Lenka Reinerová und die Zeitschrift »Im Herzen Europas«: Internationale Kulturbeziehungen während des Prager Frühlings [1 ed.] 9783412525408, 9783412525385

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Lenka Reinerová und die Zeitschrift »Im Herzen Europas«: Internationale Kulturbeziehungen während des Prager Frühlings [1 ed.]
 9783412525408, 9783412525385

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LENKA REINEROVÁ UND DIE ZEITSCHRIFT »IM HERZEN EUROPAS« Internationale Kulturbeziehungen während des Prager Frühlings

HÉLÈNE LECLERC

:: Intellektuelles Prag im 19. und 20. Jahrhundert Herausgegeben von Steffen Höhne (Weimar-Jena), Alice Stašková (Jena) und Václav Petrbok (Prag)

Band 20

Hélène Leclerc

Lenka Reinerová und die Zeitschrift »Im Herzen Europas« Internationale Kulturbeziehungen während des Prager Frühlings

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN

Herausgegeben mit freundlicher Unterstützung des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds.

Die Publikation des Bandes wurde durch das Centre de Recherches et d'Études Germaniques an der Universität Toulouse Jean Jaurès unterstützt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2022 Böhlau, Lindenstraße 14, D-50674 Köln, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike, V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Lenka Reinerová. © akg-images / Nelly Rau-Häring Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Druck und Bindung: o Hubert & Co BuchPartner, Göttingen Printed in the EU Vandenhoeck & ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-52540-8 978-3-412-52538-5

Vorwort

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Einleitung Forschungsstand Quellenstand Zielsetzungen

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Erster Teil: Historischer, politischer und kultureller Kontext

27 29 30 30

1. Der internationale Kontext der Jahre 1958-1970 2. Der tschechoslowakische Kontext 2.1 Die Jahre 1945-1948 2.2 V  om Prager Februar-Putsch (1948) zur sozialistischen Verfassung (1960) 2.3 D  ie tschechoslowakische Außenpolitik: Umrisse und Handlungsräume 3. Die deutsche Frage und die tschechoslowakisch-deutschen Beziehungen 3.1 D  ie Beziehungen zwischen der Tschechoslowakei und der Bundesrepublik bis 1958 3.2 D  ie Beziehungen zwischen der Tschechoslowakei und der Bundesrepublik von 1958 bis 1968 3.3 Die Beziehungen zwischen der Tschechoslowakei und der DDR 4. Die tschechoslowakisch-österreichischen Beziehungen 5. Der kulturelle Kontext

32 33 39 39 42 48 51 54

Zweiter Teil: Ein Kulturmagazin im Dienste der Kulturdiplomatie 59 1. Die Presse im sozialistischen System 2. Die Presse in der Tschechoslowakei 2.1 Die Zensur 2.2 Die tschechoslowakische Presselandschaft 2.2.1 Tageszeitungen 2.2.2 Kulturmagazine 2.2.3 Die deutschsprachige Presse in der Tschechoslowakei 3. Die Zeitschrift IHE 3.1 Der Orbis-Verlag (1921-1997) 3.2 Die materielle Beschaffenheit der Zeitschrift 3.3 Zwei Zeitschriften für den deutschsprachigen Raum 3.3.1 IHE und die englisch-, französisch-, schwedisch- und italienischsprachigen Ausgaben 3.3.2 Wir und Sie im Herzen Europas (WuS)

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6

Inhaltsverzeichnis

3.4 Auflagen und Verbreitung 3.5 Mitglieder der Redaktion 3.5.1 Chefredakteur Gustav Solar (1916-1997) 3.5.2 Lenka Reinerová (1916-2008) 3.5.3 Karel Trinkewitz (1931-2014) 3.5.4 Milan Škarýd (*1930) 3.5.5 Andere Mitarbeiter 3.5.6 Bilanz 3.6 Struktur und Inhalt der Zeitschrift 3.6.1 Eine vielfältige Kulturzeitschrift 3.6.2 Eine Illustrierte? 3.6.3 Ein literarisches Blatt? 3.7 Das Verhältnis zur Leserschaft 3.8 Werbung 3.9 Das Programm der Zeitschrift 3.9.1 Eine propagandistische Zeitschrift? 3.9.2 Ein offizielles Schaufenster des tschechoslowakischen Regimes 3.9.3 Das Instrument eines interkulturellen Dialogs? 3.9.4 Die Tschechoslowakei „im Herzen Europas“

83 84 85 87 98 101 102 110 110 110 112 123 125 128 129 129 132 143 148

Dritter Teil: IHE als Instrument der tschechoslowakischdeutschen und tschechoslowakisch-österreichischen Beziehungen 155 1. Die Darstellung der deutschen Minderheit der Tschechoslowakei in IHE 2. Die tschechoslowakisch-deutschen Beziehungen 2.1 Die Bezeichnung der Bundesrepublik Deutschland 2.2 Die tschechoslowakisch-deutsche Streitfrage 2.2.1 D  ie Verteidigung des tschechoslowakischen Images in der Bundesrepublik 2.2.2 München 2.2.3 I HE als Ort der Abrechnung mit der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) 2.2.4 Die nationalsozialistische Vergangenheit: Eine aktuelle Frage 2.2.5 Deutschland, ein „fernnahes Land“ 2.3 Bilanz: Kommunikation in der Konfrontation 3. Die Darstellung der tschechoslowakisch-österreichischen Beziehungen in IHE und WuS 3.1 Streitpunkte

157 166 166 169 169 171 181 200 208 214 216 216

Inhaltsverzeichnis

3.1.1 Die habsburgische Vergangenheit 3.1.2 Die österreichische Neutralität 3.2 Die Konvergenz in Wort und Bild 3.2.1 „Sie über uns“ 3.2.2 Die Fernsehsendung „Stadtgespräche Prag-Wien“ 3.2.3 Das Motiv der Grenze 3.2.4 Die Rolle der Kulturvermittler 3.2.5 Der Vergleich zwischen Prag und Wien 3.3 Bilanz: Verbleibende Schwierigkeiten 4. Der Anteil der deutschsprachigen Kulturen in beiden Zeitschriften 4.1 Bestandsaufnahme 4.2 Eine Rehabilitierung der Barockkunst? 4.3 Die „Wiederentdeckung“ Franz Kafkas 4.4 Die Herolde der deutschen Literatur in Böhmen 4.5 Deutschsprachige Kultur und jüdische Kultur 4.6 Bilanz

Vierter Teil: Das Jahr 1968 in IHE: Von der Euphorie zur Erschütterung

1. 2. 3. 4.

Der Frühlingswind der Liberalisierung und IHE vor 1968 IHE als Schaufenster des Prager Frühlings IHE und der Einmarsch Der Nachfrühling: Folgen für IHE

7

216 221 225 225 227 228 229 231 338 234 234 243 244 248 251 252

255 258 267 280 296

Schlussfolgerungen

299

Literatur

309

Anhang

327

Personen- und Ortsregister

383

9

Vorwort Die vorliegende Studie wäre ohne den Beitrag zahlreicher Personen nicht möglich gewesen. Zunächst möchte ich mich herzlich bei Anna Fodorová bedanken, die mir den Zugang zu beiden Nachlässen ihrer Mutter Lenka Reinerová im Literaturarchiv der Akademie der Künste in Berlin und im tschechischen Literaturarchiv Památník národního písemnictví in Prag ermöglichte und die stets mit besonderer Schnelligkeit und Freundlichkeit auf alle meine Anfragen einging. Außerdem möchte ich Eva Kinderman-Solar danken, die mir half, die Lücken in der Biografie ihres Vaters Gustav Solar zu füllen. Herzlich verbunden bin ich auch Petr Brod, dessen Hilfe unerlässlich war bei der Ergänzung der biografischen Hinweise zu seinem Vater Leo Brod und der Herstellung des Kontakts zu Michael Kotrba, dem ebenfalls besonderer Dank gilt. Weiters möchte ich mich bei Vladimír Votýpka für die Mitteilung seiner Erinnerungen an Im Herzen Europas bedanken, ebenso wie bei seiner Tochter, Regina Faltynová, die diesen Austausch erst möglich machte. Nicht zu vergessen ist Dr. Barbara Šramková, die den Kontakt zu Anna Fodorová und Vladimír Votýpka ermöglichte. Auch die Archivare des tschechischen Nationalarchivs, des Prager Literaturarchivs und des Literaturarchivs der Akademie der Künste in Berlin möchte ich nicht unerwähnt lassen, insbesondere Helga Neumann in Berlin für ihren freundlichen Empfang und die Einführung in den noch unsortierten Reinerová-Nachlass. Dr. Gaëlle Vassogne und Rob Cameron erleichterten mir durch ihre Gastfreundschaft meine Prager Forschungsaufenthalte beträchtlich; ihnen bin ich sehr dankbar. Meinen Dank für ihre fruchtbaren Hinweise möchte ich auch Prof. Dr. Françoise Knopper, Prof. Dr. Corine Defrance, Prof. Dr. Jacques Lajarrige, Prof. Dr. Steffen Höhne und Prof. Dr. Antoine Marès aussprechen. Prof. Dr. Steffen Höhne bin ich außerdem sehr verbunden für die Aufnahme dieser Studie in die Reihe „Intellektuelles Prag im 19. und 20. Jahrhundert“. Schließlich bin ich Marie-Christin Bugelnig für die Durchsicht des Manuskriptes äußerst dankbar; ihre Hilfsbereitschaft weiß ich sehr zu schätzen. Hélène Leclerc, 5. Juli 2021

11

Einleitung Im Januar 1958 erschien in Prag ein neues Periodikum: Im Herzen Europas. Tschechoslowakische Monatsschrift (IHE). In deutscher Sprache verfasst, richtete es sich an deutschsprachige Leser im Ausland, vor allem in der Bundesrepublik. Herausgegeben wurde IHE im Prager Verlag Orbis, der 1921 auf Initiative des damaligen tschechoslowakischen Außenministers Edvard Beneš gegründet worden war. IHE war als Kulturmagazin konzipiert und verfolgte das Ziel, für das tschechoslowakische Kulturerbe in Westdeutschland, aber auch in Österreich, in der Schweiz und in Luxemburg sowie, wenn auch in geringerem Umfang, in der DDR zu werben. Die Zeitschrift interessierte sich für Politik, Geschichte, Literatur, Philosophie, Wissenschaften, Theater, Film, bildende Künste, Fotografie oder Sport und war reichlich illustriert. Mit der Verbreitung der tschechoslowakischen Kultur waren außenpolitische Ziele verbunden, denn es ging auch darum, tschechisch-deutsche und tschechischösterreichische Beziehungen zu knüpfen und zu fördern (ab 1961 erschien eine Sonderausgabe für Österreich mit dem Titel Wir und Sie im Herzen Europas), sodass IHE als ein Instrument der tschechoslowakischen Kulturdiplomatie1 betrachtet werden kann, das sich insofern als höchst interessant erweist, als sich die Monatsschrift in den Kontext des Liberalisierungsprozesses des tschechoslowakischen Regimes in den 1960er Jahren einfügt und mit Begeisterung über die ab Januar 1968 unternommenen Reformbestrebungen berichtet. Eine große Anzahl der Akteure des tschechoslowakischen intellektuellen und kulturellen Lebens, dessen Aufblühen in den 1960ern ausführlich kommentiert wurde (Wellner-Pospíšil 2007), haben Beiträge in IHE veröffentlicht oder ihr Werk wurde in der Zeitschrift besprochen. Durch ihren programmatischen, ja provokativen Titel unterscheidet sich IHE jedoch von den anderen ihr ähnlichen im Orbis-Verlag erschienenen und an englischsprachige (Czechoslovak Life) wie französischsprachige Länder (La Vie tchécoslovaque), an Italien (Vita ­cecoslovacca) oder Schweden (Livet i Tjeckoslovakien) gerichtete Periodika, verankert diese doch die Tschechoslowakei „im Herzen Europas“ zu einer Zeit, als der Kontinent durch den Kalten Krieg und den Eisernen Vorhang gespalten ist. Nach der Niederlage und gewaltsamen Unterdrückung des Versuchs, in 1  Dominique Trimbur (Dubosclard/Grison 2002: 15) betrachtet die Kulturdiplomatie als Untereinheit der Geschichte der Kulturpolitiken. Knapp definiert handelt es sich dabei um jenen Teil der Kulturpolitik eines Staates, der sich an das Ausland richtet. Die Kulturdiplomatie nähert sich Joseph Nyes Begriff des soft power (Nye 2004) an.

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Einleitung

der Tschechoslowakei einen ‚Sozialismus mit menschlichem Antlitz‘ einzuführen, durften mehrere Mitarbeiter der Zeitschrift nicht mehr publizieren. Dieses Publikationsverbot betraf selbstverständlich auch die Chefredakteurin von IHE, Lenka Reinerová, die im Jahre 1970 entlassen wurde. Die Zeitschrift wurde schließlich 1971 eingestellt. In ihrem 2005 erschienenen autobiografischen „Bekenntnis“2 Närrisches Prag erinnert sich Lenka Reinerová an die dreizehn Jahre, die sie in der IHERedaktion verbrachte: In diesem Haus Nr. 12 [der Dlouhá, der Langen Gasse, in Prag] war […] längere Zeit die Redaktion der Monatsschrift „Im Herzen Europas“ angesiedelt, die ich von ihrer ersten bis zu ihrer beinahe letzten Ausgabe redigiert habe. Am Anfang des Jahres 1970, in dem gewaltsam einsetzenden und absurd als ‚Normalisierung‘ bezeichneten Zeitabschnitt nach der Liquidierung aller Reste des zu Recht als ‚Prager Frühling‘ bezeichneten hoffnungsvollen Reformversuches der politischen Ordnung in der Tschechoslowakei, erwischte es mich wieder einmal. Ich wurde als politisch unzuverlässig, wenn nicht gar für das Normalisierungssystem gefährlich, abermals von einer Stunde zur anderen gekündigt. Durfte auch Nr. 12 nicht mehr betreten. Bald danach begann für das alte Haus seine wohl schlimmste Zeit. (Reinerová 2006a: 131)

Jener Text, in dem die Autorin über ihren Lebensweg von ihrer Prager Kindheit in den 1920er Jahren bis zum EU-Beitritt der Tschechischen Republik im Jahre 2004 berichtet (Salmhofer 2009: 216), setzt sich mit der Zeit des sog. Prager Frühlings viel ausführlicher auseinander, als es in ihrem erzählerischen, doch weitgehend autobiografischen Werk bisher der Fall gewesen war.3 In Närrisches Prag, das der Heimatstadt gewidmet ist, hält sich Lenka Reinerová mit diesen Ereignissen länger auf, wobei sie zum ersten Mal auf ihre Arbeit in der IHE-Redaktion hinweist (Reinerová 2006a: 131–133 und 135–138), die sie eindeutig mit dem Kontext der Reformen des tschechoslowakischen Sozialismus verbindet. Die Autorin macht die Zeitschrift zu einem Zeugnis des Prager Frühlings und misst ihrem eigenen Lebensweg Symbolcharakter für die Geschichte des tschechoslowakischen Kommunismus bei, worauf die Anspielung auf die Unterdrückung, die sie ‚wieder einmal erwischte‘, hindeutet. 2  Als solches wird das Buch im Untertitel bezeichnet. 3  Dem Einmarsch des 21. August 1968 hatte Lenka Reinerová nur einige Zeilen in Kein Mensch auf der Straße (Reinerová 2007b: 14) und drei Seiten in Zu Hause in Prag manchmal auch anderswo (Reinerová 2003a: 98–100) gewidmet. Im Vorwort des autobiografischen Berichtes Alle Farben der Sonne und der Nacht (Reinerová 2005), der sich vor allem mit der Zeit der stalinistischen Säuberungen in den frühen 1950er-Jahren und mit den Haftjahren, die sie durchmachte, auseinandersetzt, stellt sie das Jahr 1968 jedoch als einen Wendepunkt in ihrem Verhältnis zur kommunistischen Ideologie dar. In einem Rundtischgespräch im Jahre 1999 spielt sie ebenfalls kurz auf die Rolle der Zeitschrift IHE an (Danyel 2000: 83f.).

Einleitung

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Hiermit wird der Prager Frühling implizit auch als Versuch gedeutet, die stalinistische Vergangenheit zu bewältigen.4 Trotz der zahlreichen prestigevollen Auszeichnungen, die ihr sowohl in der Tschechischen Republik als auch in Deutschland verliehen wurden,5 trotz der medialen Inszenierung ihrer Person als „letzte Vertreterin der Prager deutschen Literatur“ (Balcarová 2018/2019) und trotz ihres Wirkens als literarische Botschafterin ihrer Geburtsstadt,6 bleibt Lenka Reinerová beim breiten Publikum deutscher Sprache noch relativ unbekannt.7 Am 17. Mai 1916 im bescheidenen Milieu einer Prager Arbeitervorstadt (Karlín) als Tochter eines tschechischsprachigen Vaters und einer deutschsprachigen Mutter jüdischer Herkunft geboren, fing Lenka Reinerová schon mit 16 Jahren zu arbeiten an. Sie trat am 1. Januar 1934 der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KPČ) bei und begann ihre Karriere als Journalistin in der Redaktion der Arbeiter Illustrierten Zeitung, deren Chefredakteur Franz Carl Weiskopf seit 1933 in Prag exiliert war. Lenka Reinerová übernahm dann die Redaktion einer anderen Emigranten-Zeitschrift, Der Gegen-Angriff (später in Deutsche Volkszeitung umbenannt). Als Hitlers Truppen im März 1939 in Prag einmarschierten, befand sie sich für eine Reportage in Rumänien; sie kehrte nicht nach Hause zurück und ging nach Paris. Ihre Familie, die im Holocaust ermordet wurde, sah sie nie wieder. In Paris erhielt sie von einem jüdischen Hilfskomitee eine Schreibmaschine und agierte so als eine Art tschechoslowakische Korrespondentin für eine linke französische Agentur. Dort traf sie den Prager Schriftsteller Egon Erwin Kisch und seine Frau Gisl wieder. Am 18. September 1939 wurde sie verhaftet. Aufgrund des gerade 4  Martin Schulze Wessel (2018: 20) hebt die stalinistische Vergangenheit und das Bedürfnis nach Vergangenheitsbewältigung als eine der Ursachen des Prager Frühlings hervor. 5  Lenka Reinerová erhielt 1999 in Weimar den Schillerring, 2001 die tschechische Verdienstmedaille, 2003 die Goethe-Medaille (zusammen mit Jorge Semprun), 2006 das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. 2002 wurde sie zur Ehrenbürgerin der Stadt Prag ernannt (Salmhofer 2009: 11). 6  Lenka Reinerová gründete 2004 das Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren ( [12.10.2021]). 7  In Frankreich ist sie selbstverständlich noch weniger bekannt. Jedoch wurden bereits drei ihrer Erzählungen ins Französische übersetzt: Lenka Reinerová, Promenade au lac des cygnes, traduit de l’allemand par Nicole Bary, Paris, L’esprit des péninsules, 2004. Lenka Reinerová erscheint auch in zwei jeweils den französischen Internierungslagern und dem Exil gewidmeten Dokumentarfilmen: Delphine De Blic, Tout entière dans le paysage, DVD 58’, produit par Le Fresnot, Studio National, 2006, und Gesa Matthies, Passages – Marseille, VHS 52’, coproduit par MANABA Films/Cités Télévision, 2003. Schließlich sei auf unsere Notiz und Übersetzung eines Auszuges aus Alle Farben der Sonne und der Nacht verwiesen (Leclerc 2018: 159–161).

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Einleitung

ausgebrochenen Krieges wurde sie zu den als verdächtig und unerwünscht betrachteten Ausländern gezählt. Sie verbrachte sechs Monate im Pariser Gefängnis La Petite Roquette, bevor sie im Februar 1940 im Lager Rieucros im Département Lozère (Südfrankreich) interniert wurde. Dank Intervention von Franz Carl Weiskopf bei der League of American Writers und der Hilfe des mexikanischen Konsuls in Marseille, Gilberto Bosques, bekam sie ein Visum nach Mexiko und eine Schiffskarte. Das Schiff hing jedoch in Casablanca fest und Lenka Reinerová wurde von dort aus in ein Lager der Fremdenlegion in der Sahara abtransportiert, aus dem sie während eines genehmigten zweitätigen Ausgangs flüchten konnte. Sechs Monate später gelang es ihr, sich auf der portugiesischen Serpa Pinto einzuschiffen und im Dezember 1941 das Gastland Mexiko zu erreichen, wo sie bis zum Ende des Kriegs blieb. Dort war sie weiterhin journalistisch tätig, nahm aktiv am Heinrich-Heine-Klub, dem Klub der deutschsprachigen Emigranten, teil, trug zu dem vom Verlag El libro libre herausgegebenen „Schwarzbuch des national-sozialistischen Terrors in Europa“ bei und veröffentlichte regelmäßig Beiträge in Freies Deutschland, der Zeitschrift der antifaschistischen deutschen Emigranten. In Mexiko arbeitete Lenka Reinerová außerdem als Sekretärin der Vertretung der tschechoslowakischen Regierung im Exil. Als sie vom Massaker des tschechischen Dorfes Lidice im Jahre 1942 erfuhr, verfasste sie ihre erste Erzählung, Kotige Schuhe, die in Freies Deutschland erschien. Mit Egon Erwin Kisch und André Simone (Otto Katz) redigierte sie auch eine Zeitung auf Spanisch, El Checoslovaco en México [Der Tschechoslowake in Mexiko]. Im mexikanischen Exil heiratete sie den jugoslawischen deutschsprachigen Arzt und Schriftsteller Theodor Balk (1900–1974). Das Paar kehrte unmittelbar nach Kriegsende nach Europa zurück, ließ sich in Belgrad nieder, wo 1946 ihre Tochter Anna zur Welt kam. Lenka arbeitete in der tschechischen Sektion von Radio Belgrad. Nach dem Bruch zwischen Tito und Stalin ging das Ehepaar jedoch bald nach Prag, wo die Journalistin beim tschechoslowakischen Rundfunk arbeitete. Im Sommer 1952 wurde sie verhaftet. Es folgten 15 Monate Gefängnis, ohne Prozess, unter besonders harten Haftverhältnissen.8 Das war die Zeit der stalinistischen Säuberungen in der KPČ und des berüchtigten Slánský-Prozesses.9 Lenka Reinerová wurde verschiedener Sachverhalte 8  Obwohl sie an Krebs litt, wurde ihr jede Pflege untersagt. Die Erzählung Tragischer Irrtum und richtige Diagnose (Reinerová 2007b: 39-114) stellt ihre Haft- und Krebserfahrung perspektivisch dar. Lenka Reinerová unternimmt in dieser Erzählung eine Reflexion über den Sinn ihres kommunistischen Engagements. 9  Schon im Jahre 1969 publiziert Reinerová eine in tschechischer Sprache verfasste, dieser Erfahrung gewidmete Erzählung: Barva slunce a noci [Die Farbe der Sonne und der Nacht].

Einleitung

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beschuldigt, ohne dass diese aber explizit formuliert wurden: Emigration in den Westen, Beziehungen mit Jugoslawien bzw. Titoismus, von ihrer jüdischen Herkunft gar nicht zu sprechen, waren diese Säuberungen Anfang der 50erJahre doch stark vom Antisemitismus geprägt.10 Als sie aus dem Gefängnis entlassen wurde, musste sie mit ihrer Familie in die Provinz nach Pardubice übersiedeln, wo sie in einer Glas-und-Porzellan-Fabrik angestellt war. 1955 konnte sie nach Prag zurückkehren, wo sie ab Ende 1957 an der Vorbereitung der Zeitschrift IHE arbeitete, deren erste Nummer im Januar 1958 herauskam. Sie wurde am 1. September 1958 in die KPČ reintegriert, ihre Rehabilitierung erfolgte jedoch erst im Jahre 1964. Nach der Niederwerfung des Prager Frühlings verlor Lenka Reinerová erneut ihre Anstellung, wurde wieder aus der Partei ausgeschlossen und mit Publikationsverbot bestraft. Trotzdem gelang ihr 1983 die Veröffentlichung erster Erzählungen im Aufbau-Verlag in der DDR. Bis zur samtenen Revolution war sie als Dolmetscherin und Übersetzerin tätig, ließ aber ihre Verträge von jemand anderem unterzeichnen. Lenka Reinerová ist beim breiten Publikum bis heute wenig bekannt; „[i]n der Literaturgeschichtsschreibung zählt sie [sogar] zu den vergessenen Autorinnen und Autoren, deren Frühwerk dem sozialistischen Realismus verpflichtet ist, dessen Produkte heute als unlesbar, anachronistisch und pathetisch hingestellt werden.“ (Salmhofer 2009: 11). Jedoch war die Schriftstellerin Gegenstand einiger akademischer Studien in Deutschland und Österreich. 2003 wurde eine erste Dissertation ihrem erzählerischen Werk gewidmet (Schlicht 2003), dann eine weitere den Erinnerungs- und Identitätsprozessen im literarischen Werk (Salmhofer 2009). Das Jahrbuch brücken (2009) versammelte acht Beiträge zu Lenka Reinerová von deutschen, tschechischen und französischen Forschern und Forscherinnen. Wahrscheinlich war es ihr Tod im Jahre 2008, der mehrere Diplom- oder Magisterarbeiten (Kazianka 2009; Nichtburgerová 2009) anregte. Innerhalb der französischen Germanistik weckte sie ebenfalls Interesse, vor allem aber im Rahmen der Exilforschung (Desbrière-Nicolas 2006, 2008; Saint-Sauveur 2004, 2007, 2008; Leclerc 2008, 2009). Reinerovás Die vom Prager Frühling ausgelöste Liberalisierung des Regimes machte die Veröffentlichung des Textes möglich. Gudrun Salmhofer (2009: 97) weist dabei auf den „enorm mutigen Schritt“ hin, den diese Veröffentlichung bedeutet und „der einiges über das politisch liberale Verständnis der Autorin aussagt.“ Im Jahre 2003 erscheint ein diesmal explizit autobiografisches und in deutscher Sprache verfasstes Buch, das sich mit derselben Thematik auseinandersetzt: Alle Farben der Sonne und der Nacht. Zum Vergleich der beiden Fassungen s. Salmhofer (2009: 95–97). 10  Vgl. Reinerovás Interview im Film Lenka Reinerová. Prags letzte deutschsprachige Autorin, tvschoenfilm 2007, 22‘44‘‘, gefördert durch die Robert Bosch Stiftung.

16

Einleitung

Erzählwerk steht weiterhin im Zentrum von komparatistischen Studien, z. B. mit Anna Seghers (Glosiková/Meißgeier/Nagelschmidt 2016; Mehnert 2005; Bernstoff 2005) bzw. solchen, die sich mit den sprachlichen Besonderheiten auseinandersetzen (Veselý 2005; Bučková 2016). Auch wenn alle diese Studien auf unterschiedliche Themen eingehen und verschiedene Perspektiven einnehmen,11 befassen sie sich stets mit dem erzählerischen Werk, sodass die journalistische Produktion von Lenka Reinerová bisher kaum in Augenschein genommen wurde, obwohl Reinerová zuerst Journalistin war und dies auch bis zu ihrer Entlassung aus der IHE-Redaktion blieb. Diese Lücke möchte der vorliegende Band füllen, mit Fokus auf die Zeitschrift IHE, also die Jahre von 1958 bis 1970, wobei die zeitliche Rahmung durch die Entstehung der Reformbewegung in der Tschechoslowakei und die Niederwerfung des Prager Frühlings gegeben ist. Auf eine Berücksichtigung von Lenka Reinerovás gesamter journalistischer Laufbahn wird hier verzichtet, zumal der Fokus auf IHE die Untersuchung eines bisher unerforschten Aspektes des Werkes und der Biografie der Prager Autorin ermöglicht, und zwar ihre politische Rolle, wobei diese in den globaleren Kontext der tschechoslowakisch-deutschen und tschechoslowakisch-österreichischen Beziehungen zur Zeit des Kalten Kriegs einzuordnen ist. Diese politische Rolle darf nicht dahingehend verstanden werden, dass Lenka Reinerová offizielle Funktionen bekleidet hätte – in dieser Hinsicht bleibt sie, auch im Jahre 1968, eher im Schatten –, sondern vielmehr im Sinne der Aufgabe, mit der sie in der Zeitschrift hinsichtlich (West)Deutschland beauftragt ist, wobei der Begriff „unpolitische Politik“, den Martin Schulze Wessel (2018: 47) auf das Wirken des Germanisten Eduard Goldstücker bezieht, hier vielleicht zutrifft. Als deutschsprachige Journalistin und Schriftstellerin in den böhmischen Ländern erweist sich Lenka Reinerová tatsächlich als potenzielle Vermittlungsfigur zwischen deutscher und tschechischer Kultur.

11  Der Ausführlichkeit halber seien außerdem folgende Publikationen erwähnt: Heinz (2002, 2004); Wittemann (2007); Hahn (2009); Grub (2010a und b); Böhm (2016); Balcarová (2018/2019).

Forschungsstand

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Forschungsstand IHE wurde bis dato nicht erforscht und ist in der historischen Forschung weitestgehend unbekannt. Wird sie doch genannt, so handelt es sich um flüchtige Erwähnungen (Herda/Pacurar 2001; Heinz 2002; Höhne 2009)12 oder sie wird auf den Namen reduziert, der ihr nach 1971 zufiel.13 In seiner fundierten, den tschechoslowakischen Medien zur Zeit des Prager Frühlings gewidmeten Studie erwähnt Jiří Hoppe (2004) IHE nicht einmal. Zweifellos musste die Zeitschrift für ihr Image als Propagandainstrument des tschechoslowakischen Regimes büßen, das mit anderen Magazinen wie etwa der ab 1956 in der DDR durch die Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland herausgegebenen DDR-Revue verglichen werden könnte.14 Jedoch sahen manche, darunter der ostdeutsche Kabarettist Bernd-Lutz Lange (2012: 283) in IHE „bestimmt das interessanteste Magazin des Ostblocks“. Dieser würdigt deren „hervorragende Beiträge über Politik, Wirtschaft, Kunst, Kultur, Philosophie“ und „Grafiken, Cartoons und Fotos“, die „fern von jeglichem plumpen sozialistischen Realismus“ seien (Lange 2012: 284). Die Zeitschrift sieht er als Übermittlerin der Ideen des Prager Frühlings in einer erstickenden DDR, darüber hinaus betont er die besondere Rolle Lenka Reinerovás sowie den interessanten politischen Inhalt.15 Ob ihrer Erscheinungsdaten hat IHE tatsächlich den Liberalisierungsprozess des tschechoslowakischen Regimes in den 1960er-Jahren begleitet und dazu beigetragen, den Westen und die DDR über die in Prag entworfenen Reformen zu informieren. 12  Steffen Höhne bezieht sich konkret auf einige Artikel, die Lenka Reinerová in IHE veröffentlichte. Markéta Balcarovás (2018/19) Aufsatz nimmt auch Bezug auf einige IHENummern. In einem kurzen auf Tschechisch verfassten Artikel hat Lucie Römer (2020) mittlerweile einige IHE-Nummern untersucht. 13  Peter Löbl (1986: 174f.) weist auf deutschsprachige tschechoslowakische Exportzeitschriften hin, erwähnt aber nur Tschechoslowakisches Leben. Manuela Olhausen (2005: 176) zitiert auch nur diese „normalisierte“ Version. 14  Trotz unterschiedlichem Format und Umfang ist das Layout insgesamt nicht unähnlich: viele Fotos, manchmal farbig, vielfältige Themen und Beiträger. Aber ein wesentlicher Unterschied besteht in den jeweiligen Zielen der beiden Periodika, denn die DDR versuchte sich vom Westen abzugrenzen, während IHE, so unsere These, dagegen Anschluss an den Westen suchte. 15  Die Würdigung von IHE umfasst ein ganzes Kapitel der Erinnerungen Langes (2012: 283–289). Dort lässt er seiner Begeisterung als Leser freien Lauf: „Welch Geist wehte durch die Zeitschrift „Im Herzen Europas“! Ich verschlang jedes Heft in Windeseile.“ (Lange 2012: 286).

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Einleitung

In dieser Hinsicht mag die Zeitschrift als Verbreitungs-, ja Keimstätte jener Ideen fungiert haben, die zum Prager Frühling führten. Nachdem sie seit ihrer Gründung im Jahre 1958 vom außerordentlichen kulturellen Aufblühen der 1960er, von den meisten kulturellen, angehenden oder bereits renommierten Akteuren der Zeit16 bekundet hatte, spiegelte IHE nun die Ereignisse des Prager Frühlings wider. Was Druck, Illustrationen und Fotografien sowie redaktionelle Aspekte anbelangt, ist die Qualität der Zeitschrift bemerkenswert, die außerdem für ein aus dem sozialistischen Block stammendes Exportmagazin eine nicht unbedeutende Verbreitung aufwies. Dies belegen z.B. Zeugenberichte wie der oben erwähnte von Bernd-Lutz Lange (2012) oder auch jener von Eduard Schreiber (Goldstücker/Schreiber 2009: 180), der angibt, in IHE auf den Namen Eduard Goldstücker gestoßen zu sein. In Närrisches Prag fantasiert Lenka Reinerová (2006a: 136) die Anwesenheit eines sowjetischen Panzers vor dem Haus der IHE-Redaktion als Zeichen dafür, dass diese „ein ‚strategisch wichtiger Punkt‘“ gewesen sei. Das Los, dem die Redaktionsmitglieder nach der Niederwerfung des Prager Frühlings erlagen, mag beweisen, dass dieser Gedanke nicht ganz unbegründet war und dass IHE mit dem Fenster, das sie gen Westen geöffnet hatte, ein Risiko darstellte, das das normalisierte tschechoslowakische Regime nicht eingehen konnte. Bleibt IHE bis heute im Schatten der Historiografie, bilden dagegen Arbeiten über das Pressewesen im sozialistischen Block, vor allem während des Prager Frühlings, einen Trend in der Forschung der letzten Jahre. Was die tschechoslowakische Presse betrifft, so wurde bereits auf die Studie von Jiří Hoppe (2004) hingewiesen. Er unterstreicht die wesentliche Rolle der tschechoslowakischen Medien im Prager Frühling, die sich von Machtinstrumenten zu Machtkritikern entwickelten (Hoppe 2008). Karel Malý (2005) setzt sich ebenfalls mit der Problematik der Zensur in der Tschechoslowakei auseinander, während Lukáš Novotný (2016) sich auf die an die deutsche Minderheit gerichtete Presse konzentriert. Kathrin Heuking (2008) untersucht ihrerseits die west- und ostdeutsche Presse und stellt drei Periodika aus der Bundesrepublik (Die Welt, Der Spiegel, Die Frankfurter Rundschau) sowie das Presseorgan der SED Neues Deutschland gegenüber, wobei sie den Diskurs über Reformen, Ostpolitik, Sicherheit, Ost-West-Verhältnis, Europa und Widerstand analysiert. Mit Fokus auf den Europa-Diskurs liefert Paulina Gulińska-Jurgiel (2010) eine vergleichende Studie über die Presse in drei sozialistischen Staaten (Polen, 16  Es sei vorerst lediglich auf folgende Namen hingewiesen: die Schriftsteller Pavel Kohout, Milan Kundera, Václav Havel, die Künstler Karel Trinkewitz, Adolf Hoffmeister, den Germanisten Eduard Goldstücker, die Fotografen Václav Jírů und Karel Otto Hrubý sowie den Filmregisseur Miloš Forman.

Forschungsstand

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Tschechoslowakei und DDR) und betont, dass die Rolle der Massenmedien im Kalten Krieg, was den Ostblock betrifft, ein nach wie vor wenig erforschtes Gebiet darstelle. Auch wenn sie IHE unerwähnt lässt, sind die von GulińskaJurgiel aufgeworfenen Fragen für die vorliegende Studie von großem Interesse, insofern als sie u. a. die Überlegung anstellt, ob „die[se] Europa-Diskurse nur als politisches Mittel und Instrument zur positiven Selbstdarstellung des Ostblocks galten oder aber einen reflexiven Gedankenprozess darstellten“ (Gulińska-Jurgiel 2010: 17). Die Verfasserin behauptet weiter, dass „die Akteure des Ostblocks sich als Teilnehmer dieses Diskurses [positionierten], indem sie zwar das westeuropäische Europamodell ablehnten, jedoch eine eigene Alternative dafür präsentierten und taten, wenn auch unbeabsichtigt und in diesem Sinne nicht reflektiert, einen Gedankensprung über den Eisernen Vorhang hinweg“ (Gulińska-Jurgiel 2010: 28). Dieser „Gedankensprung“ über die ideologische Grenze zwischen den beiden Blöcken hinweg scheint der geistigen Richtung von IHE zu entsprechen. Andere Untersuchungen lassen sich mehr dem Bereich der politischen Kommunikation zuordnen, einem neueren Forschungstrend. So etwa Manuela Olhausens Studie (2005), die sich zwar für eine spätere Zeit interessiert, indem sie den Wandel der deutschsprachigen Presse zwischen 1980 und 2000 in mehreren Staaten des (ehemaligen) sowjetischen Blocks (Ungarn, Tschechoslowakei, Rumänien und UdSSR) untersucht, aber einen Einblick in die Verhältnisse der deutschsprachigen Presse in Osteuropa verschafft. Thomas Brünners Publikation (2011) über die Presseagentur Panorama DDR, die Anfang der 1960er gegründet wurde, um für die DDR im Westen zu werben, ordnet sich in die Forschung über politische Kommunikation und public diplomacy ein. Brünner weist auf gewisse Strategien hin, die auch in IHE zu erkennen sind. So wäre die Zeitschrift auch als Instrument der public diplomacy zu bewerten, die nach François Chaubet und Laurent Martin (2011: 10) weitgehend darin bestehe, das Image eines Landes und seiner Werte zu ‚verkaufen‘, und vom „kulturellen Handeln“ [action culturelle] zu unterscheiden sei, das langfristig ausgerichtet und auf eine Politik der kulturellen Begegnung gegründet sei (Chaubet/Martin 2011: 84). Die Dissertation von Ariane d’Angelo (2018), die sich mit der nach Frankreich gerichteten auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik Adenauers und insbesondere mit der politischen Kommunikation der Bundesregierung befasst, ermöglicht, wie dargelegt werden soll, das Aufzeigen mehrerer Parallelen zwischen den Kommunikationsstrategien der Bundesrepublik und denjenigen der Tschechoslowakei, wie sie in IHE zum Ausdruck kommen, wobei das tschechoslowakische Periodikum in mancher Hinsicht als Pionier erscheint.

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Andere Studien wurden Zeitschriften im Kalten Krieg gewidmet, wie Friedrich Torbergs Forum (Corbin 2001), oder dem Europa-Diskurs in den deutschen Zeitschriften zwischen 1945 und 1955 (Grunewald/Bock 2001). Anne-Marie Corbin (2001: 7 u. 39) betont den besonderen Wert der Zeitschriften jener Zeit als wirksames Mittel, die Öffentlichkeit zu informieren und beeinflussen, ebenso wie deren Rolle als Geselligkeitsforum. Den entscheidenden Impuls zur vorliegenden Studie über IHE, der mehrere Beiträge über Reinerovás Erzählwerk und ihre Exiljahre vorangehen (Leclerc 2008, 2009, 2010), gab schließlich das sich abzeichnende 50-jährige Jubiläum des Prager Frühlings. Eine erste Vorstellung der bis dahin unerforschten Zeitschrift erfolgte 2017 anlässlich der Jahrestagung des Collegium Carolinum in Bad Wiessee17 und erschien in deren Tagungsband (Leclerc 2019a). Dieser sowie die Studie von Martin Schulze Wessel, der diese Reformepoche als „eine Humanisierung des Sozialismus oder eine Konvergenz mit den liberalen, marktwirtschaftlich geprägten Demokratien des Westens“ betrachtet (Schulze Wessel 2018: 8), gehören zu den wenigen Publikationen, die anlässlich dieses 50. Jahrestages veröffentlicht wurden.

Quellenstand Um die Geschichte der Zeitschrift zu erforschen, wurden die gesamten IHEAusgaben von 1958 bis 1970 eingesehen, d. h. 151 Nummern (nicht 156, da ab Ende 1969 fünf zweimonatliche Ausgaben erschienen). Die Ausgaben des Jahres 1971 wurden ebenfalls durchgesehen, aber aufgrund der Entlassung Lenka Reinerovás im Jahre 1970 und des Übergangs der Zeitschrift zu einer „normalisierten“ Fassung unter dem Titel Tschechoslowakisches Leben, sind die Nummern des Jahres 1971 nicht mehr Teil des untersuchten Korpus. Diesem werden dagegen die gesamten Nummern der österreichischen Ausgabe Wir und Sie im Herzen Europas (WuS), die von August 1961 bis April/ Mai 1970 erschien (Leclerc 2019b), hinzugefügt. Es handelt sich dabei um 116 Nummern. Zu Vergleichszwecken wurden auch mehrere Exemplare der 17  Eine Gesellschaft in Umbruch. Der Prager Frühling und seine Akteure, 26.-29. Oktober 2017, Jahrestagung des Collegium Carolinum in Kooperation mit der Graduiertenschule für Ostund Südosteuropastudien München-Regensburg und dem Ústav pro soudobé dějiny AV ČR, Praha.

Quellenstand

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Schwester-Ausgaben in französischer, englischer, italienischer und schwedischer Sprache sowie der 1980 lancierten spanischen Ausgabe herangezogen. Dieser Vergleich ermöglicht es, den ganz besonderen Charakter der deutschen Ausgabe zu belegen. Exemplare von IHE stehen heute in mehreren deutschen Bibliotheken (FU Berlin, Akademie der Künste in Berlin, Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung des DIPF, Staatsbibliothek in Berlin, Dresden, Erfurt, Frankfurt am Main, Greifswald, Marburg, Staatsbibliothek München, Potsdam, Stuttgart, Weimar, Wiesbaden, Worms) teilweise zur Verfügung und vollständig in der Prager Nationalbibliothek, in Leipzig und in drei Bibliotheken Nordrhein-Westfalens, darunter in der Martin-Opitz-Bibliothek in Herne, die auf deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa spezialisiert ist. Die Gesamtheit der Exemplare von WuS ist in der Österreichischen Nationalbibliothek, in der Bibliothek des Collegium Carolinum in München sowie in der Oberösterreichischen Landesbibliothek zu finden, und teilweise auch in mehreren Universitätsbibliotheken (Salzburg, Innsbruck, vier Wiener Bibliotheken) sowie in der Bibliothek des Wiener Museums für angewandte Kunst (MAK). Einige Ausgaben der Jahre 1967 und 1968 sind ebenfalls in Büron in der Schweiz vorhanden. Die Präsenz der Zeitschrift im Netzwerk der deutschen, österreichischen und gar schweizerischen Bibliotheken, wie auch im Antiquariat, ist ein nicht unbedeutender Hinweis, um die Verbreitung von IHE zu evaluieren, fehlen doch Redaktionsarchivquellen. In dieser Hinsicht hebt sich IHE wiederum von den französischen und englischen Ausgaben ab, die in ihren jeweiligen Zielländern nicht zu finden sind. Eine Umfrage bei Verlegern, die mit dem Vertrieb der Zeitschrift in der Bundesrepublik beauftragt waren, sofern diese noch bestehen, blieb leider ohne Ergebnisse. Auch wenn der Nachlass der Redaktion verschwunden ist, kann man auf den Orbis-Bestand im tschechischen Nationalarchiv zurückgreifen, der einige wertvolle Materialien liefert. Es handelt sich vor allem um den Briefwechsel zwischen dem Verlag und dem Ministerium für Bildung und Kultur, der Buchhaltungsbilanzen enthält und somit einen Einblick in die Herstellungsund Druckkosten von IHE zwischen 1958 und 1964 sowie von WuS zwischen 1961 und 1964 verschafft. Diese Dokumente geben auch Auskunft über die Auflage der beiden Zeitschriften zwischen Januar und Oktober 1964 (Dok. 10 im Anhang). Die aufschlussreichsten Elemente über Lenka Reinerovás Verhältnis zu IHE, zum Orbis-Verlag und zu offiziellen Organen (KPČ, Verband der tschechoslowakischen Schriftsteller oder jener der Journalisten) finden sich aber im Nachlass der Autorin, sei es der tschechische Nachlass im Prager Literaturarchiv oder der deutsche in der Berliner Akademie der Künste. Aufgrund der noch relativ neuen Vergabe des Reinerová-Nachlasses und

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der jeweiligen Archivierungsgesetzgebungen in Tschechien und Deutschland war eine Einsicht in die gesamten Bestände nicht möglich. Dennoch stellt die vorliegende Studie, die immerhin alle Unterlagen des noch unsortierten Nachlasses bezüglich der Publikationszeit von IHE (sogar ab 1954, was den tschechischen Nachlass betrifft) erschließen und bewerten konnte, den allerersten Einblick in diese Dokumente dar.18 Das tschechische Archiv der Sicherheitsorgane [Archiv bezpečnostních složek] besitzt zudem mehrere Unterlagen über Lenka Reinerová, die dabei helfen, das Verhältnis der Autorin zum tschechoslowakischen Regime zu beleuchten.

Zielsetzungen Diese Studie verfolgt vier eng miteinander verknüpfte Ziele. Es geht zuallererst darum, die Geschichte der Zeitschrift IHE nachzuzeichnen. Dies bedeutet zunächst, ihre Entstehung im tschechoslowakischen, europäischen und internationalen Kontext zu verankern, anschließend ihre materiellen, formalen, grafischen, personellen sowie redaktionellen Aspekte zu untersuchen und nicht zuletzt ihren Status als Kulturmagazin im Dienste einer auswärtigen Kulturpolitik oder einer ‚öffentlichen Diplomatie‘ in einem sozialistischen Staat zu hinterfragen. In dieser Hinsicht stößt man auf ein methodologisches Problem, das das Verhältnis der Zeitschrift zum offiziellen Diskurs und die Rolle der Presse in einem Ostblockstaat betrifft. Ist IHE allein als Produkt der tschechoslowakischen Propaganda gegenüber Westdeutschland und Österreich zu betrachten? Wenn dem so ist, dann wäre das Interesse dieser Studie eher gering. Oder kann man jenes Periodikum, das für seine westeuropäischen Leser als Fenster in den Osten fungierte und zugleich für seine Redaktion und Mitarbeiter eine Öffnung gen Westen bedeutete, vielmehr als Instrument eines interkulturellen Dialogs ansehen? Hervorgehoben wurde bereits der Titel, der auf eine feste europäische Verankerung hinweist und dazu veranlasst, sich näher mit dem Europa-Diskurs in IHE zu beschäftigen. Die Zeitschrift liefert tatsächlich ein besonderes Bild von der Mitte Europas und der europäischen Rolle der Tschechoslowakei, die hier analysiert und mit anderen Auffassungen von Mitteleuropa konfrontiert werden sollen. Welches Bild von Westeuropa 18  Mein herzlicher Dank gilt Lenka Reinerovás und Theo Balks Tochter, Frau Anna Fodorová, für ihr Vertrauen und ihre Hilfsbereitschaft.

Zielsetzungen

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und den im Entstehen begriffenen europäischen Gemeinschaften zeichnet sich in IHE ab? Welche Auffassung von der europäischen Rolle Österreichs, das seine Lage auch „im Herzen Europas“ verstand, liegt hier vor? Gibt es dabei konkurrierende Ansichten? Da die hier vorgebrachte These auf dem Gedanken beruht, dass es sich um eine Zeitschrift handelt, die einen – wenn auch zwangsweise begrenzten – interkulturellen Dialog zu fördern sucht, ist eine Reflexion über den Umfang der Propaganda in der Zeitschrift und in der sozialistischen Presse unverzichtbar. Die Frage der Zensur ist ebenfalls unumgänglich: Welchen Freiheitsraum gibt es für einen Diskurs, der ein wenig von der offiziellen Linie abweicht? Wie spiegelt sich die in den 1960ern einsetzende Liberalisierung des tschechoslowakischen Regimes in der Zeitschrift wider? Ein zweites Ziel der Studie besteht in der Analyse der Rolle der Zeitschrift in den tschechoslowakisch-deutschen und tschechoslowakisch-österreichischen Beziehungen. IHE erweist sich nämlich als Instrument der Beziehungen mit den westdeutschen und österreichischen Nachbarn, da die sudetendeutsche Frage, die national-sozialistische Vergangenheit oder auch die Lage der deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei immer wieder kehrende Themen sind. Außerdem wird in IHE der deutschsprachigen Kultur ein umfangreicher Platz eingeräumt, den es zu quantifizieren und zu interpretieren gilt. In methodologischer Hinsicht soll auf die Rolle der Kultur in den internationalen Beziehungen und ihrer besonderen Rolle in Mitteleuropa eingegangen werden. Demzufolge zieht diese Studie eine kulturgeschichtliche Perspektive vor. IHE kann als Träger internationaler Kulturvermittlung betrachtet werden. Kultur und Kalter Krieg, Kultur in den internationalen Beziehungen, sind bevorzugte Forschungsgebiete. Die Kultur wird dabei als entscheidendes Element im ideologischen Kampf begriffen und kann aufgrund ihrer teilweisen Autonomie als möglicher Faktor einer Annäherung zwischen beiden Lagern fungieren, nicht nur, weil sie instrumentalisiert wird, sondern auch, weil sie ihrem eigenen Weg folgt (Sirinelli/Soutou 2008: 8). Antoine Marès (2010: 621) betont übrigens die wesentliche Rolle der Kultur in den Volksdemokratien. Ausgehend von einer kulturgeschichtlichen Perspektive und der Deutung von IHE als Instrument der kulturellen Diplomatie, werden somit die Beziehungen zwischen drei Staaten „im Herzen Europas“ untersucht. Leitfaden dieser Studie ist Lenka Reinerová, die den dritten Schwerpunkt darstellt, zumal es darum geht, die Bedeutung von Reinerovás Arbeit bei IHE in ihrer journalistischen Karriere und den Einfluss dieser journalistischen Tätigkeit auf ihr literarisches Schaffen zu ermessen. Es ist vollkommen unmöglich, diese Zeitschrift zu analysieren, ohne sich auch auf die Persönlichkeit Lenka Reinerová zu konzentrieren, stand diese doch zunächst

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als stellvertretende, dann als eigentliche Chefredakteurin im Zentrum der Redaktionsarbeit, die sie zum großen Teil übernahm, wobei sie eine beträchtliche Anzahl von Artikeln verfasste (vollständige Liste im Anhang Nr. 1), insbesondere zu heiklen Themen, die oft Deutschland fokussierten, wohin die Journalistin sich mehrmals auf Reportage begab. Lenka Reinerovás Schreibweise prägte Ton und Stil der Zeitschrift. Ist der Name IHE heute noch bekannt, dann deshalb, weil die Zeitschrift untrennbar mit dem Namen Reinerová verbunden ist. Umgekehrt ist es unmöglich, Reinerovás journalistische Arbeit, ihre intellektuelle Entwicklung, richtig zu verstehen, ohne den historischen Kontext und die Geschichte dieser Zeitschrift zu erfassen. Ein zentrales Bestreben dieser Arbeit ist es also, die Rolle Lenka Reinerovás ins Licht zu rücken, dabei ihr gesamtes Werk umfassend zu beleuchten, wird doch das viel später veröffentlichte erzählerische Werk erst durch eine fundierte Analyse der journalistischen Produktion zur Gänze nachvollziehbar. Das Ausmaß von Reinerovás Beitrag zu IHE wurde bis dato unterschätzt. Die Archivquellen und eine sorgfältige Untersuchung der Zeitschrift vermochten ihre bedeutende Rolle deutlich zu ermessen. Viertes und letztes Ziel der Studie besteht schließlich darin, IHE in die Geschichte des Prager Frühlings einzuordnen und die Thematisierung der Reformen in der Zeitschrift einer genauen Betrachtung zu unterziehen. IHE kann, so die These, als Instrument der kulturellen Diplomatie des tschechoslowakischen Regimes angesehen werden, das zunächst darauf abzielte, deutsch-tschechoslowakische und österreichisch-tschechoslowakische Beziehungen zu knüpfen und zu fördern, und dabei außerdem Anschluss an den Westen zu suchen. Auch wenn das Augenmerk auf Lenka Reinerová liegt, versteht sich vorliegende Studie als Beitrag zur Geschichte der deutschbzw. österreichisch-tschechoslowakischen Beziehungen vor und nach dem Prager Frühling.

ERSTER TEIL Historischer, politischer und kultureller Kontext

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1. Der internationale Kontext der Jahre 1958–1970 Das Erscheinen der Zeitschrift IHE fällt in die Zeit des Kalten Kriegs. Die Tschechoslowakei und Westdeutschland, an das sich die Zeitschrift prioritär wandte, gehörten zu zwei entgegengesetzten Blöcken und militärischen wie wirtschaftlichen Bündnissystemen. Als westlichster Staat des östlichen Blocks befand sich die Tschechoslowakei an der Frontlinie dieses Konfliktes. Der Kalte Krieg lässt sich in verschiedene Phasen einteilen, die Spannungs- bzw. Entspannungsperioden in den Ost-West-Beziehungen entsprechen. Frank R. Pfetsch (1993: 35f.), der sich dabei auf die Einteilung von Wilfried Loth stützt, unterscheidet fünf Phasen bis 1969: eine ‚Inkubationsphase‘ von 1943 bis 1947; eine Eskalationsphase von 1947 bis 1952, die in der Berlin-Krise 1948 und im Koreakrieg 1950–1953 gipfelt und in welcher es zur Formation der beiden Blöcke kommt; eine ‚Phase leichter Entspannung‘ von 1953 bis 1957, die mit dem Tod Stalins am 5. März 1953 einsetzt; eine ‚weitere Spannungsphase‘ zwischen 1958 und 1962 mit dem sowjetischen Berlin-Ultimatum 1958 und der Kuba-Krise; schließlich eine ‚Übergangsphase zur Entspannung‘ zwischen 1963 und 1969, „die durch das Atomtestabkommen von 1963, den Vertrag zur Nicht-Weitergabe von Kernwaffen (1968) sowie die Vorschläge zur KSZE-Konferenz gekennzeichnet ist“ (Pfetsch 1993: 36). Mit dem Entspannungsbegriff verknüpft war die sowjetische Doktrin der friedlichen Koexistenz, die Chruschtschow 1956 entwickelt hatte und die Anfang der 1960er aufgrund der den Sowjets bewusst werdenden Gefahren einer nuklearen Eskalation reaktiviert wurde. Da die Sowjetunion nicht offiziell anerkennen konnte, dass sie der nuklearen Logik unterworfen war, verbarg man dies hinter dem propagandistischen Konzept einer friedlichen Koexistenz (Delmas 1980: 70). IHE wurde im Januar 1958 lanciert, also zu einem Zeitpunkt, da sich die internationalen Spannungen verstärkten, und sie entfaltete sich in einer Beruhigungsphase, die sowjetischerseits durch die Ideologie der friedlichen Koexistenz geprägt war, welche den Inhalt der Zeitschrift stark beeinflusste. Bevor der tschechoslowakische Kontext skizziert wird, soll die Lage in Deutschland in Erinnerung gerufen werden. Seit 1949 geteilt, befand sich Deutschland ebenfalls an der Frontlinie des Kalten Kriegs. Auch wenn es in der unmittelbaren Nachkriegszeit Versuche gab, Deutschlands Mittlerposition in Europa zu bewahren – u. a. mit Jakob Kaisers Brückenkonzept, das Deutschland die Rolle einer „Synthese zwischen östlichen und westlichen Ideen“ zuwies (Pfetsch 1993: 59) –, entschied sich die Bundesrepublik unter

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Historischer, politischer und kultureller Kontext

Konrad Adenauer für eine eindeutige Westintegration, die allein, so der erste Bundeskanzler, die Sicherheit des neuen Staates gewährleisten sollte und ihm als geeignetste Strategie zur Erlangung der Souveränität, wenn auch einer Teilsouveränität, erschien, die schließlich im Mai 1955 erreicht wurde. Adenauer, der die kommunistische Ideologie und die sowjetische Politik heftigst verwarf, lehnte für Deutschland stets jeglichen Neutralitätsgedanken ab. Auch wenn die bundesdeutsche Regierung im September 1955 die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der UdSSR hinnehmen musste, zielte die Deutschlandpolitik der Bundesrepublik weiterhin auf die internationale Isolierung der als Staat nicht anerkannten DDR ab. Zu diesem Zweck wurde die Hallstein-Doktrin entwickelt, nach welcher die Bundesrepublik auf diplomatische Beziehungen mit all jenen Staaten verzichtete, die die DDR anerkannten. Ausnahme blieb selbstverständlich die UdSSR. Demnach gab es zwischen Bundesrepublik und Tschechoslowakei keine diplomatischen Beziehungen, bis 1972 der Grundlagenvertrag zwischen den beiden deutschen Staaten und 1973 der Prager Vertrag zwischen der Bundesrepublik und der Tschechoslowakei unterzeichnet wurden. Letztere erkannte ihrerseits die Bundesrepublik bis dahin auch nicht an (Cabada/Waisová 2011: 59). Die offizielle Position der westdeutschen Regierung blieb das Ziel der Einigung Deutschlands und die Ablehnung des europäischen Status quo aus dem Jahre 1945. Im sowjetischen Lager wurde dagegen auf die Anerkennung dieses Status quo, d. h. der Grenzen von 1945, beharrt und die Bundesrepublik, die bereit sei, diese auch militärisch revidieren zu wollen, als revanchistisch eingestuft. Als IHE gegründet wurde, befand sich die diplomatische Lage zwischen den beiden Staaten auf dem Nullpunkt. Erst unter dem Regierungsamt Ludwig Erhards (1963–1966) und anschließend unter der Großen Koalition von Bundeskanzler Kiesinger (1966–69) kam es zu ersten zögerlichen Fortschritten (s. S. 42ff.).

2. Der tschechoslowakische Kontext 2.1 Die Jahre 1945–1948 Das Kaschauer Programm, das im April 1945 durch die neue tschechoslowakische Regierung angenommen wurde, stellte die Tschechoslowakei bereits in die Einflusssphäre der Sowjetunion, da die Etablierung von guten Beziehungen

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zu dieser als Priorität definiert und die Abtretung der Karpatenukraine an die Sowjetunion bewilligt wurde (Marès 1995: 314). Die tschechoslowakische Regierung, die am 4. April 1945 gebildet wurde, ging aus den Moskauer Verhandlungen von März 1945 hervor, die bestimmten, dass jede genehmigte politische Partei zwei Ministerien erhalten sollte. Da es zwei kommunistische Parteien, eine tschechische und eine slowakische, gab, waren die Kommunisten gut vertreten: Sie erhielten die Ministerien für Inneres, für Information, für Landwirtschaft, Arbeit und Soziales sowie das Sekretariat des Auswärtigen Amtes. Die Schlüsselposten des Ministerpräsidenten und des Verteidigungsministers kamen einerseits Zdeněk Fierlinger, einem den Kommunisten freundlich gesinnten Sozialdemokraten und ehemaligen Botschafter in der UdSSR, und andererseits Ludvík Svoboda, ebenfalls erwiesener kommunistischer Sympathisant, zu (Bělina/Čornej/Pokorný 1995: 417f.). Artikel VIII des Kaschauer Programms enthielt außerdem Maßnahmen zur Aussiedlung der deutschen und ungarischen Minderheiten sowie zur Rückführung der Auslandstschechen und -slowaken, was Antoine Marès (2015: 369) als „postumen Triumph der Ideen ethnischer Säuberung, wie sie Hitler initiiert hatte und die nunmehr durch die befreiten Völker übernommen wurden“, deutet. Jene Aussiedlungen, für die die Deutschen den Begriff ‚Vertreibung‘ benutzen, während die Tschechen von ‚Transfer‘ [odsun] sprechen,1 gaben Anlass zu zahlreichen gewaltsamen Ausschreitungen, bevor das Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 vorschrieb, dass dies „in geordneter und humaner Weise“ erfolgen solle. Sie betrafen ca. 3 Millionen tschechoslowakische Deutsche2 und verbanden diese menschliche Tragödie im deutschen Erinnern3 unauslöschbar mit dem Namen Edvard Beneš, der die gleichnamigen Dekrete unterzeichnet hatte. Infolge des Triumphs der Kommunisten bei den Wahlen von Mai 1946 musste Fierlinger dem Kommunisten Klement Gottwald den Posten des Ministerpräsidenten überlassen. Das Abdriften in die sowjetische Einflusssphäre wurde im Sommer 1947 besiegelt, als Stalin der Tschechoslowakei verbot, an der Marshall-Plan-Konferenz teilzunehmen, obwohl diese die Einladung 1  Seit der Unterzeichnung der deutsch-tschechischen Aussöhnungserklärung am 21. Januar 1997 haben sich beide Seiten auf den Ausdruck „Vertreibung und Zwangsaussiedlung“ (Artikel III der Erklärung) geeinigt (Leclerc 2011). 2  Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten in der Tschechoslowakei 3.231.688 Deutsche, was 22,3% der Gesamtbevölkerung entsprach (Hahn/Hahn 2010: 665). 3  Vgl. die Analyse von Eva und Hans Henning Hahn (2010: 91–98), die sich um die Dekonstruktion des Mythos eines Beneš als „für die Vertreibung verantwortlichen Staatsmann[s]“, der diese lange im Voraus geplant hätte, bemühen.

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ein paar Tage zuvor bereits angenommen hatte. Die Marshall-Plan-Hilfe, die ganz Europa angeboten, aber unter dem Druck von Moskau von allen Volksdemokratien abgelehnt wurde, vollendete die Zweiteilung Europas: Die Tschechoslowakei, die noch keine Volksdemokratie war, geriet auf die östliche Seite des Eisernen Vorhangs, erlaubte doch die im März 1947 bekannt gegebene Truman-Doktrin keine mittlere Position zwischen demokratischen und als totalitär betrachteten Staaten. Mit diesem Vorfall entpuppte sich die Strategie des tschechoslowakischen Präsidenten Beneš, der aus seinem Land eine „Brücke zwischen Ost und West“ machen wollte, als nichtig, da Prags Außenpolitik seit Kriegsende niemals von der sowjetischen Linie abgewichen war (Bělina/Čornej/Pokorný 1995: 424f.). Beneš hoffte auf einen Ausgleich zwischen Ost und West, den er als sowjetische Unterstützung für den Wiederaufbau der Tschechoslowakei verstand, ohne dass diese ihre Autonomie verlieren würde (Marès 2015: 362).

2.2 V  om Prager Februar-Putsch (1948) zur sozialistischen Verfassung (1960) Die Eingliederung in die sowjetische Einflusssphäre wurde im Februar 1948 durch den sog. Prager Putsch eingeläutet, einen kommunistischen Umsturz des demokratischen Systems, der durch Massendemonstrationen unterstützt wurde und den politisch und physisch geschwächten Präsidenten Beneš dazu zwang, den durch die KPČ geforderten Rücktritt der nicht kommunistischen Regierungsminister hinzunehmen. Beneš weigerte sich aber, die neue Verfassung zu unterzeichnen, die die Tschechoslowakei in eine Volksdemokratie umwandeln sollte, und trat am 7. Juni 1948 zurück. Klement Gottwald, der am 14. Juni zum Präsidenten gewählt wurde, ratifizierte sie am darauffolgenden Tag (Marès 1995: 319). Der Prager Putsch machte die Tschechoslowakei zu einem Satellitenstaat der Sowjetunion, der einem „langen Stalinismus“ (Marès 1995: 312) anheimfiel. Dies bedeutete zunächst eine Welle von politischen Prozessen und Säuberungen, die 1952 im Prozess gegen den Generalsekretär der KPČ Rudolf Slánský und dessen Hinrichtung gipfelte (Kaplan 1990; Goldstücker 1989). Indem die Tschechoslowakei 1949 dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe beitrat, schloss sie sich den sowjetischen ökonomischen Interessen an. Die Unterordnung unter Moskau brachte auch Kontakte mit Ländern der Dritten Welt mit sich (Cabada/Waisová 2011: 55f.) und wurde schließlich 1955 durch den Beitritt zum Warschauer Pakt vollendet. Die Entstalinisierung des tschechoslowakischen Regimes erfolgte später als

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anderswo, obwohl Klement Gottwald nur wenige Tage nach Stalin verstarb. Antonín Zápotocký wurde Präsident der Tschechoslowakischen Republik; Nachfolger von Gottwald an der Spitze der KPČ war Antonín Novotný, der nach dem Tod von Zápotocký im Jahre 1957 die Präsidentschaft übernahm und bis 1968 beide Funktionen bekleidete, was die Zentralisierung weiter verstärkte. Novotný verkörperte eine harte Linie und wollte die Tschechoslowakei zum ersten sozialistischen Staat nach der Sowjetunion entwickeln, was eine radikale Umwandlung des ökonomischen Systems mit Schwerpunkt auf Industrie und Kollektivierung des Bodens voraussetzte. Politisch und symbolisch bekräftigt wurde die Verwandlung durch die Verabschiedung einer neuen Verfassung am 11. Juli 1960, die die Entstehung der tschechoslowakischen sozialistischen Republik (ČSSR) bedeutete. Die strenge und zentralisierte Kontrolle über die Wirtschaft stieß schnell auf ihre Grenzen, da der 3. Fünfjahresplan (1961–1965) gleich im zweiten Jahr scheiterte, was die Leitung der KPČ dazu zwang, die staatlichen Beschränkungen zu lockern und eine Debatte über die Rolle des Marktes im sozialistischen System zu genehmigen (Bělina/Čornej/Pokorný 1995: 442). Diese durch den Ökonomen Ota Šik geleitete Reflexion wurde zum Vorspiel jenes Reformprozesses, der zum Prager Frühling führen sollte.

2.3 D  ie tschechoslowakische Außenpolitik: Umrisse und Handlungsräume In Bezug auf den hier untersuchten Zeitraum mangelt es nach wie vor an Studien zur Außenpolitik der Tschechoslowakei. Jener Rückstand, den Antoine Marès (2007c: 91) bereits hervorgehoben hatte, wurde seitdem nicht wesentlich behoben. In Tschechien erschienen eine Geschichte und ein Lexikon der tschechoslowakischen Diplomatie von 1918 bis 1992 (Dejmek 2012 u. 2013) sowie ein Band, dessen erforschter Zeitraum bis Anfang des 21. Jahrhunderts reicht (Cabada/Waisová 2011). In Frankreich widmete ­Antoine Marès der tschechoslowakischen Außenpolitik mehrere Artikel, wobei er besonders die Beziehungen mit Frankreich und die tschechoslowakische Kulturpolitik fokussierte (Marès 2008). In Deutschland wird die tschechoslowakische Außenpolitik vor allem aus der Perspektive der deutsch-tschechoslowakischen Beziehungen untersucht, mit Ausnahme der Studie von Adolf Müller (1977), die sich ihr aus tschechoslowakischer Perspektive nähert und daher von Relevanz ist.

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Alle Studien zur tschechoslowakischen Außenpolitik der Jahre 1950–1960 einigen sich darauf, dass es dieser an jeglicher Selbstständigkeit fehle, was wiederum auf zwei Faktoren zurückzuführen sei: Einerseits auf die begrenzte Kompetenz des tschechoslowakischen Außenministeriums, das in Wirklichkeit ein reines Exekutionsorgan der Partei gewesen sei, zumal die Entscheidungen hinsichtlich der Außenpolitik allein auf der Ebene der KPČ-Organe getroffen wurden (Kaplan 2001). Indem er die wesentliche Rolle des kommunistischen Parteiapparates, insbesondere des Zentralkomitees mit seinem Generalsekretariat und Präsidium, betont, weist Antoine Marès darauf hin, dass das Generalsekretariat die Tagesordnung des Präsidiums auf Grundlage der Vorschläge seiner Mitglieder, Sekretäre oder Minister bestimmte; die zuständigen Abteilungen des Zentralkomitees waren an der Verfassung der Vorschläge beteiligt und ein Viertel der in den 1960er-Jahren behandelten Punkte betrafen auswärtige Angelegenheiten (Marès 2007c: 96). Andererseits – und dies ist ein noch gewichtigerer Aspekt – war die tschechoslowakische Außenpolitik durch eine komplette Unterordnung unter Moskau4 geprägt, deren Prämissen sich in der unmittelbaren Vorkriegszeit abzeichneten, da die Sowjetunion an der Münchner Konferenz im September 1938 nicht teilnahm und somit ihr positives Image in der Tschechoslowakei bewahren konnte.5 Diese Situation wurde zudem während des Krieges, am 12. Dezember 1943, in Moskau durch die Unterzeichnung des tschechoslowakisch-sowjetischen Vertrags über Freundschaft, gegenseitige Hilfe und Zusammenarbeit konsolidiert. So kennzeichnete sich die tschechoslowakische Außenpolitik schon im Jahre 1945 durch den Balanceakt zwischen Bewahrung einer gewissen demokratischen Ordnung und Unterordnung unter den ‚Befreier‘, wobei Stalins Unterstützung des staatlichen Wiederaufbaus der Tschechoslowakei und der Aussiedlung und Vertreibung der Deutschen eine wesentliche Rolle spielte (Marès 2011). Anzeichen für eine Sowjetisierung der tschechoslowakischen Außenpolitik vor 1948 gibt es viele: Annexion der Karpatenukraine ohne demokratische bzw. völkerrechtliche Legitimation, exklusive Nutzung des tschechischen Urans, Einrichtung eines sowjetischen Spionagenetzes in der Tschechoslowakei, 4  Šárka Waisová bezeichnet die tschechoslowakische Außenpolitik als „an extended arm oft the USSR“ (Cabada/Waisová 2011: 57). 5  Der in München durch Frankreich und Großbritannien begangene ‚Verrat‘ an der Tschechoslowakei ist ein immer wieder kehrendes Thema in der Zeitschrift IHE. Diesem ‚Verrat‘ wird die Bruderhand der Sowjetunion gegenübergestellt, wobei in der Tschechoslowakei damals eine Amnesie geherrscht habe, die darin bestehe, die fehlende sowjetische Hilfe im September 1938 sowie den deutsch-sowjetischen Pakt im August 1939 zu vergessen (Marès 2014: 200).

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S­ äuberung des Außenministeriums mit Entfernung seiner antikommunistischen Mitarbeiter und Verbot, an der Marshall-Plan-Konferenz teilzunehmen (Marès 2011). Dabei handelte es sich um den ersten offenen ultimativen Eingriff der Sowjetunion in die tschechoslowakische Außenpolitik (Müller 1977: 132). Auf dieser Grundlage intensivierte sich die Unterordnung unter Moskau nach 1948. Nach Adolf Müller (1977: 155) charakterisierte sich „die neue nach dem Februar 1948 praktizierte Außenpolitik Prags gleich zu Beginn durch die Zerstörung und Auflösung zahlreicher, erst kürzlich entstandener, internationaler Kontakte und durch die absolute Unterordnung unter die sowjetische Politik.“ Die tschechoslowakische Außenpolitik „orientierte sich lediglich an dem Ausbau der Verteidigung des entstehenden sowjetischen Blocks“ und dies hatte auch aufgrund des amerikanischen Verbots, strategische Güter in die osteuropäischen Staaten zu exportieren, wirtschaftliche Folgen, weil die Tschechoslowakei sich nach der sowjetischen Wirtschaft ausrichten musste (Müller 1977: 156. Herv. i. O.). Adolf Müller (1977: 162) ist der Meinung, dass das Jahr 1953 mit dem Tod Stalins und Gottwalds „die Epoche der absoluten tschechoslowakischen Passivität und Uneigenständigkeit in der Außenpolitik“ (Herv. i. O.) beendete. Antoine Marès betont dagegen, dass das 1953 bis 1968 von Václav David6 geleitete Außenministerium komplett untergeordnet worden sei, da die Tschechoslowakei nunmehr in den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe und in den 1955 gegründeten Warschauer Pakt eingegliedert war. Selbst zu Zeiten der ungarischen Krise im Jahre 1956 blieb die Tschechoslowakei Moskau treu, fand nicht den Mut zu einer aktiven Außenpolitik (Kaplan 2001), und die verschiedenen Spannungs-, ja Konfliktmotive, die letztendlich, insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht, zahlreich waren, vermochten es nicht, die allgemeine 6  Václav David (1910–1996), tschechoslowakischer Außenminister von 1953 bis 1968. Antoine Marès (2007c: 94) stellt ihn als einen sehr mittelmäßigen Mann dar, dem jeder Mut fehle und dessen tägliche Bibellektüre die Pravda gewesen sei. David war Abgeordneter von 1945 bis 1990, tschechoslowakischer Botschafter in Bulgarien von 1968 bis 1971 und bekleidete dann prestigevolle parlamentarische Funktionen. Adolf Müller (1977: 199) beschreibt ihn als „ein[en] ausgesprochen[en] Gegner der Erweiterung der Beziehungen zur BRD“, der „vielfach Initiativen sabotierte, die in dieser Richtung vom ZK der KPČ oder aus dem Kreis der Prager Nationalversammlung kamen“. Dejmek (2012: 308) urteilt etwas weniger streng, er betont zwar Davids vollständige Unterordnung unter Moskau, gibt jedoch an: „Nevertheless, in the second half of the 1950s it was possible to restore and stabilize the numbers of personnel at the MFA under his formal leadership and to expand significantly the network of representative offices, especially in the newly independent countries of Asia and Africa. It is quite certain that Mr David was not an innovator in terms of internal affairs of the Czechoslovak Socialist Republic; yet, most of his deputies could definitely be counted among the initiators of a more active foreign policy.”

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Richtung der tschechoslowakischen Außenpolitik zu verändern. Diese blieb bis zur zweiten Hälfte der 1960er-Jahre eine Politik der „strikten Begleitung des Großen Bruders“, in welcher man Emanzipations- bzw. Autonomisierungsversuche wie bei den Polen oder Rumänen vergeblich suchen würde (Marès 2011). Petr Zídek (2007: 134) weist mit Nachdruck darauf hin, dass die tschechoslowakische Außenpolitik der sowjetischen vollkommen unterworfen sei und belegt dies mit einem Zitat von Antonín Novotný, der selbst zugab, dass er keinen Schritt ohne die Genehmigung Moskaus gemacht habe. Die Unterordnung unter Moskau wurde zum einen begünstigt durch die Anwesenheit von sowjetischen Beratern, deren Anzahl in der stalinistischen Zeit ihren Höhepunkt erreichte und die sich erst allmählich zurückzogen, als die Tschechoslowakei in den Warschauer Pakt eingegliedert wurde und ihr eine offensive Rolle oblag, und zum anderen durch die Ausbildung der tschechoslowakischen Diplomaten in Moskau (Marès 2011). Nicht zuletzt ist diese Unterordnung nur unter Berücksichtigung der deutschen Frage, des europäischen Status quo und der Befürchtungen der Tschechoslowakei einer als „revanchistisch“ betrachteten Bundesrepublik gegenüber zur Gänze nachvollziehbar. Der Topos des deutschen Revanchismus, jener einer Bundesrepublik, die die Grenzen von 1945 militärisch in Frage stellen könnte, dominierte die tschechoslowakische Außenpolitik bis zu den Ergebnissen der Ostpolitik Willy Brandts und kam in IHE öfters zum Ausdruck. Jedoch zeichnete sich ab 1963 eine leicht spürbare Öffnung gen Westen ab. Antoine Marès (2011) stellt in dieser Hinsicht fest, dass sich innerhalb des tschechoslowakischen Außenministeriums zwei Leitlinien gegenüberstanden: Die eine sah in der Öffnung und in den Kontakten mit dem Ausland eine besonders große Gefahr für den Staat, während die andere einen Austausch, selbst mit der kapitalistischen Welt, als eine logische Entwicklung verstand. Eine ähnliche Analyse liefert auch Adolf Müller in Bezug auf das Jahr 1968: Es traten damals also zwei Konzeptionen hervor: Die erste wurde von der politischen Führung der KPČ vertreten. Sie war bestrebt, eine Zustimmung zur tschechoslowakischen Demokratisierung aus Moskau zu erlangen, indem sie die Außenpolitik aus dem Reformexperiment auszuklammern bereit war und sich der Hoffnung hingab, Verbündete in den politischen Führungsspitzen der anderen kommunistischen Länder schrittweise gewinnen zu können. Die zweite Konzeption wollte den Reformprozeß als Revolutionsprozeß verstanden wissen, der durch seine Tragweite die Blockgrenzen überschreitet und nur aufgrund einer weitgefächerten außenpolitischen Unterstützung und im Zusammenhang mit einer beschleunigten „Konferenz über europäische Sicherheit“ realisiert werden könnte. Die Verfechter dieser zweiten Konzeption befanden sich in den breiten Kreisen der Intellektuellen und unter führenden Politikern in erster Linie Špaček und Kriegel. (Müller 1977: 250f.)

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IHE lässt sich a priori der zweiten Konzeption zuordnen, wobei die auswärtige Kulturpolitik, der die Zeitschrift diente, als Ort für mögliche Emanzipationsbestrebungen gegenüber Moskau gedeutet werden könnte und die Zeitschrift selbst als Instrument einer Art Widerstand gegen die Russifizierung. Im April 1960 erschien in IHE ein Leitartikel mit dem Titel „Der Aktionsradius der tschechoslowakischen Außenpolitik“.7 Der Autor erläutert darin die Ziele der tschechoslowakischen Außenpolitik, deren internationale Rolle, vor allem gegenüber der Bundesrepublik, und stellt die Frage des Handlungsspielraums eines kleinen Staates wie der Tschechoslowakei: Wollen wir Antwort auf die Frage, auf welche Weise ein Land wie die Tschechoslowakei seinen Beitrag zur Lösung der internationalen Probleme leistet, so müssen wir zunächst versuchen, uns darüber klarzuwerden, welche Möglichkeiten und Aussichten, die internationale Entwicklung zu beeinflussen, ein Land, das keine Großmacht ist, überhaupt hat. (IHE April 1960: o. S.)

Die Tschechoslowakei wird als „Vermittler[in] zwischen den Großmächten“ verstanden. Jedoch hebt der Autor die wesentliche Bedeutung des „Bündnis[ses] mit der Sowjetunion und den sozialistischen Ländern“ hervor, wobei er die Vorstellung der Tschechoslowakei als Satellitenstaat der Sowjetunion zurückweist und diese Position zu rechtfertigen versucht. Trotz aller Bemühungen überwiegt die Verpflichtung gegenüber der Sowjetunion, was in wiederholten Ausdrücken wie „gemeinsam“, „Gemeinsamkeit“ sowie in der Darstellung des Bündnisses als harmonisch („übereinstimmen“, „Einheit“) zum Vorschein kommt. Vor allem dürfe dieses Bündnis nicht in Frage gestellt werden: Das Bündnis mit der Sowjetunion und den übrigen sozialistischen Ländern wurde zum Angelpunkt der tschechoslowakischen Außenpolitik. Die Folge waren gemeinsame außenpolitische Ziele: die Festigung des Weltfriedens, die Ächtung des Krieges, der zu einem überlebten Requisit vergangener Zeiten werden muß, und die Lösung internationaler Streitfragen durch friedliche Verhandlungen und Abkommen. Die Menschen in der Tschechoslowakei sind froh über die Erfolge, die die sowjetische Außenpolitik in dieser Richtung erzielt hat. Und sie fordern die kompromißlose Unterstützung der sowjetischen Friedensoffensive wie die Außenpolitik der UdSSR in der letzten Zeit allgemein bezeichnet wird. Das hat mit Satellitentum, wie es uns von gewissen westlichen Kreisen unterschoben wird, die den Mangel an Argumenten wettmachen wollen, nichts zu tun. Die zielbewußte Außenpolitik der ČSR geht von der Überzeugung aus, daß die eigensten Interessen der Tschechoslowakei mit jenen der Sowjetunion und der übrigen sozialistischen Länder über-

7  Als Autor des Artikels ist J. Martin angegeben, identifiziert werden konnte er nicht. Dieser Name erscheint noch zweimal in der Zeitschrift: im Oktober 1960 als Verfasser des Artikels „Automation contra Schwerarbeit“ und im April 1961 als Autor des Beitrags „Ein Meister der Glasätzkunst“.

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Historischer, politischer und kultureller Kontext einstimmen. Die Einheit, mit der die Vertreter dieser Länder überall auftreten, entspricht dieser Gemeinsamkeit der Interessen. (IHE April 1960: o. S.)

Nachdem dieser Rahmen klar gesteckt ist, zielt der Beitrag darauf ab, zu zeigen, dass die Tschechoslowakei eine eigene Außenpolitik führte. In diesem Sinne kann er als Appell an die Bundesrepublik verstanden werden: Doch die bewußte Unterstützung der sowjetischen Ziele, so sehr sie auch im Vordergrund steht, ist nicht das alleinige Merkmal der tschechoslowakischen Außenpolitik. Die ČSR hat tiefverwurzelte ‚eigene Traditionen‘ [Herv. HL8], eigene Probleme und Erfahrungen, angenehme wie unangenehme. Sie hat zahlreiche Freunde und aufrichtige Partner in der ganzen Welt, aber sie muß anderen Mächten gegenüber wachsam sein. Ihr eigenes Interesse und ihre eigene Verantwortung gilt insbesondere der Lösung der Deutschlandfrage, die ihr durch die Nachbarschaft der beiden deutschen Staaten und infolge der bitteren Erfahrungen der Vergangenheit besonders am Herzen liegt. Diesem spezifischen Interesse an der Deutschlandfrage entspricht eine Reihe initiativer Vorschläge, die die ČSR ihren beiden deutschen Nachbarn unterbreitet hat. Doch während es sich bei der Beziehung zur Deutschen Demokratischen Republik um immer neue Erweiterungen der wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit handelt, ist das Verhältnis zur Deutschen Bundesrepublik durch eine Anomalie gekennzeichnet, die in den Beziehungen zweier Nachbarstaaten beispiellos dasteht. Denn in Westdeutschland nehmen ehemalige Naziwortführer und -kreise wieder wichtige Stellen ein: ist es da weiter merkwürdig, wenn dieser Staat sich weigert, seine Beziehungen mit einem Land zu normalisieren, in dem sich diese Kreise so viel zuschulden kommen ließen? Die Tatsache, daß die Tschechoslowakei ihrem westlichen Nachbarn mehr als einmal die Hand gereicht hat, um gutnachbarliche Beziehungen herzustellen, kennzeichnet die Beweggründe der ČSR, ebenso wie die hartnäckige Ablehnung seitens der Bundesregierung eine Politik kennzeichnet, die in gefährlichen Fußstapfen schreitet. Die Bemühungen der ČSR um einen dauerhaften Frieden in Mitteleuropa sind einer der wichtigsten Beiträge ihrer Außenpolitik zur Beseitigung der Kriegsgefahr in Europa und damit in der ganzen Welt. (IHE April 1960: o. S.)

Aus diesem Auszug geht hervor, wie zentral die deutsche Frage in der tschechoslowakischen Außenpolitik war. Dass IHE einen solchen Beitrag bereits im Jahre 1960 ganz am Anfang der Ausgabe veröffentlichte, belegt die politische Rolle der Zeitschrift. Dieser Text fügt sich in jene Kampagne ein, die die Tschechoslowakei startete, um die Bundesrepublik zur Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen zu drängen. Der Ton ist oftmals polemisch, wie der wiederholte Vorwurf, ehemalige Nazis bekleideten führende Funktionen, zeigt. Drei Achsen der tschechoslowakischen Außenpolitik kommen hier also zum Ausdruck: das Bündnis mit der Sowjetunion und dem sozialistischen 8  Sind hier westliche Traditionen zu verstehen? François Fejtö (1979: 246) weist auf den scheinbar unzerstörbaren Charakter der liberalen und demokratischen Traditionen in der Tschechoslowakei hin, die im tiefen Gegensatz zu der bürokratischen und totalitären Form der kommunistischen Führung stünden.

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Block, der Kampf um den Frieden in Europa und auf der ganzen Welt (es wird später zu zeigen sein, dass dies ein weiteres Leitmotiv der Zeitschrift war) und das Ziel der Normalisierung der Beziehungen mit der Bundesrepublik.

3. D  ie deutsche Frage und die tschechoslowakisch-deutschen Beziehungen 3.1 D  ie Beziehungen zwischen der Tschechoslowakei und der Bundesrepublik bis 1958 Die Beziehungen zwischen der Tschechoslowakei und der Bundesrepublik wurden durch drei Hauptfaktoren eingeschränkt. Der erste war die Eingliederung der Tschechoslowakei in den sowjetischen Block, die mit dem Prager Putsch vollzogen wurde. Der zweite bestand in der schwerwiegenden Streitfrage um die Vertreibung und Zwangsaussiedlung von fast drei Millionen Deutschen in den Jahren 1945–1946, die durch das Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 sanktioniert wurde, und der dritte, der mit dem zweiten eng verbunden war, lag in der Frage der Ungültigkeit des Münchner Abkommens von September 1938 begründet. Wie es Libor Rouček (1990: 14) ausdrückt, „fingen die Beziehungen zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei im Jahre 1945 vom Punkt Null an.“ Nach Hans Lemberg (2010: 14) „[könne] von einem deutsch-tschechoslowakischen Verhältnis in dieser Zeit schlechthin überhaupt nicht gesprochen werden“, denn: In den Besatzungszonen Deutschlands herrschten die Alliierten, und es gab keine Möglichkeit zu irgendeiner eigenen deutschen Außenpolitik. Für die Tschechoslowakei bestand das deutsche Problem unmittelbar nach dem Krieg aus nur wenigen Fragen: vor allem der nach der Sicherheit vor einem Wiederaufleben der „deutschen Gefahr“, aus der Frage der Reparationen – und aus der Entfernung von etwa drei Millionen in der ČSR beheimateter Menschen deutscher Nationalität aus dem Staat […]. (Lemberg 2010: 14)

„Es gab nur Haß auf beiden Seiten“, fasst Libor Rouček (1990: 14) prägnant zusammen. Auf der Seite der Tschechoslowakei „herrschten Unsicherheit, Misstrauen und Angst gegenüber Deutschland“, Gefühle, die von den „tschechoslowakischen Politiker[n] selber radikalisier[t] [wurden], die die westdeutsche Politik als revisionistisch und revanchistisch bezeichneten“ (Novotný 2009: 114). Aufgrund der „Ereignisse der Jahre 1938–1949 (die Zerschlagung

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und Besetzung der ČSR, der 2. Weltkrieg, die Vertreibung der Sudetendeutschen, die kommunistische Machtübernahme in der ČSR und die deutsche und europäische Teilung) […] konnte sich etwa Ende der vierziger Jahre kaum jemand eine positive Entwicklung der Beziehungen zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei vorstellen.“ (Rouček 1990: 17). Dieser Umstand manifestierte sich sehr konkret im entlang der bayerisch-tschechoslowakischen Grenze aufgezogenen Eisernen Vorhang, der im Gegensatz zu dem, was man in einem IHE-Beitrag aus dem Jahr 1964 lesen konnte, keineswegs ein „Märchen“9 war, sondern ein „dreifach verdrahte[r] […] Eiserner Vorhang mit elektrischem Strom von 5000 Volt“ (Novotný 2009: 114).10 Die Jahre 1949–1955 waren durch das Fehlen jeglicher politischer Kontakte gekennzeichnet (Rouček 1990: 18). Auf der Seite der Bundesrepublik gab es hinsichtlich der Tschechoslowakei im Grunde genommen gar keine Politik, da sich Bonn unter der Ägide von Bundeskanzler Adenauer für eine strategische Westintegrationspolitik entschieden hatte. Die Tschechoslowakei veröffentlichte ihrerseits am 6. Oktober 1949 eine Protestnote gegen die Gründung der Bundesrepublik, die „auf Jahre hinaus die künftigen Beziehungen zwischen Bonn und Prag beeinflußte.“ In dieser Note „wurde kritisiert, daß es den abgeschobenen Deutschen erlaubt ist, sich zu organisieren und politisch zu betätigen“ und behauptet, „die Bundesrepublik Deutschland solle zur künftigen militärischen Plattform gegen die Staaten des östlichen Europa werden“ (Müller 1977: 185). Die Tschechoslowakei, die sich also weigerte, die Bundesrepublik anzuerkennen, sah in diesem neuen Staat „eine Agentur des US-Imperialismus“ (Lemberg 2010: 16), auch wenn die Teilung Deutschlands, die aus der doppelten Staatsgründung hervorging, auch als Schwächung Deutschlands interpretiert und „begrüßt“ wurde (Lemberg 2010: 16). Sie, die Tschechoslowakei, war es jedoch auch, die ab 1955 – infolge der Entwicklungen der Beziehungen zwischen Bundesrepublik und Sowjetunion, die nach Adenauers Moskau-Reise im September desselben Jahres diplomatische Be9  „Lieber Leser, wenn Sie noch an das Märchen vom Eisernen Vorhang glauben sollten, dann kommen Sie zu mir, zur eisernen Tür der Alt-Neu-Synagoge, und Sie werden an manchen Tagen bis 50 Autobusse, Privat- und Wohnautos nicht mitgerechnet, aller Automarken dort sehen […]“, Leo Brod, „Das staatliche Jüdische Museum in Prag“ (IHE August 1964: 21). 10  „Diese verschärften Bedingungen herrschten an der Grenze bis 1958, als die drei Zaunreihen beseitigt wurden und an ihre Stelle ein breiter, etwa 2,50 Meter hoher elektrischer Signalzaun trat. Grenzschutz und die Grenzpolizei formierten sich, die ihre Aufgabe im Geiste der Grenzschutz-Traditionen der Choden – so sah es wenigstens die kommunistische Propaganda – ausübten. Grenzwache als Beruf erfreute sich eines hohen Ansehens.“ (Novotný 2009: 114)

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ziehungen aufgenommen hatten – die Initiative ergriff und der Bundesrepublik die Normalisierung ihrer Beziehungen vorschlug. Bonn hatte aber soeben die Konturen der Hallstein-Doktrin definiert, die allen die DDR anerkennenden Staaten mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen drohte und aus der Nicht-Anerkennung der DDR eine Bedingung für die Aufnahme völkerrechtlicher Beziehungen machte. Mit dieser Doktrin suchte die Bundesregierung die Ängste ihrer westeuropäischen Verbündeten „vor einem erneuten deutschen Sonderweg“ (Novotný 2009: 115) zu beschwichtigen. Als Reaktion auf diese Doktrin entwickelten die Tschechoslowakei sowie andere sozialistische Staaten „eine systematische diplomatisch-propagandistische Offensive“ (Rouček 1990: 23), mit dem Ziel, diplomatische Beziehungen mit der Bundesrepublik aufzunehmen und somit eine de-jure Anerkennung des europäischen Status quo durch Westdeutschland zu erzwingen (Rouček 1990: 23f.). Angesichts des Scheiterns dieser ersten Initiativen (die Bundesrepublik würdigte diese keiner Antwort) sattelte die Tschechoslowakei auf eine andere Strategie um, indem sie sich direkt an bestimmte Persönlichkeiten wandte. So schrieb der Präsident der tschechoslowakischen Nationalversammlung, Zdeněk Fierlinger, den Bundestagspräsidenten Eugen Gerstenmaier persönlich an, um ihm die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und Herstellung von Kontakten zwischen den Parlamenten beider Staaten vorzuschlagen. Höhepunkt dieser Initiativen von Seiten der Tschechoslowakei ist der Brief von Ministerpräsident Široký an Bundeskanzler Adenauer am 1. Juli 1958 (Rouček 1990: 24).11 Auch wenn Rouček mit Adolf Müller anerkennt, dass „die Tschechoslowakei ihre Angebote […] mit absichtlich unerfüllbaren Vorbedingungen gekoppelt hatte“12, betont er gleichzeitig, dass diese tschechoslowakischen Bemühungen keineswegs nur „als Propagandamanöver oder als Teilstück der sowjetischen Außenpolitik“ betrachtet werden dürften. Die Tschechoslowakei „befürchtete nämlich immer wieder eventuelle sowjetische Konzessionen an die Bundesrepublik“, sodass die Existenz zweier deutscher Staaten und die Anerken11  Über diesen Brief wird in IHE nicht berichtet. 12  Adolf Müller (1977: 195) listet Folgendes auf: „a) die Rüstung in der Bundesrepublik einzustellen, b) die Lagerung von Atom-Waffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik abzulehnen, c) den Besitz eigener Atom-Waffen nicht anzustreben, d) die sofortige Einstellung der Atom-Waffen-Versuche zu unterstützen, e) die sowjetischen Vorschläge zur Abrüstung und zur sofortigen Vernichtung der thermonuklearen Waffen zu unterstützen, f) mit dem polnischen Vorschlag einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa einverstanden zu sein, g) die europäischen Nachkriegsrealitäten anzuerkennen, h) vertragliche Gewaltverzichtsabkommen mit den östlichen Nachbarn abzuschließen und i) mit einer Konferenz der Regierungschefs beider militärischer Gruppierungen einverstanden zu sein.“

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nung des europäischen Status quo das Hauptziel der tschechoslowakischen Außenpolitik bildeten (Rouček 1990: 25). Deswegen war sie dazu bereit, Maßnahmen zu ergreifen, um als Brücke zwischen Ost und West zu fungieren, indem sie z. B. westdeutsche Politiker nach Prag einlud. Die Tatsache, daß die SPD-Delegation von den höchsten Staats- und Parteifunktionären (Außenminister David, KP-Sekretär Hendrych) empfangen wurde und/oder, daß ein Vertriebenenabgeordneter (Paul) Prag überhaupt besuchen und ein anderer (Kühn) im Tschechoslowakischen Fernsehen auftreten konnte, dokumentiert die echte Bereitschaft der tschechoslowakischen Regierung zur Verbesserung des politischen Klimas in Mitteleuropa. (Rouček 1990: 25)

Trotz all dieser Initiativen blieb die Bundesrepublik der Hallstein-Doktrin treu, aber dennoch schien sich die verstrickte Lage zweimal zu entknoten. Anfang 1957 begann die Bundesrepublik über „Ersatzlösungen zur Frage diplomatischer Beziehungen“ (Rouček 1990: 30) nachzudenken, und zwar über die Einrichtung von Handelsvertretungen in Osteuropa. Später, im Jahre 1958, stellten die SPD- und FDP-Fraktionen im Bundestag einen Antrag zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit den osteuropäischen Ländern (Rouček 1990: 26). Solche Vorschläge zur Normalisierung bzw. Verbesserung der Beziehungen stießen jedoch auf härtesten Widerstand bei den Vertriebenenverbänden (Rouček 1990: 27).13

3.2 D  ie Beziehungen zwischen der Tschechoslowakei und der Bundesrepublik von 1958 bis 1968 Die Ernennung Gerhard Schröders zum Außenminister der Bundesrepublik im Jahre 1961 leitete einen erneuten Versuch ein, Kontakte mit den osteuropäischen Staaten zu knüpfen. Konnten Handelsmissionen in Polen, Rumänien, Ungarn (1963) und Bulgarien (1964) eingerichtet werden, gelang es der Bundesrepublik nicht, ein Abkommen mit der Tschechoslowakei zu schließen. 13  Vgl. hierzu Ahonen (2010: 36): “[…] the negative influence of the expellee organizations became a major obstacle to the development of more normal relations between the Federal Republic and the East European states, one of the most important of which was Czechoslovakia. To be sure, West Germany’s very hesitant attitude toward Eastern Europe had other important causes, including fears about possible diplomatic gains for East Berlin, unpredictable reactions from the Kremlin, and potential Western suspicions regarding Bonn’s motives. But the expellee lobby played a significant – and frequently overlooked – role in postponing the normalization of relations between Bonn and the key East European capitals.”

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Prag verlangte von Bonn die vorherige Anerkennung der Ungültigkeit ex tunc14 des Münchner Abkommens von 1938. Hinter dieser Forderung standen auch Moskau und Ostberlin (Rouček 1990: 38). Im Jahre 1959 wurde die Frage bilateraler Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und ihren osteuropäischen Nachbarn durch die Genfer Konferenz und die Berlin-Krise erschwert und rückte deshalb in den Hintergrund. Die tschechoslowakische Außenpolitik konzentrierte sich nunmehr auf die sowjetischen Vorschläge für eine Gipfelkonferenz und auf die Unterstützung des polnischen Rapacki-Plans (Müller 1977: 200).15 Adolf Müller (1977: 201) bezeichnet das folgende Jahr, 1960, als „tot[es] Jahr“ in den westdeutsch-tschechoslowakischen Beziehungen. Propagandistische Attacken gegen die Bundesrepublik vermehrten sich, der Ton verschärfte sich und Bonn wurde schließlich des Strebens nach Atomwaffen beschuldigt (Müller 1977: 201). Die Errichtung der Berliner Mauer im August 1961 hemmte die Beziehungen weiter, da die tschechoslowakische Regierung, ähnlich wie die anderen Ostblock-Staaten, diese als defensiv präsentierten Akt der DDR gutgeheißen hatte. Unter den osteuropäischen Nachbarn der Bundesrepublik gestalteten sich die Beziehungen mit der Tschechoslowakei am kompliziertesten: Die beiden Staaten befanden sich mitten in einer „permanent[en] diplomatisch[en] Schlacht“ (Müller 1977: 204), die durch das Problem des Münchner Abkommens genährt wurde. Die Bundesrepublik löste 1960 eine neue Polemik aus, indem sie den Tschechoslowaken deutscher Nationalität Heimatscheine zukommen ließ, was die Tschechoslowakei als „Einmischung in [ihre] innere Angelegenheiten“ interpretierte, wobei sie darauf hinwies, dass sich die Bundesrepublik mit dieser Initiative auf das Münchner Abkommen stütze, nach welchem die tschechoslowakischen Deutschen die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten hatten (Müller 1977: 204f.). Unabhängig davon kam es auch in der Bundesrepublik zu einer konstruktiveren Politik. Außenminister Gerhard Schröder (1961–1966) trat 1962 auf dem Parteitag der CDU in Dortmund für „bessere kulturelle und menschliche Kontakte zwischen den Völkern Osteuropas und uns“ (zit. n. Müller 1977: 206) ein. In weiterer Folge entstanden Initiativen aus den Reihen der sozialdemokratischen Partei (SPD), vor allem mit der Tutzinger Rede von Egon Bahr am 15. Juni 1963, in der er einen „Wandel durch Annäherung“ 14  Ex tunc bedeutet „von der ersten Stunde an“, während ex nunc die Ungültigkeit ab dem Zeitpunkt seiner Anerkennung bedeuten würde. 15  Der Rapacki-Plan (nach dem Namen des polnischen Außenministers) schlug die Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa vor, die das Gebiet der beiden deutschen Staaten, Polens und der Tschechoslowakei umfassen würde. Zum Rapacki-Plan s. u. a. Cahn (2017).

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vorschrieb und damit die Grundlagen für die zukünftige Ostpolitik der Regierung Brandt (1969–1974) legte, zu der es mit der Großen Koalition ab 1966 erste Ansätze gab. Diese Entwicklungen auf westdeutscher Seite milderten ein wenig den Ton der tschechoslowakischen Propaganda. Laut Adolf Müller (1977: 207) „hatte sich der Widerspruch zwischen den allmählich wachsenden Beziehungen und der offiziellen Prager Politik noch mehr vertieft. Der scharfe Ton blieb nur noch in den amtlichen Regierungsdokumenten erhalten“. Müller (1977: 208f.) betont jedoch, dass diese „Erwärmung“ „zu spät kam“, da das Novotný-Regime innenpolitisch zu unsicher war, als dass es sich ohne Risiken auf eine Verbesserung der Beziehungen mit der Bundesrepublik hätte einlassen können. Während sich die Beziehungen Westdeutschlands zu Rumänien, Polen, Ungarn oder auch Bulgarien verbesserten, hielt die Tschechoslowakei weiterhin an der Berlin-Klausel16 fest und verhinderte somit jede Verhandlung mit Bonn. Der Kern des Problems zwischen Prag und Bonn und das Haupthindernis auf dem Weg zu einer Normalisierung der Beziehungen blieben das Münchner Abkommen und der Streit um die Forderungen der Vertriebenenverbände in der Bundesrepublik. 1965 griff das tschechoslowakische Außenministerium den westdeutschen „Revanchismus“ und die angeblichen Bemühungen der Bundesrepublik um den Besitz von Atomwaffen erneut an (Müller 1977: 213). Prag ließ allerdings die Bitte Bonns um die Herausgabe aller in der Tschechoslowakei befindlichen Dokumente über nationalsozialistische Verbrechen unbeantwortet (Müller 1977: 213).17 Am 25. März 1966 startete Bundeskanzler Ludwig Erhard eine Initiative. In einer sog. „Friedensnote“ schlug er insbesondere den sowjetischen, polnischen und tschechoslowakischen Regierungen vor, auf Gewaltanwendung zu verzichten. Auch wenn die Anerkennung des europäischen Status quo noch nicht auf der Tagesordnung stand, läutete diese Note trotzdem den Verzicht auf die Hallstein-Doktrin ein und enthielt ein wichtiges Element für die zukünftigen Verträge von Anfang der 1970er-Jahre. Erhard fügte auch einen für Prag bedeutenden Satz ein: „Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass das Münchener Abkommen aus dem Jahre 1938 von Hitler zerrissen wurde und keine territoriale Bedeutung mehr hat“ (zit. n. Alexander 2005: 205), und hob das Interesse der Bundesrepublik an der Einleitung von Kontakten mit der Tschechoslowakei im Rahmen von Verträgen hervor. Trotz jener Kompromissbereitschaft, die die Bundesregierung an den Tag legte, wies die 16  Die Berlin-Klausel sah die Gültigkeit der Bundesgesetze in West-Berlin vor. Die Tschechoslowakei lehnte diese aus Solidarität mit der DDR ab. 17  Dieses Ersuchen fügte sich in die westdeutsche Debatte über die Verjährung der NS-Verbrechen ein. IHE nimmt gegen die Verjährung solcher Verbrechen Stellung. S. unten S. 215.

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Tschechoslowakei jene Vorschläge, die in ihren Augen „durch keine positiven Taten untermauert“ (Müller 1977: 214) waren, zurück. Prag bestand im Gefolge der anderen kommunistischen Länder auf eine Anerkennung der DDR und der europäischen Grenzen und pochte auf die Nichtigerklärung des Münchner Abkommens ex tunc. Laut Hans Lemberg „wurde – quasi als Abwehrinstrument – in der ČSSR das Münchner Abkommen ‚neu entdeckt‘“, gerade als die Bundesrepublik Zeichen für eine Verbesserung ihrer Beziehungen mit dem Osten gab. „Vor 1963 hatte es in der Diskussion oder in der gegenseitigen Polemik zwischen Bundesrepublik und ČSSR keine Rolle gespielt“ (Lemberg 2010: 18).18 Die SPD, die seit 1963 über eine neue Ostpolitik nachdachte, hatte Erhards ‚Friedensnote‘ zugestimmt. Die Bildung einer Großen Koalition im Herbst 1966 leitete eine Umorientierung der westdeutschen Politik gegenüber den osteuropäischen Ländern ein. Auch wenn er die Anerkennung der DDR weiterhin nicht in Betracht zog, verkündete Bundeskanzler Kiesinger in seiner Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 seinen Wunsch, „das Verhältnis zu unseren östlichen Nachbarn, die denselben Wunsch haben, auf allen Gebieten des wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Lebens zu verbessern und, wo immer dies nach den Umständen möglich ist, auch diplomatische Beziehungen aufzunehmen.“19 Der vollständige Text wurde von der tschechoslowakischen Presseagentur ČTK veröffentlicht und traf auf die Zustimmung eines großen Teils der tschechoslowakischen Intellektuellen, wobei „die Polarisierung der Ansichten in den Prager offiziellen Kreisen und der interessierten Öffentlichkeit beschleunig[t]“ wurde (Müller 1977: 215). Birgit Hofmann (2015: 99f.) betont die Bedeutung dieser Regierungserklärung, und allgemeiner jene der Ostpolitik der Großen Koalition, die „wissenschaftlich nicht ausgiebig untersucht“ sei: „Zu spektakulär stellten sich die Erfolge Willy Brandts in späteren Jahren dar; wenig ist diese Phase bisher als eigenständiges Forschungsfeld wahrgenommen worden.“ Ohne die Kontinuität zwischen der Außenpolitik der Regierung Kiesinger und jener von Adenauer und Erhard zu übersehen, versucht Birgit Hofmann (2015: 105) „den Aspekt des Neuen stark [zu] machen“. Nun seien die europäischen Staaten nicht mehr als „monolithisch[er]“ Block zu betrachten, sondern als „einzeln[e] Staaten, mit denen ein separater und halbwegs autonomer Dialog möglich scheint.“ Die Historikerin vergleicht diese Auffassung mit de Gaulles Ostpolitik und 18  Diese Analyse teilt Adolf Müller (1977: 392). In IHE taucht die Frage der Ungültigkeit ex tunc erst im Jahre 1967 auf, s. S. 190. 19  Die vollständige Regierungserklärung ist abrufbar unter: [12.10.2021].

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erkennt in der Außenpolitik der Großen Koalition einen Versuch, „Blockgrenzen über bilaterale Kontakte aufzuweichen.“ In seiner ersten Regierungserklärung präsentierte Kiesinger Deutschland als „die Brücke zwischen West- und Osteuropa“. Was die Tschechoslowakei betrifft, so begnügte er sich jedoch mit der Versicherung, dass „das unter Androhung von Gewalt zustande gekommene Münchener Abkommen nicht mehr gültig“ sei. Dieses blieb ein Zankapfel mit Prag, das auf der Anerkennung der Ungültigkeit ex tunc beharrte. Die Bonner Regierung lehnte ab, zumal dies bedeutet hätte, dass die Vertreibungen und Aussiedlungen gerechtfertigt seien; somit wären die Vertriebenen als ehemalige tschechoslowakische Bürger auch den Beschuldigungen des Hochverrats oder Mordes ausgesetzt gewesen. Ferner wäre dann eine ganze Reihe der zwischen 1938 und 1945 abgeschlossenen notariell beglaubigten Urkunden, wie Eheschließungen oder Erbschaften, nicht mehr gültig gewesen (Tampke 2003: 134). Ihrerseits wollte sich die Tschechoslowakei mit einer Nichtigerklärung ex nunc nicht abfinden, da sie die Ansicht vertrat, dass das Münchner Abkommen ohne sie abgeschlossen worden war. Im Dezember 1966 fingen die „etwa zwanzig Jahre dauernden [tschechoslowakischen] Bemühungen [an], in der Beziehung zur Bundesrepublik Deutschland vermögensrechtliche Ansprüche geltend zu machen“ (Kučera 2010: 51). Entgegen den Hoffnungen der Bundesrepublik zeigten sich nach der Eröffnung von diplomatischen Beziehungen mit Rumänien am 31. Januar 1967 weder die Tschechoslowakei noch Ungarn bereit, diesem Beispiel zu folgen, da die Sowjetunion von den Ostblockstaaten Solidarität mit der DDR verlangte. Dieses Ziel wurde auf der Karlsbader Konferenz vom 24. April 1967, die die kommunistischen Parteien Europas versammelte (Rouček 1990: 40f.),20 verfolgt. Auf der Konferenz wurden „Grundsätze zur Kontaktaufnahme der Warschauer-Pakt-Staaten mit Bonn festgelegt“, wobei hier deutlich wurde, dass „die DDR auch eine direkte Rolle in den bundesdeutsch-tschechoslowakischen Beziehungen spielte“ (Hofmann 2015: 113). Vorbedingungen für die Aufnahme von Beziehungen mit Bonn waren somit die Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik (Ulbricht-Doktrin), die Nicht-Anerkennung West-Berlins als Bestandteil der Bundesrepublik und die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie (Pauer 1995: 81). Daraus ergab sich ein ‚eisernes Dreieck‘ zwischen der DDR, Polen und der Tschechoslowakei, das u. a. durch die Unterzeichnung des Vertrags über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand zwischen DDR und Tschechoslowakei am 17. März 20  IHE berichtet über diese Konferenz und publiziert Erklärungen von Novotný. Vgl. Artikel: „Wir verschliessen uns keinen Verhandlungen“ (IHE Juni 1967: o. S.).

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1967 besiegelt wurde. Dieser Vertrag regelte die heikle Frage des Münchner Abkommens, das durch die DDR als ungültig ex tunc anerkannt wurde. Nach dem Abschluss dieses Vertrags konnten die Verhandlungen zwischen Prag und Bonn wieder aufgenommen werden. Die Bundesrepublik hatte es zuerst mit der diplomatischen Unterstützung Frankreichs versucht, „damit in Prag der deutsche Standpunkt zur Berlin-Frage durchgesetzt werden konnte“ (Niedhart 2010: 108). Angesichts einer Situation, die Vizekanzler Brandt als allzu paradox ansah,21 bemühte man sich schließlich um direkte Kontakte in der Tschechoslowakei: Egon Bahr wurde am 12. Juni 1967 nach Prag entsandt. Die eigentlichen Verhandlungen setzten erst am 20. Juli ein; Anfang August 1967 konnte man sich auf den Austausch von Handelsvertretungen sowie auf ein Abkommen über den Waren- und Zahlungsverkehr einigen (Niedhart 2010: 110).22 Die Handelsvertretungen waren berechtigt, Visen auszustellen, sodass sie „die Funktion einer Ersatzbotschaft“ (Niedhart 2010: 110) wahrnahmen. Der Handelsvertrag lief bis 1969 und wurde „automatisch verlängert, wenn er von keiner der beiden Seiten gekündigt [wurde]“ (Müller 1977: 219). Die Handelsvertretungen, die ihren Sitz in Prag und Frankfurt am Main hatten, konnten im Februar 1968 ihre Arbeit aufnehmen (Niedhart 2010: 111). Mit dem Beginn einer Entspannungsphase auf internationaler Ebene, der Entstalinisierung in der Tschechoslowakei und der Bildung der Großen Koalition in der Bundesrepublik, entsprechen die 1960er-Jahre einer Dynamisierung der bundesdeutsch-tschechoslowakischen Beziehungen. Innerhalb einiger Jahre veränderte sich die Grenze zwischen den beiden Staaten sichtbar: Neue Grenzübergänge wurden eröffnet, die Ausstellung von Visen wurde erleichtert, Westdeutsche und Westberliner konnten die Tschechoslowakei ohne Schwierigkeiten besuchen. Auf kultureller Ebene entfalteten sich die Beziehungen ab 1964 deutlich, obwohl es noch keine offiziellen Kontakte gab.23 IHE fügte sich also in einen Kontext der Intensivierung der westdeutsch-tschechoslowakischen Beziehungen ein, zu der sie ihren Beitrag zu 21  „Im Bonner Auswärtigen Amt stellte sich nun die Frage, ob die Tschechoslowakei das „einzige osteuropäische Land“ bleiben sollte, „zu dem wir noch keine amtlichen Beziehungen unterhalten“ (Niedhart 2010: 109). Anfang 1967 war die Tschechoslowakei tatsächlich der einzige Ostblockstaat, mit dem die Bundesrepublik keinerlei formalisierte Beziehungen hatte (Ahonen 2010: 41). 22  Gottfried Niedhart (2010: 110) erwähnt den „Wunsch der Prager Führung, die „Verbesserung der Beziehungen politisch klein zu halten““ und ihre von Bahr festgestellte „Furcht vor den Verbündeten“. 23  Libor Rouček (1990: 45f.) weist auf den Erfolg der tschechoslowakischen Filme sowie des Theaters, der Musik, der Literatur und der bildenden Künste in der Bundesrepublik hin, aber auch auf den Erfolg der westdeutschen Presse oder Technik in der Tschechoslowakei.

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leisten suchte. Jedoch blieben auf streng politischer Ebene manche Riegel verschlossen, wie etwa die Frage der Ungültigkeit des Münchner Abkommens. Libor Rouček (1990: 47) sieht das eigentliche Hindernis für eine Entwicklung der Beziehungen aber „in der Weigerung der Bundesrepublik, die Existenz der DDR und die Oder-Neisse-Grenze anzuerkennen“, da Prag nicht über genügend Spielraum verfügte, um die von der Bundesrepublik angebotenen Kompromisse zu akzeptieren. Hans Lemberg (2010: 26) betont seinerseits „Konstanten im Verhältnis der beiden deutschen Staaten und der Tschechoslowakei“, nämlich die „Sicherheitspolitik“ und die wach gehaltene Angst vor einer potenziellen deutschen Gefahr sowie die „Brandmarkung“ der Bundesrepublik als „Außenposten des US-Imperialismus“.

3.3 Die Beziehungen zwischen der Tschechoslowakei und der DDR Trotz jener „Konstanten“, die das Verhältnis zu den beiden deutschen Staaten charakterisierte, und trotz bestehender Divergenzen, waren die Beziehungen mit der DDR anderer Natur, denn die DDR und die Tschechoslowakei hatten „ein gemeinsames Interesse: den Kampf gegen den Westen“ (Novotný 2009: 115). Ihre Beziehungen wurden also rasch normalisiert, da die DDR zudem auf jedweden territorialen Anspruch und auf Forderungen der Vertriebenen verzichtete (Wentker 2007: 100). Schon im Sommer 1948 wurde ein erstes wirtschaftliches Abkommen zwischen der Tschechoslowakei und der sowjetischen Besatzungszone abgeschlossen: Der Handelsumfang betrug rund 20 Millionen Dollar und entsprach genau der Hälfte eines ähnlichen Abkommens mit der amerikanisch-britischen Bizone. Vergleicht man das wirtschaftliche Potential dieser Partner, so wird deutlich, daß bereits hier politische vor wirtschaftlichen Erwägungen standen. […] Die Tschechoslowakei gehörte zu den ersten Staaten, die die DDR anerkannten; sie gab 18.10.1949 die Aufnahme diplomatischer Beziehungen bekannt. (Müller 1977: 164f.)

Das „Prager Protokoll“, das im Juni 1950 unterzeichnet wurde, steckte den Rahmen der Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten und „beseitig[te] [dabei] jegliches Konfliktpotential unverzüglich“, sodass „[d]ie Beziehungen sich zwar nicht besonders herzlich gestalteten, aber doch pragmatisch und konfliktfrei“ (Novotný 2009: 115). Im Februar 1953 kam es zum „erst[en] langfristig[en] Abkommen über die kulturelle Zusammenarbeit“ (Müller 1977: 165) zwischen den beiden Staaten. Im Oktober desselben Jahres wurden die diplomatischen Missionen zu Botschaften erhoben (Müller 1977: 166) und ab 1955 lässt sich eine deutliche Intensivierung ihrer Beziehungen beobachten,

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die darauf abzielten, „die DDR fest in die sozialistische Staatengemeinschaft zu integrieren“ (Wentker 2007: 108). Auf kultureller Ebene bedeutete dies den Abschluss eines Vertrags „über Zusammenarbeit von Rundfunk und Fernsehen“; auf wirtschaftlicher Ebene jenen eines Handelsabkommens, „das den Austausch von Gebrauchsgütern vorsah“, sowie „Maßnahmen zur engeren Zusammenarbeit in der Industrieproduktion, der Forschung und der Wissenschaft“ (Müller 1977: 167). Ebenfalls im Jahre 1955 erfolgte der offizielle Start des Tourismus zwischen den beiden Staaten, blieb jedoch durch bürokratische Schranken und Devisenprobleme stark beeinträchtigt. Das große politische Ereignis des Jahres 1955 war selbstverständlich der gleichzeitige Beitritt der DDR und der Tschechoslowakei zum „Warschauer Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand“ (Müller 1977: 167). Andere Abkommen – über den Flugverkehr zwischen Prag und Ost-Berlin, über die Errichtung von Kultur- und Informationszentren, die Errichtung von General­ konsulaten sowie ein Rechtshilfeabkommen (Müller 1977: 169) – wurden 1956 unterzeichnet.24 Diese Abkommen festigten scheinbar die offiziellen Verbindungen zwischen DDR und Tschechoslowakei, waren aber ungenügend, um „Widersprüche“ zu beseitigen, die „sich derart zuspitzten, daß sie zum Gegenstand von Gesprächen in Moskau wurden“ (Müller 1977: 169). Obwohl die DDR und die Tschechoslowakei demselben Block angehörten, wurden ihre Beziehungen durch die deutsche Frage erschwert. Die DDR stimmte den tschechoslowakischen Bestrebungen zur Normalisierung ihrer Beziehungen mit der Bundesrepublik nicht zu und versuchte diese, so gut sie nur konnte, zu stören (Müller 1977: 170f.). Libor Rouček erwähnt z.  B. folgende Maßnahme: Obgleich für die Bürger der ČSSR als Angehörige eines der Siegerstaaten die Bestimmungen über den freien Zugang zu ganz Berlin galten, war die DDR als endgültige Behörde zuständig. ČSSR-Bürger, wenn sie von Ostberlin aus Westberlin besuchen wollten, mußten nämlich beim Außenministerium der DDR um einen Durchgangsschein ansuchen, ohne den sie die Mauer nicht passieren konnten. (Rouček 1990: 43)

Jedoch hatte die DDR keinen Grund, sich über die Loyalität ihres tschechoslowakischen Verbündeten zu beklagen, der die Errichtung der Berliner Mauer ohne Vorbehalt unterstützte25 und immer wieder verkündete, dass eine der Säulen seiner Deutschlandpolitik auf der Anerkennung der DDR beruhe, wie 24  Nach Michael Lemke (2001: 64f.) geht die DDR ab 1956 allmählich „zu einer eigenständigen Außenpolitik“ über. 25  Dies trotz der wirtschaftlichen Hindernisse, die die Mauer für die Tschechoslowakei bedeutete (Wentker 2007: 256).

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folgende Rede des Außenministers Václav David vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen im November 1967 belegt: Wir haben ein Interesse daran, daß gutnachbarliche Beziehungen auch zwischen uns und der Bundesrepublik bestehen. […] Die Interessen des Friedens und der Sicherheit der europäischen Völker, ja auch der westdeutschen Bevölkerung selbst erfordern, daß die Bundesregierung mit der alten Politik Schluß macht […]. Das bedeutet, den ungerechtfertigten Anspruch auf Alleinvertretung Deutschlands in den internationalen Beziehungen aufzugeben, die Existenz des zweiten souveränen deutschen Staates – der DDR – und die Unverletzlichkeit der gegenwärtigen europäischen Grenzen anzuerkennen, den unbegründeten Anspruch auf Westberlin aufzugeben, die Ungültigkeit des sogenannten Münchner Abkommens von allem Anfang an anzuerkennen und die Pläne zur Erlangung von Kernwaffen aufzugeben. […] („Der tschechoslowakische Standpunkt“, IHE November 1967: o. S.)

Solche offiziellen Stellungnahmen in der Tschechoslowakei könnte man endlos zitieren. IHE wurde regelmäßig zu ihrem Sprachrohr. Trotzdem artikulierte die DDR weiterhin ihre Abneigung gegen jegliche Liberalisierungsversuche ihres Nachbarn, insbesondere während der Franz Kafka gewidmeten Konferenz von Liblice 1963 (s. S. 245ff.), auf der die DDR den Tagungsorganisatoren vorwarf, „den Interessen des Sozialismus entgegenzuwirken“ (Müller 1977: 176). Eine erneute Polemik wurde im Juni desselben Jahres anlässlich der Tagung „Über den Menschen“ in Dubrovnik wachgerufen, weil zwei tschechoslowakische Teilnehmer, Milan Průcha und Ivan Sviták, die virulente Ablehnung des bürgerlichen Humanismus von Seiten der ostdeutschen Teilnehmer kritisierten, in welchem sie „einen Ausgangspunkt für den Übergang zum wissenschaftlichen Sozialismus“ sahen. Diese „Herausforderung“ wurde „gleich auf allerhöchster Ebene, im Zentralkomitee der SED“ beantwortet (Müller 1977: 176f.). Ein letztes Beispiel für die alles andere als einträchtigen Beziehungen zwischen der DDR und der Tschechoslowakei war die Reaktion der DDR im Parteiorgan Neues Deutschland auf ein Interview des SPD-Fraktionsvorsitzenden Helmut Schmidt, das im Mai 1966 in der Prager Volkszeitung, der Zeitung der deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei erschien: Die DDR beschuldigte die tschechoslowakische Zeitung, „Handlangerdienste für den deutschen Imperialismus zu leisten“ (zit. n. Müller 1977: 181; s. a. Wentker 2007: 257–259). Diese zahlreichen Konflikte verhinderten jedoch nicht die Unterzeichnung des Vertrages vom 17. März 1967. Volker Zimmermann (2005), der die Entwicklung der „sozialistischen Freundschaft zwischen der SBZ/DDR und der Tschechoslowakei“ nachzeichnet, betont die besonders schwierige Ausgangslage. Auch wenn die tschechoslowakische Propaganda in den Jahren 1948 bis 1956 stets wiederholte, dass „nicht alle Deutschen gleich [seien]“, blieb die Wirkung auf die tschechoslowakische Öffentlichkeit begrenzt. Erst

Die tschechoslowakisch-österreichischen Beziehungen

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die ersten direkten Kontakte ab 1956 ermöglichten eine Normalisierung der ostdeutsch-tschechoslowakischen Beziehungen. Auf der Seite der DDR gab es ein wirkliches Interesse für die tschechoslowakische Kultur; auf tschechischer Seite bestand hingegen noch Misstrauen. Mit den Ereignissen des August 1968 wurden die „bisher aus tschechoslowakischer Sicht klar verteilten Rollen von guten Deutschen (DDR) und schlechten Deutschen (Bundesrepublik) vertausch[t]“ (Lemberg 2010: 19).

4. Die tschechoslowakisch-österreichischen Beziehungen Die Beziehungen zwischen der Tschechoslowakei und Österreich waren alles andere als selbstverständlich. Vielmehr erscheinen sie als „sensibel“ (Rathkolb 1995), „komplex“ (Peterlik 2002) oder „schwierig“ (Ullmann 2006). Das wesentliche Störproblem für die bilateralen Beziehungen im Jahre 1945 betraf die Vertreibung und Aussiedlung der Sudetendeutschen. Ein Teil – ca. 150.000 während der ersten Phase der „wilden“ Vertreibungen (Rathkolb 1995)26 – war nach Österreich gekommen, aber das Land war insbesondere aufgrund von Versorgungsproblemen nur wenig geneigt, sie aufzunehmen und versuchte, sie „nach Deutschland abzudrängen“ (Rathkolb 1995: 79). Zu dieser Streitfrage gesellte sich im Sommer 1946 der tschechoslowakische Anspruch auf eine Revision der gemeinsamen Grenze – eine Forderung, die jedoch „von den Außenministern [der Londoner Konferenz 1947] bilateralen Verhandlungen zwischen der Tschechoslowakei und Österreich überwiesen wurden“, worauf sich einzulassen Österreich kategorisch mit dem Argument ablehnte, es müsse zuerst seine Souveränität zurückerlangen (Ullmann 2006: 51 u. 54). Auch wenn die Tschechoslowakei der erste Staat war, der 1945 „zwischenstaatliche Beziehungen diplomatischer Natur“ mit Österreich wiederherstellte, lag es keineswegs an einem politischen Willen der beiden Staaten, sondern vielmehr an der „persönliche[n] Initiative des früheren österreichischen Gesandten Ferdinand Marek und anderer in Prag lebender früherer österreichischer Diplomaten“ (Ullmann 2006: 73). Marek bemühte sich tatsächlich schon am 12. Mai 1945 um die Errichtung einer „Provisorischen Österreichischen Gesandtschaft“ in Prag (Rathkolb 1995: 80). Die 26  Ullmann (2006: 44) gibt die Zahl von 130.000 bis Ende November 1945 nach Österreich Vertriebenen an.

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tschechoslowakisch-österreichischen Beziehungen zwischen 1945 und 1948 waren zwar angespannt, dies verhinderte jedoch nicht einige konstruktivere Initiativen, wie etwa die Gründung der Tschechoslowakisch-Österreichischen Gesellschaft am 25. November 1947 in Prag, deren Vorsitzender der „nach Prag zurückgekehrt[e] Wiener Tscheche“ Antonín Machat wurde (Ullmann 2006: 67), oder auch den Abschluss eines Handelsabkommens am 1. Januar 1946, „das als der erste Vertrag gilt, den die zweite Republik Österreich als Staat abschloss“ (Burka 2012: 179). Zwischen dem „Prager Putsch“ von Februar 1948 und dem „Prager Frühling“ ist das tschechoslowakisch-österreichische Verhältnis stark durch den internationalen und europäischen Kontext des Kalten Krieges geprägt, aber das Problem der Aussiedlungen und Vertreibungen sowie der österreichischen, sich auf tschechoslowakischem Gebiet befindenden Güter blieb eine Streitfrage.27 Äußerst sensible Fragen betrafen „Österreichs Bemühungen um Annäherung an die EWG, die Verstärkung des westdeutschen Einflusses in Österreich, das Problem Otto Habsburg28, die sudetendeutschen Landsmannschaften“ (Ullmann 2006: 100). Letztgenanntes Problem wurde besonders anlässlich des „Sudetendeutschen Tages“ am 16. und 17. Mai 1959 in Wien wieder wachgerufen. Der Staatsvertrag, der im Jahre 1955 zwischen Österreich und den Siegermächten abgeschlossen wurde und Österreich seine Souveränität unter der 27  In einem Brief vom 23. September 1946 an den französischen Außenminister Bidault hob der politische Vertreter der provisorischen französischen Regierung Monicault die weittragende Bedeutung dieses Problems für die Entwicklung der tschechoslowakischösterreichischen Beziehungen hervor (Ministère des Affaires étrangères 2004: 415f.). Die tschechoslowakische Regierung hatte tatsächlich mittels Erlass vom 25. Oktober 1945 die Vermögen der Personen deutscher und ungarischer Nationalität konfisziert, ohne zwischen Deutschen und Österreichern zu unterscheiden. Monicault betonte die Folgen einer solchen Entscheidung für die österreichische Bevölkerung, deren Verbindungen mit dem Nachbarland weit vor 1918 zurückreichten, sowie für den österreichischen Staat, da ein Großteil der in der Tschechoslowakei entstandenen industriellen Betriebe mit österreichischem Kapital gegründet worden sei. Die Frage der österreichischen Vermögen sollte das tschechoslowakisch-österreichische Verhältnis dauerhaft vergiften und erst durch die Unterzeichnung des Vermögensvertrages im Jahre 1974 geregelt werden, die nach der Unterzeichnung des Prager Vertrages zwischen der Tschechoslowakei und der Bundesrepublik im Jahre 1973 erfolgte. Das Problem musste zuerst mit der Bundesrepublik geklärt werden, um mit einer finanziellen Entschädigung der Österreicher keinen Präzedenzfall zu schaffen. 28  Otto Habsburg hatte 1966 einen österreichischen Pass erhalten. Das ‚Problem Otto Habsburg‘ war mit der tschechoslowakischen Angst vor einer Restauration der Monarchie in Österreich verknüpft.

Die tschechoslowakisch-österreichischen Beziehungen

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Bedingung der Neutralität zurückerstattete, stellte einen ersten, wenn auch bescheidenen, Wendepunkt in den österreichisch-tschechoslowakischen Beziehungen dar. Artikel 2 des Vertrages garantierte die Unverletzlichkeit des österreichischen Staatsgebietes innerhalb der am 1. Januar 1938 gesteckten Grenzen und setzte damit den tschechoslowakischen Revisionsanträgen ein Ende. Die Tschechoslowakei war übrigens „der erste Staat, der am 30. August 1955 dem österreichischen Staatsvertrag beitrat und damit die Wiederherstellung eines souveränen Österreich anerkannte“ (Burka 2012: 179).29 Im Jahre 1958 erfolgte auf Initiative der Tschechoslowakei der – nicht verwirklichte –  Versuch eines offiziellen Treffens zwischen den beiden Regierungschefs, Julius Raab und Viliam Široký. Letzterer schlug im Sinne des Rapacki-­Planes die Errichtung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa vor. „Bundeskanzler Julius Raab zeigte sich zu konkreten Entspannungsschritten bereit, erklärte aber gleichzeitig, daß etwa die Handelsbeziehungen nur dann ausbaufähig seien, würde die Frage des österreichischen Vermögens in der Tschechoslowakei gelöst“ (Rathkolb 1995: 81). Mit der Ernennung Bruno Kreiskys zum österreichischen Außenminister im Jahre 1959 begann dann eine neue Phase der bilateralen Beziehungen, die auf Verbesserung ausgerichtet war. Ende der 1950er-Jahre übertraf Österreich, auf wirtschaftlicher Ebene, die Tschechoslowakei, die bisher der einzige Ostblockstaat war, dessen Lebensstandard mit demjenigen der westlichen Länder mithalten konnte (Wentker 2007: 155). Im Juni 1960 wurden in Wien bilaterale Verhandlungen aufgenommen, deren allererstes Ziel die Regelung der Vermögensfrage war. Das Ergebnis war jedoch schmal, man einigte sich auf zukünftige Verhandlungen über ein Rechtshilfeabkommen, ein Luftverkehrsabkommen und ein Sozialversicherungsabkommen sowie auf Verhandlungen hinsichtlich eines Handelsvertrags im Januar 1961 (Ullmann 2006: 170f.). Infolge der Entstalinisierung im Ostblock waren die 1960er-Jahre trotzdem eine günstigere Zeit für die Annäherung zwischen Österreich und der Tschechoslowakei (Peterlik 2002: 618), die bis 1975 aber jeweils nur über eine diplomatische Vertretung verfügten. Botschaften wurden erst 1975 nach dem Abschluss des Vermögensvertrages gegründet. Auf österreichischer Seite begann man, sich mehr für die Nachbarstaaten, insbesondere die Tschechoslowakei, zu interessieren, dies sowohl innerhalb der ÖVP (Österreichische Volkspartei) als auch innerhalb der SPÖ (Sozialdemokratische Partei ­Österreichs): Die ÖVP von Bundeskanzler Klaus „erklärte die ‚Ostpolitik‘ zu einem Grundpfeiler der österreichischen Außenpolitik“ und die SPÖ unter dem Vorsitz 29  Dejmek (2002: 185) gibt als Datum den 10. August 1955 an.

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von Bruno Kreisky sah den Donauraum „als zentrale Aufgabe der österreichischen Außenpolitik“ an (Burka 2012: 135). Von der Seite der Tschechoslowakei war der Wille zur Entwicklung der Austauschbeziehungen spürbar. Der österreichische Gesandte Calice wies darauf hin, dass „[n]ach mehr als einer Dekade kommunistischer Gesellschaftsordnung und Zugehörigkeit zum östlichen Militärbündnis Warschauer Pakt nunmehr in Prag der Wunsch [bestehe,] zu zeigen, dass die ČSSR auf kulturellem Gebiet ein westlich orientiertes Land geblieben sei“ (zit. n. Burka 2012: 193). Diese Entwicklung spiegelte sich zuerst in einer Auflockerung der Reisebeschränkungen wider.30 Lehnte Österreich weiterhin jeden institutionalisierten Kulturaustausch ab (Burka 2012: 193), wurde jedoch im September 1964 mit den „Stadtgesprächen Prag-Wien“ ein nicht unbedeutender Schritt getan. Diese Fernsehsendung entstand aus der Zusammenarbeit zwischen dem österreichischen Fernsehen (ORF) und dem tschechoslowakischen Fernsehen und wurde in beiden Ländern mit Simultanübersetzung direkt übertragen.31 Der Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen am 21. August 1968 vernichtete diese Annäherungsbemühungen, umso mehr als Österreich „der Neutralität verpflichtet“ war (Ruggenthaler 2008, s. S. 221ff.).

5. Der kulturelle Kontext Die 1960er-Jahre wurden oft als goldenes Zeitalter der tschechoslowakischen Kultur beschrieben (Wellner-Pospíšil/Pálenícek 2007). Sie lieferten also reichlich Material, um die Seiten einer Kulturzeitschrift wie IHE zu füllen. Diese Jahre bedeuteten ebenfalls den Anfang einer Öffnung der Tschechoslowakei Richtung Westen, was etwa der Anstieg der Zahl der Bürger, die in den 30  Im Jahre 1964 wurde in Bratislava eine Bresche in den Eisernen Vorhang geschlagen (Fejtö 1979: 196). 31  Vgl. den Bericht von Helmut Zilk (1927–2008) (2008: 1089–1093), dem damaligen österreichischen Moderator der Sendung. Dieser Bericht muss aber mit Vorsicht gelesen werden, da Zilks Tätigkeit als Informator der tschechoslowakischen Geheimdienste 2009 enthüllt wurde. Bezüglich dieser Sendung als eindeutiges Zeichen einer Liberalisierung des tschechoslowakischen Regimes betont Karl Peterlik (2002: 619), dass „[f]riedliche Koexistenz, wie sie am Beispiel der „Stadtgespräche“ praktiziert wurde, nicht Verzicht auf ideologische Auseinandersetzung bedeutete“. Alexander Burka (2012: 183) spricht seinerseits von einer „Kommunikation als Konfrontation“. Zu dieser Sendung, s. unten (S. 227ff.).

Der kulturelle Kontext

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Westen reisen durften, belegt: 168.000 im Jahre 1965, über 300.000 im Jahre 1967 (Bělina/Čornej/Pokorný 1995: 445). Die Lebensweisen veränderten sich, anwachsende Ersparnisse erlaubten es den Tschechoslowaken, sich mit dauerhaften Konsumgütern auszustatten. Wochenenden auf dem Land in einer sorgfältig in Stand gehaltenen chata, die auf einen Rückzug der Bevölkerung in die Privatsphäre hindeuteten, vermehrten sich. Vor allem veränderte sich der Lebensstil der Jugend mit dem rock and roll am Ende der 1950er, der Beatmusik in den 1960ern – mit Gruppen wie „The Angels“, „Olympic“, „Flamengo“ oder auch „The Matadors“32 –, und mit der Übernahme des Kleidungstils der westlichen jungen Generationen (Schulze Wessel 2018: 142f.; Knapík/Franc 2011). Lange Haare bei jungen Männern hatten in der Tschechoslowakei eine viel größere politische Bedeutung als im Westen, „denn lange Haare und ein lässiges Auftreten kontrastierten mit den Normvorstellungen vom disziplinierten sozialistischen Selbst“ (Schulze Wessel 2018: 142). Die „Langhaarigen“ wurden „Aktionen“ auf offener Straße ausgesetzt, „um ihnen unter Zwang die Haare zu scheren“, und „konnten […] nicht nur aus öffentlichen Verkehrsmitteln, Kultureinrichtungen und Gaststätten verwiesen, sondern auch von Schulen, Universitäten und ihrem Arbeitsplatz entlassen werden“, was eine „Kriminalisierungsspirale“ in Gang setzte (Schulze Wessel 2018: 142). Dies kann mit der Haltung des ostdeutschen Regimes und Erich Honeckers Rede vom 15. Dezember 1965 vor dem Zentralkomitee der SED in Verbindung gebracht werden. Honecker bezeichnete dort die DDR als „sauberen Staat“ und prangerte die „rebellische Jugend“ an, die u. a. von Wolf Biermann irrgeführt werde (zit. n. Steininger 2002: 269). Diese Entwicklungen spiegelten sich ebenfalls in der Literatur, im Theater und in den Filmen, im Grunde in allen Kunstformen, wider und erschütterten allmählich die etablierte Ordnung. In der Bundesrepublik entsprechen diese Jahre der Entstehung von Protestkulturen, die Kulturerscheinungen aus dem Osten wohlgesinnter waren. Dies galt insbesondere für den tschechoslowakischen Film. Die Protest- bzw. Gegenkulturen wurden durch die Jugend und die Studentenbewegung getragen, die über ein als erstarrt und übermäßig hierarchisch betrachtetes Hochschulsystem hinaus vor allem das verdrängte nationalsozialistische Erbe zu sprengen suchte (Lapchine/Iehl 2017: 16). Ihr Protest kam in der außerparlamentarischen Opposition (APO) zum Ausdruck. In der Tschechoslowakei entwickelte sich ab 1963 ebenfalls eine studentische Bewegung mit der Erscheinung einer 32  Diese tschechoslowakischen Gruppen sangen auf Englisch; am 20. und 21. Dezember 1967 fand in Prag das erste tschechoslowakische Beatfestival statt, genau zu dem Zeitpunkt, „als das Zentralkomitee über den Wechsel in der Parteispitze diskutierte“ (Schulze Wessel 2018: 141f.).

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Historischer, politischer und kultureller Kontext

„nonkonform[en] Studentenszene in Prag und später auch an anderen Universitäten“ (Schulze Wessel 2018: 140); die Studenten verlangten „eine Moralisierung der Politik“ (Schulze Wessel 2018: 141). Auch wenn zwischen der tschechoslowakischen und der internationalen Studentenbewegung eindeutige Unterschiede bestanden, teilte all diese Jugend einen gemeinsamen „Habitus des Protestes“ (Schulze Wessel 2018: 141), der u. a. von einer „eigen[en] Musikkultur“ geprägt war. Der Wind des Protestes wehte auch in Österreich, aber aufgrund von stärker verankerten konservativen Traditionen und der Unterdrückung des Prager Frühlings, deren Konsequenzen Wien befürchtete, entstand in Österreich keine Gegenkultur (Lapchine/Iehl 2017: 32; Neelsen 2017). IHE legte den Akzent jedoch nicht auf diese gegenkulturellen Ausdrucksformen, wie eine Tribüne von Lenka Reinerová im Dezember 1965 deutlich zeigt. Die Autorin warf dem Stern-Journalisten Carl Schmidt-Polex vor, nach seinem Prager Aufenthalt den Fokus kurzsichtig auf die Jeans und die Beatmusik der tschechoslowakischen Jugend gerichtet zu haben, und betonte dabei, dass diese Lebensweisen das tschechoslowakische Regime keineswegs stören würden: Denn zur selben Zeit, oder ungefähr zu derselben, da Herr Schmidt-Polex über junge Menschen aus der ČSSR nichts anderes zu berichten wußte, als daß sie blue jeans tragen und Beatmusik lieben (beides halten wir hierzulande für keine staatsgefährdende Attitüde) und seine zufälligen Damenbekanntschaften für typisch erklärte, während wir mit begreiflichem Stolz zur Kenntnis nahmen, daß wir uns tatsächlich nicht in Säcke kleiden, brachten unsere jungen Filmleute vom Mannheimer internationalen Wettbewerb wieder einmal (bereits zum dritten Mal) die Hauptpreise heim, schrieb die Presse der Bundesrepublik voll bewundernder Anerkennung über die Gastspiele der Prager Theater am Geländer, Semaphor und tschechoslowakischer Pantomime- und Puppenspielkünstler, werden – zum Teil sehr junge – Regisseure und Bühnenbildner an deutschen Theatern engagiert, legen deutsche Verlage Bücher – zumeist recht junger – tschechischer und slowakischer Autoren auf, sind in einer Reihe deutscher Städte Ausstellungen – größtenteils junge – Maler und Graphiker aus der ČSSR stehen seit Jahren auf der höchsten Rangliste. (Lenka Reinerová, „Ohne Schneeflocken und Glockenklang. Offene Tribüne“, IHE Dez. 1965: 9)

IHE widmete sich vielmehr einer als edler und vor allem als tschechoslowakisch empfundenen Kultur: Film, Theater, Literatur, Malerei und grafische Künste.

ZWEITER TEIL: Ein Kulturmagazin im Dienste der Kulturdiplomatie

Die Presse im sozialistischen System

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1. Die Presse im sozialistischen System Zuallererst muss die Frage des Status der Zeitschrift IHE als Kulturmagazin im Dienste der Kulturdiplomatie in einem sozialistischen Staat ins Auge ge­ fasst werden. Diese Frage betrifft das Verhältnis der Zeitschrift zum offiziellen Diskurs und zur Rolle der Presse in einem Ostblockstaat. Es liegt auf der Hand, dass vor der Abschaffung der Pressezensur im Jahre 1968 von einem unabhängigen Journalismus nicht die Rede sein kann.1 Bei der Untersuchung der Presse im sozialistischen Block stößt man sofort auf ein methodologisches Problem, aufgrund der fehlenden Pressefreiheit und der Tatsache, dass nur durch die Behörden befürwortete Inhalte veröf­ fentlicht werden durften. Dies bedeutet aber nicht, dass es in den Volksde­ mokratien Osteuropas keine Öffentlichkeit gab. Wie Paulina Gulińska-Jurgiel (2010: 33) gezeigt hat, „bildete die ostmitteleuropäische Öffentlichkeit eine Form von Öffentlichkeit, die nach eigenen Regeln agierte, andere Funktionen erfüllte und keinesfalls homogen war.“ Während „[i]n demokratischen Syste­ men die Medien in aller Regel unabhängig vom Staat organisiert [sind], [sind sie] [i]n sozialistischen Systemen Teil des politischen Systems und von der politischen Führung weitgehend abhängig“ (Olhausen 2005: 15). Dort kon­ trolliert der Staat die Gesamtheit medialer Prozesse, beginnend bei der Wahl der Journalisten bis hin zu Finanzierung und Vertrieb, über die Festlegung der Inhalte. Das sozialistische Mediensystem muss demnach drei Hauptaufgaben erfüllen: Propaganda, Agitation und Organisation: Als Propagandist sollten die Medien die Ideen des Marxismus-Leninismus in allen Bevöl­ kerungsschichten verbreiten […]. Als Agitator sollten die Medien die Politik der jeweils herrschenden Partei unterstützen und die Massen zur Erfüllung der gestellten Aufgaben mobilisieren. Dazu wurden die Informationen bewusst und parteilich ausgewählt. Als Or­ ganisator sollten Medien das Denken und Handeln der Bevölkerung organisieren. Der an­ leitende und kontrollierende Eingriff in die geplante kulturelle und politische Entwicklung sollte die Bevölkerung zum Handeln mobilisieren. Zusammenfassend sollten die Massen­ medien die Bevölkerung im Sinne der marxistischen Ideologie informieren, erziehen und mobilisieren. (Olhausen 2005: 34)

Thomas Brünner (2011: 21) skizziert dies bündig: „Schließlich hatten die Me­ dien in den staatssozialistischen Systemen nicht die Funktion, gesellschaftliche 1  Dabei müsste in Bezug auf diesen Zeitraum auch die Unabhängigkeit der westlichen Me­ dien relativiert werden, wurde diese doch nur langsam und mühsam errungen (Jeanneney 2015). Die damalige Zensur im Westen ist aber selbstverständlich mit jener im kommunis­ tischen Block nicht zu vergleichen.

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Ein Kulturmagazin im Dienste der Kulturdiplomatie

Informationen zu gewährleisten und öffentliche Kommunikation zu machen, sondern waren vor allem dem Ideologietransfer verpflichtet.“ Als Charakte­ ristika „sozialistische[r] Mediensysteme“ führt Olhausen an:

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 usbildung zum Journalisten sowie der Berufszugang waren staatlich geregelt oder zumin­ A dest kontrolliert. Partei oder politische Führung bestimmten Redakteure, vor allem Chefredakteure und Stellvertreter, bzw. mussten deren Ernennung zustimmen. Medien folgten inhaltlich den Weisungen des Staats- oder Parteiapparats, entweder durch Zensur bzw. Selbstzensur der Journalisten oder durch Instruktionen durch das Zentralko­ mitee bzw. von darunter liegenden Ebenen der Parteihierarchie. Das Informationsmonopol lag bei der jeweiligen inländischen Nachrichtenagentur wie bei­ spielsweise TASS (Sowjetunion), MTI (Ungarn), ČTK (Tschechoslowakei) oder AGER­ PRES (Rumänien). Medien wurden finanziell direkt oder indirekt vom Staat unterstützt. Presseverlage und Druckereien waren Eigentum von Staats- oder Parteiorganen bzw.  gesellschafts(-politischen) Organisationen, elektronische Medien waren Eigentum staatlicher Komitees; der Staat hatte das Vertriebs- bzw. Verbreitungsmonopol. (Olhausen 2005: 35)

Das staatliche Informations-Monopol war auch in der gesamten Struktur der Zeitungen umgesetzt worden: Zeitungen unterlagen einer strengen Lizenzpflicht; Presseverlage und Druckereien waren Eigentum von Staatsorganen, Parteien, Gewerkschaften oder ande­ ren politischen, gesellschaftlichen oder kulturellen Verbänden bzw. Organisationen. Selbst Papier und Druckfarbe unterstanden dem Staat, sie wurden kontingentiert und zugeteilt. Außerdem durften die Redaktionen ausschließlich die Nachrichtenagenturen ihres Landes abonnieren. Dieses Agentur-Monopol hatte natürlich politische Gründe, war aber auch eine Folge von wirtschaftlichen Zwängen. […] Die gesamte Berichterstattung war von der politischen Führung gelenkt und zentralistisch organisiert. In der einzelnen Zeitung wiederum herrschte das ‚Chefredakteursprinzip‘. Das heißt, der Chefredakteur hatte die alleinige Entscheidungskompetenz, die allerdings vom jeweiligen Herausgeber der Zei­ tung – der Partei oder einer der Massenorganisationen – stark beschnitten wurde. Leitende Redakteursposten wurden nicht nur von der politischen Führung bestimmt, sie wurden zumeist auch direkt mit „hochgestellten Parteikadern“ besetzt. (Olhausen 2005: 81f.)

An späterer Stelle wird zu zeigen sein, inwieweit diese Merkmale auch für die Tschechoslowakei und die Zeitschrift IHE gelten. Angesichts dieser strengen Kontrolle durch die politische Macht und die Partei unterscheidet sich jedoch die Auffassung der journalistischen Arbeit und der Rolle der Journalisten in sozialistischen Staaten zwangsweise von derjenigen in westlichen Demokratien. Ein bedeutender Unterschied liegt in der mangelnden Differenzierung zwischen Nachricht und Meinung in den sozialistischen Staaten, was, entsprechend der westlichen Auffassung, grob als fehlende Objektivität bezeichnet werden kann, auch wenn die News Bias-Forschung zeigt, dass auch die Presse in westlichdemokratischen Systemen nicht vor dieser Nicht-Trennung gefeit ist (Olhau­ sen 2005: 57). Immerhin müssen die Journalisten in den sozialistischen Staaten

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für die Interessen und Ziele der Arbeiterklasse Partei ergreifen (Parteilichkeit)2, als Mitglieder der Volksmassen denken und handeln sowie eine Art Bindestrich zwischen Massen und Partei bilden (Massenverbundenheit); schließlich wird ihre Tätigkeit durch das Prinzip der Wissenschaftlichkeit bestimmt, d. h., dass sie die Regeln und Methoden des Marxismus-Leninismus befolgen müssen. Ein weiterer erheblicher Unterschied besteht in der „Berichterstattung über Ostblockstaaten“, über die „positiv berichtet werden sollte“, während „die Berichterstattung über [die westlichen] Länder immer negativ auszufallen hatte.“ (Olhausen 2005: 84)

2. Die Presse in der Tschechoslowakei 2.1 Die Zensur Bis März 1968 war die tschechoslowakische Presse der Zensur unterworfen. Obwohl „erst mit dem Beschluss vom 22. April 1953 geregelt, mit der Grün­ dung der Hauptverwaltung zur Überwachung der Presse (Hlavní správa tiskového dohledu)“ (Gulińska-Jurgiel 2010: 90), war dies bereits seit der Machtergreifung durch die Kommunisten im Februar 1948 der Fall. Laut Jiří Hoppe (2008: 116) waren „[d]ie Medien in der Tschechoslowakei, gleich wie in den übrigen Staaten des sowjetischen Blocks, ein direktes Instru­ ment der Macht. Sie hatten die Funktion eines engagierten Vermittlers der Anordnungen des Machtzentrums […]. Jeder gewöhnliche Bürger, und umso mehr ein Funktionär des Staats- oder Parteiapparats, wusste, dass alles, was die Medien veröffentlichten, der Zensur unterlag.“ Hoppe hebt drei Haupt­ merkmale der tschechoslowakischen Medien hervor:

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die Medien dienten der KPČ zur Beherrschung der Gesellschaft und zur Durchsetzung ihrer Politik; die Medien waren von einem Zentrum abhängig und wurden von einem Zentrum gesteuert die Medien waren ein Instrument des ideologischen Kampfes. (Hoppe 2008: 116)

2  „Nach der Leninschen Lehre ist jeder, der in einer Klassengesellschaft lebt, auch Ange­ höriger einer Klasse; daher vertritt er zwangsläufig ihre Position. Eine Objektivität ist demnach nicht möglich. Das Bemühen nach einer objektiven Berichterstattung wird als ‚Objektivismus‘ verurteilt und gilt als maskierte Parteinahme für die Bourgeoisie und ihre Klasseninteressen. Die sozialistische Parteilichkeit hingegen ist ein Grundsatz des Marxis­ mus-Leninismus.“ (Löbl 1986: 303) Zur genauen Definition von Parteilichkeit, Massenver­ bundenheit und Wissenschaftlichkeit, vgl. Olhausen (2005: 84).

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Ein Kulturmagazin im Dienste der Kulturdiplomatie

Er schätzt die Anzahl der Journalisten in der Tschechoslowakei auf ca. 4500, von denen 80 Prozent Mitglieder der KPČ waren (Hoppe 2008: 117). Mit Einführung des „Gesetz[es] über die Herausgabe von Zeitschriften und über den Verband der tschechoslowakischen Journalisten“ im Jahre 1950 war die Mitgliedschaft in diesem Verband für die tschechoslowakischen Journalisten Pflicht, um ihren Beruf ausüben zu dürfen. Dieses Gesetz bedeutete das Ende des freien Journalismus. „Der Staat nahm sich so das Recht, Konzessionen zur Ausübung eines der freiesten Berufe zu erteilen und ihn so zu verstaatlichen“ (Malý 2005: 229). Seit 1945 war das Informationsministerium mit der Überwachung der Presse, der Informationspolitik, den Druckereien und Verlagen beauftragt. Dieses Ministerium wurde jedoch 1953 aufgelöst, ohne ersetzt zu werden, 1956 kamen diese seine Aufgaben dann dem Ministerium für Schulwesen und Kultur zu, bevor 1967 ein Ministerium für Kultur und Information geschaffen wurde, das „alle Aktivitäten der Regierung auf dem Sektor der Information, die Verantwortung für die Medien und ihre technische Ausstattung überneh­ men, die staatliche Propagandaarbeit führen, die Buchproduktion überwa­ chen und weitere ähnliche Aufgaben wahrnehmen [sollte]“ (Löbl 1986: 49). Aufgrund von „ständige[n] Neuorganisationen und Umbesetzungen“ locker­ te sich die staatliche Überwachung ab 1966 ein wenig, sodass „initiative Jour­ nalisten diese ständige Unsicherheit nutzen“ konnten (Löbl 1986: 49). Die 1960er-Jahre bedeuteten tatsächlich „tiefgreifende Veränderungen hinsicht­ lich der Lenkungsmechanismen der Presse“ (Gulińska-Jurgiel 2010: 90), etwa mit Einführung des Gesetzes „Über die periodische Presse und sonstige Mas­ seninformationsmittel“ vom 25. Oktober 1966 und der Umbenennung der 1953 gegründeten Hauptverwaltung zur Überwachung der Presse in die Publi­ kationszentralverwaltung (Ústřední publikační správa) im Jahre 1967 (GulińskaJurgiel 2010: 90). Laut Löbl (1986: 49) seien ab 1966 Entwicklungen „in allen Massenmedien“ zu spüren. Es ist folglich kein Zufall, wenn „[e]rste aktive Reformbestrebungen aus dem Schriftstellerverband und aus den Redaktionen mancher Zeitungen und Zeitschriften [kamen]“ (Löbl 1986: 56). Es sei hier z. B. auf den IV. Kongress des tschechoslowakischen Schriftstellerverbandes von 27. bis 29. Juni 1967 hingewiesen, wo explizite Kritik am Regime durch die Vermittlung von Intellektuellen und Schriftstellern wie Ludvík Vaculík, Ivan Klíma, Milan Kundera, Antonín Liehm, Václav Havel, Pavel Kohout und Karel Kosík geäußert wurde (Hoppe 2008: 119; s. S. 258f.). Ähnliches konnte bei den Journalisten anlässlich des V. Kongresses des Journalisten­ verbandes im Oktober 1967 beobachtet werden. „Zwar gelang es den Kon­ servativen […] noch, eine ‚große Koalition der Intellektuellen‘ zu verhindern.

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Bald erkannten sie aber, dass viele Journalisten nur formal mitgestimmt hat­ ten. Die Presse ließ sich nicht mehr den Mund verbieten“ (Löbl 1986: 57). Am 4. März 1968 beschloss das Zentralkomitee, „die Zensurbehörde von der Jurisdiktion des Innenministers zu befreien und sie einer anderen Ins­ tanz unterzuordnen, was im Endeffekt eine allgemeine Blockade der Behörde brachte“ (Gulińska-Jurgiel 2010: 90). Die Zensur wurde schließlich mit dem Gesetz Nr. 84/1968 vom 26. Juni 1968 aufgehoben, bevor sie gleich nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen wiedereingesetzt wurde.

2.2 Die tschechoslowakische Presselandschaft Wie sah die tschechoslowakische Presse in den 1960ern aus? Welches wa­ ren die Hauptperiodika? Um die Rolle von IHE ermessen zu können, muss sie in der tschechoslowakischen Presselandschaft verortet werden, wobei die zweifache Besonderheit der Zeitschrift als deutschsprachiges und für das Aus­ land bestimmtes Periodikum nicht aus den Augen verloren werden darf. Die Berücksichtigung des publizistischen Kontextes ist umso wichtiger, als die Medien im Reformprozess des sog. Prager Frühlings eine wesentliche Rolle spielten, insofern als sie sich von Machtinstrumenten zu Kritikern der Macht wandelten (Hoppe 2004: 432). IHE veröffentlichte übrigens in der Rubrik „Aus der Schere gelesen“ regelmäßig Auszüge aus der tschechoslowakischen Presse, hauptsächlich aus Rudé právo, aber auch aus Mladá fronta, Kulturní Život oder Literární Noviny.

2.2.1 Tageszeitungen Als politisches Organ und gemessen an ihrer Auflage war die Tageszeitung Rudé Právo die wichtigste Zeitung. Es handelt sich um das im Jahr 1920 gegrün­ dete Organ des Zentralkomitees der KPČ. Einer ihrer vorigen Chefredakteure war der Journalist Julius Fučík (1903-1943), der während seiner Haft im Prager Gefängnis Pankrác von April 1942 bis Juni 1943 die Reportáž psaná na oprátce [Reportage unter dem Strang geschrieben] verfasste und von den Nationalso­ zialisten hingerichtet wurde. IHE stellt ihn als Musterbild des Journalisten dar und greift dabei auf einen stalinistischen Mythos (Schulze Wessel 2018: 58) zu­ rück. Als meist gelesene und kämpferischste Zeitung nach 1945 erreichte Rudé Právo nach Februar 1948 eine Million Leser und stagnierte schließlich bei einer Auflage zwischen 750.000 und 1.000.000 Exemplaren, was einen Rückgang

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bedeutet, wenn man berücksichtigt, dass die Zeitung durch Pressekommissio­ nen der Partei, Netzwerke von Arbeiterkorrespondenten und die Einrichtung eines Tages der kommunistischen Presse gefördert wurde (Fisera 2018). Die zweite große Tageszeitung der damaligen Zeit war Práce, die Zeitung der Ge­ werkschaften. Zu den weniger politischen Zeitungen zählt die Tageszeitung der katholischen Volkspartei, Lidová Demokracie, die sich eher mit kulturellen Themen beschäftigte und vorwiegend Feuilletons und Erzählungen veröffent­ lichte. Wie alle Periodika, die nicht von der kommunistischen Partei herausge­ geben wurden, war ihre Auflage begrenzt und die täglich gedruckten 165.000 Exemplare entsprachen womöglich nicht der Nachfrage (Internationales Presse­ institut 1969: 61–63). Ähnliches galt auch für Svobodné Slovo, die Zeitung der Tschechoslowakischen Volkssozialistischen Partei des ehemaligen Präsidenten Edvard Beneš, die eine Auflage von 106.000 Exemplaren verzeichnete und sich an eine mit Lidová Demokracie vergleichbare Leserschaft wandte (Interna­ tionales Presseinstitut 1969: 63f.). Mladá fronta, die Tageszeitung der sozialis­ tischen Jugendorganisation, hatte keine große Leserschaft. Ihre relativ hohe Auflage von 287.000 Exemplaren könnte allein auf die Qualität ihrer Sportsei­ ten zurückzuführen sein (Internationales Presseinstitut 1969: 65). Unter den Tageszeitungen ist auch Zemědělské Noviny zu erwähnen, eine höchst populäre Zeitung, da sie die einzige war, die sich den Interessen der Landbevölkerung widmete (Internationales Presseinstitut 1969: 66–68).

2.2.2 Kulturmagazine Jean-Gaspard Páleníček (2007: 78) hat auf die Schlüsselrolle der Kulturmaga­ zine in den 1960er-Jahren hingewiesen. In dieser Hinsicht betont Jiří Hoppe (2008: 117), dass „kulturpolitische Wochenzeitungen, wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Revuen wie auch rein fachbezogene Druckwerke eine größere Bewegungsfreiheit erhielten. In ihnen konnte der Leser kriti­ sche Aufsätze, Polemiken oder Diskussionsmaterial lesen, die zur Verbrei­ tung der Reformgedanken und zur Ausformung einer öffentlichen Meinung beitrugen.“ Das Zentralkomitee der KPČ gab eine kulturpolitischen Fragen gewidmete Wochenzeitung mit dem Titel Kulturní tvorba heraus, aber die wich­ tigste, prestigevollste tschechoslowakische Kulturzeitschrift war das Organ des tschechoslowakischen Schriftstellerverbandes, Literární noviny, das ab 1. März 1968 Literární listy hieß. Jene Zeitschrift, die in ihren Anfängen das Modell der sowjetischen Literaturnaïa gazeta übernommen hatte, entwickelte sich zum Sprachrohr der intellektuellen Reformkommunisten; ihre Auflage

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unterschritt nie 100.000 Exemplare (Páleníček 2007: 78). Literární noviny wies ein offenkundig reformatorisches Profil auf und wurde langsam zum Sym­ bol der vorherrschenden geistigen Strömung, die sich dem Marxismus ge­ genüber kritisch zeigte und ihre Inspiration vielmehr im Existentialismus fand (Páleníček 2007: 101). Diese Zeitschrift war zweifellos die Zeitschrift des Prager Frühlings. Dort erschien Ludvík Vaculíks „Manifest der 2000 Worte“3 vom 27. Juni 1968. Mit einer Auflage von 400.000 Exemplaren ab Anfang 1967 wurde sie zu einem Massenorgan der Ideenverbreitung (Marès 2007b: 22). Seit 1966 beschäftigte sich die Zeitschrift zunehmend mit kulturpolitischen und aktuellen gesellschaftlichen Fragen, u. a. mit dem Problem der Verwüstung des Kulturerbes. Trotz häufiger Eingriffe der staatlichen Zensur konnte sie wichtige Themen außerhalb des rein literarischen Bereichs behandeln und wi­ derstand dem Druck des Regimes, den sie mit einigen formalen Veränderun­ gen in der Redaktion zu umgehen versuchte (Páleníček 2007: 111). Der tsche­ choslowakische Schriftstellerverband gab seinerseits eine monatliche Kultur­ zeitschrift, Plamen, heraus, deren Chefredakteur Jiří Hájek (1913–1994) war.4 Das „slowakische Pendant“ von Literární noviny, so Pavel Tigrid (1968: 112), war die Zeitschrift Kultúrny život, die vom slowakischen Schriftstellerverband herausgegeben wurde. In dieser Zeitschrift erschien u. a. am Ende des Jahres 1964 die lebhafte, vom slowakischen Romanschriftsteller Ladislav Mňačko (1919–1994) und dem deutschen Dramatiker Rolf Hochhuth (1931–2020)

3  Der Schriftsteller Ludvík Vaculík (1926–2015) veröffentlichte seit 1965 Beiträge in Literární noviny. In jenem Manifest, dessen vollständiger Titel Dva tisice slov, které patří dělníkům, zemědělcům, úředníkům, vědcům, umělcům a všem [Zweitausend Worte, die an Arbeiter, Landwirte, Beamte, Künstler und alle gerichtet sind] lautet, rief er zur Verteidigung eines von den vergangenen Irrtümern befreiten Sozialismus und zu gründlicheren und schnelleren Ver­ änderungen auf. Die Führung der KPČ, die die Reaktion Moskaus und der Mitglieder des Warschauer Paktes befürchtete, sah in dieser radikalen Kritik eine Gefahr für die Reform­ politik (Páleníček 2007: 115). Der österreichische Prager Gesandte Rudolf Kirschschläger (1915–2000) beschrieb diesen Text als „2000 Worte zur unrechten Zeit“ (Ullmann 2006: 139). Zu diesem Manifest und dessen Thematisierung in IHE, vgl. unten, S. 259f. 4  Dieser darf nicht mit dem gleichnamigen tschechoslowakischen Politiker und Diplomaten und kurzzeitigen Außenminister (April bis August 1968) verwechselt werden. Der Chefre­ dakteur von Plamen war Literatur- und Theaterkritiker und bekleidete hohe Funktionen in Schriftsteller- und Journalistenverband. Er verfasste einige Artikel in IHE oder WuS, meist über literarische Themen, aber auch zu politischen Fragen, wie etwa „Wiener Ost-WestDialog“ (WuS September 1965: 12f.) oder die deutsch-tschechoslowakischen Beziehungen („Was uns verbindet“, IHE September 1959: o. S.; „Damals vor 25 Jahren“, IHE März 1964: 11). Womöglich stammen von ihm auch einige Filmkritiken, die unter dem Kürzel „jh“ erschienen.

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angeführte Debatte.5 Um das Feld der tschechoslowakischen Kulturzeitschrif­ ten möglichst genau abzustecken, soll noch auf die Monatszeitschrift Tvář hingewiesen werden, die der jungen, nicht marxistischen Autorengeneration eine Plattform bot und daher 1965 eingestellt wurde (Páleníček 2007: 95-101)6, sowie auf Dějiny a současnost, eine monatliche historische Zeitschrift, die sich mit politischen, auch den gegenwärtigen, Fragen auseinandersetzte.

2.2.3 Die deutschsprachige Presse in der Tschechoslowakei Jürgen Herda und Georg Pacurar (2001) haben auf das Bestehen einer Viel­ falt von fremdsprachigen Medien in der sozialistischen Tschechoslowakei hingewiesen, insbesondere auf die für die deutschsprachige Minderheit in der Tschechoslowakei (s. S. 157ff.) bestimmte Wochenzeitschrift Prager Volkszeitung und auf die ans Ausland gerichteten Medien wie Radio Praha und IHE. Die Prager Volkszeitung ist in mehrfacher Hinsicht interessant, da es Verbindun­ gen zwischen dieser im Inland herausgegebenen Zeitung und der Exportzeit­ schrift IHE gab. Zunächst seien ein paar grundlegende Daten angeführt: Von den drei Millionen Deutschen, die bis 1945 in der Tschechoslowakei lebten, blieben nach der Vertreibung nur noch 200.000, und ihre Anzahl sank kontinuierlich (1950 beträgt sie 160.000; 1961 sind es 134.143 und 1970 nur noch 80.903) (­Novotný 2016: 145–147). Die in der Tschechoslowakei gebliebenen Deut­ schen wurden weitgehend diskriminiert: Ihr Eigentum wurde beschlagnahmt, die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft wurde ihnen ebenso entzogen (was den Verlust jedes Rechtsschutzes bedeutete) wie das Recht auf Rentenund Sozialversicherung. Diese Diskriminierungen wurden anfänglich von repressiven Maßnahmen (Zwangsarbeit, Lohnabzüge, gerichtliche Zuwei­ sung des Aufenthaltsortes, Tragen besonderer Kennzeichen) begleitet. Ein Teil dieser Restriktionen wurde erst ab 1953 aufgehoben, da ein Gesetz allen 5  Über diese Debatte wird mehrmals in IHE berichtet. Mňačko hatte sich geweigert, die Übersetzung und Veröffentlichung seines dem stalinistischen Terror in der Tschechoslo­ wakei gewidmeten Buches Oneskorené reportáže [Verspätete Reportagen] (1963) zu genehmi­ gen, weil er der Meinung war, dass diese Geschichte die Tschechoslowakei betreffe und im Westen nicht verstanden werden könne. Der Kölner Verlag Hegner ignorierte das Verbot des Autors ( [12.10.2021]). 6  Tvář wurde in der Bundesrepublik gelesen, wie uns der Journalist Michael Frank, der direk­ ter Zeuge der Ereignisse von 1968 in Prag war, bevor er später Prager Korrespondent der Süddeutsche Zeitung wurde, mitteilte.

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Deutschen, die sich kontinuierlich in der Tschechoslowakei aufgehalten hat­ ten, die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft verlieh, aber manche Rechte blieben ihnen weiterhin verwehrt: kein Minderheitenstatus, kein zugewiesener politischer oder kultureller Raum, keine Erziehung in deutscher Sprache. Diese Rechte erhielten sie erst im Jahre 1968. Bis dahin betrieb das tschechoslowaki­ sche Regime also eine Assimilationspolitik (Bazin 2002: 139f.). In diesem Zusammenhang mag die Existenz einer deutschsprachigen, für die deutsche Minderheit bestimmten Zeitung verwundern. Wie Lukáš ­Novotný (2016: 145f.) aufzeigt, „wurde die ethnische Identität [der deut­ schen] Mitbürger zwar im Kommunismus ständig geschwächt, doch duldete das Regime die eigene deutschsprachige Presse, die das ethnische Bewusstsein dieser Deutschen stärken sollte, doch wurde auch sie inhaltlich an der kom­ munistischen Linie orientiert.“ Die Prager Volkszeitung7 wurde im Jahre 1951 gegründet, hieß aber damals Aufbau und Frieden und wurde von den deutsch­ sprachigen Gewerkschaften herausgegeben. Indem sie sich in ihrer Mutter­ sprache an die Deutschen wandte, sollte sie diese wirksamer für den Kom­ munismus gewinnen. In diesem Sinne kam sie einem „Rudé právo in deutscher Sprache“ (Novotný 2016: 149f.) gleich. Ab 1966 wechselte sie den Namen zu Blatt der tschechoslowakischen Deutschen, dann zu Prager Volkszeitung. Es handelte sich um eine 20-seitige Wochenzeitung. Um besser über das Leben der deut­ schen Minderheit zu informieren, wurden regionale Redaktionen in Karlovy Vary, Liberec und Ústí nad Labem eingerichtet, d. h. direkt dort, wo sich die potenziellen Leser befanden, was auch die Qualität der Artikel erhöhte und sogar die Besprechung von „bis dahin tabuisierten Themen“ wie der „Aus­ wanderung der Deutschen oder Klagen durch Benachteiligung der deutschen Sprache in der Öffentlichkeit“ (Novotný 2016: 150) ermöglichte. Auch wenn „[d]ie Zielgruppe […] von Anfang an […] die deutsche Minderheit [war], waren spezifisch sudetendeutsche Inhalte […] in der sozialistischen Tsche­ choslowakei im Prinzip nicht erwünscht, das Deutschtum wurde als negativ angesehen“, nuanciert Olhausen (2005: 205): „Die Prager Volkszeitung sollte vielmehr tschechoslowakisches Leben in deutscher Sprache widerspiegeln.“ Dies wäre also eine erste Gemeinsamkeit mit IHE. Trotz aller Restriktionen hätte die Prager Volkszeitung über „Narrenfreiheit“ verfügt, so Ingrid Pavel, die bis 2005 Chefredakteurin der Zeitung war, weil die Kontrollbehörden „gar nicht Deutsch konnten“ (Olhausen 2005: 202). Eine zweite Gemeinsamkeit mit IHE scheint im Raum, der Bildern und Illustrationen ­gewidmet wurde, zu 7  Die Darstellung der Prager Volkszeitung stützt sich auf die Studien von Lukáš Novotný (2016) und Manuela Olhausen (2005: 201–224 u. 350f.).

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liegen: „mindestens ein Zehntel der Darstellungsformen“, wobei die Bilder u. a. die tschechoslowakische Planwirtschaft dokumentieren sollten (Olhau­ sen 2005: 351). Was aber IHE mit der Prager Volkszeitung vor allem verband, war die Diffu­ sion zwischen beiden Redaktionen, da nicht wenige Beiträger der Prager Volkszeitung auch in IHE publizierten, angefangen mit Lenka Reinerová und ihrem Ehemann Theo Balk8 sowie Leo Brod und Pavel Eckstein (s. S. 102f.). Im März 1968 veröffentlicht IHE einen Artikel von Vojmír Šimonek, dem Chef­ redakteur der Prager Volkszeitung: „Unsere Meinung zur Nationalitätenfrage“ (IHE März 1968: 5f.). Die Mitglieder der IHE-Redaktion werden an späterer Stelle vorgestellt (s. S. 84ff.). Hier soll nur kurz der Beitrag Lenka ­Reinerovás zu der Zeitung, die damals noch Aufbau und Frieden hieß, erwähnt werden. Der Nachlass der Autorin in der Akademie der Künste in Berlin enthält ei­ nige Dokumente, die ihre Zusammenarbeit mit dieser Zeitung zu beleuch­ ten vermögen und dieser eine größere Bedeutung verleihen, als ­Reinerovás autobiografische Schriften und Interviews es vermuten lassen. Niemals hat die Autorin nämlich über diese Zusammenarbeit öffentlich berichtet. In der Erzählung Die Premiere (Reinerová 1989: 27 u. 115) spielt sie zwar zweimal auf Aufbau und Frieden an, erwähnt aber lediglich Theo Balk oder Heinz Frank und verschweigt vollkommen ihren eigenen Beitrag zu der Zeitung. Ein einziger Presseartikel vom 15. September 1961, der im Nachlass zu finden ist, thema­ tisiert das Verhältnis der Journalistin zu Aufbau und Frieden: Den Aufbau und Frieden lese ich mit besonderen Augen, anders als die übrigen Zeitungen. Weil ich die Redakteure persönlich kenne? Mag sein. Weil ich aushilfsweise manchmal ein paar Tage, einmal ein paar Wochen an einem seiner Schreibtische sass? Vielleicht. Aber es muss noch etwas anderes sein, denn viele Menschen, die keine so intime Kenntnis der Re­ daktion haben, freuen sich über Erfolge des Aufbaus gleichfalls auf ganz besondere Weise und geraten über jeden etwaigen Fehler und jede Schwäche in ganz besonderen Harnisch. Warum? Weil er jung ist. Was sind schon zehn Jahre im Leben einer Zeitung! Weil er tapfer und tüchtig ist und seine Aufgabe als einziges Organ der deutschsprachigen Werktätigen der CSSR [sic] ehrenvoll erfüllt. Weil er unser verlässlicher Weg- und Kampfgefährte ist: gegen Faschismus und Krieg, für Sozialismus und Frieden. Deshalb liest man wohl den Aufbau und Frieden mit besonderem Interesse. Und deshalb ist er uns im Laufe dieses ersten Jahrzehnts besonders ans Herz gewachsen. (Reinerová-Nachlass, Literaturarchiv der Aka­ demie der Künste, Berlin)

8  Theo Balk (1900–1974) ist der Autor von drei Reportagen, die in IHE erschienen: „Am Urquell“ (IHE Juli 1959), „In den Amphitheatern der Kohlenbrücke“ (IHE Juli 1960) und „Für und wider in Karlsbad. Nachklänge eines Filmfestivals“ (IHE September 1962).

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Aus diesen Zeilen geht hervor, dass Lenka Reinerová Aufbau und Frieden nicht deshalb liest, weil die Zeitung auf Deutsch verfasst ist. Dies wird nebenbei erwähnt, besteht doch das Ziel der Zeitung darin, die Identifizierung der deutschsprachigen Leser mit der sozialistischen Gemeinschaft zu unterstützen. Da Lenka Reinerová Zeitungsausschnitte ihrer Beiträge zu Aufbau und ­Frieden sorgfältig aufbewahrt hat, ist es möglich, den Beginn ihrer Zusam­ menarbeit mit dieser Zeitung im Jahre 1954 zu datieren, wobei der erste im Nachlass vorhandene Artikel vom 5. April 1954 stammt. Die Journalistin lebte damals mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter in Pardubice, wo sie in einer Glas- und Porzellanfabrik arbeitete.9 Dieses Kapitel ihrer Biografie folgt auf ihre Verhaftung im Jahre 1952 und ihre fünfzehnmonatige Haft in Prag im Rahmen der Säuberungen in der tschechoslowakischen kommunistischen Partei und des Slánský-Prozesses.10 Lenka Reinerová und ihre Familie durften erst im Jahre 1955 nach Prag zurückkehren. Mit Aufbau und Frieden konn­ te sie also den Journalistenberuf wieder aufnehmen. Theo Balk scheint erst nach der Rückkehr nach Prag Redakteur der Zeitung geworden zu sein. Lenka ­Reinerovás Beitrag ist relativ umfangreich, wie sich nach der Anzahl der im Archiv der Akademie der Künste in Berlin aufbewahrten Artikel beurteilen lässt: 6 Artikel im Jahre 1954, 12 im Jahre 1955, 9 im Jahre 1956 und 10 im Jahre 1957. Ab 1958, als die Journalistin begann, bei IHE zu arbeiten, sank diese Zahl, ohne dass aber die Verbindungen mit der Wochenzeitung abbra­ chen: Sie veröffentlichte dort noch 4 Artikel im Jahre 1958, 2 im Jahre 1960, einen in den Jahren 1961 und 1962, 2 im Jahre 1963. Dabei handelt es sich oft um ihren Freunden oder Mentoren gewidmete Gedenktexte (Franz Carl Weiskopf, Egon Erwin Kisch oder Anna Seghers) sowie um Erzählungen oder auch Filmkritiken, aber keineswegs um Beiträge mit irgendwelchem po­ litischen Inhalt, im Gegensatz zu den Artikeln, die sie später für IHE verfasste. In Aufbau und Frieden zeichnete sie ihre Beiträge mit der deutschen Form ihres Namens (Lenka Reiner) oder mit dem Kürzel „lka“.11 Der Berliner Nachlass enthält auch eine Erzählung mit dem Titel Pedro und das Bild, die im November 1956 in der Zeitschrift Freundschaft veröffent­ licht wurde. Diese Zeitschrift war für das Erlernen der deutschen Sprache bestimmt (Novotný 2016: 152). Novotný erwähnt darüber hinaus noch ein deutschsprachiges Blatt, Prager Presse, das sich an deutschsprachige Touristen wandte, IHE jedoch mit keinem Wort. 9  Diese Erfahrung verarbeitete sie literarisch in der Erzählung Glas und Porzellan (Reinerová 2003b: 73–116). 10  Vgl. den 2003 erschienenen autobiografischen Bericht Alle Farben der Sonne und der Nacht. 11  Vgl. im Anhang die Liste von Lenka Reinerovás Artikeln in Aufbau und Frieden (Dok. 4).

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3. D  ie Zeitschrift IHE 3.1 Der Orbis-Verlag (1921–1997)12 Der Orbis-Verlag wurde am 23. März 1921 mit dem Ziel gegründet, dem Wunsch des damaligen tschechoslowakischen Außenministers Edvard Beneš nach einem Organ, das imstande wäre, über das Leben in der Tschechoslo­ wakei zu informieren und zur Verbreitung dieser Informationen ins Ausland beizutragen, nachzukommen.13 Der Verlag entstand als Privatgesellschaft, die jedoch ob der Mitgliedschaft von Repräsentanten der politischen Parteien im Vorstand durch den Staat kontrolliert wurde. Dies bestätigte Lenka Reinerová in einem Interview im November 1997: Der Orbis-Verlag war der offizielle Verlag des tschechoslowakischen Außenministeriums. Er bestand bereits vor dem Krieg und brachte damals eine deutsche Tageszeitung heraus, „Die Prager Presse“, mit sehr guten Journalisten. Der Beneš sagte sich, die Regierung der jungen tschechoslowakischen Republik brauche ein Organ, und das müsse auf deutsch sein, denn Tschechisch könne doch einen Meter jenseits unserer Grenze sowieso keiner lesen. (Eisenbürger 1997)

Diese Anspielung auf die Prager Presse (1921–1938) erweist sich als besonders interessant: Ihr Chefredakteur war Arne Laurin, dessen wahrer Name Arnošt Lustig (1889–1945) war14, und es ist anzunehmen, dass IHE sich von jener Zeitung inspirieren ließ, die ebenfalls das Ziel verfolgte, die Tschechoslowakei im Ausland bekannt zu machen und deren „Kulturrubrik sich hinsichtlich der Qualität auf gleichem Niveau wie die Bohemia und das Prager Tagblatt bewegte und für die deutsche Kulturöffentlichkeit eine wichtige Quelle zur tschechi­ schen Kultur war“ (Höhne/Köpplová 2017: 102; zur Prager Presse Topor 2019). Orbis als „d[en] offiziell[en] Verlag des tschechoslowakischen Außen­ ministeriums“ zu charakterisieren, trifft aber nur für die Zeit der Ersten 12  Für eine vollständige Präsentation dieses Verlags, auf die sich vorliegende Ausführungen weitgehend stützen, vgl. Přibáň (2014: 345–380). Siehe auch Halada (2007: 249f.). 13  Antoine Marès (2015: 171) hat die Rolle der Informationsabteilung des Außenministeri­ ums unter Beneš hervorgehoben. Es gehe u. a. darum, die Auslandspresse zu beeinflussen, über die Tätigkeit der revisionistischen Bewegungen zu berichten, prominente Ausländer zu empfangen, Tschechoslowakei-freundliche Lobbys zu unterstützen, Periodika zu veröf­ fentlichen und als Presseagentur zu fungieren. 14  Er darf nicht mit dem tschechischen Schriftsteller Arnošt Lustig (1926–2011) verwechselt werden, der ein gelegentlicher Mitarbeiter von IHE war und von dem an späterer Stelle (S. 108) die Rede sein wird.

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­ schechoslowakischen Republik zu. Im Laufe seiner Geschichte war der Verlag T verschiedenen Institutionen oder Organen unterstellt. So geriet die Gesellschaft nach dem Münchner Abkommen im September 1938 unter die Kontrolle der Presseabteilung des Vorsitzenden des Ministerrats [Tiskový odbor Předsednictva ministerské rady], dann, im Mai 1945, unter jene des Informationsministeriums, das später zum Informations- und Erziehungsministerium [Ministerstvo informací a osvěty] wurde. Nach der Auflösung dieses Ministeriums im Jahre 1953 war Orbis dem Kulturministerium – unter seinen diversen, wechselnden Bezeich­ nungen (Bildungs- und Kulturministerium von 1956 bis 1967, Kultur- und Informationsministerium von 1967 bis 1969, dann wiederum Kulturminis­ terium ab 1969) – unterstellt.15 Nach 1956 stabilisierte sich allmählich die Struktur der Orbis-Gesellschaft, die sich nun der Herausgabe von Büchern, Periodika, Postkarten und Plakaten16 widmete und eine Abteilung für Journa­ lismus sowie eine andere für Staatspropaganda im Ausland umfasste. Letztere wurde im Jahre 1954 gegründet und war mit der Herausgabe fremdsprachiger Publikationen (darunter Periodika) beauftragt sowie verantwortlich für das Funktionieren der Kulturzentren im Ausland. Die redaktionelle Linie von Orbis artikulierte sich also progressiv um bestimmte Richtlinien, die während der Ersten Tschechoslowakischen Re­ publik (1918–1939) festgelegt worden waren und enge Verbindungen mit dem Staat und der Regierungspolitik voraussetzten, die über Regimeänderun­ gen hinweg ein kontinuierliches Charakteristikum des Verlags blieben. Nebst der Veröffentlichung von politischen und propagandistischen Büchern ori­ entierte sich Orbis in Richtung Fach- und populärwissenschaftliche Literatur, besonders im Bereich der Sozial- und Geisteswissenschaften. Schwerpunkte 15  Auch wenn Orbis damals offiziell dem Bildungs- und Kulturministerium unterstellt war, muss präzisiert werden, dass der Orbis-Fonds im tschechischen Nationalarchiv eine nicht geringe Anzahl von als „geheim“ abgestempelten Berichten aufweist, die an das Außenmi­ nisterium gerichtet sind, was bedeutet, dass dieses Ministerium die Aktivitäten des Verlags sorgfältig prüfte. 16  Ein Artikel von Marie Šimáková mit dem Titel „100 Millionen Ansichtskarten“ (IHE Dezember 1966: 29–31) betont diese Besonderheit des Orbis-Verlags: „Fünfundsechzig Millionen schwarzweiße, fünfundzwanzig Millionen farbige Ansichtskarten erscheinen all­ jährlich. Der Verlag Orbis hält auf hohes künstlerisches Niveau der Ansichtskarten […] Zweihundert Fotoreporter arbeiten für den Verlag. […] Der Ansichtskartenverlag hat eine eigene künstlerische Kommission, bestehend aus fünf bekannten Kunstfotografen […]. Der Verlag Orbis hat es sich zur Aufgabe gemacht, künstlerisch hochwertige Fotografien herauszugeben. […] In der Edition Profile sind bereits viele Aufnahmeserien hervorragen­ der tschechoslowakischer Kunstfotografen, wie Karel Plicka, Josef Sudek, Karel Hájek, Miroslav Hák, Václav Jírů u. a. erschienen.“

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waren Geografie, Reiseliteratur sowie Kinderbücher (ab der Zeit des ‚Protek­ torates‘). Orbis spezialisierte sich auch auf Abenteuerliteratur und nach 1945 auf Publikationen mit Bezug zu Theater und Film. Ein Aspekt tritt deutlich hervor, nämlich die propagandistische Betätigung im Dienste des tschechoslowakischen Regimes, was Zdeněk Šimeček (2002: 184) knapp zusammenfasst, indem er Orbis als eine „Einrichtung des Informa­ tionsministeriums, [die] vor allem Propagandadrucke für das Ausland herstell­ te“, präsentiert. Seit Mai 1945 war übrigens der gesamte Editionssektor – also nicht nur Orbis – dem Informationsministerium unterstellt, das um eine Um­ gestaltung des Buchmarktes bemüht war. Das Ministerium lag damals in den Händen des Kommunisten Václav Kopecký (1897–1961). Die Verwaltung und Zuweisung der Papierbestände war ein Mittel, den Sektor zu beeinflussen, be­ vor das Gesetz über den „Schutz der Republik“ im Dezember 1947 durch das Zentralkomitee der KPČ verabschiedet wurde. Dieses Gesetz schränkte die Pressefreiheit ein und „beauftragte das Informationsministerium ein eigenes Organ einzurichten, das systematisch die Druckschriften überwachen sollte“ (Šimeček 2002: 181). Die Kommunisten sicherten sich also schon lange vor dem Prager Putsch von Februar 1948 die Kontrolle über die Presse und das Verlagswesen und vollendeten diese Übernahme im Mai 1948 mit einem Ge­ setz über die Nationalisierung der polygrafischen Industrie, dann, am 4. März 1949, mit einem „Gesetz über die Herausgabe und Verbreitung von Büchern, Musikbänden und anderer nichtperiodischer Publikationen“, das vorsah, „dass nur sozialistische Institutionen und soziale Organisationen eine Verlagstätig­ keit durchführen können. Zuständig wurde das Ministerium für Information und Erziehung, das die Befugnis zur Publikation erteilte.“ (Šimeček 2002: 182). In seiner Schilderung des Orbis-Verlags erwähnt Michal Přibáň (2014: 372f.) flüchtig die Zeitschrift IHE, wobei er sie explizit in Orbis‘ Nachkriegs­ aufgabe einordnet, nämlich die Herausgabe von neuen fremdsprachigen, pro­ pagandistischen Periodika.

3.2 Die materielle Beschaffenheit der Zeitschrift IHE ist eine Zeitschrift im Format 32,5 x 24 mit 32 Seiten. Im Durchschnitt sind vier Seiten Werbeanzeigen gewidmet – für tschechoslowakische Produkte und Exportunternehmen wie Centrotex, Prago-Export, Technoexport, Tuzex oder Kovo, oder auch Werbung für den Tourismus in der Tschechoslowakei. Rein vi­ suell betrachtet erinnert IHE stark an westliche Illustrierte der 1960er-Jahre, die sich an das amerikanische Magazin Life anlehnten, und es ist durchaus möglich,

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dass IHE sich von Life inspirieren ließ, um das Interesse der Leser im Westen zu wecken. Die englischsprachige Ausgabe heißt übrigens nicht „In the heart of Europe“, sondern Czechoslovak Life, so wie die französische, italienische und schwedische Ausgabe jeweils La Vie tschécoslovaque, Vita cecoslovacca und Livet i Tjeckoslovakien betitelt sind.17 Der Vergleich mit Life scheint umso treffender, als das amerikanische Ma­ gazin damals als angesehener Vertreter des Fotojournalismus galt, den auch die tschechoslowakische Monatsschrift vertreten wollte (s. S. 109ff.). Neben Ähnlichkeiten in Format und Akzent auf Fotoreportage sticht eine weitere gleich auf dem Cover ins Auge: Wie bei Life besteht dieses einfach aus einer Farbfotografie und dem Titel der Zeitschrift, der in weißen Großbuchstaben auf meist rotem Hintergrund gedruckt ist.18

Abb. 1–4: Mai 1961 – Januar 1962 – April 1962 – Oktober 1962 17  Die verschiedenen Ausgaben werden an späterer Stelle (S. 77ff.) differenziert präsentiert. 18  Zur ausführlichen Analyse des Covers von IHE s. unten S. 118ff. Erstaunlicherweise ent­ scheidet sich IHE erst im Jahre 1970, während der „Normalisierung“ also, definitiv für den roten Rahmen. Die Gestaltung des Titels, der von Life übernommen worden zu sein scheint, erinnert auch an die Zeitschrift Scala International, die im Januar 1961, also drei Jahre nach IHE, durch das Bundespresseamt gegründet wurde und dazu bestimmt war, im Ausland für die Bundesrepublik Deutschland zu werben. Scala International erschien auch in vier Sprachen (Englisch, Französisch, Deutsch und Spanisch) (D’Angelo 2018: 231–234). Jene westdeutsche Zeitschrift, deren riesige Auflage allein für das französische Staatsgebiet 900.000 Exemplare betrug, erzielte dennoch geringen Erfolg, vor allem wegen mangeln­ der Qualität. Sie war explizit als Gegenstück zur DDR-Revue gegründet worden, die die Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland seit 1956 herausgab (D’Angelo 2018: 232). Die DDR-Revue hatte auch einen weißen Titel mit rotem Hintergrund. Aber die tschechoslowakische Zeitschrift scheint in dieser Hinsicht Pionierin gewesen zu sein, da bereits Czechoslovak Life, die seit 1946 erschien, diese Gestaltung aufwies. Auch wenn IHE und Scala International ein ähnliches Ziel verfolgten, nämlich das eigene Land in seinem besten Licht zu zeigen, gab es einige bedeutende Unterschiede: IHE war auf die Tschecho­ slowakei fokussiert, während Scala International den Akzent auf die Öffnung zur Welt und zu anderen Kulturen setzte; die Druck- und Übersetzungsqualität war bei Scala International eher gering und im Gegensatz zu IHE verbarg sie ihren Ursprung.

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Die Titel- und Umschlagseiten sind auf Glanzpapier gedruckt. IHE erhob Anspruch auf Ästhetik und Druckqualität. Der Zeitschrift kann kaum vorge­ worfen werden, was sonst sozialistische Waren (schlechtes Papier, übelriechen­ der Klebstoff, niedrige Bildqualität, fehlerhafte Fertigung) generell charakte­ risierte (Galmiche 2007: 277). Mit diesem Anspruch auf Qualität wird zum Beispiel argumentiert, wenn es darum geht, den Verzicht auf die Zusendung kostenloser Exemplare zu rechtfertigen: Die Zunahme der Abonnenten hat uns nämlich gezwungen, die Zahl der Freiexemplare ganz erheblich einzuschränken. Denn die Auflage einer im Kunstdruck erscheinenden Zeitschrift läßt sich aus technischen Gründen nicht ins Unendliche steigern, vor allem nicht ohne Ein­ buße der Bildqualität. Und das wollten wir nicht. (IHE September 1962, Beilage: o. S.)

Zwar ist der tatsächliche Grund dafür wahrscheinlich vielmehr ein finanzieller, aber fest steht, dass die Monatsschrift, die als Schaufenster des Regimes fun­ gierte, großen Wert auf Layout, Typografie, Illustrationen und künstlerische Gestaltung legte. Die Seiten im Inneren der Zeitschrift sind zweifarbig: Der Text der Artikel ist schwarzweiß gedruckt, ebenso wie die Fotografien und diver­ sen Abbildungen (diese sind auf allen Seiten anzutreffen), aber Überschriften und Legenden werden meist in Farbe hervorgehoben, entweder mit einem farbigen Kasten oder kolorierter Schrift. Die Paginierung verschwindet im April 1958 und wird erst 1962 wieder eingeführt. Die Zeitschrift umfasst nun 29 Seiten, ausgenommen Werbeseiten und einer vierseitigen Beilage, deren Platzierung im Laufe der Jahre wechselt (zuerst in der Mitte, dann an Anfang und Ende der Zeitschrift). Bis 1962 ist das Impressum sehr knapp und besteht nur aus den folgenden Informationen: Orbis-Verlag, Prag. Anschrift der Redaktion: Praha 12, Postamt 31, Postfach 213. Tele­ phon 226145. Druck: Knihtisk, n. p.19, Prag. Distribution in der ČSR Postamt Praha 022. (IHE Februar 1958)

Dies sind die ersten Anfänge einer Redaktion, die damals in der Prager Peri­ pherie angesiedelt ist. Ab April 1958 kommen verschiedene Vertriebsorte in der Bundesrepublik Deutschland, in Österreich und der Schweiz hinzu. Im Jahre 1962 zieht die Redaktion in die Stadtmitte, in den 1. Bezirk. Das Impres­ sum ist nun detaillierter: Erscheint im Orbis-Verlag Prag Chefredakteur: Dr. G. Solar Stellvertretender Chefredakteur: L. Reinerová Graphische Gestaltung: J. Ficenec und M. Fulín Redaktion: Praha 1, Opletalova 5, Telephon 223007 19  Die Kürzel bedeuten „národní podnik“ [Nationalunternehmen].

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Druck: Knihtisk 1, n. p., Prag Versand in der ČSSR: Postamt Prag 022 Auslieferung f. d. Ausland: Artia-Zeitschriftenvertrieb, Praha 1, Ve Smečkách 30

Die Redaktion wurde zwischen 1958 und 1970 an verschiedenen Orten be­ herbergt: zuerst in der Prager Vorstadt (Praha 12), dann ab 1962 in der Innen­ stadt (Praha 1, Opletalova 5), später im Palais Chamaré, das in der Ausgabe von September 1967 vorgestellt wird, und schließlich in der Langen Gasse (Dlouhá), von der in Lenka Reinerovás autobiografischen Erzählungen die Rede ist. Die Redaktion scheint mit Platz- und Personalmangel konfrontiert worden zu sein, wie Chefredakteur Solar in einem Brief vom 10. September 1962 an den Bildungs- und Kulturminister vermerkt (Tschechisches National­ archiv, Orbis-Fonds). Die Redaktion bestand tatsächlich – so Reinerová – am Anfang aus zwei Personen, Reinerová und Gustav Solar, und überschritt nie­ mals vier Mitglieder (Reinerová-Nachlass, Prager Literaturarchiv). Ab Januar 1965 zählt die Redaktion also zwei zusätzliche dauerhafte Redakteure: Karel Trinkewitz und Milan Škarýd. Das Problem ungenügender Räumlichkeiten wurde mit dem Umzug in das Gebäude der Dlouhá nicht gelöst, zumindest nach Reinerovás Bericht. In der folgenden Szene schildert diese ihre Rückkehr in das Redaktionsgebäude Anfang der 2000er-Jahre: „Das war Ihr Zimmer?“ fragte die Dame des Hauses, die uns herumführte, verwundert, als wir dort ankamen. „Ist ja so klein, sieht fast wie eine Nische aus. Was war Ihre Funk­ tion in der Redaktion?“ „Ich war die Chefredakteurin.“ „Und da saßen sie hier?“ „Ja, und sehr gern.“ Ich mußte lachen. „Chefredakteure, so hat mir einmal jemand erzählt, sollten tunlichst ein geräumiges Sekretariat und für sich einen ganz kleinen Raum haben. Beides bekommt angeblich dem guten Verlauf der Arbeit.“ (Reinerová 2006a: 136f.)

3.3 Zwei Zeitschriften für den deutschsprachigen Raum 3.3.1 I HE und die englisch-, französisch-, schwedisch- und italienischsprachigen Ausgaben Die im Jahre 1958 lancierte Zeitschrift IHE wandte sich an die Leser der Bun­ desrepublik, aber auch an jene Österreichs, der Schweiz und Luxemburgs20 20  Die IHE-Redaktion wendet sich mehrmals explizit an Leser in Luxemburg, z. B. mit dem Beitrag „Die Luxemburger und Böhmen“ (IHE Juni 1962: 18–20): „Diese Seiten wid­ men wir unseren Freunden in Luxemburg, die dieser Tage ihr Nationalfest feiern. Es mag

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sowie, wenn auch in geringerem Maße, an die Leser in der DDR. Lenka ­ einerová berichtet, dass IHE „in der DDR […] unter dem Ladentisch ver­ R kauft wurde“ (Eisenbürger 1997), aber die Leserrubrik und die Leserwettbe­ werbe, die auch DDR-Bürger kürten, zeugen von einer offiziellen Rezeption der Zeitschrift im ostdeutschen Staat.21 IHE ist die deutschsprachige Ausgabe einer Zeitschrift, die, wie bereits erwähnt, auch unter anderen Namen und in anderen Sprachen ediert wurde. Ein auffälliger Unterschied liegt jedoch im Namen IHE, der sich von allen anderen, gleich betitelten Ausgaben (Tschechoslowakisches Leben) abhebt. Bis zur Fusion im Jahre 1968 sind die jeweiligen Redaktionen voneinander abhängig, was ein Vergleich zwischen IHE und La Vie tchécoslovaque bestätigt.22 manchen Leser in größeren Ländern wundern, daß die ČSSR im kleinen Luxemburg eine stattliche Zahl von Freunden und unsere Zeitschrift mehrere hundert Leser hat. Wir grü­ ßen unsere luxemburgische Freundesgemeinde auf das herzlichste und wünschen ihr und ihrem schönen und friedlichen kleinen Land alles Gute.“ Die historischen Verbindungen zwischen den beiden Ländern werden in der Beilage von Oktober 1964 erneut hervor­ gehoben, wobei das Impressum fortan auf Luxemburg als Vertriebsort hinweist: „Liebe Luxemburger! Sie wissen sicher, daß Ihr Land mit dem unseren durch zweierlei historische Bande verknüpft ist – die jahrhundertealten aus der Zeit der luxemburgischen Dynastie auf dem böhmischen Königsthron und die jahrzehntealte aus der Zeit der Naziokkupation unserer beiden Länder. Was Sie vielleicht noch nicht wissen, ist die merkwürdige Tatsache, daß unsere Länder einander auch äußerlich landschaftlich ähnlich sind: derselbe liebliche Mittelgebirgscharakter, die gleichen bizarren Felsformationen, ähnliche Weinbaugegenden in ähnlich weiten Flußtälern – kein Wunder, daß sich die Luxemburger in Böhmen wohl­ fühlten. Des Gemeinsamen gibt es noch mehr in Kunst, Kultur, Folklore, und wo so vieles da ist, lohnt es sich schon, diese Bande fester zu knüpfen, mehr von einander kennenzuler­ nen, trotz oder eben wegen verschiedener Auffassungen über Gesellschaft und Wirtschaft. Nur so können gedankliche Kurzschlüsse, kalte und heiße Kriege und andere Barbareien vermieden werden. Unsere illustrierte Monatsschrift hat es sich zum Ziel gesetzt, eben diese Beziehungen zu pflegen, und sie will auch den tschechoslowakisch-luxemburgischen ein Augenmerk widmen.“ (IHE Oktober 1964: o. S.) Diese Erinnerung an die historischen Verbindungen mit Luxemburg mag übrigens als Mittel gedeutet werden, Anschluss an den Westen zu finden. Auf diese Tendenz der Zeitschrift wird an späterer Stelle (s. S. 150ff.) eingegangen. 21  Im September 1965 veröffentlicht IHE das Ergebnis eines Wettbewerbs, wobei sie auf eine strikte Parität zwischen BRD- und DDR-Gewinnern achtet, deren Namen in zwei di­ stinkten Spalten aufgelistet werden. Im Jahre 1962 hatte Orbis mit dem Gedanken gespielt, eine spezifische Ausgabe für die DDR herauszugeben. Von diesem niemals verwirklichten Projekt zeugt ein Brief von Gustav Solar an den Erziehungs- und Kulturminister František Kahuda vom 10. September 1962 (Tschechisches Nationalarchiv, Orbis-Fonds). 22  Eingesehen wurden die jeweiligen Ausgaben von November 1964, August 1965, Septem­ ber 1965, Dezember 1965, Februar 1966, April 1966, Mai 1966, November 1966, Januar 1967, Februar 1967 und Januar 1968.

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Das Redaktionspersonal der französischsprachigen Ausgabe ist nicht dassel­ be: „Publikationschef“ war František Lebenhart (*1923), der im Januar 1968 neben Lenka Reinerová zum stellvertretenden Chefredakteur der aus der Fusion entstandenen Ausgabe wurde, bis dahin aber nicht für IHE geschrie­ ben hatte. Der Chefredakteur der Vie tchécoslovaque hieß Paul Lecler, der in Bibliothekskatalogen als Übersetzer des Tschechischen ins Französische er­ scheint23 und bis Januar 1968 für die französischsprachige Zeitschrift verant­ wortlich blieb. Außer Gustav Jesenius (Pseudonym des IHE-Chefredakteurs Gustav Solar) und Karel Trinkewitz (s. S. 85ff. u. S. 98ff.), deren Namen in der französischsprachigen Ausgabe von August 1965 erscheinen, sucht man vergeblich nach gemeinsamen Mitarbeitern. In La Vie tchécoslovaque sind Mit­ arbeiternamen übrigens viel seltener als in IHE. Was aber vor allem auffällt, sind das vollkommen anders geartete Inhaltsverzeichnis und die viel weniger explizit politischen Artikel in der französischsprachigen Zeitschrift. Außer­ dem ist die Sprache der französischen Ausgabe von geringerer Qualität: Die Beiträge wurden offensichtlich aus dem Tschechischen übersetzt24, während viele von IHE direkt auf Deutsch von Redakteuren deutscher Mutterspra­ che (u. a. Lenka Reinerová, Gustav Solar, Karel Trinkewitz) verfasst wurden. Die IHE-Artikel weisen zudem eine recht literarische Form auf, die am Ge­ brauch von oft metaphorischen oder emphatischen bzw. poetischen Titeln abzulesen ist: Ein Artikel über Golf ist z. B. „Grüner Rasen und weißer Ball“ (Libuše Hamšíková, IHE Okt. 1959: o. S.) betitelt, ein anderer, der das sozialistische System lobpreist, heißt „Triumph des Frühlings“ (Artur Unger, IHE Mai 1959: o. S.). All dies scheint also auf die Einzigartigkeit von IHE unter den verschie­ denen Exportzeitschriften des Orbis-Verlags zu verweisen. Ab Januar 1968 zeigen sich hingegen mehr Gemeinsamkeiten, beginnend mit einer größeren Anzahl von gemeinsamen Beiträgen und einem gemeinsamen Cover. Die Fu­ sion der Redaktionen bedeutet aber nicht, dass sie auf jegliche Autonomie verzichten: Neben den Unterschieden betreffend der Leserrubrik ist tatsäch­ lich festzustellen, dass im Januar 1968 etwa fünf Artikel ausschließlich in der 23  Handelt es sich um den Schauspieler Paul Lecler, der auch unter dem Namen Pavel Leclerc auftritt und an den Filmen Poslední etapa (1962), Já, spravedlnost (1968), Dita Saxová (1968) und Muz na úteku (1969) beteiligt war? ( [12.10.2021]). Vladimír Votýpka, der von 1962 bis 1967 Beiträge für IHE schrieb, teilte uns mit, dass Paul Lecler, wie alle Redakteure mit höheren Funktionen, Mitglied der KPČ war (E-Mail-Interview vom 28. Juni 2018). Zu Vladimír Votýpka s. unten S. 109. 24  Ähnliches kann auch von der spanischsprachigen Zeitschrift behauptet werden, die ab 1980 veröffentlicht wurde.

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französischen Ausgabe erscheinen und in der deutschsprachigen Zeitschrift durch andere ersetzt werden. Die Fusion war von Chefredakteur Solar in der IHE-Beilage von Dezember 1967 angekündigt worden: Zu einer größeren verschmolzen sind die sechs Fremdsprachenredaktionen der drei OrbisZeitschriften Im Herzen Europas, Czechoslovak Life und Prague News Letter, damit das gemeinsame Produkt erweitert und weiter verbessert werden kann. […] Erweitert wird die Beilage, auf der unsere Leser zahlreiche nützliche Informationen finden werden, für die bisher nicht Platz genug da war, und erweitert wird auch der Kunstdruckteil.

Im Leitartikel von Januar 1968 stellt Solar die neue Zeitschrift und ihre An­ sprüche vor: Werte Leser, Geboren im Jahr des 50. Geburtstages des Staates, in dem die Tschechen und Slowaken nach vielen Jahrhunderten ihre nationale Unabhängigkeit zurückgewannen, liegt vor ihnen das erste Heft unserer größer gewordenen Zeitschrift. Größer – damit sind eigentlich nicht so sehr die hinzugekommenen Seiten gemeint, wie vor allem der durch die Fusion der drei Fremdsprachen-Zeitschriftengruppen Im Herzen Europas, Czechoslovak Life und Prague News Letter vergrößerte Lesebereich. Die Redaktionen dieser Zeitschriften waren – der Leser weiß es – immer einem echten Internationalismus zugetan. Und nun hat die vereinig­ te Zeitschrift auch äußerlich internationalen Charakter. Es mag in den ersten drei Mona­ ten technisch noch nicht alles ganz glatt verlaufen, aber nach erfolgter Koordinierung der Druckzyklen sollen vom zweiten Vierteljahr d. J. an alle Ausgaben rechtzeitig ausgeliefert werden; wir bitten, vorübergehende Unzulänglichkeiten zu entschuldigen. Doch das ist nicht unser ganzes Anliegen. Wir wollen Ihnen mehr Anregung, mehr Stoff zum Nach­ denken liefern. Nicht als End-, als Selbstzweck, oh nein, wir wollen – in einer Zeit, da die Länder und Völker verkehrs- und kommunikationstechnisch, wirtschaftlich und kulturell immer enger aneinanderrücken, so daß alle mehr mitverantwortlich sind für alle – in einer Zeit, da im fernen Vietnam unschuldige Menschen sterben und Warnschüsse aus nächster Nähe signalisieren, daß es Deutsche gibt, die aus allem, was geschehen ist, nichts gelernt haben und die man gewähren läßt – in einer solchen Zeit wollen wir den Dialog [Hervorh. im Original].25 Nicht mit den Un-, sondern mit den Mitverantwortlichen. Wollen Sie ihn mit uns führen?

Nach der Fusion scheint IHE die Führungsrolle zugekommen zu sein. ­Gustav Solar und Lenka Reinerová, jeweils Chefredakteur und stellvertretende Chef­ redakteurin von IHE bis Dezember 1967, werden im Januar 1968 zum Chef­ redakteur und zur stellvertretenden Chefredakteurin der Gesamtheit der Zeitschriften. Dies bestätigt zudem ein im Nachlass als Transkript erhaltenes

25  Auf diesen Anspruch auf Dialog und die Inszenierung dieses Dialogs durch Lenka ­Reinerová wird im Laufe dieser Studie noch eingegangen.

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Interview mit Lenka Reinerová im tschechischen Rundfunk Ceský Rozhlas von Anfang 1969: Frau Reinerová, Sie sind Chefredakteurin der Monatsschrift IHE, die seit mehr als einem Jahr nicht nur deutsch, sondern auch englisch, französisch, italienisch und schwedisch er­ scheint und unter dem Titel Wir und Sie IHE eine besondere Ausgabe für Österreich hat. (Reinerová-Nachlass, Literaturarchiv der Akademie der Künste in Berlin, o. D.)

Besonders auffällig ist, dass diese Fusion sich zeitlich mit dem Beginn des Reformprozesses in der Tschechoslowakei deckte. Ging es dabei um den Ver­ such, der tschechoslowakischen Außenpolitik neue Konturen zu verleihen? Diese Frage soll im letzten Teil der vorliegenden Studie erörtert werden.

3.3.2 Wir und Sie im Herzen Europas (WuS) Von August 1961 bis Mai 197026 gab Orbis eine zweite deutschsprachige Zeitschrift heraus, die sich gezielt an Österreich wandte. Jene österreichische Fassung, die als „jüngere Schwester“ von IHE präsentiert wurde und eine Auflage von ca. 4.000 Exemplaren aufwies, nahm sich vor, den Fokus auf die tschechoslowakisch-österreichischen Beziehungen zu richten, wie die IHEBeilage von Juli 1961 mitteilte: Eine jüngere Schwester unserer Zeitschrift tritt an die Stelle der älteren, um uns und Sie, Menschen in der Tschechoslowakei und in Österreich, die beide im Herzen Europas liegen und so vieles Gemeinsame haben, näher zusammenführen und über die Unterschiede hinweg, die es zwischen unseren Ländern geben mag, eine gemeinsame Sprache finden zu lassen. Wir wollten das schon im Titel zum Ausdruck bringen. Darum heißt die neue Zeitschrift WIR und SIE IM HERZEN EUROPAS. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt, Ihnen ein Fenster ins nördliche Nachbarland Österreichs ganz weit zu öffnen, Sie über alle Reisemöglich­ keiten und -erleichterungen zu informieren, Ihnen die Schönheit seiner Landschaft, sei­ ne Kunstdenkmäler und das Leben ihrer Menschen vor Augen zu führen, gemeinsame Kultur­traditionen zu pflegen und die wirtschaftlichen Berührungspunkte aufzuzeigen. Das mag anspruchsvoll klingen, aber wir werden uns nicht weniger intensiv auch Sportfragen widmen, wir wollen Seiten für die Frauen mit Moden und Kochrezepten bringen, neue Briefmarken zeigen, die letzten Witze erzählen und vieles andere mehr. (Herv. i. O.)

Die erste Nummer von WuS verkündet ihrerseits: „Damit wir und Sie, im Her­ zen Europas als Nachbarn nebeneinander besser verstehen, wird diese Zeit­ schrift herausgegeben“ (WuS August 1961: o. S.). Ziel und Methode stechen klar hervor: Ihnen liegt eine Rhetorik zugrunde, die Freundschaft, geografi­ 26  Die Einstellung der österreichischen Ausgabe entspricht der Entlassung Lenka Reinerovás aus der IHE-Redaktion.

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sche, kulturelle und historische Nähe unterstreicht und die Besonderheit der tschechoslowakisch-österreichischen Beziehung darzulegen und zu kräftigen sucht. Der Titel Wir und Sie im Herzen Europas behauptet eine gemeinsame Zugehörigkeit der beiden Staaten, eine besondere geografische Lage an der Nahtstelle zwischen den beiden Blöcken und folglich eine mögliche gemeinsa­ me europäische Aufgabe, wobei die Tschechoslowakei eine Führungsrolle be­ ansprucht: Immerhin steht das „wir“ vor dem „Sie“. Jene privilegierte Bezie­ hung mit Österreich, die hiermit bekundet wird, kann auch als Mittel bewertet werden, Deutschland seine begehrte Mittellage in Europa strittig zu machen. Bereits der Titel der Zeitschrift zeugt von einer tschechoslowakischerseits als paradigmatisch gedeuteten Beziehung, die zwei Staaten mit unterschiedlichen Gesell­schaftssystemen Begegnungsmöglichkeiten einräumt. Formal sind die beiden „Schwestern“ strikt identisch (gleiches Format, gleiches Layout, gleiches Cover). Was den Inhalt betrifft, so sind den beiden Ausgaben zahlreiche Artikel gemeinsam, während monatlich durchschnittlich drei bis fünf allein für die österreichische Ausgabe verfasst werden. Manch­ mal wird ein WuS-Artikel im folgenden Monat in IHE wieder aufgenommen und umgekehrt. Beide Zeitschriften haben dieselbe Redaktion: Gustav Solar als Chefredakteur und Lenka Reinerová als stellvertretende Chefredakteurin. Ab Dezember 1964 gesellen sich ihnen zwei Redakteure zu: der Journalist und Fotograf Milan Škarýd und der Künstler Karel Trinkewitz. Ab 1962 verfügt die Redaktion über eine Berichterstatterin vor Ort, in Wien, in der Person von Gerda Rothmayer.27 Hier spielte Reinerovás persönliches Netzwerk eine Rolle: Gerda Rothmayer war die Gattin des österreichischen Journalisten ­Bruno Frei (1897–1988), mit dem die Prager Journalistin seit den mexikanischen Exiljah­ ren befreundet war.28 Von dieser Freundschaft zeugt ein regelmäßiger Brief­ wechsel zwischen Reinerová, Frei und Rothmayer bis zum Tode Freis.29 Aus diesen Briefen geht hervor, dass Reinerová sich relativ oft nach Wien begeben konnte und dass zu ihrem Freundeskreis auch der österreichische kommunis­ tische Intellektuelle Ernst Fischer (1899–1972) zählte. In diesem Briefwechsel geht es jedoch weitgehend um die jeweiligen journalistischen Tätigkeiten und Zeitschriften der Schreibenden. So ersuchte z. B. Bruno Frei in einem Brief vom 1. April 1960 seine Prager Freundin um eine Prager Korrespondenz für Das Tagebuch, dessen Leitung er soeben übernommen hatte. Reinerová 27  Gerda Rothmayer schrieb auch für die Prager Volkszeitung (Peterlik 2002: 630). 28  Lenka Reinerová hatte Bruno Frei vielleicht schon im Jahre 1933 kennengelernt, da er sich im Exil in Prag befand und Chefredakteur der antifaschistischen Wochenzeitung Der Gegenangriff war, deren Redaktion Reinerová auch eine Weile übernahm. 29  Einige Briefe befinden sich im Reinerová-Nachlass in der Akademie der Künste in Berlin.

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sagte zu und nahm somit die Aufgabe der späteren WuS vorweg, indem sie durch diese Korrespondenz zur besseren Kenntnis der Tschechoslowakei in Österreich beitrug. Zuvor war sie die Prager Korrespondentin der Wiener Zeitschrift Tschechoslowakei in Wort und Bild gewesen, was eine in tschechischer Sprache verfasste Bescheinigung der Österreichisch-tschechoslowakischen Gesellschaft mit dem Datum vom 23. November 1955 (Reinerová-Nachlass, Prager Literaturarchiv) nachweist. Das Erscheinen von WuS ordnet sich in einen Kontext der Entspannung der bilateralen Beziehungen ein, die international begünstigt wird. Nach ei­ nem schwierigen Neustart zwischen 1945 und 1955, wo „[d]as Geschehen auf internationaler Ebene größtenteils über die Qualität der bilateralen Bezie­ hungen entschied“ (Šepták 2017: 238), schufen die 1960er-Jahre aufgrund der Entstalinisierung im Ostblock (Peterlik 2002: 618) Bedingungen, die für eine gegenseitige Annäherung zwischen den beiden Staaten günstiger waren, auch wenn diese bis 1975 nur über eine diplomatische Vertretung verfügen. Schon im Jahre 1961 hatte sich WuS zwei Ziele gesetzt: zum einen, die Tschechoslo­ wakei in Österreich bekannt zu machen und ihr negatives Image zu revidieren, und zum anderen kulturelle Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu vertiefen. Das Bild der Tschechoslowakei in Österreich, und besonders in seinen Medien, war tatsächlich bis in die 1960er-Jahre hinein sehr negativ: „Man ging davon aus, dass sich in diesem Lande ein totalitäres stalinistisches Regime etabliert hatte“ (Ullmann 2006: 215). Trotz mangelnder Daten beweisen die zur Verfügung stehenden Archiv­ dokumente, dass WuS keineswegs eine zweitrangige Version von IHE war, sondern im Gegenteil, mit großer Sorgfalt gestaltet wurde, wobei die Herstel­ lungskosten manchmal ebenso hoch waren wie diejenigen von IHE und die Auflage fast die Hälfte der Ausgabe für die Bundesrepublik betrug (Dok. 10 im Anhang). Das von WuS anvisierte Publikum war also verhältnismäßig größer.

3.4 Auflagen und Verbreitung Ohne Redaktionsarchiv erweist sich die Untersuchung der Verbreitung von IHE in Deutschland sowie des Leserprofils (wie sie etwa eine Abonnenten­ liste ermöglicht hätte) als äußerst schwierig. Sie sind höchstens anhand der Auflagen, für die einige Zahlen zur Verfügung stehen, abschätzbar. In einem Interview gab Lenka Reinerová eine Auflage von 12.000 Exemplaren an (­Eisenbürger 1997), was Dokumente des tschechischen Nationalarchivs zu bestätigen scheinen (Dok. 10 im Anhang). Ein weiterer Hinweis auf eine nicht

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unbedeutende Verbreitung der Zeitschrift könnte eine Werbung der Marke Philips in Deutschland, auf der eine IHE lesende Frau abgebildet ist und die ein Leser aus Hamburg der Redaktion zukommen ließ, dienen: Die Aufnahme ist nicht nur deshalb beachtenswert, weil sie den neusten Kofferplatten­ spieler der Marke Philips zeigt, sondern vor allem dadurch, daß auf diesem offiziellen Reklamephoto der Firma Philips gleich drei Nummern Ihrer schönen Zeitschrift zu sehen sind. („Bildchronik“, IHE Januar 1959: o. S.)

Dem können diverse Zeugnisse wie jene von Bernd-Lutz Lange (2012) und Eduard Schreiber (Goldstücker/Schreiber 2009) hinzugefügt werden, auf die in der Einleitung der vorliegenden Studie bereits hingewiesen wurde. Die Zeitschrift wurde in Deutschland, Österreich und in der Schweiz über folgende Vertriebsgesellschaften bzw. Buchhandlungen verbreitet: Kubon & Sagner, Schließfach 64, Furth im Walde Presse-Vertriebsgesellschaft, Mainzer Landstrasse 225-227, Frankfurt am Main W. E. Saarbach, Gertrudenstrasse 1, Köln Globus Fleischmarkt 1, Wien La librairie nouvelle, 16 rue de Carouge, Genève Kiosk AG, Genf (ab Juli 1958) Hans Leipnitz, Zeitschriftenvertrieb und Verlag, Hölderlinstrasse, Frankfurt am M. (ab 1962).30

Ist die Auflage von 12.000 Exemplaren auch bescheiden, so ist diese im Ver­ hältnis zu anderen zeitgenössischen Zeitschriften nicht zu unterschätzen, etwa angesichts der Tatsache, dass z. B. Friedrich Torbergs Forum eine Auflage zwi­ schen 4.000 und 6.000 Exemplaren aufwies. Die, wie Forum, durch den ­Congress for Cultural Freedom finanzierte Zeitschrift Preuves hatte eine Auflage von 12.000 Exemplaren, Das österreichische Tagebuch von Bruno Frei eine von 7.000 Exem­ plaren (Zahlen nach Corbin 2001: 71, 45 u. 43).

3.5 Mitglieder der Redaktion Die Redaktion von IHE stellte sich erst nach und nach im Laufe der Jahre vor. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Namen des Chef­ redakteurs und der stellvertretenden Chefredakteurin erst im Januar 1962 im Impressum erschienen.

30  Einige noch bestehende Unternehmen wurden kontaktiert, haben jedoch keinerlei Doku­ mente zu IHE aufbewahrt.

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Die regelmäßigen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Zeitschrift waren im Allgemeinen mit einem Spezialgebiet beauftragt. Die Ausgabe von Dezember 1958 nennt somit eine „Theaterrefentin“ (Inka Malá, hinter welcher sich Lenka ­Reinerová verbarg31), einen „Redakteur für Wissenschaft und Technik“ (J. Štihlický) und einen „Mitarbeiter für bildende Kunst“ (Gustav Jesenius, der, wie bereits er­ wähnt, ein Pseudonym von Gustav Solar war). Die Ausgabe von Februar 1965 kündigte ein Porträt der verschiedenen Redaktionsmitglieder an. Tatsächlich wur­ de ­Milan Škarýd in dieser Nummer vorgestellt, anschließend der Verantwortliche für die grafische Gestaltung, Miloslav Fulín, (IHE April 1965: 17–19) und Karel Trinkewitz (IHE Juni 1965: 17–19). Jedoch wird der Leser vergebens auf eine Fortsetzung warten. Diese drei Artikel zeigen immerhin eine besondere Auffas­ sung der Beziehung der Redaktion zu ihren Lesern, die sich bemüht, Bindungen herzustellen, auch wenn dabei nichts wirklich Persönliches enthüllt wird. Eine große Anzahl von Artikeln werden von gelegentlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen verfasst, die keine Redaktionsmitglieder sind. Es han­ delt sich generell um Fachleute (daher das relativ hohe Niveau der wissen­ schaftlichen oder technischen Beiträge) oder um politische Figuren, die etwa in einer Tribüne zu Wort kommen oder interviewt werden. Diese Persönlich­ keiten werden dabei knapp präsentiert (durch Angabe ihrer Funktion) und im Fall einer Tribüne ihr Foto veröffentlicht. Es ist hier auf die Grenzen der Prosopografie hinzuweisen: Viele Mitar­ beiter und Mitarbeiterinnen haben nur in IHE publiziert und sie alle zu iden­ tifizieren, ist sehr schwierig, gar unmöglich, zumal es kein Redaktionsarchiv gibt. Aus diesem Grund werden im Folgenden nur die Hauptredakteure, de­ ren Namen im Impressum erscheinen, und die häufigsten bzw. bekanntesten Mitarbeiter vorgestellt.

3.5.1 Chefredakteur Gustav Solar (1916–1997) Es wurde darauf verwiesen, dass „[l]eitende Redakteursposten nicht nur von der politischen Führung bestimmt wurden, [sondern dass] sie zumeist auch direkt mit „hochgestellten Parteikadern“ besetzt wurden“ (Olhausen 2005: 81). Gustav Solar32 scheint jedoch eine Ausnahme darzustellen. 31  Lenka Reinerová benutzte mehrere Pseudonyme, die in dem ihr unten gewidmeten Porträt erläutert werden. 32  Diese biografische Skizze stützt sich auf die Notiz von Jindřich Dejmek (2013: 580), verdankt sich auch sehr den Erinnerungen von Michael Kotrba, der Gustav Solar im Schweizer Exil kennenlernte, sowie dem Zeugnis der Tochter von Gustav Solar, Frau

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Als Gustav Schwarzkopf am 28. August 1916 geboren, entstammte Solar, der nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Namen änderte, einer Prager jüdischen und deutschsprachigen Familie. Er besuchte das Prager deutsche Realgym­ nasium, wo er 1935 die Matura bestand, und studierte anschließend an der juristischen Fakultät der Karlsuniversität in Prag, verließ diese jedoch ohne Abschluss. Erst nach dem Krieg promovierte er 1947 mit einer Dissertation Über die Polyphonie der Kunstgeschichte an der Universität Prag zum Dr. phil. Nach Theresienstadt und Auschwitz deportiert, wurde er laut Dejmek von der sow­ jetischen Armee befreit, was Solar selbst in einem IHE-Artikel festhielt: „Im Februar 1945 wurde ich mit einer Gruppe tschechoslowakischer Konzentra­ tionshäftlinge in Oberschlesien von den Sowjettruppen befreit.“ (Solar, „Das letzte Argument. Offene Tribüne“, IHE November 1962: 9) Im April 1945 begann seine Karriere im Kabinett von Vladimír Clementis in Košice. Im Mai 1945 zog Solar ins Außenministerium nach Prag und nahm sein Studium der Fächer Deutsch, Französisch und Spanisch wieder auf. Er arbeitete zunächst als Sekretär des Leiters der politischen Abteilung und als Referent für spani­ sche Angelegenheiten. Seine Mitgliedschaft bei der kommunistischen Partei ermöglichte ihm die Übernahme der Leitung der westeuropäischen Sektion der politischen Abteilung ab Februar 1948. Von Oktober 1948 bis zum Herbst 1950 war er als chargé d’affaires in Stockholm tätig, dann von Dezember 1950 bis März 1952 als Leiter der tschechoslowakischen Militärmission beim Alliierten Kontrollrat in Berlin. Von 1953 bis 1955 wirkte er in der Sektion „Vereinte Nationen“ in der internationalen Abteilung des Außenministeriums. Dejmek schreibt, dass Solar das Ministerium 1957 „wegen seiner Herkunft“ verlas­ sen musste. Seine Tochter erinnert sich, dass er allmählich degradiert wurde, bis er sogar Institutionsportier und schließlich arbeitslos wurde. Danach trat er eine Stelle beim Prager Rundfunk an, bevor er Ende 1957 IHE lancier­ te. ­Dejmek erwähnt diese journalistische Tätigkeit mit keinem Wort, und das ­Germersheimer Übersetzerlexikon gibt für Solars Debüt bei IHE irrtümlicher­ weise das Jahr 1961 an. Dokumente im Archiv der Sicherheitsorgane [­Archiv bezpečnostních složek] beschreiben ihn als einen nahen Bekannten von Franz Carl Weiskopf, den Lenka Reinerová als einen ihrer Mentoren betrachtete.

Eva ­Kinderman-Solar. Für ihre freundliche Hilfe bei der Rekonstruktion der Lücken zu ­Solars Biografie möchte sich die Verfasserin an dieser Stelle nochmals bedanken. Die Interviews wurden mit Herrn Kotrba und Frau Kinderman-Solar jeweils im Dezember 2020 und Januar 2021 per E-Mail geführt. Hilfreich war auch der Solar gewidmete Ar­ tikel im G ­ ermersheimer Übersetzerlexikon: ( [12.10.2021]), auch wenn all diese Quellen manchmal unterschiedliche Daten angeben.

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Von 1958 bis 1967 veröffentlichte Gustav Solar unter seinem Namen (oder unter dem Kürzel gs oder GS) 28 Artikel und im Jahre 1968, nebst all den monatlichen Leitartikeln bis einschließlich Oktober, fünf Artikel. Wie andere Redakteure der Zeitschrift benutzte auch er einen Decknamen und verfasste eine große Anzahl von Beiträgen unter dem Namen Gustav Jesenius, einem Pseudonym, das er laut seiner Tochter schon vor dem Krieg verwendet und in Anlehnung an den protestantischen, 1621 zusammen mit den böhmischen Aufständischen hingerichteten Mediziner Jan Jessenius gewählt hatte. Insge­ samt erschienen unter dem Namen Gustav Jesenius 69 Artikel zwischen 1958 und 1967, drei im Jahre 1968 und 32 unter dem Kürzel gj. Bei diesen handelt es sich um politische Beiträge (sog. „offene Tribünen“) oder Artikel in Ver­ bindung mit Industrie und Technik, aber vor allem Kunst, was Solars Aus­ bildung entsprach. Seine IHE-Karriere endete mit der Ausgabe von Oktober 1968. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings ging Solar mit Gattin und Tochter ins Exil in die Schweiz und ließ sich in Zürich nieder, wo er 1969 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Grafischen Sammlung der Zentralbibli­ othek wurde und dies bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1981 blieb. Dort beschäftigte er sich vorwiegend mit Schweizer Kunst und übersetzte einige Bücher ins Deutsche, darunter Das Tagebuch eines Konterrevolutionärs des tsche­ chischen Autors Pavel Kohout. Insgesamt hat er, seiner Tochter zufolge, 42 Kunstbücher übersetzt.33

3.5.2 Lenka Reinerová (1916–2008) Aufgrund ihrer Funktion als stellvertretende Chefredakteurin, der Anzahl der Artikel, die sie verfasste (durchschnittlich zwei bis drei pro Ausgabe; vollstän­ dige Liste im Anhang, Dok. 1) sowie des oftmals politischen, ja polemischen Inhalts mancher Beiträge, die einem Verriss der ‚revanchistischen‘ Außenpo­ litik der Bundesrepublik gleichkamen, erweist sich Lenka Reinerová als die zentrale Figur der Zeitschrift. Bemerkenswerterweise erwähnt sie weder in ihren autobiografischen Schriften noch in Interviews den Namen von Gustav Solar34 oder anderen Mitarbeitern der Zeitschrift, vielleicht mit Ausnahme des 33  Eine Auswahl befindet sich unter: [12.10.2021]. 34  Gustav Solar hatte anscheinend genug Vertrauen zu Lenka Reinerová, um ihr im Februar 1969 aus dem Schweizer Exil zu schreiben (Brief vom 27. Februar 1969 aus Bern, Rei­ nerová-Nachlass, Prager Literaturarchiv). Trotzdem deutet einiges auf eine rein berufliche Beziehung hin, was Solars Tochter bestätigte.

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Künstlers Adolf Hoffmeister35, des Germanisten Eduard Goldstücker und des Übersetzers Oskar Kosta alias Peter Pont36 oder einer Redaktionssekre­ tärin, deren Vornamen, Pavla, sie verrät (Reinerová 2006a: 136f.). Interessant ist auch, dass Lenka Reinerová sich niemals als stellvertretende, sondern stets als Chefredakteurin präsentiert. Hier soll nicht Reinerovás Biografie noch einmal nachgezeichnet (s. S. 13ff.), sondern der Schwerpunkt auf ihre IHE-Karriere gelegt werden. Sie begann Ende 1957 bei dieser Zeitschrift. Wie Unterlagen im Reinerová-Nachlass im Prager Literaturarchiv dokumentieren, hatte sich die nach ihrer Entlas­ sung aus dem Gefängnis 1953 in die Provinz verbannte Journalistin vielfach bemüht, wieder eine Stelle in dieser Sparte zu finden, zuerst bei der tsche­ choslowakischen Presseagentur Československé tisková kancelář (ČTK) im Janu­ ar 1955, dann, noch im selben Monat, beim tschechischen Rundfunk Český Rozhlas, bevor sie schließlich im Orbis-Verlag eingestellt wurde, der sie damit beauftragte, die deutschsprachige Ausgabe seines für den Export bestimmten Kulturmagazins zu lancieren, von dem es bis dato nur englisch-, französischund schwedischsprachige Ausgaben gab. Der am 31. Oktober 1957 unter­ schriebene Vertrag hält die Aufgaben der Journalistin fest. IHE wird dort als tschechoslowakische deutschsprachige „Propagationszeitschrift“ [propagační časopis], die sich an die Bundesrepublik Deutschland, an die Schweiz und an Österreich richtet, bezeichnet. Im ersten Paragrafen des Vertrags ist die Zusammenarbeit mit Gustav Solar festgesetzt, der mit der vollständigen Re­ daktion der Monatsschrift beauftragt wird, während der zweite Paragraf die Modalitäten dieser Mitarbeit regelt: Die Journalistin „verpflichtet sich die ganze redaktionelle, eventuell administrative Arbeit nach Gustav ­Solars Vor­ schriften durchzuführen“, so dass die erste IHE-Ausgabe im Januar 1958 er­ scheinen könne. Lenka Reinerová war somit Solar untergeordnet. Der dritte Paragraf des Vertrags legt das Gehalt fest: eine Pauschalsumme von 3.250 tschechischen Kronen, die ihr am 31. Dezember 1957 ausgezahlt werden soll, sofern das im Vertrag definierte Ziel erreicht wurde. Die Journalistin darf jedoch um eine Anzahlung in Höhe von maximal 1625 Kronen ansuchen, die gegebenenfalls Ende November geleistet werden könne. Die Paragrafen vier 35  Vgl. Reinerová (1989: 35) oder auch den Text, den Lenka Reinerová am 8. April 1995 an Frau Witthoefft (Hamburg) sandte (Reinerová-Nachlass, Literaturarchiv der Akademie der Künste in Berlin), in welchem die Journalistin das Werk von Adolf Hoffmeister würdigt, ohne jedoch dessen Mitarbeit bei IHE zu erwähnen. Diese wurde womöglich im Vergleich zu Hoffmeisters gesamtem künstlerischen Werk als minderwertig betrachtet. 36  Vgl. Reinerová (1989: 104–106 u. 108f.; 2005: 32 u. 102). Peter Pont übersetzte viele Texte für das IHE-Feuilleton.

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und fünf präzisieren, dass sie im Falle von Krankheit oder Unfall keinerlei Rechte beanspruchen könne. Dieser erste Vertrag weist bereits auf eine heikle Beziehung zwischen der zu Kompromissen g­ ezwungenen ­Journalistin und ihrem Arbeitgeber hin. Dies bestätigt sich einige Monate später, als Orbis Reinerová am 12. April 1958 ihren endgültigen Vertrag mit einer monatlichen Vergütung von 1640 Kronen und einer Kostenerstattung von 300 Kronen zusendet. Diese Fassung legt fest, dass Reinerovás Vertrag erst am 25. Februar 1958 beginne, wogegen sie am 2. Mai 1958 Protest erhebt, mit der Erklärung, dass sie aufgrund einer beruflichen Reise in die Slowakei nicht eher habe re­ agieren können. Sie wehrt sich gegen diesen Einstellungstermin, „auch wenn sie den Stempel auf ihrem Ausweis erst an diesem Tag erhalten habe“, und erinnert an das Abkommen mit Orbis, das seit dem 1. November 1957 galt. Die im Archiv aufbewahrten Dokumente lassen keine Schlüsse darüber zu, ob sie Recht bekam, jedenfalls enthüllen diese Briefe das Bild einer Frau, die auf ihre Rechte pocht. Reinerovás Nachlass im Prager Literaturarchiv enthält auch einen Brief von Orbis mit Datum vom 25. Juni 1959, in welchem ihre monatliche Brutto-Vergütung neu berechnet und auf 1962 Kronen erhöht wird, und der festsetzt, dass diese die Verfassung eines Hauptartikels mit­ einschließt. Angesichts dieser anfänglichen Missverständnisse mit Orbis ist nachzuvollziehen, dass Lenka Reinerovás Name in den ersten fünf Monaten der Zeitschrift niemals erwähnt wird, weder im Inhaltsverzeichnis (im Gegen­ satz zu den anderen Mitarbeitern), noch am Ende ihrer Artikel, die mit den Kürzeln L.R. oder -lka gezeichnet werden. Bis Juni 1958 benutzt sie nicht, oder darf sie nicht ihren vollständigen Namen benutzen.37 In einem im Prager Reinerová-Nachlass aufbewahrten Dokument mit Da­ tum des 31. Dezember 1972 beschreibt die Journalistin ihre Arbeit für IHE: Redakce měla zpočátku jen dva členy, nikdy víc než čtyři. Vedle redigování, předkládání, jazykových úprav, technických prací / korektury a pod. / a stále rostoucí korespondence se čtenáři, jsem pravidelně psala o t. zv. německé problematice a vedle tohoto ústředního politického problému jsem odpovídala za kulturní část obsahu : za literaturu, divadlo a film. Jen výtvarným uměním se zabýval Dr. G. Solar, později přezval tuto práci Karel Trinkewitz, zejména od r. 1968 do poloviny roku 1970. Poněvadž jsem v každém sešitu časopisu měla několik příspěvků, použivala jsem pseudonumů, zkratek a šifer / Inka Malá pro divad. recenze, L.R. pro filmové, -lka-38 pro fejetony, Amargo pro politické članky atd. / Od řijna 37  Es ist durchaus möglich, dass sie ihre Artikel nicht unterzeichnen durfte. Antonín Liehm berichtete, dass er Anfang der 1950er-Jahre mit einem ähnlichen Verbot konfrontiert wurde (Blaha 2006: 94–96). 38  In Wirklichkeit benutzte die Journalistin das Kürzel -lka für die kurzen Begleittexte der sog. Bildfolgen oder für kurze touristische Informationen sowie für die Einführung von anderen Zeitungen entnommenen Artikelauszügen, d. h. für – hinsichtlich Länge und In­

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Ein Kulturmagazin im Dienste der Kulturdiplomatie r. 1968 do května r. 1970 jsem byla šefredaktorkou nejen neměckého měsičníku ‚Im Her­ zen Europas‘, nýbrž i jeho jazykových mutací ‚Czechoslovak Life‘, ‚La vie tchécoslovaque‘, ‚Vita cecoslovacca‘, ‚Livet I Tjeckoslovakien‘. [Zu Beginn bestand die Redaktion aus lediglich zwei Mitgliedern, die Zahl überschritt nie vier. Neben der Verfassung von Artikeln, der Übersetzung, sprachlichen Verbesserungen, technischen Arbeiten / Korrekturen usw. / und dem stets anwachsenden Briefwechsel mit den Lesern, schrieb ich in der Regel über die sog. deutsche Problematik und außer diesem zentralen politischen Problem war ich für den kulturellen Teil verantwortlich: Literatur, Theater und Film. Dr. G. Solar kümmerte sich nur um die bildenden Künste, später über­ nahm Karel Trinkewitz diese Aufgabe, besonders ab 1968 bis Mitte des Jahres 1970. Da ich in jeder Ausgabe mehrere Beiträge schrieb, benutzte ich Pseudonyme, Kürzel und Kodes / Inka Malá für Theaterrezensionen, L.R. für Filmkritiken, -lka- für Feuilletons, Amargo für politische Artikel usw. / Von Oktober 1968 bis Mai 1970 war ich die Chefredakteurin nicht nur der deutschsprachigen Monatsschrift ‚Im Herzen Europas‘, sondern auch ihrer fremdsprachigen Versionen ‚Czechoslovak Life‘, ‚La vie tchécoslovaque‘, ‚Vita cecoslovacca‘, ‚Livet I Tjeckoslovakien‘.]

Was hier – neben der Tatsache, dass ein großer Teil der Arbeit tatsächlich L ­ enka Reinerová zu obliegen schien – besonders interessant ist, ist der Hinweis auf den Gebrauch von Pseudonymen, der mit der Notwendigkeit begründet wird, zugleich die Allgegenwärtigkeit ihres Namens zu vertuschen. Feststeht ja, dass ihr Beitrag in bestimmten Monaten äußerst erheblich ist (Liste ihrer Beiträge im Anhang Dok. 1). Dabei wird der Leser über die Größe der Redaktion getäuscht, was womöglich auch der intendierte Zweck ist. Jedoch stellt sich die Frage, ob ihr diese Pseudonyme nicht aufgezwungen wurden, um ihre Rolle zu minimieren und sie, die noch nicht rehabilitiert worden war, in ei­ ner marginalen, nicht öffentlichen Position zu halten. So tauchte ihr ganzer Name erst im Juni 1958 als Autorin des Beitrags „Menschenauflauf auf dem Prager Wenzelsplatz“ auf und verschwand anschließend gänzlich bis Dezem­ ber desselben Jahres. Am Erscheinen ihres vollständigen Namens lässt sich somit die Entwicklung der Karriere Lenka Reinerovás messen: nur zweimal im Jahre 1958, dreimal im Jahre 1959, fünfmal im Jahre 1960, viermal im Jahre 1961, siebenmal im Jahre 1962, sechsmal im Jahre 1963, siebenmal im Jahre 1964, 15-mal im Jahre 1965 (zum ersten Mal erscheint ihr Name jeden Monat), 12-mal im Jahre 1966 und 1967, 13-mal im Jahre 1968, 19-mal im Jahre 1969. Diese progressive Steigerung zeugt von einer Journalistin, die sich allmählich durchsetzt und deren Name an Anerkennung gewinnt. Die erhebliche Zunah­ halt – weniger bedeutende und harmlose Texte. Trotzdem lassen auch diese kurzen Texte beliebte Motive Reinerovás erkennen. Z. B. spielt sie im Begleittext der Fotoreportage von Václav Jírů zum ersten Mai 1958 auf Picassos Friedenstaube an, die sie später in Alle Farben der Sonne und der Nacht (Reinerová 2005: 9) wieder aufgreift.

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me zwischen 1964 und 1965 entspricht womöglich der Tatsache, dass soeben ihre Rehabilitierung erfolgt war (1964). Taucht ihr Name neben dem von Solar im Impressum der Ausgabe von Januar 1962 auf, wird sie dennoch im Feb­ ruar zur stellvertretenden Chefredakteurin herabgestuft. In den Dokumenten im Prager Literaturarchiv zeichnet sich das Bild einer mutigen Frau ab, die nach beruflicher Anerkennung strebt. So schreibt sie z. B. im April 1959 an das Zentralkomitee des tschechoslowakischen Schriftstellerverbandes, dessen Mitgliedschaft sie beantragt, und stellt zu diesem Zweck ihren Lebenslauf als Schriftstellerin und Journalistin vor. Über ihre Arbeit bei IHE bekundet sie, dass sie die gesamten kulturellen bzw. literarischen Seiten verfasse. Sie achtet außerdem darauf, dass ihr Lebenslauf keinerlei Fehler enthält, wie ein Brief vom 23. März 1956 an den Leiter des Institutes für journalistische Studien (Novin. stud. Ústav) bezeugt, in welchem sie um Berichtigungen ersucht. Am 16. Dezember 1967 schickt sie Gustav Solar ihren Lebenslauf mit der Bitte, ihn dem tschechoslowakischen Journalistenverband weiterzuleiten, weil die dort verfügbare Biografie fehlerhaft sei. Insgesamt verfasste Lenka Reinerová zwischen 1958 und 1970 96 mit ihrem vollständigen Namen gezeichnete Artikel (ausgenommen von dieser Zahl sind die Leitartikel ab November 1968) bzw. 371, rechnet man alle un­ ter Pseudonymen erschienenen Beiträge mit.39 Diese Zahl umfasst auch ihre Übersetzungen literarischer Texte. Innerhalb von zehn Jahren (zwischen Fe­ bruar 1960 und Januar 1970) fertigte sie Übersetzungen von 28 Auszügen aus tschechischen oder slowakischen Werken an, die in der Rubrik „Aus der Welt des Buches“ der Beilage erscheinen und stets mit L.R. gezeichnet werden. Neben ihrem Journalistenberuf war Lenka Reinerová auch Übersetzerin und Dolmetscherin; diesen beiden Tätigkeiten wird sie sich nach ihrer Entlassung von IHE im Jahre 1970 widmen, wobei sich jedoch im Prager Literaturarchiv bereits für den Zeitraum ab 1955 mehrere Dolmetscher- und Übersetzungs­ verträge mit diversen Institutionen befinden, darunter viele mit der Akademie der Wissenschaften ab Oktober 1957. Lieferte bereits die Journalistin selbst eine Typologie ihrer verschiedenen Pseudonyme, erweist sich darüber hinaus, dass sie ihren vollständigen Namen nur für Artikel verwendet, die sich in die von Manuela Olhausen (2005: 67) als „kommentierende Textgattungen“ definierte Kategorie einordnen, d.  h. Leitartikel, offene Tribünen, Beiträge über die deutsch-tschechoslowakischen 39  Dies schließt aber nicht die große Anzahl von nicht oder mit „Die Redaktion“ gezeich­ neten Artikeln ein, in denen Reinerovás Stil dennoch unverkennbar ist. Typisch für ihre Schreibweise ist u. a. der Gebrauch des Adverbs „mitunter“.

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Beziehungen oder über die nationalsozialistische Vergangenheit sowie auch für Reportagen, die also alle „interpretierenden Textgattungen“ entsprechen. Lenka Reinerová ist tatsächlich die Autorin zahlreicher Reportagen, u. a. über die Bundesrepublik und West-Berlin, wohin sie sich öfter zu begeben schien. In oben zitiertem Brief an das Zentralkomitee des tschechoslowakischen Schriftstellerverbandes schreibt sie: Jako redaktorka časopisu Im Herzen Europas jsem často přednašela a besedovala s různýmí skupínamí studentů, kult. pracovniků, odborářů a pod. jednak v Praze, jednak v NSR a v rámci činosti Domu čs. kultury v Záp. Berlíně / Club Voltaire, Frankfurt a. M., Deutscher Journalisten-Verband, München, Club ça ira, Záp. Berlín, atd. /; tím se vytvořil neobyčejně živý a oboustraně naprosto upřímný, dlouhotrvající kontakt s četnýmí čtenáři. [Als Redakteurin der Zeitschrift Im Herzen Europas habe ich oft Vorträge gehalten und mich mit diversen Studentengruppen, Kulturarbeitern, Gewerkschaftlern u. a., bald in Prag, bald in der Bundesrepublik, sowie im Rahmen der Tätigkeiten des Hauses der tschechoslowakischen Kultur in West-Berlin ausgetauscht / Club Voltaire, Frankfurt a. M., Deutscher Journalisten-Verband, München, Club ça ira, West-Berlin, usw. /; so entstand ein dauerhafter, beiderseits aufrichtiger und außerordentlich lebendiger Kontakt mit zahlreichen Lesern.]

Dreizehn Artikel, die Lenka Reinerová zwischen 1959 und 1968 veröffentlich­ te, spielen explizit auf einen Aufenthalt in Deutschland (Leipzig, West-Berlin, München, Hamburg, Frankfurt a. M.) an40, was auch einige der im Prager Literaturarchiv aufbewahrten Briefe bestätigen.41 Der Reinerová-Nachlass 40  „Zu Besuch jenseits der Grenze“ (IHE, Dezember 1959: o. S.): Leipzig-Besuch anlässlich der internationalen Buchmesse; „Spiegelgespräch“ (IHE, September 1962: 8): Besuch in Berlin-Dahlem; „Theaterbesuch in München und Hamburg“ (IHE, Oktober 1962: 18f.); „Eine neue Erfahrung“ (IHE, Mai 1963: 12f.): Leipzig-Besuch anlässlich des XVII. Kon­ gresses der deutschen Arbeiter; „Unter nackten Wölfen“ (IHE, April 1964: 12f.): anlässlich der Auschwitz-Prozesse in der Bundesrepublik; „Als Gast beim Club Voltaire“ (IHE, Juni 1964: 7–9); „Das Gartenfest in Westberlin“ (IHE, Januar 1965: 22f.): über die Aufführung dieses Theaterstückes von Václav Havel in West-Berlin; „München ist nicht nur München“ (IHE, Juli 1965: 12f.); „Berliner Begegnungen“ (IHE, Februar 1966: 12f.); „Was ist und was nicht ist. Nach einem Besuch in Westberlin“ (IHE, Januar 1967: 12f.); „Im Romani­ schen Café“ (IHE, Februar 1967: 10f.): Besuch in West-Berlin; „Unterwegs mit der ČSSR“ (IHE, September 1967: 4f.): Besuch in Frankfurt; „Wahrheit und Selbstbesinnung“ (IHE, Januar 1968: 12f.): über eine Ausstellung zum Gedenken des Dorfes Lidice in der René Bloch-Galerie in West-Berlin. 41  Ein Brief vom 27. September 1962 an Vojmír Šimonek spielt auf einen Berliner Aufent­ halt im Frühling an; ein anderer vom 29. Juni 1963, der einer Anfrage der Akademie der Wissenschaften Folge leistet, erwähnt „Reisen ins kapitalistische Ausland“ in Begleitung von Jiří Štejn, dem Chefredakteur von Prague News Letter, und „geheime Gespräche mit Journalisten“ [Při společných zájezdech do kapitalistického zahraničí mohla jsem v rozho­

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im Archiv der Akademie der Künste in Berlin enthält zudem den Text einer Ansprache, die sie am 22. Mai 1967 vor dem Club Voltaire in Frankfurt am Main hielt, sowie einige Briefe, die sie mit Bruno Frei und seiner Gattin G ­ erda Rothmayer austauschte und die belegen, dass Lenka Reinerová sich auch rela­ tiv oft nach Wien begeben konnte. So erwähnt sie z. B. eine Reise nach Italien, in deren Zuge sie sich einen Tag lang in Wien aufhalten möchte, um ihrer Tochter, die sie begleitet, die Stadt zu zeigen (Brief an Gerda Rothmayer vom 21. Juli 1966). Lenka Reinerovás Beitrag zum Thema der deutsch-tschechoslowakischen Beziehungen, der sudetendeutschen Frage, des Münchner Abkommens und der nationalsozialistischen Vergangenheit soll im dritten Teil der vorliegenden Studie ausführlich untersucht werden. Die Journalistin zeigt sich von diesen Fragen zutiefst betroffen und lässt allmählich Andeutungen auf ihre eigenen Erfahrungen und auf das Schicksal ihrer Familie im Zweiten Weltkrieg durch­ blicken. Stellt der Gebrauch der ersten Person in Reinerovás journalistischen Texten keine Ausnahme dar, bleibt die Erwähnung ihrer Nächsten doch eher selten und ist auf Artikel begrenzt, die die Shoah thematisieren, wie etwa je­ nen über die Auschwitz-Prozesse in der Bundesrepublik, in dem sie behutsam anmerkt: „Ich denke an meine Mutter und meine Schwestern, der alte Mann vor mir an seine Frau.“ („Unter nackten Wölfen“, IHE April 1964: 12f.), oder jene Antwort, die sie im September 1965 an einen westdeutschen Leser rich­ tet, der ihr seine Rührung bei der Lektüre eines ihrer Artikel zum Münchner Abkommen bekundet hatte: Meine Mutter wurde vergast, meine jüngere Schwester mit 21 Jahren von den Nazis hin­ gerichtet, ich selbst weiß aus eigenem Erleben was Gefängnisse und Lager sind. Als ich nach Prag heimkehrte, schien mir die Stadt, die ich so liebe, ein Friedhof zu sein. […] Mit ihren Kindern, lieber Herr Damrow, hat das jedoch nichts zu tun. Und zu Ihnen habe ich Vertrauen. Sie sind ein Künstler, ein aufrichtiger Mensch, der die Freundeshand hin­ hält. Wenn Sie gestatten, möchte ich mit Freuden einschlagen. („Aus unserer Briefmappe“, IHE-Beilage September 1965: o. S.)42 vorech s tamními novináři a jinými veřejnými činiteli poznat]. In einem weiteren Brief vom 20. Dezember 1964 an den slowakischen Bühnenautor Peter Karvaš teilt sie mit, sie sei einen Monat zuvor in West-Berlin gewesen; auf einen weiteren Berlin-Aufenthalt weist sie außerdem in einem Brief vom 22. Juli 1968 an Peter Balgha hin. 42  Dieser Auszug kann mit einer Stelle aus dem autobiografischen Bericht Alle Farben der ­Sonne und der Nacht in Verbindung gebracht werden. Dort spielt die Schriftstellerin diskret auf die Verbrechen an, die Tschechen im Mai 1945 an Deutschen verübten: „Im allgemei­ nen zügellosen Aufruhr geschah es auch, daß Verbrechen mit Verbrechen gesühnt, un­ schuldige Menschen zu Opfern wurden“. Sie erzählt von einem Mädchen, dessen deutsche Mutter vertrieben wurde und das von der jungen Witwe Jarmila aufgenommen wird, „denn

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Unter den anderen „kommentierenden“ Texten von Lenka Reinerová befin­ den sich viele Stellungnahmen, die den scheinbar unerschütterlichen Glauben der Journalistin an die kommunistische Ideologie und an das sozialistische Ge­ sellschaftssystem bezeugen. Zwar können solche Artikel als Pflichtübungen betrachtet werden und Lenka Reinerová ist nicht die Einzige, die sich dieser Übung unterwirft. Jedoch fällt bei ihr ein besonderer kommunistischer Eifer auf, der auf die Notwendigkeit zurückzuführen sein könnte, dem Regime gegenüber ihre Parteitreue unter Beweis zu stellen, zumal sie einen Verant­ wortungsposten bekleidet und noch nicht rehabilitiert ist. Nachfolgend sollen exemplarisch drei Texte herangezogen werden. Anlässlich des 40. Jahrestages der Gründung der KPČ (1921) veröffent­ licht Lenka Reinerová einen Leitartikel mit dem Titel „Darum“, in welchem sie sich bemüht, einem ratlosen französischen Anwalt die Gründe für ihr kom­ munistisches Engagement zu erklären: „Sie sind doch eine intelligente Frau […], wie ist es möglich, daß Sie wirklich an den Kommunismus glauben?“ Als Antwort nennt sie zuerst ihre Revolte gegenüber Armut und die im Kommu­ nismus gesicherte soziale Gerechtigkeit: „In keinem Land, in dem Kommu­ nisten an der Macht sind, könnten Sie mir einen einzigen jungen Menschen zeigen, der aus finanziellen Gründen nicht studieren könnte.“ (IHE Mai 1961: o. S.). Dass manche junge Leute aus politischen Gründen nicht studieren dür­ fen, wird hier verschwiegen. Anschließend erwähnt sie die in ihrer Jugend per­ sönlich oder über ihr Werk getroffenen Persönlichkeiten, deren geistiges Erbe (Theodor Dreiser, Picasso, Louis Aragon, Bertolt Brecht, Hašek, Scholochow, Schostakowitsch) und ihr eigenes antifaschistisches Engagement: Als dann der Faschismus in Europa um sich zu greifen begann, die Wiederkehr der Bar­ barei, die Gewaltherrschaft der geistigen Umnachtung, der Massenmord, die Urheber bis dahin unvorstellbaren Leidens und grauenvollen Sterbens, da waren es einzig und allein die Kommunisten, die kompromißlos und konsequent den Kampf aufnahmen, denen für die Rettung der Freiheit und Menschlichkeit keine Qual zu gräßlich und kein Opfer zu teuer war. […] Ich bin auch in Zuchthäusern und Lagern gesessen. Ich weiß, was es heißt, sich niemals, nicht einmal in der strengsten Einzelhaft, allein zu fühlen und sich unter allen Umständen auf seine Genossen verlassen zu können. (Lenka Reinerová, „Darum“, IHE Mai 1961: o. S.)

Hier verschweigt sie selbstverständlich ihre Inhaftierung in der kommunis­ tischen Tschechoslowakei Anfang der 1950er-Jahre. Schließlich beruht ihr Kind ist Kind. An ihnen darf sich niemand vergehen.“ (Reinerová 2005: 157) In diesem Brief an einen Leser vermag die Journalistin, die in ihren IHE-Artikeln die Vertreibungen durchwegs rechtfertigt (vgl. unten S. 185ff.), dennoch zwischen Einzelfällen und Genera­ tionen zu unterscheiden.

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letztes Argument auf den Ergebnissen des Kommunismus, wobei sie die ­ erühmte Formel des westdeutschen Bundeswirtschaftsministers Ludwig Er­ b hard „Wohlstand für alle“ ironisch aufgreift und variiert: Die Früchte unserer gemeinsamen Arbeit sieht jeder, der sie sehen will: kein Hunger und keine Not, Arbeit, Gesundheit und Wissen für alle. Unser Land wird mit jedem Jahr reicher und schöner. Mehr Reichtum und Schönheit für alle. (Lenka Reinerová, „Darum“, IHE Mai 1961: o. S.)

Der Leitartikel von Dezember 1961, in dem Reinerová, wie an jedem Jahres­ ende, eine Bilanz des vergangenen Jahres zieht, betont dies noch nachdrückli­ cher. Der Titel des Beitrags lautet „Die Farbe der Sonne“.43 Das Jahr 1961 wird als eher „sonniges“ Jahr dargestellt und die Journalistin bringt darin ihre Be­ friedigung zum Ausdruck: „Die Ausbeutung des Menschen durch den Men­ schen ist beseitigt, die Wirtschaft gedeiht, das Leben kann von Tag zu Tag nur leichter und schöner werden.“ (IHE Dezember 1961: o. S.) Dann spielt sie zum allerersten Mal auf den Bau der Berliner Mauer an:44 Es war ein anderer Augustsonntag, als der Rundfunk eine andere wichtige Nachricht durchgab: Die Deutsche Demokratische Republik hat den Zugang zu Westberlin gesperrt. Das war keine Freudenbotschaft, das war eine unerläßliche Notwendigkeit. Für uns in der Tschechoslowakei war diese Maßnahme nicht schwer zu verstehen. Zu oft hatten unsere Behörden jemanden dabei ertappt, wie er Spionagenachrichten funkte oder ‚in toten Brief­ kästen‘ verstaute, wieviele Mordabsichten hatten sie durchkreuzt und wenn sie dann den Missetätern und Verbrechern auf den Zahn fühlten, führten die Fäden fast ausnahmslos nach Westberlin. Wieviele Haßreden und Drohungen waren von dort aus gegen die sozia­ listische Tschechoslowakei in die Welt geschrien worden. Wie mühsam und geduldig hatten wir unsere Bürger nach den fürchterlichen Jahren der Nazi-Okkupation davon überzeugen müssen, daß nicht alle Deutschen gleich seien, nicht alle Nazis, Militaristen und Revanchis­ ten. Ohne das einleuchtende, praktische Beispiel der Deutschen Demokratischen Republik wäre es noch viel schwerer gewesen. Jetzt schob diese erste deutsche Arbeiter- und Bauern­ macht den gefährlichen Friedensstörern einen Riegel vor. Meine Nachbarin, Mutter zweier Kinder und eines erwachsenen Sohnes, sagte: ‚Gott sei Dank‘. Und nach einer Weile fügte sie noch hinzu: ‚Ich habe gehört, daß die Arbeiter aus den Betrieben überall in den ersten Reihen der Absperrungskette stehen. Gut, daß so schönes Wetter ist und die Sonne scheint. (Lenka Reinerová, „Die Farbe der Sonne“, IHE Dez. 1961: o. S.) 43  Der Ursprung des Titels des 2003 erschienenen autobiografischen Berichts Alle Farben der Sonne und der Nacht ist folglich viel älter als das, was Reinerová im Vorwort eingestehen mag, in dem sie lediglich auf die tschechische Erstfassung des Textes, Barva slunce a noci (1969), hinweist. 44  Die erste Erwähnung dieses Ereignisses in der Zeitschrift findet sich erst im November 1961, in einem sehr knappen Artikel unter dem unidentifizierten Kürzel Bk mit dem Titel „Ein Bruder ist mir jeder Mensch …“. Der Artikel zitiert Paul Dessau: „sagte mit einer Stim­ me, die wie eine Oboe klang: ‘Am 13. August 1961 wurde unsere junge Republik majorenn‘.“

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Dieser Auszug bietet ein Paradebeispiel für Propaganda, wobei klar auf der Hand liegt, dass die tschechoslowakische Außenpolitik eine totale Solidarität mit der DDR voraussetzt: Lenka Reinerová beschreibt den Mauerbau als defensiven Akt („eine unerläßliche Notwendigkeit“).45 Trotzdem scheint das Bedürfnis der Journalistin nach Selbstrechtfertigung durch, wenn sie sich zum Sprachrohr der tschechoslowakischen Öffentlichkeit erhebt („Für uns in der Tschechoslowakei“). Sie verwendet von da an nur noch die erste Per­ son Plural und beschuldigt den Westen und West-Berlin, stellt Attacke doch oft die bessere Verteidigung dar. Das benutzte Wortfeld ist tatsächlich jenes der gewaltsamen Aggression („Mordabsichten“, „Missetäter“, „Verbrecher“, „Friedensstörer“, „Haßreden und Drohungen“), gestützt durch mehrfache Wiederholungen und Akkumulationen („zu oft“, „wieviele“, „wie mühsam“) und eine Rhetorik, die auf ein Argumentationsarsenal von Anfang der 1950er zurückgreift, zumal Lenka Reinerová sogar Gottwald zitiert („daß nicht alle Deutschen gleich seien“) (Zimmermann 2005: 196). Welchen Zweck mag sie mit einer solchen Apologie der Mauer verfolgt haben, die in der Mehr­ heit der westdeutschen Bevölkerung bestenfalls auf Unverständnis stoßen konnte? Dies ist ein eindeutiger Beleg für die propagandistische Dimension der Zeitschrift. Der Artikel endet übrigens mit einem deutlichen Bekenntnis zum Kommunismus: In Moskau hat der XXII. Kongreß der KpdSU ein Programm gebilligt, das auf einem Sechstel unserer Erde im Laufe der nächsten 20 Jahre das Zeitalter des Kommunismus be­ ginnt, das Zeitalter der absoluten Befreiung des Menschen, in dem er nicht mehr arbeiten wird, um überhaupt existieren zu können, sondern weil es sein erstes Bedürfnis sein wird, der Entfaltung seiner ganzen schöpferischen Kraft entsprechend, von allen Existenzsor­ gen befreit. Nicht alle Menschen können das bereits heute verstehen, aber die Geschichte geht vorwärts und mit ihr die Erkenntnis. Wir in der Tschechoslowakei nehmen aktiven Anteil an dieser Entwicklung und deshalb verstehen wir sie und öffnen ihr Herz und Ver­ stand. (Lenka Reinerová, „Die Farbe der Sonne“, IHE Dez. 1961: o. S.)

Im Juni 1962 veröffentlichte die Journalistin einen Beitrag, der großes Aufse­ hen erregte und zu zahlreichen, sowohl begeisterten als auch kritischen Leser­ briefen führte. Indem IHE auch die kritischen Briefe publizierte, wurde ein 45  In einem weiteren Artikel („Die neue Sachlage“, IHE Februar 1965: 10f.) schildert ­Reinerová einen Besuch in West-Berlin, wo sie an einer Piscator-Aufführung teilnimmt, erwähnt aber keineswegs die Mauer, als sie die zahlreichen älteren Menschen aus der DDR, die ihre Verwandten in West-Berlin besuchen, beschreibt: „Als wir einmal vom Bahnhof Friedrichstraße mit der S-Bahn zum Lehrter Bahnhof fuhren, gab es im Zug zahlreiche alte Menschen, die, aus der Deutschen Demokratischen Republik kommend, nach West­ berlin und in die Bundesrepublik reisten, um ihre Verwandten zu besuchen.“

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Dialog mit den Lesern inszeniert, ja vorgetäuscht, denen Reinerová in der Aus­ gabe von November 1962 erwidert (Lenka Reinerová, „Nochmals zur Freiheit, die wir meinen.“, IHE-Beilage Nov. 1962: o. S). In dieser Tribüne versuchte sie, die westlichen Vorurteile über den angeblichen Mangel an Freiheit im so­ zialistischen System zu verwischen. Anhand eines Vergleichs zwischen beiden Blöcken argumentiert sie zugunsten des Sozialismus. Der Westen sei der Kultur der sozialistischen Länder verschlossen, wobei das Gegenteil nicht stimme: Bleiben wir vorerst einmal bei der BRD. Der katholische Schriftsteller Heinrich Böll steht dort schon lange auf der Bestsellerliste. […] In der ČSSR sind bisher 6 Bücher von Böll erschienen, darunter Haus ohne Hüter in einer Auflage von 15 000 Exemplaren, Wo warst du Adam 20 000, Billard um halb zehn sogar 92 000! Von E. M. Remarque sind bei uns nach dem Krieg 5 Bücher erschienen in einer Gesamtauflage von 73 000 Exemplaren, davon allein Zeit zu leben, Zeit zu sterben 23 000 Exemplare, eine slowakische Ausgabe nicht inbegriffen. Von dem Hamburger Karlludwig Opitz liegen in der Tschechoslowakei bisher 3 Bücher auf […]. Man hat mir erzählt, daß heute in der Bundesrepublik Auflagen von 10 000 Exemp­ laren eine Ausnahme sind, abgesehen von den billigen Taschenausgaben natürlich. Krimis kommen in der ČSSR allerdings nur selten heraus, aber englische, amerikanische, franzö­ sische, italienische und andere Autoren werden in den bei uns üblichen hohen Auflagen laufend verlegt. 14 westdeutsche Autoren sind seit 1945 auf dem tschechoslowakischen Büchermarkt zu finden, ungefähr 10 wurden 1961 von insgesamt 25 tschechoslowakischen Theatern gespielt […]. In den Lichtspielhäusern der ČSSR liefen in den letzten Monaten 7 westdeutsche Filme. […] Tatsache ist, daß bei uns nur wenige Menschen nach Italien fah­ ren oder nach Frankreich. Wir erholen uns in Bulgarien und Rumänien, an der Krim oder an der Ostsee. Das hat weniger mit Freiheit und mehr mit Devisen zu tun. Tatsache ist aber auch, daß wir, so glaube ich, dennoch mehr von der Welt wissen. Kein Tschechoslowake wird glauben, daß ein Amerikaner Bürgermeister von Bonn ist und bundesdeutsche Pässe in Washington ausgestellt werden. Wir haben zwar immer mehr, aber bei weitem noch nicht so viele private Autobesitzer wie die BRD. Aber wir haben genügend Hörsäle an den Universitäten und einen wachsenden Prozentsatz von Arbeiter- und Bauernkindern, die studieren. Unsere Frauen mögen weniger elegant, weniger ‚nach dem letzten Schrei‘ geklei­ det sein, aber für ihre Kinder ist gesorgt. Der Staat läßt z. B. alle kostenlos gegen Polio, Tbc und Keuchhusten impfen und beschäftigte Müter [sic] wissen ihre Kleinen in Kindergrip­ pen [sic] und Schulhorten gut aufgehoben. Wir haben keine Schönheitsköniginnen mehr und keine Millionäre, aber es wird auch an keinem Sonntag in keiner Stadt unseres Landes auf der Straße für den Bau eines Krankenhauses gesammelt. Wir haben keine Fabrikanten, wir entscheiden selbst in den Betrieben. Vieles ist eben wirklich anders. Auch die Freiheit, die Freiheit, die wir meinen. (Lenka Reinerová, „Freiheit, die wir meinen. Offene Tribüne“, IHE Juni 1962: 9)

Freiheit wird hier nicht als individuelle, finanzielle Freiheit oder als Reisemög­ lichkeit definiert, sondern als Zugang zu Bildung, Studium46 und Krankenpflege, 46  Angesichts der „tschechoslowakischen Bildungskatastrophe“ in den 1960ern, die der Richta-­ Report 1967 enthüllte (Schulze Wessel 2018: 143f.), trügt Reinerovás Darstellung.

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als Frauenemanzipation und demokratisches Funktionieren der Betriebe. Der Text stellt die Gesellschaftssysteme in Ost und West gegenüber und scheint der syntaktische Aufbau zunächst dem westlichen System den Vorzug zu ge­ ben („Tatsache ist, daß bei uns nur wenige Menschen nach Italien fahren oder nach Frankreich“ / „Wir haben zwar immer mehr, aber bei weitem noch nicht so viele private Autobesitzer wie die BRD“ / „Unsere Frauen mögen weniger elegant, weniger „nach dem letzten Schrei“ gekleidet sein“), dann nur, um die lediglich oberflächlichen Forstschritte im Westen dekuvrieren zu können, denen an jedem Satzende der substanzielle Fortschritt des Sozialismus entge­ gengehalten wird: „Aber wir haben genügend Hörsäle an den Universitäten und einen wachsenden Prozentsatz von Arbeiter- und Bauernkindern, die studieren“ / „aber für ihre Kinder ist gesorgt“ / „aber es wird auch an kei­ nem Sonntag in keiner Stadt unseres Landes auf der Straße für den Bau eines Krankenhauses gesammelt“. In diesem Text kommt die Ironie47 der Journa­ listin durch, die über die angebliche Ignoranz der Westler spottet, wobei sie auf den amerikanischen Einfluss in der Bundesrepublik und die begrenzte Souveränität des westdeutschen Staates hindeutet.

3.5.3 Karel Trinkewitz (1931–2014) Der Autor und vielseitige Künstler48 Karel Trinkewitz wurde am 23. August 1931 im böhmischen Mečeříž in eine deutsch- und tschechischsprachige jü­ dische Familie hineingeboren. Väterlicherseits stammte der Großvater aus Braunsberg in Ostpreußen, die Großmutter aus Osek in Südböhmen, wie Franz Kafkas Vater.49 Während der deutschen Besetzung verfolgt, entkam er mit seiner Familie jedoch der Deportation. Nach 1945 wurde die Familie wei­ terhin stark diskriminiert: „Ich hatte ja die deutsche Staatsangehörigkeit“, er­ klärte Karel Trinkewitz (Herda 2011). Er „macht[e] zunächst eine Ausbildung an der Keramisch-technischen Fachschule Teplice-Šanov, schafft[e] dann den Übertritt aufs Gymnasium“ (Herda 2011) und auf die Karlsuniversität, wo er drei Semester lang Jura studierte, bevor er als „bourgeoises Element“ ausge­ schlossen wurde. Nach Wolfgang Schlott (2016: 15) „musste er [sein Studium] wegen einer Denunziation und seinem offensichtlichen Engagement für die 47  Wie an späterer Stelle noch gezeigt werden soll, ist die Ironie ein häufiges Merkmal des journalistischen Stils Reinerovás. 48  Karel Trinkewitz betätigte sich als Collagist, Maler, Zeichner, Karikaturist und Buchillustrator. 49  Quellen zu Karel Trinkewitz’ Biografie befinden sich in Trinkewitz (2016) u. Herda (2011). Die darin enthaltenen Informationen decken sich aber nicht immer.

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‚dekadente‘ westliche Kunst abbrechen.“ Trinkewitz bestritt seinen Lebens­ unterhalt dann als Bauarbeiter und Paketbote (Herda 2011), bevor er in die IHE-Redaktion als Redakteur eintrat. Sein Name erschien dort zum ersten Mal im Juni 1961. Insgesamt veröffentlichte er zwischen Juni 1961 und De­ zember 1967 46 Artikel, Illustrationen oder Cartoons und drei Covers (Juni 1965, Januar 1966 und Dezember 1967). Anlässlich des Todes des Künstlers erinnerte Matthias Gretzschel (2014) in Die Welt u. a. daran, dass Trinkewitz „als Redakteur der angesehenen deutschsprachigen Zeitschrift ‚Im Herzen Eu­ ropas‘ arbeitete“. Seine ersten beiden IHE-Beiträge hatten wenig mit seinem Spezialgebiet zu tun, handelte es sich doch um Reportagen über die Stadt Přibram (Trinkewitz, „Příbram. Eine verjüngte alte Stadt“, IHE Juni 1961: o. S.) und über eine Genossenschaft (Trinkewitz, „100 000 Kraftwagen in einem Jahr. Autoporträt einer Autoreparaturgenossenschaft“, IHE September 1961: o. S.).50 Ab 1962 aber wurde er ausschließlich mit künstlerischen Themen beauftragt. Dies gilt jedoch nicht für die beiden Artikel, die er für die österrei­ chische Ausgabe WuS verfasste.51 Die meisten Artikel erschienen unter seinem vollständigen Namen, nur drei unter dem Kürzel K.T. Ab 1965 wurde er im Impressum als „Redak­ teur“ erwähnt. Im Jahre 1968 publizierte er noch sieben Beiträge in IHE, wobei sich seine Themen diversifizieren und politisieren (s. 4. Teil). Im Jahre 1969 verfasste er vier Artikel. Der Künstler war aber auch Autor zahlreicher Artikel (61), die unter dem Pseudonym Erich Witz erschienen. Es sind u. a. die IHE-Rubriken „Unser Zeichner ist diesmal…“ und „Lachen Sie mit…“, wie Dalibor Pokorný in seinem Trinkewitz gewidmeten Porträt enthüllt („Ein Bekannter stellt sich vor: Karel Trinkewitz“, IHE Juni 1965: 17–19, hier 17). Im Jahre 1970 verschwand sein Name aus den Inhaltsverzeichnissen der Zeit­ schrift, er zeichnete aber noch eine Serie von Haiku, die Fotografien von Oldřich Karásek begleiten („Tiere in Frost und Schnee“, IHE Februar 1970: 6f.)52 und einen allerletzten Artikel im März („Das Tal der Puppen“, IHE März 1970: 28f.). Für die Form des Haiku interessierte er sich offensichtlich 50  In diesem Artikel lobte er das System der sozialistischen Genossenschaften. Damit zollte Trinkewitz dem Regime seine Treue. 51  „Kohle für Österreich. Die Wiener Gaswerke – die Linzer Hüttenanlagen – die Donawitzer Hochöfen verbrauchen Ostrauer Kohlen. Über diesen starken Ausfuhrposten der ČSSR nach Österreich berichtet Karel Trinkewitz“ (WuS Mai 1962: 10-11); „Fünf Tage in Prag verbrachte das Ehepaar Stauder aus Bleiberg als Gewinner unseres vorjährigen Wettbe­ werbs“ (WuS September 1962: 20f.). 52  Bemerkenswert ist, dass diese Haiku von Peter Pont (Oskar Kosta) aus dem Tschechischen übersetzt wurden.

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intensiv seit Ende der 1950er, zumal er „einige Hundert veröffentlichte“ und Tausende schrieb (Krehl 2016: 47).53 Es ist bemerkenswert, dass er seine ers­ ten Haiku in IHE publizierte. Über diese Zeitschrift und deren stellvertretende Chefredakteurin teilte der Künstler 2011 Folgendes mit: „Sie hatte als Titoistin in der stalinistischen ČSSR zwei Jahre im Knast gesessen – jetzt, da die Zeit der Wiedergutmachung im Prager Frühling anbrach, hatten wir bessere Karten.“ (Herda 2011) Merk­ würdigerweise nennt er Lenka Reinerová nicht beim Namen, obwohl diese mittlerweile weit über die Grenzen der Tschechischen Republik hinaus be­ kannt war. Die Bezeichnung als „Titoistin“ wäre eventuell zu nuancieren. Viel­ leicht waren Trinkewitz’ Erinnerungen nicht so genau oder seine Beziehung zu Reinerová nicht besonders eng. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass auch die Journalistin ihre IHE-Kollegen in ihren autobiografischen Schriften nicht erwähnte. In seiner „kurzen Autobiographie“ (Trinkewitz 2016), die aus lediglich 41 Zeilen besteht, widmete der Künstler seiner Tätigkeit bei IHE nicht weniger als sechs Zeilen, was die Bedeutung dieses Lebensabschnittes verdeutlicht. Trotzdem zitiert er auch hier weder den Namen der Zeitschrift noch diejenigen der Chefredakteure: Erst der Prager ‚Vorfrühling‘ milderte die antideutsche und antisemitische Kaderpolitik –  ich wurde Redakteur einer deutschen Zeitschrift in Prag. Meine Vorgesetzten in der Re­ daktion waren deutsche Juden – gebildete Kenner der Prager deutschen Literatur. In der redaktionellen Arbeit lernte ich viele deutsche Prager Autoren kennen und durch sie auch die Geschichte der Prager Literaturszene. Und auch die deutsche Literatur allgemein. (Trinkewitz 2016: 11)

Auch hier mögen ihn seine Erinnerungen täuschen. Es ist fragwürdig, ob sich Lenka Reinerová in der Zuschreibung „deutsche Jüdin“ erkannt hätte. Während der ‚Normalisierung‘ musste Karel Trinkewitz für sein Enga­ gement im Prager Frühling büßen: Wie Lenka Reinerová endet seine IHEKarriere im Jahre 1970. Später war er Mitunterzeichner der Charta 77. 1979 ausgebürgert, emigrierte er in die Bundesrepublik, zuerst nach Essen, dann nach Hamburg. Im Jahre 1989 ernannte ihn sein Freund und neuer tschecho­ slowakischer Außenminister Jiří Dienstbier zum Konsul in Hamburg. Auf künstlerischer Ebene wurde Trinkewitz durch die Einflüsse des Surrealismus und Dadaismus geprägt. Ab 1965 gehörte er zum Künstlerkreis um Jiří Kolář. 53  Der schöne Band von C. Gölz, A. Kliems und B. Krehl (2016) bietet einen spannenden Einstieg in das Werk von Karel Trinkewitz und das Haiku ( [12.10.2021]). Dem Künstler widmete das Prager Museum Kampa von 27.2 bis 15.5.2016 eine Ausstellung ( [12.10.2021]).

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3.5.4 Milan Škarýd (*1930) Der Leser, der im Milan Škarýd gewidmeten Artikel „Ein Bekannter stellt sich vor“ (IHE Februar 1965: 17–19) nach genauen biografischen Informationen über diesen Journalisten sucht, wird vom letzten Endes unpersönlichen In­ halt des Beitrags enttäuscht, der vielmehr eine Reflexion über die Rolle der Fotografie im Journalismus darstellt. Immerhin erfährt man darin, dass Milan Škarýd zuerst als Werbe- und Modefotograf tätig war, dann als „Sekretär einer Institution, die das staatliche Ausstellungswesen zusammenfaßte und zugleich die Teilnahme tschechoslowakischer Fotografen an Ausstellungen im Aus­ land sicherstellte“ (IHE Februar 1965: 18). Der Fotograf ist Mitautor eines 1972 erschienenen Bandes über den Flughafen Frankfurt am Main (Karlhans Müller/Milan Škarýd, Airport der Zukunft: Terminal Mitte = Airport of the future, Frankfurt am Main, Rummel). Tatsächlich arbeitete der nach der Unterdrü­ ckung des Prager Frühlings in die Bundesrepublik emigrierte Journalist für die Presseabteilung des hessischen Flughafens.54 Abgesehen von diesen dürftigen biografischen Angaben, muss sich der Forscher mit den in der Zeitschrift enthaltenen Informationen begnügen. ­Milan Škarýd gesellte sich der IHE-Redaktion zunächst als Fotograf zu, des­ sen Bilder die Reportagen anderer illustrierten; sein Name erschien erstmals im Juni 1959 (M. Hrbek, „Chemie, die uns umgibt“ (Aufnahmen M. Škarýd, O. Novák und ČTK), IHE Juni 1959: o. S.). Danach wurde er regelmäßiger Fotograf der Zeitschrift, wobei er auch Coverbilder (43 insgesamt) lieferte. Seine allererste Reportage wurde im Januar 1961 publiziert („Was hat sich in Ihrem Leben geändert?“, IHE Januar 1961: o. S.). Im August 1963 erschien von ihm eine Reportage über die Fotografie und den Fotografen Ladislav Sitenský (mš [Milan Škarýd], „Leitmotiv Berge“, IHE August 1963: 20–23). Seine Zusammenarbeit mit IHE intensivierte sich im Jahre 1964, da er im Dezember, gleich wie Karel Trinkewitz, Redakteur der Zeitschrift und als sol­ cher im Impressum genannt wurde. Zwischen Januar 1962 und Dezember 1967 veröffentlichte Škarýd 74 Artikel, die er mit eigenen Klischees bebilderte. Dabei handelt es sich im Allgemeinen um Fotoreportagen über Wissenschaft und Technik, aber auch über Fotografie, wie etwa im Artikel „Fotografie 66“, der einer Ausstellung von tschechoslowakischen Fotografen gewidmet ist (IHE September 1966: 24f.). Außerdem veröffentlichte er weiterhin Fo­ tos zur Illustration von Artikeln anderer Beiträger. In den Jahren 1968 und

54  Information nach Vladimír Votýpka (E-Mail-Interview vom 28. Juni 2018).

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1969 ­erschienen von ihm noch acht Artikel, bevor seine Mitarbeit 1970 endet, gleichzeitig wie die von Lenka Reinerová und Karel Trinkewitz. Milan Škarýd trug auch maßgeblich zur österreichischen Ausgabe WuS bei, wo er anscheinend als Verfasser von Artikeln anfing, da sein Name dort schon im Januar und Februar 1962 zu finden ist. Im Mai 1963 verfasste er zwei Artikel, dann einen weiteren im November sowie einen im Dezember. Im Oktober 1965 begann er eine Serie von 14 Reportagen, die von nun an jeden Monat bis Dezember 1966 publiziert wurden und inhaltlich dem Vergleich zwischen Wien und Prag gewidmet waren (Milan Škarýd, „Spiegel zweier ­Metropolen“, WuS Okt. 1965 – Dez. 1966).

3.5.5 Andere Mitarbeiter Die Anzahl der Mitarbeiter, die unter ihrem vollständigen Namen Artikel in IHE veröffentlichten, lässt sich auf ca. tausend schätzen, davon ausgenom­ men sind aber noch die mit Kürzel gezeichneten Beiträge. Diese erhebliche Zahl belegt, wie sehr IHE bestrebt war, ein breitgefächertes Panorama der tschechoslowakischen Kultur der 1960er-Jahre zu liefern, weshalb zahlreiche Persönlichkeiten wie Wissenschaftler, Hochschullehrer, Akteure des politi­ schen und gesellschaftlichen Lebens, Repräsentanten der Kultur, gar anonyme Bürger ersucht wurden, Beiträge zu liefern. Nach der Fusion der Redaktio­ nen von IHE, Czechoslovak Life, La vie tchécoslovaque, Vita cecoslovacca und Livet i Tjeckoslovakien im Januar 1968 wurde das Redaktionspersonal umorganisiert, zusätzliche Mitarbeiter kamen hinzu. Unter diesen 1000 gelegentlichen Mitarbeitern stechen einige Namen ins Auge, die entweder bekannter sind oder zu den wichtigen Akteuren des kulturellen und intellektuellen Lebens der damaligen Tschechoslowakei zählten. Sie gilt es nun kurz vorzustellen. Leo Brod (1905–1988)55 war ein tschechischer Journalist und Schriftsteller deutscher Muttersprache und jüdischer Herkunft. Er besuchte (wie Kisch, Rilke, Werfel und Max Brod) die Prager Piaristenschule in der Herrengasse, dann das Stefansgymnasium, wo er die Matura bestand, studierte Jura und 55  Diese biografische Notiz wurde mit Hilfe seines Sohns Petr Brod erstellt. Informationen im Netz befinden sich unter: und [12.10.2021]. Nach Angabe von Petr Brod sind einige Hinweise im ersten Link fehlerhaft und wurden hier berichtigt.

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promovierte an der Prager deutschen Universität. Neben seinem Studium war er bei der Versicherung Riunione Adriatica di Sicurità in Prag tätig. In seiner Freizeit beschäftigte er sich zudem publizistisch und schrieb für die Blätter Bohemia und Prager Montagsblatt. Im März 1939 emigrierte er nach Großbri­ tannien, wo er in der Industrie tätig war. 1946 kehrte er nach Prag zurück und arbeitete zunächst bei der nationalen Verwaltung, die mit der Restitu­ tion der konfiszierten jüdischen Güter beauftragt war. Nach Februar 1948 wurde er, da er der KPČ nicht beitreten wollte, massiv diskriminiert, musste als Hilfsarbeiter in der Industrie arbeiten und konnte erst Ende der 1950erJahre eine angemessenere Beschäftigung als Fremdenführer im Staatlichen Jüdischen Museum in Prag finden. Damals wurde er auch Redakteur bei der deutschsprachigen Wochenzeitung Aufbau und Frieden. Seine Zusammenarbeit mit IHE fand in den Jahren 1963–1964 statt. Brod lieferte insgesamt sechs Artikel, die sich alle mit der jüdischen Kultur in Böhmen befassen (s. S. 251f.). Auch in WuS veröffentlichte er einige Beiträge. Im Jahre 1969 emigrierte er in die Bundesrepublik und ließ sich in München nieder. Pavel Eckstein (1911–2000) war Musikwissenschaftler und -kritiker. Er war als Dramaturg des Prager Musikfestivals Prager Frühling und von Opern des Nationaltheaters in Prag tätig. Zwischen März 1958 und Juli 1969 veröf­ fentlichte er dreizehn Artikel in IHE, die sich alle mit Musik, und besonders mit der Oper, beschäftigen. Zur selben Zeit war er auch Redakteur bei der deutschsprachigen Wochenzeitung Aufbau und Frieden / Prager Volkszeitung. Ivo Fleischmann (1921–1997) war ein tschechischer Dichter und Roman­ schriftsteller, der auch aus dem Französischen übersetzte. Ab 1946 war er als Kulturattaché bei der tschechoslowakischen Botschaft in Paris tätig, dann arbeitete er im Kulturministerium in Prag und wurde Redakteur der Zeitung Literární Noviny. In seiner Wohnung in Prag-Vršovice empfing er damals, so erinnert sich sein Sohn Michel (Rosenzweig 2005), die Vertreter der westli­ chen kulturellen und künstlerischen Linken wie Louis Aragon, Elsa Triolet, Yves Montand und Simone Signoret. 1964 kehrte er als Kulturrat nach Paris zurück, 1969 beantragte und erhielt er politisches Asyl in Frankreich. In IHE veröffentlichte er im August 1963 eine „offene Tribüne“, die sich mit Litera­ tur beschäftigte, und im Oktober 1964 einen Artikel über die tschechoslowa­ kisch-deutschen Beziehungen, in welchem er für die Entwicklung von kultu­ rellen und menschlichen Beziehungen zwischen Prag und seinen westlichen Nachbarn plädierte:

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Eines allerdings steht fest. Gegenseitige literarische, künstlerische und somit vorwiegend menschliche Beziehungen zwischen Prag und seinen westlichen Nachbarn müssen ange­ knüpft werden. Im Interesse der einen und der anderen. Im Interesse aller tschechischen und deutschen Literaten. Uns liegt weiß Gott nicht daran, daß sich die aktive Aufmerksam­ keit für die Tschechoslowakei in Westdeutschland ausschließlich in den revanchistischen Kreisen konzentriert. Warum, in aller Welt? Ist doch auch Westdeutschland, wie jeder an­ dere Staat, voll von Menschen, denen eine Koexistenz unvergleichlich mehr am Herzen liegt als keine Existenz. (Ivo Fleischmann, „Acht Tage am Rande. Tschechische Dichter in der deutschen Bundesrepublik“, IHE Oktober 1964: 12f.)

In derselben IHE-Ausgabe wurde er im Feuilleton mit einer Übersetzung von Lenka Reinerová gewürdigt. Eduard Goldstücker (1913–2000) war ein Prager Germanist jüdischer und slowakischer Herkunft. Sein Name bleibt eng mit der Rehabilitierung des Werkes Franz Kafkas infolge der von ihm organisierten Konferenz von Liblice im Jahre 1963 verbunden.56 Er trat sehr früh dem Kommunismus bei und musste 1939 über Paris nach London ins Exil gehen, wo er die Kriegs­ jahre verbrachte. Am Ende des Zweiten Weltkrieges wurde er im diplomati­ schen Dienst eingestellt und als Botschafter der Tschechoslowakei nach Israel entsandt. Anfang der 1950er-Jahre fiel er den Säuberungen in der KPČ zum Opfer: Er entkam dem Todesurteil, wurde aber zu einer lebenslänglichen Haftstrafe in den Joachimsthaler Uranbergwerken verurteilt, nachdem er in Leopoldov in der Slowakei inhaftiert worden war. Seine Entlassung erfolgte im Jahre 1955. Nach seiner Rehabilitation gelang es ihm, Professor für deut­ sche Literatur an der Karls-Universität zu werden, an der er 1967 auch als Prorektor wirkte. In den Gesprächen, die er 2009 mit Eduard Schreiber führte, erklärt letz­ terer, dass er 1961 als DDR-Bürger bei der Lektüre von IHE zum ersten Mal auf den Namen von Goldstücker gestoßen sei. Tatsächlich veröffentlichte Goldstücker im August jenes Jahres seinen ersten IHE-Beitrag: Es handelt sich dabei um eine Studie zu Rilke und Werfel. Im Juli 1963 publizierte er dann anlässlich der Konferenz von Liblice einen Beitrag über Franz Kafka und im Januar 1965 eine „offene Tribüne“ („Eine einzige Welt. Offene Tribü­ ne“, IHE Januar 1965: 11). Im Januar 1962 veröffentlichte IHE einen Auszug aus einem bereits zuvor in Literární Noviny erschienenen Artikel („Denk ich 56  Zur Thematisierung Franz Kafkas in IHE s. unten (S. 244ff.). Walter Schamschula (2004: 477f.) urteilt eher kritisch über die „naiv[en] symbolisch[en] Deutungen von Kafkas Ge­ stalten und Werken“ des „damals noch immer orthodox[en] Kommunist[en] Goldstücker. Zu Goldstücker vgl. Weinberg (2013).

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an Deutschland…“, IHE-Beilage Januar 1962: o. S.). In seinen Erinnerungen erwähnt Goldstücker seine Interessensschwerpunkte als Germanist, wobei be­ merkenswert ist, dass seine allerersten Studien auch in IHE Niederschlag fanden: Der erste war ein Versuch, die spezifischen Affinitäten der Prager deutschen Literatur in einem Text zu verarbeiten, der später veröffentlicht wurde, ich glaube in Philologica Pragensia. Einen weiteren Versuch in dieser Richtung bildeten die Abhandlungen über die Beziehun­ gen zwischen Rainer Maria Rilke und Franz Werfel. (Goldstücker 1989: 276)

Diese „Abhandlungen“ entsprechen tatsächlich der im August 1961 er­ schienenen Studie. Nach Goldstücker (1989: 274) sei die einzig mögliche Forschungsrichtung für eine originelle tschechische Germanistik die Prager deutschsprachige Literatur gewesen. Insofern als IHE auch dazu beitrug, die­ se Literatur bekannt zu machen, stellt sich die Frage nach dem tatsächlichen Einfluss Goldstückers auf die Redaktion. Lenka Reinerová (2000: 95) erinnert sich an ihn als „[ihren] langjährigen Freund und Zeitgenossen“, ohne jedoch von diesem jemals in seinen Erinnerungen erwähnt zu werden.57 Im Jahre 1968 war Eduard Goldstücker, der Ende Januar zum Vorsitzen­ den des Verbandes der tschechoslowakischen Schriftsteller gewählt worden war, maßgeblich am Reformprozess beteiligt. Sein Name erschien danach öf­ ter in IHE und im September 1968 wurde ein Gespräch zwischen ihm und dem Kritiker Antonín Liehm abgedruckt (Lenka Reinerová, „Zeitgenossen der Geschichte. Diskussion“, IHE September 1968: 8f.). Für sein Engage­ ment im Jahre 1968 wurde er erneut ins Exil gezwungen (bis 1989), nachdem eine denunziatorische antisemitische Kampagne gegen ihn lanciert worden war (Goldstücker 1989: 325). IHE spielte in der Ausgabe von Januar 1969 kurz auf diese Attacken an, schob die Schuld jedoch der Auslandspresse zu („Wenn ein einziger tschechischer oder slowakischer Künstler, Wissenschaftler oder Journalist…“, IHE Januar 1969: 3). Eduard Goldstücker (1989 und 2009) stellte tiefgründige und aufrichtige Reflexionen an, über Kommunismus und Stalinismus, über den Sinn seines Engagements, die zunächst in seinen noch vor dem Fall des kommunistischen Regimes veröffentlichten Erinnerungen, dann im oben zitierten Gesprächs­ buch, zum Ausdruck kommen. Alois Hába (1893–1973) war ein mährischer Komponist. Er gilt als Meister des böhmischen Expressionismus in den 1920er- und 1930er-Jahren und betä­ tigte sich auch als Pädagoge, als er von 1924 bis 1951 die Kompositionskunst 57  Hier stößt man vielleicht an die Grenzen der autobiografischen „Quellen“, die Gudrun Salmhofer (2009: 121) im Hinblick auf Reinerovás Erinnerungsprozess hervorhebt.

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lehrte. Zu seinen Schülern zählten u. a. die Dirigenten Karel Ančerl und Wal­ ter Süsskind. Hába verfasste einen Artikel für IHE, der sich mit dem NovákQuartett befasste und im September 1960 erschien. Jirí Hájek (1919–1994) war Literatur- und Theaterkritiker. Er war Kom­ munist, wurde von 1939 bis 1942 nach Sachsenhausen deportiert und gehörte dann in den Jahren 1944 und 1945 zur illegalen Führung der KPČ. Nach dem Krieg war er Kulturredakteur von Tvorba und Rudé právo, später, in den 1950er-Jahren, Chefredakteur des Verlags Mladá Fronta und der Zeitschriften Plamen und Tvorba. Er bekleidete hohe Funktionen im Verband der tschecho­ slowakischen Schriftsteller sowie im Journalistenverband (Brenner 2009: 531). In IHE, wo er zwischen September 1959 und Mai 1967 veröffentlichte, intervenierte er meistens als Chefredakteur von Plamen. Im November 1964 wurde er als solcher im Feuilleton gewürdigt. Weit davon entfernt, sich mit literarischen Themen zu befassen, setzte er sich im Rahmen zweier „offenen Tribünen“ mit den tschechoslowakisch-deutschen Beziehungen auseinander (Jiří Hájek, „Was uns verbindet“, IHE September 1959: o. S.; „Damals vor 25 Jahren. Offene Tribüne“, IHE März 1964: 11). Angesichts des politisch-kultu­ rellen Kontextes der 1960er-Jahre vertritt Jean-Gaspard Pálenícek (2007: 103) die Ansicht, dass Jiří Hájek einen Sonderfall bilde, zumal er als Dogmatiker von den Reformkommunisten nicht geschätzt werde und seine wissenschaft­ lichen und kritischen Arbeiten seit Ende der 1950er nur mit Verachtung auf­ genommen worden seien; trotzdem bot er als Chefredakteur von Plamen der jungen Dichtergeneration eine Plattform und sei darum bemüht gewesen, als „liberal“ aufzutreten, so Pálenícek. Adolf Hoffmeister (1902–1973) war ein Künstler, Maler, Grafiker, Karika­ turist und Publizist mit juristischer Ausbildung. Nach Antoine Marès (2007: 93) fehle nach wie vor eine intellektuelle Biografie dieser äußerst vielfältigen Fi­ gur. Hoffmeister nahm 1920 an der Gründung der künstlerischen avantgar­ distischen Bewegung Devětsil teil. Sein erster Gedicht- und Prosaband, den er selbst illustrierte, erschien 1922. Im Jahre 1928 wurde sein Werk in Paris und Brüssel ausgestellt. Als links engagierter Künstler wurde er auf die schwarze Liste der Nationalsozialisten gesetzt und konnte im März 1939 rechtzeitig emigrieren, zuerst nach London, dann nach Paris. In Frankreich fiel er ab Sep­ tember 1939 dem Schicksal der sogenannten unerwünschten und verdächti­ gen Ausländer zum Opfer und wurde neun Monate lang interniert, bevor er über Marokko und Portugal nach Mexiko und schließlich in die USA fliehen konnte. Dort war er als Karikaturist tätig und leitete die tschechoslowakische

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Abteilung von Voice of America. 1946 kehrte er nach Prag zurück, wurde bis 1948 Sektionsleiter im Informations- und Erziehungsministerium, dann bis 1951 tschechoslowakischer Botschafter in Frankreich und bei den Vereinten Nationen. Schließlich wurde er Professor an der Prager Akademie der ange­ wandten Künste. Im Jahre 1967 wurde er zum Vorsitzenden des Verbandes der tschechoslowakischen bildenden Künstler ernannt. Ute Martens (2002: 47f.) weist auf seinen Ausschluss aus dem tschechoslowakischen Kulturleben durch die kommunistische Führung nach dem Prager Frühling hin, dennoch veröffentlichte Hoffmeister im Februar 1969 noch einen Artikel in IHE („Die Schönheiten der Tschechoslowakei“, IHE Februar 1969: 10–12). Zuvor hatte er zwischen 1963 und 1967 drei Artikel zu künstlerischen Themen verfasst („Die moderne Welt und die tschechoslowakische Kultur“, IHE-Beilage Au­ gust 1963: o. S.; „Unser Zeichner ist diesmal Zdeněk Kirchner“, IHE August 1965: 1; „Weltausstellung und wie die ČSSR dabei abschnitt“, IHE Oktober 1967: 6f.). Im Oktober 1959 wird er im IHE-Feuilleton vorgestellt; im Februar 1961 stellt eine seiner Zeichnungen mit dem Titel „Picassos gelbe Weste“ das Cover der Zeitschrift, die einer Ausstellung des Künstlers einen vierseitigen Artikel widmet (G. Jesenius [G. Solar], „AH 60. Karikaturen und Collagen“, IHE Februar 1961: o. S.). Lenka Reinerová scheint ihm 1939 im Pariser Exil begegnet zu sein; beide wohnten im Haus der tschechoslowakischen Kultur im Viertel Montparnasse (Reinerová 1989). Hoffmeister schrieb das Vorwort des allerersten, 1956 publizierten und auf Tschechisch verfassten Romans von Reinerová, Hranice uzavřeny.58 Pavel Kohout (*1928) ist ein tschechischer Schriftsteller, Bühnenautor und Dichter. Sein IHE-Beitrag ist geringeren Umfangs: Als Mitglied der Lei­ tung des Zentralkomitees des tschechoslowakischen Jugendverbands verfass­ te er einen Artikel („Botschaft für Wien. Der Weg des Tschechoslowakischen Jugendverbands“, IHE Juli 1959: o. S.); ein weiterer Beitrag bestand in einer dichterischen Hommage an die Stadt Prag (Pavel Kohout, Robert Vejvoda, „Geliebte Stadt“, IHE Mai 1961: o. S.). Begann er seine Karriere als „Konfor­ mist“ (Schamschula 2004: 442 u. 495), tat er sich danach als Dissident her­ vor und wurde 1969 aus der KPČ ausgeschlossen. Er gehörte zu den Mitun­ terzeichnern der Charta 77 und wurde nach Österreich ausgesiedelt, dessen Staatsbürgerschaft er 1980 annahm.

58  Eine deutsche Fassung dieses Exilromans erschien 1958 unter dem Titel Grenze geschlossen.

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Antonín J. Liehm (1924–2020) war Journalist und Literaturkritiker (Blaha 2006). Er trat der KPČ am Ende seines Studiums bei. Nach dem Februar­ putsch war er im Kabinett des damaligen Außenministers Vladimír Clementis tätig, wo er in der Presseabteilung arbeitete. 1956 wechselte er ins Kulturmi­ nisterium, dann wurde er Journalist. Als Leiter der Literární Noviny förderte er insbesondere die nouvelle vague des tschechoslowakischen Films. 1967 wurde er aus der KPČ ausgeschlossen, nachdem er das Regime auf dem Kongress des Schriftstellerverbandes kritisiert hatte. Die Folgen des Prager Frühlings zwan­ gen ihn zum Exil, er ließ sich in Paris nieder, wo er 1984 die Vierteljahrsschrift Lettre internationale gründete und von 1982 bis 1989 die Zeitschrift 150.000 slov [150.000 Wörter] herausgab. Arnošt Lustig (1926–2011) war ein tschechischer Schriftsteller jüdischer Herkunft, dessen Werk sich weitgehend mit der Shoah beschäftigt. Er selbst wurde zunächst nach Theresienstadt, dann nach Auschwitz und Buchen­ wald deportiert. Er publizierte u. a. den Roman Dita Saxová (1962), der 1967 verfilmt wurde und dessen Drehbuch er verfasst hatte. Lenka Reinerová re­ zensierte den Film im April 1968. Die Romanheldin, Dita, ist ein jüdisches Mädchen, das als einzige ihrer Familie dem Holocaust entkommen ist. Der Schriftsteller wurde im Oktober 1963 in der Literaturrubrik „Aus der Welt des Buches“ gewürdigt und im September 1966 schrieb er einen Artikel mit dem Titel „Die Welt[,] in die wir geboren wurden. Diskussion“, der eine Re­ flexion über die Art und Weise, wie man über schreckliche Ereignisse schei­ ben kann oder soll, darstellte und zuerst in Literární Noviny erschienen war. Nach 1968 ging Lustig ins Exil und ließ sich in den USA nieder. Zdeněk Mahler (1928–2018) war Schriftsteller, Drehbuchautor und Mu­ sikwissenschaftler. Seine Mitarbeit bei IHE begann im Juni 1967. Von Januar bis Oktober 1968 publizierte er jeden Monat eine Chronik zur Geschichte Böhmens seit ihren Anfängen. Erwin Munk (1906–1986) war ein Prager Jurist, den Lenka Reinerová (2006b: 47) als den „alte[n] Freund“ von Franz Carl Weiskopf beschrieb. Munk bekleidete die Funktion des Generalkonsuls der Tschechoslowakei in New York. Zwischen April 1958 und Juli 1964 veröffentlichte er fünf Artikel, die sich alle mit juristischen Fragen befassten.

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Ctibor Rybár (1920–2013)59 wurde als Tibor Fischer in einer jüdischen Familie aus Bratislava geboren. Er war von 1960 bis 1984 Chefredakteur des Verlags Olympia, der sich mit Sport und Freizeitaktivitäten beschäftigte. Wäh­ rend des gesamten Zweiten Weltkriegs hielt er sich in Budapest versteckt. Im Jahre 1945 schloss er sich der KPČ und dem tschechoslowakischen Außen­ ministerium an und begann eine kurze Diplomatenkarriere in Ankara und ­Istanbul, die 1953 mit seiner Verhaftung infolge der Säuberungen innerhalb der KPČ endete. Für IHE verfasste er 16 Sportchroniken zwischen März 1958 und Januar 1964. Seine Frau Mélanie Rybárová (1925) war ebenfalls Journalistin und publizierte zwei Sportchroniken, die eine im Juni 1959, die andere im April 1969. Walter Taub (1907–1982) war ein deutschsprachiger, mährischer Theaterund Filmschauspieler sowie Theaterregisseur. Wie Lenka Reinerová verkör­ pert er eine tschechische und deutsche Doppelkultur in der Tschechoslowa­ kei. IHE widmete ihm 1962 und 1967 jeweils einen Artikel (Lenka Reinerová, „Der Schauspieler Walter Taub“, IHE April 1962: 24f.; Jindřich Černý, „Walter Taub in Prag, Berlin und Hamburg“, IHE Juli 1967: 20-21). Er selbst publi­ zierte im Januar 1963 eine „offene Tribüne“ („Warum ich der Zukunft ver­ traue. Offene Tribüne“, IHE Januar 1963: 11). Vladimír Votýpka (*1932) ist Schriftsteller, Journalist und Fotograf. Er schrieb eine Geschichte des Adels in Böhmen, deren deutsche Übersetzung 2007 und 2008 bei Böhlau erschien. Zwischen September 1962 und Novem­ ber 1967 verfasste er 15 Artikel für IHE, zu ganz unterschiedlichen Themen. Nach eigenen Angaben soll er diese auf Tschechisch geschrieben und Milan Škarýd, den er gut gekannt haben soll, oder Lenka Reinerová anvertraut ha­ ben. Die Artikel wurden dann von Redaktionsmitgliedern oder Berufsüber­ setzern ins Deutsche übersetzt. Sie wurden stets, so Vladimír Votýpka, vom Chefredakteur bzw. der stellvertretenden Chefredakteurin und anschließend von einem Zensor des Orbis-Verlags kontrolliert. In der vorliegenden Studie ist es gelungen, weitere Mitarbeiter, die gele­ gentlich zu IHE beitrugen, zu identifizieren. Sie werden jeweils im Rahmen der Erwähnung ihrer Beiträge vorgestellt. Die Identität einiger regelmäßi­ ger Beitragender hingegen konnte (noch) nicht näher bestimmt werden. Es handelt sich um Erich Lorenc (oder Lorenz), der zwischen April 1962 und 59  Informationen nach [12.10.2021].

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August 1965 elf Artikel zu sehr unterschiedlichen Themen verfasste, Milena Hrušková, die 1970 die Chefredaktion übernahm, Vladimír Fil, der sich eher mit technischen Themen beschäftigte, Michal Starý, Karel Strádal und die Sportjournalisten Bedřich Drož und Karl Havránek.

3.5.6 Bilanz Die Porträts lassen einige Gemeinsamkeiten zwischen den regelmäßigen Mit­ arbeitern der Zeitschrift erkennen. Bei vielen von ihnen handelt es sich um Ju­ den, die die nationalsozialistischen, dann stalinistischen Verfolgungen überlebt hatten. Viele entstammen einer zweisprachigen (deutschen und tschechischen) Kultur. Und viele werden im Jahre 1968 den Reformprozess unterstützen, da­ für entsprechend zur Rechenschaft gezogen und einige von ihnen daraufhin den Weg in die Charta 77 gehen.

3.6 Struktur und Inhalt der Zeitschrift 3.6.1 Eine vielfältige Kulturzeitschrift IHE bietet eine abwechslungsreiche Palette von Themen, die von Politik und Ökonomie bis zu Sport und Freizeit, über Geschichte, Literatur, Philosophie, Wissenschaften (sowohl Geistes- und Naturwissenschaften als auch Medizin), Theater, Film, Musik, bildende Künste, Architektur, Fotografie, Handwerk, Natur, Landschaften, Alltagsleben, Mode und folkloristische und religiöse Traditionen, reicht. Das Ziel der Zeitschrift besteht darin, das geistige und kulturelle Erbe der Tschechoslowakei in seiner Vielfalt vor- und darzustellen. In der Geschichte von IHE können vier Phasen unterschieden werden, die sich mit der politischen Entwicklung der kommunistischen Tschechoslo­ wakei zu decken scheinen: • die Anfänge, von Januar 1958 bis Dezember 1961, die durch eine reaktivdefensive Position geprägt sind: IHE verteidigt das Image der Tschecho­ slowakei und den Sozialismus, • eine Entfaltungsphase von Januar 1962 bis Dezember 1967, die parallel zu einer allmählichen Liberalisierung des Regimes verläuft,

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• die Phase des Prager Frühlings, in welcher die Fusion mit den anderen Ex­ portzeitschriften im Januar 1968 erfolgt und kurzzeitig mit Pressefreiheit experimentiert wird, • die Anfänge der ‚Normalisierung‘ und die Reorganisation der Redaktion ab November 1968 In der ersten Phase beginnt jede Ausgabe mit einem Artikel, der politischen oder historischen Inhalts ist. Dabei handelt es sich um keinen Leitartikel im ei­ gentlichen Sinne (abgesehen von den ersten beiden Nummern der Zeitschrift, die diese dem Leser vorstellen und die den Standpunkt der Redaktion doku­ mentieren), sondern vielmehr um eine Art Kommentar, der unterschiedlichen Autoren anvertraut wird (komplette Liste im Anhang Dok. 6). Während dieser ersten Phase werden einige Neuheiten eingeführt: Im Ja­ nuar 1961 erscheint eine vierseitige Beilage, die knappe Informationsnotizen und eine Rubrik mit dem Titel „Aus der Welt des Buches“ enthält. Letzte­ re präsentiert jeweils einen tschechischen oder slowakischen Autor, begleitet von einem ins Deutsche übersetzten Auszug aus dessen Werk. Im Februar 1959 wird die Rubrik „Aus unserer Briefmappe“ eingeführt, im April 1959 die Cartoons unter der Überschrift „Lachen Sie mit…“, im Januar 1960 fol­ gen Interviews mit dem Titel „Drei Fragen an“, die jeweils einen Akteur des politischen oder kulturellen Lebens vorstellen, sowie die Rezensionsrubrik „Das wissenschaftliche Buch“. Im August 1960 erscheint vorübergehend die Rubrik „Zahlen als Zeugen“, im Oktober 1960 eine Presseschau („Worüber schreiben die Zeitungen?“) und im Juli 1961 die Rubrik „Sie bei uns“, die den Blick ausländischer Besucher auf die Tschechoslowakei wiedergibt. Die meis­ ten dieser Neuerungen sind in der Beilage zu finden und überdauern nicht lange, abgesehen von der kulinarischen Rubrik „Aus der Küche geplaudert“, die im Dezember 1961 auftaucht und bis Juli 1963 bestehen bleibt. Das Inhaltsverzeichnis wird in dieser ersten Phase kaum verändert. Es folgt grundsätzlich ff. Schema: Kommentarartikel „Bildfolge“, deren Text oft von -lka alias Lenka Reinerová stammt „Bildchronik“, die ab Januar 1964 „Notizblock“ heißt Artikel über Wissenschaft oder Technik Artikel über Politik oder Sozialsystem Artikel über Medizin oder Wissenschaften Artikel über Kunst Artikel über Theater Artikel über Film Artikel über Literatur Artikel über Technik Artikel über Sport.

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Selbstverständlich kann diese Abfolge leicht variieren oder ein Thema durch ein anderes ersetzt werden. In der zweiten Phase der Geschichte der Zeitschrift verschwindet der Kommentarartikel. Auf der ersten Seite befinden sich nunmehr, nebst In­ haltsverzeichnis und Impressum, zwei stets wiederkehrende Rubriken: „Un­ ser Zeichner ist diesmal…“, die einen tschechoslowakischen Künstler vor­ stellt, dessen Bilder in der Ausgabe präsentiert werden, und „Für Sie notiert“, die eine Auswahl kultureller Informationen bietet. Der Kommentarartikel wird nun durch eine neue Rubrik mit dem Titel „Offene Tribüne“ ersetzt, die stets auf Seite 9 oder 11 zu lesen ist (Liste im Anhang Dok. 7). Diese Tribünen behandeln eher politische Themen, die oft einen Bezug zu tsche­ choslowakisch-deutschen Beziehungen aufweisen. Die Abfolge der Rubriken und die besprochenen Themen variieren hingegen kaum, es werden lediglich drei neue Rubriken eingeführt: • die Rubrik „Bürger der ČSSR“ ab Januar bis Oktober 1963, die als exem­ plarisch geltende Bürger präsentiert (insgesamt acht Nummern), • die Rubrik „Diesmal in…“ ab 1964, die jeden Monat eine tschechoslowaki­ sche Stadt vorstellt. Zuvor waren bereits Städte (Ostrava im Mai 1960, Most im Juli 1960, Košice im August 1960, Znojmo im September 1960, Brno im November 1960, Příbram im Juni 1961 und Liberec im Oktober 1961) präsentiert worden, nun systematisiert sich diese Praxis der Stadtporträts. • Die Rubrik „IHE-Dokument“ im Februar und April 1967, die offizielle Dokumente abdruckt, wie etwa einen Auszug aus der Neujahrsanspra­ che des Präsidenten der Tschechoslowakischen Republik oder aus dem Vertrag für Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen der DDR und der Tschechoslowakei. In welcher Phase man sich auch befindet, die durchschnittliche Länge der Artikel beträgt eine Doppelseite, während Kommentarartikel bzw. Tribünen niemals eine Seite oder gar eine Spalte überschreiten und manche Fotorepor­ tagen bis zu vier Seiten einnehmen können. Diese durchschnittliche Länge gilt nicht für Notizen oder diverse Rubriken der Beilage. Da IHE auch eine Illustrierte ist, überwiegen Abbildungen gegenüber Texten.

3.6.2 Eine Illustrierte? Die Gattung der Illustrierten erfährt in der westlichen Presse ihren Höhe­ punkt in den 1960er-Jahren, wobei das amerikanische Life-Magazin als Muster gilt und oft nachgeahmt wird (Amar 2000: 59). Diese Gattung kennzeichnet

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sich u. a. durch ein Aufsehen erregendes Cover als Ausdruck eines modernen Fotojournalismus, der das Ereignis aus der Nähe betrachtet, hierfür auf ein auf Sensation setzendes Layout zurückgreift und auf Enthüllungen abzielt (­Beurier 2014: 10). Dies gilt keineswegs für IHE, wovon bereits deren Cover zeugen. IHE ist kein Informations- oder Nachrichtenmagazin im Sinne von Life, Paris Match oder auch Der Spiegel, die Tagesaktualität und brennende Er­ eignisse interessieren sie nicht in gleichem Ausmaß wie die westliche Presse. Abgesehen von der allgemeinen Ästhetik und der Vorliebe für Fotografie ist die tschechoslowakische Monatsschrift kaum mit diesen westlichen Wochen­ zeitungen zu vergleichen, auch nicht mit einer anderen Art von Illustrierten wie Stern oder Bunte, die auch eine unterhaltsame Dimension haben und über welche Werner Ross (Glasenapp 2003: 129) mit Witz urteilt: „Die Illustrierte steht soziologisch an der gleichen Stelle wie Mallorca. Man braucht eine Ent­ schuldigung, wenn man hingeht“, wobei zu gelten scheint: Umso größer ihr wirtschaftlicher Erfolg, umso schlechter das Image der Illustrierten (Glasenapp 2003: 133).

Die Bedeutung der Fotografie und der Fotoreportage

IHE erscheint zum ersten Mal im Jahre 1958, einem Jahr, das mit der Brüs­ seler Weltausstellung, auf der die tschechoslowakische Fotografie besonders gewürdigt wird, als Wendejahr für dieses Genre betrachtet werden kann (Birgus/Mlčoch 2007: 282). Es ist folglich kein Zufall, wenn die Zeitschrift, die die Brüsseler Ausstellung und den Erfolg der tschechoslowakischen Er­ findung Laterna magica ausführlichst dokumentiert, sich dermaßen für die Fotografie interessiert. Der Anteil der Abbildungen in IHE ist sehr groß. Sie sind auf jeder Seite zu finden, einschließlich in der Beilage (dort meistens in Form von Zeich­ nungen), ihr Format ist sehr unterschiedlich, oftmals nehmen sie jedoch eine ganze Seite ein. Sie machen gut die Hälfte der Zeitschrift aus.60 In der sozi­ alistischen Presse spielen Bilder tatsächlich eine wichtige Rolle: „Dank sei­ ner Anschaulichkeit und seines Dokumentationswertes ist das Foto eines der überzeugendsten Mittel der Agitation und Propaganda,“ so Christine Kunze, Journalismus in der UdSSR (1978, zit. n. Olhausen 2005: 83). Den Fotojournalis­ ten war vorgegeben, den Fokus auf exemplarische Arbeiter als sozialistische Helden im Arbeitseinsatz oder auf gigantische Fabriken bzw. Kombinate zu 60  Manuela Olhausen (2005: 351) schätzt den Anteil der Abbildungen in der Prager Volkszeitung auf mindestens 10 Prozent, was sie als „große Bedeutung“ charakterisiert. IHE überschreitet diese Zahlen maßgeblich.

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richten, die als Embleme des erfolgreichen sozialistischen Aufbaus galten. Bereits in der ersten Ausgabe von Januar 1958 bekundet die Redaktion ihre Vorliebe für die Fotografie, die eine Garantie für Objektivität sei: Darum beschränkt sich diese Zeitschrift auf Tatsachen und will es ihren Lesern überlassen, sie zu beurteilen. Die beste Gewähr einer objektiven Wiedergabe dieser Tatsachen liegt optisch bei der Photographie und inhaltlich beim Tatsachenbericht. Eine Photographie bleibt immer kontrollierbar. Das gleiche gilt vom Tatsachenbericht. Darum ist der Bildbe­ richt das Mittel, mit dem die Zeitschrift ihre Aufgabe am besten erfüllen zu können glaubt. (IHE Januar 1958: o. S.)

Dieses Verständnis von bildlicher Objektivität und Authentizität kann mit­ tels einer berühmten Anekdote, mit der Milan Kundera seinen Roman Kniha smíchu a zapomnění [Buch des Lachens und Vergessens] eröffnet und an die Walter Schamschula erinnert, stark nuanciert werden: Im Februar 1948 trat Ministerpräsident Klement Gottwald barhäuptig auf den Balkon des Palais Kinský auf dem Altstädter Ring, um vor den Massen des Volkes den Sieg der Werktätigen zu verkünden. Neben ihm befanden sich seine Mitstreiter, darunter auch der mit einer Pelzmütze aus Lammfell bekleidete Slowake V. Clementis. Die Witterung war kalt, und es schneite. Da nahm der fürsorgliche Clementis seine Pelzkappe ab und setzte sie Gottwald auf. […] Vier Jahre später wurde jedoch der Altkommunist Clementis des Hochverrats und des slowakischen Nationalismus beschuldigt und hingerichtet. Er wurde von der gleichen Propagandaabteilung nicht nur aus der Geschichte, sondern auch aus allen dokumentarischen Photographien herausretuschiert. Seit dieser Zeit steht Gottwald allein auf dem Balkon. […] Beispiele dieser Art sind auf Dokumentarphotos im ganzen Ostblock Legion. (Schamschula 2004: 439)

Es wäre ohnehin naiv, Fotografie auf die bloße Wiedergabe von Wirklich­ keit zu reduzieren. Der Fotograf wählt das Thema seines Bildes aus, entschei­ det, wie er es fotografiert, und die Redaktion einer Zeitschrift wählt dann wie­ derum gewisse Bilder aus. Ein Foto ist stets das Ergebnis einer Inszenierung. Im Porträt von Milan Škarýd wird im Februar 1965 noch einmal die Kraft der Fotoreportage betont, „jener höchsten publizistischen Form, die maximale Wirkung und die denkbar weiteste Information gestattet“ (Vladimír Rýpar, „Ein Bekannter stellt sich vor“, IHE Februar 1965: 20). Besonders in IHE sollen die Bilder glückliches Leben und wirtschaftlichen bzw. kulturellen Erfolg in der Tschechoslowakei widerspiegeln. Die Fotore­ portagen befassen sich folglich zumeist mit dem kulturellen und alltäglichen Leben: Die am Anfang der meisten Nummern stehende Bildfolge veran­ schaulicht solche scheinbar harmlosen Themen wie, in den Märzausgaben, den Anbruch des Frühlings oder eine besondere Tradition. In dieser Hinsicht räumt IHE dem Interesse der tschechoslowakischen Fotografen für die „Poe­ sie des Alltags“ (Birgus/Mlčoch 2007: 279), die sich mit den tschechischen Pi­

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onieren der lebendigen Fotografie wie Jan Lukas, Václav Chochola, Jan Beran, Václav Jírů, Karel Otto Hrubý, Erich Einhorn immer mehr entwickelt, einen gewissen Platz ein. Diese Künstler versuchen, den Alltag auf originelle Weise darzustellen, schöpfen dabei ihre Inspiration aus den italienischen neorea­ listischen Filmen und dem humanistischen Fotojournalismus der MagnumAgentur61 und der Ausstellung Family of Man aus dem Jahre 1955 (Birgus/ Mlčoch 2007: 279). Alle oben zitierten Fotografen arbeiten regelmäßig mit IHE zusammen. Stanislav Tereba (*1938), der beim World Press Photo 1958 den Hauptpreis und den Ersten Preis in der Kategorie Sport gewinnt, macht eine große Anzahl von Bildern und Reportagen für die IHE-Sportseiten. Erst Ende der 1960er-Jahre wird eine Reportage veröffentlicht, die mehr der Kriegsreportage gleicht, und zwar eine Reportage von Milan Škarýd über den Krieg in Vietnam („Heute im fernen Osten. Ein tschechoslowakischer Fotograf sieht Vietnam“, IHE Januar 1967: 4–7). Das Cover der Zeitschrift hat jedoch mit Vietnam nichts zu tun, sondern stellt harmlose Maisstrohpup­ pen dar, wobei das Foto auch von Škarýd stammt. Im März 1959 war bereits eine Fotoreportage über Vietnam erschienen, auf die ein Artikel über einen tschechoslowakischen Maler in Vietnam folgte („Dušan Čulík, „Ein Kranken­ haus für Vietnam“ und gj [G. Solar], „Ein Maler sieht Vietnam“, IHE März 1959: o. S.), in dem es allerdings um Antikolonialismus und nicht um Krieg ging, da die USA damals noch nicht massiv engagiert waren. Auffallend ist allgemein die Tatsache, dass die internationalen Ereignisse, die über den Rahmen der tschechoslowakisch-deutschen Beziehungen hin­ ausgehen, ausgeblendet werden. Im Dezember 1962 erscheint dennoch ein vollseitiges Foto von Stanislav Tereba mit dem Titel „Hände weg von Kuba“ (IHE Dez. 1962: 15), das eine Prager Demonstration vor der US-amerikani­ schen Botschaft abbildet. Es handelt sich hierbei jedoch um eine nachträg­ liche Behandlung des Themas, da die Kubakrise bereits im Oktober 1962 zu Ende gegangen war. Kuba steht im Januar 1963 mit einer Fotoreportage erneut im Zentrum, die aber nur Gesichter von Kubanern zeigt, die von der Batista-Diktatur befreit wurden und der Zukunft vertrauensvoll entgegense­ hen; Castros Name wird nicht einmal erwähnt. Die Bedeutung des fotogra­ fischen Mediums wird dabei von Gustav Solar noch einmal hervorgehoben:

61  Unter humanistischem Fotojournalismus ist die Auffassung der u. a. von Robert Capa und Henri Cartier-Bresson gegründeten Magnum-Agentur zu verstehen, wobei der aus dem Leben gegriffene Mensch im Mittelpunkt steht und auf Inszenierung und Pose verzichtet wird.

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Ein Kulturmagazin im Dienste der Kulturdiplomatie

Wir bringen einige Aufnahmen des jungen tschechoslowakischen Fotografen Milaň ­Novotný, der auf einer kurzen Urlaubsreise nach Kuba diejenigen mit seiner Kamera fest­ gehalten hat, durch die und ihresgleichen sich die erste kapitalistische Großmacht der Welt bedroht fühlt. Wer sich der Wahrheit nicht vorsätzlich verschließt, wird die Sprache dieser Bilder verstehen. (Milaň Novotný / gj [G. Solar], „In Freiheit leben“, IHE Januar 1963: 14f.)

Mag sie auch unbedeutend wirken, kann die sog. „Bildfolge“ auch der direk­ ten Propaganda dienen, wie die dreiseitige Reportage von Februar 1958, die den „zehn Jahre[n] Aufbau“ gewidmet ist, veranschaulicht. Es handelt sich um insgesamt dreizehn Fotos mit sehr knapper Legende (was zählt, sind die Bilder), die auf Hochtouren laufende Werke (mit qualmenden Schornsteinen), lächelnde, aber konzentrierte Arbeiter, Turbinen, Steueranlagen und allerlei Maschinen und LKWs zeigen, mit dem Ziel, die industrielle Modernität des Landes und deren Effizienz zu dokumentieren. Wenn auch auf das Minimum beschränkt, soll der Begleittext den Eindruck verstärken, die tschechoslowa­ kische Wirtschaft stehe an der Spitze und sei dank Sozialismus imstande, die Bundesrepublik ökonomisch zu übertreffen: Dreißig Wasserkraftwerke in zehn Jahren. Kohlenförderung pro Einwohner: Nur England und die Saar fördern mehr. 8 neue Hochöfen und 15 Siemens-Martinöfen in 10 Jahren. Die ČSR erzeugt mehr Einrichtungen zur Stahlgewinnung pro Kopf als die Deutsche Bundesrepublik. Hydrozentrale Slapy: 270 Millionen m3 Wasser = Rauminhalt aller Vor­ kriegstalsperren der Tschechoslowakischen Republik. Bearbeitungsmaschinen pro Kopf: Deutsche Bundesrepublik eingeholt. Rohstahlerzeugung pro Einwohner: Mehr als doppel­ ter Zuwachs in zehn Jahren, d.i. mehr als in Frankreich, England, USA, DBR. Elektroni­ sche Steueranlagen werden zur Regel. Maschinen eigener Konstruktion für den weiteren Ausbau der Industriebasis. Praga V 3 S und Tatra 111 in Tibet. Vollautomatische Fließ­ banderzeugung mit Kopfbedienung. Škoda-Diesel LKWs für Asien. Kühlschränke und Waschmaschinen: Die meisten Staaten des Westens überflügelt (1956: 1.917 Waschmaschi­ nen pro 100.000 Einwohner, was einem Weltrekord gleichkommt.) (Jan Lukas, Petr Zora, „Energie, Stahl und Maschinen – zehn Jahre Aufbau“, IHE Februar 1958: o. S.)

In der Zeitschrift wird über das Fotomedium häufig reflektiert. Mehrere Ar­ tikel widmen sich der fotografischen Kunst62 und die bedeutenden Namen 62  Hier eine weitestgehend vollständige Liste für die Zeit von 1958 bis 1967: J. Spousta, „Jeder Dritte photographiert“ (IHE August 1958: o. S.); Šd [Škarýd], „Václav Jírů. Photograph des pulsierenden Lebens“ (IHE Mai 1962: 12–15); Václav Jírů, „Viktor Radnický“ (IHE September 1962: 4–8); Armin Alfermann, „Keine Scheu vor Echtheit“ (IHE Januar 1963: 9); M. Š. [Milan Škarýd], „Leitmotiv Berge“ (IHE August 1963: 20–23 [= Artikel über den Fotografen Ladislav Sitenský]); Milan Škarýd, „Petr Zora, Photokünstler zahlreicher Genres“ (IHE Oktober 1963: 22–24; Milan Škarýd, „Spuren in Schwarz-Weiss“ (IHE Ja­ nuar 1964: 12f.); V. Jírů, „Jahr der Felder. Die Landschaftskunst K.O. Hrubýs“ (IHE März 1964: 28–32); Dr. Ludvík Souček, „Steine und Träume. Vilém Reichmanns“ (IHE April 1964: 7–9); Milan Škarýd, „Oldřich Škácha stellt aus“ (IHE Juni 1964: 18–20); mš [Škarýd],

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der tschechoslowakischen Fotografie, die zur Zeitschrift beitragen, werden regelmäßig vorgestellt. Das Interesse für die Kunstfotografie steht zudem in Verbindung mit einem der Schwerpunkte des Orbis-Verlags. Aber wie Vladimír Birgus und Jan Mlčoch (2007: 280) betonten, blieben die Themen und Motive jener Fotografen aufgrund der durch das Regime ausgeübten Zensur beschränkt. Ein kritischer Blick auf die damalige Gesell­ schaft war untersagt: In IHE müssen die Fotografen im Sinne des sozialisti­ schen Aufbaus bzw. Fortschritts dienen, bei einigen von ihnen wird die KPČMitgliedschaft explizit hervorgehoben: Václav Jírů ist Kommunist. […] Und weil er Kommunist ist, hat er eine so warme Be­ ziehung zum Menschen, zum menschlichen Antlitz, zum Leben. Weil er es liebt, photo­ graphiert er alles, was Leben bedeutet: Kinder, Arbeiter, Straßen, die Vorstadt, blühende Wiesen, Jugend. Seine Bilder vermitteln eine konkrete Vorstellung: das ist der Frieden. (Šd [Škarýd], „Václav Jírů. Photograph des pulsierenden Lebens“, IHE Mai 1962: 12)

Diese Fotografen gestalten also Reportagen, die die offiziellen Positionen des Regimes illustrieren, wie etwa Václav Chochola (1923–2005), von dem die Fotos zum Artikel „Das Diktat von München. Eine Infamie. Historikerkollo­ quium in Prag“ (IHE September 1964: 22-23) stammen. Die Fotografie wird mit dem Universalitätstopos verbunden, als könne sie von allen unmittelbar verstanden werden: Durch die Internationalität ihrer Sprache wird die Fotographie zu einem Verständigungs­ mittel, das der gegenseitigen Annäherung, dem gegenseitigen Erkennen dient. Es besteht wohl kein Zweifel darüber, wie sehr gerade die Tschechoslowakei um Freundschaft und friedliche Koexistenz der Völker bemüht ist. (Milan Škarýd, „Spuren in Schwarz-Weiss“, IHE Januar 1964: 12f.)

„Magdalena Robinsonová. Eine slowakische Photographin“ (IHE August 1964: 22f.); ­Rudolf Skopec/J. Ř, „Josef Sudec. Ein Kapitel Photogeschichte“ (IHE September 1964: 17–19); Ludvik Baran, „Orbis photographice pictus. Professor Rudolf Skopec“ (IHE Oktober 1964: 17–19); Milan Škarýd, „Nicht nur Glas ist zerbrechlich“ (IHE November 1964: 20–22 [= Artikel über den Fotografen Jindřich Brok]); Milan Škarýd, „Photographen ohne Profession“ (IHE Dezember 1964: 21–23); Milan Škarýd, „Venus kontra Objektiv“ (IHE März 1965: 14–16); Šk [Škarýd?], „Dichter der Landschaft“ (IHE August 1965: 20f. [= Artikel über den Fotografen Illek]); Milan Škarýd, „Vor dem Objektiv“ (IHE Februar 1966: 17–19); G. S. [Solar], „Profil einer lebenstüchtigen Frau“ (IHE März 1966: 17–19); Milan Škarýd, „Kühlraum ohne Arrangement“ (IHE April 1966: 27–29 [= Artikel über den Fotografen Václav Chochola]); Milan Škarýd, „Fotografie 66“ (IHE September 1966: 24f.); Václav Chochola, „Zu Besuch bei Říčky, Künstlerdorf im Adlergebirge“ (IHE Januar 1967: 26f.); mš [Škarýd], „Selbstbildnis“ (IHE März 1967: 24f. [= Artikel über die Foto­ grafin Eva Fuková]).

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Die alte Erfahrung, daß die Photographie, ihre überall verständliche Sprache, eine beach­ tenswerte Rolle bei der Annäherung und näherem Kennenlernen der Völker spielt, gilt dop­ pelt für die Revue Fotografie 66. (Milan Škarýd, „Fotografie 66“, IHE September 1966: 24f.)

Demzufolge kann eine Fotografie als Beleg ausreichen. So wird etwa das Foto eines Demonstrationsumzugs der sudetendeutschen Landsmannschaft in Er­ widerung auf den Brief eines Nürnberger Lesers benutzt, weil dieser IHE vorwarf, Themen, die sich vermeintlich auf den Familienkreis beschränken würden, zu outrieren und polemisch zu gestalten. Diesem Leser wird plakativ mittels Foto und dem Satz „Unsere Antwort erübrigt sich“ geantwortet („Ihre Frage Nr. 1“, IHE Januar 1963: 16). Aufgrund dieser universellen Dimension könne die Fotografie als geeig­ netes Instrument zur Annäherung der Völker dienen, das Menschliche, das Leben ausdrücken – und ihre künstlerischen Erscheinungsformen wären in dieser Hinsicht mit dem Sozialismus vereinbar, wie Milan Škarýd über die Aktfotografie z. B. erläutert: Die heutige Fotografie hat eine eindeutige, spezifische Sendung: das Leben und Gescheh­ nisse darzustellen, die in irgendeiner Beziehung zum Menschen stehen. Darum sollte diese Kunst nicht dem Thema Frau ausweichen. Selbstverständlich betrachtet die sozialistische Gesellschaft die Frau als gleichberechtigt. Sie verurteilt die entwürdigende Einstellung, die Frau nur von der Biologie her zu sehen, lehnt aber ebenso den Gegenpol ab – jene insbe­ sondere für einige Religionen typischen puritanischen Anschauungen, die der Frau sogar untersagen, ihr Gesicht zu entblößen. Im Gegenteil – die fortschrittliche Gesellschaftsord­ nung wird die Frau stets als Spenderin dessen preisen, was für das Menschengeschlecht das Wesentlichste ist: des Lebens. Das ist die heute eigentlich nicht mehr aktuelle Antwort an die dritte Gruppe, an jene, die die Aktfotografie für unvereinbar mit dem Sozialismus halten. (M. Škarýd, „Venus kontra Objektiv“, IHE März 1965: 14–16)

Die Cover von IHE63

Ähnlich wie die Fotoreportagen stammen die Cover häufig von Fotografen und Künstlern, die zu den talentiertesten der Tschechoslowakei zählen. Unter den bekanntesten befinden sich Václav Jírů (1910–1980), dem allerdings nur ein Cover zu verdanken ist, und Jan Lukas (1915–2006), der 14 Cover liefert. Beide bieten originelle Darstellungen des Alltags. Die Thematik des Covers steht also in Verbindung zum laufenden Monat, aber stets leicht distanziert. So stellt das Cover von Mai 1958 (Václav Jírů) eine junge Frau dar, die „1. Maj“ auf ein Fenster schreibt. Die Ausgabe von Dezember 1958 thematisiert Weihnach­ ten, Jan Lukas fotografiert aber die Spiegelung eines Kindergesichtes in einer Weihnachtskugel, so wie er den Frost von Februar 1959 mit einem Mund hinter 63  Vgl. die Liste aller Cover (Titel- und Umschlagseite) im Anhang (Dok. 5).

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einem Fensterglas illustriert. Im Mai 1961 zeigt Ota Richters Cover mit dem Titel „Das erste Stelldichein am Ersten Mai“ einen jungen Mann auf seinem Fahrrad unter dem Fenster einer jungen Frau. Aufnahmen von 1.Mai-Umzügen werden also vermieden. Die Sommermonate sind Anlass, schöne, junge, leicht bekleidete tschechoslowakische Mädchen am Rande eines Sees, eines Flusses oder auf einer Wiese zu inszenieren. Herbstmonate zeigen mit welken Blät­ tern spielende Kinder. Bei jedem der Cover wird nicht nur der Autorenname angegeben, sondern auch ein Titel, was von einem gewissen künstlerischen Anspruch zeugt. Die Coverbilder nehmen die ganze Seite ein. Dies gilt auch für das Bild auf der Umschlagseite. Es sind jedes Mal Kunstfotografien, die niemals Bezug auf aktuelle Ereignisse, schon gar nicht auf politische, nehmen, was sie z. B. von Life-Covern deutlich unterscheidet. Die einzigen Ausnahmen vor dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen im August 1968 sind das Cover von August 1960 mit dem Titel „Der Stern des 3. Fünfjahresplanes“ – aber hier ist eigentlich nur der Begriff „Fünfjahresplan“ im Titel eine Anspielung auf den politischen Kontext, das Bild an sich bleibt eine reine Kunstfoto­ grafie – und das Cover von Januar 1963, ein Bild des Künstlers Jaroslav Malák (1928–2012), das eine Repräsentation Europas als Frau mit der Tschechoslo­ wakei als Herz wieder aufnimmt. Auch wenn die Botschaft hier eine politi­ sche64 ist, überwiegt die künstlerische Dimension. Meistens stellen die Cover Figuren dar, geht es bei der Zeitschrift doch um die Veranschaulichung des „tschechoslowakischen Lebens“. Generell sind es anonyme Menschen, die in Alltagssituationen fotografiert werden, niemals Prominente, wie sie auf den Covern von westlichen Magazinen zu sehen wä­ ren (die einzige Ausnahme ist ein Porträt der Schauspielerin Zuzana Fišárková (*1939) im Oktober 1962, da die Zeitschrift ihr einen Artikel widmet). Die­ se Figuren sind oft jung (21 Cover stellen Kinder dar), oft sind es Frauen (24 Cover) (Leclerc 2021). Andere bevorzugte Themen sind Landschaften (25 Cover), Sport (9), Prag (8), folkloristische oder religiöse Traditionen (5) sowie architektonische und künstlerische Sehenswürdigkeiten (15). Die re­ ligiöse, besonders die gotische Kunst erfährt eine einzigartige Behandlung mit insgesamt fünf Covern (darunter dem allerersten im Januar 1958, das „d[en] hungrig[en] Apostel aus der Predella des Hochaltars Meister Pauls“ in der Kirche zu Levoča in der Slowakei darstellt65), die alle von Alexander Paul 64  Die politische Bedeutung dieses Covers im Kontext der tschechoslowakischen Außenpoli­ tik wird an späterer Stelle erläutert. 65  Dieser Hochaltar ist wiederum auf dem Cover der Ausgabe von August 1967 abgedruckt. Abgesehen von diesem Werk wird auch Werken von Johann Lukas Kracker („Johann Lu­

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(1907–1981) stammen. Diese Wahl mag verwundern, und dies ist bestimmt die Absicht jenes ersten Titelblattes, das die Neugierde der Leser wecken soll. Da IHE verkündet, sie wolle Vorurteile über die Tschechoslowakei und deren politisches und wirtschaftliches System auflösen, geht es wahrscheinlich da­ rum, religiöse Kunst als Bestandteil des tschechoslowakischen Kulturerbes zu präsentieren, werden doch religiöse Traditionen und Themen in IHE keines­ wegs ausgeschaltet.66 Bemerkenswert bleibt jedoch, dass der ausgewählte Teil des Hochaltars nicht die Figur Christi ist, sondern der „hungrige“ Apostel. Dennoch stellt nicht immer eine Fotografie das Cover, oftmals werden auch Zeichnungen, Collagen, Gemälde, Tempera, Lithografien … verwendet. In diesen Fällen werden bedeutende Künstler und Künstlerinnen gewürdigt, so etwa ­Karel ­Chaba (1925–2009) (Mai 1963 und September 1967), Ludmila kas Krackers mutmaßliches Selbstbildnis vom Deckenfresko zu St. Niklas auf der Prager Kleinseite“, IHE November 1958: Umschlagseite), Veronese („Die hl. Katharina“, IHE Dezember 1962: Umschlagseite) und einer Tafel des Schreins der Kirche zu Netolice (­Alexander Paul, „Versuchssonden in der barocken Übermalung einer Tafel des Schreins von Netolice“, IHE Oktober 1966) ein Cover gewidmet. 66  Das Religionsmotiv spielt zwar in IHE keine allzu große Rolle, aber dessen regelmäßige Präsenz ist bemerkenswert. In den ersten Jahren der Existenz der Zeitschrift wird diese Thematik zu politischen Zwecken instrumentalisiert, wie etwa im Artikel „Christliche Welt­ konferenz für Frieden und Abrüstung (IHE November-Beilage 1960: o. S.). Die christliche Botschaft wird erwähnt, wenn sie die Ideologie der friedlichen Koexistenz unterstützt: „In der Ludmilla-Kirche endet gerade die Adventsandacht. […]. Die Pflicht jedes Christen ist es, nicht nur für den Frieden zu beten, sondern mit allen Kräften auch für ihn zu wirken.“ (Milan Škarýd, „Festtag auch im Alltag“, IHE Dezember 1961: o. S.). Dann erfolgt aber eine stärkere Aneignung des Religionsmotivs mittels Fokussierung auf säkularisierte Tradi­ tionen: Über die katholischen Feste wird oft berichtet, allerdings mehr über die Gastrono­ mie; so ist eine Fotoreportage über das Osteressen in der Slowakei (-lka [Lenka Reinerová], „Osteressen in der mährischen Slowakei. Bildfolge“, IHE März 1958: o. S.) oder über die kulinarischen Weihnachtstraditionen (Milena Lenková, „Keine Zeit für das Weihnachtses­ sen?“, IHE Dezember 1960: o. S.; -lka [Lenka Reinerová], „Herz und Weihnachtsmann“, IHE Dezember 1964: 4f.) zu lesen. Die Aneignung der religiösen Traditionen geschieht ferner mit der Thematisierung der zahlreichen Erscheinungsformen der religiösen Kunst und Architektur in den böhmischen Ländern und in der Slowakei, aber auch, ab Mitte der 60er-Jahre, mit mehreren Beiträgen über Dialogbemühungen zwischen Religion und Kom­ munismus: Im April 1966 erscheint eine Tribüne des Domherrn von Prag-Vyšehrad, Prof. Dr. Josef Beneš, der als Generalsekretär des tschechoslowakischen Friedenskomitees der katholischen Geistlichen vorgestellt wird; im Dezember 1967 wird ein zweiseitiger Beitrag von Milan Machovec mit dem Titel „Christentum und Kommunismus. Last der Vergan­ genheit oder überraschende Perspektive?“ veröffentlicht, der u. a. die 1967 in Marienbad durch die Paulus-Gesellschaft und die Tschechoslowakische Akademie der Wissenschaften organisierte Tagung erwähnt und sich bemüht, über eine „Verbesserung der Kontakte mit dem ‚Partner im Dialog‘ zu reflektieren.

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Jiřincová (1912–1994) (September 1965), Jaroslav Malák (1928–2012) (Januar 1963), Karel ­Trinkewitz (Januar 1966 und Dezember 1967), Miloslav Troup (1917–1993) (Januar 1965) oder auch die Collagisten Jiří Kolář (1914–2002) (März 1965 und September 1968) und Bohumil Štěpán (September 1964). Daher rühren oft wunderschöne Covers, die zugleich dem ästhetischen An­ spruch der Zeitschrift Rechnung tragen und konsensfähige, keineswegs pro­ vozierende Themen behandeln. Wie Bernd-Lutz Lange (2012: 284) urteilt, „waren [d]ie Grafiken, Cartoons und Fotos fern von jeglichem plumpen sozi­ alistischen Realismus.“ Folgende Cover, die Milan Škarýd zu verdanken sind, ordnen sich in eine Auffassung der fotografischen Kunst als Illustration der Poesie des Alltags ein und belegen den Anspruch der Zeitschrift auf die Ver­ breitung des Bildes einer modernen und attraktiven Tschechoslowakei. Das erste Cover, auf dem ein leicht künstliches Frauengesicht abgebildet ist, weist mit dem Schachbrettmuster auf eine moderne Ästhetik hin und erinnert an das Motiv des Voyeurs. Häufig stellen die Cover tatsächlich Gesichter dar, die den Betrachter anblicken, entweder auf verführerische Art, wie auf dem ersten Cover, oder auf spielerische, wie im Fall des Kindes auf dem zweiten, oder auch auf künstlerische Weise, wie bei der Collage auf dem dritten Cover.

Abb. 5-7 Milan Škarýd: Schachmatt, April 1967 – Barborka mit dem Drachen, Oktober 1965 –  Augen, Mai 1966

Andere Abbildungen: Zeichnungen und Karikaturen

Ab April 1959 würdigt IHE jeden Monat einen Zeichner, Karikaturisten oder Maler, zuerst in der Rubrik „Lachen Sie mit…“67, dann auch in „Unser 67  In dieser Rubrik sind Namen wie Jan Brychta, Vladimír Burda, Alena Dostálová, Eduard Hájek, Stanislav Holý, Libuše Kaplanová, Milan Kratochvíl, Jan Krištofori, Jaroslav Malák,

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­ eichner ist diesmal…“. Dabei wird der ausgewählte Künstler auf der ersten Z Seite vorgestellt und ihm anschließend ein Artikel mit Abbildungen gewidmet. Aber Zeichnungen tauchten in IHE bereits lange vor der Institutionalisierung dieser Rubriken auf. Von Anfang an wird z. B. die Rubrik „Aus der Welt des Buches“ durch Zeichnungen von bekannten tschechischen Illustratoren (Mi­ lada Marešová im Januar 1958, Miloslav Troup im Februar 1958) angereichert. Humor ist dabei sehr präsent und keineswegs auf diese Rubriken be­ schränkt, wie aus der Fotoreportage über Plzeň/Pilsen (J. Pulec / Šd., „Dies­ mal nach Plzeñ“, IHE November 1966: 12–14) hervorgeht, die ein Foto von Mojmír Šimon mit der Legende „Barockes Profil vor Renaissance-Hinter­ grund“ enthält. Auf diesem Bild ist durch den Fensterrahmen eines Autos das rundliche Profil einer jungen Frau, die sich in der Tat vor dem Hinter­ grund von Renaissance-Fassaden befindet, zu erkennen. In der Ausgabe von Dezember 1964 tauchen wie zufällige Erscheinungen humoristische Zeich­ nungen von Vladimír Hlavín (*1922) auf mehreren Seiten auf. Das Cover von September 1963, das eine Zeichnung von Zdeněk Seydl mit dem Titel „Eine für die Zwecke unserer Zeitschrift besonders schlecht gemalte Henne“ bietet, stellt ein weiteres Beispiel dar, ebenso wie im September 1964 die Collage von Bohumil Štěpán mit dem Titel „Miss Welt – oberteilfrei“, die eine weibliche Silhouette mit zwei Globen an Stelle von Busen darstellt. Der Humor ermöglicht eine Art Leichtigkeit, die darauf abzielt, den deut­ schen Lesern ein „menschliches Antlitz“68 des Sozialismus zu zeigen und einen freundlichen Eindruck zu vermitteln. Mit Hilfe humoristischer Zeichnungen werden manchmal ernste Fragen angesprochen, wobei es in diesen Fällen vielmehr um Satire geht, wie z. B. im Januar 1963 mit der Serie „Lachen Sie mit uns“ von Jaroslav Malák (IHE Januar 1963: 16), die die Sudetendeutsche Landsmannschaft verspottet. Auf diesen Karikaturen abgebildet ist u. a. ein Sudetendeutscher in traditioneller Tracht mit Hitlerbart und grinsendem Lä­ cheln, der hinter einem Berg im Grenzgebiet erscheint und seine drohende Hand über diesen Berg ausstreckt. Ein weiteres Bild stellt einen Deutschen dar, der ebenfalls einen Hitlerbart trägt und raketenförmige Tränen in ein Bier­ glas schüttet, auf welchem „Pilsner Bier“ zu lesen ist. Eine dritte Zeichnung zeigt einen Sudetendeutschen in traditioneller Tracht, der sein in eine kroko­ dilförmige Sprechblase gefasstes Heimweh herausbrüllt, wobei das Krokodil Jiří Pařík, Vilém Reichmann, Lubomír Štěpán, Karel Trinkewitz (unter seinem Namen und unter dem Pseudonym Erich Witz), Miloš Vrbata zu finden. 68  Auch wenn dieser Ausdruck erst später auftauchte, geht es IHE sehr wohl darum, von der Attraktivität des Sozialismus zu überzeugen. Schöne Cover mit schönen und lächelnden jungen Frauen und Humor gehören zu den zu diesem Zweck oft gebrauchten Mitteln.

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Tränen vergießt. Mit wenigen Zeichnungen werden der sog. ­Revanchismus der Sudetendeutschen Landsmannschaft und die Gefahren, die ihren Forde­ rungen entspringen, satirisch karikiert. Die humoristische Rubrik „Lachen Sie mit…“, die zunächst unregelmäßig (April 1959, Januar 1963, April, Juli, September 1964) auftauchte, erschien ab Januar 1967 monatlich. Dies ist mit der Liberalisierung des Regimes in Ver­ bindung zu bringen. Die Rubrik „Unser Zeichner ist diesmal…“ erschien von Beginn an in regelmäßigeren Abständen und bot eine insgesamt relativ voll­ ständige Auswahl des Werks der damaligen tschechischen und slowakischen Zeichner und Zeichnerinnen (s. Tabelle im Anhang Dok. 9).

3.6.3 Ein literarisches Blatt? Seit Beginn ihres Bestehens enthält IHE eine literarische Rubrik mit dem Titel „Aus der Welt des Buches“, die aus einer Doppelseite besteht und einen ins Deutsche übersetzten Auszug aus der tschechischen oder slowakischen Lite­ ratur bietet, wobei die jeweiligen Autoren und Autorinnen knapp vorgestellt werden. Manchmal handelt es sich dabei um bereits zuvor publizierte Über­ setzungen, meistens jedoch um Originale – extra für IHE angefertigte Über­ setzungen, die einer geringen Anzahl regelmäßiger Mitarbeiter zu verdanken sind. Wie bereits erörtert, sind viele IHE-Mitarbeiter selbst Schriftsteller bzw. Schriftstellerinnen oder Teil des literarischen Lebens. Auf die Bedeutung der literarischen Übersetzung seit der nationalen Wie­ dergeburt im ausgehenden 18. Jahrhundert in den böhmischen Ländern und dann in der Tschechoslowakei wurde in der Forschung bereits hingewiesen (Pálenícek 2007: 76–78). Xavier Galmiche (2007: 276) spricht diesbezüglich von der in den böhmischen Ländern allgemein verbreiteten Neugierde für die „Kultur der Übersetzung“. Unter den IHE-Übersetzern zeichnet sich Lenka Reinerová mit 28 Übersetzungen zwischen 1958 und 1970 quantitativ be­ sonders aus. Sie übersetzt sowohl aus dem Tschechischen (Ludvík ­Aškenazy, Peter Balgha, Bohuslav Březovský, Jiří Brdečka, Jana Černá, Sylva Daníčková, ­Karel Eichler, Ivo Fleischmann, Martin Friš, Ladislav Fuks, Milena ­Honzíková, Miroslav Horníček, Rudolf Jašík, Jozef Kot, Dušan Kužel, Hana Prošková, Jaroslav Putík, Jindřiška Smetanová, Ivan Vyskočil) als auch aus dem Slowa­ kischen (Anton Hykisch, Peter Karvaš, Ladislav Mňačko, Laco Novomeský, Ladislav Ťažký). Ein anderer regelmäßiger Übersetzer ist der zuvor erwähnte Peter Pont alias Oskar Kosta.

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Die meisten in IHE gewürdigten Autoren und Autorinnen (insgesamt 118 Artikel von 1958 bis 1969, mit 107 verschiedenen Persönlichkeiten69, Tabelle im Anhang Dok. 8) zählen zu den bedeutendsten der damaligen tschechischen und slowakischen Literatur und werden später eine prestigevolle Karriere ma­ chen und internationales Ansehen genießen. Als Beispiele zu nennen sind etwa: Jiří Gruša (1938–2011), Vladimír Holan (1905–1980), Bohumil ­Hrabal (1914–1997), Milan Kundera (*1929), Věra Linhartová (*1938), Ladislav Mñačko (1919–1994), Laco Novomeský (1904–1976), Jan Skácel (1922–1989) oder Josef Škvorecký (1924–2012). Vorgestellt werden ebenfalls ein paar nicht zeitgenössische Autoren, wie der Dichter Vitězslav Nezval (1900–1958), der Schriftsteller und Illustrator Josef Lada (1887–1957), das Devětsil-Mitglied Vladislav Vančura (1891–1942) oder Klassiker wie Božena Němcová (1820– 1862), Jan Neruda (1834–1891), František Xaver Šalda (1867–1937), Jaroslav Hašek (1883–1923) oder auch Karel Čapek (1890–1938). Auch einige IHEMitarbeiter werden in der Rubrik „Aus der Welt des Buches“ präsentiert, da­ runter Adolf Hoffmeister, Zdeněk Mahler und Ivo Fleischmann. Die Mit­ glieder der avantgardistischen Devětsil-Gruppe70 der 1920er-Jahre und des Květen-Kreises71 sind relativ stark vertreten. Daneben, wenn auch in viel ge­ ringerem Ausmaß, werden auch deutschsprachige Autoren und Autorinnen besprochen, womit sich die Konturen der tschechoslowakischen Literatur in der Auffassung der Zeitschrift als breiter gefasst erweisen. Der Stellenwert der deutschböhmischen Literatur wird an späterer Stelle erläutert. Hier sollen vorerst nur ein paar Namen erwähnt werden: F. C. Weiskopf, Rainer Maria Rilke, Franz Werfel, Egon Erwin Kisch, der mit vier ihm gewidmeten Artikeln sogar die Autoren tschechischer und slowakischer Sprache übertrifft, und, ab 1963, Franz Kafka. Die Liste der oben aufgelisteten Autoren und Autorinnen umfasst eine große Vielfalt von Stilen und Gattungen. IHE würdigt neben Prosa – darunter auch Science-Fiction mit Josef Nesvadba (1926–2005) – viele Dichter, Theaterund Kabarettkünstler bis hin zu Autoren von Aphorismen wie Gabriel Laub (1928–1998). Greift man auf die von Walter Schamschula definierten Katego­ risierungen zurück, so sind diese vertreten: Repräsentanten des sozialistischen Realismus und der Aufbauliteratur, die vor allem in den ersten Existenzjahren der Zeitschrift präsent sind, bis hin zu den späteren „Konterrevolutionäre[n] und Staatsfeinde[n]“ (Schamschula 2004: 510) wie Jiří Gruša, Jan Procházka, 69  Manche Persönlichkeiten werden mehrmals gewürdigt. 70  Die Devětsil-Gruppe ist eine künstlerische avantgardistische Bewegung, die 1920 in Prag gegründet wurde und sich 1930 auflöste. 71  Es handelt sich um den Kreis um die Zeitschrift Květen (1955–1959).

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Karel Michal, Jiří Mucha oder Milan Kundera72, über diejenigen, die sich an das Regime angepasst, ja kompromittiert haben, wie Jan Drda, František Kub­ ka (Schamschula 2004: 447f.), und über die Vertreter einer „Abrechnungsli­ teratur“ (Schamschula 2004: 464), d. h. einer Literatur, die sich der Aufar­ beitung der nationalsozialistischen Vergangenheit annimmt (Arnošt Lustig, Ludvík Aškenazy, Norbert Frýd73 oder Ladislav Fuks). Der Anteil letzterer ist nicht unbedeutend, was der politischen Aufgabe entspricht, die sich IHE Deutschland gegenüber vorgenommen hatte.74 Angesichts der schwierigen Verbreitung der tschechoslowakischen Literatur im Ausland75 darf die IHEVermittlerrolle auf diesem Gebiet keineswegs unterschätzt werden.

3.7 Das Verhältnis zur Leserschaft Manuela Olhausen (2005: 86) hat auf die besondere Bedeutung von Leserbriefen in der sozialistischen Presse hingewiesen. Diese haben drei Hauptfunktionen: Sie fungieren zunächst als „Barometer der Stimmungen in der Bevölkerung“, darüber hinaus als Bestätigung der Regierungspolitik und ermöglichen den Bürgern schließlich, „ihre Kritik oder Unzufriedenheit gegenüber alltäglichen Problemen wie beispielsweise der Versorgungslage [zu] äußern“. Bei den Lesern von IHE handelt es sich jedoch um keine tschechoslo­ wakischen Bürger, sondern um Ausländer. Die Leserbriefe spielen folglich eine andere Rolle, die sich jedoch mit den oben genannten Funktionen teil­ weise überschneiden kann. Trifft die Funktion als „Barometer“ der westli­ chen Öffentlichkeit hier nicht zu, gelten die Leserbriefe hingegen sehr wohl als Bürgschaft für die tschechoslowakische Politik und das Regime. In dieser im Februar 1959 eingeführten Rubrik kommen tatsächlich begeisterte, der Tschechoslowakei eher wohl geneigte Leser zu Wort, die gewillt sind, die an­ geblich vom eigenen Land immer wieder verbreiteten Vorurteile über den ­sozialistischen Staat zu widerlegen. Häufig eingesetzt wird der Topos der 72  Die Entwicklung der literarischen Rubrik von IHE kann als aufschlussreiches Signal für die Liberalisierung des Regimes gelten. Vgl. 4. Teil der vorliegenden Studie. 73  Norbert Frýd wird insgesamt viermal gewürdigt (März 1959, Juli 1960, April 1963, Januar 1967). Er war ein persönlicher Freund von Lenka Reinerová, wie nachgelassene Briefe belegen (Prager Literaturarchiv, Reinerová-Nachlass). 74  Dieser Aspekt wird im 3. Teil ausführlich erörtert. 75  Antoine Marès (2007c: 112) betonte bezüglich des Beispiels Frankreich, dass es der Litera­ tur aufgrund der Übersetzungskosten, des fehlenden Interesses der großen Verlage und der finanziellen Schwäche potenzieller Interessenten äußerst schwerfalle, sich durchzusetzen.

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Überraschung der Leser gegenüber dem Entwicklungs- und Modernitätsgrad der Tschechoslowakei, wie im Fall des in Artikelform publizierten Briefes eines westdeutschen Lesers: „Hätte nicht gedacht, daß es so etwas auch in der ČSR gibt.“ (Armin Alfermann76, „Keine Scheu vor Echtheit“, IHE Januar 1963: 9) Denn tatsächlich geht es bei solchen Briefen um die Vermittlung eines positiven Bildes der Tschechoslowakei. In diese Kategorie von Doku­ menten fügen sich auch Zeugnisse ausländischer Besucher ein, die IHE gerne abdruckt. In WuS sind ebenfalls mehrere Beispiele zu finden und die Redak­ tion gibt vor, sie publiziere sie unabhängig von deren Inhalt, „auch wenn sie nicht immer die Meinung der Redaktion repräsentieren“ (WuS Juli 1965: 12). Nachfolgend soll als Beispiel das Zeugnis eines gewissen Justus Witt ange­ führt werden: Wir sind überzeugt davon, daß unser ‚kapitalistisches System‘ besser ist als das kommunis­ tische […] drüben. Wir sind überzeugt davon, daß es sich auch in Zukunft erweisen wird. Ich für meinen Teil aber bin auch überzeugt davon, daß man der Sache des Westens keinen guten Dienst erweist, wenn man Behauptungen aufstellt, die nicht zu beweisen, die unwahr sind. Nehmen wir die Menschenschlangen vor den Geschäften. ‚Die da drüben hungern‘, behaupten manche, die ihrer ansichtig geworden sind. […] Ich möchte betonen, daß ich kein Wirtschaftsfachmann bin und ich glaube auch, daß ein Körnchen Wahrheit drin ist, wenn man die Schlangen vor den Geschäften mit der Planwirtschaft in Zusammenhang bringt. Aber: es ist ein Unsinn zu behaupten, die haben nichts zu essen, die haben nichts anzuziehen, die verhungern. […] Daß die Kirchen leer sind, daß sich keiner getraut, ein Gotteshaus aufzusuchen, ist ebenfalls einer jener unvorsichtigen Behauptungen, die immer wieder aufgestellt werden. […] Wir konnten an Sonntagen feststellen, daß die Gotteshäuser voll waren. (Justus Witt, „Besuch drüben“, WuS Juli 1965: 12f.)

In diesem Auszug handelt es sich um eine Variante der „Methode ‚Andere über uns‘“, die Thomas Brünner (2011: 53) am Beispiel der mit der Aus­ landsinformation beauftragten Presseagentur „Panorama DDR“ untersucht hat. Nach dieser Methode sollten ausländische Journalisten oder Prominente in die DDR eingeladen werden, um dann positiv über das Land zu berichten. Ergänzt wurde diese Methode durch „das Konzept ‚Sie über sich‘“, das darin bestand, „Pressestimmen aus der Bundesrepublik und West-Berlin zu benut­ zen, um die ‚Anprangerung der Verhältnisse‘ dort zu ermöglichen“ (Brünner 2011: 53). In IHE bzw. WuS geht es also um zweierlei: Westdeutsche oder Österreicher sollen die Tschechoslowakei positiv wahrnehmen und zugleich 76  Jener angebliche Leser, der eigentlich Journalist ist, wird danach 1963 zwei Beiträge in IHE veröffentlichen. Bestenfalls werden die Leserbriefe instrumentalisiert, wahrscheinlich geht es hier sogar um eine reine Fälschung, da der Leserbrief entweder von der Redaktion stammt oder von ihr in Auftrag gegeben worden war.

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dem eigenen Land gegenüber eine kritische Position einnehmen. Zu diesem Zweck werden die Leser dazu aufgerufen, selbst Beiträge zu liefern: Aber wir glauben, es wäre lustiger und hätte größeres Gewicht, wenn die ausländischen ČSSR-Urlauber selbst ihre Erlebnisse und Erfahrungen zum besten geben wollten. Unsere Zeitschrift steht ihnen hiefür gern zur Verfügung. (-lka [Lenka Reinerová], „Wer hätte das ge­ dacht! Schnappschüsse aus dem Fremdenverkehr von O. Karásek“, IHE September 1964: 2f.)

An der Authentizität dieser Briefe und Zeugnisse ist selbstverständlich zu zweifeln, wie das Beispiel eines im Februar 1959 veröffentlichten Briefes nahelegt: Dieser nimmt Bezug auf einen Artikel, der in derselben Nummer erscheint, wobei kaum möglich ist, dass der schreibende Leser den zitierten Artikel zum Zeitpunkt des Verfassens seines Briefes bereits hatte lesen können. Nichtsdestotrotz, seien sie nun authentisch oder gefälscht, über solche Briefe wird, unterschiedlichen Modalitäten folgend, die Beziehung zur Leserschaft gepflegt. Eine andere Art und Weise, mit den Lesern in Verbindung zu treten, sind Antworten auf Leserbriefe. Lenka Reinerová scheint dieser Aufgabe, wie erwähnt, viel Zeit gewidmet zu haben. So werden Artikel angeblich als Ant­ worten auf Fragen der Leser verfasst, wie unter anderem folgendes Beispiel: Vor einiger Zeit schrieb uns eine Leserin aus Westdeutschland, die ungenannt bleiben wollte: „Es würde mich interessieren, wieviel eine Krankenschwester in der ČSR verdient und wie­ viele Stunden sie arbeiten muß“ (Dr. A. Špindlerová, „Gibt es ein Nachwuchsproblem bei Krankenschwestern und Laborantinnen?“, IHE Januar 1960: o. S.)

Dass diese Leserin anonym bleibt, kann ein Indiz dafür sein, dass es sie gar nicht gibt. Im September 1960 antwortet die Zeitschrift mit dem Artikel „Kin­ der von Glasarbeitern machen Urlaub“ von -lka [Lenka Reinerová] einem Leser aus Essen, der nicht glauben wollte, dass die tschechoslowakischen Ge­ werkschaften den Kindern ihrer Mitglieder Ferienaufenthalte spendieren. Ein drittes Mittel, die Bindung zu den Lesern zu festigen, stellt die regelmäßige Organisation von Leserwettbewerben (Juni 1959, April 1961, Mai 1962) dar, bei welchen das Wissen der Leser über die Tschechoslowakei auf die Probe gestellt wird. Den Jüngeren werden auch Zeichenwettbewerbe angeboten (wie etwa im Januar 1960). Die Gewinner werden mit einer Reise nach Prag belohnt und dürfen die IHE-Redaktion treffen. Im Februar und Juli 1960 schildern zwei Artikel mit den Titeln „Unser erster Gast“ und „Bei uns zu Gast“ solche Begegnungen in den Redaktionsräumen. Was diese Wettbewerbe betrifft, fällt die Parität unter den Gewinnern auf, die zu genau gleicher Anzahl aus der Bundesrepublik und der DDR stammen. Auch damit positioniert sich die Zeitschrift zwischen den beiden Blöcken. Generell soll das Leserspektrum so

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breit wie möglich sein. IHE möchte sich an alle, Männer und Frauen77, Jung und Alt, wenden. Für eine genauere soziologische Untersuchung der Leser­ schaft ist die Forschung jedoch auf den Inhalt der Zeitschrift sowie einige Zeugnisse wie jenes von Bernd-Lutz Lange (2012) und von Lesern, deren Briefe sich in Lenka Reinerovás Nachlass befinden, beschränkt. Abseits der geschilderten Annäherungen an die Leserschaft gerät der ge­ wünschte und inszenierte Dialog mit dem Leser jedoch manches Mal auch zur Polemik, wenn es um Fragen geht, die mit dem Münchner Abkommen oder den Vertreibungen zu tun haben, wie an späterer Stelle ausführlich analysiert werden soll.

3.8. Werbung IHE räumt der Werbung durchschnittlich vier Seiten ein, die Unterneh­ men aus der Tourismusbranche (die Fluggesellschaft ČSA, das Reisebüro Čedok oder böhmische Heilquellen) und Exportfirmen betreffen. Ab 1964 wird eine zusätzliche Seite direkt nach dem Inhaltsverzeichnis oder gar an­ stelle der traditionellen Abbildung auf der Umschlagseite (wie im Novem­ ber 1964 und November 1966) hinzugefügt. Ab 1967 weichen dann ein bis zwei der Werbeseiten den humoristischen Zeichnungen. Wie Vladimír Birgus und Jan Mlčoch (2007: 286) erläutern, braucht der Warenmangel auf dem Nachkriegsbinnenmarkt keine Werbung, die Situation auf dem Weltmarkt ist jedoch eine andere: Viele Unternehmen, die mit dem Ausland handeln (wie Jablonex, Centrotex, Skloexport usw.), versuchen sich durchzusetzen und die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Produkte bedarf der Unterstützung durch quali­ tativ hochwertige Fotos und Werbeflyer. IHE leistet hier ihren aktiven Beitrag zur Förderung der Waren, denen tatsächlich die Mehrzahl der Werbeseiten vorbehalten ist.

77  Frauen werden oftmals gewürdigt, nicht nur auf dem Cover, wie bereits gezeigt wurde, sondern auch in Mode- oder kulinarischen Rubriken. IHE veröffentlicht regelmäßig In­ terviews mit politisch engagierten Frauen und jede März-Ausgabe bietet anlässlich des Internationalen Frauentages die Gelegenheit für einen besonderen Fokus auf die Lage der Frauen. Zur Darstellung der Frauen und zum Thema Frauenemanzipation in IHE vgl. Leclerc (2021).

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3.9 Das Programm der Zeitschrift 3.9.1 Eine propagandistische Zeitschrift? In internen Dokumenten ordnet Orbis IHE in die Kategorie der Publikationen [ein], die zur Propagation unseres sozialistischen Staates, zu seinen Errun­ genschaften auf kultureller und wirtschaftlicher Ebene, sowohl im In- als auch im Ausland dienen. (Tschechisches Nationalarchiv, Orbis-Fonds) [publikace sloužící propagaci našeho socialistického státu, jeho vymožeností na kulturním a hospodářském poli, a to jak uvnitř státu, tak směrem do zahraničí]

In ihrem Briefwechsel benutzt Lenka Reinerová auch den Begriff „propagace“ [Propagation] und nicht „Propaganda“, um die Mission von IHE zu beschrei­ ben, die als Monatsschrift der „Abteilung der Staatspropagation“ [odboru stát. propagace] präsentiert wird (Brief vom 23. April 1959 an den tschechoslo­ wakischen Schriftstellerverband, Prager Literaturarchiv, Reinerová-Nachlass). Der negativ konnotierte Begriff Propaganda wird also sorgfältig vermieden. Wie in der Studie von Ariane d’Angelo (2018: 52) erläutert wird, bleibt dieser Begriff nach 1945 mit dem Totalitarismus verbunden, weshalb er etwa aus dem Diskurs der westdeutschen Regierungskommunikation zugunsten der Öffentlichkeitsarbeit verschwinde. Im Falle von IHE muss die Propaganda­ frage umso mehr berücksichtigt werden, als die Zeitschrift den Begriff stets ablehnt und sich als objektives Medium darstellt, das das entstellte Image der Tschechoslowakei im Westen revidieren soll. Im September 1968 schreibt Lenka Reinerová: Ich wurde in Deutschland oft gefragt, was uns dazu geführt hat, vor zehn Jahren, also noch am Rande des Kalten Krieges, in Prag eine deutsche Monatsschrift zu gründen, ausdrück­ lich für deutsch lesende Menschen im Ausland bestimmt. Das aktive Erlebnis jener Zeit, damals gewonnene Freundschaften und Erkenntnisse, das Bedürfnis, vielerlei klarzustellen, manches abzugrenzen, viel anderes neu anzuknüpfen, waren mit [mir] ein maßgeblicher Grund dafür. (Lenka Reinerová, „Name des Emigranten: Deutsche Literatur. Vorüberge­ hender Aufenthaltsort: Prag“, IHE September 1968: 16f.)

Im September 1962 berichtete sie über den Rat, den ihr ein deutscher Schrift­ steller erteilt hätte: Sie müssen vor allem versuchen, wiederholte der Schriftsteller Herr B. einige Male ein­ dringlich, Ihre Leser bei uns davon zu überzeugen, daß bei Ihnen in der Tschechoslowa­ kei genausolche Menschen leben wir bei uns. (Lenka Reinerová, „Spiegelgespräch“, IHE September 1962: 8)

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Bereits im Januar 1958, also in der allerersten Ausgabe, wehrt sich IHE im Leitartikel gegen den Propagandavorwurf, den sie vorwegnimmt: Eine Gemeinsamkeit der Interessen, die schon der Gemeinsamkeit des geographischen Raums entspringt, um in den verschiedensten Sphären des Wirtschafts- und Geisteslebens zum Ausdruck zu kommen, verlangt von jeder Verständigungsbereitschaft jenen hellwa­ chen und vorbehaltlosen Sinn für Tatsachen, der sich von keiner Propaganda irreführen läßt. Darum beschränkt sich diese Zeitschrift auf Tatsachen und will es ihren Lesern über­ lassen, sie zu beurteilen.

Die Absichtserklärung gilt jedoch vielmehr für die Leser, von denen erwar­ tet wird, dass sie sich von der Propaganda im eigenen Land nicht täuschen lassen. Es geht darum, ihnen Fakten als Grundlage zur Bildung ihrer eige­ nen Meinungsbildung zu vermitteln. Propaganda wird hier mit Lüge und Betrug gleichgesetzt. Wie Thomas Brünner (2011: 11) knapp und treffend resümiert, „war Propaganda nur dann Propaganda im negativen Sinn, wenn sie vom Gegner kam“, und IHE mag in der Tat als antipropagandistische Zeitschrift erscheinen – weniger, weil sie jegliche Propaganda vermeidet, son­ dern vielmehr, weil sie gegen die westliche bzw. westdeutsche Propaganda gegen die Tschechoslowakei ankämpft. Es handelt sich um die „Mobilisierung der öffentlichen Meinung in den gegnerischen Staaten“ (Brünner 2011: 12), wobei heute der euphemistische Begriff „Public Diplomacy“ jenen der „Pro­ paganda“ abgelöst habe (Rolland 2006: 9). Diese Auffassung verteidigt Lenka Reinerová tatsächlich in einer Tribüne von Juni 1963. Mit Ironie und einem gewissen Sinn für Provokation und Paradoxa übernimmt und rehabilitiert die Journalistin den Propaganda-Begriff, der seiner negativen Bedeutung verlustig und als Wahrheitsinstrument gedeutet wird: In unserer Redaktion treffen Briefe ein, von Ihnen, verehrte Leser, in denen Sie mehr oder weniger sanft, mißtrauisch oder gereizt den Vorwurf erheben, unsere Zeitschrift „mache Propaganda“. Darf ich Ihnen an dieser Stelle kollektiv – ich weiß, ich weiß, ein Wort, dem Sie auch nicht gerade gern begegnen, weil Sie es oft mit falschen Vorstellungen verbinden, aber das ist ein anderes Kapitel – darf ich Ihnen dennoch kollektiv antworten, daß Sie in gewisser Hinsicht recht haben? Der Unterschied besteht nur darin, daß wir Propaganda machen für unsere Wahrheit und unsere Lebensauffassung. Z. B. dafür, daß statt Farah Diba, Liz Taylor und Soraya einfache, von keinem Glamour und falschem Flitter umge­ bene Menschen nach Karlsbad fahren, wenn sie die Galle ärgert oder die Niere oder der Magen. Und daß es ihnen der Staat bezahlt. […] Wir machen also Propaganda, u. a. auch gegen den Krieg. Bewußt und konsequent. In den Schulen, in der Presse, im Rundfunk und Fernsehen, im Theater und Kino, überall, wo wir an die Menschen herankommen. Auch in unserer Zeitschrift, die wir ins Ausland schicken, damit man dort die Wahrheit über uns erfährt. Mehr noch, damit wir auch dort die Menschen gegen den Krieg beein­ flussen. Also, ganz offene Propaganda, zugegeben. […] Es gibt selbstverständlich auch bei uns unzufriedene Menschen. Kennen Sie ein Land, wo restlos alle paradiesisch glücklich

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sind? Es gibt, wenn man das so sagen kann, positiv Unzufriedene, die wünschen, daß die ganze Entwicklung noch schneller und besser vorwärtsgeht und bereit sind, ihr Scherflein dazu beizutragen. Und es gibt die Schwarzseher und die ewig Unzufriedenen. Unter einem sozialistischen Regime natürlich auch solche, die ihre endgültig beschlossene Glanzzeit nicht vergessen können. Die sind immer gern bereit, ‚verbürgte Informationen‘ zu ertei­ len, vorzugsweise an Ausländer. (Lenka Reinerová, „Diesen Frühling in Karlsbad. Offene Tribüne“, IHE Juni 1963: 11)

Das Bedürfnis, sich gegenüber dem Propagandavorwurf zu rechtfertigen, gehört zum Leitmotiv der Zeitschrift78, verbunden mit dem Anspruch auf Wahrheit, auf den insbesondere Lenka Reinerová sehr oft zurückgreift, vor allem wenn es um die sudetendeutsche Streitfrage oder um die nationalsozia­ listische Vergangenheit geht, aber auch, um der von der westdeutschen Presse verbreiteten Desinformation zu kontern, wie in der nachfolgenden virulenten Reaktion auf die Reportage eines hessischen Journalisten: Wir befassen uns in dieser Nummer unserer Zeitschrift an anderer Stelle mit den arrogan­ ten, die Wahrheit unbekümmert ignorierenden Auslassungen eines hessischen Fernsehre­ porters. Er war auch in Gottwaldov und fand dort vieles verändert. Nur die Schuhe, die jetzt hier erzeugt werden, schienen ihm nicht elegant genug. Mag sein. Vielleicht sind ihre Absätze für westliche Maßstäbe tatsächlich nicht hoch und ihre Spitzen nicht spitz genug. Trotzdem sind sie nach wie vor in allen Kontinenten gefragt. Aber die tatsächliche Verän­ derung kann man natürlich bei einer Spritztour nicht erkennen, selbst wenn man noch ein so gerissener Journalist ist. (Lenka Reinerová, „Lehrfach Konzert“, IHE April 1961: o. S.)

Oder auch in einer Polemik gegen den Schriftsteller Friedrich Torberg (1908– 1949), dessen vehemente antikommunistische Stellungnahmen, die er u. a. in seiner Zeitschrift Forum zwischen 1954 und 1961 zum Ausdruck brachte, be­ kannt sind (Corbin 2001): Was nützt es denn Herrn Friedrich Torberg, der als talentierter Mittelschüler in Prag zu schreiben begann, wenn er aus werweißwelchen Gründen einen Roman verfaßt (Die zweite Begegnung), in dem er seinen Lesern wissentlich Unwahrheiten über die ČSSR zum Besten gibt? Steigt vielleicht seine künstlerische Autorität, wenn sich dann diese Leser vom Ge­ genteil, nämlich von der Wahrheit überzeugen? (Lenka Reinerová, „Offene Tribüne. Der anspruchsvolle Monat Mai“, IHE Mai 1967: 9)

78  Vgl. weitere Beispiele: „Der Leser irrt, wenn er in diesem Satz politische Propaganda fest­ stellen zu können glaubt. Denn er ist ein Zitat aus dem vierten Artikel der Olympiasat­ zung und einer der Grundgedanken des französischen Adeligen Pierre de Coubertin …“ (Ctibor Rybár, „Hallo, bitte Rom!“, IHE Januar 1960: o. S.). In einem Artikel, der die tschechoslowakischen und westdeutschen Krankenversicherungssysteme vergleicht, wer­ den die westdeutschen Vorurteile angeprangert: „Unser Gesundheitswesen sei zu gutem Teil Propaganda, in der Bundesrepublik falle kaum jemand darauf herein.“ (D.Č.-Šd, „Die Rechnung für die Gesundheit“, IHE Juni 1963: 4f., hier 4)

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Die Handlung des 1950 erschienenen Torberg-Romans spielt im Jahre 1948 in Prag, nach dem kommunistischen Putsch. Zwei Verliebte, die der Nazis­ mus im Jahre 1939 getrennt hatte, finden wieder zueinander und werden zum „zweiten“ Mal mit der gewaltsamen Geschichte konfrontiert. Torberg scheint seine Angriffe gegen das tschechoslowakische Regime auf sein literarisches Werk begrenzt zu haben, denn in der Zeitschrift Forum findet die Tschechoslo­ wakei, die er dennoch sehr gut kannte, erstaunlicherweise kaum Erwähnung.79 Der Ton der Zeitschrift ist demnach nicht selten auf Konfrontation ausgerichtet, und zwar im Namen der ‚Wahrheit‘, wie folgender ironischer Auszug bezeugt: Mut zur Wahrheit verlangte von uns kürzlich ein anonymer Briefschreiber aus Kopen­ hagen, Mut zur Wahrheit fordern sehr häufig Leser aus der Deutschen Bundesrepublik, die uns zugleich Lektionen erteilen, wie diese Wahrheit mit einem Abstand von zwanzig Jahren dargelegt, interpretiert und bewältigt werden sollte. (Lenka Reinerová, „Es lebe die Republik!“, IHE November 1965: 22f.)

– oder auch der Artikel mit dem emblematischen Titel „Weil es die Wahrheit ist“ (Reinerová, IHE Juni 1965: 12f.). Auf diese Rhetorik der Konfrontation und diese beiden Artikel soll an späterer Stelle detailliert eingegangen werden.

3.9.2 Ein offizielles Schaufenster des tschechoslowakischen Regimes Wie IHE im Januar 1958 im Leitartikel ankündigte, besteht eine ihrer Aufga­ ben in der Aufwertung des tschechoslowakischen Kulturerbes: Hier wird die Zeitschrift ihre Aufgabe erfüllen, indem sie über den Stand der tschechoslo­ wakischen Wissenschaft, Technik und Wirtschaft berichten wird. Sodann wird sie umfas­ sende Kulturinformationen bringen: Über alte und neue Kunst und Musik, Theater, Film, Literatur, Volkskunst. Daß der Denkmalschutz dieses Landes mit seinen ganze Städte um­ fassenden Reservationen Weltruf hat, daß die Zahl der Orchester- und Musikensembles eine der höchsten auf der Welt ist, daß der Puppenfilm Sonderleistungen vorzuweisen hat, daß dieses Land das dichteste Theaternetz hat und daß es in Bezug auf Übersetzungslite­ ratur mit an vorderster Stelle steht – das alles sind Tatsachen, die in der Zeitschrift ihren Niederschlag finden werden.

Diese Schilderung der nationalen Denkmäler und der tschechoslowakischen Errungenschaften räumt den feierlichen bzw. memorialen Aspekten einen besonderen Platz ein, bietet doch fast jeder Monat die Gelegenheit, eines Ereignisses zu gedenken oder einen Festtag zu feiern. Der Vorzug wird dabei 79  Anne-Marie Corbin (2001: 157) erwähnt dieses Schweigen, erklärt es aber nicht.

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der zeitgenössischen Geschichte gegeben. Das Münchner Abkommen80 von September 1938 belegt den ersten Rang mit Artikeln im September 1958, 1963, 1964, 1966 und 1968. Danach folgen der Einmarsch der deutschen Wehrmacht im März 1939, die Vernichtung des Dorfes Lidice im Juni 1942, die Unterzeichnung des tschechoslowakisch-sowjetischen Vertrages im De­ zember 1943, der slowakische Aufstand im August 1944, und nicht zuletzt der „siegreiche“ Februar 1948. Die ältere Geschichte wird hingegen weniger nachgezeichnet. Nur zwei Themen tauchen häufiger auf, jedoch ohne jegliche Gedenkdimension: zum einen das Habsburger Erbe, das dennoch stets mit dem Motiv des Temno81, d. h. der Finsternis, die nach der Niederlage in der Schlacht auf dem Weißen Berg im Jahre 1620 die böhmischen Länder befallen haben soll, verknüpft wird, und zum anderen die hussitische Geschichte. So gedenkt IHE des 500. Jahrestages des Beginns der Herrschaft von Georg von Podiebrad (1458) oder des 550. Jahrestages des Todes von Jan Hus (1415).82 Das relativ häufige Vorkommen der hussitischen Thematik ist keineswegs überraschend, legte Josef Macek (1973) doch dar, wie sehr sich das hussitische Erbe für eine Instrumentalisierung durch das kommunistische Regime eignete. Georg von Podiebrad wird als Friedensstifter gefeiert, was zum pazifistischen Diskurs passt, den IHE unablässig verbreitet: Georg von Podiebrad, dessen diplomatische Aktion zur Wahrung des Völkerfriedens und zur Abwehr der türkischen Gefahr durch eine internationale Organisation der europäi­ schen Nationen zum ersten Mal die Idee der völkerverbindenden Friedensfront formulier­ te. (o. N. „Die letzten 500 Jahre“, IHE August 1958: o. S.)

Bis zur monatlichen Chronik von Zdeněk Mahler ab Januar 1968, die unter dem Titel „Das Land im Herzen Europas“ erscheint83, sind kaum andere ältere historische Themen zu finden. 80  „München“ ist ohnehin ein Leitmotiv in der Zeitschrift (s. unten S. 171ff.), aber die Sep­ tember-Ausgaben liefern längere Entwicklungen zu diesem Thema. 81  Auf dieses Motiv wird noch an späterer Stelle eingegangen, s. S. 216ff. 82  Erwähnenswert ist die Tatsache, dass der Gedenkbeitrag vom tschechischen Buchhistoriker Zdeněk Šimeček stammt („Der Feuertod in Konstanz“, IHE Juli 1965: 4–6). 83  „Dies Land im Herzen Europas. Eine Geschichte der Tschechoslowakei in Fortsetzungen. I. Wie alles begann.“ (IHE Januar 1968); „Dies Land im Herzen Europas. II. Die WenzelsLegende“ (IHE Februar 1968); „Dies Land im Herzen Europas. III. – WIR, KARL IV.“ (IHE März 1968: 2); „Dies Land im Herzen Europas IV. Unter dem Banner der Hussiten“ (IHE April 1968: 2); „Dies Land im Herzen Europas, V. Petr Chelčický – Ein Philosoph der Gewaltlosigkeit” (IHE Mai 1968: 2); „Dies Land im Herzen Europas, VI. Comenius, Lehrer der Völker“ (IHE Juni 1968: 2); „Dies Land im Herzen Europas. VII. Ist Schweigen Gold?“ (IHE Juli 1968: 2); Dies Land im Herzen Europas, VIII. Tomáš Garrigue Masaryk

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Zu den Festtagen, die in IHE gefeiert werden, gehören der Häufigkeit nach geordnet folgende Tage: der 1. Mai, der 8. März (Internationaler Frauentag), der 28. März (Lehrertag), der 11. April (Tag der internationalen Solidarität der antifaschistischen Kämpfer) und der 8. Mai (Befreiung Prags im Jahre 1945). Der Rückgriff auf diese Erinnerungsorte stützt die intendierte politische Bot­ schaft. Sie bestimmen den Rhythmus des Jahres und ermöglichen außerdem, den Aufbau des Sozialismus etappenweise mit Rückblicken auf das Erreichte und stets positiven Bilanzen hervorzuheben.

Der Aufbau des Sozialismus in IHE

Die Ausgaben des Jahres 1958, die zehn Jahre Sozialismus in der Tschecho­ slowakei zelebrieren, geben den Ton an. Auf die Fotoreportage „Zehn Jah­ re Aufbau“ im Februar 1958 wurde bereits hingewiesen. Das Jahr 1960, das jenem der Annahme der sozialistischen Verfassung im Juli entspricht, gibt Anlass zu mehreren Artikeln zur Darstellung des institutionellen Systems, wo­ bei das Ziel darin besteht, besonders auf den demokratischen Charakter von Staat und Institutionen hinzuweisen. So erläutert der Artikel „Über die Rechte und Pflichten der Abgeordneten in der ČSR“ die soziologische, nationale und parteibezogene Gliederung der Nationalversammlung: Arbeiter und Bauern werden an erster Stelle genannt, drei Deutsche sind vertreten und der demo­ kratische Pluralismus wird hervorgehoben: 263 Abgeordnete sind Mitglieder der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, 48 gehören anderen politischen Parteien an und 57 Abgeordnete haben keinerlei Parteizu­ gehörigkeit. (Antonín Pšenička, „Über die Rechte und Pflichten der Abgeordneten in der ČSR“, IHE März 1960: o. S.)

Der Beitrag „Eine neue Gebietseinteilung der ČSR“ in derselben Ausgabe zielt darauf ab, zu demonstrieren, dass das politische sozialistische System durchaus demokratisch sei: Eines der leitenden Prinzipien, auf die sich die Staatsordnung der ČSR gründet, ist der demokratische Zentralismus. Er bedeutet im Grunde genommen, daß die Staatspolitik und der Wirtschaftsplan für das ganze Land möglichst wenig durch bürokratische Maßnahmen von oben, sondern durch die breiteste Initiative aller Menschen verwirklicht wird, die auf politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet mitverantwortlich sind. (Karel Strádal, „Eine neue Gebietseinteilung der ČSR“, IHE März 1960: o. S.)

(IHE August 1968: 2); „Dies Land im Herzen Europas. Zum Abschluss: wir als Nation“ (IHE Oktober 1968: 2).

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Viel origineller ist hingegen der im Juni 1960 abgedruckte Beitrag von Jindřich Kraus, der in einem fiktiven Brief an einen westdeutschen Zugkontrolleur die Vorteile der Volksdemokratie lobt: Bei uns ist das anders. Ist deshalb der demokratische Charakter unseres Systems geringer? Wir sind der Ansicht, daß gerade das Gegenteil der Fall ist. Die Kandidaten stellen sich den Wählern als Kandidaten der Nationalen Front vor, die die breiten Interessen der gesamten arbeitenden Bevölkerung vertritt. In der Nationalen Front sind sowohl die politischen Parteien als auch die Massenorganisationen vertreten, wie z. B. die Gewerkschaften, der Tschechoslowakische Jugendverband u. a. Die Regierung der Nationalen Front hat durch die Praxis bewiesen, daß sie eine Politik verwirklicht, die das Aufblühen der Tschechoslo­ wakei, die Steigerung der Lebenshaltung und die Sicherheit unseres Landes gewährleistet. Braucht die arbeitende Bevölkerung in einem solchen Fall eine Opposition? Gegen wen? Etwa gegen ihre eigenen Interessen? (Jindřich Kraus, „An Hans, meinen Freund!“, IHE Juni 1960: o. S.)

Ab August 1960 wird der Fokus auf die neue Verfassung gerichtet, und im September erscheint der Artikel „Ein neues Kapitel“, der auf die als dema­ gogisch betrachteten Attacken gegen das Wesen der Diktatur des Proletariats antworten soll: So wird z. B. oft festgestellt, daß in der Tschechoslowakei eine Diktatur des Proletariats herrscht. Dieser Begriff gibt in der Welt Anlaß zu demagogischen Auslegungen, die mehr oder weniger offen versuchen, die Diktatur des Proletariats der Diktatur des Faschismus gleichzustellen, mit der die Welt so tragische Erfahrungen gemacht hat. In Wirklichkeit haben beide nur eines gemeinsam: das Wort Diktatur. Jeder vernünftige Mensch muß sich jedoch fragen: Diktatur wessen über wen? Eine faschistische ist und bleibt eine Diktatur des reaktionärsten Teils der Großbourgeoisie über das eigene und fremde Völker, die sie durch blutigen Terror im Zustand der Sklaverei hält. Die Diktatur des Proletariats hinge­ gen ist eine Diktatur der Arbeiterklasse im Bündnis mit den übrigen Schichten der arbei­ tenden Bevölkerung über die geschlagene Bourgeoisie. Die Methoden der Diktatur des Proletariats sind zutiefst menschliche Methoden. Den einstigen Ausbeutern in unserem Land ist ein einziges „Unrecht“ geschehen: sie wurden gezwungen, von eigener Arbeit zu leben. (Jindřich Kraus, „Ein neues Kapitel”, IHE September 1960: o. S.)

Um den Lesern dies einzuprägen, stellte die Redaktion in ihrem Leserwett­ bewerb von Juli 1959 eine Frage über die tschechoslowakischen Institutionen und Parteien. Unter den zehn Fragen befand sich nämlich folgende Frage: „Welche politische (sic!) Parteien gibt es in der Tschechoslowakei?“ Als die Er­ gebnisse im November 1959 bekannt gegeben wurden, räumt die Redaktion ein, dass diese Frage für die Leser schwer zu lösen gewesen sei: […] da sie nicht wußten, daß in der ČSR im Rahmen der Nationalen Front mehrere poli­ tische Parteien bestehen, und zwar: die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei, die Tschechoslowakische sozialistische Partei, die katholische Tschechoslowakische Volkspartei,

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die Kommunistische Partei der Slowakei, die Slowakische Freiheitspartei und die Partei der slowakischen Erneuerung.

Auf gesellschaftlicher Ebene rühmt IHE eine Justiz und eine Polizei, bei de­ nen alles perfekt funktioniert, wie Milan Škarýd im Zuge der Schilderung vorbildlicher kinderfreundlicher Polizeibeamter berichtet: Durch die Straßen gehen Männer in blauer Uniform, Schutzmänner. Sie sind es, die das öf­ fentliche und persönliche Eigentum, die Sicherheit des Straßenverkehrs und der Menschen schützen, Kinder und Erwachsene zu freiwilliger Disziplin erziehen. Sie wahren die Inte­ ressen der Werktätigen, von denen sie mit diesem Dienst betraut wurden. Die Uniformen sind nicht die gleichen wie früher, aber auch die Männer, die sie tragen, sind anders. Denn die ganze Gesellschaft hat sich von Grund auf geändert. (Milan Škarýd, „Nicht nur die Uniform“, IHE September 1962: 26)

Ein weiterer oftmals besprochener Aspekt ist die Qualität des Gesundheits­ systems, das nicht nur in medizinisch-technischer Hinsicht zu loben ist, son­ dern auch, weil es jedem den Zugang zu kostenloser Krankenpflege garantiert, woran IHE unablässig erinnert, wie etwa im Artikel „Ein ganz gewöhnlicher Fall. Kein ganz gewöhnlicher Fall“, der auf die Kostenfreiheit auch im Falle langwieriger und schwerer Krankheiten hinweist. Der Verfasser des Artikels führt das Beispiel eines Herzkranken an, wobei der Beitrag um die sechsmali­ ge anaphorische Wiederholung des Ausdrucks „selbstverständlich kostenlos“ aufgebaut ist und der Journalist zu folgendem Schluss kommt: Vlastimil Syrový wurde von niemandem gefragt, ob er Geld hat. Zum Glück lebt er in ei­ nem Land, wo die Gesundheit der Bürger in keinerlei Weise von ihren finanziellen Mitteln abhängig ist. (Dušan Čulík, „Ein ganz gewöhnlicher Fall. Kein ganz gewöhnlicher Fall“, IHE Juli 1960: o. S.)

Meistens werden die Vorteile des tschechoslowakischen Systems ins Licht ge­ rückt, um die Unzulänglichkeiten des westlichen bzw. westdeutschen Systems stärker akzentuieren zu können, wie im Artikel „Hierzulande ausgeschlossen“, der sich mit den dramatischen Folgen eines im Westen verschriebenen Me­ dikamentes (Contergan) befasst. Derartiges würde in der Tschechoslowakei niemals stattfinden, da dort der Gesundheit der Menschen, und nicht dem Profit, der Vorrang gegeben werde: Ich habe bereits erwähnt, daß hierzulande bei der Herstellung von Medikamenten vor al­ lem das Wohl des Kranken und keineswegs der Profit ausschlaggebend ist. Das ist der bedeutendste Unterschied. (Dušan Čulík, „Hierzulande ausgeschlossen”, IHE November 1962: 6–8, hier 8)

In IHE soll also der Aufbau des Sozialismus konkret dokumentiert werden. Diese Aufgabe hat Manuela Olhausen (2005: 359) in Bezug auf die Prager

Die Zeitschrift IHE

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Volkszeitung in einer prägenden Formel zusammengefasst, die auch auf die ersten Jahre von IHE passt: „viel Planwirtschaft in Text und Bild“. Die Zeit­ schrift bemüht sich in der Tat darum, die Fortschritte, die Modernisierung, die Erträge, die Wettbewerbsfähigkeit und die internationale Ausstrahlung der tschechoslowakischen Wirtschaft hervorzuheben. Ein besonderer Schwer­ punkt wird auf die wissenschaftlichen und medizinischen Innovationen gelegt, u. a. Polio- oder Keuchhustenimpfung, Transplantationschirurgie, technische Innovationen. Da ein ausführlicher Katalog jedoch nur begrenzt von Inte­ resse ist, soll der Fokus nun auf die Analyse jener Argumentationsmuster und sprachlichen Mittel verlagert werden, mit denen die Aufbaurhetorik gestützt wird und die sowohl in den Texten, in deren Form und Inhalt, als auch in den Bildern, anzutreffen sind. Zu Analysezwecken wurden die acht folgenden Auszüge ausgewählt, die als repräsentativ gelten können und anschließend kommentiert werden. Auszug Nr. 1 In unserem Land ist die moderne Grubentechnik heimisch geworden. Deshalb gehört je­ der neue Weltrekord in der Kohlenförderung meist sehr schnell der Vergangenheit an. […] Deshalb ist es keineswegs eine Utopie, wenn sie in sieben Jahren, also bereits 1965, dreimal so viel fördern wollen wie vor dem Krieg. (Slavomír Pejčoch, „Ehre wem Ehre gebührt“, IHE September 1958: o. S.) Auszug Nr. 2 Wir werden in den nächsten zwölf Jahren natürlich nicht nur Wohnungen bauen. Wir wer­ den auch weiterhin Kraftwerke, Fabriken, Schulen, Krankenhäuser, Theater und Sport­ anlagen errichten. Doch zu alldem nun noch eine Million zweihunderttausend Wohnungen. Das ist auch für ein industriell hochentwickeltes Land keine leichte Ausgabe. (Ivan Štych, „Von Dörfern, die keine mehr sind und Städten, die gestern noch nie da waren“, IHE Februar 1959: o. S.) Auszug Nr. 3 Die Tschechoslowakei hat sich gegenwärtig Ziele gesetzt, die einem nahezu den Atem verschlagen. In einer Zeit, da man im Westen überlegt, wohin man die Wirtschaftskrise ex­ portieren soll, kann die ČSR kühne Pläne entwerfen, weil sie sich auf die Zusammenarbeit mit einer sozialistischen Großmacht stützt. […] Zu einer Zeit, da im Zeichen der Krise auf den westlichen Märkten sturzartig die Preise fallen […] Und die Sowjetunion zahlt auch bessere Preise: z. B. für Schuhe – eine klassische Exportware der ČSR – erhalten wir in der UdSSR weit mehr als im Westen. […] Im Westen wird über die Verkaufsbedingun­ gen unseres Urans an die Sowjetunion oft viel Unsinn geschrieben. Die ČSR verkauft ihr Uranerz sehr vorteilhaft an die Sowjetunion. (Jan Janů, „Fünfzehn fruchtbare Jahre“, IHE, Dezember 1958: o. S.) Der abschließende doppeldeutige Satz mag den westlichen Leser schmunzeln lassen.

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Auszug Nr. 4 Jahrzehntelang haben die tschechoslowakischen Ingenieure von ähnlichen Möglichkeiten nur geträumt. Experimentieranlagen wie die beiden Institute von Běchovice waren selbst für die größte Fabrik unerschwinglich. Das ist seit 1948 möglich geworden. Die Technik schreitet mit Siebenmeilenstiefeln voran. Die Gesellschaft muß ihr folgen – oder auf sie verzichten. (J. Štihlický, „Achtung 400000 Volt!“, IHE Februar 1959: o. S.) Auszug Nr. 5 […] nicht nur in der reichen Auswahl und vorzüglichen Qualität seiner Waren […] Auch die Verkaufskultur spielt hierbei ihre Rolle. Im ganzen Haus findet man keine marktschrei­ erische Reklame, alles muß sich von selbst verkaufen. […] Auch Ausländer finden sich in dem ganzen Haus schnell zurecht, denn die Abteilungsleiter beherrschen die Weltspra­ chen – russisch, englisch, französisch, deutsch, sie sprechen auch ungarisch und polnisch. Man kann hier wirklich in jeder Sprache bedient werden. […] Es gibt einfach alles. (Vojtěch Bareš, „Warenhaus für Lebensmittel“, IHE Februar 1959: o. S.) Auszug Nr. 6 Doch wir hatten das Glück, die Februarereignisse des Jahres 1948 mitzuerleben. Was tat es, daß wir noch nicht tschechisch konnten! Der optimistische Ausdruck auf den Gesichtern der Arbeiter, die aus allen Teilen Prags auf dem Wenzelsplatz zusammenströmten, war in jeder Sprache verständlich. […] Was aber das Herz einer Mutter am frohesten macht ist die Gewißheit, daß sie nie zu militärischen Angriffsaktionen und Beutezügen mißbraucht werden können. Die Produkte ihrer Arbeit in der Schwerindustrie sind dazu bestimmt, unterentwickelten Völkern zu helfen und nicht sie zu unterjochen. Das ist eine der größ­ ten Befriedigungen unseres Lebens und unserer Arbeit in diesem Land. (Eleanor Wheeler, „Neuartige Abenteuer einer amerikanischen Familie“, IHE März 1959: o. S.) Auszug Nr. 7 Das hängt mit der Entwicklung der tschechoslowakischen Archäologie zusammen, die sich erst nach 1948 infolge großzügiger staatlicher Unterstützung voll entfalten konnte. (Dr. V. Hrouzek, „Eine frühslawische Metropole“, IHE November 1959: o. S.) Auszug Nr. 8 Feststellung, daß unsere Lage im Weltmaßstab vorzüglich ist. […] Beweis Nr. 1: Die Tsche­ choslowakei war stets ein fortgeschrittenes Industrieland. Land- und Forstwirtschaft be­ teiligen sich derzeit an der Bildung des Nationalprodukts nur mit 16%. Trotzdem ist die Industrieproduktion seit 1948 noch um das Vierfache gestiegen. Beweis Nr. 2: Wir sagen, daß das Jahr 1961 nicht ganz erfolgreich war. Immerhin betrug der Zuwachs der Indust­ rieproduktion ‚nur‘ 8.9%. In Frankreich waren es 5%, in der BRD 6%, in Schweden 3%, in Großbritannien 2%, in Belgien 4% und in den USA 1%. Beweis Nr. 3: Wir haben derzeit gewisse Versorgungsschwierigkeiten. Dennoch beträgt der durchschnittliche Fleischver­ brauch 56.8 kg pro Kopf jährlich, das ist mehr als in der BRD, in Österreich, im Verbrauch von Obst und Gemüse sind wir mit 157.7 kg weiter als in Schweden, der BRD, Großbri­ tannien, Österreich usw. (Hanuš Orlický, „Wie wollen wir morgen leben? Offene Tribüne“, IHE Oktober 1962: 9)

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An diesen acht Beispielen wird deutlich, dass sich die Texte, die sich mit wirt­ schaftlichen, industriellen und wissenschaftlichen Themen befassen, durch immer wieder kehrende Merkmale charakterisieren. Ein erstes auffälliges Ele­ ment ist der Gebrauch des Futurums, das auf einen unaufhaltsamen Fort­ schritt hindeuten soll (Auszug Nr. 2). Als typisch erweist sich auch die Verwen­ dung von Hyperbeln (Auszüge Nr. 3, 4 und 5) und Ausrufesätzen, die mit einer markierten Vorliebe für generell exorbitante, meist gleich im Titel des Beitrags verkündete Zahlen einhergeht84 (Auszüge Nr. 4 und 8). Diese Zahlen sind dazu bestimmt, den Leser zu verblüffen. Der Satzaufbau ist schlicht, oft parataktisch (Auszüge Nr. 2, 4 und 5): Damit wird die Botschaft in aller Klarheit formuliert. Der Akzent wird auf das Kollektiv gelegt, wie der häufige Gebrauch der ersten Person Plural betont (Auszüge Nr. 1, 2 und 8). Schließlich werden zahlreiche Komparative verwendet (Auszug Nr. 8), zumal es im Endeffekt darum geht, die Überlegenheit des sozialistischen über das westliche System zu belegen. Gleichsam performativ wird dieses Ziel mit einem ausgeprägten Wortfeld des Triumphs, des Sieges, der Exzellenz und der Geschwindigkeit (Auszüge Nr. 1, 3, 5 und 8) untermauert. Anschauliche Fotografien bekräftigen diesen Diskurs, wie in den 1960 der Spartakiade gewidmeten Artikeln (Abb. 8), oder zeigen einfache, lächelnde, mit ihrem Leben zufriedene Bürger, wie z. B. Abb. 9, die den im ersten Auszug präsentierten Artikel veranschaulicht. Auf dieser ist ein Arbeiter mit strahlendem Lächeln zu sehen, begleitet von dem Kommentar als Untertitel: „Die Arbeit ist keine Plage mehr.“

Abb. 8: IHE September 1960: o. S. – Abb. 9: IHE September 1958: o. S. 84  Hier sollen nur ein paar Titel angeführt werden: Věra Mikulášková, „5 Kilometer Aluwerk“ (IHE März 1959: o. S.); S. Pejčoch, „30000x“ (IHE Dezember 1959: o. S.); František No­ vák, „3130 Megawatt“ (IHE Januar 1960: o. S.); Karel Trinkewitz, „100,000 Kraftwagen in einem Jahr. Autoporträt einer Autoreparaturgenossenschaft“ (IHE September 1961: o. S.).

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Ein Kulturmagazin im Dienste der Kulturdiplomatie

Bemerkenswert sind auch die recht zahlreichen Zeugnisse tschechoslowaki­ scher Bürger, die ihre Zufriedenheit bekunden, wobei wiederholt wird, dass seit 1948 alles viel besser sei (Auszug 4 und 7), sowie häufige Zeugnisse von Ausländern, die das sozialistische System nach der bereits erwähnten Methode „Andere über uns“ verteidigen. Einen Höhepunkt stellt dabei zweifellos das Zeugnis der amerikanischen Familie dar, die sich für die sozialistische Tsche­ choslowakei entschieden hat (Auszug Nr. 6).85 Der Vergleich mit dem Westen ist allgegenwärtig (Auszüge Nr. 3, 5 und 8). Es handelt sich darum, Kritik am eigenen System jegliche Grundlage zu entziehen. IHE nimmt eine defensive Haltung ein, was die Verbreitung von falschen Informationen keineswegs aus­ schließt (Auszug Nr. 3). Die Anzahl derartiger Artikel geht jedoch ab 1963 stark zurück. Jene re­ aktive Rhetorik, die endlos und letztlich etwas ungeschickt wirkt, geht einher mit einer Kultur des Kalten Krieges, die mit der auf internationaler Ebene einsetzenden Entspannung und der Liberalisierung des tschechoslowaki­ schen Regimes nachlässt.

Die Tschechoslowakei als Kulturland

IHE möchte auch – und vielleicht vor allem – als kulturelles Schaufenster fungieren, wobei der Begriff „Kultur“ im weiten Sinne verstanden werden soll und Geschichte, Philosophie, Architektur, bildende Künste, Musik, Film, Theater, Literatur, Sport, Freizeitaktivitäten und Religion umfasst. Alle diese Bereiche werden besprochen – einschließlich des letztgenannten, in Bezug auf den IHE unterstreicht, dass dieser keineswegs tabu sei (s. Fußnote 66, S. 120). Wie bereits betont, geht es selbstverständlich darum, den Leser mit diesem Kulturerbe bekannt zu machen, ihn zur Entdeckung vor Ort anzuregen, aber auch darum, das Bild der Tschechoslowakei im Ausland aufzubessern. Zu diesem Zweck wird immer wieder behauptet, dass die Tschechoslowakei zwar 85  Solche Berichte von Amerikanern, die den Sozialismus loben, werden von der IHE-Redak­ tion besonders bevorzugt. Im November 1959 und 1960 publiziert sie Texte des amerika­ nischen, als „unabhängig“ präsentierten Journalisten Lionel David über die internationale Messe in Brno: „Die Redaktion ist sich dessen bewußt, daß eine noch so objektiv abwägen­ de Überschau des in der ČSR Geleisteten für den ausländischen Leser wertlos ist, wenn der Vergleichsmaßstab fehlt, d. h., wenn diese Leistungen nur von tschechoslowakischer Warte gesehen sind. Darum hat sie den unabhängigen amerikanischen Journalisten Lionel Davis, der sich mit Fragen der Technik und Wirtschaft befaßt, gebeten, anläßlich seines Besuchs auf der I. Internationalen Messe in Brno seine Eindrücke für „Im Herzen Europas“ zusam­ menzufassen. Obwohl wir mit manchen seiner Ausführungen nicht ganz übereinstimmen können, halten wir es für nützlich, seine Beobachtungen hier wiederzugeben.“ (Lionel Davis, „Von drüben gesehen. Zur I. internationalen Messe in Brno“, IHE November 1959: o. S.)

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ein kleines Land sei, aber durchaus stolz auf ihre Kulturschätze, ihre künstle­ rischen, kinematografischen und sportlichen Erfolge sein dürfe, wie folgende zwei Auszüge belegen: Die Tschechoslowakei ist ein kleines Land. Doch auf dem Gebiet des Sports gehört sie zu den Großmächten. (Ctibor Rybár, „Hallo, bitte Rom!“, IHE Januar 1960: o. S.) Die Tschechoslowakei ist ein kleines Land, aber auf der Weltausstellung, in schwerer Kon­ kurrenz, hat sie großen Erfolg. […] Wo in unserer geteilten und zerrissenen und zerfleisch­ ten Welt, so frage ich mich, ist nun die schöpferische Lust besonders ausgeprägt? Wo wird das Geistige, Menschliche in den Vordergrund gestellt? Im Weltwettbewerb hat mein Land in diesem Sinne keinen schlechten Platz erobert. Welch eine Freude! (Inka Malá [Lenka Reinerová], „Welch eine Freude! Offene Tribüne“, IHE September 1967: 9)

IHE wurde im Jahr der Brüsseler Weltausstellung lanciert, bei der der tsche­ choslowakische Pavillon den ersten Preis gewann. Dort war Alfréd Radoks neue Theaterform Laterna magica vorgestellt worden, die Theater, Film, Licht, Musik und Pantomime verflocht (Lukeš 2007: 293). Dieser Erfolg wird in IHE umfassend kommentiert.86 Da die Zeitschrift seit ihren Anfängen eine Filmchronik enthält, zu welcher Lenka Reinerová selbst aktiv beiträgt (Liste ihrer Filmrezensionen im Anhang Dok. 2), erfährt dieser Bereich des Kul­ turlebens eine besondere Thematisierung. Jeden Monat wird ein neuer Film rezensiert. Mehrere Beiträge werden dem Karlsbader Filmfestival gewidmet, dessen Wert laut einem von IHE interviewten italienischen Journalisten gar denjenigen von Cannes oder Venedig überschreite87 (dabei erweisen sich Aus­ länder noch einmal als die besseren Fürsprecher der tschechoslowakischen Marke). Über Animationsfilme, mit denen sich tschechische Künstler wie Trn­ ka, Zeman, Hofman, Pojar oder Miler besonders hervortun, wird ebenfalls regelmäßig berichtet. Nach Antonín Liehm (2007: 346) sei die Exzellenz der tschechischen Animation auf die „solide materielle Grundlage“, die die Ver­ staatlichung der Filmbranche nach 1948 ermöglicht habe, und auf die lediglich schwache „ideologische Kontrolle“, der die Animation aufgrund ihrer The­ men unterworfen sei, zurückzuführen. Der tschechische Journalist beschreibt die 1960er als Jahre eines tschechoslowakischen „Filmwunders“, tauchen 86  Jan Kliment, „Laterna magica“ (IHE September 1958: o. S.); Sylva Daníčková, „Gespräch mit mir selbst“ (IHE Dezember 1959: o. S.); Inka Malá [Lenka Reinerová], „Hoffmanns Erzählungen in der Laterna Magica“ (IHE Dezember 1962: 17–19); L.R. [Lenka Reinero­ vá], „Revue aus der Kiste. Die Laterna Magica in Montreal“ (IHE April 1967: 30). 87  Vgl. Dr. Miroslav Khun, „Ungewöhnlicher Filmfestival“ (IHE Oktober 1959: o. S.). Mi­ roslav Khun (1926-2014) war Journalist, Filmregisseur und Drehbuchautor. Er war u. a. Regieassistent bei Věra Chytilovás Film Faunovo velmi pozdní odpoledne [Fauns allzuspäter Nachmittag] (1984).

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doch ­Regisseure wie u. a. Miloš Forman, Ivan Passer, Jaroslav Papoušek, Jiří Menzel oder Věra Chytilová auf. Liehm (2007: 1387) hebt außerdem die Rolle dieser Filmregisseure europäischen Ranges in der Errichtung der „sozialen und kulturellen Grundlagen des zukünftigen Prager Frühlings“ hervor. Jiří Voráč (2001: 276) betont ebenfalls den „nichtkonform[en], resistent[en] Geist des tschechischen Films der 60er Jahre“. Eine andere Rubrik, die in allen IHE-Nummern vorzufinden ist, ist die Sportchronik, die sich für jegliche Sportarten interessiert und die tschechoslo­ wakischen Leistungen heraushebt. Ein erbaulicher Höhepunkt wird mit den Beiträgen zur Spartakiade im Jahre 1960 erreicht, die die tschechoslowakische Jugend als eine durch den fortschreitenden Sozialismus zusammengeschweiß­ te inszeniert. Erneut positioniert sich IHE in der Defensive, besonders unter der Feder von Lenka Reinerová, die womöglich ihr eigenes Unwohl angesichts derartiger Massendemonstrationen ausdrückt. Zwar betont sie die Gemein­ schaft, die im Sozialismus durch die perfekte Organisation dieser Spartakiade entstehe, bezeichnet diese aber als „fiesta nacional“, wobei man sich fragen darf, ob der Rückgriff auf den spanischen Ausdruck hier nicht dazu dient, jede allzu nationalistische Konnotation des deutschen Wortes „national“ zu vermeiden. Reinerová bemüht sich in der Tat, die Veranstaltung deutlich von einer nationalistischen oder militaristischen Demonstration abzugrenzen: Ein Turnfest von gigantischen Ausmaßen? Keineswegs […]. […] ein Turnfest hat, vor allem in der deutschen Sprache, ein wenig den Beiklang von straffem, gedankenlosem Drill. Unsere Spartakiade dagegen […] mußte auch tadellos klappen, aber man rechnete dabei mit der aktiven Teilnahme, mit dem Denken und Fühlen jedes einzelnen Menschen. […] Es ging ja darum, mitzuwirken an dem großen Fest des ganzen Landes, in dem die Jubiläumsfeiern zum 15. Jahrestag der Befreiung der Tschechoslowakei gipfelten und das unter dem ebenso schlichten wie klaren Leitsatz stand: Der Sozialismus hat in unserem Land gesiegt. […] Aber Tatsache ist auch, daß tausende und zehntausende Menschen zum ersten Mal die Hauptstadt ihres Landes besuchten (allein in der Slowakei gab es 340 000 aktive Teilnehmer an der Spartakiade), daß sie sich in ungezählten Gesprächen, Zusam­ menkünften und mit eigenen Augen davon überzeugten, wie ihre heute schon sozialisti­ sche Heimat in allem stürmisch vorwärtsschreitet. (Lenka Reinerová, „Spartakiade“, IHE September 1960: o. S.)

Diese defensive Haltung erscheint in einem weiteren Artikel von Reinerová, in dem sie versucht, die tschechoslowakische Kultur als eine demokratische, über ihre Grenzen hinaus wirkende Kultur zu beschreiben und das Klischee der kulturellen Isolierung ihres Landes seit 1948 zu beseitigen: Ich erinnerte mich unwillkürlich an ein Gespräch, das ich vor etlicher Zeit mit einem belgischen Zeitungsmann in Prag führte. Der war ungemein erstaunt, als er entdeckte, daß im Kino neben dem Hotel, in dem er wohnte, ein spanischer Film gespielt wurde.

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Er hatte gedacht, seit den umwälzenden Februarereignissen im Jahre 1948 würden in die Tschechoslowakei nur Kulturgüter aus der Sowjetunion importiert. Auch hatte er ange­ nommen, hinter dem Begriff ‚Kulturrevolution‘ steckten ganz schreckliche Dinge: ein allgemeines ‚Über-einen-Kamm-scheren‘ und eine Einengung jeglicher schöpferischer Tätigkeit. Er war sprachlos, als ich ihm zeigte, daß gerade das Gegenteil der Fall. (Lenka Reinerová, „Als der Postbote ging“, IHE Februar 1959: o. S.)

Ein weiteres Mal wird auf einen ausländischen Standpunkt verwiesen (Siehe doch, die anderen sagen es, nicht wir!), wobei der Name dieses belgischen Journalisten verschwiegen wird. Der gesamte Artikel wird außerdem von leit­ motivischen Wendungen skandiert, die am Ende jedes Abschnittes die seit 1948 bewirkten Fortschritte hervorheben, wobei der Vergleichstopos aktiviert wird: „Früher hat es nichts derartiges gegeben“; „Hat es das früher gegeben?“; „Auch das hat es früher nicht gegeben“; „Das gab es früher natürlich auch nicht“; „So etwas hat es in unserem Land bisher nie gegeben“.

3.9.3 Das Instrument eines interkulturellen Dialogs? Der Leitartikel der allerersten Ausgabe greift zweimal auf den Begriff Brücke zurück, um die Mission der Zeitschrift zu kennzeichnen: Wenn mit der Herausgabe [dieser Zeitschrift] nunmehr eine empfindliche Lücke geschlos­ sen und so eine Brücke zu den engsten Nachbarn geschlagen wird, geschieht dies in der Hoffnung, daß sie ihren Teil zum Ausbau der Kultur- und Wirtschaftsbeziehungen zwi­ schen den Ländern im Herzen Europas beitragen wird. […] Im Sinne dieser Erkenntnis Brücken von Volk zu Volk bauen zu können, ist in unserer vom Schatten der atomaren Aufrüstung verdunkelten Zeit eine beglückende Aufgabe.

Die Brückenmetapher gehört zu den großen Konstanten der Geschichte, zu­ erst jener der böhmischen Länder, dann der Tschechoslowakei. Prämissen sind bereits in der bohemistischen Literatur der Vormärzzeit zu verorten (­Leclerc 2011a; Höhne 2017). Diese Metapher stimmt mit einer geografischen, gern als „zwischen Ost und West“ beschriebenen Lage einher (Lobkowicz 2001; Leclerc 2015), wobei die böhmischen Länder mit der politischen Mis­ sion beauftragt werden – oder sie beanspruchen –, als Brücke zwischen der germanischen und der slawischen Welt im 19. Jahrhundert, dann zwischen dem Westen und der Sowjetunion während der Ersten Tschechoslowakischen Republik (1918–1939) und in der unmittelbaren Nachkriegszeit (1945–1948) zu fungieren (Brenner 2009). Nach 1945 gehört der Brückentopos, der vor allem von Präsident Edvard Beneš heraufbeschworen wird, zu den tragen­ den Säulen der tschechoslowakischen Außenpolitik, die die Entstehung eines

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Zentraleuropas und einer neuen Tschechoslowakei „zwischen Ost und West, zwischen Kapitalismus und Sozialismus“ (Rupnik 1990: 53) fördert. In Wirk­ lichkeit bedeutete Beneš’ Ideologie der Brücke zwischen Ost und West bereits ein allmähliches Abdriften in die sowjetische Einflusssphäre (Rupnik 1981: 215) und sie war schon damals der Kritik ausgesetzt, angefangen mit jener von Außenminister Jan Masaryk (1886–1948), dessen berühmtes Wort oft zitiert wird, nach welchem Brücken als erste zerstört werden, wenn es Krieg gibt (Marès 2015: 373). Immerhin unterstützte dieser die Auffassung von einer Tschechoslowakei zwischen Ost und West (Brenner 2009: 405). Wenn auch stark mit der tschechoslowakischen Außenpolitik vor 1948 und der Person Beneš verbunden, überrascht der Rückgriff auf den Brücken­ topos im IHE-Leitartikel von Januar 1958 keineswegs. Tatsächlich hatte die Tschechoslowakei ab 1958 verschiedene diplomatische Initiativen in Richtung Bundesrepublik Deutschland ergriffen und erklärte sich bereit, als Brücke zwischen Ost und West zu fungieren. Kann IHE, die ihren westeuropäischen Lesern ein Fenster in den Osten bot, für ihre Redakteure aber eine Öffnung auf den Westen bedeutete, demzufolge als Instrument eines interkulturellen Dialogs betrachtet werden, der über den strengen Rahmen einer wohl orches­ trierten Propaganda hinausgeht? An dieser Stelle muss die Rolle der Kultur in den internationalen Bezie­ hungen noch einmal hervorgehoben und die Frage nach der Kulturpolitik als möglichem Annäherungsfaktor zwischen den beiden Weltteilen (Sirinelli/ Soutou 2008: 8) gestellt werden, zumal die Rolle der Kultur in der Tschecho­ slowakei eine maßgebliche ist. Dieses beträchtliche Gewicht der Kultur in der Tschechoslowakei sei auf die staatliche Diskontinuität, die durch den Verlust der böhmischen Unabhängigkeit im Dreißigjährigen Krieg eingeleitet wurde, und auf die Charakteristika des tschechischen und slowakischen nationalen Erwachens im 19. Jahrhundert, das die nationale Identität weitgehend mit der Sprache gleichsetzte, zurückzuführen. Die kommunistische Ära verstärkte das Phänomen noch weiter, da die an die Macht gelangten Kommunisten den Intellektuellen und Künstlern einen besonderen Stellenwert einräumten. So­ lange diese der Parteilinie folgten und zur Legitimität des Regimes beitrugen, behielten sie ihre privilegierte Position (Marès 2007c: 103). Antoine Marès (2007c: 106) erkennt außerdem eine enge Verbindung zwischen den kulturel­ len Fragen einerseits und dem Friedensdiskurs und dem Konzept der „fried­ lichen Koexistenz“ andererseits, die dieser Politik zugrunde liege. In der Tat stellt sich IHE als Kulturzeitschrift in den Dienst dieses Diskurses; die Frie­ densrhetorik ist dort omnipräsent, vor allem bis 1961. Hinter diesem pazifis­ tischen Diskurs steht die ebenfalls allgegenwärtige Angst vor der d­ eutschen

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Wiederbewaffnung und dem deutschen „Revanchismus“, die im dritten Teil der vorliegenden Studie ausführlich untersucht wird. Die Instrumentalisierung der Kultur zu außenpolitischen Zwecken wird keineswegs verborgen. Der Leitartikel von Januar 1958 ruft so zum „Ausbau der Kultur- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Ländern im Herzen Europas“ auf. Ein Artikel von Jiří Hájek mit dem Titel „Was uns verbindet“ behandelt die Rolle der Kultur, insbesondere der Literatur und des Theaters, in den tschechoslowakisch-deutschen Beziehungen, um schließlich die besondere politische Aufgabe, die den Akteuren der Kultur zukommt, zu unterstreichen: Je komplizierter die internationale Lage ist, umso ernster ist unserer Meinung nach die gemeinsame Verantwortung aller Kulturschaffenden dafür, daß das Recht aller einfachen Menschen, in Frieden zu leben, gewährt bleibe […] daß die gegenseitige Fühlungnahme unserer zeitgenössischen Literaturen und Kulturwerte eines der wichtigsten Mittel sein kann, diesem Ziel zu dienen. […] ein Beweis dafür, daß der Austausch kultureller Werte zwischen Völkern, die in verschiedenen Gesellschaftsordnungen leben, nicht nur mög­ lich ist, sondern sogar höchst nützlich sein kann. (Jiří Hájek, „Was uns verbindet“, IHE September 1959: o. S.)

Die verschiedenen Kulturbereiche – seien es Musik, Theater, Sport oder Wis­ senschaft – werden einer nach dem anderen als mögliche Träger der Völkerver­ ständigung gedeutet. Der Schwerpunkt wird auch auf kulturelle Kooperationen, wie sie etwa im Film vorhanden sind, gelegt. Was den Sport anbelangt, so ist der Topos der Begegnung ausgesprochen präsent, und von den Sportlern wird erwartet, dass sie Sporttreffen als Vorur­ teile überwindende Ereignisse besingen. Hier einige Beispiele: Anfangs kamen unsere Freunde aus den westlichen Ländern mit allerlei Sorgen und Be­ fürchtungen zu uns. Die Vorstellung vom Eisernen Vorhang spukte in ihren Köpfen. Doch dann wurden sie mit Wirklichkeit konfrontiert, wurden mit offenen Armen aufgenommen und überall begegnete man ihnen mit aufrichtiger Freundschaft. So kam es, daß alle die Rückreise mit demselben Wunsch antraten: Nächstes Jahr wiederzukommen. (T. Rybár, „Vor der Friedensfahrt Warschau-Berlin-Prag“, IHE April 1959: o. S.) Zum Schluß möchte ich den Wunsch aussprechen, daß wie in der Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur auch im Sport unsere Freundschaft und Zusammenarbeit mit anderen Länder [sic] sich immer enger gestalte, damit wir einander unsere Erkenntnisse und Erfahrungen zum gemeinsamen Wohl übermitteln können. (Eva Kolátová, „Anmut der Bewegung“, IHE Juli 1959: o. S.) Die Veranstalter bereiten sich auf dieses Spitzen-Sportereignis sorgfältig vor. Ihr Wunsch ist, daß es ein Wettbewerb im Geist gegenseitigen Verständnisses wird. Denn Freundschaft, Vertrauen des einen zum anderen, gegenseitige Achtung – das sind doch die Voraussetzungen,

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auf denen wir bauen wollen. (Karel Nešvera, „Die XXXVIII. Sechstagefahrt“, IHE Sep­ tember 1963: 28f., hier 29)

Im Januar 1963 berichten tschechoslowakische Sportchampions von ihrem Treffen mit deutschen Sportlern. Über österreichische und westdeutsche Ski­ fahrerinnen, denen sie anlässlich eines Skirennens in Wien begegnete, teilt ­Alena Postlová mit: „Wir sind bereits gute Freunde“ (Bedřich Drož, „Was sagen die Sportchampions an der Schwelle des neuen Jahres“, IHE Januar 1963: 24f.). Die Namen der angeblichen Freundinnen werden allerdings nicht genannt, was diese Aussage unüberprüfbar macht. Dagegen erwähnt die Tennisspie­ lerin Věra Suková im Mai 1963 „[ihre] groß[e] Freundin Frau Kaufman, [die] langjährig[e] westdeutsch[e] Spitzenspielerin.“ (Bedřich Drož, „Věra Suková. Die tschechoslowakische Tennisspielerin Nummer 1“, IHE Mai 1963: 28f.) Die Musik wird wiederholt und etwas klischeehaft als Menschen vereinigen­ de Kunst beschrieben: „Denn die Sprache der Musik ist jedem verständlich.“ („Drei Fragen an Dr. Vilém Pospíšil, Generalsekretär des Internationalen Mu­ sikfestivals Prager Frühling“, IHE April 1960: o. S.) Ebenso wie die Sportler, werden Musiker dazu eingeladen, ihren Wunsch nach „friedlicher Kooperation“ öffentlich zu äußern, wie etwa der Cellist Antonín Kohout (1919–2013): Als Musiker betrachten wir uns als Träger solcher konkreter friedlicher Zusammenarbeit, weil die Musik selbst dem Gedanken der Anknüpfung und Vertiefung der Freundschaft und des Friedens dient. („Können wir friedlich zusammen leben? Eine Umfrage“, IHE Dezember 1961: o. S.)

Musik wäre also imstande, die Blockteilung zu überwinden. Am „Prager Frühling“-Festival im Jahre 1961 nehmen zahlreiche Nationalitäten aus Ost und West teil, die IHE präzise auflistet, um den offenen Charakter dieser Veranstaltung und des organisierenden Landes zu veranschaulichen. So sind „der vollkommenste deutsche Liederinterpret Dietrich Fischer-Diskau […] die bezaubernde Mozartinterpretin Irmgard Seefried und ihr Gatte, der Geiger Wolfgang Schneiderhan […] Igor Markewitch aus Paris […] die amerikani­ sche Sängerin Lucretia West […] die englische Pianistin Moura Lympany, ihr Moskauer Kollege Lew Oborin“ dabei; Polen, Ungarn, Italien, Kanada und Rumänien sind ebenso vertreten wie Österreich.88 Beiträge über das Theater liefern ebenfalls zahlreiche Topoi für die Ver­ brüderung zwischen den Völkern, wie im folgenden Artikel über eine Auf­ führung am Jiří-Wolker-Theater in Nürnberg:

88  „Österreich wird mit der sympathischen Pianistin Irmgard Haehler […] vertreten sein“ (­Pavel Eckstein, „1961 Prager Frühling“, IHE April 1961: o. S.).

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Vor allem aber die wichtigste Aufgabe, die sich ein Jugendtheater heute stellen kann, erfüll­ ten die Prager mit ihren beiden ‚Märchenoperetten‘ mustergültig, nämlich Grenzen zwi­ schen den Völkern und Menschen zu überwinden. Es war zwar tschechisch, was auf der Bühne gesungen und gesprochen wurde, aber es war verständlich und diente der Verstän­ digung: ‚Es war wie eine Verbrüderung‘ schrieb die schon zitierte ‚Nürnberger Zeitung‘. (Peter Hamm, „Zauberer aus Prag“, IHE Juni 1964: 21-22, hier 22)

Die politische Rolle der Kulturschaffenden wird vielfach diskutiert, wie fol­ gendes Interview von Jiří Horčička veranschaulicht: Sie haben im Vorjahr einigemal als Gastregisseur bei verschiedenen Rundfunkstationen der Deutschen Bundesrepublik gewirkt. Welche Möglichkeiten haben Ihrer Meinung nach Kulturschaffende für die Annäherung der Völker? Ich glaube, daß gerade die radiophonische Kunst – eine der besonde­ ren und zugleich eine so breite Kunstgattung, die Massenvermittlung ermöglicht – einen großen Anteil an der Verwirklichung des Gedankens der Koexistenz und tieferen gegen­ seitigen Verständnisses haben kann. (Jiří Horčička, „Gute Unruhe. Offene Tribüne“, IHE Januar 1966: 9)

Im Rahmen der tschechoslowakisch-deutschen Beziehungen spielt die Kul­ tur eine umso wichtigere Rolle, zumal diplomatische Beziehungen nicht existierten. Über den routinierten Diskurs hinaus fallen dennoch manchmal Texte auf, die auf die üblichen Topoi verzichten, um interessantere Über­ legungen bezüglich der Rolle der Kunst anzustellen, wie in diesem Beitrag von Karel Trinkewitz: Die Bochumer Städtische Galerie hat in ihre Ausstellungsserie zeitgenössischer bildender Kunst einzelner Länder ‚Profile‘ in diesem Sommer auch eine Auswahl tschechoslowaki­ scher Gemälde und Plastiken aufgenommen. Mehr als zwei Monate lang wirkte die Aus­ stellung in der Bundesrepublik als Botschafterin der Kunst der ČSSR. […] Ich stand immer in enger Beziehung zur deutschen Kunst. Auch während des Krieges, als von drüben so viel Schlimmes zu uns kam, festigte die deutsche Kulturgeschichte meinen Glauben, daß es noch ein anderes Deutschland gibt als Hitlers Nazi-Reich, ein Deutschland humanistischer Traditionen. Unsere Welt ist durch scharfgezogene Grenzen geteilt, deren Überschreitung oft schwer erscheint und die die Beziehungen zu den Nachbarn behindern. Und doch ist sie durch viele Bindungen vereint, die die Schranken der Systeme überspielen und trotz aller Hindernisse ihre mögliche und auch nötige Einheit herstellen: jene Einheit, die sich zutiefst auf Menschlichkeit gründet. Zweifellos ist die Kunst, die ihren konkreten historischen Be­ dingungen entspricht, selbst durch die bestehende geschichtliche Krise gezeichnet. Aber es scheint mir ebenso unbezweifelbar, daß sie stets zu deren Überwindung strebt. Ich bin überzeugt, daß die Kunst nicht nur eine epiphänomene Bedeutung hat, sondern ein aktives Element der Geschichte ist. Sie ist gewiß ‚der beste Vermittler‘ [Herv. i. O.] einer Verständi­ gung der Völker, ein Bote der Menschheit, dessen Sprache die persönlichste und doch zu­ gleich die universalste ist. (Karel Trinkewitz, „Der beste Vermittler“, IHE August 1965: 14f.)

Als Künstler, der einem zweisprachigen Milieu entstammte, ist Trinkewitz wohl ein geeigneter Repräsentant eines solchen Diskurses. Zu einer Zeit, als

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es keine diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Tschechoslowakei gibt, sticht die Charakterisierung der Bochumer Ausstel­ lung als „Botschafterin der Kunst der ČSSR“, die der Kultur eine politische bzw. diplomatische Funktion verleiht, besonders hervor. Die Anerkennung von „humanistisch[en] Traditionen“ in Deutschland zeugt einerseits vom Vermittlungswillen, andererseits auch vom Bekenntnis des Journalisten – und über ihn hinaus von jener der Zeitschrift – zum europäischen humanistischen Erbe, zu welchem die Tschechoslowakei eindeutig gehöre.

3.9.4 Die Tschechoslowakei „im Herzen Europas“ Lediglich die deutsche Ausgabe der Zeitschrift trägt diesen Namen, alle an­ deren heißen „Das tschechoslowakische Leben“. Die Wahl des Namens ist selbstverständlich alles andere als unbedeutend, zumal Deutschland sich auch gern als ein Land „im Herzen Europas“ darstellt. Diese Metapher sei ursprüng­ lich auf Germaine de Staël zurückzuführen (Fritsch-Bournazel 1991: 171): L’Allemagne, par sa situation géographique, peut être considérée comme le cœur de l’Europe, et la grande association continentale ne saurait retrouver son indépendance que par celle de ce pays. (Staël 1968/1: 41)

Dieser Satz wurde nachfolgend öfters übernommen und Renata FrischBournazel hat gezeigt, wie sehr die Schilderung Deutschlands im Herzen Eu­ ropas zu einer Konstante in der Geschichte geworden ist. Rainer Schmidt weist auf das Vorkommen des Motivs bei Hölderlin hin, der in der Ode Gesang des Deutschen die deutsche Heimat als „Herz der Völker“ besingt. Schmidt un­ terstreicht dabei die Kraft der Herzmetapher: Das Herz nimmt im Rahmen der Körpersymbolik wohl die wichtigste und wirksamste Position ein. Man kann damit rechnen, daß die Nachbarn, – welche Organe werden ihnen wohl zugeordnet? – wachsame Augen auf die wichtigste Körperfunktion des europäischen Körpers richten werden. Unruhen, Veränderungen und Unordnung im Herzen führen zu stärkeren Turbulenzen im Körper als Komplikationen an den Gliedern. Aus der Selbst­ beschreibung als Herz spricht auch eine gehörige Portion Hybris und Ego-Zentrismus. (Schmidt 2001: 45f.)

Die Charakterisierung als Herz Europas wird zudem sowohl von Polen als auch von den böhmischen Ländern, dann von der Tschechoslowakei bean­ sprucht, deren erster Präsident, Masaryk, der Ansicht war, dass Mitteleuropa aus den kleinen Nationen Europas, aber keineswegs aus Deutschland und Österreich bestehe (Ash 1990: 195) und die mitteleuropäische Auffassung des Deutschen Friedrich Naumann bestritt (Höhne 2011). Dennoch scheinen

Die Zeitschrift IHE

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die ab 1949 von Bundeskanzler Adenauer forcierte Westintegrationspolitik der Bundesrepublik einerseits und die Integration der DDR in den Ostblock andererseits einen Raum „im Herzen Europas“ freizulassen, ist das geteilte Deutschland doch nicht mehr imstande, diese Herz-Rolle zu spielen. Bedeutet also der Name IHE den Versuch der Tschechoslowakei, sich Deutschland gegenüber zu positionieren, diesem seine traditionelle Rolle streitig zu machen und den Anspruch auf eine geografische, politische und strategische Lage zu erheben, zumal Deutschland diese nicht mehr erfüllen kann? Auffällig ist dabei jedoch, dass diese Lage im Herzen Europas umso mehr in den Vordergrund gestellt wird, als die Tschechoslowakei in Westdeutsch­ land, und im Westen allgemein, als ein Land „im Osten“ angesehen wird. IHE zeugt folglich von der Weigerung der Tschechoslowakei, sich in den Osten zurückdrängen zu lassen, was die Hypothese nahelegt, dass der sich allmäh­ lich in IHE entwickelnde Mitteleuropa-Diskurs als Träger des Widerstands gegen die Blocklogik auftritt. Aufgrund ihrer geopolitischen Situierung war die tschechoslowakische Außenpolitik schon immer eng mit europäischen machtpolitischen Fragen verstrickt (Rupnik 1981: 215; Müller 1977: 382). Ihre Lage an der Frontli­ nie zwischen den beiden Blöcken hat diesen Zustand noch verschärft. Allein der Name IHE deutet bereits auf die europäische Problematik und den An­ spruch auf eine bestimmte Rolle in Europa und eine bestimmte Vorstellung des mitteleuropäischen Raums hin. Besonders auffallend ist der leitmotivi­ sche Hinweis auf diese europäische Zentralität und die betonte Ablehnung, als osteuropäisches Land betrachtet zu werden, wobei die Tschechoslowakei gar als „westlichst[er] sozialistisch[er] Staat im Herzen Europas“ (Petr Šimek, „Um den höchsten Titel in Chile“, IHE September 1962: 28f., hier 29) prä­ sentiert wird. Dabei geht es selbstverständlich vorrangig um einen kulturellen Anspruch: Die Zeitschrift erinnert immer wieder an die kulturelle Zugehörig­ keit der Tschechoslowakei zu Europa und greift mehrfach die vermeintliche Vereinnahmung des Begriffs „Europa“ durch Westeuropa an. Es wird z. B. an die „reg[e] Anteilnahme“ in der Tschechoslowakei „an dem gesamten hu­ manistischen Kulturgut“, etwa am Beispiel der Theatersaison 1966, erinnert: Lyrik von Hans Magnus Enzensberger bis zu Jewgenij Jewtuschenko, bildende Kunst von Marc Chagall bis zu Hans Herbert Hajek, Filme von Federico Fellini bis zu Michail Romm, Prosa von Ilja Ehrenburg bis zu Hans Werner Richter, Dramatik von Rolf Hochhuth bis zu Isaak Babel. Sind diese Namen bezeichnend für das Kulturleben in der Tschechoslowa­ kei? […] Sie sind ein typisches Merkmal der regen Anteilnahme aller an der Kunst interes­ sierten Menschen, die in diesem kleinen Land mitten in Europa leben, an dem gesamten humanistischen Kulturgut. Wen diese weltweite Offenheit überrascht oder erstaunt, der kennt weder die Tradition der Tschechen und Slowaken, noch das in steter Bewegung und

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Entwicklung begriffene kulturelle Leben in der ČSSR. (Inka Malá [Lenka Reinerová], „Was wurde gespielt? Zum Ende der Prager Theatersaison“, IHE Juli 1966: 25–27, hier 27)

Im September 1967 wird dieser kulturelle Anspruch um wirtschaftliche und politische Aspekte erweitert und die Tschechoslowakei als „Knotenpunkt“ beschrieben: Weil unser kleines Land mitten in Europa in den letzten Jahren in geographischem Sinne wiederum zum Kreuzweg, zum Knotenpunkt geworden ist. Weil es, was sein Geistesgut anbelangt, zum Anziehungspunkt Europas wurde. Weil es, was sein ökonomisches Expe­ riment und seinen politischen Weg betrifft, zum Ausgangspunkt geworden ist. Daher das Interesse von außen. Aber daher auch das Verantwortungsbewußtsein von innen. (Lenka Reinerová, „Unterwegs mit der ČSSR“, IHE September 1967: 4f., hier 5)

Wiederholt setzt sich IHE außerdem mit der westeuropäischen Auffassung von Europa auseinander, der vorgeworfen wird, das tatsächliche Europa aus­ schließen zu wollen, so etwa vehement in der offenen Tribüne „Europa“ von Stanislav Budín89 im Juli 1963, der Parallelen zwischen De Gaulle und Adenauer einerseits und Hitler andererseits zieht und an das „andere“ Europa erinnert, an das von Tolstoi und Lenin, Ziolkowski, Gagarin, Smetana und Mickiewicz: Im Westen ist es heute Mode, über Europa und das Europäertum zu sprechen. Der Ge­ meinsame Markt ist ein Ausdruck des ‚Europäertums‘. Die Allianz De Gaulle-Adenauer ist eine ‚Stärkung Europas‘. Die französische ‚force de frappe‘ und die Raketen und Kern­ waffen für die Bundeswehr sind ‚Waffen Europas‘. Philosophen und Journalisten, Politiker und Börsenspekulanten sprechen über den ‚Geist des Europäertums‘ und über die ‚zivili­ satorische Mission des europäischen Geistes‘. Allein das alles war schon einmal da. Hitler und Goebbels waren auch einmal Propagatoren eines ‚geeinten Europas‘. […] Gewiß, der französische General und Präsident hat in manchem recht. Europa erstreckt sich in der Tat vom Atlantik bis zum Ural. Doch das Europa, das im Schweiße der Angesichter in den Bonner, Strasburger und Brüsseler Büros geschaffen wird, ist nur ein kleiner Ausläu­ fer jenes wirklichen Europas, und der Sinn, der ihm von seinen Schöpfern gegeben wird, eine Verleugnung des wirklichen Europas und Europäertums. Denn zu diesem wirklichen Europa gehören Tolstoi und Lenin, Ciolkowski (der Vater der russischen Kosmonautik) und Gagarin, Smetana und Mickiewicz, ebenso wie Voltaire und Goethe, Marconi und Fleming, und auch Karl Marx. Die Größe Europas beweist gleichermaßen der Kölner wie der Mailänder Dom, der Prager Hradschin und der Moskauer Kreml. Es gibt nur ein, ein unteilbares Europa und alle Versuche, im Namen rassistischer Megalomanie und schmut­ ziger Eroberungsgelüste die eine oder andere europäische Nation und welche europäische Kultur auch immer aus ihm auszuschließen, haben in der Geschichte stets mit einer Kata­ strophe geendet, die vor allem die Ränkeschmiede selbst traf. (Stanislav Budín, „Europa“, IHE Juli 1963: 9)

89  Stanislav Budín (1903–1979) war Journalist und Schriftsteller; er gehörte später zu den Mitunterzeichnern der Charta 77.

Die Zeitschrift IHE

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Diese Vorstellung von der der Tschechoslowakei zugewiesenen Rolle ist be­ sonders anschaulich auf dem Cover der Januarausgabe von 1963, das eine Allegorie Europas aus der Feder des Künstlers Jaroslav Malák (1928–2012) darstellt: Europa erscheint dort als eine Frau – eine Repräsentation, die auf einer ikonografischen Tradition beruht, die bis zu Sebastian Münster und ­Heinrich Bünting90 zurückreicht. Das Herz dieser Frau, das Frieden ausstrahlt, ist die Tschechoslowakei. Im Herzen Europas liegend, sei dieses Landes dazu bestimmt, den Frieden zu bewahren.

Abb. 10: Jaroslav Malák, „Unser Neujahrswunsch“, IHE Januar 1963.

In einem Beitrag aus dem Jahr 1965 freut sich Jiří Hájek über die Ergebnisse des „Wiener Ost-West-Dialog[s]“: Obwohl das sogenannte ‚Europagespräch‘ diesmal im Rahmen der ‚Wiener Festwochen‘ bereits zum achtenmal stattfand, war es eigentlich zum erstenmal ein echtes europäisches Gespräch: erstmalig waren auch Wissenschaftler, Schriftsteller und Publizisten aus sozia­ listischen Ländern da, die nach allen bisher gültigen Vorstellungen zweifellos zu Europa gehören, ja sogar einen wesentlichen Teil davon darstellen. (Jiří Hájek, „Brücken. Wiener Ost-West-Dialog“, WuS September 1965: 12f.)

Jiří Hájek kritisiert dabei die Politik des amerikanischen Senators Fulbright und plädiert für die Errichtung richtiger Brücken, nicht von solchen, die „ein Kampffeld unterschiedlicher Ideologien sind“, sondern „Mittel zum

90  In Büntings Itinerarium Sacrae Scripturae, oder Reisebuch über das ganze alte und neue Testament (Helmstedt 1582) befindet sich die Abbildung Europa in Form einer Frau: An einer Kette, die durch den Rhein gebildet wird, hängt Böhmen.

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­gegenseitigen Kennenlernen und Verständnis von Menschen“, wobei Wissen­ schaft, Literatur und Kunst eine wesentliche Rolle spielen sollen. Angesichts solcher Aussagen liegt die Versuchung nahe, diesen EuropaDiskurs als Mittel zu interpretieren, sich der Blockkonfrontation zu entziehen und die Tschechoslowakei zwischen Ost und West zu positionieren91, auch wenn diese Blockkonstellation nicht in Frage gestellt wird bzw. werden kann und das Credo der friedlichen Koexistenz immer wieder behauptet wird. Ab 1967 intensivieren sich die europäischen Themen in Verbindung mit sicherheitspolitischen Aspekten und der deutschen Frage.

91  P. Gulińska-Jurgiel (2010: 141) betont, dass der Europagedanke in Polen und der Tsche­ choslowakei im Kalten Krieg niemals aufgegeben wurde.

DRITTER TEIL: IHE als Instrument der tschechoslowakisch-deutschen und tschechoslowakisch-österreichischen Beziehungen

Die Darstellung der deutschen Minderheit der Tschechoslowakei in IHE

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1. D  ie Darstellung der deutschen Minderheit der Tschechoslowakei in IHE IHE wendet sich a priori nicht an die deutschsprachige Minderheit der Tschechoslowakei, dies ist vielmehr die Aufgabe der bereits vorgestellten Wochenzeitung Aufbau und Frieden / Prager Volkszeitung (s. S. 68ff.). Dennoch war die Monatsschrift auch in der Tschechoslowakei erhältlich. Davon zeugt nicht nur der ab Januar 1962 im Impressum angeführte Vermerk „Versand in der ČSSR: Postamt Prag“, sondern auch ein langer Artikel von Lenka Reinerová in der Zeitung Práce im Juni 1969, in welchem die Journalistin in einer für IHE und deren Redaktion kompliziert gewordenen Zeit direkt bei ihren Landsleuten für die Zeitschrift wirbt: „Žadano pro v srdci Evropy. Máme rádi tu svou bláznivou redakci“ [Eine Bitte für IHE. Wir lieben diese närrische Redaktion1] (Práce, 07.06.1969, Prager Literaturarchiv, Reinerová-Nachlass). Darauf, dass die Erwähnung der deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei ein Tabu war, wurde bereits hingewiesen. Dennoch wird diese in IHE regelmäßig thematisiert, wobei ihre Lebensbedingungen weitestgehend als idyllisch beschrieben werden. Diese Darstellung geht einher mit einer relativen Tabuisierung der Vertreibungen, die erst ab 1965 explizit behandelt werden – eine Entwicklung, die zweifellos mit der „letzten massiven Kampagne“ der Sudetendeutschen Landsmannschaft2 in der Bundesrepublik zusammenhängt. In der Januarausgabe von 1965 wird ein Artikel der Zeitschrift Květy übernommen, der zum ersten Mal eine Zahl angibt: „Im Jahre 1946, noch nach der Umsiedlung von rund 2.5 Mill. Bürgern deutscher Nationalität […]“ („Mit der Schere gelesen. Zu viele oder zu wenig?“, IHE-Beilage Januar 1965: o. S.) Unter relativem Schweigen über die Vertreibungen soll hier verstanden werden, dass selbst der Begriff „Umsiedlung“ meistens mit Hilfe von allerlei Periphrasen und Euphemismen umgangen wird (s. S. 185f.). Anspielungen auf die deutsche Minderheit erscheinen größtenteils in Reportagen über Städte der Grenzgebiete, d. h. Städte, die vor 1945 mehrheitlich 1  Bemerkenswert ist hier der Gebrauch des Adjektivs „bláznivý“ [närrisch], das die Autorin viel später, im Titel eines ihrer Bücher, in welchem dieser Lebensabschnitt am ausführlichsten geschildert wird, wiederaufgreift (Reinerová 2006a). 2  „Beleaguered from all sides, the Vertriebenenverbände, with the SdL in the forefront, rose to one last massive campaign. Transport Minister Seebohm led the charge again. […] At the Sudeten-German Whitsunday Meeting held in Munich in 1966, Seebohm announced that the right to Heimat was a hereditary right to be bequeathed to their children and children’s children.“ (Tampke 2003: 130).

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IHE als Instrument

von Deutschen bevölkert waren. Das Grenzgebiet ist tatsächlich regelmäßig Thema der Beiträge, vorwiegend mit dem Ziel, die Argumente des sudetendeutschen Diskurses zu widerlegen, der die Verwahrlosung einstmals florierender von Deutschen besiedelter Gebiete behauptet.3 Christiane Brenner erörtert den Begriff Grenzland: Der Begriff ‚Grenzland‘ – tschechisch „pohraničí“ – steht nicht für ein zusammenhängendes Gebiet oder eine politisch-administrative Einheit innerhalb der böhmischen Länder bzw. der Tschechoslowakei. Eher vage bezeichnet er die an Deutschland und Österreich grenzenden, einst überwiegend von Deutschen bewohnten Regionen, die durch das „Münchner Abkommen“ von 1938 dem Deutschen Reich angegliedert und aus denen die Deutschen nach Kriegsende schließlich vertrieben wurden, wodurch die Notwendigkeit der Wiederbesiedlung und der Schaffung einer neuen integrierten Gesellschaft entstand. (Brenner 2009: 259)4

Die Tatsache, dass IHE diesen Gegenden wiederholt Beiträge widmet,5 suggeriert dem Leser einerseits, dass diese Gebiete nunmehr definitiv der Tschechoslowakei angehören – was Formulierungen wie „Cheb, das alte Eger“, „Sokolov (ehemals Falkenau)“ (gj [G. Solar], „Restaurierung einer Stadt“, IHE Januar 1961: o. S.) besiegeln – und andererseits, dass die Tschechoslowakei zu deren Entwicklung beiträgt. Dabei handelt es sich um eine Replik, gerichtet an die deutschen „Revanchisten“, wie im folgenden Passus über Benešov nad Ploučnicí: Neubauwohnungen – die Lösung der Wohnungsnot auch in Benešov n. Pl. – Und da soll das nordböhmische Grenzgebiet, der einstige Sudetengau Hitlers, – der revanchistischen Presse zufolge – nur dünn besiedelt sein! (G. Jesenius [G. Solar], „Ein Schloss in Nordböhmen…“ „… und eine kleine Stadt dazu“, IHE Juli 1961: o. S.)

3  Vom Topos der Verwahrlosung der Grenzgebiete machten bereits vor 1938 die Anhänger der Angliederung an das Deutsche Reich Gebrauch (Lemberg 2002: 82). 4  Vgl. das lange Kapitel über das Grenzland (Brenner 2009: 259–307). Der Begriff „Grenzland“ hat aber „eine längere Vorgeschichte, erlangt jedoch erst mit dem Aufkommen des Nationalismus im 19. Jahrhundert eine größere Verbreitung.“ Erst „[n]ach dem Ersten Weltkrieg erf[ährt] er eine Spezifizierung und Politisierung im Zusammenhang der Grenzziehungen aufgrund der Pariser Vorortverträge.“ (Rinas 2017: 307) 5  Zwischen 1958 und 1967 werden dem Grenzgebiet 19 Reportagen gewidmet. Alphabetisch geordnet handelt es sich dabei um folgende Orte: Benešov nad Ploučnicí (Juli 1961), Cheb (im Januar 1961, dann wiederum im Juli 1967, aber diesmal unter dem deutschen Namen Eger), Domažlice (August 1965), Jablonec (Oktober 1960), Jachymov (April 1966), Lemberk (Februar 1966), Liberec (Oktober 1961), Lipno (Juni 1966), Litoměřice (Januar 1959 und März 1964), Most (Juli 1960), Ostrava (Mai 1960), Sokolov (Januar 1966), Tachov (April 1964), Teplice (Juni 1959 und Oktober 1962) und Ústí nad Labem (Juli 1960). Im August 1966 erscheint eine Reportage über das Riesengebirge.

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Ein weiterer Artikel von September 1961 erweist sich als Angriff auf Wenzel Jakschs6 Äußerungen über das vermeintliche „Niemandsland“, in welches sich der Böhmerwald verwandelt hätte: Großkundgebung … Nibelungenhalle … überwältigendes Bild … Fahnen und Wimpel … Sprechchöre … Totenfeier – wer dächte bei dieser Terminologie nicht an die Zeiten des Tausendjährigen Reichs. Aber nein, so berichtete die Sudetendeutsche Zeitung, München, am 24. Juni 1961 über das Böhmerwaldtreffen in Passau. Wie finden Sie es, wenn in solcher Atmosphäre die Forderung nach dem „Selbstbestimmungsrecht“ ertönt? Wenn MDB Wenzel Jaksch von „hermetischer Abschließung“ Böhmens spricht? Wenn er erklärt, der „deutsche Böhmerwald“ sei „heute in wirtschaftlicher, sozialer und volkspolitischer Hinsicht ein Niemandsland“? Schon einmal war von Niemandsland die Rede. Dann kam die Besetzung. Für Leute, die auf eine Wiederholung alles dessen und damit auch auf eine neue deutsche nationale Katastrophe hinarbeiten, können die Grenzen Böhmens unseres Erachtens gar nicht hermetisch genug geschlossen sein. Niemandsland? Wir kennen einen ganz anderen Böhmerwald … (J. Štihlický, „Ein ganz anderer Böhmerwald …“, IHE September 1961: o. S.)

Der Einstieg der zitierten Stelle, der Spannung erzeugt und nationalsozialistische Demonstrationen thematisiert, soll die Wirklichkeit dokumentieren: Bei diesen Demonstrationen handele es sich um jene der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Mit einer direkten Anrede an den Leser, der zum Zeugen genommen wird, lässt der Verfasser eine dreifache Anschuldigung laut werden (wiederum geht es um eine Reaktion auf die sudetendeutsche Presse), die sich in drei affektiv-emotionalen, keineswegs rhetorischen Fragen niederschlägt. Diese Fragen werden in kurzen parataktischen Sätzen beantwortet: „Schon einmal war von Niemandsland die Rede. Dann kam die Besetzung.“ Diese Knappheit bringt Jakschs Worte unverzüglich mit der NS-Ideologie in Verbindung. Damit erübrigt sich jede weitere Argumentation. Der Artikel gipfelt schließlich in einer lyrischen Aussage, die die unbeantworteten Fragen klärt: „Niemandsland? Es ist ein ganz anderer – ein sozialistischer Böhmerwald.“ Das hier manifeste Motiv der ideologischen Verwandtschaft zwischen den Sudetendeutschen und dem Nationalsozialismus wird in IHE häufig zum Einsatz kommen, wie an späterer Stelle aufgezeigt werden soll. Im darauffolgenden 6  Wenzel Jaksch (1896–1966) war sozialdemokratischer Bundestagsabgeordneter und ab 1961 Vizepräsident der Sudetendeutschen Landsmannschaft. 1964 wurde er zum Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen, und als solcher zur bevorzugten Zielscheibe von IHE-Angriffen. In der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakei (DSAP) war Jaksch Vertreter des Jung-Aktivismus, der für die Tschechoslowakei eintrat. Er ging nach 1938 ins englische Exil, wo er versuchte, mit der tschechischen Exilregierung über die Nachkriegs-Tschechoslowakei zu verhandeln, und mit Beneš wegen der Pläne zur Aussiedlung der Deutschen in Konflikt geriet. Er wurde dann schnell kaltgestellt.

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Monat greift IHE mit einer Reportage über die auch im Grenzland liegende Stadt Liberec diesen Topos erneut auf: Das alte Reichenberg gebe es nicht mehr, seit dem Verschwinden der Deutschen habe sich die Stadt vorteilhaft verändert: „Denken Sie mal, den Weg vom Bahnhof auf den Tuchplatz habe ich nicht mehr erkannt! Dabei bin ich hier geboren und aufgewachsen!“ Der Besucher des Nordböhmischen Museums in Liberec, der das zu seinem Begleiter sagte, kam aus der Deutschen Bundesrepublik.7 Ähnlich überrascht sind alle, die das alte Reichenberg kannten, das in seiner Häßlichkeit bizarre Durcheinander steinerner Bankpaläste und hölzerner Isergebirgshütten, kleinbürgerlicher Häuserzeilen und regengebleichter Fabrikmauern. […] Aber dieses Liberec, das 1930 76.000 Einwohner hatte und heute trotz des unfreiwilligen Abgangs dieser Herren und ihrer Helfershelfer [Herv. H. L.] 70.000 Einwohner zählt, ist drauf und dran, zur Konsumgütermetropole und zu einem Geschmacksforum des ganzen Landes zu werden. (J. Martinec, „Geschmacksforum Liberec“, IHE Oktober 1961: o. S.)

Es sei vorerst nur kurz auf den Euphemismus hingewiesen, mit dem die Vertreibungen bezeichnet werden. Auf die in IHE herangezogene Terminologie zu deren Beschreibung wird an späterer Stelle detailliert eingegangen (s. S. 185f.). „Der sozialistische Böhmerwald“, der von J. Štihlický beschrieben wird, steht für eine Modernität, die für das ganze Grenzland beansprucht wird. Der Titel des Beitrags „Die ‚Verwahrlosung‘ der Randgebiete, ein beliebtes Thema der Revanchisten“ von Amargo alias Lenka Reinerová (IHE Oktober 1963: 10f.) weist mit dem Gebrauch der Anführungszeichen und dem polemischen Ausdruck „Revanchisten“ den Verwahrlosungsvorwurf kategorisch zurück und liefert einen bildlichen Gegenbeweis, mit Fotografien von neu errichteten Gebäuden in Bilina (Bilin), Kadaň (Kaaden), Ostrov n. O. (­Schlackenwerth) und Nový Most (Neu-Brüx).

Abb. 11: IHE Oktober 1963 7  Zu dieser Bezeichnung der Bundesrepublik Deutschland als Deutsche Bundesrepublik, vgl. S. 166ff.

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Im März 1964 setzt sich Gustav Solar mit dem Vorurteil des verwahrlosten Grenzgebietes auseinander, indem er bewusst alle Neuerungen (mittels vielmaliger Wiederholung des Adjektivs neu), die Modernität und die seit 1945 erreichten Fortschritte unterstreicht: Leitmeritz ist wieder Litoměřice. Die Stadt hat um einige Tausend Einwohner mehr als 1938. Sie ist Denkmalschutzreservation und wird nach einem Generalplan restauriert, den sich ein anderes als ein sozialistisches Land kaum leisten könnte. Moderne Wohnsiedlungen und Sportanlagen, eine neue Bahn- und Straßenverbindung durch die zerbombte Vorstadt am Fluß, neue Fabriken sind Vorleistungen einer Perspektive, die in den nächsten Jahren mit weiteren 1000 Neubauwohnungen, einem internationalen Hotel und Motel, einer neuen Poliklinik usw. rechnet. (G. Jesenius [Solar], „Litoměřice“, IHE März 1964: 18)

Der erste Satz klingt wie eine Proklamation: An Stelle des Verwahrlosungstopos tritt das Motiv der Wiederauferstehung. Im Juni 1967 argumentiert Solar – diesmal ohne Pseudonym – mit der These der deutschen Kollektivschuld, wobei er auf die Idee der ideologischen Verwandtschaft zwischen Nationalsozialismus und sudetendeutschen Verbänden zurückgreift. Letztere werden als „Berufsvertriebenenorgane“ diskreditiert; ihr Diskurs beruhe auf skandalösen und skrupellosen Argumenten: Die Berufsvertriebenenorgane in der BRD schlachten das weidlich aus, argumentieren mit der Unfähigkeit der tschechoslowakischen Behörden, das Land wiederzubesiedeln und ziehen daraus den bekannten Schluß: Heim ins Reich (diesmal durch „Selbstbestimmung“). […] Die Dinge liegen anders. […] Zum ersten ist die Umsiedlung der ursprünglichen Bevölkerung eine Folge des letzten deutschen Eroberungskrieges, an der ebensowenig zu ändern ist wie an der Tatsache dieses deutschen Selbstzerstörungsakts. Zweitens hat sich […] die Agrarwirtschaft in der Welt erheblich verändert. […] Die – übrigens weit humanere – Folge des Übergangs zur modernen landwirtschaftlichen Massenproduktion ist in der ČSSR u. a. die verdünnte Wiederbesiedlung der landwirtschaftlichen Grenzgebiete. (Gustav Solar, „Umbau eines Dorfes. Die Metamorphose des Egerlandes“, IHE Juni 1967: 14)

Was darüber hinaus in all diesen Artikeln auffällt, ist das Insistieren auf den Minderheitencharakter der Deutschen in der Tschechoslowakei; betont wird deren „verstreute“ Lage, was wie ein Beleg für den definitiven Charakter dieser nach 1945 entstandenen Situation wirkt: „Aber diese Menschen wohnen verstreut, sie bilden keine ethnische Einheit, keine Volksgruppe mehr.“ ([o. N.], „Drei Fragen an Jiří Votápek, Mitglied des Kreisnationalausschusses Ústí n. L.“, IHE Juli 1960: o. S.) An anderer Stelle heißt es: „Aber in Jablonec überwiegt weitaus die tschechische Bevölkerung und auch in der Umgebung leben die Deutschen mehr oder minder verstreut. Das kommt vom Tausendjährigen Reich.“ ([o. N.], „Vier Fragen an einen fünfundachtzigjährigen Emil Schöler, Veteranen der Nordböhmischen Arbeiterbewegung“, IHE Oktober 1960: o. S.) Der scheinbar fehlende logische Übergang zwischen den beiden

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Sätzen im letzten Zitat – eine argumentative Ellipse – mag überraschen. Zum Tragen kommt hier allerdings erneut das Motiv der Kollektivschuld, da angedeutet wird, dass die Deutschen selbst für diese Situation verantwortlich seien. Aus diesem verstreuten Charakter der deutschen Minderheit ergibt sich das Postulat einer mangelnden nationalen Kohäsion, deren Wiederherstellung das Regime unbedingt verhindern möchte: Das Problem der Deutschen in der Tschechoslowakei wurde 1945 und 1946 aufgrund des Potsdamer Abkommens gelöst. Die Völker der Tschechoslowakei haben aufgrund jahrhundertalter historischer Erfahrungen, ganz besonders aus den Jahren, die dem zweiten Weltkrieg vorangingen, begreiflicherweise kein Interesse daran, die wenigen auf dem Gebiet ihrer Republik übriggebliebenen Deutschen zu einer besonderen ethnischen Gruppe zusammenzufassen. Sie werden nie vergessen, daß die überwiegende Mehrheit der Deutschen, die vor dem Krieg in der ČSR gelebt haben, sich in verschiedenen Vereinen und vor allem in der sogenannten Henlein-Partei zusammengeschlossen, die Republik verraten haben und auf die Seite der Hitler-Aggressoren übergegangen sind. Andererseits ist es selbstverständlich, daß den Deutschen ebenso wie den Angehörigen aller anderen Nationalitäten, die in der Tschechoslowakei leben, alle Bürgerrechte, die in der Verfassung niedergelegt sind, zugestanden werden. (Hanuš Orlický, „Zum Entwurf der Sozialistischen Verfassung der Tschechoslowakei“, IHE Juni 1960: o. S.)

Klingt die Bezeichnung „Deutsche in der Tschechoslowakei“ auch idiomatischer als „Deutsche der Tschechoslowakei“, bedarf der Gebrauch der Präposition „in“ dennoch eines Kommentars.8 Über diese Präposition werden die Deutschen mit Gästen gleichgesetzt, deren Präsenz nur toleriert wird, während der Gebrauch des Genitivs, der übrigens gleich darauf für „die [anderen] Völker der Tschechoslowakei“ benutzt wird, dagegen ihre Präsenz normalisiert. Jener Auszug, der die neue Verfassung von Juli 1960 kommentiert, greift „eine offizielle Erklärung des Staatspräsidenten Antonín Novotný [auf], wonach die Frage der Deutschen durch die Abschiebung nach dem Krieg ein für allemal ‚erledigt‘ sei“ (Novotný 2009: 130). Die Vertreibungen werden nicht explizit erwähnt und man hält sich hinter der internationalen Legitimität des Potsdamer Abkommens versteckt, wobei die genaue Bezeichnung jener Dekrete, die die Vertreibungen ermöglichten, verschwiegen wird. Verantwortlich für die Vertreibungen sei die Haltung der Deutschen vor dem Krieg. Noch einmal wird der quantitativ unbedeutende Charakter der deutschsprachigen Minderheit unterstrichen („die wenigen auf dem Gebiet ihrer Republik übriggebliebenen Deutschen“), der weitgehend mit „d[er] überwiegend[en] Mehrheit der Deutschen“ derjenigen, die Hitler unterstützt hätten, k­ ontrastiert. 8  Es sei hier daran erinnert, dass die Deutschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Tschechoslowakei vertrieben wurden, tschechoslowakische Staatsbürger waren.

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Das ­Possessivpronomen „ihre“, das sich auf die Völker der Tschechoslowakei und nicht auf die Deutschen bezieht, liefert die Bestätigung dafür, dass die Deutschen in dieser Republik nicht zu Hause seien. Der Verfasser des Artikels gesteht zwar ein, dass die deutsche Minderheit dieselben Bürgerrechte wie alle anderen Bürger der Tschechoslowakei haben dürfe, aber in Wirklichkeit spricht ihnen die neue Verfassung, im Gegensatz zu den anderen Nationalitäten, diese Rechte ab. Artikel 25 schließt die Deutschen aus: „Den Bürgern ungarischer, ukrainischer und polnischer Nationalität gewährleistet der Staat alle Möglichkeiten und Mittel zur Bildung in der Muttersprache und zu ihrer kulturellen Entwicklung“ (www.verfassungen.net/cssr/verf60-i.htm [12.10.2021]). Diese Verfassung bildete tatsächlich „einen großen Rückschlag für [die] sich langsam entwickelnde Kulturtätigkeit [der Deutschen]“; „Ziel der tschechoslowakischen Politik war es, die in ihrer Heimat Verbliebenen innerhalb eines absehbaren Zeitraumes völlig zu assimilieren“ (Novotný 2009: 130). Die den Deutschen in der Tschechoslowakei gewidmeten Artikel rekurrieren häufig auf die vermeintliche Tatsache, dass sie nicht diskriminiert würden, was alles andere als den Tatsachen entsprach. So werden Porträts von gut integrierten, im politischen Leben engagierten Deutschen präsentiert, wie jene des Nationalversammlungs-Abgeordneten Josef Pötzl (Maria Fritsch, „Ein Abgeordneter der Nationalversammlung: Josef Pötzl“, IHE Oktober 1959: o. S.) oder von Richard Tölzer, der in den Nationalausschuss von Děčín gewählt wurde (Walter Sobota, „Wähler, die gewählt wurden“, IHE August 1960: o. S.), das des Leiters der Brigade Erich Wenzel (St. Mráz, „Fabrik ohne Tradition. 10 Jahre Kraftwagenwerke Liberec“, IHE Oktober 1961: o. S.), jenes von Adolf Wager, der in den Betriebsrat seines Unternehmens, dann zum Abgeordneten gewählt wurde (Milan Škarýd, „Einer von siebentausend“, IHE April 1964: 6) oder außerdem von František Schneider, der vierzehn Jahre lang Laienrichter, dann Abgeordneter des Bezirksnationalausschusses war, bevor er in den Stadtrat gewählt wurde (Milan Škarýd, „Diesmal nach Sokolov“, IHE Januar 1966: 10–13, hier 12). Geschildert werden auch Szenen aus dem Alltagsleben, die von einem einfachen, aber nachvollziehbaren Glück geprägt sind (eine Variante der Potemkinschen Dörfer): Die Fräse summt, Frau Eckel, eine Mitbürgerin deutscher Nationalität, singt vor sich hin. Sie wohnt in einem hübschen Häuschen, ihre Tochter arbeitet in der Nachbarwerkstatt. Sie hat zwei Enkel. (M. Starý, „Die Brillenstadt im Böhmerwald“, IHE Juni 1962: 6)

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Mittels dieser Figuren wird das Bild des ‚guten Deutschen‘ gezeichnet, der zum Aufbau des Sozialismus beiträgt9 und sich mit seinem Schicksal in der Tschechoslowakei abfindet, wo er „selbstverständlich“ als gleichberechtigter Bürger behandelt wird. Der Begriff „selbstverständlich“ kommt leitmotivisch vor: Diese ‚guten Deutschen‘ werden gebeten, von ihrem Glück zu berichten, und somit zum Zweck der tschechoslowakischen Propaganda instrumentalisiert: Boušek spricht fließend tschechisch, nur am Akzent erkennt man, daß er deutsche Schulen besucht hat. […] Fühlt er sich vollberechtigt? Selbstverständlich, schließlich ist er ja auch Mitglied des Betriebsrats, also der höchsten gewählten Vertretung der Arbeiter in seinem Betrieb. (Milada Jasenská, „Teplice. Gegründet vor 1200 Jahren, gesehen mit den Augen von heute“, IHE Oktober 1962: 16) ‚Haben Arbeiter deutscher Nationalität dieselben Möglichkeiten in den Betrieben wie ihre tschechischen Arbeitskollegen?‘ – ‚Selbstverständlich‘, antwortet Herr Pilz. […] Wir haben viele Meister deutscher Nationalität, ich selbst bin ökonomischer Direktor der hiesigen Papierfabrik. Schwierigkeiten? Die üblichen. Versteifung auf beiden Seiten bei den Reibereien des Alltags. Dummköpfe auf beiden Seiten. (Lenka Reinerová, „An die Unbekannte –  unter Aufrichtig“, IHE August 1967: 13)

Gibt es bessere Befürworter des tschechoslowakischen Regimes als diese überzeugten Deutschen? Wir tschechoslowakische Bürger deutscher Nationalität sind uns dessen voll bewußt, daß wir nie zu agressiven [sic] Kriegszielen mißbraucht werden können. Das ist keine Kleinigkeit. Dieses Bewußtsein wärmt uns an Fest- und an ganz gewöhnlichen Tagen. (Milan Škarýd, „Festtag auch im Alltag“, IHE Dezember 1961: o. S.)

Bis in die Mitte der 1960er-Jahre hinein entspricht der Diskurs über die deutsche Minderheit der Regimepropaganda. Erst im Januar 1966 taucht ein wahrheitsgetreueres Bild auf. In seiner Reportage über Sokolov zitiert Milan Škarýd aus dem Stammbuch eines dortigen Hotels, in welchem ein deutsches 9  Unter den Deutschen, die nach 1945 in der Tschechoslowakei bleiben durften, befanden sich die Antifaschisten, d. h. ca. 6.000 Personen, die ihre Treue dem tschechoslowakischen Staat gegenüber beweisen konnten und ihre tschechoslowakische Staatsbürgerschaft behielten; ihr Vermögen wurde auch nicht konfisziert. Über diese Gruppe hinaus wurden die sogenannten Fachleute und Personen aus gemischten Ehen nicht vertrieben. Die Fachleute bildeten die größte Gruppe: Experten, Techniker und Ingenieure, die die tschechoslowakische Regierung brauchte, um das Land wieder aufzubauen und die großen Industrien, vor allem im nördlichen und westlichen Böhmen, wieder in Gang zu setzen. Bei den gemischten Ehepaaren verhielt es sich unterschiedlich, es gab verschiedene Kriterien, die über die Vertreibung bzw. einer Verschonung entschieden: wer im Paar tschechisch war, wann die Ehe geschlossen worden war, oder ob ein Antrag auf die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft gestellt worden war oder nicht. (Bazin 2002: 139f.)

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Touristenpaar seinen Aufenthalt zwiespältig bewertet hat: Unter den positiven Aspekten werden die „viel[en] deutschsprechend[en] Menschen“ erwähnt, die negativen Punkte überwiegen jedoch deutlich: „löcherige Straßen, mangelnde Reinlichkeit, schlechtes Benzin, der verwahrloste Friedhof“ (Milan Škarýd, „Diesmal nach Sokolov“, IHE Januar 1966: 12). In der langen Reportage, die Lenka Reinerová im August 1967 der in den Städten Liberec, Jablonec und Varnsdorf ansässigen Redaktion der Prager Volkszeitung widmet, wird zwar ein immer noch positives Bild vermittelt, dennoch werden zum ersten Mal die Schwierigkeiten der deutschen Bevölkerung und das heikle Zusammenleben zwischen Deutschen und Tschechen direkt angesprochen. Reinerová befragt Bertl Hannich von der Prager Volkszeitung: Und die Probleme? Ihr Gesicht umwölkt sich ein wenig. O ja, sagt sie, sehen Sie, z. B. in den Betrieben. Wenn man hier bei uns einem deutschen Arbeiter etwas aussetzt, fühlt er sich als Deutscher betroffen, nicht als schlechter Arbeiter. Wenn wir neue Wohnungen zuteilen und ein anderer kommt an die Reihe, heißt es oft: Ich habe keine Wohnung bekommen, weil ich Deutscher bin. Natürlich kann es auch chauvinistische Übergriffe geben. Interessanterweise so gut wie nie von Menschen, die in Konzentrationslagern waren oder sonst von den Nazis schwer betroffen wurden.10 Anderseits gibt es deutsche Mitbürger, die ihre Isolierung selbst versteifen. Es gibt eben noch viele Wunden und leider, meint sie und seufzt bekümmert, auch Menschen, die da gern Salz hineinstreuen. (Lenka Reinerová, „An die Unbekannte – unter Aufrichtig“, IHE August 1967: 12)

Zum ersten Mal wird die Verwahrlosung mancher Gegenden nicht verleugnet, auch wenn dieser Aspekt geschickt umgangen wird: Die Häuser in den Dörfern zu beiden Seiten der Landstraße sind sauber gestrichen, wir halten ‚aus Objektivitätsgründen‘ nach einem verfallenen Ausschau. ‚Da müssen Sie nach Westböhmen fahren‘, bemerkt ein Mann an der Tankstelle, ‚bei uns hier haben wir so etwas nicht mehr‘. (Lenka Reinerová, „An die Unbekannte – unter Aufrichtig“, IHE August 1967: 12)

Dennoch nimmt erst im März 1968 ein Artikel klar Stellung zu den Klagen der deutschen Minderheit nimmt. Dieser Beitrag ist dem Chefredakteur der Prager Volkszeitung, Vojmír Šimonek, zu verdanken. Erstmals werden die Diskriminierungen, denen die Deutschen ausgesetzt sind, erörtert. Der Ton ist zwar gedämpft (die Zensur ist noch nicht aufgehoben), aber immerhin gibt der Text folgendes zu lesen: Obwohl also keine Ursache zu grundsätzlichen Beschwerden ist, könnte doch manches im Zusammenleben der Tschechen und Slowaken mit den Deutschen besser sein. Was vermissen die deutschen Mitbürger bisher? Dass z. B. in offiziellen Reden unserer Staatsmänner, wenn von den Völkern unseres Landes gesprochen wird, die Tschechen, Slowaken, Ungarn, Ukrainer und Polen genannt werden [sic] während man die Deutschen in 10  Demnach gäbe es keine Rachegefühle bei den Tschechen.

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der Regel vergißt. Und das hat zur Folge, daß sich immer wieder Leute finden, die daraus falsche Schlüsse ziehen. […] Solange Deutsche in unserem Land leben, sollen sie auch die Möglichkeit haben, sich kulturell voll auszuleben. Und keinesfalls darf man zulassen, daß jemandem bei uns von wem immer vorgeworfen wird, daß er deutsch spricht, sei es beim Einkauf, im Wirtshaus oder auf dem Arbeitsplatz. Ich glaube, daß heute mehr denn je Voraussetzungen dafür bestehen, die Ideen des proletarischen Internationalismus in unsere Alltagspraxis umzusetzen. Das ZK der KPTsch hat mit der Wahl des Slowaken Alexander Dubček zum Ersten Sekretär mit dem Brauch gebrochen, führende Funktionen nach einem Nationalitätenschlüssel zu verteilen und mit der offenen Kritik an der eigenen Arbeit eine Atmosphäre geschaffen, die dazu führen sollte, daß sich alle Bürger unseres Staates ohne Unterschied der Nationalität in unserem Land zu Hause fühlen. (Vojmír Šimonek, „Unsere Meinung zur Nationalitätenfrage“, IHE März-Beilage 1968: 5f.)

Trotz des guten Willens des Verfassers, der für die Gleichberechtigung der Deutschen, Tschechen und Slowaken plädiert, bleiben die Deutschen nur Gäste in der Tschechoslowakei, wie der Nebensatz „Solange Deutsche in unserem Land leben“ verrät.

2. Die tschechoslowakisch-deutschen Beziehungen Wenn Tschechoslowaken mit Deutschen reden, tauchen immer noch die schmerzhaften Schatten der Vergangenheit auf. Krieg und Militarismus, Faschismus und Revanchismus. (Lenka Reinerová, „Spiegelgespräch“, IHE September 1962: 8)

IHE war in erster Linie an die Leser der Bundesrepublik gerichtet und ihre politisch-diplomatische Rolle ist nur in Anbetracht der Beziehungen mit dem westdeutschen Staat richtig zu deuten. Dennoch spielt die DDR direkt oder indirekt auch eine Rolle, bestimmt sie doch teilweise die Haltung von IHE gegenüber der Bundesrepublik.

2.1 Die Bezeichnung der Bundesrepublik Deutschland Der exakte Name des am 23. Mai 1949 gegründeten westdeutschen Staates lautet Bundesrepublik Deutschland. Jene Bezeichnung, die grammatikalisch auf einer Apposition gründet, weist darauf hin, dass die Bundesrepublik identisch mit Deutschland sei, und umgekehrt. Dadurch erhebt die Bundesrepublik den Rechtsanspruch, in der Nachfolge des Deutschen Reiches Deutschland allein zu vertreten, was in der Präambel des Grundgesetzes zum Ausdruck kommt:

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Es [das deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, WürttembergBaden- und Württemberg-Hohenzollern] hat auch für jene Deutschen gehandelt, deren mitzuwirken versagt war.

Jener Anspruch, Deutschland allein zu vertreten, setzt sich ferner in der Ablehnung fort, die im Oktober 1949 ins Leben gerufene DDR anzuerkennen, und führt im Jahre 1955 zur Verkündung der Hallstein-Doktrin. Die in IHE verwendete Bezeichnung der Bundesrepublik bedarf also einer genauen Untersuchung. In der Tat wird Westdeutschland konstant DBR (Deutsche Bundesrepublik) genannt, wobei der Gebrauch des Adjektivs darauf hindeutet, dass die Bundesrepublik nicht ganz Deutschland, sondern nur ein Teil dessen sei. Diese Bezeichnung führt einerseits eine Analogie mit dem Namen der DDR (Deutsche Demokratische Republik) ein und streitet andererseits der Bundesrepublik ihren Alleinvertretungsanspruch ab. Der Name DBR wird nicht nur in IHE gebraucht, sondern offiziell vom tschechoslowakischen Regime. Adolf Müller (1977: 190) eruiert in der westdeutschen Presse diverse Kontroversen über den Gebrauch dieses falschen Namens, sieht darin aber keine politische Absicht und geht davon aus, dass dies in der damaligen Tschechoslowakei eine völlig geläufige Bezeichnung gewesen sei. Daran ist jedoch zu zweifeln. Womöglich hat sich die Bezeichnung in der Tschechoslowakei verbreitet und ihre politische Konnotation ist damit allmählich verschwommen, aber dass dieser Name (tschechisch Německá ­spolková ­republika) ursprünglich von dem Willen zeugt, eine Parität mit der DDR zu signalisieren, ist kaum widerlegbar. Helmut Berschin weist übrigens darauf hin, dass die Bundesrepublik in der DDR ähnlich genannt wurde: Die DDR hat die Bundesrepublik bis 1969 sprachlich nicht anerkannt: statt Bundesrepublik Deutschland wurden DDR-offiziell die Namen Deutsche Bundesrepublik bzw. Westdeutsche Bundesrepublik und Westdeutschland verwendet. Deutsche oder Westdeutsche Bundesrepublik bringt sprachlich zum Ausdruck, daß die Bundesrepublik ein deutscher Staat ist, aber nicht der deutsche Staat. (Berschin 1979: 22)

Ariane d’Angelo (2018: 124) verweist ihrerseits auf die Kampagne, die 1964 von der westdeutschen Regierung geführt wurde, um den Gebrauch von ungenauen bzw. unvollständigen Bezeichnungen wie „Bundesrepublik“ und „bundesdeutsch“ oder die Abkürzung „BRD“ zu beseitigen und die offizielle Bezeichnung „Bundesrepublik Deutschland“ durchzusetzen. Damit sollte eine Untermauerung der kommunistischen Zwei-Staaten-Theorie verhindert werden. Ariane d’Angelo erwähnt dabei die Bezeichnung „DBR“ jedoch nicht. Der immer wiederkehrende Gebrauch dieser Abkürzung in IHE geht mit einem oft scherzhaften, den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik

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ironisierenden Diskurs einher. Im Februar 1967 beschreibt Gustav Solar z. B. eine Glasfachschule, die von einem Tschechen gegründet und geleitet worden war, deren Schüler aber deutsch waren. Nach den Vertreibungen wurde eine ähnliche Schule in Deutschland neu gegründet: In Rheinbach bei Bonn, wo sich einige Unternehmer aus Steinschönau nach der Umsiedlung etabliert hatten, war von deutschen Lehrern der Steinschönauer Glasfachschule ein Institut gegründet worden, das – nach bekanntem Vorbild – einen Alleinvertretungsanspruch erhob: es sei – nicht eine Nachfolgerin, nein, es sei die übersiedelte Steinschönauer Glasfachschule. (Gustav Solar, „Glasmacherschule am Bergeskamm“, IHE Februar 1967: 7)

Im April 1967 warnt Solar die westdeutschen Besucher vor der Täuschung: […] lassen Sie sich nicht von der Schönheit der Stadt in dem möglicherweise von drüben mitgebrachten Wahn bestärken, sie sei seit jeher eine deutsche Stadt gewesen, weil alles Kultivierte nun einmal deutsch gewesen sein müsse, und lesen Sie lieber in der Chronik der Inschriften nach, wie es darum bestellt war: Nur ein einziges Haus, das Wilhelm von Rosenberg der Stadt schenkte, zeigt deutsche. Alle übrigen sind – sofern nicht im modischen Latein – tschechisch abgefaßt. Prachatice ist seinem Charakter nach – wie Třeboň (Wittingau), wie Český Krumlov (B.  Krummau), wie Jindřichův Hradec (Neuhaus), wie Č. Budějovice (Budweis) – eine typisch südböhmische und typisch tschechische Stadt. Sie alle haben von deutscher Kultur viel profitiert, sie jedoch zu Neuem verarbeitet. In diesem Land gibt es keine historischen Alleinvertretungsansprüche. (G. Jesenius [G. Solar], „Stadt am Goldenen Steig“, IHE April 1967: 19)

Erwähnenswert ist dennoch das Erscheinen der Abkürzung BRD (viermal11) und der Bezeichnung „Bundesrepublik“ (einmal12) ab 1964. Erscheinen sie auch nur flüchtig, mögen diese Okkurrenzen dennoch die Liberalisierung des tschechoslowakischen Regimes widerspiegeln und als Beleg dafür gelten, dass die Bezeichnungen BDR oder „deutsche Bundesrepublik“ alles andere als unbeabsichtigt waren bzw. sind.

11  [o. N.], „Bündnisvertrag ČSSR-UdSSR um 20 Jahre verlängert“ (IHE-Beilage Januar 1964: o.  S.); A.  Šnejdárek, „Das Diktat von München. Eine Infamie. Historikerkolloquium in Prag“ (IHE September 1964: 22f.); „Notizblock“ (IHE August 1967: 8f.); „Auf Vertragsbasis“ (IHE-Beilage September 1967: o. S., dabei handelt es sich um einen aus Rudé právo entnommenen Artikel). 12  J. Hájek, „Literatur ist eben Literatur. Offene Tribüne“ (IHE Juli 1966: 9).

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2.2 Die tschechoslowakisch-deutsche Streitfrage 2.2.1 D  ie Verteidigung des tschechoslowakischen Images in der Bundesrepublik Im zweiten Teil der vorliegenden Studie wurde aufgezeigt, dass IHE als offizielles Sprachrohr des tschechoslowakischen Regimes fungierte, das das Land im rosigsten Licht darstellen und den Sozialismus attraktiv machen sollte. Verfolgt wird diese Strategie auch über die Inszenierung des Wettbewerbs mit der Bundesrepublik, mit welcher die Tschechoslowakei stets verglichen wird – dies immer zum Vorteil letzterer, zumindest in den ersten Existenzjahren der Zeitschrift, denn mit der Verschlechterung der tschechoslowakischen Wirtschaft am Anfang der 1960er wird es scheinbar schwieriger, einen solchen triumphalistischen Diskurs aufrecht zu erhalten und weiter zu propagieren. Meistens wird dieser vorteilhafte Vergleich anhand der Aussage von Westdeutschen selbst nach der bereits erwähnten Methode „Andere über uns“ bzw. „Sie über sich“ gestützt. Ein Beispiel dafür liefert ein Artikel über eine Gruppe Studenten aus Hannover, die mit ihrem Architekturprofessor Prag besuchen und über die Qualität der tschechoslowakischen Architektur staunen: Eigentlich wollten sie sich auf eigene Augen davon überzeugen, wie unfrei wir hier leben und was für eine schlechte Sache der Sozialismus sei. Doch dann war vieles ganz anders, als sie es sich gedacht hatten. […] Für uns ist es unverständlich, daß sich ein Land mit einer so westlichen Struktur zum kommunistischen Programm bekennt. (Jaroslav Trenk, „Sie bei uns. Blickpunkt Prag“, IHE August 1961: o. S.)

Nebenbei taucht das in IHE beliebte Motiv der im Westen, nicht im Osten liegenden Tschechoslowakei auf. Ein weiterer Artikel über Prag entdeckende Westdeutsche, diesmal von Milan Škarýd („Sie bei uns“, IHE Juli 1961: o. S.), deutet ebenfalls darauf hin, dass in Prag alles besser wäre. Das rhetorische Verfahren gründet sich in beiden Fällen darauf, ein westdeutsches Vorurteil wieder aufzugreifen, es beträchtlich aufzubauschen, um es dann umso leichter zu widerlegen. Im folgenden Beispiel geht es um die Ansprache des Sozialdemokratischen Abgeordneten Carlo Schmid vor dem Bundestag am 12. Juni 1959: […] am 12. Juni sprach Prof. Carlo Schmid im Bonner Bundestag über die unerfreuliche Situation des westdeutschen Schulwesens, für das zu wenig finanzielle Mittel aufgewendet werden und dem heute bereits 22 000 Klassenzimmer fehlen. Der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete, der soeben von einer Reise in die Sowjetunion zurückgekommen war, verglich diese Haltung mit der gesunden Schul- und Bildungspolitik der sozialistischen Länder und mußte feststellen, daß es etwas ähnliches [sic] in der Bundesrepublik nicht gibt. (G. Jesenius [Solar], „Zur Diskussion stehen neue Schulen“, IHE September 1959: o. S.)

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Bis auf die angeführten Zahlen übernimmt Solar die Rede von Carlo Schmid exakt. Sie wird zwar sehr knapp zusammengefasst, – zumal es sich um eine sehr lange Ansprache vor dem Bundestag handelte, die mehrere Seiten des stenografischen Berichtes der Bundestagssitzung umfasst –,13 offenbart jedoch, wie sehr IHE aufmerksam gegenüber all dem ist, was auf der anderen Seite der Grenze passiert. Davon zeugen auch zahlreiche Artikel über das westdeutsche Tagesgeschehen (vorherrschend sind allerdings Themen über die Sudetendeutschen), wobei einige bedeutende Ereignisse, wie etwa die Errichtung der Großen Koalition im Jahre 1966 oder die Ernennung Willy Brandts zum Bundeskanzler im Jahre 1969 erstaunlicherweise niemals erwähnt werden, auch wenn damit das deutsche Feindbild, das man doch als Abgrenzung nach außen und als Mobilisierung nach innen brauchte, intakt blieb. Das große Interesse der Zeitschrift für das, was in der Bundesrepublik geschieht, erscheint ebenfalls in den vielen Reportagen, die dort – meistens von Lenka ­Reinerová – angefertigt werden. Die westdeutsche Presse wird außerdem aufmerksam rezipiert, wie häufige Repliken auf kritische Äußerungen westdeutscher Journalisten belegen. So rechnet die IHE-Redaktion im April 1961 mit einem hessischen Journalisten ab, der eine Reportage in Prag verfasst hatte, wo er freundlich empfangen worden sei. In Deutschland veröffentlichte er dann jedoch einen negativen Bericht, in welchem er behauptete, dass man nicht wisse, was die Menschen in der Tschechoslowakei wirklich dächten, und die Spartakiade mit nationalsozialistischen Kundgebungen verglich, wobei er folgende Analogie zog: „Ein Volk, ein Staat, eine Bewegung … der eingeordnete, exakt gedrillte Mensch.“ Dies veranlasste IHE zu einer heftigen Erwiderung, in der sie die Bundesrepublik insgesamt angriff und auf die bundesdeutschen Kritiken an Martin Niemöller verwies, der eine pazifistische Position artikulierte und sich dabei den Kommunisten angenähert hatte: „Es gibt ja bekanntlich Länder, in denen es nicht einmal ratsam ist, seine Mitgliedschaft in der Friedensbewegung zu offenbaren …“ Die Ironie wird scharf, als von den sudetendeutschen Organisationen und Ansprüchen die Rede ist: Eine Stunde lang gewährte das Hessische Fernsehen auf solche Weise seinem Publikum Einblick in ‚ein kommunistisches Land, von dem man eigentlich recht wenig hört‘. Was zumindest merkwürdig ist, denn uns ist leider bekannt, daß die Tschechoslowakei, besonders bestimmte Teile unserer Heimat, bei Aufmärschen und Treffen in der Bundesrepublik vor Zehn- und Hunderttausenden Menschen immer wieder erwähnt wird. ([o. N.], „Das Hessische Fernsehen sieht rot“, IHE April 1961: o. S.)

13  Vgl. [12.10.2021]. Carlo Schmids Ansprache befindet sich auf S. 4065–4076.

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Angesichts der in der Bundesrepublik herrschenden Desinformation erinnert IHE mit Nachdruck (man bemerke den wiederholten Gebrauch von Wörtern wie „bekannt“ oder „bekanntlich“) daran, dass in der Tschechoslowakei niemand getäuscht werden könne.

2.2.2 München Die Münchner Konferenz, auf der sich am 29. September 1938 das Deutsche Reich, Großbritannien, Frankreich und Italien – ohne die Tschechoslowakei – trafen und die mit dem Abschluss des Münchner Abkommens endete, das die Annexion des Sudetenlandes durch Hitler sanktionierte, ist ‚das‘ immer wiederkehrende Thema in IHE, wo der September 1938 als der große Wendepunkt der tschechoslowakisch-deutschen Beziehungen verstanden wird. Nach Christiane Brenner (2002: 176) lasse „der Topos ‚München‘ die tschechische Geschichte zur Vor- und Nachgeschichte von München werden.“ Die Historikerin betont zudem: „München ist auf das Engste verbunden mit der Bestimmung der Beziehung zu Deutschland und den Deutschen in den böhmischen Ländern. Es wirft aber auch die Frage nach dem Verhältnis zu den europäischen Großmächten in Ost und West auf.“ Das Motiv des Verrats durch die westeuropäischen Mächte ist und bleibt ein Topos des politischen Diskurses in der Tschechoslowakei, auf welchen IHE häufig zurückgreift. München wurde als Mythos gedeutet (Taubert 2002). Dabei bezeichnet der Ausdruck „Mythos München“ den Verrat am kleinen tschechoslowakischen Staat durch seine vermeintlichen anglo-französischen Verbündeten zugunsten des hitlerischen Aggressors in der – trügerischen – Hoffnung, den europäischen Frieden zu retten. „Mythos“ versteht Taubert (2002: IX) dennoch vielmehr „als ein traumatisches Ereignis, das in Situationen, die mit dem Abkommen von 1938 kaum vergleichbar sind, als Referenz dient.“ Der Begriff Trauma scheint tatsächlich zutreffend zu sein, auch in seiner psychoanalytischen Bedeutung, wenn man darunter eine Erregung versteht, die sonst wirksame Verteidigungsmechanismen ausschaltet (Saint Girons 2021), denn die damals von den Verbündeten im Stich gelassene Tschechoslowakei verzichtet darauf, sich selbst mit Waffen zu verteidigen. Dieses Trauma geht außerdem mit einer Amnesie einher, die das Ausbleiben der sowjetischen Hilfe im September 1938, den deutsch-sowjetischen Pakt von August 1939 und die sowjetische Hegemonie, ja Ausbeutung nach 1948 in Vergessenheit geraten lässt (Marès 2014: 200). Alle diese Elemente sind in den zahlreichen Beiträgen, die IHE dem Thema München widmet, zu ­finden. Der

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erste eröffnet die Ausgabe von September 1958. Anlass ist der 20. Gedenktag des Münchner Abkommens. Der Autor, Kamil Winter14, bemüht sich mit auffallender Vorliebe für Emphase und Pathos sowie forciertem Gebrauch von Superlativen, Akkumulationen und Chiasmen, München zu einem universellen Symbol zu erhöhen, zum Symbol der Kleinen, der „Schwächeren“, die von den „Mächtigeren“ verraten wurden, wobei wiederum der Topos der kleinen Nation und der Topos des Verrats hier reaktiviert werden: […] das München der Hunderttausende und Millionen Einzelschicksale, deren Summe erst die gewaltige Tragödie bildet, die zum Symbol geworden ist für den Verrat der Mächtigen an den Schwächeren, für die Scheinheiligkeit, Bestechlichkeit und Widersinnigkeit des gesellschaftlichen Systems, das ganze Völker um des Goldes willen zur Schlachtbank schleift, für die planmäßige Vorbereitung des Krieges unter dem Vorwand der Verteidigung des Friedens. […] all das und vieles mehr war unser München, der Tag, an dem sich Menschen und Geister schieden, da Millionen von Tragödien und die Tragödie von Millionen ihren Anfang nahmen. […] München ist der letzte Zoll gewesen, den wir dem Moloch der Unfreiheit und des Krieges entrichtet haben. […] Nie wieder München! bedeutet auf deutsch und englisch, französisch und italienisch, in allen Sprachen der Welt: Nie wieder Verrat an den Völkern, nie wieder Knechtschaft, nie wieder Krieg! Das ist die Botschaft, die wir heute aus einem starken und freien Land, Schulter an Schulter mit freien und starken Bundesgenossen hinaussenden an alle, die Recht und Fortschritt, Freiheit und Frieden auf ihr Banner geschrieben haben. (Kamil Winter, „München. Symbol und Erlebnis“, IHE September 1958: o. S.)

„Nie wieder München“ (Brenner 2002), so lautet tatsächlich der Topos, der in IHE vermittelt wird. Bezüglich Kamil Winters Darstellung kann man sich auf Jan Assmanns Definition des Mythos als „eine Geschichte, die man sich erzählt, um sich über sich selbst und die Welt zu orientieren, eine Wahrheit höherer Ordnung, die nicht einfach nur stimmt, sondern darüber hinaus noch normative Ansprüche stellt und formative Kraft besitzt (Assmann 1999: 76)15 14  Nach Eduard Goldstücker (1989: 315) wurde Kamil Winter „gegen Ende der NovotnýÄra Leiter der innenpolitischen Berichterstattung“ im tschechoslowakischen Fernsehen. Die beiden kannten sich aus der englischen Emigration. Zwischen September 1958 und Juni 1967 verfasst Winter sechs Beiträge für IHE. Neben dem Artikel über München handelt es sich dabei um Beiträge über den Nürnberger Prozess und die Niemöller-Polemik („Apriltage, die eine Mahnung sind“, IHE April 1959: o. S.), über die sozialistischen Arbeitsbrigaden („Interview am Fließband“, IHE Dezember 1959: o. S.), über den 22. Juni 1941 („Die lädierte Tarnkappe“, IHE Juni 1961: o. S.) sowie um zwei Tribünen („Offene Tribüne: Genf  – einst und jetzt“, IHE Mai 1962: 9; „Offene Tribüne. Richtung: Sicherheit und Frieden“, IHE Juni 1967: 9). 15  Im von Fritz Taubert herausgegebenen Band wird Assmann nicht zitiert. Taubert (2002: X) verzichtet übrigens auf eine Definition des Mythos-Begriffs: „Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgehen, daß sich in dem Band kein separater Beitrag zur Definition des

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berufen. Mythos ist bei Assmann „die zur fundierenden Geschichte verdichtete Vergangenheit“, ein „Bezug auf die Vergangenheit […] im Dienste zweier scheinbar entgegengesetzter Funktionen“: Die eine Funktion des Mythos wollen wir ‚fundierend‘ nennen. Sie stellt Gegenwärtiges in das Licht einer Geschichte, die es sinnvoll, gottgewollt, notwendig und unabänderlich erscheinen läßt. […] Die andere Funktion könnte man ‚kontrapräsentisch‘ nennen […]. Sie geht von den Defizienz-Erfahrungen der Gegenwart aus und beschwört in der Erinnerung eine Vergangenheit, die meist die Züge eines Heroischen Zeitalters annimmt. Von diesen Erzählungen her fällt ein ganz anderes Licht auf die Gegenwart: Es hebt das Fehlende, Verschwundene, Verlorene, an den Rand Gedrängte hervor und macht den Bruch bewußt zwischen ‚einst‘ und ‚jetzt‘. (Assmann 1999: 79)

Der Mythos kann also eine therapeutische Wirkung haben. Paradoxerweise erscheint München auch als ein Gründungsereignis der tschechoslowakischen Identität („unser München“, schreibt Winter an anderer Stelle im Artikel), die nun von Barbarei und Unterdrückung befreit wurde. München ermöglicht es auch, die Vertreibungen der Deutschen zu rechtfertigen, und wäre in dieser Hinsicht auch ein Gründungsmoment des tschechoslowakischen Staates, der sich einer illoyalen, unzuverlässigen deutschen Minderheit entledigt hätte. Winters Deutung des München-Motivs birgt eine messianische Dimension: Das Opfer der tschechoslowakischen Nation, das mit dem Bild des Schlachthauses („zur Schlachtbank schleift“) und des Molochs beschworen wird, habe schließlich zur Wiedergeburt („ihren Anfang nahmen“) eines „starken und freien Land[es]“ geführt. Es ist bestimmt kein Zufall, wenn Winter in seinem Beitrag zweimal auf einen anderen Mythos der tschechischen Nation anspielt, nämlich das Temno (Petraň 2002; Leclerc 2011a: 191–209), d. h. die Finsternis, der die böhmischen Länder nach der Niederlage auf dem Weißen Berg (1620) verfallen wären. Erstmals findet sich eine explizite Anspielung auf dieses Motiv:

Begriffs „Mythos“ findet. Auch der Aufsatz von Beatrice Heuser, der einen historischen Überblick über die Wirkungsgeschichte von Mythen auf die Politik bietet und den Gebrauch politischer Mythen in der Gegenwart diskutiert, stützt sich mehr oder weniger explizit auf geläufige Definitionen. Hierzu ist zu bemerken, daß die Definition des politischen Mythos nach wie vor ein methodologisches Problem darstellt. Die großen Arbeiten über politische Mythen von Roger Caillois über Jacques Ellul, André Reszler und Raoul Girardet bis hin zu Pierre Noras monumentalem Projekt der „lieux de mémoire“ konnten dieses Problem auf der theoretischen Ebene nicht zufriedenstellend lösen. Andererseits sind Theorien wie die von Roland Barthes oder Mircea Eliade über Mythen – vor allem über die Mythen des Alltags – auf die hier behandelten Phänomene nur sehr begrenzt anwendbar.“

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Die besten Europäer haben mit aufrichtiger Bewunderung das harte Streiten unserer Völker für ihre kulturelle und nationale Selbsterhaltung während der 300jährigen Habsburger Fremdherrschaft verfolgt.

In weiterer Folge wird nur der Begriff „Finsternis“ gebraucht: Sieben Jahre nach dem Tag, an dem man uns in die Finsternis geworfen, die ‚tausend Jahre‘ dauern sollte, ist auf sowjetischen Panzern der Frieden und die Freiheit wieder, und für immer, eingezogen in unsere Heimat.

Die Darstellung der Habsburger und des Temno-Mythos in IHE werden an späterer Stelle untersucht, insbesondere die zwischen der Habsburger Monarchie und dem Dritten Reich skizzierte Parallele. Vorerst soll die Kraft dieser beiden Mythen im kollektiven Bewusstsein der Tschechen hervorgehoben werden: So wie der Historiker Jaroslav Goll sich kaum einen Tschechen, welchem Bekenntnis oder welcher politischen Partei er auch angehöre, vorstellen konnte, der die Schlacht am Weißen Berg ohne Gefühl und Teilnahme nacherzählt hätte (Petraň 2002: 15), betrachtete Pavel Tigrid in Smysl Mnichova IV (1947) München als „ein Ereignis, an das ‚bis heute kein Tscheche denken kann, ohne daß es ihm kalt über den Rücken läuft‘“ (zit. n. Brenner 2002: 193). Nach dem Einsatz mit Kamil Winters Beitrag wird das Thema des Münchner Verrats zum ständigen Leitmotiv in IHE. So ist wiederum im Oktober 1958 zu lesen: Vor 20 Jahren, im Jahre 1938, kapitulierten die herrschenden Kreise der ČSR auf eindringlichen Rat der westlichen Verbündeten vor den Forderungen Hitlers und lieferten das Volk, welches seine nationale Selbständigkeit verteidigen wollte, kampflos dem Dritten Reich aus. Einzig die Sowjetunion war zur Hilfeleistung bereit. Doch die damaligen Machthaber zogen den nationalen Verrat und die Kapitulation vor. (Dr. B. Levčík, „40 Jahre ČSR im Spiegel internationaler Vergleichszahlen“, IHE Oktober 1958: o. S.)

Dann im Dezember 1958: Jeden Abend saßen wir in nahezu schmerzhafter Spannung vor dem Rundfunkkasten und versuchten Moskau zu fangen, die Stimme des einzigen Verbündeten, der uns in den entscheidenden Tagen nicht verlassen hatte. (Lenka Reinerová, „Die Stimme der Glocken“, IHE Dezember 1958: o. S.)

Im August 1959: Daß die westlichen Verbündeten unser Land in den entschiedensten Augenblicken allein gelassen hatten und daß die einzige Macht, die uns freundschaftlich die Hand reichte und Hilfe im Kampf gegen Hitler anbot, die Sowjetunion gewesen war […] (Rudolf Strechaj16, „Der slowakische Nationalaufstand. Beweggründe und Ergebnisse“, IHE August 1959: o. S.)

16  Rudolf Strechaj (1914–1962) war ein slowakischer Kommunist und Widerstandskämpfer. Er war u. a. von 1960 bis 1962 Vorsitzender des slowakischen Nationalrats.

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Im April 1960: Nach den bitteren Erfahrungen aus der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg, in der uns jene Großmächte zynisch im Stich ließen, auf deren Vertragstreue und Hilfe die bürgerlichen Politiker der Vorkriegsrepublik gebaut hatten, ist das umso notwendiger [verläßliche Freunde zu haben] (J. Martin, „Der Aktionsradius der tschechoslowakischen Aussenpolitik“, IHE April 1960: o. S.)

Im September 1963 erscheint anlässlich des 25-jährigen Gedenktages des Münchner Abkommens ein weiterer Artikel: Was in München abgemacht wurde, sollte der Preis für Deutschlands Feldzug gegen die Sowjetunion sein. Die Westmächte waren bereit dem Hitlerregime, seinem Terror und Massenmord, die demokratische Tschechoslowakei zu opfern, nur um sein Machtpotential gegen die verhaßte Sowjetunion zu richten. […] Die Sowjetunion hat schon damals, 1938, bewiesen, daß sie jederzeit bereit ist, bündnisgetreu einem kleinen Land zu Hilfe zu kommen, das sich ein großer Nachbar zum Opfer ausersehen hat. Übrigens muß man da nicht weit zurückgreifen. Im Vorjahr war es das kleine Kuba […] (Arnošt Silan17, „Reprise ausgeschlossen“, IHE September 1963: 13)

Abgesehen von dem fragwürdigen Passus über die sowjetische Hilfe, ist diese zuletzt zitierte Tribüne eher moderat und entspricht den Fakten. In dieser Ausgabe von September 1963 sind dennoch kaum weitere Anspielungen auf München zu finden, obwohl dieser 25. Gedenktag den Anlass zu einer breiten Kampagne gegen den „Revanchismus“ der Bundesrepublik bot, die durch das Zentralkomitee der KPČ sorgfältig organisiert und durch das Außenministerium koordiniert wurde (Marès 2009b: 121). IHE führt diese Kampagne nicht weiter, zumindest nicht sofort. Der Anspruch auf die Nichtigerklärung des Münchners Abkommens ex tunc, die 1963 durch die Tschechoslowakei „neu entdeckt“ wird (Lemberg 2010: 18), wird in IHE erst ab Mai 1966 aufgegriffen.18 Das auslösende Moment für diese verspätete Offensive scheint die „Friedensnote“ von Bundeskanzler Erhard im März 1966 zu sein. 17  A. Silan (1921–1996) war Offizier in der tschechoslowakischen Armee. In den 1950er-Jahren wurde er entlassen und verhaftet, nach seiner Rehabilitierung wurde er Studiendirektor beim tschechischen Rundfunk. 18  Redaktion, „Antwort auf die ‚Friedensnote‘“ (IHE-Beilage Juni 1966: o. S.); V. David, „Aus der Frühjahrssession der Tschechoslowakischen Nationalversammlung“ (IHE-Beilage Mai 1966: o. S.); Univ. Prof. Dr. R. Bystrický, „München. Über die Ungültigkeit des Diktats“ (IHE September 1966: o.  S.); Lenka Reinerová, „Im Romanischen Café“ (IHE Februar 1967: 10f.); Bedřich Rohan, „Journalisten am runden Tisch. Offene Tribüne“ (IHE Februar 1967: 13); Lenka Reinerová, „Statt eines Glückwunsches aus der Heimat“ (IHE April 1967: 12f.); Dobroslav Matějka, „Perspektiven. Offene Tribüne“ (IHE April 1967: 9); V. David, „Der tschechoslowakische Standpunkt“ (IHE-Beilage November 1967: o. S.).

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Im September 1964 erscheint ein Artikel mit dem unmissverständlichen Titel: „Das Diktat von München. Eine Infamie. Historikerkolloquium in Prag“, und im Juli 1965 betont Lenka Reinerová mittels Alliteration und Steigerung die dramatische Bedeutung von München: Seit dem verhängnisvollen September des Jahres 1938 hat das Wort München in der Tschechoslowakei einen bitteren Beigeschmack. Der Ort, an dem wir verraten wurden, verraten und verkauft … (Lenka Reinerová, „München ist nicht nur München“, IHE Juli 1965: 12–13, hier 12)

Das Thema greift sie im November 1965 erneut auf: Die Tschechen und Slowaken werden nie vergessen, daß unmittelbar vor der Katastrophe, in den Septembertagen des Jahres 1938, als in München das faschistische Deutschland, England und Frankreich, und das faschistische Italien die Tschechoslowakei dem nazistischen Drang nach Osten opferten, einzig und allein die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, oder Rußland, wie man bei Ihnen immer noch zu sagen pflegt, unserer bürgerlich-demokratischen Republik zur Seite stand und bereit war, ihr vertraglich gegebenes Wort einzulösen. (Lenka Reinerová, „…notfalls ganz Rußland erobern“, IHE November 1965: 12–13, hier 12)

In derselben Ausgabe schreibt Vratislav Houdek19 Folgendes: In den Maitagen des Jahres 1945 wurde in der Tschechoslowakei die Parole ‚Mit der Sowjetunion auf ewige Zeiten‘ geprägt. Sie drückte die Dankbarkeit der einfachen Menschen zu dem Land aus, das sich im Herbst 1938 gegen das demütigende Diktat von München gestellt hat, die ganze Dankbarkeit zu dem Staat, dessen Armee diesen einfachen Menschen die Befreiung von der faschistischen Okkupation brachte. (Vratislav Houdek, „Mit Herz und Kopf. Offene Tribüne“, IHE November 1965: 11)

Dieser fast vollständige Katalog der das München-Motiv behandelnden Beiträge soll veranschaulichen, wie oft das Thema wiederkehrt, wie sehr auf den Verrat, sowohl durch die westeuropäischen Mächte als auch durch die führenden tschechoslowakischen Eliten, insistiert wird, und wie stark hingegen die Sowjetunion heroisiert wird. Dieser München-Diskurs ist nicht nur typisch für IHE, sondern für die Propaganda des Regimes insgesamt, die damit an die der Sowjetunion anknüpft. Wie Antoine Marès (2009b: 111) erörtert, behauptet die UdSSR immer wieder, sie wäre im September 1938 bereit gewesen, der Tschechoslowakei zu Hilfe zu kommen. Ivan Pfaff (2002: 37) hat aber aufgezeigt, dass „[d]ie ostentativ zur Schau getragene Verteidigungsbereitschaft Moskaus und der KPTsch in der Tat als bloße Maske in einem Spiel mit der 19  Vratislav Houdek (*1919) hatte während des Zweiten Weltkriegs im tschechischen Nationaltheater gearbeitet. Nach dem Krieg wurde er zum Chef der wirtschaftlichen Abteilung der tschechoslowakischen geheimen Polizei (ZOB II, Zemsky odbor bezpecnosti II) (Pucci 2002: 97).

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Existenz des Staates im eigenen macht- und parteipolitischen Interesse erscheint“, und dass [d]as Jahr 1945 bzw. 1948 also schon 1938 vorprogrammiert“ sei. Die dramatische Alternative für Beneš bestand wohl nur noch darin, „entweder seinen Staat verkrüppeln zu lassen – in einer Vorstufe zur völligen Zerstörung durch Hitler. Oder die Zerstörung der demokratischen Struktur der ČSR durch eine andere totalitäre Macht zulassen, um die territoriale Integrität zu bewahren.“ (Pfaff 2002: 37) Dagegen erweist sich die Darstellung einer Vor-München-Zeit, die durch eine tschechoslowakisch-deutsche Symbiose geprägt ist, als ein neuartiger Aspekt in der Behandlung des München-Themas. Die Verklärung der Zeit vor 1938, insbesondere der Beziehungen zwischen Deutschen und Tschechen auf dem Gebiet der Tschechoslowakei, gliedert sich zugleich in die oben erwähnte Darstellung Münchens als Wendepunkt (Knopper 2011; Brandes/Kováč/Pešek 2007) und in den München-Mythos ein. Kamil ­Winter macht dabei den Anfang, indem er das Motiv der deutsch-tschechischen Brüderlichkeit vor München heraufbeschwört: Wie war es gekommen, daß unser nicht sehr schöner, aber immer so freundlicher Marktplatz in wenigen Stunden sich derart hatte verändern können? Auf diesem holperigen Pflaster hatten Jahr für Jahr am ersten Maitag tschechische und deutsche Arbeiter gemeinsam ihre Lieder von Freiheit und Frieden angestimmt. Hier war Mozart, dem Sänger der edlen Menschenliebe und Versöhnung, ein Denkmal errichtet worden. (Kamil Winter, „München. Symbol und Erlebnis“, IHE September 1958: o. S.)

Deutsche bzw. österreichische Kulturgrößen werden hier genannt, um diese Verbrüderung zu feiern. IHE benutzt auch Vermittlerfiguren wie Künstler, die zugleich die tschechische und deutsche Kultur in der Tschechoslowakei und den gemeinsamen Kampf von Deutschen und Tschechen gegen den Faschismus verkörpern. So wird der Schauspieler Walter Taub regelmäßig gewürdigt, zuerst im April 1962: In Wien stand er mit Bassermann auf der Bühne, in Prag war er in den dreißiger Jahren aus dem Ensemble des Neuen Deutschen Theaters nicht wegzudenken. […] Es gab in jenen Jahren keine Solidaritätskundgebung zwischen Tschechen und Deutschen, an der er nicht aktiv teilgenommen hätte. Er half dem Arbeitertheater und gehörte zu den gründenden Mitgliedern des Klubs tschechischer und deutscher Bühnenkünstler. […] Die Verfasserin dieser Zeilen […] kennt [Walter Taub] als deutschen Schauspieler, als tschechischen Schauspieler, als verläßlichen Weggefährten und reifen Künstler. (Lenka Reinerová, „Der Schauspieler Walter Taub“, IHE April 1962: 24f.)

Die dreifache Anspielung auf die Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Tschechen soll das Vorhandensein einer harmonischen und friedlichen

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­ emeinschaft zwischen beiden Nationalitäten belegen. Jindřich Černý20 hebt G die kulturelle Nähe zwischen Deutschen und Tschechen vor dem Krieg hervor, wobei Walter Taubs Engagement sowohl für das tschechische als auch das deutsche Theater von vorn herein durch die Apposition und den Parallelismus verdeutlicht wird: Walter Taub, heute führendes Mitglied des tschechischen Realistischen Theaters, vor dem Krieg bedeutender Schauspieler und Regisseur des Prager Deutschen Theaters. […] Als fortschrittlicher Künstler war er sehr aktiv im Prager Klub der tschechischen und deutschen Bühnenkünstler tätig, der angesichts der wachsenden faschistischen Gefahr die gegenseitige Annäherung der progressiven Kräfte beider Kulturen förderte, die damals auf Prager Boden nebeneinander lebten. (Jindřich Černý, „Walter Taub in Prag, Berlin und Hamburg“, IHE Juli 1967: 20f.)

Lenka Reinerová war damals selbst im antifaschistischen Kampf engagiert und sehr am Theater interessiert.21 Es ist also kein Zufall, wenn das Theater hier als Träger der deutsch-tschechischen Brüderlichkeit dargestellt wird. Insbesondere das Arbeitertheater erscheint als Ort einer gemeinsamen deutschtschechischen Geselligkeit in den 1930er-Jahren: Die Arbeiterspielgruppen gingen keinem Problem aus dem Wege, nicht einmal jenem, das damals, in den Jahren vor 1939, den gefährlichsten Zündstoff für den Weltfrieden lieferte: dem Nationalitätenproblem in der Tschechoslowakei. Wenn einmal die Geschichte der Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen geschrieben wird, wird darin das Arbeitertheater seinen würdigen Platz erhalten. Im Jahre 1935, da die bürgerlichen Chauvinisten auf beiden Seiten die Feuer der Feindschaft anfachten und schürten, wurde die deutsche Abteilung des DDOČ [Svaz dělnického divadelního ochotnictva českoslovanského, Bund der tschechoslowakischen Arbeiteramateurtheaters, H.L.] gegründet, der Volksbühnenbund. Er vereinigte bald an die hundert deutschen Laienspielgruppen in den Randgebieten. Angesichts eines gigantischen, zum Großteil von Goebbels finanzierten Propagandaapparates gab der Volksbühnenbund eine ganze Reihe handvervielfältigter Stücke heraus, fortschrittlicher Dramenliteratur von Lope de Vega über Hans Sachs und Schiller zu ­Friedrich Wolf. Das geschah alles ohne die geringste Hilfe der damaligen Behörden. Aber die tschechischen Arbeiter drehten ihre Taschen um und luden auf eigene Kosten deutsche Laienspieler nach Prag ein, um ihnen hier gutes Theater zu zeigen und ihnen einige Kenntnis von Theatergeschichte und Bühnenkunst zu vermitteln. Ähnliche Kurse wurden dann in den deutschsprachigen Gebieten wiederholt. […] Solche Eindrücke waren es dann, die im Jahre 1935 zur Gründung des Klubs der tschechischen und deutschen Bühnenangehörigen führte. Zum ersten Mal in der Geschichte tschechisch-deutscher kultureller Beziehungen fanden gemeinsame Vorstellungen mit gemischten Ensembles statt.

20  Jindřich Černý (1930–2020) war ein tschechischer Theaterhistoriker und -Kritiker. 21  Reinerová hat in mehreren Interviews auf die Entstehung ihrer Theaterliebe hingewiesen und erzählt, wie sie mit sechzehn Jahren ein Stück von Erich Kästner auf die Bühne brachte. Vgl. u. a. Lenka Reinerová. Prags letzte deutschsprachige Autorin (2007).

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[…] Unter den D ­ eutschen war es vor allem der Dichter Louis Fürnberg, der eine eigene Spielgruppe „Echo von links“ ins Leben gerufen hatte. (Hanuš Burger22, „Laientheater. Eine Volksbewegung“, IHE Mai 1959: o. S.)

Louis Fürnberg (1909–1957) betrachtete Lenka Reinerová als ihren Freund. Sie widmete ihm anlässlich seines Todes einen Text in der Wiener Zeitschrift Tschechoslowakei in Wort und Bild („So war Louis Fürnberg … Ein Dichterherz schlug für Böhmen“, Oktober 1957) und gedachte seiner auch am Anfang ihrer Erzählung Die Premiere (Reinerová 1989: 11). Louis Fürnberg, der aus Jihlava in Mähren stammte, gehörte zu den bekanntesten deutschsprachigen kommunistischen Künstlern in der Zwischenkriegszeit. Nach seiner Rückkehr aus dem Exil im Jahre 1945 wurde er nicht zum IX. Kongress der KPČ geladen. Aufgrund seiner Sprache wurde er als Deutscher kategorisiert und wegen seiner jüdischen Herkunft diskriminiert. Fürnberg ist der Autor des Gedichtes Die Partei, die später zur inoffiziellen Hymne der DDR wurde. Die berühmte Zeile „Die Partei, die Partei, die hat immer recht“ soll er als Rechtfertigung der erlittenen Kränkung geschrieben haben.23 Die Tatsache, dass Lenka Reinerová ihn mehrmals zitiert, ist womöglich auch Teil ihrer persönlichen Abrechnung mit der stalinistischen Vergangenheit der Tschechoslowakei. Die deutsch-tschechische Brüderlichkeit, die in IHE ans Licht gebracht wird, bleibt dennoch mit dem sozialistischen, dann dem antifaschistischen Kampf verbunden, wie im folgenden Artikel hervorsticht: Am 7. 8. 1870 fand auf dem Jeschken bei Reichenberg (Liberec) eine gemeinsame Kundgebung von tschechischen und deutschen Arbeitern aus der ganzen Umgebung statt. […] In diesem Zusammenhang sei der Polizeirevisor Haske erwähnt, der bedeutende Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung bei sich versteckte, so z. B. August Bebel und den bekannten

22  Hanuš Burger (1909–1990) war Anfang der 1930er Dramaturg und Bühnenregisseur am Neuen Deutschen Theater in Prag, wo er eine Bearbeitung von Erich Kästners Pünktchen und Anton inszenierte, die Lenka Reinerová dann wiederum bearbeitete. Danach betätigte er sich im deutsch- und tschechischsprachigen Jugendtheater (Heinz 2004: 281). Erwähnenswert ist auch, dass Lenka Reinerová mit Mann und Tochter in der Prager Wohnung von Hanuš Burger beherbergt wurde, als sie Mitte der 1950er wieder nach Prag durfte. Archivdokumenten aus ihrem Nachlass (Prager Literaturarchiv) zufolge wohnte sie bei ihm von Januar 1955 bis Januar 1956. In seinen 1981 veröffentlichten Erinnerungen erwähnt Burger eine Vanda, die stark an Lenka erinnert (Burger 1981: 350). Er verfasste zwei weitere Beiträge für IHE („Die Enkel der Pieckwiecker“, IHE November 1959: o. S.; „Fünf Detektive auf der Venus“, IHE Juni 1960: o. S.) und veröffentlichte drei Übersetzungen (Konstantin Biebl im November 1961, Pavol Horov im August 1964, Norbert Frýd im Januar 1967). 23  Zu Fürnberg s. Schulze Wessel (2018: 26f.); zum Ehepaar Lotte und Louis Fürnberg s. Horn (1996).

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nordböhmischen Arbeiterdichter und Funktionär Josef Schiller. Ladislav Zápotocký, einer der Gründer der tschechischen Arbeiterbewegung und Vater des zweiten Arbeiterpräsidenten der Tschechoslowakischen Republik Antonín Zápotocký, hat gemeinsam mit dem ‚Schiller Sepp‘ im Januar 1882 in Teplitz auf einer großen Arbeiterkundgebung gesprochen. Die sozialistische Arbeiterbewegung bemühte sich von Anfang an um die Überwindung der nationalen Gegensätze. Anders die Vertreter der Bourgeoisie. Die DNP, die Deutsche Nationale Partei Dr. Rudolf Lodgman von Auen, die DNSAP […] sind unmittelbar mit schuld an den verhängnisvollen Ereignissen der Kriegs- und Nachkriegsjahre. […] Aber gleichzeitig bildeten sich in Bohosudov (Mariaschein) und an anderen Orten dieses Gebiets illegale Widerstandsgruppen, in denen Tschechen und deutsche Arbeiter Schulter an Schulter standen. Tschechische und deutsche Arbeiter wurden von den Volksgerichten verurteilt und ermordet. […] Die Kommunisten von Teplice arbeiteten unter den qualvollen Bedingungen der Untergrundbewegung mit ihren Genossen aus Dresden und Pirna an der Beseitigung des mörderischen Faschismus. (Milada Jasenská, „Teplice. Gegründet vor 1200 Jahren, gesehen mit den Augen von heute“, IHE Oktober 1962: 15)

Diese positive, hier allerdings auf kommunistische Persönlichkeiten reduzierte Schilderung der deutsch-tschechischen Zusammenarbeit und Solidarität in den 1930ern schlägt sich später im literarischen Werk Lenka Reinerovás nieder, die nachträglich die vermeintliche jüdisch-tschechisch-deutsche Symbiose im Vorkriegs-Prag erweiternd thematisiert: Am Ende der zwanziger Jahre und bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war Karolinenthal ein typisch bürgerliches Prager Stadtviertel mit tschechischer, deutschsprachiger und auch jüdischer Bewohnerschaft. Diese Zusammensetzung hat sich allerdings nach dem Jahr 1945 wesentlich verändert. Die deutsche Bevölkerung ist nicht mehr im Land, die jüdische nicht mehr auf der Welt. Aber die Straßen mit ihren soliden und zum Teil recht ansprechenden Bauten umwehen mich, ein Kind aus diesem Stadtteil, wann immer ich mich dort einfinde, mit einem Anflug beinahe heiterer Wehmut. (Reinerová 2006a: 28)

Bemerkenswert ist hier, dass die Autorin nicht von der tschechisch-deutschjüdischen Gemeinschaft, sondern von der „tschechische[n], deutschspra­ chige[n] und auch jüdische[n] Bewohnerschaft“ spricht. Diese Vorstellung ist nicht allzu weit entfernt vom Nationsbegriff des böhmischen Philosophen Bernard Bolzano (Bolzano 1969; Strasser 2020; Leclerc 2011: 43–46), für den die böhmische Nation aus zwei Sprachstämmen, einem tschechischen und einem deutschen, bestand, mit dem alleinigen Unterschied, dass bei Reinerová der deutschsprachige Stamm vom tschechischen getragen wird. Reinerovás Vorstellung mag auch an das Symbiose-Konzept erinnern, wie es u. a. von dem Prager Slawisten Franz Spina (Höhne/Udolph 2012) vertreten wurde. Auch wenn er diese Symbiose relativiert, indem er anmerkt, dass ein tschechischer Germanist „mit dem deutschen Prag […] überhaupt nicht in Kontakt kommen mußte“, entwirft Goldstücker in seinen Erinnerungen trotzdem auch ein

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Bild der deutsch-tschechischen kulturellen Einheit im damaligen Prag, wobei er übrigens auf Spina hinweist: Im Rückblick scheint es mir, als ob Prag, und zwar sowohl das tschechische als auch das deutsche, das trotz aller Spannungen und Konflikte zwischen den beiden so ungleichen Teilen eine kulturelle Einheit bildete, noch einmal aufleuchten sollte wie ein Stern vor dem Erlöschen. Ein Germanist, der an der tschechischen Universität studierte, mußte mit dem deutschen Prag, worunter wir die alteingesessenen Bürger verstehen, die jahrhundertelang einen bedeutenden Bestandteil der Stadt bildeten, überhaupt nicht in Kontakt kommen. Diese schienen nämlich in einer Art selbst auferlegter Isolation zu leben. Wir Germanisten von der tschechischen Universität bemühten uns jedoch um Kontakte zu unseren deutschen Kollegen. Wir veranstalteten gemeinsame Abende im Café Urban auf der Kleinseite, und dort wurde rezitiert, diskutiert und vorgetragen. Es kamen deutsche Studenten und Professoren, nicht nur Germanisten, auch Slawisten, wie etwa der Minister Franz Spina, der mit seinem von rassistischen und nationalistischen Utopien unbeeinträchtigten Scharfsinn das Zusammenleben von Deutschen und Tschechen in diesem Land als Symbiose betrachtete, die zur Einheit verpflichtete und deren Verletzung für beide Teile verhängnisvoll sein mußte. Dem Unvoreingenommenen war diese Symbiose auf Schritt und Tritt offensichtlich. (Goldstücker 1989: 82)

Hier muss allerdings der am Anfang der Textstelle stehende Ausdruck „im Rückblick“ berücksichtigt werden, denn Goldstückers Ansichten waren in den 1960er-Jahren nicht ganz dieselben, trug er doch dazu bei, das Bild der „Prager Sprachinsel“ (s. S. 250) zu propagieren.

2.2.3 IHE als Ort der Abrechnung mit der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) Die aus der Tschechoslowakei vertriebene Bevölkerung organisierte sich schnell, bereits im Juni 1945, in Vereinen, zunächst mit humanitärem Zweck, wie der Notgemeinschaft der Ostdeutschen und der Hilfstelle für Flüchtlinge aus den ­Sudetengebieten (Novotný 2009: 118–128). Die Kirche spielte auch eine wichtige Rolle in der unmittelbaren Nachkriegszeit, etwa mit der im Sommer 1945 in Frankfurt am Main gegründeten Kirchlichen Hilfsstelle, deren „Münchner Zweigstelle, die vom bayerischen Roten Kreuz unterstützt wurde, sich auf die Hilfe für die Deutschen aus der Tschechoslowakei konzentrierte.“ (Novotný 2009: 119) Aus dieser Zweigstelle entstand im Januar 1946 die Ackermann-Gemeinde als katholische sudetendeutsche Organisation, „die sich zu der vor dem Krieg tätigen deutschen Christlich-sozialen Partei bekannte und eine friedliche Rückkehr der Sudetendeutschen in die Tschechoslowakei wünschte.“ (Novotný 2009: 119) Im Juli 1947 wurde die Arbeitsgemeinschaft zur ­Wahrung sudetendeutscher

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Interessen gegründet, die im April 1955 zum Sudetendeutschen Rat wurde. Was den ebenfalls 1947 ins Leben gerufenen Witiko-Bund betrifft, so handelt es sich um eine Organisation, die an die Sudetendeutsche Partei von Konrad Henlein (1933–1938) anknüpfte und ehemalige Nationalsozialisten wie den Belgrader SS-Chef Karl Kraus, den ehemaligen Kreisleiter Prags Konstantin Höß, den Chef der NS-Bewegung „Kraft durch Freude“ ­Viktor Aschenbrenner, den Kreisleiter Reichenbergs Franz Böhm, den Chef der Reichsgaupropaganda Franz Höller und andere führende Mitglieder der ­NSDAP, der SS oder des SD, wie Franz Karmasin, Fritz Köllner, Heinz Lange, Rudolf Sander oder Franz Seiboth24, versammelte. Dieser Bund hat also nichts zu tun mit dem bohemistischen Roman von Adalbert Stifter, dessen Namen er vereinnahmt hat. Im Jahre 1948 wurde auf Initiative sudetendeutscher Sozialdemokraten hin die Seliger-Gemeinde gegründet, in Anlehnung an den Namen des Arbeiterführers Josef Seliger. „Sie erhob keine Ansprüche, für alle Sudetendeutschen zu sprechen, sondern bezog sich auf die ‚sudetendeutsche Arbeiterbewegung‘.“ (Novotný 2009: 119) Die SL, die alle diese Organisationen umfasst, wurde erst am 25. Januar 1950, nach der Aufhebung des Koalitionsverbots durch die Regierung in der amerikanischen Besatzungszone, gegründet. Ihre Ziele bestanden in der „politische[n] Vertretung aller Sudetendeutschen, Pflege ihres Brauchtums und Unterstützung der Thesen der Eichstätter Erklärung.“ In dieser Erklärung „äußerten [die Sudetendeutschen der SL] ihre Forderung nach Rückkehr, bezeichneten ihre Vertreibung als Unrecht und verzichteten auf eine Schuldzuweisung gegenüber der tschechischen oder polnischen Nation, riefen jedoch nach der Bestrafung der Täter“ (Novotný 2009: 121). Während des die vorliegende Studie betreffenden Zeitraums hatten Rudolf Lodgman von Auen (1950–1959), Hans Christoph Seebohm (1959–1967) und Walter Becher (1968–1982) den Vorsitz der SL inne. Bei ihrer Gründung versammelte diese Organisation 26,7 Prozent der in der Bundesrepublik lebenden Sudetendeutschen (Novotný 2009: 121). Es handelt sich um eine einflussreiche Lobbyorganisation, die zunächst in Bayern, dann innerhalb der CSU ihre Interessen durchzusetzen wusste. So erzielte sie 1954 die Anerkennung der Sudetendeutschen durch den Freistaat Bayern als „vierter Stamm“ neben Schwaben, Franken und Altbayern (Novotný 2009: 122). 24  Liste nach Tampke (2003: 109). Alle diese Namen werden regelmäßig in IHE zitiert. Nach Kurt Nelhiebel (Die Henleins gestern und heute. Hintergründe und Ziele des Witikobundes, 1962, zit. n. Novotný 2009: 119) seien von den 634 Mitgliedern des Witiko-Bundes im Jahre 1959 nur 30 Mitglieder früher nicht in der Sudetendeutschen Partei oder der NSDAP aktiv gewesen.

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Die Thematisierung der Vertreibungen und ihre Rechtfertigung

Die Frage der Vertreibungen erscheint in IHE zum ersten Mal im August 1959 in einem Zeugenbericht eines Delegierten des Bezirks Ustí nad Labem: Unser Bezirk Ústí und mit ihm der von Liberec (Reichenberg) und Karlsbad gehört zu jenen, denen die Revanchisten große Aufmerksamkeit widmen. Wir sagen diesen Herren offen: Laßt alle Hoffnung auf eine Rückkehr fahren! Ihr wart schlechte Gäste, die die Gastfreundschaft unseres Landes mißbrauchten und deshalb wegziehen mußten. Und wie steht es mit den historischen Ansprüchen auf „dieses alte deutsche Gebiet“? Auf Schritt und Tritt können wir die Lügenhaftigkeit dieser Behauptung feststellen. […] Welche Denkmäler ihrer ‚Kultur‘ haben [sie] hinterlassen? Die Festung Terezín mit der Richtstätte und dem Friedhof von Tausenden unglücklichen Menschen aus ganz Europa und das kürzlich entdeckte weitere Massengrab unter dem Berg Radobýl. Wir bewahren die Denkmäler ihrer Barbarei als eine Warnung, damit die Lebenden nicht vergessen! Doch die jüngste Geschichte erinnert uns auch an ein anderes, besseres Kapitel tschechisch-deutscher Beziehungen, das den Weg in die Zukunft weist. Das sind die Kämpfe tschechischer und deutscher Proletarier aus dem nordwestböhmischen Kohlenrevier gegen den gemeinsamen Feind, den Kapitalismus. Wir – und wohl auch sie – werden den Terror der Nazi-Ordner nicht vergessen, dem die deutschen Antifaschisten ebenso ausgesetzt waren wie ihre tschechischen Brüder. Und diese Deutschen sind hier geblieben, sie leben mit uns und bauen gemeinsam mit uns am Sozialismus! ([o. N.], Aussprache der Kulturschaffenden“, IHE August 1959, o. S.)

Dieser erste Artikel gibt den Ton vor, der ein Ton der Erwiderung und Ermahnung mit einer direkten Anrede an die „Revanchisten“, aber auch auf Ironie gegründet ist, eine sehr scharfe Ironie, die das Argument des deutschen zivilisatorischen Werks in den böhmischen Ländern verkehrt, indem die Spuren der NS-Barbarei in Böhmen als „Denkmäler“ der deutschen Kultur charakterisiert und die Sudetendeutschen kollektiv mit NS-Verbrechern gleichgesetzt werden. Ihnen wird jedes Recht auf Rückkehr abgesprochen und sie werden als „Gäste“ in der Geschichte Böhmens bezeichnet.25 Neben diesem Begriff unterstreicht der Gebrauch des Possessivpronomens „unser“ [„unser Bezirk“; „unseres Landes“] und der Anführungszeichen im Ausdruck „dieses alte deutsche Gebiet“, wie unfundiert der Anspruch der Sudetendeutschen, dieses Gebiet als ihre Heimat zu betrachten, sei, wobei der Autor auf die Authentizitäts- und Autochthonie-Topik zurückgreift, mit welcher ein immer schon tschechischer Charakter der Region behauptet werden soll. Zudem wird ihre mit Anführungszeichen versehene Kultur abgewertet. Dennoch wird die Lage 25  Hier greift der Autor auf einen Topos zurück, den Masaryk bereits 1918 verwendet hatte. Der erste tschechoslowakische Präsident war tatsächlich der Ansicht, die Deutschen seien „ursprünglich als Immigranten und Kolonisten ins Land“ gekommen (zit. n. Suppan 2017: 140), und gewährte ihnen „nur eine zweitrangige ‚Gastrolle‘ (Suppan 2017: 147).

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der antifaschistischen Deutschen, die bleiben durften, gesondert betrachtet, wobei der Autor auf den Bruder-Topos zurückgreift. Die den Vertreibungen gewidmeten Artikel vermehren sich ab 1960, wobei eine merkliche Inflation im Jahre 1961 festzustellen ist: Ab September gibt es jeden Monat einen Artikel zu diesem Thema. Diese Offensive ist womöglich einerseits auf den Kontext der Berlin-Krise zurückzuführen – es ginge dabei um ein propagandistisches Mittel zur Unterstützung der DDR, indem die Polemik über den westdeutschen Revanchismus aufgebauscht wird –, andererseits auch auf die Abkommen, die 1961 zwischen der SL und den beiden großen westdeutschen Parteien, CDU und SPD, geschlossen wurden. Die SPD erkannte tatsächlich die politischen Ziele der SL und ihren Anspruch auf eine Revision der staatlichen Grenzen der Tschechoslowakei an, und im Juni 1961 bestätigte die CDU dieses Programm ebenfalls (Novotný 2009: 123). Bis dahin blieb der IHE-Diskurs über die Vertreibungen relativ gemäßigt. Um von den Vertreibungen zu sprechen und deren Ausmaß zu minimieren, wurde gern auf Euphemismen zurückgegriffen. Im obenstehenden Auszug bildet das Verb „wegziehen“ ein erstes Beispiel. Anderswo wird eine Periphrase benutzt: „die Konsequenz ihrer Politik ziehen und die Tschechoslowakei verlassen“ (gj [G. Solar], „Bei den Meistern der Glasperlen“, IHE Oktober 1960: o. S.), oder es ist die Rede vom dem „unfreiwilligen Abgang“ der Deutschen aus Liberec (J. Martinec, „Geschmacksforum Liberec“, IHE Oktober 1961: o. S.). Über die Gattin eines vertriebenen Deutschen heißt es, dass sie „im Jahre 1945 ihren Mann – einen Deutschen – in das Dorf Kleine Rossau begleitete“ (Otakar Brůna, „Wert eines Lebens”, IHE April 1962: 7). Die ausgesiedelten Deutschen werden verhüllend als „ehemalige Mitbürger“ beschrieben ([o. N.], „Für sie notiert“, IHE Mai 1962: 1). Die Darstellung der Vertreibungen entwickelt sich in weiterer Folge zu etwas Frontalerem mit einer nunmehr expliziten Thematisierung der Frage: Die euphemistischen Wendungen nehmen ab oder werden mit eindeutiger Ironie, gar mit Zynismus aufgeladen, wie etwa im Falle von Frau Heda Bayer: „Frau Heda Bayer, der letzte Sproß der Becher-Dynastie, war eine eifrige Nazi-Parteigenossin und mußte infolgedessen nach dem Krieg von der Tschechoslowakei Abschied nehmen“ (Milan Škarýd, „Quelle Nummer 13“, IHE Oktober 1966: 14-16, hier 14). Der Artikel von Václav Král vom Historischen Institut der tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften liefert den Anstoß zu einer offensiven Auseinandersetzung mit der Thematik, indem er die „Umsiedlung“ der deutschen Bevölkerung rechtfertigt: Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs wurden die Sudetendeutschen mit Ausnahme der Antifaschisten aus der Tschechoslowakei umgesiedelt. Das geschah mit Wissen und

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Zustimmung aller Großmächte der Antihitler-Koalition. Und nicht aus chauvinistischen Gründen, sondern weil es die Selbsterhaltung des tschechischen Volkes forderte. Wie richtig diese Maßnahme unter den gegebenen Umständen war, scheint die jüngste Vergangenheit immer mehr zu bestätigen. (Dr. Václav Král, „Die Vergangenheit warnt“, IHE April 1961: o. S.)

Auffällig ist hier der Gebrauch des Verbs „umsiedeln“ anstelle von „vertreiben“. Jene semantische Frage, die die politischen und akademischen Beziehungen der beiden Länder lange prägte,26 erscheint auch in IHE, vor allem in Artikeln von Lenka Reinerová, die sich oft an vorderster Front befindet, da sie sich mit Themen in Bezug auf die westdeutsche Politik beschäftigt. Die Journalistin zeichnet sich hier durch virulente Stellungnahmen aus, in denen sie die Umsiedlung der deutschen Bevölkerung begründet und legitimiert. Eine davon erscheint anlässlich der Ausgabe der Briefmarke „Zwanzig Jahre Vertreibung 1945-1965“ in der Bundesrepublik. Mit dieser Briefmarke gestempelte Briefe werden in der Tschechoslowakei abgewiesen, und Lenka Reinerová erklärt warum: Manchmal scheinen an sich einfache Dinge für viele Menschen schlechthin unbegreiflich zu sein. Sie lassen sich merkwürdigerweise eher von einer Lüge hinreißen, als ein für allemal die bittere, aber unumstößliche Wahrheit zu schlucken. Die siegreichen drei Großmächte des zweiten Weltkriegs – die UdSSR, die USA und Großbritannien – haben im Frühjahr 1945 in Potsdam durch den einmütigen Beschluß ihrer Repräsentanten – Stalin, Truman, Churchill – entschieden, daß die deutsche Bevölkerung der tschechoslowakischen Randgebiete, die in ihrer überwältigenden Mehrheit die Einverleibung in Hitlers faschistisches Drittes Reich verlangt hatte, an der Zerschlagung der bürgerlich-demokratischen Vorkriegsrepublik maßgeblich beteiligt und direkt mitverantwortlich war für die brutale nationale Unterdrückung der Tschechen und Slowaken in den Jahren der deutschen Okkupation, sowie für den gewaltsamen Tod ungezählter Tschechen, Slowaken, Juden, aber auch antifaschistischer Deutscher, im Interesse der künftigen Sicherheit der Tschechoslowakei nach Deutschland umgesiedelt werden soll. Dies wurde 1945 beschlossen, nachdem, zumindest seit 1938 (vor und nach dem Münchner Abkommen), diese deutschen Bürger der ČSR sieben Jahre lang in ihrer alten Heimat als Herrenrasse, skrupellose Plünderer und rücksichtslose Mörder gehaust hatten. Es fällt mir nicht leicht, diese harten Worte zu gebrauchen, aber die Tatsachen sind um keinen Deut milder und es ist zweifellos in unser aller Interesse, die nackte Wahrheit zu kennen, mit ihr als mit einem Faktum zu rechnen, sie nicht hin und her zu zerren und niemanden irrezuführen. Kein Mensch bezweifelt, daß 26  Diesem Streit wurde 1997 mit der deutsch-tschechischen Aussöhnungserklärung ein symbolisches Ende gesetzt. Der deutsche Text benutzt die Begriffe „Vertreibung sowie zwangsweise Aussiedlung“ und der tschechische Text den entsprechenden Ausdruck „vyhánĕní a nucené vysidlení“. Die gemischte Historikerkommission einigte sich auf den Doppelausdruck „Vertreibung und Aussiedlung“, nachdem auf deutscher Seite lange „Vertreibung“ und auf tschechischer Seite „odsun“ [Transfer] bevorzugt wurden. (Křen 1998: 232)

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es überaus schmerzlich ist, seine Heimat verlassen zu müssen. Das wissen auch die Tschechen, die 1938 und 1939 über Nacht aus den Randgebieten ihrer Republik fliehen mußten, das wissen hunderttausende Zwangsdeportierte und Totaleingesetzte aus ganz Europa. Die Millionen nach Auschwitz, Treblinka, Majdanek, Birkenau, Chelmno, Buchenwald, Dachau usw. Vertriebenen schmerzt diese Maßnahme längst nicht mehr. Wir haben Freunde in der Deutschen Bundesrepublik, die uns fassungslos anblicken, wenn wir von diesen Dingen sprechen, fast vorwurfsvoll, als ob wir [Hervorh. im Original] die Rücksichtslosen, Unbarmherzigen wären. Vergegenwärtigen sie sich aber, wie fassungslos wir sind, wenn wir immer ‚vom Verbrechen der Austreibung‘ lesen müssen? Wo ist denn das Land, in das die Tschechoslowakei gewaltsam einmarschiert ist? Haben etwa wir in Deutschland deutsche Hochschulen geschlossen? Haben Tschechoslowaken Deutsche aus Deutschland zwangsverschleppt, zu Tausenden fronen, unter dem Henkersbeil und zu Hunderttausenden in Gaskammern umkommen lassen? […] (Lenka Reinerová, „Unvergessen – warum nicht?“, IHE Oktober 1965: 12f.)

Die Vehemenz dieses Textes ist besonders auffällig und mag die mit den späteren Erzählungen Reinerovás vertrauten Leser verwundern.27 Interessant ist er aber auch deshalb, weil diese klaren Worte tschechoslowakische Argumentationsmuster erörtern. Das Leid der Vertriebenen, das Lenka Reinerová zu berücksichtigen bereit ist, wird dennoch sofort demjenigen des tschechischen Volkes oder der deportierten Juden entgegengestellt. Die Verantwortung der Sudetendeutschen wird mit Nachdruck („in ihrer überwältigenden Mehrheit“) betont. Die Vertreibungen werden als eine Notwendigkeit beschrieben („umgesiedelt werden soll“), wobei die Umstände, die z. T. brutale Durchführung, wie die Vertreibungen organisiert wurden, komplett verschwiegen werden, während die Tschechen „über Nacht […] fliehen mußten“. Bezüglich der Vertreibungen der Deutschen werden keine Zahlen angegeben, für die Deportationen schon. Die Charakterisierung als „Vertriebene“ wird den 27  Trotz der Härte und der Tragik der geschilderten Erlebnisse (Shoah, Exil, stalinistische Prozesse, Krebserkrankung) charakterisiert sich Reinerovás literarisches Werk durch einen sehr sanften Ton, einen ausgeprägten Rückgriff auf euphemistische Wendungen. Dafür ist wohl der Titel des dem Exil gewidmeten Bandes Zu Hause in Prag, manchmal auch anderswo emblematisch. Frank Thomas Grub (2010a: 161) weist auf die stilistische Besonderheit von mehreren Erzählungen Reinerovás hin, die mit der Darstellung einer Idylle einsetzen. Selbstverständlich verhindert jene scheinbare Sänfte, die mit einem unzerstörbaren Optimismus und einem Glauben an die Möglichkeit der Vermittlung und des Dialogs verbunden ist, keineswegs die strenge Anprangerung von Verbrechen und Unrecht (Leclerc 2010). In der Erzählung Der Ausflug zum Schwanensee zeichnet sie etwa ein schonungsloses Porträt von Carmen Maria Mory, die Gestapo-Agentin, dann Blockälteste in Ravensbrück war. Durch die Fiktion kann die Autorin in das Unmenschliche eintauchen und sich in die Gedanken dieser Frau hineinversetzen, um schließlich zu dem Schluss zu kommen, dass es besser gewesen wäre, wenn Frankreich Carmen Mory nach ihrer Verurteilung im Jahre 1940 tatsächlich hingerichtet hätte (Reinerová 2003b: 199).

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S­ udetendeutschen zudem abgesprochen,28 stattdessen für die Opfer der Deportationen verwendet und mit der Auflistung der NS-Vernichtungslager gleichsam sakralisiert. Die rhetorischen und ironischen Fragen, mit denen der Auszug endet und die die Relativierungs- und Aufrechnungsargumentation der Journalistin deutlich machen, unterstreichen den unangebrachten Charakter des Begriffs „Verbrechen“ für das, was die Sudetendeutschen erleben mussten. Die Schuld, so der zugrundeliegende Topos einer eindeutigen TäterOpfer-Zuordnung, liege unwiderlegbar auf ihrer Seite, sie seien keineswegs Opfer, schon gar nicht im Vergleich zu dem, was die Tschechoslowaken erleiden mussten. Im Mai 1966 schneidet Lenka Reinerová dieses Thema der Verantwortung und der Schuld erneut an. Indem sie über ihre Karlsbader Begegnung mit einem ironisch als „Amateur-Völkerrechtler“ beschriebenen und folglich diskreditierten Münchner, der außerdem nationalsozialistische Presse liest, berichtet, greift sie die Bundesrepublik vehement an, die dieser Ideologie keinerlei Schranken biete: „Ich meine mit der Niederlage und der Austreibung … („… Umsiedlung“, korrigierte ich) … Austreibung“, beharrte er. „Wird sich denn das tschechische Volk nicht einmal verantworten müssen?“ Nun hatt ich es allmählich satt. „Verantworten, sagen Sie?“ Dafür, daß sein Land im März 1939, also gut ein halbes Jahr vor Kriegsbeginn, von Hitler und seiner Wehrmacht rechtlos überfallen und besetzt wurde? Oder etwa dafür, daß die Bürger dieses Staates zugweise zur Zwangsarbeit im Reich und zum gewaltsamen Tod in den deutschen Vernichtungslagern verschleppt wurden? Steht davon nichts in Ihrer Zeitung? Wissen Sie darüber zufällig nichts aus eigener Erfahrung? Herr Maksch erhob sich mit stummer Verbeugung und verließ steifen Schrittes das Café. […] Verblüffend ist nicht die Tatsache, daß es noch Leute gibt, die so etwas schreiben, propagieren, veröffentlichen. Zumindest erstaunlich ist, daß dies in einem Land geschieht, wo man so oft und gern den Begriff DEMOKRATIE im Munde führt, das im Namen dieser eigenartigen Demokratie die Kommunistische Partei verboten hat, gleichzeitig jedoch solches gestattet, wenn nicht gar befürwortet. […] (Lenka Reinerová, „Und die Zukunft hat schon begonnen. Welche? Und für wen?“, IHE Mai 1966: 12f.)

In diesem Artikel inszeniert die Journalistin zwar eine Dialogsituation, wie sie die Zeitschrift gerne beansprucht und proklamiert, es handelt sich aber dennoch um einen Taubstummendialog: Der deutsche Gesprächspartner wird mit rhetorischen Fragen der Journalistin überhäuft, die unbeantwortet bleiben, und durch sein Verhalten und seine Gestik setzt er ihnen ein Ende, sodass er

28  Im März 1967 benutzt Reinerová dieses Wort noch einmal, um die Deportierten zu benennen: „die in ihrer eigenen Heimat Vertriebenen“ (Lenka Reinerová, „Märzveilchen“, IHE März 1967: 12f., hier 12).

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es Lenka Reinerová überlässt, ihre eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen.29 Aus den angehäuften rhetorischen Fragen, dem Gebrauch der Großbuchstaben und den langen, hypotaktischen Sätzen entsteht ein gewisses Pathos, das in Reinerovás Texten nicht selten vorkommt. So virulent sie auch sein mögen, erinnern diese Artikel jedoch stets daran, dass eine Minderheit von Deutschen sich gegen den Faschismus engagierte, und manchmal kommt eine Art Verständnis gegenüber dem Leid der Vertriebenen zum Vorschein, deren Verantwortung sogar relativiert wird. So etwa im April 1963, wo die Verfasserin zwischen den Sudetendeutschen und der SL unterscheidet, die beschuldigt wird, das Leid ihrer Landsleute zu instrumentalisieren: Oder haben etwa auch sie inzwischen Rache- und Revanchegelüsten entsagt? ‘Nach wie vor bleibt unser Ziel, die verlorene Heimat wiederzugewinnen’, das hören wir leider in unzähligen Variationen. Sicher, meistens folgt sofort die Beteuerung, daß dies nur mit friedlichen Mitteln geschehen muß. Ein komisches Paradox, dessen sich da die SL bedient. […] Aber sie spielen wiederum mit den Gefühlen der ‚Sudetendeutschen‘ im Grunde genommen das gleiche Spiel wie 1938. Dabei sind ihre Ziele von denen ihres ‚Fussvolkes‘ weit entfernt. Die Deutschen aus Böhmen und Mähren haben schon einmal eine recht traurige Rolle in der jüngsten Geschichte Europas gespielt. Sie wurden mißbraucht und mußten ihre politische Kurzsichtigkeit bitter bezahlen. Wir verstehen die Gefühle aller alten Herren, aller Tanten Amalia und Onkel Oskar sehr gut, ihre Kinder und Enkel haben bereits ganz andere Interessen. Wir wissen auch, daß die Umsiedlung für die meisten von ihnen sehr schmerzhaft war und daß sie wohl auch viele Unschuldige traf. Dennoch sind wir trotz aller menschlichen Anteilnahme nach wie vor der Ansicht, daß die Entscheidung, auf diese Weise ein für allemal das deutsch-tschechische Problem zu beseitigen, als vernünftige Lösung angesehen werden kann. (Irena Petřinová, “Das Frühjahr kommt“, IHE April 1963: 10f.)

Die Empathie, die hier zum Ausdruck kommt, stellt jedoch eine Ausnahme in der Zeitschrift dar und rückt, angesichts des Einwandes („dennoch“), der jegliche Verständnisbereitschaft verwischt („trotz aller menschlicher Anteilnahme“, „nach wie vor“, „ein für allemal“), in den Hintergrund.

Polemik gegen den westdeutschen Revanchismus

Mit der Denunzierung des Münchner Abkommens und der Rechtfertigung der Vertreibungen geht die Revanchismus-Anschuldigung einher, die gegen die SL, aber auch gegen die westdeutsche Regierung erhoben wird. Der Bundesregierung wirft man ihre Unterstützung der sudetendeutschen Organisationen vor. Zwar bergen diese Bezichtigungen nichts Neues, da es sich dabei

29  Zur Bedeutung des Dialogs in Reinerovás literarischem Werk vgl. Leclerc 2010. Die in diesem Artikel geschilderte Szene kann mit der Begegnung mit dem ehemaligen SS-Offizier in der Erzählung Unterwegs mit Franz Schubert verglichen werden (Reinerová 2003b).

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um ein Leitmotiv der sowjetischen Außenpolitik gegenüber Bonn handelt, das von allen Satellitenstaaten übernommen und erst nach dem Abschluss der Ostverträge zwischen 1970 und 1973 aufgegeben wurde, nachdem die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und ihren osteuropäischen Nachbarn normalisiert und die Grenzen aus dem Jahr 1945 anerkannt worden waren. Trotzdem erweist sich der Gebrauch dieses Topos in IHE als charakteristisch und bemerkenswert. Zu betonen ist bereits das Ausmaß der Thematik: Allein die Begriffe „Revanchismus“ oder „revanchistisch“ kommen zwischen August 1959, wo sie erstmals verwendet werden, und Mai 1969 etwa 70 Mal vor. Ab 1968 ist das Thema nicht mehr so stark präsent, da der Fokus auf die inneren Reformen verlagert wird. Bemerkenswert ist, dass IHE sich nicht schon im Januar 1958 mit dieser Frage auseinandersetzt. Sicherlich geht es dabei um eine strategische Positionierung der Zeitschrift, die zunächst für die westdeutschen Leser attraktiv sein und diese nicht von vornherein mit plumper Propaganda abschrecken soll. Im Jahre 1958 wird der Akzent auf Ausgleich, auf das Ziel der kulturellen Annäherung, auf den Bau von Brücken gelegt, wie der bereits zitierte erste Leitartikel belegt. Die Zuspitzung der internationalen und europäischen Spannungen aufgrund der Berliner Krise ist einer der Gründe, weshalb der Ton sich ab 1959 etwas verändert bzw. verschärft. Das Scheitern der tschechoslowakischen Initiativen in Richtung Normalisierung der Beziehungen mit der Bundesrepublik und die zwischen der SL und der SPD und CDU geschlossenen Abkommen sind weitere Ursachen dafür. Danach wird der Revanchismus-Topos in der Zeitschrift zu einer Art Obsession. Die überhöhte Behandlung dieses Themas begründet die IHE-Redaktion übrigens mit den unablässig erhobenen Ansprüchen der sudetendeutschen Organisationen und mit einer Tendenz in der westdeutschen Politik, diese revanchistischen Stellungnahmen eher dilatorisch, als ein von einer Minderheit stammendes Phänomen zu betrachten. Die Drohungen, die die Ansprüche der SL – u. a. die territorialen – darstellen, seien unbändig und unzählig, wie folgende Textausschnitte mit Nachdruck betonen: Was zumindest merkwürdig ist, denn uns ist leider bekannt, daß die Tschechoslowakei, besonders bestimmte Teile unserer Heimat, bei Aufmärschen und Treffen in der Bundesrepublik vor Zehn- und Hunderttausenden Menschen immer wieder [Hervorh. von HL] erwähnt wird. ([o. N.], „Das Hessische Fernsehen sieht rot“, IHE April 1961: o. S.) Die sog. Sudetendeutsche Landsmannschaft, die aggressivste revanchistische Zentrale in der Deutschen Republik, entfaltet heute erneut [Hervorh. von HL] unter direkter Mitwirkung und in Übereinstimmung mit den Zielen der westdeutschen Regierung eine feindliche Tätigkeit gegen die Tschechoslowakische Sozialistische Republik. ([o. N.], „Der Friedensvertrag mit Deutschland eine unaufschiebbare Aufgabe“, IHE September 1961: o. S.)

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Oder haben etwa auch sie inzwischen Rache- und Revanchegelüsten entsagt? ‘Nach wie vor [Hervorh. von HL] bleibt unser Ziel, die verlorene Heimat wiederzugewinnen’, das hören wir leider in unzähligen Variationen [Hervorh. von HL]. (Irena Petřinová, „Das Frühjahr kommt“, IHE April 1963: 11) „Kein ernster Mensch nimmt sie ernst“. DIESEN SATZ hören wir immer wieder [Hervorh. von HL]. Seit Jahren. (Lenka Reinerová, „Kein ernster Mensch nimmt sie ernst“, IHE Juni 1967: 12f., hier 12) Wir hören immer wieder [Hervorh. von HL] dasselbe. Die Revanchisten sind gar keine Revanchisten, sondern schlimmstenfalls ein Alpdruck, geradezu eine Erfindung der Tschechen. ([o. N.], „Die Namen sind bekannt“, IHE September 1961: o. S.) Z. B. über das leidige Thema Revanchismus, über unsere übertriebene Sorge, so meinen manche, was das Weiterglimmen nationalsozialistischer Reste anbelangt. Nicht ernst zu nehmen, versicherten sie uns, Biervereine, Familientreffen, Sonntagsredner, lächerlich. (Lenka Reinerová, „Ende gut, alles gut? Offene Tribüne“, IHE Dezember 1966: 11)

Die Redaktion ist sich durchaus bewusst, dass sie ihr Augenmerk auf diese Thematik fokussiert. Daher antwortet Lenka Reinerová auf die Beschwerden von Lesern, dass IHE nur von München, von der deutschen Besetzung oder vom Revanchismus spreche. Dabei lässt sie sich sogar auf ein Wortspiel mit dem Ausdruck „auf München beharren“ ein, um dennoch, und noch stärker, an die tschechoslowakischen Forderungen zu erinnern: „Warum müssen Sie eigentlich auf München beharren?“ fragte der Professor aus München. Er meinte damit keineswegs, daß wir Tschechoslowaken aus der Tatsache unserer Beteiligung am Siege der Alliierten im zweiten Weltkrieg etwa territoriale Ansprüche gegenüber unseren einstigen und später besiegten Besatzern hätten. Er meinte damit bloß die Forderung der tschechoslowakischen Regierung, die Regierung der Deutschen Bundesrepublik möge das 1938 in München von vier Regierungen (Nazideutschland, Frankreich, England, Italien) unterzeichnete Abkommen, das über das Schicksal der souveränen Tschechoslowakei entschied – obwohl es nie durch die Unterschrift einer tschechoslowakischen Regierung bestätigt worden war – für null und nichtig erklären. Ex tunc, von der ersten Stunde an. Wogegen sich diese Regierung immer und immer noch sträubt. (Lenka Reinerová, „Im Romanischen Café“, IHE Februar 1967: 10)

Jene Beiträge, in denen auf die Anerkennung dieses Unrechts gepocht wird, bilden die interessantesten – und aktuellsten – Seiten der Zeitschrift, denn Lenka Reinerová hebt dort die Bedeutung der Erinnerungsarbeit, die Pflicht zur Erinnerung und Ablehnung jeglicher Banalisierung von Verbrechen30 hervor. Auf die Bedeutung, die dem Gedenken in der Zeitschrift zukommt, wurde 30  Dies sind Themen, die sich im Herzen ihrer späteren literarischen Arbeit befinden werden (Salmhofer 2009; Leclerc 2010).

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­ ereits hingewiesen. Dabei taucht der Begriff „vergessen“ als Leitmotiv auf, b und um noch wirksamer vor dieser Gefahr zu warnen, bezieht sich die Journalistin auf ihre eigenen Erfahrungen: „Warum kommt man bei Ihnen eigentlich immer wieder auf die Okkupationsjahre zurück?“ fragte mich unlängst eine Kollegin aus Düsseldorf. „Sie sind doch für die Völkerverständigung. Ist diese Thematik einem solchen Gedanken nicht eher schädlich?“ Wir sind anderer Ansicht. Würden wir bereits in einer paradiesischen Welt leben – und eine Welt ohne Kriegsgefahr und Revanchegelüste sollte in der Tat paradiesisch sein – könnten wir die schwärzesten Kapitel der Geschichte der Menschheit vielleicht wirklich nur dem Geschichtsunterricht überlassen. Obwohl das ungerecht wäre. Denn die Untaten von Unmenschen haben in allen Ländern Taten von Menschen, neben menschlichem Leid menschliche Grüße hervorgerufen. Und daran kann die Kunst nicht vorbeigehen. (Lenka Reinerová, „Das höhere Prinzip. Ein Film über die gleichnamige Erzählung Jan Drdas“, IHE August 1960: o. S.)31

Im September 1966 richtet Lenka Reinerová einen offenen Brief an einen jungen Deutschen aus Bonn, der gegen sudetendeutsche Organisationen demonstrierte und zuerst von Mitgliedern des Bundes der Vertriebenen, dann von der Polizei verprügelt wurde.32 In diesem Brief bekundet sie ihre Bewunderung und die Hoffnung, die diese westdeutsche Jugend darstelle. Dabei liefert sie ein Argument, das das Vergessen der vergangenen Verbrechen untersagt: „Sehen Sie, das mit dem Vergessen ist leider nicht so einfach. Versuchen Sie zu vergessen, daß Ihre Schwester im Alter von 22 Jahren erschossen wurde.“ (Lenka Reinerová, „Lieber Rainer Wagner aus Bonn“, IHE September 1966: 8f., hier 8) Es handelt sich um eine Anspielung auf ihre eigene Schwester, der Gebrauch des Possessivpronomens in der dritten Person macht aus diesem persönlichen Drama aber etwas Universelles. Wer nun glaubt, wir sprechen gerne von diesen Dingen, der irrt. Wir sprächen lieber über Beethoven, Brecht, Karl Jaspers, über modernes Bauwesen, die Organisation von Handel und Industrie. Wenn wir dennoch auf diesen Alpdruck zurückkommen, so wollen wir nur verständlich machen, daß uns kein Fanatismus welcher Art auch immer, sondern Sorge und Verantwortungsbewußtsein erfüllt. […] Was auch immer wir erfahren und erlebt haben, niemals haben wir [Hervorh. im Original] bezweifelt, daß in unserem deutschen Nachbarland, wie übrigens in jedem Land auf dieser unserer Welt, auch Menschen leben. Menschen im wahrsten Sinne des Wortes, die immer unsere Freunde waren und die es auch weiterhin sind. […] (Lenka Reinerová, „Auch Menschen …“, IHE Juli 1966: 4f.)

31  Dieser Film thematisiert den NS-Terror während der deutschen Besetzung. Er wurde in Westdeutschland bis 1965 verboten. 32  Der Spiegel (22/1966) berichtete über den Vorfall: „Ich mach’ dich kaputt, du …“, [12.10.2021].

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In diesem Auszug weist die erste Person Plural, die in journalistischen Texten von Reinerová sehr oft vorkommt, auf einen Staat hin, der einig hinter ihr stehe und in dessen Namen sie schreibe: Hier zeigt sich eine Konfrontationslogik zwischen einem „wir“ und einem „Sie“.33 Das Thema des Nicht-Vergessens durchzieht die Zeitschrift bis 1970, d. h. bis zur Entlassung Reinerovás. Im September 1969 verfasst sie einen Artikel mit dem Titel „Die Toten bleiben tot“, der sich auf Anna Seghers’ Roman Die Toten bleiben jung bezieht und dessen letzter Satz eine Aufforderung zur Erinnerung ist: „Und alle Toten bleiben tot. […] Wir Überlebenden haben kein Recht, zu vergessen.“ (Lenka Reinerová, „Die Toten bleiben tot“, IHE September 1969: 25) Dieser Satz nimmt eine Stelle der Erzählung Tragischer Irrtum und richtige Diagnose vorweg, in welcher die Erzählerin die schmerzliche Frage, weshalb sie allein von ihrer ganzen Familie überlebt habe, mit der Aufgabe zur Erinnerung beantwortet:34 Wieso habe gerade ich alles überlebt? Wie kann man weiterleben mit dieser Frage, für die es keine Antwort gibt. Jahrelang habe ich mich damit herumgeschlagen. Warum gerade ich? Allmählich habe ich mich zu dem Gedanken durchgerungen – so unglaublich das klingen mag –: wenn dem schon so ist, dann sollte ich vielleicht etwas von manch einem dieser Menschen in mir weitertragen. (Reinerová 2007b: 76)

Der Artikel „Kein Mensch nimmt sie ernst“ von Juni 1967 erläutert erneut, warum man nicht vergessen dürfe: Aber vor fünfundzwanzig Jahren, genau am 10. Juni 1942, wurde Lidice vernichtet. In Auschwitz wurden vier Millionen Menschen umgebracht. In der Sowjetunion wurden ganze Dorfbewohnerschaften lebendigen Leibes verbrannt, Partisanen, die ihre Heimat verteidigten, und Juden, die einfach Juden waren, in Eiswasser ertränkt. In Frankreich und in England, in Jugoslawien und in Polen wurden ganze Städte zertrümmert. Später dann auch in Deutschland. Das sind Tatsachen. Nichts, das auch nur im entferntesten mit ihren Ursachen und Urhebern im Zusammenhang steht, kann man ernst genug nehmen. (Lenka Reinerová, „Kein ernster Mensch nimmt sie ernst“, IHE Juni 1967: 12f.)

In der Ausgabe von April/Mai 1970 veröffentlicht Reinerová einen ihrer letzten Beiträge unter dem Titel „Wege zur Freiheit. Am Schwanensee“. Der Artikel wird als „Auszüge aus einer größeren Novelle […] über das Frauenlager Ravensbrück“ vorgestellt (Lenka Reinerová, „Wege zur Freiheit. Am Schwanensee“, IHE April/Mai 1970: 18f.). Dabei handelt es sich um die erste

33  Dabei ist die Haltung gegenüber Deutschland eine andere als jene in der Zeitschrift WuS, wo es darum geht, sich zu verbünden. Zur Darstellung Österreichs in den beiden Magazinen s. unten S. 216ff. 34  Gudrun Salmhofer (2009: 157) spricht von der Pflicht „sich zu erinnern und sich mitzuteilen“.

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Fassung der späteren Erzählung Der Ausflug zum Schwanensee (1983), deren Titel und Thematik an Seghers’ Erzählung Der Ausflug der toten Mädchen erinnert.35 Was genau soll aber unter Revanchismus verstanden werden? IHE verbindet damit öfters Begriffe wie „chauvinistisch“, „militaristisch“, „antitschechoslowakisch“ oder noch negativere Termini wie „Fanatismus“, „Hass“ oder „Hetze“. Der Inhalt des durch die SL verkörperten Revanchismus wird in einem Artikel von August 1965 detailliert beschrieben. Dieser Text erscheint als Reaktion auf die Erklärung von Stuttgart, die die SL nach ihrer Jahresversammlung zu Pfingsten 1965 beschloss: […] in der sog. Stuttgarter Erklärung 1965 [steht] geschrieben: „Wir wollen in unsere Heimat zurückkehren und als freie Menschen unser Selbstbestimmungsrecht ausüben, nicht aber dort als geduldete Minderheit unser Leben fristen. Deshalb fordern wie die Rückgabe (!) des deutschen Heimatgebietes in Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien an das rechtmäßige sudetendeutsche Heimatvolk.“ […] (Jiří Štejn, „Durch Hetze zum Frieden? Offene Tribüne“, IHE August 1965: 11)

Die Revanchismus-Beschuldigungen wenden sich also zuerst an die Repräsentanten der SL. Es geht um einen Konflikt, in welchem der Feind explizit erkannt und benannt wird. Das verwendete Wortfeld ist jenes der Aggression und des Krieges, benannt wird ein deutscher Aggressor, der an „Provokationen und Attacken“, „Drohungen wirtschaftlicher Art“ schuld sei, der bereit sei, „die leitenden Repräsentanten des tschechoslowakischen Staates grob anzugreifen“ (Gustav Solar, „Zum Sudetendeutschen Tag 1966“, IHEBeilage August 1966: o. S.), der ein „Ruhestöre[r] und Hetze[r]“ sei (Lenka Reinerová, „Unvergessen – warum nicht?“, IHE Oktober 1965: 12f., hier 13). Neben der SL stehen besondere Persönlichkeiten im Visier, wie der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Wenzel Jaksch (1896–1966), der eine beliebte Zielscheibe zu sein scheint. Da er Sozialdemokrat ist, sind Angriffe gegen ihn vielleicht weniger selbstverständlich als z. B. gegen Mitglieder der bayerischen CSU; dennoch wurde er umso heftiger diskreditiert. Es wurde bereits gezeigt, dass seine Urteile über das sog. Niemandsland im Grenzgebiet vehement zurückgewiesen wurden. Er wurde auch von Jaroslav Malák karikiert (Jaroslav Malák, „Lachen Sie mit uns“, IHE Januar 1963: 16). Schließlich beschuldigte ihn IHE der Behinderung der Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Tschechoslowakei (Gustav Solar, „Zum

35  Für einen Vergleich zwischen Reinerová und Seghers s. Glosíková, Meißgeier, Nagelschmidt (2016). Die oben skizzierten Parallelen werden in dieser Studie nicht genauer untersucht.

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S­ udetendeutschen Tag 1966“, IHE-Beilage August 1966: o. S.) oder der ideologischen Nähe zur nationalsozialistischen Partei: Sprecher der Revanchisten in der Sozialdemokratischen Partei ist der Abgeordnete ­Wenzel Jaksch. Durch seinen ‚Volkssozialismus‘ suchte er den ideologischen Anschluß an die Nationalsozialisten und im Jahre 1939 führte er mit Funktionären der Henlein-Partei Verhandlungen über die Eingliederung der ganzen deutschen Sozialdemokratie in diese Partei. (Dr. Václav Král, „Die Vergangenheit warnt“, IHE-Beilage April 1961: o. S.)

Unter den Persönlichkeiten der SL, die besonders kritisiert werden, befinden sich ihr Generalsekretär Paul Illing, der Bundesvorsitzende Franz Böhm, sein Stellvertretender Walter Becher und sein Nachfolger Egon Schwarz, oder auch der Sprecher der SL und Bundesverkehrsminister Hans-Christoph Seebohm (Gustav Solar, „Zum Sudetendeutschen Tag 1966“, IHE-Beilage August 1966: o. S.; Lenka Reinerová, „Lieber Rainer Wagner aus Bonn“, IHE September 1966: 8f., hier 8; Lenka Reinerová, „Kein ernster Mensch nimmt sie ernst“, IHE Juni 1967: 12f.). Was Letzteren betrifft, wagt Lenka Reinerová einen Witz anlässlich einer Diskussion in Berlin, u. a. mit einem Prager Soziologen, einem Psychologen der Universität München, einem jungen Pfarrer und einem Schauspieler: „Wir hoffen, daß nun manches besser wird“, meinte der junge Pastor. „Sie sehen doch, ­Seebohm ist nicht mehr in der Regierung.“ Ja, das sahen wir. „Und rollen die Autos weiter über die Autobahnen? Und verkehren die Züge und werden die Brücken zuendegebaut?“ fragte ich. Allgemeine Verwunderung, allgemeines: „Selbstverständlich!“ – „Fein“, sagte ich daraufhin meinen Freunden und Bekannten, „man hat uns nämlich im Laufe der letzten Jahre immer wieder einreden wollen, es gäbe für das Verkehrswesen in der BRD keinen anderen Fachmann. Was uns bei einem technisch so hochbegabten Volk zumindest etwas unwahrscheinlich erschien.“ (Lenka Reinerová, „Im Romanischen Café“, IHE Februar 1967: 10)

Anhand dieser satirischen Bemerkung gibt die Journalistin zu bedenken, dass hinter der sudetendeutschen Lobby offizielle, institutionelle Unterstützung stehe, nämlich jene der westdeutschen Regierung, was IHE wiederholt pointiert. Die „sudetendeutschen Tage“ erweisen sich tatsächlich als besondere Spannungsmomente, nicht zuletzt deshalb, weil die Bonner Regierung, und zwar ihre Spitze, sich dort vertreten lässt: […] daß die Bundesregierung im Gegenteil durch ihre Haltung in einer ganzen Reihe von Fragen die antitschechoslowakische revanchistische Tätigkeit in der BRD unterstützt. […] In der BRD gipfelt derzeit eine Saison der verschiedensten Revanchistentreffen, von denen sich ständig Stimmen vernehmen lassen, die sich im diametralen Gegensatz zu den Versicherungen der Bundesregierung befinden. […] eine große revanchistische Tagung, an der auch beauftragte Vertreter der Bundesregierung teilnahmen. […] Bundeskanzler Erhard sandte den Teilnehmern dieser revanchistischen Provokation ein Begrüßungstelegramm. (Gustav Solar, „Zum Sudetendeutschen Tag 1966“, IHE August-Beilage1966: o. S.)

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West-Berlin wird als Hochburg des deutschen Revanchismus dargestellt (R. Manka, „Tatsachen über Westberlin“, IHE September-Beilage 1962: o. S.). IHE weist auf „revanchistische Minister“ hin (Ladislav Mňačko, „Offener Brief an Rolf Hochhut“, IHE September-Beilage 1964: o. S.), ohne diese Vorwürfe weiter zu präzisieren, sodass der Verdacht auf die gesamte Bundesregierung fällt. Die Schule wird beschuldigt, die Jüngeren mit einem revanchistischen Geist zu infizieren: „die schon in der Schule beginnende Revanchehetze“ („Ein Interview mit Václav David, Außenminister“, IHE Mai 1961: o. S.). Was die Zeitschrift besonders kritisiert, ist der doppeldeutige Diskurs der Bundesrepublik, die einerseits der Tschechoslowakei versichert, sie erhebe keinerlei territoriale Ansprüche und das Münchner Abkommen sei, wie Erhard in der „Friedensnote“ von 1966 formulierte, von Hitler zerrissen worden, die aber andererseits der SL ihre Unterstützung gewährt: Als das diesjährige Pfingsttreffen der Sudetendeutschen Landsmannschaften in Stuttgart zu Ende ging, wiederholte von Hase, der Sprecher der Bonner Regierung, die Erklärung, die zum ersten Mal zum 25. Jahrestag der Unterzeichnung des Münchner Abkommens verlautbart wurde, daß nämlich die Deutsche Bundesrepublik „keine territorialen Ansprüche der Tschechoslowakei gegenüber“ habe. Der positive Inhalt dieser Erklärung wäre erfreulich, wenn … wenn er nicht unglücklicherweise mit zahlreichen anderen Erklärungen und Gegebenheiten in Widerspruch stünde. (Jiří Štejn, „Durch Hetze zum Frieden? Offene Tribüne“, IHE August 1965: 11) […] daß sich die verschiedenen Erklärungen und Behauptungen der Bundesregierung über ihren Willen, die Beziehungen zu den Staaten und Völkern Osteuropas zu verbessern, in krassem Gegensatz zu ihrer gesamten bisherigen Politik befinden. (Gustav Solar, „Zum Sudetendeutschen Tag 1966“, IHE August-Beilage 1966: o. S.) Kein ernster Mensch nimmt sie ernst. […] Die geschickten, doppelsinnigen, auf Tausende Menschen Einfluß nehmenden Redner sind doch Bundestagsabgeordnete oder gar Minister. Die sollte man wohl ernst nehmen. […] Herbert Wehner, Minister für gesamtdeusche Fragen, erklärte Ende März d. J.: „Wir alle haben die Aufgabe, so viel wie möglich von Deutschland für die Deutschen zu retten.“ […] Hat Minister Wehner damit etwa die Normalisierung der Beziehungen mit sozialistischen Nachbarländern gemeint, von der gerade in seiner Partei, der SPD, in den letzten Monaten so häufig die Rede ist? Und was sollen wir, Tschechen und Slowaken, von den Grußbotschaften mit mehr oder minder vage angedeuteten Versprechen halten, die alljährlich den Pfingsttreffen der Sudetendeutschen Landsmannschaft von höchster offizieller Stelle zugesandt werden? (Lenka Reinerová, „Kein ernster Mensch nimmt sie ernst“, IHE Juni 1967: 12f., hier 12)

Erwähnenswert ist die Tatsache, dass es sich hier um die einzige Anspielung auf die Ostpolitik der SPD in IHE handelt. Die Bildung der Großen Koalition zwischen CDU/CSU und SPD im Jahre 1966 wird keineswegs kommentiert, Willy Brandt niemals genannt. Dieses Schweigen ist gewiss als Zeichen für die

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mangelnde Autonomie der tschechoslowakischen Außenpolitik zu deuten, die der sowjetischen unterworfen ist, die die Richtlinien vorgibt, gerade auch, was die deutsche Frage betrifft. Womöglich ist es auch Zeichen eines weiterhin notwendigen Feindbildes, das durch eine allzu ausführliche Schilderung der Annäherungsbemühungen der Bonner Regierung ausgeschaltet werden könnte. Die Thematik des Revanchismus ist aber eine derart ernste Angelegenheit, dass sie fast ausschließlich von den Chefredakteuren Gustav Solar und Lenka Reinerová behandelt wird, oder in anonymen Beiträgen, die von der Redaktion stammen. Eines der Instrumente der Auseinandersetzung mit der SL ist das Por­ trät, das nach und nach von den sudetendeutschen „Revanchisten“ entworfen wird. Es wurde bereits auf die Karikaturen von Jaroslav Malák hingewiesen, aber auch in den Texten zeichnet sich eine Karikatur des Revanchisten ab, der stets mit wiederkehrenden ähnlichen Attributen (gewaltsam, aggressiv, fanatisch, wütend…) kategorisiert und vor allem durch zwei Metonymien identifiziert wird: jene des Schreis, den er gleich einem unverständlichen Barbaren ausstößt, und jene des Lärms, den er verursacht. Der Bezug auf den Schrei ist tatsächlich omnipräsent. Lenka Reinerová erwähnt „das hysterische Geschrei unbelehrbarer Revanchisten“ (Lenka Reinerová, „In Frieden leben!“, IHE Dezember 1960: o. S.). Der Rückgriff auf das Adjektiv „unbelehrbar“, das unter der Feder von Reinerová fast systematisch vorkommt („Diese 365 Tage“, IHE Dezember 1962: 7; „München ist nicht nur München“, IHE Juli 1965: 12f., hier 13; „Unterwegs mit der ČSSR“, IHE September 1967: 4f., hier 5) soll darauf hindeuten, wie vergeblich jeglicher Dialog mit diesen Menschen sei. A. Šnejdárek36 weist auf das „Geschrei, das die Presse der Sudetendeutschen Landsmannschaften und anderer geistesverwandter Vereinigungen erhebt“, hin (A. Šnejdárek, „Das Diktat von München. Eine Infamie. Historikerkolloquium in Prag“, IHE September 1964: 22f., hier 22). IHE entfaltet somit eine umfassende Palette von Begriffen, die das Geschrei der SL-Mitglieder zum Ausdruck kommen lassen: Was immer sie fordern, entstellen, verleumden und vor allem laut in alle Welt hinausschreien. ([o. N.], „Recht für Unrecht?“, IHE November 1961: o. S.) Unter Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker fordern die Wortführer der sogenannten sudetendeutschen Vertriebenen in der Bundesrepublik immer lauter ihr „Recht auf die Heimat“. (Dr. Václav Král, „Die Vergangenheit warnt“, IHE April 1961: o. S.)

36  Der Historiker A. Šnejdárek (1916–1981?) war von 1966 bis 1696 Leiter des Institutes für internationale Beziehungen (Ústav mezinárodních vztahů).

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mit übertriebener Lautstärke ([o. N.], „Die Namen sind bekannt“, IHE September 1961: o. S.) Haßtiraden ([o. N.], „Für Sie notiert“, IHE Mai 1962: 1)

Die andere Metonymie, jene des Lärms, wird oft anhand des Bildes von „trampelnden Füssen“ (Lenka Reinerová, „Lieber Rainer Wagner aus Bonn“, IHE September 1966: 8f.; Lenka Reinerová, „Unterwegs mit der ČSSR“, IHE September 1967: 4f.) oder von „Trommeln“ verdeutlicht: „der dumpfe Trommelwirbel des Todes“ (Lenka Reinerová, „In Frieden leben!“, IHE Dezember 1960: o. S.), „trommelnd[e] […] Kinder“ (Lenka Reinerová, „Kein ernster Mensch nimmt sie ernst“, IHE Juni 1967: 12f., hier 12), „ein Trommelfeuer von Revanchereden“ (gj [G. Solar], „Restaurierung einer Stadt“, IHE Januar 1961: o. S.), „Aber die Pfeifen schrillen noch und die Trommeln der Landsmannschaften dröhnen.“ ([o. N.], „Taten der Unmenschlichkeit verhüten“, IHE Mai 1962: 10f., hier 10), „die Trommeln und Pfeifen der Sudetendeutschen Landsmannschaft“ (Milan Škarýd, „Wenn wir Frieden wollen“, IHE Dezember 1967: 12f., hier 13). Im besten Falle erinnern solche Bilder an eine Claque, im schlimmsten aber an das Militär. IHE ist also durch einen Diskurs geprägt, der darauf abzielt, die eigentlichen Intentionen der SL, die trügerische Gutmütigkeit ihrer Mitglieder, deren Lüge, wenn sie sich als friedlich hervortun ([o. N.], „Lügen haben kurze Beine“, IHE Juni 1961: o. S.), zu entlarven. Kurz, es geht darum, vor der durch diese sudetendeutsche Lobby verkörperten Gefahr zu warnen. Die Satire macht dies möglich, wie so oft in Beiträgen von Lenka Reinerová. Folgender Textauszug, in welchem sie die Instrumentalisierung von Emotionen durch die Sudetendeutschen verurteilt, stellt ein Beispiel dafür dar: […] das alljährliche Pfingsttreffen biertrinkender Mahner und Appellierer, trommelnder, runengeschmückter Kinder und gerührter Muttis und Großmuttis und Opapas. Gegen das Biertrinken hat übrigens niemand etwas einzuwenden, das ist Privat- und Geschmackssache, ebenso wie die Rührung, sofern sie nicht, wie auch die biererhitzten Köpfe, zu ganz bestimmten Zielen mißbraucht wird. […] aus der Feder von Josef Mühlberger37, eine in der Tat rührende Geschichte von einer alten Frau, die das ganze Jahr über spart, um dann einen Ausflug an die Grenze der ČSSR zu unternehmen, von wo aus sie, auf einem ­Berghang 37  Der aus Trutnov stammende Schriftsteller und Literaturhistoriker Josef Mühlberger (19031985) hatte im Jahre 1929 der „sudetendeutschen Dichtung der 50 letzten Jahre“ seine Dissertation gewidmet, die einen neuartigen Ton anschlug, verzichtete Mühlberger doch auf die Polemik und berücksichtigte die tschechische und jüdische Literatur. Insofern zählte er zu den Vermittlerfiguren zwischen Deutschen und Tschechoslowaken. Die Tatsache, dass sich Reinerová hier auf eine Polemik mit Mühlberger einlässt, deutet auf ihre Verschlossenheit gegenüber solchen ausgleichenden Diskursen hin, wenn sie von Repräsentanten der Vertriebenen, so moderat sie auch seien, getragen werden.

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sitzend, mit Hilfe eines Fernglases […] ihr einstiges Heimatdorf, ja sogar ihr einstiges Bauernhaus beobachtete. Herr Mühlberger weiß zweifellos, wie einfach es seit Jahren für Bundesbürger ist, in die ČSSR zu reisen, um wieviel einfacher, als für tschechoslowakische Bürger in die BRD. (Das tschechoslowakische Visum wird in 48 Stunden bis 10 Minuten erteilt, das bundesdeutsche in 3 bis 8 Wochen, wenn überhaupt.) Mit solch einem vernünftigen Rat wäre zwar der alten Frau geholfen, aber die Rührung wäre futsch. Und das ist anscheinend nicht wünschenswert. (Lenka Reinerová, „Kein ernster Mensch nimmt sie ernst“, IHE Juni 1967: 12f., hier 12)

Die physischen Porträts, die Reinerová liefert und die die Schriftstellerin hinter der Journalistin hervorblicken lassen, dienen auch dazu, den Gegner bzw. den Feind zu entlarven, denn über die knappe Schilderung des Aussehens einer Person entwirft sie meisterhaft ein verwerfliches moralisches Porträt, wie am Beispiel von Ernst Lemmer, dem ehemaligen Vertriebenenminister, und dessen Publikum. Es geht hier um eine Berliner Debatte bezüglich der Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland38 im Jahre 1965: Wir sahen Dr. Ernst Lemmer [ehemaliger Vertriebenenminister] zum ersten Mal in natura. Ein gewandter und erfahrener Redner, dessen breitem Gesicht die dicke Zigarre einen Schimmer Gemütlichkeit verleiht, der jedoch jäh verschwindet, sowie er harte Töne anschlägt. […] Im weiteren wetterte Ernst Lemmer gegen die „Diffamierung der Vertriebenen“. „Wenn Lausejungen unerhörte Dinge verüben“, sagte er wörtlich, „werden einfach die Vertriebenen beschuldigt. Früher waren es immer die Juden, jetzt sind es die Vertriebenen.“ Ein Vergleich, dessen Kühnheit uns den Atem verschlug. […] Ein klappriger Alter und eine stattliche Sechzigerin mit einer Pelzmütze in der Reihe vor uns machten begeistert mit. […] die Dame mit der Pelzmütze klatschte in die Hände, daß es wie Peitschenhiebe klang. Sie stampfte dazu auch noch ein wenig mit dem starken Fuß. […] Ernst Lemmer hob beschwörend die fleischige Hand. (Lenka Reinerová, „Berliner Begegnungen“, IHE Februar 1966: 12–13, hier 12)

Durch ein der Hypallage ähnliches Verfahren gelten die „fleischige Hand“ des Ministers und der „stark[e] Fuß“ der Dame als Symbol für ihre Behäbigkeit, die mit der Ungeheuerlichkeit der geäußerten Worte einhergeht. Die Pelzmütze reicht aus, um die Dame als Bourgeoise zu charakterisieren, und der Vergleich ihres Beifalls mit Peitschenhieben deutet auf NS-Peitschenhiebe hin. Solche körperlichen Charakterisierungen finden sich später im literarischen Werk Reinerovás39 wieder, sowie auch in weiteren IHE-Beiträgen, z. B. wenn 38  Jenes Memorandum, dessen vollständiger Titel „Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn“ lautete, bot eine Reflexion über den deutschen Anspruch auf die Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie und legte somit einen ersten Grundstein für die zukünftige Ostpolitik Brandts. 39  Wie etwa in der Erzählung Unterwegs mit Franz Schubert (Reinerová 2003b: 207f.), wo die Erzählerin den alten, scheinbar respektablen Mann beschreibt, der sich ihr gegenüber in der Zugsabteilung gesetzt hat und sich als ehemaliger SS-Offizier entpuppt. Aus dessen physi-

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sie sich an die Gewalt erinnert, welcher sie in den 1930ern anlässlich einer öffentlichen Sitzung in den Sudeten zum Opfer fiel: Als ich als Gast der Deutsch-Tschechoslowakischen Gesellschaft im Volksbildungsheim über ‚München, Abkommen oder Diktat?‘ sprechen sollte, […] schien es mir kurz vor der Eröffnung des Abends, als wäre ich ungefähr drei Jahrzehnte zurückversetzt, in die stürmischen Jahre meiner frühen Jugend. […] Die Krakeeler hatten wohl kaum damit gerechnet, wie unauslöschlich sich ihresgleichen in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre in mein Gedächtnis eingebrannt hatten. In Hermannshütte, wo ich zum ersten Mal in meinem Leben öffentlich gesprochen hatte, und ein Mann in Schillerkragen mit schwarzen Schaftstiefeln an den kurzen Beinen (der in der ersten Reihe in Frankfurt hatte nur den Schillerkragen) mir eine mit Glasscherben gefüllte Bierflasche an den Kopf warf, die zum Glück krachend danebenschlug. (Lenka Reinerová, „Unterwegs mit der ČSSR“, IHE September 1967: 4f., hier 5)

Jenen „unbelehrbaren“ Schreihälsen und Unruhestiftern, die die Journalistin zudem animalisiert, indem sie sie als „aus ihren muffigen Winkeln hervorkriechen[d]“ beschreibt, wird das Bild von friedlichen, sanften und humanen Tschechen gegenübergestellt. Eingesetzt wird hier der Herdersche Topos des sanften Charakters der Slawen, die kriegerischen, eroberungslustigen Germanen ausgeliefert seien. Die Wirkung dieser Beschreibung aus dem Slawenkapitel der Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit war in Böhmen beträchtlich und trug zur Entstehung eines deutsch-tschechischen Antagonismus-Topos bei (Höhne 2000). Auf diesen Topos wird unbestreitbar zurückgegriffen, wie auch im folgenden Passus: Während jenseits der nahen Grenze ein Trommelfeuer von Revanchereden ertönt, die immer wieder den vorgeblichen Verfall der alten Reichsstadt beklagen, ersteht Cheb, das alte Eger […] mit seinem ganzen typisch deutschen Gepräge wieder, erneuert von tschechischen Arbeitern und Architekten. Dort haßerfüllte Reden, hier ruhige Arbeit an der Erhaltung historischer Werte und ein großangelegter Aufbau, dessen Ziel das Wohl des Menschen ist: ein Gleichnis der beiden Systeme. (gj [G. Solar], „Restaurierung einer Stadt“, IHE Januar 1961: o. S.)

Dank seines überaus humanen Charakters wäre der Tscheche – im Gegensatz zu den Revanchisten und trotz des Erlittenen – imstande, Urteilsfähigkeit auszuüben und die deutsche Kultur zu würdigen, wie etwa selbst im Porträt, das von dem Stalinisten Zdeněk Nejedlý entworfen wird:40 Selbst die Tatsache, daß es Deutsche waren, die ihm die schwersten Schläge seines Lebens zugefügt, die ihm Sohn und Schwiegersohn umgebracht hatten, habe sein Verhältnis zur schem Porträt, insbesondere aus dessen Blick, lässt sich die nachfolgende Enthüllung ableiten. 40  Zdeněk Nejedlý (1878–1962) war der damalige Erziehungs- und Kulturminister. Orbis und IHE waren seinem Ministerium unterstellt. Daher rührt womöglich der panegyrisch klingende Ton dieser IHE-Darstellung.

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deutschen fortschrittlichen Kultur nicht ändern können. (Bk, „Ein Bruder ist mir jeder Mensch …“, IHE November 1961: o. S.)

Die Zeitschrift selbst beansprucht dieses Urteilsvermögen, was positive Aspekte der deutschsprachigen Kultur anbelangt (s. unten 4).

2.2.4 Die nationalsozialistische Vergangenheit: Eine aktuelle Frage Im Kontext der Rückkehr der Thematisierung des Nationalsozialismus und der NS-Verbrechen in den Vordergrund der deutschen Öffentlichkeit (D’Angelo 2018: 279ff.) wird diese Frage zum bevorzugten Thema der Zeitschrift. Revanchisten, Schreihälse, Lügner, Fanatiker, Aggressoren … so zeichnet sich das Bild der SL-Mitglieder auf den Seiten der Zeitschrift – lauter Bezeichnungen, die im Endeffekt dazu dienen, deren Nähe zur NS-Ideologie zu verdeutlichen. Die SL wird öfters als Deckmantel für ehemalige Nazis gebrandmarkt, wie etwa in jenem Artikel, der ohne Umschweife „die in der sudetendeutschen Führungsclique versammelten ehemaligen Nazigrößen und Arisierer“ erwähnt (J. Martinec, „Geschmacksforum Liberec“, IHE Oktober 1961: o. S.). An die NS-Vergangenheit wird stets erinnert, manchmal auch mit Galgenhumor, wie z. B. mit der häufig verwendeten Periphrase „tausendjähriges Reich“41, die unterstreicht, dass das Dritte Reich tausend Jahre dauern sollte und dessen Scheitern ironisiert. In dieser Hinsicht fällt also auf, wie sich IHE in einer maßgeblich von Lenka Reinerová initiierten Mission gegen die Straffreiheit mancher NS-Verbrecher einsetzt.

Die Erinnerung an die Verbrechen

Vor allem der NS-Verbrechen wird in IHE unablässig gedacht, damit diese nicht in Vergessenheit geraten. Meistens wird ohne weitere Details an bestimmte Ereignisse bzw. Orte erinnert, denn diese Erinnerungsorte haben Symbolcharakter und stehen für die Gesamtheit der NS-Gräuel. Dabei geht es um Lidice, das am 10. Juni 1942 als Vergeltung für das Attentat auf den „Reichsprotektor“ Heydrich vernichtet wurde, und um das Konzentrationslager Theresienstadt/Terezín. Über Lidice wird zwischen Juli 1958 und Juni 41  [o.  N.], „Vier Fragen an einen fünfundachtzigjährigen Emil Schöler, Veteranen der Nordböhmischen Arbeiterbewegung“ (IHE Oktober 1960: o. S.); gj [G. Solar], „Bei den Meistern der Glasperlen“ (IHE Oktober 1960: o. S.); J. Štihlický, „Ein ganz anderer Böhmerwald“ (IHE September 1961: o. S.); [o. N.], „Sie bei uns“ (IHE Juli 1961: o. S.).

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1969 zwölfmal berichtet, darunter sechsmal von Lenka Reinerová42 und zweimal in Beiträgen, die von der Redaktion, also wahrscheinlich ebenfalls von Reinerová, verfasst wurden.43 Der Symbolwert des untergegangenen tschechischen Dorfes wird dabei unterstrichen: „Wenn wir von Lidice sprechen, wollen wir gemeinsam mit ihnen neue Taten der Unmenschlichkeit verhüten. Darum geht es.“ ([o. N.], „Taten der Unmenschlichkeit verhüten“, IHE Mai 1962: 10f., hier 10) Dass sich die deutschen Leser von diesem Appell an die Pflicht zur gemeinsamen Erinnerung angesprochen fühlten, scheinen Leserbriefe zu bestätigen („Beinahe eine Liebeserklärung“, IHE September 1963: 16; „Aus Ihrer Schreibmappe“, IHE Dezember-Beilage 1965: o. S.).44 Terezín wird sechsmal thematisiert.45 Während Lidice verschwunden ist, materialisiert die ehemalige habsburgische Festung die NS-Vergangenheit wie eine unheilbare Wunde in der tschechischen Landschaft, was der Einstieg des Beitrags von Solar über einen ergreifenden Retardierungs- und Kontrast­ effekt veranschaulicht: Stadt der Sehnsucht, Stadt der weißen Paläste und schlanken Türme, in welliges Rebland gebettet und umkränzt von bewaldeten Hügeln, Stadt der Träume von weiten Wanderungen durch eine brueghelsche Vielfalt der Landschaft, der Träume von der Freiheit – so sahen wir sie, nah und doch unerreichbar, vor uns, wenn wir einige Augenblicke auf den Festungsmauern stehen durften – wir, die Häftlinge von Theresienstadt. (G. Jesenius [Solar], „Litoměřice“, IHE März 1964: 17–19, hier 17)

Lenka Reinerová, die später Terezín und Ravensbrück jeweils eine Erzählung widmete,46 führt in einem Beitrag von März 1967 ein Verfahren ein, das sich in diesen beiden Erzählungen wiederfindet und darin besteht, Fakten präzise 42  lka [Lenka Reinerová], „Besuch zu Hause. Bildfolge“ (IHE Juli 1958: o. S.); Lenka Reinerová, „Diese 365 Tage“ (IHE Dezember 1962: 7); „Statt eines Glückwunsches aus der Heimat“ (IHE April 1967: 12f.); „Kein ernster Mensch nimmt sie ernst“ (IHE Juni 1967: 12f.); „Wahrheit und Selbstbesinnung“ (IHE Januar 1968: 12f.); „Ich wollte, ich müsste nicht“ (IHE März 1969: 19). 43  [o. N.], „Das nicht bestehende Dorf. Zum 20. Jahrestag der Vernichtung von Lidice“ (IHE April 1962: 10f.); [o. N.], „Taten der Unmenschlichkeit verhüten“ (IHE Mai 1962: 10f.). 44  Drei weitere Beiträge befassen sich mit Lidice: Miroslav Ivanov, „Kind aus Lidice“ (IHE Juni 1964: 12f.); Otakar Brůna, „Der Mensch – ein weiter Garten“ (IHE Mai 1967: 4f.); Dagmar Staňková, „In memoriam Lidice“ (IHE Juni 1969: 28–30 u. 37). 45  [o. N.], „Bildchronik“ (IHE Mai 1958: o. S.); [o. N.], „Aussprache der Kulturschaffenden“ (IHE August 1959: o. S.); G. Jesenius [Solar], „Litoměřice“ (IHE März 1964: 17–19); Žeňa Wienerová, „Maikäfer flieg …“ (IHE Mai 1965: 4f.); Lenka Reinerová, „Märzveilchen“ (IHE März 1967: 12f.); Lenka Reinerová, „Statt eines Glückwunsches aus der Heimat“ (IHE April 1967: 12f.). 46  Terezín wird in Kein Mensch auf der Straße (Reinerová 2007b: 7–37) thematisiert, Ravensbrück in Der Ausflug zum Schwanensee (Reinerová 2003b: 117–199).

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zu datieren und Zahlen auszuschreiben – einerseits um einen authentischen Eindruck zu hinterlassen, andererseits aber auch, um mittels der zum tieferen Gedenken einladenden ausgeschriebenen Zahlen, ihren Respekt vor den Opfern zu bekunden, über die keineswegs einfach statistisch zu berichten ist: […] in den letzten Februar- und ersten Märztagen des Jahres 1942, begann die Massendeportation der Juden aus Böhmen und Mähren in die Ghettofestung Theresienstadt. […] Veilchen. Aber nicht mehr für die in ihrer eigenen Heimat Vertriebenen. Nicht für die Männer und nicht für die Frauen, auch nicht für die kleinen Kinder, denen Fremde in ihrer Heimat das Recht auf Heimat entzogen hatten. […] Zweiundneunzigtausend Mädchen und Frauen wurden in den Jahren 1941 bis 1945 allein im Konzentrationslager Ravensbrück […] umgebracht. (Lenka Reinerová, „Märzveilchen“, IHE März 1967: 12f.)

In der Erzählung Der Ausflug zum Schwanensee wird die ausgeschriebene Zahl sechsmal wiederholt, wobei sie den Rhythmus der Erzählung bestimmt und folglich das Ausmaß des Verbrechens hervorgehoben wird (­Reinerová 2003b: 131f., 146, 162, 173, 185).

Der Aufruf zur Bestrafung der Verbrechen

IHE macht sich die Herausstellung von NS-Verbrechen zur Aufgabe, vor allem die Enthüllung straffrei bleibender Täter, die in der Bundesrepublik ein unbehelligtes, ruhiges Leben führen und sogar eine als gefährlich eingestufte Nähe zu regierenden Führungskreisen unterhalten. Insgesamt werden diesem Thema bis März 1969 36 Artikel gewidmet. Die Zeitschrift kritisiert das Scheitern der Entnazifizierung – ein Betrug – und geht auf die Suche nach ehemaligen Nazis. Zahlreiche Beiträge berichten über die Existenz ehemaliger Nazis in hohen Rängen der westdeutschen Verwaltung, Justiz und Armee. Angeführt seien zunächst zwei Beispiele:47 Hände, die Vernichtungsbefehle unterschrieben haben, stecken von neuem in Waffenröcken. Männer, die über die „Weiterverwendung“ von Kindern verfügt und „Sonderbehandlung“ beantragt haben, tragen von neuem Richtertalare. ([o. N.], „Taten der Unmenschlichkeit verhüten“, IHE Mai 1962: 10f., hier 10) Heute, da die einstigen Spießgesellen Hitlers und Henleins in der BRD eine starke revanchistische Aktivität entfalten und vielfach wieder Schlüsselstellungen im öffentlichen 47  Andere Beiträge zum gleichen Thema: Bedřich Rohan, „Wien und was man bei uns darüber denkt“ (IHE August 1961: o. S. [über den General Friedrich Foertsch, der in der UdSSR gefangen war und dort zu 25 Jahren Haft verurteilt wurde, aber nach Adenauers Moskauer Reise im September 1955 freigelassen wurde]); Rostislav Kocourek, „Nach Kriegsende in Bayern“ (IHE Oktober 1961: o. S.), oder auch die Antwort des Wissenschaftlers Bohumil Kvasil auf die Frage „Können wir friedlich zusammen leben? Eine Umfrage“ (IHE ­Dezember 1961: o. S.).

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Leben einnehmen, ist dieses Buch besonders aktuell, denn es zeigt, was gemeint ist, wenn die Revanchisten heute ihr ‚Recht auf die Heimat‘ deklarieren und die ‚Rückgliederung der verlorenen Ostgebiete‘ und eine ‚Neuordnung Europas‘ fordern. ([o. N.], „Die Wahrheit über die Besetzung“, IHE Dezember-Beilage 1962: o. S.)

In dieser wiederholten Kritik an der Präsenz ehemaliger Nazis an der Spitze von Macht und Verwaltung wird jedoch der Name des amtierenden Bundeskanzlers, Kurt Georg Kiesinger, erstaunlicherweise niemals erwähnt. Dies mag auf zwei Faktoren zurückzuführen sein: Der erste gründet sich darauf, dass Kiesingers Vergangenheit der Öffentlichkeit erst im November 1968 enthüllt wurde, als Beate Klarsfeld ihn ohrfeigte (D’Angelo 2018: 296); damals ist die Tschechoslowakei auf dem Weg zur „Normalisierung“ und IHE interessiert sich deutlich weniger für die NS-Problematik. Der zweite Faktor besteht darin, dass IHE sich auf jene Verbrecher beschränkt, die ihre Taten auf tschechoslowakischem Boden verübt haben.48 Was diese betrifft, so liefert IHE Namen, Ermittlungsunterlagen, Archivdokumente und Fotos. Der Artikel von Amargo alias Lenka Reinerová, mit dem Titel „Gleichzeitig auch die Kinder“ (IHE Juni 1963: 12f.) ist in dieser Hinsicht charakteristisch.

Abb. 12: Amargo [Lenka Reinerová], „Gleichzeitig auch die Kinder“, IHE Juni 1963: 12f.

Der Text, der die aktuellen Lebensbedingungen von Robert Gies, einem ehemaligem SS- und SD-Mitglied, von Lina Heydrich, der Gattin des „Reichsprotektors“ Reinhard Heydrich, und von Paul Mitrega, einem ehemaligem SS-Mitglied, in der Bundesrepublik aufdeckt, ist auf der linken Seite durch Bilder jener Personen im damaligen Kontext und rechts durch Fotos der 48  Deswegen wird auch die Kampagne gegen den westdeutschen Vertriebenenminister ­Theodor Oberländer (D’Angelo 2018: 289) nicht erwähnt.

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­Gesichter von fünf jungen Opfern gerahmt. Die Opfer werden lakonisch mit Namen und Alter vorgestellt; was ins Auge sticht, sind ihre Gesichter und ihr Blick, die jenen der Henker gegenüberstehen. Die Texte, die die Fotografien der Verbrechen erläutern, beruhen alle auf einem Retardierungs- und Überraschungseffekt, der den unerhörten Charakter der Situation noch eklatanter macht. Der Artikel selbst beschreibt vorbildliche, eifrige Beamten und betont: „Bedenklich ist […] die Tatsache, daß ein solcher Mensch heute noch Macht, und zwar Rechtsmacht, über andere besitzt.“ Die Ausgabe von Januar 1965 insistiert noch einmal und gibt im „Notizblock“ neben dem Namen von ­Robert Gies auch den von Wolfram von Wolmar preis: DIE NAMEN ZWEIER WESTDEUTSCHER, die sich Verbrechen gegen das tschechoslowakische Volk schuldig gemacht haben, veröffentlichte die Prager Tageszeitung ‚Zemědělské noviny‘. Der in Düsseldorf lebende Dr. Wolfram von Wolmar und der in Münster wohnhafte Dr. Robert Gies waren unmittelbar verantwortlich für die Folgen der Ereignisse am 17. November 1939, die zur Hinrichtung von neun Studenten und zur Inhaftierung vieler Hunderter Studenten sowie zur Schließung der tschechischen Hochschulen führten. Gies und Wolmar wurden bisher noch vor kein Gericht gestellt. Die Zeitung hatte in beiden Fällen Ferngespräche mit den betreffenden geführt, die erklärten, mit den Ereignissen des 17. November 1939 nichts zu tun gehabt zu haben. Für ihre Schuld liegen jedoch Beweise vor. ([o. N.], „Notizblock“, IHE Januar 1965: 11)

Dass diese Notiz mit der Erwähnung der westdeutschen Identität der beiden Täter in Großbuchstaben beginnt, hebt die institutionelle Komplizenschaft der Bundesrepublik hervor. Der Gebrauch ihres Doktortitels betont außerdem, wie gut die beiden in der besseren westdeutschen Gesellschaft integriert sind. Immer wieder bringt IHE ihre Zweifel bezüglich der Überwindung der NS-Ideologie in der westdeutschen Bevölkerung zum Ausdruck und greift dabei auf Metaphern aus dem medizinischen Bereich, wie jene des GrippeVirus ([o. N.], „Auf Grund von Tatsachen“, IHE Juli 1961: o. S.) oder der Erbkrankheit (Milan Weiner49, „Wenn die Söhne ihre Väter fragen. Offene Tribüne“, IHE Februar 1965: 9) zurück. Im ersten Beitrag spricht der Verfasser von einem Virus, das schlimmer als jenes der Grippe wäre, jenem des „unheilvollen Geist[es] des Hasses, d[es] Revanchismus und Militarismus, der sich so zäh in Westdeutschland eingenistet hat“, im zweiten fragt der ­Journalist nach der potenziellen Vererbung der „braune[n] Krankheit“. Auch Leserbriefe werden als Belege herangezogen, wie jener eines Westberliners, der im Mai 1968 veröffentlicht wird:

49  Es handelt sich wahrscheinlich um den Journalisten Milan Weiner (1924–1969).

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Die politischen Beiträge in Ihrer Zeitschrift sind sehr nützlich, denn hier in Westberlin und auch in der Bundesrepublik zeigen sich wiederum Anzeichen, daß der ‚alte Geist‘ einstiger Zeiten bisher noch nicht gestorben ist. („Leser schreiben“, IHE Mai 1968: 4)

Aufgrund dieser als akut betrachteten Gefahr schenkt IHE den Prozessen ehemaliger Nazis, die zwischen 1963 und 1966 in Frankfurt am Main stattfinden, dem sogenannten Auschwitz-Prozess, große Aufmerksamkeit, an dem Lenka Reinerová als Berichterstatterin teilnahm. Im April 1964 veröffentlicht sie einen ersten Beitrag, in welchem sie Verbrecher und Opfer gegenüberstellt, ähnlich wie im bereits kommentierten Artikel „Gleichzeitig auch die Kinder“: Die Arroganz, das Gefühl der Unschuld auf der Seite der Angeklagten, kontrastiert mit der Demut der Opfer: In der Pause gingen wir alle rauchen. Die höflichen Herren standen in Grüppchen beieinander und Dr. Mulka, eine elegante Erscheinung mit flatterndem weißem Haarkranz und Habichtaugen im gepflegten Gesicht und irgendeinem Rosettchen im Knopfloch, gab einem schwedischen Journalisten ein Interview. Um die wenigen Häftlinge von einst, die still an ihren Zigaretten zogen, kümmerte sich niemand, denn derer gibt es ja so viele auf der Welt, die sind nicht mehr interessant. (Lenka Reinerová, „Unter nackten Wölfen“, IHE April 1964: 12f., hier 13)

Hier fällt wiederum das physische Porträt auf, das unmerklich, anhand eines winzigen Details, auf ein moralisches Urteil schließen lässt: Die Erwähnung der „Habichtaugen“ genügt, um die Illusion von Respektabilität und Gutmütigkeit, die sonst aus dem Porträt hervorgehen könnte, zu zerstören. Die Anspielung auf das „Rosettchen im Knopfloch“ betont noch einmal die Unterstützung der Täter durch Institutionen der Bundesrepublik. Nebenbei prangert die Journalistin das auf Sensationalismus abzielende westliche Mediensystem an. Angesichts des Angeklagten Emil Bednarek, der ein florierendes Geschäft betreibt und, wie Reinerová mit Ironie anmerkt, „einfach Pech hatte“, von drei polnischen Reisenden wiedererkannt zu werden, und der behauptet, man habe in Auschwitz nicht so schlecht gelebt, kann sich die Journalistin, die die Szene bis dahin objektiv schilderte, einen subjektiven Kommentar nicht verkneifen und lässt ihrer Empörung freien Lauf: […] er erzählt vom Frisör und daß man in den Boxen bequem schlafen konnte und daß die Juden gesungen haben, um zu beweisen, daß sie auch singen können. Er erwähnt nebenbei die offenen Feuerstellen im Wald und daß es ‚gestunken hat‘. Ich denke an meine Mutter und meine Schwestern, der alte Mann vor mir an seine Frau. (Lenka Reinerová, „Unter nackten Wölfen“, IHE April 1964: 12f., hier 13)

Die Milde der gefällten Urteile, die diese Beschreibung der Prozesse erahnen lässt, wird dann in einem ersten Artikel im Oktober 1965 kritisiert (Oldřich Kryštofek, „Nach der Heimkehr. Offene Tribüne“, IHE Oktober 1965: 11),

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später in einer Notiz im März 1966 ([o. N.], „Prozess mit einem ehemaligen KZ-Kapo“, IHE März 1966: 10), die über das vom Prager Gericht über einen ehemaligen Kapo verhängte Todesurteil berichtet, was den Kontrast zu den milden Frankfurter Urteilen noch verstärkt. So wie es eine „Abrechnungsliteratur“ (Schamschula 2004) gibt, die sich mit der NS-Vergangenheit auseinandersetzt, kann in IHE von einem „Abrechnungsjournalismus“ die Rede sein, insbesondere in Bezug auf Lenka Reinerovás Arbeit. Ihre persönliche Anteilnahme kommt in einer journalistischen Schreibweise zum Ausdruck, die aus der Literatur schöpft und Brücken zu ihren eigenen literarischen Texten schlägt, erinnert doch mancher Artikel an das Genre der Erzählung bzw. der Novelle. Der Beitrag „Statt eines Glückwunsches aus der Heimat“ (IHE April 1967: 12f.; vollständiger Artikel im Anhang Dok. 11) ist hierfür exemplarisch. Neben einem ausgeklügelten Titel, der wie oft bei Lenka Reinerová den Inhalt des Beitrags nicht erahnen lässt und folglich irritiert,50 gelingt es der Autorin meisterhaft, die beschriebene Szene dramatisch zu steigern. Der Beginn des Artikels steckt einen scheinbar unbedeutenden Rahmen: Ein guter Familienvater feiert seinen 62. Geburtstag mit seinen Verwandten. Die Identität der Figur wird aber erst allmählich aufgedeckt. Zuerst wird sie mit dem Pronomen ‚er‘ bezeichnet, dann, in der Mitte des dritten Abschnittes, mit einem Vornamen, Hermann; der vollständige Name, Hermann Krumey51, taucht erst am Anfang des sechsten Abschnittes auf, als von dessen Eintritt in die SS die Rede ist. Eine vollständige Identität wird ihm also erst durch die SS-Mitgliedschaft verliehen. Der Bericht beruht auf dem Prinzip der Steigerung, sowohl in Bezug auf das, was allmählich enthüllt wird, als auch auf das Ausmaß der begangenen Verbrechen: Der Protagonist ist zuerst „Gauturnwart“, dann „Gauleiter“, SS-Mitglied, Eichmanns „rechte Hand“, bevor er mit der „Sonderbehandlung“ der Kinder von Lidice beauftragt wird. Trotz dieses Retardierungseffektes ist der Text von vornherein durch eine elliptische Formel, die auf Kinderaugen hinweist („Weil 50  Andere Beispiele sind: „Unterwegs mit der ČSSR“ (IHE September 1967: 4f.), „Zwischen Schuhschachtel und Reisekoffer“ (IHE März 1968: 18f.), in welchem es um den Anschluss, um einen 1939 in Spanien gefallenen internationalen Brigadisten und um eine in Ravensbrück ermordete Freundin und Widerstandskämpferin geht, oder auch „Die Blumen des Bösen im Aufgalopp“ (IHE Februar 1968: 14f.), der sich mit der NPD befasst. Ähnliches gilt für Reinerovás Erzählungen: Der Ausflug zum Schwanensee; Unterwegs mit Franz Schubert; oder auch Mandelduft, Piratentuch und grüne Ringe. 51  Ein erster Artikel im Mai 1962 ([o. N.], „Taten der Unmenschlichkeit verhüten“, IHE Mai 1962: 10f.) berichtete bereits über den Nazi Hermann Krumey, der ein ruhiges Leben in der Bundesrepublik führte.

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Kinderaugen …“; „Denn die Kinderaugen …“; „Sehen Sie denn nicht die Kinderaugen …“), skandiert und mit verwirrenden Details gespickt, die die Aufmerksamkeit des Lesers wecken (der Vater des Protagonisten heißt Adolf, es ist die Rede von einem „deutschen Turnverein“). Die Irritation des Lesers entsteht auch aus dem Kontrast zwischen der Geburtstagsszene – mit der wiederholten Anspielung auf die Geste der liebenden Gattin, die im Begriff ist, die Torte anzuschneiden –, dem betonten Hinweis auf den gesunden Zustand des Mannes und dem, was der Leser nach und nach über ihn erfährt. Hier gestaltet Lenka Reinerová ein Mini-Drama mit einer Geburtstagsszene, die als Erzählrahmen dient und die Einheit von Zeit, Ort und Handlung befolgt. Auf dieser Bühne wird die „Banalität des Bösen“ konkret veranschaulicht: Krumey erscheint als fleißiger Beamter (das Wort „tüchtig“ wird gleich am Anfang benutzt, zunächst in seiner harmlosesten Bedeutung), der nicht vor der Arbeit zurückscheut und sie gewissenhaft verrichtet, bevor er abends nach Hause zurückkehrt und sich um seine Familie kümmert. Die Banalität des Geschehens wird durch die Wiederholung der harmlosen Geburtstagsszene verstärkt, während durch die jedes Mal erwähnten Kinderaugen, die wie Kains Auge den Mörder ewig verfolgen sollen, an das präsent gebliebene Böse erinnert wird. Der dramatische Aufbau der Erzählung führt zur jähen Entlarvung der unerhörten Situation jenes Verbrechers, der vor jeglicher Strafe gefeit geblieben ist, wobei der abschließende Absatz, der dessen gegenwärtiges Leben und das Schicksal der Mütter der ermordeten Kinder nebeneinander stellt, das krasse Unrecht aufdeckt.

Die Notwendigkeit, zu wachen und zu warnen

IHE macht keinen Hehl daraus, dass es ihr darum geht, Nazis zu entlarven: Wie froh wären wir in der Redaktion dieser Zeitschrift, wenn wir anstelle der Enthüllungen über diese ehemaligen Nazigrößen nur noch freundschaftliche Zwiesprache mit so guten alten Freunden halten könnten, wie Sie einer sind! ([o. N.], „Für Sie notiert“, IHE Mai 1962: 1)

Der in diesem Zitat geäußerte Wunsch scheint aber unerfüllbar zu sein, nicht nur, weil ehemalige Nazis noch unbestraft sind, sondern auch aufgrund der Entstehung einer neuen Partei wie der NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands) Mitte der 1960er-Jahre. Die Gründung dieser Partei sowie deren erste Wahlerfolge ab Ende 1966 lösen bei IHE tiefe Besorgnis aus. Die Zeitschrift greift die NPD mehrmals an,52 erkennt sie doch in dieser neuen Partei eine Erbin der NSDAP: 52  Lenka Reinerová, „Was ist und was nicht ist. Nach einem Besuch in Westberlin“ (IHE Januar 1967: 12f.); Bedřich Rohan, „Journalisten am runden Tisch. Offene Tribüne“ (IHE

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Eine gewisse politische Partei, die gegenüber der NSDAP um zwei Buchstaben ärmer ist, setzt in aller Offenheit die Linie fort, die die Trommeln und Pfeifen der Sudetendeutschen Landsmannschaft propagieren, und somit die Linie ihres Vorbilds. (Milan Škarýd, „Wenn wir Frieden wollen“, IHE Dezember 1967: 12f.)

Die Gleichung lautet klar: NPD = NSDAP = SL. In diesem Kontext besteht das Ziel von IHE darin, die deutsche Jugend darüber zu informieren, dafür zu sorgen, dass sie sich ihrer Verantwortung bewusst wird, damit das Geschehene sich nie mehr wiederholt, so Milan Weiner in folgender Tribüne über die jüngeren Generationen in Westdeutschland und die NS-Vergangenheit: Unser Gesamteindruck ist jedoch der, daß noch nie eine deutsche Generation mehr Möglichkeiten hatte, eine antimilitaristische, Antikriegs-Generation zu werden, die die Verbrechen der Vergangenheit ebenso ablehnt wie eventuelle Verbrechen der Zukunft. Und auf diese Generation im benachbarten Deutschland möchten wir bauen. (Milan Weiner, „Wenn die Söhne ihre Väter fragen. Offene Tribüne“, IHE Februar 1965: 9)

2.2.5 Deutschland, ein „fernnahes Land“ Dieses Oxymoron ist Eduard Goldstücker entlehnt, der es in einer offenen Tribüne von Januar 1965 benutzte, um Deutschlands Verhältnis zur Tschechoslowakei zu charakterisieren. Geografisch, historisch, eventuell kulturell, sei Deutschland ein „nahes“ Land; aufgrund der gegenwärtigen politischen und diplomatischen Beziehungen bleibe es aber dennoch „fern“. Der Prager Germanist drückt hier seinen Glauben an die Möglichkeit freundlicher und friedlicher Beziehungen zwischen Westdeutschland und der Tschechoslowakei aus, beweise doch das Beispiel der DDR, dass Deutsche, Tschechen und Slowaken zur gegenseitigen Verständigung imstande sind: Wer weiß, vielleicht hat uns, die jetzt Lebenden, unsere schmerzliche Erfahrung genügend belehrt und dadurch befähigt, das deutsch-tschechische Verhältnis endlich auf eine vernünftige Grundlage zu stellen und die Last der unerfreulichen Vergangenheit von unseren Rücken abzuwerfen. Vielleicht hat uns die erlebte Weltgeschichte endlich beigebracht, daß wir in gegenseitigem Respekt als Nachbarn leben müssen, wenn wir überhaupt leben wollen. Ein Stück guter Arbeit ist in dieser Hinsicht bereits geleistet worden, im Westen hat Februar 1967: 13); Lenka Reinerová, „Kein ernster Mensch nimmt sie ernst“ (IHE Juni 1967: 12f.); Lenka Reinerová, „In Karlsbad blühen die Rosen. Ein Paar Zeilen an westdeutschen Kollegen“ (IHE Juli 1967: 8f.); Milan Škarýd, „Wenn wir Frieden wollen“ (IHE Dezember 1967: 12f.); Lenka Reinerová, „Die Blumen des Bösen im Aufgalopp“ (IHE Februar 1968: 14f.). Auch in der französischen Presse sorgen die Wahlerfolge der NDP für Erregung (D’Angelo 2018: 302–305).

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man es bisher aber kaum wahrgenommen. Die Existenz der Deutschen Demokratischen Republik führte nämlich laufend zu Begegnungen einer beträchtlichen Anzahl von Tschechen, Slowaken und Deutschen […], daß Deutsche und Tschechen einander ohne Haß begegnen und friedlich nebeneinander leben können. (Eduard Goldstücker, „Eine einzige Welt. Offene Tribüne“, IHE Januar 1965: 11)

In der Tat thematisiert eine gewisse Anzahl von Artikeln erste Dialogversuche zwischen beiden Ländern oder beleuchtet die Entwicklung kultureller Beziehungen. Das Jahr 1963 scheint in dieser Hinsicht einen deutlichen Wendepunkt in IHE darzustellen: Neben der Kritik an den Aktivitäten der SL und dem Wiederaufkommen der NS-Gefahr erscheint ein Diskurs, der den Akzent auf die Nähe legt, einen Topos, der von den Motiven der Ähnlichkeit, der Möglichkeit der Annäherung, der Freundschaft und Aussöhnung begleitet ist. Dieser Diskurs war zwar bereits zum Zeitpunkt der Lancierung der Zeitschrift präsent, aber damals handelte es sich eher um eine Absichtserklärung. Diese wird ab 1963 aktuell und deutet auf den Beginn einer Liberalisierung des tschechoslowakischen Regimes hin. Der Gebrauch des Begriffs „Nachbar“53 zur Bezeichnung der Bundesrepublik wird immer häufiger und ist auch mit jenem des „Gleichen“54 oder auch des „Freundes“55 verbunden, ebenso so wie mit zwar wenig originellen Metaphern der Begegnung und der Annäherung, wie jener der „gereichten Hand“56, der „Brücke“57, oder der Grenze, die als 53  Lenka Reinerová, „Eine neue Erfahrung“ (IHE Mai 1963: 12f.); Jiří Pilař, „Botschaft aus Hamburg“ (IHE September-Beilage 1964: o. S.); Ivo Fleischmann, „Acht Tage am Rande. Tschechische Dichter in der deutschen Bundesrepublik“ (IHE Oktober 1964: 12f.); D. Hubená, Jan Pulec, Milan Škarýd, „Diesmal nach Domažlice“ (IHE August 1965: 4–9); Milan Škarýd, „Lufthansa landet in Prag“ (IHE Juni 1966: 16). 54  Lenka Reinerová, „Als Gast beim Club Voltaire“ (IHE Juni 1964: 7–9); Joachim Kreysler, „Kunst und Dokumentation. Unkorrigierte Gedanken während einer Reise in die Tschechoslowakei. Offene Tribüne“ (IHE März 1965: 11). 55  Jiří Pilař, „Botschaft aus Hamburg“ (IHE September-Beilage 1964: o. S.); Eduard Goldstücker, „Eine einzige Welt. Offene Tribüne“ (IHE Januar 1965: 11); Lenka Reinerová, „München ist nicht nur München“ (IHE Juli 1965:12f.); [o. N.], „Aus Ihrer Schreibmappe“ (IHE Dezember-Beilage 1965: o. S.). 56  Karl Freitag, „Beinahe eine Liebeserklärung. Aus einem Leserbrief“ (IHE September 1963: 20); D. Hubená, Jan Pulec, Milan Škarýd, „Diesmal nach Domažlice“ (IHE August 1965: 4–9). Das Motiv der gereichten Hand ist schon längst ein Topos des Diskurses über die deutsch-tschechischen Beziehungen, bzw. des Bohemismus-Diskurses im Vormärz (Maidl 2000). 57  Eduard Goldstücker geht es darum, „über Abgründe Brücken der Freundschaft zu schlagen“ („Eine einzige Welt. Offene Tribüne“, IHE Januar 1965: 11). Milan Machovec erklärt: „die Epoche friedlicher Koexistenz bedeutet eine Epoche des Dialogs, die Verwirklichung der Idee der Brücke“ und Sepp Schelz betont „die Rolle Prags als Brücke zwischen Ost

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Ort der Begegnung und nicht mehr der Teilung gedeutet wird. Ein Beispiel dafür liefert folgende fast idyllische Schilderung des Besuches von deutschen Touristen, die früher vertrieben worden waren: Die Welt wird vernünftiger, Gegenspieler reichen einander die Hände und Nachbarn bekommen durchaus nachbarliche Ideen: einander zu besuchen. Und so geht der Grenzbaum auf und nieder wie der Scheibenwischer eines Autos. […] – „Lassen Sie mich noch ein bißchen böhmische Luft atmen. Und dieses Steinchen nehm ich mir zur Erinnerung mit.“ Die jüngere Generation aus dem Wagen lächelt verlegen zu Omas Marotten. „Wissen Sie, sie hat einige Jahre in Böhmen gelebt und kanns nicht vergessen“, führen sie gewissermaßen entschuldigend an. Im nächsten Mercedes sitzt ein schwarzbebrillter Mann mit einer Leica um den Hals am Steuer. […] „Sie haben wirklich ein unerhört interessantes Land. Wir waren, was die Menschen anbelangt, aufs angenehmste überrascht. Was bei uns so geschrieben wird …! (D. Hubená, Jan Pulec, Milan Škarýd, „Diesmal nach Domažlice“, IHE August 1965: 4–9, hier 8)

Der vorherrschende Ton ist ein von Hoffnung geprägter, wobei IHE betont, diese ginge von beiden Seiten aus (dies soll durch Leserbriefe belegt werden58), und zwar von einfachen Bürgern, nicht von offiziellen Vertretern der beiden Länder, denn als Beispiele werden ausschließlich persönliche Zeugnisse von Lesern oder Mitgliedern der Redaktion angeführt, die sich in der ersten Person ausdrücken.59

und West“ (Lenka Reinerová, „Gespräche in Prag“, IHE Februar 1966: 5). In der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre wird also Beneš’ Brückenbegriff reaktiviert. 58  Karl Freitag, „Beinahe eine Liebeserklärung. Aus einem Leserbrief“ (IHE September 1963: 20); K.F. (Frankfurt a. M.), „Eine nicht gehaltene Ansprache“ (IHE September-Beilage 1964: o. S.); Joachim Kreysler, „Kunst und Dokumentation. Unkorrigierte Gedanken während einer Reise in die Tschechoslowakei. Offene Tribüne“ (IHE März 1965: 11); Franz Kammigan, Freiburg, „Aus ihrer Schreibmappe“ (IHE Oktober-Beilage 1965: o. S.); [o. N.], „Aus Ihrer Schreibmappe“ (IHE Dezember-Beilage 1965: o. S.); [o. N.], „Aus Ihrer Schreibmappe. Doppelhochzeit und Völkerverständigung“ (IHE März-Beilage 1966: o. S.). 59  Lenka Reinerová, „Als Gast beim Club Voltaire“ (IHE Juni 1964: 7–9); Tomáš Glückauf, „Zu Besuch in Westberlin. Offene Tribüne“ (IHE September 1964: 11); Jiří Pilař, „Botschaft aus Hamburg“ (IHE September-Beilage 1964: o. S.); Jiří Žák, „Denn man sieht nur die im Lichte … Eindrücke aus der Bundesrepublik“ (IHE Dezember-Beilage 1964: 12f.).

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Der Fokus richtet sich insbesondere auf die Rolle von Kultur, sei es Literatur60, Musik61, Theater62, und Wissenschaft und Forschung63, mit jeweils ganz konkreten und exemplarischen Ergebnissen, die IHE im „Notizblock“ präzise dokumentiert. Chronologisch betrachtet handelt es sich um folgende Ereignisse: • die Aufführung eines Stückes von Václav Havel in West-Berlin (Lenka Reinerová, „Das Gartenfest in Westberlin“, IHE Januar 1965: 22f.)64, • den Besuch von zwei berühmten deutschen Schauspielern (Heinz R ­ ühmann und Liselotte Pulver) zu Dreharbeiten in Prag (IHE Januar 1965), • die Einladung des Prager Bühnenregisseurs Alfréd Radok zu den Münchner Kammerspielen (IHE Mai 1965), • die Errichtung des Jan-Hus-Denkmals in Konstanz (IHE Juli 1965), • eine Fernsehzusammenarbeit für die Aufnahme einer Oper von Smetana (IHE September 1965), • Dreharbeiten im Prager Barrandov-Studio unter der Leitung eines deutschen Regisseurs (IHE September 1965), • den Besuch eines tschechischen Jazzorchesters in München (IHE September 1965), • eine tschechische Ausstellung in Nürnberg (IHE November 1965), • die Ausstrahlung einer Aufführung von Janáčeks Jenůfa durch das Prager Nationaltheater im Münchner Fernsehen (IHE November 1965), • die Beteiligung tschechoslowakischer Archäologen an Ausgrabungen in der Bundesrepublik (IHE November 1965), • eine Ausstellung tschechoslowakischer moderner Kunst in Baden Baden (IHE Dezember 1965), • eine Verlagskooperation zwischen ARTIA und Bertelsmann (IHE Januar 1966), • eine Ausstellung von Jiří Trnka in München (IHE Januar 1966), 60  Dr. Květuše Hyršlová, „Westdeutsche Halbzeit“ (IHE März 1964: 12f.); Ivo Fleischmann, „Acht Tage am Rande. Tschechische Dichter in der deutschen Bundesrepublik“ (IHE Oktober 1964: 12f.); Jürgen Beckelmann, „Europa heute. Tschechoslowakische Literatur in Münchner Verlagen“ (IHE Januar 1965: 12f.); Gustav Solar, „Bücher sind Boten“ (IHE Juni-Beilage 1966: o. S.). 61  K.F. (Frankfurt a. M.), „Eine nicht gehaltene Ansprache“ (IHE September-Beilage 1964: o. S.). 62  Karl Freitag, „Beinahe eine Liebeserklärung. Aus einem Leserbrief“ (IHE September 1963: 20). 63  A.  Šnejdárek, „Das Diktat von München. Eine Infamie. Historikerkolloquium in Prag“ (IHE September 1964: 22f.) 64  Lenka Reinerová rühmte sich damit, dazu beigetragen zu haben, Václav Havel in Deutschland bekannt zu machen (Lange 2012: 284f.; Eisenbürger 1997).

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• Dreharbeiten für eine Filmbearbeitung von Kafkas Schloss in Prag und in der Bundesrepublik (IHE Februar 1966), • die Ausstellung des slowakischen Grafikers Albín Brunovský in Düsseldorf (IHE Februar 1966), • eine Aufführung des Prager Nationaltheaters in München (IHE April 1966), • westdeutsche Dreharbeiten an der Universität Prag (IHE April 1966), • Ausstellungen der Künstlerin Jarmila Mařanová in Darmstadt und Würzburg (IHE Mai 1966), • eine Ausstellung von Büchern der Bundesrepublik in Prag und von tschechoslowakischen Büchern in Frankfurt (IHE Juni 1966), • eine künstlerische Zusammenarbeit in der westlichen Slowakei (IHE August 1966), • eine Film-Koproduktion (IHE August 1966), • Dreharbeiten von Exterieurs für das westdeutsche Fernsehen in Zvíkov (IHE Oktober 1966), • die Entwicklung touristischer Austausche (IHE November 1966), • eine Kooperation zwischen ARTIA und der Deutschen Grammophon Gesellschaft (IHE Dezember 1966), • den Besuch der Redaktion der Modezeitung Constanze in Prag (IHE März 1967), • Kurse von Jiří Weiss an der neuen Berliner Filmfakultät (IHE April 1967), • ein in Brno aufgeführtes Ballett mit deutschen Kostümen (IHE April 1967), • die Besichtigung des tschechoslowakischen Pavillons der Montrealer Weltausstellung durch offizielle Repräsentanten der Bundesrepublik (IHE August 1967), • eine Schwejk-Aufführung in Hamburg unter der Regie von Pavel Kohout mit Walter Taub in der Titelrolle (IHE November 1967). Den Höhepunkt jenes Diskurses, der zeigen soll, wie Verbindungen entstehen und sich intensivieren, stellt wahrscheinlich der Artikel von Vilém Fuchs65 im Juli 1967 dar, der über seine Begegnung mit jungen Leuten der SL berichtet, welche als sympathisch und zur Aussöhnung bereit erscheinen: Im Gegenteil, die Sudetendeutsche Jugend suche die Beziehung, suche die Kontakte mit den Tschechen und könne gar nicht begreifen, auf welch eine Mauer von Ablehnung, von Mißtrauen sie immer wieder bei einem Zusammenkommen mit Menschen aus der Tschechoslowakei stieße. In der Tat, mir war sympatisch [sic], was die jungen Menschen vor65  Vilém Fuchs (1933–1970) war bis 1965 Chefredakteur der deutschsprachigen Sendungen des tschechischen Rundfunks. Ab 1971 leitete er die Abteilung Kultur und Gesellschaft bei Radio Bremen.

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brachten. Sie glaubten daran, was sie sagten. Und ich glaube, sie meinten ehrlich, daß die Zeit herangereift sei, endlich einen dicken Schlußstrich darunter zu tun, was die Geschichte zwischen unsere Völker angeschwemmt hat. Was schade es denn, wenn man sich nun einmal im Jahr träfe, d. h. Leute aus dem ehemaligen tschechoslowakischen Sudetengebiet, wenn man Erinnerungen austauschte und den Gedanken an sein Volkstum hochhielte …? (Vilém Fuchs, „Offene Tribüne: Pfingsten 1967 in München“, IHE Juli 1967: 11)

Die Anspielung auf den „Schlussstrich“ erweist sich als interessant, zumal es sich um einen Begriff handelt, der im tschechoslowakischen Diskurs über die Vertreibungen gebraucht wird und bis zur Unterzeichnung des deutsch-tschechischen „Aussöhnungserklärung“ vom 21. Januar 1997, und gar bis heute, zu finden ist (Leclerc 2011b). Dass die junge Generation der SL den Begriff übernimmt, zeugt von einer spürbaren Bereitschaft zum Ausgleich, die vom Autor des Artikels wahrgenommen und gewürdigt wird. Dennoch – denn selbstverständlich ist nicht alles gelöst – gibt es immer noch als schockierend bezeichnete Aktivitäten seitens der SL, wie die Bücher oder geografischen Karten mit deutschen Toponymen, die auf den Treffen der Organisation zum Verkauf angeboten werden, – ein Detail, das Vilém Fuchs nicht entging und schließlich den guten Eindruck, den diese jungen Leute erweckten, trübt: Nein – die Karte war kein Überbleibsel aus K. H. Franks und Konrad Henleins Zeiten, sie war neu, neu herausgegeben – um altes Ideengut nicht untergehen zu lassen, um eine ‚Lösung‘ lebendig zu erhalten. (Vilém Fuchs, „Offene Tribüne: Pfingsten 1967 in München“, IHE Juli 1967: 11)

Die meisten Zeugnisse, die auf die in der Annäherung zwischen der Bundesrepublik und der Tschechoslowakei erreichten Erfolge verweisen, werden tatsächlich durch die Erinnerung an bleibende Schwierigkeiten wieder aufgewogen. So folgt auf das oben erwähnte Bild der Grenze eine Anspielung auf die Karte, die die deutschen Reisenden benutzen: In der Überschrift der von einem gewissen ‚Heimatverlag‘ in München herausgegebenen Karte steht allerdings zu lesen: ‚Sudetenland‘ und dazu die gebietsmäßige Bestimmung ‚Regierungsbezirk Eger-Karlsbad‘. Die Grenzlinie, Bezirks- und Gemeindenamen, alles entspricht jenen entschwundenen Zeiten, die wohl nicht nur der Herausgeber des Kartenwerks, sondern auch die, in deren Diensten er steht, vergeblich zurücksehnen. Die Karte ist unwahr und beleidigt zudem aufs gröbste die staatliche Souveränität des Landes. (D. Hubená, Jan Pulec, Milan Škarýd, „Diesmal nach Domažlice“, IHE August 1965: 4–9, hier 8)

Die Zeitschrift, die 1958 mit dem Ziel lanciert wurde, zur Auflösung gegenseitiger Vorurteile beizutragen, betrachtet es im Juli 1966 immer noch als notwendig, westdeutsche Vorurteile zu thematisieren. So greift Jiří Hájek die westdeutschen und österreichischen Journalisten und Literaturkritiker wegen ihrer verfälschten Auffassung von der tschechoslowakischen Literatur an und

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kritisiert deren Vorurteile und Ignoranz: Er empört sich über deren Neigung, die Literatur systematisch auf Spuren der Propaganda zu untersuchen. Trotzdem erkennt Hájek in der allmählichen Verbreitung der tschechoslowakischen Literatur in Westdeutschland eine Hoffnung auf Fortschritt in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern (Jiří Hájek, „Literatur ist eben Literatur. Offene Tribüne“, IHE Juli 1966: 9).

2.3 Bilanz: „Kommunikation in der Konfrontation“ (Burka 2012: 183) Im zweiten Teil der vorliegenden Studie wurde bereits darauf hingewiesen, dass IHE sich als Instrument des Dialogs mit dem westdeutschen Nachbarn definiert, das dazu bestimmt sei, gute nachbarschaftliche Beziehungen zu pflegen, den kulturellen Austausch und die Völkerverständigung zu fördern. Sind diese Aspekte eindeutig präsent, zumindest als erklärte Absicht, führt die Analyse der in der Zeitschrift bevorzugten Themen und des Diskurses zu einem modifizierten Bild von IHE, die auch als Propagandainstrument der Konfrontation betrachtet werden kann und auf einer Strategie der Replik beruht. Auf die defensive Haltung der Zeitschrift, die das Land und das Regime als Opfer von unfundierten Kritiken seitens Westdeutschlands betrachtet und sich daher reaktiv um deren Verteidigung bemüht, wurde ebenfalls bereits verwiesen; jene erscheint vor allem in der Selbstdarstellung der Tschechoslowakei. Ist von den tschechoslowakisch-deutschen Beziehungen die Rede, zeigt sich der Ton offensiver und IHE ergreift diesmal die Initiative; der Gegner wird klar benannt, mit einem beschuldigenden „Sie“ angezeigt, namentlich erwähnt und angegriffen. Dabei inszeniert die Zeitschrift eine Art Duell und benutzt zu diesem Zweck Gesprächssituationen mit häufiger direkter Ansprache des Lesers, der zum Zeugen genommen wird, sowie Anreden an den Gegner, oder auch Schilderungen von Begegnungen bzw. Gesprächen zwischen einem Deutschen und einem Vertreter der IHE-Redaktion. Offene Fronten tun sich auf zwischen einem omnipräsenten „wir“ und einem „Sie“ und werden durch den wiederholten Gebrauch von Ironie noch vertieft, insbesondere in den Texten von Lenka Reinerová. Weitere Instrumente der Offensive sind die Wiederholung sowohl der behandelten Themen, als auch der Anschuldigungen, Topoi und Leitmotive wie jene des Verrats, des Revanchismus, der Gewalt, die manchmal inflationär verwendet werden, der Gebrauch des Wortfelds des Krieges und von Stilfiguren wie Oxymoron oder Hyperbel. Das journalistische Schreiben selbst wird somit zum Träger der ideologischen Auseinandersetzung im Kalten Krieg. Hinter einer gezielt attraktiven Präsentation kommt

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also ein zeitweise scharfer Diskurs zum Vorschein, der jeglichen Kompromiss ablehnt und die Legitimation der tschechoslowakischen Rechtsposition unterstützt. Dies ist auch der Zweck der Fotografien und der abgedruckten Archivdokumente. In dieser Hinsicht kann Lenka Reinerová, die oft hinter Pseudonymen verborgen bleibt, als Initiatorin dieser publizistischen Auseinandersetzung gelten. Diese Argumentation wird von den Lesern als solcher rezipiert; und manchmal stimmen sie zu, oder, viel öfter aber, protestieren diese und prangern, das, was sie als Hartnäckigkeit wahrnehmen, an. Jedoch schwächt sich dieser offensive Diskurs ab 1963 ab, um den Akzent auf die erreichten Fortschritte zu legen. Vielleicht ist diese Konfrontation, wie Lenka Reinerová alias Amargo dazu einlädt, als ein Wunsch nach Offenheit, als zwar schmerzhafte, aber unentbehrliche Voraussetzung für den Aufbau von guten Beziehungen, zu verstehen: Wir haben in den letzten Jahren vielfach Bekanntschaft, vielfach Freundschaft geschlossen über die Ost-West-Grenze hinweg. Wir sind Nachbarn, die meisten von uns wollen gute Nachbarn sein. Aber deshalb müssen wir gar nichts vergessen, es ist sogar besser, wir sprechen offen über alles. Denn Paragraphen und Gesetze unterliegen der Zeit und ihren Umständen. Das menschliche Gewissen kennt keine Verjährung. (Amargo [Lenka Reinerová], „Gewissen kennt keine Verjährung“, IHE Mai 1965: 12f.)

Diese Strategie der Konfrontation gilt selbstverständlich nicht für die DDR, von der viel weniger die Rede ist. Wird die DDR erwähnt, dann handelt es sich um meist flüchtige Anspielungen im „Notizblock“, der über offizielle Begegnungen zwischen führenden Politikern Ostdeutschlands oder der Tschechoslowakei, über Zusammenarbeit im Bereich der Kultur oder über Sportwettbewerbe berichtet. Stets wird die Freundschaft zwischen beiden Ländern fokussiert. Eines fällt aber jenseits dieser zu erwartenden Darstellung auf: Es zeichnen sich tatsächlich Parallelen ab zwischen der Enthüllungsmission, die sich IHE gegenüber den ehemaligen Nazis vorgenommen hat, und den in der DDR gegen die Bundesrepublik geführten Kampagnen, die darauf abzielten, führende politische Persönlichkeiten vor der Weltöffentlichkeit zu diskreditieren.66 Ist in diesem Bereich in IHE ein Einfluss der DDR zu erkennen? Es wurde bereits gezeigt, dass die Methoden der DDR-public diplomacy in IHE angewandt wurden. Der regelmäßige Hinweis auf die DDR ermöglicht auch einen gewissen Druck auf die Bundesrepublik und wird also zu diesem Zweck instrumentalisiert. Zuletzt müssen die engen Verbindungen zwischen Lenka Reinerová und der DDR betont werden. Dort veröffentlichte sie ihre ersten beiden Werke (Reinerová 1958; Reinerová 1962) sowie Artikel in der 66  Wie etwa Bundespräsident Karl Heinrich Lübke (D’Angelo 2018: 279 u. 298).

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­ostdeutschen Presse (Neue deutsche Literatur; Das Magazin; Wochenpost; Zeit im Bild) (Liste im Anhang Dok. 4). Sie begab sich auch relativ oft dorthin, entweder für eine Reportage oder einfach auf Besuch, insbesondere in Ost-Berlin, wo ihre Freundin Anna Seghers lebte. Im Jahre 1962 richtete sie einen Brief an Vojmír Šimonek im Ostberliner tschechoslowakischen Kulturzentrum, in welchem sie die Bedeutung der Verbindungen zwischen IHE und dem Kulturzentrum betont: „budeme časopisově s vámi v budoucnosti ještě více spjati“ [wir werden in Zukunft durch die Zeitschrift noch enger mit euch verbunden sein] (Brief vom 9/11/1962, Reinerová-Nachlass, Prager Literaturarchiv).

3. D  ie Darstellung der tschechoslowakisch-österreichischen Beziehungen in IHE und WuS Vergleicht man die Art und Weise, auf die die Bundesrepublik und Österreich in den jeweiligen Zeitschriften behandelt werden, so lassen sich bedeutende Unterschiede in Duktus und Absicht gegenüber den beiden Nachbarn der Tschechoslowakei feststellen, was bereits im Titel der österreichischen Ausgabe (Wir und Sie im Herzen Europas) enthüllt wird, setzt er doch eine privilegierte Beziehung mit Österreich, oder gar ein Bündnis – Wir und Sie –, voraus. Der Ton gegenüber Österreich erweist sich als viel moderater, als auf Ausgleich, nicht auf Konfrontation abzielend, auch wenn Streitpunkte nicht ausgelassen werden.

3.1 Streitpunkte 3.1.1 Die habsburgische Vergangenheit Schon zum Zeitpunkt des Lancierens von IHE wurde die habsburgische Vergangenheit thematisiert und weitestgehend mit dem Motiv des ­Temno verknüpft. Jenes Motiv, das auf dem Mythos der nach der Niederlage in der Schlacht am Weißen Berg 1620 auf die böhmischen Länder gefallenen ­Finsternis beruht,67 kommt in der Juliausgabe von 1958 vor, wo Gustav ­Solar 67  Es sei dennoch präzisiert, dass, auch wenn die Idee der auf die böhmischen Länder gefallenen Finsternis in der Literatur und Historiografie seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert

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alias Gustav Jesenius die Schlacht und den „habsburgisch[en] Usurpator ­ erdinand II.“ erwähnt („Die Beweiskraft des Dokuments. Zur gesamtstaatF lichen Ausstellung von Archivdokumenten“, IHE Juli 1958: o. S.). Im darauffolgenden Monat wird in einem Beitrag über eine Archivausstellung der Inhalt des Temno-Mythos mit einem knappen Satz und einem Chiasmus kurz und bündig resümiert: „Die glanzvolle Barockepoche war für das tschechische Volk eine Zeit der Finsternis“ ([o. N.], Die letzten 500 Jahre. Zur gesamtstaatlichen Archivausstellung“, IHE August 1958: o. S.). Anlässlich des 40. Jubiläums der Gründung der Tschechoslowakei im Oktober 1958 wird die Schuld der Habsburger erneut akzentuiert: Nach der verlorenen Schlacht am Weißen Berg im Jahre 1618 [sic] kamen die böhmischen Länder endgültig unter die Herrschaft der Habsburger, die volle dreihundert Jahre währte. Drei Jahrhunderte Knechtschaft, drei Jahrhunderte nationaler und sozialer Unterdrückung. Aber nie verlosch die Flamme des Widerstandes gegen die verhaßte, volksfremde Monarchie. Jahrzehntelang glomm sie unstet und schwach, um immer wieder neu emporzulodern. Bauernaufstände, Freibeuter, die zu legendären Helden wurden, Schriftsteller, Historiker und Künstler sorgten dafür, daß die Erinnerung an die verlorene nationale Selbständigkeit im Volke wach blieb. ([o. N.], „Die Zeit war reif“, IHE Oktober 1958: o. S.)

Die Darstellung der Habsburger in der Zeitschrift erweist sich also als extrem negativ, wird sie doch stets mit Begriffen wie „Knechtschaft“, wie hier, oder „Unterdrückung“ (Lenka Reinerová, „Als der Postbote ging“, IHE Februar 1959: o. S.; Václav Holzknecht, „Der Weg der tschechischen Philarmonie“, IHE April 1959: o.  S.), „Willkür“ (G.  Jesenius [Solar], „Litoměřice“, IHE März 1964: 17–19, hier 18), „Ausplünderung“ (G. Jesenius [Solar], „Schloss der Träume. Červená Lhota“, IHE Juli 1966: 10–13, hier 11) beschrieben. Dabei wird aus einem weitgefächerten Wortfeld der Finsternis geschöpft: Es ist die Rede von der „dunkelst[en] Gegenreformation“, von der „düster[en] Zeit der Gegenreformation“ (Dr. Oskar Kosta, „Strahov. Die Gedenkstäte des tschechischen Schrifttums“, IHE März 1959: o. S.) oder von den „jesuitischhabsburgischen Dunkelmänner[n]“ (G.  Jesenius [Solar], „Litoměřice“, IHE März 1964: 17–19, hier 17). Solar erwähnt im Juli 1966 „d[as] bezeichnend[e] literarisch[e] Synonym ‚Finsternis‘“ (G.  Jesenius [Solar], „Schloss der Träume. Červená Lhota“, IHE Juli 1966: 10–13, hier 11). Die Herrschaft der ­Habsburger habe Böhmen vom Okzident abgeschnitten: Hunderte Jahre später fielen die luxemburgischen Erblande den Habsburgern zu […]. So wurde die von den Luxemburgern vermittelte Verbindung Böhmens mit dem

zu finden ist, der Begriff Temno selbst erst ab 1915 mit Alois Jiráseks historischem Roman Temno zur allgemeinen Verbreitung gelangt.

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­fortschrittlichsten Kulturkreis der damaligen Welt für Jahrhunderte unterbrochen. (Vlasta Dvořáková,68 „Die Luxemburger und Böhmen“, IHE Juni 1962: 18–21, hier 21)

Bedenkt man die Mühe, die IHE aufbringt, um die Tschechoslowakei als westlichen Vorposten des sozialistischen Blocks und vor allem nicht als ein Land Osteuropas zu präsentieren, so erscheint diese vermeintliche Schuld der Habsburger wohl als eine besonders gravierende. Diese Deutung der Geschichte entspricht nicht nur dem Temno-Mythos, sondern auch der marxistischen Lektüre jener geschichtlichen Epoche, des Feudalismus. Trotz marxistischer Interpretationen bleibt aber der Mythos im tschechischen Kollektivbewusstsein stark verankert und die damit verknüpften Ereignisse werden oft als Trauma beschrieben.69 Reaktiviert wird dieses Trauma übrigens jedes Mal, wenn vom Münchner Abkommen die Rede ist. IHE zieht tatsächlich öfters Parallelen zwischen 1620 und 1938. So liefert etwa der bereits zitierte Beitrag von Kamil Winter eine Analogie zwischen der Habsburger Herrschaft und der NS-Zeit, wenn er im Rahmen seines Artikels über das Münchner Abkommen auf „die 300jährige Habsburger Fremdherrschaft“ anspielt; schließlich überträgt er das Motiv des Temno auf München: Sieben Jahre nach dem Tag, an dem man uns in die Finsternis geworfen, die ‚tausend Jahre‘ dauern sollte, ist auf sowjetischen Panzern der Frieden und die Freiheit wieder, und für immer, eingezogen in unsere Heimat. (Kamil Winter, „München. Symbol und Erlebnis“, IHE, September 1958: o. S.)

Der Begriff „Temno“ wurde in der tschechischen Historiografie verwendet, um das Barockzeitalter zu charakterisieren, d. h. die Zeit von 1620 bis zur Národní obrození [Nationale Wiedergeburt] und zur Aufklärung. Josef Macek (1984), dessen Kapitel über diesen Zeitraum „L’Âge des Ténèbres“ [Die Zeit der Finsternis] betitelt ist, betont jedoch die Grenzen jenes Ausdruckes, der in manchen Bereichen, wie etwa Kunst und Architektur, die im 17. und 18. Jahrhundert florierten, keineswegs zutrifft. Jean Bérenger (1990: 334) ist auch der Meinung, dass die tschechische Historiografie sich schwer täusche, wenn sie diese Zeit als eine Phase der Germanisierung und Entkulturation deutet. IHE distanziert sich übrigens manchmal von diesem Mythos, indem einige Artikel 68  Wahrscheinlich handelt es hier um die tschechische Kunsthistorikerin Vlasta Dvořáková (1920–2005). 69  Wie etwa bei Fernandez (1995: 409) oder bei Radzyner (2000: 73): „Die Erbsünde der Österreicher war es – in den Augen der Tschechen –, im Jahre 1620 die Schlacht am Weißen Berg gewonnen zu haben, wodurch sich die Habsburger der Länder der böhmischen ­Wenzelskrone endgültig einverleiben konnten, wobei die böhmische, protestantische und adelige Elite des Landes hingerichtet oder vertrieben wurde. Die Demütigung hat die nationale Identität der Tschechen bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein traumatisch belastet.“

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den künstlerischen Beitrag des Barockzeitalters, insbesondere im Bereich der Musik, würdigen und einen neutraleren, jeder Polemik fernen Ton anschlagen: Nach der Niederwerfung des Aufstands der böhmischen protestantischen Stände gegen die Habsburger zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges war die Macht des heimischen protestantischen Adels und des Bürgertums gebrochen. Der neue katholische Adel öffnete den zeitgenössischen Strömungen aus Italien, Wien und Paris Tür und Tor. Alles Neue jedoch, das in der Musikwelt entstand, wurde alsbald amalgamiert, von der ungemein starken heimischen Tradition umgewandelt. (Petr Nowák, „Böhmischer Frühling der Musik­ klassik“, IHE April 1966: 24–26, hier 24)70

In der an Österreich gerichteten Ausgabe WuS erweist sich der Ton aber als weniger aggressiv und das Motiv des Temno ist weniger präsent, was auf den ersten Blick verwundern mag. WuS scheint dennoch auf jegliche Polemik zu verzichten, geht es doch darum, die Voraussetzungen für eine Annäherung zwischen der Tschechoslowakei und Österreich zu schaffen. Im Jahre 1969 ist z. B. ein Beitrag von Václav Holzknecht, dem Vorsitzenden der tschechoslowakisch-österreichischen Gesellschaft, zu lesen, der sogar das Potenzial der habsburgischen Vergangenheit als Annäherungsfaktor zwischen beiden Ländern hervorhebt: Übrigens warum sollten wir es leugnen? Die alte Monarchie hat [unsere beiden Länder] einander nähergebracht, hat lange genug bestanden, um ihre vereinigende Aufgabe zu erfüllen. (Václav Holzknecht, „Blick über die Grenze: Gute Nachbarn sein“, WuS Februar 1969: 27)

Auf den Temno-Mythos wird hier zugunsten des Habsburger Mythos71 verzichtet – eine maßgebliche Entwicklung! Ferner sei auf eine weitere Distanzierung gegenüber dem Temno im Juni 1968 hingewiesen, was ein Zeichen dafür sein mag, dass die Liberalisierung des Regimes sich auch auf die Historiografie auswirkt: Die Zeit, die nun begann, wird in den Geschichtsbüchern als Epoche des Dunkels bezeichnet. Geben wir zu, die Historiker führen über diese Zeit vielerlei Streit – ihre Zusammenhänge sind überaus verwickelt, ja widerspruchsvoll – und verweilen wir deshalb – mit der gütigen Erlaubnis des Lesers – bei der einzigen Persönlichkeit, die aus dieser Verwirrung hervortritt und weltweite Bedeutung erlangte. (Zdeněk Mahler, „Dies Land im Herzen Europas, VI. Comenius, Lehrer der Völker“, IHE Juni 1968: 2)

70  So auch: Alexander Buchner, „Musikinstrumente aus fünf Jahrhunderten“ (IHE April 1959: o. S.). 71  Zum Habsburger Mythos vgl. Magris (1966) und dessen Kritik durch Jacques Le Rider (2006–2007).

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In WuS mögen die Anspielungen auf das Temno und die habsburgische Vergangenheit auf die tschechoslowakischen Befürchtungen bezüglich der Figur Otto Habsburgs zurückzuführen sein, welchem Österreichs Innenminister Hetzenauer (ÖVP) 1966 einen Pass gewährte. Paul Ullmann (2006: 149) weist darauf hin, dass der tschechoslowakische Gesandte in Wien am 29. Juni 1966 darüber berichtet, wobei er seine Furcht bekundet, dass sich die äußerste Rechte Österreichs fortan um Otto Habsburg zu sammeln vermöge. Mit dem Gesetz vom 3. April 1919 „betreffend die Landesverweisung und die Übernahme des Vermögens des Hauses Habsburg-Lothringen“ war den Habsburgern in der Tat die Einreise auf das österreichische Staatsgebiet untersagt und ihr Vermögen konfisziert worden. Dieses Gesetz war zugleich mit dem Adelsaufhebungsgesetz (Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Inneres und Unterricht und des Staatsamtes für Justiz, im Einvernehmen mit den beteiligten Staatsämtern vom 18. April 1919, über die Aufhebung des Adels und gewisser Titel und Würden) verabschiedet worden, die u. a. die Führung des Adelsprädikats ‚von‘ verbot. Die Angst vor einer möglichen Restauration der Habsburger Monarchie war in der Tschechoslowakei nicht neu, sie war gleich bei ihrer Gründung entstanden, und vor allem von Edvard Beneš vertreten worden. Die Möglichkeit einer Restauration wird zum ersten Mal im November 1963 in der „offenen Tribüne“ von Rudolf Jelínek nach seiner Rückreise aus Wien thematisiert: Ich sprach mit verschiedenen Menschen über die Möglichkeit der Rückkehr Otto Habsburgs. Viele betrachteten dieses Problem vernünftig, mit den Augen von Republikanern des 20. Jahrhunderts, andere winkten einfach ab, manche waren sehr dafür. Ich weiß nicht, was sie sich davon versprechen, vielleicht können sie den Glanz der Uniformen nicht vergessen, die Hofbälle, die adeligen und nichtadeligen Titel, wer weiß was noch. Es kam mir so vor, als ob aus Wien alle Autos verschwinden und in den Straßen wieder nur herrschaftliche Kutschen fahren sollten. (Rudolf Jelínek, „Wien gestern und heute. Offene Tribüne“, WuS November 1963: 9)

Anlass für diese Tribüne war die Debatte im österreichischen Nationalrat im Jahre 1963, nach welcher SPÖ und FPÖ gegen die Rückkehr Otto Habsburgs stimmten. Im Mai 1961 hatte Otto Habsburg der österreichischen Regierung seine „Loyalitätserklärung“ übergeben und ersucht, dass diese als ausreichend betrachtet werde, was ihm jedoch verweigert worden war. Otto Habsburg wandte sich also an den österreichischen Verfassungsgerichtshof, der sich aber im Dezember 1961 für unzuständig erklärte, dann an den Verwaltungsgerichtshof, der im Mai 1963 die Zulänglichkeit der Loyalitätserklärung ­feststellte und

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so die Landesverweisung Otto Habsburgs aufhob.72 Dieser Beschluss sorgte für eine heftige politische und öffentliche Debatte und verursachte Streiks und anti-habsburgische Demonstrationen, wobei die Angelegenheit eine juristische Debatte über die Kompetenzen der österreichischen Gerichte nach sich zog. Nach dem gemeinsamen Antrag von SPÖ und FPÖ, um eine Rückkehr Otto Habsburgs zu verhindern, wurde auf Anweisung von Innenminister Franz Olah und Außenminister Bruno Kreisky die Ausstellung eines Passes für Otto Habsburg versagt. Die sich daraus ergebende Koalitionskrise dauerte bis 1966 an (Cullin/Kreissler 1972: 139).

3.1.2 Die österreichische Neutralität Es handelt sich hierbei um die heikelste Frage, die zudem ausschließlich in WuS besprochen wird. Österreich hatte mit dem am 15. Mai 1955 in Wien unterzeichneten Staatsvertrag seine Souveränität wiedererlangt und am 26. Oktober desselben Jahres, nach der Ratifizierung des Staatsvertrages, das Bundesverfassungsgesetz über seine Neutralität verabschiedet. Am 6. Dezember 1955 erkannten die vier Unterzeichnermächte des Staatsvertrages dieses Neutralitätsgesetz an, dann, nach und nach, auch alle Staaten, mit denen Österreich diplomatische Beziehungen pflegte (Cullin/Kreissler 1972: 121–132). Dies schloss folglich die Tschechoslowakei nicht ein, die jedoch gleich am 1. Dezember 1955 die österreichische Neutralität anerkannte (Dejmek 2002: 186). Die Idee der Neutralität, einer militärischen, wenn man sich an den Gesetzestext hält,73 war im Jahre 1955 keineswegs selbstverständlich und sie stieß auf einflussreiche Gegner, die versuchten, ihre Tragweite einzuschränken, indem sie diese von einer ideologischen Neutralität unterschieden (Cullin/Kreissler 1972: 124f.). WuS erinnert Österreich regelmäßig, oft mit Ironie, an seine Neutralitätspflicht und nimmt sich vor, Verstöße gegen diese Neutralität aufzudecken. Es gibt unterschiedliche Gründe für Beschuldigungen: Zuerst wird Österreich vorgeworfen, ehemalige Nazis auf seinem Staatsgebiet aufzunehmen oder die Abhaltung sudetendeutscher Tagungen zu genehmigen. WuS prangert also immer wieder die Nachsicht des österreichischen Staates gegenüber NSVerbrechern an. Im Januar 1963 wird der Einladung von Prof. Dr. Ferdinand 72  Vgl. https://www.parlament.gv.at/ZUSD/PDF/Die_Habsburg-Krise.pdf [12.10.2021]. 73  Artikel I (2) lautet: „Österreich wird zur Sicherung dieser Zwecke in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete nicht zulassen.“

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Durčanský durch das Wiener Forschungsinstitut über den Donauraum ein Artikel gewidmet, wobei enthüllt wird, dass dieser Gast ein ehemaliger Außen- und Innenminister des Slowakischen Staates (1939–1945) war und auf der „Kriegsverbrecherliste 44“ eingetragen ist. Der Verfasser des Beitrags spielt dabei sarkastisch auf die österreichische Neutralität an, und zwar gleich zu Beginn: Die Botschaft74 der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik in Wien drückte […] ihre Unbill über das Auftreten des Professors in der Hauptstadt des neutralen Österreich aus und verlangte unter Berufung auf die Prinzipien des internationalen Rechts und des österreichischen Staatsvertrags aus dem Jahr 1953 [sic] seine Auslieferung an die ČSSR. Ja aber … ([o. N.], „Eingetragen unter Nr. 110 in der Kriegsverbrecherliste 44: „Ferdinand Durčanský“, WuS Januar 1963: 12)

und wiederum am Ende, nachdem die Karriere und die Heldentaten des Professors unter dem NS-Regime dargelegt wurden: Ja, aber in der Hauptstadt des neutralen Österreich hat er vor gar nicht langer Zeit einen Vortrag gehalten. Demokratisch natürlich, wie denn sonst. ([o. N.], „Eingetragen unter Nr. 110 in der Kriegsverbrecherliste 44: „Ferdinand Durčanský“, WuS Januar 1963: 13)

Diese Vorwürfe werden um mehrere Artikel über neonazistische Bewegungen in Österreich ergänzt. So nimmt etwa der Autor des Beitrags „Großdeutsche Gymnastik“ kein Blatt vor den Mund, um die Veranstaltung einer nationalsozialistischen Demonstration in Innsbruck anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Königgrätzer Schlacht (1866) „unter dem Deckmantel der österreichischen Neutralität“ zu denunzieren (Petr Koudelka,75 „Großdeutsche Gymnastik“, WuS September 1966: 12f.). Der Text ist auf drei Spalten verteilt, die durch Abbildungen voneinander getrennt sind: das Foto eines älteren Mannes, der ein Banner trägt; das Bild eines Jungen in Trachtenhosen, ebenfalls mit einem Banner; und eine Hitlerkarikatur. Diese drei Abbildungen dokumentieren das Forttradieren der NS-Ideologie bei den älteren wie bei den jüngeren Generationen. Der Text selbst besteht aus vier Teilen mit eindeutigen Überschriften: „SS-Turnerei“, „Hitlers Geist turnt mit“, „Ein Nazi am Vorstandstisch“ und „Unter dem Deckmantel der österreichischen Neutralität“. Schuldzuweisungen können wohl kaum expliziter formuliert werden. Zwar hatte der österreichische Staat Reden verboten, die sich für ein großdeutsches Konzept einsetzen, so wie die vorgesehene Debatte über die Frage, 74  Es gibt vor 1975 keine Botschaft der Tschechoslowakei in Wien, sondern nur eine Vertretung. Dieser Fehler mag zweifellos dazu bestimmt sein, dem Ansuchen der Tschechoslowakei eine offiziellere Tragweite zu verleihen. 75  Petr Koudelka (*1942) ist Journalist. Er war Redakteur der Zeitung Mladá Fronta.

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ob Österreich ein selbständiges nationales Gebilde oder nur ein Bestandteil des deutschen Reichs sei, untersagt. Der Staatsvertrag von 1955 verbietet in der Tat explizit jeden Anschluss. Dennoch bekundet der Verfasser des Artikels seine tiefe Besorgnis: Mit der Wertung der Turnerbewegung, wie sie z. B. der Tiroler Landeshauptmann Wallnöfer der Öffentlichkeit vorsetzt, kann man jedoch keineswegs einverstanden sein. Er bezeichnete sie als Angelegenheit von Greisen, als eine „biologische Erscheinung“, die sich von selbst bereinigen werde. Diese Melodie kennen wir bald zwanzig Jahre lang aus der Deutschen Bundesrepublik. So wie die Turner in Innsbruck auftraten, sind sie ein gefährlicher Bestandteil der Strömung, die im westdeutschen Neonazismus wurzelt und ausdauernd über die Grenzen der Bundesrepublik ausstrahlt; einer Strömung, die man mit Recht als Wiederbelebung des Nationalsozialismus bezeichnen kann. (Petr Koudelka, „Großdeutsche Gymnastik“, WuS September 1966: 12f., hier 13)

Ein weiterer Artikel im November/Dezember 1969 greift diese Thematik auf und kritisiert „die Abhaltung des Heimattages auf dem Boden des neutralen Österreichs“ an, wobei er ebenfalls zunächst an die angebliche Neutralität Österreichs erinnert. Der erste Satz des Artikels beginnt: „Die Hauptstadt des neutralen Österreichs […]“ (J.  Kružík, „Durchaus unneutraler Heimattag“, WuS November/Dezember 1969: 18f., hier 18). Diese Themen werden aber vorrangig in IHE behandelt, wobei Österreich, ebenso wie die Tschechoslowakei, gar als Opfer des deutschen Militarismus dargestellt wird: Während der Nazi-Okkupation war natürlich jede Zusammenarbeit [zwischen tschechoslowakischen und österreichischen Historikern, H.L.] unmöglich. Die tschechische Geschichtsschreibung und ihre Vertreter wurden verfolgt, liquidiert oder in die Illegalität gedrängt. Die slowakische Historiographie hörte auf, ein Faktor der nationalen Entwicklung zu sein. Auch die österreichische Geschichtswissenschaft wurde von der deutschen Okkupation schwer getroffen und büßte ihre internationalen Kontakte ein. (Gustav ­Solar, „Tschechoslowakisch-österreichische Historikerkontakte. Interview von Antonín Šnejdárek“, WuS Mai 1964: 16)

Bemerkenswert ist hier die Anspielung auf die „Nazi-Okkupation“ Österreichs, die an die österreichische „Opferthese“ anknüpft. Dass diese These auch vom Leiter der zeitgeschichtlichen Abteilung des Geschichtsinstitutes der tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften vertreten wird, mag überraschen. Daraus ergibt sich, dass der Gegner der Tschechoslowakei die Bundesrepublik bleibt, während man sich um eine Annäherung an Österreich bemüht. Insgesamt sind keinerlei Angriffe gegen die NS-Vergangenheit Österreichs zu finden, nichts etwa über den österreichischen SS-Offizier Franz Murer, der 1963 freigesprochen wurde, während, wie oben ausführlich dargelegt, das Thema omnipräsent ist, wenn es um die Bundesrepublik geht.

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Ein anderer Grund für Kritik wegen Verletzung der Neutralitätspflicht betrifft das Verhältnis Österreichs zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Als Großbritannien im Juli 1961 seine Absicht bekundete, dem Gemeinsamen Markt beizutreten, folgte ihm Österreich im Oktober, ebenso wie Schweden und die Schweiz, was zuerst in Österreich eine Polemik auslöste. Daher stellte die österreichische Regierung einen Antrag auf EWG-Assoziierung, nicht auf Beitritt. Der Vorsitzende der Kommission der EWG, Walter Hallstein, erinnerte jedoch daran, dass die EWG nicht nur eine wirtschaftliche Gemeinschaft sei, sondern auch eine politische. Die Warnung Moskaus ließ nicht auf sich warten; der Kreml wies jegliche Form der Assoziierung Österreichs mit der EWG zurück, wie in der Pravda vom Dezember 1961 zu lesen ist (Cullin/Kreissler 1972: 130). Der österreichische Außenminister Bruno Kreisky antwortete aber, dass die Assoziierung mit der Neutralität vereinbar sei. Anlässlich des offiziellen Besuchs des Bundeskanzlers Gorbach in Moskau im Juli 1962 wiederholte die UdSSR ihre Kritik, die Wien jedoch ignorierte, wobei es sich weiterhin der EWG annäherte. Bundeskanzler Klaus machte das Arrangement zwischen Österreich und der EWG nun zu einer seiner Prioritäten, was 1964 wiederum zu einer Warnung in der Pravda führte. WuS berichtet zweimal darüber, lässt das Thema aber nach 1963 beiseite. Die erste Anspielung erfolgt im Februar 1962, in einer „offenen Tribüne“ des tschechoslowakischen Gesundheitsministers Josef Plojhar76, der nicht nur die Idee des EWG-Beitritts ablehnte, sondern auch „[j]edwede Form einer Assoziierung Österreichs zur EWG“, die er als „eine Verletzung seines neutralen Statuts und seiner vertraglichen Verpflichtungen gegenüber anderen Staaten“ erachtete. Eine Assoziierung würde nach Plojhar „zu ernsten politischen und wirtschaftlichen Komplikationen“ führen und „d[ie] expansiven Pläne des westdeutschen Großkapitals, sein[e] Revanchegelüste und s[ein] Streben nach politischer Vorherrschaft“ unterstützen (Dr. h. c. Josef Plojhar, „Unser Nachbar Österreich. Offene Tribüne“, WuS Februar 1962: 9). Noch einmal kommt hier zum Vorschein, dass die eigentliche Zielscheibe, über Österreich hinaus, die Bundesrepublik ist. Außerdem übernimmt Plojhar weitgehend die Pravda-­ Argumente. Die zweite Anspielung auf das Assoziierungsprojekt liefert die „offene Tribüne“ von Dr. Helene Legradi, Leiterin des österreichischen Büros für den Ost-West-Handel, die die österreichische Kampagne angreift, die danach strebte, von den wirtschaftlichen Risiken für Österreich zu überzeugen, 76  Josef Plojhar (1902–1981) war ein katholischer Priester, der mit der KPČ zusammenarbeitete. Martin Schulze Wessel (2018: 209f.) stellt ihn als „eine[n] der wichtigsten Berater Novotnýs in kirchenpolitischen Fragen“ vor.

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sollte das Land außerhalb der EWG bleiben (Dr. Helene Legradi, „Offene Tribüne: In Neutralität verhungern?“, WuS Juni 1963: 9). Es sind dies aber die einzigen Erwähnungen des Themas, wobei die Frage der Assoziierung mit der EWG erst im Jahre 1972 geregelt wurde (Cullin/Kreissler 1972: 131). Es scheint also erneut, dass WuS zur Bevorzugung konsensfähigerer Themen tendiert; die Tatsache, dass sie dieser Thematik ab 1963 nicht mehr nachgeht, mag auch ein Hinweis auf die Liberalisierung des tschechoslowakischen Regimes und auf dessen Bemühungen um Autonomie gegenüber der Moskauer Linie sein. Natürlich sind nach wie vor einige Erinnerungen an die Neutralitätspflicht zu lesen, u. a. in Beiträgen des tschechoslowakischen Vize-Außenministers Otto Klička (Otto Klička, „ČSSR-Österreich. Zum Jahrestag“, WuS Mai 1965: 12f.; „Zum Jahresende“, WuS Dezember 1967: 12f.).

3.2 Die Konvergenz in Wort und Bild 3.2.1 „Sie über uns“ Ähnlich wie ihre „ältere Schwester“ IHE benutzt WuS regelmäßig Berichte von Österreichern bzw. Österreicherinnen über die Tschechoslowakei und ruft sie dazu auf, das Nachbarland positiv beschreibende Kommentare zu liefern, wobei diese mit negativen Schilderungen Österreichs durch Österreicher selbst kombiniert werden. Der erste dieser Berichte erscheint in IHE, die dem Besuch österreichischer Bergleute in Příbram einen Artikel widmet. Diese Bergleute stellen darin fest, dass sie bezüglich der Lebensqualität in der Tschechoslowakei betrogen wurden und dass dort in Wirklichkeit alles besser sei: Hört mal, schreibt in der Zeitung, daß wir herkommen und alles mit eigenen Augen sehen konnten. Es ist schon so, daß unsere Zeitungen und das Radio meistens nicht die Wahrheit sagen. […] Bei uns Felderchen und hier alles groß, man sieht kaum den Anfang und das Ende. […] Ich arbeite schon 30 Jahre unter Tag und kann meine Kinder trotzdem nicht studieren lassen. […] Die Menschen sollen wissen, was die Wahrheit ist! […] Direkt beim Korb ist eine Statue des hl.  Prokop. Die Gäste sind verblüfft. Sowas ist nicht verboten? Euere Kirchen sind dennoch gesperrt. Allgemeine Heiterkeit auf Seiten der Gastgeber. Wie einfältig und naiv sind die Lügen, die unsere Freunde vor ihrer Reise anhören mußten. ([o. N.], „Österreichische Bergarbeiter zu Besuch in Příbram“, IHE Juni 1961: o. S.)

WuS wird sich ihrerseits darum bemühen, den Umfang der negativen Vorurteile gegen die Tschechoslowakei in Österreich zu unterstreichen,77 um sie 77  Die Tschechen und Slowaken selbst seien übrigens über Österreich auch schlecht informiert, wie der Artikel von Karel J. Matouš „Liegt Österreich in Australien?“ in der

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oft mit scharfer Ironie zu verspotten. Dies ist z. B. der Fall eines Artikels von Karel Trinkewitz über den Prager Besuch eines österreichischen Paares, das den WuS-Leserwettbewerb gewonnen hat. Der Artikel gerät zu einer regelrechten Attacke der vermeintlich „freien“ österreichischen Presse. Herr und Frau Stauder aus Bleiberg bei Villach werden dazu eingeladen, nach Art der beiden persischen Reisenden bei Montesquieu, ihr Staunen über das, was sie sehen, auszudrücken, – nicht jedoch, um sich darüber lustig zu machen, wie die Figuren der Persischen Briefe, sondern im Gegenteil, um die Lüge, in welcher Österreich seine Bevölkerung leben ließe, sowie die materiellen und moralischen Nachteile des kapitalistischen Systems aufzudecken: „Die Menschen sind hier ebenso geschmackvoll angezogen wie bei uns. Aber die Preise in den Schaufenstern der Kleidergeschäfte sind meist niedriger als bei uns.“ […] Auf dem Gehsteig steht ein Stuhl mit einem Packen Zeitungen und einem Kästchen voll Kleingeld. „Selbstbedienung? Bei uns hätten wir Angst, daß wir nach einer Weile nicht einmal den Stuhl mehr finden.“ Alle paar Schritt gehen wir an einem Buchladen vorbei. „Auflagen von 35 000? Und daß die Leute vor der Buchhandlung Schlange stehen? Nein, das gibt’s bei uns auch nicht.“ Und die Prager Kirchen: „So viele Türme! Die Instandhaltung und Restaurierung zahlt der Staat? Das wird uns keiner glauben.“ Doch auch bei uns in der Tschechoslowakei gibt es gewisse Dinge nicht. „Bei euch gibt’s keine Bettler? Und auch keine Arbeitslosen?“ Nein. Und auch keine Ärztestreiks, kein Arzt lehnt ab, kranke Arbeiter zu behandeln. […] „Führt ihr eure Kinder hierher [nach Lidice], damit sie nicht vergessen? Unseren Kindern sagt keiner, was Faschismus ist.“ (Karel Trinkewitz, „Fünf Tage in Prag verbrachte das Ehepaar Stauder aus Bleiberg als Gewinner unseres vorjährigen Wettbewerbs“, WuS September 1962: 20f.)

Ein Jahr später berichtet Rudolf Jelínek nach einem Aufenthalt in Wien, wo seine Tante ihm ein Paket mit Lebensmitteln mitgegeben hätte, weil sie überzeugt sei, dass die Bevölkerung in der Tschechoslowakei hungere: Was man doch alles über seine Heimat erfahren kann! […] Wohl sind wir Nachbarn, aber mir schien es, daß viele Bewohner Wiens von Prag und der ČSSR weniger wissen als über die USA, und das wenige ist verzerrt. (Rudolf Jelínek, „Offene Tribüne: Wien, gestern und heute“, WuS November 1963: 9)

Ähnlich wie bei Trinkewitz wird die österreichische Presse beschuldigt, Falschaussagen zu propagieren. Die Vorurteile gegen schlechte Lebensbedingungen in der Tschechoslowakei seien tief verankert, wie ein erneutes Dementi im Juli 1965 bekundet, das diesmal von einem Wiener Touristen stammt. WuS fragt in der Tat nunmehr nach Zeugnissen der Besucher der Tschechoslowakei, die sie zu publizieren verspricht, „auch wenn sie nicht immer die Meinung der Redaktion repräsentieren“. Diese ‚direkten‘ Zeugnisse werden als wirksameres ­Maiausgabe von 1968 zeigt. Zu diesen Aspekten s. auch Peterlik (2002: 627).

Die tschechoslowakisch-österreichischen Beziehungen in IHE und WuS

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Mittel betrachtet, Klischees und vorgefasste Meinungen zu korrigieren. Könnte sich das tschechoslowakische Regime einen besseren Befürworter erhoffen als jenen österreichischen Touristen, der die ihm in seiner Heimat eingehämmerten Lügen denunziert? Wir sind überzeugt davon, daß unser „kapitalistisches System“ besser ist als das kommunistische […] drüben. Wir sind überzeugt davon, daß es sich auch in Zukunft erweisen wird. Ich für meinen Teil aber bin auch überzeugt davon, daß man der Sache des Westens keinen guten Dienst erweist, wenn man Behauptungen aufstellt, die nicht zu beweisen, die unwahr sind. Nehmen wir die Menschenschlangen vor den Geschäften. „Die da drüben hungern“, behaupten manche, die ihrer ansichtig geworden sind. […] Ich möchte betonen, daß ich kein Wirtschaftsfachmann bin und ich glaube auch, daß ein Körnchen Wahrheit drin ist, wenn man die Schlangen vor den Geschäften mit der Planwirtschaft in Zusammenhang bringt. Aber: es ist ein Unsinn zu behaupten, die haben nichts zu essen, die haben nichts anzuziehen, die verhungern. […] Daß die Kirchen leer sind, daß sich keiner getraut, ein Gotteshaus aufzusuchen, ist ebenfalls einer jener unvorsichtigen Behauptungen, die immer wieder aufgestellt werden. […] Wir konnten an Sonntagen feststellen, daß die Gotteshäuser voll waren. (Justus Witt, „Besuch drüben“, WuS Juli 1965: 12f.)

Es handelt sich hier um eine moderate Stellungnahme, die die Probleme des sozialistischen Wirtschaftssystems nicht vertuscht (es gibt tatsächlich Schlangen vor den Geschäften), aber übertriebene Kritik im Westen vorwirft.

3.2.2 Die Fernsehsendung „Stadtgespräche Prag-Wien“ Mit der Eröffnung der „Stadtgespräche Prag-Wien“ im September 1964, einer Fernsehsendung, die vom österreichischen Rundfunk (ORF) und dem tschechoslowakischen Fernsehen gemeinsam geleitet, live übertragen und simultan übersetzt wurde, nimmt die Bemühung um beiderseitige Annäherung eine institutionalisierte Form an. Helmut Zilk (1927–2008), der damalige Moderator des Programms, erinnerte sich daran als ein Ereignis, das „der Demokratiebewegung und Liberalisierung in der Tschechoslowakei einen entscheidenden Anstoß [gab]“ (Zilk 2008: 1089).78 Nach der ersten Sendung, die im September 1964 ausgestrahlt wurde, wurde der Direktor des tschechoslowakischen Fernsehens Jiří Pelikan 78  Mit dem Zeugnis von Helmut Zilk muss jedoch – wie auch Burka (2012: 193) betont – umsichtig umgegangen werden, da 2009 dessen Aktivitäten als Informant des tschechoslowakischen Geheimdienstes enthüllt wurden. Zu jener Sendung, die tatsächlich als ein Zeichen der Liberalisierung des tschechoslowakischen Regimes angesehen werden kann, betont Karl Peterlik (2002: 619), dass „friedliche Koexistenz“, wie sie am Beispiel der „Stadtgespräche“ praktiziert wurde, nicht Verzicht auf ideologische Auseinandersetzung bedeutete“.

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IHE als Instrument

(1923–1999) jedoch „‘entmündig[t]‘“ und „einem verlässlichen Kulturfunktionär namens Jan Zelenka, der das politische Vertrauen genoss, unterstell[t]“ (Zilk 2008: 1091). Das tschechoslowakische Regime bestand zudem darauf, dass die Kultur das Thema der zweiten Sendung im September 1965 bilde, die sich nun mit der jahrhundertelangen Beziehung zwischen Österreich und Böhmen, mit den Beziehungen zwischen Habsburg und Wittelsbach und mit Kafka beschäftigen sollte. Dabei handelt es sich um Themen, die WuS ebenfalls bevorzugen wird, wie an späterer Stelle gezeigt wird. Der Geist dieser bilateralen Fernsehgespräche entspricht in der Tat völlig der Aufgabe, die WuS übernommen hatte: Wir wollen versuchen, in den nächsten Nummern unserer Zeitschrift einige dieser brennend wichtigen Fragen näher zu beleuchten. Vom tschechoslowakischen und österreichischen Standpunkt aus. […] Worte, die uns einander näherbringen können, sind willkommen. Denn solchen Worten folgen gute Taten. (Lenka Reinerová, „I. Stadtgespräch Prag-Wien und was daraus werden sollte“, WuS November 1964: 23)

3.2.3 Das Motiv der Grenze Um dem Ziel der Förderung kultureller Beziehungen zwischen Österreich und der Tschechoslowakei nachzukommen, greift WuS auf ein Arsenal von Motiven zurück, die die zahlreichen Gemeinsamkeiten zwischen beiden Ländern veranschaulichen sollen. Das erste kreist um die Begriffe Nachbarschaft und Grenze (Komlosy/Bužek/Svátek 1995). Eines der besonderen Merkmale der österreichisch-tschechoslowakischen Beziehung besteht in der geografischen Nähe, einer a priori vorteilhaften Lage, die dennoch durch die Situation der beiden Länder an der Grenzscheide zwischen den Blöcken erschwert wird. Auch wenn Österreich theoretisch neutral ist, bleibt die Tschechoslowakei auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs. Durch die wiederholte Thematisierung des Motivs der Grenze79 bekundet WuS den Widerstand Prags dagegen, auf die andere Seite gedrängt zu werden. Die insbesondere ab 1963/1964 steigende Anzahl von Artikeln, die die Verkürzung der Distanz zwischen beiden Ländern, aufgrund administrativer Erleichterung des Reiseverkehrs einerseits 79  Nicht weniger als sieben Artikel zwischen 1962 und 1969 weisen gleich im Titel auf jene Thematik hin, die übrigens auch in IHE zu finden war, bevor WuS lanciert wurde: „Hochspannungsleitung ČSR-Österreich fertiggestellt“ (IHE Februar 1959: o. S.); „Das Abkommen zwischen der ČSR und Österreich aus dem Jahre 1956“ (IHE März 1959: o. S.); „Grenzverkehr zwischen Nachbarn“ (IHE September 1960: o. S.); „Bisamberg: Danke, alles in Ordnung“ (IHE September 1960: o. S.).

Die tschechoslowakisch-österreichischen Beziehungen in IHE und WuS

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und der technischen Innovationen und Fortschritte in der Verkehrsinfrastruktur80 andererseits, bezeugt den Willen der Tschechoslowakei, Anschluss an Österreich zu finden. Jenes wird, eben wegen seiner Neutralität, dazu aufgerufen, sich seinen östlichen Nachbarn zu öffnen und sie auch als Europäer zu betrachten: Könnte Wien, die Hauptstadt eines neutralen Landes, seine Kulturstätten nicht öfter und reichlicher auch dem Osten öffnen? Eine Kulturtribüne für die ganze Welt schaffen? Hier könnten westliche und östliche Künstler nicht auf Konferenzen, sondern vor allem bei ihrem künstlerischen Auftreten zusammenkommen. Das würde nicht nur dem gegenseitigen Kennenlernen und Näherkommen dienen, sondern auch das Wiener Kulturleben modernisieren und seinen Platz in der Weltkultur festigen. ([o. N.], „Gast der Wiener Woche war der Filmkritiker F. Goldscheider aus Prag“, WuS Februar 1963: 20f., hier 21)

3.2.4 Die Rolle der Kulturvermittler Ein anderes Motiv, das den Akzent auf Konvergenzen legen soll, besteht in der konstanten Wiederholung der Vermittlerrolle von Kunst und Kultur, insbesondere von Schriftstellern und Künstlern, die aufgrund ihrer Herkunft und ihres Lebensweges als geeignet erscheinen, einen Bindestrich zwischen österreichischer und tschechoslowakischer Kultur zu zeichnen: An den kulturellen Verbindungen zwischen Österreich und den böhmischen Ländern, die in den Beziehungen der beiden Völker seit jeher die beste Vermittlerrolle spielen, haben Künstler einen bedeutenden Anteil. Im 19. Jahrhundert, in der franzisko-josephinischen Ära, da die Donaumonarchie von nationalen Kämpfen erschüttert wird, sind es die großen Dichter, die in den politischen Wirrnissen der menschlichen Verständigung ihre Stimme geben, besonders jene, denen beide Welten, die deutsche wie die slawische, gleich vertraut sind. (Alois Hofman81, „Mittlerin aus Mähren“, WuS Mai 1966: 22f., hier 22)

Der erste jener Vermittler ist Adalbert Stifter (1805–1868), über welchen am Anfang eines dem Roman Witiko gewidmeten Artikels zu lesen ist: „Gibt es ein stärkeres literarisches Bindeglied zwischen Österreich und Böhmen als Adalbert Stifter?“ (Leo Brod, „Prag gewidmet: Adalbert Stifters Witiko“, WuS Februar 1965: 12). Zum Sinnbild der österreichisch-tschechischen ­Vermittlung 80  Hier ein paar Beispiele: „Eine schöne Höllenfahrt“ (WuS März 1964: 18f.); „Die Strecke Wien-Prag ist kürzer geworden“ und „Rakete Wien-Bratislava“ (WuS September 1964: 12f. u. 17); „Flieg mit uns“ (WuS Juni 1966: 16). 81  Alois Hofman ist der Autor der allerersten Studie über die bohemistische Prager Zeitschrift Ost und West (Die Prager Zeitschrift „Ost und West“. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschslawischen Verständigung im Vormärz, Berlin, Akademie-Verlag, 1957).

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IHE als Instrument

­erhoben, wird Stifter in WuS häufig gewürdigt. Ein Beitrag über den Fotografen Karel Plicka hob bereits hervor: Wie sehr das Werk des Böhmenwalddichters zum gemeinsamen Kulturgut der böhmischen und der österreichischen Länder gehört, soll in dieser Zeitschrift ein andermal aufgezeigt werden […]. (G.S. [Gustav Solar], „Die Moldau Karel Plickas und Adalbert Stifters. Der Altmeister der tschechischen Photographie stellte in Wien aus“, WuS August 1963: 20–23, hier 23)

Im Juni 1965 greift die Zeitschrift noch einmal die Metapher des Bindestrichs auf: An der Seewand des Plöckensteinsees steht das vom österreichischen Architekten Heinrich von Ferstel entworfene Monument – der weithin sichtbare Obelisk. Und über dem Grab des Dichters in Linz erhebt sich der Grabstein seines aus Böhmen kommenden Landsmannes Johannes Rint. Liegt darin nicht eine Metapher umschrieben, die Stifters Werk kennzeichnet – Böhmen und Österreich? (Aldemar Schiffkorn82, „Anerkennung aus Linz für die Stiftergedenkstätte in Oberplan“, WuS Juni 1965: 12f., hier 13)

Diese Metapher wird dann in IHE übernommen: Ein Artikel über den L ­ ipno, der Stiftersche Orte wie Frymburk/Friedberg und Horní Planá/Oberplan evoziert, betont das Zusammenfließen der tschechischen und österreichischen Kultur in diesem Grenz-Gebiet: Die Landschaften und Kulturen greifen hier ineinander über: der Böhmerwald, der Typus der Gehöfte, die gotischen Kirchen sind dieselben wie im österreichischen Waldviertel, die lyrische, sangliche Stimmung wiederum, die diese ganze Gegend durchdringt, bleibt unverkennbar böhmisch. ([o. N.], „Diesmal nach Lipno. Geographie eines Stausees“, IHE Juni 1966: 7–9, hier 9)

Allerdings wird der Gedanke des Zusammenfließens durch die Betonung der zutiefst böhmischen Identität der Region relativiert, auch wenn der Autor das Adjektiv „böhmisch“, das sich auf das Territorium bezieht, und nicht „tschechisch“, das sich auf die tschechische Nation beziehen würde, verwendet. Auch andere Künstler werden als Vermittler herangezogen. So untersucht der Musikwissenschaftler Pavel Eckstein die Beziehungen Gustav Mahlers zur tschechischen Kultur (Pavel Eckstein, „Gustav Mahler stammte aus … In der Tschechoslowakei und in Wien auf Mahlers Spuren“, WuS April 1963: 20f.). WuS scheint auch als erste das Werk des Architekten Adolf Loos in der Tschechoslowakei (Poulot 2019) wieder entdeckt zu haben (Otakar Nový, „Adolf Loos. Der Menschen menschlichster“, WuS April 1965: 21–23). Anschließend wird an die Verbindungen folgender Schriftsteller und Schriftstellerinnen mit den böhmischen Ländern erinnert: Ferdinand von Saar – wobei der Autor seinen Beitrag mit folgender Analyse abschließt: „Sein ­hinterlassenes Werk ist 82  Aldemar Schiffkorn (1915–1987) war ein österreichischer Germanist. Er leitete von 1950 bis 1966 das Adalbert-Stifter-Institut des Landes Oberösterreich.

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ein geistiges Band zwischen den böhmischen Ländern und Wien“ (Leo Brod, „Eine Prager Inspiration Ferdinands von Saar“, WuS Januar 1966: 21) –, Marie von Ebner-Eschenbach (Alois Hofman, „Mittlerin aus Mähren“, WuS Mai 1966: 22f.), Franz Grillparzer, oder auch der zeitgenössische österreichische Bühnenautor Franz Theodor Csokor (1885–1969). Erwähnt wird ein Interview, das mit einem Wunsch Csokors endet: Denn ich bin der absoluten Anschauung, daß Österreich kein Brückenkopf zu sein hat, sondern eine Brücke, und daß der Friede für die Zukunft von jenem Punkt ausgehen möge, von dem die beiden schrecklichen Kriege der letzten Zeit ausgegangen sind: vom Herzen Europas – eben meiner österreichischen Heimat. („Zeuge einer Zeit in Prag“, WuS Juli 1967: 12f., hier 13)

3.2.5 Der Vergleich zwischen Prag und Wien Beim letzten auf Konvergenzen abzielenden Motiv handelt es sich um einen systematischen Vergleich zwischen Wien und Prag. Ob Redaktionsmitglieder, die sich auf Reportage nach Wien begeben, oder Künstler auf Prager bzw. Wiener Tournee, oder auch schlichte Touristen, alle insistieren auf die merkwürdige Ähnlichkeit zwischen beiden Hauptstädten, die sowohl in der Architektur, in den musikalischen Traditionen als auch in der Vorliebe der Einwohner für gutes Essen zum Ausdruck kommt. Erwähnenswert ist hierbei, dass diese Urteile sowohl von Wien besuchenden Tschechen als auch von Prag besuchenden Österreichern gefällt werden. Der Filmhistoriker František Goldscheider (1924–1991) führt eine nicht enden wollende Liste von Gemeinsamkeiten an: Prag und Wien haben in der Tat vieles gemeinsam. Zum Beispiel die Gassen. Die lieben, alten Gassen, die durch ein Labyrinth von Windungen und Durchhäusern ins Unbekannte führen. […] Die Wiener und Prager haben noch eine gemeinsame Leidenschaft. Den ständigen inneren Kampf zwischen dem naschhaften Gaumen und dem Bewußtsein, daß allzuviel ungesund ist. […] Zweifellos gibt es noch viel Gemeinsames. Z. B. die Verwandten, die böhmische Tante und die österreichische Großmama, ein Stück Geschichte (wenn wir sie auch von verschiedenen Standpunkten aus betrachten) und die Hinterlassenschaft Kaiser Franz Josefs. („Gast der Wiener Woche war der Filmkritiker F. Goldscheider aus Prag“, WuS Februar 1963: 20f.)

Der Journalist und Fotograf Milan Škarýd, der die beiden Hauptstädte in einer von Oktober 1965 bis Dezember 1966 erschienenen Serie von 14 Artikeln mit dem Titel „Spiegelbild beider Metropolen“ vergleicht, greift diesen Topos der Ähnlichkeit ebenfalls auf: „weil Wien Prag so ähnlich ist“ (es sei ­nebenbei

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IHE als Instrument

­ emerkt, dass Wien Prag ähnelt, nicht umgekehrt); „daß sich halb Wien ganz b gut tschechisch verständigen könnte, was in unserem Unterbewußtsein das Gefühl hervorrief, daß wir hier irgendwie zu Hause sind“ (Milan Škarýd, „Wiener Streiflichter“, WuS Februar 1964: 22–24). Auf österreichischer Seite sei eine vergleichbare Emphase zu finden, wie der Autor des Berichtes „Besuch drüben“ vermerkt: Man hat sofort das Gefühl, man ist daheim. Es sind dieselben Gesichter, sie sprechen ähnlich wie wir, vor allem ist das „Böhmakeln“ unserem Ohr ein gewohnter Klang. Wer kennt nicht in seiner näheren Umgebung einen Schuster oder Schneider, der nicht nur dem Namen, sondern auch der Sprache nach hüben wie drüben leben könnte? (Justus Witt, „Besuch drüben“, WuS Juli 1965: 12f., hier 12)

Oder wie der Generalintendant der „Wiener Festwochen“, der für einen gemeinsamen Kulturraum in der „Mitte Europas“ plädiert, betont: Wenn wir davon sprechen, daß unsere Staaten die Mitte Europas sind und wenn wir diese Mitte als Kulturraum verstehen, können wir seine historisch-kulturellen Grundlagen nicht übersehen, ohne Rücksicht auf die heutige Verschiedenheit der politischen Regime. Wenn wir alle übereinstimmend diesen Kulturgedanken bejahen und wenn wir tatsächlich diese „Mitte Europas“ sind, warum sollten wir dann nicht gemeinsam die kulturelle Stärke dieses mitteleuropäischen Raums manifestieren […]? Daß man die gemeinsame Vergangenheit nicht verleugnen kann, das sehen wir am besten bei uns beinahe in jeder Familie. […] wenn wir unsere gutnachbarlichen Beziehungen auf wirtschaftlichem Gebiet ständig vertiefen, dann muß es notwendigerweise auch auf dem Gebiet der kulturellen Beziehungen geschehen. („Nachbarn an der Donau“ (Interview mit Dr. Ulrich Baumgartner), WuS Juni 1967: 10f., hier 10)

Die Ähnlichkeiten sind so umfangreich, dass Österreich Vertreter der tschechischen nationalen Kultur für sich beanspruchen könnte, wovor Gustav Solar alias Jesenius bereits im Januar 1960 anlässlich der Ausstellung über „das österreichische Buch“ in Prag, Brno und Bratislava warnte. Solar pries zwar jene Initiative, die zur besseren gegenseitigen Verständigung führe, kritisierte aber den Verfasser des Vorworts des Katalogs, indem er ihm vorwarf, die „österreichische fortschrittliche Literatur“ nicht zu berücksichtigen und vor allem tschechische Autoren und Persönlichkeiten als Österreicher auszugeben: Nur belächelt wurde hingegen, daß Smetana, Dvořák, Palacký und andere tschechische Persönlichkeiten in einem biographischen Lexikon als ‚große Österreicher‘ figurieren. (gj [G. Solar] „Das österreichische Buch“, IHE Januar 1960: o. S.)

Die tschechoslowakisch-österreichischen Beziehungen in IHE und WuS

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3.3 Bilanz: Verbleibende Schwierigkeiten Die Suche nach Ausgleich, die Plädoyers für eine Annäherung mittels Kultur vermögen es jedoch nicht, bestehende Streitfragen gänzlich verschwinden zu lassen. Die Frage der österreichischen Neutralität und jene der NS-Vergangenheit zählen zu den brennendsten Themen. All diese Schwierigkeiten wurden im Dezember 1967 von Vize-Außenminister Otto Klička zusammengefasst (O. Klička, „Zum Jahresende“, WuS Dezember 1967: 12f.). Die Annäherungsversuche stammen dennoch von der Tschechoslowakei. Wien zeigt sich gegenüber der Institutionalisierung kultureller Beziehungen mit Prag lange Zeit recht zurückhaltend. WuS erscheint als ein Instrument der public diplomacy, das dazu bestimmt ist, die österreichische Öffentlichkeit zu sensibilisieren und gegen eine vermeintliche Desinformation anzukämpfen. Die Frage nach dem Zweck einer solchen kulturellen Offensive Richtung Österreich stellt sich zurecht. Als neutraler Staat mag Österreich aufnahmebereiter für die tschechoslowakischen Einflüsse, der tschechoslowakischen Kultur gegenüber offener gewesen sein, und hätte die Annäherung stattgefunden, hätte die Tschechoslowakei über einen freundlich gesinnten Nachbarn verfügt, was die Bestrebungen gegenüber der Bundesrepublik vielleicht erleichtert hätte. Angesichts der geringen diplomatischen Erfolge der Tschechoslowakei mit Westdeutschland versuchte Prag also auf die österreichische Karte zu setzen. Denn man darf nicht aus den Augen verlieren, dass die allererste Priorität der tschechoslowakischen Außenpolitik die deutsche Frage war, wie der Abschluss des Vermögensabkommens mit Österreich im Jahre 1974, der erst nach der Unterzeichnung des Prager Vertrags mit Bonn im Jahre 1973 erfolgte, belegt. Wirklich unangenehme Themen (wie etwa die Vermögensproblematik, die niemals besprochen wird) werden bewusst beiseitegelassen. Österreich wird höchstens wegen Verstößen gegen seine Neutralitätspflicht kritisiert, während über dessen NS-Vergangenheit und die Misserfolge der Entnazifizierung, im Vergleich zu Deutschland, weitestgehend geschwiegen wird. Das Ziel ist und bleibt Ausgleich und Annäherung.

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HE als Instrument

4. Der Anteil der deutschsprachigen Kulturen in beiden Zeitschriften 4.1 Bestandsaufnahme Den Anteil der deutschsprachigen Kulturen in IHE und WuS zu untersuchen, bedeutet im Grunde, nach dem Erbe der deutschsprachigen Kulturen in den böhmischen Ländern und nach dem Verhältnis der sozialistischen Kultur zur deutschen Kultur zu fragen. Angesichts der Linie des Regimes und im Vergleich zur Praxis der deutschsprachigen Wochenzeitung Aufbau und Frieden / Prager Volkszeitung erweist sich die Thematisierung der deutschsprachigen Kulturen in den beiden Zeitschriften als atypisch. Wie Manuela Olhausen (2005: 205) ­Ingrid Pavel, die letzte Chefredakteurin der Prager Volkszeitung, zitierend erläutert, sollte [die Prager Volkszeitung in der Tat] vielmehr tschechoslowakisches Leben in deutscher Sprache widerspiegeln. Das schlug sich vor allem in den Berichten der Korrespondenten nieder: „Deutsche Universitäten oder deutsche Maler und Künstler sollten alle so gut wie verschwinden.“ Außerdem gab es früher Tabuthemen, so war es der Zeitung verboten über die Geschichte und den Glauben der Deutschen zu berichten.

Dagegen ist in IHE und WuS der Anteil der deutschsprachigen Kulturen beträchtlich, vor allem wenn man bedenkt, dass das eigentliche Ziel dieser Zeitschriften darin bestand, dem deutschen und österreichischen Publikum die tschechoslowakische Kultur näher zu bringen. Zunächst muss aber der Begriff deutschsprachige Kulturen näher definiert werden und die Frage nach dem Verhältnis zum Konkurrenzbegriff deutsche Kultur gestellt werden. Das Handbuch der deutschen Literatur Prags und der Böhmischen Länder plädiert für den Gebrauch des Ausdrucks „deutsche Literatur“: Bewusst wurde dabei […] nicht die ‚deutschsprachige‘ Literatur Prags und der Böhmischen Länder als Gegenstandsbereich des Handbuchs nominiert. Das wäre zwar aus einer sozusagen intrinsischen Sicht sogar angemessener, weil damit auf die in dem zu beschreibenden Kulturraum miteinander existierende deutsch- und tschechischsprachige Literatur hingewiesen wäre. Allerdings würde eine so benannte bloß ‚deutschsprachige‘ Literatur von der ‚eigentlichen‘ deutschen Literatur mit zwangsläufig abwertender Tendenz abgetrennt. (Becher/Höhne/Krappmann/Weinberg 2017: 3)

In vorliegender Studie werden dennoch das Adjektiv „deutschsprachig“ und der Plural bevorzugt, und zwar aus folgenden Gründen: Erstens interessieren sich IHE und WuS nicht nur für Literatur, sondern auch für durchaus vielfältige Formen der Kultur. Zweitens umfasst das Verständnis der deutschsprachigen Kultur eine deutsche und eine österreichische (mit zwei unterschiedlichen

235

Der Anteil der deutschsprachigen Kulturen in beiden Zeitschriften

Zeitschriften), eine schweizerische sowie eine tschechoslowakische Kultur. Drittens wird die deutschsprachige Kultur weitgehend diachronisch aufgefasst, ausgehend von der gotischen Kunst bis hin zu zeitgenössischen Autoren wie Friedrich Dürrenmatt83 oder Franz Theodor Csokor, über die Renaissance, das Barockzeitalter, den Literaturkanon (Goethe, Schiller, Humboldt, Kleist, Heine, Mann …), Kafka und die Autoren des „Prager Kreises“, die deutschböhmische Literatur der Vorkriegszeit, große Komponisten wie Haydn, Mozart, Beethoven, Wagner oder Schönberg und die sozialistische Literatur von Marx bis Brecht, den Lenka Reinerová als „de[n] größt[en] deutsch[en] Dichter des 20. Jahrhunderts“ („Darum“, IHE Mai 1961: o. S.) bezeichnet. Folgende Tabelle listet alle in IHE zitierten bzw. präsentierten Vertreter und Vertreterinnen deutschsprachiger Kulturen auf. Sie bildet die Grund­ lage der nachstehenden Analyse. Name

Anzahl der IHE-Zitate (Anzahl der Artikel oder Notizen)

Erste Erscheinung

Bach, Johann Sebastian Bachmann, Ingeborg Baum, Oskar Battke, Heinz Bebel, August Becher, Johannes B. Beethoven, Ludwig van Böll, Heinrich Borchardt, Wolfgang Brecht, Bertolt Brod, Max Cremer, Fritz Dessau, Paul Dix, Otto Döblin, Alfred Dürer, Albrecht Dürrenmatt, Friedrich

2 2 1 1 2 1 9 6 1 9 5 1 3 1 1 2 3

Jan-67 März-64 Jan-66 Nov-64 Okt-62 Apr-62 Juni-58 Juni-62 Sept-59 Mai-61 August-64 Dez-59 Mai-62 Dez-59 Sept-59 Dez-64 Okt-64

83  Die Präsenz von Autoren wie Dürrenmatt auf tschechischen Bühnen sei ein Zeichen des Willens, sich dem Westen zu öffnen und die verlorene Zeit nachzuholen (Hala 2007: 153).

236

Enzensberger, Hans Magnus Fichte, Johann Gottlieb Fischer, Ernst Fischer-Diskau, Dietrich Frank, Leonhard Frei, Bruno Freud, Sigmund Fuchs, Rudolf Fürnberg Louis Geissler, Christian Goethe, Johann Wolfgang von Grass, Günther Grosz, George Grundig, Hans Haindl, Hermann Hartmann, Moritz Hauptmann Gerhard Haydn, Joseph Heartfield, John Heck, Georg Hegel, G. W. F. Heine, Heinrich Heissenbüttel, Helmut Heller, Isidor Herder, Johann Gottfried Hindemith, Paul Hofmann, Gert Humboldt, Alexander Husserl, Edmund Jaspers, Karl Johnson, Uwe Kafka, Franz Kapper, Siegfried

HE als Instrument

3 1 1 2 2 1 2 1 2 2 16 2 1 1 1 1 1 1 1 1 2 2 1 1 2 1 1 2 1 2 1 23 1

März-64 Okt-62 Okt-61 Apr-58 Sept-59 Jan-66 Juli-65 Jan-66 Mai-59 Juli-66 Juni-58 März-64 März-66 März-66 Nov-64 Juli-65 Juni-62 Jan-60 Nov-64 Nov-64 Nov-64 Febr-59 Juli-66 Juli-65 März-59 Mai-65 Okt-64 August-58 Juli-65 Okt-65 März-64 Apr-58 Juli-65

237

Der Anteil der deutschsprachigen Kulturen in beiden Zeitschriften

Kästner, Erich Kisch, Egon Erwin Klebe, Giselher Kleist, Heinrich Koehler, Reinhold Koeppen, Wolfgang Kolbe, Georg Kollwitz, Käthe Kompert, Leopold Kornfeld, Paul Kracker, Johann Lukas Kunz, Karl Ledig, Gert Leppin, Paul Liebknecht, Karl Luxemburg, Rosa Mahler, Gustav

2 7 1 2 1 3 1 1 1 1 1 1

Sept-59 Apr-60 Juli-67 Apr-62 Jan-66 Sept-59 Apr-62 März-66 Juli-65 April-63 Nov-58 Nov-64

1

Sept-59

1

Jan-66

1

August-64

1

August-64

2

Juli-65

Mann, Heinrich Mann, Thomas Martin, Erich Marx, Karl Maulbertsch, Franz Anton May, Karl Meister Paul Meyrink, Gustav Morgenstern, Christian Mozart, Wolfgang Amadeus Nestroy, Johann Opitz, Karlludwig Piscator, Erwin Remarque, E. M. Rilke, Rainer Maria Ringelnatz, Joachim Salus, Hugo

3 4 1 8 1 2 1 1 3 7 1 2 4 5 9 1 2

April-61 April-62 Nov-64 Juni-58 Dez-65 Juni-63 Jan-58 August-64 April-58 August-58 Febr-68 Sept-59 Sept-59 Juni-62 April-58 Jan-63 Juli-65

238 Schiller, Friedrich Schnitzler, Arthur Schönberg, Arnold Schopenhauer, Arthur Seippel, Werner Seume, J. G. Stifter, Adalbert Torberg, Friedrich Wagner, Richard Walser, Robert Weber, A. Paul Weisenborn, Günther Weiskopf, F. C. Weiß, E.R. Weiss, Peter Werfel, Franz Winder, Ludwig Wolf, Friedrich Zach, Thomas

HE als Instrument

8 1 1 1 1 2 5 1 4 1 1 2 3 3 4 6 1 2 1

Juli-58 März-69 Nov-58 Okt-62 Nov-64 Okt-59 Juni-58 Mai-67 Sept-58 März-64 Dez-59 Sept-59 Sept-60 April-62 Febr-66 August-59 Jan-66 Mai-59 Nov-64

Der Anteil der deutschsprachigen Kulturen ist erheblich, nicht nur aufgrund der zahlreichen Artikel, die diesen Persönlichkeiten gewidmet werden, sondern auch wegen der kulturellen Bezüge, die in vielen Beiträgen vorhanden sind und die die Idee, vielleicht nicht gleich eines gemeinsamen Kulturraums, zumindest aber einer „Gemeinsamkeit der Interessen, die schon der Gemeinsamkeit des geographischen Raumes entspringt“ (IHE-Leitartikel, Januar 1958: o. S.), untermauern. Diese kulturellen Bezüge kommen insbesondere in Zitaten, die den Artikeln vorangestellt sind oder diese spicken, und die die Absicht bekunden, sich auf gemeinsame Bezüge zu stützen, um den Dialog mit dem Leser zu ermöglichen, zum Vorschein. Die Tatsache, dass die im deutschsprachigen Milieu aufgewachsenen Redakteure selbst von der deutschen Kultur geprägt waren, verstärkte zweifellos diese Tendenz. Es seien hier einige Beispiele genannt: Über eine Filmszene, in welcher ein Boot explodiert, beschwört H. Volanská die Figur der Königin der Nacht herauf: „gleich darauf erstrahlte die ganze Gegend, als ob die Königin der Nacht auf unsichtbaren Fäden Sterne aufgezogen hätte“ (H. Volanská, „Das Gewitter …“, IHE August 1958: o. S.). Im Februar 1960 öffnet ein Beitrag über das 30-jährige

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­Jubiläum des Orientalischen Instituts der tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften mit einem Zitat aus Goethes West-östlichem Diwan, um dann an den Topos von Böhmen an der Grenzscheide westlicher und östlicher Kultur anzuknüpfen (Dr. Dušan Zbavitel84, „Zum 30jährigen Bestehen des Orientalischen Instituts der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften“, IHE Februar 1960: o. S.). Im Januar 1963 greift Gustav Solars „Bildfolge“ über Wintersport auf eine Strophe von Joachim Ringelnatz zurück (gj [G. Solar), „Ski am Seil. Bildfolge von O. Karásek und L. Sitenský“, IHE Januar 1963: 2f., hier 3). Lenka Reinerová zitiert ihrerseits in einem dem Maler Antonín Pelc gewidmeten Artikel zweimal aus Leonhard Franks Gedicht Links, wo das Herz ist (Lenka Reinerová und Adolf Hoffmeister, „Anabasis eines Malers“, IHE Januar 1963: 17–19, hier 19). Im März 1965 beginnt Erich Lorenc’ Artikel über die Konservierung und Restaurierung alter Bücher mit einem Auszug aus Josef und seine Brüder von Thomas Mann (Erich Lorenc, „ABCD Heilanstalt für Bücher“, IHE März 1965: 20f., hier 20) und jener von Karel Trinkewitz endet mit einer Anspielung auf Goethe: „Er teilt die Welt nicht in Dichtung und Wahrheit.“ (Karel Trinkewitz, „Dichter evidenter Poesie. Jiří Kolář“, IHE März 1965: 24f., hier 24). Im Januar 1967 hebt die Diskussion „Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen“ gleich im Titel die Worte Eduard ­Goldstückers hervor, der aus dem Prolog des Faust zitiert, um seine Argumentation zu bekräftigen. Dabei geht es aber nicht um Literatur, sondern um eine Debatte über Wirtschaftsreformen („Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen… Diskussion”, IHE Januar 1967: 8f.). Der Gebrauch dieses Zitates im Titel kann als direkte Anrede an den deutschen Leser interpretiert werden. Auf Goethe85 wird wiederum am Anfang des Artikels von Karel ­Trinkewitz zum Jubiläum der Oktoberrevolution hingewiesen, wobei später auf zwei andere deutsche Autoren, Marx und Brecht, angespielt wird (Karel Trinkewitz, „Aufbruch“, IHE, November 1967: 1–3, hier 2). Goethes Rezeption in den böhmischen Ländern ist selbstverständlich bereits im 19. Jahrhundert im Gange, bei den Deutschen wie bei den Tschechen, denn Goethe wird „von beiden Seiten als Mittel genutzt, die eigene Kultur zu deprovinzialisieren und einen wirksamen Anschluss an einen größeren Kulturkontext zu gewinnen“ (Zbytovský 2017: 298). 84  Dušan Zbavitel (1925–2012) war ein berühmter Indologe. 85  Neben der Universalität des Erfinders des Weltliteratur-Begriffes ist die Präsenz Goethes in IHE womöglich auch auf das Interesse zurückzuführen, das ihm Goldstücker, der das Vorwort zu den tschechischen Ausgaben des Faust (1957) und Wilhelm Meister Lehrjahre (1958) verfasste, entgegenbrachte. Zu Eduard Goldstückers Methode als Germanist vgl. Stašková (2013).

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Neben der Möglichkeit eines interkulturellen Dialogs, die über derartige Rückgriffe auf deutsche Bezüge aktiviert wird, zielt deren Gebrauch durch die IHE-Redaktion auch darauf ab, die Aufgeschlossenheit tschechoslowakischer Leser gegenüber der deutschen literarischen Kultur nachzuweisen – ein Leitmotiv der Zeitschrift, die auch zur Geltung bringt, dass dies umgekehrt nicht immer zutreffe. So betont der Leitartikel von Jiří Hájek über die deutschtschechischen Beziehungen und die Rolle der Kultur, vor allem der Literatur und des Theaters, diese Idee mit besonderem Nachdruck: Bei uns bringt man der deutschen Kultur großes Interesse entgegen. Das betrifft nicht nur die deutsche klassische Musik und Literatur, die bei uns längst zu den traditionellen Werten internationalen Kulturguts gezählt werden […]. Es ist begreiflich, daß vor allem Werke deutscher Antifaschisten […] und die sozialistische Literatur der Deutschen Demokratischen Republik in der Tschechoslowakei übersetzt und verbreitet werden. In den letzten Jahren haben wir jedoch auch eine ganze Reihe von Werken der zeitgenössischen westdeutschen Literatur kennengelernt […]. Es handelt sich dabei keineswegs nur um Autoren, die bei uns schon aus der Vorkriegszeit gut bekannt sind, wie z. B. Leonhard Frank, Erich Kästner, Alfred Döblin oder Erich Maria Remarque. Auch neue westdeutsche Prosaiker befinden sich darunter. So erschien in Prag die Novelle Heinrich Bölls Und sagte kein einziges Wort und eben jetzt wird sein Roman Haus ohne Hüter und seine Novellen Der Zug war pünktlich und Das Brot der frühen Jahre herausgegeben. Das Erscheinen seiner ersten Werke sowie der Novelle von Karlludwig Opitz Mein General, Wolfgang Koeppens Tod in Rom oder Gert Ledigs Wiedervergeltung waren literarische Ereignisse ihrer Art. Dasselbe gilt für Dramen Wolfgang [sic] Borchardts86 oder Günther Weisenborns und auch für die dramatische Bearbeitung von Tolstois „Krieg und Frieden“ nach Erwin Piscator. […] Der tschechoslowakische Leser findet in diesen Werken trotz der Unterschiedlichkeit der Weltanschauung den Ausdruck der gleichen unversöhnlichen Einstellung gegenüber Faschismus und Krieg, der gleichen Sehnsucht nach Frieden, nach dem Sieg des gesunden Verstands in den Beziehungen zwischen Menschen und Völkern, wie er sie selbst empfindet. […] Doch unsere Literatur, die auf vielhundertjährige kulturelle Traditionen zurückblickt, ist nicht klein. Sie hat auch den westdeutschen Lesern viel zu sagen und viel zu geben. […] Ein Kunstzweig, der für die gegenseitige Kenntnis unserer Völker von besonderer Bedeutung sein kann, ist zweifellos das Theater […]. (Jiří Hájek, „Was uns verbindet“, IHE, September 1959: o. S.)

Die deutsche Kultur, vor allem die literarische, wird hier in ihrer großen Vielfalt wahrgenommen, beginnend mit Autoren, die der universellen Kultur angehören (dabei denkt er womöglich an Goethe, der in IHE zu den meistzitierten Dichtern gehört), bis hin zu zeitgenössischen Schriftstellern, die, wenn sie auch nicht alle sozialistische Schriftsteller sind, zumindest eine sozialkritische Literatur vertreten. Obwohl Hájeks Beitrag konsensual den Akzent auf das, was Deutschland und die Tschechoslowakei „verbindet“, legen möchte, 86  Jiří Hájek verwechselt hier Rudolf Borchardt und Wolfgang Borchert, denkt dabei wahrscheinlich eher an Borchert, auch wenn dieser als Dramenautor nicht besonders bekannt ist.

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­übernimmt er den im Osten allgemein verbreiteten Diskurs über Frieden und friedliche Koexistenz. So werden die deutschen kulturellen Bezüge im Dienste der in IHE omnipräsenten Friedensrhetorik instrumentalisiert. Die Dezemberausgabe von 1959 benutzt ihrerseits deutsche Maler wie A. Paul Weber, Fritz Cremer und Otto Dix, um diesen Diskurs zu veranschaulichen ([o. N.], „Für den Frieden der Welt steht die Menschheit auf Wacht! Graphische Bildfolge“, IHE Dezember 1959: o. S.). Im April 1958 war auf die Musik Bezug genommen worden, mit einem Zitat aus Schillers An die Freude: ‚Seid umschlungen, Millionen, diesen Kuß der ganzen Welt!‘ – das ist die Botschaft des ‚Prager Frühlings‘, wo die verschiedensten Sprachen der Welt zu einer erhabenen Offenbarung der Musik verschmelzen, um stets weitere neue Freunde anzusprechen. (Jan Matějček87, „Und mit dem Frühling kommt Musik“, IHE April 1958: o. S.)

Die Beschäftigung mit deutschsprachigen Kulturen dient auch dem Wunsch der Tschechoslowakei nach einer Angleichung und Wiederaneignung ihres Kulturerbes. In der Debatte über ein westdeutsches Buch, das die Existenz einer tschechischen Kultur leugnet und deren Leistungen der deutschen Kultur zuschreibt, ergreift IHE Partei und publiziert einen in Noviny Jablonecka erschienenen Artikel, der diesen Fehler aufdeckt und die wissenschaftliche Wahrheit wiederherstellen will: Die Zeit, da es hieß, es gäbe keine tschechische Kultur, denn deren Werke seien im Grunde deutsche Leistungen, diese Zeit liegt noch nicht allzu ferne zurück. […] Und schon wieder regt sich dieser Ungeist, angetan mit dem Mäntelchen der Wissenschaft. […] Nun haben zwei Herren aus Westdeutschland, Julius Streit und Otto Lauer, die Sache wieder aufgegriffen. […] Anstelle einer objektiven Geschichtsstudie steht deren Zerrspiegel: seitenlange zornige Ausfälle, Beleidigungen und Unwahrheiten. Der Begriff ‚böhmisches Glas‘, kann man hier lesen, sei ein ebensolcher Unsinn, wie Schillers böhmische Wälder. Damit beginnt eine lange Aufzählung aller möglichen Argumente für die These, daß es ausschließlich die Deutschen wären, die die Kultur Böhmens begründet und entwickelt hätten. Woraus der Leser folgern soll, daß sie in diesem Land sein sollten … […] Daß diese unehrliche Wissenschaft den Beziehungen zwischen den Völkern nicht förderlich ist, zeigt folgender bedauerlicher Vorfall: eine tschechische Historikerin hatte den Eigentümer einer Kunstsammlung in Frankfurt a.  M. um die Aufnahmen zweier Glasgravuren Dominik Biermanns gebeten, um sie in einer jahrelang vorbereiteten Monographie über diesen Künstler zu veröffentlichen. Der so Gebetene lehnte ab. Es sei eine Frechheit von den Tschechen, antwortete er, eine Monographie über einen deutschen Künstler zu schreiben, wo sie den Deutschen im Jahre 1945 doch so schweres Unrecht zugefügt hätten. […] Die tschechischen Glasfachleute haben nie behauptet, das böhmische Glas sei nur den Tschechen allein zu verdanken. Sie haben nie verheimlicht, daß es in gemeinsamer Arbeit mit 87  Jan Matějček (1926–2017) war ein tschechischer Musikwissenschaftler, der verschiedene Funktionen bei DILIA bekleidete. 1969 emigrierte er nach Kanada, wo er sich u.a. für die Förderung der kanadischen Musik einsetzte.

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den Deutschen zustandegekommen ist. Und das war ausnahmslos der Fall, denn auch der Deutsche Dominik Biermann beispielsweise hat an der ‚tschechischen Schule patriotischer Kunstfreunde in Prag‘ studiert und seine Mutter, eine geborene Petráková, war Tschechin. (Miroslav Sameš, „Unehrliche Wissenschaft“, IHE Oktober 1960: o. S.)

Aus diesen Zeilen geht deutlich hervor, dass die kulturelle Streitfrage den politischen sudetendeutschen Konflikt widerspiegelt: Weil sie versuchen, sich wieder anzueignen, was sie als das Ergebnis ihrer Kultur und ihrer Arbeit betrachten, werden die Deutschen beschuldigt, die Gebiete, aus denen sie ausgewiesen wurden, zurückerlangen zu wollen. Der Artikel lässt polemische Argumente wiederaufkommen, die bereits in der Publizistik des 19. Jahrhunderts vorhanden waren, da sich Deutsche und Tschechen bekämpften: Der angeblichen zivilisatorischen Mission, die die Deutschen vertraten, entgegneten die Tschechen den Topos des deutschen Dranges nach Osten und der Kolonisierung (Höhne 2000). Der Versuch einer Angleichung zugunsten der Tschechoslowakei kommt auch in der Thematisierung der gotischen Kunst zum Vorschein, die als Höhepunkt der tschechischen bzw. slowakischen Kunst dargestellt wird, die imstande war, sich deutsche Einflüsse eigen zu machen. Daher ist es kein Zufall, wenn IHE ihr allererstes Cover dem Altar von Meister Paul in der Kirche zu Levoča in der Slowakei widmet und wenn Solar in seinem Beitrag zu diesem Monument der slowakischen Kunst Folgendes schreibt: In der Figuralplastik machen sich Einflüsse des Krakauer Veit Stoß-Altars geltend, die Draperien erinnern an Riemenschneider und Erhart und den Reliefs liegen zeitgenössische Graphiken von Stoß, Dürer und Schongauer zugrunde. Meister Paul stand in enger Beziehung zur zeitgenössischen deutschen Kunst. (G. Jesenius [Solar], „Der hohe Altar Meister Pauls in Levoča“, IHE Januar 1958: o. S.)

Dennoch darf man sich die Frage stellen, ob IHE, indem sie die örtliche und nationale Kultur benutzt und mit dem deutschsprachigen Kulturraum verwebt, nicht vielmehr das Ziel der Konservierung, der Aufwertung, gar der Verherrlichung eines Kulturerbes verfolgt, das der Russifizierung und Kommunisierung zu widerstehen vermöchte, wie Anne-Chantal Leandri-­Lepeuple (2008: 61) zwar in einem anderen Kontext, in Bezug auf die Exil-Sender Radio Free Europe, Radio Liberty und RIAS beobachtet hat. Die Verwendung, Darstellung und manchmal Instrumentalisierung deutschsprachiger Kulturen ermöglichen es der Zeitschrift, jene diffizile Positionierung zwischen Ost und West zu konsolidieren, die gegen die vom kommunistischen Regime vorgeschriebene Linie verstoßen konnte, versuchte doch das Regime, westliche Einflüsse auf die tschechoslowakische Kultur zugunsten des russischen Einflusses zu minimieren, wie René Wellek (1978: 228) am Beispiel des ­tschechischen

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Literaturtheoretikers Jan Mukařovský, der 1948 erklärte, dass die russischen Einflüsse auf die tschechische Literatur viel größer seien als jene aller anderen Literaturen, aufzeigte.

4.2 Eine Rehabilitierung der Barockkunst? Gezeigt wurde, dass IHE die Wahrnehmung des Barockzeitalters vorwiegend als Zeit der Finsternis propagierte, insbesondere in Bezug auf die Darstellung der Habsburger, betont wurde aber auch, dass die Zeitschrift einen nuancierten Blick auf die kulturellen Aspekte wirft. So wird eine relativ große Anzahl von Artikeln der Barockkunst gewidmet, die, zusammen mit der gotischen Kunst, die bedeutendsten Kunstschätze des architektonischen und künstlerischen Erbes der Tschechoslowakei bietet. Sukzessive erfolgt eine Art Versöhnung zwischen der als tschechoslowakisch kategorisierten Kultur und der als fremd abqualifizierten Barockkunst, die rehabilitiert werden soll. Dabei werden österreichische Künstler gewürdigt, wie etwa Johann Lukas Kracker, der als „hervorragendste[r] Freskomaler“ Mitteleuropas vorgestellt wird, wobei der Verfasser des Artikels von „böhmischem“ und nicht von tschechischem Barock spricht und die süddeutschen Einflüsse auf den Maler hervorhebt: „Kracker war mit den Errungenschaften der süddeutschen Form- und Farbexpression vertraut.“ (Jaromír Šíp, „Malerischer Spätbarock. Ein Deckenfresko Johann Lukas Krackers in Prag“, IHE November 1958: o. S.) Der österreichische Maler Maulbertsch wird ebenfalls zum Monument der barocken Malerei erhoben: […] all das verblaßt vor der illusionistischen Meisterschaft des Farbenfürsten Maulbertsch, dessen ausgezeichnet restauriertes Deckenfresko im Lehenssaal zu den Höchstleistungen des radikalen Barocks in Europa gehört. In der rot, orange und gelb lodernden Atmosphäre werden die Körper zur Weißglut gebracht, die Blau- und Grüntöne sind kühlende Oasen; ein Farbenrausch ohnegleichen, eine suggestive Expression, mit der die Institution der Vasallengerichtsbarkeit bekräftigt werden sollte, als sie bereits den Händen der fürstbischöflichen Auftraggeber entglitt. (G. Jesenius [Solar], „Diesmal nach Kroměříž. Zwei Gärten und eine Stadt dabei“, IHE Dezember 1965: 20–24, hier 21)

In einem weiteren Beitrag über böhmische Orgeln, eine Aufwertung der barocken Musikkunst, wird wiederum auf das integrative Adjektiv „böhmisch“ statt „tschechisch“, das sich auf die Nation bezieht,88 zurückgegriffen, um die Barockkunst zu beschreiben. Der Autor hebt den Kulturtransfer hervor, der 88  Die Tschechen und Slowaken selbst seien übrigens über Österreich auch schlecht informiert, wie der Artikel von Karel J. Matouš „Liegt Österreich in Australien?“ in der ­Maiausgabe von 1968 zeigt. Zu diesen Aspekten s. auch Peterlik (2002: 627).

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von Deutschland aus erfolgte, um eine „spezifisch böhmische“ Barockkunst entstehen zu lassen: […] das schöne Werk des aus Köln gebürtigen und in Prag ausgelernten Orgelbauers Hans Heinrich Mundt im Jahre 1673 […] Die Orgeln Prags hatten […] etwas Gemeinsames und spezifisch Böhmisches. […] Das Jahr 1648, welches die böhmischen Länder dem musikalischen Barock öffnete, ließ die gotische Konzeption in der Barockorgel wieder aufleben […]. (Dr. A. Knižkovsk, „Schallmey und Zymbelstern. Die Geschichte des böhmischen Orgelklangs“, IHE Dezember 1958: o. S.)

In diesem Auszug zeichnet sich ein konsensuales Bild der künstlerischen Kooperation zwischen Deutschland und den böhmischen Ländern ab, das der Absicht von IHE, eine Brücke zwischen beiden Ländern zu schlagen, entspricht. Die Barockkunst, eine europäische Kunst par excellence, die die tschechischen und slowakischen Regionen besonders geformt hat, erweist sich als durchaus geeigneter Träger dieser ausgleichenden Botschaft. Daher rühren die regelmäßigen Beiträge über das böhmische Barock (Petr Nowák, „Südböhmische Kurzweil“, IHE September 1963: 18f.; Vl. Votýpka, „Olomouc“, IHE Oktober 1964: 4–6; Michal Starý, „Třeboň. Stadt mitten im Wasser“: „die zierlichen Barockkapellen“, IHE November 1964: 17–19; Gustav Solar, „Südböhmische Gotik und Donauschule“, IHE November 1965: 27–29).

4.3 Die „Wiederentdeckung“ Franz Kafkas Die am Anfang des vorliegenden Kapitels vorgelegte Tabelle belegt den überproportionalen Stellenwert Kafkas unter den Vertretern der deutschsprachigen Literatur, mit denen sich IHE auseinandersetzt. Mit 23 ihm gewidmeten Artikeln bzw. Notizen steht Kafka an erster Stelle, weit vor Goethe, der als einziger weiterer Autor die Anzahl von zehn Artikeln überschreitet. Es kann also von einem von IHE vermittelten Kafka-Phänomen die Rede sein. Es steht fest, dass die anlässlich des 80. Geburtstages des Schriftstellers am 27./28. Mai 1963 in Liblice organisierte Kafka-Konferenz eine wichtige Rolle im Reformprozess, der in der Tschechoslowakei der 1960er eingeleitet wurde, spielte. Nach Stefan Bollinger (1995: 43) „bildete sie [tatsächlich] den ideologischen Zugang zur tschechoslowakischen Reformdiskussion“. Dies tritt auch in den Erinnerungen des Mitorganisators der Konferenz, Eduard Goldstücker (1989: 295f.), hervor, der die von der DDR propagierte These einer „tschechoslowakischen Gegenrevolution“ erwähnt, die durch die Konferenz initiiert worden sei. Dennoch hat die Forschung seitdem den entscheidenden Charakter dieser Tagung relativiert und die Rolle eines ideologischen Kontextes ­hervorgehoben,

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der durch das Tauwetter in Folge des XX. Kongresses der KPdSU im Jahre 1956 und durch den Weltkongress für allgemeine Abrüstung und Frieden im Juli 1962 in Moskau ausgelöst wurde. Auf diesem Kongress hatte Jean-Paul Sartre in einem Vortrag über die „Entmilitarisierung der Kultur“ bereits den Weg für eine marxistische Interpretation Kafkas geebnet, indem er behauptete, „Kafka wäre […] von der westlichen Kritik im Kampf gegen den Sozialismus mißbraucht worden.“ (Stašková 2008: 53, zit. n. Weinberg 2017a: 24) Die Debatten richteten sich seitdem auch auf die Frage der eigentlichen Initiatoren der Liblice-Konferenz. Während Goldstückers Erinnerungen (1989: 292f.) dessen eigene Rolle fokussieren, ohne den Mitorganisator Pavel Reimann zu zitieren, erinnert Manfred Weinberg (2017a: 24) daran, dass Goldstückers Rolle zunächst von Antonín Liehm, dann von Alexej Kusák relativiert wurde. Jenseits persönlicher Streitigkeiten dokumentieren solche Polemiken die Bedeutung des Mythos, der mit dieser Konferenz verbunden ist. Wenn man davon ausgeht, dass diese Konferenz das Vorspiel des Prager Frühlings war, ist die Vaterschaft der Tagung wohl keine Anekdote mehr. Bezüglich des Inhalts der Konferenz, auf die 1965 eine zweite Tagung über die „Prager deutsche Literatur“ (Goldstücker 1967) folgte, die Kafka wiederum zwei Referate widmete, wurden Beitrag und Grenzen der Tagung von Manfred Weinberg präzise erörtert. Der Literaturwissenschaftler würdigt den Prager Germanisten und seinen „übergroßen Verdienst, Franz Kafka und die Prager deutsche Literatur in einem ideologischen Umfeld zum Thema gemacht zu haben, für das Kafka eigentlich eine ‚persona non grata‘ zu sein hatte – und die Prager deutsche Literatur (von wenigen Ausnahmen abgesehen) ein einziger Ausbund an ideologischer Verirrung: kein Klassenbewusstsein, nirgends!“ Weinberg betont jedoch den Preis, der für diesen Mut zu bezahlen war: Wollte man zu jener Zeit und unter den Bedingungen der herrschenden marxistischen Ideologie von Kafka und den anderen Autoren der Prager deutschen Literatur sprechen, dann verlangte das eine ganz spezifische Blickweise auf diese Autoren. Sie mussten […] etwa als Inbegriff einer humanistischen Haltung vorgestellt werden, was dann erst eine Lektüre zu marxistischen Bedingungen erlaubte (und aus unserer heutigen Sicht unangemessene Folgerungen zeitigte). (Weinberg 2013: 127)

So konzentrierte sich die Konferenz schließlich auf die „Frage, ob Kafka ein zu marxistischen Bedingungen lesenswerter Autor sei“, und vermied jene der „spezifischen interkulturellen Situation in den böhmischen Ländern“ (Weinberg 2013: 128). Goldstücker wies der tschechoslowakischen Germanistik außerdem eine bedeutendere Rolle zum Verständnis Kafkas zu, wobei er aber laut Weinberg etwas übersehe: „Das Prag des Jahres 1963 ist einfach

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nicht mehr das Prag Kafkas.“ (Weinberg 2013: 130) Zuletzt kritisiert der Literaturwissenschaftler Goldstückers Unternehmen, das darin bestand, „der Literatur des Zentrums Prag die Literatur der sudetendeutschen Peripherie gegenüber[zustellen], wobei er die Prager deutsche Literatur als durchgängig humanistisch und antichauvinistisch, die sudetendeutsche Literatur aber ebenso pauschal als streng nationalistisch, gar präfaschistisch gekennzeichnet hat.“ (Weinberg 2013: 132). Martin Schulze Wessel (2018: 59) vertritt jedoch einen anderen Standpunkt, wenn er die „Sprengkraft“ des Vortrags Goldstückers betont, der anhand von Kafkas Werk die Teilung der Welt in einen sozialistischen Block und einen kapitalistischen Westen infragestellte. Dies belege, so der Historiker, die politische Dimension der Konferenz. In IHE wird bereits im Juli 1963 über die Konferenz von Mai 1963 berichtet. Goldstücker selbst, der als einer der „maßgeblichsten modernen KafkaForscher“ vorgestellt wird, liefert einen vierseitigen, reichlich bebilderten Artikel, der von der Redaktion als Auszug aus einer längeren Studie präsentiert wird (Eduard Goldstücker, „Franz Kafka”, IHE Juli 1963: 12–16). Es handelt sich jedoch nicht um wortwörtliche Zitate aus dem Vortrag, den Goldstücker auf der Tagung hielt:89 Der Akzent liegt auf dem humanistischen Erbe bei Kafka, der dem Imperialismus widerstand, welchem das Prager deutsche Bürgertum zu erliegen im Begriff war, aber im Gegensatz zum 1965 zusammen mit allen Tagungsbeiträgen veröffentlichten Text, verschweigt Goldstückers IHE-Beitrag völlig die Anpassungsfähigkeit des Werkes Kafkas an eine marxistische Lektüre. Das Jahr 1963 leitet zweifellos eine neue Rezeption Kafkas und seines Werkes in IHE ein, denn zwischen April 1963 und Februar 1969 nimmt die Anzahl der Artikel über den Schriftsteller deutlich zu, wodurch endgültig mit dem Tabu gebrochen wird, dem der Autor bisher unterlag.90 Neben der 89  Trotz inhaltlicher Unterschiede fällt die Stilähnlichkeit zwischen dem IHE-Beitrag und der 1965 publizierten Studie (Goldstücker/Kautman/Reimann 1965) auf. Wie Alice Stašková (2013: 172ff.) erörterte, verschwimmen in den Publikationen Goldstückers der 1960erJahren die Grenzen zwischen Literaturwissenschaft und Publizistik. 90  Inka Malá [Lenka Reinerová], „Bürger der ČSSR. Jiří Suchý“ (IHE April 1963: 1 [Jiří Suchý nennt Kafka als einen seiner Lieblingsautoren und fügt hinzu: „noch bevor er ‚modern‘ wurde“]). Die Septemberbeilage von 1963 kündigt eine Serie neuer tschechischer KafkaÜbersetzungen an. Weitere Beiträge bzw. Notizen sind folgende: O. Štorch-Marien, „Alchimistengäßchen Nr. 22 Unbekanntes über Kafka“ (IHE Oktober 1963: 7); Notizblock von März 1964, der die Veröffentlichung der Beiträge der Liblice-Konferenz ankündigt; Notizblock von November 1964, der die Komposition von Liedern nach Texten von Kafka erwähnt; Jaroslav Procházka, „Franz Kafkas Marienbader Elegie“ (IHE Januar 1965: 24f.); die Septemberausgabe von 1965 kündigt die Veröffentlichung der Beiträge der

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­ nzahl von Artikeln nach 1963 ist das Fehlen seines Namens vor jenem Jahr A auch aufschlussreich, erscheint er doch lediglich zweimal: einmal im April 1958, da die Veröffentlichung einer tschechischen Übersetzung angekündigt wird, sowie ein weiteres Mal im August 1959, wo in einem Beitrag über den Bildhauer Otto Gutfreund auf Kafka angespielt wird: Doch seine jüdische Herkunft bedeutete durchaus nicht jene Isolierung, die das traditionelle religiöse Anderssein durch die Ablehnung des gesunden, im positiven Sinne primitiven, lebensträchtigen Volksmilieus noch verstärkte, denn Otto Gutfreund war Tscheche. Während seine literarischen Zeitgenossen – ein Franz Kafka, Franz Werfel – auf dem Boden der immer kleiner werdenden deutschen Insel im tschechischen Prag national wie sozial auf verlorenem Posten standen und das pulsierende Geschehen ringsum nur indirekt wiedergaben, stand Otto Gutfreund bewußt, im Leben wie in seiner Kunst, im Lager der Volksmassen. (Dr. Jiří Šetlík91, „Otto Gutfreund“, IHE August 1959: o. S.)

An diesen Zeilen und an der geradezu abwertenden Einschätzung des Judentums, die hier zum Vorschein kommt, lässt sich die Aufgabe ermessen, die 1959 auf dem Weg zur Rehabilitierung Franz Kafkas und der Prager jüdischen Autoren deutscher Sprache noch bevorstand. Auch wenn IHE keine originelle Interpretation des Werkes Kafkas vorlegt und einfach die Ergebnisse der Liblice-Konferenz referiert, spiegelt das rege Interesse, das Kafka in der Zeitschrift, sowohl als Schriftsteller als auch als Inspirationsgegenstand für Maler, Bühnen- und Filmregisseure oder auch für Musiker weckte, nicht nur die tatsächliche Rehabilitierung des Autors wider, sondern vielmehr den Willen, den vielgestaltigen und „unfassbaren“ (Weinberg 2017a: 200ff.) Charakter seines Werkes aufzuzeigen und sich dieses Werk in seiner größten Vielfalt wieder anzueignen, indem die unterschiedlichsten Medien zum Einsatz kommen. ­Konferenz von 1965 an; Inka Malá [Lenka Reinerová], „Das Schloss Franz Kafka/Max Brod“ (IHE September 1965: 24f.); Notizblock von Februar 1966 über Dreharbeiten nach Kafkas Schloss; E.W. [Karel Trinkewitz], „Unser Zeichner ist diesmal Jarmila Mařanová“ (IHE Mai 1966: 1 [der Artikel kündigt eine Ausstellung tschechoslowakischer Maler in München über Themen in Bezug auf Romane und Texte von Kafka]); [o. N.], „Entdeckung eines unbekannten Bühnenstücks von Franz Kafka. Der Flug um die Lampe“ (IHE Juni-Beilage 1966: o. S.); Karel Trinkewitz, „Ein Maler für Franz Kafka“ (IHE Juni 1966: 18f.); Porträt von Kafka des Malers Vavro Oravec auf der Umschlagseite der Ausgabe von Juni 1966; Inka Malá [Lenka Reinerová], „Was wurde gespielt? Zum Ende der Prager Theatersaison“ (IHE Juli 1966: 25–27 [es geht um eine Bühnenbearbeitung von Kafkas Prozess]); Notizblock von September 1966, der den Anschlag einer Gedenktafel am Prager Geburtshaus Kafkas ankündigt; Milan Lukeš, „Franz Kafkas Prozess im Theater am Geländer“ (IHE September 1966: 20f.); Lenka Reinerová, „Bücher menschlicher Geschicke“ (IHE Oktober 1968: 26f.). Abschließend ist Lenka Reinerovás Leitartikel von Februar 1969 (IHE Februar 1969: 1) zu nennen, in welchem sie auf Kafka anspielt. 91  Jiří Šetlík (*1929) ist ein tschechischer Kunsthistoriker.

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Wie Lenka Reinerová, die sich dabei womöglich an Sartres Worte erinnert, analysiert, scheint die Pandorabüchse nunmehr geöffnet worden zu sein: Über Franz Kafka wird seit je gerätselt. Nicht nur über sein Werk; in den letzten Jahren ist noch die sog. Kafka-Diskussion hinzugekommen, der eigenwillige Denker und Deuter wurde zur Streitfahne, mit der der Westen gegen den Osten vorrückte: Wir haben ihn, den Kafka, und wo bleibt ihr? Ihr wagt euch nicht an ihn heran. Und der Osten zögerte. Als er jedoch Tür und Tor öffnete und gleich mit einer wissenschaftlichen Konferenz über Werk und Persönlichkeit des Prager Dichters Franz Kafka in Liblice […] auf den Plan trat, da wurde links und rechts aufgehorcht – und die Diskussion setzte mit neuer, unerwarteter Vehemenz abermals ein. (Inka Malá [Lenka Reinerová], „Das Schloss Franz Kafka/Max Brod“, IHE September 1965: 24f., hier 24)

Das, was Reinerová hier beschreibt, ist wohl der Versuch einer Wiederaneignung durch den Osten, nicht nur eine schlichte Rehabilitierung. Die im Auszug erwähnte „Vehemenz“ der Debatte ist eine Anspielung auf die in der DDR formulierten Kritik an Kafkas Werk.92

4.4 Die Herolde der deutschen Literatur in Böhmen Die oben präsentierte Tabelle enthüllt, dass die Prager Autoren deutscher Sprache (insgesamt 19) neben Franz Kafka fast ein Fünftel der in IHE präsentierten Vertreter deutschsprachiger Kulturen ausmachen. Zwar werden sie unterschiedlich behandelt, wobei die Namen von Rainer Maria Rilke (mit neun Artikeln bzw. Hinweisen), Egon Erwin Kisch (sieben), Franz Werfel (sechs), Max Brod (fünf), Adalbert Stifter (fünf), Franz Carl Weiskopf (drei) und Ernst Weiß (drei) quantitativ dominieren. Diese 19 Autoren gehören weitgehend zu den „Prager Kreisen“, die Max Brod (2016), der in seiner berühmten Studie den Singular verwendete, wie folgt einteilte: Im Kern befand sich der „engere Prager Kreis“ mit Kafka, Felix Weltsch, Oskar Baum, Max Brod selbst und – nach Kafkas Tod – Ludwig Winder. Dieser ‚engere Prager Kreis‘ trat in mehr oder minder nähere Beziehung zu andern Gruppen oder Einzelgestalten des Prager geistigen Lebens. So etwa zum (jüngeren) Kreis um Werfel und Willy Haas – zum Kreis der älteren Generation, in der Rilke und Gustav ­Meyrink, Hugo Salus, Paul Leppin, Oskar Wiener überragten. Zum zionistischen Kreis

92  Lenka Reinerová erinnert sich z. B. an die Nervosität ihrer Freundin Anna Seghers auf der Konferenz von Liblice, die sie auf einen Gegensatz zwischen der damaligen Atmosphäre in der DDR und in der Tschechoslowakei zurückführt: „[Anna Seghers] kam aus der DDR, das heißt, sie kam aus einer ganz anderen Atmosphäre als die, die wir ’63 schon in den Anfängen in der Tschechoslowakei hatten.“ (Danyel 2000: 83).

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um Hugo Bergmann, Robert Weltsch, Hans Kohn, Siegmund Kaznelson, Viktor Kellner, Oskar Epstein u. a. Zu den Dichtern aus Mähren wie Max Zweig, Ernst Weiß, zu dem erfindungsreichen Urzidil und dem diffizil schillernden Torberg. […] (Brod 1966: 36f., zit. n. Weinberg 2017a: 195)

IHE interessiert sich also vor allem für diese Vertreter der „Prager Kreise“, zunächst auf Goldstückers Veranlassung hin, der im August 1961 einen Auszug aus seiner Studie zu Rilke und Werfel publiziert (Eduard Goldstücker, „Rainer Maria Rilke und Franz Werfel“, IHE August 1961: o. S.)93, dann in Folge der „Weltfreunde“-Konferenz von 1965, die in der Ausgabe von November 1965 angekündigt wird, bevor Josef Poláček, der selbst daran teilnahm, der Tagung einen detaillierten Bericht widmet (Josef Poláček, „In unbefangener Weise. Zur wissenschaftlichen Konferenz über die Prager deutsche Literatur“, IHE Januar 1966: 24f.) (Goldstücker 1967).94 Jener Bericht, der die nunmehrige Objektivität der literaturwissenschaftlichen Forschung gegenüber dieser Literatur betont, unterscheidet, ähnlich wie Max Brod, diverse „Kreise“, wobei sich diese nicht vollkommen mit denen von Brod decken, und hebt die humanistische Dimension und den neobohemistischen Charakter jener Literatur der Vermittlung, deren bedeutendster Vertreter Rilke95 sei, hervor: Rainer Maria Rilke, Paul Leppin, Oskar Baum, Max Brod, Ernst Weiß, Franz Werfel, die zu dem bürgerlich-humanistischen Kreis gehören, Egon Erwin Kisch, Rudolf Fuchs, Franz Carl Weiskopf, Louis Fürnberg die in den Bereich der sozialistischen Literatur gehören, und endlich Ernst Sommer und Ludwig Winder, die an der Grenzscheide dieser beiden Gruppen stehen. […] Man untersuchte die Stellung dieser Literatur innerhalb des gesamten deutschen Schrifttums, ihre Beziehung zur Literatur des ehemaligen ÖsterreichUngarns und Deutschlands, aber auch die Widerspiegelung des tschechischen Milieus, in dem ja diese Literatur entstand, das Verhältnis einzelner Schriftsteller zu Böhmen, zum tschechischen Volk und auch die Mittlerrolle der Vertreter der Prager deutschen Literatur auf kulturellem Gebiet. […] eines darf man schon jetzt sagen: daß auch diese Konferenz einen entscheidenden Schritt zur gründlichen Erforschung dieser zutiefst humanistischen Literatur getan hat. Wie Professor Eduard Goldstücker betonte, vermag die tschechoslowakische Germanistik zum ersten Mal in ihrer Geschichte die Erforschung dieser Literatur ohne alle Vorurteile zu betreiben. (Josef Poláček, „In unbefangener Weise“, IHE Januar 1966: 24f.) 93  Es handelt sich um einen Auszug aus dem Artikel, den er 1960 in der Germanistica Pragensia  veröffentlicht hatte („Rainer Maria Rilke und Franz Werfel. Zur Geschichte ihrer Beziehungen“, Germanistica Pragensia 1: 37–71). Diese Prager germanistische Zeitschrift war von Goldstücker selbst gegründet worden. 94  In den Beiträgen der Konferenz zeichnet Josef Poláček den Text „Zu Egon Erwin Kischs Entwicklung vor dem ersten Weltkrieg“ (Goldstücker 1967: 279–290). 95  Goldstücker identifizierte den Höhepunkt der Prager deutschen Literatur mit Rilkes Auftritt auf der literarischen Bühne (Goldstücker/Kautman/Reimann 1965: 32).

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Ein Artikel von September 1966 erinnert an die tschechischen Einflüsse auf das Werk von Rilke, während sich im Dezember 1966 eine Fotografie des Tschechen Ladislav Sitenský zu Rilkes Gedicht Es winkt zu Fühlung fast aus allen Dingen gesellt. Dabei verflechten sich Foto und Gedicht miteinander, sodass der Betrachter kaum weiß, ob das Foto das Gedicht illustriert, oder umgekehrt. Der Beitrag entstand anlässlich des 40. Todestages von Rilke, wie eine sehr knappe Notiz der Redaktion erörtert: „Am 29. 12. 1966 jährt sich zum 40mal der Todestag des großen Lyrikers, der in Prag geboren wurde und zu den bedeutendsten Vertretern der sog. literarischen Prager deutschen Sprachinsel gehört.“ („Es winkt zu Fühlung fast aus allen Dingen. Rainer Maria Rilke“, IHE Dezember 1966: 8f.) Der Begriff „Sprachinsel“ verbreitete sich seit Pavel Eisners Essay von 1937 und wurde insbesondere von Goldstücker übernommen.96 Zur zweiten Kategorie der von IHE bevorzugten Prager deutschsprachigen Autoren gehören Kommunisten wie Egon Erwin Kisch oder Franz Carl Weiskopf, die Lenka Reinerová in ihrem späteren literarischen Werk als Mentoren beschreibt (Reinerová 2006b). Die Beiträge zu diesen beiden Autoren stammen übrigens meistens von ihr, und es ist zweifellos kein Zufall, wenn der allerletzte Artikel, den Reinerová vor ihrer Entlassung aus der Zeitschrift veröffentlicht, jenen beiden Autoren gewidmet wird (Lenka Reinerová, „Zwei aus Prag“, IHE April/Mai 1970: 38f.). Die Journalistin, die ihren Beruf nun nicht mehr ausüben darf, würdigt hier die beiden Meister, die sie ausgebildet haben: Weiskopf führte sie in den 1930er-Jahren in die journalistische Laufbahn ein, indem er ihr eine Stelle bei der Arbeiter Illustrierte Zeitung verschaffte, und Kisch habe ihr „die Freude an der Niederschreibung der Wirklichkeit“ (Reinerová 2008: 35) vermittelt. IHE befasst sich ebenfalls, wenn auch nicht ausgiebig, mit deutschsprachigen böhmisch-jüdischen Autoren des 19. Jahrhunderts, wie zum Beispiel Moritz Hartmann, Isidor Heller, Leopold Kompert oder Siegfried Kapper.

96  Die Auffassung der Prager deutschen Literatur als „Sprachinsel“ wurde seitdem widerlegt. Vgl. Binder (1996) und die Entkräftung von Deleuzes und Guattaris Studie zur vermeintlichen „kleinen Literatur“ durch Manfred Weinberg (2017a: 204f.) sowie die grundsätzliche Kritik von Marie-Odile Thirouin (2014).

Der Anteil der deutschsprachigen Kulturen in beiden Zeitschriften

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4.5. Deutschsprachige Kultur und jüdische Kultur In der Tat genießt die jüdische Kultur ab 1963 – verbunden mit der Prager deutschsprachigen Literatur – eine besondere Thematisierung, die auf Leo Brod (s. S. 102f.) zurückzuführen ist. Der bisherige Redakteur der Prager Volkszeitung zeichnet zwischen April 1963 und September 1964 sechs Artikel, die sich alle mit jüdischen Themen beschäftigen. Der erste gedenkt der im Holocaust ermordeten Juden in Böhmen und Mähren, deren 77.279 Namen soeben auf den Innenwänden der Pinkas-Synagoge zu Prag aufgezeichnet worden waren (Leo Brod, „77 279 Namen“, IHE April 1963: 17). Der Verfasser wählt dabei drei Namen aus: einen deutschsprachigen expressionistischen Autor, Paul Kornfeld (1889–1941), den tschechisch-deutschen Komponisten Hans Krása (1899–1944), der in Terezín/Theresienstadt nach einem Libretto von Adolf Hoffmeister die Kinderoper Brundibár komponierte, und den tschechischen Maler Bedřich Fritta (1906–1944). Auch wenn das Thema dieses ersten Beitrages die Erinnerung an die ermordeten Juden ist, deutet die Wahl dieser drei Namen auf eine jüdische Kultur hin, die imstande wäre, die deutsche und die tschechische Identität zu vereinbaren. Angeknüpft wird hier an einen alten Topos, der bereits in der deutschböhmischen Literatur des 19. Jahrhunderts vorhanden war, und zwar an jenen eines Prager bzw. böhmischen Judentums, das als Mittler zwischen Tschechen und Deutschen zu fungieren vermöge (Leclerc 2011a: 230–239). Es ist wohl kein Zufall, wenn so viele IHE-Beiträger selbst im deutsch- und tschechischsprachigen Umfeld aufgewachsene Juden waren. Leo Brods Artikel stellen den Versuch dar, die jüdische Kultur in das tschechoslowakische Kulturerbe zu integrieren. Sie tragen hiermit zu einer „Revision der Erinnerungskultur der Stalin-Zeit“ (Schulze Wessel 2018: 252) und einer Wiedergeburt der jüdischen Kultur bei, die durch den Reformprozess getragen wurde, ohne dass dies jedoch das Verschwinden des Antisemitismus bedeutete, welchem Eduard Goldstücker noch im Jahre 1968 ausgesetzt war.97 Die Schilderung des jüdischen Museums Prags durch Leo Brod als „meistbesucht[es] Museum in Prag“ und der Prager Judenstadt als Begegnungsort zwischen Orient und Okzident greift auf einen alten Topos zurück:98 Orient und Okzident reichen einander die Hände. […] Lieber Leser, wenn Sie noch an das Märchen vom Eisernen Vorhang glauben sollten, dann kommen Sie zu mir, zur eisernen Tür der Alt-Neu-Synagoge, und Sie werden an manchen Tagen bis 50 Autobusse, Privat- und 97  Martin Schulze Wessel (2018: 253) weist auf den „offiziellen Antisemitismus, der sich mit der Machtübernahme Gustáv Husáks 1969 verbreitete“, hin. 98  Moritz Hartmann (1821–1872) hatte im Gedichtband Kelch und Schwert (1845) Prag als „slawisches Jerusalem“ beschrieben (Leclerc 2011a: 247). Dieselbe Idee findet sich auch bei seinem Zeitgenossen und Landsmann Ludwig August Frankl (1810–1894) (Leclerc 2014).

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Wohnautos nicht mitgerechnet, aller Automarken dort sehen. (Leo Brod, „Das Staatliche Jüdische Museum in Prag“, IHE August 1964: 20f., hier 21)

Der jüdische Kern der Stadt ist es, der es Prag, und ferner der Tschechoslowakei erlaubt, als eigentlicher Knotenpunkt Europas zu erscheinen, – eine Vorstellung, die der IHE-Redaktion besonders am Herzen liegt. Der Abdruck der ersten Beiträge von Leo Brod ab 1963 ordnet sich in den Kontext der beginnenden Liberalisierung des tschechoslowakischen Regimes und der Liblice-­Konferenz ein, was gewiss auch kein Zufall ist.

4.6 Bilanz Die Auseinandersetzung mit den deutschsprachigen Kulturen in IHE signalisiert zugleich den Wunsch nach Öffnung, die Bereitschaft zur kulturellen Zusammenarbeit, vielleicht sogar zur Aussöhnung mit Deutschland, und spiegelt folglich die beginnende Liberalisierung des Regimes wider. Fest steht dennoch, dass, wie im Falle Franz Kafkas und der deutschsprachigen Literatur Böhmens, nach wie vor kulturelle Erscheinungen mit „humanistischem“ Potenzial, die dementsprechend mit dem Sozialismus vereinbar sind, bevorzugt werden. Das hatte Lenka Reinerová bereits 1960 klargestellt, als sie über die Aufführung eines Theaterstücks der amerikanischen Autorin Lorraine Hansberry (1930–1965) in Ostrava berichtete: „Die humanistische Kunst der Welt ist in der sozialistischen Tschechoslowakei zu Hause.“ (Inka Malá [Lenka Reinerová], „Trauben in der Sonne“, IHE Oktober 1960: o. S.) Dabei ging es nicht um irgendeine Autorin, sondern um eine schwarze Schriftstellerin, die sich in der Bürgerrechtsbewegung engagierte. Nichtsdestotrotz bleiben die Verwendung und Vereinnahmung der deutschsprachigen Kulturen in der Zeitschrift in einem tschechoslowakischen Kontext, in welchem die deutsche Minderheit und deren Kultur diskriminiert und die Beziehungen mit den deutschsprachigen Nachbarländern angespannt sind, einzigartig. Die Intention ist umso origineller, als das Ziel von IHE zunächst darin besteht, die Tschechoslowakei im Ausland bekannt zu machen. Über ihre Mission als Schaufenster der Tschechoslowakei hinaus, reicht IHE Deutschland und Österreich also einen Spiegel ihrer eigenen Kultur, die im mitteleuropäischen Raum verortet wird. Über diesen Kulturtransfer wird die Kultur zum eigentlichen Träger der tschechoslowakisch-deutschen und tschechoslowakischösterreichischen Beziehungen erhoben.

VIERTER TEIL Das Jahr 1968 in IHE: Von der Euphorie zur Erschütterung

Das Jahr 1968 in IHE: Von der Euphorie zur Erschütterung

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Zweifellos wurde dieses Jahr zu einem bedeutenden Meilenstein in der Entwicklung der Tschechoslowakei. Es gliedert sich in drei, weder ihrer Dauer, noch ihrer Bedeutung nach identische Zeitabschnitte: acht hoffnungsvolle Monate vom Januar bis August, acht kritische Tage vom 21. bis 28. August und der Rest des Jahres. (Jiří Kantůrek, „Offene Tribüne”, IHE Januar 1969: 19)

Das Jahr 1968 stellt unumstritten einen Wendepunkt (Pauer 2007) in der Geschichte der Tschechoslowakei dar, wie das vorangestellte Zitat von Jiří Kantůrek1 belegt, der die Dramatik mit einem gewissen, durch die Anspielung auf die 8er-Symbolik in der tschechischen Geschichte2 verstärkten Fatalismus zum Ausdruck bringt. Allerdings sind die Ereignisse, die sich ab dem 5. Januar 1968 durch die Trennung des Amtes des Präsidenten der Republik von jenem des Ersten Sekretärs der KPČ und die Ersetzung Novotnýs durch den Slowaken Alexander Dubček auf dem Posten des Ersten Sekretärs abspielen, auf einen weiter reichenden Prozess zurückzuführen, dessen Beginn die Historiker im Jahre 1963 verorten (Marès 2007b: 19; Kaplan 2008: 93).3 Martin Schulze Wessel betont ebenfalls den Einschnitt, den dieses Jahr bildete, war es doch zugleich das Jahr der Kafka-Konferenz von Liblice, des Beginns der wirtschaftlichen Reformen von Ota Šik4 sowie der Diskussionen über Staat und Recht infolge des Parteiberichtes von Drahomír Kolder über die Anfang der 1950er begangenen Verbrechen (Schulze Wessel 2018: 116). In seiner Übersicht über die intellektuelle Geschichte des Prager Frühlings hebt der Historiker die auffallende Gleichzeitigkeit zwischen der Kafka-Konferenz, den Debatten um Radovan Richtas5 Ideen zur „wissenschaftlich-technischen Revolution“, 1  Der Journalist und Publizist Jiří Kantůrek (1932–1998) war von 1964 bis 1967 Redakteur der Zeitschrift Kulturní Tvorba. 1968–1969 war er innenpolitischer Kommentator beim tschechoslowakischen Fernsehen und Moderator verschiedener Fernsehprogramme. Als Befürworter der Reformen und Gegner der Besetzung wurde er 1970 entlassen ( [12. 10.2021]). 2  Merkwürdigerweise fanden in der Tat viele bedeutende Ereignisse der tschechischen bzw. tschechoslowakischen Geschichten in Jahren mit der Endziffer 8 statt: Prager Fenstersturz und Beginn des Dreißigjährigen Krieges im Jahre 1618, Revolution von 1848, Gründung der Tschechoslowakei im Jahre 1918, Münchner Abkommen 1938, Prager Putsch 1948. 3  Michal Reiman lässt den Prager Frühling sogar mit dem Slánský-Prozess 1952 beginnen (Segert 2008: 117f.). 4  Der Ökonom Ota Šik (1919–2004) war der Stifter des Programms wirtschaftlicher Reformen, das 1963 konzipiert, 1965 in die Tat umgesetzt wurde und darauf abzielte, Marktmechanismen einzuführen, um die Produktivität der krisengebeutelten tschechoslowakischen Wirtschaft zu steigern. Zu diesem Programm vgl. u. a. Schulze Wessel (2018: 91–111). 5  Radovan Richta (1921–1983) war der Autor von Civilizace na rozcesti, das 1966 erschien und 1971 unter dem Titel Der Richta-Report ins Deutsche übersetzt wurde. Der tschechische Philosoph und Sozialwissenschaftler entwickelt darin die Utopie einer Befreiung des

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dem Reformprogramm Šiks und der „Neuformulierung der theoretischen Grundlagen von Politik und Recht“ durch Zdeněk Mlynář6 hervor. Schulze Wessel unterstreicht dabei den bedeutenden Einfluss jener vier Intellektuellen (­Eduard Goldstücker, Radovan Richta, Ota Šik und Zdeněk Mlynář), deren Ideen „die führende Rolle der Kommunistischen Partei in ihrer doktrinären Form von ganz unterschiedlichen Richtungen her in Frage“ stellten: Zusammengenommen ergaben sie jedoch kein kohärentes neues Programm, vielmehr standen sehr verschiedene Konzepte nebeneinander, mit unterschiedlichen Zukunftshorizonten und widerspruchsvollen Aussagen über die Möglichkeit von zukunftsorientierter Steuerung. Gemeinsam war den vier Ansätzen, dass das Jahr 1963 auf die eine oder andere Weise einen wichtigen Ausgangspunkt bildete. (Schulze Wessel 2018: 132)

Diese Zäsur des Jahres 1963 spiegelt sich ebenfalls in IHE wider, wie nun aufgezeigt werden soll.

1. Der Frühlingswind der Liberalisierung und IHE vor 1968 Hingewiesen wurde bereits auf Entwicklungen in der editorischen Linie der Zeitschrift und in der Auswahl der behandelten Themen, die als Zeichen der Liberalisierung des tschechoslowakischen Regimes gedeutet werden können und ab 1963 verstärkt wahrzunehmen sind. Das Cover der Januarausgabe von 1963 etwa, das eine Allegorie Europas von Jaroslav Malák darstellt, implizierte mit der Betonung der europäischen Verankerung der Tschechoslowakei den bereits deutlichen Willen zur Öffnung und einen möglichen Wendepunkt.

­ enschen durch die wissenschaftlich-technische Revolution. Das Werk „galt den ZeitgeM nossen als ‚Das Kapital des 20. Jahrhunderts‘“ und war „[i]m Bereich der Gesellschaftstheorie wichtigste Programmschrift des Prager Frühlings.“ (Schulze Wessel 2018: 70) 6  Zdeněk Mlynář (1930–1997) war Leiter einer Reformkommission, die damit beauftragt wurde, die Rolle des Rechts im sozialistischen Staat zu untersuchen. Im Gegensatz zu vielen Akteuren des Jahres 1968 war er kein Opfer der Säuberungen Anfang der 1950er gewesen, im Gegenteil, er stand damals im Kern des Justizapparates. Schulze Wessel (2018: 114) vermerkt, dass „Mlynář in seinen Memoiren nicht seine Mitverantwortung bzw. durch Mitwissenschaft erworbene Mitverantwortung für die Justizverbrechen verschwieg“ und dass „[s]eine Erinnerungen exemplarisch zeigen, wie ein Funktionär der Justizverwaltung 1955 in seinem überschaubaren Amtsbereich bestimmte Lehren aus den Justizverbrechen ziehen konnte.“

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Die Auswirkungen des Liberalisierungsprozesses lassen sich in IHE anhand von fünf relevanten Belegen ermessen: An erster Stelle ist der Umgang mit Kafkas Person und Werk zu nennen, die bereits an früherer Stelle erörtert wurde und hier nicht weiter ausgeführt wird. Der zweite Beleg ist die wiederholte Distanzierung vom Personenkult, die Abrechnung mit dem Stalinismus und die Frage der Rehabilitierung der Opfer der Prozesse und Säuberungen Anfang der 1950er-Jahre, die sich später im Kern des Reformprogramms von 1968 befinden wird. Im Mai 1963 erteilt Lenka Reinerová Intellektuellen wie dem Publizisten Gustav Bareš7 oder den Philosophen Ivan Sviták (1925–2004) und Milan Machovec (1925–2003) das Wort. Diese üben Kritik am Stalinismus und plädieren für eine Anpassung des Marxismus an neue Wissenschaften wie Biologie und Psychologie (Sviták). Bareš brandmarkt „die Heuchelei als eines der moralischen Hauptübel unserer Zeit, in der vornehmlich in der verhängnisvollen Stalinschen Periode des sog. Personenkults der Wunsch vielfach als Tatsache, als bereits bestehende Wirklichkeit dargestellt wurde“ und nimmt damit kein Blatt vor den Mund. Machovecs Kritik erweist sich als noch expliziter: 1. [Der Personenkult] hat den Karrierismus, die Speichelleckerei unterstützt. 2. Er hat zur Depression und Passivität der Massen geführt, die Initiative einem einzigen Menschen zugeschrieben, die die aller anderen unterdrückte. 3. Er hat den Formalismus gefördert, Fehler nicht ausgemerzt, sondern beschönigt. Indem man ihnen ausweicht, werden keine Konflikte gelöst. (Lenka Reinerová, „Wie wollen wir morgen leben? Moralische Probleme der Menschen des XX. Jahrhunderts“, IHE Mai 1963: 26f., hier 27)

Angesichts des Chruschtschow-Berichtes, der auf dem XX. Kongress der KPdSU 1956 die Fehler des Stalinismus anprangerte, mögen diese kritischen Äußerungen als verspätet erscheinen, aber das tschechoslowakische Regime war einem „so langen Stalinismus“ (Marès 1995: 321) verfallen, dass diese radikale Kritik, auch wenn sie immer noch im Rahmen eines sozialistischen Grundkonsenses verbleibt, einen Wendepunkt signalisiert. Einer der Teilnehmer dieser in IHE wiedergegebenen Debatte gebraucht sogar den Ausdruck „sozialistischer Humanismus“, der den „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“8 vorwegnimmt und darauf hindeutet, dass die intellektuellen Milieus 7  Gustav Bareš (1910–1979) war ein kommunistischer Journalist, der während des Krieges in die UdSSR emigriert war. Von 1945 bis 1946 war er Chefredakteur von Rudé Právo, dann, von 1946 bis 1952, von Tvorba und bekleidete hohe Funktionen in Staat und Partei. Im Zusammenhang mit dem Slánský-Prozess wurde er seiner Ämter enthoben und hatte dann Funktionen an der Universität für Journalismus inne (Brenner 2009: 523). Christiane ­Brenner (2009: 47) beschreibt ihn außerdem als „konservativ-kommunistischen Kulturpolitiker“. 8  Die Entstehung dieses Schlagwortes ist Radovan Richta zu verdanken (Schulze Wessel 2018: 80; Mlynář 1978: 169).

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der Tschechoslowakei bereits von der Idee einer notwendigen, als Humanisierung verstandenen Liberalisierung überzeugt sind. Diese Humanisierung setzt insbesondere die Rehabilitierung der Opfer der Säuberungen in den 50er-Jahren voraus, die in IHE als Wunsch nach Heilung der Wunden zum Ausdruck kommt. Diese Frage war in der Entstehung des Prager Frühlings tatsächlich zentral. Viele Akteure des Reformprozesses, darunter Goldstücker, Smrkovský9 oder auch Husák10, waren dem Säuberungsprozess zum Opfer gefallen. Im August 1963 widmet Lenka Reinerová dem Theaterstück Die Narbe [slowakisch Jazva] des slowakischen Bühnenautors Peter Karvaš (1920–1999), das sich mit diesem Thema auseinandersetzt, einen Artikel: „Was ist nun eigentlich los bei Ihnen“, fragte uns vor einigen Wochen ein Kollege, Redakteur einer der führenden Zeitungen der Deutschen Bundesrepublik. „Als Gegner des Kommunismus suchen wir verständlicherweise immer die schwächsten Stellen, wie Sie es im umgekehrten Fall ja auch tun, und da interessieren uns natürlich die Rehabilitierungen der zu Unrecht verurteilten Funktionäre, überhaupt der ganze Prozeß der Entstalinisierung in der ČSSR.“ […] „Über mein Stück wollen Sie schreiben?“, fragte Peter Karvaš, als wir anläßlich der Premiere seines „kleinen zivilen Schauspiels Die Narbe“ nach Bratislava kamen, „glauben Sie denn, daß das westliche Ausland etwas damit anfangen kann? Sie wissen ja, worum es dabei geht: die Wiederherstellung der Leninschen Grundprinzipien in unserem Leben.“ Zweifellos hat Karvaš recht. Auf den ersten Blick sozusagen eine innere 9  Josef Smrkovský (1911–1974), dessen „rhetorische[s] Talent“ als „Volkstribun“ von Martin Schulze Wessel betont wird, war 1933 der KPČ beigetreten. Den Krieg verbrachte er im inländischen Widerstand, er gab illegal die Parteizeitung Rudé Právo heraus und organisierte den Prager Aufstand im Jahre 1945. Nach der Befreiung wurde er Mitglied des ZK der KPČ, dann Abgeordneter der tschechoslowakischen Nationalversammlung. Im Februar 1948 hatte er eine Schlüsselfunktion bei den Volksmilizen inne und wurde dann zum stellvertretenden Landwirtschaftsminister. 1951 wurde er des Hochverrats und der Sabotage beschuldigt und gefoltert, legte aber kein Geständnis ab und wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt. 1955 amnestiert, musste er jedoch bis 1968 auf seine vollkommene Rehabilitierung warten. Im Jahre 1968 ist er Vorsitzender der Nationalversammlung. (Biografische Notiz nach Schulze Wessel 2018: 33f.) 10  Der Name des slowakischen Kommunisten Gustáv Husák (1913–1991) ist fortan untrennbar mit der sog. Normalisierung des tschechoslowakischen Regimes, die dem Prager Frühling nachfolgte, verknüpft, aber bevor Husák die Liquidierung der Reformen veranlasste, gehörte er zu deren Akteuren. 1929 der kommunistischen Jugendorganisation und 1933 der KPČ beigetreten, promovierte er an der Rechtsfakultät der Comenius-Universität Bratislava. Im Krieg widersetzte er sich dem slowakischen Staat Josef Tisos und nahm in führender Position am Slowakischen Nationalaufstand teil. Von 1946 bis 1950 leitete er das Regierungsorgan des Slowakischen Nationalrats. Dieser rapide Aufstieg wurde 1950 brutal gebremst, als er, zusammen mit Vladimír Clementis, des „bürgerlichen Nationalismus“ beschuldigt, verhaftet und 1954 zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde. Er wurde 1960 befreit und gehörte folglich zu den letzten Amnestierten der stalinistischen Prozesse. (Biografische Notiz nach Schulze Wessel 2018: 35f.)

261 Angelegenheit der großen sozialistischen Familie. Menschen ist Unrecht geschehen, durch Anwendung von Methoden, die scheinbar dem Sozialismus dienten, in Wirklichkeit jedoch, weil sie mit Phrasen, mit der Gleichgültigkeit der Menschen, mit Eitelkeit und Feigheit rechneten, vieles bemäntelten, was dem Sozialismus Schaden zufügte, ein bösartiges Geschwür nährte: Heuchelei, Liebedienerei, Verzerrung und eigenwillige (dem persönlichen Interesse angepaßte) Unwahrheit. (Lenka Reinerová, „Die Narbe. Ein neues Schauspiel von Peter Karvaš“, IHE August 1963: 24f., hier 24)

Da diese Übel universell sind, beschließt IHE, die internen Angelegenheiten der „großen sozialistischen Familie“ öffentlich, vor den Augen der westdeutschen Leser auszubreiten. Lenka Reinerová selbst ist von dieser Frage höchst persönlich betroffen, da sie vom 15. Juni 1952 bis 27. August 195311 inhaftiert sowie aus der KPČ ausgeschlossen worden war und außerdem Publikationsverbot erhalten hatte. Zwar wurde sie am 1. September 1958 wieder in die Partei aufgenommen, ihre eigentliche Rehabilitierung erfolgte jedoch erst 1964. Der hier gebrauchte Ausdruck „große sozialistische Familie“ knüpft an jenen der „großen Familie“ an, den die Autorin auch im autobiografischen Roman Grenze geschlossen benutzt hatte, um die Gemeinschaft antifaschistischer Emigranten in Mexiko, der sie angehörte, zu bezeichnen: „Noch einmal sind sie alle da. Tschechen und Deutsche, Jugoslawen und Polen, Österreicher und Ungarn und mexikanische Freunde. Wir sind ja aus der großen Familie die ersten, die nach Hause zurückkehren“ (Reinerová 1958: 329f.). Hier werden Reinerovás geistige Entwicklung und die Ausweitung ihrer Handlungsfreiheit reflektiert, zumal jene „große Familie“, die sie 1958 als Hort und Surrogat für die im Holocaust verschwundene eigene Familie beschrieb, sich nun nicht mehr der Kritik entzieht. Mit dem Thema der politischen Prozesse befasst sich die Journalistin weiterhin indirekt. Im Jahre 1964 verfasst sie z. B. eine Rezension des Films Der Angeklagte [Obžalovaný] von Jan Kádár und Elmar Klos, der von einem zu Unrecht der Bestechung beschuldigten Unternehmensdirektor handelt und zu einer Auseinandersetzung mit der Geschichte der politischen Prozesse veranlasst (L.R. [Lenka Reinerová]), „Der Angeklagte. Hauptpreis des XIV. Filmfestivals in Karlsbad 1964“, IHE November 1964: 28f.). Die Aufdeckung der Fehler des Stalinismus spiegelt sich ebenfalls in der wiederholten Heraufbeschwörung der „dogmatischen fünfziger Jahre“ – insbesondere ab 1967 (Eva Pensdorfová, „Bohuslav Martinu“, IHE Februar-Beilage 1967: o. S.; Gustav Solar, „Selbstbeherrschung. Porträt einer slowakischen Malerin”, IHE August 1967: 18f.) – und in der Verteidigung der künstlerischen Freiheit wider. Im Januar 1965 führt z. B. der Ökonom Radoslav Selucký (1930–1991) 11  Diese Daten stammen aus dem Archiv bezpečnostních složek (Prag). Reinerová selbst verwies niemals auf solch präzise Daten.

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Das Jahr 1968 in IHE: Von der Euphorie zur Erschütterung

die Krise des politischen Plakates auf den das Reflexionsvermögen der Menschen einschränkenden Mangel an Freiheit zurück: In den jüngst vergangenen Jahren ist das tschechoslowakische politische Plakat in eine Krise geraten. Es verfiel nämlich der Einseitigkeit, die Funktion des Kleinen Anzeigers zu erfüllen. Denn es erschien anläßlich verschiedener Kampagnen oder Jubiläen, um zu künden, was wir selbst gut wußten: daß von der Getreideernte kein Körnchen verloren werden darf, daß man den Alkohol meiden soll, daß Rauchen schädlich ist, daß es notwendig ist, für den Frieden zu kämpfen, daß wir im März den Internationalen Frauentag und im Juni den Internationalen Kindertag feiern. Im Rahmen dieser Mitteilungen erzielte das politische Plakat ein mehr oder minder hohes künstlerisches Niveau, aber es erfüllte nicht, was heute so nottut: die Menschen zum Denken zu bringen. Denn Hauptaufgabe des politischen Plakats ist doch, zur politischen Aktivität zu provozieren, die Menschen zur erforderlichen und gesellschaftlich verantwortlichen Stellungnahme zu führen. Dadurch, daß es in den vergangenen Jahren nur selten neue und starke Gedanken ausgedrückt hatte, hörte das politische Plakat auf, seine aktive Rolle im Leben der Gesellschaft zu spielen. Meist war es nämlich langweilig und offiziell. Es war eine graphische Gestaltung der Phrase. (Radoslav Selucký, „Schock kontra Passivität. Zu einer Ausstellung des politischen Plakats“, IHE Januar 1965: 6f., hier 6)

Bei diesem Plädoyer für das politische Plakat geht es um einen regelrechten Aufruf zur politischen Mobilisierung der Menschen, auf dass diese sich freimachen von ihrer bisherigen geistigen Erstarrung. Im November 1965 erscheint von dem Architekten Otakar Nový (1918–1999) in der gewagten Form eines offenen Briefes, adressiert an Walter Gropius, eine fundamentale Kritik an der sozialistischen Architektur, vorwiegend an der verbreiteten industriellen Plattenbauweise, deren Uniformität und schlechte Qualität letztlich den individuellen Bedürfnissen der Bevölkerung zuwider lief. Der große deutsche Architekt wird zum Zeugen genommen, ja um Hilfe gebeten, angesichts der „Kapitulation“ „viel[er] gut[en] Architekten“ in der Tschechoslowakei (Ing. Arch. Otakar Nový, „Brief an Walter Gropius“, IHE, November 1965: 8f., hier 9). Diese Kritik steht in scharfem Kontrast zu der in IHE bisher vorherrschenden Darstellung einer tschechoslowakischen Architektur, in der die Plattenbauweise als Paradigma des Fortschritts galt,12 und ist bildlich durch ein Foto gestützt, welches paneláky ohne Ende zeigt. Diese Vorstellung knüpft an Zdeněk Lukeš‘ Schilderung der tschechoslowakischen Architektur der Jahre 1956–1970 an, der auf die sinnlose Standardisierung der Bauelemente hinweist, die zur völligen Stereotypisierung und Banalisierung der Konzepte der Zwischenkriegsavantgarde geführt habe, ohne aber die Kosten zu verringern 12  So etwa in den bereits zitierten Artikeln: Jaroslav Trenk, „Sie bei uns. Blickpunkt Prag“ (IHE August 1961: o. S.); G. Jesenius [Solar], „Litoměřice“ (IHE März 1964: 17–19) Vgl. Abb. 11.

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(Lukeš 2007: 293). Am Beispiel des politischen Plakates und der Architektur werden Versuche deutlich, das Korsett des künstlerischen Schaffens zu lockern und zugleich eine Bewusstwerdung über eine notwendige Lockerung in der Gesellschaft anzuregen. Ein dritter Beleg für die einsetzende Liberalisierung zeigt sich in der zunehmenden Bedeutung der Slowakei, welche ab 1963 in immer mehr Beiträgen gewürdigt wird. Zum Vergleich: Von 1958 bis 1962 zählt man – die dem fünfzehnjährigen Gedenken des slowakischen Aufstandes vom 29. August 1945 gewidmete Spezialnummer ausgenommen – nur fünf Artikel mit slowakischer Thematik. Dagegen gibt es im Jahre 1963 sieben Artikel, 1964 sechs, 1965 sechs, 1966 fünf und 1967 drei. Im Jahre 1968 nimmt die Bedeutung der Slowakei wiederum ab, weil IHE sich auf die politischen Ereignisse des Prager Frühlings konzentriert; die Slowakei wird ab Mitte 1969 wieder stark bevorzugt. Damit mag IHE die Reformwünsche der Slowaken unterstützen, die durch die sozialistische Verfassung von 1960 enttäuscht worden waren und um eine ausgewogenere Stellung im tschechoslowakischen Staat rangen, was zu den Hauptprojekten der Reformer gehörte. In der Tat wurden 1963 die slowakischen stalinistischen Führer Karol Bacílek und Viliam Široký an der Spitze der slowakischen kommunistischen Partei durch Alexander Dubček ersetzt und der Kampf um die Rehabilitierung Gustáv Husáks und seiner 1954 wegen „bürgerlichen Nationalismus“ verurteilten Gefährten begann (Marès 2007b: 21). War es dem kommunistischen Regime gelungen, die wirtschaftliche Entwicklung der Slowakei – übrigens ein Leitmotiv vieler IHE-Artikel über die Slowakei – zu intensivieren, waren die tschechisch-slowakischen Beziehungen keineswegs selbstverständlich13 und eines der wenigen dauerhaften Ergebnisse des Prager Frühlings wird die Reform der Institutionen sein, mit denen eine tschechisch-slowakische Parität umgesetzt wurde. Unter den 13  Jacques Rupnik (1981: 36f.) hat auf die bedeutenden, potenziell konfliktträchtigen Unterschiede zwischen den beiden Teilen der Tschechoslowakei hingewiesen: Die böhmischen Länder zählten zu den am stärksten industrialisierten Gebieten der ehemaligen Habsburger Monarchie, während in der Slowakei, die dem ungarischen Teil der Monarchie angehörte und folglich seit 1867 politisch von den böhmischen Ländern getrennt war, noch eine vorkapitalistische Wirtschaft und eine archaische soziale Struktur vorherrschte. Antoine Marès (2015: 158) betont, dass der Zweite Weltkrieg mit durch Hitlerdeutschland besetzten böhmischen Ländern und einer äußerlich unabhängig gebliebenen Slowakei die Kluft nur noch vertiefte. Martin Schulze Wessel (2018: 124f.) unterstreicht, dass „anders als die Wirtschaftsreform und die Umgestaltung des politischen Systems die Neuordnung des staatsrechtlichen Verhältnisses von Tschechen und Slowaken öffentlich ein Tabu blieb, solange Antonín Novotný als Erster Sekretär und Staatspräsident an der Macht war.“ Die Slowaken waren durch die politischen Säuberungen der 1950er-Jahre besonders hart getroffen worden.

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IHE-Beiträgern gehört Lenka Reinerová zu jenen, die sich am ­häufigsten für die Slowakei interessieren, insbesondere für deren Theater, Film und Literatur. Ihr Briefwechsel zeigt, dass sie in Kontakt mit dem slowakischen Bühnen- und Drehbuchautor Peter Karvaš (1935–1972) stand, dessen Texte sie fünfmal für die Rubrik „Aus der Welt des Buches“ übersetzte und mit dem zusammen sie das Drehbuch für den Fernsehfilm A sekať dobrotu (1968) unter der Regie von Peter Solan (1929–2013) schrieb. Dieses Drehbuch basiert auf ihrem Bericht Barva slunce a noci, den sie 1964 verfasste, aber erst 1969 veröffentlichen konnte, und der die unter dem Mantel der Fiktion verdeckten Erlebnisse der Autorin Anfang der 1950er thematisiert.14 Der vierte Beleg ist ein Bericht über die wirtschaftlichen Reformen im März 1965, d. h. zu dem Zeitpunkt, als die Reformpolitik einsetzte (Kaplan 2008: 102). Neben einem Interview mit Ota Šik wird ein Auszug aus dem „Beschluss des Zentralkomitees der KPtsch über die Vervollkommnung der Organisation und planmäßigen Lenkung der Volkswirtschaft“ abgedruckt: Da unseren Lesern meist nur wenig authentische Bearbeitungen oder Kommentare vorliegen, bringen wir an anderer Stelle in diesem Heft Auszüge aus dem Beschluß und nachfolgend ein Interview mit Professor Ota Šik, Dr. Sc., 45, der einen bedeutenden Anteil an dem Reformplan hat. (Ota Šik, „Neue Leitungsmethoden in der tschechoslowakischen Volkswirtschaft“, IHE März-Beilage 1965: o. S)

Im Mai 1965 kommt der Ökonom Radoslav Selucký zu Wort, um die Art und Weise, wie die Reformer auf Marktmechanismen zurückgreifen, zu erläutern (Radoslav Selucký, „Plan und Nutzung des Marktmechanismus“, IHE MaiBeilage 1965: o. S.) Dann, im Dezember 1966, wird ein längeres „Gespräch mit Prof. Ota Šik“ veröffentlicht, das aus der Kulturwochenzeitschrift Kulturní tvorba übernommen wird. In diesem bestimmt der Ökonom, auch wenn er eingangs betont, dass es keineswegs um eine Rückkehr zum Kapitalismus gehe, eindeutig den wirtschaftlichen Kurs und schreibt in peremptorischem Ton eine ganz neue Methode vor: Wir sollten wirklich aufhören, jede Unternehmungsaktivität gleich als spekulativ und gewinnsüchtig anzuprangern. Wenn ein Unternehmen Erwägungen über seine künftige Tätigkeit anstellt, darüber, wie es seine Einkünfte erhöhen könnte, um die Mittel für seine weitere Produktionstätigkeit, für die Investitionen und Löhne zu beschaffen, so sind das keine spekulativen Erwägungen, sondern es ist sogar dazu verpflichtet. Wir müssen im Gegenteil aus diesen Erwägungen der Unternehmen die alten Vorstellungen beseitigen, daß ihnen irgendjemand von oben Produktion und Absatz welcher Ware immer garantieren, 14  Diesen auf Tschechisch verfassten Text wird Lenka Reinerová später neu verarbeiten und in deutscher Fassung und explizit autobiografischer Form erscheinen lassen (Reinerová 2005).

265 daß man sie nicht fallen lassen wird. Dieses Sich-verlassen auf ewige Dotationen und Subventionen, auf das unaufhörliche Tolerieren falscher, unökonomischer Entscheidungen muß aus dem Denken der leitenden Persönlichkeiten der Unternehmen allmählich verschwinden. Im Zusammenhang mit all dem müssen wir uns jedoch an einen neuen Begriff gewöhnen – das Risiko. („Gespräch mit Prof. Ota Šik“, IHE Dezember-Beilage 1966: o. S.)

IHE räumt auch Radovan Richtas Reflexionen zur technischen Revolution, die ein beträchtliches Echo erfuhren,15 Platz ein: Diesmal handelt es sich in dieser Rubrik nicht um eine Diskussion, die die Redaktion hervorgerufen hat oder hervorrufen will (obwohl sie sich dem keineswegs entgegenstellt), sondern um die gegenwärtig im Milieu der tschechoslowakischen Politik und Wissenschaft geführte Diskussion eines Phänomens, dessen wir alle uns noch nicht genug bewußt sind: der Auswirkungen jener Revolution, die die moderne Technik und Wissenschaft ausgelöst hat und ständig beschleunigt. ([o.  N.], „Perspektiven der wissenschaftlichen Revolution. Diskussion“, IHE Oktober 1966: 12f., hier 12)

Als fünfter Beleg ist schließlich der Bericht über den IV. Kongress der tschechoslowakischen Schriftsteller von August 1967 zu erwähnen, auf den bereits im August angespielt wird (lka [Lenka Reinerová], „Ständig Fragen stellen und beantworten” IHE August-Beilage 1967: o. S.). Die dabei an den Tag gelegte unmittelbare Berichterstattung – aufgrund des Publikationsrhythmus wird gewöhnlich mit einem Monat Verspätung über Ereignisse berichtet16 – ist ein Hinweis auf die Bedeutung, die diesem „interessanten Kongre[ss]“ zugesprochen wird, weshalb Lenka Reinerová unmittelbar und höchst aktuell darüber berichtet. Diese erste Anspielung auf den Schriftstellerkongress, der metaphorisch dramatisiert wird, fungiert als ein Mittel, die Neugierde der Leser für die nächste Ausgabe zu wecken, die das Thema ausführlicher behandeln soll: Es war sehr heiß in Prag, als der Tschechoslowakische Schriftstellerverband zu seinem IV. Kongreß zusammentrat. Aber die Glut in den Straßen nahm den zahlreichen ­Diskussionsrednern nichts von der Glut, mit der sie – um bei diesem Wortspiel zu blei15  Vgl. Schulze Wessel (2018: 67–70). Die Themen der Automation und Kybernetik, die mit der wissenschaftlich-technischen Revolution Richtas verbunden sind, werden in IHE regelmäßig behandelt, und das schon ab 1960. Vgl. J. Martin, „Automation kontra Schwerarbeit“ (IHE Oktober 1960: o. S.); Dr. R. Činčera, „Kosmos, Kybernetik und Relativitätstheorie im Film“, IHE Februar 1960: o. S.); St. Mráz, „Wettbewerb, Kooperation, Automation. Streiflicher von der III. Internationalen Maschinenbau-Industriemesse Brno 1961“ (IHE November 1961: o. S.); Václav Borovička, „Von Neptun zur Kybernetik“ (IHE November 1962: 23f.). Auf Norbert Wieners Forschungen zur Kybernetik wird außerdem in einem Artikel von Leo Brod angespielt: „Das staatliche Jüdische Museum in Prag“ (IHE August 1964: 20f.). 16  Von der im Mai 1963 organisierten Liblice-Konferenz z. B. war in IHE erst im Juli 1963 die Rede.

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ben – die ­glühendsten Eisen ihrer schöpferischen Tätigkeit anfaßten, ihre Stellung in der Gesellschaft, ihre humanistische Verpflichtung dieser Gesellschaft gegenüber. (lka [Lenka ­Reinerová], „Ständig Fragen stellen und beantworten” IHE August-Beilage 1967: o. S.)

Der vierfache Hinweis auf die Hitze assoziiert die metaphorischen Bilder revolutionärer Flammen. Reinerová beschreibt die Schriftsteller als Schmiede der Reformbewegung. Wie angekündigt setzt sich die Redaktion in der darauffolgenden Ausgabe detailliert mit dem Thema auseinander, als dem Kongress eine textreiche Doppelseite mit langen, ins Deutsche übersetzten Auszügen aus der Hauptresolution gewidmet wird. Diesen ist eine Warnung der Redaktion vorangestellt, die noch einmal auf die Informations- und Aufklärungsarbeit der Zeitschrift verweist: Wir bringen, gekürzt, die wesentlichen, vor allem philosophischen Teile der überaus umfangreichen Resolution, die zweifellos nicht nur in der ČSSR breites Interesse hervorgerufen und ihre besondere Bedeutung hat. Damit glauben wir auch am besten verschiedene falsche Interpretationen im Ausland zu widerlegen. ([o. N.], „Harmonische Entfaltung tut Not. Aus der Hauptresolution des IV. Kongresses der tschechoslowakischen Schriftsteller“, IHE September 1967: 12f., hier 12)

Bemerkenswert ist hier, dass dieser von der Redaktion gezeichnete Artikel auf den Seiten 12f. platziert ist, die gewöhnlich dem Hauptartikel Reinerovás vorbehalten sind, was ein mögliches Zeichen für die Geschlossenheit der Redaktion um die Journalistin ist, die sich der Wichtigkeit des Kongresses sowie der damit verbundenen Risiken bewusst ist. Relativiert werden muss dieser Bericht jedoch dadurch, dass in der Zeitschrift kaum ein Wort zur Stellungnahme des Schriftstellers und Journalisten Ludvík Vaculíks (1926–2015) zu finden ist, ebenso wenig wie zu dessen Manifest „2000 Wörter an jedermann“ vom 27. Juni 1968, während fast alle tschechoslowakischen Zeitungen den Text veröffentlichten (Müller 1977: 278).17 Jener Text, über welchen Martin Schulze Wessel (2018: 254) urteilt, dass „kein Dokument des Prager Frühlings so umstritten war“, erschien in vier Zeitungen – Práce, Literární listy, Mladá fronta und Zemědělské noviny – und wurde dann entgegen den Weisungen der KPČ von der gesamten Presse übernommen (Schulze Wessel 2018: 259–261). Stößt man hier etwa auf Grenzen der Berichterstattung über die Reformdebatten, auf eine Art Selbstzensur der IHE-Redaktion, die Vaculíks Initiative vielleicht als zu gewagt empfand? Fest steht, dass IHE als Monatszeitschrift darüber erst in

17  Zur Entstehung des „Manifestes“ s. Schulze Wessel (2018: 254–256). Auf dem Schriftstellerkongress zog Vaculík eine strenge Bilanz der sozialistischen Erziehungsbegriffe und wurde deswegen aus der KPČ ausgeschlossen.

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der Juli- oder gar Augustausgabe hätte berichten können, als die Auswirkungen des Manifests bereits offensichtlich waren. Allgemeiner betrachtet, vermittelt die Berichterstattung in IHE Indizien für eine Öffnung, so etwa die Gründung eines internationalen Jazz-Festivals in Prag im Jahre 1964 (Peter Ernst Grimm, „Jazz … Jazz … Jazz …I. Internationales Jazzfestival Prag 64“, IHE Januar 1965: 20f.) oder die Ankündigung, dass die internationale Presse nunmehr in allen Čedok-Hotels auf dem ganzen tschechoslowakischen Gebiet verfügbar sei ([o. N.], „Notizblock“, IHE Juni 1967: 9). Ein weiteres Symbol für den Wunsch nach Öffnung mag der Abdruck eines Fotos von Eva Fuková auf der Umschlagseite der Ausgabe vom März 1967 sein, welches Manhattan darstellt und mit „Amerikanische Vision“ betitelt ist. Ein ‚Frühlingswind‘ weht ebenfalls durch die literarische Rubrik, in der neue Namen erscheinen wie Jiří Gruša, Jan Procházka, Karel Michal, Jiří Mucha, Milan Kundera oder Jiří Weiss, die nicht zum Kanon des sozialistischen Realismus und damit nicht zu den ideologischen Stützen des Regimes gehörten.

2. IHE als Schaufenster des Prager Frühlings Der Januar 1968 bildet für IHE einen ersten Wendepunkt aufgrund der Fusion der Redaktionen von IHE, Czechoslovak Life, La vie tchécoslovaque, Vita cecoslovacca und Livet i Tjeckoslovakien. Jene Umorganisation der Redaktionsverwaltung, die in erster Linie auf eine Rationalisierung der Herstellungs- und Vertriebskosten18 sowie auf eine bessere internationale Wahrnehmung19 der Zeitschriften abzielt, geht mit einigen neuen Rubriken und formalen Änderungen einher, die schließlich dem ereignisreichen Kontext des Jahres 1968 entsprechen. Nun umfassen die Ausgaben 37 Seiten (ohne die Werbeseiten). Auch wenn sich nicht feststellen lässt, dass diese Veränderungen explizit zur Berichterstattung über den Reformprozess umgesetzt wurden, so zeigt sich doch, dass durch das neue Format mit einer erhöhten Aktualität ein ausgeprägtes Bewusstsein der Zeitschrift als Sprachrohr mit einer dezidierten Aufklärungsmission der 18  Die Archivunterlagen im Orbis-Bestand des tschechischen Nationalarchivs zeigen, welche Bedeutung das Informations- und Erziehungsministerium den Buchführungsberichten zumisst. 19  „Und nun hat die vereinigte Zeitschrift auch äußerlich internationalen Charakter“, schreibt Gustav Solar im Leitartikel von Januar 1968.

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Reformdiskurs affirmativ unterstützt wurde. Somit stehen die in IHE eingeführten Neuerungen im Einklang mit der „demokratischen Erneuerung“ des tschechoslowakischen Regimes. Die erste Neuerung besteht in der Institutionalisierung des Leitartikels des Chefredakteurs auf der ersten Seite der Ausgabe. Die aufklärerische Intention jener Artikel, die Gustav Solar bis Oktober 1968, dann Lenka Reinerová bis März 1970 zeichnet, sticht ins Auge, zunächst aufgrund ihrer Form selbst, da der Chefredakteur sich direkt an die Leser wendet, mit einer Anrede, die an die Gattung des Briefes erinnert („Werte Leser“) und einen „Dialog“ anbietet (Gustav Solar, Leitartikel, IHE Januar 1968: 1). Als Lenka Reinerová im November 1968 die Stelle der Chefredakteurin übernimmt, wird die intendierte Nähe zu den Lesern durch den Rückgriff auf den individualisierenden ­Singular („Werter Leser“) noch verstärkt. Erwähnt wurde bereits, dass die Journalistin mit den Leserbriefen beauftragt war und dadurch eine privilegierte Beziehung mit den Lesern entstanden war;20 die in den Leitartikeln verwendete Anrede verweist aber auf eine vertiefte Dimension von Dialog, als stünden zwei Dialogpartner einander gegenüber. Die dadurch erzeugte Intimität entspricht übrigens dem sehr persönlichen Ton, der Reinerovás journalistisches Schreiben kennzeichnet, verwendet sie doch häufig die erste Person Singular, um eigene Erlebnisse zu evozieren. Auch in dieser Hinsicht unterscheidet sich die Journalistin von den anderen IHE-Beiträgern, indem sie journalistisches, also öffentliches, und intimes Schreiben miteinander verwebt. In der Ausgabe von September 1968 rechtfertigt sie die persönlichen Erinnerungen mit den ohnehin engen Bindungen, die durch das Abonnement zwischen Lesern und Redaktion geknüpft wären: An dieser Stelle sei es mir gestattet, dem Leser ein paar rein persönliche Erlebnisse mitzuteilen [Hervorhebung von H.L.], die mir in der Ausstellungshalle der Prager Städtischen Bibliothek wach wurden. Leser, besonders die langjährigen unter ihnen, haben, glaube ich, ein Recht darauf, zu wissen, wer allmonatlich, sei es auch nur gedruckt, in ihr Haus kommt und sich die Freiheit nimmt, ihnen seine persönlichen Ansichten, Urteile und Eindrücke zu unterbreiten. (Lenka Reinerová, „Name des Emigranten: Deutsche Literatur. Vorübergehender Aufenthaltsort: Prag“, IHE September 1968: 16f., hier 17)21

20  Die Journalistin stand auch nach ihrer Entlassung aus IHE noch in Briefkontakt mit ehemaligen Lesern, wie manche Briefe aus dem Prager und Berliner Nachlass bezeugen. 21  In diesem Beitrag veröffentlicht sie sogar ein persönliches Foto aus dem mexikanischen Exil, auf dem sie im Theaterkostüm in Begleitung von Bodo Uhse, Anna Seghers, Bruno Frei und André Simone zu sehen ist. Anlass war die Aufführung des Stückes Der Fall des Generalstabschefs Redl zum 60. Geburtstag Egon Erwin Kischs.

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Auf diese inszenierte Intimität stützt sich die Vermittlerrolle von IHE. Der Gebrauch des Verbs „mitteilen“ im obigen Zitat stellt emblematisch für Reinerovás journalistische Praxis: Es geht darum, etwas mit dem Leser zu teilen und einen Teil von sich selbst preiszugeben.22 Aufgrund dieser privilegierten Beziehung mit dem Leser und des seit 1958 gepflegten Vertrauens fühlt sich die IHE-Redaktion berechtigt, die Leser über den Reformprozess zu informieren, was eine unentbehrliche Aufgabe darstelle: Lenka Reinerová ist davon überzeugt, dass das Bild, das sich der Westen von den Prager Ereignissen gemacht hat, fehlerhaft und man keineswegs vor missverständlichen Darstellungen gefeit sei, wie das im Sommer 1967 in der britischen Presse verbreitete verfälschte Manifest der tschechoslowakischen Schriftsteller23 beweise: In der Schulfarm Scharfenberg auf einer Insel im Tegeler See bombardierten mich über hundert Jungen und Mädchen zwei Stunden lang mit den verschiedensten Fragen. Sie gingen dabei begreiflicherweise von ihren eigenen Erfahrungen, von ihrem Leben aus. So war „Kann man bei euch demonstrieren?“ eines ihrer verständlichen Hauptanliegen. „Was sagen Sie zum Manifest der tschechischen Schriftsteller?“ (gemeint war das bekannte, im Sommer in der Sunday Times veröffentlichte Falsifikat, ein Steinwurf gegen die Tschechoslowakei, der immer noch seine Kreise zieht), „Warum haben Sie ein so beschränktes Wahlrecht?“ Es verwunderte sie nicht wenig, als sie erfuhren, daß die Ältesten unter ihnen, die 18- und 19jährigen, in der ČSSR bereits wählen könnten, während sie bei sich zu Hause bis 21 Jahre warten müssen. (Lenka Reinerová, „Wahrheit und Selbstbesinnung“, IHE Januar 1968: 12f., hier 12)

In diesem Artikel positioniert sich die Journalistin einmal mehr als Vermittlerin und Pädagogin, aber auch als Apologetin des sozialistischen Systems, die damit beauftragt ist, die jungen Westberliner über die tatsächliche Lage in der Tschechoslowakei aufzuklären. Erneut wird der als authentisch und wahr präsentierte IHE-Diskurs den Fehlinformationen und ungenauen Vorurteilen, die in der westlichen Öffentlichkeit vorherrschen, entgegengestellt. Jener 22  Das Verb „mitteilen“ verwendet außerdem Gudrun Salmhofer (2009: 157), um das Verhältnis zur Geschichte und zum Vergessen der Schriftstellerin Reinerová zu beschreiben: „ihre Pflicht als Überlebende des Krieges und des Holocausts, sich zu erinnern und sich mitzuteilen“. 23  Dieses am 3. September 1967 auf der Titelseite des Sunday Times publizierte „Manifest“ war angeblich von 300 tschechischen Schriftstellern unterzeichnet worden und rief zur Solidarität der westlichen Intellektuellen gegen die Zensur des tschechoslowakischen Regimes auf. Es folgte direkt auf den Schriftstellerkongress von August 1967 und den Ausschluss Vaculíks aus der KPČ. Dieses Falsifikat war das Vorspiel zum Austausch offener Briefe zwischen dem tschechischen Schriftsteller Pavel Kohout, der vom unechten Charakter des Textes überzeugt war, und Günter Grass, der zugab, es sei ein Falsifikat, aber auf die Verteidigung des Inhalts des Dokuments bestand. Der Text war eigentlich eine Initiative des tschechischen Schriftstellers und Historikers Ivan Pfaff (Pauer 2007: 279).

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Wunsch nach „Wahrheit“, den Lenka Reinerová bisher in ihrer Verteidigung des Sozialismus und in der Aufdeckung des westdeutschen Revanchismus und der Persistenz der NS-Ideologie ausdrückte, gilt nunmehr der Schilderung der Reformen. Im Leitartikel von Juni 1968 betont Gustav Solar, wie schwer es dem Ausland falle, die Situation in der Tschechoslowakei angemessen zu verstehen: „Im Ausland kann man nur schrittweise begreifen, was in der Tschechoslowakei vor sich geht“ (IHE Juni 1968: 1). So nimmt IHE ihre Aufklärungsarbeit sehr ernst und veröffentlicht zu diesem Zweck eine große Anzahl von Artikeln über die politischen Veränderungen. Wie Solar emphatisch verkündet, „wollen wir für Sie, verehrte Leser, die Hand am Pulsschlag dieser Entwicklung halten.“ (Solar, Leitartikel, IHE April 1968: 1). Wie bereits seit ihren Anfängen mehrfach praktiziert, fügt IHE weiterhin dokumentarische bzw. „informierende Textgattungen“24 ohne jeglichen Kommentar ein, so etwa mehrere Reden von Alexander Dubček („Jugend will selbst schaffen“ und „Das komplizierteste und empfindlichste Gebiet. ­Alexander Dubček über die Beziehungen zwischen KPTsch und Kultur“, IHE April 1968: 3; „Zu Menschlichkeit erziehen. Aus einem Schreiben ­Alexander Dubčeks an die Lehrer der ČSSR“, IHE Juni 1968: 4), einen Auszug aus einem Rudé Právo-Artikel von Alois Indra (1921–1990) („Uns geht es um den Sozialismus (gekürzt aus Rudé Právo) “, IHE Mai 1968: 37) oder jenen, aus Práce übernommenen von Radoslav Selucký („Zum Programm der demokratischen Erneuerung der Tschechoslowakei“, IHE Juni 1968: 3). Angesichts der Tatsache, dass die Redaktion die veröffentlichten Texte auswählt und kürzt, können diese Eingriffe als eine Art impliziter Kommentar betrachtet werden, wie Indras Artikel gut veranschaulicht, wo IHE gerade jene Textstelle übernimmt, die eine kategorische Verurteilung der bisherigen Politik enthält, obgleich Indra dem reformfeindlichen Flügel der KPČ angehörte: „Es liegt doch auf der Hand, wie schädlich die Praxis der letzten Jahre war.“ Ähnliches gilt auch für den Auszug aus dem Aktionsprogramm der KPČ („Das neue politische System. Aus dem Beschluß der Plenartagung des ZK der KPTsch ‚Über die gegenwärtige Lage und das weitere Vorgehen der Partei‘, Mai 1968, IHE Juli 1968: 4). Die Eingriffe der Redaktion sind expliziter, wenn den Auszügen eine kontextualisierende Einführung vorangestellt wird. Dies gilt für Ota Šiks Artikel, 24  Hier wird Bezug genommen auf die von M. Olhausen (2005: 64) benutzten Kategorien: Informierende Textgattungen sind Texte wie Nachricht, Dokumentation/Protokoll; interpretierende Textgattungen sind Reportage, Interview, Porträt, Leserbriefe; kommentierende Textgattungen sind Leitartikel, Kolumne und Kritik; unterhaltende Textgattungen sind Gedichte, Comics.

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der aus der Prager Wochenzeitung Reportér übernommen wird und dessen Auszüge von der Redaktion knapp kontextualisiert werden, wobei sie die „langanhaltend[e] allgemein[e] Unzufriedenheit“, die wirtschaftliche Reformen absolut notwendig mache, unterstreicht: Der Wechsel in der politischen Atmosphäre der ČSSR, der scheinbar über Nacht eingetreten ist, war das Ergebnis einer langanhaltenden allgemeinen Unzufriedenheit mit vielen Aspekten des öffentlichen und privaten Lebens. Ihre gemeinsame Basis war die Wirtschaftslage: eine Reihe miteinander verquickter Schwierigkeiten, von Warenmangel, schlechten Dienstleistungen, Störungen im Verkehrswesen bis zu geringer Arbeitsproduktivität und niedriger Qualität der Erzeugnisse. All das ließ eine endlose Kette entstehen und es schien, daß niemand genügend Kraft hat, sie zu brechen. Kein Wunder, daß zu den Menschen, die in letzter Zeit am häufigsten um Interviews gebeten und am meisten zitiert werden, Professor Ota Šik zählt, stellvertretender Regierungsvorsitzender, Direktor des Ökonomischen Instituts und Mitglied des Zentralkomitees der KPTsch. Er steht an der Spitze jener Gruppe von Volkswirtschaftlern, die das neue Planungs-und Leitungssystem, das allmählich das alte, direktive System ersetzen wird, ausgearbeitet hat. (Ota Šik, „Was stimmt in der Wirtschaft nicht und wie kann man es reparieren“, IHE Mai 1968: 2f., hier 2)

Mit diesem Bekenntnis zum wirtschaftspolitischen Reformprogramm stellt sich die IHE-Redaktion eindeutig auf die Seite der Reformer. Angesichts der langen und beeindruckenden Auflistung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten und der daraus resultierenden Trägheit wirkt Šik, der erst nach der Schilderung des Verfallsprozesses im Bericht selbst eingeführt wird, wie ein Heilsbringer. IHE hatte bereits 1965 ihr Interesse für die wirtschaftlichen Vorschläge Šiks bekundet. Um die Reformen auch weiterhin zu unterstützen, publiziert die Zeitschrift zudem eine Auswahl von Artikeln, die bisherige Methoden und Verhaltensweisen denunzieren und für Veränderungen plädieren. Dazu zählen etwa ein Beitrag über die Einführung von Wettbewerbsmechanismen in das Wirtschaftssystem (Giorgio Gandini, „Um den Kunden geht es!“, IHE Februar 1968: 11–13) oder „Kurznachrichten“, die ausschließlich über politische Veränderungen informieren und u.a. folgende Themen behandeln: „Größere Informationsfreiheit“; „Volle öffentliche und persönliche Rehabilitierung“; „War es eine revolutionäre Diktatur oder nur Polizeiterror?“; „Die Wahlen in die Nationalausschüsse“ ([o. N.], „Kurznachrichten“, IHE Mai 1968: 3). Wie der ostdeutsche Kabarettist Bernd-Lutz Lange (2012: 285), der IHE damals mit großer Begeisterung las, zusammenfasst, „wurden [k]ein Thema, kein Widerspruch und kein Konflikt in der Zeitschrift ausgespart. In den Beiträgen wurde die sozialistische Welt zurechtgerückt. Die Fehlentwicklungen unserer Wirtschaft waren ja für alle offensichtlich.“ Dem „Manifest der Prager Jugend“ und der Rede Zdeněk Mlynářs auf dem April-Parteitag des ZK der KPČ ([o. N.], „Übereinkunft ­unterschiedlicher In-

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teressen. Diskussion“, IHE Juni 1968: 10–11 u. 37) wird ebenfalls eine Einführung vorangestellt. Jene wenigen Zeilen, die ersteres Dokument präsentieren, zeugen vom neuen Anspruch der Redaktion auf Kommentar und Analyse: Wir konfrontieren es mit den Worten, die auf der Apriltagung des Zentralkomitees zum gleichen Thema der Erste Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, ­Alexander Dubček sagte, um zu zeigen, wie sehr das, was die Massen fordern, mit dem übereinstimmt, was die Partei will. Unsere Leser wissen, daß die tschechoslowakischen Kommunisten im April ihr Aktionsprogramm angenommen haben, in dem diese Forderungen als reale Aufgaben konkrete Gestalt gewinnen. Das Dokument selbst werden wir in den nächsten Ausgaben unserer Zeitschrift kommentieren. ([o. N.], „Manifest und Programm. Aus dem Manifest der Prager Jugend“, IHE Juni 1968: 8f. u. 37, hier 8)

Neben dem Gebrauch des Verbs „kommentieren“ fällt in dieser Einleitung die Art und Weise auf, wie die Redaktion von Anfang an die Interpretation der Dokumente durch den Leser lenkt: Zwei Texte werden ihm zur Verfügung gestellt, aber statt ihn eigene Schlussfolgerungen ziehen zu lassen, erklärt ihm die Redaktion zugleich, was er davon zu halten habe. Jene informierenden Textgattungen – ob offizielle Dokumente oder Presseartikel –, die die Meinung der Redaktion durchscheinen lassen, offenbaren eine in IHE zunehmend vorhandene Neigung zu interpretierenden bzw. kommentierenden Textgattungen. Die meisten Texte, die Bezug auf die politischen Veränderungen des Jahres 1968 nehmen, sind entweder externe Zeugnisse in Form von Tribünen oder Diskussionen, mittels denen IHE unmittelbaren Akteuren des Reformprozesses ein Podium bietet. Die Diskussion erweist sich fortan als eine bevorzugte Form; die Redaktion möchte damit den Akzent auf Dialog und Demokratie setzen und die Zeitschrift zu einem Forum umgestalten, was auch die neue Debattenstimmung im Land widerspiegeln soll. Zu Wort kommen Persönlichkeiten wie Antonín Liehm, Eduard ­Goldstücker („Zeitgenossen der Geschichte. Diskussion [mit Liehm und Goldstücker]”, IHE September 1968: 8f.), Gustáv Husák („Offene Tribüne: Um das Vertrauen der Menschen kämpfen”, IHE Juni 1968: 13f.), Jan Procházka („Offene Tribüne: Meditation nicht nur über die Jugend, Jan Procházka (stellvertret. Vorsitzender des Tschechoslow. Schriftstellerver­ bands)”, IHE Mai 1968: 15), oder auch Josef Smrkovský („Worum es nun konkret geht. Diskussion”, IHE April 1968: 8f.; „Das Volk. Sein eigener Herr, Diskussion (Auszug aus einem Artikel von Josef Smrkovský in Kulturní ­Tvorba am 27.6.1968)”, IHE August 1968: 8f.) sowie bereits zitierte wie Ota Šik, ­Alexander Dubček, Radoslav Selucký, Alois Indra und Zdeněk Mlynář. Jiří Sekera bemüht sich darum, die wirtschaftliche Reform und deren Ziele zu erörtern, wobei er versucht, Ängste zu beschwichtigen (Jiří Sekera, „Das

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Jahr, das entscheidet“, IHE Januar 1968: C). Jiří Šutr veröffentlicht einen Beitrag über die europäische Sicherheit und die europäische Rolle der Tschechoslowakei (Jiří Šutr, „Europäische Sicherheit“, IHE Februar 1968: C). Die Diskussion „Sozialismus und Demokratie“ (Doz. Ing. Jiří Hermach, „Sozialismus und Demokratie. Diskussion“, IHE Februar 1968: 4f. u. F) bietet eine philosophische und technische Erläuterung des Reformprozesses. Der dem Aktionsprogramm der KPČ gewidmete Artikel wird als Diskussion präsentiert, ist aber weitaus mehr als eine Diskussion ([o. N.], „Wer wird die führende Kraft sein? Zum Aktionsprogramm der KPTsch“, IHE Juli 1968: 8f. u. 37). Bei dieser in der Ausgabe von Juni 1968 angekündigten Übersetzung des Aktionsprogramms handelt es sich in der Tat um eine für den westdeutschen Leser bestimmte Exegese des Dokuments, was angesichts der didaktischen Einleitung, die den Text vorstellt, kontextualisiert und dessen Gliederung erörtert, deutlich wird. Diese didaktische Dimension manifestiert sich ebenfalls in der Diskussion der Aprilausgabe mit dem Titel „Worum es nur konkret geht“ (GS [Gustav Solar], IHE April 1968: 8f.). Nebst diesen Diskussionen fallen auch die zunehmenden Kommentare der Redaktionsmitglieder auf, die manchmal unverblümt ihre Meinung zu den Ereignissen äußern. Wie zuvor gezeigt, genügt allein die Auswahl der publizierten Dokumente, um zu belegen, dass die Redaktion die Reformen unterstützt. Gustav Solar und Lenka Reinerová gehen aber viel weiter. Aufgrund seiner Position als Chefredakteur formuliert Solar seinen Standpunkt vorwiegend in Leitartikeln und übt dabei vereinzelt besonders scharfe Kritik am vorherrschenden System: Eine Atmosphäre schöpferischer Initiative und der Rechtssicherheit ist nämlich die Voraussetzung dafür, daß die arbeitsamen Menschen dieses Landes ihre von der Erstarrung des vorangegangenen Systems der persönlichen Macht beeinträchtigte Wirtschaft in Ordnung bringen können. (Gustav Solar, IHE Mai 1968: 1)

Lenka Reinerová publiziert ihrerseits drei Hauptartikel über die politischen Veränderungen („Mehr Raum für Initiative“, IHE März 1968: 15; „Gut für uns selbst, gut für unsere Freunde“, IHE, Mai 1968: 18f.; „(und bei uns in der Redaktion)“, IHE Juni 1968: 19). Thematisiert wird der Reformprozess auch in Form eines Gleichnisses, das von Fotografien von Magdaléna Robinsonová (1924–2006) begleitet wird: Als es Frühling wurde und die kleineren Flüsse und die vielen Bergseen noch zugefroren waren, geriet das ganze Leben im Lande in stürmische Bewegung. Anka und Palo merkten es, denn niemals zuvor hatten ihre Eltern so viele Stunden vor dem Rundfunkempfänger oder dem Bildschirm verbracht, ja manchmal sogar beides auf einmal: sie saßen mit dem kleinen Transistorgerät am Ohr vor dem großen Fernsehgerät in der verdunkelten ­Stube.

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Demokratisierung sagten viele Männer und Frauen und die Eltern nickten fröhlich. Rehabilitierung hieß es weiter und Vater und Mutter wurden ernst. Verbrüderung wurde verkündet, da waren sie besonders froh. Verbrüderung von Arbeiterklasse und Intelligenz, von Tschechen und Slowaken, von … Ihr mögt es glauben oder nicht, Anka und Palo beschlossen, sich ihrerseits, als typische Stadtkinder der Donaumetropole Bratislava, mit der Landbevölkerung zu verbrüdern. Ob dieses Märchen für die erwachsene Anka und den erwachsenen Palo eines Tages eine selbstverständliche und somit kaum mehr erwähnenswerte Praxis wird, hängt lediglich von ihnen und ihren Zeitgenossen ab. (-lka [Lenka ­Reinerová], „Frisch gewagt …Ein optimistisches Märchen“, IHE Juni 1968: 6f.)

Jener kurze Text, der sich in die Tradition der moralischen Märchen einschreibt, hat einen pädagogischen Zweck, die abschließende Lehre hält die Menschen zu Eigenverantwortung und aktivem Handeln an. Gleich dieser Parabel verfolgen die drei anderen Beiträge Reinerovás zum Thema ‚Politische Veränderungen‘ ein pädagogisches Ziel. Ferner fällt in diesen drei Texten eine vergleichbare Struktur auf, die auf der Inszenierung eines Dialogs beruht, einem Verfahren, das im journalistischen und literarischen Schreiben Reinerovás häufig vorkommt. Dabei geht es um einen Dialog mit dem deutschen und österreichischen Ausland, der es der Journalistin ermöglicht, unmissverständliche, unwiderlegbare Antworten zu geben. Im ersten dieser drei Artikel („Mehr Raum für Initiative“), einer „offenen Tribüne“ der Journalistin, macht sie sich zum Sprachrohr Dubčeks, dessen Rede auf dem VII. Kongress der landwirtschaftlichen Genossenschaften sie ausgiebig zitiert, wobei sie den Akzent auf das Konzept der „sozialistischen Demokratie“ legt und Dubčeks Worte zusammenfasst, erläutert oder gar bekräftigt. Diese Tribüne stellt einen Vermittlungsversuch dar, um „Kombinationen“, „Kalkulationen“ und „Spekulationen“ zu kontern, die die Journalistin in der westlichen Presse ausgemacht hat. Der Stil ist klar und der Schluss eindeutig: An der Generallinie der tschechoslowakischen Politik hat sich also nichts geändert. Bloß die Atmosphäre, der Lebensraum für die allseitige Aktivität der Menschen haben sich geändert, sollen noch breiter werden. Und das ist für den Anfang nicht wenig, um ein letztes Mal Alexander Dubček zu zitieren. (Lenka Reinerová, „Mehr Raum für Initiative“, IHE März 1968: 15)

Der Ton ist zugleich pädagogisch und affirmativ, was ein ausgeprägtes Merkmal der IHE-Beiträge bis zum Einmarsch im August 1968 darstellt. Der zweite Artikel von Reinerová („Gut für uns selbst, gut für unsere Freunde“) geht wiederum vom Standpunkt des Auslands, von der vermeintlichen Ratlosigkeit der ausländischen Presse gegenüber den Ereignissen in der Tschechoslowakei und von deren Informationsbedarf aus, um Sinn und Zweck des laufenden Prozesses zu erörtern. Der Text ist klar aufgebaut und die Argumentation stringent. Indem sie die von der westlichen Presse benutzten

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­ ezeichnungen aufgreift, will die Journalistin Zweideutigkeiten ausräumen und B die Frage nach der geeigneten Charakterisierung des Reformprozesses klären: Was ist passiert? Eine Palastrevolution, wie mancherorts zu lesen war? Ein politischer Erdrutsch? Ein Umsturz? Oder gar eine Revolution? Dieser letzte Begriff war bisher mit der Vorstellung von bewaffneter Gewalt verbunden, mit unerläßlichen diktatorischen Maßnahmen. Was sich nun in der ČSSR vollzieht, kann man eine sozialistische demokratische Revolution nennen. (Lenka Reinerová, „Gut für uns selbst, gut für unsere Freunde“, IHE Mai 1968: 18f., hier 18)

Mit diesem Text möchte Reinerová entdramatisieren und, ohne Pathos und Lyrismus, eine klare Analyse dessen liefern,, „was passiert ist“. Der Artikel ist eingerahmt von einer doppelten Anspielung auf die Worte von Freunden der Journalistin, denen sie antwortet. Der erste ist ein Wiener, der zweite ein Deutscher aus Frankfurt am Main. Über diese beiden, nicht beim Namen genannten Freunde hinaus wendet sie sich an Österreich und Westdeutschland. Die Botschaft ist unmissverständlich: 1. Die Tschechoslowakei sei und bleibe ein sozialistischer Staat; 2. Der Kalte Krieg, der latente Antikommunismus und der Stalinismus haben zu „Deformationen“ in der Praxis der kommunistischen Partei geführt, welcher es nach intensiven und konfliktären demokratischen Debatten dennoch gelungen sei, sich für eine grundsätzliche Veränderung ihrer Methoden zu öffnen, für die Abschaffung der Machtkonzentration in den Händen eines Einzelnen und für die Aufhebung der Einschränkungen von Meinungs- und Pressefreiheit. Im dritten Artikel („und bei uns in der Redaktion“, IHE Juni 1968: 19) handelt es sich um ein Gespräch zwischen Reinerová und Frankfurter Studenten, die Prag besuchen und von der IHE-Redaktion empfangen werden. Diese jungen Menschen überhäufen die Journalistin mit Fragen, diese hat aber für jede eine Antwort parat, die keinen Widerspruch duldet. Der folgende, etwas apodiktisch wirkende Auszug, in dem die Journalistin ihre Argumente scheinbar ohne Pause abspult, liefert einen anschaulichen Beleg dafür: Jawohl, es gibt Möglichkeiten für eine Opposition und sie werden bereits reichlich genutzt. Nicht nur Presse, Rundfunk und Fernsehen, also die Instrumente der öffentlichen Meinung und Meinungsbildung, sondern auch die verschiedensten Organisationen nehmen Stellung für und gegen bestehende und geplante Maßnahmen, für und gegen Erklärungen führender Persönlichkeiten, für und gegen sich selbst. Die Kommunistische Partei hat ihr Aktionsprogramm vorgelegt. Die anderen politischen Parteien arbeiten an den ihren. In diesem Zusammenhang sollte allerdings eines nicht übersehen werden: Der Aufbau einer sozialistischen Ordnung ist das gemeinsame Endziel aller gesellschaftlichen Faktoren in der ČSSR. Dazu haben sich alle ausnahmslos und ausdrücklich bekannt. Nun geht es darum, ein System zu schaffen, das für alle Bürger so demokratisch, so frei und offen als nur möglich ist. Deshalb hinken im Voraus sämtliche Vergleiche mit den Demokratien in

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bürgerlichen Ländern. Bei uns wird kein Aufguß der Sozialdemokratie angestrebt, sondern etwas völlig Neues, eine sozialistische Demokratie, die besser und konsequenter sein muß. Die die Machtkonzentration in den Händen von Einzelpersonen nicht zuläßt, energisch gegen kriegerische Aggression auftritt, auch gegen jede Art von Terror und faschistischer Aktivität, um nur einige Dinge zu nennen, die mit unserer Auffassung von Demokratie unvereinbar sind. […] (Lenka Reinerová, „(und bei uns in der Redaktion)“, IHE Juni 1968: 19)

Ein weiteres diesen drei Beiträgen gemeinsames Element ist das Insistieren auf den Pioniercharakter des tschechoslowakischen Experiments: Das ist neu, das hat es bisher noch nicht gegeben. (Lenka Reinerová, „Gut für uns selbst, gut für unsere Freunde“, IHE Mai 1968: 18f., hier 8) Man ist sich bei uns in der Tschechoslowakei dessen bewußt, daß wir Neuland betreten, Wege, die niemand vor uns geebnet hat. (Lenka Reinerová, „(und bei uns in der Redaktion)“, IHE Juni 1968: 19)

Das Wortfeld des Neuen, des noch nie zuvor Geschehenen dominiert nun in den meisten IHE-Beiträgen. Solar spricht in seinem Leitartikel von April 1968 von einer „neu[en] Atmosphäre“ und „unbegangenen Pfaden“; den Ausdruck „neue Atmosphäre“ wiederholt er im Artikel „Worum es nun konkret geht. Diskussion“ (IHE April 1968: 8). Der Ausdruck „dritter Weg“25 wird zwar nicht verwendet, aber genau darum geht es. Dies belegt der Artikel „Einen eigenen Weg gehen“, der aus der Zeitung Práce übernommen wird, in dem Josef Smrkovský auf das „unerforscht[e] Terrain“ hinweist, das Tschechen und Slowaken erschließen müssten, um einen „tschechoslowakische[n] Weg zum Sozialismus“ zu finden ([o. N.], „Einen eigenen Weg gehen“, IHE Mai 1968: 3). Der „Erneuerungsprozess“26, den Lenka Reinerová im April als „Revolution“ bezeichnete, wird im Juni von der Redaktion fast oxymoronartig als „umwälzend[e] Entwicklung vom direktiven zum demokratischen Sozialismus“ („Manifest und Programm. Aus dem Manifest der Prager Jugend, Einleitung durch die Redaktion”, IHE Juni 1968: 8) charakterisiert. Rhetorisch deutet sich hier die heikle Position der Reformer an. Zumindest die Redaktion von IHE fühlt sich scheinbar dazu verpflichtet, kein Öl ins Feuer zu gießen, wie 25  Martin Schulze Wessel (2018: 91) betont, dass „kein Politiker jedoch wagte, einen „dritten Weg“ zu proklamieren, der von der Sowjetunion sofort als Abkehr aus dem eigenen Lager verstanden worden wäre. 26  Der Ausdruck erscheint in folgenden Beiträgen: Josef Smrkovský, „Das Volk. Sein eigener Herr, Diskussion“ (IHE August 1968: 8f., hier 8); Erich Witz [Karel Trinkewitz], „Worte Worte Worte“ (IHE September 1968: 6f., hier 7); GS [Gustav Solar]/S. Radoslav, „Föderation und Ökonomik“ (IHE Oktober 1968: 16f.). Martin Schulze Wessel (2018: 102) unterstreicht, dass „die Reform nur als „Erneuerung“ des Sozialismus, nicht als Abweichung von ihm erfolgreich sein konnte.“

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folgende Metaphern von Solar zeigen, nach welchem es um einen „richtige[n] revolutionäre[n] Umschwung (aber ein[en] friedliche[n])“ gehe, um „eine Kettenreaktion (aber eine gebremste)“, um „eine alles mitreißende Lawine (aber keine zerstörende)“ („Übereinkunft unterschiedlicher Interessen. Diskussion”, IHE Juni 1968: 10). Solar, der in seinem Leitartikel vom Mai die Defekte des sozialistischen Systems unverblümt anprangerte, scheint seine bisher an den Tag gelegte Vehemenz über diese eigenartige Akkumulation von Antithesen etwas dämpfen zu wollen. In der Tat kommt allmählich der Gegensatz zwischen der Euphorie gegenüber den Reformen, die mit einer Begeisterung für die mehrmals angepriesene „neue Atmosphäre“ verbunden ist, und der vorsichtigen Haltung gegenüber dem sowjetischen Block zum Vorschein. Diese Dichotomie spiegelt sich in der wiederholten Beteuerung, die Tschechoslowakei gehöre zu den sozialistischen Staaten, wider.27 Vielleicht ist aus eben demselben Grund nur eine Anspielung auf Ludvík Vaculíks Text zu finden, den manche für ein unnötiges Risiko hielten, insbesondere, weil er die führende Rolle der kommunistischen Partei in Frage stellte (Schulze Wessel 2018: 257). Vaculíks Text wurde von den Führungsinstanzen der Partei umgehend verurteilt. Im Artikel „Worte, Worte, Worte“, der im September 1968 erschien,28 zeigt sich Karel Trinkewitz alias Erich Witz begeistert über die Abschaffung der Zensur (diese wird als „Durchbruch“, „Informationsexplosion“ und „Renaissance“ gepriesen) und über die Macht der „Worte“. Dabei erwähnt er das Manifest, verschweigt jedoch den Namen von dessen Urheber: Im Frieden ihres Gartens liest eine Frau die Wochenzeitung der Schriftsteller, deren Leitartikel den Titel Zweitausend Worte trägt. Diese zweitausend Worte haben selbst in der Nationalversammlung ein Echo ausgelöst, lange wurde über sie diskutiert und geschrieben. Worte, Worte, Worte. (Erich Witz [Karel Trinkewitz], „Worte Worte Worte“, IHE September 1968: 6f., hier 7)

Das diesen Text begleitende Foto stellt eine Frau dar, die sich hinter ihrer Zeitung versteckt. Andere Beispiele deuten wiederum ungeachtet aller Begeisterung für den Reformprozess auf die Vorsicht der Redaktion hin. So fallen einige Ellipsen auf, wie etwa in jenem sehr knappen Porträt von Dubček, das nach seiner Wahl zum Ersten Sekretär der KPČ veröffentlicht wird: Die Umstände 27  Diese Vorsicht ist womöglich auf die Lehre zurückzuführen, die die tschechoslowakischen Reformer aus dem ungarischen Aufstand von 1956 gezogen hatten. 28  Es bedarf an dieser Stelle der Erklärung, dass die Septemberausgabe vor dem Einmarsch am 21. August 1968 bereits fertiggestellt war, sodass diese Nummer keinerlei Anspielungen auf die militärische Intervention der Warschauer-Pakt-Truppen enthält. Erst in der Ausgabe von Oktober ist die Reaktion der Redaktion zu lesen.

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dieser Wahl und der Ablösung Novotnýs werden dem Leser nicht erläutert ([o. N.], ‚Notizblock‘, IHE Februar 1968: 8f.).29 Die Zeitschrift informiert diesen zwar, ein Blick hinter die Kulissen der Macht bleibt ihm jedoch verwehrt. In einem Artikel, den Lenka Reinerová im März 1968 zum 30. Jahrestag des Anschlusses Österreichs verfasst, staunt der heutige Leser über einen Satz, dessen Bedeutung die Journalistin damals gewiss nicht ermessen konnte: Womit keineswegs gesagt sein soll, daß sich alles wiederholt und daß die Welt stehengeblieben ist. Im Gegenteil, sie ist an Erfahrungen reicher und auch an neuen Tatsachen. Die Tschechoslowakei z. B. kann nicht mehr überrannt werden. Denn sie ist Teil eines Bündnisses, dessen Garantien diesmal verläßlich und unantastbar sind. (Lenka Reinerová, „Zwischen Schuhschachter und Reisekoffer“, IHE März 1968: 18f., hier 19)

Dieser Satz kann als Verblendung angesichts des Handlungsraums der Reformer gedeutet werden, aber auch als Vorahnung der dramatischen Ereignisse von August oder als vorzeitige Beschwörung verstanden werden, wenn man bedenkt, dass Reinerová sich des Ausmaßes der vor sich gehenden Erschütterungen bewusst war, die notwendigerweise auf Ablehnung stoßen würden. Eine gewisse Vorsicht kommt auch im Diskurs über die europäische Positionierung der Tschechoslowakei zum Ausdruck. Im zweiten Teil der vorliegenden Studie wurde bereits aufgezeigt, dass IHE eine Positionierung der Tschechoslowakei zwischen Ost und West propagierte, was als Modell gegen eine Blockbildung bzw. als Versuch, sich der Blockkonfrontation zu entziehen, interpretiert werden konnte. Diese Darstellung ist auch 1968 weiterhin präsent, aber da IHE sich der, vor allem in der DDR30 durch die Reformen verursachten Feindseligkeiten bewusst ist, weist sie mit besonderem Nachdruck auf ihre „Partner“ im Warschauer Pakt hin und spricht sogar, den stellvertretenden Außenminister Jan Pudlák zitierend, von einer notwendigen „Rücksicht“ auf diese Partner: Im sozialistischen Lager von scharfer Kritik in der DDR bis zu offener Sympathie in Jugoslawien und bis zu einem gewissen Grad in Ungarn und Rumänien […] Bei den Beziehungen zu Westdeutschland wird maximal die Normalisierung genützt, die Ende 1967 29  Martin Schulze Wessel (2018: 151) gibt jedoch an, dass Rudé Právo, das Organ der KPČ, zuerst nur ein kurzes Biogramm von Dubček publiziert habe. 30  In der DDR scheint IHE ihre Rolle als Schaufenster des Prager Frühlings durchwegs gespielt zu haben, wie Bernd-Lutz Lange (2012: 285) berichtet: „Damit begann der umfassende Reformprozeß in unserem Nachbarland, und in der Zeitschrift las ich, was mit diesem neuen Sozialismus eigentlich gemeint war, denn in der DDR war darüber natürlich nichts zu erfahren. Die Artikel über den Aufbruch begeisterten mich. Hier fand ich schwarz auf weiß, was viele in meinem Bekanntenkreis dachten, aber in der Öffentlichkeit nicht zu sagen wagten.“

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erreicht wurde: die Eröffnung von Handelsmissionen der ČSSR und BRD, die mit breiter Kompetenz ausgestattet sind. Wirtschaftliche, kulturelle und persönliche Kontakte politischen Charakters werden an Intensität zunehmen. […] „Die Herstellung von diplomatischen Beziehungen ist nach Ansicht der Tschechoslowakei, und eine ähnliche herrscht auch in der Bundesrepublik Deutschland vor, eine Frage auf lange Sicht, die offensichtlich im Zusammenhang mit dem Fortschreiten der Entspannung in Europa und dem Suchen von Wegen gelöst werden wird, die zur europäischen Sicherheit führen. Die ČSSR wird in dieser Angelegenheit im Einklang mit ihren spezifischen Interessen und mit Rücksicht auf ihre Bündnispartner vorgehen.“ ([o. N.], „Wie sehen uns unsere Freunde?“, IHE August 1968: 4)

Zu bemerken ist nebenbei der Gebrauch des richtigen Namens der Bundesrepublik Deutschland. Eduard Goldstücker drückt in der Septemberausgabe Ähnliches aus: Böhmen, Mähren und die Slowakei werden immer Nachbarn des weitaus größeren Deutschlands sein und ihre Existenz ist in diesem Zusammenhang determiniert. Unsere Politik muß dennoch gut nachbarlich und nicht von diesem Verteidigungsreflex geprägt sein. Aber um diese positive Politik Deutschland gegenüber betreiben zu können, müssen wir von der Sowjetunion den Rücken gedeckt haben. (Lenka Reinerová, „Zeitgenossen der Geschichte. Diskussion“, IHE September 1968: 8f.)

Hier rückt nicht nur ein nach wie vor herrschendes Misstrauen gegenüber Westdeutschland, sondern auch die stark eingeschränkte außenpolitische Handlungsfreiheit der Tschechoslowakei in den Fokus. Die Außenpolitik nahm tatsächlich einen bescheidenen Platz im Aktionsprogramm der KPČ von April 1968 ein und das Primat des Bündnisses mit der Sowjetunion und den sozialistischen Staaten wird fortwährend hervorgehoben. Jan Pauer (2007: 265) betonte, wie schwer es Prag gefallen sei, eine eigenständige Außenpolitik zu entwickeln, vor allem in Bezug auf die Bundesrepublik, und Martin Schulze Wessel (2018: 237) spricht von einem „quasi koloniale[n] Verhältnis zur Sowjetunion“. Jedoch spielen das Aktionsprogramm und eine Regierungserklärung wiederum auf die Präsenz „realistischer Kräfte“ in der Bundesrepublik an, die man gegen „revanchistische und neonazistische Kräfte“ unterstützen wolle (Pauer 2007: 265). IHE ergreift die Initiative, den Fokus auf die Außenpolitik zu richten, indem sie unter den ausgewählten Auszügen aus dem Aktionsprogramm gerade den ungekürzten Abschnitt über die Außenpolitik publiziert („Das neue politische System. Aus dem Beschluß der Plenartagung des ZK der KPČ ‚Über die gegenwärtige Lage und das weitere Vorgehen der Partei‘, Mai 1968), IHE Juli 1968: 4). Adolf Müller (1977: 250f.), der die sekundäre Rolle der Außenpolitik im Prager Frühling betonte, unterscheidet zwei Konzeptionen der Reformer: eine, die von der politischen Führung der KPČ getragen wurde und bereit gewesen sei, „die Außenpolitik aus dem Reformexperiment auszuklammern“, in der Hoffnung, „Verbündete in den ­politischen

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Führungsspitzen der anderen kommunistischen Länder schrittweise gewinnen zu können“, während „[d]ie zweite Konzeption den Reformprozeß als Revolutionsprozeß verstanden wissen [wollte], der durch seine Tragweite die Blockgrenzen überschreitet und nur aufgrund einer weitgefächerten außenpolitischen Unterstützung und im Zusammenhang mit einer beschleunigten „Konferenz über europäische Sicherheit“ realisiert werden könnte.“ IHE ordnet sich in diese zweite Auffassung ein, wie der Beitrag von Vratislav ­Houdek belegt, der, obgleich er die Initiativen der Tschechoslowakei unter diesem Blickpunkt des Bündnisses mit der UdSSR untersucht, Anspruch auf eine gewisse A ­ utonomie erhebt: Die tschechoslowakische Außenpolitik ist und bleibt also die Politik eines sozialistischen Staates, d. h. eine Politik des Bündnisses, der Freundschaft und Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und den übrigen sozialistischen Staaten. Dabei setzt sie es sich jedoch [Hervorhebung von HL] zum Ziel, im Rahmen dieser Bündnisse ihre spezifischen Probleme entsprechend ihren politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedürfnissen zu lösen. Das heißt vor allem, daß die Außenpolitik der ČSSR eine europäische Politik sein will, daß sie wesentlich und konkret zur Lösung des Problems der europäischen Sicherheit, der Deutschlandfrage und der europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit beitragen will. (Vratislav Houdek, „Offene Tribüne: Der tschechoslowakische Frühling in der Aussen­ politik“, IHE Juli 1968: 15)

3. IHE und der Einmarsch Da IHE die Reformen unterstützte, ist offenkundig, dass ihre Redaktion sich nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen am 21. August 1968 in einer heiklen Situation befand. Die Septemberausgabe war bereits im Druck, als die Panzer in das tschechoslowakische Staatsgebiet einfielen, weshalb die Reaktionen auf dieses Ereignis erst in der Oktoberausgabe publiziert werden konnten, und zwar in Form von Protest und als Ausdruck von Widerstandswillen. Gustav Solars Leitartikel – sein letzter31 –, der gegen die verletze Souveränität der Tschechoslowakei protestiert, ist ein deutlicher Beleg: Zum ersten Mal verwendet Solar die erste Person und zeichnet seinen Text mit seinem Namen und dem Personalpronomen „Ihr“, wie es im deutschen und tschechischen Briefwechsel die Regel ist („Ihr D. G. Solar“), als handle es sich 31  Solar verlässt die IHE-Redaktion nach Oktober 1968 und emigriert nach Zürich. Unklar ist noch, ob er zuerst entlassen wurde, oder ob er sich ohnehin für das Exil entschieden hatte.

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um einen persönlichen Abschiedsbrief. Bisher waren seine Leitartikel stets mit der distanzierten Formel „Der Chefredakteur“ gezeichnet: Werte Leser, diesen Brief schreibe ich Ihnen zu einer Zeit, die den Inhalt dieses Heftes um eine bitter schwere Woche überholt hat, in der das tschechoslowakische Volk sein staatsmännisches Examen abzulegen hatte. […] In unserer Republik stehen fremde Armeen. Unaufgefordert: das hat der Präsident der Republik, Held der Sowjetunion General Ludvík Svoboda erklärt. Ebenso die Nationalversammlung der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik, die Regierung, das Präsidium des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. (G. Solar, IHE Oktober 1968: 1)

Die Auflistung aller tschechoslowakischen Institutionen mit ihrem jeweiligen vollständigen, ausgeschriebenen Namen verstärkt den feierlichen Charakter von Solars Protest und deutet an, dass die gesamte Nation hinter ihm stehe. An späterer Stelle weist er tatsächlich auf die „absolute Einheit [des Volkes] um seine Kommunistische Partei“ hin und beteuert die Solidarität des „Mitarbeiterkollektiv[s]“ von IHE mit den führenden reformistischen Politikern. Diese Anspielung auf die Redaktion als Kollektiv ist neu und wird in weiterer Folge zum Leitmotiv in der Zeitschrift. Die Rubrik der Leserbriefe zeichnet Lenka Reinerová mit einer ähnlichen Formel: „Das Redaktionskollektiv Im Herzen Europas“ („Leser schreiben“, IHE November 1968: 2) und greift zudem wiederholt auf das Personalpronomen „wir“ zurück. Dabei geht es darum, den Reformprozess zu verteidigen und nicht aufzugeben, ebenso wie die Existenz der Zeitschrift zu wahren: Es wird also schwer sein, zuende zu führen, was wir mit solcher Entschlossenheit und Hoffnung Anfang 1968 begonnen haben. Aber wir lassen nicht ab davon. […] Wir alle, die wir den Januar aber auch den August 1968 aktiv miterlebt haben, wollen mit allem, das wir können und wissen, dabei mithelfen und Ihnen, unseren Lesern, mit der erwähnten, heute bereits typischen tschechoslowakischen Offenheit davon berichten. Unsere Zeitschrift dürfte also weiterhin für Sie lesenswert bleiben. Wir danken Ihnen im Voraus für Ihr Vertrauen. (Lenka Reinerová, IHE November 1968: 1)

Die Hervorhebung des Kollektivs kommt auch in Solidaritätserklärungen gegenüber dem tschechoslowakischen Volk zum Ausdruck. Im Oktober 1968 veröffentlicht IHE einen Text von tschechoslowakischen Künstlern, Journalisten und Wissenschaftlern, der dazu aufruft, in der Tschechoslowakei zu bleiben und das ‚Schiff‘ nicht zu verlassen („Tschechoslowakische Künstler, Journalisten und Wissenschaftler erklären“, IHE Oktober 1968: 2). Der Appell wird im November erneut publiziert, diesmal mit der Überschrift „Wir bleiben

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mit dem Volk“ (IHE November 1968: 2) und u. a. von Lenka ­Reinerová32, Adolf Hoffmeister, Karel Trinkewitz und Karel Strádal, um nur IHE-Redakteure bzw. -Mitarbeiter zu erwähnen, unterzeichnet. In einer reichlich illustrierten Zeitschrift sind Bilder ein wichtiger Träger des Protestes, ermöglichen sie doch durch den Einsatz des Impliziten eine vorsichtigere Kritik, insofern als sich verschiedene Lektüre- und Interpretationsebenen decken und ergänzen. Die Ausgabe von Oktober 1968 liefert zwei bemerkenswerte Beispiele: Das erste ist das Cover der Zeitschrift, ein Foto von Oldřich Karásek (1939–2006), das im Vordergrund die mit Kreide auf eine Mauer gemalte tschechoslowakische Flagge mit den Daten 1918–1968 darstellt, während im Hintergrund die unscharfen Umrisse des Prager Rathausturms und des Hus-Denkmals zu erkennen sind. Zwar entspricht dies dem 50-jährigen Jubiläum des tschechoslowakischen Staates, der bekanntlich am 28. Oktober 1918 gegründet wurde, aber der rechte Teil des Fotos erlaubt noch eine andere Interpretation. Die tschechoslowakische Gegenwart, die links dargestellt ist, ist zwar deutlich sichtbar, aber ihre Zerbrechlichkeit wird durch die naturgegebene Vergänglichkeit der Kreidezeichnung angedeutet, und die beiden Daten können auch wie Geburts- und Todesdaten gelesen werden. Durch den Aufbau des Fotos wird die Gegenwart der Tschechoslowakei ihrer Geschichte gegenübergestellt, dem „Gedächtnis Prags“ (Michel 1986), das die unscharfen Konturen der beiden Denkmäler heraufbeschwören. Die Denkmäler sind tatsächlich zwei wichtige Erinnerungsorte in der tschechischen Geschichte, sie deuten auf zwei, wenn auch ferne, Momente des tschechischen Widerstands gegen fremde Mächte hin: Das Denkmal des tschechischen, 1415 in Konstanz verbrannten Häretikers erinnert an den Kampf Böhmens gegen die Armeen des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, während der Rathausturm, vor dem 1621 die Rebellen der böhmischen Stände hingerichtet wurden, einerseits den Kampf gegen die Habsburger Herrschaft und die Rekatholisierung in Erinnerung ruft, andererseits aber auch die NS-Barbarei, da der Rathausflügel 1945, woran IHE mehrfach erinnert, den Angriffen der NS-Panzer zum Opfer fiel. Die Geschichte Böhmens ist im tschechoslowakischen kollektiven Bewusstsein sehr präsent, wie auch die seit Januar 1968 erscheinende Chronik Zdeněk Mahlers „Dies Land im Herzen Europas“ belegt. Der letzte Beitrag Mahlers wird im Oktober 32  Obwohl ihre Tochter in Großbritannien blieb, ging Lenka Reinerová nicht ins Exil. Ihr Dossier im Archiv bezpečnostních složek zeigt, dass sie nach 1968 streng überwacht und des Vorhabens der Emigration bezichtigt wurde. Dies verleugnete sie stets und begründete diese Entscheidung mit dem Willen, ihren kranken Ehemann nicht verlassen zu wollen, und mit der Tatsache, dass sie nicht mehr die Kraft dazu hätte.

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1968 veröffentlicht: Indem er an die die Nation festigenden Werte erinnert, beschwört der Verfasser das hussitische Erbe herauf, welchem er jenes neue „Mittelalter“ gegenüberstellt, das mit dem Einmarsch Einzug halte. Implizit werden somit die Sowjetunion und die Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes mit den kaiserlichen und katholischen Armeen, die das hussitische Böhmen zu unterwerfen suchten, gleichgestellt: Jawohl, diese Nation hat keine Neigungen zum Messianismus, einen Panzer mit einem Besenstiel anzugehen betrachtet sie nicht als eindeutige Mutprobe. Es ist keinesfalls ein Zufall, daß gerade hier und nirgendwo anders der gute Schwejk entstanden ist, der mit größtem Humor größte Tragik durchlebt – das ist keine Identifizierung, es ist das Symbol des Extremen: manchmal ist es leichter für etwas zu sterben als dafür zu leben … Trotz alledem, oder vielleicht gerade deshalb hat es die hiesige Nation fertiggebracht, in tatsächlich schicksalhaften Augenblicken kompromißlos zu entscheiden. […] Fürchtet die Feinde nicht und achtet nicht auf ihre Zahl – besagt ein hussitisches Wort. Man kann es in der tschechischen Geschichte verfolgen, vom tiefen Mittelalter bis zum gegenwärtigen Mittelalter – man hört es auf allen Kreuzwegen der Geschichte – auch an diesem Knotenpunkt, da sich der Sinn unserer Geschichte plötzlich in erstaunlicher Einfachheit offenbart hat, die sich in vier Worten ausdrücken läßt: Sozialismus – Bündnis – Souveränität – Freiheit! (Zdeněk Mahler, „Zum Abschluss: Wir als Nation“, IHE Oktober 1968: 2)

In Frage gestellt werden weder der Glaube an den Sozialismus noch das Bündnis mit den Warschauer-Pakt-Partnern, und freilich schließt der Artikel mit der Verkündung der „Souveränität“ und „Freiheit“ der Tschechoslowakei. Das zweite Beispiel des Widerstandes in und mit Bildern besteht in einer Fotoreportage mit dem Titel „Aufrechtes Prag“, die geschickt mit dem Topos des hunderttürmigen Prag spielt, zumal die Fotos nichts anderes als Prager Türme zeigen; die Doppeldeutigkeit des Titels lässt aber keinen Zweifel ob der IHE-Botschaft zu. Der Text von Karel Trinkewitz alias Erich Witz, der die Fotos begleitet, spielt zudem auf die hussitische Geschichte und den Dreißigjährigen Krieg an und fügt einen Hinweis auf Mai 1945 hinzu, „da die Panzer der Naziarmee das ehrwürdige Altstädter Rathaus in Feuer gesetzt haben“ (Erich Witz [Karel Trinkewitz], „Aufrechtes Prag“, IHE Oktober 1968: 6f., hier 6). Die ironische Doppeldeutigkeit des Titels versteht sich von selbst und die damaligen IHE-Leser haben ihn nicht missverstanden, wie sich ­Reinerová in einem Interview von 1997 erinnert: Ich erinnere mich an die erste Nummer von „Im Herzen Europas“ nach der Invasion. Wir hatten am Anfang immer vier Seiten Fotos, möglichst schöne Fotos mit entsprechenden Legenden. Die Seiten waren schon fertig gestaltet, doch wir warfen alles raus und nahmen Aufnahmen von sehr schönen gotischen Prager Kirchtürmen hinein unter dem Titel „Das aufrechte Prag.“ Die Leser haben glänzend reagiert, sie haben genau kapiert, worum es ging. (Eisenbürger 1997)

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In seinem Kommentar der Fotos zieht Trinkewitz eine erste Parallele zwischen der NS-Zeit und dem Einmarsch von August 1968 – ein Vergleich, der in IHE mehrfach, auf mehr oder weniger implizite Art, vorkommt. Lenka Reinerová weist ebenfalls auf den NS-Angriff auf das Altstädter Rathaus hin (Lenka Reinerová, „Meine Heimat, mein Prag“, IHE Oktober 1968: 18f., hier 19).33 In einem Beitrag über einen Dokumentarfilm von Kurt Goldberger (1919–2004), der sich mit Prager jüdischen Schriftstellern, Künstlern und Wissenschaftlern des frühen 20. Jahrhunderts befasst, schildert sie die Jahre 1938/1939, aber die Vorstellung des Kontextes, die die explizite Datierung retardiert, lässt zunächst an den gegenwärtigen Kontext denken: Aber eines Tages entschieden andere über das Schicksal eines kleinen Landes inmitten von Europa, entschieden, ohne seiner Meinung Gehör zu geben, griffen nach dem Land und seinem Reichtum, nach seinen Bürgern und ihrer Arbeit, nach den Menschen und ihren Geschicken. […] Das geschah vor dreißig Jahren. (LR [Lenka Reinerová], „Bücher menschlicher Geschicke“, IHE Oktober 1968: 26f., hier 26)

Im Juni 1969 vergleicht die Journalistin diesmal explizit die NS-Zeit und das Jahr 1968, auch wenn sie dabei vorsichtshalber von der Haltung der Tschechen spricht: Ich habe dreißig Jahre zuvor, im September 1938, die unvergeßliche, erlösende Nacht der Mobilmachung gegen die Bedrohung seitens des deutschen Faschismus miterlebt. […] Damals standen wir Schulter an Schulter. Nicht mehr. Der Vergleich mit 1968 geht auch in dieser Hinsicht nicht auf. Damals standen wir gemeinsam vor allem gegen etwas, diesmal für etwas. (Lenka Reinerová, „Der Mensch neben dir und mir“, IHE Juni 1969: 14)

Im September 1969 wird der Vergleich lediglich angedeutet: Niemand konnte es sich trotz allem vorstellen. Trotz allem, was sich wochen- und monatelang vorher allmählich vorbereitet hatte. Niemand wollte sich eingestehen, was nun schon unvermeidlich schien und daß es wohl gefährlich war, ein Raubtier zu reizen, aber vielleicht noch gefährlicher, ihm Unentschlossenheit, Schwäche oder gar Angst vorzuführen. Das Raubtier, damals vor genau dreißig Jahren, hieß deutscher Faschismus und Imperialismus. Es hat am 1. September 1939 den zweiten Weltkrieg begonnen. […] Vergessen wir nicht: In diesem Jahrhundert haben bereits zwei Weltkriege begonnen. Der letzte genau vor dreißig Jahren. Der letzte? (Lenka Reinerová, „Offene Tribüne. Der letzte“, IHE September 1969: 19)

All diese Gleichsetzungen zwischen der NS-Zeit und der sowjetischen Unterdrückung des Prager Frühlings sind dennoch nicht nur in IHE zu finden, sondern überall in Prag – in Form von Graffiti, die „die tschechische Abkürzung für UdSSR (tschech.: SSSR) mit SS-Runen [wiedergeben] [und] Hammer und Sichel zu Hakenkreuzen verform[en]“ (Schulze Wessel 2018: 282). So weit 33  Dieser Artikel wird an späterer Stelle erläutert und im Anhang Nr. 12 abgedruckt.

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geht IHE zwar nicht, aber sie publiziert trotzdem ein Foto mit Pro-DubčekGraffiti, das bemerkenswerterweise keinen Fotografennamen aufweist.

Abb. 13: IHE Oktober 1968: 12f.

In der Novemberausgabe von 1968 behandelt Trinkewitz wiederum verschiedene Kapitel der tschechischen Geschichte perspektivisch: den Einzug der Slawen nach Böhmen auf den Berg Říp, den Hussitismus, die Schlacht auf dem Weißen Berg und das Temno. Diese historischen Ereignisse wurden in der Malerei verewigt, so wie die Augustereignisse durch unzählige Kameras festgehalten wurden. Dabei liefert Trinkewitz die Erinnerung an ein persönliches Erlebnis: Als seine Heimat von den Nazis besetzt worden war, hatte er auch damals Zuflucht in der Heraufbeschwörung glorreicher Kapitel der tschechischen Geschichte gefunden, sodass die Parallele zwischen 1939 und 1968 fast unbemerkt gezogen wird: Das gilt auch für die letzten Augusttage in unserem Lande, da tausende Fotoapparate das Geschehen in den Straßen der tschechoslowakischen Städte und Dörfer festhielten. Jäh wurde uns bewußt, daß wir als Nation bestehen – und daß das, was wir erleben, Geschichte ist. […] Es war wohl nicht bloß mein Einfall, in jenen Augusttagen in der Geschichte unseres Volkes zu blättern. Noch aus meiner Kindheit besitze ich ein dickes Buch mit schon leicht vergilbten Blättern und Spuren häufigen Lesens. Ich habe es von meinem Vater in einer Zeit bekommen, da unser Land von fremden Soldaten besetzt wurde, damit ich lernte, auf die glorreichen Taten der Herrscher Böhmens und auf das Heldentum seiner einfachen Menschen stolz zu sein. (Erich Witz [Karel Trinkewitz], „Sekunden der Geschichte“, IHE November 1968: 6f.)

Die glorreichen Momente der tschechischen Geschichte fordern zum Widerstand auf. Der das Gemälde zur Schlacht am Weißen Berg begleitende

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Text lautet nämlich: „Gegen eine ungeheure Übermacht kämpften sie bis zum letzten Mann“; in einem weiteren Text wird prophezeit: „Unterdrücker kommen und gehen, das Volk aber bleibt bestehen.“ Dieser implizite Vergleich zwischen der Niederlage auf dem Weißen Berg (und dem darauffolgenden Temno) im Jahre 1620 und der Invasion im Jahre 1968 wird auch im Beitrag von Jiří Lederer („Grosse Ideen eines kleinen Volkes. IV. Eine Tat sittlicher Stärke“, IHE April 1969: 2) gezogen.34 In der Ausgabe von Oktober 1968 reagiert Lenka Reinerová auf den Einmarsch und liefert dabei ein äußerst persönliches und einzigartiges Zeugnis mit dem Titel „Meine Heimat, mein Prag“ (vgl. Anhang Nr. 12). In diesem Text erzählt sie, wie sie die Nacht des 21. August und die darauffolgenden Tage erlebte, und fokussiert ihre Gefühle, ohne aber jemals das Datum, noch das konkret Geschehene explizit zu schildern. Es handelt sich um einen langen Artikel, der einer Liebeserklärung an die Heimat gleicht und dessen Titel auf Smetanas berühmte sinfonische Dichtungen Má vlast [Meine Heimat] Bezug nimmt. Nicht nur die literarische Qualität, sondern auch die Tatsache, dass es sich um einen der wenigen journalistischen Texte handelt, dessen Entwürfe Lenka Reinerová scheinbar aufbewahrt hat und die zudem belegen, wie sorgfältig dieser ausgearbeitet und verbessert wurde,35 richten ein besonderes Augenmerk auf diesen Beitrag. Rückblickend ist dieser Text auch deshalb wichtig, weil er die Behandlung der Prager Thematik im Werk ­Reinerovás einleitet und dabei das Jahr 1968 als einen bedeutenden Wendepunkt in ihrer Beziehung zu ihrer Heimatstadt herauskristallisiert. Der Artikel liefert ein weiteres Beispiel für die bereits im dritten Teil der vorliegenden Studie angesprochene Art und Weise, auf die Reinerovás journalistischer Stil aus der Literatur schöpft. Wie der oben kommentierte Artikel über den SS-Mann Krumey (vgl. 3. Teil, S. 206f.), gleicht auch dieser Text einer Novelle oder einem Mini-Drama, wobei die Autorin diesmal auf die charakteristischen Mittel der fantastischen Erzählung zurückgreift.36 34  Jiří Lederer (1922–1986) war Journalist bei Literární Noviny. Lenka Reinerová (Danyel 2000: 83) führt ihn neben Goldstücker als Beispiel für markante Intellektuelle der 1960er-Jahre an. Nach 1968 emigrierte er nach Westdeutschland. 35  Die Entwürfe befinden sich im Nachlass der Autorin im Literarischen Archiv der Akademie der Künste in Berlin. Der Beitrag wird später, in leicht abgeänderter Fassung, in der Erzählung Zu Hause in Prag manchmal auch anderswo (Reinerová 2003a) übernommen werden, was noch einmal die Brückenschläge zwischen Reinerovás journalistischem und literarischem Werk verdeutlicht. 36  Das Fantastische ist übrigens im späteren literarischen Werk Reinerovás sehr präsent, wie z. B. in den Erzählungen Das Traumcafé einer Pragerin (2003b) und Mein Hausengel (Reinerová 2003a), oder auch im „Bekenntnis“ Närrisches Prag (2006a), in welchen die Erzählerin

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Der Beitrag beginnt tatsächlich mit einer Exposition, die die Erzählung an „ein[em] Tag“ in Prag verankert. Anscheinend handelt es sich um einen gewöhnlichen Tag, die im ersten Abschnitt geschilderte Atmosphäre ist ruhig und beruhigend, die beschriebenen Orte vermitteln einen Eindruck von Normalität und Alltäglichkeit (die Moldau – ein weiterer Bezug auf Smetana – „fl[ießt] unten“, die „alten Häuser“ „lächel[n] freundlich“) und die Unerschütterlichkeit der Institutionen scheint durch die materielle Festigkeit der „Burg, [die] über all dem thron[t]“, durch die symbolische und physische Präsenz des Staatschefs (die Burg ist beflaggt und „Ludvík Svoboda war zu Hause“) gesichert zu sein. Der nachfolgende Abschnitt, der auf die Erzählerin gerichtet ist, verweist ebenfalls auf verankernde, stabile („den Umriß meines Lebens […], das Feste, Unverrückbare“) und vertrauliche Elemente (mit der Anspielung auf den Freund Kisch und der Personifikation der Häuser, denen sie „zunick[t]“). In diese scheinbare Normalität bricht das Merkwürdige ein und erschüttert, zunächst noch unmerklich, die Ordnung der Dinge: In „diese[m] Jahr“ „begannen [Prags] Häusermauern uns Pflastersteine zu sprechen“. Das Jahr wird nicht genannt, danach wird der 50. Geburtstag der Tschechoslowakei erwähnt. Einer der Entwürfe enthielt die genauere Zeitangabe „im Oktober“. Aus dieser beabsichtigten Ungenauigkeit resultiert ein Eindruck der Zeitlosigkeit, als würde die Zeit stillstehen, was an späterer Stelle im Satz „Und dann vergingen zwei Tage oder tausend Jahre“ noch einmal betont wird. Das den normalen Lauf des Lebens unterbrechende Ereignis wird nicht auf unmittelbar brutale Weise beschrieben, sondern über kleine, sukzessiv erfolgte Abweichungen vom gewöhnlichen Ablauf: Die Erzählerin habe „erst spät am Abend das Licht gelöscht“, als ihr Telefon „schrillte“ (nachdem der Schock vorbei ist, „klingel[t]“ es einfach); sie „konnte nicht richtig wach werden.“ Dann beschleunigt sich die Handlung, wobei die Parataxe und der Verzicht auf Personalpronomen die Dramatisierung verstärken. Die unheimlichen Elemente vermehren sich, zumal Reinerová die Gegenstände nicht beim Namen nennt, sondern mit Metaphern umschreibt: So ist der „schwarz[e] Himmel voll von roten Augen“, er „dröhn[t], und „[r]iesige schwarze Vögel mit roten Augen [ziehen] […] über [das] Haus hin“; am Morgen stößt sie auf der Straße auf ein „Monument“, einen „metallenen Koloß“, eine „­reglose Gespräche mit verstorbenen bzw. imaginären Figuren führt. Für eine erste Untersuchung der fantastischen Dimension im Werk Reinerovás s. Kazianka (2009: 26–56), wobei die in dieser Diplomarbeit analysierten Texte vielleicht mehr dem Wunderbaren als dem Fantastischen zuzuordnen sind. Das expressionistische Erbe des „Praga magica“ (Angelo Ripellino) bei Reinerová wäre zweifellos einer Studie wert. Erste Schlussfolgerungen in Bezug auf das Wunderbare bei Reinerová befinden sich in Bůžek (2016).

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Gestalt“, dann beschwört sie „die Umfassung der Gehsteige“ herauf, die „wie von gigantischen Drachenzähnen zerklüftet ist“. Um die Invasion der Tschechoslowakei zu beschreiben, vermeidet sie präzise und erwartbare Begriffe wie Flugzeuge, Panzer oder spanische Reiter, die in gewöhnlichen journalistischen Artikeln zu finden sind. Reinerovás Ziel geht hier über die Absicht hinaus, die Leser zu informieren, die ohnehin mit Fernsehbildern und Pressefotos überhäuft wurden. Ihr Terrain ist jenes der Emotion und der Sensibilität, sie möchte über ihre eigenen Gefühle jene der Prager Bevölkerung bzw. der Tschechoslowaken insgesamt vermitteln.37 Eine poetische Sprache, die die rohe Wirklichkeit verklärt und auf Synästhesien zurückgreift, ermöglicht vielleicht ein tieferes Verständnis beim Leser und fördert Empathie. Eingesetzt wird eine Vielfalt von Begriffen, die Geräusche (schrillen, erbeben, dröhnen, klingeln, schreien, grollen, lärmend, auflachen), Farben (weißlich, erbsengrün, rosa, schwarz, rot, blasser, korallenrot, helle Farben, gelb und hellrot, blau und kräftig rosa, weiß-blau-rot) und deren Schillern (flimmern, leuchten, die Sonne schien, schimmern) evozieren.38 In diesem Text schafft Reinerová eine Stimmung, sie deutet mehr an, als sie explizit formuliert (die 37  Viele Jahre später, und zwar Anfang der 2000er, sind die Beweggründe der Schriftstellerin nicht mehr dieselben. In die IHE-Redaktionsräume zurückgekommen, erinnert sich die Erzählerin an die Ereignisse von August 1968. Auf die Metapher des „Metallriesen“, die ein Echo auf den „metallenen Koloß“ im IHE-Artikel ist, folgt diesmal aber die viel prosaischere und direktere Erwähnung der „Kanonen“ und „Panzer“: „[…] und ich betrat „mein“ Zimmer, ging ans Fenster und schaute hinaus. Da geschah etwas Merkwürdiges. Ich sah nicht die geschäftige Straße im urwüchsigsten Zentrum der Stadt. Durch das schmale Fenster blickte ich dank der unerklärbaren Einschaltungen unseres Unterbewußtseins in die tumultuösen, aufregenden sechziger Jahre. Von hier aus habe ich im August 1968 den Metallriesen, die Kanone der einmarschierten Roten Armee, beobachtet, die vor unserem kleinen Haus Position bezog. Vielleicht weil sie auf dem Altstädter Ring zwischen den zahllosen Panzern und Transporteuren keinen Platz mehr hatte. Oder vielleicht, weil unsere Redaktion ein „strategisch wichtiger Punkt“ war. Wer kann schon nachvollziehen, was in den Köpfen der damaligen Machthaber vor sich ging.“ (Reinerová 2006a: 136f.) 38  Dabei mag die Journalismus-Lektion einfallen, die Franz Carl Weiskopf Reinerová zu ihren Anfängen erteilt hatte, als er ihr eine übertriebene Neigung zur Verwendung von Adjektiven vorwarf. Trotz ihrer Bewunderung für diesen ihren Mentor verzichtete die Journalistin nicht auf ihren literarischen Stil. Die Anekdote befindet in dem Bericht Es begann in der Melantrichgasse (2006b: 24): „Ich saß in meinem Mini-Arbeitsraum dicht neben ihm, anders war das dort gar nicht möglich, und verfolgte gespannt, wie seine Augen von Zeile zu Zeile glitten. Auf einmal hakten sie sich fest. Er war an die Stelle gelangt, an der ich eine winterliche Wiese schilderte, auf die aus blauem Himmel eine schwarze Krähe herabstieß, der Schnee unter ihr glitzerte in der Sonne grünlich, golden, violett … ‚Bist du sicher, daß er nicht auch orange und rosarot funkelte?‘ fragte mich FC sachlich, aber in seinen Augen blitzte es gefährlich. ‚Ich meine nur wegen der Vollkommenheit des Spektrums, verstehst

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Anspielung auf die „rührend dünne Ausgabe der Gewerkschaftszeitung“ enthüllt, dass etwas Gravierendes geschehen sein muss, jene auf die „Literarischen Blätter“ [Literární Listy], die „drei alte Männer“ lesen, dass ein Großteil der Bevölkerung den Reformprozess unterstützt). Sie spielt mit Symbolen: Nach dieser verhängnisvollen Nacht ist die Prager Burg nicht mehr beflaggt und Ludvík Svoboda ist nicht mehr zu Hause. Die literarische, ja dichterische Verarbeitung zielt möglicherweise auch darauf ab, Hoffnung zu vermitteln und jeglichen Anflug von Resignation zu unterbinden. Bemerkenswerterweise wird das Wort „Katastrophe“ nicht von der Erzählerin selbst verwendet, sondern von einem Mann, dem sie auf der Straße begegnet. Sie bemüht sich außerdem darum, die trotz allem herrschende Ruhe und die Würde ihrer „mutig[en], aufrecht[en]“ Landsleute zu betonen, die „allein die Herren dieses Landes“ seien, wobei – wenn auch nicht frontal – die Präsenz fremder Armeen verurteilt wird. Die abschließende Heraufbeschwörung der „Herbsttag[e] 1938“ entwirft wiederum eine Parallele zwischen 1938 und 1968, die jedoch die Grenzen des Impliziten nicht überschreitet.39 Der Artikel endet mit einem resolut optimistischen und festlichen Aufruf zum Widerstand. Obwohl dieser Begriff niemals direkt und explizit benutzt wird, prägt er von Oktober 1968 bis zum Ende des Jahres 1968 den Geist der Zeitschrift, die die im Januar 1968 eingeleiteten Reformen weiterhin verteidigt, wobei die Chefredakteurin einen besonderen Eifer an den Tag legt, wie etwa in jenem Leitartikel von Januar 1969, in welchem sie die Leser zur größten Vorsicht angesichts der Informationen, die ihnen über die Tschechoslowakei geliefert werden, aufruft: Deshalb bitten wir Sie zu Beginn dieses neuen Jahres 1969: Gehen Sie bei der Beurteilung des Geschehens und der Entwicklung in der Tschechoslowakei von den Erklärungen ihrer führenden Persönlichkeiten aus, von den Dokumenten, die unsere Regierung, unsere Kommunistische Partei in erster Reihe der eigenen, aber damit auch der gesamten Weltöffentlichkeit unterbreitet. Wenn die Politiker, die das absolute Vertrauen unserer Bürger besitzen, unter ein Protokoll, eine Vereinbarung oder einen Beschluß ihre Unterschrift setzen, dann tun sie das im Namen von 14 Millionen Menschen. Wenn Alexander Dubček am 28. Oktober, dem 50. Jahrestag der Republik, erklärt hat, daß wir so arbeiten wollen, damit sich in unserem Land jeder Mensch als Mensch fühlt, dann ist das ein sozialistisches Programm im wahrsten Sinne des Wortes. (Lenka Reinerová, IHE Januar 1969: 1) du.‘ Solch eine Lektion merkt man sich.“ Zu dieser Anekdote und zur „Nüchternheit in den Landschaftsbeschreibungen“ in den Texten Reinerovás s. auch Balcarová (2018/19). 39  Die Erzählung Kein Mensch auf der Straße (Reinerová 2007b: 14) bricht in einer sehr knappen Schilderung „ein[es] Augustmorgen[s] des Jahres 1968“ mit dem Impliziten: „Hat es nicht genügt, daß vor Jahren deutsche Faschisten mein Prag besetzt hatten, mußten wir zur Abwechslung nun auch noch von sowjetischen Kommunisten okkupiert werden?“

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Mit anderen Worten: Die von der Tschechoslowakei getragenen Reformen seien das Wesen des Sozialismus selbst, von dem andere abgewichen seien. IHE scheint jedoch den offiziellen Dokumenten keinen Kredit mehr geben zu wollen; bis September 1969 verschwinden diese aus ihren Seiten, abgesehen von den Neujahrswünschen des Präsidenten Svoboda im Januar 1969. Im September wird eine neue Rubrik eingeführt, die mit „Für Ihre Dokumentation“ betitelt ist und die Rolle von IHE als Sprachrohr des Regimes reaktivieren soll. Ihre Verteidigung des tschechoslowakischen Weges und dessen Vertreter drückt Lenka Reinerová im April 1969 noch unverblümt aus: Ludvík Svoboda hat an der Spitze der ersten tschechoslowakischen Armeeeinheit im Ausland um die Befreiung der Tschechoslowakei gekämpft, auf Grund seiner Verdienste im 2. Weltkrieg wurde er zum Helden der Sowjetunion ernannt, seinen einzigen Sohn haben die Nazis umgebracht. Alexander Dubček, sein engster Mitarbeiter, hat im Slowakischen Volksaufstand um die Befreiung der Tschechoslowakei gekämpft und wurde dabei verwundet, sein einziger Bruder ist als Partisan gefallen. Wer es wagt, dem Staat und der Partei, an deren Spitze diese beiden, von ihren Mitbürgern geliebten, verehrten Männer stehen, für den Sozialismus verräterische Tendenzen zu unterschieben, kann in der ČSSR nur allgemeiner, tiefster Verachtung begegnen. (Lenka Reinerová, IHE April 1969: 1)

Fortan wird in den Beiträgen der IHE-Chefredakteurin jeglicher Gedanke an Kapitulation immer wieder abgelehnt. Reinerová stützt sich dabei auf ihre Erfahrungen während der stalinistischen Säuberungen der 1950er-Jahre, aus denen sie neue Kraft zur Durchsetzung ihrer sozialistischen Überzeugungen schöpft: Wir hierzulande wissen, daß damit die Zeit gemeint ist, da in der Welt der sogen. Kalte Krieg seinen Gipfelpunkt erreichte und bei uns in der Tschechoslowakei die Deformation des sozialistischen Gesellschaftssystems ein Ausmaß, das im Grunde genommen den Verrat eben dieser Ideale bedeutete. Wie viele Kommunisten und Nichtkommunisten verbrachte ich damals eine gewisse Zeit im Gefängnis. […] Damals bin ich sehr erschrocken. Am liebsten hätte ich von der ganzen Sache gar nicht gewußt, ich war doch selbst kaum wieder frei, von Rehabilitierung war damals noch überhaupt keine Rede […] Aber nun wußte ich von der Sache und entweder stimmte, womit ich mich während meiner Haft verteidigt hatte, daß ich nämlich Kommunistin war und geblieben bin, dann mußte ich danach handeln. Oder es stimmte nicht, nicht mehr. Was sollte ich tun? Sollte und konnte ich überhaupt etwas tun? […] Wenn man begreift, daß das menschliche Leben aus unzähligen Menschenleben besteht, daß die Grenze für menschenwürdiges Handeln einzig und allein in uns selbst liegt, daß die kühnen Schritte Einzelner von ungezählten Schritten vieler gestützt und weitergeführt werden müssen – dann hat man keinen Grund zu resignieren. (Lenka Reinerová, „Die Grenze in uns selbst“, IHE April 1969: 16f.)

In diesem Artikel liefert sie eine persönliche Anekdote über einen älteren Mann, der aus jener Porzellanfabrik entlassen wurde, in der auch sie 1953 nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis arbeiten musste. Das Thema wird sie in der Erzählung Glas und Porzellan (Reinerová 2003b: 115f.) noch einmal

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v­ erarbeiten: Die Protagonistin, eine Art Alter Ego der Autorin, die durch diese Gefängnismonate gebrochen werden sollte, findet neue Kraft zum Kampf gegen die Resignation, indem sie sich dieses alten Mannes annimmt und ihn verteidigt. Die Erzählung ist ein Appell an den Widerstand gegen Ungerechtigkeit. Noch einmal geht die journalistische Arbeit einer späteren literarischen Neubearbeitung voraus, die die in IHE behandelten Themen fortführt und vertieft. In diesem Artikel findet sich auch Reinerovás allererste Anspielung auf „unser[en] Jan Palach“, der sich am 16. Januar 1969 aus Protest gegen die Besetzung seines Landes selbst verbrannt hatte und am 19. Januar gestorben war. Der Tod des 21-jährigen Prager Studenten war am Ende der Ausgabe von Februar 1969 in einem kurzen Artikel, der aus einer Rundfunkansprache von Vilém Zavada übernommen worden war („Ein tragisches Opfer“, IHE Februar 1969: 37), mitgeteilt worden. Jan Palachs Begräbnis wurde dann, im März, eine kurze Notiz mit einem Foto des Leichenzugs gewidmet („Notizblock“, IHE März 1969: 12) und im Mai 1969 eine knappe Schilderung in einem Artikel von Lenka Reinerová: „Die erschütternde Stille über dem schweigenden Zug tausender junger Menschen, die Ende Januar ihrem Gefährten Jan Palach durch die Straßen Prags das letzte Geleit geben.“ (Lenka Reinerová, „Vertrauen“, IHE Mai 1969: 16f., hier 16) Eine allererste Anspielung auf diese tragische Geste erscheint in derselben Ausgabe (Dr. Ladislav Zajac, „Einheitlich wenn auch geteilt. Die Gewerkschaften in der Föderation“, IHE Mai 1969: 34f., hier 35), aber insgesamt erweist sich die Berichterstattung über Jan Palachs Tod als äußerst zurückhaltend, was sicherlich auch die Bemühungen der tschechoslowakischen Regierung widerspiegelt, die die Folgen dieses Aktes zu begrenzen und weitere Selbstverbrennungen zu verhindern suchte (auf Jan Palachs Selbstverbrennung folgten im Februar und April jene von Jan Zajíc und Evžen Plocek, über die IHE nicht berichtet). Nichtsdestotrotz zeugt die Tatsache, dass IHE Jan Palach fünfmal würdigt, von einem tatsächlichen Willen zum Widerstand. Lenka Reinerová wird sich in einem Interview für den tschechischen Rundfunk Český Rozhlas Ende 1968 etwas ausführlicher mit diesem Drama befassen. Darin wird insbesondere die ernste Feierlichkeit und Einheit der Prager Bevölkerung fokussiert, die sich zum Begräbnis des Studenten versammelt hatte: Durch die Strasse der Prager Altstadt, in der unser kleines Redaktionshaus steht, führte der Weg des stillen Trauerzugs am Tage nach dem Tod von Jan Palach. Es war in den späten Nachmittagsstunden. Durch den feuchtkalten, graublauen Nebel zogen stumm, Reihe um Reihe, die Studenten der Prager Hochschulen und mit ihnen ihre Professoren und tausend junge und ältere Bürger unserer Stadt. Die Strasse schwieg. Kein wildes Geschrei, keine provokativen Handlungen, wie das bei ähnlichen Anlässen wohl schon in nahezu allen grossen Städten der Welt der Fall war. Später erzählte mir ein bekannter tschechischer

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Schriftsteller, der mitgezogen war, an irgendeiner Strassenecke habe jemand im Umzug eine grobe politische Losung gerufen. Im Nu wurde der Mann von zwei Studenten am Kragen erwischt und schnell und ohne überflüssiges Gerede aus dem Zug befördert. Dem Begräbnis des Studenten Palach wohnte ich auf dem Altstädter Ring bei. Als der schwere Glockenschlag von der Theinkirche ankündigte, dass der Kondukt den Platz erreichte, haben das nicht alle Menschen bis in den hintersten Reihen des tausendköpfigen Spaliers gleich begriffen. Ich sah einen älteren Herrn, der unermüdlich von einem zum anderen ging und höflich, aber energisch sagte: „Nehmen Sie bitte den Hut ab! Nimm bitte die Mütze vom Kopf!“ Ehe die Prager Posaunisten vom Balkon des Kinskypalais zum letzten Gruss ansetzten, war es so still, dass man plötzlich den kleinen Hahn der Rathausuhr auf dem grossen Platz mit der ungezählten Menschenmenge, die da Kopf an Kopf stand, krähen hörte. Natürlich war ich in diesem Augenblick, wie alle Menschen ringsum, unendlich traurig. Man dürfte kein Herz haben, um nicht so zu fühlen. Zugleich war ich jedoch auch stolz, bescheiden stolz, wenn man das so sagen kann. Man dürfte keinen Verstand haben, um nicht zu begreifen, worum es uns allen in diesem Augenblick ging.40

Auch in diesem Interview verteidigt Lenka Reinerová die seit 1968 durchgeführten Reformen, aber diese Apologie erfolgt über einen Bericht, den sie im Autobus vernimmt, was als Vorsicht der Journalistin gedeutet werden kann, ebenso wie als Versuch, zu zeigen, dass auch der gewöhnliche Bürger die Reformen befürwortet: Unlängst hörte ich im Autobus, auf dem Weg zu einer Reportage, ein Gespräch zwischen zwei Männern. Der eine sagte: „Kannst du mir erklären, wieso bei uns jetzt so oft von ex­ tremistischen Kräften die Rede ist? Wer sind sie denn? Bisher hat das kein Mensch konkret gesagt.“ Der andere antwortete in tiefem Bass: „Ich war diese Woche auf dem Kongress der tschechischen Gewerkschaften, dort habe ich auch keine gesehen. Die Studenten haben gerade jetzt bewiesen, dass sie es auch nicht sind. Wenn du mich fragst, dann sind es jene Leute, die immer noch nicht begriffen haben, dass ihre Zeit vorbei ist, dass sie niemanden vertreten, wenn sie sich auch noch an die und jene Funktion klammern. Die versuchen, Dubcek [sic], Svoboda und Cernik [sic] das Leben sauer zu machen. Und wer diesen drei oder vier im Weg stehen will, den werden eben wir beiseite räumen müssen. So sehe ich die ganze Sache.“

Der Widerstand soll auch durch einen wiederholten Aufruf zum „Vertrauen“ aktiviert werden, was sich vor allem in Reinerovás Texten manifestiert, so zum Beispiel in folgendem Auszug: Die Partei hat unter Beweis gestellt, daß sie entschlossen und mit allen damit verbundenen Risiken auf neuem Weg ausschreiten wollte. Und eine Woge neuen Vertrauens hob sie hoch. […] die entscheidende, absolut überwältigende Mehrheit stand geschlossen hinter Dubček, Svoboda, Smrkovský und Černík. An all das mußte ich denken, als ich kürzlich 40  Bei diesem Interview handelt es sich um ein undatiertes, maschinengeschriebenes und handkorrigiertes Dokument, das sich im Reinerová-Nachlass in der Berliner Akademie der Künste befindet.

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die Wochenschau vom vorigen Mai sah. Wie der unaufhaltsame Strom der Zeit zogen die fröhlichen Menschen über die flimmernde Leinwand und parallel damit zog vor meinem inneren Auge eine andere Zeitschau vorbei. Die menschenleeren Straßen an den warmen Sommerabenden im August. Die aufgeregten, verbitterten Demonstranten rund um den 50. Jahrestag der Gründung der Tschechoslowakischen Republik Ende Oktober. […] Gab es noch das Vertrauen zur Kommunistischen Partei? Wie konnte es weiter bestehen? […] Wie man sieht, ist die KPTsch trotz aller erheblichen Schwierigkeiten bemüht, die NachJanuar-Politik, wenn auch verlangsamt, zu verwirklichen. […] Es ist also keine leere Phrase, wenn in den Erklärungen und Dokumenten der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei immer wieder betont wird, daß die der Gegenwart Rechnung tragende und auf die Zukunft ausgerichtete Nach-Januar-Politik weitergeführt werden soll. Es ist keine leere Phrase, denn dieser Wunsch und dieser Wille ist in den Köpfen und Herzen von Millionen Menschen fest verankert. (Lenka Reinerová, „Vertrauen“, IHE Mai 1969: 16f.)

Dieser Intention ist auch ihr Leitartikel von Juli 1969 verpflichtet: Nur eines stört uns ein wenig in diesem Jahr. Manche unsere Besucher betrachten uns, als ob wir alle krank wären, als ob uns ein Gebrechen anhaften würde, das ihr verständnisvolles Mitleid hervorruft. […] Andere wiederum geben uns zu verstehen, daß wir unsere Pläne aufgegeben und also auch ihre Hoffnungen enttäuscht haben. Je kürzer ihr Besuch, um so endgültiger ihr Urteil. […] Darf ich Sie gerade deshalb bitten, Zufallserscheinungen nicht als typisch zu bewerten und vor allem nur den Informationen Vertrauen zu schenken, die Sie von wirklich vertrauenswürdigen Menschen erhalten. […] Wir sind weder krank, noch hinken wir auf einem Bein. Wir haben, von seiner Richtigkeit überzeugt, im Vorjahr einen schwierigen, neuen Weg eingeschlagen – und haben Schwierigkeiten. Aber wir haben weder die gute Absicht noch den Willen zur Erreichung unseres Zieles aufgegeben: Eine Gesellschaft zu errichten, in der sich jeder Mensch als Mensch fühlt. (Lenka Reinerová, IHE Juli 1969: 1)

Die Bilanz, die die Journalistin im Juni 1969 zieht, zeugt zudem von der Absicht, trotz der Misserfolge an dem festzuhalten, was zwischen Januar und August 1968 entstanden war: die Föderalisierung des Landes und das Gesetz über die nationalen Minderheiten, aber vielleicht mehr noch der im Frühjahr 1968 sich entfaltende Wille der tschechoslowakischen Bürger, am kollektiven politischen Handeln zu partizipieren: In den Sommermonaten, da gleich einer unheilvollen Wolke, unausgesprochen und doch allgegenwärtig, eine Gefahr, genauer eine Drohung über unserem Land hing, da wir mißverstanden, getadelt und schließlich gemaßregelt wurden, rückten die Menschen – gemeinsam betroffen – unwillkürlich enger zusammen. Wir hatten in überwältigender und also absoluter Mehrheit das Beste gewollt – gibt es denn etwas Besseres als Sozialismus mit menschlichem Gesicht? Man hat uns den Versuch der Verwirklichung nicht gegönnt. […] Nicht erfaßt wurde durch dieses Gesetz eine große und rapid wachsende Gruppe von Bürgern der sozialistischen Tschechoslowakei – die Zigeuner. […] Auch hier wollte man im Frühjahr des v. J. eine entscheidende Wendung herbeiführen. Dann kam die unfreiwillige Unterbrechung. Jetzt ist es endlich soweit. Ein „Bund der Bürger mit Zigeuner-Ursprung“ oder so ähnlich ist in Vorbereitung, auf Grund eines Beschlusses dieser Menschen selbst.

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[…] Zudem hat sich herausgestellt, daß die Menschen in der Tschechoslowakei vor allem freie Bahn für Tätigkeit verlangen. Sie wollen mitentscheiden und mitanpacken. Im allgemeinen und im besonderen. Das Allgemeine ist das Aktionsprogramm der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. (Lenka Reinerová, „Der Mensch neben dir und mir“, IHE Juni 1969: 14)

Bis Juni 1969 wird den Repräsentanten der Reformen das Wort erteilt: Emil Ludvík41 (Karel Strádal, „Die demokratischen Rechte sind Eigentum des Volkes. Unser Gespräch. Dr.  Emil Ludvík, Generalsekretär der Tschechischen Gesellschaft für Menschenrechte“, IHE März 1969: 28), Dubček („Sicherheit ist keine Propaganda“, IHE Mai 1969: 4) und Josef Smrkovský („Worum es geht (Auszug aus einem Artikel von Josef Smrkovský, Rudé Právo)“, IHE Juni 1969: 4). IHE publiziert auch einen Auszug aus Milan Kunderas Roman Der Scherz. Im Juni 1969 war bereits eine Tribüne von Dobroslav Matějka, einem Redakteur der Zeitschrift Mezinárodní politika [Internationale Politik]42, erschienen, der die Rolle der Tschechoslowakei in Europa thematisierte. Der Verfasser stellte – gewiss mit Vorsicht – das tschechoslowakisch-sowjetische Bündnis in Frage und betonte die europäische Verankerung der Tschechoslowakei, ihre europäischen Traditionen, die stärker als der Sozialismus seien, und erinnerte abschließend an die Lage dieses „kleinen Landes im Herzen Europas“ (Dobroslav Matějka, „Offene Tribüne. Die Tschechoslowakei und Europa“, IHE Juni 1969: 19). Die Weigerung, zu resignieren und aufzugeben, wird auch von einem humoristischen bzw. ironischen Blick auf die Ereignisse getragen, was vor allem in den Bildern und Karikaturen zum Vorschein kommt. So zeigt Karel Trinkewitz im Januar 1969 in seinem Beitrag „Das menschliche Gesicht des Sozialismus“ Fotos eines strahlenden Dubček, Smrkovský oder Černík und kommentiert: „Sie sind keine Herrscher, die sich hinter den starken Mauern alter Festungen verstecken und hinter den zusammengezogenen Vorhängen von gepanzerten Wagen durch die Stadt fahren. […]“ (Karel Trinkewitz, „Das menschliche Gesicht des Sozialismus“, IHE Januar 1969: 6f., hier 6). Somit lacht IHE den Reformfeinden gleichsam ins Gesicht.

41  Emil Ludvík (1917–2007) war Verleger, Arrangeur und Dirigent. Er gründete 1968 die tschechoslowakische Liga für Menschenrechte und gehörte dann zu den Mitunterzeichnern der Charta 77. 42  Diese Zeitschrift wurde wie IHE von Orbis herausgegeben. Sie wurde im Dezember 1969 eingestellt, aber 1990 neu gegründet und besteht noch heute. Dobroslav Matějka war von 1990 bis 2000 deren Chefredakteur.

IHE und der Einmarsch

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Abb. 14: Das menschliche Gesicht des Sozialismus, IHE Januar 1969, S. 6f.

Das Cover vom Januar 1969 wies mit dem Foto eines Kindes bereits auf den Überlebenswillen der tschechoslowakischen Nation hin. Mit dem Titel „Ich bin ein Jahr alt und muss jetzt gehen lernen“ versehen, feiert dieses Foto von Milan Škarýd metaphorisch den ersten Jahrestag der Reformen und bekundet den Wunsch nach Selbstständigkeit. Noch gewagter sind die Karikaturen der so­ wjetischen Panzer von Jiří Kalousek43, die im Januar 1969 veröffentlicht werden.

Abb. 15: Jiří Kalousek, IHE Januar 1969

Ganz im Geiste des tschechischen Romanhelden Švejk veranschaulichen sie die Fähigkeit der Tschechen und Slowaken, über die politische Tragödie zu 43  Jiří Kalousek (1925–1986) war ein tschechischer Maler, (Kinderbücher-) Illustrator und Karikaturist.

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lachen, und würdigen die Ruhe, mit der sie der Invasion die Stirn boten. Das komische und politische Kraftpotenzial dieser Karikaturen liegt im unpassenden und sinnlosen Charakter der dargestellten Situationen. Das Bild eines ehrlichen Bürgers im Anzug, der der Kanone eines Panzers die Hand schüttelt, kommt einer Umkehrung des Topos der Bruderhand gleich und ist somit auch ein Spiel mit der Charakterisierung der Sowjetunion als „großer Bruder“, ebenso wie der brüderliche Arm, den der Soldat auf die Schulter des tschechoslowakischen Bürgers legt, der mit unerhörter Gelassenheit in der Mitte der Aggressoren posiert. Das Bild der Margerite, deren Blütenblätter der Soldat abzupft, versinnbildlicht die komplizierte Beziehung zwischen Sowjets und Tschechoslowaken, und wenn dieselbe Blume auf der letzten Karikatur den Panzer bedeckt und entschärft, deutet sie auf die friedliche Widerstandsfähigkeit der Tschechoslowakei hin, offenbart aber zugleich das tragisch unausgeglichene Kräfteverhältnis.

4. Der Nachfrühling: Folgen für IHE Die „Normalisierung“ des tschechoslowakischen Regimes traf die Zeitschrift und ihre Redaktion nicht abrupt, es handelte sich vielmehr um einen allmählich ablaufenden Prozess, der mit dem Abgang des Chefredakteurs Solar begann und sich mit einer Umorganisierung der Redaktion fortsetzte, die immer mehr neue Mitarbeiter einschloss, darunter viele Slowaken, sodass der Anteil der Artikel mit slowakischer Thematik bis zur Philatelie-Rubrik, die im Juni 1969 den slowakischen General und Mitbegründer der Tschechoslowakei, Milan Ratislav Štefánik (1880–1919), würdigte, deutlich zunahm. Selbstverständlich ist dies eine Konsequenz der Einführung der Föderalisierung des tschechoslowakischen Staates, die zum „Aktionsprogramm“ der Reformer gehörte, auch wenn Solar dies im August 1968 bestritt: in diesem Heft finden Sie auffallend viel slowakische Thematik. Nicht, um damit etwa ein neues Übergewicht der Slowaken im gemeinsamen tschechoslowakischen Staat auszudrücken, wie spitzfindige Köpfe vermuten mögen, sondern traditionell wie in jedem Augustheft in Erinnerung des Slowakischen Volksaufstands, der lange vor Kriegsende, inmitten deutscher Umzingelung am 29.8.1944 begann. (G. Solar, IHE August 1968: 1)

Wie dem auch sei, die ursprünglichen Redakteure der Zeitschrift scheinen von dieser neuen Situation nicht besonders begeistert, wie Lenka R ­ einerovás

Der Nachfrühling: Folgen für IHE

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­Leitartikel von Februar 1969 bezeugt, der wie eine Mahnung an die slowakischen Mitarbeiter anmutet, indem er den Vorrang Prags gegenüber der „jung[en] [slowakischen] Republik“ mit Nachdruck betont und somit ­Reinerovás Distanzierung als Pragerin und Tschechin ausdrückt: Seit dem 1. Januar d. J. ist die Tschechoslowakei eine föderative sozialistische Republik. […] Neue organisatorische Formen sind jetzt notwendig. Dem wollen auch wir Rechnung tragen und deshalb haben wir einige Kollegen in Bratislava zu direkter, auch redaktioneller Mitarbeit verpflichtet. […] Damit erschließen wir Ihnen jedoch Neuland von außerordentlichem Reiz, denn die Slowakei ist nicht nur reich an ungewöhnlichen Naturschönheiten, die junge Republik ist begreiflicherweise ebenso reich was ihre dynamische Entwicklung auf jedem Gebiet des Lebens anbelangt. […] Wenn Prag, der Hauptstadt der ČSSR, weiterhin unsere besondere Aufmerksamkeit gilt, so ist das nur natürlich. Prag ist der Sitz des Staatsoberhauptes, der föderalen Regierung, der höchsten Gremien der KPTsch. Prag ist aber auch das Herz im Herzen Europas, der Sitz der Karlsuniversität, die legendenumwobene Stadt rebellischer Geister, in der Jan Hus predigte, Golem durch das Ghetto wandelte und Tycho de Brahe begraben liegt; die Stadt in der alljährlich das internationale Musikfest Prager Frühling stattfindet. In Prag hat der brave Josef Švejk sein Bier getrunken und Franz Kafka seine erschütternden Visionen geschrieben. In Prag sind Theater von Weltruf entstanden, hier leben Dichter und Denker, große Wissenschaftler und große Träumer. Prag war der Schauplatz des Februars 1948 und des Januars 1968. Heute lebt hier über eine Million von den 14 Millionen Tschechen und Slowaken, deren gemeinsame Heimat dieses von stürmischen Geistern bewegte, kleine Land ist. (Lenka Reinerová, IHE Februar 1969: 1)

Mit anderen Worten: Die Slowaken hätten mit der Föderalisierung bereits viel errungen und sollten sich damit zufriedengeben. Der Auszug stellt ein Beispiel für den Pragozentrismus dar, der die Slowaken so sehr empörte, und die Journalistin, deren Ausdruck ihrer Liebe zu Prag im späteren erzählerischen Werk viel subtiler wurde (Reinerová 2003b und 2006a), reiht hier touristische Klischees und historische Kürzungen aneinander.44 Werden diese Kommentare perspektivisch mit Gustáv Husáks Ziel, die tschechisch-slowakische Beziehung umzugestalten, untersucht, so vermochten solche Stellungnahmen Reinerovás Situation in der „normalisierten“ Tschechoslowakei sicherlich nicht zu verbessern. Die Wahl des Slowaken Husák zum Ersten Sekretär der KPČ im April 1969, die den Abgang des Mannes von Januar, Alexander Dubček, bedeutete, wird erst im Juni und nur in einer kurzen Notiz sowie einem knappen, Husáks Lebenslauf skizzierenden Rahmen mitgeteilt („Notizblock“, IHE Juni 1969: 18). 44  Die Darstellung des Reformprozesses als „Prager“ – also vorwiegend tschechischen – Frühling hielt lange an, und der französische Sammelband von F. Fejtö und J. Rupnik (1999) scheint bisher nach wie vor den einzigen Versuch darzustellen, die Ereignisse zugleich in ihrer tschechischen und slowakischen Dimension zu betrachten.

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Die Doppelausgabe von November/Dezember 1969, die die tiefe Erschütterung in der Redaktion dokumentiert, wofür sich Lenka Reinerová im Leitartikel bei den Lesern entschuldigt (IHE November/Dezember 1969: 1), enthält dagegen gleich auf Seite 2 die Übersetzung des Berichtes, welchen Husák Ende September 1969 dem ZK der KPČ vorlegte und in dem er die Ereignisse von August 1968 umdeutet und Dubček anklagt („Bericht Dr. Gustáv Husáks des Ersten Sekretärs, vor dem Zentralkomitee der KPTsch“, IHE November/Dezember 1969: 2 u. 53). In dieser Nummer wird außerdem in der Rubrik „Für Ihre Dokumentation“ (IHE November/Dezember 1969: 4) eine Rechtfertigung des Einmarsches, die einem Beschluss des ZK der KPČ entnommen ist, publiziert. Die ‚Normalisierung‘ der Zeitschrift lässt sich auch am Aufruf zur Rückkehr der ins Ausland ausgewanderten Tschechoslowaken ablesen, der sich zuallererst an die Ärzte wendet, die moralisch unter Druck gesetzt werden: „Jeder ehrliche Arzt, der ins Ausland ging, mußte wissen, daß er Dutzende seiner Patienten zu Hause enttäuscht.“ (Milan Škarýd, „Wo liegt die Schuld?“, IHE April 1969: 30f., hier 31). Mangels eines redaktionellen Archivbestandes fällt es schwer, die genauen Auswirkungen der Zensur auf den Inhalt der Zeitschrift zu analysieren. ­Lenka Reinerová war jedenfalls zumindest einmal der Zensur ausgesetzt. Dabei handelte es sich um einen Beitrag, der im Dezember 1969 erscheinen sollte und „Ohne große Worte“ betitelt war. In dem maschinengeschriebenen Text, der sich im Literaturarchiv der Akademie der Künste in Berlin befindet, vermerkte die Journalistin handschriftlich: „verboten vom Außenministerium, Presseabt.[eilung]“. Der Inhalt des Textes, der sich mit der Weihnachtspause befasst und zum Mitwirken jedes Einzelnen an der Förderung von Liebe und Freundschaft aufruft, wirkt eher harmlos, folglich ist das Verbot wohl als Mahnung an die Journalistin zu deuten. In dieser Normalisierungsphase stellt die „fristlose“ (Eisenbürger 1997) Entlassung der Chefredakteurin im Jahre 1970 einen ersten Wendepunkt dar. Sie wird durch Jiří Suk ersetzt und zeichnet ihre letzten drei Beiträge in der Doppelausgabe von April/Mai 1970. Parallel zu dieser Entlassung wird sie aus der KPČ ausgeschlossen und ein Publikationsverbot über sie verhängt. Ab April/Mai 1970 erscheint IHE nur noch alle zwei Monate, es gibt keinen Leitartikel und auch kein detailliertes Impressum mehr, das Inhaltsverzeichnis wird auf das mindeste reduziert, viele Beiträge sind nicht mehr namentlich gezeichnet. Ein Hamburger Leser zeigt sich darüber erregt und adressiert am 20. September 1970 einen Brief an Lenka Reinerová, in welchem er sich für ihre „einzigartige Arbeit an der Zeitschrift ‚Im Herzen Europas‘,“ ihre „Ehrlichkeit“ und ihr „hervorragendes journalistisches Können“ bedankt

Schlussfolgerung

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(Reinerová-Nachlass, Literaturarchiv der Akademie der Künste, Berlin). Er erwähnt außerdem ein „Rundschreiben vom Leiter des Zeitschriftenverlags Orbis“, der sein Vertrauen in IHE endgültig erschüttert habe. Tatsächlich befindet sich im Nachlass Reinerovás ein derartiges Schreiben von Štěpán Engel, dem Leiter des Orbis-Verlags, der sich von der bisherigen Leitlinie der IHE-Redaktion distanziert. Das Jahr 1971, in dem sich IHE durch weniger umfangreiche Nummern (33 Seiten statt 38 seit Januar 1938), eine geringe Anzahl von gezeichneten Beiträgen, die Auslassung der Namen der Beiträger im Inhaltsverzeichnis, den Abgang fast aller bisherigen Mitarbeiter und den hochgradig reduzierten Werbeanteil kennzeichnet, scheint als Übergangsjahr auf dem Weg zur endgültigen Normalisierung der Zeitschrift, die durch den Namenwechsel besiegelt wird. IHE heißt nun Tschechoslowakisches Leben: Die normalisierte Tschechoslowakei liegt nicht mehr „im Herzen Europas“, sondern wohl jenseits des Eisernen Vorhangs.

Schlussfolgerungen Die vorliegende Studie hatte sich vier Aufgaben zum Ziel gesetzt: die Geschichte von IHE nachzuzeichnen, deren Funktion als Instrument der tschechoslowakisch-deutschen und tschechoslowakisch-österreichischen Beziehungen zu untersuchen, sie in die Geschichte des Prager Frühlings einzuordnen und Lenka Reinerovás Rolle und den Stellenwert der Zeitschrift in der journalistischen und literarischen Karriere der Autorin zu eruieren. Was die Zeitschrift selbst und folglich die ersten drei Zielsetzungen anbelangt, so erweist sich IHE tatsächlich als ein Schaufenster nicht allein der Tschechoslowakei, sondern auch des Sozialismus überhaupt, wobei es darum geht, diesen für den deutschsprachigen Westen attraktiv zu machen. Das Ziel ist zunächst ein wirtschaftliches: IHE versucht, die Tschechoslowakei für Touristen und Devisen interessant zu machen bzw. die Marke Tschechoslowakei im Westen zu positionieren. Darüber hinaus sind die Absichten jedoch auch politischer Natur, da IHE als Träger der Bemühungen des Regimes erscheint, die Beziehungen mit den westdeutschen und österreichischen Nachbarn zu normalisieren, um ihre Stellung im Herzen Europas neu zu bestimmen, ja sich gar vom sowjetischen ‚großen Bruder‘ zumindest partiell zu emanzipieren. Schließlich ist ihr Ziel auch kulturell, geht es doch darum, in Europa

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einen Platz (wieder) einzunehmen, den europäischen Charakter der tschechischen und slowakischen Kultur unter Beweis zu stellen und am europäischen Gespräch teilzunehmen. Welches sind aber die Mittel, die eingesetzt werden, um die Tschechoslowakei und ihr System attraktiv zu machen? IHE greift auf vielfältige Strategien zurück, beginnend bei einer ausgefeilten Ästhetik, dem Rückgriff auf Farbe und Kunstfotografie, farbenprächtige Cover, wobei die besten Talente der damaligen tschechoslowakischen Fotografie angeworben werden. Weitere Mittel bestehen in der Qualität der Texte und Übersetzungen, in einer von Anfang an als dialogbereit und dialogfördernd präsentierten Haltung und in einem breitgefächerten Angebot sehr unterschiedlicher Themen, die von den gesamten kulturellen Leistungen der Tschechoslowakei bis hin zu Politik, Wirtschaft und Gesellschaft reichen. Dabei ging es auch um eine Förderung literarischer und künstlerischer Talente und um ein wechselseitiges Interesse an den jeweiligen Kulturen (man denke an den umfangreichen Stellenwert der deutschsprachigen Kulturen), also Versuche, unterschiedliche Positionen oder Konzepte zu überwinden bzw. zu verringern und Gemeinsamkeiten hervorzuheben, was Rückgriffe auf Berichte von Deutschen und Österreichern belegen. Nicht zuletzt kommt dem Humor eine wichtige Rolle zu, der sowohl im Ton der Zeitschrift als auch in Karikaturen und Cartoons durchscheint, für deren Präsentation oft eine Figur mit emblematischem Pseudonym, Erich Witz, verantwortlich erscheint, hinter welchem sich der Künstler Karel Trinkewitz verbirgt. Als Schaufenster des Sozialismus, von dessen Vorteilen sie zu überzeugen versucht, erscheint IHE als Veranschaulichung des „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, bereits lange bevor dieser Ausdruck 1968 geläufig wird. Die Zeitschrift bemüht sich in der Tat, der sozialistischen Tschechoslowakei ein humanes, vielfältiges Gesicht zu verleihen, dem Land Gestalt zugeben, dieses mit menschlichen und physischen Konturen zu zeichnen. Dies ist wohl eine der Funktionen der vielen Cover mit jungen hübschen Frauen oder fröhlichen Kindern sowie der vielen fotografischen Porträts, die auf den Seiten der Zeitschrift in Überfülle zu finden sind. Fest steht, dass IHE dies in hohem Maße gelingt, denn auch 50 Jahre danach lässt sich die Zeitschrift noch mit einem gewissen Vergnügen durchblättern und mit Interesse lesen. Die Bemühungen um Attraktivität kommen auch in ihrer Wandlungsfähigkeit zum Vorschein, sowohl was Form und äußere Gestaltung als auch Inhalt und Gedankengut betrifft. In dieser Hinsicht erweist sich IHE als ein Spiegel der Reformbewegung, die sich allmählich der tschechoslowakischen Gesellschaft der 1960er-Jahre bemächtigt. Tatsächlich lässt sich im Laufe von zehn Jahren eine deutliche Entwicklung feststellen: Im Jahre 1968 sind nun die Reformen

Schlussfolgerung

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und deren Erläuterung der Schlüssel zur Attraktivität des Sozialismus. Progressiv, aber relativ schnell, geht die Zeitschrift ab 1962 von einer etwas unbeholfenen Illustration von Planwirtschaft und Sozialismus zur Darstellung einer lebendigen und dynamischen Kultur über, bis IHE zum Schaufenster des Prager Frühlings und damit auch Ausdruck des politischen Strebens nach einer selbständigeren Außenpolitik wird. Es geht also darum, attraktiv zu sein, aber keineswegs in propagandistischer Weise, wie etwa eine Werbebroschüre über die Sehenswürdigkeiten des Landes, und vor allem ohne Naivität und Selbsttäuschung bezüglich des Angebotenen. IHE ist nämlich eine Kampfzeitschrift, was sie von anderen, maskiert vorgehenden soft power-Instrumenten, mit denen man sie vergleichen könnte, unterscheidet.45 Gewiss, IHE bedient sich einiger Kunstgriffe und trotz ihres Anspruchs auf Wahrheit führt sie ihre Leser in die Irre, wenn sie zum Beispiel Pseudonyme benutzt, um die geringe Anzahl der eigentlichen Redakteure zu vertuschen, oder wenn sie Leserbriefe instrumentalisiert. Aber insgesamt wird die politische Mission der Zeitschrift klar verkündet und kein Leser darum betrogen. Als Beleg dafür seien die regelmäßig an IHE adressierten Vorwürfe, sie verfalle der Propaganda und fungiere als Diener des Regimes, angeführt. Obwohl sie den Begriff Propaganda zurückweist, steht die Zeitschrift zu ihrer politischen Aufgabe, und dies in einem Kontext der ideologischen Konfrontation mit der Bundesrepublik. Sie nimmt außerdem die gewaltsame Dimension dieser Konfrontation in Kauf, wobei die Gewalt umso heftiger ist, als für die Tschechoslowakei zum ideologischen Krieg zwischen den beiden Blöcken und zum Problem der Weigerung der Bundesrepublik, die DDR und den europäischen Status quo anzuerkennen, auch noch die Vertriebenenfrage hinzukommt. Der Begriff Kampf erweist sich in mehrfacher Hinsicht als zutreffend: Die Zeitschrift ist, vor allem in ihren Anfängen, durch eine defensive Rhetorik und eine Kultur des Kalten Krieges geprägt; sie bemüht sich, die Verdienste des sozialistischen Systems zu dokumentieren und im Vergleich mit den westlichen Staaten, insbesondere der Bundesrepublik, die eigenen Vorzüge zu präsentieren. Sie wird dann konfrontativer, wenn es darum geht, unbestrafte NS-Verbrecher oder sudetendeutsche Ansprüche zu entlarven, und verfährt dabei mit großer Vehemenz, sodass von einem „Abrechnungsjournalismus“ die Rede sein kann – in Anlehnung an Walter ­Schamschula (2004), 45  Auf die durch die Regierung der Bundesrepublik herausgegebene Zeitschrift Scala Inter­ national wurde bereits hingewiesen; in gewisser Hinsicht gilt dies auch für die vom Congress for Cultural Freedom (CCF) finanzierten Zeitschriften.

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der zur Beschreibung der die NS-Vergangenheit thematisierenden Werke tschechoslowakischer Schriftsteller von „Abrechnungsliteratur“ spricht. In dieser Konfrontationslogik liegt die fundamentale Originalität der Zeitschrift, in jenem offensiven und polemischen Ton, der sie von anderen Trägern kultureller Diplomatie wie den anderen im Orbis-Verlag herausgegebenen Exportzeitschriften unterscheidet. Die Kultur wird bewusst instrumentalisiert. IHE ist zugleich „Vehikel“ und Instrument des Widerstandes gegen „politisch[e] Absichten“ (Marek 2010). In der Tat macht sie das Kulturerbe der sozialistischen Tschechoslowakei bekannt und propagiert deren Ideologie, indem sie z.  B. offizielle, von der Regierung bzw. Partei stammende Dokumente veröffentlicht. Im Jahre 1966 fragte Alexandr Ort, der damalige Vizedirektor des Ústav pro Mezinárodní Politiku a Ekonomii (ÚMPE) [Institut für internationale Politik und Wirtschaft], nach der Rolle der Kultur in der Außenpolitik und vertrat die Idee, dass die Tschechoslowakei weder durch ihre politische Macht noch durch ihre Wirtschaft eine bedeutende Rolle spielen könne, dass sie aber ungeachtet sprachlicher Hürden zu den großen kulturellen Weltmächten gehöre; daraus ergebe sich, dass die Tschechoslowaken dem kulturellen Bereich eine größere Aufmerksamkeit und bedeutendere Mittel widmen sollten (Marès 2007c: 116). IHE scheint ein Beleg dafür zu sein, dass dieses kulturelle Selbstbewusstsein insbesondere gegenüber Deutschland eingesetzt wird, zumal diese Beziehung ja ein Leitmotiv der Zeitschrift darstellt. Der Fokus auf die Kulturpolitik war umso notwendiger, als sie in Ermangelung diplomatischer Beziehungen mit der Bundesrepublik als einziger Bereich erschien, in dem Beziehungen gestaltet werden konnten. In jedem Kampf braucht es Verbündete. In dieser Hinsicht bildet die differenzierte Behandlung Österreichs mit der Herausgabe einer speziellen Zeitschrift ab 1961 eine politische Strategie gegenüber der Bundesrepublik. Angesichts der dürftigen diplomatischen Erfolge, die erzielt werden konnten, setzte Prag tatsächlich auf die österreichische Karte. Auch wenn die Tschechoslowakei mehrfach an Österreich eine mangelhafte Neutralität und seine westliche Orientierung kritisierte, erhoffte sich Prag womöglich, den neutralen Staat leichter für sich gewinnen zu können. Dennoch erscheint IHE auch als ein Instrument des innenpolitischen Widerstands, insofern als sie Anzeichen einer Liberalisierung vermittelt, von einer einzigartigen und originellen Wiederaneignung und Reintegration des deutschen kulturellen Erbes aus Prag bzw. den böhmischen Ländern zeugt, nachdem sich die Tschechoslowakei in der Zwischenkriegszeit und vor allem nach 1945 dezidiert bemüht hatte, „sich zu entdeutschen und gleichzeitig zu verwestlichen“ (Marès 2008: 219), und zumal sie schließlich eine Auffassung

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von Europa propagiert, die, gestützt auf Beneš‘ Konzept einer Tschechoslowakei als Brücke zwischen Ost und West, den Europa-Diskurs der Dissidenz der 1980er-Jahre vorwegnimmt. In dieser Hinsicht zeigt die Analyse von IHE, dass nach der Beseitigung des Eisernen Vorhangs keineswegs die Rede von einer „Rückkehr nach Europa“ sein darf, dass der Wunsch nach europäischer Verankerung bereits in den 1960er-Jahren durchaus präsent war, zumindest bei den kulturellen Eliten. Obgleich das Bild Beneš‘ in IHE keineswegs positiv ist, da die Zeitschrift vielmehr den Topos eines Verräters perpetuiert, der das Land nach dem Münchner Abkommen nicht verteidigt habe, schwebt Beneš‘ ‚Vaterschaft‘ dennoch über IHE, wie Lenka Reinerová viel später implizit eingestehen wird, indem sie IHE mit Die Prager Presse von Arne Laurin vergleicht. Die Positionierung der Zeitschrift wirft die Frage nach der Konvergenz zwischen Ost und West auf, d.  h. jener Theorie, nach welcher die Unterschiede zwischen den beiden Systemen sich aufgrund der Fortschritte der Industrialisierung der Sowjetunion verringern sollten. Jene Idee der Konvergenz, die jedoch vielmehr als die Möglichkeit einer kulturellen Annäherung auf der Ebene gemeinsamer Werte gedeutet wird, liegt dem Band von Martin Schulze Wessel über den Prager Frühling zugrunde. Der Historiker weist auf die „allmählich[e] kulturell[e] Abgrenzung von der Sowjetunion, die in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre begann“ (Schulze Wessel 2018: 135) und die eines der Charakteristika des Prager Frühlings darstelle, hin. Die Idee der Konvergenz taucht auch bei Radovan Richta ebenso wie bei Ota Šik auf, ohne dass dieser den Begriff explizit benutzt (Schulze Wessel 2018: 78 u. 106), und sie manifestiert sich zudem in der Tatsache, dass sich die Tschechoslowakei im Prager Frühling ihrer Zugehörigkeit zum mitteleuropäischen Raum wieder bewusst wird und somit die Mitteleuropadiskussion der 1980er vorbereitet (Schulze Wessel 2018: 136f.). So definiert, entspricht die Idee der Konvergenz völlig der Zeitschrift IHE, die sich, wie in der vorliegenden Studie aufgezeigt wurde, dafür einsetzt, dass die Tschechoslowakei nicht als ein osteuropäisches Land betrachtet wird, und die unablässig verkündet, dass das Land einen Vorposten im kommunistischen Block darstelle und im Kern Europas liege. In Bezug auf die tschechische Musik der 1960er schrieb Lenka Stránská (2007: 327), dass diese Jahre für die böhmischen Länder die Möglichkeit bedeuten würden, einen neuen Platz in Europa auszuhandeln. Diese Formulierung scheint auf IHE weitgehend zuzutreffen. IHE wird von der Figur Lenka Reinerovás getragen und verkörpert. Diese entwickelt in der Zeitschrift eine einzigartige Form von Journalismus, die an der Grenze zwischen Intim-Individuellem und großer Geschichte liegt, und eine persönliche Schreibweise, deren Resonanzen mit dem später

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­entstandenen und noch viel später publizierten literarischen Werk zahlreich sind. Lenka Reinerová, die in einem Gespräch mit Günter Caspar Anfang der 1980er bescheiden mitteilte, sie „habe sich nie als Schriftstellerin betrachtet“, sondern nur als „eine Journalistin, die gerne Geschichten schreibt und ab und zu mal ein Buch herausbringt“ (Mehnert 2005: 89), schlug durchaus, bewusst oder unbewusst, mehrfach Brücken zwischen ihrem journalistischen und schriftstellerischen Werk. Die Bescheidenheit, die sie im oben zitierten Interview an den Tag legt, steht zudem in Kontrast mit der Aggressivität, die sie in den 1950er- und 1960er-Jahren kennzeichnete, als sie versuchte, ihren Status als Schriftstellerin und Journalistin zu behaupten, als sie mit massiven Hindernissen bei der Publikation ihrer Erzählung Barva slunci a noci konfrontiert war und als sie Versuche unternahm, um Mitglied im tschechoslowakischen Schriftstellerverband zu werden. Die erste Brücke zwischen Journalismus und Literatur fußt in der Schreibweise und im Stil selbst. Verschiedene Beispiele wurden erläutert, diese seien hier kurz zusammengefasst: Reinerovás Kunst des physischen Porträts, der häufige Rückgriff auf Satire, auf Humor und Ironie, die einer noch tiefergehenden Analyse im Erzählwerk Reinerovás wert wären, der dramatische Aufbau ihrer Artikel, die oft wie kurze Dramen oder Novellen konstruiert sind, die Rezeption von literarischen Einflüssen (wie etwa intertextuelle Bezüge auf Texte von Anna Seghers veranschaulichen), ähnliche Schreibverfahren, die sowohl in den journalistischen Beiträgen als auch in den Erzählungen vorzufinden sind (die genaue Datierung der Ereignisse und die ausgeschriebenen Zahlen, wenn es um Opferzahlen geht), wobei ein journalistischer Artikel sich als die erste Fassung einer späteren Erzählung erweisen kann (wie im Fall des Artikels „Wege zur Freiheit. Am Schwanensee“, der den späteren Text Der Ausflug zum Schwanensee veranlasste, oder „Meine Heimat, mein Prag“, der dann in Zu Hause in Prag manchmal auch anderswo wieder verarbeitet wird). Im autobiografischen Bericht Alle Farben der Sonne und der Nacht verwendet Reinerová zur Beschreibung der Nazis innerhalb der sudetendeutschen Partei das gleiche Vokabular wie in den IHE-Artikeln, in denen sie Mitglieder der Sudetendeutschen Landsmannschaft anprangerte: „Schreihälse“, „Krakeeler“, „Schläger“, Autoren von „Hetzreden“, die mit „Ratten [, die] geschwind aus ihren Löchern krochen“ (Reinerová 2005: 63 u. 24). Gewollt oder ungewollt zieht Reinerová mit dem Gebrauch dieses Wortfeldes eine Parallele zwischen Nazis und Sudetendeutscher Landsmannschaft. In diesem Fall gleicht der Stil der Erzählungen jenem der journalistischen Beiträge. Andere Beispiele ließen sich anführen, wie etwa der Ausdruck „von dem hier die Rede ist“, der im Erzählwerk häufig vorkommt (Reinerová 2007b: 10; 2003b: 200) und vielmehr

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auf einen journalistischen Standpunkt hinweist: Es wird mehr über etwas berichtet, als dass es erzählt wird. Eine weitere Brücke zwischen Journalismus und Literatur ist eine thematische. Fehlt die Problematik der tschechisch-deutschen Beziehungen, und mehr noch der Vertreibungen, schließlich im literarischen Werk,46 steht dennoch fest, dass Reinerovás Erinnerungsarbeit bezüglich der NS-Vergangenheit und des Holocaust – das zentrale Thema ihres literarischen Werks – mit IHE einsetzt. In der Zeitschrift geht sie auf Spurensuche nach unbestraften NS-Verbrechern und entlarvt diese. In der Erzählung Unterwegs mit Franz ­Schubert etwa, schafft sie mit der Figur des respektabel erscheinenden ehemaligen SS-Mannes ein Musterbild skandalöser Straffreiheit. Dieses Motiv und jenes des stets möglichen Wiederauflebens des Bösen tauchen in Reinerovás Erzählungen immer wieder auf: Man denke an die Figur der Carmen Maria Mory in Der Ausflug zum Schwanensee, an das Unternehmen I. G. Farben in Kein Mensch auf der Straße oder auch an die Figur des SS-Offiziers Walter Rauff, den die Erzählerin in seinem chilenischen Haus neben seiner liebenden Gattin portraitiert (Reinerová 2003b: 218f.). Diese Szene weist starke Ähnlichkeiten mit jener des Artikels „Statt eines Glückwunsches aus der Heimat“ (IHE, April 1967) auf, der im dritten Teil der vorliegenden Studie kommentiert wurde. Auch in IHE wird mit dem Artikel „Meine Heimat, mein Prag“ als Reaktion auf den Einmarsch vom 21. August 1968 jene Prager Thematik eingeführt, die dann zum Spezialgebiet der „letzten Vertreterin der deutschsprachigen Prager Literatur“ wird. Die Ereignisse des Jahres 1968 bekräftigen endgültig die Bindung der Autorin an ihre Heimatstadt, die sie nun nicht mehr verlassen will, trotz der repressiven Maßnahmen, denen sie ausgesetzt ist, wie z. B. des Verbotes, ihren Beruf als Journalistin auszuüben und zu publizieren. Im kleinen IHE-Redaktionsteam ist sie die Einzige, die nach 1968 nicht emigriert. Schließlich findet die in IHE vorgenommene Reintegration des deutschsprachigen Erbes in das tschechoslowakische Kulturerbe eine Fortsetzung in 46  Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet im Anna Seghers gewidmeten Porträt die Schilderung Dresdens, dessen Ruinen sie im Januar 1951 auf einer Reise nach Berlin entdeckt. Die in Trümmern liegende Stadt ruft bei der Erzählerin unmittelbar Belgrad in Erinnerung. Angesichts dieser Vision Dresdens stößt das Mitleid Reinerovás jedoch auf Grenzen, vielmehr lässt sie die Idee eines letztendlich gerechtfertigten Schicksals und der Kollektivschuld der Deutschen zum Vorschein kommen: „Aber hier wurde der Krieg begonnen! Gewiß, diese Stadt und Tausende Menschenleben in ihr hätten nicht mehr vernichtet werden dürfen, die Niederlage Deutschlands war an jenen Tagen schon besiegelt. Allein die, die nahezu die Hälfte aller Häuser in Belgrad wegrasiert hatten, waren aus diesem Land gekommen. Hier wurde der Krieg begonnen.“ (Reinerová 2006b: 146f.).

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der Gründung des Prager Literaturhauses deutschsprachiger Autoren, die im Jahre 2004 auf Initiative von Lenka Reinerová erfolgt. Wer die Gelegenheit zu einem Besuch des Prager Literaturhaus hat, der wird feststellen können, dass die aus der Privatbibliothek der Autorin stammenden IHE-Bände dort einen sichtbaren Platz gefunden haben.

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Literatur

1. Quellen 1.1 Archivquellen Literaturarchiv, Akademie der Künste, Berlin: Nachlass von Lenka Reinerová (unsortiert). Literaturarchiv Památník Národního Písemnictví, Prag: Nachlass von Lenka Reinerová (unsortiert). Archiv der Sicherheitsorgane [Archiv bezpečnostních složek], Prag. Tschechisches Nationalarchiv, Prag: Orbis-Bestand.



1.2 Zeitschriften

Im Herzen Europas. Tschechoslowakische Monatsschrift. Prag, Orbis, 1958–1970. Wir und Sie im Herzen Europas. Tschechoslowakische Monatsschrift. Prag, Orbis, 1961–1970. La vie tchécoslovaque. Prag, Orbis, 1953–1993. Czechoslovak Life. Prag, Orbis, 1946–1992. Livet i Tjeckoslovakien. Prag, Orbis, 1953–1958. Vita ceccoslovacca. Prag, Orbis. La Vida checoslovaca. Prag Orbis, 1980–1988. DDR Revue, Magazin aus der Deutschen Demokratischen Republik, hrsg. von der Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland. Berlin, 1956–1990.



1.3 Schriften von Lenka Reinerová

Reinerová, Lenka (2007a): Das Geheimnis der nächsten Minuten. Berlin: Aufbau. Reinerová, Lenka (2007b) [1998]: Mandelduft. Erzählungen. Berlin: Aufbau. Reinerová, Lenka (2006a) [2005]: Närrisches Prag. Berlin: Aufbau. Reinerová, Lenka (2006b) [1985]: Es begann in der Melantrichgasse. Erinnerungen an Weiskopf, Kisch, Uhse und die Seghers. Berlin: Aufbau. Reinerová, Lenka (2005) [2003]: Alle Farben der Sonne und der Nacht. Berlin: Aufbau. Reinerová, Lenka (2003a) [2000]: Zu Hause in Prag manchmal auch anderswo. Erzählungen. Berlin: Aufbau.

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Literatur und Anhang

Reinerová, Lenka (2003b) [1983]: Das Traumcafé einer Pragerin. Erzählungen. Berlin: Aufbau. Reinerová, Lenka (1989): Die Premiere. Erinnerungen an einen denkwürdigen Theaterabend und andere Begebenheiten. Berlin: Aufbau. Reinerová, Lenka (1983): Frauen. – In: Reinerová, Lenka, Der Ausflug zum Schwanensee. Berlin: Aufbau, 7–55. Reinerová, Lenka (1969), Barva slunce a noci [Die Farbe der Sonne und der Nacht]. Praha: Svoboda. Reinerová, Lenka (1962): Ein für allemal. Berlin: Neues Leben. Reinerová, Lenka (1958): Grenze geschlossen. Berlin: Neues Leben.



1.4 Gespräche mit Lenka Reinerová

Bock, Sigrid (1994/3): Die Farbe der Sonne und der Nacht. Gespräch mit Lenka Reinerová. – In: Argonautenschiff, 127–139. Danyel, Jürgen (2000): Erinnerung an die Kafka-Konferenz in Liblice: Dokumentation eines Rundtischgespräches mit Klaus Hermsdorf, Werner Mittenzwei, Lenka Reinerová und Adolf Dresen zur Jahrestagung 1999 in Potsdam. – In: Argonautenschiff 9, 80–101. Eisenbürger, Gert (1997): Ich habe es trotzdem überlebt. Interview mit der tschechischen Schriftstellerin Lenka Reinerová. – In: ila 210 (November), 40– 48 [12.10.2021]. Lenka Reinerová. Prags letzte deutschsprachige Autorin, tvschoenfilm 2007, 22‘44‘‘, gefördert durch die Robert Bosch Stiftung. Reinerová, Lenka (2008): Närrisch an das Leben glauben. Lenka Reinerová im Gespräch mit Norbert Schreiber, Klagenfurt/Celovec: Wieser. Reinerová, Lenka (2019), „Ich hatte die Vision einer gerechteren Ordnung“. – In: Doerry, Martin, „Nirgendwo und überall zu Haus“. Gespräche mit Überlebenden des Holocaust. München: DVA, 194–203.

2. Literatur Ahonen, Pertti (2010): The Influence of Expellees and Their Organizations on West German and East German Policies toward Czechoslovakia. – In: Buchheim, Christoph/Ivaničková, Edita/Kaiserová, Kristina/Zimmermann Volker (Hgg.), Die Tschechoslowakei und die beiden deutschen Staaten. Essen: Klartext, 29–50.

Literatur und Anhang

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Literatur und Anhang

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320

Literatur und Anhang

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Literatur und Anhang

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Literatur und Anhang

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Anhang Dokument 1: Liste der von Januar 1958 bis Mai 1970 erschienenen IHE-Artikel Lenka Reinerovás. In Klammern angeführt sind der Name bzw. das Kürzel, mit dem Lenka Reinerová den Beitrag zeichnete. 1958

Januar Ein Sommernachtstraum als Puppenfilm (L.R.) Das Tagebuch der Anne Frank im Tschechoslowakischen Armeetheater (Inka Malá) Februar Jahrgang 21. Eva Kotthaus in einem tschechoslowakisch-deutschen Gemeinschaftsfilm Ballsaison (–lka) So eine Liebe. Zu einer Premiere im Prager Realistischen Theater (Inka Malá) März Osteressen in der mährischen Slowakei (–lka) April Frühling in den Prager Gärten (–lka) Junges Blut. Ein Film über Jugendprobleme (L.R.) Mai Erster Mai, texte accompagnant le reportage-photo de V. Jírů (–lka) Die Erfindung des Verderbens. Ein neuer Film nach einem Stoff von Jules Vernes (L.R.) Juni Menschenauflauf auf dem Prager Wenzelsplatz (Lenka Reinerová) Die Schule ist aus (–lka) Die Erschaffung der Welt. Ein abendfüllender Zeichenfilm (L.R.) Die Ballade vom Till Eulenspiegel (Inka Malá) Juli Besuch zu Hause, eine Bildfolge von M. Hrušková (–lka) Alljährliches Stelldichein der Filmwelt (L.R.) August Spätsommer im Hochgebirge (–lka) Oktober Prag im Festgewand. Bildfolge (–lka)

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Literatur und Anhang

Das schwarze Bataillon (L.R.) November Fischfang in Südböhmen. Bildfolge (–lka) Hier sind Löwen (L.R.) E.F. Burian und sein D34 (Inka Malá) Dezember Die Stimme der Glocken (Lenka Reinerová) Und wieder einmal Weihnachten. Bildfolge (-lka) Ein Mondscheinmärchen. Ein farbiger Kurzfilm (L.R.) Zehn Jahre Theater der Musik (Inka Malá) 1959

Januar Was erwarten Sie vom Neuen Jahr 1959? Bildfolge (–lka) Bürger Brych. Ein tschechoslowakischer Cinemoscope Film (L.R.) Die letzte Station. Zur Aufführung in Brünn (Inka Malá) Februar Als der Postbote ging (Lenka Reinerová) Tanzstunden. Bildfolge (–lka) März Märzschnee in der niederen Tatra. Bildfolge (–lka) Der Weg zurück. (L.R.) Augustsonntag. Ein Theaterstück von František Hrubín (Inka Malá) April Prager Würstchen. Bildfolge (–lka) Der Haupttreffer. Ein farbiges Filmlustspiel (L.R.) Mai Spät abends wars, am ersten Mai …Bildfolge (–lka) Maisterne. Ein Film tschechoslowakisch-sowjetischer Koproduktion (L.R.) Juni Schmetterlinge leben hier nicht. Zu einem farbigen Filmdokument (Lenka Reinerová) Juli Epidemie Wochenendhäuser. Bildfolge (-lka) Der Tod im Sattel. Ein farbiger Breitwandfilm (L.R.) Jesse B. Simple heiratet (Inka Malá) August Forellenfang. Bildfolge (-lka) Der Knoten im Taschentuch. Ein kombinierter Spiel- und Puppenfilm (L.R.)

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Literatur und Anhang

Mitternachtsmesse (Inka Malá) September Weinlese unter den Karpathen. Bildfolge (–lka) Jan Kašpar muss leben (L.R.) Oktober China in Prag. Bildfolge (–lka) November Aquarium Waggonfabrik Tatra. Bildfolge (–lka) Dezember Zu Besuch jenseits der Grenze (Lenka Reinerová) 1960

Januar Wenn es ordentlich schneit ist der Frühling nicht mehr weit (–lka) Der Blick in die Augen. Ein neues Zeitstück im Prager realistischen Theater (Inka Malá) Februar Zahltag bei Kuchen und Braten. Eine Bildfolge von V. Kačer und J. Pacovský (–lka) Deutsche Übersetzung von „Die eiserne Decke“ von Bohuslav Březovský März Begegnungen (Lenka Reinerová) Lesendes Prag. Bildfolge von Jindřich Marco (–lka) Achtung! Ein farbiger Zeichenfilm (L.R.) Der Mann vom Dachboden (Inka Malá) April Mit der Tschechischen Philarmonie in drei Weltteilen. Ein Bildbericht (-lka) Romeo, Julia und die Finsternis (L.R.) Mai Die Probe geht weiter. Ein Spielfilm aus Theaterkreisen (L.R.) Siehe, eine Versuchung! Eine tschechische Premiere im Prager S.K. NeumannTheater (Inka Malá) Juni Deutsche Übersetzung eines Textes von Peter Karvaš Juli Wo der Teufel nicht hin kann (L.R.) August Die Tschechoslowakei 1960. Eindrücke von der Jubiläumsausstellung (Lenka Reinerová)

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Literatur und Anhang

Das höhere Prinzip. Ein Film über die gleichnamige Erzählung Jan Drdas (L.R.) September Spartakiade (Lenka Reinerová) Der neue Polyecran (L.R.) Kinder von Glasarbeitern machen Urlaub (–lka) Oktober Lebendige Geschichte (-lka) Havířov, die jüngste Stadt der Republik (Lenka Reinerová) Trauben in der Sonne (Inka Malá) November Fibeln – Füllfedern – Rechenschieber kauft der Staat. Eine Bildfolge von R. Vejvoda (–lka) Dem Abgrund entgegen (L.R.) Dezember In Frieden leben! (Lenka Reinerová) Kleiner Mann auf Entdeckungsfahrt. Eine Bildfolge von Svatopluk Sova (– lka) Der Gast. Zur Premiere im Prager Armeetheater (Inka Malá) 1961 Januar Es waren einmal zwei (Inka Malá) Februar Träume der Jugend. Gedichte (–lka) Deutsche Übersetzung eines Textes von Jindřiška Smetanová März Überall leben Menschen. Ein tschechoslowakischer Gegenwartsfilm (L.R.) April Dobrý den, Rakotomalala! Eine Bildfolge von Milan Skarýd (–lka) Lehrfach Konzerte (Lenka Reinerová) Baron Münchhausen. Ein neuer Film von Karel Zeman (L.R.) Der Sheriff kehrt zurück. Ein neues Stück von Milan Jariš (Inka Malá) Mai Darum (Lenka Reinerová) Ein Lied des Friedens und ein Lied vom Mai. Eine Bildfolge von Svatopluk Sova (–lka) Die Ankläger. Ein Filmlustspiel aus dörflichem Milieu (L.R.) Deutsche Übersetzung eines Textes von Milena Honzíková

Literatur und Anhang

331

Juni Zu Gast in Prag. Der Besuch J.A. Gagarin (–lka) An der silbergrauen Moldau. Eine Bildfolge von J. Marco und O. Rakovec (–lka) Südmährisches Hellas (–lka und G. Jesenius = G. Solar) Hašek und der geheime Vinca. Ein lustiges Kaleidoskop mit Liedern, Musik und Tanz (Inka Malá) Juli Im Wald. Eine Bildfolge von O. Novák (–lka) Anschauungsunterricht in sozialistischer Demokratie (Lenka Reinerová) Die fünfte Abteilung. Ein tschechoslowakischer Spannungsfilm (L.R.) Kristallklare Nacht. Ein neues Stück von František Hrubín (Inka Malá) August Das Lied von der grauen Taube. Eine slowakische Filmballade (L.R.) September Spejbls und Hurvíneks Abstecher aufs Land (Inka Malá) Oktober Prager Venedig. Eine Bildfolge von Zdeněk Voželínek (–lka) Wo ein Alibi nicht genügt. Der zweite Film über den Kriminalbeamten Tůma (L.R.) November Kurgast Karl Marx. Eine Bildfolge von Milan Škarýd (–lka) Charleston um sechs Uhr früh. Debut einer Brünner Kleinkunstbühne (Inka Malá) Dezember Die Farbe der Sonne (Lenka Reinerová) Und das am Heiligabend. Eine Komödie von Vratislav Blažek (Inka Malá) 1962 Januar Politiker, Wissenschaftler, Künstler diskutieren. Offene Tribüne (Lenka Reinerová) Februar Jungsein ist schön, Bildfolge (-lka) Junitage (L.R.) März Das alte Karlsbad ist nicht mehr. Das neue ist uns viel sympathischer (Lenka Reinerová) Weltpremiere in Prag. Erste Begegnung mit Karlludwig Opitz (L.R.)

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Literatur und Anhang

April Der Schauspieler Walter Taub (Lenka Reinerová) Mai Seit früh Musik (–lka,) Deutsche Übersetzung eines Textes von Rudolf Jašík Um Krone und Liebe (Inka Malá) Juni Auf Du und Du mit der Natur. Eine Bildfolge über Kinder (–lka) Freiheit, die wir meinen. Offene Tribüne (Lenka Reinerová) Juli Nicht alle Tage (-lka) August Durst. Bildfolge (-lka) Zwiegespräch mit einem Unsichtbaren (Lenka Reinerová) Künftige Olympia (L.R.) Deutsche Übersetzung eines Textes von Adolf Hoffmeister September Spiegelgespräch (Lenka Reinerová) Oktober Theaterbesuch in München und Hamburg (Lenka Reinerová) November Nochmals zur „Freiheit, die wir meinen“ (L.R.) Dezember La dolce vita in Zellophan und Pappkarton. Besuch in einer Prager Scholokadefabrik (–lka) Diese 365 Tage (Lenka Reinerová) Grüne Horizonte. Ein Spielfilm aus der ČSSR (L.R.) Hoffmanns Erzählungen in der Laterna Magica (Inka Malá) 1963 Januar Deutsche Übersetzung eines Textes von Ludvík Aškenazy Anabasis eines Malers (Lenka Reinerová) Schwejk ein wenig anders (Inka Malá) Februar Auch Twist. Bildfolge (-lka) März Unter uns meine Lieben. Offene Tribüne (Lenka Reinerová)

Literatur und Anhang

333

Deutsche Übersetzung eines Auszuges aus dem Drehbuch von „Die Festung am Rhein“ April Kein richtiger Messebesucher (L.R.) Die Sonne im Netz. Preis der Tschechoslowakischen Filmkritik 1963 (L.R.) Bürger der ČSSR. Jiří Suchý (Inka Malá) Mai Eine neue Erfahrung (Lenka Reinerová) Anežka Hodinová-Spurná (L.R.) Wie wollen wir morgen leben? Moralische Probleme der Menschen des XX. Jahrhunderts (L.R.) Der Krieg mit den Molchen. Pavel Kohout dramatisierte den berühmten Roman Karel Čapeks (Inka Malá) Juni Die Welt ist schön, man muß es nur sehen (–lka) Diesen Frühling in Karlsbad. Offene Tribüne (Lenka Reinerová) Gleichzeitig auch die Kinder (Amargo) Juli In der Kirche ist ein Kern. Bildfolge (–lka) Du bist nicht dabei gewesen (Amargo) August Unser Porträt: Peter Karvaš (I.M. = Inka Malá) Die Narbe. Ein neues Schauspiel von Peter Karvaš (Lenka Reinerová) Der Tod nennt sich Engelchen (L.R.) Einen anderen Himmel? (Amargo) September Ehe und Familie von heute (L.R.) Keine Angst vor neuen Hüten (-lka) Lohn des Mutes (Amargo) Drache bleibt Drache und Hamlet IV. (Inka Malá) Oktober Einkopf ? Offene Tribüne (Lenka Reinerová) Die berühmteste Frau (–lka) Transport aus dem Paradies (L.R.) Ernstnehmen? (Amargo) November Überrascht von der großen Herzlichkeit (lr) Dezember Am Seil (L.R.)

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Literatur und Anhang

1964 Januar Was wäre, wenn …Ein Neujahrsmärchen (Lenka Reinerová) Deutsche Übersetzung eines Textes von Anton Hykisch Hiroschima (Inka Malá) Februar Deutsche Übersetzung eines Auszuges aus Das Gartenfest von Václav Havel März Neue Berufe für Mädchen (–lka) April Unter nackten Wölfen (Lenka Reinerová) Widmungen (L.R.) Mai Prager Mai. Bildfolge (-lka) Zu Gast im Herzen Europas (L.R.) Durchaus persönlich. Offene Tribüne (Lenka Reinerová) Juni Als Gast beim Club Voltaire (Lenka Reinerová) Deutsche Übersetzung eines Textes von Ivan Vyskočil Juli Jeder Schuss … (Lenka Reinerová) Schwarzer Peter. Eine Filmkomödie nicht nur über junge Menschen (L.R.) Faschingsende (Inka Malá) August Poesie im Leben des Menschen (L.R.) Füchse, gute Nacht (Inka Malá) September Wer hätte das gedacht! Schnappschüsse aus dem Fremdenverkehr von O. Karásek (–lka) Deutsche Übersetzung eines Textes von Martin Friš Oktober Deutsche Übersetzung eines Textes von Ivo Fleischmann Der Bürgermeister zur Aufführung von Gert Hofmanns Stück in Prag (Inka Malá) November Deutsche Übersetzung des Textes  „Antifaschismus – Dein Name ist Menschlichkeit!“ von Laco Novomeský. Keine Generalamnestie für Kriegsverbrecher (Lenka Reinerová) Der Angeklagte. Hauptpreis des XIV. Filmfestivals in Karlsbad 1964 (L.R.)

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Literatur und Anhang

Dezember Herz und Weihnachtsmann (–lka) Piňata. Offene Tribüne (Lenka Reinerová) Deutsche Übersetzung eines Textes von Petr Karvaš Wir sangen Arizona (L.R.) Schade um den Samstag! (Inka Malá) 1965

Januar Das Gartenfest in Westberlin (Lenka Reinerová) Februar Die neue Sachlage (Lenka Reinerová) März Talent gesucht (–lka) Deutsche Übersetzung des Textes „Die Fähigkeit und Freiheit zu begreifen. Zweiter offener Brief L. Mňačkos an Rolf Hochhuth“. Deutsche Übersetzung eines Textes von Ladislav Fuks Die grosse Perücke. Uraufführung in Bratislava (Lenka Reinerová) April Zeit zum Leben. Bildfolge (-lka und Jarmíla Slováková) Egon Erwin Kisch wäre 80 Jahre alt (Lenka Reinerová) …und der fünfte Reiter ist die Angst (Lenka Reinerová) Mai Diesmal in der Tschechoslowakei (–lka) Aufatmen. Offene Tribüne (Lenka Reinerová) Gewissen kennt keine Verjährung (Amargo) Juni So ein Tag sollte einen Namen haben (-lka) Mehr oder weniger Verbrechen (Lenka Reinerová) Weil es die Wahrheit ist (Lenka Reinerová) Deutsche Übersetzung eines Textes von Nataša Tánská Juli Ein verregneter Sonntag (–lka) München ist nicht nur München (Lenka Reinerová) Sein oder Nichtsein. Kurt Goldberger drehte die Geschichte der PugwashBewegung (L.R.) In Sache Robert J. Oppenheimer (Inka Malá) August Deutsche Übersetzung eines Textes von Dušan Kužel

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Literatur und Anhang

Uraufführung im slowakischen Nationaltheater. Die Mühle. Eine Tragigroteske (Lenka Reinerová) Der Laden auf der Hauptstrasse (L.R.) September Ein unbekanntes Kapitel (Lenka Reinerová) Aus unserer Briefmappe (Lenka Reinerová) Eine mittelalterliche Liebesromanze (L.R.) Das Schloss Franz Kafka/Max Brod (Inka Malá) Oktober Jugendredaktion auf Reisen (–lka) Unvergessen – Warum nicht? (Lenka Reinerová) Alternative Zeitschrift für Literatur und Diskussion. Sonderheft Tschechoslowakei (L.R.) November „…notfalls ganz Russland erobern“ (Lenka Reinerová) Wie ist „Das Haus in der Karpfengasse“ angekommen? Kurt Hoffmann auf einer Pressekonferenz in Prag (L.R.) Deutsche Übersetzung eines Textes von Hana Prošková Es lebe die Republik! (L.R.) Ein Schloss. Eine tschechische Tragigroteske vor ihrer deutschen Uraufführung in Düsseldorf (Inka Malá) Dezember Unser Zeichner ist diesmal Alena Jíravová (L.R.) Ohne Schneeflocken und Glockenklang. Offene Tribüne (Lenka Reinerová) In Hamburg vor Anker. Besuch im Hafenbecken der ČSSR (L.R. und E. Pospisil) Deutsche Übersetzung eines Textes von Jozef Kot 1966 Januar 7 Katzen und 6000 Persönlichkeiten (–lka) Zu Besuch bei Ladislav Fialka (Lenka Reinerová) Radiophonische Kunst aus Prag zu Gast beim Norddeutschen Rundfunk (L.R. mit E. Pospisil) Die Liebe eines Blondkopfs. Eine Filmkomödie (L.R.) Narren oder: Der merkwürdige Traum eines Clowns (Inka Malá) Februar Gespräche in Prag (L.R.) Berliner Begegnungen (Lenka Reinerová)

Literatur und Anhang

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Deutsche Übersetzung eines Textes von Jiří Brdečka März Zu kluge Frauen? Offene Tribüne (Lenka Reinerová) April Wie liest man so ein Buch? (Lenka Reinerová) Bratislava und Prag spielen Hochhuth. Zur Erstaufführung des „Stellvertreters“ in der ČSSR (L.R.) Deutsche Übersetzung eines Textes von Peter Balgha Achtung, Aufnahme! Ein Westdeutscher dreht die Prager Fakultät (L.R. mit L.K.) Mai Und die Zukunft hat schon begonnen. Welche? Und für wen? (Lenka ­Reinerová) Juni Bigbeat im Kindergarten. Bildfolge von Milena Hrušková (mh und lka) Deutsche Übersetzung eines Textes von Jana Černá Intime Beleuchtung (L.R.) Chansons Witz Philosophie (Inka Malá) Juli Auch Menschen … (Lenka Reinerová) Deutsche Übersetzung eines Textes von Jaroslav Putík Die Riesen schlafen nicht – 150 Jahre deutsche Freiheitsrufe (L.R.) Universum der tschechoslowakischen Literatur und Kunst (–lka) Manche verlassen den Zuschauerraum (–lka) Was wurde gespielt? Zum Ende der Prager Theatersaison (Inka Malá) August Die offene Frage (L.R.) Mit der Schere gelesen (–lka) Die Sünderin klagt die Finsternis. Zu einer Premiere im Staatlichen Schauspielhaus von Bratislava (Lenka Reinerová) Die Pfeifen. Eine Koproduktion mit der österreichischen Filiale des Constantin Film, München (L.R.) September Lieber Rainer Wagner aus Bonn (Lenka Reinerová) Deutsche Übersetzung eines Textes von Peter Karvaš Rainer Maria Rilke, Prag, Böhmen und die Tschechen (L.R.) Die Dame auf dem Geleise. Ein Film-Musical (L.R.) Oktober Alle Menschen haben Kinder (Lenka Reinerová)

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Literatur und Anhang

November Flaggen auf Halbmast (Lenka Reinerová) Deutsche Übersetzung eines Textes von Karel Eichler Theater hinterm Tor (Inka Malá) Dezember Ende gut, alles gut? Offene Tribüne (Lenka Reinerová) Deutsche Übersetzung eines Textes von Miroslav Horníček Tausend feuriger Schwerter (L.R.) Zu Besuch bei Miroslav Horníček (Lenka Reinerová) Komödie über das Martyrium und die glorreiche Auferstehung unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus (Inka Malá) 1967 Januar Was ist und was nicht ist. Nach einem Besuch in Westberlin (Lenka Reinerová) Transit Carlsbad. Ein Film über Menschen in gefährlicher Aktion (L.R) Februar Februarnacht lustige Nacht. Eine Bildfolge von Oldřich Karásek (–lka) Im Romanischen Café (Lenka Reinerová) Scharf beobachtete Züge. Hauptpreis in Mannheim 1966 (L.R.) Müllers Esel, der bist du! (Inka Malá) März Märzveilchen (Lenka Reinerová) Deutsche Übersetzung eines Textes von Sylva Daníčková Wir haben zusammengestanden (L.R.) Eine Frau sollst du selbst mit einer Blume nicht schlagen. Die tragischen Schicksale eines Mannes, der nicht nein sagen kann (L.R.) Das „Grandlager‘. Eine Komödie über Motive aus John Steinbecks Kalifornischen Novellen (Inka Malá) Sartre und Camus. Aufgeführt in Bratislava (I.M.) April Statt eines Glückwunsches aus der Heimat (Lenka Reinerová) Gesang einer Giftschlange (lr) Revue aus der Kiste. Die Laterna Magica in Montreal (L.R.) Abraxas. Ein Ballett von Werner Egk im Janáček-Theater in Brünn (Inka Malá) Mai Fünfzehn wurden ausgewählt (–lka mit ks) Offene Tribüne. Der anspruchsvolle Monat Mai (Lenka Reinerová) Mann, Frau und Ehe. Ein öffentliches Forum (L.R.)

Literatur und Anhang

339

Die drei Schwestern. Die zweite Premiere des Theaters vor dem Tor (Inka Malá) Juni Kinder sind Leben. Eine Bildfolge zum Internationalen Kindertag am 1. Juni (–lka) Kein ernster Mensch nimmt sie ernst (Lenka Reinerová) Ausnahmsweise, bei dieser Reise (L.R.) Hotel für Fremde. Ein Film über Liebe und Tod (L.R.) Juli In Karlsbad blühen die Rosen. Ein Paar Zeilen an westdeutschen Kollegen (Lenka Reinerová) August August, August (L.R.) August An die Unbekannte – unter Aufrichtig (Lenka Reinerová) Ständig fragen stellen und beantworten (–lka) Deutsche Übersetzung eines Textes von Ladislav Ťažký Alle Glocken der Welt. Eine ironische Komödie von Bohuslav Březovský (Inka Malá) September Unterwegs mit der ČSSR (Lenka Reinerová) Bühnenkunst international. Das I. Prager Quadriennale (L.R.) Fünf Mädchen am Hals. Ein Film über die „Jugend im Atomzeitalter“ (–lka mit oa) Welch eine Freude! Offene Tribüne (Inka Malá) Oktober Vorübergehendes Transit. Betrachtungen zu Matthias Wegners Buch „Exil und Literatur“ (Lenka Reinerová) November Wo sind geblieben? (Lenka Reinerová) Tausend Schönchen ein gefilmter Nekrolog über negative Lebensweise (–lka) Die Mutter von Karel Čapek erneut aufgeführt (L.R.) Dezember Offene Tribüne. Für uns alle (Lenka Reinerová) 1968 Januar Wahrheit und Selbstbesinnung (Lenka Reinerová) Deutsche Übersetzung eines Textes von Peter Karvaš Die Jahre Christi (L.R.)

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Literatur und Anhang

Briefe streng vertraulich! Eine Big Beat-Premiere (Inka Malá) Februar Die weisse Stille in Prag, Bildfolge (–lka) Die Blumen des Bösen im Aufgalopp (Lenka Reinerová) Über einer Tasse schwarzen Kaffees. Marxistische Literaturzeitschriften tagten in Prag (Lenka Reinerová) März Offene Tribüne: Mehr Raum für Initiative (Lenka Reinerová) Zwischen Schuhschachtel und Reisekoffer (Lenka Reinerová) Das Susannchenspiel. Premiere im Prager Theater am Geländer (Inka Malá) April Krieg ist blöd! (–lka) Fingerübungen, die junge Welle aus der BRD in Prag (Lenka Reinerová) Dita Saxová. Ein Film nach einem Buch von Arnošt Lustig (L.R.) Mai Gut für uns selbst, gut für unsere Freunde (Lenka Reinerová) Die Himmelfahrt des Sascha Christ. Dramatische Variationen nach Isaak Babel (L.R.) Juni Frisch gewagt … Ein optimistisches Märchen (–lka) (und bei uns in der Redaktion) (Lenka Reinerová) Juli Menschliches und Unmenschliches (Lenka Reinerová) Ein launiger Sommer (L.R.) September Zeitgenossen der Geschichte. Diskussion (L.R.) Name des Emigranten: Deutsche Literatur. Vorübergehender Aufenthaltsort: Prag (Lenka Reinerová) Oktober Meine Heimat, mein Prag (Lenka Reinerová) Bücher menschlicher Geschicke (L.R.) Minipantomime. Wortloses Theater – streng anonym (Inka Malá) November Leitartikel Wenn Sie diese Zeilen lesen (Lenka Reinerová) Die süsse Zeit der Kalimagdora oder „Der Schläfer im Tierkreis“ (L.R.) Das befreite Theater (Inka Malá) Dezember Leitartikel

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Literatur und Anhang

Offene Tribüne. Das war ein Jahr ! (Lenka Reinerová) Oldřich und Božena oder die blutige Verschwörung in Böhmen (Inka Malá) 1969

Januar Leitartikel Damit sich der Mensch als Mensch fühlt (Lenka Reinerová) Scham. Ein neuer Film Ladislav Helges (L.R.) Februar Leitartikel Nicht vom Brot allein … (Lenka Reinerová) März Leitartikel Ich wollte, ich müsste nicht (Lenka Reinerová) Der grüne Kakadu und Stunde der Liebe. Arthur Schnitzler und Josef Topol im Theater vor dem Tor (Inka Malá) April Leitartikel Die Grenze in uns selbst (Lenka Reinerová) Mai Leitartikel Vertrauen (Lenka Reinerová) Lieben Sie Bach? Die letzte Premiere des Balet-Praha (Inka Malá) Juni Leitartikel Der Mensch neben dir und mir (Lenka Reinerová) Liebe. Uraufführung eines „erbarmungslosen Spiels“ im Prager Realistischen Theater (Inka Malá) Juli Leitartikel August Leitartikel September Leitartikel Offene Tribüne, Der letzte (Lenka Reinerová) Die Toten bleiben tot (L.R.) Oktober Leitartikel Das Land singt (L.R.)

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Literatur und Anhang

November/Dezember Leitartikel Faschismus und Europa (Lenka Reinerová) 1970 Januar Leitartikel Deutsche Übersetzung eines Textes von Peter Karvaš Februar Leitartikel März Leitartikel Kommentar. Was können wir tun? (Lenka Reinerová) April/Mai Wege zur Freiheit. Am Schwanensee Optimistische Sorgen (–lka) Zwei aus Prag. Egon Erwin Kisch. Franz Carl Weiskopf (L.R.)

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Literatur und Anhang

Dokument 2: Filmrezensionen Lenka Reinerovás in IHE Jahrgang Monat Januar 1958 Februar 1958 April 1958 Mai 1958

Titel Ein Sommernachtstraum als Puppenfilm Jahrgang 21 Junges Blut, ein neuer Film über Jugendprobleme Die Erfindung des Verderbens, ein neuer JulesVerne-Film Die Erschaffung der Welt. Ein Zeichenfilm von Jean Effel Alljährliches Stelldichein der Filmwelt. Die Karlsbader Filmfestspiele 1958 Das schwarze Bataillon Hier sind Löwen Ein Mondscheinmärchen. Ein farbiger Kurzfilm Bürger Brych. Ein tschechoslowakischer Cinemoscope Film Der Weg zurück Der Haupttreffer. Ein farbiges Filmlustspiel Maisterne. Ein Film tschechoslowakischsowjetischer Koproduktion Der Tod im Sattel. Ein farbiger Breitwandfilm Der Knoten im Taschentuch. Ein kombinierter Spiel- und Puppenfilm Jan Kašpar muss leben Achtung! Ein farbiger Zeichenfilm Romeo, Julia und die Finsternis Die Probe geht weiter. Ein Spielfilm aus Theaterkreisen Wo der Teufel nicht hin kann Das höhere Prinzip. Ein Film über die gleichnamige Erzählung Jan Drdas Der neue Polyecran

1958

Juni

1958

Juli

1958 1958 1958 1959

Oktober November Dezember Januar

1959 1959 1959

März April Mai

1959 1959

Juli August

1959 1960 1960 1960

September März April Mai

1960 1960

Juli August

1960

September

1960 1961

November Dem Abgrund entgegen Baron Münchhausen. Ein neuer Film von Karel April Zeman Die Ankläger. Ein Filmlustspiel aus dörflichem Mai Milieu Die fünfte Abteilung. Ein tschechoslowakischer Juli Spannungsfilm Das Lied von der grauen Taube. Eine slowakische August Filmballade Oktober Wo ein Alibi nicht genügt. Der zweite Film über den Kriminalbeamten Tůma

1961 1961 1961 1961

Regisseur Jiří Trnka Václav Gajer Ivo Novák Karel Zeman Jean Effel

Vladimír Čech Václav Krška Milan Pavlík Otakar Vávra Václav Krška Ivo Novák Stanislav Rostockij Jindřich Polák Hermína Týrlová Vladimír Sís Jiří Brdečka Jiří Weiss Jaroslav Balík Zdeněk Podskálský Jiří Krejčík Ján Kadár und Elmar Klos Zbyněk Brynych Karel Zeman Ivo Novák Jindřich Polák Stanislav Barabáš Vladimír Čech

344 1962 1962 1963 1963 1963 1964 1964 1964 1965 1965 1965 1966 1966 1966 1966 1967 1967 1967 1967 1967 1967 1968 1968 1968

Literatur und Anhang Junges Leid. Ein neuer tschechoslowakischer Spielfilm Dezember Grüne Horizonte. Ein Spielfilm aus der ČSSR Die Sonne im Netz. Preis der TschechoslowakiApril schen Filmkritik 1963 Der Tod nennt sich Engelchen August Mai

Oktober Transport aus dem Paradies Schwarzer Peter Juli November Der Angeklagte. Hauptpreis des XIV. Filmfestivals in Karlsbad 1964 Dezember Wir sangen Arizona Sein oder Nichtsein. Kurt Goldberger drehte die Juli Geschichte der Pugwash-Bewegung Der Laden auf der Hauptstrasse August

Karel Kachyňa Ivo Novák Štefan Uher Ján Kadár und Elmar Klos Zbyněk Brynych Miloš Forman Ján Kadár und Elmar Klos Václav Sklenář Kurt Goldberger

Ján Kadár und Elmar Klos Karel Kachyňa November Es lebe die Republik! Die Liebe eines Blondkopfs. Eine Filmkomödie Miloš Forman Januar Ivan Passer Intime Beleuchtung Juni Die Pfeifen. Eine Koproduktion mit der österrei- Vojtěch Jasný August chischen Filiale des Constantin Film, München Ladislav Rychman September Die Dame auf dem Geleise. Ein Film-Musical Zbyněk Brynych Transit Carlsbad. Ein Film über Menschen in Januar gefährlicher Aktion Jiří Menzel Scharf beobachtete Züge. Hauptpreis in MannFebruar heim 1966 Zdeněk Podskálský Eine Frau sollst du selbst mit einer Blume nicht März schlagen. Die tragischen Schicksale eines Mannes, der nicht nein sagen kann Rudolf Krejčík Ausnahmsweise, bei dieser Reise Juni Hotel für Fremde. Ein Film über Liebe und Tod Antonín Máša Juni Evald Schorm September Fünf Mädchen am Hals. Ein Film über die „Jugend im Atomzeitalter“ Juraj Jakubisko Die Jahre Christi Januar Fingerübungen, die junge Welle aus der BRD in April Prag Antonín Moskalyk Dita Saxová April

Literatur und Anhang

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Dokument 3: Inventar der auf Tschechisch verfassten Artikel von Lenka Reinerová (1955–1969). Erstellt nach dem Reinerová-Nachlass im Prager Literaturarchiv (Památník Národního Písemnictví) Artikel in Mladá Fronta 01. 09. 1955 Byla jsem v severní Africe  23. 09. 1955 Mužs očina dobrého člověka 09. 10. 1955 Ano, pane – nikoliv, pane!  20. 11. 1955 Naše poznámka 11. 01. 1957 Malá lekce z pobřezí moře  07. 02. 1957 Život člověka  23. 02. 1957 Důvody dívky Danielle  08. 03. 1957 Dopis do Anglie  27. 03. 1957 Řetězový dopis  05. 04. 1957 Rudá je barva života  01. 05. 1957 Přiběh s ponurým začátkem a jiným koncem 09. 05. 1957 Shledání se starou kašnou  20. 05. 1957 Rozhovor s pánem v šedém klobouku  01. 06. 1957 Tváří v tvář pravdě  11. 06. 1957 Na slovičko, pani Hraběnko!  02. 07. 1957 My víme  20. 07. 1957 Z deníku tlumočnika  12. 10. 1957 Byl pátek, obyčejný všední den  16. 10. 1957 Kam dnes večer, princezno?  11. 09. 1957 Z dovolené u sousedů 13. 09. 1957 ‘Propaganda’  06. 11. 1957 Světlo přichází odtamtud  01. 01. 1958 Neobyčejný noční rozhovor  03. 01. 1958 Hodné závidění … ?  01. 02. 1958 Když svět byl na ruby  15. 02. 1958 Perly přinášejí slzy  08. 03. 1958 Dívce s kulatým odznakem  26. 03. 1958 Letní historka pro zasněžený březen 09. 04. 1958 Rio escondido se rozleje  01. 05. 1958 Svět Dohořán  08. 05. 1958 V frontě na pomeranče 

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01. 06. 1958 Michaud s jeho přítel Pierre  24. 09. 1958 Tři návštěvy v zářívojých dnech roku v 1958  05. 11. 1958 Tak tedy hezky vítězte!  24. 12. 1958 Neobycejný Vanoční rozhovor  01. 01. 1959 Smozřejmě  19. 02. 1959 Co nového v Berlině?  08. 03. 1959 O výběr není nouze  24. 12. 1959 Prázdná židle v stolu  15. 06. 1960 List z deníku  25. 12. 1960 Intermezzo. Krátce před Vánocemi  01. 02. 1961 Senzace s matkou, babičkou a hlukem 20. 05. 1965 Májové dny v Mnichově  20. 12. 1966 Nesnesitelné  Artikel in Vlasta 26. 06. 1958 Milostný dopis z Alžíru  Artikel in Dějiny a současnost č. 10/1960 Pražská léta Johna Heartfielda  Artikel in Co vas zajímá Oktober 1965 Neobyčejná vyhlídka z okna  Dezember 1965 Moudrost Mexická  Juni 1966 Je to dobré?  Februar 1967 Speaking Deutsch?  Juni 1967 Domu dnes nepůjdeš?  Oktober 1967 Unite in domu tabu Januar 1968 Shledání se snem 

Literatur und Anhang

Literatur und Anhang

347

Artikel in Literární Noviny 24. 07. 1965 Zlatá socha Artikel in Práce 07. 06. 1969 Žadano pro v srdci Evropy. Máme rádi tu svou bláznivou redakci Artikel in Smena (Bratislava) (auf Slowakisch) 25. 01. 1957 Kdo to zawinil? Lenka Reinerová Berlín  08. 03. 1957 Osudy žien 28. 03. 1957 Rozprávka o skutočnosti 11. 04. 1957 Čo sa to robí vo Francúzsku?  01. 05. 1957 Hudba a Prvý máj

Dokument 4: Deutschsprachige Periodika, zu denen Lenka Reinerová beitrug. Erstellt nach dem Reinerová-Nachlass im Literaturarchiv der Akademie der Künste in Berlin, ergänzt durch den Prager Nachlass (Památník Národního Písemnictví) Aufbau und Frieden (Prag) 05. 04. 1954 18. 09. 1954 28. 09. 1954 09. 10. 1954 19. 10. 1954 03. 12. 1954 08. 03. 1955 28. 04. 1955 24. 05. 1955 31. 05. 1955 05. 07. 1955 30. 08. 1955 27. 09. 1955 14. 10. 1955 11. 11. 1955 14. 12. 1955

348

23. 12. 1955 10. 02. 1956 09. 03. 1956 27. 03. 1956 01. 05. 1956 01. 06. 1956 29. 06. 1956 11. 09. 1956 28. 09. 1956 21. 12. 1956 29. 03. 1957 31. 05. 1957 12. 07. 1957 23. 07. 1957 04. 10. 1957 25. 10. 1957 07. 03. 1958 01. 05. 1958 05. 04. 1958 25. 12. 1958 02. 04. 1960 10. 11. 1960 30. 12. 1961 18. 08. 1962 November 1963 09. 11. 1963 Prager Volkszeitung 24. 11. 1967 Besuch bei Kuba Freundschaft (Prag) November 1956 Pedro und das Bild

Literatur und Anhang

Literatur und Anhang

349

Tschechoslowakei in Wort und Bild (Wien) Juli-August 1955: Artikel über die Spartakiade Oktober 1957 So war Louis Fürnberg … Ein Dichterherz schlug für Böhmen November 1959 Romeo, Julia und die Finsternis Volksstimme (Wien) 06. 11. 1955 Jeanne, liebste Jeanne! 01. 04. 1958 Mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Erinnerungen zum 10. Todestag von E.E. Kisch Tagebuch (Wien) Juni 1960 Brief aus Prag Juni 1962 Die Kischs Neue Deutsche Literatur (Berlin) April 1956 In der Prager Melantrichgasse September 1956: Artikel über F.C. Weiskopf August 1957 November 1964 Die Farbe der Sonne und der Nacht  Das Magazin (Berlin) Juni 1957 Liebesbrief aus Afrika Dezember 1958 Wenn die Viechas‘ übervoll sind … oder Ein weinseliges Jubiläum September 1959 Sieben Staaten machen Staat Wochenpost (Berlin) 25. 01. 1958 Ja von ganzem Herzen 21. 11. 1959 (Nr. 47/1959) Prager Alltag 30. 12. 1961 Abendzeitung. 8-Uhr-Blatt (München) 11. 05. 1965 Prag grüßt München Zeit im Bild (Dresden) = DDR-Revue Dezember 1964 (51/1964) Brief aus Prag. Von unserer Korrespondentin Lenka Reinerová. Die Stimme der Glocken

350

Literatur und Anhang

Merian (Hamburg) Böhmen-Heft: Böhmen in Prag

Dokument 5: IHE-Cover Nummer Name des Künstlers bzw. der Künstlerin

Titel des Bildes auf dem Titelblatt und auf der Umschlagseite

1958/1

Der hungrige Apostel aus der Predella des Hochaltars Meister Pauls

1958/2

1958/3

1958/4 1958/5 1958/6

1958/7

1958/8

1958/9

1958/10

A. Paul Jan Lukas

Mit Mutti auf Skiurlaub

J. Vojta

Die Elfenkönigin Titania. Aus Jiřís Trnkas neuem Puppenfilm „Sommernachtstraum“

Z. Tmej

Mohn. Ein slowakischer Tanz

Petr Zora

Der erste Bissen vom Osterkuchen

o. N.

Mikroaufnahme eines Gabroplättchens im polarisierten Licht

K. Šmirous

Frühling in den Prager Gärten

J. Litomiský

Die letzten Meter vor dem Ziel

V. Jirů

Vor dem ersten Mai

V. Hnízdo

Die weiße Stadt Telč

Josef Fiala

Wer findet mich?

Jean Effel

Adam, Eva und der liebe Gott. Aus dem Zeichenfilm „Erschaffung der Welt“

A. Paul

Die böhmische Königskrone

M. Veverka

Zur Bildfolge „Mit Kajak und Kann auf Wochenendfahrt“

Petr Zora

Traktor im Einsatz. Zum Beitrag „Fabrik unter freiem Himmel“

M. Veverka

Jan Hus vor dem Konzil zu Konstanz. Illustration aus dem reformierten Kantionale von Litoměřice

Josef Fiala

Im morschen Gebälk ist eine junge Rose erblüht. Zum nebenstehenden Beitrag „München, Symbol und Erlebnis“

Jan Lukas

Auf dem Anstand

Josef Fiala

Prag im Festgewand

Jaroslav Zima

Bevor sich der Fallschirm öffnet. Zur IV. Weltmeisterschaft im Fallschirmspringen

351

Literatur und Anhang 1958/11

1958/12

1959/1 1959/2

1959/3 1959/4

1959/5

1959/6

1959/7

Ota Richter

Der neue Regenschirm

A. Paul

Johann Lukas Krackers mutmaßliches Selbstbildnis vom Deckenfresko zu St. Niklas auf der Prager Kleinseite

Jan Lukas

Und wieder einmal Weihnachten

Jan Lukas

In Erwartung der ersten Sonnentage des kommenden Jahres

J. Litomiský

Wer sagt, daß es bei uns keine Könige gibt?

V. Hnízdo

Aus der Bezirksgalerie in Litoměřice

Jan Lukas

Frost

Petr Zora

Aus dem Höchstspannungslaboratorium in Běchovice

Josef Fiala

Nachts um das Haus der Mode

Václav Sivko

Vietnamesisches Mädchen. Farbige Lithographie

Petr Zora

Die tschechische Philarmonie probt.

Petr Zora

Mit „Felicia“ unterwegs. Zu unserem Beitrag über die Škodawagen

Petr Zora

Intelligenz und Erfahrung. Zum Beitrag „100 Jahre Škoda“

Petr Zora

Vor dem Hangar. Zum Beitrag über die Segelfliegerschule in Vrchlabí

Jan Lukas

1. Juni Internationaler Kindertag

M. Veverka

Die erste Ausfahrt. Zu unserem Beitrag „Die Kinder mit dem roten Halstuch“

Ota Richter

Gutgelaunter Junimorgen

Viktor Ranický

Unzertrennliche Freunde

1959/8

Josef Fiala

Bergsee in der Hohen Tatra

K. Šmirous

Otto Gutfreund, Studie aus gebranntem Ton, 1923

1959/9

Jan Lukas

Guter Arbeit, reicher Lohn

M. Veverka

Vom Šárka-Terrainrennen

Jan Lukas

Antonín Mrkos auf seiner Sternwarte

Karel Šmirous

Herbstblüten. Von den alljährlichen Dahlienausstellung im Prager Vrtba-Garten

Karel Neubert

Vor dem Eingang zum Messegelände

Petr Zora

Interview mit dem Verdienten Meister des Sports Saša Klimt, Kapitän des Trophyteams des Intern. Sechstagerennens

1959/10

1959/11

352 1959/12

1960/1 1960/2 1960/3 1960/4

Literatur und Anhang Ota Richter

Das Weihnachtsorakel

Jan Lukas

Wunderwelt des Glases. Zu unserem Beitrag „Kristallschloss und Eprouvette“

Milena Hrušková

Unseren Lesern ein frohes Neujahr!

Jan Lukas

Die Quecksilbertropfelektrode

J. Charuza

Vitraillisten bei der Arbeit

Ota Richter

Schwejk im Herzen Europas. Eisrevue

o. N.

Illumination aus der Bibel Wenzels IV.

V. Šilhan

Auf Lawinenwacht

Ota Richter

Die Filmschauspielerin und Tänzerin Aja Farkačová

M. Robinsonová

Stickerei aus Šoporna

ČTK

Ein Bild, das zum Prager Frühling gehört – der Wenzelsplatz am 1. Mai

J. Krasl

Im Stahlwerk

1960/6

Jiří Pražák

Zum internationalen Kindertag

1960/7

J. Litomiský B. Kopecký

Gesicht der Landschaft

1960/8

Petr Zora

Der Stern des 3. Fünfjahresplanes

Karel Šmirous

Sommerliche Prager Gärten

1960/9

K. Neubert

Die Säerin. Komposition für Frauen auf der Spartiakade

ČTK A. Hampl

Rote Bälle. Komposition der Mittelschülerinnen

1960/10

Jan Lukas

Ich bin der Herbst!

Jan Lukas

Aus der Umgebung von Jablonec. Zu unserem Beitrag über die Gablonzer Schmuckindustrie

K. Neubert

Messestadt Brünn

1960/5

wettklettern

1960/11 1960/12 1961/1

1961/2 1961/3

Blick von den Barrandov-Terrassen

Josef Fiala

Unsere Schulsachen zahlt der Staat!

K. Neubert

Abendstimmung im Riesengebirge

Ota Richter

Szene aus „Der Gast“ von L. Aškenázy

Milan Škarýd

Gestatten Sie eine Frage …

Jiří Vojta

Der Löwe und das Liedchen. Zu unserem Beitrag über Břetislav Pojar

Adolf Hoffmeister

Picassos gelbe Weste

Karel Neubert

Die Sonne erklimmt die Schneekoppe

Karel Neubert

Am Gobelinwebstuhl

353

Literatur und Anhang

1961/4

1961/5 1961/6

1961/7 1961/8

1961/9

V. Radnický

Zwei an der Märzsonne

B. Čapka

Wir wohnen im Experiment! Zu unserem Beitrag über die Wohnprobleme Gottwaldovs

Petr Zora

Alter Kaolinbruch. Zu unserem Beitrag „Wir suchen Steine und Erden“

Ota Richter

Das erste Stelldichein am Ersten Mai

Karel Neubert

Maiabend wars, der Liebe Zeit

Jan Lukas

Alenka klein und etwas größer

Karel Neubert

Rudolf Kremlička: Wäscherin. Zu unserem Beitrag über den Maler

V. Radnický

Sommerfreuden am Wasser

L. Ovsik

Sommerfreuden auf dem Tisch

Josef Fiala

Sommerfreuden

Imro Weiner-Král

Frühlingsblüter, Öl, 1960. Zu unserem Beitrag über den Maler

M. Veverka

Das Pferdchen. Figur aus einer Pantomime des Prager Theaters am Gelände

Jan Lukas

Tatra-Emblem

1961/10

Luba Krejčí

Glaslaminat. Zu unserem Beitrag über die Künstlerin

Karel Masojídek

Aerotaxe Morava

1961/11

Josef Fiala

Novembermorgen

Ludo Fulla

Vogellandschaft. Farbenigelitschnitt. Zu unserem Beitrag über slowakische Graphik

Karel Neubert

Winterabend in Děčin

1961/12 1962/1

1962/2 1962/3

1962/4

J. Litomiský

Der Bergsonne entgegen

Jan Brychta

Alle Wege führen ins Herz Europas. Aquarell

Boh. Čapka

Die Sonne kehrt wieder. Januarstimmung im Riesengebirge

Ota Richter

Jungsein ist schön

Jiří Trnka

Oberon und Puck. Lithographie

Josef Čapek

Mädchen mit Veilchen. Zu unserem Beitrag über den Maler Josef Čapek

M. Škarýd

In jeder Hinsicht gleichberechtigt. Zum internationalen Frauentag am 8. März

M. Škarýd

Zwei aus der Meopta. Zu unserem Beitrag über das Optikwerk in Přerov

354

1962/5

1962/6

1962/7

Literatur und Anhang Daniel Vrzák

Aprilwald

Přemysl Rolčík

Vertrautes und unbekanntes Prag. Zu unserem Leserwettbewerb in dieser Nummer

Přemysl Rolčík

Vertrautes und unbekanntes Prag. Zu unserem Leserwettbewerb in dieser Nummer

Josef Fiala

Im Ölhafen von Bratislava. Die Pipeline an der Wolga

V. Hnízdo

Auf dem Traunsee bei Gmunden. Detail eines Wandgemäldes von J. Navrátil

L. Sitenský

Urlaubsfreuden Tschechoslowakische Briefmarken

1962/8

1962/9

1962/10 1962/11 1962/12 1963/1

1963/2 1963/3

Petr Zora

Durst

Karel Neubert

Blauer Tonspecht. Zu unserem Beitrag „Zwiegespräch mit einem unsichtbaren“

Viktor Ranický

Clown. Farbvergrößerung aus einem schwarzweißen Negativ

Petr Zora

Grünes Gold

M. Škarýd

Die Schauspielerin Zuzana Fišárková

M. Škarýd

Der Maler Alois Fišárek

V. Hnízdo

Arlecchino-Ölgemälde von František Tichy

Josef Fiala

Maler Herbst und die Malerin

J. Svoboda

Laterna magica

Alexander Paul

Paolo Veronese, die hl. Katharina.

Jaroslav Malák

Unser Neujahrswunsch

M. Korecký

Abusir. Entdeckung der ersten Säule. Zu unserem Beitrag

Ota Richter

Jugendcafé Luxor. Zu unserem Beitrag „Auch Twist“

M. Zemina

Februar

M. Škarýd

Am 8. März ist internationaler Frauentag

J. Marco

Ota Janeček in seinem Atelier. Zu unserem Beitrag

Ota Richter

Jiří Suchý und Jiří Šlitr vom Prager Theater Semafor

A. Paul

Jan Zrzavý. Die schlafenden Schiffe, 1935. Zu unserem Beitrag über den Maler

1963/5

Karel Chaba

Kleinseitner Gasse. Zu unserem Beitrag

K. Ješátko

Eine Szene aus dem Film „Wenn der Kater kommt“

1963/6

M. Škarýd

Nach der Landung

1963/4

355

Literatur und Anhang

1963/7

1963/8 1963/9

1963/10 1963/11

1963/12

Vl. Hnízdo

Kopf der Pilsener schönen Madonna (um 1390)

K. Neubert

Vor dem altstädter Rathaus

M. Škarýd

Auf der Entenfarm. Zum Beitrag über die Geflügelfabrik

M. Škarýd

August

J. Fiala

Bienen

Zdeněk Seydl

Eine für die Zwecke unserer Zeitschrift besonders schlecht gemalte Henne

Daniel Vrzák

Der einsame Bezwinger.

K. Neubert

Prager Herbst

Vladimír Lammer

Baustelle eines Sees

L. Fulla

Winter in der Vorstadt. Ausschnitt aus einem Gemälde von L. Fulla

M. Škarýd

Herbst

M. Škarýd

Junge Pragerin

M. Škarýd

Vaters Bescherung. Zu unserem Beitrag

1964/1

P. Karásek

Auf ins Neue Jahr!

Dan Richter

Friedhof im Winter. Gemälde

1964/2

Josef Hlinomaz

Kongreß des Absurden. Gemälde

1964/3

M. Škarýd

Genossin Flughafenleiter

Daniel Vrzák

Vorfrühling

Jiří Svoboda

Die Sonne kommt in die Stadt. Holzschnitt

Petr Zora

Fruchtsäfte aus der ČSSR

Die Geburt des Hütenglases

1964/4 1964/5 1964/6

1964/7 1964/8

Der Titel entspricht nicht dem Coverbild ein Kind

Unser Kater. Zeichnung des siebenjährigen Tomáš Polák

anonym

Böhmens Wälder und Seen

Z. Martinovský

Nacht am Meer

M. Škarýd

Nacht auf dem Flugplatz

M. Škarýd

Junge Slowakinnen Hypothesen. Aus dem neuen Film von L. Pešek und V. Šilhan

1964/9

B. Štěpán

Miss Welt - oberteilfrei. Kollage Škoda 1000 MB

356 1964/10 1964/11 1964/12 1965/1 1965/2

1965/3 1965/4

1965/5 1965/6

Literatur und Anhang Oldřich Škácha

Folklore-Ensemble Břeclavan.

Jaroslov Šálek

Oktober

V. Radnický

Märchen auf der Puppenspielbühne

M. Škarýd

Bei solchem Wetter

M. Škarýd

Frohe Festtage

Eugen Weiner

Diesmal nach Vrátna

Miloslav Troup

Prag Karlsbrücke

Miloslav Troup

Prag Teynkirche

M. Škarýd

Der nächste bitte! Aufnahme in High-key-Technik, Silbermedaille Tokio 1960

M. Škarýd

Wenzelsplatz, achtzehn Uhr

Jan Pulec

Der Vorhang

Jiří Kolář

Rollage

Miloslav Fulín

Graphische Komposition

Alex. Paul

Tiziano Vecellio „Jung Frau bei der Toilette“ und andere Gemälde der Prager Burggalerie

M. Škarýd

Mai

Jan Bauch

Prag. Ölgemälde

Karel Trinkewitz

Löschpapier. Farbige Tuschen

Jaroslav Šálek 1965/7

1965/8 1965/9 1965/10

Meisenfamilie im Briefkasten. Farbaufnahme Der erblindete hussitische Feldhauptmann Jan Žižka. Aus dem Jenaer Kodex 15. Jh

M. Škarýd

Bijoux de Bohême

M. Škarýd

Ausflug nach Domažlice

M. Škarýd

In der Werkstatt J. Kutáleks

L. Jiřincová

Mittelalterliche Liebesromanze

L. Jiřincová

Mittelalterliche Liebesromanze

M. Škarýd

Barborka mit dem Drachen

Vladimír Lammer

Delphine im Gebirge

L. Neubert

Herbst in unserer Straße

L. Neubert

Südböhmischer Meister des 1. Viertels des 16. Jhs

1965/12

R. Hadrava

Ein frohes Fest aus buntem Rest

O. Straka

Dezembernacht im Riesengebirge

1966/1

Karel Trinkewitz

Herzdame 1966. Eine Kollage

O. Karásek

Ladislav Fialka und seine Frau

1965/11

357

Literatur und Anhang 1966/2

1966/3

1966/4

1966/5 1966/6

1966/7

F. Kramer

Die roten Handschuhe

Karel Neubert

Riemenzunge in Buchform aus einem großmährischen Grab

Ladislav Neubert

Tausendjährige Mahnung zur Vernunft. Konsole von der romanischen Dorfkirche in Záboří

Oldřich Straka

Vorfrühling im Riesengebirge

I. Horšák

April – weiß nicht was er will

Přemysl Karásek

Das Konzert. Freskogemälde im Schloß von Jindřichův Hradec

M. Škarýd

Augen, Montage und Aufnahmen

M. Škarýd

Kateřina Trávnická

Josef Hudec

Zum 1. Juni, dem internationalen Kindertag

Karel Kuklík

Franz Kafka. Ausschnitt aus einem Porträt von Vavro Oravec

Kamil Lhoták

Luftballons, kolorierte Zeichnung

F. Vasiljak

Schloß Červená Lhota

1966/8

M. Škarýd

Rübezahl 1966

Jaromír Komárek

Jana Brejchová im Film „Die Pfeifen“

1966/9

Vladimír Tesař

Spielkarten. Kolorierte Kaltnadel

Fred Kramer

Das Gesicht

1966/10

A. Paul

Versuchssonden in der barocken Übermalung einer Tafel des Schreins von Netolice

M. Škarýd

Karlsbader Becherbitter

1966/11

Marie Šechtlová

Roter Regenschirm

keine Angabe

keine Angabe

1966/12

Ladislav Neubert

Der Friedensengel. Spätgotische Plastik aus der südböhmischen Galerie in České Budějovice

Hynek Šantl

Winterliche Kleinseite

M. Škarýd

Nur Maisstroh – aber der Neujahrsglückwunsch aus dem Land im Herzen Europas ist um nichts weniger herzlich

Jiří Havel

Vor dem Ziel

M. Škarýd

Drei im Schnee

František Muzika

Die Windsbraut, 1965. Öl auf Papiertafel

O. Škácha

Märzporträt

Eva Fuková

Amerikanische Vision

1967/1

1967/2 1967/3

358 1967/4

Literatur und Anhang M. Škarýd

Schachmatt?

M. Škarýd

Der Erzengel Gabriel. Tonplastik von Pravoslav Rada

1967/5

Cover fehlt

1967/6

O. Nehera

Die Schindelkaskade

Jan Brychta

Illustration zu Zdeněk Mahlers Buch „Sally – oder sechs Tage in einer Whiskyflasche“

L. Sitenský

Kühles Naß und heißer Stein

Cover fehlt

1967/7

Böhmens Hain und Flur. Aus der Waldkarte des neuen Nationalatlasses der ČSSR 1967/8

1967/9

1967/10 1967/11 1967/12 1968/1 1968/2 1968/3

1968/4 1968/5

A. Paul

Apostel aus der Predella des Hochaltars Meister Pauls in Levoča

J. Šálek

Schneckenliebe

Karel Chaba

Prag – an der neuen Schloßstiege, Gemälde 1966

Karel Chaba

Prag – wundersamer Wasserlauf Čertovka, Gemälde 1967

L. Neubert

Dämmerstunde. Gobelin von A. Kybal

J. Marco

Blick auf Jindřichův Hradec

M. Škarýd

Hochzeit im Schloß

Richard Fremund

Ein böhmisches Dorf, Öl 1967

L. Neubert

Pieter Breughel d. J., Winter, Nationalgalerie in Prag

Karel Trinkewitz

Kollage

Miloslav Troup

Morgengruß. Tempera

O. Karásek

Kontaktaufnahme im neuen Jahr

L. Neubert

Prager Burg im Frost. Farbaufnahme

M. Škarýd

Eisblumen. Farbaufnahme

Jaroslav Komárek

Junges Mädchen. Alte Herren. Farbaufnahme

M. Veverka

Mater verborum, ein mittelalterliches Reallexikon in der Bibliothek des Nationalmuseums

M. Škarýd

Aus Großmutters Küchenspind. Farbaufnahme

Pavel Jasanský

Die Aufzeichnungen eines Irren. Farbaufnahme

O. Karásek

Trara, die Post ist da! Farbaufnahme PRAGA 68, eine Montage

1968/6

M. Škarýd

Ivanka, drei Jahre alt. Farbaufnahme

359

Literatur und Anhang

1968/7 1968/8

1968/9 1968/10

Josef Paleček

In der Manege. Kombinierte Technik

Name fehlt

Titel fehlt

Name fehlt

Titel fehlt

M. Škarýd

Bratislava ist jung: Jarmila Košťová, Ansagerin des Bratislavaer Fernsehens

Karel Plicka

Drei heilige Prinzessinnen vom Alter Meister Paul in Banská Bystrica. Farbaufnahme

Jiří Kolář

Holbeins Schmetterlinge. Kollageobjekt

Jiří Kolář

Reaburns Dame, farbige Kollage

O. Karásek

50 Jahre. Farbaufnahme Werbung für Pragoexport

1968/11

1968/12

Hynek Šantl

Junger Prager. Farbaufnahme

Zd. Voženílek

Der heilige Wenzel, steinerne Volksplastik. Farbaufnahme

Helena Zmatlíková

Nach jedem Winter kommt ein Frühling. Zeichnung Nach jedem Winter kommt ein Frühling. Zeichnung

1969/1

1969/2 1969/3

1969/4

1969/5 1969/6 1969/7 1969/8

M. Škarýd

Ich bin ein Jahr alt und muss jetzt gehen lernen. Farbaufnahme

M. Škarýd

Waldemar Matuška und das Mephisto-Ensemble. Farbaufnahme

J. Šálek

Katze mit gelben Augen. Farbaufnahme

M. Škarýd

Schneemann mit schwarzen Augen. Farbaufnahme

Fred Kramer

Femina, feminae- femininum. Farbaufnahme

Theodor Záhorský

Der hl. Nikolas rettet einen unschuldigen Verurteilten. Detail aus einer Ikone. Farbaufnahme

Radek Kratina

Gestreifte Zielscheibe. Variabil aus Holzstäbchen

Magdalena Robinsonová

Slowakisches Ostermotiv. Farbaufnahme

Daniel Vrzák

Mai in Prag. Farbaufnahme

Taras Kuščynskyj

Glasstatuen von René Roubíček. Farbaufnahme

Kája Mařík

Glückliche Fahrt! Kindercollage

Norbert Bezděk

Die Sonne geht unter. Farbaufnahme

M. Škarýd

Sommer. Farbaufnahme

M. Škarýd

Heiter, Wärme ansteigend. Farbaufnahme

M. Škarýd

Ein Urlaubstag in der Slowakei. Farbaufnahme

Milena Hrušková

„Flora 69“ in Olomouc. Farbaufnahme

360 1969/9 1969/10

Literatur und Anhang Alois Mikulka

Die Entführung Europas

J. Svoboda

Marienlegenden. Farbaufnahme

Jindřích Marko

Luftballons über Prag. Farbaufnahme

Alfons Mucha

Zeichnung. Zum 30. Todestag des großen Jugendstilkünstlers

1969/11 u. 12

Ondrej Zimka

Illustration zu einem Kinderbuch

Redaktionsarchiv

Volkskunst-Holzplastik. Farbaufnahme

1970/1

Jiří Švengsbír

Prager Karlsbrücke. Eine Vedute

1970/2 1970/3

1970/4 u. 5 1970/6 u. 7 1970/8 u. 9 1970/10 u. 11 1970/12

Václav Jírů

Neujahrswunsch. Farbaufnahme

Ladislav Sítenský

Winter in den Bergen. Farbaufnahme

Vlastimil Beneš

Winter in der Stadt

O. Karásek

Naďa Urbánková. Farbaufnahme

Ladislav Neubert

Illumination aus der Bibel von Olomouc. Farbaufnahme

Roman Vítek

Prag. Hauptstadt der ČSSR. Farbaufnahme

Josef Brož

Der 5. Mai. Gemälde

Milena Hrušková

Unter wärmenden Sonnenstrahlen

V.V. Novák

ohne Titel

O. Karásek

Jugend

Ján Žebliský

ohne Titel

Josef Vítek

Die slowakische Schauspielerin Zuzka Cigánová. Farbaufnahme

Július Nemčík

ohne Titel

O. Karásek

Erster Schnee. Farbaufnahme

Jaroslav Grus

ohne Titel

361

Literatur und Anhang

Dokument 6: Liste der auf der ersten Seite platzierten Artikel vor Einführung des Leitartikels ab Januar 1962 Jahrgang

Monat

Autor/in

Titel

1958

Januar

nicht vorhanden

nicht vorhanden

1958

Februar

nicht vorhanden

Zehn Jahre Aufbau

1958

März

Dr. Milan Maralík

Zum Tag der Lehrer am 28. März

1958

April

Lida Plachá

Im Namen der Namenlosen …

1958

Mai

František Rachlík

Die letzten Stunden

1958

Juni

Lenka Reinerová

Menschenauflauf auf dem Prager Wenzelsplatz

1958

Juli

G. Jesenius (= G. Solar)

Die Beweiskraft des Dokuments. Zur gesamtstaatlichen Ausstellung von Archivdokumenten

1958

August

Helena Volanská

Das Gewitter …

1958

September

Kamil Winter

München. Symbol und Erlebnis

1958

Oktober

nicht vorhanden

Die Zeit war reif

1958

November

Dušan Hamšík

Die Geburt des Atomzeitalters

1958

Dezember

Lenka Reinerová

Die Stimme der Glocken

1959

Januar

nicht vorhanden

Perspektiven

1959

Februar

Lenka Reinerová

Als der Postbote ging

1959

März

Eleanor Wheeler

Neuartige Abenteuer einer amerikanischen Familie

1959

April

Kamil Winter

Apriltage, die eine Mahnung sind

1959

Mai

Artur Unger

Triumph des Frühlings

1959

Juni

Jan Kloboučník

Der Pfad

1959

Juli

Eva Dušková

Zehn Jahre Kampf ums Leben

1959

August

Rudolf Strechaj

Der slowakische Nationalaufstand. Beweggründe und Ergebnisse

1959

September

Dr. Jiří Hájek

Was uns verbindet

1959

Oktober

Maria Fritsch

Ein Abgeordneter der Nationalversammlung: Josef Pötzl

1959

November

Zdeněk Kropáč

Freundschaftsmonat

1959

Dezember

Jaromír Švamberk

Zum fünfzehnten Mal in Frieden

1960

Januar

Jan Stanislav

Ein neues Jahrzehnt

1960

Februar

Ing. Adolf Suk

Uneigennützige Wirtschaftshilfe

1960

März

Lenka Reinerová

Begegnungen

362 1960

Literatur und Anhang April

J. Martin

Der Aktionsradius der tschechoslowakischen Aussenpolitik

1960

Mai

Pavel Reimann

Es sind jetzt 15 Jahre …

1960

Juni

Jindřich Kraus

An Hans, meinen Freund!

1960

Juli

Jan Zelenka

Vollendung der ersten Etappe

1960

August

Gustav Bareš

Kernwaffen und Nachbarschaft

1960

September

Stanislav Budín

Über die Aufgabe und die Freiheit der Presse

1960

Oktober

Jiří Štejn

Das dritte Jahrfünft

1960

November

Prof. Dr. J. L. Hromádka

Für die friedliche Koexistenz der Völker

1960

Dezember

Lenka Reinerová

In Frieden leben!

1961

Januar

Dušan Pokorný

Zeitwende

1961

April

Dr. Václav Král

Die Vergangenheit warnt

1961

Mai

Lenka Reinerová

Darum

1961

Juni

Kamil Winter

Die lädierte Tarnkappe

1961

Juli

Fritz Schalek

Der Weg, der einst so steinig war …

1961

August

Bedřich Rohan

Wien und was man bei uns darüber denkt

1961

September

Jindřich Filipec

Philosophie des Todes und des Lebens

1961

Oktober

Rostislav Kocourek

Nach Kriegsende in Bayern

1961

November

Jindřich Kraus

Die kommenden Jahre

1961

Dezember

Lenka Reinerová

Die Farbe der Sonne

363

Literatur und Anhang

Dokument 7: Die „offenen Tribünen“ Jahrgang

Monat

Autor/in

Titel

1962

April

Ing. Václav Pelíšek

Offene Tribüne: Kulturrevolution und was sie praktisch bedeutet

1962

Mai

Kamil Winter

Offene Tribüne: Genf – einst und jetzt

1962

Juni

Lenka Reinerová

Offene Tribüne: Freiheit, die wir meinen

1962

Oktober

Hanuš Orlický

Wie wollen wir morgen leben? Offene Tribüne

1962

November

Gustav Solar

Das letzte Argument. Offene Tribüne

1963

Januar

Walter Taub

Warum ich der Zukunft vertraue. Offene Tribüne

1963

April

Doz. R. Selucký

Neues Tempo im Osten der ČSSR. Offene Tribüne

1963

Mai

Dušan Pokorný

In Sache Freiheit. Offene Tribüne

1963

Juni

Lenka Reinerová

Diesen Frühling in Karlsbad. Offene Tribüne

1963

August

Ivo Fleischmann

Das Problem Literatur. Offene Tribüne

1963

September

Arnošt Silan

Reprise ausgeschlossen. Offene Tribüne

1963

Oktober

Lenka Reinerová

Einkopf ? Offene Tribüne

1964

Januar

Sylva Daníčková

Mitspielen. Offene Tribüne

1964

März

Jiří Hájek

Damals vor 25 Jahren. Offene Tribüne

1964

April

Vratislav Houdek Welthandel ohne Diskriminierung. Offene Tribüne

1964

Juni

J.L. Hromádka

Mein Bund ist Leben und Friede. Offene Tribüne

1964

Juli

Karol Rosenbaum

Zwei Völker – ein Leben. Offene Tribüne

1964

August

Edo Friš

Aufstand im Herzen Europas.Offene Tribüne

1964

September

Tomáš Glückauf

Zu Besuch in Westberlin. Offene Tribüne

1964

Oktober

G. Solar

Reisen – erleichtert. Offene Tribüne

1964

November

Evžen Seyček

Wahrheit ohne Dichtung zum 17. November. Offene Tribüne

1964

Dezember

Lenka Reinerová

Piňata. Offene Tribüne

1965

Januar

Eduard Goldstücker

Eine einzige Welt. Offene Tribüne

364

Literatur und Anhang

1965

Februar

Milan Weiner

Wenn die Söhne ihre Väter fragen. Offene Tribüne

1965

März

Joachim Kreysler, Kunst und Dokumentation. UnkorrigierMünchen te Gedanken während einer Reise in die Tschechoslowakei. Offene Tribüne

1965

Mai

Lenka Reinerová

Aufatmen. Offene Tribüne

1965

Juli

Ullrich Eggenstein, Hildegard Brenner

Vier Fragen an die Alternative. Offene Tribüne

1965

August

Jiří Štejn

Durch Hetze zum Frieden? Offene Tribüne

1965

September

Bedřich Rohan

Jahr der Widersprüche. Offene Tribüne

1965

Oktober

Oldřich Kryštofek

Nach der Heimkehr. Offene Tribüne

1965

November

Vratislav Houdek Mit Herz und Kopf. Offene Tribüne

1965

Dezember

Lenka Reinerová

Ohne Schneeflocken und Glockenklang. Offene Tribüne

1966

Januar

Jiří Horčička

Gute Unruhe. Offene Tribüne

1966

Februar

Dr. phil. Jaromir Jermář

Die Schuldfrage. Offene Tribüne

1966

März

Lenka Reinerová

Zu kluge Frauen? Offene Tribüne

1966

Mai

Prof. Dr. Bedřich Praxis der sozialistischen Demokratie. OfRattinger fene Tribüne

1966

Juni

Dr. Marcel Zachoval

Wie sind sie wirklich? Offene Tribüne

1966

Juli

Dr. Jiří Hájek

Literatur ist eben Literatur. Offene Tribüne

1966

August

Karel Trinkewitz

Probleme der Kommunikation. Offene Tribüne

1966

September

Dr. Vilém Fuchs

Beethovenhalle 1966. Offene Tribüne

1966

Oktober

Milan Škarýd

Manöver – und guter Wille. Offene Tribüne

1966

November

PhDr. Jiří Štejn

Wohlstand, jawohl – aber … Offene Tribüne Ende gut, alles gut? Offene Tribüne

1966

Dezember

Lenka Reinerová

1967

Januar

Jürgen Dittner, Blick über die Grenzen. Offene Tribüne Berlin-Tiergarten

1967

Februar

Bedřich Rohan

Journalisten am runden Tisch. Offene Tribüne

1967

April

Dobroslav Matějka

Perspektiven. Offene Tribüne

365

Literatur und Anhang 1967

Mai

Lenka Reinerová

Offene Tribüne. Der anspruchsvolle Monat Mai

1967

Juni

Kamil Winter

Offene Tribüne. Richtung: Sicherheit und Frieden

1967

Juli

Dr. Vilém Fuchs

Offene Tribüne: Pfingsten 1967 in München

1967

August

Miloslav Hájek

Gelöste und ungelöste Probleme. Offene Tribüne

1967

September

Inka Malá (= Lenka Reinerová)

Welch eine Freude! Offene Tribüne

1967

Oktober

J.J. Kosta

Miteinander sprechen. Offene Tribüne

1967

November

Jiří Štejn

Europa in Brno 1967. offene Tribüne

1967

Dezember

Lenka Reinerová

Offene Tribüne. Für uns alle

Dokument 8: Artikel der Rubrik „Aus der Welt des Buches“ Jahrgang

Monat

Autor/in, dem/der der Artikel gewidmet ist

1958

Januar

Antonín Zapotocký

1958

März

E.E. Kisch

1958

April

František Langer

1958

Mai

Marie Pujmanová

1958

Juni

Vitězslav Nezval

1958

Juli

Zdeněk Pluhař

1958

September

Julius Fučík

1958

Oktober

Marie Majerová

1958

November

Jan Otčenášek

1958

Dezember

Karel Čapek

1959

Januar

Ludvík Aškenazy

1959

Februar

František Hečko

1959

April

František Rachlík

1959

Mai

Petr Jilemnický

1959

Juni

Josef Lada

1959

Juli

Jan Neruda

1959

August

Hela Volanská

1959

September

Josef Sekera

366

Literatur und Anhang

1959

Oktober

Adolf Hoffmeister

1959

November

Karel Ptáčník

1959

Dezember

Božena Němcová

1960

Januar

Jaroslav Hašek

1960

Februar

Bohuslav Březovský

1960

März

Jiří Wolker

1960

April

Egon Erwin Kisch

1960

Mai

Jan Drda

1960

Juni

Peter Karvaš

1960

Juli

Norbert Frýd

1960

August

František Hrubín

1960

Oktober

T. Svatopluk

1960

November

E. F. Burian

1960

Dezember

Karel Nový

1961

Januar

Jiří Marek

1961

Februar

Jindřiška Smetanová

1961

April

Jožka Jabůrková

1961

Mai

Milena Honzíková

1961

Juni

Vladislav Vančura

1961

Juli

Katarína Lazarová

1961

August

Eduard Goldstücker

1961

Oktober

Hermína Franková

1961

November

Konstantin Biebl

1961

Dezember

Karel Opočenský

1962

April

František Kubka

1962

Mai

Rudolf Jašík

1962

September

Klára Jarunková

1962

Oktober

Helena Malířová

1962

November

František Xaver Šalda

1962

Dezember

Jaroslava Blažková

1963

Januar

Ludvík Aškenazy

1963

April

Norbert Frýd

1963

Mai

Jiřina Trojanová

367

Literatur und Anhang 1963

Juni

Karel Černý

1963

Juli

Miloš Macourek

1963

August

Ladislav Mňačko

1963

September

Jan Werich

1963

Oktober

Arnošt Lustig

1964

Januar

Anton Hykisch

1964

März

Karel Konrád

1964

April

Josef Nesvadba

1964

Juni

Ivan Vyskočil

1964

Juli

Karel Nový

1964

August

Miroslav Holub

1964

September

Martin Friš

1964

Oktober

Ivo Fleischmann

1964

November

Jiří Hájek

1964

Dezember

Petr Karvaš

1965

Januar

Karel Čapek

1965

Februar

Bohumil Hrabal

1965

März

Ladislav Fuks

1965

Mai

Jan Procházka

1965

Juli

Věra Linhartová

1965

August

Dušan Kužel

1965

September

keine Namen

1965

Oktober

Josef Škvorecký

1965

November

Hana Prošková

1965

Dezember

Jozef Kot

1966

Januar

Gabriel Laub

1966

Februar

Jiří Brdečka

1966

März

Irena Markupová

1966

April

Peter Balgha

1966

Mai

verschiedene Dichter

1966

Juni

Jana Černá

1966

Juli

Jaroslav Putík

1966

August

Vincent Šikula

368

Literatur und Anhang

1966

September

Peter Karvaš

1966

Oktober

Josef Podaný

1966

November

Karel Eichler

1966

Dezember

Miroslav Horníček

1967

Januar

Norbert Frýd

1967

Februar

Svatopluk Pekárek

1967

März

Sylva Daníčková

1967

April

Jiří Weiss

1967

Mai

V. Holan/ J. Gruša/M. Florian/O. Mikulášek

1967

Juni

Zdeněk Mahler

1967

Juli

Jindřiška Smetanová

1967

August

Ladislav Ťažký

1967

September

Miroslav Stoniš

1967

Oktober

Cyril Valšík

1967

November

Ivan Diviš/V. Holan/ Jan Skácel

1967

Dezember

Ludvík Aškenazy

1968

Februar

Ivan Vyskočil

1968

April

E. E. Kisch

1968

Juli

Jiří Gruša

1968

September

Vladimír Páral

1968

Oktober

Karel Michal

1968

November

Karel Schulz

1968

Dezember

Karel Čapek

1969

Januar

Jiří Suchý

1969

Februar

Karol Sidon

1969

März

Libuše Kuncová

1969

April

Norbert Frýd

1969

Mai

Milan Lasica und Július Satinský

1969

Juni

Pavel Bošek

1969

Juli

Milan Kundera

1969

August

Leopold Lahoda

1969

Oktober

Jiří Mucha

1969

Nov/Dez.

Ján Lenčo

369

Literatur und Anhang

Dokument 9: Zeichner und Zeichnerinnen der Rubrik „Unser Zeichner ist diesmal“  Jahrgang

Monat

Autor/in

Titel

1962

April

keine Angabe

Unser Zeichner ist diesmal A. Born

1962

Mai

keine Angabe

Unser Zeichner ist diesmal Přemysl Rolčík

1962

Juni

keine Angabe

Unser Zeichner ist diesmal F. Skála

1962

September

keine Angabe

Unser Zeichner ist diesmal Vladimír Preclík

1962

Oktober

keine Angabe

Unser Zeichner ist diesmal Jaroslav Lukavský

1962

November

keine Angabe

Unser Zeichner ist diesmal Vladimír Tesař

1962

Dezember

keine Angabe

Unser Zeichner ist diesmal Miloš Nesvadba

1963

April

S. Bart?

Unser Zeichner ist diesmal Jiří Svoboda

1963

Mai

Erich Lorenz

Unser Zeichner ist diesmal Troup

1963

Juni

E.L. [Erich Lorenz?]

Unser Zeichner ist diesmal Jan Javorský

1963

Juli

Erich Witz [= K. Trinkewitz] Unser Zeichner ist diesmal Bohumil Štěpán

1963

August

E. Witz = Karel Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal Vladimír Jiránek

1963

September

Ludvík Aškenazy

Unser Zeichner ist diesmal Zdeněk Seydl

1963

Oktober

Erich Lorenz

Unser Zeichner ist diesmal Čestmír Kafka

1964

Januar

Erich Witz = Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal Hana Štěpánová

1964

März

Erich Witz = Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal Jiří Běhounek

1964

April

Ludvík Kundera

Unser Zeichner ist diesmal Jappy

1964

Juni

Erich Witz = Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal Haďák

370

Literatur und Anhang

1964

Juli

Michal Starý

Unser Zeichner ist diesmal Jiří Pešek

1964

August

Erich Witz = Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal František Skořepa

1964

September

Josef Podaný

Unser Zeichner ist diesmal Kristofori

1964

Oktober

Erich Witz = Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal Josef Paleček

1964

November

G. Jesenius = Solar

Unser Zeichner ist diesmal Kopecký

1964

Dezember

Erich Witz = Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal V. Hlavín

1965

Januar

G. Jesenius = Solar

Unser Zeichner ist diesmal Karel Laštovka

1965

Februar

Iv

Unser Zeichner ist diesmal Josef Žemlička

1965

März

Erich Witz = Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal Zdena Fibichová

1965

Mai

Erich Witz = Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal M. Vindišová

1965

August

Adolf Hoffmeister

Unser Zeichner ist diesmal Zdeněk Kirchner

1965

September

Kamil Bednář

Unser Zeichner ist diesmal L. Jiřincová

1965

Oktober

Erich Witz = Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal Eva Prokopová

1965

November

Erich Witz = Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal O. Jelinek

1965

Dezember

L.R.= Reinerová

Unser Zeichner ist diesmal Alena Jíravová

1966

Januar

keine Angabe

Unser Zeichner ist diesmal Karel Trinkewitz

1966

Februar

keine Angabe

Unser Zeichner ist diesmal Ladislav Placatka

1966

März

keine Angabe

Unser Zeichner ist diesmal Irena Markupová

1966

April

Karel Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal Zdeněk Chotěnovský

1966

Mai

E.W. = Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal Jarmila Mařanová

371

Literatur und Anhang 1966

Juni

imp

Unser Zeichner ist diesmal Kateřina Černá

1966

Juli

Erich Witz = Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal Naděžda Synecká

1966

August

Erich Witz = Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal Jiřina Zelenková

1966

September

Erich Witz = Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal Pavel Čampulka

1966

Oktober

Erich Witz = Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal Jitka Suchánková

1966

November

Erich Witz = Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal Eduard Hajek

1966

Dezember

Erich Witz = Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal Josef Molín

1967

Januar

Erich Witz = Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal Jiří Švengsbír

1967

Februar

Erich Witz = Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal Jiří Pavlík

1967

März

keine Angabe

Unser Zeichner ist diesmal Helga Hošková-Weissová

1967

April

Erich Witz = Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal Jiří Načeradský

1967

Juni

Erich Witz = Trinkewitz

unser Zeichner ist diesmal Jan Mladějovský

1967

Juli

zr

Unser Zeichner ist diesmal Zdeněk Rybka

1967

August

Erich Witz = Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal Jiří Pařík

1967

September

Erich Witz = Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal Karel Chaba

1967

Oktober

Erich Witz = Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal Rudolf Volráb

1967

November

Jiří Pařík

Unser Zeichner ist diesmal Zdena Macků

1967

Dezember

Erich Witz = Trinkewitz

Unser Zeichner ist diesmal Karla Ryvolová

372

Literatur und Anhang

Dokument 10: Herstellungs- und Druckkosten von IHE und WuS von Februar 1958 (Juli 1961 für WuS) bis Oktober 1964 und Auflagen der beiden Zeitschriften von Januar bis Oktober 1964 (in tschechoslowakischen Kronen) Nummer

Auflage Auflage Herstellungs- Herstellungs- DruckIHE WuS kosten IHE kosten WuS kosten IHE

1958/2

4506,6

31942

1958/3

6075,15

33560

1958/4

6171,1

33480

1958/5

5408,55

34859

1958/9

5595,4

33482,25

1958/10

5524,7

39581,99

1958/12

6100,4

38774,91

1959/1

7206,35

36042,7

1959/3

8543,1

35516,8

1959/4

7827,5

38285,65

1959/5

8130,5

36762,25

1959/7

7165,95

43410,69

1959/8

7352,8

40190

1959/9

7413,4

38472

1959/10

7171

77732

1959/11

7989,1

1959/12

8412,3

35569,1

1960/1

8544,6

38932

1960/2

8145,65

44058

1960/3

7332,6

40349

1960/4

7130,6

96480

1960/5

6333,8

1960/6+7

15525,8

82182

1960/8+9

8808,3

90386,65

1960/10

7434,35

1960/11

7201,9

47715,65

1961/4

7096,8

44375

1961/5

7347,9

44063,03

Druckkosten WuS

373

Literatur und Anhang 1961/6

7375,2

43605

1961/7

9539,15

2373,5

43170

16576

1961/8

8437,7

2151,3

35575

18600

1961/9

7876,3

636,3

37559

18093

1961/10

8913,9

1592,3

35335

28320,6

1962/1

10011,4

4233,5

36615

17206

1962/2

8798,3

3747,95

39275

16525

1962/3

7052,45

5603,5

39015

15619

1962/4

6073,35

6417,05

37268

20309

1962/5

7676,4

1816,6

35933

18091

1962/6

9551,6

4813,3

35875

18059

1962/7

8527,1

3350,05

38541,65

16223

1962/8

8517,8

4485,8

37569

17919

1962/9

9663

4263

39247

17947

1962/10

9969,3

2695

33979

18003

1962/11

9458,55

2561,1

34971,32

17963

1963/1

8761,55

3272,9

27879

15263

1963/2

6832,4

4373,7

32919

17675

1963/3

8177,6

3753,2

32775

17845

1963/4

8177,2

2181,6

36975

16779

1963/5

8269,65

3520,5

36088

14394

1963/6

7320,1

5110,6

50944

16209

1963/7

7964,29

4821

29343

20670

1963/10

9019,6

1735,7

35283

17613

1964/1

1449

1208

10390,7

700

40025

21979

1964/2

7810

4227

7479,89

3110,8

38083

17243

1964/3

3272

3700

10740,4

3102,8

39639

17212

1964/4

8313

3500

7685,56

2457,9

34670

14264

1964/6

8588

4527

8831,5

695

35828

16475

1964/7

8464

4509

11871,6

3364,2

34190

17070

1964/9

9568

4378

9661,6

3555,2

34988

14932

1964/10

8150

3903

7564

6094,5

31309

14451

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Literatur und Anhang

Dokument 11: Lenka Reinerová, „Statt eines Glückwunsches aus der Heimat“, IHE April 1967: 12f. Am 18. d.M. hat er Geburtstag. Da wird er 62 Jahre alt. Seine Gattin wird wohl einen Festkuchen backen oder eine Torte; eine schöne Tradition, die seit Generationen eingehalten wird. Die Kinder sind Enkelkinder gratulieren. Auch die Nachbarn, Stammkunden, Freunde der Familie. Was wünschen sie dem Geburtstagskind, das rüstig ist und voller Manneskraft? Zufriedenheit, volle Frische, ein langes Leben. Wir brächten nichts dergleichen über die Lippen. Weil Kinderaugen … Der Mann war einst unser Landsmann. Sein Vater Adolf  – o, das hat nichts zu sagen, der Name wurde erst später zum Fluch –, ein angesehener Bürger in der Stadt Šumperk (Schönberg) in Nordmähren. Angesehen, weil wohlhabend. Wohlhabend, weil tüchtig. Davon wußten die Heimweber dieser Gegend allerhand zu erzählen. Wer tüchtig ist, dem gehört bekanntlich die Welt. Vater Adolf gehörte ein Haus in der Lessingstraße (heute Langerstraße) Nr. 34. Er hatte auch zwei Söhne. Den einen, Albert, ließ er zum Lehrer ausbilden, der andere, Hermann, ging beim Drogisten des Ortes, Erich Schuster mit Namen, in die Lehre. Zum Seemann hieß der Laden auf der Schillerstraße. Dieser Hermann heiratete, als er in die entsprechenden Jahre kam. Seine Frau Grete ist eine geborene Ziernick, ihr Vater besaß eine Schnapsbude im Ort. Aber das ist nicht wichtig, umso weniger, als Hermann von seinem Vater das Haus in der Lessingstraße Nr. 34 erbte. Mit der Zeit kamen natürlich Kinder, wurden streng erzogen, eine rechtschaffene, gottesgläubige Familie. Vor jeder Mahlzeit wurde gebetet. Und dennoch, bewahre, keinen Glückwunsch! Denn die Kinderaugen … In Šumberk (Schönberg) in der Tschechoslowakei gab es in den zwanziger und dreißiger Jahren einen Deutschen Turnverein. Drogist Hermann wurde eines Tages Gauturnwart. Als der Turnlehrer Konrad Henlein seine Sudetendeutsche Partei gründete („Heim ins Reich!“ war ihre Hauptlosung), trat er ihr bei. Als Hitler den Drang nach Osten ankurbelte, die Tschechoslowakische Republik immer häufiger und zügelloser zu bedrohen begann, gründete die Henleinpartei auf dem Gebiet der damaligen ČSR sog. Freikorps, einen freiwilligen „Schutzdienst“. Drogist Hermann wurde Gauleiter für Nordmähren. Dann kam München. (Ganz richtig, das Münchner Abkommen, auf dessen

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Null- und Nichtig-Erklärung vor allem Anfang, von der ersten Stunde an die tschechoslowakische Regierung bis heute besteht). Der rechtschaffene Familienvater und Drogist aus Nordmähren trat der Schutz-Staffel bei. Hermann Krumey – so heißt der Mann, der am 18. 4. d.J. 62 Jahre alt wird – wurde Mitglied der SS unter Nr. 310 411 und unterstand ab 1. 11. 1938, knapp fünf Wochen nach dem Münchner Diktat, direkt dem Reichsführer SS Heinrich Himmler. Im nächsten Monat, im Dezember 1938, avanciert er zum Obersturmbannführer, er ist auch Kommandant der SS-Standarte Nr. 98. Am 20. April 1939, zwei Tage nach seinem 34. Geburtstag, wird ihm der Ehrendegen der SS verliehen. Eine hohe Auszeichnung, die – das versteht sich von selbst – verdient sein will. Damals haben die Herren Kameraden gewiß nicht mit Glückwünschen gespart. Schon aus Vorsicht. Schon aus Neid. Mit 34 Jahren pflegen gesunde Männer tatenfreudig zu sein. Hermann Krumey ging erst einmal nach Posen zur Reichsbahndirektion. Warum der ausgelernte Drogist sich gerade dazu eignete, bleibe dahingestellt. Sowieso war das bloß eine Umsteigestation, denn kein ganzes Jahr später bekleidet der blonde Hühne einen Vertrauensposten besonderer Art. Er wird Leiter der „Umwandererzentralstelle“ mit Sitz in Litzmannstadt, Adolf Hitler-Straße Nr. 133, – lies Lodž, Piotrkowska 133. Umwandern in andere Wohnungen mußten u. a. im klirrenden Nachtfrost am 31. 12. 1939 und am 16. 1 .1940 je 4 000 polnische Bürger. Insgesamt hat die von Hermann Krumey geleitete Zentralstelle 49 000 arische und 160 000 jüdische Polen in „Ersatzwohnungen“ umgesiedelt und jeden Monat 10 000 Menschen aus der Stadt entfernt. Eine aufreibende und zugleich faszinierende Arbeit, die schon einen ganzen Mann verlangt. Von Hermann Krumey kann nicht gesagt werden, er habe dabei seine Kräfte geschont. Selbst vor persönlicher Teilnahme an nächtlichen Verhören in Litzmannstadt, Adolf-Hitler-Straße Nr. 133, schreckte er nicht zurück. Dazwischen fuhr er im Juni 1941, mit besonderen Aufgaben betraut, nach Jugoslawien und im Oktober 1941 auf eigenes Ansuchen nach Theresienstadt, wo gerade das Ghetto und das Konzentrationslager eingerichtet wurden. Ein Fernschreiben des Judenmörders Eichmann unter Nr. 135/6 i (5 tgb UR 6285) gibt hierüber Zeugnis. Übrigens war Hermann Krumey sozusagen Adolf Eichmanns zugreifende rechte Hand. Sozusagen mit der linken hat er sich im Oktober und November 1941 auch um die Deportierung von 5 000

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Juden aus Böhmen und Mähren verdient gemacht. 261 von ihnen haben den Krieg überlebt. Schneiden Sie noch nicht die Torte auf, Frau Krumey. Sehen Sie denn nicht die Kinderaugen … Trotz der ungeheuerlichen Arbeit hat Hermann Krumey nie an seine Familie vergessen. Im Juni 1941 war er in Schönberg auf Urlaub und als er dann am Jahresende in Theresienstadt beschäftigt war, sparte er sich auch ein paar Tage für die Gattin und die lieben Kinder ab. Vom 20. 11. – 1. 12. 1941, zehn Tage lang, sah man ihn wieder in der Lessingstraße Nr. 34. Vor fünfundzwanzig Jahren, im Juni 1942, hatte Hermann Krumey direkt und unmittelbar noch mit anderen Kindern zu tun. Mit den Jüngsten aus dem böhmischen Bergarbeiterdorf Lidice. 88 wurden auf sein Geheiß und seine Verantwortung ermordet. 88 Kinder im Alter von 1–16 Jahren. Manche von ihnen konnte noch nicht richtig laufen, andere lernten eben schrei­ben und lesen, alle waren verstört, alle hatten Hunger und Hermann Krumey schrieb an das Reichssicherheitshauptamt z. Hd. Obersturmbannführer Adolf Eichmann am 20. 6. 1942: „Bitte dringend über die Weiterverwendung der Kinder zu verfügen.“ Und zwei Tage später: „Ich habe von der Überführung dieser Kinder die Abteilung IV B 4 unter der Voraussetzung verständigt, daß sie für die Sonderbehandlung bestimmt sind.“ Ein Teil der kleinen Jungen und Mädchen aus Lidice war nämlich „eindeutschungsfähig“, wie es in den Dokumenten heißt. Vor dem alliierten Gericht in Nürnberg wurde festgestellt, daß 100 tschechische Kinder ursprünglich in deutschen Familien untergebracht werden sollten. Diese Aktion wurde plötzlich unterbrochen. Am 30. 9. 1947 hat Hermann Krumey in Nürnberg gestanden, daß er an dieser Unterbrechung beteiligt war. Für „wiedereindeutschungsfähig“, wie er dabei wörtlich hieß, wurden nur 6 Kinder aus Lidice befunden. Die Spur der anderen führt in das polnische Städtchen Chelmno, führt ins Gas. Hermann Krumey ist für ihre „Sonderbehandlung“ direkt verantwortlich. Man möge uns verzeihen, daß wir, neben Millionen Toter, gerade dieser 88 ermordeten böhmischen Dorfkinder gedenken, wenn ein gewisser Familienvater seinen Geburtstag feiert. Und nun schneiden Sie die schöne Torte an, gnädige Frau!

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Aber wir wollen nicht vorgreifen. Die Kindertragödie spielte sich vor 25 Jahren, im Juni 1942 ab. Im Mai 1944, als der Krieg für das Dritte Reich nicht mehr so parademäßig aussah, versuchte der ausgelernte Drogist ein großes Geschäft flott zu machen. Über einen Mittelsmann namens Joel Brand in Budapest machte er der britischen und vor allem der amerikanischen Regierung folgendes Angebot: Er könne 1 Million Juden aus Lagern befreien, für den Preis von 10 000 Lkws, 800 Tonnen Kaffee, 200 Tonnen Tee und 2 Millionen Stück Seife. Nach einem anderen Kurs notierten 1700 (ungarische) Juden = 100 $. Aus dieser Transaktion wurde nichts, aber gestanden hat sie erst Adolf Eichmann vor dem Gericht in Israel. Hermann Krumey ist u. a. für den Tod von 437 402 Juden aus Österreich und Ungarn verantwortlich. Hunderttausende, eine Million Augenpaare kann man sich schlecht vorstellen. Aber die Augen von 88 Kindern? 1949 verlangte die Regierung Polens die Auslieferung des Kriegsverbrechers Hermann Krumey. Im April 1957 wurde er verhaftet, im September 1958 vom Landesgericht in Frankfurt a. M. wieder aus der Haft entlassen. Am 6. Mai 1959 hat dasselbe Landesgericht 47 Frauen aus dem Dorf Lidice, überlebende Mütter ermordeter Kinder, als Nebenkläger gegen Hermann Krumey regis­ triert. 1960 wurde er von neuem in Haft genommen. Im Februar 1965 wurde er von neuem – wegen Mangels an Beweisen! – freigesetzt, verurteilt zu fünf Jahren, die er in der Untersuchungshaft bereits verbüßt hatte. Er mußte sich bloß zweimal im Monat bei der Polizei in Korbach, Hessen, melden. Ja, sicher, in Korbach. Denn mit Hilfe eines staatlichen Kredits von DM 14 000.– konnte Hermann Krumey wieder seine ursprüngliche Beschäftigung aufnehmen. Er besitzt eine neue, die Hubertus-Drogerie, handelt mit Sämereien, Leinöl, Zahnbürsten, Kämmen, Insektenpulver, Rattengift. Nun haben die Mütter von Lidice abermals Anklage gegen den Mörder ihrer Kinder erhoben. Warum? Hermann Krumey wird am 18. d.M. 62 Jahre alt. Ein rüstiger Mann, ungebrochen könnte man sagen, wenn er selbst Unglück erlitten und nicht in ungeheuerlichem, wahnwitzigem Ausmaß Unglück verschuldet hätte. In der Zeit, die er in Korbach verbrachte, ging er jedoch neben der Drogistentätigkeit von neuem politischer Tätigkeit nach. Er wurde Funktionär im Kreisvorstand der

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Sudetendeutschen Landsmannschaft in Hessen. Hat er nicht schon einmal als bescheidener Gauturnwart, als schlichter Gauleiter begonnen? Hermann Krumey feiert am 18. d.M. in voller Frische seinen 62. Geburtstag. Die Mütter von 88 tschechischen Kindern, die vor 25 Jahren die Reise in den gewaltsamen Tod antreten mußten, sind unruhig.

Dokument 12: Lenka Reinerová, „Meine Heimat, mein Prag“, IHE Oktober 1968: 12f. DA WAR EIN TAG, an dem ich über die Karlsbrücke ging, unten floß das samtdunkle Moldauwasser und vor mir, auf dem Hradschinhang, drängten sich, fast könnte man sagen freundlich lächelnd, die alten Häuser. Weißlich, erbsengrün, rosa. Scharf umrissen, mit allen Fenstern funkelnd, thronte über all dem die Burg. Auf dem Dach ihres linken Flügels flatterte die Präsidentenstandarte. Ludvík Svoboda war zu Hause. Ich stand unten auf der Brücke, lehnte mich an ihre rauhe, aus alten und erneuten Quadern zusammengefügte Mauer und schaute und schaute. Was liebe ich an dieser Stadt? Ihre Erhabenheit und Schönheit? Ihre verträumte Lieblichkeit? Oder einfach den Umstand, daß sie den Umriß meines Lebens bildet, das Feste, Unverrückbare darin? Nur hier kann ich einem Haus zunicken (hinter diesen Fenstern hat Egon Erwin Kisch gewohnt) oder unwillkürlich den Kopf senken (hier hat die Gestapo meine Schwester gequält) oder ganz unbewußt den Schritt beschleunigen (die Arbeit, Freunde). Einmal mußte ich es verlassen, mein geliebtes Prag, einmal konnte ich wieder zurückkehren. Dieses Jahr, da im Frühling, im Sommer und besonders im frühen Herbst seine [sic] Häusermauern und Pflastersteine zu sprechen begannen, hat mich diese Stadt mit all ihren Toten und allen ihren Lebenden von neuem durchdrungen. Meine Heimat, mein Prag. Fünfzig Jahre alt wird die Tschechoslowakei in diesem Monat. Würde ich hundert Jahre leben, die Bilder, die sich in diesem Jubiläumsjahr in mein Bewußstein eingebrannt haben, könnte ich nicht vergessen. Ich hatte erst spät am Abend das Licht gelöscht und schlief fest. Da schrillte das Telefon. Ich konnte nicht richtig wach werden. Es schrillte anhaltend. Plötzlich durchzuckte es mich: Das Telefon! Zu ungewöhnlicher Stunde! Ich rannte bloßfüßig hin. Ein Freund rief mir ein paar verrückte Wort zu. Ich legte mechanisch auf. Hob mechanisch wieder den Hörer, wählte mit zitternder Hand eine Nummer. Rief Freunde ein paar verrückte Worte zu. Die kühle Nachtluft erbebte. Ich lief auf den Balkon. Der Himmel war schwarz, aber

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voll von roten Augen. Der Himmel dröhnte. Ein Mann rannte durch die leere Straße und schrie etwas. Hinter den Fenstern der schlafenden Häuser ging das Licht an. Das Telefon klingelte. Ich sagte: Ja, ja, ich weiß schon. Als ich auf den Balkon zurückkehrte, wurde der Himmel allmählich blasser. Riesige schwarze Vögel mit roten Augen zogen noch immer über unser Haus hin. Wann immer ich die Augen schließe, sehe ich dieses Bild. Um sechs Uhr früh trat ich auf die Straße. Fast jeder Mensch hatte ein Transistorgerät am Arm, am Ohr. Man wartete noch auf die Straßenbahn, aber die kam nicht mehr. Ich hielt einen Wagen an: Können Sie mich bitte ins Zentrum mitnehmen? Selbstverständlich, sagte der Mann, Ruhe, flehte die Stimme im Transistorgerät, Mitbürger, Freunde, bewahrt um jeden Preis Ruhe. Der Mann am Steuer sagte tonlos: Wir sind ein kleines Land. Die fremde Frau neben mir wollte vor der Brücke aussteigen. Ohnehin konnte man nicht weiter. Wir blieben auf dem Klárovplatz stehen. Auf dem Rasen zwischen der alten Trauerweide, die ich seit Jahren liebe, und den Sträuchern mit den korallenroten Früchten stand plötzlich ein Monument. Zumindest hatte ich das, was da vor meinen Augen aufgepflanzt war, den metallenen Koloß und die reglose Gestalt davor, bisher in unseren Städten und auf unseren Plätzen nur als Monument gesehen. Wann immer ich die Augen schließe, sehe ich diese reglose Gestalt. Und dann vergingen zwei Tage oder tausend Jahre. Jemand sagte damals von den Pragern, sie gingen an den bedrohlichsten Dingen wie an Bäumen vorbei. Wie an Bäumen, mag sein, aber keineswegs benommen. Wenn die Luft von kurzen Stößen flimmerte, hoben sie die Köpfe, gingen weiter oder betraten ruhig das nächste Haus. Ich habe in jenen Tagen niemanden weinen gesehen oder gar jammern gehört. Auf dem Altstädter Ring hatte jemand dem steinernen Jan Hus barmherzig die Augen verbunden. Beim Grabmal des Unbekannten Soldaten standen dicht gedrängt Gläser mit frischen Blumen. Ich war dort mit einem Freund verabredet. Als er kam, wies er mit der Hand auf das Torso der [sic] Altstädter Rathauses und sagte: Vor dreiundzwanzig Jahren zerschossen. Irgendwo in der Ferne grollte es in der Luft. Neben dem Rundfunkgebäude waren bereits vier Häuser abgebrannt. Wir gingen durch die Altstadt. Die Häusermauern und die Pflastersteine hatten schon vor Tagen zu sprechen begonnen. Am Gittertor zum alten jüdischen Friedhof war ein grauer Pappkarton befestigt mit der Aufschrift: Sie schweigen. Sie wissen das Ihre. Heute ist Sonntag, sagte der Mann neben mir beinahe erstaunt, als wir auf die Karlsbrücke traten. Die Präsidentenstandarte auf dem linken Flügel der Prager Burg war eingezogen. Ludvík Svoboda war nicht zu Hause.

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Auf der Insel Kampa setzten wir uns auf eine Bank. Links von uns lasen drei alte Männer mit konzentriertem Interesse die rührend dünne Ausgabe der Gewerkschaftszeitung und eine andere der Literarischen Blätter1. Kinder liefen lärmend über den Rasen, was ansonsten nicht gestattet ist. Vor uns leuchtete ein Blumenbeet in den hellen Farben des Spätsommers. Gelb und hellrot, blau und kräftig rosa. Der Mann neben mir stützte dem [sic] Kopf in beide Hände und sagte leise: Eine Katastrophe. Zwei junge Mädchen gingen vorbei. Die eine hatte eine schmale blau-weiß-rote Trikolore ins Haar geflochten. Es war Mittag und die Sonne schien. Ich lehnte den Kopf zurück, aber da hing gleich einer riesigen Heuschrecke ein feldgrauer Hubschrauber über uns. Eine Katastrophe, wiederholte der Mann neben mir. Eine Frau legte behutsam, fast zärtlich, ein naßes Blatt Papier auf das Blumenbeet. Es trug das Bild Alexander Dubčeks. Jemand hat einen Packen Zeitschriften aus der Moldau gefischt, sagte sie erklärend in unsere Richtung, jetzt trocknen die Leute die einzelnen Blätter auf dem Geländer des Quais. Durch die Blätter der Bäume schimmerte die Moldau. Ein Kind lachte auf. Ich wandte mich erstaunt um. Seit Tagen hatte ich niemanden lachen gehört. Der Mann neben mir sagte müde: Jetzt müssen wir wieder ganz vorne beginnen. Müssen den Weg zu den reinen, menschlichen und deshalb weiter gültigen Grundideen zeigen. Alles andere hat man uns genommen. Eine Katastrophe. Wann immer ich die Augen schließe, sehe ich das Blumenbeet mit dem feuchten Bild darauf und höre dazu diese verzweifelten Worte. In der Straße, in der ich wohne, ist die Umfassung der Gehsteige wie von gigantischen Drachenzähnen zerklüftet. Über den Haustoren und an den Straßenecken gab es tagelang blinde Stellen. Die Häusernummer und Straßenschilder fehlten. Manchmal hatte ich das Gefühl, der Schmerz, der wie ein schwerer Stein in mir lag, hat auch die Schienenstränge der Straßenbahn verbogen und vielleicht auch die fürchterlichen, braunroten Flecken verursacht, die mehrfache Regenschauer nicht von den Pflastersteinen spülten. Wie konnte das bloß geschehen? Vor fünfzig Jahren, als Prag die Hauptstadt eines neuen, wohl kleinen, aber schon damals auf seinen geistigen Reichtum, auf seine innere Stärke ausgerichteten Staates wurde, wußte ich noch nichts von all dem. Vor dreißig Jahren zitterte ich zum ersten Mal um Prag und meine Tschechoslowakei. Erschrak zutiefst, als in den ersten Herbsttagen 1938 am Abend in der ganzen Stadt die Lichter ausgingen, weil ein feindlicher Flugangriff erwartet wurde. 1  In der Handschrift befindet sich der Korrekturvorschlag Rudé Právo.

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Begann Prag zu lieben, weil es nicht eine zauberhaft schöne, sondern weil es auch eine kluge und tapfere, eine bescheidene und eine stolze Stadt ist. In diesem Jahr wurde aus der leisen, stillen Liebe eine leidenschaftliche große. Eine ernste, bewußte, fest von Mensch zu Mensch geknüpfte, schwer geprüfte, von der Wahrheit wie von strahlendem Sonnenlicht durchflutete Liebe. Hier leben mutige, aufrechte und der Zukunft zugewandte Menschen. Sie, und nur sie allein sind die Herren dieses Landes, sind seine Hoffnung, seine sozialistischen Bürger. Hier bin ich geboren, hier bin ich zur Schule gegangen, hier habe ich Schmerz und Freude kennen gelernt, großen Schmerz, aber auch große Freude. Wenn wir nun, zum fünfzigsten Geburtstag dieses Landes, unser Glas heben, so soll es kein Becher der Bitternis sein, vielmehr des reinen Weines. Ich bitte Euch mit uns anzustoßen, Freunde, auf die große Mission eines kleinen Staates, auf die sozialistische Zukunft der Tschechoslowakei.

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Personenregister Beneš, Vlastimil 360 Beran, Jan 115 Bergmann, Hugo 249 Berschin, Helmut 167 Bezděk, Norbert 359 Bidault, Georges 52 Biebl, Konstantin 366 Biermann, Dominik 241f. Biermann, Wolf 55 Blažek, Vratislav 331 Blažková, Jaroslava 366 B Böhm, Franz 194 Babel, Isaak 149, 340 Böll, Heinrich 97, 235, 240 Bach, Johann Sebastian 235, Bolzano, Bernard 180 341 Borchardt, Wolfgang 235 Bachmann, Ingeborg 235 Borchert, Wolfgang 240 Bacílek, Karol 263 Born, A. 369 Bahr, Egon 43, 47 Borovička, Václav 265 Balgha, Peter 123, 337, 367 Bošek, Pavel 368 Balík, Jaroslav 343 Bosques, Gilberto 14 Balk, Theodor 14, 70f. Brahe, Tycho de 297 Barabáš, Stanislav 343 Brand, Joel 377 Baran, Ludvík 117 Brandt, Willy 36, 44f., 47, Bareš, Gustav 259, 362 170, 195, 198 Bareš, Vojtěch 138 Brdečka, Jiří 123, 337, 343, Barthes, Roland 173 367 Bassermann, Albert 177 Brecht, Bertolt 94, 191, 235, Batista, Fulgencio 115 239 Battke, Heinz 235 Brejchová, Jana 357 Bauch, Jan 356 Brenner, Hildegard 364 Baum, Oskar 235, 248f. Breughel d. J., Pieter 358 Baumgartner, Ulrich 232 Březovský, Bohuslav 123, Bayer, Heda 184 329, 339, 366 Bebel, August 179, 235 Brod, Leo 40, 70, 102f., 229, Becher, Johannes R. 235 231, 251f., 265 Becher, Walter 182, 194 Brod, Max 102, 235, 247–49, Beckelmann, Jürgen 211 336 Bednář, Kamil 370 Brod, Petr 102 Bednarek, Emil 205 Beethoven, Ludwig van 191, Brok, Jindřich 117 Brož, Josef 360 235 Brůna, Otakar 184, 201 Běhounek, Jiří 369 Beneš, Edvard 11, 31f., 66, 72, Brunovský, Albín 212 Brychta, Jan 121, 358 143f., 159, 177, 303 Brynych, Zbyněk 343f. Beneš, Josef 120

A Adenauer, Konrad 30, 40f., 45, 149f., 202 Alfermann, Armin 116, 126 Ančerl, Karel 106 Aragon, Louis 94, 103 Aschenbrenner, Viktor 182 Aškenazy, Ludvík 123, 125, 332, 352, 365f., 368f.

Buchner, Alexander 219 Budín, Stanislav 150, 362 Bünting, Heinrich 151 Burda, Vladimír 121 Burger, Hanuš 179 Burian, E. F. 237, 366 Bystrický, Rudolf 175 C Caillois, Roger 173 Calice, Heinrich 54 Čampulka, Pavel 371 Camus, Albert 338 Capa, Robert 115 Čapek, Josef 353 Čapek, Karel 124, 333, 339, 365, 367f. Čapka, Boh. 353 Cartier-Besson, Henri 115 Caspar, Günther 304 Castro, Fidel 115 Čech, Vladimír 343 Černá, Jana 123, 337, 367 Černá, Kateřina 371 Černík, Oldřich 292, 294 Černý, Jindřich 109, 178 Černý, Karel, 367 Činčera, Raduz 265 Chaba, Karel 120, 354, 358, 371 Chagall, Marc 149 Charuza, J. 352 Chelčický, Petr 133 Chochola, Václav 115, 117 Chotěnovský, Zdeněk 370 Chruschtschow, Nikita 29, 259 Churchill, Winston 185 Chytilová, Věra 141f. Cigánová, Zuzka 360 Ciolkowski, Constantin 150 Clementis, Vladimír 86, 108, 114 Comenius, Jan 133, 219

384 Eisner, Pavel 250 Eliade, Mircea 173 Ellul, Jacques 173 Engel, Štěpán 299 Enzensberger, Hans Magnus 149, 235 Epstein, Oskar 249 D Erhard, Ludwig 30, 44f., 175, Daníčková, Sylva 123, 141, 194f. 338, 363, 368 David, Václav 35, 42, 50, 175, Erhart, Michel 242 195 F Davis, Lionel 140 45, 150 Farah Diba [Pahlavi] 130 Dejmek, Jindřich 86 Farkačová, Aja 352 Dessau, Paul 95, 235 Fellini, Federico 149 Dienstbier, Jiří 100 Ferdinand II. von Habsburg Dittner, Jürgen 364 217 Diviš, Ivan 368 Ferstel, Heinrich von 230 Dix, Otto235, 241 Fiala, Josef 350–55 Döblin, Alfred 235, 240 Fialka, Ladislav 336 Dostálová, Alena 121 Fibichová, Zdena 370 Drda, Jan 125, 330, 366 Ficenec, J. 76 Dreiser, Theodor 94 Fichte, Johann Gottlieb 236 Drož, Bedřich 110, 146 Dubček, Alexander 166, 257, Fierlinger, Zdeněk 31, 41 Fil, Vladimír 110 263, 270, 272, 274, 277, 285, 289f., 292, 294, 297f., Filipec, Jindřich 362 Fišárek, Alois 354 380 Fišárková, Zuzana 119, 354 Durčanský, Ferdinand 221f. Fischer, Ernst 82, 236 Dürer, Albrecht 235, 242 Fischer-Diskau, Dietrich Dürrenmatt, Friedrich 235 146, 236 Dušková, Eva 361 Fleischmann, Ivo 103f., Dvořák, Antonín 232 123f., 209, 211, 334, 363, Dvořáková, Vlasta 218 367 Fleming, Alexander 150 E Florian, M. 368 Ebner-Eschenbach, Marie Foertsch, Friedrich 202 von 231 Eckstein, Pavel 70, 103, 146, Forman, Miloš 18, 142, 344 Franz Josef, Kaiser 231 230 Frank, Anne 237 Effel, Jean 343, 350 Frank, Heinz 70 Eggenstein, Ullrich 364 Frank, Karl Hermann 213 Egk, Werner 338 Frank, Leonhard 236, 239f. Ehrenburg, Ilja 149 Frankl, Ludwig August 251 Eichler, Karel 123, 338, 368 Eichmann, Adolf 206, 375–77 Franková, Hermína 366 Einhorn, Erich 115

Coubertin, Pierre de 131 Cremer, Fritz 235, 241 Csokor, Franz Theodor 231, 235 Čulík, Dušan, 115, 136

Personen- und Ortsregister Frei, Bruno 82, 84, 93, 236, 268 Freitag, Karl 209–11 Fremund, Richard 358 Freud, Sigmund 236 Friš, Edo 363 Friš, Martin 123, 367 Fritsch, Maria 163, 361 Fritta, Bedřich 251 Frýd, Norbert 125, 366, 368 Fuchs, Rudolf 236, 249 Fuchs, Vilém 212f., 364f. Fučík, Julius 65, 365 Fuková, Eva 117, 267, 357 Fuks, Ladislav 123, 125, 335, 367 Fulbright, J. William 151 Fulín, Miloslav 76, 85, 356 Fulla, Ludo 353, 355 Fürnberg, Lotte 179 Fürnberg, Louis 179, 236, 249, 349 G Gagarin, Juri 150, 331 Gajer, Václav 343 Gandini, Giorgio 271 Geissler, Christian 236 Gerstenmaier, Eugen 41 Gies, Robert 203f. Girardet, Raoul 173 Glückauf, Tomáš 210, 363 Goebbels, Josef 150, 178 Goethe, Johann Wolfgang von 150, 235f., 239f., 240, 244 Goldberger, Kurt 284, 335, 344 Goldscheider, František 229, 231 Goldstücker, Eduard 16, 18, 88, 104f., 180f., 207, 209, 239, 244–46, 249–51, 258, 260, 272, 279, 286, 363, 366 Goll, Jaroslav 174

385

Personen- und Ortsregister Havránek, Karl 110 Haydn, Joseph 235f. Heartfield, John 236, 346 Heck, Georg 236 Hečko, František 365 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 236 Heine, Heinrich 235f. Heissenbüttel, Helmut 236 Helge, Ladislav 341 Heller, Isidor 236, 250 Hendrych, Jiří 42 Henlein, Konrad 162, 182, 194, 202, 213, 374 H Herder, Johann Gottfried Haas, Willy 248 von 199, 236 Hába, Alois 105f. Habsburg, Otto von 52, 220f. Hermach, Jiří 273 Hetzenauer, Franz 220 Haďák, s. Miroslav Liďák Heydrich, Lina 203 Hadrava, R. 356 Heydrich, Reinhard 200, 203 Haehler, Irmgard 146 Hindemith, Paul 236 Haindl, Hermann 236 Hitler, Adolf 13, 44, 122, Hájek, Eduard 121, 371 147, 150, 162,174f., 177, Hajek, Hans Herbert 149 185, 187, 195, 202, 222, Hájek, Jiří 67, 106, 145, 151, 263, 374 168, 213f., 240, 361, 363f., Hlavín, Vladimír 122, 370 367 Hlinomaz, Josef 355 Hájek, Karel 73 Hnízdo, V. 350f., 354f. Hájek, Miloslav 365 Hochhuth, Rolf 67, 149, 195, Hák, Miroslav 73 335, 337 Hallstein, Walter 30, 41f., 44, Hodinová-Spurná, Anežka 167, 224 333 Hamm, Peter 147 Hoffmann, Kurt 336 Hampl, Alexandr 352 Hoffmeister, Adolf 18, 229, Hamšík, Dušan 361 231 88, 106f., 124, 239, Hamšíková, Libuše 79 251, 282, 332, 352, 366, Hannich, Bertl 165 370 Hansberry, Lorraine 252 Hartmann, Moritz 236, 250f. Hofman, Alois Hase, Karl-Günther von 195 Hofman, Eduard 141 Hašek, Jaroslav 94, 124, 331, Hofmann, Gert 236, 334 Holan, Vladimír 124, 368 366 Holbein, Hans 359 Haske (Polizeirevisor) 179 Hölderlin, Friedrich 147 Hauptmann, Gerhard 236 Höller, Franz 182 Havel, Jiří 357 Havel, Václav 18, 64, 92, 211, Holub, Miroslav 367 Holý, Stanislav 121 334 Gorbach, Alfons 224 Gottwald, Klement 31–33, 35, 96, 114 Grass, Günter 236, 269 Grillparzer, Franz 231 Grimm, Peter Ernst 267 Gropius, Walter 262 Grosz, George 236 Grundig, Hans 236 Grus, Jaroslav 360 Gruša, Jiří 124, 266, 368 Gutfreund, Otto 247, 351

Holzknecht, Václav 217, 219 Honecker, Erich 55 Honzíková, Milena 123, 330, 366 Horčička, Jiří 147, 364 Horníček, Miroslav 123, 338, 368 Horšák, I. 357 Hošková-Weissová, Helga 371 Höß, Konstantin 182 Houdek, Vratislav 176, 280, 363f. Hrabal, Bohumil 124, 367 Hrbek, M. 101 Hromádka, Josef Lukl, 362f. Hrouzek, V. 138 Hrubín, František 328, 331, 366 Hrubý, Karel Otto 18, 115f. Hrušková, Milena 110, 337, 352, 359f. Hubená, D. 209f., 213 Hudec, Josef 357 Humboldt, Alexander von 235f. Hus, Jan 133, 211, 282, 297, 350, 379 Husák, Gustáv 251, 260, 263, 272, 297f. Husserl, Edmund 236 Hykisch, Anton 123, 334, 367 Hyršlová, Květuše 211 I Illing, Paul 194 Indra, Alois 270, 272 Ivanov, Miroslav 201 J Jabůrková, Jožka 366 Jakubisko, Juraj 344 Jaksch,Wenzel 159, 193 Janáček, Leoš 211, 338 Janeček, Ota 354 Janů, Jan 137 Jappy, s. Vilém Reichmann

386 Karl IV. 133 Karmasin, Franz 182 Karvaš, Petr 93, 123, 260f., 264, 329, 333, 335, 337, 339, 342, 366–68 Kašpar. Jan 329 Katz, Otto, s. Simone, André Kaznelson, Sigmund 249 Kellner, Viktor 249 Khun, Miroslav 141 Kiesinger, Kurt Georg 30, 45f., 203 Kirchner, Zdeněk 370 Kirschschläger, Rudolf 67 Kisch, Egon Erwin 13f., 71, 102, 124, 237, 248–50, 268, 342, 349, 356f., 368, 378 Kisch, Gisl 13 Klarsfeld, Beate 203 Klaus, Josef 53, 224 Klebe, Giselher 237 Kleist, Heinrich von 235, 237 Klička, Otto 225, 233 Klíma, Ivan 64 Kliment, Jan 141 Klimt, Saša 351 K Kloboučník, Jan 361 Kačer, V. 329 Klos, Elmar 261, 343f. Kachyňa, Karel 344 Knižkovsk, A. 244 Kádár, Jan 261, 343f. Kästner, Erich 178, 237, 240 Kocourek, Rostislav 202, 362 Kafka, Čestmír 369 Kafka, Franz 50, 98, 104, 124, Koehler, Reinhold 237 Köllner, Fritz 182 212, 235f., 244–48, 252, Koeppen, Wolfgang 237, 257, 297, 336, 357 240 Kahuda, František 78 Kohn, Hans 249 Kaiser, Jakob 29 Kohout, Antonín 146 Kalousek, Jiří 295 Kohout, Pavel 18, 64, 87, Kammigan, Franz 210 107, 212, 269 Kantůrek, Jiří 257 Kolář, Jiří 100, 121, 239, 356, Kaplanová, Libuše 121 358 Kapper, Siegfried 236, 250 Kolátová, Eva 145 Karásek, Oldřich 99, 127, Kolbe, Georg 237 239, 282, 334, 338, 356, Kolder, Drahomír 257 358–60 Kollwitz, Käthe 237 Karásek, Přemysl 355, 357

Jariš, Milan 330 Jarunková, Klára 366 Jasanský, Pavel 358 Jasenská, Milada 164, 180 Jašík, Rudolf 123, 332, 366 Jasný, Vojtěch 344 Jaspers, Karl 191, 236 Javorský, Jan 369 Jelínek, Oldřich 370 Jelínek, Rudolf 220, 226 Ješátko, Karel 354 Jesenius, Gustav, s. Solar, Gustav Jessenius, Jan 87 Jermář, Jaromír 364 Jewtuschenko, Jewgenij 149 Jilemnický, Petr 365 Jiráek, Vladimír 369 Jirásek, Alois 217 Jíravová, Alena 336, 370 Jiřincová, Ludmila 120f., 356, 370 Jírů, Václav 18, 73, 90, 115– 18, 350, 360 Johnson, Uwe 236

Personen- und Ortsregister Komárek, Jaromír 357 Komárek, Jaroslav 358 Kompert, Leopold 237, 250 Konrád, Karel 367 Kopecký, B. 352 Kopecký, Václav 74 Kopecký, Vladimír 370 Korecký, Miroslav 354 Kornfeld, Paul 237, 251 Kosík, Karel 64 Košťová, Jarmila 359 Kosta, Jiří 365 Kosta, Oskar 88, 99, 123, 217 Kot, Jozef 123, 367 Koudelka, Petr 222f. Kracker, Johann Lukas 119, 237, 243, 351 Král, Václav 185, 194, 196, 362 Kramer, Fred 357, 359 Krása, Hans 251 Krasl, Jiří 352 Kratina, Radek 359 Kratochvíl, Milan 121 Kraus, Jindřich 135, 362 Kraus, Karl 182 Kreisky, Bruno 53f., 221, 224 Krejcí, Luba 353 Krejcík, Jiří 343 Krejčík, Rudolf 344 Kremlička, Rudolf 353 Kreysler, Joachim 209f., 364 Kriegel, František 36 Krištofori, Jan 121, 370 Kropáč, Zdeněk 361 Krška, Václav 343 Krumey, Hermann 206f., 286, 375–78 Kružík, J. 223 Kryštofek, Oldřich 205, 364 Kubka, František 125, 366 Kühn, Walther 42 Kuhn, Miroslav 141 Kuklík, Karel 357 Kuncová, Libuše 368

387

Personen- und Ortsregister Kundera, Milan 18, 64, 114, 124, 267, 294, 368f. Kunz, Karl 237 Kunze, Christine 113 Kusák, Alexej 245 Kuščynskyj, Taras 359 Kutálek, Jan 356 Kužel, Dušan 123, 335, 367 Kvasil, Bohumil 202

Lorenc/z, Erich 109, 239, 369 Loth, Wilfried 29 Ludvík, Emil 294 Lübke, Heinrich 215 Lukas, Jan 115f., 118, 350–53 Lukavský, Jaroslav 369 Lukeš, Milan 247 Lukeš, Zdeněk 262 Lustig, Arnošt [Arne Laurin] 72 Lustig, Arnošt 72, 108, 125, 340, 367 Luxemburg, Rosa 237 Lympany, Moura 146

Martin, J. 37, 175,265, 362 Martinec, J. 160, 184, 200 Martinovský, Z. 355 Martinů, Bohuslav 261 Marx, Karl 150, 235, 237, 239 Masaryk, Jan 144 Masaryk, Tomáš Garrigue 133, 147 Máša, Antonín 344 Masojídek, Karel 353 L Matějček, Jan 241 Lada, Josef 124, 365 Matějka, Dobroslav 175, 294, Lahoda, Leopold 368 364 Lammer, Vladimír 355f. Matouš, Karel 225 Lange, Bernd-Lutz 17f. Matuška, Waldemar 359 Lange, Heinz, 182 Maulbertsch, Franz Anton M Langer, František 365 237, 243 Macek, Josef 218 Lasica, Milan 368 May, Karl 237 Machat, Antonín 52 Laštovka, Karel 370 Menzel, Jiří 142, 344 Machovec, Milan 120, 209, Laub, Gabriel 124, 367 Meyrink, Gustav 237, 248 259 Lauer, Otto 241 Michal, Karel 125, 267, 368 Laurin, Arne, s. Arnošt Lustig Macků, Zdena 371 Mickiewicz, Adam 150 Macourek, Miloš 367 Lazarová, Katarína 366 Mikulášek, Oldřich 368 Mahler, Gustav 230, 237 Lebenhart, František 79 Mikulášková, Věra 139 Mahler, Zdeněk 108, 124, Lecler, Paul 79 Mikulka, Alois 360 133, 219, 282f., 358, 368 Miler, Zdeněk 141 Lederer, Jiří 286 Majerová, Marie 365 Ledig, Gert 237 Mitrega, Paul 203 Malák, Jaroslav 119, 121f., Legradi, Helene 224f. Mladějovský, Jan 371 151, 193, 196, 258, 354 Lemmer, Ernst 198 Mlynář, Zdeněk 258, 271f. Malířová, Helena 366 Lenčo, Ján 368 Mňačko, Ladislav 67f., 123f., Manka, R. 195 Lenin, Wladimir Illjitsch 63, 195, 335, 367 Mann, Heinrich 237 150, 260 Molín, Josef 371 Mann, Thomas 235, 237, 239 Monicault, Louis de 52 Lenková, Milena 120 Maralík, Milan 361 Leppin, Paul 237, 248f. Montand, Yves 103 Mařanová, Jarmila 212, 370 Montesquieu, Charles-Louis Levčík, Bedřich 174 Marco, Jindřich 329, 331, Lhoták, Kamil 357 de Secondat 226 354, 358, 360 Liďák, Miroslav [Haďák] 369 Morgenstern, Christian 237 Marconi, Guglielmo 150 Liebknecht, Karl 237 Mory, Carmen Maria 186, 305 Marek, Ferdinand 51 Liehm, Antonín 64, 89, 105, Moskalyk, Antonín 344 Marek, Jiří 366 108, 245, 272 Mozart, Wolfgang Amadeus Marešová, Milada 122 Linhartová, Věra 124, 367 177, 235, 237 Mařík, Kája 359 Litomiský, Jaroslav 350–53 Mráz, Stanislav 265 Markewitch, Igor 146 Lodgman von Auen, Rudolf Mrkos, Antonín 351 Markupová, Irena 367, 369 180, 182 Mucha, Alfons 360 Marshall, George C. 31f., 35 Mucha, Jiří 125, 267, 368 Loos, Adolf 230 Martin, Erich 237 Lope de Vega, Félix 178 Mühlberger, Josef 197

388 Mukařovský, Jan 243 Mundt, Hans Heinrich 244 Munk, Erwin 108 Münster, Sebastian 151 Mulka, Robert 205 Murer, Franz 223 Muzika, František 357 N Načeradský, Jiří 371 Naumann, Friedrich 148 Navrátil, Josef 354 Nehera, Otakar 358 Nejedlý, Zdeněk 199 Nelhiebel, Kurt 182 Nemčík, Július 360 Němcová, Božena 124, 366 Neruda, Jan 124, 365 Nestroy, Johann 237 Nesvadba, Josef 124, 367 Nesvadba, Miloš 369 Nešvera, Karel 146 Neubert, Karel 351–55, 357 Neubert, Ladislav 356–58, 360 Neumann, Stanislav Kostka 329 Nezval, Vitězslav 124, 365 Niemöller, Martin 170, 172 Novák, František 139 Novák, Ivo 343f. Novák, O. 331 Novák, V. V. 360 Novomeský, Laco 123f., 334 Novotný, Antonín 33, 44, 46, 162, 172, 257, 263 Novotný, Milaň 116 Nový, Karel 366f. Nový, Otakar 230, 262 Nowák, Petr 219. 244 O Oberländer, Theo 203 Oborin, Lew 146 Olah, Franz 221

Personen- und Ortsregister Opitz, Karlludwig 97, 237, 240, 331 Opočenský, Karel 366 Oppenheimer, Robert J. 335 Oravec, Vavro 247 Orlický, Hanuš 138, 162, 363 Ort, Alexandr 302 Otčenášek, Jan 365 Ovsik, L. 353 P Pacovský, Jaroslav 329 Palach, Jan 291f. Palacký, František 232 Paleček, Josef 359, 370 Papoušek, Jaroslav 142 Páral, Vladimír 368 Pařík, Jiří 122, 371 Passer, Ivan 142, 344 Paul, Alexander 119f., 356–58 Paul von Leutschau/Levoča 237, 242, 350f., 354, 358f. Pavel, Ingrid 69, 234 Pavlík, Jiří 371 Pavlík, Milan 343 Pejčoch, Slawomír 139 Pekárek, Svatopluk 368 Pelc, Antonín 239 Pelikán, Jiří 227 Pelíšek, Václav 363 Pensdorf, Eva 261 Pešek, Jiří 370 Pešek, L. 355 Petřinová, Irena 190 Pfaff, Ivan 269 Picasso, Pablo 90, 94, 107, 352 Pilař, Jiří 209f. Piscator, Erwin 96, 237, 240 Placatka, Ladislav 370 Plachá, Lida 361 Plicka, Karel 73, 230, 359 Plocek, Evžen 291 Plojhar, Josef 141, 224

Pluhař, Zdeněk 365 Podaný, Josef 368, 370 Podiebrad, Georg von 133 Podskálský, Zdeněk 343f. Pötzl, Josef 163, 361 Pojar, Břetislav 141, 353 Pokorný, Dalibor 99 Pokorný, Dušan 362f. Poláček, Josef 249 Polák, Jindřich 343 Pont, Peter, s. Kosta, Oskar Pospisil, E. 336 Pospíšil, Vilém 146 Postlová, Alena 146 Pražák, Jiří 352 Preclík, Vladimír 369 Procházka, Jan 124, 272, 367 Procházka, Jaroslav 246 Prokopová, Eva 370 Prošková, Hana 123, 336 Průcha, Milan 50 Ptáčník, Karel 366 Pulec, Jan 209f., 213, 356 Pudlák, Jan 278 Pujmanová, Marie 365 Pulver, Liselotte 211 Putík, Jaroslav 123, 337, 367 R Raab, Julius 53 Rachlík, František 361, 365 Rada, Pravoslav 358 Radok, Alfréd 141, 211 Rakovec, O. 331 Ranický, Viktor 351, 353f., 356 Rapacki, Adam 43, 53 Rattinger, Bedřich 364 Rauff, Walter 305 Rednický, Viktor 116 Reichmann, Vilém [Jappy] 116, 122, 369 Reiman, Michal 257 Reimann, Pavel 245, 362 Reinerová, Lenka 12–18, 20–24, 56, 70–72, 76–83,

389

Personen- und Ortsregister 85–98, 100, 102, 105, 107–09, 111, 120, 123, 125, 127, 129–32, 141, 143, 150, 157, 160, 164–66, 170. 174–80 185–88, 190–203, 205–11, 214f., 217, 228, 235, 239, 246–48, 250, 252, 259–61, 264–66. 268–70, 273–76, 278f., 281f., 284, 286–94, 296–99, 303–06, 327–349, 361–65, 370, 374, 378 Remarque, Erich Maria 97, 237, 240 Reszler, André 173 Richta, Radovan 257–59, 265, 303 Richter, Dan 355 Richter, Hans Werner 149 Richter, Ota 119, 351–54 Riemenschneider, Tilman 242 Rilke, Rainer Maria 102, 104f., 124, 237, 248–50, 337 Ringelnatz, Joachim 237, 239 Robinsonová, Magdalena 117, 273, 352, 359 Rohan, Bedřich 175, 202, 207, 362, 364 Rolčík, Přemysl 354, 369 Romm, Michail 149 Rosenbaum, Karol 363 Rostockij, Stanislav 343 Rothmayer, Gerda 82, 93 Roubíček, René 359 Rühmann, Heinz 211 Rybár, Ctibor [Tibor Fischer] 109, 131, 141, 145 Rybárová, Mélanie 109 Rybka, Zdeněk 371 Rychman, Ladislav 344 Rýpar, Vladimír 114 Ryvolová, Karla 371 S Saar, Ferdinand von 230f. Sachs, Hans 178

Šalda, František Xaver 124, 366 Šalek, Jaroslav 356, 358f. Salus, Hugo 237, 248 Sander, Rudolf 182 Šantl, Hynek 357, 359 Sartre, Jean-Paul 245, 248, 338 Satinský, Július 368 Schalek, Fritz 362 Schiffkorn, Aldemar 230 Schiller, Friedrich 178, 180, 235, 238, 241 Schmid, Carlo 169f. Schmidt, Helmut 50 Schmidt-Polex, Carl 56 Schneider, František 163 Schneiderhan, Wolfgang 146 Schnitzler, Arthur 238, 341 Scholochow, Mikhaïl 94 Schönberg, Arnold 235, 238 Schongauer, Martin 242 Schopenhauer, Arthur 238 Schorm, Evald 344 Schostakowitsch, Dmitri 94 Schreiber, Eduard 18, 104 Schröder, Gerhard 42f. Schulz, Karel 368 Schwarz, Egon 194 Šechtlová, Marie 357 Seebohm, Hans-Christoph 157, 182, 194 Seefried, Irmgard 146 Seghers, Anna 71, 192f., 216, 248, 268, 304f. Seiboth, Franz 182 Seippel, Werner 238 Sekera, Josef 365 Sekera, Jiří 272 Seliger, Josef 182 Selucký, Radoslav 261f., 264, 270, 272, 276, 363 Semprun, Jorge 13 Šetlík, Jiří 247 Seume, Johann Gottfried 238

Seyček, Evžen 363 Seydl, Zdeněk 122, 355, 369 Sidon, Karol 368 Signoret, Simone 103 Šik, Ota 33, 257f., 264f., 270–72, 303 Šikula, Vincent 367 Silan, Arnošt 175 Šilhan, V. 352, 355, 363 Šimáhová, Marie 73 Šimeček, Zdeněk 133 Šimek, Petr 149 Šimon, Mojmír 122 Simone, André 14, 268 Šimonek, Vojmír 70, 92, 165f., 216 Šíp, Jaromír 243 Široký, Viliam 41, 53, 263 Sís, Vladimír 343 Sitenský, Ladislav 101, 116, 139, 250, 354, 358, 360 Sivko, Václav 353 Skácel, Jan 124, 368 Škácha, Oldřich 116, 356f. Skála, F. 369 Škarýd, Milan 77, 82, 85, 101f., 10, 114, 116–18, 120f., 136, 163–65, 169, 184, 197, 207, 209f., 213, 231f., 295f., 298, 330f., 352f., 354–59, 364 Sklenář, Václav 344 Skořepa, František 370 Škvorecký, Josef 124, 367 Slánský, Rudolf 14, 32, 71, 257 Šlitr, Jiří 354 Smetana, Bedřich 150, 211, 232, 286f. Smetanová, Jindřiška 123, 330, 366, 368 Šmirous, Karel 350–52 Smrkovský, Josef 272, 276, 294 Šnejdárek, Antonín 168, 196, 211, 223

390 Sobota, Walter 163 Solan, Peter 264 Solar, Gustav [Gustav Schwarzkopf] 76–80, 82, 85–91, 107, 115–17, 158, 161, 168–70, 184, 193–97, 200f., 211, 216f., 223, 230, 232, 239, 242–44, 261f., 267f., 273, 276f., 280, 331, 361, 363, 370 Sommer, Ernst 249 Soraya Esfandiary-Bakhtiary 130 Souček, Ludvík 116 Sova, Svatopluk 330 Špaček, Josef 36 Spina, Franz 180f. Špindlerová, A. 127 Spousta, J. 116 Staël, Germaine de 148 Stalin, Josef 14, 29, 34f., 185, 259 Stanislav, Jan 361 Starý, Michal 110, 163, 244, 370 Štefánik, Milan Ratislav 296 Steinbeck, John 338 Štejn, Jiří 92, 193, 195, 362, 364f. Štěpán, Bohumil 121f., 355, 369 Štěpán, Lubomír 122 Štěpánová, Hana 369 Stifter, Adalbert 182, 229f., 238, 248 Štihlický, J. 85, 138, 159f. Stoniš, Miroslav 368 Štorch-Marien, Otakar 246 Stoss, Veit 242 Strádal, Karel 110, 134, 292, 294 Straka, Oldřich 356f. Strechaj, Rudolf 174, 361 Streit, Julius 241 Stých, Ivan 137 Sudek, Josef 73, 117

Personen- und Ortsregister Suchánovká, Jitka 371 Suchý, Jiří 333, 354, 368 Suk, Adolf 361 Suk, Jiří 298 Suková, Věra 146 Süsskind, Walter 106 Šutr, Jiří 273 Švamberk, Jaromír 361 Svatopluk, T. [Svatopluk Turek] 366 Švengsbír, Jiří 360, 371 Sviták, Ivan 50, 259 Svoboda, Jiří 354f., 360, 369 Svoboda, Ludvík 31, 281, 287, 289f., 292, 378f. Synecká, Naděžda 371 Syrový, Vlastimil 136 T Tánská, Nataša 335 Taub, Walter 109, 177f., 212, 332, 363 Taylor, Elizabeth 130 Ťažký, Ladislav 123, 339, 368 Tereba, Stanislav 115 Tesař, Vladimír 357, 369 Tichy, František 354 Tigrid, Pavel 174 Tiso, Jozef 260 Tiziano Vecellio (Titian) 356 Tito, Josip Broz 14 Tmej, Zdeněk 350 Tölzer, Richard 163 Tolstoi, Lew 150, 240 Topol, Josef 341 Torberg, Friedrich 20, 84, 131f., 238, 249 Trávnická, Kateřina 357 Trenk, Jaroslav 169, 262 Trimbur, Dominique 11 Trinkewitz, Karel [Erich Witz] 18, 77, 79, 82, 85, 89f., 98–102, 121f., 139, 147, 226, 239, 247, 276f., 282–85, 294, 300, 356, 358, 364, 369–71

Triolet, Elsa 103 Trnka, Jiří 141, 211, 343, 350, 353 Trojanová, Jiřina 366 Troup, Miloslav 121f., 356, 358, 369 Truman, Harry 32, 185 Týrlová, Hermína 343 U Uher, Štefan 344 Uhse, Bodo 268 Ulbricht, Walter 46 Unger, Artur 79, 361 Urbánkova, Naďja 360 Urzidil, Johann 249 V Valšík, Cyril 368 Vaculík, Ludvík 64, 67, 266, 277 Vančura, Vladislav 124, 366 Vasiljak, F. 357 Vávra, Otaka 343 Vejvoda, Robert 107, 330 Veronese, Paolo 120, 354 Veverka, M. 350f., 353, 358 Vindišová, Marie 370 Vítek, Roman 360 Vojta, J. 350, 352 Volanská, Helena 238, 361, 365 Volráb, Rudolf 371 Voltaire 150, 334 Votápek, Jiří 161 Votýpka, Vladimír 79, 101, 109, 244 Voželínek, Zdeněk 331, 359 Vrbata, Miloš 122 Vrzák, Daniel 354f., 359 Vyskočil, Ivan 123, 376f. W Wagner, Adolf 163 Wagner, Rainer 191, 197, 337 Wagner, Richard 235, 238

391

Personen- und Ortsregister Wallnöfer, Eduard 223 Walser, Robert 238 Weber, A. Paul 238, 241 Wegner, Matthias 339 Wehner, Herbert 195 Weinberg, Manfred 245 Weiner, Eugen 356 Weiner, Milan 204, 207, 364 Weiner-Král, Imro 353 Weisenborn, Günther 238, 240 Weiskopf, Franz Carl 13f., 71, 86, 108, 124, 238, 248–50, 288, 342, 349 Weiß, Ernst 238, 248f. Weiss, Jiří 212, 267, 343, 368 Weiss, Peter 238 Weltsch, Felix 248 Weltsch, Robert 249 Wenzel IV. 353 Wenzel, Erich 163 Werfel, Franz 102, 104f., 124, 238, 247–49

Werich, Jan 367 West, Lucretia 146 Wheeler, Eleanor 138, 361 Wiener, Norbert 265 Wiener, Oskar 248 Winder, Ludwig 238, 248f. Winter, Kamil 172–74, 177, 218, 361–63, 365 Witt, Justus 126, 227, 232 Witz, Erich, s. Trinkewitz Karel Wolf, Friedrich 178, 238 Wolker, Jiří 146, 366 Wolmar, Wolfram von 204 Z Zach, Thomas 238 Zachoval, Marcel 364 Zajac, Ladislav 291 Záhorský, Theodor 359 Zajíc, Jan 291 Žák, Jiří 210

Zápotocký, Antonín 33, 180, 365 Zápotocký, Ladislav 180 Zavada, Vilém 291 Zbavitel, Dušan 239 Žebliský, Ján 360 Zelenka, Jan 228, 362 Zelenková, Jiřina 371 Zeman, Karel 141, 330, 343 Zemina, M. 354 Žemlička, Josef 370 Zilk, Helmut 54. 227 Zima, Jaroslav 350 Zimka, Ondrej 360 Ziolkowski, Konstantin Eduardowitsch 150 Žižka, Jan 356 Zmatlíková, Helena 359 Zora, Petr 116, 350–55 Zrzavý, Jan 354 Zweig, Max 249

Ortsregister Bochum 147f. Bohosudov/Mariaschein 180 Bonn 40–44, 46f., 97, 150, 168, 189, 191, 194, 233, 337 Baden Baden 211 Banská Bystrica/Neusohl 359 Bratislava 55, 109, 229, 232, 260, 274, 335, 337f., 354, Běchovice 138, 351 359 Belgrad 14, 182, 395 Braunsberg/Braniewo 98 Benešov nad Ploučnicí/ Bremen 167 Bensen 158 Berlin, 21, 42–44, 46f., 49, 86, Brno/Brünn 112, 140, 212, 232, 265, 331, 352, 365 88, 92f,, 96, 126, 145, 178, 184, 189, 194f., 198, 205, Brüssel 106, 113, 141, 150 Buchenwald 108, 186 207, 210–12, 216, 268f., 292, 298, 305, 335, 346f. Budapest 109 Bilina/Bilin 160 Cannes 141 Birkenau 186 Casablanca 14 Bleiberg bei Villach 226

Ankara 109 Auschwitz 86, 92f., 108, 186, 147, 192, 205

Červená Lhota/Roth Lhotta 217, 357 České Budějovice/Budweis 168, 357 Český Krumlov/Krumau 168 Cheb/Eger 158, 199, 213 Chełmno 186, 376 Dachau 186 Darmstadt 212 Děčín /Tetschen 163, 353 Domažlice/Taus 158, 209f., 213, 356 Dortmund 43 Dresden 21, 180, 305 Dubrovnik 50 Düsseldorf 191, 204, 211, 336 Erfurt 21

392 Essen 100 Frankfurt am Main 21, 47, 84, 92f., 205f., 212, 275, 168, 377 Freiburg 210 Frymburk/Friedberg 230 Furth im Walde 84

Personen- und Ortsregister Kopenhagen 132 Korbach 377 Košice/Kaschau 30f., 86, 112 Kroměříž/Kremsier 243

Leipzig 21, 92 Lemberk 158 Leopoldov 104 Levoča/Leutschau 242, 358 Genf, 43, 84, 172 Liberec/Reichenberg 69, Germersheim 86 112, 158, 160, 163, 165, Gmunden 354 179, 183f. Gottwaldov [Zlín]/Gottwald Liblice 50, 104, 244–47, 252, 131, 353 257, 265 Greifswald 21 Lidice 14, 92, 133, 192, 200f., 206, 226, 376f. Hamburg 88, 92, 97, 100, 167, Litoměřice/Leitmeritz 158, 178, 210, 298, 350, 336 161, 201, 217, 262, 350f. Hannover 169 Lodž 375 Havířov 330 London 104, 106 Hermannshütte 199 Luxemburg 72, 78 Herne 21 Hiroschima 334 Mailand 150 Horní Planá/Oberplan 230 Hradec Králové/Königgrätz Majdanek 186 Mannheim 56, 338, 344 222 Marburg 21 Mariánské Lázně/Marienbad Innsbruck 21, 223 246 Istanbul 109 Marseille 14 Mečeříž/Metscherschich 98 Jablonec/Gablonz 158, 161, Montreal 212, 338 165, 352 Jachymov/Joachimsthal 104, Moskau 32, 34f., 37, 43, 49, 67, 96, 150, 174, 176, 158 202, 224f., 245 Jihlava/Iglau 179 Jindřichův Hradec/Neuhaus Most/Brüx 112, 158 München 21, 34, 43–47, 50, 168, 357 73, 92f., 103, 128, 133, 158f., 168, 171–77, 181, Kadaň/Kaaden 160 185, 188, 190, 194, 196, Kamenický Šenov/Steinschö199, 211–13, 218, 257, nau 168 303, 346, 349f., 365, Karlovy Vary/Karlsbad 46, 374f. 69, 131, 183, 213, 331, 333f., 338f., 344, 357, 363 New York 108 Köln 68, 84, 150, 244 Nový Most/Neu-Brüx 160 Konstanz 350

Nürnberg 172, 211, 376 Olomouc/Olmütz 244, 360 Osek/Ossegg 98 Ostrov/Schlackenwerth 160 Ostrava/Mährisch-Ostrau 112, 158, 252 Ostrov nad Oslavou/Ostrau an der Oslawa 160 Pardubice/Pardubitz 15, 71 Paris 13f., 103f. 106–08, 146, 158, 219 Passau 159 Pirna 180 Plzeň/Pilsen 122, 355 Potsdam 21, 31, 39, 161f., 185 Poznań/Posen 375 Prachatice/Prachatitz 168 Prag 11–18, 21, 24, 32f., 40, 42–49, 51f., 54–56, 65, 67–72, 76f., 82f., 86–93, 100, 102–05, 107, 111, 115, 124, 127, 138, 142, 145, 150, 157, 169f., 177f., 180f., 194, 207, 209–12, 216, 226–29, 231–35, 240–52, 257f., 260, 263, 265–69, 271, 275f., 278f., 282–89, 291f., 297, 299, 302–06, 327–32, 334, 336f., 339–41, 347, 349–352, 354–56, 358–61, 378–81 Přerov/Prerau 353 Příbram/Freiberg 99, 112, 225 Ravensbrück 186, 201f., 225 Rheinbach 168 Rieucros 14 Rom 131, 141, 240 Sachsenhausen 106 Salzburg 21

393

Personen- und Ortsregister Sokolov/Falkenau 158, 163–65 Strasbourg 150 Stockholm 86 Stuttgart 21, 193, 195 Šumberk/Schönberg 374

Treblinka 186 Třeboň/Wittingau 168, 244 Tutzing 43

Tachov/Tachau 158 Telč/Teltsch 350 Teplice/Teplitz 158, 164, 180 Teplice-Šanov/Teplitz-Schönau 98 Terezín/Theresienstadt 86, 108, 183, 200–02, 251, 375

Varnsdorf/Warnsdorf 165 Venedig 141 Vrchlabí/Hohenelbe 351

Ústí nad Labem/Aussig 69, 158, 183

Warschau 32, 35, 49, 54, 65, 67, 119, 145, 277f., 280, 282 Weimar 13, 21

Wien 21, 52–54, 56, 67, 82–84, 93, 102, 146, 177, 219f., 224, 226–32, 275, 362 Wiesbaden 21 Worms 21 Würzburg 212 Záboří/Sabor 357 Znojmo/Znaim 112 Zürich 87, 280 Zvíkov/Zwikow 212