Lateinamerika zwischen Europa und den USA 9783964562517

El libro ofrece 9 artículos que analizan los cambios económicos y socio-culturales de los países de América Latina desde

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Lateinamerika zwischen Europa und den USA
 9783964562517

Table of contents :
INHALT
Einleitung
Zwischen europäischer und US-amerikanischer Dominanz: Mexikanischer Außenhandel im 19. Jahrhundert
El caso Cerruti. Eine Fallstudie zum Verhältnis von staatlicher Autorität und ausländischer Einflußnahme in Kolumbien im ausgehenden 19. Jahrhundert
Modernisierung der transisthmischen Verkehrsverbindungen und soziale Mobilisierung. Die Dynamik gesellschaftlicher Transformationen im Zeichen des Kanalbaus in Panama
Von spanischer Bastion zu US-amerikanischem Vorposten in der Karibik. Puerto Rico 1868-1917
Krisenreflexion, Krisenmanagement und nationale Identität in Kolumbien in den 1920er Jahren
"Estrella polar" oder "Boa magnetizador"? Die Perzeption der USA in der politischen Karikatur: Das Beispiel Kolumbien, 1917 bis 1929
Die United Fruit Company und der Streik der kolumbianischen Bananenarbeiter zwischen historischer Realität und literarischer Fiktion
América Latina - "lateinisches" Amerika? Zur politischen Brisanz eines Adjektivs im 19. Jahrhundert
Die symbolische Dimension des Revolutionsstaates als mexikanisches Gesellschaftsprojekt
Die Autoren

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Lateinamerika-Studien Band 35

Lateinamerika-Studien Herausgegeben von Walther L. Bernecker Titus Heydenreich Gustav Siebenmann

Hanns-Albert Steger Franz Tichy Hermann Kellenbenzf

Schriftleitung: Titus Heydenreich

Band 35

Lateinamerika zwischen Europa und den USA Wechselwirkungen, Wahrnehmungen und Transformationsprozesse in Politik, Ökonomie und Kultur Herausgegeben von Ute Guthunz und Thomas Fischer

Vervuert Verlag • Frankfurt am Main • 1995

Anschrift der Schriftleitung: Universität Erlangen-Nürnberg Zentralinstitut (06) Sektion Lateinamerika Bismarckstraße 1 D-91054 Erlangen

Gedruckt mit Unterstützung der Universität Erlangen-Nürnberg

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Lateinamerika zwischen Europa und den USA : Wechselwirkungen, Wahrnehmungen und Transformationsprozesse in Politik, Ökonomie und Kultur / hrsg. von Ute Guthunz und Thomas Fischer. - Frankfurt am Main : Vervuert, 1995 (Lateinamerika-Studien ; Bd. 35) ISBN 3-89354-735-5 NE: Guthunz, Ute [Hrsg.]; GT

® by the Editors 1995 Alle Rechte vorbehalten Druck: Difo-Druck, D-96052 Bamberg Printed in Germany

INHALT

Einleitung Thomas Fischer/Ute Guthunz

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Zwischen europäischer und US-amerikanischer Dominanz: Mexikanischer Außenhandel im 19. Jahrhundert Walther L. Bernecker

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El caso Cerruti. Eine Fallstudie zum Verhältnis von staatlicher Autorität und ausländischer Einflußnahme in Kolumbien im ausgehenden 19. Jahrhundert Thomas Fischer

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Modernisierung der transisthmischen Verkehrsverbindungen und soziale Mobilisierung. Die Dynamik gesellschaftlicher Transformationen im Zeichen des Kanalbaus in Panama Friedrich von Krosigk

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Von spanischer Bastion zu US-amerikanischem Vorposten in der Karibik. Puerto Rico 1868-1917 Ute Guthunz

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Krisenreflexion, Krisenmanagement und nationale Identität in Kolumbien in den 1920er Jahren Hans-Joachim König

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"Estrella polar" oder "Boa magnetizador"? Die Perzeption der USA in der politischen Karikatur: Das Beispiel Kolumbien, 1917 bis 1929 Dagmar Kusche

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Die United Fruit Company und der Streik der kolumbianischen Bananenarbeiter zwischen historischer Realität und literarischer Fiktion Werner Altmann

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América Latina - "lateinisches" Amerika? Zur politischen Brisanz eines Adjektivs im 19. Jahrhundert Titus Heydenreich

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Die symbolische Dimension des Revolutionsstaates als mexikanisches Gesellschaftsprojekt Nicole Rudner

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Die Autoren

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Einleitung

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Einleitung Lateinamerika zwischen Europa und den USA, der Titel dieses Sammelbandes, weist bereits auf das Spannungsfeld hin, in dem sich der wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandel des südlichen Teils der Neuen Welt im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert vollzog. Doch schon die Begrifflichkeit — "Lateinamerika" — mahnt zur Vorsicht, wenn auch, wie von Titus Heydenreich betont, der Terminus inzwischen als "sinnfreies Etikett" in Gebrauch ist. Die Auseinandersetzung des "lateinischen" Amerika mit europäischen Einflüssen und dem Hegemonialanspruch des expansiven Nordens des Doppelkontinents und der Wandel der interamerikanischen Beziehungen werden seit 1991 von einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsverbund an den Universitäten Erlangen-Nürnberg und Eichstätt untersucht. Die im vorliegenden Band thematisierten Prozesse wirtschaftlichen, politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Wandels nehmen einen mehr oder weniger turbulenten Verlauf im Lateinamerika des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Mit der wirtschaftlichen Öffnung der jungen Republiken nach der Unabhängigkeit, den internen Staaten-, Nationen- und Identitätenbildungsprozessen, den Ablösungen von früheren Kolonialmächten und der Auseinandersetzung mit der expansiven Hegemonialmacht USA entstanden in den häufig fragilen Gesellschaften Konfliktpotentiale und Anomien, die auch immer wieder zu gewaltsamen Eruptionen führten. Beschleunigend wirkten in diesem Zusammenhang auch die Verkehrs- und kommunikationsmäßige Erschließung und ökonomische Einbindung vormals abgelegener Regionen, sei es für die landwirtschaftliche Produktion, für den Bergbau oder auch für neue Industrien. Damit einhergehende Mobilisierungsschübe — wie etwa die Zuführung von Arbeitskräften — trugen zur sozialen Differenzierung und zum Wandel politisch-ökonomischer Strukturen bei. Insbesondere die Integration in Märkte, Handelssysteme und arbeitsteilige Produktionsverbünde und "nordwestlich" orientierte Entwicklungswege zeitigten tiefgreifende, vorwiegend extern ausgelöste Transformationsprozesse.

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Thomas Fischer/Ute Guthunz

Die Öffnung der lateinamerikanischen Märkte war von den transatlantischen Industriestaaten gewollt und konnte nur mit Unterstützung der lokalen Eliten durchgesetzt werden, die in der Weltmarktintegration Chancen zur Akkumulation sahen. Der durch das Modell der "Entwicklung nach außen" ausgelöste wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandel wurde allerdings auch als ausländische Intervention wahrgenommen und teilweise als unerwünschte Einflußnahme abgelehnt. Nicht jede Einflußnahme aber ist ohne Widerstand und in vollem Umfange und mit den gewünschten Ergebnissen durchsetzbar, und keine bleibt auf die Dauer ohne Reaktion bzw. Gegen-Reaktion der Betroffenen, die lernten, mit der ausländischen Präsenz "umzugehen". Dieses Transformieren externer Einflußnahme und Machtausübung — sei es durch den Erwerb von Fähigkeiten und Kenntnissen, die schwächere Nationen in die Lage versetzen, in zwischenstaatliche Prozesse gestaltend einzugreifen, sei es, durch bewußtes Entziehen und Abgrenzen gegen externe Mächte und Kulturen die eigenen Identitäten zu wahren und zu entwickeln — findet in der Literatur noch immer relativ wenig Beachtung. In den in diesem Sammelband vereinten Untersuchungen zum Wandel in den Beziehungen zwischen Lateinamerika, Europa und den USA werden interne Faktoren gesellschaftlicher Transformationen nicht den externen nachgeordnet, die Einflüsse und Interventionen "von außen", von ausländischen Geschäftsleuten, Durchreisenden, zugewanderten Arbeitskräften und "ausländischen" Mächten nicht — nach den herkömmlichen Imperialismustheorien — als einseitige Fremdsteuerung betrachtet. Vielmehr stehen innergesellschaftliche Akteure und Kräfte, die ihre Wirksamkeit in Adaptationsprozessen, im politischen, ökonomischen und gesellschaftlich-kulturellen Wandel entfalten, im Vordergrund der Analyse. Diese inneren Verarbeitungsprozesse werden dabei auch mit Blick auf die Formation von "Gegen-Macht" untersucht. Bei den hier vorgestellten Varianten der lateinamerikanischen Begegnung mit Europa und den USA, der Ablösungsprozesse von der früheren Kolonialmacht Spanien und der Konfrontation mit dem US-amerikanischen Hegemonialanspruch, stehen Mexiko, Kolumbien (mit Panama) und Puerto Rico im Mittelpunkt. Die Untersuchungen konzentrieren sich nicht zuletzt deshalb auf diese Gebiete, weil Mexiko als direkter Nachbar der USA im Süden, Kolumbien (bzw. Panama) als geopolitische und wirtschaftliche Interessensphäre und Puerto Rico als von Spanien an die USA abgetretenes Territorium im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert sich dem nahezu allgegenwärtigen Einfluß und den Interessen der 'alten'

Einleitung

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Mächte in Europa und der aufstrebenden Hegemonialmacht USA nicht entziehen konnten. Die Weichenstellungen für die Entwicklung der interamerikanischen Beziehungen dieses Jahrhunderts erfolgen denn auch zum großen Teil im vorherigen. Auch die eigentümliche Ambivalenz, mit der der "Koloß im Norden", die Übermacht USA, in Lateinamerika betrachtet wird — mit einer Mischung aus Bewunderung und Ablehnung oder gar Verachtung —, wächst bereits zu dieser Zeit heran. Als Historiker, Politologen, Romanisten, Kommunikations- und Literaturwissenschaftler analysieren die Autoren ihren Gegenstand aus unterschiedlichen Perspektiven, mit unterschiedlichen, sich teilweise ergänzenden Schwerpunkten. Sie suchen die vielfaltigen Aspekte und Schattierungen der Begegnungen zwischen Lateinamerika, Europa — bzw. einzelnen europäischen Kolonial- oder Wirtschaftsmächten — und den USA aufzuzeigen und den damit verbundenen umfassenden politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Wandel darzustellen. Aus politisch-ökonomischer Sicht richtet sich besonderes Augenmerk auf die Entwicklung des lateinamerikanischen Außenhandels zwischen Europa und den USA und auf die von "Ausländern" und "ausländischen" Mächten dominierten Wirtschaftsbereiche. Die enge Verflechtung von Politik und Wirtschaft findet dabei besondere Berücksichtigung. Bei den kulturhistorischen Analysen spielt die Auseinandersetzung mit den USA, die Perzeption dieser Hegemonialmacht und der Durchsetzung ihrer Interessen eine zentrale Rolle. Daß gerade im kulturellen Bereich, beim Transfer von Ideologien und Weltanschauungen keine "Einbahnstraße" von Norden nach Süden führt, wird in Rückgriffen auf die eigene Kulturgeschichte und in soziokulturellen "Resistenzen" — etwa bei Sprache, Glaube, Identitätsfindung in Abgrenzung von den USA, bei Symbolen und Riten — deutlich. Von der lebhaften Auseinandersetzung mit der Übermacht zeugen die satirischen, manchmal sogar aggressiv anprangernden Karikaturen in der zeitgenössischen Presse. Wenngleich es vor dem festen Zugriff der Expansionsmacht kaum ein Entrinnen zu geben scheint, so wird darin doch stets auch hingewiesen auf die innergesellschaftlichen politischen und wirtschaftlichen Krisen, die einen solchen Zugriff begünstigen. Die teilweise subtilen, teilweise aber auch plakativen Auseinandersetzungen mit Europa, bzw. einzelnen europäischen Mächten, und den USA werden in erster Linie anhand historischer Quellen und aus der zeitgenössischen Berichterstattung von Ausländern in Lateinamerika herausgearbei-

Thomas Fischer/Ute Guthunz

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tet. Von besonderer Bedeutung ist dabei die konsularische und diplomatische Korrespondenz (USA, England, Frankreich, Italien, Kolumbien), die in den Beiträgen zu Mexikos Außenhandel, zu Kolumbiens Außenwirtschaftspolitik sowie zu Panamas und Puerto Ricos gesellschaftlichem Wandel die wichtigste Quellengattung bildet. In die Beiträge zu Panama und Mexiko wurden zudem Reiseberichte eingearbeitet, bei Puerto Rico flössen auch Berichte wissenschaftlicher Kommissionen mit ein. Lokale Printmedien und zeitgenössische politische Schriften bilden die Grundlage für die Untersuchungen zu Kolumbiens Krisenreflexion und -bewältigung und die dortige Perzeption der USA in der politischen Karikatur. Die Verarbeitung historischer Quellen in lateinamerikanischer Literatur wird am Beispiel des Bananenarbeiterstreiks in Kolumbien mit Quellenvergleichen und den entsprechenden Literaturpassagen vor Augen geführt. Und schließlich bietet die Reflexion über das "lateinische" Amerika und dessen "Latinität" einen Tour d'Horizon zeitgenössischer Essayistik und Dichtung.

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Nicht die Anordnung nach rein geographischen Gesichtspunkten war ausschlaggebend für die Reihenfolge der Beiträge. Vielmehr stellen die Studien im ersten Teil des Buches eher die wirtschaftlichen und politischen Aspekte, die im zweiten Teil eher die gesellschaftlich-kulturellen heraus. Aus der übergeordneten Fragestellung des sozialen Wandels lateinamerikanischer Staaten in der Konfrontation und Auseinandersetzung mit europäischem und US-amerikanischem Einfluß resultiert allerdings, daß die Grenzen zwischen diesen politisch-ökonomischen und sozio-kulturellen Perspektiven fließend sind. Die meisten Autoren beziehen auch Bereiche der anderen mit ein. Waither L. Bernecker untersucht — vor dem Hintergrund der Theorie des Freihandelsimperialismus — den mexikanischen Außenhandel zwischen Europa und den USA nach der Unabhängigkeit. Seine Studie stellt innerhalb der herkömmlichen Forschung insofern ein Korrektiv dar, als er die Rivalität um Anteile am Import-/Exportgeschäft zwischen europäischen

Einleitung

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Staaten und den USA bereits seit der Unabhängigkeit deutlich macht. Bernecker demonstriert mit selbst zusammengestelltem Datenmaterial, daß die USA von Beginn an eine scharfe Konkurrenz der Europäer darstellten, was auf die geographische Nähe sowie auf das Interesse an den mexikanischen Silberbergwerken zurückgeführt wird. Auch innerhalb der europäischen Staaten Frankreich, England und Deutschland bestand ein harter Wettbewerb. Frankreich und Deutschland hatten dabei größeren Anteil am Importhandel als die Forschung bislang vermutete, England dagegen stellte — anders als etwa Robinson und Gallagher annahmen — keine ökonomische Übermacht dar. Den rechtlichen Rahmen für den Handel mit Europa und den USA lieferten die Schiffahrts-, Handels- und Freundschaftsverträge. Für Mexiko bedeutete der Abschluß solcher Verträge mit den Großmächten die formelle Anerkennung der staatlichen Souveränität, für die Europäer und die USA die Sicherung politischer und wirtschaftlicher Vorteile. Der Handel vollzog sich zunächst innerhalb eines Systems "institutionalisierter Unordnung", wurde dann in der Reformära und vor allem im Porfiriat jedoch zunehmend durch staatliche Eingriffe geregelt. Im Vierteljahrhundert vor dem Ersten Weltkrieg vergrößerten die USA ihren Anteil gegenüber Europa. Dies interpretiert Bernecker als handelsund geopolitische Strategie, um sich den Einfluß in der Westlichen Hemisphäre zu sichern. Aus den anfänglichen Rivalitäten um Marktanteile zwischen den transatlantischen Industriestaaten ist eine unangefochtene Dominanz der USA entstanden. Auch Thomas Fischer beschäftigt sich mit der Einflußnahme von Ausländern auf die Entwicklung Lateinamerikas. Anhand eines Beispieles, dem Fall des italienischen Kaufmanns Emesto Cerruti, dokumentiert er die massive Druckausübung ausländischer Mächte zur Durchsetzung bürgerlicher Eigentumsauffassungen in Kolumbien. Besonders in Bürgerkriegen wurde Eigentum geraubt, zerstört und konfisziert. Geschah dies durch die kolumbianischen Behörden, so konnten die Ausländer später aufgrund der bestehenden Schiffahrts-, Handels- und Freundschaftsverträge Kompensationsforderungen an die jeweilige kolumbianische Nationalregierung stellen. Voraussetzung dafür war, daß sie sich während der Konflikte "neutral" verhielten. Fischer geht davon aus, daß dies für einen Kaufmann beinahe unmöglich war, da er, um Geschäfte zu treiben, Kontakte mit der einen oder anderen Konfliktpartei unterhalten mußte. Zu einem Politikum wurden die Beziehungen von ausländischen Geschäftsleuten während des Übergangs von der radikal-kirchenfeindlichen laissez-faire Epoche zur

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Thomas Fischer/Ute Guthunz

zentralistischen, konservativ-kirchenfreundlichen Ära im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Fischer beschreibt die Etappen der Eskalation des Konfliktes zwischen dem radikal gesinnten Cerruti in Cali und den Behörden der Regenerationsregierung, die Ausweitung auf eine zwischenstaatliche Ebene zwischen Kolumbien und Italien und die Konfliktlösung unter Einbezug von Drittstaaten. Während in Italien und anderen ausländischen Staaten der Fall zur Schicksalsfrage über Rechte und Pflichten von Ausländern sowie über die Eigentumsfreiheit schlechthin hochstilisiert wurde, ging es den kolumbianischen Regierungen um die Verteidigung der territorialen Hoheit und um die Bewahrung der Souveränität der nationalen Gerichte. Der Ausgang der Schiedsgerichte in Spanien und in den USA wird von Fischer als "law enforcement"-Lektion durch die nordatlantische Staatengemeinschaft gedeutet. In Kolumbien förderte der diplomatische Mißerfolg innerhalb konservativ-nationaler Kreise einen gegen Ausländer gerichteten Nationalismus, der als Ansatz zur Bildung von Gegen-Macht verstanden werden kann. Im Aufsatz von Friedrich von Krosigk werden die Begegnungen zwischen lateinamerikanischen und karibischen Staaten und die Modernisierung der Verkehrsverbindungen als Auslöser gesellschaftlicher Transformationsprozesse beschrieben. Krosigk untersucht die Auswirkungen des Eisenbahn- und Kanalbaus über den Isthmus von Panama durch die Panama Railroad Company (1850-55), die Compagnie Universelle du Canal (1881-89) und die Isthmian Canal Commission (1903-1914) auf die lokale Bevölkerung. Er weist nach, daß jedes Bauwerk eine Welle von Arbeitsmigranten — meist aus Jamaika oder Barbados — nach sich zog. Insbesondere während des Goldrausches in Kalifornien blieben auch Durchreisende eine Zeitlang oder für immer auf dem Isthmus und trugen dazu bei, daß Colón und Panama-Stadt gleichsam zu barrios von Kingston und New York wurden. Diese These wird mit Zahlenmaterial untermauert und durch Schilderungen aus Reiseberichten veranschaulicht. Daß die großen Modernisierungsprojekte ihre Opfer forderten, hebt der Autor im Teilkapitel "Sterben in und für Panama" besonders hervor. Die Eingliederung des Isthmus in den "Verkehrsverbund" zwischen Pazifik und Atlantik blieb weder für Panama noch für die Karibik ohne Folgen. Für die karibischen Gesellschaften setzte damit die Arbeitsmigration in Richtung Festland und der Prozeß der Mobilisierung ein. Für das dünn besiedelte Panama bedeutete der Zustrom von etwa 200.000 Migranten in wenigen Jahrzehnten eine tiefgreifende Umwälzung der Bevölkerungsstruktur. Die durch die

Einleitung

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fremde Zuwanderung erfolgte Einwirkung läßt sich als explosive Mischung von sozialer Polarisierung und Rassendiskriminierung bezeichnen. Deren Konsequenz war ein starker Nationalismus mit deutlich antiamerikanischem Unterton in einem seit 1903 aus Kolumbien herausgelösten Staat, der durch die unter amerikanischer Hoheit stehende Kanalzone geteilt ist. Ute Guthunz behandelt gesellschaftliche Transformationsprozesse im Übergang Puerto Ricos von spanischer Kolonialherrschaft zur Assoziierung an die neue Hegemonialmacht als US-amerikanisches Territorium. Bereits während der spanischen Kolonialzeit war der US-Einfluß auf informeller Ebene spürbar, setzte doch damals schon eine allmähliche Integration in das nordamerikanische Handels- und Wirtschaftssystem ein. Paradoxerweise wurde die Insel erst mit der "verspäteten Kolonisierung" durch Spanien für die USA und US-amerikanische Handelshäuser interessant, schuf sie doch die Anreizsysteme und Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Entwicklung der Insel im 19. Jahrhundert. Zur letzten spanischen Bastion, neben Kuba, wurde Puerto Rico mit der Unabhängigkeit Spanisch-Amerikas und der Zuwanderung von peninsulares. Konflikte mit der einheimischen kreolischen Bevölkerung eskalierten schließlich 1868 in einem Aufstand, in dem auch die Unabhängigkeit von Spanien gefordert wurde. Nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg wurde Puerto Rico von Spanien an die USA abgetreten, erhielt dabei jedoch nicht vergleichbare politische Rechte wie nur wenige Monate zuvor von der vorherigen Kolonialmacht. Als "Rekolonisierung" begann damit für die Insel die dort seit mehreren Jahrzehnten diskutierte Integration in den Machtbereich der USA, die im wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Bereich rasch voranschritt und mit der Übertragung der US-Staatsbürgerschaft 1917 besiegelt wurde. Die sozio-kulturelle Einbindung wurde mit der vor allem im Erziehungsbereich ansetzenden "Americanization" vorangetrieben. Die spanische Sprache und auch die Zugehörigkeit der großen Mehrheit der Bevölkerung zur Katholischen Kirche sind jedoch Indiz dafür, daß die Insel "zur kulturellen Bastion des Iberoromanischen und Lateinamerikanischen unter dem Sternenbanner" geworden ist. Die periodisch wiederkehrende Diskussion um den politischen Status der Insel und Ansätze zur "Karibisierung" oder (Re-)Integration des US-amerikanischen Vorpostens in Lateinamerika zeugen von der kontinuierlichen Auseinandersetzung Puerto Ricos mit der eigenen Position im Spannungsfeld zwischen Europa, Latein- und Nordamerika.

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Im Beitrag von Hans-Joachim König über das Kolumbien der 1920er Jahre geht es um Krisenreflektion, Krisenmanagement und die Bildung nationaler Identität. König bestimmt die Ursachen der "tiefgreifenden Krisensituation" im beschleunigten und fieberhaften Wirtschaftswachstum, das auf umfangreiche Kaffee-Exporte und den Zustrom von US-Dollars zurückzuführen war. Letzteres war eine Folge der Einigung mit den USA über die Ablösesumme für die Abtrennung Panamas sowie der Vergabe von Krediten durch US-Privatbanken. Die Gelder wurden in Kolumbien hauptsächlich für den Ausbau der Transportinfrastruktur gebraucht, um die exportorientierte Agrar- und Viehwirtschaft zu fördern. Die Investitionen führten zu Beschäftigungsmöglichkeiten für rund 30.000 Bauarbeiter. Vor allem in dieser Branche sowie in den von US-Kapital durchdrungenen Enklaven der Erdöl- und Bananenwirtschaft brachen wiederholt soziale Konflikte aus. Die konservativen Regierungen beendeten die Streiks duch den Einsatz der Armee; aber die gewaltsame Unterdrückung der Unruhen konnte nicht über die "Krise des traditionellen Systems" hinwegtäuschen. In Kolumbien selbst wurde die Auslandsverschuldung und die Tätigkeit ausländischer Gesellschaften zunehmend kritisch diskutiert. Man begrüßte zwar das wirtschaftliche Wachstum, nahm aber die mit dem "Wachstum auf Pump" sichtbar gewordene Abhängigkeit von den USA ungern zur Kenntnis. Besonders innerhalb liberaler Kreise setzte sich die Ansicht durch, daß ein neuer Nationalismus zur Bewahrung der eigenen Wirtschaft vor der Übernahme durch nordamerikanisches Kapital erforderlich war. Auch die Rückbesinnung auf eigene kulturelle Werte wurde gefordert und die Imitierung des American Way of Life angeprangert. Vor allem die mestizaje und die "civilización de vertiente" wurden von Kolumbiens Intellektuellen als eigene kulturelle Komponente der im Andenstaat gezeitigten "Synthese Amerikas", einer "afro-lateinisch-amerikanischen Amerikanität", definiert. Die Krisensituation der 1920er Jahre, so hebt König hervor, löste einen gegen die USA gerichteten Nationalismus aus, der in den Folgejahren — z.B. durch Verstaatlichungen — durchaus zur Krisenbewältigung beigetragen und einen "Entwicklungsschub" gebracht habe. Dagmar Kusche behandelt in ihrem Beitrag über die Funktion des Bildes der USA in der politischen Karikatur die Auseinandersetzung kolumbianischer Intellektueller mit dem "Koloß im Norden". Die politische Karikatur hatte, parallel zur Ausweitung der Presse und zur Einführung neuer Technologien und Druckverfahren in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ihre Blütezeit. Ihre Funktion bestand darin,

Einleitung

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"traditionelle Werte, Herrschaftsformen, Machtverhältnisse und etablierte gesellschaftliche Hierarchien" in Frage zu stellen. In diesem Zusammenhang wurde die Auseinandersetzung mit der Führungsmacht der Westlichen Hemisphäre, die zunehmend auch die innenpolitische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes zu bestimmen schien, von zentraler Bedeutung. Kusche wertet die führenden Zeitschriften sowie Zeitungen, in denen Karikaturen veröffentlicht wurden, aus. Die zentrale Figur dabei ist — wie auch in anderen lateinamerikanischen Ländern — der Tío Sam, der den "Koloß im Norden" verkörpert und seinen politischen und ökonomischen Einfluß stetig auszudehnen versucht und dadurch das kleine Kolumbien zu erdrücken droht. Das Land Kolumbien wird dabei öfters allegorisch mittels der Figur der Colombia dargestellt. Kennzeichnend für fast alle Karikaturen ist, daß sie nicht einseitig die USA angreifen — diese nehmen sie als unumstößliche Führungsmacht zur Kenntnis — , sondern vielmehr die Form, mit der die regierenden Politiker der Konservativen Partei bedenkenlos die Rohstoffe des Landes veräußern und dabei "das schlafende Volk" übergehen. Daraus wird deutlich, daß die Karikatur vor allem das Medium der regierungskritischen Publizistik der Liberalen war. Kusche schließt daraus, daß die Gründe für die "gravierende Krisensituation" weniger in externen Faktoren als in "inneren Mißständen", in der Unfähigkeit und Korruptheit der konservativen Regierungen der 1920er Jahre zu suchen waren. Der Appell an die Vaterlandsliebe, orgullo patrio, war demnach eine Aufforderung, den Ausverkauf des Landes nicht weiterhin zuzulassen. Ein Anti-Amerikanismus aber als "konstitutives Element der kolumbianischen Identität oder eines Entwurfs von 'Gegen-Macht'" läßt sich nach Kusche für diese Zeit nicht feststellen. Auch Werner Altmann beschäftigt sich in seinem Aufsatz mit der Rezeption des US-Einflusses in Kolumbien am Beispiel der Rolle der United Fruit Company. Sein Thema, das Verhältnis von historischer Realität und literarischer Fiktion, ist schon deshalb von großer Bedeutung, weil Romane ganz wesentlich das 'kollektive Gedächtnis' der nachkommenden Generationen prägen. Altmann behandelt exemplarisch den berühmten Streik der Bananenarbeiter bei Santa Marta im Jahr 1928, der zum Romanstoff bei Alvaro Cepeda Samudio, Efraín Tovar Mozo, Javier Auqué Lara und Gabriel García Márquez wurde. Altmann zeigt zuerst, welche Dokumente der historischen Forschung zur Verfügung stehen. Dies gestattet ihm den Nachweis, welche Dokumente die jeweilige Grundlage für die kolumbianischen Literaten bildeten. Weil sich die Autoren auf

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unterschiedliche Quellenüberlieferungen stützten, divergierten ihre Interpretationen — etwa in der Einschätzung der Rolle des Militärs oder in der Anzahl Toter — teilweise stark voneinander. Altmann macht mit seiner Studie deutlich, daß nur durch die genaue Analyse von historischer Realität und literarischer Umsetzung einer "unkritischen Legendenbildung" entgegengewirkt werden kann. Untersuchen die übrigen Beiträge in diesem Sammelband die Interaktion zwischen einzelnen lateinamerikanischen Staaten und den europäischen Mächten sowie den USA, so umspannen die Ausführungen von Titus Heydenreich die Kontinente Amerika und Europa. Heydenreich ermittelt die Brisanz des Adjektivs "lateinisch" als Distinktionsmittel zwischen Nordamerika und dem "lateinischen" Subkontinent. Er weist nach, daß das Wort latino im Unterschied zu anderen Bezeichnungen wie indio oder americano den Lateinamerikanern nicht von außen "übergestülpt" wurde, sondern vielmehr durch lateinamerikanische Politiker, Intellektuelle und Literaten den Weg ins südliche Amerika fanden. Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts zeichnete sich innerhalb Europas immer mehr ein "Nord-Süd-Dualismus" ab, ein Antagonismus, der von lateinamerikanischen Reisenden wahrgenommen und diskutiert wurde. Frankreich beispielsweise legitimierte seine Intervention in Mexiko damit, eine "lateinisch-katholisch-monarchische Gegenmacht" errichten zu wollen. Allerdings, so schränkt Heydenreich ein, bedeutete in Lateinamerika latino nicht viel mehr als eine "ethnische Klammer — aus gegebenen politischen Anlässen". Erst durch die Aufwertung der indigenen Bewegungen um die Jahrhundertwende erfuhr die Lateinamerika-Idee einen Bedeutungswandel. Das Adjektiv latino verliert seine politische Brisanz als Folge des indigenismo und überlebt seither als "sinnfreies Etikett". Ist für Heydenreich die Auseindersetzung mit dem lateinischen Europa und der Transfer nach Übersee ein Mittel, um die "lateinamerikanische" Identität zu reflektieren und auszudrücken, so analysiert Nicole Rudner in ihrer Untersuchung über den mexikanischen Revolutionsstaat die Abgrenzung zum Norden "als gesellschaftliches Synthesemodell, das bewußt auf die tiefenstrukturelle Vergangenheit des kolonialzeitlichen, spanisch-indianischen Synkretismus zurückgriff, ohne moderne industrielle Entwicklungen auszuschließen". Rudner untersucht den authentischen Weg Mexikos in seiner symbolischen Dimension. Besondere Bedeutung mißt die Autorin der rituellen Begehung von Feiertagen, vor allem dem Un-

Einleitung

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abhängigkeitstag, bei. Alljährlich werde dabei das "Gründungsereignis" wiederholt und die revolutionäre Ordnung bestätigt. Ein weiteres, von der Autorin hervorgehobenes Element der Revolutionsordnung ist die Verehrung der Helden der Revolution. Es ist interessant, daß im mexikanischen Volk vor allem der 1919 ermordete Emiliano Zapata als Verkörperung des einfachen, ehrlichen und selbstlosen Volkstribuns eine große Aufwertung — besonders in der ländlich indianischen Bevölkerung — erfuhr. In der Verfassung des mexikanischen Revolutionsstaates kommt dem Artikel 27 eine weitreichende Bedeutung zu, insofern als er für die folgenden Jahrzehnte für die zentrale Landfrage eine neue rechtliche Grundlage schuf. Mit dieser Abgrenzung von einem an Europa und den USA orientierten "Modernisierungspfad" wurde in Mexiko ein für Lateinamerika beispielloser "Sonderweg" beschritten.

***

Der vorliegende Sammelband wäre ohne die finanzielle Unterstützung der Universität Erlangen-Nürnberg und ohne die engagierte Mitwirkung von Ulrike Göltner, Alexandra Liebing und Zitta Moncada nicht zustande gekommen.

Erlangen, im Dezember 1994

Thomas Fischer Ute Guthunz

Zwischen europäischer und US-amerikanischer Dominanz

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Zwischen europäischer und US-amerikanischer Dominanz: Mexikanischer Außenhandel im 19. Jahrhundert Walther L. Bernecker In herkömmlichen Darstellungen zu den Wirtschaftsbeziehungen zwischen den nordatlantischen Staaten (USA/Europa) und Mexiko läßt sich immer wieder lesen, daß im mexikanischen Außenhandel in den ersten Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit des Landes eindeutig die Europäer dominierten, während die USA erst im Porfiriat, somit im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, größere Bedeutung für den Import-Export-Handel Mexikos erlangten. Suggeriert wird in derartigen Untersuchungen, daß die Vereinigten Staaten erst allmählich ihr Interesse für Mexiko entdeckten und in den davorliegenden Jahrzehnten die Europäer unangefochten das Feld beherrschten. Dabei wird zumeist übersehen, daß Mexiko schon früh aus geopolitischen und ökonomischen Erwägungen ins Kalkül der nordamerikanischen Außen- und Handelspolitik einbezogen wurde. Die geopolitische Komponente ergab sich für Mexiko aus der geographischen Nähe zum nördlichen Nachbarn, die wirtschaftliche aufgrund der mexikanischen Silberbergwerke, wegen des von Anfang an intensiven Schmuggels zwischen Nord und Süd und infolge des ständig zunehmenden Handelsvolumens. Die folgenden Ausführungen stellen insofern eine Korrektur des herkömmlichen Bildes dar, als sie herausarbeiten, daß zwischen Europäern und Nordamerikanern von Beginn der mexikanischen Unabhängigkeit an eine harte Konkurrenz um den mexikanischen Markt bestand. Weiter kompliziert wurden die Verhältnisse dadurch, daß die Konkurrenzsituation auch die Europäer gegen- und nicht miteinander arbeiten ließ. Dies gilt vor allem für die damaligen Industriemächte Großbritannien, Deutschland und Frankreich. Lange Zeit sind in Studien zum Verhältnis zwischen Europa oder den USA auf der einen und Lateinamerika auf der anderen Seite die Schwäche und Abhängigkeit Lateinamerikas in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt worden. Die Wirtschaft der lateinamerikanischen Länder wurde (und wird) - so heißt es in solchen Untersuchungen - durch die Entwicklung

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Walther L.

Bernecker

und Expansion dominanter Wirtschaften bedingt; man könne nicht von einem Interdependenzverhältnis, sondern müsse von einem Dependenzverhältnis sprechen. Entwicklung und Unterentwicklung lateinamerikanischer Länder seien primär durch die Position des Subkontinents in der internationalen Wirtschaft bestimmt worden. 1 Diese Position charakterisierte sich bereits während der Kolonialzeit (und danach im Übergang zur Unabhängigkeitsepoche) im wesentlichen durch ihre Abhängigkeit von Europa. Die von Spanien zu Beginn des 19. Jahrhunderts notgedrungen aufgegebene Rolle des dominanten Partners sei fortan von Großbritannien eingenommen worden. Das postkoloniale Lateinamerika und die "Außenwelt" unterhielten, dieser Deutung zufolge, eine enge Wirtschaftsbeziehung, wobei Lateinamerika als Lieferant von Lebensmitteln, Rohstoffen und Edelmetallen sowie als Importeur von Kapital und Manufakturwaren auftrat. 2 Einer der für die "abhängige" Integration Lateinamerikas in den kapitalistischen Weltmarkt des 19. Jahrhunderts historiographisch bedeutsamsten Ansätze ist die von John Gallagher und Ronald Robinson vor nunmehr bereits über 40 Jahren entwickelte Theorie des "Freihandelsimperialismus", die zuerst weitgehend kritiklos akzeptiert wurde, nach einer relativ späten Rezeption sodann allerdings zusehends härterer Kritik ausgesetzt war und heute mit anderen Erklärungsansätzen konkurrieren muß. 3 Die beiden Autoren brachten ihre Deutung des britischen Wirt-

Aus der Fülle so argumentierender dependenztheoretischer Literatur vgl. Theotonio Dos Santos: Über die Struktur der Abhängigkeit. In: Dieter Senghaas (Hrsg.): Imperialismus und strukturelle Gewalt. Analysen über abhängige Reproduktion. Frankfurt 1972, S. 243. Vgl. auch Philip J. O'Brien: Zur Kritik lateinamerikanischer Dependencia-Theorien. In: Hans-Jürgen Puhle (Hrsg.): Lateinamerika - Historische Realität und Dependencia-Theorien. Hamburg 1977, S. 39; Philip J. O'Brien: Dependency Revisited. In: Christopher Abel und Colin M. Lewis (Hrsg.): Latin America. Economic Imperialism and the State. London 1985, S. 40-69. Philip O'Brien: A Critique of Latin American Theories of Dependency. In: Ivar Oxaal/Tony Barnett/David Booth (Hrsg.): Beyond the Sociology of Development: Economy and Society in Latin America and Africa. London 1975, S. 16; James D. Cockcroft/André Gunder Frank/Dale L. Johnson: Dependence and Underdevelopment: Latin America's Political Economy. New York 1972, S. 34. Nach Hermann Sautter: Unterentwicklung und Abhängigkeit als Ergebnisse außenwirtschaftlicher Verflechtung. Zum ökonomischen Aussagewert der "dependencia "-Theorie. Göttingen 1975, S. 1. Der von William Roger Louis herausgegebene Band: The Robinson and Gallagher Controversy enthält sowohl wichtige Schriften von Robinson und Gallagher selbst als auch eine große An-

Zwischen europäischer und US-amerikanischer Dominanz

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schaftsexpansionismus jener Jahrzehnte auf die Formel: "Auf informelle Weise wenn möglich, durch formelle Annektion wenn nötig, wurde die britische Vorherrschaft beständig aufrechterhalten." Der strategische Plan zielte darauf ab, die neuen lateinamerikanischen Staaten in abhängige und ergänzende Wirtschaftsräume zu verwandeln; die gängigste politische Methode informell-imperialer Machtausdehnung war der Freihandels- und Freundschafts vertrag, der mit einem schwächeren Staat abgeschlossen oder ihm aufgezwungen wurde. Stabile Regierungen mit "zufriedenstellender politischer Ordnung" wurden unterstützt, schwächere oder machtpolitisch nicht kontrollierte Staaten durch "imperialistische Inverventionen" zu kooperativeren Haltungen gezwungen. Brasilien und Argentinien konnten erfolgreich in die Rolle "komplementärer Satellitenwirtschaften" gezwungen werden, während im Fall von Mexiko die politische Stärke der USA die britischen Bemühungen vereitelte, diese Region ebenfalls zu einem informell-abhängigen Gebiet zu machen. Gallagher und Robinson verweisen somit in ihrem Beitrag darauf, daß die USA offensichtlich ein Hindernis für den britischen Versuch waren, Mexiko wirtschaftlich zu beherrschen. Am mexikanischen Beispiel soll im folgenden das Verhältnis der einen zur anderen Dominanz dargestellt werden. Ob diese Dominanz im 19. Jahrhundert zuerst so eindeutig von Großbritannien ausgeübt wurde, wie die beiden Autoren dies postulierten, und wie der Übergang zur US-amerikanischen Hegemonie erfolgte, wird im folgenden analysiert.

Europäisch-nordamerikanische Rivalitäten um einen Handelsvertrag Die Auseinandersetzungen zwischen europäischen Staaten und den USA um Macht und Einfluß in Mexiko nahmen schon mit der Aushandlung der ersten Verträge ihren Anfang. Die US-amerikanische Seite beanspruchte dabei eine (von den Mexikanern nicht konzedierte) Sonderbehandlung; dieser Anspruch verwies bereits auf zukünftige Probleme mit Mexiko, zahl kritischer Reaktionen auf die Theorie des Freihandelsimperialismus (bis Mitte der 1970er Jahre). Der Gallagher/Robinson-Aufsatz "Der Imperialismus des Freihandels", dt. in: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.): Imperialismus. Köln 1970, S. 183-200. Im Sinne der Theorie des Freihandelsimperialismus argumentiert Richard Graham: "Robinson and Gallagher in Latin America: The Meaning of Informal Imperialism", in: William Roger Louis (Hrsg.): The Robinson and Gallagher Controversy. New York 1976, S. 217-221.

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nicht minder aber auch auf Komplikationen mit den europäischen Rivalen. Angesichts der herausragenden Bedeutung, die Großbritannien damals im internationalen Konzert der Mächte hatte, ist es nicht verwunderlich, daß die ersten Differenzen zwischen der Inselmacht und den Vereinigten Staaten auftraten. Die folgenden Ausführungen über den Abschluß eines Handelsvertrages konzentrieren sich daher auf die Konflikte zwischen den USA und Großbritannien, wobei der Inselstaat stellvertretend die europäischen Interessen repräsentiert. Spätestens seit 1820 bereiteten sich die englischen Politiker auf die Anerkennung der lateinamerikanischen Unabhängigkeit vor; ihnen ging es darum, eine Führungsrolle der USA über die entstehenden lateinamerikanischen Staaten zu verhindern. Die Haltung Großbritanniens gegenüber Lateinamerika, die in ihren Grundlinien in dem berühmten, von Außenminister Castlereagh 1820 entworfenen und ab September 1822 von Außenminister Canning übernommenen State Paper enthalten ist,4 ergab sich aus dem Verhältnis Englands zur Heiligen Allianz und deren reaktionär-legitimistischer Politik. Dreh- und Angelpunkt der britischen Politik jener Jahre war das Prinzip der Nicht-Intervention in die Angelegenheiten anderer Länder. Dabei sah sich die Londoner Regierung starkem Druck von Seiten einer mächtigen Handels- und Industriefraktion ausgesetzt, die auf eine Anerkennung der lateinamerikanischen Unabhängigkeit oder zumindest auf wirkungsvollen, international abgesicherten Schutz des Lateinamerikahandels drängte. Im April 1822 forderten verängstigte Händler, den Handel zwischen Großbritannien und Lateinamerika endlich auf eine legale Basis zu stellen; andernfalls "foreign countries, especially the United States [...] will secure to themselves most important advantages, at

Die offizielle britische Position wird ausführlich dargelegt in Castlereaghs Schreiben an den britischen Gesandten in Madrid, Henry Wellesley, 1.4.1812: PUBLIC RECORD OFFICE/ FOREIGN OFFICE ( = PRO FO) 72/127; Druck: Charles Kinsley Webster (Hrsg.): Britain and the Independence of Latin America 1812-1830. Select Documents from the Foreign Office Archives, Bd. II. London 1938, S. 309-316. Zur Diskussion des State Paper vgl. The Cambridge History of British Foreign Policy 1783-1919, Bd. II. Cambridge 1923, S. 622; Charles Kinsley Webster: The Foreign Policy of Castlereagh 1815-1822. Britain and the European Alliance. London 1947; Harold W. V. Temperley: Life of Canning. London 1905 (Reprint Westport 1970), S. 140 ff.

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the expense of the shipping, commercial, and manufacturing interests of this Kingdom". 5 Dem massiven Druck der starken Handelsfraktion nachgebend, entschloß sich Castlereagh zu einer "kommerziellen Anerkennung" der lateinamerikanischen Republiken; eine völkerrechtlich-politische klammerte er vorerst jedoch aus. 6 Sein Nachfolger Canning konnte sich dem weiteren Druck bald nicht mehr widersetzen. Im Jahr 1825 erfolgte schließlich die faktische politische Anerkennung der Unabhängigkeit Mexikos; die Methode der Anerkennung sollte in der Aushandlung eines (Freundschafts-, Schiffahrts- und Handels-)Vertrages bestehen, dessen Ratifizierung den Anerkennungsprozeß beenden würde. Während der seit 1822 andauernden Gespräche zwischen Großbritannien und Mexiko wurde das mexikanische Hauptinteresse sehr deutlich: Es ging Mexiko darum, die Anerkennung seiner Unabhängigkeit durch Großbritannien zu erhalten, wofür als Gegenleistung dem Inselstaat politische und wirtschaftliche Vorteile eingeräumt würden, die er anders nicht hätte erhalten können. Der konkrete politische Hintergrund der deutlichen Bevorzugung Großbritanniens durch Mexiko war die Überzeugung des mexikanischen Unterhändlers Guadalupe Victoria, daß der Anerkennung durch Großbritannien eine Schrittmacherfunktion für andere europäische Mächte zugesprochen werden könne. Der britische Unterhändler Lionel Hervey, der die Verhandlungen zwischenzeitlich führte, ließ seine Regierung wissen, daß Mexiko der Unterstützung einer großen Seemacht bedürfe; falls Großbritannien bereit sei, den Schutz Mexikos zu übernehmen, würden den Engländern die umfangreichsten Handelsprivilegien eingeräumt werden. Hervey ließ in seinem Bericht keinen Zweifel daran, daß der eigentliche (und damals noch einzige) Rivale Großbritanniens in Mexiko die USA waren; es gelte, unbe5

Petition to the Lords of His Majesty's Most Honourable Privy Council from the humble memorial of the undersigned merchants, shipowners, manufacturers, and traders of London, in: The New Times, 29.4.1822. Vgl. auch William Jackson Hammond: The History of British Commercial Activity in Mexico, 1820-1830. University of California (Thesis) 1929, S. 223; und Frederic L. Packson: The Independence of the South-American Republics. A Study in Recognition and Foreign Policy. Philadelphia 1903, S. 198-200.

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Charles Kinsley Webster: The Foreign Policy of Castlereagh 1815-1822. Britain and the European Alliance. London 1947, S. 428-436.

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dingt zu verhindern, daß die Mexikaner sich ihren nördlichen Nachbarn aus Mangel an Alternativen in die Arme werfen müßten. 7 Der erste Vertrag zwischen beiden Staaten (1825) wurde von Großbritannien nicht ratifiziert, da Mexiko sich das Recht ausbedungen hatte, den südamerikanischen "Schwesterrepubliken" Sonderkonditionen einzuräumen. Die Neuaushandlung des Vertrages wurde sodann u.a. durch die Intervention des US-Delegierten Joel R. Poinsett erschwert, der sich mit Nachdruck dafür einsetzte, daß Großbritannien Mexiko das Recht zugestand, den amerikanischen "Schwesternationen" - zu denen auch die USA gehören sollten! - Sonderrechte einzuräumen. Die von Eifersucht und Rivalität geprägten Auseinandersetzungen zwischen dem britischen Gesandten Henry George Ward und dem US-Amerikaner Poinsett zogen sich über viele Monate hin. 8 Der britisch-mexikanische "Freundschafts-, Schiffahrts- und Handelsvertrag" wurde schließlich im Dezember 1826 unterzeichnet sowie im April 1827 von Mexiko und im Juli 1827 von Großbritannien ratifiziert. 9 Zweifellos war der Abschluß dieses Vertrages ein Meilenstein in der Geschichte der mexikanischen Unabhängigkeit. Für Mexiko bedeutete die politische Anerkennung durch England das faktische Ende der Erfolgschancen spanischer Rückeroberungsabsichten; für Canning war die Anerkennung ein innenpolitisch geschickter Zug, sich einer von Unternehmungswut und Spekulationsfieber erfüllten Geschäftswelt, die stürmisch nach Er-

7

Hervey an Canning, México 18.1.1824: PRO FO 50/4; vgl. auch die Paraphrase bei William F. Cody: British Interest in the Independence of Mexico 1808-1827. London 1954, S. 152 ff. Zur Reaktion der Regierung vgl. Canning an Hervey, London 23.4.1824: PRO FO 50/3. Vgl. auch Hervey an Canning (geheim und vertraulich), México 21.2.1824: PRO FO 50/4.

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Vgl. etwa folgende Berichte: Ward an Canning, México 22.9.1825; Ward an Canning, México 27.9.1825; Ward an Canning (höchst persönlich und vertraulich), México 30.9.1825: alle in PRO FO 50/14. Ward an Canning (geheim und vertraulich), México 29.5.1826: PRO FO 50/21. Vgl. auch die den neuen Vertrag betreffende Korrespondenz in PRO FO 97/271.

'

Text (englisch und spanisch): Treaty of Amity, Commerce and Navigation, between His Majesty and The United States of Mexico, together with two Additional Articles thereunto annexed. London 1828 (1 Exemplar in Staatsarchiv Bremen 2-C.13.a.); ebenfalls abgedruckt in British and Foreign State Papers 14, 1826/27, S. 614-629 und in Nouveau Recueil de Traités, VII, 1829, S. 80-99.

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Schließung und Sicherung neuer Absatzmärkte verlangte, als Mann der Stunde zu präsentieren. Zeitlich parallel zu den britisch-mexikanischen Vertragsverhandlungen verliefen die nordamerikanisch-mexikanischen Gespräche, die ebenfalls den Abschluß eines Handelsvertrages zum Ziel hatten. 10 Obwohl in beiden Fällen viele Probleme ähnlich gelagert waren, unterschieden sich die Vertragsverhandlungen beider Länder entscheidend. Schon die Voraussetzungen waren grundverschieden: Während nämlich der Abschluß eines Vertrages mit Großbritannien für Mexiko (und vor der Welt) die offizielle Anerkennung seiner Unabhängigkeit bedeutete - auch wenn diese Anerkennung explizit nirgends formuliert wurde -, konnte im Vertrag mit Nordamerika die Anerkennungsproblematik nicht mit handelspolitischen Aspekten gekoppelt werden, da das US-Repräsentantenhaus die Unabhängigkeit Mexikos bereits im März 1822 anerkannt hatte. Der internationale Stellenwert eines Vertrages mit den USA war daher von vornherein anders einzuschätzen als ein Abkommen mit Großbritannien. In den ersten Jahren der mexikanischen Unabhängigkeit ging die USRegierung noch von der optimistischen Vorstellung aus, Mexiko werde keinem europäischen Land die Handels- und Schiffahrtsvorteile einräumen, die es den Nordamerikanern gewährte. Schließlich waren die U S A nicht nur ein amerikanischer Bruderstaat, sondern das erste Land, das Mexikos Unabhängigkeit anerkannt hatte. Sehr schnell stellte sich jedoch heraus, daß diese Einschätzung ein Trugschluß war. Die Vertragsverhandlungen schleppten sich lange hin. Entscheidend für das Verständnis der (über diesen Vertrag zeitlich wie sachlich weit hinausreichenden) Hauptprobleme zwischen den beiden Nachbarländern war die Diskussion über die Gleichoder Vorzugsbehandlung der USA im Vergleich zu anderen Staaten. Dieses Problem sollte zu tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten zwischen der nordamerikanischen und der mexikanischen Seite führen und schlagartig einen ideologischen Graben erkennen lassen, der prinzipielle, unüberbrückbare und später noch verschärfte Differenzen offenlegte.

Einen ausführlichen Bericht über die englischen und die amerikanischen Verhandlungen mit Mexiko zur Erreichung eines Vertrages lieferte der hanseatische Handelsagent H. Nolte an den Bremischen Bürgermeister Smidt am 31.12.1826: Staatsarchiv Bremen 2-C.13.a.

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Die Hauptauseinandersetzung ging nicht um handelspolitische oder vertragstechnische Aspekte wie Meistbegünstigungsklausel oder Reziprozität; das Problem wurde vielmehr auf eine kontinental-politische Ebene gehoben und von den Amerikanern zu einem globalen Ost-West-Gegensatz zwischen Europa und Amerika hochstilisiert. Die Mexikaner ließen deutlich werden, daß Mexiko keinerlei Anlaß sehe, die U S A als "natürlichen" Alliierten zu betrachten oder der Freundschaft mit dem nördlichen Nachbarn mehr Bedeutung als der mit Großbritannien und den lateinamerikanischen Staaten beizumessen; die im Vertrag mit Großbritannien festgelegten Bedingungen seien auch für die USA gültig. Daß Mexiko in wichtigen Fragen nicht einlenkte, war im wesentlichen auf Wards ausgeklügeltes Taktieren zurückzuführen. 11 Der britische Gesandte verstand es meisterhaft, die mexikanische Skepsis gegenüber den Intentionen der USA wachzuhalten und zu vergrößern. Angesichts der kompromißlosen, auf unbedingte Vorzugsbehandlung der U S A gegenüber Europa abzielenden Haltung Poinsetts 12 schlug Ward seiner Regierung vor, eine Präferenzklausel in den britisch-mexikanischen Ver-

Ward hatte in Mexiko allerdings insofern relativ leichtes Spiel, als die Mexikaner zum damaligen Zeitpunkt bereits den Absichten der Yankees zutiefst mißtrauten. Schon wenige Tage nach seiner Ankunft in Washington hatte (drei Jahre zuvor!) der erste mexikanische Gesandte in den USA, Zozaya, einen für das gegenseitige Verhältnis der beiden Nachbarstaaten vernichtenden Bericht an die damals kaiserlich-mexikanische Regierung gesandt: "La soberbia de estos republicanos no les permite vernos como iguales sino como inferiores; su envanecimiento se extiende en mi juicio a creer que su Capital lo será de todas las Américas; aman entrañablemente a nuestro dinero, no a nosotros, ni son capaces de entrar en convenio de alianza o comercio sino por su propia conveniencia, desconociendo la recíproca. Con el tiempo han de ser nuestros enemigos jurados, y con tal previsión los debemos tratar desde hoy, que se nos venden amigos." Zozaya an das mexikanische Außenministerium, 26.12.1822, in: La Diplomacia Mexicana. Pequeña Revista Histórica, por Antonio de la Peña y Reyes. Bd. I. México 1923, S. 103. Er fügte hinzu, überall werde von der Organisierung des Heeres gesprochen, was nur auf die US-Absichten hinsichtlich der Provinz Texas zurückzuführen sei. Ward charakterisierte die US-Haltung mit den Worten: "It is the great object of the United States to convince the natives of Spanish America that there exists between them and their brethren of the North a community of interests in which no European Power can share." Ward an Canning (Nr. 32), México 22.9.1825: PRO FO 50/14. Einige Tage später insistierte er: "The formation of a general American Federation from which all European Powers, but more particulary Great Britain, shall be excluded, is the great object of Mr. Poinsett's exertions." Ward an Canning (privat und vertraulich), México 30.9.1825: PRO FO 50/14.

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trag als Instrument zur Eindämmung der panamerikanischen Bestrebungen der USA aufzunehmen. 13 Die scheinbar periphere Diskussion über den Handelsvertrag bündelte die globalen Politikbereiche der USA und Großbritanniens zu einem konkreten Problemkomplex, der in nuce alle Elemente des makropolitischen Bereichs enthielt, somit Reflex und Ausdruck der unterschiedlichen angloamerikanischen Lateinamerikastrategien war. Die US-amerikanische Haltung gegenüber den vor kurzem unabhängig gewordenen Staaten im Süden des Kontinents war untrennbar mit der Politik der Vereinigten Staaten gegenüber Europa verbunden. Seit Ende des 18. Jahrhunderts spielte auf dem amerikanischen Kontinent der Gedanke eines besonders engen Verhältnisses der Völker und Staaten der westlichen Hemisphäre eine herausragende Rolle. 14 Lateinamerikaner wiederum - allen voran Simón Bolívar - forcierten in jenen Jahren die internationale Zusammenarbeit in der Neuen Welt; ihre Bemühungen können jedoch insofern nicht als Beiträge zur Herausbildung einer Ideologie der westlichen Hemisphäre betrachtet werden, als sie von Anfang an lediglich auf die lateinamerikanischen Staaten konzentriert waren - die USA somit ausnahmen - und außerdem zumeist eine Allianz mit Großbritannien anstrebten. Damit stellten sich die politischen Vertreter der neuen lateinamerikanischen Staaten in deutlichen Gegensatz zu der gleichzeitig von den USA proklamierten Vorstellung, derzufolge der gesamte amerikanische Kontinent eine Interessengemeinschaft bildete, europäische Einflüsse und Interventionen somit ausgeschaltet werden müßten. Während in den USA der Gedanke einer von der Alten Welt in jeglicher Hinsicht getrennten amerikanischen "Kontinentaleinheit" an Boden

Ward an Canning (Nr. 42), México 27.9.1825: PRO FO 50/14. Ward ließ Präsident Victoria gegenüber sogar deutlich werden, daß Großbritannien die Ausnahmeregelung für lateinamerikanische Staaten akzeptieren werde, wenn die USA diese Bestimmung ebenfalls in ihren Vertrag aufzunehmen genötigt seien: Ward an Canning (Nr. 68), México 15.12.1825: PRO FO 50/14. Arthur Preston Whitaker: The Western Hemisphere Idea: Its Rise and Decline. Ithaca, London 1954, S. 1 und 5; zur entscheidenden Bedeutung der Aufklärung für die Herausbildung der Idee einer verwandtschaftlichen Gemeinsamkeit zwischen dem angelsächsischen und dem spanischen Amerika vgl. ders.: Latin America and the Enlightenment. New York 1942 sowie Harry Bernstein: Origins of Inter-American Interest, 1700-1812. Philadelphia 1945.

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und zusehends Einfluß auf die Regierung gewann, ging es den Briten gerade um die Verhinderung einer derartigen Trennung. Als die amerikanischen Regierungsmitglieder sich anschickten, die für Anfang Dezember 1823 vorgesehene Kongreßrede von Präsident Monroe vorzubereiten, unternahm Canning den (der US-Absicht entgegenstehenden) Versuch, die USA zu einem gemeinsamen britisch-nordamerikanischen Vorgehen in der Lateinamerikafrage zu bewegen - allerdings umsonst. Cannings Angebot an die Amerikaner hatte vielmehr eine von ihm in dieser Form sicherlich nicht vorhergesehene Wirkung: Sie beschleunigte die (nunmehr einseitige) Verkündigung der Haltung, die die Vereinigten Staaten gegenüber der europäischen Amerikapolitik fortan einnehmen würden und als MonroeDoktrin in die Geschichtsbücher eingegangen ist. In diesem spannungsgeladenen Klima deutlich auseinanderdriftender Konzeptionen fanden 1825/26 in Mexiko die Verhandlungen über die Handelsverträge mit Großbritannien und den USA statt. Dabei wurden die in den Regierungszentralen vorgetragenen Argumente von den diplomatischen Vertretern der beiden angelsächsischen Mächte in Mexiko aufgegriffen und vielfach wiederholt. Poinsett bestand darauf, daß ein Vertrag mit Mexiko auf der Grundlage "von Gleichberechtigung und Reziprozität" abgeschlossen werden müsse - eine Formulierung, an der die Nordamerikaner nicht rütteln ließen. Poinsett konnte schließlich die Streichung der Sonderregelungen für lateinamerikanische Staaten durchsetzen; den Grundsatz der Reziprozität mußte er allerdings aufgeben und sich mit einer Meistbegünstigungsklausel begnügen; er hielt diese Regelung jedoch angesichts der Tatsache, daß Mexiko über keine Handelsmarine verfügte, für den Interessen der USA keineswegs abträglich.15 Hatte die Aushandlung des Vertrages von 1826 bereits ein hartnäckiges Tauziehen um Positionen und Interpretationen bedeutet, so geriet der Ratifizierungsprozeß gar zu einer unerfreulichen politisch-polemischen Posse, die nach Jahren damit endete, daß die Verträge nie ratifiziert wur-

Poinsett an Clay, Mexico 31.5.1826, in: National Archives Washington, Record Group ( = NAW RG) 59, Diplomatie Despatches ( = DD) Mexico vol. 1. "They have not a single vessel capable of making a foreign voyage. The whole commercial marine of Mexico consists of a few bongos, miserable schooners". Vgl. auch Poinsett an Clay Nr. 50. México 12.7.1826, in: NAW RG 59, DD Mexico vol. 2.

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den, somit nie in Kraft traten. 16 Auch der 1830 völlig neu ausgehandelte Vertrag wurde erst 1832 rechtsgültig.

Der Kampf um den mexikanischen Markt Die Aushandlung von Handelsverträgen erfolgte, wie der vorhergehende Abschnitt gezeigt hat, als eine Art Kompensationsgeschäft: Ausländische Mächte erkannten durch den Abschluß dieser "Freundschafts-, Schiffahrtsund Handelsverträge" die Unabhängigkeit Mexikos an und erhielten dafür im Gegenzug eine Art Garantie, unter bevorzugten Bedingungen mit M e xiko Handel treiben zu können. Die Verträge stellten aber nur einen förmlichen Rechtsrahmen dar; mindestens genauso wichtig für die Entwicklung des Handels waren die realen politischen und wirtschaftlichen Zustände Mexikos, die entscheidenden Einfluß auf die kommerziellen Beziehungen des Landes ausübten. Denn: In der Geschichte Mexikos gibt es keine turbulentere Phase als die Jahrzehnte, die auf die Erlangung der Unabhängigkeit folgten. Unter sozialgeschichtlicher Perspektive war die politische Instabilität Ausdruck des Fehlens einer "dominanten Schicht", die sich in der Machtausübung gegen soziale Konkurrenten hätte durchsetzen können. Allianzen und Kompromisse, Diskontinuitäten und Widersprüche in der Politik reflektierten die instabilen Interessenallianzen der verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte. Für eine kontinuierliche, klar definierte und konsequent verfolgte Wirtschaftspolitik war in diesem von prekärer innerer Instabilität und extremer Fragilität der äußeren Sicherheit bestimmten System kein Platz. Ein System "institutionalisierter Unordnung" 1 7 verhin-

Wichtige Stationen der Vertragsverhandlungen 1826-1829 lassen sich anhand der diplomatischen Korrespondenz im PRO FO 50 und in den NAW RG 59, DD Mexico, vol. 3 und 4 rekonstruieren. Einige wichtige Quellentexte zur Aushandlungsphase und zum Ratifizierungsprozeß liegen (z.T. sehr fehlerhaft, z.T. auch stark gekürzt oder zusammengefaßt) gedruckt vor bei Carlos Bosch Garcia (Hrsg.): Documentos de la relación de México con los Estados Unidos. Bd. I: El mester político de Poinsett. México 1983; Zusammenfassungen in ders.: Material para la historia diplomática de México. (México y los Estados Unidos, 1820-1848). México 1957. Vgl. die knappen Uberblicke zu Vorgeschichte, Aushandlung und (schließlicher Nicht-) Ratifizierung der Verträge bei dems.: Problemas diplomáticos del México independiente. México 1949, S. 13-38; ders.: Historia de las relaciones entre México y los Estados Unidos 1819-1848. México 1961, S. 211-278. David A. Brading: Los orígenes del nacionalismo mexicano. México 1973, S. 154 f.

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derte, daß eine einzelne "Partei" oder ein Diktator die Macht auf Dauer übernahm. Infolge der Wirren des Unabhängigkeitskrieges, der Expatriierung des spanischen und eines Teils des mexikanischen Kapitals ins Ausland, der Unterbrechung in der Versorgung mit Rohstoffen und Arbeitskräften und des mangelhaften Kommunikations- und Transportsystems befanden sich der Bergbau, das Gewerbe und der Handel Mexikos nach Erlangung der nationalen Unabhängigkeit in einer schweren Krise, die, wie es schien, nur mit ausländischer Unterstützung zu überwinden war. Die ausländischen Kräfte erkannten die sich ihnen bietende Chance schnell und stießen in das vorhandene Vakuum vor. Von der anfänglich begeisterten Bereitschaft der mexikanischen Regierung, das Land ausländischem Kapital und fremdem Know-how zu öffnen, profitierten viele Ausländer, vor allem auch US-Amerikaner, die in den ersten Jahren der mexikanischen Unabhängigkeit als eigentliche Konkurrenten der Briten galten. Allerdings betrieben sie, englischen Quellen zufolge, im Norden und Osten Mexikos mehr Schmuggel als "fair-trade". 18 Der Bundesstaat San Luis Potosí entwickelte sich allmählich zu einem Umschlagplatz ausländischer Güter, wobei die Amerikaner einen Großteil dieses Geschäfts betrieben. In Tampico gelang es ihnen schon in der ersten Hälfte der 1820er Jahre, eine bedeutende Stellung zu erringen. In jenen Jahren begannen größere Sendungen an Baumwollwaren aus den USA einzutreffen; die Berichte der amerikanischen Konsuln in Alvarado und Veracruz lassen erkennen, daß der Importhandel aus den Vereinigten Staaten in stetem Zunehmen begriffen war. 19 Seit 1827 bestand außerdem ein regelmäßiger Post- und Passagierdienst zwischen New York und Veracruz. Bis Mitte der 1830er Jahre war Mexiko der wichtigste lateinamerikanische Handelspartner der USA; erst in den 1840er Jahren gewannen

Die britischen Klagen über diesen unlauteren US-Wettbewerb sind in nahezu jedem konsularischen und diplomatischen Bericht nachzulesen. Vgl. etwa A.G. Wavell an Taylor, 2.9.1826: PRO FO 50/30 ("systematic smuggling carried on principally by N. Americans at Tampico"); Ward an Canning, 19.1.1827: PRO FO 50/31 A. ("The Quantity of goods smuggled in is infinitely greater than that upon which the duties are paid"); Ward an Canning, 5.2.1827: ebenda. Taylor an Clay, Veracruz 2.7.1826: NAW RG 59 Consular Despatches ( = CD) Veracruz, Roll 1.

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Brasilien, Kuba und Chile als Handelspartner für die Vereinigten Staaten an Bedeutung und übertrafen Mexiko. In einem Großteil der Historiographie sind die Auseinandersetzungen und Rivalitäten zwischen Nordamerika und Großbritannien im Mexiko der 1820er Jahre in den Mittelpunkt der Betrachtungen gerückt worden. Übersehen wurde bei dieser Betrachtungsweise eine weitere, primär ökonomische Rivalität, deren Existenz bei genauer Betrachtung des Quellenbestandes der verschiedenen europäischen Staaten, die am Kampf um den mexikanischen Markt teilnahmen, deutlich ins Auge springt: die Rivalität der (vornehmlich europäischen) Händler und der wirtschaftsexpansionistischen Mächte untereinander. Unter der Perspektive der wirtschaftlichen Rivalität verliert die in der Historiographie hervorgehobene "kontinentale" Trennungslinie an Bedeutung; statt dessen treten die Differenzen zwischen den europäischen Staaten deutlicher hervor. Die einzelnen Länder konkurrierten untereinander im Sinne "nationaler" Wirtschaftsinteressen und im Hinblick auf die nationale Sicherung möglichst exklusiver Einflußsphären. Eine detaillierte Analyse der Quellen ergibt noch ein weiteres, dem soeben aufgezeigten Befund gewissermaßen entgegenstehendes Ergebnis: Denn wenn auch die Handelsrivalität ihren Niederschlag primär entlang nationaler Trennungslinien gefunden hat, so wird andererseits doch klar, daß die Fronten häufig quer durch die Nationalitäten liefen: Englische Händler konkurrierten untereinander, hanseatische rivalisierten mit preußischen, europäische mit nordamerikanischen, ausländische mit mexikanischen; nicht einmal in ihrer Gegnerschaft gegen die Zollbestimmungen waren sie sich einig. Gegen Ende der 1820er Jahre hatten die Nordamerikaner bereits gewisse Marktanteile in Mexiko erobert, was auf britischer Seite zu sofortigen Rückeroberungsversuchen führte. 20 Die üblichste Methode bestand darin, daß sich die ausländischen Handelsagenten in Mexiko Muster des Konkurrenzprodukts besorgten und an die Industriellen ihrer Länder sandten. Diese versuchten dann, das bessere Produkt zu imitieren und billiger auf den Markt zu bringen. Diese Methode, eine genaue und vor allem kontinuierliche Beobachtung des Marktes, ständige Verbilligung der Textilien in der Produktion und Ausnützung aller sich bietenden Tarifvorteile ermöglichten es den flexiblen Briten zumindest auf dem Gebiet der Baum20

Charles O'Gorman an Crawford, México 1.4.1828: PRO FO 50/46, Bl. 262-264.

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Wollstoffe, jahrzehntelang dominierend zu bleiben. Im Jahr 1835 sollen immer noch 48 % aller mexikanischen Importe aus Großbritannien, je 17,3 % aus Frankreich und den USA und nur 7,1 % aus Deutschland gekommen sein. 21 Andererseits lassen jedoch verstreut vorhandene Angaben zum deutschen (oder auf deutschen Schiffen erfolgten) Handel mit Mexiko für die Mitte der 1830er Jahre einen Warenumfang erkennen, dessen Wert in absoluten Zahlen den direkten Warenexpeditionen aus Großbritannien nicht nachstand. Verläßlich und aussagekräftig ist das zur Verfügung stehende Zahlenmaterial allerdings nur sehr bedingt, da einerseits der indirekte Handel (auf Schiffen unter anderer Flagge oder über die USA), andererseits der Schmuggel zur Vorsicht bei der Interpretation von Statistiken zwingen. 2 2 Sowohl die USA als auch Frankreich erlebten ebenfalls bis Mitte der 1830er Jahre einen Aufschwung ihres Handelsvolumens. Während die Vereinigten Staaten damals noch vor allem im ReExportgeschäft reüssierten, beherrschten die Franzosen den Handel mit feineren und Luxusartikeln.

Die Handelsrouten Die lateinamerikanischen Staaten erlangten ihre Unabhängigkeit zu einem Zeitpunkt, zu dem in den wirtschaftlich fortgeschrittenen europäischen Ländern die Industrielle Revolution neue Rohstoff- und Absatzmärkte dringend erforderlich machte. Während Lateinamerika die historische Phase seiner politischen Unabhängigkeit ohne im Vergleich zur vorhergehenden Epoche wesentliche ökonomische Veränderungen begann, erlebten große Teile Westeuropas zum gleichen Zeitpunkt somit grundlegende Umstrukturierungen ihrer Wirtschaftsverhältnisse. Auch in den wichtigen Bereichen des Außenhandels brachte die Emanzipation vom spanischen Mutterland den lateinamerikanischen Republiken vorerst keine wesentlichen Neuerungen. Sie blieben, was sie schon vorher waren: Lieferanten von Rohstoffen und Abnehmer europäischer Manufakturwaren. Diese Grundstruktur des lateinamerikanischen Handels sollte sich erst im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts ändern, als die Vereinigten Staaten immer dominierender die bis dahin von europäischen Mächten eingenommene Josefina Zoraida Vázquez: "Los primeros tropiezos", in: Historia general de México. Bd. III. México 1976, S. 50. Zum Schmuggel vgl. Walther L. Bernecker: Schmuggel. Illegalität und Korruption im Mexiko des 19. Jahrhunderts. Frankfurt a.M. 1989.

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Rolle des Haupthandelspartners übernahmen und auch die Struktur der Importe/Exporte sich änderte. Die in der Spätphase der Kolonialzeit bestehende Wirtschafts- und Außenhandelsstruktur Mexikos blieb in den ersten Jahrzehnten der staatlichen Unabhängigkeit erhalten, was sich aus der Zusammensetzung der Import- und Exportprodukte belegen läßt. In dem Vierteljahrhundert vor Erreichung seiner Unabhängigkeit betrugen die über den Monopolhafen Veracruz ausgeführten Edelmetalle (fast ausschließlich Silber) durchschnittlich 73,4 % sämtlicher Exporte Mexikos. Diese Dominanz der Edelmetalle blieb auch nach 1821 unverändert.23 Neben das Hauptausfuhrprodukt (gemünztes) Silber traten Cochenille, Farbhölzer und (bei sehr geringer Bedeutung) einige landwirtschaftliche Produkte wie Indigo und Vanille. Gegen Mitte des Jahrhunderts stieg der Anteil der Edelmetalle als Exportartikel auf über 90 % der Gesamtausfuhr, während die natürlichen Farbstoffe als Folge der Erfindung synthetischer Produkte durch europäische Chemiker kontinuierlich an Bedeutung einbüßten. Im letzten Drittel des Jahrhunderts nahmen land- und viehwirtschaftliche Produkte die zweitwichtigste Position als Exportgüter ein; demgegenüber sank - im Gegensatz zu Gold - die relative Bedeutung des gemünzten Silbers als Exportartikel auf 50 % aller Ausfuhren, blieb jedoch während des gesamten Zeitraums weiterhin das deutlich dominierende Exportprodukt. Um die Jahrhundertmitte noch konnte ein deutscher Händler in Mexiko feststellen: "Mit seinem Silber bezahlt der Mexikaner die ausländischen Waaren und den Luxus in den Städten. Die andern Ausfuhrartikel, wie Vanille, Cochenille, Indigo, Cacao, Sarsaparille, Häute sind unbedeutend." 24

Vgl. Jürgen Schneider: Frankreich und die Unabhängigkeit Spanisch-Amerikas. Zum französischen Handel mit den entstehenden Nationalstaaten (1810-1850). 2 Bde. Bd. 1: Darstellung. Stuttgart 1981, S. 84. Adolph Uhde: Die Länder am untern Rio bravo del Norte. Geschichtliches und Erlebtes. Heidelberg 1861, S. 24 f.

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Tabelle 1: Jahr

Außenhandel Mexikos 1822-1858 (in laufenden Pesos)

Import aus Frankreich

1822 1823 1824 1825 1826 1827 1828 1829 1830 1831 1832 1833 1834 1835 1836 1837 1838 1839 1840 1841 1842 1843 1844 1845 1846 1847 1848 1849 1850 1851 1851 1853 1854 1855 1856 1857 1858

3 679 800 2 860 400 2 985 000 1 998 400 1 946 800 4 645 400 4 070 600 2 680 000 3 005 400 2 408 200 3 460 200 1 900 000 1 927 600 1 635 400 2 268 400 2 798 800 2 530 600 2 281 400 2 388 800 2 764 618 2 540 400 2 079 400 680 400 3 935 342 6 535 837 4 556 191 5 069 165 3 802 631 4 214 622 5 424 362 5 225 145 5 578 835

Export nach Frankreich

419 000 618 800 1.089 400 1 352 600 1 617 800 1 180 000 741 200 1 575 400 1 068 200 1 348 800 1 418 600 1 740 800 1 422 400 883 000 915 800 1 477 800 1 189 400 1 050 800 1 384 400 1 476 400 1 557 800 1 477 600 347 000 1 109 620 1 345 559 1 708 160 1 146 686 1 341 537 1 314 755 1 154 941 1 177 116 1 572 488

Import aus den USA

6 281 000 4 173 000 2 886 000 2 331 151 4 837 458 6 178 000 3 467 541 5 408 091 5 265 053 9 029 221 6 040 635 3 880 323 2 787 362 2 164 097 2 515 314 2 036 620 1 534 933 1 471 937 1 494 833 1 159 331 1 531 180 238 004 4 054 459 2 020 868 2 012 827 1 581 763 2 284 929 3 558 824 3 135 486 2 922 804 3 702 239 3 615 206 3 315 825

Export in die USA

3 916 000 5 232 000 4 814 000 5 026 761 5 235 241 5 167 000 4 293 954 5 459 418 8 666 668 9 490 446 5 615 819 5 654 002 3 127 153 5 500 707 4 175 001 3 484 957 1 996 694 2 782 406 2 387 691 1 702 936 1 836 621 481 749 1 581 247 2 116 719 2 135 866 1 804 799 1 649 206 2 167 985 3 463 190 2 882 830 3 568 681 5 985 857 5 477 465

Import aus Großbritannien 453 460 1 848 880 2 762 020 7 046 780 3 342 075 6 140 200 2 671 900 3 222 630 9 474 085 3 644 290 999 105 2 107 435 2 298 050 2 014 100 1 274 110 2 601 000 2 198 880 3 300 850 2 326 650 2 174 505 1 874 845 2 989 685 2 470 475 2 735 650 1 518 425 503 000 4 730 000 3 895 000 2 500 000 3 000 000 2 000 000 4 000 000 2 000 000 3 000 000 4 500 000 3 000 000 2 000 000

Export nach Großbritannien

Import aus Hamburg und Bremen

220 285 1 046 865 732 130 760 035 560 900 731 355 963 885 751 930 846 100

2 794 652

1103 025* 1153 955* 1110 965* 1711 915* 1587 840*

1466 000 1 760 000 1 970 800 1 750 000 1 485 200 1 307563 1 422 750 1 102 534 1 120 308 1 206 372 284 704 1 888 960 1 209 400 1 144 932 1 234 764 1 041 716 1 463 340 1 610 812 902 188 1 155 672

* = ohne Silber, kursiv = nur Hamburg Quelle:

Walther L. Bemecker: Die Handelskonquistadoren. Europäische Interessen und mexikanischer Staat im 19. Jahrhundert. Stuttgart 1988, S. 280.

Zwischen europäischer und US-amerikanischer Dominanz

35

Mexikos Hauptimportgüter in den ersten fünfzig Jahren staatlicher Unabhängigkeit waren Konsumgüter. Über 90 % des gesamten Imports bestand aus Fertig- und Halbfertigwaren: Stoffen, Kleidern, Textilkurzwaren, Nahrungsmitteln und Weinen, Tonwaren und Papier, Eisenwaren, Handwerkszeug und Maschinen. Der Rest entfiel auf Textilfasern, Metalle und Mineralien. Der mit großem Abstand wichtigste Importposten waren Textilien; weit über die Hälfte aller eingeführten Textilien wiederum bestand aus Baumwollstoffen. Erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts verloren die Textilien als Einfuhrgüter an relativer Bedeutung, bildeten aber nach wie vor über die Hälfte aller Importartikel. 25 Die politische Unabhängigkeit des Landes hatte der Einfuhr ausländischer Textilien endgültig die Schleusen geöffnet. Die ersten Unabhängigkeitsjahre stellten - nach einer vorübergehenden Rezession 1821/23 - gegenüber den letzten Kolonialjahren geradezu eine Importexplosion dar. 2 6 Waren 1806 bis 1819 etwas über 23 Millionen Ellen Stoff eingeführt worden, so registrierte allein das Spitzenjahr 1825 eine fast genauso große Importmenge. In den 1840er Jahren nahm Mexiko mehr als zwei Drittel aller nach Lateinamerika exportierten Textilien (über 8% aller britischen Textilausfuhren) auf. Das herausragende Charakteristikum des mexikanischen Importhandels im 19. Jahrhundert war somit die Dominanz von (vor allem Baumwoll-) Textilien. Diese Dominanz spiegelt das Ausgreifen der europäischen, insbesondere der britischen, Wirtschaft auf die lateinamerikanischen Märkte wider.

Vgl. Inés Herrera Canales: El comercio exterior de México 1821-1875. México 1977, S. 26; zu folgendem vgl. auch ebenda, S. 25-58 und Matías Romero: Mexico and the United States. A Study of Subjects Affecting their Political, Commercial, and Social Relations, made with a View to their Promotion. Bd. I: New York 1898, S. 155. Romeros Import-Angaben liegen vor allem beim Posten Wein/Nahrungsmittel viel höher (1826-28 um jeweils rund 1 Million Pesos), weichen ansonsten nicht substantiell von denen Herreras ab. Zu den Veränderungen im Handelsgefüge in den ersten Jahren der Unabhängigkeit vgl. H. G. Ward: Mexico in 1827. 2 Bde. London 1828. Bd. 1, S. 431438; dt: Mexico im Jahre 1827, 2 Bde. Weimar 1828/29. Bd. I, S. 186-195. Nach Wards Angaben ging der Importhandel, der vor der Unabhängigkeit im Jahresdurchschnitt 10.364.238 Dollar betragen hatte, 1821 auf 7.245.052 Dollar, 1822 gar auf 3.723.019 Dollar zurück; 1823 stieg er langsam wieder auf 3.913.013 Dollar und danach erst rapide an. Seine Schlußfolgerung (deutsche Ausgabe: S. 193): "Es war in der Art der Einführung und in der Beschaffenheit der eingeführten Artikel, mehr als in ihrem Betrage, wo die größte Aenderung stattfand."

36

Walther L. Bernecker

Die Briten beherrschten allerdings nur kurze Zeit nach 1821 nahezu unangefochten den mexikanischen Markt. Fast zeitgleich mit ihnen traten die Nordamerikaner auf den Plan, die bereits zwei Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung einen Konsul ernannt hatten und - in den Worten eines englischen Händlers von Veracruz - damals schon im Begriffe standen, den Handel Mexikos von Großbritannien "fortzulenken". Trotz der frühen britischen Warnungen vor der US-Konkurrenz waren die Nordamerikaner vorerst jedoch keine ernstzunehmenden Rivalen bei der Lieferung von Gütern eigener Produktion; ihre Stärke lag im Bereich des Schiffsverkehrs, in dem sie die Europäer deutlich übertrafen. Die Briten beobachteten die Überlegenheit der US-Schiffe im Mexikogeschäft mit größter Eifersucht. Als 1833 ein mexikanisches Gesetz erlassen wurde, demzufolge Güter, die auf mexikanischen Schiffen eingeführt wurden, ein Fünftel weniger Zölle zahlen mußten als die auf ausländischen Schiffen importierten, sah der englische Generalkonsul Charles O ' G o r m a n hierin sofort eine Chance für den britischen Handel. Dessen Problem hatte in den letzten Jahren darin bestanden, daß sein Haupteinfuhrartikel (einfaches Baumwolltuch) in England zwar um 10-15 % billiger als in den USA hergestellt wurde, auf dem mexikanischen Markt aber gegen die US-Konkurrenz trotzdem nicht bestehen konnte, da die Nordamerikaner einen Großteil ihrer Ware in das Land schmuggelten. Der offizielle Wert der Baumwollimporte lag im Jahresdurchschnitt bei 2,5 Millionen Pesos; O'Gormans Schätzung zufolge schmuggelten die Nordamerikaner Waren im Wert einer weiteren Million ein. Zum damaligen Zeitpunkt fuhr nur ein relativ kleiner Teil der britischen Handelsflotte direkt nach Mexiko; der weitaus größere Teil segelte nach New Orleans, lud dort die Waren auf kleinere mexikanische oder US-Schiffe um und transportierte Baumwolle zurück nach Großbritannien. Die Neuregelung würde dazu führen, daß Briten ihre Waren noch mehr auf mexikanische Schiffe umluden und durch den Differentialzoll weit besser als früher gegen die US-Schmuggelkonkurrenz bestehen könnten. 27 Diese Rechnung ist allerdings nicht aufgegangen, da die europäischen Konkurrenten Großbritanniens dieselbe Methode anwandten. 1831 war bereits ein erstes mexikanisches Gesetz erlassen worden, das "zum Schutz der nationalen Schiffahrt" dieser eine Zollreduktion von einem Sechstel einräumte; seit damals bereits luden deutsche Schiffe ihre

O'Gorman an Bidwell, México 4.5.1833: PRO FO 50/80 B, Bl. 71-75. Skeptischer äußerte sich später Pakenham zum neuen Gesetz, in dem allerdings auch er keinen Nachteil für die britische Schiffahrt sah. Pakenham an Palmerston, México 11.11.1833: PRO FO 50/80 A, Bl. 128-133.

Zwischen europäischer und US-amerikanischer Dominanz

37

Ladungen in New Orleans auf die mexikanischen Kutter um, was sich trotz der höheren "Fracht- und Assekuranzkosten" finanziell lohnte. Betrachtet man somit die zur Durchführung des Handels erforderlichen Schiffsbewegungen, so ergibt sich eine deutliche Gewichtsverschiebung: Die europäische Dominanz weicht der US-amerikanischen. 2 8 Die in den Anfängen der mexikanischen Unabhängigkeit wichtigste Handelsroute führte von Mexiko in die USA, vor allem nach New York und N e w Orleans. Bereits seit 1825 dominierte die nordamerikanische Handelsmarine das Transportgeschäft mit Mexiko. Über 60 % aller Schiffe und Tonnagen im mexikanischen Import- und über 50 % im Exportgeschäft waren nordamerikanischer Herkunft. Zu diesem Zeitpunkt übertraf das USTransportaufkommen das britische in La Habana und Veracruz, in den Karibikhäfen La Guaira und Maracaibo, am Río de la Plata und (hinsichtlich der Tonnage) selbst in Valparaiso und Callao. 29 Französischen Quellen zufolge waren von den 900 Schiffen, die im Jahr 1862 mexikanische Häfen anliefen, immer noch 485 amerikanischer Herkunft; weit abgeschlagen folgten Großbritannien mit 118, noch weiter Frankreich mit 80, Spanien mit 61, Deutschland mit 32 Schiffen. 3 0 Erst in den 1870er Jahren gelang es den Europäern, 65 % aller am mexikanischen Außenhandel beteiligten Schiffe zu stellen und damit die USA von ihrem ersten Platz zu verdrängen. Mexiko selbst hat nie eine Hochsee-Handelsmarine aufbauen können; das Land beschränkte sich auf den Erwerb von Küstenfrachtern und kleineren Schiffen, die bis zu den Südhäfen der U S A fahren konnten. Folgende Zahlen können (für das erste Jahrzehnt der mexikanischen Unabhängigkeit) einen Eindruck von der Bedeutung der US-Handelsmarine für europäische Waren vermitteln: Die 59 Schiffe, die 1823/24 im Hafen von Tampico löschten, waren alle nordamerikanischer Herkunft; die von ihnen transportierten Güter hatten einen Gesamtwert von 2,6 Millio-

28

Inés Herrera Canales: Estadística del comercio exterior de México (1821-1875). México 1982, S. 95-109.

29

Robert A. Humphreys: Rivalidades angloamericanas y emancipación hispanoamericana. In: Bernardo García Martínez u.a. (Hrsg.): Historia y Sociedad en el mundo de habla española. México 1970, S. 294 f. Die Vorteile der USSchiffer gegenüber den britischen diskutiert ausfuhrlich Mackenzie an Canning, Xalapa 24.7.1824: Board of Trade ( = BT) 6/53 O.P.

30

"Le commerce du Mexique", in: Le Moniteur vom 3.6.1862: ANP (Archives Nationales Paris) F12 2695.

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38

nen Pesos, von denen 1,1 Millionen auf britische, 560.000 auf deutsche, 380.000 auf spanische und kubanische, je 190.000 auf französische und nordamerikanische und der Rest auf andere Waren entfielen. 31 USKonsul Taylor beschrieb den Mechanismus in einer Depesche an Außenminister Adams: Die Händler aus den Vereinigten Staaten schickten Schiffe nach Europa, wo sie Waren luden und direkt nach Mexiko segelten, was schneller und günstiger zu bewerkstelligen war als bei einem Zwischenaufenthalt in den USA. Die Profite waren größer, das Geschäft erforderte allerdings auch umfangreiche Investitionen. 32 In der gesamten ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die europäischen Handelspartner für Mexiko ungleich wichtiger als die USA. Noch 1856 stellten Geschäfte mit europäischen Partnern 81 %, mit US-Firmen nur 14 % des gesamten Handelswertes dar. (1872/73 hatten demgegenüber die wirtschaftlichen Transaktionen mit Nordamerika bereits 39 % des gesamten mexikanischen Handels erreicht.) Konnte in den ersten beiden Jahren der mexikanischen Unabhängigkeit (bis 1823) Spanien noch die Hauptrolle im mexikanischen Außenhandel spielen, so übernahm ab 1824 Großbritannen diesen Part. Trotz der entscheidenden Bedeutung des britisch-mexikanischen Handels liegen jedoch für die Jahre nach 1821 keine verläßlichen Statistiken vor. Es ist vielmehr außerordentlich schwierig, Umfang und Wert der britischen Exporte nach Mexiko auch nur annäherungsweise festzustellen. Weder der britische Konsulardienst noch offizielle mexikanische Stellen verfügten über genaue Daten. Ersterer konnte sich nicht auf die Angaben englischer Händler verlassen, "because the greatest jealousy prevails among them", 33 letztere wollten schon deshalb keine genaueren Zahlen liefern, weil diese die Bestechlichkeit der Hafen- und Zollbeamten offengelegt hätten. Die in den Parliamentary Papers publizierten Zahlen wiederum enthalten keine Angaben zu den Re-Exporten britischer Güter und Manufakturwaren von den USA nach Mexiko; sie enthalten auch nicht die Exportwerte der Westindischen Inseln, außer es handelte sich um Re-Exporte aus Großbritannien. 34 Private Schätzungen britischer Kaufleute kamen daher

O'Gorman: Information regarding the Trade of Tampico, obtained through a private channel in September 1824. México 1.3.1825: PRO FO 203/3, Bl. 122. Taylor an Adams, Alvarado 5.1.1825: NAW RG 59 CD Veracruz, Roll 1. O'Gorman an Planta, México 1.3.1825: PRO FO 203/4. Cody, British Interest, S. 270 (Anm. 7).

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39

auf Exportzahlen, die dreimal so hoch lagen wie die offiziellen. (Die Unzuverlässigkeit statistischer Angaben gilt nicht nur für die Frühphase des mexikanischen Außenhandels, sondern muß für das ganze Jahrhundert in Betracht gezogen werden.) Andererseits ist vor allzu spekulativen Größenangaben zu warnen, da der britische Export nach Lateinamerika in der Boomphase 1824/25 zwar enorm nach oben schnellte, sich danach aber wieder auf etwas unter 10 % des gesamtenglischen Exports einpendelte ein prozentualer Anteil, den die britische Lateinamerika-Ausfuhr seit Ende der Napoleonischen Kriege aufwies und während des größeren Teils des 19. Jahrhunderts beibehalten sollte. Tabelle 2: Wert der mexikanischen Importe (in laufenden Pesos) Jahr

Frankreich

USA

1822

-

-

1823

-

-

1 848 880

1824

-

-

2 762 020

1825

3 679 800

-

7 046 780

1826

2 860 400

6 281 000

3 342 075

1827

2 985 000

4 173 000

6 140 200

Großbritannien 453 460

Tabelle 2 läßt den Wert der mexikanischen Importe in den Jahren 1822-27 erkennen. 3 5 Möglicherweise wird in der Tabelle die Differenz zwischen dem französischen und dem britischen Exportvolumen nach Mexiko zu ge-

Joaquin de Miranda y de Madariaga: "Proyecto de Reconquista de Nueva España", Madrid, 20.4.1829 nach Jaime Delgado: España y México en el siglo XIX. Bd. III. Madrid 1953, S. 271-285. Official Valué of Exports from Great Britain to Mexico: Staatsarchiv Bremen 2-C.13.b.l. Die Angaben von Miranda entsprechen in etwa den offiziellen britischen Zahlen, denen zufolge der erklärte Wert baumwollener Manufakturgüter, die zwischen 1822 und 1825 von Großbritannien nach Mexiko exportiert wurden, sich auf 1.157.602 Pfund Sterling belief. Vgl. "Return relating to Trade with Mexico from 1820 to 1841", P. P. (Parliamentary Papers) 1842, XXXIX, S. 531. Miguel Lerdo de Tejada: Comercio esterior de México desde la conquista hasta hoy. México 1853, Tab. 37-41. Die Angaben für Großbritannien entstammen der vorhergehenden Tabelle, da Lerdo de Tejada für den britisch-mexikanischen Handel jener Jahre keine Angabe macht.

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ring veranschlagt; die Fehlangaben gehen wahrscheinlich auf eine der häufigsten Fehlerquellen der statistischen Handels- und Schiffahrtsangaben im 19. Jahrhundert zurück: Die europäischen Zollbehörden gaben als Zielhafen bestimmter Waren zumeist den ersten, von Schiffen ihres Landes angelaufenen Hafen an. Das bedeutet, daß eine Warensendung beispielsweise als nach New Orleans expediert galt, wenn das (von Großbritannien oder Frankreich) kommende Schiff diesen Hafen zuerst anlief, ohne zu berücksichtigen, daß ein mehr oder minder großer Teil der Ladung etwa für Veracruz bestimmt sein konnte. Die US-Handelsstatistiken lassen deutlich werden, daß 50-80 % der von den Vereinigten Staaten nach Mexiko exportierten Waren Re-Exporte waren, d.h. sie kamen aus einem europäischen Land und lagerten als Transitgüter nur vorübergehend in einem USHafen. Erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts waren die Handelsund Wirtschaftsbeziehungen entwickelt genug, um auf diese Form des Zwischen- oder Transithandels verzichten und direkte Austauschbeziehungen für sämtliche Güter herstellen zu können. Mitte der 1820er Jahre jedoch schätzte Charles O'Gorman: 36 "About 40 % of the goods imported from the United States through Tampico were of British origin." Die über Matamoros eingeführten "amerikanischen" Güter sollen gar zu 50 % englischer Herkunft gewesen sein.37 1824 bereits hatte der britische Konsul in Veracruz berichtet, daß die 23 US-Schiffe, die im Jahr zuvor in Tampico eingelaufen waren, "fast ausschließlich" britische Manufakturwaren geladen hatten.38 Da dieser Re-Exporthandel auch französische und deutsche Waren betraf, bleiben alle Angaben notgedrungen ungenau. Der französische Generalkonsul Martin schätzte, daß in der zweiten Hälfte der 1820er Jahre der "größte und wertvollste" Teil der auf US-Schiffen nach Mexiko importierten Waren französischen Ursprungs war. 39 In der zweiten Hälfte der 1830er Jahre stieg der US-Anteil am Schiffsverkehr abermals, da die kleineren mexikanischen Schiffe, die bis dahin Waren aus New Orleans gebracht hatten, im Golf nicht mehr verkehren konnten,

36

O'Gorman an Planta, México 26.12.1825: PRO FO 203/4.

37

O'Gorman, Statement: PRO FO 50/110.

38

Mackenzie an Canning, Xalapa 24.7.1824: PRO FO 50/7 und BT 6/53.

39

Rapport sur le Mexique. Premier rapport sur l'état du Mexique, 1827: ANP F12 2695.

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ohne Gefahr zu laufen, von texanischen Schiffen aufgebracht zu werden. 4 0 Zeitgenössischen Quellen zufolge bedeuteten in den 1820er Jahren weder der französische noch der Handel einer anderen europäischen Macht eine ernsthafte Herausforderung der britischen Vorherrschaft. Nach Lerdo de Tejada kontrollierte England selbst 1840 noch 67 % der mexikanischen Importe; an zweiter Stelle folgte Frankreich mit 13 %, sodann schlössen sich die U S A mit 12 %, schließlich Hamburg und Bremen mit 8 % an. 41 Inzwischen ist von Robert A. Potash nachgewiesen worden, daß Lerdo de Tejada ein gravierender Rechenfehler unterlaufen ist. Die Neuberechnung des mexikanischen Importwertes ergibt daher entsprechend veränderte Zahlen (Tabelle 3). 42 Alle bisherigen Zahlen beziehen sich auf den Seehandel. Für die ersten drei Jahrzehnte der mexikanischen Unabhängigkeit muß allerdings noch eine besondere Form des Handels berücksichtigt werden, die seit dem 19. Jahrhundert bis heute weit mehr die Phantasie der Schriftsteller und das Interesse der Historiker erregt hat als der Überseehandel; gemeint ist der sagenumwobene Überlandhandel im Norden Mexikos, der Santa Fé-Handel. Mit der mexikanischen Unabhängigkeit setzte eine rege Handelstätigkeit auf dem sogenannten Santa Fé Trail und auf dessen Süd- Verlängerung, dem alten Camino Real bis Chihuahua, ein. Die Statistik von Josiah Gregg (Tabelle 4) läßt deutlich werden, daß anfangs der weitaus größte Teil der aus Missouri kommenden Waren in Santa F é blieb, um von dort in die anderen Ortschaften Nuevo Méxicos weiterverkauft zu werden. 1824 war dieser Markt - Santa Fé zählte 5.000, Nuevo México 43.000 Einwohner - aber bereits so überfüllt, daß nicht einmal mehr Geld in Umlauf war, mit dem die Ware hätte bezahlt werden können.

40

Crawford an O'Gorman, Tampico 5.1.1837: PRO FO 50/110, Bl. 138 f. Noch nach der Jahrhundertmitte wurde ein Großteil der britischen Manufakturwaren auf dem Umweg über New Orleans nach Mexiko (Schwerpunkthafen: Matamoros) versandt. Charles Uhde (britischer Vizekonsul in Matamoros) an Cumberlege, 11.1.1851: PRO FO 50/247.

41

Lerdo de Tejada, Comercio estertor, Tab. 37-41 (Anm. 35); vgl. auch Herrera Canales, Comercio exterior, S. 81 (Anm. 28).

42

Robert A. Potash: El "Comercio Esterior de México" de Miguel Lerdo de Tejada: un error estadístico. In: El Trimestre Económico Nr. 20, 1953, S. 474-479.

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42

Tabelle 3: Mexikanische Importe 1840-1846 (in Pesos, Neuberechnung) Herkunftsland

Gesamtwert

Jahresdurchschnitt

in %

Großbritannien

16 090 235

2 298 605

26,4

Frankreich

17 384 018

2 483 431

28,5

davon: Spezialhandel

13 698 315

1 956 902

22,4

Transithandel

3 685 703

526 529

6,1

USA

12 044 134

1 720 591

19,8

Deutschland

11 804 009

1 686 287

19,4

3 592 287

513 184

5,9

60 914 683

8 702 098

100,0

Sonstige Insgesamt

Tabelle 4: Der Santa Fé-Handel (nach Josiah Gregg) Jahr 1822 1823 1824 1825 1826 1827 1828 1829 1830 1831 1832 1833 1834

Warenwert (Pesos) 15.000 12.000 35.000 65.000 90.000 85.000 150.000 60.000 120.000 250.000 140.000 180.000 150.000

Warenwert nach Chihuahua (Pesos) 9.000 3.000 3.000 5.000 7.000 8.000 20.000 5.000 20.000 80.000 50.000 80.000 70.000

Jahr 1835 1836 1837 1838 1839 1840 1841 1842 1843 1844 1845 1846

Warenwert (Pesos) 140.000 130.000 150.000 90.000 250.000 50.000 150.000 160.000 450.000 200.000 342.000 1.000.000

Warenwert nach Chihuahua (Pesos) 70.000 50.000 60.000 80.000 100.000 10.000 80.000 90.000 300.000 7 9 fast 1.000.000

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Dominanz

43

Sehr schnell orientierten sich die Händler daher nach dem viel reicheren, in einem Minendistrikt gelegenen Chihuahua, das bald zum Drehpunkt des Überlandhandels wurde. Greggs Tabelle läßt das Anwachsen des Santa F6Handels deutlich werden. In den 1830er Jahren schien der Handel allerdings nicht weiter expandieren zu können, was im wesentlichen mit der Konkurrenz europäischer und asiatischer Güter der gehobeneren Qualität zusammenhing, die von europäischen Händlern in Mexiko günstiger als von den US-Händlern angeboten werden konnten. Während nämlich die Europäer ihre Waren direkt aus Europa importierten und nur den mexikanischen Importzoll zu entrichten hatten, mußten die Santa F6-Händler, die ebenfalls mit ausländischen Gütern handelten, die zuerst in die Osthäfen der U S A gelangten und von dort auf dem Landweg bis Chihuahua transportiert wurden, zuerst den US-Zoll und sodann zusätzlich den mexikanischen Zoll bezahlen. Zusammen mit den übrigen Beschwerlichkeiten des Überlandhandels führte dieses System der doppelten Besteuerung dazu, daß der Santa Fe-Handel nicht konkurrenzfähig war und stagnierte. Als Ergebnis mehrerer Eingaben beschloß der US-Kongreß 1845 schließlich den Drawback-Act, dem zufolge bei Re-Exporten nach Santa Fe oder Chihuahua der amerikanische Exportzoll zurückerstattet wurde. Die Folgen ließen nicht auf sich warten: War der Wert der Santa F6-Waren 1844 auf 200.000 $ geschätzt worden, so stieg er 1845 bereits auf 342.000 $ und abermals ein Jahr später auf rund eine Million Dollar, die zum größten Teil in Chihuahua und anderen Städten des Inneren verkauft wurden. 4 3 Spätestens seit Beginn der 1840er Jahre wurde der größte Teil der Waren nicht in Santa F6, sondern in weiter südlich gelegenen Städten wie El Paso del Norte, Chihuahua, Durango, Zacatecas, Aguas Calientes verkauft. Folgt man den Schätzungen Greggs, so führte eine Santa F6-Karawane im Durchschnitt der 1820er Jahre ein Fünftel ihrer La43

Josiah Gregg: Commerce of the Prairies, or the Journal of a Santa Fe Trader During Eight Expeditions Across the Great Western Prairies and a Residence of Nearly Nine Years in Northern Mexico. 2 Bde. New York 1844, S. 332; Max L. Moorhead: New Mexico's Royal Road. Trade and Travel on the Chihuahua Trail. Norman 1958, S. 55-75; (James O. Pattie:) Pattie's Personal Narrative 1824-1830. Cleveland, Ohio 1905 (= Early Western Travels 1748-1846, hrsg. von Reuben Gold Thwaites, Bd. 18), S. 255-300; James Josiah Webb: Adventures in the Santa F6 Trade, 1844-1847. Hrsg. von Ralph Paul Bieber. Glendale, CA. 1931. Vgl. auch den kommentierten Wiederabdruck von Teilen aus Greggs "Commerce of the Prairies", in: The Merchant's Magazine II, 1844, S. 501-517 sowie allgemein zu diesem Thema die zahlreichen (vor allem zwischen 1910 und 1920 erschienenen) Aufsätze in der "Missouri Historical Review".

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dung nach Chihuahua oder weiter ins Landesinnere; in den 1830er Jahren war der Anteil auf über 50 % angestiegen. Zu diesem Zeitpunkt wurde der größte Teil der Santa Fé-Handelsgüter nicht mehr in Missouri, sondern an der Ostküste, in New York und Philadelphia, oder direkt in Europa gekauft. 44 Der Überlandhandel zwischen Mexiko und den USA hatte für beide Länder in den 1820er Jahren vielfältige politische, soziale und wirtschaftliche Folgen. 45 Er bewirkte, daß der Lebensstandard in Nuevo México anstieg und dieser Landesteil weitgehend von den USA abhängig wurde. Damit erleichterte er die spätere US-Invasion. Von größter Bedeutung für die USA war der stete Silberfluß aus Mexiko, war Silber doch fast das einzige Produkt, das US-Händler als Gegenleistung für ihre Waren erhielten. Das mexikanische Silber übte insbesondere auf das Finanzsystem Missouris eine stabilisierende Wirkung aus. Der Santa Fé Trail blieb die wichtigste Handelsroute zwischen dem Mississippi-Tal und Nuevo (seit 1848: New) Mexico, bis 1880 die Atchinson, Topeca and Santa Fé Railroad von Chicago bis an den Rio Grande fertiggestellt wurde.

Handel in der Reformära Um die Mitte des 19. Jahrhunderts begannen sich, infolge des Krieges zwischen Mexiko und den USA (1846-1848), im Außenwirtschaftsbereich erste Trendänderungen abzuzeichnen. Der Krieg hatte für Mexiko nicht nur den Verlust von nahezu 50 % seines Territoriums zur Folge; er löste darüber hinaus eine geistige Krise aus, die unter den liberalen Intellektuellen zur verstärkten Diskussion all jener Probleme führte, die in den vergangenen Jahrzehnten Anlaß heftiger Kontroversen zwischen den verschiedenen ideologischen Lagern gewesen waren. In Anbetracht seiner überragenden Bedeutung für den Staatshaushalt und die unterschiedlichen Entwicklungsstrategien mußte der Außenhandelsbereich zwangsläufig zu diesen Problemen gehören.

Moorhead, Royal Road, S. 76 f. (Anm. 43); Susan Shelby Magoffin: Down the Santa Fi Trail and into Mexico. The Diary of Susan Shelby Magoffin, 1846-1847. Hrsg. von Stella M. Drumm. New Haven 1926, passim. Als Überblick zu den ersten 10 Jahren des Santa F6-Handels vgl. F. F. Stephens (Hrsg.): Major Alphonso Wetmore's Diary of a Journey to Santa Fe, 1828. In: Missouri Historical Review Bd.8, H. 4, Juli 1914, S. 177-197.

Zwischen europäischer und US-amerikanischer Dominanz

45

In den europäischen Berichten des Jahrzehnts nach dem mexikanischnordamerikanischen Krieg wurde immer wieder die Überzeugung geäußert, daß Mexiko dem Ende seiner staatlichen Existenz entgegenging. Der Beginn der 1850er Jahre schien auch tatsächlich - im Gefolge der durch den Krieg ausgelösten nationalen Bewußtseinskrise - den Beginn der Desintegration des mexikanischen Territoriums zu erleben. Weitergehende Überlegungen zielten bereits in die Richtung einer ausländischen Intervention, von der allein ein Ende der Anarchie im Lande erwartet wurde. Allerdings durfte, europäischen Quellen und konservativen mexikanischen Kräften zufolge, die erwartete Intervention nicht von den USA, sie mußte vielmehr von Europa kommen. Die Befürchtung einer Absorption Mexikos durch die USA erregte z.B. in Frankreich nicht nur politische Ängste einer enormen Machtausdehnung der Vereinigten Staaten, sondern auch wirtschaftliche Befürchtungen. Der französische Geschäftsführer Jean Alexis Gabriac wies den Quai d'Orsay darauf hin, daß im Falle einer Annexion nicht nur der mexikanische Markt für die europäischen Manufakturwaren, sondern auch der der USA verloren ginge, da die Annexion zu einer Verfünffachung der Edelmetallproduktion auf 100.000 Pesos führen würde. Ein gegen Europa gerichteter Differentialtarif würde der Industrie der USA Auftrieb geben, deren Produkte leicht mit den mexikanischen Edelmetallen bezahlt werden könnten. 46 Im Bürgerkrieg zwischen den Liberalen und Konservativen ließen die USA keinen Zweifel an ihrer Haltung aufkommen. Dabei fiel dem USGesandten John Forsyth (1856-1858) eine entscheidende Rolle zu. Forsyth sah in dem durch die Revolution von Ayutla und die Verfassung von 1857 geschwächten Mexiko eine leichte Beute europäischer Interventionisten und war daher bestrebt, entweder mexikanische Territorien sofort für die USA zu erwerben oder zumindest die Voraussetzungen für einen späteren Erwerb zu schaffen. Die Rechtfertigung für sein Bestreben, eine US- Hegemonie südlich des Rio Grande zu errichten, lag sowohl in der Monroe-Doktrin und seinem Glauben an Manifest Destiny als auch in der Befürchtung einer britisch-französischen Intervention. Forsyth unterbrach eigenmächtig die diplomatischen Beziehungen mit der hauptstädtischen (konservativen) Regierung. Die US-Administration Buchanan betrieb in der Folge eine aggressive, auf ein Protektorat über Nordmexiko abzielen-

Gabriac an Ministère des Affaires Etrangères (Paris), México 30.1.1857, in: Lilia Díaz (Hrsg.): Versión francesa de México. Informes diplomáticos. Bd. I. México 1963, S. 385 f.

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de Politile, erhielt aber nicht die Rückendeckung des Kongresses; sie verfolgte ihre Territorialziele daher fortan mit diplomatischen Mitteln. Der neue Minister Robert A. McLane erkannte im April 1859 die Regierung von Benito Juárez an und handelte mit Außenminister Melchor Ocampo mehrere Verträge aus, die Mexiko zu einem Semi-Protektorat der U S A machten. Ein Transit- und Handelsvertrag räumte den U S A das Transitrecht durch Mexiko ein, gewährte dem nördlichen Nachbarn außerordentliche Handelsvorteile und enthielt sogar eine Klausel, die jederzeit eine US-Intervention in Mexiko ermöglichte. Ein weiterer, ebenfalls im Dezember 1859 abgeschlossener Vertrag übertrug den Vereinigten Staaten eine Art Polizeigewalt über Mexiko "zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit". 4 7 Das weitgehende Entgegenkommen der Juárez-Seite läßt die schwierige Finanzlage erkennen, in der sich die Liberalen befanden; die vorgesehenen Millionenentschädigungen der U S A hätten nicht nur die Geldnot, sondern darüber hinaus die aus Reklamationen von Amerikanern resultierende Bedrohung der gegenseitigen Beziehungen beseitigt. Obwohl diese Verträge nie ratifiziert wurden, sollte es für die späteren Beziehungen zwischen beiden Ländern von großer Bedeutung sein, daß die U S A als erste Macht und am deutlichsten die Liberalen anerkannt hatten; dieser Vorsprung sollte sich noch vielfach auszahlen. Die außergewöhnlichen Umstände zwischen dem Krieg und dem Sieg der Liberalen Partei Ende 1860 führten zu einer Konzentration der ausländischen Handelsoffensiven und einer stärkeren Akzentuierung vorher noch nicht so deutlich ausgeprägter Konkurrenzverhältnisse. Der weitaus größte Teil der (Baumwoll-)Textilimporte kam weiterhin aus Großbritannien. Nach der Liberalisierung der Importbestimmungen (1856) nahm die Einfuhr britischer Baumwollwaren abermals enorm zu; englischen Angaben zufolge stieg der Export Großbritanniens nach Mexiko auf 10 Millionen Text der beiden Verträge in: William R. Manning (Hrsg.): Diplomatie Correspondence of the United States concerning the Independence of the Latin American Nations. 3 Bde. New York 1925, S. 1137-1141. Zur Deutung siehe (u.a.) J(ames) Fred Rippy: Rivalry of the United States and Great Britain over Latin America (1808-1830). Baltimore 1929, S. 212-227; James Morton Callahan: American Foreign Policy in Mexican Relations. New York 1967, S. 244-277; siehe auch Howard L. Wilson: President Buchanan's Proposed Intervention in Mexico. In: American Historical Review Bd. V, 1899/1900, S. 687-701; vgl. die entsetzte Reaktion des französischen Geschäftsträgers auf den McLane-Ocampo-Vertrag wegen der Schädigung europäischer Interessen: Gabriac an Ministère des Affaires Etrangères (Paris), México 11.1.1860, in Díaz: Versión francesa. Bd. II, S. 125-127 (Anm. 46).

Zwischen europäischer und US-amerikanischer Dominanz

47

Ellen ungebleichter und gebleichter sowie auf 8,5 Millionen gefärbter und bedruckter Calicots. Der britische Vorsprung resultierte primär aus der Qualität der Produkte und dem ansprechenden Design. Betrachtet man die Importe über den mexikanischen Haupthafen Veracruz während des gesamten Jahrzehnts der 1850er Jahre, so fällt zweierlei auf: Zum einen ist ein enormer quantitativer Anstieg zwischen der ersten und der zweiten Hälfte des Jahrzehnts zu erkennen, wobei 1856 mit großem Abstand das Rekordjahr darstellte. Die Erklärung für die Einfuhrzunahme dürfte in dem relativ liberalen Comonfort-Tarif jenes Jahres und dem Nachholbedarf nach der hochprotektionistischen Santa AnnaGesetzgebung liegen. Daß das hohe Importniveau nicht beibehalten werden konnte, war eine Folge des Ende 1857 einsetzenden Reformkrieges. Zum anderen kann man erkennen, daß - von den ersten beiden Jahren abgesehen - Großbritannien die Liste der mexikanischen Handelspartner anführte; an zweiter Stelle folgte Frankreich, dann kamen die USA und die Hansestädte. Diese Angaben bestätigen den von Zeitgenossen (auch für die Mitte des Jahrhunderts) immer wieder artikulierten Eindruck der britischen Dominanz auf dem mexikanischen Markt. Sämtliche Angaben zum Warenaufkommen bedürfen, um die relative Bedeutung der einzelnen ausländischen Staaten am Außenhandel Mexikos richtig beurteilen zu können, zweier Ergänzungen: Sowohl der Schiffsverkehr als auch die Präsenz ausländischer Handelshäuser müssen berücksichtigt werden. Im Schiffahrtsaufkommen gaben in der zweiten Jahrhunderthälfte die USA weiterhin deutlich den Ton an: Von den 839 Schiffen, die 1851 in mexikanische Häfen eingelaufen waren, fuhren 435 unter US-, 108 unter britischer, 69 unter französischer, 61 unter spanischer und 49 unter deutscher Flagge. 48 Damit setzte sich eine Tendenz der ersten Jahrhunderthälfte in der zweiten verstärkt fort: Das Ursprungsland der für Mexiko vorgesehenen Waren entsprach nicht immer der Flagge der Transportschiffe. Französische Schiffe etwa transportierten auch deutsche Artikel, belgische Fahrzeuge brachten u.a. Erzeugnisse aus den preußischen Rheinprovinzen, hamburgische Segler hatten preußische und sächsische, vor allem aber auch englische und französische Manufakturwaren geladen. Einer Handelsstatistik (Tab. 5) des US-Außenministeriums für 1845-1855

48

Richthofen an Preußisches Außenministerium (Handelsbericht für 1851), México 25.8.1852: Zentrales Staatsarchiv, Abt. Merseburg (ZSAM) 2.4.1.II 5229, Bl. 173-219 (heute: Bundesarchiv Potsdam).

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48

kann die Relation zwischen Produkten aus den USA bzw. aus anderen (europäischen) Ländern entnommen werden, die auf US-Schiffen nach Mexiko transportiert wurden. 49 Und die Tatsache, daß in einzelnen Jahren um die Jahrhundertmitte fast 50 %, in jedem Fall aber über 25 % der US-Exporte nach Mexiko ausländische (nicht US-)Produkte waren, deutet auf die weiterhin große Bedeutung der nordamerikanischen Handelsflotte für den Mexikoverkehr hin.

Tabelle 5:

Jahr

Wert (in Dollar) der Exporte aus den USA nach Mexiko 1845-1855 US-Produkte

Ausländische Produkte

Insgesamt

1845

784 154

368 177

1 152 331

1846

901 333

629 874

1 531 180

1847

536 641

155 787

692 428

1848

2 095 495

1 962 951

4 058 446

1849

1 047 999

1 042 869

2 090 868

1850

1 498 791

514 036

2 012 827

1851

1 014 690

567 093

1 581 783

1852

1 406 372

878 557

2 284 929

1853

2 529 770

1 029 054

3 558 824

1854

2 091 870

1 043 616

3 135 486

1855

2 253 368

669 436

2 922 804

Was die Präsenz ausländischer Handelshäuser betrifft, so war die englische Vorherrschaft im Warenverkehr keineswegs mit einer britischen Hegemonie unter den Importfirmen gleichzusetzen. Das Gegenteil war vielmehr der Fall. Nachdem sie in den 1830er und 1840er Jahren eine große Rolle gespielt hatten, zogen sich die Briten immer mehr aus dem eigentlichen Handelsgeschäft zurück und überließen die Vermarktung ihrer Pro49

Quelle: U.S. Department of State: Report I, S. 592. In einzelnen Jahren ergeben sich leichte Abweichungen zu den Gesamtangaben in Tabelle 1.

Zwischen europäischer

und US-amerikanischer

Dominanz

49

dukte anderen Händlern. In Monterrey etwa, das sich in der zweiten Jahrhunderthälfte zum bedeutendsten Handelszentrum Nord-Mexikos entwickelte, waren es vor allem spanische Kaufleute, die englische (und französische) Produkte importierten. Auch die Franzosen verfügten über eine stattliche Anzahl von Firmen. Die mit Abstand wichtigste Rolle spielten jedoch die Deutschen, insbesondere die Hanseaten. 1844 bereits ging nach Schätzung der in Mexiko etablierten deutschen Handelshäuser "der dritte Theil des ganzen fremden Handels" Mexikos "durch deutsche Hände". 50 Ihrer Anzahl nach überragten hanseatische Firmen alle europäischen Konkurrenten. 1860 befand sich, einer hanseatischen Quelle zufolge, "der fremde Import und Engros Handel wenigstens zu 3/4 in Händen von Deutschen". 51 Die Vermittlungsfunktion deutscher Handelshäuser blieb auch während des Porfiriats bestehen. Zwischen der "Epoche der Anarchie", der liberalen Reformära und der porfiristischen Diktatur lassen sich somit "nationale" Positionsverschiebungen im mexikanischen Außenhandelssektor feststellen. Die ursprüngliche englische Überlegenheit auf dem mexikanischen Markt war Ausdruck des "Hegemoniezyklus" (Immanuel Wallerstein) gewesen, der im 19. Jahrhundert den Rhythmus des "Weltsystems" bestimmte. Die wichtigste Erklärung für die britische Prädominanz liegt (für die Anfangsphase) in dem geschickten politisch-diplomatischen Verhalten Londons, des weiteren (für die folgenden Jahrzehnte) in der wirtschaftlich-industriellen und merkantilen Überlegenheit des Inselreichs, die bessere Qualität und günstigere Preise ermöglichte. Neben diesem, in den Produktionsbedingungen der "Werkstatt der Welt" liegenden Faktor spielten genaue Kenntnis des mexikanischen Marktes, ständige Anpassung an die sich ändernden Modeund Geschmacksrichtungen, nicht zuletzt auch "Beziehungen" zu Politikern und Gesetzgebern eine wichtige, die britische Penetration des Marktes erleichternde Rolle. Vor allem war die englische Produktion von Anfang an auf Massenverbrauch ausgerichtet. Die industrielle, finanzielle und handelsorganisatorische Überlegenheit der Briten konnte jedoch keine Steigerung des englischen HandelsvoluHanseatische Händler von México und Veracruz an die Senate der Hansestädte, México/Veracruz 1./20.11.1844: Staatsarchiv Bremen 2-C 13.c.l.b. Mertens an Bremer Senat, Veracruz 15.8.1860: Staatsarchiv Bremen 2-C. 13.c.I.e. Der Tendenz nach wird diese Aussage auch durch britische Quellen bestätigt.

50

Walther L. Bernecker

mens bewirken; der mexikanische Markt expandierte nicht, die Kaufkraft der kaum zunehmenden Bevölkerung sank, die stets stärkere Konkurrenz der übrigen europäischen Staaten und der USA ließ die Absatzchancen weiter abnehmen. Auf diesem Hintergrund einer überspannte Hoffnungen enttäuschenden Handelsentwicklung entschlossen sich die Briten zum allmählichen Rückzug aus ihrer ursprünglich dominierenden Position als Import-Export-Händler. Bis Mitte des Jahrhunderts war die Anzahl der britischen Handelshäuser auf eine Handvoll zurückgegangen. Den britischen Händlern wurde ihr Rückzug schon deshalb erleichtert, weil sie über lukrative Alternativen verfügten. In der zweiten Hälfte und gegen Ende des Jahrhunderts konzentrierten sich englische Händler immer deutlicher auf große und lohnende Märkte: das britische Empire, China, Argentinien Märkte, von denen andere Mächte zwar nicht ausgeschlossen waren, die den Briten aber bevorzugt zur Verfügung standen. 52 Beschleunigt wurde das Ausscheiden der Briten etwas später (in den 1850er und 1860er Jahren) durch die politische Parteinahme ihrer diplomatischen Vertreter und ihrer Regierung zugunsten der Konservativen während des Reformkrieges, 53 durch die Beteiligung an der europäischen Intervention und schließlich durch die langjährige Unterbrechung der diplomatischen Beziehungen nach dem Ende des Maximilianischen Kaiserreichs. Die ehemals dominierende Stellung der Briten im mexikanischen Außenhandelsgeschäft nahmen in den 1840er bis 1860er Jahren die deutschen Konkurrenten ein. Deren Vordringen und schließliche Behauptung lassen sich mit verschiedenen Argumenten erklären: Zum einen waren die hanseatischen Kaufleute besonders leistungsorientiert, genügsam, zäh und durchsetzungswillig. Hinzu kam, daß sie in aller Regel über eine hohe Handelsausbildung verfügten. Zum anderen verfügten die Deutschen

Platt verortet den Beginn des britischen Rückzugs aus Lateinamerika bereits in den 1820er Jahren, zu einem Zeitpunkt also, zu dem der britische Export in die neue Republik gerade seinen ersten Boom erlebte. (D. C. M. Platt: Dependency in Nineteenth-Century Latin America: An Historian Objects. In: Latin American Research Review Bd. 15, H. 1, 1980, S. 113-130). Friedrich Katz: Deutschland, Díaz und die mexikanische Revolution. Die deutsche Politik in Mexiko 1870-1920. Berlin (Ost) 1964, S. 96. Katz verweist außerdem noch auf die Unterbrechung der Lieferung britischer Baumwollprodukte nach Mexiko als Folge des vorübergehenden Ausfalls der US-Baumwolle während des amerikanischen Sezessionskrieges. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten seien zu den politischen Problemen hinzugekommen und hätten die Entscheidung zum Rückzug mitbestimmt.

Zwischen europäischer und US-amerikanischer Dominanz

51

über ein besonderes "Einfühlungsvermögen" - wie es in zeitgenössischen Quellen genannt wird was wohl als Reflex des unter den Deutschen verbreiteten Bewußtseins ihrer militärischen Schutzlosigkeit zu interpretieren ist. Die Deutschen wußten, daß keine kriegerische Flotte zur Durchsetzung ihrer Reklamationen vor den Küsten Mexikos aufkreuzen würde. Des weiteren ist darauf zu verweisen, daß Hamburg als deutscher "Centraipunkt für die Verschiffungen nach allen überseeischen Märkten" fungierte. 54 Hamburger Händler unterhielten engsten Kontakt "mit den Fabrikanten im Inneren", an deren Wohlergehen sie ebenso interessiert waren wie an ihrem eigenen. Das deutsche Handelshaus in Übersee war eine Firma, die sich als Kommissionsunternehmen um kleine und kleinste, zu einer assortierten Schiffsladung zusammengestellte Posten kümmerte - eine Praxis, die etwa englischen Großhändlern stets widerstrebte. Schließlich ist festzuhalten, daß deutsche Dominanz im mexikanischen Außenhandel nicht gleichbedeutend mit einer Exportoffensive deutscher Artikel war. Hanseatische Händler deckten sich vielmehr dort ein, wo es am günstigsten war. Diese Praxis kam der Solidität ihrer Häuser zugute und trägt zur Erklärung ihres Erfolges bei. Im letzten Drittel des Jahrhunderts erfolgte der spektakuläre Aufstieg der Franzosen während des Porfiriats, vor allem im Bereich der Textilimporte. Diese Aufstiegsbewegung ist von Friedrich Katz analysiert worden, der den Zusammenhang zwischen Kaufmannserfolg und Eindringen des französischen Bankkapitals in das Mexiko des Porfiriats hergestellt hat. 55 Die Entwicklung unter Porfirio Diaz bot andererseits "ein geradezu klassisches Beispiel für das Eindringen des Auslandskapitals in Lateinamerika"; 56 es waren die Jahre, in denen der Handels- gegenüber dem Finanzkapitalismus an Boden verlor. Damals sank (trotz des äußerlichen Dominierens europäischer, vor allem deutscher und französischer, Handels-

Carl Ludwig Daniel Meister: Der Freihandel Hamburgs, ein Bedürfniß für Deutschland. Votum eines Hamburger Kaufmanns in bezug auf den Handel mit Westindien und Méjico. (Als Manuscript gedruckt). Hamburg 1848, S. 16-18. Katz, Deutschland, S. 97-99 (Anm. 53). Vgl. Herrn. Jeth: México: Die Einfuhr von Textilwaaren. In: Export 15, 1889, S. 218 f.; 16, 1889, S. 233-235; 17, 1889, S. 248 f. Katz, Deutschland, S. 7 (Anm. 53). Vgl. auch ders.: Verschwörung und Revolution. Die mexikanische Revolution aus der Sicht des kaiserlichen Deutschland. In: Grete Klingenstein u.a. (Hrsg.): Europäisierung der Erde? Studien zur Einwirkung Europas auf die außereuropäische Welt. Wien 1980, S. 214-236.

52

Walther L. Bernecker

häuser) die relative Bedeutung Europas als mexikanischer Handelspartner; zugleich wurde die Stellung der USA immer dominierender.

Der Siegeszug des US-Kapitalismus während des Porfiriats Während des Porfiriats erlebte die mexikanische Wirtschaft eine grundlegende Umwandlung: Die Verkehrsinfrastruktur (Eisenbahn und Schifffahrt) wurde ausgebaut, Importe und Exporte schnellten in die Höhe, die Wirtschaft (vor allem im Norden des Landes) verflocht sich immer mehr mit der US-amerikanischen. In den 1870er Jahren betrug die Bindung der mexikanischen Wirtschaft an die USA schon über 50 %, gegen Ende des Jahrhunderts stieg sie gar auf 75 %. Allmählich entstand durch die wachsende Nachfrage nach Arbeitskräften, Lebensmitteln und Verbrauchsgütem ein nationaler Markt, der wiederum die Binnenlandwirtschaft, den Binnenhandel und eine Verbrauchsgüterindustrie förderte. Zugleich setzte ein Wandel der Außenhandelsstruktur ein: Im Import sank die Bedeutung der Textilien, dafür stieg die der Produktionsgüter (Maschinen, Eisenbahnzubehör); im Export sank die Bedeutung von Edelmetallen und Farbstoffen, dafür stieg die der Viehzuchtprodukte, der Textilfasern und Nahrungsmittel. Wegen diplomatischer Schwierigkeiten mit europäischen Ländern wurden in den 1870er Jahren die Vereinigten Staaten der wichtigste Investor in Mexiko. Immer deutlicher setzten sich die USA als Hauptinvestitionsland durch; ab den 1880er Jahren spricht man sogar von einer "friedlichen Durchdringung" Mexikos, besonders im Bergbau und im Eisenbahnwesen. Nach Bereinigung der Auslandsschuldenproblematik mit europäischen Staaten stiegen auch deren Investitionen in Mexiko wieder deutlich an. Im Bereich des Bankwesens, der öffentlichen Dienste und der Regierungsanleihen nahmen sie den ersten Rang ein. Britische Investitionen erfolgten vor allem in Eisenbahnen, Bergbau und Immobilien, öffentliche Dienste und Öl. Die stets wachsenden französischen Investitionen bezogen sich vor allem auf das Bankgeschäft, den Eisenbahnsektor, die öffentlichen Schuldverschreibungen des Staates, den Handel und die Verbrauchsgüterindustrie; nach 1900 konzentrierten sie sich auf Regierungsanleihen, Bergbau, Bankwesen und Industrie. Deutsche Investoren wiederum wandten sich in den 1890er Jahren Eisenbahnen und Immobilien zu, nach 1900 konzentrierten sie sich stärker auf die Industrie.

Zwischen europäischer und US-amerikanischer Dominanz

53

Auch Wachstum und Zusammensetzung des mexikanischen Außenhandels während des Porfiriats spiegeln den wirtschaftlichen Wandel Mexikos wider. Der jährliche Wert der mexikanischen Exporte erhöhte sich zwischen 1877 und 1910 um das Sechsfache; die Preise allerdings sanken jährlich um 0,08 %, was auf die wachsende ausländische Konkurrenz bei verschiedenen Produkten und insbesondere auf den Preisverfall des Silbers auf dem Weltmarkt zurückzuführen war. Der Anstieg des mexikanischen Außenhandels von 41 Millionen Pesos (1877) auf 287 Millionen Pesos (1911, Kurswert von 1900) war vor allem auf das starke Anwachsen des mexikanischen Handels mit den Vereinigten Staaten zurückzuführen. Verbesserte Verkehrsbedingungen, eine handelsfreundliche mexikanische Gesetzgebung und die stürmische Aufwärtsentwicklung der US-Wirtschaft bewirkten einen Anstieg des mexikanischen Handels mit den USA von 9 Millionen Pesos (1870) auf 117 Millionen Pesos (1910); damit übertraf er den Wert des Handels mit Europa. Um ein Gegengewicht zum zunehmenden Einfluß der USA auf die mexikanische Wirtschaft zu schaffen, verbesserte Diaz die Beziehungen mit Europa, schloß mit den wichtigsten europäischen Staaten Handelsverträge, nahm Anleihen europäischer Banken auf und gewährte Konzessionen für europäische Banken in Mexiko. All diese Bemühungen konnten jedoch nicht das Absinken des europäischen Anteils am wachsenden mexikanischen Außenhandel verhindern. Hatten Großbritannien und Frankreich im Jahre 1872/73 zusammen noch 54,2 % der mexikanischen Ausfuhren aufgenommen, so war bis 1892/93 dieser Anteil auf 18,9 % gesunken. Der weitaus größte Teil mexikanischer Bergbauprodukte, Fasern, Häute und Kaffeelieferungen ging damals bereits in die USA. Auch die Einfuhren aus Europa waren von 52,9 % auf 20,4 % gesunken, da immer mehr konkurrenzfähige USamerikanische Maschinen und Fabrikwaren den mexikanischen Markt eroberten. 57

Die Ausführungen der letzten Abschnitte erfolgten in Anlehnung an Walther L. Bernecker/Raymond Th. Buve: Mexiko 1821-1900. In: Raymond Th. Buve/ John R. Fisher (Hrsg.): Lateinamerika von 1760 bis 1900. Stuttgart 1992, S. 498-556, bes. S. 539-556 ( = Handbuch der Geschichte Lateinamerikas, Band 2). Vgl. auch Fernando Rosenzweig: Las exportaciones de México de 18771911. In: El Trimestre Económico 108, 1960, S. 537-560 und Luis Nicolau d'Olwer: Las Inversiones Extranjeras. In: Daniel Cosío Villegas (Hrsg.): Historia de México. El Porfiriato, la vida económica. México 1965, S. 973-1178. Als statistische Grundlage vgl. Seminario de Historia Moderna de México: Estadísticas económicas del Porfiriato: Comercio exterior. México 1960.

Walther L. Bernecker

54

***

Das europäische Verhältnis zu Lateinamerika war im 19. Jahrhundert dies konnte im vorliegenden Beitrag am mexikanischen Beispiel aufgezeigt werden - zunächst von einem weitgehend erfolgreichen Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen gekennzeichnet. Die europäischen Staaten konkurrierten zwar miteinander um den lateinamerikanischen Markt, konnten sich aber gegenüber den ökonomisch noch weit unbedeutenderen USA durchsetzen. Diese Situation sollte sich im letzten Drittel des Jahrhunderts und insbesondere im Vierteljahrhundert vor dem Ersten Weltkrieg ändern. Die wirtschaftlichen Erfolge Europas wurden deutlich reduziert, die USA gewannen an Terrain. Immer deutlicher war die Entschlossenheit der Vereinigten Staaten zu spüren, europäische Einflüsse zurückzudrängen. Washington suchte durch Vorzugszölle eine Vorrangstellung in Lateinamerika zu erreichen; zugleich wurden europäische Exporte in die USA durch Zölle erschwert. Zweifellos war der Aufbau einer Hegemonialstellung in der Westlichen Hemisphäre seit längerem ein Schwerpunkt US-amerikanischer Außen- und Außenwirtschaftspolitik; hierfür spricht auch die wiederholte interpretatorische Ausweitung des bereits 1823 von Präsident Monroe angemeldeten Führungsanspruchs der USA in ganz Amerika. Es ist bezeichnend, daß trotz der britischen Bemühungen um ein Rapprochement mit den Vereinigten Staaten Ende des 19. Jahrhunderts 58 im wirtschaftlichen Bereich (vor allem in Lateinamerika) eine verstärkte Konkurrenz zwischen London und Washington bestehen blieb. Damit läßt sich auch im Bereich des europäisch-nordamerikanisch-lateinamerikanischen Außenhandels aufzeigen, daß in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg sich allmählich der Übergang von einer mehr europäisch bestimmten zu einer umfassenderen Weltgeschichte vollzog, die

58

Vgl. hierzu Edward P. Crapol: From Anglophobia to Fragile Rapprochement: Anglo-American Relations in the early Twentieth Century. In: Hans-Jürgen Schröder: Confrontation and Cooperation. Germany and the United States in the Era of World War I, 1900-1924. Oxford-Providence (Rhode Island) 1993, S. 13-31.

Zwischen europäischer und US-amerikanischer Dominanz

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bald von den USA beherrscht werden sollte; mit dem Ersten Weltkrieg dokumentierten die Vereinigten Staaten sodann endgültig ihre Weltmachtposition, eine neue universalgeschichtliche Epoche zeichnete sich ab. 59

Zum Gesamtzusammenhang vgl. Ragnhild Fiebig-von Hase: Lateinamerika als Konfliktherd der deutsch-amerikanischen Beziehungen 1890-1903. Vom Beginn der Panamerikapolitik bis zur Venezuelakrise von 1902/03 . 2 Bde. Göttingen 1986; vgl. auch Hans-Jürgen Schröder: Deutschland und Amerika in der Epoche des Ersten Weltkrieges 1900-1924. Stuttgart 1993, bes. S. 11-21.

El caso Cerruti

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El caso Cerruti. Eine Fallstudie zum Verhältnis von staatlicher Autorität und ausländischer Einflußnahme in Kolumbien im ausgehenden 19. Jahrhundert Thomas Fischer

Neben der Errichtung effizienter transisthmischer Transportverbindungen bestimmten seit der Unabhängigkeit zwei große Themen, die Verbesserung der Grundlagen für den Außenhandel und die Sicherheit des Eigentums von ausländischen Geschäftsleuten, die Beziehungen Kolumbiens mit Europa und den USA. Daß die Vertretung von Klagen oder - wie es im zeitgenössischen Jargon hieß - reclamaciones de extranjeros zur Hauptbeschäftigung der im Andenland akkreditierten Geschäftsträger avancierte, ist vor allem auf die häufigen, ja beinahe regelmäßigen Bürgerkriege zurückzuführen. Zwischen den Unabhängigkeitskriegen (1810-1823) und dem Krieg der Tausend Tage (1899-1903) fanden überregionale Rebellionen in den Jahren 1839/40, 1851, 1860-63, 1865, 1876, 1879, 1885 und 1895 statt. Es war üblich, daß in den innenpolitischen Auseinandersetzungen neben kolumbianischem auch ausländischer Besitz enteignet, zwangsversteigert, geraubt oder zerstört wurde. Regierungen oder Aufständische griffen jeweils zu diesem Mittel, um die Heere zu alimentieren oder auszurüsten und auch - vorsorglich -, um die Erbeutung durch den politischen Gegner zu verhindern. Erfolgten Enteignungen durch offizielle Regierungen, so konnten sich die geschädigten Ausländer anschließend mit ihren Schadenersatzforderungen an den Zentralstaat wenden. Doch zogen sich die Kompensationsverhandlungen meist über Jahre hin, wie der erfahrene englische Generalkonsul und Geschäftsträger Robert Bunch den britischen Investoren klarzumachen versuchte: "A party of soldiers will carry off a crop or drive away a herd of cattle or drove of horses without compunction, on the plea of necessity, in spite of Treaties or Legations. It is quite true that in the case of a foreigner, the losses will be paid for [...] honourably and certainly. But the owner may be ruined in the meantime, as there must be delay, sometimes extending over years. Such transactions do not involve cash pay-

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Thomas Fischer ments: a receipt is generally given, and the onus of proving the loss, the value, and all details, falls on the aggrieved party."1

Die von ausländischen Geschäftsleuten in Kolumbien an den Zentralstaat gerichteten Schadenersatzforderungen stellten ein permanentes Thema in der öffentlichen Diskussion dar. Die rechtliche Stellung von Ausländern war in den sogenannten Handels-, Schiffahrts- und Freundschaftsverträgen geregelt. 2 In diesen Abkommen wurde jeweils festgehalten, daß die in Kolumbien residierenden Ausländer keinen Militärdienst leisten durften und ihnen in gewaltsamen Konflikten Kriegssteuern und Zwangsanleihen erlassen wurden. Außerdem sollten sie von Enteignungen verschont bleiben. Dafür sollten sie sich aus der Innenpolitik heraushalten. Nur wer sich während der innenpolitischen Konflikte "neutral" verhielt, konnte bei Eigentumsverletzungen durch Regierungstruppen Schadenersatz fordern. Obwohl die Position von Ausländern somit geregelt war, kam es im Anschluß an die Bürgerkriege fast immer zu Meinungsverschiedenheiten zwischen ausländischen Diplomaten und kolumbianischen Regierungsvertretern. Anlaß dazu gaben nicht nur die oft überzogenen Forderungen und damit die Höhe der zu zahlenden Entschädigung, sondern vielmehr die Beurteilung der Neutralität des Ausländers während der Unruhen und der Modalitäten zur Festsetzung der zu zahlenden Schadenssumme. Es gehörte geradezu zum politischen Ritual, daß kolumbianische Regierungen mit Unterstützung des Kongresses nach Beendigung der Kriege die Feststellung dieser zentralen Punkte einheimischen Gerichten überlassen wollten. Doch ausländische Diplomaten in Bogotá versuchten, dies mit allen Mitteln zu hintertreiben. Denn die Willkür und Bestechlichkeit kolumbianischer Gerichte, die wegen des ausgeprägten Regionalismus dem Zugriff der Zentralgewalt weitgehend entzogen blieben, war seit jeher gefürchtet. Die Repräsentanten der europäischen Staaten und der USA in Kolumbien setzten deshalb jedesmal durch, daß sogenannte comisiones mixtas, gemischte Kommissionen, zusammengesetzt aus je einem Vertreter Kolumbiens, des hauptsächlich betroffenen Landes und eines "unabhängigen" Parliamentary Papers (PP) Bd. 64, 1871, Colombia. Consul General Bunch to Earl Granville, Bogotá, 4th August 1870, S. 136. Die Handels-, Schiffahrts- und Freundschaftsverträge mit Frankreich, den Hansestädten und England sind abgedruckt in: Moniteur universel Nr. 273, 1857; Preußisches Handelsarchiv Bd. 1, 1857, S. 792-796; PP Bd. 84, 1867, S. 1-10.

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Staates für die Beurteilung von Streitfällen eingesetzt wurden. Wenngleich sich die Kommissionsarbeit in der Regel über Jahre hinzog, gingen die Entscheidungen dank der Stimme des "unabhängigen" Mitgliedes in der Regel zugunsten der Ausländer aus, weshalb in der kolumbianischen Öffentlichkeit immer wieder die Rede von inakzeptablen Eingriffen in die nationale Souveränität war. Seit den 1880er Jahren wurden besonders brisante Fälle, die zu zwischenstaatlichen Differenzen führten, einem Drittstaat zur Beurteilung übergeben. Besonderes Aufsehen erlangten Fälle, in denen ausländischen Geschäftsleuten die materielle oder ideologische Unterstützung des Gegners vorgeworfen wurde. Es kam vor, daß Fremde offen Partei für die eine oder andere Seite ergriffen. Kam die Unterstützung der regierenden Gruppierung zugute, so ergaben sich daraus meist keine negativen Konsequenzen für die Einwanderer, weil die Regierungstruppen auf den Schlachtfeldern fast immer siegreich blieben. Ausländer, die hingegen nachweisbar Rebellen unterstützten, lebten gefährlich, so gefahrlich wie die einheimischen Aufständischen. Ein solches politisiertes Verhalten demonstrierten besonders Immigranten, die sich über längere Zeit an einem Ort aufgehalten hatten und deren soziale und wirtschaftliche Integration so weit fortgeschritten war, daß sie sich in ihrem Verhalten nur noch wenig von Kolumbianern unterschieden. Ein Einwanderer, der seine Gegner nicht nur wegen seiner kommerziellen, sondern auch wegen seiner politischen Aktivitäten permanent provozierte, war der italienische Großkaufmann Ernesto Cerruti in Cali. Die Beschlagnahmung seines gesamten Besitzes durch die Behörden des Staates Cauca im Bürgerkriegsjahr 1885, die Art und Weise seiner Verurteilung durch ein lokales Gericht und seine unter Beihilfe eines italienischen Kriegsschiffes bewerkstelligte Flucht aus Kolumbien waren in jederlei Hinsicht skandalös. Die nachfolgenden Entschädigungsverhandlungen übertrafen die vorangehenden Unregelmäßigkeiten indes noch bei weitem. Die Reklamation des Italieners nimmt wegen ihrer Dauer von mehr als einem Jahrzehnt einen besonderen Stellenwert in der kolumbianischen Diplomatiegeschichte ein. In dieser Zeit brachen Italien und Kolumbien zweimal die zwischenstaatlichen Beziehungen ab. Europäische und US-amerikanische Diplomaten, die sowohl auf die italienische als auch auf die kolumbianische Regierung Druck auszuüben versuchten, vermochten nicht zu verhindern, daß zweimal italienische Kriegsschiffe vor den kolumbianischen Küsten aufkreuzten. Zwei Schiedssprüche durch Dritt-

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Staaten, zwei gemischte Kommissionen und eine kolumbianische Liquidationskommission waren notwendig, um dem als caso Cerruti in die Geschichte eingegangenen Fall ein Ende zu setzen. Erst als ein weiterer Bürgerkrieg (1895) beendet war und die Vorbereitungen der Liberalen für den nächsten Konflikt (1899-1903) bereits auf Hochtouren liefen, wurden die Akten dieses Falls geschlossen.

Karte 1: Kolumbien 1861-1903

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Am caso Cerruti läßt sich nicht nur die wirtschaftliche Stellung von Ausländern im Andenraum im ausgehenden 19. Jahrhundert aufzeigen. Er bietet wegen der Fülle von gedruckten und ungedruckten amtlichen Quellen sowie wegen seines Echos in der lokalen, nationalen und internationalen Presse auch reiches Anschauungsmaterial über die Grenzen der ausländischen Einflußnahme auf die kolumbianische Exekutive und das Justizsystem. Der Fall Cerruti verweist darüber hinaus auf den außenpolitischen Handlungsspielraum, den ein schwacher Staat angesichts des Drucks ausländischer Mächte hatte.

1. Vom Angestellten zum Großkaufmann: Cerruti im Cauca-Tal Der durch die Verfassung von 1858 selbständig gewordene Cauca war von den neun Teilstaaten des föderalistischen Staatssystems Estados Unidos de Colombia der flächenmäßig größte und sozial, ethnisch und kulturell der vielgestaltigste (Karte 1). Rund eine halbe Million Einwohner bevölkerte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das 668.000 km2 große Territorium. Diese Zahl reichte aus, um etwa ein Zehntel des verfügbaren Landes zu besiedeln. Auf das 200 Kilometer lange und bis zu 30 Kilometer breite Cauca-Tal, das reich an fruchtbarem Ackerboden war und in dem ein mildes Klima von durchschnittlich 22 bis 23 °C herrschte, richtete sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei den Befürwortern der Weltmarktintegration wegen des immensen Entwicklungspotentials das ganze Augenmerk. 3 Neben der extensiven Viehzucht eignete sich der Boden für den Anbau von Tabak, Reis, Baumwolle, Zucker, Bananen, Reis und - in höheren Lagen - Kaffee. In den Gemeinden Cali, Palmira und Buga siedelten sich deshalb seit den 1860er Jahren auch einige Ausländer an. Allerdings wurden ihre Hoffnungen auf die Entstehung eines blühenden Außenhandels immer wieder zunichte gemacht. Die Ursachen dafür waren außerordentlich hart geführte politische Auseinandersetzungen zwischen radikal-kirchenfeindlichen und katholisch-konservativen Parteigängern, die Schwierigkeit, billige Arbeitskräfte zu kontraktieren, die sprichwörtliche Abneigung der kreolischen Hacendados gegen manuelle

Vgl. den im Deutschen Handels-Archiv abgedruckten Handelsbericht über das Jahr 1887. (Deutsches Handels-Archiv 1888, Bd. 2, Popayán (Columbien). Verkehrs- und wirtschaftliche Verhältnisse des Departements Cauca, S. 255-259; Richard Preston Hyland: El crédito y la economía 1851-1880. Bogotá 1983, S. 95-133.

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Arbeit, hohe Wegzölle und beinahe unüberwindbare technische und finanzielle Schwierigkeiten bei dem Bau einer leistungsfähigen Transportverbindung zwischen dem Cauca-Tal und dem natürlichen Ausfuhrhafen Buenaventura. 4 Seit der zweiten Hälfte der 1870er Jahre, als sich der berühmte Palmira-Tabak wegen der Plantagenkonkurrenz aus Ostasien im Ausland nicht mehr absetzen ließ und sich das Ende des Booms in der Chinarindenausfuhr abzeichnete, geriet das von den Radikalen initiierte exportorientierte Modell vollends in die Krise. Die politische Folge des wirtschaftlichen Niedergangs war, daß 1879 bei den Gouverneurswahlen im Staat Cauca die dissidenten Independentisten wie auch in den Gliedstaaten Magdalena, Bolívar, Santander, Cundinamarca und Boyacá an die Macht kamen. Diese bildeten mit moderaten konservativen Kräften neue Allianzen. Ein politisch-administrativer Reformprozeß, der von den Zeitgenossen regeneración genannt wurde, erfaßte nicht nur den Staat Cauca, sondern ganz Kolumbien. 5 Nach der Niederlage der Radikalen im Bürgerkrieg von 1885 wurde der kolumbianische Staatenbund in eine unitarische Republik umgewandelt und die Teilstaaten zu Departementen degradiert. Die überlieferten Geschäftsbücher der Firmen des Italieners Ernesto Cerruti geben Auskunft über die wirtschaftlichen Möglichkeiten, die einem gewieften und risikobereiten Geschäftsmann im wirtschaftlich rückständigen Staat Cauca offenstanden. 6 Eingewandert zur Zeit des Radika4

Popayán (Columbien). Verkehrs- und wirtschaftliche Verhältnisse, S. 258 f. (Anm. 3).

5

Zu den Reformpunkten im einzelnen vgl. Hans-Joachim König: Ecuador, Venezuela, Kolumbien. In: Walther L. Bernecker u. a. (Hrsg.): Handbuch der Geschichte Lateinamerikas, Bd. 2, Stuttgart 1992, S. 603-606.

6

Die Geschäftsbücher wurden 1885 mit Cernatis übrigem Besitz konfisziert. Sie dienten den kolumbianischen Behörden zur Überprüfung der anschließenden Entschädigungsforderungen von Cerrutis Gläubigern. Seitdem werden sie im Archivo del Ministerio para las Relaciones Exteriores de Colombia (Bogotá) (AMRE) aufbewahrt. - Zu den Firmen Cerrutis und zur Geschäftsstrategie des Prinzipals vgl. meine Dissertation Die verlorenen Dekaden: Import-/Exportwirtschaft und ausländische Geschäfte in Kolumbien. Nürnberg/Bern 1994, S. 204-209. Siehe auch Alonso Valencia Llano: "¡Centu per centu, moderata ganancia!": Ernesto Cerruti, un comerciante italiano en el estado soberano del Cauca. In: Boletín Cultural y Bibliográfico Bd. 25, Nr. 17, 1988, S. 55-75. Die meisten biographischen Angaben zur Person Cerrutis sind diesem Aufsatz sowie der kenntnisreichen, wenngleich parteiergreifenden Darstellung von Phanor James Eder: El

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lismus in den 1870er Jahren gelang dem Import-/Export-Kaufmann innerhalb von nur zehn Jahren der Aufstieg vom Habenichts zum Großkaufmann mit dem größten Umsatz im Cauca-Tal. Neben Kreditwürdigkeit im Ausland bildeten dafür intakte gesellschaftliche Verbindungen mit lokalen und regionalen Elitenangehörigen sowie Verflechtungen mit Mitgliedern der Radikalen Partei den Grundstein. Cerrutis Strategie läßt sich wie folgt charakterisieren: Am Beginn seiner Unternehmungen stand die finanzielle Unterstützung durch italienische Firmen, die bereits an der Pazifikküste und auf dem Isthmus von Panamá stationiert waren. Die großzügige Starthilfe war nicht nur Ausdruck uneigennütziger nationaler Solidarität, sondern auch ökonomisches Kalkül, da sich die Gläubiger von Cerrutis Vordringen in bisher von Fremden nicht erschlossene Absatzgebiete einen 'Multiplikatoreffekt' für ihre eigene Geschäftstätigkeit erhofften. Der wohl entscheidende Punkt für Cerrutis Erfolg war seine Verbindung zu kolumbianischen Geschäftsleuten. Als der Italiener seine Handelstätigkeit ins Cauca-Tal ausweitete, war er noch nicht reich, verfügte aber über intakte Geschäftsbeziehungen, und er war, da er als kaufmännisch solide eingeschätzt wurde, im Ausland kreditwürdig. Dieses 'soziale' Kapital warf er in die Waagschale, als er sich mit Geschäftsleuten aus dem radikal-liberalen Umfeld verband. Aus der Assoziation entstand eine neue Potenz, die für alle Beteiligten vorteilhaft war. Unparteiisch zu sein war wohl zur damaligen Zeit für niemanden - auch nicht für Ausländer - möglich. Doch war es nicht notwendig, sich politisch so zu exponieren wie der Lombarde. Während der Hegemonie der Radikalen brachte ihm dies mancherlei Vorteile. Als sich die politischen Verhältnisse änderten, erwies sich Cerrutis politisches Engagement jedoch als Nachteil. Es gab in den 1870er Jahren in Cali kaum einen öffentlichen Skandal, in dessen Zusammenhang sein Name nicht genannt wurde. Durch die Vermählung mit einer Enkelin des berühmten Generals Tomás de Mosquera, bei gleichzeitiger Ablehnung des katholischen Rituals, sein Bekenntnis zum Freimaurertum sowie seine angebliche Teilnahme an der Vertreibung der Bischöfe von Popayán und Pasto aus Amt und Würden im Jahr 1877 hatte er sich den Klerus zum Feind gemacht. Neben der Kirche schuf sich Cerruti wegen seines Geschäftserfolges zahlreiche persönliche Gegner. Sein offen zur Schau gestellter Reichtum wirkte im armen Valle del Cauca fundador Santiago M. Eder. Bogotá 1981 (Neuauflage), S. 363-384, entnommen.

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als Provokation. Der ausländische Nachbar Santiago Eder sollte ihm später schreiben: "[...] puede decirse en una palabra, que vivía usted con demasiado lujo para este país."7 Durch die Aufnahme führender liberaler Generäle in seine Firmen und andere nicht ganz uneigennützige Gefälligkeiten für Regierungen der Radikalen im Staat Cauca brachte Cerruti weitere Kreise gegen sich auf. 1872 hatte er für die Regierung des Staates Cauca in den USA zu überhöhten Preisen 500 Gewehre und 100 Karabiner sowie entsprechende Munition gekauft. Ein öffentlicher Wirbel war die Folge. Die Monopolisierung des Salzverkaufes und die Abgabe zu Wucherpreisen führten Mitte der 1870er Jahre zu öffentlichen Protesten der Verbraucher im Staat Cauca. Während der Niederschlagung der Rebellion der Konservativen in der Stadt Cali von 1876, bei der es zur Plünderung der Läden des lokalen Kaufmannsstandes kam, blieben seine Warenlager in wundersamer Weise verschont: Sein Geschäftspartner Tomás Rengifo war der comandante del escuadrón Colombia in Cali. Im selben Krieg stellten sich Cerrutis Firmen erneut in den Dienst der Regierung der Radikalen, indem sie sich am Verkauf von Chinarinde beteiligten, die im Bezirk Popayán bei politischen Gegnern konfisziert worden war. Kurz: Cerruti war nicht nur ein gerissener Geschäftsmann, sondern auch ein politischer Kopf, der ganz auf der Seite der Liberalen stand. Einer von Cerrutis Geschäftspartnern in der Firma in Popayán, General Ezequiel Hurtado, der sich aus Protest gegen die korrupten Vorgänger auf die Liste der Independentisten setzen ließ, wurde 1879 zum Gouverneur des Staates Cauca gewählt. Cerrutis Opponenten starteten sogleich eine Gegenkampagne gegen die offensichtliche Machtkumulation. General Eliseo Payán, der 1882 gewählte Nachfolger Hurtados, machte sich schon bald zur Aufgabe, den Einfluß des Cerruti-Clans zurückzudrängen.

2. Wie gewonnen, so zerronnen Mit dem Erstarken des Independentismus und der Annäherung dieser Strömung an die Konservativen unter Payän sowie dem gleichzeitigen Zusammenbruch des Chinarindengeschäfts schwanden Cerrutis politischer Rückhalt und sein ökonomisches Fundament. Da der Lombarde jedoch seine Gesinnung nie verbarg und weiterhin eine wichtige Stütze des Radikalis-

7

Eder, El fundador, S. 374 (Anm. 6).

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mus im Cauca-Tal blieb, mußte er zur Zielscheibe von Revanche-Akten werden. Dies wurde dadurch verstärkt, daß sein Geschäftspartner Hurtado ab 1884 versuchte, die Independentisten und Radikalen in einer einzigen Partei zusammenzufassen und damit der regierenden Koalition unter Payán den Boden zu entziehen. 8 Ein erster Erfolg, hinter dem das Tandem Cerruti-Hurtado vermutet wurde, war Anfang 1884 das Umschwenken des Generals Guillermo Márquez, des Befehlshabers der in Cali stationierten nationalen Armee Guardia colombiana, zur Opposition. In Regierungskreisen wurde sofort Cerruti bezichtigt, der Anstifter der Verschwörung zu sein. Payán, bei der "Aprilrevolution" von 1879 noch selbst ein Rebell, handelte rasch. Am 2. Februar erklärte die Regierung des Staates Cauca, Cerruti habe seine Neutralität, wozu er als Ausländer verpflichtet war, verwirkt. Im Beisein des Generals Juan de Dios Ulloas, dem Kriegsminister des Staates Cauca, der sich als führendes Mitglied der Demokratischen Gesellschaft Calis und Teilnehmer an der Rebellion von 1879 einen Namen gemacht hatte, wurde am 8. Februar Cerrutis Landsitz, die prächtige, mehrere Tausend Hektar umfassende Hacienda Salento gestürmt und geschleift. 9 Am 12. Februar 1885 erklärte der Jefe Municipal von Cali Cerrutis persönlichen Besitz und denjenigen seiner Firma für konfisziert. Die Warenlager des Cerruti-Imperiums wurden sogleich aufgelöst. Beweise für die Kollaboration des italienischen Einwanderers mit liberalen Rebellen oder gar für seine Drahtzieherrolle legten die Behörden zu diesem Zeitpunkt nicht vor. Die Gründe für Payáns Handeln sind bis heute nicht ganz geklärt. Denkbar ist zumindest, daß sich die Behörden am politischen Gegner rächen wollten. Die systematische Konfiskation und Auflösung des Besitzes zur ökonomischen Schwächung und Demoralisierung hatten die Radikalen - nicht nur in Kriegszeiten - seit den 1860er Jahren vor-

8

Valencia Llano, "¡Centu per centu, moderata ganada!", S. 70-72 (Anm. 6).

9

Zum Verlauf der Ereignisse vgl. Eder, El fundador, S. 366 (Anm. 6). Ein guter, jedoch teilweise fehlerhafter Bericht stammt vom französischen Geschäftsträger und Generalkonsul Louis-Charles Arthur Lanen (Archives du Ministère des Affaires Etrangères (Paris) (AMAEP) AD CP Colombie Bd. 33, an de Freveinet, Ministre des Affaires Etrangères, Bogotá, 26.10.1885, Bl. 436-440). Vgl. auch den Bericht des Bevollmächtigten Ministers und Geschäftsträgers der USA, William Scruggs, an Thomas F. Bayard, Secretary of State. (Despatches from United States Ministers to Colombia, T33 Roll 39, Bogotá, 24.8.1885).

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exerziert. 10 Cerrutis Enteignung stellte deshalb keine außergewöhnliche Maßnahme dar, sondern war vielmehr Ausdruck der politischen Kultur der Intoleranz im Staat Cauca. Es ist weiter davon auszugehen, daß es Payán weniger um die rechtmäßige Bestrafung eines Subversiven, sondern vielmehr darum ging, an einem Prominenten ein Exempel zu statuieren und dadurch eine abschreckende Wirkung auf andere Oppositionelle zu erzielen. Fest steht, daß durch die unter Kriegsrecht erfolgte präventive Konfiskation des Besitzes von Cerruti einem großen liberalen Netz von einem Tag auf den anderen die wirtschaftliche Grundlage entzogen wurde. Dies war ein Schlag, von dem sich der Liberalismus im Südwesten Kolumbiens über zehn Jahre lang nicht erholte. Am 27. März verfaßte Cerruti, der in Cali für eine Weile bei den beiden deutschen Kaufleuten Albert Burckhardt und Louis Fischer Zuflucht gefunden hatte, ein 12-seitiges Schreiben an den italienischen Außenminister di Robilant, in dem er als italienischer Staatsbürger bei der kolumbianischen Unionsregierung Schadenersatz im Umfang von rund 600.000 Pesos forderte. Die moralischen Schäden waren bei dieser für kolumbianische Verhältnisse enorm hohen Summe nicht inbegriffen. 11 Eine Kopie des Schreibens schickte er am 15. April an den italienischen Geschäftsträger Davido Segre in Bogotá. Cerruti bemühte sich darzustellen, daß er kein Einzelfall sei. Auch andere Italiener seien in den politischen Wirren von 1885 im Cauca-Tal geschädigt worden. In Cali würden Ausländer von den Behörden gezielt schikaniert. 12 Der Hilferuf aus dem Cauca-Tal verfehlte beim italienischen Repräsentanten in Bogotá seine Wirkung nicht. Doch die Regierung des Staates Cauca verweigerte Cerruti einen Reisepaß, mit dem er in Bogotá seine Rechte geltend machen wollte. Die Begründung lautete, daß zuerst ein

10

Hyland, El Crédito, S. 166 (Anm. 6); Alonso Valencia Llano: Empresarios y políticos en el Estado soberano del Cauca. Cali 1993, S. 141-145.

11

Archivio Storico-Diplomatico del Ministero degli Affari Esteri (Rom) (ASD) 1293 Serie Politica 1867-1888, Colombia 1881-1887 (51). [Presskopie]. Die Höhe der Forderung wurde von Fachleuten wie dem französischen Generalkonsul mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, denn es war bekannt, daß Cerruti wegen der Spekulation mit der Chinarinde bei vielen ausländischen Geschäftshäusern tief verschuldet war. Man nahm an, daß die Cerruti-Firmen kurz vor dem Konkurs standen.

12

ASD 1293 Serie Politica 1867-1888, Colombia 1881-1887 (51). [Presskopie].

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lokales Gerichtsverfahren Klarheit bringen müsse. Der publizierte Briefwechsel zwischen dem italienischen Geschäftsträger und dem kolumbianischen Außenminister Vicente Restrepo in dieser Sache zeigt, daß die italienische Diplomatie in ihrem Bemühen, dem Vorfall eine zwischenstaatliche Dimension zu verleihen, ebenfalls wenig erfolgreich war. 13 Während Segre die Unionsregierung in zunehmend schrillerem Tonfall daraufhinwies, daß kein Ausländer in Kolumbien seine Neutralität verlieren könne, bevor dies in einem korrekten Gerichtsverfahren bewiesen sei, stellte sich der vornehm-freundliche kolumbianische Außenminister in seinen Antworten stets auf den Standpunkt, der Zentralstaat könne aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht eingreifen. Die Autonomie des Staates Cauca sei in dieser Sache unantastbar. Dies widersprach eindeutig der bestehenden kolumbianischen Verfassung und den Handels- und Freundschaftsverträgen des Andenlandes mit anderen Staaten, in denen jeweils festgelegt wurde, daß für Schäden, die Ausländern zugefügt wurden, die Unionsregierung zuständig war. Restrepo hingegen sah genügend Anhaltspunkte, um im Staat Cauca gegen Cerruti einen Prozeß zu eröffnen.

3. Die italienische Marine greift ein Bewegung kam in die verfahrene Situation, als Segre der Geduldsfaden riß und er den italienischen Außenminister di Robilant bat, den bei Panamá stationierten Kreuzer Flavio Goja aus der Pazifikflotte nach Buenaventura zu entsenden. 14 Di Robilant kam der Bitte nach, und ab dem 6. Juli ankerte das Kriegsschiff vor Buenaventura. Dort, drei Tagesreisen von Cali entfernt, wartete deren Kommandant Cobianchi darauf, mit Cerruti, gegen den immer noch kein Gerichtsverfahren in Gang gesetzt worden war, in Verbindung treten zu dürfen. Nach dieser Drohgebärde betrachtete sich die Regierung in Bogotá doch für den Vorfall als zuständig. Durch die Entsendung des in Kolumbien angesehenen Generals Alejandro Posada als Vermittler im Cauca bekundete sie ihren Willen zu einer friedlichen Beilegung des Konfliktes. Restrepo wies am 29. Juli in einer Note die

Circular de la Secretaría de Relaciones Exteriores de Colombia al cuerpo diplomático residente en Bogotá. Bogotá 1885, S. 2-14. Camera dei deputati. Documenti Diplomatici presentati alla camera dal Ministro degli Affari Esteri. (Di Robilant), nella tornata del 23 novembre 1886. Reclami di italiani in Colombia. Rom 1886, Brief vom 16.6.1885, S. 4.

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Regierung des Staates Cauca darauf hin, daß bestehende Gesetze aus dem Jahr 1879 und 1882 einzuhalten seien: "[...] antes de todo procedimiento, cuales quiera que fuesen las opiniones generales acerca de la conducta política del señor Cerruti, es preciso tener la prueba legal de su ingerencia indebida en el movimiento rebelde, y para aplicarle las penas que una ley impone, es forzoso que el Poder Judicial así lo resuelva". 15 Cerruti wurde nach Buenaventura verlagert, nachdem der Kommandant des Kreuzers darauf bestanden hatte, seinen Landsmann zu sprechen. Er gab sein Ehrenwort, daß der Italiener jederzeit vor den lokalen Gerichten erscheinen könnte. Dann, am 4. August, lieferte das Bezirksgericht von Cali die Bestätigung nach, daß Cerruti seinen Neutralitätsstatus tatsächlich verloren habe und somit zu Recht seines Besitzes verlustig gegangen sei. 16 Überzeugende Beweise, die über die zweifellos vorhandene rebellische Gesinnung hinausgingen, wurden auch diesmal nicht vorgelegt. Der vermutete Transfer von Geldern über den Banco del Cauca an die Rebellen ließ sich nicht nachweisen. Das Zeugnis eines Unteroffiziers, der schwor, von Cerruti mit vier kolumbianischen Pesos bestochen worden zu sein, war das einzige Indiz, das die schwerwiegenden Anschuldigungen gegen Cerruti hätte stützen können. Cerruti wurde in Buenaventura vorsichtshalber in Gewahrsam genommen. Allerdings wachten 150 bewaffnete italienische Soldaten, die auf Befehl ihres Kommandanten unter Verletzung des internationalen Rechts an Land gebracht worden waren, darüber, daß Cerruti nicht nach Cali zurücktransportiert wurde. An einer strategisch bedeutsamen Stelle installierten sie ein Maschinengewehr. Alle Züge, die Buenaventura Richtung Córdoba verließen, wurden durchsucht. Dann, am 7. August, entschloß sich Cobianchi zu handeln. Er nahm seinen Landsmann an Bord, um diesem "weitere Willkürakte" zu ersparen. Im vollen Wissen darüber, daß durch sein Handeln die zwischenstaatlichen Beziehungen eine erhebliche Belastung erfahren würden, telegraphierte er folgende Botschaft nach Rom:

Zit. nach Germán Cavelier: La política internacional de Colombia. Bd. 2 (18601903). Bogotá 1959, S. 203. AMRE Reclamación Cerruti.

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"Ho preso il signor Cerniti a bordo per evitare ulteriori atti arbitrari; credo opportuno portarlo a Panama, mentre vado a prendere il signor Motta [der italienische Konsul in Panamá]. Alle proteste sicure, che per questo fatto verranno, potrassi contraporre come non intendasi sottrarlo al diritto che il governo del Cauca possa avere sopra lui, ma semplicemente garantirsi."17 Der italienische Marineminister billigte im nachhinein den von Cobianchi eigenmächtig geschaffenen fait accompli. 18 Da er sowohl auf die Maßregelung seines Kommandanten als auch auf eine öffentliche Entschuldigung verzichtete, entfiel die einzig verbliebene Möglichkeit zu einer raschen Beilegung des Konfliktes. Obwohl der kolumbianische Secretario de lo interior y relaciones exteriores in ersten Stellungnahmen nicht Italien, sondern den Kommandanten für die Souveränitätsverletzung verantwortlich machte und damit weiterhin eine Tür für den Verhandlungsweg offenließ, blieb Italien bei der Auffassung, daß der Befehlshaber der Flavio Goja rechtens gehandelt habe. Wie zu erwarten, erhob sich ein Sturm der Entrüstung im konservativ-independentistischen Bündnis des Staates Cauca. Aber auch die Regierung in Bogotá fühlte sich, wie Restrepo in seinem Protestschreiben an Segre deutlich machte, wegen der Mißachtung der nationalen Souveränität durch italienische Matrosen, die kolumbianisches Territorium "en actitud bélica" betreten hatten, vor den Kopf gestoßen. 19 Deutliche Worte fand er auch in einem Zirkular, das er an alle ausländischen Repräsentanten in Bogotá übermitteln ließ. Darin hieß es: "[...] aquellos principios de inconcusa verdad y aceptación universal entre los pueblos cristianos civilizados fueron desconocidos por el Comandante del cruzero italiano Flavio Goja. Opino al tener conocimiento de la providencia del Juez de Cali, resolvió a su ejecución la fuerza armada de su nave, y desembarcó, al efecto, la oficialidad y la tripulación de guerra. Actos de hostilidad manifiesta, que se reducen

17

Camera dei deputati. Documenti Diplomatici, Buenaventura, 7.8.1885, S. 29 f. (Anm. 15).

18

Ebenda, Rom, 8.8.1885, S. 30 f.

19

Circular de la Secretaría, S. 14-17 (Anm. 13). Auch Präsident Rafael Nuñez beschwerte sich in seiner Rede vor den Kongreßabgeordneten wortreich über die Invasion. (Cavelier, La política internacional, S. 206, Anm. 15).

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todos a violación de los fueros de Colombia como Nación independiente y soberana, con desprecio viviente de los principios tutelares del Derecho de Gentes, fueron allí consumados."20 U m ihre rechtliche Position im zwischenstaatlichen Streit zu stärken, erließ die Zentralregierung daraufhin das Dekret 549, das die "Delikte" Rebellion und Störung der öffentlichen Ordnung durch Ausländer der Kompetenz nationaler Gerichte unterstellte. Wegen heftiger Proteste aller in Bogotá ansässigen ausländischen Geschäftsträger mußte das Dekret jedoch schon kurz nach seiner Veröffentlichung zurückgenommen werden. Erst 1888 wurde ein entschärftes Gesetz von allen Seiten gebilligt. 21 Auch die independentistisch-konservative Presse des Staates Cauca verurteilte das Eingreifen der italienischen Flotte. In einem zweiteiligen Leitartikel mit dem Titel Por la Patria appellierte der offiziöse Boletín Municipal de Cali an nationale Gefühle. 2 2 Radikale, die sich mit Personen wie Cerruti verbündeten, billigten Invasionen und seien somit Vaterlandsverräter. W e r internationales Recht auf solche Art und Weise breche, sei ein Barbar. Cerruti sei weniger aus Unrecht, das ihm in Kolumbien zugefügt wurde, als aus Angst vor einer legalen Verurteilung geflohen: "[...] él [Cerruti] perdió su carácter de extranjero, y se asimiló y confundió voluntariamente con los nacionales, y como tal, recavó y ejecutó oficiosamente órdenes injustificables; por ésto sus reclamos deben hacerse en los términos que los hacen los nacionales que se crean perjudicados injustamente por las autoridades públicas, y no como extranjero." Ein ebenfalls in Cali in Umlauf gebrachtes Flugblatt titelte: Un delito másP Der Kommandant des italienischen Kriegsschiffes habe in feindlicher Absicht Soldaten an Land geschickt und durch seine Unterstützung für Kriminelle die Nation beleidigt. Die Gemeinden Buenaventura, Túquerres und Barbacoas protestierten ebenfalls gegen die Verletzung der

20

Zirkular vom 25. August 1885.

21

Informe del Ministro de Relaciones Exteriores de la República de Colombia al Congreso Constitutional de 1890, S. 37.

22

Artikel vom 4.8.1885 und 21.8.1885.

23

Cali, 15.8.1885, un colombiano.

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Souveränität durch das bewaffnete Vordringen in eine Stadt ohne Verteidigung. 2 4

4. Der spanische Schiedsspruch Die sich mehr als ein Jahrzehnt hinziehenden Reklamationsverhandlungen erfolgten wegen Cerrutis Flucht nicht wie bei den übrigen Entschädigungsforderungen zwischen dem Geschädigten und der kolumbianischen Zentralregierung unter der Aufsicht ausländischer Diplomaten, sondern sie wurden mit Zustimmung von Kolumbien und Italien unbeteiligten Dritten zur Entscheidung vorgelegt. Nachdem die klerikale Seite im Bürgerkrieg die Oberhand gewonnen hatte, verständigten sich das Königreich Italien und die Republik Kolumbien über das weitere Vorgehen. In Paris wurde vom italienischen Botschafter, Graf Menabrea, und dem kolumbianischen Extraordinario y Ministro Plenipotenciario, General Francisco de Paula Matéus, am 21. Mai 1886 ein Protokoll unterzeichnet. 25 Darin wurde festgehalten, daß man die Fragen, ob Cerruti aus eigenem Verschulden seinen Besitz verloren habe, ob er seine persönlichen Rechte und diejenigen als Ausländer zu Recht eingebüßt habe und ob der kolumbianische Staat für die Enteignungen entschädigungspflichtig sei, Spanien zur Beantwortung unterbreiten wolle. Obwohl Kolumbien die diplomatischen Beziehungen zur ehemaligen Kolonialmacht erst 1881 gänzlich wiederhergestellt hatte, schien das iberische Land wegen seiner wenig entwickelten Handelsbeziehungen zu Südamerika eine akzeptierbare Variante. 26 Die Regierung Nuñez erhoffte

24

Der Protest von Buenaventura vom 11.8.1885 ist abgedruckt in: Circular de la Secretaría, S. 17 f. (Anm. 13). Die Proteste der Gemeinden Túquerres und Barbacoas vom 3.10.1885 erschienen in: Rejistro Oficial del Estado del Cauca Nr. 383, 2.12.1885.

23

Protokoll des Grafen Menabrea, Marqués de Valdora und des kolumbianischen Ministerresidenten in Paris, General Francisco de Paula Matéus vom 21.5.1886. In: R. Ministro degli Affari Esteri: Vertenza del citadino italiano Ernesto Cerruti col governo della república di Colombia. Rom 1895, S. 14.

26

Die langwierigen Verhandlungen zur Herstellung diplomatischer Beziehungen zwischen Spanien und Kolumbien bis zum Abschluß des Freundschafts- und Handelsvertrags im Jahr 1881 werden von Gloria Inés Ospina Sánchez beschrieben. (Gloria Inés Ospina Sánchez: España y Colombia en el siglo XIX. Madrid 1988). Leider verwendet die Autorin lediglich spanisches Quellenmaterial. Hin-

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sich jedenfalls ein für sie günstiges Urteil. 27 Für den Fall der Bejahung der letzten Frage, ob Kolumbien entschädigungspflichtig sei, sollte eine gemischte Kommission mit einem italienischen, einem kolumbianischen und einem spanischen Vertreter einen unwiderruflichen Schiedsspruch über die Höhe der Kompensation fällen. Der mit seiner Aufgabe offensichtlich überforderte kolumbianische Vertreter konnte sich mit seinem Wunsch, auch das Verhalten des Kommandanten des italienischen Kreuzers vor Buenaventura zu untersuchen, nicht durchsetzen. 2 8 Tatsächlich hatte sich die Regierung in Bogotá durch die Ernennung des loyalen Generals, der weder diplomatisches Geschick noch ausreichende Kenntnisse in internationalem Recht hatte, bereits vor der Urteilsfallung in eine schlechte Ausgangsposition manövriert. Das einzig Positive für Kolumbien am Pariser Protokoll war, daß die zwischenstaatlichen Beziehungen mit Italien wiederhergestellt waren. Ansonsten hatten seine Diplomaten bei der Ausarbeitung der Fragestellung völlig versagt. Denn ein negativer Ausgang für Italien, das sich hinter Cerruti gestellt hatte, war allein schon durch die Fragestellung unmöglich. Ein später in der in Bogotá erscheinenden Zeitung La Crónica veröffentlichtes kritisches Gutachten des Pariser Völkerrechtsspezialisten Professor Jean Bureau stellte das Pariser Protokoll deshalb zu Recht als "Triumph der italienischen Diplomatie" dar. 2 9 Die kolumbianische Regierung versuchte nun das Unmögliche zu beweisen: daß Cerrutis Besitz von der Regierung des Staates Cauca zu Recht beschlagnahmt worden war. Das von Kolumbien vorgelegte "Beweismaterial" war jedoch unglaubwürdig, weil es mehrheitlich auf Gerüchten und Aussagen von politischen Extremisten aus dem Umfeld der Konservativen,

weise zur kolumbianischen Position finden sich bei Cavelier, La política internacional, S. 77-79. 27

Dahingehend ein Artikel in der dem Regenerationsprojekt positiv gegenüberstehenden Zeitung La Nación vom 15.7.1886.

28

Vgl. hierzu den Briefwechsel mit dem italienischen Bevollmächtigten. In: ASD Serie Z busta 110 Pos. 28, Cerruti, Fasz. 1657.

29

Das Gutachten ist stückweise abgedruckt in Nr. 623, 629, 635, 641, 695, 672, 678, 684 vom 6.8., 13.8., 20.8., 27.8., 17.9., 1.10., 8.10. und 15.10.1899).

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Independentisten und persönlichen Gegnern Cerrutis basierte. 30 Germán Cavelier spricht in diesem Zusammenhang von "pobreza jurídica extraordinaria". 31 Dem Anspruch, den Verlust von Cerrutis Status als Ausländer durch das Aufzeigen seiner agitatorischen Tätigkeit in der Revolution von 1876, in den Wahlen von 1882 und in der Revolution von 1885 zwingend zu beweisen, konnte die Dokumentation in keinerlei Hinsicht gerecht werden. Ein für Kolumbien negativer Ausgang war deshalb bereits vor der Veröffentlichung des Madrider Urteils absehbar. Erst am 26. Januar 1888 veröffentlichte die spanische Regierung ihren Bericht. Die langatmigen, vom Ministro de Estado Sigismundo Moret unterzeichneten Schlußfolgerungen lauteten dahingehend, daß Cerruti seine Neutralität nie eingebüßt habe, weil die Autoritäten des Staates Cauca sich Cerrutis Besitz bemächtigt hatten, bevor dazu eine rechtmäßige Grundlage bestanden habe. 32 Die Republik Kolumbien sei deshalb Cerruti und seinen Firmen gegenüber entschädigungspflichtig. Cerruti hatte somit Anspruch auf Wiedergutmachung. Die darauf eingesetzte Liquidationskommission unter dem Vorsitz des spanischen Geschäftsträgers in Bogotá, Bernardo J. de Cologán, trat im Beisein Cerrutis, der damit ein beträchtliches persönliches Sicherheitsrisiko einging, und Aníbal Galindos, des ehemaligen Wirtschaftsministers, in der Landeshauptstadt zwischen dem 1. August 1888 und dem 23. März 1889 einige Male zusammen. 33 Die Kommissionsarbeit wurde aber von Anfang an durch die kolumbianische Seite behindert, weil Galindo, der sich als vom Präsidenten der Republik eingesetzter Advokat Kolumbiens verstand, versuchte, entgegen dem im Pariser Protokoll bestimmten Zweck, generell über die "gesetzeswidrige Druckausübung" ausländischer

30

Eine von José Gutiérrez, dem Sekretär der kolumbianischen Mission, angefertigte Abschrift der Beweise vom 6.2.1887 liegt im AMRE Archivo Diplomático, Legación en Londres y Madrid 1886-88, Bl. 180-193.

31

Cavelier, La política internacional, S. 209 f. (Anm. 15).

32

Der Schlußbericht ist abgedruckt in: R. Ministero degli Affari Esteri, Vertenza del citadino, S. 4-18 (Anm. 25).

33

Weitere Mitglieder waren Julián Cock Bayer als Vertreter der kolumbianischen Regierung und der italienische Geschäftsträger Graf Gaspare Michele Gloria. Die Kommissionsakten sind abgedruckt in: Documentos relativos al Arbitramiento de la reclamación Cerruti publicados por el Ministro de Relaciones Exteriores. Bogotá 1889, S. 115-139.

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Mächte zu diskutieren. Er wandte sich mit einer polemischen Rede, die durch gezielte Indiskretion auch in der Öffentlichkeit zirkulierte, gegen überzogene Ansprüche von Ausländern in Kolumbien. 3 4 Zentral darin war die Behauptung, Spanien stehe es nicht zu, in seinem Urteil Kolumbien zur Entschädigung von Cerrutis Gesellschaften zu verpflichten, da diese Firmen der kolumbianischen nationalen Gesetzgebung unterstellt seien. Es seien sowohl nationale Gesetze als auch internationale Verträge zu berücksichtigen. Galindos Forderungen wurden vom Kommissionspräsidenten abgewiesen. 3 5 Doch die kolumbianische Presse nahm das Thema dankend auf. Cerruti, der unter Geldmangel litt, schickte bald nur noch seinen Advokaten, nachdem er erkannt hatte, daß seine Maximalforderungen bei der vorhandenen Konstellation wenig Aussicht auf Erfolg hatten. Auch der italienische Geschäftsträger blieb den Sitzungen zeitweise fern. Er zog sich mit Zustimmung der italienischen Regierung definitiv zurück. Der im Protokoll von Paris festgehaltene Zweck der Kommission, einen Schiedsspruch zu fällen, wurde nicht erfüllt. 36 Langwierige diplomatische Verhandlungen folgten. Einstweilen wollte die Regierung Kolumbiens Cerruti einen Pauschalbetrag von 10.000 Pfund Sterling als Entschädigung für seine Verluste leisten. 37 Ein Gesetz aus dem Jahr 1892, das erneut den Obersten Gerichtshof Kolumbiens als zuständig für Cerrutis Klagen erklärte, war für den Italiener unannehmbar. U m einen Präzedenzfall zu vermeiden, schalteten sich auch die Repräsentanten der USA, Englands, Deutschlands und Frankreichs wieder ein und drängten auf dessen Rücknahme. Ein weiteres bedeutsames Ereignis war der Abschluß eines Handelsvertrages zwischen dem Königreich Italien und Kolumbien am 27. Oktober des gleichen Jahres. 3 8 Damit waren die zwischenstaatlichen Beziehungen endgültig normalisiert. Cerrutis Reklamation blieb aber noch ungelöst.

Arbitramento Cerruti. Primera Exposición del Gobierno Nacional sobre las cuestiones previas y de principios, presentada a la comisión internacional encargada de fallar esta causa. Bogotá 1889. Documentos, S. 85 f. (Anm. 33). Ebenda, S. 93 f. Brief des kolumbianischen Ministers General Alejandro Posada an den italienischen Außenminister vom 30.6.1890. In: ASD Serie Z busta 110 Pos. 28, Cerruti, Fasz. 1657. Informe del Ministro de Relaciones Exteriores al Congreso de 1896, S. LII.

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5. Der Schiedsspruch von Grover Cleveland Nachdem wiederum viel Zeit verflossen war, unterzeichneten José Marcelino Hurtado, der Bevollmächtigte Minister Kolumbiens, und Baron A. Blanc, der im Auftrag der italienischen Regierung handelte, am 18. August 1894 in Castellamare ein Protokoll, in dem sich die beiden Regierungen darauf einigten, eine Lösung in der Entschädigungsfrage zu suchen. 3 9 Kolumbien akzeptierte den Vorschlag Italiens, Cerrutis Reklamationsforderung einer dritten Macht zur Entscheidung zu unterbreiten. Die Wahl fiel auf den US-Präsidenten Grover Cleveland. Dies war erstaunlich, da die U S A in den Reklamationsforderungen von in lateinamerikanischen Bürgerkriegen geschädigten ausländischen Geschäftsleuten zwar stets eine von den europäischen Industriestaaten unabhängige, jedoch dezidiert die Geschädigten unterstützende Haltung eingenommen hatten. Gleichwohl erwartete Kolumbien von den USA, die sich seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zunehmend verärgert über die Einmischung europäischer Staaten - Deutschlands während der Militärrevolte in Brasilien, Frankreichs in Santo Domingo und Englands in Nicaragua und Venezuela - gezeigt hatten, ein wohlwollendes Verhalten im Sinne der Monroe-Doktrin. 4 0 Auch konnte von dieser Macht angesichts der vitalen Interessen am Transitweg in Panamá ein Entgegenkommen erwartet werden. Doch dieses Kalkül ging nicht auf. In der Formulierung des Auftrags an den US-Präsidenten unterliefen dem kolumbianischen Repräsentanten wiederum schwerwiegende taktische Fehler. Denn Cleveland sollte lediglich feststellen, inwiefern ein internationales Gericht und inwiefern kolumbianische Gerichte für die am Cerruti-Besitz verursachten Schäden zuständig waren. Aber auch die Hoffnung Kolumbiens, daß der US-Präsident die Monroe-Doktrin und den Panamerikanismus über den Schutz des privaten Eigentums von Europäern stellen würde, erwies sich als falsch. Ein weiterer, schwer vorauszusehender Faktor spielte eine Rolle: Cerruti gelang es, mit Santiago Eder, einem Geschäftsmann, der ebenfalls über

39

Protocollo di Castellamare die stabia 18 agosto 1894. In: R. Ministero degli Affari Esteri, Vertenza del citadino, S. 27 f. Das Protokoll wurde vom kolumbianischen Kongreß ratifiziert.

40

Zum Verhältnis der USA gegenüber Europa vgl. Ragnhild Fiebig-von Hase: Lateinamerika als Konfliktherd der deutsch-amerikanischen Beziehungen 18901903. Vom Beginn der Panamerikapolitik bis zur Venezuelakrise von 1902/03, Bd. 2. München 1986, S. 633.

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längere Zeit im Valle del Cauca gewohnt hatte, seinen Wohnsitz mittlerweile aber wegen der politischen Wirren in die USA verlegt hatte, alte Beziehungen zu aktivieren. Eder half Cerruti bei der Vorbereitung der Einreichung der Unterlagen und ließ wohl auch seine Kontakte zu Regierungsstellen, die er sich als ehemaliger Konsul der USA im Staat Cauca erworben hatte, spielen. Ein weiterer Pluspunkt von Cerruti war sein Anwalt Sercos Mallet-Prevost, der als Spezialist für lateinamerikanisches Recht galt. Kolumbien dagegen engagierte Calderón Carlisle, einen mittelmäßigen Juristen, der zudem erneut mit ungenügendem Material den Nachweis von Cerrutis Neutralitätsverletzung erbringen sollte. 41 Die Folge dieser Umstände war wiederum ein für Kolumbien äußerst ungünstig lautender Schiedsspruch. Am 2. März 1897, kurz vor dem Ablaufen der Amtszeit von Cleveland und damit ohne unmittelbare Auswirkung auf die Lateinamerikapolitik seiner eigenen Regierung, wurde das Urteil veröffentlicht. 42 Cleveland nutzte den Spielraum voll aus, den ihm das Protokoll von Castellamare gab: Er setzte die Summe, die Cerruti für persönliche Verluste und seine Beteiligung an Gesellschaften von Kolumbien erhalten sollte, auf 60.000 Pfund Sterling fest. Wie er auf die Höhe dieses Betrags kam, darüber enthielt der Schiedsspruch keine Angaben. Der Anwalt Kolumbiens legte keinen Protest dagegen ein. 10.000 Pfund Sterling hatte die kolumbianische Regierung bereits bezahlt. Weitere 10.000 Pfund Sterling sollten innerhalb der nächsten 60 Tage, die verbleibenden 40.000 Pfund Sterling innerhalb von neun Monaten entrichtet werden. Diesen Teil des Schiedsspruches akzeptierte die kolumbianische Regierung. Neuen Zündstoff bedeutete Clevelands Entscheid aber deswegen, weil er die Regierung des Andenlandes für Schäden verantwortlich machte, die durch die Konfiskation des Besitzes von Cerrutis Firmen entstanden waren: "I further adjudge and decide that the Government of the Republic of Colombia shall guarantee and protect signor Ernesto Cerruti against any

Eder, El fundador, S. 368f. (Anm. 6). Award of the President of the United States under the Protocol concluded the eighteenth day of August in the year one thousand eight hundred and ninety-four between the Government of the Kingdom of Italy and the Government of the Republic of Colombia.

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and all liability on account of the debts of the said copartnership, and shall reimburse signor Cerruti to the extent that he may be compelled to pay such bona fide copartnership debts duly established against all proper defences which could and ought to have been made, and such guarantee and reimbursement shall include all necessary expenses for properly contesting such partnership debts."

Carlisle versagte auch hier und unterließ es, gegen dieses Geschenk an die Gläubiger, die sich nach 12 Jahren kaum mehr Hoffnungen auf Entschädigung machen konnten, energisch zu protestieren. Es war dem kolumbianischen Geschäftsträger ad interim, General Julio Rengifo, überlassen, die Mißbilligung seiner Regierung gegen diesen Passus auszudrücken.43 Er hatte keinen Erfolg. Während die kolumbianische Regierung die übrigen Teile anstandslos erfüllte, akzeptierte sie diesen Teil des Schiedsspruches nicht. Sie begründete ihre 'revisionistische' Haltung damit, daß Cleveland seine Kompetenzen überschritten habe. Der kolumbianische Subsecretario de relaciones exteriores, Antonio Gómez Restrepo, ging sogar so weit zu behaupten, der Schiedsspruch Clevelands verändere die kolumbianische Gesetzgebung: "El Arbitro al hacer responsable á la República de las deudas de la Compañía, ha modificado nuestro derecho público interno. " u

6. Italiens Übergang zur Kanonenboot-Diplomatie Die Regierung Italiens beharrte auf der vollen Erfüllung des für ihren Mandanten günstigen Schiedsspruches. Nach einigen diplomatischen Vorstößen durch den italienischen Minister Giovanni Pirrone in Bogotá, die von der kolumbianischen Regierung mit dem Verweis auf die notwendige Zustimmung durch den Kongreß zurückgewiesen wurden, demonstrierte die italienische Regierung ihre unnachgiebige Haltung erneut durch die Entsendung von Kriegsschiffen. Vor den Küsten Kolumbiens bezogen fünf Kreuzer aus der Antillenflotte Position. Nachdem ihr Kommandant, Admiral Candini, zunächst vorgab, einen freundlichen Kontakt mit den Lokalbehörden Cartagenas aufnehmen zu wollen, und dies durch die Teilnahme an den Nationalfeierlichkeiten unter Beweis stellte, besann er sich aber aufgrund von Instruktionen aus Rom eines anderen und übermittelte am Informe que el Subsecretario de relaciones exteriores encargado del Despacho presenta al congreso de 1898, S. XXIV. Ebenda, S. XXV.

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22. Juli 1898 in Cartagena ein Ultimatum an die kolumbianische Nationalregierung. 4 5 Darin hieß es, die Regierung Kolumbiens sei dazu verpflichtet, den Schiedsspruch in vollem Umfang anzuerkennen. Als Zeichen guten Willens sollte sie bei der Bank von Hamburg in London ein für die italienische Regierung zugängliches Depot von 20.000 Pfund Sterling einrichten. U m bei einem Einlenken der kolumbianischen Regierung für Verhandlungen bereit zu sein, hielt sich der italienische Repräsentant in Haiti, Enrico Chicco, seit dem 28. Juli inkognito in Colón bereit. 46 Die unnachgiebige Linie der italienischen Regierung mußte zu einer erneuten Eskalation des zwischenstaatlichen Konfliktes führen, da das Ultimatum für die kolumbianische Regierung keinen Ausweg ohne Gesichtsverlust offenließ. Eduardo Gerlein, der gutinformierte Gouverneur in Cartagena, der von Candini das Ultimatum entgegengenommen hatte, befürchtete, daß Cartagena bei Nichterfüllung mit einer Blockade belegt und beschossen würde, eventuell sogar die Zollstation besetzt würde. 4 7 Dies allerdings hätte eine erhebliche Kollision mit US-Interessen zur Folge gehabt, da der von US-amerikanischen Aktionären kontrollierte Cartagena Railway Company ein Großteil der Hafenanlagen gehörte. In diesem Zusammenhang ist auch das vermittelnde Eingreifen der U S A durch deren Minister in Rom zu sehen. Die Frustration über die italienischen Drohgebärden kam im von den Konservativen dominierten nationalen Parlament in der Hauptstadt zum Ausdruck. Am 12. August erließ dort der Kongreß ein Dekret, in dem er den Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Italien forderte. Nachdem auch die Geschäftsträger Englands, Frankreichs und Deutschlands auf

45

AMRE Reclamación Cerruti, Gobernador Eduardo Gerlein an den Ministerpräsidenten Antonio Caro sowie an den Außenminister und den Kriegsminister, Cartagena, 23.7.1898. [Urgente].

46

AMAEP CC Panama, Bd. 9, A. de Boutaux an Ministère des Affaires Etrangères, Panamá, 1.8.1898, Bl. 380r.

47

AMRE Reclamación Cerruti, Begleitschreiben Gerleins an die kolumbianische Regierung vom 23.7.1898. [Urgente], Gerlein verstand sich offensichtlich gut mit dem italienischen Admirai. Am 16. Juli hatte er bei einem Besuch dessen Flotte mit 21 Kanonenschüssen begrüßen lassen. Er selbst war auf dem Schiff des Admirais mit allen Ehren empfangen worden. (AMRE Reclamación Cerruti, Briefe Gerleins vom 18.7.1898 und vom 19.7.1898 an den Außenminister respektive an den Vize-Präsidenten und den Außenminister Kolumbiens. [Urgente]).

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die konservativ-nationalistische Regierung Antonio Caro eingewirkt hatten, über diese Angelegenheit nicht den Kongreß entscheiden zu lassen, ließ der kolumbianische Außenminister, Felipe F. Paul, noch am gleichen Tag in einem Schreiben an den verhandlungsführenden Gerlein durchblicken, daß die Regierung im Notfall auf die italienischen Bedingungen eingehen werde, um einer erneuten Erniedrigung durch die italienische Flotte zuvorzukommen. 48 Das Ansehen der ohnehin schwer angeschlagenen Regierung Caro sank angesichts dieser Kapitulation weiter, und der Präsident wagte sich kaum mehr aus seinem Haus. Wenig später brach die kolumbianische Regierung die diplomatischen Beziehungen ab. 49 Sie wurden erst 1904, nach der Beendigung des Kriegs der Tausend Tage, wiederaufgenommen. Inzwischen hatte der englische Geschäftsträger in Bogotá die Interessen Italiens wahrgenommen. In Kolumbien selbst fehlte es nicht an Kritik an der unprofessionellen Haltung der Nationalregierung. Oppositionelle Liberale wiesen auf die Scheinheiligkeit, den vorgeschobenen Nationalismus, auf Inkonsequenzen und diplomatische Schwächen der Regenerationsregierungen seit Beginn der Affäre hin. In einer polemischen Schrift wurde schonungslos aufgedeckt, daß Antonio Gómez Restrepo, der kolumbianische Gesandte in Italien, der kolumbianische Außenminister José Marceliano Hurtado und der de facto- Präsident Caro seit dem Einlaufen der italienischen Kriegschiffe in kolumbianische Hoheitsgewässer am 11. Juli über deren Mission informiert waren, ohne jedoch die geeigneten Verteidigungsmaßnahmen zu treffen. 50 Die von Hurtado verbreitete Erklärung, er habe von all dem nichts gewußt, wurde als Lüge entlarvt. Das kolumbianische Volk sei vorsätzlich getäuscht worden. 51

48

AMRE Reclamación Cerruti Bogotá, 12.8.1899. [Urgentísimo, reservado]. Zu den Beeinflussungsversuchen der europäischen Repräsentanten vgl. Public Record Office/Foreign Office (PRO/FO) 135/237 Bericht des Bevollmächtigten Ministers und Geschäftsträgers Charles Villiers an Salisbury, Bogotá, 29.7.1898.

49

Die an Caro anschließende Regierung José Manuel Marroquin versuchte, diesen Schritt als Mißverständnis darzustellen. (PRO/FO 135/237 Villiers an Salisbury, Bogotá, 30.11.1898).

50

Cuestiones colombianas. La cuestión Cerruti. La sentencia Cleveland. Sus consecuencias necesarias. ¿Hubo alta traición? Lausanne 1899, S. VIII-XV.

51

In diesem Zusammenhang war die Rede von "silencio criminal". (Ebenda, S. XIV). Hurtado verfaßte wegen der öffentlichen Anschuldigungen an den Präsidenten Manuel Sanclemente eine Rechtfertigung. (Archivo Nacional de Colom-

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Bedeutete die italienische Machtdemonstration für die ausländischen Gläubiger Cerrutis in Kolumbien eine große Genugtuung, so erwies sie den italienischen Einwanderern in Kolumbien zweifellos einen schlechten Dienst. Denn in Kolumbien führten die Gerüchte von der bevorstehenden Beschießung Cartagenas zu einer neuerlichen Aufwallung nationalistischer Gefühle. 5 2 Am 15. und 16. August wurden italienische Krämerläden in Bogotá geplündert. Die Besitzer begannen mit der Auflösung ihrer Firmen und verließen Bogotá, sofern sie nicht durch dringende Geschäfte zurückgehalten wurden. Auch vor dem Haus des italienischen Repräsentanten in Bogotá protestierte eine wütende Menge. In Cúcuta und Ocaña, kurz darauf (am 28. August) auch in Vêlez (Departement Santander), kam es zu ähnlichen Szenen. Zwei Italiener, die sich in Moniquirá (Departement Boyacá) niedergelassen hatten, wurden belästigt. Bei diesen Aktionen spielten offenbar auch die Gemeindeexekutiven eine Rolle. 53 Es zirkulierte ein Flugblatt, das die gesamte italienische Kolonie als Banditen, welche die Gastfreundschaft des Einwanderungslandes mißbrauchten, verunglimpfte. Darin hieß es: "En Colombia los italianos que se miran como mejores son, cuando menos, cómplices, auxiliadores y encubridores del clandestilismo, de los fraudulentos negocios de salinas, ferrocarriles, etc. etc. Todos se dirigían a su Gobierno en solicitud de misericordia para Colombia". 54

Eine durch das kolumbianische Außenministerium einberufene Krisensitzung mit den Repräsentanten Englands, Frankreichs und Deutschlands führte zur Bestellung einer Liquidationskommission unter dem Vorsitz des deutschen Brauereibesitzer in Bogotá, Leo Kopp. 5 5 Weitere Mitglieder waren von kolumbianischer Seite José María Nuñez und James McNally bia (Bogotá) República, Correspondencia con el Presidente Sanclemente, Rom, 2.12.1898, Bl. 433-440). Das folgende Stimmungsbild basiert auf einer Beschreibung des französischen Außerordentlichen Gesandten und Bevollmächtigten Ministers Joseph Bourgarel an den Außenminister Delcasse. (AMAEP CC Bogota Bd. 12, Bogotá, 4.9.1898, Bl. 106). ASD Serie Z Contenzioso Pos. 28, Colombia, busta 127, Reclami italiani, Biagio Bruno an den italienischen Außenminister, Vélez, 5.10.1898. Italianos. [Flugblatt], PRO/FO 135/237 Conferencia sobre la manera de dar cumplimiento al art. 5. del Laudo en la reclamación Cerruti, Bogotá, 26.9.1898.

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(USA). Die europäischen Geschäftsträger bestanden darauf, daß, wie bei den übrigen Schadensforderungen von Ausländern an die kolumbianische Regierung, die Betroffenen ihre Forderungen stellten und der Kommission die Aufgabe zustünde, diese zu prüfen. 56 Die Kommission scheiterte jedoch schon nach kurzer Zeit, weil der Vertreter Kolumbiens wiederum die Reklamationsforderungen von Anfang an begrenzen wollte. 57 Um das Gesicht gegenüber der internationalen Gemeinschaft zu wahren, setzte die Nationalregierung eine rein kolumbianische Kommission ein. Diese errechnete aus den beschlagnahmten Geschäftsbüchern Cerrutis folgende Schulden, die der Firma zum Zeitpunkt ihrer gewaltsamen Auflösung erwachsen waren: Tabelle 1 : Schulden von Ernesto Cerniti im Jahr 1884 Kissing & Möllmann, Iserlohn und Paris S. L. Helm & Co., Sitz unbekannt S. L. Behrens & Co., Manchester Midgley & Son, Manchester M. Vengoechea & Cía., Barranquilla und Paris Riensch & Held, Bremen Simon Hauer, Sitz unbekannt John Goddard & Co., London Maxime Heurtematte Cía., Panamá und Paris Jh. Lamarque & Cía., Paris G. C. Louis Babin Fety & Cie., Bordeaux Pector & Ducout Jr., Sitz unbekannt Christophe Dellatorre, Panamá und Paris Nicolás Moreno, Panamá und Paris Diego de Castro & Cía., New York Rudolfo Samper & Cía., Paris Angelo y Carlo Liberti, Sitz unbekannt Wm. Greenwood & Cía., Manchester Isaac & Samuel, Panamá und London John Hart & Co., Bristol Charles S. Campbell & Comp., Panamá Schloss Brothers, Bogotá und London Riensch am Ende, Manchester Quelle:

56

29 130.46 9 050.25 8 515.83 10 006.58 27 528.80 1 924.57 3 589.40 34 416.66 2 240.51 2 134.41 869.18 9 758.70 39 647.80 1 332.66 81 971.34 14 131.70 77.61 8 316.29 25 488.35 12 434.84 1 273.18 33 292.35 /

AMRE Reclamación Cerniti, Liquidación final de las deudas pasivas de E. Cerniti & C."

PRO/FO 135/237 Villers an Salisbury, Bogotá, 10.10.1898. PRO/FO 135/245 Villiers an den kolumbianischen Außenminister, General Carlos Cuervo Márquez, Bogotá, 27.1.1899. [Draft],

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Hätte man übliche Zinsen bezahlt, wären diese Schulden enorm hoch gewesen. Die meisten Kläger erklärten sich jedoch mit einem Aufschlag von 20 Prozent zufrieden. 58 Viele von ihnen präsentierten aber auch nach Abzug von Verzugszinsen unverschämt hohe Forderungen, die weit über das in den Cerruti-Büchern Verzeichnete hinausgingen. Die beiden kolumbianischen Berichterstatter resümierten zurecht: "El Tesoro de esta República se creyó una mina inagotable, y sobre él se asestaron, con meticuloso disimulo en unos casos, y con ostentosa arrogancia en otros, desde las baterías que manejaban los negociantes en sus bufetes, hasta las que manejaban los Almirantes en sus acorazados. Todo se creyó posible, y desde el momento en que hubo una Nación que puso su armada y sus ejércitos al servicio de Cerruti y de sus acreedores nacionales y extranjeros, no fueran pocas ni pequeñas las ambiciones que se despertaron, los planes que se fraguaron, ni las utilidades cuantiosísimas que se creyeron de fácil consecución a la sombra de la bandera italiana, en cuyos pliegues quedaban confundidos para la lucha por el dollar y como uniformemente nacionalizados, americanos y europeos, los subditos del Rey Humberto y algunos hijos de Colombia." 59 Es mußte deshalb mit jedem einzelnen auf dem Verhandlungsweg eine Lösung gefunden werden. Schließlich stellte sich für die kolumbianische Regierung, die auf Papiergeld umgestellt hatte, das Problem der Inflation. Laut Schlußbericht sollte sie 5.614.910 Papierpesos bezahlen. Es gelang ihr schließlich, den Betrag auf 2.429.724 Pesos zu reduzieren. - Durch die Anerkennung der Verpflichtung der Republik Kolumbien gegenüber den ausländischen Gläubigern entstand noch ein weiteres Problem, das die Nationalregierung unter Druck setzte. Um nicht einseitig Ausländern Vorteile zu verschaffen, wurde nämlich in der oppositionellen liberalen

58

ASD Serie Z 109 Pos 28, Cerruti, Fase. 1656, Brief des kolumbianischen Außenministers, General Carlos Cuervo Márquez, an den italienischen Außenminister Marquis Visconti Venosta, Bogotá, 3.6.1899.

39

Zu den Kolumbianern mit Handelshäusern im Ausland, die Forderungen stellten, gehörten Diego de Castro & Cía., Rodolfo Samper & Cía. und M. Vengoechea & Cía. (kolumbianisch-französisch). Daß kolumbianische Firmen mit Sitz im Ausland unter den Bittstellern waren, brachte die Regierung in Bogotá in Argumentationszwang. Diese Handelshäuser wurden besonders beim Erscheinen der italienischen Flotte öffentlich als Anstifter der ausländischen Machtdemonstration angegriffen. (Vgl. die Verteidigung von Alfredo und Pablo Valenzuela: El asunto Cerruti y la casa de M. Vengoechea & Ca. de Paris. In: El Promotor Nr. 1380, 19.11.1898).

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Presse immer dringender eine Entschädigung der kolumbianischen Gläubiger der Firmen Cerrutis sowie seiner Geschäftspartner gefordert. 60 Diese Forderung war von besonderer Brisanz, da die Gläubiger allesamt dem liberalen Lager angehörten. Eine Wiedergutmachung hätte das nachträgliche Eingeständnis der Konservativen für die unrechtmäßige Enteignung des politischen Gegners bedeutet. Der nach dem Schiedsspruch Clevelands aus den USA nach Italien zurückgekehrte Cerruti konnte sich ob des ihm zugesprochenen Geldes nicht richtig freuen. Seine Kampagne zur Erhöhung seiner persönlichen Entschädigung wurde vom Vertreter der italienischen Interessen in Bogotá, dem englischen Geschäftsträger George E. Welby, nicht mehr gedeckt. Dieser forderte vielmehr die italienische Regierung dazu auf, ihren Landsmann zur Zurückhaltung zu ermahnen. Als Zeichen guten Willens gegenüber Kolumbien sei außerdem eine Entschuldigung für den Flottenaufmarsch wünschenswert. 61 Wegen Klagen seiner italienischen und kolumbianischen Gläubiger wurden die durch den Staat Kolumbien für den Lombarden bestimmten Uberweisungen in Rom durch eine gerichtliche Verfügung blockiert und für die Begleichung von Schulden bestimmt. Die aus italienischen und kolumbianischen Vertretern bestehende, gemischte Kommission zur Festsetzung der Entschädigung der italienischen Gläubiger der Cerruti-Firmen veröffentlichte erst am 10. Mai 1911 ihren Schlußbericht. 62 ***

Zu den Auflagen, die Ausländern im Kolumbien des 19. Jahrhunderts gemacht wurden, gehörte, daß sie sich nicht in die Innenpolitik des Gastgeberlandes einmischen sollten. Dies war für Kaufleute schon deshalb fast unmöglich, weil sie sich zur Abwicklung ihrer Geschäfte mit lokalen Eliten, die der einen oder anderen politischen Gruppierung angehörten, verbinden mußten. Die Biographie des italienischen Einwanderers Ernesto Cerruti im Cauca-Tal zeigt die enge Verflechtung von Geschäft und Poli-

60

Vgl. den Artikel Por la justicia. In: El autonomista Nr. 113, 19.2.1899.

61

Brief Welbys vom 7.8.1899. [Confidential]. Zur Kampagne Cerrutis vgl. sein Flugblatt vom 30.6.1900.

62

Memoria per il Governo Italiano. Alla Eccell.ma Commissione mista d'arbitrato per la vertenza Cerruti. Rom 1911.

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tik. Cerruti mischte sich so stark ins lokale Geschehen im Valle del Cauca ein, daß die Behörden des Staates Cauca im Jahr 1885 vermeinten, einen Einwanderer zu bestrafen, der seinen Ausländerstatus verspielt hatte. Doch sie täuschten sich, denn der Geschäftsmann pochte auf seinen Sonderstatus. Seine Nationalität wurde von den italienischen Repräsentanten in Bogotá nie in Zweifel gezogen. Deshalb entglitt der caso Cerruti den Autoritäten im Cauca-Tal und wurde zu einer internationalen Angelegenheit. Italien hatte zwar noch keinen Schiffahrts-, Handels- und Freundschaftsvertrag mit Kolumbien; aber es insistierte auf eine Regelung im Sinne der bestehenden bilateralen Abkommen zwischen Kolumbien und anderen europäischen Mächten. Durch die anfänglich unnachgiebige Haltung der kolumbianischen Unionsregierung und das gewaltsame Eingreifen Italiens entstand eine neue Situation, die die Regelung durch eine gemischte Kommission in Bogotá unmöglich machte. Die Entscheidung, die Streitpunkte einem unbeteiligten Drittstaat zu unterbreiten, stellte innerhalb der kolumbianischen Außenbeziehungen eine Novität dar. Wegen seiner großen nationalen und internationalen Publizität wurde der caso Cerruti zu einem Präzedenzfall im Umgang Kolumbiens mit den Interessen Europas. Letzere bestanden in erster Linie in der Schaffung und Erhaltung vorteilhafter Bedingungen für Investitionen, die den Außenhandel begünstigten. Wann immer die Definition, Sicherheit und Übertragbarkeit des Besitzes von Ausländern in Kolumbien gefährdet waren, intervenierten die Vertreter der jeweiligen Schutzmacht in Bogotá vehement. Mochten sich die ausländischen Geschäftsleute im Alltag als Konkurrenten gegenüberstehen, wenn es um den Schutz des Besitzes einzelner ging, traten sie und ihre Repräsentanten gegenüber den kolumbianischen Regierungen geeint auf. Bei der Verteidigung liberaler Eigentumsauffassungen gelangten sie durch konzertierten diplomatischen Druck meist zum Ziel. Militärische Repressalien wurden als den merkantilen Interessen zuwiderlaufend betrachtet und nur im äußersten Fall in Betracht gezogen. Kanonenboote blieben aber als Drohfaktor ein wichtiges Instrument der Druckausübung durch europäische Länder. Den Großmächten England, Frankreich, Deutschland und den USA kam die übereilte Verletzung der kolumbianischen Souveränität durch Italien nicht gelegen; aber sie verurteilten das Vorgehen dieses "zivilisierten" Staates nicht ausdrücklich. Im Ringen um eine völkerrechtlich verbindliche Formel zum Schutz des Eigentums von Ausländern wurden die kolumbianischen Diplomaten, die für die nationale Ehre ihres Landes kämpften, von einem lombardi-

El caso Cerniti

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sehen Geschäftsmann, der sich der Rückendeckung der italienischen Diplomatie und mächtiger ausländischer Handelshäuser erfreute, auf der ganzen Linie gedemütigt. Cavelier spricht zurecht von der "reclamación diplomática mas larga, compleja y costosa de toda la historia diplomática colombiana". 63 Der kolumbianische Nationalstaat hatte sich zum Anwalt einer illegalen Konfiskation im Staat Cauca gemacht. Wegen des mangelnden Geschickes seiner Verhandlungsführer gelang es ihm nicht, die Verurteilung der völkerrechtsverletzenden Invasion italienischer Soldaten durchzusetzen. Aber es gab noch andere Verlierer bei den Cerruti-Prozessen: Cerruti selbst konnte sich seiner formalen Siege nicht freuen. Der Wahlkolumbianer mußte mitsamt seiner Familie das Cauca-Tal verlassen und mehr als zwei Jahrzehnte lang Prozesse gegen die kolumbianische Nationalregierung und die ungeduldigen Gläubiger seiner Firmen führen. Cerruti starb wie seine Geschäftspartner ohne Reichtum. Den übrigen italienischen Einwanderern in Kolumbien erwuchsen durch die Schiedssprüche ebenfalls Nachteile, weil ihr Eigentum vor Racheaktionen nicht sicher war. Die anderen Ausländer in Kolumbien, die ins Land gekommen waren, um Geschäfte zu treiben, litten ebenfalls unter den Ressentiments. Auch die internationale Rechtsprechung hatte Schaden genommen, weil die Inhalte der Schiedssprüche und die Art und Weise, wie sie von Italien durchgesetzt wurden, einseitig den kolumbianischen Staat zum Sündenbock machten. Ironischerweise interpretierten sowohl die ehemalige Kolonialmacht (Spanien) als auch die neue Führungsmacht in der Neuen Welt (USA) ihren Auftrag nicht als Chance zur Vermittlung zwischen den divergierenden Positionen von Kolumbien und Europa. Vielmehr benutzten die Schiedsrichter die Gelegenheit dazu, dem widerspenstigen Andenland eine 'law enforcement'- Lektion zu erteilen. Kolumbien war an diesem unbefriedigenden Ausgang teilweise selbst schuld, weil es seinen Handlungsspielraum bei der Definition des Auftrages der Schiedsrichter nicht voll ausnutzte und tendenziöses Beweismaterial lieferte. Gleichwohl wurden die Urteilssprüche von der kolumbianischen Öffentlichkeit als Beweis für die Absicht überlegener Mächte, schwache Staaten zu unterdrücken, betrachtet. Die transatlantische Staatengemeinschaft mußte sich vorwerfen lassen, eine Eigentumsdiplomatie im Sinne der Stärkeren zu betreiben. Einzig der italienische Staat, der eine das internationale Recht verletzende Invasion begangen hatte, ohne dafür verurteilt zu werden, konnte mit dem Ergebnis zufrieden sein.

Cavelier, La política, S. 199 (Anm. 15).

Modernisierung der transisthmischen Verkehrsverbindungen

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Modernisierung der transisthmischen Verkehrsverbindungen und soziale Mobilisierung. Die Dynamik gesellschaftlicher Transformationen im Zeichen des Kanalbaus in Panama Friedrich von Krosigk

"Istmeños! Somos poseedores del punto más importante del globo, y debemos procurar que nuestro territorio no sólo sea el camino para comunicarse con todas las naciones civilizadas, sino también el asilo para todos los oprimidos."1 Mit diesem Appell an die geopolitische und humanitäre Mission Panamas hat General Fernando Ponce am 5. Juli 1868 eine der vielen Revolutionen proklamiert, die Panama in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erschüttert haben. 2 Panamas Geschichte, das reflektiert dieser Aufruf in charakteristischer Weise, ist wie die keines anderen Landes von der geopolitischen Sonderstellung des Isthmus geprägt, und die Eliten Panamas haben sich in ihren Machtrivalitäten immer wieder beflügelt gesehen von den Möglichkeiten, das Transitpotential dieses Landes möglichst profitabel nutzbar zu machen. Komplizierter allerdings hat sich die humanitäre Mission Panamas gestaltet. Weniger als Zufluchtsort der Unterdrückten, als vielmehr als Attraktionspunkt einer beachtlichen Migrationsbewegung hat Panama in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und im beginnenden 20. Jahrhundert Geschichte gemacht. Die Modernisierung der transisthmischen Verkehrsverbindungen zwischen 1850 und 1914, 3 zunächst

Archives du Ministère des Affaires Etrangères, Paris, Correspondance Commerciale, Panama (AMAEP CC, Panama), Bd. 5. Wenn im folgenden von Panama gesprochen wird, so ist damit die administrative und politische Einheit des 1903 entstandenen Staates gemeint. Drei transisthmische Modernisierungsprojekte sind zu unterscheiden: (1) der von der Panama Railroad Company (PRC) durchgeführte Eisenbahnbau zwischen Colón und Panama-Stadt (1850-1855); (2) der gescheiterte Kanalbau der französischen Compagnie Universelle du Canal (CUC) (1881-1889); und (3) der erfolgreiche Kanalbau der US-amerikanischen Isthmian Canal Commission (ICC)

Friedrich von Krosigk

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durch den Bau einer Eisenbahnlinie zwischen Colón und der Stadt Panama und dann durch den Bau des Kanals zwischen Atlantik und Pazifik, hat nicht nur den Kommunikationsverbund zwischen den "zivilisierten Nationen" erheblich verändert, sondern auch zur Mobilisierung beträchtlicher Menschenmassen beigetragen. Kurz, Panamas geopolitische Sonderstellung hat im Zeitalter der Industrialisierung, das für Panama in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann, über die Arbeitsmigration eine brisante Komponente gewonnen. Der von der französischen Compagnie Universelle du Canal (1881-1889) begonnene und von der US-amerikanischen Isthmian Canal Commission (1903-1914) vollendete transisthmische Kanal hat zwar vielfache Bewunderung als technologische, organisatorische oder gar - durch die erfolgreiche Bekämpfung von Malaria und Gelbfieber - auch als medizinisch epidemiologische Meisterleistung gefunden. Die geopolitische Revolution, die der Bau der Wasserstraße zwischen Atlantik und Pazifik auslöste, ist immer wieder hervorgehoben worden. Den sozialen Veränderungen und ihren politischen Folgekosten, die aus den transisthmischen Großprojekten hervorgegangen sind, aber ist eine vergleichbare Beachtung versagt geblieben. In den folgenden Ausführungen soll der Versuch gemacht werden, nicht die viel besungene Geschichte der technologischen Großprojekte, die sich in Panama seit der Mitte des 19. Jahrhunderts realisiert haben, neu zu schreiben, sondern ihre sozialen und politischen Wirkungslinien zu untersuchen. Das Phänomen der Arbeitsmigration mit seinen karibischen und panamaischen Facetten gewinnt dabei zentrale Beachtung. Panama ist seit seiner Inkorporation in das spanische Weltreich im frühen 16. Jahrhundert Drehscheibe und Angelpunkt interozeanischer und interamerikanischer Kommunikation gewesen. 4 Norden und Süden Hispano-Amerikas waren über Panama verknüpft, ebenso wie die pazifischen (Philippinen) und atlantischen (Karibik) Besitzungen Spaniens. Tausende von Tonnen an Edelmetallen aus Peru, Mexiko und später aus Kalifornien sind über den Camino Real zwischen Panama und Portobello transportiert worden. Spanische Verwaltungsbeamte auf dem Wege nach San Salvador,

(1903-1914). Vgl. hierzu u.a. Richard F. Behrendt: Aspectos sociales y económicos del Istmo de Panamá durante la época del tráfico interoceánico primitivo, 1519-1848. In: Revista Mexicana de Sociología H. 5, 1963, S. 49-61.

Modernisierung der transisthmischen

Verkehrsverbindungen

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Acapulco, Manila oder Quito und Lima passierten durch und pausierten in Panama. Als Transitlinie des spanischen Weltreiches, nicht als Migrationsland, hat Panama vornehmlich Geschichte gemacht. Die spärliche Bevölkerung des Landes, die auf die Transitzone zwischen dem heutigen Colón und Panama-Stadt zentrierte Siedlungsstruktur und die nur späte Erschließung und landwirtschaftliche Nutzung der Binnenräume des Landes, insbesondere im Gebiet der Landenge von Darién, geben Zeugnis von dieser hochgradigen Funktionalisierung als Transitregion. Zum Zielpunkt umfangreicherer Migrationsbewegungen wurde Panama allerdings erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Zuge seiner Eingliederung in das neue, von den USA dominierte internationale Herrschafts- und Kommunikationssystem. Zwar erfolgte die endgültige Ablösung Spaniens als Machtträger im amerikanischen Raum erst 1898 als Folge der Niederlage im spanisch-amerikanischen Krieg um Kuba und die Philippinen, de facto aber wurde Panama schon integraler Bestandteil des neuen US-Systems mit der Auslösung des kalifornischen Goldrausches zwischen 1849 und 1869. Die Modernisierung des Camino Real, die diese extensive Nutzung Panamas durch amerikanische Goldgräber provozierte, wurde zum Einfallstor ökonomischer und politischer Fremdbestimmung, zugleich aber auch zum Katalysator einer umfangreichen Arbeitsmigration, die Panama und sein karibisches Umfeld nachhaltig verändern sollte.

1. Die Frage der Arbeitskräfte Die Beschaffung von Arbeitskräften war für das Gelingen der unterschiedlichen Projekte zur Modernisierung der transisthmischen Transportverbindungen stets von kritischer Bedeutung. Anders als im Falle Ägyptens, wo es beim Bau des Suez-Kanals möglich war, auf ein großes lokales Reservat an Arbeitskräften - wenn auch zunächst unter Anwendung von Zwangsmethoden 5 - zurückzugreifen, war die Situation in Panama wesentAber auch im Falle Ägyptens war die Nutzung des lokal vorhandenen Reservoirs an Arbeitskräften ein brisantes Unterfangen. Der Rückgriff auf Zwangsarbeit wurde nicht nur als unmenschlich - insbesondere von britischer Seite - kritisiert, sondern auch als schädigend für die ägyptische Landwirtschaft: "It kept some 60,000 agricultural workers away from their fields at any given time, 20,000 travelling from their villages, 20,000 working their month's stint on the Canal and 20,000 returning to their villages." (J.C.B. Richmond: Egypt 1798-1952.

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sentlich beschränkter. Das gilt sowohl im Hinblick auf das demographische Potential Panamas und die Möglichkeit, eigene Arbeitskräfte zu mobilisieren, als auch im Hinblick auf die objektive Interessenlage der arbeitsfähigen Bevölkerung am Isthmus. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts verfügte Panama nur über eine spärliche Bevölkerung von etwa 130.000 bis 150.000 Einwohnern 6 (ca. ein Drittel davon lebte in der Transitzone zwischen Portobello und Panama-Stadt). Aus einer Volkszählung von 1911, auf die sich der deutsche Geograph Karl Sapper7 beruft, geht hervor, daß sich Panama bis zur Zeit der amerikanischen Kanalbauphase (1903-1914) zwar demographisch fast verdreifacht hat, aber mit rund 337.000 Einwohnern immer noch ein Miniaturstaat geblieben war (Tabelle 1). Geht man davon aus, daß aufgrund der schlechten verkehrstechnischen Erschließung des Landesinneren8 - erst in den 30er Jahren dieses Jahrhunderts wurden mit amerikanischer Hilfe befestigte Straßen in das Landesinnere gebaut - bestenfalls die Hälfte der Bevölkerung in für den Arbeitsmarkt um die Kanalzone zugänglichen Regionen lebte (Tabelle 1), so verdeutlichen sich die begrenzten Möglichkeiten des Isthmusstaates, Bauprojekte von der Größenordnung des französischen oder amerikanischen Kanalbaus, die den Einsatz von bis zu 40.000 Arbeitskräften erforderlich machten, über den eigenen Arbeitsmarkt mitzugestalten.

London 1977, S. 95.) 6

Für das Jahr 1851 gibt El Diario Oficial (Bogotá) vom 3. März 1875 für die Provinz Panamá eine Einwohnerzahl von 128.897 an. Vgl. hierzu Juan Antonio Susto: Censos Panameños en el Siglo XIX (1821 - 1903). Publicaciones de la Revista Lotería Nr. 15, S. 21; zitiert in María J. de Meléndez, "Prólogo" zu C.D. Griswold: El Istmo de Panamá y lo que vi en el. Panama 1974, S. LXIV. - Griswold selbst spricht in seinem Text von etwa 150.000 Einwohnern. (Vgl. S. 27).

7

Karl Sapper: Über die Ansiedlungsmöglichkeiten der Europäer in der Republik Panamá. In: K. Sapper/D.v. Blom/J.U. Nederburgh: Die Ansiedelung von Europäern in den Tropen. Bd. 2. München/Leipzig 1912, S. 67.

8

Nach Meléndez war der Binnenverkehr Panamas fast inexistent: "[...] la comunicación entre la Capital y los Cantones que formaban la Provincia de Panamá era casi inexistente, pues no había entre ellos caminos propiamente dichos sino sólo trochas para muías." (Meléndez, Prólogo S. XXVII, Anm. 6).

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