Lateinische Ordensdramen des XVI. Jahrhunderts mit deutschen Übersetzungen [Reprint 2012 ed.] 9783110831535, 9783110033830

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Lateinische Ordensdramen des XVI. Jahrhunderts mit deutschen Übersetzungen [Reprint 2012 ed.]
 9783110831535, 9783110033830

Table of contents :
TEXTE
EURIPUS TRAGOEDIA CHRISTIANA
STRATOCLES SIVE BELLUM
DIALOGUS DE UDONE ARCHIEPISCOPO
THEOPHILUS
Realienteil
Vorbemerkung
I. Zu Levin Brechts Euripus
II. Zu Cleophas Distelmayers Übersetzung des Euripus
III. Zum Stratocles von Jacobus Pontanus
IV. Jakob Gretsers Udo von 1587
V. Der Münchner Theophilus von 1596
Variantenapparat zum Euripus
Konkordanz
Varianten-Apparat zum Stratocles
Varianten zum Udo. Varianten-Apparat zum Theophilus
Literaturverzeichnis
Inhaltsverzeichnis

Citation preview

LATEINISCHE ORDENSDRAMEN DES XV L JAHRHUNDERTS

w DE

G

A U S G A B E N D E U T S C H E R LITERATUR DES XV. BIS XVIIL J A H R H U N D E R T S

unter Mitwirkung von Käthe Kahlenberg herausgegeben von Hans-Gert Roloff

R E I H E DRAMA VI

WALTER D E GRUYTER · BERLIN · NEW YORK 1979

LATEINISCHE ORDENSDRAMEN DES XVI. JAHRHUNDERTS

MIT D E U T S C H E N

ÜBERSETZUNGEN

herausgegeben von

FIDEL RÄDLE

WALTER D E G R U Y T E R · BERLIN · NEW Y O R K 1979

CIP-Kurztitelaufnahmt der Deutschen Bibliothek

Lateinische Ordensdramen des XVI. [sechzehnten] Jahrhunderts mit deutschen Übersetzungen / hrsg. von Fidel Rädle. — 1. Aufl. — Berlin, New York : de Gruyter, 1978. (Ausgaben deutscher Literatur des XV. [fünfzehnten] bis XVIII. [achtzehnten] Jahrhunderts) ISBN 3-11-003383-6 NE: Rädle, Fidel Hrsg.

© Copyright 1978 by Walter de Gruyter Sc Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp. — Printed in Germany Alle Rechte des Nachdrucks, einschließlich des Rechts der Herstellung von Photokopien — auch auszugsweise, vorbehalten. Satz und D r u c k : Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Berlin 61

LIVINUS

BRECHTUS

EURIPUS TRAGOEDIA CHRISTIANA

CLEOPHAS DISTELMAYER EURIPUS

E I N SCHÖNE A N D Ä C H T I G E UND CHRISTLICHE TRAGÖDIA

(A /">

In F. Livini Brechti Antverpiensis Euripum Epigramma Augustini Hunnaei Mechliniensis, Ad Lectorem. Discere vis, lector, sceleratae praemia vitae ? Falsaque conciliet quid metanoea mali ? Livini Euripum multatum morte gehennae, Contemplare frequens, ne patiaris idem. 5 Moribus ille tibi similis dum vita maneret, E t nondum putris vermibus esca foret, Improba rite solet vitae commissa fateri. Saepe sacerdotum procidit ante pedes. Quin et fallacis spernens vaga gaudia mundi io Coeperat angustam laetus inire viam, Sed mox a duro virtutis tramite cessit, Molle iter ingressum mors inopina rapit. Damnato insultant furiae, veterumque malorum Supplicia exercent, non habitura modum. is Illius inconstans si non metanoea fuisset, A caeco Ditis carcere liber erat: Nunc vero frustra dolet, aeternumque dolebit Mobilis Euripus, mobilitate miser. Quod te vult monitum, Lector, qui saepe cavere 20 Proponis vitae crimina foeda tuae. Propositum sed inane manet, factisque negatur, Vita nec est melior, nec cita fata times. Quare age, ne referas Euripum morte, videto, Euripum vita qui modo forte refers.

Epigramm des Augustinus Hutinaeus von Mechelen auf den „Euripus" des Bruders Livinus Brechtus von Antwerpen. An den Leser. Willst du, Leser, erfahren, welches der Lohn ist für ein schändliches Leben und was eine nur vorgetäuschte Bekehrung des sündigen Menschen einbringt, dann halte dir immer wieder — damit dir nicht das gleiche widerfahre — den Euripus vor Augen, der mit dem Höllentod bestraft wurde. In seinem Lebenswandel gliche er dir, wenn er noch am Leben und nicht schon ein Fraß der Würmer wäre. Zunächst pflegte er, in der rechten Weise die Verfehlungen seines Lebens zu beichten, und er kniete oft zu den Füßen der Priester. Ja, er hatte sogar, indem er die flüchtigen Freuden der trügerischen Welt verachtete, frohen Herzens begonnen, den schmalen Weg (des Heiles) zu gehen. Aber bald wich er vom harten Pfad der Tugend ab, und nachdem er den bequemen Weg beschritten hat, rafft ihn unversehens der Tod hinweg. Er wird verdammt, die rächenden Geister der Unterwelt stürzen sich auf ihn, und er erleidet Strafen ohne Maß für seine früheren Sünden. Wäre er in seiner Umkehr zum Guten fest geblieben, so wäre er befreit vom finsteren Kerker der Hölle: nun aber hat der schwankende Euripus, dem seine Unbeständigkeit zum Unglück ausschlägt, vergebens Schmerzen zu erdulden, und er wird sie in Ewigkeit erdulden müssen. Das soll dir, Leser, eine Warnung sein: du nimmst dir ja oft vor, die abscheulichen Sünden deines Lebens zu meiden, doch es bleibt ein leerer Vorsatz, dem deine Taten widersprechen; dein Leben wird nicht besser, und du fürchtest nicht den plötzlichen Tod. Darum sieh dich vor, daß du es nicht auch im Tode dem Euripus gleichtust, dessen Ebenbild du jetzt im Leben vielleicht bist.



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(A 2r~)

Levin Brecht, Euripus, Praefatio

Reverendissimo et Illustrissimo Principi D. Georgio ab Austria, Episcopo Leodiensi, Duci Bullonensi, Comiti Lossensi, F. Livinus Brechtus Antverpiensis salutem dicit plurimam.

Provocavit me et animavit omnibus obvia humanitas ista tua, ornatissime Praesul, et simplex animi candor, nihil mundani fastus aut supercilii prae se ferens: ut hunc qualemcunque ingenioli mei foetum amplitudini potissimum tuae dedicarem. Nec enim ignorare possum, quam te expositum atque affabilem iis exhibeas, quos alicuius tibi eruditionis nomen commendat: et Euripus noster impolitior licet, ac paucissimis notus, tam benigne a te tuisque iamdudum est exceptus, ut pro suo nunc modulo instructior limatiorque, ac per theatra notior factus, sub nullius malit praesidio, quam doctissimi Antistitis in manus hominum venire: Videlicet non parum sibi gratiae et autoritatis apud plerosque tam praeclaro nomine accessurum confidit, qui se alioqui Leodiensibus tuis non simplici iure deberi contendit. Decrevi proinde illius votis non ultra obluctari, qui per A 2 V ') populosas mavult academias et urbes discurrere, quam retrusus domi in angulum, solus et ignobilis moerere. Atque utinam a latebris suis ad lucem productus praestare aliquatenus possit, quod crebro nobis blandeque pollicetur: ne post tristem damnationis suae sententiam praeter decorum frustra videatur ab inferis emersisse. Praestabit autem, si quorundam bene nonnunquam incipientium inconstantem ac momentaneam fere resipiscentiam acriter castigaverit: efficaciter sui similes admonens, apprehenso semel aratro non respicere, timorem Dei non abigere, ad vomitum non redire: ne latam scilicet perditionis ingressi viam, in eundem corruant tormentorum locum. Quod quidem ut efficacius, Deo cooperante, possit, seduli lectoris vicissim fuerit, purgatas ei aures, animumque praesentem adhibere.

Levin Brecht, Euripus, Vorrede

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Dem verehrungswürdigen Durchlauchtigsten Fürsten, dem Herrn Georg von Österreich, Bischof von Lüttich, Herzog von Bouillon, Grafen von Looz entbietet seinen herzlichen Gruß Bruder Livinus Brechtus aus Antwerpen. Diese unbedeutende Frucht meines bescheidenen Geistes Eurer Hoheit zuallererst zu widmen, veranlaßte und ermutigte mich Eure allen zuteilwerdende Menschlichkeit, hochgeehrter Bischof, und Eure einfache und redliche Sinnesart, die keinerlei eitlen Stolz oder Überheblichkeit an den Tag legt. Denn ich weiß sehr wohl, wie zugänglich und ansprechbar Ihr Euch denen gegenüber erweist, die der Ruf einer gewissen Bildung Euch empfiehlt. Auch unser Euripus ist, obwohl er damals in einem weniger glänzenden Gewand auftrat und erst ganz wenigen bekannt war, von Euch und den Eurigen alsbald so freundlich aufgenommen worden, daß er jetzt, seinen bescheidenen Möglichkeiten entsprechend etwas besser ausgestattet und geglättet und durch die Theateraufführungen bekannter geworden, unter niemandes Schutz lieber in die Hände der Menschen kommen möchte als unter dem des hochgelehrten Bischofs. Denn er hofft natürlich, es werde ihm durch Euren Namen bei den meisten Menschen viel Gunst und Ansehen zuwachsen, und ist ansonsten der festen Überzeugung, daß er Euern Lüttichern aus mehr als einem Grund geschuldet werde. Deshalb beschloß ich, mich seinen Wünschen nicht weiter zu widersetzen, — will er doch lieber durch vielbesuchte Universitäten und volkreiche Städte eilen, als allein und unbekannt, daheim in eine Ecke verstoßen, zu verkümmern. Hoffentlich vermag er, wenn er jetzt aus seiner Verborgenheit ans Licht kommt, einigermaßen auszurichten, was er uns immer wieder freundlich verspricht, daß man nicht gar am Ende den Eindruck haben muß, er sei nach dem traurigen Verdammungsurteil ungehörigerweise und nutzlos der Hölle wieder entstiegen. Er wird sein Versprechen aber erfüllen, wenn er bei solchen, die nicht selten gut begonnen haben, die spätere Unbeständigkeit und mangelnde Ausdauer ihrer Besserung geißelt und seinesgleichen wirksam dazu ermahnt, nicht mehr zurückzuschauen, wenn sie den Pflug einmal ergriffen haben, die Gottesfurcht nicht zu verjagen, nicht zu ihrem eigenen Auswurf zurückzukehren, damit sie nicht den breiten Weg, das heißt den Weg des Verderbens, gehen und schließlich zu dem gleichen Ort der Qualen hinabstürzen wie er. Damit Euripus das jedoch mit Gottes Hilfe wirklich erreichen kann, müßte der eifrige Leser seinerseits ihm aufmerksame Ohren und einen wachen Sinn entgegenbringen. Ja, wer hiervon Gewinn

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Levin Brecht, Euripus, Praefatio

Imo studeat, quisquis hinc fructum expetit, vitam suam cum Euripi moribus diligenter conferre: humiliter persuasum habens, sub alieno sibi nomine nimis seriam ac domesticam fabulam narrari. Est enim quod hie tractamus argumentum e media hominum vita desumptum, hue potissimum spectans, ut iuventus caeca plerunque et lubrica, inconstantiam suam, vanitatem, foeditatem, velut in speculo diligenter inspiciat: inspectam agnoscat et exhorreat: agnitam damnare discat et odisse: damnatam atque exosam relinquere studeat et perpetuo deplorare. EURIPI autem nomen fabulae indidimus, ( A i r > quod inconstantis et male providi adolescentis primae in ea sint partes, cuius mobile ingenium, lubricosque mores veteri alludentes proverbio, ficticio Euripi nomine duximus insinuanda. Addidimus etiam inde actioni Tragoediae titulum, quod in ea plus quam tragica mala describantur, dum perditi adolescentis infraenis nequitia turbulentissimo clauditur exitu, et funesta mors desperantis, calamitatibus, poenis, opprobriisque excipitur, nec finiendis unquam, nec mitigandis. Quae duo, mortem dico et inferos, utinam diu multumque secum expenderent quotquot dulci fortuna ebrii, novissima sua serid providere negligunt, dissimulant, contemnunt: Nimirum quia gens sunt absque consilio et sine prudentia: gens (inquam) quae caeco praesentium amore fascinata, futura non prospicit: ignem ilium inextinguibilem, nec cogitat, nec expavescit: Christoque ilium terribiliter comminanti, revera non credit. Et hie quidem Tragoediae scopus, prout in prologo apertius testamur, nec Christiana professione, nec monastica (opinor) religione indignus. Ceterum ad sumptum argumentum et inexplicabilem malorum Iliadem pro dignitate tractandam, longe alio fateor opus fuisse artifice, praesertim hoc seculo, ut admodum erudito, ita et delicato, nempe insigni oratore et poeta, qui splendido et instructissimo verborum rerumque apparatu, et variis affectibus ad vivum expressis ( Λ Tragicam spirare maiestatem sublimiori cothurno, fceliciore grandiloquentia potuisset. „Quis Martern tunica tectum adamantina (inquit Lyricus) Dign£ scripserit? et pulvere Troico

Levin Brecht, Euripus, Vorredl

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haben will, sollte sich bemühen, sein eigenes Leben sorgfältig mit den Sitten des Euripus zu vergleichen und sich dabei in aller Demut bewußt sein, daß ihm hier unter einem fremden Namen eine überaus ernste und ihn selbst unmittelbar betreffende Geschichte erzählt wird. Der Stoff, den wir hier behandeln, ist nämlich mitten aus dem menschlichen Leben genommen, und er zielt vor allem darauf hin, daß die Jugend, die meist blind und von schwankendem Sinn ist, die Unbeständigkeit, Eitelkeit und Abscheulichkeit ihres Lebens wie in einem Spiegel sorgfältig betrachte, sie erkenne und davor erschrecke, nach dieser Erkenntnis ein solches Leben zu verdammen und zu hassen lerne und das so verdammte und verhaßte Leben aufzugeben und in dauernder Reue zu beweinen sich bemühe. „Euripus" haben wir das Stück deshalb genannt, weil darin ein unbeständiger und auf sein Heil so wenig bedachter Jüngling die Hauptrolle spielt, dessen schwankenden Sinn und unzuverlässigen Charakter wir in Anspielung auf eine alte sprichwörtliche Wendung mit dem erfundenen Namen Euripus bedenken zu müssen glaubten. Wir haben dem Drama auch deshalb die Bezeichnung Tragödie beigegeben, weil darin schlimme Dinge behandelt werden, die mehr als tragisch sind, da die zügellose Schlechtigkeit des verlorenen Jünglings überaus traurig endet und der schreckliche Tod des Verzweifelnden in Elend und Qualen und Schmähungen mündet, die niemals ein Ende haben und nie gemildert werden. Wenn doch nur diese beiden Dinge, — ich meine den Tod und die Hölle —, von all jenen lange und gründlich bedacht würden, die es, berauscht vom süßen Glück, versäumen, aufschieben und für unwichtig halten, sich im Ernst auf ihre letzte Stunde einzustellen. Es sind eben gedankenlose und unbedachte Menschen, das heißt Menschen, die berückt sind durch blinde Liebe zu den gegenwärtigen Dingen und deshalb auf die zukünftigen nicht vorausschauen, das unauslöschliche Feuer der Hölle nicht bedenken und fürchten und auch Christus, der dieses Feuer auf furchtbare Weise androht, in Wahrheit keinen Glauben schenken. Und ein solcher Zweck einer Tragödie ist immerhin, wie wir im Prolog noch deutlicher hervorheben, weder des christlichen Bekenntnisses noch (wie ich glaube) der Frömmigkeit eines Mönches unwürdig. Allerdings wäre, wie ich gestehe, für den hier gewählten Stoff und zur angemessenen Behandlung dieser unentwirrbaren wahren Uias von Übeln ein ganz anderer Künstler erforderlich gewesen, zumal in diesem ebenso wohlgebildeten wie besonders verwöhnten Jahrhundert, und zwar ein in der Rhetorik wie in der Poetik ausgezeichneter Mann, dem eine glänzende Sprache und Kenntnis der Dinge zu Gebote steht und der durch den lebendigen Ausdurck der verschiedenen Affekte auf erhabenere Weise und mit größerer Feierlichkeit der Darstellung den Atem tragischer Majestät hätte wehen lassen können. „Wer", so sagt der lyrische Dichter, „schilderte wohl mit würdigen Worten den stahlbedeckten Mars und den vom Staube Trojas

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Levin Brecht, Euripus,

Praejatio

Nigrum Merionem? aut ope Palladis Tytidem superis parem?" At quanto iustius ego ad describendas res maxime serias, arduas, graves, quae actu quarto quintoque agitantur, longe me imparem fuisse confitebor? Quis enim iusto sesquipedalium verborum tonitru inenarrabiles peccatoris animam agentis angustias explicet, mortem iniqui ut pessimam, ita amarissimam: teterrimorum cacodaemonum horribiles aspectus, acerbissimos terrores, asperrimas insultationes, atrocissima convicia, durissima verbera ? Quis quaeso, vel mediocriter eruditus, non dico ad vivum exprimat, sed rudi saltern carbone non infoeliciter delineet, incomprehensibilem aeternae mortis horrorem, infernalium tormeatorum inexplicabilem acerbitatem, exaestuantis iugiter gehennae ardores sempiternos, terribilem ilium tenebrarum principem, praepositum mortis, caput impiorum, draconem rufum, et leonem efferum, desolatissimi denique reproborum gregis perpetua lamenta, eiulationes, mugitus, et vae, vae. Non sunt profecto haec nostrae parvitatis inscitiae vel infantiae, quamvis ea prorsus intacta noluerim praeterire: lubens proinde hanc Spartam iis accuratius ornandam cedo, < A 4ry imö ut velint, invito, exhortor, obsecro, quibus ad tam sublimia magnifice personanda liberius est otium, foelicius ingenium, instructior supellex verborum ac rerum, uberior eloquentia, amplior gratia, ferventior spiritus, exactior doctrina. His enim proclivius fuerit, quae humanuni longe excedunt intellectum, maiori artificio et laude, iustoque sententiarum pondere explicare: modo in animum inducant saluberrimis id genus curis ad gloriam Dei et proximorum institutionem potius occupari, quam in cantillandis putidis amoribus, poeticisve figmentis, non sine gravi iuventutis corruptela, ingenii sui nervos intendere. Nos interim struxisse content! pro nostris opibus moenia, toti primum in hoc sumus, ut peccatores ad bona pigerrimos planeque incurios, in erroris, nequitiae, ac caecitatis suae, pleniorem notitiam inducamus: ostensa dehinc periculorum magnitudine, in quibus iugiter vivunt, ad efficacem eos malorum suorum poenitentiam, ruborem, odium, atque detestationem quantum possumus provocemus. Ut autem consilii nostri summam plenius aperiamus, hlc ea ordine tractantur, quae non paucis a

Levin Brecht, Euripus, Vorrede

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geschwärzten Meriones oder den durch Athenes Hilfe den Göttern gleichen Diomedes." Doch mit wieviel mehr Recht kann ich von mir sagen, daß ich bei weitem nicht in der Lage bin, die überaus ernsten, schwierigen und gewichtigen Dinge, die im vierten und fünften Akt verhandelt werden, ihrer Bedeutung entsprechend darzustellen. Denn wer vermöchte, auf angemessene Weise mit dem Dröhnen seiner gewaltigen Wortgefüge die unaussprechlichen Ängste des Sünders in seiner Todesstunde wiederzugeben, den ebenso schlimmen wie bitteren Tod des Gottlosen, den furchterregenden Anblick finsterer Teufel, die qualvollen Schrecken, den bitteren Hohn, den unbarmherzigen Spott und die harten Schläge, die ihn erwarten? Wer sollte, auch wenn er einigermaßen gebildet ist, in der Lage sein — ich sage nicht: wahrheitsgetreu auszudrücken, sondern nur in groben Umrissen in etwa zutreffend darzustellen den unbegreiflichen Schrecken des ewigen Todes, die unbeschreibliche Grausamkeit der Höllenqualen, das ewige Feuer der ständig brodelnden Hölle, den schrecklichen Fürsten der Finsternis, Herrn des Todes, obersten Führer der Gottlosen, den roten Drachen und wilden Löwen, schließlich das unaufhörliche Klagen, Heulen, Stöhnen und Wehgeschrei der verzweifelten Schar der Verdammten! Diese Dinge sind wahrhaftig nichts für unser schwaches Talent, unser geringes Wissen und unsere mangelhafte Redegabe; trotzdem wollte ich sie nicht ganz unberührt beiseitelassen. Die Aufgabe eingehender auszuführen, überlasse ich natürlich gerne jenen, — ja ich lade sie dazu ein, ermuntere und beschwöre sie —, die zu der glänzenden Darstellung so erhabener Dinge über Freiheit und Muße, eine glücklichere Begabung, bessere sprachliche Mittel und geistige Fähigkeiten, eine reichere Beredsamkeit und begünstigtere Anlage, einen glühenderen Geist und eine vollkommenere Bildung verfügen. Diesen nämlich dürfte es leichter fallen, das, was menschliches Erkennen weit übersteigt, mit größerer Kunst und mit größerem Erfolg und mit dem angemessenen Gewicht der Aussage darzustellen — wenn sie sich nur dazu entschließen könnten, sich mit solchen heilsamen Bemühungen zur Ehre Gottes und zur Unterweisung der Nächsten zu beschäftigen, anstatt widerwärtige Liebesgeschichten zu besingen und ihre Kräfte auf poetische Lügengespinste zu verwenden, womit sie die Jugend schwer verderben. Einstweilen begnügen wir uns damit, getan zu haben, was in unseren schwachen Kräften steht, und sind fürs erste darauf aus, die Sünder, die dem Guten gegenüber äußerst träge und ohne jeden Antrieb sind, zur klareren Erkenntnis ihrer Verirrung, Schlechtigkeit und Blindheit zu führen. Wenn dann so die großen Gefahren, in denen sie ständig leben, deutlich geworden sind, wollen wir sie, so gut wir können, dazu bringen, über ihre Verfehlungen ernstlich Reue, Scham, Widerwillen und Abscheu zu empfinden. Um unsere Absicht knapp und deutlich zu erklären: hier wird regelrecht der Fall behandelt, der bei vielen nach Ostern einzutreten pflegt,

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lAvin Brecht, Euripus, Praefatio

Pascha solent usuvenire: videlicet quod plurimi poenitentiam potius simulent, quam vere agant: multa Deo ac vicariis eius promittant, et parum aut nihil praestent: polliceantur de se magnifice, et ad primam tentationem animo concidant: luctae spiritalis taedio ilico a concepto fervore torpescant: (A 4") ociosi, desides, nauseabundi in via Dei obdormiant: mundana vanitate illecti quotidie magis deficiant et insolescant: per curiositatem oculorum et aurium, in laqueos diaboli cadant: improborum consortio corrupti, timorem Dei prorsus abiiciant. Fractis inde pudoris ac modestiae repagulis, intrepid^ ad pristina vitia redeant: totos se voluptatibus tradant: ardore concupiscentiae, et carnis illecebris infatuati nihil pensi habeant: assiduo peccandi usu in damnabilem mentis caecitatem et abyssum malorum veniant: concessum sibi tempus gratiae et poenitentiae, totum vitiis mancipent, voluptatibus dissipent, insatiabili libidine perdant: obliti Dei, coeli, suique, in morte aeterna obdormiant: mortui, stultitiae suae atrocissimas poenas luant, tantoque acerbius coarctentur in tormentis, quanto se liberius dilataverunt in delitiis. Haec sunt fer£ humanissime Praesul, quae Christiano lectori promittit Euripus, modo defoecata mente diligenter fuerit excussus. Nunc ne quis spiritalium rerum imperitior, vel perplexus haereat, vel impingat in limine, operaeprecium videtur et de viarum discrimine, quarum creberrima ubique hie fit mentio, aliquanto diffusius verba facere. Viae itaque istae dextera et leva, arcta et spaciosa, quarum dominus Iesus meminit Mat. 7. significant nobis plurimum inter se dissidentes, affectus, studia, mores, conversationem, atque scopum filiorum Dei, et amatorum huius ( A 5 r > mundi. Quanquam enim idem maris aequor aramus, ubique obnoxii mortalitatis huius fluctibus et procellis: esto, Christianae professionis utrique, eundem portum quaerere videamur: plurimum tamen in remigando dispares, in velificando dissimiles sumus. Quod quidem non exiguum inter utrosque studiorum discrimen, tametsi nunc viros spiritales non lateat, long£ tamen notius et omnibus perspicuum magis magna ilia iudicii dies reddet. Ex his porro duabus orbitis, sinistra ilia ac spaciosa perditionis via inventu non est difficilis, ut ad quam nostra nos sensualitas, sive caro: laxiora sequentium promiscua multitudo:

Levin Brecht, Euripus, Varredt

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daß nämlich die meisten ihre Buße mehr vortäuschen als wirklich üben; daß sie Gott und seinen Stellvertretern vieles versprechen und davon nur wenig oder gar nichts halten; daß sie großartige Zusagen über ihr künftiges Leben machen und bei der ersten Versuchung aufgeben; daß sie, des geistlichen Ringens überdrüssig, mit einem Mal in ihrer ursprünglichen Begeisterung erkalten und müßig, faul und verdrossen auf dem Weg Gottes einschlafen; daß sie, verführt durch die Eitelkeit der Welt, jeden Tag mehr versagen und verkommen; daß sie wegen der Neugier ihrer Augen und Ohren dem Teufel ins Netz gehen; daß sie, verdorben durch den Umgang mit gottlosen Menschen, die Gottesfurcht ganz ablegen, und wenn dann die Schranken der Scham und der Mäßigung durchbrochen sind, unbedenklich zu ihren alten Lastern zurückkehren, sich ganz den Leidenschaften hingeben und, betört durch die glühende Begierde und die Verlockungen des Fleisches, gegen alles andere gleichgültig werden; daß sie durch ständiges Sündigen in eine verdammenswerte Blindheit des Geistes verfallen und in einen Abgrund der Übel stürzen; daß sie die ihnen gewährte Zeit der Gnade und Buße ganz den Lastern anheimgeben, sie in Leidenschaften vergeuden und in unersättlichen Begierden verlieren; daß sie, Gott, den Himmel und sich selbst vergessend, in ewigem Tod einschlafen; daß sie nach ihrem Tode die bittersten Strafen für ihre Torheit erleiden müssen und umso grausamer von Foltern zusammengepreßt werden, je freier sie sich vorher in ihren Lüsten entfaltet haben. Dies etwa, gnädigster Bischof, verspricht Euripus dem christlichen Leser, wenn er nur mit reinem Geist und mit Sorgfalt und Ernst gelesen wird. — Damit aber ein im geistlichen Bereich Unerfahrener sich nicht verwirren läßt oder gleich auf der Schwelle strauchelt, scheint es mir der Mühe wert, jetzt auf die Unterscheidung der Wege, die hier überall sehr oft erwähnt werden, etwas ausführlicher einzugehen. Diese Wege also, der rechte und der linke, der schmale und der breite, die der Herr Jesus im 7. Kapitel bei Matthäus erwähnt, bedeuten für uns die einander ganz und gar widerstrebenden Neigungen, Interessen, Sitten, Lebenswandel und Ziele der Gotteskinder einerseits und der Liebhaber dieser Welt andererseits. Denn obwohl wir dasselbe Meer befahren und in jedem Fall den Wogen und Stürmen dieses sterblichen Lebens ausgesetzt sind, rudern wir doch, mögen auch beide Seiten sich als Christen bezeichnen und, oberflächlich betrachtet, denselben Hafen ansteuern, ganz verschieden und setzen die Segel ganz abweichend voneinander. Dieser beträchtliche Unterschied der Bestrebungen zwischen beiden Seiten ist zwar geistlich ausgerichteten Männern auch jetzt schon nicht verborgen, doch wird er an jenem großen Gerichtstag noch viel bekannter und für alle deutlicher werden. Von diesen beiden Bahnen also ist der linke und breite Weg nicht schwer zu finden, da uns auf ihn unsere Sinnlichkeit oder unser Fleisch, die vielfältige Menge derer, die ein allzu lockeres Leben bevorzugen, und die

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Levin Brecht, Euripus,

Praefatio

et tot ubique mala exempla non tarn pelliciunt, quam propellunt. Nos nihilominus scaena I. Actus tertii, istam latam et spaciosam viam, his versibus utcunque lectori ostendimus: „Securus ergo Euripe sis, et omnium Torquere pectus scrupulosum quae solent" etc. Et paulo post, eodem loco: „Animo molestum quicquid aut contrarium, Durumque sentis triste, acerbum, rancidum, Statim revelle, seduloque extermina, Chartis, fritillo, poculis, nugis, mero," etc.

Ecce desyderia carnis, ecce vitam amatorum istius mundi, ecce viam in speciem latam, amoenam, ac floridam: ut enim bene scripsit Poeta: „Molle ostentat iter via lata, sed ultima meta Praecipitat captos, volvitque per ardua saxa." At contra: arctam vitae semitam vere invenire, a lata vitiorum orbita prudenter secernere, < A 5vy in omnibus earn nusquam reflexo perambulare vestigio non facile est, nec cuiusvis. Nec mirum sane, cum dicat Veritas: Et pauci sunt qui inveniant earn, haud dubie: quia debita solicitudine, affectu, ac sedulitate non quaerunt: pauciores vero qui ambulant earn: quia viriliter non tenent: imo a nondum ingressa muliebriter resiliunt. Ad arctam ergo viam (ut aliquid dicamus) hoc est vere Christianam vitam (nostro iudicio) haec fer£ pertinent: Deum super omnia desiderare, fideliter quaerere, pure et ardenter amare. Studiose ac syncere Creatorem suum honorare, colere ac timere. Praecepta ipsius et ecclesiae, exacts servare. Nullius hominis causa vel minimum Dei mandatum praevaricari. Nulla omnino ratione ab ecclesiae castris deficere: sed quaecunque ab ecclesia catholica fide indubitata tenentur, eadem syncere, simpliciter, integre, more patrum credere: et in nullo huiusmodi haesitare, vacillare, claudicare. Religiosum debitumque cultum, beatissimae Mariae virgini et omnibus sanctis impendere. Iuste, pie, sobrie et caste vivere. Pacem (quantum in se est) cum omnibus servare. Rigid£ seipsum in omnibus quae

Levin Brecht, Euripus, Vorrede

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2ahlreichen schlechten Beispiele überall nicht nur hinlocken, sondern vielmehr gewaltsam hintreiben. Diesen breiten und geräumigen Weg haben wir aber in der ersten Szene des dritten Aktes dem Leser mit folgenden Versen — wie treffend auch immer — vorgeführt: „Sei also ohne Sorge, Euripus, und vergiß alles, was dein ängstliches Herz zu quälen pflegt . . usw. Und gleich danach heißt es an derselben Stelle: „Was immer du als lästig, widerwärtig, hart, betrüblich, bitter und herb in deinem Herzen empfindest, rotte es unverzüglich aus, und vertreib es weidlich mit Kartenspiel, Würfeln, Bechern, Possen und Wein" usw.

Das also sind die Begierden des Fleisches, das ist das Leben der Anhänger dieser Welt, das ist der Weg, der dem äußeren Scheine nach breit und schön und von Blumen umsäumt ist. Treffend schrieb dazu der Dichter: „Der breite Weg täuscht eine angenehme Reise vor, aber am äußersten Ende stürzen die Verführten in den Abgrund über steile Felsen hinab." Auf der anderen Seite ist es nicht leicht und nicht jedermanns Sache, den schmalen Pfad des Lebens wirklich zu finden, ihn von der breiten Bahn der Laster klug zu unterscheiden und ihn in allem, ohne irgendwo rückwärts zu weichen, zu Ende zu gehen. Das ist allerdings auch nicht verwunderlich, da ja die Wahrheit sagt: „Und nur wenige sind es, die ihn finden" (Mt. 7 , 1 2 ) — zweifellos deshalb, weil sie nicht mit der gebotenen Sorgfalt, Hingabe und Beflissenheit danach suchen; noch geringer aber ist die Zahl derer, die diesen Weg gehen, weil sie ihn nicht mannhaft einhalten oder weil sie gar schon zaghaft zurückweichen, bevor sie ihn überhaupt betreten haben. Zu diesem schmalen Weg, das heißt (unserer Ansicht nach) dem wahrhaft christlichen Leben gehört (um nur einiges zu sagen) etwa folgendes: Sein Verlangen vor allem anderen auf Gott zu richten, ihn gläubig suchen und rein und glühend lieben; eifrig und redlich seinen Schöpfer ehren, anbeten und fürchten; seine Gebote und die Vorschriften der Kirche genau einhalten; um keines Menschen willen auch nur das geringste Gebot Gottes übertreten; auf keinerlei Weise vom Lager der Kirche abfallen, sondern alles aufrichtig, einfach und unversehrt nach Art der Väter glauben, was von der katholischen Kirche in unbeirrbarem Glauben festgehalten wird, und auf diesem Gebiet in nichts sich verwirren lassen, unsicher und schwankend werden; der seligsten Jungfrau Maria und allen Heiligen fromme und geziemende Verehrung zuteil werden lassen; gerecht, fromm, nüchtern und rein leben; mit allen (soweit es an uns liegt) in Frieden leben; sich in allem, was man tut, redet und denkt, streng in acht

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Levin Brecht, Euripus, Praefatio

agit, loquitur, cogitat observare. Lubricam ac petulantem linguam, tanquam efferam beluam assidua severitate cohibere. Exteriores sensus ab omni quod illicitum est vel periculosum, strennu£ coercere. Omni diligentia cor suum custodire. Peccandi occasiones studios£ tollere et resecare, pericula (Λ 6r") vitare. Neminem verbo vel facto laedere. Ad offensi fratris reconciliationem, ilico accurrere. Nemini offendiculo esse, ab omni specie mali abstinere. Nemini quicquam praeter synceram dilectionem debere. Omnibus pro sua facultate cito et ρΐεηέ satisfacere. Ρίέ indolere proximorum casibus et miseriis. In operibus misericordiae tarn spiritalibus, quam corporalibus strennue se exercere. Vias suas diligenter et crebro scrutari. Quae sunt vocationis suae, officii, professionis et ordinis, frequenter expendere, studiose investigare, viriliter exequi. In dubiis et controversiis peritiores consulere: aliorum iudicio magis, quam suo sensui credere: sacris doctorum consiliis potius acquiescere, quam suae ipsius prudentiae inniti. Vitam suam quotidie ad calculum revocare: crebro et exacte confiteri: praeteritos lapsus amar£ deplangere: quotidianos defectus et spiritales miserias deflere. Nihil temere aggredi vel innovare. Timorem Dei semper prae oculis habere. Ab improborum consortiis et colloquiis sedulo se subtrahere. Adulatores, susurrones, detractores, maledicos, et potissimum de haeresi suspectos, tanquam certissimas animae pestes fugere. Mundanam curiositatem, luxum, et pompam odisse. Immaculatum se ab hoc seculo custodire. Turbulentos animi motus placida tranquillitate fraenare. Irae, indignationis, invidiae, impatientiae, ac superbiae bestiales impetus viriliter retundere. Contra pravos Α 6Ώ) affectus suos, et consuetudines quotidie dimicare. Cum interiori homine subinde pugnam conserere. Propriis diffisum viribus continenter orare, flere et ingemiscere. Pro animabus omnium fidelium defunctorum creberrimas Deo preces fundere. Humiliari sub potenti manu Dei: et adversa quaevis, quamlibet acerba atque indigna aequanimiter ferre, gravioribus se dignum credere. Temporaria denique omnia fortiter contemnere, crebro et ardenter ad aeterna suspirare. Et his quidem et id genus artibus ac studiis digne Christo et Evangelio vivitur, per angustam portam ad coelestis patriae latitudinem contenditur, regnum coelorum pia quadam, sed mascula violentia rapitur. Assidua siquidem nostri abnegatione, perfecta veteris hominis expoliatione, quotidiana crucis baiulatione vestigia Christi sequimur, coelesti

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nehmen; die leichtfertige und vorlaute Zunge wie ein wildes Tier durch unnachgiebige Strenge zügeln; die äußeren Sinne von allem, was verboten oder gefährlich ist, entschlossen zurückhalten; sein Herz mit aller Sorgfalt bewahren; die Gelegenheiten zur Sünde nach Kräften ausschalten und mindern, die Gefahren meiden; niemanden durch Wort oder Tat verletzen; unverzüglich sich mit dem gekränkten Bruder versöhnen; keinem zum Ärgernis werden und sich von jeder Art des Bösen freihalten; keinem außer aufrichtiger Liebe etwas schuldig bleiben; allen nach Möglichkeit schnell und vollständig Genugtuung leisten; Unglück und Elend der Nächsten herzlich betrauern; in den geisdichen wie leiblichen Werken der Barmherzigkeit sich eifrig üben; unsere Wege sorgfältig und häufig erforschen; oft bedenken, eifrig erkunden und mannhaft ausführen, was unsere Berufung und Pflicht ist und zu unserm Beruf und Stand gehört; in zweifelhaften und umstrittenen Fragen sich den Rat von Berufeneren einholen; dem Urteil anderer mehr als dem eigenen Empfinden vertrauen; den ehrwürdigen Ansichten der Kirchenlehrer sich unterwerfen, statt sich auf eigene Klugheit zu verlassen; täglich mit seinem eigenen Leben Abrechnung halten, oft und gewissenhaft beichten; die vergangenen Sünden bitter bereuen; sein tägliches Versagen und seine geistliche Armseligkeit beweinen; nichts blindlings angreifen oder neu machen wollen; die Gottesfurcht immer vor Augen haben; sich der Gemeinschaft und der Unterhaltung mit Gotdosen nach Kräften entziehen; Schmeichler, Ohrenbläser, Verleumder, Lästerer und vor allem der Häresie Verdächtige wie tödliche Krankheiten der Seele meiden; weltliche Wißbegier, Luxus und Gepränge verabscheuen; sich unbefleckt von dieser Welt bewahren; die ungestümen Regungen des Herzens mit sanfter Ruhe bändigen; den wilden Ansturm des Zornes, der Wut, des Neides, der Unduldsamkeit und des Stolzes mannhaft zurückweisen; gegen seine verkehrten Neigungen und Gewohnheiten täglich ankämpfen; mit dem inneren Menschen immer wieder den Kampf aufnehmen; den eigenen Kräften mißtrauen und unablässig beten, weinen und seufzen; für die Seelen aller verstorbenen Gläubigen unermüdlich Gebete zu Gott schicken; sich erniedrigen unter die mächtige Hand Gottes; alles Unglück, mag es auch noch so bitter und unverdient sein, mit Gleichmut ertragen und sich noch schlimmerer Schläge für würdig erachten; schließlich alles Vergängliche herzhaft verachten und sich häufig und glühend nach dem Ewigen sehnen. Ein Leben in solchem und ähnlichem Tun und Streben ist Christi und des Evangeliums würdig, und so gelangt man durch die enge Pforte zur Weite der himmlischen Heimat und erringt sich das Himmelreich durch eine fromme, aber mannhafte Entschlossenheit. Denn indem wir beständig uns selbst verleugnen, den alten Menschen vollständig ablegen und täglich unser Kreuz auf uns nehmen, folgen wir Christus nach, bestürmen wir das Himmelreich und

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regno vim inferimus, ad aeternam salutem, requiem et gloriam properamus. Caeterum ubi haec principio dura, inamoena, aspera, Euripi similibus proponuntur, tanquam obiectis in via subito spinis, rupibus ac salebris, animo perculsi ilico turbantur, intepescunt, scandalizantur, retrocedunt, ad ingenium redeunt, atque adeo, deterius quam unquam prius aberrantes, de se desperant: nimirum quia caro sunt, quia mollioribus assueti, quia supine negligentes et incurii, aut nimia sui fiducia caeci. Porro cum inter caetera maxima esse videantur impedimenta verae conversionis < A 7r)> oblivio fidei Christo datae in baptismo et crebrius in poenitentiae Sacramento renovatae, diffidentia divini auxilii et praesidii, et respectus praesentis laboris: nos ea variis amoliri rationibus, nec iniuria, sub persona Timoris conati sumus. Propterea enim paucissimi ver£ convertuntur, et Deo fideliter serviunt, quia voti in baptismo aediti, una cum abiuratione diaboli et pomparum eius, sunt obliti: quia oculos et cor efficaciter ad coelum non sustollunt, nec habitant in adiutorio altissimi: quia sic praesentem respiciunt tribulationem et laborem, ut immemores sint aeternae post haec quietis et afflictionis, poenae et gloriae. Maximum autem horum impedimentorum in tyronibus videtur diffidentia coelestis praesidii. Quare selectum unum aut alterum locum ex aureis libris Confessionum beati Augustini in carmen nostrum studios£ transtulimus, ut huic malo opponeremus. Locus autem beati Augustini 8. Confessionum sic habet: „Tu non poteris quod isti et istae, an vero isti et istae in semetipsis possunt, ac non in Domino Deo suo ? Quid in te stas ? et non stas. Proiice te in eum, noli metuere, non se subtrahet ut cadas: Proiice te securus, excipiet te, et sanabit te", et caet. Verissime quidem et efficacissim6 clarissimus ille doctor quae in se senserat omnibus vere converti volentibus, exposuit: sed plurimi e vulgo poenitentium Euripum continuo tergiversantem, et nunc (A 7V) hoc, nunc illud temerfe causantem, malunt imitari, quam viro sanctissimo quamlibet bene monenti, auscultare. Fecimus autem hunc ipsum adolescentem ad pristina carnis desi-

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eilen dem ewigen Heil und Frieden und der ewigen Herrlichkeit zu. Wenn jedoch solche am Anfang harte, unangenehme und bittere Bewährungsproben sich Menschen von der Art des Euripus stellen, lassen sie sich, als wenn ihnen plötzlich Dornengestrüpp, Felsbrocken und holprige Hindernisse den Weg verstellten, gleich verwirren und verstören, und dann ermatten sie, stolpern, weichen zurück, kommen wieder auf ihre alten Fehler und irren so schlimmer als je zuvor vom rechten Weg ab, so daß sie schließlich sich selbst aufgeben; das kommt natürlich daher, daß ihr Fleisch schwach ist, daß sie an allzu verweichlichtes Leben gewöhnt, müßig und nachlässig und allzu unbekümmert oder von lauter übertriebenem Selbstvertrauen geblendet sind. Da nun unter anderem dies die größten Hindernisse für eine wahre Bekehrung zu sein scheinen: das in der Taufe Christus gegebene Versprechen, das im Sakrament der Buße oft erneuert wurde, zu vergessen, nicht auf Gottes Hilfe und Schutz zu vertrauen und nur das gegenwärtige Leiden zu sehen, — so haben wir versucht, diese Hindernisse auf verschiedene Weise und mit Fug und Recht in der Person der „Gottesfurcht" aus dem Weg zu räumen. Wenn nämlich so wenige sich wirklich bekehren und Gott gläubig dienen, so hat das darin seinen Grund, daß sie ihr Taufgelöbnis zusammen mit der feierlichen Verleugnung des Teufels und seines Gepränges vergessen haben; daß sie Augen und Herz nicht wirklich zum Himmel erheben und nicht im Schutz des Allerhöchsten wohnen; daß sie so sehr auf die gegenwärtige Trübsal und Mühe sehen, daß sie nicht eingedenk sind der künftigen ewigen Ruhe oder Drangsal, Strafe oder Herrlichkeit. Das größte von diesen Hindernissen scheint bei der Jugend aber das mangelnde Vertrauen auf die himmlische Hilfe zu sein. Deshalb haben wir mit Bedacht die eine oder andere Stelle aus den kostbaren Büchern der „Bekenntnisse" des heiligen Augustinus ausgewählt und in unsere Dichtung herübergenommen, um sie diesem Übel gegenüberzustellen. Die Stelle aus dem 8. Buch der „Bekenntnisse" des heiligen Augustinus lautet aber so: „Vermagst nicht auch du, was diese Männer und Frauen vermögen, oder aber vermögen sie es etwa aus sich selbst und nicht aus der Kraft ihres Gottes? Warum willst du aus eigener Kraft stehen — und kannst doch nicht stehen? Wirf dich auf ihn, hab keine Angst: er wird sich nicht zurückziehen und dich fallen lassen. Wirf dich vertrauend auf ihn: er wird dich auffangen und heilen" usw. Mit sehr wahren und eindringlichen Worten hat dieser berühmte Kirchenlehrer allen jenen, die sich wahrhaft bekehren wollen, dargelegt, was er selber an sich erfahren hatte. Doch die meisten aus der großen Zahl der Büßenden wollen es lieber dem Euripus gleichtun, der sogleich bald unter diesem, bald unter jenem aus der Luft gegriffenen Vorwand der Buße den Rücken kehrt, — und nicht auf den ehrwürdigen Mann hören, seien seine Ermahnungen auch noch so heilsam. Wir haben aber diesen Jüngling, der in seiner Schlechtigkeit wieder in die frühere Fleischeslust verfiel, im dritten Akt dargestellt, wie er 2

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deria nequiter relapsum, Actu tertio, a Venere iratum discedere, ut hinc colligat sagax lector, quae ad institutionem rudiorum visum est hie subnectere. In primis, neminem prima statim fronte, primoque congressu omnem prorsus exuere modestiam atque pudorem, sed sensim depudescere et insolescere, gradatim ad detestabilem impudentiam et mentis caecitatem perduci. Mortuus enim Lazarus, sed quatriduanus foetet, et peccator cum in abyssum malorum venerit, contemnit. „Nemo, inquit poeta, repente fuit turpissimus." Deinde, quod gravi nonnunquam molestia fatigati, aut improbitate, fastuque muliebri ad horam exasperati, fornicatores, concubinarii, adulteri, immundi, molles, quasi iam novo spiritu afflati, ostendunt spem poenitentiae, sed inveteratae consuetudinis constricti vinculis, dum salubriter cogitata, vel tepide exequuntur, vel negligenter procrastinant, in eadem mox vitia ac long£ deteriora labuntur: videlicet quia peccandi occasiones viriliter non resecant, super salute sua peritiores non consulunt, vel bene monentibus non acquiescunt, debitam sibi vim inferre negligunt, se totos ad incessanter orandum pro gratia non convertunt. Tertio, in quas abominationes, scelera et flagitia propter (Λ 8r} caecam sui fiduciam atque hinc ingratitudinem suam plerique corruant, qui desyderabilem spiritus dulcedinem quandoque gustaverunt. Completur enim in quibusdam terribili, sed iustissimo Dei iudicio, quod de sapientibus gentilium scribit Paulus: „Propter quod tradidit illos Deus in desyderia cordis eorum in immunditiam, ut contumeliis afficiant corpora sua in semetipsis, etc." Quarto, nullum inter tot mala ac pericula vel oportunius consilium vel efficacius esse remedium, quam ut homo diligenter expensa infirmitate et multiplici miseria sua se totum humiliter substernat prosternatque Deo: tantoque studiosius ac flebilius divinam imploret gratiam et misericordiam, quanto se propensiorem esse sentit ad perditionem atque ruinam. E t his quidem ita discussis, in caeteris non admodum haerebit (opinor) quisquis humanarum rerum non prorsus expers est, modo carnalia sua desyderia, inconsulta consilia, turbida studia, temeraria vota, ridiculas curas, insanos affectus, pudendos lapsus, sinuosos adolescentiae anfractus, atque adeö totum veterem hominem suum cum iis quae hie leget, studiosfe voluerit conferre.

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erbost von Venus weggeht, damit daraus der findige Leser von selbst erkenne, was zur Unterrichtung der weniger Gebildeten hier ausdrücklich anzufügen ratsam erschien. Zunächst: Keiner legt mit einem Schlag und beim ersten Zusammentreffen ganz und gar alle Mäßigung und alles Schamgefühl ab, vielmehr verliert er erst allmählich seine Scham und überschreitet das Maß und sinkt Stufe um Stufe zur abscheulichen Schamlosigkeit und Verblendung seines Sinnes herab. Der tote Lazarus riecht erst am vierten Tage, und „erst wenn der Sünder in den Abgrund des Unglücks versinkt, ist ihm alles gleichgültig" (vgl. Prov. 18, 3). Keiner, so sagt der Dichter, war mit einem Schlage ein Bösewicht. Zweitens : Die sich der Hurerei hingeben und Konkubinen halten, die Ehe brechen und ein unreines und ausschweifendes Leben führen, geben, wenn sie bisweilen müde und verstimmt und für eine Stunde verbittert sind ob der Schlechtigkeit und Schnödigkeit der Frauen, Hoffnung auf Umkehr, als wären sie von einem neuen Geist angeweht, doch bald verstricken sie sich in die Fesseln der alten Gewohnheit, indem sie das, was sie für sich heilsamerweise bedacht hatten, entweder nur lau ausführen oder nachlässig aufschieben, und sie verfallen wieder in dieselben und noch viel schlimmere Laster. Das kommt daher, daß sie die Gelegenheit zur Sünde nicht nach Kräften meiden, über ihr Heil nicht Berufenere um Rat fragen oder auf gute Ratschläge nicht eingehen, nicht mit der nötigen Härte gegen sich selbst vorgehen, und sich nicht ganz und gar zu unablässigem Gebet um Gnade hinwenden. Drittens: Zu welchen Greueln, Verbrechen und Schandtaten kommen doch ob ihrer blinden Selbstüberschätzung und ihrer dadurch bedingten Undankbarkeit sehr viele, die einmal die begehrte Süßigkeit des Geistes gekostet haben. Es bewahrheitet sich nämlich durch Gottes schreckliches, aber überaus gerechtes Urteil bei manchem, was Paulus über die weisen unter den Heiden schreibt: „Darum lieferte sie Gott den Gelüsten ihres Herzens aus, der Unreinheit, daß sie ihren Körper an sich selbst mit Schande befleckten" usw. Viertens: Bei so viel Übel und Gefahren gibt es keinen besseren Rat und kein wirksameres Heilmittel, als daß der Mensch seine eigene Schwäche und sein vielfältiges Elend wohl bedenkt und sich in Demut ganz Gott unterwirft und umso dringender und flehentlicher die göttliche Gnade und Barmherzigkeit erbittet, je mehr er sich dem Verderben und dem Absturz nahe fühlt. Nachdem ich dies nun so abgehandelt habe, wird einer in den übrigen Fragen, so glaube ich, nicht gar zu viele Schwierigkeiten haben, sofern er auch nur eine geringe Ahnung vom menschlichen Leben hat. Er muß nur die Begierden seines Fleisches, seine unvernünftigen Gedanken, verworrenen Bestrebungen, unüberlegten Wünsche, Sorgen um lächerliche Dinge, unsinnigen Neigungen, schändlichen Verfehlungen, die labyrinthischen Irrwege seiner Jugend und so seinen ganzen alten Menschen eifrig mit dem vergleichen, was er hier lesen wird. 2*

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Porro Actum quartum et quintum (quanquam in actione nonnullis visi sint prolixiores) non ita multum breviavimus. Verbosius enim ea peccatoribus inculcanda putamus, quae merito deberent expendere frequentissime, et efficaciter sibi in memoriam ( A 8 v y revocare. Esto, quidam illibentius ea audient legentque: nimio tamen praestat id genus acerba salubriter iam revolvere, quam iis neglectis, incomparabiliter postea acerbiora pati. Si cui proinde immodicus videbor in amarulentis daemonum insultationibus, si prolixior in explicandis inferorumterroribus et poenis,attendat obsecro,quod inveteratis languoribus acriora parentur pharmaca: et gravi oppressos somno vellicare, pulsare, quassare, et nonnunquam lecto detrahere oporteat, priusquam plene torporem excutiant. Videlicet earn mentem habemus plerique (non modo perversi et obstinati, sed tepidi quoque ac fastidiosi) ut nisi audito prolixiore sonitu, terribiliter clangentis buccinae non tremamus, qui ad solita terriculamenta, tanquam iam obsoleta supin£ stertimus. Ad veteres siquidem scripturarum minas assiduö sic usu ac familiaritate obsurduimus, ut nisi importunius nostra nobis caecitas, calamitas atque perditio inculcetur, ab inveterata mentis ignavia plene non expergiscamur. Conciones quidem sacras (praesertim eloquentia nobis et eruditione impensius placentes) non illubenter, imo et cupid£ audimus: sed fere non aliter atque carmen musicum, quod suavi, dulcique sono mulcet aures. Nihilo enim vel emendatiores vel ferventiores templo egredimur, quam intravimus: pristinae desidiae solitisque vitiis suaviter indormire (B r y non desinimus: ad lachrymosae compunctionis amaritudinem rarissim£ extimulamur. Proinde quum tam multi nostra memoria arctum vitae tramitem nimium dilataverint et inculcata ubique divina dementia, benignitate, misericordia districtum Dei iudicium, pondus divinae iustitiae, intolerabilem gehennae horrorem et infernalium tormentorum acerbitatem, propemodum intacta reliquerint: perutile omnibusque modis expediens iudicavi, peccatores nimis plerunque securos, caecitatis ac periculi sui acrius prolixiusque admonere. Utile inquam

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Den vierten und fünften Akt haben wir allerdings nicht so kurz gefaßt (obwohl sie bei der Aufführung manchen allzu lang vorkamen). Wir glauben nämlich, daß man den Sündern mit besonders deutlichen Worten einschärfen muß, was sie richtigerweise ununterbrochen bedenken und sich gehörig ins Gedächtnis zurückrufen müßten. Mögen manche es auch weniger gern hören oder lesen, so ist es doch weit besser, sich derartige schreckliche Dinge jetzt zum eigenen Heile vor Augen zu führen, als sie nicht wahrhaben zu wollen und später dafür unvergleichlich Schrecklicheres erleiden zu müssen. Wenn ich also einem maßlos erscheine bei den bitteren Schmähungen der Dämonen und allzu ausführlich in der Darstellung der Schrecken und Strafen der Hölle, so soll er doch bedenken, daß man für alteingewurzelte Leiden besonders heftig wirkende Heilmittel braucht und daß man jene, die von tiefem Schlaf übermannt sind, erst einmal kneifen, stoßen, schütteln und manches Mal von ihrem Bett herunterziehen muß, bevor sie ihre Benommenheit völlig ablegen. Sind doch die meisten von uns (nicht nur die Verkehrten und Verstockten, sondern auch die Lauen und Verwöhnten) von der Geistesart, daß wir erst dann vor Angst erbeben, wenn wir den lang anhaltenden Ton der schrecklich erklingenden Posaune vernehmen, während wir durch alltägliche Schrecknisse, die ihren Schrecken gleichsam durch die Gewohnheit schon eingebüßt haben, uns in unserer Ruhe überhaupt nicht stören lassen. Sind wir doch gegenüber den alten Drohungen der Heiligen Schrift durch den ständigen und vertrauten Umgang damit so taub geworden, daß wir aus unserer eingefleischten geistigen Trägheit gar nicht aufwachen, wenn wir nicht in einer etwas unbequemeren Weise auf unsere eigene Blindheit, unsere schlimme und verlorene Lage hingestoßen werden. Zwar hören wir Predigten (vor allem solche, die uns ob ihrer rhetorischen Schönheit und der in ihnen sichtbar werdenden Bildung besonders ansprechen) nicht ungern, ja sogar mit Begeisterung, aber doch in der Regel nicht anders als die Darbietung eines Liedes, das mit seinem süßen und lieblichen Ton unserm Ohr schmeichelt. Wenn wir nämlich die Kirche verlassen, sind wir um nichts besser oder eifriger, als da wir sie betraten. Wir hören nicht auf, schläfrig und genüßlich in unserer alten Bequemlichkeit und unseren gewohnten Fehlern zu verharren, und nur ganz selten kommen uns Tränen bitterer Reue. Da nun so viele in unserer Zeit den schmalen Pfad des Lebens allzu breit gemacht und, indem sie überall die göttliche Milde, Güte und Barmherzigkeit hervorheben, das strenge Gericht Gottes, die Last der göttlichen Gerechtigkeit, den unerträglichen Schrecken der Hölle und die Bitterkeit der Höllenqualen fast unberührt beiseitegelassen haben, hielt ich es für sehr nützlich und in jeder Hinsicht förderlich, die allzu unbekümmerten Sünder recht drastisch und ausführlich zu erinnern, in welcher Blindheit und Gefahr sie leben.

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fore duxi, si in recensendis futuri saeculi malis studios^ immorarer, atque insisterem diutius: si fort£ quidam acerrimis gehennae suppliciis velut coram se positis exterriti, salubriter paveant, sibi ipsis metuant, medullitus compungantur. Quae vero de durissimo mortis agone ac damnatorum tormentis diffusius tractavimus, ita velim accipiant et amplexentur Euripi similes, non quasi poetica figmenta, aut de nostro conficta capite somnia, sed ut canonicis scripturis sanctorumque patrum sententiis consona. Quae si cui insuavia, prolixiora, et nimis rigida videbuntur, legat obsecro, vel unum Dionysium Chartusiensem in libello de Quatuor novissimis, et inveniet nos pro argumenti ubertate perpauca, pro immensa rei mole scripsisse exigua. Si cui, dico, onerosa fuerit aut odiosa subinde replicata gehennae et ignis aeterni mentio, cogitet obsecro, Praefatio

beatum dicunt, qui vitae tibi callem dilatant, qui molles pulvillos sub omni cubito manus consuunt, qui blandiuntur dico et adulantur tibi, qui credenti mendaciis placentia magis quam vera loquuntur: ipsi te seducunt, et viam gressuum tuorum dissipant. Non enim (quod prophetici est officii) iniquitatem tibi tuam syncere aperiunt, ad agendam poenitentiam sedulo non extimulant, iram viventis Dei et aeterna supplicia fideliter non annunciant. Et haec quidem dicta sint carnalibus, lubricis, incuriis, temerariis, obstinatis, qui cum peccare quotidie non desinant, veram agere poenitentiam, vel dissimulant, vel negligunt. Atque utinam cum gratia Dei, haec ipsa quae dicimus, sic ferrea istorum pectora penetrent, ut vel nunc tandem salubri terrore concussi, resipiscant: sic territos iam et resipiscentes emolliant, ut vitiis eorumque occasionibus perfecte resecatis, vitam suam, domino opitulante, in melius serio commutare pergant. Tam efficaciter denique intus illustrent, ut damnationis suae proxima pericula semper prae oculis habentes, se in sanctions vitae studio ad mortem usque constanter, iuvante Deo, contineant. Sed quo nos ornatissime Praesul, supra epistolarem angustiam flebilis argumenti miseranda foecunditas provexit? quo praeter omnem expectationem rapuit ardens Studium desyderiis promiscui lectoris satisfaciendi ? Non ausim ultra abuti patientia tua, illustrissime < 5 2V) Princeps, tantum oro, ut hunc foetum eo vultu excipere digneris, quo consuevisti illius parentem. Sic enim futurum spero, ut in tuam receptus tutelam, pluribus hie labor noster prosit, et mihi stimulus addatur atque fiducia, quae adhuc prae manibus sunt, omnibus avitae pietatis amatoribus communicandi. Paravimus enim iamdudum ad ampliorem mentis refectionem, fercula (absit ubique iactantia) aliquanto his suaviora: Carmina, inquam, spiritali condita dulcedine, diversis temporibus locisque ab ingressa religione a nobis scripta: quae in sylvam nunc unam studiose digerimus, ut recognita, emaculata, approbata, si Dominus dederit, brevi aedamus. Dominus Iesus te diu mente et corpore servet incolumem. Vale. Lovanii Calend. Augusti Anno Domini M. D. X L I X .

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nünftiges Volk, voll von Bosheit: die dich glücklich preisen, die dir den Lebenspfad verbreitern, die dir unter jeden Ellenbogen weiche Kissen verfertigen, ich meine, die dich verwöhnen und-dir schmeicheln, die dem, der ihren Lügen Glauben schenkt, mehr gefällige als wahre Dinge sagen — sie sind es, die dich verführen und die den Weg zerstören, den du gehen sollst. Denn sie machen dir nicht (was Aufgabe eines prophetischen Verkünders ist) ehrlich deine eigene Bosheit deutlich, sie treiben dich nicht eifrig an, Buße zu tun, und künden dir nicht zuverlässig vom Zorn des lebendigen Gottes und von den ewigen Strafen. Und das sei denen gesagt, die den Begierden des Fleisches folgen, den Unbeständigen, Sorglosen, Unbesonnenen und Verstockten, die, da sie täglich ununterbrochen sündigen, es mit der wahren Buße nicht recht ernst nehmen oder sich überhaupt nicht darum kümmern. Und wenn doch nur, mit der Gnade Gottes, diese unsere Worte in die harten Herzen der Menschen eindringen, daß sie wenigstens jetzt noch, von heilsamem Schrecken erschüttert, einsichtig würden; und wenn sie dann in dieser Verfassung durch unsere Worte sich weich stimmen ließen, daß sie ihre Laster und die Gelegenheiten dazu ganz und gar ausmerzen und fortfahren, ihr Leben mit der Hilfe des Herrn ernstlich zum besseren zu wenden. Schließlich mögen unsere Worte die Menschen in ihrem Innern so stark erleuchten, daß sie die unmittelbar bevorstehenden Gefahren ihrer Verdammnis immer vor Augen haben und sich bis zum Tod mit Gottes Beistand beständig um ein frommes Leben bemühen. Jedoch, hochgeehrter Bischof, wohin hat uns, über den knappen Rahmen eines Briefes hinaus, die beklagenswerte Ergiebigkeit dieses traurigen Stoffes getrieben! Wohin hat uns ganz unerwartet unser brennender Eifer, den Bedürfnissen der verschiedenen Arten von Lesern gerecht zu werden, fortgerissen! Ich möchte es nicht wagen, Eure Geduld noch weiter zu mißbrauchen, erlauchter Fürst, ich bitte nur darum, daß Ihr diese Frucht mit derselben Freundlichkeit anzunehmen geruhet, die Ihr dem entgegenzubringen pflegt, der sie hervorbrachte. So wird es nämlich, wie ich hoffe, dazu kommen, daß diese meine Arbeit, wenn sie in Eure Obhut genommen wird, vielen nützt und mir davon Ansporn und Zutrauen erwächst, das, was ich sonst noch in Händen habe, all denen zukommen zu lassen, die noch die alte Frömmigkeit lieben. Ich habe nämlich zur weiteren Labung des Geistes schon seit langem Gerichte bereitet, die — fern sei jegliche Prahlerei — noch um einiges wohlschmeckender sind als das vorgelegte; ich meine Gedichte voll geistlicher Süße, die ich zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten seit meinem Eintritt in den Orden geschrieben habe. Sie trage ich jetzt alle eifrig zu einer einzigen gemischten Sammlung zusammen, um sie, noch einmal geprüft und verbessert und schließlich gutgeheißen, so Gott will, bald herauszugeben. Der Herr Jesus halte Euch lange gesund an Geist und Leib. Lebt wohl. Gegeben zu Löwen am 1. August im Jahre des Herrn 1549.

EURIPUS

E I N SCHÖNE A N D Ä C H T I G E U N D C H R I S T L I C H E T R A G Ö D I A / UBER DIE WORT M A T T H . 7 . G E T H H I N D U R C H DIE E N G E P O R T E N : Ü A N N D I E P O R T IST W E I T / U N D DER W E G BRAIT / DER DA FÜRT ZTI DEM VERDERBEN / U N D VIL SEIN / SO DEN D U R C H Z I E H E N .

ERSTLICH D U R C H DEN G A I S T L I C H E N U N N D H O C H G E L E H R T E N F . LIVINUM BRECHTO ANTVERPIENSEM S . FRANCISCI O R D E N S / z ö L Ö V E N I N L A T E I N I S C H E N V E R S E N BESCHRIBEN /

UNND D U R C H CLEOPHAM DISTELMAYER / DESS H O H E N UNSER LIEBEN F R A W E N S T I F F T S I N A U G S P U R G V I C A R I E R N ETC. A L L E N G Ö T H E R T Z I G E N C H R I S T E N ZÖ E I N E R BESSERUNG IHRES LEBENS / I N T E U T S C H E REYMEN GESTELLT.

G E T R U C K T ZÖ D I L I N G E N / D U R C H J O H A N N E M M A Y E R . M. D. L X X X I L

Michael Schmidner Augustanus ad pium lectorem. Hoc, quicunque paras castam traducere vitam, Scandere stelligeri regnaque celsa poli, Perlege, non verbis modo, verum et pondere rerum Magnarum, doctum perlege Lector opus. 5 Nam docet EURIPUS, caeco submersus amore, Nos pessum ut vitiis dent mala saecla suis; Scilicet ut nocuos Veneris sectemur amores, Linquamus tutum ceuque salutis iter. Haudque valere illos aeterna sede potiri, 10 Qui studeant tantis invigilare malis. Quare infaelices EURIPI discito Casus, Consultum vitae si cupis esse tuae.

Dem Hochehrwürdigen unnd Edlen Herrn / Herren Wolffgango Andreae Ram von Kotz / deß hohen Stifts Augspurg Thumbprost / meinem Gnedigen Herren. Wie vast unnd hoch sich zü jeder zeit die alten gelehrten Hayden bemüth und bearbait haben / Hochehrwürdiger / Edler / Gnediger Herr / was mittel und weg dise auch gesücht und gebraucht / das sie die grobe barbarische mores oder sitten der Menschen möchten abstellen / und ein Pollittisch tugentreich Leben under inen erwecken / geben uns deren hinderlaßne schrifften / Lehr / und Bücher gnügsam zuverstehn. Dann was haben die Natürliche Maister / und fürnemlich der hocherleuchte Socrates (den man die Philosophiam von Himmel gebracht / schreibet) und auch seine Discipuli oder auch nachfolget Plato und Aristoteles, neben den wolberedten Oratoren / Demosthene unnd Cicerone, in ihren Schrifften / und sonders Ethicorum und Officiorum libris anders / als eben dise polithecam gesücht? Und daß ich dann auch der Sinnreichen Poeten nicht vergessen thü / wohin haben dise in gemain ire Poemata änderst / als eben zü disem Scopo gerichtet ? Deß fürtreflichen Homeri Odissaea, wie auch deß herrlichen berümbten Virgilii Eneadische Bücher / geben uns bey dem Ulysse unnd Aenea sonders herrliche Lehren / wie sich ein dapfferer Mann zü Wasser und Land / in Glück und Unglück / in Leibs und lebens gefahrn / und sicherhait gegen menigklichen solle verhalten. Dahin sein auch insonderhait gericht gewesen der uhralten Griechischen und Lateinischen Comicorum und Tragicorum, als Euripidis, Sophoclis, Senecae, Terentii, Plauti, und anderer vilen Comediae und actiones. Dann als dise gesehen / das sie mit blossen Schrifften und worten / bey dem unverstendigen groben Volck / nit sovil / als sie begerten / mochten außrichten / haben sie gemelten Comicum modum erfunden: Dardurch die Menschen / neben einer delectation, gleichsam als durch ein lebendige Action möchten lehrnen und vernemmen / wie ihnen ihr Leben anzustellen. Nachdem dise aber nun gesehen und erkennt / daß mit disem genere doctrinae nit wenigen nutzen geschafft / haben je einer nach dem andern Personas oder histriones in proscoenia gefürt / und schöne / lustige / auch sonders lehrreiche Spil angestelt. Daher dann auch das Römische Volck herrliche grosse Schawplätz unnd sonderbare köstliche Theatra zürichteten / und dann die auch mit sonderen Privilegiis dotiert und versehen lassen. Nit allein aber haben sich die Alte Haydnische Poeten / sonder auch vil frommer Christlicher Hochgelehrter / Gaisdichs unnd Weltliche stands Personen / in

Distelmayer, Euripus deutsch

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gemeltem Comico genere gebraucht und geübet. Auß welchen / als ich versehener kurtzer zeit / ein sonders Christliche / Catholische / und auch andächtige Tragoediam (So etwan vor wenig Jaren zü Löven / gar zierlich und wol mit Lateinischen Versibus, durch einen Gottseligen / Gaistlichen / und zweyfels ohne Hochgelehrten Herrn F. Livinum Brechto Antverpiensem, S. Francisci Ordens / wegen der jetzigen armseligen zeitten / darinn man nur auff das verdienst Christi allein passet / kein güttes werck vonnöten sein / und man darneben in allerlay laster / ohne schewen gerathen thüt / beschriben worden) bekommen / habe ich gedacht / da ich dise / mit vorwissen und vergunst meiner Gnedigen Herrn / als eines Ehrwürdigen Thumbcapittels allhie in diser löblichen Kayserlichen Reichsstatt möchte anstellen und Agieren / wurde nit ohne nutzen abgehn. Da ich aber darneben auch erwegen wardt / was ich etwan für Spectatores haben wurde / und das derselben mehrs thails der Lateinischen Spraach unerfahren / vermüthet ich / mich nit sovil Gaisdichs nutz / als wann dise in Teutsche Reimen gebracht wurde / zuschaffen. Derowegen ich mich understanden / und gleichsam in einer eyl / sovil immer müglich gewesen / von wort zü wort / oder auffs wenigest / sovil den rechten sensum belangt / in unser Teutsche spraach Tranßferiert habe. Demnach ich aber nun / Hochehrwürdiger / Edler / Gnädiger Herr verstanden / das dise Action nit allein hochs und niderstands Spectatoren / sonder auch Ewer Gnaden sonders wolgefallen / und ich von dero / als wie Euripus in diser Tragoedia, durch die Forcht Gottes (welcher ich dann Ewer Gnaden wol auch vergleichen kan / in massen sie fürnemblich auch begert / die Menschen / durch allerlay gütte und hailsame mittel ad aretam et salutis viam zubewögen) getriben / dise in den Truck zuverfertigen / ob etwan (wie Ewer Gnaden insonderhait bedencken) andere mehr / denen dise Tragoedia zü lesen zükeme / dardurch gebessert: So hab ich diß nicht länger wöllen auffschieben / sonder nach dem ichs ein wenig wider ubersehen / unnd etliche Choros darinn gebessert / nach Ewer Gnaden Vätterlichem unnd genedigem ermanen / in Truck geben: Die ich dann auch hiemit Ewer Gnaden ( in bedencken vilfältiger von der empfangnen gütthaten) underthenig Dedicieren wöllen: Underthenig demutig bittend / Ewer Gnaden wöllen dise Gnädig von mir auff unnd annemmen / und mich und die meinigen / wie bißhero geschehen / in Gnädigem Vätterlichen befelch haben. Ewere Gnaden hiemit dem Schutz deß Allmechtigen befelhende. Datum Augspurg den 23. Junii / nach der seligmachenden Geburt Christi 1582, Ewer Gnaden Undertheniger Caplon Cleophas Distelmayer / deß hohen Stiffts daselbst Vicarier.

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Oxdcnsdraaen

Die Personen der Tragödien. PROLOGUS. ARGUMENTATOR. GOTTSFORCHT. GNADENZEIT. EURIPUS. TOD. PESTILENTZ. VENUS. CUPIDO. VENUS. CUPIDO.

In Menschlicher gestalt / sonderlich im 2 . und 3 . Actu. In Teuffelischer gestalt / im 1. 4 . und 5 . Actu.

E T L I C H E TEUFEL. DESS E U R I P I SEEL.

Levin Brecht, Ewipus, p. 1—34

PROLOGUS cum argumenta in Euripum Tragoediam. Salvete mystae literarum candidi, Commendat ampla quos vel eruditio In disciplinis institutos seriis: Vel artium severiorum ancillulae Adhuc camoenae blandiores occupant: Pariterque cuncti, quotquot hac in area Pueri senesque, puberesque, assistitis: Animi salutem, corporisque perpetem Grex noster optat omnibus vobis, petens Ut actioni praebeatis vos novae Alacres, benignos, expeditos, candidos. Absint sonoro quaesumus cum murmure Strepitus, cachinni, turba et omnis improba, Fructumque quicquid spiritalem fabulae Posset susurris impedire stridulis: Consideretur res ut accuratius Utcunque verbis explicata non malis: Pressum frequenter caecitate non levi Hominem laborat quae sibi ipsi ostendere: Quantisque semet ingerant periculis, Caeci ac supini carnis ac mundi asseclae, Dei timore quum relicto, luxui, Veneri, fritillo, crapulaeque serviunt: Operumque carnis quale sit Stipendium, Aeterna nempe mors, gehenna, tartarus. Haec sunt notari scilicet quae poscimus Ut digna multi quae revolvant sedulö: Non diffitentes interim, lasciviae, Nugisque quaedam affinia esse comicis, Quae dum decoro servit autor, ac suam Gestit petulcis caecitatem ostendere, Modo non coactus est alicubi aspergere: At temperat£ hoc egit ipsum ac sobrife, Praeberet ulli ne quod offendiculum,

Disttlmayer, Euripus deutsch, v. 1—39

PROLOGUS CUM ARGUMENTO. Gott grüß euch alle in gemain Die auff dem Plan versandet sein: Gaistlich / Weltlich / auch Hochgelehrt / Und die nie kain Büchstaben ghört. Jung / Alt / Reich / Arm / Mann und Frawen / So die Tragödi w611en schawen. Euch allen wünschen meine Gsellen Wollfahrt des Leibs / und auch der Seelen / Und lassen euch auch bitten schon Daß ihr der Gaistlichen Action Gütwillig und freundtlich beywohnen: Und sonderlich darbey verschonen Des schwetzens / rauschens und deß lachen Und alls was mag verhinderlich machen. Den Gaistlichen verstand und frucht Der sonders mit dem Spil gesücht. Auff daß man wol bedencken mög / In was gfahr sich der Mensch begeb. Der Gottsforcht auff die überthür steh Und volgt seim flaisch und blinden Welt. Der auch in allem wollust lebt Nichts dann deß Spils und sauffens pflegt / . Und das man auch sonders wol merck Was für lohn bring deß flaisches werck / Als erstlichen den bittern Tod Und darnach erst die Ewig noth / Dort unden in der tieffen Höllen. Das ist das wir begeren und wöllen / Daß jeder fleißig thü erwegen. Doch müß ich euch sagen darneben / Wann was unzüchtigs kim auff dban / Das ihr euch nit ärgert daran Dann gmaincklich die die Schawspil dichten Wann sie dieselben thün zürichten So pflegen sie dann zübeschreiben Der gaylen Menschen weiß unnd geygen Welches doch nit dahin thüt gohn Daß man demselben volg soll thün / Sonder daß man die laster fliehe /

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. 40—80

40 Und sich nach allen Tugenden ziehe. Also will auch der Author nit / Der dise Tragödi geschmidt / Daß man der unzucht wahr soll nemmen: Sonder mehr / daß man thü erkennen 45 Waher dise ihren ursprung haben / Nemlich auß Teufels Mund und Kragen. Darumb ihn auch für güt angsehen / Daß er solch Teufelisch anwehen / Mit wortn und wercken thü für geben / so Wies die züthon dwelt Kinder pflegen. In dem er sich doch so beflissen / Das kaim verletzt werd sein gewissen Sonder mehr einen nutz drauß haben: Und sonderlich die Jungen Knaben / 55 Die hierin werden gwisn und glehrt Durch wen sie also werden verkehrt / Daß sie so schindtlich ding offt reden / Fürbilden / wünschen / und errögen. Wie auch der armen Seel geschehen / ω Die ir bald da vor euch werdt sehen. Darumb die freche Jugent soll Diß kidglich Spil besehen wol. Weil die vil güt Predigen und lehrn / Von Sünden nit mögen bekehren / 65 Ob sie durch diß mittel villeicht / Möchten einmal werden erleicht / Und allgmach in sich selberst gohn / Die sünden und boßhait verlohn. Und daß dann einer möcht vernemmen / 70 Wie er Strauch / und sich thü verbrennen. So sehe er nur da eben an / Wie zügericht sey diser Plan. Dann bey dem wirdt auch einer glehrt / Wie man sich vom wegs lebens kehrt. 75 Erstlich so hat da ihren gmach / Die Gottsforcht / und umb der ursach, Dieweil dise der anfang ist / Die uns zum weg deß Lebens rüst. Auff welchen wann sich einer begebn / so Und nit Mannlich fort geth darneben.

40 Antrum Acediae. Vita -vulgaris. Viridarium mundi.

Domus mortis. Inferi.

Levin Brecht, Euripus, P. 61•—80

Mollem retrorsum degener ad Acediam Gressum reflectit a labore semitae Angustioris: mox salutem negligit, Ingressus amplam (vulgus ut suevit) viam, es Mollis, remissus, liber, atque incurius: Fallacis hinc vireta mundi ad florida Libidinosus, ebriosus, impius, Ut destitutus gratia delabitur: Pauloque post mortis tremendae spiculo 70 Perfossus, Oreo mancipatur perpetim, Nunc explicemus argumentum fabulae, Haec ut patescant plenius mysteria. Fervore dum correptus Euripus brevi (Sub Pascha solet ut plurimis contingere) 75 Meditatur arctae semitam ingredi viae: Metu laboris fractus ac socordia Obdormit: inde ad vanitatem lubricam, Venerisque amorem illectus a Cupidine, A se Timorem pellit: atque gratiae so Servire tempus cogit Aphrodisiae:

Distelmayer, Euripus deutsch, v. 81—115

Zaufft hindersich / fleucht die Arbait / Krath er dort ins Hauß der faulhait. Als dann schlecht er sein hayl in Wind / Laufft wo ihn fürt sein willen blind. Gleich eim Roß so dem Zaum entrunnen / Biß daß er dort auff dwiß thüt kommen. Da er thüt allem wollust pflegen / Dan kan ihn kain Sauffer erlegen. Kain Spiler und Bülschafft müd machen / Müß alls stets sein frölich und lachen. Biß das dort kombt auß jenem Hauß / Der grimmig bitter Tod herauß. Und ihm absticht das Leben sein / Da hebt sich jammer angst und pein. Weil er auß Göttlichem urthail / Als dann dem Teufel wirdt züthail. Mit dem er ewigklich müß brennen / Nun jetzt so thüt von dem vernemmen / Den Innhalt und das Argument /

ARGUMENTUM TRAGOEDIAE. Ain Jüngling zart Euripus gnändt. Einmals ein andacht rupffen ward / Daß er sich rüstet auff die farth. Den engen weg gehn Himmel zgehn / Da er sich dessn ward understehn. Und da ein müde thet empfinden / Lüß er sich dfaulkait überwinden. Daß er ward auff dem weg entschlaffen / Cupido mit Bülerischen waffen. Thit ihm sein hertz also berüren / Daß er sich gleich auch ließ verführen. Die unzüchtige Venerem / Dern er zü einer Dienerin. Die Gnadenzeit thät übergeben / Alls er Gottsforcht nit haben mögen. Nach dem als er sich vol gesoffen /

Levin Brecht, Euriprn, r. 81—102 Indormiensque crapulae ac libidini Mortis pavendae spiculo transfigitur: Venus et Cupido spiritum illusum diu Flammae perennis in baratrum pertrahunt. Rei ecce summam, pro virili, quam mei Vobis sodales exhibere gestiunt: Ut quotquot amplam mortis ingressi viam, Vitae relicto deviarunt tramite (Astare quales suspicamur plurimos) Euripi acerba sorte perculsi tremant, Nimirum eisdem sordibus pleni ac malis: Summique Regis cooperante gratia, Dignis laborent poenitentum fructibus Tormenta luctus sempiterni evadere. Proin (redire spiritali si domum Non absque fructu vultis) ora hue vertite, Animosque curis liberos ab omnibus: Bonique lapsus consulentes obvios (Pia charitatis ut monet benignitas) Nostram iuvate industriam silentio. Ego (actioni ne qua contingat mora) Ad ludiones intro, mox ut prodeant.

Distelmayer, Euripus deutsch, v, 116—141

Und mit der Venere gangen schlaffen / Nam ihm sein jungs leben der Tod / Kam also in die ewig noth. FINIS ARGUMENT!.

PROLOGUS.

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Da habt ihr jetzt das gantze Spil So man da vor euch halten will Mit dem allen ain Lehr wirdt geben / Die auff dem weg der Sünden leben / Und Lebens steig haben verlohn / Das ihn lassen zü hertzen gohn Deß Euripi eilenden stand: Nemmen derhalben bald für dhand Das hailig würdig Sacrament / Welches die Penitentz genendt: Und wann ihr dann vonr Action Mit eim Gaistlichen nutz wolt gohn / So wendet ewere Augen her / Mit sambt dem Gmüt nit ohngefihr / Sonder hört der gar fleißig zü Mit stillem hertzen und mit rüh. Thüt auch die Lieb gedult gebrauchen W a n n etwan ain Person w u r d Sträuchen.

Jetzund gehe ich wider hinein / Zun Spilleuthen und Gsellen mein / Sie züermanen auff den Plan / »ο Die Tragödiam zü fahen an. Hart / gleich müssen sie herauß gahn.

DRAMATIS PERSONAE: VENUS et CUPIDO, Diabolico schemate, Actu Primo, Quarto, et Quinto. VENUS et CUPIDO, forma humana, et cultu maxime eleganti, superbo ac sumptuoso, Actu Secundo et Tertio. EURIPUS ADOLESCENS, amictu pauperis viatoris primum, deinde vestibus splendidis ac magnificis, a Cupidine ei suppeditatis. TIMOR D E I , senex incana barba, in habitu sacerdotali vel philosophico. TEMPUS GRATIAE, Puer alatus et stolatus instar angeli, clepsydram manu tenens. M O R S , armata iaculo. PESTIS MORTIS PEDISSEQUA, instructa arcu et pharetra. ANIMA EURIPI ATERRIMA, vincta, et aspectu horribilis. CHORI LAMENTANTIUM. CHORUS DAEMONUM AERIORUM.

ACTUS EURIPI PRIMUS

VENUS. CUPIDO.

Siccine, Cupido, spiritu afflatus novo Euripus esse nostei amens desiit, los Ducem sequutus tetricum Dei metum ? Evasit ungues ille nostros improbus, Artes, dolosque compedes et retia Fervore in ipso mollis adolescentiae ? Aequo quis istud ferre possit pectore ?

CUPIDO

no Evasit, inquis ? non per atras Cerberi Ditisque fauces: sed calore improvido Repente tactus (ut iuventus assolet) Patere coeli regna iam putat sibi: Vix obtinenda mille post angustias, lis Curas, dolores, lachrymas, pericula. Expers laborum mira persuadet sibi, Quae mox in arcti fronte callis corruent.

VENUS

Quis quaeso, traxit ilium ad istam amentiam, Iuvenem ac tenello delicatum corpore ?

ACTUS PRIMUS. Scoena prima. VENUS. CUPIDO.

Daemones.

Cupido mein was soll das sein / Das Euripus / der uns vor gemein / Ein newen Gaist sich laßt verwirren / Und die forcht Gottes so verführen. Ja diser gäntzlich folgen thüt ? Entlaufft er dann so unserer hüt ? Unsern listen / stricken und garn Gleich in seim ersten Alter und Jarn ? Wen soll diß nit von hertzen krencken ? CUPIDO

Mein Venus was thüst du gedencken ? Soll uns entloffen sein Euripus ? Nain gwiß / so war lebt Cerberus / So ist er uns noch nit entgangen Den nur ein kleine andacht umbfangen. Er maint gleich (als die Jungen Knaben) Von Mund auff jetzt in Himmel ztraben / Welchen die kaum mögen besitzen / So vil darumb leyden und schwitzen / Auch manche trübsal uberstohn Und vil ziher vergiessen thon. Er thüt ihm vil selbsten züsagen Der doch in allen seinen tagen Kain müh und arbait uberstanden. Wann ihm noch deren stossen zhanden Wirdt er gewiß nit bständig bleiben. VENUS

Waistu mir dann nit anzuzaigen / Wer doch den Jungen zarten Knaben Zü diser thorheit bew6gt m6g haben ?

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Levin Brecht, Euripus, v. 120—146 CUPIDO