977.) Ihre verhaltensprägende Kraft läßt sich durch die Gegenüberstellung des Verhaltens der Zeichenbenutzer zur Literatursprache und zur Gebrauchssprache verdeutlichen. Unter Gebrauchssprache verstehe ich eine Sprache, die ein Sprecher in einem spezifischen Handlungskontext gemäß einem kommunikativen Zweck nach den Regeln der Grammatik produziert, (vgl.

82. Literatursprache Belke 1973, 320.) D i e T y p e n d e r k o m m u n i k a t i v e n Z w e c k e sind d e m Sprecher dabei d u r c h Sprachh a n d l u n g s s c h e m a t a (vgl. Stierle 1975, 351) v o r gegeben. So realisiert er z . B . mittels der B e h a u p t u n g den Z w e c k , eine b e s t i m m t e I n f o r m a t i o n , m i t der er einen W a h r h e i t s a n s p r u c h e r h e b t , z u ü b e r mitteln, u n d mittels d e r A u f f o r d e r u n g den Z w e c k , eine z u k ü n f t i g e H a n d l u n g des Adressaten b e w i r k e n z u w o l l e n , (vgl. W u n d e r l i c h 1976, 2 7 f . ) D i e A r t u n d Weise d e r inhaltlichen F ü l l u n g d e r S p r a c h h a n d l u n g s s c h e m a t a w i r d v o n den K o n v e r s a t i o n s m a x i m e n gesteuert, die G r i c e (1975) analysiert h a t . A u s g a n g s p u n k t seiner U n t e r s u c h u n g ist die B e s t i m m u n g d e r G e b r a u c h s s p r a c h e als einer F o r m z w e c k r a t i o n a l e n H a n d e l n s . A n d e r s als A u s t i n (1972) u n d Searle (1971) analysiert er f o l g lich nicht die K o n v e n t i o n e n b z w . k o n s t i t u t i v e n Regeln, die eingehalten w e r d e n m ü s s e n , u m das Gelingen eines Sprechakts sicherzustellen, sond e r n er fragt f u n d a m e n t a l e r nach den P r i n z i p i e n d e r S p r a c h p r o d u k t i o n , die z u befolgen v e r n ü n f t i g ist, w e n n m a n die Sprache z w e c k r a t i o n a l geb r a u c h e n will. D a m i t ist in die F o r m u l i e r u n g d e r Prinzipien ein präskriptives M o m e n t eingegangen; zugleich aber h a b e n sie auch eine e m p i r i s c h e Basis, da sich a m k o m m u n i k a t i v e n Verhalten . v e r n ü n f t i ger' Sprecher die B e f o l g u n g dieser P r i n z i p i e n aufweisen läßt. Als allgemeinstes P r i n z i p f o r m u l i e r t G r i c e das K o o p e r a t i o n s p r i n z i p : „ G e s t a l t e deinen G e s p r ä c h s b e i t r a g so, w i e er an d e m jeweiligen P u n k t des G e s p r ä c h s v e r l a u f s e n t s p r e c h e n d d e m akzeptierten Z w e c k o d e r d e r v e r ä n d e r t e n R i c h t u n g des G e s p r ä c h s v e r l a u f s , an d e m d u teiln i m m s t , erforderlich i s t . " (Grice 1975,45.) Dieses P r i n z i p d i e n t G r i c e als R i c h t s c h n u r z u r F o r m u l i e r u n g der spezifischen K o n v e r s a t i o n s m a x i m e n , die er ζ . T . n o c h in U n t e r m a x i m e n aufschlüsselt: (1) Die M a x i m e d e r Q u a n t i t ä t a) M a c h e deinen Beitrag so i n f o r m a t i v w i e erforderlich. b) M a c h e deinen Beitrag nicht i n f o r m a t i v e r als erforderlich. (2) D i e M a x i m e der Q u a l i t ä t a) Versuche deinen Beitrag z u einem w a h r e n z u machen. b) Sage nichts, v o n dem du glaubst, es sei falsch. c) Sage nichts, w o f ü r dir eine angemessene Evid e n z fehlt. (3) D i e M a x i m e d e r B e z i e h u n g a) Sei relevant. (4) D i e M a x i m e d e r A r t u n d W e i s e a) Sei klar u n d deutlich. b) V e r m e i d e D u n k e l h e i t des A u s d r u c k s . c) V e r m e i d e M e h r d e u t i g k e i t . d) Sei k u r z (vermeide es, u n n ö t i g weitschweifig z u sein). e) Sei folgerichtig. (Grice 1975, 4 5 f . ) Auf d e n ersten Blick w i r d deutlich, d a ß die M a x i m e n nicht gleichwertig u n d nicht u n a b h ä n g i g

703

v o n e i n a n d e r sind. W e n n m a n m i t W a t z l a w i c k u . a. (1974) die Sprache in einen Inhalts- u n d einen B e z i e h u n g s a s p e k t unterteilt, so k a n n die M a x i m e der Q u a l i t ä t d e m ersteren, u n d die a n d e r e n drei M a x i m e n k ö n n e n d e m letzteren A s p e k t z u g e o r d net w e r d e n . U n t e r diesen hat Grice selbst der v o n ihm nicht weiter analysierten B e z i e h u n g s m a x i m e ein b e s o n d e r e s G e w i c h t verliehen, d a er sich von ihrer n o c h zu leistenden A u s a r b e i t u n g ein größeres M a ß an Klarheit ü b e r die , Logik" g e b r a u c h s sprachlicher K o m m u n i k a t i o n verspricht. D i e M a x i m e n d e r Q u a n t i t ä t u n d d e r A r t u n d Weise lassen sich der B e z i e h u n g s m a x i m e als inhaltliche u n d f o r m a l e Spezifizierungen z u o r d n e n , hängt d o c h die Relevanz einer Ä u ß e r u n g zugleich von ihrem I n f o r m a t i o n s g e h a l t u n d ihrer Verständlichkeit ab. W ä h r e n d der Sprecher einer v o m Z w e c k her b e s t i m m t e n gebrauchssprachlichen Ä u ß e r u n g sich nach den K o n v e r s a t i o n s m a x i m e n u n d d e n Regeln der G r a m m a t i k richtet, gelten diese N o r m e n f ü r den P r o d u z e n t e n eines literatursprachlichen Textes nicht. D e n n die Institution . L i t e r a t u r ' b e s t i m m t die literatursprachliche Ä u ß e r u n g gerade nicht als eine F o r m z w e c k r a t i o n a l e n H a n delns, s o n d e r n als ein sprachliches H a n d e l n , das von einem in spezifische H a n d l u n g s k o n t e x t e eingebetteten Z w e c k z u s a m m e n h a n g a b g e k o p p e l t ist. (Dieser Sachverhalt ist w e i t g e h e n d ausgearbeitet w o r d e n in der D e u t s c h e n Klassik u n t e r d e m G e s i c h t s p u n k t der , A u t o n o m i e ' ) . So w i r d selbst ein politisches G e d i c h t , das seinen C h a r a k t e r als literatursprachliche Ä u ß e r u n g b e w a h r e n will, nicht p r o d u z i e r t , b l o ß u m den W ä h l e r z u einem b e s t i m m t e n W a h l v e r h a l t e n am b e v o r s t e h e n d e n W a h l s o n n t a g z u m o t i v i e r e n . D e n n d a n n w ä r e es reine P r o p a g a n d a o d e r W e r b u n g u n d n i c h t m e h r eine literatursprachliche, s o n d e r n eine gebrauchssprachliche Ä u ß e r u n g , die mit der E r r e i c h u n g des Z w e c k s v e r b r a u c h t ist. Welche K o n s e q u e n z e n hat es, w e n n die K o n versationsmaximen f ü r die P r o d u k t i o n eines literatursprachlichen Textes nicht m e h r gelten? (1) D e r A u t o r verletzt die Q u a l i t ä t s m a x i m e , da er m i t seiner literatursprachlichen Ä u ß e r u n g keinen W a h r h e i t s a n s p r u c h e r h e b t . D e n n w i e Käte H a m b u r g e r v o r allem f ü r die epischen T e x t e analysiert h a t , treten an die Stelle des realen A u s sagesubjekts fiktive A u s s a g e s u b j e k t e , die in ein fiktives R a u m - Z e i t - S y s t e m e i n g e b u n d e n sind u n d folglich keine P e r s o n e n der empirischen Welt identifizieren, (vgl. 3.1.) Gabriel spricht in diesem Fall d a v o n , d a ß kein A n s p r u c h auf Referenzialisierbarkeit e r h o b e n w e r d e , u n d e r w e i t e r t die Bes t i m m u n g d e r Fiktionalität d a h i n g e h e n d , d a ß ebenfalls kein A n s p r u c h auf Erfülltheit d e r Präd i k a t o r e n an Subjektstelle u n d in q u a n t i f i z i e r e n den A u s d r ü c k e n e r h o b e n w e r d e . E b e n s o wie die W a h r h e i t s b e d i n g u n g gelten die v o n G a b r i e l dar-

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X. Literarische Aspekte

über hinaus analysierten Gelingensbedingungen für die behauptende Rede nicht, da der Sprecher die Maximen 2b und 2c nicht zu befolgen braucht, (vgl. 3.2.) (2) Nicht nur die semantische Bestimmung der Literatursprache läßt sich in bezug auf die Qualitätsmaxime pragmatisch ,aufheben', sondern auch ihre syntaktische Bestimmung kann in bezug auf die Beziehungsmaxime pragmatisch aufgehoben' werden. Auch sie verliert mit dem Wegfall des für die Gebrauchssprache konstitutiven kommunikativen Zwecks ihre Geltung für den Autor. Denn ohne diesen Zweck gibt es keinen Gesichtspunkt mehr, von dem her die Relevanz einer Äußerung zu bemessen wäre. Für den Autor verlieren damit zugleich auch die Quantitätsmaxime und die Maxime der Art und Weise, die die Beziehungsmaxime nach Inhalt und Form spezifizieren,-ihre Geltung. Weder hat er auf die informative Adäquatheit noch auf die Eindeutigkeit, Klarheit, Kürze und Folgerichtigkeit seiner Äußerung zu achten. Die Institution ,Literatur' ermöglicht es ihm, zwischen den einzelnen Sprachelementen die von Jakobson analysierten vielfältigen Äquivalenzbeziehungen zu etablieren (vgl. 2.), die den Text informativ inadäquat und vieldeutig machen. 4.2. Die Institution , Literatur' als Rahmenbedingung der literarischen Textrezeption Eine pragmatische Bestimmung der Literatursprache hat die Analyse des produktiven Verhaltens eines Zeichenbenutzers zu ergänzen durch die Analyse des rezeptiven Verhaltens. Es stellt sich damit die Frage, wie ein gemäß der Institution ,Literatur' produzierter Text a d ä q u a t rezipiert wird? Damit der Leser die Rezeption des Textes nicht abbricht und den Autor wegen der Verletzung der genannten Maximen als Lügner und Schwätzer abtut, muß er den Text als einen literatursprachlichen identifizieren. Denn erst wenn er als ein solcher identifiziert ist, wird die Institution .Literatur' für ihn wirkungsmächtig und verhindert in der Regel, daß er die Rezeption abbricht. Diese Identifizierung gelingt häufiger allein schon aufgrund der Merkmale der Literatursprache selbst, wie etwa Vers und Reim (vgl. 2.), abweichendes Tempusverhalten (vgl. 3.1.) und offensichtliche Scheineigennamen und nicht erfüllbare Prädikatoren (vgl. 3.2.). Jedoch kann anhand dieser Merkmale eine vorliegende Äußerung nicht eindeutig als literatursprachliche Äußerung identifiziert werden, da es sich - wie gezeigt— um keine zuverlässigen Merkmale handelt. Wenn es also keine zuverlässigen Merkmale gibt, um dem Rezipienten zu bedeuten, daß er auf die Verletzung der Konversationsmaximen nicht mit dem Abbruch der Rezeption zu reagieren habe, dann müssen zusätzliche Kriterien hinzutreten, die es

ihm erlauben, sein Verhalten textsortenspezifisch zu modifizieren. Eine ganz entscheidende Rolle spielen hier die medialen Vorkommensbedingungen des Textes, die die Erwartung eines literarischen oder gebrauchssprachlichen Textes steuern und eine dementsprechende Einstellung hervorrufen . Denn wie die Analyse der Jakobsonschen Beispiele gezeigt hat (vgl. 2.), bleibt es nicht ohne Auswirkung auf die Art der Rezeption, ob ein Text auf einem Wahlplakat oder in einer Gedichtanthologie aufzufinden ist. Neben die Vorkommensbedingungen tritt eine Fülle von kommunikationssteuernden Einzelsignalen, wie Druckbild, Gattungsbezeichnung, Erscheinungsweise, Autorenname, Vorankündigung usw., die die Disposition des Rezipienten beeinflussen, (vgl. Martens 1975, 21-24.) Auch die von Käte Hamburger, Jakobson und Gabriel als hinreichend zur Definition der ,Sprache der Dichtung' charakterisierten Merkmale haben nur diesen Signalcharakter und fungieren somit bloß als - wenn auch gewichtige - Indizien unter anderen Indizien für den Leser, daß er es mit einem literatursprachlichen Text zu tun habe. Solche Indizien sind Elemente eines „Codewechsel-Codes" (Weinrich 1972, 9), mit denen der Autor den Lesern anzeigt, daß er aus dem gebrauchssprachlichen Code in den literatursprachlichen Code wechselt und es folglich nicht akzeptieren wird, von ihnen als Lügner und Schwätzer abgetan zu werden, sondern erwartet, daß sie sich auf den Text einlassen. Damit sie dies tun, bedarf es also einer durch Signale ausgelösten spezifischen Einstellung, die ich im folgenden die ästhetische nenne. Wie läßt sich diese nun genauer bestimmen? Dazu ist es wiederum notwendig, auf die Institution ,Literatur' zu rekurrieren. Während mit der Ausgliederung des literarischen Textes aus zweckbestimmten Handlungszusammenhängen der Autor aus der Verpflichtung entlassen wird, die Konversationsmaximen zu beachten, und er deshalb einen fiktionalen Text mit vielfältigen Äquivalenzbeziehungen zwischen den einzelnen Konstituenten produzieren kann, wird entsprechend der Rezipient dazu bestimmt, zunächst in diesem Beziehungsgefüge zu verbleiben. Der literarische Text wird gerade nicht aufgefaßt als „eine geordnete Menge von autorspezifizierten Instruktionen, die der Rezipient als ko-textspezifizierte Anweisung auf mögliche Welten bzw. Kontexte im weitesten Sinne realisiert" (Schmidt 1975, 156), sondern er wird aufgefaßt als ein System vielfältiger Entsprechungsverhältnisse, das die Aufmerksamkeit des Lesers auf sich zieht. Die sprachlichen Zeichen verwandeln sich auf diese Weise von einem Mittel in einen vorläufigen Zweck. Dadurch verkehrt sich die übliche Leserichtung. Die in ästhetischer Einstellung vollzogene Rezeption literarischer Texte kann man deshalb als primär nicht-final

82. Literatursprache bezeichnen, d . h . der Leser reagiert mit einer gesteigerten Aufmerksamkeit auf das über die syntaktisch eindeutige Zuordnung hinausgehende innertextliche Verweisungssystem, das auf den verschiedenen Sprachebenen häufig mit gegenläufigen Verfahren operiert (siehe Kloepfer 1975, 127f.). Hierzu sind alle diejenigen Verfahren zu zählen, die keinem konventionalisierten und damit intersubjektiv verfügbaren Regelapparat gehorchen, und folglich dem Rezipienten eine eigenständige Aktivität abverlangen. Denn während die Rezeption von Gebrauchstexten nicht vornehmlich eine in individuellen Rezeptionsprozessen zu vollbringende Leistung ist, da das internalisierte Sprachhandlungsschema in seiner jeweiligen inhaltlichen Ausprägung nur vollzogen zu werden braucht, wird der Rezipient literarischer Texte genötigt, die über Verweisungszusammenhänge laufenden Komplexionen zu größeren Texteinheiten durch die Analyse syntagmatischer Relationen auf allen Sprachebenen, von der phonologischen bis hin zur semantischen, bewußt zu rekonstruieren. Indem er dies tut, funktionalisiert er nicht die sprachlichen Zeichen im Hinblick auf einen kommunikativen Zweck, sondern er verbleibt vorläufig mit seiner Aufmerksamkeit im innersprachlichen Verweis der Zeichen aufeinander. Wenn sich der Rezipient jedoch nicht mit einer bloßen Strukturanalyse des Textes zufriedengeben will, sondern wenn er den Text in einen für ihn verstehbaren Zusammenhang bringen will, muß er sich für eine Deutung mit Gründen, die in der Strukturanalyse gefunden werden, entscheiden. Für ihn stellt sich folglich die polyvalente Struktur des literarischen Textes als Bereich möglicher Bedeutungszuschreibungen dar: als potentieller Textsinn. Ihn hat der Rezipient durch den Abbau der Polyvalenz in eine vom Text erlaubte Bedeutung zu überführen. Für den literarischen Text ist folglich nicht der Mangel, der vom Rezipienten zu kompensieren ist, konstitutiv, wie Iser (1970) annimmt, der den Text aus Segmenten zusammengesetzt denkt, deren Anschlüsse ausgespart sind, sondern konstitutiv für den Text ist das Überangebot, das zu reduzieren ist. Nicht der depotenzierte Text, sondern der potenzierte wird dem Rezipienten zum Potential, das er durch Reduktion für sich zu einer Bedeutung realisiert. Wie überführt nun der Leser den Textsinn für sich in eine Bedeutung? Entweder vermag er der polyvalenten Textstruktur ein von ihm vertretenes Wirklichkeitsmodell zuzuordnen oder, wenn dies nicht möglich ist, verändert er sein bisheriges Wirklichkeitsmodell so, daß es mit der polyvalenten Textstruktur verträglich ist. In beiden Fällen schöpft er den Textsinn nicht aus, sondern eröffnet sich nur einen Zugang zu ihm, indem er ihn zu einer Bedeutung konkretisiert. Diese Kon-

70S

kretisation geschieht durch Kontextbildung: der Leser bezieht die polyvalente Textstruktur auf einen bestimmten Kontext aus seinem eigenen Erfahrungs- und Vorstellungsbereich oder, im Falle der Unverträglichkeit zwischen der Textstruktur und dem Kontext, modifiziert er zunächst den Kontext und bezieht — umgekehrt diesen dann auf die Textstruktur. Hierdurch reduziert er die Komplexität der literatursprachlichen Strukturvielfalt auf eine einheitliche Gesamtbedeutung: seine Interpretation des Textes. 5.

Zusammenfassung

Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß sich die Literatursprache aufgrund der Institution .Literatur' sowohl in der Produktion als auch in der Rezeption von der Gebrauchssprache unterscheidet. Sie ist als eine Sprache zu bestimmen, die vom Autor nicht wie die Gebrauchssprache auf eine zweckbestimmte Weise nach den N o r m e n der Grammatik und der Sprachhandlungsschemata gemäß den Konversationsmaximen produziert wird, sondern als eine Sprache, in der der Autor einerseits keinen Wahrheits- und Zweckmäßigkeitsanspruch erhebt und andererseits dem Gebot der Klarheit und Informationsadäquatheit nicht nachkommt, da er die Sprachelemente nicht eindeutig verkettet, sondern vielfältigen und vieldeutigen Äquivalenzbeziehungen unterwirft. Für den Rezipienten ist die Literatursprache keine spezifische Ausprägung eines in Handlungszusammenhängen eingebetteten Sprachhandlungsschemas, das ihn weitgehend zu einem bloßen Dechiffrierungsverhalten bestimmt, sondern sie ist für ihn eine polyvalente Sprachform, die ihn dazu nötigt, im Durchgang durch die Analyse ihrer Struktur eine Gesamtbedeutung des literarischen Textes (seine Interpretation) zu konstituieren. 6. Bibliographie

(in

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Günter Säße,

Göttingen

83. Deutsche Literatursprache

83. Deutsche Literatursprache des Mittelalters 1. P r o b l e m a t i k des Begriffs , , L i t e r a t u r s p r a c h e " f ü r das Mittelalter 2. Legitimation deutscher Literatur 3. A u t o r - S c h r e i b e r - Ü b e r l i e f e r u n g 4. S t o f f und S i n n . W o n und B e d e u t u n g 5. L i t e r a t u r in A u s w a h l

1. Problematik des Begriffs für das Mittelalter

„Literatursprache"

Eine Erwartungshaltung, die ausschließlich von modernen Vorstellungen von Literatur geprägt ist, muß gegenüber mittelalterlichen Texten unangemessen bleiben. Zwar wird man auch bei heutigen Texten von Fall zu Fall im Zweifel sein können, o b das Exemplar der „ L i t e r a t u r " zuzuordnen sei (man denke an die Diskussion um Trivialliteratur), doch ist mindestens der pragmatische Rahmen, der Texte als Literatur erkennbar macht und der den Autor auf Erwartungen des Rezipienten verpflichtet, in gewissem Maße gegeben. Für mittelalterliche Texte müssen wir uns diesen Rahmen erst erarbeiten, d . h . aus zeitgenössischen Äußerungen und aus den Texten selbst rekonstruieren. Die Unsicherheit in Fragen der Abgrenzung und der Wertung, in die wir zwangsläufig geraten, spiegelt sich mehr oder minder in den gängigen Literaturgeschichten. Dort wird für die älteste Zeit der Überlieferung jeder deutschsprachige Text - jedes Gebet, jedes Beichtformular, jeder Zauberspruch, sogar glossierende Einzelwörter zu lat. Texten - der „ L i t e r a t u r " zugeschlagen, während man sich in der mhd. Zeit auf die Werke der „ B l ü t e z e i t " konzentriert und die gesamte übrige literarische Produktion als subliterarisch bzw. als Werk von „ V o r l ä u f e r n " oder „ E p i g o n e n " abwertet. Verständlich ist das Verfahren, soweit es die ahd. Texte betrifft: Die Spärlichkeit der Überlieferung zwingt dazu, alles in deutscher Sprache Aufgeschriebene wenigstens als ersten tastenden Versuch in Richtung auf eine entwickelte Literatursprache zu werten. Weniger vermag jedoch einzuleuchten, mit welchem Recht nahezu die gesamte hoch- und spätmittelalterliche Prosa zur Theologie und den „ a r t e s " , sofern sie nicht der Mystik zuzuordnen ist, aus dem Bereich des in der Literaturgeschichte zu Behandelnden ausgeschlossen wurde. Jüngste Forschungen zur „deutschen Scholastik" und zur Fachprosa (Medizin, J a g d . . . ) haben eindrücklich gezeigt, daß die höfische Literatur ebensowenig wie die mystischen Texte eines Eckhart, Tauler, Seuse denkbar wären ohne die lexikalische und syntaktischstilistische „ K l e i n a r b e i t " der Prosaautoren. N u n wäre es ebenso verfehlt, für das gesamte Mittelalter alles schriftlich Uberlieferte als Literatur einzustufen, wie das manche Vertreter der Fach-

des Mittelalters

707

prosaforschung in der Euphorie ihrer Entdeckungen tun. Fachprosa ist ermöglichender Hintergrund für Literatur, kaum aber selbst als Literatur zu werten, wenn man die Kategorie Literatur nicht bis zur Untauglichkeit überdehnen will. Heikel ist zweifellos das Problem der Wertung. Das „ M a r i e n l e b e n " des Bruder Philipp, kurz nach 1300 entstanden im (heute jugoslawischen) Kartäuserkloster Seitz, war — nach der Dichte der Uberlieferung zu schließen - einer der Bestseller des Mittelalters, mehr gelesen als Wolfram und Gottfried. Der schlichte T e x t , ohne besondere ästhetische Ansprüche, entsprach offenbar durch seinen „ L e g e n d e n t o n " , die Transposition biblischer (bzw. apokrypher) Stoffe in die Alltäglichkeit damaliger Gegenwart, einem breiten Publikumsgeschmack, dies alles getragen von der populären W o g e der Marienfrömmigkeit. Wenn eine literatursoziologische und rezeptionsgeschichtliche Betrachtungsweise uns nicht zu völligem Relativismus in Fragen der Wertung zwingt, dann ist Publikumserfolg auch für mittelalterliche Texte nicht einfach gleichzusetzen mit Qualität. Übrigens hatten die „ I n s i d e r " durchaus ein Bewußtsein von literarischem Rang. Das läßt sich explizit an Äußerungen der Literaten ablesen ( z . B . Gottfried über Hartmann von Aue, Tristan 462 M 6 2 7 ) , implizit an der Tatsache, daß die - nach unserem heutigen Urteil - führenden Figuren des Hochmittelalters schul- und traditionsbildend werden. Spätere, insbesondere bürgerlich-professionelle Autoren legitimieren ihren Stil häufig durch Berufung auf einen der Großen (so die „ B l ü m e r " , die je nach Vorliebe Gottfried oder Wolfram als Autoritäten heranziehen). Da es aussichtslos ist, für das deutsche Mittelalter eine einheitliche Definition oder wenigstens Charakteristik von „ L i t e r a t u r " und „Literatursprache" zu versuchen, sollen im folgenden einige Gesichtspunkte behandelt werden, die dem heutigen Rezipienten als spezifisch für die literarische Kommunikation des Mittelalters erscheinen.

2. Legitimation deutscher Literatur Für alle europäischen Nationalsprachen stellt sich die Frage, wie sich eine volkssprachliche Literatur überhaupt gegenüber der dominierenden lat. Literatur zu legitimieren vermochte. D a ß heimischgermanische Literatur, wie etwa eine m ü n d l i c h tradierte Heldenepik, auch auf deutschem Boden existierte, davon zeugt das „zufällig" überlieferte Hildebrandslied (notiert auf der ersten u. letzten Seite einer theologischen Handschrift), dafür spricht auch die breite Uberlieferung im übrigen germanischen R a u m . G e s c h r i e b e n e Literatur größeren Umfanges wird jedoch erst möglich durch den Kontakt mit lat. Bildung und Literatur-

708

X. Literarische Aspekte

tradition. In ahd. Zeit sind es überhaupt nur Kleriker, die schreiben (d.h. lat. schreiben) können, und denen eine analoge Anwendung auf die Volkssprache möglich ist. Und es ist ein weiter Weg bis zum Status des Spätmittelalters, da man vielen Stadtbürgern wenigstens Minimalkenntnisse im Lesen (wenn schon nicht im Schreiben) zusprechen darf. So erstaunt es nicht, wenn die heimische mündliche Literatur nicht unmittelbar ins Medium der Schriftlichkeit gelangt, sofern sie als cantus obscenus (Otfrid) dem Kleriker von vornherein verdächtig und nicht überlief erungswürdig erscheint. Erst viel später, da der Besitz einer deutschen Schreibsprache bereits gesichert ist, mit dem Nibelungenlied und der Kudrun, werden heimische Stoffe in buchepische Form transponiert. Statt dessen tritt das Deutsche in die Literatur ein mit religiös orientierter Dichtung: Otfrids Evangelienharmonie. Otfrid hat in den viel kommentierten lat. u. dt. Prologen seines Werkes das doppelte Wagnis zu rechtfertigen versucht: erstens überhaupt deutsch zu schreiben, zweitens eine deutsche Dichtung mit biblischer Thematik zu verantworten. Mit einer Bibeldichtung stellt er sich ganz in die (unumstrittene) Tradition der Lateiner Juvencus, Prudentius usw.; die Wahl der Volkssprache gründet im Bedürfnis nach Verständlichkeit auch für ein Publikum, das vielleicht über Bibelkenntnisse verfügt, aber nicht eigentlich theologisch gebildet ist, also wohl für die Mitbrüder und für in gewissem Maße gebildete Laien. Karl der Große hatte mit dem 52. Artikel der Frankfurter Synode offiziell herausgestellt, daß religiöse Praxis auch in der Volkssprache sich müsse vollziehen lassen (Ut nullus credat nonnisi in tribus Unguis Deus orandus sit, quia in omni lingua Deus adoratur et homo exauditur si iusta petierit). „Verständlichkeit" ist in Äußerungen solcher Art aber nicht als das platte Verstehen des buchstäblichen Sinnes gemeint, sondern zugleich als Eindringen in die spirituellen Sinnschichten des biblischen Textes (vgl. u. 4.). Und dafür, so kann argumentiert werden, ist die Volkssprache u . U . sogar eher prädestiniert als das Lat., da sie in ihrer Einfalt und Unverstelltheit dem sermo bumilis der Bibel selbst - die Sprechweise, die für piscatores und idiotae angemessen ist - eher nahezukommen vermag als die hochgezüchtete lat. Literatursprache. So ist es in den Monseer Fragmenten angedeutet (Gott ist propter hominem et eius lamentabilem vocem - duruh mannan enti dea sina charalihhun [ . . . ] auf die Erde herabgestiegen und hat damit auch die unwürdige Volkssprache erlöst), so ist es bei Otfrid ausgeführt, und so formuliert noch der Priester Wernher in frühmhd. Zeit (1172) im Prolog zu seinen ,,Driu liet von der maget", daß alle Menschen, auch Frauen und Laien, die Schrift Scholven, smechen und ergrunden sollen.

Alle diese Versuche, das Deutsche literaturfähig zu machen, bleiben aber in ahd. Zeit vereinzelte Anstrengungen. Notkers des Deutschen großartige Übersetzungsleistung ist nach seiner eigenen Aussage noch eine res pene inusitata, und nach Notker verschwindet das Deutsche - wohl nicht nur durch Widrigkeiten der Uberlieferung - für ein halbes Jh. gänzlich aus dem Blick. Wie etwa Williram, der hochgelehrte Abt von Ebersberg, glänzender Ubersetzer an der Schwelle von der ahd. zur mhd. Zeit, die Rangordnung Lat.Deutsch einschätzt, zeigt die wohl von ihm selbst überwachte Gestaltung der Handschrift seiner Paraphrase des Hohenliedes: dreispaltig, in der Mitte der lat. Bibeltext, links eine höchst artifizielle Hexameter-Bearbeitung, rechts die dt. Prosa-Übersetzung, bei aller relativen Eleganz der Diktion doch „ n u r " ein Versuch, das im Lat. besser Formulierbare ins Allgemein-Verständliche umzusetzen. Durchgehende Emanzipation vom Lat., wenigstens in einigen literarischen Bereichen, wird erst in dem Augenblick möglich, da mit dem erstarkenden Feudalismus die soziokulturellen Voraussetzungen dafür gegeben sind, daß Literatur den Bedürfnissen eines ritterlichen, anspruchsvollen, aber nicht oder kaum lat. gebildeten Publikums entgegenzukommen hat, dem Wunsch nach Unterhaltung und dem Willen nach Selbstdarstellung der eigenen Wertwelt, wie sie von verständnislosen Epigonen dann zum „ritterlichen Tugendsystem" formalisiert wurde. Aber selbst die sog. „höfische" Literatur ist, auf der Folie der gesamten Literaturproduktion der Zeit, ein schmales (Euvre im Vergleich mit der gerade im 11. und 12. Jh. blühenden mlat. Literatur. Die sprachlichen Bereiche, die noch ganz in der Hand des Klerus bleiben, werden dem Deutschen erst später erschlossen. Dies ist u.a. ein Grund dafür, warum das Deutsche sich in den geistlichen Spielen (den „ D r a m e n " des Mittelalters) erst im Spätmittelalter durchsetzen konnte. Die Spiele sind liturgisch fundiert, und infolgedessen Domäne des Lat. Bezeichnend, w i e hier das Deutsche zur Geltung kommt: Das Osterspiel von Muri und das St. Galler Weihnachtsspiel, die frühesten durchgehend verdeutschten Vertreter ihrer Gattungen, sind einsame Leistungen ohne unmittelbare Nachfolge, wobei insbesondere das Spiel von Muri durch seine Dialogführung, die weit über die Gesprächstechniken der lat. Spiele hinausgeht, in die Nähe der kunstvollen Gesprächsgestaltung des höfischen Romans zu stellen ist. Wie aber im Normalfall die Volkssprache in den lat. Kontext eingedrungen ist, dürfte repräsentativer durch einen Text wie das Trierer Osterspiel belegt sein. Dort folgt auf die lat. Strophen eine starre gereimte Übersetzung, die keineswegs dem Niveau der gleichzeitigen weltlichen Literatur entspricht. Auch die Vortragsweise, wie sie

83. Deutsche Literatursprache des Mittelalters schon im Spiel von Muri angegeben ist und wie sie sich im 14. Jh. verfestigt haben dürfte, charakterisiert die Bewertung der beiden Sprachen: Der lat. Text wird gesungen (Regieanweisung: cantare), während der deutsche zu rezitieren (dicere) ist. Eine vergleichsweise respektloshumoristische Konfrontation, wie sie im Innsbrucker Osterspiel riskiert wird, bedeutet dann schon ein gutes Stück auf dem Weg zu einem verselbständigten Volkstheater (Heu quantus est noster dolor - waz sagit ir uns von hau}). 3. Autor - Schreiber -

Überlieferung

Diese Kategorien der literarischen Produktion sind auf eine für den mittelalterlichen Literaturbetrieb spezifische Art miteinander verkettet. Biographische Literaturinterpretation zu betreiben - diese Gefahr besteht für den Mediävisten in den wenigsten Fällen, schon aus Mangel an historischem Datenmaterial. Doch ist dieser Mangel für große Bereiche der volkssprachigen Literatur nicht zufällig, sondern systematisch bedingt: Heldendichtung ist in germanischer Zeit mündlich und anonym, und das Merkmal der Anonymität bleibt ihr auch beim Ubergang zur Schriftlichkeit, sogar weitgehend noch für die großen Heldenepen der höfischen und nachhöfischen Zeit. Daß der Dichter des Nibelungenliedes um 1200 in Passau wirkte, läßt sich aus mancherlei Indizien erschließen. Direkt überliefert ist uns jedoch nicht einmal sein N a m e , obwohl der Autor den altepischen Stoff stilistisch-atmosphärisch in das Milieu des höfischen Romans und des Minnesangs hineinstellt — Gattungen, bei denen wir i. a. mindestens die Namen der Autoren kennen und einiges Wenige über ihre Biographie. Im Heldenepos ist also die Weitergabe des tradierten Erzählstoffes und seine Adaptation an den Geschmack der jeweiligen Zeit wichtiger als die Möglichkeit, daß sich ein Einzelautor damit als literarische Persönlichkeit profiliert. — Anonymität in einem anderen Sinne ist dann wieder Merkmal der erst im Spätmittelalter sich entfaltenden Gattung der Passionsspiele (und der anderen religiös fundierten Spiele). Hier ist der Text nur e i n Element (neben Bauten, Musik etc.) in der Konstruktion der gewaltigen „Gesamtkunstwerke", die in ihrer letzten Entwicklungsphase mehrere Tage dauerten und die als kollektive Leistung aller Stände der Stadt zu gelten haben. Für uns ist hier die Frage nach dem Autor schon deshalb nicht mehr beantwortbar und gar nicht sinnvoll zu stellen, weil das Kompilieren bewährter gängiger Spieltexte, allenfalls mit Anpassung an die jeweiligen lokalen Bedürfnisse, weit üblicher und wichtiger war als das Erfinden neuer Textformulare. Ähnlich steht es mit der „Originalität" der Fasnachtsspiele des 15. Jhs., deren Verfasser, mit wenigen Ausnahmen (wie

709

Folz und Rosenplüt), nicht eruierbar sind. - Etwas wie ein dichterisches Selbstbewußtsein ist in den eigentlich höfischen Gattungen durchaus schon zu spüren; in z . T . penetranter Weise wirksam wird es aber erst, als nach 1250 das soziale Spektrum der literarisch Tätigen sich verbreitert und ein Berufsliteratentum aufkommt. Während des ganzen Mittelalters hat man also ein gattungsbedingtes N e beneinander von anonymer und „individueller" Produktion zu registrieren. Dabei ist „ a n o n y m e " Entstehung keineswegs im romantischen Sinne als Sich-selbst-Dichten des Epos mißzuverstehen. Man hat G r u n d zu der Annahme, daß das Nibelungenlied, wie spätere Heldenepik, von e i n e m Autor in e i η e r Fassung geschrieben wurde, wobei sich Abschreiber und Bearbeiter gewisse, z . T . weitgehende Lizenzen gestatten. Das führt uns zum vielschichtigen Problem des Verhältnisses von „ U r t e x t " und Uberlieferung. Zunächst ist natürlich festzustellen, daß wir aufgrund der Uberlieferungslage meist gar keine Möglichkeit haben, an so etwas wie den Produktionsvorgang überhaupt nur heranzukommen. Hartmann von Aues sicher vielgelesener Roman „ E r e c " ist uns erst durch die Sammelhandschrift des „Ambraser Heldenbuches" vom Anfang des 16. Jhs. überliefert. Von Wolframs „Parzival" hingegen besitzen wir 16 vollständige Handschriften und 57 Bruchstücke. Für die ahd. Zeit ist es ζ. Β. ein unerhörter Glücksfall, daß wir mit einer der Handschriften von Otfrids Evangelienbuch ein wohl vom Autor selbst korrigiertes Exemplar in Händen haben. Wenn wir von den geistlichen Autoren wissen, daß sie schreiben gelernt haben, so ist dies von den hochmittelalterlich-weltlichen adligen Autoren keineswegs durchgehend sicher. Manche werden ihre Texte diktiert haben. Aber auch dort, w o der Autor schreiben kann, ist anzunehmen, daß die publizierte Version nicht selten von besonders geübten Schreibern erstellt wird. Schreiben ist kunstgewerbliches Schaffen, Pergament ein kostbarer Stoff. Das billigere Papier wird erst seit dem 14. Jh. neben dem Pergament verwendet. Schon von daher kommt dem Schreiber eine nicht nur reproduzierende Funktion zu. Aber auch später bleiben Schreiber und Abschreiber nicht nur „mechanische" Faktoren im Uberlieferungsprozeß. Gelegentlich schimpft ein Autor auf die Schreiber, die sich zuviel an Freiheit gegenüber dem „ U r t e x t " herausnehmen (so bei Konrad von Fussesbrunnen zu lesen). Andere Autoren, wie Rudolf von Ems, trauen den Schreibern zu, Mängel des Originals in eigener Regie zu verbessern. Daraus ergibt sich f ü r die Textkritik, daß die „bessere" Lesart keineswegs immer dem Original näher steht. Natürlich gilt dies auch wieder in sehr verschiedener Ausprägung für die verschiedenen Gattungen. Der Minnesang, als extrem formbewußte Kunst, ist den Eingriffen der Uber-

710

X. Literarische Aspekte

lieferung gegenüber empfindlicher als „Spielmannsepen", bei denen das immer neue Fabulieren Merkmal der Gattung ist und wo „Festigkeit" des Textes keine strenge Anforderung ist. Erst recht offen für umgestaltendes und innovatorisches Rezipieren sind die Predigten eines Berthold von Regensburg, eines Johannes Tauler, die primär für den öffentlichen Vortrag konzipiert sind und deren schriftliche Fassung z . T . erst durch (möglicherweise „autorisierte") Nachschriften der Hörer auf uns gekommen sind. Demnach läßt sich die Geschichte der Textüberlieferung im Mittelalter vielfach als eigentliche Lesergeschichte, als Rezeptionsgeschichte auffassen. 4. Stoff und Sinn. Wort und

Bedeutung

Es ist kaum anzunehmen, daß das weltliche mittelalterliche Publikum nicht auch sensationellen Erzählstoff um der bloßen Unterhaltung willen verlangt hätte. Dafür waren vermutlich die „ioculatores" zuständig. (Spätestens in den Volksbüchern und Fasnachtsspielen des Spätmittelalters treten solche subliterarische Phänomene dann in die Schriftlichkeit ein.) Trotzdem zeigt eine Ubersicht über die große Menge von Selbstaussagen der mhd. Autoren zu ihrer literarischen Tätigkeit, daß die Aufgabe des Dichters eben gerade da erst einsetzt, wo das bloße Interesse am Stoff aufhört. Das Verhältnis des Autors zum „Stoff" ist offenbar ein wesentlich anderes, als es unserer Erwartung entspricht. Das Erfinden eines neuartigen Stoffes ist nicht nur belanglos, sondern gar verdächtig, wenn der Autor keine Quelle oder Autorität aufweisen kann, die die Wahrheit des Erzählten verbürgt. Für Bibeldichtung ist das selbstverständlich. Aber auch von einem mhd. Romanautor wird im Normalfall erwartet, daß er eine - wenn möglich schriftliche (!), d. h. meist französische - Vorlage hat. Ein Text wie der „Wigalois", bei dem dies nicht der Fall zu sein scheint, ist die große Ausnahme. Das berühmte Wort des Geoffroi de Vinsauf gilt, wenn auch in verschiedener Abschattung, grundsätzlich für die gesamte anspruchsvolle Literaturproduktion des Mittelalters: [ . . . ] est notandum quod difficile est materiam communem et usitatam convenienter et bene tractare. Et quanto difficilius, tanto laudabilius est bene tractare materiam talem, scilicet communem et usitatam, quam materiam aliam, scilicet novam et inusitatam. - Das bene tractare eines bekannten Stoffes ist es, das den Dichter als Dichter ausweist. Darin enthalten ist zunächst die immer wieder von den Autoren vertretene Auffassung, daß Dichten eine lern- und lehrbare kunst ist. Und schon das bloße Versemachen ist, mindestens in den Anfängen, ein ernstzunehmendes Unterfangen. So bezeugt es Otfrid, der in eingehender Reflexion den geistigen Sinn des

(Endreim-)Verses zu ergründen sucht. In kühnem geistigem Spiel mit den metrischen Fachbegriffen werden fuazi, ziti, regula auf den Gesamtvollzug christlichen Lebens hin - das Gehen im Maße des göttlichen Gesetzes - gedeutet (I l,45ff.). Wenn der as. Heliand, obwohl Bibeldichtung, noch den germ. Stabreimvers (freilich mit deutlichen Kennzeichen einer Spätform) verwendet, so setzt sich mit Otfrid der Endreimvers durch, da er einem christlichen Ideal der harmonia und des ordo - nach Otfrids eigener Aussage - mehr entgegenkommt als der dynamischere, weniger gezügelte Stabreimvers. Das bene tractare hat natürlich noch weitere Dimensionen: Lernbar sind auch die Regeln der (aus der Antike tradierten) Rhetorik, wie sie in den Klosterschulen im Rahmen des Trivium systematisch vermittelt wurden. (Beredtes Zeugnis für die Art und Weise dieser Vermittlung ist Notkers „Rhetorik".) Und nicht nur dem geistlichen Autor sind die Techniken des ornatus geläufig, sondern auch dem höfischen Literaten der staufischen Klassik, wie sich bis ins Detail der einzelnen Metapher nachweisen läßt. Dem widerspricht durchaus nicht, daß die kunst, mindestens für den Dichter der „Blütezeit", nur zur Erfüllung gelangen kann, wenn die Anlage zum Dichter von Gott gegeben ist, oder anders gewendet : wenn Gott dem Dichter den nötigen sin gibt. Chretien de Troyes liefert den deutschen höfischen Dichtern das Denkmodell, das sich in verschiedener lexikalischer Ausprägung in den mhd. Texten immer wieder findet: Er wehrt sich gegen die Geschichtenerzähler, die nur die krude mattere wiedergeben. Ihm geht es um den sen, um das, was die Geschichte an didaktischem Potential enthält. Gottfried reflektiert dieses Begriffspaar, wenn er - im Kontext des Lobs auf Hartmann von Aue - den Gegensatz und das Ineinander von rede und meine charakterisiert (Tristan 462Iff.). In anderem Vokabular formuliert Wolfram den Gedanken einer spirituellen Text-Dimension, in dem schwierigen und viel interpretierten Prolog zum „Willehalm", wo er seine ungebildetheit (swaz an den buochen stet geschriben, des bin ich künstelos beliben) - was immer man daraus faktisch herauslesen mag — in einem tiefern Verständnis von kunst begründet: wan hän ich kunst, die git mir sin (2, 16ff.). Der von Gott gegebene sin (hier als seelisch-geistige Kraft) ermöglicht erst kunst als handwerklich-dichterisches Können. Was nun sen, meine usw. jeweils bedeutet, das läßt sich nicht mehr pauschal sagen. Es reicht von bloßer moralischer Didaxe über Vermittlung des höfischen Wertekanons bis hin zur Entfaltung des „mehrfachen Schriftsinns", ein Verfahren, das aus der Bibelexegese geläufig ist (im Sinne des aus dem 13. Jh. stammenden Merksatzes: Littera gesta docet, quid credas allegoria, Moralis quid

83. Deutsche Literaturspracbe des Mittelalters agas, quo tendas anagogia), das in den spiritaliteru n d moraliter-Kapiteln bei O t f r i d explizit z u m T r a g e n k o m m t u n d das auch - was freilich in d e r F o r s c h u n g nicht u n b e s t r i t t e n ist — d e m weltlichen D i c h t e r Leitfaden seiner D e u t u n g der mutiere sein k a n n . D a s (ursprünglich h e r m e n e u t i s c h e ) V e r f a h ren korreliert mit einem semiotischen Z u g a n g z u m „ W o r t " , d e r sich scharf a b h e b t von m o d e r n wissenschaftlichen A u f f a s s u n g e n : D e r W o r t klang, das signifiant, hat z u n ä c h s t eine b u c h stäbliche B e d e u t u n g (signifie), vermittels d e r e r es auf das gemeinte D i n g verweist. D a s D i n g aber (und d a m i t indirekt das signifie) birgt spirituelle Sinn-Dimensionen („Ding-Bedeutung"). Währ e n d das signifiant - nach ü b e r w i e g e n d e r M e i n u n g mittelalterlicher S p r a c h p h i l o s o p h e n u n d auch d e r v o l k s t ü m l i c h e n A u t o r e n - thesei, also d u r c h „ S e t z u n g " d e m Signifie z u g e o r d n e t , also arbiträr (im Saussureschen Sinne) ist, ist d e m D i n g seine B e d e u t u n g v o n G o t t verliehen. W e n n die m o d e r n e Semantik s t r u k t u r e l l e r R i c h t u n g gerade das D i n g als „ a u ß e r s p r a c h l i c h e s " aus der Analyse z u eliminieren b e m ü h t ist - eine A u f f a s s u n g , die im R a h m e n der S p r a c h p r a g m a t i k indessen wieder z u r ü c k g e n o m m e n z u w e r d e n scheint - , so ist d e r Mittelalterphilologe e n t s c h e i d e n d angewiesen auf das V e r s t ä n d n i s d e r D i n g - B e d e u t u n g . Literarische G a t t u n g e n , die lange Zeit eher als K u r i o s u m galt e n , w e r d e n n u n als eigentliche B e d e u t u n g s w ö r t e r b ü c h e r e r k a n n t , die als h e r m e n e u t i s c h e r Schlüssel auch weltlicher D i c h t u n g dienen k ö n n e n : P h y s i o l o g u s , Bestiarien, Lapidarien, Pflanz e n b ü c h e r , die g r o ß e n E n z y k l o p ä d i e n u n d allegorischen W ö r t e r b ü c h e r . A u c h die E t y m o l o g i e im mittelalterlichen Sinne k a n n I n s t r u m e n t d e r H e r m e n e u t i k sein. D e m an der M e t h o d i k d e r vergleichenden Sprachwissenschaft G e s c h u l t e n m u ß das mittelalterliche E t y m o l o g i s i e r e n spekulativ u n d willkürlich erscheinen. Dies V e r d i k t fällt d a h i n , w e n n m a n sieht, d a ß E t y m o l o g i e hier gar nicht auf eine historisch-genetische „ U r f o r m " zielt, s o n d e r n als Fingerzeig z u m A u f f i n d e n des B e n e n n u n g s m o t i v s , d a m i t d e r proprietas rei u n d auf diesem W e g d e r spirituellen D i m e n s i o n e n d e r D i n g - B e d e u t u n g gilt. E n t s p r e c h e n d h a b e n die V e r f a h r e n des E t y m o l o g i s i e r e n s eher etwas mit R h e t o r i k als m i t Sprachhistorie zu t u n . In volkssprachigen Z u s a m m e n h ä n g e n k a n n die T r a d i t i o n des lat. E t y m o l o g i s i e r e n s einmal d u r c h Ü b e r n a h m e der h e r m e n e u t i s c h e n „ F i n g e r z e i g e " ( o h n e d a ß das d t . W o r t d u r c h sein signifiant e n t s p r e c h e n d e H i n w e i s e gäbe) z u r G e l t u n g k o m m e n , d a n e b e n aber auch d u r c h A n w e n d u n g d e r T e c h niken des E t y m o l o g i s i e r e n s auf genuin d t . W ö r t e r o h n e direktes lat. V o r b i l d . W ä h r e n d die r o m a n i schen V o l k s s p r a c h e n die lat. E t y m o l o g i e o f t u n v e r ä n d e r t ü b e r n e h m e n k ö n n e n , d a der w o r t geschichtliche Z u s a m m e n h a n g n o c h u n g e b r o c h e n ist, sind f ü r d e n d t . W o r t s c h a t z lautliche Parallelen

711

z u m Lat. vergleichsweise selten (Katze-catusKetzer). - Alles in allem w ä r e , a u f g r u n d solcher Ü b e r l e g u n g e n , die „ p o e t i s c h e F u n k t i o n " mittelalterlicher Literatur m i n d e s t e n s teilweise anders z u charakterisieren, als es J a k o b s o n u n d andere Vertreter der strukturalistischen Poetik getan haben (vgl. 81:1).

5. Literatur

(in

Auswahl)

P. A s s i o n , A l t d e u t s c h e Fachliteratur, Berlin 1973. K. B e r t a u , D e u t s c h e Literatur im e u r o p ä i s c h e n Mittelalter. 2 B d e . M ü n c h e n 1972 f. B. B o e s c h , D i e K u n s t a n s c h a u u n g in der m h d . D i c h t u n g . Bern 1936. D . B r e t t - E v a n s , V o n H r o t s v i t bis F o l z u n d G e n g e n b a c h . Eine G e s c h i c h t e des mittelalterlichen d e u t s c h e n D r a m a s . 1. Berlin 1975. H . B r i n k m a n n , D i e Z e i c h e n h a f t i g k e i t d e r Sprache, des S c h r i f t t u m s u n d d e r W e l t im Mittelalter. I n : Z D P 93 (1974), 1-11. E. C a t h o l y , D a s Fastnachtspiel des Spätmittelalters. T ü bingen 1961. W . Fechter, Das Publikum der m h d . Dichtung. Frankfurt 1935. W . F e c h t e r , L a t . D i c h t k u n s t u n d deutsches Mittelalter. Berlin 1964. H . G i n d e l e , Lat. Scholastik u n d deutsche Sprache. M ü n chen 1976. Α. M . H a a s , Parzivals t u m p h e i t . Berlin 1964. R . G a s s e r , P r o p t e r lamentabilem v o c e m h o m i n i s . Z u r T h e o r i e der V o l k s s p r a c h e in a h d . Zeit. I n : F Z P T 17 (1970), H . 1 - 2 . W . H o f f m a n n , M i t t e l h o c h d e u t s c h e H e l d e n d i c h t u n g . Berlin 1974. C h r . H u b e r , W o r t sint d e r dinge zeichen. U n t e r s u c h u n g e n z u m S p r a c h d e n k e n d e r m h d . S p r u c h d i c h t u n g bis F r a u e n l o b . M ü n c h e n 1978. W . Kleiber, O t f r i d von W e i s s e n b u r g . Bern 1971. R. Klinck, D i e lat. E t y m o l o g i e des Mittelalters. M ü n c h e n 1970. H . K u h n , D i c h t u n g u n d W e l t im Mittelalter. S t u t t g a r t , 2. Aufl. 1969. A . M a s s e r , Bibel- u n d L e g e n d e n e p i k des d e u t s c h e n M i t telalters. Berlin 1976. P. Michel, „ A g a m e m n o n " u n t e r d e n G o t t e s f r e u n d e n . Edit i o n s p r o b l e m e d e r germanistischen Mediävistik. I n : F i m f c h u s t i m , Fs. St. Sonderegger, B a y r e u t h 1978, 137-184. B. N a u m a n n , D i c h t e r u n d P u b l i k u m in d e u t s c h e r u n d lat. Bibelepik des f r ü h e n 12. J h s . N ü r n b e r g 1968. F. N e u m a n n , Ü b e r l i e f e r u n g s g e s c h i c h t e d e r altdeutschen L i t e r a t u r . I n : G e s c h i c h t e d e r T e x t ü b e r l i e f e r u n g der antiken u n d mittelalterlichen Literatur, II. Z ü r i c h 1964, 641-702. F . O h l y , W o l f r a m s G e b e t an d e n Heiligen G e i s t im E i n gang des Willehalm. I n : Z D A 91 (1961), 1 - 3 7 . F. O h l y , Schriften z u r mittelalterlichen B e d e u t u n g s f o r s c h u n g . D a r m s t a d t 1977. F. R a n k e , D a s Osterspiel von M u r i . Aarau 1944. K. R u h , H ö f i s c h e Epik des d e u t s c h e n Mittelalters, I. Berlin 1977. W . S t a m m l e r , Mittelalterliche Prosa in d e u t s c h e r Sprache. I n : D e u t s c h e Philologie im A u f r i ß , II. 2. A u f l . Berlin 1960, 749-1102.

712

X. Literarische Aspekte

G . Steer, Germanistische Scholastikforschung. In: T P V 45 (1970), 2 0 4 - 2 2 6 , 46 (1971), 195-222, 48 (1973), 6 5 - 1 0 6 . Typologia Litterarum, Fs. M . Wehrli. Zürich 1969.

Verbum et Signum, Fs. F . O h l y , 2 Bde. München 1975. M . Wehrli, Formen mittelalterlicher Erzählung. Zürich 1969.

84. Deutsche Literatursprache der frühen Neuzeit

lagswesens die literarische Kommunikation in einen neuen pragmatischen Rahmen stellt (wenngleich die Handschriftenproduktion noch lange bedeutend ist). Allein in den für unseren Abschnitt relevanten wissenschaftlichen Arbeiten werden sehr verschiedene Auffassungen von Literatursprache (vgl. weiter Art. 82) vertreten; zwei seien vorweg notiert, weil sie gewissermaßen extreme Orientierungspunkte abgeben: (1) Nach Guchmann (1970, 15ff.; vgl. auch Kettmann/Schildt 1976, 18ff. stellvertretend für andere DDR-Publikationen) ist Literatursprache von anderen „Daseinsformen" (Dialekt usw.) einer Sprache abgehoben durch das invariante Merkmal „Geformtheit", das eine mehr oder minder bewußte A u s w a h l aus dem Gesamtinventar sprachlicher Mittel und eine gew i s s e R e g e l u n g voraussetzt. Historisch-konkret tritt die dt. Literatursprache in unserem Zeitraum in Form landschaftlicher Varianten (mit ζ. T . mehreren Subvarianten) auf, die ihre Dialektbindung zunehmend lösen, in unterschiedlich intensiven Wechselbeziehungen stehen und insgesamt Ausgleichstendenzen in Richtung auf e i n e literatursprachliche Norm (in Graphie/Lautung, Grammatik, Lexik) erkennen lassen, die freilich erst in der späteren historischen Etappe der Nationalsprache (vgl. Art. 57) annähernd erreicht wird. Soverstandene Literatursprache gliedert sich wiederum in mehrere funktionalstilistische Varianten und begegnet nicht allein im Kommunikationsbereich „schöne Literatur", sondern etwa auch im populärwissenschaftlichen und Fachschrifttum oder im Geschäftsverkehr der größeren landesfürstlichen und städtischen Kanzleien, im Prinzip auch in „geformter" gesprochener Sprache (die nur mittelbar zugänglich ist). Eine Asymmetrie zwischen Literatur und Literatursprache besteht auch in umgekehrter Richtung: Literatur kann sich z . B . des Dialekts bedienen. - (2) Während Guchmann die Literatursprache vor allem in ihrer Schrittmacherfunktion für die Herausbildung der nationalsprachlichen Norm sieht, sind nach einer älteren germanistischen Tradition,Literatur-' oder .Kunstsprache' Prädikate für eine primär ä s t h e t i s c h e Sprachgestaltung. Nach Bach (1970,289 f.) ist in unserem Zeitraum das Bemühen um eine „Gemeinsprache" stärker ausgeprägt als das um eine „Kunstsprache"; diese entwickele sich „nur in Ausnahmefällen", voll erst in Luthers Bibelübersetzung (vgl. auch Eggers 1969, 169). Solche Einschätzung ist verständlich, bedenkt man, daß diese Epoche „immer unter dem allgemeinen

1. 2. 3. 4.

Problemexposition, Zielsetzung Latinität und Volkssprache Ubersetzungsarbeit und deren Reflexion Aufwertung des Deutschen, Sprachausgleich, Normthesen 5. Bibliographie (in Auswahl)

1. Problemexposition,

Zielsetzung

Der Uberlieferungsbestand dt. Texte aus dem 15. und 16. J h . , ungleich größer als der aller voraufgehenden Jhh. zusammen, hat noch manches vom Reiz eines Niemandslandes zwischen Mediävistik und neuerer Literaturwissenschaft bewahrt, wenn auch jüngst wieder verstärkte Anstrengungen zur dokumentarischen (bio-bibliographischen, editorischen) und interpretatorischen Erschließung zu verzeichnen sind. In literarhistorischen Darstellungen sind „Ausgehendes Mittelalter", „Renaissance", „Humanismus", „Frühbürgerliche Revolution", „Reformation", „(beginnende) Gegenreformation" und „Vorbarock" vielbenutzte Ordnungsbegriffe, die jedoch eher allgemeinere, einander z . T . mehrfach überlagernde, kultur- und sozialgeschichtliche Entwicklungen kennzeichnen und für spezifisch literarische Phänomene nur einen bedingten Aufschlußwert haben. Der neuerdings vorgeschlagene, bewußt indifferente Terminus Mittlere Deutsche Literatur für die Zeit von ca. 1400-1700 (Roloff 1972) läßt Raum für andere, evtl. adäquatere, historische Gliederungen und stiltypologische Kategorisierungen. Unter dem Aspekt der allgemeinen Sprachgeschichte fällt der hier zu behandelnde Abschnitt in die Epoche des Frühneuhochdeutschen (vgl. Art. 68) oder - um das Niederdeutsche miteinzubeziehen - des Frühneudeutschen. J e nachdem, ob man mehr die Fortführung mittelalterlicher Stoff-, Gattungs- und Stiltraditionen oder mehr die zukunftsweisenden Ansätze betont, kann die Grenze zwischen Mittelalter und Neuzeit in der Literatur sehr stark variieren. Als Kompromiß gelten die 2 oder 3 Dekaden um das Jahr 1500 (Fischer 1957, 311). Für den Ansatz neuzeitlicher Literatursprache um 1470/80 mag u.a. sprechen, daß humanistische Sprachästhetik - nach dem „Vorspiel" in Böhmen (Henne 1978) - nunmehr Interesse in breiteren, insbesondere auch stadtbürgerlichen Bildungskreisen findet, und der etablierte Wirtschaftszweig des Druck- und Ver-

Harald Burger,

Zürich

84. Deutsche Literatursprache der frühen Neuzeit Odium litt, daß ihre Dichtung minderwertig sei" (Roloff 1962, 127). In der folgenden Darstellung einiger Bedingungen, Erscheinungsformen, Funktionen und Entwicklungen der dt. Literatursprache der frühen Neuzeit stehen sprachsoziologische und stilgeschichtliche Aspekte im Vordergrund. Dabei werden auch zeitgenössische Reflexionen und Problematisierungen der literarischen Praxis als Ansatzpunkte für die Beschreibung genutzt. Eine definitorische Fixierung der Begriffe „Literatur" und „Literatursprache" erscheint verfrüht schon angesichts des Umstandes, daß weite Bereiche der Schriftlichkeit jener Zeit noch fast unbearbeitet sind und der gegenwärtige Stand der Selektion und Wertung durchaus revisionsbedürftig ist. 2. Latinität

und

Volkssprache

T r o t z zunehmender Verwendung des Deutschen als Schreibsprache dominiert weiterhin das Latein: Das Verhältnis lat. Druckwerke zu dt. ist um 1500 etwa 20:1, zu Beginn der Reformation 10:1, 1570 noch 3:1. Wichtiger als diese Zahlen, die vorab nur die Rolle des Latein als internationaler Kirchenund Wissenschaftssprache spiegeln, sind folgende Aspekte der Zweisprachigkeit: (1) Im Zuge der wesentlich von Italien her inspirierten Wissenschafts- und Bildungsbewegung des Humanismus entsteht eine ausgedehnte, programmatisch auf die Nachahmung klassisch-antiker Musterautoren ausgerichtete neulat. Dichtung (Konrad Celtis 1487 erster dt. poeta laureatus). Sie ist begleitet und zugleich reguliert von zahlreichen dichtungstheoretischen Schriften, denen in dt. Sprache bis hin zu Opitz nichts Vergleichbares entspricht. Eine gründlichere Aufarbeitung dieser Poetiken, Rhetoriken und Stillehren (vgl. bereits D y c k 1969; Lange 1974; Entner 1976) könnte, unter Berücksichtigung wiederum ihrer antiken Modelle (Cicero, Quintilian usw.) und romanischen Pendants (Vida, Scaliger usw.), zu einer stärker von der zeitgenössischen Theorie her geleiteten Interpretation auch der deutschsprachigen Literatur, vor allem der von lateinkundigen Autoren produzierten, führen (vgl. bereits z . B . Gaier 1966 zu Brants ,Narrenschiff'; Stolt 1974 zu Luther). Beim „Ackermann" Johanns von Tepl tritt die rhetorische Grundlage durch die Selbstinterpretation im lat. Widmungsbrief, in der kalkulierten Sprachgestaltung und in der Anlage des Werks als Streitgespräch ohnehin klar zutage. (2) Der dünnen akademischen Bildungsschicht, die vorzugsweise lat. schreibt (auch Luther macht darin keine Ausnahme), steht die Masse des illiteraten Volkes gegenüber, von der um 1500, als ca. 600 dt.-sprachige Druckausgaben vorlagen (eine geschätzte Auflagenhöhe von 100 ergibt insgesamt 6 0 0 0 0 dt. Bücher; vgl. Schottenloher 1968, 140),

713

höchstens 3—4% lesen konnte (Engelsing 1973, 19 f.). Die soziale Markiertheit beider Sprachen wirkt tendenziell auf eine Polarisierung von Stilebenen und Sprachrollen (Komik/Vulgarität Ernst/Vornehmheit), die nicht selten, besonders in den zeittypischen satirischen Literaturformen, thematisiert wird (G. Hess 1971), wobei je nach Adressatenkreis, je nach ideologischem Vorzeichen und Wirkungsziel entweder die elegantia und subtilitas des Latein gegen die barbaries des Deutschen oder umgekehrt die Gemeinverständlichkeit und propagandistische Kraft des Deutschen gegen die Esoterik und manchmal sogar unterstellte U n lauterkeit des Latein ausgespielt werden. In der reformatorischen Flugschrift „Karsthans" sind diese Gegensätze besonders wirkungsvoll inszeniert. Karsthans, Verkörperung der docta rusticitas, überspringt den vermittelnden Dolmetscher und siegt noch im Mißverstehen über den akademisch argumentierenden Thomas Murner: M u r . du buren k l o t z / iniustum est vt m o n a c h i s o p e r a n tibus / serui e o r u m o c i o t o r p e a n t . distinc. L I I I I . c. abbati. I t e r u m vitium est indignis secreta vulgare, distinc.

XLIII.

c a . fi. K a r s t . J a warlich stincken y r v o m secret / wil glauben dz ir vil s c h i ß h ü s e r durlouffen sind d o ier n o c h ein k a t z waren ( A u s g . K e t t m a n n , S. 2 5 6 ) .

(3) Mindestens so aufschlußreich wie die Kontrastierungen der beiden Sprachebenen sind die vielfältigen Formen des spannungsreichen Nebeneinanders, der Transposition und Mischung. Lat.dt. Textsynopsen sichern die Rezeption bei Gelehrten wie Ungelehrten; ζ. Β . steht in Steinhöwels „ A e s o p " die dt. Prosa zwischen einer lat. Prosa und einer lat. Distichenfassung. Das Bewußtsein, bei Ubersetzungen das Stilniveau der lat. Vorlage nicht halten zu können, ist ziemlich allgemein; spezielle Probleme geben klassische Metren auf, z . B . überträgt Murner Vergils „Aeneis" in den sog. freien Knittel. Eine Anzahl dt.-sprachiger Erfolgswerke wird auch ins Lat. übersetzt, z . B . Brants „Narrenschiff", Murners „Schelmenzunft", „Eulenspiegel" und „Reineke F u c h s " ein Akt der Nobilitierung, der Liebhabern lat. Lektüre den Abstieg in die Volkssprache ersparte. Solche Umsetzungen volkssprachlicher Texte ins Latein erfüllen darüber hinaus eine wichtige Brükkenfunktion im internationalen Literaturbetrieb, schon weil sie die ungewohnte Spannweite einer Direktübersetzung zwischen Volkssprachen aufheben; typisches Beispiel: Petrarcas Neuformulierung der „Griseldis"-Novelle Boccaccios war Basis für deren europäische Rezeption, so auch für Steinhöwels Verdeutschung. Für die im gelehrten Gespräch weithin übliche, in der Literatur meist ironisch gebrochene Sprachmischung genügt der Verweis auf Luthers Tischreden (Stolt 1964), die von Murner und Fischart gepflegte „Barbarolexis"

714

X. Literarische Aspekte

(G. Hess 1971,175ff.), diemakkaronischeSprachform der „Floia". (4) Die hochentwickelte lat. Literatursprache besaß alle Vorzüge, die für das Deutsche noch zu erarbeiten waren: ein festes grammatisches Fundament, eine leistungsfähige, geschmeidige Syntax, einen reich differenzierten Wortschatz; sie war Schatzkammer und Medium aller Wissenschaft und Eloquenz. Für einen sprachbewußten Autor zu Beginn unseres Abschnitts wie Niklas von Wyle steht fest, daß ein nicht am Latein geschultes Deutsch kunst- und regellos ist. Nur angemerkt sei, daß auch im zeitgenössischen Latein mehrere Gebrauchsmuster konkurrierten: das mittelalterliche „scholastische" Latein; das in den „Dunkelmännerbriefen" persiflierte, von Germanismen durchsetzte „ K ü chenlatein"; das klassische Reinheit anstrebende Latein der Humanisten, die sich wiederum in Ciceronianer, Anticiceronianer usw. teilten.

(5) Angesichts der Zweisprachigkeit vieler Autoren und eines wohl beträchtlichen Teils des literarisch interessierten Lesepublikums ist es nicht verwunderlich, daß die dt. Literatursprache vor allem im 16. J h . unter einem tiefgreifenden Einfluß des Latein steht, in Wortschatz, Wortbildung und Phraseologie (Rosenfeld 1974), aber auch in der syntaktischen Strukturierung, die einen hohen Komplexitätsgrad erreicht (Behaghel 1923ff.; Gumbel 1930), ferner hinsichtlich der rhetorischpoetischen Elemente, wie der rhythmischen Gliederung der Kolon- und Satzschlüsse nach den Formen des Cursus (Burdach 1925, 223ff.; Roloff 1970, 183 ff.), der Verteilung der genera dicendi, der Beachtung von Dispositions-, Elokutionsund Gattungsnormen: dies alles auf lange Sicht kaum zum Schaden der dt. Literatursprache, wenn auch in manchen Darstellungen das, .Humanistendeutsch" einseitig als verformeltes und verschachteltes Verhängnis erscheint. 3. Übersetzungsarbeit und deren Reflexion Die Bedeutung der in Spätmittelalter und früher Neuzeit außerordentlich regen Ubersetzungstätigkeit für die Entwicklung der dt. Literatursprache, insbesondere für die Entfaltung und stilistische Durchformung der Prosa, muß sehr hoch veranschlagt werden, wenngleich es natürlich primär um Popularisierung von gelehrtem Wissen (aus Theologie und anderen Wissenschaftsdisziplinen) und Vermittlung fremdsprachiger Literaturen (Frankreich, Italien, Niederlande, griechisch-römische Antike, mittel- und neulat. Literatur) geht. Im Rahmen dieser Adaptationsprozesse kommt es an zwei Entscheidungsstellen zu aufschlußreichen Reflexionen: Vers oder Prosa? Entfremdende oder verfremdende Übersetzung? 3.1. Ins 15. und noch frühe 16. Jh. fallen konservierende Epenkompendien („Heldenbücher")

und etliche Erneuerungsversuche der überkommenen Stoffe der ritterlich-höfischen Romane zu Repräsentationszwecken der Feudalschicht („Ritterrenaissance"); damit läuft jedoch die Formtradition des Reimverses innerhalb der erzählenden Großformen allmählich aus. Andererseits entsteht seit dem 2. Drittel des 15. Jhs. der neue Typus des Prosaromans: als Übertragung lat. Vorlagen (u. a. Troja- und Alexanderromane), als Bearbeitung frz. Chansons-de-geste bzw. Prosaromane (Elisabeth v. Nassau-Saarbrücken, u.a.), als anonyme Prosaauflösung mhd. Versepen („Tristrant und Isalde", u.a.), als Originalschöpfung („Fortunatus"). Auf diesem Fundus beruht - über marktgerechte Druckfassungen - ein großer Teil der im 16. Jh. und z . T . weit darüber hinaus beliebten , .Volksbücher" (zum heutigen Verständnis dieses in der Romantik geprägten Begriffs und sein Verhältnis zum Begriff „Trivialliteratur" vgl. Melzer 1972, 3 ff.; zu den Erneuerungen von Volksbüchern durch K. Simrock im 19. J h . vgl. H . Moser 1976, 123 ff.). Nimmt man noch die Verdeutschungen bzw. Prosaumsetzungen diverser Kleinepik (Zyklen wie „Die sieben weisen Meister", Schwanke, Mären u. dgl.) sowie das Übersetzungsoeuvre der ersten Humanistengeneration hinzu, so ist im 15. J h . bereits eine umfangreiche weltliche Erzählprosa beisammen, die z . T . eigene Strukturen ausbildet und verschiedene sprachstilistische Traditionen begründet. Der relativ rasche Ubergang zur regelhaften Verwendung der Prosaform in den Erzählgattungen erscheint, im weiteren Kontext gesehen, allerdings eher als ein Nachholvorgang. Vorausgegangen waren nicht nur die volkssprachlichen Literaturen vor allem Frankreichs und Italiens, sondern größtenteils auch schon das dt.-sprachige Schrifttum in den praxisorientierten Funktionsbereichen: die weitverzweigte geistliche Unterweisungs- und Erbauungsliteratur (die allein ca. Dreiviertel der gesamten Textproduktion ausmacht; vgl. Ruh 1978b, 505) sowie die Fach- und Sachliteratur im Rahmen der Artes (liberales, mechanicae, magicae), der Rechtslehre, der Chronistik usw. Die zeitgenössischen Aussagen zum Stellenwert der Prosa sind darum nicht auf die „unterhaltende" Literatur beschränkt und betreffen nicht nur diese. Für die Wahl der Prosaform werden teils äußere Gründe genannt: Der Auftraggeber habe sie gewünscht, oder das Publikum sei bereits mehr an „Ungereimtes" gewöhnt (eine Bezeichnung für Prosa fehlt noch), schätze die Reimkunst weniger oder habe bei Reimwerken geradezu Verständnisschwierigkeiten. Zum andern wird mit dem alten Topos von der Lügenhaftigkeit der Dichtung operiert, der poetologische Dimensionen hat (Mimesis, Fiktionalität), in diesem Zusammenhang aber nur auf den Reim als Symptom unangemessener Ausschmückung verbürgter Wahrheiten zielen kann.

84. Deutsche Literatursprache der frühen Neuzeit Schließlich wird gesehen, daß Versifikation tendenziell den Sinn verdunkelt, während die Prosa größere Schlichtheit, Klarheit, Sachbezogenheit und Vorlagentreue garantiert. Außer den genannten dürfte es weitere, und evtl. wichtigere, Gründe für den Formwechsel geben (Besch 1972; Ruh 1978a): Das Prestige, das der Prosa insbesondere von der Hl. Schrift zufloß; der Umstand, daß die neue Prosa nicht voraussetzungslos entstand, sondern konkret an die eingespielten Stilmodelle der Chroniken und Legenden anknüpfen konnte; eine Konzentration der Publikumsinteressen auf das, was „nützlich" und „aufs kürzeste" zu lesen ist (vgl. die Belege aus früher Druckprosa bei Leipold 1974); die sprachlandschaftlichen Barrieren, die bei Reimliteratur besonders fühlbar waren; die Zunahme stiller Buchlektüre und entsprechender Funktionsverlust des Reims für Memoriertechnik und mündlichen Vortrag. So verschiedenartig nun die Vorlagen der Romanautoren des 15. Jhs. sind, die Bearbeitungstendenzen sind im wesentlichen die gleichen und ergeben einen relativ einheitlichen Prosatyp (Roloff 1970; Brandstetter 1971), wie ihn etwa die „Melusine" des Berner Patriziers Thüring von Ringoltingen repräsentiert (1456; 16 Hss., ca. 10 Frühdrucke 1476-1500, ca. 40 weitere Drucke bis gegen 1800): Linearisierung der Handlung, Konzentration auf das Faktische, Abstinenz gegenüber amplifizierenden rhetorischen Techniken (Digressionen, Detailschilderungen, Metaphern usw.) sind oberste Prinzipien. Der Wortschatz ist klein und wiederholungsreich; Wortneubildungen sind selten, ebenso lexikalische Entlehnungen aus der frz. Vorlage. Er ist modern, insofern veralteter Epenwortschatz gemieden wird, und gepflegt, insofern Derbheiten (an der Schwelle des „grobianischen" Zeitalters) fehlen. In der semantischen Strukturierung der einzelnen Vorstellungsbereiche fällt der Hang zu schematisierenden Oberbegriffen zuungunsten differenzierender Lexeme und Attribuierungen auf. Der Satzbau ist auf Übersichtlichkeit und leichtes Verständnis angelegt; im Erzähltext herrscht parataktische Reihung, Reden und Redewiedergaben zeigen gelegentlich komplizierteren Periodenbau. Zweifellos steht diese Prosa den rhetorischen Postulaten der perspicuitas und puritas näher als der an ornatus reiche „Ackermann" oder die latinisierende Diktion Wyles. 3.2. Ubersetzungstheoretische Überlegungen, wie sie im geistlichen Schrifttum der „Wiener Schule" schon um 1400 aufkommen, bei den humanistischen Literaten neu einsetzen und schließlich in Luthers „Sendbrief vom Dolmetschen" gipfeln, erwachsen unmittelbar aus der Ubersetzungspraxis und haben im wesentlichen Rechtfertigungscharakter; die Verbindung zu den Zitierautoritäten Hieronymus (Prinzip: sinngemäße,

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nicht wörtliche Ubersetzung - ausgenommen die Hl. Schrift), Horaz, Cicero (beide bei Hieronymus kommentiert) und Bruni ist in der Regel eine sehr vermittelte (Schwarz 1944 u. 1945; Kloepfer 1967). Den Roman-,,Ubersetzern" des 15. Jhs. wird die eigene Vorgehensweise kaum zum Problem; Aneignung des Stoffs war wichtig, nicht die Bewahrung des ganzen Textsinns. Ging es jedoch, zumal bei autoritativen lat. Werken, um Vorlagentreue, so entstand das Dilemma, entweder sich dem sprachlichen Duktus des Ausgangstextes möglichst anzugleichen bei Gefahr verfremdender Effekte, oder ein landläufiges Deutsch zu schreiben bei Gefahr, die Sinnfülle und rhetorische Qualität der Vorlage einzubüßen. Die,, Wiener Schule" bildet entsprechend zwei Ubersetzungsstile aus (Hohmann 1977, 258ff.): Eine aigne dewtsch, z . T . bis in die Wortstellung modelliert nach der proprietas des Latein und den bildungssuchenden Leser zum Original und evtl. zu dessen Lektüre hinführend; eine gemaine teusch nach des lanndes gewonhait, d. h. eine schlichte, der Sprechsprache näherstehende und für pastorale Zwecke geeignete Ausdrucksweise. ( E i n e ä h n l i c h e U n t e r s c h e i d u n g trifft L u t h e r in den „ T i s c h r e d e n " : „ I c h h a b e keine gewisse, s o n d e r l i c h e , eigne S p r a c h e im D e u t s c h e n , s o n d e r n b r a u c h e d e r g e m e i n e n

deutschen

S p r a c h e [ . . . ] " . A u c h hier dürfte eher der Stiltyp gemeint sein, w e n i g e r eine ü b e r l a n d s c h a f t l i c h e

„Gemeinsprache";

vgl. W e r b o w 1 9 6 3 . )

Unter den frühhumanistischen Übersetzern propagiert Niklas v. Wyle (1478 Sammelpublikation von „Tütschungen" nach Enea Silvio, Poggio u. a.) das Ideal einer strengen imitatio, verstanden nicht nur als genauer Nachvollzug des originalen Wortlauts, sondern zugleich als Garantie für einen kultivierten Stil im Deutschen gemäß der Uberzeugung, daz ain y e t k l i c h t ü t s c h , daz usz gutem zierlichen vnd wol gesatzten latine g e z o g e n vnd recht vnd w o l getransferyeret wer, o u c h gut zierlich t ü t s c h e vnd l o b e s wirdig haissen vnd sin m ü s t e , vnd nit w o l verbessert w e r d e n m ö c h t ( A u s g . K e l ler, S . 9 ) .

Wyle schreibt für ein kunstsinniges Publikum, nicht um dem gemainen vnd vnemieten man leichte Kost und mühelosen Zugang zu den Bildungsgütern zu verschaffen (eine Verdeutschung der „Colores rhetoricales" aus der HerenniusRhetorik hält er bewußt zurück). Zusammen mit dem ganzen Apparat lat. Rhetorik werden auch genuin lat. Syntaxstrukturen aufs Deutsche übertragen, besonders ausgiebig Partizipial-, Akk.c. Inf.-, Nom.c.Inf.- und Passivkonstruktionen (Strauß 1912). Die Notwendigkeit, gleichwohl häufig zu paraphrasieren (vmbreden), begründet Wyle mit dem Mangel an treffenden Ausdrücken im Deutschen. Wyles Übersetzungsweise mag mit dem Etikett „primitive Wörtlichkeit" (Kloepfer 1967, 19ff.) versehen werden, insofern er überset-

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X. Literarische Aspekte

zungsgeschichtlich ein experimentelles Anfangsstadium markiert. Doch latinisierende Syntax, Wortbildung und Wortwahl finden sich bei den nachfolgenden Ubersetzern in z . T . noch extremerem Maße (Stammler 1954, 26 ff.). Diese Stilpraxis erfreute sich der Wertschätzung höchster zeitgenössischer Autoritäten (Wimpfeling, Trithemius). Mit der Wahl seiner Vorlagen beweist Wyle Instinkt für die Modernität italienischer Renaissanceliteratur. Er steht damit zwar außerhalb der beginnenden dt.-sprachigen Antikerezeption (Worstbrock 1976), bestimmt deren Art und Weise durch seine Anerkennung des normativen Anspruchs von Formqualitäten des Originals jedoch mit (Worstbrock 1970). Wyles elaborierte Ubersetzungsprosa weist im übrigen alle wesentlichen Charakteristika eines ornativen Kanzleistils auf. Literatur- und kanzleisprachliche Reformbestrebungen gehen bei ihm zusammen; rhetorische Anweisungen und Mustertexte Wyles wurden in dt. (Kanzlei-/Brief-) Rhetoriken und Formularienbüchern weitergetragen (Schwenk 1978, 175ff.). Heinrich Steinhöwel und Albrecht v. Eyb bewegen sich demgegenüber in Ubersetzungstheorie und -praxis auf eingefahreneren Bahnen. Gleich anderen Ubersetzern, die dem Prinzip der Sinngemäßheit folgen (Schwarz 1944, 372), ist ihnen Verständlichkeit der leitende Gesichtspunkt, von dem her Abweichungen von der Stillage des Originals, Kürzungen, Zusätze und sonstige Umänderungen zwecks Angleichung an den sozial-kulturellen Erfahrungshorizont einer breiteren Leserschaft gerechtfertigt erscheinen. Daß bei einer solchen Arbeitsweise letztlich kein Prinzip mehr, sondern das „souveräne" Gutdünken des Übersetzer-Autors waltet, sieht Steinhöwel im „Aesop": in ringem verstentlichem tüsch, on behaltne Ordnung der wort gegen w o r t , ouch nit gelyche sinn gegen sinnen, sonder offt mit zuogeletten Worten, nach m y n e m bedunken darzu dienenden, oder abgebrochen, ouch nit on ursach beschenhen (Ausg. O e s t e r l e y , S. 2 7 6 ) .

„Aspekte der sich wandelnden, von Werk zu Werk nuancierten Ubersetzerintention, die Entwicklung der Ubersetzungstechnik vom Frühzum Spätwerk, die wechselnde Anpassung an den Stil der Vorlage und ein Vergleich mit dem Sprachund Stilvermögen verwandter Autoren und T e x t e " (U. Hess 1975, 18): ein Untersuchungsprogramm nicht nur für Steinhöwel. U m die Wende zum 16. J h . wird eine übersetzungstheoretische Einsicht reaktiviert, die für das Verhältnis des Lateinischen zum Griechischen eine lange Tradition hat, aber erst jetzt ansatzweise aufs Deutsche übergreift: die Einsicht in die je spezifischen Eigenschaften der Einzelsprachen (Schwarz 1945, 295ff.). Verschiedene Grammatiker behandeln lat.-dt. Übersetzungsprobleme (Wimpfeling, Cochläus, Aventin u . a . ) , vor allem

aber sind vergleichende Phraseologismen- und Sprichwörtersammlungen geeignet, den Sinn für Idiomatizität und die Grenzen wortwörtlicher Ubersetzung zu schärfen (Müller 1882, 2 5 0 f . , 267ff.). Das gewandelte Ubersetzerbewußtsein zeigt etwa Nikolaus Carbach in seinem „ L i v i u s " von 1523: Es ist fürwar, als mich b e d u n c k t , gar nichts also s c h w e r , als etwas von eyner sprach in die ander geschicklich und eygentlich zu bringen [ . . . ] darumb, das eyn ytliche sprach ein besundere eygenschaft an ir hat, die der andern etwan gar nit oder seer wenig gemeß und gleich ist (zit. Stammler 1954, 3 2 ) .

Während der mehr als zwei Jahrzehnte andauernden Arbeit an seinem dt. Bibeltext sammelte Luther eine Fülle von Beobachtungen zu den Eigentümlichkeiten der drei „heiligen" Sprachen (Hebräisch, Griechisch, Latein) im Kontrast zum Deutschen wie auch zu regionalen, sozialen und stilistischen Differenzierungen im Deutschen selbst (Meyer 1930; Erben 1974). Vielseitige Sprachkompetenz war eine der Grundvoraussetzungen, um den Sinn der Schrift (der nach Luther an sich klar und einfach war und keiner Auslegung nach der Methode des vierfachen Schriftsinns bedurfte) möglichst authentisch und doch für jedermann verständlich darzubieten. Luther versichert sich nicht nur der Mitwirkung von Spezialisten für die alten Sprachen (Melanchthon, Aurogallus u . a . ) , sondern befragt prinzipiell auch den gemeinen man auff dem marckt nach seinen Sprachgebräuchen, um nicht durch zu literarische oder sonst ungewohnte Ausdrucksmittel Sinnverständnis und emotionale Identifikation zu erschweren. Im ganzen gerät seine Ubersetzung philologisch nicht so genau wie die des Zwingli-Kreises (Sonderegger 1974). Luthers stilistische und gelegentlich interpretatorische Lizenzen, sein Pochen auf die art vnser deutschen Sprache (vgl. „Sendbrief vom Dolmetschen", Ausg. Bischoff, S. 16, 24, wo der umstrittene Zusatz allein, R o m . 3, beim hauptstück Christlicher lere gerechtfertigt wird) kennzeichnen jedoch nur eine Bewegung des Ubersetzungsaktes: die zum Leser, oder besser: Hörer, hin. Seine Ubersetzerregel, gewonnen vor allem in der Auseinandersetzung mit schwierigen hebräischen Texten, lautet vielmehr: wir zu weilen /die wort steiff behalten /zu weilen allein den sinn gegeben haben („Summarien über die Psalmen", Ausg. Volz, S. 257'y). Theologische Verantwortung oder auch Rücksichten auf Textgebrauchstraditionen (vgl. Engelsgruß Luk. 1, 28) erzwangen gelegentlich durchaus den Verzicht auf ein idiomatischeres Deutsch. Relativ früh, in der Vorrede zum Alten Testament von 1523, wagt er den Satz, daß nun die deutsche sprach eyn bessere Bibel denn die latinische spräche habe: Überbietung der Ubersetzungsleistung des Hieronymus, zugleich

84. Deutsche Literatursprache der frühen Neuzeit Anspruch auf Gleichwertigkeit des Deutschen zumindest als Sprache der religiösen Verkündigung. Luthers stilgeschichtliche Bedeutung wird vor allem darin gesehen, daß bei ihm rhetorisch-literarische Sprachformung und „ungezwungene Natürlichkeit volkstümlicher Alltagsrede" (Eggers 1969, 169) zu einer wirkungsmächtigen Synthese gelangten. Der „erste Klassiker der dt. Kunstprosa" (Bach 1970, 292) war natürlich nicht in erster Linie Literat, sondern Theologe und Prediger; daher auch seine spezifisch hörer- und zweckbezogene Auffassung von Rhetorik (als ars movendi): Christus hat am aller einfeltigsten geredt vnd war doch eloquentia seihst (zit. Meyer 1930, 72). Gleichwohl brachte die Bibelverdeutschung bei ihm auch literarische Stilregister zum Klingen, wenn z . B . poetische Texte (Psalmen, Hiob) poetisch nachzugestalten waren. Die Lutherbibel konnte so in der Folgezeit zur Mustersammlung für rhetorische Finessen und Luther selbst zum „deutschen Cicero" avancieren (Dyck 1969, 151ff.). Die mit der Reformation verbundenen religiösen, sozialen und politischen Auseinandersetzungen führten dazu, daß die Literatur für Jahrzehnte überwiegend als Bekenntnis-, Propaganda- und Zweckdichtung im Dienste der Meinungsbildung und Massenbeeinflussung stand (das lutherische Lager verfügte dabei über rund '/io der Presse). Insbesondere in den ungezählten (großenteils anonymen, da von Zensur und Konfiskation bedrohten) Flugschriften, zu denen auch namhafte Literaten, wie ζ. B. Ulrich von Hutten und Hans Sachs, ihren Teil beitrugen, wird eine qualitativ neue, publizistische und gesellschaftsaktivierende Funktion von Literatur und Literatursprache greifbar (Guchmann 1974, 27ff.; Winkler 1975, 25ff.; Könneker 1975, 22ff.). 4. Aufwertung des Sprachausgleich,

Deutschen, Normthesen

Die durch schreibsprachliche Erschließung immer weiterer Anwendungsbereiche für das Deutsche auf praktische Weise geförderte Emanzipation vom Latein wird im Zuge humanistischer Geschichts- und Sprachenstudien auf eine theoretische Ebene gehoben und nach verschiedenen Seiten hin weiter verfolgt (Die Aufwertung der Volkssprachen gegenüber den drei „heiligen" bzw. ,,Haupt"-Sprachen, insbesondere dem Latein, muß dabei als ein europäischer Prozeß - mit je nationalen Akzentuierungen - gesehen werden, bei dem auch politische Rivalitäten und Kulturpatriotismus eine große Rolle spielten.): (1) Genealogische Spekulationen über den Ursprung der Völker und Sprachen, gestützt auf Stammesmythen und Namensetymologien, erbringen Evidenzen für das hohe Alter des Deutschen (das

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vereinzelt sogar als Sprache Adams hingestellt wird; vgl. Daube 1940, 27). Ein wichtiger Impuls für die Beschäftigung mit der dt. Vorzeit war die wiederentdeckte „Germania" des Tacitus. (2) In den Anfängen einer historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft wird eine besonders enge Verwandtschaft des Deutschen mit dem Griechischen, z . T . sogar mit dem Hebräischen behauptet, so daß es dem Latein an Alter und Würde überlegen erscheinen konnte (Müller 1882, 302 ff.). (3) Bei der Suche nach alten Hss. stieß man auf Zeugnisse einer ungeahnt langen literarischen Tradition des Deutschen (Otfrid u.a.). - Conrad Gessner faßt im Vorwort zu J . Maalers Wörterbuch (1561) die Erkenntnisse zusammen: Wenn man vom Hebräischen absieht, das die Königin aller Sprachen ist, steht unsere Sprache, was das Alter, die Zahl und den Reichtum der Wörter und Wendungen betrifft, keiner anderen nach, denn sie ist zweifellos älter, gründlicher und reiner als die italienische, französische, spanische und englische Volkssprache (übers. Peters 1977, 475).

Der hier u.a. angesprochene Ausdrucksreichtum des Deutschen wird gelegentlich sprachartistisch (mit Ironie) demonstriert: Johann Fischart reiht 30 dt. Varianten für die Sentenz Nosce te ipsum auf, 27 für frz. dancer (Spengler 1969, 41); Georg Rollenhagen übertrumpft das Latein mit 25 Synonyma für coaxare (G. Hess 1971, 45 f.). Die innere Vielsprachigkeit des Deutschen (bei gleichzeitigem Fehlen einer einheitlichen literatursprachlichen Überdachung) war (a) ein Verständigungsproblem, das teils regelrechte Ubersetzungen (ζ. B. hd. - n d . ) , teils spezielle Aufbereitungen eines Textes (Graphieänderung, Wortschatzglossierung u. dgl.) für ein räumlich entferntes neues Zielpublikum erforderlich machte. Wo Autographe und Drucke zu vergleichen sind, erscheint die Graphie des Drucks teilweise geregelter und modernisiert (vgl. z . B . V. Moser 1909, 62 zu H. Sachs). Zur Überbrückung der besonders gravierenden lexikalisch-semantischen Differenzen konnte der einzelne Autor nur so viel beitragen, daß er lokal begrenzte Wörter mied und Varianten mit größerem Kommunikationsradius wählte, so wie es bei Luther vielfach zu beobachten ist (Besch 1967, 340ff.). Auch das vieldiskutierte, im 15. Jh. auffällig anwachsende Stilphänomen der synonymischen Wortvariation dürfte ζ. T. als eine Technik der überregionalen Verständnissicherung zu begreifen sein, zumal wenn etwa ein mundartliches und ein schreibsprachliches, ein regionales und ein geläufiges fremdsprachliches Element oder zwei Landschaftsvarianten kombiniert werden (vgl. Besch 1964; Roloff 1970, 175ff. und Haage 1974 betonen mehr die rhetorisch-ornamentale Funktion). Die sprachliche Uneinheitlichkeit wurde (b) als ein ästhetisches Problem empfunden. Nicht nur die Latinisierungstendenzen forderten Kritik heraus, sondern auch die aus Kontakten

718

X. Literarische Aspekte

verschiedener Schreibgebräuche resultierende Sprachmischung. Wyle z.B. wehrt sich gegen derartige Überfremdungen der schwäbischen Kanzleisprache und weist auf abschreckende Schriftstücke hin, in denen viererley oder fünfer spräche vermischet seien; aber auch bei Vermeidung solcher Mißbräuche sei es wegen des grundsätzlich beschränkten Geltungsbereichs jedes Textes nahezu unmöglich, etwas yederman gefelligs zu schreiben (Ausg. Keller, S. 350 ff.). Der literatursprachliche Entwicklungsstand setzte (c) allen Normierungsansätzen enge Grenzen. Es ist lehrreich zu beobachten, welche Fülle mehr oder minder partikulärer Normthesen im sprachpädagogisch-sprachpraktischen Schrifttum (Orthographielehren, Epistolographien, Grammatiken, Wörterbücher usw.) des 16. Jhs. vertreten wird (Josten 1976); die Idee einer präskriptiv herstellbaren Einheitsnorm fehlte (Guchmann 1969, 174 f.). Als Sprachvorbilder dominieren im 16. Jh. Luthers ,»Bibeldeutsch", die meißnische Sprachlandschaft, bedeutende Kanzleien (z.B. die kaiserliche in Wien) sowie bestimmte Drucker-Verleger bzw. Zentren des Buchdrucks (wobd. —• omd. Verlagerungen der Zentren; vgl. Stopp 1978). Auf welche Weise und in welchem Maße die Sprachausgleichsprozesse des 15./16. Jhs. von der im engeren Sinne literarischen Kommunikation bestimmt und gefördert wurden, ist vorerst bündig nicht zu sagen. 5. Bibliographie

(in A uswahl)

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85. Deutsche Literatursprache des Barock 1. D e f i n i t i o n e n 2. Pragmatische Dimension 3. Semantische Dimension 4. Syntaktische Dimension 5 . B i b l i o g r a p h i e (in A u s w a h l )

1.

Definitionen

1.1. Eine allgemein akzeptierte Definition des Begriffs „deutsche Barockliteratur" existiert nicht (vgl. Barner 1975, 1 ff.), es lassen sich jedoch Definitionsaspekte benennen, mit deren Hilfe eine annähernde Umgrenzung dessen möglich ist, was üblicherweise in der Germanistik darunter verstanden wird. (1) Unter zeitlichem Aspekt wird „dt. Barockliteratur" meist als eine Epoche verstanden, deren Grenzen etwa mit denen des 17. Jhs. zusammenfallen (Schöne 1968). Diese Determination gründet auf der Erfahrung, daß im 17. Jh. bestimmte Inhalts- und Ausdrucksformen in der literarischen Kommunikation gesellschaftlich führender Sozialgruppen dominieren. (2) Innerhalb dieses Zeitabschnitts ist „Barockliteratur" unter literatursoziologischem Aspekt weiter einzugrenzen: im wesentlichen wird barocke literarische Kommunikation getragen von einer zahlenmäßig kleinen Gruppe: Fast ausnahmslos akademisch gebildete Autoren (poetae docti) bürgerlicher Herkunft schreiben für ein Publikum, das aufgrund von Standeszugehörigkeit (Adel, Patri-

ziat, Teile des Bürgertums) sowie Lesekundigkeit zur Rezeption fähig und gewillt ist (Martino 1978). (3) Unter strukturellem Aspekt kann Barockliteratur als ein Ensemble dominanter Inhaltsformen (z.B. Märtyrerdrama, Staatsroman, petrarkistische Lyrik) und Ausdrucksformen (z.B. Alexandrinervers) verstanden werden. Damit werden allerdings nur Charakteristika benannt; eine extensionale Definition von „Barockliteratur" auf dieser Basis dürfte nicht nur wegen mangelnder Epochenspezifizität vieler solcher Formen schwierig sein, sondern auch deswegen, weil dabei der Anachronismus des Begriffs „Barockliteratur" sichtbar wird. „Literatur" war als Vokabel dem 17. Jh. kaum geläufig, als Begriff (im Sinne von belles lettres) völlig unbekannt. Als Sonderklasse innerhalb der Menge der Texte kennt das 17. Jh. nicht eine ästhetisch definierte Textklasse „Literatur", sondern innerhalb der rhetorisch definierten Textmenge „Rede" (oratio) wird unterschieden zwischen „Prosa" (oratio soluta) und der Sonderklasse „Poesie" (oratio ligata; gebundene Rede), wobei letztere das formale Sondermerkmal der Versifikation trägt (Fischer 1968, 37ff., mit Hinweisen auf weitere Spezifika der Poesie). Erst in der zweiten Hälfte des Jhs. macht sich ein - den belles-lettres-Tiegriii des 18. Jhs. ankündigendes Bewußtsein von der Sonderstellung des Romans innerhalb der Prosa bemerkbar, wobei besonders Fiktionalität und Kunstmäßigkeit („poema sine metro") des Romans diskutiert werden (Voßkamp

720

X. Literarische Aspekte

1973, 53ff.). Für den Autor des 17. Jhs. war praktisch seine gesamte Produktion „oratio", ein relativ kleiner Teil davon „gebundene Rede"; der spätere ,,Literatur"-Begriff steht in der Extension zwischen beiden. Eine Neubesinnung der Literaturwissenschaft auf einen epochenadäquaten (d.h. erweiterten) Literaturbegriff hat begonnen (vgl. Schöne 1976). Die Erforschung der barocken „Literatursprache" unter diesen neuen Bedingungen ist ein Desiderat; vor allem fehlt es an Untersuchungen zur Kunstprosa (Roman, Brief, Fachliteratur etc.) der Barockzeit (vgl. jedoch Admoni 1966 sowie Kettmann/Schildt 1976). 1.2. Sprache wird im folgenden verstanden als ein der menschlichen Kommunikation und Interaktion dienendes System von Zeichen und von Regeln zur Verknüpfung und Verwendung dieser Zeichen. Das komplexe Phänomen „Sprache" ist beschreibbar unter den Aspekten der Dreidimensionalität des Semioseprozesses (Pragmatik, Semantik, Syntaktik), der mehrfachen Gliederung von Sprache (von der Phonem-/Graphem- bis zur Text-Ebene) (vgl. Art. 13) sowie der Dichotomie von Virtualität und Aktualität des Sprachzeichens. Die Gliederung dieses Artikels basiert auf den Aspekten „Dreidimensionalität" und „Ebenengliederung". Da barocke Literatursprache uns primär in Texten zugänglich ist, sind die folgenden Ausführungen einerseits als Aussagen über rekurrente Strukturen aktueller Zeichenkomplexe zu verstehen. Da gerade die Literatursprache des Barock jedoch über eine ausgedehnte Reflexion ihrer selbst in Form von Rhetorik, Poetik, Sprachtheorie, Grammatik u. a. m. verfügt, sind auch Aussagen über virtuelle Strukturen zu machen. Im folgenden kann nicht das gesamte System der „deutschen Literatursprache des Barock" beschrieben werden. Die Darstellung muß sich vielmehr auf eine Auswahl von signifikanten Strukturelementen beschränken, in denen dieses Sprachsubsystem von anderen abweicht. Die hiermit angesprochene Deviationshypothese ist für die von normativer Rhetorik und Poetik geprägte Literatursprache des 17. Jhs., d.h. für ein in sich relativ homogenes subsystemares Sprachstadium (vgl. Art. 62) eine zumindest brauchbare Erklärungsgrundlage, unbeschadet der Tatsache, daß sie zur panchronisch gültigen Erklärung von Poetizität ungeeignet ist und auch die mögliche Dynamik der Veränderung von Deautomatisierungsbedingungen innerhalb der Epoche außer acht läßt (vgl. Art. 81). 1.3. Relativ homogen ist die dt. Literatursprache des 17. Jhs. allerdings nur im Vergleich mit anderen Subsystemen der Gesamtsprache „Deutsch". Für sich betrachtet bietet sie ein heterogenes Bild. Territorial gliedert sich das dt. Sprachgebiet um die Mitte des 17. Jhs. nach V.

Moser (1971, 77) in vier große Schriftdialektbereiche: (1) Ostmitteldeutschland, dem sich Niederdeutschland anschließt, (2) der mittel- und oberdeutsche Westen, (3) die innere Schweiz, (4) Bayern und Österreich. Dagegen stehen nach Breuer (1971) im 17. Jh. zwei konfessionell und literaturpolitisch unterschiedliche Blöcke einander gegenüber: die protestantischen Territorien Ostmittel- und Norddeutschlands (mit der wichtigen Exklave Nürnberg), in denen orthographische, flexivische und metrische Normen ungefähr dem Sprachprogramm der Fruchtbringenden Gesellschaft entsprechen, und die katholischen Territorien des Südens und Westens, die sich den „meißnischen" und z . T . auch den „opitzischen" Neuerungen verschließen. Unterschiede sind z . B . : im Süden häufige Synkope (auffm) und Apokope (Sünd), im Norden Vollformen (auf dem, Sünde)·, obd. Konsonantenstand im Süden, md. im Norden (scharpff vs. scharf). Zu einer diachronischen Heterogenität, beruhend z . B . auf sich wandelnden theoretischen Auffassungen von textstrukturierenden Normen wie den genera dicendi oder des aptum (Fischer 1968, Sinemus 1978, Lange 1974), möglicherweise auch auf Wandlungen der sozialen Funktionen der Literatur (Schwind 1977), tritt eine textsortenspezifische Heterogenität barocker Literatursprache, bedingt durch die Normen der Gattungspoetik, insbesondere auch durch den nicht in allen Genera gleichmäßig praktizierten lexikalischen Purismus (Jones 1976, 63; Kinnemark 1964). Die textsortenspezifischen Unterschiede können wiederum überlagert sein durch adressatenspezifische Heterogenität (adressatenspezifisches aptum in der Briefliteratur) sowie durch idiolektale bzw. gruppenspezifische Besonderheiten im Bereich von Graphie und Wortschatz (vgl. z . B . Moser 1936/1948/1949). Bestimmte Textsorten (z.B. das protestantische Kirchenlied) werden von der barocken Tendenz zu starkem Schmuck der Rede (s.u. 3.2.) nur wenig erfaßt. Ähnliches gilt für das Werk von Autoren wie Rompier von Löwenhalt, Schupp, Simon Dach, Heinrich Albert u.a., die Windfuhr (1966, 351 ff.) unter dem Sammelnamen „altdeutsche Opposition" zusammenfaßt, und für andere wie Schoch, Greilinger, Voigtländer. 2. Pragmatische

Dimension

2.1. Basis barocker Textproduktion ist eine normative Poetik, die in den Traditionen der antiken Rhetorik (vgl. Art. 25) lebte (vgl. Dyck 1969; Barner 1970); barocke Texte sind prinzipiell mit dem Ziel der „Beeinflussung und Wirkung" (Dyck 1969, 19) konzipiert. Aufgrund der Affinität von normativ-rhetorischer Poetik des 17. Jhs. und deskriptiver Sprachpragmatik unserer Zeit (bedingt durch Identität des Gegenstands beider

85. Deutsche Literatursprache des Barock Disziplinen: des Sprachhandelns) lassen sich die kommunikativen Ziele von Barocktexten (die officia rbetoris, vgl. Art. 25) als illokutive bzw. perlokutive Sprachakte (vgl. Art. 24) beschreiben. Ubergeordneter Sprech- bzw. Schreibakt rhetorischer Kommunikation ist das persuadere, als speziellere Wirkungsziele der Poesie gelten traditionell docere, delectare, movere (Quintilian). Opitz (1624, Β 4 a) nennt vberredung vnd vnterricht auch ergetzung der Leute, nimmt also das movere - wohl zufällig - nicht auf, während ζ. B. Harsdörffer (1650, I, 8) in der Spezifikation der Wirkungsmöglichkeiten von Texten weiter geht: „Ein löblicher Poet schreibet allezeit solche Gedichte/ die zu Gottes Ehre zielen/ grosse Herren/ und gelehrte Leute belustigen/ die Unverständigen unterweisen/ der Verständigen Nachsinnen üben/ die Einfältigen lehren/ die Betrübten trösten/ und der frölichen Freude vermehren."

Die Reihe der von Harsdörffer genannten sprechaktbezeichnenden Verben (belustigen, trösten, ...) läßt sich um ein Vielfaches verlängern, wenn man zeitgenössische Texte (z.B. Gelegenheitsgedichte) und Poetiken (z.B. Kindermann 1664) auswertet: danken, bitten, Glück wünschen, loben, preisen, tadeln, beklagen u. v. a. m. werden dann als spezifisch poetische Sprechhandlungen sichtbar. Insgesamt sind literarische Sprechhandlungen dieser Art subsumierbar unter das officium des movere: Ziel der Kommunikation ist die motio animae, die „Gemütsbewegung", die Beeinflussung des psychischen Zustands des Rezipienten. Barocke Dichtungstheorie berührt sich hier mit der aus der Antike überkommenen (medizinisch-philosophischen) Lehre von den Affekten. Nach der Affektenlehre konnte sich die menschliche Seele in einer überschaubaren Anzahl verschiedener Zustände (Affekte) wie z . B . Zorn, Milde, Liebe, Furcht, Fröhlichkeit befinden, die durch sprachliches Einwirken auf den Menschen hervorzurufen oder zu beeinflussen seien. (Zu literaturwissenschaftlichen Aspekten der Affektenlehre: Geisenhof 1957, Plett 1975). 2.2. Im Gegensatz zur Sprechakttheorie, in der die Beziehung zwischen lokutivem Akt und perlokutivem Effekt mit Recht als eine sehr mittelbare angesehen wird, lebte die barocke Rhetorik und Poetik in der Uberzeugung, daß mittels spezifischer lokutiver Strukturen (Tropen und Figuren der elocutio) spezifische perlokutive Effekte (motiones animae, Affekte) produzierbar seien (ohne daß man allerdings 1-zu-l-Relationen zwischen Elokutionsstrukturen und Affekten annahm). Thilo (1647, 105) sieht z . B . zum Hervorrufen von Furcht die Ellipse, Aposiopese oder Allegorie als geeignet an, Meyfart (1634, 82) schreibt etwa: „ D i e Metaphoren dienen zu den Schmehen vnd Loben/ zu den trösten vnd schrecken/ zu den Warnen vnd drohen/ zu den trawren vnd frewden."

721

Die Ablehnung des Übermaßes an Elokutionsstrukturen in barocken Texten (des sog. Schwulstes) durch Leser späterer Epochen beruht z . T . darauf, daß sie die Hypothesen des 17. Jhs. über den Zusammenhang von Sprachform und psychischer Wirkung von Texten nicht kennen oder nicht anerkennen. So grobmaschig und irrig auch die Perlokutionstheorie des Barock gewesen sein mag, so bleibt doch unbestreitbar, daß eine bloß ästhetische Analyse barocker Texte zumindest den Intentionen ihrer Produzenten (wahrscheinlich aber auch den Rezeptionsgewohnheiten der Zeit) nicht gerecht wird (vgl. ζ. B. Dockhorn 1968,97). 3. Semantische

Dimension

3.1. Barocke Produktion literarischer Texte steht in einem Spannungsverhältnis zwischen Imitation bzw. Adaptation fremdsprachiger Textformen (z.B. lat. Autoren, vgl. Conrady 1962, Lange 1974) und Eigenständigkeit der sprachlichen Realisation. Die Eigenständigkeit drückt sich in den Texten (abgesehen von der weitgehenden Verwirklichung der metrischen Forderungen Opitz' in der gebundenen Rede) vor allem in einem mehr oder weniger konsequent praktizierten lexikalischen Purismus aus (Jones 1976, 63). Die Vermeidung „fremder Wörter", von den sog. Sprachgesellschaften des 17. Jhs. (Otto 1972;Stoll 1973;van Ingen 1973; Bircher/van Ingen 1978) programmatisch gefordert, und die daraus fast zwangsläufig sich ergebende Konsequenz des Gebrauchs von dt. Wortneubildungen ist eines der wesentlichen Kennzeichen barocker Literatursprache (Flemming/Stadler 1974, 24ff.; Langen 1957). Der lexikalische Purismus des 17. Jhs. wird aus verschiedenen Quellen theoretischer Begründung gespeist. Kulturpatriotischer Anspruch der frühabsolutistischen Epoche auf literatur- und wissenschaftsfunktionale Ebenbürtigkeit der deutschen Sprache gegenüber dem Latein, den romanischen Sprachen und dem Niederländischen ist die wesentliche außersprachliche Triebfeder des Purismus. Jedoch ist die Forderung nach „Sprachreinheit" zunächst nichts anderes als die Anwendung des übereinzelsprachlich-rhetorischen p«nf v o n starken E m o t i o nen begleitete E n t r ü s t u n g als R e a k t i o n auf Vers t ö ß e gegen moralische K o n v e n t i o n e n : [ . . . ] 2. A u f s t a n d , Rebellion, M e u t e r e i : [ . . . ] " Wenigstens eine T e i l b e d e u t u n g des W o r t e s Empörung wird d a d u r c h expliziert, w a s D e f i n i t i o n s e r k l ä r u n g heißen soll. Diese folgt d e r T e c h n i k des Generalisierens (indem auf den nächst h ö h e r e n Begriff, hier: . E n t r ü s t u n g ' , verwiesen w i r d ) u n d des Spezifizierens ( i n d e m spezifische u n t e r s c h e i d e n d e M e r k male g e g e n ü b e r anderen b e n a c h b a r t e n A r t b e g r i f fen angegeben w e r d e n , h i e r : [ u . a . ] , ν ο η starken E m o t i o n e n begleitet'). D i e D e f i n i t i o n s e r k l ä r u n g folgt d e r in der Wissenschaftslehre ausgebildeten u n d d e m Alltagshandeln nachgebildeten Regel: „ d e f i n i t i o fit per genus p r o x i m u m et differentiam s p e c i f i c a m . " M a n k a n n d e n nächst h ö h e r e n Begriff (genus p r o x i m u m ) u n d die spezifische D i f f e r e n z (differentia specifica) als k o n s t i t u t i v e Bestandteile der B e d e u t u n g eines W o r t e s ansehen u n d in b e z u g auf diese Bestandteile v o n .semantischen M e r k malen' s p r e c h e n (vgl. A r t . 13:2; 18:5). D i e E r k l ä r u n g dieser W b . b e i s p i e l e m a c h t zweierlei d e u t l i c h : (1) W o r t s y n o n y m - u n d D e f i n i t i o n s e r k l ä r u n g sind wichtige Teile der lexikographischen A r b e i t ; (2) ein semasiologisches W b . erklärt die systematische M e h r d e u t i g k e i t sprachlicher Z e i c h e n . D i e Frage, die sich im A n s c h l u ß hieran stellt, lautet: W o h e r k e n n t d e r L e x i k o g r a p h , sofern er z . B . eine D e f i n i t i o n s e r k l ä r u n g a u s f ü h r t , das genus p r o x i m u m u n d die b e n a c h b a r t e n A r t e n , die er z u r B e d e u t u n g s e r k l ä r u n g b r a u c h t ? Setzt also ein semasiolog. W b . nicht ein o n o m a s i o l o g . W b . voraus? J . A . E b e r h a r d b e s c h r e i b t in seinem o n o m a s i o logischen W b . von 1795 f o l g e n d e (nach seiner T e r m i n o l o g i e ) „ W ö r t e r f a m i l i e " : Empörung, Aufruhr, Aufstand. Diese W ö r t e r h a b e n ein gemeinsames semantisches M e r k m a l , das er mit . b e w a f f nete Vereinigung d e r B ü r g e r , u m G e w a l t z u ge-

782

XL Anwendungsbereiche

brauchen' angibt; und differenzierende semantische Merkmale, die er für Empörung mit ,gegen die höchste (Landes)Obrigkeit', für Aufruhr mit ,gegen eine Unterobrigkeit' und für Aufstand mit ,nicht notwendig gegen die Obrigkeit gerichtet' umschreibt. Hieraus folgt gleichfalls zweierlei: (1) Auch das onomasiologische Wb. greift auf die Technik der Definitionserklärung insofern zurück, als das gemeinsame semantische Merkmal das genus proximum darstellt und die differenzierenden Seme die sprachliche Formulierung der differentiae specificae sind; (2) ein onomasiologisches Wb. erklärt die systematische Bedeutungsverwandtschaft sprachlicher Zeichen. Da aber der Onomasiologe fortwährend entscheiden muß, welche speziellen Teilbedeutungen seinen lexikalischen Paradigmen zuzurechnen sind, setzt ein onomasiologisches Wb. ein semasiologisches voraus. Beide Wb.typen stehen in einem g e g e n s e i t i g e n Voraussetzungsverhältnis. Das Wort Empörung ist, wie Bedeutungserklärung und Beispiele ausweisen, jeweils auf Menschen bezogen. Als mögliches Subjekt eines Satzes mit Empörung, wie: „ E r war von tiefer Empörung erfüllt", kommen nur „Gegenstände" in Betracht, die das Merkmal,menschlich' beanspruchen können. Das aber wird durch die paradigmatische Bedeutungserklärung nur implizit formuliert. Deshalb bedarf es zusätzlich einer syntagmatischen Bedeutungserklärung, die vor allem für die Wortart ,Verb' ausgebildet ist. Wenn stehlen mit ,widerrechtlich wegnehmen, entwenden' (Wahrig 1975, 3514) semantisch paraphrasiert wird, indem Definitions- und Wortsynonymerklärung kombiniert werden, dann ist auch hier die textliche Umgebung, fachterminologisch: die Kotextselektion, nur implizit angegeben. Zusätzlich ist die Erklärung notwendig, w i e v i e l und w e l c h e (obligatorischen) Ergänzungen dieses Verb zu sich nimmt, und wie diese Ergänzungen semantisch zu fixieren sind (womit die Valenz des Verbs bestimmt ist). Demnach ist anzugeben, daß stehlen eine obligatorische Nominativergänzung und eine Akkusativergänzung hat und die Nominativergänzung das Merkmal .menschlich' führen muß: „Die Diebe haben ein wertvolles Gemälde gestohlen" (Engel/Schumacher 1976, 263; Heibig/ Schenkel 1973 führen dieses Verb nicht). Darüber hinaus kann auch die Valenz von Adjektiven und Substantiven näher bestimmt werden (vgl. Sommerfeldt/Schreiber 1974 und Sommerfeldt/Schreiber 1977). Nicht alle Probleme einer Bedeutungserklärung im Wb. sind damit angesprochen. Hinzuweisen ist auf jeden Fall darauf, daß Wörtern über ihre denotative Bedeutung hinaus semantische Konnotationen zukommen (vgl. Art. 13:2; 18:5); daß sie also, wie Eberhard 1795 formuliert, „gleichbedeutend, aber nicht gleichgültig" (im Sinne von

gleich gültig) sein können (wie Abendmahl und Abendessen, obwohl und obzwar); daß es demnach nicht nur kotextuelle Beschränkungen der Sprachzeichen gibt (wie oben ausgeführt), sondern auch kontextuelle ( = situationeile), die aber nicht allein durch die Konnotation der Wörter, sondern auch durch deren Denotation bedingt sind (wie z . B . spezifische Grußzeichen, z . B . Mahlzeit, auf bestimmte Situationen festgelegt sind). Notwendig ist die Entwicklung einer wortartenspezifischen Semantik. So ist bei Abtönungspartikeln ( z . B . : Das war ja ein Fest!), Gliederungspartikeln (ζ. B . : Kommst Du,/' wird dann eine Skala definiert. Immer wenn diese Reihenfolge realisiert ist, haben wir im Rahmen einer linguistischen Strukturbeschreibung eine Repräsentation von empirischen Eigenschaften als numerische Strukturdaten vorliegen. Durch verschiedene mathematische Eigenschaften des numerischen relationalen Systems und verschiedene Zuordnungsregeln lassen sich verschiedene Skalenarten aufstellen bzw. beschreiben. Die vier bekanntesten Skalenarten sind die Nominalskala, die Ordinalskala, die Intervallskala und die Ratio- oder Verhältnisskala. Sie stellen unterschiedliche Quantifizierungsniveaus dar: die erste das niedrigste und die letzte das höchste. Die mathematische Operation, die bei Nominalskalen prinzipiell anwendbar ist, ist die des Zählens der Ereignisse oder Objekte in den einzelnen disjunkten Klassen. Ordinalskalen enthalten nicht nur eine Klassifikation des Objektbereichs, sondern geben darüber hinaus eine Ordnungsrelation zwischen den Klassen, m . a . W . die Richtung der Rangfolge an. Intervallskalen geben sowohl die Richtung als auch die Abstände der einzelnen Klassen an, wobei diese Abstände in festen Einheiten gemessen werden. Die Ratioskala verfügt über die Eigenschaften der anderen Skalen hinaus über einen echten Nullpunkt, d.h. einen Nullpunkt, der nicht willkürlich festgelegt ist, sondern Ergebnis der Meßoperationen ist: dort verschwindet die gemessene Eigenschaft. Es lassen sich viele andere Skalenarten aufstellen, so daß man dadurch den Erfordernissen vieler, jeweils untersuchter Bereiche gerecht werden kann. Das jeweilige Quantifizierungsniveau von Ereignissen, Phänomenen und Objekten eines untersuchten Bereichs bestimmt auch die Anwendbarkeit bestimmter statistischer Konzepte, Verfahren und Operationen. So ist z . B . die Durchführung von so elementaren statistischen Operationen wie die Berechnung des arithmetischen Mittels oder der Standardabweichung nur auf dem Quantifizierungsniveau einer Intervallskala und darüber zulässig, ebenso die Durchführung einiger Korrelationsrechnungen. Die Anwendung statistischer Methoden im sozialwissenschaftlichen Bereich, zu dem hier auch die Linguistik gerechnet wird, ist von Vertretern verschiedener Richtungen kritisiert worden: Adorno (1969) mit dem Argument, daß diese Methoden sich auf bestimmte Form des Umgangs mit den Objekten beziehen, indem sie nur über das Unbesondere dieser Objekte etwas aussagen, welche sie zuvor auf solche „anorga-

nische Fixiertheiten" wie Meter, Gewicht usw. verdinglicht werden, wodurch sie auch ihren oft widerspruchsvollen Charakter einbüßen: Habermas (1971) führt die Problematik der Umformung kommunikativer Erfahrung und intentionalen Handelns in Daten auf; Cicourel setzt sich konkret mit den Problemen der logisch-mathematischen Grundlage solcher Quantifizierungssysteme auseinander, die „die Regel vom Widerspruchsbeweis und die Regel vom ausgeschlossenen Dritten [ . . . ] voraussetzen" und führt dann aus: „Es mag angemessen sein zu fragen, ob es eine größere Klasse von Messungssystemen gibt, die ihre Basis nicht in logischen oder mengentheoretischen Operationen haben würden, bei denen aber diese letzteren Arten deterministischer Bedingungen eine Teilmenge irgendeiner mehr allgemeiner Konzeption von Messungen wäre" (1970, 53). 2. Erzeugung stik

statistischer

Regeln in der

Lingui-

Bei der Erforschung der Sprache ist die Linguistik sehr oft mit verschiedenen sprachlichen Phänomenen konfrontiert, die sie nicht vollständig beschreiben kann. Das hängt damit zusammen, daß die Funktionsweise sprachlicher Einheiten von so vielen Faktoren und Faktorenkonstellationen abhängt, daß es praktisch unmöglich ist, sie alle zu berücksichtigen und das Ergebnis ihres Zusammenwirkens zu bestimmen. Das Auftreten von fehlerhaften Fällen oder Abweichungen, wenn man linguistische Regeln auf reale sprachliche Phänomene anwendet, zeigt an, daß man keine exhaustiven Bedingungskonstellationen für die betreffende Funktionsweise aufstellen kann, woraus man dann ein einziges und eindeutiges Ergebnis hätte ableiten können. Das Auftreten von Abweichungen bei der Anwendung dieser Regeln, trotz der Erfüllung der in der Regel aufgeführten Bedingungen, zeigt an: das durch die Regel postulierte Ereignis kann sowohl eintreten als auch nicht eintreten. Ein solches Ereignis nennt man dann in bezug auf eine Bedingungskonstellation zufällig. Das bedeutet aber nicht, daß man keinerlei Verbindung zwischen einem zufälligen Ereignis A und der Bedingungskonstellation S herstellen kann. Wenn der Komplex der Bedingungen S sehr oft realisiert wird, wird auch eine gewisse Regularität des Auftretens des Ereignisses Α beobachtbar sein. Das Ereignis Α weist eine bestimmte Häufigkeit auf. Diese Regularität, daß ein bestimmtes zufälliges Ereignis Α mit einer bestimmten Häufigkeit auftritt, wenn eine häufige Realisierung des Bedingungskomplexes S vorliegt, nennt man statistische Regel. Vom unmittelbar empirischen Konzept gelangt man zum allgemeineren

96. Sprachstatistik und für die Inferenzstatistik zentralen Begriff der Wahrscheinlichkeit, gemäß dem Satz von Kolmogoroff: „Man kann praktisch sicher sein, daß, wenn man den Komplex der Bedingungen S eine große Anzahl von η Malen wiederholt und dabei durch m die Anzahl der Fälle bezeichnet, bei denen das Ereignis Α stattgefunden hat, das Verhältnis von m/n sich von Ρ (A) - (d.h. Die Wahrscheinlichkeit, daß das Ereignis Α eintritt, d. Verf.) - nur wenig unterscheidet" (zitiert nach Neurath 1966, 51). Wie groß konkret diese Anzahl von Wiederholungen bzw. die Häufigkeit der Realisierung des Bedingungskomplexes sein muß, ist eine Frage, die die theoretische Statistik beantwortet. Bei der linguistischen Erforschung von sprachlichen Phänomenen auf der Grundlage einer begrenzten Anzahl von Beobachtungen muß also einerseits entschieden werden, in welchem Ausmaß die Realisierung der Bedingungen S das Eintreten des Ereignisses Α mit sich bringt, andererseits die Zuverlässigkeit der Schlußfolgerungen von einer Stichprobe (Corpus) auf die Grundgesamtheit (Sprachverwendung) in jedem einzelnen Fall angezeigt werden. Das wesentliche Moment der Statistik erblickt man heute nicht so sehr unmittelbar in den Beobachtungen selbst, sondern in der aktiveren Rolle einer Wissenschaft des Entscheidens angesichts von Ungewißheit, d . h . aufgrund unvollständiger Information (vgl. z . B . Girshik 1953, 646). 3.

Lexikostatistik

Zu den ersten Versuchen, statistische Methoden zur Erfassung und Beschreibung einzelner sprachlicher Phänomene zu verwenden, gehört die Aufstellung von Häufigkeitswörterbüchern. (Das erste bekannte ist das „Häufigkeitswörterbuch der deutschen Sprache" von Kaeding, erschienen 1898.) Diesen Untersuchungen liegt folgende Anordnung zugrunde: Die spezifische Charakterisierung eines Wortes in einem bestimmten Text wird durch seine Wiederholungsrate Xj gegeben. Die Anzahl der Wörter, die in einem bestimmten Text Xj-mal vorkommen, d . h . diese Merkmalsausprägung aufweisen, ist die Häufigkeit fj dieses Ereignisses. Daraus ergeben sich zwei wichtige Größen: 2 f ; = N , d. h. die Wortliste und Σί,χ; = L , d. h. die Gesamtzahl der Ereignisse oder die Textlänge in laufenden Wörtern gemessen. Wenn nun ein Text von L Wörtern Länge und Ν verschiedenen W ö r tern vorliegt, wobei L > 1 und Ν > 1, dann kann man theoretisch zwei Fälle unterscheiden: (1) L = N , d. h. alle Wörter in diesem Text sind verschieden, (2) L > N , d . h . einige Wörter werden wiederholt. Eine Untersuchung dieser Art gibt die „Struktur" eines Textes unter dem Gesichtspunkt der Wortwiederholungen wieder. Sie gibt an, wieviele Wörter eine Wiederholungsrate von

795

1 , 2 , 3 . . . usw. in diesem Text aufweisen. Solche statistischen Strukturierungen erlauben grundsätzlich den Vergleich zwischen zwei Texten hinsichtlich dieses Merkmals. Die parametrische Vergleichbarkeit verschieden langer Texte ist allerdings mit Hilfe der üblichen Parameter arithmetisches Mittel und Standardabweichung nicht unmittelbar möglich, da deren Werte mit der Länge des Textes ansteigen, und zwar aufgrund der Tatsache, daß die Textlänge schneller wächst als die Wortliste: A L > Δ Ν . Hierzu sind andere stabile Parameter entwickelt worden (vgl. Herdan 1969, Muller 1972, Nikitopoulos 1973). Generell kann man bei der Lexikostatistik zwei Arten von Beschreibungsverfahren unterscheiden: (i) Man beschreibt und analysiert ein Vokabular als Gesamtmenge; dazu gehören u.a. folgende Aspekte: Das Anwachsen des Vokabulars mit steigender Textlänge, relative Vorkommenshäufigkeiten innerhalb eines Textes, type-token-Relation, Relation langer Wörter zu kurzen Wörtern usw.; (ii) man betrachtet die einzelnen Elemente des Vokabulars und beschreibt ihr Vorkommen. 4. Andere

Anwendungsgebiete

der

Statistik

Die Anwendungsmöglichkeiten statistischer Methoden in der linguistischen Forschung sind vielfältig. In der Anfangsphase dieser Entwicklung ging es eher um statistische Verfahren zur Verarbeitung von empirischen linguistischen Daten, um einfache deskriptive Methoden. Später hat man immer mehr auf korrelations- und inferenzstatistische Verfahren zurückgegriffen. Darüber hinaus gewannen umfassende statistische und statistisch inspirierte Modelle zur Strukturierung, Beschreibung und Erklärung linguistischer Teilbereiche immer mehr an Bedeutung. Die Entwicklung der statistischen Stilistik leitet den Übergang von der Anfangsphase zur heutigen Situation ein (vgl. Art. 26: 2. und 3.). Anstöße zu dieser Entwicklung kamen auch aus der Forschungsarbeit anderer Disziplinen, die sich mit verwandten Fragestellungen befassen und statistische Verfahren einsetzen ( z . B . Psychologie, Soziologie, mathematische Informationstheorie usw.). 4.1.

Der informationstheoretische

Ansatz

Das linguistische Interesse für die Informationstheorie gründet in der Tatsache, daß die natürliche Sprache das wichtigste Mittel zur Übertragung von Information ist. Die Informationstheorie betrachtet die Sprache als ein komplexes System der Nachrichtenkodierung, wobei verschiedene Eigenschaften dieses Systems durch die Heranziehung statistischer Methoden untersucht werden. Sie beschäftigt sich mit den Prozessen der Übertragung von Information mittels eines Kommuni-

796

XI. Anwendungsbereiche

kationssystems. Die wichtigste Eigenschaft einer Information ist nach diesem Modell darin zu sehen, daß sie etwas Neues vermittelt, d . h . etwas, was nicht mit Bestimmtheit vorausgesagt werden kann. Aus dieser einfachen Konzeption ergibt sich, daß die Information, die ein Zeichen trägt, um so größer ist, je größer die Ungewißheit seines Auftretens ist, oder anders ausgedrückt: mit steigender Eintrittswahrscheinlichkeit eines Zeichens nimmt sein Informationsgehalt ab. Doch handelt es sich dabei nie um den bedeutungshaften, inhaltlichen Sinn der ,Information', sondern lediglich um das quantitative Ausmaß der ,Innovation', um die statistische Zeichenstruktur der Nachricht. Aus diesem Ansatz werden verschiedene quantitative Maßzahlen zur Beschreibung dieser Struktur konzipiert (Entropie, Redundanz). Wahrscheinlichkeiten und bedingte Wahrscheinlichkeiten von Zeichen bestimmen die statistische Struktur einer Nachricht (vgl. Meyer-Eppler 1969, Ungeheuer 1967, Shannon und Weaver 1949).

4.2. Probabilistische

Grammatik

Der erste, der eine probabilistische Grammatik formuliert hat, ist Suppes (1972). Sein Anliegen ist es, objektive probabilistische Kriterien zur Selektion einer Grammatik zu verwenden. Eine der Zielsetzungen einer solchen Grammatik ist es, einen großen Teil eines Corpus mit relativ einfachen grammatischen Instrumenten zu beschreiben und abweichende sprachliche Vorkommen, die einer zusätzlichen Analyse und Erklärung bedürfen, zu isolieren. Der Ansatz zielt darüber hinaus darauf ab, im Sinne der üblichen wahrscheinlichkeitstheoretischen Methoden „das endliche Corpus als Stichprobe zu verwenden, um Schlußfolgerungen über eine größere, von der Möglichkeit her unendliche ,Grundgesamtheit' zu ziehen" (744). Inzwischen werden weitere probabilistische Beschreibungsmodelle der grammatischen Struktur von Texten entworfen (vgl. Salomaa 1969, Klein 1974, Cedergren and Sankoff 1974).

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97. Sprachmittlung: Übersetzen und Dolmetschen

797

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97. Sprachmittlung: Übersetzen und Dolmetschen

von der grundsätzlichen ü b e r s e t z b a r k e i t aller Texte zugrunde; sie besagt, daß in jeder Sprache gleiche Einstellungen gegenüber der Realität möglich sind, so daß in jeder Sprache — wenngleich mit unterschiedlichen Kategorien und sprachlichen Materialien - prinzipiell dasselbe ausgedrückt werden kann (vgl. hierzu vor allem Jakobson 1966 und Coseriu 1970).

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Der Begriff der Sprachmittlung Ein Modell des allgemeinen Übersetzungsvorgangs Dolmetschen Der Ubersetzungsvergleich Ansätze für eine Didaktik des Übersetzens Bibliographie (in Auswahl)

1. Der Begriff der

Sprachmittlung

Der Begriff S p r a c h m i t t l u n g stammt aus der Terminologie der traditionell orientierten Sprachwissenschaft (vgl. z . B . Kainz 1965); er ist nach und nach durch das von O . Kade (1968) geprägte Synonym T r a n s l a t i o n verdrängt worden. Die Translation wird grundsätzlich in schriftlichen (optisch-graphischen) oder mündlichen (akustisch-phonetischen) Formen realisiert. Sie gliedert sich also in die Prozesse des Ü b e r s e t z e n s und des D o l m e t s c h e n s auf; dabei ist festzuhalten, daß bisher allein der Ü b e r s e t z u n g s v o r g a n g systematisch und umfassend erforscht worden ist (vgl. Bausch, Klegraf, Wilss 1970, 1972, 1979; bezüglich der Erforschung des Dolmetschens vgl. 3.). 1.1. Der Begriff der Translation meint den interlingualen Kommunikationsprozeß, der - im Unterschied zur maschinellen Übersetzung (vgl. Art. 9 8 ) - m i t Hilfe eines sog. H u m a n t r a n s l a t o r s (Sprachmittlers) verwirklicht wird, d.h. die Translation ist Mittel und Möglichkeit, über die menschliche „Schaltstelle" des Translators (des Übersetzers bzw. des Dolmetschers) Kommunikation zwischen Angehörigen aus (in der Regel zwei) verschiedenen Sprachgemeinschaften herzustellen; sie ist demnach als komplexe Ausweitung der i n t r a l i n g u a l e n zwischenmenschlichen Kommunikation anzusehen. 1.2. Dem Translationsprozeß liegt die These

Ρ ante lis Nikitopoulos,

2. Ein Modell des allgemeinen vorgangs

Mannheim

Übersetzungs-

Der komplexe Grundvorgang des Übersetzens sei in Anlehnung an Bausch (1977, 521) über das folgende Modell abgebildet: Modell ι Die Obersetzung als eigenständige Fertigkeit

Ausgangssprache

Zietspracbe

Übtrsetzerfaktorm. rezeptiv

/



-

Sprachkompefenz(en) Sachkompetenz(en) übersetzungskompetenz(en) - „ H i e o r i e " des Übersetzens

— produktiv

V.

I. P h a s e : - · 2 . P h a s e : - » 3 . Phase: Rezeptionen

Übersetzung im engeren Stnne

(Re)Produkcton

Leser I [ „Leser" 2 - , Übersetzer - „ A u t o r " — Text V , L e s t r ' Lesern I " * Leser η

- wirkungsäquivalent .

2.1. Der Ausgangspunkt für den hier eingefangenen, auf interlinguale Kommunikation ausgerichteten Übersetzungsvorgang ist jeweils ein

798

XI.

Anwendungsbereiche

in einer b e s t i m m t e n Ausgangssprache (AS) s c h r i f t l i c h f i x i e r t e r T e x t ; dieser A S - T e x t i s t dem Ü b e r s e t z e r vorgegeben. D a s spezifische Interesse, mit dem der Ü b e r setzer in seiner Eigenschaft als „ L e s e r " - d . h . im U n t e r s c h i e d zu den übrigen „ b l o ß - einsprachig e n " Lesern - diesen T e x t rezipiert (1. P h a s e ) , ist an dem Ziel orientiert, den A S - T e x t in einen f u n k t i o n a l - oder w i r k u n g s ä q u i v a l e n t e n T e x t einer b e s t i m m t e n Zielsprache ( Z S ) z u transferieren (2. Phase). D i e A b f a s s u n g des Z S - T e x t e s besteht also in der A u f g a b e , den semantischinformativen G e h a l t und die F u n k t i o n e n des A S Textes unter den kommunikativ-stilistis c h e n Bedingungen der Z S im H i n b l i c k auf p o tentielle L e s e r zu erreichen (vgl. z . B . N e u b e r t 1972, jetzt vor allem die Differenzierung in o v e r t t r a n s l a t i o n s und c o v e r t t r a n s l a t i o n s bei H o u s e 1977). D e r Ü b e r s e t z e r tritt dabei in die (re-)produzierende R o l l e eines Z S - , . A u t o r s " ein (3. Phase). 2 . 2 . M i t dieser G r o b s k i z z e des sukzessiv über drei Phasen ablaufenden Ü b e r s e t z u n g s p r o z e s s e s wird gleichzeitig der B e g r i f f der Ä q u i v a l e n z zwischen A S - und Z S - T e x t z u m p r ä s k r i p t i v e n K e r n b e g r i f f f ü r den G e s a m t v o r g a n g des U b e r s e t zens e r h o b e n ; diese präskriptive Äquivalenz kann - w a s die P r o b l e m a t i k der interlingualen „ W e r t i g k e i t e n " s o w o h l auf der semantisch-informativen als auch auf der pragmatischen E b e n e angeht letztendlich nur in A b h ä n g i g k e i t von der F u n k t i o n der jeweils anvisierten Ü b e r s e t z u n g markiert w e r den (vgl. hierzu T a b e r 1972, K o l l e r 1972, Wilss 1975, Reiss 1976; jetzt v o r allem K ö n i g s 1979). 2 . 3 . D i e optimale B e r ü c k s i c h t i g u n g der f u n k t i o nalen Ü b e r s e t z u n g s ä q u i v a l e n z obliegt dem Ü b e r setzer, d . h . sie hängt wesensmäßig v o m k o m plexen Z u s a m m e n s p i e l verschiedener, den Ü b e r setzer charakterisierenden F a k t o r e n a b ; diese sog. Ü b e r s e t z e r f a k t o r e n , die sich prinzipiell in eine r e z e p t i v e (gegenüber A S - T e x t e n ) und eine p r o d u k t i v e Perspektive (gegenüber der Z S ) untergliedern lassen, umfassen die folgenden Kompetenzen: (1) die S p r a c h k o m p e t e n z : sie ist für die A S rezeptiv, für die Z S jedoch produktiv auszulegen; dabei gilt, d a ß sie als global-ausgebildet s o w o h l im grammatisch-semantischen als auch im k o m m u n i kativen B e r e i c h zu verstehen ist, d. h . , daß sie die B e h e r r s c h u n g der diatopischen, diastratischen, diachronen und diaphasischen Varietäten u n d / oder Register einschließt; ( 2 ) d i e S a c h k o m p e t e n z : sie ist im Sinne einer umfassenden K e n n t n i s der außersprachlichen W i r k l i c h k e i t s b e r e i c h e in der A S - und der Z S - G e meinschaft anzusetzen; (3) die U b e r s e t z u n g s k o m p e t e n z : sie ist zu verstehen im engeren Sinne (vgl. z . B . N e u b e r t 1972), als

die über das Lesen und Schreiben hinausgehende Fähigkeit zur i n t e r l i n g u a l e n Umsetzung, dem sog. K o d e - U m s c h a l t v e r f a h r e n , und im umfassenden Sinne (vgl. ζ . B . B a u s c h 1977), als die F ä h i g k e i t , wirkungsäquivalente Z S - T e x t e den jeweiligen k o - und kontextuellen B e d i n g u n gen (vgl. C a t f o r d 1965) entsprechend - über einzelne theoriegesteuerte, zumindest aber b e w u ß t e Ü b e r s e t z u n g s s c h r i t t e zu p r o d u z i e r e n . 2 . 4 . D e r textgebundene Ü b e r s e t z u n g s p r o z e ß k a n n , zusammenfassend g e s p r o c h e n , als e i n s i n n i g e r , von der A S auf die Z S gerichteter E n t s c h e i d u n g s p r o z e ß gekennzeichnet w e r d e n . Seit der von O . Kade ( 1 9 6 8 ) vorgelegten A r b e i t hat sich das erkenntnisleitende Interesse der von der Leipziger Schule gegründeten Übersetz u n g s w i s s e n s c h a f t (vgl. B a u s c h 1970) z u n e h m e n d auf die Erstellung idealisierender p r o z e ß b e z o g e n e r Translations- b z w . Ü b e r s e t z u n g s m o d e l l e sprach übergreifender Prägung k o n z e n t r i e r t (vgl. z . B . K a d e 1968, A l b r e c h t 1973, K o l l e r 1974, Wilss 1977, D i l l e r und K o r n e l i u s 1978; vgl. jetzt v o r allem die D i s k u s s i o n bei K ö n i g s 1979). D a b e i ist allerdings festzustellen, d a ß die k o m plizierten mentalen U m s e t z u n g s v e r f a h r e n (vgl. 2 . Phase) nach wie vor als quasi unerforscht eingestuft werden m ü s s e n ; eine p s y c h o l i n g u i s t i s c h orientierte Übersetzungswissenschaft ist also n o c h zu begründen. 2 . 5 . Es steht außer F r a g e , daß - unabhängig von den genannten V e r s u c h e n , allgemeine M o d e l le zu erstellen - der „ E s p l e n d o r " und die „ M i s e r i a " des translatorischen Alltags durch die unterschiedlichen A u s f o r m u n g s g r a d e gekennzeichnet sind, die ein k o n k r e t - a g i e r e n d e r T r a n s l a t o r in den drei Ü b e r s e t z u n g s f a k t o r e n (vgl. 2 . 3 . ) aufweisen kann. In dieser Subjektivierung des „ G e schäfts v o m Ü b e r s e t z e n " liegen die U r s a c h e n f ü r individuelle Fehlleistungen, die sich in den drei Phasen des Übersetzungsvorgangs gleichermaßen einstellen k ö n n e n ; darüber hinaus wird der idealisierte präskriptive Äquivalenzbegriff (vgl. 2 . 2 . ) z u m Annäherungsbegriff reduziert, d . h . die ideale, leserabhängige Wirkungsäquivalenz z w i schen A S - T e x t und Z S - T e x t wird in F o r m einer realen T e x t ä q u i v a l e n z , wie an jedweder Ü b e r setzung u n s c h w e r nachgewiesen w e r d e n k a n n , nur a p p r o x i m a t i v erreicht. 3.

Dolmetschen

Wissenschaftliche Analysen z u m D o l m e t s c h e n als der mündlichen (akustisch-phonetischen) Realisierungsform der Translation (vgl. 1.) liegen bisher nur in sehr b e g r e n z t e r Zahl v o r (vgl. B a u s c h , Klegraf, Wilss 1970, 1972, 1979; van H o o f 1973); der A u f b a u einer D o l m e t s c h W i s s e n s c h a f t befindet sich s o m i t im G e g e n s a t z zur heutigen Situation der U b e r s e t z u n g s w i s s e n s c h a f t n o c h

97. Sprachmittlung: Übersetzen und Dolmetschen immer in den Anfängen (vgl. Kainz 1965, insbes. aber Seleskovitch 1968, 1974, Barik 1975, Kirchhoff 1974, 1978). 3.1. Im folgenden kann es deshalb nur darum gehen, die wesentlichen Eigenschaften des Dolmetschprozesses kurz zu charakterisieren: Im Gegensatz zum Ubersetzer, der grundsätzlich mit einem permanent dargebotenen, beliebig oft abrufbaren AS-Text arbeitet, wird dem D o l metscher der AS-Text nur ein einziges Mal „ z u Gehör gebracht"; dabei gilt es, diesen Text zu verstehen, zumindest den Sinnzusammenhang im Gedächtnis zu speichern und in die ZS adäquat zu übertragen. Während also die Tätigkeit des Übersetzers sich primär auf der Grundlage seiner Übersetzerfaktoren vollzieht, werden vom Dolmetscher zusätzliche, für sein Metier spezifische Rezeptions-, Textgliederungs-, Gedächtnis-, Einfühlungs- und Reaktionsleistungen gefordert. Diese spezifischen Züge des Dolmetschprozesses lassen zu, daß im Gegensatz zum Übersetzen und unabhängig von Mischtypen (wie z . B . S t e g r e i f ü b e r s e t z e n , - d o l m e t s c h e n ) , folgende Typen unterschieden weden können: (1) das K o n s e k u t i v d o l m e t s c h e n : die Translation erfolgt jeweils erst im Anschluß an die Darbietung des AS-Textes oder eines Teiles dieses Textes; dieser Typus erfordert vom Dolmetscher eine mehr oder weniger langfristige Speicherung des in dem jeweiligen AS-Text/-Textabschnitt dargebotenen Inhalts (vgl. hierzu z . B . Kirchhoff 1978); (2) das S i m u l t a n d o l m e t s c h e n : dieTranslation erfolgt bei fortlaufender Darbietung des ASTextes, d . h . im Gegensatz zum Konsekutivdolmetschen beginnt der Dolmetschprozeß nicht erst nach einer dargebotenen größeren Sinneinheit, sondern die ZS-Realisierung vollzieht sich unmittelbar nach der kleinsten Sinneinheit des ASTextes, so daß einerseits die Speicherung als spezifische Gedächtnisleistung des Konsekutivdolmetschers auf ein Minimum reduziert, andererseits jedoch die interlinguale Umsetzungsgeschwindigkeit auf ein Maximum erhöht wird (vgl. hierzu vor allem Seleskovitch 1968, 1974; Barik 1975). 4. Der

Übersetzttngsvergleich

Unabhängig von den in 2. umrissenen Modellbildungen zum Übersetzungsprozeß im allgemeinen hat sich seit den 60er Jahren unter dem Einfluß des postsaussureanischen Strukturalismus die Disziplin des synchronen Übersetzungsverg l e i c h s herausgebildet; sie ist von der sprachlich fixierten Ü b e r s e t z u n g (als Produkt des Übers e t z e n s ) , d . h . also von der „infinie complexitedu produit" her zu verstehen (vgl. Zemb 1972, jetzt auch 1978). 4.1. Der Übersetzungsvergleich eröffnet durch

799

die systematische Gegenüberstellung von ASOriginaltexten und deren ZS-Übersetzungen die Möglichkeit zur umfassenden interlingualen Konfrontierung von Sprachstrukturen, wobei sich der Vergleich nicht nur auf dem „ r a n k " des Textes, sondern auch auf allen anderen Stufen (Satz, Lexem etc.) durchführen läßt (vgl. hierzu vor allem die „rank-bound translation methods" bei Halliday 1964, Ellis 1966 u. a.); dies hat sowohl zu langue-bezogenen (vgl. z . B . Bolinger 1966) als auch zu parole-bezogenen Analysen (vgl. z . B . Malblanc 1966) geführt. 4.2. D e r synchrone Übersetzungsvergleich untergliedert sich einerseits in den b i l a t e r a l e n oder s p r a c h e n p a a r g e b u n d e n e n Vergleich, wie er in den s t y l i s t i q u e s c o m p a r e e s von Malblanc 1966 bzw. Vinay und Darbelnet 1966 entwickelt worden ist, und andererseits in den m u l t i l a t e r a l e n oder m e h r s p r a c h i g e n Vergleich, wie ihn vor allem Wandruszka (1969) und seine Schüler für europäische Sprachen betrieben haben. Für beide Richtungen lassen sich grosso modo die folgenden Erkenntnisziele herausschälen: (1)deskriptiv-vergleichende Ziele,d.h. übersetzungsvergleichende Untersuchungen sind als Teil der synchron-vergleichenden, bzw. -typologischen Linguistik anzusehen und unterliegen den dort im einzelnen praktizierten linguistischen Methoden (vgl. hierfür vor allem die multilateral angelegten Analysen). (2) ü b e r s e t z u n g s k r i t i s c h e Z i e l e , d . h . mit Hilfe von übersetzungsvergleichenden Analysen wird versucht, eine bestimmte Ubersetzung bezüglich ihrer „Qualität" im Spannungsfeld zwischen AS-Text und einer (in der Regel gesetzten) Z S - N o r m zu bewerten. Dabei ist allerdings festzustellen, daß zwar zahlreiche intuitiv-bewertende Arbeiten, jedoch erst vereinzelt systematisch aufgebaute Konzepte zur begründeten Übersetzungskritik vorliegen (vgl. exemplarisch in diesem Sinne das Modell von House 1977). Hinzu kommt, daß beachtliche Komplexitätsunterschiede bestehen: so reduziert z . B . Wilss (1974) die Übersetzungskritik auf die „Auseinandersetzung mit übersetzungsprozessualen Fehlleistungen Fremdsprache - Grundsprache", hingegen nimmt Koller (1978) ein umfassendes Konzept in den Blick, in dem alle Relationen, vor allem jedoch die Relationen zwischen Autor, Ubersetzer und Empfängerkreis, über die Prozeduren einer T e x t k r i t i k , eines Ü b e r s e t z u n g s v e r g l e i c h s , und einer Ü b e r s e t z u n g s b e w e r t u n g untersucht werden sollen (vgl. hierzu jetzt die Darstellung bei Königs 1979). (3) a n g e w a n d t - l i n g u i s t i s c h e Z i e l e , d . h . aus autonom durchgeführten übersetzungsvergleichenden und/oder übersetzungskritischen Analysen (vgl. 4 . 2 . 1 . bzw. 4 . 2 . 2 . ) wird im Prinzip

800

XI.

Anwendungsbereiche

linear deduziert, daß die erzielten Ergebnisse als solche bereits für ein bestimmtes Praxisfeld (ζ. B. den Ubersetzungsunterricht für zukünftige Übersetzer) relevant seien und folglich ohne weiteres die Abfassung von sog. Applikationsperspektiven erlauben würden; dabei wird allerdings übersehen, daß das jeweilige Praxisfeld immer nur anvisiert, nie jedoch integraler Bestandteil von derart ausgelegten angewandt-linguistischen Analysen sein kann; die jeweils formulierten Perspektiven entziehen sich somit der empirischen Überprüfung und bleiben verkürzt auf der Ebene der bloßen Annahmen stehen (vgl. zur prinzipiellen Kritik an der Methodologie der angewandten Linguistik Bausch und Raabe 1978). Auf diesem Hintergrund lassen sich die folgenden angewandt-linguistischen Ansätze unterscheiden: V e r s u c h e zur K l a s s i f i k a t i o n von sprachenpaarbezogenen Übersetzungsprozessen : Diese Versuche gehen von der linguistischbasierten Systematik des bilateralen Ubersetzungsvergleichs aus; dabei wird angenommen, daß sich aus der Klassifikation von Übersetzungsprozessen eine „methode de traduction" (vgl. Vinay und Darbelnet 1966) deduzieren lasse. Als Grundlage dient die Segmentierung (decoupage) einer festgelegten AS-Textmenge in kleinste Kontexteinheiten; diese Segmentierung wird vergleichend, d.h. unter ständigem Bezug auf die i n h a l t l i c h entsprechenden Einheiten aus der diesbezüglichen, bereits vorliegenden Ubersetzung durchgeführt. Ausgehend von einer solchen statisch-erarbeiteten Gegenüberstellung von konkreten Ubersetzungseinheiten auf den AS- und ZS-Oberflächenstrukturen werden die interlingualen Prozesse, die der Ubersetzer theoretisch zu durchlaufen hatte, rekonstruiert und gegeneinander abgegrenzt. Im wesentlichen umfassen diese Analysen die folgenden Prozesse, die sich jeweils noch unterteilen lassen: - w ö r t l i c h e Ü b e r s e t z u n g s p r o z e s s e , d.h. die AS-Wortart wird in der Übersetzung beibehalten; insbesondere werden hierbei Probleme der E n t l e h n u n g (z.B. frz. „switcher" la conversation) und der L e h n ü b e r s e t z u n g (z.B. dt. Mann von Welt) untersucht; - nicht-wörtliche Ubersetzungsprozesse, d.h. die AS-Wortart wird in der Übersetzung zumindest teilweise gewechselt; insbesonT dere werden hierbei die T r a n s p o s i t i o n (z.B. frz. s'accouder - dt. den Ellenbogen stützen auf) und die M o d u l a t i o n (z.B. frz. tiroir - dt. Schublade) untersucht. Wörtliche und nicht-wörtliche Übersetzungsprozesse lassen sich zusätzlich ausgliedern in - f a k u l t a t i v e oder stilistisch-orientierte U b e r -

s e t z u n g s f ä l l e (z.B. besteht für frz. comparer bei der Übersetzung ins Deutsche die stilistische Wahl zwischen der wörtlichen Ubersetzung [vergleichen] und der Transposition [Vergleiche anstellen]); - o b l i g a t o r i s c h e Ü b e r s e t z u n g s f ä l l e (z.B. hat das deutsche System für frz. s'accouder kein Lexem in derselben Wortart ('''sich eilenbogen) anzubieten; der Übersetzer muß deshalb auf eine obligatorische Transposition zurückgreifen (den Ellenbogen stützen auf). Der deskriptiv-klassifikatorische Wert dieses Ansatzes - wenngleich die bisher vorgelegten Kategoriensysteme verbesserungsbedürftig sind ist grundsätzlich unbestritten; es muß jedoch aus wissenschaftsmethodischer Sicht bezweifelt werden, daß aus diesen Klassifizierungen eine beg r ü n d e t e Methodik des Übersetzens i.S. von empirisch im Praxisfeld überprüften Handlungsanweisungen bzw. -alternativen abgeleitet werden kann (vgl. auch 4.2.3.). V e r s u c h e zur E r s t e l l u n g von ü b e r s e t zungsrelevanten Texttypologien: Die vergleichende Analyse von Übersetzungen, denen verschiedene AS-Texttypen (ζ. B. ein literarisch-poetischer Text in Opposition zu einem technisch-terminologischen Text) zugrunde liegen, hat gezeigt, daß sich die Ubersetzungsprinzipien bezüglich der Invarianz sowohl auf der inhaltlichen als auch auf der wirkungsmäßigen Ebene von Teyttypus zu Texttypus verändern. Ausgehend von dieser Erkenntnis zeichnen sich Bemühungen ab, in denen versucht wird, diese texttypologisch-bedingten Prinzipien für die Übersetzungsmethode zu systematisieren und für den Ubersetzungsunterricht lehr- und lernbar zu machen. Den derzeit ausgereiftesten Ansatz in dieser Hinsicht hat Reiss (1971, 1976) vorgelegt; ihr System umfaßt: - den i n h a l t s b e z o g e n e n Texttypus (Fachtexte usw.), - den f o r m b e t o n t e n Texttypus (literarische Texte usw.), - den a p p e l l b e t o n t e n Texttypus (Werbetexte usw.), - den a u d i o - m e d i a l e n Texttypus (Hörspiele usw.). Im Anschluß an diese Kategorisierung werden differenzierte normative U b e r s e t z u n g s m e thoden entwickelt (z.B. für den inhaltsbezogenen Text: Vorrang des Prinzips der Inhaltsinvarianz gegenüber stilistisch-wirkungsmäßigen Effekten), so daß eine Rückkoppelung durch übersetzungskritische Uberprüfungen an der ZSGebrauchsnorm erfolgen kann. Unabhängig von der jedweder Texttypologie inhärenten Problematik, daß nämlich konkrete Texte sich in aller Regel als asystematische Kombi-

97. Sprachmittlung: Übersetzen und Dolmetschen nationen von unterschiedlichen Einzeltypen ausnehmen, weist der Versuch von Reiss Unverträglichkeiten in den Klassifikationsprinzipien selbst auf (so durchbricht z.B. der Typ des audiomedialen Textes das übrige System). Darüber hinaus ist auch für diesen Ansatz prinzipiell, d. h. aus wissenschaftsmethodischer Sicht zu bezweifeln, daß er das Formulieren von begründeten Handlungsanweisungen bzw. -alternativen für das Übersetzen ermöglicht (vgl. auch 4.2.3.). 5. Ansätze für eine Didaktik

des

Übersetzens

In den letzten Jahren nehmen Versuche zu, die einen systematischen Aufbau einer auf das eigenständige Lernziel t r a n s l a t o r i s c h e K o m p e t e n z ausgerichteten Didaktik des Übersetzens in den Blick nehmen. Die Ursachen für diese Entwicklung sind ganz unterschiedlicher Art; im wesentlichen handelt es sich um - die prinzipiellen Unzulänglichkeiten der angewandt-linguistischen Ansätze (vgl. 4.2.3.), deren Folgenlosigkeit für eine begründete Veränderung des Übersetzungsunterrichts derzeit allenthalben konstatiert wird (vgl. auf diesem Hintergrund jedoch den Vorschlag zur Entwicklung einer didaktischen T r a n s l a t i o n s g r a m m a t i k von Raabe 1979); - das wissenschaftsmethodische Autonomiebewußtsein, das zunehmend in übersetzungswissenschaftlichen Ansätzen zu erkennen ist und das sich z . B . in dem Bemühen konkret ausformt, das „Übersetzen als eigenständige Fertigkeit" vom „Übersetzen als Übungsform" abzugrenzen und als Wirklichkeitsbereich eigener Art zu begründen (Bausch 1978, Königs 1979); - die generell neu in Gang gesetzte Diskussion über Fremdsprachenvermittlungsmethoden, die eine klare Abkehr von strikt einsprachigen Konzepten erkennen läßt und eine zunehmende Berücksichtigung der L e r n p e r s p e k t i v e und damit der lernergebundenen Steuerungsfaktoren (wie z . B . den bereits ausgeformten Sprachbesitz in einer Grundsprache) aufzeigt (vgl. Koordinierungsgremium 1977); - die in Anlehnung an lernerzentrierte Konzepte zur Sprachlehrforschung entwickelten Ansätze (vgl. Koordinierungsgremium 1977), in denen versucht wird, den sich am Lernziel der translatorischen Kompetenz orientierenden ü b e r s e t z u n g s u n t e r r i c h t als mehrdimensionales, auf den „Übersetzenlernenden" gerichtetes Interaktionsgefüge der empirischen Analyse zu unterwerfen (Bausch 1978). - die im Rahmen einer fremdsprachenpolitisch ausgerichteten, eine Neuorientierung des Fremdsprachenunterrichts propagierenden Konzepte, bei denen vor allem das mehrsprachig-rezeptive Modell eine Wiederaufnahme der Diskussion über

801

die Funktion der Übersetzung implizieren dürfte (vgl. Zapp 1979). 6. Bibliographie

(in Auswahl)

J . Albrecht, Linguistik und Übersetzung, Tübingen 1973. H . C . B a n k , Simultaneous Interpretation: Qualitative and Linguistic Data. In: LS 18, 1975, 2 7 2 - 2 9 7 . K . - R . Bausch, Übersetzungswissenschaft und angewandte Sprachwissenschaft. Versuch einer Standortbestimmung. In: LSpr 1970, 161-163. K . - R . Bausch, Zur Ubertragbarkeit der .Übersetzung als Fertigkeit' auf die »Übersetzung als Übungsform'. In: Ν 5 / 6 , 1977, 5 1 7 - 5 3 5 . K . - R . Bausch, Approaches to the Analysis of Translation Teaching Learning Events: Towards a New Rationale for the Teaching o f Translation. Universite de Montreal 1978 [maschinenschr.]. K . - R . Bausch und Η . Raabe, Zur Frage der Relevanz von kontrastiver Analyse, Fehleranalyse und Interimsprachenanalyse für den Fremdsprachenunterricht. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 4 , (A. Wierlacher et al., eds.), Heidelberg 1978, 5 6 - 7 5 . K . - R . Bausch, J . Klegraf, W . Wilss, The Science of Translation. An Analytical Bibliography: Vol. I (1962-1969), Tubingen 1970, Vol. II (1970-1971), Tübingen 1972, Vol. I l l (1972-1978) erscheint: Tübingen 1979. D . Bolinger, Transformulation. Structural Translation. In: A L 9, 1966, 130-144. J . C . Catford, A Linguistic Theory of Translation, London 1965. E . Coseriu, Das Phänomen der Sprache und das Daseinsverständnis des heutigen Menschen. In: E. Coseriu, Sprache, Strukturen und Funktionen, Tübingen 1970, 111-136. H . J . Diller und J . Kornelius, Linguistische Probleme der Übersetzung, Tübingen 1978. J . Ellis, Towards a General Comparative Linguistics, The Hague 1966. Μ . A. K. Halliday, Comparison and Translation. In: Μ. A. K . Halliday, A. Mcintosh, P. Strevens, The Linguistic Sciences and Language Teaching, London 1964, 111-134. J . House, A Model for Translation Quality Assessment, Tübingen 1977. R. Jakobson, O n Linguistic Aspects of Translation. In: O n Translation ( R . A. Brewer, ed.), New Y o r k 1966, 232-239. O . Kade, Zufall und Gesetzmäßigkeit in der Übersetzung, Leipzig 1968. F . Kainz, Psychologie der Sprache, Vol. V : Psychologie der Einzelsprachen, Stuttgart 1965. H . Kirchhoff, Psychologische Aspekte des Übersetzens. In: Aspekte der theoretischen, sprachenpaarbezogenen und angewandten Übersetzungswissenschaft I ( W . Wilss und G . Thome, eds.), Heidelberg 1974, 139-144. H.

Kirchhoff, Die Notationssprache als Hilfsmittel des Konsekutivdolmetschens. Vortrag auf der 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik in Mainz 1978 [maschinenschr.].

F . G . Königs, Übersetzung in Theorie und Praxis: Ansatzpunkte für die Konzeption einer Didaktik der Übersetzung. Ruhr-Universität Bochum, Seminar für Sprachlehrforschung, Manuskripte zur Sprachlehrforschung N r . 14, Heidelberg 1979.

802

XI.

Anwendungsbereiche

W. Koller, Grundprobleme der Übersetzungstheorie, Bern 1972. W. Koller, Kritik der Theorie der Übersetzungskritik. In: IRAL 16, 1978, 89-107. Koordinierungsgremium im DFG-Schwerpunkt „Sprachlehrforschung" (ed.). Sprachlehr- und Sprachlernforschung. Eine Zwischenbilanz, Kronberg 1977. A. Malblanc, Stylistique comparee du fran^ais et de l'allemand, Paris 1966. A. Neubert, Theorie und Praxis für die Übersetzungswissenschaft. In: Applied Linguistics. Problems and Solutions, (J. Quistgaard et al., eds.), Heidelberg 1972, 38-60. H . Raabe, Didaktische Translationsgrammatik. In: Beiträge zur Didaktischen Grammatik: Probleme, Beispiele, Perspektiven. (K.-R. Bausch, ed.), Königstein 1979,239-256. K. Reiss, Möglichkeiten und Grenzen der Übersetzungskritik, München 1971. K. Reiss, Texttyp und Übersetzungsmethode, Kronberg 1976. D. Seleskovitch, L'interprete dans les conferences internationales, Paris 1968. D. Seleskovitch, Zur Theorie des Dolmetschens. In: Über-

setzer und Dolmetscher (V. Kapp, ed.), Heidelberg 1974, 37-50. C. R. Taber, Traduire le sens, traduire le style. In: Langages 28, 1972, 55-63. Η . van Hoof, Internationale Bibliographie der Übersetzung, München 1973. J. P. Vinay und J. Darbelnet, Stylistique comparee du franfaisetdel'anglais, Paris 1966. M. Wandruszka, Sprachen vergleichbar und unvergleichlich, München 1969. W. Wilss, Probleme und Perspektiven der Ubersetzungskritik. In: IRAL 12, 1974, 2 3 - m . W. Wilss, Probleme und Perspektiven der Übersetzungsäquivalenz, Trier 1975. W. Wilss, Übersetzungswissenschaft. Probleme und Methoden, Stuttgart 1977. F. J. Zapp, Fremdsprachenpolitik in Europa. Ein Problemaufriß, Brüssel 1979. J. M. Zemb, Le meme et l'autre. Les deux sources de la traduction. In: Langages 28, 1972 , 85-101. J. M. Zemb, Vergleichende Grammatik Deutsch - Französisch, Teil I, Mannheim 1978.

Karl-Richard Bausch, Bochum

98. Maschinelle Sprachübersetzung 1. 2. 3. 4. 5.

Theoretisch-methodische Vorbemerkungen Problemstellung Die MÜ in Vergangenheit und Gegenwart Schwerpunkte künftiger MÜ-Forschung Bibliographie (in Auswahl)

1. Theoretisch-methodische

Vorbemerkungen

1.1. Von systematischen Versuchen auf dem Gebiet der mechanischen oder maschinellen Sprachübersetzung (MÜ) kann man seit etwa 30 Jahren sprechen. Sie sind das Ergebnis einer Vielzahl teils konvergierender, teils interdependenter Faktoren, von denen die folgenden fünf besonders wichtig sind: (a) der Nachkriegstrend zur Logifizierung empirischer Tatbestände; (b) der Terraingewinn der Formalwissenschaften; (c) das Aufkommen der Systemtheorie und der Systemanalyse; (d) die Entwicklung programmgesteuerter Datenverarbeitungsanlagen ; (e) die Finalisierung und Computerisierung der Wissenschaft. 1.2. Als offizieller Auftakt für die MÜ-Forschung gilt ein von Weaver an Wiener, den Begründer der Kybernetik und ,,Vater der Automation", gerichtetes Memorandum aus dem Jahr 1948, in welchem Weaver aus informationstheoretischer Sicht seine Konzeption der MÜ wie folgt darstellt: „ O n e naturally wonders if the problem of translation could conceivably be treated as a problem in cryptography.

When I look at an article in Russian, I say: ,This is really written in English, but it has been coded in some strange symbols. I will now proceed to decode" (Locke/Booth 1955, 18).

Dieser Formulierung vom Wesen des Übersetzungsprozesses liegt die Hypothese zugrunde, daß man natürliche Sprache als einen voll inventarisierbaren, reglementierbaren, quasi-mathematischen C o d e begreifen kann, der maschinell manipulierbar und operationalisierbar ist. Sie hat damit die theoretischen Voraussetzungen für ein neues übersetzungswissenschaftliches „Forschungsparadigma" geschaffen, das mit der anthropozentrischen Anschauung vom Wesen des Übersetzungsprozesses Schluß macht und den Verzicht auf den Menschen als Maßstab aller Dinge mit der systematischen Suche nach Maßstäben kompensiert, die jenseits der subjektiven Einflußnahme auf den Übersetzungsprozeß liegen und auf personenunabhängige Invarianzgegebenheiten fixiert sind. Das Ergebnis dieser Bemühungen sind MÜ-Verfahren, die bei aller Verschiedenheit im methodischen Ansatz die Tatsache verbindet, daß das Übersetzen aus einer Ausgangssprache (AS) in eine Zielsprache (ZS) als spezifische Form mechanisierbarer textoberflächenbezogener Umsetzungsprozesse verstanden wird. Diese Umsetzungsprozesse sind auf die S u b s t i t u t i o n ausgangssprachlicher (as) Zeichenketten durch zielsprachliche (zs) Zeichenketten reduzierbar und können bei entsprechender Programmierung auch von einem Elektronenrechner (ER) routinemäßig ausgeführt werden. Ein gutes Beispiel für die substitutionstheoretische Fundierung des Übersetzungsprozesses ist die

98. Maschinelle Spracbübersetzung deutsche Patentschrift N r . 911187 vom 10.5. 1954, in der R . L. Gourdon „Verfahren und Vorrichtung zur selbsttätigen vollständigen und augenblicklichen Übersetzung von Schriftstücken in verschiedene Sprachen" beschreibt. 2.

Problemstellung

2.1. Mit diesem simplifikatorischen mathematischtechnologischen Denkansatz hat die - bezeichnenderweise von kommunikationstheoretischer und nicht von linguistischer Seite in Gang gesetzte - MÜ-Forschung das Wesen des Übersetzungsvorgangs allerdings gründlich mißverstanden und sich in eine methodische Sackgasse hineinmanövriert, aus der sie erst jetzt allmählich einen Ausweg zu finden beginnt. Ihr Fehler war, daß sie sich nicht konsequent genug mit drei für sie zweifellos recht unbequemen Tatsachen auseinandergesetzt hat: (a) Zwischen den einzelnen natürlichen Sprachen bestehen auf lexikalischem und syntaktischem Gebiet in erheblichem Umfange Strukturverschiedenheiten . (b) Ubersetzen ist eine komplizierte Form der interlingualen Sprachverwendung, die in einer Folge von kontextuell und situativ eingebetteten Förmulierungsprozessen von einem as T e x t zu einem möglichst äquivalenten z s T e x t hinüberführt und die das syntaktische, semantische, textpragmatische und stilistische Verständnis der Textvorlage und eine textadäquate Transferkompetenz des Übersetzers voraussetzt. (c) Auch in genetisch eng verwandten Sprachen sind Substitutionsprozesse (wörtliche Übersetzungsprozeduren) als textadäquate Transferoperationen eher die Ausnahme als die Regel. Deshalb geht die Übersetzungswissenschaft zu Recht davon aus, daß übersetzen weitgehend ein funktionsgesteuerter Prozeß der Kompensation von interlingual nicht identischen Textelementen ist, die der Übersetzer mit Hilfe nichtwörtlicher Übersetzungsprozeduren bewältigen muß. 2.2. Wenn die MÜ-Forschung trotzdem an der Substitutionshypothese festgehalten hat (und auch heute noch, wenngleich in sublimierter F o r m , daran festhält, s . u . ) , so hat dies einen legitimen Grund. Entgegen anderslautenden Behauptungen hat ein E R keine eigenständige Intelligenz, und alle Versuche, ihm durch die Einfütterung k ü n s t l i c h e r I n t e l l i g e n z zu einem intelligenten Verhalten zu verhelfen, sind bisher, zumindest was die M Ü anbelangt, vergeblich gewesen. Jede Art von T e x t v e r s t ä n d n i s ist, wie Klein gezeigt hat (1977), an das Vorhandensein von Vorwissen auf drei Ebenen, Weltwissen, Situationswissen und Textwissen, gebunden. In jedem Text, zumindest in solchen, die auf eine Verständigung zwischen Textsender und Textempfänger über

803

einen pragmatischen Sachverhalt abzielen, wird ein bestimmtes Maß solchen Vorwissens stillschweigend vorausgesetzt. Dies ist die Erklärung dafür, daß in vielen Texten mehr gemeint ist als tatsächlich gesagt wird. Deshalb hat Bartsch zu Recht auf die „gegenläufige Tendenz von ökonomischer, d . h . kurzer und in diesem Sinne einfacher Oberflächenform (einerseits) [ . . . ] und perzeptueller Komplexität andererseits" (1973, 17) hingewiesen. Es ist daher einleuchtend, daß der E R bei der as T e x t a n a l y s e vor einer ungleich schwierigeren Situation steht als der Humanübersetzer. Während letzterer mit Hilfe der kombinatorischen Kraft seines Intellekts und durch Rückgriff auf außerlinguistische Informationen das logische Substrat der einzelnen as Textsegmente ermittelt, entbehrt der E R einer vergleichbaren kognitiven Strategie, die einen kohärenten Zusammenhang von Textverstehen und Applikation des Verstandenen im Übersetzungsprozeß gewährleistet. Es ist - zumindest derzeit - unmöglich, dem E R eine kreative Textverarbeitungskompetenz zu vermitteln, die über vorausgesetzte Textbedeutung extensional operiert. Daher ist für ihn die Möglichkeit blockiert, die im Text vorgefundenen Informationen reflexiv zu verarbeiten und durch Vergleich mit gespeichertem Wissen über ähnliche Sachverhalte auf ihre Kompatibilität hin zu überprüfen. An die Stelle der durch hermeneutisches oder kognitives oder assoziationspsychologisches Vorverständnis abgesicherten Plausibilitätsüberlegungen tritt bei der M Ü das P r o g r a m m , das durch Ausschöpfung aller an der Textoberfläche ablesbaren (textinternen) Informationen die gestellte Aufgabe auf prozeßzyklischem, quasi-dynamischem Weg zu bewältigen versucht. Die von der MÜ-Forschung bisher praktizierten Methoden sind dabei nur in dem Maße leistungsfähig, wie syntaktisch explizite Relationen eine genaue Widerspiegelung semantischer Abhängigkeitsbeziehungen darstellen, anders ausgedrückt, wie s e m a n t i s c h e S y n t a x u n d f o r m a l e S y n t a x k o e x t e n s i o n a l sind. 2.3. Verschärft wird die Situation zuungunsten des E R durch die Tatsache, daß es zwischen der Funktionsweise des menschlichen Gehirns und der Funktionsweise des E R „keine Identitäts-, sondern allenfalls Analogiebeziehungen gibt" (Wilss 1977, 299). Im Gegensatz zum Menschen hat der E R kein Bewußtsein. Er ist gleichsam ein „Anti-Sokrates": Er weiß nicht, daß er etwas weiß. Der E R hat kein „Gedächtnis" in der anthropomorphen Bedeutung dieses Wortes. Damit besitzt der Mensch einen so riesigen Informationsvorsprung, daß von einer strukturellen Konvergenz zwischen der Übersetzungstätigkeit des Menschen und maschinentranslatorischen Prozeduren nicht die Rede sein kann. Obwohl über die neuronalen Steuerungsvorgänge bei der

804

XI. Anwendungsbereiche

Informationsverarbeitung durch den Menschen bisher verhältnismäßig wenig bekannt ist, besteht kein Zweifel, daß das menschliche Gehirn ein kompliziertes, dem Binär-Prinzip des E R weit überlegenes „Verdrahtungssystem" besitzt, das trotz der mit Lichtgeschwindigkeit ablaufenden maschinellen Rechenoperationen schneller und ökonomischer arbeitet als ein E R . 2.4. Auch in anderer Hinsicht sind Denktätigkeit des Menschen und maschinelle Funktionsabläufe strukturverschieden. Dies hängt damit zusammen, d a ß d i e H u m a n ü b e r s e t z u n g ( H Ü ) heuristisch organisiert ist, d.h. der Übersetzer versucht, durch eine Reihe von plausiblen Zügen und Gegenzügen unter Einschluß von „qualitativen Sprüngen" in Form einer funktionellen Integration syntagmatischer und paradigmatischer Operationen sein Ziel zu erreichen. Die M O ist dagegen algorithmisch strukturiert; der Weg zur Lösung eines Problems ist grundsätzlich durch das Programm, d.h. durch eine Folge von ein für allemal festgelegten oder von Fall zu Fall neu festzulegenden Maschinenprozeduren vorgegeben. Alle im Programm überhaupt möglichen Lösungswege werden systematisch durchprobiert, bis sich ein „match" (Deckungsgleichheit) zwischen Input und den im E R gespeicherten Informationen ergibt oder der E R im Output „Fehlanzeige" signalisieren muß. Damit ist gemeint, daß der E R im Rahmen eines k y b e r n e t i s c h e n A b l a u f m o d e l l s vorgeschriebene, geordnete Rechenoperationen ausführt. Er arbeitet auf diese Weise die im Programm eingegebenen Instruktionssequenzen nacheinander ab. Im Gegensatz dazu ist der Mensch, wie u. a. Miller et al. (1960) gezeigt haben, so organisiert, daß er mit Hilfe der problemlösenden Reflexionskraft seines Geistes komplexe Sinneinheiten syntaktisch und semantisch simultan erfassen, aktiv ordnen und umordnen und textadäquat deuten kann. Er kann also schöpferische, „innovatorische" und nicht nur programmhaft vorgespurte Denkoperationen vollbringen. Daraus folgt, daß der Mensch in seiner imaginativen Denkfähigkeit für den ER uneinholbar ist. Aus diesem Grund ist die Vorstellung einer echten Mensch-Maschine-Symbiose letztlich falsch. Sie verschleiert die Tatsache, daß sich der Mensch, will er mit einem ER „zusammenleben", kompromißlos an dessen Funktionsweise anpassen muß. Der Mensch muß lernen, so zu „denken" wie die Maschine „denkt". Jeder sprachliche Zusammenhang, der maschinell übersetzt werden soll, muß in eine Folge von logischen Elementaroperationen aufgelöst werden, die durch die beiden möglichen Aktionszustände Strom/kein Strom, Kontakt geschlossen/Kontakt offen als Ja/NeinEntscheidungen dargestellt werden können. Dies ist vorerst - vermutlich sogar auf lange Sicht allenfalls bei syntaktisch und semantisch ganz

einfachen, interlingual weithin isomorphen und absolut eindeutigen sprachlichen Äußerungen der Fall. Aber so ideale Transferbedingungen sind im Bereich sprachlicher Kommunikation, auch im Bereich syntaktisch und lexikalisch restriktiver fachsprachlicher Kommunikation, nur selten anzutreffen. Wo solche Bedingungen textuell nicht gegeben sind, muß man sie, will man trotzdem maschinell übersetzen, ex post herstellen. Ein möglicher Weg ist hier die R ü c k t r a n s f o r m a t i o n syntaktisch und semantisch komplexer Satzgebilde in eine Folge von Kernsätzen oder kernsatznahen Fügungen (,,near-kernels", Nida/ Taber 1969) mit maschinell möglichst komplikationslosen , ,Predicate/Argument"-Strukturen oder ,,Subject/Predicate/Object/(Adjunct)"Strukturen. 2.5. Die MÜ-Forschung befindet sich bei der Herstellung solcher Bedingungen in mehr als einer Hinsicht in einer Aporie: (a) Natürliche Sprache hat im Gegensatz zu den künstlichen Sprachen (Programmiersprachen) nur eine begrenzte technologische Rationalität und Standardität. Sie weist eine Reihe von „Störfaktoren" auf, die ihre Digitalisierung erheblich erschweren (und in bestimmten Textbereichen unmöglich machen). Dazu gehören Eigenschaften wie Variabilitätsorientiertheit, Kontextualität, Polysemie, Homonymie, thematisch-logische Sprunghaftigkeit, Implizität, Asymmetrie von Form und Funktion usw. . . . Natürliche Sprache ist also mit formallogischen Mitteln nur unvollständig zu erfassen. (b) Der Computer besitzt kein integriertes Wirklichkeitsmodell. Seine Aufgabe heißt also streng genommen Sinntransfer ohne Sinnerfassung. Dies zwingt zur Explizitisierung aller syntaktischen und semantischen Abhängigkeitsbeziehungen einer sprachlichen Äußerung und zur Zusammenfassung solcher explizit gemachten Abhängigkeitsbeziehungen in algorithmischer Form. Denn programmieren kann man nur sprachinterne, intersubjektiv gültige Regeln und Anweisungen zur Operationalisierung solcher Regeln. Textanalyse durch den Menschen und maschinelle Textanalyse sind insofern prinzipiell verschieden, als die Maschine sich auf einen innersprachlichen Textzugriff beschränken muß, während der Mensch die Möglichkeit eines kombinierten innersprachlich-außersprachlichen Textzugriffs hat (Ljudskanov 1975, 7). 3. Die MÜ in Vergangenheit und Gegenwart 3.1. Von systematischer MÜ-Forschung kann man, wie eingangs festgestellt, seit etwa drei Jahrzehnten sprechen. Vorarbeiten und Vorüberlegungen dazu hat es allerdings auch schon früher gegeben (Wolters 1969). Die Chancen der M Ü

98. Maschinelle Sprachübersetzung sind von Anfang an unterschiedlich beurteilt worden, und auch heute noch ist der Nutzeffekt der von ihr erzielten bzw. erzielbaren Ergebnisse stark umstritten. So vertrat beispielsweise Bar-Hillel, einer der Pioniere auf dem MÜ-Gebiet, noch Anfang der 70er Jahre die Ansicht, daß derzeit ein Text nur zu etwa 35 bis 40% maschinell übersetzbar ist und daß die Erfolgsquote in den nächsten Jahren allenfalls um 15% heraufgesetzt werden könne (Lehmann/Stachowitz 1971, 35). Demgegenüber hielt Zarechnak damals einen maschinell erzeugten Output von 80% für realistisch (Lehmann/Stachowitz 1971, 35). Allerdings ist bei seinen Berechnungen der reine Informationswert für den Fachmann ( „ i n f o r m a t i v e n e s s " ) maßgebend, während Bar-Hillel außerdem eine stilistische Aufbereitung des zs Textes durch die Maschine ( „ r e a d a b i l i t y " ) fordert. Selbst wenn man Zarechnaks Bemessungsgrundlage akzeptiert, bleibt eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem von ihm prognostizierten Prozentsatz und dem in der MÜ-Literatur immer wieder als realistische Zielvorstellung genannten Wert von 95%. 3.2. Wie immer man zu solchen - texttypologisch und nach dem Schwierigkeitsgrad eines Textes - ziemlich undifferenzierten Zahlenangaben steht, so ist sicher, daß die MÜ-Forschung die hochgeschraubten Erwartungen, die vor allem in den 50er Jahren in sie gesetzt wurden, nicht erfüllt hat, genauer gesagt, nicht hat erfüllen können. Die Erklärung dafür ist, wie gesagt, daß man die mit der maschinellen Verarbeitung natürlicher Sprachen verbundene psycholinguistisch-kommunikative Problematik erheblich unterschätzt hat. Diese Sachlage ist vermutlich nicht nur auf die - bei jedem neuen Forschungsparadigma zwangsläufig auftretenden - methodischen Orientierungsprobleme und die theoretischen Fundierungsprobleme zurückzuführen. Ein weiterer Einflußfaktor war vermutlich das Aufkommen der Generativen Transformationsgrammatik (GTG). Chomsky begreift Sprache als eine Maschine, die es dem Menschen gestattet, grammatisch wohlgeformte Sätze zu produzieren und zu interpretieren. Hinter dieser Grammatikkonzeption mit ihrem abstrakten Entweder/Oder-Prinzip steht das rigoristische Funktionsprinzip des ER. Es war naheliegend, die Erkenntnisse der GTG für die Lösung der theoretischen und methodischen Probleme der M Ü fruchtbar zu machen. Aber es hat sich inzwischen gezeigt, daß man für die M Ü den GTG-Ansatz modifizieren und durch andere, semantisch orientierte theoretische Modelle ergänzen muß (s. u.). 3.3. Nach anfänglicher Euphorie ist es um die M Ü zu Beginn der 60er Jahre verhältnismäßig still geworden (Josselson 1971). Offenbar gab die Entwicklung jenen Skeptikern recht, die schon immer an der Praktikabilität der M Ü Zweifel

805

geäußert hatten. Man erinnert sich in diesem Zusammenhang an Bar-Hillels Äußerungen Anfang der 60er Jahre (1960/1964). Diese haben deswegen besonderes Gewicht, weil hier ein Mann Stellung bezog, der nicht aus einer „Mathematophobie" heraus die Reduzierung übersetzerischer Tätigkeit auf programmgesteuerte Rechenoperationen für unmöglich erklärte, sondern aufgrund rationaler Überlegungen zu dem Ergebnis gekommen war, daß die Tätigkeit des Übersetzens an Voraussetzungen gebunden ist, die kumulativ einen solchen Komplexitätsgrad erreichen, daß die Leistungsfähigkeit eines ER auch bei optimaler Programmierung und Ausnutzung aller textimmanenten , , C u e s " weit überfordert ist. 3.4. Bar-Hillels radikaler Agnostizismus hat damals eine neue Diskussionsphase auf dem M Ü Gebiet eingeleitet, die im ALPAC-Bericht (Nat. Academy of Sciences 1966) ihren Höhepunkt gefunden hat. Dieser dokumentiert in einer zwar vordergründig richtigen, gleichzeitig aber auch kurzschlüssigen Weise die mißliche Lage der M Ü Forschung: Sie konnte, obwohl man in den USA bis dahin bereits erhebliche finanzielle Mittel in MÜ-Projekte investiert hatte, noch keine verbindliche Aussage über die theoretischen und methodischen Grundlagen ihrer Arbeit und überprüfbare Angaben über die Erfolgsaussichten ihrer Forschung machen. 3.5. So desillusionierend der ALPAC-Bericht zunächst gewesen ist, so hat er doch — und zwar nicht nur in den U S A , sondern auch in anderen Ländern - eine heilsame Wirkung gehabt. Er hat klargestellt, daß kurzfristig brauchbare M Ü Resultate nicht erzwingbar sind, wenn man unter M Ü das versteht, was Bar-Hillel mit , , F u l l y Automatic High-Quality Translation" ( F A H Q T ) bezeichnet hat, d . h . ein maschinelles Verfahren, das ohne Vor- und/oder Nachredaktion der vom ER herzustellenden bzw. hergestellten Übersetzung auskommt. Der ALPAC-Bericht hat damit zu einer methodischen Neuorientierung der M Ü beigetragen, die durch ein deutliches Zurückschrauben der gesteckten Ziele gekennzeichnet ist. Dies äußert sich auf verschiedene Weise: (a) einmal in verstärkten Bemühungen um die Entwicklung von a u t o m a t i s c h e n Ü b e r s e t z u n g s h i l f e n (,,machine-aided translation") (Krollmann 1971; Schulz 1976; Tanke 1971); (b) in der programmatischen Beschränkung von MÜ-Vorhaben auf Teilsprachen oder Teilsyntaxen (Brockhaus 1971); (c) im Trend zur Verfeinerung der automatischen Syntax-Analyse. Hinter diesen Perspektivenverkürzungen steckt die Erkenntnis, daß eine vollständige Identifizierung und Disambiguierung der in einem as Text enthaltenen inner- und außersprachlichen Informationen für Erfolg oder Nichterfolg der M Ü

806

XI.

Anwendungsbereiche

entscheidende Bedeutung hat. Damit besaß die M Ü - F o r s c h u n g ein neues Problembewußtsein, das Bar-Hille] bei einer M Ü - K o n f e r e n z 1971 folgendermaßen formulierte: „ I t seems then, that we have turned full circle in M T research and are now approximately back where we started some nineteen years ago. M T will probably have to rely on language-dependent strategies rather than on some highly developed theories, but it is quite clear that the detour has enormously

helped to clarify the issue, has dispelled

any

Utopian hopes so that we are now in a much better position to attack this problem afresh" (1971, 75; vgl. auch Vauquois 1976).

3 . 6 . D i e Reaktivierung der M Ü - F o r s c h u n g ließ nicht lange auf sich warten. Sie dokumentiert sich in einer Vielzahl neuer und in der Wiederaufnahme alter, nach dem A L P A C - R e p o r t stillgelegter oder nur noch „unterirdisch" fortgeführter M Ü - P r o j e k t e . Umfassende Auskunft über die Entwicklung der M Ü - F o r s c h u n g in den 70er Jahren gibt Bruderer (1978; mit umfangreicher Bibliographie). Uberprüft man den gegenwärtigen Stand der M Ü - F o r s c h u n g auf generelle, einzelprojekt-übergreifende Entwicklungstendenzen, so kann man drei Perspektiven feststellen: (a) Die M Ü - F o r s c h u n g ist primär empirisch, sprachenpaarbezogen, irreversibel, d. h. von einer spezifischen AS zu einer spezifischen ZS hin, orientiert; dabei steht, wie angedeutet, die as Analyse im Mittelpunkt des Forschungsinteresses, weil diese für die M Ü wesentlich mehr Probleme aufwirft als für die H Ü . Dies rührt daher, daß der E R nur auf ein „formallinguistisches" Textverständnis rekurrieren kann (Ljudskanov 1972). Die M Ü - F o r s c h u n g muß also die von Yngve apostrophierte „semantic barrier" (1967, 5 0 0 f f . ) dadurch zu überwinden suchen, daß sie dem E R im Rahmen der Analyse pro Texteinheit so viele Informationen zur Verfügung stellt wie notwendig sind, um den interlingualen Transfer gleichsam auf „de-intellektualisierter" Basis in Gang zu setzen. Die „semantic barrier" zeigt sich z . B . in der Oberflächenähnlichkeit von tiefenstrukturell völlig verschiedenen Sätzen, ein Phänomen, auf das neben C h o m s k y auch Rutherford (1968) hingewiesen hat. Ein anderes Problem ist die „ P o l y syntaktizität" (Agricola 1968) von Satzstrukturen; dabei zeigt sich, daß für jedes Sprachenpaar sprachenpaarspezifische Analyseprozeduren entwikkelt und operationalisiert werden müssen. (b) D i e Empirisierung der M Ü - F o r s c h u n g hat auch ein verstärktes M Ü - E n g a g e m e n t in der Wirtschaft ausgelöst ( z . B . Logos und Systran in den U S A , Titus in Frankreich, I D S der Bundesanstalt für Straßenwesen, Köln). Neuerdings zeigt auch die E G verstärktes Interesse an der Nutzbarmachung der M Ü . D e r Anlaß hierfür ist für die E G - B e h ö r d e n von höchster Aktualität. Die Auf-

stockung der EG-Amtssprachen von bisher vier auf sechs und die demnächst durch den zu erwartenden Beitritt von Spanien, Portugal und Griechenland notwendige zweite Aufstockung von sechs auf neun EG-Amtssprachen stellen die E G Behörden, wenn sie bei ihrer egalitären Sprachenpolitik bleiben wollen, vor konventionell unlösbare Kommunikationsprobleme. Die E G hat deshalb - an das einige Jahre in eigener Regie in Ispra betriebene, aber dann aufgegebene M Ü Projekt und die Arbeit der 1974 gegründeten europäischen MÜ-Interessengemeinschaft Leibniz anknüpfend - einen Aktionsplan zur Verbesserung der Informationsübertragung zwischen den einzelnen Sprachen entwickelt. Dazu gehören einmal die Einsetzung eines M Ü - B e i rats ( C E C I L ) , zum anderen die Uberprüfung von Systran auf seine EG-Brauchbarkeit, ferner die Konzeption eines europäischen M Ü - S y s t e m s , das gemeinsam von den in Westeuropa einschließlich der B R D zur Zeit aktiven MÜ-Forschungsgruppen entwickelt werden soll (hauptsächlich Saarbrücken, Grenoble, Manchester und Pisa), und schließlich der E G - K o n g r e ß „ D i e Überwindung der Sprachenbarrieren" in Luxemburg (Kommiss, der E G 1977). (c) Im Zuge der Wiederbelebung der M Ü - F o r schung ist eine deutliche Differenzierung der mit der M U verbundenen Zielvorstellungen erkennbar. Neben das Postulat der „ F A H Q T " , in der letztlich alle Arbeitsgänge maschinell erledigt werden sollen ( z . B . bei M E T A L S , Austin, und im Sonderforschungsbereich 99 in Heidelberg/Konstanz und langfristig auch in Saarbrücken), tritt das Postulat der „ g o o d e n o u g h t r a n s l a t i o n " ; es soll in Form einer M e n s c h - M a s c h i n e - I n t e r a k t i o n und einem von Projekt zu Projekt unterschiedlichen, aber in jedem Falle erheblichen M a ß an menschlicher V o r - und/oder Nachredaktion praktiziert werden. F ü r diese Zielvorstellung bürgert sich neuerdings die Bezeichnung „ m a s c h i n e l l e V o r Ü b e r s e t z u n g " ein. Bei der Entscheidung für die eine oder andere Zielvorstellung bilden die vier Kriterien Geschwindigkeit, Kosten, Qualität, Adressatenbezug eine wichtige Rolle. Es ist nicht ausgeschlossen, sondern zumindest vorläufig durchaus wahrscheinlich, daß M Ü Projekte mit der Zielvorstellung der „ g o o d enough translation", die kurzfristig zur Verfügung steht, für die Gewährleistung eines Minimums an Kontinuität in der interlingualen K o m munikation wichtiger sind als M Ü - P r o j e k t e , die am Prinzip der „ F A H Q T " festhalten. F o r schungspolitisch gesehen ist es sicher kein Zufall, daß die , , F A H Q T " - o r i e n t i e r t e n Projekte primär an den Universitäten angesiedelt sind und eher zur langfristig geplanten MU-Grundlagenforschung tendieren, während die außeruniversitären Projekte eher anwendungsorientiert sind und hoffen,

98. Maschinelle Sprachübersetzung ihr Ziel der „good enough translation" in einem absehbaren Zeitraum verwirklichen und kommerziell verwerten zu können. 3.7. Bei der Entscheidung einer für die M Ü geeigneten Methodologie kann man prinzipiell zwischen zwei Möglichkeiten wählen. Man kann versuchen, sein Ziel ohne Rückgriff auf ein sprachtheoretisches Modell zu erreichen; dieser Ansatz ist für die erste MÜ-Generation charakteristisch; sie beschränkt sich im wesentlichen auf einen Minimaltransfer im Rahmen einer Wort-fürWort-Übersetzung, allenfalls ergänzt durch ein rudimentäres syntagmatisches/syntaktisches U m ordnungsprogramm auf der Basis einer Phrasenstrukturgrammatik. Die andere Möglichkeit ist, die M Ü durch den Rückgriff auf formale oder formalisierbare sprachtheoretische Modelle zu fundieren und dadurch gewissermaßen das dem E R fehlende Verbalverständnis (im Sinne von de Saussures „faculte de langage" und Chomskys „Language Acquisition Device") so gut es geht zu kompensieren. Diese Art sprachtheoretischer Fundierung praktizieren heute fast alle M Ü - P r o jekte. Dabei kann man zwischen einer syntaktischen Fundierung (zweite MÜ-Generation), einer syntaktischen und semantischen Fundierung (dritte MÜ-Generation) und Verfahren zur Ankoppelung der M Ü an die Forschung auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz (vierte M Ü Generation: Zukunftsmusik!) (Dietrich/Klein 1974, Lenders 1975) unterscheiden. So stellt beispielsweise T A U M (Montreal) eine Verbindung von G T G und Kasusgrammatik her; Brigham Young University arbeitet mit einer „Junction Grammar", und Saarbrücken hat sich für eine Kombination aus G T G und Valenzgrammatik ( V G ) entschieden (Bruderer 1978). Für die Nutzbarmachung der G T G spricht, daß ihr methodisches Grundprinzip die Binarität ist. Die Nutzbarmachung der V G für die Zwecke der M Ü beruht auf dem Umstand, daß die V G verbzentriert ist. Sie versucht, den Satz als eine Konfiguration von syntaktischen und semantischen Konnexionen zu beschreiben. Die V G kann damit syntaktische und semantische Abhängigkeitsbeziehungen im Satz so explizit machen, daß sie maschinell im Rahmen einer automatischen Satzanalyse weiterverarbeitet werden können. Dies setzt allerdings voraus, daß die das Valenzwörterbuch konstituierenden Lexikoneinträge (und natürlich auch alle anderen Lexikoneinträge) syntagmatisch organisiert sind, d. h. sie müssen für die Verben alle valenzspezifischen Informationen einschließlich der für das Erkennen von infiniten Verbkonstruktionen und Nominalisierungen notwendigen Zusatzinformationen enthalten.

4. Schwerpunkte

künftiger

807

MÜ-Forschung

4.1. Inwieweit solche Informationen tatsächlich zur Kompensation des dem E R fehlenden Verbalverständnisses beitragen können, ist eine Frage, auf die nur auf experimentellem Weg eine Antwort zu gewinnen sein wird. Noch ist die M Ü - F o r schung - wie die gesamte Übersetzungswissenschaft - von einer umfassenden Theorie der kommunikativen Steuerung von Übersetzungsprozeduren weit entfernt, und der Versuch von Dodd (1955; vgl. auch Sparck, Jones/Kay 1976), die komplexe Problematik der MÜ-Forschung durch die Einführung einer n o r m a t i v e n S t a n d a r d s p r a c h e zu entschärfen, ist angesichts des großen Beharrungsvermögens der einzelnen Nationalsprachen erwartungsgemäß ohne Widerhall geblieben. 4.2. Die weitere Entwicklung der M Ü hängt also davon ab, ob man interlinguale Kommunikation mit Hilfe alphanumerischer Rechenoperationen in dem erforderlichen Minimalumfang kalkülisieren kann. U m die Mechanisierung des Ubersetzungsprozesses zu erreichen, sind maschinelle Programme erforderlich, die so beschaffen sein müssen, daß sie die asymmetrische Zuordnung von Zeichen und Funktion in der Sprache ausgleichen können und interlingual zu paradigmatisierten Äquivalenzbeziehungen gelangen. Dies bedeutet in großem Umfange zeitaufwendige, empirische, sprachenpaarbezogene Detailforschung (hier berührt sich die MÜ-Forschung mit den Bemühungen der anwendungsorientierten Übersetzungswissenschaft um die Ermittlung von Übersetzungsparadigmata zur Optimalisierung der Lehr- und Lernbarheit des Ubersetzens). Ein weiteres Problem ist die Umsetzung der gewonnenen Ergebnisse in ein maschinenoperables Programm, das so organisiert sein muß, daß die rasche Abrufbarkeit der eingespeicherten Daten gewährleistet ist („retrieval problem"). 4.3. Dabei ist eine Beschränkung auf f a c h s p r a c h l i c h e T e x t e notwendig. Fachsprachliche Texte - diese Texte hier verstanden als Oberbegriff für darstellungsorientierte Textsorten sind stärker normiert als andere Textsorten, ζ. B. im Bereich literarischer und auch werbesprachlicher Kommunikation. Die Produktions- und Rezeptionsbedingungen fachsprachlicher Texte sind primär objektorientiert und damit im Hinblick auf ihre konstitutiven Merkmale zumindest tendenziell sender- und empfängerunabhängig. Fachsprachliche Texte zielen auf die Beschreibung und Erklärung von wissenschaftlichen und technologischen Sachverhalten; sie enthalten wegen ihrer prinzipiellen Subjekt/Objekt-Trennung auf lexikalischer und syntaktischer Sprachebene konventionalisierte Textelemente (Textmodulen). So gesehen weisen fachsprachliche Texte ein spezi-

808

XI. Anwendungsbereiche

fisches kommunikatives Kalkül auf, das auf bestimmten Textkonstitutionsregeln beruht. Diese Konstitutionsregeln sind nicht nur eine wichtige Voraussetzung für die Normierung von interlingualen Transferprozeduren und die Ermittlung von interlingualen Standardäquivalenten im Bereich der H Ü ; sie spielen zweifellos auch bei der Entwicklung von Computerprogrammen für einen qualitativ einigermaßen zulänglichen maschinellen Transfer eine wichtige Rolle.

5. Bibliographie

(in Auswahl)

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99. Computerlinguistik 1. 2. 3. 4. 5.

Linguistik und Datenverarbeitung Maschinelle Sprachanalyse Bearbeitung großer Datenmengen Mensch - Maschine - Kommunikation Bibliographie (in Auswahl)

1. Linguistik und

Datenverarbeitung

Die Computerlinguistik (linguistische Datenverarbeitung, automatische Sprachbearbeitung) (im folgenden CL) wird je nach Standpunkt und Abgrenzung des Objektbereiches als Zweig der angewandten Informatik (Hays 1967), als Zweig der angewandten Linguistik (Bott 1970, ALPACReport, Systematik des vorliegenden Lexikons),

Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Hg.), Die Uberwindung der Sprachbarrieren. 2 Bde. München 1977. P. Krollmann, Linguistic data banks and the technical translator. In: Meta 16. 1971, 117-124. W . P. Lehmann/R. Stachowitz (Hg.), Feasibility Study of Fully Automatic High Quality Translation. 2 Bde. University of Texas 1971. W . Lenders, Semantische und argumentative Textdeskription. Hamburg 1975. A. Ljudskanov, Mensch und Maschine als Übersetzer. Aus dem Bulgarischen übers, v. G . Jäger und H . Walter. München 1972. A. Ljudskanov, A Semiotic Approach to the Theory of Translation. In: Lgs 35. 1975, 5 - 8 . N . W . Locke/A. D . Booth (Hg.), Machine Translation of Languages. New York 1955. G . A. Miller et al., Plans and Structure of Behavior. New York 1960. National Academy of Sciences, National Research Council (Hg.), Languages and Machines. Computers in Translation and Linguistics ( A L P A C - R e p o r t ) . Washington D . C . 1966. E . A . Nida/C. R . Taber, The Theory and Practice of Translation. Leiden 1969. W . E . Rutherford, Deep and Surface Structure, and the Language Drill. In: T E S O L Quarterly II. 1968, 7 1 - 7 9 . J . Schulz, Automatische Abfrage einer TerminologieDatenbank. In: N D 27. 1976, 3 - 7 . K . Sparck J o n e s / M . Kay, Linguistik und Informationswissenschaft. Aus dem Englischen übers, v. E. Couper und R . Kuhlen. München 1976. E . Tanke, Das aktuelle Wörterbuch aus der Datenbank. In: D D r 38. 1971, 1-7. B . Vauquois, Automatic Translation - A Survey of Different Approaches. In: Statistical Methods in Linguistics 1976, 127-135. W . Wilss, Übersetzungswissenschaft. Probleme und Methoden. Stuttgart 1977. Μ . F. Wolters (Hg.), Der Schlüssel zum Computer. Einführung in die elektronische Datenverarbeitung. Düsseldorf 1969. Η . V. Yngve, M T at Μ . L T . 1965. In: Machine Translation, 4 5 1 - 5 2 3 , s. A. D . B o o t h .

Wolfram Wilss,

Saarbrücken

als Abkömmling der kognitiven Psychologie (Wilks 1972), als Teildisziplin der Kommunikationswissenschaft (Ungeheuer 1971) oder aber pragmatisch als Menge der Aktivitäten verstanden, die sich mit Linguistik und Datenverarbeitung oder Sprache und Datenverarbeitung befassen und damit eher durch Äußerlichkeiten als durch systematische Gegebenheiten zu einer Einheit werden (Dietrich/Klein 1974, vgl. die Diskussion in Bätori 1977). Versucht man, das Feld über das Verhältnis von Linguistik und Computerwissenschaft (Informatik) zu erfassen, so ergibt sich folgendes Bild. Insbesondere in den 50er und frühen 60er Jahren haben sich Linguistik und Informatik teilweise gemeinsam entwickelt. Die Entwicklung von z.T.

99. Computerlinguistik sehr komplexen formalen Sprachen zur Erfassung von Problemen aus den verschiedenen Wissenschaften (Programmiersprachen) und von Algorithmen zu ihrer Analyse und Synthese sowie zur Übersetzung zwischen formalen Sprachen ging Hand in Hand mit der Entfaltung der algebraischen Linguistik, als deren Abkömmlinge die verbreitetsten Grammatikmodelle der neueren Sprachwissenschaft zu gelten haben (Floyd 1964). Vielfältig ist der Einfluß, den die linguistische Datenverarbeitung selbst auf die Entwicklung der Sprachwissenschaft nehmen kann. Diskutiert wurde ζ. B. eine Mechanisierung oder Teilmechanisierung des linguistischen Forschungsprozesses (Karlgren/Brodda 1976). Das Testen und Vergleichen von umfangreichen und damit unübersichtlichen Grammatiken auf Adäquatheit und Konsistenz, aber auch auf Einfachheit und Effektivität der Verarbeitbarkeit hin ist erklärtes Ziel vieler Analyseprogramme seit den 60er Jahren (Londe/ Schoene 1968, Friedman 1971, vgl. auch Pause 1976). Ein etwas anderer Aspekt steht im Vordergrund, wenn die Datenverarbeitung benutzt wird, um große Materialmengen zu sortieren und auszuwerten, wie sie etwa in der Lexikographie anfallen (Josselson 1967). In allen diesen Fällen wird die Datenverarbeitung im Grundsatz für die Linguistik nicht anders eingesetzt, als sie für andere Wissenschaften auch eingesetzt werden kann. Schließlich hat die CL der Sprachwissenschaft zu theoretischen Impulsen verholfen, insbesondere aufgrund von Erfahrungen in den Bereichen maschinelle Syntaxanalyse (2) und künstliche Intelligenz (4). Gliedert man das Feld in Aufgabenoder Anwendungsbereiche, die die Bearbeitung von Sprache mit Hilfe von Rechenmaschinen betreffen, so stellt sich heraus, daß die Linguistik nur zum Teil eine Rolle für die Computerlinguistik spielt. Während in manchen Bereichen, namentlich der maschinellen Übersetzung (vgl. Art. 98), Fortschritte augenblicklich nur erzielbar erscheinen, wenn linguistische Erkenntnisse berücksichtigt werden (Josselson 1971, Stachowitz 1973), ist der Nutzen der Linguistik in anderen Bereichen, etwa bei den Informationswissenschaften, unklar (Sparck Jones/Kay 1976) oder, wie bei den Sprachverstehensmodellen der künstlichen Intelligenz, nach wie vor umstritten (Computational Semantics, Eisenberg 1976). Die folgenden Abschnitte beschäftigen sich mit der ausdrücklich linguistisch fundierten Bearbeitung von Sprachmaterial mit Hilfe von Computern (2), mit der Bearbeitung von Sprachmaterial, bei dem der quantitative Aspekt im Vordergrund steht (3) und mit der teilweise über linguistische Konzeptionen hinausgehenden Sprachbearbeitung im Rahmen der Mensch-Maschine-Kommunikation (4). Eine gut lesbare Ubersicht zur Computerlin-

809

guistik ist Dietrich/Klein 1974, einen Literaturbericht gibt Straßner 1977. Der Stand wichtiger Aktivitäten in der Bundesrepublik und der Schweiz ist in ,Kolloquium zur Lage [ . . . ] ' dokumentiert. 2. Maschinelle

Sprachanalyse

Unter maschineller Sprachanalyse wird meist der an der Wissenschaftssystematik der Linguistik orientierte Zweig der CL verstanden („Linguistik mit dem Computer"). Die maschinelle Sprachanalyse bemüht sich also darum, die Ergebnisse linguistischer Arbeit „auf den Computer zu bringen". Deshalb ist es auch nicht möglich, eine allgemeine Zielsetzung für die maschinelle Sprachanalyse anzugeben. Im phonetisch-phonologischen Bereich sind vor allem Arbeiten zu nennen, die sich mit der Überführung von akustisch gegebenen Sprachsignalen in phonetische, phonologische (oder auch graphematische) Repräsentationen beschäftigen, die also ein kontinuierliches Signal in eine Folge von diskreten Signalen umsetzen (automatische Spracherkennung, IKP 1971, Speech Communication) und damit die Voraussetzung für die eigentliche Sprachverarbeitung auf Digitalrechnern schaffen. Obwohl das Ziel der automatischen Spracherkennung eine Analyse auf der Ebene der Lautsegmente ist, ist sie praktisch nicht ohne Information von höheren Beschreibungsebenen (lexikalisch-syntaktisch und semantisch) durchzuführen. Arbeiten zur Computermorphologie haben meist nicht die Realisierung isolierter morphologischer Analyse- und Synthesealgorithmen zum Ziel, sondern sind morphosyntaktisch motiviert. Entweder in dem Sinne, daß die Flexionsmorphologie als Voraussetzung zur syntaktischen Analyse (Kongruenz und Rektion) betrieben wird (IdS 1974) oder in dem, daß im Bereich der Derivationsmorphologie mit tiefenstrukturellen Analysen gearbeitet wird (vgl. Höppner 1978). Als ein besonderer Zweig der maschinellen morphologischen Analyse kann die automatische Lemmatisierung (Zuordnung von Wortformen aus Texten zu ihren Lemmata) angesehen werden (vgl. 3.2.). In der Computerlinguistik hat es relativ wenige Entwürfe von Systemen zur linguistischen Semantik gegeben. Beispiele sind Friedman 1973 und Dietrich 1973 für Analysen im Sinne der Kasusgrammatik, Stachowitz 1973 für die Verwendung einer Katz/Fodor-Semantik und neuerdings (nachdem es bereits in den 60er Jahren eine von der Linguistik weitgehend unabhängige Logikphase in der automatischen Sprachbearbeitung gegeben hatte) etwa Habel/Schmidt 1978 und Schmidt/Schneider 1978 für die Verwendung einer modallogischen Semantik. Der Hauptgrund für

810

XI. Anwendungsbereiche

die geringe Wirksamkeit der linguistischen Semantik ist, daß Semantiktheorien fast stets als Teil integrierter Grammatikmodelle entwickelt worden sind, das Hauptinteresse der Computerlinguistik sich jedoch auf die jeweilige syntaktische Komponente richtete (vgl. unten). Semantische Analysen wurden vor allem im Rahmen von Projekten der künstlichen Intelligenz durchgeführt, hier jedoch weitgehend unabhängig von der linguistischen Semantik (vgl. 4 sowie Eisenberg 1976). Verfahren zur automatischen syntaktischen Analyse (Parsing) sind für viele der einschlägigen neueren Grammatiktypen sowie zahlreiche Varianten davon realisiert oder zumindest entworfen worden. Ersetzungsgrammatiken sind intensiv z.B. von Kuno und öttinger (1963) sowie von Greibach (1964, 1965) bearbeitet worden. Dependenzgrammatische Ansätze gehen meist auf die Arbeiten von Hays (1964), kategorialgrammatische auf die von Bar-Hillel (1964) zurück. Verfahren für die schwerer zugänglichen Transformationsgrammatiken wurden z.B. von Friedman (1969, 1971), Petrick (1965) und Kuno (1969) vorangetrieben. Neben der Syntaxanalyse im Sinne eines bestimmten Grammatiktyps bestand immer auch ein großes Interesse an der Entwicklung allgemeiner Analyseverfahren, die für verschiedene Grammatiktypen verwendet werden konnten. Besondere Verbreitung erlangten der Cocke-Algorithmus, bei dem zu jeweils zwei Symbolen (nur binäre Verzweigungen zugelassen) sämtliche nach den Regeln der Grammatik möglichen Reduktionen aufgesucht und geeignet gespeichert werden, sowie die prädiktive Analyse, bei der aus der Kategorie eines Elementes auf die möglicherweise mit ihm zu einer Konstituente verketteten Elemente geschlossen wird (vgl. die Übersicht in Kuno 1969). Ein neueres, sehr allgemeines Verfahren zur syntaktischen Analyse und Generierung ist in Kaplan 1973 beschrieben. Die Gründe für Umfang und Intensität, die die Arbeiten zur maschinellen Syntaxanalyse insbesondere in den späten 50er und den 60er Jahren auszeichnen, sind vielfältig. Zunächst war die Syntax für die Linguistik selbst zentral und daher der nächstliegende Gegenstand für die Computerlinguistik. Die vorherrschende Auffassung, daß eine Syntax bzw. Grammatik als Menge von Regeln anzusehen sei, die mengentheoretisch rekonstruierbar sind und insgesamt (als Regelwerk) zwar nicht einen eindeutig festliegenden Algorithmus darstellen, aber die Realisierung' durch einen Algorithmus nahelegen, forderte zur Programmierung vorliegender Syntaxen geradezu heraus. Die zentrale Stellung der Syntax in der Linguistik entsprach auch der Auffassung, daß wichtige Gebiete der angewandten Linguistik im wesentlichen oder vollständig

mit syntaktischen Mitteln zu bewältigen seien. Aus dem Bereich der Computerlinguistik sind hier vor allem die bereits erwähnte Beschreibung und maschinelle Obersetzung von Programmiersprachen (Compilerbau), die Mensch-MaschineKommunikation (Dialogsysteme), die automatische Ubersetzung natürlicher Sprachen und die maschinelle Dokumentation zu nennen. Im Bereich der linguistischen Theoriebildung selbst spielt der automatische Grammatiktester zwar eine wichtige, letztlich aber auf die eines technischen Hilfsmittels beschränkte Rolle. Dagegen hat z.B. die Tatsache, daß man zur automatischen syntaktischen Analyse neben der Grammatik selbst immer auch ein Verfahren für die Handhabung der Grammatik (Algorithmus) zur Verfügung haben muß, insofern Folgen für die Theorie gehabt, als dadurch die Reflexion über das Verhältnis des statischen und des dynamischen Teils eines linguistischen Verarbeitungsmechanismus mit ihren Folgen für das Verhältnis von Kompetenz und Performanz in Gang gekommen ist (vgl. z.B. Winograd 1972, Bätori 1976, 1978). Weitere wichtige Einzelpunkte betreffen die von der CL ausgegangene Diskussion über die Umkehrbarkeit von Transformationsgrammatiken (Petrick 1965, Pause 1976) sowie die Arbeiten über die Äquivalenz von Grammatiken verschiedenen Typs (Bar-Hillel 1960, Greibach 1964, Gaifman 1965). 3. Bearbeitung großer 3.1.

Datenmengen

Dokumentationssysteme

Größere Mengen gleich oder ähnlich strukturierter Daten werden maschinell mit Hilfe sog. Datenbanksysteme verwaltet. Ein Datenbanksystem enthält i. a. eine Komponente zur Speicherung von Daten, einen Datenspeicher (Datenbank) und eine Komponente zur Rückgewinnung der Daten aus der Datenbank. Datenbanksysteme werden seit langem in sehr verschiedenen Gebieten eingesetzt, etwa in Bibliotheken, zur Verwaltung von großen Warenlagern, zur Erfassung von Personaldaten usw. Nicht alle Datenbanksysteme gehören in das Arbeitsgebiet der CL. Der für uns wichtigste Typ von Datenbanksystemen sind die Dokumentationssysteme (DS) (Salton 1968, Niedermeyr 1976). DS dienen zur Verwaltung von Dokumenten, die in natürlicher Sprache formuliert sind, z.B. wissenschaftliche Literatur, Gesetzestexte, Gerichtsurteile, historische Quellentexte. Ein vollständig automatisches DS kann mit der Sprachwissenschaft an drei Stellen Berührungspunkte haben (Sparck-Jones/Kay 1976): (1) die Analyse der Dokumente zur Gewinnung der Information, die gespeichert werden soll (Indexierung oder Indexing) ist eine Analyse natürlicher Sprache (2) die extrahierte Information wird häufig in einer

99. Computertinguistik elaborierten formalen Sprache formuliert (Indexierungssprache) (3) der Zugriff zur gespeicherten Information (Retrieval) kann über natürliche Sprache erfolgen.

3.1.1.

Indexierung

Obwohl die Indexierung immer eine Analyse natürlicher Sprache ist, bedient man sich dabei keineswegs überwiegend linguistisch fundierter Verfahren. Die Art der Analyse richtet sich ganz wesentlich nach der Indexierungssprache. Die Indexierungssprache soll es erlauben, einen Extrakt des Inhalts der bearbeiteten Dokumente darzustellen. Bei vielen DS besteht das Lexikon der Indexierungssprache (Thesaurus) lediglich aus einer wenig verbundenen Menge von Wortformen oder Wörtern (Schlüsselwörter, Deskriptoren). Bei der Indexierung werden die Dokumente nach Deskriptoren abgesucht. Das Ergebnis der Suche wird statistisch ausgewertet (Maron/Kuhns 1960, Salton t968, 1970). Die Relevanz eines Deskriptors für den Inhalt eines Dokumentes kann etwa danach gewichtet werden, wie häufig er dort im Vergleich zu anderen Dokumenten auftaucht und wie häufig er gemeinsam mit anderen Deskriptoren auftaucht. Eine Anreicherung der Indexierungssprache soll die Möglichkeiten verbessern, den Inhalt eines Dokumentes genauer wiederzugeben, ohne daß dazu mehr Speicherplatz verbraucht wird als bei einfachen Stichwortverfahren. Einige der verwendeten Techniken sind Speicherung von Schlüsselwörtern mit einem bestimmten Kontext ( K W I C = keyword in context), sorgfältige Auswahl der Deskriptoren für eine Klasse von Dokumenten (etwa wissenschaftliche Texte aus einem Fachgebiet), Kennzeichnung morphosyntaktischer Klassen (Lemmatisierung von Wortformen, Zerlegung von Komposita), Kennzeichnung syntaktischer Relationen zwischen Deskriptoren, Kennzeichnung semantischer Klassen und insbesondere Kennzeichnung semantischer Relationen (Antonymie, Hyponymie, Bedeutungs Überschneidung verschiedener Art). (Coyaud 1972, Soergel 1974). Eine vergleichende Bewertung konkurrierender Analyseverfahren ist bisher nicht gelungen (Sparck Jones/Kay 1976), insbesondere ist nicht gezeigt worden, daß linguistisch fundierte Systeme besser arbeiten als statistisch orientierte (speziell zur Syntax ζ. B. Salton/Lesk 1968).

3.1.2.

Retrieval

Beim document retrieval kommt es darauf an, daß ein möglichst hoher Anteil der Dokumente, die ein System auf eine Frage hin nennt, im Sinne der gestellten Frage von Bedeutung ist (precision),

811

und daß andererseits möglichst viele von den Dokumenten gefunden werden, die für die gestellte Frage relevant sind (recall). Recall und precision sind einander in der Regel umgekehrt proportional und liegen in der Praxis bei 0.5 oder etwas darüber (Optimum für beide 1.0) (Salton 1968, Robertson/Sparck Jones 1976). Die Effektivität der Suche nach relevanten Dokumenten wird häufig dadurch gesteigert, daß die Struktur der Datenbank an die Struktur der Indexierungssprache angepaßt wird. Beispielsweise können Dokumente entsprechend den in der IS gekennzeichneten semantischen Relationen zu Blöcken (clustern) zusammengefaßt werden (Niedermeyr 1976). Datenbankstrukturen dieser Art machen nicht nur die Suche effektiver, sie erleichtern auch die Interaktion zwischen System und Benutzer, etwa indem das System anbietet, die gestellte Frage zu präzisieren, zu erweitern oder zu paraphrasieren (feedback) (Salton 1968, Attar/Fraenkel 1977). Ein weites Feld für die C L eröffnet sich, wenn die Interaktion zwischen Benutzer und System in natürlicher Sprache ablaufen soll. Ob ein Datenzugriff über natürliche Sprache möglich und wie restringiert diese Sprache sein soll, richtet sich wesentlich nach dem Benutzerkreis (vgl. dazu die in Kuhlen 1978 zusammengestellte Literatur über künftige Entwicklungen im Dokumentationswesen). Entscheidend ist weiter das Verhältnis von Benutzersprache und Indexierungssprache. Die Benutzersprache muß mindestens so reich sein, daß Information unter allen den Gesichtspunkten erfragt werden kann, die die Struktur der IS bestimmen. Entsprechend hat sich die Analyse der Benutzersprache an dem zu orientieren, was in der IS ausgedrückt werden kann. Dokumentationssysteme, die einen Datenzugriff in natürlicher Sprache erlauben, sind den Frage-Antwort-Systemen zuzurechnen (Simmons 1970). Der wesentliche Unterschied zu den in der künstlichen Intelligenz entwickelten Frage-Antwort-Systemen (vgl. 4) besteht darin, daß bei den ersteren die Effektivität leitender Gesichtspunkt ist, während letztere Sprachverstehen simulieren wollen. Erstere suchen nach Dokumenten, die einen bestimmten Inhalt haben (Referenz-Retrieval), letztere direkt nach Inhalten (Fakt-Retrieval). Dennoch wird eine zukünftige Synthese beider Typen von Dialogsystemen nicht ausgeschlossen (Smith 1976, Kuhlen 1978).

3.2.

Wörterbucharbeiten

Maschinell gespeicherte Wörterbücher haben gegenüber konventionellen Wörterbüchern (vgl. Art. 94) den Vorzug, daß sie schnell und systematisch gelesen, bearbeitet und ausgewertet werden können. Sie werden in der Regel für bestimmte, relativ wohldefinierte Zwecke erstellt und erfas-

812

XI. Anwendungsbereiche

sen die Wörter oder Wortformen einer vorgegebenen Menge von Texten (Corpuswörterbücher). Nach der zu einem Stichwort bereitgestellten Information unterscheidet man Indizes und Konkordanzen. Konkordanzen enthalten zu jeder Belegstelle einen genau festgelegten Teil des Kontextes, in dem das Stichwort an der jeweiligen Stelle steht. Damit wird es möglich, anhand des Wörterbuches allein Stichwortvorkommen nach formalen und inhaltlichen Gesichtspunkten zu vergleichen. Konkordanzen werden vor allem für literarische Corpora erstellt (Wisbey 1967, Spevack 1968/70). Indizes gibt es zu allen Textgattungen. Sie können neben dem Belegstellennachweis Angaben über absolute und relative Häufigkeit, Rang und Wortklasse des Stichwortes enthalten (Lutz 1971, Klein/Zimmermann 1971). Eine strenge Unterscheidung von Indizes und Konkordanzen ist nicht immer möglich oder sinnvoll. Beide Typen von Wörterbüchern können häufig für die gleichen Zwecke verwendet werden, auch wenn die Information, die ein Index explizit enthält, aus einer Konkordanz erst errechnet werden muß und umgekehrt. Corpuswörterbücher werden in mehreren Reihen systematisch publiziert (Indices zur deutschen Literatur, Deutsche Wortindices) und in maschinenlesbarer Form zur Verfügung gehalten ( z . B . beim I K P in Bonn und IdS in Mannheim). Typische textwissenschaftliche Analysen, die auf Corpuswörterbüchern aufbauen, fragen nach Worthäufigkeiten, dem Verhältnis von Wortklassen zueinander, Wortlängen, Satzlängen, Satzkomplexitäten, Häufigkeiten bestimmter Konstruktionen, Übergangswahrscheinlichkeiten zwischen unterschiedlichen Einheiten usw. (vgl. Literatur und Datenverarbeitung). Bei der maschinellen oder maschinenunterstützten Herstellung von Wörterbüchern (automatische Lemmatisierung) treten, ähnlich wie beim automatischen Indexing, sehr unterschiedliche Probleme auf. J e nach T y p des bearbeiteten Corpus und gewünschten Wörterbuches müssen Codierungsfragen gelöst (Vereinheitlichung der Texte, Homographenauflösung, Codierungskonventionen, Bereitstellung eines ausreichenden Zeichenvorrats) sowie morphosyntaktische und semantische Analysen durchgeführt werden (Wortklassenbestimmung, Flexionsklassenbestimmung, Desambiguierung, Bestimmung der Paradigmenzugehörigkeit). Die Entwicklung auf diesem Gebiet ist noch voll im Fluß (Rath 1971, Dietrich 1973, Droop u . a . 1976). 4. Mensch - Maschine -

Kommunikation

Aufbau und Arbeitsweise von Systemen für die Mensch-Maschine-Kommunikation hängen stark von der jeweils vorgesehenen Verwendung bzw. dem zugrundeliegenden Erkenntnisinteresse ab.

Trotzdem haben die meisten Dialogsysteme gewisse strukturelle Ähnlichkeiten miteinander, z . B . enthalten sie bestimmte Bausteine (Komponenten) mit vergleichbaren Funktionen (Wilks 1977). Ein dialogischer Zyklus umfaßt in der Regel die syntaktisch-semantische Analyse eines Eingabesatzes, seine meist über eine deduktive Komponente vermittelte Einordnung in ein Wissenssystem und seinen Bezug auf die Redesituation sowie eine dem entsprechende Generierung einer Antwort der Maschine. Der Umfang und die Differenziertheit einer syntaktischen Analyse sind von zwei Hauptfaktoren abhängig: (1) von der Komplexität, die auf semantischer Ebene erreicht werden soll, d . h . zumindest bis zu einem gewissen Grade ist die Komplexität des Gegenstandes, über den geredet werden soll, ausschlaggebend für die Komplexität der Syntax; (2) von der gewünschten Flexibilität des Systems. Die Erfordernisse bezüglich Flexibilität und Robustheit des Systems hängen wesentlich vom Benutzerkreis ab. Wir können also hinsichtlich der Gründe für die Komplexität der Syntax im Extrem zwei Typen von Systemen unterscheiden. Systeme, die eine komplizierte Syntax haben, weil sie eine komplizierte Semantik haben, streben nach eindeutigen Abbildungen zwischen Syntax und Semantik. Hierher gehören z . B . die frühen in erster Linie semantisch motivierten Systeme mit oft bewußt restringierter Ein- und Ausgabesprache (Raphael 1968) sowie tendentiell die ersten Mikrowelt-Systeme (Winograd 1972). Auf der anderen Seite stehen Systeme, deren syntaktische Fähigkeiten unabhängig vom U m f a n g der Semantik ausgedehnt werden. Wichtigste semantische Fähigkeit ist das Paraphrasieren (Schänk 1977). Das extremste Beispiel für fast ausschließlich syntaktische Analyse ist Weizenbaum 1966. Unter der semantischen Analyse eines naturs^rachlichen Satzes wird am allgemeinsten seine Übersetzung in einen oder mehrere Ausdrücke einer internen Repräsentationssprache verstanden. Damit kann im Sinne einer linguistischen Semantik je nach Aufbau des Systems und Typs der verwendeten Repräsentationssprache folgendes erreicht werden: (a) Begriffe werden in eine Struktur integriert, die Begriffe direkt (Quillian 1968, Simmons 1973) oder unter Verwendung lexikalischer Zerlegungen ( H A M - R P M : v. Hahn u . a . 1976 und Wahlster/v. Hahn 1976, Schänk 1977) vernetzt und insgesamt das lexikalisch-semantische System einer Sprache repräsentiert, (b) Sätze werden in Makrostrukturen integriert, die den Inhalt von Texten enthalten. Damit wird ein fortlaufender, kohärenter Dialog für die Maschine erst möglich (Schänk 1975, Norman/Rumelhardt 1975, Hays 1977). (c) Sätze oder Teile von Sätzen lösen Suchund Deduktionsvorgänge über der gespeicherten Information aus. Damit können etwa bestimmte

99. Computerlinguistik Begriffe oder Sätze gesucht werden (ζ. B . als Antwort auf eine Frage) oder Präsuppositionen und Folgerungen einer Menge von Sätzen bestimmt werden (Schwarcz u. a. 1970, Charniak 1976). Die Hauptschwierigkeiten beim Entwurf intelligenter Dialogsysteme liegen auf der semantischen Ebene einerseits in der mangelhaften Effektivität der Analyse und der Weiterverarbeitung ihrer E r gebnisse (Kombinatorische Explosion). Darüber hinaus sind aber auch Grundfragen strittig, die insbesondere das Verhältnis der semantischen zu einer weitergehenden Analyse betreffen. Zu nennen sind vor allem das Repräsentationsproblem und das Wissensproblem. Beide sind nicht unabhängig voneinander. Das Repräsentationsproblem beinhaltet die Frage, wie komplexe Sachverhalte und ihre Veränderung maschinenintern darzustellen sind. Klassisch geworden ist in der AI die Unterscheidung von propositionalen und prozeduralen Ansätzen. Erstere erfassen Sachverhalte statischbeschreibend, etwa in einer ausgearbeiteten formalen Sprache (logischer Ansatz, vgl. Simmons 1970, Habel/Schmidt 1978 und Schmidt/Schneider 1978) oder mit Hilfe einer - nicht notwendig logisch fundierten - Netzwerkdarstellung (Simmons 1973, W o o d s 1975, Wittig 1978). Letztere erfassen Sachverhalte dynamisch-beschreibend, indem z . B . der Ablauf von Ereignissen direkt in F o r m von Elementarhandlungen, die im Verlauf eines Ereignisses zu vollziehen sind, gespeichert wird (Winograd 1972, 1977). Häufig wird jetzt die Meinung vertreten, beide Ansätze unterschieden sich nicht prinzipiell, weil, in der Sprache der Informatik, die Unterscheidung von Daten und Programmen letztlich willkürlich sei (Hays 1977). O d e r man macht geltend, daß beide Darstellungsweisen gleichzeitig benötigt werden (Winograd 1975). Unabhängig von der Unterscheidung propositional/prozedural wurde in den letzten Jahren mehr und mehr mit dem von Minsky (1975) explizierten Begriff des f r a m e operiert. Ein frame ist eine Struktur, in der begriffliches Wissen, Wissen über Situationen und Zustände, Wissen über Ereignisse und Vorgänge auf verschiedenen Stufen der Allgemeinheit festgehalten ist. Frames enthalten Leerstellen, deren Füllung ζ. B . den Übergang von einer allgemeinen (typisierten) zu einer singulären Situation bedeuten kann. Frames können miteinander verbunden werden, einander aktivieren und ineinander überführt werden. Das frameKonzept ist ein Versuch, aktuelles und allgemeines Wissen im richtigen Verhältnis zu halten (Kuipers 1975, Wilks 1977). Das Wissensproblem beinhaltet vor allem die Frage, welches und wieviel Weltwissen eine M a schine braucht, um intelligent über einen Gegenstand sprechen zu können. Damit ist gleichzeitig die Frage nach der Abgrenzung von Semantik und

813

Weltwissen aufgeworfen. Man unterscheidet sinnvoll zwei Modi des Gebrauchs von Weltwissen in Dialogsystemen: (a) D e r Einsatz von Wissen zur Simulation sprachlicher Fähigkeiten im engeren Sinne, also insbesondere zur lexikalischen und grammatischen Desambiguierung, zum Feststellen von Sprechakttypen (Fräser 1977) und zum E r kennen und Gebrauch formaler und semantischer Mittel zur Herstellung von Text- b z w . Dialogkohärenz, insbesondere des Gebrauchs kataphorischer und anaphorischer W ö r t e r (Charniak 1977, Schänk 1975, Norman/Rumelhardt 1975). Das Weltwissen hat hier die Funktion, einen zumindest teilweise extraverbalen Kontext zu bilden oder zu ersetzen, der als Bezugsgröße für die jeweilige Fixierung des Sprachlichen benötigt wird, (b) D i e Wissensbasis hat unmittelbar als Abbild der Welt zu gelten, über die die Maschine redet und in der sie - zumindest im Idealfall - als R o b o ter handelt. Das Wissen begrenzt damit nicht nur den Gegenstand, über den die Maschine sprechen kann, sondern es bestimmt auch, was über den Gegenstand und damit überhaupt gesagt werden kann. Die Tendenz von der sprechenden Rechenmaschine zum sprechenden R o b o t e r (ansatzweise realisiert bei Winograd 1972, vgl. z . B . auch H A M - R P M ) beruht auf der Erkenntnis, daß „ S p r e c h e n " unter zwei Aspekten in umfangreichere Systeme zu integrieren ist: einmal als ein spezieller Informationskanal neben anderen, insbesondere dem visuellen und dem taktilen (Minsky 1975, Hays 1977); das heißt: Information muß zwischen den verschiedenen Kanälen übersetzbar, jedenfalls aber aufeinander beziehbar sein (vgl. Art. 22). Zweitens ist Sprechen nur eine spezielle F o r m des Handelns. Sprachliches Handeln ist unabhängig von außersprachlichem nur begrenzt zu realisieren. Aus diesen Gründen besteht das Ziel des Entwurfes einer „sprechenden M a s c h i n e " , die nichts kann als Sprechen, zumindest perspektivisch und als Aufgabe der Grundlagenforschung nicht mehr.

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100. Sprachtherapie

sowohl eine Behinderung der geistigen und seelischen Entfaltung der Persönlichkeit, als auch eine entsprechend eingeschränkte Bildungs- und Berufsmöglichkeit. Bei etwa 30% aller Schulkinder und 7% der Erwachsenen werden behandlungsbedürftige Kommunikationsmängel angetroffen. Diese Zahlen und die schwerwiegenden Auswirkungen auf ein Lebensschicksal in individueller und sozialer Hinsicht fordern Hilfe zu einem möglichst frühen Zeitpunkt. Eine Erfolg versprechende Hilfe, eine „Sprachtherapie", ist jedoch erst nach einer Diagnose, also nach der Erkennung der Art und der Ursachen einer „Sprachstörung" möglich, die man in Sprach-, Sprech-, Redeablauf- und Stimmstörungen einteilt. (Die terminologischen Unterschiede von Sprachkrankheit, -behinderung, -Störung, -fehler, -schwäche, -rückstand, -Verzögerung, -unfertigkeit, u.a. können hier nicht berücksichtigt werden.)

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

1.

Definition Sprachstörungen und Sprechstörungen Verzögerte Sprachentwicklung Aphasien Stammeln Näseln Audiogene Sprechstörungen Stottern Poltern Stimmstörungen Bibliographie (in Auswahl)

Definition

Grundlage der Kommunikation ist die Funktionseinheit: H ö r e n - S p r e c h e n - D e n k e n . Eine Störung dieser Einheit beeinträchtigt beim Heranwachsenden die Entwicklung und beim Erwachsenen die Beherrschung der „Sprache". Daraus ergibt sich

Peter Eisenbergy

Hannover

816

XI.

Anwendungsbereiche

2. Sprachstörungen und Sprechstörungen Grundsätzlich sollen Sprachstörungen und Sprechstörungen unterschieden werden: Unter Sprachstörungen werden alle zentralen Störungen verstanden, die infolge von Schädigungen der entsprechenden Hirnregionen auftreten. Es besteht dabei teilweise oder vollständig ein Verlust der sprachlichen Verständigung (Laut- und Schriftsprache) sowohl produktiver (expressiver) als auch rezeptiver (impressiver) Art (Ausdrucksmöglichkeit, Begriffsbildung, Sprachverständnis). Unter Sprechstörungen versteht man eine Behinderung der peripheren Nerven- und Muskelfunktionen der Sprechorgane (Atmung, Stimmbildung, Artikulation). Diese beiden Gruppen können nochmals unterteilt werden in: (1) Störungen der Sprach- bzw. Sprechentwicklung; (2) Störungen der fertigen Sprache bzw. Sprechfähigkeit. Zu (1) ergibt sich folgende Klassifikation: I . Störungen der Sprachentwicklung. Sie beeinträchtigen den E r w e r b der expressiven (motorischen) oder rezeptiven (sensorischen) Sprachfunktionen. a) Sprachentwicklungsbehinderung (organisch bedingt) 1) bei Hörstörungen, 2) bei frühkindlicher Hirnschädigung (prä-, perioder postnatal), 3) bei zerebralen Unfallfolgen, 4) bei schweren Formen der infantilen Zerebralparesen (Spastiker); b) Sprachentwicklungsverzögerungen (funktionell bedingt) 1) bei Intelligenzstörungen, 2) bei Mangel an sprachlicher Anregung, 3) bei vererbtem familiären Sprachschwächetyp, 4) bei pflegerischer und emotionaler Milieuschädigung (psychische Reaktionen ζ. B . Autismus, Mutismus). II. Störungen der Sprechentwicklung (mechanische Dyslalien). Sie beeinträchtigen die Entwicklung der peripheren-expressiven Ausdrucksfähigkeit ( = Artikulation). a) bei Organerkrankungen der peripheren Sprechwerkzeuge (Mißbildungen, Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten, Lähmungen von Zunge und Gaumen, facio-bucco-linguale Apraxie) b) bei körperlichen Entwicklungsverzögerungen.

3. Verzögerte Sprachentwicklung Alalie)

(prolongierte

Wenn sich bei einem Kind bis zum 3. Lebensjahr die lautsprachliche Verständigung noch nicht eingestellt hat, dann bezeichnet man das als verzögerte Sprachentwicklung. Diese Bezeichnung ist nicht als eigenständige Störung anzusehen, son-

dern man versteht darunter den Ausdruck einer Grundkrankheit der oben erwähnten Ursachen. D i e sprachlichen Kennzeichen sind sehr verschieden. Z u m Beispiel: kein Sprechantrieb (prolongierte Alalie); auditive Unaufmerksamkeit und Konzentrationsschwäche, Störungen der G e räusch· und Lautdifferenzierungen („auditive A g n o s i e " ) ; Störungen des Sprechvermögens oder des akustischen Sprachverständnisses bei ausreichender Intelligenz und intaktem Hörvermögen (Audimutitas oder „ H ö r s t u m m h e i t " oder „ S e e lentaubheit"); geringer Wortschatz, fehlerhafte Laut- und Wortbildungen (Dyslalie); verstümmelter Satzbau ( D y s - und Agrammatismus). Alle hier angeführten Störungen decken sich mit dem oben angeführten Begriff der , ,Sprachentwicklungsverzögerung". Psychogene Kontakt- und Verhaltensstörungen gehen gleichzeitig mit Sprachentwicklungsverzögerungen einher (Autismus, Mutismus, Aphasia voluntaria = freiwilliges Schweigen). Die Bezeichnungen: „Kongenitale A p h a s i e " , „Entwicklungsaphasie", „kindliche Aphasie" sind nach den heutigen Erkenntnissen abzulehnen; da ja in diesem Altersentwicklungsstadium der Spracherwerb noch nicht eingesetzt hat, kann er auch nicht verloren gehen. Deshalb ist der Ausdruck „ A p h a s i e " = Sprachverlust nicht zutreffend. B e h a n d l u n g : Die Therapie richtet sich nach der Symptomatik. Es ist eine mehrdimensionale komplexe Behandlung erforderlich: (1) Schulung der Feinmotorik und des kinästhetischen Gefühles der Sprechwerkzeuge; (2) Geräusch- und Lautdifferenzierungen; (3) Schulung der optischen und akustischen M e r k fähigkeit ( z . B . Unterscheidung und Zuordnung von Farben, F o r m e n , O b j e k t e n ) ; (4) Sprachaufbau nach dem phasenspezifischen Entwicklungsplan von G o d a ; (5) Sprachanregung und Anreiz durch Betonung und Wiederholung der kindlichen Lautäußerungen; (6) Schulung des rhythmischen Gefühls und Sin(7) Wortspiele (Bilderlotto) mit Belohnungen bei guter Mitarbeit; (8) Wortschatzerweiterungen mit Vorlagen und Bildern; (9) Tonbandaufnahmen und Vorspielen zum Wiederholungsanreiz; (10) Puppenspiele; (11) Sämtliche Methoden der Dyslalie- u. H ö r behandlungen (siehe dort); (12) Intensive Elternbelehrung und Beratung; (13) S o n d e r - u . heilpädagogische Maßnahmen. Hilfsmittel: Sprachlabor, Orff-Instrumentarium, Puppenspiele, T o n b a n d , Bilder- und Spielmaterial, Schallplatten.

100. Sprachtherapie 4.

Aphasien

Es handelt sich dabei um Störungen von Laut- und Wortbildungen, Wortverständnis und Worterinnerungen, also um einen Verlust der Sprache infolge von organischen Erkrankungen der kortikalen Sprachregionen und der dazugehörigen Bahnen in der dominierenden Hirnhälfte bei erhaltener Funktionstüchtigkeit der Sprechorgane, des Hörvermögens und der Intelligenz. Bei der m o t o r i s c h e n A p h a s i e besteht ein Verlust des Sprechvermögens (Laut- und Wortbildung) bei erhaltenem Sprachverständnis. Bei der s e n s o r i s c h e n A p h a s i e besteht der Verlust des Sprachverständnisses bei erhaltener Wortbildung. Bei der a m n e s t i s c h e n Aphasie besteht der Verlust der Worterinnerung. Es bestehen Wortfindungsstörungen bei erhaltenem Sprachverständnis und Sprechvermögen. Zumeist kommen Mischformen dieser Arten vor. Als „ t o t a l e A p h a s i e " bezeichnet man einen gänzlichen Ausfall aller Sprachfunktionen. B e h a n d l u n g : Es gibt kein allgemein gültiges Schema für die Aphasiebehandlung. Grundlegend ist die Einschätzung der Persönlichkeit des Patienten nach Alter, Beruf, Interessengebieten und nach der Wichtigkeit der Sprache in seinem bisherigen Leben. Da die Patienten leicht resignieren und die Intellektuellen unter ihnen oft zu Verzweiflungshandlungen neigen, muß die Behandlung ermutigend, interessant und abwechslungsreich gestaltet werden. Bei Kindern unter 10 Jahren ist eine Behandlung besonders dringend geboten, weil nur in diesem Alter die gesunde Hirnhälfte die gestörten Funktionen ersatzweise übernehmen kann und deshalb hervorragende Ergebnisse erzielt werden können. Die Dauer der täglichen Einzelbehandlung muß wegen der raschen Ermüdbarkeit und Überanstrengungsgefahr genau der Leistungsfähigkeit angepaßt werden. Die Gesamtdauer der Behandlung zieht sich oft besonders bei älteren Patienten, über einige Jahre hin. Ausgangspunkt für die Therapie sind die noch vorhandenen Sprachreste, die nach einem Prüfverfahren genau ermittelt werden können. Die phonetische Behandlung, wie Atem-, Stimm- und Lautbildungsübungen, akustische und optische Laut- und Differenzierungsübungen, Umschulung der Hand und Schreibübungen, Lese- und Rechenübungen treten hier ziemlich in den Hintergrund. Die größere Betonung muß auf eine Sprachübungsbehandlung nach linguistischen Gesichtspunkten gelegt werden, wobei es sich mehr um ein Ordnen, Wiederauffinden und Fixieren als um ein Neuerlernen handelt. (1) Angabe aller Wortarten, Gegensatzbildungen, Synonyma- und Analogie-Angaben, Aufgliederung von Gattungsbegriffen;

817

(2) Grammatikalische Übungen: Verwendung von Artikeln, Pronomina, Präpositionen, Konjunktionen, Gebrauch von Deklinationen und Konjugationen; (3) Satzbildung und Formulierung mit Lückentexten, Satzergänzungen, Satzerweiterungen, Bildgeschichten, Sprichworterklärungen, Bildbeschreibungen; (4) Sprachverständnistraining mit phonemischer Differenzierung. Erkennung von Gegenständen nach Benennung, Differenzieren von Homonymen, Erkennung von Sinnentstellungen, Widersprüchen, Fehlern und Täuschungen auf Bildern und in Texten. Hilfsmittel: Sprachlabor, Languagemaster, Buchstabentafeln usw. Das beste Lehrmaterial an Bildern stellen die großen Kataloge der Großversandhäuser, z.B. Neckermann und Quelle dar, weil in diesen vielfältige Interessengebiete eines Menschen dargestellt sind. 5. Stammeln

(Dyslalie)

Das Stammeln ist eine Artikulationsstörung. Es besteht die Unfähigkeit, einzelne Laute oder Lautverbindungen zu bilden oder sie anzuwenden. Dabei können die Laute völlig fehlen, durch andere ersetzt oder abartig gebildet werden. Je nach der Anzahl der Lautfehler spricht man von partiellem, multiplem oder universalem Stammeln. Weiterhin werden Vokal- oder Konsonantenstammeln sowie Laut-, Silben- und Wortstammeln unterschieden. Die Stammelfehler können funktionell oder organisch bedingt sein. Sie werden benannt nach dem griechischen Buchstaben des gestörten Lautes (z.B. Gammazismus, Kappazismus, Rothazismus, Sigmatismus). Das physiologische Stammeln, also die Baby- oder Kindersprache, sollte bis zur Einschulung behoben sein. Ünter „audiogener Dyslalie" versteht man Stammeln aufgrund von Hörstörungen. Weitaus der häufigste Stammelfehler ist der S i g m a t i s m u s oder das L i s p e l n . Es handelt sich um einen Aussprachefehler sämtlicher Zischlaute. Unter den vielen Formen sind die häufigsten: (1) Sigmatismus addentalis = Anstoßen der Zunge an die Zähne; (2) Sigmatismus interdentalis = Vorstrecken der Zunge zwischen die vorderen Zähne; (3) Sigmatismus lateralis = Seitwärtslispeln. Die hauptsächlichsten Ursachen sind: Motorische Ungeschicklichkeit der Zunge, akustische Unaufmerksamkeit, Nachahmung, und in vielen Fällen eine Innenohrschwerhörigkeit. Unter D y s a r t h r i e n verstehen wir Störungen der Lautbildung durch spastische oder paralytische Lähmungen der Sprechmuskulatur infolge Erkran-

818

XL Anwendungsbereiche

kungen der zentralen Bahnen und Kerne der am Sprechvorgang beteiligten Nerven. B e h a n d l u n g : Eine Behandlung durch Vorsprechen und Nachsprechenlassen ist nutzlos. Bei Kindern ist darauf zu achten, daß die Behandlung möglichst unbewußt, d . h . im Spiel und ohne Zwang vor sich geht. Als a k t i v e Ü b u n g s b e h a n d l u n g bezeichnen wir die A b l e i t u n g s m e t h o d e n , bei denen, von einem gekonnten ähnlichen Laut derselben Artikulationszone ausgehend, ein neuer Laut aufgebaut wird, der dann den alten falschen Laut ersetzen soll. Bei der p a s s i v e n U b u n g s b e h a n d l u n g wird mit Hilfe von Sonden, Handgriffen, Spiegelbild und Vibrationsgeräten Mund- und Zungenstellung so vorbereitet und korrigiert, daß die richtige Lautbildung gelingt. Die i n d i r e k t e M e t h o d e bedient sich zum Aufbau eines neuen Lautes der Nachahmung von Tierlauten, von „aktuellen" Geräuschen wie Auto-, Flugzeug-, Raketenstart, Schußwaffen-Nachahmungen oder auch des Fußballjargons. Die Durchführung der Behandlung besteht in: (1) Training der kinästhetischen Empfindung und Aktivierung der Artikulationsorgane; (2) Unterscheidungs- und Erkennungsübungen von Lauten zur eigenen Überprüfung und Korrektur; (3) Isolierte Lautbildung über die aktiven, passiven und indirekten Methoden; (4) Silben- und Wortübungen (der Laut wird als An-, In- und Auslaut geübt); (5) Anwendung in freier Rede, Wortschatzerweiterungen; (6) Intensive Elternbelehrung. Hilfsmittel: Sprachlabor, Languagemaster, verschiedene Laut-Sonden, Vibrationsansätze, Bilder und Spielmaterial.

6. Näseln (Rhinolalia, besser Rhinophonia) Krankhafte Störung der Nasenresonanz. Diese muß von der gesunden „Nasalität" (z.B. in der französischen Sprache) unterschieden werden. Unter „ o f f e n e m N ä s e l n " (Rhinolalia aperta) versteht man eine Veränderung des Stimmklanges infolge nasalen Durchschlages der Mundlaute bei ungenügendem oder fehlendem Abschluß des Gaumensegels. Beim „ g e s c h l o s s e n e n N ä s e l n " (Rhinolalia clausa) tritt eine Resonanzminderung infolge nasalem Verschluß auf („Stockschnupfensprache"). Außerdem wird noch unterschieden: „Organisches Näseln", das immer mit mehr oder weniger starken Artikulationsstörungen verbunden ist (bei Gaumenspalten- und Gaumensegellähmungen); „funktionelles Näseln" mit intakter Lautbildung (nach operativen Eingriffen im Rachengebiet, bei nachlässigem und affektier-

tem Sprechen, bei Hörstörungen und psychogenen Anlässen). Behandlung: (1) Rhinolalia aperta: Chirurgische Schließung des Defektes bei Gaumenspalten oder Verminderung des Abstandes Gaumensegel/Rachenhinterwand; Funktionskorrektur: Gehörmäßige Erkennung des richtigen oder gestörten eigenen Stimmklanges und der Artikulation; Beweglichkeitstraining von Lippen, Kiefer, Zunge; Übungen zur Lenkung des Luftstromes durch den Mund: Pusten und Blasen (Mundharmonika, Flöte, Strohhalm, Seifenblasen, Luftballon aufblasen); Übungen zur Kräftigung und Aktivierung des Gaumensegels: aktiv: Ruf- und Stoßübungen, passiv: Elektrisieren und Sondenmassage des Gaumensegels; Kombinationsübungen von Vokalen und Konsonanten der III. Artikulationszone (Gaumen-Zungengrund) sowie aller Explosivlaute. (2) Rhinolalia clausa: Chirurgische Entfernung der Hindernisse im Nasen- und Nasenrachenraum; Funktionskorrektur: Einüben einer bewußten Nasenatmung, Blasübungen durch die Nase bei geschlossenem Mund, Einübung der Nasallaute und der Unterscheidung zur „Nasalität". 7. Audiogene

Sprechstörungen

Im allgemeinen haben Hörstörungen auch eine Sprechstörung zur Folge, deren Schweregrad abhängig ist (1) von dem Grad der Hörstörung (leicht, mittelgradig, hochgradig, praktisch taub); (2) von der Art der Hörstörung (Schalleitungsschwerhörigkeit, Schallempfindungsschwerhörigkeit, Fehlhörigkeit); (3) vom Zeitpunkt des Eintritts der Hörstörung (Frühschädigung = vor Eintritt des Spracherwerbs, Spätschädigung = nach Vollzug des Spracherwerbs). Behindert können sein: die Sprach- u. Sprechentwicklung, das Sprachverständnis und der Sprachgebrauch. Weiterhin kommen hinzu: Störungen der Sprachakzente, Stimmstörungen, Nasalität und Atemstörungen. Kombinierte H ö r - S p r e c h ü b u n g s b e h a n d l u n g (mit oder ohne apparative Hilfe unter ständiger Berücksichtigung des jeweiligen Intelligenzgrades und der motorischen Geschicklichkeit): I. Passive Hörübungen: „Fütterung mit Schalleindrücken", Anbieten von verschiedenen Klängen, Geräuschen und Musik, Hören lernen, Empfindung von Höreindrücken. II. Aktive Hör- und Sprechübungsbehandlung: Erkennen des Gehörten mit geistiger Verwertung (1) Schulung der Unterscheidungsfähigkeit von Geräuschen und Klängen; (2) Schulung des Richtungsgehörs;

100. Sprachtherapie (3) Nachsprechen in Verbindung mit Absehübungen; (4) Lautunterscheidung an sinnlosen Silben; (5) Unterscheidung von isolierten Lauten mit Nachsprechen; (6) Übungen von Wortverbindungen und Wortreihen ; (7) Gewöhnung an raumakustische Faktoren (Umweltslärm, Nebengeräusche, Nachhall). III. Korrektur der Artikulationsfehler und des Sprechablaufs. IV. Elternberatung und Anweisung für H ö r geräteträger. Hilfsmittel: Hörgeräte, Hörtrainer, Hörsprechanlagen, Tonbandgeräte, Languagemaster, Phonator (Vibrationsübertragung), Orff'sches Instrumentarium, Bild- und Spielmaterial.

8. Stottern

(Balbuties)

Beim Stottern handelt es sich weder um eine Sprach- noch um eine Sprechstörung, sondern um ungleichmäßige und zeitweise in ihrer Art und Stärke wechselnde Unterbrechungen des Redeflusses und des Sprechablaufes durch krampfhafte (tonisch und klonisch) zentralnervös ausgelöste Koordinationsstörungen der Atem-, Kehlkopfund Artikulationsmuskulatur. Ursächlich müssen eine erblich-konstitutionelle Disposition, psychogene, emotionelle und milieubedingte Faktoren sowie eine neurotische Fehlentwicklung - oft aufgrund einer frühkindlichen Hirnschädigung - angenommen werden. Abzugrenzen sind (1) das sog. physiologische Stottern beim Kleinkind (Entwicklungsstottern), dessen Störungsbild häufig nur krampflose Iterationen aufweist und das meistens auf eine Diskrepanz zwischen der Gedankenschnelle, dem Sprechtempo und der noch ungeschickten Artikulation beruht; (2) das „organische" Stottern, das oft nach Hirnverletzungen auftritt. Behandlung: Es gibt kaum ein anderes Krankheitsbild, für das von medizinischer, psychologischer und pädagogischer Seite jemals so viele, teils sinnvolle, teils gänzlich unsinnige und teils sogar betrügerische Behandlungsmethoden und „Heilmittel" angegeben worden sind. Eine Heilung von diesem Leiden ist außerordentlich selten. Anzustreben ist eine sprachliche Verkehrsfähigkeit, wobei situationsbedingte Rückfälle immer wieder vorkommen. Ein so vielschichtiges Krankheitsbild bedarf auch einer mehrdimensionalen Behandlung, in die „ d e r ganze Mensch" einbezogen werden sollte. Eine derartige Therapie kann am besten stationär in einem Kurheim oder derartigen Institutionen durchgeführt werden (Milieuwechsel).

819

Man spricht von einer kombinierten PsychoÜbungsbehandlung auf der Grundlage der Verhaltenstherapie mit medikamentöser Unterstützung. Neben der individuellen Psychotherapie muß für jeden Patienten ein eigenes Übungsprogramm aufgestellt werden, das er akzeptieren soll und dadurch bewußt oder unbewußt zur aktiven Mitarbeit angeregt wird: Atemtherapie (Korrektur und Stabilisierung der Sprechatmung); Bewegungs- und Lockerungsübungen (Abbau von Muskelspannungen im Schulter- und Halsgebiet); Resonanz-, Stimmund Lautübungen; Entspannungstraining (Stufe I und II des „autogenen Trainings" nach I. H . Schulz); Reihenfolge der Sprechübungen: Reihensprechen, monotones Sprechen, rhythmisches und akzentuiertes Sprechen (Verse, Gedichte), lautes Lesen, Nacherzählen, Bildbeschreibungen, Kurzberichte, Referate und Diskussionen; Situationstraining: Schul-, Arbeits-, Einkaufs- und Partysituationen in G r u p p e n , Puppentheater. Die medikamentöse Behandlung hat nur unterstützenden Charakter. Sie hat das Ziel: (1) einen Ausgleich des immer gestörten vegetativen N e r vensystems herbeizuführen; (2) je nach Alter und EEG-Befund eine psychische Stimulierung oder eine D ä m p f u n g zu bewirken. 9. Poltern Der Sprechablauf ist unkonzentriert und überstürzt. Die Artikulation ist undeutlich und verstümmelt. Die Sprachgestaltung leidet unter Silben- und Wortwiederholungen und -vertauschungen sowie unter Wortfindungsstörungen. Das Poltern, das häufig zusammen mit Stottern vorkommt, beruht auf einer vererblichen, konstitutionell bedingten zentralen Funktionsstörung, wobei sich auch noch eine bestimmte charakterliche und psychosomatische Verhaltensweise (Polterersyndrom) feststellen läßt. Behandlung: (1) Atemübungen und Stabilisierung der Sprechatmung; (2) Artikulationsübungen mit betont sauberer Konsonantenbildung; (3) Konzentrationsübungen; (4) Sprechrhythmus- und Akzentübungen; (5) Sprechgestaltungs- und Formulierungsübungen (in gebundener Form und freier Rede). 10.

Stimmstörungen

Ist der Stimmklang beeinträchtigt, besteht eine „Heiserkeit", die jedoch keine Krankheit an sich, sondern ein Symptom darstellt, d . h . ein Zeichen, daß im Bewegungsablauf der Stimmlippen eine Störung eingetreten ist. Wir unterscheiden Stö-

820

XI.

Anwendungsbereiche

rungen der Sprechstimme, der Singstimme und kombinierte Störungen. Die Stimme kann gestört sein: (1) in ihrem Umfang (normal etwa 2 Oktaven); (2) in ihrer Lautstärke (zu leise - zu laut); (3) in ihrer T o n h ö h e (zu hoch - zu tief); (4) in ihrem zeitlichen Ablauf (kontinuierlich wechselnd, initial oder nach längerer Beanspruchung); (5) in ihrer Tragfähigkeit (groß - klein, voll dünn); (6) in ihrem Klangcharakter oder ihrer Tonqualität (gepreßt, überhaucht, diplophonisch, brüchig und umkippend, aphonisch = stimmlos flüsternd). Die Ursachen einer Stimmstörung können sein: A) o r g a n i s c h e r A r t (1) Enzündungen: a) akut (katarrhalisch oder trocken); b) chronisch (hyper- und hypoplastisch); c) spezifisch; d) allergisch; (2) kleine, gutartige Neubildungen (Knötchen, Polypen, R e i n k e - Ö d e m e , Randzysten, Papillome); (3) maligne T u m o r e n ; (4) Nervenlähmungen und Muskelschwächen; (5) Mißbildungen; (6) Verletzungsfolgen. Bei den organischen Störungen liegen sichtbare anatomische Veränderungen im Kehlkopf vor, durch die der Schwingungsablauf der Stimmlippen und der Glottisschluß behindert werden. B) f u n k t i o n e l l e r A r t Infolge stimmlicher Uberanstrengung, konstitutioneller Mängel und psychogener Reaktionen können an den Stimmlippen auftreten: (1) Hypokinesen (paretische, lähmungsartige, schlaffe Zustände); (2) Hyperkinesen (spastische, krampfartige, straffe Zustände); (3) Funktionsanpassung infolge anatomischer Veränderungen. Bei den funktionellen Störungen sind keine organischen Veränderungen im Kehlkopf festzustellen. Es können sich jedoch sekundär beim F o r t bestand einer falschen Stimmbildungstechnik organische Schäden wie Entzündungen und K n ö t chenbildungen einstellen. Funktionelle Stimmstörungen können mechanische und psychogene Ursachen haben. I. Störungen mechanischer Art infolge übertriebener Anstrengungen. Ihre Ätiologie kann sein: (1) willkürlich (Personen, welche viel schreien und weinen); (2) charakteriologisch (Personen mit lebhaftem Temperament); (3) professional (Uberforderung bei Personen mit ausgesprochenen Stimmberufen, ζ. B . Kindergärtnerinnen, Lehrer, Vertreter, Schausteller und Arbeiter in Lärmbetrieben); (4) konstitutionell (kleine Mißbildungen);

(5) pathologisch (als Folge einer akuten oder chronischen Entzündung, nach Reizhusten oder E r stickungsanfällen , bei Arbeitern in Staub oder chemischen Dämpfen und bei Infektionskrankheiten); (6) audiogen (infolge einer mangelhaften H ö r kontrolle bei hörgestörten oder unmusikalischen Personen). I I . Störungen psychogener Art. Ihre Ätiologie kann sein: (1) Hysterie (zweckgerichtete Reaktion der Stimmgebung von der Aphonie bis zu Schreikrämpfen); (2) Neurose; (3) Psychose (exogen und endogen); (4) Gemütsbewegungen. Die funktionelle Stimmstörung ist ein Produkt aus Anlage und Umwelteinflüssen. Sie ist im Gegensatz zu den organischen Stimmstörungen oft spontan reversibel, sie neigt zu Rückfällen und zeigt als besondere Eigenart einen raschen und ständigen Wechsel der Symptome. C)endokriner Art (1) Mutation; (2) Klimakterium und Schwangerschaft; (3) H y p e r - und Hyphothyreosen; (4) medikamentöse Verabreichung von H o r m o n präparaten ; (5) Kastrationsfolgen. Die endokrinen Störungen können sowohl o r ganischer als auch funktioneller Art sein. Zur B e h a n d l u n g von Stimmstörungen k o m men folgende Maßnahmen zur Anwendung: (1) chirurgische Behandlung (mikrochirurgische Eingriffe im Kehlkopf zur Entfernung von kleinen Tumorer>, plastische Operationen zur Verbesserung der Stimmbildungsfunktion bei Lähmungen und Zuständen nach Verletzungen. Von großer Wichtigkeit ist die nach dem chirurgischen Eingriff erforderliche Nachbehandlung, die in drei Phasen durchgeführt werden soll: a) absolute Stimmruhe; b) Stimmschonung; c) Stimmumerziehung; (2) logopädische Ubungshandlungen: a) E n t spannungsübungen; b) Übungen zur Lockerung der Haltung und für den Kiefer-Zungenbereich; c) Übungen zur Atemführung und Atemstütze; d) Übungen zur Rachen- und Kehlweite; e) R e s o nanz- und Vokalisationsübungen; f) Stimmeinsatz- und Stimmabsatzübungen; g) Akzent- und Phonationsübungen mit rhythmischer Bewegungsbeteiligung des ganzen Körpers; (3) Psychotherapie einschl. autogenem Training; (4) elektrophysikalische Behandlungen (elektrisieren, harmonische Vibration, Vibrationsmassage, durchblutungsfördernde Wärmeapplikationen); (5) medikamentöse Unterstützungsbehandlung (Roborantien, Vitaminbehandlung, Psychopharmaka). Hilfsmittel: Ständige Tonbandkontrolle, Pneu-

101. Didaktik des Muttersprachunterrichts mometer, elektronische Frequenzmessung, elektronische Tonanalysen, Stroboskopie, Atemdruckmessung, Elektroglottographie, Elektromyographie. 11. Bibliographie

(in Auswahl)

A. Leischner, Sprachstörungen im Kindesalter. In: Fortbildungslehrgang für Sprachheilbeauftragte. Hessisches Institut für Lehrerfortbildung. Kassel 1972.

101. Didaktik des Muttersprachunterrichts 1. Definition 2. Muttersprachunterricht und Schulentwicklung 3. Sprachwissenschaft und Didaktik des Muttersprachunterrichts 4. Gesamtkonzeptionen einer Didaktik des Muttersprachunterrichts 5. Leistungsbeurteilung im Deutschunterricht 6. Bibliographie (in Auswahl)

1.

Definition

Inhalte und Begrenzungen des Objektbereichs einer Didaktik des Muttersprachunterrichts lassen sich nicht wie Elemente einer relativ geschlossenen linguistischen Theorie in einer knappen Gebrauchsdefinition vorstellen. Sie werden bei der Darstellung einiger Hauptgegenstände der Diskussion um den Muttersprachunterricht in den einzelnen Abschnitten des Artikels expliziert. Vorweg bestimmen lassen sich folgende Definitionsmomente des Objektbereichs: (1) Die Didaktik des Muttersprachunterrichts ist eine h i s t o r i s c h - s e m a n t i s c h e Disziplin, in die die e m p i r i s c h e Erforschung der Unterrichtswirklichkeit integriert ist. „Didaktik" wird hier verstanden als Wissenschaft von den Z i e l o r i e n t i e r u n g e n des Unterrichts im sozialen Vermittlungssystem Schule. Dabei sind in Zielorientierungen inhaltliche und Verhaltensbestimmungen des Unterrichts zusammengefaßt. (Vgl. G. Wilkending 1974.) (2) „Muttersprachunterricht" wird hier verstanden als Unterricht in der d e u t s c h e n Sprache. Nur am Rande werden Probleme des muttersprachlichen Unterrichts in einer anderen als der deutschen Sprache mitdiskutiert. (Vgl. zu dem angrenzenden Bereich D. C. Kochan 1971.) (3) „Didaktik des Muttersprachunterrichts" wird bezogen auf das U n t e r r i c h t s f a c h „Deutsch" oder „Muttersprache". Nur am Rande behandelt werden Probleme der Unterrichtssprache oder der Spracherziehung in anderen Unterrichtsfächern. (Vgl. dazu G. Priesemann 1971; H. C. Goeppert 1977.) (4) Die Didaktik des Muttersprachunterrichts

821

A. Leischner, Grundsätzliches zur Behandlung der Aphasien. In: Die Sprachheilarbeit. Arbeitsgemeinschaft für Sprachheilpädagogik. Hamburg 1963. R. Luchsinger und G. Arnold, Handbuch der Stimm- und Sprachheilkunde. Wien, New York 1970. A. Schilling, Sprach- und Sprechstörungen. In: Behrendes, Link, Zöllner, Handbuch der Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde. Bd. II, Teil 2. Stuttgart 1963. M. Seemann, Sprachstörungen bei Kindern. Berlin 1969.

Elimar Schönhärl,

Marburg

schließt hier den Objektbereich einer Didaktik des Literaturunterrichts nicht vollständig ein. (5) Nur am Rande behandelt werden Probleme des Erwerbs von Kulturtechniken des Lesens und Schreibens. (Vgl. dazu P. Heyer 1978.) (6) Die Diskussion nach 1945 bezieht sich auf die BRD. (Zur Didaktik des Muttersprachunterrichts in der DDR vgl.: Fachwissenschaftliche und methodische Anleitungen zu den Präzisierten Lehrplänen für Deutsche Sprache und Literatur. Berlin 1968ff.; Zeitschrift: Deutschunterricht. Berlin 1948 ff.) 2. Μ uttersprach unterriebt und

Schulentwicklung

In Gegenwart und Vergangenheit sind wichtige Phasen der Veränderung des Schulsystems von in die Praxis eingreifenden Diskussionen über den Stellenwert und die „Methode" des muttersprachlichen oder Deutschunterrichts begleitet gewesen. In allen diesen Diskussionen bildet sich mehr oder weniger sichtbar nach der einen Seite das ungelöste „Nationalstaatsproblem" (vgl. dazu auch H. Frank 1973) und nach der anderen Seite der Zustand des wirtschaftlichen und politischen Kampfes ab. Der Gedanke der V e r e i n h e i t l i c h u n g der B i l d u n g steht dabei im Mittelpunkt. In diesem wesentlichen Moment nimmt der Deutschunterricht und seine Didaktik eine anderen Didaktiken gegenüber herausragende Rolle ein. Drei Phasen in der Geschichte des Muttersprachunterrichts und seiner Didaktik kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu: (1) In der Phase des „Umbruchs" von der feudalen in die bürgerliche Gesellschaft setzt sich seit der Mitte des 18. Jhs. mit staatlichen Tendenzen zur Einführung der allgemeinen Schulpflicht auch für das , .niedere Volk" die Tendenz zur Aufnahme „realistischer" Bildungsinhalte in das höhere Schulwesen durch. Der Unterricht in der Muttersprache wird e t a b l i e r t und erstmals Ausgangspunkt und Zentrum des höheren Unterrichts. (2) Während und nach der Gründung des Deutschen Reiches setzen sich im Zuge der wirtschaftlichen und politischen Kämpfe dieser Zeit zunächst

822

XI.

Anwendungsbereiche

Tendenzen zur Vereinheitlichung des h ö h e r e n Schulwesens durch (1890, 1900), durch die das Fach „Deutsch", „Deutscher Unterricht", „Deutsche Sprache" eine Mittelpunktstellung erhält. Der Deutschunterricht als V o l k s s c h u l u n t e r r i c h t wird erstmals als F a c h u n t e r r i c h t konzipiert und damit dem Unterricht an höheren Schulen angenähert. - Der erste Schritt zur organisatorischen Vereinheitlichung des gesamten Schulwesens wird erst mit der Einführung der „Grundschule" durch die Weimarer Verfassung realisiert. (3) Nach ersten Ansätzen in den Jahren 1945 bis 1948im Kontext der „re-education"-Programmatik der Alliierten setzt sich seit der Mitte der 60er Jahre die Tendenz zur Vereinheitlichung des gesamten Schulwesens weiterfort (Gesamtschule). Mit der Notwendigkeit der Begründung gleicher Unterrichtsziele für alle Schüler gerät das Selbstverständnis des Deutschunterrichts in eine Krise. Alle Phasen sind dadurch gekennzeichnet, daß in ihnen die E r z i e h u n g s n o r m und die durch Erziehung vermittelte s p r a c h l i c h e N o r m (vgl. Art. 33) ins Wanken gerät. Ausgesprochene Reformkonzepte gehen dabei immer vom Primat der g e s p r o c h e n e n vor der g e s c h r i e b e n e n Sprache aus. In ihrer geschichtlichen Wirkung nehmen sie häufig irrationale, wissenschaftsfeindliche, rückwärtsgewandte Tendenzen auf und treten damit gegen die Durchsetzung ihrer erklärten Ziele ein. Zu 1: Durch Vertreter des deutschen Bürgertums wird in dieser Phase die Bezeichnung Muttersprache für ein besonderes Unterrichtsfach eingeführt, in der Wendung gegen das bestehende öffentliche Schulwesen, vor allem gegen den Sprachunterricht der aus der Gelehrtenschule hervorgegangenen Gymnasien, in denen im Gegensatz zu den ,deutschen Schulen" (Lese- und Schreibschulen) des ausgehenden Mittelalters das Lateinische bis ins 18. Jh. hinein die einzige Unterrichtssprache in allen Fächern war. Das Erstarken des Selbstbewußtseins des Bürgertums, die neue intensive Beschäftigung mit dem Wesen oder der Funktion der Sprache, nicht zuletzt die Abneigung der Schüler gegen das Vokabel- und Regellernen im alten Sprachunterricht machen ein Reforminteresse im Bereich der Schule verständlich, das sich in einer Veränderung des schulischen Lehrplans niederschlägt: In den reformierten Gymnasien des 18. Jhs. erhält der „muttersprachliche" Unterricht einen festen Platz, die Unterrichtsmittel besonders für den Leseunterricht werden den veränderten Interessen angepaßt. Es bedeutet einen wichtigen Schritt aus der Bevormundung durch die Kirche heraus, daß neben die ABC-Büchlein mit ausschließlich religiösen Texten Lesebücher mit Texten weltlichen Inhalts treten (C. F. Weiße, Neues ABC-Buch, nebst

einigen kleinen Übungen und Untersuchungen für Kinder. 1772; E. v. Rochow, Der Kinderfreund. 1776). Bei Diskussionen um die Sprachenfolge an Gymnasien geht es um die Priorität moderner (Französisch, Italienisch) oder alter (Lateinisch, Griechisch, Hebräisch) Fremdsprachen (J. G. Herder, Journal meiner Reise. 1769). Die Diskussion um den muttersprachlichen Unterricht im 18. Jh. hat Standpunkte entwickelt und gefestigt, die vom Primat der Muttersprache im Sprachlernprozeß ausgehen (J. B. Basedow, L. F. Gedike, J . M. Gesner, J. G. Herder, G. Resewitz u. a.). Auch Herder entwickelt Gedanken des Ratichius und Comenius weiter, in denen die M u t t e r s p r a c h e als w i c h t i g e s M e d i u m des g e s a m t e n s c h u l i s c h e n L e r n p r o z e s s e s aufgefaßt ist. Von hier aus begründet er seine an die Lehrer gerichtete Forderung nach der Ausbildung ihrer eigenen Sprache. Daß das Aus w e n d i g l e r n e n von Grammatik, Rhetorik und Poetik weder das Sprechen und Schreiben noch das Verstehen der Literatur erleichtert, betonen alle, die sich überhaupt für den muttersprachlichen Unterricht an öffentlichen Schulen einsetzen. Die Argumentationen und die Realisierungen des muttersprachlichen Unterrichts bleiben aber widersprüchlich bei der Frage, ob das Lernen der Muttersprache durch das L e r n e n der G r a m m a t i k erleichtert wird. Während J . B. Basedow in seinem „Methodenbuch für Väter und Mütter der Familien und Völker" (1770) den grammatischen Übungen fast überhaupt keinen Wert beimißt (niemals vor dem 15. Lebensjahr!), sind ζ. B. bei Herder und bei anderen Reformern, die an die humanistische Tradition anknüpfen, Lernen der Muttersprache und Reflexion über Sprache untrennbar verbunden. — Ähnlich widersprüchlich bleibt die Diskussion um die Funktion der R h e t o r i k und P o e t i k . Das Wissen der Zeitgenossen von der Bedeutung der Sprache als sozialem Auslesefaktor verdeutlicht der autobiographische Roman „Anton Reiser" des K. Ph. Moritz (1785), in der die lateinische S p r a c h e als s o z i a l e B a r r i e r e dargestellt wird. „Diese war es denn auch allein, worin sich jemand Ruhm und Beifall erwerben konnte. Denn die Ordnung der Plätze richtete sich nur nach der Geschicklichkeit im Lateinischen." Zu (2): In ausdrücklichem Rückgriff auf Herders „Journal meiner Reise" (1769) als einem „Handbuch" für jeden Lehrer, zugleich noch im Kontext patriotischer Hoffnungen des Liberalismus der 40er Jahre, Hoffnungen auf die Herstellung einer nach „außen" und „innen" geeinten Nation, hat R. Hildebrand, der bedeutende Mitarbeiter am

101. Didaktik des Muttersprachunterrichts Grimmschen Wörterbuch, im Jahre der Gründung des Norddeutschen Bundes seine Schrift „ V o m deutschen Sprachunterricht" (1867) veröffentlicht. Aber erst Ende der 80er Jahre, Anfang der 90er Jahre, im Zusammenhang der schärfer hervortretenden wirtschaftlichen und politischen Kämpfe, beginnt ihre Breitenwirksamkeit, werden ihre didaktischen Prinzipien für die gegenwärtige Situation präzisiert. Vor allem der Grundsatz, „ D a s Hochdeutsch, als Ziel des U n terrichts, sollte nicht als etwas für sich gelehrt werden, wie ein anderes Latein, sondern im engsten Anschluß an die in der Klasse vorfindliche Volkssprache oder Haussprache", bietet sich in einer Zeit, in der die Struktur des herkömmlichen Schulwesens in Bewegung gerät, als Grundlage eines breiten Reformkonsensus an, der das niedere und höhere Schulwesen und alle möglichen R e formalternativen umfassen kann. - In der Geschichte seiner Wirkung wird dieser Grundsatz angesichts von „Verkehrsausbreitung, Industriearbeit und Großstadtbildung" (Karstädt 1922) zum Schlagwort von der „ R e t t u n g " der Mundarten pervertiert. Die Liebe zu Mundart und Volkstum soll nach dem verlorenen Krieg das Selbstbewußtsein des deutschen Volkes erhalten und Bedingung einer gepflegten Einheitssprache sein. (Erlasse des preuß. Unterrichtsmin. zur Pflege der Mundarten von 1919 und 1922.) Auch die gleichzeitig entwickelte Perspektive der Einführung aller Schüler in die literarische Tradition, von der Volksliteratur, über die „klassische" zur „modernen" Literatur (H. Wolgast 1896) wird zugunsten der Volksliteratur reduziert (S. Rüttgers 1914). Zu (3): Als sich im Zusammenhang des krisenhaften Wirtschaftswachstums der 60er Jahre die Tendenz zur weitergehenden Vereinheitlichung des Schulwesens und damit zur zeitlichen Ausdehnung des für alle Schüler gemeinsamen Deutschunterrichts durchzusetzen beginnt, werden zunächst Reformtendenzen früherer Zeiten nur schwach aktiviert. D e r Rückgriff auf die Reformpädagogik der 20er und 30er Jahre nach 1945 hat diese Perspektive verstellt. Die Diskussion konzentriert sich auf den problematischen Zusammenhang von „technologischem Fortschritt" und damit verbundenen „soziokulturellen Wandlungen der modernen industriellen Gesellschaft", auf das Problem von „visuellem Analphabetismus" und Rückgang der traditionellen Schriftkultur. In der Beschäftigung mit „Kommunikation" in einem umfassenden Sinne laufen verschiedene Interessen zusammen ( O . W . Haseloff 1969). „Wirksame Kommunikation", heißt es in der auch für die Lehrplanung des Muttersprachunterrichts richtungweisenden Schrift über „Bildungsreform als Revision des Curriculum" (1967) von S. B . Robinsohn, wird

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nicht nur zum Ziel des Sprachunterrichts, sondern zum neuen, fundamentalen Bildungsziel". Zu seiner Erreichung gehören „Einsichten in K o m munikationssperren und Kommunikationshilfen, aber auch in die Sprache der wissenschaftlichen Abstraktion und des Modells. Sie gewinnt besondere Bedeutung in einer Zeit, in der kommunikatives Handeln um nichts weniger wichtig ist als technisch akkurates, in der ferner der einzelne aus der Binnensprache der engeren Gruppe, der Familie oder der Berufsgruppe in die der größeren Gruppe hineinwachsen soll. Unter dieser Perspektive werden die seit 1959 in Deutschland bekannten, aber kaum rezipierten Untersuchungen B. Bernsteins über den Zusammenhang von „sozialem" und „linguistischem C o d e " relevant (dazu: S. B. Robinsohn 1967; O . W . Haseloff 1969). Die Phase der problematischen „Umsetzungen" soziolinguistischer Befunde in Konzeptionen muttersprachlichen Unterrichts auf der Basis divergierender Kommunikationsmodelle beginnt. 3. Sprachwissenschaft und Didaktik des ΜuttersprachUnterrichts Gegenüber der Frage nach der Einbettung eines Unterrichtsfaches und seiner Didaktik in den gesellschaftlichen Prozeß, exemplifiziert an dem Zusammenhang von Schulreform und Muttersprachunterricht, ist die andere wichtige Frage nach dem wissenschaftlichen Status der Fachdidaktik in ihrem Verhältnis zu anderen Spezialdisziplinen, zu „Grund- und Nachbardisziplinen" (s. H . Helmers 1976), zu Gesellschaftswissenschaften, Erziehungswissenschaften, psychologischen Disziplinen und Fachwissenschaften von untergeordneter Natur. Auch diese Wissenschaften werden in wesentlichen Entwicklungstendenzen von wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Bedingungen des gesellschaftlichen Prozesses mitbestimmt. Die in fachdidaktischen Diskussionen gegenwärtig dominierende Frage nach dem Verhältnis von F a c h w i s s e n s c h a f t und F a c h d i d a k t i k wird einerseits als Problem der Weiterentwicklung der Forschung in bestimmten Objektbereichen (Sprache, Literatur) zunehmend relevant, sie ist zugleich als Problem der Organisierung bzw. Institutionalisierung dieses Verhältnisses bis heute heftig umstritten: Auf der Ebene der Wissenschaftsorganisation im Rahmen der Lehrerausbildung ist dieses Verhältnis in verschiedenen Bundesländern und an verschiedenen Hochschulen unterschiedlich organisiert, von der Integration der Fachdidaktik in die Erziehungswissenschaften über die Institutionalisierung „eigenständiger" Fachdidaktiken bis hin zur Integration der Fachdidaktiken in die Fachwissenschaften. (Grund-

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XI. Anwendungsbereiche

sätzliches und Beispiele dazu im Art. 103.) Institutionalisierte Zusammenarbeit von Fachwissenschaftlern, Fachdidaktikern und Vertretern der Schulpraxis ist auf der Ebene der Herstellung von Lehrplänen und Unterrichtsmaterialien üblich geworden, auf der Ebene der Unterrichtsforschung ist sie erst ansatzweise verwirklicht (s. etwa H. Eggert u.a. 1975). Im folgenden werden knapp wichtige Phasen der E i n w i r k u n g d o m i n i e r e n d e r s p r a c h w i s s e n s c h a f t l i c h e r Richtungen auf die Didaktik des Muttersprachunterrichts skizziert. Dabei müssen vorab folgende Einschränkungen geltend gemacht werden: (1) Bei der Diskussion dieser Einwirkungen wird der Objektbereich des Muttersprachunterrichts und seiner Didaktik nicht voll erfaßt. Mit der Festlegung des Objektbereichs der jeweiligen sprachwissenschaftlichen Richtung verändert sich auch der besprochene Ausschnitt aus dem Objektbereich der Didaktik. Er kann also Sprachund Literaturunterricht umfassen, kann innerhalb des Sprachunterrichts mehr auf Textproduktion, Grammatik bezogen sein usw. In diesem Zusammenhang spielen die tendenzielle Auflösung der Universitätsdisziplin Germanistik in Sprach- und Literaturwissenschaft und die Schwerpunktverlagerung von der Diachronie zur Synchronic eine entscheidende Rolle. (2) Es sind hier nur Einwirkungen darstellbar, die sich auf der Ebene fachdidaktischer Konzeptionen und auf der Ebene institutionalisierter Zusammenarbeit von Fachwissenschaft und Fachdidaktik (s.o.) niedergeschlagen haben. V e r ä n d e r u n g e n des Sprachunterrichts können aus losen Anhaltspunkten - zumeist aus der zweiten Ausbildungsphase und aus der Lehrerfortbildung — nur vermutet werden. Forschungen über Art und Grad der Durchsetzung postulierter Veränderungen in der Praxis liegen bisher nicht vor (vgl. 5.). Der Muttersprachunterricht und seine Didaktik wird im 19. Jh. bis ins 20. Jh. hinein von der formalistischen Richtung der Grammatik K. F. Beckers (entstanden in den 20er und 30er Jahren) und von der historischen Grammatik J . Grimms bestimmt. Während aber die Grammatik Beckers - ihre Methode wird 1849 von den österreichischen Unterrichtsbehörden obligatorisch gesetzt - ebenso wie die lateinische Schulgrammatik in keiner unmittelbaren Beziehung zur Entwicklung der Sprachwissenschaft steht, wirkt die Sprachwissenschaft mit der h i s t o r i s c h e n G r a m m a t i k langdauernd und folgenreich auf die Didaktik des Muttersprachunterrichts ein. (Vgl. dazu H. Frank 1973.) Dabei wird J . Grimm als wissenschaftliche Autorität zitiert, obwohl Grimm selbst dem Grammatikunterricht in der Schule sehr zwiespäl-

tig gegenübersteht. Zumindest in der Vorrede zur 1. Aufl. seiner Grammatik (1819) behauptet er von ihr, daß sie der , .freien Entfaltung des Sprachvermögens" hinderlich sei. Deutlich wird die Anerkennung der Grimmschen Grammatik auf der Ostpreußischen Direktorenkonferenz von 1831, wo gefordert wurde, der Minister solle bei einem berühmten Sprachforscher ein Lehrbuch der historischen Grammatik für Schulen in Auftrag geben. R. Hildebrand, Sprachforscher und Lehrer zugleich, liefert in seiner Didaktik (1867; s.o.) für die Einführung eines Teils der historischen Grammatik die wirkungsvollste Legitimation, indem er das Etymologisieren zu einer zentralen Unterrichtsmethode macht, durch die das allgemeine Ziel, die Vermittlung von „Hochsprache" und „Haussprache" (s.o.), realisiert werden soll. Im Bereich des höheren wie des niederen Schulwesens kann diese Methode mehr als ein wichtiges Moment der Sprachentwicklung sein. Sie wird zugleich als Möglichkeit der Erhaltung und Entwicklung sozialen und nationalen Selbstbewußtseins erkannt. - Die historische Grammatik wird allerdings in der Folgezeit nicht, auch nicht während der Dominanz der historischen Schule O . Behaghels, B. Delbrücks, O . Erdmanns und H. Pauls zum organisierenden Prinzip des Sprachunterrichts gemacht. (Vgl. dazu H. D. Erlinger 1969.) Folgenreicher für die Didaktik des Muttersprachunterrichts in diesem Zusammenhang ist stattdessen die Hineinnahme und starke Betonung der „altdeutschen Literatur" im Literaturunterricht, in höheren Schulen im Original, in niederen Schulen in Übersetzungen (vgl. R. Hildebrand: Anhang zur 2. Auflage seiner Schrift „Vom deutschen Sprachunterricht". 1887). Ein weiteres wichtiges, unmittelbar in die gegenwärtige Diskussion hineinwirkendes Datum ist die Rechtschreibkonferenz des Jahres 1901, auf der entgegen weitreichenden Reformvorschlägen zur Vereinfachung die einheitliche historische Schreibung festgelegt wird. (1903: Rechtschreib-Duden.) Bereits seit der Jahrhundertwende, verstärkt in der Reformpädagogik der 20er und 30er Jahre wird der Entwicklungsgedanke mehr von der Seite der geschichtlichen Entwicklung der deutschen Sprache weg auf die Seite der S p r a c h e n t w i c k l u n g des e i n z e l n e n „Sprachträgers" verlagert. Dies geschieht in der Didaktik des Muttersprachunterrichts einerseits noch im Rückgriff auf R. Hildebrand, andererseits im Rückgriff auf W. v. Humboldts Sprachtheorie und auf psychologische Untersuchungen zur Sprachentwicklung, besonders zur Kindersprache (William Stern u.a.), deren Ergebnisse nur bedingt in die dominierenden Richtungen der Sprachwissenschaft dieser Zeit vermittelt sind. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang vor allem die Didaktik W. Seide-

101. Didaktik des Muttersprachunterrichts manns (1927), die von dem Begriff der „inneren Sprachform" ausgeht. An diese Richtung knüpft die i n h a l t s b e z o g e n e G r a m m a t i k L. Weisgerbers an, die nach 1945 die Lehrerausbildung für Volksschullehrer (vgl. etwa A. Beinlich 1961) und die Methodik und Didaktik für Lehrer höherer Schulen (E. Essen) sowie Unterrichtsmedien (s. „Lebendige Sprache" und „Deutscher Sprachspiegel") und die Lehrplanung in einigen Bundesländern bestimmt. (Vgl. auch H. D . Erlinger 1969; E. Straßner 1977.) Erst im Zusammenhang der Krise der Germanistik und des Deutschunterrichts in den 60er Jahren, im Zusammenhang der Suche nach neuen Legitimationen für Forschung, Lehrerausbildung und schulischen Unterricht dringen neue linguistische Richtungen, vor allem die V a l e n z g r a m m a t i k und die g e n e r a t i v e T r a n s f o r m a t i o n s g r a m m a t i k in die „Schulgrammatik" (s. dazu W. Menzel 1972) ein. Ihre Schematisierungsweisen, ihr Angebot an einfachen Operationen und - im Fall der gTG - das generative Prinzip bieten sich als Methoden elementarer Beschäftigung mit der Struktur der Sprache an. Noch gegenwärtig wird von der besonderen Möglichkeit der Anwendbarkeit von Valenzgrammatik und von generativer T G — allerdings in gemischten Verfahren — im Sprachunterricht ausgegangen. Die Beschäftigung mit Möglichkeiten der „Linguistisierung" des Sprachunterrichts wird aber seit dem Ende der 60er Jahre von der Frage nach der notwendigen Erweiterung der Objektbereiche von Sprachwissenschaft und Fachdidaktik dominiert. Entwicklungen in anderen Disziplinen (Sozial Wissenschaften, Erziehungswissenschaften, Psychologie) wirken auf die Veränderung von Fragestellung und Methode der Germanistik ein. In diesem Prozeß werden — begünstigt durch neue Organisationsformen im Ausbildungsbereich Fachwissenschaft und Fachdidaktik näher aneinander herangeführt. Diese Tendenz hat sich in fachwissenschaftlich-fachdidaktischen Zeitschriften und Monographien, in neuen Lehrplänen und Unterrichtsmaterialien bis hin zu speziellem Sprachförderungsmaterial niedergeschlagen. Sie bezieht sich vornehmlich auf das Verhältnis von (1) Soziolinguistik und Fachdidaktik Mit der Diskussion soziolinguistischer Befunde (vgl. Art. 31 und Art. 34) wird das Sprachnormproblem (vgl. Art. 33) als Problem der schulischen Vermittlung von „Hochsprache", „Einheitssprache", „Standardsprache" und „schichtspezifischen Codes" ins Zentrum fachdidaktischer Konzeptionen gerückt. Anwendungen der Soziolinguistik im „kompensatorischen Sprachunterricht", hierzu gehören vornehmlich Vorschulprogramme wie das von Schüttler — Janikulla (bereits 1965!-vgl. dazu E. Neuland 1975), legen

825

Bernsteins Untersuchungen über schichtspezifische Unterschiede linguistischer Codes fälschlich einseitig im Sinne einer Defizitfeststellung aus. Die Untersuchungsergebnisse werden nicht im Zusammenhang der Untersuchungsordnungen diskutiert und rezipiert. Dabei wird zugleich der im Untersuchungsmodell konstitutive Zusammenhang von sozialem Code und linguistischem Code in Maßnahmen zur Sprachschulung aufgelöst. (Vgl. B. Bernstein 1977.) Für Vertreter eines „emanzipatorischen" (Gutt/Salffner 1971) oder „aufklärenden" Sprachunterrichts als „pädagogischer Folge" der „Differenzkonzeption" (E. Neuland 1975) bleibt dieser Zusammenhang konstitutiv. (Zur Integration von Mundartforschung in den Zusammenhang der Soziolinguistik und des Deutschunterrichts vgl. U. Ammon 1972; Praxis Deutsch: Dialekt 1978.) (2) Linguistische Pragmatik und Fachdidaktik Nachdem von D. Wunderlich (seit 1969) und U. Maas von der Seite der Linguistik her im Verweis auf den „umfassendsten Aspekt der Sprache", den pragmatischen, eine enge Beziehung von Sprachwissenschaft und Fachdidaktik konstatiert und die Erweiterung des Objektbereichs der Sprachwissenschaft in dieser Hinsicht postuliert worden war, ist „Kommunikation" (vgl. bes. Art. 21, Art. 24, Art. 30) zu einem fast uneingeschränkt akzeptierten, den Gegenstand des Sprachunterrichts „bezeichnenden Schlüsselbegriff" (W. Dehn 1976) geworden. Zahlreiche Versuche zu Gesamtkonzepten einer Didaktik des Deutschunterrichts liegen seither vor. Die wichtigsten stammen von K. Behr u.a. (1972; 1975), W. Boettcher u. a. (1973), E. Nündel (1976) und R. Rigol u.a. (1978). Die allgemein gewordene Grundlegung didaktischer Konzeptionen durch den Begriff der Kommunikation täuscht allerdings ein einheitliches Verständnis grundlegender didaktischer Fragen nur vor. Selbst innerhalb einer Konzeption können divergierende Kommunikationsbegriffe unvermittelt nebeneinander stehen. (Vgl. dazu den krit. Bericht von W. Dehn 1976.) Die „kommunikationstheoretische Wende" der Fachdidaktik - ist sie auch in bezug auf die Entwicklung interdisziplinärer Arbeit ein Schritt nach vorn - wirkt sich vor allem in zweierlei Hinsicht problematisch aus: Auf der Suche nach einer umfassenden theoretischen Fundierung des didaktischen Ansatzes werden einerseits die vornehmlich herangezogenen, handlungstheoretischen und kommunikationstheoretischen Konzepte von Habermas und Watzlawick unzulässig verkürzt. Bei der Übernahme des Habermasschcn Begriffs der „kommunikativen Kompetenz" wird die für ihn notwendige Unterscheidung von „empirischer Pragmatik" und „Universalpragmatik" übergangen. Der Schulunterricht gilt als Feld der „Erweiterung

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XI. Anwendungsbereiche

kommunikativer Kompetenz". Institutionelle Schranken der Erweiterung werden nicht historisch-systematisch bestimmt. - Auch der Rekurs auf das Konzept gestörter Kommunikation von Watzlawick geht nicht von einer gründlichen Bestimmung von Kommunikationsbedingungen innerhalb der Institution Schule aus. Gestörte Kommunikation in der Familie wird mit Kommunikation im Unterricht vorschnell gleichgesetzt. (Vgl. dazu H . C. Goeppert. In: H . C. Goeppert 1977.) Andererseits bilden einzelne Konzepte in ihren speziellen unterrichtsbezogenen Teilen lediglich sehr beschränkte, entweder der aktuellen Sprachverwendung entfremdete oder bloß unmittelbar zweckgerichtete sprachliche Tätigkeiten ab. Die Frage, wie aktuelles Sprachverhalten und Notwendigkeiten der Sprachverwendung in eine systematisierte Form der sprachlichen Übung und der Sprachbetrachtung zu überführen sind, sind bisher kaum in Angriff genommen. (Weiterführende Ansätze bei R. Rigol u. a. 1978.) Der Übergang von der Phase der „Linguistisierung der Didaktik" zur „kommunikationstheoretisch orientierten Didaktik" hin, der sich in der fachdidaktischen Diskussion und in der Lehrplanung der Länder durchgängig niedergeschlagen hat, wurde in jüngster Zeit in bezug auf die Unterrichtsmedien vor allem des Grundschulunterrichts (Sprachprojekte: Westermann; Sprachbuch für die Grundschule: Diesterweg; Sprachkontakte: Bagel) intensiv untersucht. (Vgl. dazu Berichte, Spezialanalysen und Bibliographie Hamburger Autoren. In: Mitteilungen des Germanisten-Verbandes 1978.) 4. Gesamtkonzeptionen einer Didaktik des Muttersprachunterrichts 4.1. Die Einheit des Unterrichtsfaches

Deutsch

Während im 18., 19. und20. Jh. der Muttersprachunterricht als ei η Unterrichtsfach aus der gemeinsamen Einbettung von Sprache und Literatur in die deutsche Geschichte oder aus dem Begriff der „sprachlichen Persönlichkeit" begründet und im Lehrplan der Schulen vertreten wird, deutet sich in der Krisenzeit der'60er Jahre in fach wissenschaftlichen und fachdidaktischen Publikationen sowie in der Programmatik staatlicher Organe in Bund und Ländern zunächst eine Tendenzwende an. Bis dahin wird der Zusammenhang aller Teilaufgaben des Muttersprachunterrichts in divergierenden Konzepten des „v e r b u η d e η e η S ρ r a c h u n t e r r i c h t s " legitimiert: Für R. Ulshöfer, auf den sich die Theorie des verbundenen Deutschunterrichts zurückführen läßt, sind nicht nur alle Teilaufgaben des Deutschunterrichts im engeren Sinne: „Verstehen" und „Gestalten" der Sprache,

sondern auch alle anderen Fächer über die Sprache verbunden. Der Deutschunterricht ist für ihn Mittelpunktfach, das Fach der „Lebenslehre schlechthin". Die moralisch wertvollen Inhalte der mündlichen und schriftlichen Äußerungen sind Anlässe für einen „thematischen Deutschunterricht". E. Essen (1972) macht im Anschluß an das Bühlersche Sprachmodell Äußerung, Gespräch und Darstellung zur Grundlage eines verbundenen Deutschunterrichts. Dabei sollen Sprachhandeln und Sprachbetrachtung einander ergänzen. Im Gegensatz zu R. Ulshöfer grenzt E. Essen die Aufgaben des Deutschunterrichts scharf gegen die Aufgaben anderer Fächer ab. Der Unterricht wird nicht über die Inhalte, sondern über die fachlichen Arbeitsweisen zusammengehalten. Auch bei H . Helmers (1976) dient der Deutschunterricht der sprachlichen Grundbildung. Auch von ihm wird - wie von Ε. Essen - die Verbindung von Deutschunterricht und Sachunterricht abgelehnt. Obwohl auch bei Helmers über die Sprache der Zusammenhang aller Teilaufgaben des Deutschunterrichts garantiert ist, sind die Aufgabenbereiche doch so weit trennbar, daß eine Aufteilung in Literatur- und Sprachunterricht möglich erscheint. Noch jüngere Lehrpläne (Berlin 1968; N R W 1968) führen ihre Auffassung vom Fach auf die Theorie des verbundenen Sprachunterrichts zurück. Im Kontext der enger werdenden Beziehung von Fachwissenschaft und Fachdidaktik wird für die Lehrerausbildung und für den Schulunterricht die Aufteilung des Faches Deutsch in Literatur- und Sprachunterricht propagiert. Diese Trennung wird in den „Ansichten einer künftigen Germanistik" (J. Kolbe [Hrsg.] 1969) befürwortet. Der „Strukturplan für das Bildungswesen" (1970) des deutschen Bildungsrates geht von der Trennung aus. Das Gutachten des deutschen Bildungsrates über „Lernziele der Gesamtschule" (1969) schlägt eine gemischte Lösung vor, indem es den „ungefächerten Sprachunterricht", der sich an den Entwicklungstendenzen der allgemeinen Sprachwissenschaft orientieren soll, vom „Deutschunterricht" unterscheidet, der der „Fähigkeit zur Kommunikation als Hermeneutik von Lebenszusammenhängen dient". Dieser Programmatik (vgl. auch S. B. Robinsohn 1967) folgen in den nächsten Jahren im Zusammenhang der „kommunikationstheoretischen Wende" fachdidaktische Konzeptionen und Lehrpläne der Länder nach. Wirksame Initiativen gehen dabei von dem in der BRD ersten großangelegten Versuch der Curriculumrevision in Hessen (1967ff.) aus, der - zunächst im Rahmen der „Großen Curriculumkommission" („KlafkiKommission") fächerübergreifend angelegt - in der Arbeit der Rahmenrichtlinienkommissionen fachbezogen weitergeführt wird. - Die Didaktik des Muttersprachunterrichts bewegt sich zur ein-

101. Didaktik des Muttersprachunterrichts heitlichen Auffassung des Gesamtfaches Deutsch zurück.

4.2. Allgemeine Ziele des

Deutschunterrichts

(1) Bis zum Ende der 60er Jahre enthalten Lehrpläne, Methodiken und Didaktiken ähnliche allgemeine Zielformulierungen für den Deutschunterricht. Die Zielformulierungen haben folgende miteinander verbundene inhaltliche Bestandteile: (a) Der Deutschunterricht hat die Aufgabe, den Schülerzurkorrekten Beherrschung seiner M u t t e r s p r a c h e zu führen. (b) Der Deutschunterricht hat die Aufgabe, ein Wissen über die Leistungen der M u t t e r s p r a c h e z u vermitteln. (c) Der Deutschunterricht hat die Aufgabe, dem Schüler zu helfen, die in der Sprache (einschließlich: Dichtung) enthaltenen B i l d u n g s w e r t e zu erfassen. E. Essen (1972) formuliert zusammenfassend: Der Deutschunterricht hat folgende Aufgabe: Bildung des sprechenden Menschen durch Sprache zu Sprache. Hinter dieser Zielformulierung steht die Auffassung, daß der Deutschunterricht als Sprachunterricht der Entfaltung der Person dienen soll, in der alle individuellen Fähigkeiten der „Welterfassung" ausgeprägt sind. Ausgangspunkt und Bezugspunkt dieser Auffassung ist L. Weisgerbers Theorie der Muttersprache (vgl. L. Weisgerber 1969), die er auf den Unterricht angewendet hat: Ziel des Sprachunterrichts ist danach die „sprachliche Persönlichkeit", die in der Lage ist, angemessen zu handeln, wenn ihr sprachliche Leistungen abverlangt werden. Mitte der sprachlichen Persönlichkeit ist der „Sprachbesitz", den jeder Mensch aufbauen kann, weil er Teil hat an der „Sprachengabe" der Menschheit. (2) Kritiker dieser Zielsetzung entwickeln seit dem Ende der 60er Jahre ihre Argumentationszusammenhänge vor allem von drei Thesen her: (a) Der an L. Weisgerber orientierte Sprachunterricht berücksichtigt mit seiner Annahme der allgemeinen „Sprachengabe" nicht die gesellschaftlich bedingten ungleichen Voraussetzungen im Spracherwerb. (b) Der bisherige Sprachunterricht setzt unreflektiert die Sprachnorm der Mittelschicht als generelle Norm. (c) Der bisherige Sprachunterricht transportiert teilweise noch direkt nationalistische Inhalte oder er verhindert durch formalisierende Sprachbetrachtung die Auseinandersetzung mit den durch Sprache vermittelten oder vermittelbaren Inhalten. Die Autoren stützen ihren gesellschaftskritischen Ansatz (W. Dahle, Κ. H. Grünwaldt, H. Hartwig, alle in: H. Ide [Hrsg.] 1970) teilweise durch Untersuchungen zum schichtspezifischen

827

Sprachverhalten von B. Bernstein, U . Oevermann und P. M. Roeder ab. In der Didaktik des Deutschunterrichts wird nun zunächst, ausgehend von der Defizitkonzeption in der Soziolinguistik (s.o.), das allgemeine Ziel des Muttersprachunterrichts im Sinne „kompensatorischer Spracherziehung" umformuliert: Aufgabe des Deutschunterrichtes ist damit die A u f h e b u n g der s c h i c h t e n s p e z i f i s c h b e d i n g t e n U n g l e i c h h e i t im Bereich kindlicher Sprachentwicklung, d i e , .kompensatorische Uberwindung" von „Sprachbarrieren" (H. Helmers 1966, 6. Aufl. 1971) oder die „Befähigung zum Code-Wechsel" (Hess. Lehrplan Deutsch für Gymnasien 1969). Eine zweite Phase der Umformulierung der alten Ziele setzt die Kritik der zugrundegelegten sprachlichen Norm selbst voraus. Reflexion auf Sprache wird zu einer Form der Sprachkritik (vgl. H. Ide [Hrsg.] 1972; Entwurf der Hess. Rahmenrichtlinien Deutsch für die Sek. I 1972). Aufgabe des Deutschunterrichts wird es, die Schüler zu der Erkenntnis zu führen, daß S p r a c h e ein M i t t e l d e r A u s ü b u n g v o n H e r r s c h a f t ist. (3) Beeinflußt durch curriculumtheoretische Arbeiten S. B. Robinsohns, gestützt auf die Differenzkonzeption in der Soziolinguistik und fundiert durch gesellschaftstheoretische Konzepte greifen einige der neueren, im kommunikationsund handlungstheoretischen Rahmen entwikkelte Konzepte, in allerdings veränderter Begrifflichkeit und mit einem durch die Diskussion in dem letzten Jahrzehnt geschärften Bewußtsein der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation, teilweise wieder auf Leitideen älterer fachdidaktischer Konzeptionen zurück. Der Deutschunterricht wird dabei am fächerübergreifenden Ziel der „Ausbildung" der „Identität" orientiert. Die nach diesem Leitgedanken aufgebaute Didaktik geht wie die am Ziel der „sprachlichen Persönlichkeit" orientierte Didaktik von der konstitutiven Beziehung von S p r a c h e n t w i c k l u n g und P e r s ö n l i c h k e i t s e n t w i c k l u n g aus. Wird aber „Sprechtätigkeit als Bestandteil gesellschaftlicher Praxis", als „soziale Tätigkeit", als Bedingung für die Herstellung und probeweise Veränderung sozialer Beziehungen bedacht, dann erhält die Zielorientierung des Deutschunterrichts einen anderen Akzent: Aufgabe des Deutschunterrichts wird es, S o z i a l e r f a h r u n g e n (gegenwärtige und vergangene, in die Gegenwart wirkende) als wichtige Momente der Ausbildung der Identität ζ u r S ρ r a c h e zu bringen (vgl. R. Rigol u . a . 1978). Auch die Möglichkeit einer neuen - sich gegenwärtig im Bereich der Didaktik des Literaturunterrichts abzeichnenden - H i n w e n d u n g zur G e s c h i c h t e deutet sich schon an.

828

XI.

Anwendungsbereiche

4.3. Arbeitsbereiche

des Deutschunterrichts

Die Qualität und innere Konsistenz eines fachdidaktischen Ansatzes hängt von dem in ihm entwickelten Verhältnis von allgemeinen Zielformulierungen und speziellen Unterrichtsaufgaben ab. Zentrale Entscheidungen in dieser Hinsicht werden bereits auf der Ebene der Gliederung des Deutschunterrichts in verschiedene Arbeitsbereiche gefällt. Aus diesbezüglichen gegenwärtigen Kontroversen ist vor allem die Position des Autors zur Frage der n o r m a t i v e n G e l t u n g dominanter Anforderungen an die Entwicklung der Sprachfähigkeit im Verhältnis zu den sprachlichen Voraussetzungen und Ansprüchen der Lernenden im Unterricht ablesbar. H . Helmers (1974) stellt in diesem Zusammenhang fest, daß in der Geschichte des Muttersprachunterrichts und ihrer Didaktik zwei Gliederungsmodelle grob zu unterscheiden sind, ein vornehmlich im Bereich des höheren Schulwesens realisiertes, mehr auf den Aufbau r e f l e x i v e r Fähigkeiten bezogenes Modell, in dem die Bereiche „ L i t e r a t u r " , „Sprachbetrachtung" und „Sprachproduktion" unterschieden sind, und ein mehr im Bereich des niederen Schulwesens realisiertes, auf den Aufbau t e c h n i s c h e r Fertigkeiten konzentriertes Modell. Er selbst sucht angesichts der Tendenz zur Vereinheitlichung des Schulwesens nach einer systematischen Möglichkeit der Verbindung beider Modelle. Dabei geht er in seiner Didaktik von vier fundamentalen Komponenten der Sprachfähigkeit aus: Sprechen, Lesen, Schreiben und Verstehen. Diese Kategorien - differenziert unter den Gesichtspunkten „ b e n e " (gut, wohlgefällig - später: fakultativ) und „ r e c t e " (richtig - später: obligatorisch) - ergeben acht bzw. sieben „ L e r n b e r e i c h e " ( H . Helmers 1966), deren Ziele wie folgt bestimmt sind: ,,1. Sprachtraining (Lernziel: grammatisch richtiges Sprechen der Hochsprache); 2. Sprecherziehung (Lernziel: lautreines Sprechen der Hochsprache; gestaltendes Sprechen in Gespräch und Rede); 3. Leselehre (Lernziel: Techniken des lauten und des stillen Lesens); 4. Rechtschreibunterricht (Lernziel: orthographisches Schreiben); 5. Gestaltungslehre (Lernziel: Analyse und Gestaltung nichtästhetischer Sprache); 6. Sprachbetrachtung (Lernziel: Erkennen von grammatischen und etymologischen Strukturen der Sprache); 7. Literaturunterricht (Lernziel: Verstehen und partiell auch Selbermachen von ästhetischer Sprache)." (Helmers 1976.)

Neue Lehrpläne der Länder, sie werden in dieser Hinsicht von H . Helmers scharf angegriffen, sind von Gliederungsmodellen anderer didaktischer Konzeptionen bestimmt. In der gegenwärtig gängigen Gliederung in „Mündliche und schriftliche K o m m u n i k a t i o n " , „Reflexion über

Sprache", „ U m g a n g mit T e x t e n " setzt sich die Auffassung von der Notwendigkeit der Integration spezieller Übungsaufgaben in übergeordneten Aufgabenzusammenhängen durch. Dabei fällt es bislang allerdings noch schwer, notwendig normative Ausrichtungen des Sprachunterrichts (bes. im Bereich der Rechtschreibung, der Hochlautung und der Grammatik) zu realisieren. - Die Aufdifferenzierung sprachlicher Aufgaben geht in entsprechenden didaktischen Konzeptionen, angeregt durch S. B . R o b i n s o h n , von typischen „Situationen, die sprachliches Handeln verlangen" aus. Das am weitesten entwickelte Modell einer solchen Aufdifferenzierung von Situationen aus findet sich bei R . Rigol u. a. 1978.

5. Leistungsbeurteilung

im Deutschunterricht

V o r allem diejenigen fachdidaktischen Konzeptionen, in denen der zentrale Stellenwert der s p r a c h n o r m i e r e n d e n Funktion des Deutschunterrichts fragwürdig geworden ist, sehen sich bei dem Problem der Beurteilung von Schülerleistungen vor unüberwindliche Schwierigkeiten gestellt. Konsequent scheint zunächst die Aufhebung der Notengebung und die auf e i n z e l n e Schüler und deren sprachliche Entwicklung bezogene d i a g n o s t i s c h e F o r m der Beurteilung zu sein. Andererseits gingen aber diese Lösungen an dem widersprüchlichen Charakter der gesellschaftlichen Institution Schule, an ihrer Bedeutung als Institution zur R e p r o d u k t i o n bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse (und der in ihnen dominant gewordenen N o r m e n ) u n d an ihrer Bedeutung als Institution zur V e r g e s e l l s c h a f t u n g , zur Verallgemeinerung partieller (auch individueller und gruppenspezifischer) in der Vergangenheit und Gegenwart entwickelter Leistungen vorbei. Gerade in dieser Perspektive kommen auch die objektiven Bestimmungen der Vermittlungsfunktion des Lehrers am schärfsten in den Blick. - W i r k 1 i c h e (nicht nur gewünschte) Veränderungen der Zielorientierung des Deutschunterrichts müßten an Veränderungen im Bereich der Leistungsbeurteilung ablesbar sein. Die U n tersuchung dieser Zusammenhänge bietet sich daher als wichtiger Gegenstand e m p i r i s c h e r Forschungen an (vgl. dazu die Versuche von H . Ivo 1977). Ansätze dazu liegen in den vor allem seit dem Ende der 60er Jahre im Kontext der R e zeption soziolinguistischer Befunde verfaßten, durch empirische Daten gestützten Kritiken der Beurteilung schriftlicher Schülerleistungen vor. In ihnen wird festgestellt: (1) D e r Deutschunterricht (die Deutschnote) hat als Medium sozialer Kontrolle, als Indikator des Schulerfolgs, besonders bei der Übergangsauslese eine besondere Funktion (vgl. U . U n deutsch 1968; W . Schultze 1969; P . M . Roeder

101. Didaktik des Muttersprachunterrichts 1968; U . Oevermann 1970). Dabei ist in der Primarstufe die Benotung der Rechtschreibleistung zentral. (2) Bei der Beurteilung von Schüleraufsätzen wird - ohne gezielte Vorgabe für die Beurteiler ein breites Notenspektrum (Note 1 bis 5) für jeweils dieselbe Schülerleistung festgestellt. ( G . Schröter 1971). Bei gezielten Vorgaben ist die Abhängigkeit des Lehrerurteils vom sozialen Vorurteil nachweisbar (R. Weiss in: K. Ingenkamp [Hrsg.] 1972). Noch Ende der 60er Jahre sind Normvorstellungen bezüglich der stilistischen N o r m von veralteten Phasentheorien der kindlichen Sprachentwicklung bestimmt (vgl. Merkelbach 1972). Die Einführung informeller und formeller Tests als eine Reaktion auf traditionelle „Fehlerquellen" und unter dem Zwang der Herstellung von Bedingungen größtmöglicher Vergleichbarkeit im Zusammenhang der Entwicklung von Gesamtschulsystemen (s. dazu vor allem die für die G e samtschule Britz - Buckow - Rudow entwickelte Lehrplanung und P. Gaude, W . P. Teschner 1970) steht - jedenfalls wenn sie als hauptsächliche Form der Leistungsbewertung gilt — mit den nachgezeichneten positiven Entwicklungen im Bereich einer kommunikations- und handlungstheoretisch begründeten Didaktik in Widerspruch. In dem in ihr konzipierten Unterricht kommt neben der Bewältigung technischer, standardisierbarer Aufgaben und neben der Bewältigung von Aufgaben, die ohne komplexe Sprech- und Schreibtätigkeit zu lösen sind (hier ist die Konstruktion von ITs möglich), auch der komplexen mündlichen und schriftlichen Bewältigung solcher Aufgaben eine große Bedeutung zu, in denen Raum für die situationsbezogene ( s . o . ) , gleichwohl unter bestimmten Gesichtspunkten beurteilbare Ausarbeitung von Problemen gegeben sein muß.

6. Bibliographie (in Auswahl) U.

Ammon, Dialekt, soziale Ungleichheit und Schule. Weinheim 1972. K . F. Becker, Schulgrammatik der deutschen Sprache. F r a n k f u n / M . 1831. K . Behr u . a . , Grundkurs für Deutschlehrer. Weinheim 1972. K.

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829

W . Dietrich, B . Kupisch (Hrsg.), Modelle für den Deutschunterricht in der Grundschule. Freiburg 1978. H . Eggert u. a., Schüler im Literaturunterricht. Köln 1975. H . D . Erlinger, Sprachwissenschaft und Schulgrammatik. Düsseldorf 1969. E. Essen, Methodik des Deutschunterrichts. 9. Aufl. Heidelberg 1972. E . Essen, Zur Neuordnung des Deutschunterrichts auf der Oberstufe. Heidelberg 1965. H . Frank, Geschichte des Deutschunterrichts von den Anfängen bis 1945. München 1973. P. Gaude und W . P. Teschner, Objektivierte Leistungsmessungin der Schule. Frankfurt 1970. Germanistik - eine deutsche Wissenschaft. Beiträge v. E . Lämmert, W . Killy, K . O . Conrady und P. v. Polenz. Frankfurt/M. 1967. H . C . Goeppert (Hrsg.), Sprachverhalten im Unterricht. München 1977. O . W . Haseloff (Hrsg.), Kommunikation. Berlin 1969. H . Helmers, Didaktik der deutschen Sprache. 9. Aufl. Stuttgart 1976. H . Helmers, Reform oder Scheinreform des Deutschunterrichts. In: D U 3/1974, 5 - 2 6 . H . Helmers, Sprachdidaktik und Linguistik. In: P. Henning, K. Schönemeier (Hrsg.), Fachdidaktik Deutsch. Braunschweig 1975, 127-156. P. Heyer, Ersdeseunterricht. In: b : e 10. 1978, 5 3 - 5 7 . R. Hildebrand, Vom deutschen Sprachunterricht. Leipzig 1867. H . Ide (Hrsg.), Bestandsaufnahme Deutschunterricht. Stuttgart 1970. H . Ide (Hrsg.), Projekt Deutschunterricht. Bd. 2 : Sozialisation und Manipulation durch Sprache. Stuttgart 1972. K. Ingenkamp (Hrsg.), Die Fragwürdigkeit der Zensurengebung. Weinheim 1972. H . Ivo, Kritischer Deutschunterricht. 4. Aufl. Frankfurt/M. 1974. H . Ivo, Zur Wissenschafdichkeit der Didaktik der deutschen Sprache und Literatur. Frankfurt 1977. O . Karstädt, Mundart und Schule. 3. Aufl. Leipzig 1922. D . C . Kochan, Forschung im Bereich des muttersprachlichen Unterrichts. In: K . Ingenkamp (Hrsg.), Handbuch der Unterrichtsforschung 3. Weinheim 1971. J . Kolbe (Hrsg.), Ansichten einer künftigen Germanistik. München 1969. A. Matthias, Geschichte des deutschen Unterrichts. München 1907. W . Menzel, Die deutsche Schulgrammatik. Paderborn 1972. V. Merkelbach, Kritik des Aufsatzunterrichts. Frankfurt/M. 1972. Mitteilungen des deutschen Germanistenverbandes 3/1978: Blickpunkt: Deutschunterricht. E. Neuland, Sprachbarrieren oder Klassensprache? Untersuchungen zum Sprachverhalten im Vorschulalter. Frankfurt 1975. E. Nündel, Zur Gnindlegung einer Didaktik sprachlichen Handelns. Kronberg 1976. U . Oevermann, Sprache und soziale Herkunft. Ein Beitrag zur Analyse schichtenspezifischer Sozialisationsprozesse und ihrer Bedeutung für den Schulerfolg. Berlin 1970. G . Priesemann, Zur Theorie der Unterrichtssprache. Düsseldorf 1971. P D 27, 1978: Dialekt. R. Rigol u. a., Praxis des Deutschunterrichts in der Grundschule. Freiburg 1978. S. Rüttgers, Die Dichtung in der Volksschule. Leipzig 1914.

830

XI.

Anwendungibereiche

S. Β. Robinsohn, Bildungsreform als Revision des Curriculum. N e u w i e d , Berlin 1967. P. M . Roeder, Sprache, Sozialstatus und Schulerfolg. In: b : e 6/1968, 14-20. G. Schröter, Die ungerechte Aufsatzzensur. Bochum 1971. W . Schultze, Die Auslese als soziales Problem. In: A. Rang u. W . Schulz (Hrsg.), Die differenzierte Gesamtschule. München 1969. W . Seidemann, Der Deutschunterricht als innere Sprachbildung. Heidelberg 1927. E. Straßner, Aufgabenfeld Sprache im Deutschunterricht. Zur Wandlung sprachdidaktischer Konzepte zwischen 1945 und 1975. Tübingen 1977. R. Ulshöfer, Methodik des Deutschunterrichts. 4 Bde. 7. A u f l . Stuttgart 1976 (Bd. 1: Unterstufe), 10. Aufl. 1976

(Bd. 2: Mittelstufe 1), 2. Aufl. 1978 (Bd. 3: Mittelstufe 2), Bd. 4 in Vorbereitung. U . Undeutsch, Zum Problem der begabungsgerechten Auslese beim Eintritt in die höhere Schule und während der Schulzeit. In: Begabung und Lernen. Stuttgart 1968. L. Weisgerber, Das Ziel und die Aufgaben des muttersprachlichen Unterrichts. In: A. Beinlich (Hrsg.), Handbuch des Deutschunterrichts. Bd. 1, 5. A u f l . Emsdetten 1969. G. Wilkending, Lernziel. In: E. Dingeldey, J . Vogt (Hrsg.), Kritische Stichwörter zum Deutschunterricht. München 1974, 193-201. H . Wolgast, Das Elend unserer Jugendliteratur. Leipzig 1896.

102. Fremdsprachendidaktik

als sie den FU in allen Dimensionen, also neben Spracherwerb und -Vermittlung auch die Vermittlung von Literatur, landes- und kulturkundlichem Wissen umfaßt. FD existiert zum einen als Didaktik der einzelnen Schulsprachen (Didaktik der englischen, französischen usw. Sprache und Literatur), zum anderen als übergreifende Disziplin, die sich generell und theoretisch mit der Vermittlung von FSn befaßt. Der Aufbau eines Lehr- und Forschungsgebietes .Deutsch als Fremdsprache' (DaF) beginnt in der BRD Ende der 60er Jahre, als für das Ausländerstudium eigene Studiengänge eingerichtet werden und mit der wachsenden Zahl ausländischer Arbeiter und deren Kinder DaF auch im Inland ein immer stärkeres Gewicht erhält. Die gelegentlich für die FD übliche Bezeichnung Fachdidaktik (Sammelbegriff für die Didaktiken aller Schulfächer) meint in anderer Bedeutung Wissenschaftsdidaktik als Reflexion einer Wissenschaft auf ihren Begründungs- und Verwendungszusammenhang (z.B. Didaktik der Linguistik, vgl. Art. 103). Die Abgrenzung der FD von der F r e m d s p r a c h e n m e t h o d i k ist unscharf, die hierarchische Zuordnung der Begriffe unterschiedlich: Die an der geisteswissenschaftlichen Pädagogik ausgerichtete FD betont das Primat der Didaktik und versteht sie als Theorie der Bildungsinhalte, die Methodik als die Theorie der Unterrichtsverfahren (Rülcker). Die Didaktik der ,Berliner Schule' geht von der Interdependenz aller am Unterricht beteiligten Faktoren aus und versteht Methodik als formschaffende Komponente der Didaktik (Heimann u.a.). In den auf sprechtätigkeitstheoretischem Ansatz basierenden Konzepten ist die Methodik die umfassendere Kategorie; sie schließt Lehrverfahren und Bildungsziele ein (Hellmich). Unter F r e m d - / Z i e l s p r a c h e wird die Sprache verstanden, die gelernt wird, wenn in einer E r s t - / M u t t e r - / P r i m ä r s p r a c h e ein kognitiver Entwicklungsstand erreicht und ein Inventar an konzeptionellen Gewohnheiten ausgebildet ist.

1. 2. 3. 4.

Bestimmung des Gegenstandsbereiches Bezugswissenschaften und Entwicklung Lernziele und -inhalte Steuerung und Strukturierung von Sprachlernprozessen 5. Kontrolle von Sprachlernprozessen 6. Institutionalisierung der Fremdsprachendidaktik 7. Bibliographie (in A u s w a h l )

1. Bestimmung

des

Gegenstandsbereiches

Die Neusprachliche Reformbewegung um 1900 (W. Vietor, Quousque Tandem: Der Sprachunterricht muß umkehren. 1882) und die zunehmende Möglichkeit, eine Lehrbefähigung zum Unterricht in den modernen Fremdsprachen (FS) zu erwerben und diese auch an den Gymnasien zu unterrichten, führen zur Entwicklung der Fremdsprachendidaktik (FD) als eigenständiger Disziplin, die zunächst in der Lehrerausbildung an den Seminaren und Pädagogischen Hochschulen angesiedelt ist. In erster Linie werden die Vorbereitung, Durchführung und Kontrolle von Lehrplan- und Unterrichtsentscheidungen als Aufgabe der FD angesehen. FD definiert sich als der Ort, wo die Anteile der Grundwissenschaft (Pädagogik) und der Bezugswissenschaften (Sprachwissenschaft, Lernpsychologie, Spracherwerbsforschung, Literatur- und Medienwissenschaft) im Hinblick auf den Fremdsprachenunterricht (FU) bestimmt werden. In jüngster Zeit wird der FD auch der Status einer eigenständigen wissenschaftlichen Disziplin zugeschrieben (Müller 1975). Der wissenschaftliche Zugriff zum Lehren und Lernen von FSn artikuliert sich auch unter dem Begriff der Sprachlehr- und Sprachlernforschung (Koordinierungsgremium 1977). Während die Sprachlehrforschung bisher im wesentlichen auf die Erforschung (und Veränderung) von Lehr- und Lernprozessen vor allem unter psycho- und soziolinguistischem Aspekt gerichtet ist, geht die FD insofern darüber hinaus,

Gisela Wilkending,

Gießen

102. Fremdsprachendidaktik Synonym zu Fremdsprache wird oft Zweitsprache gebraucht, doch zeichnet sich insbesondere für D a F eine Gebrauchsdifferenzierung ab, indem mit Zweitsprache diejenige Sprache bezeichnet wird, die neben der Primärsprache erworben und alternativ zu ihr nur in bestimmten sozialen Situationen eingesetzt wird (Bilingualismus; vgl. Art. 74). 2. Bezugswissenschaften

und

Entwicklung

Die Geschichte der F D kann weitgehend als Geschichte ihrer Beziehungen zu den Wissenschaften angesehen werden, die sich mit Sprache, Spracherwerb und mit dem Lehren und Lernen von Sprache beschäftigen. Charakteristisch für diese Entwicklung ist, daß die F D - unabhängig vom Grad ihrer wissenschaftlichen Fundierung - von den jeweils geltenden erziehungswissenschaftlichen, psychologischen und sprachwissenschaftlichen Konzepten geprägt ist (Flechsig, Rülcker, Szulc). F D als Disziplin der Lehrerausbildung hat sich stets an den Erziehungswissenschaften als ihrer Grundwissenschaft orientiert und es als Aufgabe angesehen, fachwissenschaftliche Erkenntnisse der Sprach- und Literaturwissenschaften in didaktische Modelle einzufügen (Achtenhagen). Als Beginn einer wissenschaftsorientierten F D gilt die N e u s p r a c h l i c h e Reformbew e g u n g (Höhepunkt etwa 1882 bis 1900), deren Methodendiskussion durch Vietors Schrift „Quousque Tandem? Der Sprachunterricht muß umkehren" eingeleitet wird. Die in der Reform vertretenen Forderungen nach direkten Lehrmethoden, nach einem an natürlicher Sprachverwendung und am Primat der gesprochenen Sprache ausgerichteten F U sind entscheidend durch die experimentelle Phonetik und die Vorstellungspsychologie beeinflußt. Vom Ende der 50er bis zum Beginn der 70er Jahre sind Psychologie und Linguistik primäre Bezugs Wissenschaften: Die den behavioristischen Lerntheorien zugrundeliegende Auffassung vom Sprachverhalten als s e t o f h a b i t s und die Prinzipien struktureller Sprachbeschreibung sind die theoretischen Voraussetzungen für audiolinguale und -visuelle Lehrverfahren. Mit der Adaption der Generativen Transformationsgrammatik werden kognitive, der Gestaltpsychologie verwandte Lerntheorien wirksam; Spracherwerbsprozesse werden mit generativ-transformationellen Prozessen gleichgesetzt und Begriffe wie L e r n e n d u r c h E i n s i c h t , R e g e l v e r m i t t l u n g und W i s s e n ü b e r S p r a c h e werden bestimmende Komponenten des F U . Die Entwicklung einer Disziplin der Angewandten Linguistik (vgl. Art. 92) führt zu einer z . T . übersteigerten Erwartungshaltung gegenüber der Möglichkeit, linguistische Forschungsergebnisse auf den F U zu applizieren (sog.

831

Didaktisierung). Inzwischen setzt sich die Einsicht durch, daß der F U in seiner Komplexität nicht von einer wissenschaftlichen Disziplin her zu untersuchen und durch das Modell von Grundund Bezugsdisziplinen nur unzureichend zu erfassen ist. Die Orientierung am Sprachenlerner und dem P r o z e ß d e s F U bestimmen zunehmend den wissenschaftlichen Zugriff. Damit nimmt der Einfluß insbesondere der kognitiven Psychologie zu, aber auch Versuche, F D aus der Bindung an einzelne Disziplinen zu lösen und interdisziplinär anzulegen (Hartmann). Die Orientierung an der Komplexität des Spracherwerbs- und Sprachvermittlungsprozesses hat verschiedene Ursachen: stärker an der Sprachverwendung interessierte Strömungen innerhalb der Linguistik (Pragmatik, Diskursanalyse, Textlinguistik), lerner- und handlungsorientierte didaktische Modelle (offener Unterricht, EntSchulung), sozialwissenschaftliche Ausrichtung der Landeskunde. Eine solche Ö f f nung vollzieht sich auch für D a F ; die germanistische Orientierung (Deutsch als Fremdsprachenphilologie) wird durch die Hereinnahme psycholinguistischer Ansätze, durch sozial- und kommunikationswissenschaftliche Fragestellungen z . B . im Bereich der Landeskunde erweitert, die besonderen Probleme der Ausländer im Inland (Arbeitsimmigranten und deren Familien, U m siedler) machen es erforderlich, Probleme der Lebensbewältigung, sprachliche Vorbereitung und Unterstützung der sozialen Integration als Bestandteil des Sprachunterrichts zu begreifen und in die F D einzubeziehen. Damit verändert sich das Forschungsinteresse der F D : bis in die 60er Jahre liegt der Schwerpunkt auf der Entwicklung von Lehrverfahren und -materialien, meist auf Grammatikmodelle bezogen. Unter dem Einfluß kognitionspsychologischer Ansätze (Galperin, Piaget) richtet sich das Interesse zunehmend auf den Prozeß des Fremdsprachenlernens, auf den Lerner und lernerabhängige Faktoren (Bausch/Raabe). i.

Lemziele

und

-Inhalte

Seit Bestehen eines institutionalisierten F U wird Fremdsprachenlernen mit zwei Zielsetzungen verbunden: Fremdsprachenbeherrschung und Vermittlung von Bildung. Die jeweilige Gewichtung dieser Lehrziele ist abhängig von gesellschaftspolitischen Konstellationen, von dem bestehenden Konsens über den Bildungswert von FSn und dem Stellenwert, der dem aktiven Fremdsprachenkönnen zugewiesen wird. Aktive Fremdsprachenbeherrschung wird als Fertigkeit ohne Bildungswert in dem der neuhumanistischen Bildungstradition verpflichteten F U vernachlässigt; erst von den Vertretern der Reformbewegung wird in Anknüpfung an die Tradition der Sprach-

832

XI.

Anwendungsbereiche

meister aktive Sprachbeherrschung wieder zum Lehrziel erhoben (Flechsig). Seit Beginn dieses Jahrhunderts wird Übung im praktischen Sprachgebrauch zunehmend als Teilaufgabe von FU anerkannt und in die Lehrpläne aufgenommen. In den auf der Grundlage des , Hamburger Abkommens' 1964 von der Kultusministerkonferenz erlassenen Bestimmungen ist dieses Lehrziel für den FU aller Schulstufen und -formen verbindlich. Die vom FU erwartete Bildungsaufgabe besteht aus Teilaufgaben, die sich teils ergänzen, teils ausschließen: Vermittlung von Formal- oder Funktionalbildung, Vermittlung von soziokulturellen (landes- und kulturkundlichen) Informationen, Entwicklung von Verständnis für historisch-soziale Gegebenheiten und Vermittlung literarisch-geisteswissenschaftlicher Bildung. Bereits in der Reformbewegung wird das Prinzip der Formalbildung mit der Entwicklung von Verhaltensdispositionen verbunden und Fremdsprachenlernen als Mittel der Selbstverwirklichung und Lebensbewältigung verstanden. In den gegenwärtigen Lehrplänen sind solche persönlichkeitsbildenden und sozialerzieherischen Aufgaben Komponenten des Lehrziels K o m m u n i k a t i v e K o m p e t e n z oder K o m m u n i k a t i o n s f ä h i g k e i t , dessen Erreichen als vordringliche Aufgabe von FU angesehen wird. Die Komplexität des dem FU zugewiesenen Aufgabenbereiches kommt in den heterogenen Auffassungen über Qualität und Umfang der im FU zu vermittelnden Inhalte zum Ausdruck. Die Lehrinhalte und die Einschätzung ihres Stellenwerts konkretisieren sich in Lektürelisten, Themen-, Stoff-, Situations- und Intentionskatalogen. Dabei zeigt die gegenwärtige Diskussion folgende Schwerpunkte: Präzisierung von „Kommunikationsfähigkeit" als realisierbares Lernziel des FU (I. Dietrich); die Rolle der Grammatik in einem kommunikativen FU (Bausch 1979); Präzisierung der Funktionen von Landeskunde (sprachbezogene Landeskunde, Themen- und Informationsplanung, Kulturrelativierung u.ä.). Die seit den 60er Jahren unter dem Einfluß behavioristischer Lehrzieldefinitionen entwickelten Curricula, Lehrzielklassifikationen und -taxonomien sind Entwürfe zu Lehrzielmodellen, in denen Lehrinhalte, Bildungs- und Ausbildungsziele und zu entwickelnde Fähigkeiten und Fertigkeiten in ein didaktisch begründetes Bezugssystem gestellt werden (Klauer 1974).

4. Steuerung und Strukturierung von Fremdsprachenlernprozessen Die Prinzipien, nach denen Lehrverfahren entwickelt und beurteilt werden, sind im wesentlichen durch 2 Faktoren geprägt: (1) durch die jeweils geltenden intuitiven oder

theoriegestützten Annahmen über den Verlauf des (Fremd-)Spracherwerbsprozesses; (2) durch die jeweils geltenden oder theoriegestützten Annahmen über die Struktur von Sprache. Man unterscheidet i n d u k t i v e / d i r e k t e und d e d u k t i v e / i n d i r e k t e M e t h o d e n : die Anwendung induktiver Methoden setzt voraus, daß der Lernprozeß von Erst- und Fremdsprachenerwerb nach identischen Mustern verläuft, eine FS also optimal durch unmittelbaren Gebrauch und ohne vermittelnden Einfluß einer Beschreibungssprache gelernt wird. Der Einsatz deduktiver Methoden basiert auf der Annahme, daß Erst- und Fremdsprachenerwerbsprozeß nicht identisch sind und regelgerechter Gebrauch der FS durch Vermittlung einer Beschreibungssprache gelernt wird. Zu den i n d u k t i v e n / d i r e k t e n Methoden zählen u.a.: (1) Die direkte, natürliche, imitative oder analytische Methode der Neusprachlichen Reformbewegung; sie beruht auf dem Prinzip der Anschauung und Nachahmung. (2) Die linguistische Methode, die in ihren Grundzügen von L. Bloomfield zum Erlernen von Indiandersprachen entworfen wurde. Sie beruht auf den Prinzipien mimicry und memorization; das zu erlernende Sprachmaterial ist auf der Grundlage deskriptiver Beschreibung in der Weise systematisch geordnet, daß grammatische Regeln erschlossen werden können. (3) Die audio-linguale Methode und der Pattern Drill. Als Weiterentwicklungen der linguistischen Methode kennzeichnen sie den ,new approach' des FU in den 50er und 60er Jahren. Durch Einbeziehung des PatternBegriffs erhält das Sprachmaterial den Status von exemplarischen Satzstrukturen, das deduktive Regelerschließung ermöglicht. Zu den deduktiv/indirekten Methoden gehört die grammatisierende, konstruktive oder synthetisierende Methode, nach der Sprachkönnen eine Kombination von Regel- und Vokabelwissen ist. Sie ist das methodische Grundkonzept aller Methoden, die als g r a m m a t i s i e r e n d e U b e r s e t z u n g s m e t h o d e n zusammengefaßt werden. Mischformen sind: (1) Die gemischte oder vermittelnde Methode als Versuch, die Prinzipien der direkten Methode mit der Forderung nach Bildung durch Sprache zu verbinden (z.B. bei Schubel). (2) Die induktiv-deduktiven Methoden gegenwärtiger Fremdsprachenmethodik. Die gegenwärtige Spracherwerbsforschung interpretiert Fremdsprachenlernen als komplexen Prozeß, in dem kognitive Phasen und Habitualisierungsphasen alternieren. Diese Forschungsposition kommt in der Forderung nach „Pluralismus der Lehrverfahren" (Parreren) zum Ausdruck. Der Lehrprozeß wird in Teilverfahren gegliedert,

102. Fremdsprachendidaktik denen Fremdsprachenerwerbsstadien zugeordnet werden; unterschieden werden: Phasen der Vermittlung, Darbietung, Einführung, Festigung und Systematisierung, Wiederholung und Aktivierung, Verarbeitung, des Transfers und der freien Anwendung (Butzkamm, Jungblut, Hellmich u.a.). Für bestimmte Lernsituationen wie z . B . DaF im Inland ist die Gültigkeit solcher Phasenmodelle umstritten, da sich hier gesteuerte und ungesteuerte Erwerbsvorgänge stark überlagern (Barkowski u.a.). Von hier aus werden Forderungen nach lernerorientierten Methoden erhoben. Um der Strukturierung des Fremdsprachenlernens eine gesicherte Grundlage zu geben, hat die F D seit Beginn der 70er Jahre eine ,empirische Wende' vollzogen. Das (Sprach-)Verhalten von Lehrern und Lernenden in kontrollierten Situationen ist in den Mittelpunkt des Interesses gerückt: „Die aus dem Sprachbesitz und den Lehr- und Lembedingungen isolierbaren Steuerungsfaktoren gehen vielfältige Beziehungen zueinander ein. Sie werden insbesonders während der unterrichtlichen Kommunikation selbst sichtbar. Die Dokumentation des Lehr- und Lerngesprächs wird damit zur Gmndlagenarbeit, aus der jene Datenkorpora hervorgehen, die Hypothesenbildung zum Fremdsprachenerwerb allererst erlauben." (Koordinierungsgremium 1977, S. 28).

Das besondere Interesse bei entsprechenden Untersuchungen gilt dem Lehrer: über eine Veränderung des Lehrerverhaltens wird eine Veränderung des Lernerverhaltens angestrebt - entsprechend werden Verfahren des Lehrertrainings und der Interaktionsanalyse für die Ausbildung von Fremdsprachenlehrern fruchtbar gemacht (Krumm 1973, Nehm); daneben wird die unterrichtliche Kommunikation selbst untersucht (Roeder/Schümer, Sinclair/Coulthard). Dabei zeigt sich, daß der FU eine Kommunikationssituation darstellt, die ζ. T. im Widerspruch zu den kommunikativen Zielen des F U steht; hier knüpfen Vorschläge für die Entschulung des F U (Verrel-Benecke), für den Einsatz von Spielen (Hessel/Göbel, Wagner) an. Eine besondere Bedeutung erhalten in diesem Zusammenhang die Unterrichtsmedien: sie werden nicht länger als Steuerungsinstrumente einer linearen Progression, sondern als Lernorte für einen lehrerunabhängigen F U gesehen (vgl. Jung). 5. Kontrolle von

Fremdsprachenlernprozessen

Fremdsprachliche Fähigkeiten und Fertigkeiten werden als Ausdruck und Ergebnis von Fremdsprachenlernprozessen gedeutet. Zu ihrer Ermittlung werden Prüf- und Testverfahren eingesetzt. Unter Prüfverfahren versteht man konventionelle Prüfungsformen (Diktat, Aufsatz,

833

Nacherzählung), die Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten integral überprüfen. Tests sind geprüfte oder überprüfbare Prüfverfahren, die sich auf einen definierten Geltungsbereich beziehen und einer intersubjektiven Kontrolle hinsichtlich bestimmter Gütekriterien (ζ. B. Validität, Reliabilität, Zuverlässigkeit) zugänglich sind. Prognostische Funktion haben Fremdsprachenbegabungs- und -eignungstests; sie erfassen die allgemeinen, zielsprachenunabhängigen Dispositionen zum erfolgreichen Fremdsprachenlernen ( = aptitude). Diagnostische Funktion haben Einstufungstests; sie dienen als Grundlage für Entscheidungen über Plazierung oder individuelle Förderung eines Lernenden. Zur Leistungsdifferenzierung und -bewertung werden Fremdsprachenfähigkeitstests und Leistungstests eingesetzt. Erstere geben Auskunft über den Grad der Beherrschung einer Fremdsprache unabhängig von Vorbildung, Trainingsprogramm oder anderen Lehrerfahrungen ( = proficiency); Leistungstests dienen der Feststellung des Lernerfolgs in bezug auf Anforderungen innerhalb eines Lehrangebots ( = achievement). Die vom Probanden erbrachten Leistungen werden in Beziehung gesetzt entweder zu Leistungen in früheren Tests (ipsative Norm), zu den Leistungen anderer Lerner (Realnorm) oder zu einem Lernziel (Idealnorm). Dabei sind informelle Tests an einer situations- und ortsspezifischen Real- oder Idealnorm orientiert (Unterricht in einer Klasse), formelle Tests auf eine überregionale Real- oder Idealnorm angelegt. Das Verhältnis von erbrachter Leistung zur Norm wird entlang einer Skala quantitativ (durch Punktwerte) oder qualitativ (durch Noten) ausgedrückt (Klauer, Rütter, Wendeler). Im Zuge der Anerkennung und Vereinheitlichung von Sprachzeugnissen zielt die gegenwärtige Testpraxis und -forschung vordringlich auf die Entwicklung von intersubjektiv überprüfbaren Test- und Bewertungsverfahren, die eine Vergleichbarkeit der Prüfungsergebnisse gewährleisten. Diese Zielsetzungen stehen in einem gewissen Widerspruch zu den Zielsetzungen eines kommunikativ ausgerichteten F U , der durch komplexe Aufgabenstellungen integrierte Fertigkeiten zu entwickeln sucht. Richtungsweisend für die Entwicklung von Prüfverfahren, in denen an Sprachverwendung orientierte Testformen und Lernzielbeschreibungen einander zugeordnet sind, ist das .Zertifikat Deutsch als Fremdsprache' (Deutscher Volkshochschulverband u. a.).

6. Institutionalisierung didaktik

der

Fremdsprachen-

In der Bundesrepublik hat sich die Didaktik von DaF erst erheblich später als die Didaktik

834

XL

Anwendungsbereiche

der sog. Schulsprachen (Englisch, Französisch, in geringerem Maße auch Italienisch, Russisch und Spanisch) entwickelt. Für diese Schulsprachen war und ist durch die Lehrerausbildung eine Verankerung in den Hochschulen und Studienseminaren und damit auch eine Repräsentanz durch Fachverbände und wissenschaftliche Zeitschriften gesichert. Für D a F gibt es noch keine geordnete Institutionalisierung, sondern sich vielfältig überlappende Interessen und Institutionen. Im Bereich der wissenschaftlichen Hochschulen haben sich die Lehrgebiete D a F (Zielgruppe sind die in der B R D studierenden Ausländer, tw. Ausländergermanisten) im ,Arbeitskreis Deutsch als Fremdsprache beim D A A D ' zusammengeschlossen. Von Seiten der Germanistik und der Sprachlehrforschung wird erst in jüngster Zeit Interesse an D a F artikuliert: einzelne Hochschulen bilden Schwerpunkte für die Auslandsgermanistik ( z . B . ,Deutsch als Fremdsprachenphilologie' in Heidelberg), in größerem Umfang richten sich die Hochschulen auf die Ausbildung von Lehrern für Ausländerkinder ein ( z . B . in Bremen); ein eigenständiges Institut,Deutsch als Fremdsprache' wurde an der Universität München errichtet. Die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften und die Lehrmaterialentwicklung sind für D a F bislang weitgehend außerhalb der Hochschulen angesiedelt: die verschiedenen Mittlerorganisationen (Goethe-Institut, Deutscher Volkshochschulverband, Deutscher Akademischer Austauschdienst u . a . ) haben eigenständige Programme, teilweise in Kooperation miteinander bzw. mit einzelnen Hochschulen entwickelt. Mit den ausländischen Arbeitern und ihren Familien ergab sich Ende der 60er Jahre ein neues Arbeitsfeld: Deutschunterricht im Inland, der in dem besonderen Spannungsfeld von Lebenshilfe und Integration auf der einen und Bewahrung der kulturellen Identität der Ausländer auf der anderen Seite steht. Zahlreiche Organisationen der sozialen Fürsorge, Sprachenschulen usw. haben sich mit Kursen und Materialien in diese Arbeit eingeschaltet, die seit 1974 durch den .Sprachverband Deutsch für ausländische Arbeitnehmer e . V . ' (Zeitschrift ,Deutsch lernen') koordiniert wird. Zahlreiche Initiativen haben sich ferner im ,Verband der Initiativgruppen in der Ausländerarbeit' zusammengeschlossen. Mit den Aus- und Umsiedlern aus Polen und der Sowjetunion hat sich für D a F im Inland in jüngster Zeit ein neuer Arbeitsbereich aufgetan, für den z . T . neue Ansätze entwickelt werden müssen. In der D D R wurde 1966 mit dem systematischen Ausbau des germanistischen Ausländerstudiums an den Universitäten begonnen und mit Einrichtung des Herder-Instituts an der Universität Leipzig eine Institution geschaffen, in der

Forschung und Lehre von Deutsch als Fremdsprache und die Auslandsarbeit verankert sind. In der Bundesrepublik wird die Auslandsarbeit durch ein breites institutionelles Instrumentarium gefördert: die Auslandsschulen werden von der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (Köln) betreut, die Hochschulen vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (Bonn - Bad Godesberg), die allgemeine Kulturarbeit, pädagogische Verbindungsarbeit sowie außerschulischer Sprachunterricht ist Aufgabe des Goethe-Instituts. Auch Forschung im Bereich von D a F hat sich zunächst außerhalb des Hochschulbereichs entwickelt: das Institut für Deutsche Sprache (Mannheim) hat sich mit linguistischer Grundlagenforschung ( z . B . der Entwicklung kontrastiver Grammatiken) daran ebenso beteiligt wie die Arbeitsstelle für wissenschaftliche Didaktik des Goethe-Instituts (München); erst in den 60er Jahren haben die großen Fördereinrichtungen D a F einbezogen: die Deutsche Forschungsgemeinschaft über ihren Schwerpunkt ,Sprachlehrforschung', die Stiftung Volkswagenwerk über ihr Programm ,Wanderbewegungen in Europa'. Damit rückt D a F in seiner Verankerung in Forschung und Lehre allmählich in die gleichen Funktionen ein, die die F D der sog. Schulsprachen schon länger ausfüllt. Auch Fach verbände öffnen sich zunehmend den Problemen: neben den Internationalen Deutschlehrerverband ist für den Inlandsbereich der Fachverband .Moderne Fremdsprachen' mit einer eigenen Sektion ,Deutsch als Fremdsprache' getreten.

7. Bibliographie (in Auswahl) 7.1.

Bibliographien

R. Buhlmann, L. Götze, H . Kemme, S. Latzel: Bibliographie von Zeitschriftenaufsätzen zum Thema .Lehrschwierigkeiten im Fach Deutsch als Fremdsprache'. München 1978. K. Fehse, W . Praeger: Bibliographie zum Testen in der Schule. Schwerpunkt: Fremdsprachenunterricht. Freiburg 1973. Goethe Institut. Arbeitsstelle für wissenschaftliche Didaktik. Informations- und Dokumentationsstelle (Hrsg.): Arbeitsmittel für den Deutschunterricht an Ausländer. 13. Aufl. München 1978. F. J . Hausmann: Linguistik und Fremdsprachenunterricht. Tübingen 1975. Informationszentrum für Fremdsprachenforschung (Hrsg.): Dokumentation moderner Fremdsprachenunterricht: Bibliographie moderner Fremdsprachenunterricht. München 1(1970) ff.

7.2.

Periodika

Deutsch als Fremdsprache. Leipzig 1964 ff. Deutsch lernen. Zeitschrift für den Sprachunterricht mit ausländischen Arbeitnehmern. Mainz 1976 ff.

102. Fremdspracbendidaktik Informationen Deutsch als Fremdsprache. Hrsg. vom Arbeitskreis Deutsch als Fremdsprache beim D A A D . Bonn 1974 ff. Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache. Hrsg. von A. Wierlacheru.a. Bd. i f f . Heidelberg 1975ff. Praxis. Dortmund 1954 ff. Zielsprache Deutsch. Zeitschrift für Unterrichtsmethodik und angewandte Sprachwissenschaft. München 1970 ff.

7.3.

Einzeltitel

F . Achtenhagen, Didaktik des fremdsprachlichen Unterrichts. Weinheim 1969. W . Apelt, Positionen und Probleme der Fremdsprachenpsychologie. Halle/Saale 1976. H . Barkowski u. a., Thesen zum ungesteuerten Spracherwerb ausländischer Arbeiter. In: Dtl 3. 1978, 7 - 2 0 . H . Barkowski u. a.: Deutsch für ausländische Arbeiter. Gutachten zu ausgewählten Lehrwerken. Königstein 1979. K . R. Bausch (Hrsg.), Beiträge zur didaktischen Grammatik. Königstein 1979. K . R. Bausch, H . Raabe, Zur Frage der Relevanz von kontrastiver Analyse, Fehleranalyse und Interimsprachenanalyse für den Fremdsprachenunterricht. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 4 (1978), 5 6 - 7 5 . W . Butzkamm, Aufgeklärte Einsprachigkeit. Heidelberg 1973. Deutscher Volkshochschulverband, Goethe-Institut (Hrsg.), Das Zertifikat Deutsch als Fremdsprache. 2. neubearb. u. erw. Aufl., Bonn - Bad Godesberg. München 1977. I. Dietrich, Kommunikation und Mitbestimmung im Fremdsprachenunterricht. Kronberg 1974. R . Dietrich (Hrsg.), Aspekte des Fremdsprachenerwerbs. Kronberg 1976. S. W . Felix, Linguistische Untersuchungen zum natürlichen Zweitsprachenerwerb. München 1978. K . - H . Flechsig (Bearb.), Neusprachlicher Unterricht I. I I . , Weinheim 1965, 1970. R . Freudenstein, H . Gutschow (Hrsg.), Fremdsprachen. Lehren und Erlernen. 2. Aufl. München 1974. P. J . Galperin u. a., Probleme der Lerntheorie. Berlin 1972. P. Hartmann, Bedingungen sprachlicher Kommunikation im Fremdsprachenunterricht. In: N M W P 27 (1974) 3, 144-163. P. Heimann, G . O t t o , W . Schulz, Unterricht - Analyse und Planung. 5. Aufl. Hannover 1970. H . Hellmich, Die Unterrichtsmethoden im Fremdsprachenunterricht. In: D a F 12 (1975), 3 3 3 - 3 4 3 . I. Hessel, R . Göbel, Spiele und gruppenaktive Verfahren im Unterricht. In: Dtl (1976) 2 , 4 5 - 5 5 . H . Hunfeld (Hrsg.), Neue Perspektiven der Fremdsprachendidaktik. Kronberg 1977. U . H . Jung (Hrsg.), Das Sprachlabor. Kronberg 1978. Κ. H . Ingenkamp, E. Parey (Hrsg.), Handbuch der Unter-

835

richtsforschung. Teile 1 - 3 . Weinheim, Berlin, Basel 1970. 1971. G . Jungblut, Terminologie der Lehr- und Lemphasen im Fremdsprachenunterricht. In: L u D 5. 1974, 3 3 - 4 1 . H . Kästner, Zum Fremdsprachenunterricht in der Bundesrepublik Deutschland. In: N S 25. 1976, 2 4 5 - 2 6 9 . L. G . Kelly, 25 Centuries of Language Teaching. Rowley/ Mass. 1969. K. J . Klauer, Methodik der Lehrzieldefinition und Lehrstoffanalyse. Düsseldorf 1974. D . C . Kochan (Hrsg.), Allgemeine Didaktik, Fachdidaktik, Fachwissenschaft. Darmstadt 1972. Koordinierungsgremium im DFG-Schwerpunkt Sprachlehrforschung (Hrsg.), Sprachlehr- und Sprachlernforschung. Kronberg 1977. J . Kramer (Hrsg.), Bestandsaufnahme Fremdsprachenunterricht. Stuttgart 1976. H . - J . Krumm, Analyse und Trainig fremdsprachlichen Lehrverhaltens. Weinheim 1973. H . - J . Krumm, B . Müller, Praxis im Fremdsprachenstudium. Bebenhausen 1976. F . Leisinger, Elemente eines neusprachlichen Unterrichts. Stuttgart 1973. Α. A. Leont'ev, Sprache - Sprechen - Sprechtätigkeit. Stuttgart 1971. Mannheimer Gutachten zu ausgewählten Lehrwerken Deutsch als Fremdsprache. Heidelberg 1977. R. M. Müller, Fremdsprachendidaktik als Wissenschaft und Studienfach. In: Praxis 1975, 141-147. U . Nehm, Microteaching als Ausbildungs- und Forschungsverfahren der Fremdsprachendidaktik. Kronberg 1976. C. F . Van Parreren, Lemprozeß und Lernerfolg. 2. völlig neu bearb. Aufl. Braunschweig 1972. J . Piaget, Sprechen und Denken des Kindes. Düsseldorf 2. Aufl. 1975. P. M. Roeder, G . Schümer, Unterricht als Sprachlernsituation. Düsseldorf 1976. T . Rülcker, Der Neusprachenunterricht an höheren Schulen. Frankfurt 1969. Th. Rütter, Formen der Testaufgabe. München 1973. B. Schneider, Sprachliche Lernprozesse. Tübingen 1978. F. Schubel, Methodik des Englischunterrichts für höhere Schulen. Frankfun 1963. J . M c H . Sinclair, M. Coulthard, dt. Übers, u. Bearb. von H . - J . Krumm. Analyse der Unterrichtssprache. Heidelberg 1977. A. Szulc, Die Fremdsprachendidaktik. Warschau 1976. C h . Verrel-Benecke, Plädoyer für die Entschulung des Fremdsprachenunterrichts. In: Z D 4, 1976. 11-18. J . Wagner, Spielübungen und Übungsspiele im Fremdsprachenunterricht. Regensburg 1977. J . Wendeler, Standard arbeiten. Weinheim 1974. G . Wienold, Die Erlernbarkeit der Sprachen. München 1973.

Uta Gosewitz, Hans-Jürgen Krumm,

München Hamburg

836

XL Anwendungsbereiche

103. Didaktik der Linguistik 1. Gegenstandsbestimmung 2. Positionen der Didaktikdiskussion in der Linguistik 3. Bibliographie (in Auswahl)

1.

Gegenstandsbestimmung

Didaktik wird hier gesehen als die Wissenschaft von den Bedingungen, Zielen und Inhalten von Lehre. Damit gehört zu ihrem Gegenstandsbereich nicht allein die M e t h o d i k , wie die lerntheoretische Forschung es nahelegt (Didaktik als Wissenschaft vom Lehren und Lernen in allen Formen und auf allen Stufen) und wie es die kybernetische Richtung postuliert (Didaktik als Theorie der Eingriffsmöglichkeiten in Lernprozesse auf kybernetischer Grundlage), sondern auch die T h e o r i e d e r L e r n i n h a l t e , vertreten in der didaktischen Diskussion z . B . durch den bildungstheoretischen Ansatz (Didaktik als Theorie der Bildungsinhalte und als Theorie der Bildungskategorien). Für eine ausführliche Information über die verschiedenen Ansätze vgl. H . Blankertz 1972; D. C. Kochan 1972; H . Röhrs 1971. Eine a l l g e m e i n e Didaktik hat unter diesen Voraussetzungen als Wissenschaftsdidaktik das primäre Ziel, die Voraussetzung von Wissenschaft zu reflektieren und wissenschaftliches Handeln zu legitimieren. Sie trifft sich darin mit Wissenschaftstheorie. Als Hochschul- und Schuldidaktik reflektiert sie die Bedingungen und Ziele der Vermittlung von Wissenschaft, sehr allgemein formuliert z.B. unter Maximen wie: „Eine Erkenntnis muß nicht nur mitteilbar, sondern auch mitteilenswert sein" (H. v. Hentig 1970, 28). Fachdidaktik bedeutet demgegenüber die Applikation der didaktischen Fragestellung im genannten Sinn auf die spezifischen Verhältnisse innerhalb einer Einzeldisziplin. 1.1. Fachwissenschaft — Fachdidaktik Fachdidaktik ist als Wissenschaftsdidaktik primär bestimmt durch die Dimension der Selbstreflexion einer Wissenschaft auf ihren Begründungs- und Verwendungszusammenhang. In diesem Sinn ist die didaktische Fragestellung a priori jeder Fachwissenschaft inhärent, der einzelne Fachwissenschaftler mag sich dessen bewußt sein oder nicht; zumindest konzeptuell also sind Fachwissenschaft und Fachdidaktik (qua Definition ihrer selbst) aufeinander bezogen. „ O h n e ein Interesse kommt keine Erkenntnis zustande" (H. v. Hentig 1970, 15), die Moderation des I n t e r e s s e s aber erfolgt durch die Dimension der Didaktik. Das f a k t i s c h e Verhältnis von Fachwissenschaft und Fachdidaktik in einer Einzeldisziplin hängt freilich weitgehend ab von der Bereitschaft der

Fachwissenschaft(ler), den Zusammenhang von Gegenstandsbestimmung, Methodologie und Erkenntnisinteresse innerhalb des Faches an zentraler Stelle zum Objekt der wissenschaftlichen Bemühung zu machen, sei es in eigener Reflexion, sei es in Kooperation mit explizit „didaktisch" orientierten Bezugsdisziplinen oder auch in gemeinsamer Arbeit in „didaktischen Zentren". Fehlt diese Bereitschaft, so besteht die Gefahr, daß sich Fachwissenschaft unter Berufung auf eine fachinterne Systematik, auf den „Forschungsstand" oder auf die „structure of the discipline" ohne Reflexion auf ihre Begründungs- und ihre Verwendungsbedingungen in einer je gegenwärtigen Praxis gleichsam als „reine Wissenschaft" entwickelt, während Fachdidaktik zur Methodik des Fachunterrichts degeneriert. Nach wie vor droht hier eine Gefahr in den Disziplinen, denen Schulfächer entsprechen, indem nämlich die Universitäten tendenziell ihren Auftrag als einen rein fachwissenschaftlichen begreifen und unter Hinweis auf die Einheit von Forschung und Lehre lehren, was geforscht wird - erforscht aber wird, was vom jeweils augenblicklichen fachwissenschaftsinternen Diskussions- und Bewußtseinsstand her interessant ist, und dies ist nicht immer notwendig das, was von verschiedenen Praxisbereichen aus als vordringlich betrachtet wird; demgegenüber tendieren die Pädagogischen Hochschulen (Pädagogischen Institute/Abteilungen für Erziehungswissenschaft usw.) - jedenfalls dort, wo sie in ihrem Selbstverständnis die erziehungswissenschaftliche Ausrichtung gegenüber den Universitäten herausstellen - zur isolierten Reflexion der Probleme schulischer Vermittlung fachwissenschaftlicher Ergebnisse, was auf seine Weise den Primat fachwissenschaftlicher Orientierung stabilisiert. Ist diese Bereitschaft innerhalb einer Disziplin dagegen da, so besteht die Chance, daß sich an Forschungs- und Lehrinstitutionen Fachdidaktik etabliert als Wissenschaftsdidaktik eines Faches mit allen positiven Folgen für die Entwicklung dieses Faches, die sich aus dem institutionalisierten fruchtbaren Verhältnis zwischen Erkenntnis und Kommunikation und zwischen Erkenntnis und Lernen ergeben. Darüber hinaus ist Fachdidaktik als Hochschulund Schuldidaktik die Wissenschaft von den Bedingungen und Zielen von Lehre innerhalb einer Einzeldisziplin. In diesem Sinne greift Fachdidaktik notwendig über die Grenze der Einzeldisziplin hinaus und eröffnet ein spezifisches Verhältnis zu den Erziehungswissenschaften, zur Psychologie und zu anderen Sozialwissenschaften. Die institutionelle Sicherung dieses Verhältnisses ist an unterschiedlichen Institutionen und in verschiedenen Disziplinen sehr unterschiedlich geregelt; sie reicht von der postulierten Zusammenfassung aller Aufgabenbereiche in einer Person bis zur

103. Didaktik der Linguistik Konstitution von Arbeitsbereichen, innerhalb derer interdisziplinär zusammengearbeitet wird. 1.2. Didaktik der Linguistik Zum Objektbereich einer Didaktik der Linguistik gehören demnach die Dimensionen (1) der Reflexion auf den Konstitutions- und Verwendungszusammenhang von Linguistik („wissenschaftsdidaktische" Dimension) (2) der Reflexion auf Ziele, Bedingungen und Inhalte (einschließlich deren Legitimation) von Lehre innerhalb der Linguistik („schul- und hochschuldidaktische" Dimension). Linguistik (im folgenden immer eingeschränkt auf g e r m a n i s t i s c h e Linguistik) wird dabei verstanden als die Wissenschaft von der (deutschen) Sprache in ihren mündlichen und schriftlichen Erscheinungsformen, bezogen auf den interaktionellen und kommunikativen Hintergrund der Verwendungssituationen, in denen sie vorkommt und (wissenschaftlich) zugänglich wird. Ist eine derartige Beschreibung des Objektbereichs kaum strittig (jedenfalls dann, wenn man von der - freilich immer noch nicht ganz überwundenen - Tendenz absieht, Didaktik mit Methodik zu identifizieren und sie damit zu reiner Unterrichtstechnologie zu degradieren), so besteht weniger Konsens hinsichtlich der P o s i t i o n (im wissenschaftstheoretisch/wissenschaftsdidaktischen Sinne), die in diesem Bereich einzunehmen ist: Es gibt keine „herrschende Lehre". Die Differenzen, die in der Diskussion sichtbar werden, betreffen im wesentlichen folgende Fragen: (a) Wie versteht sich die Linguistik selbst als Wissenschaft? (als eine hermeneutische, als eine „exakte" Wissenschaft, als Sozialwissenschaft?) (b) Wie steht es innerhalb der Disziplin „ G e r manistische Linguistik" mit dem Verhältnis von „Fachwissenschaft" und „Fachdidaktik"? (Ist die „Fachdidaktik" eine Hilfswissenschaft der „Fachwissenschaft"? Oder umgekehrt? Von wo können Impulse, Steuerung von Forschung und Lehre ausgehen?) (c) Wie ist - insbesondere im Hinblick auf die „schul- und hochschuldidaktische" Dimension das Verhältnis zu den Erziehungswissenschaften, zur Psychologie und zur Soziologie zu sehen? (Ist „linguistische Fachdidaktik" unter dem Aspekt dieser Dimension nicht eher Bestandteil jener Wissenschaften als der Linguistik?) (d) Was kann übereinstimmend in der Linguistik als notwendiger Studienbestandteil gelten? (Ist ζ. B . so etwas wie „fundamentum" und „addit u m " zu unterscheiden, wobei zumindest hinsichtlich des ersteren breiter Konsens im Fach herzustellen wäre?) (e) Ist die Fachdidaktik eine autonome Disziplin?

837

Man kann nicht sagen, daß die Diskussion über diese Fragen schleppend geführt worden wäre: W e l t w e i t gesehen hatte sich die Linguistik an universitären und extrauniversitären Forschungsund Lehrinstitutionen unter dem Einfluß sehr unterschiedlicher Erkenntnis- und Verwendungsinteressen entwickelt. Erstere waren nicht selten rein theoriegerichtet, letztere reichten von der Arbeit an der Realisierung maschineller Ubersetzung bis zur Optimierung der Missionstätigkeit durch Sprachanalyse. Die Faszination, die von der Linguistik bei ihrer (Neu-)Etablierung an den d e u t s c h e n Hochschulen Mitte der 60er Jahre ausging, hing einmal mit diesem Anspruch breiter Applikabilität zusammen, zum anderen damit, daß sie (als g e n e r a t i v e Linguistik) rückgebunden an formale Logik, Automatentheorie und Mathematik mit Maßstäben und Ansprüchen hinsichtlich Explizität und Widerspruchsfreiheit in der Theoriebildung auftrat, die in ihrer exaktwissenschaftlichunhermeneutischen Ausrichtung für die geisteswissenschaftliche Tradition der deutschen Sprachwissenschaft eine Provokation waren. Die eigene kritische Applikation unter diesen spezifischen Bedingungen mit zum O b j e k t wissenschaftlichen Bemühens zu machen und sich innerhalb des deutschen Universitätsbereichs allererst zu konstituieren und zu definieren lag von da her nahe. Ein zusätzliches Stimulans für die Diskussion über Selbstverständnis und Aufgaben des Faches bot die hochschulpolitische Situation der ausgehenden 60er Jahre (innerhalb der Germanistik stark geprägt durch den Schock, den der Berliner Germanistentag von 1968 weithin bedeutete). Auf der anderen Seite stellten wissenschaftspolitische Entscheidungen Weichen zu einer Zeit, da die Diskussion noch längst nicht zu deutlichen Alternativen, geschweige denn einem Konsens gekommen war: 1970 wurde die Linguistik durch ein Rahmenabkommen der Kultusminister als je eigenes Teilfach innerhalb der verschiedenen Nationalphilologien (Germanistik, Anglistik, Romanistik usw.) Bestandteil der Lehrerausbildung, an allen Universitätsseminaren wurden Lehrstühle für (germanistische) Linguistik (und das heißt: für die „ F a c h w i s s e n s c h a f t " Linguistik) eingerichtet. An den Pädagogischen Hochschulen, deren Eingliederung in Universitäten bzw. deren Erhebung zu „wissenschaftlichen" Hochschulen zu eben jener Zeit begann, erhielt die Linguistik ebenfalls zunehmend ihren Platz, jedoch im Rahmen von Lehrgebieten wie „ D e u t sche Sprache und Literatur und ihre Didaktik", „Didaktik der deutschen Sprache und Literatur" usw. Die unterschiedliche Beschreibung des Lehrauftrags dauert inzwischen selbst dort noch an, wo an beiden Institutionen Lehrer für die gleichen Schulen ausgebildet werden. Dieser Umstand

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XI. Anwendungsbereiche

brachte insbesondere die Linguisten an den Pädagogischen Hochschulen (Pädagogischen Instituten/Abteilungen für Erziehungswissenschaft usw.) in eine Art „Legitimationszwang" hinsichtlich der Besonderheit ihres Auftrags. Es ist von daher nicht verwunderlich, daß gerade aus diesen Kreisen besonders viele Diskussionsbeiträge stammen. Angesichts dieser Umstände kann der B e g r i f f der Didaktik der Linguistik nicht anders expliziert werden als durch eine Nachzeichnung differenter Positionen, die im Verlauf der Diskussion bezogen worden sind. Dies soll im folgenden ausschnitthaft geschehen (detailliertere Information über die unterschiedlichen Positionen finden sich ζ. B. bei Κ. H. Daniels 1974, E. Strassner 1977 und H. Ivo 1977). 2. Positionen der Didaktikdiskussion Linguistik

in der

Daß Didaktik nicht Bestandteil der Germanistik als Wissenschaft sei, war bis Mitte der 60er Jahre communis opinio der Germanisten. So erklärt 1964 F. Maurer in einer Diskussion auf dem Essener Germanistentag über das germanistische Universitätsstudium: „Die Didaktik gehört nicht zur Germanistik, sondern zur Pädagogik", und in der „Entschließung über Grundsatzfragen des Studiums der Germanistik", die derselbe Germanistentag an die Kultusministerien adressierte, wird formuliert: „Die Didaktik des Faches Deutsch ist Sache der Germanisten an den Studienseminaren und den Pädagogischen Hochschulen" (vgl. Glinz 1970, 39). Dürfte hier ein Didaktikbegriff zugrundegelegt (und abgewehrt) sein, der vor allem die Dimension der Methodik meint, so gilt dies nicht für die bekannte Äußerung K. O. Conradys, der 1966 über Didaktik und ihr Verhältnis zur Germanistik schreibt (wobei er Didaktik mit W. Klafki als „Theorie der Auswahl und Vermittlung von Unterrichtsgegenständen" faßt): „Sie [die Didaktik] hat es mit anderen Fragen zu tun als der im Prinzip allein auf die Erkenntnis der Sache um ihrer selbst willen gerichtete wissenschaftliche Umgang mit Sprache und Literatur" und etwas später: „Fragen der Didaktik im weitesten Sinn können erst dann fruchtbar werden, wenn zuvor die S a c h e s e l b s t , die sie notwendigerweise mit einbeziehen, in i h r e n e i g e n e n D i m e n s i o n e n erkannt worden ist. Erst auf dem Fundament eines möglichst intensiven Studiums kann sich eine Lehrtätigkeit entfalten, in der der Lehrende dem Schüler gegenüber Meister ist. Wer anderes wünscht, sollte die Konsequenzen ziehen und eine Fachschule für die Ausbildung von Studienräten fordern und sollte die Notwendigkeit wissenschaftlicher Vorbildung für diesen Beruf bestreiten" (zit. nach Glinz 1970, 40).

Auffassungen wie diese verweisen auf eine Fachwissenschaft, die sich unangefochten fühlte, und zwar sowohl hinsichtlich ihres Forschungsauftrags als auch hinsichtlich ihres Lehrgebiets. Sie dokumentieren gleichzeitig die (zumindest vorläufig) letzte Phase der Geschichte der Germanistik, in der diese Sicherheit bestand.

2. /. H. Glinz: Didaktik von Wissenschaft

als

Konstituente

In Auseinandersetzung mit den oben dargestellten Auffassungen zum Verhältnis von „Fachwissenschaft" und „Fachdidaktik" postuliert H. Glinz 1965/1966 eine Germanistik, in der - wie in allen philologisch-historischen Wissenschaften „das Didaktische" einen Anteil a priori hat, und zwar nicht nur in der Lehre, sondern auch in der Forschung, d.h. gleichsam in der Konstitution des Faches. Er bestimmt: „Die Linguistik, die Literaturwissenschaft und die Sprachdidaktik haben einen gemeinsamen Kern, und diese Kernbereiche der drei Wissenschaftszweige machen erst zusammen die eine grundlegende Wissenschaft von der Sprache aus, auf die alle Einzelforschung in Sprache und Literatur angewiesen ist und die man mit dem Wort ,Sprachtheorie' bezeichnen kann." (Glinz, 1970, 44.) Der didaktische Aspekt tritt also nicht erst hinzu, nachdem unter dem „rein" sprach- und literaturwissenschaftlichen Aspekt die entscheidenden Fragen schon beantwortet sind, sondern das Didaktische ist von A n f a n g an beteiligt: es wird von Anfang an nicht nur gefragt nach dem Sprachbesitz einer Gemeinschaft(deSaussure „Langue") und nach dessen geschichtlicher Entwicklung (also linguistisch, sprachwissenschafdich, in zuerst synchroner, systemanalytischer, und dann in diachroner, historischer Betrachtung); es wird auch nicht nur gefragt nach den sprachlichen Kunstwerken der betreffenden Gemeinschaft, nach ihrem Bestand und ihrer Geschichte (also literaturwissenschaftlich und literaturgeschichtlich), sondern es wird zugleich in wissenschaftlicher Strenge gefragt nach der Ü b e r m i t t l u n g von sprachlichen Werken (vor allem Kunstwerken) und von Sprache selbst, nämlich nach der Übermittlung an neue (heranwachsende wie schon erwachsene) Teilhaber. (Glinz 1970, D i d a k t i k der G e r m a n i s t i k wird hier also gewissermaßen als die Theorie von Übermittlung von Sprachbesitz und der Rezeption sprachlicher Äußerungen, von der Alltagsäußerung bis zum Sprachkunstwerk, aufgefaßt, und diese Theorie gilt Glinz als „integrierender Teil der Sprachtheorie" (Glinz 1970, 44).

103. Didaktik der Linguistik 2.2. Die

Iser-W'einrieb-Vorschläge

Nur implizit, aber letztlich an zentraler Stelle stehen Probleme der Didaktik der Linguistik zur Debatte in H. Weinrichs „Überlegungen zu einem Studienmodell der Linguistik" (Weinrich 1969, 70-77) und den korrespondierenden „Überlegungen zu einem literaturwissenschaftlichen Studienmodell" W. Isers (Iser 1969, 25-39). Vordergründig geht es in beiden Beiträgen lediglich um die (Re-)Organisation des Universitätsstudiums. Insofern jedoch beide Vorschläge auf die Auflösung der nationalphilologischen Einzeldisziplinen (Germanistik, Romanistik, Anglistik usw.) abzielen und an deren Stelle die Institutionalisierung einer umfassenden Wissenschaft von der Literatur bzw. der Sprache an den Hochschulen gefordert wird, mit Konsequenzen für die Fächerdefinition an den Schulen, sind gleichzeitig weitreichende wissenschaftsdidaktische und im umfassenderen Sinne wissenschaftstheoretische Fragestellungen aufgerufen. Weinrich geht von dem Postulat aus, es gebe „keine Linguistik der deutschen Sprache, die in ihrem Wissenschaftscharakter grundverschieden von einer Linguistik der englischen oder russischen Sprache wäre" (Weinrich 1969, 71), definiert von da her das Studium der Linguistik prinzipiell als Studium der allgemeinen Linguistik und fordert für dieses Studium - abgestuft nach intendiertem Lehramt - eine qualitativ wie quantitativ differenzierte wissenschaftliche Beschäftigung mit Sprache. Im Grundstudium (zwei Jahre) sind Lehrveranstaltungen zur Einführung in Teilbereiche der Linguistik und der linguistischen Methodologie zu absolvieren sowie ein literaturwissenschafdiches Begleitstudium in Stilistik und Rhetorik und ein Nebenstudium in Logik. Das Hauptstudium, das je nach intendierter Qualifikation zwei oder drei Jahre in Anspruch nimmt, gilt spezielleren Problemen der systematischen Linguistik und der linguistischen Methodenlehre. Ein literaturwissenschaftliches Begleitstudium ist Problemen der literarischen Formenlehre und der Gattungspoetik gewidmet, als Nebenstudium ist das Studium der Mathematik obligat. Der Pflege der nötigen Sprachkenntnisse dienen Kurse an einem in der Hochschule integrierten zentralen Sprachlehrinstitut, und zwar über die ganze Studiendauer hinweg. Der Vorschlag von H. Weinrich fand (wie der korrespondierende von W. Iser) ein lebhaftes Interesse, aus verschiedenen Gründen: (1) Er fiel in eine Zeit intensiver Diskussion über das Berufsfeld des Lehrers, über den Anteil der Linguistik an der Lehrerbildung und über die Organisation des philologischen und - im engeren Sinne - des linguistischen Studiums. (2) Er ist der konsequenteste publizierte Ver-

839

such, sowohl die Linguistik auf ein bestimmtes Selbstverständnis festzulegen als auch dann aus dieser Festlegung, letztlich also aus einer fachinternen Position heraus, das Studium der Linguistik auch im Hinblick auf den Lehrerberuf zu begründen. (3) Besonders weite Beachtung fanden die Vorschläge dadurch, daß sie in das Rhedaer „Memorandum zur Reform des Studiums der Linguistik und der Literaturwissenschaft" Eingang fanden, hinter das sich - im Oktober 1969 - eine Reihe deutscher Literaturwissenschaftler und Linguisten stellten (vgl. LB 5, 1969, 70-72). Die Auseinandersetzung mit diesen Vorschlägen fand in erster Linie innerhalb der einzelnen Seminare und Institute statt, sie ist daher praktisch nicht dokumentiert. Im Vordergrund stand dabei die Frage, ob Linguistik als allgemeine Linguistik oder als germanistische, anglistische, romanistische usw. Linguistik an den Hochschulen betrieben werden sollte. Wie oben schon angedeutet, wurde diese Frage (zumindest für die Germanistik) administrativ gelöst: durch ein Rahmenabkommen der Kultusminister aus dem Jahre 1970, das die Linguistik als g e r m a n i s t i s c h e Linguistik zum Bestandteil der Lehrerausbildung im Fach Deutsch machte. 2.3. Thesen der Fachschaft Deutsch an den PHs des Landes Nordrhein-Westfalen: Zur Didaktikdiskussion Die Situation in der Germanistik an den Pädagogischen Hochschulen des Landes NordrheinWestfalen war zu Beginn der 70er Jahre durch eine Reihe wichtiger (vollzogener oder erwarteter) Entwicklungen geprägt, insbesondere durch folgende : (a) Die Pädagogischen Hochschulen waren „wissenschaftliche" Hochschulen geworden und sahen sich nun stärker als zuvor als Partner, aber auch als Konkurrenten der Universitäten. (b) In der Germanistik wurden - wie an den Universitäten - linguistische Lehrstühle eingerichtet, freilich - anders als an den Universitäten (vgl. 1.2.) - im Rahmen des Lehrgebiets „Didaktik der deutschen Sprache und Literatur" o. ä. (c) Es bestand die (sogar durch Landesgesetzgebung initiierte) Erwartung, daß binnen kurzem Universitäts- und PH-Germanisten an Gesamthochschulen kooperieren würden. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich eine überaus lebhafte Diskussion über den Begriff der Didaktik - und damit über das Selbstverständnis des Faches Deutsch an der Pädagogischen Hochschule, in Bezug wie in Abhebung zu dem Selbstverständnis der Universitätsgermanistik, die 1971 zur Formulierung folgender Thesen zum Didaktikbegriff führte:

840

XI. Anwendungsbereiche

„ 1 . Die wissenschaftliche Erforschung von Sprache als dem wesentlichen Medium von Kommunikation kann, sofern sie mehr als nur deskriptive Adäquatheit anstrebt, nicht darauf verzichten, die Konstitution von Texten durch die Interaktion von »Sprechern' und ,Hörern' in ihre Untersuchungen einzubeziehen. Die didaktische Fragestellung ist also - jedenfalls unter dieser Voraussetzung - der Untersuchung von Sprache und Texten stets inhärent. 2. Eine isolierte ,Didaktik der deutschen Sprache und Literatur' wird diesem umfassenderen Begriff einer Wissenschaft von Sprache und Literatur ebensowenig gerecht wie eine .reine' Literaturwissenschaft und Linguistik. Dieser umfassendere Begriff verbietet auch jede Unterordnung der Didaktik unter Prinzipien der Fachwissenschaft. Er beinhaltet vielmehr eine entschiedene Generalisierung des Didaktikbegriffs und verlangt insofern Veränderungen im Wissenschaftsverständnis sowohl der Pädagogischen H o c h schulen wie auch der Universitäten. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die fachliche Planung an einer gemeinsamen Arbeit in Gesamthochschulen." ( L B 16, 1971, 60)

Gleichzeitig mit der Formulierung der Thesen und ihrer Begründung werden wissenschaftsorganisatorische Maßnahmen gefordert, die eine „gemeinsame Verantwortung aller Lehrenden für die Didaktik ihrer Gegenstände" sichern sollen (LB 16, 1971,61). 2.4. Κ. H. Daniels: Didaktik der Linguistik im Verhältnis zu Fachwissenschaft und Erziehungswissenschaft Um Standort und Rolle einer Didaktik der Linguistik geht es auch in zwei Arbeiten von Κ. H. Daniels (1974 und 1975). Ihm kommt es zwar primär auf einen „Uberblick über den derzeitigen diskussionsstand" (Daniels 1974, 21) an, er markiert aber - wenngleich in , .Zusammenfassung von teildarstellungen" anderer (Daniels 1974, 28) eine eigene Position, die im wesentlichen dadurch charakterisiert ist, daß die Fachdidaktik in einem „dreieck von allgemeiner didaktik, fachwissenschaft und fachdidaktik" (Daniels 1974, 28) eine eigene Größe bildet, die allerdings eine stärkere Affinität zur Fachwissenschaft als zur allgemeinen Didaktik hat. Als „hauptaufgabenbereiche der fachdidaktik im hinblick auf die fachwissenschaft" bestimmt Daniels: (a) die ständige Überprüfung wissenschaftlicher ergebnisse auf ihre umsetzbarkeit (b) die Aufarbeitung ältere(r) fakten der wissenschaftstradition unter neuen didaktischen konzepten (c) die artikulation des bedarfs an die fachwissenschaft (d) die integrierende funktion der fachdidaktik im Sinne einer Vermittlung zwischen den expandierenden disziplinen von pädagogischen konzepten her (Daniels 1974, 33). Unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses zu der Erziehungswissenschaft nennt Daniels als wichtige Aufgaben:

(a) die ausrichtung auf den Unterricht (b) die kritische analyse und Weiterentwicklung oder Umgestaltung von lehrplänen und curricula (Daniels 1974, 34). 2.}.

Didaktikdiskussion deutsche Sprache

am Institut für

Der erste der beiden im vorangehenden Abschnitt herangezogenen Beiträge geht zurück auf einen Vortrag, den Κ. H. Daniels „Zum Verhältnis von allgemeiner didaktik, fachwissenschaft und fachdidaktik" auf dem Trierer Germanistentag 1973 gehalten hat. Als Indiz für das Interesse und die Sensibilität für das Problem der Didaktik in jenen Jahren darf gelten, daß nur ein Jahr später die wichtigste außeruniversitäre Institution der germanistischen Linguistik in Deutschland, das Mannheimer „Institut für deutsche Sprache", die Jahrestagung 1974 unter das Generalthema „Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik" gestellt hat. Die beiden Grundsatzreferate wurden (unter dem Thema ,Linguistik und Didaktik') von H. J. Heringer und (unter dem Thema ,Didaktik und Linguistik') von H. Sitta gehalten. Beiden Referaten eignet hinsichtlich der Auffassung vom Wesen der Didaktik der Linguistik ein stark programmatischer Charakter. Heringer faßt seinen Beitrag in folgenden Thesen zusammen (Heringer 1974, 130): ,,(i) Das Verhältnis von Linguistik und Didaktik ist nicht so, daß die Linguistik ihre Ergebnisse der Didaktik zur Verfügung stellt und die Didaktik aus diesen auswählt für den Sprachunterricht. Es geht im Sprachunterricht nicht um das Lehren linguistischer Theorien, sondern um ihre Anwendung. (ii) Das Verhältnis von Linguistik und Didaktik ist so, daß Didaktik weitgehend Teil einer sozialwissenschaftlich orientierten Linguistik wäre. (iii) Über Lernziele des Sprachunterrichts muß wissenschaftlich und nicht nach Gutdünken entschieden werden. Dazu genügt auch nicht eine Sondertheorie im Windschatten der wissenschaftlichen Theorien. (iv) Eine Linguistik, die sich als Sozialwissenschaft versteht und das menschliche Handeln untersucht, ist in der Lage, zusammenhängende Lernziele anzugeben und zu begründen. (v) Die Linguistik sollte nicht eine frei luxurierende Wissenschaft sein, sondern ihre Anwendung reflektieren und sich an ihr orientieren."

Wie für H. J . Heringer ist für H. Sitta Didaktik nicht eine eigene Disziplin, die der Fachwissenschaft (etwa wie bei Daniels) gegenüberträte, sondern als „Reflexions-, Legitimations- oder Steuerungsprinzip im Hinblick auf die Bestimmung von Inhalten fachlicher Arbeit" deren Bestandteil: Sie bestimmt „maßgeblich das Selbstverständnis eines Faches, indem sie Bedingungen, Ziele und Inhalte wissenschaftlichen Handelns in-

103. Didaktik der Linguistik nerhalb eines Faches reflektiert, legitimiert oder steuert." ( H . Sitta 1974, 431)

3. Bibliographie (in Auswahl)

2.6. H. Ivo: Didaktik als integrierendes von Fachwissenschaften

Allgemeine Didaktik -

Prinzip

Die jüngste ausführliche Stellungnahme zum Problem der „Wissenschaftlichkeit der Didaktik der deutschen Sprache und Literatur" stammt von H . Ivo (Ivo 1977). E r hatte sich schon im 1. Kap. des 1975 erschienenen Buchs „Handlungsfeld Deutschunterricht" mit dem Problem der Didaktik der Linguistik beschäftigt und dort in Auseinandersetzung mit den Positionen von Κ . H . Daniels und H . Sitta eine Mittelstellung bezogen, die er so formuliert: „ W i s s e n s c h a f t vom Deutschunterricht, wie ich sie vorschlage, kann eigentlich nur in einem Verbund

realisiert

werden, in dem jeder Fachwissenschaftler bleibt, was er ist: in dem aber jeder die wechselseitige Verpflichtung eingegangen ist, seine F o r s c h u n g unter dem Gesichtspunkt der H a n d -

D . A d e r / A . Kress, Z u m gegenwärtigen Stand der Sprachdidaktik. I n : M D G V 2 2 . 1975, 4 , 1 - 1 9 .

in jedem Falle heißen, daß sofort oder sehr schnell unmiteiner b z w . d e r

Bedingung

wissenschaftlichen

Handelns

wird. W e r solches erwartet, mißversteht wohl wissenschaftliches Handeln grundsätzlich." ( I v o 1975, 32 f.)

In seinem neuen Buch expliziert er nun - nach einer eingehenden Darstellung der Diskussion über das Selbstverständnis der Fachdidaktik, auf die hier ausdrücklich verwiesen sei - seine eigene Position (Ivo 1977, 44—53), die er so zusammenfallt: „ D i e s e U n t e r s u c h u n g geht davon aus, daß die E r w a r t u n gen an eine zu konstituierende Fachdidaktik nicht eine eigene wissenschaftliche Disziplin begründen k ö n n e n , weil eine Disziplin, die so verschiedenartigen Erwartungen entsprechen sollte, sich immer schon als Universal Wissenschaft voraussetzte.

Fachdidaktik -

Fachwissenschaft.

H r s g . v. D . C . K o c h a n . Darmstadt, 2. Aufl. 1972. H . B l a n k e n z , T h e o r i e n und Modelle der D i d a k t i k . 6. Aufl. M ü n c h e n 1972. K . Daniels, Z u m Verhältnis von allgemeiner didaktik, fachwissenschaft und fachdidaktik.

In: W W

24.

1974,

1,

21—46. Κ.

Daniels,

Grundfragen

zur

Standortbestimmung

der

Sprachdidaktik. In: B f D 2. 1975, 3 5 - 4 8 . Didaktik, H r s g . ν. H . R ö h r s , Frankfurt 1971. Fachdidaktik Deutsch. H r s g . v. B . Sowinski. K ö l n 1975. Fachschaft D e u t s c h an den Pädagogischen H o c h s c h u l e n des Landes N o r d r h e i n - W e s t f a l e n :

Zur

Didaktikdiskussion.

I n : L B 16. 1971, 6 0 - 6 1 . H.

Glinz,

Sprachwissenschaft

heute. 2 .

Aufl.

Stuttgart

1970. H . J . H e r i n g e r , Linguistik und Didaktik. I n : L u D 18. 1974, 119-130. W . H e r r l i t z , Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik. D.

lungsbedürfnisse der Schule zu strukturieren. Dies m u ß nicht telbar umsetzbare Ergebnisse erzielt werden oder daß dies zu

841

B o u e k e : Diskussion

Deutschunterricht.

In:

Paderborn

1979. W . Iser, Überlegungen zu einem literacurwissenschaftlichen Studienmodell. I n : K o n s t a n z e r Blätter für H o c h s c h u l fragen 2 2 . 1 6 9 , 2 5 - 3 9 und L B 2. 1969, 7 7 - 8 7 . Ansichten einer künftigen Germanistik. M ü n c h e n 1969, 1 9 3 - 2 0 7 . H.

Ivo,

Handlungsfeld:

Deutschunterricht.

Frankfurt

1975. H . Ivo, Z u r Wissenschaftlichkeit der D i d a k t i k der deutschen Sprache und Literatur. Frankfurt 1977. K o n z e p t i o n e n linguistischer G r u n d k u r s e .

H r s g . von

H.

Sitta. Tübingen 1972. Linguistik und Hochschuldidaktik. H r s g . ν. Η . H . Baum a n n / J . Pleines. K r o n b e r g 1975. E . N ü n d e l , Zur Grundlegung einer Didaktik des sprachlichen Handelns. K r o n b e r g 1976. H . Sitta, Didaktik und Linguistik. I n : D D 19. 1974, 431 bis 4 4 5 . Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik ( = J a h r b u c h

1974

des Instituts f ü r deutsche Sprache.) Düsseldorf 1975.

Sie geht weiter davon aus, daß die bereits vorhandenen fachdidaktischen Einrichtungen, wie sie sich zuletzt in der Tradition der Pädagogischen H o c h s c h u l e n herausgebilder haben, in ihrem Selbstverständnis und ihrer Praxis nur punktuell mit einigen dieser Erwartungen übereinstimmen.

E . Strassner, Aufgabenfeld Sprache im Deutschunterricht.

Unabhängig von den Schwierigkeiten, die sich mit der Konstituierung einer eigenen wissenschaftlichen Disziplin stellen, soll geprüft werden, welche der aufgeworfenen P r o b l e m e , die sich speziell für das Handlungsfeld D e u t s c h unterricht stellen, wissenschaftlich bearbeitet werden sollten. Dabei wird in K a u f g e n o m m e n , daß Fachdidaktik lediglich eine Sammelbezeichnung für sehr unterschiedliche B e mühungen bleibt, die lediglich dadurch einen Zusammenhalt erfahren, daß sie sich in der einen oder anderen Weise auf dieses Handlungsfeld b e z i e h e n . " {Ivo 1977, 53)

H . W e i n r i c h , Überlegungen zu einem Studienmodell der Linguistik. I n : L B 2 . 1969, 7 0 - 7 7 ; Ansichten einer künftigen Germanistik. M ü n c h e n 1969, 2 0 8 - 2 1 8 .

T ü b i n g e n 1977. B . Switalla, Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik gegenwärtige Perspektive. I n : W P B 2 9 .

die

1977, 11, 452

bis 4 5 6 .

Wissenschaftsdidaktik. Referate und Berichte von einer Tagung des Zentrums für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld am 11. und 12. April 1969. H r s g . ν. Η . V . H e n t i g , L . H u b e r , P. Müller. G ö t t i n g e n 1970.

Horst Sitta, Zürich

REGISTER

Abbildtheorie 23 f. Abbildung 110 f. Abbreviation 171 Abduktion 54 ff. Abhängigkeit 215 Abkürzung 171 Abkürzungswort 629 Ablaufmodell, kybernetisches - und maschinelle Ubersetzung 804 Ablaufmuster 320 Ablaut 173,552 Ableitung 170 Abschlußklausel 112 Absonderung, sprachliche 386 Abstandsprinzip 644 Abstraktum 178 Abtönungspartikel 156,318 Abweichung 297 Abweichungsstilistik 306 Achse, semantische 203 acoustic cues 124 actio 295 Adaptor 272 Ad-hoc-Wortbildung 178 Adjektiv 93, 177 Flexion des - s 625 Adjektivbildung, zeittypische 631 Adjunktion 226 Affekt 294, 721 Affektdarstellung 272 Affigierung 170 Affix 172 Affixableitung 170 Affix- Allomorphie 173 Agitationssprache 522 Agnosie 407 -.auditive 816 Agraphie 143 f. Agrammatismus 419,443,816 Ähnlichkeit, phonetische 127 Ähnlichkeitsskalierung 127 Akademie f ü r Sprache und Dichtung 512 Akkusativ 624 Akkusätivierung 176 Akrolekt 644 Akt, illokutionärer 289 s. Sprechakt - . illokutiver 270 s. Illokutionsakt -»literarischer 755 lokutinärer 288 perlokutionärer 289 phatischer 288 phonetischer 288 -,propositionaler 289 rhetischer 288 Aktor-Aktions-Schema 68

Aktualisierung und Schema 16 Aktualisierungsprozesse 157 Aktualität des Sprachzeichens 720 Akustogenese 122 ff. Akzentkonzentration 463 Akzentuierung 76, 429 Akzeptabilität 175, 222 - in der Wortbildung 174 f. Alalie 816 Alemannisch 482ff., 571 Allgemeinaussagen, sprachtheoretische 57 Allgemeiner Deutscher Sprachverein 512 Allograph 146 Allomorphie 163, 173 Allophon 129 Alltagskommunikation 355 Alltags spräche, gesprochene 607 Alltagssprecher und Sprachwissenschaftler 84 Alltagswissen 21 ALPAC-Bericht 805 Alphabetschrift 139, 145 alteuropäische Sprachgruppe 566 Althochdeutsch 569 ff. Anfangsstellung des Verbums im - e n 574 -, -, -

Auslautgesetz i m - e n 572 Dialekte des —en 571 als Entlehnungssprache 575 als Experimentiersprache 575 Erbwortschatz im - e n 574 - , Formensysteme des - e n 573 -»Glossen, Glossare und Denkmäler des - e n 570 - , Grammatik des —en 571 graphematische Systeme des - e n 571 kombinatorischer Vokalwechsel im - e n 573 Lautsysteme des - e n 571 - , Lehnprägungen d e s - e n 574 - , Medienverschiebung im - e n 572 - , Primärumlaute i m - e n 572 Schreibsprache d e s - e n 570 -»Schreibsysteme d e s - e n 571 -.Sekundärlaute i m - e n 572 - , Syntax des - e n 574 - , Tenuis Verschiebung im - e n 572 Typologie d e s - e n 574 - als Übergangssprache 575 Überlieferung des - e n 570 - , überliefeningsorte des - e n 581 - als überregionale Volkssprache 575 - als Übersetzungssprache 574

- , Vereinheitlichungstendenzen des - e n 575 - , Wortbildung im - e n 573 - , Wortschatz d e s - e n 574 - , Zweitstellung des Verbums im - e n 574 Altniederdeutsch 576 ff. -.geographischer Bereich des - e n 578 Graphemsystem des - e n 577 - , Lexikon des -en 579 Morphologie des - e n 578 Nachbarsprachen des - e n 578 - , Phonemsystem des - e n 577 Schrift-und Lautsystem d e s - e n 577 - , Syntax des - e n 580 - . T e x t e 576 zeidiche Eingliederung des - e n 578 Altniederländisch und Altniederfränkisch 570 Altsächsisch 570 - s. Altniederdeutsch alveolar 121 amerikanischer Deskriptivismus 162 - Strukturalismus 116 f. Ammen- und Babysprache 436 Amplifikation 296 Amtsdeutsch 522,538 Amtssprache 646 - in Österreich 527 - in der Schweiz 532 Analogie 104, 552ff., 647 Analogiemodell 89 f. Analogieprinzip 54 Analogonym 682 Analysator, akustischer 400 Analysierbarkeits-Postulat 199 analytische Implikation 202 analytischer Sprachbau 626 Anakol uth 316 Anapher 295 Anaptyxis 77 Anarchismus, literarischer 748 Anarthrie 442 Anfangsaussagen, sprach theoretische 57 Anfangsstellung des Verbums im Althochdeutschen 574 Angabe 218 - des Definitionsbereichs 110 f. - der Funktionsvorschrift 110 f. - des Wertebereichs 110 f. Angewandte Informatik 806 Angewandte Linguistik 504f., 634, 76 Iff. — , Forschungsziele d e r - η - 761 — , Funktionalisierung d e r - n - 762

844

Register

— , Gesellschaftsrelevanz d e r - n - 761 — , Mikrostruktur d e r - n - 763 Angewandte Stilistik 3 0 4 , 3 0 9 - 3 1 1 Anglizismus 629 Anlautcluster 133 Anreihung 114 Ansatzrohr 121 Antezedent 454 Anthroponym 187 s. Personenname Anthroponymikon 188, 195 f. Antikerezeption, deutschsprachige 716 Antimentalismus 116 Antiqua 141 Antithese 301 Antonymie 203, 247 antonymisches Feld 200 Anweisung 156 f. Anweisungsstruktur 156 f. Anwendungsbereich der Eigennamenforschung 188 f. Anzeichen 35, 157f. s. Symptom Anzeichensyndrom 35 Anzeige 334 Aphasie 406, 411, 442 s. Sprachstörung an atomisch-physiologische Grundlagen d e r - 408 ff. amnestische 443, 817 - , globale 443 Lokalisation der - n 414 motorische 4 4 3 , 8 1 7 - , sensorische 443, 817 - totale 817 Aphasieforschung, vergleichende 418f. Aphasieverlauf 417 Aphasiker, monoglotter 417 ~> polyglotter 417 Aphasiologie 406 f. Apokope 77 Apokopierung 462, 463, 467 Aposiopese 298 Appell 157 appellativ 158 Appellativa, Artikelgebrauch bei 192 f. Appellativum 190 ff. Appellation 46 Appellfunktion 271 - , kausale 158 - , zeichenhafte 158 Appellrelation 157 f. Appräsentation 3 I f f . Apraxie 407, 816 aptum 294 f. Äquivalenz 633, 635 -.analytische 16 - , präskriptive 798 - der Übersetzung 635 Äquivalenzbeziehung, syntagmatische 699 ÄquivaJenzrelation 110 Arbitrarität 15 i f f . - von Eigennamen 194 - sprachlicher Zeichen 616 Archilexem 201

Archiphonem 133 Archisemem 201 Arealdefinition des Nordoberdeutschen 479 - des Ostmitteldeutschen 474 - des Ostniederdeutschen 464 - des Ostoberdeutschen 486 - des Westmitteldeutschen 468 - des Westniederdeutschen 458 f. - des Westoberdeutschen 482 Arealdistributive Klassifikation der slawischen lexikalischen Intt-grate 684 f. Areallinguistik 349, 445 ff. diasystemische 445 - und generative Transformationsgrammatik 452 - , intersystemische 445 - , nichtdogmatische 451 - und Soziolinguistik 452 systemische 445 - der Umgangssprache 451 Arealismus 685 Arealtypologie 637 Argument 300 Argumentbereich einer Funktion lOf. argumentatio 295 Argumentation 14f., 295, 2 9 9 f . - , ein- oder zweiseitige 300 articulation, double 154 Artikelgebrauch bei Propria u. Appellativa 192 f. Artikelmorphem 164 Artikulation 7 f f . , 121 alveolopalatale 493 -,glottale 122 pharyngale 122 - , retroflexe 122 Artikulationsart 121 Artikulationsraum 121 Artikulator 7 - , abgeleiteter 11 - , einfacher 8 Arzt-Patienten-Interaktion 371 Asianismus 724 Assimilation 77, 555, 623 Assoziation 32 assoziatives Feld 200 Aspektsprache 640 Ästhetik 687 - und Semiotik 49 Asyle 340 Atmung 399 f. attitude-Forschung 362 - s. Einstellungsforschung Attizismus 724 Attribut 626 - , mehrgliedriges 626 Auffindungsprozedur 355 Aufforderungsh and lung 7 Aufgliederung, romanische 564 f. Aufklärung, Schreibart der - 728 Aufsatzunterricht 327 Augenblickskompositum 616 Ausbauprinzip 644

Ausdruck 151, 1 5 7 , 2 1 2 -»kompakter 178 - , onomatopoetischer 170 -»referenzialisierender 701 -.sprachlicher 687 Ausdrucksebene 115 Ausdrucksform 115 f. instinktive 269 Ausdrucksfunktion 271 -»kausale 158 zeichen hafte 158 Ausdrucks relation 157 f. Ausdrucksseite 154 Ausdruckssprache, poetische 729 Ausdrucksstruktur, kompakte 174 Ausdruckssubstanz 115 f. Ausgangssprache 7 8 1 , 8 0 2 Ausgleichsregel 134 Ausgleichssprache, koloniale 475 Ausgliederung der germanischen Einzelsprachen 564, 5 6 6 - 5 6 8 Ausklammerung 3 1 7 , 6 2 7 Auslautgesetz im Althochdeutschen 572 Auslautverhärtung 134, 493 Auslösewort 642 Aussage, sprachwissenschaftliche 57 f. Aussagekern 9 Außensprachinsel 491 Aussprache 658 -»deutsche 604 -»einheitliche 623 - s. Orthophonie Aussprachenorm 135 Aussprachewörterbuch 780 Äußerung 212, 350 - , explizit performative 287 - , konstative 9, 287 - , metakommunikative 319 nichtsprachliche 373 -.performative 9 , 2 8 7 - , primär performative 287 schriftliche 323 - , sprachliche 687 Äußerungsakt 289 Autismus 816 Autismus-Theorie 436 Automatisierung 694 - . s e k u n d ä r e 693 Autor und Schreiber mittelalterlicher Texte 709 Autosemantica 156 Auxiliarkomplex 224 Auxiliartransformation 226 Axiom 113 axiomatische Systeme 112 f. Baby- und Ammensprache 436 Bahuvrihi-Kompositum 177 Bairisch 4 8 6 f . , 571 Bandpaßfilter 125 Bandschnittverfahren 126 Barriere, semantische - in der maschinellen Übersetzung 806 Barockliteratur, deutsche 719 ff. Basilekt 644

Register Basiserfahrung, existentielle 753 Basisregel 318 Baum 111 -»etikettierter 220 Baumdiagramm 111 Bedeutsamkeit 194 Bedeutung 3 2 f . , 3 7 f . , 199ff., 288, 757 s. Sinn u. Signifikat -»denotative 782 etymologische - bei Eigennamen 193 Festigkeit und Unfestigkeit von - e n 617 - und Gebrauch 12 ff. -»grammatische 160 - , idiomatische 180, 181, 183 illokutive 280 konnotative 393 Konstantisierung von - 262 -.lexikalische 160, 199 ff. nicht-idiomatische 1 8 1 , 1 8 3 -.paradigmatische 155 - , syntagmatische 155 virtuelle 157 -.wörtliche 71,292 - von Zeichen 52 - sprachlichen Zeicher 262 Bedeutungsamalgamierung 157 Bedeutungsbegriff (bei Frege) 9 Bedeutungserklärung 781 f. - , paradigmatische 779 ff. -.syntagmatische 7 7 9 f f . Bedeutungsinhalt 194 Bedeutungskomponente 158 Bedeutungskonstitution 51 Bedeutungskonstitution, Zeichenprozeß als - 51 Bedeutungslehre 1, 199 ff., 698 - s. Semantik Bedeutungsselektion 157 Bedeutungsspaltung 450 Bedeutungsspezifikation 157 Bedeutungssystem, kontextabhängiges 370 kontextunabhängiges 370 Bedeutungstheorie 291 s. Semantik - , situativ-funktionalistische 262 Bedeutungsumfang 194 Bedeutungsvarianten von Umgangssprachen 380 Bedeutungsverwandtschaft, systematische 782 Bedeutungswandel 1 1 4 , 1 7 2 , 199,388 Bedingtheit, raum-zeitliche - der Sprache 559 Bedingungskonstellation 794 Beeinflussung, wechselseitige 354 Befragung 353 Beglaubigungswort 630 Begriff 16

Begriffssprache, universelle 101 Begriffssystem 8 7 f . Beharrungsgebiet 459 Behauptung 9 -.explizite 2 0 2 f . Beiname 188, 196 Bekräftigungswort 630 Belegsammlung 792 Beliebigkeit, Prinzip der - 114 belies lettres 719 Benennen der Dinge 756 Benennungsmotiv 171,711 Benennungsmotivik 199 Benennungsspiel 757 Benennungsstörung 443 Benennungsstruktur, fachliche 393 Benrather Linie 4 5 8 , 4 6 2 , 4 6 8 , 4 6 9 Benutzerschicht des Dialekts 455 Beobachter und Beobachtungsobjekt 354 Beobachter-Paradoxon 315 Beobachtung 85 f. - , direkte 86 f. - . i n d i r e k t e 86 f. - , introspektive 85 -.kontrollierte 87 - , nicht-teilnehmende 86 -.teilnehmende 86, 3 5 3 f . - und Theorie 86 -.unkontrollierte 87 Beobachtungsangemessenheit Berufssprache 384

547ff.

Bergname 188 Beschreibung 8 7 f . s. Sprach beschreibung Einfachheit einer - 88 -.strukturelle 109, 110 Beschreibungsadäquatheit 774 Besch reibu η gsangemess enheit 547 Beschreibungsebene 17 Beschreibungsökonomie-Postulat 200 Besch reibu η gsprozedur 87 ff. Beschreibungssprache, semantische 95 Beredsamkeit 296 Bericht 333 Berufsgemeinschaft 385 Berufsjargonismen 385 Berufssprache 384, 390 Beseitigung von Sprachbarrieren 505 Bestimmungsglied 176 Betonung bei Eigennamen 191 Beurteilungskriterien für Beschreibungen 88 f. Bewertung der Sprachsituation 511 Bewertungskriterien für Beschreibungen 88 Bewußtsein 3 2 . 6 5 1

- , außereinzelsprachlicher 204 - , komparativer 88 - , qualitativer 88 -»quantitativer 88

- und Kommunikation 30 ff. Sprachhaftigkeit des - s 426 Bewußtseinsleistung und Zeichenerzeugung 31 Bezeichnungsarten 22 Bezeich η ungswandel 199 Beziehung, assoziative 114

- und Wortgebrauch 21 Begriffsbildung, wissenschaftliche 88

paradigmatische 114 - , syntagmatische 114

845

- , syntagmatische - in der Semantik 200 ff. Beziehungsdefinition 319 Beziehungsebene 158 Bezogenheit auf den Partner 260 Bibelsprache Luthers 716 Bibelübersetzung Luthers 716 Bibliographisches Institut 512 bilabial 121 Bildungsbarriere 368 Bildungssprache 19ff., 646, 650 - und Umgangssprache 2 I f f . Bilingual ism us 831 - bei Alternden 643 Bilingualismusforschung 763 Binarismus 132 Binaritat 219 Binnensprachinsel 491 Binniquität 130 binominal 184 biologische Grundlagen der Sprache 397 ff. Blattmetapher 153 Blindenschrift 141 Böhmisch 477 Bosshartsche Linie 483 f. Brandenburgisch 466 Breitbandsonagramm 126 Brief 284 Brunswicksches Linsenmodell 271 Buchstabe 140 Bühnenaussprache 623 - , deutsche 605, 789 Bumerangeffekte 300 cantus obscenus 708 Chandos-Erlebnis 748 Chiffrensprache 739 Chomsky-Hierarchie 113 Chomskys sprachtheoretische Position 59 f. Chronolekt 456 Cluster 133 Cluster-Technik 207 Cocke-Algorithmus 810 Code s. Kode - , quasi-mathematischer 802 cognomen 196 Comment 249 Compilerbau 810 Computerlinguistik 505, 763 - und Semantik 809 - und linguistische Theoriebildung 810 Computermorphologie 809 Computerwissenschaft 808 Corpus 3 5 3 f . , 779, 792 -.repräsentatives 315 Corpusorientierung 782 Corpus-Stichprobe 793 Corpus Wörterbuch 812 Dadaismus 749, 754 Dankesformel 186 Darstellung 157 Darstellungsfunktion 39, 9 0 f . , 271

846

Register

Darstellungsmethoden, formale 92 ff. Darstellungsmittel, grammatisches 772 Daten und Datenklassen 315 linguistische 92 - s o z i a l e 353, 355 Datenbank 810 Datenbanksystem 810 Datenerhebung 353 Datengewinnung 85 ff. -.introspektive 8 6 f . Datenkonstitution 85 ff. Datenorganisation 87 ff. Datenverarbeitung, linguistische 808 Dativ 624 ff. Definition, rekursive 112 f. Definitionsanalyse 205 Definitionsbereich einer Funktion 110 f. Definitionserklärung 781 f. Defizithypothese 351 Deklarativa 290 Deklination 164 - , schwache 162 - . s t a r k e 162 Deklinationsmorphem 164 Dekodierung 41 Deletion 226 s. Tilgung Deletionstest 93 Demonstrator 10 Denken und Sprache 651 - und Sprechen 425 f. Denkstörung 442 Denotation 209, 425 s. Referenz denotativ 154 Dentallenierung 488 Dependenz 212 Dependenzgrammatik 62, 212, 218 f. Dependenz-Syntax 2 1 7 f f . Derivation 170, 295 ff. onomastische 191 Derivativ 170 Designat 688 Desintegration, phonetische 442 Deskriptionsgrammatik 773 Deskriptionssystem, linguistisches 92 ff. Deskriptiver Fehlschluß 287 Deskriptivismus, amerikanischer 162 Deskriptor der Indexierungssprache 811 Deszendent 454 Determinant 176 Determinat 176 Determination 116 Determinativkompositum 177 Determinismus, sprachlicher 403 Deutsch als Amtssprache 5 3 2 , 5 3 9 - , Entstehung eines graphemischen Systems des - e n 600 - , als Fremdsprache 830 ^ früh mitte/alterliches 569 - der Gastarbeiter 644 f. - als Muttersprache 5 9 8 - 6 0 0 Schichtung d e s - e n 360 f. - als Sprache der Wissenschaft 600

— als Unterrichtsfach 826 deutsche Gesamtsprache 661 — Sprache in Algerien 545 — in Argentinien 544 — im Ausland 537 ff. — in Australien 545 - - i n Belgien 5 3 9 f . — in Brasilien 544 f. — in der Bundesrepublik Deutschland 519 ff. — in Bulgarien 542 — - in Chile 544 — in Dänemark 540 - - in der D D R 519 ff. — in Frankreich 540 — und griechische Einwirkung 653 — auf Hawaii 545 — in Israel 545 — - in Italien 540 f. — in Jugoslawien 541 — in Kanada 542 f. — und lateinische Einwirkung 653 — in Luxemburg 539 — in Mexiko 544 — in Neuseeland 545 — in den Niederlanden 540 - - i n Österreich 527 ff. — in Paraguay 544 - - in Polen 541 — und Reichsgründung 604 — in Rumänien 541 f. — in der Schweiz 53 I f f . — in der Sowjetunion 542 — in der Südafrikanischen Republik 545 — in Südwestafrika/Namibia 540 — in der Tschechoslowakei 541 — in Ungarn 541 - - i n den U S A 543 f. — Sprachinseln 4 9 i f f . Deutscher Sprachatlas 448 — Wortatlas 448 Deutschnote 828 Deutschunterricht, Arbeitsbereiche des 828 — von Ausländern 767 — und Bildungsvereinheidichung 821 Leistungsbeurteilung 828 - . L e r n b e r e i c h e 828 -.verbundener 826 Ziele des 827 Deutungsschema 35 Deviationshypothese 720 Diachronie 559 diachronische Perspektive 559 diachronischer Vorgang 559 Diagramm 111 gerichte Verbindung eines - s 111 f. - , Zweige eines - s 111 Diakritikum 146 Dialekt 3 5 9 f . , 428, 4 5 3 f f . s. Mundart Begriffsgeschichte 454 f. - . B e n u t z e r s c h i c h t d e s - s 455 — als gesellschaftliches Stilistikum 456 — und Hochsprache 5 3 7 f .

- , Kommunikative Leistungsfähigkeit d e s - s 456 Kontinentalwestgermanische-e 446 Abb. -,linguistischerStatusdes-s 4 5 5 f . - in der Literatur 742 - und Muttersprachunterricht 823 - , Sozialprestige des - s 456 - , Verwendungsebene des - s 455 - , Wortgeschichte 453 f. Dialektareal 449 - , Form der - e 449 DiaJektauffassung, ideale 456 Dialektausgleich in der Schweiz 535 Dialektbegriff, nicht-germanistischer 457 Dialektdefinition 456 f. Dialektgeographie 4 5 5 f . , 551 Dialektgrenze 449 Dialektname 457 Dialektniveau 383, 455 Dialektraum 457 f. Dialektrenaissance 361 Dialektscheide, märkische 466 - , niedersächsisch-niederfränkische 459 Dialektverband, mittelbairischer 488 - , nordbairischer 481 - , ostfränkischer 480 - , südbairischer 488 - , südfränkischer 480 Dialektzone, herkunftsbedingte 475 Dialog 318 Dialogforschung 318 s. Gesprächsanalyse u. Konversationsanalyse Dialogorganisation 319 Dialogstruktur 352 Dialogsystem 812 f. Dialogsysteme und syntaktische Analyse 812 - und semantische Analyse 813 Di amorph 666 diaphasisch 358 f. diastratisch 358 f. Diasystem 3 5 8 f . , 380 Diasysteme, Rekonstruktion dialektaler 361 f. diatopisch 358 Dichtung s. Literatur - , neulateinische 713 Dichtungstheorie vor Opitz 713 Didaktik - des Fremdsprachenunterrichts 635 - der Grammatik 765 - , kommunikationstheoretisch orientierte 826 - der Linguistik 8 3 7 f . - des Muttersprachunterrichts und Sprachwissenschaft 823 - des Übersetzens 801 f. Didaktikdiskussion in der Linguistik 838 f. Differential, semantisches 207 differentielle Grammatik 633 Differenzhypothese 351 f. Differenztonbildung 125 Diglossie 360, 6 4 3 f . , 736

Register Digraph 140 Dilettantismusstreit 737 Dimensionalität des semantischen Raums 207 Diminutiv 177 Diminutivgrenze 479 Ding-Bedeutung im Mittelalter 711 Dionysios-Thrax-Grammatik 99 Diphthong, gestürzter 488 Diphthongierung, althochdeutsche 572 -.neuhochdeutsche 4 6 1 f . , 4 6 6 f . , 471, 472, 473, 4 7 9 f . , 481, 483, 592 Direktive 290 Disjunktion 248 Diskurs, homile'ischer 343 Diskursanalyse 292 s. Gesprächsanalyse Diskussion 318 dispositio 295 f. Dispositionsadjektiv 177 Dispositionsunterschied 353 Distanzeffekt, semantischer 207 Distanzbindung durch Sprache 266 Distanzkompositum 171 Distingem 154 Distinktion performativ/konstantiv 287f. Distribution 132 f.» 163f., 173 s. Verteilung -.externe 173 -.interne 173 -.komplementäre 129 f. Distributionalismus 116 f. Disziplin, meta-sprachwissenschaftliche 83 f. Dithmarsisch 463 Dokumentationssystem 810 Dolmetschen 797 ff. Dolmetsch Wissenschaft 798 Domäne 321 Dominanz linguistischer Systeme 643 Dominanzrelation 111 Doppelentlehnung 658 Doppelschreibung 622 Drama, modernes 751 Drehsatz 317 Dreidimensionalität 720 Dreieck, semantisches 15 f. s. Zeichenrelation, triadische dreifache Gliederung der Sprache 154 Druck, subglottaler 120 Drucken 138 Druckschrift 141 Durchsichtigkeit sprachlicher Zeichen 616 Dysarthrie 4 0 7 f . , 817 - , bulbäre 442 - , cerebelläre 442 - , corticale 442 - , extrapyramidale 442 -»neurale 442 - , subcortical 442 Dysgrammatismus 4 4 3 , 8 1 6 Dyslalie 407, 442, 816 f. -»mechanische 816

Dysphasie 442 Dysprosodie 443 Ebene, pragmatische 325 - , syntaktische 326 Ebenengliederung 720 Echolalie 444 Effekt 301 Eifelschranke 469 f. Eigenname 156, 187, 188 f. Arbitrarität von - n 194 - . B e t o n u n g b e i - n 191 - , biblischer 195 -.einstämmiger 195 etymologische Bedeutung bei - n 193 - fiktiver 187 - , Genus d e r - n 193 - , Identikation von - n 194 -»Kurzformen v o n - n 195 lexikalische Bedeutung bei - n 193 ff. - , Pluralform d e r - n 192 - , stabreimender 195 -.Suffixbildung b e i - n 191 -.zweigliedriger 195 Eigennamendeutung 189 Eigennamenforschung, Anwendungsbereiche der - 188 f. Eignungsadjektiv 177 Eigenschaft, paralemische 429 Einblattdruck 329 Einfachheit 774 - einer Beschreibung 88 Einfluß, evidenter 629 - , externer 555 - , latenter 629 - , struktureller 555 Einheit, graphemische 146 - , kleinste textuelle 275 -.lexikalische 199 ff. -.morphologische 640 morphosyntaktische 93 ff. -.phraseologische 182 Einheitskonjunktiv 625 Einheitsschreibung 622 Einheitsschweizerdeutsch 536 Einheitssprache 3 3 1 , 3 7 6 Einsetzungsregel, lexikalische 223 Einstellung, ästhetische 704 - , emotionale 157 kognitive 157 - von Sprechern 359 Einstellungsforschung 362 Einstellungsprofile 360 Einwortäußerung 7 Einwortsatz 4 3 7 , 4 3 9 e/i-Wechsel 625 Einzelssprachen, germanische 566ff. Elaboration 298 argumentative 300 -.argumentative vs. instrumentelle 299 - , dispositionelle 299 -.formale 299 - , illokutive 299 - , instrumenteile 300 - , paradigmatische 298 - , perlokutive 299

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-.prädikative 299 - , referentielle 299 -.rhetorische 298 - , sprachliche und nichtsprachliche 299 - , syntagmatische 298 Elbostfälisch 462 Elektronenrechner und Gehirn 803 Element 109 Elementaraussage, affirmative einstellige 11 elementare Struktur, semantische 201 Elementarzeichen, virtuelles 152 Ellipse 2 9 5 , 3 1 6 Ellipsis 67 elocutio 295 f. Elokutionsstruktur 721 Emblem 272 Empfänger 4 1 , 2 6 8 , 2 7 6 Empfehlungen, Stuttgarter 622 -.Wiesbadener 622 Empirie 792 Empirisierung der maschinellen Übersetzung 806 Empirismus, logischer 29 Empirismus-Nativismus-Kontroverse 437 Emsländisch 463 Endinformation 688 Endkategorie, syntaktische 170 Energeia 501 energetische Sprachwissenschaft 105, 125 ff. Engramm 414 f. Enklave, areale 449 Entautomatisierung 690 Entfaltungstheorie 567 enthymema 300 Entlehnung 565 Entpsychologisierung der Linguistik 427 Entstehung von Sprachinseln 491 f. Entstehungstheorie der neuhochdeutschen Schriftsprache 478 Entwicklungen, analogische 553 -.gesellschaftliche 617 Entzückungswort 630 Enzyklopädie und Lexikon 209 Epochales Bewußtsein im 19. Jh. 737 Epochen der Linguistik 98 ff. Erbauungsliteratur (im 15. J h . ) 714 Erbgedächtnis 415 Erbwort 584 Erbwortschatz, althochdeutscher 574 Erfahrung 30ff. u. 33 f. Erfahrungsspeicherung 38 Erftschranke 469 Ergänzung 218 Ergebnis, zufälliges 794 Erhebung, mündliche 447 -.schriftliche 447 Erhebungs- und Beschreibungsmethoden 353 Erkenntnis und Wahrnehmung 53 f. Erkenntnistheorie und Semiotik 46 - und Zeichentheorie bei Locke 45

848

Register

Erklärung 781 - , deduktiv-nomologische 89 - , morphosemantische 782 - durch Simulationsmodelle 89 Erklärungsangemessenheit 548 f. Erklärungsadäquatheit 774 Erleben von Lautmustern 34 Erlebnis 32 Ernsthaftigkeit 157 f. Ersatzprobe 216 s. Substitution Erschließungsmethode 565 Ersetzungsgrammatik 810 Ersetzungsregel 223 Erwachsener-Kind-Interaktion 436, 439 Erwartbarkeit sprachlicher Handlungen 261 Erweiterungsstufe, primäre - im Spracherwerb 433 Erwerb der Mehrsprachigkeit 642 Erzählperspektive 750 Erzählprosa, moderne 749 Erzählstoff, mittelalterlicher 710 etat de langue 558 Ethnolinguistik 259, 50Iff. angewandte 507 —, wirkungsbezogene 504 Ethnosemantik 506 ff. Ethnosem 506 ethos 295 Etikett eines Diagramms 111 Etymologie 172 -.mittelalterliche 711 - als Wortsinnfindung 98, 100 etymologische Bedeutung bei Eigennamen 193 Etymologisierung als Unterrichtsmethode 824 Etymon 172 s. Wurzel evidentia 300 exordium 295 Exosememik 182 Exotismus 683 f. Expansion 176,202,227 Expansions regel 223 Explikation, wissenschaftliche 90 Expressionismus 748 Expressionsebene 157f. Expressiva 290 Extension 16 Externali sierung 263 Exteroperzeption 400 Extrem Wortschatz in der Literatur 741 f. face-to-face-Interaktion 373 Fachdidaktik 836 Fachjargon 392 Fachmetaphorik 393 Fachprosa und mittelalterliche Literatursprache 707 Fachsprache 19ff., 339, 390ff. Beschreibung von - n 390 - der Chemie 622 - und Gemeinsprache 394 -.historische 392

-, -

und maschinelle Ubersetzung 805 pragmatischer Rahmen von - n 391 im 17./18. Jh. 602 und Sondersprachen im 17./18. Jh. 602 - , Syntax d e r - n 394 Fachsprachendidaktik 394 Fachtext 394 faculte de langage 113 s. Sprachfähigkeit Fakten, beobachtbare 353 Fallstudie 356 Falsifikationstext 354 Familie 340 Familienname 188, 196 Fastnachtsspiel 709 Feature 334 Feature-detection 400 Fehler, intrastruk tu raier 635 Fehleranalyse 635, 767 Fehlerbewertung 635 Fehlleistung, sprachliche 425 Fehlschläge, Theorie d e r - 287 Fehlschluß, deskriptiver 287 Feld, antonymisches 200 assoziatives 200 -.paradigmatisches 200 s. Paradigma - , semantisches 200, 202, 204 -.syntaktisches 200 -.terminologisches 393 Feldbegriff, Formalisierung d e s - s 200 Feldforschung 86 - , ethnosoziolinguistische 505 Feld-Verfahren 344 Fernkontakt von Standardsprachen 662 Fernsehen 329 ff. Fernsehspiel 335 Feuilleton 334 festes Syntagma 182, 184 Figur 295 ff. rhetorische 723 Figurenmodell 297 Film 333 Filtercharakteristik 123 Flaggenzeichen 141 Flexion des Adjektivs 625 - des Substantivs 624 - des Verbs 625 Flexionsgrammem 155 Flexionslehre 159 Flexionsmorphologie, frühneuhochdeutsche 596 Flexionssystem, neuhochdeutsches 593 Flexiv 163 Flexivklasse 164 f. Flugblatt 329 Flugschrift 717 Flußname 188 Focus 249 Fokus-Information 72 Fokusrahmen 72 Folge 110 Form 115 - der Dialektareale 449

- . h y b r i d e 179 rekonstruierte 551 - , iibergeneralisierte 437 Formalgrammatik 237 Formalisierung 548 - des Feldbegriffs 200 Formalismus 548 Formant 123 f. Formantdynamik 124 Formantveränderung 124 Formbereich 153 Formen des gesellschaftlichen Verkehrs 338 Formengeographie 445 Formenlehre 159 - , historische 162 Formidentität von Appellativa und Propria 190 Formulierungshandlung 390 Forschungen, ergologische 398 f. -.etymologische 501 kraniologische 398 f. - , zerebrologische 398 f. Forschungsdesigns 353 Forschungsprojekte der maschinellen Übersetzung 806 Frage-Antwort-System 811 Fragebogenerhebung 189 Fragetest 93 Fraktur 141 Frame-Konzept 813 Frankenhöhe-Schranke 481 Frankenthal-Schranke 483 Fregesches Prinzip 66 Fremdnamen an teil 195 Fremdsprachendidaktik 830 - . G e s c h i c h t e d e r - 831 - , Institutionalisierung d e r - 833ff. - und Phonologie 135 f. - im 17. Jh. 599 Fremdsprachenerlernungsprozeß 831 ff. Fremdsprachenmethodik 830 Fremdsprachen Unterricht, Didaktik d e s - s 635 - als Kommunikation 833 - und kontrastive Linguistik 635 Lernziele d e s - s 83Iff. Methodik des - s 635 Fremd sprachenerwerb 766 Fremd verstehen 374 Fremdwort 179 - , Eindeutschung von - e r n 623 - im 20. Jh. 617 - in der Literatur 741 Fremdwortschatz 330 Frequenz 123, 125 Friesisch 459 Frikativ 121 fruchtbringende Gesellschaft 598f., 720 Frühneuhochdeutsch 587 ff. - , Analogieumlaut im -€n 593 - , Aufschwung der Städte im - e n 591 - , Ausgleichstendenzen im - e n 592 Aussonderung der KonkurrenzWörter i m - e n 595

Register - , B u c h d r u c k im - e n 591 D o p p e l f o r m e l im - e n 595 D r u c k e r s p r a c h e n im - e n 590 —, E n t r u n d u n g u n d R u n d u n g im —en 592 E r b a u u n g s l i t e r a t u r i m - e n 591 F r e m d w ö r t e r im - e n 595 F u t u r u m s c h r e i b u n g im - e n 594 - . g e s c h r i e b e n / g e s p r o c h e n im - e n 590 Grammatikalisierung der Umlaute im - e n 592 G r o ß - und K l e i n s c h r e i b u n g im - e n 593 I n t e r p u n k t i o n im - e n 594 - J i d d i s c h i m - « n 590 - , K a s u s - O p p o s i t i o n im - e n 594 innere Kausalität i m - e n 593 K o n j u n k t i o n e n i m - e n 594 - , landschaftliche T e i l s y s t e m e im - e n 592 Latein im - e n 589 L e h n p r ä g u n g e n im —en 595 - , lexikalische K o n k u r r e n z f o r m e n im - e n 595 - , Rolle L u t h e r s im - e n 596 - , M o r p h e m i k des - e n 593 - , N e u s i e d e l l a n d im - e n 591 - , N u m e r u s p r o f i l i e r u n g im - e n 593 Quellen und Quellenerschließung im - e n 591 r ä u m l i c h e A b g r e n z u n g des - e n 589 - , R e c h t s - u n d Geschäftssprache im - e n 592 h y p o t a k t i s c h e r Satzbau im - e n 594 Schreibdialekte im - e n 590 - , S c h r e i b l a g e n - R e p e r t o i r e im - e n 590 Schreibschichten-Profil im - e n 592 - , Schreibsprachen im - e n 590 - , Sprach rein igung im - e n 595 f . - , sprachsoziologische Differenzierung d e s - e n 589 - , S p r e c h d i a l e k t e im - e n 590 S y n t a x des - e n 594 T e m p u s d i s t i n k t i o n im —en 594 T e x t z e n t r u m 596 - , überregionale A u s g l e i c h s v o r g ä n g e im - e n 596 U n t e r g l i e d e r u n g des —en 589 V a r i a n t e n r e i c h t u m d e s - e n 717 - , V e r s c h l u ß l a u t o p p o s i t i o n im - e n 592 - , W o r t b i l d u n g d e s - e n 595 - , W ö r t e r b ü c h e r des - e n 595 - , W o r t s c h a t z im - e n 595 - , Zeitraum des - e n 589 Fugenelement 172 F ü g e w e i s e , analytische - im 19./20. J h . 607 F ü g u n g , präpositionale 627 Funktem 201 F u n k t i o n 110 f., 116 A r g u m e n t b e r e i c h e r einer - 110 f. ästhetische 6 8 7 - , bijektive 111 Definitionsbereich einer direktive 690 - » e m o t i v e 690

110 f.

- , expressive 690 - und G e g e n s t a n d (bei Frege) 9 - , injektive 111 kognitive 690 -.kommunikative 278f. - , konative 690 - . m e t a s p r a c h l i c h e 690 - nonverbalen Verhaltens 2 7 1 f. - , phatische 40, 690 - , poetische 690 - , p s y c h i s c h e - e n des Sprechens 426 sprachliche, s. S p r a c h f u n k t i o n - . s u r j e k t i v e 111 - . W e r t b e r e i c h e i n e r - 110 f. f u n k t i o n a l e Stile, T h e o r i e 306 Funktionalität sprachlicher H a n d l u n gen 343 Funktionalstil 306, 309 F u n k t i o n ä r s d e u t s c h 522 Funktionsausdruck 9 F u n k t i o n s m o d e l l 89 f. F u n k t i o n s v e r b 627 Funktionsverbgefüge 1 8 5 , 3 3 1 , 6 2 7 Funktionsvorschrift 110 Funktiv 116 G a m m a z i s m u s 817 G a n z h e i t , k o m m u n i k a t i v e 355 G e b r a u c h , schöpferischer, von Sprache 262 G e b r a u c h s b e d i n g u n g 68 Gebrauchsfeststellungen 378 G e b r a u c h s n o r m 382 - . s p r a c h l i c h e 3 7 7 f . s. S p r a c h n o r m G e b r a u c h s s p r a c h e 19 ff. G e d ä c h t n i s , neuronale G r u n d l a g e n des - e s 414 - und L e x i k o n 207 - und S a t z s t r u k t u r 425 - und S p r a c h f ä h i g k e i t 414 f. - und Sprach s t r u k t u r 425 G e d ä c h t n i s m o d e l l , semantisches 2 0 7 Gegenstand 23 Gegenstandsausdruck 9 G e g e n s t a n d s e r f a h r u n g 33 G e g e n s t a n d s k o n s t i t u t i o n 13 ff., 17 G e g e n w a r t , sprachliche 620 f. G e g e n w a r t s s p r a c h e 603 -.deutsche 620ff. S y n t a x d e r - 626 Gehalt, p r o p o s i t i o n a l e r 8. 280 G e h e i m s c h r i f t 141 G e h e i m s p r a c h e 395 Gehirn und E l e k t r o n e n r e c h n e r 803 Gelehrtenschule 822 G e l e n k 76 Gelenk k o n s o n a n t 76 Geltung 13 G e l t u n g s a n s p r u c h 13 ff. G e m e i n p l a t z 185 G e m e i n s c h w e i z e r d e u t s c h 536 G e m e i n s p r a c h e 382, 384 - und Sondersprache 388 G e n e a l o g i e der Sprachen 102 genera dicendi 2 9 5 Generalisierung 792

849

Generationsstil 309 generative P h o n o l o g i e 1 3 0 f . , 1 3 3 f f . , 639 - T r a n s f o r m a t i o n s g r a m m a t i k 61 f . , 118 und A r e a l l i n g u i s t i k 452 Genitiv 624 ff. attributiver 70 genitivus objectivus 70 f. - possessivus 628 - subjectivus 70 f. genre m e l e 729 g e n u s deliberativum 296, 298 - d e m o n s t r a t i v u m 296, 298 - iudiciale 296, 298 G e n u s d e r Eigennamen 193 gerichtete V e r b i n d u n g eines D i a g r a m m s 111 G e r m a n i s c h , G l i e d e r u n g des—en 567 f. germanische Einzelsprachen 566 f. — , Ausgliederung der - 5 6 4 , 5 6 6 - 5 6 8 - G r u n d s p r a c h e 564—566 - K o n s o n a n t e n Verschiebung 78 f. - L a u t v e r s c h i e b u n g 103 - Sprachen 564 ff. und d e u t s c h e G e s a m t s p r a c h e 66 I f f . G e r u c h s s y s t e m 408 G e s a m t b airisch 488 Gesamtsprache 3 8 1 , 3 9 5 , 5 6 2 - . d e u t s c h e 661 G e s a m t w ö r t e r b u c h 785 Geschäftssprache, spätmi ttelalterliche 475 Geschlechtswechsel 658 G e s c h m a c k s s y s t e m 408 Gesellschaft f ü r deutsche Sprache 512 gesprochene Sprache s. Sprache, Stand a r d s p r a c h e u. U m g a n g s s p r a c h e Gespräch 2 8 4 , 318 - als B i n d u n g und K o n s e n s 2 6 1 - . s p o n t a n e s 380 G e s p r ä c h s a k t , d e t e r m i n i e r e n d e r 284 - , initiierender 284 responsiver 284 G e s p r ä c h s a n a l y s e 292 f . , 3 1 8 f f . , 352 s. D i a l o g f o r s c h u n g u. Konversationsanalyse G e s p r ä c h s b e e n d i g u n g 319 Gesprächsbereich 321 G e s p r ä c h s e r ö f f n u n g 319 Gesprächsorganisation 319 Gesprächsrolle 285 f. G e s p r ä c h s r u n d e 332 Gesprächsschritt 284 G e s p r ä c h s s t e u e r u n g 319 Gesprächstheorie 275 Gesprächsteile 320 G e s p ä c h s t y p 320 gesprochene u n d geschriebene Sprache - in Ö s t e r r e i c h 530 - in d e r S c h w e i z 532 ff. Getrenntschreibung 790 Gettos u n d G r u p p e n 340 G e w ä s s e r n a m e n 188 G l i e d e r u n g von Sprache 720

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Register

Gliederungssignal 318 -.sprachliches 279 textexternes 281 Globalstruktur 253 ff. Glossar 781 Glossem 199 Glossematik 115, 199f. Glossographie, lateinisch-deutsche 783 glottale Öffnung 121 glottaler Verschluß 121 Glottochronologie 552 Glottolekt 428, 456 Goethe-Institut 512 Göttingisch-Grubenhagensch 462 Gradation, semantische 203 Grammatik 21 I f f . , 553, 768 - a l l g e m e i n e 101 f . , 776 an wen dungs bezogene 772 - , Bewertung von - e n 773 f. - , critische 776 - der deutschen Standardsprache 613 -»didaktischorientierte 764 -,differentielle 633 -»formale 6 3 f . - , Formalisierung von - e n 774 - der Fremdsprache 766 - f u n k t i o n a l e 6 1 f . , 2 1 2 f . , 776 generativ-transformationelle 61 f.» 118,212 - gesprochener u. geschriebener Sprache 317 - , Gliederung von - e n 769 - in Griechenland 99 ff. - , harmonisierende 776 historische 5 4 7 , 7 7 1 , 776 historisch-vergleichende 102 ff. inhaltbezogene 1 7 5 , 2 1 2 , 776 -.inhärente 60 - , kategoriale 62 ff. - des Kindes 439 - , koexistierende 352, 560 kommunikative 776 - , konfrontative 633 —, kontrastive 6 3 3 , 7 6 6 leistungsbezogene 776 - und Lexikon 770 - , logische 776 logisch fundierte 118 f. - , logisierende 214 - , operational-analytische 212 - , pädagogische 635, 772 f. -»philosophische 776 - v o n P o r t - R o y a l 101 - , Potenz d e r - 225 - , probabilistische 796 psychisch reale 62 Rechtfertigung von - e n 774 - des Sanskrit 98 —, strukturalistische 61 f. Theorie und Empirie von - e n 769 -.universale 771 -»wissenschaftliche 772 - , Zielsetzung von - e n 772 Grammati kalitat 222 Grammatikenfamilie 560

Grammatiker im 1 7 . / 1 8 . J h . 5 9 8 f . römische 99 Grammatikmodell 633 , 766 Grammatikographie 7 6 8 f f . , 776 Grammatiktheorie 278, 769 -.allgemeine 6 0 f f . - , formalisierte 221 - im 17./18. J h . 599 - und Soziolinguistik 352 - und Sprachtheorie 59 ff. Grammatikunterricht, muttersprachlicher 822, 825 grammatische Kategorien des Wortes 161 f. grammatischer Wechsel 566 grammatisches Inventar 628 Grammem 155, 157 Graph 138, 140 alphabetisches 140 - , nichtalphabetisches 140 Graphem 136, 142ff., 790 - , Definition des - s 145 - im 17./18. J h . 600 Graphemik 138, 142 ff. - des Deutschen 148 f. - u n d P h o n e m i k i m 17./18. J h . 601 Graphemsprache 138, 144f., 149 Graphemsystem 147, 788 - , deutsches 600 Graphemtheorie 145 Graphetik 138 ff., 142 f. - , historische 141 Graphie 142f., 788 - , außereinzelsprachliche 139 f. - , einzelsprachliche 139f. Graphologie 138, 142 f. Graphometrie 138, 142 f. Graphomorphemik 147 Graphonem 145 f. Graphonemik 146 Graphonie 147 Graphostatistik 145 Graphsystem 138 Grassmanns Gesetz 551 Grimms Gesetz 547 Großalemannisch 482 G r o ß e Curriculumkommission 826 Großgruppensprache 382 Großschreibung 790 Grundannahmen, sprachtheoretische 65 ff. Grundfunktion der Sprache 39 f. Grundgesamtheit 793 ff. Grundmorphem 172 Grundmundart 529 Grundrelation, syntaktische 212 Grundrichtigkeit des deutschen Wortschatzes 722 Grundsprache 565 -»germanische 5 6 4 f f . Grundstörung, sprachliche 441 Grundwort 176 Grundwortgestalt 73 ff. -.Varianten e i n e r - 73 Gruppe 384 f. Gruppen und Gettos 340

Gruppenkompetenz 354, 560 kommunikative 377 Gruppenkontinuum 382 Gruppensprache 359, 395 Gruppenstil 309 Gruppen verhalten, kommunikatives 377 Häckselstil 331 Halbordnung 111 Handeln 3 0 f f . , 260 —, kommunikatives 243 -.konventionelles 349 - , metakommunikativ-deskriptives 87 -,soziales 3 3 , 3 9 f . , 2 6 0 - , sprachliches 2 5 9 f f . , 3 3 8 f . - , sprachliches - in Institutionen 339 - , sprachwissenschaftliches 85 sprach wissen schafts-methodologisches 85 Handlung 33 f. s. Sprachhandlung - , mehrfach adressierte 301 - s p r a c h l i c h e 261, 277, 2 8 0 f . , 343 s. Sprach Wandlung - und Sprachstruktur 38 Handlungsanweisung, sprachlenkende 510 Handlungsaspekt sprachlicher Äußerungen 287 Handlungsebene, sprachliche 84 Handlungseinführung 7 Handlungsmöglichkeit 343 Handlungsplan 320 Handlungsraum 343 -.entlasteter 2 6 4 f . -»gemeinsamer 264 Handlungsspiel, kommunikatives 275 f. Handlungstheorie 237 Handlungsziel, Realisierung von - e n 264 Handschrift 141, 143 Häufigkeitswörterbücher 795 Hauptsprache 722 Hauptströmungen der strukturellen Linguistik 113 ff. Heideostfälisch 462 Heiligenname 195 Heldenepos 709 Hermeneutik, materialistische 426 Hermeneutiktradition 353 hermeneutischer Zirkel 689 Herrn ionisch 569 Hessisch 468, 472 f. Heterogenität natürlicher Sprachen 358 f. - , semantische 79 Heterogeni tätsannahme 64 Heterographie 147, 190 Heteronymie 205 Heterophonie 147, 190 Hiatdiphthongierung 463, 466 High-Varietät 360 Hindernis, kommunikatives 298 Himfunktion 408 f.

Register Hirnhälftendominanz und Sprachfähigkeit 409 Hirnmechanismen und Sprachtypen 414 Historiolinguistik 547 ff. Hochdeutsche Lautverschiebung 459, 468, 4 7 9 , 5 6 9 , 571 Hochlautung 3 7 6 , 7 9 1 - . d e u t s c h e 604 - g e m ä ß i g t e 606, 612, 789, 791 - s. Orthophonie Hochpreußisch 477 Hochschuldidaktik 836 Hochsprache 375 f. s. Schriftsprache deutsche 6 0 3 f f . , 789 - und Mundart 5 3 7 f . - in Österreich 530 Höchstalemannisch 484 Höflichkeitsformel 185 Holsteinisch 463 Homogenitätsannahme (Chomsky) 64 Homographie 147, 190 Homonymenflucht 199 Homonymie 154, 205, 624, 779 Homophonie 147, 190, 623 Hören, dicho tisch es 410 Hörergrammatik 773 Hörersignal 319 Hörfunk 329 ff. Hörfunkprogramm 329 Hörspiel 334 Humanübersetzung 804 Hunsrückschranke 469 f. Hydronymikon 188 Hyperbaton 295 Hyperbel 295 Hyperonymie 203 s. Superonymie Hypersatz 281 Hypokoristika 177 Hyponymie 203, 247 IA-Grammatik 159 IC-Analyse 162 f. , 2 1 9 idealer Sprecher/Hörer 61 f. Idealnorm 382 Idealsprache 20 f. Identifikation von Eigennamen 194 - , interlinguale 641 Identifizierung, kulturnationale 515 ff. nationalsprachliche 516 - s p r a c h l i c h e 515 ff., 530 f. - , staatsnationale 515 ff. Ideogramm 139 Ideographie 139 idiodiachronisch 559 Idiolekt 428, 456 Idiolektologie, diachronische 432 Idiom 180 f . , 183 f. - im Horoskop 181 - , lexikologisch-lexikographischer Aspekt eines - s 184 - , pragmatisches 185 semantischer Aspekt eines - s 183 f. - als Stilblüte 181 - im Werbetext 181 Idiomabgrenzung 183

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Inhalt 1 5 1 , 2 1 2 Idiomatik 180ff. s. Phraseologie s. Bedeutung Idiomatikon 180 Inhaltsebene 115 Idiomatizität 1 8 2 , 7 1 6 Inhaltsfigur 116, 199 Idiomdefinition 182 Inhaltsform 115 f., 199 Idiomsammlung 184 Inhaltsseite 154 Idiomvariante 183 Inhaltsstrich (bei Frege) 9 idiosynchronisch 559 Inhaltssubstanz 1 1 5 f . , 2 0 1 Idiotismus, bairischer 487 Karte, 488 Inhaltssyntax 232 westoberdeutscher 483 Karte Initialwort 171, 326, 629 Illokution 156 Inklusion 110 Illokutionsakt 156 Inkompatibilität, lexikalische 648 s. Akt, illokutionärer Inkonymie 203 Illokutionsebene 158 innere Sprachform 637 illokutive Struktur 281, 283 innerer Monolog 750 Illustrator 272 Insertion 226 Image 261, 319 Institut 342 Imitation im Spracherwerb 436 immediate constituent analysis 162 f. Institut für deutsche Sprache 512 Implikation 248 Institution 320 -.analytische 202 - , Agenten der - 343 Implikationsskala 352 -»juristische 341 Index 781 - , Klienten der - 343 - , kulturelle 341 Indexierung in der linguistischen Da-»politische 341 tenverarbeitung 811 Indexierungssprache 810 f. - der Produktion und Zirkulation 339 Indianersprache 116 - , religiöse 342 Indicium 157 - und sprachliches Handeln 338 Indikator 155 f. - der Sprachpflege 512 f. illokutionärer 289 Institutionalisierung 262, 264 - , propositionaler 289 - , Grade der - 261 Indirektheit des Ansprechens 264 - von Sprechereignissen 266 - sprachlichen Handelns 264 Institutionsanalyse, Methodik d e r Individualgedächtnis 414 343 Individualsprache 558 Institutionstheorie und Sprachtheorie Individualstil 309 338 Individuation 10ff. Institutions Verständnis, alltägliches Individuativa 12 338 Individuator 11 Instrument, methodisches 353 indoeuropäische Sprachgruppe 556 Integrat, gesamtsprachliches 685 Indogermanisch 565 f. -.slawisches 6 8 0 f . - , Aufgliederung des - e n 565 f. Integration 642 Inferenzen, romanisch-lateinische 677 - a b g e s t u f t e 681 - , - und Aussprache 677 -,graphematische 6 2 2 , 6 6 4 - , - u n d Entlehnungsregelung 677 - , morphemische 665 und Genus 677 - , morphologische 665 - , - u n d Orthographie 678 - , phonologische 664 - , - u n d Wortgeographie 674 - , semantische 667 I η feren ζ relation 95 Integrationsprozesse 661 Inferenzurteil 95 Integrations-Kode 370 Infiltrat 684 Intelligenz, künstliche 810 Influenzraum 474 Intension 16 Informatik, angewandte 808 Intensität 125 Information 41 Intensitätsaufzeichnung 126 -»ästhetische 692 Intention 3 0 1 , 3 1 9 - , ektosem an tische 399 - , rhetorische 298 -.pragmatische 6 8 f . Intentionalität 351 -.semantische 68 f. Interagieren, kommunikatives 243 information state analysis 373 Interaktion, Arzt-Patienten- 371 Informationseinheiten, Repertoire Erwachsener-Kind- 436, 439 v o n - 42 face-to-face- 373 Informationsflußmodell 400 f. - , zentrierte 318 Informationstheorie 41 ff., 795 Interaktionsforschung, soziologische Informations- und Unterhaltungsträger 330 372 Informations Übermittlung, kanaldisInteraktionsgemeinschaft 384 f. krepante 270 Interaktionshindemis 369 Informations wert 805 Interaktionsnetzwerk 358

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Register

Interaktionsprozeß 42 f. interdental 121 Interdependenz 116 - linguistischer Systeme 643 Interdisziplinär!tat 761 Interessen, normetablierende 367 Interferenz 641,646,663 -.abgewiesene 681 drittsprachige 653 erkenntnistheoretische Aspekte der 651 f. germanisch-romanische 485 -»grammatische 647 - , griechisch-gotische 658 f. - , griechisch-lateinische 653 - und konfrontative Linguistik 651 lexikalisch-semantische 647 f. phonetische 647 Prozeß der - 648 f. - , romanisch-drittsprachige 673 romanisch-lateinische 673,675 ff. - und Sprachinsel 492 -.syntaktische 681 Vorkommensbereiche d e r - 646 Interferenzlinguistik 646 ff. Interferenzraum 474 Interjektion 156 Interlinearglossen 784 Internationalismus 685 Intemsem antik 204 Interoperzeption 400 Interpretant 51 f. -.logischer 51 Interpretation, areallinguistische 448 extra-linguistische 448 f. - formaler Sprachen 96 f. intern-linguistische 450 f. kontextabhängige 46, 67 f. Interpretationsmodell des Zeichens 44 Interpretationsmuster 374 Interpretationstheorie für natürliche Sprachen 63 Interpretativität 316 Interpunktion 790 Interpunktionszeichen 146 Intervallskala 794 Interview 332-334, 353 Intonatorik 72 f. intrasubjektive Produktionsstreuung 125 Intuition 86, 353 Invarianz 130 inventio 295 f. Invention 295 IP-Grammatik 159 Ironie 295 Isar-Don au-Straße 489 Isoglosse 450f., 469 Isoglossen, Koinzidenz von - 450 Isotopie 157, 281 f. Istwäonisch 569 item-and-arrangement-grammar 159 item-and-process-grammar 159 Jargon 340 semantischer 443 f.

Jargonaphasie 419 Journalisierung der Literatur 737 Journalistik-Stil 743 Junggrammatiker 104,113 Junktion 217 Junktionskonstruktion 62 Junktor 156 Kahlschlag 753 Kahlschlagliteratur 753 Kalligraphie 141, 143 Kanal 271,688 -»motorischer 268 - , nonverbaler 267 -.ökologischer 268 - , physio-chemischer 268 - , visueller 402 f. Kanal-Konzept der Kommunikationsforschung 271 Kanten eines Diagramms 111 Kanzleistil, ornativer 716 Kappazismus 817 Kartesisches Produkt 110 f. Kartiermethode, areallinguistische 448 - und Flächenmethode 448 - und Punktmethode 448 Käslauisch 467 Kasus 233 f., 627 Gebrauch d e r - 613f. Kasusbeschaffenheit 218 Kasusflexion zwischen Propria u. Appelativa 192 Kasusgrammatik 233 f. Kasusrelation 96 Kasusrolle 97, 176 Kasussystem 627 katego'riale Syntax 118 Katego rialgrammatik 8 Kategorie, deiktische 161 - , grammatische 69,771 - , kommunikativ-grammatische 161 - , logisch-grammatische 161 morphosyntaktische 93 f. -.pragmatische 161 -.strukturell-grammatische 161 Kausalität in der Sprachentwicklung 450 Kennzeichnung, deiktische 10 Kernostfälisch 462 Ketelkloppersprache 385 Kindersprache, P h o n o l o g i e d e r - 438 Kinem 438 -.sprecherspezifisches 431 Kinesik 431 Klangprobe 216 Klasse 16 Klassem 201 Klassen, n a t ü r l i c h e - u n d Neutralisation 78 Klassifikation, distributioneile 163 - der Namen 188 - von Sprach typen 637f. klassifizieren 117 Klassifizierung 114, 162, 163ff. klassische Sprachen und deutsche Gesamtsprache 653

Kleinschreibung 790 Klickexperiment 425 Klischee 426 Knoten eines Diagramms 111 Koartikulation 124 f., 126,502,623 Kodifikation, lexikalische 779 s. Wörterbuch, Lexikographie Kodifikationsproblem 779 Kode 268, 369f., 668 - , ästhetischer 691 - , elaborierter 369, 611 restringierter 369, 381, 611 -.stilistischer 692 Kodierung 41, 315 analoge 269 -.digitale 269 Kodewandel 370 Koexistenzraum 474 Kognioperzeption 400 Kognition, soziale 397 - und Standardsprache 379 Kohärenz 394 Kohyponymie 203 Koine 471,486 - , supradialektale 535 Koinzidenz von Isoglossen 450 Kollokationstest 205 Kolonisationsdialekt 474 Kombination 170 Kommentar 333 Kommentarschritt 284 Kommissiva 290 Kommunikation 28ff., 268f. fachliche 390 - . M o d a l i t ä t e n d e r - 271 - und Muttersprachunterricht 823, 825 - n o n v e r b a l e 267 f., 271 f., 401 f. - und Repräsentation 3 -.schriftliche 323-325 - in der Schule 340 verbale 267 -.visuelle 138 Kommunikationsakt 275 f. Kommunikationsbarrieren 371 Kommunikationsfähigkeit als Lehrziel 832 Kommunikationsform, analoge 269 Kommunikationsformen, alltägliche und institutionelle 342 Kommunikationskette 42 Kommunikationsmittel, überregionales 378 Kommunikationsmodell 268 Kommunikationsmöglichkeiten 348 Kommunikationsprobleme 369 - im Bildungssektor 369-371 - im Gesundheitssektor 371 f. - zwischen Wissenschaft und Praxis 372 Kommunikationsprozess 276 - . K o n s t i t u e n t e n d e s - e s 698 Kommunikationssemantik 158 Kommunikationssoziologie 373 Kommunikationstheorie 42, 275

Register Kommunikationsvarianten, funktionale 355 -.mediale 355 kommunikative Leistungsfähigkeit der Dialekte 456 Kommutation 131 Kommutationsprobe 205 Kompaktbauweise (Syntax) 626 Komparation 165 Komparatistik 633 komparatistische Linguistik 633 komparatistische Philologie 633 komparative Linguistik 633 Kompatibilität 648 Kompetenz 222 s. Sprachkompetenz grammatische 765f., 773 - , interaktioneile 436 kommunikative 377, 765, 773 - , kommunikative - und Schulunterricht 825 multilektale 431 - und Performanz 422 - , persuasive 299 - , pragmatische 276 reflexive 773 soziokulturelle 765 - , sprachliche 276 -.stilistische 305 taktisch-rhetorische 297 -.translatorische 801 kompetenzfundiert 792 Kompetenzgrammatik 59f., 773 Kompetenzsystem, innovierendes 560 - , retardierendes 560 Komplementarität 203 Komplenymie 203 Komponente, extralinguistische 271 - , modale 158 - , paralinguistische 271 Komponentenanalyse 202 Komposition 170 Kompositionsbildung 630 Kondensation 202 Konditionierungstheorie 436 konfrontative Grammatik 633 Kongruenz 164,633 grammatische 69 semantische 200 Kongruenztransformation 226,230 Konjugation 165 Konjunktion 248 Konjunktionsregel 230 Konjunktiv 625 - in der deutschen Standardsprache 614 konnektiv 248 f. Konnexion 156f., 217,248 f. Konnexionsakt 156 Konnexionsanweisung 157 Konnotation 209, 424 semantische 782 konnotativ 154, 157 Konnotem 205 konsekutivdolmetschen 799 Konsens, wahrerund erschlichener 299 f.

Konsenstheorie 12 f. Konsistenz (einer Beschreibung) 88 Konsistenzraum 474 Konsonantenverschiebung, germanische 78 f. Konstante 116 Konstellation 116 -.sprachgeographische 451 Konstituentenanalyse 118, 219 f. Konstituentenklasse 220 Konstituentenstruktur 94 ff. Konstituenz 212 Konstituierung des Sprachinseldialekts 492 f. Konstruktion, endozen tri sehe 221 - , exozentrische 221 - . f r e i e 182 Konstruktionsebene 17 Konstruktsprache 90 Konsubstantialität, quantitative 153 Kontakt zwischen Muttersprache und Bildungssprache 646 — zwischen Muttersprache und Fremdsprache 647 Kontaktforme) 185 Kontaktparenthese 317 Kontaktsprache und Sprachinsel 496 Kontamination 316 Kontext 42 f. -»eingeschränkter 202 nich texten sional er 16 f. Kontextglossen 784 Kontextprinzip 54 Kontextsemem 202 Kontinuativa 11 Kontinuität historischer Sprachen 560 Kontinuum, räumliches 564 -.sekundäres 564 - , zeitliches 564 Kontradiktion 202 f. Kontrast, Prinzip des maximalen - s 438 kontrastive Analyse 633 kontrastive Grammatik 633 kontrastive Linguistik 633ff., 651 —»angewandte 635f. — , deskriptive 633 — , Deutsch-Germanische Sprachen u n d — 669 f. — und Diachronie 634 — und Fremdsprachenunterricht 635 — , heutiger Stand d e r — 634 - - K r i t i k der — 634 — , Tendenzen d e r — 634 Kontrollkorpora 354 Kontrollverfahren für Fremdsprachenlernprozesse 833 f. Konvention, kommunikative 517 Konventionalismustheorie 726, 730 Konventionen 363 Konvergenz 648 Kon versa tions analyse 318 s. Gesprächsanalyse u. Dialogforschung Konversationsmaximen 318, 703 f. Konversion 170 Konzept, sozioünguistisches 349

853

Kooperationsprinzip 703 - , konversationelles 291 Kopenhagener Schule 115 f. Kopula 10 Kopulativkompositum 177 Korrelationsansatz 351 Korrespondenz 633 Korrespondenztheorie 12 f. Krämersprachen 385 Kreativität der Sprache 152 Kreativitätsthese 118 Kreolsprache 644 Kulturem 435 Kultursprache 144 Kultursprachen der Schweiz 531 f. Kulturvolk 515 künstliche Intelligenz und Textverständnis 803 Kunstprosa 720 Kunstsprache 712 Kursive 141 Kürzendiphthongierung 460 Kurzschrift 139, 141 Kürzung 170 f. Kurzwort 170,629 Kurzzeitgedächtnis 414 labiodental 121 Laborexperiment 354 Lachen 429 Lachmanns Gesetz 553 Lakonismus 724 Lallperiode 437 Landesdialekt 536 Landessprache 376,454 Landessprachen in der Schweiz 571 Langobardisch, Sprachstufe des - e n 570 f. Langtonvokalismus 484 Langschrift 141 langue 113,244 s. Sprachsystem - und parole 39 Langzeitgedächtnis 414 Larynx-Bewegung, vertikale 121 Latein und Volkssprache 713 ff. Lateralisierung 399 f. Lausitzisch-Märkisch 477 Laut und Phylogenese 36 Laute, organische 438 Lau tent wicklung, ostniederdeutsche 467 Lauter-Murg-Schranke 483 Lauterwerb 438 Lautgeographie 445 Lautgesetz, ausnahmsloses 104 Lautmuster, Erleben von - n 34 Lautphysiologie 104 Lautschrift 139 Lautsprache 138 Lautsubstitution 136,658 Lautung der Wörter (neuhochdeutsch) 612 Lautverschiebung, germanische 103 -.hochdeutsche 459, 468, 479, 569, 571 Lautwandel 552,658

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Register

^gesetzmäßiger 103 Lautwechsel 173 Lead-Stil 330 Lebensform 12f,, 16ff.» 757 - und Verbalisierung 262 Lebenswelt, alltägliche 30 - und Wissenschaft 29 Leerformel-Stil 178 Lehnbedeutung 6 2 9 , 6 4 1 , 6 5 7 , 6 6 3 Lehnprägung 647, 657 slawische 682 Lehnschöpfung 6 2 9 , 6 5 7 f . , 663 Lehnsyntax 658 Lehnübersetzung 5 8 4 , 6 2 9 , 6 4 1 , 6 5 7 f . , 662 - und Sprachinsel 494 Lehnübertragung 629, 641, 6 5 7 f . , 662 Lehnverbindung 662 Lehnwendung 658, 662 Lehnwort 5 8 4 , 6 6 2 slawisches 682 - und Sprachinsel 494 Leistung der Sprache 503 Leistungsbewertung im Fremdsprachenunterricht 833 Leitvarietät, nationalsprachliche 517 Leitworte der Klassik 735 Leitwortstil 736 Lemma 779—783 s. Stichwort Lemmatisierung 781 automatische 8 0 9 , 8 1 2 Lenisregel 136 Lernen, bilinguales 643 Lernende, Ausgangssituation der - n 765 Einstellung der - n 765 Lernprozesse 765 Lernschwierigkeiten 766 Lerntheorie 764 Lernziele des Fremdsprachenunterrichts 83 I f f . - des Sprachunterrichts 764 Lesen und Schreiben 327 Lese- und Schreibschule 822 Leseunterricht, muttersprachlicher 822 Letter 140 Lexem 155, 157, 1 6 0 , 2 0 0 , 6 4 0 -»Motiviertheit v o n - n 171 Lexem atik 202 Lexemstatus des Idioms 184 lexikalische Bedeutung 160, 199ff. - Bedeutung bei Eigennamen 193 f. - Einheit 199 ff. - Einsetzungsregel 223 - Integrate, slawische 682 f. - Mehrdeutigkeit 205 - Popularisierung 629 - Sektorisierung 629 lexikalische Semantik 199ff. s. Semantik u. Lexikologie — , Beispielauswahl in d e r - n - 208 — , kontrastive 208 und Lexikographie 208 — , Modellbeispielmethodeder-n-208 — , Problembereiche der - n - 208 f.

und Unterricht 208 lexikalische Tendenz 630 - Veränderungen 78 lexikalischer Purismus 721 lexikalisches Inventar 628 - Paradigma 780 Lexikbereiche, kontinuierliche 209 Lexikographen des 17./18. Jhs. 599 Lexikographie 778ff., 781 s. Wörterbuchschreibung Abriß der deutschen - 784 deutsche 783 - , Geschichte der deutschen - 785 - und lexikalische Semantik 208 -»neuhochdeutsche 784 Lexikologie, zeichentheoretisch fundierte 117 f. Lexikon 1 6 6 , 2 1 8 , 7 7 0 - und Enzyklopädie 209 - und Gedächtnis 207 - und Grammatik 770 - in psycholinguistischer Sicht 207 f. Lexikoneintrag 166 Lexikonmerkmale 167 - und Subkategorisierungsmerkmale 167 Lexikonregel 9 5 f . , 166, 2 2 4 f . Lexikonsemantik 199, 206 Lexikostatistik 795 Lexogrammem 155 Ligatur 140 Linearität 1 2 9 , 2 1 2 Linguisem 506 Linguistik, allgemeine 839 s. Sprachwissenschaft -»angewandte 6 3 4 f . , 800 - Dialekt in d e r - 742 - Didaktik d e r - 837 Entpsychologisierungder- 427 - , Epochen der - 98 ff. - , Forschungsbereich der - 91 - im 19. J h . 102 ff. - und linguistische Datenverarbeitung 809 komparatistische 633 - , komparative 633 -»kontrastive 633ff. marxistische 351 - , Mathematisierungder- 793 - im Mittelalter 99 - , Objektbereich d e r - 82 f. - und Poetik 687 - und Psychologie 427 - , Selbstverständnis der - 837 - als Sozialwissensch aft 350 - und Sprachpathologie 418 ff. - und Sprachphilosophie 2 ff. - und Statistik 792 - s t r u k t u r e l l e 109 ff., 113 ff. -»synchronische 559 - , vergleichende 102ff., 6 3 3 f . linguistische Stilistik 304 ff. linguistischer Phänomenalismus 19 Linguistisierung der Psychoanalyse 426

- des Sprachunterrichts 825 Linie, B e n r a t h e r - 458, 462, 4 6 8 f . B o s s h a r t s c h e - 483 f. - , S p e y e r e r - 468 - , Ü r d i n g e r - 468f. Linsenmodell, Brunswicksches 271 Lippenform 122 Lispeln 817 Liste, geschlossene 154 - , offene 154 literal counterparts 183 literarische Schreibarten 726 Literatur 693, 698, 719 - , althochdeutsche 570 - , althochdeutsche - und Muttersprachunterricht 824 experimentelle 754 -»Fremdwort in d e r - 741 - als Institution 702 f. -.mittelalterliche 707 - und Realität in der Moderne 749 Sprachmischung in frühneuzeitlicher - 713 - , triviale (im 19. J h . ) 744 Literatxirsprache 378 f. Begriff der - 712 - , deutsche 517 f. - , d e u t s c h e - i m 20. J h . 608 -»deutsche - und Latein (im 16. J h . ) 714 - , Extremwortschatz in d e r - 741 f. - und Fachsprache im 19. J h . 741 - der frühen Neuzeit 712 ff. funktionalstilistische Varianten d e r 712 - und Gebrauchssprache 702 f. - der Gegenwart 752 ff. -»geschriebene - im Mittelalter 707 - , Hegemonie des Obersächsischen a l s 728 -»höfische 708 ironische Zitierung in der - 749 - und Kommunikationstheorie 702 ff. - , mittelalterliche-und Fachprosa 707 - , landschaftliche Varianten der - 712 - , lateinische (in der frühen Neuzeit) 714 pragmatische Bestimmungen von 702 f. - , Präteritum in d e r - 701 f. - und Prosasprache der Frühaufklärung 727 - , publizistische Funktion der - 717 - und religiöse Sprache 743 semantische Bestimmungen der 700 ff. - und Sprache der Philosophie (im 19. J h . ) 742 - und Standardsprache bei Goethe 735 - und Standardsprache im 17./18. J h . 602 -»strukturelle Differenziertheit der 518

Register syntaktische Bestimmungen der 698 ff. -.traditionelle 7 5 3 , 7 5 5 - und Volkssprache im Mittelalter 708 Wechselwirkungen d e r - 712 Literaturfunktion im 18. Jh. 726 Literaturunterricht und Sprachunterricht 826 Literaturwörterbuch 785 Lobensteiner-Schranke 479 loci communes 295 Logik, intensionale 118 - , mathematische 118 - von Port-Royal 45 Logiksprachen 65 ff. logische und grammatische Form 19 f. logischer Empirismus 19 Logogramm 139 Logographie 139, 148, 326 lokale Determinanz 130 Lokalname 188 Low-Varietät 360 Luftstrom, Richtung des - s 120 Luftstromdynamik 120 f. - , egressive 121 -»glottale 121 - , pulmonale 121 Luftstromproduktion, O r t der - 120 Lyrik, moderne 750 Majuskel 140 Makrostruktur 253 ff. - -Postulat 200 - eines Textes 2 7 7 - 2 7 9 Manipulation der Rückmeldung 127 - durch Signalverarbeitungsanforderung 127 Margmalglossen 784 Marke 3 f. Markeresisch 231 Markiertheit-Hypothese 134 Markierung, morphologische 69 f. Markierungsregel 207 Märkisch 466 maschinelle Sprach Übersetzung 802 f. s. Übersetzung Maschinenschrift 143 Massenkommunikation 335 Massenmedien 328, 335 - , Entwicklung d e r - 329 Massenpresse 329-331 Maßnahme, sprachlenkende 513 Maßzahl 793 Material, natürliches 314 Material analyse in der Onomastik 189 f. Materialsammlung, areallinguistische 447 - in der Onomastik 189 mathesis universale 727 matiere und sens 710 Matrixsatz 227 Matten englisch 535 Maxime der Art und - der Beziehung 703 - der Qualität 703

Weise 703

- der Quantität 703 Mecklenburg-Strelitzisch 466 Mecklenburgisch-Vorpommersch Medienforschung 372

466

Medium 550 Mehrdeutigkeit 153, 175 s. Polysemie lexikalische 205 -.systematische 781 Mehrnamigkeit 195 Mehrsprachigkeit 6 4 1 , 6 4 6 s. Diglossie u. Multilinguismus - , diglossische 539 dynamische 539 - , Erwerb von - 642 Nachteile der - 643 -.nationale 539 - . V o r t e i l e d e r - 643 memoria 295 Menge 109 - sprachlicher Ausdrücke 109f. - , Strukturierung von - η 110 Mensch-Maschine-Interaktion 806 Mensch-Maschine-Kommunikation 812 Mensch-Maschine-Symbiose 804 Merkfähigkeit 415 Merkmal, distinktives 153, 548, 554 - phonologisches 75 ff. - , einzelsprachliches 205 -»graphisches 140 - , kategoriales 205 paradigmati sch es 155 - , phonologisches 115 - , relationales 205 semantisches 153f., 199f., 206, 781 s. Sem - , syntagmatisches 155 transform ationell-eingeführtes 167 Merkmalanalyse 554 Merkmalsanreicherung, isotopische 157 Merkmalsrekurrenz, paradigmatische 157 - , syntagmatische 157 Merkmalssemantik 205 ff. Merkspruch 185 Meronymie 247 Mesolekt 644 Meßniveau 356 Metapher 2 9 5 - 2 9 7 , 387 kühne 750 Metaphorik 753 Metasprache 5, 90 Metasp rächen-Postulat 201 Methode, algebraische 92 f. - , deduktive - des Fremdsprachenunterrichts 832 f. - des Fremdsprachenunterrichts 832 f. geographisch-vergleichende 478 - , induktive - des Fremdsprachenunterrichtes 832 -.komparative 551 - , kulturmorphologisch-genetische 478

855

- der Onomastik 189 f. soziolinguistische 362 statistische 794 Methodologie der maschinellen Übersetzung 807 Μ ikro-Sprachwandel 348 f. Μikrostruktur-Postulat 200 Militär 341 Minimalpaar 131 Minimalpaaranalyse 162 f. minimalsignifikativ 154 Minimum, syntaktisches 218 Minuskel 140 Mischgebiet, areales 449 Mischsprache und Sprachinsel 496 Mischsyntax 212 Mischtext 759 Missingsch 382 Missionswort 654 Mitgliedschaftskennzeichen 341 Mittelbairisch 489 f. Mittelfränkisch 4 6 8 , 5 7 1 Mittelhochdeutsch, klassisches 593 - , Morphemik des - e n 582 -»normalisiertes 581 Phonemik d e s - e n 581 Phonemsystem des normalisierten - e n 581 - , Schreibkonventionen d e s - e n 581 - , Syntax d e s - e n 583 -»Verwendungsbereich des - e n 580 Mittelmärkisch 466 Mittelniederdeutsch 584 ff. Abgrenzung des - e n 584 -, -

und Binnendeutsch 585 als Kanzleisprache 585 Lautentwicklung des - e n 586 als nordeuropäische Verkehrssprache 584 - » Q u e l l e n d e s - e n 584 -»Schriftdialekte d e s - e n 587 Schriftsprache und Dialekte im - e n 587 - , Sprachraum und Geltungsbereich d e s - e n 585 - , Syntax des - e n 587 mittelniederdeutsche Schreibsprache 589 Mittelpommersch 467 mittlere deutsche Literatur 712 Modalaspekt von Sätzen 215 Modalpartikel 318 Modellierung, soziologische 355 Modewörter im 20. J h . 617 modi essendi 4 6 f . , 9 9 - intelligendi 4 6 f . , 99 - significandi 4 6 f . , 99 Modifizierung von Adjektiven 177 - von Substantiven 177 Modusmorphem 165 Monem 153 f., 1 6 0 , 2 0 0 , 6 4 0 Monograph 140 Monolog, innerer 750 Monophthongierung, frühalthochdeutsche 572 -»mitteldeutsche 592

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Register

Monosemierung 152, 157 Monosemierungsverfahren 205 Montagetechnik, lyrische 751 Morph 160 diskontinuierliches 163 - , homonymes 163 - und Morphem 163 Morphem 8 , 9 3 , 153, 1 6 0 , 2 0 0 , 6 4 0 Dubletten im Neuhochdeutschen 594 -.gebundenes 163 grammatisches 163 -»freies 163 - , lexikalisches 163 Morphemik 159 ff. generativ-transformationelle 166 ff. - im 19. J h . 599 - im 17./18. J h . 601 - s t r u k t u r e l l e 160, 162 ff. Morph emographie 139 Morphemsubstitution 681 Morphemtyp 163 Morphikon 131 Morphograph 146 Morphographem 146 Morphologie 115, 159, 6 3 9 f . Morphonem 115 Morphonologie 1 1 5 , 1 3 3 Morphophonologie 133 Morphosphäre 232 Morphostruktur 232 Morpho-Syntax 91, 93 ff. Forschungsbereicher d e r - 91 f. Moselfränkisch 4 6 8 , 4 7 1 f. Motivation 178 - von Idiomen 182 lautsymbolische 502 -»lexikalische 153 -.metaphorische 171 morphemische 171 -.natürliche 171 -.onomatopoetische 171 - , phonetische 171 pleremische 171 —, semantische 171 -.strukturelle 157 -.ursprüngliche 172 Motivationssystem 171 Motiviertheit 152 f., 171, 179 -.relative 114, 152 f. - von Wörtern 171 - des Zeichens 722 movierte Feminina 177 multidimensionale Skalierung 207 Multikanal-System 267 Multilingualismus und Sprachinsel 495 Multilingualismusforschung 763 Multilinguismus 643 Multisemie 154, 205 s. Polysemie Mundart 359, 381 s. Dialekt Begriffsgeschichte von - 454 f. - als Demokratiesymbol 534 f. - , funktionale Verwendung der 533 f. - und Hochsprache 537 f. - als Identifikationssymbol 534

- in Österreich 529 - als soziale Schranke 534 soziale Verwendung von - 534 f. - und Sozialprestige 534 f. - , Wortgeschichte von - 453 f. Mundartbewegungen in der Schweiz 533 Mundartdeutsch 537 Mundarten, oberdeutsche 570 - , westmitteldeutsche 570 Schweizer 532 f. Mundartengliederung des Ostmitteldeutschen 475 ff. - des Nordoberdeutschen 480 Karte - des Ostniederdeutschen 465 Karte - des Ostoberdeutschen 487 Karte - des Westmitteldeutschen 469 Karte - des Westniederdeutschen 460 Karte Mundartenlexikographie 785 Mundartforschung 454 s. Areallinguistik Mundartgeographie 454 Münsterländisch 462 Muttersprache 367, 383, 646 - im deutschen Sprachraum im 15. J h . 590 - , Legitimation der - 589 - und Sprachlemprozeß 822 Muttersprachendidaktik und Phonologie 136 f. Muttersprachunterricht und altdeutsche Literatur 824 - und Dialekt 823 - und gesellschaftliche Voraussetzungen 827 - und historische Grammatik 824 - und inhaltbezogene Grammatik 825 - und Kommunikation 823, 825 - und Schulentwicklung 821 - und Sprachbarrieren 827 Mutismus 816 Mystik, sprachlose 748 Nachfolger-Dialekt 454 Nachkriegsliteratur 753 Nachname 188 Nachricht 268, 333, 688 Nachrichtenagenturen 333 Nachrichtengestaltung 333 Näherungsgrammatik 767 Name, Definition eines - n 187 - und Wort 187 Namen, Klassifikation d e r - 188 Namenatlas 190 Namenbuch 190 Namendeutung 189 Namenfeld 200 Namengebung 189, 194 - und Intentionswert 190 - und Primärmotivation 190 Namen gebungsakt 187 Namengebungsprozeß 188, 193 Namengeographie, hagiologische 195 Namengeschichte 189 Namengrammatik 190 Namenkunde 187 s. Onomastik

- , Quellenkritik in der - 189 Namen landschaft 195 Namenmode 195 Namenphysiognomie 189 Namentheorie 187 Namenverwendung und Kommunikationswert 190 - und Sekundärmotivation 190 narratio 295 Nasalschwund 489 Näseln 818 -»funktionelles 818 -.organisches 818 Natangisch 467 Nationaldialekt 455, 536 Nationalsprache 376, 5 1 5 f f . , 775 - in Österreich 527 - , Ursprünglichkeit d e r - 518 Nationalwörterbuch 785 Nativismustheorie 437 Naturalismus, konsequenter 747 natürliche Sprache s. Sprache Nebenbedeutung, affektivische 640 Nebenname 188 Nebensilbenabschwächung, gemeinalthochdeutsche 572 Neben-Sprache 454 Neckname 196 Neologismus 177 - bei Nietzsche 742 - bei Sprachstörung 444 Neubedeutung 630 N e u - D o n au-Β airisch 489 f. Neuerungs kenn wörter 489 Neuhochdeutsch, Standardisierung des - e n 589 Neuprägung 630 - . a l l g e m e i n s p r a c h l i c h e - i m 19. J h . 741 Neurolinguistik 406 ff. Neutralisation und natürliche Klassen 78 Neu wort 630 Nexuskonstruktion 62 Nicht-Idiom 183 Nicht-Zeichen 199 Niederdeutsch 458 Niederfränkisch 459 Niederländisch, Einheitsplural im - e n 593 Niederpreußisch 467 Niedersächsisch 459 Noem 205 Noematik 202 nomen appellativum 187 nomen proprium 187 Nomenklatur 393 nomina agentis 177 s. Täterbezeichnungen Nominalblock 626 Nominalisierung 174, 178, 331, 613, 621,626 Nominalphrase 223 Nominalsatzsystem 331 Nominalskala 794 Nominalstil 331

Register - im 19./20. Jh. 607 Nominator 10 Nomosphäre 232 Nomostruktur 232 nonidiomatic 183 Nordhannoversch 463 Nordmährisch 477 Nordmärkisch 466 Nordniedersächsisch 462 f. Nordoberdeutsch 479 ff. Nord-Ost-Siedlung, mittelalterliche 464 Nord-Süd-Gliederung 621 Normabweichung, sprachkontaktindizierende 663 Normalsprache, regulierte 755 Normbegriff, linguistischer 364 - , soziolinguistischer 364 N o r m 363f., 789 s. Sprachnorm - der Äußerungsqualität 365 - , deskriptive 364 - Geltungsbereich von - n 366 grammatisch-semantische 365 - und Interferenz 649 f. - , literatursprachliche 712 - der nichtsprachlichen Komponenten 365 - für die Realisationsarten 365 -»situative 365 soziale Funktion von - n 367 sprachliche 822, 827 -»statuierte 363f. subsistente 363 f. Normenlogik (Deontik) 364 Normensysteme 366 Normierung 788 - von Graphen 141 Normtendenzen (im 16. Jh.) 718 N o r m u n g 391 - , fachsprachliche 514 -»literatursprachliche 518 Notation 87ff. s. Transkription Notem 205 Nukleus 217 Null-Allomorph 163 Nulldurchgangsdichte 125 Null-Element 170, 172 Nullmorphem 93 ff. Numerus 624 Numerusopposition, Ausbau d e r 624 Oberdeutsch 488 Oberflächenstruktur 61 f., 166,228 Oberflächen- und Tiefengrammatik 6 Oberösterreichische Beharrsamkeitsbrücke 490 Oberostfränkisch 481 Oberrheinisch 483 Obersächsisch 477 Objektbereich der Linguistik 82 f. Objektschub 176 Objektsprache 5 - und Metasprache 4 ff. Obligation 158 officia rhetoris 295

Ohrdominanz 410 f. Ohrphonetik 122 Oktavfilteranalyse 125 Oldenburgisch 463 O n o m a 98 Onomasiologie 204 f. onomas iologisches Paradigma 205 Onomastik 187 ff. s. Namenkunde onomatologisches Dissoziationsgesetz 194 Ontogenese, Phonologie und - 438 - , Semantik und Lexikon 438 - , sprachliche 433,438 - , Syntax und Morphologie 439 Operand 111 Operation, onomasiologische 204 f. semasiologische 204 f. semantische 95 ff. Operationalisierung 355 Operator 111 Operator-Operand-Hierarchie 62 f., 66 Opposition 115, 131 - , binäre 554 - , semantische 201 orale Stereognose 123 oratio ligata 719 Ordinalskala 794 Ordnung, partielle 111 - , schwache 111 - sprachlicher Ausdrücke 109 f. starke 111 - . s t r i k t e 111 Ordnungsrelation 111 Ordnungsstruktur 111 ordo artificialis 98 - naturalis 98 Organonmodell der Sprache 271, 423 ornatus 295,710 Orthoepie 788 Orthographie 143f., 622, 658, 787ff. s. Rechtschreibung - . d e u t s c h e 789f. Orthographiekonferenzen, deutsche 605 Orthographiekritik 790 f. Orthographieprinzip, morphographemisches 723 Orthographiereform 144, 790 f. Orthophonie 144, 787ff. s. Hochlautung - . d e u t s c h e 791 örtlichkeitsname 188 Ortsname 187, 188 s. Toponyme Ortnamen, Suffix-Bildung v o n - 191 f. Ostfälisch 462 Ostfränkisch 571 Ostfriesisch 463 Ostkäslauisch 467 Ostmitteldeutsch 474 ff. Ostniederdeutsch 464 Ostoberdeutsch 486 ff. Ostpommersch 467 Ostwestfälisch 462 Ost-West-Gegensatz, sprachlicher 621

857

Ost-West-Problem, sprachliches 519 OV-Sprachen, konsistente 66 Paar, geordnetes 109 f. Paarformel 184 Paarung, appräsentative 32 Pädolinguistik 434 Paläographie 142 f. palatal 121 Palatographie 123 palato-velar 121 Pansemiotismus 31 Papierdeutsch 607 Paradigma, lexikalisches 780 s. Wortfeld - , onomasiologisches 205 - , semasiologisches 205 paradigmatische Sinnrelation 202 paradigmatisches Feld 200 Paradigmen-Morphologie 74 f. Paradoxa sprachlichen Handelns 261 f. Paragrammatismus 419,443 Paragraphie 143 Paralem 429 ff. Paralemfunktion 430 f. Paralinguistik 269, 429 Parallelfilterbank 125 Parallelgrammatiken 776 Parallelismus 301 Paraphasie 419 phonematische 443 - , semantische 443 Paraphrase 174,317 Paraph rasen test 355 Paraph rasierung 205 Parasprache 429 Paraverbien 173 Parodie 755 parole 113 Paronomasie 298-301 Parsing 810 partes orationis 99 Partikel 68, 156, 158 Passionsspiele 709 Patholinguistik 406f., 763 Pathos 295 Pejorativa 177 Performanz 222 - , kommunikative 377 performanzorientiert 792 performativ 288 Performativa 264 Performator 9 Periode, kritische - des Spracherwerbs 434 f. - , mittelhochdeutsche 580 Periodisierung der deutschen Sprachgeschichte 563 Peripherie, anatomisch-physiologische 399 f. perlokutive Wirkung 158 Permutation 227 Permutationstest 93 peroratio 295 Personenbezug des Sprechens 2 f. Personenname 187

858

Register

- und Sondersprache 387 Personennamen, Suffix-Bildung von 191 f. Perspektive, anwendungsorientierte 762 1 -»diachronische 559 extrakommunikative 84 f. - , synchronische 559 perspicuitas 295 persuasio 751 Persuasion 294 f. - , dissimulative 298 persuasiv 2 9 7 f . , 751 Perzept 55 f. Perzeptionsforschung 122 Pfälzisch-Lothringisch 468, 473 Phasenabstand, diachronischer 560 PH-Germanistik, Selbstverständnis d e r - 839 Philologie 550 komparatistische 633 vergleichende 633 f. Phon 7 5 f f . , 129, 790 Phonation 121 Phonationsstelle 121 Phonem 115, 129, 153f., 548, 790 Phonematik 129 Phonembegriff B . de Courtenays 104 Phonemdistanz 127 Phoneme, systematische 554 Phonemfindungsstörung 443 Phonemik 129 ff., 142 Phoneminventar 131 Phonemsprache 138, 144, 149 Phonemsubstitution 681 Phonemsystem 788 Phonetik 120ff., 502 allgemeine 122 f. -.auditive 126 Phonfolge 75 f. Phonie 788 Phonographie 139 Phonologie 7 2 f f . , 9 1 , 115, 1 2 9 , 5 0 2 , 639 - und Anwendung 135 autonome 131 Forschungsbereich der - 91 f. - und Fremdsprachendidaktik 135 f. generative 130f., 133ff., 639 - der Kindersprache 438 - , kontrastive 115 - und Muttersprachendidaktik 136 f. nicht-autonome 131 - , taxonomische 13 I f f . Phonometrie 122 Phonotagma 133 Phonotagmatik 133 Phonotaktik 133 phrase-marker, generalisierter 229 Phrasenstrukturgrammatik 2 1 9 , 2 2 5 -.generative 222 Phrasenstrukturregel 118 Phraseolexem 182 endo-exosememisches 182 endosememisches 182 exosememisches 182

Phraseologie 182 s. Idiomatik Phraseologismus 182 physei-thesei-Streit 99 f. Pidginsprache 644 Piktographie 139, 326 Pilotstudie 356 Planbildung, Sprechen und Handeln 264 Platt, Wortgeschichte von - 453 f. Platzhalter 227 Plerem 153 f., 160 -»blockiertes 172 - , gebundenes 172 - , unikales 172 Pleremklasse 172 f. Plerem korrespondenz 172 Pleremstatus 172 Plosive 121 Plural-Form der Eigennamen 192 Plural -s 625 Pluralsystem 624 Poesie 719 konkrete 751, 754 f. - , politische 743 poetae docti 719 Poetik 1 - . n o r m a t i v e 720 Poetisierung der Realität 745 Poetizität 720 Poetolekt 456 P/O-Grammatik 439 Politisierung der Literatur (im 19. J h . ) 742 Poltern 819 Poltersyndrom 819 Polygenese 493 Polygraph 140 Polysemie 153f., 2 0 4 f . , 779 s. Mehrdeutigkeit u. Multisemie -.ideologische 682 Polyvalent literarischer Texte 705 Population 356 Portmanteau-Morphem 172 Position, empirisch-analytische 85 - , hermeneutisch-dielektische 85 Positivismus 113 Postposition 548 Potential, stilistisches 308 Prädikat-Adjektiv 177 Prädikat (bei Aristoteles) 98 Prädikatenlogik 118 Prädikation 9 f f . , 156, 178 - und Wortbildung 175 f. Prädikations akt 156 Prädikationsanweisung 156 Prädikator 10, 155 f. Prädikatsausdruck 11 Präfigierung 170 Präfix 163, 172 Präfixbildung 170 Präfixoid 173 Präfix-Suffix-Ableitung 170 Prager Schule 115 Pragmalinguistik 237 Pragmatik 1 , 2 9 2 , 6 9 8 , - als Begriff 71

- , einzelsprachliche 292 - . f o r m a l e 91 Forschungsbereich der - 91 -.linguistische 349 - und linguistische Fachdidaktik 825 Semantik und Syntax 5 ff. -»universelle 292 pragmatische Maxime (Peirce) 15 Pragmatismus 7 Präposition 548 Präpositionalgruppe 627 Präsentator 10 Präsupposition 71 f . , 249 - , kontextuell-semantische 71 -»pragmatische 270 - , propriale 194 Präteritum in der Literatursprache 701 f. Praeverbien 173 Präzedenzrelation 111 Presse und deutsche Standardsprache 607 Pressesprache 331 Primärintention 298 Primärklangerzeugung 122 Primärsprache 830 Primatenforschung 30 Problemareal, linguistisches 446 Produkt, kartesisches 1 1 0 , 1 1 1 Produktion 113 Produktionsanalyse 330 Produktionsregel 118 Proform 67, 247 Programm in der maschinellen Ubersetzung 803 Programme, kompensatorische 369 Programmiersprachen und natürliche Sprache 804 Progression, linguistische 635 -.thematische 281 Projektivität 217 Pronominalisierung 230, 246 Pronominalmorphem 164 pronuntiatio/actio 295 Proposition 71 - » B e d e u t u n g d e r - 613 - , Formalstruktur der - 613 propositionaler Gehalt 8 , 2 8 0 Propositionen in der deutschen Standardsprache 615 Propositionsebene 157 f. Propria, Artikelgebrauch bei - 192 f. - , Formidentität mit Appellativa 190 - , terminologisierte 187 Proprium 187ff. Prosa (oratio soluta) 719 Prosaform, Übergang z u r - 714 Prosaroman, frühneuhochdeutscher 714 Prosastrukturen (im 15. J h . ) 715 f. Prosodem 431 Provinzialmundart 454 Provinzialsprache 454 Proxeme» sprecherspezifische 431 Proxemik 431 Pseudonation, semantische 206 Pseudoplerem 172

Register Psyche 421 Psychoakustik 126 Psychoanalyse und Sprache 425 Psycholinguistik 236 f., 421 ff. - im engeren Sinne 4 2 2 , 4 2 4 Objektbereiche d e r - 421 - . R i c h t u n g e n d e r - 423 - und Sprachpsychologie 422 - im weiteren Sinne 422 psycholinguistische Versuche des Sprachwechsels 643 Psychologie des Behaviorismus 116 - und Linguistik 427 Psychophonetik 126,424 Purismus, lexikalischer 721 - . l e x i k a l i s c h e r - i m 1 9 . / 2 0 . J h . 607

Referenzsemantik 204 Reflexivität, epistemologische 29 f. Reflexivität von Sprache 779 Reflexiv- und Komplementkonstruktion 550 Reformbewegung, neusprachliche 831 Regel, deskriptive 772 -.grammatische 771 - , graphemische 147 - , kategorialsyntaktische 69 f. -»linguale 365 - des minimalen Kontrastes 207 - , morphologische 167 f. - , morphophonemische 78 -,präskriptive 772 - , realisationsphonologische 75

Quantifizierung 793 Quantifizierungsniveau 794 Quantor 6, 155 Quasi-Tautologie 185 Quellenkritik in der Namenkunde 189

rekursive 6 5 f . , 229 - , semantische 68 f. - . s o z i a l e 365 - , syntaktische 66 f . , 94 ff. - , statistische 794 -.variable 65

Randgruppen 385 Rationalismus, kritischer 353 Ratioskala 794 Reaktionserscheinung 450 Realisationsphonologie 73 Realitätsmodus 158 Realprobe 189

- . V e r ä n d e r u n g v o n - n 553 Regelapparat 223 Regelsystem, rekursives 6 6 f . Regelungen, sprachlenkende 329 Regionalsprache 385 Register 3 5 9 , 4 3 1 Regulator 272 Reihenbildung 173

recall and precision (in der linguistischen Datenverarbeitung) 811 Rechtlautung 788 s. Orthophonie Rechtschreibreform 513 f.

assoziative 104 Reimwörterbuch 780 Reiz-Reaktions-Schema 116 f. Rekonstruktion dialektaler Diasysteme

- der Gegenwart 612 Rechtschreibung 599, 788 ff.

361 f. - . i n n e r e 557 -.sprachanalytische 9 0 f f .

s. Orthographie -»deutsche 604 - und deutsche Hochlautung 605 - im 17. J h . 598 Reform der deutschen - 623 - und Zeichensetzung des gegenwärtigen Deutsch 611 Rechtschreibwörterbuch 780 Rede, behauptende 701 fiktionale 701 -.gebundene 719 -»indirekte 6 1 4 , 6 2 5 - (oratio) 719 situationsentlastete 380 telegraphische 439 rede und meine 710 Redensart 182 - , verblümte 728 Redeteil 214 Redewendung 182 Reduktion 227, 754 Reduktions-Postulat 199 Reduplikation (im Spracherwerb) 438 Referenz 2 f . , 156f., 178, 2 4 6 f f . - , unmittelbare 756 - und Wortbildung 176 Referenzakt 156 Referenzanweisung 156 Referenzebene, neue 756 Referenzialisierbarkeit 701

- des Sprach Verhaltens 355 - von Ursprachen 633 Rekursionsanfang 112 Rekursionsschritt 112 Rekurs ionsvorschrift 112 rekursive Definition 112 f. rekursives Regelsystem 66 f. Rekursivität 229 f. Relation, antisymmetrische 110 s. Beziehung u. Funktion - der Antonymie 2 0 3 , 2 4 7 - , asymmetrische 110 - , bitotale 110 Definition d e r - 110 - der Dominanz 111 - , eineindeutige 110 - der Hyperonymie 203 - der Hyponymie 203,247 - derlnkonymie 203 identitive 110 - der Kohyponymie 203 - . k o n n e x e 110 -.lineare 110 linkseindeutige 110 -»linkstotale 110 - , Nachbereich einer - 110 -.partitive 204 - zwischen Propositionen 281 -.rechtseindeutige 110

859

- , rechtstotale 110 -.reflexive 110 semantische 117, 199ff., 205 - der Superonymie 203 -.symmetrische 110 - der Synonymie 16, 203 T e i l - G a n z e s - - 204 - , transitive 110 - , Vorbereich einer - 110 -»zweistellige 110 Relationen eines Diagramms 111 - Eigenschaften von - 110 f. Relationsfunktion 272 Relationsmodell 157 Relativitätsprinzip, sprachliches 18, 101,507 Relevanz, empirische 92 Relikt-Bairisch 489 f. Relikte 684 Reliktkennwörter 489 Reliktmundart 529 Reliktzone, sprachliche 484 ff. Repertoire von Informationseinheiten 42 Reportage 333 Repräsentamen 51 Repräsentativa 290 Repräsentation und Kommunikation 3 Repräsentation, semantische 62 Repräsentationsmodell des Zeichens 44 Repräsentationssprache 812 Repräsentativität 3 1 5 , 7 9 3 Reproduktionsverfahren, semiotisches 688 Resonanzraum 121 - . n a s a l e r 121 -»oraler 121 - , pharyngaler 121 Restauration, literarische 748 Retrieval 8 0 7 , 8 1 1 Reziprozität der Perspektiven 35 f. Rheinfränkisch 4 6 8 , 5 7 1 Rheinische Akzentuierung 4 7 1 , 4 7 2 - Gutturalisierung 4 7 1 , 4 7 2 Rheinischer Fächer 458, 468 Rhema 9 8 , 2 4 9 , 503 s. Thema-Rhema Rhetorik 259, 293 ff. -.antike 294-299 -.didaktische 298 -.klassische 294 - n e u e 294 - und Textlinguistik 722 Rhetorikdefinition 295 f. Rhinolalia 818 - aperta 818 - clausa 818 Rhinophonia 818 Rhotazismus 817 Rhythmus 3 9 9 f . , 429 Ripuarisch 4 6 8 . 4 7 1 Roboter, sprechender 813 Rollentheorie 351 Romanische Sprachen und deutsche Gesamtsprache 672 ff. romantisches Stil-Chaos 738 Rotwelsch 385

860

Register

Routineformel 186 Rückbildung 170 f. Rückkoppelung 400 Rückmeldung 284 - , Manipulation d e r - 127 Rückmeldungspartikel 156 Rückmeldungssignal 284 Rücktransformation in der maschinellen Übersetzung 804 Rückumlaut 165 Rufname 188 Ruhrgebietssprache 459 rules, bleeding 553 -»feeding 553 Rundung 463 Sachbezug des Sprechens 2f. s. Referenz Sachliteratur im 15. J h . 714 Sachverhalt 23 - und Tatsache 16 Sachverhaltsdarstellung und Textzeichenkonstitution 157 Samländisch 467 Sandhiregeln 67 Sandhi-System 73 f. Sanskrit-Grammatik 98 Sapir-Whorf-Hypothese 507 s. Weltbildthese Satz 8, 93, 21 I f f . , 277, 350 s. Einwortsatz - , Aufbau des grammatischen-es 613 - , einfacher 626 - , komplexer 615 - als token 276 - als type 276 -»verkürzter 174 - , Wohlgeformtheit des - e s 231 Satzabbruch 3 1 7 , 4 4 3 f. Satzakzent 71 Satzbau, hochkomplexer 331 Satzbauplan 2 1 4 f . , 2 1 8 f . Satzbedeutung 6 8 f . , 2 3 2 Satzbegriff 211 Satzdefinition 211 f. Sätze, nicht-deklarative 291 Satzfüllung 215 Satzglied 214 - . k o m p l e x e s 216 - , fallbestimmtes 216 fallfremdes 216 Satzglied analyse, operationale 216 Satzintonation 73 Satzkomposition 215 Satzlehre, inhaltsbezogene 503 Satzlexem 185 Satz-Negation 72 Satzperspektive 215 Satzrahmen 627 Satzrealisierung 212 Satzsemantik 175 s. Semantik - t r a d i t i o n e l l e 232 Satzstruktur 2 1 3 , 2 2 3 - und Gedächtnis 425 Satzteil 214 Satztyp 214

Satzverbindung 230 Satzwort 174, 178 Satzzeichen 140 SchaUdruckschwingung 123 ff. Schaltsatz 317 Schärfung 471 Scheinentlehnung 666 Scheltname 196 Schema und Aktualisierung 16 Scherzname 196 Schibboleth 488 Schichtenmodell 565 Schichtentheorie 351 Schichtung des Deutschen 360 f. - . h o r i z o n t a l e 360 - , vertikale 360 Schizophasie 407 Schlagwörter 301 Schlagzeilenbildung 331 Schlesisch 477 Schleswigsch 463 Schluß. praktischer 86 Schlußfolgerungen, suggerierte 300 Schlußregel 113 Schranke, Eifel- 469 f. - E r f t - 469 - » F r a n k e n h ö h e - 481 - . F r a n k e n t h a l - 483 - . H u n s r ü c k - 469 f. - , Lobensteiner- 479 Lauter-Murg- 483 - , Schwarzwald- 483 - , Selz-Lauter- 470 - , Sundgau-Bodensee- 483 - . W e s e r - 461 Schreibart der Aufklärung 728 - der Empfindsamkeit 730 - der Frühaufkläning 727 -.herzrührende 729 - , natürliche 730 - des R o k o k o 729 - des Sturm und Drang 730 Schreibarten, literarische 726 s. Stil Schreiben 138 - und Lesen 327 Schreiber 432 - und Autor mittelalterlicher Texte 709 Schreibsprache 327, 332 - des Althochdeutschen 570 - , mittelniederdeutsche 587 Schreibsprachen im Frühneuhochdeutschen 595 Schreibung, historische 824 -.lautgerechte 100 Schreib- und Leseunterricht 327 Schrift 3 2 3 , 3 2 5 , 4 3 2 Schriftäußerung 144 Schriftdeutsch 532 Schriftdialekte 327, 720 Schriftnorm 144 Schriftsinn, mehrfacher 710 Schriftsprache 323, 376 s. Standardsprache -deutsche 327,603 -.donau-österreichische 528

- , Entstehung der neuhochdeutschen 592, 596 - , Entstehungstheorien der neuhochdeutschen 478 - und funktionale Verwendung der 533 f. - , hansische 588 - undregionaleVerwendungder- 535 - , und soziale Verwendung d e r - 5 3 4 f . Schweizer 533 - , Theorie der - 306 Schriftsystem 144 Schriftzeichen 145 Schuldidaktik 836 Schulen, städtische 590 -,strukturalistische 109 f. Schulentwicklung und Muttersprachunterricht 821 Schulerfolg 136 Schulgrammatik 214 - , Valenzgrammatik als - 825 Schulunterricht, deutscher 603 Schweigen, idiolektales 429 Schwäbisch 483 schwache Ordnung 111 Schwarzwaldschranke 483 Schweizerdeutsch 532 Schweizerhochdeutsch 532 Segment 75 phonologisches 131 f. Segmentieren 117 Segmentierung 114, 162 f. Sekundärentlehnung 666 Selbstverständnis der Linguistik 837 - der PH-Germanistik 839 Sem 201 s. Merkmal, semantisches Semanalyse, paradigmatische 201 Semantem 232 Semantik 1, 698 s. Bedeutungstheorie - und Computerlinguistik 809 - , einzelsprachliche 292 - . f o r m a l e 91 Forschungsbereich der - 91 -.generative 6, 1 1 8 , 2 3 1 f . , 2 3 2 f . - , indexikalische 70 f. - , intensionale 111 - , interpretative 6, 232 f. - , kontextuelle 70 -.lexikalische 117, 199 ff. - . l o g i s c h e 20 modelltheoretische 62, 118 - und Pragmatik, Grenze von - 70 ff. sinnrelationale 202 ff. -.strukturelle 1 1 1 , 4 5 2 strukturelle lexikalische 199 ff. Transformationen in der generativen - 231 f. - , universelle 292 - , Verhältnis der - zur Syntax und Pragmatik 5 ff. semantische Achse 203 - Analyse und Dialogsysteme 813 - Beschreibungssprache 95 - Gradation 203 - Heterogenität natürlicher Sprachen 358 f.

Register -

Information 68 f. Kongruenz 200 Motivation 171 Operation 95 ff. Opposition 201 Pseudonotation 206 Regel 68 f. Relation, paradigmainteme— 205 Repräsentation, Universalität der — 62 - Struktur 9 4 , 9 6 ff. - Syntax 281, 803 - Teilsysteme 199ff., 549 - Typen 95 ff. - Vagheit 208 - Wohlbestimmtheit 208 f. - Wortbildungsklasse 176f. - Wonbildungslehre 175 f. semantischer Distanzeffekt 207 - Jargon 434 f. - Raum 424 Dimensionalität des - s 207 semantisches Differential 207, 424 - Dreieck 15 f. - Feld 2 0 0 , 2 0 2 , 2 0 4 - Gedächtnismodell 207 semantisches Merkmal 154, 199ff., 206, 424 s . S e m — , Ermittlung d e s - s 206 — , Interpretation des - s 206 — , kategoriales 205 — , relationales 205 Sem-Artikulation 201 Semasiologie 204 f. semasiologische Operation 204 f. semasiologisches Paradigma 205 Semem 200, 202 Sememoppositions-Postulat 201 Semiotische Ästhetik (bei Gang) 45 Semiotik 41 ff., 5 8 , 2 1 1 , 6 8 8 allgemeine scholastische 46 f. - und Ästhetik 49 - und Erkenntnistheorie 46 - in der Gegenwart 47 ff. -.Geschichteder- 43ff. Institutionen d e r - 4 7 f . materialistische 48 modistische 45 ff. Rezeption der - in Deutschland 48 f. - als Zeichenlehre 50 f. - als Zeichentheorie 50 ff. Semiose/Semiosis 5 0 f f . , 151 f. Semioseprozeß (Pragmatik, Semantik, Syntaktik) 720 Semiosis und Interpretation 51 - bei Peirce 51 ff. Semi-Thue-System 113 Sem-Kategorie, semantische 201 Semmengen-Postulat 201 Semsystem 202 Semsystem-Postulat 202 Sender 4 1 , 2 6 8 , 2 7 6 , 6 8 8 Sentenz 1 8 5 , 7 3 6 Selbstdarstellung, expressive 374 Selbstkorrektur 318

Serialisierung 67 f. Setz-Lauter-Schranke 470 Siedlerdialekt 475 Siedlungsbahnentheorie 478 Siedlungshorsttheorie 478 Sigmatismus 817 -,addentalis 817 - , interdentalis 817 -.lateralis 817 Signal 43, 157 s. Zeichenvorkommen u. Zeichenträger Sign aides trukti on 126 f. Signalgenese 123 Signalproduktion 120 signifiant 114, 153 s. Signifikant u. Zeichenaußenseite signifie 114, 153 s. Signifikat u. Zeicheninnenseite Signifikant 153 f. s. signifiant - . D o m i n a n z d e s - e n 426 Signifikantsubstanz 153 Signifikat 153 f. s. signifie u. Zeicheninnenseite Signifikation 46, 723 Signifikationsrelation 151 Signifikatkollektion 1 5 3 , 1 5 7 , 2 0 5 s. Teilbedeutung Signifikatsubstanz 153 Silbe 74 ff. - . e c h t e 76 freie 76 Silben-Anfangsrand 76 f. Silben-Endrand 76 f. Silbenkoda 75 Silben-Nukleus 76 f. Silbenstruktur 7 6 f f . , 6 3 9 Silbentrennung 790 Simultandolmetschen 799 Sinn 1 3 , 2 0 2 , 7 5 8 - und Geltungsanspruch 14 f. Sinnbezirk 200 Sinneigenschaft 117 Sinnesdaten, Zeichenfunktion d e r - 53 Sinnklärungsprozeß 52 Sinnkonstitution 32 f. Sinnkopplung 219 Sinnrelation 117 paradigmatische 202 sinnrelationale Semantik 202 ff. Sinnstruktur und Zeichensystem 31 f. Sinnverstehen 52 s. Verstehen Sinnzuordnung, subjektive 36 Sippenname 196 Situation 2 6 2 , 2 7 6 , 3 5 3 - , soziale 355 Situationstil 309 Situative Klassifikation der slawischen lexikalischen Integrate 684 Situierung, aktuelle 156 Situierungsakt 156 Skala in der Statistik 794 Skalierung, multidimensionale 207 Slawische Sprachen und deutsche Gesamtsprache 680 ff. Soldatensprache 385 f. Solidarisierung, sprachnationale 516

Solözismus 98 Sonagraph 125 Sonderschreibung, fachsprachliche Sondersprache 394 - und Gemeinsprache 388 Sondersprachen 384 ff. - , Aufbauprinzipien v o n - 3 8 6 f . - und Fachsprachen im 17./18. J h . kommunikative Reichweite von 388 Literarisierung d e r - 389 - » M e t h o d i k zur Erforschung d e r —, sprachliches Inventar von — 387 Sonderwortschatz 387, 392 Sozialdialekt 359 Sozialforschung, empirische 362 Sozialisationsprozeß, sprachlicher Sozialisierung, aktive 403 Sozialprestige des Dialekts 456 Sozial- oder Gruppenstil 309 Sozialstruktur und Sprache 398

861

622

602 -

389

435

- und Sprach verhalten 352 Sozialkommunikation 358 s. Kommunikation Sozialwissenschaft, empirische 351 Soziolekt 3 5 8 f f . , 428, 456 Soziolektale Unterschiede der Wortbildungskompetenz 178 f. Soziolektforschung 358 Soziolinguistik 3 4 7 f f . , 358 Abgrenzung der - 349 - und Areallinguistik 452 - , empirische 355 - , germanistische 348 - , historische 348 - und linguistische Fachdidaktik 825 Sozio Unguis rikkonzept, erweitertes 350 Spaltung, sprachliche 520 Speicher, prä-perzeptueller 400 Spektrogramm 125 Spessart-Barriere 480 Speyerer Linie 468 Spiel 757 - mit Idiomen 181 f. Spitzname 196 Sprachabbau 440 ff. Sprachabbau, hierarchische Modelle d e s - s 441 Sprachabschnitt 5 5 7 f . , 621 Sprachähnlichkeit 649 Sprachakte, illokutive 721 s. Sprechakt u. Illokutionsakt - , perlokutive 721 Sprachanalyse, maschinelle 809 logische I f f . , 18 sprachanalytische Rekonstruktion 90 ff. Sprachanteil 560 Sprachadas, Deutscher 448 Sprachauffassung des Aristoteles 98 f. - L. Bloomfields 105 f. - E . Cassirers 105 - N . Chomskys 59 f. - J . Grimms 103 - W . v. Humboldts 103 f.

862

Register

- W.D.Whitneys

104

-

und H a n d e l n 2 5 9

Sprachausgleich 492

-

und H a n d l u n g 3 ff.

-

-

im H ö r f u n k 335

in der frühen N e u z e i t 717 ff.

Sprachausprägung 5 6 0 , 562 Beseitigung d e r - 505

- 803 - , Verhältnis zwischen den Sprachentwicklung 6 1 7

- , innere 4 2 5

- und C u r r i c u l u m 3 7 0

- als Institution 3 4 2

- und K o n t e x t 3 7 0 - in der modernen Literatur 751 und Muttersprachunterricht schichtenspezifische

-»Kontinuitäthistorischer- 560 - , Strukturverschiedenheit natürlicher

- und Identitätsausbildung - , inkorporierende 638

Sprachbarrieren 3 6 8 f f . , 610

-

- , Heterogenität von natürlichen - n 358 f.

827

369

Sprachbarrierenfrage 348 Sprachbarrierenproblematik

350

- in Institutionen 3 3 8 ff. -»isolierende 1 6 6 , 6 3 7 - , Kreativität der - 152

-

s. Sprach Veränderung, Sprachwandel

- und Legi timierungs muster 4 0 - » L e i s t u n g d e r - 503

- und Persönlichkeitsentwicklung 8 2 7 - , Stadien der - 4 3 7

- in Massenmedien 3 2 8 f f . , 3 4 1

Störung der - 8 1 6 - . v e r z ö g e r t e 816

Sprachbau, analytischer 6 2 6

- des Naturalismus 745

Sprachbautyp

- , natürliche - und P r o g r a m m s p r a chen 804

165 f.

—, agglutinierender 165 -»flektierender -isolierender

165 165

Sprachbearbeitung, automatische 808 Sprachbeschreibung, T h e o r i e der 91 f f .

- als Organismus 102 f. - , O r g a n o n m o d e l l der - 2 7 1 , 4 2 3 - , poetische 6 9 3 - . p o e t i s c h e - i m 1 8 . J h . 725 - , poetische - und Wissenschaftsspra-

Sprachbewußtsein 5 5 9

c h e i m 1 8 . J h . 728 -.politische-im 19.Jh.

Sprachbiologie 3 9 7 ff.

-

und Psychoanalyse 425 Reflexivität von - 779 der R o c k e r 386

Sprachbewertung 5 1 1

Sprachbrauch 2 1

741

Sprachbünde 5 5 5

-

Sprachdidaktik 7 6 3 , 774

- , schöpferischer G e b r a u c h von -

Sprachdominanz 4 0 9 f.

-

der Schüler und Jugendlichen als soziale Barriere 822

-

als soziale Institution

-

und Sozialstruktur 398

Sprache 720 - , abstrakte Strukturen der -

113

- , agglutinierende 70, 1 6 0 , 6 3 7 analytische 166, 6 3 7 als Ausdruck 105 f.

-

als Bewußtsein 34

- , Distanzbindung durch -

349f.

- des Bürgerlichen Realismus - , dreifache Gliederung d e r -

397ff. 744

154

- als Statusmerkmal 5 3 0 - , S t i l e i n e r - 306 - , Störungen d e r - 4 4 2 f . s. Aphasie -»subordinierende 637 - , synthetische 166, 6 3 7 System zu e i n e r - 5 6 0

- , egozentrische 4 2 5 - » e i n f a c h e 555 562

-

als Energeia 103 f .

- des T r a u m s 4 2 6

-

als Ergon 103 f .

- , unmittelbar referierende 756 - , Veränderungen der - 5 1 1 s . Sprachveränderung u. Sprachwandel - V a r i e t ä t e i n e r - 380

- im Fernsehen 335 -,fiktionale

700

-.flektierende -.formale

70,637

20f.

- , f o r m a l e ; Adäquatheitskriterium f ü r formale -

-

Vergleichbarkeit von -

779

der V o r m ä r z - L i t e r a t e n

743

- und W e l t 12 ff. - W i r k u n g d e r - 503

20

funktionelle 3 9 0 - als G e g e n w a r t und G e s c h i c h t e 6 1 0

- der Wissenschaft und Standardsprache im 2 0 . J h . 6 0 7

^geschriebene

-

- der G e g e n w a r t 558 143, 3 2 3 f f .

- , geschriebene - und gesprochene 326 17./18. J h .

- und Z w e c k 747 Sprachbeschreibung, T h e o r i e d e r -

600

3 8 0 , 6 2 7 , 770 Gliederungen von -

- , wurzelflektierende 6 3 7 -»wurzelisolierende 6 3 7

geschriebene u. gesprochene - im 604

gesprochene 143, 2 6 7 , 313 f f . , 3 2 3 ,

-

als Wissensform 39

-

- und Gesellschaft im 1 9 . / 2 0 . J h .

720

und G r o ß s t a d t 6 0 4 als Gruppenabzeichen 384 f. gnippenflektierende 6 3 7 G r u n d f u n k t i o n e n der -

3 9 f.

und gesellschaftliche E n t w i c k l u n g 617

Sprachentwicklungsbehinderung 816 Sprachentwicklungssprünge 561 Spracherforschung, T h e o r i e der linguis t i s c h e n - 83 f. - T h e o r i e d e r - 59 f . , 82 Spracherhaltung 6 4 4 Spracherkennung, automatische 8 0 9 Sprach erlern ung 555 Spracherwerb 2 3 6 , 3 4 0 , 4 0 2 ff. - , Imitation im - 4 3 6 Inhalte d e s - s 4 3 6 - , Konvergenztheorie des - s 4 3 7 - , kritische Periode des - s 4 3 4 f. - , neurophysiologische Voraussetzungen des - s 4 3 4 - . p r i m ä r e Erweiterungsstufe im - 4 3 3 - und Pubertät 4 3 4

stammflektierende 6 3 7 - , stammisolierende 6 3 7

266

biologische Grundlagen d e r -

Einheit einer -

262 386

- und Sprechen 4 f . , 3 4 7 - als staatsnationales Markierungsmittel 5 1 6

anreihende 6 3 7 -

649

in Zeitungen 335

5 9 f . , 83 f. Sprachebenen 4 ff. Spracheinfluß, fränkischer 4 8 5 Spracheinführung 5 ff. Spracheinführungshandlung 5 f f . , 9 f f . Sprachen, Genealogie d e r - 102

- , Reduplikation im - 4 3 8 - , sensomotorische Phase des - s 4 0 2 - , soziokulturelle Voraussetzungen des - s 435 Spracherwerbsmechanismus, angeborener 4 3 6 Spracherziehung, kompensatorische 371 Sprachevolution 3 9 7 f f . Sprachfähigkeit und Gedächtnis 414 f. - und H i r n h ä l f t e n d o m i n a n z - , L o k a l i s a d o n der - 4 0 9 -.zentrale 441

409

Sprachfamilie, indoeuropäische 5 5 0 - , indogermanische 564 Sprachfeld, corticales 4 4 1 s. Sprachzentrum Sprachfertigkeiten 7 6 7 Sprachform 3 7 - i n n e r e 101 f f . , 5 0 1 , 6 3 7 Sprachformen, wissenschaftliche 9 0 s. Wissenschaftssprache Sprachfunktion 384 emotive 6 9 9 - » k o g n i t i v e 157 konative 6 9 9 -»metasprachliche 699 -»phatische 699 -»poetische 699 - » p r a g m a t i s c h e 157 -»referentielle 6 9 8 - , verhaltensregulierende 2 6 2 f. Sprachfunktionen 3 8 f f . , 765 Sprachgebrauch 6 7 s. Sprachverwendung

Register Angemessenheit des - s 764 - , Determinanten des - s 764 Sprachgebrauchsforschung, ost-westvergleichende 521 Sprachgedächtnis 415 f. s. Gedächtnis Sprachgefühl 378 Sprachgemeinschaft 358 Sprachgeographie, historische 451 Sprachgeschichte 104 Periodisierung der deutschen - 563 Spr ach geschieh tsschreibung 557, 561 Sprachgesellschaften 775 - im 17./18. Jh. 598-602 Sprachgraphik 138 Sprachgruppe, alteuropäische 566 indeuropäische 556 Sprachhaftigkeit des Bewußtseins 426 Sprachhandeln und Sprach verhalten 347 Sprachhandlung 277, 280f. s. Handeln u. Handlung - , dominierende 280 - , fachsprachliche 391 Sprachhandlungseinheit 275 Sprachhandlungsstruktur, hierarchische 280 Sprachhandlungstheorie 275 s. Sprechakttheorie Sprachhandlungstypologie 280 Sprachenharmonie 100 Sprachenstudien, humanistische 717 Sprachhermeneutik 18 Sprachinhaltsforschung 200, 501 Systematik der - 501 Sprachinsel, areale 492 Arten von - n 496 ff. - und Bilingualismus 495 - und Dialektinnovation 493 - Entstehung v o n - n 4 9 I f f . - und Interferenz 492 - und K o n s e r v a t i v s t 493 - und Kontaktsprache 496 - und Lehnübersetzungen 494 - und Lehnwörter 494 - und Mischsprache 496 mittelalterliche 493 - . m o b i l e 492 - und Multilingualismus 495 neuzeitliche 492 -»primäre 492 - . p u n k t u e l l e 495 sekundäre 492 - und sprachgeographische Differenzierung 495 - und Sprachkontakt 494 f. - und sprachsoziologische Differenzierung 495 Sprachinseldialekt und Existenzbedingungen 495 f. Sprachinselforschung 478 Sprachkarten, Interpretation v o n 448 ff. Sprachkartographie 452 Sprachkommunikation, visuelle 138 Sprachkompetenz 4 s. Kompetenz Sprachkonstitution 34 ff.

Sprachkontakt 3 4 8 , 6 4 1 , 6 4 8 , 6 6 1 s. Interferenz -,kulturaler 680 - in linguistischer Perspektive 641 f. - in pragmatischer Perspektive 645 - in psycholinguistischer Perspektive 642 f. - , slawisch-deutscher 680 in soziolinguistischer Perspektive 643 ff. - , spontaner 680 - und Sprachinsel 494 f. - zwischen Standardsprachen 661 ff. Sprachkontakte, Resultate von - n 662 Sprachkontaktleute 662 Sprachkontrast 649 Sprachkrise 736 Sprachkritik 19, 311, 508, 748 -»publizistische 511 - , soziologische 511 - und Sprachlenkung 510 - » T h e o r i e d e r - 513 Sprachlabor 136 Sprach landschaft 478 aktive 448, 450 passive 448,450 Sprachlegitimation 775 Sprachlehrforschung 830 - und Sprachlernforschung 763 Sprachlenker 512 Sprachlenkung 508 - , Arten von - 511 -»mögliche 509f. -»nötige 509f. -»politische 509,514 - als Prozeß 510 - und Sprachkritik 510 -»wünschenswerte 509f. Sprachlenkungsprogramm 510 Sprachlemforschung 830 Sprachlemprozeß und Muttersprachunterricht 822 sprachliche Fehlleistung 425 - Reliktzone 484 ff. - Zwischenwelt 503 sprachlicher Zugriff 502 sprachliches Handeln 259ff., 338f. s. Handeln - Relativitätsprinzip 18, 101,507 - Zeichen 40, 15Iff. s. Sprachzeichen u. Zeichen - Zeichensystem 38 ff. Sprachloyalität 661,732 - in der Schweiz 532 Sprachmaterial, historisches 449 Sprachmischung 648 - in frühneuzeitlicher Literatur 713 Sprachmitdung 797 ff. s. Übersetzen Sprachmodell, historisch-geographisches 564 f. Sprachnorm 363ff., 377, 513 s. N o r m - im 18. Jh. 599 -.kodifizierte 377f. Sprachnormen 364 Identifizierungsproblem von - 365 - , Legitimationskriterien für - 366

863

Sprachnormierung 508 Sprachnormung 179 s. Normierung Sprachökonomie 666 Sprachpathologie 418 ff. - k l i n i s c h e 418ff. - und Linguistik 418 ff. Sprachperformanz 4 s. Sprach Verwendung u. Sprachgebrauch Sprachperzeption 424 Sprachpflege 508, 511 f., 538, 647 - , Institutionen der - 512 f. - , Theorie der - 513 Sprachphilosophie I f f . - , griechische 98 f. - und Linguistik 2 ff. Sprachplanung 348, 508, 511 f., 644 - , sektorale 512 Sprachpolitik 508 Sprachproduktion 424 Sprachpurismus 642 Sprachregelung 508,621 Sprachregulation 775 Sprachsituation, bilinguale 662 - » B e w e r t u n g d e r - 511 Sprachskepsis 511, 732, 746f. Sprachspaltung, nationale 521,525 Sprachspiel 4 f . , 24, 183, 354, 756 -.literarisches 757f. Sprachstadientheorie 558 Sprachstadium 5 5 7 f f „ 562, 621 - , prototypische Ausprägung eines - s 562 - , subsystemares 720 Sprachstandardisierung 775 Sprachstatistik 792 ff. s. Statistik Sprachstil 304 s. Stil Sprachstörung 816f. - bei hirnorganischem Abbau 443 f. - , psychotisch bedingte - 444 -.schizophrene 444 Sprachstörungen 441f., 763 s. Aphasie Sprachstruktur und Handlung 38 Sprachstrukturen 38 ff. s. Struktur, sprachliche Sprachsubsystem 720 s. Varietät Sprachsynthese 122, 126 f. Sprachsystem 4 f . , 113, 347f., 560,687 s. langue Gliederung des - s 347 - , Sozialspezifik des - s 347 Sprachsysteme, Vergleich von - n 661 Sprachtheorie 57ff. s. Theorie der Sprache - im 18. Jh. 726 - bei Chomsky 59 f. - als Begriff 58 - und Grammatiktheorie 59 ff. - und Institutionstheorie 338 -.integrierte 351 - und Sprachveränderungstheorie 63 ff. - , Teiltheorie der - 58 f. Sprachtheorien im 17. u. 18. Jh. lOOff. - im 19. Jh. 105 f. Sprachtherapie 815 ff. Sprachtod 496

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Register

Sprachtypen und Hirnmechanismen 414 Klassifikation von - 637 f. - und Sprach Veränderung 548 Sprachtypologie 5 0 1 , 6 3 6 ff. s. Typologie, typologische - , charakterologische 636 ff. - , generalisierende 636 - , klassifikatorische 638 konfrontierende 636 - , kontrastive 636 - , Kritik der modernen - 638 - , paradigmatische 638 - , phonologische 639 syntagmatische 640 - Z i e l d e r - 637 Sprachtypus, analytischer 568 - s y n t h e t i s c h e r 568 Sprachübersetzung, maschinelle 8 0 2 f f . s. Obersetzung, maschinelle Sprachumstellung 644 Sprachunterricht, emanzipatorischer 825 - , kompensatorischer 825 - , Lernziele des - s 764 - und Literaturunterricht 826 verbundener 826 Sprachursprung nach Herder 101 Sprachusus 558 Sprachvarianten - » A u s g r e n z u n g v o n - 348 s. Varietät u. Subsprache Sprachvarianz, areal determinierte 455 Sprachvariation 562 s. Varietät Sprachvarietäten, Einstellung zu - 361 Sprachveränderung 5 4 7 f f . , 558 s. Sprachentwicklung, Sprachwandel - , diskrete 560 ^kontinuierliche 560 - und Sprachtypen 548 - , Universalien d e r - 63 f. - » U r s a c h e n d e r - 554 Sprachveränderungstheorie 76 ff. - und Sprachtheorie 63 ff. Sprachverarbeitung 400 ff. Sprachverein, Allgemeiner Deutscher - 512 Sprachvergleich 633 Sprachvergleichung, Entwicklung d e r 100 -.genetische 636 - . t y p o l o g i s c h e 636 Sprach verhalten, Rekonstruktion des - s 355 - , schichtenspezifisches 368 - und Sozialstruktur 352 - und Sprachhandeln 347 Sprachverlust 441 s. Sprachabbau Sprach Verständnisstörung 443 Sprachverwendung 4, 17, 762 s. Sprachgebrauch, Sprachperformanz -»diskursive 17 -.intuitive 17 - . m ü n d l i c h e 380

Sprachverwendungsereignis 5 7 f . Sprachverwirrung im 19. J h . 733 f. Sprachvolk 515 Sprachwahrnehmung, Motor-Theorie d e r - 401 Sprachwandel 3 6 2 f . , 555, 661 s. Sprachentwicklung, Sprachveränderung - und sozialer Wandel 555 Sprachwechsel 642 - psycholinguistische Versuche z u m 643 Sprachwissenschaft s. Linguistik -»angewandte 5 0 4 f . -»beschreibende 5 0 4 f . -»diachronische 113 -.energetische 1 0 5 , 5 0 3 -.erklärende 5 0 4 f . funktionalistische 770 - , Geschichte d e r - 761 - . h i s t o r i s c h e 557 -.inhaltbezogene 17f., 770 —, pragmatisch orientierte 313 - und sprachlicher Standard im 19. J h . 604 strukturelle 109 ff., 113 ff. - , synchronische 113 - , Theorie der - 83 f. Sprachwissenschafder und Alltagssprecher 84 Sprachzeichen 151 ff. s. Zeichen, sprachliches - , Aktualität des - 720 - a k t u e l l e s 15 I f f . Bedeutung von - 262 - , deiktisches 155 f. - , demonstrativdeiktisches 155 - . f r e i e s 155 -.gebundenes 155 - . k o m p l e x e s 157 lokaldeiktisches 155 - , minimalsignifikatives 153 - , personaldeiktisches 155 - , Situierung aktualisierter- 156 - , temporaldeiktisches 155 - . V i r t u a l i t ä t d e s - s 720 -.virtuelles 151 ff., 155 Sprachzeichenkonstitution 151 ff. Sprachzeichensystem 153 f. s. Sprachsystem Sprachzentrum 4 0 0 , 4 4 1 s. Sprachfeld, corticales - , motorisches 413 f. - , sensorisches 413 Sprachzeugnisse 113 Sprachzugehörigkeit, strukturelle Voraussetzungen der - 517 Sprachzustand 5 5 8 - 5 6 0 - , empirischer 559 - . i d e a l e r 559 Sprachzustandsbeschreibung 557 f. Sprechabsichten 766 Sprechakt 2 8 9 f . s. Sprachhandlung -indirekter 261ff.,290 - , initiativer 293 - , persuasiver 299

- der Prädikation 289 s. Prädikation reaktiver 293 - der Referenz 289 s. Referenz - , Sequenzierung von - e n 293 Sprechaktanalyse, empirische 292 Sprechakte 391 - . d i r e k t e 265 - , fachsprachliche 391 - , indirekte 2 6 1 , 2 6 5 - , Klassifizierung von - n 290 - T h e o r i e d e r - 288-290 Sprechaktkonzept 292 Sprechakttheorie 2 6 3 f . , 2 7 5 , 2 8 7 f f . , 352 s. Sprachhan diu ngstheorie - , Defizienzen der - 264 Sprechapparat 407 Sprechäußerung 144 Sprechdauer 268, 429 f. Sprechen 113 - und Denken, Evolution des - s und 403 ff. - und Handeln als Lebensform 16 - als Handeln sui generis 263 -»inneres 425 - als Nicht-Handeln 426 - als Probehandeln 264 - , spontanes 332 - und Sprache 4 f . , 347 Sprechen, Störungen des - 442 s. Dyslalien - als Therapie 426 Sprecher, aktiver 284 - , kompetenter 354 - , reaktiver 284 Sprechergrammatiken 773 Sprecher/Hörer, idealer 61 f. Sprecherstörung 816 f. Sprecherwechsel 284, 318 f. s. turn-taking-system Sprecherwechselregelung 319 s. turn-taking-system Sprechfähigkeit 113 Sprechformeln 342 Sprechhandlung s. Sprechakt literarische 721 Sprechintentionstyp 319 Sprechnorm 144 Sprechrhythmusstörung 407 Sprechstörung 407 Sprechstörungen 407, 442 - , audiogene 818 - , n e u r o g e n e 442 Sprechtätigkeit, individuelle 558 Sprechtempo 429 f. Sprichwort 185 Sprichwörterlexikon 780 Sproßvokalbildung 77 Spurenmarkierungen, oberflächenstrukturelle 61 Staatsvolk 515 Stabreimvers 744 - und Endreimvers 710 Stadien Übergänge 562 Stadium, System zu einem - 560 s. Sprachstadium Städtename 188

Register Stadtmundarten 529 Staffellandschaft 449 f. Stamm 163, 170, 172 Stamm allomorph 165 Stammbaum 220 Stammbaumtheoric 104, 565, 567 Stammeln 817 Stammesname 196 Stammessprachen, frühmittelalterliche 569 Stamm w o n 722 , 779 Stammwörterbuch 785 Stammwortprinzip 779 Standard und Machtstandard 610 -.schriftsprachlicher 604 —, sprachlicher — im 19. J h . und Sprach wissen schaft Standardisierung 348 internationale 622 Standardsprache 3 5 8 , 3 6 1 , 3 7 5 f f . , 383, 562, 620 s. Schriftsprache - als ausgezeichnete Variante 65 -.Begriffder- 376,609 - . d e u t s c h e 775 - , deutsche - der Gegenwart 609 ff. - , d e u t s c h e - u n d Presse 607 d e u t s c h e - d e s 1 7 . / 1 8 . J h s . 598ff. - und Fernkontakt 662 - der Gegenwart 609, 620 -.gesprochene 314, 620, 628, 376 - , gesprochene deutsche 313 - , Grammatik der deutschen - 613 - und Herrschaft 379 - , interferierte 662 - und Kognition 379 - , Kontakt zwischen - n 661 f. - und Literatursprache im 17./18. J h . 602 - und Mundart in der Schweiz 532 f. - im 19./20. J h . 603 ff. - , normative - in der maschinellen Obersetzung 807 - in Österreich 527 - . P r e s t i g e d e r - 530 —, Propositionen in der deutschen 615 - im 17./18. J h . 602 Tempora der deutschen - 614 - , Wandlung der deutschen - 606 - , wissenschaftliche 90 s. Wissenschaftssprache Standes-, Berufs-, Fachsprachen 384 Statistik 356, 792 ff. s. Sprachstatistik Anwendungsgebiete der - 795 - und Linguistik 792 Stellvertretungsrelation 151 s. Zeichenrelation hörerbezogene 157 -.sprecherbezogene 157 Stereotyp 185 Stichprobe 793 ff. Stichprobendaten 793 Stich proben technik 356 Stichwort 779 s. Lemma Stil 3 0 6 f f . s.Schreibart - als Abweichung 306

- , e r h a b e n e r 729 - als funktionale Ausdrucksweise 306 - als Konnotation 305 - als Schmuck 306 - einer Sprache 306 s. Sprachstil - als Sprachgestaltung 305 - als Wahl 305 Stile, funktionale 306 s. Funktionalstile Stilanalyse, linguistische 309 Stilart 295 Stilbegriffe 305 f. Stildefinition 304 f. Stilelemente 307 Stilfiguren 294 Stilgattung 295 Stilideal der Frühaufklärung 727 Stilinterpretation 304 Stilistik 304 f. angewandte 3 0 4 , 3 0 9 - 3 1 1 - , Aufgaben der linguistischen - 305 - . G e s c h i c h t e d e r - 311 -»linguistische 3 0 4 f f . - , literaturwissenschaftliche 304 - . n o r m a t i v e 296 - , praktische 311 Stilklassifikation 308 f. Stilkodifikation 310 Stilkritik 311 Stilmittel 3 0 7 f . , 758 - , naturalistische 746 - W i t z a l s - 743 Stilnormen 304 Stilpräskription 311 Stilregeln 304 Stiltheorie, generative 307 - , hermeneu tische 307 - , statistische 307 - , struktural is tische 306 Stiltheorien 3 0 4 - 3 0 6 Stiltypen 305, 308 Stilwandel 692 Stilwechsel 530 Stil Wörterbuch 780 Stilzüge 308 Stimmbanddicke 121 Stimmbandspannung 121 Stimmeinsatz, Zeitpunkt d e s - e s 121 Stimmimpulse 123 Stimmpuls 123 Stimmqualität 268, 429 Stimmstörungen 818 ff. Störungen der Sprache 442 f. s. Aphasie - des Sprechens 442 s. Dyslalien Stottern 819 -.organisches 819 -.physiologisches 819 Strata bei Hjelmslev 116 Stratifikationsgrammatik 8 Struktur 109 ff. - , hierarchische-eines Textes 278 - , illokutive 2 8 1 , 2 8 3 logische und grammatische 6 ff. -,semantische 94, 9 6 f f . , 2 0 0 f f . -,semantisch-elementare 261

865

-.sprachliche 109ff., 212 s. Sprachstruktur - , T h e m a - R h e m a - 213 -.thematische 2 8 1 , 2 8 3 - , Topik-Fokus- 71 - , des Wortschatzes 117 Strukturalismus, amerikanischer 116 f. -»französischer 2 0 0 f f . - , psychologischer 423 Strukturalistische Grammatik 6 I f f . - Schulen 109 f. Strukturbildung, syntaktische 424 strukturelle Beschreibung 1 0 9 , 1 1 0 - lexikalische Semantik 199 ff. - Linguistik, Hauptströmungen der 113 ff. - Semantik 111, 1 9 9 f f . , 4 5 2 - Typologie von Wortfeldern 640 - Voraussetzungen nationaler Sprachzugehörigkeit 517 Strukturen, abstrakte - der Sprache 109 ff., 113 - , emblematische 723 - , sprachliche 109 s. Sprachstrukturen Strukturierung von Mengen 110 Strukturlinguistik 143 s. Systemlinguistik Strukturverschiedenheit natürlicher Sprachen 803 Strukturzwang, Annahme des inneren - e s 555 Studentensprache 385 Stuttgarter Empfehlungen 622 Stutzkonvention (Tree-pruning-condition) 229 Subglottaler Druck 120 Subjektausdruck 11 Subjektivismus, lyrischer 751 Subkategorisierung 224 Subkategorisierungsmerkmale 167 - und Lexikonmerkmale 167 Subkategorisierungsregel 166, 223 Subkulturen, kriminelle 385 Subsprache 3 7 7 s . Varietät Substantiv 93 - , Flexion des - s 624 Substantive aus komplexen Prädikationen 177 - aus Prädikaten 177 Substantivierung von Agentiven 177 - von Instrumentativen 177 - von Objekten 177 - von Ortsbegriffen 177 - von Zeitbegriffen 177 Substanz bei Hjelmslev 115 f. -.semantische 200 Substanzbereich des Ausdrucks 153 - des Inhalts 153 Substanzbereiche nach Hjelmslev 153 Substi tuenden 136 Substitution 136, 227, 246 s. Ersatzprobe syntagmatische 281 - von Zeichenketten 802 Substitutionsklasse 220 Substitutions test 69, 93

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Register

Substituoren in der Phonetik 136 Substrat 564 Substratsprache 188 Subsystem, geschlossenes 154 f. -.offenes 154 f. Südalemannisch 483 Südbairisch 489 f. Südmärkisch 466 Südostfränkisch 481 Süd rheinfränkisch 483,571 Südwestfälisch 461 f. Suffix 163, 172 Suffix-Bildung bei Eigennamen 191 - von Ortsnamen 191 f. - von Personennamen 191 f. Suffixoid 630 Summationstonbildung 125 Sundgau-Bodensee-Schranke 483 Superonym 203 s. Hyperonym Superonymie 203 Superstrat 564 suppositio formalis 5 - materialis 5 Supposition 46 Suprasegmental! a 132 Surrealismus 754 Svarabhakti 77 Syllabographie 139 Symbol 43, 157 Symbolbildung, Prozeß d e r - 263 - , sprachliche 438 Symplerem 154 Symptom 157 s. Anzeichen Symptome, nonverbale 374 Symptomfunktion 157 f. synchronische Perspektive 559 - Sprachwissenschaft 113 synchronisches Gesetz 559 Synchronic 559 -.methodologischer Primat d e r - 557 Syndrom, amnestisches 407,416 Synergien 399 f. Synkope 77 Synonym, partielles 780 Synonyme 247 Synonymie 16, 203 - partielle 205, 780 Synsemantica 156 Syntagma, festes 182,184 Syntaktik 698 syntaktische Analyse und Dialogsysteme 812 - Endkategorie 170 - Regel 66ff., 84ff. - Strukturbildung 424 - T i e f e n s t r u k t u r 118, 231 f. - Wortbildungslehre 174 syntaktisches Feld 200 syntaktischer Wandel 555 Syntax l , 2 1 l f f . , 6 4 0 - des Althochdeutschen 574 - des Altniederdeutschen 580 autonome 231 - , depedenzielle 217 ff. - des Deutschen im 17./18.Jh. 601 - der deutschen Standardsprache 614

-,diachrone 213 -,empirisch-operationale 215 ff. - der Fachsprachen 394 -»funktionale 215 - , generative 221 ff., 640 s. Transformationsgrammatik - gesprochener Sprache 316 - , historische 212 f. kategoriale 111 -»logische 20 - des Mittelhochdeutschen 587 - des Mittelniederdeutschen 587 - , semantische 231,803 -,strukturalistische 219 ff. - , traditionelle 213 f. - , transformationelle 225 s. Transformationsgrammatik Syntax, Typen von - 212 Syntax, Verhältnis der - zur Semantik und Pragmatik 5 ff. Syntaxgeographie 445 Syntaxtheorie 118, 211 System, akustisches 408 - , erweitertes axiomatisches 113 - von Frage und Antwort 811 graphetisches 143 - , homogenes 559 - als kulturelle Gegebenheit 516f. -.limbisches 415ff. motorisches 408 - n-ten Grades zu einem Stadium 560 -.optisches 408 -.retikuläres 416 - des Sandhi 73 f. -.sensibles 408 - zu einer Sprache 560 - zu einem Stadium 560 Systematik der Sprachinhaltsforschung 501 Systeme, axiomatische 112 f. - , Dominanz linguistischer - 643 systeme onomastique 187 Systemhaftigkeit der Zeichen 37 Systemlinguistik 276 s. Strukturlinguistik Systemwissenschaft 113 Systemzustand 560 Tachygraph 146 ff. Täterbezeichnungen 177 s. nomina agentis Tatian 550 Tatsache 23 - und Sachverhalt 16 Taufname 188 Technisierung 620f., 628 Techno-öko-lekt 456 Teilbedeutung 153f., 157,205 s. Signifikatkollektion Teil-Ganzes-Relation 204 Teilkorpora 355 Teilmengen sprachlicher Äußerungen 109 f. Teilplerem 171 Teilsysteme, semantische 199 ff., 549 Teiltext 243

Teiltexte 279 ff. Telegrammstil 443 Tendenzpoesie 744 Tenuisaspiration 463 Tempus, Entwicklung des - in der deutschen Gegenwartssprache 628 Terminologie 393 -.grammatische 775 - zur linguistischen Stilistik 304 Terminologiearbeit 391 Terminologienormung 391 Terminus, genereller 640 - , partikulärer 640 - des Rechtswesens 683 Terzfilteranlage 125 Test, im Fremdsprachenunterricht 635 - und Modellsätze 355 - , im Muttersprachenunterricht 829 - , semantischer 204 - , strukturalisti scher 355 Tests 767 Text 152, 242ff., 275, 276f., 280, 323 - als hierarchische Struktur 277 - als illokutive und thematische Einheit 280 - als kommunikative Einheit 276 -»schriftlicher 687 - , strukturell-motivierter 153 - , wirkungsäquivalenter 798 Textanalyse 324 - , maschinelle und menschliche- 804 Textarten, Genese n e u e r - 631 Textausdruck 157 Textbedeutung 158 - , aktuelle 157 Textbegriff 242 ff. Textbezug 215 Text-Bild-Schere 330 Textdefinition 243 ff. Textebenen 279 Texteinheit 280 Textfunktion 253 Textgliederung 25Iff. Textgrammatik 242 Textinhalt 279 Textisotopie 281 Textklassifizierungen 356 Textkomposition, Theorie der — 278 Textkonstitution 156 f. - . T h e o r i e d e r - 278 Textlinguistik 235f., 275, 242ff. Textmodell 277, 280 Textmontage 759 Textproduktion 329 Textsequenz 277 Textsorte 179,255f., 314, 317 Textsorten-/Gattungstil 309 Textthema 253 Texttheorie 275 ff. Texttiefenstruktur, semantische 277 Texttypen 356 Texttypologie, übersetzungsrelevante 800 f. Textualität 242,277 Textüberlieferung, mittelalterliche und Rezeptionsgeschichte 710

Register Textrezeption 330, 689 -»literarische 704ff. Textverständnis und künstliche Intelligenz 803 Textvorkommen 242 Textzeichen, aktuelles 1 5 1 , 1 5 6 - , interpretativ konstituiertes 156 - , produktiv konstituiertes 156 Textzeichenkonstitution und Sachverhaltsdarstellung 157 Thema 7 1 , 2 5 4 , 5 0 3 Thema-Rhema als Termini 249 - , - G l i e d e r u n g 213 thematische Struktur 2 8 1 , 2 8 3 Themenkern 279 Themenwechsel 320 Theorem 113 Theorie und Beobachtung 86 - und Empirie von Grammatiken 769 - der Fehlschläge 287 - der funktionalen Stile 306 - der linguistischen Spracherforschung 83 f. - der Sprachbeschreibung 5 9 f . , 8 3 f . , 9 Iff. - der Sprache 5 7 f f . s. Sprachtheorie - der Spracherforschung 5 9 f . , 82 - der Sprachkritik 513 - der Sprachpflege 513 - der Sprachstadien 558 - der Sprachwissenschaft 83 f. - der Textkomposition 278 wortphonologische 76 Theoriebildung 88 f. deduktive 89 -.induktive 89 Theoriesprache 391 s. Wissenschaftssprache Explizitheit der - 391 Thesaurus 811 Thüringisch 477 Tiefenkasus 176 Tiefenstruktur 6 f f . , 6 l f . , 166,228 - , syntaktische 118, 231 f. Tiermetaphorik 733 Tiersprache 397 Tilgung 226 s. Deletion Tochtersprachen 565 Tonfilm 333 Tonhöhe 429 Tonstruktur 76 Topic-Comment 249 Topik 71 - der Konversation 248 f. TopikaÜsierung 176 Topikalisierungsregel 176 Topik-Fokus-Struktur 71 Topoi/loci in der Rhetorik 295 Toponyme 188 s. Ortsnamen Toponymikon 188 Trägheitsakzent 471 Trägheitsprinzip, stilistisches 332 Transfer 641 positiver 649 Transferenz 641 -»englisch-deutsche 6 6 1 f f . , 6 6 7 f .

- , fachsprachige 666 französisch-deutsche 673 ff. friesisch-deutsche 6 5 9 , 6 6 9 - aus germanischen Sprachen im Deutschen 667 ff. - , Hybridbildung durch - 663 italienisch-deutsche 675 -.jiddisch-deutsche 669 lateinisch-deutsche 6 5 4 f f . , 676 -.lexikalische 6 6 2 f . , 6 6 6 - , morphemische 664 f. - , morphologische 665 morpho-semantische 662, 665 f. -.niederländisch-deutsche 6 6 8 f . romanisch-deutsche 673 ff. sem an tische 6 6 3 , 6 6 6 - , skandinavisch-deutsche 669 spanisch-deutsche 675 Umfang und Möglichkeit der - 662 Ursachen der - 642 Transferenzprozesse 661 Transferenztyp, graphematischer 642, 663 f. - , lexikalischer 641 - , morphematischer 641 - , phonologischer 641 f . , 664 - , prosodischer 642 semantischer 641 -.syntaktischer 6 4 2 , 6 6 5 Transferkompetenz des Übersetzers 803 Transformation 9 4 f . , 1 1 8 , 2 2 5 - , Anwendungsbeschränkungen für - e n 230 f. - im ,»Aspects"-Modell (Chomsky 1965) 228 f. -.generalisierte 227 - bei Z. S. Harris 225 Transformationen im Modell einer generativen Semantik 231 f. - . z y k l i s c h e 230 - im ,,Syntactic-Structures"-Modell (Chomsky 1957) 226 ff. Transformationsbegriff 225 Transformationsgrammatik 118 -.generative 6, 3 5 0 f f . s. Syntax - , generative - und maschinelle Obersetzung 805 - , generative - als Schulgrammatik 825 Transformationsregel 166, 223 Transformationstypen 226 Transgrammatizität 560 Transitivierung 176 Transkription 8 7 f f . , 122, 139,344 s. Notation Translation 217, 797ff. Translationsgrammatik 801 Transphrastik 253 Transposition 176 transzendentale Frage 90 ff. Tri graph 140 Tropus 295 Tropen 299, 722 Turn-taking-system 401 s. Sprecherwechsel Typem 143

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Typen, illokutionäre 292 semantische 95 ff. Typographie 142 f. Typologie des Althochdeutschen 574 areale 637 - von Ursprachen 633 Typologische Charakterologie des Deutschen, morphologische 639 f. — , phonologische 639 —»syntaktische 640 des Wortschatzes 640 type-token-Zweideutigkeit 7 Überdachung, sprachliche 455 übergeneralisierung 179 Überreden/Überzeugen 298 Ubersetzen 797 ff. Didaktik des - s 801 f. Übersetzer, Transferkompetenz des - s 803 Übersetzerfaktoren 798 Obersetzerregel Luthers 716 Ubersetzung, lateinisch-deutsch 708 Übersetzung, maschinelle 802 ff. - , maschinelle - und Fachsprache 807 maschinelle - und generative Transformationsgrammatik 805 - , maschinelle - und kybernetisches Ablaufsystem 804 - , sprachpaarbezogene - , maschinelle 803 f. - , maschinelle und Valenzgrammatik 807 - , maschinelle- und Vorwissen 803 Übersetzungsäquivalenz 635 Übersetzungshilfe, automatische 805 Übersetzungskompetenz 798 Ubersetzungskritik 799 Ubersetzungspraxis, frühhumanistische 715 f. Übersetzungsprozeduren, nichtwörtliche 803 -»wörtliche 803 Übersetzungsprozesse 800 f. Übersetzungsregel 95 f. Übersetzungsstil, latinisierender 715 Übersetzungsstile der Wiener Schule 715 Ubersetzungstheorie 797 ff. - der frühen Neuzeit 715 Ubersetzungsunterricht 800 Ubersetzungsvergleich 799 Übersetzungsvorgang 797 f. Ubersetzungswissenschaft 798 überzeugen/überreden 298 Umformungsprobe 216 Umgangslautung 791 Umgangssprache 376, 3 7 9 f f . , 384, 394 - , Areallinguistik der - 451 -»Bedeutungsvariantenvon-n 380 - und Bildungssprache 2 I f f . fachliche 392 —»gesprochene 604 -»gruppengebundene 382 - in Österreich 582 f. - , primäre 381

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Register

-.sekundäre 381 -»überregionale 377 - als Varietät einer Sprache 381 Umgangssprachstil 381 Umlaut 78, 173, 5 9 2 , 6 2 4 Umlaut-Regel, morphophonemisierte 78 Umlautrundung 493 Univerbierung 178 Universalien 397, 437, 633 -»grammatische 5 9 f . -,sprachliche 2, 15ff., 1 0 1 , 5 0 5 - der Sprachveränderung 63 f. - und Sprachtypen 548 Universalienfrage 15 ff. Universalität semantischer Repräsentationen 62 universelle Begriffssprache 101 - Grammatik 711 - Pragmatik 292 Unterhaltungs- und Informationsträger 330 Unterostfränkisch 481 Unterscheidungsmerkmale, idiolektale 430 f. Urdinger Linie 468 f. Urgermanisch 566 f. Ursprache, indogermanische 103 Ursprachen, Rekonstruktion von 633 Urteilsstrich bei Frege 9 uvular 121 Vagheit, semantische 208 Valenz 1 5 5 , 2 1 8 ikonische 157 Valenzgrammatik und maschinelle Ubersetzung 807 - als Schulgrammatik 825 Valenzstruktur 218 f. Valenztheorie 218 s. Wertigkeitstheorie Variabilität und Kreativität sprachlichen Handelns 260 Variable bei Hjelmslev 116 Variablen, linguistische 352 - , soziolinguistische 642 Variante 130 freie 130 - , kombinatorische 130 - , soziolektale 360 - , Standardsprache als ausgezeichnete 65 Varianten 358 s. Varietät - einer Grund wo rtgestalt 73 - , nationalsprachliche 520 - , regionale 355 Variantenreichtum des Frühneuhochdeutschen 717 Varianz, intraindividuelle 124 f. Varietät 3 5 8 f . , 621 s. Subsprache u. Varianten prototypische 562 - einer Sprache 380 Varietäten 562

- , stilistische 305 Varietätengrammatik 65 f. Varietätenstadium 562 velar 121 Verallgemeinerbarkeit einer Beschreibung 88 Veränderung, bedeutende - im Sprachstadium 5 5 7 f f . - des Denkens 511 Veränderungen, Ketten von phonolog i s c h e n - 77 f.* - , lexikalische 78 - , l e x i k a l i s c h e - i m 19./20. J h . 607 - , m o r p h o l o g i s c h e - i m 1 9 . / 2 0 . J h . 606 phonologische 77 ff. - der Sprache 511 s. Sprachveränderung, Sprach wandel -.syntaktische 7 8 f . - , syntaktische - im 19./20. J h . 607 - , syntaktische und semantische 552 - der Wortstellung 78 f. Verb 94, 155 -,direktives 176 faktitives 176 falsifikatives 176 - , Flexion des - s 625 inchoatives 176 instrumentatives 176 -»kausatives 176 -.komparatives 176 - , lokatives 176 - , motatives 176 -.negatives 176 - . o b j e k t i v e s 176 -»omatives 176 -.privatives 176 - , transformatives 176 - , transform ativ- kausatives 176 - . t r e n n b a r e s 171 -.restriktives 176 resultatives 176 Verben, explizit performative 264 - . illokutionäre 290 -.inhaltsarme 697 -.schwache 162,625 -.starke 162,625 Verbableitung durch Modifizierung 176 - durch Transposition 176 Verbalabstrakta 1 7 7 , 3 3 1 Verbalinflexion 550 Verbalisierung in Handlungszusammenhängen 265 - und Lebensform 262 Verbalphrase 223 Verbindungen, feste 184f. s. Phraseologismus Verbnominalisierung 177 Verbpartikel 173 Verbzusatz 173 Vereinheitlichungsbestrebungen im 17. J h . 598 Verfahren, quasi-empirische 344 s. Methode Vergleich von Sprachsystemen 661 Vergleichbarkeit von Sprache 779

vergleichende Linguistik 633 - Philologie 633 f. Verhältnis zwischen den Sprachen 643 Verhalten 268 ff. s. Sprachverhalten -.gestisches 269 - . m i m i s c h e s 269 -.nonverbales 268 - , nonvokales 271 -.stimmliches 269 - , vokales 271 Verhaltensadjektiv 177 Verhaltensaspekte, nonverbale 267 f. Verhaltensbeobachtung 353 s. Beobachtung Verhaltenselemente, nonverbale 267 verhaltensregulierende Sprachfunktion 262 f. Verhaltensweisen, idiosy nkratische 270 -.informative 270 -.interaktive 270 kommunikative 270 -.nonverbale 272f. Verhältnisskala in der Statistik 794 Verkehr, sozialer - von Menschen 263 Verkehrsgrenze 449 Verkehrssprache in Österreich 529 f. -.spätmittelalterliche 475 Verknüpfung, thematische 319 Verknüpfungsprobe, syntagmatische 205 Vermeidungsregeln, sprachliche 386 Verneinung, explizite 202 f. Verners Gesetz 1 0 4 , 5 4 7 Verschiebeprobe 216 Verschriftlichung 3 1 5 , 3 5 4 - des Lebens 590 Verschriftungssystem 136 Verifikation 719 Verständigung als dialogisches Verfahren 19 Verständigungsmittel 560 Verständigungsprozedur 320 Verständigungstechniken, überregion a l e - i m 15./16. J h . 717 Verständnisherstellung 320 Verstehen 5 2 f . , 6 8 f . , 86, 3 5 2 f . s. Sinnverstehen Verteilersprache 392 Verteilung 173 s. Distribution Verwandtschaftsname 549 Verweis 246 f. s. Referenz Verweisform 156 Verwendungsebene des Dialekts 455 Verwendungskompetenz 8 Verwissenschaftlichung 6 2 0 - 6 2 8 Verzweigungsregel 166 Vier-Kasus-System 628 Virtualität des Sprachzeichens 720 Virtuem 201 virtuelles Elementarzeichen 152 Vokabular, handelssprachliches 683 Vokabulare, altbabylonische 98 Vokalharmonie 638 Vokalisation 429 Vokalisierung des r 623

Register Vokalwechsel, kombinatorischer - im Althochdeutschen 573 Völkemame 196 Volksbücher 714 Volksetymologie 171 Volkssprache und Latein in der frühen Neuzeit 713 ff. Vollständigkeitskriterium 88 Vorbereich einer Relation 110 Vorgänger-Dialekt 454 Vorname 188, 195f. Vorsilbenangleichung, normalalthochdeutsche 572 Vorübersetzung, maschinelle 806 Vorwissen und maschinelle Übersetzung 803 VO-Sprachen, konsistente 67 VX-Sprachen, konsistente 67 Wada-Test 4 1 1 , 4 1 3 Wahrheit 12 ff. Wahrnehmung und Erkenntnis 53 f. Wahrnehmungsurteil 52 -.hypothetisches 54 Wandel, analogischer 553 - , grammatischer 553 literatursprachlicher - im 18. J h . 726 sozialer 555 sozialer - und Sprach wandel 555 -.syntaktischer 555 Wasser-Metaphorik 737 Wechsel, grammatischer 566 Weglaßprobe 216 Wellentheorie 1 0 4 , 5 6 5 , 5 6 7 Wellerismus 185 Weltansicht 12f., 17f. Weltbild, sprachliches 454, 503 Weltbildthese 200 Weltwissen in Dialogsystemen 813 Wendung, bildliche 182 - , f e s t e 182 -»gebundene 182 idiomatische 182 - , sprichwörtliche 182 Werbespot 334 Werbesprache 392 Werkstattsprache 392 Wertebereich einer Funktion 110 f. Wertigkeitstheorie 218 s. Valenztheorie Wertung, biphonemische 130 - , monophonemische 130 Weserschranke 461 Westfälisch 459 f. Westmitteldeutsch 468 ff. Westmünsterländisch 462 Westniederdeutsch 458 ff. Westoberdeutsch 482 ff. Widerspiegelung 425 Wiener Schule 755 Wiesbadener Empfehlungen 622 Wirkung der Sprache 503 -.sprachliche 504 Wirkungsintention 297 Wirkungsintentionalität 297

Wirklichkeitsbenennung, unmittelbare 747 Wissen 3 3 8 - 3 4 0 institutionsspezifisches 343 Wissenschaftsdidaktik 836 Wissenschaftskommunikation 355 Wissenschaftspoesie 738 Wissenschaftssprache 9 f . , 17, 19ff., 2 3 , 9 0 f . , 391 - im 18. J h . 727 - und poetische Sprache im 18. J h . 728 Wittgenstein 22 Witz als Stilmittel 743 Wohlbestimmtheit, semantische 208 f. Wohlgeformtheit von Sätzen 231 Wohlredenheit 296 Wolfkinder-Untersuchungen 402 word-and-paradigm-grammar 159 Wort 8, 160, 1 7 0 , 4 2 4 , 4 2 6 - , durchsichtiges 171 - , funktionelle Trennung von - und Satz 8 - , grammatische Kategorie des - e s 161 f. -.lexikalisch-grammatisches 160, 170 motiviertes 640 - und Name 187 - , unmotiviertes 640 Wortakzent 173 f. Wortart 155, 160f. s. Wortklasse Wortarten, logische 10 f. Wortartenklassifizierung, distributionelle 161 -.inhaltliche 161 - . f o r m a l e 161 Wortartenlehre 159 Wortatlas, Deutscher 448 Wortartwechsel 170 Wortbedeutung 71 f., 425 s. Wortinhalt - als Begriff 425 Wortbildung 152, 154f., 169ff., 723 - , A d - h o c - 187 Akzeptabi Ii tat in d e r - 174 f. - des Althochdeutschen 573 - im engeren Sinne 170 f. - des Frühneuhochdeutschen 585 - , lexikalisierte 178 -,lexikologischer Aspekt d e r - 171 f. —, normative Restriktionen in